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Blätter für literarische Unterhaltung.
Vahrgang 19846,
Erfter Band.
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Blätter
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Kahbrgang 1846.
literarische Unterhaltung.
Erster Band.
Sanuar bi Qunt,
(Enthaltend: Nr. 1— 181, Literariſche Anzeiger Nr. I — XL)
8. A. —
1846.
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Blätter
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literariſche Unterhaltung.
Donnerdtag,
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Vo biefer Zeitſchrift erſcheint tägli eine Munmer und der Preid betragt für den Jahrgang 12
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1. Sanuar 1846. '
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fr. Alle
an die
ochenlieferungen und
Seydelmann und die deutſche Schauſpielkunſt.
Über Seydelmann hat das kritiſche Deutſchland in
Zeitſchriften, Brofhüren und Büchern eine ganze Kite:
ratur anfzuweifen. Sein ˖ Tod, für Alle überrafchend
früh, ward nur erſt recht Veranlaffung, fi über ben
großen Schaufpieler auszufprechen, an den die Dichter
ihre Hoffnungen tnüupften, auf den Pbilofophen zum
Beleg ihrer aͤſthetiſchen Ariome binwiefen, deſſen Er-
fcheinen auf jeder Bühne Deutfchlands ein ungewöhn⸗
liches Feſt geweſen war. Hier und da hatten fehr laute
Stimmen fogar eine Wiedergeburt des beutfchen Thea⸗
terd von ihm verkündet. Ich gehöre in Sachen drama-
tifcher Kunft fehr leicht zu den Hingeriffenen und bin
einer rückſichtsloſen freudigen Hingabe an Stoff -und
Form, an Inhalt und Darftellung germ eingeftändig.
Dei alledem wolite e8 mir fcheinen, als rechneten mid)
die Leute Seydelmann gegenüber zu den Nüchternen,
obſchon ich mir felbft bewußt war, feine ganze Bedeut⸗
famkeit und Größe. zu erfennen. Indem ich hier über
Rotſcher's ausführliches Buch und über eine Fleinere
Schrift von Georg Knispel Rede ftehe*), fei mir felbft
geftattet, meine Erinnerungen an Seydelmann zufammen-
zufaffen. Den Manen des großen Mimen, der nach dem
tiefften Abgrunde der einfachen und nadten, aber durch⸗
dringenden Wahrheit rang, weiß ich für meinen Theil
kein beffered Opfer zu bringen, ale wenn ich aus zwei
verfchiedenen Lebensepochen, wo ich ihn im Zufammen-
*) 1. Seybelmann’s Leben und Wirken, nebft einer bramaturgts
fra Abhandlung über den Künfller, mit Benugung und Veroͤffent⸗
Tichung des handſchriftlichen Nachlaſſes und der Briefe deffelben dar:
geftelt von Heinrich Theodor Rötfher. Berlin, A. Dunder.
1985. Gr. 8. 23 Sir.
2. GSrinnerungen auß Berlin am Karl Seybelmann vom Spaͤt⸗
berbfie 1842, und Gin Memorandum für bie Reform des deutſchen
Bühnenweiend, von Georg Knispel. Darmitabt, Ledte. 1845.
8 mM Roer.
hang beobachten Eonnte, die Eindrüude feines Spiels mir
zurüdtufe und in mir feftftelfe.
Es war vor zehn Jahren in Berlin, im Frühjahr
1835, als ich Seydelmann bei feinem dortigen Gaftfpiel
zum erften Male in einer Reihe von Rollen ſah. Eine
Betrachtung über ihn an jene Epoche anknüpfen heißt
ihm nicht zunahetreten, denn fein Gaftfpiel in Berlin
war ber Glanzpunkt feines Ruhms. Ein angehender
BVierziger, war er damals auf ber Höhe feiner Entwide-
lung, durchaus in fich ferfig, und zugleich noch im gan-
zen Vollgefühl feiner Kraft. Er war den Auffoderun-
gen, in Berlin zu fpielen, fehr Tange ausgewichen. Er
tannte den Dre nicht bloß, wie er fih ausdrüdte, ale
„ein Weſpenneſt der Kritik“, fondern auch als den Schau-
plag der größten Meifter in deuffcher Kunft. Er fürch⸗
tete fich nicht blos vor ber Kritik der dortigen Tages⸗
blätter — obfhon er an Drt und Stelle geftand, fie fei
wol im Stande zu Tode zu ftechen, denn fie ſei fehr auf-
bringlich dort, werde einem in die Vorſtube geworfen,
bringe allmälig um allen Humor; und mas ift der
Künftler ohne Humor * — Seydelmann fürchtete ſich bei-
weiten mehr und vielleicht Tediglich vor den Schatten
der großen Geifter von ehedem, die noch in den Gedan-
fen ber Leute umgingen. inige lebten in den Erinne⸗
rungen an Sffland, der Mehrzahl ftand noch frifh und
leuchtend Ludwig Devrient's geniale Geſtalt vor dem
Auge des Beiftes, Alle wurden noch warm bewegt, ge-
dachten fie, wie zu gleicher Zeit mit ihm bie beiden
Wolff, Beſchord und Lemm die claffifhen Gebilde
der dichterifhen Heroen in einem feltenen Gefammtfpiel
vorgeführt. Indeſſen waren die Schatten der großen
Todten doch ſchon blaß geworben; bie Raupach'ſche
Epoche Tag dazwiſchen. Es fei fern von mir, den dra⸗
matifhen Verſtand in Raupach nicht Hoch genug an⸗
flagen zu wollen. Die ftarfe Kraft in „Iſidor und
Olga“ kann Niemand leugnen; in einer Gattung des
+
Luftfpiels, die zur fatirifhen Poſſe neigt, und im hiftori-
chen Genreftüd, wie „Vor hundert Jahren”, hat er eine
theatralifche Birtuofität entwidelt, die leiber oft genug
dem echten Dichter fehle. Aber diefe Virtuofität verführte
ihn. bei dem Mangel ber höhern dichteriſchen Haltung
auf dem Boden der geſchithtlichen Tragẽdie zu einer
fabritmäßtgen Schnellfchreiberei, die und im Zeitraum ei-
niger Jahre den ganzen Cyklus ber Hohenftaufen ⸗ Helden
durch die Schablone ſchlug. Er hatte die berliner Bühne
faft amtlich in Beſchlag genommen, und wie er ſchrieb
fo fpielte man. An der Erelinger und einigen andern
ktaftvollen Naturen fanb er tüchtige Traͤger für feine
Stoffe; aber der Typus feiner Schöpfungen ging allmä-
fig auf die Darfteller über. Seine hiftorifhen Zragi-
dien waren nicht ohne fcharffinnige Dialektik abfiracter
Begenfäge erdacht und entworfen, aber ohne dichteriſches
Leben, ohne Individuelle Wahrheit und Wirklichkelt aus-
geführt. Den hiftorifchen Charakter verwifchte fein flie-
Sender Jambus, der Schwung ber Phantafie wurde xhe-
torifche Hohlheit, Nednerfünfte erjegten das Feuer der
wahrhaften Empfindung, und der Furor der tragifhen
Leibenſchaft verpuffte fi in Declamationen. Die alte
Kichtung -des Iffland’fchen Zeitalters mit ihrer Wahr-
haftigkeit, der aͤſthetiſche Schwung eines idealen Bor-
trage wie ihn und bie beiden Wolff aus der Goethe'⸗
fhen Schule vorgeführt, der wetterleuchtende Humor ei-
ner bämonifchen Romantik wie fie in Ludwig Devrient
ihren Vertreter gehabt — alle biefe verfchiedenen Weifen
Dramatifcher Kunft, wofern fie ſich auf der berliner Bühne
hätten fortpflanzen laffen, wurden in der Raupach'ſchen
Epoche auf ein mittleres Maß herabgedrückt, bei wel-
em fich die rhetorifche Routine geltend machte. Die
theatralifchen Künfte verbrängten die dramatifche Kumfl,
der Schein bie Wahrheit, der Flitter das echte Gold.
Die Bildung von Berlin fing überhaupt damals an fi)
der Bühne zu entwöhnen. inzelne Phänomene wie die
Sontag braten auf kurze Zeit einen Schwindel in
die Maſſe; aber ſolche auffladernde Dige bewies um fo
mehr die fehlende dauerhafte Wärme. Die Bildung von
Berlin trieb damals Philoſophie; das politifche Antereffe
war feit ber Julirevolution wach geworden, drehte ſich
aber noch nicht um heimiſche Dinge. Und während bie
" . Dentenden das Theater gründlich verachteten, kam die
Theilnahme der eleganten Welt keineswegs dem Schau-
fpiel zugute. Spontini beherrfchte mit feinem Pomy bie
Dper, und das glänzende Ballet, die Liebhaberei de da:
maligen Hof, war recht eigentlich im Stande, am Thea⸗
ten den Reſt von geiltiger Bedeutſamkeit abzutödten.
In diefer Beit der Ebbe im deutfhen Schaufpiel
kam Seydelmann nah Berlin. War der Moment gün-
flig, infofern fein Nebenbubler die Eroberung des Publi-
cums fireitig machte, fo. war die Aufgabe, die Gleich⸗
gültigfeit gegen das herabgebrüdte Schaufpiel zu durch⸗
brechen, nit gering. Dazu kam, daß die Schrift von
Lewald, die Geydelmann mit. Lob überfchüttete und ihn
als den MWertreter einer neuen Epoche verkündete, ihm
zufällig nach Berlin vorausging. Die Kriſis was da⸗
durch nicht wenig gefleigert und das Yublicum der nord-
deutſchen Hauptſtadt empfing den auswärts Gefeierten
ftumm und nit dem Argwohn, ob die Kritik nicht blo⸗
Bes Schaumgold um fein Haupt geheftet. Die Bildung
Berlins ift ein Ergeugniß der Kritik, mithin hat bie
bortige Kritik vor allen das Recht, auf eigenen Füßen
ftehen zu wollen, und ber Sig einer Kritik der Kriit iſt
Berlin. Bei alledem und um fo mehr mar gleich ber
erfte Abend, an welhem Karl Seydelmann ale Carlos
im „Clavigo“ auftrat, ein entfchiebener Sieg, ein Triumph
im großen Stil. Das wurde, wie faft immer Theater:
erfolge, aus der befondern Stimmung im Publicum noch
mehr erklärlich als durch Seydelmann’s Spiel. Dies
war nicht darauf berechnet, im Kluge hinzureißen. Er
kannte fehr wohl die Momente, wo bie volle Schlagkraft
‚ber Kımfl wie em Naturereignig wirkt, aber er eröffnete
fehr vorfichtig die Schleufen ber Gemüͤthswelt, denn feine
Mittel waren nicht darauf geftellt, Erplofionen des Ge-
fühle zu erregen. Er eroberte feiner Natur nach Tang-
fam, aber gründlid); cr feffelte unausgefegt, und indem
er eine ganze Reihe feiner Geftalten, feft und ſicher in
fid) gefugt, mit der ganzen eifernen Confequenz feines
Weſens hintereinander vorführte, flieg die imnıerfort
in Spannung gehaltene Hochachtung vor feinem &piel
endlich zu einer Bewunderung, deren lauter Ausbruch
um fo flärfer wurde, je ſicherer der Grund dazu gelegt
war. Seydelmann verfegte Berlin in eine feit fange
dort nicht gefannte Bewegung. Diefe Aufregung flieg
faft zum Taumel, weil man ihre Möglichkeit auf den
Bretern, wo deutfihes Schaufpiel von Oper und Ballet
überfhüttet war, nicht geahnt hatte. Selbſt die Ber
ſonnenen nahmen Theil am Aufruhr der Geifter, meil
er diesmal nicht einem gütigen Zufall von Reiz und Zu»
gend, nicht dem launenhaften Verein glücklicher Natur-
begabung, fondern dem Erzengnif langjähriger Stubien,
dem’ Ergebniß des Dentenden, nicht ber fpielerifchen
Kunft zugute Fam. Aus den beabfichtigten zehn Gaſt⸗
rollen wurde cine Reihe von 24. Und Geydelmann
führte lauter Geftalten vor, die in der Werkftatt feines.
Geiſtes zwanzig Jahre gebraucht hatten um fertig zu fein.
Es war ihm nit im Traume gegeben; er hatte fogar
Mühe, an einigen feiner Meifterwerfe in der Charakter»
malerei, falls ihm augenbfidlich nicht alle feine Krafte
zu Gebote flanden, die Schmweißtropfen der Arbeit fort
zuwiſchen. Ein Blütenfrühling war ihm meder als Menſch
noch als Künftler gegönnt gewefen; er hatte feine Früchte
ducch einen naßkalten Sommer durchziehen müffen, man-
che diefer Früchte fahen auf Augenblide wie überwintert
aus. Aber eine goldene Herbftfonne, duͤnkt mich, ward
ihm volauf zu Theil; wie denn für ben bentenden
Schaffer und Künftler, der das Selb der Überlieferungen
gründlich durchpflügt, fehr oft erſt das fpätere Mannes-
alter eine Zeit ift, wo er beim Ginfammeln der Früchte
den verfagten Frühling nachzufeieen ſcheint. Es war
bei Seydelmann nur fehicfalsfchwer, daß fein Herbſt fo
kurze Dauer hatte.
(Die Vortfegung folgt.)
Flaͤmiſchee Stillleben in drei kleinen Erzählungen von
Heinrich Conſcience. Aus dem Flamifchen über⸗
fegt von Melchior Diepenbrod. Mit Holz
Schnitten. Regensburg, Puftet. 1845. Gr.8. 20 Nor.
Was wir bis vor einiger Beit noch für ummöglich gehal-
ten, das ließben uns bie legten Donate erichen. Die Borkaͤm⸗
pfer der anders aufs fehroffiie einander gegenüberftchenden
Parteien in Deutſchland waren body einig, ganz und vollfom-
men einig da, we es die flämifche Bewegung galt, und in ber
hat, fie konnten nicht anders, denn aller Politik fern, hielt
jiih bie Bewegung gleich fern von Allem, was ihr einen pfäff-
fchen Unfttich hätte geben können. ‚Die Strebniſſe der Pla:
mingen”, fagt Hoͤfken fehr richtig *), „find dem Kern nad)
freifinnig im volksthümlichen, zum heil im deutſch⸗liberalen
Sinne; fie wollen von feinem politiihen Einfluß der Geiſtlich⸗
feit als folder hören, fo gern fie fonft deren Bemühmgen um
dung, Schule und Kirche fehen. Die Rämifch-nationale
Partei fteht dem umverjöhnlichen Gegenfag zwifchen ſtrengkirch⸗
licher Orthodorie und Höhnendem Voltairismus völlig fern; fie
wädhft, wirft und lebs auf einem andern Felde als dem ab⸗
firacten; fie hat ihre Wurzeln im eigenen wirklichen Boden;
. indem aber ihre Gtreebniffe vorzüglich auf Volksbildung und
wahre Yufflärung gerichtet find, wirkt fie aud) am nachhaltig:
jten gegen Fanatismus auf der einen wie gegen Boltairifche
Aufklärerei auf der andern Seite.” So gibt auch Huber **)
zu: „Auf dem gegenwärtigen Stadium diefer nationalen Be
wegung aber theilt ſich ganz don felbft diefer Literatur und
Deren aetiven und paffiven Traͤgern, den Literaten und ihrem
immer zunehmenden Yublicum, noch mehr aber dem Kreiſe per:
fönlicher Beziehungen, der fich befonderd unter der Jugend
bifdet, eine gewifle ſittliche und religiöfe Haltung mit, wie ie
als Gegenjag der do fi gibt, die man (mit Recht oder
Unrecht) als charakteriſtiſch franzoͤſiſche fühlt, der Frivolität im
weiteften Sinne” Er weiß jedoh auch: „Nimmt die katho⸗
liſche Reaction in ihrer aſcetiſchen Strenge fon jet pofitiven
Anſtoß an der poctijch:gemüthlichen, äfthetifchen und gelegent:
lich fentimentalen Freiheit jener Literatur, oder fürchtet fie, daß
deren wiſſenſchaftlichen Selüften, beſonders wenn fie in deut:
ſchem Sinn und auf deutſchem Gebiet Befriedigung fuchen fol:
ten, die Sathotifche Orthodoxie durch proteftantifche und philo⸗
fopbifche Ketzerei gefährben Pönnte, genug, es liegen ſchon ſehr
. harte Eenfuren gegen feheinbar ganz umnverfängliche Dinge vor,
und eime gewiſſe Spannung, Wenigitend von jener Seite, ift
unverfennbar.”
&o auch ift es in der That. Wir koͤnnen ed nicht leug:
nen, daß die ultramontane Partei, die ihrer Stüge auf Frank⸗
reich durch defien neuefte Literatur und vor Allem den „Ewigen
Juden’ beraubt, in der een Partei eine Stüge zu finden
meinte und darum fie und ihre Hinneigung zu Deutfchland
(weiches, obaleich proteftantifh im Ganzen, doch im ben Rhein:
landen noch eine arge uliramontanc Ede has) begünftigte, ſich
ale Mühe gibt, dieſe Stüge zu Eräftigen, doch im Ganzen
fommt fie nicht weit damit. Mag auch Crrevifie Novellen in
iprem Sinne ſchreiben, mag der Studentenverein der löwener
Hochſchule Alles für Re aufbieten ‚ mag Gent fich jedes Worte
enthalten, welches ihr audy nur im entfernteften Sinne anftö:
Fig fein Fönnte, Antwerpen, auf dem unfere ganze Hoffnun
ruht, ift zu friſch, als daß fie durchdringen künnie. Freili
ind die Feindfeligkeiten von da aus nur felten offene, aber die
bis jegt nur leiſen werben bald in offenen Kampf ausbrechen.
So ſtieß fi 3. B. die Geiſtlichkeit fehr daran, als vor kurzem das
„Zarleerbond‘‘ eine vita Diepenbrod's nebft einigen Auszügen
aus defien Schriften brachte. So wird fie fi) noch unendlich
mehr daran geftoßen haben, als fpäter der Hirtenbrief des
) „Belgien in feinen Verhältniffen zu Zrantrei und Deutfch-
land“, ©. 3,
m „Jans⸗⸗, He XV, ©. 156 und 162,
v⸗
wahrhaft hochwuͤrdigen Fürft⸗ Biſchofs von Breslau in flämiſher
Uberſetzung dort —2*88 iſt.
Dieſe ruhige aber feſte Haltung der flaͤmiſchen Literaten
wollte indeß gewiſſen Leuten bei uns nicht gefallen; weil fie
flämifche Beter vor den Marien» und Ghriftusbildern fanden,
weil fie in den Buchhandlungen der ulteamontanen Yartei diE
„Memoires autographes de la sainte vierge” und Nhnliches
ausgelegt jahen, darum meinten fie, DaB Flamlands Literatur
dem Zejuitismus Dienftbar fei, und fie fchimpften, Rohrſpatzen
glei, auf dieſe und ihre Träger. Andere kamen und fanden
Sympathien, warme Sympathien für Deutfchland, doch ſtatt
fi) deren aus vollem Herzen zu freuen, faben fie darin nur
ein Reſultat geheimer preußiſcher Einwirkung, und da die
Bläminge nicht über Preußen und das zerftüdelte Deutfchland
Ihimpfen wollten, ſchimpften die Herren über die Flaͤminge.
Diefe aber, die ſich, nochmals gefagt, fern halten von aller
Politik, haben ja feinen Grund, fi über uns zu beklagen;
jie denken: Machet ihr eure politiichen Sachen felbft ab, und
freuen fi nur an dem Geifte, der unfere Wiffenfchaft, unfeve
giteratur durchweht. Warum follten fie alio ſchimpfen?
Doppelt willkommen denn war es uns, die Reihen Derer,
welche Flamland und feine Beitrebungen erkennen und zu
ſchaͤzen wiflen, jenen unberufenen Schreiern gegenüber, um &»
nen fo allgemein geachteten Namen wie der Melchior Diepen⸗
brock's iſt gemehrt zu fehen. Nicht mit gleicher Freude Eön-
nen wir übrigens fein Buch begrüßen. Gewiß war Niemand
der Conſcience würdiger in Deutichland hätte einführen fön-
nen als Diepenbrod, doch wir fahen es nicht gern, daB juft
die drei kleinen Novellen es waren, welche den flaͤmiſchen Dich⸗
ter zuerft vor das deutſche Yublicum brachten. Sie haben,
dies wird Riemand leugnen Sonnen, manches Schöne, manches
recht Charakteriftiihe, eine hoͤchſt ehrenwerthe Gefinnung ofs
fenbart fih in ihnen; doch fie find für ein Yublicum geſchric⸗
ben, welches von dem beutichen himmelweit verfchieden ift, wel⸗
des noch in den erſten Unfängen der Bilbung ſteckt. Ihre
faſt allzu große Einfachheit dürfte in Deutfchland weniger zus
fagen und dadurch Vorurtheile gegen Conſcience wecken. Wäre,
was uns feit fo lange fchon von fo verfchiedenen Seiten vers
fprochen wurde, ded Dichters größerer Roman „Der Loͤwe von
Blantern’ früher erfchienen, dann hätte man dem Grfcheinen
jener Beinen Rovellen ruhiger zufehen können; fo aber dürften
fie cher ſchaden als nugen. Als Beiträge zur Kenntniß des
flämifchen Volkſlebens übrigens find fic immerhin fchägene-
wert) und in diefer Beziehung können wir ihre Lecture Jedem
empfehlen, der ſich für flaͤmiſche Zuftände intereſſirt.
In der erſten „Sista von Roofemucl”, gneißelt Gonfeicnce
die Brangoferäfferei, welche felbft bis in die Bürgerclaffe durch⸗
drang, feit lange dort aber ihren Höhepunkt erreichte und nun
in bdemfelben Maße abnimmt, in welchem fie einft wuchs.
Siska's Vater ift ein ehrfamer Specereihändler „nad dem al
ten Schlage“, der nichts von den „franichen Windmakers“ wiſ⸗
fen will; die Mutter läßt ſich cher beftehen und befonders,
als fie den Rachbar feinen Laden & la francaise aufftugen und
defim haͤßliche Tochter in hübſchen Kleidern umgeben von &i-
ner Menge von Stugern an dem glänzenden Ladenfenfter pran⸗
en fiebt. Sie will, daß Siska au fo werde und zu dem
Ende das Mädchen in ein franzöfifche® Penſionnat ftedden ; der
Bater ſtemmt fi) Dagegen, der Hausarzt, ein alter Hausfreund,
raͤth ab; doch fie ſetzt es Durch. Siska wird in dem Penfionnate
gaͤnzlich verdorben; als fie daraus ruͤckkehrt, ſchaͤmt fie fi,
mit der Mutter über bie Straße zu gehen; die gute Wite muß
ihre flaͤmiſche Spigenhaube mit einem Hute, die alte Rantilla
(Baile) mit einem Shawl vertauſchen; Der Laden muß ganz.
umgeändert werden; alle die alten Söpfe und Kaften, an denen
tanjend Erinnerungen des Baters klebten, fliegen auf die
Straße und bunt angeftrichene, theilweife vergoldete nehmen
ihren Platz ein. Das gebt dem Alten zu fehr zu Herzen; es
flieht, wie der Nachbar Schuſter durch feine Kinder verfpottet,
vergöhnt, gänzlich ruiniert wurde, wie er als Bettler umirrt,
während feine Tochter der Unzucht fröhnt, und er fieht Daſſelbe
für fi und Siska voraus; durob bricht ihm das Herz, er er
krankt und liegt am Tode. Da tritt der Hausarzt eines Mor:
ens plöglich vor Siska, reißt fie mit fih zu des Baters Sterbe-
er und donnert ihr zu: Das ift dein Werl! Crfchüttert
fleht fie den Bater um Verzeihung und erlangt fie; der Alte ftirbt
ruhig; Siska bleibt der Mutter von nun an eine treue Tochter.
„Wie man Maler wird” ift ein Stück Lebensgeſchichte
des Profeſſors Franz Dujardin, ihm gewidmet und von ihm
idufteirt. Ein Sohn blutarmer Htern follte Dujardin Maurer:
gefelle werden, doch feine Sroßmutter und feine Mutter, welche
ihn ſtets mit Maͤnnchenmachen befchäftigt fahen, brachten es
dahin, daß cr auf die antwerpener Akademie kam, an der er
gegenwärtig noch wirkt. Höchft gelungen ift die Scene, wie
die beiden Frauen Fraͤnzchen der Direction der Akademie vor:
ftelen und Großmutter ftolz dem Director Wappers ein „Porz
trait“ zeigt, welches Fraͤnzchen von ihr gemacht.
„Was eine Mutter leiden kann“ laſen wir ſchon einmal
in den „Grenzboten“; es ift, gleich den beiden andern Erzäh:
lungen, dem antwerpener Volksleben entnommen.
Sowol der Inhalt wie die trefflihft ausgeführten Illu⸗
fteationen eignen das Buch durchaus zu einem Gefchent für
ai zeifere Jugend ; ein paffenderes Geſchenk möchte fich feiten
nden. 36.
—
Literariſche Notizen aus Frankreich.
Die Religion in-den Bereinigten Staaten.
Durch eine fleißige Überjegung von 2. Burnier ift vor
kurzem dad Werk eines ameritanijchen Geiftlihen Robert Baird
über die religiöfen Verhaͤltniſſe in den Vereinigten Staaten in der
franzöfifhen Literatur eingebürgert. Daſſelbe gibt einen genügen-
den Überblick über die Art und Weiſe, wie fi) im Laufe der Jahre
diefe wichtigen Angelegenheiten in den Wereinigten Staaten
geftaltet haben. Man fieht, bier fpricht ein Dann von Fach,
der mit Sachkenntniß ausgeruftet ift und dem Notizen und
Angaben zu Gebote ftehen, wie fie für Undere faum zugänglich
find. Baird behandelt die Geſchichte der religiofen Drganifation
von dem Zage an, wo (am 22. Dec. 1522) bie erften Puri-
taner, welche um ihres Glaubens willen ſich nach Amerifa
hinüber fiedelten, im Hafen des Cap Cod einliefen. Wir
Eönnen hier in dad Detail der ftatiftifchen Angaben, welche für
und von wefentlidem Intereffe gewefen find, nicht näher ein-
gehen und müflen uns deshalb, um nur einen ſchwachen Begriff
von der gewaltigen Entroidelung zu geben, welche die religiöfen
Angelegenheiten in den Bereinigten Staaten genommen haben,
begnügen, bier anzuführen, daß im 3. 1775 vor der Zrennung
in Birginien 1440 Geiftliche und 1940 Kirchen waren, während
jegt allein in den evangelifchen Kirchengemeinden 13,335 Prediger
und 26,200 Religionshäaufer gezählt werben.
Bur Gefhihte des Sturzes der Jefuiten.
Wie mancher unter den Bertheidigern der Iefuiten und
der übertriebenen Anfprüche, welche feit einiger Zeit der Klerus
in Frankreich erhebt, tritt wie ein Wolf im Schafskleide auf.
Mit füßlächelndem Munde, mit der befcheidenften Miene son
der Welt ftellen fich diefe Herren dem gutmüthigen Yublieum
vor. Keiner von ihnen will ja den Ruͤckſchritt, Beinem Fam
es in den Sinn, einzugreifen in die Speichen des Schickſals⸗
rades. Sie alle wollen ja nur die allgemeine Wohlfahrt, die
emeinfame Freiheit, welche fie nur im Voruͤbergehen aud für
ihre lieben Yreunde die Iefuiten in Anfpruch nehmen. Rur
zuweilen macht fi dann aber auch mitten durch Diefe einfcgmei-
heinde Rede vol Sanftmuth und Keutfeligfeit ein Ausbruch
des verbaltenen Borne Luft. Dann erfcheinen fie in ihrer
ganzen Geftalt; jie laffen dann die Unfprüche, welche fie im
Schilde führen, unverhült bindurdbliden. Gin ähnliches
Schaufpiel bat fih uns bei der Lecture folgender Flugſchrift
geboten: ,‚Kesai historique de la destruction des ordres
religieux en France au dix-huilitme siöcle ”, von M. Prat.
Wenn man bie Borrede Tieft, welche von fi önflingenden
Phrafen der Freiheit, des Fortſchritts, der Meform u. f. w.
überträuft, fo läßt ‚man ſich fhwerli den Gedanken beikom⸗
men, daß man ed hier mit einem unverhohlenen, felbft leiden-
ſchaftlichen Bertheidiger des Iefuitenordens zu thun bat. As
folder tritt uns aber in ber That ber Berfafler in feinem Werke
ſelbſt, welches zur Einleitung der Farbe wie der Zendenz nad
im grellen Gegenfage ſteht, mit großer Beſtimmtheit entgegen.
Seiner Meinung nad ift den Sefuiten das bimmelfchreiendfe
Unrecht geſchehen, und der Grund zu ihrem Sturze ift nicht
“ in ber eigenen Verwerflichkeit und in den zahliefen Übergriffen,
welche fie fi) nad allen Richtungen bin zu Schulden kommen
ließen, fonbern vielmehr in einer Reihe zu ihrem Nachtheil
ongezettelter Intriguen zu ſuchen. In den Augen Prat's fteht
diefer Orden in makelloſer Reinheit da und es drängt ihn, diefe
Wahrheit offen und unumwunden Bund zu aeben. Wir haben
ben Raum bier nicht, Die Haltilofigkeit des ganzen Gebäudes,
welches er mühfam aus falfchen Worausfegungen, Irugfchlüffen
und bintenden Hypotheſen zuſammengezimmert hat, umſtaͤndlich
nachzuweiſen. Übrigens wird ſchon jeder Leſer felbft fühlen,
wie alle diefe lügnerifhen Unnahmen vor der allmädhtigen
Gewalt der gefhichtlihen Wahrheit in Truͤmmer finken.
Das Kriegdwefen der Araber.
Tas Militairwefen der Araber ift ſchon mehrfach ber
Gegenftand gelehrter Unterfuchungen gewefen. Deffenungcachtet
bleibt doch auf dieſem Gebiete der Kriegsgeſchichte noch viel
zu erforfchen und zu ‚ermitteln. &o bat fi) denn, veranlaßt
dur) die Ungewißheit, weiche noch auf einigen wefentlichen
Punkten ſchwebt, der Urtileriecapitain Yave, ein tüchtiger
Militair, der bereits feit längerer Zeit an einer umfaffenden
Geſchichte der Artillerie arbeitet, in Gemeinichaft mit dem be
kannten Drientaliften Reinaud an das Studium der arabifchen
Quellen gemadt. ‚Die Frucht der vereinten Arbeiten ift eine
Geſchichte des Kriegsweſens ber Araber, welche vor kurzem
der DOffentlichfeit übergeben if. Es kommen barin einige
Punkte von algemeinerm Intereffe zur Sprache. So gebt
unter Anderm aus den angeftellten Unterfuchungen deutlich ber-
vor, daß es die Ehinefen find, denen die Erfindung des Yulvers
beigelegt werben muß. Don ihnen entlehnten e6 die Araber
und Griechen, welche indeflen noch nicht im Stande waren,
die eigentliche Bedeutung und Wirkung beffelben zu erfaflen.
So viel fcheint fih mit Beſtimmtheit zu ergeben, daß es dem
Abendlande vorbehalten war, die Anwendung dieſer gewaltigen
Kraft zu entbedien. ıT
— ——
Literariſche Anzeige.
In allen Buchhandlungen iſt zu erhalten:
Zur
CTodtenfeier Dr. M. Juther's
am 18. Februar 1846.
Herausgegeben von
Dr. $. . Koethe.
Gr. 12. Geh. 24 Nor.
Inhalt: Luther's letzte Lebenstage und fein Zeftament. —
euther's Tod und Begräbniß, nach Berichten der Augen«
zeugen. — „Dr. Bugenhagen's Leihenprebigt und Meland:
thon’8 Gedaͤchtnißrede. — Nachrichten von der Keier des
18. Yebruar 1646 und 1746. — Zwei Vorreden zu Ruther’s
Todtenfeier im Jahre 1846.
Eeipzig, im Januar 1846.
3. 3. Brockhaus.
VBerantwortliher Heraußgeber: Heiurih Brockzaus. — Drud und Werlag von F. X. Drockhans in Leipzig.
*
|||
Blatter
für
literariſche Unterhaltung.
Freitag,
Seydelmann und die deutſche Schaufpieltunft.
(Bortfehung aus Nr. 1.)
Seydelmann’s Schaufpielmeife warden Berlinern etwas
durchaus Neues. Hier war nicht die bligartig wirkende
Willfür des romantifchen Devrient, auch nicht der Hauch
der Idealiſtik, den der claffifhe Zögling Goethe's über
feine Geftaltungen zu breiten wußte; mit Wolff hatte
Seydelmann hoͤchſtens die ruhige Conſequenz in Feſthal⸗
tung der Figuren, die Stärke der Reflexion und bie
Ruhe langſamer Zurüftung gemein. Ergebniß tiefer an-
haltender Studien war die Kunſt Beiber, das rückte fie
in einer Beriehung, die hinter den Couliſſen lag, anein-
ander; ihre Richtung, ihre Zielpunkte auf den Bretern
waren fehr verfchieden. Seydelmann war fo originel,
daß er jede Reminifcenz zurüdbrängte. Er führte ganz
neue Kräfte ins Feld, war ganz nur er ſelbſt, voll, groß,
in fi) felbft nur gefügt, aus rückſichtsloſem innern Be
dürfniß erwachſen. An ihm machten wir in Berlin, wo
die Philofophie das Theaterintereſſe befeitigt zu haben
fhien, eine ganz neue Entdedung, die Entdedung, daß
es eine Schaufpielfunft gebe, die durch ihren eigenen Geiſt,
durch ihre eigene Kraft eriftire, fich felbft Zweck fei. Und
diefe Kunft ſtellte fih, ganz unabhängig von der dichte-
riſchen Schöpfung des Tages, Zielpuntte, die deutlich
verriethen, daß fie felbft einen bedeutenden Aufwand wif-
ſenſchaftlicher Speculation zu ihrer Verfügung hatten.
Iffland, erinnerte man fi von Seiten der Altern Thea⸗
terfreunde, Hatte auch Eoflume und Zeitalter für feine
Figuren ſtudirt; Graf Brühl, wußte man, ließ Archive
und Ruͤſtkammern burchftöbern, um die Pappenheimer im
„Wallenftein” gefchichtlih treu auftreten zu laffen; in
der Oper, im Ballet gab man Volksfeſte und National-
aufzüge mit einer Opulenz, die zugleich charatteriftifch
zu fein den Anfpruch machte. Seydelmann mochte mit
dem bittern Scharffinn, der ihm eigen war, wo er &e-
brechen und Eitelteiten auf feinem Felde fand, allen der-
gleichen bis Auferlichen Apparat befächeln. Freilich ftu-
dirte auch er Coſtume und Zeitmode; was in die Er-
ſcheinung fiel, konnte ja nicht in Misachtung liegen Taf-
fen wer eine Geftalt aus innen heraus‘ zur Erfceheinung
beingen wollte. Aber er gab mehr als bloße hiftorifche
ö— — Nr. 2. —
2. Januar 1846.
— ——
ohne frommen, gläubigen Augurdienſt, nicht ohne pfy-
chologifche Erkenntniß des innern Weſens moͤglich. Sey-
delmann war auf der deutfchen Breterwelt im tiefften
Sinne des MWorts ein Hiftoriograph und ein Geſchichts⸗
male. Wie er Karl XII, Ludwig XI., Cromwell hin-
ftelfte, nicht blos in Maske und als Erfcheinung, fon-
dern lebendig aus einem Rahmen tretend, der von ir-
gend einem alten Meifter erfien Ranges, fei e6 Tiziam,
fei es Rembrandt, herzurühren ſchien: dieſe Art und
Weife einer lebendigen Malerei, die die Geftalten in
Scene fegte und zur Action brachte, war in der beut-
fhen Schaufpieltunft durchaus noch unerhört gewefen.
Und zu diefer Kunft gefchichtlicher Charafterzeichnung ge-
ſellte ſich Seydelmann's Gabe, den Rationalgeift in der
Perfönlichkeit zu verkörpern. Man erinnere fih feines
Riccaut, feines Vatel; wie duch und durch in jedem
ZoU franzoſiſch war dort die frivofe, hier die infipide und
naive BVerlorenheit der Creatur. Sein Sffip gab die
Beftialität des ruffifchen Leibeigenen, in deſſen Seele
felbft die zartere Regung die Schanbmale der Knute nit -
verleugnet und mit lallender Zunge fie verräth. Bein
Marinelli war Hofmann gewordener italienifcher Bandit;
fein Mohr im „Fiesco“ erfchten mit den wilden Sprün:
gen der afrikanifchen Tigerkatze. An allen dieſen Ge-
ftaften hatten ſich ſchon hundert Darfteller als National-
maler verfucht, weil hier die befondere Aufgabe fhon in
der Charakteriftit der Figuren liegt. Allein es hatte noch
Niemand die Wahrheit bis zum Erſchrecken getroffen.
Diefe furchtbare Gewalt, die in gewiffen andern @eftal-
ten bis zum Entfegen frieb, übte Seydelmann’s Kunft
über un®,
Dies war bie eine Kraft in feinem Spiel. Sie war
nicht denkbar ohne die vorangegangene zwanzigjährige
Arbeit eines eifernen Fleißes, nicht denkbar ohne bie
Dual der Nachtwachen und jene bange Sorge, die bei
großen, keck hingefegten Zielen oft um bie entſprechenden
Mittel zum Zweck verlegen iſt. Aber fie beftand doch
nicht blo8 aus mühfam Erworbenem. Das Gefühl der
Unzulänglichfeit angeborener Mittel, die Verzweiflung
über Hinderniffe, die ihm die Natur in den Weg gelegt,
und zugleich die große Gewiffenhaftigkeit feiner feltenen
Energie trieben ihn zu Übungen, wie fie in ber That
Richtigkeiten, er gab Hiftorifche Wahrheiten, und die find ; nur Demoſthenes fich auferlegte, um am Ufer bei dent
allerdings nicht ohne Innere Schau der Eingeweide, nicht
raufchenden Lärm der Woge mit Kiefelfleinen im Munde
ein urfprünglich fehlerhaftes und zähes Organ geſchmei⸗
dig und dienſtbar zu machen. Aber jene Seydelmann'⸗
fhe Kraft in der Charakterzeihnung lag ebenfo wol in
einer tiefen Naturanlage begründet, in der angeborenen
Faͤhigkeit, das. Wein des Menſchen bis in fein verbor⸗
genftes, feinfted Gedder zu verfolgen, es ans flinen ge-
heimften Zönen zu erlaufhen. Man fucht die Natur des
Dichters und Künftlers immer zu oft blos in der fpie-
leriſchen Phantaſie, in der Fähigkeit der Erfindung, die
wie über Nacht fommt. Sie befteht, wo fie fi vollguf
entwidelt, ebenfo ſehr in der angeborenen Gabe, ben
Menſchen zu verftehen. Die fogenannte Menfchentennt-
niß iſt eine nad) außen gerichtete Empfänglichkeit; der
Künftler muß nichs blos die Menfchen fennen, fondern
auch den Menfchen, er muf die Gattung am Einzelnen
verfichen und den Einzelnen in der Werkftatt feines Wer-
dens belaufchen können. Hierin lag Seydelmann's tieffte
Begabung und fie warb bei emfigem Eifer feines for-
fhenden Zriebes zu einer Virtuoſitaͤt, die nicht blos den
Einzelnen in der Erſcheinung raſch wie ein Buch zum
Durchblaͤttern in die Hand nahm, jondern auch das Ge⸗
fchleht in feinem Zufammenhang mit Gott und Natur
durchſchaute. Dier ift die Größe von Seydelmann's Ta>
lent nad). der einen Seite hin zu fuchen.
Die andere Kraft in der Kunft feiner Darftellung,
eng mit jener zufammenhängend, war der Drang, un-
ter allen Umſtaͤnden wahr zu fein, fo wahr nie die Na-
tur, die uns in ihrer ſchlichten Einfachheit oft rührt,
ebenfo oft aber mit ihrer nadten Blöße uns erfchredt,
mit ihren Schreden uns betäubt. Einfache, durchdrin⸗
gende, unerbittliche Wahrheit bezmedkte fein Spiel, Wol
weiß ich, dag die Schönheit im Grunde nichts Anderes
will und nichts Anderes ift als Wahrheit. Beide find,
wo ein guter Genius fie behütet, Eins, treten im Kunſt⸗
gebäude nicht anders ald Hand in Hand auf. Aber die
Schönheit will die Wahrheit der Natur nicht in ihren
Anomalien, fondern in ihrer Negel, in ihrem Zuſam⸗
menhang mit dem Göttlihen; die Schönheit will bie
Wahrheit des Einzelnen in feiner Harmonie mit dem
Banıen. „ Sie berechtigt das Böſe nicht, in einer dämo-
nifchen Übergewalt aufzutreten, in der das Univerfum
fih aus den Fugen hebt. Seydelmann ſchlug die Macht
der. Schönheit, weil er in feinem Sinnen und Brüten
fih nicht von ihrem Genius bevorzugt fühlte, nicht, hoch
genug an, um fich. innerhalb ihrer Schranken feine leg-
ten Ziele zu fteden. Er ging über fie hinaus, er wollte
mehr geben als Schönheit; und freilich war fie auf dem
Gebiet der dramatifhen Kunft zu feiner Zeit zu einer
ſchwächlichen, in fich glücklichen Convenienz herabgebrüdt.
Die dichterifche Production Flennte, die Darftellung af-
fectirte. Beide gingen entweber auf Stelzen obeg wa-
ren gemein; der Ausdrud der Schönheit war Phantaſie
geworben. Es gibt Kunftepodgen, es gibt Künfllematu-
ren, die über den Bereich der Schönheit hinausgehen
müffen wie Michel Angelo. Was. über den Begriff der
Schönheit hinausgeht, kann Größe fein. Und das Groß⸗
artige, das Ungeheure war für Seybelmann Ziel der
Charakteriftit in feinen bebeutendften Geſtalten, nament-
lich in feinem Mephiftopheles. Ge war nicht Eigenfinn
von ihm, nicht zufällig falfche Auffaffung, daß er dem -
Teufel des Volksbuchs in die Goethe'ſche Dichtung her⸗
einſchleppte; es war die f&biehlähe Gonfequeng feiner
Dichtung und Methode. Mephiſto war jedoch in Diefen '
ganzen Glorie des Satans eine feiner fpätern Leiſtun⸗
gen. Er gab die Rolle damals nicht in Berlin und
ich feldft fah fie von ihm erft einige Jahre nachher, als
ih von neuem einen Cyklus feiner Geftalten an mir
vorübergehen ließ und die Überzeugung gewann, Seybel-
mann müſſe cbenfo ſehr mie in entgegengefegter Weiſe
Ludwig Devrient für eine geniale Ausnahme, nicht für
einen Prototyp in deutfcher Schaufpielkunft gelten. In
Berlin, bei dem großen Tumult der Aufregung, fühlte
ih nur mit Allen glei ſtark die Wirkungen der unge-
ſchminkten Wahrheit feines Spiele. Wir unterfuchten
nicht, ob bei der Macht, die ex übte, die Schauſpielkunſt,
wie fie follte, nur die Trägerin der Poeſie war oder um-
abhängig von dieſer ihre Glorie feierte. Wir fürmten
das Parterre, das lange verfhmähte, und überwanden
felbft den Widerwillen gegen Stüde wie „Die Moyali-
fien”, die und wie eine ungefuchte Parodie auf ihr
Thema erfhienen. Seydelmann hatte fich in feiner gei⸗
fligen Bildung vom Mark der größten Dichtungen ge-
nährt, aber feine Birtuofität als Schaufpieler war faſt
noch größer, wenn er die fümmerliche oder flüchtige Ar-
beit von heute mit der ganzen Fülle feines Scharffinae
ergänzte und mitten in einem büsftigen Ganzen eine
hiſtoriſch und pfochologifch geordnete, fefte und felbftän-
dige Geftalt gab. Sein Erommel war ein folches cher-
nes Gebilde, das ſich ale Schöpfung feiner felbft, nicht
auf dem Boden des Raupach'ſchen Stücks getragen
fühlte. So waren feine Geflalten immer wie in fi
geſchloſſene Naturnothwendigkeiten, die in ihm felbft wur⸗
zeiten. Er ſchien mir weit mehr der legte ber großen
Virtuoſen der Schaufpieltunft als der Vertreter einer
neuen Richtung, bei ber es darauf ankommt, die Poeſie
zu ihrem Rechte zu- bringen. Daß biefe feine Stellung
zur Production ihm felbft unbewußt war, hebt Die Rich⸗
tigkeit meiner Behauptung nicht auf.
Seydelmann war in Berlin plöglich dev Mittelpunkt
der. geifligen Tagesintereſſen geworben. Die Anhaͤnger
der alten Schule, die Ifflaubianer, waren erſt recht voll
feines Ruhmes; fie fanden in ihm, mas- fie laͤngſt ver-
mißt hatten, Realität, Wahrheit, wie fie. auf dem Felde
der Malerei von den Nieberländen nicht flraffer und
ſchlagender gegeben wurde. Die claſſiſchen Idealiſten
waren überraſcht, die Romantiker betäubt, die Philoſo⸗
phifchen, die Mehrzahl unter den dentenden Köpfen der
Bildung, fahen in Seydelmann den Wertreter ihrer Xpis-
me, der in der einzelnen Erfcheinung. ben Gedanken ver⸗
törpere, im. Individuellen nur das Allgemeine binftelle.
Wo in Seydelmann's Spiel bei aller Größe feiner Kunſt
phyfifche Mängel zum Durchbruch kommen, da hieß «6
in der philoſophiſchen Kritit, der Geiſt habe in ihm bie
Ratur überwunden, ev habe fie. wider ihren Willen in
feinem Dienfl.. Daß nur die ungeſuchte Harmonie von
Gelft und Ratur wie das Gedicht fo auch bie vollendete
etik nicht gern
eingeräumt. Eduard Gans ſchrieb damals die geiſt⸗
und ſchwungvollen Aufjäge über Seydelmann. Er eröff-
nete daxin bei Gelegenheit des „Kaufmann kon Venedig”
Darfiekung liefese, bat bie Degel’fihe Aſth
zuerft jene Parallele zwifchen Lubwig Dewrient und Sc
deiwann, eime Parallele, bie fich fpäter oft genug zum
Argerniß des großen Schauſpielers fortfegte und in das
unnügerweife feftgehaltene Dilemma zwiſchen Genie und
Talent, zwifchen Inſpiration uud Verſtandescalcul aus:
Devrient's Leiftungen wurden als CEingebungen
des Genies, Seybelmann’s Spiel lediglich als Ergebniß
des DVerftandes genommen, Inftinct und Intelligenz ale
unzugängliche Begenfäge feftgehalten. Gans hatte zuerft
am die DVerfihiedenheit erläutert, ob der Dar⸗
fleller in dieſer Relle den Juden oder das allgemeine
Judenthum repräfentire. Mich dünkt, Seybelmann habe
fo wenig wie Devrient in ber Gharakterrolfe des Shak⸗
ſpeare ſchen Stud irgend an Darftellung und Gattungs⸗
begriffe gedacht. Ihre verfchiedene Auffaſſung des Shy⸗
lock lag in der verſchiedenen Art, wie ſie ſich überhaupt
entwickelten und wie ſie im Werk des Dichters ihre
Stellung ſuchten.
Mit jener Debatte war Seydelmann in Berlin na⸗
turalifiet. Wir zählten ihn zu beu Unferigen, wir dad;
ten nicht daran, daß er anderswo, zumeiſt durch fic)
ſelbſt, dann aber auf einem Boden, der ihm feine Ent:
wickelung nicht erfchwerte, geworden war was er war.
Eine fchöpferifche Literatur unterftügte ihn nicht und fo
hatte dort der große Schanfpieler nur das philofophifche
Ratfonnement, an das er fich lehnte, um geiftig auszu«
ruhen und geiftig fortzuleben. „Das Publicum““ fehreibt
er in jener Zeit aus Berlin, „ſcheint es hier jeit lange
verlernt gehabt zu haben, von einem foliden Schaufpieler
Notiz zu nehmen.“ Es wurde ihm Lob und Ehre in
einer Weiſe zu Theil, daß in der That fein Selibſtbe⸗
wußtfein eine plögliche Vollmacht über fi und fein
Wirken erhielt. Und das gefchieht mir, ſchrieb er, an
einem Orte, der mich nur mit Efjig, nicht mit Wein zu
bedienen gedachte, in dem geflicchteten Berlin. „Mit
mir iſt Gott!” ruft er ſchließlich mit der Froͤmmigkeit
des echten naiven Künftlers; „dafür bin aber auch ich
nur fein Seihöpf bis zum legten Athemzuge voll Danf-
barkeit und Demuth.” Die Epoche feines berliner Gaſt⸗
ſpiels, davon abgefehen, daß fie feinen allgemein deut-
ſchen Ruf begrimdete ober vielmehr flüffig machte, hatte
für den tiefen Ernſt des gewiffenhaften Seydelmann
Meenfalls das Gute, daß er fi feitbem ficherer fühlte,
fine Natur, die immer mit fich ſelbſt befchäftigt,
immer in tiefer Arbeit mit fich felbft begriffen blieb,
nach augen hin ergiebiger machte. In Brief und Wort
hat er feitbem die oft feltene Schlagkraft feines energi⸗
ſchen Geiſtes, den ‚nicht felten ficher zutreffenden Inſtinct
feiner Eraficht- reichlicher entfaltet. Bei alledem ſchrieb
er im April 1835 aus Berlin, er fei mit einer Menge
ausgezeichneter Männer dort bekannt geworden, deren
7
Lob ihn endlich wol gar eitel machen koͤnne; „aber ich
habe”, fügt er hinzu, „ein unbegrenztes Mistrauen ge⸗
gen mich in mir, und immer ſchmecke ich Wein und
Waſſer, Waſſer! Es kommt feine Ruhe in mein We-
fen und von der unendlichen Wohlgefälligkeit, mit der
ſich Tauſende meiner Collegen beantligen, ſehe ich nichts
in meinem Spiegel, nichts!“ So tief war die gewiffen».
hafte, die unausgefepte Arbeit mit fich ſelbſt, fo ehrlich
biefer Arbeiter im Weinberge feiner Kunſt.
(Die Fortfegung folgt.)
— mn — — — —
Italieniſche Poeſie.
Poesie edite ed inedite di Luigi Carrer. Benedig 1845,
Die bilderreiche, liebliche Phantafie dieſes Dichters, d
erjte Arbeiten, die vor mehren Jahren erihienen Far on
Ihönflen Hoffnungen berechtigten, hat eine Ausnahme von der
großen Regel gemacht, die wir leider nur zu oft wahr und
erprcbt finden: daß die grauen Haare ihre Fable Derbftfarbe
oft den Geifteökräften mittheilen, daß der ſchaffende Genius
trog feiner Unfterblichfeit der Zeit unterliegt und mit dem As
ten ermattet und well. Dieje achte rei vermehrte Auf
lage von Carrer's ſaͤmmtlichen Gedichten ſtellt ung die eriten Zu:
gendarbeiten neben die reifern Leiftungen feines fpätern Alters
und erfreut dadurch, daß jie den Vergleich geftattet, mit dem
angenehmen Gefühle, dieſe legtern Schöpfungen keineswegs är:
mer an Phantaſie, aber tiefer in der Art der Empfindung, ge
tegelter in der Darftelung zu finden. Den ſprechendſten BSe⸗
weis liefern hiervon feine neuen Sonette, jeine Dden und
Sdglien, von denen befonberd die letztern durch bie einfach
ſchoͤne und gedankenreiche Sprache zu den beften keiftungen
italieniſcher Poefic gerechnet werden Fönnen. Fern von den
ermüdenden, immer und immer wiederholten puttiotifchen @es
finnangen, Die in den meiften italienifchen Dichtern bald in
pulkaniſchen Ausbrüchen toben und der glühenden Lava aͤhn⸗
lich den Leſer zu verſchuͤtten drohen, bald in empfindfamen
überjüßen melancholiihen Accorden durch ihr ewiges Wieder
kehren langweilen und ermatten, ift hier des Dichters Zendenz
wahr und allgemein, [pricht von Jedem und zu Auen, unb
findet Anklang durch das von ihm ſelbſt aufgeftellte Ariom der
Wahrheit: Daß alle Herzen nur Cine Sprache fprechen, wie
alle Menfcyen nur Eine Mimik haben. Seine Balladen, des
nen er die erflen Xorberzweige feines Kranzes verdankt, zeich—
nen fih durch Leichtigfeit des Versbaus und durch die blu⸗
menreiche Sprache aud, deren Reiz er nie verfchwendet, ſon⸗
dern mit dem richtigſten Gefühle zweckmaͤßig und wirkungs⸗
reich zu vertheilen weiß. Im „Sultano“ gibt es Strophen,
die allein ſchon hinreichend wären, für fein Dichtertalent zu
bürgen, zu beweifen, wie jehr er (wenn er fich nicht nachlaͤſſig
gehen laͤßt) Meifter der Melodie feiner Sprache ſei und den
zarten gemüthlichen Gedanken in harmoniſche Zöne zu Heiden
verſteht. Die erite Strophe 3. B.
Sigaor di cente popoli
Di centa belle speso
Tusto che il Taure germina
BE accoglie il Caspio oudaso,
Tutto € vasyallo a te.
Die naͤchſten, wo er nad kurzer Beſchreibung der byzantinis
(hen Raturfchönheiten übergeht und jingt:
Al mite raggio danzano
Le vergini su’ ori
B il pescator di Tracia
Castande antiebi amori
Tofla le rcti iu mar.
Eseci, «o lieve veorrere
Ami ie plaecld’ omde
Sibilan pint eo sallei
Sulle beato sponde
E geme ruusiguol.
Barum aber überfieht cin fo poetiſch klares Auge in einer
neuen Ausgabe dad Mangelhafte, das ſich mit eingefchlichen;
warum haben wir nie Auflagen vom Autor reichlich vermindert,
ftatt „vermehrt“, und warum erfpart man dem Leſer nicht den
unangenehmen Eindrud der Mittelmäßigkeit, wenn fein Gau:
men fi) an die beften Lederbiffen gewöhnt hat? So ift au
dies Buch wieder zu groß, und hätte der Dichter feiner Va⸗
terliebe ftrengere Grenzen gefegt und einige feiner misrathenen
Sprößlinge nicht anerfannt, fo wäre feine Familie immer noch
zahlreich genug geblieben, um auch der Fruchtbarkeit des Ba:
ters Ehre zu machen. Aber Stellen wie in „Stradella‘, wo
ed zwei Mal heißt:
Un pugnale? Udite? obime!
Müserere! EB il morto chi &?
taffen, nachdem man fie gelefen, nur das Echo des Worts
„miserere” zurüd.
Weniger gelungen und gleichfam Carrer's Zeugekraft nicht
ungebörig find die „Apologhi’, die als cretifhe Pflanzen fi
durchaus nicht dem einheimifhen Boden und Klima feines Ta:
lenté anpaflen wollen. Diefe „Apologhi”, welchen Titel der
Autor felbft in einer Note zu rechtfertigen und zu erklären
ſich verbunden glaubte, bilden eine Sammlung ven Epigram⸗
men und Kabeln, die jenet weichen Sprache, die ihm fo ganz
eigen ift, füglich entbehren müflen, Pflanzen aud dem nordi⸗
fhen Klima des Witzes, der Satire, denen die ſcharfe Luft
des Sarkasmus unentbehrlich iſt, um ihr Fortkommen zu fichern,
während ihnen der poetiſche Hauch des weichen Gemüths nur
kaͤrglich zu wachfen geftattet, ihre Blüte verfrüppelt und ihre
Frucht erftickt. Diefe Ader der feherzhaften Poefie (die Parodie
auf den-Zod der Malibran ausgenommen) ſollte Earrer in feinen
weichen, ergiebigen Dichterminen nicht weiter verfolgen. Iſt
es denn unentbehrlich, daß man aus den Blättern Der Rofe*
auch Senf prefien Fönne, um fi) an ihrem Dufte zu ergögen
und fie die Königin der Blumen zu nennen? Der am Born
des Lebens ſich erquicken will, fchlürft aus der kryſtallenen Flut,
die dem Feiſen entiprudelt, aus der goͤtterklaren Poefie, und
fühlt fich belebt und geftärkt, er wird es fich nie wuͤnſchen, Daß
die Duelle ihm Mineralwaffer reiche, dad nur der Kranke fucht.
Das ganze Buch it 473 Seiten ftark, wäre aber nod)
viel Präftiger, wenn ed deren einige weniger zählte.
Heiurich Ritteow.
Eine Bittfhrift Sean Paul’s.
Zept, da ein allgemeineres Interefie an den Werken un:
ſers Jean Paul von neuem zu erwachen fheint, ba feine un:
gedruckten nachgelaſſenen Schriften, feine „legten Werke” und
Briefe von allen Seiten auftauchen und dem raritätenfüdfigen
Lefepublicum wie ein Deffert nach dem eigentlihen Jean Paul:
Eſſen dargereicht werden, jept dürfte die Mittheilung eines
merfiwürdigen Richter’fchen Bittichreibene zeitgemäß und zur
Bervoliftändigung des Bildes ſeibſt nothwendig fein. Es be
findet ſich in den ruffifhen „Memoiren des kaiſerlich ruffiichen
Generals v. Danilewseky“, und ift meines Wiſſens außerdem
noch nirgend abgedruckt. N
Während des Wiener Congreſſes, erzählt der General,
wurde Kaifer Alerander von Bittihriften aller Art förmlich
überfäet; eine der intereffanteften Darunter rührte von dem be:
rühmten deutfchen Dichter Iean Paul her, welcher um Die
Ruͤckgabe einer ihm entzogenen Penſion nachſuchte. Die „Klaue
des Lowen“ iſt darin nicht zu verkennen. Das Schreiben lau:
. tet wörtlich folgendermaßen:
„Bitten in der erhabenen Zeit, da Ew. kaiſerliche Maier
ſtaͤt der Schiedsrichter Europas find, wie Becher. ne
defielben, und Sie aud Dem Scubgeißk des Sieges der Schup-
geift des Friedens werden, tritt Feines Anliegen vor Ih:
ven Zhron. Doc wie dem Geifte nichts zu groß, if der '
Güte nichts w Fein.‘
nÜber 25 Jahre Hatte ih für die Mufen und die Philo-
logie gearbeitet, als mir ein einziger deutfcher Fuͤrſt, der vor⸗
malige Großherzog von Frankfurt, im I. 1808 eine jährliche
Penfton von 1900 Gulden bemilligte, um den Armgedorenen
zu unterftügen, deſſen Körper blos von feinem Gelfte lebte.”
„Rah der fiegreichen Belegung des Großherzogthums
wurde mir von 1814 die Fortfegung der Yenfion vom Senc:
ralgouvernement verweigert bis auf höhere Entfcheidung.”
‚ „Berden bie hohen Verbündeten, welche für deutſche Frei:
beit und deutſche Wiflenfhaft zugleich gefampft, die Fürftliche
Unterftügung eines Schriftſtellers zurückzunehmen gebieten, wel:
her zu einer Zeit für europäiiche Freiheit gefchrieben, wo er
feine eigene einem Davouſt bloßſtellte? Ich wende mich bier
an das Herz Alexander's, da die wohlwollende Vorſehung ge:
rade im Sabrhunderte des Egoismus die Menfchenliche auf den
bödhften Thron Europas gefegt. Ich wende mid, hier an fei-
nen Gcift, der Geifter beichüßt, und welder, da er Bein ande:
red großes Rei mehr zu vergrößern bat als das größte,
grenzenlofe, Dad der Wiftenfchaft, dem Norden auch geiftlängfte
Zage zu den geographifchen geben will.’
, „Möge der Herrſcher, deſſen Scepter dem Magnete ähn:
lich ift, welcher zugleich licbend anzieht und lehrend die Ge:
genden bes Himmels zeigt, die Kühnheit Der Hoffnungen ver-
zeihen, zu welcher er Individuen wie Länder erhebt. Genießen
Ew. Majeſtät lange die einzige dauerhafte Univerfalmonardjie,
die der Liebe, nachdem Sie die haffende und gehaßte geftürzt,
und fange weine die Freude vor Ihnen und crft fpät Die
Trauer um Sie.
Welhen Erfolg diefes Geſuch gehabt Hat, wird in den
Memoiren nicht gefagt; gewiß aber wird man noch jegt Dies
Schreiben als ein ſchwer nachzuahmendes Mufter einer Bitt:
fhrift mit großer Theilnahme leſen. Daß es auf jeden Fall
einen ungewöhnlichen Eindrud gemacht hat und nit mit den
übrigen in den großen Papierkorb der Bergeffenheit geworfen
wurde, dafür fpricht Der Umftand, dag ein Mann aus der na:
ben Umgebung des Kaiferd und von dem bekannten Charakter
ded Generald daflelbe der Aufnahme in feine Memoiren ge:
würdigt bat. 44.
— — — — — — — ·— — — — — —
Literarifhe Notiz.
Gine Schrift über die irifhe Repeal.
Wer für die iriſche Repeal, für die Frage wegen Auf:
bebung der Union mit England fich interefiirt und entweder
nicht Beit oder Feine Gelegenheit Hat, das darüber zerſtreut
Liegende und die diesfalls fortwährend in Irland gehaltenen
Reden, wie die engliſchen Blätter fie mittheilen und erörtern
zu lejen und gu prüfen, der findet wol Alles, was in Betre
jener Frage pro und contra gefagt werben Bann, in den 4
Abhandlungen zufammengeftelt, welche in Folge der von der
Affociation ausgeſchriebenen Preife an Diefelbe eingegangen umd
für preiswürdig erfannt worden find, fämmtliche Abhandlungen
aber in Einem Bande unter dem Xitel: „Essays on the
Repeal of the Union, to which the Association prizes were
awarded. With a supplemental essay, recommended by
the judges. Printed and published for the loyal Repeal
association of Ireland by James Dufiy” (Dublin 15).
Verantwortliber Deraudgeber: Heinrich Brockkans. — Drul und Verlag von F. E. Brockhaus in Seipsig.
D
4
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Sonnabenb,
Seydelmann und die beutfehe Schauſpielkunſt.
(Bortfegung aus Nr. 2.)
Deri Jahre fpäter, im Herbſt 1838 — Geybelmann
war inzwifchen Ritglied der berliner Bühne geworben —,
ſah ich ihn in 16 Rollen hintereinander auf dem Teip-
ziger Theater und hatte, fern ven aller jener Debatte,
die fich doch immer ſchließlich in Abftraction verflüchtigt,
volle Muße, mid, ben Ginbrüden des Geybeimann’fchen
Spiels ruckſichtslos hinzugeben. Ich will bier, um meine
bedingte Bewunderung des großen Mimen zu motiviren,
das Geſtaͤndniß machen, daß ih in ber Schaufpielfunft
überwiegend viel auf den Vortrag der Rede gebe, das
Wort mit feinem Bon und Accent mir wichtiger iſt als
Maste und Charakterifivung in Geftalt und Erſcheinung.
Im Worte legt ber Dichter feinen Inhalt nieder, und
mer das Wort zu feinem Rechte bringt, macht weſent⸗
lich die Dichtung geitend. Bas Herzgewinnende, bat
Semüthbezwingende, und alle dauernde Wirkung auf
ben Geift geht vom Ton des Wortes ans, geht firher
und tief durch das Dhr im die geheime Seele des Hö⸗
vrd. Wir find mehr gewohnt das Pablieum bie Zu-
fhauer zu nennen; Ich halte die Wirkungen, bie fich in
der Maske und der bilblichen Charakterzeichnung bedin⸗
gen, wicht für die geiftigften noch für die bauerndfien.
Beydelmann mußte in diefen Wirkungen nachholen was
ihm im Bortrage nicht ganz erreichbar war. Bein Or⸗
gan war nicht von der Art, daß es mit feinem natürlichen
zen die Herzen traf, bie Geiſter durchwaͤrmte. Cr
tonnte im bloßen Vortrag ber Mede den Affert nicht
fleigern, fobaß es mir immer ſchmerzlich war, wenn ihn
Die Leute dennoch zur Derlamation in Contertſ
drängten und misbraudten. Es wor ihm nicht fo leicht
geworden, duch Die natürliche Begabung ſchon zu erobern.
Hat ihn das auf die andere Seite ber Schauſpielkunſt
gedrängt, zum großen Eharakterzeichner gemacht, fo ge-
ſeehe man fi) das ein und weife die Unterfuchung nicht
ab, wo feine Größe zu fuchen war. Cs ift felbft wor-
gekommen, daß bramatifche Autoren, meil fein Geiſt fie
entweder ſchwindeln machte ober ihnen für ihre Stücke
nöthig fehl, ihn zwingen wollten, Helden und gar Lieb-
baber zu machen. Er mußte in Berlin einen Colombo
Wieden un bad Pathos heroiſcher Naturen warb in fei-
wem Vortrag eutweder lahm ober af. Wäre es ihm
⁊
Alen'
—_ —-
vergönnt geweien, als Wallenftein, Macheth, Rear ebenſo
wie in biabolifeyen Geſtalten zu glänzen, er würde mlt
diefem Kern ber Hochtragäbie vielleicht für die Feſtftel⸗
lung bes böhern Dramas in Deutſchland mehr gewirkt
haben. Vielleicht haͤtten ihn dieſe Geſtalten mit ihrer
Idealitaͤt auch zurückgerufen, wenn ihn ein damoniſches
Gelüft dazu drängte, in gründficher Ausmalerei ber ma⸗
tertellen uud nadten Wahrheit ein Außerſtes zu liefern.
Dies war bei Darfiellung derjenigen Figuren der Fall,
auf die er ſelbſt das größte Gewichte Iegte, da er mit
ihnen in feiner Art nicht blos etroas Bewunderswerthet,
fondern das Außerfie feiner Eigenthümlichkeit Leiftete, das
Endyiel feiner Richtung aufdeckte. Ich nenne zuwönberft
feinen Franz Moor. Die „Räuber waren damals neh
in Berlin verbotene Waare; Geydelmann that fich auf
ber Gaſtreiſe gleichſam etwas zugute, im Frang eine
Ausgeburt der Hölle zur Exrfcheinung zu bringen. Denn
barum fcheint es fich freilich bei dieſer Seftalt zu ham
dein, die Hölle zu verkörpern ohne einen Teufel zu lie⸗
fern. Diefe Verwahrlofung ber Creatur, die Verwor⸗
fenheit, aus Zufall und Mbficht, Blödfinn und bemuf-
sem SKigel zufammengemürfelt, will immer noch. ein
menschliches Gehaͤuſe Haben. Seydelmann gab gleich
beim erſten Auftreten einen geiſtigen und leiblichen Kre⸗
tin, einen ſchlaff hingeworfenen Foͤtus, in dem ſich aber
ſchon der ganze Miſſethäter regte Died Rachtſtück
menfalicher Seele mit Kienfadelbelachtung war wie
mer irgend eine feiner Reiflungen ein Triumph der Sey⸗
beimann’fchen Malerei & la Hoͤllen⸗Breughel. Es war
desſhalb ein abfolutes Meiſterſtuck, weil ber Sinn des
Gebichts nichts Anderes will als Iosgelaffene, wenn au
in wenfchliher Form erfihienene Hölle. Geybelmann,
fat immer fihon in der erflen Erfheinung fertig mit
feimem Gharakterbilde, war bei der weitern Entwickelung
diefer Figur überaus reich an feharfjinwigen Motiven,
geiftvolen Modulationen, kecken Einfüllen. In der Scene,
wo Amalie ihn- entlarvt, nachdem ihr Kranz mitgetheilt,
Karl babe ihn befihworen, die Geliebte nicht zu verlaf-
fen — er kniet noch vor ihr, das Gefühl ber Extap-
pung ſeines heuchleriihen Plans Hält ihn wie gebeo-
chen und doch gleichgültig am Boden feft; nur eine Yet
Berlegenheit, fo ſchnell überraſcht zu fen, malt ſich in
feinem verhunzten Geſichte — ; da, halb aus Zerſtreut⸗
heit, halb aus ohnmächtigem Ingrimm, zerpflüdt Sey⸗
“..
" 10°
delmann, um diefe gemifchte Stimmung zu verſinnli⸗
hen, eine Roſe, die fih langſam unter feinen zerrenden
Zingern in ihre Theile auflöft und zu Boden blättert.
Der Moment war von wunderbarer Wirkung. Ebenſo
new unterflügt erfhien die Scene mit Amalie im Gar-
ten. Segdelmann ‚gab fie halb betrunken. Er. fingirte,
Franz käme vom Mahle; und nun tritt feine ruchloſe
und doch nur fpielerifche Zudringlichkeit, Die Feigheit der
ohnmächtigen Wolluſt und die ſchnelle Entwaffnung, vie
er fih über ipee Hingebung täufcht, in bie richtige Be-
feuchtung und in einen Zufammenhang, den uns ein
Kenner menschlicher Ziefe in all ihrer geifligen und mo-
ralifhen Schwachheit eröffnet. Natürlih war es bie
Scene in der Naht mit Daniel, wo Senbelmann alle
Schreden. aufzubieten wußte, bie Gemälde auf feinem
@ipfel zu. vollenden. Aber die Erzählung. bed Traums
tieß gerade. fühlen, daß fein Drgan nit Schritt hielt
mit. feiner Geberdenſprache. Wenn Ludwig Devrient
die Schauer ber Nacht und malte, fühlten wir uns faft
mitleidig bewegt für den Verbrecher, den ja fchon bie
Strafe der Furien erreicht. Seydelmann gab nicht. diefe
Rückkehr zum Menfchlichen, er lenkte nicht ein zu menſch⸗
licher Möglichkeit, er gab ſtarr und feit die ganze kalte
Hölle. Er hatte den Charakter an ben Abgrumb ge-
drängt, wo alle Darftellung aufhört, und fand fi
nicht wieber darin zurecht, daß felbft diefe ercentrifche
Dichtung keinen abfoluten Satan hinftellen konnte. Sey⸗
delmann gefiel ſich in zerftörenden Wirkungen, er liebte
es, zu fhreden, zu geifeln; ein guter Genius ſchien
dieſen großartigen Charaktermaler nicht immer zu behü-
ten, ihn nicht ſtill und unbemerkt auf. den Punkt zu
führen, wo auch das Ungeheure fich wieder in die Li⸗
nien der Schönheit zurüdfindet. -
Über feinen Shylod ift viel geftritten worben. Ob
er mit feiner Darftellung nicht noch etwas Anderes als
die Figur des Shakſpeare'ſchen Stücks habe geben, ob
er nicht vielmehr den allgemeinen Begriff des Juden⸗
thbums habe zur Erfiheinung bringen wollen, hätte füg-
lich niemals ein Gegenftand ber Unterfuchung fein fol-
Ion. Mehr zu geben als das Gedicht fobert ift im ber
fondern Falle, bei Shaffpeare, nicht gut möglich, und
heißt in allen Fällen dem Schaufpieler unabhängige und
felbftändige Leiftungen geflatten, die über die Dichtung
hinausgehen oder außer ihr liegen. Allgemeine Gat-
tungsbegriffe verkörpern zu wollen, iſt einem wahrhaften
Künſtler nie eingefallen, weil diefe Aufgabe eine un-
fünftlerifche if. Wer fie ihm ftellt oder fie ihm unter-
breitet, bat vom Weſen bes fchöpferifchen wie des dar-
ftellenden Talents eine falfhe Grundidee. Rötſcher fagt
in feinem. verdienftlihen Buche fehr viel. Wahres und
Gutes über den Zufammenhang des Künftlers mit dem
Geift feines Zeitalters. Er weift das an Fled, Schrö-
der, Sffland und Devrient nach, aber er fucht Seydel⸗
mann's Bebeutfamkeit auf einem Punkte, mo fie für
den Künſtler niemals zu finden if. Die Hegel’iche
Aſthetik fpiele zu viel mit dem Aufheben des Einzelnen
an bie Allgemeinheit und mit dem Zurückgehen bes All⸗
gemeinen in bie Einzelheit. Der Dichter verkörpert
Ideen, weil er lebendige Welten ſchafft. Auch er will
mit dem Einzelnen nichts Allgemeines beweifen. Der
Schaufpieler aber hat keine andere Aufgabe, als bie Ge⸗
falten bes Dichters zur Erfcheinung zu bringen. Reicht
‚fein Genius weiter, durchdringt er die ganze Dichtung,
fo fei er das orbnende und befeelende Talent des Regif-
feurs, der die Dichtung ale Ganzes ins Leben treten
laͤßt. Rur in Epochen, wo die Schaufpielfunft die Pro-
buction an Geift und Gehalt überflügelt, kommt jene
dazu, ſich felbftändige Aufgaben zu ftellen. Diefe felb-
ftändigen Aufgaben find fo fehr als Ausartungen zu
nehmen, wie ſich in ber Muſik das Virtuoſenthum über
die Compoſitionen hervordrängt. Bei einer Geftalt von
Shaffpeare kann es aber für ben Darfteller nur darauf
ankommen, ben Sinn des Dichters zu erfchöpfen. Sey-
delmann gab vom Shylod eine Seite bie in diefem liegt,
aber er drängte damit die ganze Geftalt aus dem Rah-
men des Gemäldes. Die Haltung, die die Figur im
Sinne des Dichters hat, fehien ihm zu wenig materiell,
zu luftig und mythiſch. Er fürchtete, den Geiſt der
Rolle zu verflüchtigen, wenn er nicht ihren Körper in
ganz niederländifcher Wirklichkeit fefthielt. Freilich hat
diefer Shylod im Gedicht faft etwas Mythiſches. Schon
dag biefe Geftalt die Schranken des Luftfpiels durch⸗
bricht und Miene macht, in das Nachtgebiet der Tragö⸗
bie zu fchreiten, gibt ihr das Schwantende. Ihm, der
fein „heilig Volk“ rächen will, iſt es Ernſt damit, dem
Eöniglichen Kaufmann ein Pfund Fleiſch feines Leibes
zu entziehen. Die Kataſtrophe vor Gericht entwidelt
den feltfamen Handel alles Ernftes vor unfern Augen,
aber das gemegte Meffer ſchreckt uns nicht, das Urtbeil
fhwebt zwar am Haarfeil über dem Haupt des werthen
Antonio, aber wir fühlen zuverfihtlih, dag eben dies
Haarfeil dem Dichter nicht zerreißt, obfchon er in fei-
nem Übernrutbe Komifches und Zragifches fo wunder⸗
fam ineinanderfchlingt. Entfchieden tragifch gefärbt muß
diefer Shylock für ſich felbft in der Darfiellung gehalten
werden, denn in feiner Empörung gegen Drud und
Knechtſchaft ift er der. Märtyrer feines Volle. Wenn
ihn aber vor Gericht ber wigige Spruch bes gelehrten
Doctors wie eine Ironie bes Schickſals überliftet, wan-
beit uns ein Hauch von Rührung für ihn an. Bei
aller Majeſtät des Zorns, bei allem Fanatismus des
Judenthums gab Ludwig Devrient den Shylod in einer
gewiffen Haft und. Zerflreutheit. Der Entſchluß, vom
verhaßten Chriften ein Stück feines Leibes ſtatt der Zah⸗
fung zu nehmen, kam uns in Devrient's Spiel wie ber
Einfall eines baroden Humoriften vor. Seine Gier
nach dem chriftlichen Pfund Fleiſch entfprang aus hu⸗
moriftifch toller Laune, nicht aus einem forgfältig eriwe-
genen Plan. So hielt Deorient die Figur und fe iſt
| fie vom Dichter gemeint. In Seydelmann's Shylod
: war ber gemeine Geldjude mit foldyer Schlagkraft der
Wahrheit ausgearbeitet, als wäre die Figur erſt eben
| aus den Knoblauchhaufen des Rialto hervorgekrochen.
: Und biefer Knecht des Mammon erwuchs vor und zu
einem Niefen, weil feine Frechheit auf fein gutes Recht
pochen durfte. Der Ausbruch feines Zorns jagte Schreden
ein, er fehien der blöde Teufel zu fein, der im Stande
war das Fleiſch aus Iebendigem Leibe herauszuſchneiden,
und wie ihn ber chriftliche. Wig überliftete, verfiel Sey-
delmann rettungslos dem Hohn der Berfpottung, wo
Ludwig Devrient und rührte. Diefer ſtand mit den
Worten: „Er haft mein heilig Voll!” auf dem Gipfel
feines tragifchen Spiels; Seydelmann feierte feine Tri⸗
umphe bei der Ausmalerei des Moments: „Ich wolle,
meine Tochter läge im Sarge todt zu meinen Yüßen
und hätte die Sumwelen in ihren Ohren!’ Wer wollte
leugnen, daß Smbelmann ein fo frappantes, affectvolles
Bild in feiner Darſtellung gab wie uns je in Farben
Rembrandt es liefern konnte? Allein die legte Entſchei⸗
dung über den Werth, der Keiflung des Schauſpielers
wird mit der Frage erledigt, was und wie die Dichtung
fie fodert. Es blieb mir ein Zweifel, wen der Preis
zuerfannt werden müffe, will man diefe beiden Darfteller
Ghylod’s gegeneinander wägen. Es kann gleichgültig
fein, ſich ſchließlich darüber vereinigen zu wollen; aber
es iſt, fo lange man deutfhe Scaufpieltunft pflegen
will, von Belang, zu willen, wo die Vorbilder zu fu:
chen feien.
(Die Zortfekung folgt.)
Dichter-Nachlaß.
1. Gottfried Auguſt Bürger's letztes Manuſcript.
Supplement pu Bürgers fänmmtlihen ‚Werfen. Leipzig,
Klemm. 1846. 8. 5 Ror.
2. Der verwundete Bräutigam. Bon Jakob Michael Rein:
hold Lenz. Im Manufeript aufgefunden und herausge⸗
geben von 8. 2. Blum. Berlin, Dunder und Humblot.
845. 8. 15 Rgr.
gen literarifchen Bewegungen an, welche die berannahende Ge:
1
ber deutſchen Dichtung kann er fo. wenig als Lenz gezählt
werden; was fie aber zur Anbabnung des höchften Zieles mit»
gewirkt haben, darf um fo weniger vergefien werben, je theu«
ver Beide ihr Werk erfaufen und „eropfern” mußten.
‚ Die in neuefter Zeit auf das lebhafteſte erwachte Neigung,
die Geftalten vaterländifher Dichter biographiſch umd litera-
riſch zu immer Plarerer Anfchauung w bringen, hat ſich jegt
faft greihgeitig den beiden genannten Dichtern zugewandt und
von dem Einen eine feiner fpäteften fehriftlichen Außerungen, von
dem Undern einen dichterifchen Erftlingsverfuch veröffentlicht.
Was Buͤrger's „letztes Manufeript” betrifft, fo wird es
die — des Dichters wenig befriedigen, mehr Intereſſe
aber für Die haben, die nah dem Menfhen Bürger fragen.
Es enthält duffelbe namlich einen vom 29. November 1791
datirten Brief an feine dritte Gattin, das „Schwabenmäbdhen‘“,
und gewährt einen ſehr hellen Einblid in diefen trübften heil
von Buͤrger's vielgetrübtem Leben. Weſentlich Neues enthält
ed nicht, denn wes Geiftesfind jenes Schwabenmaͤdchen war,
erinnern ſich die Zeugen ihrer Irrfahrten durch Deutfchland,
welche bis tief in Died Jahrhundert gedauert haben, recht wohl.
Ehe wird ed bier und da überrafchen, mit welcher Sorgſamkeit
fih Bürger in diefer Klagefchrift häuslicher und öfonomifcher
Angelegenheiten annimmt; er hatte freilich eine harte Schule
durchgemacht. Wreunde actenmäßiger Bolftändigkeit werten
um ungenannten Herausgeber für feine Beröffentlihung Dank
wiffen.
Etwas mehr literarifches Interefie hat das don Lenz in
einem Alter von 16 Zahren verfaßte Drama „Der ver-
wundete Bräutigam”; es ift Died eigentlih ein Gelcgenheits:
gedicht, deſſen Beranlafiung der Herausgeber in feiner Einlei-
tung angibt: ein Baron von Igelftröm war kurz vor feiner
beabfihtigten Verheirathung von einem deutichen Rammerbie-
ner, weil er ihn cinmal mit dem Stocke gezüchtigt, gefährlich
verwundet worden; als nun nad) feiner glüdlicden Herſtellung
die vertagte Hochzeit vor fi ging, ließ Renz dieſes Zeftfpiel
aufführen, welches eine ganz einfache dramatifirte Darftellung
des erzählten Vorfalls enthält und mit einem verfificirten
Gluͤckwunſch gewöhnlichen Schlages endigt. Bon allen Eigen-
thümtlichleiten, die den fpätern Leiftungen des Dichters eine
garız befondere Stellung anweifen, beitgt dieſes Drama rein
gar nichts ald die Kunft eines leichten und gewandten Dia:
loge. Die That jened Kammerdieners erfährt durchaus Feine
Spur von Entfhuldigung, ja ger Feine eingehende pſychologi⸗
ſche Begründung; das dem geborenen Deutſchen das rufffi
Yrügelregiment unerträglich fein mußte, wird nicht berührt;
und dies ift um fo auffallender, da der Herausgeber ausdrüd:
lich anführt, daß die öffentlihe Stimme fofort entfchieden für
den Kammerdiener Partei nahm, welcher Igelftröm nur eine
fühllofe Reheit entgegenfegte. Wir befigen alfo an dieſer Ju⸗
gendbarbeit von Lenz durchaus nur ein Gelegenheitsgebicht des
gewöhnlich Schlages, weldes von ber reichen Begabung
feines Berfaffers nur die alleraußerlichfte, die der leichten und
gewandten Darftellung verräth. Mit größerer Sorgfalt find,
wahrſcheinlich in Berudfihtigung des Feſtes, zu beilen Ber:
berrlihung da6 Wert dienen follte, nur die Scenen audge-
führt, in welchen die Zärtlichkeit des Brautpaars vorgeführt
wird; diefer Stoff mit der Abwechſelung, den gefahrbrohende,
dann boffnungsreichere, endlich neu beglüdte Situationen dar:
bieten, iſt geſchickt auögebeutet, der Ton, der darin berrfcht,
aber durchaus fein eigenthümlilder , fondern durchaus der des
weinerlichen Luftfpiels, wie er bis auf Leffing, ja noch in Lefr
ſing's „Mib Sara Sampfon’ die deutfche Schaubühne be:
berrfchte. Das Kehrreichfte an dem ganzen Drama dürfte alfo
fein, daß es einen Maßftab für die überaus rafche und merk⸗
würdige Entwidelung abgibt. welche zwiſchen demfelben und
Lenz’ fpätern, unter dem Einfluſſe des ftraßburger Kreife ent:
ftandenen Dichtungen liegt.
Richt mit Stillſchweigen darf die ausführliche Einleitung
übergangen werden, welche der Herausgeber dem Büchlein vor⸗
12
ger hat; fie ift von Überichdaung ded Mannes, mit dem fie
vaitligt mia gang frei und rechnet mehr auf Das was
en in fi trug als anf Dus was er wirklich geleiftet; den⸗
aber enthält fie über ihn ſelbſt und über fein Verhältniß
an Goethe —5 — wahre und gute Wort. Ich führe Daraus
Sin Bort Goethes an, welches, meines‘ Wiffens bisher unde⸗
kannt, einer ernften Beachtung wol werth ift und.von bem
Heraußgeber mit Necht gegen Tieck und Gervinus geltend ge
macht wirb: „Sch erinnere mi, von einem Freunde, welder
viel mit Goethe verkehrte, gehört zu haben, daß fie einft in
uter Stunde auf die Werther 'ſche Periode zu fprechen kamen.
—* Verlauf des Och raͤchs fragte ie reund den großen Did:
ter, wie es ihm 8 ich — ſei, 8 ſolcher Brauſezeit
plöglih auf die draͤngendſten Amtsgeſchäfte zu werfen. Das
wilde Zeuer, war die Antwort, würde mir ja das Hirn ver:
fen haben, wenn ich nicht in grengenlofer Arbeit und Ihä-.
tigfeit ein Gegengewicht gefunden hätte.”
"Shlichid fei noch bemerkt, daß das Schriftchen don Dor:
pat ausgeht und fomit als ein Seugniß deutichen Geiſtes aus
jenen som Slawenthum bebrängten Gegenden einer ferumd-
lihen Aufnahme doppelt werth ift.
Bibliographie.
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when: horn, ir ae By Ror. m
og e er deutſchen Lyr Roſtock
Stiller. 5% Fir. a 5 16 9
Rückblicke auf ae 7 Benkege. Was dat U
für Oesterreich Was that Oesterreich für Ungern®
Jahre 1526 bis zum bandtage IBII. Wien, Kaulfuss Wwe,
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Bermifchte Seite, LXieder, Romanzen und Sonette. Leipzig,
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ausgegeben von A. Gebauer. Stuttgart, Caſt. 1845,
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Senden, ©. H. van, Geschichte der Apologetik, oder
küstorisch - pragmatische Darstellung der Vertheidigung vor
Bibel und Offenbarung, von den frühesten Zeiten bis auf
unsere Tage. Uebergetzt von P. W. Quack und R. Bix-
ler Zwei Theile. Stuttgart, Haliberger. 8. 4 Thir.
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Königsberger Taſchenbuch. ——— don 2. Wa⸗
Lesrode. Mit Beiträgen von Erelinger, Freundt, 9.
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gleich als Eicerone für Stadt und Umgegend dienenden Erlau:
terungen. Dresden. 1845. Gr. 8 I Ahlr.
Weiske, 3., Yraktifche Unterfucpungen auf dem Gebiete
des einheimifchen Rechts. Iftes Bie fdegte Luiher auf
den Todesfall für Weib und Kind, in Berbindung mit einer
aihrechktichen Abhandlung. Leipzig, ». Wigand. 1845. Er. 6.
Nor
Binzendorf, Graf: v., Geiftlide Gebichte, gefammelt
und gefichtet von U. Knapp. Mit einer Leben und des
Berfaftert Bildnif. Stuttgart, Cotta. 1845. ” 2 4.
2 Ihlr. 74 Nor. *
He in einem Bande. Üresden, Ar:
Verantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brotians. — Drud und Verlog von F. X. Drockhans in Seisie,
Blätter
für
literarifche Unterhaltung.
&onntag,
fhe Beftalt nur in einigen Momenten, wo die moderne
Maske fälle und die Tücke des Ungeheuers ducchbricht.
Seydelmann fpielte die Rolle zweimal in Leipzig unter
einem Jubel der Zufauer, ber fih durch den granbio-
fen Schauder, ben er einflößte, nur fleigerte, fanatifirte,
Wer wollte leugnen, daß Seydelmann's Reifung an und
für fih etwas Großartiges, etwas Bewunderungswürdi⸗
ges war? Gleich fein erſtes Erfcheinen verbreitete das
Gefühl, Hier fei ein daͤmoniſches Weſen foeben erſt ge
nöthigt in ein menſchliches Gehäufe zu fahren. Sey⸗
delmann ſchien gleihfam ganz frifch weg aus den Ele⸗
mentarfloffen heraus leibhafter Teufel und wider Willen
Perfon geworden, um das Princip des Boͤſen zu ver-
treten. Daher dad Dehnen, Sträuben und Reden ber
Glieder, - bie noch ungewohnt find, fih in menfchliche
Form zu fügen. Diele Hände ſchienen in ihren Bewe⸗
gungen ben Kigel zu verraten, lieber ale Krallen agi-
zen zu wollen; biefer Hals mit feinem Streden märe
gern aus dem Rumpf weiter binausgewachfen ; der Mund
flieg einen beffemmenden Hauch von fih, als fei dem
Geiſt des Böfen in der menſchlichen Huͤlle fehr wider
wärtig zu Sinne. Die Amofphäre, in welcher ein leib-
hafter Teufel athmet, war duch die Zauberei genialer
Maske und Mimif uns die Geſtalt gebreitet. Im Vor⸗
trage des Flohliedes hörte man die zifchenden, fprühen-
den Töne der Hölle. Man begriff es, daß Gretchen ſchwül
zu Muthe wird, wenn fie auch nur das Zimmer betritt
das der Unheimliche ſoeben verlaften; aber man begriff
mt, wie Fauſt mit dem ebeln Drang im großen der.
zen ſich mit der Hölle in fo abſchreckender Geſtalt ver-
binden Tonnte. Die Begegnung mit ben alten Weibern,
dee Hexe und Martha, ließ vermuthen, daß Seybel-
mann’d Satan auf dem Blocksberg feine eigentlichen
Triumphe feiern mußte. Mephifto fol aber über Men-
ſchen Triumphe feiern und bier bleiben die Triumphe
shne die ſchlauen Künfte civiler Bildung fraglich. Auf
4. Banuar 1846.
jene Blocksbergsſcene berief immer Seydelmann, wein
er feine Auffaſſung des Goethe'ſchen Teufels vertheibi⸗
gen mußte. Aber jene Scene liegt außerhalb des bar-
ftellbaren Stũckes. Sobald das große Pos mit feinen
weiläufigen Anbauten ein Buͤhnendrama fein follte, ſo⸗
bald es mit Befeitigung der metaphyſiſch⸗ doetrinairen
Ausläufe und Ausweitungen auf die dramatifche Kata-
firophe des Teufels mit Kauft und Bretchen zurückge⸗
führt werben mußte, fonnten auch bie theils ind Claſſi⸗
Ihe, thells in mittelalterliche Romantik ſich verliexenden
Gonfequenzen ber Charaktere und Ideen keinen Raum
behaupten. Wie fi Mephiftepheles in ber Walpurgis-
nacht geberdet, ifl fo wenig dramatiſch zuläſſig und bar-
ftellbar als feine befliale Hantirung in ber Scene bes
zweiten Fauſttheilt, we er durch die Engel ad absurdum
geführt, „die Rackers ganz appetitlih finder”. Das
Gedicht has Partien, bie es zu einer Art „Goͤttlicher Ko⸗
möbie" ausweiten und dieſe Ausdehnung gewinnt auch
die Geſtalt Deſſen, ber das Böfe vertritt. Drangen wir
das Gedicht auf den urfprünglihen Kern der plaſtiſchen
Gruppe jener wenigen Menfchenfiguren zurück — und
nur auf diefe Weife wird 8 darſtellbar —, fo muß ſich
auch Mephifiopheles auf die Rolle befcränten, bie ihm
unter Menſchen menfchenmöglih if. Und in dieſem
Felde ift er der baronifirte Teufel eined modernen Zeit
alters, ein civilifieter Satan, ein fatanifcher Cavalier,
der Shmeichelt und gefällig if. Das ift er unter Men-
fhen, bis er als vollftändiger Höllengeift in der Scene
berausbricht, wo Goethe plöglich Profa gebraucht. Mer
pbiftopheles ift ſogar voll Reſpeet vor Bott Water, wenn
er dem Fauſt verſichert: Doc glaube mir, dies Ganze iſt
nur für ihn gemacht, er weidet fih im ewigen lanzel-
Er kann fih dem alten Herrn im Himmel fogar wohl⸗
gefällig machen und gilt im Vorſaal der ewigen Woh⸗
nungen für einen närzifchen Kauz. Der Humerift im
Goethe'ſchen Teufel barf nicht untergehen. Der Prolog
im Simmel fällt freilich au aus dem dramatifchen
Kern des Gedichtés heraus, allein ex zeigt, wie ber Teu⸗
fel nad) der entgegengefegsen Beite fih bil. Gott Das
ter iſt fogar ber — ber Menſch in ſeinem dunf-
len Drange, der Menfch im Umgang mit dem Teufel,
werhe fich des rechten Weges wol bewußt bleiben. Im Ver⸗
kehre mit Menſchen — darauf befchräntt fich das bar-
_ m n._ —
14 -
ftelbare Stud — ift Mephiſtopheles mie bie Erdenwelt
zwiſchen Himmel und Hölle in der Schwebe, muß alfo
dem Menſchen eine angemefjene Erſcheinung fein. Sey⸗
delmann befland darauf, ganz Teufel fein zu wollen.
Dann hätte er freilih mit Hörnern und Schweif er-
ſcheinen müffen. Goethe's Teufel und der Teufel über: .
haupt if leider wiel feiner. Es liegt fehr tief im inne
der Dichtung, daß ber Geiſt des Böfen dem Menfchen
in allen feinen Entwidelungen, im Hange zur Zinfter-
nig und im Streben nad Licht, ganz getreu zur Seite
flieht und mit ihm Schritt Hält.
Nötfcher. hat das Verbienft, in feinem umfangreichen
Buche gleihfam ein Seydelmann - Album zufammenge-
ſtellt und redigirt zu haben. Gr unterbricht feine Le⸗
bensgefchichte des Mannes und feine Betrachtung über
deffen Kunft mit Briefen des großen Schaufpielers, die
ihm zahfreih von vielen Seiten beigefteuert wurben.
Wir finden darunter furze Zeit vor feinem Tode cin
briefliches Geſtändniß Seybelmann’s, das Teine Natur
zu bezeichnen ſcheint. Er fpricht von feinem legten Kieb-
lingswunſch, den ago wieder zu fpielen. Er hatte
dieſe Rolle wie auch Richard IM. ſchon in einer frühern
Epoche gegeben; das elende Rollenmonopol machte ihm
den Richard in Berlin ftreitig, obfehon er in der Zei:
nung biefer Geftalt das Außerordentliche leiſten mußte.
Zum ago rüftete er fi im Stillen mit eier drän-
genden Luft und Liebe. „Woher nur”, fehreibt er, „mein
immer wacher Appetit, die Nachtfeite unferer Natur an
Licht zu führen! Können Ste mir das zum Abſchied
fagen? Bitte, thun Sie es!” Er fährt dann fort in
der Aufßerung, wie er mannichfach und auf den entidhie-
denften Feldern das inwendige Gehäufe der menfchlichen
Greatur zur Erfcheinung zu bringen bemüht, mit den
Narren närrifch, mit den Ehetichen grundehrlich, in jebes
Alter, jede Farbe, jede Maske verliebt gewefen; aber nur
wenn e8 dem böfen Princip galt, offen oder verfappt, dann
habe er jede Kraft des Lebens in fih wach gefühlt, fein
ganzes Wefen fich doppelt zufammengefaßt, um der Welt
die vechte Larve zu zeigen. Diefen Hang zum Dämoni-
ſchen theilte er vielleicht mit manchem Charafterzeichner
in feiner Kunft, er theilt ihn mit Ludwig Devrient;
es fragt fi nur, ob Seybelmann den geheimen In⸗
flinct, der den Genius innerhalb der Kreiſe der Schön-
heit hält und behütet, mit biefem quälenden Drange
nad) ſchlagender Wahrheit und Wirklichkeit nicht. in fich
übertäubte. Wo er Hiftorifche Charakterbilder ſchuf, war
der Geiſt der Gefchichte, ber ihn ganz befeelte, der
fiyerfte Regulater. Crommell und bie ganze Reihe folcher
Ziguren find nie vollendeter bingeftellt. Aber we «6 bie
freiere Schöpfung von Geftalten wie Mephiftopheles
galt, ließ ihm jener milde Geift der Poeſie im Stich,
der den Dichter auch im tragifchen Umfturz zur Verſoöh—
nung führt. Geftalten wie Nathan, die von Haufe aus
im milden Lichte der Verſöhnung gehalten find, liegen
außer dem Eonflicte; er hielt fie ganz in mufterhafter
Einfachheit; der quaͤlende Reiz, bie dunkeln Gemalten
über Licht und Liebe triumphiren zu laſſen, Tonnte ihn
hier nicht befchleichen. Ich weiß nicht, hatte die fchroffe
Beltanfhauung, bie fih in Seydelmann's brieflichen
Belenntuiffen mit der ganzen Schwere eines hart ge
prüften, wenn auch ſtark gewaffneten Geiftes ausfpricht,
vielleicht Doch von Haufe aus einen krankhaften Anflug? Wie
dem auch fei, bie Größe feiner Eigenthümlichkeit bleibt unbe⸗
ftreitbar. Aber man laffe fie als folhe, al8 Ausnahme
gelten, und wo ed darauf andommt, auf eine Fortpflan-
zung der Kunft zu denken, da ftele man um fo firen-
ger das Gefeg bin, daß ber Schaufpieler niemals aus
dem Rahmen des Gedicht trete, ſich nie eine andere
Aufgabe zu ftellen habe als die ihm der Dichter liefert.
Die Aufgabe die dem Darfteller zukommt ordnet ihn
dem Gedichte unter; anders bewahrt er fi) nicht ben
Inſtinct, der ihn fiher führe. Man lerne diefe einfache
Wahrheit von dem genialften, fcharffinnigften, raftlofeften
Arbeiter auf dem Felde der darfiellenden Kunft!
Ein raftlofer Arbeiter war er wie niemals vor ihm,
wie gleichzeitig mit ihm nicht Einer. Roͤtſcher's Buch
dedt- uns den ganzen Proceß feiner hartnädigen Ent:
widelung auf. Es mar eine Laufbahn voller Hinder-
niffe, Die Seydelmann durchwanberte, um zu feiner Doll:
endung, zur Meifterfchaft in feiner Weife emporzuklim⸗
men. Jedes Hinderniß aber befeuerte nur feinen Muth, .
wigigte feine erfinderiſche Kunft, flählte feine ftarke Lang⸗
muth. Uberblidt man bie ganze Reihe äußerer und in-
nerer Mishelligfeiten, die ihn geftört, gekreuzt, gedemü⸗
thigt und doch nur immer von neuem zum Wettlauf
angefpornt, fo findet man die Stone des Gelingens
theuer und ehrlich erfauft, in den Triumphen, die er
errang, nur einen gerechten, nicht übermäßigen Lohn fel-
tener Tugenden bes Geiſtes und des Herzens. Beine
tiefe Gewiffenhaftigkeit zwingt zur Bewunderung, fieht
man, wie er fich, weil ihn Mutter Natur äußerlich nicht
bevorzugt hatte, nur mit eifernem Fleiß unter ber Hefe
der Genoffen aus der fihmuzigen Welt Kleiner Winkel⸗
bühnen heraufarbeitete. Was ihn innerlich bevorzugte,
war freilich auch felbft bei WVerfagung äußerer Mittel
eine freie Gunft der Natur; diefer glühende Drang zur
Kunft, dieſe unerbittliche Willenskraft, diefer felfenftarke
Muth, auch wenn er in Stunden ber Schwäche oft
genug verzagte. Es hat ihn Fein Erfolg, mit dem doch
immer, auch die Laune des Zufalls ihr Spiel treibt, je
zum UÜbermuth verleiten fönnen, weil er wußte, für wel:
hen Preis er fih die Meifterfchaft erfauft, die ihm
endlid die Welt cinftimmig zuerkannte. Wie dornen-
voll die Nofe, die er endlich blühend in der Hand hielt,
wußte Niemand fo gut wie er. De heißer fein Eifer,
je unabläffiger feine Studien, weil die Zunge ihn nicht
gehorchte, fein Organ ihm von Natur nicht fügfam war,
defto mehr lebte er fortwährend in ciner aufgeregten
Stimmung, und je nervöfer aufgeregt er Zeit feines Le-
bens war, befto ſchwerer faßte ihn die Miftre des Mis-
geſchicks, deſto peinlicher erlag er oft ber drüdendften
Noth. In einem Theaterroman aus unfern Tagen findet
man einen Regiffeur portraitixt, der Mittags Gäfte bei
ſich fieht umd fi die Löffeln dazu vom Nachbar borgt,
— — — —
“=
weil aber der gute Freund feibft fpeifen will, feine Tiſch⸗
zeit verſchieben und die Gaͤſte durch Erfindung irgend
eines Spaßes vertröften muß. Das follte Seydelmann
fein, ich weiß nicht ob aus feiner Zaffeler oder darmfläd-
ter Periode. Georg Kniepel theilt in feinem Buͤchelchen
einige Briefe Seydelmann's mit, die in fehreienden, ob-
wol fargen Worten den Jammer ſchildern, fih und feine
Familie auspfänten zu laffen. Die fharfe Lauge ſei⸗
ned Unmuths gegen die Welt fleigerte fich fpäter zur
geiftvollen Satire, hatte aber doch wol an Unbill folcher
Art ſich reichlich genähre. Laſſen wir diefe Züge bei⸗
ſeite, die der Lump mit dem Genie zu theilen pflegt;
folgen wir in ſeiner künſtleriſchen Entwickelung dem
Misgeſchick das hier zu überwinden war. Uns wird
bier zuglelch die Freude am Anblick eines großartigen
Menfchen zu Theil.
(Die Bortfegung folgt.)
Zagesliteratur.
In Rr. 353 d. Bl. f. 1345 habe ich bereits von einigen Schrif-
ten gefprodgen, weiche den römifhen Katholicismus in
feiner reinen Geftalt vorzuführen und dadurch ‚vor den gegen
ihn erhobenen Vorwürfen zu rechtfertigen geſucht haben. Ich
erfannte an, daß fich der Katholicismus fo reinigen, fo recht⸗
fertigen. tafje, bemerkte aber zugleich, daß er durch eine folde
Rechtfertigung zugleich reformirt werde. Man muß, um den
Katholicismus rein zu erbeten, ihn nicht blos vom Jejuitis:
mus, fondern aud vom YPapismus reinigen. Kinige foeben
erſchienene Schriften bringen mich noch einmal auf dieſen Ge⸗
genftand zurüd.
Schon bei einer andern Gelegenheit (in#r. 279 d. Bl. f. 1845)
äußerte ich, daß der ſtärkſte Grund, der fich für Rom anfüb:
ren laſſe, die göttliche Heilsordnung fei, welche fi im Papſt⸗
thum offenbaren fol. Aber ich fegte hinzu, diefer Grund müßte
ſich für die reformatorifhen Beftrebungen vindieiren laſſen.
Jeder Ehrift muß annehmen, daß Gott ein ewige Verhaͤltniß
zur Menſchheit habe, welches noch über den Act der bloßen
Schöpfung hinauſsgehe; er muß annehmen, daß der Schöpfer
den Menſchen nicht der Natur preisgegeben, fondern ihn
aus der Macht der Natur zu erretten befdhloffen habe. Es ift
Diefer Gedanke das Yrincip des Ehriftentbums, ihn aufgeben
heißt Das Chriſtenthum aufgeben. Man kann diefen Gedanken
aber entweder fo auffaflen, daß Gott, um die Menſchheit aus
der Macht der Ratur (dev Sünde und des Todes) zu erlöfen,
Menſch geworben fet in Ehrifte, oder daß Gott das Menſchen⸗
gefchlecht in Ehrifto zum Acte der Selbfibefreiung babe kom:
men laften, alfo der Menih in Chriſto Gott geworden fei.
Das Chriſtenthum bat beide Borſtellungen gerechtfertigt, und
es ift eine Einfeitigfeit, an der einen im Begenfage gegen die
andere feſtzuhalten. Diefe Borftelungen find aber ſowol ei:
ner rationaliftifchen als einer myſtiſchen Auffaſſung fähig, ge
genwärtig handelt e8 fich um die erftere, denn alle Parteıen
der Gegenwart fcheinen darüber einig, daß es mit einem ge:
fühloollen Berfenten in das Myfterium ber Erlöfung nicht ge:
them if; ſelbſt die zur myftifchen Auffaffung geneigtern laffen
fi wenigſtens zu einer rationaliftifchen Rechtfertigung bes
Myfteriums herbei, um es vor der cinfeitigen rationaliftifchen
Auffaflung und gegen den Atheismus zu vertheidigen. Weiter
aber ſchließt der Gedanke einer ewigen Heildordnung in ſich
bie Borftellung, daB ſchon vor Ehriftus ein gewiſſes Bewußt:
fein der Menſchheit ven Bott und ſich felbft vorhanden gewe⸗
fen fein muß, weldes durch Chriſtus Beftätigung und Erfuͤl⸗
lung erlangte, und daß nad Chriſtus dieſes Bewußtfein in der
Menfchheit fich Iebendig erwiefen haben muß. Ramentlich diefe
15
legtere Vorſtellung wird gleichfalle Durch die. Heilige Schrift
vollfommen gerechtfertigt, infofern Chriſtus in feiner Gemeinde
und bei ihr zu bleiben, und ihr im heiligen Beift einen Samm⸗
ler, Regierer nnd Mehrer zu fenben verſprochen hat. Diefe
Gruppe religiöfer Borftellungen nun finb es namentlich, welche
von den Roͤmiſch⸗Katholiſchen gegen die alten und jungen Pro»
teſtanten geltend gemacht wird. Wie dies gefchieht, wollen
wir an folgenden Schriften fehen:
I. Was ift die Bibel! Symboliſche Briefe für die Gläubir
gen aller Eonfeffionen von A. Eberhard. Münden, Li⸗
terarifch : artiftifche Anftatt. 1845. 8. 22%, Nor.
2. Schrift und Kirche oder ob auf die fogenannte vernünftige
Erklärung der Heiligen Schrift, ohne Tradition und Hierarchie,
eine allgemeine chriſtliche Kirche gegründet werden önne.
Deantimortel von C. G. Eifner. Leipzig, Zadowig. 1845,
. gr.
Die erfte diefer Schriften ift in einem durchaus würdigen
Zone gefchrieben, der Geiſt chriftlicher Kiebe und Duldung ift
in ihr angenommen und feftgehatten, ohne in jene widertoärtige
Manier eined hochmüthigen Bedauerns der Ketzer auszuarten,
weiche leider fo häufig von römifchen Pricftern angenommen
wird, wenn fie nicht vorziehen, den Zon des Fanatismus oder
bes höhnenden Ingrimms anzuflimmen.. Das Bud ift in
Briefen an einen SProteftanten gefchrichen, welchen der Berf.
von der Unhaltbarkeit des Princips des Proteftantismus zu
überzeugen fucht. Die Proteftanten, meint der Verf., erkennen
in Glaubensſachen Peine andere Autorität als die Bibel, und
er ſucht zu beweijen, daß die Bibel nicht die ganze „Lehrſumme“
Chriſti, ja nicht einmal alle Fundamentalartikel enthalte, daß
die Annahme, die Bibel fei Regel und Rorm des Glaubens,
dem ganzen Wefen der Kirche widerfpreche, daß dich au gar
nicht Zweck der Bibel fei und daß Dem auch das Zeugniß der
Sefchichte widerſpreche. Die römifche Kirche nimmt neben der
Bibel bekanntlich die Tradition ald Glaubenenorn an, und
außerdem noch die Sagungen der Concilien und der Päpfte,
in denen fi) Die Wirkſamkeit dcs heiligen Geiftes geäußert
haben und noch fortwährend äußern fol. Sie geht dabei von
der, befonders beftimmt in der unter Nr. 2 angeführten Schrift aus»
gefprochenen Borftellung aus, daß Ehriftus einen gewiffen In»
begriff von Lehren den Apoſteln mitgetheilt Habe, welche dieſe
Xehren dann weiter zunaͤchſt an die Priefter mitgetheilt hätten,
in denen ſich diefelben nun unverfälfcht fortgepflanzt hätten, von
denen bdiefer Schas göttlicher Weisheit verwaltet und den Laien
nach dem Grade ihrer pfänglichkeit und Wuͤrdigkeit mit:
getheilt worden fei. Eine Erweiterung diefer Lehrfumme fol durch
die vom heiligen Geifte eingegebenen Beflimmungen der Con:
cilien und der Päpfte gefchehen fein. Der Berf. thut zunaͤchſt
dem Proteftantismus ein hiſtoriſch nachweisbares Unrecht, wenn
er ihn einzig auf die Bibel als Glaubensnorm fidy befchränten,
die Tradition und die Wirffamkeit des heiligen Geiſtes gaͤnz⸗
lich negiren laßt. Es ift eine bekannte Thatſache, daß bie
gunze Reformation nichts als eine Prüfung, Peineswegs aber
eine abfiracte Verwerfung der nad) der Zradition aus den
Soncilien: und päpftliden Befchlüffen hervorgegangenen ka⸗
tholifchen Kirchentehre ift. Die Reformatoren hatten nur die
Bemerkung gemacht, daß mit der Autorität des heiligen Geiftes
und der Tradition unfaglidyer Misbrauch getrieben worden fei,
und deswegen gingen fie an eine Prüfung und Sichtung der
Kirchenlehre ein und nahmen von derfelben nur Dasjenige an,
was durch die Heilige Schrift fih rechtfertigen ließ. In ihren
fymbolifchen Schriften ſtellten dann die a anten Dasjenige
zufammen, was jie als dic wahrhaft auf einer heiligen Tradi⸗
tion und einer Wirkung des heiligen Geiftes beruhende Kirchen:
lehre bekannten. Daß Net der Proteftanten zu dieſer Prü⸗
fung nach der Heiligen Schrift fügt ficy auf die beiden uns
widerlegliden Säge: 1) die geoffenbarte Wahrheit kann nicht
mit fich felbft im Widerſpruche ftehen, daher ınüffen alle die:
jenigen Lehren der römischen Kirche als unkatholiſch ver-
worfen werden, welche mit der Heiligen Schrift im Wider:
von der „Lehrfumme des | nz falſche
feftgehalten. Das Chriſtenthum ift urfprünglih eine Thatſache,
die Ihatfache eines Chriſtus ſelbſt, keineswegs eine Lehrſumme.
Diefe Ihatfache ift der Urquell der Lehre, aber nicht biefe
ſelbſt. Als Thatſache Hat ſich auch das Chriſtenthum urfprüng-
lich allein ausgebreitet, daher iſt immer nur von einem Über-
wältigen durch den Glauben, nie von einem allmäligen Be⸗
kehren dis Rede. Eberhard bat dies ganz ristig in Dem an:
gedeutet, was er von der Gnade fagt und von ber Lehr: und
Denkfreiheit. Man kann nicht in einigen Stücken Chrift fein,
in andern nicht, man ift es in allen oder in feinem. ber er
macht davon eine falfche Anwendung, indem er überficht, daß
eben durch dieſe Alleinwirkfamkeit der Gnade die Denk⸗ und
Lehrfreiheit nicht wie cr behauptet unmöglich gemacht, fonbern
vielmehr volllommen gerechtfertigt wird.: Der Menib kann
aus Gnaden Chriſt, Heiliger, d. h. Menfch von gebeiligker Be:
finaung fein, auf welder Stufe der Gebankenbildung er fich
auch befinden mag. Das eben it die Günde des Papismus,
daß fie die Herrſchaft der Religien über die Herzen gu einer
Herrfchaft der Kirche über den Verftand umgewandelt a, daß
fie aus der Thatſache des Ehrift eine „Lehrſumme“ acht
bat, daß fie zum Schiboleth der Chriſtlichkeit nicht die Heilig:
feit der Sefinnung, fondern bie Normalität des Dogmenwiſſens
gemacht hat.
(Der Beſchluß folgt.)
Literarifche Notizen aus Frankreich.
Zur Kenntniß der franzöfifgen Stiliſtik.
Wenn auch jest der usus tyrannus in ber franzoͤſiſchen
Sprache noch eine bedeutende Rolle fpielt, fo ift e8 doch, wenn
man im PVergleih auf die Sprache des großen Jahrhunderts
von Ludwig XIV. den gegenwärtigen Stil betrachtet, nicht zu
leugnen, daß man fih von ben willlürlidhen Launen und
unbegrimbeie
—2 —*
eleganten, zierlichen Wendungen anzueignen, fo macht ſich iekt
das Bebürfniß —— Beſtimmungen —*
Foderungen ber frangäfifi Sprache und die feinen Seſetze
der Stiliſtik auf eine tiefere Weife gu erfafſen und in ihrem
eigentlihen Zuſammenhange zu ergründen. öffnet fich bier
unfern Bliden ein weites Feld, auf dem noch viel zu thun
übrig bleibt. Wir haben vor Purzem ein ausführligeres Werk
erhalten, welches zum heil biefe neue Richtung anbahnt.
Daſſelbe if unter dem Zitel ‚‚Bemarques sur ia iangue fran-
gaise au IYieme siöcle sur le style et Ia compositien Ktt#raire”
vom bekannten Peuilletoniften Francis Wey in zwei Bänden
herausgegeben. Wir erhalten hier einen Schag feiner Beobach⸗
tungen und geiftreiher Bemerfungen und bedauern nur, daß
ed der Verf. verihmäht hat, flatt immer allein fih an das
Gingelne zu haften eek nadt und var ftig —* wenn
man nicht mit dem gemeinen in Zuſamme fest,
tandpunft einer philoſophiſchen Grammatik anzu⸗
ſtreben. Dadurch haͤtte er feinem Werke einen noch größern
Gehalt’ verleihen konnen. Deſſenungeachtet wollen wir nicht in
Abrede ftellen, daß feine Mittheilungen auch in ihrer gegen-
wärtigen, etwas allzu fragmentariſchen Beftalt immerhin viel
belehrende Andeutungen und mannichfache Anregung getvähren.
Charakter der fpanifhen Dichtkunſt.
Der Franzoſe Adolphe de Puibusque entwirft in feiner
„Histoire compar&e des litteratures espugnole et francaise‘
(2 Bde.) folgendes charakteriſtiſche MED der fpanifchen Poefie
in ben Beifen ihrer Blüte in frühern Sahrhunderten: „Sie
dankt ihre Überlegenheit zum guten Theil einze tm Wefentlichen
örtlichen Urfache; fie war von hoher Geburt und befaß den
Adel des Schwerts fowol wie des reinen Gebluͤts. So weit
bad Auge zurüdreiht,. bid wo die Gefchichte fi ins Dunkel
verliert, erbliden wir einen Stamm kriegeriſchen und gebilde⸗
ten Adels im Herzen ber Halbinfel. «UÜe unfere Gefege und
alte unfere geſchichtlichen Jahrbücher» — fagen die Spanier —
awurden in Verſen aufgezeichnet! und nicht von Münden, fon-
dern von Rittern.» Und wer waren benn nach Allem die Don’
Juan Manuel, die Lopez be Ayala, die Buzman, die
Alvaros de Luna, Meanriaue, Billene, Santillana, Die wir
die erſten ruhmreichen Gchöpfungen des Bolfägenius ihren
—8 haben uͤberliefern ſehen? Sie gehoͤrten alle dem
Hochadel an; alle haben in den andalufifchen Kreuzzugen den
ererbten Geburtschren neue hinzugefügt. Nach ihnen und trog
bes dann und wann ins Übermaß aubartenden WBetteifers eines
aufgellärtern Zeitalters vervielfältigte der Baum der Dicht:
kunſt feine Iweige, ohne daß ihr Stammbaum eine Beränderung
erlitt; wenn Hier und bort der Glanz der Abkunſt ihren Sprofien
fehlte, fo haufte fie Auszeichnungen anderer Art auf biefe; es
find Seine Geringern ald Generale, Prälaten, Belandbte uns
Vicekoͤnige. Einige fügen ben Muhmthaten bes Schlachtfeldes
den Ruf des Misgeſchicks hinzuz Andern verleihen wunber:
bare Wbenteuer, beifpielloge Zollkühnheit und ungewöhnliche
Drangfale ein romantifches Intereſſez und mit Wißbegier ſucht
der Geift das Raͤthſel jener unerllärlichen Lebensgeſchichten zu
löfen, welche unter dem Zelte beginnen und in der Kiofterzelle
endigen. Erhabenheit, Wechſelfaͤle des Schickſals, Überſpan⸗
nung, alles was Staunen, Theilnahme, unnennbaren Reiz
hervorruft, begegnet uns bei jedem Schritt durch dieſe Gemaͤlde
—5 wo jedes Bild ein verſchiedenes eigenthümliches wie
athmet. .
Berantwortliber Herausgeber: KHeinrich Wrodtans. — Drud und Berlag von F. X. Brockhans in Leipzig.
Blatter
für
Unterbaltu
literariice
Montag,
5. Januar 1846.
(Eorifegung aus Nr. 4.)
Seybelmann fpielte in Breslau, in Olmütz als jun⸗
ger Menſch natürlich Liebhaberrolien. Durch lyriſchen
Schwung, durch gefällige Schmeichelei des Vortrags und
der Erſcheinung konnte auch der Züngling Seydelmann
nicht einnehmen, auch nicht dur Kraft, die ſich nad
außen wirft, erobern. Er war zart gebaut und feine
Mittel waren doch fo hart und ſtoͤrriſch. Die Natur:
kraft war verfügt und die Srazien ſchienen ausgeblieben.
Und er fühlte dennod von früh auf, daß er zur Kunft
Beruf habe; eine innere Stimme fagte es ihm in ftillen
Stunden, und dem Ruf des Gewiſſens folgte ex jeder
Zeit feines Lebens. Sein Beift hatte, ich möchte fagen,
eine unüberwindliche moralifche Zahigfeit in der Aus-
dauer. Er Eonnte duch allzu frühen Beifall nicht ver-
wöhnt fein; bie verfagte Gunft hatte nur das Gute,
ihn Beine Arbeit fcheuen zu Taffen. Da er durch rheto⸗
rifche Declamation zu wirken nicht die Mittel hatte, in
aufbraufenden Zugendfeuer nicht gefallen, in der ab»
firacten Idealitaͤt des gutgemeinten ſtuͤrmiſchen Aufruhrs
Der Rebensgeifter fich nicht verpuffen konnte, fo mußte
er tiefer graben, um Schäge zu finden. Seine Kunft
richtete ih nah innen. Innere Menfchenfcheun ward
ihm beſchieden; aus ihr holte er fich die Waffen herauf,
mit denen er wirken follte und die er langſam fich ſelbſt
erft ſchmiedete. Seine Menſchenkunde war zu beiden
Theilen gleich fehr angeborenes Zalent und erworbene,
aus .eifrigen Studien gewonnene Intelligenz. Immer
auf ſich verwieſen, mit ſich felbft befchäftige, führte er
ſchon frühzeltig mitten im Schwarm: Tuftiger Colfegen ein
einfames Leben; er galt für einen Grübler und Mifan-
threpen, feine angefirengten Studien nahm man ledig-
lich als bloße Yushülfe für angeborene Schwäche. Ge-
dantenleie Handwerkernaturen halten es Bebanterie,
wenn er mit forgfäftiger, zierlicher Handſchrift jede fei-
ner Rollen felbft fi; abſchrieb. Er war von dem Nugen
überzeugt, fich auf diefe Weiſe langſam, ficher und Wort
fie Wort mit dem Part bekannt zu marken. Während
er die Worte nieberfihrieb, hatte feine Speculation Muße,
allen befondern ſprachlichen Wendungen und Nuancen
nachzugehen. Er behielt diefe Methode, das Studium
feiner Rolle zu eröffnen, ein für alle Mal bei, unbe:
fümmert gegen das Wchfelguden der Faullenzer, die ſich
in ihrer Unwiffenheit auf ihr Naturell und auf die
Gunſt bes Zufalls ftügten. Es konnte aber mol nicht
fehlen, daß der lauernde Spott übermüthiger, gewiffen-
lofer oder ſchwachkoͤpfiger Collegen jede Schwäche an
ihm erlauert, und nicht felten mochte ihn der Zorn über-
meiftern, wenn höhnifcher Leichtſinn feine Manisren cari-
firte und dem Gelächter preisgad. Sein Zorn konnte
in Berſerkerwuth ausarten. Gegen einen Sonffleur
babe ich ihn hinter den Gonliffen im Zwieſpalte in eine
Tobſucht ausarten fehen, bei deren Anblick die Umſtehen⸗
den erbebten. Jener Unglückliche hat ihm bei einer
wichtigen Rolle die Worte verdreht. Seydbelmann's
Aufregung gli einen losbrechenden Orkan, der Allee
nieberwirft. Da Gewiffenhaftigfeit die Neligion feines
Herzens war, fegte er auch feinen höchften Stolz darein,
auf dem Forum der Welt gewiffenhaft zu fiheinen.
Schelſucht und kleinlicher Neid haben an feiner ehrli-
hen Seele viel und unabläffig genage. Aus Nötfcher's
Buch ergeben ſich Züge diefer Art in Menge. Doc
finde ic, nicht den legten Fall angedeutet, der ihm nicht
lange Zeit vor feinem Tode in Berlin, als er ſchon lei⸗
dend und phyſiſch hinfällig war, auf das ſchmerzlichſte
ergriff. Es war, glaube ih, in einer Vorſtellung des
„Tell“, wo zwei Mitfpielende ihn in feinem Monolog
buch Plaudern, leifes Zifcheln und hamiſches Wigeln
ftörten. Vor Wurh darüber ımd in dem Argwohn, 66
ſei gefliffentlich gefchehen, war er, nachbem ber Vorhang
gefallen, kaum feiner Sprache, viel weniger der rechten
Morte gegen bie Störer mächtig. Cr nahm fich den
einen zur Zielfeheibe feiner fchriftlichen Vorwürfe, die
mit allem beißenden Wig den Beleidiger geißelten. Die-
fer Brief war in Ausdrüden verfaßt, die den Empfän-
ger, aller Pietät gegen den Meifter bar und Iedig, zu
dem ruhigen Entſchluß brachten, gerichtliche Klage bar-
über einzuleiten. Der Jünger, ber Anfänger fühlte ſich
neben dem Altmeifter lediglich als koͤniglicher Hofſchau⸗
fpieler. Das Gericht mußte in der Injurierfache gegen
Seydelmann entfheidben und er warb zur Haft verur-
theilt, die er auch in ber Hausvogtei abfaf. Er mochte,
zur Befonnenheit gefommen, über die Ironie dee Schid-
ſals Lächeln, daß ber Schüler den Alten überliften Fönnte.
n8. i
18
Aber der Ball mochte ihm doch bis zulegt fein altes
Verhängnig beftätigen, ber einen Erbaͤrmlichkeit des
Lebens erliegen zu müffen. In ber Impietät gegen
ihn hatte er die Nichtachtung aller collegialifhen Em⸗
pfindung, die ruchlofe Bleichgültigkeit gegen bie Kunft
rügen wollen. Jener jüngere Schaufpieler an der ber—
liner Hofbühne trat feitdem mitunter im Rollenfach
Seybelmann’s auf.
War diefe Reizbarkeit in feinem Alter fo fieberhaft
ftart, fo mochte fie in frühern Jahren, wo er ſich weni-
ger ficher fühlte, fih nicht felten mit Verzweiflung paa-
ren. Seydelmann mar lange Zeit in der Irre mit ſich
ſelbſt. Er wußte früh, daß er zum Schaufpieler gebo-
ren fei, aber er konnte, felbft als er die Hinderniffe fei-
nes Organs zu überwinden gelernt, lange nicht das
rechte Fach finden. Bon Olmüg aus, wo er Bühne
und Publicum beherrfchte und der anerfannt Erſte war,
überlieferte er fid) auf Treu und Glauben an den dama-
ligen Xeiter des Theaters zu Prag, Hrn. v. Holbein.
Diefer Brief ift in feiner originellen Gutmüthigkeit zu
eigenthümlich, um ihn nicht hier einzufügen. Er ſchrieb:
Ich fpiele in einem Fleiſchſcharren, allein jo viel id von
Zhnen weiß, ftoßen Sie fih nicht daran und Zalent bejiegt bei
Ihnen alle Vorurtheite. Ich glaube, ih babe Zalent, allein
ich weiß nicht wo ed hinaus will. Ich glaube, Sie würden
es bald fehen und ihm Treunbli Den Weg zeigen. Engagiren
Sie mic), wofür und für was Sie immer wollen. Ich ergebe
mid Ihnen unbebingf. Wenn Sie mid nit fo ftellen fon:
nen, daß ich brauchbar bin, fo ift es nichts mit dem Theater
und ic) muß einen andern Weg einfchlagen. Ich habe Bildung,
Fleiß und ein dankbares Herz. Wagen Sie ed mit mir.
Holbein wagte es mit dem Sonderling; auf eine
Sonderlingsnatur ſchien allerdings diefe Gutartigkeit zu
deuten. Die Entgegnung ded bamaligen prager Direc-
tors verdient nicht minder als eine Seltenheit in den
Thenterannalen aufbewahrt zu werden. Unter den zahl:
Iofen Sonberbarkeiten diefer Annalen gebührt der harm-
Iofen Offenheit immer der Vorzug, für eine befondere
Seltenheit zu gelten. Holbein ſchrieb an den fiebenund-
zwanzigjährigen Mimen, deffien Namen ihm bis dahin
noch unbefannt gewefen, in ‚folgender, Weife zurüd:
Ein fo gebildeter Mann wie Sie mir ſcheinen ift. hoffent-
ih auch von dem eiteln Wahne gewöhnlicher Afterkünftler frei.
Ifi dies der Ball und Ihr Jalent entweder jest fchon bedeu:
tend, oder eine höhere Ausbildung verfprechend, fo finden Sie
in mir den rechten Dann zur Eröffnung einer angemeflenen
Laufbahn. Paart fich dies Talent mit redlichem Gemüt, fo werde
ich mid) auch mit Vergnügen ald Ihren Freund bewähren.
Es war im 3. 1820, als Seybelmann in Prag auf-
trat, wo fi fofort feine Richtung und fein Fach feft-
ftellte. Holbein erkannte in ihm den Charafterbarfteller
und muthete ihm zu feinen nicht geringen Erſchrecken
glei die Mole des großen Preußenkönigs in Toͤpfer's
„Tagesbefehl” zu. Es erwedt eigene Betrachtungen, daß
der ehemalige Wiceoberfeuerwerfer aus Glag, der fortge⸗
laufene Kanonier den alten Frigen fpielen mußte, und
mit diefer Darftellung der alten Majeftät von Preußen
feiner „Laufbahn die entfcheidende Wendung gab. Ed-
hof und Seydelmann hatten, gleichviel ob jener gezwun⸗
gen, dieſer freinillig, in der preußifchen Soldateska ihre
erfte Haltung bekommen, hatten aber Beide alsbald Kehrt
gemacht, um den Paradedegen mit dem tragifchen Dolch,
ben wenn aud) firengen, doch zu ihrer Zeit friedlichen
Paradedienſt mit dem alle Zeit kriegeriſchen Dienft dee
Mufen zu vertaufchen. Kür Seydelmann zumal gab es
täglich neue Feldzüge, jeder Sieg mußte ſchwer errungen
werden, feiner fdhien dauernde Geltung zu haben. Hol«
bein hatte das Verdienſt, den Charakteriftiter im Keime
erfannt zu haben; des Sklave Sirus in ben „Brüdern“
von Terenz war die zweite Nolle, die cr ihm zumies.
Bas dem Talent fo noth thut, Zuverficht zu fich felbft,
dies erweckte Holbein in Seydelmann; noch wenige Jahre
zuvor hatte ein breslauer Dramaturg dem jungen Mi-
men auf bie Schulter gefopft und ihm gutmüthig lä-
chelnd gefagt: „Nein, lieber Freund, das Komöbiefpielen
folltet Ihr fein laſſen!“ Seydelmann war darüber in ei-
nen Strom von Thränen ausgebrochen, und der erfchro-
dene Rathgeber, der diefe Inbrunft, dieſe Leidenfchaft zur
Kunft nicht ahnen Fonnte, hatte verlegen fein rafches
Wort zurüdgenommen. Die Einfiht in den Abftand
zwifchen hohen Zwecken und beengten Mitteln hielt jeder
Zeit bei Seydelmann Schritt mit feiner Leidenſchaft für
die Bühne. Das Bewußtſein ſchwerer Arbeit zum Siege
gab ihm die tiefe Befcheidenheit, die ihn unter den Ge—
noffen faft einzig hinftell. In den zwanziger Jahren
getraute er ſich nicht, die Burg in Wien neben ben
Veteranen zu betreten. In den Dreifigern noch hatte
er vor Berlin und den Manen der großen Tobten dort
lange Zeit eine heilige Scheu. So viel Intelligenz und
fo viel naive Beſcheidenheit, fo viel Geift und fo viel
Demuth des Herzens waren felten beifammen.
(Der Beſchluß folgt. )
Tagesliteratur.
(Beſchluß aus Ne. 4.)
‚Der Schrift von Eberhard jieht man es an, daß der Verf.
wirklich von Dem, was er fagt, überzeugt ift und darum wen»
det er auch die Sprache ruhiger Überlegung und der Beredtjam-
Feit einer in fich fihern Begeifterung an, welche den Gegner
nicht Hinter das Licht au führen ſucht, fondern in das Licht.
Ganz anders verhält ed fi mit der Schrift von Eifner, welche
ih in den ertravaganteften Vorftelungen bewegt, in denen
die Anfichten des Romanismus bis zu einem Mythus potenzirt
find, welcher von ber römifchen Kirchenlehre felbjt nicht gerecht:
fertigt wird, fondern der mit der größten Willkürlichkeit erfun-
den ift, um dieſe Kirchenlehre zu vechtfertigen. Dadurch bes
fommt die Schrift den Anſtrich der widerwärtigfien Perfidie.
Die Marime des Berf. ift, den Gegnern, den Rationaliften
von vornherein die ‚größten Conceſſionen zu machen, fodaß es
den Anfchein bat, ale wäre die Kirchenlehre ganz dem Ratio⸗
nalismus preiögegeben, dann aber Durch einen gelehrt aufs
gepugten Mythus den Rationalismus durch fich felbft zur ſtar⸗
ren römifchen Nechtgläubigkeit überzuführen. Der Verf. bat
eine Art von Ironie, welche fo ſcharf gefchliffen ift, daB ihre
Schneide ſich umbeugt, ftatt zu Ichneiden. Man lefe Worte
wie jdie folgenden: „Das ift eben das Schöne in unfern Zei⸗
ten, daß Jeder die Heilige Schrift nicht nur erklären kann wie
er will, fondern auch durch Reden und Schreiben fo viel Pre⸗
felgten machen und neue Kirchen fliften kann als er. vermag.
Und wir koͤnnen die Laien nicht genug auffodern, von dieſem
Rechte vollen Gebrauch zu machen, denn nur auf diefe Weife
tönnen alle freifinnigen Ideen, die bisher in der Heiligen
Schrift noch verhüllt und unbenugt gelegen haben, ins Leben
treten. Und man laſſe die Menſchen nur fortgehen in ihren
Grflärungen und ftöre fie nicht immer wieder durch Miniſte⸗
rialvererdnungen: — wenn fie auch) jeßt noch nicht einig find,
jo werden fie fhon einig werden —; und ftedblind müßte man
fein, wenn man nit fon im voraus den allgemeinen Tag
des Lichts und der Freiheit, der- daraus hervorgehen wird,
feben Eönnte u. f. w.“ Dies nun fol Ironie fein und der
Berf. Fampft fo für feine Kirche auf die heimtuͤckiſchſte Weife, in:
tem er feinen Gegnern ein Bein zu ftellen judht. Der My:
thus aber, welchen er erzählt, ijt Burz Diefer: Der Menſch war
mit dem vollfländigften Wiſſen von Gott gefchaffen, verlor dies
ſes Willen aber durch den Sündenfall. Indeß erhielt jich im
auserwählten Bolfe Gottes, den Juden, ein höheres Wiſſen
von Gott, war namentlih bei Abraham in eminenter Weife
vorhanden, wurde im Allgemeinen von der Priefterkafte aller
Bölker bejeffen und von derfilben in Bilder und Geſchichten
eingelleidet und dem Volke unter diefer Form mitgetheilt.
Ehriftus that nichts ald daß er diefe alte Weisheit in ein
neues zeitgemäßed Gewand ftedte. Das geheime Wiffen theilte
er wieder der von ihm gejtifteten Prieſterkaſte mit und dieje
verwaltet noch gegenwärtig dieſes Geheimniß, welches erft der
Schlüſſel zur Heiligen Schrift ift, ohne welchen Schlüflel die
2aien in dieſer nur finnloje Gefchichte und widerfprechende Be:
Hauptungen fehen muflen. Nur die Priefter find im Stande,
Sinn und Berftand durch die ihnen mitgetheilte Zradition hinein:
zubringen, die Prieſterſchaft ift daher zur Hierarchie berechtigt,
von Gott felbft zur Herrfchaft als Verwalter jeines Geheimnifles
eingefegt, muß aber dem Wefen Gottes gemäß eine monar-
chiſche Verfaſſung haben und ıft fo überhaupt die Vertreterin
des menardifchen Principe. Dabei raumt der Berf. von vorn»
herein ein, daß der menſchliche Geift allerdings befähigt fei,
Das Göttliche zu erdennen, nimmt aber dieſe Erfenntniß, den
Grund feines Mythus, als Privateigenthum der Priefterbafte in
Anfprud. Wer die neuere Wiffenichaft und ihre Ergebnifie
kennt, durchſchaut leicht dad Gemenge von Wahrheit und Lüge,
welches der Verf. hier zufammengebraut hat. Es würde mid)
zu weit führen, wollte ich bier eine Scheidung des Wahren
som Falſchen unternehmen, und ich bemerfe daher nur: 1) daß
der Verf. mit feiner Geſchichte felbft dem Principe der römifchen
Kirche entgegentritt, nach welchem Chriſtus viel mehr als ein
bloßer zeitgemäßer Reformator des frommen Prieftertrugs ift,
und .2) Daß ed eine Unwahrheit ift, wenn er die Hierarchie
ter Eatholifhen Kirche ald eine weſentlich monarchiſche bezeich⸗
net, da e8 eine bekannte Hiftoriiche Thatſache ift, daß es erſt
der durch Jahrhunderte fortgefegten Lift der Päpfte gelungen
ift, Die urfprünglid durchaus demokratiſche Form der Hier
archie (einer priefterlichen Gemeinde) in die Ariftoßratie der
Eoncilien und endlih in die Despotie des Papismus um-
zumandeln.
Eine pepulaire Darftelung der Entwidelung diefer hierar⸗
chiſchen Despotie enthalt folgendes Wert:
3. Dos Papftthum und die veformatorifchen Beſtrebungen in
der chriſtlichen Kirche von ihrem Uranfange bis auf Ronge
und Ezersfi. Ein an? für Proteftanten und Katho⸗
liken, welchen es um einen hellern Blick in ihre Kirche und
Kirchentehre zu thun iſt. Bon %. &. Nagel. Halber⸗
ſtadt, Rindequift und Schönrod. 1846. 8. 7, Ner.
In mehren bisher befpeochenen Schriften, namentlich in
der Schugfchrift Riffel's für die Iefuiten, iſt die alte Küge
wieder aufgewärmt worden, daß das Princih bes Proteſtantis⸗
mus das Princip der politifhen Revolution fei. Diefer Vor:
wurf ift ein fo boshafter und gefährlicher, daB er trog feiner
evidenten Richtigkeit für Jeden, der die Geſchichte und den
19
Proteftantiömus kennt, doch, fo oft er wieder erneuert wird,
au Wiederum widerlegt werden muß. Dies gefchieht in der
Broſchuͤre:
4. Bertheidigung des Proteſtantismus gegen die politiſche
Verdaͤchtigung von Seiten des Ultramontanismus nad) ih⸗
ren beiderſeitigen Principien und der Geſchichte durchgefuͤhrt.
Bon R. Haas. Gießen, Heyer. 1845. Gr. 8. 27, Nor.
Der Verf. führt feine Widerlegung von Seiten der Prin⸗
cipien des Proteflantismus und römijhen Katholicismus und
an der Hand der Gefchichte, und wirft den Vorwurf auf den
Romanismus zurüd. Die Vertheidigung fann nicht für die
Wiffenichaftlichgebildeten beftimmt fein, da für dieje der ganze
Streit längft entfchieden ift, Daher hätte der Verf. fich einer .
populairen Darftellung befleißigen ſollen. Wie wir Proteftan-
ten in diefem Jahre ein Gedächtnißfeft Luther's feiern werden,
fo baben die NRömijchs Katholiichen die Säcularfeier des Tri—
dentiner Concils im vorigen Jahre begangen, weldes am
13. Der. 1545 eröffnet, am 4. Dec. 1563 gefchloffen wurde.
Zu diefer Feier ift durch folgende Schrift eingeladen worden:
5. Die katholiſche Glaubensregel, oder getreue Überfegung der
Sufammenftellung aller Glaubensregeln bes Concilium von
Zrient mit einigen Erklaͤrungen als Zugabe für den ka⸗
tholifhen Hirten und feine Heerde. Bon U. Eberharb.
Regensburg, Puſtet. 1845. 12. 10 Rar.
In der oben unter Rr. I angeführten Schrift fagt berfelbe
römifhe Geiftlihe in Bezug auf das von den Proteftanten ge:
feierte Neformationsfeft: „Feſte der Verſohnung kannten wol
unfere Bäter fchon ; aber Feſte der Zwietracht im eigenen Haufe
fannten jie nicht.” Und jegt fodert er ſelbſt zu einer Feſtfeier
tes Zridentiner Concils auf, diefed Concils, welches unter dem
despotiichen Einfluffe des Papftes Lie Kirchenfpaltung entfchied,
gegen welche fich die Proteftanten immer gefträubt hatten, wel«
ches die Verfluchung der Proteftanten fanctionirte, welches die
Glaubenslehren der Kirche in das unmwürdige Gewand einer lan«
gen Reihe von Bannflüchen brachte, wie auch das vorliegende
Buch beweift. Wenn wir Proteftanten das Reformationsfeſt
feiern, fo begehen wir ein Feſt der Freude über unfere Be:
freiung aus den Feſſeln des Papismus, aber ſtets zugleich ein ’
Beft der Zrauer über die Kirchenfpaltung, welche nit dur
die Meformatoren, fondern durch die bartnadige Meigerung
der Päpfte, eine Audfcheidung der Irrthümer und Misbraͤuche
aus Der Kirchenlehre gefchehen zu lafien, herbeigeführt wurde,
Die Roͤmiſchen dagegen betrachten dad Tridentiner Concil als
ein Siegesfeft der Kirche über verfluchte Keper. Sie haben
ung verflucht und verfluchen und noch Ir, wir haben feine
Fluchbulle, die wir am Heformationsfefte feierlich verläfen, wir
haben fie nie verfluht, ihnen nie die Berufung und Befaͤhi⸗
gung zur Seligkeit abgefprohen. Das Jubiläum ded Zriden-
tiner Concils wird fein, was unſer Reformationsfeſt nie war:
ein Feſt der Zwietracht im deutichen Vaterhaufe. Durch das
bier vorliegende Buch laſſe fi übrigens Niemand täufchen, als
enthalte daffelbe die Summe der ganzen römifchen Kirchenlehre.
Dies ift keineswegs der Kal; viele der gemeingefährlichften
Lehren find in ihm nur verſteckt angedeutet oder ganz über:
gangen. &o findet man in ihm 3. DB. nichts von den gehaͤſß⸗
gen Sagungen über die gemuifchten Chen, welche nichtödeftower
niger, wie alle Welt weiß, volle Gültigkeit bei den Papiſten
haben. Oswald Marbach.
Das „Foreign quarterly review“ über deutſche
Zuſtände.
Eine der gediegenſten engliſchen kritiſchen Beitfchriften, das
„Foreign quarterly review”, fpricht fi) bei Gelegenheit der
Beurtheilung der von Welder veröffentlichten Klüber’fchen
„Wichtigen Urkunden für den Rechtszuſtand der beutfchen Na⸗
tion” über unfere Auftänte in Deutfchland, namentlih in
Preußen, und deren mögliche Entwidelung in einer Weife aus,
bie zwar bei unfern Preßzuſtaͤnden nit ganz wiederzugeben,
aber jedenfalls intereffant genug ift, um davon Rotiz zu neh:
men. Es wird zuerft dad Urtheil Laing's, „welches bereits |
durch die Vanderbibliotheken jedem Engländer, der leſen Bann,
befannt it”, angeführt, „daß ed Feine Ration in der Welt
gibt, welche im Berhältniß zu ihrer außerordentlich entwickel⸗
sen Intelligenz fo wenig wirkliche Selbſtregung befipt als die
beutfehe””. Durch diefe außerordentliche und der ernfteften Auf:
ſamkeit würdige Erfcheinung wird die fi jetzt ‚in Deutſch⸗
land allenthalben Pundgebende Bewegung der Geifter zu er:
klaͤren gefucht. Die Politik Preußens habe zuerft ihrem Volke
eine wahrhafte höhere „Dampferziehung‘' gegeben, alle geiſti⸗
en Gaben ihrer akademiſchen Jugend in allen Faͤchern des
—RB und der Speculation in Bewegung geſett und
ſpaͤter, obwol vergeblich, alle Mittel ausgeſonnen, um die Kraft,
die fie ſelbſt hervorgerufen, zu hemmen und den Athem, der
fie ſelbſt belebt, zu erftiden. Died Berfahren müffe für den
Engländer ein vollkommenes Raͤthfel fein. Mit der einen Hand
febe man das Banner der vollägemäßen Aufklärung und ber
peoteftantifchen Unabhängigkeit entfaltet, in der andern zeige
ſich das Cenſorthum und bie Policei. „Können Feigen von
den Difteln fommen? Kann füß und bitter aus Einem Bunde
fließen?’ Sicherlich nicht. Gin hoher Grad allgemeiner Auf:
Märung und die Genfur der Preſſe Fünnten nimmer nebenein:
ander beftehen, besbalb dürfe man nicht flaunen, wenn man
gegenwärtig beide nicht im Einklang und Bufammenwirken in
Deutfihland erblide, fondern im Kampfe auf Tod und Leben
und in gegenjeitiger Anklage. Cie eriftirten, wie bie Hochkirche
und der Batholifhe Glaube in Irland, indem fie nur den Be⸗
weis ihrer Unverträglichkeit lieferten. - '
Berftändige Männer”, heißt es weiter, „ſahen dies vom
Anfang an; aber einige kurzſichtige und flache Leute (fools),
weiche den Schlund des feucrfpeienden Bergs für den Augen:
blick verfchloffen und feinen Qualm mehr ſahen, mwiegten fi
von ba an in den Wahn, daß die gährenden Elemente fi be
ſchwichtigt und daß in Grmangelung ber Luft das Feuer aus—
gegangen. Eitier Wahn! Der menſchliche Geiſt erzeugt, glei
den unterirdiſchen chemifchen Stoffen, den Sauerftoff aus fi
ſelbſt; und nun hören wir ftatt des Friedens und der Verföh:
nung, welche die Genfur und die Karldbader Beſchlüſſe von
18319 hätten in Deutfchland einführen follen, nichts als ein
mistönigeß Concert des geheimen Grolls und lautes Auflachen,
Srinfen, Hohn, Berwünfhungen und fchredliche Weiſſagungen.
&ind diefe Dinge die Vorboten eined Erdbebens, die Anftalten
einem Ausbruch, die warnenden Klänge einer drohenden
lofion® oder ift es nur das Toben eines angefchmiedeten
Irrfinnigen, die Krampfoerzerrungen eines galvanifirten Leich⸗
name? das ficberhafte Umhergreifen eines fterbenden Deliriums I
Dies legte ift die Anficht Fürſt Metternich'E und Derer, die
an ihm glauben; aber wenn Pradt recht hatte, als er fagte:
daß die Welt fortan nur durch ein Syſtem ber Hab Un:
terrichts, durch Lehrer, nicht Durch Gebieter beherrſcht werden
ann; wenn Tocqueville den Plan der Vorſehung richtig
errieth, daß die Demokratie überal im Fortſchritt begriffen
und, zwar geleitet, aber nicht bezwungen werden könne —
dann müffen wir den gegenwärtigen Zuſtand Deutfchlants als
ſehr verhaͤngnißvoll hen und nicht ohne große Beforgniß
dem Ausgang entgegenfehen.” '
Die Fortdauer der feltfamen Erfcheinung, welche dem Eng:
länder Beranlaflung zu diefen Betrachtungen gegeben, zwingt
und, fein weitered Urtheil über Zuftände und Perfonen tm
Deutfchland zu verſchweigen, das Urtheil insbefondere, welches,
nach feiner Anfiht, jeder Mann in Gngland, ob Whig ober
Zory, über „die Männer in Frankfurt“ ausfpricht, obwol es
wol wenig Denkende und Unabhängige in Deutſchland geben
wird, Die nicht gleicher Anficht find. .
Literarifhe Notizen aus England.
Aus und über Zrianb.
Unter Denen, die in der neuern engliſchen Literatur vor:
zugdweife als Zeichner iriſchen Lebens und Charakters aufge⸗
steten find, ragen vier hervor, deren jeder fidh feine eigene
Sphäre genäht bat. Maxwell die wilden Ertravaganzen des
iriſchen Soldaten und Fuchsjägers, Lover den reihen Humor
der Iren im Allgemeinen, Garleton die Gebräuche, Gewohn⸗
heiten und Gefinnungen de irikchen Landvolks Miftreh Hall
das beimatliche Leben Irlands. Lentere bat vieleicht das
Meifte über Irland geſchrieben, ſtets aus reinem, w lichen
Herzen und mit voller Kenntniß eines Boiks defien Tugenden
fein eigen und deſſen Lafter Durch zugefügtes Unrecht und Anter-
drückung ihm aufgezwungen worden find. Die Vegeeht von
Miſtreß Hall's Schilderungen iſt in der Form Meiner eſchichten
erſchienen, alle charakteriftiſch und leſenswerth, aber feine einen
ſo hohen Rang anſtrebend und einnehmend wie im jängfter Ro⸗
man: „The whiteboy. A story of Ireland in 1822” (2 Bpe.,
London 1845). Zweck deffelben ir offenbar Darlegung der Man:
gelhaftigkeit in dem moralifchen und politifchen Zuftande Srlants
und der verberblichen Folgen des bisher beobachteten Syſtems, es
durd) Bibel und Bayonnet zu regmeriren. In gewiß wahren aber
ſchmerzlichen Zügen ſtellt die Verf. ein Gemälde auf von den un:
eilsfchwerenRetaftaten eines gefellfchaftlichen Wefens, in welchem
die obern Claſſen durch Meligion, Eitten, Gebräude und
Gefühle ben niedern entgegenftehen umd es zwiſchen Beiden
Bein anderes Band gibt als Interefie auf der einen und Furcht
auf der andern Seite. Died und hundert andere Urſachen
jenes unſeligen Zwieſpalts, der feit lange Irlands Unglück ift,
hat die Verf. furchtlos und beredt auscinandergeſetzt. Sie bat
es mittels einer Erzählung gethan, deren S auplatz in den
romantiſch⸗ſchönen Theilen des füdlichen Irlands und deren
Zeit, obſchon fie nur 23 Jahre zurück liegt, doch ganz geeignet
iſt, die widerſtreitenden Elemente hervorzuheben, aus welchen
damals die fo gefährlichen, aufrührifchen, unter dem Namen
Whiteboys binreihend bekannt gewordenen Verbrüderungen
entftanden, die nur dazu dienten, Das unglüdfiche Rand nod
unglüdlier zu machen. Auch die Erzählung an ſich ift in
hohem Grade anziehend und jede Perfon fcheint eine zu fein,
die wirklich gelebt hat. So insbefondere Mat, ein alter, halb
verrücter, fchägefuchender Schulmeifter; Murtough, der treue,
aber rohe Miihbruder des Häuptlings Lawrence Macarthy,
und Richards, ein vollendeter Böfervicht, weil ein vollendeter
Heuchler, Hoffentlich ein überall und aud in Irland feltener
Ausiwurf des Menſchengeſchlechts. Werner fehlt es nicht an
fräftigen, echt dramatifhen Scenen. So die Mitternacht -
Zufammenkünfte der Verbrüderten, die Berfammlungen auf
den Bergen, das Zreiben und Leben der Führer und der Ge:
führten. Ob Wiſtreß Hall ihre Abſicht erreichen wird, bie in
England bier und da noch regen Vorurtheile wider Irland
mwenigftens gu mindern und die hier und da ebenfo gewiß wachen
Sompathien für bie Schwefterinfel zu einer That zu erheben,
dürfte freilich zweifelhaft fein. Aber mehr als ein Scherflein
bat fie zu der Erreichung beigefteuert.
Die Infel Madeira
In Übereinftimmung mit dem beffeen Theile der engliſchen
Kritik verdient Empfehlung: „The ocean flower. A poem.
Preceded by an historical and descriptivre account of the
Island of Madeira”, von T. M. Hugbes (London 1845).
Driginelle und echt poetifche Gedanken, dichteriſche Sprache,
tiefe ã—n des Lebens und der buͤrgerlichen Geſeilſchaft
und tadelfreie Verfification dürften jedem Fremde der Boefie
dad Büchelchen lieb
Beichreibung von
diefe ſchoͤne Infel.
maden. Nebenbei gilt die zugegebene
Madeira für den beften „Fuͤhrer“ var
Verantwortlicher Herausgeber: Keinrich Wrodpand. — Druck und Beslag von F. SE, Drockhans in Beipzig.
BTäatter
für
literarifde Unterhaltung.
Dienſtag,
6. Januar 1846.
Seydelmann und die deutſche Schaufpielkunft.
( Beſchlus aud Mr. 5.)
Auf Seybelmann’s prager Epoche folgte die kaſſeler, die
darmftäbter, die fluttgarter. Überall exoberte er ſich lang⸗
fam aber gründlich die Hochachtung des Publicums, über-
ad jeboch fehlen er in ſchwachen Nebenſtunden der Ka⸗
bale zu erliegen, fowie fein Körper fchon früh den an-
geftrengten Studien zu erliegen begann. Gr mußte oft
paufiren, Bäder gebrauchen ; feine äußern Berhältniffe
verfielen nicht felten der Häglichften Nothdurft. ein
alfer Art arbeitete unausgeſetzt an feiner reisbaren Seele;
fein Gemüth vergrub fih ſchon früh in fich felbft, fein
heller Werftand, fharf genug um die Dinge an ihren
Edfeiten zu faffen, umflorte fih immer mehr mit dem
Nebelfchleier melancholifcher Laune. Wenn er in feinen
Briefen jene Stäbte fehildert, fo überläuft es uns faft
als hätte er an ungeheuerlihen Einfällen, an gefpenffi-
chen Schredniffen die er ſich vormalt fein Wohlgefallen.
Diefen Schrediniffen der eigenen Einbildung erfag er fo
früh. Sein Leben zerftörte fi, feine Balle dehnte ſich
allzu weit aus, fein Herz batte ben Fehler, daß es zu
groß war. Er hatte in den kegten fünf Jahren feines
Lebens Momente, wo er ſchwermüthig bis zur Todes-
fehnfuht war. As am 17. März 1843 ein Nerven-
Schlag fein ſchweres Leiden beendete, fand man feine or-
ganifchen Fehler auf.
In Stuttgart war Seydbelmann hintereinander neun
Jahre gewefen. Jedenfalls haben fi dort die Grunb-
elemente feines Spiel® am fefteften zufammengefügt.
Nicht dag er bort feinen Geftalten, wie man fi aus-
gedrüdt hat, die objectivfte Fertigkeit gab; an biefer felb-
ftändigen Objectivität feiner Aufgaben und Leiftungen
famen ohnedies Übergriffe zum Vorſchein, wie ich fie
oben vom Standpunkt der Dichtung aus rügte. Bein
Eifer war in Stuttgart, fo feheint es, am blühendften,
feine Arbeit jeder Zeit friſch, feine Phantafie ließ fi)
noch nit von ber Schwerkraft feiner grübelnden For⸗
fung überwältigen. Er war dort auch als Regiffeur
thätig.. Man weiß von feinem gerechten Eifer gegen bas
Rollenmonopel; man erzählt fi, er habe, obſchon ver-
gebens, auf eine zwiefache Lefeprobe gebrungen, weil es
nöthig fei, daß die Schaufpieler, bevor fie an das Er⸗
lernen ber Rollen gingen, dieſe zum gemeinfchaftlichen
Derftäntmi des Stücks erfi noeh im Emfemble felbft
läfen, nachdem der Regiſſeur ihnen das Stud fumma-
rifch mitgetheilt. Geydelmann’s angeblichen Vorſchlag,
die Literatur folle dem Gchaufpieler das Gerippe zu
Stüden liefern, das biefer dann felbft ausführen könne,
hat man fpäter für Zabel erklärt. Ebenſo hat man von
feinem Plane, fih zum Director einer herumreiſenden
Geſellſchaft, die mit nicht umfangsreichem, aber feſtem
und durchgebildetem Repertoire verfchiedenen Städten in
Deutfchland immer etwas Neues bliebe, nachträglich nichts
wiſſen wollen. Es ift zu bebauern, daß fo viel Kennt⸗
niß und Einfiht nicht dauernder und umfänglicher der
Leitung einer großen Bühne zugute fam, daß man ihn
in Berlin nur eben als Schaufpieler, der feinen Part
befam, zu verwenden wußte. Seine Intelligenz reichte
weiter. Er fühlte, daß dem Schaufpielmefen große Re⸗
formen noth thun, foll bie Kunft ber Darftellung nicht
eine Mythe von ehedem werden. Er fühlte fehr lebhaft
mit Eduard Devrient, ber in feiner Schrift über Thea⸗
terfchulen fich zuerft öffentlich über dies Thema aus
fprad, daß „inmitten ber emfigen Sorgfalt für alle
Stände, der Schaufpieler allein es ift der wild auf-
wächſt“. Man richtet dabei natürlich auf Wien und
Berlin feine Blicke, ob es möglich fe, dort Inftitute zu
gründen, bie die Pflanzfchule eines guten Stils würden.
Wo die Sorge für das Schaufpiel wie in Wien fo
rege ift, daß ein ganzes volles Theater. lediglich darauf
verwendet wird, da bringen die verfchiedenen Talente bei
unausgefegtem Zufammenfpiel vielleicht noch lange einen
Gleichtakt und Harmonie heraus. In Berlin fpielt man
feit ange in allen Stilarten und Manieren bunt durch⸗
einander. Zheaterfchulen können Samen für die Zukunft
ftreuen; fie können die große Heerde der Rekruten orga⸗
niſiren. Aber die Bühnen felbft bedürfen einer Drga-
nifation, nicht Küſtner'ſcher Theatergeſetze, fondern der
äftpetifchen Leitung eines Regiffeurs, der felbft kunſtge⸗
recht und literaturfähig if. Man fchien in Berlin el
nen ſolchen in Seybelmann leider nicht zu fehen. Und
fo blieb er auch dort Darauf befchräntt, für feine Perſon
au ſpielen. Große Einzelheiten aber thun dem deutſchen
Schaufpiel jegt weniger noth als tüchtige Enfembles.
Seydelmann blieb immer wieder von allen Seiten
darauf gedrängt, Schaufpieler zu fein. Auch fland bie
Werkſtatt, die er dazu in Bewegung fegte, nie ſtill
Staunenswerth ift die Zahl feiner Verſuche, das Stu-
dium fo verfchiedener Rollen, dem er fich mit gleicher
Frendigkeit unterwarf. Eine Aufjekkhnung feines Rollen⸗
wechſels fegt in Erſtaunen. Im „Wallenftein‘ Fpielte er
—ã in verſchiedenen Epochen den Ottavio, Butt⸗
ler, Gordon; im „Tell“: Attinghauſen, Geßler, Stauf⸗
facher; in „Kabale und Liebe”: Kalb, Wurm, Miller,
Dräfident; im „Fiesco*: Verrina, Mohrz im „König
Johann“: den König und fpäter den Hubert; in „Dienft-
pflicht“: Baruch, nachher Dallner; in den „Spielern”:
Bieutenant Stern, nachher Poſert. Mit dem Wallenftein
trug er fi lange in Gedanken herum. Mir ift es be
greiflich, warum er nicht dazu Fam, ihn zu fpielen. Er
Tonnte der idealen Haltung dieſer Geftalt nicht genug
baare blanke Wirklichkeit, wie er fie brauchte und gab,
Abgereinnen. Den Lear verfuchte.er mehrmals, ſtand
aber davon ab, weil feine Mittel nicht dazu ausreichten,
das Höchfte darin zu leiſten. Hamlet hat er in frühe.
rer Zeit einige Male gefpielt, ihn aber fallen laſſen.
Richard IM. und Jago konnte er im fpätern Tagen nicht
wieder vornehmen. Zu feinem großen Schmerz ; denn
Arbeit war feine Luft, Fleiß fein Stolz, Beſcheidenheit
feine Zierde; das Gefühl des Gewichts feiner Aufgabe
gfich bei ihm einer refigiöfen Scheu und Ehrfurcht. Hier
iſt die Stelle, wo er — unſterblich iſt. Und je leicht.
fertiger Literarifgerfeite für den Thespiskarren gearbeitet
wird, befto bemundernswürbiger mußte ein Schaufpieler
fein, deffen Gewiſſenhaftigkeit ihresgleichen fucht.
F. Guftav Kühne,
Statiſtiſches Jahrbuch für 1845. Herausgegeben von
Karl Auguſt Müller. Leipzig, Hinrichs. 1845.
Gr. 8. 1 Thlr. 20 Ngr.
Die Bedeutung und Wichtigkeit ſtatiſtiſcher Überfichten
und Zabellen wurde wol zu Peiner Zeit allgemeiner anerkannt
als jest. Sind fir auf) ek Biele, die nichts damit anzufan⸗
gen wiſſen, nichts oder wenig mehr als trockene und unfrucht⸗
bare Anhäufungen von Sahlen ; dem Kundigen und Denkenden,
der die Zahlen zu würdigen verfteht, gewähren fie das lebhaf⸗
tefte Intereffe. Aber auch wirklichen praktiſchen Rugen ge:
währen fie in zahlloſen Fällen, und mit Recht fagt der Verf.
‘in der Borrede des vorliegenden Buchs: „Ohne eine immer
weitere Berbreitimg allgemeiner fatiftifher Kenntniffe werden
unfere Beftrebungen in Bezug auf Urproduction, Gewerbe,
Handel, Verkehr nie zu wahrhaft
r
ren, ohne fie wird unfer fo Berti erwachter
Quellen ſtatiſtiſcher —— aͤußerſt fparfam fließen, weil
das die Preſſe ber einzelnen Länder fortwährend zur Kenntnig
des Yublicums bringt, fo bedeutend, daß bie Drdnung, Si: .
tung, Verarbeitung defielben eine ungemein ſchwierige Aufgabe
ift. Sich derfelben zu widmen, iſt jedenfalls ein verdienftliches
Werl, Weil aber dev Werth flatiftifher Ausweiſe für das
geattitge Leben nroßentheil von der Schnelligkeit abhängt,
welcher biefelben zu allgemeiner Kenntniß gelangen, fa
ſcheint es uns -eine ſehr gluͤckliche Idee, im einer jährlich ers-
ſcheinenden fuftematifch geordneten Sammlung das im Laufe
eines Jahres zufammengelommene ftatiftifche Material oder
wenigftens bie Quinteflenz deſſelben zu vereinigen. Sie ift es,
weiche das vorliegende „Gtatiftifche Jahrbuch” ins Leben ge:
rufen hat, das zugleich ein fortgehendes Supplement der „AR:
gemeinen vergl en Handelö» und Gewerbs⸗Geographie und
Statiſtik“ des Freiherrn von Reden bilden foll, welches letztere
Bert den Entſchluß des , feine Autifki Sem
lungen, zu veröffentlihen, überhaupt erft zur Reife gebracht
hat. Ubrigens bezeichnet derfelbe die Ma e, welche er fi
geftellt, naher dahin: „ine klare, umfaffende und möglichft
vollftändige Anſchauung der Eulturverhältnifie der Gegenwart,
namentlih in ben deutſchen Bundesitaaten und in den außer«
deutfihen Ländern Dftreichs umd Preußens, durch eine georbnete
Mittheilung der neueften flatiftifchen Ausweiſe zu vermitteln.”
Segen die Axt felbft, wie der einſichtsvolle Verf. zu Werke
gegangen, laͤßt fi im Ullgemeinen nichts Erhebliches einwen⸗
den. Rur in einem Punkte ift Mef. nicht ganz mit ihm ein⸗
verftanden, nämlich darin, daß bei den aus Zeitfchriften ent:
nommenen Angaben die Quellen in der Regel nicht genannt find.
Der Herausgeber motivirt zwar Died von feinem anfänglichen
Entfchluffe abweichende Werfahren damit, daß feiner Anficht
nad eine blos allgemeine Ungabe, z. B. „Aügemeine Beitung‘',
„Times“ u. ſ. w., völlig zwecklos gewefen, eine ganz fpecielle
dagegen als eine unnöthige Pedanterie erfchienen wäre; doch
will und das Eine fo wenig wie das Andere einleuchten.
Eine allgemeine Angabe würde jedenfalld dem Zwecke genügt
haben, in vielen Faͤllen ein Urtheil über die größere oder ge
ringere Zupsrläffigfeit und Slaubwürbigbeit der mitgeteilten
Rachrichten zu geftatten, vorausgefept, daß die genannte Duelle
die urfprüngliche wäre, und infoer würde fie von nicht ge⸗
ringem Werthe gewefen fein; aber auch eine fpecielle Angabe
um Behuf einer genauen Eontrole der Richtigkeit dürfte man-
em Lefer in einzelnen Fällen wünfchenswerth fein. Amtliche
Veröffentlihungen und Monographien, aus denen etwas ent
nommen wurde, find im Werte genannt; außerdem in der Vor:
rede diejenigen Beitjchriften, welche vorzugsweife benugt wur⸗
den, unter ihnen vor allen das „Journal des öftreichifchen
Lloyd”, „die erfte Handelszeitung der Melt”, als biejenige,
welche ben reichhaltigften ımd intereffanteften Gtoff dargeboten
babe und für die erſte Hälfte des B Sauptquelle gewe⸗
en fei.
ns Buch ift in zwölf Hauptabfchnitte getheilt, welche wir
nachftcehend namhaft machen und tabei nad MWefinden einige
Demerbumgen und nähere Ungaben Bes Inhalts anknüpfen.
I. Lanbwirthfhaft (8. 3— 21). Deutfchland, mit
Ausnahme ſtreichs, erzeugt jaͤhrlich 38 Mill. Scheffel Beten,
125 Min. Scheffel Roggen, 43 Mil. Scheffel Gerfte, 122 Mil.
Sceffel Hafer und die Produckion überfteigt den Bedarf nur
um refp. 6, 6, 1 und 6 Mill. Scheffel. Den gefanumten jahr:
lichen Ertrag bed Weinbaus in Europa fihlägt man au
91 Mil. preußifche Eimer an, wozu Frankreich 40, Hſtre
ftreich (und Preußen
33Y,, Spanien 84, Deutfchland ohne
4Y,, Italien, Siculien und Griechenland 2%,, Portugal I,
die Schweiz Y% MIR. Eimer liefen. Die gefummte Well
ausfuhr der verfähiebenen Länder betrug im nitt der
Jahre 1837-40 68,444,370 Pfund, im Deutfchen erein wird
die Ausfuhr von ber Einfuhr feit mehren Jahren um ein
Bedeutende (1843 um 17,771 Eentner) übertroffen. Die Zuder:
ausfuhr aus den Grgeugungsländern wurde für 1843 auf
19,683,452 Centner, die eeproduction auf 459,000 Erut-
“
, die Kaffereinfuhr auf 154,550 Tonnen, bie Theeautfuhr
> China auf 410, 000 Centner berechnet. Die Theeconfum⸗
tion iſt in Deutſchland noch Jr unbedeutend ; der Zollverein
übrte 1843 nicht mehr als 3703 Bentner ein und gab davon
Geniner wieder ab; England führte 1844 gegen 370,000
Gentner, Frankreich 1842 231,880 Ku. ober 4, Zollcent⸗
ner (1851 nur 87,067 Kil.) ein.
DU. Berg: und Hüttenwefen (8. 21-34). Die Ei-
fenproduction beträgt gegenwärfig in den Zollvereinäftaaten
etwa 3% Mil. Gentner, in DOftreih 3%, Mill. Eentner, in
England und Schottland (446 Hohöfen) 30, in Frankreich 7,
in Nußland 4, in Belgien 2 Mill, in Schweden 1,800,000 Cent⸗
ner; die Gefummtproduction Europas laßt fih auf 52 Mil.
Gentner annehmen. Un Steinkohlen gewinnt England jähr>
us im Durchſchnitt etwa 570 Mil. Eentner, Frankreich (1842)
73 Mill. Boficentner, Belgien 1343 (in 421 Werken) etwa
4 Mil. Zonnen, Preußen 1843 über 14 Mill. Zonnen, Oftreich
1841 gegen 5 Mill. Gentner. Die Salzproduction Europas
wisd auf 44%, Mill. Centner berechnet und übertrifft den Be:
darf um faſt 10 Mill. Centner; obenan ſteht in jener -wieder
Großbritannien mit 8%, Mill. Eentner, dann folgen Frankreich
mut 6,369,000, Spanien mit 6 Mi, Portugal mit faſt 5 Mill,
Hſtreich mit 4%, Mill. Rußland und Polen mit mehr als
4%, Mill., Preußen und die übrigen SBollvereinäftaaten mit
3% Mill. beide Sicilien mit 3 Mill. Centner u. f. w.
IH. Scewerbfleiß (8. 34 — 51). Hier werden zuerft
Angaben über die gefammte Induftrie Sachſens und Dftreichs
mitgetheitt; in erfterm Lande wird der Erzeugungswerth auf
37,695,000, das Anlage» und Betriebscapital auf 42,640,000
Ihlr., die Arbeiterzahl auf 192,510 berechnet s in leyzterm Staate
der Geldwerth der in den größern Fabrikszweigen erzeugten
Induſtrieproducte auf 503,418,000 Ef. E.:M., wozu ber
Bert der Erzeugniffe der Meinern Fabriken und Gewerbe mit
A ,509,000 Gid. kommt, und wovon der relativ größte Betrag,
namlich refp. 110% und 31’ Mid. Std. auf Böhmen, naͤchſtdem
809'/, und 33%, Mill auf die Lombarbei fallen. Dann folgen
Ungaben über einzeine Hauptinduftriezweige, namentlich Die
Pinnen-, Schafwollen» und Baummwellenmanufactur. Ende
5843 ſtellte ſich die Zahl der eriftirenden Peintpindein für
Flahömafchinenfpinnerer auf circa 3,703,000, wovon nur 203,000
auf das europäifche Feſtland Famen. Binnen ſechs Jahren hat
der Deutfche Zollverein durch verminderte Ausfuhr und ver:
mebrte Einfuhr von Gefpinnften und Geweben aus Flache
und Hanf mehr als 214 Procent verloren; mit Rieſenſchritten
ſcheint der gänzliche Berfall bes deutfchen Einnengewebes heran:
qunahen. Auch von der Baummollenmanufacur find zwei
rittel in britiſchen Händen; man rechnet, daß Ende 1844
23,875,0W Bpindeln im Gange waren und barunter nicht
mad als 14 Mid. in Großbritannien, außerdem 3%, Mil.
in Frankreich, 2, Mid. in Nordamerifa, 1, Mil. in
Dftreih u. f. w. Den Geſammwerth der ausgeführten engli-
ſchen Baummollenfabrikate fügt man für 1844 auf 18,823,402
Hf. St. Die geſammten englifchen Fabriken (mit 450,000 Ar:
beitern) führen jährlich für II Mill. PE. St. Waaren aus.
IV. Handel (&.51—13). Im Deutſchen Zollverein be
trug im —— aus den Jahren 1837—41 die jährliche
Einfuhr 165,763,337," die Ausfuhr 168,496,934 Thlr., wobei
auf zollfreie Gegenftände nit Ruͤckſicht genommen ifl. Die
bebeutendften Häfen des Zollvereins find Danzig und Stettin;
der erfte Hafen und Handelöplag des Continents aber. ift
immer Samburg, wo im 3. 1848 die Geſammteinfuhr
171,0%0,000 Beo., die Geſammtausfuhr inländifcher Pro:
Duche und Induftriserzeugniffe I05Y, Mill. Mark Beo. betrug.
Bon erſterer Iommen mehr als i Drittet (168,816,800 ift
jedenfalls ein Druckfehler) auf Artikel, unter denen Baum:
wolle und Baumwollenwaaren obenanftehen; von Icgtern find
mehr als die Hälfte rehe Ptoduete. Bremen, das im Befit
des größten Theild des beutfhen Handels mit Amerika ift, be:
sechnet feine Einfuhr wie feine Ausfuhr für 1840 auf etwa
26 Mil. Mark Mco., wovon über bie Hälfte auf den Handel
mit Nordamerika und faſt ein Viertel auf den Handet mit
Euba kommen. Etwa ebenfo groß ift Lũbecks Einfuhr, die im
3. 1844 dm Werth von 33,814,690 Mark Crt. erreichte.
Ausführlihes wird über Oſtreichs Handel mitgetheift, befon-
ders intereffant aber iſt eine vergleichende Bufammenftellung
bed Verkehrs von Frankteich, dem Zollverein und Oftreich (d.
h. dem allgemeinen öftreichifhen Bollgebiefe) mit- dem Aus»
lande im J. 1842. Hiernach betrug:
der Geſammtverkehr
in Frankreich 734,000,000 Std. Conv.⸗M.
im Zollverein 776,500,000 = a
in OÖſtreich 362,700,000
der geſammte Zollertrag
in Frankreich 54,393, 000 Std. Conv.⸗M.
im Zollverein 33,702,000 = :
in Oſtreich 15,971,00 - :
der Werth der eingeführten und verzollten Waaren
in Frankreich 298,460,000 SI. Eonp.:M.
im Zollverein 373,000,000 - s
in Oftreig 106,859,000 :
ſodaß bie Mefultate der Vergleihung für Oftreich nicht eben
günftig find. Im J. 1843 betrug die Einfuhr in das allge-
meine Öftreichifche Zollgebiet zu Lande über 64, zur See über
47, zufammen über 117 Mill. Gld., die Ausfuhr zu Lande 84Y/,,
zur See über 19°/,, zufammen über 104 Mil. Old. Eine an-
dere intereßante Ueberſicht betrifft eine Vergleihung des Hans
dels von England, Frankreich und den Vereinigten Staaten.
Im jährlihen Durchſchnitt aus den Sahren 1837 —42 betrug
| die Einfuhr
in Frankreich 4001, Mitt. Gld. Eonv.:M.
in England 624%, =: : «
in ben Vereinigten Staaten 268 a
die Ausfuhr
in Frankreich 3821, Mil. Cd. Conv.:M.
in England 10%, =: : s
in den Bereinigten Staaten 251, + = ⸗
Belgiens auswärtiger Handel belief ſich in dem günſtigſten
Sabre 1343 an Ein» und Ausfuhr aufammen auf 516%, Mil.
Francs, faft ein Viertel des Betrags des franzöfiihen Ein»
und Ausfuhrhandele. Für Rußland betrug der Werth der
audgeführten Waaren im J. 1343 über 821), der der einge
führten über 75 Mill. Silberrubel, im S. 1842 aber jener
über 85'/,, diefer über 842/, Mid. Silberrubel.
V. Schiffahrt (8. 131—153). Die Handelöflotten der
europäifchen Staaten laſſen fi geaennirtig auf mehr als
87,000 Fahrzeuge von zufammen 6'/, Mill. Sonnen bereihnen.
Davon kommen auf Großbritannien 23,253 Schiffe von faft
3 Mil. Tonnen, auf Frankreich 13,656 Schiffe von noch nicht
600,000 Zonnen, auf Schweten und Norwegen 9,450 Schiffe
von 471,772 Zonnen, auf Holland 1,195 Schiffe von 275,084
Sonnen, auf beide &icilien 9,174 Schiffe von 213,198 Ton⸗
nen u. f. w., auf Preußen 1,339 Schiffe von 114,656 Laft
oder [oft IW,0UU Tonnen, auf Dfteeih 2,397 Seeſchiffe von
208,591 Tonnen. Die Zahl der Handelsbampfichilfe wird für
die einzelnen Staaten und das 3. 1843 a) berech:
net: England 1146 (worunter 897 Secdampijci e), Wozu
noch 104 Kriegsbampfböte kommen, Frankreich 24, außerdem
105 Kriegsdampfer, ſtreich 54, Rußland 48, Deutfchland ohne
eig 140, Holland 60, Schweden 58, Schweiz 16, Italien
16, Spanien und Portugal I6, Dänemark 12, Türkei und
Griechenland 8, Belgien 5, Ionien 2, ae Tammen 2085
Schiffe von 178,000 Pferdefräften und 120, Sonnen gibe.
Nordamerika befigt oder befaß im gedachten Jahre 111200,
Auftralien 17, Brafilien 10, Merico 6, Agypten 6. Die Ge
fammtzahl aller auf ber ganzen Erde gegenwärtig vorhandenen
Dampff iffe dürfte 3300 erreichen.
VI. Eifenbahnwefen (©. 153 — 164). Hier dienten
als Hauptquellen die „Stuttgarter Eifenbahnzeitung” und die
— —— — —— — — nn —-
24
„Deutſche Allgemeine Zeitung“. Bu wuͤnſchen waͤre, daß bei
den der erſtern entnommenen Daten eine Umrechnung der
Gulden in Thaler ſtattgefunden haͤtte, was freilich einigerma⸗
Ben mühſam, aber hinfichtlich der dritten mitgetheilten Tabelle,
welche Anlagekoſten und Bruttoeinnahme der einzelnen deut⸗
ſchen Bahnen enthält, dann nicht einmal noͤthig geweſen wäre,
wenn der Berf. die in der „‚Deutfchen Allgemeinen Zeitung”
und dem „Polytechnifchen Gentralblatt” enthaltenen fehr zus
verläffigen Tabellen benugt hätte. Angaben über das Poſt⸗
wefen vermißt man ungern.
„ VIE Staatdleben im Allgemeinen (8. 165194).
Die bier mitgetheilten Rachrichten betreffen lediglich die Be⸗
völferungsverhältniffe. Der Verf. bekennt ſich bei diefer Ge⸗
legenbeit zu ber Unfiht von Malthus: „Daß die Zahl ber
Bevölkerung in keinem Staate über die Grenze hinausgehen
Fönne, welche durch die Möglichkeit ihrer Ernährung vorgezeich-
net ſei.“ Die numerifhen Angaben über die „fur England
fo wichtige” Peerſchaft gehören nicht in dieſen Abſchnitt, wo
fie fchmwerlich Jemand fuchen wird; daß der Pairie ihr Platz
zwiſchen den Dienftboten und Irren angewieſen ift, ift ein
böchft feltfames Spiel des Zufalls.
VII. Innere Berwaltung (&. 194—201). Unter
diefer Rubrik follen gelegentlih alle diejenigen Ausweife mit:
getheilt werden, welche die Regierung des Staats im engern
Sinne betreffen; für diesmal begnügt fih der Verf. damit,
dad Armen» und dad Sparkaſſenweſen als zwei in ber gegen-
waͤrtigen Seit befonders ‚wichtige und intereffante Gegenftände
ind Auge zu faflen. Was er darüber mittheilt, ift jedoch ziemlich
dürftig und betrifft größtentheilß außerdeutfche Länder. Wenn
der Verf. den Umftand, daß es, überaus ſchwer ift, eine auch
nur einigermaßen vollftändige Überficht des gegenwärtigen Bu:
jtandes des Armenwefend in Deutfchland zu entwerfen, als
ein großes Glück und als einen Beweis betrachtet, daß es bei
und zwar. Armuth genug, jedoch noch feinen eigentlichen Pau⸗
perismus im Ganzen und Großen gebe, fo mäffen wir offen
geftehen, die Nichtigkeit diefer Argumentation nicht recht ein:
ſehen zu Fönnen. '
IX. Rechtspflege (3. 201— 222). . Das hier Mitge-
theilte. betrifft vorzugöweife das Gefängnißwefen und bie Straf:
rechtöpflege, und zwar in Preußen, Baiern, Würtemberg,
Großhritannien und Irland, Frankreich und den Niederlanden.
x. Staatshaushalt (&. 222—269). In der Einlei:
fung — welche, wie bei jedem Abfchnitte, ſich auf geiftreiche
und anfprechende Weife über allgemeine Gefichtöpuntte ver:
breitet — fpricht fich der Verf. mit Entfchiedenheit gegen das’
Syftem der Schupzölle aus. Sm inzelnen behandelt er bie
Finanzen von Preußen, Baiern, Sachſen, Würtemberg, Braun-
— England, Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Daͤ⸗
nemark, Schweden, Spanien, Griechenland, den Bereinigten
Staaten und ſogar vom — chineſiſchen Reiche.
XI. Kriegsweſen (S. M0—279). In der Einleitung
nimmt der Verf. das Halten flebender Heere und die Eriftenz
eines eigentlihen Kriegerftandes bei derjenigen Eulturftufe,
welche die europäifhen Staaten gegenwärtig einnehmen, aus
Gründen, die wenig Einwendungen zulaffen dürften, in Schug,
obfchon er geftehen muß, daß Die von den deutfchen Staaten
allein feit der Wicderherftellung des Friedens für das Kriegs:
wein aufgemendeten Koften fi auf mindeftens 2000 Mill.
Thlr. belaufen, fpricht fi aber dahin aus, daß das feiner
Vollendung zueilende deutfche Eifenbahnneg die Bertheidigungs:
Eraft des deutfchen Vaterlandes mehr als alle andern dahin
zielenden Ginrichtungen, insbefondere mehr al& der Bau neuer
Bundesfeftungen erhöhen dürfte, eine Anficht, in welcher wir ihm
vollfommen beiftimmen. Die einzelnen Angaben befreffen haupt:
fächlih den Deutfhen Bund und Frankreich.
XII. Der legte Abſchnitt (&. 230307) iſt den Bere
hältniffen der Schule und Kirche gewidmet. Hier fehlt
eine Statiſtik her Univerfitäten nichts aber befcemden muß,
daß der Verf. fih von Erlangen und Roſtock Feine fperiellen
Verantwortlicher Herausgeber: Heinrih Brockhans.
Ausweife zu verfhaffen gewußt Hat, was nicht eben fehr ſchwe
geweſen wäre. Ye elegenheit der —8 PN —
Verzeichniß aller Jeſuitengenerale ſeit Loyola mitgetheilt, das in
einem ſtatiſtiſchen Jahrbuche nicht ganz am rechten Drte ſein
duͤrfte, ſo intereſſant es at vielen Lefern des Buchs fein wird.
Schließlich mag wieberpolt werden, baß der Herausgeber
bes vorliegenden Jahrbuchs mit demfAben ben Freunden der
Statiftit ein fehr werthvolles Geſchenk gemacht Hat, defien
jährliche Wiederholung ihnen in hohem Grade willfommen
. 66,
fein wird. .
Literarifhe Notiz.
Bur Gefdihte der Bulgata.
An einem kryſtallhellen Rovembertage, wie er in diefer
Regenzeit in Rom felten ift, fuhr ic) mit einem deutſchen
Freunde auf der neuen Bia Präneftina gen Labicum. Wir
wollten den links von ber modernen Straße liegenden in
der Gefchichte des alten Latiums fo berühmt gewordenen See
Regillus in feinem dermaligen Buftande fowie feine Umgebuns
gen näher geologifh unterfuhen und der Aufgrabung eines
ürzlih entdeckten antiken Grabmals unweit Bagarolo Geimog:
nen. Unfere Arbeit war abgetban und wir gingen alsbald
nach dem über ben Zrümmern eines villenreichen Cäfareolums
des Eaiferlihen Roms erbauten Bagarolo. Ic erinnerte mid,
dag in dieſem Städtchen dad wegen einer gründlichen und
durchgaͤngigen Verbeſſerung der verderbten Bulgata-Überfegum
der Bibel verfammelte Schlußconcil von dem Oberhirten ve
katholiſchen Kirche gehalten war, au oft gehört zu haben,
daß der Eonciliumfaal ald modernes Sanctuarium odne befon:
dere Erlaubniß feines Eigenthümers, des in Rom lebenden
Fürften Rospiglioft, Riemandem zu betreten geftattet fei. Die
Freundlichkeit des Euftos des Baronatpafaftes machte jedoch
diesmal eine Ausnahme, und ich lernte ein Lapidarmonument
Eennen, welches fuͤr die Gefchichte jener benfwürdigen Arbeit
von Intereſſe ift. Daffelbe wurde weder je vollftändig noch
treu bekannt gemadt. Der regierende Bapft fchrich es bes»
halb nad) der Ausfage des Guftoden, als er zum legten Male
in Bagarolo war, zu feinem Privatgebrauche felbft ab. Die
auf einer großen, der nörblichen almand eingemauerten
Marmottafel eingegrabene Infchrift lautet alfo:
Gregerius XIV. P. M.
De Incorrupta Sucrorum Bibliorum puritate sollicitus
Textum Vulgatae Editionis
Sedente predecessore suo Sisto V.
Tyspis Vaticanis indiligenter exeussum
A pluribus quae irrepserant mendis expurgari'
Pristino nitori restitui curavit
Delectiv in hune scopum
Atque Zagarolum missis clarissimis viris
Bartholomaeo Miranda, Andrea Salvener,
Antonio Agellio, Roberto Bellarmino, Joanne de Valverde,
Lelio Lando, Petro Morino et Angelo Rocca,
Additis etiam doetrina non minus quam diguitate
Eminentissimis Cardinalibus
Marco Antonio Columna et Guillelno Alano,
Qui Pontlficiae obseguentes voluntati
Anno MDEXXXXI !
Communibus collatis animadversianibus et notis
Opus Iusigne
Et Catholicse Religioni maxime salutare
Assiduo sedulogue XIX dierum labore
His ipsis in aedibus perfeoeruut.
Ne tantae ıei notitia alignando periret,
Clemens Dominicus Rospigliosius
Clomentis IX. P. ©. M.
Ex fratre pronepou Zagarolentiam Dax
Monumentum posuit
Anuo Selstis MDOCXXIL. 80.
— Drud und Verlag von FJ. EX. Brockhaus in Retpzig.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Mittwod,
ng —
Arnold Ruge und ſein neueſter Standpunkt.
Es kann gegenwaͤrtig nicht mehr in Abrede geſtellt
werden, daß bie „Halleſchen“, fpäter „Deutfhen Jahr⸗
bũcher“, welche 1338 — 42 erfchierien, in der beutfchen
Journaliſtik Epoche gemacht haben. Das entfchiedene
Felthalten eines beftinmten Principe, die Tebendige und
gründliche Betheiligung an allen wichtigen Fragen der
Wiffenfhaft und des Lebens, die offene und gewandte
Bekämpfung aller jenem Principe und feinen Gonfequen-
zen feindlichen Beftrebungen waren Gigenfchaften, welche
diefer Zeitfchrift auch von ihren entfchiedenften Gegnern
zugeftanden werben mußten. Ging auch die dee zu
dieſer Zeitfchrift von dem für die Wiffenfchaft zu früh
verftorbenen Echtermeyer aus, welcher fie durch die Cha-
rafteriftit der Univerfität Halle auf eine glänzende Weife
eröffnete und eine Zeit lang mit geiftvollen Beiträgen
unterftüste, fo war es doch der kräftigere Ruge, der bie
Streitmittel fammelte und zufammenhielt und der Zeit-
fchrift vorzugsmeife das Gepräge feines gewandten Gei⸗
ſtes aufdrückte. Mit fleigendem Intereſſe nahm ein
immer größerer Theil des intelligenten Yublicums an
dem frifhen und Iebendigen Kampfe Antheil; man
freute ſich über den glänzenden Sieg, der hier über bie
Reackionnaires und Finfterlinge in allen Gebieten des
Wiffene und Lebens erfochten wurde. Dies ift ein
Berdienfl, das Ruge Niemand abiprechen wird; er hat
fi) dadurch einen Namen in unferer Eulturentwidelung
erworben, den auch die Nachwelt dankbar anerkennen
wird. Als er nun aber bie Confequenzen feines Prin-
cips ohne alle Rüdfiht auf die Eigenthümlichkeit und
Berürfniffe des Menfchen, ohne Beachtung feiner natur-
gemäßen Entmwidelung immer weiter verfolgte, als er
mit einem oft brutalen Terrorismus feine und feiner
Genoſſen Anſichten Allen aufbrängen wollte, als die Träf-
tige Sprache ber Zeitfchrift immer roher, immer ver-
Segender wurbe, da wenbeten fich viele von Denen, die
ihn liebgewonnen, wenn auch mit von ihm, doch von
feinen Anfichten ab. Nicht von ihm mendeten fie fich
ab, denn fie mußten die fittlihe Strenge feines Charak⸗
ters, die Ehrlichkeit feiner Gefinnung achten; nur viele
feiner Anfıchten und die Form, in der er fie ausſprach,
wurden ihnen widerwärtig. Da erfihien das Programm
m Nr. 7. nn
7. Sanuar 1846.
Tr tn a nr
— —— — — t — —
nn
| zum SJahrgange 1843. Es wäre gut gewefen, wenn
man ber Zeitfehrift nach diefem Programme ihren Fort-
gang gelaffen hätte Die wiflenfchaftliche Discuſſion
über folche Probleme, wie fie das Programm aufftellte,
folte überhaupt nie durch policeiliche Maßregeln der
Staatögewalt gehindert werben. Denn das Zugefländ-
niß folcher Berechtigung gibt der Staatsgewalt bie
Mittel, jeden Fortfchritt zu hemmen und alle Freiheit
zu vernichten. Aber in dem erwähnten Falle murbe
nicht einmal ber Zweck erreicht, den man beabfichtigte.
Die der Staatsgewalt deftructiv und gefährlich fcheinen-
ben Ideen der von ber Zeitfehrift vertretenen Bewegung
wirkten, infoweit fie zur Exiſtenz berechtigt waren, in
ber Breite und Tiefe immer vegfamer fort; diejenigen
Anfihten aber, welche feine nachhaltigen Wirkungen
äußern konnten, wurden aus Oppofitionsgeift und aus
Sympathie für den Märtyrer feiner Überzeugung länger
feftgehalten ale es ohnebem der Fall geweſen wäre.
Die „Jahrbücher” hatten ihre Miffion erfüllt: fie würden
bie Theilnahme des Publicums fehr bald verloren ha-
ben, ba fie nad jenem Programm ein Ideal praktiſch
machen wollten, welches niemals realifirt werden Eann.
Und fo kam es denn, baf die von Ruge herausgegebenen
„Anekdota“, welche die im legten Sahrgange der Zeit-
fohrift von der Genfur geſtrichenen YAuffäge enthielten,
mit Ausnahme des für die Geſchichte unferer Prefvers
hältniffe intereffanten Auffagee über die Schwierigkeiten,
mit denen die Redaction zu kämpfen gehabt hatte, faft
gar keine Beachtung fanden. Nur etwas war erreicht Durch
jene Maßregeln, was aber in der That nicht hoch an⸗
zufchlagen war. Die Philiſter, welche fich zeither um
die „Zahrbücher nicht bekümmert hatten, fhimpften nun
auf einmal’ beredt auf fie und den Redacteur und fuch-
ten fi durch ihre loyalen Geſinnungen geltend zu ma⸗
chen, und die Egoiſten zogen ſich von ihm zurück, um
nicht mit ihm verketzert zu werden und traten wol gar
jetzt, wo er ſchweigen mußte, mit feiger Entſchloſſenheit
gegen ihn auf. Daß bie ehrenwertben Männer, welche
von Haus aus oder fpäter aus Überzeugung gegen Ruge
und feine Anfichten principiel Oppofition machten, von
jenem charakterloſen Gefindel wohl zu unterſcheiden
find, verfteht fih von felbfl. Sie kommen aber hier
gar nicht in Betracht, weil bie erwähnte Maßregel
der Staatsgewalt auf ihr Urtheil Beinen Einfluß haben
Tonnte.
Es ift ganz natürlich, daß Auge, ber fi als ein
Opfer der damals überall hervortretenden Reaction be
trachten mußte, verbittert wurde, zumal ba feine Appel-
lation an die zweite Kammer vergeblich gemefen war,
indem biefe ihre Sympathien für fiberale Princhpien ihrer
Angft vor ber Verbreitung pantheiftifcher Grundfäge und
ihrem juriftifhen Bewußtfein zum Opfer gebracht hatte.
Ruge verzweifelte an feinem Baterlande, welches er inniglich
geliebt hatte, und fchalt und befchimpfte es gegen feine
Zreunde, was ihm durch die bei ihm jegt ganz feftfigende
e erleichtert wusde, daß Patriotismus eine Schranke
fei, von der man fich losmachen müffe, um zum wahren
Humanismus zu gelangen. Defto mehr erhob er jegt
Frankreich. Diefes Land fei allein fähig, die Kreiheit und
den Humanismus zu gewinzen, nach dem er firebe.
Und fo machte ex ſich auf nach Frankreich mit ber fan-
guinifchen Hoffnung, daß die Franzoſen begeiftert für
die neue Philoſophie, die er predigen wolle, den neuen
Staat ohne Kirche, ohne Militair, ohne Pobel u. f. w.
fofort realifiven würden. Doc die Yrangofen wollten
davon nichts wiſſen und konnten davon nichte verfichen:
für das erfle Heft der neuen Zeitfchrift, welche für jene
Zwecke gefchrieben wurde, hatte trog der Anſtrengung
des Redacteurs Sein Beitrag von einem Franzoſen ge:
wonnen werben können. Sie blieb in Frankreich ganz
unbeachtet und in Deutfchland erregte fie unter Denen,
die fih für Ruge intereſſſrten, das innigfte Bedauern
Darüber, daß ex als Redacteur zum: Theil fo ganz in⸗
haltleeres und ſelbſt ekelhaft gemeines Gewaͤſch in Profa
und Verſen vertreten konnte. Auch hier erzeugte das
firenge Verbot ber Einführung dieſer Zeitſchrift in Deutſch⸗
fand ben Mythus, daß dieſe Maßregel die Anerkennung
jener Zeitſchrift in Deutſchland unmöglich gemacht habe.
In der That aber konnte Ruge froh fein, daß die In⸗
dignation über dieſes erfie Zeugniß feiner Wirkſamkeit
in ber Fremde auf einen kleinen Kreis beſchraänkt blieb.
Die Zeitfchrift mußte eingehen aus Mangel an Theil-
nahme unter den Fran und Deutfchen. Denn hätte
ſie Intereſſe erregen konnen, fo würde fie ſich doch trog
allen Privativmaßregeln fo gut wie jedes anbereswerbotene
Buch den Weg nad Deutſchland gebahnt haben. Sagt
es doch felbft in feiner neueflen Schrift, daß er nur von graf
focialiftifchen Schriftftellern weitere Beiträge Hätte bekommen
können, und von diefen wollte er natürlich nichts wiflen.
Diejenigen nun, welche, wie des unterzeichnete Ref.,
nicht zu ben Anhängern ber Ruge ſchen Philoſophie ge-
hörten, aber ihn als einen tüchtigen Charakter achten
und feine frühern Verdienfte würdigen gelemt hatten,
bofften, es werde, wenn auch feinen philofophifchen und
politiſchen Anſichten im Allgemeinen treubleibend, im
Frankreich über die Franzoſen enttäufcht werden, von
der Geringfchägung feines Landsleute zurisdfemmen und
mit milderm und befonnenem Geiſte die unter ſolchen
Berhältniffen gewonnenen Gindrüde zur mannichfachen
Belehrung und zur Verfländigung mit bem Publicum ver⸗
öffentlichen. In biefer Hoffnung nam Ref. freudig Ruge's
neuefte Schrift vor, muß aber offen geftehen, daß er in fei-
ner Erwartung getäufcht worden if. Denn wenn ſich
auch in dieſem Buche, wie ſich von Auge erwarten laͤßt,
geiftreihe und treffende Bemerkungen und einige recht
hübfche Genrebilder finden, wenn auch die Form meiftend
anziehend genannt werben kann, fo ift doch ber Inhalt
größtentheil® eine breite Auseinanderfegung der befann-
ten Anfihten über die Probleme des Programms des 9.
1843; was aber über franzöfifche Zuftände mitgetheilt
wird, ift fo einfeitig aufgefaßt und mit einer fo blinden
Vorliebe für jenes Wolf dargeftellt, daß man daraus
nicht viel lernen kann. Mef. fürchtet, daß dieſes Bud
vorgefjen werden wird, ehe es bekannt geworden. Und
fo ſcheint es fat, als ob Ruge feine Miſſion bereits er-
füllt habe und für die Gegenwart weiter keine Bedeu⸗
tung gewinnen konne.
Nach diefen allgemeinen Bemerkungen werden wenige
an Ruge's neueſtes Auftreten angelnüpfte Bemerkungen
genügen, das oben ausgefprochene Urtheil zu begründen.
Er bringt uns Mitteilungen aus einem Tage
buche, welche bie Eindrüde von ber erfien Reife ent-
halten, die Ruge allein unternahm, um das Terrain in
Paris zu recognofiren. Waͤre Nuge in den oben cr-
wähnten Beziehungen anders geworben, fo mußte in
dieſen Aufzeihnungen, wenn e wirflih vor laͤngerer
Zeit gefchrieben worden find, Manches mobificirt und
gemildert werden. Dies ift aber nicht der Fall. So
heißt es gleich im zweiten Abfchnitt:
Ale Völker verjüngen fi durch innere Kämpfe, nur das
unferige wird immer Aauter, immer ſchwachkoͤpfiger, immer
engherziger!
Und im dritten Abſchnitt über Nürnberg:
Ic liebe weder unfere rohen Vorfahren noch den Nachlaß
ihrer Roheit. R vereinigt alle Delicatefien unfers
wüften Alterthums; und ich wäre gleich gegangen wie ich
bommen bin, mit zugebrücdten Augen; aber ich finde in dielen
Ruinen einen einfamen Menfchen, der mich ungemein intereffict.
Und nun folgt eine weitläufige Auseinanderfegung
der Verbienfte diefes einfamen Menfchen, des Dr. Pollie
(des befannten Daumer), dem noch eine geoße Zukunft
prophezeit wird. So werden wie bis zum achten Ab⸗
ſchnitt duch Franken und Köln nah Paris geführt,
Hier finden fich einige nette Benrebilder: fonft aber faft
nichts als hoͤchſt fubjective Ginfeitigkeiten, Übertreibun-
gen und — Grobbeiten.
Nun iſt Ruge m Paris. Cr ſchwelgt beim Aublick
ber Stadt, deren Anblick ihn mehr exrhebe als Rom
und Wien; denn da verleite Einem Alles der Gedanke,
dag da nur „Efel” wohnten. Bier in Paris allein
fönnten die Siege und Niederlagen ber Menfchheit ent
fhieden werden, hier würbe, wenn die deutſche Philofo-
phie anerkannt worden, die militairifche und religiöfe
Moheit zerflört und die Kreiheit gewonnen worden. Das
ift ungefähr das Thema, welches im achten Abſchnitt
weitläufig erörtert wird, worin es unter Anderm beißt:
„daß feit Athen und Rom die Gefchichte der Menſchen
eine Gefchichte ihrer Abfurditaͤten gemorben und hie
wieber humaniſirte Weltbewegung erſt mit der franzoͤſi⸗
ſchen Revolution beginne.” Bei folher Roheit der An⸗
fiht ift eine Verſtaͤndigung nicht möglich, eine Belch-
rung nicht zu erwarten! Die nächften Mbfchnitte 9—14
enthalten manche intexeffante Beyrerfungen über die So⸗
daliften und Communiften, mit denen Ruge in Paris
verkehrte. Gabe, Dezamy, Flora Triſtan und Gonfide-
raut werben uns bier vorgeführt. Freilich muß man
auch bier das Intereffante aus der fehr weitſchweifigen
Darfiellung der Unterredungen, welche weitläufig mitge-
teilt werden, und ben Meflesionen darüber berauslefen.
Gine gedrängtere Charakteriflit würbe Allen willlommen
gewefen fein, die ſich über biefe wichtigen Probleme un«
ferer Zeit zu belehren wünfchen. Ruge flimmte befannt-
ih fchon, ehe er nah Paris Fam, mit den Socialiften
und Sommuniften nicht überein. Das genauere Stu⸗
dium ihrer Theorien hat ihn in feines Anſichten beftärkt.
Er ſagt 3. B. fehr treffend:
Wären alle Menſchen paffionirt oder fpectfifch befähigt und
ließe fich diefe fchlummernde Kraft überall mit Sicherheit in
Bewegung fegen, fo wäre der Fourierismus laͤngſt realifirt.
kieße fi der Egoismus und die Eigenthümlichkeit der beſon⸗
dern Raturen befeitigen, fo fände dem Gommunismus nur
noch die Ratur mit ihrer Ausdehnung und Ortöverfchiedenheit
entgegen.
"ie welcher praktiſchen Einſicht urtheilt hier Auge
mit einer praktiſchen Einſicht, die wir ihm in Beurthei⸗
kung feiner eigenen philofophifhen und politifchen Be⸗
firebungen wünfchen möchten! Und Daſſelbe fällt Einem
ein, wenn man fpäter, wo er diefes Thema wieder
aufgenommen bat, liefl:
Ich glaube niht an die Sprünge, in denen bie
wefentlihen Stufen des politifhen Lebens über»
gangen und alle Pramiffen der Gegenwart igno:
tirt werden fönnen.
(Der Berdgus folgt. )
Amerikana.
Erſter Artikel.
it Vorwort von
Dresden, Arnold. 1844.
I. Streif: und ei durch die Bereinigten Staaten Nord⸗
amerifad von erftäder.
T. Bromme. Zwei Bände.
&r. 12.
Bon Wilhelm Griffon. Hamburg,
Perthes⸗Beſſer und Mauke. 1844. Gr. 8. 2 Zhlr.
Friedrich v. Raumer's Werk führt und durch das Rieſen⸗
reich der neuen Melt, indem ber Hiſtoriker, in einem Sturm⸗
fihritt die Entfernungen durchmeſſend, doch mit feinem viel
geprüften Auge Feine Erſcheinung überficht. Uber er fickt,
wie er ſelbſt gefagt, über die Unebenheiten, Riſſe und Unan»
nehmlicpkeiten des Tages und ber Begemmart hinweg, auf bie
großen Züge feiner ihte und Entwichelung, die wie Al⸗
penfirnen am Himmel glänzen bleiben, auch wenn Dänunerung
und Dünfte bie übrige Landſchaft ſchon in Dunkel eingehüllt
Uber Diefe Unebenheiten und Riſſe verlangen ebenfalls
ihr Recht; auch fie gehören dazu, um ein Gemälde vollſtaͤndig
P würdigen Un wigigen, ſarkaſtiſchen und aigrirten Reife:
efreibern unter Englaͤndern, Franzoſen und Deutfchen fehlt
66 bekanntlich nicht, welche nichts als Unannehmlichkeiten em:
pfanden und ihre Galle in Zorn und Satire loßließen, um
nichts als ein Rachtgemälte von Amerika zu liefen. Dan
wundert fi oft, wenn man fie ducchgelefen, wie es mögli
daß bei folder innern Demoralifation ein Volk, ein Land no
beftehen koöͤnne. Daß dem nicht fo ift, oder vielmehr, daß um»
ter dem üppigen ſchwellenden Fleifh ein gefunder Körperbau
ift, mit einem tüchtigen Organismus, der nur anders athmet,
ſchwitzt und verdaut als die Staaten: und Volkskörper des al:
ten Europa, lehrt uns, wer ed nicht ſchon weiß, das Raumer'⸗
fihe Verf. Uber es ift gut, wenn immer zu auch andere un-
parteiiſche Beobachter ihre Beobachtungen im Kleinen mitthei-
len, um die Sache mehr und mehr von allen Seiten zu be-
traten. Wenn Amerika die Hoffnung der Deutſchen noch für
lange Zeiten bleiben fol, Eönnen nicht genug Reifende ihre
Grlebniffe mittheiten. Wohlverftanden nit Zouriften, welche
nur reiften, faben, rochen und hörten, um zu fihreiben, fon:
dern foldhe, welche dahin gingen, in daß Xand der Hoffnung,
fih ernftlih, wenn auch in befchränkten Kreifen, umſahen und
befriedigt oder enttäufcht zurüdkehrten. So gering der Kreis
ihrer Wahrnehmung fei, wie beſchraͤnkt auch das Urtheilsver⸗
mögen, von diefem Standpuntte aus bat die Mittheilung im:
mer einen Werth. Sie Liefert uns das Material, aus dem
wir nun allmälig felbft ein vollftändig genügendes Bild ent:
werfen mögen. Nach den Bildern der Zrollope, denen Mar:
ryat's, Boz' und der vieler Andern, Bonnten wir es nicht. Trotz
der mehren oder mindern Wahrheit ihrer Auffaffung blieb es
eine Caricaturwahrheit, ebenfo entfernt von der wahren Wahr:
heit als die Anpreifung der Auswanderungscomnüiffton Wir
behaupten nicht, daß die uns bier vorliegenden Bücher die rich:
tige Mitte, die wahre Wahrheit enthalten, aber es find fehr
(di are Beiträge, um diefe Kenntniß zu erlangen, denn ihre
Verfaffer ftudirten das amerikaniſche Leben durch Sabre und
im Schweiß ihres Angefichts; fe faben, hörten, empfanden
mit deutfhen Organen, und ihr Urtheil ift das faßliche bes
gefunden Menfchenverftandes, wie e8 unferer Nation zugetheilt
ward. Mas jie nach harten Prüfungen gut fanden, wird gut
kin was fie nad fo vielfach getäufhten Hoffnungen ſchlecht
anden, dürfte auch für Andere ſich als untauglich ermeifen.
Doch fie felbft find wieder in ihren Standpunkten weit von:
einander getrennt, ja fie gingen von ganz verſchiedenen Aus:
ſichten an ihr Werk, fie ergänzen fich deshalb in ihren Erfah:
rungen, und wo fie zufammen fHimmen, dürfte man die Wahr:
beit als ermittelt annehmen, von der wir oben fpradgen.
Hm. F. Serftäder's Buch tft ein ganz eigenthümliches.
Ein Leer Bann es durchblättern, beifeite werfen und fagen:
Wozu wurde es geſchrieben! Und er hat recht. Ein anderer
kann es durchlefen mit fleigendem Vergnügen, und am Ende
fagen: Ich las noch Bein Buch, weldes mich fo wie diefes in
die neue Melt eingeführt hat, ich bedaure, Daß es nicht noch
weiter gebt. Und cr bat auch recht. Mit gleicher Ingenuity
(wir haben noch Bein Wort dafür, welches ganz Daflelbe aus
drückte) iſt wol noch Bein Deusfcher in die neue Welt gegogen
und hat ſich mit gleicher Harm⸗ und Iwedlofigkit dort ums»
etrieben; und wenn es der Kal war, hat keiner mit folder
* ſich gehen laſſen, zu beſchreiben, wie er ſich gehen
ieß. Aus den zwei Millionen Deutſchen, wie fein Vorredner
agt, oder den fünf Millionen unferer Randöleute, Die Raumer
eits angeficdelt fein Laßt, hat fich Eeiner mit fo viel Lebens-
poefie, ohne Anſpruͤche auf Poefie, dort umbergetrieben, und
bat uns dabei als Frucht diefes früchtelofen Lebens fo viele
Einblide in das Vagabundenleben der Backwoodsmen geſchenkt.
Mit Recht ſagt fein Borrebner, dag die Perſonlichkeit und Auf⸗
ungögabe bed Verf. feinen Erlebniſſen einen fo eigenthüm⸗
en Reiz gegeben, daß man unwillkuͤrlich fortgeriften wird,
mit ihm Lebt, wandert, leidet und unvermerkt fo in die Sitten
der Bevölßerung eingeführt wird, daß man darauf und daran
ift, zu glauben, Alles ſelbſt mit erlebt und felbft mit empfun-
den zu Baben. Liebe zur Freihtit und Unabhängigkeit, d. 5
zu der, welche, wenn nicht Raturverehrung und fittliche Kraft
zum Grunde liegen, zum. Bagabundenleben führte, trieb ihn
aus Europa in die neue Welt. Er treibt fi umber, von
Reuyork, an den nördlichen Seen, bis durch alle weitlichen
Miffiffippiftaaten nach Luiſiana und Reuorleane, ftreifend und
jagend, ein deutfcher Zrapper, im vollſten amerifanifchen Binne,
und bisweilen nicht viel von den Indianern verfchieden, mit
Denen oder der vollfommenen Einſamkeit er wochenlang allein
umgeht. Mit Büchfe, Jagdtafche und der nothdürftigften Klei-
dung wagt er fi in die Urwaͤlder, Prairien und Wildniffe,
drängt fich durch das Dickicht der Wälder, durch Moräfte, über
Flüffe und Felsſpalten, immer nur auf den Genuß aus — ſich
den Unterhalt für den Tag, boͤchſtens für Morgen zu erwer:
ben. Seine Ausdauer ift bewundernswürdig, im Glüd wie |.
im Unglüd: wenn er tagelang unter feinem felbft gezimmerten
Gerüfte Fauernd, auf welchem oben cin verraͤtheriſches Wacht:
feuer brennt, den angelodten Dirfchen uuflauert und oft wo⸗
chenlang vergebens; wenn er, von Allem entblößt, regneriſche
Naͤchte unter feiner zerriffenen Dede im Freien fehläft, von
Kälte und Hunger flarrend, ohne Zroft, ohne Ausficht für den
folgenden Zag; wenn er völlig zerriffen, der Racktheit ent-
gegenfchend — denn von den europäiichen Kleidungsftüsten iſt
eine Spur übrig — darauf audgeht, fih ein neues Kleid zu
fhaffen. Er kauft es nicht, er webt, er firidit es nicht; er
muß e8 ſchießen. Auch das ift nicht fo leicht gethan. Es koſtet Wo⸗
hen bis er fo viel Hirfche erlegt hat, um aus ihren Kellen
ein Hemde zu erhalten. Auch die Präparation koſtet neue
Wochen, daB Serben, Raͤuchern, Kochen, Einfalzen, bis es zum
Zufchneiden und Nähen kommt. Unwillkuͤrlich kommt und im:
mer der Spruch in den Sinn: Wie viele Arbeit um ein Lei:
chentuch! Und dazu gar Beinen Gedanken als an bad Nächte!
Woher der Muth, fragen wir und? Wenn er in die Bären»
hoͤhlen Priecht, dem angefchoflenen arimmigen Ihiere dad Mef:
fer in die Weichen fticht, den Freund neben fi vor den Lagen
des Bären zerriffen, ihn, die Hunde in bie Luft gefchleudert
fieht, fich feldft verwundet fühlt, wenn er allein, in der ge:
— Wüfte, in die hinterwaͤldleriſchen Schlaͤgereien und
Rordfcenen fich ftürzt, ed ift nicht diefer Muth, der uns be:
fremdet, aber der moralifde Muth, der Zuftand, die Erinne-
rungen der Bildung hinter ih, fo auf die Dauer in Entbeh:
zungen fhwelgend, fih weiter und weiter in daB Nichtsthun
hineinzuftürgen und allen Lockungen eines geordneten Lebens,
einer Niederlaffung, die ihm oft angeboten wird, zu wider:
ftehen. Daß der Verf. nicht jeden Zag feine Erlebniffe nieder:
ſchrieb, verfteht ſich von felbft, daß er aber bei diefem entbeh:
renden Leben allüberall noch im Stande war, dann und wann
die Feder zu ergreifen, um Notizen zu machen, ift bemerkens⸗
wertb genug. Seine Reflerionen find natürlich erft fpäter
aufnotirt, Doch entſprechen fie in ihrer Natürlichkeit den Situa⸗
tionen, in denen er fih befand. Merkwürbdiger tft noch, daß
man, trog der Monotonie der Erlebniffe, tropßdem daß er
durchaus nicht auf Spannung ausgeht, doch mit gefpanntem
SIntereffe von Seite zu Seite lief. Das gilt befonderd von
feinen Schidfalen in den Dzarfgebirgen und am Miffiffippi.
Der Verf. ift indeß weit davon entfernt, durch fein Beiſpiel
feine Landsleute zue Nachfolge aufmuntern zu wollen, Der
Landmann dort Bann, fagt er, bei harter Arbeit, fehneller ein
Eigentbum erwerben ald im alten Europa, er entbehrt dafür
ober auch Alles, woran fein Herz in der Heimat hing, und
nit Alle find ſtarken Herzend genug diefe Entbehrungen zu
ertragen. Der Jagdliebhaber aber, dem alle diefe Fata fo in:
tereflant vorfämen, daB er aucd nach Weften ziehen und Glei-
ches erteben möchte, folle bedenken, daß dieſe Entbehrungen und
Beichwerden zwar recht fchön in der Erinnerung, in der wirf:
chen Eriftenz aber nichts weniger als romantiſch wären.
brigens nehme die Jagd in den Vereinigten Staaten reißend
ab, da ein wahrer Bertilgungsfrieg gegen Hirfche und Bären
geführt werde; vielleicht chen in In? Sahren werde man kei:
nen Hirfch finden, und um die Fährte eines Bären zu finden,
erde man nech früher biß in bie Mody Mountains zu fleigen
en. '
(Der Beſchluß folgt.)
s
Literarifhe Notizen aus Frankreich.
‚ Berpältniß der Polen zu Frankreich.
Die Polen haben es fi Tange Zeit hindurch zur großen
Ehre angerechnet, daß man fie die Franzoſen des Nordens
— It Sie haben in diefer Bezeichnung eine ſchmeichel⸗
afte Beſtaͤtigung davon gefeben, daß ihre Sitten ſich durch
Feinheit und Gewandtheit vor denen ihrer Nachbarn aus
eichnen. Ob es aber wirklich ihnen zum Ruhme gereicht, daß
he fi) zu blinden Affen der Franzoſen gemacht Haben, laſſen
wir fuͤglich dahingeſtellt. Nur fo viel ſteht feſt, daß in dieſer
Leichtigkeit, mit der fie ſich Du eigenen Rationalität entäußern
Eonnten, zugleich Der Keim ihres eigenen Verderbens und ihres
politifhen Todes lag. Wir finden dieſe Anficht auf eine geift-
veihe Weiſe und mit einer Menge einzelner pofitiver Rach-
weifungen und Belege in folgender Flugſchrift durchgeführt:
„Metamorphoge des Polonais en Frangais du Nord ou ia
decadence de la Pologne“ von Brot Graeniama: Potock,
welche vor Euszem zu Bruͤſſel erfchienen ift. Der Bart. zeigt
bier ben ſtets jleigenden Einfluß Frankreichs auf die poinifchen
Berhaͤltniſſe, ber mit dem Wugenblide beginnt, wo Marie von
Revers ald Gemahlin von Ladislam Sigismund (1045) ihren
Einzug in Warſchau hält. Bon dieſer Zeit an gewinnen fran-
zönfche Sitte, franzöfifhe Moden und franzöfifche Sprache
immer mehr und mehr die Oberhand." Ratürlich werden durch
diefe fremden Elemente, welche allmälig alle Kreife ber
Gefelfchaft durchdringen, die Keime der eigenen Rationalität
beeinträchtigt und erſtickt, bis endlich die Polen thörtkht genug
find, ihre ganze Eriftenz mit dem Schickſal Frankreichs aufe
engfte zu verfmüpfen. Der Verf. verräth. in feiner Darftellun
zuweilen eine fo große Bitterfeit und Schärfe, -daß man fat
auf den Gedanken kommt, es fei dies ein fatirijches Zeitbild,
welches entworfen wäre, um den Polen ihre eigene Nichtigkeit
vor Augen zu fiellen.
Neligiöfe Dihtungen.
Die ſüßſchwärmeriſchen „Meditations religieuses’’ von La-
martine klingen in den meiften franzöfifchen religiöfen Dichtungen,
mit denen wir feit einiger Zeit förmlich uͤberſchwemmt werden, nur
allzu deutlih dur. Der Schwan von Mäcon, wie Herr La⸗
martine von feinen Berehrern wol benamjet wird, zieht auf
dem See der franzöfifchen Poefie lange Furchen nach fi, und
faft alle elegifhen Dichter der Gegenwart fchwimmen in feinem
Gefolge. Unter den zahllofen poetifhen Productionen, welche
zu jeder Jahreszeit auf dad unachtſame Publicum — es ift ja
mit ganz andern Dingen als mit Verſen befchäftigt! — her:
niederregnen, wollen wir nur die „Poésies religieuses” des
jungen Dichters Alfred Meitheurat hervorheben. Freilich ſteht
derfelbe gleichfalls unter dem Cinflufie der Lamartine’fchen
Mufe; aber wenn er auch im Allgemeinen den Zon anftimmt,
der ſich durch die „Méditations hindurchzieht, fo geht ihm
doch wenigftens ein gewilfer dichterifcher — nicht ab. In
der Form bleibt freilich noch Manches zu feilen und zu beſſern;
aber dies iſt ja auch gerade die ſchwache Seite feines bewun—
derten Borbildes, bei dem die zarteften, veinften Gedanken oft im
ſchmuzigen, nachläffigen, zerrifienen Gewande auftreten. Bei
Lamartine entichädigt indeflen der tiefere Gehalt, die Drigina-
lität der Gedanken, die Unmittelbarkeit des Bildes für dieſe
äußern Flecken und Makel. Aber feine Nachtreter dürfen fich
ähnliche Nachläffigkeiten nicht erlauben. An ihnen ift es, fich
das wirkliche Gute, was an ihrem Meifter ift, zu eigen zu
machen, es felbftändig und geiftig zu verarbeiten, und die Feb:
ler, über die man beim Borbilde geneigter ift hinwegzuſchen,
durch forgfältigere Geftaltung der Gedanken zu vermeiden.
17.
Verantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brockkaus. — TDrud und Verlag von F. X. Srockhans in Leipzig.
—— — — — —
Pa
Blätter
für
literarifde Unterhaltung.
Donnerötag,
— N. 8.
8. Januar 1846,
Arnold Ruge und fein neueſter Standpunkt.
(Beiäluf aus Nr. 7.)
Im funfjehnten Abſchnitte finden wir die befannte
Geſchichte der angeblichen Verſuche ber alliance intel-
lectuelle mit Frankteich durch die projectirte Zeitfchrift
> ausführlicher mitgetheilt. Das Journal „Vorwärts“, von
dem fih Ruge fehr bald zurüdzog, wird dabei mit
Recht fireng gerichtet. Bei diefer Gelegenheit ift
Ruge mit Heine in nähern Verkehr gelommen. Er
fagt von ihm:
Unter den Deutihen in Paris pi ‚Heine zu den ta
Ientooliften. Gr hat einen fihern Takt für das befreiende Ele⸗
lement einer philoſophiſchen Richtung, ohne eben ein tieferes Stu⸗
dium dataus zu machen. Profaife kann er deshalb ı ⸗ .
balsig, wirten, in feinen Poefien dagegen ift er nad B
der freifte Deutfche (). Allerdings vergreift ı ı
und wieder, weil er von Feſſeln befreien will, die ı .
nicht abgeworfen werden koͤnnen. Keine Zorm 1 0
braucht nöthiger die Feinheit und Decenz als die ül B
Satire; man verzeiht ihr jeben Übermuth, wenn fie ih... —.. —..:
— ausübt, und wendet fih gegen fie, ſobald fie die Form
verlegt.
Das find größtentheild ganz treffende Worte: nur
fehlt Hier und noch mehr an einer fpdtern Stelle,
wo bie Mpologie Heine's noch weiter geht und feine
Prätenfion, ein Ariftophanes zu fein, als berechtigt an«
erkannt wird, die Angabe Deffen, was Deine vor Allem
abgeht, mas jede nachhaltige Wirkfamkeit unmöglich
macht; es fehlt ihm alle Gefinnung, alle Liebe, und ein
ſolcher Menſch darf ſich nicht mit Ariſtophanes verglei-
chen. Hier hat ſich Ruge, der wahrlich an fo liederli-
cher Geſinnung keine Freude findet, von dem gewandten
Geiſte und von den politiſchen Witen Heine's wider
fein beſſeres Gefühl einnehmen laſſen.
In den darauf folgenden Abſchnitten bis mit 21 wer:
den Lamennais, Louis Blanc, Victor Schölcher, Ledru ⸗
Rollin und die demokratiſche Partei, die uͤberall wirkfa-
men Gelüfte und Beſtrebungen der Reaction und ein⸗
zelne Beriehungen des Jugend» und Volkslebens be
rohen. Hierin findet ſich vieles Intereffante, aber es
würde noch weit intereffanter fein, wenn es weniger
ſubjectiv/ weniger einfeitig von und für den eigenthäm-
lien Standpunkt des Beobachter aufgefaßt und.dar-
geſtellt wäre. Auch das Ustheil Blanc’s über einen Auf ·
ſat Ruge's, das er felbft mittheilt und ſich zu Herzen
genommen zu haben verfichert: C’est trop serieux et
infiniment long, fann auf mande diefer Mittheilungen
angewendet werben. Seltſam ift es, daß Ruge an al«
len den religiöfen Bedürfniffen ber Franzoſen, an „all
dem nationalen und religiöfen Nebelmefen der vorgerüd-
tefien Männer“, an allen ben piquanten @elüften und
Erfolgen der Reaction in Paris fo wenig Anftoß nimmt.
Aber was thut es, daß ihnen „die logifche Arbeit der Be-
feeiung” fehlt, die ben Deutfchen zugeftanden wird, was
thut es, daß’ „der ganze franzöfiiche Geiſt noch in den
Feſſeln des Patriotismus und Katholicismus” ift, wie
Ruge felbft zugefteht, es verſteht ſich von felbft, dag fie
par excellence liebenswürbig find, daß fie allein fähig find,
ſobald fie die Reſultate jener logiſchen Befreiung werben
angenommen haben, bie ganze Welt zu befreien. Ja
felbft der trogige Freiheitsſinn der dienenden Sur das
muthwillige Selbftgefühl der Schüler wird mit Seiten-
biiden auf den angeblich in Deutfehland herrſchenden
Stlavenſinn in Haus und Schule gepriefen, und bie
ſchamloſen Orgien der großen Oper follen nur noch eine
abſichtliche Traveſtirung der Maskerade fein, keine Be-
tuftigungen mehr, an denen man noch wirklich Antheil
nimmt. Bei folher Einfeitigeit der Auffaffung, bei
dem Streben, die Deutfchen überall zu verkleinern, de
nen fogar zugemuthet wird, ihre ganze Geſchichte zu
negiren, wird man verſtimmt und kann an manden
Schilderungen aus bem parifer Volksleben, mo es
ſich wirklich von der liebenswürbigften Seite zeigt, faum
Freude finden.
Im legten der oben zufammengefaßten Abſchnitte
kommt Ruge noch einmal auf bie focialiftifchen Beftre-
dungen in Paris zurüc und Eritifirt fehr fharf den fa-
natifchen Communismus ber Deutfchen In der Schweiz.
Diefe Kritik fehliege er mit den ſchönen Worten, bie
Ref. gern hier anführt, um die Philiſter ſchamroth zu
machen, die Ruge in ihrer Teidenfchaftlihen Bornirtheit
eommuniftifche Tendenzen untergefhoben haben:
Die freie Liebe (wie fie jene Cemmuniften wollen) bat
nichts erlebt und nie geliebt. Liebe bindet, ſchon der
Bit des Auges nüpft die geiftigen Ketten, und vollends der
Kuß macht leibeigen. Was id nur habe, um es wegzuwerfen,
wen ich nicht mit ganzer Seele angehöre, das lieb’ ich nicht.
Die einzige Freiheit der Liebe, von Ge die Rede fein Bann, iſt
‘
*
i en ineinander; ein Gegenſatz gegen die @he i
Kent. a eltern der Bra HR dem — N
Liebe beweift nichts, wenigftens nicht mehr als die Thatſache,
daß die Liebe als Ehe und nur ald Ehe wirklich und wahr«
Haft eriftirt. .
- Die Befhreibung ber Fahrt in bie Touraine (Ab⸗
ſchnitt 22) iſt jedenfalls eine der anzleheundſten Partien
des Buche. Hier find frifche Eindrüde aus der Natur
und dem Menfchenleben anmuthig wiedergegeben und
man wirb wenig durch rohe Außerungen geflört, wie
wo Der, welcher ein altes Raubneft, d. b. eine fehon
gelegene Ruine wiederherſtellt, ein Näuber von In—⸗
ſtinct und Liebhaberei genannt wird, Ref. könnte
bier Vieles hervorheben, was fehr hübſch if. Als auf
der Loire ein edler JAger dariiber wüthend wurde, und
mit der Flinte drohte, daß man, ald er das Dampfboot
verlaffen, feinen Hund ins Waſſer gefloßen, der ihm
ruͤſtig nachgeſchwommen war, rief ein Matrofe: „Ce:
bougre d'aristocrate, il estime mieux son chien. qu’un
chretien.“ Nuge bemerkt dabei: „Halb dachte er im
Stile der Revolution, halb in bem der Vendee, auf bie
wir zufteuerten. .
Doch in der guten Stimmung kann man nicht lange
bleiben. In den beiden folgenden Abſchnitten, worin
die Rückkehr nad Paris und die bort gemachten wei-
tern Erfahrungen befchrieben werben, finden fich wieder
die früher erwähnten Berkebrtbeiten in Menge. . Da
heißt es von der franzöfifchen Sprache:
Die Sprache der freiften und humanſten Sterblichen, bie
einzige, die jegt für unfere innigften Herzenswuͤnſche mit Rad
drud laut wird, dieſe Sprache, der Schrecken unferer Feinde,
wenn fie ihren Ton erhebt, fie fpricht Jedem zu Herzen, der es
empfindet, daß die deutſche Zunge despotifirt, gefnebelt und
entehrt, daß ihr Born ehnmädhtig, ihre ——— ein Kin⸗
derſpott, ihre Weisheit die Rede eines Gefangenen, und ihr
einziger Nachdruck die Willensmeinung unferer Kerfermeis
fter if. ®)
Oder bie Frage:
War ürzt jetzt eine ſolche Flut von niederträchtigen
Literaten in as che Bett of —2 Preſſe? Bei er
Drud die Gedanken vertilgt und die wenigen Denker, die ſich
gerettet, es verfaumt haben, den Grazien zu epfern.
Weiterhin wundert er fich, |
daß bie rohſten Raturfnollen, wie das teutonifche Gefchlecht
von Anno „frifih, frei, fröhlich, Fromm” als Göhterbilder in
die deutfche Ruhmeshalle Fommen,
und macht ſich über bie ſchleswig⸗ holfteinifchen ſchwarz⸗
rothgoldenen Brubergefühle in Würzburg Iuflig.
Intereflant find einige Bemerkungen in ben legten
Abſchnitten. Zudwig Philipp fol einen unterirdifchen
Gong aus ben Zuilerien nah den Champs diiftes
haben machen leſſen, um: fich nöthigenfalls in bie Forts
zu retten. Sehr betrübend iſt, was Muge von ber be
kannten Ausweiſungégeſchichte erzählt. Während ber
Fähftfche Gefandte, der natürliche Vertreter feiner Lands⸗
leute, im haͤrteſten Winter nicht einmal einen längern
So fol Jacoby's Sckift: „Das koͤnigliche Wort Friedrich
Wipelm’s IV.” in der franzößfdien Überfegung durch bie Gigenthüm:
lichkeit ber Sprache an Schärfe und Nachdruck gewonnen haben.
ſächſiſcher Gelehrter,
“univerfität beglaubigte, von feiner
Aufſchub der zu vollftredenden Entfernung von Paris
erringen konnte, gelang es dem confervativen Deputir-
ten Hunoldſtein, fogleih die Rüdnahme der ganzen
Maßregel zu erwirken. Ref. erinnert ſich dabei, welche
Freude es den Franzeſen machte, daß ein bekannter
der ſich als Profeffor der Landeß
Geſandſchaft nicht
einmal die gewoͤhnliche Bürgſchaft zum Leihen von Bü-
ern der parifer Bibliothek erhalten fonnte, weil er fi
fein befonderes Empfehlungsfchreiben vom fächfifchen
Dinifterium des Auswärtigen hatte geben Taffen!
Bei dem Abfchiebe von Paris deutet Ruge auf
die jegige veliglöfe und politiſche Bewegung in Deutſch⸗
land Hin und ſpricht darüber milder und anerken⸗
nender als man erwarten ſollte. Er findet ſogar, daß
ſich die franzöſiſche Wirklichkeit und deutſche Möglich:
keit immer näher rüden, je tiefer bie Emancipation
nah unten greife — ein Urtheil, welches nad an-
bern Bemerkungen über die Unfähigkeit ber Deutfchen
zur. Freiheit auffallen muß, aber zu der Hoffnung be-
rechtigt, daß bie Schule in Paris für ihn doch nicht
ganz verloren gewefen fei. n
Noch weiterhin gibt er unter der Uberfchrift „Unſere
legten zehn Jahre”, zunächft mit einer Zufchrift an einen
Sranzofen, welcher die Devife aufftellt: „Pour delivrer
ia France, il faut la -dechristianiser”, die Memoiren
der deutfhen Philofophie unferer Zeit, wie fie Ruge
mit erlebt bat. Sie find klar und gut geſchrieben, ent-
halten aber nicht viel Neues. inzeine Bemerkungen
ſind auch bier treffend, das Ganze aber iſt fir Den,
welcher nicht auf Ruge's Standpunkt nk nicht recht
genießbar. Auch hier wird die deutfche Geſchichte vollig
‚negirt; „mit dem Scheitern ber Bauernkriege babe der
deutſche Proteſtantismus feinen thatkräftigen Herzſchlag
verloren, ſeitdem ſeien alle Menſchen zu Moͤnchen in
ber Gemeinde ber Heiligen, zu Spießbuͤrgern im Leben
und zu Theologen in ber Wiffenfchaft geworden, das
proteflantifche Deutſchland mit alten feinen Inſtitutionen
fei ein Machwerk der Theologen." Strauß, Brum
Bauer und Feuerbach werden fritifirt, wie @iner ben
Andern glänzend vernichtet habe, aber ſeltfam ift doch,
daß die Wirkungen ber Beſtrebungen dieſer Männer
immer ſchwaͤcher wurden. Strauß erregte viel Intereffe,
weniger Bauer und noch weniger Feuerbach. Run frei-
lich der Grund Tiegt in ber philofophifchen Roheit der
dummen Deutfchen! Aber Feuerbach ift auch ſchon über-
holt. Stirner in feinem Buche: „Der Einzige und fein
Eigenthum“ nennt Feuerbach einen Pfaffen, da er im-
mer noch einen Bögen, bie Liebe zum Menſchen, pre-
bige, dieſe Meligion müffe durch Egoismus vernichtet
werden u. f. w. Ruge beſpricht biefe Stirner'ſche Kri⸗
tit. C'est infiniment long! Hierauf folgen Briefe
und Jourmalauffäge, bie zum Theil fihon bekannt
find. Den meiften Werth haben bie bekannten Auf.
füge über Echtermeyer aus der „Manheimer Abend-
zeitung” und an einen leinziger Patrioten, gefchrieben in
Paris am 18. Det. 1844. Ref. Hatte fie ſchon früher
31
geleſen und ſich daraus Illuſienen gemacht, bie leider
nach der Lection des Buchs geſchwunden find. An
einigen Stellen ber andern oben erwähnten Xuffäge
wird Fichte's nationale Befchränktheit in feinen „Reben
an die deutfche Nation” und Gervinus’ Fleiß, mit bem
er „die gräulichen Jahrhunderte ber deutſchen Poeſie
abgefeſſen haben“, bejammert, er wird dabei „ber ehr-
wirbige padex poeseos teutonicae’ genannt! Auch
freut ſich Ruge über Heine's liebenswürdige Vermenſch⸗
lchung der kiffhaͤuſer Schnurre und möchte ganz Alt⸗
deutfhland auf diefe Weiſe humaniſiren.
Doch Ref. tft müde geworben und überläßt die Kris
tit der naͤchſtfolgenden Abhandlung „Der Patriotis⸗
mus’ den Lefern. Diefe Abhandlung foll gut fein, we-
ſtens ward fie in einer kurzen Anzeige bes Ruge'fchen
Buchs in der „Manheimer Abendzeitung“, die keine Lob⸗
hudelei war, befonders hervorgehoben. Den Schluß ma-
chen zwei Auffäge von Cormenin, von melden der über
Thiers intereffant iſt.
Als ein Curioſum erwähnt Ref. noch „en Stück
Revolution”, einen Operntext „Spartaceus“, ben Ruge
gemacht hat. Sollte er einen Komponiften finden und
etwa in Paris aufgeführt werden, fo müffen fi) dort
die von Spartacus an die Germanen gerichteten Worte
fehr gut machen:
Du ſollſt auf ein Jahrtauſend Hin
Für jede Knechtſchaft fechten,
Und nie den faulen Sklavenfinn
Erheben zu dem Rechten!
Bon Pfaffen und von Herr'n gebeugt
Sn Schmach verendet, wie gezeugt,
Solift du zulegt der Sklaven Sklave fein, —
Dies Roos iſt dein! —
Das tt — Patriotisnus!! K. ©. Belbig.
Amerikana.
Erſter Artikel.
Beſchluß aus Nr. T. J
. Er fand nit was er fuchtes redlich arbeitend, Den
Garne. EB iR enmmithigemd ya Tefen, mie ein gebihetee
ältniffe. en igend zu Tefen, wie ein 9
Deutfher, ein Offizier und Edelmann, trog ber eifrigſten Sorg⸗
fott, nirgend m
Stelle findet, wo er feinen Kräften, feiner Bildung, feinem
Stande gemaß wirken, wo er durch feine Kenntniffe und Thä⸗
Kateit nur Brot erhalten kann. Er laͤßt nichts unverſucht,
fein Schieffal bewahrt aufs neue die oft ausgefpredhene
Erfahrung, daß, welcher Europäer in Amerika fortfommen
will, es nur durch völlige Veränderung feines Berufs Bann.
Er verfucht den Handel zu treiben; die Ehrkichkeit des Deut
figen kommt gegen bie —— Schlauheit nicht auf. Er
muß den Berciter, Kunſtreiter, Billetteur beim Theater, ben
Kellner ſpielen. Aber auch in allen dieſen Poſten laͤchelt ihm nicht
das Sluck. Endlich wird er texraniſcher Bürger und Lond⸗
eigenthümer, wodurch? Die Ironie ſeines Schickfals will den
Erfahrungsſatz vollſtaͤndig machen. Er erhielt Barger⸗ und
em unermeßlichen Lande einen Platz, eine | aß
Befitzrecht, weil ex zur Zeit des mericmifchen Einfalls ‚mit den
Undern aus Texas entfloben war. Die Art wie es geſchch
und unter ben obroaltenden Umftänben thut feiner Ehre als
Mann und Militair durchaus keinen Eintrag.‘ Er konnte un:
ter diefen verwilderten Banden Beinen Ordnungsfinn hervor⸗
bringen, und wurde vom Strome mitgeriffen, wo es eine Thor?
heit gewefen wäre, zurüdzubleiden und für eine Sache fi
zum Vertheidiger aufzubrängen welche nicht die feine war. Xber
das fataliſtiſche Factum bleibt doch beftehen, daß es ihm wo
er es verdiente. nirgend geang und wo er es nicht verdiente
word ihm im Proceß durch doocatengefchi@figkeit ein Recht
zugeftanden, auf welches er in unferm Sinn keinen Anſpruch hatte.
Wie ihın felbit, iſt es vielen Deutſchen ergangen; man
braucht in dem Buche nur zu blättern, um ſich davon zu über-
zeugen. Geiftlihe trifft er als Arzte, Arzte als Advocaten,
und wer fpielt nit in dem fehtenreichen Lande die Rolle von
Geiftlihen! Und wie viele Deutfche, welche in dem gelobten
Lande der Fuͤlle an allem Stoffe und des Mangels an Han:
den für die ihrigen Beine Beſchäftigung finden, nicht einmal
ald Zagelöhner! Das war neu. In Reuyork, in Reuorleans
und in @incinnati ‚und Saint: Rowiß laufen Deutfhe umber
ohne eine Anftelung zu finden, und es ift nicht immer ihre
Schuld, verfihert der Berf. Es ſpricht für feinen Charakter,
daß er, aller diefer Zaufehungen ungeachtet, nirgend in Bitter:
keit verfällt, daß er, bei allen harten Xeiden, die er erbuldet,
ed nie das Land und Volk entgelten läßt, fondern bei allen
gerechten Rügen auch das Lobenswerthe heraushebt. Mehr
als einer von den berüchtigten Humbugs, die fid) die Ameri-
faner unter fi und mehr noch gegen Fremde zu Schulden
kommen laflen, vernichtet feine - Hoffnungen und bringt ihn
dem Bettelftabe nahe, er klagt über die Demoralifation des
Volks, aber er verdammt es nicht unbedingt um besmillen.
Wenn ein hochgeachteter General Wrede’ Schn um ben Kohn
für ſchwer verdiente Abfchreiberarbeiten bringt, weil es ihm
gelungen juriftiich zu beweifen, daß nicht er, fondern fein Sc:
cretair dieſe Arbeiten beftellt habe, fo will er ſelbſt darin noch
feine unbedingte Riedertraͤchtigkeit gewahren; er fieht nur ei:
nen Kigel der Schlauheit, eine falſche Sitte, die ſich gewiß
mit der fleigenden Eivilifation beffern werde. Die Sitte müffe
erft die Amerikaner lehren, daß die Rechtlichkeit, auch bei eige⸗
rem Schaden, höher im Werthe ftebe als das Vergnügen, ei:
nen Dummkopf geprellt zu haben. Möge er auf rechtem Wege
fein; wir aber wollen wünfchen, daß unfere deutſchen Lande:
leute, weiche binüberwandern, nit biefen langen Weg zur
echten Sitte einfchlagen, fondern lieber bei dem kuͤrzern ver:
harren möchten, d. 5. bei der Sitte, welche im Princip wenig:
ftend noch bei und gilt.
Das Bud), enthält viel vehrreiches, um fo werthvoller,
weil es fümmtlih aus der eigenen. Anſchauung geſchoͤpft ift
ohne Zuthat von Phantejie, Voreingenommenheit und mit ge:
ringet Untermifhung von Neflerion. Wo diefe eintritt, bat
fie einen guten, gefunden Grund. Aber es enthält auch man-
ches Intereſſante und trefflihe Naturfchilderungen, z. DB. die
des Mifffiippi. Einzelne Epifoden find durch Die großarfige
Raturwahrheit ergreifend, wie bie Geſchichte bed Trappers Hugh
. Auch der Stil, ber fich nicht über das Gewöhnliche er⸗
hebt, wird doch zuweilen fchlagend und kraͤftig. So heißt «6
von dem raftiofen Ziehen (‚‚moven‘) der Amerikaner: „Es ift
tief in der Natur dieſer Waldmenſchen begründet; ein fonder-
barer Tricb, ber feine Erklärung nur in dem grenzenlofen
Unabhängigfeittfinne der Amerikaner findet. Die meiſten Die-
fer Mover möchten am liebſten ganz allein auf der weiten
—* nt — oe Bohrungen in der Nähe der
ihrigen n, fo bält fie weder die Erinnerung an eine
—* verlebte Zeit noch die Ausficht eines faſt immer ent:
henden großen pecuniairen Verluſtes auf. Um jeden Preis
n Be ihre Befipungen los, und ſuchen entlegenere, oͤdere
Dildniſſe auf, um fidh eine neue Heimat zu gründen, die fie
vielleicht im wenig Jahren abermals verlaffen, um — allein
in.” Der Berf. if, wie uns der Vorredner jagt, wieber
* —— 4 zwar nach Texas zurüdgekehrt, in Dienften
der Deutfchen Eolonifationsgefellfchaft. Er wünfcht bem deut:
fdhen Mutterlande bald neue Biber blühendber Gefundpeit und
reichen Wohlſtandes der Tochtercolonie in Texas entwerfen zu
koͤnnen. ae ber Einleitung wenn nicht bald,
dereinft zur Wahrheit werben.
doch Das ir Werd ift ein gutgefchriebenes Buch, welches
alle die Themata, die in den andern ‚beiden enthalten find,
foftematifch und zu ziemlicher Anſchaulichteit verarbeitet dar-
ftelt. Man konnte Bier und da der Meinung fein, daß es
auch wol von einem geſchickten Europäer componirt wäre, ber
andere richtige und gute Quellen gut verarbeitet bat, wenn
der Verf. it aufs heiligfte verficherte, daB aud) er aus eigener
Anfhauung und Prüfung ge öpft habe. Belehrend für ben
Bebildeten ift auch diefes Werk, belehrender ſogar, ba es um:
faffender ift als die oben genannten, und voll guter Winke für
den Auswanderer; aber Die Friſche des felbft und eben erft
@riebten geht ihm ab, freilich weil es ats eine Tehriftftcherifche
Arbeit von anderer Tendenz auch ganz andere Anſpruͤche macht.
Der Verf. will feine deutfchen Landsleute von den goldenen
räumen, denen ſich noch immer viele hingeben, enttäufchen
und ihnen, um fie in den Kern der Sadıe einzuführen, die ven
Weiſung geben, was fie zu thun und was fie zu erwarten
ben, wenn fie zur Auswanderung ſich entſchließen. Die trau:
rigfte Weifung betrifft bie, Daß der Verf. auch die glücklichern
Deutfchen, welche in Amerikas Waͤldern Das gefunden, was
fie fuchten, ſtill ſeufzend gefunden haben will und mit dem
nicht zurüdzudrängenden Wunſ e, daß ‚fie wieder im der Hei:
mat wären. Die nicht fo glüdlichen hätten lieber Alles auf
egeben, waß fie noch hatten, um nur freie Rückkehr auf einem
Schiffe zu erlangen. Das Heimweh tft eine gemuͤthliche Ei⸗
genſchaft, und daß der Deutiche gemüthlich ift, bat ihm iR
Niemand abgeftritten. Daß der Deutfche mit feinem Gemüt
unter den humbuggifirenden Paltherzigen Yankees fih unbehag⸗
lich finde, ift eine Sache, die ſich auch von felbft verfteht; ob
aber jener Wunfch unter den fünf Millionen Deutſchen der all:
gemeine fei, laflen wir bahingeftelit, und ſchwerlich wirb ihn
auch der Berf. unbedingt zu bejahen wagen. Geben wir uns
vielmehr der fr in, daß bie Deutfchen, immer ſelbſt⸗
bewußter durch ihre Phalangen werdend, ihre Heimat aud in
der Fremde finden werben. Der Anſichtskreis des Verf. wird
fih aus folgendem Epitheton entnehmen laffen, was er feinen
KRatbichlüffen an Diejenigen voranfchidt, welche durchaus ent-
ſchloſſen find, die alte Welt mit der neuen zu vertaufchen und
nur der eigenen Erfahrung folgen wollen; er nennt Amerifa
„das Land der Eontrafte, dad Land mit prachtvollen Ratur:
fhönheiten und weiten Sümpfen und Moräften, das Land der
giftigen Schlangen, ber im reichten Farbenjchmudl prangenden
Vögel ohne Gefang, bunteſter Blumen ohne Duft, das Land
der großfinnigften Snftitutionen und ber engberzigften ‚Men:
en, das 2and, wo heben ber unbeichräntten Freiheit das
— der Sklaverei, neben dem graſſfeſten Bigotismus ber
größte Indifferontismus wohnt, das Land, weiches zu gleicher
Zeit einem Waſhington und einem Arnold das Dafein gab”.
In den tiefer eingehenden Betrachtungen über die Rechts⸗
religiöfen, kirchlichen und militairiſchen Suftände wird das
Stiffon’iche Werk ein guter Begleiter des Raumer'fchen fein,
und wo dieſes die allgemeinern Standpunkte verfolgt, dem Lefer in
manchem werthuollen denen u Sälfe —eã jr) iR
an ologifchen treffenden Bemerkunge , J
aus Zi een Kenntniß des Landes und Volks gefchöpft
werden Tonnen. Dem heutigen Amerikaner will ber Verf.
durchaus den felbftaufopfernden Patriotismus abſprechen, wel:
cher die Heroen der Revolution hervorbradite. Wie will er
aber das fo beftimmt wiſſen? Treten aͤhnliche Kriſen wieder
ein, und erwecken nicht ſolche Kriſen außerordentliche Kraft.
Und zeigte ſie ſich nicht theilweiſe wenigſtens im Jahre 1812%
In vielen Nefultaten ftimmt der Verf. mit den beiden andern
Berantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brockhaus. —
Schriſtſtellern überein. Bei Gelegenheit der ewigen Wander⸗
luſt fagt er: „Es iſt wahr, fo parabor es auch Bingen mag,
des Amerikaner hat wol ein Vaterland, aber er hat keine Hei⸗
mat, und er hat diefe nicht, weil ihm der Heimatsſinn ab-
geht. Er iſt raſch in Entfchlüffen, in plöglichen Umwandlun⸗
gen.” So grenzt die ploͤtliche Verwandlung einer dem Brannt⸗
weintrunk ergebenen Bevoͤlkerung in durchaus nüchterne Leute,
welche mit bem Branntwein auch dem Wein und Bier entfagt
haben, an ein Wunder. Die Bolköftimme war fo mächtig, daß
alle Leidenſchaften, alle Intereffen dagegen nicht auffamen;
aber der Verf. lebt der Beforgniß, daß die Enthaltfamkeits-
[Inbe nur eine Mobdefache fei. Wie er den Wankelmuth der
merifaner kenne, beforgt er, daß der Einthufiasmus für die
Nuͤchternheit fi) nur jo lange auf der bisherigen Höhe erhal:
ten werde ald der Reiz der Neuheit dafür jtreitet. Sobald
der Rimbus der poputaricat ihr entzogen, werde die Teempe-
rance, das Geſchoͤpf leidenfchaftlicher Aufgeregtbeit, mit allem
Guten, was fie gewirkt, der Vergeſſenheit wieder anheimfällen.
Als Anhang einige unterrichtende Nachrichten über die grau:
fam foftematifchen Bernicgtungsproceffe der Indianer, befonders
über die der Seminolen in Florida. Der Berf., wie er ein
entfchiedener Sklavenfeind (bei aller richtigen Würdigung der
verkehrten, heftigen Maßregeln der Abolitioniften), ift auch ge:
gen die Anficht, Daß bie rothen Menſchen nicht durch humanes
und zweckmaͤßiges Verfahren für Gefittung und europäiiche Cul⸗
tur zu gewinnen gewefen wären. Nun ift es zu jpät! *) 7.
Bibliographie.
Koofen, J. H., Der Streit des Naturgeſetzes mit dem
Bwedbegriffe in den phyfiſchen und Hiftorifchen Wiflenfchaften.
Eine Einleitung in dad Studium der Philofophie. Königs:
berg, Zag und Koch. 1845. Gr. 8. 1 hir. 10 Nor.
Kutſcheit, J. V., Gedichte. Berlin, Grobe. 16. 1 hir.
Mündh, M. C., Biographien ausgezeichneter um bie
Menfchheit verdienter Pädagogen. 2te Auflage. Augsburg,
Schloſſer. 1845. GEr. 8. 71, Nor. '
Kaumann, W., Paulus. Die erften Siege des Chri⸗
ſtenthums, in Bildern aus der Apoftelgefchichte. Mit 21 in
den Xert gedruckten Abbildungen. Leipzig, Teubner. Kl. 8.
1 Thlr.
Plinius Der Züngfte, Die kleinen Leiden des menſch⸗
fichen Lebens. Illuſtrirt von I. I. Grandville. 2te, neu be:
arbeitete und vermehrte Auflage. Leipzig, Lord, Gr.8. 3 Ihr.
Nor.
hie ing, L., Gedichte. Stuttgart, Cotta. 8. 1 Xhlr.
Seibemann, J. K- Beiträge zur Reformationtgef@iäte.
Iftes Heft: Die Reformationszeit ın Sachfen von 151/—1539.
Fit Urkunden. Dresden, R. und W. Kori. Gr. 8. I Thlr.
Rgr. |
Spruchbud für das das deutſche Volf. Stuttgart, Hal»
berger. Gr. 16. 15 Kor.
uſchner, 8, Das Brevier der heiligen Rofalie. Blätter
aus dem Leben eines Phantaſten. 2te verbeflerte und vermehrte
Ausgabe. Neubaldensieben, Eau: 12, 25 Ror.
Breslauer Volkskalender für 1846. Herausgegeben von
2. Se iger und 3. Stein. Breslau, Schuhmann. 1845.
8. 12% Nor.
Saͤchſiſcher Volkskalender für 1346. Heraußgegeben von
9. Steffens. Leipzig, Hartmann, 1845. 8. 12%, Nor.
Katholiſcher Volkskalender für 1846. Herausgegeben von
J. A. M. Brühl. Gter Jahrgang. Neuß, Schwann. 1845.
Gr. 12. 10 Nor. un .
Bidmann, G., Das Corpus-Juris für den Bürger
und Landmann. Ein Volksbuch zur Minderung der Prozeſſe
und für tüchtige Selbſtbeurtheilung ber Rechtsverhaͤltniſſe. Hild⸗
burghauſen, Bibliographiſches Inſtitut. 1845. Lerx.“S. 20 Nor.
*) Einen zweiten Ariikel laſſen wir im Februar folgen. D. Red..
Druck und Verlag von F. E. Wroddans in Leipzig.
Blätter |
für
literariſche Unterhaltung.
Freitag,
— 1.9
9. Januar 1846.
Anenonen aus bem Tagebuche eines alten Pilgers-
manned. Zwei Bande. Jena, Frommann. 1845,
&. 8. 4 Thlr.
Bir glauben keineswegs die literarifche Maskenfrei⸗
heit zu beeinträchtigen oder einem angenommenen Geheim-
niffe mit Aufdringlichkeit zuzufegen, wenn wir als den
Berf. dieſes Buchs den Freiheren v. Hormayr unfern
Lefern verrathen. Bei vielen berfelben, die eine folche
Wahrnehmung nicht gleich anf den erften zehn Seiten
machen follten, kann dies dem Buche nur zur günftigen
Empfehlung dienen; wir an unferm Theile verfpüren
aber den weſentlichen Wortheil, mit einer realen Perſoͤn⸗
lichkeit verkehren zu können und zwar mit einer folchen,
die in Feinem Falle den unbebeutenden beigezählt werben
darf. Denn auch hier trägt und vereint diefe Perfön-
fichteit wie in frühern ähnlihen Werken die Lebens:
bilder, Die wir anſchauen, während die Namenlofigkeit
des Verfaſſers bei Büchern diefer Art unfere Theilnahme
oft viel weniger in Anſpruch nimmt als die Sache felbft
es verbient. Und fo finden wir denn auch in diefen
„Anemonen”, deren Düfte freilich nicht immer füß und
lieblich, fondern gar nicht felten übel und giftig find,
die Beleſenheit und maffenhafte Auffpeicherung von
Thatfachen wieder, die wir in andern Hormayr'ſchen
Werten bewundern, ferner die befondere Fertigkeit, bei
dem Einen und Hundertften dad Andere und Faufendfte
herbeizuziehen und in hHiftorifhen Stoffen wahrhaft zu
wählen, nebft einer Reihe anderer, bekannter Norzüge
diefes Geſchichtsforſchers. In feiner Geſchichtſchreibung
aber bedauern wir wiederholt den Mangel an Gleich—
mößigkeit; es begegnet uns auch hier, daß feine Wen-
dungen und Sprünge trog ber überrafhenden Verknü⸗
pfungen und berben oft überaus glücklichen Schlagmöt-
ter em umbehagliches Erflaunen rege Halten ; endlich
gibt die Abmechfelung herabgefominener Geſellſchaftsaus⸗
drücke und aus ber guten Sprache verbannter Wörter
mit feierlichen, ja ſchwülſtigen Wendungen dem Ganzen
etwas Buntes und Verwirrendes, ſodaß man fi) nad
Beendigung eines Abfchnitts kaum des Gelefenen mit
einiger Klarheit zu erinnern weiß und faft an das be-
kannte Goethe'ſche Wort vom Mühlrade denken muß.
Aus ſolchen Urſachen genieft man am unbefangenften
in Hormayr's hiftorifchen Täfchenbüchern den überreichen
Stoff gefhichtlihen Reihthums, in den „Lebensbildern“
dagegen wie in den „Anemonen” fürchtet man ſich in
biefem dichten Walde des üppigften Wachsthums zu ver-
lieren. Überdies ift der Verf. hier nicht blos Erzähler
oder Sanımler, fondern auch in vielen wichtigen Dingen
theilnchmend und mithandelnd gewefen, woher es denn
auch für die heimiſchen Angelegenheiten nicht an aus—
drudsvollen, bittern Rüdbliden fehlt, die in verſchiede⸗
nen Kreifen einen offenen oder verftedten Zabel gegen
ihn hervorgerufen haben.
Das Urtheil eines Mannes, der während eines lan-
gen Lebens in fo bedeutenden Amtsverhältniſſen gelebt
hat, und dem dur eine befondere gluͤckliche Fügung
Dinge von ber hoͤchſten Wichtigkeit, die fonft als großes
Geheimniß bewahrt zu werden pflegen, von den anger
fehenften Männern feiner Zeit mitgetheilt worben find,
verdient jedenfalls eine vorzügliche Beachtung. Aber ed -
thut dieſer fo ſchaͤtzenswerthen Eigenfchaft öfters Ein⸗
trag, daß Hr. v. Hormayr beſonders gern nur Grau in
Grau malt, daß er jeden böfen Tadel aufgreift, daß et
mit jäher Kraft und zerfchmekternder Ironie fih an
Perſonen und Sachen anhängt und daß er gar zu oft
da Schlechtigkeit und Hinterlift wahrnimmt, mo andere
begabte und aufrichtige Schriftfteler nur erlaubte poli-
tifche Verknüpfungen oder Berechnungen entdedt haben.
Es mag ein Verfahren wie das feinige politiih kühn
fein, ja e8 mag nad) Umftänden groß erfcheinen, von
hochgeftellten Zeitgenoffen Nachtheiliges zu fagen ober
über Verflorbene die firenge Wahrheit auszufprehen,
vorausgefeht daß dies immer mit einem heiligen Ernſte
und ohne Leidenfchaftlichkeit gefchehe. Unfer alter Pil-
gersmann aber ift als geharnifchter Krieger aufgetreten,
feine Schläge fallen hageldicht auf die Rüſtungen ber
Gegner, und fein Bud, ift, ganz ohne fein. Wollen, in
nicht wenigen Stellen zu einer Parteifchrift geworden.
Denn die Tendenzen, welche unfere Zeit liebt, werben
fi) durch manche Schlechtigkeiten der Fürften und DBe-
amten unter einer folchen Autorität gefchmeichelt fühlen,
die Unzufriedenheit mit bem Beſtehenden wird nur neue
Nahrung erhalten und anftatt baf die wichtige Lehre,
dag die Gefchichte ung vor allen Dingen billig machen
fol, aus den „Anemonen’ Förderung ober Betätigung
— — er
34
erhalten ſollte, dienen dieſelben einer Anzahl ihrer Leſer
nur zur ſchadenfrohen Unterhaltung.
Es gilt dies namentlich von des Verf. Urtheilen über
Oſtreich, feine Fürften, feine Staatsmänner, Feldherren
und feine allgemeinen Zuſtände. Nun find wir zwar
weit enffernt Hrn. v. Hormayr in die Gemeinfchaft folcher
‚Literaten ftellen zu wollen, die feit einigen Jahren nicht
genug Schlimmes und Nachtheiliged von Oſtreichs Re—
gierung haben fagen können und deren einer fich neuer-
dings bis zu den Zoten und Gemeinheiten in den „Me:
moiren aus der öflreichifchen Gaferne” hat erniedrigen
tonnen; jedoch müffen wir fehr bezweifeln, daß von ir⸗
gend einem europäiſchen Staate ein ſolches Regifter po-
litiſcher Sünden aufgeftellt ift als es unſer Verf. in
dem vorliegenden Buche von allen Seiten her zufammen-
‚getragen hat. In der langen Reihe der Habsburgifchen
Fürften finden Karl V. und Sofeph I. noch bie meifte
Anerkennung, und von den jeptlebenden die Erzherzöge
Karl und Johann; Karl VI. erhält nur wegen feiner
fitelichen Reinheit Lob, Maria Thereſia, zwar eine herr⸗
liche Frau und große Kaiferin, wird aber doch bezüch—
tigt, zuerft die Integrität von Polen angegriffen zu ha—
ben, wie denn die Habsburger überhaupt ftet3 „eine
MWafferfchen vor gefeglicher Freiheit” gehabt hätten
(1, 290), namentlidy Franz I., „der erbittertfie Wider—
ſacher aller Eonftitutionen und der entfchiedenfte Ver—
theidiger des Abfolutismus”. Unter ben Staatsmännern
und Zeldherren DOftreichs erfcheint keiner in einem fo
glänzenden Lichte ald Prinz Eugen von Savoyen, er
ift der eigentliche Held des Verf. „dies Kapuzinerlein
des Lagers, fo geheißen vom braunen Kittel und von
dem Nafe und die Brufffraufe und die Weſtentaſchen
erfüllenden fpanifchen Taback, das Männlein mit den
zwei fteifen Locken, dem zarten Teint, dem langen Ge-
fihte und der langen Pferdenafe, und dennoch der er-
muthigende Gebieter der Soldaten und ber enfmuthi-
gende Sebieter der Frauen, mit den zauberifchen Frauen-
augen und ber unaufhörlichen, gleichwol duch Mannes-
kraft und fürftlichen Anftand impofanten Beweglichkeit”
(I, 375). Die Züchtigkeit der Minifter Trautmanne-
dorf, Kaunig und Metternich wird in das verdiente Licht
geftellt, fo auch der Feldherren Laudon, Schwarzenberg
und Rothkirch, aber Thugut, Königsad, Daun und
viele Andere empfangen feharfen Tadel. Wirb doch fo-
gar (II, 198) der Sieg der Öftreicher bei Kollin nicht
ihrer Tapferkeit, fondern „dem Blindefuhfpiele des Zu:
falls” zugefchrieben! Bedenkt man nun hierbei, mit wel»
chem lauten Lobe Oſtreichs Kaiferhaus und Land früher vom
Hrn. v. Hormayr im „Oftreihifhen Plutarh”, in der
„Geſchichte von Wien” und in andern Schriften geprie-
fen ift, fo muß Die jegige Bitterkeit die Xefer ebenfo be-
fremden als fie diefelben bereits in feinem Werke über
Andreas Hofer neuerdings überrafcht hat. Der Verf.
gehört doch nad) Geburt, Bildung und Erziehung dem
öftreihifhen Staate an, mögen nun die Verhältniffe,
unter denen oder durch welche gemöthigt er dies Land
mit Baiern vertaufcht hat, gewefen fein welche fie mwol-
len. Nun foll aber, um ein edles Wort Niebuhr's (Le⸗
bensnachrichten“, 111, 13) anzuführen: es mit der Pietät
gegen das Vaterland fein wie mit den Familienbanden,
fein Denih von Gefühl wird die Schande der Seini-
gen aufbeden oder befpötteln, ja fein Rand foll ihm fo
lieb fein, daß er felbft gegen Die, welche den Staat
verwalten, nicht fpoften und Iäftern mag, aud) wenn fie .
es verkehrt machen. Unfer Verf. hat diefen auffallenden
Widerfireit wol felbft gefühlt und nachdem er baher
(Hl, 15) den harten Ausfpruc, gewagt, daß ſich bis auf
diefe Stunde Niemand an ein ehrliches, geiftvolles Ab-
bild der öftreihifchen Zuftände gewagt hätte, ohne in
den Vorwurf leidenfchaftlicher Gehäffigkeit oder hündi-
ſcher Lobhudelei zu verfallen, erörtert er gleich darauf
(li, 32 — 42) feine frühere Stellung als öftreichifcher
Geſchichtſchreiber. Er appellirt bier gleichfam de se
ipso olim male informato ad se nunc melius informa-
tum, er tadelt fich felbft wegen feiner damaligen findli-
hen, ja Tindifchen Freude an Habsburgs „leoniniſchen“
Edeithaten, und verfihert, erſt in dem Kaufe feines
en Lebens die Wahrheit eingefehen und erfannt zu
aben.
Ein ſolches offenes Geftändniß ehrt allerdings einen
Mann von des Berf. fchriftfiellerifcher Bedeutſamkeit.
Aber wir müffen offen geftehen, daß uns berfelbe in
feiner Inhaltsanzeige der „Hiſtoriſchen Tafchenbücher“,
die fih in dem Jahrgange 1846 befindet, weit gerechter
und ehrmürdiger erfchienen if. Diefer Auffag ift mit
dem vorliegenden faft gleichzeitig über ganz verwandte
Gegenftände gefchrieben, aber ohne alle Bitterkeit, ohne
Haß, nur mit dem edein Selbfigefühle des um fein
Land verdienten Mannes. Hatte man nun früher man-
hen Lobſpruch öftreichifcher Zuftinde parteiifch gefunden,
fo mag es dagegen jest dem unbefangenen Leſer, ber
in dem vorliegenden Buche faft Alles in der buntelften
Beleuchtung findet und alle politifhen Sympathien und
Abneigungen gegen DOftreich benugt fieht, nicht verdacht
werden, wenn er manchen Zweifel an der Glaubwürdig-
keit verbrauchter Anekdoten ober als neu "aufgeführter
Thatſachen bei fich auflommen läßt. Wir redmen dahin
3. B. jene Unterrebungen des Kaifers Franz I. mit fei-
nem Leibarzt Stifft, der fid über des Kaifers gute Con⸗
ftitution erfreute, worauf der Legtere haflig antwortete:
„Stifft, dies Wort laffen Sie mich nicht hören. Eine
dauerhafte Natur, fagen Sie, oder in Gottesnamen eine
gute Complerion, aber es gibt gar keine gute Eonftitu-
tion. Ich Habe Feine Konftitution und ich werde nie
eine haben.” (I, 60.) Ober wenn von Maria Thereſia
erzählt wird, daß fie den Grafen Aspremont, der den
Bauern zugerufen hatte, fie follten den Enkel des Ra-
koczy nicht im Kothe erftiden laffen, darüber hart ange-
laffen habe: „Ich verlange gewiß nicht, daß Er im Ko-
the erftidten foll, aber die Poffen mit dem Rakoczy laffe
Er bleiben, fonft laffe ih Ihn einfperren.” (I, 178.)
Bei folhen und ähnlihen Geſchichtchen fällt une immer
des ehrlihen Maſcov Wort in der Vorrede zu feiner
„Geſchichte der Deutfchen” bei, daß keine Historici ver-
35
düchtiger wären ale bie, weiche mit großem Vertrauen | von dem übrigen Deutfihland (I, 307) entftanden iſt,
was in der Fürften Cabinet fürgegangen fei erzählen.
Wenigftens könnten, wo folche bedeutende Perfönlichkei-
ten auf den Schauplag der Dffentlichkeit gezogen wer⸗
den, die Xefer mit einigem Rechte eine Nachweifung ber
Quellen oder fonftiger mündlicher Überlieferungen von
dem Verf. verlangen, damit fie wiffen, wiefern man
ihm glauben und er feine Sache vertreten kann. Denn
nicht alle Briefe und Reben tragen eine fo innere Wahr-
heit in fi) als die Briefe Gneifenau’s in ben „Lebens-
bildern aus den Befreiungskriegen“.
Was aber Oſtreich und fein Kaiferhaus an Lob und
Ehre in dem vorliegenden Buche eingebüßt hat, das ift
von Hrn. v. Hormayr mit vollfier Hand auf das Kö—
nigreich Baiern, dem er feit 1828 angehört, und auf
die Wittelsbachifche Dynaſtie übergetragen worden, wie
es fhon in feinem faft gleichzeitig erfchienenen Buche
über den tiroler Krieg wahrgenommen worden ift. Die
Zapferkeit der Baiern in Ungarn gegen die Zürfen, in
Oſtreich, Tirol und Rußland wird bei jeder Gelegenheit
gefeiert, ihre Baterlandsliebe erhält die größten Xob-
ſprüche, „der legte Baier vergift Hunger und Kummer,
wenn von Baiernd Ruhm und Größe die Rede ift, wenn
es darum gilt, daß Baiern Wittelsbachiſch bleibe für
immer“ (11, 199). Ihre fehlechte Behandlung durch Na-
poleon, deifen „Heinliher Neid und undankbare Abnei-
gung gegen Baiern“ ihn alle feine Verpflichtungen ver-
geffen liegen, wird in den ſtaͤrkſten Ausdrücken beklagt.
An miehr ald einer Stelle wird ausgeführt und felbft
mit den Worten des „erhabenen, Föniglihen Sängers”
(I, 149), wie Baiern die ihm dargebotene Gelegenheit
zur Vergrößerung nicht hat ergreifen können, wie es in
Deutſchlands Staatsverein nicht die ihm beftimmte Rolle
einzunehmen vermochte, da es doch ‚vor allen Andern
zum Mark und Kern eines verjüngten Deutſchlands be-
ſtimmt zu fein fihien (1, 303), und wie es fo ganz
anders in der Welt geworben fein würde, wenn nad
Karl's VI. von Oſtreich Tode die wohlbegründeten An-
fprüche Baierns die Kaiferkrone auf das Haupt eines
Wittelsbachers gefegt hätten ober wenn fihon früher
durch Maria Thereſia's Wermählung mit dem bairi⸗
fhen Kurprinzen, nachmaligem Saifer Karl Albrecht,
das alte große SKarolingifche Baiern bis tief an die
Etſch, an die Leit, March und bis an die. adriatifchen
Küften wieberhergeftellt worden wäre. Die Ausfüh-
zung dieſer patriotifchen Phantaſie (U, 130 fg.) bei un-
ſerm Verf. ift in ber That Iefenswerth. Dagegen wird
nun Oſtreichs Haus und Regierung überall des Haffes
und der Undankbarkeit gegen Baiern befchulbigt, fehon
von den Zeiten bed Dreißigjährigen Krieges her, wo
Baierns „unerfchütterte gänzliche Selbftvergeffenheit und
eroifche Aufopferung, feinen natürlichen Nebenbuhler und
iderſacher zu erhalten und zu retten” nicht müde
wurde, dafür aber in allen Lebensfragen, allüberall vor-
angeſtellt, überall im Stiche gelaffen und myflificirt wor:
den ift (IT, 146 u. a. D.), woher benn in fpäterer Zeit
jene „ungerechte und politifhe” Abfonderung Baierns
welche freilich auch dies Land längere Zeit hindurch ge-
gegen feine Stammgenoffen verbiendete. Bei Diefer Bor-
liebe für bairiſche Zuftände kann es auch nicht befrem-
den, wenn Lilly, „ber herrliche Murrkopf“ (1, 251), ale
ein befcheibener, mäßiger und firenger Mann gegenüber
der Habſucht und Verſchwendung Wallenftein’s gefchil-
dert und mit Verweifung auf quellenmäßige Korfchungen
ausgefprochen ift, daß Magdeburgs Zerflörung durchaus
nicht feine Abficht gewefen, indem fie vielmehr feinen
nächften Kriegszmeden ebenfo nachtheilig geworden fei
al8 der Untergang Moskaus für Napoleon (II, 282 fg.,
vergl. mit der „Gefchichte Andr. Hofer’8”, IT, 114). XTrog
folder und ähnlicher Parteilichkeiten kann aber Hr. v.
Hormayr nicht umhin, fhärfften Tadel über Karl Theo-
dor's von Baiern „heillofe Maitreffen- und Baftarden-
wirthſchaft“ (1, 189) und vor allen über das Treiben
der Sefuiten, deren abgefagter Feind er überhaupt if,
in Baiern an mehren Stellen auszufprechen und mit
glaubwürdigen XThatfachen zu belegen, wie 5. B
Th. 1, ©. 304—318. So gern wir nun dies Leßtere
anerkennen, fo begreifen wir doch nicht auf der andern
Seite, weshalb gerade er, ein fo beredter Herold deut-
fher Einigkeit und Verträglichkeit, die Gefchichten zweier
benachbarten Ränder, deren Einwohner ohnehin feit Jahr⸗
hunderten ſich oft genug angefeindet haben, mit offen-
barer Herabfegung des einen und ungemeffenem Lobe
des andern vorgetragen hat. Oder meint er dadurch
mitzuwirken, daß fi Oftreicher und Baiern als Völker
deſſelben Stammes betrachten werden? Das kann we—⸗
nigſtens eine Anekdote nicht bemweifen, die der Verf. aus
der Regierungszeit Karl's VI. erzählt, als bairifche Hülfs-
truppen in den Türkenkrieg zogen und in Wien ſich
nicht wollten auf der Donau einfhiffen laffen. Da
wollte der wiener Pöbel an dem Mundwerke, an ber
gut katholiſchen Religion und an gegenfeitigen Heirathen
ertannt haben, daß Baiern und Oftreicher Brüder mä-
ren und daß fie auf nichts fjehnlicher Hofften als auf
eine Bereinigung beider Länder unter einem, Herrn
(II, 132). Wir bezweifeln aber, daß eine folche UÜberein-
flimmung ber Anſichten, felbft wenn jenes Gefchichtchen
wahr fein follte, damals geherrfcht habe, und meinen,
dag noch heutigen Tage die Baiern ebenfo ungern
Oftreicher werden möchten als die Oſtreicher fi dem
batrifhen Herrfcherflamme unterwerfen würden. Und
felbft in der vom Verf. gefchilderten Zeit waren doch
wol Außerungen des Volks als „lieber bairifch ſterben
als ins Kaifers Unfug verderben‘ (l, 188) aus den
Fahren ſchweren Drudes unter der öftreihifchen Herrfchaft
im Spanifchen Erbfolgekrige noch nicht gänzlich vergeffen
ober einer durchaus veränderten Stimmung gewichen.
(Die Lortſetzung folgt.)
Theodor von Kobbe. Ein Denfftein von Adolf Stahr.
Didendurg, Schulz. 1845. Ler.-8. 11’, Nor.
Der Rame, der auf diefem Denkſteine ftebt, ift Vielen be⸗
kannt, Bielen werth, nicht Wenigen unvergeflih. Kobbe war
’ ein Mann der Gelchrfomdeit, er wor Tein „Kerl im
nat wie Leffing ſagt; er bick das Menfchfein für Das
oͤchſte. Das Leben felbft mit feinem unendlichen Inhalte war
m das Wichtigfte; alle Wiſſenſchaft, Kunft und Poeſie ſtellte
er in den Dienft des Lebend. Kobbe gehörte nicht gu den
Biveliinenfchen, die bei Allen was fie fagen, thun und unter:
nehmen eine ‚binterhaltige Geſinnung 3 er gehörte nit
der die große Slafie Derer, bie mit fogenannten Freunden eine
Aſſecuranz zu gegenfeitigem Lob und Indiehöheheben bilden;
ee gehörte nicht in die große Claſſe Derjenigen, die jedes Ins
divſduum, das ihnen vorkommt, glei darauf anfehen und
darauf anfaffen, wozu fie es einmal benugen koönnen; Sobbe
war ein gang unbefangener, natürlicher Menſch. Diefe Unbe⸗
fangenheit wirkte in hohem Grade vortheilhaft auf feine humo⸗
eiftifchen Darftelungen; Kobbe fah das Leben überall in feiner
Roturlage, in feiner Naturfarbe, in feinem Raturzufammen-
bange; er gudte nie durch die Brille der Partei. Und fo
wahr er das Leben erfaßte, fo fehnell und Leicht that er es.
&o find denn auch feine fchriftftelerifhen Productionen alle
nicht mühfam gearbeitet, fondern leicht zuſammengewebt; Kunft:
werte bat er nicht geliefert: in der Haft des Schaffens ließ
er einen eben vollendeten en Guß mit allen feinen Maͤn⸗
gein unpolirt ftehen. Dem Zeitgeſchmack Yat er nie Eoneeifio:
nen gemacht; alle feine Freunde müſſen willen, wie lebhaft er
wurde, wenn er in feiner bilberreichen Redeweiſe fagte: „er
wolle feine Schriften nicht mit Politik düngen, er wolle nicht
mit Boten mergeln.”
Sollte diefes Blatt Iemandem zu Gefiht kommen, der
Kobbe's Schriften nicht Eennt, der lefe doch feine „Reiſeſkizzen
aus Belgien und Zranktreich”, feine ‚„Humoriftifchen Neifebil-
der”, feine „Briefe über Helgoland’ u. f. w., und er wird fih
durch die Natürlichkeit der Darftelung, durch den Hauch von
Jugendlichkeit, Friſche und Lebenskräftigkeit, der über alle feine
Arbeiten audgegoffen ift, gewiß angeſprochen fühlen. Noch
Eins erwähne ih, was hoͤchſt wichtig ift: Kobbe blieb in fei-
nen Schriften jtets dem Wahlfpruch treu, den er als Motto
feinen „Humoriſtiſchen Blättern” vorangeftellt hatte: nil bonum,
nisi quod bonestum, d. h. die Grenze der Ehrbarkeit über:
jchreitet Robbe nie, in das clair-obscur des Zweideutigen ver-
laufen fih feine Darftelungen niemals.
Hr. Dr. Stahr hat ein gutgetroffenes Bild auf den Denk:
flein gezeichnet. Kobbe elite fich niemals befler oder voll
fommener dar als er war, der Schein galt ihm nichts; ebenfo
it auch Hr. Stahr unparteiifch; einen Panegyrikus fchreibt
er nicht, und das ift gut. Alle Freunde und Bekannte Kobbe’s
werden wünfden, daß demnaͤchſt eine vollſtändige Biographie
bed Berftorbenen erfcheine. 2.
Literarifhe Notizen aus England.
Die Epifteln des heiligen Ignatius.
Bekanntlich erließ der Biſchof von Antiochien St.» Igna
tius auf feinem Wege nah Rom, wo er den Tod der Mär:
torer fterben follte, an mehre chriftliche Gemeinden Schreiben,
die biß auf unfere Zeiten gelangt find, deren Echtheit aber in
dieſer Geſtalt vielfach beftritten worden ifl. Beſonders wichtig
ift diefer Streit geworden, weil die Anhänger der Episcopal:
kirche aus diefen Bricfen Beweife für ſich fchöpften- Im J.
1495 wurden drei er Epifteln in lateinifcher Sprache ver:
öffentlicht, und drei Jahre fpäter deren noch acht. Im 2.
1957 drudte Paceus aus einem Manufeript in ber Bibliothek
zu Augsburg zwölf in griechifcher Sprache abgefaßte Epifteln,
und 1559 gab Geftner diefelben zwölf Briefe nad) einem am
dern Manufeript heraus, ohne daß er, wie es fejeint, bie frü-
here Ausgabe kannte. Damals erhob ch ſchon zwiſchen Cal⸗
vin auf einer und Bararius und Halloix auf der andern Geite
der Streit über ihre Echtheit, webei fi nad und nad bie
Verantwortlicher Herausgeber: Heineich Brockhaus.
Annchme herausſtellte, daß, obwol ein Theil davon wahrſchein⸗
lich echt, doch ſehr viel untergeſchoben ſei. In der ſpaͤtern Beit
gab man ſich nun alle Mühe, das Echte von dem Untergeſchobe⸗
nen zu fondern; dabei gab man bie Hoffnung nicht auf, daB
die urfprängliche Abfaffung diefer @pifteln in ſyriſcher Spra-
Se ſich noch einmal finden werde, da Ebed Iefu, Metropoli⸗
tan von Soba, m feinem Katalog ſyriſcher Werke, der von
Abraham Ecchellenſfis 1653 herausgegeben wurde, einer fi
Ausgabe Erwähnung thut. Bon mehren Seiten, namentli
von Dr. Fell, wurden deshalb lange Rachforſchungen in den
Klöftern des Morgenlandes angeſtellt, ohne daß fie zum Ziele
führten. Im J. 1839 kauften die Vorſteher des Beitifhen Mu:
feum die Manufcripte an, welche Hr. Rich bei feinem Aufent⸗
halte in Bagdad ſich verſ hatte, und eins diefer Manu:
feripte enthielt benn ein Bruchſtück bed Märtyrerthums des
heiligen Ignatius nebft feiner Epiftel an die Römer. Ein ans
derer Forſcher auf diefem Welde, der enalifche Geiſtliche Wil:
Ham Zureton, hoffte Das vollftändige Werk zu finden, da Affe⸗
manni in der Borrebe zu feiner „Bibliotheca orientalis” mel-
bet, er ‚babe von dem Klofter gu Nitria eine fehr alte Hand»
ſchrift, welcde die Thaten ded heiligen Ignatius und anderer
Blutzeugen umfaßte, erhalten und in der Bibliothek des Ba:
tican niedergelegt. Die Anfragen, welche deshalb in Rom
geſchahen, wurden dahin beantwortet, daß fich nichts dergleichen
dort vorfinde. Endlich gelangte Tattam bei feiner Reife in
Auppten 1833 — 39 in dem genannten Kloſter in den Befig
mehrer ſyriſchen Handfchriften, und unter ihnen fand Eureton
eine uralte und darin nedft andern feltenen Urkunden mehre
Musgüige aus ten Epifteln des Heiligen Ignatius. Bereit
1843 legte Zattam eine Sammlung Diefer wichtigen Manu:
feripte in das Britifhe Mufeum nieder und Qureton hat jegt
unter dem Zitel: „Ancient Syriac version of the epistles
of St,-Ignatius”, drei diefer Epifteln, nämlih die an St.⸗
Polycarp, an die Ephefer und bie Römer, in fprifchem Urtert
mit englifcher Überfegung zur Seite Herausgegeben und denfel-
ben am Schluß die griechiſche Recenfion der Medichifchen Hand:
ſchrift ſowie Moten beigefügt, welche jene heile der griechi⸗
ſchen Überfegung hervorheben, die zu einer fpatern Zeit einge:
Tchaltet worden find. Zugleich hat der Heraudgeber verſprochen,
dag er aus den fraglichen Manuferipten noch andere Abhand⸗
lungen von großer Wichtigkeit veröffentlichen werbe.
Unwiffenbheit des Landvolks in Portugal.
Der englifhe Reifende W. H. ©. Kingfton erzählt in fer-
nen „Lusitanian sketches of the pen and pendl’' (2 Bde.)
unter andern Bügen von der Unmwiflenheit Des porkugiefifhen
Lauduolfs, daß man ihn im Innern des Landes überall nad
der „Flugmaſchine“ gefragt habe, vermöge welcher die Leute
durch die Luft fliegen koͤnnten; noch mehr fei man neugierig
gewefen, wie es mit den eifernen Dampfbooten ftehe. In den
Flugmafchinen babe den Leuten nichts Unwahrſcheinliches gelegen,
da „die Vögel ja auch fliegen koͤnnten“; aber die Kunft, Eifen
ſchwimmen zu maden, das fei ihnen unbegreiflich geblieben s
fie hätten ſtets gefragt, ob denn dergleihen Schiffe nicht zu
Boden ſaͤnken? 12.
Literarifhe Anzeige.
Bei F. A. Brockhaus in Leipzig ift neu erfchienen und
in allen Buchhandlungen zu erhalten:
Die
Katholifch-theologifche Facultät
an der
Univerfität zu Breslau.
Gr. 8. Geh. 6 Near.
Drud und Berlag von F. 8. Brockpaus in Leipyig.
Blatter
für
literarifde Unterbaltung.
Sonnabend,
10. Jannar 1846,
(Bortfegung aus Wr. 9.)
Dos wären nun Die allgemeinen Bemerkungen, zu
denen bie Lecture ber „Unemonen” uns Beranlaffung
gegeben bat. Wir wollen fegt verfishen, den überreichen
Inhalt des Buche wenigſtens ben Hauptſachen nach dar⸗
zulegen, obſchon man meiſtens vergeblich ſich nad licht⸗
vollen Überblicken und Zuſammenfaſſungen der Begeben⸗
heiten umſieht. In den „Lebensbildern“ boten bie dem
zweiten Bande beigefügten egifter doch einige, wenn
auch nur fpärliche Hüffe, in den „Anemonen” vermiffen
wir auch dieſe gewiß nicht verwerfliche Rückſicht auf bie
Bequemlichkeit der Lefer, bie in noch höherm Grade De-
nen zugute kommt, welche bie vielfachen Einzelheiten auf
ein beflimmtes praktiſches Ziel hinführen und ihr Lob
ober ihren Zabel nicht blos von gemiffen Umftänden ober
Richtungen, welde dem. Berf. gerade zufagen oder zu-
wider find, beflimmen lafſen. '
Der alte Bilgersmann erhlelt zu Trident am 11. März
1835 _die Nachricht von dem Ableben bes Kaiſers Franz I.
von Oſtreich, und fein unerfchöpfliches Gedaͤchtniß führt
ihm gleich eine Reihe Hiftorifcher Thatſachen zu, die ſich
ebenfalls am 11. Mär, ereignet haben. Diefe geben
Anlaß zur Srörterung der von „dem Pfäfflein Talley⸗
rand dem Congreßwalfiſch zn Wim vorgeworfene Legi-
timitätstonne” und über das fait accompli der modernen
Politit, Alles in ſehr ſarcaſtiſcher Weiſe Denn das
Refultat der Bemerkungen über die Regentenhäufer in
Oſtreich, Spanien, Holland, England, Portngal, Schwe⸗
den und Dänemark Tduft mehr ober weniger auf nichts
Anderes heraus als daß alle Throne Europas von ben Nadh-
tommen fchlauer Eroberer oder glücklicher Baftardföhne
eingenommen find. Dazwiſchen ziehen ſich Betrachtun-
gen über das Saliſche Gefeg in Spanien, über abgefegte
Fürften, wie über den Herzog Karl don Braunfchweig, über
anfcheinend illegitime oder nicht ebenbürtige Heirathen,
über conflitutiounele Berfaffungen, und eine hiſtoriſch⸗
ftaatsrechtliche Erörterung fiber blinde Kürften (&. 50 fg.)
zur Beſtätigung des Satzes, daß das geſammte chriſtliche
Europa Sein Beifpiel eines Fürſten kenne, welcher blind
deu Thron beiliegen Hätte. Bei Gelegenheit der conftitu-
tionnellen Berfaffungen weiß der Verf. wieder auf Oft-
ſelbſtzemachten Berfchwörungen und der Undank. oo.
Wenn das erloſchene Habsburgiſche Kaiſergeſchlecht,
leſen wir weiter, die Dynaſtie der Unwahrſcheinlichkeiten
heißt, fo gilt bied einmal in dem Sinne, daß in dem
von feinen Geſchicken duerchlaufenen halben Jahrtauſend
felten das den gewöhnlichiten Berechnungen zufagende
Vahrſcheinliche, vielmehr bas Unwaheſcheinlichſte einge-
troffen fei, andererfeits, daß ein fehtenes Glücksſpiel bier
fem Daufe vergönnt, in ber öffentlichen Meinung, bie
es ale ſolche mit eiferner Gewalt, oft mit beharrlichen
Hinderliſt wiederzutreten verſucht Hat, das Unwaheſchein⸗
liche als wahrfcheintic, niederzulegen und das Falſche,
als traditionnelle Glaubenswahrheit, einer unmwilligen,- aber
gleichwol irre gewordenen Nachwelt zu überliefeen. Als
Belege zu diefen mit mehr als hiftorifcher Streuge Yin-
geflellten Sägen wird unter Underm bie Fehde Rudolf
von Habsburg mit Ditofar von Böhmen angeführt, fer-
ner ber Entfag von Wien durch Sobieski, ber dociſache
Zuſammenfluß von Kronen auf das Haupt Yhikipp's,
des Sohnes Marimilian’s I., der fogar mit bitterer An-
fpielung auf feinen Namen „bes legten Rittere‘ ber
„Ritter der Unmwahrfcheinlichkeiten” heißt, die Ermwerbun-
gen während Friedrich's IV. und Rudolf's IV. flud-
würdiger Regierungen. Außerdem ift in mehren Beifpie-
fen bier und ganz befondess und mit fichelicher Unfreund-
lichkeit (II, 118 — 429) gezeigt, daß die Gefahr des
Erlöfchens diefes Haufes, wie unter Mar I, Ferdinand D.
und Leopold I. doc, ſtets zu neuen Ausbreitungen ge
fügrt habe. Nechnet man nun hierzu die mehrfach aus⸗
gefprachene Anficht, daB von Aibrecht bis auf Map J.
die Habsburger in mmaufhörfihen Kämpfen gegen dem
Geiſt der Zeit fich verbiutet hätten, lieft man bie mit
einer Maſſe von Einzelheiten ausgeflattete Beichreibung
der ungerechten Eingriffe Habsburgs in bie Verfaſſungen
von Ungarn, Böhmen und Tirol (mas in beiben Bin
den eigentlich der härtefte Vorwurf gegen bie oͤſtreichi⸗
Ihe Regierung iff), vergleicht man endfih damit bie
fostdauernde Gegenüberfiellung ber Häufer . Habsburg
umb Habäburg-Borhringen, obwel von dem Legteen auch
Nachtheiliges genug gefagt ift, fo kann man fi der
Fear nr —* daß der Verf. der „Unemonen”
es eigentlich beflage, daß die Vorfehung gerade in die⸗
fer Weiſe über dem Kaiſerhauſe gewaltet habe. Einzelne
Lobpreifungen, wie die der fittlihen und häuslichen Tu⸗
genden der Frauen im Habsburgifchen Haufe, vermögen
nichts gegen bie Keindlichkeit der Gefinnung, mit welcher
ale Wunden des Haufes aufgededt werden. Und doch
gibt es nicht leicht ein ehrwũrdigeres Amt ale das ift,
welches die Vorſehung dem oͤſtreichiſchen Kaiferthun im
Kreife der europäifhen Staaten aufgetragen hat, wie
unfer Verf. felbft in voller Ubereinſtimmung mit einem
gefühlvollen Kenner der vaterländifchen Gefchichte erſt
jegt in feinem „Hiftorifchen Zafchenbuche” (Jahrgang 1846,
©. 15) behauptet hat. Es gibt aber auch nicht Leicht
einen bewunderungswürdigern Beweis für die befondere
Obhut der Vorfehung und für die höhere Lenkung
menſchlicher Schickſale ald den Augenblid, wo Karl VI.
ftarb. Der alte Mannsftamm bes Fürften, mit welchem
und durch welchen der öftreichifhe Staatenbunb groß
geworden war und zu welchem ſich feine Länder gleich-
fam durch eine Wahlverwandtichaft immer wieder hin⸗
gezogen gefühlt hatten, fo oft fie das Verhaͤngniß von-
einander riß, war erlofhen. Da ward in Maria The⸗
zefia eine rau auf den Thron geftellt, die nur deshalb
ein Weib zu fein fehien, um alle die ruhmvollen Eigen-
fhaften ihrer Ahnen, die fi in ber fpröden, männlichen
Natur zum Theil nicht gegenfeitig ausgleichen wollten,
mit verföhnender weiblicher Huld in fih zu vereinen
und unter eine blühende Nachkommenſchaft reichlich zu
verbreiten. Damit aber die Habsburgifhe Eigenthüm-
lichkeit ſich ungetrübt erhalte, wählte die Vorfehung der
Zürftin einen Gemahl in Franz von Lothringen, der aus
einem Urftamme mit ihrem Geſchlechte entfproffen war,
und durch wechfelfeitige Neigung (mir möchten gern bier
die Worte unfers Berf. in Bb. II, S. 133, anführen),
ohne politiſche Berechnung warb einer Dynaftie ber herr⸗
lichſten Söhne und Töchter das Dafein gegeben.
(Die Zortſetzung folgt.)
— nn
Ein Herenprocef.
Die wahre Weisheit, die Entdeckung und Ausrottung alt
vererbien Truges und Unverftandes ift ſtets vom Volke ausge:
gangen, d. h. von den Leuten mit gefundem Menfchenverftande
und geradem Herzen, denen der Wuft eingelernten und ein-
gefpulten Willens nie die Sinne umnebelt und die Gefühle
verhärtet; aller Widerftand gegen Licht und Aufklaͤrung dage⸗
en bat unter ben Hochgelahrten jebwelcher Zeit, wo ein fol:
v Kampf fih entwidelt, ſtets die nachhaltigften Stügen ge:
funden, wie er fi zum Gelingen feiner Plane ftets an die
dumpfſte Roheit allen geiftigen Poͤbels gewandt hat. Dies ift
die große Wahrheit, weldge die Gefchichte auf jedem ihrer Blät-
ter von der graueften Vorzeit bis herab auf unfere Zage in
taufend Beilpielen lehrt. Die Gefchichte der Hexenproceſſe,
einer der größten Schandflede, die an dem Gebächtnif von
Beitaltern haften, die noch nit gar fern hinter uns liegen,
redet biefer Wahrheit das unmwiderfprechlichfte Beugniß. ir
wünfden uns Süd, daB biefer graufame Irrthum übertwun-
ben, daß ber fange blutige Schatten, den derfelbe über ganze
Jahrhunderte geworfen, wie der Rebel vor der Sonne fpurles
verſchwunden iſt. Und doch fpuft der unheimliche Geiſt, der
jene Scheuslichkeiten erzeugt, der Tauſende und wieder Tau⸗
fende zu den gräßlichfien Martern, zu den furchtbarſten Todes⸗
qualen verdammt bat, indem er ſich in den Mantel des Glau⸗
bens und der Religion hüllte, auch noch bis zu diefer Stunde
unter ben gefitteten Nationen umher; die Sehnſucht nach dem
Weſen und den Geftaltungen des Mittelalters müßte in ihrer
legten Entwidelung wieber zu feiner verfolgungsfüchtigen Giau⸗
bensdemuth und feiner graufamen Andachtöfülle hinführen. Je⸗
nen Teufelsbeſchwoͤrern und Zeufelaustreibern in Belgien und
Zuremburg, denen vielleicht nur der weltlihe Arm mangelt,
um angezünbete Holsftöße und ähnliche Koltern an die Stelle
der mildern Mittel des Erorcismus zu fegen, jenes Vorkom⸗
men von angeblich Beſeſſenen und ihre Heilung durch Pfäffen:
trug, jenes Erzaͤhlen und Wiedererzählen von dem „Herein⸗
rggen der Geifterwelt” mit allen Anhaͤngſeln finfterer daͤmoni⸗
her Gewalten in die unferige: was find biefe fo häufigen Er⸗
fheinungen denn Anderes als Seien der Hinneigung zu ei—
ner Inbrunft des Aberglaubene, der einft in zahllofen Autosdafe
bie legte Stufe wollüftiger —— gefunden? Jeder
neue Beitrag, der die geſchichtlichen Kolgen dieſes Aberglau⸗
bens in feiner aͤußerſten Gonſequenz in volles Licht ſtellt, muß
deshalb als ein Schu» und Heilmittel wider die gefährliche
Seuche betrachtet werden, die ihr Gift in neuerer Zeit wieder
ftärfer als je ausbreitet. Als ein folder wichtiger Beitrag ift
aber das auf Koften der Cheltham society in England durch
James Eroßley herausgegebene und mit Einleitung und Roten
verfehene Wert „Potts discovery of witches in the county
of Lancashire. Reprinted from the original edition of 1613”
anzufeben. In feiner Einleitung macht der Herausgeber dar⸗
auf aufmerkfam, daß die gelehrteften, angefebenften Männer
jener und felbft fpäterer Zeit an das Herenwefen geglaubt ha»
ben, fo Bacon, Raleigh, Selden, Eubworth, Dr. Henry More,
ja Hobbes und Boyle Während nun Männer von foldyer
Auszeichnung und Gelehrſamkeit diefem finnverwirrenden und
entmenſchlichenden Aberglauben huldigten, gehörten Diejenigen,
welche fich demfelben kuͤhn entgegenfkellten und die ſich dadurch
mebr oder minder heftigen Unfeindungen, Berdächtigungen,
Berfolgungen, dem wütbendften Haß der Pöbelmeinung aus»
festen, größtentheils Claſſen an, die in gejellfchaftlicher Stel
lung einen untergeordneten Bang einnahmen; es waren mei»
ftentheilß Leute ohne Stand, Rang, Amt, ja felbft ohne Wif
ſenſchaft; einfache Männer, die dad Herz auf dem rechten Flecke
trugen und die mit klarem ungetrübtem Auge die Dinge far
ben wie fie waren. Ber erfte diefer Männer, welche in Eng-
land — wo uͤberdies die Herenverfolgung erft fpäter und beiwei-
tem nicht in dem Maße wie auf dem Feftlande, und namentlich
in Deutfchland, um fich gegriffen hatte — dagegen auftraten, Re:
ginald Scott, war ein Landedelmann, der Ackerwirthſchaft trieb
und befonders als Hopfenbauer in Ruf fland. Er begann mit
feinem im 3. 1534 herausgegebenen ‚‚Discoverie of witch-
craft”” den Kampf gegen den abfcheulichen Wberglauben und
die dadurch häufig gewordenen Rechtsmorde. In marliger,
derber Sprache und mit sreflenem Spotte verfolgte er diefen
fhändlihen Brauch. Ihm folgte brei Menſchenalter fpäter
Sir Robert Fülmer, ein ale Sonderling und ercentrifcher Kopf
berüchtigter Baronet, deſſen unmittelbare Erfolge befonders
dadurch erlangt wurden, daß er fih mit feiner gegen jene
Abfcheulichkeiten gerichteten Schrift „„Advertisement to the ju-
rymen of England touching witches’ geradezu an das Volk,
an Diejenigen wandte, welche über Angeklagte biefer Urt zu
Gericht faßen. Ein kleiner verwachfener Schriftfteller oder
Advocat, Wagſtaffe, der die Sache mit folcher perfönlicher Lei⸗
benfchaft angriff, daß er darüber in Irrfinn verfiel und def»
fen Rame ſchier ver een ift, war der Dritte, der Verfaſſer
endlih der im J. 1677 veröffentlichten Schrift „The dis-
playing of supposed witchcraft”, Webfter, ein Naturforſcher
und Alchimiſt,
— ein dunkler Ehrenmann
Der über die Natur und ihre heilige Kreife
An Reblichleit, jedoch auf feine Weiſe
Mit grillenhafter Mühe faın —
der Vierte jener Männer in England, deren Ramen ald Be
fümpfer des unfchulbmordenden Borurtheild auf unfere Tage
gelommen find. Ihnen fehloffen fi) zahllofe Andere an, Die
in Schrift und Wort die Sünde ihrer Bett, den Trug und die
Lüge in der blutigen Geftalt, die fie Damals trug, befehdeten;
noch. weit obſcurere Leute als die genannten Bier, Menfchen
wie Die, welche heutzutage der anmaßende geiftige Bettelftolz,
der feine Dentunfähigkeit und Denkfeindſchaft prunfend zur
Schau trägt, welche heute das unwiffende Junkerthum, die
verbauerte Dummheit und ber ftupide Geldfad mil dem Na:
men „Sribler” zu ſchaͤnden meinen, wenn fie e8 wagen, an
andere gleichfalls von Jahrhunderten zu Sahrhunderten fort:
geerbte Irrthuͤmer das Richtſcheid des uwerfaͤlſchten gefunden
Menſchenverſtandes, der Wahrheit und des Rechtsbewußtſeins
unſers Jahrhunderts zu legen. Vergeſſen find jene Ramen,
carent quia vate suo, ungekannt find jene Federn, die den
heitigften Interefien der Menfchheit in einem Kampfe gedient,
wie er nie geredhter und wenn man will chriftlicder, d. h. mehr
im Geifte des wahren Ehriftentyums geführt worden; aber
ignen, den im Dunkel ber Dergefienkeit Begrabenen, den Leu
ten aus dem Volke und mit dem Volle ift es zu danken, daß
das fcheusliche Brandmal, welches religiöfer Fanatismus auf
jene finftern Zeiten gedruͤckt, ſich nicht auf unfere Tage fort«
gepflanzt: ihnen iſt es zu danken, daß der von den Gewalti-
gen und Gelchrteften und &ebildetften folcher Beitalter genaͤhrte
und gepflegte Aberglaube erfchüttert und umgeftoßen wurde
in der Meinung ded Volks, daß er dem gerechten Verdam
mungsurtbheil der Nachwelt, unferer Zeit anheimfiel. Ehre die
fer vergeflenen Ramen jenen Pharifüern und Schriftgelehrten
gegenüber, die, pochend auf Macht und Autorität, Alles, was
durch beide in ihren Kräften ftand, anwandten, dieſes Vorur⸗
theil aufrechtzuerhalten !
Das obengenannte nach mehr denn 200 Jahren aufs
neue herausgegebene Wert enthält die Geſchichte eines ſolchen
Proceſſes im 3. A612, deſſen Nefultat die Hinrichtung von
zehn Menfchen war. Über die Richtigkeit der darin enthalte»
nen Thatſachen, welche einen tiefen Blick in die MWerirrungen
der Menfchennatur zu werfen vergönnen, Fann wol Fein Zwei⸗
fel beftehen, da der Berf. der Schrift, Pott, Schreiber des
Gerichtöhofs, vor dem die Sache geführt wurde, diefelbe auf
aus drücklichen Befehl der beiden Richter, welche bei dem Ge⸗
richte den Borfig geführt, abfaßte, auch vor der Veröffent⸗
lichung einer diefer Diener der Gerechtigkeit die Schrift noch
einer genauen Durchſicht unterwarf, damit, wie Pott fih aus:
drückt, „nichts als Thatſachen aufgenommen würden”. Rad
Diefem läßt fi annehmen, daß die erwähnten Richter ihr Ber
fahren in diefer Sache ſich zu großer Ehre vechneten und dur
die weitere Beröffentlihung deijelben fih bei den damaligen
Machthabern in Gunft fegen wollten, waß dadurch noch wahr:
ſcheinlicher wird, baß dieſes Urtheil des Gerichtshofes das erfte
Zodesurtheil in England wegen Hexerei zur Folge hatte, in»
dem man das von Jakob I. erlaſſene Geſetz darauf anwandte,
welcher Stuart befanntlich ein großer Freund bes Dämonen»
glaubens war und felbft, ein in theologifchen Sachen grund»
gelehrter Herr, darüber gejchrieben hatte. Natürlich mußten
Richter, die durch Ausſagen, welche ſie von den Angeklagten
erlangt hatten, die theoretiſchen Behauptungen und die theo⸗
logifche Weisheit ihres koͤniglichen Gebieters durch Thatſachen
beftätigten, feiner fuͤrſtlichen Gunſt empfohlen werben.
Bon den sen Berurtheilten gehörten neun einer der ent
Kegenften und unfruchtbarften Gegenden in Kancafhire, dem unter
den Ramen Pendie Forſt bekannten Bezirke an, deſſen Schrecken
au jener Beit zwei alte achtzigjaͤhrige Weiber, berüchtigt unter
dem Ramen DId Demdike und Did Ehattor, waren. Alles
Döfe, was in der fernen und nahen Umgegenb @inzeinen
wiverfuhr, alle Erktankungen und der Vod von Menſchen und
Bieh wurde dieſen beiden Wefen und ihren Verſprechungen
und BZaubermitteln zur Laft gelegt. Auch rühmten Beide, bie
lange in toͤdtlicher Feindſchaft geftanden, fich felbft ihrer Zau⸗
berfraft und waren fo nach und nach, wie dies zu gehen pflegt,
aus Betrügern zu Selbſtbetrogenen geworden, welche die Voll⸗
ſtrekung ihrer Hexenſprüche und Belhwörungsformeln dem
vertrauten Umgange mit einem Geifte aus dem Abgrunde ber
Finſterniß zufchrieben und in jeder Kage und jedem Hunde den⸗
felben zu erbliden vermeinten. Die Gerüchte hinfichtli mehrer
von diefen Perfonen durch Hererei vollbrachten Mis und Morb>
tbaten Samen einem Richter mit Namen Roger Rowell in Read
zu Ohren, der am 2. April 1612, beide Weiber mit ihren Toͤch⸗
tern Alifon Davis und Anne Redfern in Haft feben ließ, um
fie fpäter vor Gericht zu flellen. In Folge diefer Verhaftung
verfammelten ji die Kinder und Anverwandten der außerfches
nen Dpfer am Charfreitage in einem abgelegenen einzefftchen-
den Gebäude, Malking Tower, um bie Schritte zu berathen,
die zur Bertheidigung der Angeklagten zu thun wären. Es
verbreitete ſich das Gerücht, man habe dort befchlofien, den
Gefängnißvogt von Lancafter Eaftle, wo die gefänglih Einge⸗
zogenen verwahrt wurden, zu: morden und das Schloß in die
Luft zu ſprengen; Grunde genug für ben eifrigen Michter,
noch weitere Berhaftungen in der Verwandtfchaft der Angeklag⸗
ten vorzunehmen, indem er eine Gutsbeſitzerin, mit der er ſeit
laͤngerer Zeit in Grenzſtreit lag, Alice Nutter mit Namen,
noch eine Tochter und einen Enkel der Old Demdike, Eliſabeth
und Jakob Davis, eine gewiſſe Katharina Hewitt und noch
eine Menge anderer Perſonen einziehen ließ. Der Hauptbelas
ftungszeuge binfihtli der in Malking Tower vorgenommenen
„ſchwarzen Künfte” war ein Kind von neun Jahren, die
Tochter der Eliſabeth Davis und Enkelin der DId Demdike auf
deren Ausfagen bin ihre nächften Anverwandten, Mutter, Groß⸗
mutter, Bruder und Schwefter, zum ode verurtheilt werden
follten. Zwar betannten ſich diefe im Kerker zu den ihnen ſchulb⸗
gegebenen Verbrechen, aber es geht mit ziemlicher Wahrſchein⸗
lichkeit aus dem ganzen Verfahren hervor, daß man ihnen das
Geſtaͤndniß wenn nicht durch wirkliche Foltern, doch durch
Mittel ausgepreßt, die auf Daſſelbe hinausliefen. Die Andern,
welche auf die Ausſage dieſes Kindes zum Tode verurtheilt
wurden, nämlich Anne Nedfern, Alice Rutter, Katharina Her
witt, Sohn und Sohanna Bulcock (die Leptern Mutter und
Sohn), behaupteten bis zum lebten Augenblick ftandhaft ihre
Unfhuld. Die Großmutter, mit ihrem Familiennamen Etiſa⸗
betb Southeres, hatte ausgefagt, daß fie vor 20 Jahren,
als fie vom Betteln nach Haufe gegangen, an einem Brunnen
einem Geiſt oder Beufel in Geftalt eines Jungen begegnet, befs
fen Meidung zur Hälfte ſchwarz, zur Hälfte braun geweien
fei und ber ihr verfprochden Babe, fie folle Alles haben, was
fie fodere, wenn fie ihm ihre Seele übergeben wolle. Um
feinen Ramen gefragt, habe ex ſich Zipp genannt und fie ſei
beftodhen durch das Verſprechen auf den Vertrag eingegangen.
Im Laufe der nächften Fünf oder ſechs Jahre fei ihr befagter
Zeufel zu wiederholten Malen bei Tagesanbruch erjchienen und
babe fie gefragt, was fie verlange oder gethan haben wolle.
Ihre (Befäbrtin Did Ehattor, oder mit ihrem Familiennamen
Anna Whittle, hatte bei dem Verhoͤre im Gefängniß ausgefagt,
die Undere babe fie zum Paet mit dem Teufel überredet. As
ihe der Lehtere darauf in menfchlicher Geftalt erſchienen fei,
babe fie eingewilligt, ihm ihre Seele zu übergeben, der böfe
@eift aber die Bedingung geſtellt, fie müfle ihm einen Theil
ihred Körpers barbieten, um daran zu faugen; zuerſt habe fie
fih geweigert und gefragt, welchen Theil er zu dieſem Smedke
begehre. Als er entgegnet, eine Stelle an ihrer rechten Geite,
dicht unter den Rippen und zugleih ihr „Gold, Sitber und
weltlichen Reichthum, fo viel fie wünfche” veriprochen, habe fie
eingewilligts aber fein Berfprechen babe er fchlecht erfüllt,
Denn nur dann und wann habe fie ein Beldftud von ihm er»
balten und wenn er einmal ihnen eine Unterhaltung gegeben,
eien fie, obwol fie gegeffen hätten, keineswegs fatt bavem
——— Dem Enkel der alten Demdike hatte man durch
—* en und Verſprechungen folgende Ausſagen ausgeyreßt.
Seine Großmutter habe ihn vor zwei Jahren in die Kirche
chickt, um zum Abendmahl zu gehen, ihm aber befohlen, das
sim vom er dargereichte Brot nicht zu effen, ſondern es
mit fish zu nehmen und es demjenigen Ding auszuliefern, das
ihm auf feinem Heimweg begegnen würde. Uber troß dieſes
Befehls habe er das Brot gegeſſen. Als er mm ſich auf den
Heimweg gemacht, ſei ihm etwa 40 RAuthen vom ber Kirche
ein Ding in Geflalt eines ofen begegnet, der ihn angefpro-
den und ihn gefragt babe, er nach dem Auftrage feiner
Großmutter bad Brot mitbringe; barauf habe er fich jedoch
bedreust und der Hafe fei auß feinem Geſicht verſchwunden.
Bier Jage fpäter aber fei ihm in der Naͤhe der Kirche ein
Ding in Geflalt eines braunen Hundes erſchienen, ber ihm
feine Seele abgefobert und ihm verfprochen habe, daß er dann
. Rache nehmen fünne, an wem er wolle; allein auch darauf
habe er entgegnet, feine Seele gehöre nicht ihm, fondern\ feis
nem Erlöfer Jeſus Shriftus; was jedoch ihm gehöre, das wolle
er ihm geben. Werner fagte diefer Angeklagte aus, er babe
mit feiner Großmutter zufammen aus Lehm ein Bild geformt
und durch Behexung defielben einen gewiſſen Townley getöbtet;
ein Gleiches habe er fpäter mit einem andern feiner perſon⸗
lichen Feinde getban. Die bereitd erwähnte neunjährige' Beu-
gin Hatte ausgeſagt, fie habe ihre Großmutter und Mutter
fowie ihren Bruder mit Hunden und Pferden fprechen fehen,
auch gehört, wie fie Anfchläge zum Verderben gewiffer Nach⸗
barn verabrebet; auch habe fie Andere der Angeklagten im
Malking Tower erblidt, als man dort die Befchlüfle gegen Las
Sancafter Eaftle und deffen Vogt gefaßt.
Auf diefe Ausfagen hin wurden benn zehn Berfonen zum
Strange verurtbeilt; eb noch die Hinrichtung ftaftfand, war die
alte Dembile im Kerker geftorben. Die beiden Richter, welchen man
bie Unterfuchung und den Ausgang berfelben dankte, ruͤhmten
ſich laut ihres Eifers und ihres Werkes und teugen, damit ihr
Ruhm ja der Nachwelt nicht verloren gehe, dem Gerichtsſchrei⸗
ber die Darftellung dieſes Proceſſes auf, So forgfam derfelbe
auch in Bolführung biefes Auftrags geweſen ift, fo große Lob:
ſpruͤche er auch diefen „ehrenwerthen“ Michtern, dem Hrn.
Hoger Rommel of Read und dem Hrn. Nikolas Bomifker,
fvendet, indem er am Schluffe in die Worte ausbricht:
„Gott gebe uns die lange und gebeihliche Fortdauer biefer eh⸗
renwerthen und verehrungswürbigen Richter, unter deren Re:
gierung wir in diefen nördlichen Gegenden leben!“ trotz ih⸗
rer gerühmten ‚großen Verdienfte um das Land’ Hrn die Nach⸗
weit, an die fie mit jener, Darftellung des Procefies Berufung
eingelegt, eben auf diefe Überlieferung geftüst, ihre Namen zu
denen jener Dummkoͤpfe oder Riederträhhtigen geworfen, bie
aus Verblendung ober niedrigen Beweggründen bem Borur-
theile und Uberglauben ihres ZBeitalters ihre Hand gellchen.
Statt des Ruhms, den fie fuchten und erwarteten, haftet ewige
Schande an ihren Namen! ‚So fol es jedem Gauch ergehen!”
Ein Menfchenalter fpäter fand auf die Ausfage eines Jungen von
10 — 11 Jahren in derfeiben Gegend wieder eine Herenverfol-
gung flatt, weiche zwar gleichfalls zu einem Zodesurtheil im Wege
der Gerichte führte, aber hauptfächlich durch die Bemühungen je»
nes obenerwähnten Webfter, der Durch die Preſſe den Abergkauben
und die Bethörung der richterlichen Behörden auf bas ſchaͤrfſte
geißelte, nicht zur Vollſtreckung kam, indem ber König, welcher
die Berurtbeilten in feinem Beifein ärztlich unterſuchen und von
aufgektärten Leuten verhören Ließ, fie begnabigte.
‚ Die Erzählung biefes zweiten Balls, obwol nicht we⸗
niger intereffant wie der gefchilderte, und ein ebenfo trif⸗
iger Beleg zu der oben ausgeſprochenen Anficht, mag
hier unterbleiben. Nur einer in Bezug zu dieſer Sache
ſtehenden, ziemlich allgemein verbreiteten Annahme, welcher
auch der Herausgeber jener Schrift huldigt, ſoll hier noch
gedacht werden. Es iſt dieſe, daß den Geſtaͤndniſſen, bie fo
Verantwortlicher Herausgeber: Heiuri Brockhans.
gebildet war, daß kraft des ſchoͤpferi
häufig in ſolchen Proceſſen abgelogt werben find, beinahe uͤberall
Selbſtbetrug zu Grunde —— die —— ſelbſt
an ihren Umgang mit den Maͤchten ber Winfterniß und die
aus folhem Umgange und dem Buͤndniß mit dem Böfen ber:
geleitete Zaubergewalt geglaubt haben. Mef. erinnert fid, vor
einigen Jahren in einem fübbeutfgen Sournale, weiches Ati
ſterſpuk und Zeufeleten der Urt * behandeln licht und „Daͤ⸗
monengläubigteit verräth, Die Darſtellung eines SHerenpesceh
fed in Baiern ober Mürtemberg aus dem vorigen Jahrhundert
gefunden zu haben, wo biefe Unnahme zu ber Andeutung aus:
en Borſtellungsvermoͤ⸗
gend die böfen Gedanken und Borfäge entarteter Raturen ſich
u Wirklichkeiten umfegen und ſonach alle Yusfagen ihre voll
mmene Richtigkeit gehabt Haben koͤnnen: — eine Anficht, bie
ficherlich allen daͤmonologiſchen Iräumern, welche die „Schat⸗
tenfeite”’ der Ratur t an bee Hand ber Erfahrung unb
ber erperimentivenden Wiſſenſchaft, fonbern der Einbildungs-
kraft gu ergründen trachten, plaufibel erſcheint. Wenn man
nun auch zugeben muß, daß Störungen der natürlichen mb
vegelmäßigen Thaͤtigkeiten des intellectuellen Organismus, wie
„ſixe Ideen“ es find, zum Theil die Erklaͤrung ſolcher abge⸗
legten Geſtaͤndniſſe darreichen, ſo wird man dech nicht fehlgrei⸗
fen, wenn man annimmt, daß in jenen gewaltthätigen und ſin⸗
fern Seitaltern, wo man nicht die mindeſte Ahnung von, nicht
die mindefte Achtung vor dem Adel und der Würde der Na-
fur des Menfchen Hatte, die leiblihen und moralifchen Mar⸗
tern, die man zur Erpreffung des Geftändniffes anmendete,
das Meifte zu den Seldſta en beigetragen baben mögen.
Dort, wo die Geftalt des Gerichtsverfahrens dem Richter foldhe
Mittel der Erpreflung des Geſtaͤndniſſes am unbefchränfteften
in die Hand legte, in ben Ländern bed geheimen Proceſſes,
namentlih in Deutfchland, haben ſich die Hexenproceſſe am
weiteften verbreitet und find vergleichen Schuldbekenntniſſe im
zahllofer Menge vorgefommen; bier hat man bis tief in vori⸗
ges Jahrhundert hinein noch Deren verdammt und verbrannt;
in England ift diefe Schierlingspflanze ber Juſtiz nur exoti⸗
fches Gewaͤchs geblieben und bald mit Stumpf und Stiel aus:
gerodet worden. 26.
Literarifhe Rotizen.
Zur Reifeliteratur.
Aus den umfaflenden Reiſewerken von Alcide b’Drbigny,
in denen eine Fülle tieffinniger Beoachtungen niedergelegt ift,
und bie zugleich ein feltenes Darftelungstalent verrafhen, ers
halten wir gegenwärtig in folgender Schrift: „Fragmente
d’un voyage au centre de FAmerique meridionale”, einen
zweckmaͤßigen Auszug. Der Herausgeber bat in angemeffener
Ausmahl ſolche Partien ausgehoben, in denen fich dem Freunde
pittoreöter Anfichten und Demjenigen, welcher Gefallen findet
an dem finnigen Zreiben ber Ratur, eine reiche Lefe bietet.
Indeflen ift das Ganze fo angelegt, daß man außer ber Unter⸗
haltung auch Belehrung aus ber Lecture des Werks fchöpfen
fann. Durch diefe Veröffentlichung find alfo die umfaflenden
Forfchungen des gelehrten Meifenden, welche in ihrer ausführ-
lichen Darftelung fehr Boftipielig find, auch einem großen
Yublicum zum Theil wenisftens zugänglich gemacht. 17.
Eine Beitfhrift gurh und für das fohöne
In Philadelphia erfcheint jet unter dem Titel „The
American woman” eine Beitfchrift, die nicht blos ausfchließlich
für das weibliche Gefchlecht beftimmt ift, ſondern die auch wur
von Frauen und Mädchen redigirt, herausgegeben, gefegt, gee
brudt und verlegt wird. Die amerikanifchen Freiſtaaten ges
währen, wie es hiernach fcheint, ben praktiſchen Verſuchen
der Weiberemansipation günftigen Boden. 12.
— Drud und Verlag von F. X. Brockhaus in Leipzig.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Sonntag,
— Ar. 11. ö—
11. Januar 1846.
Anemonen aus dem Tagebuche eines alten Pilgers-
manned. Zwei Bänbe.
(Bortfegung aus Nr. 10.)
In dem nun folgenden Abſchnitte über felbfigemachte
Verſchwoͤrungen und Hochverrathsanklagen wird beiläufig
Wallenſtein's Hinopferung und Schaffgotſch' Verurthei⸗
lung dem öſtreichiſchen Hofe zur Laſt gelegt, aber der
Hauptinhalt iſt die „ſataniſche“ Politik des öſtreichiſchen
Hofs gegen Ungarn unter Ferdinand II. und Leopold 1.
Aus der Regierungszeit des Erſtern wird (S. 116 fg.)
das Protokoll einer Staatsrathifigung mitgetheilt. Es
ſei die einzige Weisheit, um jeden Preis die Tiefen zu
taufen und fie von Bethlen⸗Gabor und von den Un-
garn abmendig zu machen; die legtern „Beftien” müffe
man auf alle Weife reizen, ihren Haß auf bed Kai-
ſers Statthalter lenken, die Alles aufbieten follten,
um die Ungarn zum Aufftande gegen die flrengen Gu⸗
bernatoren zu bringen. Hierauf würden biefe den „er:
wünſchten Anlaß“ haben, ohne alles Urtheil und Recht
die unmenſchlichſten Strafen gegen die Hochverräther zu
verhängen. Möge dann auch der Bürgerkrieg das Land
veröden, man fünne es mit zahmen, willenfofen Aus-
Ländern bevölfern. In diefer Weiſe find die abfcheulic)-
ſten Thaten gegen Hohe und Niedere geübt; Infamirung,
‚Eonfiscation, Handbabhauen, Reifen mit glühenden Zan-
gen u. dgl. waren an der Tagesordnung. Schlimmer
noch ging es nad dem Verf. unter Leopold 1. zu; die
Anſchließung an die Türken, um zur Bezwingung Un-
garns freie Hände zu haben, blieb die Achfe der fpanifch-
jefuitifchen Politif, und das Habsburgifche Hausmittel
war, alle drei Wochen eine neue Verſchwörung bervor-
zurufen. Daher gefchah es, daß. Nadasdz, Zriny, Wei:
felenyi u. A. in ſolche Händel verwidelt wurden und
daß der Aufſtand des Toföly entitand, und daß, wie
der Verf. auf ©. 169 fagt, „fechemal in einem Jahr⸗
hundert die ungarifhe Nation kraft der Andreanifchen
Nefidenzclaufel ihren Königen NRechenfchaft abfoderte für
gebrochene Eide, mit Füßen getretene Gefege, für biutige
Gewaltthaten, nämlich in der Infurrection des Botskei,
bes Bethlen, des ältern Rakoczy, in der Wefleleny-
Sriny’fchen, in der Toͤkoly ſchen Verſchwoͤrung, in jener
des legten Rakoczy.“ Uber alle diefe finden fich furcht-
bare Einzelheiten aufgezeichnet, das biutigfte Blatt aber
ift das des Schreckensgerichts zu Eperies (im Mär
und April 1687), wo ber kaiſerliche Oberbefehlshaber
Caraffa nad, glaubwürdiger Aufzeichnung fih mit Wei-
bern beluftigte, mit Würfeln fpielte und mit den Opfern
feiner Wuth um ein Löfegeld fchacherte, während Andere
mit Wachslichtern unter den Armhöhlen gebrannt wur-
den, Andern fpige feuerglühende Nägel unter die Nägel
der Füße und glühender Draht in den After und in
die Harnröhre geftoßen murde. Unermeflihe Summen
wurden erpreßt und mit dem bitterften Hohn jede Ver:
wendung zurüdgewiefen; er (Caraffa) zeigte ein Hand⸗
bilfet vor, daß er keine Rüdficht auf Empfehlungen und
Gnabenbriefe nehmen, fondern auf das große Ziel raft-
los und ohne Schonung fortarbeiten follte (S. 137 — 140).
Bei fo haarfträubenden Unnenfchlichkeiten wäre eine
genauere Angabe der Quellen nach unferm Dafürhalten
eine nothwendige Zugabe gemwefen, wie gern wir aud)
Hrn. v. Hormayr glauben, daß die Überrefte der unga⸗
rifhen Freiheit und Nationalität zwei klugen Frauen,
der Gräfin Althane, der Geliebten Kaifer Karl's VI,
und der fchönen Eleonore Strattmann - Bathiany,, der
Freundin Eugen’s von Savoyen, zu verbanfen gemwefen
find (&. 156 fg.). | |
Die Erwähnung Karl's VI. führt den Berf. auf
feine Tochter Maria Therefia und auf das fogenannte
Ferdinandifche Teftament, deffen Verbeſſerung oder gut:
gemeinte Verfälfhung der „männlichen Erben‘ in „ebe-
liche” zu Gunſten bes wiener Hofs er, nah ber Ber-
fiherung einiger in Gabinetsgeheimniffen mohlbefannten
Männer, dem nachmaligen Minifter Bartenflein und
dem großen Abte zu Gottweih, Gottfried Beſſel, zu-
fehreibe (1, 162 u. 314). Da nun ferner Maria The—⸗
refia nach erfolgter Eroberung ihrer Erbſtaaten in Prag
ein ſtrenges Gericht der Werbannung über viele ange-
fehene Böhmen hielt, die dem Kaifer Karl Albrecht ge-
huldigt hatten, ohne Beachtung ber prager Kapitulation
vom 236. Dec. 1742, und ber Thatfache, daß ſich gegen
fie kein böhmifcher Arm erhoben hatte, fo ftellt der Verf.
auch diefe Begebenheit in die Reihe felbfigemachter Ver⸗
ſchwoͤrungen und fucht den Grund in Maria Thereſia's
Empfindlichkeit gegen Baiern, die bei jedem Anlaß auf-
zuckte. Späterhin grämte fie ſich ſehr über ähnliche
Eingriffe, die verbefferte Auflage des Zerdinandifchen
/
42
Teſtaments ſchien ihr „ein Kranz glühender Kohlen” zu
fein, fie hätte gern Alles gethan, um ihr vermeintliches
Unrecht gegen Baiern gut zu machen (S. 187). Aber
darüber wird man fich eines nicht geringen Erflaunens
kaum erwehren können, daß es (&. 178 u, II, 9) von
derfelben großen und guten Kaiferin beißt, he habe zwar
bei der polnifchen Theilung gern den Schein retten, aber
doch die Früchte des Unrechts geniegen wollen, es fei
alfo in ihrem Handeln „eine gute Portion jefuitifcher
Mentalrefervation und Heuchelei”’ geweſen. Sonſt gäbe
es nicht leicht eine „grandiöfere Grabſchrift“ der „erha-
benen Frau” als ihre Worte an den Fürften Kaunig:
„in diefee Sach, wo nit allein. bas offenbare Recht him⸗
melſchreyet wider Uns, fondern auch alle Billigkeit und
die gefunde Vernunft wider Uns ift, much befhennen,
Daß zeifledens nit fo beängftiget mich befunden und mid
fehen zu laffen ſchaͤme.“ Nun war aber Hr. v. Hor⸗
mayr der Erſte, der jene Worte in der Kaunig'fihen
Ahnentafel im zweiten Jahrgange der neuen Folge fei-
nes „Hiftortfchen Taſchenbuch“ (&. 26) befannt machte
umd, fo viel wir uns entfinnen, ohne alle Verbächtigung
der Kaiferin. Wozu alfo jegt ein ſolcher Zufag?
Die bereitd oben angeführten Beriehungen eichs zu
Boiern veranlaffen den Verf. zur Wiederholung aller
der Unbilden, die das legtere Land von Oſtreich zu lei-
den gehabt Hat, woran fih dann — man weiß nicht
recht wie — eine feitenlange bittere Kritik der reaction:
nairen Parteiverſuche in unfern Zagen anreiht und der
empörte Unwille über die Dabsburgifchen Kürften laut wird,
Die auf ein „präbeflinirtes, göftliches Hecht” in ihren
Ländern getrogt hätten, ohne doch ein ſolches zu beitgen,
wie 3. B. gegen Nubelf I., Albrecht I. und Friedrich
den Schönen. Am Schiuffe (8. 201) fleht wieber ein-
mal die Bemerhimg „ber geſchichtlichen Treue, die nicht
Haß, nicht Liebe duldet, gemäß”, dag hier nur von ben
alten Habtburgern, nicht vom Haufe Lothringen, deffen
Geift ein ganz verfchiedener fei, geredet werde. Der
Berf. bleibt fi) aber bier nicht ganz freu; denn auch
der Lothringer Franz MH. wird von ihm in ſtarken Aus-
drüden der Neigung zum Abſolutismus und ber Nicht-
achtung nationeller Rechte beſchuldigt und die Gentrali-
ſatidnen Maria Thereſia's ſowie der Gorperalliberalis⸗
mus Joſeph's II. find mehr als einmal hart angegriffen
worden, wennſchon auf ben Leptern (I, 357) bie Worte
des rõmiſchen Dichters: „Qnem fata terris tantum osten-
derunt”, angewendet werden. Aber ſolcher Widerfprüche
finden ſich manche in diefen Bänden.
Als das dritte charakteriftifche Merkmal des Habe-
burgiſchen Haufes hatte unfer Verf. den Undank ge-
nannt. Das Buttler'ſche Wort in Schillers ,‚Wallen-
flein‘ „Dank vom Haus Oftreich” empfängt hier einen
ausfühelihen Kommentar. Der riefige Held Andreas
Baumlichher, Hans Liechtenflein, der gewallige Hofmei-
fter, der Marſchall Katzianer, Wallenftein, Leopold's 1.
Minifier Loblowig, der Tiroler Doctor Wilh. Wiener,
werben als traurige Dpfer des Habsburgiſchen Undauks
aufgeführt. Wie Eugen von Savoeyen genedt, belauert,
beargmohnt wurde, wie Laudon fich wie der Bunft des
Hofs zu erfreuen hatte, gleich dem „waſſerdichten Hof-
ſchranzen“ Leopold Daun, wie meber er noch &chwar-
zenberg und Smieten ein Denkmal von der Anerfen-
nung ihrer Kürften erhalten haben, und’ wie Andr. Ho-
fer’6 Gebeine von drei jungen Fägeroffizieven ausgegra-
ben und in Innsbrud, faft gegen den Willen des Kriegs-
rathspraͤſidenten, beflattet worden find — das wird in
fharfen Umriffen und mit bittern Worten, die aber
meiftene durch bie Thatſachen gerechtfertigt worden.
find, der Habsburgifch - Tothringifchen Dynaftie vorgehal-
ten (1, 202—232).
(Die Fortfegung folgt. )
—— m
Die Pfalmen. In Kirchenmelodten übergetragen von
Sriedrih Auguft Koethe. Leipzig, Brockhaus.
1845. Gr. 12. 24 Nor.
Unter den poetifchen Schriften des alten Bundes, hat feit
der Reformation Feine fo viele Gommentatoren und Überfeger
gefunden als jene von David, Affaph und andern Mitgliedern
der Davidifchen Kapelle gedichteten 150 Hymnen, die unter
bem Namen „Der Pfalter” in unfern Kanon eingereiht und
beim Jehovahdienſt in Jeruſalems prachtvollem Zempel von
einem wobhlgeübten Sängerchor erecufirt wurden. Der Grund
dieſer öfteren Bearbeitung ift wol Bein anderer als daß fie von
jeher jedes religiöfe Gemüth mit unwiderſtehlicher Bauberfraft
umfpannen und an fich zogen, und weil dad afcetifche Moment
in ihnen das vorherrſchende iſt. Erkannten und fühlten Das
die Belenner und Söhne der evangelifch-tutherifchen Kirche,
außer Luther ſelbſt Paul Gerhard, Cornelius Becker, es
wald und Andere, jo hat die evangelifch-reformirte Kirche ih»
nen einen noch hohern Werth Hinfichtlich ihrer erbauenden
Kraft beigelegt. Theodor Beza war der Erfte, ber, diefe Kraft
erdennend und gebraudend, im 3. 1552 mit einer metrifchen
Überfegung hervortrat, und dieſes Unternehmen fand in dem
benachbarten Frankreich fo viel Anklang unter den dortigen
Chriſten heivetifcher Eonfeffion, daß man fie fofort in fange:
ſiſche Reime brot, ihnen entiprschende Melodien unterlegte
und fie beim Gottesdienfte an Sonn: und Feſttagen fang..
Der ſprachkundige und feinfühlende Lefer wird freilich finden,
daß fich diefe althebräifhen Hymnen in der der Poeſie überall
abholden franzöfifchen Sprache gar wunderlich ausnehmen.
Welch einen Eindruck mat auf uns die Überfegung des 130.
Pſalms, von dem wir hier nur die drei Strophen feines erha⸗
benften Inhalts berfegen wollen: |
Grand Dieu! tu voie ce que je suis,
Ce que je veux, ce que je puis,
Que je soie ausis ou debout,
Tes yeus me decowvreut parteut,
Et tu penötres ma pensee,
Meme avant quiolle soit tracde!
Sie entlleidet das galliſche Gonverfationsidiom die morgen:
landiſche Erhabenheit alles Reizes, wenn es bem Phantafiefluge
David's in folgenden Verſen nachſtrebt:
Quand l’surore m’anrait preis
Ses niles, sa rapidite,
Et que j’iraie, eu fendant Vair,
Aus borde opposes de la mer,
Ta mein, s’il te plait de l’etendre,
Viemdra m’y poursuivre et m’y preudre.
Si je dis ia wait, pour le molus,
Me cschant aus yeuxs des tömeoine,
De son embre me couvrirs,
La nuit ındme m’selsirere,
Car l’ombre la plus Waebreuse
Est, povar tbi, claire et Jumineuse.
Wir wagen nit & entjcheiden, ob aus dem Schoofe der
franzöfifchereformirten Kirche Die Hfalmen als Lieder zu kirchlicher
Erbauung in die deutfchreformirte Kirche übergingen ; aber fo
viel ſteht fe, daß man hier das vorherzfchende afcetiiche Mo
ment nicht vertannte und daß fihen vor der bekannten Lob»
waſſer'ſchen Überfegung ein Oberfecretair zu Anſpach, Johann
Clauß, 1540 eine poetifche Bearbeitung des Pſalters erfcheinen
ließ, die freilich jegt vergeffen und antiquirt if. Die lange
in kirchlichem Gebrauche gebliebene Ambroſius Lobmwaffer'fche
rhythmifirte und gereimte Bearbeitung wurde im 18. Zahr:
hundert durch eine namhafte Anzahl gefchmadvollerer Bearbei:
ter in Schatten geftellt und faft verdrängt. Zu diefen gehören
Ernft Lange, M. Johann Jakob Epreng, Daniel Wolleb, Io:
han Adam Lehmus, Johann Georg Ruths, Chriſtian Fried
rih Fiſcher, Dr. Johann Andr. Gramer, Ichann Kaspar La:
vater, Ludwig Müller, Friedrich Schützinger, Wilhelm Lau,
Samuel Ludwig Majewsky, Zollitofer und Andere. Wir ge:
ben eine Probe aus dieſer Zeit und ſtellen diefelben Strophen
des obenangeführten 139. Pſalms in einer Bearbeitung von
Spreng, nur von einem fpätern Gefangbuch-Redacteur verbeffert,
zur Vergleichung hierher:
Du prüfeft Alles, Herr, in mir;
Mein Herz liegt aufgededt vor die !
Dein Xuge fiehet, wie ih ruh',
Und wenn ich auffteh’, weißeft tu;
Wohin ih die Gedanken lenke,
Verſtehſt du, ch’ ich fie gedenfe.
3a, trbgen mid, zum fernſten Ort
Der Morgenröthe Flügel fort.
Bis zu des letten Meeres Stran®,
Wär’ Ih aud) da in deiner Hand,
Sie wärbe, wie fie will, mich führen,
und beine HRaechte mich veaieren.
Spraͤch' ich: Verbirg mi Finfternif!
Auch die macht dir kein Hinderniß:
So dunkel auch bie Racht fein mag:
So leuchtet fie dir wie ber Tag,
Das Zinfl’re kann deir Blick aufklaͤren,
In Strahlen ſchwarze Schatten kehren.
Bis auf heute iſt man nicht müde geworben, diefe herrlichen
Lieder metriſch und gereimt zu paraphraficen, und wir erwaͤh⸗
nen hjer nur, da uns die in dieſem Jahre erſchienene Ziller'-
ſche erfegung ſaͤmmtlicher Pſalmen nicht vorliegt, der von
Amalie Wittmüg erſchienenen, au in d. Bl. beiprodenen
„Befänge aus dem Alten Teſtamente“, wo die Verf. die oben
in deuticher und franzöffcher Bearbeitung dargeftellten Verſe
aus dem 139. Pſalm alſo, etwas ſchwach, wiedergibt:
Herr, Herr, bu erforfcheit mid,
Kenneft mich, wie Ih ed meine,
Ob ich leb' in deiner Liebe,
Dder nur zu leben fcheine.
Bliebe ih am fernfien Diem’,
Naͤhm' der Morgenröthe Flügel —
Deine Rechte hielte mic,
Führt’ mi über Thal und Hügel.
Spraͤche ib zur Finſterniß,
Mich zu bergen und zu decken —
Nacht muß lichtdoll fein um mich,
Kann das ew'ge Theil nicht ſchrecken.
Wir haben diefe Zrilogiefhier hingeſtellt, um den keſer und
uns felbft in den Stand zu fegen, durch eine Vergleichung mit
ige den Werth oder, Unwerth der vorliegenden Koethe ſchen
Bearbeitung der Pfalmen kennen zu lernen und beurtheilen gu
[4
48
koͤnnen, aber auch zugleich wm zu zeigen, daß diefer wuͤrdige
Pe De ben men 3 * eis braucht, wenn ee
eine Arbeit mit ben bier angeführten ern Ki n auf
diefem Felde vergleicht. S. 135 Iefen wir: „Der —
Mel.: Auf, auf, mein Hera, und du mein ganzer Sinn ꝛc.“
Herr, du erforfcheft mih und Eenneft mid!
Sch fig’ und ſtehe auf, fo fiehft bu mid;
Du merkſt von fern fhon Allee, was ich denke,
Du bift um mid, wohin den Schritt ich lenke!
Du fhauft all’ meine Weg'; es ſchwebt ten Wort
Auf meiner Zunge, Herr! Du weißt's fofort!
Vorwaͤrts und ruͤdwaͤrts Haft du mich umgeben,
Und hältft die Hand fletd über meinem Leben. -
Solch Wiſſen fteht in wunderbarem Licht,
Steht mir zu Hoch und ich begreif’ es nicht.
Wehin foll id vor deinem Antlig gehen,
um wohin flieh'n vor deines Geiſtes Wehen?
Fuͤhr' ich gen Himmel, To biſt du mir nad’;
Stieg’ ih zur Hölle, fo bift du auch da;
Wollt’ id im Flug’ der Morgenroͤth' enteilen,
Und an bed Meeres fernftem Strande meilen,
Auch da wuͤrd' ich von deiner Hand geführt,
Bon deiner Rechten überall beruͤhrt!
Spraͤch' ih: Mid möge Finſlerniß umgeben!
Ev muß mi Licht ſelbſt in der Nacht umſchweben!
Nicht finfter ift vor dir die Finfterniß;
Die Nacht Hl Tagshell', Licht die Finſterniß!
Du haft der Nieren Urfprung ſelbſt geleitet,
Im Mutterliibe kuͤnſtlich mich bereitet.
Ich danke vir, daß du mich munberber
Gemacht; ja, was du ſchufſt iſt wunderbar!
Herr, bad erkenn' ih wohl! Du fahft mein Leben,
Da mir ed im MWerborg’nen ward gegeben.
Ja, meined Lebens erfter Keim ſchon lag
Bor deinen Xugen Ear, und jeder Tag
Bar auf dein Buch gefchrieben, der entfliehen
Erft follt’, und den Erin Auge noch gefehen!
Wie koͤſtlich find mir, Bott, fie allzumal
Deine Gedanken! Ihrer weldye Zahl!
Wie Sand am Meere! Wer iſt, der fie zähle?
Erwach' ich, iſt bei dir noch meine Seele.
Bergleichen wir nun dieſes Spectmen, von welchem wir blos
die drei legten Strophen ausgelaffen haben, mit den drei obi-
gen Proben, fo muß fih uns zunaͤchſt die Bemerkung aufdrän-
gen, dab dem würdigen Berf. an Treue fein früherer Bear-
beiter gleichkommt. Man wird diefe höchftens da vermiffen, wo
die gewählte Form unüberwindliche Schwicrigfeiten entgegen:
ftelite; Geiſt und Grundton jedes Pfalms tft gersiffenhaft wie»
dergegeden ; nirgend ift ein wefentlicher Gedanke weggefallen
oder ein durch Reimnoth erzeugtes Flickwort eingeſchoben wor:
den. Freilich müflen wie bedauern, daß der geſchickte Der:
deutfher bei der Wahl der Kirchenmelodien darauf verzichten
mußte, den Parallelismus der Glieder, der bekanntlich das ei⸗
gentlich Poetiſche in den Liedern der Hebräer außmadht, überall
durchblicken zu laſſen. Das vermiffen wir aber bei frühern
Bearbeitern auch und noch mehr als bier. Weggelaflen find
allerdings hier und da einige Verſe, aber es find folche, die
unfer —* — Gefuͤhl beleidigen, weil David in ihnen den
ganzen Donner ſeiner Drohungen, Verwünſchungen und rach⸗
füchtigen Schmaͤhungen über feine und Jehovah's Feinde rollen
läßt; ja einige Pfalmen ei Geiſtes finb mit richtigem” Takt
ganz mweggelaflen. Die reformirte Kirche hielt alle Pſalmen
ohne Ausſsnahme für den cvangelifchen Gottesdienſt geeignet
und alle 150 Pfalmen wurden friſchweg für den Kirchengeſang
mundrecht gemacht; gebt das aber wol an? Man denfe nur
an die materielle Fülle des 119. Pſalms, aus welchem zwan⸗
zig GShoräle gebildet werden Eonnten! Was müßte das für
ein wal werden! Man wird dabei an Bürgers Wort:
„Da wäre zu beforgen, ich fang: biß übermorgen‘, erinnert.
Die franzöfifch » und deutfchreformirte Kirche ließ den Pfulmen
neue und befonders componirte Melodien unterlegen; unfer
Berf. hat es vorgezogen, fie nad befannten Choralmelodien
aus dem reichen ag der evangelifchen Kirchenmuſik zu fors
men: gewiß ein nicht Teichte8 Unternehmen, und wir wundern
uns höchlich, daß ed nur drei Pfalmen, nämlich der 19., 90.
und 89. find, für die fih Seine paffenden Ehoralmelodien auf:
finden Tießen und die alfo auf ihren Zonfeger warten. Wol
aber verdient ed vor Allem der in der Übertragung wohlge⸗
Tungene W. Pfalm, daB ihm eine feinem erhabenen Inhalte
angemefiene Melodie untergelegt werde. Waffen wir nun die
hier gewählten Ehoralmelodien felbft ins Auge, fo hätten wir
allerdings die veralteten Melodien: Mein Salomo, dein freund:
liches Negieren ıc., Liebſter Emanuel, Herzog ıc., Ihe Seelen
ſinkt, ja finfet Bin zc., mit ihren zuweilen wunderlidgen Ton:
Beine weggewünfdht; wer ſich aber die Mühe geben will,
ur die Pfalmen pafiende Singweifen aus unfern Choralbüchern
auszuſuchen, der wird bald die Damit verknüpften Schwierig:
Peiten erkennen und dem Umbildner billige Nachſicht zu Theil
werden laflen. Die Theologen und geiftlihen Behörden, die
neue Geſangbücher zeitgemäß zu kirchlichem Gebrauch bearbei-
ten wollen, werden bier auf eine reiche Fundgrube ftoßen, nicht
minder viele Homileten, die in dem bei ihrer Gemeinde einge:
führten Geſangbuche Pein für ihr gewähltes Predigtthema paf-
fendes Lieb finden Fönnen, werden bier oft aus der Verlegen:
beit, geriffen werden, wenn auch ihr Zert dem PYſalmbuch nicht
entnommen ift. Auch was den Wortfinn betrifft, find wir
auf Beine Fehler geftoßen. Luther bat Bein Buch unfers Ka:
non faft richtiger üuberfegt ald cben die Pſalmen, weshalb ſich
der Verf. auch ganz an ihn gehalten bat und den Schwall
elebrter Eregeten bei Seite liegen ließ. Er verfichert im
Bormorte, daß von der Menge moderner Überfegungen, Gloſſa⸗
rien und Commentare ihm Beine und einer vorgelegen haben
als die von Tholuck und de Wette. Luther war ihm Alles,
und mit Recht. Noch verdient diefe Verwandlung der Pfal-
men in Kirchenlieder in einer andern Hinficht unfere Beach:
fung und Bewunderung. Der Berf., befannt als firchenhifto:
rifher Schriftfteller, hat unfers Wiſſens ald Dichter fich nie ber:
vorgethban und lebt überdies in Ten Jahren, von denen wir
überhaupt fagen, fie gefallen uns rıcht, und wo Lie Luft des
Lebens zu berbftlih und kältend weht, als daß in ihr Blüten
der Poeſie gedeihen Pönnten, die nun einmal jugendliche und
Lenzeswärme verlangen; in diefen Berfen und Lietern aber
fühlen wir Beinen Pältenden Anhauch, noch bemerken wir eine
Selähnitheit des Flügeld der Degeifterung, und es fcheint, der
Geift Aſſaph's und David's habe die finkende Kraft unterftügt
und dem betagten Sänger das Arom der Begeifterung auf
die Lippen gegoflen. Und das bewundern wir. Wie fo vieles
Gute im Leben der Menſchen, ift auch diefe Bearbeitung durch
Dos entitanden, was man gewöhnlich Zufall nennt. Der Verf.
war weit entfernt, den ganzen Pfalter nach einem durchdach⸗
ten Plane au bearbeiten, wie er hier vorliegt. Es reiste ihn
der ſchoͤne 324. Pfalm, denfelben nah einem befannten Kir:
henliede in unfere Sprache umzufegen, und weil dies gelang,
fo Eehrte er mit erneuter Liebe immer wieder zu jener Arbeit
zurüd, bis endlich das Ganze wohlgerundet und gemefien da:
jtand. Richt ohne Rührung wird man endlich die Dedication
an ded Hrn. Verf. Bruder, den Superintendenten Koethe zu
Aıtdöbern, lefen. Er thut da einen Blid in die Vergangen⸗
heit, in dad Vaterhaus, auf den Gefchwiiterfreis und in das
Paradies der Durch brave Altern beglüdten Kindheit, und
wenn wir und die Innigkeit jener Worte and Herz wehen laf:
fen, jo fallt und das Wort bes Pfalmiften ein, welches der
Bearbeiter Pfalm 133, 3. 1, alfo wiedergibt:
Sieh, wie lieblich iſt's und fein,
Daß in Lieb’ hienieden
Brüder wohnen, berzentrein
Und in füßen Frieben.
Summa: Wir haben hier einen Überfeger von Beruf, über
ben die Gewalt der Jahre Beinen Einfluß zu üben ſcheint, der
dad Gute mit dem Schönen zu miſchen verſteht und deſſen
Alter nicht ohne das dulce lenimen des geiſtlichen —8
ſpiels iſt. Er hat edeln Samen geſtreut und fich dadurch
wurdig gemacht, in die Reihen Derer geſtellt zu werben, von
welchen ed am Schluffe des 126. Pſalnis heißt: -
Sie geh'n in Wehmuth weinend bin,
Und tragen edeln Samen,
Dann ſhau'n fie koͤſtlichen Gewinn
Und preiſen ſeinen Namen.
54.
Literariſche Notizen aus Frankreich.
eudwig Philipp's Leben.
Eine ſo ruhige, unparteiſche Darſtellung vom vielbeweg⸗
ten Leben Ludwig Philipp's, wie wir fie in Birch's bekanntem
Werke befigen, hat Die franzöfifche Kiteratur nicht aufzumeifen.
So viele Schriften auch dieſes ergiebige Thema behandeln, fo
tragen ihre Verf. doch zu fihtbar die Farbe der Partei, wel:
der fie angehören, als daß man von ihnen eine Leidenfchaftlofe
Beurtheilung erwarten koͤnnte. Entweder verwerfen oder ver:
urtheilen fie Alles, was Ludwig Philipp gethan hat, feine Re:
Biene ma gen, feine Srundfäge, feinen Charakter, oder
ie kennen in dem übertriebenen Robe, bas fie ihm ſpenden, Eein
Maß und kein Ziel. Jetzt erhalten wir nun ein neues Merk,
welches einer umftändlihen Erzählung dieſes wechfelvollen Fü:
niglihen Lebens gewidmet iſt. Es erfcheint u. d. F. „Histoire
de Louis Philippe”, von Amadée Boudin und Felirx Mouttet-
So viel man nad den erften Lieferungen, welche uns allein bis
jegt zu Gefiht gekommen find, urtheilen Bann, ftreben die Berf.
nad) einer gewiſſen Parteilofigkeit, obgleich fie fih im Allgemeinen
mehr auf Seite der Bewunderer zu fchlagen ſcheinen. Ob fie
auf diefem Wege nicht zu weit gehen werden muß die Kort:
Tegung ausweifen. Indeſſen wollen wir gleid) von vornherein
erklären, daß wir daß ganze Werk zu den Erſcheinungen zäh:
len dürfen, bei denen der eigentliche Zert gegen die Kunſt⸗
beigaben in den Schatten tritt. Die Hauptfache bilden die
Kupfer und Anſichten, zu deren Anfertigung Maler von euro:
päifhem Kufe wie Horace Vernet, Belange, Zony Zohan:
not u. 9. gewonnen find. So wird denn das Werk, welches
auf etwa 100 Lieferungen berechnet ift, felbft wenn die litera-
rifhe Ausführung vor einer böhern hiſtoriſchen Kritik nicht
Eric hält, Doch immerhin wenigſtens ein artiftifches Intereffe
teten.
Handbuch der Nationalöfonomie.
Im Allgemeinen gehen die franzöfiihen Rationalöfonomen
zu fehr von individuellen VBorausfegungen aus. in Jeder
modelt fi fein Syſtem auf die eigene Fauſt. Es verfteht fi
von ſelbſt, daß der Wiſſenſchaft dadurch nur ein fehr unbedeu:
tender Gewinn erfprießt. Es fehlt der franzöfifhen Literatur
an einer Baren, bündigen Sufammenftellung ber wohlbegrün-
beten Kehren, welchen ald den gewonnenen Refultaten der Wif:
fenfhaft allgemeine Geltung beigelegt werden fann. in fol-
ches Werk, wie wir es ſchon längft vermißt haben, erhalten
wir gegenwärtig u. d. &. „El&ments de l’&conomie politique“,
von Joh. Garnier. Daffelbe bildet einen Inbegriff Deffen, was
fi in einer Menge von Schriften nationalötonomifchen In-
halts an wirklich pofitiven Lehren auffinden laͤßt Es ift dies
eine fleißige, anſpruchsloſe Arbeit, welche von allen Denen,
welchen daran liegt, einen Überblick über den gegenmwärti-
gen Stand der Wiſſenſchaft zu gewinnen, mit Bortheil benugt
werden Wird. 17.
Berantwortliher Herausgeber: BSeinrich Wrodhans. — Druck und Verlag von FJ. E. Brockhaus in Reipzig.
Blätter"
fur
literariſche Unterhaltung.
— — — — — — — — — —— — — — — —.
Montag,
— Nr.1?. —
12. Januar 1846.
Anemonen aus dem Tagebuche eines alten Pilgers⸗
mannes. Zwei Bände.
(Beſchlusß aus Nr. 11.)
Indem wir das bisher Niedergeſchriebene überleſen,
bemerken wir, daß eine ähnliche Anzeige und Durch⸗
muſterung ber einzelnen Blätter dieſer fo üppig wuchern⸗
den. „Auemonen” weit über den und gegönmten Raum
hinausgehen würde. Die hauptfächlichften Gefichtspunfte
des gelehrten Verf. find jedoch binlänglich bezeichnet, ſo⸗
dag wir uns auf einzelne Stade zur Ergänzung und
Beleuchtung des bereits Mitgetheilten beſchraͤnken fönnen.
Wenden wir uns alfo noch einmal zu ben allgemei-
nen öftreichifchen Zuftänden zurüd, fo haben wir zubör-
berft das fortgefegte Beſtreben unfers Verf. anzumerken,
bie „genealogifch-publiciftifche Fiction einer Identitaͤt ber
beiden Häufer Habsburg und Lothringen‘ zu zernichten.
Hier wird Napoleon's hochfahrender Verſuch im I. 1809
erwähnt (IT, 25), dann Leibnißz' berühmtes Gutachten
mit Anmerkungen verfehen und feine Bemweisführung
beftätigt, daß die Vaudemont und alle Totbringifchen
Linien von Buife, Eiboeuf, Lambesc u. U. zu den sept
princes étrangers Frankreichs gerechnet worden find, zu⸗
legt noch erwähnt, daß in England echte Habsburger
von dem 1408 in ber Schweiz erlofchenen Zweige in
Läuffenburg leben, nämlich die. Fielding, Grafen von
Denbigh und Desmond, für deren Anfprüche fih Man⸗
bes fagen ließe, und dag Kaifer Franz I. von einer
„Betterfchaft” mit dem Haufe Kothringen habe durchaus
nichts wiffen wollen (MH, 97— 116). ine zweite fie-
bende Rubrik bilden die Bebrüdungen der Länder Un-
garn und Böhmen, das Spielen ber Habsburger mit
Ciden, die Eingriffe in die. Verfaffung beiber Länder
und die völligfte Rivellirung. Die Habsburger, fagt
der Berf., hatten mit ebenfo viel Klugheit ale Glück in
diefen Ländern den Katholicismus vorangeftellt für das
Untertreten jedes gefchichtlichen Rechtszuſtandes. Wie fie
fich aber in dem fo erzkatholiſchen Tirol doch diefe Über⸗
macht zu verfchaffen gewußt Hatten, zeige der Verf. in
einer befondern Abhandlung (1, 270— 286), wo dann
auch bie von ihm oft gelefene Bemerkung wieberholt
wird, daß Tirol eigentlich gar nicht in ein Lanb gehöre,
fondern daß ber ver Friede im J. 1809 mit wenigen
Ausnahmen nur wieder zufammengeftellt habe, was nad
Natur, Sprade, Sitte und Hifterie zufammen gehöre.
Damals blieb befanntlich das noͤrdliche Tirol bairiſch.
Zum dritten unterliegen bie Plane Karls V. zu. einer
Habsburgifchen Univerfalmonarchie fcharfem Tadel und
das Verdienſt deffelben Haufes, eine Vormauer gegen
die Türken und der Schug für Europas Civiliſation ge-
weſen zu fein, wird gänzlich in Abrede geftellt. Ungarn
ift durch deutſche Fäufte und durch deutfches Geld be-
freit worden, unter Rudolf I1., unter den Ferdinanden
und fonft rettete nur die Verweichlichung des Seratl, die
Stupidität bes mehrmals erkauften BDivan und der
„Mann Gottes, das unmittelbare Werkzeug der Vor⸗
fehung“, der Prinz Eugen, da6 übrige: Europa vor ber
osmanifchen Barbarei. Dagegen bezeugt Hr. v. Hor⸗
mayr, daß Oftreih „mit Recht und mit Ruhm gegen
bie. tevolutionnatre Hydra und gegen die Weltmonar-
hie des Soldatenkaiſers Napoleon ritterlich“ gelämpft
babe und daß deffen Haß gegen alle alten Dynaſtien in
dem „treuen und muthigen Dftreich die größte Indigna⸗
tion und die aufrichtigfie Begeifterung für fein Negen-
tenhaus‘ gewedt hätte. Es ift in der That wohlthuend,
in foihen Stellen (HH, 20—26, 32) auch zinmal Worte
der Anerkennung und des Lobes bei unferm Verf. zu
lefen, und manche neue Thatfache, wie über die Schlacht
bei Afpern, auf den Schauplag ber Offentlichkeit gezo⸗
gen zu ſehen. Dazwiſchen aber treten freilich (und das
wäre ein vierter Punkt) um. fo greller die Abfchnitte
hervor, in denen ber Verf. den Geiſtesdruck ſchildert,
der feit Sahrhunderten auf den Ländern des Haufes
Habsburg, mit geringer Ausnahme in der Zofephinifchen
Zeit, gelegen hat. Denn ed wären förmliche Befehle
zur Gefchichteverfätfhung ergangen (Il, 14), es tönne
alfo auch in Oftreich keine parteilofe Gefchichte und Feine
Dentwürdigkeiten einzelner Männer geben, felbft die „Oſt⸗
reichifche militairifche Zeitfehrift” habe unter ben Feſſeln
eimer „ber perfönlichen Rüdfichten fröhnenden” Genfur
leiden müffen (I, 66 — 84); Männer wie Schneller
und Mailath hätten die Wahrheit nicht fagen wollen,
auch gegen Buchholz und Lichnowsky iſt Vieles eingu-
wenden, obſchon fie doch der „alltäglichften Lobhudelei
weniger dienfleigen‘ gemwefen wären. So tabeinben Ur-
| teilen liege ſich manche Ermäßigung entgegenftellen,
46
- wenn hierzu der Raum geftattet wäre. Was ber Verf.
über bie öftreichiche Cenfur in den Tumult der Tages⸗
welt hineingefehrieben hat, ſcheint auf perfönlichen Et-
fahrungen zu beruhen. Wir haben aber einen Theil
diefer Geſchichten (IM, 57 — 63) ſchon in Hormayr's
„Hiſtoriſchem Taſchenbuche“ für 1845 gelefen — wie
denn der Verf. ſolche häkeliche Dinge gern zwei- oder
dreimal bruden laßt — und ſchon damals beklagt, daß
Männer wie Eollin, Zedlig, Auersperg u. U. den „Na⸗
deiftichen der Policei” fo preißgegeben werden fonnten,
deren Unwiſſenheit in biefen Fällen meiſtens fchlimmer
war als ihre Willtür. Den erftern Vorwurf habe mari
den Jeſuiten nicht. machen fönnen, deren bewunderunge-
würdige Confequenz in Oſtreich den nachtheiligflen Ein-
Auf auf Selbfidenten und Erfinden geübt hat, wenn-
gleich fie auch bedeutende Gegner, wie den Fürſten Lob»
kowitz unter Leopold J., von Zeit zu Zeit gehabt haben
(1, 296 — 303). Durch fie. befonder6 wurde aud die
Unduldfamfeit bee Megierung gegen die Akatholiken und
Diffidenten, die nad, des. Verf. Urtheile -ein fo böfer
Fleck in der Geſchichte der Habsburgiſchen Dynaſtie ifl,
anferordentlich befördert, die Bauernaufflände genährt
und die Auswanderung der evangelifihen Salzburger
beroorgerufen (I, 321 — 347).
Unter der Gefhichten einzelner Negenten iſt vor-
zugsmelfe die Zeit Karl’s VI. und die Herrfhaft Maria
Thereſia's mit veichen Erörterungen ausgeflattet und aud)
Die Sittengeſchichte in einer Reihe anziehender Schilde⸗
rungen bedacht worden. Karl Vi. mar bei manden
ſchoͤnen und liebenswürbigen Eigenfchaften, unter die na-
mentlich bie Reinheit feines Privatiebens und feine Liebe
Tür Kunft und Wiffenfgaft gehören, nicht frei von ber
Eroberungsfucht feiner Familie umd von dem Beftreben,
die öffentliche Meinung, die ſich unter ihm zuerft als
eine Macht zu‘ zeigen anfing, nieberzuhalten. Ben Na-
tur wohlmollend und mild verließ ihn doch nie die ſpa⸗
niſche Grandezza; Niemand hat ihn lachen fehen und
Verftöße gegen die Etiquette ober die Nichtachtung feiner
kaiſerlichen Perfon wurden fiseng ‚geahndet. Diervon zwei
Beifpiele. Einen jungen Urfenbeck hatte auf einer Win⸗
terjagd, des Kaifers Blicken leider zu erreichbar, eine, wenn
auch nicht fatatiftifche, doch fatale Naturnothwendigkeit er-
eilt. Der erzürnte Kaifer verbot ihm für immer fich am
Hofe zu zeigen. Ber Legte aus dem Hanfe Rottal hatte
fich ‘bei eimer großen Treibjagd zu ſehr mit eimer niedli⸗
chen Treiberin herumgetrieben und bem unvermuthet her-
anfprengenden Kaifer auf dieſer allerdings gegen Thiere
und RMothwild gerichteten Jagd . den unerwarteten An-
blick eines Thieres mit zwei Rüden gegeben. Rottal
Sam dafür in Arreft und dann ale Platzlieutenant auf
fieben Jahre an die turkifche Grenze, die Dirne erhielt
eine Anzahl NRuthenftreihe (1, 292). Weiter wird es
belebt, daß Die Herenproceffe unter ihm nie aufgelom-
men find; die Sicherheit der Landſtraßen nahm zu, die
Juſtiz war fireng, namentlich gegen Niedere; Vornehme
wurden nur in Hochverrathsfaällen mit der Folter, fonft
durch Eimfperrung oder mit Geldbußen beftvaft, doc
wird auch (1, 294) ein firenges Blutgericht gegen’ die
abelige Familie Straſoldo erwähnt. Sonſt herrſchte
freilich) noch große Wildheit der Sitten, die fich auch in
ber Verfolgung ber Juben zeigt, ungeheurer Zunftftolz
und unaufhörlihe Hinneigung zum Fauſtrecht und zur
Selbfthülfe, wie die (I, 346—356) aus ben Zeiten ver .
Karl VI. und aus feiner eigenen Regierung beigebrach⸗
ten Belege zur Genüge darthun. Wir führen hier nur
einen an. Einem ungarifchen Juden, ber einem Chriften-
mädchen Gewalt angetan hatte, wurde das Glied, wo⸗
mit er gefündigt, in ein mit Pech und Schwefel erfüll:
tes Gefäß eingefpundet und felbiges in langſames Feuer
gefegt, ihm aber, ald gnädige Milderung, ein: jcharfes
Dieffer dabei gelegt, damit er im Wahnfinn der Qua
len fi das Glied abfchneiden und alsdann frank und
frei herumlaufen möge (1548).
Nah Karl's Tode beſtieg feine Tochter Maria The-
tefia den Thron, „im redlichen Glauben auf ihr gutes
Recht, im Gefühl ihrer Geiftes- und Herzenskraft, im
Vertrauen auf bie mit den europaͤiſchen Mächten nad
fhmweren Berluften und Demüthigungen zu Stande ge-
brachten Verträge”. Sie war, um des Verf. Worte zu
brauden, die klügſte, nachhaltigfte, herrlichſte Despoten-
feete, fie duldete gar keine, nicht geiftliche, nicht weltliche
Mittelmacht, ihre Verfaffungsveränderungen in Ungarn,
Böhmen, Siebenbürgen und andern Erbftaaten gefchehen
ohne Geraͤuſch, ohne Härte, fo gleichzeitig mit der ſtei⸗
genden kirchlichen ſtaats- und privatrechtlichen Aufklaͤ⸗
rung der Völker, dag gar Leine rechte Furcht aufkam,
wohin biefe Veränderungen, die nichts unberührt ließen,
führen follten (11, 206). Diefer Grundgedanfe des
Verf. wird mit vielen Einzelheiten belegt; deren Auf⸗
zählung ‘wir uns jedoch verfagen müffen. Ebenſo kön⸗
‚nen wir auch nur mit .einem Worte auf die frifihe, le⸗
bendige Erzählung der Begebenheiten des erften fchiefi-
{hen Kriegs hindeuten (IE, 165 — 190), die fowie bie
Beſchreibung der Schlacht bei Zontenay (Il, 202 fg.) .
neue Beweife für Hrn. v. Hormayr’d ausgezeichnetes
Zalent zu ſolchen Darftelungen find. Den häuslichen
Eigenſchaften der Kaiferin Maria Therefia weiht er, wie
zu erwarten fland, feine große Verehrung. Ihre innige
Liebe zu dem ihr nicht immer treuen GBemahle, „ihrem
zärtlichften Freunde, ihrem liebften Gefährten und ihrer
wahren Lebensfreude” (mie fie fi) nach feinem Tode aus-
brüdte), ihre unverrũckte Theilnahme für das Wohl ih-
rer entfernten Zöchter, ihre milden Worte gegen bie
Gräfin Auersperg, bie legte Neigung ihres Gemahls
(„Wir haben naͤmlich fehr viel verloren, meine Liebe’), ihr
herzliches Troſtſchreiben an die Graͤfin Haugmwig nad) dem
Tode des einfichtsvollen Miniftere Haugwitz (I, 236 fe.)
— alles Dies und manches Andere find ſchoͤn duftende
Blüten in dem Stanze biefer „Unenonen“. Wie
großartig und rührend war die Art, durch die das wie-
ner Publicum von ber Geburt des Erbprinzen Franz
die Kunde erhielt. Es war am 10. Febr. 1768, ale
um 7 Uhr Abende der Eilbote aus Florenz mit der
frohen Kunde ins Cabinet Therefia's trat. Sie arbeitete
4
m Staatsgeſchäften. Lebhaft, wie fie noch immer mar,
fprang die Kaiferin auf, flürzte unaufhaltfam durch die
vermunderte Antichambre, durch alle Vorzimmer, über
die weiten Gänge ins Theater in ber Burg, in bie
Kaiferloge, riß athemlos deren Fenſter auf und fchrie
in freudigem, überlauten Wienerdialekt ins Publicum
— „Der Leopold hat' an Bueb'n! und grad zum
indband auf meinen Hochzeitstag — ber iſt galant.“
(I, 240.)
Wir können jedoch dem Verf. nicht weiter in die
Mamichfaltigkeit feiner Gegenftände nachfolgen. Daher
gedenfen wir nur noch der Charakteriſtiken mehrer öft-
reihifchen Yeldherren und Staatsmänner, der tapfern
Grafen Starhemberg, der Minifter Haugwig, Barten⸗
fiein, Uhlefeld, Siegendorf, Choteck und bes Kürften
Kaunig, von denen befonbers bie legtere, am Schluffe
des zweiten Bandes, von meifterhafter Vollendung ifl.
Bei Bartenftein erfahren wir unter Anderm, daß cr der
fiarrjinnigfte Widerfacher Preußens jederzeit gewejen und
Kari's VI. Schritte bei Friedrich Wilhelm 1. zur Be-
gnadigung feines Kronprinzen Friedrich zu bintertreiben
ſich ale Mühe gegeben habe, wobei uns zugleich (I, 386 fg.)
ein ungedrudter Brief des genannten Königs an Karl VI.
und einer des Legtern an Eugen von Savoyen mitge⸗
theilt werden. Der König erklärt bier, daß fein ‚Sohn
feine Begnadigung lediglich den Worflellungen des Kai-
ferd zu verdanken habe und baf fein Kronprinz daraus
abnehmen möge, wie fehr er ihm und dem Erzhaufe
Dfireih verpflidtet fe. Es dürfen diefe Beweisflüde
sicht unbekannt bleiben, da fie mit der Annahme bei
Preuß (‚„‚Sriebrich’E 11. Jugend und Thronbefteigung”,
©. 105) nicht übereinftinnmen. In anderer Beziehung
verdient die gemealogifhe Nachweifung angemerkt zu
werben, daß Friedrich V. von ber Pfalz und feine Ge⸗
mahlin Elifabeth ‘die unmittelbaren Ahnen des einen
Kaiferhaufes Oftreich-Lothringen find, alfo auch die Ab:
nen von Toscana, Modena, Neapel, von der unſchuldi⸗
gen Königin Iſabella von Spanien, der lange verfolgten
Maria da Gloria von Portugal, die Ahnen des fran-
zöfifchen,. dänifchen, britanifchen, preufifchen Königsſtam⸗
mes und durch legteres auch des kommenden ruffifchen
Zarengeſchlechts (II, 134—140). Wie bemanbdert aber
der Verf. in allen Lebensverhäftniffen feiner Zeitgenoffen
ift, zeigen Die Racrichten über ben Abenteurer Karl
Friedrich Kobielsky, deffen Ramen bier dic meiſten Lefer
zuerft erfahren und der von ber zweiten Theilung Po⸗
tens an bis zur Dermählung Marla Luife's eine fehr
einflugreiche Rolle in Oftreich gefnielt bat (I, 84—95).
Daß Hm. v. Hormayr in ſolchen Dingen mitunter auch
etwas Menfchliches begegnet, darf uns wicht vermunbern.
So weißer z. B. ganz beſtimmt (II, 92), daß der eng-
liſche Unterhändler Lord Bathurſt von des franzöfifchen-
Poliseiminifters Savary Schergen im Branbdenburgifchen
eingeholt und in einen märlifchen See geftürzt fei, wor⸗
über fich doch Barnhagen von Enfe, der in feinen
„Denkwürdigkeiten“ (il, 240 — 343) die ausführlichfte
Erzählung diefes räthfelhaften Vorgangs gegeben hat,
weit vorfichtiger aueſpricht. An einer andern Stelle
(il, 246) folgt der Berf. ber traditionnellen Darftellung,
daß die Königin von Polen am 10. Sept. 1756 durch
preußifche Grenadiere von der Thür des dresdner Ar⸗
chivs „weggezogen“ fei, worüber doch bie genaue, durch
firenge Zeugniſſe fefigeflellte Ergählung bes Profeffors
Preuß in den berliner „Jahrbüchern für wiffenfchaftliche
Kritik“ (1841, Ne. 60) ihn eines Beſſern Hätte belehren
können.
Wichtiger bürfte aber die Ausftellung fein, daß manche
ber hier mitgetheilten Züge, Urtheile und Betrahtungen
ſich ſchon, wenn auch nicht wörtlich, in andern Hormayr'⸗
ihen Werten, namentlich in den. hiftorifchen Taſchen⸗
büchern, vorfinden. Run mag das immerhin einige
‚Entfehuldigung darin finden, daß des Verf. Seele von
eben diefen Dingen fo vol ift, daß er fie, wie fie ihm
Tag und Stunde zugebradht haben, nieberzufchreiben
pflegte, frei und behaglich den Lebensberührungen fol-
gend. Aber die Wiederholung derſeilben Begenflände,
und faft mit denfelben Worten, in den „Anemonen“
hätte doch bei forgfamer Durchficht des Manuſcripts
vermieden werden müffen. So werden bed bairifchen
Feldmarſchalls Seckendorff und bes öftreichifchen Mini⸗
fterd Loblowig Verhaftungen an zmei verfchiedbenen Or⸗
ten (I, 73 u. 199; I, 211 u. 294) erzählt, und Ahn-
liches wird ber aufmerffame Lefer auf mehren Blättern
wahrzunehmen Gelegenheit haben.
Ein Hormayr’fches Buch ohne Urkunden und unge-
druckte Briefe würde feinen Verf. verleugnen. Und fo
find auch bier in einem Anhange zum zweiten Bande
einige Briefe Torftenfon’s und Tilly's nebft der langen,
grumblichen Apologie der Stände sub utraque im Kö⸗
nigreih Böhmen vom 3. 1619, aus den verborgenen
Kammern des Verf., an das Licht gezogen worden. Er
muß in der That einen unerfchöpfliden Reichtum in
folchen unbekannt gebliebenen Actenſtücken und Staate-
ſchriften befigen, denn überall wirft er, um mit: @oethe
zu fprechen, feine Kuchen in das Meer, ohne fie bie
jest fo genoffen zu fehen, wie es die uneigennügige Ab⸗
ficht des Geber erwarten koͤnnte. |
— —
Nachſchrift.
Nach Niederſchreibung des obigen Artikels habe ich
zu bemerken Gelegenheit gehabt, daß das in den „Ane⸗
monen“, Bd. I, S. 388, mitgetheilte „Dankfogungs-
ſchreiben Friedrich Wilhelm's I. von Preußen an Kaifer
Karl VI.” Schon in dem „‚Zeben des Feldmarſchalls Secken⸗
dorff”, Ih. 4, S. 238 fg., abgebrudt flieht. Weniger
befannt, fchrieb mir ein: in diefen Angelegenheiten fehr
wohl bewanderter Mann, ift der Brief bes Kaiferd an
den Prinzen Eugen („Anemonen“, I, &. 380), der aber
jedenfalls nur der Refler von dem Briefe bes Kaiſers
fein kann. Friedrich Wilhelm aber, fegt berfelbe hinzu,
fchrieb aus Höflichkeit, wie in folhen Fällen ftets. ge-
fchieht, mehr ald wahr war. Das eigentliche Sachver⸗
hältniß aber und die zuverläffigfien Nachrichten ergeben
48
ſich aus ber von mir bereits augeführten Schrift über
„Friedrich's 11. Jugend und Thronbefteigung” von Preuß.
20.
Serbien, feine eurspäifchen Beziehungen und die erien-
talifhe Zrage, von 2. von Szafraniec Bys—
trzowski. Aus dem Franzöfifhen. Leipzig, Tho⸗
mas. 1845. 8. 1 Thlr
Es ift unleugbar, daß das Eräftige Erwachen des Gefühls
für Unabhängigkeit und Rationalität bei den verſchiedenen
Bölfern ber großen flawifchen Familie auch ein neues Element
der Kraft und Macht in die politifche Welt bringen werde;
aber es kommt nur darauf an, wie und von weicher @eite
und zu welden Zwecken biefeß Element benugt oder etwa ge:
misbraucht wird. In dieſer Hinfiht haben die unter den fla⸗
wifhen Boͤlkerſchaften der europäifhen Türkei feit längerer
ober fürzerer Zeit ftattfindenden Bewegungen, deren Zweck nur
eine fefte Geftaltung ihrer politifchen uffnde auf der Grund:
lage nationaler Selbftändigfeit ift und fein kann, allerdings
auch ihre beftimmeen und unverdennbaren Beziehungen zu Eu:
ropa, und fie bilden in gewiſſer Hinſicht auch den Mittelpunkt
der orientalifhen Frage. Der Berf. der vorliegenden Schrift
Dat fih in’ derfelben nur auf Serbien beichranft, und mit
echt, denn eben in Serbien hat jene Bewegung, jenes Eraf:
tige Erwachen des Gefühle für Rationalität Non ein beftimm-
tes Biel erreicht und eine gewifle Zukunft fich erflritten. Es
verlohnt fich daher wol der Mühe, in der Gefchichte den frü-
bern Beftrebungen der ſerbiſchen Nationalität, ihrer Erhebung
und ihrem Ruhme, ihrem Kalle und ihrem Unglüde nachzufor⸗
fhen, die AUnftrengungen hervorzuheben, welche die Serbier
baben machen müflen, um fi vom fremten Joche zu befreien,
die Mittel bemerklich zu machen, welche fie angewenbet, und
die Erfolge darzuftellen, welche fie in ihrem Europa nicht ge:
nügend befannten und doch fo ruhmreichen Kampfe errungen
haben. Cs verlohnt fih diefer Mühe für Europa und für die
andern ſlawiſchen Völkerfchaften der Zürkeis aber es ift auch
unabweisbare Pflicht, die Lehren der Geſchichte für fie alle
in Betreff der Wahl Derer, denen fie für Gegenwart und
Bufunft ihre Geſchicke vertrauen, eindringlih und nachdrück⸗
ti ihnen vorzuhalten, damit fie nicht, was namentlich bei der
in dem flamifchen Charakter liegenden Sorglofigkeit und Läſſig⸗
keit fo fehr zu befürchten ift, um ihre Nationalität und ihre
politifche Selbftänbigkeit, die ſie erfireben, betrogen werben.
Serbien ift den Intriguen folcher falfhen Freunde, ſolcher egoi:
ſtiſchen Vermittler zum beklagenswerthen Dpfer gefallen. Ser:
bien felbft und die übrigen Slawen der Zürkei fowie andere
Voͤlker mögen fih demnach für Die Zukunft bieraus eine be:
fondere Lehre nehmen und fie beachten, nach dem alten bewähr:
ten Worte des Römers: Timeo Danaos et dona ferentes!
Die vorliegende Schrift gibt in allen jenen Beziehungen ge:
nügenden Auffchluß und unterdrüde auch die Lehren und War:
nungen nit, die dic Gefchihte Serbimd aus der neueften
Zeit laut und vernehmlich verkündet. Sie fprechen auch zu
@uropa, vornehmlich aber zu feinen Staatömännern an den
Ufern der Donau, Themſe und Seine, und haben dies fchon
laͤngſt gethan; allein fie find blind oder laffen ih von Sire-
nenflimmen in füße Träume einlullen, in denen ihnen die ge:
täufhten Völker das hehe Glück Europas in lieblichen Bildern
der Zufunft vorführen. In Serbien haben wir in den letzten
Jahren ein ſolches Stüd im Kleinen aufführen ſehen; jeden:
falls iſt es nicht das legte, aber hoffentlich auch nicht ‚der letzte
Act dieſes vaterländifchen Dramas. Natürlich verbreitet fich
die vorliegende Darftchung befonders ausführlih über die Ich:
ten Kämpfe der Serbier unter Ezerni Georg und Mitof 618
tur neueften Berwidelung ; aber der traurige Ausgang der
Kämpfe ſelbſt breitet einen daſtern Schleier über bie, beiden:
müthigen Unftrengungen der Serbier, die um den Preis der«
felben betrogen worden find. Der Darftellung gebricht es im
Ganzen an einer gewiffen Einfachheit und Klarheit, mag das
nun an ber Überfegung ober an dem franzöflfhen Driginal
hiegen, ober bie Schuld des verwideiten Gegenftandes felbft
fein; daß aber hier (&. 32) in diefem Zufammenhange des
unglüdliden Rhigas gedacht wird, der ein Grieche war und
ein Borläufer der Unabhängigkeit Griechenlands geworden ift,
dagegen unmittelbar mit der Erhebung der Slawen in ber
Zürkei nichts zu thun hat, hätte von dem Überfeger befeitigt
erkung. .
werden follen, wenn auch nur in einer Anm
Literarifhe Notizen aus England.
Ein chartiſtiſcher Dichter.
Es ift eine eigenthümliche Erſcheinung, daß der Chartis:
mus in England in dem Schoofe der untern oder arbeitenden
Claſſen ſelbſt eine ungewöhnlich große Menge begabter Geifter
aufgerufen, welche dur Dichtergaben die gewaltigen Drgane
der Wünſche und Bedürfniffe geworden jind, die in diefen
Schriften fi regen, ein Beweis, wie urfprünglich, durchaus
nit von außen bineingetragen ſolche Wünfhe und Bedürf:
niffe darin find. Wir wollen bier nur an Elliot, Robert
Ricoll, John Prince u. X. erinnern. Unter den in der legten
Zeit vielgenannten Männern diefer Art gehört 3. Cooper,
welcher beſonders durch fein „Purgatory of suicides’’ großes
Auffehen gemacht. Sein neueſtes Werk unter dem Zitel
„Wise saws and modern instances’ ift zwar Bein epifches
Gedicht wie Lad genannte, fondern eine Reihe von Lebens-
bildern, in der Art wie die in Deutfchland fo fehr in Ruf
gekommenen Dorfgeſchichten und dem Ähnliches; aber fie be:
weifen auf6 neue das hervorragende Talent ded Mannes, wenn
auch die überall hervorleuchtende Parteirihtung in politifcher
oder geſellſchaftlicher Hinficht denfelben eine gewiffe Eintoͤnigkeit
verleiht. Bekanntlich Dduldete ihr Verf. im Gefängnif feine
thätige Theilnahme an den frühern ungefegliden Bewegungen
feiner Partei. Muße und Studien während diefer Haft jcheinen
fein Urtheil gereift zu haben, denn Die immer wiederfehrende
Mora feiner Erzählungen ift dieſe, daß bei noch fo entfchiedener
Sefinnung man für das Handeln die Seit und ihre Strömung
‚nicht außer Acht laſſen, Vorurtheile glimpflich behandeln und
mit Befonnenheit vorgehen müffe.
Eine Schrift über das Gefängnißwefen.
Die Sefängnißkunde, welche bei den Humanitätöbeftrebungen
der neueren Zeit eine bejondere Wilfenfchaft zu werben verfpricht
und bereitö eine ziemlich umfangreiche Literatur zäbhft, hat in
dem Werke „Prisons and prisoners”‘, von I. Adfhead, einen
neuen fhägbaren Beitrag erhalten. Der Verf. ift ein Verthei⸗
diger des „Trennungsſyſtems“, welches er gegen den Dichter
Charles Dickens und die „Times“ lebhaft und mit ftarken
Ausfällen auf die Genannten, die er der Unkenntniß zeiht, in
Schus nimmt. : Seine Meinung unterftügt er mit den in bem
Sefängniß zu Pentonville gemachten Erfahrungen, wo diefes
Syftem eingeführt worden iſt. Er hebt beſonders hervor, daß
dad „Trennungsſyſtem“ nicht mit dem „ Einfamkeitsfyftem ”
verwechfelt werden dürfe; denn Laß erftere trenne den Berbre-
cher bloß vom Umgange und der Geſellſchaft der andern Ber:
brecher, waͤhrend es nicht nur für feine leibliche Gefundheit,
feine geiftige Ausbildung und fittliche Verbefierung die größte
Sorgfalt trage, fondern auch vermeide, ihn ununterbrochen
feinen eigenen Gedanken zu überlafien, indem er täglich von
mehren dazu angewiefenen Perfonen, welche zu obenangege-
benen Sweden feine Beflerung und Bildung zu fürdern beru:
fen find, Beſuche erhalte. 12.
Verantwortlicher Heraußgeber: Heinrich Brodpaus. — Drud und Berlag von F. &. Vrockhans in Leipzig.
⸗
— — —
Blätter
für
literariſche Unterhaltun g.
Dienſtag,
18. Januar 1846:
FF I
Franz Dingelſtedt.
Gerichte von Franz Dingelſtedt. Stuttgart, Cotta. 1845.
8 2 TIhlr. 0 u
Der Wind blies fhon duch die Stoppelfelder und
die Scharen der Vogel fammelten fih auf den Dächern,
um nad, dem wärmern, lindern Süden zu pilgern. Um
dieſelbe Zeit, e& war im October 1844, brach auch Franz
Dingelftedt in Fulda fein Dichterzeit ab, um feine Wan⸗
derſchaft zu beginnen. Zwei Dinge ließ er uns zurüd,
die wie zwei nicht flügge gewordene Kinder klagend ihn
umflatterten und deren Flügel zu ſchwach waren, um
die Fahrt nach den fernen Ländern mitzumachen. Das
eine war fo recht eigentlich ein Ding, res, hülflos, troft-
los, rechtlos fteuernd auf den feichten Fluten des deut-
ſchen Journafismus, e8 war die Wochenfchrift „Salon“.
Kaum war fie ein halbes Jahr unter harten ſchweren
Dranpfalen der Genfur alt geworden, als ihr hoffnungs⸗
voller Bater, um im Leichenftile zu reden, dahinſchied,
und fein Kind vereinfamt, verweift zurüdließ. Doc, auch
fterbend forgte der Water noch für feinen Schügling,
freilich fo gut als in ber Eile und Haft es fi machen
fieß. Ich hielt mich zu berfelben Zeit bei meiner Mut:
ter im Hanauifchen auf, die Mahnungen Dingelſtedt's
tamen immer dringender, doch ja vor feiner Abreife mich
in Fulda einzuftellen. Sch kam; da Tagen fchon bie Ki⸗
fin und Kaften wild durcheinander und an ber Thür
ftand der Wanderfiad. Während die Dedel zugefchla-
gen wurden, inmitten biefes erhabenen Getöfes und herz.
ergteifenden Donners, während die Staubwolten dicht
und ſchwarz vom Boden, von ben Kiften und Wänden
auf und, um une ihren fchügenden Mantel ausbreiteten,
inmitten aller biefer Feftlichkeitn — Sie fehen, ich be:
fleifige mich eines beffern Stils al8 die preußifche Staats-
zeitung — wälzte der fcheidende Medacteur bie ſchwere
Laſt auf meine jungen Schultern, Briefe wurden ge
fchrieben, Manuferipte durchgefehen und übergeben, und
als dee Hammer den legten Schlag auf die große Kifte
gethan hatte, die -einftweilen als unnüger Ballaft für den
leichten Wanderer in Fulda zurückblieb, war auch ber
‚wichtige Moment vorüber und wir fahen uns ganz nüch-
tern an, ale das Getöfe, nämlich des Hammers, ſchwieg,
das Volt, nämlich der Schloffer, fi verlaufen hatte.
Dies war die. cine Sache, und als wieber ein Jahr zu
Nuhe ging, fo lag das Kind, unfer vielgeliebter Sa⸗
fon. II., todt und flumm vor uns, inbef wir Väter an
feinem Grabe fi zankten, wer am meiften das Kind
geliebt oder verwöhnt habe, oder ob es durch einen un-
abwendbaren Schlag des Geſchicks hätte fallen müffen.
Die andere Sache war fo recht eigentlich Feine res,
fintemal wir ale Germanen und Theiſten ein anderes
Princip ruͤckſichtlich der Frauen denn als die alten Grie⸗
hen haben; aber auch diefed Ding war fehr traurig
und Hat gewiß mehr fchlaflofe Nächte denn unfer ſchei—
dender Poet in trüben Rüderinnerungen zugebracht;
doch gehört dies eigentlich nicht hierher, ich weiß auch
nicht, ob die Schwefter daſſelbe Ende wie ihr Geſchicks⸗
bruder gehabt hat. |
Dingelftedt ſchied, es war fein freudiges Scheiben,
etwa wie ein Schmetterling aus ber Puppe berausflat-
tert, er fchied, weil fein raftlofer Geift inflinctartig ihn
einer andern Zukunft in bie Arme trieb unb flachelte.
Es Tag eine gewifle Zuverſicht, ein erfreuendes Selbft-
vertrauen in feinem Gehen, das alle die ängftlihen Be⸗
denklichkeiten, bie theils philifterhafte Engherzigkeit, theils
auch zarte Beforgniß liebevoller Herzen ihm entgegen-
bielt, überwand und, um fein Geſchick zu erfüllen, wie
mit Siegerfchritten über fte hinwegging. Es war eine
finftere Nacht, der Regen praffelte auf unfern Schirm,
umter welchem ich Dingelfledt zur Poft geleitete. Der
Wagen kam, durch die fchlechte Witterung aufgehalten,
beinahe drei Stunden fpäter als bie Zeit zur Abfahrt
beſtimmt war. Dingelſtedt war fehr traurig, ber Ge⸗
banke an feine Zukunft brachte trübe Bilder in feine
Seele, während wir zufammen in. ber Fühlen Poſtſtube
auf den Wagen harrten, ber Wein vermochte nicht bie
ängftlihe Spannung zu. vertreiben, ba endlich Fang das
Poſthorn fo wehmüthig und verlaffen durch bie dunkle
regnerifche Nacht, daß wir erfhroden von unſern Sigen
auffuhren; der Würfel war geworfen, mir reichten uns
die Hände; zwei verfihlafene Gefichter mit ſtummem
Murten nahmen den neuen Unbekannten in ihre Mitte
und der Wagen raffelte weiter. nn
Nahe vier Jahre find feit jenem Abende verfloffen,
und wenn bier und dba von den Stationen feiner Wan⸗
berfhaft ein Blatt zu uns hermehte, fo folgten wir gern
5
feiner weitern Entwidelung mit freundlihem Blicke. Li⸗
terarifch hat Dingelftebt feit jener Zeit außer ben Be⸗
richten für die „Allgemeine Zeitung” wenig von fich hö-
ven laffen; die Sammlung der „Zriedlihen Novellen”
war zum größten Theil aus bereits bekannten Erzählun-
gen"zufanmensefegt und enthielt nur wenig Neues, was
während "Mine? Wanderfkhaft entflgnden wa. Unter den
—2* Anzeigen und Recenſionen derſelben war ge⸗
wiß bie von H. Koenig in d. Bl. nicht allein die rich
tigfte und aufrichtigſte, fondern gerade Deswegen auch
die fhärffte, weil er den Freund zu gediegenen Pro⸗
ductionen hinzuleiten fucdt, die er in ber Haft jenes
Manderlebens übereilte, weil er ihn an fein Talent er-
innert, das ihn gewiß bei ruhigen tiefer durchdachten
Kunftwerten nicht verlaffen wird. Wir griffen deshalb
um ſo begleriger nach der Sammlung der neuen Ge-
dichte bei Cotta, ale durch die Reifen und durch die
wechfelnde Lage der Verhäftniffe Dingelftedt gewiß An-
zegung genug erhalten hat, fein Talent zu entwideln,
zu fördern. u
Ich möchte Dingelſtedt's Dichten mit dem Spiegel
eines Sees vergleichen; rings Haft bu reizende Baum-
geuppen, feifes, füßes Flüſtern in den Wipfeln der Bäu-
me, Blumen, die ihre Blütenkelche tief wie zum Kuffe
hinunter auf ben klaren Spiegel neigen. Ein Blatt, das
ein leichter Wind vom Baume ſchüttelt, bewegt die Flut,
ihre Wellen freifen und hallen in einem Gedichte zu bir
herauf; der Weft, der die Blumen am Geſtade ſchüttelt
und fie auf die Flut drüdt, bringt Schwingungen auf
ihr hervor und du haft ein Gedicht; der Soman, der
feine Bahnen durch die Fluten zieht, vegt die Wellen
auf und fie Mingen in einem Liebe wieder; bie Mücke,
die im Strahle der Abendſonne über die Fläche hin⸗
gaudelt und mit den Teichten Züßen die Blut bewegt,
ſchafft ein Gedicht; die Erde, die vom Ufer ſich ab-
brödelt, der Froſch, der in lauen Sommerabenden hin⸗
unter ſpringt, der Sturm, ber bie Wellen aufreizt, Al⸗
les find Vetanlaſſungen, daß bie Dichterivelle ſchwingt,
dag die Dichterquelle fprubelt. Dadurch entfteht Freilich
in der Production Dingelſtedt's eine Leichtigkeit, aber
oftmals auch eine Fluͤchtigkeit, die den Eindruck ſchwaͤcht,
weit die Anregungen nicht aus der Tiefe fondern nur von
det bewegten Oberfläche kamen. Verſtehe man übrigens
diefen Vergleich nicht falſch und glaube etwa, daß bie
Lieder Dingelſiebt's nur in äußern Anregungen und An-
reisungen ihre Veranlaffung fanden; der See hat auch
feine Perlen, feine goldenen Fiſche, die in ber Tiefe lagern;
wenn fo eine Perle fich losreißt von dem Grunde; fo ein
Fiſchchen aus der Tiefe heran feine Schwingungen nad
der Oberfläche fortfegt, ba haben wir Gedichte, die nicht
ſowol an Schönheit ber Form als auch an innerm Fern-
haften Gehalte kuhn den beſten der neuern Lyrik zur
Seite ftchen konnen. Dingelftedt hat ein bewegliches reiz⸗
bares Herz, aus dem feine Lieber. flrömen, dieſe Beweg⸗
lichkeit und Reizbarkeit iſt oft aber in folhem Grabe
gefteigert, daß feine Production an Unruhe und. Überrei
leidet; feine "den Eindrücken allegeit geöffnete Bru
nimmt daher oft Stoffe auf, die fichtlicdy die Farben ei-
ner nur oberflächli bewegten Empfindung wiberfpiegeln.
Dingelſtedt's Lyrik ift durch und durch individuell; bie
Eindrüde dringen oftmals nicht bis zum ibeellen Ich
hindurch, fondern bleiben in der reinen individuellen An-
fhauung bes Dichters verfunten, aus welcher fie dann
zum Liede kryſtalliſiren; friſch, lebendig find jene Lieder
freilich beinahe alle, weil die concrete Perſoͤnlichkeit bes
Dichters felbft eine folche ift, aber jene Durchſichtigkeit,
jenes geiftige den Stoff beherrfchende und überwältigende
Element geht dadurch auch oft verloren. Wufgabe der
lyriſchen Kunft ift und bleibt e6 immer, das Individuum
abzuklären in einem Allgemeinen, in feinem Ideale; das
Ideal ift und bleibt der große weite Hintergrund, ber
tiefe Schadht aus dem die Kieder hervortönen. Bei die-
fer individuellen Richtung Dingelſtedt's kommt es baher
auch oft vor, daß die Leibenfchaft unmittelbar auf feine
Production einwirkt und dieſer zu perſoͤnlich gefpannte
Formen verleiht, während die Lyrik doc, eigentlich nicht
dur) die Leidenfhaft unmittelbar ſich bewegen laffen
darf, fondern von ihr nur .indirecte Einwirkungen em⸗
pfängt. Es kommt ferner daher ganz aus demfelben
Grunde, daß die Individualität Dingelſtedt's den Stoff
weit überragt und ben Gedichten bie perfünliche Färbung
zu ſtark aufträgt.
Ein charakteriftifcher Zug der Gedichte Dingelftedt's
ift es, daß buch fie hin eine leife leichte Wehmut
weht, die bei den gelungenen uns wie Heimweh na
verlorener Liebe, nach verlornem Waterlande, wie ein
fernes trübes Todtengeläute entgegen Elingen, bei fehr
vielen aber In eine zu große MWeichlichkeit und verſchwom⸗
mene Sentimentalität ſich verwifcht haben. Gutzkow er-
wähnt in einer Recenſion der ältern Gedichte ſchon die⸗
fen Punkt, freilich fobend, wenn er fi ausdrüdt: „Wer
biefen Sänger ber Liebe und Treue, dieſe jegt felten ge= '
wordenen Ausnahmen eined Dichters (fol dies in Wahr-
heit oder in Dichtung für Dingelftedt gelten?), der noch
mit frommer Hingebung fhwärmt und fich in der rüh-
vendften Sentimentalität babet, noch nicht kannte, hat
jegt — —“; ber Igrifche Dichter gibt uns freilich fein
inneres abgeläuteferes Leben, und nun ift es freilich
wahr, bag dad‘ Gemüth Digngelſtedt's fortwährend in
Unruhe und Unfrieden mit fich felbft ift, daß er raſtlos
und unermüdlich ſich abquält und abhärmt; aber wenn
wir in der Kunft eine folche Zerworfenheit mit fich felbft,
eine folche Haltlofigkeit in ſich felbft uns entgegentreten
fehen, fo fragen wir nach ihrer Urfache, nah dem Rechte
ihrer Eriffenz. Verſtimmung und Traum, deren Grund
man nicht Fennt, fühle man nicht mit, der Eindrud geht
für uns verloren, fie laſſen fogar ein peinliches Gefühl
in und erftehen, wenn wir zulegt als Urgrund aller die⸗
fer Klagelieder teinen andern, zu entdedien vermögen ale
die flüchtige Laune, denn Launen find ebenfo wenig Poe⸗
fie ale Willkur Freiheit ifl. Die zum Sprüchwort ge
wordene Zerriffenheit, die Europamüdigfeit hat, wenn
fie nicht aus eitler Laune, aus Nachaffectirung des eng⸗
liſchen Spleen oder aus innerer geiſtiger Ermattung her⸗
vorgeht, ihre poetifhe Rechtfertigung; wir fühlen den
Schmerz felbft tief mit, der in dem Herzen eines Dich⸗
tere oder Schriftftellers glüht, wenn er ſieht, wie alle
die Früchte, die ex für fein Vaterland, für bie politifche
Selbſtandigkeit und Freiheit jenes Volks aufblühen gemacht,
vermelten, oder als täube, faule Krüchte zur Erbe abfallen,
wenn er. vergeblich danach ſtrebt, den Schutt ber Ver:
gangenheit, welcher das junge Herz ber Gegenwart zu:
fammenfhnürt, hinwegzuräumen oder wenn er in poeti⸗
fcher Haft und Eile den Wagen herankeuchen fieht, in-
deß er auf dem Iuftigen Schiffe der Gedanken weit,
weit vorangeeilt if. Einen folhen Schmerz vermögen
wir zu verfichen, weil wir ihn felbft mit empfinden,
weil die Stimmung Wahrheit, poetifche, Wahrheit ift,
und weil wir Alle an demfelben Joche ziehen. Jene
fürftlich - Pückter’fche Europamüdigkeit, die aus Überrei«
zung und Abſpannung, aus bem feltenen Gelüfte nad)
neuen gefuchten Genüſſen hervorgeht, iſt eine krankhafte,
unpoetifche, rein materielle und darum nun und nimmer
Gegenfland der Igrifchen Poeſie. Perſoͤnlich werben wir
auch mit Dingelfledt gern feine Empfindung theilen, mit
ihm klagen, da er fein Leben in eigener Selbfizerflei-
ſchung fich zerreißt, fich -vergällt; wir finden den Grund
in phyſiſchem Ban, in der Entwidelung feines Körpers,
in BVerhältniffen, die wir nicht kennen, die freilich per-
fünfich betrubend und zu beflagen find, weil fie krank⸗
hafte Symptome an fid) tragen, aber da fie auch nur
in dieſer individuellen Beftimmtheit vorfommen, fo fehlt
ihnen das allgemeine Intereffe; er felbft führt in ben
Sonetten einen Grund feines Schmerzens an:
Ich Habe nie ein wirklich Gluͤck gefunden,
Wie oft es Feinde mir auch neiden mochten:
In jedem Kranz, vom Schickſal mir geflochten
Fuͤhl' ich die Dornen nur, die mich vermunden.
Wahr mag eine ſolche Stimmung fein, aber fie ift ohne
tiefere Bedeutung, ohne ideale Beziehung. Das ift über-
haupt der Vorwurf, deu man vorzugsmeife Dingelftebt
machen ann, daß er jede Stimmung, wie fie die wech⸗
ſelnde, ſchwellende Flut des Lebens in feinem Herzen er:
regt, zum Gedichte ausftrömen läßt, ohne vorher ihre
Abklärung, ihren Duchbrud zum Ideale zu erwarten.
Die: Form liegt immer fo zur Seite, die Sprache ift
bereit, feinen Empfindungen ein Kleid zu bereiten, bar-
um mangelt feinen Productionen die nöthige Ruhe und
Klarheit und fein Tchönes Talent zerreibt fi in momen-
tanen Stimmungen, Verſtimmungen, flatt fih zu fam-
meln zu ideellen Werfen ber Kunft.
(Die Fortſetzung folgt.)
Eine englifhe Stimme über Schloffer und
Deutſchland.
Bei Beſprechung der von David Daviſon beſorgten eng⸗
liſchen Überfegung von es fee „Geſchichte des 18. Jahr⸗
hunderts“ außert fich ein edinburger Sournal folgendermaßen:
„Schloffer fpmpathifiet mit dem Volke, , Deshalb eignet er ſich
zum Hiſtoriographen des 18. Jahrhunderts. Das heißt, er
eignet fi infoweit Wille und Kraft reichen. Denn es if
mehr als zweifelhaft, ob ex feinem Gegenftande vollfommen ge:
51
wachſen. Bisweilen koͤnnen wir in ihm nur den Compilator
ſehen und das ganz beſonders, wo er auf die Geſchichte Groß⸗
britanniens und unſere Staatsmaͤnner kommt. Mit dem Ma
terial mag er vertraut fein; mit dem darin wehenden Geifte
iſt er es nicht. Nun wahrhaftig, wir gehören nicht zu den
Freunden der englifchen Oligarchie. Wr haflen fie aus Her⸗
jensgrunde. Haͤtten wir aber ihre Gefchichte zu fehreiben, würs
en wir und verpflichtet achten, gerecht gegen fie zu fein. Es
gibt zwei Arten, über Menſchen und über Greigniffe zu ſpre⸗
hen, eine philofephifcye und eine gemeine. Legtere hat Schlof⸗
fer am beften zugefagt. Ihm gilt daß engliſche Volk ftets nur
ale John Bull, und jeder Staatömann, von welcher Partei er
fei, als der Inbegriff gröbfter Selbſtſucht. Das ift fhon in Bes
zug auf die menſchliche Natur ebenfo unrichtig ale thörichk.
Selbftfucht liegt im Charakter jedes Menfchen, wird aber bei
Einem von beffern Eigenſchaften fo gemäßigt, bei Andern von
der Leidenfchaft fo beherrſcht, bei Dritten von der Liebe zum
Ruhme ſo verfluͤchtigt, DaB fie felten in ihrer rohen Urgeftalt
auftritt. Das bat Schloffer nicht gewußt oder überfehen, und
daß ift der Grund, warum er bei Darlegung der Handlungen
unferer Staatsmänner eine Bande didhäufiger, materiell ge
finnter Schufte im Auge gehabt zu haben fcheint, wie er deren
vermuthlih in Deutſchland kennen gelernt bat. Eine felbft-
füchtige englifche Ariftokratie ift ein weſentlich unferichiebenes
Geſchoͤpf von dem ſklaviſchen Speichellecker, der ne f feines
Gleichen fi in der Kreisbahn eines beutfhen Duobezhofes bes
wegt. In dem Engländer ftedt eine Hoheit und eine Kraft
der Intelligenz, von welcher der Deutfche Feine Ahnung hat.
Folglich auch Schloffer nit. Und deshalb ift er ſtets auf
falfcher Fährte, wenn er einen unferer Staatsmänner fhildern
wid. Juſt wie er auch im Dunkeln tappt, wenn er das Ei⸗
enthümliche unferer Conftitution abſchaͤzt. Im Allgemeinen
—*— den Englaͤndern Sinn und Geſchmack fuͤr politiſche Faxen,
und es iſt daher ebenſo einfältig, den Proceß des Warren
Haſtings für eine ſolche zu bezeichnen, als für ausgemacht hin⸗
zuftellen, daß unfere Herrſchaft in Indien fi) durch nichts
außzeichne ald durch Ungerechtigkeit und Dedpotismus. Wo
Schloffer von der Sefchichte anderer Völker handelt, fühlt er
fi weniger verſucht, die Wahrheit zu binterziehen, denn es
gibt keinen Staat auf Erden, ber in Deutfchland mehr benei«
det wird als England. Daß wir in Politik, Philofophie, Li⸗
teratur, Handel und Botmäßigkeit die erften Preife davonges
tragen, ift ſelbſt für die Untertanen des winzigften deutfchen
Hofs ein inftinetmäßiger Grund, uns zu verabfcheuen. Rußs
land, Polen oder Schweten behagt ihnen befier. Die Motive,
aus welchen dort gehandelt wird, find den Deutfchen verftänd:
licher, denn fo lange fie felbft Sklaven bleiben, werden und
koͤnnen fie die Gefühle eines freien Volkes nicht verſtehen, nit
würdigen.”
Bibliographie.
Ackermann, ©. A., Syftematifche Zufammenftelung ber
im Konigreich Sachſen beftehenden frommen und milden Stif⸗
tungen, wohlthaͤtigen Anſtalten und gemeinnügigen Vereine.
Iſtes Heft. zeipiig, Zeubner. 1845. Gr. 8. 15 Rgr.
bum zur Erinnerung an die Anwesenheit 1.1. M.M.
des Kaisers und der Kaiserin von Österreich in Triest im
Herbste 1844. Mit 17 lithographirten Ansichten in Ton-
druck und erläuferndem Texte herausgegeben von J. Papsch
und Comp. Triest, Favarger. 1845. Fol. Schwarz 8 Thir.
27 Ngr., colorirt 17 'Thir. 24 Ngr.
Altgelt, H., Gefchichte der Grafen und Herren von
Moers. Düffelborf, Bötticher. 1845. Gr.8. 1 Hr. 5 Nor.
Altmann, $., Lieder auß der Kerne. Iſtes Baͤndchen:
Epiſches. Berlin, Hayn. 1845. Gr. 12. 15 Nor.
Bauerkeller’s Handatlas der emeinen Erdkunde,
der Länder- und Staatenkunde, zum Gebrauch beim me-
thodischen Unterricht und Selbstudium, sowie für Freunde
”
52
der anschaulichen und vergleichenden Erdkunde überhaupt
in 80 Karten nebst einem Abrisse der allgemeinen Erdkunde
und der physischen Beschreibung der
tischen Übersichten und topographischen Registern. Bear
beitet von L. Ewald. Istes und ?tes Heft.
2 Bogen Text in Fol, nebst 3 Bogen Text in 4. Darm-
stadt, Bauerkeller’s Präganstalt 25 Ngr.
erwachte Thaͤtigkeit für Die Vermehrung und Pe ber
Potsdam, Stuhr.
1845. Gr. 8. .
Berhüflte Bilder. Gefammelt im deutfchen Disterhaine
r.
fterreichifcher Bürger-Kalender für das Jahr 1846. Ifter
Jahrgang. Wien, Pichler. 1845. Gr. 8. 25 Nor. _
Byron, Erfter Sefang des Childe Harold. Freie Über:
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Über feäweizerifche Auswanderungen. Berichte der ſchwei⸗
zerifchen Gonfular: Agenten in Europa, Nord-Afrika und bei-
ten Amerika, mit Anmerkungen der von der fehweizerifchen ge:
meinnügigen Gefeufat niebergefetten Auswanderimgs : Som:
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Uhland, L., Gedichte. Neuefte Auflage. Miniaturaus:
1845. 16. 2 Zhle. 221%, Nor.
Bolger, 8. F., Handbuch der Geographie. Ifter Theil.
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rt...
Br.
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r. gr.
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monskinder. Frankfurt a. M., Brönner. 1845. 8. 10 Ror.
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dium der Mathematif. Nach der 2ten Originalausgabe deutfch
bearbeitet von 2. H. Schnufe. Braunfdweig, Meyer sen.
mer.
Ya Rar.
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Vogel. 1845. Gr. 8, 2 Thir
Zajotti; P., Die literarische Bildung der Jugend.
Aus dem Italienischen, mit einem Lebensabriss und Aus:
zügen aus des Verfassers früheren Schriften von H. Stieg-
its. Triest, Favarger. 1845. Lex.-8. 1 Thir. 10 Ner.
Berantwortlicher Heraudgeber: Heinrich Brockbans. — Druck und Verlag von F. X. Drockhaus in Reipzig.
u Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
— — — — — — —
Mittwoch,
14. Januar 1846.
Franz Dingelſtedt.“
( Zortſetung aus Nr. 13.)
Wäre etwa gar dieſe melancholiſche Stimmung Din-
gelſtedt's hervorgegangen aus gefränktem Selbftgefühle,
aus Mangel an Erfolg? Wir glauben hier nur einfach
auf die Entwidelung Dingelſtedt's hinzuweiſen, um das
Gegentheil fofort zu erkennen. In wie wenig Jahren.
und mit welchen Leiftungen erlangte Dingelftebt einen
Ramen, der ihn: bald den frühen Schriftftellern zur
Seite feste? Wenn mitunter freilih der Erfolg nament-
lich in novelliftifchem Zelde und in dem Verſuch zum
Drama, dem „Geſpenſt der Ehre‘, der nicht war, welchen
ber Verf. fi davon verſprach, fo wird er nun bei ru-
higem Blute weniger die Schuld dem Publicum beilegen
als vielmehr den Grund in der Production felbft fuchen
und fih wol damit tröften, daß andere Dichter und
Schriftfteller bei größerm und gleichem Talente länger |'
mit der Begründung ihres Namens zu ringen hatten.
Wir hielten die Lage Dingelſtedt's als Schnimeifter
zwar nicht für eine fehr erquidliche, wir verftanden fei-
nen Schmerz, wenn er fid) mit einem Schmetterlinge
verglih, der vom Nadelfchaft durchftochen unwillig im
Inſektenkaſten zude, wenn er am alten Strange vor-
wärtd feuchte und feine Quarta für feinen Mufentem«
pel hielt; aber trog alledem müffen wir auch jest aner-
kennen, daß die Stellung der modernen Schriftfieller eine
andere als die der alten Griechen und des Mittelalters
if. “Die Zeit ift ernfter, ftrenger geworden, der moderne
Staat ift nit fo vom Kunftprincip durchdrungen, daß
er die andern Anfoderungen an feine Bürger vergäße;
die Kunft iſt für die naͤchſte Gegenwart der Entwide-
lung des Staatlebens untergeordnet; für uns freilich
wehe, daß wir Enkel find, aber menn wir biefen liber-
gang felbft als einen nothwendigen, vernünftigen begrei-
fen, werden wir auch biefen Stand ruhiger und klarer
zu behaupten und weiter fortzubilden verſtehen. Biel-
leicht daß fpäter, wenn die alten Formen vollftändig zer-
brochen find, wenn das deutfche Volt auf dem Wege
zur Freiheit und Selbftändigfeit eine Nation wieder ge-
worden ifl, wenn bie Aufklärung nicht blos nad ber
Höhe fondern auch nach der Breite und Tiefe des Volks
Hin ihre Strahlen gefandt hat, wenn über den getrenn-
&
i ten Bauen und entfrembeten Stämmen das Bewußtſein
eines ſtarken Volksthums wieder erwacht, daß fpäter
dann auch die materielle äußere Stellung der Kunft eine
andere, velfere jelbftänbigere wird, denn daß die Kunft
felbft aufleben, neugeftaltend zu neuern höhern Principien
dadurch hingebracht wird, fteht nicht in Zweifel zu ziehen.
Dingelftebt drüdt biefe Gedanken und den Zweck un⸗
ſerer Sendung in feinem „Troſt“ überfchriebenen Ge⸗
dichte klar aus:
Jedweder Zeit wird ihre eig'ne Sendung,
Sie kann nicht d'rüber, kann nicht d'runter ſchreiten,
Die unf're Heißt nun einmal nicht Bollendung,
Sie heißt: Berftoren, Kämpfen, Vorbereiten.
Die Liebeslieber, deren ein großer Theil die vorlie-
gende Sammlung füllt, müffen ſchon um deswillen viel
Intereffe bieten, als gewiß fein neuer Schriftfteller im
Leben felbft fo viel Anregung und Bewegung bazu ge
funden, als gewiß kein neuer Dichter fo viel Studien
im praßtifchen Xeben dazu gemacht hat als gerade Franz
Dingelftebt. Wir wollen mit dem Poeten nicht darüber
rechten, dag er durd die Beweglichkeit feiner Empfin-
dungen und Reizbarkeit feines Herzens, vielleicht auch
durch den göttlichen Keichtfinn der Jugend ſich zu Schrit«
ten verleiten ließ, die für das Leben Anderer eben nicht
fehr erfprießlich waren, daß er Liebe erweden und an-
regen für bie einzige Beſtimmung bes Lebens anfah,
und daß feine Eitelfeit ihn zu ungerechten Schriften
verleitete, oder daß er felbft in Taͤuſchung befangen auch
Andere täufchte. Seine Lieder haben dadurch an Man-
nichfaltigkeit, Bewegtheit, Lebendigkeit gewonnen; was
"der Dichter perfönlich dabei gewonnen, wellen wir frei-
ih nicht beftimmen. Seine Liebeslieder atymen -afle
eine Friſche, tragen alle eine fo lebendige Farbe, baf
man oft gern auf den ſchönen fließenden Wellen der
Formen und Verſe über Untiefen der Empfindung und
Sanbbänfe der Geſinnung fi hinwegtragen läßt. Seine
erften Lieder dieſer Gattung, wenn wir fie mit ben ſpaͤ⸗
tern vergleichen, flehen diefen zwar an Mannichfaltigkeit
nad, aber dennody müſſen wir ihnen unbedingt den Bor-
“ 64
zug geben. Sie übertreffen dieſe nicht nur an Reinheit
und Zartheit der Empfindung, ſondern auch an Schoͤn⸗
heit der Formen und des Gedankens; kein Bild das
dich verletzte, kein Gefühl das verſtimmte, es weht über
denſelben und durch dieſelben ein reiner keuſcher Hauch,
und aus denſelben blickt uns ein ſeelenvolles Auge an,
das, auch wenn e8 in Thraͤnen ſchwimmt, immer noch
fhön und anziehend ift. Es find reine unbefledte Opfer
auf den Altar der Liebe. Statt der vielen Beifpiele,
die wir hierher fegen könnten, wollen wir blos an das
eine erinnern: . Ä
Bon den Sternen will id, lernen,
Die am Winterkimmel fteh’n,
Die im Nahen und im Fernen
Friedlich umeinander gehn;
Mie fie kommen, wie fie Ereifen,
Nie getrennt und nie veveint,
Wie fo ganz in ew'gen Gleifen
HU ihr Sein befangen fiheint.
Daß ich fo di lieben lernte _
Friedlich nah umd friedlich fern,
Du Geliebte, du Entfernte
Meines Lebens jchöner Stern!
Jeder Sinn nach dir gerichtet,
Jeder Blick in dich verfentt,
Alles Herz von dir gelichtet,
Aller Zauf durch die gelenkt.
Mit den fehönen „Scheidewegen“, die man dem be:
rühmten „Fare thee well” Byron's, woraus auch der
Dichter fein Motto gewählt hat, kühn zur Seite fegen |
Tann, feheint auf der Wanderfhaft eine eigene Zeit für
den Poeten angebrochen zu fein, Selbſtbewußt ſcheint
er ein neues Element feinen Liedern beigefellt zu haben,
das Stement der finnlichen Leidenſchaft; aber damit ift
auch alle Reinheit, aller Duft der alten Lieder verwiſcht
und zerſtreut; es find nicht mehr Die blauen Düfte des
Morgens, die über der frifchen Landſchaft ſchweben, es
find die Kohlendämpfe und Staubwolken, die über ben
Häufern und Paläften einer großen verderbten Stadt
anporwirbein. Die Sinnlichkeit frifch, ungeflüm mie fie
in- Heinfe’s „Ardinghello“ uns entgegentritt, die Sinn-
lichkeit, die mit griechiſchem Auge den Körper feiner
Schönheit wegen liebt und ihn genießt, alfo nur noch
ein ideelles Allgemeines zu Seiten hat, befigt namentlich
einer pietiftifch - gleifnerifchen Muckerei gegenuber ihre
poetifche. Berechtigung, aber auch fie muß in den Schran-
Sen bleiben: denn in der Kunft folk nie ber Leib, die
Korm den Geift, fein Wefen überwältigen und erbrüden.
Aber nehmen wir den Cyklus von Gedichten, welchen
Dingelſtedt „Roman überfchrieben hat und ben er. ein
Roſenblatt mit Duft und Farbe nennt, fo werben wir
gang andere Beziehungen finden. Auf einem engliſchen
Rout liegt ein müder Mann, ber Dichter, in einer
Niſche, ed draͤngt ſich ein braunes Weib aus den Golo-
nien zu ihm, an ihn,
War fie das Boͤglein ober ich,
Sie oder ih die Klapperfchlange.
Sie tanzen, das Weib bebt in ber Hand bes Dichters
wie eine Taube unter dem Vampyr; ihr Mann, ein
Schatten, heißt fie gebieterifch mit nad) Haufe gehen.
Beide, der Dichter und die braune Frau waren ohne
Kraft und Zreude und weil zum Streben zu träge, fo
Hammern fich Beide zum Zeitvertreibe aneinander an und
Als ich allein mit ihr nad Haufe fuhr ....
Ein Schleier über jene Frühllngénacht.
So treibt ſich das Verhaͤltniß weiter, da taucht in dem
fünften Liede, das beiläufig gefagt recht ſchön ift, bie
Erinnerung an die erfte Liebe in dem Poeten auf, ber
oftmals in dem Wagen ihrer harrt, bis endlich:
Den Zritt herab! Mit einem Sage
Mir an den Hals die Zigerkage!
Den Mantel fort! Mit füßem Zwange,
Mir um den Leib die Königsfchlange.
Nun glaubt auch der Poet das Räthfel der Liebe ge-
funden zu haben: |
Nimm das Ding nicht höher und richt tiefer
Als es werth if. Ja doch, brich die Blume,
Aber Plebe nicht wie ein -Ungeieher
In des Kelchs geſprengtem Beiligthume !
Wir wollen diefen Roman nicht weiter verfolgen, wir
leiſten gern‘ Werzicht, den Poeten „früh Morgens zu fe-
: hen, wenn er mit wankendem Knie aus dem Hinterpfört-
: hen von feiner Bayadere flieht”, und werfen gern einen
Schleier über folhe Wirklichkeit; aber folche beſteckte
Phantaſie, die als Lyrik ſich uns aufbringen will; Tann
nicht befriedigen, nicht erquicken, beraufthen: nur wie der
ſchädliche Dunft einer Kohlenpfanne.
(Die Fortfesung folgt.)
— — — nn — — — — — ——
—— — — —
Belgien ſeit feiner Revolution. Von Ignaz Ku—
randa. Leipzig, Herbig. 18416. Gr. 8. 2 Thlr.
15 Nor.
Es ift gewiß ein merkwuͤrdiges Greigniß zu nennen, daß
ein öftreihifher Schriftfteller aus freiem Antrieb von Wien
auf den altöflreihifcyen beigifchen Boden eilte und den fihönen
Gedanken faßte und in Vollzug feßte, Belgien, diefes in e
der traurigſten Greignifle und unglüdlichiten politiſchen a
ler von Deutfchland getrennte Land, durch literarifchen Der:
Eehr mit dem alten Mutterreihe in geiſtige Verbindung zu
bringen. Ignaz Kuranda that dies im 3. 1841 dur „Die
Grenzboten“, welche von. Bruffel aus ihre hoffnungsreiche Bahn
nach Deutſchland einfchlugen und von dem deutſchen Motte mit
bruͤderlicher Herzlichkeit begraßt wurden. Leider theilte die
Politif nicht. diefe ‚Gefinnung. des deutſchen Volks und be-
handelte die belgiſchen Grenzboten al misliebig gefehene
Ausländer. Kuranda fagt hierüber am Schluffe feines gehalt:
vollen Buchs Folgendes: „Bermittelungsverfuche zwifchen Bel⸗
gim und Deutfchland ftiegen wol fchon in mancher deutſchen
Bruſt auf, wenn fie Die freie Luft Diefer gefegneten Maas-
und Scheldelande eine Zeit lang einhauchte. Auch der Wer:
faffer dieſes Buchs träumte einft einen folden Traum. Mit
Begeiſterung füllte ihn der Gedanke, wie viele ſchöne und ge:
wichtige Refultate ein Sournal zu Tage fördern Aönnte, das
zwiſchen Deutſchland und Belgien das Geſchaͤft eines Dolmet:
ſchers, eines Botſchaftsträgers gegenfeitiger Ideen übernähme.
Diefer Gedanke fand in Belgien vielfache Theilnahme, mehre
Freunde fihloffen fi an und fo trat zu Brüffe im 3. 1841
die Titerarifch-politifche Wochenſchrift «Die Grenzboten» ins
Leben. Trotz der Schwierigkeiten, mit welchen ein deutſches
. Blatt auf ausländifhem Boten zu Sümpfen hat (ſogar an ei-
ner beutfchen Buchdruckerei gebrach es und es mußten eigens
ur oe un Eu ——— —
56
dentſche Lettern aus Frankſurt, drutſche Seger aus Aachen und
Köln verſchrieben werden), hatten « Die Grenzhoten » ſich dennoch
bereits nach den erſten ſechs Monaten ſo durchgearbeitet und
ſo viel Anklang gefunden, daß ihr Beſtehen geſichert war, da
machte Preußen ploͤtlich mit verdoppelter Strenge von dem
Bundesgeſege gegen ausländifche Blätter Gebrauch. Der Poft:
debit der «&renzboten» wmurde auf das fchärffie verboten. Der
Weg nad) Deutichland ward ihnen abgeichnitten nnd fie muß:
ten bucdhftäblich über Die Grenze geben und in Leipzig ein Aſyl
ſuchen, wo fie, loögeriffen von ihrem urfprünglidden Boden
und Wirfungstreis, allmälig dad belgiſche Element gufgeben
mußten. Aber, ein fchlechter Mann, der eine Idee, die er für
ut und fruchtbar erkannt, bei dem erſten Hinderniß fahren
Tepe Bas in der Form einer periodiſchen Schrift ihm verei:
telt wurde, bat der Verf. diesmal in der Form eines Buchs
verſucht.“
Dieſes Buch nun träge durch Fülle und Mannichfal⸗
tigkeit des Otoffs, durch Klarheit der Auffaſſung und Leid:
tigkeit der Darſtellung im vollſten lobenswerthen Sinn den
jour naliſtiſchen Charakter an ſich; wie denn überhaupt das
öffentliche Urtheil laͤngſt entſchieden hat, daß Kuvanda ciner
der gewandteſten und gluͤcklichſten Journaliſten iſt die Deutſch⸗
land Bisher beſeſſen- Daß er die en Buftande als Einer
fchidert, der large Zeit die freie Luft Der gefegneten Maas:
und Scheldelande geathmet, und daher haufig für Belgien eine
rößere Begeiſterung an- den Zag legt als für Deutfchland,
donn man ihm eben der befondern Verhaͤltniſſe wegen. nicht
fehr übelnehmen. Deffenungcachtet laͤßt Kuranda der Würde
des deutſchen Elements in Belgien völliges Recht widerfahren.
Ein befonderes Interefje gewinnt das Buch durch die vielen
Beziehungen zu Dftreih. Bei den Rüdbliden auf die Zeit
der öftreichifchen Herrſchaft in Belgien äußert die Vorliebe des
Berf. für Belgien einen etwas zu Sarken Einfluß, welcher der
Beurtheilung des Verhaltens und Verfahrens der Belgier ge:
gen Joſeph H. die durchgreifende Beftimmtheit und gerechte
Strenge nimmt. Auch bätten die Firdlichen und religiöfen
Bexhaͤltniſſe Belgiens, die den Genuß der freien beigiichen
Luft gar fehr verbittern, entfchiedener yetadelt werden müflen.
Alein Kuranda war bei Berfaffung feines Buchs noch ganz
dem urfprünglichen Gedanken der „Grenzboten“ getreu und
vermied es Daher, eine der verderblichften Differenzen gwifchen
Belgien und Deutichland aufzudecken.
' Bor dem Erſcheinen diefes Buchs war bereits jene ma:
terielle Berbindung Belgiens und Deutichlande ins Leben ge:
treten, welcher geiſtig den erften Weg gebahnt zu haben eben:
falls ein Verdienſt der „Grenzboten” if. Da nun in Folge
jene® glädlichen Greigniffes Belgien viel häufiger von Deut:
ſchen befucht wird, fo bat Kuranda’s Werl auch als Reife:
Handbuch einen entichiedenen Werth, indem es mit wahrhaft
bewundernswertber Bietfeitigfeit das ſchoͤne Belgien mit allen
feinen Eigenthüntichkeiten, Kunftfhägen, Erinnerungen und Le⸗
:bensgenüffen ſchildert. sl.
Die Beamtenberrfchaft In Rußland und Frankreich.
Der Berf. des im franzöfifcher Sprache erfdhienenen Werks
„Voyage autour de la Chambre des döputes. Par un Stave”,
Felt als Warnungstafel für Diejenigen, weiche, um den in
Frankreich ſich allenthalben Tundgebenden ungeftlümen Andrang
zu Staatsämtern zu hemmen, zu Mitteln rathen, die den Auf:
ſchwung und den edeln Ehrgeiz ver Geiſter hemmen müſſen,
en Vergleich der ruffiihen Beamtenhierarchie mit den
Bewegungen des. öffentlichen Lebens in Frankreich auf, eine
Warnung, die man fih auch ar manchen Orten bdiebfeit des
Mheins, die noch nicht ruffif find, geſagt fein laſſen könnte.
„Nirgend“, bemerkt dieſer Slawe, „wird das Anciennetätsprincip
in der Beamtenwelt firenger aufrecht erhalten” als in Rußland.
Der Staat if. in. 14 Ciaſſen getheilt; jeder nicht leibeigene
Unterthan muß feine Laufbahn durch verfchiedene Stufen diefer
Hierarchie maden ; und dies in dem Volksgeiſt eingeraurzelte,
vom Souverain gezwungene aufrecht erhaltene Syftem ift die
einzige Bürgichaft, welde Das Land gegen den Despotismus
befigt.*) IH erinnere mich, daB bei der Krönung des Kaifers
Rikolaus zu Warfhau diefer Monarch dem Großfürften Kon:
ftantin, feinem Bruder, welcher zu feinem Sunften dem Throne
entfagt, ſich verbindlich erzeigen wollte und Deffen Sohn zum
Capitain zu befördern wünfcte. Der Legtere war jedoch in
feinem Rang der fechöte der Ancienmetät nach und der Kaiſer
{ah fih deshalb und um die andern fünf nicht zu verlegen,
gezwungen, ulle ſechs zu Gapitainen zu ernennen. . Wäre dies
nicht geichehen, fo würden alle ihren Abjchied genommen ha⸗
ben. Um irgend eine Yunft zu erweiſen ift der Kaifer genö-
tigt, zu Kunftgriffen und verichlagenen Auskunftsmitteln feine
Zuflucht zu nehmen, indem er beftändig die Rangftufen der
bevorrechteten Körperfchaften ‚vermehrt und Auszeichnungen
ſchafft, die Eeinen innern Zweck haben als der Begehrlichkeit
Diefer Beamten genugzuthun, deren wachſende Anzahl mit ih:
rem Recht der Unciennetät feine Gewalt in die engſten Gren-
zen bannt. Darum kann, fo ſeltſam es klingen may, der Aus
tofrat in dem Perfonal feiner Armee, des großen Gegenſtan⸗
des feiner Sorgfalt und feines Ehrgeizes, nicht dergleichen Ber-
änderungen vornehmen wie fie in Frankreich durch jeden
Kriegsminifter, den verantwortlichen Diener einer conftitution«
nellen Regierung, ‚bewirkt werden. Marſchall Soult führt in
einem Jahre mehr Reformen ein, gibt mehr Refehlshaberſtellen
weg, nimmt mehr Beförderungen vor, und theilt mehr Beloh⸗
nungen aus ald Nikolaus in zehn. Einen General oder Ober:
ften in Rußland feiner Stelle entfesen ift dort ein Ereigniß,
welches die öffentliche Meinung weit tiefer aufregt als in
Frankreich eine Auflöfung der Kammern. Deshalb find auch
dergleihen Vorfälle äußerft felten. Aus dieſen Gründen würde
denn au ein rufifcher Souverain, der Reformen vornehmen
wollte, in der Glafje der Beamten —. welche ein Volk im
Volke bildet — die unbefiegbaren Dinderniffe feiner Entwürfe
finden. Kaiſer Alerander, welcher feinem Lande freifinnigere
und mehr im Ginklang mit denen: anderer Staaten Europas
ftehende Einrichtungen ſchenken wollte, begegnete aus dieſer
Urfarhe einem Widerftand, der ihn auf feine fittigenden Abfich-
ten zu verzichten zwang. Wie oft haben wir im Gegentheil
in Frankreich gefehen, daß Männer plöglih aus der Menge .
empertauchen und mit einem gefvaltigen Anlauf zu den 54—
ſten von einem Burger erreichbaren Ehrenſtellen ſich empor⸗
ſchwingen! Es darf Jemandem nur gelingen, die allgemeine
Aufmerkſamkeit auf ſich zu ziehen, fei es durch dic Weröffent:
lichung eined Buchs, oder bie Aufſtellung eines Grundfages,
oder einer Iheorie, oder irgend einer Idee, geeignet von der öf-
fentlihen Meinung günftig aufgenommen zu werden — und
ale Pforten des Staats öffnen fi) auf eimmal vor ihm. Über:
au fieht er fi aufgenommen, überall feiner Rede Gehör ge⸗
ſchenkt. Durd feinen Verſtand allein, Durch fein eigenes Ver⸗
dient wird er ein Mitglied jener allgewaltigen Ariftofratie bes
Geiſtes, weldyes die einzige ift die in diefem Lande als geſetz⸗
lich anerdunnt oder geashtet wird. Man Eennt jene Dligarden
nur zu wohl: erhabene Geifter, berühmte Schriftficher,. be .
wunderte Redner, Preunde oder Feinde der regierenden Ge:
walt, denen endlich die Regierung bie beſten Plaͤtze anbietet,
ſchon zufrieden, wenn fie dieſelben anzunehmen ſich herablaſſen,
auch wenn fie in ihrer Oppofition verbarren. Und wäre es in der
That vernünftig, Daß ein Eunier, ein Royer» Eollard, ein Arago,
nachdem fie durch ihre Arbeiten ihrem Lande Ehre gemacht,
fih Eramen unterwerfen und die Stufenleiter der verfhiebenen
— — — \
*) iiber bie ‚Mittel, deren fi dann und wann jene „Vuͤrg⸗
ſchaft⸗ zu bedienen gezwungen fieht, gibt ber. befannte Nußfprud ei:
ned ruffifchen Großen gegen ben Grafen Münfter Aufihluß, den
Hormayr in feinen ‚‚Lebendbildern” exzählt. „La Russie”’, meinte
der Sarmat, „ed'est une autocratie temperee par l'ausassinat.’”
56
Umter durchlaufen follten, um endlich in den Staatsrath zu
gelangen? Jene Ariſtokratie der Einſicht if das Palladium der
Freiheiten und ber Gefittung dieſes Landes. Sie bildet weder
eine abfonderliche Elaffe noch eine Ständelafte im Staat, bat
weder erbliche noch übertragbare Rechte noch andere Borrechte
— und kann im ſchlimmſten Kalle nur durch irgend welche 1d-
cherliche Anfprüche oder Begehren für den Augenblid gefähr:
tich werden. Ihre Mitglieder find die Günftlinge der öffent:
lien Meinung, für ihre Zeit; preoviforifche Heine Khalifen,
deren Herrfchaft mit dem Geſchmack und den Launen des Publicums
wechfelt, die ſich nezwungen fehen, unabläffig dahin zu trach⸗
ten, ſich auf der Höhe zu erhalten, zu der fie gelangt find,
und die nicht felten ihren Ruf überleben und traurige Bei:
fpiele der Unbeſtaͤndigkeit menſchlicher Dinge gewähren. Gebt
alſo diefer thatendurftigen Ariſtokratie Raum! Klagt fo laut
ihr wollt die Raubſucht Einiger, die Richtswürdigkeit, die
Betrügerei ‚und die Eharlatanerie Anderer an; ermahnt das
Land, fireng über Alle zu wachen; aber nimmer raubt der
Macht des Geiſtes die Ausficht, beftändig in den Rang curer
öffentlichen Beamten fi eindrängen zu können. Sollte je die
Derwaltung Frankreichs in fymmetrifhe Rahmen eingezwängt
werden, die eine vorgefchricbene Dofis von Kenntniß und Er:
foßrung verlangten, follte je Zeit und Alter binlänglich crad:
tet werden, um zu feinen Ehrenftellen zu führen, dann würde
der Geift des Landes den Gebrauch feiner Schwingen verlieren,
die ihn oft weit über feine Grenzen binaußtragen und die
weder menſchliche Vorausſicht noch Berechnung ihm, verleihen.
kann.“ 26.
giterorifhe Notizen aus Franfrcid.
‚Dramen, welde fib nit zur Aufführung eignen.
- Die erhabenen Geftalten, welche in der Reformation auf
der Bühne der deutfihen Geſchichte auftreten, find von franzö-
fifhen Dichtern ſchon haufig zum Gegenſtande dramatifcher Be:
handlung gemacht. Ein neuer Verſuch diefer Art wird uns
in folgendem Drama’ „La r6forme en Allemagne”, von Auguft
Robert, geboten, welches ſchon ſeines unangemefienen Umfangs
wegen — es enthält mehr ald 300 Seiten — ſchwerlich zur’
Aufführung geeignet und felbft nicht einmal darauf berechnet
zu fein fcheint. Außerdem würde der Darftelung auf den Bre:
tern auch noch die allzu große Zahl der Nebenperfonen entgegen:
treten. Der Dichter bat gern eine reiht ind Einzelne gehende
Charakteriſtik der damaligen Zeit entroerfen wollen; dieſes Stre⸗
ben ift im Allgemeinen wol anzuerkennen, aber er geht darin
zu weit. Um der Xocalfarbe willen gefällt er -fich in einer
Ausmalung ded Details, welche nothiwendig hemmend wirken
muß und Die der ganzen Darftellung einen ungemein fehleppen:
den Bang gibt. Außerdem ift dad Gemälde, welches er vor
unfern Blicken aufrollen will, zu weit, zu umfaffend, als daß
es einet abgerundeten freien künſtleriſchen Geftaltung entgegen
Fame. So wollen ſchon die Wiedertäufer in den eigentlichen
Rahmen nicht recht paffen, und es hätte einer befondern Ge:
ſchicklichkeit bedurft, um die Figuren, welche in den hierauf
bezüglihen Partien auftreten, uns nicht als ungebörige Bei⸗
perfonen erfheinen zu laſſen. Ebenfo wenig geeignet, von der
Bühne herab auf die Menge zu wirken, feheint uns auch fol
gendes Drama, welches den fonderbaren Zitel führt: „Cati-
lina romantique”, von E. Guichard. Wir glaubten, als wir
zuerft den Titel ns wir würden es bier mit einem fatiri:
fihen Zeitbilde zu thun haben. Dieje Vorftellung drängte ſich
und in Grinnerung an den „Romantifchen Odipus” von Platen
auf. Aber ein näheres Eingehen zeigte, daß wir und in die
fer Vorausſetzung getäufcht hatten. Der romantifhe Eatilina
gibt uns ein Stüd, in dem einige moderne Ideen im alten
Sewande auftreten, und wo römischen Figuren Tendenzen der
Gegenwart untergelegt werden. Wie die ganze Sache eigent-
id zufammenhängt, ließe ſich ſchwer fagen; ebenfo wenig als
der Grund, weshalb. der Dichter feine Sdeen, welde etwa
eines chriſtlichen Hamlet würdig wären, gerade in biefer
Form verkörpert bat. Vielleicht ift uns bei einer. flüchtigen
Lecture der tiefere Sinn, welcher dem Ganzen zu Grunde
liegt, entgangen; aber fo wie es und vorkommt, ift dieſe Dich-
tung in ihrer planloſen Anlage eine poetiſche Misgeburt der
Zeit. Damit wollen wir das Talent, das fi Hier und ba in
einzelnen Bligen Luft mat, keineswegs zu gering anfchlagen,.
-wenn wir auch der Dichtung felbft feinen hohen Gehalt beife:
gen können. Es ſcheint und ein fonderbares Bufammentreffen,
daß fi bier zwei Dramen begegnen, welche offenbar auf: die
Lecture und nicht zut Aufführung angelegt find. In Frank⸗
reich. find derartige Erfcheinungen bis jept feltene Ausnahmen
geblieben, während in Deutfchland viele dramatiſche Dichter
den gerechten Vorwurf, ihre Stücke eigneten fih nicht zur
Aufführung, fih zum Ruhme angerechnet haben. Dies tft
eine feltfame Berfennung der eigentlichen Bedeutung ber dra⸗
matifchen Form, die ihre Berechtigung eben nur in der Auf:
führung findet. Ein Genre wie das der dramatifchen Stüde
von Grabbe, die zum Theil recht abfihtlih die Foderungen
der Bühnenwirkung verlegen und fomit den unwandelbaren
Srundgefegen des Dramas felbft Hohn fprechen, ift lange Zeit
in Branfreih eine Unmöglichkeit geweſen; follte es etwa jegt
bei der größeren Berbreitung der deutfchen Poeſie in Frankreich
auch in der franzöfifher Literatur eingebürgert werden? Wir
nehmen Anftand, von Diefen beiden Erfcheinungen einen Schluß
zu ziehen. Der Sinn der Franzoſen ift zu fehr auf das Pos
fitive gerichtet, ihr Talent und ihre Neigung für die faßliche,
abgerundete Darftellung ift zu bervorftehend, als daß fie an
jenen nebeihaften Geftalten, wie fie in unſern dramatiſchen
Werken, welche „nicht zur Aufführung beftimmt’ find, umher:
ſpuken; auf dic Dauer Behagen empfinden könnten.
Jacquemont's Reifen in Indien.
Die Briefe Jacquemont's aus Indien find die anmuthig-
ften Senrebilder und wirkliche Muſterſtücke ihrer Art. Der
zu früh verftorbene Reiſende fehildert hier feine perfönlichen
Erlebniffe mit einem Reiz. und ciner Feinheit der Zeichnung,
dag man feine Freude Daran hat, Vielleicht werden grämliche
Gelehrte, welche fih nicht durch den Zauber der Darftellung
beftechen laflen, wirklich pofltive Angaben, naturhiftorifche No⸗
tigen und dergleichen Thatſachen vermiſſen und den Berf. der
Oberflaͤchlichkeit zeihen; aber es waren Died ja auch nur ver⸗
traute Mittheilungen an feine Freunde, welche nad feinem
Zode gefammelt und zu feinem Andenken von Freundeshand
beransgegeben find. So iſt es nafürlich, daß er nur Das
fhildert, was in den Kreis feiner täglihen Erlebniffe fällt,
und die eigentlihen wiſſenſchaftlichen Unterfuchungen feinen
fpätern Werfen überläßt. Diefe Zufammenftellung feiner For:
fchungen nun, die er, wenn er ins geliebte Vaterland zurüd:
gekehrt fein wurde — und er farb ja auch nur wenige Wo⸗
chen bevor ſich dieſer Wunſch verwirklichen konnte! —, veran:
ftalten wollte, liegt‘ nun der Dffentlichkeit als abgefchloffenes
Ganzes vor. Die franzöfiiche Regierung, weldhe ihm ſchon
die Mittel für feine ausgedehnte Reife gewährte, bat auch die
nöthigen Maßregeln getroffen, daß auch bie Keifebeobachtungen
und Aufzeichnungen wiſſenſchaftlichen Inhalts, weiche ſich im
Nachlaſſe des Berftorbenen: befanden, der gelehrten Welt nicht
verloren fein folten. Sechs ſtarke Bände mit 30. Kupfer
tafeln liegen vor uns. Diefed Werk: „Voyage dans Il’Inde
par Victor Jacguemunt, publie par otdre du gouvernement
frangais sous les auspices de M. Guizot”, bildet einen Schat
für Die gelehrten Kleinhändler, welche ſich ſchon beeilen wer⸗
den, die maflenhaften Goldbarren, welche darin aufgefpeichert
find, in Meinen Münzen zu verausgaben. Dabei ift aber an»
zuerfennen, daß die Herausgeber — ed find mehre Profefioren
des Jardin des plantes — den richtigen Zaft gehabt haben,
den Reiz der Unmittelbarkeit, welcher Allem was aus Jacque⸗
mont's Feder floß anbaftete, nit zu verwifchen. 17.
Berantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brockdans. — Druck und Werlag von F. U, Brockhaus in Leipzig.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Donnerdtag,
Franz
(Zortfegung aus Mr. M.)
Man könnte freilih zur Vertheidigung dieſes Ro⸗
mans, wie ed auch bereits geſchehen ift*), einwenden, es
ſei eine längſt abgethane Sache, an das Leben und ſeine
Erſcheinungen den Maßſtab einer abſtracten Moral zu
legen, ebenfo wie es unftatthaft fei, die Erzeugniffe der
Poeſie und Literatur nad) ererbten Regeln einer beftimm-
ten Aſthetik zu beurtheilen. Wir geben in einem gemif-
fen Sinne diefe Behauptung zu, denn Moral und Aeſthe⸗
tit in ihrem Erſcheinen find wiederum felbft nur ab-
Hängig und bedingt durch die Zeit, in welcher fie fi
herausbilden; fie fliehen ebenfo wie jede andere Blüte
ber geſchichtlichen Entwickelung unter dem relativen Coef⸗
frienten der einzelnen Zeitalter, angepaßt ihrem Charak⸗
ter und ihrer individuellen Sendung. Bon biefem Stand⸗
punfte aus würden alfo beide Gegenflände, Moral und
Aſthetik, in Einzelheiten fi zerfplittern, in individuelle
Erſcheinungen auseinanderfallen, wenn nicht durch fie
Hin ebenſo wie durch die ganze Geſchichte der Menſch⸗
heit ein unabänderliches in und durch fich bedingte Ge⸗
jeg ſich zöge; bie einzelnen Erſcheinungen gewinnen da-
Durch einen gemeinfamen Boden und auf folhem Halt
und wahren Werth; fie find als folche ebenfo bereshtigt
wie bie verfchiedenen Syfteme der Philofophie, denn fie
find die jedesmal möglichen oder vielmehr nothmendigen
Glieder eined gemeinfamen Ganzen; fie find Keime,
Bfätter und Blüten eines und deffelben Stammes. So
wird alfo doch fortwährend und für alle Zeiten ein Ge-
feg für Sitte und Schönheit gelten, das alle die verein-
ziten Erfcheinungen je nad) ihrer Stufe ſtaͤrker oder ge-
ringer durchdringt und das um fo wahrer und richtiger
fein wird, als es der Stufe des reinmenfchlichen,
d. b. des vernünftigen Menfchengeiftes fi nähert. Ver⸗
laßt es diefen allgemeinen Boden, fo ift daffelbe ber
ganz individuellen Beſtimmung anheimgefallen, die Ein-
zelheit erhebt ihre Anfichten zu einem Allgemeinen, fe
tritt fo in Gegenfag mit jenem; das Gebiet des Freien
Bernünftigen ft verlaffen, die Willkür tritt an. die Stelle
der Freiheit, das Vergängliche maft fi die Rechte des
a) Wigand’6 „Biertefinhrfrikt”, U, Bd. 4:
Ewigen an: Ob nun bie Perfonen und Situationen
des Dingeiſtedt'ſchen Romans juft ein „freies Men⸗
ſchenleben“ beurfunden, wie die Recenſion ber „Viertel⸗
jahrfchrift” dies annimmt, und ob fie ein fehönes Men-
fchenteben darftellen, möchten wir in Frage ziehen. Frei
ift ſolches Leben freilich inſofern, als es die beftehenden
Schranken der Sitte überfpringt; wenn nun diefe Sitte
ober das Gefeg diefer Sitte gegen das allgemein Menfch-
liche gehalten ein nichtiges ift, fo wäre das Werſchreiten
derfelben der Act einer freien, menfchlichen Handlung
gegen urmatürlichen Imang und ale ſolches eine freie
fhöne Handlung. Nun hat aber das Gattungsleben
feine vernünftige Form nur in der Ehe, die Ehe iſt das
Geſetz der Liebe, wer das Gefep bricht, Handelt nicht frei,
fondern wiltürlih, darum kann die Handlung diefes
Romans fein wahres freies Leben beurfunden. Diet
menn das Wberfpringen diefer Sitte der Ausflug wäre
einer ſtarken, Alles niederreißenden Leidenſchaft, fo könnte
man fie eine poetifche Handlung nennen ; aber frei
wäre fie darum doch nicht, denn die Leidenfchaft fchlägt
die Freiheit in den Bann, in der Keidenfhaft fegt das
Individuum fi und feinen Inhalt an bie Stelle der
Allgemeinheit. Aber bei bem vorliegenden Roman auch
das nicht einmal, die Leidenfhaft hat die Perfonen nicht
zufammengeführt, träg waren beide, nur zum Zeitver⸗
treib klammern fie fih aneinander, fie lieben ſich wie
Kinder ihr Spielzeug, und ſolche kindiſche Liebe iſt Feine
Leidenfchaft, keine Poeſie!
Das „Proſtitution“ überfchriebene Gedicht mit dem
Motto: „Qui sine peccato est vestrum, primus in il- .
lam lapidem mittat!“ würden wir übergehen, wenn
nicht noch andere Beziehungen dabei zu Tage kämen.
Selbſt der Genius der Sprache hat fi) von dieſem Ge-
dichte abgewendet, um fich nicht durch folchen unreinen,
unkeuſchen, unpoetifchen Inhalt befleden zu laffen. Wel⸗
he Berfe, womit das Gedicht anbebt! meint man nicht
ben Qualm einer Schenke zu athmen, wenn man hört:
Souft leben, Fu Beſcheid! Richt einen Tropfen mehr!
@i was, du darfit nicht fort, da Fommen Würfel her
Und Grog und Porter und Eigarren.
Du halt ihn doch! Laßt mi! Rur eine Pinte Ale!
Nein! — Geh’ zum Teufel denn! Pfui über das Kameelt
Schmeißt ihn zum Sempel 'nauß, den Narren!
Der Narr geht, eine liederliche Dirne tritt ihn on, er
a "-
fhleudert fie aufs Pflafter, dba plötzlich kommt ihm die
Reue, cr kehrt um zu ihr, nimmt fie mit fi, die mit
dem „erbfahlen Gefichte, den harten alten Zügen, dem
erftarrten Auge”, und „in ihrem Kämmerlein fchwelgten
und ſchliefen fie, ein Elend in das andere kam“. Wir
würden nicht im biefes Kämmerlein geblidt haben, von
welchen weinend verhüllten Antliges die Poefie und
Keufchheit ſich hinwegwandten, wenn nicht für uns nod)
ein anderer Anhaltspunkt fich böte, der dem Dichter
felbft uns näher oder wenn man will, ferner brächte. Der
Mann aus der Schenke, für den der Dichter einftehen
muß, ruft aus;
D unglückſelig Weib! Sie bietet zum Genuß
. get den entweihten Xeib, ihr Lächeln, ihren Kuß
erfauft fie an den Erften Beften.
Ich — — buhle mit dem Geiſt! o unglüdfeliger Mann!
Das Göttliche in mir biet' ich dem Pobel an,
Bon feinem Abhub mich zu mäften.
Welche Anfhauungen und Bilder! Ein Dichter, der fein
Bolt ale Pobel anfıeht, der für den Poͤbel dichtet, der
fih von ihm mäften läßt! o nehmet Steine, tragt ſie
herbei und verfchließt wie die Mutter des Paufaniad den
Zempel, weil euer Sohn zum Satrapen an der heiligen
Achtung vor feinem Volke geworden ifi!!! Wenn in
ſolchen Productionen Fortſchritt und Kampf eines beut-
fchen Dichterlebens fich ausfpricht, dann wollen wir in
der That den Kortfchritt beklagen, der und einen talent⸗
vollen Dichter geraubt hat. Es ift dies Gedicht nicht
in augenblidlicher Haft, in momentanem Unmuthe un-
widerruflich hinausgefchleubert, es fteht in einer, wie die
Anzeige Cotta's fi) ausdrückt, „vollftändigen kritiſch ger
orbneten und küͤnſtleriſch geftalteten Igrifhen Sammlung”,
alfo mit Überlegung und Plan dahin geftellt und alſo
aller Zurechnung fähig,. aller Veranwortung fällig!
Hieran wollen wir noch die Betrachtung über ein
Gedicht, das der „Heimat“ angehört und unter den
„Dämmerftunden” fteht, anreihen. Schon Prug bat in
einem Gedichte feiner Sammlung bei Otto Wigand
auf den Inhalt diefes Liedes Rüdfidht genommen, wenn
er fang:
Euch bat die Mufe jammert ihr gelogen,
Ein Reſſushemd ift euch die Poeſie —
Ein Schleier mir, den in dem Drang der Wogen
Mir Leukotheens Götterhand verlieh.
Dingelſtedt vermwünfcht die ſchwarze Stunde, wo ihm das
erfte Lied im Herzen aufgefeimt ift, er nennt jene Stim-
mung einen giftigen Rauſch, der zum Spotte ber Welt,
zur Dornenkrone führe, die Poeſie ift ihm ein Neffus-
hemd, das durch Schweiß und Blut feft an dem ge-
begten Leibe klebt. Wir wollen gern zugeben, daß die
Kunft wie jede geiftige Entwidelung die Seele beengt
und drängt, fo lange fie in ihrem Werden begriffen ift,
aber diefer Drang, diefe Unruhe ſelbſt ift wieder etwas
Hohes, denn das geiftige Leben und bie geiflige Thätig-
feit werben nur burch jene Unruhe erzeugt, getrieben; es
ift der Trieb, der die Knospen bes Geiſtes fpaltet und
das Leben ift die Unruhe felbft, jenes fi Auflafen in
Gegenfäge und Wiebergeftalten zur Ginheit und fo fort
bis zu feinem Ende. Der Dichter, dem die Stunden
' der Poefie nicht feine fehönften, Heiligften Lebensftunden
einläuten, der eine Marter und Qual bie gefegneten
Augenblide der Production fchilt, fchlägt wie ein unar-
figeg Kind die Mutter die es hegt, pflegt und licht,
zerfleifcht bie Hand bie es fegnet. u
(Der Beſchluß folgt.)
— ne — ne gi — — —
— — — — — — — —
Tagesliteratur.
* 3m Folgenden werde ich eine gedraͤngte überſicht der
neueften Schriften für und wider den Deutſch-Ka—
tholiciämus geben. Man wird daraus beim Beginn eines
neuen inhaltſchweren Jahres den Stand einer der wichtigften
Angelegenheiten der Gegenwart überfehen: ihre ‚Hoffnungen
und ihre Stärke, ihre Schwierigkeiten und ihre Schwäche, ihre
Leiftungen und ihre Aufgabe.
Bon dem gewichtigften Vorfämpfer der deutſch-katholiſchen
Gemeinſchaft liegen mir folgende Schriften ver:
I. Katbolifche Dichtungen von Johannes Ronge. Deflau,
Keubürger. 1845. 8. 7%, Nur.
2. Rede gehalten am 23. Sept. 1845 in der Münfter fire
zu Um von Sohannes Ronge. Ulm, Nübling. 1840.
8.21% Rer.
3. Neue und doch alte Feinde.
Deffau, Neubürger. 1845. 8
Daß Ronge diefe Gedichte hat drucken laffen, ift ein gro-
Ger Misgriff; feine Freunde hätten ihn Davon abhalten follen;
fie find wirklich fehr ſchlecht. Von Poeſie Feine Spur, von
Gedanken ein einziger, dreihuntertjähriger: der Sturz des Pa»
pismus, und dieler viel matter al8 er hunderttauſend Mal
ausyefprochen worden, als ihn Ronge felbft in Proſa ausge⸗
an bat. Die in Ronge mehr fehen ald den erſten zu-
alligen kleinen Schneeball, der berabrollend vom Berge ber
ierarchie eine Lawine gebildet hat, die ihn einen Luther des
9. Jahrhunderts nennen, mögen diefe Gedichte zur Hand neh:
men, um ihn fennen zu lernen. Ronge felbft follte befcheide-
ner fein, die Frömmigkeit follte ihn befcheibenee machen, ober
die Beſcheidenheit frömmer; anbetend follte er bekennen, daß
Gott maͤchtig ift im Schwachen, daß er jich eines geringen
Werkzeugs bedient, um ein großes Werk zu verrichten. Eine
Heine Probe Ronge'ſcher Poefie wird mein Urtheil rechtfertigen
bei Denen, die einigen Geſchmack befigen:
Einft ald Chriſtus die Apoftel fandte,
Aller Welt zu biingen Heileswort;
Al der Geift in Feuerzungen brannte,
Lehrt' er Sprachen fie für jeden Det;
Und der Sprachen Kraft fie überfonnte,
\ Weil nicht jedes Volk hebräifh konnte.
In der Rede zu Ulms ift Ronge mehr an feinem Plage. Gr
deutet bier feine Hoffnung an, daß eine Bereinigung Des Prote-
ftantismus mit dem Deutſch⸗Katholicismus gefchehen werde. Als
das Princip des Deutſch⸗Katholicismus und der Vereinigung
des Proteflantismus mit ihm bezeichnet er die Rächftenliebe.
Er deutet auch an, baß ed darauf ankomme, „vollkommen zu
werden wie der Water im Himmel vollfommen iſt“. über
die Anwendung, die er von diefem tieffinnigen, für unfere Zeit
unendlich bedeutungsvollen Spruche macht, ift fo Peinlich, daß
alle Wirkung deſiren für den reformatoriſchen Zweck verlo⸗
ven geht. Er folgert daraus nichts als daß die Ältern ihre
Kinder nicht Lehrern anvertrauen follten, welche „unter dem
Drude einer Hierarchie ſchmachten“. Unrecht hat Ronge, wenn
er die Bedürftigkeit des Proteftantismus nach feiner Reforma-
tion aus dem Umftande ableitet, daß man innerhalb des Pro⸗
Bon Johannes Ronge.
3 Ror.
teſtantismus ein ftarres Feſthalten an allem Dogmatismus ver-
lange. Die Partei, welde dies Verlangen beat, ift in ber
peoteftantifchen Kirche eine an Zahl geringe und nur ſcheinbar
mächtige Partei, nämlich nur mächtig durch Die geiftige Ohn:
macht ihrer zahlreichften Gegner, Derjenigen, zu welchen auch
Ronge zählen würde, deren Ohnmacht auch Ronge theilen
würde, wenn er nicht al& Papift, fondern als Lutheraner ge⸗
boren und erzogen wäre. Es hat ſich fchon gezeigt und wirb
fi immer mehr zeigen, daß der Kern des Proteftantismus mit
einer der beiden ihm ganz Außerlichen Parteien etwas zu ſchaf⸗
fen bat, welche fich genenfeitig weiß zu machen beftrebt find,
daß fie Die eigentlichen Proteftanten, die andern aber Abtrün⸗
nige von der Sache des Proteftantismus feien.
Innerhalb der noch fo jungen deutſch⸗katholiſchen Kirche
felbft hat ſich fchon derfelbe Gegenſatz geltend gemacht, welcher
leider beweift, wie unmöglich es fei, in Sachen der Erkenntniß
das Gleichgewicht zu halten, wenn man ed nicht für nöthig
hält, die Erkenntniß in der Ziefe des Gegenſtandes zu fuchen,
fondern fich begnügt, an der Oberfläche defielben hinzuftreifen.
Sn feiner foeben erwähnten Predigt ſchließt Ronge mit den
tiefbeteutungsvollen Worten: „die neue Reformation fet nicht
gekommen zu löjen, fondern zu erfüllen.” Aber yon diefem
verheißenen Erfüllen ift bis jegt noch blutwenig in Erfüllung
gegangen, und auch dem von ihm bekannten Principe der Näch:
ftenliebe, das doch in Religionsſachen als Duldung ſich geftalten
muß, wird Ronge in feiner unter Nr. 3 erwähnten Schrift untreu,
indem er hier nicht nur wider die ſchon berührte ftrenggläubige
Richtung im Proteflantismus, fondern auch wider feinen Mits
tämpfer Czerski auftritt, weil Diefer fi für das augäburgifche
Glaubensbekenntniß und witer die „Bernunftanbeter” erflärt
hat. Hier fpricht er die Ausſchließung Czerski'ß von der Ne:
formation aus. Das ift unflug und jedenfall ungerecht, weil
bis jegt mit Ausfchluß der fehr anerfennungswerthen, aber daß
Weſen der Religion nicht berührenden äußern Kirchenverfaf:
fung von den Deutidy:Katholifchen überhaupt noch gar nichts
hefcheben ift, als daß fie dem Papſte abgefagt haben. Dierin
fol gar fein Vorwurf liegen: es bat füglih überhaupt noch
gar nichts weiter gefchehen koͤnnen; aber es ift fehr ungerecht,
is jegt irgend einen von Denen, die Rom abgefagt haben,
von Der jungen Kirchengemeinſchaft auszufchließen, da gar nichts
vorhanden ik, auf Grund deflen eine ſolche Ausſchließung ge:
ſchehen Eann, da vielmehr in der erwähnten Kirchenverfaflung
Die einzelnen Gemeinden und die Individuen ausdrüdlich in
Glaubensfachen ganz frei entlaffen worden find. Diefer Zwie⸗
fpalt in der jungen Kirchengemeinfchaft zwifhen Altgläubigen
und Rationaliften ift übrigens der Beweis, wie wenig berech⸗
tigt die Deuti:Katholiten zu einer Reformation der proteftan:
tifhen Kirche berufen find, wie fie nicht auf der Höhe ber
Reformation ftehen, fondern noch ganz im allererften Anfange
derfelben, wie fie alles Mögliche zu thun haben, um nur erft
u Zutber hinzukommen, ebe fie daran denken dürfen, über ihn
Vinauszufommen. Die Reformation des 19. Jahrhunderts fo»
dert weder Altgläubige noch Rationaliften, fondern Gläubige,
welche die ewige Wahrheit der Offenbarung in Ehriftus und
durch Ehriftus zeitgemäß geiftig, nicht mehr bloß in einfeiti-
gen finnlihen Borftellungen zu faflen vermögen, ber Abfall
von Rom ift ein großes Zeichen der Zeit, auch der nahenden
Reformation, aber noch lange nicht dieſe felbft, fo wenig wie
der von Schutt gereinigte Bauplag der Anfang des neuen
Bauwerks if. Es ift nur die Möglichkeit dieſes Anfangs.
Perſonlich gegen Ronge ift folgende Schrift gerichtet:
4. Offenes Sendichreiben an Johannes Ronge, zeitigen Volks:
reftaurateur ıc. in Breslau Bon R. ®.
nowsky, katholifchem Lehrer. Breslau. 1845. 8. 2 Nor.
Man muß foldhe Schriften lefen, um fi, wenn man fonft
‚geneigt wäre, wider Ronge zu fein, fogleich wieder mit ihm
zu verföhnen, ihn zu preifen, fein Exrfeinen zu fegnen. Da
duftet Einem der Augiasftall, welchen Ronge aufzuräumen un⸗
Ramſcha⸗
ternommen, friſch entgegen, ba ſieht man, daß Ronge der Mann
ift für feinen Beruf. Solche Geiftesarmfeligkeit, vermiſcht mit
dem wiberlichften Dünkel, zu befämpfen, dazu gehört ein Mann
bes nüchternen, ehrlichen Berftandes wie Ronge ifl. Und fo
jehr wir Proteflanten die Reformation durch Monge bis jept
depreciren müflen, fo fehr müflen wir wünfchen, daß dieſem
fein rüftig fortgefegte® Reformationswerk innerhalb des Roma»
nismus gelinge; denn hier ift es allerdings nur Zeit zum Lö:
fen, zum Aufräumen, zum Entlceren, bevor an das Ürfüllen
gegangen werden kann.
Zur Prüfung der geiftigen Perfönlichkeit Czerski's geben
folgende Schriften Gelegenheit:
5. Sendſchreiben an alle chriftlich »apoftolifch » Batholifchen Ge⸗
meinden von Joh. Czerski. Landsberg a. d. W. Bolger
und Klein. 1845. 8. 3 Rpr.
6. Sendſchreiben an alle chrift:Fathofifchen Gemeinden des ape-
ftofifhen Slaubensbefenntniffes von Joh. Czerski und
Anſelm Bernhardt. Xhorn, Lambeck. 1345. 8. 2%, Mer.
Drei Predigten gehalten vor der chriftlichzapoftelifch-Fatho-
lifhen Gemeinde in Schwerfenz von Joh. Czerski. Her:
ausgegeben mit Erlaubniß des Reformators und cingeleitet
duch Aphorismen über die Reformation von einem Laien.
Poſen, Eohn. 13845. 8. 5 Nor.
Czerski fchließt fid enger an die Bibel an; er fucht wer
niger durch Berftandesgründe zu wirken ald durch daß ein-
fache Bibelwort. In feiner unter Rr. 5 genannten Schrift
erklärt er, um alle Irrungeh zu vermeiden, daß er Ehriftus
ald Bott anerkenne, und fügt fich dabei auf diejenigen Bibel:
ftelen, in denen Chriſtus als Sohn Gottes bezeugt wird. Es
aft bekannt genug, daß ſich dieſe Stellen auch gegen die Gott-
beit Ehrifti anführen laffen. Es hätte daher des Beweifes
bedurft, daß fie für diefelbe Zeugniß ablegen. Berner legt er
fein Glaubensbekenntniß ab: das apoftoliiche, und endlich ver:
wirft er ald eine zu enge Bezeichnung den Ramen der deutfch-
katholiſchen Kirche, und empfichlt dagegen den einer chriftfich-
apoftolifch = Fatholifhen. Die große Frage Czerski gegenüber
ift: 0b fi allein auf den Grund des ſeligmachenden Glau-
bens an das einfache Bibelwert eine Reformation der Kirche
grimden läßt? ob die Kirche der Zukunft allein auf den Bo-
den der Heiligen Schrift gegründet werden Fann? Bom
Standpunkte der Neligiofität muß diefe Frage darum verneint
werden, weil Ebhriftus ausdrüdlich den einen den Kon
Beift verheißen bat, weil die Schrift felbft Zeugniß dafür ab»
legt, daß nicht durch ein gefchriebened Wort, fondern dur
die Wirffamkeit des Heiligen Geiftes die erfte Kirche zu Stande
gekommen ift. Dad Neue Zeftament ift nicht wie das Mofai:
{he Geſetz der religiöfen Gemeinfchaft vorausgegangen, fon»
dern es ift erſt in Folge diefer Gemeinichaft entftanden. Fer⸗
ner: die Wirkſamkeit des heiligen Geiſtes ift nicht an eine
beftimmte Zeit, etwa an die ber Apoftel und zum Zwecke der
Abfaffung des Neuen Zeftament befhränkt, ſondern fie ift
verheißen für alle Ewigfeit. Alfo nicht auf dem Grunde bes
Worte, ſondern auf dem des heiligen Geiftes ruht die Kirche
immerdar, und fo hat auch das Wort, als ein lauteres Zeug⸗
niß diefes heiligen Geiftes, nach den Bebenntnißfchriften der
Proteftanten wol die Bebeutung eines Prüffteins der Kir⸗
chenlehre, welche auf die Autorität bed Heiligen Geiftes ſich
ebenfalls gründet, aber keinesweas fol in ihm die Wirkſam⸗
keit des heiligen Geiftes erfchöpft und abgefchlofien fein. Rod
mehr aber läßt fi vom Standpunkte der Philofophie zur
Verneinung ber oben aufgeworfenen Frage fagen. Man darf
nur daran denken, um was fich die religtöfen Zerwürfniſſe der
Gegenwart drepen, um einzufehen, daB eine wahre Ginigung
der Parteien, eine rechte katholiſche Kirche der Zukunft einzig
und allein durch ein geiſtvolles Eingehen auf die Lehre der
Schrift und der Kirche zu Stande kommen Bann, bei welchem
es fich nicht mehr blos wie bei der erften Heformation darum
handelt, ob die Kirchenlehre mit der Schriftlehre übereinftimmt,
-}
.
.
.
%
fordern um den Rarhmeis, daß die ÜMereinftimmende Gchrift:
und Kirchenlehre wahrhaftig ein Seugniß des heiligen Geiſtet,
eine rechte Offenbarung Gottes fi. Das Herr: Herefagen
ut es ebenfo wenig wie das Ignoriren, fondern darin bat
Ronge ganz recht: die Erfüllung thut es, die Erfüllung der
Verdeißung, daß der Geift Seugmiß ablegt von ihm felbſt, ein
Bekenntniß, aber auch in der Erkenntniß, daB wahrhaftig
— von Nazareth der Chriſt, d. h. der menſchgewordene
ott ſei.
Nr. 6 enthält bie Beröoffentlichung derjenigen Urkunden,
burch welche firh die Worftcher der neuen Gemeinden zu Schnei⸗
demühl und Xhorn für Meligionsverwandte der auf bem
Grunde der Augsburgifchen Eomfeffion ruhenden evangelifchen
Kirche bekennen, indem fie mit den wefentlichiten_ Stüdlen der
Augsburgifchen Eonfeffion überemftimmten, im Übrigen aber
ihr eigenes Bekenntniß ſich vorbehielten, und der Bittfchrift
an den König von Preußen, durch welche fie Anerkennung —
als eine geduldete Sekte augsburgijcher Eonfeflionsverwandter
ſuchen. Es ift hierbei anzuerkennen, daß Czerski und die ihm
Steichgefinnten wenigſtens das Ziel richtig erfarmt haben, zu
welchem ihre Reformation führen muß, zum Anfchluß als Secte
an den Proteftantismus, von welchem fie fi, wie fie indirect
ſelbſt bekennen, nur in unmefentlichen Stücken unterfcheiden.
Sie fühlen nicht die Kraft und haben nicht den Muth einer Res
formation, der Reformation des 19. Jahrhunderts. Daß die
fer Ausgang ein Mäglicher ift, DaB er der Bezeichnung chriſt⸗
katholiſcher Kirche cbenfo wenig, ja noch viel weniger als der
deutſch⸗katholiſcher Kirche entſpricht, Liegt auf der Hand. Die
Bittftelfer mollen Prieden und Ruhe, darum fuchen fie Aner:
Tennung; eine Reformation will Beiftesfampf und ſucht nicht |
Anerkennung, fondern Bekenntniß. Sie bekehrt, aber fie pe⸗
tirt nicht.
Die Predigten Czerskis (Nr. T) haben cine gewille Ge:
fühlewärme vor der Ronge'ſchen Predigt voraus, enthalten
manches ſchoͤne Bibelmort, aber nody weniger Kraft und noch
weniger Gedanken, keine Ahnung und Peine freudige Auverficht
einer Kirche der Zukunft, wie das bei Ronge zu finden ift.
In dem
8. Cireulare des Hohen Beneraladminiftrators der (Erzdiöcefe
Poſen in Betreff des Apoftaten Gaerdfi. Warienburg,
Dormann. 1845. 8. 8 Hf.
IR der „große Kicchenbann” gegen Czerski ausgeſprochen.
Her wird ihm befonders „erheuchelte Beicheidenheit und fihein-
bare Religiofität” in feinem frühern Leben zum Vorwurf ge:
macht, aber es liegt auf Der Hand, daß feine Beſcheidenheit
der romiſchen Kirchenbehoͤrde erft jegt als erheuchelt, feine Me:
figiofität ats ſcheinbar erfiheint, wo er fi von Rom loszu-
reißen gewagt hat. Biel nachtheiliger als diefer Bannfluch
werden Czerski diejenigen Bormwürfe fein, welche ihm in fol»
gender Schrift gemacht werden:
9. Dffenes Sendfchreiben an Seine Hochwürden ben Herrn
Pfarrer Ezersfi in Schneidemühl ıc. von Christianus Sin-
cerus II. Glogau, Flemming. 1345. 8. 21%, Nor.
Es iſt dies eine Kritik feines Nr. 6 angezeigten Send»
fchreibend und einer fpätern in Betreff deffelben gegebenen
Öffentlichen Erklärung. Die Charakterſchwäche, Inconfequenz
Gzersti's werden ſchonungslos, aber mit überzeugender Folge⸗
richtigkeit — und überdies die Unhaltbarkeit des von
ihm sum Schi
un der Gottheit Chriſti dargethan. Die Schrift rührt von
einem evangelifhen Geiftlihen ber, der mit einer tüchtigen
theologiſchen Bildung eine große Theilnahme für die Bewe⸗
gung in der römifhen Kirche verbindet.
Beiläufig erwähne id) zweier von einem begeifterten Pa⸗
piſten gegen Führer der deutfch-Fathoftfchen Bewegung erlaſſenen
Schriftchen, welche übrigens nichts als leere Dediumationen
enthalten:
oleth der Ehriftlichfeit gemachten Glaubensfages -
10. Sendſchreiben an ben katholifchen er e.
Bon G. U. Wolff. Zweite een, n⸗
tyer. 1844. @. 2 Nor.
11. Ein Wort an Kerbler und Eichhorn. Bon G.%. Wolff.
Breslau, Suͤnther. 1845. 8. 1%, Bar.
Bon des Verf. Logik nur eine Heine Probe: „ntweber
eibt es gar keine (wahre) Religion, oder nur Eine, die Möe
Mi
ifche, Seine (vom ) iftete Kirche, od
nur ine, line PR aim —
hofft der Hr. Wolff die Abtruͤnnigen in den Schoos der
—2* ——— — führen, ' ”
(Dee Beſchluß folgt.) '
— — nn — ——
Literarifhe Rotizen.
eiterariſche Skandalfachtin England und Frank
reich.
Die Beſprechung von Balzac's „Les petits manéges
d’une femme vertueuse” gibt dem „Foreign qua
review" Beranlaffung, fi über die verfchiedene Weile auszu-
fprechen, wie ſich die Küftelei am öffentlichen Argerniß in Frank:
reich und England Fund gibt. Es kann ſich dabei nicht bet
Bemerkung enthalten, daß, fo empfindlich Die guten moralifchen
Mütter in England gegen die Unzüchtigfeiten der franzöfifchen
Novellen fi zeigten, ſie cbenfo blind für die Unzüchtigkeiten
gu Haufe ſeien. Es fei freilich richtig, daß in englifhen Ro:
manen Zrivolitäten nit fo haufig vorfämen, weil das eng:
liſche Publicum dergleichen nicht dulde; auch träfe man darın
nur felten auf fo „warm gemalte Scenen’ und &tellen, me
jo rückſichtslos Berhältniffe dargeftelt würden als in den
meisten franzöfifhen fchöngeiftigen Werfen; das franzöfiiche
Yublicum jei in diefen Dingen eben viel larer. Aber die eng:
liſche Skandalſucht zeige fih auf andere Weife, wovon die „um:
fittlihen Franzoſen““ oft gar nichts wüßten. @in Flecken der
englifchen Literatur auf diefem Gebiete fei vor Allem die ſcham⸗
loſe Periönlichkeit, welche fo vielen „piquanten“ Romanen
als Würze dienen muͤſſe. Man folle.nur an „Cheveley“, „The
bubble family’, „Coningsby” und „Anti-Coningsby‘' denfen
mit ihrem fchamlofen Lächerlichmachen und ihrer offenen Bos⸗
heit, worin der Schleier, welcher Die „gemeinten“ Perfonen
von den „genannten“ trennen, jo durchfichtig fei, DaB Jeder
bindurchfehen konne. Es reihe jetzt Hin, der Freund cine
Mannes zu fein, der von feiner Frau geichieden ift, um diefe,
wern fie Schriftftellerin, zu veranlaffen, Die Fehler und Schwächen
jenes Freundes mit allen ihr zu Gebote ftehenden Gaben des
Spottes und der Zerrbilderei ind Übertricbene und auf die
gehäfligite Weife auszumalen, und er habe kein Mittel der
Erwiderung, feinicht im Stande zu widerlegen, weil er eben
in ber Schilderung nicht genannt fei. Mit einem Wort bie
Engländer follten fi, was Sfandalfucht betrifft, an ihre eigene
Rafe greifen und dem Übel Einhalt zu thun fich bemühen. Wahr:
ſcheinlich pia desideria!
Blut: und Sräuelliteratur in Amerika.
Auch die Amerikaner fcheinen fih an der ®uc - Litera-
tur zu begeiftern. Wie gewöhnlich füllt die Fruchtbarkeit
in biefer Pinfiht in die Domaine des imitatorum pecus.
So hat ein gewifler ©. Lippord in Pennfylvanien unter dem
Titel „The quaker city, or the monks of Monk Hal‘
eine Erzählung erfiheinen laffen, die er einen „Roman des
Lebens, der Myfterien und des Verbrechens in Philadelphia
nennt, und der feinem eigenen Eingeſtaͤndniß nad „ Abſcheu⸗
lichkeiten zu entjieglih um geglaubt zu werden” behandelt.
Der Schiuz und Abſchaum der Gefellicyaft Bilden den Stoff
dieſes Machwerks. 12
Verantwortlicher Herausgeber: Heiuri Brockdans. — Druck und Verlag von F. X. Drockhans in Leipzig.
Blätter
für | |
literariſche Unterhaltung.
Freitag,
— Kr 16. — 16. Ianuar 1846,
granz Dingelftedt.
(Beſchluß aus Nr. 15.)
Beam wir uns nım zu den politiſchen Gebichten
Dingelſtedt's wender, bie in biefer neuen Sammlung
enthalten fmd, fo fönnen wir nicht umbin, einen Rüd-
bil auf ihre Vorgänger, die Nachtwächterlieder zu
werfen, nad deren Erſcheinen er als vielbefprochener
Poet feine Wanderfchaft antrat und als viel getabelter,
viel angefeindeter Hofrat wieder nach Deutfehland zu-
rückkehrte. Wir glauben, Beides mit Unrecht. Als Din-
gelſtedt fchied, hielt man ihn für einen politifhen Mär-
tyrex. Mer die Geſchichte feines Bruce mit Helfen kennt,
wird ſich vom Gegentheil bald überzeugen, er nahm ben
Wanderftab felbft, der ihm nicht geboten wurde, man zögerte
fogar längere Zeit, bis endlich fein entfchiedener Wille
die Sache vollendete; er nahm den Wanderfiab aus rein
perfönlihen Bekimmungen, fein Neftchen war dem Sang⸗
yogel zu eng geworden, ed war, was wir gern eimaͤu⸗
men wollen, ein poetifcher Inſtinct, ber ihn binaus-
flachelte, der ihn zu felbfländigerm, freierm Wirken fort:
trieb. Ob bie Stellung, zu ber er ſchied, als Mitredac-
teur der „Allgemeinen Zeitung” im Dienfte Cotta's, eine
feeiere, beflere war, laffen wir dahingefiellt fein, ſie
ſcheint dem Poeten nicht fehr behagt zu haben; ba er
den Wanderftab bald wieder ergriff und durch Belgien,
Tranfreih, England, Oſtreich nach Schwaben zurüd-
kehrte. Gerade dieſe Reife, die er im Incereſſe Cotta's
unternahm, brachte ihn wieder zu der Anfiht, eine fe-
ftere Stellung, ein geficherter eigener Herd fei ver Al⸗
lem erfoderlih, um den Geift zu neum Werken zu fam-
mein. Was man damals über Dingelftedt fabelte, wie
ſehr man ihn als einen Abtrünnigen betrachtete, das ift
Alles grund - und haltlos Hinausgefchrieben werben. Es
legt nicht eine einzige That vor, nach welcher man ihn
nur anlagen, geſchweige denn verurtheilen koͤnnte. Aber
fein Schweigen, dies verhaͤngnißvolle Schweigen! mag
er es nun benugt haben, um fich zu neuen Werken zu
fammeln, mag er felbft von feiner Hapreife fi Erho-
Iung vergönnt und in feinem Hafen ausgerußt haben,
immerhin laßt fih kein Vorwurf daraus begründen ;
im Gegentheil fprechen viele Gedichte ber vorliegenden
Sammlung, die er doch gewiß, nenn ex ein Abtrünni⸗
ges wire, jegt unterdrückt haͤtte. Wir find üdrigene
: Seinen Augenblick darüber in Zweifel, daß der Erfolg,
den die Nachtwächterlieder hervorbrachten, mehr be⸗
dingt war durch die mwigigen, fpigigen politiſch⸗-Vlocalen
„Belegenheitögedichte”, in denen Dingelftebt buxch feine
epigrammatifche Anlage verbunden mit der Gewandtheit
feiner Sprache, ſtets das rechte Wort an feinen Platz
zu flellen, gewiß mehr geleiftet wie Hoffmann von Fal-
lersleben, als durch die Anzahl anderer, allgemeiner Lie-
ber, bie beiweitem ſchoͤner und tiefer empfunden und
künſtleriſcher reproducirt waren. Denn jene erflern wer⸗
ben für die fpätere Zeit doch nur inſoweit Intereſſe dar⸗
bieten, als man fie als ein geiſtreiches politiſches Feuil⸗
leton der Zeit betrachtet und fie mehr dem publiciftifchen
ale dem poetifhen Fache beigeſellt. Den „Liedern
des Nachtwächters‘ Liegt nicht eine beflimmte Idee zu.
Grunde, die in den verfchiedenen einzelnen Gedichten
wieder zu erkennen wäre, e8 find fehr oft nur leicht an⸗
einander gereihte Bilder, die man fchon ihrer Farbe,
d. 5. ihrer Sprache nad) als getrennte erfennt. Man⸗
nichfach ift die Sammlung dadurch geworden, und fo
prächtig die größte Anzahl der Lieder auch ift, in ihrer
Sefammtheit werden fie doc, nie ein geſchloſſenes Kunſt⸗
wer bilden. Was aber diefen Liedern insgefammt ei«
nen großen Vorzug vor andern, namentlidy ben neuern
Liedern Heine's gibt, ift der Umftand, daß er nie von ber
nuglofen, ungerechten Ironie gegen fein Volt Gebrauch
macht; er weiß zwar den beflügelten Gefchoffen feiner
Satire ein hohes edles Ziel zu geben, aber er bat da⸗
bei das Intereſſe feines Volks im Auge, indem er die
Blide deſſelben nach dem Ziele felbft lenkt; er begrüßt
ed nicht wie Heine ald „einen großen Lümmel, den deut⸗
fhen Janhagel“, und ſtimmt dadurch nicht. mit ein in
die unfruchtbaren Micheliaden, die eher Dazu geeignef
find, allen Sinn abzuftumpfen als anzureizen. Ein
Kind kann man durch Ironie nicht groß ziehen, man
macht es flörrifch und ftodig, aber einen n, ſchon
feiner Würde bewußt, fann man durch Satire aus der
Traͤgheit zur entfchloffenen That anfpornen. |
Aus der frühern Sammlung find in die neue über-
gegangen „Die Stimmen der Mufe”, Klänge und Lie⸗
der aus Heffen, unftreitig die beflen vollendetſten Ge⸗
dichte ihrer Form nach; jedes Wort fteht Hier an feiner
Stelle, jeber Ausdruck bejeichnet gerade Das, was er
bezeichnen foll, und dabei ift Alles leicht und fiteßend 5
zugleich athmen fie eine Geradheit der Gefinnung, einen
Freimuth des Gedankens, der nicht allein über manche
Epochen der beffifhen Vergangenheit das Nichtbeil ei»
ner ſchneidenden Satire führt, fondern auch was bie Ge-
genwart diefes Landes bewegte, lebhaft und friſch auf-
faßte, bald ermuthigend, träftigend, bald Tlagend und
zürnend, je nachdem die Wagfchale ſchwankte, ſich bob
und ſenkte. Sehr fchön und rührend ſchildert Dingel-
ſtedt feine Sehnfuht nach dem Lande, in welchem bie
berbe Wiege feines Ruhms fland”:
Immerdar von Ruͤckkehr träum' ich, von verwehrtem Wie⸗
erfeben,
Wie verpflanzter Banme Wurzeln ftetd zum alten Boden
chen,
‚ Wie des Schiffes Herz, der Eompaß, meter nach Nor⸗
en wei
Wenn auch füdlih weh'n die Winde, wie N Bel’ auch
. treibt und Freifl.
Wahr ift ferner die Schilderung, wo er die Stellung,
die er feinem SHeimatlande gegenuber früher einnahm,
bezeichnet :
Wenn du ftritteft, Hab’ ich treulich allzeit nicht mit Dir
geftritten ?
- Was du litteft, hab’ ich’ immer nicht noch mehr gelitten?
Deiner Schmach mein Herz als Echo, beine Bei als Troſt
mein xted,
Von dem Morgen, da ich ankam, bis zur Nacht, in ber
| | ih fchied !
Wodurch aber Dingelftedt nicht allein die Sympathien
der andern deutfchen Staaten, fondern vorzugsmeife die
des Heffenlandes berührte, war das, Dfterwort im Schloß.
hofe zu Marburg”. Als Ausflug der Gefühle des Did:
ters ift es nicht allein rüdfichtlich feiner edeln poetifchen
Haltung, fondern auch feines guten Willens wegen fehr
zu loben, da das Schidfal des darin gefeierten Mannes
eng mit der Gefchichte des heffifchen Volks, mit der Ent-
fiehung und Begründung der heffifchen Verfaſſung zu-
fammenhängt. Politiſch aber betrachtet wird es uns eine
Seite darbieten, worüber wir zwar mit dem Poeten nicht
hadern wollen, bie wir aber auch nicht allein Jordan's
wegen, fondern der Verfaſſung felbft willen herausheben
müffen. Der Schluß des Gedichte ift an ben Regenten
gerichtet, und ift ein Geſuch, ein „beredtes Fürwort“
um Gnade. War und ift Sordan ſchuldig, ſchuldig der
Verſchwörung gegen fein eigenes Vaterland, fo war er
dem Gefege verfallen und allem und jeglichem Acte der
Gnade entzogen; ift er aber unfchuldig, dann iſt ein
Gnadengefuch um fo vermwerflicher, man hat nicht nöthig,
um gerechted Necht zu bitten, fondern es wird verlangt
und muß gewährt werden. Nach dem jegigen Stande
der Sache ift die Anficht von Jordan's Unſchuld im
deutſchen Volke allgemein angenommen, wie fie damals
ſchon in der Bruft jedes vernünftig denfenden Bürgers
Mar gefchrieben fland; darum glauben wir, würde es
der Sefinnung Dingelſtedt's angemeffener gewefen fein,
um Recht, unaufgehaltenes, freies, zu bitten.*) Der Poet
von Gefinnung durfte nicht fo leicht an dem Charakter
*) Jordan's Freiſprechung war dem Verf. dieſes Aufſatzes noch
nit bekannt. D. Red.
aufeinander geſchlagen.
Jordan's irre werden und ſich zu dem Ausſpruche ver⸗
leitet ſehen: „Der Strom, der nicht überſprudelt, waͤre
ja der Jordan nicht!“ abgeſehen davon, daß der Wort⸗
klang den Dichter zu einem unpaſſenden Bilde verleitet
bat, denn der Jordan, der.in das Todte Meer ſich er⸗
gießt, ift ein ftiller, ftodender Fluß zwifchen fumpfigen
Ufern: „D Ironie des Lebens! Menſch und Fluß!”
Zum Schluffe noch ein Wort für den Poeten: Es
war eine edle mannhafte Sitte der alten Homerifchen
Helden, daß fie friedlich fehieden, die Rüſtungen taufch-
ten, nachdem fie in offenem Kampfe ihre Kraft verfuche
batten, und bie Hände ſich drüdten, die vorher wader
J. Gegenbaur.
Tagesliteratur.
(Beſchlus aus Nr. 16.)
Die Deutſch⸗Katholiken haben mit ihren Geiſtlichen wenig
Glück. Die folgenden kleinen Schriftchen enthalten eine in
mehrfacher Beziehung ſkandaloͤſe Geſchichte, welche ſchon hin⸗
laͤnglich durch Zeitungen bekannt iſt:
12. Die Ausweiſung der beiden Söoͤglinge Zul. Rudolph und
Rud. Dowiat aus dem bijhöflichen Clerikal-Seminar zu
Pelplin. Eine actenmäßige Darſtellung. Marienburg,
Dormann. 1845. 8. I Nor.
13. Sur Würdigung zweicr Pamphlete gegen den apoftolifch-
Patholifhen Pfarrer Joh. Czerski in Schneidemühl und
gegen die Diakonen der apoftolifchFatholifhen Gemeinde
zu Danzig Zul. Rudolph und Rud. Dowiat von gr Ger⸗
3% EL Fünfte Auflage. Danzig, Gerhard. 1845. 8.
s Rar.
14. Meine Converfion. Bon R. Dowiat, Diakon der ka⸗
tholifchen Gemeinden von Danzig ꝛc. Danzig, Gerhard.
1845. 8. 1% Nor.
Die Schrift von Gerhard beit, geftübt auf Documente,
die Umtriebe der römifchen Partei auf, durch welche fie Czerski
zu verdächtigen gefucht hat, und fucht auch das in der Schrift
Nr. 12 gegen Domwiat und Rudolph Vorgebrachte (fie follen in
Folge ffandalöfer Aufführung aus dem Seminar auögefchloffen
worden fein) als Verleumdung darzuthun. Daß Rudolph ein
äufßerft ſchwacher Menſch, ein hin und her ſchwankendes Rohr
fei, hat fich feit Diefer feiner ertheidigung durch Gerhard das
durch erwiefen, daB er wieder förmlich in ben Schoos der ro⸗
mifchen Kirche zurüdgekehrt ift. Diefe aber bat ſich dadurch
ihren Triumph verleidet, daß fie ihn zuvor felbft an den Pran⸗
gr geftelt hat. Dowiat fpriht in Nr. 14 für fi felbft.
ie Manier, in welcher Dowiat bier auftritt, hat fehr wenig
Anfprechendes, Würdiges. , Er beginnt: „Ich würbe diefe Bei-
len nicht fchreiben, wenn ich nicht römifcherfeit6 provocirt wäre.
Aber der Romanismus attaquirt mid indiscret. Schade! die
alte, vielerfahrene Schöne Hat ihr noble8 Wefen fo fehr ver:
geffen, daß fie nicht mit Anftand zu fallen verfteht. Alſo der
Romanismus ift indiseret gegen mic Er produeirt eine « amt-
liche Widerlegung», er gibt Protokolle, die Rudolph und ic
unterzeichnet haben follen, curricula vitae, die ich gefchrieben
baben foll; es iſt gut: der Romanismus ift indiscret gegen
mid.” Eine folche Sprache ift nicht apoftolifch; vielleicht liegt
es auch nur an mir, ich finde fie widerwärtig; und überdies
fagt Dowiat das Gegentheil von Dem, was er fagen will. Er
will fagen, die Römlinge hätten ihn verleumdet und verlogen,
und er fagt, Rom ſei indideret. Indiscret aber ijt, wer ihm
gefchenfted Bertrauen miöbraucht, ein anvertrautes Geheimniß
ausfhwagt. Sagt alfo Domwiat, die Mittheilungen aus feinem
frühern eben feien indiscret, fo gibt er fie als richtig zu.
Dowiat ſoll übrigens ein feuriger Geift fein, fol kraͤftig zur
Ausbreitung der jungen Gemeinschaft gewirkt haben, und dar⸗
über läßt. ſich feine ungeſchickte und unſchickliche Vertheidigung
vergeffen-
Kein deutſch⸗katholiſcher Apoſtel hat vieleicht der jungen
Gemeinfchaft jo viel Schaden gethan als Julian Chownitz,
nicht durch feinen Abfall von derfelben fondern durch feinen
frühern Anſchluß an diefelbe. Er felbft legt Beugniß von fidh
ab in der Schrift:
15. Meine Ausföhnung mit der Kirche. Zugleih ein Aufruf
an „meine frühere Gemeinde” — die „Deutſch⸗Katholiken“
in Ulm. Bon Iulian Ehownig (Joſeph Chowa—
nes). Mainz, Kirchheim, Schott und Ihielmann. 1849.
I. 24 Nor. \
Shownig führt fein ganzes Leben in einer gedrängten
Skizze vor, in welcher er fidy nicht geſchont hat: er bekennt
feinen Leichtfinn, feine Berirrungen, feine Lafter. Run nteint
er zum Ernfte des Lebens gekommen zu fein, durch den Deutfch-
Katholicismus zum römifchen Katholicismus und damit zur
Wahrheit und zum Frieden. Die Schonungslofigfeit, mit wel
cher Chownitz ſich felbft behandelt, läßt annehmen, daß es ihm
wirklich Ernft fei. Kein edler Menſch wird diefe Selbſtbe⸗
Benntniffe benugen, um auf Chomwnig einen Stein zu werfen.
Aber er bat fih zur Rückkehr entfchloffen, weit cr zu ſchwach
war zum Portfchritt. Und fo wird es Allen geben, welche
nichts hinzubringen zum Deutſch⸗Katholicismus als den Leicht:
finn, der mit aller Erkenntniß fertig zu fein wähnt, che er
auch nur einmal die Bitterkeit des Denkens gekoftet hat. Die
Religion läßt in Feiner Geſtalt mit ſich fpotten, es waltet eine
unfichtbare Macht in ihr, die den Menichen packt wider Wil-
len und ihn dahin flellt, wo er hingehoͤrt. Es ift eine ernite
Prüfung der Geifter. Gar Biele gebehrden fi, als ob fie
Kinder der Zukunft wären und find doch Kinder Der Vergan⸗
genheit, als ob fie Helden der Freiheit wären und find doch
nur eines knechtiſchen Geiſtes vol. Allen Diefen wird es be»
gegnen, daß fie durch den Deutfch-Katholicismus erft recht un»
terthan werden der Hierarchie, der fie fich zu entziehen gedach⸗
ten. Das wiflen die Plugen Yapiften und darum freuen fie
fi über die Bewegungen der Zeit, denn fie begen daß thoͤ⸗
richte Vertrauen, die Menfchen alle hätten einen knechtiſchen
Seiſt, der wol eine Beit lang in frechem Übermuthe nach den
Früchten der Freiheit fih geläften laffe, je frecher er fih aber
gebare, deſto fchneller zum Bewußtfein feiner Ohnmacht ge-
lange und dann willig das Zoch auf ſich nehme, welches Rom
für ihn bereit halt. D6weald Maͤrbach.
Bibliographie.
- Die Upoftel des Jung : Katholiziömus in Kreuznach. Don
einem Laien. Koblenz, Blum. 1545. 12. 5 Rue.
Arndt, Z., Ih bin nicht gekommen, Frieden zu fenden,
ondern das Schwerdt. Predigt. Berlin, Wohlgemuth. 1845.
2%, Rur.
Bernoulli, E., Einige evangelifhe Zeugniſſe. Baſel,
Schneider. 1845. 8. A1Y, Ror.
Fliegende Blätter aus dem Tagebuche eines Heſſiſchen
Geiſtlichen, betreffend die gegenwärtigen Spaltungen und Kämpfe
innerhalb der Seifiiden Kirhe Deutfchlande. Darmftadt,
hl. . 3%, Nor. .
.. Börfh, F., Wie der Herr jederzeit bei Stürmen, welde
über feine Kirche Fommen, ſich verhält. Predigt. Speyer,
Reidhardt. 1845. Gr. 8. 2%, Nor.
Unbefangene Darftelung des innern Gangs und Zuſam⸗
menhangs der Reipziger Auguftereigniffe. Bon einem Augen⸗
zeugen. Bremen, Deyfe. 1845. Gr. 8. 2% Nor.
Erbkam, H., Beleuchtung der Erklärung vom 15. Auguft.
Berlin, Debmigke. 1845. Gr. 8. 10 Rgr.
Das Familienfideikommiß. Eine Denkſchrift zum mecklen⸗
—2 Landtag 1845. Roſtock, Stiller. 1845. Gr. 8.
a Nur. .
Beide, &., Die nöthige Reform der —— oder
der phyſiſche und geiſtige Untergang der Jugend, erbeigeführt
durch Die gewöhnliche Volks., insbefondere Volksſchulerziehung
und die natürlihen Mittel zu einer allfeitigen Volksentwicke
lung. Wolfenbüttel, Holle. Gr. 8. 15 Kor.
Georg, 2., Sendſchreiben von Joh. Gottfr. v. Herber
an alle biedere Deutiche. Darmſtadt, Dieht. 1845. Gr. 8. Nor.
‚. 7, Unteriedifche und überirdifche Sendfchreiben an die
liebe Chriftenheit. Darmftadt, Diehl. 1845. Gr. 8. 5 Nor.
Glaube und Wahrheit in der Andacht der proteftantifchen
Kirche, vom Berfaffer der Momente der Andacht für Pros
teftanten. Iena, Frommann. 1845. 12. 12 Rar.
Das Glaubensbekenntniß der franzoͤſiſchen reformirten Kirche.
Bur Beier ber am 2U. October 1635 zu Berlin gegründeten fran«
Höfen ——X den aͤlteſten Urkunden herausgegeben und
in eutſche uͤbertragen von P. Henry. Berlin, Amelang.
1845. Gr. 8. 5 Par. F ven “
Dr. Großmann und die erfte Kammer in ‘der 12ten Sitzung
un 10. October 1845. Gedicht. Zeig, Webel. 1845. ©r. 8.
ar.
Hartmann’d, P. C., Feſtrede vom Leben des Geiftes.
Berdeuticht mit Beigaben von E. Freih.v. Feuchtersieben.
Wien, Gerold. Y% Ror.
Herzfeld, Die religiöfe Reform, befprochen in einer
Predigt in der neuen Synagoge zu Nordhauſen. Rordhaujen,
Schmidt. 1845. Kl. 8. 2% Nor.
Hutten, U. v., Zür deutiche Freiheit! Alte Kraftworte
an Fürften und Boll. Aus feiner Conquestio von 15%) neu
Berbeurfiht von C. A. Peſcheck. Baugen, Schtüffel. 1845.
r.
Joly, B., Die Jeſuitenfreſſer, nebſt Wanderpaß und
Signalement des ewigen Juden von Eug. Sue. Aus dem
Franzoͤſiſchen. Regensburg, Manz. 1545. Kl. 8. 22%, Nor.
Kammel, H. J., Das Unterrichtsweſen der Reformirten
in Frankreich während der Verfolgung des vorigen Jahrhun⸗
derts. Bautzen, Schlüſſel. 1845. 8. 6 Nor.
Kooſen, J. H., Über akademiſche Lehrmethode mit Be⸗
zugnahme auf konverſatoriſchen Unterricht. Koͤnigsberg, Tag
und Koch. 1845. Gr. 8. 5 Nor.
Kühn, 3., Das Wefen, Walten und Wirken der Lüge.
Predigt in ber Fatholifhen Pfarrficche zu Gleiwig. Gleimwig,
Zandeberger. 1845. 8. 1Y, Rar.
Eaun, $., Die Macht des ortes, An die Zeitgenoffen
im Jahre 1845. (Gedicht.) Dresden, R.und W. Kori. 1845.
K. 8. 3 Rgr.
‚ Rutteroth, H., Rußland und die Sefuiten von 1772
bis 1820. Nach meift ungedruckten Urkunden. Überſetzt von
Bird. Stuttgart, Hallberger. 3. 15 Nor.
Meinerghagen, G., Die religiöfe Bedeutung der bibli⸗
ſchen Wunder, mit befonderer Beziehung auf die in neuefter
Seit Dagegen erhobenen Einwürfe. Bremen, Heyfe. 1945.
Gr. 8. 5 Nor.
Prokop, U, Die Wuchertheuerung und landwirthſchaft⸗
on Bereine in Teutſchland. Leipzig, D. Wigand. Gr. 8.
gr.
Richter, A. F., Meine Rückkehr zur Mutterkirche. Eine
zeitgemaͤße Rechtfertigungsſchrift. Regensburg, Manz. 1845.
Br. 8. 1.Xhlr TY, Nar.
Rodbertus-Jagetzow, Die Preußifche Geldfrijis. An-
cam, Diege. 1845. Gr. 8. 12 Neger.
Roferey, H., Rede am Tage der Jubelfeier Caspar
Marimilian 8, Bifhofs von Münfter, den 6. September 1845.
Münfter, Deitere. 1845. Gr. 8. 21, Nor.
Ein ernfter Ruf an die Chriftenheit. Dem Schweizer-
solle Berge von eimem feiner Bürger. Züri, Hanke. 1849.
. a Rer.
Nuft, 3., Der Herr ift der evangelifchen Kirche Ruhm
3” gofnung Predigt. Speyer, Neidhard. 1845. Gr. 8.
ı gr. .
64
Sachtleben, Vorſchläge, bie beabfichtigte Yenfionsanftalt
fire eremitirte Prediger und eine Lebensverſicherung unter Pre
bigern betreffend. Quedlinburg, Baſſe. 1845. &r.8. 3%, nt
Thiele, U. F., Offenes Sendſchreiben an die zweite Ger
nerals Berfammlung ‚der deutfchen Vereine gegen dad Brannt-
weintrinken. Berlin. 1815. 3 2,8%
Das neue Theater⸗Reglement des
v. Käftner für die Königl. Hofbühne in Berlin. Ein Grab:
eläute für die dramatifche Kunft und deren Zünger. Kritiſch
eleuchtet in juriſtiſcher, artifbifcher und polizeilicher Beziehung
——— praktiſchen Juriſten. Berlin, Hofmann und Comp.
1845. Gr. 8. 5 Nor. . .
Die Beeweigerung der Lübeck⸗Buͤchener Cifenbahn. I. ber
allgemeine und voͤlkerrechtliche Geſichtspunkt. BI. Der bundes«
zehtliche Geſfichtspunkt. IM. der Gefihtöpunkt der Konigl.
@ifenbahn »- Gommiffien zu Copenhagen. Anhang: Erlaß der
Königl. Dänemarlifchen Regierung vom & Auguft 1845. Luͤbeck,
v. Hobden. 1845. 8. 3%, Rear.
Binet, U, Die Mitfchuldigen -an der Kreuzigung des
Grlöfers. Zwei Reden über Hebr. VI, 6. Aus dem Kran
gerien überfegt von J. Schmid. Zürich, Hanke. 1845. Gr. 8.
Ja Rgr.
—* kommt ed, daß in unferen Tagen das Abendmahl
weniger als ſonſt geachtet und benuzt wird? Gin Sendſchrei⸗
ben an Alle, weldge diefes Sakrament zu verwalten haben,
von einem proteftantifchen Geiftlichen Sachſens. Dresden, R.
und W. Kori. 1845. ©r. 8. 3 Nor.
— — — --- — — — —— — — — — — — — a.
-—
Literarifhe Notizen aus Franfreid.
Genoude's vermifhte Schriften.
In d. Bl. ift wol fihon der phantaftifh: Legitinift Ges
noude, welcher die ultramontanen Beitrebungen und Ideen mit
radical:liberalen Elementen in Einflang zu bringen verfteht,
erwähnt worden. Erſt jüngft noch haben wir felbjt mit ein
paar Worten feine Anmaßung, fih zum Geſchichtſchreiber
Frankreichs aufzumwerfen, wozu ihm nicht mehr als Alles fehlt,
gebührendermaßen gewürdigt: Deffenungeachtet laſſen wir es
unbeftritten, daB Genoude ein Mann von Zalent und von jel:
tener literarifcher Rührigkeit ift. Es zeigt ſich dies wieder in
einer Sammlung feiner vermifchten Schriften, von der uns
erft zwei Bände zu Geficht gefommen find. Wir wiffen nicht,
ob er die Aufgeblafenheit hat, Alles, was aus feiner ſchreib⸗
feligen Feder gefloffen ift, in diefer Sammlung vereinigen zu
wollen — da wäre fein Ende abzufehben; denn feine Frucht:
barkeit ift wirklich unglaublich —; aber boffentli wird er ein:
fehen, daß feine Journalpolemik, der er fih mit maßlofem Eifer
vorzüglich in der „Gazette de France”, feinem Organe, hingibt,
dann vollends unftatthaft und unerfprießlich ift, wenn ihr noch
das A-propos fehlt. Die beiden Bände, welche vor und lie:
gen, enthalten unter Anderm „Reflexions sur quelques questions
olitiques”. Man begreift nicht recht, wie der Verf. dazu ge:
Eommen ift, Diefe Aufjäge, welche offenbar die Spuren davon
an der Stirn tragen, daß fie eine Jugendarbeit find, bier
dem Drude noch einmal zu übergeben. In der That ift dies
eine Reihe von Betrachtungen, welche bereits im 3. 1814 er:
fhienen find. Vergeblich forfht man nad) dem Werthe und
der Bedeutung, die man ihnen unterlegen koͤnnte. Es find
lofe, abgeriffene Reflerlonen über Zuftände, welche jegt, wo
man fie ſchon mehr in ihrem eigentlichen Zufammenhange über:
ſchauen Fann, in einem ganz andern Lichte crfcheinen, fodaß
Phraſen und Stihmwörter von ehemals nicht mehr recht paſſen
wollen. Bielleiht Hat der Herausgeber eben diefen oberfläch⸗
lichen Raifonnements deshalb einen Plag in feiner neuen Samm⸗
fung angewiefen, weil er gemeint bat, daß die maßlofen gei⸗
fernden Befchuldigungen, welche hier gegen das Phantom der
Fol: Intendanten
Philoſephie erheben werben, au jeigt wieder einiges ZIebt«
interefle bieten Eönnten. In diefem Punkte wenigftend iſt Ge⸗
noude fich confequent geblieben. Intereffanter find die Gelbſt⸗
betenntniffe, welche der Verf. in feiner „Histoire d’une ame”,
die ſchon früher im vereinzelten Journalartikeln zu lefen war.
niedergelegt bat. Dan kann fih aus diefen Blättern: einem
Begriff machen von der Gährung, in der fi Das Gemüth bei.
frommen Schriftftellers befindet, welcher die Lofungsworte des
Klerus auf feine Fahne gefchrieben hat, und der es doch mit
feiner Stellung für vereinbar hält, der äußerften Linken brü-
derlich die Hand zu reichen.
Über die Bölkerfihaften Algeriens,
Bern auch im Allgemeinen der Gewinn, welchen die Fran⸗
zofen aus ihren Eroberungen in Afrika ziehen mögen, und be
Bortheil, ben fie dadurch errungen haben, nicht eben fehr hoch
anzuſchlagen ift, fo. bat ſich doch offenbar die Wiſſenſchaft Stud
zu wünfchen zu ben Bereicherungen, welche ihr aus der Ber
ſitznahme Wigeriens durch die franzoͤſiſche Regierung erwachtfen
find. Die größte Ausbeute kann man ſich aus einem umfaflen-
den Werke verfprechen, welches, aus dem Zuſanmenwirken
verfchiedener tuͤchtiger Gelehrter hervorgegangen, im Erſcheinen
begriffen iſt. Es iſt dies die Frucht der Arbeiten jener wiſſen⸗
ſchaftlichen Commiſſion, welche mit der ſorgfaͤltigſten Unter
ſuchung der Naturverhaͤltniſſe von Algerien von Seiten der
Regierung beauftragt wurde. Auf dieſe wichtige Erſcheinung
kommen wir fpäterhin noch einmal ausführlicher zurüd. Ges
genwärtig wollen wir in ben Spalten d. Bi. auf ein Werf
aufmerfjam machen, welches als Borläufer umfaflender For⸗
ſchungen, aber auch ebenfo fehr fehon als felbftändige Arbeit
und um feineß eigenen Inhalts willen afle Beachtung verdient.
Der Litel diefer Schrift, welche Pascal Duprat zum Verf. hat,
lautet: „Easai historique sur les races anciennes et modernes
de l’Afrique septentrionale.” Der Verf., der fi in Algerien
felbft den gründlichen und forgfältigften Forſchungen hingege
ben bat, beabfichtigt eine ausführliche Geſchichte jener Voͤlker⸗
fhaften, die er jegt mehr in ihren ethnographiſchen Umriſſen
vor uns zeichnet. Die gediegene Abhandlung, welche wir ge
genwärtig aus feiner Feder vor uns liegen haben, erweckt
dieſes größere Werk ein günfliges Vorurtheil.
Berlioz über Inftrumentation,
Wenn man von H. Berliog nichtd weiter wüßte alß die
. Außerung, daß er gewilfe Stellen im „Requiem“ von Mozart
zu ſchwach inftrumentirt findet, fo würde man nicht eben eine
vortheilhafte Meinung ven feinen mufitalifchen. Kenntniffen ger
winnen. Über in der That legen feine eigenen @ompofttionen
Zeugniffe ab von einer wirklichen Begabung, von lebendigen
Ideen und von einer gewiſſen Originalität in der Durchfuͤh⸗
rung. Die kritiſchen Auffäße, welche er im „Journal des d6-
bats’‘ über bedeutende muſikaliſche Erfcheinungen liefert, geben
einen Maßftab für fein Fünftlerifches Verftändniß, deffen gan
zen Umfang und Gehalt man indeffen erft aus feinem großen
Werke über Inftrumentation, das man vor kurzem angefangen
bat auch ind Deutſche zu überfegen, erfehen Bann. Dieſes
„Traite de l’instrumentation” enthält den Kern feiner muſt⸗
kaliſchen Aniihten, welche er ſich durch eifriges Studium der
Meifter, durch eine langjährige Beſchäͤftigung mit der Theorie
und durch feine eigenen Compofitionen erworben hat. Wenn
ed auch frühere Ähnliche Werbe nicht unbrauhbar macht —
man wird fogar gut thun, mandye Partien mit frühern Dar:
ftelungen zu vergleichen, von denen Berlioz zumeilen aus einer
gewiffen Sucht nad) dem Driyinellen abweicht —, fo ftebt es
Doch feft, daß der Mufifer vom Fach fowie der wirklich fireb-
fame Dilettant bier einen reihen Schag feiner Beobachtungen
und eine Menge anregender Gedanken: finden wird. 17.
Berantwortlicher Heraudgeber: Heinrich Wroddaut — Drud und Verlag von F. SE. Brockhans in Beipzig.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Sonnabend,
Gefchichte der deutfchen und niederlandifchen Malerei.
Eine öffentliche Vorlefung an der königlichen Zrieb-
rich - Wilhelms - Univerfität zu Berlin, gehalten von
. ©. Hotho. Erfter und zweiter Band. Ber-
lin, Simion. 1842 —43. 8. 3 Thlr.
Die Darflelung der im Zitel genannten Geſchichte
beginnt im zweiten Bande. Derfelbe charakterifirt die
verfhiedenen Schulen und Stadien der beutfchen und nie-
berländifchen Mulerei von der Mitte des 14. bis in die
erften Jahrzehnde des 16. Jahrhunderts, ſodaß den An-
fang die ältefibefannte Kunftweife chriftlicher Maler in
Köln und Weftfalen, Oberdeutichlanb und Kranken, dann
BDtüte, Wandlung und Auflöfung ber flandrifhen Schule
die Mitte, darauf die Verſchmelzung flandrifcher Einflüffe
mit altern Gehabungen und neuem Streben in Rieber-
und in Oberbeutfchland das Ende macht. Es ift dem-
nach die Gefhichte der Malerei in den Niederlanden bie
zu Anton Claeſſens (blühte 1498) und Ieronymus Bofch
(blühte zwifchen 1450 und 1500), in Riederdeutſchland bis
zu den vweftfälifchen Meiftern Jarenus, den Dunwegge
und der Schule von Calcar, in Oberbeutfchland bis zu
Martin Schaffner, Hans Holbein d. X. und M. Wohl-
gemuth geführt. So mären denn die großen Bewegun⸗
gen des 16., die mächtigen und umfangreichen Erfchei-
nungen des 17. Jahrhunderts dem verfprochenen dritten
Bande vorbehalten, welcher, wenn die Ausführung in
gleichem Verhaͤltniſſe bleibt, beträchtlich wird anfchmwel-
fen müuffen.
Fragt man bei dem bisher Behandelten nach bee
Berf. eigener Vertrautheit mit dem Gegenſtande, ſo läßt
fh daß. er das Gebiet in mehren Richtungen ſelbſt
durchgearbeiter nicht verkennen. Beine Kritik der in
Frage kommenden Werke oder Meifter weicht daher öfter
von den Anfichten feiner Vorgänger ab. So führt er
(11, 96) Einfprache gegen die Borausfegung einer Mit-
hilfe des Gerard van ber Maire am genter Altarblatt
der Brüder ‚, und fieht an den beiden in der ber-
liner Galerie dem Gerard zugefchriebenen Bildern einen
merklichen Zufammenhang mit diefed Meifterd Altartafel
zu St.-Bavo in Gent. Auch die Verbindung, in die
Paſſavant eine Anzahl Gemälde mit den Namen bes
Rogier van Brügge gebracht, fchränkt er ein; indem er
(11,100) den die Mabonna malenden Lukas zwar der
— Nr. 17.
17. Zanuar 1846.
unmittelbaren Eyck'ſchen Schule, aber einem von jenem
Lehrer Hemling’s verjchiedenen Meifter (11,120), die ber-
liner Anbetung des neugeborenen Kindes einem nur
ſchülerhaften Nachahmer des Hemling, die mündyener An⸗
betung der Könige aber (II, 121) einem zwifchen Rogier
und Hemling mitten inne ftehenden Meifter zutheilen will.
Als wahrſcheinlich von Rogier herrührend betrachtet er
dagegen (Il, 104) zu Löwen das Abendmahl in Et.- Per
ter, zu Brügge die Marter des heiligen Hippolyt in ber
Salvatorkirche, welchen er (11, 108) den Verrath des Ju⸗
das in der münchener Galerie als ein Mittelglied anreiht
zwifchen den genannten und vier von Waagen dem Ro-
gier beigelegten Bildern. Diefe nämlich mag der Verf.
gern dem Rogier laffen, wofern fie als legte Entwide-
lungefpige des Meiftere gelten. Cine Kreuzigung bes
berliner Mufeums, dort ein frühere Wert des Mabuſe
genannt, nimmt er (I, 113 fg.) für Albert van Duwater
in Anſpruch; während er die Klage über Chrifli Leid"
nam im Belvedere zu Wien, die Paffavant diefem hol⸗
ländiihen Maler gibt, als originales Bild eines ber
ausgezeichneten Schuler aus Hemling’s Richtung bezeich-
net (11,116). Daß man die Zafeln vom Reliquienkaften
von St.Omer dem Hemling zufchreibt, nennt er (II, 118)
groß Unrecht, da. fie, gediegener, urfprünglicher, einfacher,
auf einen felbftändigen Nebenbuhler, der wol auch Ro⸗
gier’s Schüler gemefen, zurüddeuten. Das Portrait der
Aders’ihen Sammlung ift ihm zweifelhaft, wie auch das
von Waagen befchriebene NReifealtärchen, wofern es mehr
ale entfernte Ahnlichkeit mit dem berliner Bild (Geburt
mit Sibyllen⸗Verkündigung und Anbetung ber Könige)
habe, da bies keineswegs von. Hemling herrühre (11,128).
Entſchieden aber Hemling’s Werk fei das Jüngfte Gericht
zu Danzig, wie der Verf. ausführlich zu begründen fucht.
Sonft theilt er ihm außer den beglaubigten Gemälben
zu Brügge und der Anbetung mit Chriftoph und Johan-
nes zu München die Madonna der Aders'ſchen Samm⸗
lung, jegt im Beſitze des Dichters Rogers, zu (11,148 fg.),
welche legtere Waagen geneigter war dem Ian van Eyck
ſelbſt beizumeffen. Auch die Freuden und Schmerzen ber
Maria zu München läßt er dem Hemling (11,153), nicht
aber von den brügger Bildern die Grablegung, die Ver⸗
mählung ber Katharina, ben großen Chriftoph und bie
Taufe, für deren Abfonderung er Gründe anführt. er -
—W
"ner nimmt ex (II, 161) dem Jeronymus Boſch jenes ber-
liner Bild, welches Paradies, Kal, Engelfturz, Gericht
und Hölle vorftellt, weil darin, bei vielem Fremdartigen,
der Winfel bed Lukas Kranach unverkennbar fei, ſodaß
es eine frühe Nachbildung des Legtern nach einem Haupt:
werte des DBofch fein möge. Din Tod der Maria zu
Köln, wie den zu München, die allerdings wol fälfchlich
dem Schoreel gegeben werben, weift der Verf. (IT, 169)
der kölniſchen Schule des 16. Jahrhunderts zu. Won
zwei zu Danzig befindlichen Kirchenbildern findet er das
eine (II, 111 fg.) dem Dierid Stuerbout nahe verwandt,
das andere (nach innern und äußern Gründen, 1, 187)
der Schule von Calcar zugehörig.
Solche eigene Urtheile ſowie öftere Berückſichtigung
der Farbentechnik, Zeichnungs⸗ und Anordnungsbefonder-
heiten, und mande ausführliche Schilderung bemweifen
zunächſt, daß ber Verf. fi) mit den Leiftungen der flan-
driſchen Schule und der benachbarten deutſchen lebendig
befaßt bat; bei den oberdeutfchen iſt er mehr von An-
dern abhängig. Das Recht der beſtimmten Fritifchen
Sprüche ift freilich da wenigſtens abzumägen fehmierig,
mo es fi darum handelt, blos literarifch befannten Na⸗
men, wie Rogier van Brügge und Albert van Dumater,
für welche äußerlich beglaubigte Bilder vermift werben,
heftimmte Werke zu = oder abzufprechen. Indeſſen ftellt
der Berf. die Inductionen, bie ihn leiten, deutlich hin.
Bei Nogier hält er, ausgehend von den Zeugniffen, die
ihn als eimen ber vorzüglichſten Schüler des Jan van
Eyck und als den Kehrer des Hemling bezeichnen, den
Begriff eines Meifters feft, der ben Übergang von jenem
zu bdiefem in Technik und Sinnesweiſe darftelle, und
wählt für ihn Werke aus, die neben der Selbftändig-
Seit, wie man fie von bem Förderer einer Kunftrichtung
erwartet, ven Charakter von Vorftufen fowol für Hem⸗
ling's Leiftungen als für andere bliden Laffen, melde
bei großer Verwanbdtfchaft mit Hemling's Gemälden do
von ihnen fich unterfcheiden. Wie Rogier's, erhält auch
Hemling’s Auffoffung dureh ſolche Sichtung eime fefter
abgegrenzte Beflimmtheit, wenn anders die neuvertheil-
ten Werke ſich entfchieden genug mach den Eigenkhaften,
wie ber MWerf. fie fihildert, wirklich unterfcheiden. In
dem Maße als dieſe Beflätigung, die nur Angefichte
der Wilder im Dft und Welt zu ſchöpfen ift, nicht ab-
seht, wird dem Verf. das Verdienſt zukommen, die Ab-
ſtufungen der flandrifihen Schule genauer als feine Vor⸗
gänger charakteriſirt zu haben. In Kugler's „Handbuch“
z. B. kann es dem Leſer auffallen, daß bei der allge
meinen Charakteriſtik Hemling's der eigenthümlich ſtrenge
Sinn, worin dieſer Meiſter die Eyckſſche Weiſe gefaßt,
die -mindere Lieblichkeit feiner ernſten Geſichter, weniger
zierliche Schlankheit der Geftalten, geringere Weichheit
der Bewegung hervorgehoben, und dann doch bei Schil⸗
derung der einzelnen Werke nicht dieſe Prädicate, ſon⸗
den wiederholt die entgegengefegten: „‚höchfter Liebreiz”,
„milder Charakter”, „vorzüglich fchöne Beftalten”, „freie
Bewegung”, „zeurtkräftige Ausführung”, „wunderbare An-
mirth warb Licbenswürbigkeit” bemerkt werben. Und die⸗
fer Widerfpruh konnte fih damit Löfen, daß bei jener .
algemeinen Charakteriftit auch Werke, wie bie Tafeln
aus St.⸗Omer, das Abendmahl zu Löwen, die Hippo-
Igt:Marter zu Brügge und andere berüdfichtigt find,
während bei den befondern Schilderungen die Eindrücke
der anmuthigern, belebteen Gemälde vorwalten. Indem
nun Hotho jene andern Bilder ausfcheidet, gewinnt fein
Begriff Hemling's wenigftend größere Runbung und
Einftimmigfeit, wennſchon die Möglichkeit divergiren-
der Richtungen eines Künftlers im Allgemeinen nicht zu
leugnen ſteht, und nur die genauefte Unterfuchung der
Werke über das Recht ber Fritifchen Sonderung entfchei-
den kann.
Stufenfolge und Abzweigung der Malerkunftblüte
des 35. Jahrhunderts nehmen fi alfo bei dem Verf.
gefonderter- und folgerichtiger aus. Was dagegen ben
Hauptoerlauf in der Entwidelung der Schulen und ihre
tharafteriftifchen Unterfchiede gegeneinander betrifft, finden
fi) bei den Verf. wefentlich diefelben Anfichten mie bei
feinen Vorgängern. Nur hat feine Darftellung ein, fo
viel ich fehe, eigenthümliches Verdienſt in der Rüdfich-
rung diefer verfehiedenen Schulcharaktere auf ihre legten
Stunde. Ihm ergibt fi die Grundform der malerifchen
Anfhauung jedes Volkskreiſes aus der Stellung, die in
demfelben das weltliche Bewußtſein zum religiöfen und
fichhlichen hat. Mit Recht. Denn in jener Periode hatte
ja die Malerei fast ausſchließlich religiöfe Beſtimmung.
Der Sinn aber, in welchem die heiligen Gegenftände
fidy der Phantafie darftellen, wird nothwendig von ben
Graden und Weiten des Abftandes und ber Vereinba-
zung abhängen, die nach Sitte und Empfindung der
Vorſtellenden zwifchen ihnen und ihrem Himmel, ihrem
befondern und dem ewigen Leben obmwalten. Dabei
kommt es keineswegs bios auf die Meligiofität als fel-
de, die Demuth vor Bott, das Heiligungsbebürfnig und '
VBerföhnungsvertzauen, fondern ebenfo fehr darauf an,
was der weitlihe Sinn den Slaubensvorftellungen ent-
gegenbringt und weiche Geftalt das irdifche Leben hat,
bas in den heiligen Bildern den Erſatz feiner Mängel,
ben Contraſt feines vermerflichen, die Verklaͤrung feines
amnehmbaren Theiles erbliden will. Nun kann aber
aller gegebener Stoff und Zug der Frömmigkeit fowie
alle fonflige Bildung der Sinnlichkeit und bes Verftan-
bes, Macht und Bier des Lebens, immer nur infoweit
Mittel der Pünftlerifchen Darftellung werden, ale es im
Sig und Brennpunkt menfhlicher Schöpfung, im Seltft-
gefühle, bie individuelle Einheit eines freiumfaffenden,
gefammelten und befeelten Blickes findet. Und fo wird
in ber That das im Volkezuſtande begründete Selbſtge⸗
fühl, wie es beziehungsweiſe fein weltliche® und hetliges
Leben zufammenhält, das erfte und legte Maßgebende für
die Bilderſchoͤpfung fein.
In diefer Hinſicht macht nım ber Verf. (II, 8) für
die kirchliche Malerei der Deutfchen im Mittelalter auf
den Unterfhieb geiftlicher und weltlicher Stäbte aufmerk
fan. In ben geiſtlichen Stäbten, wo die Kirchenhaͤupter
zugleich weltliche Herren find, eben darum aber theils
dem geiftlichen.
Wie fie im Leben Bifchof und weltlichen Deren in unmit:
telbarer Einheit vor ſich fehen, ſich felbft aber, bei voller An:
erfennung feiner doppelfen Macht, ihm gegenüber ebenfo felb-
Händig und berechtigt empfinden, fo geben fie nun auch kuͤnſt⸗
leriſch den Geſtalten ihrer Mitbürger in religiöfen Charafteren
und Situationen (oder den Firchlich: typifchen Geftalten, in de:
ren Ausdruck fie die Gefinnung der Gemeinde fpiegeln), nicht
ven Ausdrud der Schuld und Buße, der tiefen Verſenkung
und Heiligung , fondern der unbefangenen Ruhe und glüd:
lichen Sicherheit.
In den königlihen Städten hingegen fällt der Kampf
gegen geiftliche Herren, mit ibm aber auch jene bezie-
hungsweiſe Steihftellung fort. Bier flreiten nur welt:
fihe Stände untereinander, und die Kirche, viel weniger
betheiligt in den Handeln, bleibt mehr nur geiftliche
Macht, eim wirkliches Bottesreih. In der Kunft zeigt
ſich dann ebenfalls dieſe Sonderung des Weltlihen und
Geiftlihen. Eie hält Beides auseinander, ftellt das Welt:
fihe treuer in feiner Eigenthümlichkeit und Mannich-
faltigkeit, da8 Geiftige und Himmlifche, als deffen An-
deres, feierliher und firenger bar; und fie bedarf, je
mehr diefer Gegenfag, um deffen Vermittelung ed doch
eigentlich fich handelt, in ihr heraustritt, eines um fo
beftimmtern Ausdruds der Vereinbarung und Weihe,
alfo auf Seiten ihrer weltlihen Geſtalten der Unter-
werfung und Andacht. Hieraus erffärt es fih dem Verf.,
dag in der erften heitern Blüte deutfcher Malerei die
bifhöflichen Städte den Vorrang haben, fpäter aber ge-
rade in den weltlihen ber Ausdruck (nicht nur einer rei⸗
ern Natürlichkeit und ſchärfern Charakteriftit, fondern)
einer firengern Andacht erfirebt und erreicht wird. Jene
erfiere Stufe ftellt im erzbifchöflichen Köln und dem
weitfälifhen Bisthum, die folgende in den flandrifchen
Städten ſich dar. Schwerer möchte es zu beweifen fein,
merm der Berf. hinzufegt, daß die oberdeutſche Schule
(in der fich diefe unterfchiedene Bedeutung geiftlicher und
weltlicher Städte für die Malerei nicht behauptet) ihren
egenthümlichen Standpunkt erft auf nieberländifchen An-
ſtoß zu finden gemußt. Einflüſſe der Niederländer auf
die Oberdeutfchen find wol unleugbar; aber ruhen auf
ihnen die Charaktere der bedeutenden unter den ober-
deutfhen Meiſtern ?
Es iſt daher der Abriß, den der Verf. von Kölns
Lage und Geſchichte, befonders von der Entwidelung
und den Stufen ber Bürgerfreiheit gibt (11, 8— 11),
allerdings dienlich zum tiefen Verfländniß der dort im
14. und bis im bie Mitte des 85. Jahrhunderts blühen-
den Malerei, ihres unbefangen freudigen, fromm befeel-
ten, feſtlich befriedigten Charakters. Und da die weft
fältfche Schule derfelben Periode .der koͤlner nahe ver-
wande erfcheint, ift auch die Nachweifung ihrer ähnlichen
Grundlagen in den Städtezuftänden am Plag (Il, 12 —
15, vgl. 174 fg.), desdleichen bei der flandrifchen Schule,
67
mit dem Machtfireben der Patrizier, theild mit dem de: deren Auffaffung, nach dem Verf., ausgehend von der
mokratiſchen Beift der Zünfte zu kämpfen ober fih zu , Befchiedenheit Gottes und des im Meltichen fchon be-
vertragen haben, fühlt der Künfkler wie der Bürger feſtigten Menſchen, ſich die tiefere Wiedervereinigung
überhaupt fein weltliches Leben auf einem Boden mit durch erhabene Ruhe und Feierlichkeit der heiligen,
gefammelte Ehrfurcht und Andacht der weltlichen Ge-
falten zu ihrer Hauptaufgabe macht, iſt bie Schilderung
der allgemeinen Zuftände von Werth. Die Gründe, die
bier dem materiellen Leben größern-Neichthum und Glanz,
bem Verkehr einen weitern Horizont, ber Einbildung eine
buntere Weide, ber Tchatkraft größere Aufgaben und
Mittel gegeben, werden (IT, 44 fg.) durchgegangen, und
es wird gezeigt, wie das bier von Haus aus meltliche,
unter burgundifcher Herrlichkeit politifch bedeutend geftat-
tete Regiment, ber gegenüberftehenden geiftlichen Macht
eine höhere und reinere Beftimmtheit lieg, den Hingang
sur Kirche, da fie eine äußere Herrfchaft Hier nicht war,
defto mehr zur innern Sache der ganzen Seelc und bei
bem erhöhten Bemußtfein weltliher Fülle und Befonder-
heit zu einem gefühlten, ausgefprochenen, feierlichen Acte
machte. Was der Verf. ald gegeben und bewegt in der
Volksart und Lage, der Geſchichte und dem zeitlichen
Flor der Städte aufgezeigt hat, begründet, indem es im
Brennpunkt einer Phantafie, die harmonifche Befriedi-
gung anftrebt, gefammelt wird, die wefentlichen Kunft-
charaktere der Eyck'ſchen Schule.
(Die Fortſetzung folgt.)
Karl Johann und die Schweden. Hiſtoriſche Skizzen
von M. I. von Erufenfioipe. Zwei Theile.
Aus dem Schwedifhen. Berlin, Morin. 1845.
8. 2 The. 10 Nor.
‚ Der ruhmwuͤrdige Schwedenkönig hat wenige Jahre nad
feinem Tode ebenfo wenig als Wallenftein, Friedrich IL, Ra-
voleon und andere berühmte Männer feinem Schickſale ent:
gehen Fönnen, einer aufgepugten Romantik zu verfallen. Denn
etwas Anderes ald ein mit allerhand gefdichtlihen und un:
geſchichtlichen Notizen verbrämter Roman iſt das vorliegende
Buch nicht, das fih als eine traurige Parodie auf Geijer's aus-
gegeifpnete Denkſchrift auf Karl XIV. Johann zu erkennen gibt.
n dieſer iſt die biedere, patriotifche Gefinnung des ſchwedi⸗
ſchen Geſchichtſchreibers überall fichtbar, bei Hrn. von Grufen:
ftolpe aber dürfte man vergebens nad Spuren vaterländifchen
Weſens fuchen; man erdennt nur, wie in beffen andern Roma:
nen und Schriften, den unruhigen Liberalen, dem nun einmal
in der heutigen Welt nichts recht ift. Sein Buch ift ein bun-
tes Gemifch von Monofogen, fortlaufenden Erzählungen, Dia:
logen in Zeßler 6 oder Schlenkert's Geſchmack, und allerhand
bäfelichen Hofgefchichten und Anekdoten, die dann durch die
unter dem Zert befindlihen Worte „Died iſt hiſtoriſch“ für
gläubige Lefer zur unumftößlichden Wahrheit geflcmpelt jein jol-
n. Auch fonft finden fich allerhand Gitate aus neuern Me:
moiren, aber gerade aus den unzuverläffigften und unbedeu:
tendften. Über des Krenpringen von Schweden Kriegsthaten
in Deutſchland geht der Verf. — bier mit Recht — ziemlich
rafch hinweg und vermeidet auch hier nicht Unrichtigkeiten. Die
Erzählungen feines Auftretens und Benehmens in Schweden,
die Schilderungen feiner Zurcht vor den Anhängern des ab:
geſezten Königs, feiner Pinanıfpeculationen, feines Verkehrs
mit Männern wie Engeitröm, Wetterftedt, Toll, Lindgren, Rü-
diger, Maclean, Armfelt und Andere, alle diefe Dinge find fo oft
entftelt und zum gewoͤhnlichſten Moman geworden, daß wir
und weder mit ihrer Belobung noch mit ihrer Widerfegung
abzugeben bewogen fühlen. Denn zur erftern ift Beine Beran⸗
taffung und bie legtere würden wir vergeben& bei dem großen
lefenten Haufen, für welches Hr. von rufenftolpe fein Bud
eichrieben hat, verfucgen. Nur ein foldyer kann an den Ge:
ichtihen, wie und was Karl Johann zu eſſen und zu trinken
pflegte und wie er die Bereitung des Punſch in Schweden ver:
vollfommnet hat, Gefallen finden oder fi) vorſchwatzen laſſen,
daß Karl Zohann ſtets zwei oder drei Dukaten für den Kammer:
Diener, der ihm den Bart abnahm, hingelegt Habe, damit der
Barbier gegen jede Anwandlung, das Meſſer als Mordwerk⸗
zeug zu gebrauchen, unempfänglid fein möge (I, mfg). Aus
welhen Quellen: aber der Verf. feine Nachrichten uber das
zärtliche Verhältniß zwifchen Karl Johann und dem Fräulein
Mariane Koetull gefhöpft habe, möchten wir wol willen, da fol»
her Neigungen weder Freunde noch Feinde des Königs von
Schweden jemals Erwähnung gethan haben. Befagtes Frauen:
zimmer war übrigens zugleich ber Liebling des alten Königs
Kari XI. und man wird nicht ohne einigen Ekel die Scene
(11, 182) leſen koͤnnen, wo der abgelebte Monarch die Wan:
gen des ſchoͤnen Zräuleins freihelt und ihr dabei aus feiner
langen Pfeife eine Rauchwolke in das Geficht blaͤſt. Eine
echt tuͤrkiſche Situation! oo
Die Überfepung lieft fih gut, fodaß ed wol für die Rou⸗
finierd in den Xeihbibliothefen cine ganz leibliche Speife fein
wird; aber auch nur für folche. 20.
Literariſche Notizen aus Frankreich.
Studien über die engliſchen Zuſtände.
“As fich Léon Faucher von dem rauhen Felde der Tages⸗
polemit᷑ zuruͤckzog, beklagte man allgemein den Ruͤcktritt dieſes
ehrenwerthen, kenntnißvollen, begabten Mannes, welcher ſich
auf dem Gebiete der Journaliſtik einen ehrenvollen Plag erftrit-
ten hatte. Seitdem cr nun um verſchiedener Urſachen willen
von der Redaction de „Courrier francais’ ‚abgegangen iſt,
hat er ſich ernſtern publiciſtiſchen Studien gewidmet, von denen
ein Theil in der „Revue des deux mondes“ niedergelegt- ift.
Um feiner politifhen Überzeugung durch die Anſchauung frem:
der Zuftände und Berhältniffe eine breitere Baſis zu geben,
bat Faucher ſich nun längere Zeit in England aufgehalten.
Die veife Zrucht diefer Betrachtungen ift ein publiciſtiſches
Werk von bedeutendem Gehalte, welches vor kurzem u. d. J.
Etudes sur !’Angleterre” (2 Bde.) aus feiner Feder erſchie⸗
nen iſt. Wir haben es bier nicht mit einem jener leichtfertigen
Erzeugniffe der modernen Touriſtenliteratur zu thun, Die ſich
niemals von der Oberfläche zu einer tiefern Auffaffung verirren.
Das reiche Material, welches und bier geboten wird, ift wohl
efichtet, den Beobachtungen, welche uns mitgetheilt werben,
Et es nicht an einer fihern Begründung, und die Form iſ
wuͤrdevoll und einem fo ernſten Thema angemeſſen. Der Berf.
verfchmäht den eiteln Prunk unnügen. Raifonnements, indem
er es vorzieht, Thatſachen und Zahlen fprechen zu laffen. Nie⸗
mand glaube aber deshalb, ed handle fich hier um einen trode:
nen ftatiftifhen Bericht. Der Verf. hat es trefflich verftanden,
den reihen Stoff, den er während feines Aufenthalts in Eng:
fand mit unermüdlicher Thätigkeit gefammelt hat, zu einer
äußerft intereffanten Darftelung zu verarbeiten. Beſonders
werthvoll find die Mittheilungen, welche er über den Zuftand
und die Verhältniffe der armen Volksclaſſen in England mad.
Man fieht in der Art und Weiſe, wie er diefes Thema behan-
delt, daß es ihm nit darum zu fhun war, auf wohlfeile
Weife die ganze Litanei von Berwünfchungen, welche andere
tiberale franzöfifche Yubliciften England gegenüber zur Hand
haben, loszulaffen. Seine Darftelung ift in biefen Partien
zum Theil wol ergreifend, aber nie läßt er ſich übertreibungen
und Entftellungen zu Schulden fommen, von denen felbft mande
deutſche Neifcberihte aus England nicht freizuſprechen ſind.
Von nicht geringer Wichtigkeit ſind auch die Schilderungen,
welche er von der engliſchen Wriftofratic, dieſem den engliſchen
Verhältniffen fo eigenthümlichen Inftitute, entwirft, und Die
Betrachtungen und Erörterungen, welche er an fie anknüpft. *)
Die wiederaufgewärmte Memoirenfabrifation.
Das Feuilleton verfchlingt ungeheure Maffen von literari-
ſchen Productionen. Die Tagesſchriftſteller, welche fich dieſem
gefräßigen Ungeheuer verſchrieben haben, find deshalb genöthigt,
Ah nah neuen Duellen umzufehen, damit fie dem Bebürfniß,
welches durch die Formatvergrößerung der Zournale im fteten
Wachen begriffen ift, genügen koͤnnen. Auch die regfamfte
Hhantafie ermattet unter diefer fortwährenden Production. Da
bietet fi) nun plöglich die während der Neflauration fo ber
liebte Memoirenfabrikation als ein bequemes Auskunftsmittel
für die bedrängten Feuilletoniften, und gleich ftürzen ſich diefe
ftetö fertigen Federhelden auf ihre leichtzuerwerbende Beute.
Der Bibliophile Jacob ift zwar nicht der Erfinder diefer Zwit-
tergattung, welche zwifchen dem Romance und der Geſchicht⸗
chreibung ſteht; aber er wird, wenn es auf die Maffe ans
ommt, feinen Mitbewerbern gewiß die Concurrenz flreitig
machen. Bir erhalten jegt von ihm ſolche Denkwürdigkeiten,
welche angeblich aus den Papieren eines Hofmanns herrühren.
Sie führen den Titel: ‚„Memoires secrets de G. T. B, duc
de Roquelaure, precedes d’un essai sur les m&moires histo-
riques’', von P. L. Jacob (2 Bde). Diefe Schrift zeigt recht
eigentlich die Dürftigkeit und Nichtigkeit diefes ganzen Genre,
das auch nicht Die geringfte literarifche Berechtigung hat. Die
Scenen, welche uns bier geboten werden — fie find aus den
gerröhnlichen Romaningredienzien: Kiebeshändel und andere tolle
Streiche, zufammengebraut —, find zu cinem fo lofen Zuſam⸗
menhange verbunden, daß felbft unverwöhnte Lejer, die eben
Beine hohen Anfoderungen an eine kuͤnſtleriſche Production ftel-
len, nothwendigerweije eine gewiſſe Xeere empfinden. Dabei
fühlt man, fo fehr ſich der Verf. auch befleißigt, dieſe Gemälde
einer vaffinirten Verderbtheit bis ins Detail außguführen, doch
überall die innere Unmwahrheit und den Mangel wahrer Ori⸗
ginalitat. P. Lacroix — dies ift bekanntlich der wahre Name
des Bibliophilen — hat wirkliches Talent, mandye feiner Ros
mane enthalten jowol in Bezug auf Erfindung als Darftellung
vortrefflihe Partien; aber er produeirt viel zu ſchnell und da⸗
ber viel zu flüchtig als daß feine Compofitionen wirkliche
Kunftwerde. werden könnten. Ia, man muß mit Bedauern bes
merden, wie er feine fchönen Anlagen, je mebr ex fich bei feinen
Productionen vom Gewinne leiten läßt, auf die Dauer immer
mehr verflacht und verzettelt. 17.
*) Faucher's Werk ift bereits ind Deutfche überfept worden und
wir fommen noch darauf zuräd. D. Reb.
Literarifhe Anzeige.
Neu erscheint in meinem Verlage und ist durch alle Buch-
handiungen zu beziehen:
Genealogische Tafeln
zur Staatengeschichte der germanischen und slawi-
schen Völker im 19. Jahrhundert,
nebst einer genealogisch -stotistischen Kinleitung,
von
.. F. M. Oertel.
Quer 8 Geb. 1 Thir. 10 Ngr.
Diese Genealogischen Tafeln dürften sich durch sorg-
fältige Bearbeitung und zweckmässige typographische Ein-
richtung für den Handgebrauch ganz besonders empfehlen.
Leipzig, in Januar 1846.
IF. A. Brockhaus.
Verantwortlicher Deraußgeter: Heinrich Brodpaus, — Drud und Verlag von F. X. Brodpans in Leipzig.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Sonntag,
Geſchichte der deutſchen und niederländifchen Malerei ıc.
Bon H. ©. Hotho. Erſter und zweiter Band.
(Jortſequng aus Nr. 17.)
Diefes Berdienft des Berf. würde heller hervortreten,
wenn ihm bas Allgemeine und Befondere ineinander zu
arbeiten (mas der wahre Stil einer Geſchichte Ift) beffer
gelungen wäre. Er hat bie beiden Theile zu abgefondert,
theitweife zerfallend behandelt. Erſt erzählt er die poli-
eifche GBefchichte von Köln und Weſtfalen, dann charaf-
terifirt er Kölns Malerfchule, wie fie in ihrer Blütezeit
war, dann geht er zurüd auf die älteftbefannten Spu-
zen und Notizen beutfcher Malerei — magere Erwaͤhnun⸗
gen, und Werke, die weit voneinander zerfiremt, wo nicht
unerheblih, doch von jener vorher gefchilberten und in
der vorausgeſchickten politiſchen Geſchichte begründeten
Fölnifchen Malerkunſt noch ſehr entfernt find —, und dann
erſt kommt er durch eine weftfälifche Vorſtufe bei ber
letztern an. Es wäre doch natürlicher geweien, das Al⸗
tere und minder Entmwidelte, ftatt es zwiſchen die Ur-
fadyen und die allgemeine Charakteriftit des höher Ent⸗
wickelten einerfeit und die nähere Darftellung des letz⸗
tern andererfeitd hineinzuſchieben, beibem fo in der Er-
zählung wie es in der Gefchichte mar vorhergehen unb
das wirklich Zufammengehörige unzerteennt in einer bün-
digern Faſſung erfcheinen zu laffen. Auch die Behand-
iung ber flandrifhen Schule, ohne Zweifel der bedeu⸗
tendſte Zheil des Buchs, hätte viel gewinnen fönnen,
wenn ber Verf. mit mehr biftorifcher Kunft die alige-
meine Schilderung und Beurtheilung, flatt fie in aus⸗
führlicher Geſchloſſenheit vorauszufhiden, mit den No-
tigen und Kritiken von den einzelnen Malern und Bil-
dern verwoben hätte. Das DBefondere würde dann min-
der breit, ducch friſche Verſchwiſterung mit feinem Sinn
und Geiſte tiefer, und, um e8 in feinem Begriff zu er-
balten, nidgt fo viel Wiederholung des vorher öfter Ge⸗
fagten nöthig geworben fein. |
In dem folgeriden Abfchnitt über die jüngere Schule
von Köln und Weilfalen und bie von Galcar zieht bies
zerlegende Berfahren wicht folhe Breite nach fich, weil
bier des Materials viel weniger iſt; und ba dies Ma-
terial wegen innerer Ungleichartigkeit verfdyiebenen Ge⸗
fichtspunkten heimfälkt, iſt es bier vielmehr zweckmaͤßig,
18. Januar 1846.
a nn nn
daß ber Verf. die allgemeine Bezeichnung ‚ber Ummand-
lung und ihrer theild zufammen- theils auseinander
geheriden Richtungen voranſtellt. Am wenigſten aber
will in den legten Stücken biefed Bandes, die den ſchwä—⸗
bifhen Malern des 15. Jahrhunderts und von ben
Nürnbergern zunächft dem Wohlgemuth gelten, die Be⸗
gründung und Beurtheilung in ein ebenmäßiges Verhaͤlt⸗
niß wit der Ausführung des Einzelnen fommen. Nach
der Erzählung, wie in den fehrwäblfchen Städten Bür⸗
gerfelbftändigkeit, Gewerbsbetrieb, meitgehender Handel
heraufgeblüht, bemerkt der Verf., die Oberdeutfihen bät-
ten hiernach ſchon früher eine ber flandrifchen verwandte
Kunftrihtung entwideln können, „wenn ihre Gabe zur
Malerei mächtiger und umfangreicher gewefen wäre”.
Hieraus könnte man folgern, daß auch die obige Herlei-
tung der flandrifhen Malerei aus den Stäbtezuftänden
nicht erfchöpfend und ihre eigentliche Urfache doch eben
eine befondere Gabe der Klamänder zur Malerei geweſen
ſei. Da aber der Begriff einer ſolchen Gabe in der
That nichts Anderes ifl als die abftract formelle Voraus⸗
fegung der pofitiven Urfachen, durch welche die Anfchau-
ung eines Volks frei, in fi) gefchloffen mb in beſtimmter
Welfe malerifh wird, fo ift die Berufung auf folche
Babe noch neben angezeigten pofitiven Gründen eigent-
fich nur das Geſtändniß, daß man bie fegtern noch zu
abftraet, noch nicht in ber vollen gefchichtlichen Ausbil-
bung gefaßt habe, welche die Bilder der Kunft als ihre
eigenen Blüten an fih trägt. Der Berf. famı mit je
ner Huferung diefen Mangel für feine Entftehungserfid-
zung der flamändifchen Malerei einzugeftehen fcheinen,
wenn er in Schwaben die gleichartigen Gründe ohne das
gleichartige Mefultat anerkennt. Aber was er dort zur
Erklärung anführte, waren in ber That bie wefentlihen
Gründe. . Nur würde daß fie bie Erklärung ericgöpfen
erſt dann ganz emleucten, wenn fie ins Beſtimmtere
ihrer hiſtoriſchen Ausgeſtaltung, im bie Anſchaulichkeit der
Sittenzüge und Lebensbilder verfolgt wären." Die Gei⸗
ſtigkeit jedes Zeitalters Hat zu ihrer Totalhaͤlfte die Sinn -
lichkeit deſſelben. Und das muß ebenfalls von Seiten der
legtern durchſchaut werden, wenn man feine fiunliche
Idealvorftellung, die Malerkunft, in ihrer Beftimmtheit
will entſtehen ſehen. Die Tracht und Gehabung des
handelnden und gefelligen Lebens in den Momenten, wo⸗
70
rin ſich am meiſten die Anſprüche und Formen des allge⸗
meinen Selbſtgefühls an den Tag ſtellen, ſind natürlich für
den Widerſchein des letztern im Malerwerk die allgemei⸗
nern Mittel; und der ſtandesmäßige Antheil des Ma⸗
lers am anerkannten Selbſtgefühl, ſeine Bildung nicht
nur für den Gedanken Deſſen, worein jetzt der Werth ber
Geſellſchaft gefegt wird, ſondern auch für den geſelligen
Ausdruck deſſelben, die Breite und Höhe feiner Mitbe-
theiligung und Mitberechtigung an den wärmfien Span-
nungen und Genüffen ‚des Zeitgeiftes bildet nothmenbig
die nähere Vermittelung. Blickt man auf diefe VBer-
mittelungen ber Malerfhöpfung, fo wird bei Verglei⸗
ung des ſchwaͤbiſchen Städtelebens mit dem flandrifchen
der Unterfchied in den ähnlichen Bedingungen deutlich
genug, um die ungleiche Entwidelung der Malerei ohne
die Annahme eines ungleihen Maßes apriorifcher Gabe
natürlich zu finden. Die vorausgefegte Gleichartigkeit
der Verhältniffe ift zu abftract. Allerdings macht es ſich
der Verf. felbft zur Aufgabe, ebenſo fehr ihre Ungleid)-
heit an das Licht zu rüden, aber fo, daß neue Wider
fprüche entftchen. Er fagt (II, 201):
Die flandriſchen Städte bleiben nicht ganz von dem Ein-
Auß ihrer romanischen Nachbarn frei. Kampf ift im Politi-
fchen ihr eigentliches Element, und die Bermittelung kommt -
mehr in Korm nothiwendiger Unterwerfung der einen oder ber
andern Seite als durch jene Einigung zu Stande, zu welcher
beide freier zufammengehen, weil die Harmonie urfprünglidh in
ihnen liegt. Zugleich ift bei den Eyck felbft eine gewiſſe rit-
terliche Zierlichkeit und fürftliche Vornehmheit in vielen Geſtal⸗
"ten kaum zu verkennen. Man merkt, daß Johann van Eyd
Philipp dem Guten zur Seite fand. Der Yauptzug aber
bleibt immer die religiöfe Ruhe und Firchlich » Patholifche Heili⸗
gung. Bon diefen Werken aus gibt ed keinen Übergang zu
proteftantifher Sinnesweife.
Dagegen weift er bei den OÖberdeutfchen bie frühen
Keime der legten nad; dann im Politifchen die Liebe
für das Stätige, die ſich mit der Freiheit in das Gleiche
fegt. Aus jenen Keimen und Richtungen erklärt er an
der fchwäbifchen Malerei die felbfigewiffern, im Böfen
auffäffigern, im Guten mit Gott vertrautern Charaktere,
aus diefer politifchen Ordnung die Milde und Freund⸗
lichkeit im Ausbrud, ähnlich der Fölnifchen und weftfäli-
fen, zugleich aber aus der in Schwaberr erweiterten
Dppofition gegen die ganze römifche Kirchengewalt das
tiefere Gemüth und den durchgebildeten Ausbrud von
fefter Kraft in Bildniffen, fomol ber anmuthigen und
würdigen als der gemeinen und rohen Urt. Bei ihnen
entfpringt, nach dem Verf., jene harmonifche Sicherheit
des Stils, die bei den Kölnern wahrzunehmen war, zu⸗
gleich mit der reihern Bildnifwahrheit, zu der den leg-
teen erft die Slamänder helfen mußten, aus der heimi-
fhen Quelle, aus ihrem Städteleben felbft, kraft dem
ungetrüßtern Einklang und der freien Ausbildung -deffel-
ben, fodaß fie Beibes, jene harmonifche Charakterficherheit
und biefe veichere Befonderbeit, fchneller und felbftändi-
ger vereinigen.
Nach alle Dem follte man billig von ber ſchwäbiſch
Malerei eine reichere und reifere Vollendung als bei je-
nen andern Schulen erwarten. Kommt man nun aber
an das Beſondere, fo beftätigt fi dieſes keineswegs.
Wie hoch man den Martin Schön ftellt, vollendeter in
feiner Art als die Eyd in ihrer kann er nit heißen.
In Wahrheit und Ebenmaß der Geftaltenbildung ſteht
er nad ded Verf. eigenem Gefländniß (II, 213) unter
ihnen. Am wenigften entfpricht jener obigen Voraus⸗
verfiherung, daß die fchwäbifhen Maler tiefe Bildnip-
wahrheit mit barmonifcher Sicherheit und freier DOffen-
heit des Charakters felbftändiger als die Riederbeutfchen
vereinigt hätten, das bei Schön fo ſtark hervortretende
phantaftifhe (Element. Der Verf. will es zwar nicht
fo genannt wiſſen. Er fagt (II, 212):
In feinen heraufgeputzten Henkern, feinen muthwillig flet-
fhenden Knaben und geißelnden Knechten beweift Martin Schön
erade am vollften ein naturtveues Studium. Er fteigert nur
Bäufig die beobachteten Züge mit nachhelfender Energie. Die
verſtaͤrkte Misbildung der rüuffelartigen Mäuler, die bodisartis
gen Köpfe und Enöchernen Körper fol deutlicher noch die in»
nere und äußere Berkehrtheit darthun. Wie ihn felbft jedoch
der Sieg des Wahren innerlich froh macht, fcheint auch eini«
gen feiner Figuren faft die eigene Häßlichkeit lächerlich und
die eigene Bosheit Fein Ichter Ernſt. Giftigen Haß zeigen
nur wenige, und faft Einer nur fchaut jedesmal drein als
wäre er der Böfe felbft.
Nun, was der Verf. hier fehildert, ift Das, was die
ganze Welt „phantaftifch” nennt. Carikirte, ihren eige-
nen Ausdrud aufhebende Figuren. find keine Charakter⸗
bilder, fondern Masten, in welchen das Subjective (die
Froheit' des Malers, nad) dem Verf.) nicht zur objecti-
ven Wahrheit durchgebildet ift, fondern die Intention
der Phantafie einfeitig überwiegt. Ein folches Uberwiegen
ift es, was der Name bes Phantaftifchen bezeichnet. Und
tritt diefes innerhalb von Darftellungen auf, welche bie
pofitivften Gegenftände der Volksbegeiſterung umfaflen,
und ftellt fich in denfelben unmittelbar neben höchſt ernft-
haft gemeinten Geftalten, fo dient es zum deutlichen Be⸗
weife, daß im Zeitgeifte noch etwas Unverbautes ift, daß
die Bildungselemente beffelben jenen ungetrübten Ein-
Hang und jene Selbftändigkeit noch nicht erreicht haben,
bie der Verf. als das Auszeichnenbe gerade ber ſchwaͤbi⸗
fhen Schule nannte.
Die Schüler des Martin findet er felbft nur in
Rückſchritten begriffen. Bon der ulmer Schule theilt ex
dem M. Schaffner, durch welchen ihr Typus zum End-
ziel geführt wird (11, 225), eine geboppelte Richtung zu,
einmal auf unmittelbar der Natur entlehnte Phyfiogno⸗
mien von berber fihwäbifcher Art, ohne Beſeelung durch
den Ausdrud tieferer Empfindung, dann auf eble, ſchwung⸗
volle Formen, die er auch oft erreicht, fo doch, daß fi
diefe geboppelte Richtung „nicht vollftändig verſchmelzen
will”. Auch hier alfo bleibt „zwifchen ber reichern Par-
ticularität der Charaktere und dem Ausdrucke freier Of⸗
fenheit in Anmuth und Würde” doch „ein trennenber
Unterfhied übrig”, wovon der Berf. (II, 203) gerade
bas Gegentheil aus allgemeinern Gründen behauptet hat.
Man wird die verheißene felbftändige Vereinigung jener
Elemente ebenfo wenig in Holbein’s des Altern Art nach
folgender Charakteriftit finden können (11, 234):
Kein oberdeutfcher Meifter hat den Gegenſatz offener An⸗
71
und ertremer Haßüchteit ſchaͤrfet Yervorgehoben. Do‘
ie ign Holbein ohne gründliche Durcarbeitung nur auf die
9. Bei den Riederdeutfchen erfcheint
als brutale Roheit, die duch Äußere
. Erft Martin Schön bringt die in-
feine Geftaiten tun, ift ihr eigener
hrem ganzen Charakter und Selbſt.
der oben angeführten frühern Stelle
von den ſich felbft verlachenden Figuren Schoͤn's, welchen es
mit ihrer Bosheit Fein Iehter Exrnft if.) Hans Holbein folgt
einer andern Auffaffung. Der Menfc, wie fündlid er fei,
ſcheint bei ihm nicht eigentlich felbft böfer er ift nur vom
Böfen befeffen. Es ift eine fremde Gewalt, die ihn willenlos
fortreißt. „Der fchlaue Fürft der Welt ſchiebt die armfelige
Treatur vor, um durch fie zu handeln. So kommen denn auch
die wibrigen, Bormen bei veligiöfer Andacht nocd einmal zum
Borfcein. ſir follen von der äußern Disharmonie auf kei-
nen Misfang des Innern fließen. Ob ſchoͤn oder nicht, der
Menſch kann doch rechtſchaffen und andaͤchtig fein.
Dieſe Erklaͤrungen heben einander auf. Sind Fa⸗
ſchingemummereien Urſprung und Vorbild der Holbein'-
ſchen Misgeſtalten, fo find fie nicht ernſtlich als Befef-
fene aufzufaffen ; denn hinter der Faſchingsmaske ftedt
der Luftige, gute Bruder, hinter der Verzerrung des Ber
feffenen der böfe Feind. Dort ift die Haͤßlichkeit Aus-
drud des Muthroillens, hier der Übermältigung, beidemal
wird Accent, wiewol der entgegengefegte, auf fie gelegt,
und fo ift es wieber ein ganz verſchiedenes Dritte, wenn
fie nun „nody einmal”, diesmal aber zum Gontraft mit
einer — da doch ter Maler das Innere einzig im Au»
fern zeigen kann — ſchlechthin vorausgeſehten innern
Harmonie zum Vorſchein kommt, in dem Sinne, daß
aud der Misgebildete andächtig und rechtſchaffen fein
Tonne. Da ift die Häßlichkeit indifferent, die dort fo-
miſch ober tragifch betont war. Gefegt, ber Verf. Eonnte
Holbein’s Earicaturen diefe disparaten Abfichten anfehen,
fo durfte er fie nicht eine „Gefammtrihtung” nennen,
wie im gleich Folgenden:
eiber geht ihm für diefe Gefammtrichtung dad unermüd ·
liche Er A & — 1 nd engern Kreife
von Phofiognamien, die er nur ftüdweile aus der Ratur
Schöpft, und dann häufig bizarr und phantaftif zufammenfügt,
ohne ben Bwiefpalt von Inhalt und Borm dur tiefen Aus:
duck zu vergüten ober zu löfen.
So weift denn der Verf. weber in Colmar noch in
Um noch Augsburg an ber ſchwaͤbiſchen Malerei den
durchgebiideten Ausbrud von fefter Kraft, der aus der
erweiterten Oppofition gegen die roͤmiſche Kirchengewalt
fliegen — und die Verfhmelzung engerer Charafteriftit
mit harmonifcher Form, die aus dem Innern Einklang
des Stäbtelebens folgen follte —, genügend nad, öfter
vielmehr das Gegentheil. Und hält man feft, daß eine
befriedigende Vermittelung zwiſchen proſaiſcher Bildniß ·
wahrheit ober ſchroffer Charakteriſtik einerfeits und ibea-
ler Schönheit andererfeitd in biefer Schule im Ganzen,
und noch mehr in einzelnen Meiftern wirklich vermißt
wird: fo fällt noch weiter die einfeitige Faſſung auf, in
der fie der Verf. zur fränkiſchen Schule in Verhältnig
bringt, nur um den Fortſchritt im Begriff zu behaupten.
Er fagt von den nürnberger Malern aus der zweiten
Hälfte des 15. Jahrhunderts (11, 246):
Ihre Aufgabe ift einfach: Das auszubilden, was Martin
Schön, die ulmer Schule und Holbein unerledigt laffen. Das
Anmuthige und Liebliche wie die innere Harmonie Präftiger
Eharaktere gelangen den Weiftern im Elſaß und in Schwa⸗
ben in hohem Grade. Doch um deswillen eben mildern fie
gan alles Strenge oder nehmen es gar nicht auf. Das hö-
ere Ziel aber liegt nicht in dem bloßen Vermeiden. Seibſt
das Scharfe muß fi die Darftelung, wenn et nöthig wird,
einverleiben, um es in echter Mäßigung in Fluß und Ein-
Hang zu bringen. J
Nun iſt alſo auf einmal wieder der Stil jener Schule
nur anmuthig und iieblich, das Strenge und Scharfe hat
fie nur gemildert oder gemieden. Und doch hieß es ſchon
bei Martin Schön (11, 210 fg.): „Solche Anfhauung
fheut am menigften die Darftellung härtere Extreme *
— ‚mit geiftoollem Auge lebt er ſich in die Raturaus-
ſchweifungen menfchliher Structur und Phyfiognomien
ein.” „Selbft Dürer kaum verfieht es, wie er, die
Nachtfeite in wirklichen Individuen zu veranfchaulichen.”
Dann von dem ulmer Zeitblom (Il, 222): „In feiner
Jugend mit ſcharfem Blick ftreng, ja herbe felbft auf
Harakteriftifche Form und @eberde hingewandt” u. f. w.,
und von feinem nörblinger Bilde: „Die Gefihtsbilbung
in dem Volt und den Knechten ift ungemilbert haͤßlich,
doch höchſt individuell.“ Wenn fih nun fpäter feine
„Schärfe ber Charakeriftit mehr und mehr mildert”, war
fie doch fein fehlendes, kein unerledigtes Moment in der
fhwäbifhen Schule, wie ja aud bei Schaffner die un-
mittelbar natürlichen, derbſchwaͤbiſchen Phyfiognomien in
hiſtoriſchen Bildern nicht der Anmurh und Milde-halber
gewaͤhlt fein konnten, und endlich Holbein der Altere, nach
dem Berf.: „den Gegenfag offener Anmuth und ‚ertre-
mer Häßlicgkeit, wenn auch ohne gründliche Durcharbei ·
tung, auf die Spige getrieben.”
(Die Bortfegung folgt.)
Romanliteratur.
1. Die legten Tudors auf dem Xhrone von England. Ge
ſchichtlicher Roman von Wilhelmine Softmann. Erfter
und zweiter Band. Braunfchteig, ©. ©. . Meyer sen.
1845. 8. 4 Zr.
Das vorliegende Werk möchte wol cher als geſchichtlicher
Romon romantifiste Geſchichte genannt werben; das Roman«
.i
72
e bleibt Zuthat und bie Wichte wird mehr in ihtem
—*ãſ als in ihrer ee heit, doch if fie in der
üpr verliehenen Form recht anfpreddend und genießbar; bie
hiſtoriſchen Geftalten treten vor den Refer, wie er fie feit ſei⸗
ner Jugend fich gedacht hat. Das Streben, die Geſchichte zu
berichtigen, welches jegt alle Hiſtoriker befeelt, Hegt der Verf.
fetn, doch hat fie mit vielem Talent das Bekannte wieder auf
gefaͤrbt und das Zodte befebt.
Bor und liegen zwei Bände, jeder in zwei Theilen. Der
erfte Theil des erſten Bandes enthält „Die Beige Maid von
Kent“ und beginnt mit Heinrich's VIII. Ehefcheidung von Ka⸗
arina und feiner Bermählung mit Anna Boleyn. Das Mäd-
von Kent ift eine Prophetin, weiche durch Prieſterraͤnke
in den Zuftend der Eraltation verfegt den König tadelt wer
gen der gebrochenen Ehe und der neuen Verbindung mit einer
Keperin flucht. Der zweite Theil des erften Bandes gibt und
das Bild der heitern, fhonen Anna Boleyn in ihrem Über:
muth und in ihrer VBergnügungsluft, welche fie zum Schaffot
führt. Vorher fahen wir Wolfey’s Intriguen, feinen Sturz
und feinen Tod; zu Anna's Hinrichtung führt er den entſchei⸗
denden Streich durch fein Bermächtniß an den König, welches
in ihrem Briefwechſel mit ihrem erften Geliebten befteht.
Ein anderer Theil zeigt und des Königd Heinrich VIE.
Hof. Begebenheiten häufen jih auf Begebenheiten. Marie,
die Tochter Katharina's, folgte der Mutter in die Berban:
nung; Anna Boleyn binterläßt Elifabeth ; beide Zöchter wer⸗
den für illegitim erfärt. Heinrich vermäblt ſich ſogleich nach
Anna's Tode. mit Johanna Seymour und verliert fie bald durch
den Zod; fie hinterlich den neugeborenen Prinzen Eduard.
Sept folgt die Vermählung mit der ungeliebten Anna von
Kleve. Der König läßt ſich von ihr Icheiden, um Katharina
Heward zu heirathen. Während dieſer häuslichen und Fami⸗
lienwirren fpielen die religiöfen Angelegenheiten im Lande eine
große Rolle und die Verf. weiß den Kampf der Parteien, die
despotifchen und inconfequenten Gingriffe des Königs, feine
Grauſamkeiten fowie feine wechfelnden Unfihten und Launen
ſehr lebendig an dem Lefer vorüberzuführen. Der König ftirbt,
und Eduard IV. befteigt den Zhron, cin Kind von 13
Jahren. Abermald fehen wir Intriguen, die der Vormund⸗
ſchaft nämlich; in Folge diefer Seymour's und Somerſet's
Hinrichtung. Dann wird Maria's und Elifabeth 6 Entwide:
lung gefchildert; dad Interefie des Leſers wendet ſich Letzterer
zu, deren Kinderleben ſchon bie fpätere Geiftesüberlegenbeit
verheißt. Der vierte Theil bringt und bi6 zu Eduard’ IV.
%od. Der dritte Band, aus dem fünften und fechöten Theile
beftehend, ift uns verheißen, Doch noch nicht übergeben worden.
Weit entfernt, von dem Lefen der vier Theile ermübet zu fein,
verlangt und nach den folgenden, welche „Eliſabeth's erfte
Liebe’ und den „Prätendenten“ enthalten fellen; die Ge:
fchichte befchäftigt unter ſolch romantiſcher Beleuchtung ebenfo
Teicht al8 angenehm. Die Epifode des Mädchens von Kent
erfchien uns indeß zu lang, zu ableitendb von dem Faden ter
geſchichtlichen Begebenheiten; auch fie erwartet ihr Ende mit
dem legten Theil. Der junge Fig Patrik, welcher im erften
Theil als Page der Königin Katharina in die Dienfte der
Anna Bolepn überfritt, Spielgefährte Eliſabeth's und fpäter
Eduard's, fodann deffen Breund wird, erhielt vom fterbenden
König Heinriy VIII. den Auftrag, das Mädchen von Kent,
welches feine Verfolgung in die weite Welt getrieben bat, wie:
der aufzufinden. Zu diefem Zweck begibt er ſich auf Reifen.
Er ift mit großer Vorliebe von ber Verf. aukgeftattet, ein lie:
bensiwürdiger Menfch und Gofcavalier, welcher eine Feine Rei:
ng zur Prinzeſſin Elifabeth verräth und immer zur rechten
it kommt, um zu fihügen und zu zetten. -Wir koͤnnen das
Buch in jeder Hinfiht empfehlen.
2. Don Manuel Godoi. Ein Roman. Drei Theile. Leipzi
. 188. 8. Zhlr. 25 Ryr. u er
Der Berf. bat fi nicht genannt und wir vermuthen aus
Veſcheidenheit, welche gewöhnlich das Attribut des Verdienſtes
iſt. Der Held iſt Don Manuel Godoi, welcher ſich vom ar⸗
men Edelmann durch die Liebe der Königin Iſabella von .
nien und durch die Gunft ihres Gemahls zu den hoͤchſten Eh⸗
renſtellen bis zur Würde eines Herzogs von Alcudia empor:
chwang. Seine Memoiren, die er ſelbſt am Abend feine Er:
end nieberfchrieb, beginnen 1792 da, mo der vorliegende Re
man fehließt, nachdem bie Heldin Iofephine, feine ihm heimlich
angetraute Gemahlin, am langfamen Gift der ciferfüchtigen K-
Min geftorben ift und feinem Herzen eine ſchmerzliche Wunde
efhlagen bat. Der Hof Karl’s IV., deſſen Verhaͤltniß zur
yonen coquetten Gemahlin, welche feine Gleichguͤltiakeit im
@iferfucht umgewandelt hatte, bildet ein intereffantes Hi
ſches Gemälde, wozu bie zableeihen Schilderungen fpanifcher
Sitten und Gebräuche jener Beit einen paſſenden Hintergrund
abgeben. Ber Roman fegt fleißige Studien zu diefem Hinter
grund voraus, Do ift er Fein Kunſtwerk, nicht gehörig eins
gerahmt und leidet an einer Überfülle von Perfonen, die ei-
gentli zum Berlaufe der Gefchichte nicht nöthig find und oft
an ben Bilderkaſten erinnern, der ein Wild auf das andere
folgen läßt ohne gehörigen Bufammenhang; doch find alle Cha⸗
raktere mit Sorgralt behandelt und ihre Handlungsweiſen ger
börig motivirt, ihre Gefühle in allen Schattirungen gefchil-
dert. Die Mannichfaltigkeit der agirenden Perfonen könnte
füglich als eine Ruſterkarte der ſpaniſchen Rationalerfcheis
nungen jener Zeit gelten und ift eins der Verdienſte des
vorliegenden Werke.
3. Phantafiebilder eined Blinden.
8. 1 Zr. 10 Nor.
Es iſt ein großes Unglüd, an den Augen zu leiden und
den gewohnten Beihäftigungen entrüdt gu werden; es ift aber
auch ein großes Unglüd, wenn man die Erheiterungen feiner
dunkeln Stunden für geeignet hält, dem Yublicum vorgelegt
ie werden, und auf diefem Punkt biind bleibt, felbft wenn das
eibliche Auge wiederbergeftelt ift. Die Erzählungen oder viel-
mehr Skizzen find kurz, unbedeutend und ch trivial. Wie eb
alten Männern zu geben pflegt, blieb auch dem 6Yjährigen
Blinden von der Liebe nur die Erinnerung an den matertel:
len Genuß zurüd, während das euer der Leidenfchaft ver-
loͤſcht iſt. Die an den Gefchäftsftil gewöhnte Feder war nicht
mehr tauglich zum Dienft der Romantik und ed wäre zu wün-
ſchen, wenn bie 16 Gefchichten des umfangreihen Bande
nicht im Drud erſchienen wären. 46.
Berlin, Worin. 1845.
netdorte.
‚ Auf der Lömwenburg bei Kaffel lag vor ber weſtfaͤliſchen
Zeit eine Invalidencompagnie ald Befagung. Ray Gtiftung
des Koͤnigreichs Weftfalen begnügte man ſich bamit, dieſe un:
ſchaͤdlichen Krieger eine neue Uniform an umd einen neuen
Eid ablegen zu laſſen; ſonſt blieben fie in ungeftörter Vergeſ⸗
fenheit. Als der Kurfürft Wilhelm I. im November 1813 feine
Erblande wieder in Befig genommen hatte, wurden nebft allem
Andern auch fofort die herfömmlichen täglichen Spazierfahrten
nah Withelmbhöhe und der Lowenburg, wo man fich beeift
hatte, die alten kurheſſiſchen Uniformen nebft Zöpfen und an
term Zubehör bervorzufuchen, wiederbergeftelt. Gleich bei
der erften derfelben trat der bejahrte Unteroffizier nach dem
frühern Herfommen an ben Schlag des turfürftlichen Wagens
umd meldete: „Habe Ew. Königl. Hoheit unterthänigft zu ver:
melden, daß feit Höcftdero (egtem Hierfein nichts Neues vor⸗
gefallen.” Bon 1806 — 1813 nichts Neues! Und fol folche
Meldung dem Kurfürften unter Ullem, was er bei feiner Heim-
* ſehen und hören mußte, fo ziemlich am beſten acer
aben. .
Berantwortliher Herausgeber: Heinrich Wrodpaus. — Drud und Verlag von J. X. Brodyans in Leipzig.
nn
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Montag,
nn nn nn en en en.
Gefchichte der deutfchen und nieberländifchen Malerei ıc.
Bon H. ©. Hotho. Erſter und zweiter Band.
(Kortfegung aus Nr. 18.)
In der That kann die Aufnahme des Strengen,
Scharfen oder wie man ben einfeitig gefchloffenen Aus⸗
druck in fraͤnkiſchen Bildern nennt, als etwas Neues
nicht bezeichnet werden. Etwas Anderes wäre ed, wenn
es fih ihnen bergeftalt einverleibe fände, „um es in
echter Mäßigung in Fluß und Einklang zu bringen”;
denn Das war ed, was der ſchwäbiſchen Schule nicht
genug gelingen wollte. Solche Ausgleihung aber zeigt
uns der Verf. zunächft bei Wohlgemuth auch nicht
auf (II, 253 fg): |
Schroffes befümmert ihn wenig; er fieht auf verfländliche
tüchtige VBezeihnung mehr ald auf Freundlichkeit; felbft das
Srelle in Korm und Ausdrud gibt ihm feinen Anftoß. Er
fommt den Eyd und ihren Schulern in feiner Durdbildung
der Form und Farbe nicht nahe. In Charakteriſtik, Geberden
und Stellungen bleibt er oft unbehülflicher, in reichhaltigen
Motiven aus dem wirklichen Leben bandfefter. Der zarte Ge:
ſchmack, der aus der Grazie der Seele fließt, feheint ihm ab»
zugeben. Kinder und jugendliche Geftalten werden bei ihm
leicht in den nadten Theilen durch fteife Edigfeit haͤßlich.
Überhaupt fteht er im Studium des menfchlichen Körpers und
ristiger Beichnung hinter den Niederländern faft ebenfo weit
zurück als er in klarer Schönheit und Tebendiger Abrundung
bewegter Gruppen von Martin Schön übertroffen wird.
Und id) fürchte, felbft bei Dürer, überhaupt in ber Blüte
der fränfifhen Schule im Anfang bes 16. Jahrhunderts
wirb eine flüffige Verbindung der Charakteriſtik zu har⸗
monifcher Geſammtſchoͤnheit als erftrebtes und behauptetes
Moment diefes Malerkreiſes ſich nicht darthun laffen.
Geben wir auf der andern Seite zu, daß im Gan⸗
zen in der ſchwäbiſchen Schule mehr Streben nad ge-
rundeten Charakteren und anmuthigen Formen, in ber
fräntifhen mehr nach feharfbegrenztem, ſtarkem Ausdrud
zu bemerken ſei, fo foderte doch im jener das nebenein-
teetende theils profaifche theils bizarre Element feine hi⸗
floriihe Begründung, und konnte in der legtern die ähn-
liche Erſcheinung nicht ale Fortfihritt zu Dem, was bie
erftere übrig gelaffen, erklärt werden. Der Verf. ver
knüpft die ſchwäbiſche und Fränkifche Schule unter dem
Begriffe einer dem Übergange zum Proteflantismus ent-
fprechenden Zunahme des perſoͤnlich felbfigewiffen Ver⸗
flandes und weltlihen Ernſtes. Ruhte in der rheini-
RER Nr. 19, — ⸗
—
19. Sanuar 1846.
[hen Schule bie einfah heitere Harmonie auf dem
Gleichgewichte des Weltlichen und Geiftlihen, in der
flandrifchen die duch eine blühende Beſonderung er-
goffene erhabene und feierlich anmuthige Einheit auf ber
fatholifchen Unterwerfung einer bewußten Weltlichkeit
unter bie geiftlihe Macht und Herrlichkeit, fo fegen bie
ſchwaͤbiſchen Schulen im feimenden Proteflantismus an
die Stelle diefer Einheit aus gebotener Ehrfurcht und
Andacht (II, 250)
die Anmuth innerer Harmonie und die felbftgerifie Befrie:
digung, und mehr noch bilden die Meifter von Nürnberg
diejenige Schule, aus der unmittelbar Dürer entfpringt, ein
Genius, der Reformation enger verwandt als irgend ein ander
rer von allen bisherigen Malern. Der Zortfchritt zu Dürer
hin muß jegt ſchon an ihnen fihtbar werden. Selbſt in der
Rahbildung flandrifcher Phyfiognomien und Seelenſprache ver:
fhwindet daß eigentliche Kirchliche. Alles wird menſchlich⸗ ſelb⸗
ſtaͤndiger und weltliher. Das ftumme Sinren des ganzen Ge⸗
müth& verwandelt ſich zum klaren Nachdenken, das innig ver:
fhloffene Gemüth zum redenden Berftande, und wenn aud
eine noch fchärfere Hoheit hindurchwaltet, fo iſt es doch Mehr
ein obrigkeitlicher Ernft, und ihm gegenüber eine bürgerliche
und häusliche Ehrfurcht.
Diefe Abflufung, die eine im Allgemeinen richtige
Unterfheidung begründet, hebt an berfelben in Betreff
ber oberbeutfchen Malerei nur die pofitive Seite hervor
und läßt die negative, die, wie gezeigt, am Beſondern
zum Vorſchein kommt, unerklärt. Warum fieht, wenn
man auf das Malerifche im engern Sinne fieht, auf
Einheit und Klarheit des Lichts, Anmuth der Gründung,
Reichthum und Verſchmelzung der Töne, Einigkeit der
gemüthlihen Stimmung, die oberbeutfhe Malerei im
Ganzen hinter ber flandrifchen zurüd? Warum macht
fih in ihr das Trockene, das Häßliche, das Barocke brei-
ter und fchroffer als in ber legtern geltend? Auch Diele
andere Seite konnte der Verf., obmwol er ed nicht aus-
gefprochen bat, in Verbindung denken mit ber Entwide-
lung proteftantifcher Geſinnung in Oberdeutfchland. Die
felbe fegt eine größere Nüchternheit der Sinnesart vor⸗
aus. Müchternheit erträgt nebeneinander die Gegenfäge
der Erfahrung unter ſich und 'gegen Foderungen bes Ge⸗
müths, ohne fie im Feuer der legtern zu überfehen ober
zu verichmelzen. Ihre Anfchauung ift fomit trodener,
profaifcher, ungleihmäßiger im Ganzen. Daher das grö-
fere Recht, das die fehmäbifche Malerei dem Abfonder-
lichen und Häßlichen einräumt. Die Wiberfprüche ber
Anſchauung wirken dann zurüd auf Gemüth und Em-
pfindung, deren Streben nad) Befriedigung und Abſchluß
unterbrochen wird. Zunaͤchſt macht ſich darum dies Stre⸗
ben felbft für fich bemerklich, weil es gereizt bleibt ohne
endliche Erſchoͤpfuag. Daher bie fihtbare Bemühung
der fhwäbifcgen Malerei um ammuthige Rundung idea»
Ver Geftalten. Weil aber in ber nüchternen Grundftim-
mung bdiefe Harmonie nicht vollendet ift, fällt nothwen⸗
dig ein Theil der thätigen Empfindung in die Unbefrie-
Digung, ein Theil der Phantafie in bie Lücken unge-
fchloffener Anfhanung, ein Theil der Stimmung in die
Verſtimmung, und erzeugt dad Wibderlihe, das Will-
ürlichgebildete und Verbildete. Diefer Außerung, obwol
Geftändniß der Unbefriedigung, wohnt eine untergeord-
nete Befriedigung bei, weil doch das Gemüth, indem bas
innerlich Störende von ber Thätigkeit erfaßt und in Vor-
flellung herausgefegt wird, Erleichterung findet. Dies
Wohlgefallen, dem Hervorbringen bes Willkürlichen und
Misbildeten beigemifcht, prägt es zum Phantaftifhen;
wie es bei den ſchwaͤbiſchen Malern fich wiederholt auf-
hut. Es tritt neben das anmuthig Gerundete und ficht
mit ihm in fhroffem Gegenfag. Alſo nicht blos „bie An-
muth innerer Harmonie” und „Die ſelbſtgewiſſe Befriedi⸗
gung“, wie fie theilweiſe in Compoſitionen und Bidnif-
figuren fehwäbifher Mater ſich ausſpricht, fondern aud)
die ungefchloffene Befriedigung, auch die unharmoniſche
Selbſtgewißheit und ein Gefallen am Anmuthlofen, am
Widerfprechenden hätte ber Verf. aus feiner Theſe her-
keiten follen.
Warum num aber find die Oberdeutſchen nüchterner
und, wie wir fahen, gerabe darum auch wieder phanta-
flifcher als die Slamänder? Der Grund muß voltsthüm-
lich wie die Erſcheinung fein; er muß in ihrem Staͤdte⸗
leben liegen. Auch an diefer politiſchen Grundlage hätte
der Berf., im ihrer Vergleichung mit ber flandbrifchen,
von dem „ungetrübtern Einklang des Städtelebens” eben-
falls die Begenfeite hervorheben follen, das gelaffenere
Mebeneinanderbeftehen des Ungleihen. Sieht man auf
den politifhen Buftand in meiterm Umfange, fo teitt
gleich der Gegenfag hervor, daß bie Eyck'ſche Kunft in
Flanderns mächtigfter und giänzendfier Epoche, bie
ſchwaͤbiſche Malerei in der Zeit ſchon entfchiebener Ab⸗
ſchwachung des Reiches auflam. Dort war bie politifche
Geſammtmacht, das burgundifhe Rech, in voller Blüte
und Pracht, nach außen wachfend und zu den Tühnften
Anfprühen erhoben, nad, innen als zufammenhaltendes
Regiment ftärker denn vorher und nachher. Hier war
des Kaiſers Anfehen tief gefunten, die Reichtmacht im
Zerfall. Ließ auch diefer Zerfall in manchem Betracht
gerade den Städten Raum ur felbfländigern Entwide-
kung , fo tonnte doch dem Bürger das größere Ganze,
dem er fid noch angehörig mußte, weder Ehrfurcht noch
‚Bertrauen genug einflöfen, um bedeutend auf fein Selbſt⸗
gefühl zurückzuwirken. Der flandrifche Bürger konnte
ſtolz fein fowol anf den Wiberhalt feiner Stadt gegen
den burgunbifchen Herzog, ale auch ‚auf deffen mahrhaft
koͤnigliche Macht und Herrlichteit. Ex fah fie mit Au⸗
m — — — —
— — — — — — — — — — — — — — — —— — — ——
74
gen in ihrer gewaltigen Thaͤtigkeit, die ihn ſelbſt doch
night drücken burfte, in ihrer prachtvollen Entfaltung,
von welcher ex felbft ein fhmuder Theil war, und in
ben glänzenden Feſten, die er mitgenoß. Der beutfche
Bürger fah ſeinen Kaifer bazumal felten ober gar nicht,
und während er ebenfe felten feine Macht ober Hülfe
empfand, konnte er etwa hören, wie er in Böhmen ober
Ungarn von feinen Unterthanen mishandelt worden oder
in Haft gebracht fei. Das Selbſtgefühl des Flamanders
hatte aljo einen weitern, reichern, vollern Kreis. Konnte
nun ſchon der Schwabe in feinen ftädtifgen Grenzen
und Rechten fi ficher und ſtark fühlen, fo war bies
doch auch in dieſem Bebiete bei dem Flamaͤnder in grö-
ferm Umfang und feit länger und in höherm Grabe
ber Fall, ſodaß er bie flädtifche Freiheit ſchwunghafter
als jener übte und empfand. Was den politifhen Hori-
zone des ſchwäbiſchen Bürgers in jener Zeit und in ei-
ner etwas feitern Geftalt ale ber Reichsverband zeigte
ermeitern Eonnte, war ber Schwaͤbiſche Bund. Derfelbe
war jedoch, als die Malerei in dieſen Städten fich ent-
faltete, etwas Neues von ungemiffer Dauer, hatte zudem
zum weſentlichen Intereſſe die Rothwehr nad) aufen,
konnte auch, weil bier Städte zufammenflanden mit Prä-
laten, Grafen und Rittern wider eben folche, nicht: fo
einfach das politifhe Selbftbemußtfein der Bürger heben.
Auch er wandte fi wie die andern über das Weich⸗
bild hiausreichenden Aufgaben der Städte vornehmlich
in dem Sinne an die Klugheit der Bürgerfhaft, ba
fie mit den mechfelnden Zuftänden und Fehden ber fie
umgebenden Eleinern und größern Mächte möglichft vor-
theilhaft fi abzufinden wife. Kurz, alles Yolitifche,
was als gemeinfame Schwungfeber und Bildungsform
bürgerlicher Thatkraft die allgemeine Geibftanfchauung
heben und erfüllen mag, ftellt ſich bei den Oberdeutfchen
jener Zeit theild befhränkter theils zerlaffener und un»
beftändiger al& bei ben Flamaͤndern dar. Gleich einge»
wurzelt zum mindeften in ihren Freiheiten, gleich kampf⸗
geübt zum mindefien, hatten die flandrifchen Bürger⸗
fehaften eine fefter gedrungene und ficherer überfchauliche
Stellung zu ihrer Obermacht und ihren Nebenmächten,
und bei aller Gelegenheit und Luft zu Kämpfen und
Händeln auch bebeutendere Mittel in einer fo viel Hö-
hern Blüte ihrer Zuſtände. Denn wie hoch man Ge-
wert und Handel, Reichthum und Luxus ber fchmäbi-
ſchen Städte im 15. Jahrhundert anfıhlage, fo koͤnnen fie
es doch in alledem den flandrifchen beimeitem nicht gleich
thun. Da war Seehandel mit größern Märkten, ſichern
Wegen, ba regte fi in den gebrängten Bevoͤlkerungen
großer Städte die mannichfaltigfte, kunſtreiche Induſtrie,
dba waren einzelne Zünfte flark genug, gegen Fürften
und Könige zu Triegen, umd verbreitete Reichthum umd
Draht fi dergeftalt, daß ſchon im 13. Jahrhundert Die
Königin von Frankreich beim Unblid der Bürgersfrauen
zu Brügge ausrief: „Ich glaubte hier die eingige Könt-
gin zu fein, und hier erhlide ich deren 600.” Der
Handel und Wohlftand oberdeutſcher Staͤdte kounte bei
aller Thaͤtigkeit und: Umſicht, beeinträchtigt ‚wie er war,
L
Schahungen, bie mit den Zerwürfniſſen der Reichs | dern Awecke gegen aber miteinander zu verfolgen, ſon⸗
derh
machte ſich erneuerten, im jener frühern Zeit auch durch
Erpreſſungen der Landvoͤgte, nach deren Entmächtigung
durch das langwaͤhrende Fauſtrecht und die Wegelage⸗
zungen der Ritter vom Stegreif, ſich nicht fo ungeftört
und flolz entfalten. In gleichem Verhaͤltniß warb Um⸗
fang und Erfolg ber innerlich fehr tüchtigen Gewerb⸗
thätigkeit ermäßigt. Ebenſo oft als dem Flamaͤnder That⸗
Iuft, Benuß und froher Ubermuth, war dem obesbeut-
ſchen Stadter wechſelnde Sorge, Verzicht und Langmuth
nahe gelegt, und fo mußte ſich bei ihm eine größere Rich-
ternheit und Profa der gefammten Weltanficht bilden.
Berfolgt man diefe Unterfchiede weiter in ihren Ein-
flüffen auf Sinnlichkeit und Empfindungsbildung , fo
wird man fich nicht wundern, daß der höhere und fteti-
ger entwidelte Glanz des flanbrifchen Lebens auch in
der Malerei als tiefere, feiner individualiſirte Zarbe, ale
vollere und reinere Harmonie wiederkehrt. Gleichwie ber
Flamaͤnder ungetbeilter durch Betrübung und forgliches
Abſehen fi feinem Tag, feinem Augenblid bingeben
Tonnte, fo ift durchfihnittlich in ben flandriſchen Gemäl⸗
den eine lichter, reiner und durchgänger ausgeführte Ge-
genwart als in den fhwäbifchen. Und aud) die Stim-
mung von Ehrfurcht und Demuth, die fie befeelt, ruht
auf den glücklichern Zuftänden des Flamänders. Je mehr
fich mit überwiegendem Behagen in That und Genuß
fein Berftand und feine Leidenfhaft in reicher Wirklich⸗
keit erichöpfen konnte, um fo mehr ftellte dem geiftigen
Bebürfniffe, welches in allen Lebensgenüffen unerfchöpft
bleibt, fi fein Geheimniß als ein überirdifches, unbe:
greifliches, fein Heiliges als ein ſchlechthin Erhabenes,
allen Reichthum und Berftand ber Welt wunderbar Über:
greifendes gegenüber. War daher die gebietende Pracht,
die mofteriöfe Feierlichkeit und kniebeugende Andacht bes
katholiſchen Cultus in Zlandern das natürliche Comple⸗
ment bed kecken und üppigen Lebens; und war es eben-
fo natürlich diefer nationale Charakter der Frömmigkeit,
in welchen die Maler ihre kirchlichen Aufgaben und hei⸗
ligen Gegenftände fasten, fo lieferte ihnen dazu die ei-
genfte Erfahrung und Bildung Form und Gefühl. Denn
für ben fichtbaren Seelenausbrud, für anmuthigen Exnft
ber Geberden und Mienen war ihnen ber &inn gebil-
det durch ihren Antheil an einer bedentendern und fei-
nern Geſellſchaft.
Das Mittelreich zwifchen dem Gehalt. und Ernſt des
wirklichen Lebens und feiner idealen Wiedergeburt in ber
darftellenden Kunft ift überall bie feftlihe und frei ge-
viegende Geſellſchaft. Im wirklichen Leben unter Ge-
ſchaft und Kampf, Bedürfniß und Abfindung iſt bie
Erſcheinung von Gehalt und Seele verfehlungen in den
Verlauf der Triebe unb Zwecke, fie tritt dem Betheilig⸗
ten nicht für fich, fondern unter weitergreifenden und ab-
leitenden Beziehungen entgegen, fobaß einer praktifch ale
ein Charakter unter Charaktern fih recht gut bewegen
kann, ohne eine Babe ober Kunft der Charakteriſtik als
folcher zu erlangen. In der feſtlichen Geſellſchaft aber
kommen die Menſchen zufammen, nicht um ihre befon-
bein um der Anſchauung einer allgemeinen Bedeutung,
bie fie vereinigt, in Zuſammentritt und Betrachtung zu
genießen. Da fühlt ſich Jeder als von Allen gefchen,
betrachtet Alle als auftretend zum Anfehen für ihn, ſich
wit Alen als ein fehenswürdige® Ganze. So ift das
Feſt nicht nur eine Schule des Anftandes und feierlichen
Auftritts, fondern auch ber freien Betrachtung ausge-
brüdter Wüurde und bedeutenber Anmuth. In den klei—
nern Heften einer ſich erholenden Gefelligkeit ift zwar der
Grundgedanke ber Bereinigung unbeftimmter und unbe-
beutender; indem aber auch, bier fi) Menfch dem Men-
fhen ohne befondern Zweck, nur zum Behuf des mög-
lichſt gegenfeitigen Wohlgefallens vorzuftellen bat, ift im
Kleinen die Aufmerkſamkeit defto größer und fchleichen
ih im freien Spielraum bie zartern Zriebe perfönlichen
Austaufches und die feinern Abfichten einer vorfichtig aus-
holenden oder ftill durchſchauenden Menſchenkenntniß ein.
Hier lernt man Befihter verftehen, auf Mienen Taufchen,
einer Gruppe ihre Stimmung, einem Kreife die Neigun- .
gen und Gedanken abſehen. Es ift daher wichtig für
barftellende Künftler, inwieweit in ihrem Bolt und Zeit-
alter feftliche Sitte entfaltet, wie gebildet die freie Ge⸗
felligkeit fei, und in welchem Grade fie felbft ihrem
Stande nach daran Theil haben. Wir für unfern Zweck
brauchen nicht einmal zu fragen, ob in Flandern bie
Kirchen- und Volksfeſte nicht mannichfacher, feierlicher
und glängender gewefen als in den oberbeutfchen Städ-
ten, ob nicht dort eine geſchmuͤcktere und zierlichere Ge-
felligkeit geblüht. Es genügt fchon, die höhere Stellung
ber Maler, verglichen mit den fchwäbifchen und fränti-
fhen, hervorzuheben. Der Hof, an welchem die Brüder
van Ey „lieb und werth und in großen Ehren” wa⸗
ven, war nicht nur der praͤchtigſte und glanzvollfte, auch
ber gebildetfie und feinfte feiner Zeit. Wenn ber ge
terte Stifter bed Ordens zum goldenen Vließe inmitten
feiner herrlichen Nitterfchaft den Johann van Eyck „ſei⸗
ner Kunft und feines großen Verſtandes wegen” zum ge-
beimen Rath; erhoben und „allezeit gern in feiner Ge-
felfchaft” Hatte, fo mußte diefer genährt von Anſchau⸗
ungen bedeutender Erfcheinung, feierlicher Sittigkeit und
Anmuth, und felbft von einer Feinheit der Bildung und
Empfindung für das Außere fein, wie gewiß kein Mei-
fler von Ulm oder Nördlingen in feinem befcheidenen und
beſchraͤnkten Kreife fein und werben konnte. In welder
Sigenfhaft Hemling Karl dem Kühnen folgte, und ob
ihn fpäter der junge Philipp felbft nach Spanien mif-
genommen,. wiffen wir freilich nicht, wol aber, daß in
diefer Zeit flandrifche Meifter für Fürſten und Könige
in Portugal und Schottland, Florenz und Spanien mal-
ten, und auch wenn fie für bie heimifchen Städte, wie
Hughe van der Goes, Feſte ordneten und Jubeldecora-
tionen malten, anfehnliher fanden als wir irgend von
einem der ältern ſchwaͤbiſchen Maler vorausfegen bürfen.
Diefe mußten ihrer ganzen Lage nad) mehr fplefbürger-
lich leben und fühlen, und darum mochte leicht ohne
ihre Schuld den würdigftien und zarteften Intentionen
jantafle ſich eine gewiſſe Plumpheit in den Gr-
Fa und Härte in ber Zufammenftelung beimi-
ſchen. Ihr Sinn wie ihr Horizont mar zumeiſt ber
eines ſchlichten Handwerksmannes. Auch von Eeiten bie-
fer gegebenen Befchräntung hätte daher der Verf. „die
nähere Vereinigung der oberdeutſchen Kunft mit dem
fädtifhen Handwerk” betrachten und nicht bios in Rüd-
fit ihrer Verbindung mit Goldſchmiedekunſt und Bücher-
drud und Berührung mit Formſchnitt und Kupferſtich
erwähnen follen (II, 204).
(Die Bortfegung folgt.)
Kiterarifche Notizen aus Frankreich.
Franzoͤſiſche Kritiken über deutſche Dichter.
Wir haben ſo lange in Bezug auf unſere wiſſenſchaftlichen
und runſtier ſchen Befteebungen die Anerkennung de6 Muslan-
des entbehrt, daß es felbft fpottfüchtige Eiferer natürlich finden
werden, wenn wir uns jegt vol Freude über die Zuftimmung,
welcher wir uns immer mehr von Seiten unferer Nachbarn zu
erfreuen haben, vom liebiichen Weihrauche betäuben laſſen.
8 thut uns ja fo wohl, baf die Branzojen, deren Außerungen
und Beftimmungen für uns lange Zeit tonangebend waren,
nicht mehr für nöthig halten, die Frage aufzuwerfen: ob ben
Deutſchen überhaupt aud wol Geift beizulegen wäre? ....
Bergnügt reiben wir uns die Hände, daß es felbft die einfluß:
reichern franzöfifchen und englitgen Blätter, nicht mehr ver-
fmähen, in ihren Spalten die hervorragendften Erfcheinungen
umferer iteratur zu berüdfihtigen. Bol tiefer Ergebenheit
und mit innigem Dankgefühle erfennen wir e8, Daß fi) felbft
bebeutenbere franzöfifche Schriftfteller zur ausführlihern Be
forechung unferer literariſchen Zuftände herablaffen. Doch laſſen
wir lieber den Ton ber Satire fallen, und bezeichnen wir es
einfach als einen Fortſchritt der franzöfifchen Kritit, daß fie
almälig anfängt einzufehen, daß auch jenfeit des Rheinftroms
Reute wohnen, welche felbit von der „großen Nation” beachtet
zu werden verdienen. Bei ben lächerlichen Worurtheilen, in
denen vor kurzem noch die Franzoſen in Beziehung auf unfere
gXiteratur befangen waren, dft es in der Thal anerfennungs:
werth, daß allmälig wenigftens ſich ein annäherndcs Verftänd:
niß und eine etwas unparteiifchere Auffalung zu bilden beginnen.
Bon alle Denen, welche in letzter Zeit dazu beigetragen haben,
ihre Landsleute über unfere poctifche Literatur aufzuklären, ver
dient beſonders &t.:Rene Taillandier genannt zu werden, den
wir unfererfeitd wahrlich nicht durch Aufftechen und Hervor
heben Bleiner Ungenauigkeiten und Irrthumer und durch un
Wwürdige Berdächtigungen, als ftehe er unter den Einflüfterungen
einer Coterie von parifer Deutſchen, hätten ‚berabjegen follen.
Bas feine Kenntniß unferer Literatur betrifft, fo iſt er wahr:
lich mehr in derfelben bewandert als jene KHalbdeutfchen,
jene aufgeblafenen Worthelden, auf die man allem Anſcheine
nach anfpielen mil. Grft fein Muflag in ber „Revue
des deux mondes“, welcher der Gräfin Hahn: Hahn gewidmet
ift, beweift wieder, mie geläufig ihm unfere literarifchen Ver⸗
Hältniffe find und mit welcher Vorliebe er ſich in diefelben ein-
Rudirt hat. Er würdigt die Leiftungen diefer fhreiblu-
fligen Dame, auf ebenfo unparteiiſche als geiſtreiche Weiſe.
Beactenswerth ift aud in Bezug auf deutſche Literatur ein
Auffag, welden die „Revue independante” über Platen aus
der Feder von Daniel Stern gebracht hat.
Über die nordamerifanifhen Wilden.
Wir haben vor etwa drei Jahren ein Werk in engliſcher
Sprache erhalten, in bem ein Amerikaner, Eatlin, von feinen
Wanderungen in den Mäldern des fernen Seſtens und ven
feinem langjäprigen Aufenthalte unter den wider Indianern
auf das anmuthigfte erzählte. it feiner Feder und mit dem
Sriffel, den er ebenfo gut zu führen werfteht, wußte er uns
jene fonderbaren @eftalten, mit denen wir in Eooper'ihen
Romanen und äpnlihen Darftellungen bereits eine flürhtige
Bekanntſchaft gemacht haben, vorzugaubern. Aber damit
nicht gieieen, batte er aud) ein Tsemtiges Mufeum von fe
fen, Werkjeugen, Kleidungeftüden und ähnlichen Gegenftän-
dem, deren fi) diefe Wilden bedienen, gebildet, um dadurch
die Bocalfarbe der Gegenden, bie feinem en lieb geworden
waren, aufs genauefte und treuefte tieberzugeben. Dieſe
Sammlung gewährt in der That ein ungemeines Interefle,
und wir glauben wol annehmen zu Eönnen, daß der Sammler
durch die Einnahmen, welde er in London namentlich gehabt
rn“ maßen entichäbigt fein wird für die betradptlichen
he feine Beife und befonders feine Gammlung er-
n. Wir wollen bier jegt ein Merk, weldes fh
nit den Sitten und Gebräuden der nordamerifanir
a befhäftigt, erwähnen, ohne daß e6 uns deshalb
1 F fäme, daffelbe mit dem Eindrucke zu vergleichen,
melden bie Eatlin’fhje Schrift auf jeden 2efer mit unfeptbarer
Wirkung gemacht hat. Daffelbe führt den Zitel: „Moeurs,
coutumes et veligions des sauvages americains, Extrait du
Laßiteau” (nicht Lofiteau wie auf dem Zitelblatte fteht), von
%. ©. (2 Be) Wie man fieht, haben wir es hier mit
einem Auszuge aus einem größern Werke zu thun. Wenn alfo,
wie gefagt, dieſe Erſcheinung dem oben ermähnten Werke auch
nicht zur Seite geftelt werden fann, und wenn ihm namehts
lid) jener Reiz einer eigenthuͤmlichen Raivetät abgeht, die wie
ein zauberhafter Duft über dem ganzen Katlin'fchen Bude
ſchwebt, fo wollen wir nihtedeftomeniger gern Pas Zeugniß
geben, daß in den beiden vorliegenden Bänden mandjer inters
effante ug und viele brauchbare Rotizen mitgetpeilt werden.
1
I
{
|
Geſchichte der hinefifhen Philofophie.
„Das geheimnißvolle Zreiben des unermeßlihen Mittelreichs
wird uns durch die Bemühungen engliſcher / franzöfifher und
deutſcher Gelehrter almälig immer mehr erfe toflen. Shen
haben wir über einzelne Xpeile iprer Wilfenfchaft ſichere Kennt»
niß gewonnen, und bei der zogen Ihätigkeit, welche fih auf
dem Gebiete der orientalifpen Studien entfaltet, ftchen täglich
neue, wichtige Auffclüffe zu erwarten. Im Allgemeinen wird
es mit den dinefiihen Studien indeffen wol ebenfo ergeben
als mit den übertriebenen Borftellungen, welche man ſich vor
längerer Zeit von dem Werthe der Sansfrititeratur machte.
Man, glaubte damals, in Indien wäre der Schlüffel für alle
Seheimniffe ber Wiſſenſchaft zu finden, und man verfprach ſich
goldene Berge von ber nähern Kenntniß diefer reihen Litera=
tur. @benfo wird aud in Beau auf China mandes günftige
Vorurteil ſchwinden müffen. So erkennt man fdyon jegt, daß
man der inefifcen Philofoppie, in der, wie man lange glaubte,
die Quelle der ungetrübteften Weisheit fließen müßte, einen
Berth und eine Bedeutung beigelegt hat, bie fid bei näherer
Beleuchtung nicht ais fticphaltig erweifen. Deffenungeachtet müfe
fen wir es für eine Bereiherung der Wiffenfchaft halten, daß
Yauthier, ein tüchtiger &inologe, fi) der Arbeit unterzogen
hat, eine überfichtlihe Geſchichte dieſes Zweiges der dinefifhen
Wiſſenſchaft Ju green. Seine vor kurzem erſchienene Schrift
ift das Ergebniß tüchtiger Studien, bei denen e# zum größten
Theil an genügenden Borarbeiten fehlte und die deshalb ftet6
u igrer eigentlichen Quelle zurüdkgeleitet werben mußten. Der
erf, gruppirt Den Stoff, welden er vor uns audbreitet, in
drei Epogpen. Die erfte entpält den Uefprung der Ppilofophie
in Epina, den er auf Fobi Hinaufleitet; der zweite Zeitraum
bat e6 mit Lao»tfe und Eon-fustfe zu thun, und ber dritte
endtid, fließt fi an Ifhushi und feine zahlreichen Radfol
ger an.
Verantwortlicher Deraubgeber: Heineih Weoddant. —
Druf und Verlag von $. ©. Wro@pans in Leipiig.
Blatter
für
literarifde Unterhaltung.
Dienflag,
— N. 20, —
20. Zanuar 1846,
ichte der deutfchen und nieberländifchen Malerei ıc.
Be Von 9. G. Hotho. Zwei Bände.
(Fortſetung aus Rr. 18.)
Wie der tüchtige Ernft und die naive Zraulichkeit,
fo ſtammt denn auch das Undeholfene, Schroffe und Un-
fieblihe nun ferner bei der fränkifchen Malerei desglei⸗
n aus dem härtern Boden und gröbern Korn des
Handwerkslebens. Nicht weil die Schwaben das Harte
unerledigt gelaffen, machte Wohlgemuth edige Geftalten,
fondern weil er zunächft um fi deren mehr als weiche
hatte, und weil Zucht und Mühwaltung feines Lebens
ihm einen zärtfihen Sinn nicht angebildet Hatten. An
dem Überfhuß des Trokenen und Spröben bei den Nürn-
bergen im Vergleich mit den ſchwaͤbiſchen Malern mag
aud die fandige und kahle Naturumgebung ihren An- -
theil haben. Die Schwaben hatten mehr Grün, mehr
Wein, auch, mas der Verf. nicht überfehen hat, mehr
poetifche Trabition (11, 246). Über die nürnbergifche Ver⸗
faffung nad) ihrer Rückwirkung auf Denkart und Sitte
des Bürgers gibt er einen trefflichen Überblid (11, 239 —
243). Er bemerkt dann (IT, 246), daß hier der enge Ver⸗
ein der Kunft mit dem Handwerk um fo unabweislicher
gewefen, je mehr die Zünfte in ihrer Beſchraͤnkung zu-
gleich ihre ungefchmälerte Ehre gefunden, daß hier Ge⸗
merkt, Kleinhandel, Fabrikation auch innerhalb ber An-
khauung vor Allem den aufmertenden und ftreng unter
Iheidenden Verſtand entwideln muften, zumal das Ge-
deihen des Ganzen flatt auf dem Segen ber Natur, auf
hartnädigem Fleiß und klugem Erwerb beruhte. Dann
habe das Handwerk auf die technifche Ausführung noch
infofern gewirkt, als die Malerei, von ber Verbindung
mit dem Formſchnitt her, die ſchwarzen Umtiffe und bie
überwiegende Richtung auf charakteriftifche Form bewahrte,
und der mercantilifchen Betriebſamkeit gemäß das flüch-
tige Antufchen wol weniger behufs gefteigerter Wirkung
ald wegen des äußern Vortheils einer fchnellern Beendi-
gung anwandte. Endlich babe diefe Handwerfgmäßige
Stellung der Kunft neben dem koſtbaren Vorrecht reichs⸗
ftädtifcher Freiheit auch den Nachtheil gehabt, daß bei
den Zünften, je weniger felbftändig fie in das Regiment
eingriffen, das ihre Stadt mit den höhern Intereffen des
Neichs in Verbindung fegte, der. Sinn um fo bürgerlich
befchränfter nur auf das Raͤchſte gerichtet geweſen, da.
ohnehin bie befreiende Phantafıe zurüdlgehalten war vom
praftifhen Haus. und Gewerköverftand. „Kommt bier-
zu in dem eigenen Leben noch eine unbehülfliche Edig-
feit, bei der wol das Tüchtige einkehrt, aber die Grazien
ausbleiben, fo läuft die Kunft nur zu leicht Gefahr
profaifch zu werben.” Ich habe hier blos zu bemerken,
daß dieſe unbehülfliche Eckigkeit nicht noch hinzukommt,
fondern in diefem engbegrenzten Horizont, dieſem kurzge⸗
meſſenen Bedürfnißdienft, diefer begünftigten Verſtandes⸗
einfeitigkeit, in der gebundenen Erfahrung und bung
bes Handwerkers bereitd gegeben und befeftigt if. Der
Berf. fage (II, 249):
Die Anmuth wird von der nürnberger Schule nicht aus
formeller Ungeübtheit mit fchärfern Affecten und Formen ver-
taufcht. Der Grund liegt tiefer. Un fletiger Harmonie und
innerm Frieden in weltlichen und religiöfen Zuftänden, woraus
jene offene Milde entfpringen könnte, gebricht es nit. Die
Zünfte aber, ftatt zu herrſchen, werben —* Der leben⸗
dige Einklang des Ganzen bleibt für fie nur ein Werk frem⸗
der Thaͤtigkeit, die mit Praftigem Ernſte über ihnen fteht und
fie von oben her leitet. Je oligarchiſcher die Verfaffung ift,
um fo durchgreifender wird die Macht der Regierung Allen
fühlbar. Die Stände find noch weiter geſchieden als ander
wärts, boch Patrizier wie Handwerker, Großhändler wie Krä-
mer, Alle find gleihmäßig überwacht und durch die gemein-
fame Ordnung geregelt ; ja die Dbrigfeit, um folche Verfaffung
im Gang zu erhalten, muß feſt auch gegen ſich felbft fein.
Diefe Strenge der allgemeinen und perfönlithen Bucht wie je
nes Gefühl einer überragenden Herrſchaft, dee Alle geborchen,
werden das Band der ähnlichen Anſchauung zwifchen den Ma:
lern in Nürnberg und in Flandern. Mit dem großen Unter:
ſchied aber, daß ed andere Gebiete find, in welchen diefe Bor:
ftelungen ſich hauptfächlih gneltend machen. In Nürnberg
prägt fi im weltlichen ſtaͤdtiſchen Leben das Verhältniß aus,
das die Brüder van Eyck von der Religion her zum Ausgangs⸗
punkt nehmen. In Rürnberg geht die äußere Strenge der
Formen aus der innern hervor — Trockenheit und Härte find
größer — der Kortfchritt zum Geifte der Reformation wird
fihtbar — daB eigentlich Kirchliche verſchwindet — das Sinnen
wird Bares Nachdenken, redender Berftand, die Hobeit mehr
obrigkeitlich, die Ehrfurcht mehr bürgerlich und hauslih. _
Sehr gut! Uber auch bier ift bie pofitive Wirkung
zu einfeitig hervorgehoben. Aus dem Geifte nothwendi-
ger Unterordnung, willigee Zucht, gemohnter Strenge be-
greift man auch in der Kunft das Tiberwiegen bes Cha-
rakters über die Anmurh, bes verfiändig Wahren über
das Schöne, des richtig Bedingten über das Freiblühende,
nicht aber das Vorkommen des Unmwahren, bes Verkum⸗
78
merten, des Rohen. Es ift nicht Schärfe der Charak⸗
teriftit, wenn Wohlgemuth Stellungen verzeichnet, nicht
Strenge der Auffaffung, wenn er nadte Formen ver-
fehlt, nicht proteflantifcher Verſtand, wenn er Kinder zu
dürftig bildet, nicht Gefühl einer Alle vegelnben Drdnung,
wenn er das Volt als einen pleichgültigen Haufen dar⸗
ftellt. Schlechthin durfte alfo der Verf. die formelle Un-
geübtheit nicht feugnen. Aber begreiflich ift es, daß ein
Künftler,, der den Lehrjungendrud und die Knotigkeit
des Gefellenlebens durchzumachen und als Meifter num
feine Jungen und Gefellen zu züchten, für Zins und
Kaffe und Erhaltung der Kunden vollauf zu forgen, we⸗
nig Zeit aber und wenig Gelegenheit zu fseier Bildung
und freien Genüffen hat, begreiflich, daß ein Solcher für
manche Misllänge der Vorftellung abgehärtet, mit man-
chem verfürzten Ausdrucke begnügt, nicht geſchmeidig zu
jeder Bewegung, zu harmonifhem Erguß der Phantafie
nicht beflügelt, und hier und da von einem einfeitigen
Griffe befriedigt und erheitert iſt. Wol aber kann in
einem folhen Stand und Leben ſich WBillensfeftigkeit,
männliche Gebuld, biedere Tüchtigkeit ausbilden. Dieſe
Charaktere finde ih in Wohlgemuth's ernſten Geſtalten.
Daß er dagegen ein „fo tiefes Nachdenken“ in fie ge⸗
legt, „als gelte es, das Unverträglichfte doc im Geiſt zu
bezwingen” (11, 254); daß fein auferſtandener Chriſtus
(I, 256) „über dies Wunder der Auferſtehung nach⸗
denke, bis es ihm klar wie der Zuſammenhang anderer
Weltverhäftniffe vorliegt”, das daͤucht mir dem wackern,
rechtgläubigen Meifter eine zu modern -philofophifche In⸗
tention untergelegt und ſtimmt aud nicht wohl mit bes
Berf. allgemeiner Anfiht vom nürnberger Künitlerver-
ftande, „der fi) bie Gegenfäge ungelöft auseinander
it“ (U, 247). Auch feine Anmuth hatte Died einge:
ränkte, befcheidene Leben, die Anmuth guter Gefinnung,
ehebarer Sitte und treuer Genügfamkeit, fliller Froͤmmig⸗
feit und häuslichen Behagens. Von alle Dem finden ſich
Widerfcheine bei Wohlgemuth. Nur die Anmuth, bie
ein umfaffender Schwung, eine zarte Durchführung har-
monifcher Stimmung ins Ganze ergieft, fobert ein freier
gewiegtes Bemäth, eine freier gebildete Sinnlichkeit. Sol-
her Schwung des Gemüͤths iſt nicht zu verlangen von
Meiftern, denen man Contracte fchreibt gleich dem bes
ſchwabacher Rathpflegers mit Wohlgemuth, den der Verf.
(IL, 352) anführt, ober die wie Dürer wenn fie eine
Tafel en um ein Trinkgeld für ihre Frau bitten
müffen. Solche feingebildete Sinnlichkeit entbehren Ma⸗
ler, bie wie der letztgenannte große Mann ſelbſt am
Sonntag mit ihren Kunſtgenoſſen ſich ‚bei nüchternem
Magen sr mit Reifen und Meſſen ergoͤzen. Und nicht
allein den rein malerifchen, auch dem Charakterausdruck
beeintrachtigt Manches, mas natürlih im Geleite des
Hanbmerksichens geht. Das meine Woehlgefallen an ber
eigenen Erſcheinung, das Kugler in dem frühern ber
Alkgemalten Biloniffe Ourer's wie in Dürer's Briefen
am Pirheimer bemerlt, zeigt Mich an mander fange
meinten Figur fraͤntiſcher Gemalde in Beflait zeit ge
Aelenmäßig bornirter Geibfägefälligteit. Und Hans Wal-
bung Grün fielle fich ſelbſt in feine Hiftorifchen Bilder
hinein mit dem reinften Ausdrud von Handwerksbur⸗
fhenrenommage. Auch durch folhe Züge geben uns bie
oberbeutfchen Bilder den Nefler ihres Entſtehungskreiſes
und flellen fih als aufrichtige Kinder ihres Zeitalters
und ihrer Heimat dar. Sie find in diefem Sinne mie
ſich felbft einig und erfegen uns was ihnen an fünft-
leriſchem Intereffe abgeht durch das hiſtoriſche und
fittengefchichtliche.
Mit diefen Erinnerungen ging ic weder auf den
Tadel der oberbeutfchen Malerei noch auf ben der all-
gemeinen Methode des Verf. aus. ch wollte nur be-
merklich machen, baf er mit ihr noc mehr in die Wirk⸗
lichkeit der Begriffe, in die Sinnlichkeit der Bildungs-
bezirke, deren malexifche Anfchauung er erklären weilte,
hätte binabfleigen follen. Die allgemeinen Säge hätten
dadurch ebenfo viel an Konfequenz als die beftimmten
Kunfterfcheinungen an anfchaulicher Gründung gewonnen.
Denn genauere Sittenfehilderung der Zeit führt von felbf
in die Malerbilder und diefe zurud in jene.
(Der Beſchluß folgt.)
— nn —
Königsberger Taſchenbuch. Herausgegeben von Lud⸗
wig Walesrobe. Mit Beiträgen von Erelin-
ger, Freundt, Alerander Jung, Jachmann,
Johann Jacoby, Eäfar von Lengerte, Wedhs-
ler, Wolff und dem Herausgeber. Königsberg,
Voigt. 1846. 8. 1 The. 15 Near.
„Es unterliegt großer Schwierigkeit, von dem Umfange
und der Bedeutung der liberalen Partei, welche gegen die
Mitte des vorigen Sahrhunderts in Deutfchland a han:
eine richtige Borftelung zu gewirmen. Das zur Beurtheilung
dieſes Gegenſtandes noch vorhandene Material iſt durchaus
unzulaͤnglich, und das Mangelnde läßt ſich auf dem Wege der
Conjectur um fo weniger eriegen, als die gewaltige Umgeftals
tung aller Verhältniffe uns dur eine ſolche Kluft von der
frühern Seit getrennt bat, daß wir im gegenwärtigen Jahre
1046 faft ebenfo weit von 1846 entfernt liegen als vom Mit⸗
telalter ; unfere jegigen Zuftände und @inrichtungen haben gar
nichts Analoges mit denen aus der cerften Hälfte des 19. Jahr⸗
bundert# und nur die in jener na Periode erfchiene:
nen Schriften vermöchten einigen Anhalt für unfere Darftel-
fung zu geben. Wie man aber weiß, war es eine Hauptauf:
gabe der damals noch beſtehenden Genfur, den Aberqlismus
unnachſichtlich niederzuhalten und deſſen erungen von ‚allen
misliebigen Beftandtheilen zu fäubern; was den Genforen mo:
mentan entging, wurde nadtränlid vernichtet, und wenn auch
die Ausrottungen anfangs nur unvolllommen gelangen, fo er:
reichten doch bald Die Verwalter der Preßpolicei, vermöge ber
dem Menſchen inwohnenden Perfertibilität, einen une
Grad der Allwiffenheit, var ex es ſchlechterdings keine
verborgenen Dinge mehr gab, Das Volkchen der Schriftſtel⸗
ler und Buchhändler war am Ende fo volftändig uͤberwacht,
daß fie trog aller angewandten kift nicht mehr über die Schnur
Hauen Bonnten; ſchon über dem Embryo des Gedankens ſ
das Domolieöfgimert in der Form eines Bolafialen ———
ſelbſt die noch im ag nee Buchſtabenwelt
wurde mit dem Stethoſkop erforſcht und vor der Geburt er⸗
ſtickt, wenn ſich irgend ein bedenkliches Atom in derſelben ah⸗
nen ließ. Die unter einer mildern Cenſur unbändig
bene Peefie, namentlich aus den Jahren 184048, hatte zu
exiſtiren aufgelöst; was ſich von ihren Prodyctionen noch im
einem Buchladen vorfand, wurde confiscirt und auf den
Mofchinenpapierfabriten erbarmungslos eingeſtampft; in den
lichen Bibliotheken Hielt man firenge Rachfuhungen, den
indern der «guten Prefie» wurde der Policeiftempel uf die
Stirn gebrüdt, Ungeftempeltes aber Ei verpönt;s Privat:
leute, die einzelne Schriften der Art befaßen, warfen fie frei⸗
willig ins euer, um ſich nicht ernfte Ungelegenheiten auf den
Hals zu ziehen. Somit bat fi nur fehr wenig von fer libe:
ralen Literatur jener Zeit erhalten können, und auch die We:
nige ift nicht fehr geeignet, die biftorifhe Erkenntniß feftzu:
ftellen, da es in zu fchroffem Widerſpruch mit einem andern
wichtigen Material jteht, nämlich mit den officiellen Berichten,
deren Benugung uns nad dem jegt allenthalben geltenden
Principe der DOffentlichfeit aufs bereitwilligfte aus. den (vor⸗
mal8 geheimen) Archiven überfaffen worden ift. Größere Wi:
derſpruͤche kann man ſich kaum denken. Während auf der et
nen Seite die Foberungen des Liberalismus als durchaus recht
und billig dargeftellt werden, erfcheinen fie auf der andern als
frevelhafte Angriffe gegen dad Beftehende; während dies « Be:
ftehende» von der einen Partei als innerlid) faul und näd-
ftend zufammenbrechend gefildert wird, rühmt die andere
deifen Eräftigen Körper, dem man durch dhriftlich-germanifche
Nahrung und ritterfichromantiihe Bekleidung eine ewige
Dauer verbürgen Pönne. Betheuert man links, daß der Kibe-
ralismus in Politif und Religion Die ganze gebildete Volks—
maſſe ergriffen habe, ſo verſichert man rechts, daß nur eine
geringe Anzahl böswilliger Menſchen durch die Lockſpeiſe der
Freiheit die angeſtammte Loyalität und Frommigkeit zu ver⸗
giften ſuche; behaupten die Verfaſſer liberaler Schriften, daß
fie die Sache des Fortſchritts nur auf geſetzlicher Bahn ver:
fetten, fo wird uns vom Gegenpart aufs umftändlichfte ge
zeigt, daß jene Schreiber ſich in offenbarer Auflehnung gegen
die von Gott eingefegte Dbrigkeit befunden haben, und in der
That find noch einige gerichtliche Strafurtel vorhanden, welche
mit ungemeiner juriflifcher Gelehrſamkeit deduciren, daß mehre
der gedachten Fortſchrittsmaͤnner nichts Geringered als Keftung
oder Zuchthaus verdient, weil fie Die a ak verfpottet
und bie Unterthanen zum Mibvergnügen aufgeregt haben.
Aber auch diefen richterlihen Ausfprudhen kann die Befchicht:
forfchung nicht als zuverläffigen Yührern durd das Dunkel
jener Zeit vertrauen, da fie häufig über eine und diefelbe Sache
gar zu entgegengefegt lauten, in erfter Inſtanz einen Menfchen
als Hochverräther faft aufs Nad flechten und in zweiter ihn
vollig freifprehen. Wer Fann unter diefen Umftänden genau
ermitteln, was es mit dem deutfchen Liberaligmus jener längft
verflofienen Tage eigentlich gemwefen iſt?“
So ungefähr dürfte fih ein gewiſſenhafter Hiftorifer im
3. 1946 ausbrüden. Gern verfegen wir uns auf feinen, zwar
von Zweifeln umgebenen, aber doc nicht von den Leidenfchaf:
ten Der Gegenwart erjhütterten und umnebelien Standpunkt
— und lafjen ihn weiter reden. Um feiner Aufgabe zu gen
gen, muflert er zunaͤchſt die wenigen liberalen Schriften, welche
ein günfliger Zufall aus dem Sifbruge der Zeit gerettet
pat. Unter anderm kommt er, auf das „Königsberger Taſchen⸗
uch”, was ihn zu folgenden Yußerungen veranlaßt:
„Wir fanden in einem geheimen Policeiregifter, daß ber
mmte oftpreufiiche Liberalismus lediglich aus 13 Scri⸗
beftehe; dieſem entgegen wurde in mehren Zei n
gas dem I. 1342 behauptet, daß gang Morbbeutfchland, bejon:
ders aber Dftpreußen, nur von liberalen Renſchen bewohnt
fet und man dergleichen zu Tauſenden täglich in Städten und
Dörfern m Eönne. Doch das ifl wieder einer von den
unlosbaten Widerfprücen, über die wir ſchon oben geklagt
haben. Angenommen, DaB die Zahl 13 richtig fei, fo ge
zeicht es und zu nicht Heiner Berube, faft den ganzen open.
iſchen Fo: | nn si r A 3 ch einen —
xger re in: unſe riſchen Mepe gefangen zu haben.
Unfer Gang, befichenb aus einem a Zafpenbuche,
iſ um fo wichtiger, je ſparſamer bie Zuellen aus jemer Beit
39
Dee und je voflftändiger bier die Liberale Armee einer gro⸗
en Provinz auf Einem lee beifammen ſteht. Jedenfatis
verdient das alte Buch eine nähere Betrachtung.“
„Zwei Beiträge — der eine von Jachmann, ber andere
von Wales rode — beichäftigen fid mit bem Proletariat, da»
mals eine furchtbare Geißel der Boller, jept, gottlob, kaum
dem Ramen nach befannt. Walesrode erklärt (in einem Briefe
an eine Dame und indem er fi wegen ein Hein wenig Pe⸗
banterie entfchuldigt), das Wort Proletariat komme aus dem
gateinifchen: ber und bedeute einen Menfchen, der auf Gottes
Welt nichts weiter beſitzt als Kinder (proles). Dann führt ex
weiter aus, wie eben das Elend des Proleturiers in den Kin⸗
dern befteht, die alle Zage effen wollen und denen er nichts
geben Tann, die nebenbei im, Winter zerriffene Lumpen tragen
und ebenfo wenig wie ihre Altern ein leidliches Obdach haben.
Diefe Kinder wachlen wiederum zu noch Mäglichern Proletariern
eran, zu deren Aufhülfe die reichen und vornehmen Leute,
infofern es fich nicht blo8 um fchöne Redensarten, fondern um
Mittheilung von ihrem Überflufie handelt, Beine befondere Luft
verfpüren, fobaß auf einen gütlihen Vergleich bier nicht mit
Wahrſcheinlichkeit zu bauen ift. Werner erzählt und Walesrode
von einem Könige, der, umgeben von feinem glänzenden Hof
ftaate, am Gründonnerstage in feinem Refidenzfchloffe zwölf
armen Greifen die Füße wäfcht, um, wie in den übrigen chriſt⸗
lichen Zugenden, auch in der Demuth dem Herren und Heiland
nicht nachzuſtehen. Nach erfolgter Abwaſchung händigt der
erhabene Monarch jedem diefer Greiſe noch einiges Geld ein
und fept ihnen höchſt eigenhändig Spinat mit Eiern vor, wäh:
rend die Geiſtlichkeit, unterflügt von den Hofopernfängern, die
Benedictionen anftimmt und abwechfelnd Zrompetengefchmetter
ertönt. Wie diefe Fußwaͤſche mit dem Proletariat zuſammen⸗
hängt, haben wir nicht einfehen Fönnen; vor 100 Sahren
mag man wol die Beziehungen verftanden haben. Der Verf.
des andern Auffages uber denfelben Gegenftand ftellt den üp-
pigen Reihthum mit der troftiofen Armuth in einem Beinen
Genrebilde zufammen ; bier wiflen wir noch weniger, wa6 Daß
mit dem Proletariat zu fchaffen hat, da die gefhilderte No
mehr tie Frucht befondern Unglüdls und der Liederlichkeit i
als das Sympton einer alfgemeinen forialen Krankheit. Beide
Pitcen haben uns über das Wroletariat Eeinen genügenden
Auffchluß gegeben, und auch aus andern gleichpeitigen Schrife
ten gebt hervor, daß man damals über die Sache noch nir-
gend recht ind Klare gefommen war.’
„Ein Beitrag von C. M. Wolff ift überfihrieben «Der
Staat. Bruchſtück aus einer größern rechtöphilofophifchen Ar⸗
beit.» In der That muß man über die geringe politifche
Bildung der damaligen Beit lächeln, wenn man fieht, wie die
allerpiquanteften, ſich von ſelbſt verftehenden Dinge erft burch
rechtsphiloſophiſche Arbeiten begreiflich gemach! werden muf-
ten. Man leſe nur folgende Saͤtze, über die ſchon unfere
Elementarfigüler hinaus find, in welche aber damals, wie eB
fheint, nur die Gelehrten einige Einficht befaßen. ”
„Der Staat, als die verkörperte Idee der Volksfreiheit,
als Staatölörper, ift, trog feiner Einheit, nicht ein einfaches,
fondern ein aus den verfchiedenartigften Beftandtbeilen zufam-
mengefegted organifches Ganze. Als ſolches fondert er fi in
befondere Kreife, welche wie Die Seen Spfteme im
menſchlichen Körper ineinander eingreifen und das allgsmeine
Leben erhalten. Die Privatperfon, die Familie, die weltlichen
und geiftlihen Gemeinten find wie die Glieder bes Körpers,
felbftandige Sndivibualitäten, aber als einem beftimmten Gan⸗
zen angehörig von diefem zufammengehalten und deshalb ihm
und dem Allgemeinen untergeordnet, weil fie ihr Beſtehen nur
in Diefem zen haben. &p wenig indeſſen die einzelnen
Glieder des Staats fih zum Allgemeinen erheben dürfen, ohne
dieſes und damit fich felbft zu zeritören, ebenfo wenig darf der
Stost etwas Anderes fein tollen als das allumfaflende All⸗
gruele, in welchem alle Glieder Zreiheit und Leben haben.
daxf nicht wo etwa Privatperfon, oder Yamilie, oder ir-
end eine Eorporation, ober eine bios weltlide Gemeinde oder
rche fein wollen. Denn auch dadurch würde er in einen
Erankhaften Auftand gerathen, das bevorzugte Glied würde in
Üppigfeit von der Kraft der übrigen (Blieber zehren und ba
duch nicht nur diefe entnerven, ſondern auch jelbft feine ei»
enthümliche Kraft verlieren. Rur dad Leben des Befondern
m Allgemeinen und des Allgemeinen im Beſondern ift ber ge⸗
funde und wahrhafte Zuftand des Staats. Der Staat in die
fer feiner hoͤchſten Ausbildung enthält alle Berfaflungsformen
nebeneinander, ift aber zugleich die über diefelben hinausge⸗
hende und dieſelben in FE aufhebende höhere Form. Die Ba:
milie ift das patriarchalifche, Die Gemeinden find das republi>
kaniſche Element, die flädtifchen find mehr demoßratifcher, die
ländlichen mehr ariſtokratiſcher Natur, und alle diefe Elemente
nehmen ſich wiederum zur Einheit zufammen in der allgemei-
nen Berfaffung des Staats, in der ftändifchen Monarchie. In
dem Monarchen finden wir dad patriardyalifche, und in den
Ständen das republilanifche und ariftofratifche Element wie
der. Die Stände bilden die DBermittelung zwifchen der Re
gierung und dem Volke und bewahren jene vor Willkür, bie-
ſes vor dem Abfall von derfelben () und der Auflöfung des
Staats.» ’
„Mit ſolchen Auseinanderfegungen mußte man fich befaſſen,
um das Weſen ded Staats zu erläutern! Übrigens war Wolff
Bein unbelefener Bann, wie allerlei @itate aus Friedrich II.,
Rouffeau, Hegel und Undern zeigen. ine von ihm angeführte
Stelle aus Spinoza gibt Aufihluß über die Erfcheinung, daß
damald fo viele verkehrte Urtheile über politifche Dinge unter
den Leuten gang und gäbe waren.”
„«Daß das gemeine Volko, fagt Spinoza, «Beine Wahrheit
und Bein Urtheil befigt, ift fein Wunder, wenn die wichtigften
Angelegenheiten der Regierung in Heimlichkeit vor ihm ver:
handelt werden und ed nur aus dem Wenigen, was man ihm
nicht verheimlihen Tann, feine Muthmaßungen zieht. Denn
das Urtheil zurüdzubalten ift eine feltene Zugend. Zu wollen
alfo, daß man Alles vor den Bürgern geheim verhandle und
Daß fie doch Feine verkehrten Urtheile darüber fällen, daß
fie nicht Alles falſch auslegen, ift die höchfte Thorheit. Denn
wenn das gemeine Volk ſich mäßigen, über wenig bekannte
Dinge fein Urtheil zurüdhalten oder aus dem Wenigen, was
es erfahren, richtig über Die Dinge urtheilen Pönnte, verdiente
es in der That eher zu regieren ald regiert zu werden.» ''
„Und wirklich müflen wir in dem Rufe nach Offentlichkeit,
welcher vor 100 Jahren immer lauter erfhallte und end:
lih auch bei den Schwerhörigften durchdrang, den Anfang der
unüberfehbaren, feitdem ins Leben getretenen Berbeflerungen
erkennen und zugeftehen, daß wir wahrſcheinlich noch jegt auf
derfelben niedern Stufe wie unfere Urgroßväter ftehen wuͤr⸗
den, wenn der Grundfag der Dffentlichfeit im Staatsleben
nicht über die Heimlichkeit und Gcheimthuerei obgefiegt hätte.”
„Ein Verſuch, allgemein intereffirende Gegenftände öffent:
ih au verhandeln, wurde ſchon im 3. 1845 von mehren Kö:
nigßbergern gemacht; fie begründeten eine Bürgergefellichaft,
verfammelten ſich in berfelben wöchentlich einmal und hielten
Reden über verfchicdene Ihemata. Ob nun die Themata oder
Die Redner oder Beide der Regierung midfielen, können wir
nicht beftimmt angeben ; kurz die Bürgergefellihaft wurde ei-
ned Abends policeilich geſchloſſen. Einige Reliquien aus Die:
fem Bereine find uns durch das «Königsberger Tafıhenbuch »
überliefert worden. Dahin gehört eine recht anfprechende Be⸗
trachtung über die Städteordnung von Leopold Freundt,
ferner ein ideenreicher Bortrag über «Die Bürgerverfanmlungen
in Deutfchland und ihre Ankläger» von Alerander Jung,
‚und eine mit Rürmifgem Beifall aufgenommene Mitteilung aus
‚einem im 3. 1795 erfchienenen Buche. Diefer legtere Vortrag
wurde nicht mehr in ber bereit8 aufgehobenen Bürgergefell:
haft gehalten, fondern vor einer Volksverſammlung zu Bött:
chershoͤfchen, einem koͤnigsberger Luftorte. Weil nun die Regie:
rung in bdiefen Verfammlungen nur eine Fortſetzung der ver»
botenen Bürgergefellfchaft erblickte, fo fand fie ed für gut, das
Öffentlihe Reden im Böttchershöfhen bei namhafter Gelb:
oder Gefängnißftrafe zu verbieten. Gegen einige Ungehorfame
wurden tie Strafen augenblicklich vollſtreckt. Unter biefen
war au Dr. Iacoby, ber ſich hierauf an das koͤnigsberger
Obergericht mit der Bitte wandte, ihm «gegen die zur Unter:
drüdung der NRedefreiheit angeordneten Mäßregeln der Policei
den Schug der Geſetze angedeiben zu laflen». Run aber be
flimmte eine Berordnung vom 11. —F 1842: «daß Beſchwer⸗
den über Policeiverfügungen jeder Art, auch wenn fie die Ge⸗
fegmäßigkeit berjelben betreffen, nicht zur Gognition ber
Berichte gehören», und die Richter verweigerten daher ben
erbetenen Rechtsſchut. «Diefe Entfcheidung iR wichtig!» ſagt
Dr. Jacoby. «Bon zwei Fällen einer: Entweder hat der Rich⸗
ter dad Geſetz vom 11. Mai 1842 falfch ausgelegt, dann if
eine autbhentiihe Erklärung nöthigs oder er hat den Sinn des
Beienet richtig aufgefaßt, dann find Eigenthum und Freiheit
ber Bürger ſchutzlos der Policeiwillfür preisgegeben.» Schon
in feiner Eingabe an das Dbergericht (auch dieſes Actenftüd
ift in dem « Königsberger Zajchenbucye» enthalten) hatte Dr. Ja⸗
coby das Gefährliche des Geſetzes vom 11. Mai 1842 hervor:
gehoben, indem er fagte: «Am allerwenigften ann dieſes Ge⸗
feg auf firafrehtliche Falle Bezug haben. Denn ftände es
den Regierungen frei, Criminalverbrechen, welche das Gefeg
mit mehrjähriger Feſtungsſtrafe bedroht (3. B. Zheilnahme an
verbotenen Verbindungen, Hochverrath, Diebftahl, Mord), vor
ihr Forum zu ziehen, um den Befchuldigten mit geringerer,
aber fiherer Strafe zu belegen; ftande es ihnen frei, durch
das bloße Wort Erecutionsmaßregel nach Belieben den Rechts»
weg abzufchneiden, fo wäre die gefammte richterlihe Gewalt
in ihre Hände gelegt, der Schug aller Gefege illuforifch ge-
macht, die Freiheit und das Eigenthum aller Bürger der
fhrankenlofen Willkür preiögegeben. Anſtatt einer Wohlthat
würde bie Policeigewalt au diefe Weife cine furchtbare Gei-
Bel der Staatsbürger werden; pie würde unter dem weiten
Rubro des koͤniglichen Interefie felbft folhe Handlungen vers
bieten und fofort beahnden dürfen, die ihrer Natur nad gar
nicht und jedenfall nur mit Kraͤnkung der Menſchenwürde
unterfagt werden Eönnen. »“
(Der Beſchluß folgt.)
— — — —h — — — — — — — —
— — ——— — —
Literarifhe Notiz aus Frankreich.
Zouriftenliteratur.
Unter den ſchriftſtellernden Blauftrümpfen Frankreichs zeich⸗
net fih Mad. Amable Taftu ihrem Zalente fowie ihrer ganzen
Richtung nah, die nur dem Edlen, Schönen und Wahren zu-
gewendet ift, äußerſt vortheilhaft aus. Ihre Inrifchen Erzeug-
niffe haben bereits allfeitige Anerkennung gefunden, und ite
wird jegt mit Necht zu den beliebteften, gefühloollften Dichtern
des neuern Frankreich gezählt. Aber auch nad andern Geis
ten bin ift fie in literariſcher Hinficht thätig geivefen. In leg
ter Zeit bat fie felbft eine nicht unbrauchbare Darftellung der
deutfchen Literatur geliefert, welche zwar Feine tiefere Auffaf-
fung bietet, aber doch immerhin dem gewöhnlichen Bebürfniffe
enügen mag. Beſonders anſprechend waren indeffen die Dar-
Bellungen und Schilderungen, welche fie von verfchiedenen Ge⸗
genden Frankreichs einigen literarifchen Zeitfchriften mittheilte.
Sie zeigt fi hier als eine gewandte Zeichnerin mit der Feder.
Bir erhalten jegt von ihr ein größeres Wer? diefer Art, in
dem wahrfcheinlih ein Theil diefer frühern Fragmente vereinigef
ift. Daffelbe führt den Zitel „Voyage en France”. @ine
feine, lebendige Auffaffung und eine leichte, gefällige, zum
Theil felbft elegante Darftelung weifen diefem Werke einen
ehrenwerthen a: unter ähnlichen Erfcheinungen an. Bon
der fait allzu fruchtbaren Neifeliteratur erwähnen wir endlich
noch folgende Schrift: „Souvenirs d’un touriste‘‘, von Brand,
in der man alle Borzüge, welche wir foeben von Mad. Amable
Taſtu hervorgehoben Haben , gleichfalls vereinigt findet. 17.
Verantwortlicher Heraudgeber: Heinrich Wrodpans. — Druck und Berlag von J. X. Wroddans in Seipzig.
Blätter
für
literarifdbe Unterhaltung.
Mittwoch,
21. Januar 1846.
Geſchichte der deutfchen und niederländifchen Malerei ıc.
Von H. &. Hotho. Eifter und zweiter Band.
(Beſchluß aus Nr. 20.)
Bom erftien Bande habe ich noch gar nicht gefpro-
chen, weil ihn der Verf. meiner Meinung nad beffer
ganz mweggelaffen oder anders verwendet hätte. Ich fehe
in ihm ein Aggregat von Wuffägen, die zu einer fo or-
dentlihen und ausführlichen Gefchichte der deutfchen und
niederländifhen Malerei, wie fie ber zweite Band an⸗
fängt, nicht gehören. Wer fi in diefer unterrichten will,
verlangt nicht eine Gontroveröpredigt gegen bie düſſel⸗
dorfer und einen Panegyritus für die neue franzöftfche
Schule. Damit hebt Hr. Hotho an und trägt babei
mit vielem Pathos als perfönlicye Uberzeugung vor, was
bereits in verfchiedbenen Kreifen der berliner Gefellfchaft
verbreitetes Urtheil war und fohwerlich auf den Katheder,
gewiß nicht zu der angekündigten Befchichte, allenfalls einige
Sahre früher in ein Zagesblatt gehörte. Dann folgt eine
Aſthetik der Sculptur, hierauf der Malerei, hierauf der
Epik, Lyrik uud Dramatik, die als Grundformen in den
brei bildenden Künften an dieſen durchgegangen werden.
Das ift auch niche Gefchichte, fondern Theorie, und wäre
fie neuer und grünblicher als fie ift, fo bliebe es gleich
unpafiend, die Erzählung vom Verlaufe nur einer Kunft
bei nur zwei verwandten Völfern mit einem abftracten
Lehrgebäude aller Künfte einzuleiten. Aber noch nicht
genug. Es wird weiter im Allgemeinen geredet von der
Religion ale Ausgangspunkt der Kunft, von der Natio-
nalität als näherer Form, von den einzelnen Meiftern,
die — mer .bätte das gedacht! — erft die Individuali⸗
tät des Kunſtwerks vollenden, und dann in abstracto
von den Malerfchulen. Da der Verf. felbft fühlt, daß
er eigentlich nur ben leeren Schematismus Deffen gibt,
was er in der Anordnung und Darftellung ber Gefchichte
bewähren follte, fucht ex feine Allgemeinheiten oft durch
wortreihe YWufzählung von Unterbegriffen beftimmter, oft
duch breit ausgeführte WBeifpiele beliebter zu machen.
Dadurch entfiehen viele Tange und vollgeflopfte Perioden,
die gleichwol das Kunſtſtück, außerhalb der Sache felbft
ſachlich zu reden, nicht vollbringen Fönnen.
Hierauf heißt es in der neunten Borlefung (I, 159):
„Wir wollen uns endlih, um die vorausgefchidten Be⸗
merkungen anzumenden, näher nad) dem hiftorifchen Wer
a?’
lauf der deutſchen und ber nieberländifchen Malerei um-
ſehen.“ Diefes nähere Umfehen beftcht aber zuwörberft
in einer generellen Charakteriftit des byzantinifchen Ty⸗
pus, dann in einer Erörterung der tunfthiftorifchen Me⸗
thode, angekündigt als „Blid auf die hiftorifhe Ent⸗
widelung”, worauf man durch eine Erwähnung der Voͤl⸗
ferwanderung hindurch wieder an den altchriftlichen Ty⸗
pus in Rom und Byzanz kommt und wirklich einen kur⸗
zen Uberblid über die Miniaturmalerei von Konftantin
dem Großen bis ins 12. Jahrhundert erhält. Es fol die
zweite Hauptperiode chriftlicher Malerei vom 13. bis ins
18. Jahrhundert folgen. Wir fahren aber wieberum
ind Allgemeine über ChHriftlichkeit der Malerei, über Ka⸗
tholicismus, über Proteftantismus, kunſtgemaͤßere Wirk⸗
lichkeit, Kloſter und Orden mit bedingtem Einfluß auf
die Kunft, Ritterthum als nicht das belebende Princip
ber bildenden Kunft, und nun über italienifche Malerei
in Bezug auf Klofterleben und Ritterthum, kürzer von
der niederländifchen und beutfchen in demfelben Bezug;
und abermals im Allgemeinen von den Bedingungen für
den neuen Anlauf der Malerei nad Seiten ber Reli-
gion, der Wirklichkeit, der Technik durch die Städte, ih⸗
ven Reichthum, ihre Lehranftalten. Näher nun, aber,
verfteht fich, immer noch im Allgemeinen von den Vor⸗
tbeilen des Stäbtelebene für die Kunſt: Vorzug der zünf-
tigen Form für die Unterrichtöweife; als Beifpiel bie
Anbdeutung bes Schuienfortfchritts von Giotto und Tad⸗
beo Gaddi bis auf Gerard Dow, das Aufnehmen italie-
nifcher Weiſe bei hen Niederländern, der Eklektieismus
der Caracci, die freie Durchbildung des Rubens.
„Diefem Begrenzen, Sondern, Ausſchließen kommt
nun ſowol das mittelalterliche Stäbteleben ale auch, die
Reformation zugute.” Die ſtets mächtigern Städte in
ihrer charattervollen Gefchloffenheit befähigen und noͤthi⸗
gen die Malerei zu gleicher Particularität und Energie;
als WBeifpiel: Florenz, Siena, Piſa, die Städte des
obern Tiberthale, Rom, Neapel, Genua, die Lombardei
und Romagna, Bologna, Venedig, und wieber kürzer
und ganz im Allgemeinen, daß ed ebenfo in Deutfchland,
Brabant, Flandern und Holland geweien. Als zmeite
Gunſt des Stäbtelebens: die poetifche Frifche der ınmgeben-
den Wirklichkeit, generell, wie immer, 1) in Rückficht
der Individuen, mit einer Epiſode über die andern Be⸗
dingungen in unferer Zeit; 2) des Coſtume, mit Epifode
über die malerifhe Coftumefoderung und die wirkliche
Tracht unferer Zeit, auch über Bilderrahmen und ben
Vortheil der Rococoform, die Eoftumefreiheiten des Vero⸗
nefe, Correggio, Rubens; über das Mrofaifche des Co:
ftume nad) Heinfe und Hegel, endlich von her Form der
miftelalterlihen Trachten, „ohne irgend ins Einzelne ein-
zugehen“, nur nad Hauptunterfchieden; 3) die Architek⸗
tur, mit Epifode über die Anficht von Paris vom Père
Lachaise und im Innern. Und nun no einmal im All:
gemeinen vom Unterfchied individueller Schulen als Pro-
duct ber mittelalterlichen Städteverhältniffe; vom Be⸗
f der Schulen, dem Werth originaler Mei-
fter, dem verfchieden bebingten Anſchluß; dem Schulen-
weg. des Wafael, dem andern bes Rubens; JZurücktreten
der Ortlichkeit, Bortreten des Genius, raſches Empor-
biühen der Holländer des 17. Jahrhunderts von dem
Landſchafter Blechen und ben jegigen franzöfifchen Ma⸗
en. (Das alſo iſt ber Unterfchie® mittelalteriger
Schulen.)
Machdemn: nun breit erörtert ift, inwiefern die hollän-
diſchen Meiſter eine Schule bildeten oder nicht, heißt es
wieber: „Es wirb aber endlich Zeit, alle diefe Worerör«
terungen abzufchliegen. Ich will deshalb — nur kurz
noch, den allgemeinen Verlauf andeuten, in welchem ſich
umfere. Periode entwidelt!” Allgemein, ja! Kurz, wie
man's nimmt; denn wir muͤſſen noch ſechs Borlefungen,
noch 120 Selten durchmachen, ehe die verheißene Ge⸗
ſchichte dieſer Periode, naͤmlich mit dem zweiten Bande
beginnt, Zumächft erhalten mir einen allerdings blos ra⸗
piden UÜberblick über die geſammte Geſchichte der neu:
enzopäifchen Malerei. Dann aber, um nämlich bie deut»
fe unterſcheiden zu können, eine Charaktexiſtik der. ita⸗
Wenifchen Malerei, und nun auch einen UÜberbiid über
ihre Geſchichte mach brei Epochen, zwei von je brei Stu:
fen, Die zwei Vorlefungen füllen, unb einer dritten, bie
ber. Verf. „ſpaͤter erſt den hollaͤnbiſchen Meiftern des 17.
AYabehunbderts fornie vor Allem Rubens und feiner Schule
gegenuͤberzuſetzen verfpricht. Darauf folgt dann „in all-
gemeinern Umriſſen bie Charakteriſtik der beutfchen und
niederlaͤnd iſchen Meiſter“; fie folgt aber zunächft auch
nahe, ſondern erſt nach Theſen über Nachahmuug ober
Rchtnachahmung der Untite, Gegenſatz des Paftifchen
und Maleriſchen, Größe ber jegigen franzöfifgen Mei⸗
fler, die mit Rembrandt, Everdingen, Nuisdael, Tizian
und des Spaniern mwetteifern unb fie faft befiegen. (Der
Berf. treibt durch diefen ganzem erfien Band feinen Gö⸗
gandienf mit den modernen Franzoſen.) Doch alles Das
wird mit dem Sage verknüpft, daß die Deutfchen, we⸗
nigften® die Niederlaͤnder, in der Malerei eigentlih ma⸗
Begifcher. feier als die Italiener; und: es folgt num wirk⸗
lich eine allgemeine Charakteriſtik im Unterfchiebe von
ben Leytern, die tzeffende Hauptpunkte enthält. Nur
greift der Verf. auch bier mehrfach Dem vor, was er
in der · Geſchichte felbfk doch wiederholen muß, und was
bier um blos einzuleiten zu breit, um mehr zu fein zu
allgemein if. Am maßlofeften ift biefe Breite iu Dem
Abfchnitt über die holändifhe Malerei, ihre Landfchaf-
ten, Gentebilder, Stillleben, wo trog alles Ruͤckgehens
auf das Elementarifche, alles Aufwands von Kategorien
und Specialitäten doch keineswegs erichöpfend und be-
flimmt genug gezeigt iſt, warin nun die Peeſie und
Schönheit folder Landſchaft oder ſolches Stillichens ber
gründet fei. In allen diefen halbgeſchichtlichen Capiteln
ift außerordentlich viel Wiederholung des bereits Gefag-
ten ſowol über objective Grundlagen als über formelle
Mittel der Kunft, meift in dem Tone, als gelte es,
überall verfannte Wahrheiten einzufchärfen, während es
in der That fo große Geheimniffe nicht find und Das,
mas dem Berf. eigen bleibt, nicht felten nur bie Uber
treibung iſt. Nach diefem Haufen von inleitungen,
Diarriben und Recapitulationen fpricht der Verf. noch»
mals über das Nothmendige und das Misliche feiner
Behandlungsmeife, gibt einen flüchtigen Überblid über
die Locale der beutfch - nieberländifchen Malerei vom 13.
bis. 18. Jahrhundert und ihre Schulenfolge, und ver-
gleicht dann abermals in Bezug auf ben Kunftberuf und
die Fähigkeit zur Malerei Romanen und Germanen, ſo⸗
dag er in dieſer Ruͤckſicht die Staliener noch einmal,
dann die Spanier und Franzofen charakterifirt, darauf
die Engländer und endlid, wieder die Holländer, für de»
ven Vorzug in ber Malerei er binweift auf ihre Volks⸗
und Religlonsverfaffung, Thaͤtigkeit nach aufen, Sitte
im Innern, auf die pragmatifche Beſchaffenheit ber Lan⸗
beönatur und endlich die malerifche nach dem bekannten
Sage, daß weite Ebenen und waſſernahe Landichaften
der Entwidelung. des Colorits befonderd günftig. Mit
der Ausführung biefer Theis kommen die Vorerörterun-
gen und ber erſte Band zu Ende. Es ift weder eine
ſtrenge philoſophiſche noch eine zweckmaͤßige biftorifche
Methode darin; und man bedarf deffen nicht, um al
das Lehrreihe und Intereffante, mas ber wirklich ge⸗
fchichtliche zweite Band enthält, vollkommen zu ver-
ſtehen. x. SE
Königsberger Taſchenbuch. Herausgegeben von Ludwig
Walesrode.
( Beſchluß aus Nr. 20.)
„Bwei andere Beiträge geben merkwürdige Nachrichten über
das damalige Eenfurwefen. In einer Tonigäberger Buchhand⸗
lung waren «Materialien zur Regierungsgeſchichte Friedrich
Bilyelm’s IV.» herauſsgekommen. dritte Derfelben
paflirte anfanglich die Genfur, wurde aber dennoch bei feinem
Erſcheinen confiscirt und der Staatsanwalt trug bei dem Ober:
cenfurgericht auf Beftätigung der Gonfiscation an. 8war ent:
Kann diefe Materialien nur nackte Thatfachen ohne alle Rai:
onnements3 gleichwol fand der Staatsanwalt, daß die Bro⸗
ſchuͤre nicht nur eine feindfelige Tendenz habe, fondern auch,
daß den mitgetheilten Matſachen theils Durch die Ausdrucks⸗
weife, theild durch Die Gruppierung und theild durch die typi-
fche Hervorhebung einzelner Wörter ein Colorit verliehen fei,
durch welches diefe Watſachen entftellt und in ein anderes,
immer aber für die Regierung gebäffiges Licht geftellt werden.
Er erflärt die Schrift Daher für gemeingefährlick und dringt
auf deren Vernichtung. Crelinger, der Anwalt des Buchhänd-
lers, ſucht dieſe Anklage zu widerlegen. Er will ſich nicht ges
83
rade über die allzu fcharfe, dem Gebiete des Berflandes ange:
börige Auffaffung des Anklägers befehweren, mag aber doch
nicht in Abrete ftellen, daß eine vielleicht der Stellung des
Staatsanwalt nothiwendig angehörige, mindeftene in hohem
Grade vorurtheildvolle Anfıht auß der ganzen Denunciation
hervorleuchte. Der Staatsanwalt hatte ſich befonders darüber
befgwert, daß die Materialien neben einzelnem Wichtigern der
Hauptfahe nach nur ſolche Dinge regiftriet hätten, denen eine
geſchichtliche Wichtigkeit nicht beigumeffen fei, wie 3. DB. eine
—— des Kriegsminiſteriums, betreffend die anzuordnende
Steichförmigkeit im Zragen. der Badenbärte bei Offizieren,
Unteroffizieren und &oldaten, ferner die (Ernennung eineß
Lieutenantd a. D. zum Hofjagdjunfer, eine berüchtigte Ange:
legenheit. eines Iebensluftigen Genfors in Köln, die Einfuͤh⸗
rung ded Fruͤhgottesdienſtes für Droſchkenkutſcher u. ſ. w.“
„In Betreff der gebälfigen Darfiellung, welche der Staats-
anwalt in einzelnen Stellen der Materialien findet, fagt der
Bertheidiger: «Der Staatsanwalt gibt ſich nicht einmal die
Mühe anzudeuten, worin denn das ar der Ausdrucks⸗
weife liege, da das Neferat doch eben einfach referivend if.
Enthält daſſelbe wirklich etwad, was eben nicht zur Freudig⸗
Zeit ftimmen mag, fo mag es die Schuld des Dargeftellten,
nit der Darftellung fein; und id) kann die Vermuthung nicht
abweifen, daß der Staatsanwalt, aufgeregt durch den Inhalt
des Gegebenen, aus Mangel von genauer Prüfung der Ge:
neſis der empfangenen @indrüde, der fchuldlofen Form zur
Loft legt, was allein dem Wefen der Sache zuzurechnen ift.» ”
„Rah einigen einen Bemerkungen über die ſtiliſtiſche
Fertigkeit, logiſche Schärfe, Ungenauigkeit und adie höchſt fluͤch⸗
tige und ungeordnete Zufammenftelung» des Staatsanwalts,
deſſen Anklage ftellenweife «faft an die Grenze ftseift, wo das
Ernfte und Würdige, welches allein vor einem Gerichtöhofe
gelten follte, aufhört», und deſſen wegen der typiſchen Aus:
zeichnung erhobene Vorwürfe «jedenfalls des nöthigen Maßes
und der Umficht entbehren», ftellte der Defenfor fchließlich den
Antrag auf Freigebung der Schrift, wurde jetoch von dem
DObercenfurgericht abgewiefen, da die VBertheidigung nicht ge
eignet erfien, den Borwurf der Gemeingefährlichkeit der « Ma⸗
terialien zur Regierungsgefähichte» zu befeitigen.’’
„Das Taſchenbuch enthält außerdem noch ein Eurlofum, in
welchem jih das Inftitut der Eenfur als eine der räthjelhafte:
ften Erfigeinungen der europäifchen Culturgeſchichte darſtellt.
Dr. Zacoby überfandte dem LKocalcenfor eine Stelle aus Cor:
menin's «Buch der Redner» mit der Bitte um die Drud»
erlaubnif. Der Auffeg fängt an: «Wenn die im Ramen der
Geſellſchaft mit der Einfegung der Richter beauftragte Regie»
zung einen Bürget zu dielem erhabenen Amte beruft» u. f. w.
Der Cenfor verlangte vor Ertheilung des Imprimatur zuvor
eine nähere Angabe der Quelle, und nachdem dieſe erfolgt war,
deeretirte er wörtlih wie folgt:
„« Wenn ftatt der Unfangsworte «wenn die Regierung»
gefagt wird «wenn eine Regierung», fo wird dad Imprima⸗
tur hierdurch ertheilt. Der Ausdruck «die Regierung» müßte
nach dem Drte des Inferats, einer biefigen Zeitung, auch auf
unfere bezogen werden. Eine ſolche Deutung würde aber das
Inferot als dem Artikel 4 der enfurinftruction zuwiderlau⸗
fend darftellen und zur Verſagung der Druderlaubniß zwin⸗
gen. Da das Buch, aus welchem der. obige Aufſatz entnom-
men, einen durch das Nachdruddgefeg geichügten Autor hat,
fo Fann diefes dem Abdrud nicht entgegenftchen.» Man weiß
nit, was man höher anflaunen fol, des Cenſors fcharffinnige
Deutung des Artikels A, oder die Weisheit, mit welcher er
das Nachdrucsgeſetz auf den vorliegenden Fall nicht anwendet.”
„Auch die theologifhen Zwiſtigkeiten find im Taſchenbuche
mit berührt worden. Es lebte vor hundert Jahren in Könige:
berg ein evangeliſcher Geiftlicher, Namens Rupp, ein geiftvol-
ler Schriftſteller und vorzüglicher Kanzelredner. Er fagte fi
von einigen veralteten Beftimmungen der Kirchenlchre los und
dien dabei die Mehrzahl der aufgellärten Menſchen auf fei-
ner Seite au haben. Wie aber die Sachen damals flanden,
fonnte ed ihm auch nit an Feinden fehlen; unter Andern
trat ein Pfarrer Weiß auf und fuchte zu beweifen, dag Rupp
ein Irrlehrer ſei, der abgefegt werden muͤſſe. Als Gegner des
Pfarrers Weiß erhob eh . U. Wechsler, unftreitig der
Ihärffte Dialektifer unter den zehn Männern, welde Auffäge
für das Taſchenbuch geliefert Haben. Da fein durchdringender
Berftand fehr wohl die Gefahr erkannte, mit der damaligen
Geiſtlichkeit fih in Streit er fo muß man den Muth,
mit welchem er e6 that, um fo höher anfchlagen. Wir glau:
ben etwas zur Charakteriftif jener Zeit beizutragen, wenn wir
den Anfang feiner «Bedenken über die Antithefen des Pfar⸗
rers Dr. Weiß gegen Rupp: Bom reiten chriftlichen Glau⸗
ben» bier mittheilen: ”
„«Mit der Geiftlichfeit m Prieden zu Ieben, war eine
Marime unferer Alten, die ſich auch heute noch ein Ieder, dem
feine Ruhe am Herzen liegt, immer zur Richtſchnur nehmen
muß. Denn e6 ift fchon überhaupt nicht‘ gerathen, den Zorn
eines Andern ohne Roth zu erregen, und wäre es auch in der
gerechteiten Sache, weil man doch nicht wiſſen fann, ob der
Zorn nicht in nadhtheiligen Haß ausfchlagen und auf die Ge
legenheit lauern wird, fih an Dem Feinde gründlich zu rächen.
Indeſſen jind die Menfchen im Ganzen verföhnlid, und da fie
fih im Durchſchnitt auch der Mangelbaftigkeit ihrer Beſtre⸗
bungen bewußt find, fo pflegt wol, wenn ihr erftes Auflodern
über einen unerwartceteten Widerftand verraucht ift, die Ein-
ficht ihres eigenen Unrechts die Glut des Herzens allmälig zu
fühlen, und was der Einſicht nicht gelingt, vollendet zulegt die
Zerftreuung des Lebens. Mit der Geiſtlichkeit ift es anders.
Sie ift die Verfündigerin der ewigen Wahrheit, die Vertreter
rin der unendlichen Liebe, und wer einmal das Unglüd hat,
fie in diefer ihrer Eigenfchaft, d. 5. als Geiſtlichkeit zu krän⸗
en, der hat gleichſam den heiligen Geift gekraͤnkt, für deſſen
Verkoͤrperung fie fi anficht, und das ift bekanntlich eine
&ünde, die weder in diefem noch in jenem Leben jemald Ver⸗
gebung finden kann. Preilih bat man in der Anwendung
dDiefem Sage eine Ausdehnung gegeben, die ihn für die allge
meine Rube bedenklich macht; denn obſchon es unter den An⸗
gelegenheiten der Geiftlihen auch ſolche gibt, die weder mit
der unendlichen Liebe noch mit der ewigen Wahrheit im ente
fernteften in Verbindung ftehen, fo nehmen fie doch nad einer
gewiſſen communicatio idiomatum für den irdifchen Theil ih:
ver Angelegenheiten diefelbe Unantaftbarkeit in Anſpruch, Die
ihren himmlifyen gebührt, und kaͤmpfen ſtets mit dem heili-
gen Haß, ale wäre es ein Kampf pro aris, wenn fie auch
noch fo augenſcheinlich einzig und allein pro focis kaͤmpfen.
Vielleicht war ed eben diefe Crfaprung... die Kerdinand I. zu
jener berühmten Außerung trieb, er würde, wenn ihm zugleich
ein Sefuit und ein Engel entgegenfämen, fi zuerft vor dem
Sefuiten beugen ; denn der Kaifer wußte wahrfcheinlich, daß die
Engel des Himmels verzeihen können, aber die Jefuiten nie.» ’
„Wenn nun Wechẽler, trog feiner innigften Überzeugung
von der Räthlichleit diefer goldenen Regel, dennoch in einen
thbeologifhen Kampf fi mifchte und unter die Streitkolben .
der Drthodorie wagte, fo geſchah es durch ein unüberwindli-
ches Gefühl, das ihm Mitleid oder Scham, oder fogar Entrü⸗
ftung zu fein ſchien. Er wußte, daß fein Gegner, der Pfar⸗
ver Weiß, mit dem Krebs eines Glaubens gepanzert wur, an
defien fteinerner Undurchdringlichkeit auch die fchärfiten Pfeile
der Logik kraft- und erfolglos niederfallen; gleichwol unter»
nabm er den Strauß. Rupp hatte keinen Gewinn davon,
denn bald darauf wurde er wegen feined Mangels an Recht
gläubigkeit von feinem kirchlichen Amte feierlich abgeſetzt.“
„Außer der ernft gehaltenen Profa finden wir in dem Ta⸗
ſchenbuche auch mehre fchalkhafte Lieder, die wir als cine
brauchbare Ergänzung zu den Sittenfchilderungen der damali⸗
gen Seit willfommen heißen. Der Dichter heißt Cäfar von
Lengerke. Wie feltfam die Geſellſchaften zufammengefeht wa⸗
ten, in denen ſich unfere Borältern Mühe gaben, vergnügt zu
84
fein, erfehen wir aus dem Gedichte «Meine Soirden. Manche
arin vorgeführte Perfonen, wie z. B. der Junker, der Hof
rath, die mudernde Alte, der Kirchenintendant, haben für uns
etwas Myſtiſches und würde es ſchwer halten, ber Iegtwelt
einen Haren Begriff von diefen verfchollenen Figuren beizu-
bringen; fo viel feyeint aber gewiß, daß fie vor 100 Jap:
ren wichtige und einflußreiche Beitandtheile der menfchlichen
Geſellſchaft ausgemacht haben. Bon ihrer Entbehrlichkeit bat
ſich erſt eine fpätere Generation überzeugt.‘
Meine Soiree.
Die Säfte find geladen,
Die Kerzen ſtrahlen ſchon,
Nobleſſe — hohe Gnaden —
Grwartet mein Salon.
Der Langbaar kommt zu Gafte,
Der ſchmaͤchtig, wie gehenkt,
Langfing'rig jede Taſte
Mir am Glavier zerſprengt.
Auch wird ein Dichter kommen,
Bon Weltſchmerz wie befeelt,
Dem’d aber — fireng genommen, —
Am bearen Geld nur fehlt.
Der Diime, der im Stillen,
Gin Roscius ſich duͤnkt,
Weil er, ein Held im Bruͤllen,
Sich auswaltirt und ſchminkt!
Ein Jude, Freund der Kuͤnſte,
Ganz liberal gefimmt,
Der aber zum Gewinnfte,
Bon hundert — funfzig nimmt.
Billlommene Erſcheinung!
Der Hofrath, Herr von Whiſt!
Der niemald eigner Meinung
Und d’rum en rogue iſt!
Der Junker, den „auf Ehre!”
Sein Roßverftand empfiehlt.
Der Cenſor, deſſen Schere
Mir die Gedanken ſtiehlt.
Ich lud ben Diplomaten;
Er ward — d'rob flolz er blidt —
Zum Beil der beutfhen Staaten
Nah Buͤckeburg geſchickt.
Den Staatsmann — mir zum Glücke! —
Der feine Zeit erkennt,
Und einen Schritt zurüde
Noch keinen Rüdfchritt nennt.
Dazu viel Subalterne
Mit langem Ordensband,
Daß man fie aud ber Zerne
Schon als loyal erkannt.
Den Kirhenintendenten,
So feift und duͤnkelvoll,
Zwar Null nur an Zalenten,
Doch Pfaffe — jeder Boll.
Mich wird ein Fuchs erfreuen,
Der in dem Kampf der Welt
Sich über die Parteien,
Nicht in und außer flellt.
Die Alte, die da mudert,
Und doch nicht chriſtlich⸗mild
Ihr Urtheil überzudert,
Wenn’s ihren Näcften gilt.
As Biel für Amor's Köcher
Auch junger Gaͤnschen viel,
Berantwortliher Herausgeber: Heinrich Wroddans.
Bewaͤhrt mit Euld und Faͤcher
Und loſem Augenſpiel.
Als Ale fie erſchienen,
— Dem Herzen theuer mir —
Da hab' ich hinter ihnen
Leif“ zugebrüdt die Thür.
Ein Kreuz dab’ ich gefchlagen
Den Gäften binterbrein,
Und lief fie fläfternd fragen?
Wo mag der Wirth nur fein?
Denn als bie legte Schleppe
Gerauſcht in den Salon,
Floh auf der Hintertreppe
Aufathmend ich bavon.
Mit einem noch Bekannten
Wollt' ich alleine ſein,
Und aß beim Reſtauranten
Daher mit mir allein.
„Bar unſere hiſtoriſche Aufgabe hatte die Auffindung des
« Königsberger Taſchenbuchy einen erheblichen Werth ; der Ein-
drud, welchen es im Einzelnen und Ganzen auf uns gemacht
bat, befefligt uns in der Anficht, dag Dftpreußen in jener
merkwürdigen Übergangöperiode von vorzüglicher Bedeutung
gewefen iſt. Auch glauben wir und nicht zu irren, wenn wir
Diejenigen, welche hier ald Bertreter politifher und religiöfer
Freiheit aufgetreten find, für geiftesfrifche und gefinnungstüch«
tige Männer halten, deren Worte und Thaten nicht unwefent-
Lich zur Reugeftaltung der Dinge beigetragen haben.” 13.
Bibliographie.
Anſprachen an Chriſtenherzen aus Dr. Heine. Müller’s
geiftlihen Erquidftunden. Zwickau. 1845. 8. 3 Nor.
‚ Chowaneg, 3. (Iulian Ehownig), ‚Dferreig und
feine Gegner. Mainz, Kunze. Gr. 8. I Thlr. 3 Nor.
‚„. Särfhen, E., Amalafuintha die Gothenkönigin. Hiſto⸗
riſche Teauerfpiel in fünf Aufzügen. Würzburg, Stabel. 1845.
. 15 Rer.
Graͤtz, H., Gnoſticismus und Judenthum. Krotofchin,
Monaſch und Sohn. Gr. 8. 22, Nor.
Hellas und Rom. Vorhalle des klaſſiſchen Alterthums.
te Abtheilung (die Proſaiſten des helleniſchen Alterthums in
einer organiſchen Auswahl aus ihren Meiſterwerken). Rach
den beften vorhandenen Übertragungen herausgegeben und mit
fortlaufenden biographifchen und Literärgefchichtligen Erläute:
zungen begleitet von 8. F. Borberg. Ifte und 2te Liefes
rung. Stuttgart, Göpel. 8. 1 Zhlr.
Holbein, F. v., Der Verräther. Luftfpiel in einem
Acte. 2te Auflage. Wien, Walishauffer. 1845. Gr. 8. ES Nur.
Neitroy, 3., Der Zerriffene. Poſſe mit Gefang in drei
Acten. Wien, Wallishaufler. 1845. 8. 15 Nor.
Roth, R., Zur Literatur und Geschichte des Weda.
Drei Abhandlungen. Stuttgart, Liesching und Comp. Gr. 8.
rF.
Schönſtein, G., Das Privat» und Haustheater. Iftes
Bändchen: Das unterbrochene Duell. — Der Bürgermeifter.
Wien, Wallishauffer. 1845. 12. 8 Nor.
Theokrit's elftes Idyll, als Probe einer Verdeutschung
seiner sämmtlichen Idylien, nebst Behandlung zweier Stel-
len des ISten Idylis im Vorworte. Von E. Kaercher. Karls-
ruhe, Braun. 8. 5 Ngr.
Vincas, H., Vergleichende Darftelung evangeliſcher
Grundwahrheiten und reiner Verſtandeslehren über fie. Olden⸗
burg, Schulze. 1845. 8. 20 Nor.
— — Schullehrer-Seminarien und Volksſchulen. Older⸗
burg, Schulze. 8. 25 Nor.
— Drud und Verlag von F. X. Brockhans in Reipzig.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Gefchichte des deutſchen Journalismus. Zum erſten
Mole vollſtaͤndig aus den Quellen gearbeitet von
R. € Prug. Erſter Theil. Hanover, Kius.
1845. &r. 8. 2 Zhlr. 20 Ngr Henoder,
Nicht blos die Juriſten unſerer Tage theilen ſich in
eine hiſtoriſche und in eine philoſophiſche Schule, und nicht
blos die Theologen der Gegenwart ſtreiten um ben hi⸗
fiorifhen Ehriftus und den fpeculativen Chriſtus; nein,
auf dem Gebiete jeder Wiffenfchaft, die nicht ihrem We⸗
fen nach rein empirifcher Befchaffenheit ift, haben fich
die gefchichtliche Betrachtungsweiſe und die philofophifche
oft fehr ſubjective Auffaffung fcharf gefondert und geben
das Feldgefchrei ab für fchroff und feindlicd, einander ge-
genüberftehenbe Parteien. Und dies ift das Hauptgebre-
&en, an dem die Wiſſenſchaft der Gegenwart frank liegt.
Immerhin mag es für den in ber Gefühlswelt leben⸗
den Dichter ein wahres Wort fein:
Partei! Partei! Wer follte fie nicht nehmen,
Die no die Mutter aller Siege war.
Immerhin mag der Mann, welcher zu öffentlihem Wol-
Ien und Handeln berufen ift, Partei nehmen müffen:
die Wiffenfhaft Hat eine andere Stellung und Aufgabe;
ihr Zweck ift die möglichft parteilofe Erforſchung und
Darftellung der Wahrheit, die fich feiner Abneigung und
feiner Zuneigung untererbnen kann und barf. Leider
macht es die Verwirrung unferer Tage nöthig, ausdrück⸗
lich hinzuzuſetzen, daß ich unter „parteilofer Wiffenfchaft”
keineswegs jene tobte, flarre Gelehrſamkeit verftcehe, Die
fo viel Schönes und Großes erftidt und erdrüdt hat;
daß ich vielmehr bei allen Verirrungen ber heutigen wif-
fenfchaftlihen Thaͤtigkeit ben größten Kortfchritt darin er-
kenne, daß fie dem Leben der Völker und der Einzelnen
‚nicht mehr fern ſtehen will, daß fie fich einerfeite dur
die geiftigen Bedürfniffe der Menjchheit ihre Bahnen
vorzeichnen laͤßt, andererfeit® eine fihere Grundlage her-
zuftellen bemüht ift, auf der wahres Völkerrecht aufge-
baut werden kann; Leptered aber wird eben nur dann
möglich werden, wenn ihr Streben einzig und ausfchließ-
lich auf die Wahrheit, auf die reine Wahrheit, auf
nichts als die Wahrheit gerichtet iſt, wenn fie fi zn
diefem Zwecke jeder geiftigen Kraft bedient, wenn fi
alfo namentlich die beiden Anfchauungsmelfen, durch wel-
che der menfchliche Geiſt Alles und Jedes erkennt, bie
gefhichtliche und die philofophifche, nicht gegenfeitig aus⸗
fhließen, fondern fich vielmehr auf das engfle aneinan-
berfchließen und gegenfeitig durchdringen.
Diefe allgemeinen Betrachtungen fcheinen mir zu dem
Werke, deſſen Beſprechung bier folgen foll, in einer dop-
pelten Beziehung zu ſtehen, einmal zu feinem Inhalte,
fodann zu feinem Verfaſſer. Was zunächft den Regtern
betrifft, fo ift e6 bekannt genug, bag Prug ſich mit al⸗
lee Kraft und vollem Eifer einer Partei angefihloffen
hat, der es wiederholt zum Vorwurf gemacht worden
ift, daß fie jeder rein wiſſenſchaftlichen Erkenntniß fremb,
ja feindlich gegenüberftehe ; daß fie namentlich bem ges
ſchichtlich Gewordenen fein Recht abfpreche und bie Welt
mit einer plöglichen Umgeftaltung bedrohe, die von rein
abftracten, inhaltslofen Theorien oder gar Phantaſien
ausgehe, daß alfo zwifchen dem Beftehenden und bem
von dieſer Partei Gefoderten Leine Brüde vorhanden
fei, daß fie nur auf dem Wege gemaltfamer Ummälzung
das vielgepiefene Ziel erreichen könne. Und es bürfte
allerdings fehmer halten, diefe Vorwürfe von jener Par⸗
tei ganz und unbedingt abzuwaͤlzen: um fo höher aber
ift es anzufchlagen, um fo freubdiger anzuerbennen, wenn
aus der Mitte diefer Partei ein Mann, der jedenfalls
unter ihren Angehörigen eine der geiftig bebeutendfien
Stellen einnimmt, hervortritt und durch ein bedeutendes
Merk zeigt, daß er weder wiffenfchaftlicher Thätigkeit
überhaupt noch ber firengften Forfchung und gefkhicht-
lichen Erkenntniß feindlich gefinnt ift. Und biefe Stel⸗
lung bat Prutz durch feine „&efchichte des deutſchen
Journalismus” zwar nicht zuerft, aber am entfchieben-
fien eingenommen.
Zuerft in feinem „Göttinger Dichterbund” (Eeipzig
1841) hat fi Prug als einen gründlichen Kenner und
geiftwollen Darfteller ber deutfchen Literaturgefchichte be-
währt; ein ferneres nicht geringes Verdienſt erwarb fi
derfelbe durdy Gründung und eigene Theilnahme an dem
„Riterachiftorifchen Taſchenbuch“ feit 18435 jest liegt
der lange erwartete erfle Theil eines Werks vor, wel-
ches für einen fehr wichtigen Literaturzweig Epoche ma-
hen muf. Zwar verleugnet Prug auch hier feine Dent-
und Ginnesmeife nicht im entfernteften und Tonnte bies
als ein Ehrenmann, vie er fi) immer gezeigt hat, nicht;
aber er fpricht feine Anfichten aus auf dem Grunde ber
86
ſorgfaͤltigſten und fleißigſten Forſchungen, die ihm in glei⸗
chem Umfange nicht leicht Jemand nachthun dürfte; er
legt eine Treue und Gewiſſenhaftigkeit, eine Unbefangen⸗
heit des Urtheils, eine Gediegenheit geſchichtlicher Kennt⸗
niß und geſchichtlichen Urtheils an den Tag, er verbin⸗
det die rein objective Darſtellung ſo geſchickt mit der
Darlegung geiſtiger Entwickelungen, daß ſein Buch auf
jeden Unbefangenen, welcher Partei er im Übrigen auch
angehören möge, nur den günftigften Eindruck machen
kann. Es ift eine der nicht zahlreichen neuern Werke,
welche in hohem Grabe geeignet find, den oben erwähn-
ten Zwieſpalt zwifchen gefchichtlicher und philofophifcher
ober. fubjectiver Betrachtungsweife vwiffenfchaftlicher Ge⸗
genftände zu einigen, und daß diefes Merk gerade von
jener Seite ausgegangen ift, weldher Prug nach wie vor
angehört, kann das Verdienſt deffelben, die Zreude da-
ran nur erhöhen.
Hat fo ohne Zweifel des Verf. Perfönlichkeit den
Werth feiner Arbeit merklich gefördert und gehoben, fo
ift auch der Stoff derfelben an ſich ein ebenfo wich:
tiger als anziehender. Scyon 1828 rechnete A. Balbi in
der „Revue encyclopedique” auf Deutfchland gegen 700
Beitfchriften, und jegt dürften fich diefelben wol wenig-
ſtens verboppelt haben. Unzählige Menfchen befriedigen
ihre Literarifchen Bedürfniſſe ausfchließlich durch Zeit-
ſchriften. Es gibt keine Sphäre geiftiger oder mechani-
fcher Zhätigkeit von der abftracteften Speculation bis
zum legten Handwerk, die es nicht für nöthig hielte, ihr
eigenes „Organ“ zu haben. So läßt fi) die Maffe po-
fitiver Kenntniffe, noch weit mehr die Maffe geiftiger
Anregungen gar nicht berechnen, die durch die moderne
Journaliſtik unter den Völkern bis tief in die unterſten
Schichten ber Gefellfhaft verbreitet werden. Wer alfo
feinen Blid nur irgend über das augenblidlichfte, äußere
Sntereffe zu erheben vermag, dem muß die Frage nach
Entſtehung und Beranbildung diefer Tagesmacht fich von
felbft aufdrängen, ihre. Beantwortung muß wenigftens
feine Neugierde reizen; und das ift die allerniedrigite
Betrachtungsweiſe. Die thatfächlich vorhandene Macht
ber Tagespreſſe hat aber auch auf der einen Seite die
überfäwänglichfien Hoffnungen, auf ber andern Seite
nicht geringere Beforgniffe rege gemacht; einerfeitd naͤm⸗
lid glaubt man in ihr das unfehlbarfte Mittel zur fitt-
lichen, politifchen und, foweit als nöthig, wiffenfchaft-
lihen Beranbildung der Volksmaſſen zu erfennen und
erhoffe von ihre namentlich die Fräftigfte Beihülfe zu
fiherer Erreihung aller demokratifchen Gelüfte unferer
Zeit; andererfeits fürchtet man, daß diefe nicht wegzu-
leugnende Macht jede andere Gewalt vertilgen und. be-
wältigen, fich felbft anı Ende zur wahren Beherrfcherin
der Staaten und Völker aufwerfen werde. So ift es ge-
fommen, dag man jegt bei dem Verlangen nach Preß-
freiheit immer nur zunäcdhft die Tagespreffe im Auge
bat, daß zwifchen derfelben und den Staatsgewalten ein
bartnädiger Kampf von beiden Seiten mit verfchiedenen,
nicht immer mit den ehrlichften Waffen geführt wird.
Eine Löfung diefes Streits — einer Löfung aber und
nicht eine Niederlage auf ber einen oder der andern Seite
bedürfen wir — wird erft dann möglich werben, wenn
man das Wohin? der Zeitfehriften aus ihrem Woher ?
zu erklären und vorauszufehen verftcht, wenn auch auf
diefem Gebiete die Gefchichte erkannt, aber nicht nur er-
kannt, fondern auch als LXehrerin der Gegenwart aner-
kannt worden if. So gefellt ſich alfo zu der rein wif-
fenfchaftlichen, literarhiftorifchen Bedeutung, die der @e-
fhichte des Journalismus beiwohnt, noch die andere
Seite der politifhen Wichtigkeit, die in unfern Tagen
mehr ale je hervortritt. Es gefellt fi aber auch noch
eine dritte Nüdfiht Hinzu: man mag auch noch fo ent:
fchiebener Freund des Journalismus fein, das kann man
nicht in Abrede ftellen, daß er noch lange Das nicht ift,
was er fein kann und fol; und zwar darf er-das nicht
allein äußern Hemmniffen zur Laſt legen, fondern hat
alle Urfache, feiner eigenen Verfchuldungen zu ‚gedenken.
Schon vor mehr ald 20 Jahren fprah ſich Carus in
dem Taſchenbuch „Minerva über das Unwefen der Zeit-
ſchriften und Unterhaltungsblätter aus, und was bort zu-
nächft den unendlich verfumpften belletriftifchen Theil der
Tagespreffe traf, das gilt vielfach aud) noch von ber
heutigen im weiteften Umfange, die oft nicht Zagespreffe,
fondern höchftene nur Eintagspreffe zu heißen verdient.
Gerade der Journalismus ift feinem ganzen Wefen nady
fo vielen Abirrungen und Zehlgriffen ausgefegt, daß feine
Leitung ganz vorzugsmweije gefinnungstüchtigen und gründ⸗
lich gebildeten Männern anvertraut fein müßte, und in
welchem Widerfpruch ſteht hiermit die Wirklichkeit! Die
deutfchen Zeitfchriften laffen ſich wahrlic, zählen, deren
Redaction ſowol den Willen als das Wermögen bethäti-
gen, ihrer Aufgabe nachzutommen; mehr ale einmal ift
es dageweſen, daß Leute, die nicht im Stande waren
ſich ihr Brot anders zu verdienen, flugs ein Sournal
grümbeten und redigirten; und welche fhmählichen Be-
weife des niebrigften Miethlingsthums find noch in aller-
neuefter Zeit mit der frechften Stirn von den Betreffen-
den felbft ans Licht gebracht worden! So fteht es mit
den Nedactionen, und nicht anders mit den Mitarbei-
tern, wovon ſich namentlich bei fo mandem Minfeljour-
nale wunderlihe Dinge erzählen ließen. Auch hier kann
es fein befferes Mittel zur Heilung der vorhandenen
Übel, zu gedeihlicher Fortentwickelung geben als Selbft-
ertenntniß, und wie follte die Tagespreſſe zu diefer bef-
fer gelangen ale dadurch, daß fie ihre Herkunft, ihr
Wachsthum und ihre Entwidelung kennen lernt, daß fie
aus ihrer eigenen Geſchichte erficht, welches ihre Auf-
gabe fei, wo, wie und wodurch dieſe bisher verfehlt,
wo, wie und wodurd fie wenigſtens annäherungsmeife
erfüllt worden?
Wenn man einer Geſchichte des Zournalismus diefe
dreifache Wichtigkeit für die Kiteraturgefchichte, für das
Staatsleben und für die Zukunft des Journalismus
felbft nicht abfprechen fann, fo wird man auch von die-
fer Darftellung derfelben eben Das behaupten können,
was Prug von dem Journalismus treffend nachgewieſen
bat: daß er weder in feiner Entfiehung noch in feiner
8
.weitern Entwickelung ein Werk der Willfür, fondern un-
willkürlich als der für gewiffe Zeiten und Umftände ent:
fprechendfte Ausdrud entflanden und immer nur in voll-
fier Ubereinflimmung mit der Zeit und deren Eigen⸗
thümlichkeiten fortgewachfen fei. Ganz ebenfo mie das
Refermationgzeitalter den Journalismus felbft, mußte
unfer Zeitalter, wenn es nicht eine fehr bedeutende Auf:
gabe überfehen wollte, eine Geſchichte des Journalismus
bervorbringen, und wir haben alle Urſache, dem Schick⸗
fat zu danken, daß bie Löfung diefer Aufgabe fo ganz
in die rechte Hand gefallen if. Möge nun auch die
Theilnahme der Lefer die rechte fein und fo reiche Be—
Iehrung, wie fie dies Buch bietet, nicht verloren gehen.
Gehen wir zu einer nähern Betrachtung des Gebo-
tenen über, fo finden wir bald, daß, wie nothmwendiger-
weife jedes literaturgefchichtliche Merk, fo auch diefes fei-
nem Inhalte nad in zwei Haupttheile zerfällt: in eine
rein referirenbe Darftelung des realen Stoffe und in
eine zufammenhängende Entwidelung, welche theils bie
Urfachen, welche der Bildung jenes realen Stoffs vor:
ausgingen, theils die Folgen, die fi für das geiftige
Gefammtleben des Volks daraus ergaben, darlegt. Ob
diefe beiden Daupttheile firenger voneinander gefondert
werden müffen oder mehr ineinander gearbeitet werden
tönnen, ‚das hängt von der Beichaffenheit des jedesmal
vorliegenden Stoffs ab; auch in dem vorliegenden Werke
konnte in diefer Beziehung nicht durchweg die gleiche
Berfahrungsweife eingehalten werben; doc, ift überall die
Bemühung erfihtlih, mit welcher der Verf. auch den
rein referivenden Abfchnitten ein allgemeineres Interefje
zu geben gejucht und gegeben bat. So läßt fich Hoffen,
Daß ſelbſt Lefer, die fonft nur eine leichte anregende Un-
terhaltung fuchen, es nicht verfchmähen werben, ihre Auf:
merkſamkeit auc den firenger gehaltenen Theilen des
Buchs zuzuwenden, die nebenbei manche unterhaltende
Einzelheit und Seltſamkeit darbieten.
(Der Beſchluß folgt.)
Gegen Rom.
Seit den trügeriſch geiömiebeten Decretalen Ifidor’d und
ber Schenkungsurkunde Konſtantin's, „dieſen beiden magifchen
Pfeilern der geiftlichen und weltlichen Einherrſchaft der Papfte”,
wie fie fehon. Gibbon treffend genannt; feit mehr denn einem
Sabrtaufende ift, wenn Fein anderer getreuer Edardt da war,
die Völker und die Menfchheit zu warnen vor dem Weſen her
römifhen Hierarchie, der Trug⸗ und Lügengeift derfelben auf
gedeckt, gegelgeit und gefläupf worden von dem Spotte der Dicht:
ſt. Die Spottgedichte, die Stachelreime wider den päpftlichen
Stuhl, feinen Wandel und feine Herrfchaft, gegen die darauf wal:
enden Srundfäge und Gewohnheiten reichen bis in die früheften
Sahrhunderte feiner eigenen Zeitrechnung hinauf, fie werden fort»
" dauern, bit ſich der Fluch erfüllt, den ein neuerer Dichter der Le
bendigen gegen ein übertündhtes Grab geſchleudert. Schon ein
Iateinifder Epigrammatiker des 10. Sabehunberts, der das
von ben —*8 ausgeſonnene, oder dem Cultus vorchriſtlicher,
gutheidniſcher Religionen entlehnte Märchen vom Fegfeuer oder
der Vorhoͤlle lächerlich zu machen ſucht, indem er einen Mann,
der im Parabied gewefen, in burlesker Sprache Alles erzählen
läßt, was er dort gefehen, ertheilt dem Papft in dem paradie:
iifhen Hausregiment das Amt eines Küchenmeiiters zu. Gin
anderer lateinifcher Poet, der etwa ein Sahrhundert ſpäter,
entweder zu Ende des 11. oder am Anfange des 12. fchrieb,
fagt gerade heraus, Rom bete wie die alten Heiden den
Mammon an und verfchlinge in feiner unerfättlicden &ier Die
Schäge und Reichthümer aller ber Länder, welche die Oberherr⸗
ſchaft des päapftlihen Stuhls anertennen. Der Dichter fingt:
Gens Romanorum subdola
Antiqua colit idola!
Ornatas vestes Graeciae,
Ebur cum gemmis Indiae,
Deliciosa Franciae,
Argentom, aurum Angliae,
Lac et batyrum Flandriae,
Mulas, mulos Burgundiae,
Roma deglutit penitus
Digua perire funditus.
Quaecunque volo facio:
Ego nuptas decipio;
Ego corrumpo virgines;
Edomo cunctos homines!
Rom treibt verfhlagen und gefdeit
Den Gößendienft der alten Zeit!
Koftbar Gekleid aus Griechenland,
Kleinode viel von Jadiens Stran),
Die Schaͤtze Frankreichs; Silber, Gold
Aus Englands reihem Schacht geholt;
Die Milh und Butter von Brabant,
Das Maulthier aus Burgunderland:
Rom im gefräß'gen Schlunde birgt,
Verdient hard, daß es d'ran erwürgt.
Rom ſpricht, was ih will, thu' ih auch:
Weiber verführ'n, das iit mein Brauch;
Den Jurgfern raub' ich ihren Kranz,
Die Menſchheit aber knecht' ich ganz!
Die Spottdichter diefer Urt liebten es dabei oft, Bibelftellen
in einer Weife zu parodiren, die ihnen in fpäterer Zeit, wo
die wachſende Aufklaͤrung die päpfllide Macht ernſtlich be:
drohte, wahrfheinlid den Scheiterhaufen eingetragen hätte,
Im 12. Jahrhundert war es cin ftehender Wie im Bolfe,
daß der Papſt Marcus den Evanyeliften mit einer Markt Sil⸗
ber verwechlelt habe. In Bezug auf dieſes Bonmot jener Zeit,
vielleicht wol auch die Quelle deifelben, erſchien Tolgendg Paro⸗
die eines Bibeltertes: „Der Anfang des heiligen Evangeliums
in Bezug auf eine Mark Silber. In dieſer Zeit fprach der
Papft zu ben Römern: Wann der Sohn des Manſchen kom:
men folte zum Sige unferer Majeftät, fo fagt ibm alsbald:
«&reund, warum kommſt dDuf» Und wann er nicht abläßt,
anzuklopfen, ohne daß er euch etwas darreicht, fo werft ihn
hinaus in die Außerfte Yinfterniß. Und es geſchah, daß ein
gewiſſer armer Schreiber kam zum Hofe unferd Herrn, des
Papftes, und fehrie laut und ſprach: «Erbarmt euch meiner,
0 ihr Pförtner des Papſtes, denn die Hand der Dürftigkeit
liegt ſchwer auf mir und ich bin arm und elend, darum Ache
ih zu euch, daß ihr mir beiftehet in meiner Noth und mei:
ner Schmadh.» Da fie aber Solche hörten, wurden fie ent:
rüftet im Geiſt und fpraden: «Freund, deine Duͤrftigkeit
bleibe bei dir zu deinem Verderben; weiche von und Satanas,
denn du bift nicht weife in der Weisheit des Geldes! Wahr:
lich, wahrlich, ich fage dir, du ſollſt nicht eingeben zu den
Freuden deines Herren, du habeft denn den letzten Heller her:
ausgegeben.» Und der Arme ging hinweg und verkaufte ſei⸗
nen Mantel und feinen Rod und Alles, fo er hatte und gab
das Geld den Cardinälen und den Pförtnern, und fie ſprachen:
«Was ift dies unter unferer fo Vielen?» Und fie warfen ihn
hinaus zus Thür. Und als er draußen ftand, weinte er bit:
terlih und war ohne Troſt. Und darauf fam an den Hof
ein gewiſſer reicher Schreiber aufgebläht und keuchend und
en ber verrätherifcherweife Mord begangen. Und bie:
fer Mann gab zuerft dem Pförtner, dann dem Kämmerling
und zum Dritten den Cardindlen; aber fie dachten bei fidh,
daß fie trachten follten mehr j erhalten. Da aber unfer
Here, der Papſt, vernahm, dab feine Gardindie und Diener
viele Saben empfangen hatten von dem @chreiber, erkrankte
er bis zum ode. Darauf aber fandte ihm ber reihe Mann
Arznei von Silber und Gold, und ſiehe da, von ſtundan ward
er gefund. Darauf rief unfer Herr, der Papft, feine Cardi⸗
näle und Diener vor ſich und ſprach zu ihnen: «Brüber, hü:
tet euch, daß man euch nicht verführe mit leeren Morten;
denn ich habe euch ein Beifpicl gegeben, auf daß ihr nehmt,
wie ich auch genommen babe!n’'
Diefes ergögliche Beifpiel der Angriffe, welche in ben
früheften Seiten von dem roͤmiſchen Klerus felbft gegen die
Berderbtheit bed Hauptes der Ghriftenheit und ber ganzen
Grundlage ded Papſtthums ausgingen, firbet fich mit vielem an:
dern Stoffe der Urt in einer von Edelestand du Meris in Pa:
ris berausgegebenen Sammlung der lateinifhen Poeſie Des
früheften Mittelalters. Darin ße auch als Parodie der Meſſe
eine „Missa de potatoribos“ enthalten, die mit ben Worten be:
innt: „Initium sancti Evangelium secundum Lupum Fett
ucam). Fraus (ſtatt laus) tibi Bacche etc.’ 26.
Literariſche Notizen aus Frankreich.
Stellung und Berhältniffe der Juden in
Frankreich.
Die Anhänger und Vertheidiger ber Emancipation der Zu:
den pflegen fich gewöhnlich auf Frankreich zu berufen, wo bie
factifchen Berhältniffe unmiderleglih darthun follen, daß die
Sfraeliten unter günftigeen Umftanden bie ſchroffen Eigenthüm:
lichkeiten, welche uns abftoßen fünnen, leicht abzuftreifen im
Stande find. Es dürfte deshalb nicht undngemeſſen fein, Die:
jenigen, welche dieſe wichtige Frage einer gründlichern Bes
—8 unterwerfen wollen, auf ein vor kurzem erſchienenes
Buch zu verweilen, in dem die Verhaͤltniſſe der Juden in
Frankreich ausführlich befprochen werden. Der Zitel beffelben
lautet „Des juifs en France” und Berf. ift Zheophile Hallez,
Advocat am koͤniglichen Appellationdhofe zu Paris. Obgleich
der Verf. keineswegs zu den modernen Berehrern des Juden:
thums gehört und er felbft in feiner Darftellung zum Theil
eine gewiſſe Schärfe durchblicken läßt, fo fann man ihm doch
den Vorwurf der Yarteilichkeit nicht machen. Nichts will er
weniger als fie um ihrer Religion willen verfolgt willen; aber
er verlangt mit defto größerer Strenge, daB fie vor Allem gufe
Franzoſen fein follen, alfo daß fie nicht innerhalb des großen
Ganzen noch eine Befonderheit bilden follen. ine af Be:
Iefenbeit entwidelt er in dem biftorifhen Theile feiner Arbeit,
in dem er die Gefchichte des Zudenthums in Frankreich von
den Merovingern bis zur Revolution ven 1789 behandelt. Al:
lerdings lagen bier bereits gediegene Specialwerke, 3.8. Dep:
ping's Reißige Schrift über die Juden im Mittelalter und einige
andere Monographien, vor. Diejenige Abrheilung, in welcher
Hallez mehr feine eigenen Anfichten entfaltet, geht von der
Idee aus, daß die vollftändige Emancipation, wie fie in ber
Revolution gegeben und feftgeftellt wurde, eine offenbare Über:
eilung gewefen if. Er wünfdte, die Conftituirende Berfamm:
lung —* att ſich von den Declamationen des Abbe Gre⸗
goire, ded Sieyes und Mirabeau's leiten zu laflen, auch eini⸗
ges Gewicht auf die Argumentationen vom Abbe Maury und
Reubel gelegt. Er meint nämlich, die Juden wären zur Zeit
noch nicht reif geweſen für eine völlige Gleichſetzung mit den
übrigen Staatöburgern, es hätte die Kluft, welche zwifchen ib:
nen ımd dem überwiegenden chriſtlichen Zheile der Bevölke—
zung beftand, erft allmälig ausgefüllt werben müflen, ftatt mit
einem Sage über die, beftehenden Verhaͤltniſſe hinwegzuſpringen.
Natürlich Bann man nie daran denken, die Rechte, welche
den Juden jegt nun einmal zuerkannt find, wieder aufzupeben
und den früheren beflagenswertben Buftand zurüdzuführen.
Dies wäre ein Werk der Unmöglichkeit, aber der Bert. meint,
e8 müffe doch nun Alles gethan werden, um fle für den Stand
punkt, ben fie jegt nun einmal einne ‚ volllonmen heran⸗
zubilden. Die Rathſchlage, welche er in diefer Beziehung er⸗
theilt, find nicht eben alle Leicht in Ausführung I bringen,
und es möchte nicht an Ausſetzungen fehlen, welche ſich da⸗
egen erheben ließen; aber man muß ihm {m Allgemeinen dad
eugniß geben, daB er es wenigftend tedlich gemeint hat. IM
Sammlung der WMilitairgefege.
Während die Assemblde nationale ihre Sitzungen hielt;
machte ji das Bebürfniß geltend, die verfchiedenen Beftim-
mungen und EA Berfügungen, weldhe auf das Land⸗
und Secheer Bezug haben, zu einem Gefegbuche zu vereinigen.
Der Wechfel der Ereigniffe, die im mächtigen Umſchwunge ſich
drängten, ließ den Gedanken zu einem foldhen oder, der
von einigen Rednern in Anregung gebracht war, wieder fallen.
Auch während des Kaiferreihd tauchte der Plan zu einem
Werke, wie ed die Assembl6e nationale beabfichtigt hatte, wie⸗
der auf. Aber auch diefes Mal gedieh er nicht zur Reife, und
die Commiffion, welche Rapoleon mit diefee Arbeit beauftragt
batte, Bam nicht einmal zur Abfaffung eines vollftändigen Ent⸗
wurfs. Der Herzog von Orléans, den ein früher Tod dahin
gerafft bat, wollte die Idee, welche ſchon zweimal nach ihrer
Verkörperung gerungen hatte, wieder aufnehmen. Bu diefem
8wecke gab er einem als tüchtigen Rechtögelehrten befannten
Schriftfteller, Durat:Lafalle, den Auftrag, einen ſolchen überficht-
lichen Eoder für das gefammte Kriegsweſen ausguarbeiten. Ob⸗
leich derfelbe nun mit großem Eifer und wahrer Hingebung für
eine Sache an die Arbeit ging, fo erlebte der Herzog von
Drleans doc die Vollendung derjelben nicht mehr. Sie erfcheine
jegt nun endlich u. d. T. „Droit et legislation des armées
de terre et de mer”. Das ganze Werd — im Manuſcript
find die zehn Bände, aus denen es beftchen wird, bereits been»
digt — iſt gegenwärtig bis zum fechsten Theile gediehen. Der
Herausgeber hat fi nicht nur das Verdienſt einer fleißigen,
forgfältigen Sufammenftelung erworben, fondern feinem Werke
dadurch einen noch höheren Werth zu verleihen gefucht, daß er
in feinen Einleitungen und Anmerkungen die nöthigen Erflä-
rungen und @rörterungen gibt. So wird hier das NRöthige
aus dem Bölkerrecht beigebracht, und diejenigen Nechtöbegriffe,
welche dem Militair geläufig fein müffen, werden in kurzen
aber durchaus genügenden Andeutungen entwidelt.
Geſchichte des Reprafentativfyftems.
So vielfache Verſuche au ſchon gemacht find, um den
Urfprung und die Entwidelung Des Repräfentativfoftems in
Frankreich ins Licht zu ftellen, 2 bleibt Doch in der Geſchichte
ber Etats - generaux immer nod manche dunkle Partie.
Die Akademie der politifchen und moralifchen Miffenfchaften,
welche über bedeutende Geldmittel zu verfügen bat, fah fich
dadurch veranlaßt, eine Preisaufgabe auszufchreiben, der zu⸗
folge eine genauere, aus der Quelle getchöpfte Darftelung
biefer Gefchichte nebft den hierauf bezüglichen hiſtoriſchen und
pelitifhen Entwidelungen verlangt wurde. Unter den verſchie⸗
denen Bewerbern hat Rathery den Sieg davongetragen. Statt
aber fiegesfroh feine gekroͤnte Preisfchrift ungefäumt der Df:
fentfichfeit zu übergeben, hat er es vorgezogen, diefe Abhand-
lung zuvor noch einmal einer ſtrengen ichtung und Überar-
beitung zu unterwerfen. Gegenwärtig wird fie und nun u. d.
X. „Histoire des Etats- generaux” geboten. Es ift dies eine
fleißige, recht brauchbare Arbeit, deren Verf. bedeutende hiſto⸗
rifche Kenntniffe verräth und die reich ift an feinen und geift-
reichen Gombinationen. hr
Verantwortlicher Herausgeber: Seinrich Wrodjans. — Drud und Verlag von F. ME. Brockhaus In Reipzig.
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Freitag,
23. Januar 1846.
Geſchichte des deutſchen Journalismus. Zum erſten
Male vollſtändig aus den Quellen gearbeitet von
R. E. Prutz. Erſter Theil.
(Beſchluß aus Nr. 32.)
Das Buch wird eröffnet durch eine Einleitung, wel⸗
he fih zunachft über „Entflehung und Zweck bes vor-
liegenden Werks” ausipricht; es ift Hier ausführlich die
Bedeutung, ja Nothwendigkeit nachgewiefen, die daffelbe,
wie ich ſchon oben andeutete, in bdreifacher Hinficht für
fih in Anſpruch nehmen kann. Hier, wo Prug fchließ-
lich auch Einiges über feine perſönliche Stellung zu ber
gewählten Aufgabe befpricht, finden wir fogleich den
fiherften Beleg für das dem Werk oben im Allgemeinen
gezollte Lob: namentlich wirb Jeden, der fich an bes
Berf. Stellung zu den politifhen Bewegungen der Ge-
genwart erinnert, Das lebhaft interefiiren, was er über
Die politifhe Seite feines Unternehmens fagt; es wird
aber auch Jeben überzeugen, daß Prug menigftens auf
ben Boden der Gefchichtswiffenfchaft durchaus Beine über-
triebenen Foderungen mitbringt ; daß er namentlich von
jener unmiffenfchaftlichen Thorheit durchaus frei ift, an
vergangene Zeiten den Maßſtab der Gegenwart zu legen.
Eher dürfte der Vorwurf laut werden, daß Prutz dem
Fournalismus im Vergleiche mit der gefanmten übrigen
Literatur, ja wol auf deren Unkoften eine allzu hohe Be⸗
deutſamkeit beilege. Manche dahin Iautende Aeußerung
wirb man gewiß der gewiffenhaften Vertiefung in den
Gegenſtand feiner Arbeit und der fichtlichen, ihr gewid⸗
meten Liebe gern zugute halten, aber es ift auch nicht
zu überfehen, dag Prug wiederholt ausdrücklich darauf
hinweift, daß er einem Aufgehen ber übrigen Literatur
in Sournale durchaus das Wort nicht rede, daß er durch
feine Darftellung nur dazu Beiträgen will, bem Journa⸗
lismus die rechte, feiner und der Zeit würdige Stellung
und Haltung anzumeifen, und das wird fi nun einmal
nicht wegleugnen laſſen, daß, wenn überhaupt die Lite-
ratur auch auf das öffentliche Lesen der Staaten und
WVolker einwirten fol und barf, dies die Aufgabe des
Journalismus und nicht dickleibiger publiciflifcher Ab⸗
bandlungen ifl. Wenn biefe Einwirkung bisher noch nicht
überall die wünfchensmwerthe geweſen ift und ed auch wol
vor der Hand nicht werden wirb, fo Fann man menig-
ſtens nicht behaupten, daß fie durch irgend mufterhafte
Sournale misleitet oder aufgehalten fei.
Es folgt ſodann eine „Geſchichte und Kritik der Vor⸗
arbeiten” (S. 22 — 59). Mancher Lefer dürfte fih vor
ber Trockenheit dieſes Abfchnitts fürchten und geneigt
fein, ihn zu überfchlagen, unb in der That wird er das
Hauptintereffe nur für den Kiterarhiftoriter von Fach
haben; für diefen aber bat die fehr vollftändige und ge-
naue Unterfuchung auch den fehr bedeutenden Werth, daß
fie ihm für jede ähnliche Arbeit eine Menge unerfprieß-
licher Nachforfchungen erfparen kann. Aber auch andern
Leſern möchte ich rathen, diefem Abfchnitt ihre Aufmerk-
famteit zuzumwenden, denn theil6 kann man nur aus ihm
den Umfang ber von Prug übernommenen Arbeit ganz
ertennen, theil® wird auch er dazu dienen die Bedeutung
des Journalismus für die deutfche Kiteratur in ein kla⸗
res Licht zu fegen und namentlich darthun, daß die all⸗
gemeine Theilnahme an demfelben nicht blos ein Zeichen
unferer Zeit ift; zugleich aber kann derfelbe als Mufter
einer bei aller Gediegenheit doch höchft lesbaren Behand-
lung derartiger Stoffe dienen.
Die Einleitung wird endlich befchloffen durch einen
dritten Abſchnitt: „Eintheilung des Stoffe”; eine der⸗
artige Überficht über den geſammten Stoffreichthum bes
Werts war um fo nöthiger, je weniger eine Kenntniß
deffelben irgend vorausgefegt werden kann, je ſchwieriger
es alfo ohne einen ſolchen Wegweiſer fein würde, fi
in dem Ganzen zurechtzufinden. Zugleich aber ergibt
fi) daraus mit überrafchender Klarheit die Überzeugung,
in weldem innigen Zufammenhange ber bdeutfche Jour⸗
nalismus feit feinem erften Beginn mit der gefammeten
vaterländifchen Kiteratur ſteht, ſodaß er durchaus nirgend
als ein willkürlich aufgefchoffenes Gewaͤchs erfcheint, ſon⸗
bern in fletigem organifchen Zufammenbange mit bem
-literarifhen Gefammtleben ber Nation bald neue Ent-
widelungen vorbereitet, balb neu errungene Bildungs»
ftufen zum Gemeingut des ganzen Volle erhebt. Es
zerfällt aber hiernach das ar Werk in drei Bü-
her. Das erfte umfaßt die Zeit vom Reformationszeit⸗
alter bis auf Klopſtock und behandelt in drei Gapiteln
die Anfänge des deutfchen Zeitungsmwefens bis 1682, die
Zeit der gelehrten Zeitfchriften bis 1713, und die ber
moralifhen Wochenfchriften bis 1742, wobei es fi von
4
felbft verfteht, daß die angegebenen Jahreszahlen nur ale
‚ungefähre Haltepunkte gelten können. Das zweite Buch
reiht von Klopſtock bis auf Kant und die franzöftfche
evolution; feine drei Gapitel kann man am kuͤrzeſten
bezeichnen duch bie Herrſchaft des Klopſtock'ſchen, die
des Leſſing'ſchen Geiftes und dfe der Sturm⸗ und Drang-
periobe. Das beitte Buch endlich bis 1844 zerfällt wie-
der in drei Kapitel, deren beide erftern mit den Jahren
1813 und 1830 abfchliegen. Auf die ausführlich ge-
gebene Begründung diefer Eintheilung, fofern ihre jr
tigkeit nicht fogleih ins Auge fpringt, Fann ich hier nicht
näher eingehen; follte fie aber auch hier und da auf den
erften Blick etwas gekünſtelt erfcheinen, fo wirb eine
nähere Betrachtung doch ſtets zeigen, daß ihr ein ſehr
eingehendes Verſtaͤndniß der deutſchen Literaturgefchichte
zu Grunde ‚liegt.
Der vorliegende erfle Theil des Werks enthält nur
die beiden erften Eapitel des erften Buchs, alfo etwa
anderthalb Zahrhunderte; diefer Umſtand koͤnnte bei bem
je fpäter defto mehr wachfenden Stoffe einige Beſorgniß
wegen der baldigen Vollendung des Ganzen innerhalb
mäßigen Umfangs erweden, wenn nicht außer ber Ein-
leitung mancherlei Vorfragen und allgemeine Erörterun-
gen hier hätten erledigt werden müffen, bie den fpätern
Teilen zugute kommen werden. Das freilich ift gleich
zuzugeben: Bibliographen werden in diefem Werke ihre
Rechnung nicht finden; denn auf unbebingte Bollftän-
digkeit des vorhandenen Stoffe konnte und wollte Prug
ebenfo wenig eingehen als etwa ber Geſchichtſchreiber
dem Genealogen ein Genüge thun Tann.
Ebenſo wenig kann ich hier den ganzen Inhalt des
vorliegenden Theile weder vollfländig darlegen noch be
urtheilen, fondern muß mich auf eine flüchtige Uberſchau
beffelben beſchraͤnken.
Prutz fegt gewiß mit Recht das Welen des Jour⸗
naliemus barein, daß er feinen Inhalt einer allgemein
zugänglichen Öffentlichkeit übergibt ; dieſe Offentlichkeit
aber ſetzt einerfeits das Bedürfniß berfelben bei den
Völkern und Individuen, andererſeits die zur Ausführ-
barkeit nöthigen Mittel voraus; da nun jenes fubjective
Bedürfnig erft mit der Meformation, die objective Aus-
führbarkeit aber erft durch die Buchdruderkunft und eine
geregelte Poſtverbindung eintreten konnte, fo ergibt fich
von felbft, daß alle fogenannten Journale der ovientali-
fen und claſſiſchen Völker unter den Titerarhiftorifchen
Begriff des Journalismus nicht fallen konnen, diefer
vielmehr erft im 16. Jahrhundert und vorzugsweiſe in
Deutſchland feinen Anfang nehmen Tann. Zumädft
wandte fi die journaliſtiſche Thaͤtigkeit dem augenfäl-
Vigften Stoffe, bebeutenden Greigniffen des Gtaaten-
und Wölkerlebens zu, ift alfo von Anfang an politifihen
Den ‚ jedoch fo, daß fie eben nur todten Stoff der
ffentlichkeit überliefert; hierher gehören die fogenannten
„Relationen des 16. und 17. Jahrhunderts, von denen
Drug mehre bisher unbekannte genan befchreibt; mehr
jeboch als auf die einzelnen erhaltenen Erfcheinungen
deſer Art geht er auf die Kreife ein, über welche fie
ſich als Ausdruck der öffentlichen Theilnahme verbreite-
ten. Da wo zu dieſen rein ſtofflichen Mitiheilungen das
ſubjective Intereſſe des Darſtellers hinzutritt, d. h. wo
die Relation in Flugſchrift, Spott- oder Lobſchrift, meiſt
In poetiſcher Form, uͤbergeht, mußte ſich Prutz feiner
Aufgabe gemaͤß mit kurzen Andeutungen begnügen, da
derartige Schriften dem eigentlichen Journalismus nicht
mehr beizuzaͤhlen find.
Der erſte wefentliche Fortſchritt in der Entwidelung
des Journalismus ift das regelmäßige periodifche Er—
feinen der dahin gehörigen Schriften, welches ben äl-
tern Relationen durchaus abgeht. Die von Prug an-
geftellten Unterfuchungen weifen auch für dieſen Fort⸗
fhritt eine durchaus allmälige, aus der Natur der Sache
beroorgehende Entftehung nah. Nur als ein Auswuchs
biefer Richtung können bie (&. 200 fg.) erwähnten
Schriften erwähnt werben, welche bie Ereigniffe eines
ganzen Jahres in dicleibigen Bänden zufammenfaßten,
alfo gewiffermaßen nur einmal des Jahres erfcheinende
Zeitungen waren; das befanntefte biefer Werke ift das
„Theatrum europaeum‘. Unerwähnt bat Prug an ber
erwähnten Stelle gelaffen, daß man derartige Werke fo-
gar durch romanartige Einfleidungen fhmadhaft zu ma-
hen fuchte, wie namentli Werner Happel, welchen
Prug ebenfalls (5. 330 und 383) erwähnt, auf die acht⸗
ziger Jahre des 17. Jahrhunderts „fogenannte Eurspäf-
[he Gefchichteremane, mworinnen man die fürnehmften
Schichten, von Wundern, Krieg, Eftatsfachen, Gluͤck—
und Unglüdsfällen, und was fonften merfwürdiges in
Europa und angrängenden Ländern in diefem Jahr pafe
firt, in feiner Ordnung zu vernehmen hat” m. f. w. er-
fheinen lieg. Ubrigens begleitet Prutz in biefem Capitel
den politifhen Journalismus gleich bis gegen bie Mitte
bes vorigen Jahrhunderts herab, und dürfte darin der
dreizehnte Abſchnitt, die berliner Zeitungen aus der er⸗
ften Zeit Friedrichs II. behandelnd, durch naheliegende
Beziehungen ein befonderes Intereffe erregen. .
Das zweite Capitel handelt von dem literarifchen
Journalismus in dem bezeichneten Zeitraum: bier find
die erften Anfänge außerhalb Deutfchlands, namentlich
in den „Journal des Scavans” zu finden, welchem des⸗
halb auch ein eigener Abfchnitt gewibmet if. Die erfte
bedeutende Erfcheinung diefer Art find in Deutfchland
feit 1682 die Teipziger „Acta eruditorum”, der durchaus
unvolksthümliche Ausdruck jener geiftlofen Gelehrſamkeit,
die ſo lange wie ein Alp auf dem deutſchen Geiſte lag.
Die Reaction blieb nicht lange aus: einerſeits wurde ſie
von den Pietiſten geübt, deren treffliche Würdigung
(S. 64) nicht zu uͤberſehen iſt; noch allſeitiger und
freier zu derſelben Zeit von Thomaſius, deffen Thaͤtig⸗
keit Prutz mit großer Waͤrme ausführlich ſchildert. Der
Reſt des Theils, d. h. etwa die legten SO Seiten, er⸗
fheint etwas zerfplittert, da bier eine bedeutende An⸗
zahl einzelner nach Ort, Zeit und geiftiger Richtung
verſchiedener Journale zu verzeichnen und kurz zu cha⸗
rafterifiren waren, wobei ein Zufammenfaffen nicht mög-
lih war.
Wenn ih num nochmals ausſpreche, daß ich von
dem Inhalte des hefprochenen Werks nur das Wenigſte
— berühren konnte, fo wird ber Schluß auf ben
eichthum befjelben nahe genmg liegen. Don ber gro»
fen Sorgfalt der Arbeit wirb eigene Anficht am leichte.
flen überzeugen und dem Werke auch das herfümm-
liche Lob „deutfchen Fleißes“ nicht entziehen können, der
um fo mwohlthuender da erfcheint, wo er wie bier mit
friſcher, lebensvoller Dearftellung verbunden iſt. So bleibt
denn nur der fchließliche Wunſch übrig, daß bie weitern
Theile recht bald erfcheinen und das ganze Werk bie ver-
diente Beachtung finden möge. 2. U. Paſſow.
Neugriehifhe Kiteratur.
Aus dem Sabre 1841 ift uns erft Fürzlich eine in Athen
erfchienene interefjante Schrift des Griechen M. Renieris „bı-
100oy 4a ıns lorople,‘ (Philoſophie der Geſchichte) zugelom:
men. Der Berf., der in dem Vorworte die unter den Grie⸗
hen und namentlich unter der griechifhen Jugend berrichende
Bernadhläffigung ded Studiums der Geſchichte fehr beklagt,
hat ed mit diefer Schrift befonderd darauf abgefehen, indem
er auf die hohen Schönheiten diefer Wiſſenſchaft hinweiſt, das
Snterefie der griechifchen Jugend für diefes Studium zu weden
und anzuregen. Die Sarik ift offenbar die Frucht erniten
Rachdenkens und eigener Forſchungen des Berf., wenngleich er
fi) damit an die Unterfuhungen Anderer über diefen Gegen:
ftand, 3. B. Deutfcher, Franzoſen u. f. w., anlehnt. Ein wah:
red Wort übrigend, das feine Bedeutung aud bereits in der
Wirklichkeit geltend zu machen begonnen bot, fpricht der Verf.
bier in dem Borworte auß, wenn er fagt, daß die beiden
uptquellen, durch welche bie europäifche Eivilifation über
Sriechenland und dadurch über das gefammte Morgenland ſich
verbreite, bie Preſſe und bie Univerfität in Athen feien.. Um fo
mehr muß freilich auch hier die eritere ihres hohen Berufs im⸗
mer eingeben? fein und die legtere namentlich ſtets fo geftellt
werben, daß fie diefe großen Bwede erfüllen Sonne.
Über diefe Zwecke bat fidy ganz Fürzlich der Profeflor der
Geſchichte an der Dtto-Univerfität, Dianuffis, in emem Schrift:
den „Ilepl navenıaınılaw Ev yersı, zei Idıanıkpng aspl 100
"Odwrslov nayenıaınulov” (Über Univerfitäten im Allgemeinen,
beſonders über bie Dtto-Univerfität) ausgefprochen. Er gibt
darin zunädit gefchichtliche Andeutungen über die Entſtehung
und den Fortgang der Univerfitäten, über ihr Weſen und bie
Einrichtungen auf denfelben, vornehmlich auf den proteflanti-
ſchen Univerfitäten Deutſchlands, und wendet fi dann zur
Univerfität in Athen mit feinen Wuͤnſchen für die äußere und
innere Belang derfelben.
Bon G. Papabopulod, Lehrer der allgemeinen Gedichte an
dem & um und der Geſchichte der bildenden Künfte an der
polytechnifchen Schule in Athen, iſt die bei der jährlichen Prüfung
und Ausftellung in legterer im Sommer 1845 gehaltene Rede über
das griechifche Polytechnion („„-Zoyor sol Tov Fllyrızou molu-
zay»sior‘‘) im Drud erfchienen. Sie tft infofern von einem be»
ſendern Interefle, als fie fich nicht blos über den gegenwärtigen
Buftand der golptechnifihen Schule, die Bahl der Schuler (im letz⸗
ten Jahre 635) und den Lehrplan an bexfelben, fondern zugleich
über den Zuſtand der Künfte und die Geſchichte der Kunft-
fertigkeiten in Griechenland feit dem Fall des alten Griechen»
Sands verbreitet. Denn allerdings if jenes Polytechnion, was
auch ſchon der Name eigentlich fagt, mehr eine Kunſtſchule
als eine Gewerbſchule, welches letztere die polytechniſchen Schu:
len in Europa zu fein und zu bedeuten pflegen.
Bon bem e, Ghieurgen und Geburtöpelfer Ucheläbis
in Athen erfchien um 3. 1844 eine Beine Schrift: „Meor ı@w dv
5 Eiiedı vnnıaxzav voauy" (Bon den Kinterfranfheiten in
Griechenland), die fi hauptſächlich auf bie dort im Sommer
hereichende gefährliche Diarchoe der Kinder befihränkt. Der Verf.
berfelben tft in Deutfchland gebildet und feine Schrift zeugt
von guter Bekanntſchaft mit der neuern deutſchen ärztliähen
Literatur.
Aus dem 3. 1842 müffen wir bier noch des uns nun
volftändig zugelommenen erften Bandes der „Antiquitds hel-
l&niques, ou r&pertoire d’inscriptions et d’autres anti
tes decouvertes depuis l’affranchissement de la Grece”, von
A. R. Rangabe*), gedenken. Das Werk enthält Gedrucktes und
Ungedrudtes an Infchriften u. ſ. w., mit einem fortlaufenden
Eommentar, mehre Kupfertafeln und eine Einleitung über die
Geſchichte der Aufgrabungen und Ausgrabungen von Alter
thümern in Griechenland feit dem Freiheitsäkampfe. Dem
Berf., der Minifterialrath im Minifterium des Innern unb
Secretair der Archaͤologiſchen Gefelichaft in Athen, auch feit
einiger Zeit Profeflor det Archäclogie an der DttosUniverfität
tft, flanden zum wenigften reiche äußere Mittel zu Gebote.
Auf dem Gebiete der neugriehifhen Dichtkunſt find uns
wieder einige Erzeugniſſe der ebenfo fruchtbaren als fpigigen
Feder des bekannten Alerander Sutſos zugefommen. 8war
gebört das eine „HI neraßoin 1175 Tolıns Tenut Bolov’' (Die
Ummälzung des 3. Septembers; Athen 1844) nicht aus:
fchließlih der Poefie an, fondern enthalt auch viel hiſtoriſch⸗
politiſches Raifonnement über jene Ummwälzung, ihre Urſachen
und ihre Folgen, fowie Biographifches über die Männer bes
Tags; es muß aber doch der Hauptfache nad als Diptung,
und zwar nicht bloß wegen der, einen Theil des Ganzen bildenden
Dichtungen gelten. Es hat die Vorzüge aber auch die Män-
gel früherer Gedichte des Aler. Sutfoß: reiche Phantaſie, ſpru⸗
deinden Wig, der nur gar zu fehr mit dem Gifte der Satire
zerſetzt iſt, Lebhaftigkeit des Gefuͤhls, glänzende Sprache, Un»
muth, Leichtigkeit und Mannichfaltigkeit der Formen; aber
Altes ift mehr ober weniger nur ber Ausbrud der Leidenfchaft
und der fubjertinen Anfchauungsweife des Dichters, felbft da,
wo die Baterlandöliebe der Lebenspuls feiner Dichtung iſt;
und ein ungezähmter Freiheitsdrang, ein ungebändigtes Selbſt⸗
bewußefein, deffen oft nur gar zu Feder Ausdruck darin herrfcht,
ohne die Dbjectivität des prüfenden Berftandes, ohne die Teine
Klarheit des Gemüths, flört den dichteriſchen Genuß in den
Poeſien des Aler. Sutfos.
Dos Nämliche gilt auch von dem neueften Producte Def:
felben: „Zurvpa nowın. Kirontoorıoö 1845 Erors’' (Erſte
Satire. Spiegel des Jahres 1845. then 1845), daB eine
Satire auf die tpolitifden Intriguen in Griechenland, inner:
halb und außerhalb des Congreffes, eine leidenſchaftliche Dia⸗
tribe gegen die Factionsmaͤnner Griechenlands, ohne Schonung
der Yerjonen, aber ſelbſt nicht ohne Parteilichfeit und Befan⸗
enheit ift.
g N ohlihuender ihrer Virkung nach und vielverheißend für
den noch jungen Dichter find die zum Theil ſchon vor einigen
Sahren entflandenen, jegt unter dem Titel „A nor
Zunrevarg": (Die erften Eingebungen) gefammelten Poefien
des Griechen Chriſtos Anaftaftadis (Konftantinopel 1844).
Der Berf., aus Konftantinopel felbft gebürtig, ſtudirt gegen-
wärtig auf ber Univerfität in Athen, und fingt bier mit innigem
Gefühl und Heiliger Begeifterung von Liebe und Preundichaft,
von Zugend und Vaterland, nicht ohne Anmuth und Gewandt⸗
beit in Sprache und Rhythmus. f
Biblisgrapbie.
Arentsfhildt, 2. v., Gedichte. Miniaturausgabe. Ha⸗
nover, Hahn. 1845. 16. 1 Thlr. 10 Rgr.
Babrius, Wubeln, in beutfpen Choliamben von U. F.
Ribbed. Berlin, Ionat. 8. y Ror-
*) Bu beziehen durch G. Wigand in Leipzig.
Bed, 8, Seife. de, ber ei Ausgabe Ste Auf
lage. Berlin, Voß. 1 Ahlr. A
— — Lieder vom armen Dann Hit einem Vorwort
an das 33* Rothſchild. Leipzig, Hermann. 8. 1 hir. 20 Rgr.
Beffer, 8. B., Der Riffionar und fein Kohn oder die
chte des Evangeliums in ber Südſee. Nah G. Prit»
Een s gleihnamiger Schrift bearbeitet. Mit einem Anbange:
Die Franzoſen die Jeſuiten in der Südfee. Halle, Mühl:
mann. gr.
Boucher, A., Dramatiſche und romantiſche Geſchichte
der Jeſuiten von der Gründung des Ordens bis auf unfere
Tage. Nach dem Dt —— Bwei Bande. Tuͤbingen,
Dfiander. Gr. 8.
Bremer, reden, Die Familie 9. Aus dem Schwer:
bifepen. 2te verbefierte Auflage. Leipzig, Brodhaus. Gr. 12.
U Xgr.
rtomme, J., donengemälbe. Raturgefhichte und Vol⸗
kerkunde voüſtandig in Wort und Bild. Stuttgart, Schmidt
und Spring. Qu. 7, Bol. 6 Ihlr.
Cornelia. Taſchenbuch für deutfche rauen auf das Jahr
1846. Begründet von A. Sgreiber, fortgefegt von W.
Teſche. Ilſter en Beige © er) Sahrgang. Darmftatt,
Lange. Gr. 16.
Döllinger, 3., ie Refnematie, ihre innere Entwide-
lung und ihre Wirkungen im Umfange des Rutherifchen Be⸗
Zentpiſſes. Iſter Band. Regensburg. Manz. Gr. 8. 1Thlr.
r
Döring g, H., Weihnachtsbüchlein. Dichtungen und Le
genden zur Beier Des Chriftfefte. Leipzig, Renger. 16. 25 Nor.
Eichhoff, N. ©, Kurze —— Mit einem
Vor⸗ und Nachworte genen, von
furt a. M., Keßler. 9.
Elliſ fen, A., Berfud ner — der europaͤiſchen
Poeſie. Iſter Band: Poeſie der Kantabrer, Kelten, Kymren
und Griechen. Leipzig, O. Wigand. Gr.8. 2 Thlr. 20 Ner.
Die deutfche Flagge. (Gedichte) Ein Album heraus:
gegeben von E. Boas. Reipzig, Schred. . 2 Xhlr.
Bonton, ., Rußland in Klein» Afien, oder Feldzug bes
Generals Pabiewitſch in den Jahren 1828 und 1829. Aus dem
Branzöfifchen uͤberſetzt. Berlin, Mittler. Gr. 8. 1CThlr. 15 Ngr.
Gedenkblaͤtter an Goethe. Mit neun Abbildungen und
einem Facſimile ber vanf eift Goethe's. Frankfurt a.
Keßler. Gr. Smp- 24
Geibel, E MP og Gedichte. Fte neu vermehrte
Auflage. Lübec; aſchenfeidt 8. 17% Rgr
Allgemeines evangeliſches Geſang⸗ und Gebetbuh zum
Kirchen: und Pausgebraug. Bambur, 3, Agentur des Rauhen
Haufes. Gr. 12. 1 Thlr. 10 Nor.
Gottf alt, N., Nobespierre. Drama in fünf Aufzu-
gen. Neifle, Burdhardt. 1845. Gr. 8. 25 Nar
Gro — F. G. A., Grundzuͤge des ir htes der
een und Coangelifchen. Dreslau, Aderholz. 1845. Sr. 8.
Sro8:Hoffinger, 4. 3., Fürft Metternich und das
öfterreichifche Staats: ⸗Syſtem. Sin Gutachten. Ifter Band.
Leipzig, Reclam jun. 8. Thl
Hagenbach, K. R., ei. Zwei Bändchen. Bafel,
Schweighauſer. 8. 2 Tblr. N
Heiſing, A., — — nicht durch Tilly zerftört.
Guſtav —* in Deutfilanb. Zwei hiftorifche Abhandlungen.
Berlin, Eyfienhardt. Gr. 8. 20 Nor
Delfert, J., Handbuch des Kirchenrechte aus den ge:
meinen und öfterreichifchen Quellen sufammengefke TH. Ifter
we 2te unverändert Auflage. Prag. 1845. Gr. 8. 4 The.
KH erloßfohn, E., Arabella oder Geheimnifie gines Hof:
theaters. Rome: Brei Bände. Leipzig, Melzer. 3 Ihe.
Herz, M. 3, Die Ehe der Chriften. Rad, oem Ur
fprunge, ihrer hoben Bedeutung und Wefenheit, nach ihrer
Berantwortliger Herausgeber: Seinrich Brockhans.
iaboff Frank⸗
Zuͤrde Ya Heiligkeit. Gtuttgart, Be und Fraͤnkel. 1845.
4 88
an ehfemen, F. M., Deutſch⸗ ſnige Gone Gonette, drank⸗
a Literarifche Anftalt. 1345
‚2. €. 2., Die mofaifhen Opfer, ans here finn-
bitbtichen und vorbildlichen Bedeutung. Gin Beitrag zur
tigen Würdigung ber igraelitifcgen Gottesverehrung in überer
Beit. Warſchau. 1845. , Nor
Jean Paul, Zitan. te usaake. Ifter und 2ter Band.
Berlin, Reimer. 8. 3 Thlr.
Kannegießer, G. L., Telemachos und Naufikaa. Epi⸗
ye⸗ Fedigtr in neun Gefängen. Nürnberg, Bauer und Raspe.
Gr. 16.
Kubler, N Die Grundlehren der Vaewixthdoſt Zwei
Theile. Bien, Braumüller und Seidel. Gr. 8. 4 Thlr.
Loßberg, v., Briefe in bie Heimath gefchrieben wäh
rend des Feldzugs 1812 in Rußland. Gin Beitrag zur Ge:
fchichte. diefes Feldzugs. Kaflel. 1844. Gr. 8. 1Thir. 15 Rgr.
Mendelsſohn, J., Eine Ecke Deutſchlands. Reiſe⸗
ſilhouetten, Oldenburger Bilder, Charaktere und Zuſtaͤnde. Ol⸗
denburg, Stalling. 1845. Gr. 12. Ngr
Müllen off, K., Sagen, —* und rieder der Her⸗
RVB ex Sol ein, und Lauenburg. Kiel, Schwers.
Gr. 8. Ir. Kar.
Reich, G., Die Eiufer chung bes Herrn ald Heils⸗That⸗
fache mit befonderer Kückſicht auf Schleiermacher. Eine
hi
’ Ab oe Erörterung. Darmftadt, Lesfe. 1815.
Gr. 8. 15
I Ihlr.
Kr Ir Entftehung. Erlangen, Blaeſing. 1845. Gr. 4
ert, F., Ral und Damajanti. Eine indiſche Ge⸗
ſchichte. Ste verbefferte Auflage. Frankfurt a. M., Sauer:
länder. 1845. 16. 1 Zhir. IV Nar.
Sallet, $. v., Sämmtliche Schriften. 2ter Band: Ge:
fammelte Berichte. 2te verbeflerte Auflage. Breslau, Schulz.
1 Zhlr. 10 Ror
Deefeisen äter Banb: Eontrafte und SParadoren. Eine
Novelle. Breslau, Schulz. 1345. 16. 1 Thlr. 10 Nor.
Sanio, F. D., Rechtshiſtoriſche Abhantlungen und Stu:
dien. Iften Bandes ft wotheitung. Königsberg, Gebr. Born»
träger. 1845. Gr. 8. 27 Nor
Scharff von Säarffenkein, H., Das leute Opfer
Robespierre 8. Zrauerfpiel in drei Aufzügen. Frankfurt a. M.
188. 20 Nor.
Shey er, S. B., Das pfychologiſche Soſtem des Mai-
monibes. Gine inleitungsfrift zu been More Nebuchim.
Rach den Quellen bearbeitet. Frankfurt a. M., Keßler. 1845.
Gr. 8. 20 Nur.
Schlegel’s, F. v., fümmtlide Werke. 2te Drigimalaus:
gabe. Pa und 2er Band. Wien, Klang. Gr.8. a 1 Thlr.
Schneidawind, 8. 3. az Ma Kaifer Iofeph's IT.
Hamburg, Berendfohn. 8 TUR
Siebenhaar, 8. D., grebigten über Luther's Leben.
geipiß, Thomas. Gr. 8. TR Rgr.
Stelzhamer, F., Proſa. Iter Band: Rovellen. Re:
gensburg, Manz. 18 345. 1 Thlr. 7%, Nor.
Bincas, H., Syſteme der Philofophie und ihre Religio-
nen nad) objeckiver und fubjectiver Raturbetradhtung. Dlden-
burg, Stalling. 8. 10 Rear.
Wagner, R., Zannhäufer und der Sängerkrieg auf Bart:
burg. Große Eemantife Dp Oper in drei Acten. (Xert.) Dres:
den. weh Pr i — d Poefie. H den fü
eihnachtsgabe in * a und Poeſie. Herausgegeben für
Fubeza ve don gdriſtuichen Freunden. Baſel, Schneider. 1845.
FRE bn, C. 4, Der Friedensbote. Eine Neu⸗
jahrsgabe fuͤr chriſtliche Freunde auf das Yahr 1846. Leipzig,
Gebhardt und Reisland. 8. 1 Chlr. 10 Nor. -
— Drud und Verlag von F. E. Drockhaus in Beipie.
Blätter
fir
literarifche Unterhaltung.
Sonnabend,
— NUM —
24. Januar 1846,
Literarifhe Zindlinge.
Ihre ſehr verfchiedenartige Subſtanz. — U. W. v. Schlegel. —
Goethe. — Deutfche Theater. — Tiedge. — Gonettenumfug. —
GSundenbekenntniß.
Die periodiſche Literatur, dieſes luftige Blaͤtterweſen,
wird ihrer ganzen Eigenthümlichkeit nach im Laufe der
Jahre weit eher als jede andere Literatur — verzettelt.
So gerieth mir erſt vor kurzem einer ihrer unzaͤhligen
ſtab⸗, namen- und heimatlos herum vagirenden Zettel
in die Hände. Er frappirte mid um fo mächtiger, weil
fein Inhalt in unfern Zagen offenbar ein ungleich grö⸗
ßeres Intereffe haben mußte als vor etwa 20 Jahren,
der Zeit ungefähr, bie den darauf befindfihen Auffag
ind Xeben gerufen haben mag und über den ich mir
deshalb die befondere Darlegung meiner Meinung vor«
behalte.
Dabei bin ich indeffen auf die Idee gerathen, daß
es im Allgemeinen kein überflüfliges Zreiben fein würde,
mit manden vom Zeitſtrome unferm Gefichtöfeife be-
reits entführten Blättern und Auffägen eine Revifion
zu veranftalten. Recht Vieles darunter, feit langen Jah⸗
ten Vergeſſenes, würde fi gewiß unferm weitern Nach⸗
denfen von neuem gleichfam aufbringen. Ebenſo Vieles,
das in der Periode feines Entſtehens für die unleug-
barſte Wahrheit gegolten, koͤnnte nur noch ale die voll-
kommenſte Unwahrheit erfcheinen. Der weſentliche In⸗
halt des meiſten ſeit Gutenberg's folgenreicher Erfin⸗
dung nach und nach aufgehäuften Druckpapiers würde
zwiſchen Wahrheit und Unwahrheit in der Mitte ſchwe⸗
ben, weil der Zeitſtrom, der es herbeiführte, Alles mit
feiner Farbe zu tingiren pflegt und oft das reine weiße
Licht, welches feine Wellen uns vorzufplegeln fuchten, in
einer parteilofen Zukunft für nichts weiter ale ein Irr⸗
licht geachtet werden muß, Bei einer ſolchen Revifion
fommt es zundcft darauf an, die gründlich zu erfor-
ſchende Farbe der Gegenwart von den einem möglichft
unabhängigen Urtheile zu unterwerfenden Objecten abzu-
ziehen und zu Würdigung der vergangenen Zeit auf ei»
nen vor dem Einfluffe ihrer Gigenthümlichkeit geficherten
Standpunkt zu gelangen. Auf diefem Wege würde dem
gewaltigen Vorrathe von mehr ober weniger zu halt-
baren Gebanfen geordneten Drudbuchftaben eine fo Ichr-
reihe als angenehme literarifche Blumenlefe abgewon⸗
nen werden, fogar wenn bie Sammler bei der Wohl
nicht foftematifch zu Werke gingen, fondern nur das ger '
legentlich Vorgefundene ergriffen und ausſtellten. Aber
auch abgefehen von der gemeiniglich unvermerkt aus dis
ner in die andere überfließenden Farbe der Zeit der ſo⸗
genannten Zeitfchriften, gehört noch eine fortdauernde,
große Veränderlichfeit zu ihren weſentlichen Eigenfchaf-
ten, die einerfeits von dem Vorſchreiten der allgemeinen,
andererfeit6 von den oft gar wunberlihen Wenbungen
der individuellen Bildung einzelner Mitarbeiter an ihr
nen, duch Gefinnung und Umftänbe, fich berfchreibt.
Das in ſolche Blumenleſen Aufzunehmende brauchte
nicht immer von Bedeutung zu fein. Auch das Bering-
fügigfte würde Anlaß geben, dem Wichtigen, bem
Sammler durch Erfahrung, Beobachtung u. f. w. zuge
führt, zur Folie zu dienen. Se bunter und contrafliren-
ber die Gegenſtaͤnde durcheinander liefen, deſto unterhal⸗
tender würden fie, eben vermöge des Wechſels und ber
Mannichfaltigkeit, fi erweifen. Seitgemäße belehrende
Einſchaltungen und Blide auf die Gegenwart, wo eb
ſich thun laͤßt, könnten dem Intereſſe des Leſers nur zur
Befoͤrderung gereichen. Sollten auch die meiſten der
dargebotenen Dinge ſchon zu ſehr durchgeſprochen ſein,
um den Reiz der Neuheit zu behaupten, fo würden fie
doch oft, in. Folge der eigenthümlichen Anfchauung des
Sammlers, die Aufmerkfamkeit in Anſpruch nehmen.
Möchten die nachfolgenden Blätter als ein Proͤbchen
der Urt, wie ich mir dergleichen Sammlungen denke,
nicht unfreundliche Aufnahme finden: Möchten Begab-
tere als der unterzeichnete Autor ſolches Sammelns und
Zufammmenftellens von Buchftaben - Findblingen fich umter-
ziehen! Meines Erachtens würde das Unternehmen fei-
nen Zwed jederzeit am vollftänbigften erreichen, je mehr
dabei der Bang der Kiterarifchen Converſation fi Den⸗
jenigen an Leben und Mannichfaltigkeit zum Muſter
nähme, der in den Kreifen ber gebildeten Geſellſchaft
immer zu Haufe iſt, ober wenigftens fein follte.
Vorläufig noch die Bemerkung: Die periodifche Li⸗
teratur empfängt, ſchon ihrer Natur nach, mehr als jede
anbere die unreifen Früchte des Augenblicks, die oft for
gar Dem der fie ihr lieferte bald darauf als vermwerf-
lich und ungereimt erfcheinen. Daher wird das Feſtge⸗
haltenwerden folcher Früchte durch die Drudbuchftaben
9
häufig zum bitterften Ankläger der Inconſequenz auch
Derjenigen, bie keineswegs wegen Wanbelbarkeit der Ge⸗
finnung dem weitverbreiteten Wetterfahnengefchlechte bei-
zuzäblen find. Sammlungen diefer Urt würden deshalb
künftig ein Fingerzeig für jeden Gcheiftflellee werben,
die momentanen Ausbrüche der Verfiimmung der Dru-
ckerpreſſe vorzuenthalten, damit die voreilige Weröffent-
lihung nicht fpäter ein falfches Zeugniß gegen ihn felbft
und feinen Sinn für Wahrheit und Recht ablege. Am
meiften ſteht die Wanbelbarkeit der fchriftftellerifchen Mei⸗
nung in ben Gährungsperioden ber Literatur zu befor-
gen, wie 3. B. die Epoche des Aufgangs der romanti-
ſchen Poefie in Deutfchland war.
Im Allgemeinen würde aber gerade dieſe Epoche
durch die zum Theil gar muntern, feuerwerksartig auf-
fprühenden Geiftesausmwüchfe in gebundener und unge
bundener Rebe, welche allein das für den Fortfchritt der
Biffenfüof fo überaus wichtige „Athenäum” der Gebrü-
ver A. W. und F. Schlegel, und die fpäter unter dem
Titel „Kynofarges” erfchienene Bernhard’fche Zeitfchrift
enthält, eine reiche Fundgrube für dergleihen Samm-
lungen gewähren. Leider bin ich fruchtlos bemüht gewe⸗
fen, diefer beiden merkwürdigen Journale habhaft zu
werden; doch entfinne ich mich noch mancher darin in
Sonettenform ausgefprochenen Meinungen und unter An-
derm eines Sonetts von U. WB. v. Schlegel, gegen die
unzulängliche Würdigung von Goeth's Alles meit über-
ragendem Dichtergeifte gerichtet. Es begann alfo:
Bewundert nur die feingefihnigten Gößen,
Und laßt als Lehrer, Kührer, Freund und Goethen,
Euch wird nad feines Geiſtes ARorgenrötpen
Apollo's gold'ner Tag nicht mit ergößen.
Das zweite Quartett diefes Sonetts iſt meinem Ge⸗
dächtniffe nicht mehr vollftändig gegenwärtig. Die bei«
den Zerzetten deffelben aber lauten:
Die Goethen nicht erfennen, find nur Gothen,
Die Blöden biendet jede neue Blüte,
Und, Zodte felbft, begraben fie Die Todten;
Uns fandte Goethe, Dich, der Sötter Süte,
Befreundet mit der Welt durch folhen Boten,
Böttli von Namen, Blick, Geftalt, Gemüthe!
Wenigſtens fpricht diefes Gedicht für U. W. Schlegel's
wahrhafte Begeifterung von ber Größe des unergründ-
lihen Dichterheros, wie unverkennbar auch die Bloͤßen
fein mögen, welche die darin vorkommenden Spracdjfpie-
lereien, und befonderd die Schlußzeile, dem Wige dar⸗
bieten. Die „Illuſtrirte Zeitung” vom 26. Juli vorigen
Jahres hat eine fehr gründliche und geiftoolle Notiz über
das literarifche Leben diefes großen Krititers und Sprach⸗
forſchers mitgetheilt. Ubrigens ift das bei dieſer Gele⸗
genheit angeführte Spottgebicht defielben auf G. Merkel,
eine höchſt charakteriftifche Merkwuͤrdigkeit, fo unvollftän-
dig und zum Theil finnentftellend vwiebergegeben , daß
ein berichtigender Abdrud davon gerade in biefem Auf:
fage an feiner Stelle fein wird:
Als Knecht Haft für die Knechte du gefchrieben,
As Samojede für die Samojeden *),
*) Dieb bezieht fih auf Merkel's Buch über die Betten.
[4
Gern moͤchteſt du Vernunft und Freiheit reden,
Doc ift dein eig'ner Geiſt leibeigen blieben.
Aus Ländern fort, in Städten umgetrieben,
Quousque tandem wirft du dich entblöden,
In Kneipen, Elubs, Mercuren®) deine ſchnoͤden,
Unwürd’gen Derkelwürbigkeiten üben ?
Dir gt reiheit, frank und frei zu klatſchen,
Die Eharitt **) fie ſelbſt noch auszumärkeln,
Genie, in Henning’s Genius ***) dich zu betten,
Kamft Du nur darum von den fernen Letten,
Im Dred der Menſchheit überall zu patfchen?
Rückkehr' ins Baterland T), um da zu ferkeln.
Sournale, fürchtet Merkeln!
Merklich zeigt er verkleinernde Ratur,
Schon ward Mercur duch ihn zum Merkel nur.
Es würde fi faum die Möglichkeit erklären laſſen,
bag aus ber Feder U. W. Schlegel’s, eines Mannes
von ber feinften, wiffenfchaftlichen und Weltbildung, ein
fo aller Urbanität entfrembetes Gedicht habe hervorgehen
Tonnen, gäbe Kogebue's zunaͤchſt gegen die Brüder Schle-
gel gerichtete äußerft plumpe Poſſe „Der byperboräi-
ſche Eſel“ nicht Auffhluß darüber, Mit Unrecht fagt
Sean Paul irgendwo von den in Schiller's ,Mufen-
almanad auf das Jahr 1797” fiehenden Zenien, fie
hätten uns Alle grob gemacht. Eine Grobheit, wie fie
in ihnen vorfommt, war ſchon in den frühern Kämpfen
zwifchen Leffing und deſſen Gegnern zu Hauſe. Allein
bie genannte, theils auf nicht verflandene, theild auf ab-
fichtlich verbrehte Ausſprüche der damals neuen literari-
(hen Schule hauptſächlich bafırte, Poſſe enthielt Invec-
tiven, bei deren Erwiderung der gefellfchaftlihe Anftand
von felbft in DVergeffenheit gerieth. Merkel, ber wahr-
ſcheinlich noch lebende Liefländer, ber damals zugleich
mit Schlegel und Kogebue fih in Berlin aufhielt, ein
Mann von gefelliger Bildung, zog ſich diefe Behandlung
durch feine öffentliche Affociation mit Kogebue zu Be-
tämpfung und mo möglich Laͤcherlichmachung ber neuen
Schule zu, zu welchem Zwecke dieſe zwei Verbündeten
bauptfächlich das Journal „Der Freimüthige” gegründet
hatten. Übrigens war es Merkel felbft, der das nur in
Abfchriften zu Berlin circulirende Gedicht, als Beweis
eines Mangels an Bildung feines Verfaffers, durch den
Drud veröffentlichte. Ein zweites von Schlegel auf ihn
darum, weil er in einem damals von ihm herausge⸗
gebenen kritifhen Journale Zerzinen, wogegen dieſes
loszog, Zriolette genannt haben follte, gefertigte® Ge⸗
dicht, in Zriolettform, war auch in keinem fo abftoßenden
Tone abgefaßt. Es hieß:
Mit einem Beinen Triolett
Bil ich dir, Heiner Merkel dienen;
Vermengſt du mächtige Terzinen
Mit einem Pleinen Zriolett?
Ei, ei, bei folden Kammermienen!
Einft wies ich ſchon dir das Sonett;
) Der „Deutfhe Mercur”, von Wieland heraudgegeben.
»*) Merkel hatte über bie berliner Charite gefchrieben.
») Der „Genius der Beit”, ein damals vielgelefened freimüthi-
ges Journal.
+) „Ruͤckkehr ind Vaterland“ Heißt der Titel eines Buchs
von Merkel.
Mit einem Meinen Triolett
Bit ich dir Heiner Merkel dienen.
Deſto unbändiger brach dagegen Schlegel's Heftigkeit in
nachfolgenbem, „Abſchied“ überfchriebenen Gedichte gegen
Kogebue los, welches in der 1800 erfhienenen „Ehren-
pforte und Triumphbogen für den Theaterpräfidenten v.
Kogebue” mit vorkommt:
Den Bahrdt”), den du geſchoren,
Wirft man in deinen Bart.
Dich ſcheren, wär’ verloren,
Wie Waſchen an dem Mohren,
Denn ewig fteh'n die Ohren
Dir lang und rauh behaart;
Das liegt in deiner Art.
O wär’ft du nie geboren!
Wie zauft man dir den Bart!
Du wollteft Efel bohren
Doch wirft du überbohrt;
Das find die Hyperboren,
Die ſich's zur Luft erkoren,
Die Häupter anzubohren,
Die, fo wie deines bohrt,
Mit Lorbern fih umflort.
D wär'ſt du nie geboren!
Wie wirft du überbohrt!
Doch wenden wir uns zurüd zu Schlegel's Sonett
über Goethe und zu ben an bemfelben zu machenden
Ausftelungen. Gerade der darin unverfennbaren Leiden»
haft des Verf. und dem heiligen Zorne, mit dem er
und die Koryphaͤen ber romantifchen Dichtkunſt über-
haupt, für das Übergewicht des Dichters bes. „Kauft“
über alle lebende Priefter Apoll's und der Mufen in
Deutfhland und Europa, ihre Stimme erhoben, ver-
danken wir die allgemeine Anerkennung von Goethes
höherer Eigenthümlichkeit. Namentlich hat A. W. Schle-
gel duch feinn Scharflinn in Beurtheilung mehrer
Werke diefes univerfellen Niefengeiftes fich einen ewi⸗
sen Ruhm erworben. Allerdings ließ es die fpätere
Zeit an fruchtiofen Verſuchen, Goethe’ Größe zu bena-
gen, nicht fehlen. Befonders wollte man e6 dem herr-
lichen Meifter verargen, daß er verfehmähte aus feiner
lichten Himmelsſphaͤre herabzufteigen, um den beabfichtig-
ten irdifchen Staatsummwälzungen als gemeine Hand⸗
langer zu dienen. Als ob dergleichen nieberes Treiben
mit dem hohen Berufe Desjenigen vereinbar gewefen
wäre, aus bdeffen unfterblihen Werken das welterleuch-
tende Licht zum allgemeinen Vorwärts auf der Bahn
verftändigen Fortfchreitens allenthalben funkelt? Iſt doch
die VBerblendung fo meit gegangen, um Goethe, dem fee
lenvollſten allee Dichter, die Seele, die Thellnahme an
dem Geſchicke der Mitlebenden, abzufpreden, ja, ihn
bed Verleugnens einer alle Schickſale abwiegenden Vor⸗
fehung zu befhuldigen! Kann aber wol irgend Einer
inniger durchdrungen fein von ihrem Walten ale Der,
welcher auf Gretchen's Frage: „Blaubft du an Gott?“
feinem Fauft folgende Antwort in den Mund legte:
Wer darf ihn nennen?
Und wer bedennen:
) Wie bekannt war Kopebue Werfaffet der berächtigten Schrift
„Bahrbt mit ber eifernen Gtim’.
95
Ich glaub’ ihn.
Wer empfinden,
Und fich unterwinden
Bu fagen: Ich glaub’ ihn nicht?
Der Allumfafler,
Der Ullerhalter,
Faßt und erhält er nicht
Dich, mich, jich felbft?
Wölbt fih der Himmel nit da droben ?
Liegt die Erde nicht hier unten feſt?
Und fteigen freundlich blickend
Ewige Sterne nicht herauf?
Schau’ ich nicht Aug' in Auge Dir,
Und drängt nicht Alles
Rah Haupt und Herzen dir,
Und webt in ewigem Geheimniß
Unfichtbar fihtbar neben dir?
Erfüll’ davon dein Herz, fo ge es ift,
Und wenn du ganz in dem Gefühle ſelig bift,
Kenn’ es dann, wie du willft,
Kenn’ es Süd! Herz! Liebe! Gott!
Ich babe Feinen Namen
Dafür! Gefühl iſt Alles;
Rame ift Schall und Rauch,
Umnebelnd Himmelsglut.
Diefe Stelle ift wol von einer fo unermeßlichen
Tiefe, dag man, auch abgefehen von dem Beweiſe, zu
dem fie bier zunächft dienen fol, fie überall, wo fie fich
und vergegenwärtigt, als zu einem unendlichen Stoffe
bes Nachdenkens willfommen heißt. Überhaupt gibt es
niche leicht in den Werken irgend eines Dichters fo viele
zum weitern Zorfchen immer von neuem auffobernde
Stelien als in den Werken Goethe. Manche darunter
behandeln in wenig Worten einen &egenftand, worüber
weitläufige Bücher fich fchreiben liefen (und alfo auch ge-
wiß großentheild ſchon gefchrieben find), fo erfchöpfend,
daß etwas Wefentliches kaum hinzuzufügen fein würde.
Beifpielsweife deute ich hier nur auf den Bere:
Eines ſchickt ſich nicht für Alle,
- Sehe Seder, wie er's treibe,
Sehe Seber, wo er bleibe,
Und wer fteht, daß er nicht falle!
Konnte über Das, was man unter der Benennung
„Lebensphilofophie” zu verfiehen pflegt, wol ein vollftän-
bigerer Sommentar gegeben werben? Und biefen oft un-
erfhöpflichen Stellen in Goethes Werken gleicht das
Weſen des Unfterblihen. Je inniger man fih in den
weiten Umfang feiner geiftigen Kräfte verfenkt, deſto
größer ſteht er auch vor uns, deſto fupider erfcheint ber
Bandalismus, deffen Heroftratifhe Natur ſich vor kurzem
noch an feinem neuen Standbilde zu Frankfurt geltend
zu machen verfuchte! Trügt mich mein Gedaͤchtniß nicht
ganz, ‚fo gab es in dem früher erwähnten Schlegel’fchen .
„Athenäum“, oder deſſen Fortfegung durch Bernhardi,
unter Anderm mehre fcherzhafte Sonette auf damalige li-
terarifche Berühmtheiten. Eins derfelben auf Iffland,
befonders als dramatifhen Schriftfteller, worin diefer re⸗
dend eingeführt wird, ift mir noch zum Theil gegen-
wärtig. Es begann:
Ich lege jährlich viel dramat ſche Eier,
Zu zuͤcht'gen ſtreng der Zeiten böfe Sitten,
Verſchwendung, Lurus wird von mir beftritten,
Denn Alles ift jept übermäßig theuer.
Das diefem erften Quartett folgende zweite aber ſchloß:
Und dies ift ewig meine alte Leier.
Welch eine Zahl mannichfacher, Iehrreicher und un-
terhaltender Bemerkungen liefen fih oft an bergleichen
Findlinge aus der Vergangenheit auch dann knüpfen,
wenn bdiefe an fih den Wieberabdrud mitunter nicht
verdienen follten * Das Bernhard'ſche Gedicht ſprach auf
einmal das Mangelhafte und Ginfeitige ber Sffland’-
fhen dramatifchen Dichtungen offen aus, was der den-
kende Theil des Publicums bei den flürmifchen Hul⸗
digungen, welche ihnen die Menge barbot, bis dahin
nur unter vier Augen geäußert hatte. Auch die leptere
kam allmälig von der Bewunderung ber meinerlichen
Monotonie der Häuslichkeiten Iffland's zurück, um zu
deffen fehriftftellerifchem Nebenbuhler, Kogebue, völlig über-
zugehen, der ihm ſchon zuvor Abbruch gethan und durch
die Zuthat blenbenden Witzes und Aufftellung piquanterer
Garicaturen das Familienelend für die Bühne um Die
les kurzweiliger zu appretiven verſtand. Zugleich kam
Schiller's zuvor meiſtens nur tauben Ohren gepredigtes
Wort, daß dem deutſchen Theater „das große giganti⸗
fhe Schidfal, das den Menfchen erhebt, wenn es den
Drenfchen zermalmt”, verloren gegangen fei und die der
malen die Bühne beherrſchenden Helden „filberne Löffel
einftedten und den Pranger und mehr wagten” nun⸗
mehr in vollen Umlauf.
(Die Sortfegung folgt.)
Riterarifche Notizen aus Frankreich.
Napoleon’d Entwurf zu einer Conftitution.
Der Krititer Suftave Chaudey, der ſich vor kurzem in
feiner ‚„Appreciation historique, litt&raire et politique de
/’Histoire de dix ans de L. Blanc” als ein fo gewaltiger
Splitterrichter gezeigt hatte, entwidelt in einem Artitel bes
Sournals „La presse‘ die Rapoleonifchen Ideen über Eonfti-
tution und conſtitutionnelles Weſen. Er fpendet dabei Thiers
vorzüglich das Lob, die Anfıchten Napoleon's trefflich aufgefaßt
und bargeftellt zu haben. Bei diefer Gelegenheit macht Chaudey
einige Mittheilungen aus einem Entwurfe zu einer Conftitu⸗
tion, wie fie Napoleon beabfichtigte. Diefer Plan ift, fo viel
wir wiffen, in weitern Kreifen noch nicht befannt geworben.
Wie der Meferent bemerkt, läuft das Ganze auf einen thöridy
ten Verfuch, die Ideen Montesquieu's mit Roufleau’fchen Ele:
menten zu verfchmelzen, hinaus, und wie er verfichert, erfcheint
die politifche Büdung Rapoleon's in dieſem Verſuch einiger
maßen mangelhaft. Eine klare Borftelung gewtunt man in-
deſſen aus den Mittheilungen, welche Chaudey macht, nicht,
und wie müflen deshalb die Beröffentlihung bes Conſtitutions⸗
entwurfs felbft abwarten, ehe wir uns ein Urtheil über den
Werth und die Bedeutung beffelben erlauben koͤnnen. Diefelbe
wird uns in der „Histoire de la captivits de Sainte-He&läne
par le général Montholon in Ausſicht geftelt, welche binnen
einiger Beit im Zeuilleton der „Presse’ erfcheinen wird.
Überfegung von Müllers „Handbuch der
Phyfiologie”.
Unter den beutfchen Gelehrten, deren Ramen vorzugsweife
im Auslande einen guten Klang haben, verdient befonder& Io»
| Mit 1 lithographirten Tafel.
„Hantbuche der Phyfiologie’ unternommen find, verdient be»
fonders die von A. 3. 2. Inurdan hervorgehoben zu werden.
Sie hat durch zahlreiche Aufäpe und Grgänzungen einen faft
felbftändigen Werth. Der Derausgeber konnte von der vierten
Ausgabe des Driginald nur einige Lieferungen benugen, und
er jah fi deshalb genötigt, um feiner Arbeit die möglichfte
Bollftändigkeit zu geben, Die neuern Forſchungen, welche zum
Theil in eigenen rien, zum Xheil in den gelehrten 47
ſchriften Deutſchlands, Englands und Frankreichs niedergelegt
find, überall gehörigen Orts nachzutragen. Dies bat er mit
reblihem Eifer und mit kritiſcher Sichtung gethan, und fo
kann feine Bearbeitung für Frankreich als eine Urt von Re
pertorium der neueften Refultgte betrachtet werben.
Zur Geſchichte von Lyon.
Wir haben vor kurzem erft noch dem Lefer einige Werke
het, welche fi) die inhaltreiche Geſchichte von Lyon zur
Aufgabe geftellt hatten. Begenwärtig koͤnnen wir diefen Er:
fheinungen auf einmal drei neue Werke wieder anreihen, welche
ſämmtlich der Erzählung der Schickſale derfelben Stadt gewib-
met find. Eins darunter, mehr bibliographiſcher Ratur, ger
währt einen Blick über die reiche Literatur, welche fi auf
diefes intereffante Thema bezieht. Der Zitel deffelben lautet
„Bibliographie historique de la ville de Lyon pendant la
rövolution frangaise”, von Gonon. Diefe fieben Bogen ftarke
Broſchuͤre bietet eine Überficht über 605 verfchiebenen Werke,
weiche Hier in fürzerer oder ausführlicher Beſprechung beleuch⸗
tet werden. Diefelben erſtrecken ſich indeflen nur biß auf das
3. 1791, und die Aufzählung würde noch ungleich reicher aus⸗
gefallen fein, wenn der Verf. bei Diefem Beitpunfte nicht ftehen
geblieben wäre. @ine andere umfaflende Schrift, in der wir
eine ruhige, gründliche und lesbare Darftellung der neuern
Geſchichte von Lyon erhalten, ift folgendes Werk: ‚Histoire
de Lyon depuis la r6rolution”, von I. Morin, von dem
kuͤrzlich der erfte Band erfchienen iſt. Endlich hat auch Eug.
Babvier von feiner „Histoire de Lyon’, welche die Ereignifle
dieſer Stabt von ihrer Gründung bis auf bie Gegenwart ber
handelt, eine zweckmaͤßige, wohlfeile Ausgabe (Edition popu-
laire) herauszugeben angefangen. 7
eiterariſche Anzeige. |
Durch alle Buchhandlungen ist von F. A. Brockhaus
in Leipzig zu beziehen:
Stiokel (J. G.), Handbuch zur morgenlä»-
dischen Münzkunde. Erstes Heft. — A. u.d. T.:
Das Grossherzogliche Orientalische Münzcabinet
zu Jena, beschrieben und erläutert. Erstes
Heft: Omajjaden- und Ahbasiden - Münzen.
Gr. 4 2 Thir.
Dieses für die morgenländische Münzkunde wichtige Werk
wird in vier Heften, die der Verfasser innerhalb zwei
Jahren zu liefern gedenkt, vollständig sein.
Verantwortlicher Herausgeber: Seiurich Brockzaus. — Drud und Berlag von F. SE. Brockhans in Leipzig.
Blätter
für
literarifde Unterhaltung.
Sonntag,
25. Sanuar 1846.
Literarifhe Zindlinge.
(Bortfegung aus Ar. 3.) |
Nachdem die Romantiker fchon fchriftlih und münb-
lich das neuere Bühnenwefen theoretifh ‚zu bekämpfen
getrachtet, begannen fie auch praktiſche Angriffe auf daſ⸗
felbe zu wagen. Dem dem Altgriechifchen nachgebildeten
Trauerfpiele „Jon“ von A. W. Schlegel, durch Kenner
und Gönner hocherhoben, fehlte es bei den erften Auf⸗
führungen nicht an Bewunderern. Aber der raufchende
Beifall ging bald in Grabesftille über. Es konnte ſich
auf keinem Repertoire erhalten. Ein Verſuch in der
romantifchen Tragödie von dem Bruder bes Verfaſſers,
Friedrich Schlegel: „Alarcos“, wollte das Theaterpubli-
cum fo wenig anfprechen, daß der ähnliche Verſuch, den
bald barauf Wilhelm v. Schüg mit feinen „Lacrymas“
gemacht hatte, wenn ich nicht irre, nirgend Zulaß auf
die verhängnißvollen Breter fand.
fache hatten gleihes Schickſal. Zuletzt übte Kogebue
eine Zeit lang faft das Alleinherrfcherrecht auf ber
Bühne aus. Erſt ald er das Opfer eines Fanatikers
geworben, erſt da fah man ein, welchen Berluft denn
doch das ganz verfallene deutfche Theater an dem geifl-
reihen Manne erlitten unb daß berfelbe ihm, befondere
auch wegen feiner ungemeinen Fruchtbarkeit, für den
Moment ganz unerfeglich fein werde. Allerdings gab
ed noch eine Menge Namen, wie Steigentefh, Col»
lin, Obhlenfchläger, Grillparzer, Werner, Müllner, Rau:
pach, Houmald, Uchtrig, Schenk, Deinhardftein, Holbein,
Holtei, Caftelli, Weißenthurn, Bauernfeld, Halm, Töpfer,
Albini, Blum, Schall, Birch Pfeiffer u. A., die noch lange
nad) Kogebue’s Ermordung, gleichzeitig und nacheinander,
im Schaufpielhaufe Anerkennung, ja zum heil auge
zeichnete Verehrung fanden. Allein ihre Träger ftarben
ab oder entzogen ber Bühne ihre Thätigkeit, mitunter
weil die Mehrheit der Theaterbefuchenden, immer tadel-
fürchtiger geworden, zulegt gar nicht mehr zu wiſſen
fhien, was vom Schau=, Luft- und Zrauerfpiele billi-
germeife zu verlangen und nicht zu verlangen fe. Die
Productivität der für die Bühne fähig und thätig gewe⸗
fenen Schriftfteller nahm daher, beſonders als zulegt auch
Raupah, der in einer an bdramatifcher Schöpferkraft
nothleidenden, Zeit durch Trauer⸗ und Luftfpiele Fein
Mehre ähnliche Ver⸗
geringes Verdienft um das ſchauluſtige Publicum fi er-
worben hatte, ſich ebenfalls nad) und nach zurückzog, in
BVerhältniß zu der Menge der nad Reuerm raſtlos ver⸗
langenden Zufchauer immer merklicher ab, ſodaß die Büh-
nenvorftänbe fich mehr als je zuvor genöthige fahen, nach
dbramatifcher Waare ins Yusland betteln zu gehen, von
woher ſich die Üheaterfreunde das eigentliche Kehricht
noch weit eher gefallen ließen al& ben zuweilen doch um
Bieles beffern inländifhen Zuwachs. Neben ber fort
dauernd auf der deutſchen Bühne an Terrain gewinnen-
den Oper und der hauptfächlicd durch den jovialen Ne⸗
firog und einige andere Wiener in Ruf gebrachten fo-
genannten Localpofje mit Mufit, fand, wie fich endlich
Har berauöftellte, außer der dem Auslande abgebettelten
dramatifchen Dutzendwaare das zwifchen Luft und Trauer,
Sreuden » und Leibenthränen im Auge anftändig bin-
fhlendernde neue deutfehe Familienglück und Unglüd
noch immer die leidlichfte Aufnahme, befonders dann,
wenn bie DVerfaffer darin die den größtentheil® verab⸗
fchiedeten Iffland'ſchen Stüden eigen gewefenen un⸗
fruchtbaren Rängen vermieden, die Thräne ihres tyranni-
ſchen Abſolutismus beraubt, der verfchwenderifchen Groß⸗
muth einen vernünftigen Vormund beftellt, der Liebe
ihre fentimentalen Ubergriffe in die unbeiligen Hallen
des Ehebruchs abgewöhnt, den Iururiöfen Kaflenbeamten
gehörigen Reſpeet vor dem Zuchthaufe eingeflößt, oder
fonft überhaupt die binfällige menfchliche Tugend in die
Zwangsjacke einer plaufibeln Moral zu preflen gemußt
hatten. Offenbar gehört noch jegt Frau Birch-Pfeiffer zu
Denjenigen, deren Stüde vermöge folcher und ähnlicher
Borzüge fih in der Regel eines recht günftigen Er-
folgs erfreuen.
Jedoch unter allen für das deutihe Drama aufge-
fproßten Talenten wird nun ſchon feit einer Reihe von
Sahren einem einzigen ein fo nahhaltiges Willlom-
men für feine Schau- und Luftfpiele zugerufen als ber
Prinzeffin Amalie von Sachfen. Und nicht etwa in
Sachſen allein, wo man das Wohlgefallen an ihren
Dramen ihrer alle Herzen gewinnenden eben Perſoͤn⸗
lichkeit zunächſt zufchreiben koͤnnte! Obſchon anderwärts
nad) ber dermaligen Stimmung gerade bie hohe Stel-
lung einer Dichterin cher im Stande wäre, dem Ige
ihrer Werke den Weg zu erfihweren, ald demfelben Bahn
zu machen, fieht man dod auf allen Bühnen Deutfc-
lands jedem neuen dramatifhen Erzeugniſſe dieſer Prin-
zeffin mit Verlangen entgegen. Durch die höchſte Sit-
tenteinheit und ben zarteften Takt in eine höhere Sphäre
vor den meiften Schauſpielen der Gegenwart Binaufge-
ruͤckt, vereinen fie auch alles an Iffland's Dramen mit
Reh gefchägt Geweſene. Die feingebildete, gefunde
Natur verfieht ihren gehaltvollen Dialog mit einem Le⸗
ben, welches bie fteifen Schlagworte und andere, felbft
in ben beften Sffiand’fchen Probucten vorfommende Gri⸗
maffen und Berlünftelungen biefen entziehen. Einen be⸗
fondern Reiz gewährt den Stüden biefer Verfafferin die
in der Regel ungemein glückliche Auffindung und Auf-
faffung eines willtommenen Stoffe und beffen Durch—
führung auf bem einfachften Wege. Unter allen jegigen
jchriftſtelleriſchen Bühnenfähigkeiten gibt es nicht eine von
foicher Dauer und fo allgemeiner Anerkennung. Die
leptere wird keinem deutihen Schaufpielbichter neuerlichſt
in foldem Grabe zu Theil als dem geiftvollen Gutzkow,
“ dem überbies das große Verbienft nachzurühmen ift, dem
ganz in Verfall gerathenen Weſen des eigentlihen
Auftfpiels eine neue Seele eingehaucht zu haben. Sein
„Urbild des Tartuffe“ ftellt dem Berfaffer ein hellleuch⸗
tended Zeugniß dafür aus, Bekanntlich haben neuerlich, |
neben ihm, mehre jugendliche Kräfte fich ebenfalls nicht
mie ungänfligem Erfolg im eigentlichen Luſtſpiele
verfucht. Möchten fie nicht mübe werben auf der ſchoͤ⸗
nen Sahn in einer Zeit, ber gerade ein Übermaf des
trefflichften Stoffe für das Feld des Komifchen zuge-
Uen iſt.
—* für die Tragödie iſt in den letzten Jahren bie
dichteriſche Thaͤtigkeit nicht erfolglos geweien, und es
kann bei der fortbauernden Concurrenz nach fo erhabe⸗
nem Ziele ein recht erfreufiches Refultat kaum ausblei-
bed. Zum Theil wird die duch unfern Tieck der deut.
fen Bühne gewonnene „Untigone” des Sophokles ge-
wiß wmefentlich beitragen, das Trauerſpiel von der fub-
alternen hänslerifchen Richtung wieder ab» und es auf
feinen vormaligen großartigen Standpumft zurkdzubrin-
gen. Daß der neuerdings mit der „Untigone” gemachte
Berfuh viel zeitgemäßer geweſen als einer, welcher einft
unter Goethe's Leitung im erften Decennium des jetzi⸗
gen Jahrhunderts auf den Bühnen zu Weimar und
Lauchftädt, ebenfalls mit dieſem griechiſchen Meiſterwerke,
gewagt wurde, ergibt ſich daraus, daß zu jener Zeit die
Sache keine Folge hatte. Zwar blieb die damalige Auf:
führung des claſſiſchen Kunſtwerks auf beiden Theatern
deineswegs ohne Succeß, allein es war nur ein succes
d’estime, der kaum eingefreten auch wieder erlofch, wäh.
renb in der legten Zeit die „Antigone” nicht nur auf
mehren der .bebeutendften deutichen Bühnen ein Hei⸗
matsrecht fi erwarb, fonbern fogar mit lud bis an
die Ufer der Seine und der Themſe verpflanzt wurde.
Beinahe gleiche Gunſt wiberfuhr der Darftellung von
Shakſpeare's Sommernachtstraum“. Dffenbar ift bie
Belanntwerdung des Publicums mit diefem groͤß⸗
ten Buchnendichter der geſammten neuern Zeit die Ver⸗
anlaffung zu Aufführung auch anderer "Stüde bes un-
ſterblichen Briten gewefen, welche bisher noch nie auf
der Bühne Zutritt erhalten hatten.
Bei der fichtbaren Zunahme ber Empfänglichkeit für
die Größe Shakſpeare's und die ber griechiſchen Tra⸗
gödie zu Brunde liegenden Elemente des wahrhaften
Zrauerfpiels, wird unfehlbar auch in den künftigen Scho-
pfungen unferer Zragödiendichter der Sinn für die hohe
Würde des Trauerſpiels immer Harer und lebenbiger
hervortreten. Ä
Auf ähnlihe Art wie an das Bernhard'ſche Sonett,
beffen immer beffer von den Theaterfreunden begriffener
und approbirter Inhalt zulegt den Fall der fogenannten
dramatifchen „Iffländereien” bewirkt Hat, fügte ſich hier
eine kurze Befchichte des neuern theatralifchen Zuftandes
wie ‚von felbfi an, und in gleicher Art würden aus ei-
ner Menge anderer Zeitblätter-Findlinge fich zuweilen gar
wichtige Bemerkungen ganz ungefucht an die Hand ge-
ben. Aber auch ohne alle Bemerkungen und Fingerzeige
find fehr viele ſolche Findlinge des bloßen Wiederab-
druds, wenn benfelben fonft ein eigenthümliches Intereffe
beimohnt, ſchon darum nicht unwerth, weil fie außerdem
ganz verloren gehen könnten. So füllt mir im Augen-
blide ein kleiner, fehwerlich je wieder an das Tageslicht
gefommener Scherz ein, welchen vor langer Zeit die
„Zeitung für die elegante Welt" mitbrachte. Er betraf
den geehrten Dichter der „Urania”. „An Minna“ über:
fchrieben, wat er folgendes Inhalte: '
Mag immerhin die Lerch’ in Lüften trillern,
Mit Schillern, |
Die Nachtigall ihr Lied der Kiebe Flöten,
Mit Goethen,
. Du liebft mich doch, ich finge Dir ein Liedchen
Bon Ziedgen..
Als Verfaffer nannte man mir damals einen Philo⸗
logen, Namens Boldmeier, von dem ih, taͤuſcht mich
mein Gedaͤchtniß nicht, bald darauf hörte, daß er noch
ſehr jung geftorben fei. Das Versen, obfchon alfer-
dings ungerecht gegen den Sänger der „Urania“, fehil-
dert die Genügſamkeit der Liebe zu drolig, als daß man
anſtehen follte, es ind Leben zurückzurufen, zumal da
Tiedge geftorben und deſſen zahlreiche Verehrer durch
diefe kleine Neckerei eher in ihrer Vorliebe für ben Dich⸗
ter ſich beſtaͤrkt fühlen werden, als ſolche ihm deshalb
entziehen ſollten. Uberhaupt. find wol aͤhnliche Scherze,
auch wenn man ſelbſt der Zielpunkt iſt und ſie nicht
ſchwerer ins Gewicht fallen, am beſten leicht hinzuneh -
men. Indem ich das Verslein ohne alle daran weiter
geknupfte Betrachtung vorzulegen dachte, führt mir plötz⸗
lich bie Erinnerung ein Unglück wieber vor das Auge,
welches mir felbit mit dem im Umgange recht angeneh-
men Tiedge begegnete und bas feiner Seltfamkeit wegen
die Mittgeilung vielleicht entſchuldigt. Es war fchon
während meines Aufenthalts in Berlin, in den erfien
Jahren biefes Jahrhunderts, daß ich das Vergnügen
batte, den Dichter der „Urania” kennen zu lernen. Bon
Wesel, dem Verf. des Trauerſpiels „Jeanne d'Arc“, wel⸗
ches zwar der ſchon feſton Fuß auf der Bühne behaup⸗
tenden Schiller'ſchen „Jungfrau von Orleans“ den Rang
nicht flreitig zu machen vermochte, aber doch Wegtel's
Werth als Dichter zu erfennen gab, war kurz ver mei-
ner Abreife von Dresden eine Satire auf LTiedge's
„rania”, unter dem Titel eines Anhangs zu. :diefer her-
ausgetommen, deren Inhalt mir von einem Freunde mit-
getheilt worden. In einer berliner Abendgefelfchaft, an
welcher Ziedge ebenfalls Theil nahm, erregte der Name
Urania, der in meiner Nähe erſcholl, meine Wißbegier
um fo mehr, da mie dabei fogleich dieſe Satire einfiel.
Ich näherte mich baher der im Gelpräcd darüber be-
griffenen Gruppe. Die einzelnen nod über den Gegen-
Rand gewechjelten Worte, die ich vernahm, machten mir
zwar die Sache nicht Mar, brachten mid aber doch zu
der Vermuthung, daß die folche Befprechenden die fati-
riſche Schrift nicht gelefen hätten. Ich gab daher zu
ertennen, daß mir von ihr gefagt worden, für einen
Ruf aber wie der, dem Ziebge fich bereits erworben,
durch ſolche Angriffe keine Gefahr zu beforgen flehe.*)
Doch wie erftaunte ich über das Staunen, das meine
Außerung erregte. In kurzem erhellte es indeß, daß
Wegtel's Satire noch keinem der Anweſenden befannt
gemwefen und bie neuefte Auflage von Tiedge's „Urania“
ihrem Gefprähe zu Grunde gelegen. Während. unferer
Erplicationen ‚hierüber hatte fich inzwiſchen der Zuhörer:
kreis unvermierft vermehrt, unter Anderm durch Ziedge
feibft, der, wie ſich ergab, jept ebenfalls fo das erſte
Wort von der neuen Schrift erfuhr und feine offenbare
Empfindlichfeit über das Ereigniß vergebene mit einem
Bitten Lächeln zu verfleiden ſuchte. Ob ih fpäter in
Berlin wieder mit Tiedge zufammengelommen bin, weiß
ich nicht mehr. Wol aber ſaß ich einige Jahre darauf
auf einer Reife von Dresden nad, Leipzig, zu Meißen,
im Gaſthofe zur Sonne, bei Tifche, ale mehte andere
Reiſende bort ebenfalls anfamen, um Mittag zu machen.
Man bedurfte namlich damals zur Reiſe von Dresden
nach Xeipaig, die neuerlich in wenig mehr als drei Stun⸗
den Zeit auf der Eiſenbahn zurückgelegt wird, bisweilen,
Y Bei bieſer Gelegenheit glaube ich jedoch Hier beiläufig eines
chrenvoſten Zeugnifſes gedenken zu muͤſſen, welches dem verflorbenen
Wetel (der wit mit dem benſelben Ramen führenden, fehon früe
ber im MBahnfinn untergegangenen Verf. des Romans ‚Hermann
und Ulrike zu verwechſeln ift) von bem ber deutſchen Literatur,
leiser, dur einen viel zu frühen Tod entriffenen Immerniann aus⸗
geftellt worden. In Nr. 144 der „Abendzeitung““ vom’ 17T. Iuni 101
ſagt nämlich der dutch mehre hoͤchſt ſchaͤbbare biographiſche Notigen
empfohlene 8. Bunt, daB Immermann dem verewigten Wedel eis
new ſehr bedeutenden Rang als Dichter zuerkannt und namentlich
uber deſſen „Jeanne d’Krc” fich alſo auſsgeſprochen habe: „Er ſtelle
fie ohne Bedenken in mancher Beziehung hoͤher als die Schillers
fe, und nit nur ber feſtgehaltenen geſchichtlichen Wahrheit, ſon⸗
dern bier und da ſeibſt der poetifden Schönheit und Sharakterzeich⸗
nung balber, die in ihrer .Kedipeit wahrhaft Shakſpeariſch genannt
werben könne. Es fei ſtets ein Lieblingsgedanke von ihm, Immer⸗
mann, gewefen, bad Gtäd auf die büffeldorfer Bühne zu bringen,
- © hätten Inm nur die Schaufrielee dazu gefehlt; daß es größere
Bühnen nicht unternommen, namentlich bie berliner, gehöre zu ben
theatralifhen Miſeren!“
und zwar fogar mit Ertrapoſt, wie ich aus eigener Gr-
führung weiß, drei volle Tage und hatte mehre Mitsags-
tifche und Nachtlager unterwegs zu — erleiben, koͤnnte
man fagen, denn auch der Comfort in ben Bafthöfen
an einer fo frequenten Straße wie die zwiſchen Dres-
ben und Leipzig war zur damaligen Zeit noch nicht er-
ben. Bon den in Meißen neuangefommenen Reifen-
den trat da plögfich der eine, ein ſchon bejahrter Mann,
zu mir, mich beim Namen nennend und fragend, ob ich
ihn nicht mehr kenne? Vermöge meiner Kurzfichtigkeit
erkannte ich's auch wirklich nicht fogleich, dag es Tiedge
war, welcher darüber befremdet ſchien. Diefe Kurzfich⸗
fichtigkeit hätte uns Beiden ein paar Jahre darauf viel-
feicht den Hals gekoftet, wenn der Rahme dem faft Blin-
den nicht zur Seite geftanden hätte. Indem angenehmen
Haufe meinee nun ſchon lange verewigten lieben Freundes,
"des Dichters Mahlmann zu Leipzig, zufällig mit Tiedge
zufammengetroffen, überrafchte uns unter traulichen Ge⸗
fprächen beim Nachtmahle die Mitternacht. Deſto un«
freundlicher empfing Tiedge und mich bei unferer nach⸗
berigen Heimkehr ein mit diden Wolken überladener
Himmel. Die wahrhaft ägnptifhe Finſterniß zwiſchen
dem. Haufe in ber Vorſtadt, das wir verlaffen hatten,
und dem Stadtthore, unferm nähften Zielpuntte, machte,
dag wir anfangs laut auflachten, nur allzu bald aber
durch Baumſtämme und Edfteine, die uns ihr unficht-
bares Dafein recht nachdrücklich einprägten, die gute
Laune völlig einbüßten. Ich hatte meinem Leidensgenof-
fen, der damals ſchon feinem fpäter ganz in Werfall ge-
rathenden Fußwerke wenig vertrauen konnte, auf dem
durch Beine einzige Rampe erhellten Pfade meinen Arm
geboten. Kaum aber kam jept die Laterne einer Fuß⸗
gängerin an uns vorüber, als Ziedge auch feinen Arm
mit einem Ausrufe des Schredens, mir haftigft wieder
entriß. Bei dem Lichtfcheine bemerkte er nämlich, was
mir allem Bermuthen nah ganz entgangen fein würde,
dag wir geradezu auf den offen vor uns liegenden tie
fen Stabtgraben losfteuerten und bis zum Dinabftürzen
nur noch zwei Schritte übrig gehabt hatten.
( Der Beſchluß folgt.)
nn
Komanliteratur.
1. Michael de Ruyter. Bilder aus Hollande Marine von
: Heinrid Smidt. Bier Bände Berlin, Simion.
1346. 8. 4 Ahlr. 15 Ror. |
Michael de Ruyter wird uns als Meiner muthwilliger Geis
[erjunge auf den eriten Seiten des Werks bekannt, imd das
erfte Eapitel erzählt uns feinen Übergang zur Marine, wäh:
rend das legte Tapitel uns den Tod ded Michael Andrianfon
de Ruyter, Lieutenant:Abmiral:General von Holland und Welt:
frießland, Ritter des goldenen Bließes und St.Michael⸗Ordens,
in Folge einer vor Catanea empfangenen Wunde mittheilt.
Sein Sarg warb mit Herzogshut und Bergogsmanttel ge:
ſchmuͤckt, welche Würde der Vicefönig von Sicilien dem leben:
den de Ruyter zugedacht hatte. Er war gevabe MM Sabre alt,
Die zahlreichen, zwifchen diefen zwei Capiteln liegenden Blät-
ter unterhalten und von ben Lebensthaten und Gefinnun-
gen bed Geemannd. Zapferkeit, Muth, Umfiht in der Schlacht.
100
Treue gegen Yreund und Feind, Rechtlichkeit in @Gefchäften,
Beſcheibenheit und Frömmigkeit im Leben waren die Eigen⸗
fhaften welche ihn zierten, während feiner fdhnellen Ca
vom Seemann eines reichen Kaufmanns zum Plottencapitain
und Befehlöhaber eines Dreimafters im Dienfte ter Generals
ftaaten der vereinigten Niederlande, ſowol als Contreadmiral
über die Flotte wie au als Commandeur der Flotte, als
Biceadmiral von Holland und Prietland u. f. w. Sowol im
Schlachtgewuͤhl als im Stillleben, fowel im Kriegsgetümmel
und in politifhen Wirren al& in feinen Liebesverhaͤltniſſen er:
Scheint er und als das Ideal eines Ehrenmanned, eines Hel⸗
den, und zahlreiche Anekdoten, Berichte, Geſpraͤche zeigen ihn
dem Lefer als wahren Ehriften, guten Pamilienvater, rechtli⸗
hen Bürger: ein erfreuliches Bild, fowol für den Pfychologen
ald für den am bunten Wechjel der Ereignifle ſich Erfreuen:
den. Als ftörend erfchienen dem Ref. manche Scenen, welde
nicht auf de Ruyter's Leben Bezug hatten, doch verfühnt da»
mit die hiſtoriſche Faͤrbung, welche die Größe von Hollands
Marine und deren Verhaͤltniß zu andern Ländern und Mari«
nen mit wahrhaftem patriotifhen Stolz verherrlicht. Michael
de Ruyter wird oft zur Nebenperfon in dieſer Verherrlichung ;
er bleibt immer der Umgebung würdig, wie Die Umgebun
feiner würdig bleibt. Das vorliegende Werk gehört eientlich
nicht zur Nomanliteratur, es hat Anſpruch in eine ernftere
Rubrik aufgenommen zu werden, wenn auch der Autor felbft
befcheidenerweife diefen Anſpruch nicht macht.
2. Emmerih von Toͤckely. Romantifches Gemälde aus ber
Geſchichte Ungarns in der legten Hälfte des 17. Jahrhun⸗
dertd, von Karl von Damig. Drei Theile Leipzig,
Krappe. 1846. 8. 4 Zhlr.
Emmerih Graf von Zödely wird von der Geſchichte ale
der Befreier feines Paterlandes Ungarn von fremder Unter
drüdung bezeichnet. Schon jein Vater, Stephan von Toͤckely,
ftand an der Spige der Misvergnügten, welche fi) den Ber:
folgungen der Proteftanten widerfegten; er fiel während der
Belagerung feined Schloffes und fein funfzehnjähriger Sohn
Emmerich floh zu Georg Ragozy, dem Zurften von Sieben:
bürgen, weldyer im gleichen Interefie die Ungarn mit Trup⸗
pen unterftügte, deren Führung er Emmerich anvertraute,
Der Friede von Linz verfchaffte den Ungam die Glaubensfrei⸗
heit und die ihnen entriffenen Kirchen wieder, und Emmerich's
Tapferkeit half nun den Baiferlihen Waffen 1664 den glorrei:
hen Sieg bei St.:Gotthardt über die Zurken erfämpfen. Die
den Kaifer Lecpold I. leitenden Jeſuiten fuchten inde bald
wieder den Ungarn die bewilligten Freiheiten zu entreißen ;
diefe erhoben fih von neuem und Graf Emmerich von Toͤckely
ward von ihnen zum Oberfeldherrn erwählt. Als folder ſchwur
er, fein Vaterland von der deutfchen Herrſchaft zu befreien und
drang mit feinem Heere fogar bid nach Mähren vor. Leopold1.
fuchte nothgedrungen nachzugeben, allein Zödelg beharrte in
feinem Widerftande und begab fi in den Schug des Sultans
Mohammed IV., welcher ihn zum König von Ungarn ernannte,
wodurd ein neuer Krieg mit der Pforte ausbrach. Als die
Zürten nach der unglüdlichen Belagerung Wiens im 3. 1683
gänzlich gefchlagen wurden, ſetzte Zödely den Krieg gegen ben
Kaiſer, wiewol mit nicht günftigem Erfolge, fort und ward,
von feinen Anhängern verlaflen, von der Pforte zum Fürften
von Siebenbürgen ernannt. Auch hier vertrieben, begab er
fih nad dem 1699 zwiſchen bem Kaifer und der Pforte ge:
ſchloſſenen Frieden von Karlowitz auf türkijches Gebiet und
endigte 1705 auf einem Landgute bei Nikodemien fein thatenreiches
Leben. Dieſes ift Toͤckely's Leben, welches der Verf. in ein ro:
mantifched Gewand gekleidet ober vielmehr verkleidet hat, in:
dem er zahlreiche Liebesgefchichten, fowol die des Helden als
die feiner Freunde, hineinflocht und biefe ziemlich breit erzählte.
Zödely'd Charakter tritt indeß immer gleichbedeutend unter
den verfchiedenen Helden und Abenteurern hervor, und wir
verdanken diefer Bearbeitung der Geſchichte eine farben» und
+‘
wechfelveiche Lecture voN regen Lebens und der etwas wilden
Romantik jener Zeit.
3. Die Stieftochter. @ine Samiliengefejiäte von 3. Satori.
Swei Aheile. Danzig, Gerhard. 1845. 8. 2 Ahlr.
DM Ror.
An dem vorliegenden Roman ift nichts zu tabeln, nichts
zu loben, es ift eine mit allen Umfländen erzählte Familien»
geſchichte. Der Erbe eines bedeutenden Vermogens beirathet
nad dem legten Willen feines Vaters ein armes Mädchen,
läßt fi aber durch die Verführung der großen Welt, durch
böfes Beiſpiel und Schmeichelei verlocken, die höhern Kreife
ber Geſellſchaft aufzufucgen, denen er zuletzt durch Auffindung
Kenne alten gräflihen Ramens auch wirklich angehört. Seine
rau fühlt ih den Anfprüchen der großen Welt nicht gewach⸗
fen, fie_flirbt nad) langem Sram und er vermählt ſich mit ei»
ner _gefall» und prunffühtigen Gräfin, welche mit ihm den
größten Theil des Vermögens durchbringt. Nach feinem Tode
wird ſeine Tochter Eliſabeth Geſellſchaftsdame bei einer alten
Marquife, fie verlobt ſich mit einem armen Maler, den ihr Va⸗
ter früher unterftügt hat. Die Marquife vermacht ihr 100,000
Brand und der arme Maler wird als reicher Kord Morton
erkannt und im Befig feiner zahlreichen Güter eingefegt. Ende
gut, Alles gut. Dieſe Geſchichte ift ziemlich breit erzählt, doch
unterhaltend, wenn der Lejer Feine allzu großen Anfprühe an
Driginalität und Genialität ſtellt. 46.
Notiz.
Die Buddhiftenmönde in Ehina.
In der Afiatifhen Geſellſchaft in London ward jüngft eine
Mittheilung des britifhen Conſuls I. Lay in Amoy verlefen,
weiche außer der Überjegung der früher vielermähnten Felſen⸗
infhrift von Ku⸗Lang-Su (die fih nad diefer Mittheilung
als völlig neuern Urſprungs erweift) eine Übertragung des
Diplome enthält, welches die Obern eined buddhiftifchen Klofters
einem ihrer Conventualen ausgeftellt. Diefe Urkunde ift befon«
ders als ein Beweis der von der Faiferlichen Regierung dem
Buddhismus gewährten Gunft von Interelfe, wahrend man
mehr ald einmal jene in Verdacht hatte, diefer Religion abge⸗
neigt zu fein, da fie von den Schülern des Kon-fu⸗tſe als
Fegerifch und abergläubifch betrachtet wurde. Dieſes Diplom
nun erwähnt die Beweife der Gunft und Bevorzugung, welche
die Klöfter dieſer Sekte vom 7. Jahrhundert der chriftlichen
Zeitrehnung bis auf den heutigen Zag von ber chineſi⸗
[hen Regierung erfahren. Hauptfächli wird darunter die
Errichtung von Altären, an denen das Gelübde der Enthalt-
ſamkeit abgelegt wird, und bie Lieferung der zu ihrer Verwal⸗
tung nöthigen Dinge aufgeführt; ebenfo die Berorbnungen ber
Semeindebehörden, den Anhängern des Buddha Feine Hinder-
niffe in ben Weg zu legen, wenn diefelben, um fi in den
Lehren der Beichaulichkeit zu unterrichten, Reifen unternehmen.
Eine Berordnung dieſer Art Fam ſchon im Id. Jahrhundert
vor. Das Diplom wird als eine Art Paß fowie als eine
Beicyeinigung betrachtet, daß der Inhaber das Gelübde der
Gnthaltfamkeit abgelegt. Die von Hrn. Lay übertragene Ur=
Eunde diefer Art war einem Monch ertheilt worden, der als
ein Mann von Beobachtungsgabe und Gelehrſamkeit gefchildert
wird und der von ‚den britijchen Behörden beauftragt wurde,
Bücher und anderweitige allgemeine Aufichlüffe über feine Reli-
gion zu fammeln. Er ijt Official des Tefih-Luy» Klofters,
welches auf dem Abhange des herrlichen Berges in den Mauern
von Fo-Kſchau liegt, von wo man die Ausfiht auf eine weite
und prächtige Landſchaft genießt. Kiofter und umgebende
Sartenanlagen wurden mit Einwilligung der Möndye und der
angefehenen Einwohnerfgaft von Fo-Tſchau dem britifchen
Conſulate dafelbft zur Verfügung geftellt. 12,
Berantwortlicher Heraußgeber: Heinrich Brockzaus. — Drud und Berlag von F. M. Brockhaus in Leipzig.
Blatter
| für
literarifde Unterhaltung.
Montag,
Literarifhe Findlinge.
( Beſchuß aus Nr. 5.)
Während Tiedge's nachherigen Aufenfhalts in Dres-
den fand immer ein freundliches Verhaͤltniß zwifchen
ihm und mir flatt. Eines Tags aber auf feinem Zim-
mer, wo wir verfchlebenes Kiterarifches befprochen hatten,
begann ex nach kurzem Innehalten: „Sie waren ber
Erſte, ber die Nachricht von Wetzel's Ausfall gegen
meine «Urania» zu Berlin in Umlauf bradıte.” Die Le
Tee wiffen bereits, wie ed damit zuging. Es war mir
nicht die mindefte böfe Abficht, oder auch nur ein Murb-
ville gegen den hochgeachteten Diann in ben Sinn ge
kommen, als bei jener berliner Soirde die Nachricht
von jener Satire mir entfchlüpfte. Die Art, wie Tiedge
mich bei dieſen Worten firitte, würde mir noch weher
gethan haben, wenn mein Bemußtfein mich nicht von
aller Schuld losgeſprochen hätte. Meine freundliche Ger
finnung gegen ibn erhielt ſich indeffen nad wie vor.
Sch zweifle fogar, daß ber Vorfall Urſache an der Ber-
minderung meiner Befuche bei ihm gemwefen. Seine
Füße verfagten ihm inzwifchen bald ‚nachher faft allen
Dienft dergeftalt, daß er fih in einem Stuhle mit Rä-
Dern durch einen Diener Nachmittags oft bie nad) der
etwa eine Diertelftunde weit von feiner Wohnung am
Elbufer gelegenen Schiffmühle fahren zu laffen pflegte,
um im bafigen Sarten den Kaffee einzunehmen.
Dort, wo ich zumeilen das Bad im Eibftrome be-
nugte, führte mich einmal der Zufall wieder mit ihm
zufammen. Auf die Vorwürfe die er mir machte, baf
ich ihn recht lange nicht befucht habe, Löfte ic, in den
nähften Tagen, mein ihm gegebenes Wort, den unter-
terlaffenen Beſuch nachzuholen. Beim Fortgehen von
ihm, nach ziemlich langer, freundlicher Unterhaltung auf
feinem Zimmer fragte er noch zulegt nach Neuigkeiten.
Es wäre beffer gewefen, wenn ich bei meinem Kopf-
fchütteln geblieben wäre, das ich ihm darauf zur Ant-
wort gab. &o aber fiel mir ein, daß ich eben in der
Arnold'ſchen Buchhandlung einen neuen Mufenalmanad
gefauft und noch in ber Taſche hatte. Er bat mid
um beffen künftige Sommunication auf einige Tage, wenn
ich ihn würde gelefen haben. Da er fehr begierig auf
ben Inhalt des Buchs ſchien, fo ruhte ich nicht cher,
26. Januar 1846,
: bis er ſolches zurückbehielt, um ſich der Leeture ſogleich
unterziehen zu Fönnen.
Wie erſchrak ih aber, als eine Woche fpäter, ine
ih den Muſenalmanach noch nicht zurüd erhaften, mir
zu Obren fam, daß er eine oder mehre witzige Angriffe
von A. W. Schlegel auf Tiedge felbft enthalte. Ich er-
ſchrak um fo mehr, da ich mich erinnerte, Kegterm gefagt
zu haben, daß einzig bie in dem Almanach befindlichen
Gedichte von Schlegel, von dem lange nichts Derartiges
erfehienen war, mich zum Kaufe beffelben veranlaft hät-
ten. In meinen fegt eben zur Herausgabe ſich vorbereis
tenden „Crinnerungen und Betrachtungen, auf einem
langen Lebenswege gefammelt” denke ich bei Gelegenheit
der Erwähnung der legten Zeit aus Tiedge's Keben auf
diefe Geſchichte zurückzukommen.
Seit jener für mich wahrhaften Schreckensnachricht
konnte ich, bei aller Schuldloſigkeit, es nicht über mich
gewinnen, Tiedge wieder zu. beſuchen, ober auch nur den
Almanach, den ich nicht zurüd! befam, von ihm münblic
oder ſchriftlich zu reclamicen. Am dritten Orte no
einmal, ebenfalls durch Zufall, nachher mit ibm aufam-
mengetroffen, habe ich übrigens deſſen Frermdlichkeit ge
gen mich nicht. vermindert gefunden. Als Tiedge geſtor⸗
ben war, ift in feiner Wohnung nach diefem Almanache
fruchtlos gefucht worden. Da mir kein anderes Erem-
plar davon je au Geſicht gefommen, fo weiß ich bis
biefe Stunde noch nicht, worin die Satire auf ben Vor⸗
florbenen beffanden, ja nicht einmal, ob wirklich eine
folche in dem Büchlein vorfommt: Das aber wird mam,
nach dem hier Mitgekheilten, eingeſtehen, daß der Zufall
eine vecht infricate Rolle zwifchen Tiedge und mir über»
nommen hat.
Nachher wurde mir von mehren mit dem Berflorbe-
nen genau bekannt gewefenen Perfonen verfichert, baf
Tiedge häufig den ihn befuchenden Freunden, befonders
Damen, Bücher diefer Art zum Andenken geſchenkt habe,
worunter fich zuweilen auch folche befunden, von denen
er in Folge feines ihm ſehr treulofen Gebächtniffes ver-
geffen, daß fie nicht fein Eigenthum waren. Wahrlich,
dem Bufalle würde in ber Intrigue der hoͤchſte Preis
zuzuerkennen fein, hätte er Tiedge's Gedächtniß zu einer
ſolchen Perfidie forciren Tonnen, daß ihm auch der In⸗
halt jenes Almanachs ganz entfallen'und er im Stande
102
gewefen wäre, denjelben mit der Satire auf feine eigene
Derfon irgend einer Dame, zu freundlicher Erinnerung
an ihn, zu verehrten.
Aber zu meinem Thema zurüd. Überrafchen doch bie
Wiederabdrüde vor Jahren ſchon durch öffentliche Blät-
ter bekannt gewordener Auffäge nicht felten den Verf.
felbft, wenn fie zufällig ihm wieder zu Geſicht kommen.
Erft vor kurzem ging es mir fo beim Durcblättern
mehrer ältern Jahrgänge der „Zeitung für die elegante
Welt”. Statt einer fruchtlos gefuchten Abhandlung, die
ich hinein geliefert, begegnete meinem Auge in der Num⸗
mer vom 13. Mai 1807 ein Sonett, aus Anlaß ber von
Goethe auch in Sonettenform ausgefprochenen Beſorg⸗
niß, daß er, der gern aus ganzem Holze ſchneide, doch
wei durch die Schwierigkeiten folcher Form genöthigt
fein würde, zuweilen zu leimen, ein damals von mir
gefercigten Sonett, deſſen id) mid kaum noch erinnerte.
8 hieß:
An Goethe.
Sagtäglic kommt das deutfche Reimgefindel
it einem Schwarm Sonette in die Wochen,
Die, aller Dichtung Geift zu unterjochen,
Erbaͤrmlich fehreien aus der grauen Windel.
Ihr armen Würmlein, eure meiften Findel⸗
Gebäude bat die Zeit ſchon abgebrochen,
Dos Urtheil, dad der Meifter jest geiprochen,
Bertreibt euch vollends nun den Lebensfhwindel.
Do, hoher Sänger, laß die feine Wendung
Des Witzes nicht dein eig'nes Schaffen flören,
Und Hilf der Sprache ferner ruͤhmlich ſtreiten;
Dein Beifpiel geb’ auch diefer Form Vollendung,
Bei dir und andern Meiftern Bann ich's fchwören,
Auch das Sonett entzüdt aus deutſchen Saiten.
Die Kleinigkeit hat ſchwerlich ein Verdienſt, ald daß
fie mir ganz aus ber Seele gefloffen war, weil ich in-
nig wünfchte, gerade er, Goethe, möchte der unvergleich⸗
lich fhönen Form feine überwiegende Schöpferkraft nicht
entziehen. Dabei geftehe ich reumüthig ein, daß meine
Berurtheilung der damaligen Sonettfabritanten eine un-
. gebührlihe Anmaßung war, da ich felbft zu dieſem
„Reimgeſindel“ gehörte. Mehre, theild in früherer Zeit
gebrudte, theils noch nie veröffentlichte Sonette koͤnnten
das bezeugen. Zmeier davon glaube ich fogar jegt noch
‚erwähnen zu müffen, obfchon biefe mir gewiß am wenig-
ſten zur Ehre gereichen.
. Wenn es auf dem Gebiete der Wirklichkeit felbft
dem von ben fefteften Grundfägen Ausgehenden nicht ge-
lingt, feine Anfichten zu einer folchen Stabilität zu brin-
gen, um mit gutem Gewiſſen von jeder fagen zu dür⸗
fen, diefe werbe ich bis an bas Ende meines Kebens be-
YHaupten, fo ift das noch viel weniger im Weiche ber
Einbildungskraft ber Fall. In diefem hängen oft un-
fere Urtheile von BVerhältniffen und Stimmungen ab,
bie den folgenden Moment nicht überbauern und daher
folchen Urtheilen alle Bedeutung entziehen. Deshalb
rieth ich auch zur möglichften Vorſicht bei Veröffent⸗
lichung der Urtheile in den Zeitblättern, damit ber Ver⸗
öffentlicher nicht in der Folge, bei veränderter Meinung,
vielleicht im vollfommenften Widerfpruche mit ſich felbft
erfcheine. Das eigene Beifpiel erinnert mich foeben, daß
diefer Rath unzureichend ift und daß bei Probuctionen
folcher Art es fogar bedenklich wird, ihnen den gering-
fien Umlauf in der Handfchrift zu geftatten. Vor lan⸗
gen Jahren fand einmal ich weiß. nicht mehr in wel-
chem öffentlichen Blatte cin gegen das an geadhteten
Dichterwerken verfuchte Parodiren oder Zravefliren ge- -
richteter Auffag.
Welche Parodie dazu Weranlaffung gegeben, ift mir
entfallen, auch find alle nähern Umftände mir nicht we-
niger fremd geworben. Nur Das ſchwebt noch recht le⸗
benbig vor meinem Geifte, daß mir die große Einfeitig-
feit bes Auffages, der folche Parodien als Verbrechen
gegen die Poeſie behandelte, außerft misfallen hatte.
Für unmahr hielt ih, daß bie Schönheit einer hohen
Dichtung an dem Wigtze geiftvoller Traveftirungen wo
nicht ihren Untergang, doc, bie unbilligfte Beeinträchti-
gung finden follte. Gerade das Gegentheil, meinte ich;
die wigige Parodie fei vielmehr der befte Probirftein ei-
nes fchönen Gedichts. Nicht Tange zuvor waren mir
zwei Parodien vorgefommen, beide von bemfelben Dich-
ter, ber Nöller hieß. Sie bezogen fihb auf Schillers
„Lied an die Freude” und auf Schillers „Glocke“
Die erfte ließ fih nicht mislungen nennen, es gab
aber einen Paffus barin, weldhen der Spötter ber
Stelle gegenüber wagte, mo der große Schiller dem
„Beifte über den Sternen” die alle Herzen hocherhe⸗
bende Huldigung barbringt, einen Paſſus, beffen wi⸗
derwärtige Gemeinheit das ganze Scherggedicht in Schat-
ten ftellt und entkräftet. Deſto gelungener fand ich da⸗
gegen Röller’8 unter dem Titel „Der Kaffee” gegebene
heitere Parodie auf die „Glode” durchgeführt. Aber
bei allem Zreffenden und Xrefflihen derfelben war fie
doch ganz außer Stande, dem hocherhabenen und ge-
müthvollen Klange von Schiller's „Glocke“ auch nur
den mindeften Eintrag zu thun. Jenes einfeitige Urtheil
in dem Auffage gegen die Parodien beabfichtigte, wenn
ich nicht irre, die Profeription der ganzen Gattung fol-
her Scherze. Daß es von der Schriftftellerin Karoline
Pichler, einem damaligen Lieblinge des Tefenden Publi-
cums, berrübrte, konnte meinem Verdruſſe über die von
mir als ungerecht betrachtete An- und Abficht der Ver⸗
fafferin keine Schranken fegen, unb fo entftanden benn
bald nacheinander zwei Sonette, wovon das eine haupt»
fählih, das andere ganz allein, gegen diefe Schriftftel-
lerin feine Richtung nahm. Ich kannte damals nur erft
einige und gerade nicht bie ausgezeichnetern ihrer zahl-
reihen Schriften. Dem Wunfche der DVeröffentlihung
diefer beiden Schere, worauf einige meiner nähern
Freunde antrugen, mich widerfegend, glaubte id) doch
beren Verlangen nad Abſchriften um fo weniger zurüd-
weifen zu bürfen, da fie mir ihr Wort darauf gaben,
keinen weitern Gebrauch von meinen Scherzreimereien
zu machen oder machen zu laſſen. Solches ift aud
fiher nicht gefchehen. Allein diefe Freunde find feitdem
von der Erde geſchieden, und ich Habe nicht erfahren
.
108
können, in weflen Hand die mit meinem ſchriftftel⸗
kerifchen Namen unterzeichneten Blätter fi) nunmehr
befinden, wenn fie überhaupt noch eriftiren.
An ſich würde folches ganz gleichgültig fein. Doc
bei dem jegigen Pruritus, felbft das bedeutungslofefte
Gefchreibfel eines nur irgendwie öffentlich Bekanntgewor⸗
denen nach deſſen Tode durch bie Druderpreffe unter
die Leute zu bringen, tönnten wol auch jene Sonette
noch künftig in einem Zeitungsblatte erfcheinen und mir,
dem dann fchon Verſchiedenen, zum Vorwurfe gemacht
werben.
Mich vor einem folchen noch bei meinem Leben mög-
lichſt zu verwahren, bleibt mir nichtd übrig, als unter
Mitteilung dieſer Sonette öffentlih zu erklären, daß
die Verftimmung, welche die trübe Duelle derfelben ges
weien, längft vertrodnete und ich, feit meiner genauern
Bekanntfchaft mit mehren Werfen ber unlängft verewig-
ten Karoline Pichler, der Anficht des gebildeten Publi⸗
cums von ihrem Werthe als Schriftftellerin völlig bei⸗
getreten bin, audy jene Scherze um fo mehr al® eine
Berfündigung an ihre betrachte, da, allgemeiner Verſiche⸗
zung nad), ihre ganze Perfünlichkeit die Verehrung aller
mit ihr aud nur einigermaßen in Berührung Gekom⸗
mener ſich zu erwerben wußte. Das erfte diefer So—
nette, in dem ich übrigens mic) felbft nicht verfchonte,
war folgendes Inhalte:
Guter Rath.
Gold'ne Moral für Mielen und für Zöffeln,
Rei’ ihnen, Autor, bin in Silberfchalen,
Und Pann dein Geift das Silber nicht bezahlen,
So thu's in blechernen, verzinnten Köffeln.
Dein Talglicht birg nie thörig unter Scheffeln,
Berklären laß es der Entfagung Qualen,
Dann magft du auch mit etwas dünnem, Fahlen
Berftand’ ein Fabelchen zufammenpfeffeln.
Bum Pindus wähle dir den naͤchſten Hügel,
Bon ihm herab der Leute Herz zu rühren,
Wie Lafontein’ und Nochlig, Laun und Müchler;
Und daß auch deiner ee Flügel i
Der Rüchternheit dich niemals frech entführen,
Sei deine Mufe ſtets Karline Pichler.
Bom zweiten dieſer Sonette bietet mir, wie ich leider
foeben wahrnehme, mein Gebähtnig nur den Anfang
dar. Es war überfchrieben: „Karoline Pichler, geborene
v. Greiner‘, und begann alfo: *
Fuͤrwahr, ich koͤnnte mit dem Himmel hadern,
Daß er mich in den Weiberrock verſtoßen,
Berfagte man der Menſchheit ohne Hoſen
Den Dienft in der Schriftftellerei Geſchwadern.
Wenn ich mich aber auch ſonach für den Yugenblid
nur auf Mittheilung dieſes Quartetts befchränften muß,
fo behalte ih mir doc, auf den nicht gar, unwahrſchein⸗
lichen Fall, dag meine Memorie ein andermal weniger
zurüdhaltend fein oder ſich das Sonett nod) unter mei-
nen Papieren auffinden follte, ausbrüdlich vor, folches
baldmoͤglichſt vollſtaͤndig nachzubringen. Nicht etwa als
bildete ich mir ein, das Publicum koͤnne durch dieſe
Vervollſtaͤndigung etwas gewinnen; vielmehr weil ſich mir
fie ſelbſt ſchuldig zu fein glaube. Iſt es ſchon in den mei⸗
.
ften Fallen keineswegs gewiſſenhaft, ſchriftliche Auffäge
eines Verftorbenen, welche diefer nicht erweislich der Ver⸗
Öffentlichung nach feinem Tode beftimmte, der Druderpreffe
zu übergeben, fo wird oft die Gewiffenlofigkeit eines der⸗
gleihen Verfahrens durch willkürliche Abänderung folcher
Auffäge noch um Vieles gefleigert. Dennoch gefchieht diefe
Abänderung allzu oft, zum Theil aus dem Grunde, um
wo möglich dem unrechtmäßigermeife Publicisten eine pi⸗
fantere Würze zu verleihen. Gleiche Interpolationen
müßten mir aber um fo unerwünfchter erfcheinen, je auf-
richtiger mein Geſtaͤndniß geweſen ift, daß der achtungs-
werthen Schriftftellerin unrecht von mir gefchehen fei.
Friedbrich Raum.
Das Weib in Italien und in den Ver:
einigten Staaten.
Der Umeritaner 3. T. Headley in feinem Reiſewerk
„Letters from Italy‘ hält den Italienerinnen feinen fdrönen
Landömänninnen gegenüber eine feurige Kobrede. Es gebe fein
Land in der Welt, bemerkt er, wo dem Weib mehr Chrerbie-
tung erwiefen werde und wo man ihm mehr feinen eigenen
Weg zu gehen geftatte ald in den Vereinigten Staaten; aber
niegend auch erfcheine es jo undankbar für die Stellung und
die Macht, die man ihm einräume. „Seid ihre niemals”,
fragt er, „auf der Hauptftraße in Neuyork, wenn der Omnibus
vol war, in vollem Regenguß wieder ausgefliegen, um einer
Dame euren Plag zu überlaffen, die ihn ohne Zögern und mit
einer Gteihgültigkeit in ihrem Wejen annahm, als betrachte
fie dies als die geringfügigfte Sache von der Welt! Wie
alt und herzlos ihr «Thank ye», wenn fie überhaupt dankte!
Dickens macht biefelbe Bemerkung in Bezug auf die tages
coaches, ebenfo Hamilton. Nun erzeigt einer italienifchen
Dame eine ſolche Gefälligkeit, und ihr werdet Durch das füßefte
Lächeln belohnt werden, das je aus menſchlichem Auge ftrablte.
Sch huldige nicht dem Grundſatze, daß man ſtets für feine
guten Handlungen einen Lohn empfangen müfle; aber wenn
meine freundlichften Dienftleiftungen als Fremder fo aufgenom:-
men werden, als argwohne man faft, fie feien ungebübrliche
Buvorkommenheiten, dann Tann man nad) meinem Gefühl
wenig Luft zur Höflichbeit haben. Das «Grazie Signore» und
das Laͤcheln, womit eine Italienerin die gewöhnlichfte Höflich-
Beit belohnt, würde das niedrigfie Weib in den Augen bes
Fremden ſchoͤn erfcheinen laffen. Die Stalienerinnen werben
auch leichter belebt, bis fie Alles um fich heiter gemacht haben;
fie ermüden nie durch daſſelbe eintönige Ausfehen, fondern
bilden Ton und Blick nad dem Gedanfengange, fei er nun
traurig oder froͤhlich; und endlich find fie auch aller Foörmlich⸗
Beiten bar und voll des forgfamften Mitgefühl. Ich werde
nie eine der erften Bekanntfchaften, Die ich in Italien machte,
vergefien. Ih war eines Abends bei dem Marquis v. — in
Unterhaltung mit einigen Herren begriffen, ald der Wirth auf
mich mit den Worten zutrat: «Kommen Sie, ih will &ie
einer ſchoͤnen Dame vorttelen.» Es war in der That das
ſchoͤnſte Weib das ich in Italien noch gefehen. Ich entfchuls
digte mich, indem ich äußerte, ich fei nicht genug im Stalieni«
fhen bewandert, um mit einem fo berzlicen Geſchoͤpfe das
Geſpraͤch fortzufegen, «denn», fügte ich Hinzu, «in dieſem
alle muß man fehr gewandt im Sprechen fein und ein Schnitzer
wäre eine Marter.n «Bah, bah», antwortete die Schöne,
«kommen Sie nur», und mit dieſen Worten ergriff fie mich
bei ber Schulter und nöthigte mich, ihr zur Seite mich nieder:
ulafien, indem fie ausrief «Run foreden Sie!» Wenn fie
—*— ſo verlegen geweſen waͤre als ich es war, ſo haͤtte ich
nicht wiedergutzumachende Fehler begangen; aber das Gut⸗
möthige, womit fie ded Marquis Vorſtellung aufgenommen,
ſtellte ſchnell mein Setöftvertrauen her und eine halbe Stunde
lang radbrechte ich Italieniſch, ohne daß fie fih aud nur ein»
mal veranlaßt gefehen hätte, durch Wort oder Blick r ver:
rathen, daß ich es nicht, wie es fich gehöre, ſpreche. Diefelbe
Naivetaͤt findet man allenthalben. Wenn man einem fchönen
Bauermäbchen begegnet und grüßt fie, fo zeigt fie, ſtatt es für
eine Beleidigung zu nehmen, eine perlenweiße Reihe Bähne
und lacht in der beften Laune darüber. Die Italienerin befipt
noch einen andern Reiz, ber den Geſchoͤpfen ber warmen
Himmelftriche eigenthuͤmlich ift, fie fühlt Hefe als die Weiber
Der Bältern Bene und ift weniger im Stande ihre Sefühle
zu verbergen. Das dunkle Auge flammt Liebe und Haß in
dem Augenblicke, wo fie gefühlt werden, und in feinem inner
lichen und Teidenfchaftlichen Blick Liegt eine Bercdtfamteit, die
tiefer eindringt als irgend eine Sprache. Ihr Weſen ift ganz
Leidenfchaft, was ihren Bewegungen, ihren Blicken und Wor⸗
ten einen dichteriſchen Ausdrud verleiht. Es hat ihr Land
um Land des Gefangs, fie felbft zu einem Gegenftand ber
Fheitnahme durch die ganze Welt gemacht. Schöne Augen und
Augenbrauen findet man bier häufiger ald in Nordamerika.
Die Braue iſt vor Allem herrlich, nicht nur wegen ihrer Regel:
maͤßigkeit, fondern wegen der feltfamen Beweglichkeit. Sie
Bann ganz für fi) lachen und ber herrlichgeformte Bogen ver
Zündigt im voraus die geiftreichen Dinge, melde ihre Zunge
auszufprechen im Begriff fteht. Und dann ift ihr Lächeln fo
füß! Die Itolienerin weiß wie man ladyen muß und ebenfalls
wie man einhergehen muß, was eine amerikaniſche Dame nicht
verfiebt. Die Amerikanerin Hat cinen befieen Gang alß die
GEngländerin, bie wie ein Grenadier einher ſchreitet, aber ihr
Gang ift immer noch ſchlecht. Ihre Bervegungen ermangeln
der ünmuth, der Leichtigkeit und Ratürlichkeit.”
Sehr beherzigenswerth nicht nur für amerikaniſche und eng:
liſche Damen ift was der Amerikaner an einer andern Stelle
über die Tracht des weiblichen Geſchlechts bemerkt: „Es if
erftaunlich, daß unfere Damen ber iächerlichen Anſicht huldi⸗
en, eine ſchlanke Taille fei und müſſe per necessitä ſchon
ein. Run, viele SItalienerinnen würden vor Berdruß
weinen, wenn fie eine Zaille befäßen, die unfere Damen
nur durch langwierige und fchmerzlicge Kunftmittel zu erlangen
fischen. Ic habe den Grund diefer Verfchiedenheit in dem Um⸗
ftande zu finden geglaubt, daß bie Italienerinwen ihre herrli⸗
chen Standbilder fortwährend als Mufter vor fich feben und
deshalb ſich Mühe geben, ſich nach ihnen zu bilden ; während unfere
Modedamen Leine andern Modelle kennen als die ausgeſtopf⸗
ten Puppen in den Läden ber franzöfifdgen Mebehändlerinnen.
Wenn ein Künftler es wagen wollte, eine Statue in ber Ge⸗
ſtalt zu meifeln, welche bei uns als die Boßlendung harmoni⸗
ſcher Terhältniffe des weiblichen Körpers betrachtet zu werben
figeint, man würde ihn durch Soest zur Stadt hinaus:
treiben. Es ift ein ſtehender Vorwurf den Geſchmack un:
ſerer Weiber durch die ganze Welt, daß fie durch die That be
baupten, eine franzöfifche Yugmacherin verftehe es beſſer als
die Ratur, wie jie ihren Körper bilden follen. C'est tout
comme chez nous! RB.
Riterarifhe Notizen.
Eine neue englifhe Rovelte.
Ein Rater, der feinen Sohn in bie literarifche Verfamm-
tung einführt, ift wenigftens Beine alltägliche Erfcheinung und
bad der Fall mit „The foster-brother, a tale of the war
ofChiozza. Edited by Leigh Hunt’ (3 Bde., London 1945).
Edited heißt bier nicht ſowol herausgegeben als bevorwortet,
bevorwortet von dem rühmfichft bekannten Leigh Hunt, Vater
des Verf. vom «Fooster-brother», Ihornton Hunt. Das Vorwort
enthält des Waters Urtheil über bie Leiftung des GSohns, bie
ebliche Dei vorg
ielleicht i
Zuftandb des Unterrihtöwefend in Italien.
Mayini, der gewöhnlih als das Haupt und der eiyent:
liche Bertreter der Giovine Italia genannt wird, ift auch auf
dem Gebiete der Literatur fehr rühriger Ratur. Sein bedeu-
tendes Spracdhtalent leiftet ihm ame trefflihe Dienfle. Mit
gleicher Xeichtigkeit bewegt er fi in engliſcher und frangöfifcher
wie in italienifcher Sprache, und uk in ber deutſchen Lite
ratur ift er, mie mancher trefflihe Aufſatz, den er für irgend
eine der engliſchen Reviews gefchrieben bat, beweift, wohl
bewandert. Gegenwärtig bringt die „Revue independante”
einen intereflanten Auffag aus feiner Feder. Derfelbe tft der
Beleuchtung des Öffentlichen Schulwefene im öſtreichiſchen Ita-
lien gewidmet. Indem mir auf dieſe leidenſchaftliche Darftel:
lung aufmerffam machen, find wir keineswegs geneigt, ber
Meinung ded Berf. etwa durchweg beizupflicgten, oder feine
Gonfequenzen unbedingt zu unterfihreiben. Man erkennt viel:
mehr gleih beim erften Blide, daB der Werf. zu fehr unter
dem Einfluſſe feiner leidenfchaftlihen Wbneigung gegen bie
öftreichifche Regierung ſteht, ald daB man von ihm eine ruhige
Erörterung erwarten koͤnnte. Dffenbar bat er die Karben zu
düfter gewählt, und obgleich wol Manches von Dem, was er
anführt, der Begründung nicht ermangeln mag, fo ſchlaͤgt er
HH an vielen andern Stellen ohne Zweifel weit über dae Diet
maus, .
Bibliographie.
Erinnerung an Ludw. van Beethoven und die Feier
der Enthüllung seines Monumentes zu Bonn am 10,— 12.
August 1845. Bonn, Pleimes. 1845. Gr. 8. 15 Ngr.
Siebenzig geiftliche Lieder. Nebſt dem augdburgifchen
Glaubensbekenntniß. Dönabrüd, Rackhorſt. 185. RI. &
74 Nur.
Rouffeau, 3. 3., Über den Einfluß der fhönen Künfte
auf das Wohl bed Staated. Aus. dem Franzoͤſiſchen von I.
Choke. Sudenburg: Magdeburg, Pack und Comp. Gr. 8.
10 Ror.
Thomas Morud und fein berühmtes Werk Utopie. Aus
dem Englifchen überfegt. Mit bio» und bibliographiſcher Gin»
leitung herausgegeben von E. M. Dettinger. Leipzig,
Reclam jun. 8. 22% Rgr.
Berantwortlicher Heraudgeber: Heinrich Wrodpand. — Druck und Verlag von F. X. Wrodhans in Leipzig.
- Blätter
für
literarifbe Unterhaltung.
Dienftag,
mn nn nn — nn rn en ee nn
Die europäifhen Staaten nah ihren innern und
äußern politifchen DVerhältniffen, von Bülow:
Summerom. Altona, Hammerih. 1845. Gr. 8.
Wo nur ber Mann die Zeit hernimmt, das Alles
aufammenzufehreiben, was von ihm feit vier Jahren er-
fehienen ift! Do was kümmert uns das? Wir haben
nur danach zu fragen, was er niebergefchrieben und
wie es uns behagt hat. Dies unfern Lefern mitzuthei-
len ift unfere Aufgabe; den Vorwurf ber angezeigten
Schrift aber gibt, der Verf. felbft dahin an: fie ſolle
dem Lefer eine Uberſicht der gegenwärtigen politifchen
Stellung ber europdifchen Staaten nebeneinander gewaͤh⸗
ren und, um bied zu koͤnnen, auf die frühern Zuſtaͤnde
und auf diejenigen Begebenheiten zurüdgehen, aus wel
chen fi) ber jegige Stand der Politit in Europa ent-
widelt bat. Dann werde zu einer Schilderung der in-
nern Berhältniffe ber großen europäifchen Völker in Be⸗
zug auf Verfaffung, Religion, Rechtszuſtand, Bildungs-
grad und materielle Wohlfahrt übergegangen, woraus
ſich nit allein ergeben werde, welche Ungleichheit in
der geiftigen, religiöfen und materiellen Entwidelung der
Bölkter beftehe, fondern auch wie verfchieden die Rich⸗
tung fe, welche die einzelnen Regierungen verfolgen unb
wie ihre Intereffen einander gegenuͤberftehen. Das Re⸗
fultat hiervon werde fich dahin ergeben, daß das jegt
verfolgte politifche Syſtem eine Bürgfchaft weder für
den europdifchen Frieden noch für die Eriftenz der min⸗
der mädtigen Voͤlker leiſte, daß es vielmehr zur Siche⸗
rung ber beiligften Intereſſen der Nationen einer andern
Unterlage bedürfe. Durch welche Mittel und Wege
dieſe zu gewinnen fei unb welche Umgeftaltungen Dies
m den innern und dußern Zufländen ber Staaten Eu-
ropas vorausfege, welche Befigveränderungen und welche
Bündniffe dazu nöthig fiheinen, damit werde die Schrift
ſchließen.
Wie in einer guten Duverture einer Oper alle ein⸗
zelnen Beſtandtheile derfelben in ihren Grundgedanken
angegeben und zu einem Ganzen verbunden fein müffen,
bat hier der Berf. die Summe feiner Ausführung über:
fichtlich zufammengeftellt, und dadurch ficher die Wißbe⸗
gierde feiner Lefer angeregt, wie nun alles Dies einzeln
bucchgeführt worden fein möge, indem jede einzelne An
27. Januar 1846,
deutung ein gewichtige® Thema aufftellt. Wenn nım
Berfelbe dabei noch verfichert, daß er Feinen Vorwurf
darüber von feinen Lefern beforge, mit Freimüthigkeit
über die beftehenden Verhältniffe geurtheilt zu haben, da
nur die Wahrheit allein zur richtigen Erkenntniß ber
obwaltenden Mängel und ber Abhülfsmittel führe, fo
wird man ihn um fo lieber hören, da man mit ihm
gern zugeben wird, daß die Wahrheit oft unangenehm be⸗
rührt, daß wir jedoch in Zeiten leben, wo bie Kenntniß der
wahren Lage der Dinge nicht mehr zu unterdrücken iſt,
wo das durch Schmeichelei verwoͤhnte Gehör ſich daran
gewöhnen muß, auch entgegengefegte Stimmen zu ver-
nehmen, wo bie moralifhe Macht eine Stärke gemon-
nen bat, welche von ber phufifchen vergeblich befämpft
wird. Sicher wird man es dem politifchen &Schriftfteller
nicht zum Vorwurfe machen, wenn er die Fürften Eu-
ropas auf die Nothwendigkeit hinweiſt, die Zeit zu be
greifen und im @eifte der Zeit bie Völker zu regieren.
Denn bie Zeiten find bahin, wo ſich durch Cabinetsordres
der Lauf der Entwidelung hemmen lief. Nur die Für-
ften, welche die Zeit verftehen, ſich mit freiem Geiſte
über die Sagen ber Vorzeit und über die mit der Mut
termilch empfangenen Vorurtheile erheben, und die Ein-
fiht und den Muth haben, fi an die Spige der geifti-
gen Macht der Entwidelung zu ftellen, auf ihre gebüh-
rende Stelle, nur bie werden bie Zukunft beherrfihen,
wenigſtens fi) in derfelben einen ehrenhaften Namen
fihern, da diejenigen bald vergeffen fein werben, über
die die Zeit hinwegrollen wird.
Gern 'wirb man ferner vernehmen, daß dem Perf.
ber religiöfe, eigentlicher noch der moralifche Geſichts-
punkt von der höchften Bebeutung ifl.
ine Ahnung davon, daß man bei der Politif bie reli-
töfe Anſicht fefthalten muͤſſe, bat die in Paris gegründete
Fgenannte Heilige Allianz gezeigt, weiche jedoch, da de mehr
aus dem Gemüthe als aus der Auffaflung bed höhern Geiſtes
des Ehriftentbums hervorging, nichts weiter werben konnte als
ein Wortlaut, der ebenfo fchnell wieder zerftoben ift alß er im⸗
provifiet ward. Leider find wir noch weit entfernt von der
Beit, wo zwifchen den Fürften und ihren Völkern und zwifchen
den Sriflhen Völkern unter fi ein beiliger Bund geſchloſſen
werben Tann. Roc hat ber echte Beilt des Chriſtenthums die
Völker viel zu wenig durchdrungen, um in ihren Geſinnungen
eine Macht auszubilden, die die Eigenlicbe auf den Thronen
und die Selbſtſucht der Einzelnen im Bolke zu bändigen ver:
x 106
moͤchte. Roch fehlt der Diplomatie die Berechtigkeitsliebe und
fo manchen Regierungen die Achtung vor der vechtmäßigen
Freiheit der Mitmenfchen, um ein Berdict über Die auszufpre:
den, welche diefelbe zu verlegen ſich beigehen laſſen. Rod
werben in der Politik die Vorfchriften der Moral und der Re:
ligion nicht als ihre Führerin und Richterin anerkannt, fon«
bern fie werden nur zu oft als eine Magd behandelt, deren
man ſich bedient, um arge Zwecke zu erreichen.
Unverfennbar inzwifchen bleibt jedoch der Einfluß,
den bie Forfchung nach Wahrheit auf die geiftige Ent-
widelung des Zeitalter und auf die Eulturverhältniffe
ber Völker gehabt hat. Ihr danken wir eine größere
Klarheit der Anſchauungen von Welt, den Menfchen
und ihren Verhältniffen, helleres Kicht in der Moral und
dem Bernunftrechte, dem Staats- und Voͤlkerrechte, den
Staatswiſſenſchaften und befonders in der Politik.
Ganz befonders hat fie fid) zur Vertreterin des Rechtszu⸗
ftandes der Völker gemacht, und dur ihre Bermittelung bat
die Geifteöfreiheit auch der bürgerlichen Freiheit die Hand ge:
reiht. Wie fie dem Mberglauben ein Grab bereitet hat, wird
ihr auch der Unglaube nicht wiberftehen können. Die Folgen
dieſer geiftigen Entwidelung find ganz befonders in praßtijcher
Beziehung ald unermeßlih zu bezeichnen, indem dadurch die
Voͤlker von den Feſſeln befreit werden, welche früher ihre
Wohlfahrt Heinmten. Zwar ift e8 hierbei in manchen Ländern
u den biutigften Kataftrophen gefommen, aber nur da, wo
—* der geiſtliche und weltliche Despotismus einerſeits und
die daraus hervorgegangene Entſittlichung und Entartung des
Volks ſich gewaltſam begegneten und eine ploͤtzliche Ummälzung
des unertraͤglich gewordenen Zuſtands herbeifuührten.
Möge man dies wohl beachten! Es iſt von größter
Wichtigkeit.
So haben wir denn hiermit den Verf. felbft ankün⸗
digen laffen, was und wie er es den Leſern zu bieten
beabfichtigt. Jetzt wollen wir zufehen, wie er feine eigene
Aufgabe gelöft Hat. Daß foldhes durch eine aneinander
bängende Reihe von Betrachtungen gefchehen fei, folgt
ſchon aus der Ankündigung. Wir glauben unferm Be»
rufe Genüge zu leiften, wenn wir die Überfchriften da-
von und das Ergebniß berfelben anführen.
1. „@egenwärtiger Stand ber europäifchen Politik.”
Bei einem Gemälde, das durch den innigen Zufammen-
hang aller feiner Theile erft den Abdrud der Idee mit
allem Snbegriffe und Zubehör liefern und bewerfflelligen
kann, welche dadurch bargeftellt werben fol, ift ein Aus⸗
zug, woburd) eine anfchauliche Worftellung von Dem,
was geleiftee worden ift, gefchaffen würde, etwas Un-
mögliche. Man muß entweder eine vollfländige Be⸗
ſchreibung davon machen, oder nur die hervorſtechenden
Partien herausheben, oder endlih nur dem Eindrude
Worte geben, den das Ganze ober einzelne Züge in
demfelben hervorgebracht haben. Das Erſtere verbietet
fhon der Raum, mehr noch der Gehalt des Werks,
welches werth ift, durchaus felbft und ganz gelefen zu
werben, und worauf unfere Leſer aufmerkfam zu ma-
hen binreihen wird, wenn wir ihnen die gewichtigften
Morimen und Anfichten berichten, von denen ber Verf.
bei feinen Betrachtungen ausgegangen, ober auf melde
er dadurch gefommen ift, fo viel möglich mit feinen
eigenen Worten:
Am 15. Rov. 1818 gaben die fünf Großmaͤchte, die fi
die Befugniß beigelegt haben, daß oberfle Tribunal der —X
in Europa auszumaden, ein Programm heraus, worin fie er⸗
Härten: „Daß die Grundfäge des Voͤlkerrechts die einzige Nicht
ſchnur ihrer Staatskunſt fein follen.” Dur dieſe Erklärung
haben fie fih zu der Theorie bekannt, die fon ein Plato und
ein Kant in ihren Werken zum ewigen Frieden aufftellten,
und mit ihrer überwiegenden Macht die Bürgfchaft für Hecht,
a ut Bolkswohlfahrt übernommen.
llerdings ift diefe noch darum eine fehr mangel-
hafte, weil die Erklärung weder biejenigen Säge bes
Voͤlkerrechts angibt, welche zur Richtſchnur dienen follen,
noch für deren unverbrüdjlihe Beobachtung eine Real-
fiıherheit ftellt, fondern Alles auf dem perfönlichen Feſt⸗
halten am Vorſatze beruht, beffen eigene Ausleger die
fi) Verpflichtenden allein find. Nichtsdeſtoweniger ift
fhon durch die Anerfennung der Allgemeinverbindlichkeit
ber Nechtöherrfchaft ungemein viel gewonnen und jene
Erflärung von hohem Belange, weil damit ausgefpro-
hen worden ift, daß das Recht über der Politik walte,
das Unrecht durch diefe nicht gerechtfertigt werben mag;
weil ferner jedes Land hiernach fi) auf das Recht be-
rufen kann und es dadurch zur Crörterung und zum
Austrage gebracht werben muß; endlich weil die Aner-
fennung des WBölkerrechts die Anerkennung der obern
Geltung des Bernunftrechts auch im Privat- und im
Staatsrehte von felbft mit ſich führt, indem das Vol⸗
Ferrecht weiter: keine Grundlage hat als eben das Ver⸗
nunftrecht mit den durch diefes gebilligten pofitiven Be⸗
fliimmungen in Verträgen und bes Herkommens.
(Die Kortfegung folgt.)
Ziterarifhe Briefe aus der Schweiz.
I.
December 1845.
Den Weg über Leichen, ben Fuß dur Blut haben enb-
ih die Zefuiten erreicht, was fie feit lange angeftrebt, ihre
Reſidenz auch an einem fihweizerifchen Vororte zu nehmen.
Am Wlerheiligentage (1. Rovember) wurden ihnen in Luzern
das Priefterfeminar *) und die Pfarrfiliale feierlich übergeben.
Am 14. September 1844 war der Vertrag mit der Gefell-
haft Iefu unterzeichnet und hierauf ihre Berufung nad man⸗
nichfachen Umtrieben von Seiten ihrer Partei verfaffungs:
widrig buriogefent worden. Welche Ungefeglichkeiten, welche
despotifchen Gewaltſtreiche und Ungerechtigkeiten, welcher Jam⸗
mer und welches Elend liegen zwifchen diefem 14. Septem-
ber 1844 und diefem I. November 1845! Ein viergehnmonat-
liher Kampf liegt dazwifchen, ein Kampf, der dem vom Pa-
natismus noch nicht angeſteckten Theile des Volks zweimal die
Waffen in die Hand drüdte. Denn wie ohnmächtig die belob⸗
ten_„‚geiftlidien Waffen‘ den Iefuiten gegenüber find, das
wußte man nicht erft feit geftern. Uber beide Male wurden,
theilweife wenigftens durch eigene Schuld, die Iefuitengegner
befiegt. Auch kam durch das cinfeitige Feſthalten eines gro-
Ben Scheiss der Santone an dem Princip der Eantonalfouve-
rainetät Bein Zagfagungsbefchluß gegen die Jeſuiten zu Stande.
Hierdurch wurde in Luzern ein Regiment befefligt, daß in ei⸗
nem Sreiftaate, das im 19. Jahrhundert ans Fabelhafte grenzt.
*, Nah einem Öffentlihen Blatt follen, als bie Sefuiten ein⸗
zogen, viele Stubenten audgezogen fein und bie Lehranftalt acht
Schuͤler weniger wie das legte Jahr zählen. Es wäre bied ein
Beweis, daß der VWolksgeiſt unter der gebildetern Claſſe noch nit
völlig unterjocht if.
197
Bar nach dem exften verunglüdten Aufſtand gegen dieſes Re:
iment der Zuftand des Cantons Luzern ein trauriger, wie un:
felig mußte er fi erft nad dem midlungenen zweiten Auf
ſtande geftalten! In das duftere Bild, das von nun an ber
Santon Luzern darbot, in dies. finftere Land bes Aberglaubens
und des Fanatismus, in dieſe Nacht der Rechts- und Geſetz⸗
Iofigkeit el plöglich ein heller Sonnenblick, die Befreiuung
Steiger's, um defien Haupt fi eine Maͤrtyrerkrone gelegt
hatte. Der Subel darüber drang über die Bauen der Schweiz
hinaus, und noch war er nicht verftummt, ald die verhängniß-
volle Ermordung Leu's von Eberfol, der hauptſaͤchlich die Be⸗
rufung der Jeſuiten durchgefegt Hatte und ein fehr einflußrei-
ches Haupt ihrer Partei war, gleich einem neuen Fluche auf
dem ımglüdlihen Canton laſtet. ine „Mordceomplotsver:
dächtigung” im Großen ift feitdem am der Tagesordnung.
gahlreiche Verhaftungen und Auslieferungsbegehren an andere
Gantone wegen Solcher, die bei dem Morde betheiligt fein
follen, kommen noch täglih vor.
Man mußte durkhaus für den nun zum Heiligen geftem:
pelten Leu, ſchon um den auf ihm baftenden Verdacht eines
Selbftmordes abzuwenden, einen Mörder haben, den man auch
in der Perfon eines gewiffen 3. Müller zu entdedien wußte.
Er ſollte von der liberalen Partei beftocden worden fein; man
brachte ihn, wer weiß durch welche Mittel, zu ausführlichen
Geftändniffen, durch die die Sache noch keineswegs aufgePlärt
ift und vielleicht niemals völlig aufgeflärt werden kann. So
ift z. DB. ſchwer zu glauben, daß. Jemand mit einer Schuß:
wunde wie die Leu’d noch „Sefus Maria!’ rufen konnte, wie
doch die actenmäßige Angabe lautet; und was dergleichen Wi⸗
derfprüche mehr find. Wie wenig überhaupt bei Eriminalun:
terfuhungen auf erpreßte Geftändnifle zu geben ift, erhellt auß
folgendem Beifpiel. Man hatte in einer in Luzern, vor etli⸗
hen 20 Sahren, geführten —— wegen Ermordung
des Schultheißen Keller eine ſich zufällig in der Gegend um⸗
hertreibende Bande von Vagabunden verhaftet und in fammt:
liche Landſtreicher und Landftreicherinnen das Geſtändniß des
Mordes und des Wiſſens um den Mord hineins und wicder
Berausinquirirt. Da Unförmlichkeiten in der Procedur entdeckt
wurden, fo hatte die Tagſatzung eine eidgenöffifhe Commiffion
niedergefeßt zur Unterſuchung der Unterfuhung; und da ent⸗
deckte man, daß auch nicht ein einziges der gemadten Ge:
ſtaͤndniſſe richtig geweſen iſt. Diefe berüchtigte Proceßgefchichte
wurbe öffentlich befannt durch eine in Aarau erſchienene Schrift:
„Geſchichtliche Darftelung und Prüfung der über die denun-
arte Ermordung des Herren Schultheiß Keller von Luzern ver:
führten Griminalprocedur” (2 Bde., 1826).
Die Geftändnifie des Leuenmoͤrders“ boten ber jetzigen
Megierung Luzernd einen willlommenen, wenn auch fehr nich
tigen Grund zur Verhaftung des Großraths Kafımir Pfyffer,
eines ausgezeichneten, ſtreng rechtlichen, aber liberalen Mannes,
on defien Betheiligung bei dem Morde Leu's nur feine Feinde
ſich den Anfchein gaben zu glauben, um den geiftig hochbegab⸗
ten, ihnen misfälligen Gegner drei Wochen lang gleich einem
Berbrecher im Sefängnif zu halten. Gin Seitenftüd dazu
bietet das erfahren gegen die beiden bei dem legten Frei⸗
ſcharenzug betheiligt gewelenen Deutfchen, &. Bein und Daff⸗
ner, die nach einer halbjährigen Gefangenfchaft nächtlichermweife
fortgeihleppt wurden, um auf einem ungeheuern Umwege, den
fie zum Theil gefeflelt machen mußten, endlih in ihre Heimat
gelangen. Dad Gefuch der Iuzerner Regierung an die Ge»
Fondten der Rachbarftaaten, die Betreffenden vom Gebiete der
Schweiz fern zu halten, unterftügte der Vorort, ald durchaus
unangemeflen, nicht.
n Luzern hatten fi dur die Zuger Gonferenz die
Peinen Gantone Wallis und Freiburg enger angefchloffen.
Wenn man aud) bis jept die Verhandlungen biefer Conferenz
nicht genau Eennt, fo laͤßt ſich doch mit Beftimmtheit anneh⸗
men, baß es fich dabei um die Wiederherftellung der Klöfter
und die Maßregeln handelte, den Canton St.⸗Gallen dem Ul⸗
tramontanismus zu unterwerfen. Die Conferenz kam durch
den bekannten, fruber liberal gefinnten Baumgartner, jegt das
Hauptwerkzeug der ultramontanen Partei in St.Gallen, zu
Stande. Die beiden Yarteien des Cantons St.:@allen im
Großen Rathe find fi numeriſch ganz gleich (74 gegen 74)
und es hängen daher die wichkigften Bragen dieſes Cantons
vom blinden Zufall des Looſes ab, das ihm denn auch den
Apoſtaten Baumgartner als Landammann zumarf. *) Unter
dieſen Umftänden war ed vorauszufehen, daB &t.-Gallen end:
lid ein Bistum und dadurch der Ultramontanismus eine fe:
ftere und gefährlichere Pofition in der Schweiz erhalten würde.
Die Aufregung unter der Satholifhen Bevölkerung des
Aargaus wird fortwährend, wol auch auf Anlaß der Zuger
Gonferenz, bald durch dieſes bald durch jenes Mittel unter:
halten. &o bat man fogar unlängft von Luzern aus einen
Emiffair ins Aargau geſchickt zur Bildung eined Anti-Ronge-
vereind, um hierdurch die feeifinnige Behörde ald Begünftiger
der deutſch-katholiſchen Bewegung bei dem römifch-fatholifchen
Volke zu verbachtigen, während trog der Behauptung des
„Rheiniſchen Beobachter”, diefe Bewegung made fich bereits
im Yargau geltend, Dies bis jegt durchaus nicht der Fall ift.
Um ji gegen die beftändigen Machinationen und ingriffe
des Ultramontanismus einigermaßen in Sicherheit zu fehen,
Fr ber Große Rath des Aargaus befchloffen, wie dies ſchon
über in Bern geihab, alle Zöglinge des Jeſuitenordens von
den Staatöprüfungen auszufchließen und ihnen fomit die Be:
fühigung zu Staatsamtern und Lehrerftellen zu entziehen.
Die fogenannte confervative Partei im Canton Zürich, die
wie gewöhnlich den Affen des Ultramontanismus machte, ver:
anftaltete nach dem Beifpiele der oben erwähnten. Zuger Eon»
ferenz eine ähnliche in Züri, deren Zweck fein follte, wenn
er auch nicht offen außgefprocdhen wurde, unter dem Ramen
einer Der föhnung der Parteien die ultramontanen Intereffen
zu fördern. er im Schoofe der Verſammlung felbft, die
wenig befucht war, erhoben ſich Stimmen gegen die Vorfchläge
ihrer Häupter. Auf biefe Art miöglüdte das Manoeuvre gänz
lid, wie ed denn überhaupt den Anfchein bat, daß die conſer⸗
vative Partei nichtd conferviren wird als ihre Ohnmacht.
Betrachten wir nach diejem kurzen Überblid die Wirkun⸗
gen, welche diefe Ereigniffe auf die Preſſe äußerten. Die Lite:
ratur, diefer Widerhall des Lebens, wird in einem Lande, wo
die Politif das Hauptintereffe in Unfpruch nimmt, fi auch
vorzugsmeife damit befchäftigen.
In einem frühern Schreiben wurde mitgetheilt **), wie der
unfelige Freiſcharenzug ſich in der Literatur abgefpiegelt hatte.
Es konnte nicht fehlen, daß ein fo wichtiges Ereigniß noch
längere Zeit die Aufmerkſamkeit in Anſpruch nehmen mußte,
und & find denn auch fpäter noch mehre Brofchüren über die⸗
fen Gegenſtand ˖ erjchienen, worunter
I. Zweiter Bericht de8 Hauptmann Ulrich Ochſenbein über
den Kampf der luzerniſchen Flüchtlinge und ihrer Freunde
am 31. März und 1. April 1845.
zur Befprechung Anlaß gibt.
Bei jedem gefchichtlihen Ereigniß bedarf es erit längerer
Zeit, ehe ſich ein richtiges und unparteiifches Urtheil darüber
bildet. So fprechen die jegt erfcheinenden Schriften, wenn
auch noch hier und da einige Sagen im Umlauf find, von der
myſtiſchen Ankunft eines Kurier vor Luzern im entfcheiden:
den Augenblicke, von Berbandlungen mit Iuzernifhen Macht:
habern und dergleichen, den DObercommandanten Dchfenbein von
*) Wie noch immer im Ganton Zürich die Liberalen „Strauße”
(Anhänger von Strauß) genannt werden, fo heißen jest in St.⸗Gal⸗
len bie Sreifinnigen „Breifhärler”. Wie fehr ed aber noth thäte,
daß gerade in biefem Ganton die Schar ber Freien größer wäre,
zeigt die Wahl Baumgartner’d zum Lanbammann.
*.) Vergl. die Mittdeilungen in Nr. 118, 119 u. 217 d. Bl.
f. 1885, D. Red.
*i
108
dem Verdacht des Werraths frei. rlich, e6 bedurfte auch
gar Feines Berraths zum Mislingen eines in fo vielen Haupt:
fachen verfehlt angelegten Unternehmens. Diefer „Zweite Be
richt‘, der den Eindrud der gg A macht, wenn er
auch auf Vollſtaͤndigkeit Beinen Anſpruch machen Bann, geht
befonders vom militairifhen Standpunkte aus. Große der
rainkenntniſſe geigt der mitgetheilte Drganifations: und Ope⸗
rationöplan, der, wie ein öffentliches Blatt verfichert, nicht erft
fpäter zur eigenen Mechtfertigung Ochſenbein's gefchrieben
wurde, fondern ſchon zu Anfang Februar 1845 einer Offiziers⸗
verfemmlung in Dlten vorgelefen worden war. Dem Entivurf
diefes Plans fol Dchfenbein daB Dbercommando zu danken ge
habt haben. Die Zahl der Freiſcharen, die das Ferag auf
15,000 hatte anfchwellen laſſen, gibt der Bericht auf 3409 an.
Sn einem andern Schriftchen: „Rotigen und Kritiden, den letz⸗
ten Freiſcharenzug betreffend‘‘, wird behauptet, daß diefe Zahl,
und fie wird da auf angegeben, zu gering gewefen fei,
„um eine Regierung zu flürgen, die durch acht Bataillone regu⸗
lairer Zruppen, einen Landflturm von mehren Zaufend Mann und
beträchtlichen Buzua aus den Beinen Cantonen gehalten wurde
und allen Bortheil der Pofition für ſich gehabt hatte”. Allein
es ergibt ſich aus dem Berichte Dehfenbein’s, Daß die erwähnte
Peine Zahl zur Ausführung des Plans bingereicht hätte, wenn
fie ſich nicht feibft bis zur Spurlofigkeit verkleinert hätte durch
Auseinanderlaufen, worauf freilich der Luzerner Regierung das
Siegen fo leicht als möglich gemacht worden war. Aufs neue
beftätigt e6 fi) indeß, daß der Angrifföplan der Freifcharen we⸗
niger fehlecht war wie der Vertheidigungeplan des Generals
Sonnenberg. Auch will jegt Ochjenbein im Befig eines Plans
fein, „wie der Canton und die Stadt Luzern wirkſam verthei-
digt werden Bönnten; da es aber noch nit ausgemacht fei,
ob nicht vielleicht früher oder fpäter neue Unternehmungen in
dDiefer oder jener Form flattfänden, fo will der Verf. feine Ge⸗
danken über dieſen Punkt noch nicht der OffentlichFeit übergeben”.
Das vorhin erwähnte Schriftchen: „Rotizen und Krititen”,
das von einem I. Glur, einem Arzte herrührt, der den Frei:
fharenzug mitgemacht, wäre nicht nennenswerth, wenn nicht
auch hierin Sonnenberg vom Berdachte eines großen Gene
rals und Dchfenbein von dem eines Berräthers freigefprochen
würde, und wenn nicht der Verf. fein Thema in populairer
Sprache hoͤchſt naiv und wider feinen Willen komiſch behan-
delte. Er vergleicht: 3. B. den Freiſcharenzug mit Rapoleon’s
Feldzug nach Rußland, indem er ihn „ein in vielen Stüden
treffendes, wiewol ſchwaches Nachbild“ davon nennt und zählt
die Urfachen des Mislingens jene Bugs an ben Fingern ber.
Obenan fteht der ſchon oft erwähnte, durch ſchlechte Einrich-
tungen des Commiſſariats hberbeigeführte Mangel an Lebens-
mitteln. Auf der einen Geite Hunger, Durft und Ermat⸗
tung! „Wie grell ficht Dagegen hiervon ab, wenn man bedenkt,
daß ganze Wagen voll Proviant, Kleifh, Brot, Bein, Schnaps,
Wuͤrſte, Butter, fogar eine ganze Kifte voll fhöner Lebkuchen
(ein bafelee Backwerk) mitgeführt ward”, was Alles dem
Feinde in die Hände fiel! (S. 5.) Der gute Doctor bezeichnet
als weitern Grund des Mislingend den Mangel einer „feuri⸗
gen vaterländifchen Anrede‘ bei Eröffnung des Zug, als Er⸗
mahnung zur Standhaftigkeit und Ausdauer im Kampfe. „Ra⸗
poleon und Friedrich der Große thaten daffelbe immer bei
ähnlichen Gelegenheiten mit gutem Erfolg.” Am Rebehalten
fehlt es fonft freilich bei uns in der Schweiz felten. Aber
ſchwerlich würde in diefem Fall die „feurigſte“ Rede ben lin⸗
ten Flügel gehalten haben, von dem der Berf. felbft — daß
in feiner „Furcht und übereilten Flucht das ganze Geheimniß
des übeln Ausgangs des Zugs beftand”. Doc der Doctor
weiß fich zu tröften. Gr meint, wenn die Sache gelungen
wäre, fo hätte fie vielleicht größere Übel zur Bolge gehabt als
die Berufung der Jeſuiten. „Indeß“, Fährt er fort, „ift der
Vortheil bier dennoch auf Seite Defien, der ſcheinbar verlor;
wir baden geffegt, dee Sieg ift unfer!” Und nod einen wei |
teen Troſt hat er bei der Hand: „Der ganze 2 ang fchet
am beften, wie man es im Kriege nicht malen fol.”
(Bie Bortfegung folgt.) |
Biblisgraphie.
Beckmann, M., Wilhelm von Lecce. Trauerſpiel
fünf Bar rt Beinders. 1845. 12. 15 ia ze
aba, H., Lebensbilder aus unferer Bei
Schmid. KL 8. 2, r. ſerer Belt. Tugebarg,
Neuer Bothe aus Mähren. Ein Haus:, Stadt: und Land⸗
mannd= Kalender für alle Provinzen des öfterreichifhen Ge⸗
fammtreihes auf das Jahr 1846. SOfter Jahrgang. Mit ei-
nem rapide und eingedruckten Holzfchnitten. Brünn, Gaſtl.
. , Ror.
‚ Braun, 3. F., Die Bedeutung ber lateiniſchen Schul
mit befonderer Beziehung auf die Gegenwart und ipre Brief
niffe. Stuttgart, Schmidt und. Spring. Gr. 8. 7%, War. |
‚Brennglas, A., Komiſcher Volkskalender für
Er vielen Holzſchnitten. Hamburg, Verlagscomptoir. 8,
r.
8
Fioraventi, Guſtav Moraldino der edle Banditenfohn.
Drei Xheile. te verbefierte Auflage. Breslau, Kühn. 1845.
&r. 16. 1 Thir. 15 Rgr.
Blir, A., Bilder aus den Kriegszeiten Tirols. Geſchicht⸗
de und poetiſche Erzählungen. Innsbruck, Wagner. 12.
2 r
gr.
‚Gerber, R., Abdel: Kader und der Ehriftentnabe. Eine
—— für Das Volk. Ulm, Heerbrandt und Thämel. 8.
2 gt. |
— LEeſchichte von Algier und feiner Eroberung durch
bie Franzofen. Ulm, aheerbrandt und Ihämel. 8. 3%, Rgr.
‚ Kitfh, K. W., Moderne Streifzüge in Poefie und Profa.
Leipzig, Klemm. 8. 1 Thlr. 15 Nor.
Lang, K. 9. v., Die Liebichaften des Sefuiten Jacob
Marell Fe dem Kateinifchen. te Auflage. Jena. 1845.
.. gr.
Leben und Wirken des Wiguläus Zaverius Aloyfius Freih.
v. Kreittmayr, Ehurbayerifchen geh. Staatskanzlers und Ober:
ften »£ehnprobftes. Mit dem Standbilde deffelben. Münden,
Franz. »1845. Gr. 8. 7% Nor.
Lebensgefchichte von Martin Boas, Prediger der Gerech⸗
tigfeit, die vor Gott gt Auszug aus feiner Selbftbiographie.
Bafel, Bahnmaier. ' 15 Nur. .
Leonhard, K. C. v., Taſchenbuch für Freunde der Geo-
logie, in allgemein faßlicher Weile bearbeitet. Ifter Sahrgang.
Mit einem Stahlftih, einer Lithographie und mehreren Zwi⸗
Ihenrüden. Stuttgart, Schweizerbart. 1845. 8. 1 Thir.
r.
9
eöſchke, K. J., Erzählungen auß der Geſchichte alter
und neuer Beit, mit befonderer Berüdfichtigung Deutfchlands
und der criftlihen Kirche. Zur Erweckung des Sinnes für
Geſchichte. Breslau, Graf, Barth und Comp. Gr. 8. 124%, Nor.
Löwenftein, R., Kindergärten. Gedichte. Rach Beiche
nungen von M. Kretſchmer. Berlin, Zrautwein. 8. 1 Thlr.
Kachtfeiten der Berliner Geſellſchaft. Sociale Lebensbil:
der der neueften Zeit. Iſtes bie dtes Bändchen. Berlin, Hoff
mann und Comp. 1845. Gr. 16. 1 Thlr.
Delders, T., Zürft und Proletarier. Ein Roman aus
ber gegenwart. Zwei Bande. Leipzig, Klemm. 8. 2 Zhfr.
b r.
Illuſtrirter Schweizers Kalender für das Jahr 1846, Iſter
Jahrgang. Solothurn. 4. 10 Ner.
Dramatifched Vergißmeinniht auf das Jahr 1845, aus
den Gärten des Auslandes nach Deutfihland verpflanzt von
ZH. Hell. 23ſtes Bändchen. Dreiden, Arnold. 12. I Zhlr.
Verantwortlicher Herausgeber: Heinrih Wrodpans. — Drud und Verlag von F. X. DBrockhans in Reipgig. |
Blatter
für
literariſche Unterhaltung.
Mittwoch,
28. Januar 1846.
a
Die europäifhen Staaten nach ihren innen und
äußern politifchen Verhältniffen, von Bülow:
Cummerow.
(VSortſetuag aus Rr. 33.)
Wenn man nun bie Erhaltung eines langen Frie-
dens ſchon als einen gefegneten Erfolg davon anfehen
kann,
fo muß ſich den um ihr Schickſal bekümmerten Bölkern die
wichtige Frage aufdrängen: Kann die gegenwärtige Überein:
ſtimmung der fünf Großmächte eine feite Garantie für die Zu-
kunft gewähren und ift der bisherige Friedenszuſtand die Folge
des unerfchütterlihen Willens derfelben, oder verdanken wir
ihn mehr zufälligen Umftänden ?
Die Löfung eben diefer Frage ift mithin die nächfte
Aufgabe der Unterfuhung in bdiefem Abfchnitte. Eine
uverläffige Gewährleiftung für die Kortdauer eines Zu⸗
andes ift nur in ber Einhelligkeit des wohlveritandenen
Intereſſes Derer zu finden, von beren Entſchließungen
er abhängt, wogegen eine bloße Erklärung oder woͤrt⸗
liche Berficherung der Ubereinflimmung außerdem wenige
Sicherheit gibt, weil eben die Veränderungen ber Per⸗
fonlichkeiten und ebenfo der Anfihten nach den Umftän-
den fie benimmt. Nachdem ber Verf. nun die Tages⸗
geſchichte feit dem Wiener Congreſſe burchgegangen
und die hauptſächlichſten Ereigniffe und Werhältniffe,
worüber es zu Verhandlungen gekommen ift ſowie das
Benehmen der Mächte dabei beleuchtet hat, kommt er
zu dem Ergebniffe, daß ein fefter und dauerhafter politi-
ſcher Zuftand in Europa keineswegs begründet, fondern
die glückliche Erhaltung des Friedens vorzüglih nur dem
Zufammentreffen fo mancherlei zufälliger Umftände zuzu-
ſchreiben fei, und daß ein von allen Mächten befolgtes
durchgreifendes Syſtem fich überall nicht kundgebe. Die
wichtigſten Punkte ber Veruneinigung und widerftreiten-
der Intereſſen, foweit deren Vertagung möglich gewefen
ift, find alle nicht erledigt, fondern nur auf gelegenere
Zeit verfhoben worden; fie müffen alfo über kurz oder
lang zur Entſcheidung kommen. Man kann füglich
binzufegen, daß auch diejenigen Dinge, welche zu irgend
einer Erledigung gebracht werden mußten, weil fie nicht
im gährenden Zuftande belaffen werden Eonnten, nicht
im übereinftimmenden Intereffe aller Mächte gefchlichtet
worden find, fondern nur nad) dem bdrängenden Bebürf:
niffe der zunächft betheiligten, fodaß fie dadurch nicht
ſchließlich abgethan find, vielmehr nur mehr Zunder an-
gehäuft worden ift, gar fehr empfaͤnglich, durch hinein⸗
geworfene Funken entzündet zu werben.
Überall aber zeigt es ſich, daß es ſowol an einem welt⸗
und ſtaatsweiſen Grundprincipe ber Handlungsweife als an
dem gehörigen Muthe gefehlt hat, ſich dadurch leiten zu laſſen
und es zur Geltung zu bringen.
, Hiermit würde ber { erfchrift dieſes Abſchnitts Ge⸗
nüge gethan ſein; allein derſelbe enthaͤlt noch mehr als
jene beſagt, denn er umfaßt zugleich die Vorbereitung
des allerletztn. Um nämlich ſich darüber Rechenſchaft
zu geben, worauf die Bewahrung des Friedens in
Europa hauptfächlih beruhe und worauf es dabei an-
ommt,
muß man fich eine moͤglichſt zulaͤngliche Überficht der voneinan⸗
der abweichenden fachlichen und perfönlihen Werbältniffe der
größern Bolkeftämme und ihrer Beberrfcher zu verfchaffen trach⸗
ten, um daraus zu entnehmen, was für die Wohlfahrt jener
gefchehen koͤnne und müfle.
Der erfte und wichtigfte Punkt hierbei ift der Ver⸗
faffungszuftand.
Man darf jih darüber nicht täuſchen; der Streit über die
Berfaffungsfrage, der feit SO Sahren die Gemüther fo fehr be
wegt, betrifft die Herrſchaft der NRechtöficherheit oder der Will
für. Willkuͤrherrſchaft oder Abſolutismus werden nicht felten,
aber ganz zur Ungebühr mit Hoheit oder Souverainetät ver⸗
wedhlelt.
Ja Solches gefchieht oft abfichtlih, um unter dem
Dedmantel diefer jene zu erhalten oder zu befefligen.
Aber ein Despot regiert nicht Staatsbürger, fondern
gebietet über verftand- und vwoillenlofe Wefen in Allem
was den Staat angeht, alfo in ftaatliher Beziehung
über Zeine Menfchen. Ein ſich felbft, feine Beftimmung
und feinen Beruf erfennender Menfh kann fi nicht
entbrechen, feine Einfiht und feinen individuellen Willen
einem ®emeinwillen zu unterwerfen, in welchem bie
Vernunft, fo viel unter Dienfhen möglich, waltet und
ſich fund gibt; aber er Tann nie, der Willfür zu gehor-
hen, eine Obliegenheit erkennen, weil er ſich eben ba-
durch zum Sklaven macht. Nur in ber Zeit ber rohe-
fien Unwiffenheit konnte von einem Rechte der Stlave-
rei die Mede fein.
Da das Wort „Willkürherrſchaft oder Autokratie“ in
ber öffentlihen Meinung aller gebildeten Voͤlker bereits ver-
dammt ift.und hiernach nur verworfen werden kann, bat bie
Schmeichelei es mit einem andern Ramen zu vertaufhen ge⸗
fucht, mit dem „des göttlichen Rechts”.
110
Fragen wir aber nach den Urkunden feiner Einfegung,
fo muß die Wahrhaftigkeit eingeflehen, daß dieſe weder
in der Offenbarung noch in der Natur irgendwo aufzu⸗
finden find. Denn in ber Natur ift Alles an feſte Ge⸗
fege gebunden, nirgend auch nur eine Spur von Willkür;
aus Gott aber, dem ewig unabänderlihen Selbftgefege, Bann
eins Offenbarung des Gegentheild hervorgehen. Herrſchaft
des Seſetzes und Willkür fchließen einander völlig aus. Die
Gnade Gottes hat jedem Menfchen feine Stellung in der Welt
angewiefen, und ed kann Niemandem ein vorzügliherer ober
ausfchlieflicher Anſpruch auf biefe Gnade angeboren fein. Wem
fie eine höhere Stufe in der bürgerlichen Gejellfchaft zugeteilt
bat, thut wohl, ſich daran allezeit zu erinnern, um ihr nicht
zuwider zu handeln, fondern feinen Beruf zu erfüllen; aber
dfefe Deniuth ift Bein Mechtetitel, fo wenig als die Benennung
Knecht der Knechte Gottes die Befugniß zur dreifachen Krone
enthält.
Der in der Zeit ſich ausgebildete Verfaſſungszuſtand
der europäifchen Reiche wird einzeln geſchichtlich vom
Berf. kurz entwidelt, und zeigt als übereinflimmende
Erſcheinung, daß überall die Leibeigenſchaft erſt im
Mittelalter in den Zeiten der finſterſten Unwiſſenheit
und Roheit und der über alles Recht herrſchenden Ei⸗
genmacht entſtanden iſt; daß neben ihr der Erbadel auf-
getommen und fi über den freien Bürgerftand empar-
gefhwungen Hat; daß ferner nur Diejenigen Stände,
welche fih in der Lage befanden, die Macht und bie
Abſichten der Fürften zu unterflügen oder zu behindern,
politifhe Bedeutung behielten ober erhielten; daß biefe
Stände vermöge des fich in ihnen ausbildenden SKaften-
geiftes nur ihre Sonderintereſſen hegten, und beshalb fi
nicht nur untereinander möglichft Abbruch zu thun, fon-
dern auch bie Fürftenmacht ſich botmäßig zu machen
trachteten, wobei die Förderung des Gemeinwohls un-
moͤglich fiel; daß eben darum die Fürften nicht anflchen
konnten, fih und das Land von ſolchem Joche zu be-
freien, und daf dies durchgängig gelungen ift, menn-
ſchon nicht immer durch Töbliche Mittel. Die Erwer⸗
bung der Landeshoheit und fpäter ber Souverainetät
ift fonach der gefchichtliche Durchgang geweſen zum Un-
tergange der zertheilten und felbftfüchtigen Ständeherr-
ſchaft und befonders zur Brechung der der Staatsgewalt
widerfirebenden Vaſallenmacht, damit ein über das ge⸗
fanımte Bolt fi erftreddiender Rechtszuftand und eine
Staatsverwaltung möglid) würde, welche bas Wohl al-
lee Einzelnen gleihmäßig in der Geſammheit ſich zum
Ziele ſtecken kann. In dem Grabe, als die alte Stände-
theilung und Verfaffung fih zu erhalten vermocht hat,
find bie Regierungen ohnmächtig und die Völker im
Wachsthume ihres phufifhen und moralifhen Zuflandes
zurüdgeblieben. Polen, Ungarn, und Schweden liefern
den Beleg dazu. Allein diefe Übergangsperiode in des
Ausbildung bes Wölterzuflandes barf nit ald etwas
Dauerhaftes, nicht als das Ziel ber Ausbildung ange-
fehen, nicht der Abfolutismus und die Alleinherrfchaft
als die Frucht der GEntwidelung vor ihrer Reife ge
brachen, ſondern ber faure Saft muß erft füß gekocht
werden. Denn Herrſchaft drückt überall ein Ver⸗
haltniß amd, dem bie Moral und das Recht mr für
Einrichtungen Geltung geftattet, die vermöge ihrer Ver⸗
nunftmäßigteit ihnen keinen Eintrag thun koͤnnen, nie-
mals in Betreff der Untergebung von Menſchen unter
Menfchen, von denen keiner untrüglich ift, vielmehr durch
feinen Unverftand oder verkehrten Willen auch bie ihm
Gehorchenden zur Vernunftverleugnung nöthiges wärde.
Ein unvernünftiger Menſch hat weder Rechte noch Pflich⸗
ten; ebenfo fann eine vernunftwidrige Staatseinrichtung
oder Verfaffung Feine vechtmäßige fein. Menfhen und
Bölker konnen und follen wol regiert, aber durchaus
nicht beherrfcht werden. Diefen gewaltigen Unterſchied
zur allfeitigen Erkennung und Anerkennung zu bringen
und Die Einrichtungen fo zu treffen, daß Diefes vermie-
den, Jenes dadurch erreicht wird, Das ift eben der Vor⸗
wurf und bie Beichäfttgung der Zeit in’ der wir leben.
Je vollkändiger und allfeitiger dies eingefehen und be-
herzigt wird, deflo friedlicher und heilfamer wird fie ſich
geftalten, wie. umgefehrt es ganz unmöglich ift, daß
Krämpfe und Zudungen ausbleiben.
Es erwächſt aus diefer Betrachtung unausbleiblich
die Frage: .
IR nicht eine folche Regierungsform ausfindig zu machen,
in weldger die unvertennbaren Vortheile des Alleinregierens
bewahrt und die ebenfo offenbaren Kachtheile der Alleinherr⸗
ſchaft vermieden werben, durch welche alfo, mit andern Wor⸗
ten, alle Willkür möglichft ausgefchloflen, Hingegen das Wal:
ven der Vernunft zur allgemeinen Wohlfahrt aufgefchloffen
wir
Für alle Länder ift die Löfung diefer Frage von ber
höchſten Wichtigkeit, aber für keine mehr als für Preu-
en und Oſtreich. Für dieſe iſt es eine Lebensfrage;
dies nicht blos darum, weil ſie thatſächlich in die Kriſis
fon eingetreten find, bevor noch die fchägenden Heil-
mittel erfannt und bereitet find, vornehmlich aber darum,
weit die Kortdauer ihres Lebensbeftandes von der Eräf-
tigen Genefung von bem Fieber abhängt, das fie jest
fühlbar fchitttelt.
Völker, die in der Entwidelung bereits vorgefcheitten und
durch Diefe zum Bewußtfein ihrer Stellung gelommen find,
formen nicht in der Unmündigkeit erhalten werden, folglich
nicht ohne Theilnahme an der Regierung und ohne dazu ge-
ſchickte Drgane, mithin nicht ohne Berfaflungseinrichtungen ver⸗
waltet werden, wenn man fie nicht entweder zur Thiecheit er-
niebrigen und nicht blos ihre Menſchenwuͤrde, fondern auch,
wie die Griechen und Römer, die Türken, Ruſſen, Italiener
und Spanier es gezeigt haben, ihre menſchlichen Kraftvorzüge
jerftören, oder aber in ihnen felbjt die Beforgniß foldher Berau-
ung, die Reizung zum Widerftande und das Beſtreben an-
fachen will, abyumätbigen, was ihnen wider Recht und Billig-
keit verfagt wird. Bevor alſo im Herzen von Europa ein
folder Rechtszuſtand nicht bergeftellt iſt, Liegt es außer aller
Berehnung, wohin das Zögern oder Weigern führen werde,
und bie Rube duropoe bat Feinen fichern Boden.
So wie der Verf. auf dem Wege hiftorifcher Be⸗
trachtung dies Urtheil gefunden hat, fährt er nım welter
fort flatiftifh abzumägen, wie ber gegenwärtige innere
und aͤußere Stand der Verhältniffe der bebeutfamen Län-
der befhaffen ift, und wie weit fie befonber& in ber ge-
ſellſchaftlichen Ausbildung vorgefchritten find, um bier-
aus das Maß ihrer morafifhen und phyſiſchen Kräfte
wie das Gewicht ber Beſorgniſſe oder Hoffnungen ab-
11
zunchmen, welche ſich daraus für die Ruhe Europas
eben
ergeben.
Das Syſtem des Bleichgewichte, dem noch die Politik
allgeraein buldigt, haftet befonders an dem Umfange bes
Staatsgebiets derjenigen Mächte, welche das Bleichge-
wicht halten follen, und ift deshalb vor Allem ängftlich
dahinter her, jeden Territorialzuwachs möglichft zu hin⸗
dern, ben Beligftand aber zu erhalten. Indeſſen ift dies
von vornherein ein arger Irrthum, ba bie Zugabe eines
Landestheild ebenfo wol eine Schwähung als Stär-
kung der zur Verfügung fiehenden Macht fein kann.
Weder in dem Umfange noch überhaupt in den mate-
rielen Mitteln der Länder beruht die Macht der Staa⸗
ten, fonbern es fließen darauf noch viele andere Ver⸗
hältmiffe und Kräfte ein, die ſich ganz außer der Gon-
teole und Einwirkung der auswärtigen Mächte befinden.
Zudem bildet der Umfang und bie Bevölkerung eines
Landes felbft nur einen geringern Beftandtheil feiner
materiellen Macht; die Fruchtbarkeit des Bodens, die
Gewerbihätigkeit und . Handelsbetriebfamkfeit feiner Be⸗
wohner, der Sapitalvorrath und die Ordnung in Staats⸗
haushalte wiegen noch ſchwerer. Höher noch fiehen ein
zwedimäßiger Verwaltungsorganismus, innige Vereinba⸗
rung aller Staatskraͤfte, leichte Benugung ber zu Ge⸗
bote ftehenden Mittel, Einverftändniß zwifchen Regie
ung und Volt, Gemeingeift und Vaterlandsliebe, gei-
flige Überlegenheit in der Einfiht und Willenskraft.
Dos Wihhtigfte von Allem ift, daß im Falle irgend ei-
nes Rampfes das gemeinfame Intereffe der Geſammt⸗
heit durch ein kerniges Volt und eine mit ihm eng ver-
bundene weife Regierung vertheibigt werde.
Dabingegen ift es ein Vorurtheil, daß die Allein⸗
herrfchaft vermöge der Vereinigung aller Kräfte bie
größte Stärke verfchaffe. Die Widerlegung führen China,
Tibet, die Türkei, Rußland. Sie ift nur dann mäd-
tig, wenn fie es verfteht, dem frei erhaltenen Willen
der Einzelnen eine Richtung auf ein gemeinfchaftliches
Ziel zu geben; aber fie verfintt in dem Grade in Ohn⸗
macht, als die Freiheit der Bürger durch fie unterjocht
wird. Wie fi überhaupt freie Kraftentwidelung ober
Arbeit zu erzmungener verhält, fo die Reifung eines
Volks von Staatsbürgern zu der fchmeigend-unterthäniger
Landeseinwohner. (Die Fortfegung folgt.)
Riterarifche Briefe aus der Schweiz.
(Beortfegung aus Mr. 27.)
In eimer Blaren, würdigen Sprache ift folgende Schrift
abgefoßt: |
2. Das rote Büchlein oder ber Freiſcharenzug und das Schick
fal der Gefangenen in Luzern im März; und Upril 1845.
Dargeſtellt nach zuverläffigen Ouellen und Berichten von
Yugengengen. Bern 1845.
Bu d Quelien, aus denen der Berf. fehöpfte, gehört
unter andern die in d. BL. ſchon früher beſprochene Schrift:
‚Die ſchweizeriſche Jefuitenfrage in ihrer ſtaats⸗ und voͤlker⸗
rechtlichen er
n er
* (Tübingen 1845).
Bo it an iſt der Utramontanismuds, obwol
jedem geiftigen Fortſchritte der Voͤlker abhold, doch felbft fort:
jo mandger braven Familie an!’
eſchritten, da wo es ihm möglich war, in der Ausbehnung
einer geiftlihen Macht. In einem Lande wol tritt dies au⸗
genfälliger hervor wie in der Schweiz, und wieder in feinen
nton mehr wie in Luzern. Der Verf. der genannten
Schrift weißt diefes Schritt für Schritt nad. Und welch ein
Gemälde rollt fi da vor unfern Augen auf, von dem erften
wichtigen Siege des ultramontanen Klerus im 3, 1833 durch
Berwerfung des Entwurfs einer verbefferten Bundesverfaffun
in Luzern bis zu feinem vollftändigen Siege im Herbft 1844,
den er in der Sefuitenberufung feierte! Wäre jene Bundes⸗
revifion damals erfolgt, deren Anregung unter Andern au
von einem der ausgezeichnetften liberalen &taatömänner Lu:
zernd auögegangen war, viel Zerwürfniß und Hader, viel Roth
und Elend wäre vielleicht der Schweiz erfpart worden!
‚ Die Bundesrevifion für einmal befeitigt, hatte der Klerus
freien Spielraum; Doch wurde nie plöglich gehandelt, fondern
nach und nad) der Grund gelegt, auf dem das Sefuitengebäude
fpäter aufgeführt wurde. Aber che es daſtand auf den Bes
ſchraͤnkungen der Prepfreiheit und des Vereinsrechts, auf den
Hemmungen im Erziehungswefen und dem Soſteme der Ver:
daͤchtigung, auf dem Fanatismus eined großen Theils bes
Volke und auf einer Berfaffungsverlegung,, da proteftirte ein
anderer heil des bewaffneten Volks vergeblih dagegen, wie
fon oben angedeutet wurde.
Bei der Erzählung des erften Freiſcharenzugs in der ger
nannten Schrift entfegt man ſich über den unbegreiflichen
Leichtfinn, momit er begonnen wurde. Haben feine Leiter die
ungeheure Berantwortiichkeit nicht eingefehen, die ſie durch ein
fo wenig vorbereitete Unternehmen auf fih luden? Den ei»
nen Zag wurde es befchloffen und den andern fchon fehritt
man zur Ausführung! Dennoch befam man, bei der Rath⸗
lofigfeit der luzerner Regierung, den Sieg in die Hand, ließ
ihn aber fahren, weil ein kräftiges Sufammenwirfen, ein mu:
thiger Entfchluß fehlte! Vier Monate darauf, ausgefüllt mit
Gewaltftreihen und Berfolgungen der fi ſchrecklich rächenden,
fo leichten Kaufs davon gekommenen Regierung, erhob fich eine
größere Maffe: die zahlreichen Iuzernifchen Flüchtlinge, unter:
ftügt von ihren Freunden aus mehren Nahbarcantonen. Sie
erhoben ſich nach größerer Überlegung, mit größerer Zuver⸗
fiht, um in größerm Maßftabe baflelbe Spiel wieder zu vers
lieren! Wieder hatte die Regierung gegittert, ihre Lage war
weit fehwieriger wie am 8. Dec. 1844; wieder hatten bie
Freifcharen den Sieg in der Hand, und wieder, im Allgemei»
nen aus ähnlichen Urfachen wie früher, ließen fie ihn fallen!
Sieben Monate find feitdem verfloffen, und doch, wenn
man die ausführlichen Berichte dieſes Ereigniſſes, wie fie die
vorliegende Schrift gibt, die von Peinem Freunde der Tuzerner
Regierung herrührt, wieder an fi) vorübergehen läßt, behält
neben dem Bewundern des Muthes und der Ausdauer einzel:
ner Abteilungen der Freifcharen und neben dem Abfcheu vor
den Greueln, an wehrlofen Gefangenen von Seiten der Sie
ger verübt, neben dem Zorne über Die Roheit diefer Rache:
ausbrüche dennoch der Unmuth die Oberhand, der Unmuth über -
ſelbſtverſchuldetes grenzenlofed Unheil, das hätte abgewendet
werden Tonnen!
Die Veranlaffung zu dieſen nicht geſetzlichen Freiſcharen⸗
kaͤmpfen ift freilich anderwärts zu fuchen als in dem „Treiben
des Rabicalidmus”, wie der fogenannte Conſervatismus, der
mit dem Romanismus auf freundlichem Fuße fteht, immer noch
glauben machen will. Sie ift zu fuchen in ben eigenen Rei:
ben der Ultramontanen, die, eine immer enger geſchloſſene Pha⸗
lanx bildend, ihren einmal begonnenen Weg in der Schweiz
fortfegen. Wird fich diefe Phalanr brechen an dem Damme, den
ihr Deutfchland in feiner jegigen DOppofition gegen Rom ſett?
Der Berf. der erwähnten Schrift ftellt am Schluß eine
Rechnung auf, wonach die Berufung der Sefuiten nad Luzern
bis jegt baare zwei Millionen gef: (et hat. „Und wer”, ruft
er aus, „fchlägt die 400 geopferten Menfchenieben, den Ruin
112
Nah den Vorgängen und Thatſachen, die wir foeben er
wähnt, nimmt fi ein anderes Schriftchen:
3. Der Jeſuitismus treu gefhilbert don einem unbefangenen
Proteftanten Züriche. Zweite vermehrte Auflage. Zurich.
1845. Gr. 8. 5 Nor.
fonderbar genug aus. Gin in Züri bekannter Kryptokatho⸗
lik und Jeſuit hat es zwar für nöthig gefunden, Öffentlich zu
erflären, Daß er nicht der Berf. genannter Schrift ſei; dies
halt uns indeß nicht ab, zu behaupten, daß, wenn nicht gerade
Diefer, fo doch ein Anderer dieſes Gelichters der Bert. fein
muß. Die Maske des „unbefangenen Proteftanten” figt zu
ſchlecht, als daß fie nicht Leicht, fchon einiger Kleinigkeiten we:
gen, zu durchſchauen wäre. So heißt es 3. B. in dem jefui«
tengeſchichtlichen Abrig, den er gibt: „Ignaz Loyola, Alters:
genoffe der Reformaroren, war nicht Bauersfohn wie der Au:
uftinermönd, er war der Sohn eines Manned, der zum hoͤch⸗
Ren Adel Spaniens gehörte”, und dergleihen mehr. Am auf«
fallendften aber ift es, daß er im Namen des Princips der Gei:
fteßfreiheit gegen die Sntoleranz in Beziehung auf die Jeſuiten
eifert und ihre Gegner in einem Athem „fchreibfelige Idioten,
Bedlamiten, politifhe Marktſchreier, geiſtliche Zeleten“ u. f. w.
ſchimpft, die „Hienlofe Käfterungen’’ gegen fie ausftießen. Wenn
der Verf. von den Proteftanten fagt, daß fie als folche ihr eige-
ned Urtheil nicht für untrüglich halten Dürfen, fo erinnert es
an Das, was vor zwei Jahren bei Gelegenheit einer Discuf:
fion im Wallis über das Verbot des Gottesdienſtes der dor:
tigen Proteftanten zur Sprache Fam.
davon Die Rede war, daß der Ausübung des katholiſchen Eul-
tus in den proteftantifchen Gantonen Fein Hinderniß in ben
Weg gelegt würde: da der Proteftantißmus Beinen Anſpruch
darauf mache, die alleinfeligmachende Kirche zu fein, fo habe
er auch deshalb nicht nöthig, fich der Ausübung anderer Eul-
ten zu widerfegen. Wenn der Proteftantißmus, weil er Pro:
teftantismuß iſt, fein eigenes Urtheil nicht für untrüglich hal»
ten foll, fo muß er nogh viel weniger das des flabilen Katho:
licismus dafür gelten laffen. Died mag der verfappte „un:
befangene Proteftant‘ fühlen, denn er holt fih Succurs und
bringt ein ganzes Schock der den Jeſuiten günftigen Urtheile
in allen Sprachen herbei. Unter den deutſchen Schriftftelleen
läßt er befonders Menzel als Verfechter der Sefuiten hervor:
glänzen. Auch werden mehre ihnen günftige Urtheile von un:
genannten Schriftftelern angeführt, was immerhin verdächtig
if. Welch ſchoͤne Gegenrechnung ließe fihd da aufftelen, und
wenn man dann die günftigen von den ungünftigen Urtbeilen
abzöge, welche fhone Summe bliebe da von den legtern!
Unter die Verdienſte, welche fih die Sefuiten um Die
Menichheit erworben, wird &. 9 auch gerechnet, daß fie es
waren, „die zuerft mit rühmlichem Beifpiele in dem edlen Be:
fireben den Sklavenhandel abzufchaffen vorangegangen”, und
doch machen fie, trog aller ihrer gerüuhmten Verdienſte um die
Wiſſenſchaft, Die Menfchen, die in ihren Kreis treten, zu Skla⸗
ven durch die unbedingte Unterwerfung unter den Willen ei«
ned Einzelnen, was ja das Fundament ihres gefährlihen Dr:
dens iſt. Gegen einen andern ihrer Hauptgrundfäge, ber ih»
nen vielfach vorgeworfen wird, daß der Zweck die Mittel bei:
lige, weiß ber Berf. nichts Anderes zu fagen als daß den er:
ſten Chriſten der Vorwurf, als banbelten fie nad diefem Lehr:
fag, von den Pharifäern, Sudducaern und Heiden gemacht wor:
den fei; Daß die „modernen Heiden, Strauß, Bauer, Ruge,
Feuerbach und andere ſolche Kraftgenies“ diefen Grundfag ber
folgten, daß ihm Luther und Zwingli nicht abhold gemefen,
dag der Deutſche Bundestag ihn bei Dem „Zungen Deutichland”
entdedit babe und daß vor Allem der fchweizerijche Rationalis:
mus nach ihm handle.
Rachdem der Verf. den Borwurf der Herrſchſucht und
ben des Einmifchens in bie poliit von Seiten der Sefuiten
als dem Hauptzwed der Stiftung entgegen durch mehre Ei»
tate widerlegt zu haben glaubt, Führt er noch an, was ber
— —— — —
Es hieß naͤmlich, als
mainzer Biſchof Kaiſer im J. 1839 in ber heſſen⸗darmſtaͤdti⸗
ſchen Kammer ſagte: „Die Jeſuiten ſollen hier und da in
Spanien, Portugal und Frankreich herrſchſüchtig geweſen fein
und fi ihrem Berufe zuwider in weltliche Staats und poli-
tifhe Händel gemifet haben. Ie nun, berrfhen ift füß und
wer eö kann, Ichlägt ed gewöhnlich nicht aus.“ Und das fell
auch ein Beweis fein, wi; die Iefuiten nicht herrfchfüchtig find.
Eine neue Anſicht wird binfichtlich der franzoͤſiſchen Ke⸗
volution entwickelt. Sie fol nicht entitanden fein dur das
Herabſetzen des größern Theils der franzöfifchen Nation, nicht
durch Die Anmaßungen eines außfcgweifenden Adels, eines über:
müthigen Klerus, nicht durch die Verſchwendungen eines gü-
gerufen Hofs, fie fol entftanden fein durch die Aufhebung des
efuitenordens, die das Werk der Leidenſchaft und der Hab⸗
fucht gewefen fein fell.
Einen ftarfen Eontraft zu diefer von plumpen Lobeserhe⸗
bungen und Recdhtfertigungen der Iefuiten überfließenden Bro⸗
fchure, zu Diefen Unfchulde - und Wemuthözeugnifien, bie ihnen
darin ausgeftellt jind, bildet Das folgende Schriftchen:
4. Geheime Berbaltungsbefehle der Sefuiten. Belle-Bue, Ber:
lags⸗ und Sortimentsbudhhandlung. 1845. 8. 5 Nur.
Nach der Borrede fol diefe merfwürdige Urkunde aus ei-
nem in Befchlag genommenen SIefuitencolleg flammer, im vo:
rigen Sahrhundert in Baiern gedrudt worden fein‘ und hier
die forgfältige Übertragung des Iateinifihen Urtertes folgen.
Der vorhin abgehandelte „unbefangene Broteftant” nennt die
„Monita secreta” eine Sauptquelle der Läfterungen ber Se-
fuitenfeinde, und wirft dem Profeſſor Jordan in Marburg vor,
fie hauptfächlich bei feinem berüchtigten Pasquill „Die Sefuiten
und der Jeſuitismus“ (1839) benutzt zu haben. Für die Echt:
heit diefer Urkunde fpricht deren Inhalt, ber mit Allem, was
man von den Gruntfägen und der Wirkfamkeit des Sefuiten-
ordens weiß, übereinftimmt. Es wird in dieſen Verhaltungs⸗
befehlen Anmeifung ertheilt in der Heuchelei, der Kalfchheit,
dem Betrug, der Lift gegenüber den Fürften, den geiftlichen
Drden und andern Claſſen der Geſellſchaft. So handeln 5.8.
einige Gapitel nur davon, wie man Witwen gewinnen foll,
um über ihr Vermögen verfügen gu koͤnnen. Bier au eine
Probe von der lächerlichen Sophiſtik, die fih darin findet:
„Die Unfern dürfen nur in reichen Städten Collegien grün:
den, denn ber Zweck unferer Geſellſchaft ift, Ehriftus dem
Herrn nachzuahmen (!), der fi vorzugsweife in Serufalem
aufhielt und an Bleinen Orten durdhreifte.”
Die Verlagshandlung ftellte den Preis dieſes Heftchens nur
auf 18 Kreuzer, um ihm eine recht weite Verbreitung zu fiihern.
(Der Beſchlußs folgt.)
— — — — — — — — —
Notiz.
Die böhmiſchen Harfenmädchen Zigeunerinnen.
Der englifhe Neifende in Deutfchland, welcher dem
‚„Athenaeum‘ Berichte liefert, aus benen in diefen Blättern
Mehres mitgetbeilt wurbe, ſchreibt neuerlich, er babe ſich ge:
— in einem neuern engliſchen Reiſewerk einen Schnitzer zu
nden, den man nur einem oberflächlichen Franzoſen zu gute
balten würde. Diefer Zourift habe nämlich mit eben der Rai:
vetät, womit jener Franzoſe fid) gewundert habe, einen böhmi-
fhen Grafen, den man ihm vorgeftelt, „blond“ zu finden,
bie Böhmen (Bohemians) mit den Zigeunern (Gipsies) für
gleichbedeutend gehalten, indem er bemerkt, die Augen der
böhmifchen Harfenmädchen hätten nicht den dem Bigeunerftamme
eigenthbümlichen Schnitt der Augen. Sein Landsmann bedeu⸗
tet ihm nun, daß dieſe Möchter des Erzgebirges zum größten
heil nit nur nicht dem Sigeunerftamme, fondern nicht ein-
mal dem flawifchen oder czechiſchen angehören, fondern Deutſch⸗
böhmen und ebenfo gut germanifchen Urfprungs find als die
Bewohner Schandaus, wo er diefe Künftlerinnen zum erften-
mal erblidte. 12.
Verantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brodfands. — Druck und Berlag von F. X. Brockhans in Leipzig.
BIlä tter
für
literarifde Unterhaltung.
Donnerdtag,
29. Januar 1846,
Die europäiſchen Staaten nach ihren innern und
äußern politifhen Werhäftniffen, von Bülow-
Cummerow.
(Bortfegung aus Nr. 38.)
Ein anderer hoͤchſt gefährlicher Misverſtand Hat fich
in den Gebrauch bed Worts confervativ eingefchlichen,
indem man es „erhaltend” überfegt, wo es „feſthaltend“
heißen follte. Wie es bie höchite Inconſequenz ift, im
Schlechten confequent zu fein, fo ift die künſtliche oder
gewaltfame Feſthaltung Defien, was an fich oder feiner
Würdigung nah unhaltbar ift, durchaus deftructiv. „Nur
dann iſt ein Verfahren confervativ, wenn es auf bie Bewah⸗
zung Deffen gerichtetift, was zu beftehen werth iſt.“ Wendet
man dies auf die fihtbaren Beftrebungen ber Politik mancher
Gegenden an, fann man nicht in Abrede flellen, baf es
entweder nur die liebgemonnene Gewohnheit ift, oder Die
Ungewißheit und Furcht vor den nicht vorausgefehenen
Folgen der Anderungen, was allein fie vermögen konnte,
in Beharrlichkeit das untauglich gewordene Alte zu be
gen und zu pflegen und nicht mit der Zeit fortzugehen,
fo ernſt fte mahnt und fo drohend fie warnt.
Doch gibt es im Leben der Völker Momente, bie, ver
füumt, nie wiederlehren. Sie zu erkennen, fie richtig und
mit Kraft zu erfaflen, fte für das Gemeinwohl auszubeuten,
Das macht die Männer, bie in der Geſchichte die Bedeutung
erfangen.
Prachtvolle Gebäude und herrliche Schaufpiele. fehafe
fen feinen fernen Ruhm; aber die Begründer von Ein-
richtungen, durch welche die Denkungsart und die Ge-
finnung ber Bölfer umgefihaffen und dauernde Zuftände
in den Laͤndern eingeführt worden find, leben im ehren-
vollen Andenken der Nachkommen durch Jahrtauſende.
Nerfepolis liegt in Trümmern, aber nod wirft Zoroa-
fer; Rom hat die Könige verjagt, aber Romulus und
Numa Haben nie aufgehört fein Stolz zu fein.
Ein dritte Taufhung entdedt fich leicht darin, daß
die meiſten Fürſten ſich überreden, in ber Ariſtokratie
und Bureaufratie Stügen ihres Anſehens gegenüber dem
Volke zu haben, da doch beide felbftfüchtig das fürſtliche
Anſehen zum Schuge ihrer abgefonderten Stellung ge
brauchen und bemfelben gerade fo viel entziehen als fie
bewirken, daß zu ihren Bunften bavon verwendet ‚wird.
Es tfaſt unbeg daß es beiden noch fo haͤ
geimgt, Di für X eher nd —— — mai,
und ber Rechte der Krone auszugeben, ba es fih vielmehr nun
darum handelt, bie Krone in einer, zwar unbemerkten, aber
darum nicht unbemerfbaren Abhängigkeit von fi) zw erhalten
und ſolche ebenfo zu mehren.
Kriftotratie und Bureaufratie können nur ale Mit
tel zum gemeinen Beften einen Pag im Staatsorga⸗
nismus einnehmen; fie müffen alfo lediglich für das
Wohl des Volks beftchen, aber niemals in eine Lall
ober ein Schmarogergebilde für baffelbe ausarten. Yafl
unerflärlich ift e6, daß es Fürften und Megierungen geben
ann, welche ihre ungeheure Abhängigkeit und Beſchraͤn⸗
fung durd) diefelben gar nicht gewahrt werben, noch weniger
ed unternehmen, fi) davon loszumachen. Es kann nm
Trägheit oder Befangenheit im Gebrauche des Geſichts
fein, nicht zu fehen, was ſich felbft ‚fo fichtbar macht,
oder Unbeholfenheit und Unkunde in der Wahl und Be
nugung ber Mittel, es zu beffern. Daher kommt es wal,
bag felbft an Orten, wo fonft großer Scharffinn und
Klugheit gezeigt wird, Alles hübſch beim Alten bleibt;
felbft wenn es vorausfichtlich ift, daß folches unhaltbar
iſt, freut man ſich hoͤchlichft, wenn es nur noch ein
Weilhen dauert, und flüge und fückt fo lang es Ir.
gend geht. |
Die Erfahrungen der Geſchichte und der Zeit gehen unbe»
achtet vorüber; anftatt das untauglich Gewordene aufzuloͤſen
und umzuwandeln, bemübt man fl, es zu kryſtalliſiren3 anfkott
das Verdorbene auszurotten, klammert man fich daran fe
und läßt fi davon anftedlen; ja das ganze Syftem der Politik
berubt auf einer Berblendung. Im Bude bes großen Schick
ſals der Menfchheit ſteht eine fortfigreitende Entwickelung
unwiderruflich eingetragen; wo ſolche aufgehalten wird, koͤnnen
am Ende gewaltfame Umwaͤlzungen nicht ausbleiben. Dieſen
guoorzufommen, bad heiſcht die Politit. Die Zeiten find vors
über, in denen man die Völker durch dipfomatifche Kunſtſtücke
lenkte und die Welt blendete. Die Kraft der Staaten liegt
nicht mehr in den ftebenden Heeren, fondern in ber tmitigen
Bereinigung des Bolks mit feinem Regenten durch einen ange
meffenen Organismus bes Staats. Je länger eine Regie⸗
rung in ihrer unklugen Stabilität und Paſſivität verharrt,
defto mehr Löft fie die Bande des Staatöverbandes. Wenn ber
Repröfentant dieſes Syſtems es noch überleben follte, ſicher
tiberiebt es ihm nicht lange. Deffen bloße Eriſtenz iſt ein Be:
weis von Schwäche ober doch des Gefuͤhls derſelben.
Für Deutfhland ift der Wortfchritt in allen Hinſich⸗
ten fo unumgänglich nöthig, daß jeder Rückſchritt gera-
dezu dem Untergange entgegenführt. Darum kann Oſt⸗
sei wol ein treuer Verbuͤndeter des übrigen Deutſch⸗
114
lands wegen feiner flabilen Regierungsmeife fein, aber
nicht zu deſſen politifcher Geſtaltung und Ausbildung
mitwirken. Der Zollverband, zur Wahrung ber gewerb-
lichen und Handelsintereſſen von Deutfchland, war da-
ber eine durchaus nothwenbige Werbündung neben bem
Bundestage und hoffentlich nur ber Vorläufer gleicher
Einigung auch wegen der höhern volksthümlichen und
geiftigen Intereſſen. Denn von der innigern PVereinba-
zung aller beutihen Volksſtämme zu gleicher Nationali-
tät, deren Erhaltung und Hochhaltung, hängt allein
Deutſchlands Unverleglichkeit, Sicherheit und innere und
äußere Ruhe ab. Niemand wagt ed mehr, dies zu be—
flreiten; man gefleht es feierlichft ein; allein Worte
thun es nicht, fondern es muß dazu gethan werden, daß
die Verfiherungen eine Erfahrung werden. Preußen ſteht
mit dem übrigen Deutfchland wie beim Bollverbande
fo in allem Übrigen nicht nur auf gleicher Linie, fon-
dern follte ihm fogar, weil e8 ber Eräftigfte Staat ift,
in aller Selbftentwidelung vorangehen. . Preußen und
Deutfchland können nur beifammen ftehen und fallen,
weshalb jede Eiferfüchtelei auf Preußen in ganz Deutfh-
land eine Albernheit if. Bedarf aber Deutſchland mit
Preußen noch einer einigendern Organifation, um fo
mächtig gegen Franfreih und Rußland dazuftehen, daß
nicht einmal eine Drohung, geſchweige denn ein Angriff
ihnen einfallen fan, fo liegt es Mar am Zage, daß
Preußen zunaͤchſt einer dem Geifte eines aufgeflärten
Staatsrehts und achtbaren Bürgerthums entfprechenden
Staatsverfaffung und einer baburch geregelten Regierung
nicht entbehren mag, welche Durch ben Einfluß der Lau⸗
nen, Liebhabereien, Vorurtheile, Selbfttäufchungen und
Verblendungen, Läfligkeit im Regierungsberufe und Hin-
gebung an den Einfluß Anderer, wie ber Eitelkeit, bes
Eigenſinns oder ber Übertreibung der Regenten, nicht
aus ihrem regelmäßigen Gleiſe herausgebracht werden kann.
Wenn heutzutage ein Minifter oder anderer Beamter
irgend eine Borftellung damit von der Hand zu weifen
fih herausnimmt, daß ber Redner oder Verfaffer in der
Staatsverwaltung nicht hoch genug ftehe, um bie Sache
zu verftehen und darüber ein Urtheil zu haben, erregt
felhe Anmaßung nit einmal mehr MWerbruß, fondern
nur Lachen und Bemitleibung. Denn feitbem die Staats-
wiſſenſchaften zur Wiffenfhaft geworden find, find fie
als folhe auch allgemein zugänglich und Jedem ver-
fländlich geworden, der fie mit Verſtand betreibt. Es
Tann mithin Niemandem ein X für ein U gemacht
werben.
Daß in Preußen bie dringendften Vorftellungen um
die Fortentwidelung der Berfaffung vom Königreiche
Dreußen und den Rheinlanden ausgegangen find, liegt
in ber Natur ber Sache und e6 gereicht ihnen zur Ehre,
daß fie ohne Scheu mit offenem Muthe über ein Lan-
beöbebürfnig zu ihrem Könige ſich ausgefprochen haben.
Es mürde ein fehr falſcher Schluß fein, deshalb ihre
Unbänglichleit und Bertrauen in Zweifel zu ſtellen. Beide
Provinzen find Grenzländer, die, wenn der Staat ohne orga⸗
nie Zuſammenhang bleibt und nicht feine ganze Kraftent:
wickelung erhält, zunaͤchſt der Gefahr ausgeſetzt find, ange:
griffen und im ſchlimmſten Zalle von der Monarchie getrennt
zu werden. Sie haben beöhalb das allergrößte Interefle dabei,
daß die Monarchie in ungeſchwaͤchter Kraft baftehe, daß bie
verfchiedenen Landedtheile organifh zu einem Ganzen verbunden
werden, und daß bie größte Einigkeit zwifchen dem Volke und
feinem Fürſten beſtehe, da man nur die Jahre A806 und 1813
u vergleichen braucht, um gleich zu wiſſen, was es heißt, da
eide einträchtig find, und welch ein Unterfhieb zwiſchen feiden-
dem Gehorfam und freithätiger Mitwirkung ftattfindet. Was fo
nahe liegt, follte in Berlin nicht überfehen werden koͤnnen und
ed dort ganz unmöglich fallen, in dem eifrigen Beftreben diefer
beiden großen Landestheile etwas Anderes finden zu wollen
als einen vedenden Beweis ihrer Treue und Vateriandsliebe,
wie ihrer politifchen Verſtaͤndigkeit und Berufsergebenheit.
Es ift aber wahrhaft läderlih, welchen Schrecken und
Angft das einzige Wort „Berfaffung” manchen Maͤnnern ein-
flößt, die noch an der Unverbaulichkeit der Haller'ſchen Lehren
leiden und fie nit verwinden koͤnnen. Daffelbe bebeutet indef:
fen nichts weiter als das georbnete und durch die Schrift
außer Anfechtung geftellte Rechtsverhältnig zwifchen dem Regie:
renden mit feinen Gehülfen und den Regierten, beftimmt, um
die Formen der Unterjceidung ber Regierungshandlungen von
den Privatunteruehmungen ber Regierenben zu fondern und zu
unterfeheiden und ber Gicherheit und Freiheit der Perfonen
und des Eigenthums jede Gewährleiftung zn verfchaffen, auch
dafür, daB ſolche der Staatsgewalt nicht weiter verfallen als
eben die Staatönothdurft erfodert. Der Berfaflung gegenüber
fteht die Anarchie und die Tyrannei, dem gefeglihen Buftande
der gejeglofe und der Gewalt preißgegebene; und doch wird
der Ruf nad einer Verfaffung als ein Angriff auf die Rechte
der Krone behandelt, während fie allein im Stande ift, diefelbe
Dauerhaft zu fhügen!
Oder wäre ein Recht der Willkür ein gefröntes
Necht, oder ihre Ausübung eine Befugniß zu ihrer
Duldung ? | 5
Je länger gerechten Reclamationen Gehör verweigert wird,
je dringender müflen diefelben werden und je bitterer die Em:
pfindung ob ihrer Verſagung. Eben died Gefühl. muß dann
die Wirkung erzeugen, daß die Unfoderungen in dem. Grade
gefteigert werden als daraus baB größere Bebürfniß der Ge-
währleiftung ſich fühlbar mat.
Bis jetzt noch kann die Regierung feft auf den gefunden
und guten Sinn des Volks bauen. Unverantwortlich find Die
Beftrebungen, folchen zu verbachtigen. Beftände er nicht, wäre
wahrlich ſchon Alles verloren. Ber König ſelbſt kann unmög»
lich miskennen, daß er in feiner innigften Einheit mit feinem
Volke allein feinen Ruhm und feine Macht finden und ſich be
wahren fann. | oo. Ä
(Die Bortfegung folgt.)
Literariſche Briefe aus. der Schweiz. |
1.
( Befchinb aus Nr. 28.)
Der Berf. der
d. Briefe aus der Schweiz über diefelbe. Won einem Freunde
ber Eidgenoffen und ihrer Freiheit. Erſte Reihe. Belle:
Due, Verlags: und Sortimentsbuchhandlung. 1845. Gr.
8. 10 Ror. '
klaͤrt feinen deutſchen Freund über die ſchweizeriſchen Buftände
auf, wobei fih neben einer tüchtigen Sefinnung und einem
guten Willen viel fchwülftige Phrafenmacherei Andet, Wir
chweizer follen unfern Rationalftolz haben fo gut wie andere
Nationen au, aber den Mund fo gar zu vol zu nehmen,
das fteht uns, befonders in neuefter Zeit, nicht gut an. Wenn
fid der Verf. darin gefällt, Seiten lang ſehr blumenreich aus⸗
zumalen, wo ber echte Schweiger zu fuchen und zu finden ift,
und bei diefer Gelegenheit au ausruft: „Komm mit mir an
115
eins ber vaterlaͤndiſchen Feſte, ſieh wie Die Becher Freifen, wie
Zreiheit und. Baterland ihre Zubel (?) feiern, wie die Berg:
daͤche fi einen zu Einem gewaltigen Strome, ber. ausmündet
in den See der eidgenöffiihen Liebe” fo erinnert Died unwill:
fürlih an die Reden, die bei diefen. vaterländifchen Feſten oft
glei reißenden Bagen geb die aber Riemanden zum dans
dein Hinreißen. . 95 führt der Brieffleller fort: „Der
Schweizer ‚fühlt ſich nie glüdlicder, nie würdiger, nie arößer
als wenn er gemeinfam mit feinen Brüdern eins feiner Bun.
deöfefte feiern kann: alle Gefühle gehen auf in der Einen
warmen Bruder» und Baterfandsliebe, im. Hechgefühle einer
Schweizernation!”
Ja, bas iſt diefer beliebte wohlfeile Feſt⸗ und Zoaften-
enthuftasmus! Nach gethaner Arbeit ift gut feiern, Laßt ſich's
„wuͤrdig und groß” fühlen, aber nicht wie bei dem letzten eid⸗
enöfhfhen Feſte, dem Freiſchießen in Baſel, nachdem man
—5* — ſeine Brüder am Trient (im Wallis) hatte ſchlach⸗
ten laſſen! |
Der Berf. gibt zuerft eine geſchichtliche Darlegung der
Schweizerverhältniffe, wobei er mit dem 14. Jahrhundert bes
ginnt und auf 56 Seiten bei dem 3. 1845 anlommt, wo er
ausruft: „Habe ih auch nur etwas von dem alten Wuſt der
Berleumbdung. weggeräumt, mit dem fchwarze (?) Sefinnungs:
Iofigkeit das ſchöne Land (die Schweiz). umgürtet, ich fühle
mid glüdlicher als Herakles nach dem Säubern des Augias⸗
falls!” Ob fh ſchon Semand eine Borftelung von diefem
Herculiſchen Stüde gemaht hatt Das ift wol nur einem
Sohn des frällereichen Hirtenlandes möglid.
Zn dem Briefe über die confelfionnellen Zerwuüͤrfniſſe in
der Schweiz meint der Verf, daß zur Aufhebung der Klöfter
im Aargau der wichtige Moment, das 3. 1330, verpaßt wor
den feii. Im 3. 1841, wo die Reaction wieder bedeutende
Hortichritte gemacht hätte, fei dieſe Aufhebung nicht zeitgemäß,
alfo unpolitifch gemefen. Bu einer Bundesreform in dem
Sinne, daß die Aufhebung der Klöfter zu Peiner Zeit hätte
Widerfpruch erregen können, dazu war das 3. 1830, dieſes
Sahr des Erwachens, der rechte Beitpunft. Aber damals wa⸗
ren vorerft einzelne Cantone zu fehr damit befchäftigt, im ei⸗
genen Haufe Drdnung zu fehaffen, ald daß an das Wohl des
Sefammtvaterlandes hätte gedacht werden können. Beine Re
generation hat es noch zu erwarten.
Der Berf. führt einen redlichen Breund des Katholicismus
redend ein. „Wir müffen Alles anwenden”, läßt er ihn fagen,
„um das innere Pirchlich-gläubige zeligiöfe Leben unferer Ka:
tholiten gegenüber einer indifferenten laren Moral, einem ri
gorofen, eißfalten Rationalismus zu retten’; und antwortet
unter Anderm hierauf: „Laffe man dem Volke feinen Glauben,
feine liebedolle Kindlicykeit, fein leifes Flüftern” u. ſ. w. Bas
iſt das, leifes Flüſtern? beim Ableiern des Rofenkranzes viel-
leicht, bei feinen lateiniſchen Gebeten? die konnen wahrhaftig
dem armen Volke einen Troſt gewähren! Es muß ihm et⸗
was Anderes geboten werden, ihm, das bis jegt — um dieſes
Mal einverftanden mit demBerf. zu.reden — „in feinem klei⸗
nen zerrifienen, zerfnitterten Leben keine Sabbathtage des Gei⸗
ſtes hat, das Leine Geſchichte Pennt an der es ſich erheben,
teine Philofophie in die es fich verfenden, Beine Kunft an der
ed ſich erquicken kann!“ Wir flimmen weiter dem Berf. von
zen bei, daB es ein Unfinn iſt, dem Wolfe die Freiheit ge
en zu wollen, indem man ihm die Neligion nimmt. ber
eine wahre Steligion befteht nicht in einem füßlichen, ver-
fchroommenen Gefühlsieben, „in leifem Ylüftern‘‘, fie muß, fi
ihrer klar bewußt, ftärkend und tröftend ſich nad, innen, Praf |
tigenb und handelnd fi nach außen bewährend, Hand in
Dand mit ber Freiheit gehen!
. Wenn man die neuere Gefchichte der Schweiz ins Auge
feßt, fo muß man mit dem Verf. einfeben, daß fie an dem
Bund von 1815, einem Werke des Wiener Congreſſes, Beinen
Präftigen Bund Hat, daß fie „ein Häuflein Miniaturrepubfißen
bildet” und „keine einige ſtarke Schweiz‘. Alle Bemühungen
zur Reviſion und Megenerafion biefed Bundes find bis jegt
und zum Theil an den Machinationen des Ultramontanismus
gefheitert. Der Grund hiervon liegt darin, daß bei den wich.
tigften öffentlihen ragen jede Stimme eines der Meinen, meift
vom Klerus beherrjchten Cantone gleih viel gilt wie die
Stimme der 10-30 Mal flärker bevölferten großen Cantone;
dag alfo die Macht des Ultramontanidmus bei einer Bundes»
teform, wonad die Mehrheit der Bevölkerung das Übergewicht
erhielte, gebrochen würde. Gin weiterer Grund, daß die hier⸗
auf gielenden Bemühungen fcheiterten, Liegt in der Eiferfucht
der Heinen auf ihr Urſchweizerthum pochenden Gantone gegen
bie größern, deren Übergewicht fie, als ihnen zu nahe tretend,
nicht wollen gelten laflen. Dazu kommt der Keligionspaß ge
en die zeformirten Gantone, worüber der Verf. fagt: „Die
innern Cantone ſehen in den Völkern der äußern nicht den
Schweizer, den Eidgenoffen, fondern a priori den Reformirten,
ben Keger; dad Voik hat Feine Schuld hieran: es ift einfältig,
brap, bieder, feine Hetzer und Zreiber find ſchuld, Die Zöglinge
und Jünger einer Inqutfition, die Laufende von Mitchriſten
dem Schaffot überliefert.”
.Dieſer Haß würde fich zwar durch eine Bundesreform wie
die eben angedeutete im Anfange cher fleigern als mindern,
aber er würde doch ohnmaͤchtig und unfcädlich gemacht duch
eine tüchtige Bundeögewalt, die, wie der Verf. ſehr gut fagt,
„die ſcheinbare Gleichheit der verfhiedenen Stände (Gans
tone) aufheben, dafür.aber die reale in der gleichen freiheit
Auer geben würde”. Seiner Unfiht nah Hätte fich bei
ber Antijefuitenbewegung eine der mächligern Regierungen an
die Spitze feten und die Initiative ergreifen follen. Alsvann
wäre „in Fürzefter Beit die Sache zu Ende geführt, Luzern
ſich felbft wiedergegeben, der Jeſuitismus unterdrüdt und daß
Mittel geboten worden, eine Bundesreform durchzuführen.
Man fage mir nicht, ed hätte einen Religionskrieg abgeſetzt;
wenn ihr noch ein Jahrhundert zuwartet, wenn ihr bie Jeſui⸗
ten jich fein behaglich einniften laflet im Kerzen des Landes,
eine Reform des Bundes wird immer ben Katholiten ald et⸗
was hoͤchſt Religionsgefährliches vorgeipenftert (ein. ganz gutes
neued Wort!) werden.” Der Verf. hat vergefien, Daß bet der
Antijefuitenbewegung auch die fremde Intervention habe genug
„vorgeſpenſtert“ wurde, wodurch ſich die größern Gantone abs
halten ließen energifch zu handeln.
Bei Erwähnung der Thatſache, daB das liberale Princip
im Canton Zuͤrich die Oberhand gewonnen, ift noch etwas zu
berichtigen. Es Heißt da S. 61, daß Bluntſchli fich mit
„Freuden“ aus der Regierung aurüdgezogen habe. Uber die
Rachrichten über den Seelenzuftand des bei der Buͤrgermei⸗
fterwahl Durchgefallenen und über feinen Abtritt Iauteten feis
ner Beit ganz andere. Segen die Behauptung des Berf., da
Bluntfchli „ein Mann von ausgezeichnetem Geifte, rin ſcha
finniger Dender” fei, was er ſich wol von Iefuiten und Je⸗
fuitenfeeunden einreden ließ, in deren Mund jebes Lob eine
Verleumdung ift, gegen biefe Behauptung hat ſich der „gebil⸗
dete Staatsmann‘ grümdlih genug ſelbſt vertheidigt durch
feine „‚Pfochologifchen Studien über Staat und Kirche” (1844).
Eine andere Stimme für die Bundesreviſion in der
Schweiz läßt fih vernehmen in einem in zwanglofen Heften
erfcheinenden Schriftchen, das den Zitel führt:
6. Fliegende Blätter vom Bodenfe. 1845. Nr. I u. 2.
Belle⸗Vuer, Verlags» und Sortimentsbuchhandlung. 1845.
Sr. 8. 3%, Rar.
Es heißt darin über den erwähnten Gegenftand, daß je
der wohlmeinende und einfidhtsnolle Schweizer von der Anficht
durchdrungen fei, daß, fo lange der Bund von 1815 fortbeftehe,
kein Heil und keine Rettung von den der Schweiz unaus⸗
weihbar drohenden Gefahren zu finden ſeiz daß aber dennoch
die Schweizer ſich in ohnmaͤchtiger Unterwürfigfeit vor dem
Bögen biefer aufgezwungenen Bundesverfaſſung Frümmten und
ed nicht wagten — aus Furt vor dem Gefpenfte einer frem⸗
116
Yen Einmiſchung — ihre Angelegenheiten nad) befter Einfſicht
ordnen.
” Aber nad Lamartine's Anficht Hätte die Schweiz von
franzöftfher Seite Feine hindernde Einmifgung au erwarten,
fondern eher eine ſchuͤgende gegen die anderer Mächte, wort,
‚ wie er beweift, Frankreich ebenfo wol das Recht habe als dies
auch in feinem eigenen Intereffe liegen würde. ,
Wenn au für jetzt noch Peine Ausfiht für eine Bun⸗
desreform vorhanden ift, fo wird der Tod Lubwig Philipp's,
der jedenfalls Europa in eine Eritifche Lage verfegen und ben
Scoßmähten mit fi felbft je thun geben wird, auch für bie
Schweiz den rechten Zeitpunkt herbeiführen, durch eine Präftige
Bundesreform fich felbft zu retten vor einer drohenden Anar-
die, vor ihrem eigenen Untergange. Auf diefen Zeitpunkt war:
ter denn audy die einfichtsvollen Staatsmaͤnner und Politiker
der Schweiz, denn ein günftigerer koͤnnte nicht leicht wieder
eintreten.
Der Deutſch⸗Katholicismus hat ſich bis jegt in der ſchwei⸗
erifchen Literatur wenig bemerklich gemacht. Die Schweiz
dat zuerſt noch gar viel vor ihrer eigenen Xhür zu fegen,
e fie Etwas, das nicht aus ihr felbft hervorgegangen, ber:
einlaffen kann. Nur ein Blatt, das in Bafel⸗Land, dem klei⸗
nen Laͤrmceanton, erſcheint, die „Vaterlaͤndiſche Zeitung“, oͤff⸗
nete ihre Spalten der Beſprechung über die neukatholiſche Be⸗
wegung. Im katholiſchen Canton Zug fanden vor einiger Zeit
Berfolgungen ftatt wegen des Verdachts der Berbreitung
Ronge ſcher Schriften.
Bei ihrer Reiſe nach Süddeutſchland traten Ronge und
Dowiat, vom badiſchen Boden verdraͤngt, im Thurgau auf,
‚unter großem Zudrang ber Bevölkerung ber Umgegend, bie
den Reformatoren mit großer Aufmerkfamteit und großem Bei
fa zubörten. Übrigens dürfte die deutfch:Fatholifche Bewe-
gung erft im Zufammenhange mit politifhen Greigniffen und
mie dee Gründung eined neuen eidgenöfiiichen Bundes weit
verbreiteten Eingang in der Schweiz finden. Und diefe Er»
eigniffe Bönnen nicht ausbleiben. Die Geſchichte fteht nicht
ft und wenn es aud) einzelne Hemmungen auf Dem Wege
zum Licht, zur Wahrheit und Freiheit gibt, die Völker verlie
zen jetzt nicht mehr ihr Biel aus dem Auge, fie halten es feit,
fie fehreiten vor! 5.
Literarifihe Notizen aus Frankreich.
Sur Geſchichte der Seele.
Das wunderbar phantaftiiche Zreiben, wie es fih im
Traumleben und in einem gefteigerten Grade noch im trunke⸗
nen Zuftande entfaltet, ift ein Problem, welches die Wiflen-
fehaft niemals völlig zu löfen im Stande fein würde. Es han:
delt fih bier um ben unerklaͤrlichen Bufammenhang zwiſchen
Leib und Seele, und es fteht zu erwarten, daß bad geiflige
Band, welches zwifchen beiden Factoren befteht, wol für im-
mer dem Secirmeſſer menſchlichen Verſtandes entihlüpfen wird.
Immerhin müflen wir aber alle auf wirklich wiſſenſchaftlichen
Grundlagen beruhenden Beiträge zur Kenntniß der krankhaften
oder überreizten Sceelenzuftände mit Dank annehmen. Wir er:
halten in einer vor kurzem erfihienenen Schrift einige wichtige
Beobachtungen diefer Art, welche fi auf den fonderbaren be:
rauſchten Zuſtand beziehen, in den fi die Drientalen durch
den Genuß des Hafchifch zu fegen pflegen. Diefe intereffante
und inhaltöreihe Monographie, in der zugleich auch wichtige
Punkte der Geiſteskrankheiten erörtert werden, führt den Zitel:
„Du hachisch et de l’alienation mentale, «tudes pay-
chologiques”, von Moreau. Hoaſchiſch ift ein ſehr ftarker
©rtract, welcher aus einer dem Hanfe fehr ähnlichen Pflanze
(Cannabis indica) gewonnen wird. Der Genuß defielben wir
eigenthümlich beraufchend. Derjenige, welcher fih in dieſer
fonderbaren Trunkenheit befindet, glaubt die wunberbarften
Bilder vor feinen Augen vorübergleiten zu ſehen, die himm⸗
Hope Mufit berührt fein Ohr und es M ihm, als wäre er
völig den irdifchen Berhältniffen entrüdt. Die finnlichen Ein-
drüde, welche in Menge ihn eindrängen, verwirren fi.
Er hört die Farben und fieht die Zonfiguren. Der Berf., Arzt
bes Hofpitald von Bicktre, ber fi) längere Beit ini Drient
aufgehalten hat, ift im Eifer für die Wiffenfchaft fo weit ge-
gangen, daß er Verfuche über die Wirkung des Haſchiſch an
rich felbft angeftelt hat. Beine Schilderungen verdienen des⸗
halb allen Glauben.
Blängende Berhältniffe der franzöfifhen Thea”
terdichter.
Die leidige Frage in Bezug auf die Zantieme bei Buͤh⸗
nenvorſtellungen, die bis jegt weder für die Autoren und Com⸗
poniften noch für das Theaterpublicum ein erkleckliches Reful⸗
tat ergeben haben mag, bat in neuefter Seit die Aufmerkfam«
keit wieder auf die franzöfifchen Theaterzuſtaͤnde gelenkt. Nicht
ohne eine leife Anmwandlung von Reid fieht man, wie hier die
Berhältniffe fih ganz anders geftaltet haben. Die glänzenden
Einnahmen, deren ſich die franzoͤſiſchen Dichter und Mu
um Theil erfreuen, waren Schuld daran, daß unfere deutſchen
utoren, als von einigen Bühnen Vorfchläge in Betreff der
Zantitme gemacht wurden, ſich gleich goldene Berge verfpra-
den. Diet fhönen Hoffnungen haben ſich nicht verwirklicht,
und nun iſt die Entrüftung gegen die Bühnenvorflände, gegen
das Yublicum, kurz gegen ale Welt im Lager der fchönen Ki:
teratur groß. Vielleicht wird ein Peiner Beitrag zur Kennt»
niß der ungebeuern Progreffion, in der fig für die franzoͤſiſchen
Autoren die Dividenden vermehrt haben, nicht ohne Jntereſſe
fein. Beaumarchais erhielt laut Rechnungsbuch des Theätre
francais für fein „Mariage de Figaro‘, zu deſſen Vorſtellun⸗
en fich ganz Paris drängte, nur 6114 Franıs 9 Sous. Das
iftorifche Luftfpiel „Pinto brachte feinem Verf. Ripomucene
Kemercier, 6210 Fr. Raynouard, der befannte Linguift, hatte
für feine „Templiers’ bereit8 eine @innahme von 22,275 Fe.
Der „Sylla’ von Jouy warf dem Dichter die anfehnliche Summe
von 26,260 Br. ab. Aber alle biefe Güte wurden vom Er⸗
folge der „Ecole des vieillards” noch überboten. Diefed Stück
verſchaffte dem Dichter Eafimir Delavigne eine Einnahme von
36,822 Wr. Gegen folhe Summen fiheint dad Honorar unfes
rer Theaterdichter ein Almofen, welches man cinem Krüppel,
der am Wege fit, in den Hut wirft.
Erinnerungen an die Kaiferzeit.
Der Lefer hat wol einige jener alten Eifenfreffer kennen
gelernt, die in ſtolzer Müderinnerung eined verblihenen Ruh⸗
mes mit felbftgefältiger Schwagbaftigfeit von den Zeiten reden,
wo fie noch im Dienfte der Großen Armee ftanden. Sie wiflen
fo Vieles zu berichten, und wenn man auch einige gelinde
Zweifel gegen ihre Glaubhaftigkeit nicht unterdrücken kann, fo
täßt man fie, um ber heitern Unterhaltung willen, gern ge»
wahren und rechnet ihnen ihre &elbfibefpieglung nicht zum
Rachtheil an. Diefer Art von Menſchen gleicht Marco be
Saint Hilaire, der aus dem unverfiechlichen Schahe von Anek⸗
boten aus der Kaiferzeit immer Reues aufzutiihen weiß. Die
Zahl feiner Werbe, welche auf die NRationaleitelleit der Fran⸗
zofen berechnet find, die gern von ihren eigenen Grofithaten
fich berichten laffen, ift Legion. Die Art und Weife und im
Grunde auch der Stoff bleiben immer bdiefelben. Der Verf.
fährt fort, aus feinem unerſchoͤpflichen Farbentopf die allbe
kannten Geftalten mit fabrifartiger Fertigkeit zu zeichnen. Ver⸗
gebt würde ber Hiftoriker hier wahrhaft Neues oder Brauche
res fuchen; denn Alles iſt bier ja nur auf den unverwoͤhn⸗
ten Magen und den unerfättliden Heißhunger des großen
Publicums berechnet. Das neuefte Product feiner raftiofen Fe⸗
der trägt ganz das Gepraͤge feiner frübern Leiftungen dieſer
Art und unterfcheidet ſich von denſelben eigentlich nur durch
den Xitel, der alfo lautet: „Elistoire anecdotique, politique
et miülitaire de la garde imperiale”’ (30 Lief.). 17.
Verantwortlier Deraudgeber: Heinrich Brockdans. — Drud und Berlag von F. X. Brockhaus in Leipzig.
Blätter
fir
literarifhe Unterhaltung.
Zreitag,
Die europäifhen Staaten nah ihren inriern und
außern politifchen WVerhältnifin, von Bülow:
&ummerow. Ä
( Bertfekung aus Nr. 20.)
Darin eben befteht der mefentliche Unterfchieb ber
vormaligen Landſtaͤnde, daß jeder berfelben feine eigenen
politifchen Gerechtfame befaß, bewahrte, vertheidigte und
zu mehren ftrebte, hiermit aber fowol untereinander als
ber Regierung gegenüber in einem ſich mannichfach durch»
freuzenden unb beſchränkenden Rechtsverhältniffe ftand,
bahingegen die neuen Stände durchaus nichts weiter
find als die gemeinfamen Stellvertreter des Volks zum
verfaffungsmäßig gemeinfamen Betriebe der Staatsange-
tegenheiten, weshalb denn auch jebe Trennung derfelben
in verfchiedene Kammern oder Gollegien diefe Einheit
nur wieder aufheben und zerftören, mithin mit dem
Zwecke felbft in Widerſpruch treten würde. Das ge
fanmte Bolt als eine politifche Einheit kann auch nur
in einem einzigen Organe feine Stellvertretung finden
und fih ausfprechen, bei deſſen Zufammenfegung alle
Beftandtheile berudfichtigt fein müſſen, worauf Rüdficht
zu nehmen ifl. Es würde aber auf unrichtige Stellung
der Regierung und Volksvertretung binauslaufen und
hiermit Verwirrung und Schwächung ber Kraft verur-
fachen, wenn ber legtern irgend eine Theilnahme an ber
ber erſtern ausſchließlich zuſtehenden Landeshoheit und
allen darin begriffenen Rechten eingeräumt oder gar eine
Zertheilung derſelben beabſichtigt würde. Der ganze
Beruf der Staͤnde ſoll und darf nicht weiter gehen als
1) auf bie Heilighaltung der Geſetze überhaupt, inſon⸗
derheit aber der durch die Verfaſſung beſtimmten For⸗
men der Regierungshandlungen und ber treulichen Ad-
tung der aufgeftellten Gemwährleiftungen für die Sicher-
beit und Freiheit der Bürger und ihres Gigenthums,
zu halten, bergeftalt, daß hierin ohne Zuftimmung der
Stände nicht das Mindefte geändert noch außer Kraft
gefegt werden, auch durch fürftliche Nacbfiht und Gnade
eine Übertretung unftrafbar gemacht werben kann; fer-
ner 2) daß kein Gefeg eingeführt werben kann, bevor
nicht das Land darüber in allen feinen Beſtimmungen
mit feiner Nothdurft, feinen Wünfchen, feinen Gutac-
ten und Einwendungen in öffentlicher Berathung ver-
nemmen worben ift, was ſich ebenfo auf alle auszu-
fegreibenden Leiflungen und felbft auf die Reglements
für die Behandlung aller öffentlichen Angelegenheiten
erſtreckt, ohne jedoch dadurch die Gefeggebung zu binden
ober ſich darin einzumifchen; nicht minder 3) daß burd)
fie zur amtlihen Kenntniß der Regierung Alles gebracht
werde, was als ein Bebürfniß oder eine Beſchwerde
von ben Ständen anerkannt und wofür Abhülfe durch
fie begehrt wird; endlih daß 4) bie ganze Staatsver-
waltung ihnen nit nur von felbft —288— von
ihrer Geſchaͤftsführung ablege, ſondern fie auch dieſelbe
in Dem controliren, woruͤber ihnen nichts berichtet wird,
ſodaß ihnen auf Verlangen über jede Staatsangelegen⸗
heit Auskunft und Nachweis gegeben werden muß, und
auf ihren Antrag Dasjenige, was ſie für unverantwortlich
erachten und als ſolches anklagen, zur Entſcheidung des
Staatsgerichtshofs geſtellt wird. |
Dies Leptere ift unftreitig das Wichtigfte, aber auch
eben Das, weshalb fo viele Minifter und hohe Beamte
fi) fo gewaltig dagegen flemmen. Denn es verhindert
nicht nur, daß der Regent durch unrichtige und lücken⸗
bafte Berichte getäufcht werden kann, was jegt fo un-
gemein leicht ift, und daß bie Beobachtung der Geſetze
weder umgangen noch nachgefehen werben Tann, fonberm
es verfcheucht auch mit einem Male alle Berheimlichun-
gen in der Betreibung ber öffentlihen Verwaltungsan⸗
gelegenheiten, ftellt die gefammten Beamten bes Landes
unter die Controls ber öffentlihen Beauflihtigung und
zerflört die Eigenmaht und Xyrannei in ber Bureau-
Pratie, worüber fo laute Klagen gehört werden. Der
Regent aber bleibt in feiner vollen Souverainetät unbe-
einträchtigt und dieje durchaus unverfehrt.
Zu ben großen Irrthümern der newern Zeit gehört
auch die Gegeneinanderftellung ber hiſtoriſchen und phi⸗
loſophiſchen Anfihten, als wenn irgend etwas darin,
daß es gefchehen ift, eine Berechtigung erlangen koͤnnte,
daß es auch ferner ober wieder gefchehen müffe, ober
als wenn irgend etwas, was geſchehen ift, Dadurch un-
gefchehen gemacht werden koͤnnte, daß es nicht fo ge-
ſchah wie es hätte fein follen. Die Politik und die Ge-
feggebung bedürfen ber Gefchichte und der Philofophie
gleich fehr zu ihrer Thätigkeit; bie erſtere, weil nichts
in die Luft geftellt werden, fondern feine fefte Stelle
nur auf einem Boden ‚finden kann, den irgend eine
118
Bergangenheit fihon eingenommen bat, von deren Be⸗
ſchaffenheit es abhängt, ob das Neue dort Play finden
und ihn behaupten fann oder welches von beiden ihn
räumen muß; die andere aber eben darum, um banad)
bie. Befchaffenheit des Beftehenden zu beurtheilen und
zu befiimmen, ob und welcher Abänderung und Verbeſ⸗
ferung es bebürftig ifl. Denn das Schlechte hat nie
einen Anfpruch auf Erhaltung, das Beffere aber einen
foihen auf feine Einführung nur dann, wenn. diefe ohne
Unrecht und nad den Umfländen ausführbar iſt, meil
zum Unftatthaften keine Verpflichtung vorhanden fein kann.
Hiernach ſcheint denn Preußen berufen dazu, auf dem
Grunde feiner Bergen enbeit und des Beſtehenden, und ger
wigigt durch bie fabrungen anderer Voͤlker, mittels einer
zubigen Reform eine Verfaflung zu erlangen, welche auf der
einen Seite der Monarchie ihre ganze Kraft bewahrt und auf
der andern Seite die wirklichen Bedürfniffe des Volks befrie⸗
digt. Eine folhe darf in keinem Stüde eine Nachahmung
fremder Modelle werden, fondern fie muß aus dem Boden des
Baterlandes und dem eigenthümlichen Geifte feines Volks er:
wachſen und gefihichtlihe Srundlagen haben, ohne veraltete
Formen erhalten oder nachäffen zu wollen.
Nirgend ift das Nachahmen bedenklicher und geführ-
licher, weil in jebem Lande und in jeder Zeit die Der-
hältniffe verſchieden find, bei einer fo allgemeinen orga-
nifchen Geftaltung aber alles Einzelne eingreift, aber auch
darum, weil die Staatöverfaffungsmiflenfchaft zur Zeit
ber Entftehung der vorhandenen Conſtitutionen ſich noch
ganz in der Kindheit befand und die Erfahrung diefel-
ben als fehr unzufriebenftellende Verſuche gezeigt hat.
Die ftändifhe Monarchie, auf perfönliche Freiheit und ei:
nen geficherten Nechtözuftand gegründet, verbindet alle Anfode:
rungen und ift die Erfüllung des Kampfs der Beit. Preußen
Tann feine Stellung und europälfche Bedeutung nur durch die
Erneentration aller feiner Kräfte, der geiftigen wie ber phyſi⸗
Shen en Zur jene ift Die Monarchie Grundbebingung ;
die Kraft aber beruht vor Allem in einem kernhaften Volke;
aber nur ein freies Volk fann ein kerniges fein und bleiben.
Preußen bat alles Material zu feiner Wohlfahrt und Größe
wie wenig andere Reiches es befindet fih in einem nicht zu
verkennenden Gährungsprocefie und an einem bedeutungevollen
Scheidewege. Die Wahl follte nicht zweifelhaft fein. Der
eine Weg ift der der Blinden und führt in eine düftere Zu:
Eunft, überläßt dem Zufalle das Schickſal des Baterlandes und
mit ihm Deutichlande. Der andere Weg führt zum Frieden
und zum Heile; ihn an der Hand ber Staatsffugheit mit fe:
ſtem Schritte zu wandeln, ift die Aufgabe, die der hohe Lenker
der Schickſale einem Fürften geftellt hat, audgerüftet mit allen
Saben, feine große Beftimmung zu erfüllen.
Mit Recht hat der Verf. bei Deutfchland und
Preußen fih länger verweilt als bei allen andern Laͤn⸗
bern, weil bie Macht berfelben bei Einigkeit und inne-
rer Ruhe hinreicht, auf dem Feſtlande von Europa je-
ben Kampf zu verhindern und den Frieden zu fichern.
Nur ein Seekrieg, hauptſächlich durch außereuropäifche
Intereffen angefacht, bliebe noch in Ausfiht. Anders
aber fteht die Sache, wenn Preußen und Deutſchland
eine gaiise Stellung einnehmen. Dann ift das Gewicht
der Macht von Frankreich und England von Belang.
Gegen jeden Angriffsktrieg ift Frankreich gefichert Durch
feine Größe und durch die Tapferkeit der. Nation; aber
außerdem ft es ſchwach durch die Zerriffenheit der Par-
.”
teiungen, durch bie Gewalt des herrſchenden Egoismus
and buch die Eitelkeit und Unbeftändigkeit bes Volks,
wodurch es fih allen andern Völkern entfremdet hat
und ohne Buündniß allein fteht.
Klugheit Hat fein jegiger König es im Friedenszuſtande
‚zu erhalten verflanden.
Mit ausgezeichneter
Dod das genügt nicht, da er
12 Jahre alt ift, darauf zu rechnen, daß dies ferner ge⸗
lingen werde.
. Rußland, fo ungeheuer feine Ausdehnung ift, und
fo wenig verwundbar feine Wildniß, darf doch eben des⸗
halb, wegen feiner innern Verwaltung und der geringen
Zahl eigentliher Staatsbürger, und wegen bed Krebs⸗
fhadens, den es durch die Einverleibung Polens fich
zugezogen hat, nad) außen für jept Beine Beſorgniſſe er-
regen. Damit ift indeffen die Gefahr nicht uͤberwun⸗
ben, momit bie Zukunft vermöge feiner argliftigen Po⸗
litik bedroht.
Das Eräftigfte und mächtigfte Volk mit der fefteften
Regierung enthält Großbritannien, deſſen infulare Lage
es jedoch außer Anfechtung des Feftlandes ſtellt. Allein
feine Bandelsintereffen können bedrohlihe Reibungen
verurfachen. Inzwiſchen hat die fortgefchrittene Einficht
der Politik dort fehon die Richtung zu geben angefan-
gen, daß bie Fleinliche Selbftfuht und Gewalt, womit
es bisher ſich zu monopolifiren geftrebt hat, feinem Ab⸗
fage felbfi nachtheilig werde und daß es benfelben am
beften durch freie Dandelsconcurrenz ficher ftelle. Gebt
es auf diefer Grundlage fort, fo eröffnen ſich fchöne
Ausfihten für den Verkehr und für die Aufrechthaltung
bes Friedens.
Denn bisher bat ji das ganze Syſtem der europäifchen
Politik durchgängig fowol im Allgemeinen als insbefondere in
der des Handels als eine felbftfüchtige und feindliche, als eine
Art verſteckten Kriegszuftanded erwielen, während im Inter:
effe der Völker von einigem Bildungsgrade bdiefelbe friedlich.
fein folte. Der Cine ſuchte den Andern zu bevortheilen, ihm
bie Gelegenheiten des Berdienftes zu entziehen, feinen Verkehr
zu beengen. Wenn die Völker ihren wahren Bortheil erfen-
nen, muß an deflen Stelle cin aufrichtiger Induftriewetteifer
treten, indem der den meiften, aber auch wohlverdienten Bor»
theil bezieht, der am wohlfeilften bie befte Waare liefert. .
Nur ein die erft aufleimende Induftrie noch fchügender Ein»
gangszoll oder Ausführprämien koͤnnen dabei fortbeftehen;
Ausſchließungsmaßregeln gar nicht weiter. Wenn daher au) Eng-
land die Macht befigt, den. Handel anberer Länder zu unterbrüden,
wird bie Luft Dazu in ihm in dem Grade geringer werden, als
die Aufflärung zunimmt und es belehrt, wie es feinem wah⸗
ren Interefie Dadurch nicht nur direct fchabe, fondern auch da⸗
mit alle Seemaͤchte am Ende zu einer Eoalition nöthigen
würde, um die Univerfalfeeherrfhaft zu brechen, wie Europa
zufammengetreten ift, um bie Wlleinberrfchaft Napoleon's zu
überwinden.
Gerade die Gemeinfamkeit und Wechfelfeitigkeit ber
Vortheile des freien Handels ftelt England auf den
Punkt, fich immer mehr aufrichtig mit allen Regierun-
gen zu befreunden, die ihm dazu die Hand bieten, fich
hingegen von denjenigen abzumenden, bie fie ihm verfa-
gen. Aus diefem Geſichtspunkte erfcheinen Deutfchland
mit Preußen und England als von der Natur Alliirte,
und fie werden es immer mehr auch werben, je weniger
119
Peinliche Eiferſucht, Misgunft und Eigennug die Maren |
Ginfihten einer richtigen Hanbelspolitit trüben werben.
11. „Welthiſtoriſcher Beruf der Völker.” Es ift
wol ſehr ſchwierig, hierüber. ohne alle Einmiſchung ber
Phantaſie umb vorgefaßter Meinungen etwas Beftimm-
tes und unverkennbar Richtiges anzugeben. Auch möchte
es faum genügen, nur’ einfeitig aus diefem oder jenem
Standpunfte die Anfiht zu wählen, fondern es muß
sch nach allen Seiten hin umgefhaut, und daher in
allen den wefentlichen Richtungen, welche der Beruf der
-Bölker verfolgen kann und zu verfolgen hat, das fie
Unterſcheidende und fie Sondernde oder Verbindende zur
Anfhauung gebracht werden, wogegen Alles, was die
GSelbfterhaltung und die innere Ausbildung jedes Volks
angeht, mit Recht hier übergangen wird, weil fie hierin
einander gleichfiehen, was denn auch der Verf. gethan
bat. Um nun den eigenthümlichen Beruf jedes Volks
zu ermefien, ift fein geographifcher Standpunkt in ber
Melt unftreitig von ber größten Bedeutung, jedoch nicht
der allein in Betrachtung fommende, weil der Menfch
nicht blos im Naume, fondern aud in ber Zeit lebt,
und weil feiner Berufung ein willfürlicher Anfang in
irgend einer beliebigen Zeitepoche vorgefchrieben, fondern
derfelbe nur aus dem Urfprunge, der Geſchichte und ber
entwidelten Nationalität eines jeden Volks abgenommen
werden kann. Infofern nun ber Verf. Tedigli Die
Ortlichkeit der dermaligen Heimat der Völker zur Grund»
Tage feiner Betrachtung genommen und diefe nur auf
eine von allen ben Aufgaben gerichtet hat, die das
Bolksieben in ſich faßt, konnte dieſer Abfchnitt weder
erfchöpfenb noch ausreichend werden. Sein angenommie-
ner Standpunkt ift ein fehr hoher, ja der höchfte, immer
aber doch nur ein einfeitiger. Wohin aber der Verf.
jedoch feinen Blick gerichtet hat, da hat er klar gefehen.
Das Höchfte im Menfchenleben ber Einzelnen wie der
Bölker ift das religiöfe Element, und diefes bat ber
Berf. Hauptfächlich ind Auge gefaßt. Europas Geſchichte
und Zuftand bekundet für Daffelbe ihm zufolge den Be⸗
ruf, nicht bios mit der Erhaltung und Bewahrung des
Chriftenthums, fondern auch mit deffen Verbreitung über
ben ganzen Erbball betraut zu fein. Rußland infonder-
beit, mit einem Fuße in Europa mit dem andern in
Afien ftehend, aber nur mit jenem fußen konnend, würbe
fhon darum feinen Beruf offenbar verfennen, wenn «8
beabfichtigte, in Europa weiter vorzudringen, da es viel-
mehr feine Aufgabe ift, felbft durch europäifche Gultur
ſich erſt innerlich au heben, fie mit dem aftatifchen Sinne
zu verfchmelzen und fie foldhergeftalt materiell und fpiri-
tuell nad) Nord - und Mittelafien zu übertragen, damit
Diefe ungeheuern Streden von gejitteten Menfchen er-
füllt werden zur Ehre ihres Schöpfere. Deutfchland
mit Oftreih und Preußen haben durch ihre Stellung
die doppelte Beſtimmung, nicht nur bie Erhaltung des
Friedens in Europa zu vermitteln, fondern auch bie
Grenzwacht gegen das Eindringen des Sarmaten- und
Slawenthums in die germanifhen Auen zu behaupten,
wozu Schweden nnd Ungarn durch ihre Flankenſtellung
mitwirfen, vorzüglich aber bie Golonifirung ber Donan-
und Balkanlaͤnder durch deutſche Auswanderer ins Auge
zu faffen iſt. Frankreich hat fein Ziel durch die Be:
fegung Nordafrikas zu verfolgen begonnen, auf daf von
hieraus dieſer Welttheil in die Reihe gefitteter Ränder
übergehe, wie Spanien und Portugal, nachdem fie fich
erft felbft beruhigt und erholt haben werben, die Mittel
befigen, benfelben Welttheil von den Oſt- und WWeft-
küſten aus zu colonifiren. In Südamerika haben fie
ihre Aufgabe fo fchlecht erfüllt, daß fie darob nicht blos
biefe ihre Colonien, fondern fich felbft großentheils ver-
loren haben. Dahingegen hat England für den euro-
päifchen Zweck nicht nur die ausgebehntefte Thaͤtigkeit
in Weftindien, Nordamerifa, Südafien und Auftralien,
fondern auch das meifte Geſchick mit dem beften Er-
folge entwidelt, weil e8 am meiften die Rechte und
Rotionalität der Eingeborenen geachtet und ihnen die
Bekehrung nicht aufgezwungen, fondern nur nahe ge-
bracht hat; und es wird auf dieſe Weife als der acht⸗
barfte Diener der Humanität und ber fie fchirmenden
Vorfehung verehrt werden müffen, je mehr es felbft bie
Achtung derfelben aufrecht erhält. Italien und die Tür-
kei, von dem höchften politifchen Glanze zu völliger Unbe-
beutendheit herabgeftiegen, fcheinen dermalen feine andere
Beflimmung zu haben denn als Warnungsfäulen daran
zu mahnen, wohin die Uneinigfeit und Zerriffenheit ber
Stammgenoffen und weltliher und geiftlicher Despotis-
mus die Völker bringt und wie ſchwer die Enkel büßen
müffen was bie leichtfinnigen Voraͤltern verfchulbet
haben. Möge zunächft die Schweiz fi) daran ein Bei-
fpiel nehmen und erftarfen! Aber auch Deutichland, das
Land ber Germanen, die Rom unter ihre Füße traten,
als fie noch freie Völker unter ihren Fürſten waren,
aber vergeblich fich deffen zu bemächtigen ihr Blut durch
Jahrhunderte verfprigten, als Durch das Lehnweſen und
die Hoͤrigkeit das Buͤrgerthum aufgelöft worden war.
(Der Beſchluß folgt.)
Die franzöfifchen Invaſionen in Oſtreich und bie Fran⸗
zofen in Wien in ben Jahren 1805 und 1809. Nach
den beften Quellen bearbeitet von Karl Auguft
Schimmer Wien, Dirnböd. 1846. 12. I Zhlr.
Das ift ein Bud voll treuer, ehrenwerther Gefinnung,
wie fie dem öftreichifchen Unterthan fo wohl anfteht. In einer
einfachen, fchlichten Darftellung, die aber überall den Augen»
zeugen der denkwürdigen Begebenheiten Wiens zeigt, find und
die Schickſale der Stadt 1805 und 1809 erzählt und eine
Menge von Einzelheiten aufbewahrt, die in dem Gedaͤchtniſſe
der gegenwärtigen und der kuͤnftigen Generation erhalten zu
werden verdienen. Denn der &emeinfinn der Bürger Wiens
forvie ihre Zreue und Anhaͤnglichkeit an den Kaiſer Franz,
von dem der alte Pilgerdmann in den „Anemonen“ nicht
Schlimmes genug neuerdings anzuführen wußte, zeigt fih hier
in dem fhönften Lite. Auch die Urtheile über die Franzoſen
find gemäßigt und wir vermiffen nur noch genauere Angaben,
ald 3. 8. auf &. 121, 122 über die Requifitionen der Fran⸗
zofen und überhaupt über den Schaden, den ihre Anweſenheit
dem Wohlftande Wiend zugefügt hat. Auch folhe Dinge dür:
fen um der Rachwelt willen nicht vergeflen werden und cha⸗
rakteriſiren die Laft, welche allen beftegten Ländern von der
Habfucht und Beuteluft der Napoleon'ſchen Franzoſen aufge
bürdet worden ifl. Unter den zahlreichen Armeeberichten,
120
Prockamationen und andern Wetenftüdden haben wir mit befen-
derer Freude die vortrefflichen Wehrmannslieder von Heinrich
von Collin wiedergefunden, die aus unfern deutfchen Lefebü-
dern und Gevichtfammlungen für Schulen mit großem Un»
rechte ganz, verſchwunden zu fein ſcheinen. Faſt ganz neu wa-
ren md die Kriege: und WBehrmannälieber ven Gafselli, Die
ebenfalls Dem Jahre 1809 angehören und in denen Viele diefem
beliebten Dichter auf einem ganz andern Felde, namlid auf
dem der Vaterlandöliebe und der Waffenehre, mit Vergnügen
begegnen werden. Colin und Eaftelli waren nad der Weiſe
der Napoleon'ſchen Kriegführung für dieſe Lieber foͤrmlich ger
ädytet und mit der Stellung vor ein Kriegsgericht bedroht,
wenn man ihrer habhaft werben Eönnte. U,
Notizen aus Italien.
Ein Ketzerrichter über Paul Garpi.
Die Societa poligrafica itallana, welche ihren Sig im
Florenz hat, gibt in neuerer Beit eine Sammlung alter für
Geſchichte und Literatur wichtiger Werke unter dem Zitel „Opus-
coli inediti o rari di classici o approvati scrittori’ heraus, wo⸗
von der erfte Band bereits erfihienen iſt. Es iſt dies ein fehr ver-
Dienftlihes Wer, da in Italien, namentlich in Florenz, eine
unglaublie Menge, Peiner hiſtoriſcher Bruchftüde und kurze
Chroniken u. f. w. in den Familienpapieren und Archiven der
angefehenen alten Üdelögefchlechter aufbewahrt werden, die ihre
Abfaſſung jener Zeit verdanken, wo in den Meinen italienifchen
Staaten noch reger Gemeinfinn herrſchte und Alles was Kopf,
Herz oder Hand befaß an den oͤffentlichen Ungelegenheiten leb⸗
Baft Theil nehm. Die Klöfter und ftädtifchen Bücherfanmlun: -
gen enthalten ſolchen Stoff noch weit mehr, deſſen Veröffent-
lihung noch manche unerwartete Aufſchlüſſe über die Gefchichte
Der wichtigſte Beftandtheil des erften Bandes diefer Sammlung
ift jedenfalls ein Bruchſtück des zweiten Theils von Marco
Koscarint'E Werk über die venetianifche Literatur, wovon be:
kanntlich nur der erfte Theil veröffentlicht wurde. Ein weiterer
werthuoller Beitrag find die am Schluffe der Sammlung be:
findlihen 25 größtentheild bisher noc nicht veröffentlichten :
Briefe berühmter italienifder Schriftfteller, darunter Päpfte -
und Eardinäle. Die merbwürdigfte dieſer Briefſchaften ift ein
Schreiben des Sardinald Domenico Yafflonei an den eben er:
wähnten Marco Foscarini.”) Diefer Eardinal bekleidete in der ,
erften Hälfte des vorigen Jahrhunderts unter den Päpften Ele: .
mend XI. und XII. mehre wichtige ftaatSmännifche Amter und,
war als einer der gelebrteften Leute feines Vaterlandes bekannt.
Das Schreiben ift vom 3. 1753,
Berf. datirt und enthält dad Urtheil deffelben über eine ge:
fhichtlich weit bedeutendere Größe als der&ächreiber und Em:
pfänger dieſes Brief waren — über Paul Sarpi. Der Brief
handelt zumeift von der damals eben erſchienenen Literaturge:
fihichte Foscarini’6, wobei er fi denn über den italienifchen
Reformator alfo auslaßt: „Was Sie in Ihrer Geſchichte von
Bra Paolo gefagt haben iſt wenig im Vergleich zu Dem, wyr:
auf Sie Häufig hingewiefen. Wenn ich aber Ihren Rang und
Ihre Stellung in Betracht ziehe, fo muß ich annehmen, daB
Sie ſich vieleicht ſelbſt nicht fo frei gefühlt haben, Alles zu
“jagen, was gefagt werden mußte. Jene zu Genf gedruckten
und aus Verona datirten Briefe Deffelben find vollkommen echt
und beglaubigt, wie ich foldhes bis zur mathematifchen Gewiß:
heit in einigen Zagen zu erweilen mir getraue, fofern Gott
mir das Leben ſchenkt. Des fchurkifchen Frater Abficht — ob⸗
wol man es ihm laffen muß, daß er im höchften Grad gelchrt
“war iſt feine andere gewefen, als den Calvinismus in Be:
nedig einzuführen, und darauf zwedite jede Zeile ab, die er
ſchrieb. Und dies ift eine andere Wahrheit, welche nicht nur:
*) Vergl. dieruͤber eine audführlihe Mittheilung von Alfred
Reumont in Nr. 239 d. BI. f. 1845. D. Red.
— —
der appeniniſchen Halbinſel im Mittelalter zu verſprechen fcheint. | Liturgie aller Zeiten in und mit
dem TI xebendjahre feines .
Verantwortlicher Herausgeber: Beiurich Wesdhent, —
von wir bewieſen, ſondern augenſcheinlicher demonftrirt werden
ſoll als irgend ein Lehrſatz des Cuklid. Ihe großer Dheim, Ber
baftian Foscarini, hat mir oft erklaͤrt, daß, wenn ih den Be
nat über diefen Gegenftand haranguirt, des Eifer der Senato⸗
sen bewirkt Haben: würde , daß man bed Mouchs Gebeine
wieder außsgefharrt und aufdem Marcuspiage ver»
brannt hättel Was ich fage find weder Bermuthungen,
noch bloße Schlußfolgerungen, noch Deutelungen von gewiffen
Stellen, fondern verbürgte und unmwiderlegliche Thatſachen. Ich
war Katholik, ehe ich römifcher Priefter wurde und ſpreche des»
halb nicht aus Borurtheil (!?). Schenkt mir Gott das Lehen,
fo ſolen Sie fehen durch Beweiſe, daß ich felbft weniger aus⸗
ſpreche als wol weiß.” Der Prölat, dem die Natur noch
nad biefem Gchreiben acht ganzer Lebensjahre fchenkte, ſcheint
ua Allem die Erfüllung feines Verfprechens ſchuldig geblieben
zu ‚fein. .
Geſchichte der Liturgie aller Zeiten.
Die während der legten zwei Decennien viel wiederholten
Berfuche der Parteien des Augsburger Belenntniffes, den li⸗
turgifchen Theil des Eultus in feiner Urfprünglichfeit wieder
zu erfchaffen, gefchaben durchaus in dem Sinne eines GSlau⸗
bensſyſtems, dad die Perfectibilität des formellen Ceremoniels
nicht nur nicht ausfchließt, ſondern fogar gebietet. Auf katho⸗
lifcher Seite konnte dergleichen nicht vorfommen, da die Meffe
mit ihren überreichen Yunctionen als ein Fertiges, nicht wie
dort als ein Werdendes in der fichtbaren Kirche für die un⸗
fihtbare gilt. Doch aber war man auch hier thätig, die got⸗
tesdienfilihen Agende von Zufälligkeiten und Zeitlichkeiten zu
befreien und in ihrer Wefenheit au beftimmen. Zu dem Ende
bat man in Rom nicht ohne Auffoderung von oben und unter
Mitwirkung der Fähigften angefangen, eine Gefchichte der
ihren noch vorhandenen
Dentmalen (,Storia della liturgia ecclesiastica dimostrata
coi monumenti di ogni tempo’, Rom 1845) zu publici«
ren, ein Werk, das Beitend feiner archäologiſchen, ge
ſchichtlichen, eregetifchen, dogmatiſchen und artiftifchen Beftand-
theile aller Aufmerkſamkeit auch des ausländifchen Yublicums
werth iſt. Seine uns vorliegenden Anfänge verfprechen eine
Arbeit, die in fieben bändereihen &ectionen ihr Geſammt⸗
material geben will. Die erfte behandelt im Allgemeinen bie
fihtbare Ecclefia von ihrem Urfprunge in den SKatalomben an
bie zu den Seiten Purz vor und nad) Konftantin, die rein grie⸗
chiſche, byzantinifche, normännifche, lateinifche, gothiſche und
Iombardifche des 14. Jahrhunderte in ihren Entwidkelungen bi
auf die neueften Beiten. Die zweite die den Altar und beflen Ar»
chitektur bedingende liturgifche Gefchichte, den Modus des Got⸗
tesdienftes im Morgen: und Abenblande zu allen Zeiten; cbenfo
gibt fie eine höchft intereffante Befchreibung aller bei den Func⸗
tionen gebrauchten Gefäße, Drnamente u. f. w. mit Driginal-
abbifdungen. Die britte gibt die Hierarchie in ihrer Kleidu
bad Mitual ber Krönung der alten sömilchen Bifchofe und ſpa⸗
tern Paͤpſte und ihrer Erwählung, die der Kaijer fowie Die
der Eardinäle, Preöbyter der griechiſchen und lateiniſchen Kirche.
Die vierte Abtheilung befpricht den Chor, die Ambonen, die
Sancelli, die Sandelaber für die Paſſahkerze und was fonft
innerhalb der xuxildes fi findet. Die fünfte das Senato⸗
rium, Matroneum und der Narter mit den verfchiedenen Stu⸗
fen ber Pönitenten und dem Ceremoniel der öffentlichen Wie⸗
derverföhnung. Die ſechste und fiebente Handelt von dem Atrium,
dem Baptifterium , den Portiten, dem Beftibulum, den Shür-
men, Glocken u. ſ. w. Der Zert bes Werks ift, nach feinem
Beginne zu urtheilen, eine fehr gediegene Arbeit; aber daS
Schägbarfte darin find die überaus originaltreuen Abbildun⸗
gen in Kupferſtich von den fehr zahlreichen den Zert erläutern
den und verftändigenden Monumenten. Diefe kamen vorzüglich
aus bem chriftlihen Muſeum der vaticanifchen Bibliothek, der
reichſten Schatzkammer diefer Kunftwerke, aus Venedig, Ravenna,
Palermo und den bedeutendftien Muſten Europas. 80.
Deud und Berlag Ho S BR, Brockhaus⸗ in Reipsie.
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Sonnabend,
Die europäifchen Staaten nach ihren innern und
äußern politifchen Werhältniffen, von Bülow»
Gummerow.
(Beſchias aus Nr. 3.)
N. „Grundzüge eines neuen, bem Intereſſe ber
Bölker entfprechenden, feften politifhen Syſtems von
Europa.” Wenn irgendwie ein Feld dargeboten iſt zu
Chimaͤren und Ruftplänen, fo ift es das biefes Abfchnitte.
Wie indeffen der Verf. in feinem ganzen Werke mit ei
ner die höchſte Anerkennung verdienenden Befonnen-
heit, Ruhe und Geradheit ſich überall ausgefprochen hat,
fo auch hier; und er gelangt zu unmiderleglichen, wenig-
ftens überaus gefälligen, Schluffägen, weil er von feften
Tyhatſachen und unumftößlihen Maärimen ausgeht. Er
mistennt auf feine Weiſe die Schwierigkeit ber Aus:
führung feiner Vorſchlaͤge, aber er erweift deren Zweck⸗
mößigfeit und Angemeffenheit, gibt bie bau Anrihen
den Mittel an, und zeigt folchergeftalt bie Möglichkeit
wie die DVortrefflichkeit des Plans. Ebenſo wenig fällt
ihm ein, daß derfelbe Hals über Kopf zu unternehmen
fi, fondern er ſelbſt fpricht das Eile mit Weile!
aus und bringt ed in Anwendung, aber fo, daß Feine
Zeit unthätig verloren geht, fondern zu ben nöthigen
Borbereitungen benugt wird. Sehr mahr iſt, daß
die Idee immer der Ausführung vorausgehen müſſe
und es deshalb unerlaßfich fei, ſich mit jener vertraut
und fie klar zu machen. Dies allein will er, fie
anregen, fie in Ausficht ftellen und zeigen worauf es
dabei ankommt. ’
Ein fiherer, dauerhafter und im fih gerwährleifteter
Friedenszuftand muß auf ber Anerkennung des Grund⸗
fages beruhen, daß die Entwickelung der Wohlfahrt der
Völker die erfte Anfoderung aller Politik ift, und daß
diefe nur dann zur Ruhe kommen können, wenn fie ben
Zuftand unbehinderter Förderung bderfelben erlangt ha⸗
ben. Ein gefichertee Rechtszuſtand und ein freundliches
Hebeneinonderleben der Völker tft alfo nicht eher mög-
lich, bevor es nicht dahin gebracht ift, baß keinem von
ihnen unentbehrlihe Bedingungen und Mittel zur Aus-
bildung und Berbefferung feines Zuftandes vorenthalten
werben, und daß es ebenfo wenig von ber Gefahr be-
droht wird, duch auswärtige Übermacht in feinem in-
nern Frieden geftört zu werben. Dies Letztere iſt barum
31. Zanuar 1846.
von fo hoher Wichtigkeit, weil außerdem Ber gemältige
Drud des gegerimärtigen Zuflandes tnunterbrochener
Rüſtung nicht aufhören kann, und das Mark ber Laͤn⸗
der, wobei nicht blos das Geld, ſondern Mehr noch die
der Arbeit entzogene Menfchenkraft in Anfchlag zu brin-
gen ift, auf die Erhaltung ber fiehenden Heere verwen»
det werben muß, das dadurch der Ernährung ber In⸗
duftrie, der Erziehung, den Künften und Wiffenfchaften
und allen den gemeinnügigen Anlagen und Anftalten
entzogen wird, ohne welche das Gemeinwohl nicht ge«
deihen kann. Der jegige Zuftand ift in der Wahrheit
fein Friede, fondern nur ein Waffenſtillſtand, eine auf
den Krieg vorbereitete Rüſtung, welcher fchlimmer iſt
wie ein offener Krieg, der nie ‚fo lange dauern und
nicht in ber Summe fo viel Toften kann als biefer ver-
deckte Krieg, hingegen Das, mas er koſtet, durch feine
Erfhütterungen und Aufrüttelung des Geiftesfchlummere
wieder wett macht. ebenfalls ift es beffer, einen un-
vermeidlichen Krieg muthig zu beginnen, fobald man
zum Angriffe gewappnet iſt, als zaghaft bie Zeit abzu-
warten, die dem Gegner günftig däucht ihn anzufan-
gen. Überdies find Bündniſſe dazu behülflih, auch
ohne Krieg oder in bdemfelben mit größerm Nachdrude
Das abzunöthigen, was durch denfelben bezweckt werben
ſoll; und ſolche Bündniſſe können nicht entflchen, mo
der Zweck fein eigennügiger, ſondern ein gemeinjamer
ift, dafern nicht die Mitbetheiligten gegen ihr eigenes
Intereffe blind und taub find oder an der Aufrichtigkeit
des Antrags zu zweifeln Deranlaffung Baben.
Sedenfalls ift es eine fehr paffive Rolle für bie
fämmtlichen europäifchen Staaten, ftets auf alle Faͤlle
gerüftet zu fein, bie Benutzung diefes koftfpieligen Zu“
ftandes aber dem Geſchicke zu überlaffen, und nicht felbft
zu wiſſen noch ſich darüber Nechenfchaft zu geben, zu
welchem Zwecke ſolches gefchieht und wie berfelbe. da-
durch verfolgt werden fol. Wenigſtens iſt dies ſicher
feine Gtaatsweisheit ober Staatsklugheit, fondern In⸗
dolenz und Sorglofigkeit. Ausgemacht ziemt folche nicht
Dem, der auf der Hochwacht fleht und der es unter-
laͤßt, felbftändig und vorausfichtlih abzuwenden oder
vorgubereiten, was auf fein fünftiges Schickſal von ent-
feidendem Einfluffe fein muß. Einen muthwilligen
Krieg zu unternehmen iſt ein großes Verbrechen, einen
‘
122
nothwendigen nicht zu rechter Zeit zu beginnen, iſt
Schwäche bes Berflandes oder bed Muthes.
Nur ein veiflich überlegtes, aber auch dann unver-
rückt im Auge behaltenes und unabläffig verfolgtes Sy⸗
ftem, wobei bie perfünlihen Neigungen, Beziehungen und
Intereffen ber Fürften und ihrer Familien außer Anſat
bleiben, und lebiglih nur das Wohl und Heil der Böl-
fer beftimmend ift, kann die Politit der Schwankungen,
Zufälligkeiten und Verkehrtheiten überheben, in die fie
unabläffig verfällt, fo lange fie nicht lange vorherſieht
was fie fol, und nicht will was fie muß, um ihre Ob-
Tiegenheit zu erfüllen. Es muß ebenfo, wie es bes
Volks Wahlfpruch bleiben fol: „Kür König und Vater⸗
land!“ der Wahlſpruch der Fürften und ihrer Negierun-
gen fein: „Alles fürs Volk und Vaterland.”
Dies find die vom Verf. mit Verftand, Umfiht und
Maͤßigung weiter ausgeführten Grundzüge, was nicht
felten auf originelle Weife geſchieht. Nur ein Veifpiel
iervon:
’ Wenn man auf die beiden deutſchen Großmächte blidt, fo
Yäßt fi) das Band Preußens und Öftreichs bildlich fehr paflend
mit dem Bande der Ehe vergleihen. Sie machen zufammen
mit dem übrigen Deutfchland ein Haus, eine große Familie
aus, in welchem auch die majorenn gewordenen Mitglieder woh⸗
nen geblieben find. In diefer Ehe ift Preußen die Stelle des
Mannes und Dftreich die der Frau zugefallen; allein es gebt
in diefem Haufe wie in fo vielen andern, wo die Frau durch
befiändige Negationen die Ahatkraft des Mannes lähmt und
ihn durch Eiferfucht quält, ihm dabei ihre zärtliche Liebe ver:
fihernd. 1
Georg Cuvier ein Deutfoer.
Wol ift Deutfchland mannichfaltig von Gott begabt und
geſchmuͤckt mit Schönheit und Schägen der Natur und Kunſt.
Wol ift es überreih an Männern jedes Standes, hervorra⸗
gend als Staatsmänner, ald Krieger, als Künftler, ald Ge⸗
“ Tehrte, von deren Überfluffe es oft und vielfältig gefpendet hat
an die übrigen Reiche und Länder Europas. Wenn man aber
wie wir im fernen Amerika erlebte, daB in Folge Lünftlicher
Berihiebung und Berftelung geſchichtlicher Wahrheit, insbes
fondere in der Franzoſen allverbreiteter Sprache, ein deutſcher
Held wie Karl der Große fo feft für einen Franzoſen gehal-
ten wird, daß unfere Außerung, er fei ein Deutfcher, ein all
gemeines, ungläubiges, nur mit Mühe unterbrüdktes Lächeln
erregte; wenn man wahrnimmt, dag, um nur von unfern gro-
ben Raturkundigen zu reden, Männer wie Nikolaus Koper⸗
nit, wie Lambert, wie Euler, vom Fremdling kaum noch zu
uns mitgezählt werden; daß nur durch den redhtzeitigen Ruf
eines großen beutfehen Königshaufes Alerander von Humboldt
und wieder eriwdrben und gefihert ward, und jest in deutfcher
Sprache feinem reihen Wirken durch den „Kodmoß” die Krone
auffegen Tonntes wenn man endlich erwägt, daß in der von
einem andern edein deutfhen Könige eröffneten deutfchen Rub-
meshalle der Name und dad Bild Georg Cuvier's annodh ver-
mißt wird; — dann ift es hohe Beit, Diefen großen beutfihen
. Mann, den Gründer vergleichender Raturbefchreibung, für uns
gurüdaufobern. Darum bießen wir felbft auf die Gefahr Hin,
eim Unblide der überſchrift dieſes Auffabeß ein dem oben:
gedachten Lächeln der Amerikaner ähnliche auf der Lippe bes
Lefers ſchweben zu fehen, ein Werk mehrfach willkommen, das
die wenig gefannte, wo nicht Fünftlicy vertufchte deutſche Ju⸗
gend und Bildung Georg Euvier’d aus dem lautern Quell
feiner eigenen Bebenntniffe und Briefe an einen der wenigen
trefflichen noch Lebenden Benoffen ins hellſte und unwiderleg⸗
lichſte Licht ſtellt. *)
Georg Euvier erblidte das Licht der Welt laut eigener
Bezeugung am 24. Auguft des durch den Vorübergang ber
Venus vor der Sonne wie durch die Geburt Bonaparte's,
Wellington’s und vieler anderer ausgezeichneter Männer denk
würdigen Jahres 1169 in Mömpelgard, der Hauptſtadt bes
gleihnemigen überrheinifchen, feit Jahrhunderten vom würs
tembergifchen Fürftenhaufe befeffenen, dem deutſchen Reiche an-
gehörigen Fuͤrſtenthums. Von dort aus bezog er die von dem
hochbegabten Herzog Karl in Stuttgart eröffnete, fo viele
herrliche Köpfe in fich fchließende und ausbildende Karlsaka⸗
demie, von denen ſich fpäterhin Frankreich außer Cuvier auch
noch andere ausgezeichnete Männer, wie Graf Reinhardt, bef«
fen Leben und Briefwechfel mit Goethe wir noch immer feh-
nend erwarten, Georg Kerner und Undere mehr angeeigret
und zu feinem Ruhme benugt bat. Bon Stuttgart aus, wo
ſich Cuvier's Scharfblik alsbald der Naturforfhung zugewen⸗
det und in einem von ihm mit Pfaff und andern noch Leben»
den geftifteten naturhiftorifchen Vereine zur gemeinfchaftlichen
Eultur der Raturgefchichte in ihrem ganzen Umfange durch
Anlegung don Sammlungen, Ausarbeitung von Aufſaͤtzen und
wechlelfeitige Mittheilungen der gemachten Beobachtungen aus⸗
ebildet, und ſchoͤne leider verloren gegangene Arbeiten ver:
aßt hatte, ging er im 3. 1783 als Hauslehrer eines prote⸗
ftantifhen Grafenhauſes nach der in ihren Ratur- und Kunſt⸗
erzeugniflen wie in ihren Bewohnern deutliche Spuren der
germanifhen Bevölferung an ſich tragenden Rormanbie.
„In der Rormandie entwidelte er fich”, fagt der wackere,
jet auf der dänifhen Corvette Galathea naturforfchend die
Welt umfegelnde Behn, „in der Stille unter dem Gewitter
der Revolution zum größten lebenden Raturforfcher. Wie er
das aber biß 1195, wo er in Paris auftrat, warb, was in
diefer für jeden Mann wichtigften Lebensperiode (vom 1926.
Zahre) feinen innern Menſchen beiwegte und erfchütterte, was
fein Leid und feine Freude war, was Alles er unterdrüdite,
das konnte wenigftens Fein Franzoſe wiflen, feine Blicke war
ren nach Deutſchland gerichtet, dort lebten feine Freunde, die
Theilnehmer feiner Studien. Daß Euvier in feiner fpätern
Stellung feine deutſche Bildung überaus wichtig war, ift be
Pannt, aber daß er in dem Grade Deutfch war, wie es dieſe
Deutfch gefchriebenen Briefe ergeben, war, meine ih, bisher
unbefannt. Bwar betrachtet er fi nicht ald einen Deutichen
und Würtemberger, aber ebenfo wenig ficht er fi als einen
Franzoſen an, ja es fheint ihn anfangs ein faft nationaler
Gegenſatz hoͤchſt unangenehm berührt zu haben. Nach und
nad, namentlich bei den erften ruhmvollen Phafen ver Revo:
Iution, fängt er mehr und mehr an fi) als Franzoſe zu füh-
len, «unfer König» fagt er, wenn er den König von Frank
reich meint; bier nimmt er noch mit vollem Herzen Theil, er
konn als ein für Frankreich durd die Revolution Gewonnener
betrachtet werden. Später freilich tritt feine politifhe Mei:
nung mit dem Übermaße demofratifcher Tyrannei in den
ſchreiendſten Widerſpruch, er fühlt fih Höchft unglücklich und
hätte gern Frankreich verlaffen ; felbft nach Rußland zu gehen,
wie ihm angeboten wurde, halt ihn nichts Anderes ab als
feine ſchwächliche Befundheit und die Furcht vor dem Klima.”
&o erklaͤrt er in feinem nicht bloß politiſchen Urtbeile
über Frankreich: „Dennoch haben die Wiffenfchaften äußerft
wenige würdige Priefter in Frankreich (zu denen er insbefon-
dere die beiden Juſſieu zählt) und ihre Armuth ift für Jeder⸗
mann um fo ſchmerzlicher, da man fich ihres ehemaligen Blüte:
ftandes noch erinnert.” Er nährte lange mit Borliebe den
*), Georg Cuvier's Briefe an C. H. Pfaff In den Iab:
ten 178892, naturhiftorifchen,, politiſchen und literarifhen Inhalte.
Nebſt einer biographifhen Notiz über G. Euvier von C. 9. Pfaff.
Deraubgegeben von WB. %. ©: Behn. Kiel, Shwerd. 1816.
Gr. 8. 2 Thlr. 20 Nor.
123
Gedanken, mit feinem Söglinge nah Würtemberg zu kommen
und dort, deffen Studien leitend, bei feinen Freunden zu le
ben. Denfelben ungern fahren Taffend freut er fi edelmü⸗
thig der trefflihen Befegung der naturgefchichtlichen Lehrſtuͤhle
der Karlsakademie durch Store und Kielmeyer, nur ausru:
Tend: „Es ärgert mich doch ein bischen, indem es mir faft alle
Hcffnungen benimmt, mich in Deutichland, wo ich doch alle
meine Freunde habe, zu firiren.”
Ja felbft elf Jahre fpäter, als ihn Pfaff ſchon im parifer
Hflanzengarten, von reihen Sammlungen umgeben, ald das
Haupt einer jungen franzöfifhen Naturforfcherfchule wicderfin:
det und fieben Monate dort mit ihm Tebt, äußert Diefer: „Eu:
vier war damals (1801) gleichſam noch ein halber Deutſcher;
wenngleih er die Leichtigkeit in der Deutfchen Unterhaltung
verloren hatte, fo liebte er doch die deutſche Unterhaltung mit
mir.“ Nach und nach änderte fi dies, insbefondere unter
dem mit gemwaltigem Griffe auch Cuvier an den Siegedwagen
feines Ruhmes fehmiedenden und ibn zum willigen Diener je»
der in Frankreich gebietenden Macht, erft feiner felbft, dann
der Reftauration umgießenden Rapolcon, ſodaß Pfaff ihn 1829
in Paris wieder aufluchend ausrufen muß: „Der vor 30 Jah:
ren noch großentheild deutfchrgemüthliche Euvier war nun ganz
Franzoſe geworden.”
Erklaͤrt fi nun aus dem eben Mitgetbeilten Cuvier's
allmälig von der Abneigung zur völligen Hingabe ſich umkeh⸗
rende Empfindung gegen Frankreich als in dem jezeitigen dor:
tigen Stande durch ihn neuerftandener Wiſſenſchaft begründet,
fo liegt hierin auch feine damit im umgekehrten Verhältniſſe
ſtehende Anhaͤnglichkeit an Deutfchland gegeben, auf deffen Bo-
den der Mann ftand, wurzelte, der, wenngleich verſchmaͤhend
bis auf eine Heine, wenige Bogen ſtarke Gelegenheitörebe *),
fäyriftftellerifch zu wirken, dennoch gleich den Weltweifen des
Alterthums duch Lehre und duch feine Schüler umgeftaltend
und belebend auf die Naturkunde und Naturanfchauung für
alle Zeiten gewirkt und fie aus einer Sammlung, vereinzelter
Thatſachen zu einem einzigen organifchen Ganzen umgefchaffen
bat. Diefer Mann, den wir bereits genannt haben, war Kiel:
meyer, der noch immer zu wenig gefannte, und nur mit ihm und
durch ihn laßt ſich Der geiftesverwandte Euvier begreifen und
verſtehen, wie diefer felbft es auch großartig ſtets anerfannt hat.
Das BVerhältniß Kielmeyer's und des vier Jahre jüngern
Cuvier, welches uns erft jüngft durch Martius in einer treff⸗
lichen, Pfaff's Darftellung ergänzenden, am 28. März; 1345
in der münchner Afademie der Wiffenfchaften gehaltenen Rede **)
Mar und anichaulich geworden ift, liefert den wahren Schlüffel
zur Entfaltungsgeſchichte echter Naturanfhauung in Deutfch-
land und Frankreich. In Beziehung bierauf jagt Martius
mit Met: „Es unterliegt Beinem Zweifel, daß die Grundidee,
welche damals (auf der Karlsakademie) den Geiſt Kielmeyer’s
bewegte, Entwidelung der organifchen Typen und Kräfte auf
dem Wege der Bergleihung und Induction, zu feinem wahr:
ften Eigentum gehörte, Uber er fland nicht vereinzelt auf
diefer Bahn. Parrot, Euvier und Kielmeyer bildeten auf der
Karlsakademie ein wifjenfchaftliches Kleeblatt, und die ähn»
lihe GSeiftesrichtung, welche die drei Freunde verband, fand in
der Thaͤtigkeit Kielmeyer’d am früheften einen lebendigen Aus:
druck. An einem Rrühlingsabende des Jahres 1786, am Tage,
ehe Kielmeyer aus der Anſtalt fchied, die Cuvier zwei Jahre
ter verlaffen follte, wuren Kielmeyer, Yarrot und Cuvier
im Garten der Akademie beifammen. Da fchnitten fie die An-
fangsbuchftaben ihrer Namen mit den Worten Amicitia juncti,
”) ‚Über bie Werhättniffe der organifhen Kräfte untereinander
in der Reihe der verſchiedenen Organifationen,, die Geſetze und Fol:
gem dieſer Verhättniffe. Cine Rede, den 11. Februar 1793 am Ge:
burtötage bed Herzogs Karl gehalten von G. F. Kielmeyer“
(Zübingen 1799).
**) Abgedruckt in den „Muͤnchner Gelehrten Anzeigen” für 1845,
Spalte 853 — 80.
sorte disjuncti in einen Baum, und dur das e Leben
haben fie an diefer Iugendfreundfchaft wie an einer Meiher
tigen Auffaffung der Wiffenfchaft feſtgehalten.“
‚ ‚Diefe gleihartige Anfchauungsweife Kielmeyer’s und Eu
viers wie die Erhärtung und Anwendung derfelben durdh
Beobachtungen überbauerte ihr Beifammenfein in Stuttgart.
Neben einem noch ungedrudten, wir hoffen unverlorenen Briefe
wechfel beider Männer war es vorzugsweiſe gif, der die
Verbindung zwifchen ihnen unterhielt, ald der Eine in Stutt⸗
gart rubig fortlebte und bei der damaligen Unbehüfflich"eit der
erbindungsmittel erjt fpäter zum Anblidde des Meers und
feiner Geſchoͤpfe in ihrer Wafferwelt gelangte, während der
Andere in der Normandie fammelte, beobadptete und freudig
davon mittheilte. Zum reichen Zaufche dafür empfing er dann
hen ein halbes Jahr nach feiner Ankunft daſelbſt, mit Be
arbeitung eines neuen Plans zur allgemeinen Raturgefchichte
befchäftigt, duch Pfaff Kielmeyer's noch immer nur hand»
Ihriftiih umlaufende Hefte von ihm gehaltener Vorleſungen,
und ward dabei dennch nicht müde, unabläffig mehr zu fo
dern und zu fchreiben: „Gib der Literatur mehr Platz in dei
nen Briefen, nicht bloße Naturgefchichte intereffirt mich.
Glaubſt du denn, ‚ich wäre den übrigen Wiflenfchaften abges
ſtorben? Vergiß der Phyſik und Chemie nicht, Du weißt, daß
mir biefe ebenjo lieb find als die eigentliche Naturgefchichte,
weil fie ihre beiden Hauptftügen find.”
Alſo vorbereitet, gleih reich an einer unendlichen Zahl
erfahrener, durch den ihrer Erfpahung vorangegangenen Ges
danken zu Beobachtungen erhobener Thatſachen wie an fchö«
pferifchen Ideen des deutfchen Vaterlandes und des dortigen
Sreundelreijed betrat Cuvier Paris im rechten Augenblide.
Allenfals mit einziger Ausnahme der Sternkunde das ganze
Neih der Raturwilfenfchaften überfchauend und beberrfchend,
begann er in der ſich damals erft wieder aus dem Umwäl-
zungstaumel befinnenden und zurechtfindenden Weltſtadt Paris
die neue Laufbahn, erhoben und gehalten durch den mächtigen
Arm des genialen Zeldheren und Staatsmannes, der fi da⸗
mals gern noch den einfachen Namen eines Mitglieds des
durch ihn erft recht gegründeten Rationalinftituts beilegte,
deffen Sigungen er häufig beimohnte und fie ebenfo wie bie
der Rechtskundigen zur Entwerfung neuer Gefegbücer für
Frankreich und einen großen Theil Europas buch die Blige
feines Römergeiftes belebte.
Damals war ed, wo Euvier beim Zufammenftrömen der
Befchöpfe beider Welten, der naflen wie der trodenen, aus al»
len Zonen des Erdkreiſes, aus der vorfündflutigen Urzeit wie
aus der jegigen, ſich vorzugsmeife ihrer Unterfuchung bingab
und feine großen Werke der vergleichenden Bergliederung und
Thierkunde wie über die verfteinerten Knochen der Urwelt all-
mälig aufbaute und damit auf lange Zeit hinaus die Grenz⸗
fäulen des erweiterten Gebiets der Raturgefchichte abfteckte.
„Alles vereinigte ſich“, wie Martius bemerkt, „um Eus
vier die Mittel zu einer gewaltigen Reform der Zoologie und
vergleichenden Anatomie in die Hand zu geben, während fein
Jugendfreund einfam und ohne jene äußern Hülfsmittel in en-
gern Kreifen blieb. Doc war Diefer berufen, die Früchte je⸗
ner Forſchungen aus der Ferne mit zu reifen, fie mit zu ge⸗
nießen und fir) durch den Anblick der Gefege in der wunder
baren Architektonik des Zhierleibes zu erquiden, die er feiner:
feitö auf dem Wege der Induckion erkannt, wenngleich nicht
mit derfelben Fuͤlle objectiver Forſchungen geprüft hatte.’
So ward Euvier, deſſen Ruf ſchon einige Monate nad.
feiner Ankunft in Paris im I. 1799 dem der berühmteften
Raturkundigen glich 9), nicht nur beftändiger Schriftführer der
Akademie der Wiffenfchaften, fondern auch der Derfteller der
*) „Analyse raisonnde des travaux de Georges Cuvier, pre-
cedeu de son eloge historique par P. Flourens'" (Paris 1841), wo
eö heißt: „Quelques mois apr&s son arrivee a Paris, en 17%, sa
reputation egelait deja celle des plus clöbres naturalistes.‘
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Raturkunde für Frankreich, das beſtimmt ſcheint zur kreiben⸗
den Kraft im edelſten geiſtigen Wettſtreite der Voͤlker. Cr
ward der Geſetzgeber eines Hauptgebiets der Raturwiſſenſchaf⸗
ten für die Welt. Gluͤcklich, wenn er, ſtatt ſich allmaͤlig in
die Irrgaͤnge bes Staatd zu vertiefen, Das bebaupter hätte
Wovon Martius fo ſchoͤn fagt: „Kür die Wiffenfchaft, fo toeit
je im Einzelnen lebt und wirkt, gibt es nur einen Traͤger,
er des Ruhmes würdig wäre, dies ift der Charakter.” Darin
über fieht er im der Neuzeit einzig da, daß er neunzehnjährig
Bereits im Befige des Anerkannten in allen Fächern der Ra;
turwiſſenſchaften, durch fein vielfeitige® Beobachtungs⸗ und
Darftelungstalent in Rede, Schrift und Seichnung Alles dem
Bwecke, fie weiter zu führen, bienftbar macht, daß er alsbald
erfennt und ausfpricht, daB die Syſteme nur Mittel, nicht
Zweck find und daß ed darauf ankomme, die Menfchheit die
Sprache der Natur reden zu machen.
Bon biefem brennenden, nicht zehrenden, fondern um»
fgmelzenden und läuternden Wiffenseifer geben nun diefe eben
ans ich getretenen Briefe Cuvier's an Pfaff die treuefte
Kunde. Gie find es, die wir gleih den unverganglichen Zu:
gendbriefen Johannes Muͤller's an Bonftetten und den Lebens⸗
nachrichten über B. ©. Niebuhr vorzugsmweife unferer ſtudiren⸗
ben Jugend zu Vorbildern und Leitſternen empfehlen möchten,
daß fie Ehrfurcht vor der Wiffenfhaft und ihrem treuen uns
abläffigen Dienfte ferne und, die durch den Zeitgeift gefeierte,
behagliche oberflächliche Glaͤtte verſchmaͤhend, fich tief verſenken
möge in die Schachten der Weisheit und Erfahrung der Bor:
zeit und der Gegenwart, eingeden? des fchönen Spruchs des
auch ſchon entfchlafenen Friedrich Schlegel:
Nicht den Schwaͤcheren wähle zum Freund dir, um weichlich zu ruhen:
Sondern wer gleih dir an Geift Eräftig dich regt und ergänzt.
Bücher verfchlingend, wie Cato ber Strenge, bei naͤchtlicher Lampe,
Draͤng' der Jahrhunderte Dart mädtig zufammen in bir.
Wie nah dem Golde im Schacht unermuͤdlich ber Grabende fuchet,
Grabe bu tief in dad Bud, bis du gefunden ben Kern.
Jegliches werde zur Kunft dir, gebildeter, was du berühreſt:
Wem dad Kleinfte zu Hein, dem tft aud Großes zu groß.
Ya, au das Werk, dad theuer erfaufte, es bleibe bir koͤſtlich:
Aber fo fehr bu es Liebft, gib Ihm du felber den Tod. en
Literarifche Notizen aus Frankreich.
2 Rußland.
Wir haben ſchon bemerkt, dag Rußland nun ganz beftimmt
das Modethema der franzöfifhen Publiciften und Tagesſchrift⸗
fteler geworden ift. Die fonderbaren Verhältniſſe diefed un-
geheuern Landes bieten für die leichtiertigen Federn dieſer Hel⸗
den einen ſo ergiebigen Stoff; es iſt ſo bequem, die obligaten
Schlagwörter und Phraſen an den Wann zu bringen, welche,
fo oft man von Rußland fprechen will, gleich fertig und mit
ftereotgper Unwandelbarkeit zur Hand find! Gegenwärtig nun
erhalten wir ein Werk, dem vielleicht an und für fi fein
höherer Werth und Beine tiefere Bedeutung beizumeffen iſt als
vielen ähnlichen Erjcheinungen auf dem üpppig muchernden
Felde der Brofchürenliteratur. Aber diefe jüngite Production
erhält durch den Ramen und die eigenthümlichen Verhältniffe
ihres Verf. ein ungewöhnliches Intereffe. Diefe Schrift, welche
— um es glei von vornherein zu bezeihnen — im rufen:
feindlihen Sinne gefchrieben ift, rührt aus der Weder des be-
fannten Ruffen Swan Golowin her und führt den Titel: „La
Russie sous Nicolas 1." Es ift dies eine Erſcheinung, welche
um der Stellung ihres Verf. willen vielfach befprochen werden
wird und die auf ein bedeutendes Aufſehen, ja fogar auf eine
Art von Skandal berechnet ſcheint. Golowin trat, nachbem er
fi) bereit8 längere Beit in Frankreich aufgehalten hatte, mit
einem Franzoͤſiſch gefchriebenen Buche nationalöfonomifhen In:
halte auf, in dem zwar im Ganzen nichts Verfängliches zu
wittern war, ba8 aber doch nee in Rußland,
wo man überhaupt den längern Aufenthalt der Großen im
Auslande bekanntlich mit ſchelem Auge fieht, einen unangen
men Eindrud gemacht Haben muß. MWenigftens ging dem Verf.
beffelben au derfelben Zeit, als Dolgoruci um einer viel pi:
quantern Schrift willen veranlaßt wurde, nad Rußland zurück
ukehren, die Auffoderung zu, feinem Aufenthalte auf franzoͤſi⸗
(dem Blden ein Ziel zu fegen. Golowin wor nicht gewillt
tiefer Bumuthung Folge zu leiften. Statt nach feiner Heima
zurückzukehren begab er fich nach den pyrenaͤiſchen Bädern.
Run fritt er plöglich mit einer Schrift hervor, melde, im ge
reizten None gefchrieben, eine formfiche Mänifeftation gegen
Rußland genannt werden kann. Berhandlungen fehr dellcater
Natur feinen von Seiten des ruffiihen Minifteriums mit ihm
gepflogen zu fein, um ihn zur Rüdfehr zu vermögen. Die
Mittheilungen, welche ber Verf. macht, geftatten zum Theil
einen Bli in das Getriebe der ruflifchen Politi. Im Allyes
meinen aber fteht zu bebauern, daß der Verf. ftatt es bei po⸗
fitiven, fchlagenden Angaben, die dem Statiftifer und Publi⸗
ciften von befonberm Werthe fein müßten, bewenden zu laffen,
fi lieber in allgemeinen phrafenhaften Declamationen gefällt.
Es ift ein gar bequemes Ding, den Mund zeit vol zu neh»
men und zu verbäctigen, aber bewiefen wird Damit nur fehr
wenig. Wenn fih doch alle Diejenigen, welche ſich berufen
glauben, über Rußland zu fchreiben, von dem loͤblichen Grund»
fage leiten ließen: Facta loquuntur! ®)
Coufin über die Carteſianiſche Philofopbie.
Mit unermüdlicher Thätigkeit beutet Victor Couſin die
Duellen auß, aus denen ſich einige Bereicherungen zur Kennts
niß der franzöfifhen Philoſophie fchöpfen laſſen. Man mei
daß er befonderd die Zeit, welhe man als den Wendepunft
der neuern Philofophie bezeichnen Fann, zum Gegenftande fei:
ner Studien gemadit bat. Wichtige Documente jind in Bezug
auf diefen Zeitraum von ihm bereits and Licht gefördert. Aber
die literariſchen Hülfsmittel, welche ihm zu Gebote ftehen, ſchei⸗
nen immer noch unerſchoͤpflich. So erhalten wir auch jetzt wies
der eine Schrift von ihm, die abermals interefiante Bruch»
ftüde, auf die bis jept noch Fein kundiger Zorfcher geftoßen
war, enthält. Sie führt den Zitel: „Fragments de philoso-
phie Cartesienne." Man bat es aljo bier audfchlichlich mit
der Cartefianifchen Philofophie zu thun, zu teren Beleudtung
der Berf. intereffante Beiträge liefert. Die eigentlihen Ent⸗
widelungen, welche Couſin gibt, kommen an Bedeutung den
biftorifchen Notizen und den Documenten nicht gleich, welche
er bier aus dem Staube der Archive hervorgezogen hat. Man
Fann ſich einen Begriff von der Mannichfaltigkeit des Inhalts
machen, wenn wir hier die Titel der verfchiedenen Aufläge,
welche in vorliegendem Buche vereinigt find, näher bezeichnen:
J) „Vanini ou la philosophie avant Descartes; 2) Procès ver-
bal d’une seance d’une soriet& Cart@sienne qui s’etait for-
mee & Paris dans la seconde moiti6 du dix-septieme siecle;
3) Le cardinal de Retz Cartesien; 4) Roberval philosophez
5) Correspondance de Malebranche et de Mairan; 6) Cer-
respondance inedite de Malebranche et de Leibnitz; 7) Rap-
ports du Cart&sianisme et du Spinocisme.‘
Bibliothek geiftliher Neben.
Wir haben in d. BI. bereitd eine Sammlung katholiſcher
Kanzelrebner erwähnt, welche von dem nad allen Seiten bin
thätigen AbbE Migne auf einer fehr breiten Bafis angelegt
ift. Bon diefem Werte nun — es führt den Titel „Collec-
tion intögrale et universelle des orateurs sacre&s” — ijt
gegenwärtig ein neuer, der 17. Band erſchienen. Derfelbe
umfoßt die fämmtlichen Werde von Maboul, von Mastaron
und Lachambre; ausgewählte Reden von Nicolas von Drjon
und den erften Theil der fammtlichen Werke Richard's. Die
Hanze Sammlung ift auf 50 — 60 Bände berechnet. 17.
+) Wir kommen naͤchſtens außführliher auf Golowin's Schrift
zuruͤck. D. Red.
Berantwortlicher Herausgeber: Seinrich Brockdauns. — Druck und Werlag von SB. X. Srockhans in Leipzig.
— —
Blaͤtter
für .
literarifhe Unterhaltung.
Sonntag, .
1. Februar 1846.
m—r —— —— — —— — — —— — —— —— —— — — — — — — — — —
3ur Nachricht.
Bon dieſer Zeitſchrift erſcheint taͤglich eine Nummer und der Preis beträgt für den Jahrgang 12 Thlr. Alle
Buchhandlungen in und außer Deutfchland nehmen Beftellungen darauf an; ebenfo alle Poftämter, die fih an bie
Königl. ſächſiſche Zeitungsezrpebition in Reipsig wenden. Die Berfendung findet in Wochenlieferungen und
in Monatsheften ftatt.
Juſtus Möfer.
Zuſtus Möfer’s ſaͤmmtliche Were. Neu geordnet und aus
dem Rachlaffe deſſelben gemehrt durch B. N. Ubeten. Behn
Bünde. Berlin, Ricolai. 1843. Gr. 12. 8 Zhir. 10 Ngr.
Juſtus Möſer's Werke liegen in einer neuen, forg-
fältigen und geſchmackvollen Ausgabe dem Yublicum vor,
und dieſe danfenswerthe neue Ausgabe ift wieber ein
Zeihen ber Iebhaften Anerkennung, welche der aus-
gezeichnete Dann, der gediegene deutfche Schriftftel-
ler befonderd auch in den neueften Zeiten in Deutſch⸗
Sand gefunden hat. Allerdings haben ihn die genauern
Kenner und Kiebhaber deutfcher Gefchichte und deutfchen
Rechts, deutfcher Sitte und Eigenthümlichkeit, deutfcher
Entwickelung und Literatur nie vergeffen, und bie ein-
ſichtsvollſten Männer verfchiedener Fächer haben immer
wieder auf ihn als einen der Zrefflichften der Nation
Hingewiefen ; ganz befonders aber in ben Iegten Jahren
ift fein Andenken von einer Menge von Stimmen wie-
der aufgefrifht und durch die vollgültigften Zeugniffe
für die Gebiegenheit feiner Gefinnungen und Leiflungen
verherrlicht worden. Nicolai und Goethe, feine Zeitge-
noffen, in der Literatur vielfach feindlich gegeneinander
fiebend , find einig in der Iebhafteften Anerkennung
Möfer's, und das zufammenftimmende Lob dieſer fonft
ſo divergirenden Geifter mag gleichfam als eine Borbe-
deutung gelten für die Verehrung und Bemunberung,
welche fpäter von den verfchiedenften Richtungen und
Parteien des Lebens und der Kiteratur ber in gleichem
Maße dem VBerfaffer der, Patriotiſchen Phantaſien“ gezollt
ward. Alle ſchienen es wünſchenswerth zu finden, an
ihn anzuknüpfen, ſich durch feine Autorität zu ſtaärken,
oder ſich zu freuen, in einer von der Gegenwart durch
große Ereigniſſe und Veraͤnderungen getrennten Zeit auf
einen Mann hinzuweiſen, an welchen ſich ruͤhmliche Be-
firebungen für die Ehre und die Wohlfahrt Deutfch-
lands in verfchiedenem Sinne auf eine empfehlende Weiſe
anfchließen dürfen. Johannes von Müller und Spittler
haben fih auf das rühmendfte über Möfer ausge
fprochen; Schloffer und Gervinus haben feine Bedeutung
für die Gefchichte und bie Literatur anerkannt; C. Th.
Welder und B. R. Abeken haben ihn in ausführlichern
Abhandlungen genauer charakterifirt; Stüve und Varn⸗
hagen und wie viele Andere haben von biefer unb von
jener Seite her den Charakter und die Wirkſamkeit des
Mannes in politifhen und literarifchen Zeitfchriften oder
fonft bei den mannichfachften Gelegenheiten beleuchter,
und vor noch nicht vielen Jahren ift in feiner dankbaren
Vaterſtadt fein Denkmal eingeweiht worden. Bei fo
vielen Zengniffen über Möfer's Werth und Tugenden
aus dem Munde der befähigtfien, fachfundigften Richter
ift e6 wol ſchwer, ungefucht etwas Neues über den aus-
gezeichneten Mann und feine Werke zu fagen; und wenn
wir diefe neue Ausgabe den Leſern d. BI. anzeigen und "
empfehlen, fönnen wir uns nicht fchmeicheln, die Eigen-
thümlichteit und das Verdienſt Möſer's in ein neues
Licht zu fielen, fomwie wir auch wiffen, daß er deifen
durchans nicht bedarf. So entbehrlich jeboch für Mö-
fer’8 bleibende Ehre und Anerkennung weitere Empfeb:
lungen feiner Schriften fein mögen, dürfte ed doch zu
Nug und Frommen des deutfchen Publicums und fo
Gott will des deutfchen Volks fein, wenn bei pafjenden
Gelegenheiten immer wieder an den 'trefflichen echt deut⸗
fhen Mann erinnert, wenn feine Lehren, Grundfäge und
Sefinnungen im Andenken der Nation erneuert und auf
gefrifeht werden, und die Kritit, wenn fie auch barauf
verzichten muß, durch irgend einen Reiz der Neuheit zu
vergnügen, ben weder unrühmlichen noch unnügen Be⸗
ruf erfüllt, den feftgegründeten und mit genügenben fref-
fenden Infchriften gezierten Denkftein eines unfterblichen
Mannes vom Moofe des Vergeffens zu reinigen, und zu
wachen, daß er nicht durch die überfchmänglichen Lob⸗
rebner und Verherrlicher des ephemeren, oft fehr zwei⸗
deutigen Verdienſtes, durch die Anbeter von plöglic auf
den Schild gehobenen aber hohlen Größen ber ihm ge-
bührenden Aufmerkfamkeit und Achtung beraubt und mit
der Zeit wol gar verruͤckt und in den Schatten geſtellt
werde. In diefem Sinne feien uns hier einige Betrach⸗
tungen über Yuftus Möfer geftattet, welche weder auf
Neuheit noch auf eine erfchöpfende, fuftematifche oder
künſtleriſche Analyfe feines fchriftftellerifchen Charakters,
feines Genius, Anſpruch machen.
Das Zuftus Möfer befonders auch in neuefien Zei-
ten in Deutfchland fo warm anerkannt und geehrt wird,
kann man in mehrfacher Dinficht erfreulich finden; erſt⸗
lich als Beweis, daß unfere häufig unmäßig nach dem
Neuen haſchende und mit einer bedauerlichen Übertrei-
bung und Beſtochenheit des Urtheils das Neue vergät-
ternde Zeit doch auch einmal einem ältern deutfchen
Schriftfteller die ihm gebührende Ehre erweift, und von
der nagsineuen Weisheit, welche dem deutfihen Volke fo
oft im Gewande der überfchwänglichiien Phrafen, des
teidenfchaftlichften Pathos oder der abftrufeften philofo-
phiſchen Schulausbrüde geboten wird, ſich doch auch ein-
mal mit Neigung und Vertrauen, wie ed den Anfchein
bat, dem ſchlichten aber tüchtigen Menfchenveritand eines
deutfchen Schriftſtellers zumenbet, ber 100 Jahre älter
ift als mancher auf der Höhe der Zeit zu ſtehen glau-
bende, die Welt und bie Gefchichte meifternde und die
Maͤthſel und Geheimniffe des Schickſals deutende Autor
der Gegenwart. Ja, erfveulich ift es, daß unfere Män-
ner fo ernftlih mahnen, die Werbe eines Autors zu eh⸗
ven und zu benügen, ben eine vorwärts flürmende und
gar leicht der Oberflächlichkeit anheimfallende Jugend
zur gar zu geneigt fein bütfte, zum alten Eiſen zu
sehmen und zu verwerfen! Nur ſehr wenige deutſche
Scheiftfteller find es, die, früher als er geboren, noch
jest den Deutſchen durch bie Form ebenfo wie durch ben
Inhalt ihrer Schriften zufagend und angenehm wären;
aut etwa ber brei Jahre vor Möfer geborene Winde-
mann hat einen claffifchen Stil in höherm Sinne, wäh-
send ein Rabener und Gellert doch dem heutigen Ge-
ſchmack wegen einer gewiſſen fehmerfälligen Breite wiber-
fichen. Während aber Windelmann vermöge der von
ihm behandelten Gegenflände nur eine Lecture für
verhältnigmäßig Wenige bleibt, eignen fi Möſer's
Schriften durch ihren Inhalt zu einer Lecture für das
Bolt in einem ziemlich umfaffenden Sinne, und fo ver-
dient er auch in biefer Hinſicht als nahezu erfler volßs-
Shümlicher deutfcher Proſaiſt der neuern Literaturgeriobe
den Namen eines Patriarchen, den ihm Goethe fo tref-
fend gegeben hat. Das Jahrzehnd nach feinem Geburts:
jahr hat allerdings ſchon mehre ber ausgezeichnetften
deutichen Profaiften hervorgebracht, aber der Erſte bleibt
er doc, wenigfiens in einer gewiffen Sphäre, und wir
wünſchen jebenfals dem deutſchen Volk Glück dazu, daß
es einen Autor in lebendigem Andenken hält und noch
jeht mit Genuß und Mugen lieſt, der vor ungefähr 106
Jahren zu fehreiben anfing; es gehört doch einigermaßen
zum bel, zum neuabeligen und glänzenden Beſtand einer
Literatur, Ahnen aufzumeifen zu haben.
Erfreulich ſcheint uns ferner das Intereffe, welches
Möſer's Schriften auch jegt noch oder wieder erwarten, -
als ein Zeichen der noch nicht entwurzelten, wenn auch
vielfach angefochtenen und bedrohten Pietät gegen ver-
bienftvolle Männer einer frühern Zeit. In Folge der
großen politifchen, ſocialen und intellectuellen Revolutio-
nen, welche Europa feit einer Reihe von Jahrzehnden
unftreitig durchgemacht hat, und durch welche Vieles
eine andere Geftalt gewonnen, wähnen gar Manche
gleihfam in einer neuen Welt” zu ftchen, auf einer neuen
Erde und unter einem neuen Dimmel, ſodaß man füg-
lih von vorn anfangen, und alle Überlieferungen einer
etwas entlegenern Zeit als gänzlich veralteten, unbrauch⸗
baren und hemmenden Ballaft wegwerfen dürfe, ja müffe,
um mit ganz freiem, vorurtheilslofem Sinne vorwärts
zu ftreben. Politiker, Afthetiter, Philofophen fehen nicht
felten mit grenzenlofer Selbftgefälligkeit und Verachtung
auf ihre ſechs, acht oder mehr Jahrzehnde ältern Vor⸗
sänger herab, von melchen fie nichts lernen zu glauben
tönnen als wie man ed nicht machen müffe, welche fie
aber in der Regel geringfchägen ohne fie nur zu ken⸗
nen. Bedeutendes ift gewiß auf allen diefen und andern
Gebieten in neuern Zeiten geleiftet worden, unb man
darf ſich der Vorzüge des jüngern Gefchlechts gegenüber
einem frühern wol freuen; aber laͤcherlich iſt es, wenn
das Pochen auf die Kortfchritte der Neuzeit großentheils
auf der Unkenntniß des DBeliges und den Reiftungen ei-
ner frühern Zeit beruht, und unwürdig ift es, wenn ben
frühern Borarbeitern und Bahnbrechern, auf deren Schul-
tesn die Jüngern ſich glücklich emperarbeiteten, ſtatt au⸗
erdennender, gerührter Dankbarkeit, nur höhniſche Ver⸗
achtung geboten wird. Und doch iſt wahrlich oft die
halbgeahnte, dämmernd erfhaute, aber burd rechtes
Nachdenken errungene und erzeugte Wahrheit und Ein⸗
fiht mehr werth, weit fruchtbarer und wirkſamer als
die zur vollen Klarheit ausgebildete, aber von Anden -
überfemmene und nur etwa in der äußern Geſtalt eini⸗
germaßen veränderte Theorie, auf beren Befig fih Man⸗
her große Stücke einbildet und auf ben’ mühfamen
Wühler früherer Zeiten Jächelnd herabſchaut. Die Im-
pietät ift die Frucht des Mangels an Einjiht in den
Werth und die Verbienfte Anderer und ber dünkelhaf⸗
ten Überfchägung der eigenen Verbienfte und ber eigenen
Kraft, verbunden mit natürlicher Selbftfucht und Man⸗
gel an Liebe; und die Bedingungen und Berhältuiffe
unferer Zeit find, man wird es nicht leugnen Tönnen,
in hohem Grade der Pietät hinderlich, der Impietät da-
gegen fürberlih. Die Pietät ift für den nicht ganz gut
gearteten und gegogenen Geiſt unbequem, die Impietät
fhmeichelt feinen unedlern Neigungen und Gelüften; unb
unter dem Schein der vorurtheilslofen Gererhtigkeit, der
Unabhängigkeit und Gelbftändigfeit treibt nur gar gu
oft die forglofe Gitelfeit, die unmiffende Gleichgüftigkeit
und die Unbankbarkeit ihr Spiel. Mir wollen nicht
verweilen bei fo manchen Erſcheinungen einer faſt ‚bis
zum Syftem und zum Glauben erhobenen Jupietaͤt auf
den verſchiebenſten Lebensgebieten; mir wollen nur mit
Freude hinweiſen auf die Doch auch nicht überall erlo⸗
ſchene Pietaͤt, welche fih namentlich in der lebhaften
Anerkennung Möſer's kund gibt. Die Anſichten die⸗
ſes Mannes würden den Anhängern ber verſchiedenen
Richtungen und Parteien mol Gelegenheit zu Angriffen
und zur Bekämpfung geben; ſtatt deſſen fehen wir, daf
vielmehr Alle, ober bad) die Meiften, fi in feinem Lobe, |
in des Feier feines Andenkens vereinigen, und das Wohl⸗
wollen, welches ihn felbft außszeichnete, diefelbe Stim⸗
| das leibliche Behngen und bie moralifche Geſundheit und
Endlich bürfen wir auch diefe Zeitflimmung für Mö-
mung gegen ihn felbft in einer fpätern Zeit ermedt.
fer willlommen heißen als eine nicht unwichtige Bürg-
ſchaft für das Wachsthum eimes echt vaterlaͤndiſchen Siu⸗
nes, neben fo manchen Richtungen in der Literatur und
im eben, die man vom beutfchen Stanbpunft aus nicht
umbin kann als unfelige Verirrungen zu beklagen. Denn
der Vertreter bes echt deutſchen, vaterländifchen Sinnes
ift und bleibt der Verfaſſer der „Patriotifhen Phantafien”,
und Riemand wird aus dem gediegenen Ganzen feiner
Eigenthämlichkeit ald Menſch und Scriftfleller dies Haupt:
element, den Kern feines Wefens, auszufcheiden und weg⸗
zulaffen den Verfuch machen. Alle feine Eigenfchaften
und Vorzüge werden durch dieſes Band zufammengehal-
ten und erhalten daher ihre Kraft, ihren Ion. Die
Entwidelung der künftigen Geſchicke Deutſchlands liegt
in einer für jedes Auge undurchdringlichen Dänmerung,
und bie kühnſte Hoffnung und Phantaſie ſtößt auf
Schwierigfeiten, die dem unverzagteften Muth nieberzu-
fhlagen geeignet find; kein noch ſo mohlmeinender Po⸗
Itifer der Gegenwart ift im Stand, eine auch nur eis
nen mäßigen Theil ber aufgeflärten, ernſten Freunde des
Baterlandes, des Rechts und der Freiheit befriedigende
Ausfiht zu eröffnen; um befto wichtiger muß es erfchei-
men, wenn recht viele beutfche Geiſter einem anne der
Bergangenheit mit Liebe, Verehrung und Vertrauen ſich
einmüthig zuwenden, unb an feinen geift = und lebens-
vollen Schriften wenigftens die deutſche Geſinnung er-
frifchen und ftärken, und in diefer fich einigermaßen ein-
ander nähern und befreunden, wenngleih fie über poli-
tifhe Syſteme und Grumdfäge auch in feiner Schule ſich
nicht einigen werden, ‚und er, der woch wmter ganz an⸗
dern Berhältniffen Deutfchlands Tebte, wirkte und fchrieb,
und, fo gut er die geführlichen Mieftände im Ganzen
und Großen erfannte, und gelegentlich mit großer Schärfe
anbeutete, doch in feinen Wunſchen und Borfchlägen fich
Hauptfählich auf das in einem Heinern Kreife Erreich-
bare defchränfte, ebenfo wenig ſich einfallen ließ, über das
Schickſal, die politiſche Entwickelung Deutihlande Pro⸗
phezeiungen auszuſprechen als, im Ernſt, ein Univerſal⸗
heilmittel für die Krankheiten des Vaterlandes anzugeben.
Nicht Möſer's Auffaſſung der beſtehenden politiſchen
Berhältniffe im Großen und im Kleinen, auch nicht feine
Anfichten über die Art und den Grad ber etwa nöthi-
gen und wünſchenswerthen, oder durch bie Natur ber
Dinge felbft herbeizuführenden Veränderungen und Ver⸗
beffesungen find es, bie wir als wohlthaͤtiges |
mittel für eine echt deutſche Geſinnung in einem weite
Sreife der Dentenden und Wohlmeinenden betrachten;
über dirs Alles können und werben die jegigen Refer ſei⸗
ner Schriften fehr getheilter Meinung fein; aber aneigr
nen koͤnnten und follten fie ſich von ihm bie anfrichtige,
warme, herzliche Liebe zum Volke, die Achtung vor der
Ehre und den echten aller rechtmäßig beftchenben
Stände und Claſſen deffelben, vor allen irgend vernünfr
tigen, auf einen gefunden Grunde beruhenden Gitten,
Brauchen und Gewohnheiten, die Tichevelle Sorge für
Zufriedenheit aller Volksangehörigen, verbunden mit ei⸗
nem fitlishen Ernſt, weicher Pflichten und Rechte ſtreng
aneinander bindet; die Selbftverleugnung, womit er, nicht
ben. eigenen Abſtractionen, Lieblingegrundfägen ober Gril⸗
len ſich hingebend, vielmehr ganz in bie Bebürfniffe und
Lebensgewohnheiten von Einzelnen und Gemeinheiten fich
bineinlebt, und nicht als Wohlthat aufbrängt, was den
Empfängern al eine Laft erfebiene, aber auch bie Ber
harrlichkeit, womit er der Trägheit und dem Unverſtand,
der übeln Sitte und dem verkehrten Wollen immer wie
der, in verfchiedenfter Form, ernft und fpottend feine
Warnungen und Belehrungen zuruft und bald mit hei-
terfter Laune, bald mit berzergreifender Kraft veran-
ſchaulicht; Die fchöng, ruhige Milde, womit er unvermeib-
liche Übel, nicht zu heilende Misſtände auffagt und ih⸗
nen die befte Seite abzugewinnen fucht, fo weit fie ſich
nicht dureh Klugheit lindern und ermäßigen laffen; ben
großen Uberblick, mit welchem er auch das ſcheinbar
Kleine und Geringfügige auf das Würdigſte und Größte
zu beziehen, es dadurch zu heben und zu abeln, der Be
achtung und ber Thätigkeit zu empfehlen weiß, und das
betriotiftge Erglühen für deutſche Ehre, deutſche Größe,
rt und Kunſt, das fi durch alle feine Auffäge fo
wohlthuend und anfprechend, bald beſchämend, bald ber
geifternd hindurchzieht. In Wahrheit, ber Familien-
vater und bie Hausmutter, der Bauer, der Bürger und
Handwerker, der Kaufmann, ber Gelehrte, der Beamte,
der Staatsmann und der Regent — Alle können aus
Möfer's Schriften über ihre Pflichten und über ihre
Ehre, über ihre Bebeutung fir das Ganze des Baten-
tandes, tiber die Folgen ihres Eifers ober ihrer Sorg
Tofigteit gegenüber dem Gemeinwefen, über den Segen
bes Datriotismus, den Schaden und Schimpf des Egoie-
mus ſich beicheen, unb Alle können zugleih, wenn fie
dafür empfänglich find, die lebhafteſten Antriebe zu ei
nem gemeinnügigen, patelofifchen, zu einem wahrbaft
deutfchen Sinn und Wirken fchöpfen.
Der firebfamen beutfchen Jugend insbejondere koͤnn⸗
ten Möfer'd Schriften ausnehmend zu flatten kommen;
fie haben in ihrer koͤrnigen Friſche etwas bem jugend-
lichen Geifte ungemein Zufagendes — Herder und Gor-
the, als Zänglinge, hatten ihre größte Freude daran —,
und zugleich wirken fie auf das Träftigfte einem leeren und
oberflächlichen Enthuſiasmus entgegen, und bereichern ben
Geiſt mit einer Fülle von lebendigen und wirklichen An-
—— - —— — —
128
Ahamungen , von anziehenden und bedeutenden Verhalt⸗
ziffen, über welche die Gefchichte gewöhnlich gleihgülti-
ger hinmweggehen muß. Gewiß ift es daher ein wohl-
begründeter Wunſch, es möchten die Schriften Möfer’s,
namentlich die „Patriotiſchen Phantafien”, wie fie eine
Sammlung von Auffägen in WBocdenblättern für das
Bolt find, fo aud) wieder theils als Ganzes, theils als
einzelne Stüde oder in Auswahl des für beflimmte
Kreife von Lefern Paffenden unter dem Bolt, unter der
Nation fich verbreiten unb diejenigen Gefinnungen naͤh⸗
ren und befeftigen, aus welchen fie bei ihrem originellen
Berfaffer hervorgegangen find; es möge nicht bei ber
Anerkennung Einzelner bleiben, fondern das beutfche
Bolt möge fi) den Inhalt, das Mark von Möfer’s
Schriften aneignen, und bei feinen Beftrebungen zu Be
gründung einer fehönen und gefiherten Zukunft fein
Auge auf diefen weifen Deuter der Vergangenheit rich
ten, und fein Ohr dem treuen Rathgeber leihen, der es
gewiß vor vielen Misgriffen und UÜbereilungen warnen,
es Umficht, praktiſchen Blick, tüchtiges und beharrliches
Handeln lehren kann.
(Die Fortſetzung folgt.)
— —
Literariſche Notizen aus Frankreich.
Zur Kenntniß des Provinziallebens.
Das bunte, mannichfaltige Provinzialleben in Frankreich,
welches man ſchon durch den eiſigen Druck einer künftlichen
Sentralifation erſtickt und unterdruͤckt waͤhnte, bietet für bie
fegriftftellerifche fowie für. Die Lünftlerifhe Darftelung eine
reiche Ausbeute. Man wird um fo mehr Darauf bingemwiefen,
als feit einiger Zeit gerade in der Abgefchloffenheit der Pro»
vinzen fih ein eigenthümliches, zukunftſchwangeres Leben zu
segen begonnen hat. Mit Aufmerkfamteit müflen wir deshalb
diefe Darftellungen verfolgen, unter denen ſich überdies ganz
beachtenswerthe Erfcheinungen bieten. &o haben wir vor kur:
zem erft einige Lieferungen eines ygrößern Werks zu Geſicht
befommen, welches der Bergangenheit eines intereflanten Thei⸗
les von Frankreich gewidmet ift. Wir meinen folgendes Kupfer:
wert: „L’ancienne Auvergne et le Velay.“ Der Herausgeber,
Ad. Michel, hat Leine Mühe und Peine Koften gefpart, um
demfelben einen hoͤhern voiffenfchaftlihen und Fünftlerifchen
Werth zu verleihen, und es ſteht zu erwarten, daß die bemit:
teltern Bewohner feiner Provinz ihm feine beträchtlichen Opfer
entgelten werben. Das Ganze ift im großartigen Maßſtabe
angelegt, indem ed auf drei Koliobände Zert und einen flarken
Band mit Kupfertafeln und andern Seichnungen berechnet ift.
Der äußern Erſcheinung nah, welche durchaus glänzend zu
nennen ift, fchließt ſich dieſe Publication an ein ähnliches Werk
an, welches früherhin von dem zu früh geftorbenen Ach. Allier
unter dem Zitel „L’aneien Bourbonnais‘ unternommen war.
Der Text zerfällt nach naturgemäßer Anorbnung in zwei Ab:
theilungen, von Denen die eine dem Studium der bijtorijchen
Greigniffe, die andere mehr der Localgefchichte gewidmet: ift.
Was die erftere Abtheilung betrifft, fo gruppirt fi der
ganze Stoff in fünf Zeiträume. Died find bie celtifche, bie
gallosrömifche, die barbarifche, die feudale und die neue Zeit.
Sammlung malaiifher Seegeſete.
Bei dem regen Intereffe für orientalifhe ©tudien, wel:
ches fich feit einiger Beit in Frankreich zeigt, Tann ed nicht
fehlen, daß fi der europätfchen Wiſſenſchaft noch neue Aus:
fißten, noch gang unbebaute Weider bieten werben. Ku diefen
jängften @rwerbungen, welche die Linguiftit auf dem weiten
Gebiete oͤſtlicher Sprachen gemacht hat, rechnen wir bie ma
laiiſche Sprache, die in ihrer ganzen Wichtigkeit erft feit eini⸗
ger Beit erfaßt worden iſt. Es gibt allerdings einige nicht
unbebeutende Vorarbeiten; aber fo tüchtig und beadhtenswerth
dieſelben auch fein mögen, fo ift der vielverzweigte Sprach⸗
amm ber Malaien doch immer ein reichhaltiger Schat pi
prachvergleichende Forſchungen, deſſen ganze Tiefe noch
laͤngſt nicht erſchoͤpft fein wird. Unter den jüngern Gelehrten,
welche fi der Pflege dieſes Idioms gewidmet haben, das vor
kurzem Saum einige vereinzelte Vertreter zählte, verdient be-
ſonders der ver einigen Jahren als Profeflor des Malaiiſchen
angeftellte Dulaurier hervorgehoben zu werden. Er hat bereits
in mehren literarifchen Arbeiten Zeugniß von feinem Eifer und
feinen gediegenen Kenntniffen abgelegt. Gegenwärtig erhalten
wir von ihm ein Wert, welches auch außerhalb des Kreifes
linguiftifcher Studien Beachtung finden wird. Ss ift dies eine
mit Überfegung verjehene Sammlung der Seegefege der Ma⸗
Laien, die bier zum erften Male mit einiger VBollftändigkeit zu-
fammengeftclit erfcheinen. Zwar hatte der bekannte Naffles
fhon einen ähnlichen Verſuch gemacht, der indeffen nod Au:
Berft ungenügend ausfiel. Dulaurier hat in feiner Sammlung
außer dem Goder der Bugis, der bereits früher einmal von
ben Gngländern in Sinapur im Originalterte gedruckt war,
die Seegefege von Malakka und Mafaffar vereinigt, von denen
einige biß ins 12. Jahrhundert hinaufreichen und dem Rauti-
ker wie dem Ethnographen vielfachen Stoff zu Betrachtungen
ieten.
Die adminiftrativen Verhältniſſe in Frankreich.
Die höhere Adminiftration in Frankreich ift fo eigenthüm-
lich organifirt, es herrſchen in Betreff derfelben in Deutfchland
fo wefentliche Irrthümer, daB man das Erfcheinen eines Werks,
welches geeignet ift, auf diefe inneren Zuftände einiges Licht zu
werfen, mit &reude begrüßen muß. Man kann dies um fe
| mehr, als der Name bed Berf. jhon eine Garantie für Die
Gediegenheit des Inhalts und für die Stufe fowie die Würde
der Faſſung abgibt. Diefe wichtige und intereffante Schrift
rührt von dem bekannten Yubliciften Vivien ber und führt den
Zitel „Etudes administratives”. Ein Theil der Auffäpe, welche
in vorliegendem Werbe vereinigt werden, ift bereits in ber
„Revue des deux mondes”, zu deren thätigften Mitarbeitern
Vivien gehört, erjchienen. Wenn aud im Allgemeinen der
Verf. zu einer einigermaßen optimiftifhen Anfchauungsweife hin:
neigt, fo find wir gewiß weit entfern: ihm dies zum Vorwurf
zu maden. 17.
Literarifhe Anzeige.
Neu ift bei mir erfhienen und durch alle Buchhandlungen
zu erhalten:
Allgemeine
Pädagogik.
In drei, Büchern.
Dr. 8. Gräfe.
Zwei Theile.
Gr. 8, 4 Thlr.
Erſtes Bud: Entwidelung und Bildung; weite Bud:
rziehung; drittes Buch: —R *
Eeipzig, im Januar 1846.
F. A. Brockhaus.
Verantwortlicher Herausgeber: Heinrich Wrodjans. — Druck und Verlag von F. WE. Drockhans in Leipzig.
Blätter
für
literarifdhe Unterhaltung.
a — ——— "nm.
Sutus Möfer.
(Bertfekang «us Nr. 3.)
Seht Diöfer fehrich und wirkte — er ift jetzt ein hal⸗
bes Jahrhandert todt! — bat Deusfihland ohne Zweifel
in vielen Stüden, namentlich auch in feinem politifchen
und focaten Zuftande, Fortſchritte gemacht, bie tm Gin-
zelnen wieber von manden Rachtheilen und Ubelftänden
begleitet fein mögen, im Ganzen aber von ihnen gewiß
nieht aufgewogen werben. So fft, wm nur einige Punkte
anzudeuten, bie Getheiltheit Beutfchlands in eine Unzahl
von Herrichaften mit all den daraus. erwachſenden Uebel⸗
Ränden in der Berwaltung, in der Rechtspflege, in den
Grenverhälnifien, im Verkehr, auf ein viel geringeres
Maß zurückgefüͤhrt, es ift in den genannten Beziehungen
eine gewiſſe Ordnang, Gleichförmigkeit oder feibft Ein⸗
heit bewirkt worden; die Tortur und bie Leibeigenfchaft
find fo ziemlich überall aufgehoben, die brüdenden und
andere Staffen hemmenden Vorrechte des Adels find be-
Phräntt, der Übermuth und die Gemwaltthätigkeit der Be⸗
anıten und der Soldaten gebrochen worben u. f. w.;
eine öffentlihe Meinung, kann man fagen, barf fich doc
eher bilden und ausſprechen, und das eigentliche Volt
wird mehr beachtet und gezählt als vor 50 oder TO
Jahren in Deutfchland der Fall war: aber fo viele tüchtige,
gelehrte, unerfchrodene und freifunige Schriftfteller, Pu⸗
bficiften, Vertreter und Morkämpfer der Zreiheit und der
Rechte des deutſchen Volks wir befigen, einen Mö⸗
fer haben wir body zur Zeit nicht, und wir können wol
auch, wie die Verhältniffe find, Seinen mehr haben. Cr
iſt eine Erſcheinung, in weicher fi die Eigenthümlich⸗
keit feiner Zeit und der beutfchen polittfhen Berhältntffe
auf eine ganz einzige Weiſe ausgeprägt hat, fo jedoch,
dag die intellectuelle und fittliche Trefflichkeit des Man-
nes auch aus fonderbaren Berwidelungen und verwar-
renen Verhäftniffen noch einigen Bortheil zu ziehen
mußte, fowie fie das Fördernde der Zeitlage aufs befte
benugte, während doc zugleih Möfer mit der ihm ei-
genen Umſicht und Mäßigung feine Kräfte nicht vergeu-
bete ducch Ankaͤnpfen gegen unüberwinbliche Schranken
und Hemmniffe, und große Ubel, deren Heilung aber in
einer Weiſe abzufehen, und durch girtliche Mittel auch
gar nicht zu verfuchen war, nur gelegentlih mit einem
bitteen Seufzer oder einem mehmüthigen Scherz anbeutete.
— — — — — —
zu unmöglich und undenkbar.
Ein höherer Beamter — und Möfer bekleidete im
Hodflift Osnabrück einen höchſt einflußreichen Poſten,
ja er war gewiſſermaßen die Seele der Verwaltung —,
der nicht für die Salons und Boudoirs, mit für das
Theater, ſondern ganz anfpruchsios für ben niedern Be
amten, den Bürger und Bauer, den Kaufmann unb
den Handwerker ein ſchlichtes Wochenblatt fchriebe, und
zwar nicht etwa bios, um Regierungsmaßregeln füß ein⸗
zugeben und zu empfehlen, nicht um dem Bolte unse
dingte Unterwerfung umter bie höhere Weisheit und Aus»
torität der Macht zu prebigen, und ihm mit fophiftifsher
Gewandtheit dad Belieben der Gewalthabenden ats ein-
jigen Weg zu feiner Wohlfahrt zu rühmen — nein!
um das Doll zum Selbfiprüfen und Selbfidenten zu
ermahnen und zu erziehen, um es über feine Rechte und
Intereffen ebenfo wol wie über feine Pflichten aufzuklä⸗
ren, es auf Misbräuche in der Verwaltung oder Rechts⸗
pflege aufmerkfam zu machen, Selbfigefühl und Gemein⸗
finn in ihm zu erweden und feinen Bid für die Auf-
faffung der heimatlichen und: dann der varerfändsfchen
Verhaͤltniſſe überhaupt zu flärfen und zu erweitern, wäre
unter den jegigen Umftänden unmöglich. Ginmal, we
find bewtzutage noch die höhern Regierungsbeamten und
Staatsmänner, die, unter Büchern und in gelehrten
Schulen aufgewachfen, und ihre Zelt zmifchen den Ac⸗
ten, den Sigungefälen und den gefelligen Salons thei—
lend, es nicht unter ihrer Würde hielten, ober doch nicht
Zeit und Gelegenheit fänden, fi in das Leben, die Ge⸗
wohnheiten, die Sitten, bie Bebürfniffe des Wolle, des
Bürgers und Bauers, recht hineinzwverfegen, fih NKennt-
niffe vom Zuftand des Volle aus unmittelbarer, vielfel-
tiger Anfhauung und Erfahrung ftatt aus dürren Be-
richten und trockenen Zahlen und ftatiftifchen Tabellen
zu fhöpfen, mit allen Claſſen der Staatdangehörigen
menfchlicy zu fühlen; die das Talent hätten, ben Ton
und das Herz des Volks zu treffen, ohne deshalb ihre
eigene Perfönlichkeit und Würde zu verleugnen, ohne
ſich zum Schaufpieler zu erniebrigen; und die: Ausdauer‘
und Umſicht, und Kiebe zur Sache genug befäßen, um
lange Jahre hindurch in dieſem Beruf eines forgfamen,
treuen Erzieher des Volks nicht zu ermüben? Wo wäre
. 130
heutzutage die Regierung zu treffen, die, wie wohlmei⸗
nend und liberal zu fein fie ſich rühmen möchte, nicht
Anftoß daran nähme, wenn ein höherer Beamter in fol-
cher Weife fi mit dem Volk gemein machte, gleichfam
ohne die Amtsuniform und Amtsmiene fih unter daf- |-
felbe als harmloſer Menſch mifchte, die nicht mistrauiſch
würde, ja mit Verboten, Drohungen und Entfegungen
ſich einftellte, wenn er ſich beigehen Tiefe, Regierungs-
maßregeln vor dem Molke einer firengern Prüfung zu
unterwerfen *), wol gar ganz oder theilweife zu mid-
billigen, ober durch Belehrung des Volks über feine
Rechte und Intereffen, fofern dieſe nicht mit denen der
Negierung zufammenfallen, diefer Iegtern Schwierigkeiten
au bereiten? Aber undenkbar wäre in jegiger Zeit ein
folcher Schriftftellee wie Möfer auch deswegen, weil bei
dem fchroffen fich Gegenüberftehen ber politifchen Par-
teien und Anfichten, bei dem 'weitverbreiteten Mistrauen,
das ſich mehr und mehr der Gemüther bemaͤchtigt hat,
ein in Moͤſer's Geift und Art, mit treuer, mwohlmolien- |
der Theilmahme für das Volt fchreibender und wirfen-
der, aber dabei doch im engflen Vertrauen und Dienft
der Regierung ftehender, und daneben noch mit der Ver⸗
theidigung der Intereffen eines bevorzugten Standes (ber
Nittetfhaft) beauftragter Mann unfehlbar dem Wolke
von Anhängern einer erfremen Meinung verdächtigt, Der
Zweideutigkeit und Achſelträgerei befchuldigt, als ver
kaufter Miethling und doppelzüngiger Sophift verfchrien
werden müßte? Nur in einer im Ganzen noch fo harm⸗
loſen, friedlichen und vielfach naiven Zeit,. bei einer fol-
hen Meeresſtille der Geiſter und des politifchen Lebens,
wie fie nach dem Siebenjährigen Krieg in Deutichland
waltete, konnte eine fo verwidelte und belicate Stellung
wie die Möfer’s als hoher Negierungsbeamter und zu-
gleih als Volksſchriftſteller von einem höchſt einfichte-
vollen und gewandten und dabei ebrenhaften und ved-
lichen Manne behauptet werden ; fie hatte etwas Patri⸗
archalifches, was bei einer flraffern Spannung der Gei-
ſter, bei entwideltern, ſchärfer feftgefegten Berhältniffen,
bei einem bewußtern Gegenfage der Meinungen, der
Intereſſen und Parteien nothwendig wegfallen muß; unb
ein Dann von Möfer's Gaben und Befinnung müßte
heutzutage auf eine ganz andere Weiſe ſich geltend ma»
hen, er müßte, ftatt als wohlmeinender und einfluß-
reicher Vermittler verfchiedene Intereſſen zu verfühnen
und fich den Dank von Regierung, Privilegirten und Bolt
durch eine ruhige, . unangefochtene aber allerdings uner-
müdete Thätigkeit zu erwerben *), fich feine Wirkſamkeit
*) Welche heutige Regierung wuͤrde eine ſolche Empfehlung der
Lotterie, wie fie Möfer beim Anfang der o8nabrudifchen Lotterie
gab, geduldet haben? Der Verf. wäre als unehrerbietiger Spötter
behandelt worden!
») Möfer ſchreibt: „Mein Amtöjubiläum ift fehr felerlih began⸗
gen worben, und id kann mit Wahrheit fagen, daß mid) in ben 50
Sahren Vieles erfreut, wenig betrübt, nichts gefräntt habe, unge:
achtet ich in fehr befondern Verhäftniffen flehe, indem ich Herren unb
Ständen zugleich diene, für diefe die Beſchwerden, für Jene bie darauf
zu ertheilenden Nefolutionen angebe et sic vice versa. Aber was kann
man nit, wenn man ein langjähriged Vertrauen für fi hat.”
— — — en — —— — — — — — — — —
— ———n-
— — —
erkãmpfen, er müßte feine Partei nach beſter Uberzeugung
wählen, und ben Beifall, die Liebe und Berehrung ei-
nes Theils ber Nation mit der Ungunft und Feindfeligkeit
eines andern bezahlen.
Möfer war — wenn wir nun zu einer kurzen Be
leuchtung feines Charakters als Menſch und. als Schrift-
fteller übergehen — Politiker feinem innerften Mefen
nach, Das heißt, er faßte Alles vom Geſichtspunkte des
Staatslebens auf; das gemeine Befte, das Vaterland,
das Volk, die öffentlichen Rechtsverhältniffe waren ihm
das Höchfte, der Maßſtab dem er Alles unterwarf. Hier-
in tritt auch feine Originalität, bie Kraft und das Ge⸗
präge feines felbfländigen Geiſtes am unvertennbarfien
hervor, daß er im feiner Zeit, wo die Politik eben ale '
Mangel der Regenten und ihrer Diplomaten und Mäthe
galt, und außerdem nur einige Profefforen an den Hoch⸗
iulen fie vorteugen, fie als eine Sache des Bürgers
ale Solcher, als Intereffe des Volke, als eine Pflicht
und als ein wirkliches Lebenselement mit dem Geift und
mit dem Gemüth zugleich erfaßte, und die Theilnahme
daran allgemein, das Intereſſe Ichendiger und perfön-
licher zu machen fuchte und wußte. Allerdings begün⸗
ftigten ihn hierbei feine perfönlihen Verhältniſſe, ſofern
er felbft eine. politiſche Rolle zu fpielen hatte, in innern
und äußern Zandesangelegenheiten, und mehrfach den Un-
terhändler und Diplomaten machen mußte; aber denjeni⸗
gen politischen Geift, welchen feine Schriften athmen,
wäre feine amtliche Stellung cher zu erfliden ale zu
werden geeignet geweſen. Da er aber einmal in ihm
lebendig. war, fand er ohne Zweifel in feiner Stellung
viele Gelegenheit, ihn durch leichter zugängliche Erfab-
rungen und Senntniffe immer weiter auszubilden, und
fi) eine auf Erfahrung und weiten Überblid gegründete
Einfiht zu verfchaffen, welche leicht dem fcharfiinnigften
und innerlich (ebendigften Gelehrten fehlt.
| (Die Bortfegung folgt.)
Dante Alighie ri's profaifche Schriften mit Ausnahme
der Vita nuova. Überfegt von 8. 8. Kannegiefer.
Imei Theile. Reipzig, Brodhaus. 1845. Gr. 12.
2 Thlr.
Dante's Meinere Schriften, die noch vor etwa zwanzig
Sahren der Mehrzahl unter den Bewunberern ber „Göttlichen
Komödie” Baum mehr als dem Namen nah bekannt waren,
ziehen in immer weitern Kreifen die Aufmerkjamleit der Freunde
jenes Gedichte auf fich, deffen richtiges Verftändni an unzaͤh⸗
ligen Stellen nur aus ihnen gefchöpft werden kann. Bier
Gefammtausgaben dieſer Opere minori find feit 1830 in Ita⸗
lien erfchienen, von denen die eine (6 Bdchn., Florenz 1834—40)
allein, die zweite (2 Bde., Florenz 1830 — 40) zum größern
Theil von dem fleißigen Biete. Fraticelli beforgt if. Die
deitte (Neapel 1839 — Al), ein unverfhämter Rachdruck
der erften, zeichnet fih nur durch unzählige Druckfehler ans.
Die vierte und vollftändigfte endlich, von Aleſſandro Zorri (Li⸗
vorno 1843), iſt noch lange nicht vollendet. *)
Dad „Neue Leben” allein hat Carrer (Venedig 1840)
herausgegeben, Überfegungen derfelben Jugendfchrift lieferten
*) Vergl. hierüber Nr. 241 d. Bl. f. 1983, D. Red.
151
2
ins Zrangöfifihe ein Ungenannter („L’suteur des diverses f6e-
ind Yaris 1843), Brizeur (?) und Delécluze ($), und ins
Deutiche der zu früh verflorpene treffliche Karl Forſter (Leip-
ig 1841). Geine engliſche Überfegung ber in demfelben Buͤch⸗
lein und im „Comvito‘ enthaltenen Gedichte aber hat Charles
Syell einer neuen Durdficht unterworfen und verbunden mit
einer „The antipapal spirit of Dante Alighieri” überfchries
benen Abhandlung (Eondon 1842) herausgegeben. Diefe durch
den bejabrten Gaetano Polidori (London 1844) alsbald ins
Italieniſche überfegte, von fehr vieler Einficht zeugende Schrift
wer zu befprechen wird ich hoffentlich bald Gelegenheit
en. Die Iyrifchen Gedichte Dante's drudte Giovanni or:
naro (Rom 1845) nad meiner Ausgabe vom Jahre 1826
(Reipzig) ab und fügte, ohne von meinem neuen Gommentar
(Leipzig 1842) Kunde zu haben, einen völlig ungenügenden
Auszug aus jenen vor mehr als 19 Jahren erfhienenen An⸗
merfungen bei. Eigene Schriften über Dante's Monarchie”
haben wir von dem .Marchefe Azzolino (Baftia 1839) und von
Karl Hegel (Roſtock 1842) erhalten.
Kun bietet Hr. Director Kannegießer, deſſen Überfegung
der „Söttlicden Komödie‘ fchon in der vierten Ausgabe erſchienen
it (Reipzig 1843) und dem auch von den liberfegungen der
„Ryrifchen Gedichte“ (Leipzig 1342) die große Mehrzahl angehört,
uns auch die übrigen kleinern Schriften des Dichters, ſodaß
wir in Berbindung mit der örfter'fhen Arbeit jegt Dante's
fänmtlihe Werke in dem 4., 12, 13., 23.— 2., 39. u. 4.
Bande ber „Ausgewählten Bibliothek der Claffiter des Auslan:
des’ verdeutfcht vor uns liegen fehen. Es enthalten nämlich
die beiden vorliegenden Bändchen das „Gaſtmahl“, die „Mo:
narchie“, das Werk „Über die italienifche Volksſprache““ und
die „Briefe. Warum der Hr. Überfeger uns Die neuerdings
von Torri wieder abgedructe Heine Schrift über Die Elemente
des Waſſers und der Erde vorenthalten, ſpricht er zwar nicht
aus, doc läßt fich nicht leugnen, daß, wenn ſchon die darın
befprochene Frage: ob dad Meer irgendwo höher fei als bie
Erde? uns defremdlich vorkommt, ‚die ganz ſcholaſtiſche Form
ber Grörterung auf den Leſer entfchieden zurüdftoßend wirkt.
Eine Überfegung diefer Schriften kann dazu dienen, fie in
dreifacder Art zugänglicher zu machen; zumächft für Diejenigen,
welche die, trog zahlreicher italienifher Ausgaben, in Deutic»
lanb doch immer noch feltenen Driginale nicht zu erlangen wiſ⸗
fen. Sodann für Diejenigen, denen bie lateinifche oder italie-
nifde Sprache der Urſchrift nicht geläufig ift. Endlich für
Ale, denen die große Schwierigkeit des Gebantenganges und
des Ausdrucks der meiften diefer Schriften Zweifel über die
Bedeutung einzelner Stellen gelafien hat. Den beiden Erſten
dient alddann die Überfegung ald Surrogat des Driginals, dem
gegtern aber als Hülfsmittel zum befiern Berftändniß.
Gerade der nd aber, welcher in diefer legten Bezie⸗
hung eine getreue und zugleich einfihtige Verdeutſchung fo
Fr g wünfchenswerth macht, ftellt einer folgen große, oft
aſt unüberfleigliche Hindernifle entgegen. Richt allein ift die
rache diefer Schriften im italienifcgen Text eine alterthüm-
he im Rateinifchen eine barbarifche, in beiden Fällen alfo eine
dem heutigen Gebrauch entfrembete, nicht allein pflegt der Aus⸗
druck ein ebenfo prägnanter zu fein als in ber „Söttlichen Kor
modie“, fondern entweder gehören die erörterten Fragen felbft
abſtratter Speculation an, oder die Borm der Erörterung ift
Och wenigſtens der Scholaftil des fpätern Mittelalters ent:
Iepnt. Eine fernere Schwierigkeit, deren auch Hr. Kannegie⸗
Ber in der Borrede gedendt, bietet ber in unfern Ausgaben
theilweiſe erheblich entftelte Zert bar, und dieſe Fehler zu be»
richtigen darf wieder nur Der hoffen, dem es gelungen ıft fi
die Denk⸗ und Redeweiſe des Schriftftellere anzueignen.
Zu diefen Schwierigkeiten, welche Form und Inhalt des
Driginals bieten, treten für den Überſetzer neue hinzu, welche
aus der Befchaffenheit derjenigen Sprache hervorgehen in
welche er. überträgt. Wer ih an Dergleichen nur irgend ver«
ſucht hat, wird erfahren haben, wie ungewöhnt unfere Sprache
ift, den Gedanden in der Form fcholaftifcher Syllogismen fort-
fhreiten zu laſſen. Fuͤr Ausbrude, die den mittelalterlidhen
Ariſtotelikern feſtſtehende technifche geworden waren, fuchen wir
vergebens nach einem verfprechenden Wort; die Begriffe felbft,
die dadurch bezeichnet werden follten, find meiftens aus ber
heutigen Philofophie entfhwunden. Wie follen wir z. B., um
nur das Nächftliegende zu erwähnen, intellectus possibilis,
contingentia, quiditas, parseitas, potentia, actus und fo man»
des Ühnliche im Deutichen entfprechend wiedergeben? Cs
bleibt dem Überfeger in der That Fein anderer Ausweg, als
dieſes feſt abgefchloffene und nicht allzu umfangreiche Gebäude
ſcholaſtiſcher Kunftausdrüde im voraus volftandig zu über:
Ihauen, und nachdem er ein genaues Berftändniß jedes einzel:
nen gewonnen bat, ſich für möglichft entſprechende deutſche
Worte zu beftimmen, die er alsdann mit voller Gonfequenz an
die Stelle jener lateinifhen oder italienischen fegt ſo oft er'
ihnen begegnet.
Dürfen wir nun auch die Fähigkeit, fo erhebliche Schwie:
rigkeiten zu befiegen, vorzugsweife bei einem Wanne vorause
fegen, der feit länger ald einem Menfchenalter ſich mit Dante's
alumfafiendem Gedichte befhäftigt bat, fo konnen wir bei aller
Anerkennung, welche fo Icbenswerthem Fleiße gebührt, dennoch
die Aufgabe auch durch Lie vorliegende Arbeit nicht in dem
Maße für gelöft Halten, als wir e6 zu den angedeuteten Zwecken
wünfcpen möchten, und ed möge babingeftelt bleiben, ob dar»
aus deren Unlösbarkeit ſchlechthin gefolgert werden müſſe.
Um beifpielsweife nachzuweiſen, was neben dem Guten,
das fie bietet, Hrn. Kannegießer’8 Überfegung im Einzelnen
noch vermiſſen läßt, follen ftatt des „Convito’, welches die größten,
und ftatt des ,,‚Vulgare eloquium“ und der „Briefe, welche gerin-
gere Schwierigkeiten bieten, und für welche letztern vorhandene
Vorarbeiten hier zum Theil wörtliche Aufnahme gefunden, einige
Stellen des erften Buchs der „Monarchie befprochen werden,
welche Schrift in Unfehung der Schwierigkeit obngefähr die
Mitte zwifchen jenen andern hält. Wird fich Dabei ergeben, daß
der Überfeger den Sinn feines Driginald mehrfach nicht richtig
aufgefaßt und wiedergegeben babe, fo wird einem aufmerkſa⸗
men Lefer zugleih an dieſen Beifpielen die Schwierigkeit der
Arbeit ſelbſt binlänglich erhellen.
Im 15. Capitel des erſten Buchs (nach der Zaͤhlung des
Marfilius Ficinus; leider hat Hr. Kannegießer keine Capitel⸗
zahlen angegeben, obgleich Dante ſelbſt z. B. S. 12 danach
abtheilt) heißt es im Driginal: „Nihil igitur agit, nisi tale
existens, quale patiens fieri debet. Propter quod philoso-
phus, in iis quae de simpliciter ente: «Omne» inquit «quod
reducitur de potentia in actum, reducitur per tale existens
actu.»” Das heißt paraphrafirt: „Kein Ding vermag auf
ein anderes einzuwirken, wenn ed nicht felbft diejenige Eigen:
ſchaft Hat, welche es diefem letztern, dem leidenden Objecte,
mittheilen fol. Deshalb fagt Wriftoteles in feiner Metaphyſik
(IX, 8): aAlles, was von dem Buftande der Fähigkeit zu ei»
ner Eigenfchaft, zu der Wirklichkeit diefer Eigenichaft geführt
wied, wird dies durch ein Anderes, welches diefelbe der Wirk
lichkeit nach fchon befigt.»”’ Statt deffen überfegt Hr. Kanne⸗
gießer &. 20: „Gar nicht handelt alfo nur Das, was unter
der Bedingung vorhanden ift, daß es leidend zum Dafein ge
langen muß. Deswegen fagt der Philoſoph in feiner Schrift
über das an ſich Dafeiende: « Alles, was mit Gewalt zum Da-
fein gebracht wird, daB wird es nur durch Etwas, das han⸗
beind vorhanden iſt.,“ Abgeſehen nun davon, daß der Herr
Überfeger offenbar den auch aus der „Böttlichen Komödie” (4. B.
Paradıes, XXIX, 34) Hinlänglich befannten Gegenfag von po-
tentia (wofür cr „Gewalt“ fegt) und actus völlig verfannt
bat, darf billig bezweifelt werden, ob er irgend mit den von
{hm gebrauchten Worten einen Maren Gedanken verbunden habe.
Leichter verftändlich ift folgender Satz des 14. Eapitels,
in welchen Dante wie im ganzen erften Buche die Aufgabe
verfolgt, theoretifch die Nothwendigkeit der Univerfalmonardhie
zu beweifen: „Genus humanum solum imperante monarcha
183
ind, et non alterius gratia est. Tunc enim sölum politiae
‚ diriguntur obliquae, democratise scilicet, öligerchiae atque
tyrannides, quae in servitutem cogunt genus humenum, ut
atet discurrent! per omhes; et politizant regen, aristoers-
til, quos optiniates vocant, et populi libertatis zelatores.”
Das heißt: „Nur unter der Oberhetrlichkeit eined Welthetr⸗
ſchers iſt das Menſchengeſchlecht um fein ſelbſt, nicht aber um
nderet willen. Denn nur dürch eine foldye erben die ver»
hrten are gerade gemadjt, nämlich daB Bolls⸗
tegiment, die Herr Bett Weniger und die Gewaltherrſchaft ei»
nes Einzelnen, welche, wie bet Umbli über alte ſolche Se⸗
meinweſen ergibt, das menſchliche Geſchlecht in Knechtſchaft
waängen; nur unter ihr regieren nach wahrer Staatsweitheit
te Könige, die Xriftofraten, welche man den Adel nennt, und
die für Freiheit begeifterten Volker.“ Bei Hrn. Kannegießer
widerfpricht diefe Stelle (S. 19) der Aufgabe und dem In⸗
halte des ganzen Buchs: „Das menfchliche Geſchlecht iſt einzig
unter einem Monarchen feih felbft wegen und nicht eines An:
dern wegen da. Denn dann allein werben Staaten
. falf verwaltet, ich meine bie Demokratien, Oligarchien
und Lyranncien, weil fie die Menfchen zu Sklaven madyen, wie
ein aligemeiner Überblick lehrt; und rechte Staatöper:-
walter find die Könige, die Ariſtokraten, die man
Optimaten nennt, und die Verfechter der Bolfsfreiheit.”
Roc leichter waren mol folgende Misverftändniffe zu
vermeiden. Im 10. Kapitel fagt "Dante: „Vera enim ratto
unios in solo illo (sc. Deo) est, propter quod scriptum est:
«Audi Israel, Dominus tuus unus est.x” Zu deutſche „Denn
das eigentliche Weſen der Einheit ift nur in Gott, weshalb
(5. Mof. 6, 4) gefchrieben ſteht: «Höre Iſrael, der Herr un:
fer Gott ift ein einiger Gott.» Hr. Kannegießer überfept
Dagegen 8. 12: „Denn wahr ift dab Berhältniß des Einen
im Sunzen, weshalb es heißt: «Höre, Ifrael»’’ u. |. w. Am
Schluffe des erften Buchs wirft Dante dem von Stürmen um:
hergeworfenen vielhaͤuptigen Menfchengefchledgte vor, es kranke
an dem einen und andern Berftande (dem fpeculativen und
dem praktiſchen) und nicht minder in feinen Begierden, und
fügt algdann hinzu: „Rationibus irrefragabilibus intellectum
superiorem non curas, nec experientiae vulta saperiorem;
sed nec affectum dulcedine divinae suasionis’': „Du Unter:
läffeft es, den fpeculativen Berftand durch unmwiderfegliche Ber:
nunftfchlüffe, und den praktiſchen durdy das ar der Erfah⸗
rung au heilen. Nicht einmal deinen. Begierden laͤſſeſt du bie
Suͤßigkeit der göttlichen Darum zur Arznei gereichen.”
Biernlih umgekehrt lautet diefer Sag bei Hrn. Ranneyießer
S. 26: „Trotz unmiderteglichee Gründe achteft du nicht auf
Die böhere, trotz des Antliges der Erfahrung nicht auf dic mie
dere Einficht, aber auch nicht anf den Zrieb trog der Süßig⸗
Peit der göttlichen Anmahnung.” Eben biefer, den Gcholafti-
fern fo geläufige Gegenſatz zwiſchen intellectus speculativus
und practicus in ihrer combintrten Thätigkelt zum Spllogis⸗
mus dient dem Autor an einer andern Stelle (Cap. 16) zum
Gleichniß für das Verhaͤltniß zwiſchen dem Univerfalmonarchen
und den einzelnen Fuͤrſten. Dieſe ſollen von jenem die Grund⸗
principien empfangen, nach denen das Menſchengeſchlecht zu
regieren iſt, um ſie demnaͤchſt, je nach den verſchiedenen Sit⸗
ten und Bebürfnilfen des einzelnen Volks, zu verwirklichen.
Ebenfo, fagt Dante, empfängt der praktiſche Verftand zur Bil⸗
dung eines Schluffes, der die Handelsweiſe beftimmen fol, ben
Vorberſatz (die propositio major, 3. B. es iſt Pflicht, den
Bedürftigen zu helfen) von dem fpeculativen Berftande; er
felbſt aber reiht darunter die befondere Wahrnehmung (als
pröpositio minor, 3. B. X. ift bedürftig), welche ausſchließlich
feinem Gebiete angehört, und fihließt daraus im Befondern,
um die Handelöweife danach zu beftimmen (3. B. ed iſt Pflicht
dem 9. zu helfen). Im Sriginal kautet dieſer Sag: „Quam
quidem regulam sive legem, particulares principes ab eo
(imönarcha) recipere debent: tamquam intelleetus practicus
ad conelusionem operativam recipit majorem propesitionem
forſchenden
ab intellectun speculativo, et sub illa particddaren, qquee
proprie sud cat, assümit et partionlariter ad fatiohem
coneludit.” Bei Hrn. Kannegießer dagegen ©. 23,23: „Bier
66 Leitmaß oder Geſetz mähen vie befondern Herrſcher von
R ſowie etwa der handelnde Berſtand zum wir:
kungsfaͤhlgen Scluffe ben ſtarkern Vorſatz von dem
serftande emipfärigt, und unter ihm den befon»
bern, der fein eigen If, aufnimmt und einzeln zur Wirk»
famkeit den Schluß made.”
‚ Das Verzeichniß ſolcher Stellen, in denen ber Sinn bed
Driginais unrichtig aufgefaßt ift, ließe fi ohne Mühe was
ohne die Grenzen des erften Buchs der „Mönarchie”, am
dem die obigen entlehnt wurden, jr überfchreiten, beträchtlich
vermehren, beſonders wenn auch die Bälle mit aufgeführt wer:
den follten, wo das Midveritandmiß durch eine falfıhe Lesart
hervorgerufen wurde, wie z. B. S. 15, 9. 15, wo sive ſtatt
sine gelefen ift. Statt deffen fo aber vielmehr flichtieh
nochmals entſchuldigend auf die Schwierigkeit des Unterneh:
mens aufmerffam gemacht werden, für welches Vorarbeiten in
fo geringem WMabe vorhanden find. Gewiß aber iR zu be-
dauern, daß das eine Bülfsmittel, welches wir für die Mo⸗
narchie” Befisen und welches ſich in Hrn. Kannegicher's Hän-
den befand, von ihm unbeachtet geblieben zu fen fcheint: es
ift dies die im Ganzen ebenfo treue als mit Einfiht gearbei-
tete itälienifche Überfegung des Marfikius Ficinus, welde im
der von unferm Überfeger, der Vorrede zu Folge, zum Grunde
gelegten Fraticelli' ſchen Ausgabe dem lateiniſchen Terte gegen:
uͤberſteht. Kati Witte.
Literariſche Notizen aus England.
Anthologie aus deutſchen Dichtern im Engliſchen.
Unter dem Titel: „German anthology. A series ef
translations from lie most popular german poets“, vom
James Clarence Mangan, ift in zwei Bänden eine Mufterfamm-
lung aus deutſchen Dichtern in engliſcher Sprache erſchienen,
nachdem die einzelnen Stücke in einer langen Reihe von Jahren
nach und nad) im „Dublin university magazine’ veröffentixcht
worden waren. Obwol Herr Mangan in feiner Vorrede bes
bauptet, Daß feine Übertragungen „treu nach dem Geiſte,
wenn au nicht nach dem Buchſtaben der Originale” verfaßt
find, fo zeigt fich bier oft das Enechtiihite Kleben am Buch»
ftaben, bort bie ärgften Verftöße gegen den Sinn, und bie
komiſchſte Verballhorniſirung der Gedanken unferer vatcrfändifchen
Dichter. Richtig bemerkt ein englifcher Kritiker, indem er die
Übertragung von Freiligrath's „Wüftenkönig ift der Loͤwe“
buch Heren Mangan anführt, diefe Art der Umdichtung „heiße
nicht feines Gold mit Gold überziehen, fondern es mit Kupfer
belegen; nicht die Lilie weiß malen, ſondern fie mit rothem
Ocker beftatfchen ”.
Raturwijfenfhaft und Bibelglaube.
Bon dem Berf. des Werks ,,Vestiges of creation”,
welches im autoritätd- und bibelgläubigen Enyland. fo großes
Auffehen gemadt, und eine wahre Flut von Gegenfihriften
hervorgerufen hat, fol in kurzem cine neue, feine Anfichten
roeiter ausführende Schrift unter dem Zitel „The harmeny
of the visible creation” erſcheinen. Die Zeitungen haben
das wegen feiner confervativen Sefinnungen bekannte Mitglied
des Unterhaufes Sir Richard Vvvyan als Verf. genannt, Wehe
her Behauptung jedoeh von anderer Seite widerfprochen wird.
Unter den legten Gegenſchriften, die zumeift von Beiftlichen
verfaßt find, verdienen erwähnt zu werden: „Creation by the
immediate ageney of God, as opposed to creation by
naturel laws; being a refutation of the work entitled:
a Vestiges ote.»’ ven &. M. Mafon, und „A brief exami-
nation of the nebulous hypothesis, with strietures en a
work entitied « Vestiges ete.n”, von I. Wallis. 12.
Verantwortlicher Herausgeber: Geinzih Brodjans. — Drud und Verlag von F. . Srockhaus in Beipzig.
Blätter
für
literarifbhe Unterhaltung.
Dienftag,
AT Kr, 34. ——
3. Februar 1846.
Juſtus Moͤſer.
(dortſedung aus Nr. 233.)
Möfer war ein politifch gefinnter Mann, aber er
war ein politifcher Theoretiker und Syſtematiker; mit
einer lebhaften Auffaffung für bürgerliche und ftaatliche
Verhältniffe urſprünglich begabt, welche durch feine Stu-
dien noch gefchärft werben mochte, nahm er wie es
fheint die Verfaffung feiner Vaterſtadt Osnabrück und
dann die Verhältniffe des ganzen damaligen Hodftifts,
reih an eigenthümlichen Einrichtungen, an Anomalien
fogar, und an alten Erinnerungen uud Denkmalen, zu:
erft in fi) auf, befruchtetete diefe Eindrüde und Erfab-
rungen durch fcharfinniges Nachdenken und Gombiniren,
und erweiterfe dann immer mehr den Kreis feines poli«
tifchen Intereffes und Wiffens durch Forſchung und Lec⸗
ture, durch Anfhanungen und Reifen. In einer für
Deutfchland politifch wenig erfreufihen Zeit trieb er aus
Neigung und Liebe politifhe Studien in einem durch—
aus mwohlthätigen, fürdernden, gemeinnügigen und huma⸗
nen Sisme, gleich entfernt von dem berzlofen Staats-
mann, der Glück und Leben von Taufenden nicht ach—
tet, und von dem gelehrten Pebanten, der die Menfchen
nicht kennt, für welche er politifche Syſteme erbauen
will; der Menſch war und blieb der Gegenſtand feiner
Forſchungen und Beitrebungen, aber der Menſch ale
„politifches Weſen“ ober „Thier“, wie ihn Ariftotelee
nennt. Der politifhe Zuftand, das gefellige und flaat-
liche Zufammenleben galt Möfer nicht als etwas, das
um natürlichen Zuftand des Menfchen erft hinterher da-
zukomme, als etwas Zufälliges, von bem man leicht ab-
fehen könne, fondern, im Gegenfag mit diefer in Deutſch⸗
land freilich herkoͤmmlichen und damals befonders herr-
ſchenden Anfchauungsweife, faßte er das politifche, das
bürgerliche und ftaatliche Leben als die Grundlage und
Wurzel des Einzellebens, als das Natürliche und Noth-
wendige, von welchem ſich Ioszureißen vielmehr als eine
Krankheit und Schwäche, als Schuld und als Ubergang
zum Tode betrachtet werben müffe. Aber mit ſcharfem
Auge findet aud Möfer politifche Zwecke und Gründe,
Spuren und Dentmale politifcher Einrichtungen, wo ber
gleichgültigere Beobachter nur das Walten bes Ungefähre
oder individueller Neigungen und natürlicher Triebe er-
bliden würde. Den Werth und bie Bildung der Na-
tionen beurtheilt er nad, ihrer politifchen Verfaffung, von
welcher er annimmt und barthut, daß fie nothwendig
auf alle Kebensverhältniffe maßgebend eingewirkt,, alle
Geſetze, Sitten, Gebräuche, körperliche und geiftige Ubun-
gen und Fertigkeiten, Künfte und Wiffenfchaften mitbe-
ftimmt habe.
Schr ſchön und energifch fpricht fi diefe Anfchau-
ungsweiſe Möſer's aus in dem Fragment, welches den
Titel führt: „Über die Ruinen der deutfchen Kunft“, und
das, wie wol Niemand erwarten würbe, von ber politi-
fhen Berfaffung der alten Deutfchen handelt. Ganz
harakteriftifch heißt es dort:
Man gibt fi jegt viele Mühe um die Kunftwerke der
Alten, und fucht alle ıhre Ruinen auf, um den großen Geiſt
jener Werke nicht ganz zu verlieren. Uber das Gebiet der
Kunft erftredt fi weiter ald auf das Gebiet jener ſichtbaren
Gegenftande, und . . . wir müflen auch andern Unternehmun:
gen des menfchlichen Geiftes und Pleißes, wenn fie auch gleich
nur in der Grfindung einer großen und een Wahrheit
befteben follten, nachfpüren, und folchen den gehörigen Rang
unter den Kunftwerken einräumen. Sch rechne dahin bejonbers
die großen Anftalten der alten Deutfchen, woburd fie fi in
ihren politifchen Bertaffungen bei Freiheit und —— zu
erhalten gewußt haben. So weit die wahre Glückſeligkeit ei-
ner freien Ration über alle Arten der bildenden Künfte erha-
ben ift, fo weit muß man ein Volk, welches allen feinen Kunfl:
fleiß auf die erftern verwendet, demjenigen vorziehen, das blos
einige Maler und Bildhauer Yezogen, oder einige gefchidte
Sänger und Taͤnzer aufzumeifen hat. Rur der Despot, der
in der Abwürdigung der ihm gehorchenden Menſchen jeinen
Vortheil fucht, wird bie legtern allein mit feinem Beifall Prö:
nen; der edle Mann hingegen, der den Werth der Berdienfte
nah der Größe bes Erfolgs für das gemeine Befte abmiegt,
wird ‚beiden Gerechtigkeit widerfahren laſſen.
Dann fährt er fort, die Aufmerkſamkeit, welche bie
Nömer den Deutfchen vor allen Nationen gewidmet, fei.
ber fhmeichelhaftefte Beweis diefes Verdienſtes der deut-
fhen Einrichtungen und Sitten.
Die Nuinen, welche uns davon übrig geblieben find, zeu⸗
gen von der größten Anftrengung des menſchlichen Berftandes,
und von einem Gebäude, das in allen feinen Zheilen nad dem
höchften Ideal aufgeführt worden. Es verlohnt ſich daher wol
der Mühe, bie Gefchichte diefer Kunſt, wodurch unfere Bor:
fahren, bie Freiheit und Eigenthum uber Alles fchägten, eine
Rationalvereinigung mit der mindeften Aufopferung ihrer na⸗
türlichen Rechte gu errichten wußten, zu erforfchen. Unflreitig
war die Arbeit der legtern bemundernswürdiger ald jene Blei:
nen Bemühungen einiger wohlunterwiefener Meifter; und die
Pleinen ftädtifchen Republiten der Griechen waren gewiß nur
134
Puppenwerke gegen die nordiſchen Staaten, worin Millionen
Menſchen jene großen Mechte ungeftört genoſſen. Den Geift
der Freiheit und die Kunfl, das **— gegen alle Ein⸗
griffe der Obermacht und der Herrſchſucht —* zu be⸗
wahren, haben wir den Sachſen zu danken.
Ebendaſelbſt ſagt er:
Keine Ration kam einen Anſpruch auf Kunſt machen,
weiche ihre Kinder der Natur überlaͤßt, und ſich nicht ſorgfaͤl⸗
tig bemüht, den jungen @eelen diejenige Bildung. zu geben,
welche das hoͤchſte allgemeine Beſte erfodert.
Wie trifft hier der ſchlichte Möfer mit feinem tüch⸗
tigen Menfchenverftand zufammen mit dem philofophi-
[hen und peetifhen Paten! In ganz ähnlichem Sinne
ift der Auffag gefchrieben: „Der hohe Stil der Kunft
unter den Beutfchen”, wo das Fauſtrecht in ein günfti-
gered Licht geftellt wird, gegenüber von dem heutigen
Kriegsrecht:
Jeder Kenner muß das Fauſtrecht des 12. und 13. Jahr⸗
hunderts als ein Kunſtwerk des hoͤchſten Stils bewundern; und
unſere Nation, die anfangs keine Staͤdte duldete, und hernach
das bürgerliche Leben. mit eben dem Auge anſah, womit wir
jegt ein flämifches Stillieben betrachten, ſollte billig dieſe
große Periode ftudiren, und das Genie und den Geiſt kennen
lernen, welche nicht in Stein und Marmor, fondern am Men:
ſchen ſelbſt arbeitete, und ſowol feine Empfindungen als feine
Stärke auf eine Art veredelte, wovon wir und jept faum Be⸗
griffe machen Bönnen.
Damit verwandt ift ein Auffag über die Rational
erziehung der alten Deutfchen, von welcher gerühmt wird,
daß alle Wiſſenſchaften und alle Künfte lediglich auf ben
Krieg gingen, und wovon es weiter heißt:
Dies Alles fegt eine Erziehung von ganz anderer Art
voraus als man fich insgemein von Barbaren einbildet.
Kurz, die dem Zwecke des allgemeinen Beften, der
Züchtigkeit, der Ehre und der Freiheit Aller am beften
zufagende: politiſche Verfaſſung ift für Möfer das Wert:
mal und der Mapftab der höchſten, echteften Bildung
und Geſittung. Mit diefer Anficht ſtand er freilich in
feiner Zeit ziemlich einfam, zumal da er auch parabore
Behauptungen nicht ſcheute; aber um fo mehr bezeugt
fie die kraftvolle Selbftändigkeit feiner Ratur, Die nun
einmal die ihr gemäße Anfchauungsweife feſthielt und
mit ebenfo viel Talent, Kunft und Scharfſinn als mit
Gifer, Fleiß und Wärme: verfoßgte und: ausbilbete. Und
wie fruchtbar ift fie, an ſich ſchon rühmlich, bei Möfer
geworden! wie anziehend und Iehrreich beleuchtet er von
diefem Standpunkt aus alle Kebensverhäftniffe, Einrich⸗
tungen, Beſtrebungen! Aufs Detail einzugehen verbietet
uns der Raum; nur dem Bedenken wollen wir kurz
begegnen, das man die vorzugsweiſe politiſche
Betrachtungsweiſe und Beurtheilung aller Lebenszuſtände
erheben könnte: ob dadurch nicht die rein menſchliche,
die fettliche und aͤſthetiſche Betrachtungsweife beeinträdh-
tigt werdet Mir dürfen, was Möfer berrifft, keck
mit Nein! antworten. Gr führt den politifhen Maß⸗
ſtab nie mit eines ſolchen Einfeitigkeit und Abffraction,
daß er über dem politifchen Menfchen den natürlichen
vegäße; er weiß zu gut, was zum- ganzen, unverküm⸗
merten Menfchen gehört, als daß er pofitifchen Syfte-
men, Grillen und Hypothefen den natürlichen Menfchen
mit feinen verfchiebenen Bebürfniffen, Trieben, Reigun-
gen, Anlagen, Leidenfchaften aufgeopfert, ihn in ein
peinliches Joh gezwungen hätte, wie etwa ein Lykurg
feine Spartaner; er hatte bie Geſchichte, allerdings haupt⸗
fählih vom politiſchen Gefihtspunft ausgehend, zu
geündlih und aufmerffam ftudirt, ale daß et ein fo zu
fagen auf fih ſelbſt gegründetes- politifches Sy⸗
ſtem für möglich und wünſchenswerth gehalten hätte.
Wenn die politifche Verfaſſung die Unabhängigkeit, die
Ehre, die Freiheit und bie Größe eines Volks bezweckt,
und dieſer Zwed allerdings in gewiffem Sinne ber
höchſte heißen mag, fo wußte doch Möfer mol, daß, den
Foderungen und der Anlage der menfchlicdhen Natur
nach, daneben auch nicht weniger für die Glückſeligkeit,
für das Behagen, ben Genuß und die Freiheit der Ein-
zelnen geforgt, daß dabei jeder rechtmäßige Trieb, der
finnliche fo gut mie der fittliche, befriedigt, daß jede An-
lage gepflegt und ausgebildet werden muß. Möfer war
daher gar nicht gemeint, häusliches und Familienleben,
Religion, Poefie, Kunft und Wiffenfchaft, Lebensgenuß
und Humanität irgend ber politifhen Verfaſſung auf
zuopfern, fondern im Gegentheil wollte er in al Diefem
Stügen berfelben finden, Alles mit ihrem Geifte durch⸗
dringen; aber freilich trug er in Gollifionsfällen fein
Bedenken im Intereſſe des politifhen Geiftes bie An⸗
foberungen, welche jenen Elementen bes Lebens einen
nach feiner Anfiht unverhältnigmäßigen Einfluß und
Wirkungskreis gewinnen wollten, zurüdzuweifen, zu be»
ſchränken und unter den Maßſtab der politifhen Zu⸗
träglichkeit zu beugen. Ohne die fittlihe und gemüth-
liche Bebentung der Ehe, die Süfigkeit und Heiligkeit
fowie den Segen bes Zamilienfebens und trauten Haͤus⸗
lichkeit zu verkennen, betrachtet er doch meift die Ehe
von dem für den Staat allerdings fehr wichtigen Ge⸗
ſichtspunkt der Kindererzgeugung unb will die Erziehung
mehr als gewöhnlich geſchah und geſchieht durch die
Rückſicht auf das öffentlihe Wohl geleitet eifn; in
biefem Sinne fchrieb er auch den Auffag: „Die Er-
ziehung der Kinder mag wol ſtlaviſch fein!” So ein
großer Freund der echten Gelehrſamkeit und felbft ein
tüchtiger Gelehrter, fo ein. gefhmadvoller Kenner des.
Schönen in ber Literatur und. Zunft, des Wahren und
Tiefen in ber Wiſſenſchaft und aufrichtiger Förderer
der Humanität er war: fo zeigte er fish doch als ei-
nen entfchiedenen Feind aller ſchwachherzigen und weich⸗
müthigen Empfindfamkeit und Senfimentalität, aller ein-
feitigen Philanthropie namentlich Derjenigen, welche über
dem Abftractum Menſch den Bürger vergaß und ver-
fürzte, aller überfhwängliden Schwärmerei und entner-
venden Lüftelei in der Kunft und Literatur, alles My⸗
ſtiſchnebelhaften in der Wiſſenſchaft, und aller, bes feſten
Bodens der Erfahrung, des Leibe der Anſchauung und
der Wirklichkeit entbehrenden und prioriſchen Conſtructio⸗
nen und Abftractionen und im Gebiete bes politifchen
Lebens. Manche fcheinbare und wirkliche Härten und
Daradorien in Möſer's Anfichten erklären fih aus die-
fer Gefinnung, werden jeboch meift durch fogleich oder
185,
bei andern Gelegenheiten beigefügte Einſchraͤnkungen wie-
der gemildert. Die höhere politifche Rüdficht oder Noth-
wenbigkeit überwiegt bei ihm nicht felten die Anfoderun-
gem eines auf dem erfien Anſchein humanern, aber aller
dinge in der Wirklichkeit bem allgemeinen Wohl oft nicht zu-
teäglichern Ratur- oder Vernunftrechts. So ift er z. B.
der Theilung des Grundeigenthums unter die Kinder
ober bie Erben nicht hold, und redet der Erhaltung der
ganzen Hofgüter auf Koſten ſelbſt der jüngern (oder
auch der ältern) Geſchwiſter aus politiſchen und national⸗
ötonomifhen Gründen eifrig das Wort. Das Befig-
thum ſoll nicht zu ſehr vertheilt und zerflüdelt, aber
auch die Bevölkerung ohne Grundbeſitz nicht zu fehr
vermehrt werden; daher find die Heirathen nice allzu
freigebig zu geftatten, und wenn auch das Beifpiel der
Chineſen, welche jährlich; Hunderttaufende von Kindern
ausfegen und von Hundes und Scmeinen freffen laſ⸗
fen, von der Humanität eines Möfer unmöglich gebilligt
und zur Nachahmung empfohlen werden kann, fo feheut
er doch in den „Patriotifchen Phantafien” nicht zurüd vor
der Behauptung, die er einer jungen Matrone in den
Mund legt:
Alſo ſollte man die Ginimpfung ber Blattern ganz ver:
bieten!
“ Bo will es endlich hinaus, wenn das fo fortgeht ? wenn
die Brut, die jetzt erhalten: if, ſich mit gleichem Gifer
vermehrt umd nichts davon abgefhlachiet wird! Die weile
Borfehung hat die Blattern gewiß nicht umfonft in die Welt
geichiät .... fie follen swohrfcheinlich Dazu dienen, einer Überla-
Dung der fublunarifcgen Welt vorzubeugen; dieſem großen Winke
ſollte man folgen ... Gefchieht dies nicht, fo beklage ich die
armen Erbherten des künftigen Jahrhunderts ... Ich halte es
mit den natürliden Blattern, die fo fein aufräumen und auf
jedem Hofe gerade ein Pärchen übrig laflen, was ſich fein fatt
effen und dem lieben Gott recht viele Engel liefern Tann. Ich
breche bier ab, um Peine Thorheit zu fagen.
Einigen Ernft birgt hier die humoriftifch » ironifche
Einkteidung gewiß. Auf eine fehr fcharflinnige Weiſe
fpeicht er ſich für die Verpflichtung der Obrigfeit gegen-
über von der Gefellichaft aus, bie Todesſtrafen nicht ab⸗
zuſchaffen; er will die Kirchenbuße fo ganz nicht. aufge-
hoben wiffen; er tft dagegen‘, daß uneheliche Kinder ben
ehelichen. gleichgeſtellt werben:
Der alte Grundfag, daß man den äußerfien Schimpf auf
die Hurerei fegen müfle, um die Ehen au. befördern, ift weit
dauerhafter (al6 der durchaus falſche und unzureichende der
neuern, daß man die Hurerei minder ſchimpflich machen müfle,
um den Spann zu. —8 und nach den feinſten philo⸗
iſchen Grundſaͤtzen angelegt.
N zehn de Awanyig Sahren ift in manden Länbern
für die Huren und ihre Kinder mehr gefcheben als in taufend
Jahren für alle Ehegemahlinnen, Chegattinnen und Ehegenoſ⸗
ſinnen. Jeder Philoſoph, fobalb er nur gekonnt, hat ſich gleich
2* die en Fre! und ihre utte on alkı
Schan eien. oß ſind unſtreitig die eggruͤnde
dazu —*8 Ratur, Menſchheit und Örenfipentiebe "haben
laut zum. Bobe feicher Anſtalten geſprochen. Allein im Grunde
ib es doch die unpolitifhe Philoſophie unſers Jahrhunderts,
welche hier ihre Macht zeigt. Es iſt wiederum die neumodi-
ſche Menſchenliebe, —8 ſich auf Koſten der Buͤrgerliebe er⸗
hebt. Die Frage ift nicht fo ſchlechterdings von der Stimme
der Ratur und von den Rechten ber —*28 wenn es auf
bürgerliche Rechte ankommt, zu entſcheiden.
Die Beweisführung geht von dem Satze aus, daß
die Ehe ein mit manden Beſchwerden verbumbener, aber’
beehalb auch um fo mehr mit Ehre zu begabender
Stand feiz es dürfen dem eheloſen Leben nicht gleiche
Wohlthaten wie dem ehelichen verlichen werben. Auch
ift Möfer gegen eine Toleranz, die fo weit geht, daß
Sektirern, Juden, Atheiften u. X. gleiche Rechte und
bürgerliche Ehren mit den Bekennern der Staatsreligion
eingeräumt würden, und zwar, wie er ausdrüdlich er-
Elärt, nicht weil er ihre Überzeugungen verdammt, fon-
dern aus policeilichen ober politifhen Gründen. Üüber⸗
haupt betrachtet er auch die Religion, fo warm und
nahdrüdli er nicht felten ihre fittlihen Segnungen
und ihre gemüthliche Bedeutung für den Einzelnen an-
erfennt, die chriftliche Meligion mit begeifterten Worten
preift, und ihre Wirkungen auf ben einfachen Men-
hen, den von Hagelſchlag und Waſſersnoth betroffenen
Landmann, den Kranken, den Unglüdlihen und Ster-
benden bemundernd rühmt, vorzugsmeife vom politifshen
Geſichtspunkt — er nennt fie die Politik Gottes in fei-
nem Reiche — und widerlegt das Glaubensbekenntniß bes
ſavoyiſchen Vicars von Rouffeau von dem Grundfag aus,
daß eine pofitive Religion zur Beherrfchung und Orb-
nung eined® Staats und Volks unentbehrlich, und die
Hriftliche Religion durch die Perfon ihres Stifters fo-
wie buch ihren Inhalt die ehrwürdigfte, für den fittli-
hen und verfländigen Menfchen befriedigendfte ſowie
die den politifhen Bebürfniffen zufagendfte fei. Auch
die Dertheidigung Luther’ und ber Meformation gegen
Voltaire in einem äußerſt feinen, wigigen und fehlagen-
den franzöfifchen Brief hält fi, bei der Anerkennung
ber göttlichen Berufung des Reformators, vorzugsmweife
an politifhe Geſichtspunkte, wie z. B. die Aufhebung
der Kiöfter und des Gölibats in den proteftantifchen
Ländern. So huldigte Möfer durchaus mehr der antif-
politifhen als der modern⸗philanthropiſchen und philoſo⸗
phifhen Geſinnung, und ſprach fi nachdrücklich aus
gegen „den jegigen Hang zu allgemeinen Gefegen und
Verordnungen“, als „der gemeinen Freiheit gefährlich”.
Die Principien feiner politifchen Verfaffung find nicht
die modernen: Freiheit und Gleichheit aller im Staate
Lebenden, fonbern: Heiligkeit und Unverleglichkeit der
zunäͤchſt und hauptſächlich auf Grundeigentfum, dann
aber auch auf andern Beſitz fowie auf gefchloffene
Standfchaft gegründeten Rechte und Ehren der eigent-
lichen, der Vollbürger, und Vertheilung der Pflichten
und Laften nach dem Verhäftnif der Rechte und Ehren.
Die Gleichheit der Menſchen im Staate konnte Diöfer
fo wenig als eine vernünftige Foberung anerkennen ale
er fie in ihrer natürlichen Begabung fand, und fie ſchien
ihm nur mit Verletung geheiligter Rechte einerfeits
unb mit Aufhebung der fefteften Zundamente der Si⸗
cherheit des Staats andererſeits oberflählih unb zum
Schein ausführbar; und freilich erleidet. der Grundfag
ber Gleichheit in der Wirklichkeit und Praxis immer
ſolche Beſchraͤnkungen und Modificationen, daß man
große Mühe bat, ihn in feinen munderlichen Verkleidun⸗
136
en noch zu erkennen. Ahnlich verhält es ſich mit dem
griffe frei und Freiheit. Möfer war geneigt, bei dem
Abſtractum Freiheit an Vogelfreiheit zu denken. In
der Erzählung „Der arme Freie“ fucht er zu veran-
fchaufichen, was es eigentlih um die bloße, nadte Frei⸗
heit und den Gnthufiasmus bafür fe. Die wahre,
werthvolle Kreiheit, die nicht vielmehr etwas Negatives
bezeichnet, fegt Möfer in das auf einem Grundbeſit
oder Gewerbe berubende volle Bürgerrecht und die Stan-
beöschre, und lächelt über die „Freien“, die trog ihrer
Freiheit Dienfte zu nehmen genöthigt find, um nicht zu
darben und Hunger zu fterben; er fpottet über bie
Enthuſiaſten, welche mit einem Worte, einem leeren Be⸗
griff alle Verhaͤltniſſe umſtoßen möchten. Gr fhreibt:
Eine bequeme Philofophie unterftügte die Folgerungen
aus allgemeinen Grundfägen befier ald diejenigen, welche nicht
ohne Gelehrſamkeit und Einfiht gemacht werden konnten; und
die, Menfipenlicbe warb... eine Zugend, gleih der Bür:
erliebe.
So viel Treffendes indeſſen Moöfer hierüber äußert,
bat er doch wol einigermaßen verfannt, welcher wahre
Gewinn aus der Anerkennung bes Grundfages der Frei-
beit gezogen werben, wie er zum großen Bortheil der
Gefeggebung, der Rechtspflege und der Humanität ge:
deihen kann, wenn man damit nicht übereilt Alles ebnen
und alle Bande und Verpflichtungen auflöfen will, wol
aber den im Borzug und Vortheil Stehenden, welche
allzu geneigt find, ihr ntereffe mit dem des Staats
zu ibentificiten, durch Beachtung der natürlichen Rechte
der Übrigen Schranken fegt.
(Die Fortfegung folgt.)
Ein Tag aus der böhmifchen Geſchichte. Leipzig, Gru-
now. 1845. 16. 15 Ngr.
Es enthält, dies Büchlein einen Abdrud des auch ſchon
font bekannten Berichts, den der reformirte Pfarrer Joh.
Rofacius in Prag über die legten Stunden der vornehmen
Böhmen aufgefegt hat, die in Folge der Wiedereinnahme Prags
auf Befehl Ferdinand's II. am 21. Juni 1618 als Nebellen
hingerichtet worden find. Mofacius war in den legten Stun-
den ihr geiftliher Beiftand und ſchildert in einfacher, ergrei:
fender Weife ihre Frommigkeit und ihr Vertrauen auf ihr gu:
tes Recht, demgemäß fie gehandelt hätten. Die voraudgefehte
Einleitung des Herausgebers enthält nur das Befanntefte aus
leicht zuganglichen Büchern. 20.
Literarifhe Notizen aus Zranfreid.
Sur ältern franzöfifhen Poefie.
Auf dem Gebiete der altfranzöfifchen Literatur, das ben
Beangofen zum heil wenigftens erft durch die Beachtung und
Anerkennung, die e8 im Audlande gefunden hat, lieb und theuer
eworden ri wird feit einiger Zeit eim bewunderungswürbiger
&ifer entfaltet. Selbſt die fpeciellften Punkte werden hier ins
Auge gefaßt und zum Theil in felbftändigen Abhandlungen er:
läutert. Was nun aber gar das Material felbft betrifft, auf
das ſich dieſe Studien ftugen müflen, fo ift daſſelbe in fort⸗
währendem Steigen begriffen. Immer neue Beröffentlichungen
treten ans Licht und ed fcheint faft, als ob die Quellen, aus
denen man ſo reichlich ſchoͤpft, unergründli wären. Unter
den verſchiedenen Monographien, welche die legte Seit uns in
Bezug auf die ältere franzöffihe Poeſie gebracht hat, verdient
folgendes fleißige Werk, veranftaltel von einem vo und
bemittelten Freunde der Wiſſenſchaften, befonders hervorgeho⸗
ben zu werben: „Oeuvres complötes du roi René, avec une
biographie et des notices par le comte de (uaträbarbes”,
(2 Bde.). Der Dichter, um den es fi hier handelt, ift Re⸗
natus Graf von Unjou und Provence. Derſelbe war 1400
geboren und wurde durch feine Berheirathung mit Sfabella
von Lothringen, einer Tochter Karl's II. von Frankreich, Her-
zog von Lothringen. Spaͤterhin vermählte er ſich mit Johan⸗
na U. von Neapel und erhielt dadurch den Königstitel. Diefer
Renatus nun, der ein eifriger Befoͤrderer aller kuͤnſtleriſchen
Beftrebungen war, machte ſich felbft dur feine eigenen poe⸗
tiſchen Leiftungen bekannt. Wenn unter den zahlreichen Ge⸗
dichten, welche aus feiner Weder geflofien find, aud mancher
liebliche Klang ſich ne fo ift doch der eigentliche Kunft-
werth feiner Erzeugnijfe im Allgemeinen nicht allzu hoch an:
zuſchlagen. Deſſenungeachtet verdient die Bufammenftellung und
Herausgabe derfelben alle Beachtung. Es ift Dies eine fehr
dantenswerthe Arbeit, aus der ſich manche intereflante philole-
giſche Beziehungen und vielfaches Licht über die Zuftände der
damaligen Zeit gewinnen laffen. Die vom Herausgeber hinzu:
gefügten Abhandlungen und Erläuterungen enthalten zahlreiche
Unfnüpfungspunfte für gelehrte Unterfuchungen und zeigen,
daß ihr Berf. in der ältern franzöfifchen Literatur wohl bewan⸗
dert ift. Allerdings fand er ſchon einige Vorarbeiten in früher
erfähienenen Schriften, welche das Leben des Renatus — frei:
li mehr von einem andern GefichtEpunfte aus — behandelten.
Dahin rechnen wir die ausführliche Monographie vom Vicomte
de Billeneuve:Bargemont „Histoire de René d’Anjou” (3 Bbde.,
1825), und eine frühere kürzere Darftelung aus ber Feder
von Boiffon de La Salle. Der Werth der Publication von
Quatrebarbes wird noch crhöht durch die Zhreigen Kupfer
und Skizzen, durch die der Künftler Hawke die interefianten
Malereien der Driginalhandfchriften vergegenwärtigt und darſtellt.
Geſchichte des Communismus.
Zu den Schriftſtellern, welche ſich durch ihre communiſti⸗
ſchen Lehren beſonders bemerklich machen und die man am häu⸗
figſten unter den Verfechtern dieſer Sache antrifft, gehört 8.
Billegardelle. Er bat den berüchtigten „Code de nature
von Morelly, den man lange Zeit auf Rechnung Diderot's
fehte, neu herausgegeben und die nicht minder bekannte „Ci-
vitas solis” Campanella’6 ins Franzöjifche überfegt. Als eifri-
ger Verehrer Bourier’6 zeigt er fi in feinem „Accorde des
interets des associationa”, einem Werke welches man zum
nähern Berftändniß dieſes Syftems nicht wohl entbehren kann.
Gegenwärtig erhalten wir aus -feiner Feder ein neues Werk,
betitelt „Histoire des idees sociales avant la revolution fran-
caise”. Der Verf. ſucht bier eigentlih in ausführlicher Ent:
wicklung nachzumeifen, daß die communiftifchen Ideen, in denen
Einige die verruchtefte Neucrung der Gegenwart ſehen, bis
ind böchfte Alterthum binaufreichen. Um dies in aller Ausführ:
lichkeit darzuthun, bat er überall umfaflende Auszüge aus den
Schriftftellern, welche ihm wenigftens in einzelnen Partien in
die Lehre des Communismus himüberzufpielen ſcheinen, beige:
bracht. Dadurch ift fein Buch eine ganz intereffante Samm⸗
lung von Belegftellen geworden, aus der man fehen kann, wie
die Ideen, welche jegt in verfihiebener Geftalt, bald offener,
bald verftedtter hervorbrechen, ſchon Tange in Gährung begrif:
fen gewefen find. Es verfieht fi) übrigens von ferbft, daß
der Verf. in der Aufſuchung folder Be iehungen offenbar zu
weit geht und daß er zuweilen wol auch da eine Annäherung
an die communiftifchen Srundfäge fieht, wo man durch nichts
auch nur im entfernteften daran erinnert wird. 17.
Berantwortlier Herausgeber: Heinrich Brockzans. — Drud und Verlag von F. M. WBrodbans in Leipzig.
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Mittwoch,
— Nr. 35.
4. Februar 1846.
Juſtus Moͤſer.
(Fortfetung aus Nr. 3.)
Gegenüber von den damals aufkommenden beſonders
franzoſiſchen Staatsphiloſophen und den Grundſaͤtzen der
Nevolution war Möſer hiſtoriſcher, poſitiver und conſer⸗
vativer Politiker, wie aus dem Bisherigen deutlich erhellt.
Wollte man ſich jedoch wundern, daß er deſſenungeachtet
noch in neueſter Zeit fo ausgezeichnete Gunſt und Ver—⸗
ehrung in Deutfchland auch bei den Freifinnigen genießt,
fo vergeffe man nicht, daß er, der Gegner einer tumul-
tuarifchen Umkehrung des Beſtehenden durch philofophi«
ſche Begriffe, dabei der unerfchütterliche Feind aller Will⸗
tür und Freund des Rechts, des germanifchen und deut⸗
fen Rechts war, das er aus feinen Entftellungen und
Misdeutungen wieder in feiner Reinheit und hohen Ver⸗
münftigkeit herzuftellen mit glücklichem Eifer firebte. Ein
muthiger, aber dabei befonnener Vorkämpfer des Zort-
fehritts, des Rechts, der Freiheit in Deutfchland war er,
und nur der Schwung und Flug ber franzöfifhen Re⸗
volutionsideen ließ ihn als einen hinter der Zeit Zurüd-
bleibenden erfcheinen. Zurüdgehend auf altdeutfche Ein-
richtungen, und auf das flammverwandte englifche Volt
fi) berufend, verlangte er, daß Niemand Steuern und
Laften tragen folle, die er nicht felbft verwilligt, und
daß Denen, die feine Vertretung haben, auch Feine
Steuern auferlegt werben follten. Er verlangte die Ab-
fhaffung der Zortur, die in ältern Zeiten gegen Skla⸗
ven und Unfreie verhängt worden, und in nothwendiger
Berbindung damit Einführung von Geſchworenengerich-
ten nach altem Brauche, wo Jeder durch feine Ebenge-
noffen gerichtet worben fei.
&a ſcheint mir in dem Falle, daß man zur (unbedenfii-
den) Abſchaffung der Zortur fchreiten will, ſchlechterdings no⸗
tig zu fein, dahin wieder zurüdgufehren, wo alle Bölfer vor
Einfuͤhrung der Zortur gewefen ind, nämlich auf das Urtheil
von zwölf Geſchworenen, die den Verbrecher und feinen Berthei-
biger fowie die Beweiſe, welde für und wider ihn zeugen,
ſelbſt hören und ſehen und ihn danach der That ſchuldig er-
kennen ober losſprechen.
Überhaupt foderte Möfer die größte Ordnung,
Schnelligkeit und Unparteilichkeit in der Rechtspflege,
und verlangte, daß Jeder, auch der Höchfte, der Fürft,
an das förmliche Recht gebunden fein folle und fich
nicht auf feine Überzeugung vom wirklihen Recht beru:
fen dürfe. Nachdrücklich eifert er gegen Cabinetsiuftiz.
Gine fo hohe Meinung er von bem Beruf und ben
Pflichten der Fürften bat, fo weit ift er von der Vor⸗
ftellung einer ungemeffenen Willfiirgewalt derfelben, wie
man fie fihon aus dem Sage von der göttlichen Ein⸗
jfegung berfelben hat ableiten wollen, entfernt, und der
abgefagtefte Feind alles Despotismus, werbe er geübt
von wen er wolle. So fihreibt er:
Man Eönnte die Könige Leibeigene der Krone nennen,
wenn ed nicht die Klugheit erfoderte, einen Mann, der Die
Niedrigen gegen „die Hohen und Mächtigen fchügen fol, und
den Erftere Deswegen mit den ſchwerſten Koften unterhalten,
fo hoch als möglich und zunähft an den Thron (Gottes au
c
n.
Er felbft aber mit feinem Maren unb nüchternen, von
allem Myſticismus und aller Romantik entfernten Ver⸗
ftande, ließ fih nie durch den Nimbus der Majeftät
blenden. Gr fchreibt:
Die Weisheit grenzt fo nahe an die Willfür, baß man
unmittelbar von der einen zur andern übergehen fann; und
wo Weisheit und Macht in einer Hand find, da ift des Herrn
Wille natürliherweife allezeit die Weisheit felbft.
Im Ganzen war er den beftehenden Ginrichtungen
im Staate, der Präfumtion nach, günftig, fofern er fie
ale Hiftorifch gewordene und der Vermuthung nad auf
einem vernünftigen und rechtlichen Grunde berubend be-
trachtete; er war ſcharfſichtig und glüdlich, ſolche Ent-
fiehungsarten nachzuweifen und manche als unvernünftig
und barbarifch verfchriene Sitte und Einrichtung zu
rechtfertigen; er war nicht allzu bereit, die fchnellfertige
Meinung der Neuen über die Einfiht der Alten und
über das beftehende Herkommen zu fegen, und nur dem
entfhiedenen Misbrauch und ber offenbar fchädlichen
Einrichtung trat er, aber dann auch mit nachhaltiger
Kraft, entgegen. Ob Möfer nicht vieleicht etwas zu
bedenklich in der Anrathung von Neformen gewefen,
müffen wir unerörtert laffen; aber berühren müffen wir
einen Punkt, bei welhem Manche an ihm irregemorden
find: die Leibeigenſchaft. Man hat zur Genüge nad-
gewiefen *), daß er feiner wahren Herzensmeinung nad)
Dagegen gewefen, und wir wollen bier nur eine Stelle
anführen die dafür zeugt. Jean le Grand, in ber Er-
zählung „Der arme Freie”, meint, nachdem ein ein-
*) Stamentlich aus feinem Briefwechſel mit Nicolai.
— — —
138 »
ſichtsvoller und wohlwollender Butöherr bie Leibeigen-
{haft in einem mildern Lichte dargeftellt:
Es wäre doch beffer, wenn die Leibeigenen das Land, was
fie für Undere bauten, gegen einen gewiflen feſtſtehenden Sins
erblich unterhätten, indem fie alddann ohne Zuchtruthe fleißig,
und, als fede Menſchen, ebler und glädlisger fein würben.
Und hierauf läßt Möfer den Gutsheren autworten:
Diefer Meinung bin ih auch; aber dieſe Beränberung
laͤßt — meinem Gute nicht ſo leicht vornehmen wie Sie
denken.
ner Allerdings aber hat Möfer fonft in vielen Auffägen
die Reibeigenfchaft und Hörigkeit weniger bekämpft und
beklagt, ais gegen Verdammung und Klagen theild durch
hiſtoriſche Deductien, theils durch Darſtellung des gar
nicht fo harten, unerträglihen und unwürdigen Zuſtan⸗
des der Reibeigenen und mancher nicht unwichtiger Vor⸗
teile ihrer Lage wenigſtens in manden Gegenden und
narsentlich in Osnabrid, vertheibigt. Er zeigt, daß der
Name ſchlimmer fei als die Sache; daß bie Leibeigen-
ſchaft haufig Folge eines Vertrags und eine Wohlthat
für den Leibeigenen geweſen, daß dieſer dadurch nicht
ſchutz⸗ und rechtlos geworden ſei, fondern vielmehr an
feinem Herrn einen Beſchüter und Vertreter gefunden
habe; daß faft jeber Keibeigene feinen Zuſtand der nack⸗
tem Freiheit vorziehen würbe u. ſ. w. Hiermit behaup⸗
tete der gelehrte Hiſtoriker und der gründliche Kenner
wirflicher Zuftände gegen vage Declamatiouen fein Recht;
zum Theil durfte und konnte er aber auch bie Gutsher⸗
ven von Osnabrück durch entſchiedene Bekaͤmpfung der
Leibeigenſchaft nicht gegen fich erbittern, und er mußte
fi) beſtreben, den Keibeigenen einen Buftand, aus ‚dem
er fie nicht fofort befreien Tonnte, im mõglichſt milden
Licht darzuſtellen, um ſie nicht unzufrieden zu machen.
Die haͤufigen und vielfachen Misbräuche jedoch, und das
Entwuͤrdigende der Leibeigenſchaft bei Willkür von der
einen und Brutalität von der andern Seite, Tonnte er
ſich nicht verhehlen, und daß er immer wieder von dem
verfchiedenften Seiten her auf ben Gegenfland zurüd-
fommt, beweift, wie fehr er ihm am Herzen gelegen. Moͤfer
hät aber wirklich nad Kräften zuerft zum Schut und
zur Mikderung des Buftendes der Leibeigenen gewirkt,
und dann Entwürfe zu ihrer Freilafſfung, zu ihrer Ber-
wanblung in freie @igenthümer gemacht, wie bied auch
‚feinem politischen Syſtem ganz gemäß war. Dem das
Ideal feiner politifchen Verfaffimg, das er bei den alten
Deutfchen realiftet fand, war die ſtaatliche Verbindung
und Genoffenfhaft freier, wohfbegüterter, auf ihrem Bute
figender Landeigenthümer, zum Schutz und zur Verthei⸗
digung ihres Befigthums und des Gemeinweſens zu ben
Waffen verpflichtet, dem Heerbann folgend, mit gleichen
Rechten begabt, nur dem Gerichte von Genoſſen unter:
worfen, keme Steuer leiftenb als die fie felbft verwilligt
hatten. Daß bei den entwideltern und verwideltern
Verhättniffen dies Ideal nicht wieder zu erreichen mar,
da neben ben Aderbauern und —— die Fa
werker, die Kaufleute, die gele ofeffionen aufge⸗
Zommen waren und fie an Zahl, Einfluß und Bedeu⸗
tung wol übertrafen, fah Möfer freilich ein, und es ift
beshalb nur Scherz, wenn er als Mittel zur Wieder⸗
erweckung des deutfhen Nationalgeifles vorfchlägt:
Alle Könige und Fürſten gar abzuſchaffen, den Adel aus
dem Lande zu jagen, Städte und Feſtungen niebergureißen,
alles Geld ind Meer zu werfen, alle Gelehrte nad Lappland
zu joiden und fünf Dead ler Deutſchen an die Bhuns
zu fnüpfen, damit der Übrige Theil einzeln bei Kurtsffeln und
Gerftenbier ruhig auf der Baͤrenhaut hiegen koͤnne.
Aber fein ernftes Beftreben mußte doch bei feinen
Anfichten immer bahin gerichtet fein, den Stand der
freien und größern Landbefiger möglihft zu vermehren
und zu heben. Denn bie Lanbeigenthümer und bie
Bauern blieben ihm doch immer der eigentliche Kern
bes Bolks umd überall bricht feine rührende Liebe für
fie hervor. Es ift Möfer’E Ehre und Verdienſt, daß
er in feiner Zeit die wahre beutfche Nation in ihren
fonft fo gering gefchägten kernhaften Beitandtheilen, in
Bürgern und Bauern, bie er freilich gehoben wilfen
wollte, fand; daß er fich nicht ſcheute, gegen den cben-
falls nicht unfreifinnigen 8. F. v. Mofer, in der Beur-
theilung feiner Schrift „Bon bem deutfchen National-
geifte”’, zu fagen:
Es ift fon lange ber Fehler unferer-deutichen Gefchicht-
fehreiber und Yubliciften geweſen, daß fie in Deutfchland nichts
‚Herren mb Diener erbliden. Ein Theil eignet Alles
dem böchften Oberhaupte zu, der andere fchreibt und ftreitet
für die Diener, und über diefen Bank denkt kein Menſch daran,
daß Beides, der Herr und der Diener, eigentlich nur die Zhür:
wärter der Nation, keineswegs aber die wahren Beftandtbeile
derfelben feien... Sollte er um Hofe und unter Gelehrten ben
Rotionalgeift aufgefunden haben?... Am Hofe lebt nicht der
Patriot, nicht der Mann ber zur Ration gehört, fonbern der
gebungene Gelehrte, der fi ſchmiegende Bediente, und bas
ehameieon, das allegeit die Farbe annimmt, die ihm unterge:
egt wird.
Mol mußte er auch die Bebeutung und bie Rechte
ber böhern, der privilegirten Stände zu würbigen, und
es lag nicht in feiner Art und in feinem Charafter, ir⸗
gend einen Beflandtheil eines gegliederten Ganzen
misachten und zu verwerfen unb das gefchichtlih Ge⸗
wordene mit reformirenden oder revolutionnairen Macht»
fprüchen über den Haufen zu ftoßen; aber darum ver:
wechfelte er body nimmermehr die durch eine unfelige
Verwirrung der Verbhältniffe, durch Entartung des Gei-
fies im Reiche, durch Auflifung bes wahren Banbes
ber Einheit, durch Losreißung der Blieder vom Haupte
und durch Ufurpasionen aller Mächtigern nach oben
und nad) unten gefchaffene officielle Nation, die Für-
ften und Herren, die Geiftlihen und Beamten, mit der
wahren, aber freilich unterdrückten und heruntergekomme⸗
nen, eines großen Theils ihrer Rechte und ihrer Ehren
beraubten deutſchen Nation, die allerdings Feine ſichtbare
Einheit, eine Bertretung und Stimme, tein Gemein⸗
beroußtfein mehr hatte, — für die nur wenige Männer
ein Herz hatten! Aber für Möfer, der fie in feinen
geſchichtlichen Forſchungen in ben Zeiten ihrer Größe und
Kraft, ihrer politiſchen Herrlichkeit erfchaut hatte, fir
ihn lebte fie auch jegt noch im Zuftaud ihrer Erniedri⸗
gung und Bergeffenheit; er empfand ſchmerzlich ihre
Verwahrlofung duch ihre eigenen Zürften und Negie-
Tg
139
zungen, ihre Misachtung bei Fremden, die Unbilden, bie
fie ekdulden mußte, die Hemmungen, bie man ihrem
geiftigen, bürgerlidhen und nationaloͤkonomiſchen Auf-
ſchwung entgegenfegte, die Mishandlungen, womit man
ihr Rechts» und Ehrgefühl abflumpfte und ertödtete;
aber er erhob auch hoffend, fpornend, begeifternd wie
Magend, ſtrafend und fiheltend, oder in wehmüthigem
Scherz feine Stimme für fie und an fie, an ihre alte
Größe, an bie noch übrigen Reſte und Denkmale von
Rechten und Freiheit, an ihre Hülfsquellen, an ihren
Geiſt und Charakter fie mahnend. Er vertheidigte mit
männlicher Kraft und mit tiefer Einſicht deutſche Rechte,
Sitten, Herkommen, er nahm deutfche Sprache und Li-
teratur in einer vortsefflichen Schrift gegen ben großen
König Friedrih II, den Lobrebner der Franzoſen, in
Schuß; er wies hin auf Hebung ber Gewerbe, des Han⸗
dels, der Marine nad) dem Beifpiel der Engländer; er
foderte, daß durch eine wahrhaft vernünftige und natio-
nale, dem wirklichen Bedüurfniß gemüße, ben handelnden
und den fpeculicenden Menfchen unterfcheidende Erzie⸗
hung in der Seele der Deutfchen Selbftändigfeit, Unab-
hängigkeit, Thatkraft gewedt und nicht alle lebhaftern
und größern Gefühle eingefchläfert, daß die Knaben und
Jünglinge zu tüchtigen Männern, nicht zu gechrigen
und fihmiegfamen Bedienten und Maſchinen gebildet
würden. Um den Charakter, die gefammte Natur ber
Nation nicht zu befchneiden und gu unterbrüden, ver-
langte er, daß man bie phyſiſche Kraft auch auf ange-
meſſene Weife, in vollsmäßigen Tänzen und 2uftbarkei-
ten ſich ergehen und üben laffe, ba man dem Zwei⸗
fampf, flatt ihn mit Strafen zu bedrohen, eine andere
Geſtalt gebe; ex wollte die natürlichen Neigungen und
Leidenfchaften benugt, aber nicht unterbrüdt wiſſen, und
trug auf Derftellung der alten Gedenreden und Narren»
fefte an, in der richtigen Erkenntniß, daß das Volk auch
feinen Humor üben und auslaffen müffe, daß Lachen
und Raune den Sitten und dem Glück einer Nation
zırträglich feien. Denn nicht durch Schulmeiflern und
Megieren, durch Policei und Griminaljufliz hoffte er das
Wolk zu heben, fondern durch Weckung und Leitung der
in ihm felbft Tiegenden, aber fo häufig durch Tyrannei
und Pedbanterei unterbradten Kräfte. Niemand verſtand
beſſer al6 er, was dem Volke noth thut und gemäß if,
und welche Anlagen in ihm ruhen, was es zu leiſten
vermag — ohne daß er es doch ibealifirte —, denn er
fühlte fich lebendig in es hinein, in feine Arbeiten, feine
Senüffe, feine Entbehrungen, Wünfche, Bebrängniffe, in
ſeine Sitten und feinen Glauben, und fein echt volks⸗
thümlicdhes Gemuͤth führte ihn hierbei fo ficher als es
bei Andern die forgfältigfte Beobachtung und die geflif-
fentlichfte Herablaffung nicht vermag. "
Lob und Bewunderung würden die Geſinnungen und
Anfichten des echt volksthümlichen Mannes, des flanb-
haften Berfechters des deutfchen Rechts und der deut-
ſchen Ehre ſchon an ſich verdienen, wenn auch nicht Die
ausgezeichneten Berbienfte des Schriftſtellers fih dazu
gefellten. Nun aber nimmt er auch als gelchrter Ge⸗
ſchichtſchreiber und als treffliher Stiliſt und Proſaiker
eine ausgezeichnete Stelle ein. Den Gelehrten laſſen
auch fon feine an den mannicfaltigften Kenntmiffen
aus allen Gebieten des Wiffens und Lebens, befonbers
an gefhichtlihen Notizen und Zügen fo reichen Pleinern
Auffäge erkennen; als forfchenden Gelehrten hatte ex
fih namentlich in der lateinifchen Abhandiung über
bie populaire und die muftifche Religion der alten Deut-
ſchen ausgewieſen, wo er ebenſo feine Bekanntfchaft
mit ber alten und mit der neuern Literatur als auch
feine Bielfeitigkeit, feine Empfänglikeit für alle Cie
mente bes nationalen und geifligen Lebens, feine Kunft,
entgegengefegte Anſichten durch tieferes Eindringen in
bie Sache zu vermitteln, und ſeinen Eifer, ſeine Begeiſte⸗
rung für die Ehre der deutſchen Ahnen beurkundet. Er
verſohnt die anſcheinend widerſprechenden Angaben Gö-
ſar's und Tacitus' über die Religion der alten Deuts
[hen duch die Annahme eines vollsmäßigen und eines
ben Prieſtern vorbehaltenen Glaubens, was er durch
viele Argumente und Analogien unterflügt. Sein ge-
lehrtes Hauptwerk aber ift feine „Dsnabrüdifche Ge
ſchichte“, Die er zwar nicht ganz vollendete, bie aber
auch fo von einem Schloffer ein ,unfterbliches Werk“
genannt wird, und das „darum nicht weniger bedeutend
iſt, obgleich es nicht die Arbeit eines Mannes ift, der
des ganzen eigentlich hiſtoriſchen Stoffe Meifter "war,
denn es enthält eine in der That philofophifche Ge⸗
ſchichte, ohne alle jene Abftractionen und Phantaſte⸗
reien, bie man gewöhnli mit diefem Namen zu bele-
gen pflegt”. Am glüdlichiten, urtheilt dieſer gewiß
competente Richter, ſei Möfer darin, geweien, ben
Grund und Zufammenhang des Lebens und ber Sitten,
ber Einrichtungen, Gebraͤuche, bes Herkommens und ber
häuslichen Berhättniffe, alfo Weſen und Princip jeber
Volksgeſchichte zu entwickein. Er fei viel glücklicher,
wenn er aus dem in Weſtfalen mehr als in andern
Provinzen unter dem Landvolk fortbauernden alt
lichen Leben, den Gefegen, bem Herfommen, aus ben
ibm täglih im Gefchäfte vorkommenden Urkunden, wor⸗
auf diefe beruhen, eine Gefchichte bervorlodt als wenn
er Chroniken und Geſchichtbücher befrage. Ban ber
früher als die Geſchichte felbft nur bogenweife veröffent-
lichten Einleitung in die „Dsnabrüdifche Geſchichte“ fagt
Schloffer, es fei eigentlich eine Ginleitung in die ganze
deutſche Befchichte, eine Anweiſung, dieſe fruchtbar zu
behandeln und habe ein ganz neues Licht über das We⸗
fen Hiftorifcher Gelehrſamkeit verbreitet. Der Charakter
von Möfer’6 Geſchichte haͤngt aufs engfle zufammen mit
feinen politifchen, volksthumlichen Geſinnungen, vermöge
deren ihm das Volk felbft, und nicht bie Regenten und
die Bornehmen, bie Hauptfache if. Wir führen nur
ein paar Worte aus feiner eigenen Vorrede an:
Ich habe mich vorzügli Die Geſchichte unferer Rechte,
Sitten und Gewohnheiten entwideln bemüht und die Bes
gebenbeiten ziemlich nach diefer Abſicht geordnet.
| ler ift, daB id den Anfang zum Schreiben auf
Neifen, während des Ichten Kriegs gemacht, und mir erfi jede
Sache nach ihrer Möglichkeit vorgeſtellt und folche hernach zu
. 140
Haufe vielleicht nicht mit genugfamer Unparteifichkeit gegen
Die Beweiſe geprüft habe. Daher Bann Einiges einen fchein-
baren Hang nach der Hypotheſe behalten haben. Indeſſen
glaube ich doch dadurch Manches auf eine neue Urt gewandt
und viele hiftorifche Wahrheiten möglicher und wahrſcheinlicher
erzählt zu haben als Andere, welche entweder mit Sammeln
ben Anfang machen und dann mit ermüdetem @eifte die Feder
anfehen, oder nur blos ein ſchlechtes Gebaͤude verbeflern.
Die Sefchichte von Deutfchland hat meines Ermeflens .eine
ganz neue Wendung zu hoffen, wenn wir die gemeinen Land»
eigenthbümer ald die wahren Beftandtheile der Ration durch
alle ihre Veränderungen verfolgen, aus ihnen den Körper bil»
den und die großen und Meinen Bedienten dieſer Ration als
böfe oder gute Zufälle des Körpers betrachten. Wir koͤnnen
fodann diefer Geſchichte nicht allein Die Einheit, den Gang und
die Macht der Epopoe geben, worin die Zerritorialhoheit oder
der Despotismus zulegt die Stelle einer glüdlichen oder un:
Tüdlihen Auflöfung vertritt, fondern auch den Urfprung, den
Sortgang und das unterjchiedfihe Verhaͤltniß des Nationaf-
charakters unter allen Beränderungen mit weit mehrer Orb:
nung und Deutlichkeit entwideln, als wenn wir blos das Le:
ben und die Bemühungen der Ärzte befchreiben, ohne des Pran:
Ben Körpers zu gedenken. Den Einfluß, welchen Gefege und
Gewohnheiten, Tugenden und Fehler der Regenten, falſche oder
gute Maßregein, Handel, Geld, Städte, Dienft, Abel, Spra⸗
chen, Meinungen, Kriege und Berbindungen auf jenen Körper
und auf deſſen Ehre und Eigenthum gehabt; die Wendungen,
welche die gefeggebente Macht oder die Staatseinrichtung über:
haupt bei diefen Einflüffen von Zeit zu Zeit genommen ; Die
Art, wie ſich Menihen, Rechte und Begriffe allmälig danach
gebildet, Die wunderbaren Engen und Krümmungen, wodurch
der menfchliche Hang Die Zerritorialhoheit emporgetrieben; und
die glüdliche Mäßigung, welche das Chriftentbum, das Deut:
fche Herz und eine der Kreiheit günftige Sittenlehre gewirkt
bat, würde ſich, wie ich glaube, folchergeftalt in ein vollkomme⸗
nes fortgehendes Gemälde bringen laſſen und diefem eine folche
Füllung geben, daß der Hiſtorienmaler alle überflüffige Grup-
pen entbehren koͤnnte. |
Weiter wollen wir uns auf die „Dsnabrüdifche Ge-
fhichte” nicht einlaffen; fie ift Sache des ernften Stu-
diums mehr als der leichten Lecture, in Paragraphen
gefhrieben und mit einer Menge von Citaten belegt und
mit Urkunden ausgerüftet. (Der britte Theil ift von Dr.
Stüve vervollftändigt und herausgegeben.) Der gewöhn-
liche Leſer, der nicht tiefer in die rechtsgeſchichtlichen
Berhältniffe einzubringen Luft oder Beruf bat, wird fich
von dem gründlichen Werke nicht angezogen fühlen; aber
die oben angeführten eigenen Worte Möſer's zeigen doch
zur Genüge, dab er auch an bie Gefchichtfehreibung
nicht nur politifche und gelehrte, fondern felbft fünftleri-
ſche Anfprüche machte, und daß ein Ideal davon in fei-
ner Seele lebte, bem er, bei reichlichern Vorarbeiten von
Andern, vielleicht nahe gefommen wäre. Wie lebendig
ift die Anfchauungsweife des Mannes, der bei der ſtreng⸗
ften Feſthaltung an der Geſchichte des wahren Körpers
der Nation, ungerührt von dem Prunke der Könige,
von der Größe ber Feldherren u. f. w., dennoch die deut⸗
ſche Geſchichte als eine Epopäe aufftellt! Die Kraft und
Gewandtheit des Stils, die kunſtreiche Anorbnung des
Stoffe, der Nerv der Rede, die Prägnanz der Aus-
brüde verleugnet ſich auch in dieſem ernften und gelehr-
ten Werke nicht; in noch reicherm Maß aber beurkunde-
ten füh, und in einem weit größern Kreiſe gewannen
dieſe Eigenſchaften Anerkennung in den „Patriotiſchen
Phantaſien“.
(Die Fortſetzung folgt.)
— — —
Ziterariſche Notizen aus Frankreich.
Memoiren»Literatur.
‚ Jedermann befaßt fih jegt mit der Abfaſſung feiner Me⸗
moiren. Es ift kein Leben fo unbedeutend, fo nichtöfagenn,
daß es nit in Be ug auf die Nachwelt feine. Rechte wollte
geltend machen. Daß bei diefer Manier, feine Denkwuͤrdigkei⸗
ten aufzufegen, unendlich viel leeres Stroh gedroſchen wird,
brauchen wir gar nicht zu erwähnen. Was er ein SIntereffe
kann es für unbetheiligte Lefer gewähren, wenn uns in Bezug
auf einen Mann, deſſen Leben im flachen Bett der Alltäglich:
beit Dahingefloffen ift, berichtet wird, wie er ein Weib nahm,
lebte und farb? Selbſt die romanhaften Verbrämungen, mit
denen diefe Erinnerungen meiftens ausgefhmüdt find, haben
längft ihr Intereffe verloren. Bei diefem Überdruffe an Me⸗
moiren, deren Fabrikation ich einmal wieder durch die Maſſe
von Material, welches Tag für Tag bie ungeheuern Spalten
der Journale verfehlingen, einen neuen Aufſchwung genommen,
mögen auch wol manche Erfcheinungen diefer Art, welche ihres
Inhalte wegen einige Beobachtung verdienen, unbemerkt vor-
übergehen. Es ſcheint uns deshalb nothiwendig, daß wir von
Beit zu Zeit unfere Lefer auf ſolche beſſern Erzeugniffe der Me:
moirensRiteratur aufmerffam machen. Wir wollen biesmal
auf ein Werk hindeuten, welches erft binnen einiger Zeit er:
feinen wird, von dem uns aber ein vielgelefenes Journal be:
reitd einige intereffante Fragmente gebracht hat. Es find dies
die „Souvenirs d’un stönographe”’, welche den älteften ber be:
laubigten Gefchwindfchreiber, Ramens Breton, zum Berfaffer
Baben. Die Bruchſtücke, welche bis jegt in ber „Gazette des
tribunaux” mitgetheilt find, laſſen intereffante Auffchlüffe aus
dem Gerichtöwejen bes ancien regime und aus den yarlamen=
tarifhen Verhandlungen der Revolutionsgeit erwarten.
Politiſche Verhältniffe Spaniens.
Die Legitimitätöfrage in Spanien ift dur den Theater:
ftreih der Abdanfung des Don Carlos aufs neue in Anregung
gekommen. Die Publiciften find dadurch wieder in den Stand
geſetzt, die Schärfe ihrer Feder und die Gelehrſamkeit, welche
ihnen zu Gebote fteht, zu erproben. In der That find auch
bereits mehre Flugſchriften polemifchen Charakters hinüber und
berüber erfchienen. So weit wir Gelegenheit gehabt haben
von denfelben Kenntniß zu nehmen, verdient Darunter indeffen
nur eine einzige daß wir bei ihr einen Augenblick verweilen.
Diefelbe führt den Titel „De la legitimitE monarchique et
nationale de la reine Isabelle d’Espagne‘, von M .P. de F.
—* Dieſe Schrift verleugnet ihren Charakter nicht; ſie
iſt im Sinne der Anhaͤnger des gegenwaͤrtigen Syſtems ge⸗
ſchrieben. Der Verf. entwickelt mit Klarheit und Gewandtheit
die Säge, welche zur Begründung dieſes Princips bereits don
andern Publiciſten angeführt find. enn wir fo auch nicht
Vieles, was in politifcher oder de Beziehung neu wäre,
erfahren, fo muß man dem Verf. vorliegender Schrift doch das
Beugniß ausftelen, daß er feine Gründe in großer Überficht:
lichkeit entwickelte, und baß er, fo weit dies überhaupt bei po:
littfchen Discuffionen, bei denen jebe Partei auf ihrem Rechte
und ihren Anfichten beharrt, möglich ift, die Angelegenheit ei⸗
nigermaßen zur Erledigung bringt. Freilich werden bie Barli-
ftifhen Federn, welche fih an die fruchtlofe Arbeit machen,
diefe Beweisführung zu entkräften, die eigentlich fchlagen:
ih Argumente mit diplomatifher Gewandtheit zu umgeben
wiſſen.
Berantwortlier Herausgeber: Heinrich Brockdauns. — Druck und Verlag von F. M. Brockhans in Leipzig.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Donnerötag, --
Zufluss Möfer.
(Bortfegung aus Rs. 35.) .
Das Wenige, was wir über dies vielgerühmte Werk
bier fagen wollen, fnüpfen wir an das Ustheil Goethe's
über ‚den „herrlichen Juſtus Möfer“, den „unvergleich⸗
lichen Mann“ an*): .-
An diefen Beinen Auflägen, welche fämmtlih in Einem
Sinne verfaßt, ein wahrhaft Ganzes ausmachen, ift die innigfle
Kenntniß des bürgerliden Weſens im höchften Grabe merk:
würdig und rühmenswerth.
Nachdem er bie behandelten pelitifchen Gegenflände
bezeichnet, fährt: er fort:
Durchaus läßt der Verfaſſer die grünblichfte Einficht in
die beſonderſten Umftände fehen.: Seine Vorſchlaͤge, fein Rath,
nicht -ift "aus der Luft gegriffen, und doch fo oft nicht aus:
führbar,:deswegen er au «die Sammlung ‚rpateioifeht Phan⸗
taſien“ genannt, obgleich Alles ſich darin an das Wirkliche und
Mögliche Kit. Auch auf das Familienweſen wendet ev vor:
üglich feinen Blick. Als Begenftände [einer eenften und fcherz-
ba en Betrachtungen finden wir bie Veränderung der Sitten
und Gewohnheiten, der Kleidungen, der Diät, bes häuslichen
Lebens, der Erziehung. Man müßte eben Alles, was in ber
bürgerligen und ſittlichen Welt vorgeht, rubriciven, wenn mar
die Gegenſtände erfchöpfen wollte die er behandelt. Und biefe
Behandlung ift bewunderungswuürdig. Gin vollfommener Ge-
äftsmann ſpricht zum Volk in EBocenblättern ..., keines⸗
‚weg ‚aber lehrhaft, fondern in den mannichfaltigften Formen,
die man poetifch nennen koͤnnte und die gewiß im beften Sinne
für rhetorifch gelten müflen. Immer ift er über feinen Ge⸗
enftand erhaben und weiß und eine heitere Unficht des Ern⸗
been zu geben; bald hinter diefer, bald binter jener Maske
verſteckt, bald in eigener Perſon fprechend, immer voll»
andig. und erfchöpfend, dabei immer froh, mehr oder minder
ironiſch, durchaus tüchtig, rechtſchaffen, wohlmeinend, ja manch⸗
mal derb und haftig, und dieſes Alles fo abgemeſſen, daß man
ugleich den Geift, den Verſtand, bie Leichtigkeit, Gewandtheit,
en Seigmad und Charakter des Schriftftellers bewundern muß,
Dam vergleicht er ihn mit Franklin und fährt fort:
„Ein folder Mann imponirte uns unendlich und hatte den
größten Einfluß auf eine Jugend, die auch etwas Füchtiges
wollte, und im Begriff fland es zu erfaffen. In die Foͤrmen
feines Vortrags glaubten wir uns wol auch finden zu Pönnen;
aber wer durfte hoffen, fich eines fo reichen Gehalts zu bemaͤch⸗
tigen, und bie widerfpenftigen Gegenflände mit fo viel Freiheit
zu behandeln? _
) Bur.26, ©. 239 fo.; Audgabe von 189. .
Dies ausführlicher mitgetheilte Urtheil Goethe's fcheint
uns fehr bedeutfam nicht blos als treffliche Charakteriſt⸗
zung von Möfer’s Eigenthümlichkeit, fondern aud) darum,
weil Goethe ben Verf. ber „Patriotiſchen Phartafien“-
unverlennbar aus innigſtem Herzen verehrt, ihn litera⸗
riſch und aͤſthetiſch ungemein Hochftellt und ihn ale ein
‚ begeifterndes Mufter und Vorbild für feine eigenen Be-
firebungen betrachtet. In dieſem rühmenden Zeugniß,
diefer Bewunderung liegt. etwas für beide Männer fehr -
Bedeutfames. und Bezeichnendes. Manchem dürfte es
überrafchend und befremdend fein, daß der Dichter des
„Werther, des „Taſſo“, der „Iphigenia”, des „Kauft“,
der koͤſtlichen Lieder und Balladen ein fo großes Wohl:
gefallen finden . konnte an ben von Möfer behandelten
politifhen, bürgeslichen, fittlihen und oͤkonomiſchen Ge⸗
genftänden, dag ihm Dergleichen nicht profatfch, nüchtern,
uninfereffant, Pleinlich und peinlich erfihien. "Aber was
ein genaueres Stubium von Goethe auch fonft lehrt,
wird durch dies Urtheil über Möfer nur beftätigt: Goe-,
the hatte neben dem idealen, poetifchen Sinn und Trieb,
und als Unterlage deffelben, einen außerordentlih prat- ⸗
tifhen Sinn; bad wirkliche, das gemwöhnfiche Leben
mit feinen Bedingungen und Geſetzen, feine
ausprägende Charakter der Familien, die verſchiedenen
DOrganifationen der Gemeinmwefen, bie Ofonomie Im Gro⸗
5. Februar 1846, _
*
annich⸗
faltigkeit, die Eigenthuͤmlichkeit und der verſchieden ſich
⸗
IN
fen und im Seinen, ‚die Leiftuingen unb das Jufäm-
menmirfen der Gewerbe, des Handel, ber verſchiedenen
"Berufsarten, — das Alles intereffirte ihn nicht wenig,
wie man ſich befonders auch aus feinen „Wanbderjähren”
zur Genüge überzeugen kann. Und ebenfo hatte er für
das Nationale, für das eigenthümlich Deutſche in grö-
fern und fleinern Verhältniſſen, in der Kamilte, dem
Bemeinwefen, im Staat eine große Empfänglichfeit und
Neigung, wie feine Romane, fein „Hermann und Doro⸗
thea”, fein „Gög”, auch fein „Kauft“ beweifen. Daher
hatte er auch an Voß’ „Luiſe“ eine große Freude. Nur:
durfte ihm dies Alles nicht in kleinlicher, ängftliher Ge-
ftalt, mit philifterhaftem, Beinftädtifhem Sinn, mit
widrigem Dünkel ober herzbrechender Sentimentalität
entgegentreten, fonft ftieß e6 es ihn ab und zog ſich fei-
nen Spott zu. In der gefunden, tüchtigen, Träftigen,
freien und großen Art aber, wie Möfer das Alles
142
faßte und behandelte, fagte es ihm feinem aan
| en Cha-
rafter nad) fehr wohl zu, und es behagte —* der
ſo gefaͤllig ausbreitende Reichthum von wirkli
wirklichen Le⸗
benseinfichten und Erfahrungen, dies Heimiförn in
der Yıt, in den Sitten, in dem Herzen ber Nation,
diefe mit großem Verſtand und um affend
| Verf er Weltkennt⸗
niß gepaarte Semüthlichfeit und her lee nie becle.
mirende und nie fanatifche Patriotismus. D
n . Das Inter-
effe an den Gegenſtaͤnden ließ ihn auch über die Yun
jo günftig urtheilen, daß er fie im beften Sinne rheto⸗
riſch findet, ja faft poetifch nennen möchte, Indeffen
— gerade mit dieſem hoͤchſten Lobſpruch, den
F 9% ganz zu ertheilen wagt, die Grenze vo ö:
s ſchriftſtelleriſchen Eigenſchaften angedeutet: 3
im g?ortreffliher, ein bewundernswürdiger Profai-
fer in ’ Hebanbe ber Freiheit, womit er feinen
ta, et ne, ein ausgezeichneter Künfkier
Gegenftand . "iffreicher als durch und duch verfländ.
uns en, — ber eigentlich Poetiſche und
ficher ri ehlt ihm als produci
n ucirendem
Sn CIE Bf und it dm
Sinn dafür mangelt. *) Zum Diysst Im höhern Sinn
war er von ber Rat 5 angeiegi, ünd er empfand
Be von Rh JÜRR, was er Im dem Muffe übe
m.
die deutfche Sprache und Literatur ſchmerzlich kla⸗
gend ſagt:
Große Empfindungen koönnen allein von geoßen Begeben-
heiten entſtehen; die Gefahr macht Helden. Es müffen große
Schwierigkeiten zu überwinden fein, wo große Empfindungen
und Unternehmungen aus unferer Seele emporfchießen follen ;
und diefe Überwindung muß der Ehre, der Liebe, der Rache
und andern großen Leidenſchaften durchaus nothwendig fein,
oder der Seit hebt fi nicht aus feinem gewöhnlichen Stande,
die Seele umfaßt Feine große Sphäre und der Menſch bleibt
das ordinaire Gefchöpf, was wir täglich fehen und nad) unjern
gemeinen Regeln zu ſehen wuͤnſchen. Dergleichen große Gele⸗
genheiten, wo Schwierigkeiten zu überfteigen find, finden ſich
aber bei und Deutfchen nicht. Der Staat geht unter der Wade
stehender Heere mafchinenmäßig feinen Gang; wir fuchen bie
Ehre faft blos im Dienfte oder in der Gelehrfamkeit und nicht
in Erreichung des höchften Zwecks von beiden; unfere Schönen
ftimmen leichter zu ordentlichen als beroifhen Empfindungen.
Wenn wir aber je wenig große Begebenheiten haben, als mit
der gehörigen Lebhaftigkeit empfinden, wie wollten wir denn
zu ber Höhe der Gedanken und des Ausdrucks gelangen, welche
andere Nationen auszeichnet? Kann die fehlaffe Seele eben Das
was die hochgefpannte wirken? Im Allgemeinen geredet wirb
Bein Deutfcyer das wahre feine Gefühl des Italieners, Peiner
die edle Liebe des Spaniers, keiner die Begeifterung für Frei⸗
heit und Eigenthbum eines Engländers mit feinem Ausdrud
verbinden; Peiner wird in Allem fo wahr empfinden, denken
barren, ſchwärmen oder rafen als die Nationen, weldye durch
wirfliche Umftände genöthigt find, ihre höchfte Empfindung ber:
vorzupreffen und außzudrüden; und ohne Wahrheit ift keine
vollkommene Größe, fo wenig in der Mufit als in der Male:
sei und in andern ſchoͤnen Wiſſenſchaften.
(Der Beſchluß folgt.)
) Ungefähr dad Gleiche durfte aucb von dem von Goethe fo
hoch geftellten Merck gelten.
Der Einzige und fein Eigenthum. Don M
Leipzig, DO. Wigand. 1845. Gr. 8. 2 Fe Nee.
Das vorliegende Buch bat ein ei umli i
genthumliches
En Es Hat die Aufmerffamfeit der reg eat
An en, mn niſt ea „einer Seite ebenfo fehr als
, acht und befpottet,
andern als confequent und als teffinnien anerkannt och
das Syſtem, die Schule und ift doch ein Ieptes
Theil Gegner aller Philofophie, für die Entwidelungsproceffe
nicht zu leugnen, daß auch Stirner iber de
ht: , 10 weit er
Eonfeguenzen feıner Schule hinausgeht, ihr —S
mit Leib und Leben angehoͤrt und eben nur in feiner Stellung
zu ihr feine richtige Bedeutung findet. &tirner, der fich be:
müht, Alles aufzulöfen und aus allem „Spuf”, auß allen Ab»
f actionen auf ein bloßes, vereinzelter &ein zurückzukehren, ift
ennoch nichtE Anderes als Xheil, als Moment in einer Abe
ffraction, nämlich der Abftraction des Jungbegelianismus. Gr
efampft gewiſſermaßen die ganze Welt, aber er befämpft we-
niger die Welt als folche, fondern mehr nur bie Borftellun«
gen, welche ſich der Junghegelianismus von der Welt gemacht,
die Confequenzen, welche er auß ihr gezogen bat, und wie fein
Anfangspunft der Sunghegelianismus tft, fo ift fein Ausgangb-
punkt eben auch nichts Anderes als ein Kampf gegen bie Con⸗
fequengen ded Hegelianismus. Er bleibt alfo immer, fo viel .
er auch von feinem „Ich“ vedet, welches „fi um nichts fchert‘‘
und jede allgemeine Idee ald einen, „Spuk“, als ein „Gefpenft”
verhöhnt, ein Product ber Abftractionen, welche die Hegel'ſche
Philofophie gewonnen hat. Sein „Ich ift fehon demzufolge
nicht das rechte, unabhängige Ich „das Einzige‘, denn es fegt
Durchgangspunkte nothwendig voraus, es ruht auf einer Welt,
in der die Abftractionen, die „Gefpenfter” herrſchen. Wie
fommt der „Einzige dazu, ein dickes Buch über das „Ich“
zu ſchreiben? Wäre er ganz erfüllt von feiner Ginzigleit, er
würde in dieſer Einzigfeit leben und nicht von ihr fchreiben.
Wie er aber ift, lebt er in Allem, was auf einer allgemeinen
Idee beruht, im Staate, in der Geſellſchaft, in der Ehe u. f. w.
und ſchreibt von feiner Einzigkeit, ohne fie wirklich machen
zu koͤnnen oder auch nur zu wollen. Denn er bört auf „ein:
zig” zu fein nicht blos durch fein Leben, fondern auch durch
fein Schreiben, indem er die Einzigkeit, alfo eine neue Abftrac-
tion, bildet, indem er an die Stelle der allgemeinen Ideen
den: Egoismus, eben auch nichtd Anderes als eine Abftraction,
zu fegen gedenkt. Wollte Stirner confequent fein in feinem
Standpunkte, er mußte in cinem rein vegetativen Dafein be⸗
fangen bleiben. Am allerwenigften aber könnte er in einer
vollendeten „Einzigkeit“ ein Buch über „Der Einzige und
fein Eigenthum“ fchreiben und Wbftractionen befämpfen, um
eine neue Abftrartion zu befommen, die fo brutal wird, daß fie
ohne allen geiftigen Inhalt beſtehen will.
Stirner's Buch ift für die Gefchichte der Hegel’fchen Schul-
‚philofophie von Peiner geringen Bedeutung. Nirgend fpiegelt
fich die Auflöfung des Hegelthums in feiner ſchulmaͤßigen Korm
beffer und beutlicher al& bier. Die Dialektik hat fih in ihren
Durchgangspunkten vollkommen erfhöpft. Sie hat durch Feuer⸗
bach das Jenſeits geſtuͤrzt, fie bekämpft durch Bauer die ein:
zelnen Disciplinen der Theologie, ohne aber ſelbſt noch vom
theologiſchen Standpunkte frei werden zu koͤnnen. In Stirner
wendet ſie ſich nun gar gegen Das, was ſie bisher als ihr
„Weſen“ angenommen hat, gegen den „Geiſt“ ſelbſt. Sie ge
langt in Stirner zu einer Verſpottung und Verachtung des
Geiſtes. Weiter Tann eine Schulphilofophie aber nicht kom⸗
men als zur Verachtung des „Geiſtes“, mit dem de fo lange
Hokuspokus getrieben, den fie fo lange in „zierliche fpamifi
143
Stiefel" eingefhnürt hat. Wenn fie das Meich des Geiftes,
welches fie lange Beit zu beherrſchen fih Mühe gab, gar felbft
old einen „Spuk“, als einen ‚„Sparren” bekennt, dann hat
fie zu gleicher Zeit ſich felbft vernichtet. Der Eifer, mit dem
fie fih an die Bernichtung des Geifte® macht, nachdem fie
glaubt alles Übrige geftürzt zu haben, Bann aber für Den, dem
Der Geift noch etwas Anderes als ein „Sparren” ift, nur als
der Parorysmus eined Sterbenden erfcheinen. In der That,
mit der Schulphilofophie iſt es aus. Ihre Dialektik, ihre
Kunftftüde find vollkommen erfhöpft. Es ift in ihrem Bau
Bein weiterer Fortfchritt möglid. Sie muß zu Grunde gehen,
ihr Kreis ift vollendet. Aber es ift eine Anmaßung der Schul:
pbilofophie, zu glauben, daß weil fie fierben muß auch der
Geiſt überhaupt, den fie fo lange gefchulmeiftert, fterben mülfe,
und es ift ein Grundirrtbum bei Stirner, die Auflöfung der
Hegel'ſchen Schulphilofophie mit der Auflöfung des Geijtes zu
identifietren und zu behaupten, weil die Confequenzen einer
Schulphiloſophie unhaltbar wären, fei der. Geift feibt unhalt⸗
r, „Spuk“, „Unſinn“, „Sparren“, „Sefpenft”. Die Philo⸗
ſophie Ber Griechen ſtarb in Spitzfindigkeiten, der „Geiſt“ lebte
fort; die Scholaſtik des Mittelalters ſtarb in Spitzfindigkeiten
und der „Geiſt“ Iebte fort; Die Hegel'ſche Philoſophie bat fich
ebenfalls in einer übertriebenen und übertreibenden Dialektik
außgelebt, aber der „Geiſt“ wird damit nicht zu Ende gekom⸗
men fein, in ihm liegt das Abfolute. Als ob der „Geifl” nur
in den Kategorien einer Schulphilofophie zu finden wäre! Stir-
ner entdeckt den Geiſt erft durch das Hegelthum, innerhalb der
Hegel'ſchen Philofophie, er empfindet erft fein allgemein menfd-
liches Walten. Indem er nun den Geift nicht anders Fennt
als in ſchulphiloſophiſcher Drefiur, glaubt er ihn überhaupt
mit der Schulphilofophie ftürzen zu Fünnen. Aber ein folcher
Standpunkt it viel zu eng, als daß er da noch irgend eine
Wahrheit in fih enthalten koͤnnte, wo es weit über ſchulphi⸗
loſophiſche Bragen hinausgeht. Dem lebendigen Walten und
Weben des „Geiftes”’ gegenüber ift das Stirner'ſche Buch
nichts als eine „Schrulle”, nichts als der Exceß einer ſterben⸗
den Schulphilofophie.
Der Grundgedanke, auf den fih alle, zum Theil fehr geift-
reih ausgeführten Demonftrationen und Anfchauungen Stir:
ner's zurüdführen laffen, ift die Behauptung eines bloßen in:
dDividuellen Dafeins, dem Denden gegenüber, welches fogleich
zur Allgemeinheit, zur organifchen Verbindung des Menſchen
untereinander führen muß. Er beginnt fogleich:
„Was ſoll nicht Alles Meine Sache fein! Bor Allem die
gute Sade, dann die Sache Gottes, die Sache der Menfchheit,
der Wahrheit, der Freiheit, der Humanität, der Gerechtigkeit;
ferner die Sache meines Volks, meines Fürften, meines Va⸗
teriandes, endli gar die Sache des Beifted und taufend an⸗
dere Sahen. Rur meine Sache foll niemald meine Sache
ſein. Pfui über den ae der nur an ſich denkt.”
„Ich hab’ meine Sache auf Nichts geſtelit!“ ruft Stirner
in philofophifcher Frivolität aus und in der That bat er feine
Sache auf ein Nichts geftellt, indem er fie auf ein atomifti-
ſches, aller allgemein:geiftigen Bewegung entfrembeted Dafein
Felt. Was vertheidigt er Anderes als die Brutalität? Aber
er ift felbft noch viel zu fehr vom „Sparren“ befeflen, als daß
er in feiner Apologie des Brutalen, in ber Auflöfung des gan:
zen Weltorganismus in lauter brutale Einzelwefen, die nichts
von Aſſocialion wiffen wollen, fondern blos auf ſich verharren
und einer den andern frefien, fobald der eine bem andern zu nahe
kommt, confequent werben Fönnte. Denn anftatt eine Apologie
Seiner zu fchreiben, feines ganz befondern Stirner'ſchen Ichs,
dann anſtatt fih um Niemand anders als um fih, Mar Stir
ner, den einzigen „Einzigen‘ zu befümmern, befümmert er fi
um das „Ich“, welches er fo zu einer allgemeinen Abftraction
erhebt, um die „Einzigkeit”, eben auch eine Abftraction, die er
aber nur fchaffen Tonnte, weil es ihm noch nicht möglich ge-
worden, vom ‚„Sparren des Geiſtes Frei zu werden, und in
daß brutale, von ihm vielfach gepriefene Dafein zu verfinken.
Er, der vor Allem frei fein will, vom „Geifte”, vom „Men-
fen‘, macht fein befondere® Ich glei von vornherein von
dem Ih, von ber geiftigen Einheit aller befondern Iche, ab-
haͤngig, und indem er ſo von vornherein alle Abſtractionen,
alle Allgemeinheiten auflöfen will, bleibt er ſelbſt einer Ab:
ftraction unterthan. Indem er den Geift befämpfen will, muß
er ſich felbft ald vom Geifte „beſeſſen“ beweifen. Wie Bauer
die Theologie theologiich bekämpft, fo kann Freund Stirner
den Geift eben aud nur geiftig befampfen. Der Froſch im
Sumpfe befämpft den Geift befjer als Stirner, denn er Eüm:
mert fih nicht um ihn. Stirner's geifliger Kampf gegen den
Geiſt heißt von vornherein die Inconfequenz des eigenen Stand⸗
punftes zugeben, jo richtig auch bie Eonfequenzen fein mögen,
bie aus der. erften Inconfequenz gezogen werden. Wie gefagt,
Stirner's Kampf gegen den Geift beruht auf einer „Schrulle”
und bat nur Intereffe für den Auflöfungsproceß, in welchem
fi die Hegel'ſche Philofophie gegenwärtig befindet.
Der Menfh ift dem Menſchen das höchſte Wefen, fagt
Feuerbach. Der Menſch ift nun erft gefunden, fagt Bruns
Bauer. Indem Beide den menſchlichen Geiſt als den böchften
und das Höchſte anerkennen, indem fie an der Befreiung def:
jelben von allem „Unmenfchlicyen” oder „bermenſchlichen“ arz
beiten, ihn aber gelten laffen und ihm einen Eultus verfchaf:
fen wollen, ſtellt ſich fogleich, ihren Principien gegenüber, die
Berfihiedenheit des Stirner'ſchen Standpunkts heraus, welcher
ebenfo wenig den Geift ald den Battungsmenfchen anerkennen
will — wir fagen will, denn er kann in Wahrheit nicht von
den Abftractionen loskommen — und Alles auf den „Egoiften‘
zurüdbringt. Befchäftigen wir und nun aber einmal mit dem
‚meuen Bunde” Freund Stirner's, mit dem „Einzigen”, mit
dem „Egoiften‘ und fehen wir zu, wie er feinen neuen Eul-
tus zu entwideln bemüht ift.
Zuerft fucht Stirner in „einem Menfchenleben’ die Wahr-
heit ſeines Standpunktes nachzuweifen. Won dem Augenblide
an, jagt er, wo der Menfch das Kicht der Welt erblickt, fucht
er aus ihrem Wirrwarr, in welchem auch cr mit allen Ans
dern bunt durcheinander herumgemwürfelt wird, ſich herauszu⸗
finden und fi zu gewinnen. Aber die Entftehungsgefchichte
des Menfchen und feine hülflofe Jugend predigen in der That
weniger den Egoismus, die Einzelheit aller Menfchen, als die
Verbrüderung Aller mit Allen. Vom anthropologifchen Stand»
punkte betrachtet wird ein ſolches bloßes „Daſein“ wie Stir-
ner ed will ein wahrbafter Unfinn. Aber diefen Standpunkt
übergeht Stirner vollkommen, wo er „ein Menschenleben‘ ent:
widelt. Sonft redet er fo viel davon, daB der „Leib auf
Koften des „Geiſtes“ beeinträchtigt werde. Ein Kind bat
nichts von der „Einzigkeit““, es gebt volllommen auf am Bus
fen der Mutter, alfe im Zufammienfein mit einem Andern und
im Bebürniß nad biefem Undern, ed lebt nicht durch fein
„Ich“, feine „Einzigkeit“, fondern nur durch die Mutter, durch
die Familie, weldye ed deckt und umfängt. Iſt die Eriftenz
im Mutterfchoofe die erfte Stufe des menfchlihen Dafeins, a
ift die Briftenz in der Familie die zweite, die erfle Stufe weicht
der zweiten ald einer höhern u. f. w., indem der Menſch „ſich
zu gewinnen” jucht. Aber er gewinnt ſich, wie Stirner meint,
keineswegs im entſchiedenen Gegenſatze zu allen übrigen gleich
berechtigten Eriftenzen, fondern nur daburch, daß er über ben
Standpunkt des vegetativen Dafeins weg und „hinter bie
Dinge” kommt, daß er fich nicht als „Einzigen”, fondern als
organifchen Theil im Ganzen erkennen lernt und ſich als fol-
her im Ganzen bewegt. Stirner entwidelt dad Menſchen
leben“ weber pfſychologiſch noch anthropologiſch, auf beide Art
würde er einfehen müflen, wie falfh feine Vorausjegung der
„Einzigkeit” iſt. Er begnügt ſich, das „Menſchenleben“ unter
der Lupe gewiffer theologifcher und fehulphilofophifcher Ab⸗
fteactionen zu betrachten und da hält es denn in ber That
nicht ſchwer, diefen Abftractionen gegenüber die Ratur hervor:
zubeben, aber diefe Ratur wird nicht in ihren Grundbeziehun-
gen geprüft, fondern fogleich wieder in eine neue Abftraction
144.
„Ich“, „Egoismus, „@igenheit” verwandelt und alfo in ih-
tem-wahren Wefen burchaus unberüdfichtigt gelaffen. Da haf
die „Schrulle” unfers Einzigen Raum und Gelegenheit genug,
fi ein Menjchenleben nad) der unmöglihen Borausfegung der
„Sinzigkeit” zurechtzumachen und Hirzuftellen. Gtirner macht
fi das Alter des Jünglings zu jener Lebensperiode, wo der
„Geiſt“ die größte Gewalt ausübt. Umgekehrt aber Bönnte
man ebenfo gut fagen, daß der Iüngling am meiften dom
Egaismus bejeffen wird, denn der Jüngling ift noch nicht über
ſein. Ich binausgefommen, er hat fih noch nit als Theil er
Faunt,, ihm find die ‚Fugen bes Weltgebäubes noch fremd, er
fiebt Alles nur in Begug auf fi, er will Alles fein, er will
Alles Finnen, bie erſte Liebe if gewöhnlich eine rein egoiſtiſche,
man diebt -fich felbft nur in bem gelichten Gegenſtande und
firebt nach Selbftbefriedigung. Pſychologiſch und Anthropolo:
jedenfalls richtiger -
giſch ift dieſe Charakteriſtik des Iunglin
als die, welche Stirner gibt und wonach fi) „der Juͤngling
an den allgemeinen Geiſt verlieren fo“. ..: Endlidy findet der
Mann nach Stirner den „leibhaftigen Geift’. Was ift denn
dag für ein Geiſt? Hören wir Stirner:
„Erft dann, wenn man fich leibhaftig liebgewonnen und
an fih wie man leibt und lebt eine Luft Bat — fo aber fin:
det ſich's im reifen Alter, beim Manne — erft dann bat mar
ein perfönliches oder egoiftifches Interefie nicht etwa nur Un-
fer& Geiftes, fondern totaler Befriedigung, Brfriedigung des
ganzen Kerls, ein eigennügiges Interefie. Der Mann macht
fich mehr zum Mittelpunkt ald der Züngling, der für Anderes,
3.8. Gott, Vaterland und Dergleichen «[chwäarmtn.
zeigt cine zweite Selbftfindung. Der Juͤngling fand fi als
Seift und verlor fih wieder an den allgemeinen Geift, den.
volldommenen, heiligen Geiſt, den Menſchen, die Menfch-
ui f Burz alle Ideale; ber Mann findet fi als leibhaftigen
eift. *
Alſo das Mannesalter wäre die rechte Zeit für den Egois⸗
mus? Erweiſt fi das nun in RBaprheit fo? Stellt fi der
Mann als „Einziger Allen gegenüber, erBlärt er Allem mas
außer feinem „Ich“ den Krieg? Betrachten wir doch einmal
den. Kreid des Mannes. -Schon durch feine Stellung ald Far
miliendvater, welche er meiftens einnimmt, wird feiner Neigun
zur: „Einzigkeit“ ganz entfihieden widerfprochen und feine Zu
am ‚Zufommenfein auögebrüdt.
der Sefellfchaft. Steht ex ihnen gegenüber „einzig“ da, macht
er ihnen gegenüber fi wirfiih zum Mittelpunkt, anerkennt
er nicht vielmehr eine große, allgemeine, ‚tragende Idee, und
ſtellt er fih nicht, indem er -für den rechten Ausdruck derfel-
ben:thätig wird, jeder „Einzigkeit” gegenüber, fühlt er nicht
als fchaffender, thätiger Theil in einem Sangen feine Freude
und -feinen Beruf? Allerdings iſt er zu einen Bewußtſein, zu
einer Beftimmtheit über fein „Ich“ gefontmen und er verlangt
bie Anerkennung dieſes Ichs im Ganzen unb Rechte dafür,
den Schug der Geſetze, ftaatsbürgerliche Freiheit, gefellfchaft:
lihe Stellung u. ſ. w., aber eben indem er dieſes verlangt,
läßt. fich in ihm der Feind jeder auöfchließenden Einzigkeit er:
ennen.
bricht, wie in den Concurrenzverhaͤltniſſen der Gegenwart, wo
der Krieg des „Einzigen“ gegen den andern „Einzigen“ be:
ginnt, da ift Bein natürlicher, fendern ein durchaus unnatürli:
her und. verderbter Boden, und er wird im Durchbruch einer
großen Idee, welche fich der „Concurrenz“ gegenüber als „Aſ—⸗
fociation’‘ erkennen läßt, feine Auflöfung erhalten. Wenn Stir:
ner alfo behauptet, daß der Mann der rechte Egoift fei, daß
er „fein perjonliched Intereffe über Alles fehe”, jo muß Dem
entfchieden widerfprochen werden. Der rechte Mann wird fich
immer der leitenden Ideen bewußt fein und ihnen nöthigenfaus
zu opfern wiflen, der orbinaire Egoift aber wird ſelbſt aus In:
ſtinct dieſe leitenden Ideen anerkennen und fich vergebens ger
gen fie ſtraͤuben, er wird z. B. an feine Familie denken. Ein
Der Mann
Ebenſo und neh mehr durch
feine: praßtifche Bethätigung an den ragen des Staats und-
Wo aber der Egoismus au nur zum Theil hervor:
Stirner ſcher Egoismus
bar, er ift «ben nichts
„Schrulle“.
Was wäre nun ein Menſchenleben“ nad, Stirner'ſcher
ale allgemein if vollkommen undenk⸗
Anderes als eine ſchulphiloſophiſche
4
Maniert Ein Inhaltdiofes, gleichgültiges Dafein, ein Sufland .,
ohne alle Entwidelung, denn biefe befommt Bad einzelne Les
ben nur durch die Durchkreuzung anderer Eriftenzen und nicht
im Buftande einer troftfofen „Einzigkeit“, eine brutale Exiſtenz,
der alles Gemeinfame feindlih, der alles Menſchliche jenfeitig,
der alle Vernunft Wieberphantafie fein würbe. onderbar.
Die Apologie einer folchen Brutalität entwidelt fih aus einer
Philoſophie, welche den „Geiſt“ in den Retorten ihrer Dialef-
tie und „ Metapbyfil fuperfein deſtillirte; ein folder Zuſtand
fann einen Bertheidiger finden in einer Zeit, wo bie tiefen .
Brüche der Gegenwart und ein Bli in die Zukunft mehr als
deutlich beweifen, daß nur in einer Bereinigung, welche den
Egoismus fo weit als moͤglich ausſchließt, Heil und Huͤlfe er⸗
wartet werden kann.
(Der Beſchluß folgt.)
Literarifhe Notiz aus Frankreich.
Gavarni's gefammelte Werke.
Wer hätte fich nicht Thon an ben herrlihen Skizzen Ga:
varni's ergoͤtzt, und wer freute fich nicht, Daß es diefem fruchtbaren
uswahl diefer geiftreihen, witzi⸗
Künftler endtich gefällt, eine
FA Zeichnimgen nach dem Leben zuſammenzuſtellen? Gavarni
at fi einen Ramen gemacht, welcher vor allen populair ge: .
worden ift. Und in der hat hat er den Ruhm, den er fi
mit "feinem frifhen Griffel binnen wenigen Jahren verfhafft
bat, ‘wohl erworben. Niemals ift e8 einem Beichner im glei: _
Her Brade als ihm gelungen, die fluͤchtigen Geftalten bes burn» .
ten Lebens aufzufaflen und wiederzugeben. Alle feine Bei
a und er fit fruchtbar wie felten ein Künftler — ſpruͤ⸗
en’
Died ift ein unleugbares Zeichen feiner Genialität.
Dieſelbe bewährt fi nun aber ebenfo auch in der Ausführung
bis ins Peinfte Detail. Uber jede der Figuren, welche er ins
Leben ruft, iſt eine eigenthümliche eat ausgekhüttet, die.
felbft da, wo er feinen Griffel in Galle getaucht bat, verföh:
nend wirft. Der „Charivari“, zu beffen thätigften Mitarbei:
tern Gavarni gehört, verdankt’ demfelben eine Galerie der hei⸗
terften Lebensbilder. Wir erinnern an die Genreftüde, welche
unter die Rubril „Les Lorettes’’ gehören und an einige Rum:
mern feiner ‚„‚Enfants terribles”. Außerdem ift der unerſchoͤpf⸗
liche Künftler aber auch nach allen Richtungen hin thatig. Rur
felten erfcheint ein illuftrirtes Werk, zu dem er nicht wenig
ſtens etwas beigefteuert hätte. So prangt fein Rame unter
den vorzügliäftien Mitarbeitern der ‚Gramde
„Diable A Paris’ und vieler andern ähnlichen Unternehmungen.
Savarni hat fich bei ß vielen Werken MR a —* u
eiſtreichen
einmal ſelbſt mit Beſtimmtheit weiß, wohin ſeine
Blätter zerſtreut find, und daß er feinen ganzen Reichthum
nicht emmal vollftändig überfchauen Fann. Einen Theil Deifen,
was ihm gerade zur Hand ift, vereinigt er gegenwärtig in feinen
„Oeuvres choisies”. Wir wollen nicht gerade behaupten, daß
er in diefe Sammlung nur das Beſte von feinen Productionen
aufnimmt: denn es würde bier fehwer halten, einen Unterfdieb
zu machen. Gewiß wird Jeder, der naher bekannt ift mit fei:
nen Leiftungen, irgend eine Skizze, die ihm lieb und werth ge:
worden ift, vermiffen, und wenn das Werk zum Abfchluß ge:
fommen fein wird, fo wirb man gewiß von allen Seiten den
lebhaften Wunfch äußern, e8 möge dem geiftreihen Beihner
noch nicht gefallen, feinen Griffel bei Seite zu legen. 17.
Verantwortlicher Herausgeber: Heinrih Brockzaus. — Drud und Verlag von F. E. Brockhaus in Leipzig.‘
-
.
und Leben. Mit wunderbarer Schärfe weiß er die
Erſcheinungen der geſellſchaftlichen Verhältnifie zu erfaflen,, und. ..
wenn er nun eine ſolche Geftalt vor uns binzeichnet, fo wird
‘ fie unter feiner Feder fogleiih zum Typus einer ganzen Gat-
- fung.
ville”, des .
TA D„g Tee —— — — —
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Freitag,
— — — — — — — —— —
6. Februar 1846.
Juſtus Mö fer.
(Beſchluß aus Nr. 36.)
Möfer machte auch felbft nicht Anfprüche auf den
Namen eines Dichters, obgleich er hin und wieber
einen Vers machte und in feiner Jugend ein Trauer:
friel „Arminius’” gedichtet hatte, fondern erklärte ſich
hoͤchſt befcheiden für .einen Laien im Orden ber fchönen
Geifter. Seine Beſtimmung, fehreibt er, habe ihm nicht
zugelaffen, die Probejahre auszuhalten, welche zur Auf-
nahme in irgend eine gelehrte oder fchöne Gefellfchaft
erfobert werden. ber er hatte viel Gefhmad an und
in der Poeſie; er”las die altdeutfchen Dichter und hatte
eine Sammlung und Herausgabe berfelben im Sinne;
er fammelte Volkslieder in Weftfalen, pries die in den
ſchottiſchen Gebirgen nad, lebendig erhaltenen alten Bal-
laden, und wünfcdte von einem Bürger die alten Volks⸗
erzählungen bearbeitet. Kür das Poetifche in der Sprache
befaß er den feinften Sinn; er beklagte, daß das Deut-
fee, indem es eine Buchfprache geworben, fo arm fe:
Aber daß ift der Fehler aller Buchfprachen und am mei»
ften der franzöfiichen, bie wiederum fo fehr gereinigt, verfei-
nert ift, daB man kaum ein mächtiges, rohes oder fohnurriges
Bild darin ausdrüden ann, ohne wider ihren Wohlftand zu
fündigen. Die engliſche Sprache ift die einzige, die, wie bie
Nation, nichts ſcheut, jondern Alles anpreift und gewiß nicht
aus einer gar zu firengen Keuſchheit fhwindfüchtig geworden
iſt; fie ift aber auch die einzige Volksſprache, die in Europa
gefchrieben wird, und ein auf den Thron erhobener Provinzial:
dialekt, der auf feinem eigenen fetten Boden fleht, nicht aber,
wie unfere Buchfpradhe, auf der Tenne dörrt.
Er rühmt Leffing’s Derdienft, der Provinzialmen-
dungen und Wörter, wo ed bie Bedürfniffe erfoderten,
auf die glüdlichfte Weiſe nationalifirte,
ſodaß wir nunmehr wol hoffen dürfen, bald eine Sprache zu
haben, worein ale Muthiwilligkeiten und Üffereien, deren ſich
der Menſch zum Ausdruc feiner Empfindungen und Leiden»
Schaften bedient, dargeftellt werben können. Doch ich will dar:
auf nicht wetten, daB nicht Viele, denen es ſchwer fat in
deutfcher Luft zu athmen, die franzöfifche der deutſchen immer
vorziehen werben.
Möfer felbft muß als Bereicherer und Reiniger der
beutfchen Sprache geehrt werden, in welcher er manchen
Ausdrud Ted und glücklich gewagt hat, und er ift in
einzelnen Ausdrüden und Prädicaten oft wirklich poe-
tif, er verfinnlicht aufs überrafchendfte und treffendfie
einen Gedanken, er ftellt uns mitten in eine lebendige
Anfchauung hinein und fommt der fchärfften, bündigften
Logit mit einem wirkfamen Aufflug und Schlage der
CEinbildungsfraft zu Hülfe. Die Reinheit, mit welcher
er Deutfch ſchreibt, ift um fo Höher anzufchlagen, als
er nah franzöfifhen Muftern feinen Stil gebildet,
Marivaur und St.- Evremont eifrig ſtudirt, und fpäter
mit der englifhen, fo reihen und in’ ihren Dichtern,
namentlich Shaffpeare und Pope, ihm befonders zufa-
genden Literatur ſich vertraut gemacht hafte; aber bie
deutfche Natur, das deutfche Herz drang durch, und er
ahmte den Franzofen nur bie Correctheit und Zierlich⸗
feit, ben fommetrifchen und gefälligen Satzbau, den
Engländern die gedanfenfchwere, fernige Kürze nad,
ohne feine Sprache zu einem Gemenge von Ansländi-
fhem zu machen. Offenbar hat Möfer auf Compoſi⸗
tion und Stil große Aufmerkſamkeit und Kunft vermen-
bet, fo leicht feine Auffäge bingeworfen fcheinen; aber
er wartete auch immer bie günftige Stimmung ab und
lieg ſolche Arbeiten fogleich liegen, wenn die rechte
Stimmung verflogen war. Daher die nie fehlende Fri⸗
fhe und Ungeswungenheit in den „Patriotiſchen Phanta-
fien”, die immer zuftrömende Gedankenfülle, die reizende
Beweglichkeit, welche Eigenfchaften, verbunden mit dem
beftändigen Wechfel der Form und der hoͤchſt angemeffe-
nen, wenn auch nicht im böhern Sinne poetifhen Er-
findung, den angenehmen Eindrud auf ben Leſer ber
vorbringen und nothwendig eine hohe Meinung von dem
Seift des Verf. erwecken müffen. Man könnte bedauern,
bag Möfer nicht einer eigentlichen Kunftform, etwa
der Komödie, fi) zumandte; aber vermuthlich kannte er
doch feine Kräfte felbft genau genug, um in der Wahl
der ihnen gemäßen Form nicht fehlzugreifen; und es ift
immer beffer, wenn das Geleiftete einen unbenugten
Überfhuß von Kraft verräch, als wenn der Verſuch ei-
nen Mangel, eine Unzulänglichkeit entdeden läßt. „Har⸗
letin’8 Heimat”, aus Möfer's Jugend, iſt eine ganz
artige Poffe und enthält ziemlich viel Wig, iſt aber zu
Hein, um einen Mafftab zu geben, mas Möfer in grö-
fer angelegten Stüden hätte leiften Tonnen. Diefe
Poſſe ift ein Nachtrag zu feinem Auffag über das Gro⸗
test: Romifche, worin er fehr treffende Gedanken über bie
Literatur und das Theater ausfpricht, und namentlich
-
146
das Komifche gegen die Einwendungen eines übertrieben
firengen und zarten Geſchmacks ſowie gegen bie engher-
zigen Moraliften und Nüglichfeitemänner vertheidigt.
Die Komödie, die Poffe fol nicht fomol auf eine luſtige
Weife belehren und beffern, als vielmehr den Men-
fhen aufbeitern, ihn lachen machen und ihm fo eine -ge-
funde phyſiſche und moralifche Bewegung verfchaffen.
Veberhaupt erhebt ſich Möfer in feinen äfthetifchen An-
fihten über und gegen alles Pedantiſche, Engherzige,
Kleinliche; er redet der freien, tüchtigen Natur, dem
Charakteriftifchen und Mannichfaltigen gegenüber bem
Verkünftelten und Conventionnellen das Wort, befondere
aber dringt er nachdrücklich auf den nationalen Eharaf-
ter der Kunft und Literatur. Er fehreibt:
Meiner Meinung nach müffen wir durchaus mehr aus
uns ſelbſt und aus unferm Boden zieben als wir bisher ge
than haben, und die Kunft unferer Nachbarn hoͤchſtens nur
infoweit nugen als fie zur Verbeſſerung unferer eigenthüme
lihen Süter und ihrer Eultur dient. Zwar konnen wir auf
diefe Weife leicht auf Irrwege gerathen. Denn indem wir
tief in uns zurüdgehen, und was wir alfo empfinden aus
drüden, verlaffen wir einen Pfad, welchen auch ſchon Meifter
vor uns geebnet haben, und gerathen leicht auf Berhältniffe,
die wir hernach mit der Rednung nicht bezwingen fünnen;
oder wir folgen, wie Goethe in „Werther's Leiden‘, bloß der
erhöhten Empfindung und opfern die logiſche Wahrheit der
äfthetifchen auf-
Erze zu Tage, und es werden fi dann auch Philoſophen un:
ter uns finden, welche fie prüfen, läutern und zu großen Wer:
ten verarbeiten werden.
Über englifhen und franzöfifhen Geſchmack fagt
fer :
Bergleihen Ste einen englifchen und franzöfiichen Garten.
In jenem finden Ste, eben wie in Shakſpeare's Stüden, Tem:
pel, Grotten, Chaufleen, Didichte, Riefenfteine, Grabhügel,
Ruinen, Kelfenhöhlen, Wälder, Wiefen, Dorfichaften und un:
endliche Mannichfaltigkeiten, wie in Gottes Schöpfung durch⸗
einander vermifcht; in Diefem hingegen ſchoͤne gerade Gaͤnge,
gefchorene Hecken, herrliche fchöne Obſtbaͤume, paarweiſe geord⸗
net und kuͤnſtlich gebogen, Blumenbeete wie Blumen geſtaltet,
Lufthäufer im feinſten Geſchmack — und das Alles iſt fo re
gelmäßig geordnet, daß man beim Auf- und Niedergehen fo:
gleich alle Eintheilungen mit wenigen Linien abzeichnen Tann
und mit jedem Schritte auf die Einheit jtößt, welche dieſe we⸗
nigen Schönheiten zu einem Ganzen vereinigt. Welcher von
diefen beiden Wegen follte nun aber wol der befte fein? ber
Weg zur Einförmigkeit und Armuth in der Kunft, welcher uns
ber Conventionswohlftand, der verfeinerte Gefhmad und der
fogenannte gute Ton zeigen? oder der Weg zur Mannichfal⸗
tigfeit, den uns der allmadhtige Schöpfer eröffnet? Ich denke
immer der legtere, obgleich er zur Verwilderung führen kann.
Der Weg zur Mannichfaltigkeit ift der wahre Weg zur Größe
und wir werden nothwendig einmal zur mannichfaltigen Ratur
wieder zurückkehren, aus Diefer von neuem fchöpfen und eine
größere Menge vom Raturalien als biöher zu vereinigen fü
hen müflen.
In derſelben Abhandlung nimmt fih Möfer bes
„Bög von Berlichingen‘, weichen bekanntlich Friedrich II.
fo geringfchägig behandelt hatte, gegen dem großen Kö⸗
nig, in welchem er boch den echt deutſchen Kopf und
das echt deutſche Herz, deutſche Kraft und Dauer findet
wid den er, als ein Deutſcher, bebauert, in feinen Schrif⸗
ten und deren VBerzierungen hinter einem Boltwire zu
Allein wir bringen doch damit eigene edle:
erbliden, „da er boch auch in deutſcher Art und Kunfl
unfer Aller Meifter fein konnte”, nachdrücklich an und
fagt:
Schön und groß Zönnen unfere Producte werden, wenn
wir auf den Gründen fortbauen, welche Klopſtock, Goethe,
Bürger gelegt haben. Ihr Zweck ift die Bereblung einheimis
ſcher Probucte; und diefer perbient den bankbarften Beifall der
Nation. Goethes Abficht in feinem „Gög von Berlichingen ”
war gewiß, uns eine Sammlung von Gemälden aus dem Ra=
tionalleben unferer Vorfahren zu geben und uns zu zeigen,
was wir hätten und was wir koͤnnten, wenn wir einmal der
artigen Kammerjungfern und der wigigen Bedienten auf ber
franzöfifch : deutfchen Bühne müde wären und, wie billig, Ver-
änderung fuchten.
Dertraut mit der fihönen Literatur der Franzofen,
der Italiener, der Engländer, wie ed fcheint auch ber
Spanier, fowie mit der Entwidelung der deutfchen Poeſie
und Kunft, fodag ihm ein einfichtsvolles Urtheil zuſtand
wie nur Wenigen feiner Zeitgenoffen, unb es ſcheinen
konnte, ald lebe er ganz in diefen Studien, ordnete doch
ber überwiegend praktiſche Mann, ber thätige Patriot
auch dieſe wichtigen und edeln Interefjen ohne Bedenken
der politifchen Ehre und Größe der Nation unter, und
ihägte Literatur, Poeſie und Kunft nur, fofern fie zur
Hebung des Volle im Ganzen und Großen beitrugen,
fofern fie damit im Einklang fanden und von nationa-
lem Aufſchwung zeugten. Alles Einfeitige, Erkünftelte,
Überfeinerte war feiner wohlorganifirtten Seele fremd
und abftoßend, und ein hochgefteigerter „Lurus der Seele’
war dem Manne von „wohlgemogenen Neigungen” ebenfo
zumwiber als dem einfihtsvollen Haushalter und treffli=
hen Wirth ein Wohlſtand und das Glück der Kami-
lien zerrüttender Luxus in leiblichen und äußern Din-
gen, den er mit fo ergöglicher Laune häufig in feinen
„Patriotiſchen Phantafien” geißelt. Ein Mann ohne Vor-
liebe für das Ideale, Phantaſtiſche und Geniale, aber
orginel in feinem ganzen Weſen und Charaftergepräge,
echt deutfch von Geift und Herzen, befonnen, verftändig
und vom reinften Wohlwollen befeelt, ift Möfer ein
Schriftfteller, auf ben bie Deutfchen immer ſtolz fein
dürfen, und ber, ohne je das deal einer Partei gewe⸗
fen zu fein, immer eine Zierde der Nation bleiben wird.
Möge er Nachfolger in feinem Sinne, von feiner Ein-
ficht, Kraft und Vaterlandsliebe Haben! Befonders möch⸗
ten wir dies für die Kiteratur der Zeitungen wünfchen.
Die journaliftifche und periodifche Kiteratur Hat in Deutſch⸗
land feit Möfer’s Zeiten einen ungemeinen Aufſchwung
genommen, mas Umfang und Verbreitung betrifft, und auch
in Beziehung auf den Inhalt — wie viel Geift, Wig,
Salz, Kunft und Glanz des Stils, Feuer und au
Kenntniſſe und würdige Beſtrebungen finden fih in den
vielen Blättesn, welche unfer Vaterland jept Tag für
Tag hervorbringt: aber wie ſchwer dürfte es doch Halten,
aus der ungeheuern Maſſe folche gebiegene Werke zu
fammeln, ſolche Bücher, nicht bloß von augenblicklichem
Blanz, fondern von bleibendem Werthe, wie es Möfer's
„Patriotiſche Phantafien ” oder die auf ähnliche Art
entftanbenen, freilich in einem gan, aubern Geiſt ge⸗
147
fehriebenen, aber in ihrer Art menigftens ebenfo claſſi⸗
fen „Briefe des Junius“ find! 33.
Der Einzige und fein Eigenthum. Bon Mar Stirner.
(Beſchluß aus Nr. 36.)
Indem Stirner nun, nad der Betrachtung des Menfchen-
lebens, am die „„Beltgefchichte”, an „die Wenfchen alter und neuer
Zeit“ feinen Maßſtab legen will, zeigt fi) neben der Unhalt⸗
barkeit feines Standpunkts auch die Dürftigkeit beffelben.
Benn Feuerbach fagt, daß den Alten die Welt eine Wahrheit
gewefen fer, fo fegt Stirmer hinzu: „hinter deren Unwahrheit
fie zu Sommer ſuchten“ und deren Unwahrheit bervortrat mit
dem Todestage der alten Welt. Alsdann die Epoche der
„Reuen”, das Refultat von der Miefenarbeit der Alten, daß
der Menſch ſich als beziehungs⸗ und weltlofes Weſen, als
Geift weiß. Statt ber Periode des „Lebens“ die Periode des
„Denkens“. Diefe Auffafiung der menfchliden Entwickelung
ift nicht neu und in ihren Grundpunkten jedenfalls begründet,
aber diefe Entwidelung ift von einem fo großen Inhalte und
fo mannichfachen Ausftattungen erfüllt, daß es ſeltſam erfchei:
nen muß, wenn Stirner gleust, den bisherigen Lauf der Welt:
geſchichte mit folgenden Worten abmachen zu koͤnnen:
„Die Weltgefchichte, deren Geftaltung eigentlich ganz dem
kaukaſiſchen Menſchenſtamm angehört, Icheint bis jegt zwei
kaukafiſche Weltalter durchlaufen zu haben, in deren erflem wir
unfere angeborene Negerhaftigkeit aus: und abzuarbeiten
hatten, roorauf im zweiten die Mongolenhaftigkteit (dad
Chineſenthum) folgte, dem gleichfalls endlih ein Ende mit
Schreden gemacht werden muß. Die Negerhaftigkeit ftellt dar
das Alterthum, die Zeit der Abhängigkeit von den Dingen
(vom Hahnenfraß, Vögelflug, vom Nieſen, vom Donner und
Blig, vom Raufchen heiliger Bäume u. |. w.); die Mongolen»
haftigfeit die Zeit der Abhangigteit von Gedanken, die chriſt⸗
liche, Der Zukunft find die Worte vorbehalten: Ih bin Eig—
u ber Dinge und ih bin Eigner der Welt bed
eiftes.’
Die Zukunft fol alfo dem gedankenloſen Dafein Ieerer
Sch - Atome gehören, der Organismus des menschlichen Lebens,
an dem die Weltgefchichte in ewigen Mühen gearbeitet bat,
fol in Iauter einzelne Punkte zerfallen, all unfere Betriebfam:
keit war nur Ameifenthätigkeit und Flohſprung, Iongleurfünfte
auf dem unbeweglichen Seile des Objectiven, Frohndienſt unter
der Herrſchaft des Unveränderlihen oder „Emigen”. Diefes
Ewige aber ift bei Stirner nicht blos ein theologiſches Jen:
feits, fondern aud das menfchlihe Denken ift für ihn eine
wnerträglide Ewigkeit, er empört ſich, nachdem Bauer und
Feuerbach fi gegen „Gott“ empört haben, auch gegen die
Autonomie des Menfchengeiftes, gegen die Menfchheit, in de:
ren ideeller Auffaffung er ein neues unerreichbares Jenſeits
fieht. Er will eben nur ein Sein in feiner ganzen Brutalität.
Diefer Brutalität der vereinzelten Ich⸗Atome fol die Zukunft
gehören, wie die Bergangenheit und zum heil auch die Ge:
genwart noch dem „Geiſte“, dem „Gedanken“ gehört. Stirner
iR confequent auf dem Wege ber Negation weitergegangen und
Fonrte man feine Grundprincipien als richtig anerfennen, fo
würde ſich gegen die Sonfequenzen, welche er aus ihnen zieht,
Taum etwas vorbringen laffen.
Sein Grundgedanke ift die Verachtung des Beiftes, des
Gedantene, die eepauptung, daß der Geift, der Gedanke etwas
Unmenſchlichet fei. Aber Stirner’s Confequenz ift, wie ſchon
oben „gest, nit fo weit gegangen, daß er den Geiſt, den
Gebe gänzlich von fi gewiefen, vielmehr ſucht er ben
Gelft, den Gedanken mit Geiſt, mit Gedanken zu befümpfen
wid an die Stelle der Abſtraetion Menſchheit, Freiheit u. f. w.,
die doch einen Ichendigen Inhatt haben, fegt er eine neue W⸗
fraction, die der Ichheit, der Einzigkeit. So —ãA der
Einzige ſelbſt. Er hat ſelbſt nicht ohne Geiſt, ohne Abſtraction
ſein koͤnnen. Der Horizont, den er aber gewinnen moͤchte, iſt
der Horizont des Chaos. Wie über ſtarre Ich⸗Atome jede
keitende Idee und überhaupt die ganze Geſchichte verloren ger
ben mußte, jo mußte ebenfalld über die verfommenen, verkrüp:
pelten Menfchenkörper, die keinem Ideale entfprachen, die Kunft,
welche anf biefem „Ideale“, dem „Geiſte“ beruht, verloren ger
ben und wir kaͤmen mit Der „Geiflofigkeit" wohin anders als
zur Verthierung, zu lauter ſich gegenfeitig abfloßenden, ber»
einzelten Thierweſen? Wer erinnert fi bier nicht an die
Berirrungen des großen Rouſſeau, die, fo geiftvoll fie au
burchgeführt waren, doch immer Verirrungen bfieben!
‚„ Stiener Hat eine durchaus falſche, nämlich eine materialis
ſtiſche Anſicht vom Geifte. Er will ihn faflen, ex will ihn
pacden und weil er das nicht kann, ift er ihm ein „Spuk“, ein
„Geſpenſt“ . „Haſt du fchon einen Geiſt gefehen”, fragt er
materialiftifh. Weil er ihn nicht gefehen bat, weil er nicht
ganz Geift, weil er nit der Menſch werden kann, will er
nichts vom Geifte, nichtd von der Menfchheit wiffen, alle Ideen
zu einem „Jenſeits“ machen und alles Leben auf ein bioßes
Dafein mit perfönlichem Vortheil zurüdbringen. Gr wird alfo
nichts weiter wollen ald Scarfiinn. Denn das ift genug für
ben perfönlichen Vortheil und er wird fih zu Feiner andern
Aufgabe Hingezogen fühlen. Er müßte, da er nun einmal
nicht auf die Thierſtufe zurüdkehren kann, wenigftens auf bie
Stufe ter alten Welt zurüditreten, welche aber nur Scharffinn
an den Dingen übte und bie reiche Welt des Geiftes, wie fie
mit dem Chriſtenthum fi auffchloß, nicht kannte. Aber in-
dem er feinen Egoismus nit an den Dingen übt, fondern
fein ganzes Buch den Beweis liefert, wie fehr er bemüht iſt,
mit feinem Egoismus über die Dinge binauszulommen, aner-
kennt er jelbft das „Weſen“, den „Geiſt“, der hinter den Din⸗
en ftebt. Es läuft bei ihm nur auf ein Wortgefecht hinaus.
enn ber Eine das Weſen des Menſchen in den Geiſt ſetzt,
fo ſetzt Stirner es materialiſtiſch in den „Egoismus“. Aber
damit iſt nicht das Weſen vernichtet, ed bleibt vollkommen.
ie es unmögli wird, der Menſch zu fein, fo ift es unmö
li, der Egoift zu fein. Der Egoismus bleibt alfo ebenfo fe
ein „Spuk“ wie die „Menſchheit“, und wenn der Eine vom
Geiſte „beſeſſen“ ift, fo ift Stirner eben au nur vom Egois⸗
mus „befeflen”. Es ift im MWefentlihen gar nichts geändert
er ift in einer „firen Idee” befangen. ‚Der Geiſt ift
etwas Underes als Ich. But. Aber wir feben hinzu: Das
„Ich“ iſt auch wieder etwas Anderes als Mar Stirner. Das
„Ich““ bleibt immer etwas Geiftiges, es kann den Geiſt, die
Abftrackion nicht los werden und fo recht egoiſtiſch ift alfo nur
die Unvernunft, der Klog, der Stein, das Vieh, es bebaust
„geiſtlos“ in fich felbft und hat nichts Underes als fein bru⸗
tales Dafein. Stirner muß die Menfchen unvernünftig ma»
hen, um fie von ber „Bifion“, von dem „Sparren“ des Geis
ſtes zu befreien. .
Feuerbach ift von dem Übermenſchlichen auf das Menſch⸗
liche, auf das Weſen des Menſchen zurückgekehrt. Wenn man
die ſpeculative Philoſophie nur umlehre, fagt er, d. h. immer
das Prädicat zum Subject und fo das Subject zum Object
und Princip mache, fo bekomme man die gute blanke Wahr:
heit. Stirner gebt nun weiter. Nom Standpunkte feiner
„Einzigkeit” aus erfeheint ihm ſelbſt das „Weſen des Men:
ſchen“ als etwas Übermenfcliches, Unmöglihed. Wan ver
liere durch die Umwandlung bes Präbicat® ins Qubjert aller:
dings den &ott, ber auf diefem Standpunkte Subject ift, aber
man taufche dafür die andere Seite des religiöfen Standpunk⸗
tes, den fittlichen, ein. Run beißt es: Das Sdttliche ift Das
wahrhaft Menſchliche. Uber ift der Gott aud) aus feinem
Himmel vertrieben und feiner „Transſcendenz“ beraubt, fo iſt
er darum, nach Stirner, doch noch keineswegs befiegt, wenn
er dabei nur in die Menſchenkraft gejagt und mit unvertiigba⸗
rer ISumamnenz beſchenkt wird.
Dos „Weſen des Menſchen“, welches Feuerbach fegt, iſt
und bleibt für unſern Stirner ein unmenſchliches. „Ein Un⸗
148
menfih ift Derienige, welcher dem Begriffe «Menfch», dem
«Sattungsmenfhen» nicht entiprit.” „Die Herrſchaft des
Geiſtes, des Gedankens ift Hierarchie.” Mit dem Aufgeben des
überirdifchen Gottes wäre nichts gethan, denn „als ob nicht
die Herrſchaft der Sittlichkeit auch eine vollkommene Herrfchaft
der Heiligen, eine «Hierarchie» fein würde.” Freilich ift die
Sittlichkeit der „Kritiſchen“ eine ganz andere ald Die der
„ Bürgerlichen”, aber „fie bat am Ende nur die Reinheit bes
Hrincips voraus‘, das, aus feiner Verunreinigung mit dem Re⸗
ligiöfen befreit, in feiner geläuterten Beftimmtheit als „Menſch⸗
lichkeit” zur Allgewalt gelommen iſt. Aber der „Einzige“ will
nichts von dieſer „Menfchlichkeit”’ willen, weiche ebenfowol
Bauer als Feuerbach an die Spige ihres Syſtems ftellen, er
fieht darin nichts als einen neuen „jenfeitigen Gott”, eine „Un⸗
menſchlichkeit“/. ine richtige Conſequenz feiner einmal ange⸗
nommenen und vorauögefegten „Einzigkeit”. Aber der „Ein:
zige“ wird ebenfo weit hinter dem Begriffe der „Einzigkeit“
zurüdbleiben als der Menſch hinter dem Begriffe des Men:
ſchen, und ein „Jenſeits“ ſteht alfo über ihn, wie und wohin
er fih auch wende.
Stirner legt den Mafftab der „Einzigfeit‘ im Verlaufe
feines Buchs an alle tiefen Bewegungen und leitenden Ideen,
d. h. er bemüht fi, diefelben Durch daß „Ich“ aufzulöfen und
an die Stelle der Herrfchaft der Begriffe die Herrfchaft der
geift: und gedankenloſen, vereinzelten Eriftenzen zu fegen. Mit
feiner „Einzigkeit“ fucht er den Staat, das Recht u. f. w. zu
ftürzen, feine „Einzigkeit“ ftellt fi) den Affociationsbemühun:
gen gegenüber, er predigt Auge um Auge, Zahn um Zahn,
ewalt um Gewalt:
„Die Weltgefchichte ift mit uns graufam umgegangen und
der Geiſt bat eine allmälige Gewalt errungen. Du wirft
meine elenden Schuhe achten, die deinen nadten Fuß fhügen
fönnten, mein Salz, wodurch deine Kartoffeln genießbar wer:
den und meine Prunfcarroffe, deren Befig dir alle Roth auf
einmal abnähme: du darfft nicht danach langen. Bon alle
Dem und unzähligem Andern fol der Menfch die Selbftändig>
keit anerkennen, es fol ihm für ungreifbar und unnabbar gel:
ten, fol ihm entzogen fein. Er muß es achten, reſpectiren,
wehe ihm, wenn er begehrend feine Finger auöftredt: wir nen»
nen da6 «lange Finger machen». Wie fo bettelhaft wenig ift
uns verblieben, ja wie fo gar nichts. Alles ift entrüdt wor:
den, an Nichts dürfen wir uns wagen, wenn ed und nicht ge:
geben wird. Wir leben nur noch von der Gnade des Gebers.
Nicht eine Nadel darfft du aufheben, es fei denn, du babeft
dir die Erlaubniß geholt, daß du es dürfefl. Und geholt von
wem? Bom Refpecte. NRur wenn er fie dir überläßt als Ei⸗
gentbum, nur wenn du fie als Eigenthum vefpectiren kannſt,
nur dann pe du fie nehmen. Und wieterum folft du kei⸗
nen Gedanken faflen, Beine Sylbe fprechen, Beine Handlung be:
gehren, die ihre Gewähr allein in dir hätte, flatt fie von der
Sittlichfeit, oder der Vernunft, oder der Menſchlichkeit zu em»
pfangen. Glüdliche Unbefangenheit des begehrlichen Menfchen,
wie unbarmberzig bat man dih an dem Altare der Befangen:
heit zu ſchlachten geſucht!“
Zu diefem Ausfpruch muß allerdings der „Einzige“ Tom:
men, indem er fi) die „Hierarchie des Geiftes’‘, den „Spuk
und die „Sparren” betrachtet und indem er das Weſen zum
Sein in Widerſpruch fegt. Das Sein Stirner’s, wie er eb
verlangt, ift ein Sein ohne das Weſen des Seins, dadurch
wird es unmöglih, dadurch wird fein Grundprincip eine
„Schrulle“. Stirner will von jedem Inhalte des Seins ab:
firahiren und zwar von allem Inhalt, denn Alles ift Inhalt
des Seins. Da bleibt ihm ganz natürlich nichts weiter ald
‚ein bloßes Dafein übrig. Stirner verachtet das Weſen, aber
was mein Wefen ift, ift au mein Sein, das Sein ift die
Hofition des Weſens. Stirner will, indem er Sein und We⸗
jen trennt, eben nur auf den althegelihen Widerſpruch von
Denten und Sein zurüd, und bas Sein, welches er predigt,
die „Einzigkeit” ſteht ebenfo ſehr im Widerfpruche mit dem
wirklichen Sein als das Sein, womit die „Phaͤnomenologie“ be:
innt und welches in der „Logik“ aufgeftelt worden iſt. Er ift,
2 weit er auch über die Schule binausgegangen ſcheint, doch
ganz und gar innerhalb der Schule geblieben.
Übrigens Fann man ed nicht verkennen, daß das vorlie
gende Werd noch eine andere Bedeutung bat als eine bios
ſchulphiloſophiſche. Es fpricht ein großes Geheimniß aus, das
größte Geheimniß unferer Tage. Es predigt den Egoismus
mit einer Offenheit und Ehrlichkeit, wie er ſich fonft nody nir⸗
gend hervorgewagt hat. Der Egoismus, wie er unfer ganzes
Leben durchdringt, hat feine befondern Bwede immer hinter
eine „gute Sache”, „Recht“, „Breiheit”, „Vaterland“ u. f. w.
verborgen, Stirner wirft diefe Larve weg und zeigt ihn offen,
er zeigt ihn in feiner ganzen Nadtheit, er macht einen Cultus
aus ihm. Über gerade die ordinairen Egoiften fcheinen ji
am meiften au entfegen über die Kedheit, mit der &tirner
ihre ſtillen Wünfche ausfpricht und aus ihren Anfichten feine
Confequenzen zieht; fie flelen „die gute Sache”, die „Sittlich⸗
keit“ u. ſ. w. voran und verfchreien ben einfamen Propheten
Stirner. - Dad Stirner den Egoismus aufgededit hat, daß
kann nicht anders als gebilligt werden, aber daß er diefen
Egoisſmus, fo weit der feinige auch von dem ordinairen unter⸗
fhieden fein mag, zum Eultus machen will, daß ift und bleibt
eine Berirrung. 28.
Literarifhe Rotizen aus England.
Reliquien in Irland.
Die irifche Atertpumdgefellichaft hat ein altes Manufeript
„The book of obits and martyrology of the Holy Trinity, com-
monly called Christ Church” (Dublin) herausgegeben , worin
unter Anderm die in diefer Kathedrale aufbewahrten Reliquien
befchrieben find, die es gewiß mit dem Rode zu Trier aufneh⸗
men Tonnen. Diefe Reliquien beftehen naͤmlich: 1) in einem
„Srucifir und Bildniß unfers Herren Jeſus, von dem berichtet
wird, daß es zweimal wunderbarerweife geſprochen bat‘;
2) dem Stab Jeſus, den ein Engel dem heiligen Patrick, dem
Schugheiligen Irlands, fchenkte; 3) einem tragbaren marmore-
nen Altare, auf welchen ein Ausfagiger wunderbarerweife von
England nad Irland gefhwommen Fam; 4) dem Gürtel der
Zungfrau Maria und einem Theil ihrer Milch; 5) einem Dorn aus
der Dornenkrone des Herrn nebft Scheinen des heiligen Petrus
und des heiligen Andreas; endlich 6) einem Stüd von den Mo»
ſaiſchen Sefegtafeln; einem Zheil der Windeln, in denen Ehri-
ftus S Kind gewidelt wurde, ſowie cinem Stud von Laza=
rus' Grab.
Der Zefuitismus.
Die Überfegung der Duller’fchen Schrift über die Jeſuiten
ins Englifche: ‚The Jesuits as they were and are”, von einem
gewiflen 3. &. Car mit einer Vorrede von Sir C. Eardley
Smith, veranlaßt bad „„Athenaeum’ zu der Bemerfung, der Ge⸗
genftand fei trog Alles, was darüber gefchrieben worden, noch
intereffant genug: in dem Beſtehen dieſes Drbens liege ein
praktiſch wichtiger Grundjag verborgen, deſſen Loͤſung no
nicht von dem Weltfhidfal dargeboten worden fei. Der Bor:
ſchlag aber, auf Seiten des Proteftantismus eine ähnliche Ein-
richtung im Geifte des legtern zu Schaffen, fei abgeihmadt, weil
eine folche dem Geifte des Proteſtantismus felbft zumwiderlaufe
und zu deſſen Beiftand unnöthig fei. Uber ed gebe. freilich
Geifter, die in die Freiheit und die Vernunft Fein Vertrauen
fegten und der Ratur felbft duch Fünftliche Mittel zu Hülfe
fommen wollten in Faͤllen, wo legtere den Fortfchritt eher
hemmten als ihn dem gewünfchten Ziele entgegenführten.
Verantwortlicher Herausgeber: Seinrich Wrodhans., — Drud unb Verlag von F. X. Srockhaus in Keipzig.
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Sonnabend,
I. Maria Thereſia und ihre geit.
she Hefte, Wiehbaben, Beyerle. 1843 — 4. Gr. 16,
. r.
2. Kaiſer 4 II. und feine Zeit. Bon Karl Ramshorn.
Zehn Lieferungen. Leipzig, Ph. Reclam. 1844. Ler.:8.
2 Thlr. 15 Nor
gr. „
3. Erzherzog Karl von Dftreih. Geſchildert von Eduard
Duller. Erſte bis achte Lieferung. Wien, Kaulfuß
Bite, Prandel und Comp. 1844-45. Ler. «8. 2Ahir.
U Nor.
4. Böhmen. Geſchichte des Landes und feines Volks von ber
früheften bis auf die neuefle Beit, von I. P. Jordan
Mit Stahlſtichen. Erſter und zweiter Band. Leipzig,
Naumburg. 1844—45. Gr. 16. 2 The. 22%, Rar.
5. Handbuch der Befchichte des Herzogthams Kärnten. Won
Sottlieb Freiherrn von Ankershofen mb Heinrich
Hermann. Erſte Abtheilung, erſtes und zweites‘ Heft.
Zweite btheilung, erftes umd zweites Heft. Kt rt,
2eon. 1842 —44. Br. 8. 2 Zhle. 9%, xgr.
6. Geſchichte des öſtreichiſchen Kaiſerſtaates. Nah Quellen und
| fungen Bargefteit von Leopold
Haßler. Wien, Mang 1842. Br. 8. 2 %2Hlr. 10 Ror.
den älteften bis auf die neweflen Zeiten. Ben Ignaz
Ze dtel. Leipzig, F. Fleiſcher. 1844. Gr. 8. 1 Thlr.
te
8. . des Entſtehens, des Wachtthums und der Größe
der oͤſtreichiſchen Monarchie. Bon Johann Sporſchil.
Se, bie ee Kieferung. Leipgig, Renger. 184349.
r. r.
Die „Annalen der öſtreichiſchen Literatur“, eine Zeit⸗
ſchrift, welche fich vor etwa 40 Jahren die unbankbare
Mühe gab, das auf dem vaterländifhen Parnaß empor-
wudernde Unkraut auszureißen und es nebenbei, über
nahm, „alte literarifche Producte, bie feit Dem Anfange
des neuen Jahrhunderts in den öftreihifchen Staaten in
allen Wiffenfchaften und Sprachen erſchienen find, nicht
nur anguzeigen, fondern auch zu prüfen und das Re⸗
ſultat ihrer Prüfung bem Publicum vorzulegen”, fehen
ſich gembthigt'zu geftehen, daß man über die ältefte Ge⸗
ſchichte Oſtreichs, in deutfcher Sprache und für das große
Publicum leider kein lesbareres und befferes Werk babe
als „Anton’s Edlen von Geuſau's, des heil. römifchen
Heichs Ritters, Wieneriſchen Mäglfieats Beamten, Ge:
ſchichte Oftreih® von der älteften bis auf gegenwärtige
Seiten” (Wien 1800-—1), und fist bet:
Daß Dftreich eine fo ausführli
Son Eduard Duller.
e, richtige und lehrreicht
7. Kebruar 1846.
Landesgefhichte, als viele deutfihe Staaten bereits haben, je⸗
mald befomme, ift mehr zu wuͤnſchen als zu hoffen. Ein gu:
ter Anfang dazu ward zwar durch die berühmten Ubte von
@öttweih, Gottfried Beſſel und Magnus Klein, gemacht, aber
biefe Männer ftarben zu früh. Richt einmal Das, was Mag:
nus Klein bereits außgearbeitet hatte, ward vollftändig ge⸗
druckt. Das binterlaffene Manufeript fol verfchwunden fern,
ohne daß man weiß wohin, und obne daB man ſich Mühe ge:
geben zu haben fcheint, es wieder ausfindig zu machen unb
zum Drude befördern... Seitdem zeigt ſich Beine Yusjicht,
baß ein fo wichtiges und nügliches Unternehmen fortgefegt wer:
den würde. Ein Privatgelehrter iſt einzeln der Arbeit nicht
gewachſen, und audy nicht im Stande, fih alle nöthbigen Quel⸗
len anzuſchaffen; eine Geſellſchaft der Wiffenichaften aber zur
Bearbeitung der vaterlaͤndiſchen Geſchichte ift bisher in Äſtreich
nicht zu Stande gekommen, und wenige Vorſteher der öffent-
lihen Bibliothefen haben Sinn für die Sammlung der Quel⸗
len ber öftreihifchen Geſchichte. Wan wird in allen wieneri⸗
ſchen Bibliotheken zufammengenommen ſchwerlich zwei Drittheile
der Schriften finden, deren Benutzäng bei Verfafſung einer
grünbliden und lehrreichen Landesgeſchichte nothwendig i
Möchte doch einer der reichen öftreichifchen Cavaliers, bie Ge
genug zu den Eoftbarften Sammlungen pon Steinen, Gemäls
den, Münzen u. f. mw. verwenden, den Einfall haben, eine
Sernmlung aller zur vaterlänbifchen Geſchichte gehörigen Schrif«
ten zu beranftelten und zum öffentlichen Gebraudhe zu beftim-
men. Das ſchoͤne Beilpiel, das die Grafen Offolinsli und
Szecſeny (Szechenyit) mit ihren Sammlungen, Iener für bie
polnische, Diefer für die ungarifche Geſchichte geben, möge für
die oͤſtreichiſche nicht unnachgeahmt bleiben. .... Bel einer
fortwährenden Gleichguͤttigkeit gegen die Quellen der oͤſtreichi⸗
ſchen Seihichte wird und muß diefe immer dunkel, zweifelhaſt,
mit Unrictigfeiten überladen, unvelftändig, Fur; in ihrer
Kindheit bleiben. . |
eufau’s elende, von Plagiaten wimmelnde Compi⸗
fation ift ſeitdem verfchollen, aber die Klagen, welche an
die Anzeige feines Buchs geknüpft wurden, koͤnnten in
der Hauptfache noch immer ausgefprochen werden, ohne
dag man daburch den Vorwurf der Übertreibung auf
fih lade. Eine Gefellfhaft der Wiffenfchaften, die, fo
zweifelhaft auch ber Nugen fein mag, den foldhe Körper
(haften in anbern Ländern jetzt noch fiften, bei zweck⸗
mäßiger Einrichtung in Oſtreich gewiß nur wohlthätig
wirken würde, ift dort noch immer nicht zu Stande ges
fommen, ungeachtet fie von LKeibnig bis Hammer man-
hen gewichtigen Fürſprecher fand; von einen Unterneh
men vie es Perg für das gefammte Deutfchland aus-
führt, ift im Kaiſerſtaate noch immer nicht die Rede,
unb von einem „Cavalier“ der mehr ‚Sinn! für Ges,
ſchichtsquellen als für die „noblen Paffionen” hätte, iſt
150
im Baterlande Khevenhüller's auch noch nichts bekannt.
Ja, es hat fih zu biefen Übelſtänden noch manches
Schlimmere gefellt, und das Ergebniß ift, daß von al⸗
len deutſchen Staaten von einiger Bedeutung Oftreich
allein noch eine den Foderungen der Zeit entſprechende
Geſchichte entbehrt. Wer follte fie ſchreiben, mo folte
fie gefhrieben werden ? Sprechen wir es aus, daß das
in Oſtreich ſelbſt geradezu unausführbar iſt. Nicht weil
es an den Gaben fehlt, ohne welche die Löfung einer
folhen Aufgabe gelingen kann — die Namen Kurz,
Chmel, Mudar, Hormayı, Palacki, Mailath, Lich:
nowski, denen fi manche von nicht minder gutem
Klange anreihen liefen, Teiften dafür Bürgſchaft —,
fondern weil man noch nicht gelernt hat, ber Vergan⸗
genheit kuhn ind Angeſicht zu ſchauen. Man gefällt ſich
in Täufchungen, die das Licht ber Forſchung nicht ver«
tragen wärbden; insbefondere glaubt man dynaftifche In:
tereffen zu fördern, indem man zwifchen bem habsburgi⸗
ſchen und lothringiſchen Herrſcherſtamme einen bis zur
Identität geſteigerten Zuſammenhang annimmt, der in
der Wirklichkeit nie beſtand, und das Thun der Spröf-
linge Franz I. mit jenen der Nachkommen Rudolf's 1.
durch eine Art folidbarifcher Verantwortlichkeit verfettet.
Dies führt zu jener Hiftorifchen Schönfärberei, die alle |
wächen in. den fogenannten Ahnen des tegierenden
Sales” mit gefchäftiger Loyalität überpinfelt , dadurch
aber die Geſchichte, ſtatt zu einer Lehrerin der Wahr⸗
heit für die kommenden Geſchlechter, zur Fabel macht,
die zu nichts weiter taugt als in ben Schulen aus⸗
wendig gelernt und im. Leben vergeffen zu werden,
Es ift uns unmöglich, ein einziges in Oſtreich felbft er-
ſchienenes Werk zu nennen, auf melches biefer übelver-
ſtandene Patriotiemus nicht feinen verderblichen Einfluß
geübt haͤtte. Wir ſprechen hier noch gar nicht von der
Cenſur; denn die Cenſur kann woi Wahrheiten unter-
drücken, fie kann jedoch, ſelbſt wie fie in OÖſtreich ge-
handhabt wird, nicht zwingen Lügen zu verbreiten.
Wie ſoll ferner oͤſtreichiſche Geſchichte geſchrieben wer⸗
den? Es gibt eine deutſche, franzöſiſche, ruſſiſche Ge⸗
ſchichte, weil es ein -beutfches, feanzöfifches, ruſſiſches
Volk gibt: in dieſem Sinne alſo kann von einer oͤſt⸗
reichiſchen Geſchichte nicht die Rede ſein. Und da wir
die Aufzaͤhlung einer Reihe von Regenten und Deſſen
was ihnen zu thun und verordnen beliebt hat, nicht Ge⸗
ſchichte nennen, fo kann eine öftreichifche Geſchichte nur
bie Aufgabe haben / eine Darſtellung der Entwickelung
des deutſchen, ſlawiſchen, magyariſchen und italieniſchen
Volksſtamms auf dem Gebiete zu geben, das im Laufe
der Zeiten in ben öftreichifchen Kaiſerſtaat zuſammen⸗
geihmolzen ifl. Andere Schilderungen mögen auf ben
Titel von Geſchichte der Familie Habsburg und Lothrin-
gen Anſpruch machen, einen höhern Werth aber können
wir ihnen nicht zugeftehen.
Ein Muſter jener officielen Gefchichtfehreiberei, die
Alles vortrefflich findet. was und meil es ein Habsbur-
ger gethan Hat, ift das Wert Nr. 6. Hier beginnen
die Entftellungen ſchon bei Thatfachen, von denen man
glauben follte, daß fie doch wol
ber Willkür orakelnder Sophiſtik
3. B. heißt es:
Inzwiſchen hatten fi) in der Schweiz aro Gefahren zu:
fammenge gen, und der Ba —e Be Veen d Ag
dad unbefangene Gemüth 'erfchüttert "und mit Trauer erfüllt.
Ohne Ruͤckſicht auf althergebrachtes und auf geſchriebenes Recht,
auf Geſetze und Friedensfchlüffe, ftrebten die Eidgenoffen ganz
offen danach, in den helvetiſchen Landen jede, aud die billigſte
Abhängigkeit zu verfügen. Die Herren ergrimmten über den
fteigenden Zroß und den fortfehreitenden Abfall ihrer Unter
1 ne welche der ftet6 bereite Schug der Schweizer ermu-
ehigte. Oſtreich zumal konnte mit Recht Die Eidgenoffen wie:
berholten Friedensbruches zeihen. Mehre feiner Landf
und Stäbte waren zur Abtrünnigkeit verleitet, ja mit offener
Gewalt genommen, viele Burgen der Edein oder der Amtleute
gebrochen, verfchiedene Bollftätten gerftört, befonders von Luzern
großer Frevel begangen morben. Yıs defien fein Ende war,
griff Herzog Leopold zu den Waffen.
Die Ermordung Geßler's durch . Wilhelm Tel und
deſſen Pfeilſchuß werden ohne Weiteres für Sagen er-
Härt, „Die eines jeden Hiftorifchen Grundes entbehren“,
und der Verf. zergliedert den Mythus mit einer Sicher
heit, wie wenn er bei ber Genefis beffelben in eigener
Perfon zugegen gewefen wäre. Gr fagt::
Diefe Erzählung entftand offenbar aus ber Sage von ei-
nem gemwiflen Wilhelm Zeh und einem Grafen von Seedorf,
der Herr eines Theiles von Uri war und im 12. Sahrhundert
lebte, aus ber Fabel vom Könige Harald und dem Schuͤtzen
Tholko, und endlich aus dem Streben, die Entſtehung der
ſchweizeriſchen Eidgenoſſenſchaft, gleich dem Entftichen Roms,
in ein vomanenhaftes Gewand zu hüllen. Die Sage gab dem
Ramen, die Fabel den Stoff, und Eitelkeit verbunden mit Rei»
gung Geltfamen brachte die Sache in Umlauf.
. 80 läßt Hr. Haßler die Güter der „Laufenburg.
Kyburg'ſchen Linie” nach bem Erlöfchen (1415) „wieder
an bie habsburgiſche Hauptlinie‘ zurüdfallen. Der legte
Sprößling jener Linie aber, Graf Ego von Kyburg, hatte
fhon Alles, was er in ben helvetifchen Landen befaß, an
bie Berner abgetreten, als er auf die Güter feiner Ge⸗
mablin nad Frankreich zog, wo er fpurlos verfchollen ift.
Bir Hätten diefe Verwechfelung ungerügt gelaffen, und
würden auch nicht erwähnt haben, daß Dr. Hafler ben
Großvater Rubolf’s von Habsburg, den Grafen Ulrich
von Kyburg, der Schwager des legten Herzogs von Zäh-
ringen war, irrthümlich einen Ablömmling biefer Her-
doge nennt, mern ſolche Verflöße, die nicht bie einzigen
ihrer Urt find, nicht in einem Werke vorkaͤmen, deſſen
Verfaſſer im Staate nur das Patrimonialgut einer By⸗
naſtie ſieht, deren Genealogie alſo in ihren geringſten
Einzelheiten für ihn nothwendigermeife von befonderer
Wichtigkeit fein muß. Naiv klingt:
Dieſe Verbindung (mit der Tochter Galeazzo Maria’s
Sforza von Mailand) gab dem Kaifer (Marimilian I.) Gele-
genheit, Eräftig in die Angelegenheiten Italiens eingugreifen, -
wo unter harten Kämpfen der Srund zu dem Syſtem des po=
litiſchen Gleichgewichts gelegt ward, das auf der anerkannten
Rechtmaͤßigkeit des Befiged und auf der Guͤltigkeit der abge⸗
ſchloſſenen Verträge beruhte, und, freilich unter manchen we⸗
ſentlichen Veraͤnderungen, fortdauerte bis zur Zeit ber franzoͤſi⸗
ſchen Revolution —
und den Geiſt dieſes Geſchichtſchreibers bezeichnet, was
agt:
laͤngſt feſtgeſtellt, und
entrückt ſeien. S. 112
er ©. 482 fü
151
Ebene Froͤnnigkeit und eigenes Rachdenken überzeugle
den Kaiſer (Franz), Daß die ſtrenge Aufrechthaltung der Reli
gion in feinen Stasten das vorzüglichfte Beduͤrfniß fei, daher
war es fein Wille, daß alle Heiligthümer der Neligion, und
daß ſelbſt ihr fernfter Schein von ber profanen Berühr
weltlicher Gewalt unangetaftet blieben. Er kannte die trauri⸗
gen Folgen, welche in andern Staaten die dem Blauben feind»
üch entgegentretende Mobephitofophie hervorbrachte, und. ver
abſcheute diefelbe als das gefährlichfte Übel.
Vielleicht ift auch die Furcht vor dieſer Mobephifo-
ſephie Urfache, dag im vorliegenden Buche Cultur⸗ und
Literaturgefchichte gar nicht berührt find. Hr. Hafler
iſt Nachfolger Schneller's. Dies faun man in der That
gemäßigten Fortſchritt nennen!
(Der Beſchluß folgt: )
—
Quellenſammlung der badifſchen Landesgeſchichte im Auf⸗
trage der Regierung herausgegeben von F. J. Mone.
Erſter Band, erſte Lieferung (Bogen 1-30). Karle-
ruhe, Macklot. 1845. Gr. 8. Preis des vollftän-
digen Werks 5 Thlr.
Wenn wir mit gerechtem Stolze wahrnehmen, wie in den
letzten zwei Jahrzehnden bie verfihiebenften Landſchaften uns
ſers gemeinfamen Waterlandes mehr oder minder glücklich,
immer aber rühmlich, in Veröffentlichung der Quellen zur
Kunde ihrer Borzeit miteinander gewetteifert haben, fo durfte
ed wol beftemden, wie ein Volk, das wir ſtets als Bor:
kämpfer unferer Ratien zu betrachten gewohnt waren, aus
defien Mitte unfere größten Geſchlechter hervorgingen, ein
Land,.das die Schatzkammer unferer theuerften Erinnerungen
iſt, deſſen Seſchichte uns Die erften Sugendträume des beutfchen
Bolks offenbart, fo lange diefen loͤblichen Beftrebungen fchein-
bar theilnahmlos zufchauen konnte; deſto freudiger aber müflen
wir das Erfcheinen eines nah Plan und Ausführung fo voll
dommenen Werkes begrüßen, welches, mit den gleichzeitig in
dem ſchwaͤbiſchen Nachbarlande and Richt tretenden ‚„„Monumen-
ta’ ich ergänzend, dazu befkimmt -ift, jene empfindliche
Lücke in der Reihe unjerer Quellenfammlu auszufüllen.
Die Aufgabe, wie fie dem Verf. des fraglichen Quellen»
wer?s vorlag, hatte fürwahr ihre ganz eigenthümlichen, zu⸗
naͤchſt in dem Zerritorium, auf welches fich daſſelbe erſtreckt, be⸗
rünbeten Schwierigkeiten. Das Großherzogthum Baden um:
chließt nicht die Söhne Eines Volksſtamms, ift auch nicht un
ter der fchaffenden Hand Eines Regentenſtamms allmälig em⸗
porgewachſen, fordern erft in Folge neuerer Zeitereigniffe aus
den verfchiedenartigften Beftandtheilen Fünftlich zufammengefügt ;
die Pfalz. der Kern des deutſchen Frankenlandes, das fraͤnkiſch⸗
allemannifche Alt⸗BVaden, der theild allemannifche, theils ſchwaͤ⸗
biſche Süden: welche Mannichfaltigkeit des innern Lebens und
der Geſchichte deuticher Stämme bieten jie nicht, aber wie ſchwie⸗
rig iſt es auch, bier immer das gehörige Maß und Biel zu
halten und über den alten Bölßergrenzen nicht die neuern
politiſchen Schranten außer Acht zu la Der Berf. hat
ier, jo weit aus ben vorliegenden Proben geurtheilt werden
ann, vollfommen bie richtige Grenzlinie getroffen und das
Wert möglihft auf feine territoriale Grundlage beichränkt, ohne
barum dem allgemeinen Interefie, welches daſſelbe bei den
Freunden deutiher Geſchichtsforſchung nothwendig finden muß,
au nahe zu treten.
Unbererfeits aber hat er, was wir ganz ‚befonbers an:
erkennen müfjen, vüdfichtli der Wahl des Materiald und
der Behandlung deflelben feinen Plan weit über die von ben
Herausgebern anderer Quellenfammlungen bisher beobachtete
Grenze dehnt: - -
Die erfte Hauptabtheilung bilden die GSeſchichtsbuͤcher:
%
und zwar werben darunter. sicht nur Chroniken, wit
von Heiligen: Legenden und Annalen, zu Denen auch Bent
und Tagebücher zu reinen find, fondern auch die für Feſt⸗
ſtellung hiſtoriſcher Daten oft ſo wichtigen gien, wie
nicht minder hiſtoriſche Gedichte begriffen, an weichen das res
mantifhe Schwabenland fo veich iſtz auch werden hier zum er»
‚Mais die vielen in alten Codices zerſtreuten hiftorifchen
tigen, welche fonft von dem Forſcher leicht überfehen werben
oder ganz verloren gehen, hier zu einer Sammlung fortlaufens
ber Annales variorum vereinigt.
, Die zweite Abtheilung, die der Briefbüdher, umfaßt zus
vorberft altere Urkunden, deren Die. Archive bed babdifchen Laͤn⸗
des, trog ber Thaͤtigkeit der manheimer Akademiker und ber
fleißigen St.-Blafianer, noch viele theild Mangelhaft, theils
noch gar nicht gedrucdte — wir erinnern nur an die urkunds
lichen Schäge der bis jegt gänzlich unberührt und unverfehrt
gebliebenen alten Kloft we von Salem und Derrenalb —
enthält. Hieran ſchließt fh eine Sammlung bdiplomatifcher
und hiftorifher Briefe, eine Rubrik, welche bisher wenig
berudfichtigt worden iftz denn die Epistolae Petri de Vineis,
Innocentii Ill. papae, Rudolphi 1 regis blieben lange ohne
Rachfolge und erſt die neuere Geſchichtsforſchung, befonders
aber das Beilpiel der Franzofen, bat das Beduͤrfniß fühlbar
emacht, auh ſolche Quellen (als 3. B. der von Rommel
rausgegebene „Briefwechfel Heinrich 8 LV. mit Heſſen“, die
„Correspondence de la maison d’Orange-Nassau‘ von Groen
van Prinfterer, der „Briefwechfel Landgraf Philipp's bes Groß⸗
müthigen” von Duller, Die „Correſpondenz des Kaiſers Karl V.’
von Lanz) zur Öffentlihen Kenntniß zu btingen. Auch für
diefe Rubrik ift des intereflanten Stoffs viel vorhanden, be
fonderd wenn auswärtige Archive (die in Münden aufbewahrs
ten Eorrefpondenzen des pfälzifchen Haufes, die in Paris be
findlicden Eorrefpondengen über die Kriege am Rhein u. a. m.)
Dabei benugt werben.
Die dritte Hauptabtheilung, Nehtsbüdher, enthält
Zandrechte und alte Statutarrechte, infomweit fie nicht bereits
gedrudt find, Haudgefege und Kamilienitatute Der Häufer Ba⸗
den und Pfalz, Stadtrechte und Weisthuͤmer, auf deren Wich⸗
tigkeit erft in neuerer Beit bie Aufmerkfamkeit gelenkt worden
it und für welche das großherzogliche Generallandesarchiv eine
reiche Ausbeute zu geben verfpricht.
In die legte oder ftatiftifche Abtheilung endlich, welche mit
dem allgemeinen Ausdrude Grundbüder umfaßt werden:
tann, gehören: Codices traditionum, deren biftorifcher Werth
in jüngflee Zeit durch die. trefflichen Arbeiten eines Wigand,
Zeuß und Dronke recht einleudytend geworben ift; ferner Sal⸗
bücher fpäterer Zeit, Zins⸗ und Gültbücher, Inventarien wich
tigee Perſonen und Drte (3. B. über Burgen, Kirchen: und
Domſchaͤtze), Schagungsregifter und alte Budgets u. f. m.
Um eine ſolche Waffe von Materialien zu fammeln, Dazu
gehörte ein uangiäpriges eifriges Forſchen und eine ausgebehnte
literarifche Verbindung mit dem Auslande, namentli au
mit auswärtigen Köftern, in welche fo manche einheimifche
Schäge zur Zeit der Säcularifation geflüchtet wurden; um fie
zu bearbeiten bedurfte es einer umfafienden Gelehrſamkeit,
wie fie der Berf. in frühern Werten erprobt hats zu ihrer
Herausgabe enblid war eine feltene Ausdauer erfoderlih, eine
anregende Mufmunterung von oben herab und eine materielle
Unterftügung, wie fie die badifche Regierung mit wahrhafter
eiberalitaͤt bewilligt hat. —
Was die Behandlung des Stoffs anlangt, fo gewaͤrtigen
wir, daß der Werf. fi darüber in der dem erflen Bande
beigufügenden @inleitung ausführlich ausfprechen, darin au
zugleich, neben einer Eharakteriſtik der mittelafterlichen Hiſto⸗
—55 — im Allgemeinen, eine literariſche Überſicht der tHeils
gedruckten, theils ungebrudten Werke älterer badiſcher Hiſto⸗
riker liefern und feine verdienſtvollen Vorgaͤnger, einen I»
perz, Heer, Gerbert, Reugart, Schöpflin, Lamey, nad) ihren
Werken ſowol ald aus ihrer vertraulichen Eorrefpondenz getreu
werde: indeflen gibt uns. ſchon bie vorliegende Probe
1.» B. ©. 83) ein —* von ber Urt und Weiſe ber Wer
handlung. Bor Allem: fpringt, was bie beutfchen Quellen an:
langt, die Mannichfaltigkeit Dev Schrift in die Augen,
der Berf. mit feltener Genauigkeit bie verſchiedenen Spt
idiome audgeichnet, ſodaß bad Merk zuglei für den ©
forfiyer nugbar gemacht wird, ein Borzug, welchen wenige der
kisherigen Duelienfammlungen — und Beine in foldem Grade —
mit demfelben theilen. Der Zert ber fihen gebruckten
Quellen findet ſich durchgehends mittels befferer Handfchriften
berichtigt, von denjenigen Stuͤcken aber, welche in gangbaren
Werken weſentlich ri ‚abgedrudt find — wie z. B. das Le⸗
ben bed heiligen Meinrat — und für Das betreffende Land
Beine größere Bedeutung haben, werben, ber Raumerfparniß
heiber, nur die Varianten mitgetheilt. Über bie kritiſchen
Hülfsmittel des Berf. fowie über Alles, was zur Wuürdi⸗
gung, zum Berfländniß und zur WBenugung dee Quellen fo
wol. im Allgemeinen als im Einzelnen nochwendig fiheint, fin-
det der Lefer theild in der jedem Stücke vorangeſchickten Ein-
leitung, theils in den zablreihen Roten — welche legtern auch
viele. ungebrudte Bemerkungen früherer Gelehrten, eines van
der Meer, Schmibtfed, Reugart u. A. m. einverleibt find —
hinlaͤngliche Auskunft.
Die vorliegende erſte Lieferung nun beginnt mit dem di
teten Eulturdentmale, dem Leben des heiligen Fridolin (zu
Anfang bes 6. Jahrhunderts), des Stifters des Frauenkloſters
Büdingen; darauf folgt eine nach mehren Handfchriften verbef:
ferte Ausgabe der ald Quelle für die Vorgeſchichte des Haufes
Habsburg denkwürdigen beiden Biographien des Heiligen Trud⸗
part (geſt. um 643), des Gtifters des nad ihm benannten
Klofterd im Schwarzwald. Berner erfcheint bier zum erften
Male daB Leben des heiligen Pirminius, welcher ald Gründer
der altberuhmten Abtei Reichenau (im 3. 724) die Leuchte des
ChriftenthHums am Bodenſee aufitedte und fo dem früher in je
ner Gegend, zu Conftanz, begründeten, aber nur kuͤmmerlich
vegetivenden Bisthum neue Nahrung gab; dann bas Leben des
(in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts) von dem Kiofter'
Rheinau aus fagenfpendenden heiligen Findan, welcher bereits
der zweiten Reihe ber nach dem Wefllande ausgehenden iriſchen
BHaubensboten angehört. Ein ganz befonders vaterländifches
Snterefie gewährt endlich das bisher unbefannte, nad einem
verioren gegangenen Driginal des 11. Jahrhunderts ins Deutfche
überfepte Leben des Grafen Eberhard III. von Nellenburg, des
Gründers des Klofters zu Schaffhauſen.
Un diefe Heiligenskegenden, welche den wißbegierigen For:
feger nicht minder befriedigen als die frommen Gemüther, für
die fie verfaßt find, reihen ſich die Chroniken, unter weichen
ſowol ihres Alters ald ihres Umfangs und ihrer Bedeutſamkeit
wegen‘ die bed Klofters Petershaufen mit Recht obenan ftebt.
Sie wurde, wie der gelehrte Herausgeber in der Ginleitung
darthut, in der erften Hälfte des 12. Zahrhunderts, zu einer
Zeit, wo bie Geſchichtſchreibung am Bodenſee eifrig gepflegt
mard, von einem Neffen des Abtes Gabino begonnen, und
zwar nicht in der annaliftifchen Form des „Hermanaus con-
traotus” und feiner Fortſetzer, ſondern nad dem Muſter der
&t. = Galler und der verlorenen fchaffhaufer Kloſterchronik.
Wie diefe, ſollte fie auch, nach Vorausſchickung einer, dieſer
Claſſe von Geſchichtswerken eigenthuͤmlichen Einleitung, zu-
a nus die Gefchichte des (im I. 976 begründeten) Kiofters
enthalten, da inbefien bie Klöfter am Bodenfee, als Durch⸗
gangspunkte nach Italien, häufig von Fremden beſucht wur:
den — mie allein ſchon das merkwürdige Calendarium von
Beihenau darthut, in welchem fo viele Pilger ihre Ramen
verewigten — und einen lebhaften Verkehr mit dem Auslande
unterhielten, fo kann der Geſchichtſchreiber ſich nicht enthalten,
au vice ihm ferner liegende Ereigniſſe, befonders aus den
reifen Beiten Heinrich's IV., mitzutheilen, wodurch fein
eine Hauptquelle für -die Geſchichte feiner Seit wird.
| weicher diefe den Leiftungen der groß
Bon dem 3. 1156: an, als tie weit die Arbelt des Urhebers
veicht, bis 1164 wurde die Ehsonif nacheinander von zwei an⸗
dern Verf. fort ‚ mit Iegterm Zeitpunkte aber wurde fie
wegen der im Klo eingetretenet Sertwürfniffe gaͤnzlich ab»
—— 5 Anden A ee 1248 nur einige
u ingt. e t jum erſten Male
nach der — wodurch der nach einer fehlerhaften Abſchrift
gedruckte Uſſermann ſche Jert weſentlich berichtigt wird.
Eine werthvolle Babe iſt noch Die zwar weniger umfang ⸗
aber deſto inhaltreichere Salmansweiler Chronik (d. a. 1124
1210), welche ſelbſt noch den gelehrten &t.-Blafieen unbe
Fannt war, fowie die für die ältere Gefchichte des Haufes
Baden fo merkwürdige Ehronit des Kloſters Lichtenthal und
die von bem Herausgeber in frühern Beiten abgeſchriebene
und fomit — da inzwifgen das Driginaf verloren gegan⸗
gen — vom Untergange gerettete Sensheimer Chronik. Bei
Anbli der dem „Codex minor Spirensis” entnommenen da=
tenreichen Ehronit der Bifhöfe von Speyer konnte Ref. ven
Wunſch nicht unterbrüden, daß es dem Herausgeber gefallen
möge, in einem ber nädften Bände die in jenem „Lodex‘
eutheltenen, für den Forſcher deutfsher Geſchichte fo wichtigen
Urkunden, foweit es irgend mit feinem Plane vereinbar ift,
mitzutheilen und auch das treffliche „Necrologium Spirense”,
wennfhon e8 zum Theil überrheinifhhe Namen enthält, zu ver«
öffentlichen, da ſchwerlich fobald eine fo geeignete, chrenvolle
Stelle wie in biefer Sammlung jtch für baffelbe finden bürfte.
Den Beſchluß der vorliegenden erften Lieferung machen
die obenerwähnten „Annales verioram‘.
Was die äußere Außftattung diefed mur in 240 Grempla⸗
ven erfcheinenden Werks betrifft, fo iſt noch befonders amzuer⸗
kennen, daß dabei nicht nur ein feiner Gewwichtigleit an e&
Bormat, fondern auch eine beutlidhe, dem angeficengten Yuge
bed Gelehrten wohlthuende für biefen Zweck eigens gegeſſene
Schrift und ein treffliched Papier gewählt wurde.
Diefe äußern Borzüge mit den hervosgehobenen innen
zufammengenommen wiſſen wir nicht, ob wir dem Hrn. Berf.,
en Benedictiner an die
Seite zu ſtellende Urbeit unternahm, oder der Regierung, bie
fie ind Leben rief und fo bereitwillig dafür forgte, daß fie im
einer eines ſolchen Rationalwerks würdigen Geſtait ericheinen.
fonne, zu größem Dante verpflichtet find. 83.
Literarifhe Anzeige.
Preisherabsetzungen.
Nachſtehende als Supplemente jü allen Auflagen des Con⸗
verſations Eezikon zu betracbiende Werke find zu Berap-
gefegten Preiſen duch ale Buchhandlungen zu beziehen:
Gonveriations: Beriton
der neuesten Zeit. und fiteratur.
. Vier Bände.
Gr. 8. 1839 —34. Ladenpreis 8 Thir.
Derabgefegter Preis 3 Thlr.
Eonverfations-Serikonder Gegenwart:
er Bände in fünf Abtheilungen.
Gr. 8. 1838— 41. Ladenpreis 13 Thlr.
Berabgefetßzter Peeis 5 Shir
Eeipzig, im Januar 1846.
F. A. Brockhaus,
Berantwortlicher Herausgeber: Beiurich SDrockpans. — Dructk und Berlag von F. er. Brockhanus in Leipzig.
——
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Sonntag,
Pr, 39, m 8. Februar 1846.
Oſtreichiſche Gefhichten.
(Beſchluß aus Nr. 38.)
Obwol das Werk Nr. 7, welches ein Mitglieb bes
höhern Beamtenftanbes zum DBerfaffer hat, vor ber Ka-
theberweisheit des Hrn. Profeffors der gräger Univerfität
in jeder Beziehung den Vorzug verbient, fo müfjen wir
uns doch begnügen, es im Allgemeinen als eine gut ge-
Iungene überſichtliche Darftellung der politifchen Befchichte
bes öftreichifchen Kaiſerſtaates zu empfehlen, um zur
„Geſchichte des Entfichens, bes Wachsthums und der
Größe der äftreichifhen Monarchie” von Johann Spor⸗
ſchil überzugehen, deren Titel uns unwillkürlich an
Gibbon und an Amilian Janitſch', Geſchichte der Ent-
ſtehung und des Wachsthums der oͤſtreichiſchen Monar⸗
die von den aͤlteſten bis auf dieſe Zeiten” (Bien 1805)
erinnert bat. Inwiefern fi die Ahnlichkeit zmifchen
den Iegtgenannten Buche und dem bes Hrn. Sporſchil
auf mehr ale den bloßen Titel erſtreckt, vermögen wir,
da uns jenes nicht zur Hand iſt, nicht anzugeben; von
Gibbon's Geiſt jedoch, dafür können wir bürgen, iſt in
biefem teine Spur zu entbeden. Der Berf. hat es paſ⸗
fender gefunden, aus dem Arfenale bes Meitaurators ber
Staatswiflenihaften, Karl Ludwig von Haller’s, einige
halbverroſtete Waffen zu bergen, um damit den con-
trat social und was daran hängt zu befämpfn, und
beichrs uns in der Einleitung über ben Vorzug des „hi⸗
ftorifc gewordenen und fi) fortbildenden Staats’, wir
wiffen nicht, vor weichem andern, da wir feinen kennen
der fir und fertig aus den Wolken heruntergefallen wäre,
und felbft Frankreich und ben Vereinigten Staaten, die⸗
fe warnenden Beifpielen von der Berberbtheit der Theo⸗
rie des Urvertrags, ein „biftorifehes Werden nnd. Sich⸗
fortbilden“ kaum abzufprechen if. Redensarten wie:
„Auch nur mit einem einzigen Verbrechen würde bie
wimſchenswertheſte Umwandlung viel zu theuer erfauft”
(Hr. Sporſchil verfuche einmal dieſes Ariom auf die
Einführung des Chriftenthums anzuwenden). „Sene
Lehre unferer Tage, welche der Staatsgewalt zuruft,
dem Volke einen immer größern Antheil an ihr zu ge
währen, weil fie felbft dadurch feftern Beſtand gewinnen
würbe, bildet das zerfegende Element der Staaten” (in
diefem Sage fcheint ber Eifer gegen das „zerfegende Ele⸗
ment der Staaten” Hrn. Sporſchil's Stil irregeleitet zu
haben). „Es wurde das Geſchlecht der Habsburger,
Zucht und Ehre ſtets heilig haltend, eine preovidentia di-
vina für Deutfchland, für Europa, für die Welt” (mir
verweifen bier auf Das, was wir oben von hiſtoriſcher
Schönfärberei und übelverftandenem Patriotismus fagten).
Diefe und ähnliche Redensarten werden, wir fürchten «#6,
niht im Stande fein, die Welt von ben alleinfelig-
machenden Eigenfchaften jenes Syſtems zu überzeugen,
deffen DVerkörperung Hr. Sporſchil in ber öftreichifchen
Monarchie aufzufinden fo glücklich gewefen ifl.
Maria Therefia, Joſeph, und Erzherzog Karl — bie
drei populairften Geftalten des öftreichifehen Herrſcher⸗
hauſes — in ihrem Leben und Wirken zu ſchildern, dieſe
Aufgabe haben fich die Verf. der unter Nr: 1 — 3 an⸗
gezeigten Schriften gefegt. Über die fromme Kaiferin
und ihren Enkel, den Delden von Afpern, find die Mei-
nungen wol einig, und bei Exfterer kann es ſich nur
darum handeln, den vorhandenen reichen Stoff zu fid)-
ten und in ein bie Volksüberlieferungen möglichfi treu
bewahrendes Charakterbild abzurunden; bei Legtern aber,
den Antheil, welchen er an ben großen Begebenheiten
dee Zeit genommen, in das angemeſſene Kicht zu ftellen.
Beiweitem ſchwieriger iſt es dagegen, den rechten Stand⸗
punkt zu gewinnen, von dem Joſeph 11. betrachtet mer-
den muß; denn an ihm haben fich ſchon bie werfchieden-
ften Geifter verfucht, ohne daß es ihnen gelang, den
Schlüffel zu feinem Weſen zu finden. Wir erinnern nur
an die Auffeffung Brougham's, ber in Joſeph blos ei-
nen brutal zufahrenden Despoten, einen talentlofen Nach⸗
äffer Friedrichs IT. fiehe, während Paganel *) fein —
theil uͤber des Kaiſers Streben in folgenden, freilich
was die Gegenwart betrifft zu optimiſtiſchen Worten
zufammenfaßt: A
n unfern Tagen lebt eich von denfelden Ideen, wel⸗
che Fi von ih ieh, ganz * — Sin: ducchdrungen,
genießt es ein gluͤckliches Gedeihen im Schatten feiner Refor:
men. Gin Staatsmann, dem Riemand lange Erfahrung und
hohes Anfehen abftreiten kann, hat gejagt, daß Zofeph, indem
er diefen heilfamen Keim dem Körper der Monarchie eingeimpft,
ihn auf lange Zeit vor allen Revolutionen bewahrt hat.
) „Geſchichte Joſeph's U., Kaiferd von Deutfhland, von Ga⸗
mille Paganel. Aus dem Branzöfifhen von Friedrich Köhs
ler“ (Leipzig IBM).
154
In Öftreich felbft hat die öffentliche Meinung ihren
Ausdrud in den fhönen Strophen gefunden, mit dem
der „Wiener Poet“ „Sein Bild’ begrüßt:
Ein Despot bift du gewefen! Doc cin folder wie der Tag,
Deften Sonne Nacht und Rebel neben ſich nicht dulden mag,
Der zu dunkeln Diebesfchlüften die verhaßte Leuchte trägt,
Und mit gold’ner Hand ans Fenſter langtt Schlaͤfer raſtlos
ägt-
Ein Despot bift du gewefen! Doch fürwahr, ein ſolcher blos
Wie der Lenz, der Schnee und Kälte treibt zur Flucht er-
barmungslos;
Der den aͤrgſten Griesgram luſtig mit dem Deliften hau
eiprengt,
Und mit feinen Feftesfrängen felbft den aͤrmſten Strauch be
ng.
Das dankbare Volt hat ihm feine Fehler und Schwä-
chen längſt verziehen und erinnert fich blos, daß er es
von feinen Drängern befreien wollte.
- Hr. Dr. Ramshorn hat nun, wenngleich er feinem
Gegenftande Leine neue Seite abgemonnen, was er viel»
leicht auch nicht beabfichtigte, die vorhandenen gedrudten
Duellen fleißig benugt und das Ergebnig in fließender
Nede dargeſtellt. Das Nämliche läßt fih von Duller’s
Arbeiten fagen, und wir können bier nur den Wunſch
beifügen, unfere Landsleute möchten, ftatt fi) durch Die
in inländifchen Überſetzungsfabriken mundgerecht gemach⸗
ten Erzeugniſſe ausländifher Romanfabriten den Ge-
ſchmack zu verderben, Büchern wie den vorliegenden rege
Theilnahme fohenten, und dadurch zu neuen Strebungen
auf diefem in Oftreich verftändigen Anbaus noch fo fehr
bebürftigen Gebiete ermuntern.
Bon ben beiden fi) mit der Geſchichte einzelner öfl«
reihifcher Provinzen befchäftigenden Werken, die wir
unter Nr. 4 und 5 zufammengeftellt haben, wendet ſich
das eine, Jordan's „Geſchichte Böhmens“, an ein Publi-
cum, das bem Eindringen in bie Tiefen gelehrter For-
fhungen, felbft wenn ihm dabei ein Palatin als Führer
zu Gebote fteht, die- weniger mühfame Aneignung ihrer
Ausbeute vorzieht, zu der ed auf den Wegen, die es täg-
ich zu betreten pflegt, gelangen kann. Das „Handbuch
der Sefchichte Kärntens“ hingegen ift mit allen Zutha-
ten gefhmüdt, ja überladen — wir bedauern, bei einer
fo wahrhaft verbienftvollen Arbeit diefes Beiwort brau-
hen zu müffen —, auf denen das Auge des Kennerd
wohlgefällig ruht, während fie der Menge entweber ehr-
erbietige Scheu. einflößen, oder zu fpöttifhem Lächeln
Deranlaffung geben. Es zerfällt in zwei Abtheilungen,
von denen die eine, bie „Befchichte des Herzogthums
Kärnten bis zur Vereinigung mit den öftreichifchen Für⸗
fienthümern” enthaltend, den Kreiheren von Antershofen
zum Verf. bat, die andere aber, welche die Gefchichte
des Landes bis auf unfere Tage fortführt, vom Conſi⸗
ftorialfanzler des Bisthums Gurk, Heinrich Hermann,
bearbeitet if. Günftig für das ganze Werk ſtimmt
ſchon die Pietät, mit der Ankershofen in der Widmung
und Vorrede feiner verewigten Lehrer und Gönner,
der nah St.⸗Paul in Kärnten überfiedelten vorma-
ligen Mitglieder der berühmten Benedictiner-Congregation
von St.-Blafien im Schwarzwalde, Trudpert Neugart
‚Theil wirb.
und Ambros Eichhorn, zmeier um die Geſchichte ihrer
neuen Heimat hochverdienten Männer, gebenft, und die
Befcheidenheit, mit welcher er feine eigenen Leiftungen
der Nachficht feiner Landsleute empfiehlt. Die Vorrede
felbft Liefert einen fehr beachtenswerthen. Beitrag zur Cul⸗
turgefchichte Oftreiche, indem fie über die literarifche Thä⸗
tigfeit diefer eingewanderten Benedictiner und ihrer Mit-
brüder ausführliche Nachrichten gibt, und es ift erfreu-
ih, aus ihr zu erfehen, was das dem Werke beigefügte
Subferibentenverzeichniß beftätigt, daß in einer vom Mit-
telpunfte der Monarchie fo weit entlegenen Provinz wif-
fenfchaftlichen Beftrebungen fo wirffame Förderung zu
Das Unternehmen der Herren von Ankers⸗
hofen und Hermann ift nad) jahrelangen Vorarbeiten be-
gonnen worden und auf die würbigfte Weiſe ins Leben
getreten. Jede Seite bes Buchs legt von der Emfigfeit
Zeugnig ab, mit der Alles gefammelt ward, was auf den
Gegenftand deffelben auch nur den entfernteften Bezug
hatte, und wir glauben nicht, daß den Verfaffern in der
Geſchichte ihrer Heimat irgend etwas von Belang ent-
gangen ift. Diefe Emſigkeit hat jedoch zu einem Übel⸗
ftande geführt, der fih in der erften Abtheilung auf ftö-
rende Weife geltend macht, und bei einem Handbuche
doppelt auffällt. Wir meinen bie Uberladung mit An-
merkungen aller Art, Quellenftellen, Erläuterungen u. f.w.,
die fo weit getrieben ift, daß in den zwei erften Heften
die am Schluffe beigefügten Roten, zu denen noch unter
dem Xerte fortlaufende kommen, nicht weniger als 152
Seiten einnehmen, während ber Text felbft nur 143 um⸗
faßt, Gefchichtsforfcher, die zum erften Male vor das
größere Publicum treten,. haben ohne Zweifel die Ver-
pflihtung, ihre Sachkenntniß duch Berufung auf die
Duellen zu. beurfunben; dabei müffen fie jedoch, wenn
fie fi nicht die Rüge zuziehen wollen, daß fie den Stoff
zu bewältigen unvermögend gewefen, bas Neue vom Be⸗
kannten, das Wefentliche von den Nebendingen zu fon-
bern und überall das rechte Maß zu sreffen wiſſen. Sie
dürfen Das, was in ben Hintergrund gehört, nicht mit
übertriebener Genauigkeit ausmalen, und brauchen das
Geräth, deſſen fie ſich bei der Arbeit bedient, nicht vor
aller Welt auszuftellen, um zu bemweifen, daß fie in ihrer
Kunft Meifter find. Hätte Hr. von Antershofen ben
Plan zu feinem Werke überhaupt weniger weitläufig an-
gelegt — was foll 3. B. in einem „Handbuche ber Ge-
ſchichte Kärntens’ eine bie ind Einzelfte gehende Be⸗
fhreibung bes byzantinifchen Hofes und Verwaltungs⸗
fofteme auf 20 Seiten Text mit.24 Seiten Anmertun-
gen? —, fo würde es ihm auch, davon find wir über-
zeugt, nicht ſchwer gefallen fein, bie Erzählung zu ben
Beweisftellen in ein richtiges Verhaͤltniß zu bringen.
Zum Schluffe möge uns noch verftattet fein, hier aus»
zufprechen, was und und gewiß Viele, denen die Ehre ihres
Baterlandes am Herzen liegt, fehon lange ſchwer gedrückt
bat. Vor 27 Jahren äußerten fi die wiener „Sahr«
bücher der Literatur“: Ä
Um wie viel werden wir nicht dem hoben Biele einer
pragmatifchen Staatsgeſchichte des oͤſtreichiſchen Kaiſerthums
\ 155
näher gekommen fein, wenn die Hiftorifihe Kritik, in Heraus:
abe und Benugung ber Quellen, in Bufammenftellung ber
Paterialien einzelner ftändifchen, geiftlichen und wiſſenſchaft⸗
lichen Körper, Städte, Comitate u. ſ. w. von 1318 — 33 in
eben der Stufenfolge fortrüdt, wie es (vorzüglih unter Be:
günftigung einer liberalern Cenſur und unter dem Bortritte
Der vaterländifchen Iournaliftif) von 1303 — 13 unleugbar ge
ſchehen ift?
Wie wenig wir nun diefem Ziele, über dem ein hö⸗
beres ragt, näher gekommen find, wurde im Laufe die-
fer Beſprechung anzubeuten verſucht. Mer trägt bie
Schuld? Andere Regierungen verwenden jährlich be-
trächtlihe Summen auf die Förderung würdiger Be
firebungen im Fache ber Gefchichte: bie Franzöfifche 3. 2.
ſchickt Gelehrte auf Reifen, läßt Urkunden fammeln, be-
dentende Werke veröffentlihen, unterhält ein Ecole des
chartes u. f. w. Was thut die öftreichifche, die, ganz ei⸗
gentlich den Staat vertritt? Die Ernennung eines Aus⸗
länders, über den man das mildefte Urtheil fällt, wenn
man fagt, daß er einem Ertreme angehört, zum Hof:
hiftoriographen zeigt klar genug, welchen Werth fie die⸗
fen Dingen beilegt. Sie geftattet auf dem Gebiete der-
felben nicht einmal den freien Spielraum, der fogar an
ber Newa zugeftanden wird, und wir zweifeln, daß es
einem öftreichifhen Gefchichtfchreiber erlaubt würde, Fer:
dinand einen Jeſuitenknecht zu nennen, wie ein Ruffe
Iwan einen Tyrannen nennen darf. Diefen hemmenden
Einfluffen gegenüber hat der Einzelne, hat die Journa⸗
liſtit allerdings einen ſchweren Stand ; aber dennod)
bleibt ihnen Boden genug, auf bem fie fi behaupten
und allmälig ihre Wirkfamkeit ausdehnen fönnen. Was
hindert 53. B. die an geiftigen und materiellen Mitteln
fo reichen öftreihifchen Stifter: St.- Florian, Melk,
Kremsmünfter, Göttweih u. f. w. an ber Spige, ge
meinſchaftlich eine Zeitfchrift für Geſchichtsforſchung zu
gründen, großartige Quellenſammlungen zu veranftalten.
u. f. w.? In ihrer Mitte find alle Kräfte dazu vorhan-
den, und wenn bie Nachfolger der Beſſel und Klein,
ber Dep und Hanthaler mit uneigennügiger Hingebung
in die Zußftapfen. .diefer ehrwürdigen Männer treten,
dazın werden, hoffen wir, vielleicht auch die Nachfolger
der Sinzendorf, der Eugen und Kaunig ihre Aufgabe
beſſer begreifen. U.
Die Geheimniſſe ber Inquifition von B. von Foͤréal.
Aus dem Franzöfifchen von E. Meyer. Acht Theile.
Leipzig, D. Wigand. 1845. 8. 2 Thlr. 20 Nor.
In der MuyfterienLiteratur find merfwürdige Misgeburten
zu Zage gekommen; mehre derfelben find mit Eugen Sue's
Geiſt ungefähr ebenfo nahe verwandt wie das Borftenthier mit
dem Löwen. Der fihaudervolle Inquifitor Peter Arbues, das
Höchft beffagenswerthe Mädchen Dolores und der Moͤnch Iofe
(eigentlih ein Frauenzimmer) find Hauptperfonen des vorlie⸗
genden Bude. Peter Arbues hatte fich fuͤchtig betrunfen und
ftand ungefähr um 10 Uhr Morgens auf. „Gr war tobten-
leich. Mit der von det Unmäßigkeit berrührenden Aufregung
vereinigten fi noch die Qualen einer unerwiderten Leiden:
ſchaft, und ber ftile Grimm gegen bie Agenten feiner Ber:
bredgen. Beſonders regte Enriquez feinen Groll im höchften
Grade an; die ungeftüme Leidenfchaft des Inquifitord für Do⸗
lores fteigerte fih nur durch die Hinderniffe, die feine Plane
vereitelt hatten. Die gelblihe Bläffe von Peter Arbues
mifchte fih bier und da mit bläulichen Flecken; fein großes,
dunfelblaues, ftrahlendes und tiefes Auge wurde wild wie daß
des Tigers, und fein Erampfhaft zujammengezogenes Geficht
erhielt den Ausdrud einer entfeplihen Wildheit.” Manda-
miento, dad Oberhaupt Der Banbditen, tritt ein. „Er blieb
mit bededtem Haupte vor dem Inquifitor ftehen. Diefer un»
bantige Menſch hatte eine fo übertriebene und twunderliche
Borftellung von der Bebeutung feiner Stellung, baß er glaubte,
vor feined Gleichen zu ſtehen. Enriguez winkte Mandamiento,
fein Haupt zu entblößen, der Meiſter antwortete mit einem
Blick der Beradjtung. Der Inquifitor lächelte” u.f.mw. Man»
bamiento erhält den Auftrag, Dolores herbeizuſchaffen; er ver:
fpricht e8 auf Spigbubenparole und tritt ab. ‚‚Diefer wunder:
bare Menſch ging mit ftolz erhobenem Kopfe und zuverficht-
lihem Blicke hinaus. Er hatte eine hohe Idee von feiner
Wichtigkeit, und Diefe durch fein ganzes ercentrifche® Dafein,
und durch die fhon von Natur ftolze und poetilhe Haltung
des fpanijchen Geiſtes noch gefteigerte Thorheit drüdte allen
Geberten, allen Bewegungen Mandamiento’s etwas Feierliches
und Doch Ungebundened auf, was der Gedanke (eigentlich der
Pinfel) nicht wiedergeben kann.“ Gleich darauf läßt fich der
edle, poetifche und feierliche C'auner von dem Moͤnch Zofe be«
ſtechen und Dolores ift vorläufig gerettet. Auch moral:theo«
logiſcher Sermon fommt mit vor. Arbues unterhält fi mik
feinem Familiar. „Was fie fagten, wiſſen wir nicht, aber ge:
wiß mußte die Hölle bei diefem vertrauten Gefpräche, bei die«
fen ſchmuzigen und frechen Mittheilungen lächeln, die fich diefe
beiden entfeglihen Menſchen machten; und wenn ‚Gott fi
nicht erzürnte, bierbei eingemifcht zu werden, fo gefchah das
nur, weil feine Güte unendlich iſt und weil er die Böfen auf
Erden duldet, nicht um die Guten zu läutern, wie man gefagt
bat, fondern weil er Bater ift und ein Vater felbft für feine
verworfenften Kinder ftetd Rachficht behält.” Der Mönch Joſé
bat fih zum Schluß in ein Mädchen verwandelt und den In⸗
quifitor Arbues ermordet: Dafür wird fie, Die nun Paula
heißt, nach fpanifher Sitte gerädert, d. h. die Blieder werden
br vom Denker mit einer eifernen Keule zerfchlagen. Die Bes
ſchreibung ihrer Qualen ift ſchauerlich ſchön; wer fidh daran
weiben will, muß das Buch Faufen. Gelegentli bat Zofe eine
furchtbare Bifion , in welcher ihm allerlei dummes und fades
Zeug vor die Sinne tritt; unter Anderm erfcheint ihm der Ins
quifitoe ‚unter der Geflalt eines Tigers mit den Pfoten und
dem Schnabel eines jungen Gänschens“. Gerade fo ift un’
der Roman ded Hrn. v. Fereal erfchienen.
So viel über den dichterifchen Werth des Buck; fein
wifienfchaftlächer dDocumentirt fi) durch zahlreiche Anmerkungen
über dad innere Getriebe der ſpaniſchen Inquifition. Hier
empfängt man die gründlichften Auffchluffe und gegen den ge:
lehrten und fcharffinnigen Feréal iſt felbft Llorente nur ein
unmwiflender Schwachkopf. 13.
Literarifhe Notizen aus England.
Eine Sage von den Ufern des Faspifhen Meeret.
@in vor kurzem erfchienened englifches Meifewert: ‚„Sker-
ches on the shores of the Caspian, descriptive and picto-
rial’‘, von W. R. Holmes, widmet den Sagen und Legenden
der um den Kaspifee und am Elbrus wohnenden zahlreichen
Völkerſtaͤmme befondere Aufmerkſamkeit. Diele diefer zahlrei»
hen Sagen und Märchen verratben eine innige Berwandtfchaft
mit denen der germanifchen und celtifhen Völkerflämme, an:
dere gehören dem Morgenlande eigenthümlich an. Darunter
wird folgende aus dem Orte Semnun mitgetheilt, der, wie bie
Sage meldet, von Sem und Ham, den beiden ältern Söhnen
Noah's — in der Sprache der dortigen Stämme Sin und
Kam genannt — in der Nachbarſchaft einer von den Gebern
oder Feueranbetern bewohnten Stadt angelegt worben war.
156
Diefer Ort wurde durch einen Bad mit Daſſer verfehen, der
von der Stadt ber Gebern herunterlam; welche Letztere eines
Tages das Waſſer abgruben und auf diefe Weife das Fort:
beſtehen jenes Wohnfiges der beiden Noahiden bedrohten. Des:
alb wallfahrteten bieje nach Dſchedſchin, fo hieß die dortige
ebernftadt, und flehten die dortigen Häuptlinge an, ben
Bach wieder in fein altes Rinnfal zu leiten. Zuerſt ward bie
Bitte abgefchlagen; ober endlich vereinbarte man ſich ‚dahin,
daß gegen Erlegung einer Summe von 1000 Tomans das
Waſſer fo lange nah Semnun abgelaffen werden follte, als
der Kopf einer Fliege, den man abriß und in ein Waſſer⸗
hecken warf, Leben behalten würde. Als dies gefcheben, muß:
ten bie Gebern zu ihrer höchften Verwunderung fehen, daß
13 Tage lang der Kopf der liege fortlebte, welches Wunder
fie dergeftalt gegen Sin und Lam aufbrachte, daB fie einen
bewaffneten Haufen nad) Semnun fendeten, um die frommen
Männer gefangen zu nehmen. Mittlerweile war dieſer An:
flag den Leptern zu Ohren gekommen und fie ergriffen die
t. Im erften Drt, wo fie kurze Raft hielten, zu Shach⸗
direon, baten fie die. Einwohner, ren Berfolgern den Weg
Her zu zeigen, auf dem fie ihre Flucht fortfegten. Kurz dar«
auf trafen die Gebern ein und fragten, in welcher Richtung
bie Beiden geflohen fein. Die Ortöbewohner - bezeichneten
zwar nicht mit Worten den von den Flüͤchtigen eingefchlagenen
Weg, verriethen ihn aber dadurch, daß fie den Kopf über bie
Schulter gewendet mit den Augen dic Richtung der Flucht
verriethen; und feit diefer Zeit werden alle Nachkommen mit
einem alfo verrenften Hals und Kopf in diefem Dorfe geboren.
: Der nächſte Ort, welchen die Verfolgten berührten, hieß
Schahdirvan und deflen Einwohnern trugen fie in gleicher
Weife auf, ihre Flucht zu verheimlichen. Auch diefe handelten
verrätherifh, indem fie den nachfegenden Bebern dur Vor:
firedden des Kinnd den ee, auf welchem die gotteßfürchtigen
Erzvaͤter ihre Flucht bewerkftelligt, andeuteten. Gin fürchter
licher Donnerfchlag kündigte den Zorn Gottes darob an, und
bie Verräther ſahen fich und ihre Nachkommen mit ähnlichem
Fluch wie die Bewohner Schahdirvans getroffen, indem ihnen
das weit vorgeſtreckte Kinn erblidy blieb. Nachdem die Ge:
been ihre Verfolgung noch lange fortgefegt, erreichten fie die⸗
ſelben am Buße eines ſteilen Hügels, von wo fie in eine klein
Ebene hinabfloben, auf. der fi vor den erſtaunten Blicken
der Verfolger ‚die Erde aufthat und ihre auderfehenen Opfer
in dev Höhlung verfchmanden, die ſich wieder über ihnen fchloß.
Da es Abend geworden, fa errichteten die Gebern einen Stein⸗
haufen an der Stelle und beſchloſſen früb am Morgen, bie
Erde aufzugraben und fih fo der Entfommenen zu bemoͤchtigen.
aber als fie früh erwachten, fanden fie die ganze Ebene mit
eV Steinhaufen bedeckt, fobaß alle Bemühungen, den von
nen aufgefchichteten ausfindig zu machen, fruchtlos blieben,
und fie unverrichteter Sache nah Dſchedſchin zuruͤckkehren muß:
ten. Jetzt fieht eine Beine Mofchee an bes Stelle, wo Sin
und Lam verfunten fein follen; es ift ein berühmter Wallfahrts⸗
ort für die Bevölkerung in der Umgegend; auch zeigt man an
dem fleilen Hügel in der Nähe noch die Spuren, welche die
Bebern mit den Hufen ihrer Roffe bei ber Verfolgung hinter:
laffen haben.
Die Behandlung der Strafgefangenen in den
Befängniffen.
‚Die Überzeugung, daß bie durchſchnittliche Einrichtung des
Sefängnißwefens, insbefondere die Behandlung der Verbrecher
in ben gefitteten Staaten nicht mehr im Einklang ftehe mit
der Bildung bes Zeitalters und der Stufe feiner Befittung
drängt ſich allenthalben auf. Nicht ange mehr wirb man einer
durchgreifenden Umgeftaltung deſſelben fich entziehen koͤnnen.
Bisher haben alle Reformen, obwol von den beften Abfichten
eingegeben und von glüdlichen Erfolgen begleitet, ſich mehr auf
die Form beſchraͤnkt; den Geift und die Grundfäge hat man
nicht ändern wollen. Aber auch dazu wird man über kurz
ober lang fich entfchließen müflen. Leider find bis jegt großen⸗
theils biete Reformen nur von kirchlichen Eiferern betrieben
worden, die außer menfchheitlihen Zwecken noch befondere re:
ligiöfe verfolgten. Unter den neuern Werken, welche die noth⸗
wendigen Reformen in Behandlung der Strafgefangenen und
die dadurch zu erzielende Beflerung berfelben erörtern, ift au
erwähnen: „Benevolente in punishment; or, transportation
mode reformatory. Obwol ber Hauptzwed des Buchs bar:
auf hinausgeht, die Beſſerung der Sträflinge in ben englifchen
Strafeolonien zu erwirken, fo enthält e8 doch auch viele rich⸗
tige Bemerkungen über die Art und Weife, die Strafeinrichtun«
gen für Verbrecher mit ihrem einzigen vernünftigen Zwecke und
der Beflerung der Letztern in Einklang zu feben. Die Grund»
fäge, daß ſelbſt die größten Verbrecher emipfänglih find für
liebreiche Behandlung, fähig der Dankbarkeit, dag man ihnen
beweifen müfle, Zugend liege in ihrem eigenen Interefle, daß
man eine wahre Theilnahme, keine Palte, amtliche zur Schau
getragene, fondern eine aufrichtige, herzliche ihnen widmen
müffe, daB man endlich eine Belohnung ihred guten Betragens
ihnen: vorzubalten habe: dieſe Grundfage finden an dem Verf.
einen warmen Bertheidiger. Ganz mit diefen Anfichten ftimmt,
wie man aus dem jüngft erſchienenen Werke einer Rordameri-
kanerin, „Letters from Newyork”, von Maria Child, erſieht,
die öffentliche Meinung in einem großen Theile der Vereinigten
Staaten, welche. in diefer Hinſicht in Wahrheit die „neue
Welt‘ vertreten, überein. Der Borfteher des. Auffihteam-
tes über das Sing: Sing Sefängniß, Edmonds, Außert in
feinem letzten Bericht: er fege in das Syften des a
weiches fo lange in der. Weit gegolten, nicht den mindeften
Werth; jenes Spftem, die Str elangenen durch martervolle
Behandlung zu Dem anzubalten, wad man gute Drbnun
nenne, und das darin beftehe, nie auf etwas Beſſeres als au
das entwürdigende Gefühl der Furcht fih zu berufen.
babe in feiner Erfahrung genug gefeben, um fih zu überzeus
en, daß, wie entartet — e Verbrecher auch waren, ſie noch
erzen beſaßen, die durch Milde gerührt, Gewiſſen, die durch
Berufung an ben Verſtand erweckt wurden und Die Die GSehn⸗
ſucht nad einem beſſern Lebenswandel in ſich trugen, welche
oft nur der freundlichen und zufprechenden Stimme der Xheil«
"nahme und Hoffnung bedurften, um zur dauernden Befferung
fih zu ftählen. In Folge diefer Überzeugung ift in dem ge-
nannten Gefängniß der Brundfag angenammen, fo feltm als
möglich zu ftrafen und, mo immer ſich eine Sehnſucht nach Beſ⸗
ferung Fund gibt, Muth und Hoffnung einzufpsechen. Die Er⸗
—* dieſes Syſtems ſollen uͤber alle Erwartung guͤnſtis gus—
allen.
Bibliographie
Album des literarifchen Vereins in Rürnberg für 1846,
Rürnberg, Bauer und Maspe. Gr. 8. WU Nas.
Fabeln vom Verfaffer des Glockenbuben. Rurnberg, Bauer
un Seffe c —* iſter Theil. Berlin, Logier.
effe, © A., Gedichte. Ifter Theil. Berlin ier.
u RB u E res
Huſchke, 9. €., Über das Recht des Nexam und bas
alte römifche Schuldrecht. ine rechtshiftorifche Unterfuchung.
Leipzig, Gebauer. Gr. 8. 1 Thlr. 18 Nor.
Lamping, E., Erinnerungen aus Algerien. ?te Auf
Oldenburg, Schulze. 8. 1 Thlr. 7%, Ner.
önnih, W. B., Dr. Martin Luther. Ifte Lieferung.
Nürnberg, Korn. Gr. 16. 5 Nor.
Rettberg, R. v., Nürnberger Briefe. Hanover, Hel⸗
wing. Gr. 12. 1 Zhlr. 20 Rat. .
Schönke, K. A., Das Weihnachtefeft in Erzählungen
und Gedichten. Pofen, Cohn. 12. 10 Nor.
Die Löchterjchufe. In drei Erzählungen nach dem Fran»
göffggen geon I. 9. Silbert. Wien, Waliähauffer. 1845.
. 25.Ngr.: |
«
lage.
ı
Berantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brockkaus. — Drud und Verlag von F. Ec. Brockhaus in Reipzig.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Aus dem Wanderbuche eines verabſchiedeten Kan '
knechts. Vier Theile. Als Manufeript gedru
Wien 1844. |
Wenn die Lanztnechte ihrer Zeit Wanderbüdher ge-
füchrt hätten, fo wüßten wir mandjerkei wo nicht Wichti-
ges, doch Eharakteriftifches und gewiß Insereffantes über
die Sittenzuſtände einer Zeit, die uns hiſtoriſch zwar
ziemlich deutlich ift, für die dem Dichter und Novelli-
| aber, wenn er dad Kleinleben fihilbern will, das
Material fehr dürftig und zerfireut unter anderm Wuſt
oder Wichtigerm zugewachſen iſt. Die Lanzknechte ſelbſt
Jürg’s von Frundsberg führten keine Tagebücher, aber
auch unter den heutigen bürfte es noch eine Seltenheit
fein, ohne daß man um deshalb zu klagen hätte. Was
unfer Soldat von dem Zelt-, Feld⸗ und Lagerleben be-
richten fönnte, wiſſen wir aus taufend andern Quellen.
Mit dem „verabfchiedeten Lanzknecht“ hat es eine andere
Bewandtniß. Faſt, feinen abenteuerlichen Zügen nad) zu
ſchließen, koͤnnte man ihn, mit etwas verändertem Co⸗
ſtume, in jene Zeit des freiwilligen, wandernden und um-
fehweifenden Soldatenthums verfegen. Gr kaämpft in
Algier gegen die Beduinen, er fiht. in Frankreich für
feine Meinung (wenn auch nicht geradezu mit der Lanze),
er garnifonirt in Italien, Wien, er flreift durch Ungarn
und Galizien, und ift ein echter Lanzenknecht im alten
Sinne (wenn auch ohne Sold) unter den Karlifien in
Biscaja. Überall fieht und erlebt er viel, urtheilt auch
über die Dinge mit. einer gewiffen Sicherheit, doch nicht
mit fanatifcher Vorliebe, und was er davon bed Gin-
tragens in fein Zagebuch für. werth gehalten, iſt ein
ſchaͤzbarer Beitrag zu unferer anderweitigen Kenntnif ber
Länder, Verhältniffe, Parteien, Völker und Individuen.
Der Ranztnecht, welcher fo viel von feinen Zügen
Buch fo vieler Herren Länder zurüdgebradht Hat,
Daß er dies Wanderbuch auf eigene Koften für feine
Freunde bat bruden laffen können, ifi, wie Fama
fagt, eine ariftofratifhe Notabilität, welche in vielen
Ländern, wo fie fi) gezeigt, eines ehrenwerthen Rufe
genießt. Ein Gavalier, im beften Sinne bes Worte,
ſucht er in altritterlicher Urt Abenteuer auf, mo fie fi
gerade am lockendſten für ihn darbieten und mo feine
Sarteianficht nothbürftig vertreten if. Er. fchlägt fich,
oft Mann gegen Mann, ſcheut Leine Gefahr, fonbern
fucht fie auf; muthig im Felde, ift er noch muthiger,
auch offen zu bekennen, wo er fich gefürchtet hat, feibft
auf die Gefahr bin Lächerlich zu erfcheinen. Das be-
währt den Muth, den vorzugsweife der Deutfche hat;
den Romanen und, ich glaube, auch ben Slawen iſt die
Eigenfchaft fremd, fich felbft zu perfifliren oder gar dem .
Gelächter preiszugeben, wie unfer Lanzknecht mit fe
liebenswürdiger Offenheit thut, als er uns feine Flucht
in geftredtem Galopp vor fünf berittenen Juden erzählt,
und daß er vor Geiftern nicht immer ganz feft ifl. Wo
er ericheint, ift er vortrefflich ausgeftattet, an Pferden,
Kleivungsftüden und Waffen; er ift fogleih in der hoͤ⸗
bern Gefellfichaft eingeführt, deren Komfort und anımı-
thige Seiten er wohl zu fchägen weiß. Diefe Genüffe,
weder die geiftigen noch die materiellen, koͤnnen ihn aber
nicht fo feſſeln, daß er fie nicht jeden Augenblid im
Stich zu laffen bereit ift, mo Ehre und Pflicht rufen,
oder ein gefährliches Abenteuer zu beftehen iſt. Er ifi
Ariſtokrat, nicht von Geburt allein, fondern auch von
Gefinnung, er huldigt den Legitimitätsbegriffen; aber wir
haben ed darum mit ‚deinem verrofteten Verehrer des
ci-devant Regime zu tbun, ber jede Falte und jede Trod⸗
del der alten befchädigten Vorhänge des Allerheiligſten
im Feubaliemus erhalten wiffen wollte. Zwar ift er
mit dem Gedanken noch nicht in die neue Zeit einge
drungen und fern bavon, die Nothwendigkeit der Fode⸗
rungen anzuerkennen, welche immer verbreiteter, immer
mächtiger hervortreten, aber er bat zu viel unter allen
Parteien, Nationen und VBerhäftniffen gelebt, um nicht
inne geworden zu fein, daß man diefen Foderungen ge-
genüber nicht mehr ben hochmüthigen Ton von. ehedem
anftimmen darf, daß die tiefen Klüfte Brüden fobern,
die Leine Partei ohne eigenen Nachtheil zerftören foll.
Während er die bevorzugten Stände als eine Nothwen⸗
digkeit vertheibigt, weil fie nach jedem Umſchwung ber
Dinge immer wieder, wenn auch in veränderter Geftalt,
zum Borfchein kommen, während er ‚feine Vorliebe für
ben Adel nirgend verbirgt, gefteht er doch, daß ihm,
was wir die bürgerlichen Naturgefühle nennen möchten,
über allen Glanz Wis, Comfort und die befriedigfe con-
ventionnelle Eitelkeit in den Salons gehen. Ihm ift moh-
ler in Paris bei dem Incognitoleben vier Treppen hoch
in ber Rue de Laharpe, im Umgange mit einer finni«
158
gen, feinen und herzlichen Griſette, bei den ländlichen
Partien mit ihr auf den grünen Wieſen von Saint-
Germain, als in den diplomatifchen Salons, wo fürft:
ficher Glanz über illufire Perfonen fich verbreitet, und
der halb in Paris erzogene deutſche Fuürſt in feinem Ele⸗
mente wäre. Roc wohler aber wird ihm, wenn er in
feinen vaterländifchen Gauen auf die Alpen fleigt, und
unter den Schneefirnen mit bem fteirifchen Wildfehügen
die Hand fehüttelt, von feiner Liebe und feinem Haß
mit ihm plaubert, von feinem Brot und feiner Milk
it, nächte erſchrickt vor feiner zumeilen mit Menſchenblut
gefärbten Hand, aber mit Schreden zurüddentt, daß
eine Stunde unterhalb dem Berge die Eifenbahn aus
ber wilden Gotteönatur ihn wieder in ein, zwei, drei
Seunden nach der’ Hauptſtadt zurückzaubert, aus ber
Zuft der Eisſirnen, aus dem Sonnenlicht, das fie ver⸗
geldet, in die parfumirten, von hundert Girandolen ſtrah⸗
{enden Ballfäle.
Sin deutſcher Lanzknecht ift es, der unter ber Ro-
yeit der Soldateska, ber Grauſamkeit des Bürgerkrieges
amd des Buſchkrieges unter Barbaren, unter der Dia-
firtheit der diplomatiſchen Welt fein Gemüt), ein war-
med Herz, eine feine Beobachtungsgabe, und mehr als
alles Das, einen Charakter fich bewahrt bat. Gr kennt
viele Menſchen und Völker, auch, und bejonders, Die
Frauen, denen er mit ritterlicher Zumeigung ergeben ifl,
von Serien er aber auch mit füblicher Unbefangenheit ben
Zoll der Gunſt fobert, ihn gern hinnimmt und es gern
und offen gefteht, unbelinmmert um bie nordbeutfchen
Gittengefege. Er dennt auch noch mehr, bie Geſchichte
feines Baterlandes, dem er mit confervativer Liebe er-
- geben if. Die Revolutionen, die Bürgerkriege, in der
wen er doch lebt, verabſcheut er wie ihre Quellen, ohne
doch unbedingt den Stab über die Geifter zu brechen,
welche fie bervorriefen aus edelm Drange. Er reflectirt
gern über die Wege und Irrwege, durch die ber Menſch
fein Süd auf Erden erfixebt, er ift religiös und hat
feine finnige und finnliche Freude an dem alten Eathe-
liſchen Gotteedienſt; er wirft aber auch gelegentliche
Bude in die Zukunft der Volker und Stanten, wobei
mancher Lichtfunke aufgeht.
feine Bekannten buch Geburt, Erziehung; aber ebenſo
genau kennt und ſchübert er das Voll, er wirft ſogar
neue Lichter auf manche oft beleuchtete Seiten des pari-
fer, des franzoͤſiſchen Volkelebens. Die Gamins unb
GSriſetten, ben parifer Duvrier, die Helden der Straße,
den ehrbaren nud gemäßigten Epicier, fogar bie reiche
Bonrgeoifie führt er uns in kurzen, fehlagenben Skizzen
vor, Durch welche die Kenntniß noch erweitert wirb, bie
wir aus Paul de Kock fchöpfen. Aber etwas kennt er
nicht, das Medium zwifchen biefen Ertremen, ben Bonds,
aus welchem bie Bewegungen ber Zeit hervorgingen, dem
Stand der Intelligen. Er kennt bie Legitimifien und
Mepublilaner, die Chonans und Jakobiner, auch bie
Julihelden in ihrer moderirten Friſur, auch bie Geld⸗
maͤchte, die ſich anſcheinend der Herrſchaft bemaͤchtigt ha⸗
ben, aber die ftHl werdende, weit hinausſchaffende Doctrin,
Die Auserwaͤhlten ſind
der intelligente Mittelſtand ſcheint dem Lanzknechte bei
allen ſeinen Streifzügen unbekannt geblieben zu ſein.
Das wirkt denn auch auf ſeinen Charakter als
Schriftfteller zurüd. Er iſt kein Mann des Studiums,
fein Stu ift Bein erlernten. Er fchreibt wie er dentt
und fühlt, wo Stoff und Bedankte ſich begegnen, vor
trefflih. Wo das nicht ift, ſchwankt er zmifchen zwei
Ertremen. Hier ift der Stil zu voll und breit in Dar-
ftelungen, über die ein gelernter Schriftfteller leicht hin⸗
wegginge; doch das iſt nur ber feltene Fall, der Berf.
tiebt eigentlich die Kürze. Auf der andern Seite will
er künſtlich fchreiben, verfällt aber in die Krankheit an-
derer Schriftfeller aus der Dautevolde, die wir die flilt-
ftifhe Eavalierperfpective nennen möchten, und von ber
die fehreibenden Gavaliere keinen Begriff Haben, wie wi-
derwärtig, ja gemein fie unferm aͤſthetiſchen Gefühle
flingt. Diefes wigig fein follende Genengfel von Fetzen,
Lumpen, Phraſen, Franzöfifh und Deutſch, bie in der
intimern Salenumterhaltung noch für geiftreich gelten
mögen, für und Undere wie wahres Gebraͤu bes linge-
ſchmacks, der Art, dag wir ſelbſt auf dem Theater nicht
mehr darüber Sachen fönnen, find fo kraͤftig und fdhla-
gend bei Gelegenheit der Pückler'ſchen Schriften vom
Immermann abgefertigt worden, daß wir nicht begreifen,
wie noch ein Cavalier damit ich bei der Lefewelt inft-
nniren zu können vermeint. Iſt boch auch in einer h6⸗
bern Sphäre der Sean Paul'ſche geſchraubte Stil un⸗
ter den Deutfchen gänzlich abgethan. ben wie das
Gezwickte und Gefchraubte einer Bergangenheit angehört, -
fo alle? Bombaftige, auch wo der Gedanke fich hebt;
und doch glaubt unfer Lanzknecht, wenn er in Gedanken
ſich ergeht, welche die Darfielung eines Factums ein⸗
leiten follen, einen ſolchen Stelzenanfag nehnen zu me
fen, wofür ihm NRiemand dankt. Doc, wie gejagt, dies
find nur Auswüchfe, Früchte mühfeligen Studiums, wel⸗
ches er ſich felbft Hätte erlaffen tönnen. Wo der in⸗
sereffante Stoff ihn ganz ergreift, voo der Gedanke ein⸗
fach und natürlich von felbft kommt, fchreibt er auch
einfach und reißt die Leſer mit fich fort; ja im einzelnen
Darftelungen iſt ber Stil, bie wieneriſchen Iiotismen
abgerechnet, meifterhafk. |
Der Shauplag fliegt Hin und her, wie in einer Ka⸗
terna magica wechſeln bie Bilder; aber das fei fein Ta⸗
dei, man folgt dem Berf. gern in feinen Sprüngen. Es
ſcheint wirklich ein Tagebuch geweſen zu fein, was aber
ſehr ſtark geweſen fein muß. Beim Überleſen bat ber
Lanzknecht geſtrichen, und viel geſtrichen, entweder was
im nicht mehr gefiel, ober was er fin das Pubfcum
nicht geeignet hielt; fo find denn oft, ganze Geiten hin⸗
durch, nur thapfobifche Brocken geblieben, Darunter aber,
neben Spreu, zumellen toflbare Perlen. Hinwieberun
Hat er, als er an ben Drud bachte, nachträglich einzelne
Skizzen, die Ihm befonders gefielen, zu großen Bildern
ausgearbeitet und aus einzelnen Zügen volffiänbige No⸗
vellen gemadt. Ob alles Das wirklich ericht ift, be⸗
zweifeln wir. Das ſchadet aber nichts, die Srundzuge
find wahr, und bie Rovellen in ber Mehrzahl intereffant.
— — — — — — —— —— ——— — — —— ç eç e c— — — — — —— — —
Bahin rechnen wir Die Nevelle von ber hüibſchen Keine
Ianderin, bie fo höchſt einfache, aber vortreffliche unga⸗
tifche Erzählung „Haburek“, in weicher uns bie Step⸗
yen Ungarns mit ihrer Poeſie und Barbarei und ihre
wilden, freien Raͤuber mit ungemeiner Lebendigkeit ins
Ange treten. Manche hoͤchſt gewöhnliche Garnifonsanel-
bote, manches Wifchimafchi, mas füglic; hätte fortbleiben
Können, ift freilich unter diefen Papierfchnigelt mit zum
Abdruck gekommen. Unter ben Freunden des Lanzknechts
wird es auch feine dankbaren Lefer finden. Dafür ent-
ſchaͤdigen uns felche koͤrnige Bilder wie bie vom Duell
in Marfeille, dem eine humoriſtiſche pariſer Duellge-
fhichte zur Ausgleihung für den grauenhaften Eindrud,
weichen jenes Bilb hervorgerufen, beigefügt ifl. In bei-
den zeigt fich die intenfive Stärke des Verf., den fran-
zoͤſiſchen Nationalcharakter zu fhildern. Irren wir nicht,
ſo laſen wir ſchon ſeiner —* in den öffentlichen Blaͤt⸗
tern von jenem franzöfıifhen Seemann, ber mit uner-
bittliher Graufamkeit als Duellant die Unbil an ben
Liberalen räcte, weiche in der erſten RNevolutionszeit
durch die Jakobiner ihm zugefügt worden. Es iſt das
Bild einer Gemüthsverhärtung, die das Haar zu Berge
fleigen madıt, um fo gräßlicher, als dabei die Religion
mitfpielen muß and ſolchen Verfechter von Thron und
Altar vor ſich ſelbſt gerechtfertigt erfcheinen läßt. Unſer
legitimiſtiſcher Lanzknecht Tann, feiner politifchen Incli⸗
nationen ungeachtet, das beutfche Gemüth Doch nicht ver-
leugnen; auch er ſchaudert trog des Frühſtücks, das er
mit ihm einnehmen muß, über den kaltherzigen Mörder,
der mit völliger Seelenruhe ben bluftriefenden Degen
abwifcht, und zwiſchen den Zähnen murmelt: „Das war
nun ber fiebzehnte.” Der junge, hübfche, harmloſe Menſch
hatte ihm nichts gethan als daß er das Julikreuz trug
und eine Freiheitshymne gefungen. Eine Seelenmefie
läßt er für feine Opfer lefen, aber nicht ſowol feiner
Seele wegen, als, um feinem Freund, dem Abbe, einige
Francs zu verdienen zu geben. In diefem Bilbe iſt
gewiß nichts erfunden, es iſt der chenalereste Altfranzoſe,
wit politiſchem Grimm und füdfranzöfifher Grauſamkeit
ausgeftattet. Wenn aber Viele, ihm ähnlich, unter ber
Reftaurationsperiode im mittäglichen Frankreich fo gegen
die Liberalen und Reformirten gewüchet haben, darf
man fih da wundern, daß auf der andern Seite bie
Wuth auch zu Erceffen gefteigert wurde? Nur über die
Mäfigung ber Juliſieger dasf man fih wundern. Der
Lanzknecht macht fih in feinem zweiten Duellbilde dar⸗
über Iuflig. Der Sergeantmajor der Nationafgarbe, fein
Rival bei der hübſchen Schaufpielerin, wird zum Hüh-
netaugenoperateur, den feine Nachbarn zum Offizier ge-
wählt, feiner — gemäßigten Sefinnungen wegen. Welche
Intereffanten Züge, welche lehrreichen Beobachtungen da⸗
gegen über den franzoͤſiſchen Charakter in Bezug auf
das Ehrgefühl. Auch einen Julihelden, ber fih rühm
zwei Gardiſten erfchoffen zu haben, ohrfeigt ein Gardiſt,
ſchlaͤgt ſich wit ihm und erſticht ihn. Iſt's ein Legiti-
miſt? Nichte davon, er ift nicht Noyalift, nicht Republi⸗
Taner, nicht Senftitutionneller, er ift von Religion und
Farbe nichts als Gardiſt, gleichoiel ob Gouſulargarbdiſt,
kaiſerlicher oder koniglicher Gardiſt, aber als ſolcher kann
er es nicht ertragen, daß ein Ladendiener ſich ruͤhmen
darf, einen Gardiſten erſchoſſen zu haben. Von dieſem
feltfamen Ehrgefühl unter den Soldaten führt der Lanz⸗
knecht mehre charakteriſtiſche Züge am. Jener öfteeicht-
ſche Huſar bei Roßbach, der ſich vom preußiſchen erbit⸗
ten ließ: „Bruder Deutſcher, laß mich erſt den Franzoſen
tobt machen”, hat body noch eine nationale Bedeutung;
aber ber esprit de corps bat fi in ‚ben Kriegen oft
weit merkwärdiger manifeflirt. Feindliche Hufaren auf
den Worpoften zufammen trinken zu fehen ift nichts Un-
gemöhnfiches; aber daß fie, als Hufaren, Partei nehmen
gegen andere Zruppencorps, aus Kaftengeift Freund und
Feind zufammen, das iſt ein Ding, welches dem Pſy⸗
chologen Manches zu rathen aufgibt und’ dem Philan-
thropen und Kosmopoliten: ein Stein fein bürfte, in fei-
nen Weg geworfen. Der Lanzknecht bat noch eine an»
bere Gigenfchaft der Franzoſen entbedt. Es ift die Luft,
ber Kigel, im Pulverdampf mitzufmallen, der weit hef-
tiger und unwiderſtehlicher auf fie wirft als pofitifcher
Haß und religiöfer Fanatismus. Es trieb In den Juli⸗
tagen Viele ins Getümmel, bie, gar feine politifche Mei⸗
nung hatten, aber fie mußten mit barauf los. Ein jun⸗
ger Mann ſchoß fehr ungeſchickt mit feiner guten Flinte
auf die Soldaten. Da entreift ihm ein ehemaliger Na-
poleonifcher Soldat das Gewehr, legt an, zielt, und ber
Anführer dev Gavalerie flürzt vom Pferde. Der Grau⸗
kopf gibt dem jungen Mann bie Flinte zurüd: „So,
mein Herr, muß man zielen, übrigens kümmert mich bie
Sache nicht und ih bin auch nicht von Ihrer Partei.’
Er Hatte nur einen Probefhuf gethan. In London
trifft der Lanzknecht einen alten Chouan, bem es wohl
geht, der ſich aber doch überreden laͤßt, wieder zu einem
vorbereiteten Aufftande überzufchiffen. Weshalb? Cr ift
nicht Regitimift, nicht Fanatiker für Thron und Witar,
Nepublik und Conſtitution find ihm gleichgültige Dinge
geworben, aber er hat wieder Luſt einmal auf bie Blauen
zu ſchießen. Das find Züge, bie ein Volt davakterifi-
zen, und die nicht jeder Lanzknecht aufgreift. Ahnliche
Züge liefert er aus Spanien. Im meuchelmörberifchen
Zweikampf ift der Geliebte zmeier Mädchen erflochen
worden. &ie ſchwoͤren blutige, ewige Rache. Da er
ſcheint der @scribano mit den &erichtödienern, aber von
den hundert Zeugen bed Kampfes will Niemand etwas
Beſtimmtes gefehen haben, Niemand wiffen, wohin bes
Mörder entfliehen if. Auch — beide Maͤdchen nid.
Auf die Frage des vermunderten Fremden erwidern fie
mit Entrüftung: „Haltet ihr un für fo verworfene Per⸗
fonen, den Mörder dem Gericht anzugeben? Er wird
feine Strafe empfangen, aber pfui, wer die Gerichte
darum amsiefe!”
(Der Beſchluß folgt.)
— — ....
160
Aus der Kanzlei in Oſtreich. Leipzig, Grunow. 1045. |
193. 10 Rgr.
Seit einigen Jahren, ungefähr ſeitdem die liberale Par⸗ |
tei in Deutfchland zur Überzeugung gelangt zu fein glaubte,
daß die dermalige Regierung in Preußen Die auf fie gefegten
Hoffnungen nicht erfüllen werde, und feitbem man bemerkte,
daß die öftreichifhe dem Kortfchritte in ber Wermehrung ber
materiellen Güter der Geſellſchaft nach den Anſichten der Ge»
enwart nicht abhold blieb, ja fogar für eine großartige Dar:
ellung von Gifenbahnen bedeutende Koften verausgabte, be
handelt die Preffe die Möglichkeiten eined Fortſchritts jenes
ifolirten Staatenfpftems auch in den Foderungen bed Geiſtes
auf eine lebhafte und andauernde Weile. Es find befonders
zwei Punkte, welche hervorgehoben werden: Erhebung des Un:
terrichtS und der Beamten. Es ift darüber in Sournalen,
geitfchriften, Neifebefchreibungen eine Mafle von allgemeinen
Hathichlägen, gegeben, nicht minder von Flugſchriften erichie
nen. Aus Öftkeich felbft erwähnen wir bejonders das Geſuch
der Schriftiteller um Minderung ded Preßzwangs.
Der Ort aber, wo jene Rathſchläge und die Form, in
welcher fie erfchienen, läßt zum voraus fließen, daß eine um:
faffende Behandlung der Frage nicht wol gegeben worden. Es
iſt eine Modefaches die Redactoren fehen dergleichen Artikel
fehr gern, und mit wenigen Stichworten ift fehr bald ein
recht bübfcher gemacht. Es ift zudem ein reichhaltiges Feld;
man darf nur mit der Hand darüber binftreifen, um die Abs
ren abaufchlagen.
Die Leichtigkeit dieſes Verfahrens, die Gewißheit, daß der
Mode gefällig zu fein ein Buchhändler wol ſich finden werde,
mußte begreiflicherweife viele Inlander, die in den Berhältnif:
fen leben, anreizen, davon etwas zu fchreiben. Etwanige Bor:
gefegte erfahren ja nicht; man hat es ganz bequem, nad) wie
vor fi im Stillen an der Brühe zu fättigen, die man öffent-
lich für das fürchterlichite Gebein ausfchreit. Bon dem Ehren:
punkte, unter folchen Umftänden frei heraus zu treten, willen
folche Reute nichts. Dadurch erhält aber einestheils unfere
politifhe Literatur einen maßlofen Zuwachs von trivialen
Klatfch-Flugfchriften, wie fie ihn bereits in den Correſpondenz⸗
artikeln der Tagesſchriften in einem ungebeuern, bei Feinem
Volke der Erde bemerkbarern Grade täglich und ſtuͤndlich auf
fi) eindringen ſieht; anderntheild wird der Geſchmack des Yubli-
cums durchaus verdorben, und endlid derjenigen Schriftftel:
lern ihre Weg erfchwert, durch welchen fie aud die politifche
Freiheit der Nation auf das Wiſſen und das demfelben ent:
fpringende Gefühl begründen wollen; und unglüdlicherweife:
die Zagesfchriften, welche auf diefem Wege anfcheinend vor:
waͤrts ftreben, find in den traurigften Haͤnden.
Diefe einleitenden Betrachtungen follen dazu dienen, bar:
auf hinzumeifen,, daß ber vorliegende Bericht auß der Kanzlei
nichts Beſſeres ift als etwas von jenen anonpmen Klatfihereien,
die nur ein einziges gewiffes reelles Refultat haben. j
Der Berf. tifcht nichts weiter als die alten Klagen über
den Unterricht und die Schlechtigkeit des Beamtenweſens auf,
mit Gefchichten verbrämt, die den Gaumen reizen, alfo ihren
Leſerkreis finden werden.
Daß der Verf. wirklich nicht nur in der Kanzlei ift, ſon⸗
dern auch durch feine literarifche Production darın geblieben
ift, beweilen die Kleider feiner Gedanken, fein Stil. Er ift
durchgängig Tozufagen anklebend und nur triehend; 3. B.:
„Denn es ijt denn doch lächerlih, wenn ein Kreiscommiflair
Klagen mit Dem von ſich weifet, daß er u. f. w.“, oder: „Wie
wiberfinnig muß es einem Unbefangenen doch fheinen, wenn er
bört, daß bei einer und derfelben Behörde zwifchen dem Ein:
zelnen über Recht oder Pflicht der Übernahme einer Arbeit
felbft ſchon heftig geftritten wird, wo der Referent U fagt:
die Sache gehört nicht mir zu, fondern dem B, diefer halt
entgegen eine Abhandlung u. f. w.“ Es könnten noch
mehr fo Proben gegeben werben, wenn man nur wüßte
ob ed auch Nutzen brädhte.
Den Inhalt näher anlangend, fo hat fi der Berf. ſelbſt
nicht enthalten koͤnnen mehrfach anzuerfennen, daß die Re⸗
form vorfchreitet, wenn auch langfam. Er fagt felbft, daB
manches Beraltete efchafft worden, und boch hat er
mebrfach auch über dieſes Bergangene luſtig gemacht, Ift das
Liebe zur Sache, oder zum Vaterlande? Oh, warn wird man
Fi endlich anfangen einzufehen, daß 38 für die Freiheit die
Liebe Das fchaffende Element ift; das Gefühl, weiches von dem
Willen, dem immerlien Holen bes Beſondern oder Falſchen,
welche uns wehe thut, nach der Idee fehnfüchtig ſchaut, und
das Gtehende in eine fließende Melodie der Seit zu ——
ſtrebt. Das freie, große und ſchoͤne Leben iſt lediglich eir
Entaͤußerung, ein Fortſchwingen des Gemüths, welches feinen
Ton vom Himmel hat.
Dieſe Principien waren einſt anerkannt in Deutſchland,
als Schiller, Herder, Klopſtock die Sänger der Humanität und
der deutfehen Freiheit und Größe waren. Jetzt, den Kryſtall
zerbrochen, liebt man es fich mit den Scherben ter Pug: und
Modeſucht und der blinden Neugierde zu behängen, und, wie
wir fchon bemerkt, die e& beſſern wollen, fahren mit einem
plumpen Yrügel darein, den fie ein ariftoßratifches Ritterſchwert
— oder werfen aus der Ferne mit officiellen Schleudern
inüber.
Die vorliegende Schrift hat uns nur zu dieſen flüchtigen
Bemerkungen über einen Auswuchs unferer politiſchen Litera⸗
tur Veranlaffung geben koͤnnen, weil fie leider die Krankheit
vermehrt und nach ihr noch unzählige Diefelbe gleichfalls ver:
mebren werden; im Übrigen ift fie ganı werthlos.
3. Marauarb.
Literarifhe Notizen.
Ein weibliher Rouffeau.
Die befannte Schriftftellerin Mrs. Loudon hat eine Er:
ziehungsfchrift herausgegeben: „The light of mental science,
‘being on essay on moral training”, die ven dem fehr ge⸗
funden Srundfage ausgeht, daß die Gefege der Natur un-
fehlbar find und daß ſich die Kenntniß und Beobachtung ber:
felben für die Erziehung, aͤußerſt wohlthätig und nüglich erwei⸗
fen muß. ine ihrer Außerungen, daß „Unwiffenheit aufhört
kein Vergehen zu fein, wenn Zeit und Gelegenheit Kenntnifie
zu Handen des Einzelweſens geftelt haben”, enthält eine
Berurtheilung für das ganze lichticheue und daͤmmerungsfüch⸗
tige Eulengeliglecht auf Burgen und in Kloftermauern, Daß,
zu träge oder J neidiſch von den zu Gebote ſtehenden Mitteln
der Wiſſenſchaft und Bildung Gebrauch zu machen, Alles auf:
bietet, dieſe Schäge der Menge vorzuenthalten.
Die Weisheit Guicciardini's.
Diefer berühmte italienifche Gefchichtfchreiber bemerkt ir:
gendwo: „Ein Fürjt, ber zur Verſchwendung geneigt ift, wird
ohne Zweifel mehr geliebt als einer, dem man Geiz vorwirft:
aber es follte gerade das Gegentheil flattfinden. Denn ein ver-
ſchwenderiſcher Fürft ficht ib zu Erprefiungen und gewaltthä⸗
tigen Handlungen in Bezug oe Eigenthums Anderer veran:
laßt, während der Fniderige Machthaber Niemanden beraubt;
auch find Derer, welche von den Unterdrüdungsgelüften eines
Verſchwenders betroffen werden, weit mehr an Anzahl als
bie aus feiner Freigebigkeit Rugen ziehen. Nach meiner An⸗
ficht ift Deshalb zu folgern, daß, da die Hoffnung eine größere
Gewalt über die Menfchen ausubt als die Furcht, die Anzahl
Derer, weldhe Wohlthaten von ihm zu erlangen hoffen, größer
fein wird als Die Anzahl Derer, die durch ihn bedruckt zu wer
den fürchten.” 12.
Verantwortlicher Herausgeber: Seinrich Brodpand. — Drud und Verlag von F. X. Wrodhans in Leipzig,
Blätter
für
literarifbe Unterhaltung.
Dienftag,
m —
Aus dem Wanderbuche 'eined verabfchiedeten Lanz»
knechts. Vier heile.
(Beſchluß aus Nr. 4.) i
Die beiden Hauptftüde diefes Wanderbuchs find die
Abſchnitte über den Feldzug in Algier und den in den
Amascoas unter den Farliftifhen Banden. Der Legi-
timift Tann in Algier natürlih nur unter dem Erobe⸗
rungsheer der Bourbonen dienen. Er landet, ale das
franzöfifche Heer noch vor der Stadt campirt. Über bie
Eroberung Algiers erfahren wir wenig, und das eigent-
lich Intereffante diefes Abfchnitts ift nur der erfte Ritt,
die Promenade nad Belida unter Bourmont und ber
unglückliche Rüdzug nah Algier. Hier ift aber Alles
Leben, Plaſtik, Anfchaulichkeit, Wahrheit. Wir lernen
was der Krieg mit den Bebuinen ifl. Wie der Orient
immer berfelbe bleibt, bat fich auch in den 15 Jahren
in ber Kriegführung wenig geändert, außer, daß die
Franzofen klüger und vorfichtiger, und die Araber und
Kabylen unter Abd⸗el⸗Kader geſchickter operirende Sol⸗
daten geworden find. An Grauſamkeiten, an Gefähr⸗
lichkeit und Liften ift es heute wie damals. Mann friegt
gegen Mann, nicht der Br fondern der Berfchla-
gendfie fiegt. Wer aus dem Zuge zurüdbleibt ift ver-
loren. Der Lanzknecht findet greulich verflümmelte Lei⸗
ber, Unglüdliche, die fich verfpätet, an Bäumen hängend,
die Köpfe zwifchen ihren Beinen, ein Weib darunter mit
aufgefchligtem Buche. Ihm felbft droht ein ähnliches
Schickſal. Wir zittern im Lefen für ihn, als bei der
Flucht vor den Kabylen der Bauchriemen unter feinem
Dferde reift und der Sattel zu ſchwanken anfängt. Nie
mand will mit ihm halten und den Sattel wieder be-
feftigen! Dafür fehen wir auch Scenen furchtbarer Ber-
geltung:: einen gefangenen Araber mit-den Armen an
den Schweif eines Chaffeurpferdes gebunden. Im An-
fang läuft der Unglückliche mit, endlich läßt er fich, fei-
nem Schickſal ſich ergebend, mit fortfchleifen, fodaß der
Chaſſeur feibft gerührt wird und den Offizier fragt, ob
er mit der Lanze die Qualen des Armen enden bürfe.
Der Offizier übernimmt es, und zerfchmettert mit feiner
Piſtole, an das Ohr des Befangenen gelegt, den Kopf
deſſelben. Denfelben Offizier fieht der Lanzknecht fpä-
ter in einem parifer Salon, wie die Rofenfinger einer
A Nr. 41, ö
10. Februar 1846.
— — —
Ebene Metidja mit dem Hirn des Arabers beſprutt ſah!
Auch hier reihe Züge aus dem franzöfifhen National⸗
charakter. Der Lanztnecht ftille die Wuth eines ergrimm-
ten Sergeanten, der feinen Gefangenen ermorden will,
indem er feine Rationaleitelkeit anftachelt: ein Krieger
ber Civiliſation darf fih nicht auf eine Stufe ftellen
mit einem Gefchöpfe, das dem XThiere nahe fleht, an ei-
ner Beſtie darf ein Soldat des 37. Regiments keine
Rache nehmen! Und der Krieger der Eivilifation ges
horcht. Dann die Rückkehr zu Schiff, die Nachricht von
der Julirevolution auf dem Waffer, die der Verände⸗
rung zujauchzende Bemannung, und ber loyale Com-
mandeur, deffen Herz felbft aufjubelt beim Anblid der
drei Farben, dennoch aber, ſich felbft bezwingend, die Li-
lienflagge wehen läßt, bis er officielle Befehle von der
neuen Regierung erhalten habe.
Nah Spanien, in das Heer, des Don Carlos, treibt
den Lanzknecht geftändlich der Überdruß an der Fülle von
Unthätigfeit und Frieden. Wir mögen meinen, daß es
noch andere Motive gewefen, die er jegt zu verfchweigen
für dienlih findet. Er bat nicht gefunden, was er er-
wartete. Dies gefteht er zwar nicht ein, es ift aber
deutlich zwiſchen den Zeilen zu lefen. Zwar fehlt es
nicht an tönenden Worten und pradtvollen Schilderun-
gen von der Iöyalen Hingebung diefer getreuen Käm⸗
pfer für Thron und Altar, wie fie ihr Alles der Idee
opfern für bie fie fechten, wie herrlich, toloffal alle
diefe Männer find, die Eguia, Maroto, Merino, Ga-
brera, Balmafeda u. f. w., aber den Worten und Scil-
derungen merft man an, baf gerade diefer Auffag erft
lange nachher gefchrieben ift, nachdem der Verf. unter
ihnen gelebt hat. Auch der König (Don Carlos) und
feine fchöne, herrliche Gemahlin (die Prinzeffin von Beira)
werben mit einigen (dem fpanifchen Hofftil abgelernten)
Floskeln belobt; damit aber hat es fein Bewenden. Man
fann ſich bed Gedankens nicht erwehren, daß fie nur ge⸗
fhrieben find, weil möglicherweife das gedrudte Buch
diefen hohen Herrfchaften in die Hände fallen Fönnte.
Märe der Verf. wirflih von Don Carlos’ Löniglicher
Derfönlichkeit bezaubert worden, hätte er fich anders dar⸗
über ausgelaffen. Er, ift zu gefunden Sinnes, um fich
von einer politifchen Überzeugung zu folder Unmahrbeit
fhönen Dame in der Hand fpielen, welche er auf der | Hinreißen zu laffen. Überhaupt ift der biplomatifche Cha⸗
rakter gerade biefes Abſchnitts auch in anderer Bezie⸗
hung augenfälig. Zür Ref. entfpringt aus der Dar-
Stellung allerdings auch ein fehr Bares Bild, weldes
aber in feinen Effecten Dem, welches der Verf. in fei-
nen Worten liefert, ſchnurſtracks entgegen ift: eine Sache,
die Beinen Anhang im Lande ſelbſt hat, vertreten durch
eine fürflliche Perföntichkeit, die ihr nur ſchadet, unter:
ftügt durch zügellofe Banden, die zufolge des fpanifchen
Charakters und der zerrütteten DBerhältniffe überall ge:
gen die gefegliche Ordnung dort auftreten, durch einige
‚ Bühne, talentvolle, tapfere Chefs gehalten, mehr noch
durch Beldunterflügungen aus der Fremde, und accom⸗
pagnirt dur eine Zahl vornehmer, zum Theil illuſtrer
Aventuriers, welche aus Fouqué und Walter Scott die
Regitimitätäbegriffe erlernt haben und begierig find in
der ritterlihen Treue einige Studien zu machen, von
den eingeborenen Spaniern aber dafür gehaßt und ver-
achtet werden, weil diefe praktiſch genug find zu wiſſen,
dag es fich hier um ganz andere Dinge handelt ale den
Kampf um ein Princip. Zufällig kennt Ref. einige die-
fer Legitimitätshelden aus dem farliftifchen Deere, und
Tann verfichern, daß ihm die pathetifchen Epitheta, wel-
che der Lanzknecht ihnen gibt, manchmal ein kleines 2ä-
dein entlodten. Diefe Palatine der Regitimität mußten
fo ziemlich Alle, was fie dort fuchten, und hätte‘ Die
legtere keine uneigennügigern Ritter, fo flände «6 mit
ihr in Europa ſchlimmer als es fchon der Kal ift.
Aber in den Zeilen bes Lanzknechts ift auf diefer Seite
Alles herrlich, edel, talentvoll, groß; inbegriffen den Ba-
ron dos Balles, deffen Muth und anderweitigen Talen⸗
ten wir alle Gerechtigkeit widerfahren laffen wollen, bef-
fen joviale Perſoönlichkeit indeß weder ben: Begriffen von
einem Roland und Cid noch benen eines Diplomaten
in unferm Sinne entfpriht. Weil es auf der andern
Seite faul ausfah, was gern eingeräumt fei, erfcheint
die dieffeitige Fäulniß darum nit als Friſche. Der
Erfolg hat es gelehrt. Nur eim gefundes Element war
bier, das Volt der Basken, welches durch trogige Be⸗
ſchraͤnktheit der einfeitigen Anfichten drüben in feinem
Heiligthum verdienter Selbftändigkeit und Freiheit an-
gegriffen, gezwungen war, feine Sache mit ber des Prä-
tendenten zu vereinigen. Was der Lanzknecht über bie
Basten ſagt ift Wahrheit; wir folgen ihm gern, und
hätten lieber noch mehr von ihm gehört. Übrigens
ift auch diefer Abfchnitt in den Details reich an In-
texeffe und lehrreichen Mittheilungen. Die Unmenfd-
lichkeit dieſes Bürgerkriegs, wie er von beiden Seiten
geführt wird, ift echt fpanifh. Mord um Mord, Grau⸗
ſamkeit um Grauſamkeit; eine Partei gibt der andern
nah. Maroto, der altblütigfte aller Menſchenſchlaͤchter;
feine Zähne beim Mittagstiſch ftochernd, läßt er auf ei-
nen Wink mit der Hand fufiliren. Wo noch die Erde
vom Blute raucht, wo faum ber Leichnam eingefcharrt
worden, tanzen Soldaten und Mädchen. Am unglüd-
lichſten die Neutralen, befonders die Ortsobrigkeiten;
von den Karliften werben fie erfchoffen wenn fie Chri⸗
ſtinos, von ben Chriftinos wenn fie Karliften beherbergt
haben. Wie noch Jemand dort fi zu einer Obrigkeit
bergab! Der Lanzknecht ift plöglih aus Spanien eklip⸗
firt, ehe 08 losgegangen. Warum, fagt er uns nicht.
Gewiß nicht aus Furcht. Wir meinen, meil er bei feinem
gefunden, deutſchen, vernünftigen Charakter Das erkannt
bat, was auszuſprechen Rüdfichten ihm verbieten.
Unfer Maß ift gemeffen und es ift vol. &onft fprä-
hen wir fo gern noch von Bielem, 3. B. von feiner
geiftreihen Anficht über den Staat Preußen, wo man,
zulegt von Allem, auch ein Volk erfchaffen; auch wür-
den wir ihm Antwort geben auf feine Frage: weshalb
die deutſche Spießbürgerlichkeit noch immer mit XTheil-
nahme den Iffland’fchen Meifterftuden zufieht, wo die
vornehmen Leute immer Schufte, bie Niedern Tugend⸗
beiden find, da doch, nad des Verf. Anficht „diefe Be⸗
drängniffe ber Bourgesifie längft befeitigt waren”. (War-
um fieht man in Berlin und anderwärts die „Antigone”
mit wahrhafter Theilnahme und tiefer Rührung, da es
doch feiner Schwefter jest mehr vermehrt ift, ihren Bru⸗
der zu begraben?) Doc, wir müffen ſchließen, und ſchließ⸗
lich fagen wir, daß es, obwol wir nicht überall mit ihm
einverftanden find, mit Achtung für den Verf. gefchicht.
Eine Savalierperfpective ift es, aber keine aus einer fri⸗
volen Höhe. Es fließt Blut in ihm, das wir für unfer
Blut erfennen mögen. 7.
Ein Stud aus Goethe'8 Leben, zum Verſtändniß ein«
zeiner Werke deffelden. Bon B. R. Abeken. Ber-
lin, Nicolai. 1845. 8. 15 Ngr.
Indem wir died Büchlein eines alten geliebten Freundes
und literarifhen Mitbruders in geiftigen Tugenderinnerungen
zue Hand nehmen, daffelbe, vielleicht allzu Tpät, aber mit im⸗
mer warmem Herzensantheile freundlichen Leſern zu empfehlen,
bewegen und die Schauer der Vergangenheit aus jenen heili⸗
gen Eichen, über die Goethe das Friedenswort rief:
Spüreft du
Kaum einen Hauch;
Die Bögelein ſchweigen im Walde.
Warte nur, balde
Ruheſt du auch.
Wol ruht er nun ſchon ſchier anderthalb Decennien, was
der große Römer Tacitus ald einen „mächtigen Zeitraum fer»
lihen Dafeins” bezeichnet, neben feinem fürftliden Lebens:
genoffen, ben er unter jenen nämliden Wipfeln mit dem Liede
egrüßte, deflen finnige Erläuterung den Hauptgegenfland Dies
ſes Büchleins bildet. Es ift das Deburtötagsgerißt auf —
zog Karl Auguſt, überfchrieben „Iimenau am 3. Sept. 1784
Wie viel geliebte Schatten fteigen auf in der Betrachtung Def:
fen, der noch die Abendröthe jener unvergleichbaren und uner-
meßbaren Weltzeit gefehen, wo Diefe erhabenen &eftalten als
frifchblühende, jünglingshafte Männer fi gegenüber fländen,
Karl Auguft fein 26. Jahr foeben, Goethe fein 34. um fünf
Zage zuvor abfchließend! Blicken wir in das Waldesgrün, in
das Wipfelfäufeln, in das Zannendidiht, laufhen in den mun⸗
tern Vogelgefang jenes in dem befagten Gedichte gefeierten Ta⸗
ges hinein; und wenden uns dann aus diefer poetiichen Gamera
obſcura zurüd in die Iegtwelt und das (Betümmel des Tages
— 0 Himmel! welche fchneidende Bugluft weht dann die dort
— —— — — —
163
im Mufenhoine, an dem Sonnenſtrahl jugendfriſcher Dichters
begeifterung, am melodifhen Geräufche der Wafferfälle gelabte
und gebähete Bruft an! Die Poeſie iſt aus den Menfchen
heraus in die Zeit, in die Gefchäfte, in die Ereigniffe gezogen:
aber eine Poeſie der Zeit, des geiftigen Drängens und Gaͤh⸗
rend, des Emportreibens und Abrundend der Lebendformen
läͤßt fih in Peiner Fünftlerifch zufammenhaltenden und einen
ruhigen, finnvollen, frohherzigen Betrachtungsgenuß vermit-
telnden Rahmen faflen ; man ift felbft nur gährendes, treiben:
des, nad Geftaltung ringendes Element; dad Haupt und der
Geiſt ift vol gunder, voller Brennftoff, voller Plane: aber
das Herz bleibt leer und fehnt fidh vergeblich nach einer ftillen
Stunde, die alten, liebevollen, goldenen Erinnerungen einch
beglüdtern Geſchlechts, einer genügfamern Epoche, eines be
fchranftern, aber vom Zauber ded Schönen wonnefelig durch⸗
leuchteten Zuftandes wieder zu beleben. Es war eine monardjifche
Zeit, eine Seit großgegliederter, eindrucksvoller, plaſtiſch vor
Die Scele tretender Perfönlichkeiten; man ftgunte hinan, aber
man fühlte fich erquidt und erhoben an dem Glanze und Werthe
fo vieler Majeſtät; ed waren Eharaftere, Peine bloßen Figu⸗
ranten, Peine Rummern, Feine gleichgültigen Zeichen, die nach
Willkür die nächfte befte mathematifche Größe in der ungeheuern
Abrechnung des Sol und Habens der focialen Realitäten be:
deuten müflen! D cd mag ein großer Moment fein in bem
wir Ichen, aber ein herzerfreuender, gemüthucher Moment
ift es nicht. Das Große fleigt und nicht mehr in ber edlen
Menfhengeitalt aus himmliſchen Höhen hernieder; es ericheint
in Ziffern, in Berhältniffen, in Maſchinen. Es ift die Demo:
kratie der Weltentwidielung, das Zeitalter des NRadicalismus,
wir leiden Beine Individualitäten mehr, wir nivelliren die Er:
habenheiten, damit im großartigen Republifanertroge des Ge:
fammtfortf—hritts Ale frei, aber auch Ale gleich werben.
Zürnt mir nicht: auch in meiner Bruft ift der Pansruf er-
Pungen, der im Walde Arfia verkündete: „Der Sieg ift euer!"
auch ich freue mich des neuen, flolgen, fämpfenden Lebens, ich
kaͤmpfe mit, ih bin bereit zu fallen, ich bin ein Sohn meined
Bolfes und will Peinen Ruhm als zu ihm u ftehen, ihm zu
eignen mit Allem, was in mir bebt und glüht, feiner Sache
und Fahne anzugehören, der übel angefehenen, verleumdeten,
verhaßten Sache und Fahne: — aber mit Ehrfurdt und Weh⸗
muth denke id) jener noch unerjchütterten und ftillberechtigten
Zage des geiftigen Ariftofratismus, ber Welt voll Geniusfterne,
die nicht für Götterlieblinge, nicht für Auserwählte, nit für
Menihen aus anderm Zeige zu halten auch dem Kühnften ein
Frevel gedünft hätte. Sie Ütafen einen heiligen, gottgelieb:
ten Schlaf: die Gegenwart hätte nicht Zeit, de zu verehren,
und der Waffenlärm von Generationen, die ihnen fremd waͤ⸗
ren, mürde den Frieden ihrer mufenumgebenen Rähe ftören.
Für unfere Zeit ift von Goethe beinahe nur ber „Fauſt“
noch lebenswarm und homogen, und ihn verſteht ſie mitten aus
feinen Ziefen heraus, weil er ihr eigenftes Wefen und Stre⸗
ben in einem anticipirten Prophetengefihte vorhält, er ift ein
Mevolutionsftüd, und fie ift eine Revolutionszeit, obſchon wir
ſehr gut wiflen, daß fie nicht wie Fauſt aus einem gelehr⸗
ten — den Himmel ſtuͤrmt, auch der entſchiedenen über⸗
zeugung leben, daB fie fich dieſen Himmel durchkaͤmpfend er:
obern wird und ihn nicht ald don gratuit des „ewig Weib.
lien” dabın zu nehmen gebenft. Darum bedarf vielleicht der
„Fauſt“ am wenigften eines Eommentars und defto eher jene
geruhigen, götterhaft gelaffenen, im &Schoofe der reinen Schön:
beit —— Geſtaltungen, welche für die ältern Freunde
der Goethe'ſchen Muſe deſto ſeelenvollere Beziehungen haben,
je mehr fie ihnen das Bild einer idealiſch geſtimmten Menſchen⸗
welt im milden Lichtglanze heiterer Vollendung wiberftrahlen
und fie an Zeiten gemahnen, wo die Elemente der Geſellſchaft
kraͤftiger zufammengehalten und gezügelt, aber auch freiftn iger
gewürdigt und väterlicher gepflegt waren. Hr. Prof. Ab
befigt vor Vielen grade jenen Bartfinn, der dazu erfodert wird,
Fair eine ideale Welt in ihrer poetifchen Baubergewalt auf das
Gemuͤth wirken zu laffen und den Empfindungen, welche bei
dergleichen innigen und finnigen Compofiticnen ded Dichters
Scele beiwegen mußten, einen gleichſtimmigen Widerflang zu
leihen. Wenn ihn daher der große Vortheil, im Strahlenlichte
des weimarifhen Mufenherdes fchöne und erhebende Jahre
burchlebt zu haben (er fland bekanntlich zu derfelben Epoche
in Schiller's Haufe der Erziehung defien beider Söhne vor,
ald der nun jo unerwartet dahingeſchiedene Riemer zu gleicher
Beitimmung bei Dem einzigen Sohne Goethe'd berufen wurde),
vorzüglich befähigt, einem feitdem in ganz andern Stadien der
geſellſchaftlichen Entwidelung eingefchrittenen Zeitalter fich als
Dolmetſch jener dichterifhen Zage darzuftellen, fo fleigert nicht
un Weniges die Anſprüche auf ſolchen Beruf jeine lebenswarme
Gefühligkeit, die in die leifern Wurzeln und Berfädmungen
eined poetifhen Zufammenhanges mit Glüd einzubringen ge:
fhaffen ift. Hr. Abeken hat dieſe holde Gabe in jo mancher
literarifchen Mittheilung, namentlich auch d. BL, fo erfreulich
bethätigt, daB wir ihn nur auffodern möchten, uns feine rei:
hen und vielfeitigen Studien in diefem Felde einmal in einem
Ganzen zu geben und dazu die Ergänzungen und Zwiſchen⸗
glieder zu fügen, welche ihm ficher aus den gehaltvollen Vor:
räthen feines Pultes zu Bebote ftehen. Das fragliche Gedicht
„Ilmenau am 3. September 17853 läßt er ganz eigentlich
vor uns entfliehen. Der Dichter entwirft vor unjern Augen
ein üunvergleichliches Nachtftüd jenes genialifhen Wald: und
Zigeunerlebers, dem fi) die üppig frohe, in Jugendfraft über:
muthige, aber gleichwol den Ernft eines hohen Berufs zu einer
edeln Kolie ihres geſelligen Taumels habende Gefellfchaft des
jungen Herzogs auf ihren Reifen und Jagdpartien durch das
ganze Laͤndchen überlich, und das in jenen Shakfpeare ſchen
Scenen im Ardennerwalde aus „Wie ed audy gefällt” das tref:
fendfte Gleichniß nicht nur der wirklichen Lage, fondern auch
dem poetiihen Adel des Gedankens nad, findet. Es ift ge
wiß, daß bei diefen Abenteuerfcherzen mancher mehr als ercen«
triſche Einfall ausgeführt, beſonders in galanten Rencontres
manches nicht allzu fittlihe Beifpiel gegeben worden: allein
gleichwol dürfte faum der ſtrengſte Richter gefellfchaftlicher Zu⸗
ftäande den Stab brechen wollen über eine folche Urt, den Re-
gierungsberuf gleichfam unter den Schwänfen einer Faſtnachts⸗
maskerade zu ererciren. Der Bortheil, Daß dem lebensluftigen,
dabei aber durchaus vom reinften Eifer Gutes zu thun, und
feinen Beruf als Landesherr in einem von dem Vorbilde des
großen Dheims in Sansfouci elektrifirten Sinne zu erfüllen,
tief und wahrhaft beſeelten Fuͤrſten bei ſolcher Lebensart nichts
entgehen konnte, daß cr den ungeftörteften Verkehr mit den
Unterthanen unmittelbar unterhielt, daß ihm ber verftedktefte
Fleck feines Gebiets wie fein Arbeitszimmer befannt war, trug
unfhägbar viel Dazu bei, daß Karl Auguft ein felbftändiges
Urtheil in feinen landesväterlichen Gefchäften und Sorgen ebenfo
fehr als das Erfte und Weſentlichſte anfah, wie er es Zeit
feines Lebens geltend zu machen gewußt bat. Nur gohr in
diefes großartige und erhaben geftimmte Fürftengemüth damals
freilich noch mandyes wilde Element hinein, das einen Schlag»
fhatten auch in die Betrachtung des Dichterd wirft: wie jedoch
Letzterer dieſes humoriftifhe Waldieben, die im Ziefen brau-
fende und pochende Zrübe, und die Entbindung der erfreulichen,
lebenverfüßenden, boffnungsreichen Segensträfte aus dem noch
obmwaltenden Gaͤhrungs⸗ und Läuterungsprocefie zu einem herr⸗
lichen Prognoftiton für ein ganzes fruchtbares, ein Land und
Volk beglüdendes Menfchenleben dermaßen verarbeitet, daß er
Died Gedicht feinem Fürften als Geburtstagsglüdiwunfc über:
reichen konnte — dazu gehörte allerdings nicht blos ein Geiſt
fünftlerifher ECompofition, wie er nur in Goethe war, fondern
au ein Großfinn im Feiernden und Gefeierten zugleich, der
eben abermals nur dies Gedicht zu einem Denkmale des felten: .
ſten und idealifchften Bundes menſchlicher Seelenhoheit erhebt,
den die Nachwelt mehr bewundern als feines Gleichen wird
aufzeigen Eönnen.
Für dei dem Schauplap der Berhältniffe fernerftehenden
+
164
Leſer waren zunähft die im Gedichte Iebendig treu bingeftell-
ten Perfönlichkeiten ein Rätbfel. „Die markige Geftalt aus
altem Heldenftämme” war der Dberjägermeifter Freiherr v. Stein
auf Kocberg, wie die meiften Glieder diefer hochberühmten,
weitverzweigten und echt altritterlihen Familie eine kernhaft
biedere, deutfchkräftige, dabei Humoriftifche Ratur, dem fenti-
mentalen Glemente der weimarifchen Geſellſchaft dur drolligen
Win und gefunden Geiit einer praßtifhen Unfiht zu einem
wünfchenswerthen Gegengewichte dDienend. Der „ekſtatiſch faul”
feine Glieder dehnende und „ein monotones Lied” vom Tanze
der bimmlifchen Sphären „mit großer Inbrunft” Singende ift
Knebel, ein Charakter, in welchem der Streit eines nur fehr
mäßig productiven Talents mit den Unfoderungen feines durch
Geſchmack und fo ausgezeichneten Umgang geläuterten Urtheild
jenes unrubige Misbebagen hervorbrachte, das wir an foldhen
dilettantifhen Seiftern kennen, das ihm die eigentliche Freude
an feinen Beftrebungen immer zuerft felbit verdarb, und ihn
frühzeitig zu jener halb misgeftimmten, halb neutralen Stel
fung bewegte, die wir ihn in diefem glänzenden Geifterbunde
nah den Briefmechfeln, die und vorliegen, einnehmen fehen.
Sn dem am Eingange ber Hütte, darin der fürftliche Jung:
ling fhlummert, Wache haltenden Dritten hat nun Goethe fein
eigenes Individuum in Maren Strihen gezeichnet und uns bie
hohen Gedanken, die ihn bei der Sendung, welde er ſich mit
feiner Berufung nah Weimar vom Himmel aufgetragen offen:
bar anfah, befeelten, in einem feurigen, begeifternden Sinne
anſchaulich gemacht. Faflen wir in das Auge, welche gläd:
lihe und folgenreihe Refultate, wie fie uns jegt thatfächlich
egeben find, diefe Sendung gehabt, und wie durchaus glüd:
if fein Aushurren in Verfolgung des unverrüdt vorſchweben⸗
den Zield den hohen Geiſt geleitet hat, fo werden wir faum
umbin fünnen, an ein ahnungsvoll Vorſchauendes und ein
ſelbſtbewußt Naturnothwendiges in den außerordentlihen Men:
fchen, wie deren einer Goethe wahrlich nicht blos als Dichter,
fondern gerade auch ald Menſch und als Glied einer morali:
fhen Weltorbnung war, zu glauben, und felbft dieſes Provi⸗
dentielle und Nerhängnißvolle in feiner geſellſchaftlichen Stel:
lung muß uns treiben, in des Berf. liebvolle Bemerkungen
einzuftimmen, daß eine folche Sendung und ein ſolches Aus:
barren in derfelben ohne ein religiöfes Moment in diefem Ge:
müthe gar nicht zu vollbringen war, wie denn auf daß gläu:
bige Gefühl ausdrüdiich bingedeutet wird, welches ſich in fol:
genden tiefen geilen vom 3. Auguft 1776 ausfpricht:
Das Shidfal.
Was weiß ib, was mir bier gefädt,
In diefer engen, Beinen Welt
Mit Leifem Zauberband mid, bält!
Mein Karl und id; vergeflen bier,
Wie feltfam und ein tiefed Schickſal leitet;
Und, ad ih fuͤhl's, im Stillen werden wir
Zu neuen Stenen vorbereitet.
Du haft un® lieb, du gabft und das Gefuͤhl,
Daß ohne did wir nur vergebens finnen,
Durch Ungeduld und glaubenleer Gewuͤhl
Voreilig bir niemald was abgewinnen.
Du haft fur und dad rechte Maß getroffen,
In reine Dumpfheit uns gehüllt,
Daß wir, von Lebenskraft erfüllt,
In holder Yegenwart der lieben Zukunft Hoffen.
Bemerkungen über Goethe's „Italieniſche Reife‘, gefchrie:
ben im 3. 1830, in weldyen aufs intereffantefte erörtert wird,
wie diefe Reife gerade das Naturwüchjige, den Sinn für Ras
tur und die Kraft,- unmittelbar als Natur fi Dichterifch zu
äußern, ald welche Goethes eigentlichftes Wefen bildeten, an
der Anfchauung des Griechenthums zur höchften Potenz und
Klarheit fteigerte, befchließen dies lefenswerthe und anmuth:
Ziterarifhe Notizen aus Frankreich.
Saint: Marc Girardin.
Von allen Schriftftellern, welche fi an der Siſyphus⸗
Arbeit der Journalpolemik betheiligen, verfteht Feiner fo treff-
lich die Feder zu führen als Gaint-Marc Girardin. Diefer
Mann wäre vielleicht berufen gewefen, in wifienfchaftlicher
Beziehung etwas Tüchtigeres und Gediegeneres zu leiften, aber
er bat es vorgezogen, fi dem glänzenden Elende der Sour:
naliftif mit Leib und Seele zu verfchreiben. Niemals wird Ei-
nem der Sinn und bie Bedeutung des Goethe'ſchen Spruchs
„Mit Worten läßt fih trefflich ftreiten” fo Mar als bei ihm.
Ja, Worte und noch dazu fchönklingende, wohlgedrechfelte Phra⸗
fen ftellen fidh bei ihm ſtets zur rechten Zeit ein. .Was Iommt
es ihm auf den Inhalt, auf die Gefinnung an; fein Gewiſſen
ift weit und feine Feder wohl gefpigt. Seine elaftifche Ge⸗
ſchmeidigkeit leiht fi jeder Sache und nimmt jede Farbe an.
Mit leihten, gefälligen Wendungen übertuͤncht er vie allzu
grellen Übergänge und mit der unfchuldigften Miene von der
Belt vertheidigt er heute, was er geflern noch verwarf. Die-
ſes fortwährende Plaͤnkeln, diefes nedifche Spiel frivoler Wen⸗
dungen und diefe Zaktik, deren unerfchöpflihe Kriegsliften ihm
im reichlichen Maße zu Gebote fliehen, konnten den edlen Ar:
mand Garrel, der am liebften mit offenem Vifier focht, vor
Wuth ganz außer fi bringen. Seine derbe, gerade Natur
ftand mit dem parteiifchen Charakter Saint: Marc Girardin’s
im fchroffen Gegenfag. Auch auf dem Gebiete der Literatur
ift derfelbe eigentlih nur ein Plänkler und Parteigänger; auch
hier treibt er fein leichtfertiges, aber hoͤchſt dankbares und
einträgliches Spiel mit Worten. Niemals faßt er eine litera-
rifhe Frage, welche er behandeln will, tiefer und in ihrem
eigentlichen Weſen: immer fehweift er an der fchillernden Ober-
flache und er trägt Fein anderes Verlangen, wenn er ſich nur
an die Außenfeite der Dinge halten Fann, die feiner gefälligen
Feder Stoff genug liefert. Ein ziemlich abgerundetes Bilb
feiner ganzen literarifchen Perfönlicheit, eine Plare Anfchauung
von feinem ganzen Treiben und von feiner Art und Weife kann
man aus folgender Sammcelfchrift erwerben, welche eine Zu⸗
fammenftellung feiner Bleinen literarifchen Auffäge bietet und
den Zitel.führt „Essais de litterature et de morale‘ (2 Bde.).
&o viele Punkte werden bier in Anregung gebracht, aber kei—
ner wird ganz erörtert; fo viele Zöne klingen hier an, aber
Ecinem geichieht fein volles Recht; Alles iſt fragmentarifch,
unbefriedigend für Den, der tiefer zu dringen begehrt; aber
zugleih auch Alles gefällig, einfchmeichelnd für Jeden, der
fi) beftechen läßt vom Zauber füßer Worte.
Der Rehtsgelchrte Berriat Saint: Prir.
Die Rechtsfacultät in Paris bat durch den Tod des Pro:
feſſors Iacques Berriat Saint:Prir einen Berluft erlitten, wel:
her fi fo leicht nit wird erſetzen laſſen. Er gehörte zu den
gelehrteften Rechtölehrern und feine Iiterarifche Thätigkeit er-
ſtreckte ſich nad verſchiedenen Richtungen hin. So war eine
feiner erften fchriftftellerifchen Productionen eine hiftorifche Stu⸗
die über Jeanne d'Arc. Bu feinen wichtigften juriftifchen Wer⸗
ten gehört feine „Histoire du droit romain”, an die ſich eine
„Histoire de Cujas“ anreiht. Obgleich der Verftorbene fi im
Allgemeinen mehr mit vechtshiftortichen Forſchungen befaßte, fo
bat er doch auch auf dem Felde der Theorie Bemerkenswerihes
geleiftet. Dahin rechnen wir feinen „Cours de procedure ci-
vile et de droit criminel”, ein Werk, welches aus feinen Vor⸗
lefungen hervorgegangen if. Seine Vorliebe für biftorifche
Studien veranlaßte ihn auch wol, ſolche Themata zu behan⸗
dein, welche außerhalb des Kreifes feiner eigentlichen Wiffen-
Ihaft Tagen. So bearbeitete er eine recht brauchbare „Histoire
de l’ancienne universit& de Grenoble”. Unter feinen Heinen
Abhandlungen antiquarifchen und literarhiftorifchen Inhalts er-
wähnen wir endlich feine ‚‚Remarques sur les anciens jeax
17.
volle Büdhlein. W. E. Weber. des mysteres”.
Berantwortliher Derauögeber: Heinri WBrodhans. — Drud und Verlag von F. EM. Wrodpans in Leipzig.
den find an- fie herangetreten.
J u rn —
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
— —
Mittwoch,
ö— Nr. 42. ö7
11. Februar 1846.
Die ſociale Frage.
I. Die naturgemaͤße Bolkswirthſchaft gegenüber dem Mono:
poliengeifte und dem Eommunfömus. Bon Karl Arnd.
Hanau, König. 1845. Gr. 8. 2 Ahlr.
2. Ueber die innern geſellſchaftlichen Berhältniffe unſerer Zeit.
Mit befonderer Rüdfiht auf Schweden: Bon E. G. Bei:
fer. Aus dem Schwedifhen von U. W. Dieterid.
Stodholm, Bagge. 1845. Gr. 8. 25 Nor.
3. Geld und Geiſt. Verſuch einer Sichtung und Erlöfung
der arbeitenden Volkskraft. Bon Heinrih Bettziech
(Beta). Berlin, Hayn. 1845. Gr. 8 1 Zhir.
4. Die Armuthsnoth in ihrer wahren Entftehung und fichern
Belämpfung. Bon Heinrih Moll. Solingen, Amber:
ger. 1845. 12. 74 Rear.
9. Die Lage der arbeitenden Claſſe in England. Nach eige:
ner Anfchauung und authentifhen Quellen von Friedrich
Engel. Reipziz, D. Wigand. 1845. Gr. 8. 2 Thlr.
Die Urfachen der Armuth, des Elends und des Ver-
brechens aufzufinden, ‚die Mittel zu fuchen und anzu-
menden, welche bie Ubelftände unfers focialen Lebens
gründlich und auf die Dauer befeitigen können, das ift
eine Frage, von ber unſere Gegenwart mehr als von
jeder andern befchäftigt wird. Praktiker und Theoreti⸗
ter, Philoſophen und Arbeiter, Regierungen und Privat-
perfonen, eigens bafür gebildete Vereine und Gemein-
Reſultate, wie man de-
ren bedarf, hat man noch nirgend erzielt, fehlgefchlagene
Verſuche, ftürmifhe Hoffnungen und. neue Syfteme, das
ift bis jegt noch Alles, was bisher aus der Bearbeitung
und Wendung biefer inhaltsfchweren Frage hervorgegan-
gen. In einem Zeitranme von zehn Jahren haben wir
verfehiedene „Theorien der Armuth” erhalten, und wäh.
rend. man fi) an Unterfuchungen über die Armuth ab-
mühte, ging fie felbft immer weiter. Das ift nicht an-
ders. Am J. 1835 wurde von der Akademie der Wif-
fenſchaften zu Erfurt die Preisfrage gaeftellt: ob bie
Klage über zunehmende Verarmung und Nahrungslofig-
keit gegründet feit — würde jept, zehn Jahre fpdter,
wol nod) irgend Jemand fo fragen? Die Beantwortung
jener Preisfrage veranlaßte verfhiedene Schriften, in de⸗
nen eine ‚„„Xheorie der Armuth“ verfucht wurde. In
Frankreich Hatte die Armuth fhon ein anderes Feld ale
das theoretifche erobert, in England war man zu derfel-
ben Zeit mit eines Reform: der Armenpflege befchäftigt
ı und ſchon deshalb genöthigt, umfaffende Unterfuchungen |
über den factifchen Beitand der Armuth anzuftellen.
Die Unterfuchungen haben zu verfchiedenen Reſulta⸗
ten geführt, es haben fi aus ihnen heraus Parteien
gebildet, die fih ftreng gegenüber ftehen. Die einen
haben es verfucht, dadurch hinter das Weſen und
den Grund der Armuth zu kommen, die Berar-
mungsurfadhen von einer Menge Berarmungsfälle, bie
ihnen vorgefommen, dutzendweiſe herauszufuchen, dieſes
fo gefundene Dugend mit einem zweiten binzuraifonnir-
ten Dugend zu vermehren und endlich die ganze Summe
nach gewiffen Eintheilungsgründen zu claſſificiren. Da
kam ed denn häufig vor, daß gegen jede befondere Ur-
fache ein befonderes Mittel empfohlen wurde, bag man
glaubte, ein organifches Keiden unferer ganzen Gefellfchaft
rein äußerlich curiven zu tönnen, die befchränkteften An⸗
fihten vorbrachte und confequent zu nichts Anderm als
zu unenbdlicher Verwirrung und Zerfplitterung kommen
fonnte. Dabei nannte man ſich aber gern praftifch und
fah mit unendlicher Verachtung auf Diejenigen hin,
welche das Wefen und die Natur der Armuth tiefer
auffaßten und mehr ober minder den Zuftand und bie
Grundlagen ber ganzen Gefellfhaft in den Kreis ihrer
Kritit zogen. Einem concreten Übel ein concretes Mit-
tel entgegenzufegen, das war hier der Wahlfpruch und
das ewige Gerede. Während man was man that und
wie man verfuhr „praftifh” nannte und rühmte, be-
wies man recht eigentlich das „Unpraktifche” dieſes Ver⸗
fahrens, denn mit allen ſogenannten praftifchen Be⸗
mühungen konnte nirgend geholfen, konnte nirgenb
der giftige Quell geflopft werben, woraus unaufhörlich
bad Elend und das Verderbniß in die Geſellſchaft
fliegt. Die neue englifche Armengefeggebung wurde der
großartigfte und der fchlagendfte Beweis von. dem Unzu-
reichenden und von der Berfehltheit dieſes „praktiſchen“
Standpunkts, welcher beffenungeachtet noch immer nicht
wenige Bekenner unter uns findet, und ‚namentlich ba,
wo man zu bequem ift, um ber Natur des Menfchen
und feinen Beziehungen zu ben materiellen Gütern auf
den Grund zu gehen, als aud da, wo man fürchtet,
durch ein allgemeines Eindringen in die große Frage
ber Gegenwart .den fo lange behaupteten privilegirten
Doden zu verlieren und Confequenzen anerkennen zu
166
müffen, welche der Egoismus fürchtete und welche er
allerdings zu fürchten hat, denn fie fönnen zu nichts
Anderm als zur Auflöfung jedes Privilegiums führen.
Unter Denen, welche die Dürftigkeit und Unhaltbar-
keit dieſes „praktiſchen“ Standpunkts, diefer gedanken⸗
loſen Bettelvogtsbehaupkung Tinfahen und ſich genoͤthigt
fanden, eihe tiefere Grundurſache aufzuſuchen, laſſen ſich
aber wiederum einige ſtrenge Verſchiedenheiten nachwei⸗
ſen. Die Einen naͤmlich betrachten die Armuth als ein
nothwendiges Übel, die Andern dagegen ſehen in ihr ein
Übel, weiches von der Geſellſchaft verſchulbet iſt, welcheb
bekämpft werden muß und beſeitigt werden kann. Man
fſicht, weilte ungeheure Differenz, welches Auseinander⸗
gehen nach ganz verfchiedenen Polen hin und wie durd)-
aus nothwendig es ift, ſich über Diefen Punkt -eine fefte
‚Übergengung zu bilden, um in der Armuthsftage nut
einigermaßen ein Wort haben, mie viel mehr gar die
vicheigen Mittel finden zu konnen!
betrachten, pflegen in ber permanenten Übervölferung bie
Urfache der Armuth anzugeben, und biefe finde nicht
66 in den dicht bewohnten civififirten Ländern, fondern :
zbenfo gut in den ſparſam bevölferten Jagogebieten der
Indianer Nordamerikas ſtatt. Zu biefer Anficht befen-
wen ſich bie ſämmtlichen WBhig - Liberalen Englands;
Malthus war brkanntlich ber Exfte, welcher fie aufſtellte.
Malthus ſprach das maſſenhafte Berfiimmern ber Menſch⸗
heit aus. An ihrer praktiſchen Bedeutung muß diefe
Unfiht zur Härte, ja zur Graufamkeit gegen bie Armen
führen, wie fie es denn auch in England geshan, wo
fie Beinen geringen Einfluß awf die Reform ber Armen⸗
gefege übte, wo ſie den Haß der arbeitenden Klaffen
and den Bormurf einer barbartfchen Geſinnung auf fi
geladen bat. Bei dem philanthropiſchen Charakter, der
ſich vielfach bei uns in Deutſchland, wenn auch Häufig
eitten von der Vorſehung angeordneten Grundſtand der
Gefellſchaft, deſſen krankhaftem Überwuchern nur durch
Beſchraänkung der perſönlichen Freiheit der
untetn Claſſen, namentlich auch durch ſtrengere
Sucht über die Almoſenenipfaͤnger, entgegenzuwirken fei.
Mährend dieſer Stanbpunkt in MRalthus feine Philoſo⸗
— Malthus' Verdienſte um die Wiſſenſchaft
phie hat
der Populationiſtik werden ſtets bedeutend bleiben und
auch von feinen Gegnern anerkannt merken — tritt er
bei Godefroi ohne höhere Berechtigung in feiner ganzen :
Beutalität hervor. Der Reiche wiegt füch im Beſitz auf
beim keuchenden Rücken des befiglofen Armen, das fol,
nach Godefroi, ber Wille der ‚Vorfrhung“, das die na-
surgemäße Organifation der Menfchheit fen. War fer
wer „poaftifche” Standpunkt als Bettelvogtsſtandpunkt
!
zu bezeichnen, fo ift diefes der rohe Belbmenfchenftand-
punkt. Der bloße Geldmenſch betrachtet ſich als —
natus consumere fruges, die Maffe ift nur dafür da,
fih feinetwegen zu mühen und zu darben. Wenn biefe
Anfiht nun auch nur wenige theoretifhe Anhänger un-
ter uns findet, fo kann man doch nicht umhin zu be-
merken, daß fte Im praktiſchen Leben gäng und gäbe ift,
und wir Eönnen es täglich fehen, wie der Reichthum
die mühfamen Ermerbniffe der Armuth dahinnimmt,
ale ob er dazu von der „Vorſehung“ berufen fei, als
eb es gar nicht anders fein und werden könne. Dieſer
Indifferentismus des Reichthums höhnt die Armuth
ebenfo fehr, wern auch großentheils unbewußt, wie jene
„Theorie der Armut” ihre höhern Berechtigungen gerade-
wegs leugnet und. die Armen ale Sklaven, als „Grund⸗
ftand der Gefellfchaft” betrachtet. ine ſchöne Gefell-
fhaft das, in der Die Freiheit Weniger Durch Die Sklaverei
„.. ] und das Verderbniß ber Maffen erworben werden müßte
Die, welche die Armuth ale ein nofhmwendiges bel
und die über einen folgen Zuſtand, wie er allerdings
factiſch eriftirt, nicht Hinaustonmen könnte. ine fähöne
Errungenfchaft viefjahrtaufendiährigen Kampfes! Nach
dieſer „Theorie“ hört ber Menſch auf ein freies, fittli-
ches Wefen zu fein und er finte zum Naturptoducte
herunter, auf eine entgeifiete Stufe, wo bie rohe Ge-
walt der Stävfe zur Berechtigung über alle ſchwaͤchern
Weſen wird. . Sie lügt aber die Gefchichte an, denn
alle Privilegien, deren. Hertſchaft fich in unferer Geſell⸗
ſchaft geltend macht, beruhen wicht, wie fie behauptet,
auf einem urſprunglichen, der geſchichtlichen Nachfor⸗
Hung entgehenden Verhaͤltniſſe oder Taffen fi auf
Stammunterfchiebe zuridführen, fondern find gefchicht-
lich nachweisbar immer nur and Uſurputienen hervor⸗
gegangen. |
Eine zweite Anſicht betrachtet die Armuth als von
I der Geſellſchaft verſchuldet, abs nick in der Natur bes
nicht geſund und Hräftig, ſondern nur weiblich geltend '
marht, fand diefes Syſtem, worin die Empfehlumg ber
Gnthaltfambeit und fpäter Ehen und gar bes Coͤllbats
einſeitig vorherrſcht, unter uns eben nicht allzu viele -
Becher, am haͤrteſten iſt diefe Anſicht von Godefroi
Theorie der. Armuth⸗ (Hamburg 1835) geltend gemacht
worden. Er betrachtet den „Stand der Armen’ als:
Menihen begrandet, alfo als Tem urſprüngliches Ben
haltniß. Es liegt ihr denmach ob zu unterfuchen, wo⸗
durch und inwiefern bie Armuth von ber Gefellſchaft
verſchuldet worden fei und je nach dem Ergebniſſe ihrer
Unterfuchungen Mittel zut Abhülfe in Vorſchtag zu
bringen und amzuwenden. Hier bildet ſich denn wieder⸗
um eine große Differenz. Daß die Armuth von ber
Geſellſchaft verfchuldet worden, daruͤber ſtreiten fie nicht,
aber dad Wodurch macht Die, welche im Vorderſape
einig ſind, zu entſchiedenen Gegnern. Im Allgemeinen
machen Beide einen ſtrengen Unterſchied zwiſchen der
frühern Geſtalt der Armuth and derjenigen, welche fie
in der Neuzeit angenommen Yat, nur aber wollen die
Einen ben Grund unferer ,‚Maffenverarmung” bes fo-
genannten Paupsrismus darin finden, daß die fruͤhern
Schranken niedergeriffen worden find., daß Die Cwilifa⸗
tion zu weit gegangen iſt und ſich zu frei entwickelt
bat, fie fehen die Urfache der großen einer-
feit6 in Inſtitutienen wie die ker Gewerbefreiheit mit
ihren anhängenden Ermeiterumgen leichter Verehelichung,
andrrerſeits aber in ber religiöſen Mufklärung und der
aus ihr erfolgten „‚geifiigen Anarchir“. Die Delemer
J
dieſes Sendpunkts laffen Häufig die frühere Armuch
us ein unwermwidliches Ubel gelten and weten darin mit
dem Gobefroifchen Standpunkte zufammen, aber Tie fu⸗
den die Beſchraͤnkung der —— Armuth, des
Hauperismus, in einer moguichſt ſtreugen Reſtauration
der frühern bürgerlichen und geiſtigen Zuſtände zu em⸗
pfehlen und möglih zu machen. Dies iſt der Stand⸗
punkt umferer politifchen und theologiſchen Reſtaurateure,
er bat ſich in jüngfter Zeit ganz befonders. in Preußen
hervorgethan und feine Angriffe waren dann vorzüglich
gegen Die liberalen Inſtitutionen biefed Staats gerichtet.
Ihn machte 3. DB. der Landrath v. Sparre geltend.
Diefe Anficht will die Gefellfihaft in Formen zurück⸗
zwängen, aus denen fie fih lange herausgelebt hat, und
bie Proceſſe ber Neuzeit find ihr vollkommen unverfländ-
Sch geblieben. Dem Induſtrialismus und der freien
Concurrenz ſtellt fie ein geſchloſſenes mittelalterliche Ge: |
werbsiwefen gegenüber, und die großen Schäden, melde
im Berlaufe des modernen Entwidelungsganges herbor-
getreten find, glaube fie nicht anders ausrotten zu kön⸗
nen als daß fie überhaupt jeden Entwidelungsgang un- |
mögfih macht und die chinefifchen Mauern, welche ber
Strom ber Zeit mächtig durchbrochen, überall wieder fo: |
wel politiſch als kirchlich neu zu errichten fuht. Die
Geſchichte geht aber niemals rückwaͤrts, fonderh immer
vorwärts, Formen, die einmal eufterben find, können |
nicht wieder lebendig werben. Das Ideal eines mittel-
alterlihen Gewerbſsweſens fleht im enffchiedenen Wiber-
ſpruch zu der großen inbufttiellen Bewegung der Gegen⸗
wart, es iſt eine volllommene Unmoͤglichkeit gemorben, :
und am allerwenigften fann auf dem Wege das Privi⸗
fegiums, der Berdummung und Berbumpfung der Pan: -
perismus befeitigt werben.
Die Andern, welche cbenfalld die Armuth als von
Der Geſellſchaft verfchulbet betrachten, fehen im Begen-
far zu den pelitifchen und Urchlichen Reſtaurateurs
Darin das beſte Mittel, ihrer Uberwucherung entgegen-
zuwirten, daß die begonnene geiſtige und bürgerlithe
Freiheit vollendet wisd. Dies if der Stanbuunft unſe⸗
wer Liberalen, fe wollen „bios bie individuelle Freiheit
und Aufllärung Thirgen und eenmiseen und bie zufam-
menhaltende, 'die Freiheit allerbings erſt vollendende Ge⸗
meinſchaft im Okonomiſchen und Geiſtigen ſich allmälig
mb ſiuckweiſe eben aus ber ſich erweiternden Freiheit
enmwickein :taffen ”.
Softemmaiheret” wie von allen Reflaurationsgebamfen,
Haben fie ihr Augenmerk ganz beſonders auf bie Aus⸗
bauung der Volksſchule, der Kommunicafiond- und Tre-
ditanftalten wie zugleich auf möglichfte Selbſtverwaltung
Darin fell nach ih⸗
nen bie befte Wehr gegen den Pauperismus gefunden '
werben, babin ſtreben und dafür fihreiben fie. Einige
umter ihmen find Aber diefen fiheraten Standpunkt fhon
in Gemeinde und Staat gerichtet.
hinausgegangen, indem ſie fih dem Grundgedanken des
Socialismus dadurch näherten, daß fie die Gewerbefrei⸗
Gemeilnweſen⸗ übergeben laſſen
und die n„geiſtige Anarchie“ der vreligibdſen Aufklärung
heit in ein „induflcidiies
‚Ebenfo entfernt won „fociafilifcher
bush eine neue „rein humaniſtiſche“ Rellgien be⸗
wältigen moͤchten; bie Mehrzahl jedoch glaubt nur am
eine mittelbare Minderung der Armuth und ſucht, ba
fie den Grundurſachen der Armuth nicht recht beikom⸗
men kann, fi mit den fecundaisen und gefelligen Ge⸗
legenheitenrfachen der Armuth zu befchäftigen md durch
Spat- und Pramienkaſſen, durch eine verbeſſerte Ar
menpflege u. |. w. zu wirfen.
Eine ſolche Behandlung der Armuth war im Burd-
ſchnitt ber Zwed der vor einem Jahre vielfach beſproche⸗
nen Dereine für das Wohl ber arbeitenden Claſſen,
obgleich ſich auch refkanrationsfüchtige und foriakifiifche
Gedanken in ihnen geltend zu machen fuchten. Sie
nannten bie heutige Armuth ganz beflimmt ein „Reſul-
tat unferer focialen Zuflänbe”, und wenn auch zum Theil
von ben Vereinen das Heil erwartet warde, fo
man doch vielfach — und das war das Tiberale Mo-
ment — bie gründliche Hülfe vom Staate unb feinen
Beranflaltungen erwarten zu müffen. Seitdem ift bie
Bereinsbildung eben durch den Staat wieder zum Still⸗
flande gebracht, es fragt ſich aber, ob, ohne diefe aͤußere
Hemmung, ber Liberalismus in den Vereinen wol fe-
nen großen Zwed, von dem er fo viel redete, Hätte
ermöglichen konnen?
( Die Sortfegung folgt.)
Romanliteratur.
I. Die Blume von Aiſchach. Drei Bände. Berlin, Buch⸗
bandfung des Lefecabinett. 1845. 8. 5 Ihlr.
ef. begann die drei vorliegenden Bände mit einem Seu
gr: fo ngreih! — und anonym! dachte ev. Im ieh
er Zeit nennt fich Doch ein Jeder gern ber etwas Ordentliches
hreibt; und Seder meint etwas Ordentliches fihreiben zu koͤn⸗
nen. Ref. las die drei Bande mit immer ſteigendem Intereſſe;
eine mächtige Phantafie hat Hier die Feder geführt, ein großes
Talent ben Yaden gefthiungen ; der unbelannte Autor bekundet
ich als ein zur Autorfihaft Berufener. Die Blume von Niſchach
iſt eine fhöne deutfche Grafen, Mima; fie mohat auf einer wi
ten Burg in ben deutſchen Alpen und iſt bie eingige verzogene
Erbin "res Stiefvarers, eined Reichsgrafen, welcher Fünf
werden will, und dieſes mittels der Verbindung feiner Tochter
mit einem bein deutſchen Fürſten Rudolf von der Gnade
bes dei Kaiſers zu ‚erreichen hofft. Der junge Fürſt Au
doif huldigt Alma aus Gonvenienz, ren gluht ein junge
M v. Efterdingen, von einer
herabgelommenen adeligen Familie und ihr Zugendgeſpiele, wal⸗
haupimann bekannt iſt; dieſer trachtet Silvio nach dem Reben
md Alma liebt den Werfolgten, durch feinen glüͤhenden Liebes⸗
biit gewonnen. Dusch Banditenhand faͤllt der Fuͤrſt Delin
due Torre, der jüngese Bruder erhält Güter und Autel unb -
heiratet Alma. Der Fürft Rudolf wicht um ihre anſpruchs⸗
lofe Eoufine Maria, und der verfipmähte, oft verhoͤhnte Edard
wendet ſich nad Statien, wo man thn als berüßmten Maler
vwieberfieht, mit einer reichen Lady, die er von Mäubern ge:
rettet hat und welche ihre reicht. In Meapel ficht
sr Die bleiche ungluͤcktiche Alma wieder und fühlt daß er feine
erfie Liebe nicht vergeſſen hat. Alma iſt unglüdli an bes
leidenſchaftlichen Mannes Seite, welcher fein Vermögen ver-
fpielt und jeder Axt von Ausſchweifung fh hingibt. Endlich
168
i i d wid
Bemnftm yefhleden fin. Da die Sind
in den verfchiedenen Geftalten, als Gift, Sunger und Henker:
ta und ihn zum @rben ihres großen Vermoͤgens eingefegt
t. Un dem Zlüßchen Aiſchach, zn i
Geburtöftätte, wird fie getraut. Diefes ift nur bad Gerippe,
ed find nur die einzelnen Punkte der Erzählung, welche eine
Menge der mannichfaltigften Gruppen aumimmt und durch⸗
ieht. Die Raturfchilderung und deren poetifhe Auffaffung
abet uns gleihfam von einem Gedicht zum andern. Der Con⸗
traft der deutfchen Scenen mit den italienifchen, des deutfchen
Bolls mit dem von Reapel, der deutfchen Leidenfchaftlichkeit,
welche Eckard repräfentirt, mit der italienifhen in Silvio; die
Sorgfalt, womit Rebenperfonen ausftaffirt find; die alte Gift:
brauerin in einem Walde Deutfchlands, ihr Gegenftüd im
Schloß Due Torres die deutfche Oberhofmeifterin, die intri-
gante italienifche Herzogin, der ehrgeizige, eitle Reichögraf,
Die falfche, witige Freundin Agathe, Die verfchiedenen Freunde: —
Alles ift in feinen Einzelheiten vollendet, um ein vollendetes
Ganze zu bilden. Hätten wir etwas an dem vorliegenden Wert
auszufegen, fo wäre es der allzu große Reichthum an Reflerio:
nen, an Pbantafie, an Figuren; der Lefer wird überwältigt
von einer Fülle Gedanken und Befchreibungen. Wir hoffen,
daß der Verf. ſich nennt, und uns bald wieder Ähnliches wie
das vorliegende Werk zu leſen gibt.
2. Graf Ehala. Bon Ida von Düringsfelb.
A. Dunder. 1845. 8. 1 Ile.
Der vorliegende Roman befchäftigt den Xefer mit einem
großen Raͤthſel des Lebens, ohne daflelbe zu löfen: „Barum
Männer, welche kalten Herzens find, fo viel Anziehendes für
Stauen haben, fo oft heiß geliebt werden und die Gelegenheit
finden, fo mandes Glück zu zerflören?” Graf Ehala ift ein
folder Mann; in einer Meinen Garniſon ftchend, hat er fi
der Frau eines Rameraden in einem freundfchaftlichen Verhaͤlt⸗
niffe genäbert; fie iſt eine fugendhafte Frau, unnahbar, weil
"fie ihren Dann und ihre Pflichten liebt. Der Graf flört ih:
‘ren Seelenfrieden; er beweift ihr, daß fie nicht glücklich, nicht
befriedigt if. Ein ſchoͤnes unfchuldiges Mädchen kommt nad
der Pleinen Stadt, fie ift mit einem Freund Ehala’s in der
Stille verlobt; als derfelbe auf einige Zeit trank wird, nähert
fih Chala ihe mit dem abfichtlicy magnetifirenden Blick, mit
den Klagen des Alleinſtehens, Richtgeliebtfeind, wodurch er
ſchon Bertha, die Frau eines andern Zreundes, an ſich gefet-
tet hat. Alix, das ſchoͤne Mädchen, liebt ihn bald leidenſchaft⸗
lich; als er deſſen gewiß ift, halt er um fie an. Hierbei ent:
dedt Bertha, daß fie auch liebt, und die Kämpfe eines pflicht-
getreuen, edlen Herzens gegen dieſe Leidenfchaft find mit mei:
fterhafter Bartheit angedeutet. Während des Brautftandes ent:
det Alix indeß, dag fie nicht geliebt ift, daß Bertha dem
Grafen theurer ift als fie, nicht feinem Herzen, fondern feiner
"Sinnenmwelt näher ftebt; das junge Mädchen weiß das nicht fo
ganz zu unterfheiden, doch folgt fie dem ahnenden Gefühle,
und trog ihrer tiefen Leidenfchaft für Chala bricht fie Das Ber:
hältniß mit ihm ab. Ghala verläßt nun die Sarnifon, wo
zwei Frauen um ihn weinen. Ein Brief von ihm erftärt Bertha
Berlin,
feine Liebes das Berhältniß der beiden Frauen, welche dieſelbe
Liebe befeelt, if ſehr zart angebeutet, fie ſich mit
wenig Worten, und das Gefühl wird ein Band zwiſchen ihuen-
In Diefen beiden Frauen ift_ bie Liebe bewußtlos, beide haben
fein Urtheil über Ehala, fie folgen einem Dunkeln Gefühl; eine
dritte Frau, Untonie, welche Chala nicht liebt, durchſchaut
und charafterifirt ihn, fie verhilft dem Lefer zu der Unficht,
welche er haben fol über feinen Charakter. Die Erzählung
hat Beine äußere Bewegung, Alles ereignet fich innerhalb ber
Gemüther, es iſt ein ganz piychologifcges Gemälde vol tiefer
Wahrheiten, für melde man indeß Seine Worte findet; man
muß fie in allen ihren Schattirungen ahnen. Nachdem Chala
von ber Braut verabichiedet worden, verläßt er die Garnifon.
Er fucht den Freund auf, welcher Wir einft liebte, ex gefteht
igm fein Unrecht und bittet es ihm ab. Der junge Mann
verzeiht und Tehrt zu Alir zurück. Mitteid feffelt ihn an Alix
wieder aufs neue — fie iſt unglücklich in ihrer Liebe zu
Ehala —, doch nimmt fie die Dargebotene Hand ans fie ftirbt
nach der Zrauung, „Die Liebe zu Chala töbtet fie, um nicht
die Berührung des Gemahls ji ertragen”. Ein bitterer Brief
des Legtern an Chala übergibt diefen der Reue; man ficht ihn
noch einmal flüchtig auf Wlirens Grab. Bertha findet ſich
wieder in das Leben und ihre Pflichten; fie erzicht ihr Kind
in häuslicher Einſamkeit; die Grinnerung, baß fie geliebt war
von dem herz: und gemüthlofen Ehala, beglüdt fie. Das Un:
begreifliche tritt und aud der @rzählung ebenfo fragend ent
gegen wie aus dem Leben, deshalb ift es auch ein treues Le⸗
benebild und macht ganz den Eindruck eines folden. Chala
ift eine Erfcheinung des 19. Jahrhunderts ; in feiner Glaubens:
und Hoffnungslofigkeit, in feinem Loßgeriffenfein von Vorur⸗
theilen und bergebrachten Unfichten, in feiner Gleichgültigkeit
für Leben :und Menfchen, oder in feiner egoiftifchen Eitelkeit.
Die Detaild der Erzählung find äußerft forgfältig gezeichnet,
der Ratur abgelauſcht, mit zarter Poefie untermoben; ein poe=
tiſcher Hauch hat daB Ganze überzogen. Dan ahnt immer
die Tiefen des Lebens, doch fieht man fie nicht, fie find mit
Blumen überwachen. |
3. Wildfeuer. Rovellen von Bernd von Guſeck. Zwei Theile.
Berlin, v. Puttkammer. 1815. 8. 3 Thlr. |
„Die Brautkrone“, „Dunkle Wege”, „Das Kind der Vi⸗
per“ und „Strasburgs Fall’ heißen die vier Novellen, welche
in den zwei heilen enthalten find. Sie gehören Feines
wegd zum gewoͤhnlichen Rovellenfchlan, find reih an Wer⸗
widelungen und Ereigniffen, zeugen von Erfindungs: und Dar⸗
ftelungögabe des Autors, welcher das Politive in der Grzäh:
lung mit dem Farbenſchmelz einer poetifhen Anfchauung aus:
zuftatten weiß. Die erfte Rovelle „Die Brautkrone” — **—
ſich an die Geſchichte Heinrich's VII. von England an; "der
Name ift nicht fo glüdlich gewählt wie die Geſchichte erzähle
if. Die biftorifchen Charaktere find treu gefchichtlich gezeich-
net und bilden einen paffenden Hintergrund für das Kiebes-
paar, befonders für die etwas frogige und heftige deutfche
Ehriftine, welche des Königs LKiebesanträge abweift und felbft
dem Feuertode trogt, von dem das plögliche Sterben des Tyran⸗
nen fie erlöf: Auch die übrigen Rovellen jind fpannend u
ereignißreich, den Leſer feffelnd und unterhaltend. . Mb.
Literarifhe Anzeige.
Bon F. A. Srockhaus in Leipzig ift buch alle Buch⸗
bandlungen zu beziehen:
Wladyslaw und Diſſepli.
Eine tſcherkeſſiſche Erzählung
von
J. H. Sievers.
Gr. 12. Geh. 20 Nee:
Verantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brockzans. — Drud und Verlag von F. SE. Wrodhans in Reipyie-
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
‚Donnerstag,
a Kr. 43,
12. Februar 1846.
Die fociale Frage.
( Bortfegung aus Nr. 48.)
Die gemäßigten Liberalen ermarteten mehr vom
Staate und, als dem Hauptorgane deffelben, mehr von
ber Beihülfe der Regierung ale von den Vereinen, die
. Witraliberalen glaubten durch die Vereine eine felbftän-
dige Kraft, ein Stück self-government, zu erzielen,
welches ſich in die beftehenden Staatsverhälnifle „ein-
wurzeln” und unumgaͤnglich mächtig werden follte. Die
Erften find durch das Einfchreiten der Regierung in
ihrem Grundſatze gefehlagen morden, die Zweiten nur in
ihrem Erfolg: Aber auch ihr Erfolg hätte ohne bie
Regierungshemmnifle kein ihren Worten, ihren Boraus-
fagungen und Programmen entfprechender fein Tonnen,
da fie fih nit im Stande zeigten, die Lage der Be-
ſellſchaft gründlich zu unterfuchen, die Grundquellen ber
Armuth zu erforfhen, da fie ihre Mittel vergriffen und
überfchägten und meinten, daß die große Frage durch
eine Art neuen Verwaltungsſyſtems erledigt werden fünne.
Der Liberaliemus muß an der Armiuthöfrage feine Un-
fähigkeit beweifen, er kannte den Boden nicht, auf wel-
chem er fich bewegen wollte, er wird ihn nicht kennen
lernen, ba er die Verhältniffe und Refultate der Ar⸗
mutb immer nur „ſtückweiſe“ anfieht. Er kennt das
Problem nicht, defien Röfung es gilt, die Entwide-
Iung des Principe der freien Goncurrens ift ihm nie
deutlich geworden, da er es immer nur ökonomiſch oder-
politifch, aber nie forial betrachtet. Die Entwidelung
diefes Principe aufhalten wollen, das konnte der Libe-
ralismus nicht, das würde höchftens die Gefepgebung
können, aber auch biefe würbe, wenn fie fich eine ſolche
Aufgabe ſtellte, nur mit der größten Borficht zu Werke
gehen dürfen, da ein feſtgewurzeltes Princip in feiner
Entwickelung ftören nichts Anderes als Revolutionen
herbeiführen heißt. Da nun ber Liberalismus das Prin-
cip ber freien Concurrenz weder hemmen noch ftürzen
kann, fo bleibt ihm, mie er es denn auch thut, nichts
Anderes übrig als dieſes Princip als Vorausfegung an-
zumehmen und unter diefer Vorausfegung wirken zu
wollen. Da nun eben die Concurrenz es ift, welche bie
Noth der arbeitenden Claſſen hervorruft, fo muß er bie
Grundurſache dieſer Roth auf ſich beftehen laſſen und
doch will er gegen dieſe Roth wirken! Da iſt die Un⸗
fähigkeit, die Inconfequenz biefes Standpunkte deutlich,
gegeben, ‚der Liberalismus kann weber das Princip ber
feeten Concurrenz aufheben, noch kann er Arbeit, wenn
fie nie vorhanden ift, fchaffen, noch kann er neue
Märkte erobern, noch kann er die Confumtion erwei--
ten, um die Arbeit zu erweitern, noch kann er bie
Conjuncturen beherrfchen, welche einen Fabrikszweig läh-
men, er fann weiter nichts als ſich auf feinen guten
Willen berufen, feine Jüufionen fortfpinnen, bei einer
„tüdweifen” Wirkung verharren und erflären, baf er
„blos die individuelle Freiheit und Aufklärung fchügen
unb erweitern” wolle. Das ift aber, der großen Frage
gegenüber, an die er ftch bei uns gemacht hatte, fo gut
wie gar nichts!
In Frankreich, mo die Entwidelung des Principe
ber freien Concurrenz fi am freieften und reinften durch⸗
gefept hat, ift der Liberalismus fchon feit lange von fol-
hen Illuſionen in Bezug auf „Das Wohl der arbeiten-
den Claſſen“ zurüdgefommen, er hat eingefehen, daß es
weder feine Sache noch fein Intereffe ift, der Xr-
muthefrage bis auf den Grund zu gehen, und nur des⸗
halb erfcheint, worauf Heß im erften Hefte feines „Ge⸗
ſellſchaftsſpiegel“ (S. 2) aufmerkfam macht, im Berhält-
niffe zum franzöfifhen Proletariat und zur deutfchen
Bourgeoifie Dasjenige, was die befigende Glaffe in
Frankreich zur Hebung ber gefellfchaftlicden Noth vor=
fhlägt, geringfügig.‘ Die Parteien haben fih in Frank⸗
reich fchärfer firirt, die Stellungen und Intereffen find
weit beflinmter auseinander gegangen als in Deutfch-
land, wo Jeder, fo lange e8 nur irgendwie geht, den
Anfchein von Philanthropie und Humanismus zu wah⸗
ren furht. Der franzöfifche Liberalismus hat fein Hehl
daraus, daß er fich gegen die Bebürfniffe und Stre⸗
bungen der arbeitenden Elaffe feindfelig verhält — im
Gegenfag zu ihm nehmen ſich Legitimiften berfelben an:.
Graf Dubouchage in der Pairsfammer, Berryer im
Proceß der Zimmerleute —; der franzöfifhe Kiberalis-
mus bat ganz andere Dinge zu treiben und zu thun
als die Zuftände der Arbeiter zu unterfuchen und ihrer
Berbefferung eine aufrichtige Sympathie zu ſchenken.
So hat fi denn in Frankreich, im Gegenfage zum’
Liberalismus und überhaupt zu jeder politifchen Partei,
jene Bewegung ausgebildet, welche man allgemein als
170
„Sommunismus” bezeichnet und die allmälig aud nad)
Deutfchland ihre Ableger und Apoſtel hineinfendet.
Zaffen wir fürs erfle ihre hiſtoriſche Entwickelung
ins Auge. Obgleich neuere Schriftfteller die Erſchei⸗
nung des Sommunismus bi6 auf den Bauernkrieg und
auf De Reformation zusüdfichren wollen, fo wird doch
gewoͤhnlich Baboeuf (unter dem Directorium) als erfler
Gründer des Communismus bezeichnet. Er flellte als
Zweck feiner Bemühungen, als Bafıs feiner Lehre das
Glück Aller, le bonheur commun, auf, und Daher,
fowie von der Gütergemeinfchaft, der Communaute des
biens, flammt der Name des Communismus. Geine
Idee war ſchön und poetiſch, aber von praktiſcher Seite
blieb ſie roh, ſie war nur ein Anfang, aber von inhalts⸗
ſchwerer Bedeutung unter dem rein politiſchen Wendun⸗
gen der framzoͤſiſchen Revolution. Die Revolution näm⸗
lich hatte die wichtigſten Fragen des Volks und der
Menſchheit nur ſehr oberflaͤchlich behandelt, fie hatte den
Srundbefig in andere Hände gebracht, fie hatte die Zer⸗
ſtückelung des Bodens begünftigt, fie hatte die Beſitzun⸗
gen des Adels, ber Geiſtlichkeit, der Emigrirten im die
Hände des Mittelclaffen gegeben, — das Loos bes Volks,
das Loos der arbeitenden Elaffen war uwveraͤndert Daf-
felbe geblieben, gegen den Pauperisnus, diefen Krebs⸗
Schaden des modernen Geſellſchaft, wurde Fein Mittel
gefunden. Und doch mar dieſe Frage bie wichtigfie, von
ihr wurde die ungeheure Mejorität der franzöfifchen Be⸗
völferung ganz direct berührt. Ob eine momarchifche,
ob eine republitanifige, ob eine conftitutionnelle Regie⸗
zungsform, am Ende ift doch nur der Staat ein geord⸗
neter, wo es feine Nothleidenden, keine unfreimilligen
Arbeitötofen gibt. Und doch haben rein politiſche Fra⸗
gen bie europäifche Welt ganze 50 Jahre hindurch be-
ſchaͤftigt, an ben Zuſtand der Maffe, an die Bedürfniffe
der Arbeiter bachte Niemand. Die ungeheure Entwide-
Iung der Medyanit, welche unfer Jahrhundert auszeid-
net, brachte die Nothwendigkeit einer Löfung diefer Frage
immer näher und näher. Die Mafchinen, ber Dampf,
die Eifenbahnen begannen ihre Wirkung, entwidelten
ihre ungeheuern Kräfte und jeder diefer modernen Gi⸗
aanten machte die Menſchen und ihre Handarbeit wenn
nicht gerade zu nichte, doch zu fehr untergeordneten In⸗
firumenten. Jede neue Erfindung im Gebiet des Ma-
fhinenwefens mußte viele Taufende von Arbeitern brot-
los machen und das SProletariat, mit ihm des Paupe⸗
rismus, fliegen und rediten fi in erfchrediender Pro⸗
greffion, während die Eifenbabnen alle Zwifchenpuntte
und kleinern Bläge vernichteten und nur im Gentrum
und an den äuferfien Auslauföpuntten die Arbeit, bie
Bevölkerung, den Reichtum und die Production con»
centristen. Der Arbeiter war durch die Mafchinen nun
feibft zu einer Mafchine geworden, der Mechanismus,
dem er preiögegeben, ließ ibn in Indolenz und Thier-
thum verfinken; aber buch die Mafchinen war ed num
auch nothwendig geworden, fo viel und fo mohlfeil als
möglih zu produciten, für die Productmaſſen inumer
neue Märkte zu finden und das Princip der Concur⸗
ren; ebenfo wol im Großen wie im Kleinen, ebenfo wel
zwiſchen Völkern wie zwiſchen Privatperfonen geltend zu
machen. Das ungeheuer raſch entwidelte und ange
ſchwollene Proletariat bildet für biefe induſtrielle Riefen-
bewegung, nicht® Andere® als die mechaniſche Triebkraftz
aller Drum derfeiben faͤllt auf baffelbe zuruͤck, ohne daß
es einen conftanten Vortheil von derfelben ziehen könnte.
Deshalb weil diefe Maffe nichts zu verlieren bat, weil
der Drud aller befichenden Einrichtungen daffelbe im-
mer mehr erbittern muß, ift fie der gefährlichfte Feind,
befonders in England und Frankreich, des Staats und
iberhaupt der ganzen Gefellichaft wie fie einmal ift
geworben. Die Regi n haben allmälig Die Gefahr
erfannt, welche von diefer Seite droht, aber Angft, Un-
hlüffigkeit oder auch wirkliche Ohnmacht hielten fie bis⸗
ber ab entfcheidende Schritte zu thun. In Frankreich
z. DB. vereinigte die Regierung fich feit der Julirevolu⸗
tion immer mehr mit den Jutereſſen ber Beurgesifie,
bie Maſſe des Volks wurde immer mehr nur ale das.
Geld betrachtet, auf dem man operizte, es kam wenig
darauf an, wie viele Keichen die Speculation und der
Induftrialismns erfoderten. Das Loos der Maffen war
alfo durch die politifche Entwidelung ber Gegenwart
nur verfchlecgtert worden, die Revolution hatte nur bie
Macht des Adels gebrochen, um ein neues Privilegium,
das Privilegium bed Vermögens, au die Spige der Jeit
zu fielen. Bor der Revolution waren es 80,000 ade
lige Familien, welche den größten Theil der ländlichen .
Bevolkerung in Drud und Abhängigkeit erhielten, jege,
nachdem fie den privilegirten Grundbefig vernichtete, find
e6 200,000 begüterte Kamilien, in deren Bänden Die
Macht concentzirt if. Millionen liegen darunter! In
feuhefter Zeit Sklave, im Mittelalter hörig, wer die
Maſſe auch elend gewefen, aber damals empfand fie
nicht die Stacheln biefes Blende, ſondern betrachtete es
als eine natürliche Folge der gättlichen und menſchlichen
Weltordnung; nachdem aber die Philofophie des 18. Jahr⸗
hunderts, der Proteſtantismus, die Revolution die Frei⸗
heitsidee, den Begriff allgemeiner Menſchenwürde Ichen-
dig gemadt hatten, mußte der Trieb nach Berbefferung
ihres Loofes in der Mafle immer mächtiger werben, und
gegen den hartherzigen Drud von oben mußte fi ein
grimmiger Widerftaud von unten geltend machen. Der
neue Zuftand der Dinge mußte audy eine neue Organi-⸗
fation der Arbeit nothwendig machen, benn die alte
reichte nicht länger aus, das Pulver hatte bie Bogen⸗
fhügen, ber Bücherdruck die Gopiflen verbrängt, bas
Maſchinenweſen hatte die Handarbeit niedergedrückt, eine
neue Combination für Lohn und Arbeit war immer
deinglicher geworben, das fprach aus dem ganzen Zu⸗
ftande der Welt. Die Geifter bemächtigten fidy diefer
Trage und fo jahen wir dam, nie von St.Simoniſten,
Fourieriſten, Communiften, Oweniften u. f. m. Then
rien auf Theorien aufgeflsllt wurden, ohne daß man in
der Praxis zu irgend etwas Anderm gelommen war als
zu ber Beflätigung: der Zuſtand ber Gefellfchaft fei ein
unmatürlicher, Millionen Menfchen befänden ſich zum
121
VBertheü Weniger in einem Iuflende, auf deſſen Ab⸗
änderung mit allen möglichen Kräften Bedacht genom⸗
men werben müffe.
Das „allgemeine Glück der. ganzen Menſchheit“,
diefe ſchoͤne Idee gewann viele Herzen und begeifterte
vieie fire fich im poetiſcher Allgemeinheit, aber im Wie?
lag der gordiſche Knoten, deffen Röfung unmöglich
bfied. In dem Wie? diefer Anderung wichen alle Sy—
ffeme voneinander ab; ja, die meiften kamen nur zu
(önen Phantaſien anftatt zu einer praktiſchen Bethaͤ⸗
tigumg. Der Geiſt ber Revolution von 1788 hatte in
den meiften Ländern die Zünfte und Eorporationen ver-
nichtet, der Handwerker fand nun ganz iſolirt, feine
Arbeitskraft konnte fih unmöglich gegen die Macht bes
Capitais und des Mafchinenwefens wehren; neue Aſſo⸗
dafionen zu bilden verbietet in den meiften Ländern bas
Geſetz. So wuchs denn, mährend die Theorien beifeite
gingen, der Pauperismud immer gewaltiger und die
Regierungen fuchten Palliatiomittel anzuwenden. In
Gngland firhte man fid) mit der Armentare zu helfen,
in Frankreich wurden auf Keften des Budgets ungeheure
öffentliche Bauten und Arbeiten ausgeführt, in Deutfch-
land fuchte man Hülfövereine zu organifizen, aber —
was. half das Alles? Ahnliche Mittel hatte man ſchon
in Ägypten und Babylon angewendet! In England ge-
nügte die Armentare nicht, in Frankreich werden bie
Bauten bald vollendet fein, in Deutſchland fcheiterten
die Hülfsvereine ebenfo wol an der Angftlichkeit der Re-
gierungen als an ihrer innern Unfähigkeit, in ben vorge⸗
iebenen Grenzen bie große Frage zu köfen, mit der
fie ſich befchäftigen. Der Induſtriallömus breitefe fich
immer mehr aus, dad Proletariat vermehrte fi immer
fort, das Miet ſteht ungelöft vor der erſchreckten und
beunruhigten Geſellſchaft. Die Löfung aller auf bie
Regelung ber Arbeit bezughabenden Kragen ift immer
weiter hinausgefchoben worden, ber alte Zuftand ver-
barrte fortwährend; und der jüngfie Ardeitsſtillſtand der
parifer Zimmergefellen hat recht auf die Schwierigkeiten
Der Frage des Arbeitslohns aufmerkfam gemacht: Ne
gierung, Kammern, Policei, Municipaliät und Zribunale
wußten Zeinen Ausweg zu finden!
Das praktifche Wie? blieb ungelöfl. Unb eben weil
man dem Kommunismus keine Prapis geben tonnte,
machte man ihn zu einer Religion. Go ifl ev in den
azbeitenden Clafſen Frankreichs wirklich zu einer Art
von Religion geivorben, diefe Religion Hat eine Hoff-
nung gegeben, aber fie hat den reellen Zufland nicht im
geringften erfeichtert. Stellen wir ums nun den Feind
recht deutlich vor Augen, an deffen Bekämpfung man
ſich ebenſo wol in ber Theorie als in der Praxis bisher
fo vergeblich abgemüht Bat. Erſt dan kann das Miet
Peitifirt werden. -
Zuerft muß hier ein beftimmter Unterſchied zwiſchen
Armuth und SPeoletariat gemacht werden, um die große
Frage, deren Löfung es gilt, rein zu erhalten und fie
nicht mit mehr ober minber verwandten Stoffen und
Erſcheinungen zu vermifchen. Zwiſchen Armuth im ge-
möhnlichen Sieme umd zwifchen Proletariat eyiftirt ein
weſentlicher Unterſchied. Der Arme iſt dadurch aum,
daß er entweder nicht‘ arbeiten kann oder nicht arbeiten
will, der Proletasier dagegen kann arbeiten, auch will
er arbeiten, aber es fehlen ihm die Mittel oder die Ge⸗
legenheit, fein Können und Wollen geltend zu machen.
Dies halte man feſt, bier iſt der weientliche Differeng-
punft zwifchen Armuth und Proletariat. Arme het
e& immer gegeben, aber die Erſcheinung, daß weder Ar-
beiteluft noch Arbeitsfähigkeit fi) zur Genüge der Erir
ſtenz verwerthen tiefen, dieſe Erfcheinung gehört der
modernen Zeit an. Wir Haben die Entfichung des
Kommunismus oben auf die franzöfifede Resolution zurück⸗
geführt, gleichzeitig beginnt biefe Erfiheinung. Nachdem
von der Revolution alle Eorporationen, alle beſtimmt
geſchloſſenen Kreife aufgelöft waren, ftellte fie ben Grund⸗
fag auf: Jeder kann unternehneen was er will. Da
durch wurde dem Thaͤtigkeitstriebe ein ganz ungeheures
Ted geöffnet, es fegten ſich Kräfte in Bewegung die
früher gebannt geweien waren, es kamen Capitalien in
Umlauf die früher Brad, gelegen hatten, die Induſtrie
nahm eimen rafıhen Aufſchwung; aber natürlid Tann
nur dann Jemand etwas unternehmen was er will,
wenn er zur Ausführung feines Plans auch bie geiſti⸗
gen und materiellen Mittel bat. Die Concurrenz war
eröffnet, das Wettrennen wurde ungeheuer. Concurriren
durfte Jeder, wenn er die Mittel dazu hatte, aber worin
befanden diefe Mittel? Im Bapital! Kür Den, ber
fen Capital aufweifen konnte, gab es auch feine Eon-
currenz, er war von vornherein vom Weltlaufe ansge-
ſchloſſen. Alſo hatte der Wahlfpruh: Ein Icher kann
Alles unternehmen, feine arritre pensde, feine bedeutenden
Schranken. Das Princip der freien Concurrenz läuft
alfo auf nichte Anderes als auf bie Herrfchaft des Capi⸗
tals hinaus, und die Welt ſcheidet fih nun wieber in.
die Capitaliften, die Ritter, und bie Capitallofen, den
Troß, die Sklaven. Die Eapitaliften verwenden bie
Arbeitskräfte der Gapitallofen für ihren egoiftifchen ,
Zwed, der Troß ift an ben Ritter gebunden. Unter
den Rittern wird gelämpft auf Leben und Tod, jeber
ſucht Sieger zu fein und dem Mitbewerber den Rang
abzulaufen. Das Ziel aber, nach dem jeder firebt, ift
nicht anders als durch TWohlfellheie zu gewinten, unb
diefe wieder ift nicht anders als durch Herabfegung der
Productionstoften zu erreichen. Der Arbeitslohn wird
herabgefegt ober die Zahl ber Arbeiter wirb vermindert,
denn Maſchinen gewähren das Mittel, benfelben Zweck
durch fie weit ſchneller und billiger al6 durch An-
wendung menfchlicher Kräfte zu erreichen, Der Indu⸗
ſtrialismus mit all feinen Schreden und Kämpfen brüde
zulegt immer auf die Maffe der capitallofen Arbeits⸗
fräfte, derjenigen beren einziges Kapital die Arbeit ifl.
Der Induſtrialismus kann ferner nicht bei einer natürlichen
Production, die durch die Konfumtion in Schranken
gehalten wird, fichen bleiben, er producirt um zu pro⸗
duciren, er zuft eine Menge Induſtriezweige hervor, bie
nicht durch eine naturgemäße Entwidelung, fondern nur
172.
unter dem Ginfluffe zufälliger Umflände entſtanden find.
Fallen fie, verfiegen ſie, ſtockt die Production, treten
fchlechte Gonjuncturen ein: Jeder da oben fucht ſich zu
retten, ber ganze Drud Fällt auf die capitallofe, arbei-
tende Maffe, deren Eriftenz an die Schwankungen des
Induſtrialismus gebunden ift. Die Confumenten müf-
fen das für fie ganz gleichgültigeBeftehen einiger Probucen-
ten mit Tribut erfaufen oder, fallen die künftlichen In⸗
duftriegweige, fo verlieren die auf biefelbe angewieſenen
Arbeiter ihre Eriflenz, ihr Brot. Pür die Legtern wird
ein folder Fall um fo verberbenbringenber, als dies bis
ins Kleinſte geltend gemachte Princip der Arbeitsthei-
tung ihnen nicht fo leicht den Übergang von einer Be⸗
fhäftigung zur andern geftatte. Auf diefen Zuftänden
beruht die Natur bes Proletariats, aus ihnen reſultirt
es in feiner ganzen Fruchtbarkeit und Entfeglichkeit; lo⸗
cale, fecundaire Zuftände konnen es noch fleigern, aber
bie Natur des Proletariats beruht auf dem Principe
der freien Eoncurrenz ober, was Daffelde fagt, auf der
heutzutage geltend gemachten Plutokratie. Die Concur-
ren; ift der Krieg Aller gegen Alle und dieſer Krieg,
weicher fo viele Leichen macht, befchräntt ſich nicht auf
die Grenzen eines Landes, fondern bie einzelnen Natio-
nen concurriren ebenfall$ untereinander und bier ge-
ſchieht Daffelbe, was im Einzelnen ftattfinde. Da man
an die Kabrikation die Wohlfahrt der Länder und Böl-
fer gefnüpft bat, fo fucht man fie fo weit ale möglich
auszudehnen, für bie eigene Production viele fremde
Märkte zu gewinnen, die fremde fo viel als möglich
aus dem eigenen Lande zu verdrängen, und fo kann
denn auch nur bier durch die Macht eines größern Capi⸗
tals eine Nation auf Koften der andern den Sieg er-
ringen; das liegt im Wefen des Induſtrialismus.
(Die Sortfegung folgt.)
Die Schlacht von Hohenfriedberg oder Striegau am 4.
Juni 1745. Gin Beitrag zur Gefchichte des zweiten
fchlefifhen Kriege, Mit neun Beilagen und zwei Pla⸗
nen. Bon Leo Freiherrn von Lützo w. Potsdam,
Riegel. 1845. Gr. 8. 1 The. 10 Nor.
Der tapfere preußiſche Cavalerieoffizier, ber Generallieu⸗
tenant v. Luͤtzow, der nicht minder als fein Bruder, welcher in
dem Befreiungskriege der Sabre 1813—14 das bekannte Freicorps
führte, in jenen Kämpfen fi auf das Ruhmmürdigfte ausge:
zeichnet, ift vor der Ausgabe des vorliegenden Werks bereits
geftorben. Er batte bafjelbe indeß nah dem Manuferipte
durchgefehen und Alles, was wir erhalten, iſt von feiner Hand,
—e— Zuſatz. Das Werk ſelbſt iſt eine ſchaͤtzbare, mit
Klarheit und Einfachheit abgefaßte Schlachtſchreibung und durch
genaue Schlachtplaͤne und Terrainaufnahmen verſinnlicht, fo:
daß wir uns ein recht vollſtaͤndiges Bild dieſes wichtigen Sie⸗
ges entwerfen koͤnnen. Ein ſolches aber verdiente eine Schlacht,
in der. fi) das hohe Talent Friedrich's II., ein Treffen zu ord⸗
nen und zu leiten, und die ausgezeichnete Tapferkeit ſeiner
Truppen in dem hellſten Lichte gezeigt haben. Den Gang ber:
felben koͤnnen wir jedoch hier nit verfolgen: die Oftreicher
und Sachſen ließen es keineswegs an Tapferkeit fehlen, aber
man fieht auf das Deutlichfte, wie ihre DOberanführer, Prinz
Karl von Lothringen und Herzog Sohann Adolf von Weißen:
fels, den ſtrategiſchen Künften Friedrich's nit gewäachfen wa:
ven und wie bie einmal eingeriffene Unordnung und Berwir:
rung ihre Truppen gegen Die mit ungemeiner Kaſchheit vor-
dringenden Preußen nicht länger Stand halten ließ. Unter
biefen zeichnete ſich befonders bes Dragonerreniment Baireuth
aus, weldyes 19 feindliche Bataillone über den Haufen warf,
vernihtete,, größtentheils gefangen nahm und ihre Kanonen
und Fahnen eroberte. Diefe glänzende Waffenthat ift von
S. 76 — 84 mit forgfältiger Kritik aller Angaben und mit
richtiger Abwägung des Maßes von Lob und Ehre, das den
Generalen Schwerin, Schmettau und Gesler zukam, befchrieben
worden, und auch der Tapferkeit der Gemeinen, die Briebrich IL
in feinem Schlachtberichte und in feinen hiſtoriſchen Werken fo
dankbar erhoben bat, die gebührende Erwähnung ermiefen.
Werfen wir nun überhaupt einen Blick auf diefe Schlacht unt
ihre Beſchreibung, fo wird man in der neuern Kriegsgefchichte
felten Beitpiele Enden, wo ben Operationen der Feinde, mit
folder Überlegung entgegengewirkt ift, wo fie mit ſoicher Über-
legung durchkreuzt und endlich Durch einen entfcheidenden Schlag
fo zernichtet find, als es den Operationen des Prinzen Karl
von Lothringen in der erften Hälfte des Feldzugẽ des Jahres
1745 dur das Benehmen des Königs und dur dic Schlacht
bei Hohenfriedberg widerfahren ift.
Bei Ubfaffung der vorliegenden Schrift bat Hr. v. Lüge
alle ihm zu Gebote ftehenden gebrudten Hülfsmittel mit m⸗
ſicht benutzt, nicht bloß die preußifchen Armeeberichte und die
zerftreuten Einzelheiten in verfdhiedenen Werken preußifcher
Offiziere, fondern auch, fo viel als ihm möglich war, bie öft-
reichiſchen und fächftifchen Kriegsnachrichten zu Rathe gezogen.
Eine bis dahin unbenugte Quelle bot ihm das fogenannte
Schöppenbud, cine Chronik des auf dem Schlachtfelde liegen-
den Dorfes Pilgramshain aus den Jahren 1694— 1763, muth⸗
maßlih aus der Feder eined Geiſtlichen oder Schullehrers.
Man fiebt auch hieraus wieder, wie gut fich felbft nad einem
fo langen Beitraume die Chroniken der Städte und Dörfer be
währen, und follte noch jetzt alles Ernſtes auf deren Anferti-
gung oder Fortführung Bedacht nehmen. Namentlich wird
died auch in Bezug auf die Ortlichkeiten für künftige Ge-
ſchichtsforſcher von Wichtigkeit fein, weil die Anlage von Ei⸗
jenbahnen die bisherigen Straßen und Wege fo bedeutend ab⸗
ändert und ganze Gegenden dadurch eine durchaus veränderte
Geftalt empfangen. 20.
Bibliographie.
Bahmann :» Korbett, 3., Zahme Lieder. Offenbach.
1845. Gr. 16. 10 Nor.
Bibliothef ausgewählter Memoiren des 18. und 19. Jahr-
hunderte. Mit gefchichtlichen Zineitungen und Anmerkungen.
heraußgegeben von I. E. Pipitz und &. Fink. Iter Band:
Mid. Dginski's Denkwürdigkeiten über Polen, das Land und
feine Bewohner. Mit einer Einleitung: Polnifd > zuffil e
Wahlvermandtfchaften vom Sinus der Polen in Moskau (1600)
bis zum Einzug der NRuffen in Warſchau (1831). Belle-Bue,
Zerlage und Sortimentsbuchhandlung. 1845. 8. 1 Thir.
Ror-
Bredler, ©. H., Die Gefchichte der deutſchen Reforma:
tion. Dem deutfhen Volke nad den Urkunden und Schriften
der Reformatoren und ihrer Gegner wahr und klar dargeftellt.
Ifte® und 2tes Heft. Danzig, Gerhard. 12. A 5 Nor.
Difteli, M., Schweizerifcher Bilderkalender für das Jahr
1846. Solothurn. 4. 5 Nor.
Leo, G. E., Stimmen aus der Kirche. Eine Reihe bibli-
[her Betrachtungen. Dresden, Naumann. 1845. Gr. 8. 15 Xgr.
Banotti, 3. R. v., Genealogifhe Tabellen über Die
verfchiedenen Zweige der Yamilien von Montfort und von Wer⸗
renberg. Belle⸗Vue bei Eonftanz, Verlags: und Sortiments»
Buchhandlung. 1845. Gr. 8. 15 Rgr. .
Berantwortlicher Herausgeber: Heinrich Srodyans. — Drud und Berlag von F. X. Brockhaus in Leipzig.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Freitag,
Die ſociale Frage.
(Fortfegung aus Nr. 48.)
Haben wir uns das Princip deutlich gemacht, wel⸗
ches die Welt beherrſcht und drück, fo können wir auch
nach feiner Macht auf die Macht und Möglichkeit ber
Mittel fließen, durch weldhe man das Proletariat zu
mildern oder gar aufzuheben ſucht. Daß noch Fein Rar
Dicalmittel gegen den Pauperismus gefunden, - das kann
Sein Vorwurf fein, aber Das wird zum Vorwurf, wenn |
man glaubt, mit Verkennung der mobernen Armuthb-
urfachen radical ‚wirken zu fünnen. Wir tönnen den
großen Conflict nicht löfen, in den die Welt, in den bie
GSefellſchaft allmaͤlig Himeingetrieben ift, uns bleibt nichts
Anderes als vorzubereiten und die große That ber Ber
schichte zu uͤberlaſſen. Deshalb iſt es auch für den
Communismus der allergeringfte Vorwurf, daß er nicht
„praktiſch⸗ wirke, nein, praktiſch im gewöhnlichen Sinne
kann er nicht fein, weil er ein Princip bekämpft, wel-
ches er nicht ausrotten kann, fo lange der gefchichtliche
Proceß es nicht in feinen Gonfequenzen zerfchmettert.
Der Communismus kann nichts Anderes thun als bie
Welt kritificen, als die ganze Unzulänglichkeit der befte-
henden Zuftände nachweifen. Wo er prafktifch werben
wollte, gab er fih immer auf, wo er Religion wurde
und ein communiftifhhes Gebäude dogmatiſch conftruirte,
wie vielfach in Stantreih, da wurbe und wird er ab-
geſchmackt. Damit wollen wir nicht gefagt haben, daß
es dem wachſenden Pauperismus gegenüber genug fel,
die Hände in den Schoos zu legen, und bie befann-
ten Schlagwörter: „Abſchaffung des Geldes, Güterge-
meinfehaft, Organifation ber Arbeit, abfolute @leid-
heit”, auszuftoßen und fich in einer blinden Ideologie
feſtzurennen; im Gegentbeil, der Communismus kann
eben darin feine höhere Praxis beweiſen, daß er, in fle-
ter Berichung auf das Princip, welches er befämpft,
mit kriſcher Schärfe die alten Hüllen löſt, welche die
Geſellſchaft beengen und dem Wachöthume der neuen
Fruchtknoten behüflich ift, weile fich anfegen wollen.
So kann er 3. DB. dadurch, dag er im Innern den
Zrieb ber Affeciation feigert und nach außen die Eolo-
nifation begünffigt, eine Art von Praxis bemeifen und
dadurch zeigen, daß er fi ebenfo weit von phantafti-
ſcher Träumerei wie von abftracter Syftemmacherei fern
halten und ben Beben des Lebens fuchen wole. Aber
wir leugnen es nicht, daß diefer höhere praktiſche Trieb,
welcher allein, fo lange das Princip der Conturrenz die
europäifche Welt beherrfcht, noch zu etwas nügen und
überhaupt fördern kann, nur eine Seltenheit unter ben
Sommuniften if. Wir wäßten nur Weitling zu nen⸗
nen, ber in feinen „Garantien“ den Berſuch wagte den
Communismus zu organifiren, aber er that weiter nichts
als daß er von allen potitifchen und religiöfen Syſtemen
Lappen entfehnte, und die Unausführbarkeit feines Ver⸗
fuchs wurde (3. B. die Idee der Arbeitäftunden felbft
von feinen Anhängern) anerkannt. Die meiften Com⸗
muniften find entweder Peſſimiſten ober Ideologen umd
weder diefe noch jene können dem mächtig gefchloffenen
Princip, welches ihnen entgegenfieht, die Zähne zerbre⸗
Ken, noch überhaupt die innere Entwidelung des Com⸗
mmismus fördern. Che ber Communismus bie Witt
organifiren kann, wird er fich erſt ſelbſt zu organifiren
haben, und wenn diefes bis jegt noch nicht gefehehen,
fondern noch Vieles im Dunkeln fehwebt, fo muß aller-
dings dagegen bedacht werben, daß diefe Bewegung nod)
viel zu neu iſt als daß man fchon eine vollfländige Kry⸗
ſtallifation von ihre mit Recht erwarten koͤnnte. Der
Kommunismus, wie er in Deutfchland, namentlich in
dee ‚„„Zrierfchen Zeitung” und im ‚Befellfchaftsfptegel ”
erfcheint, hat aber an Klarheit und Umficht Vieles vor
ber gleihen Bewegung in Frankreich voraus, und fa
möchte es fcheinen, daß auch in diefer Angelegenheit un
fer Daterland einft berufen fein wird ein entfcheibendes
Botum abzugeben. Die communiftifche Bewegung in
Deutſchland ift weder peſſimiſtiſch noch ibeologifch-religiöe,
fie conftruirt micht, fie prüft fidh vielmehr an ber Kritik
der gefellichaftlichen Verhältniffe wie bie „Trierſche Zei⸗
tung“, ober fie fammelt den factifchen Beſtand derſelben
wie der „@efellfchaftöfpiegel”, fie radotirt nicht wie Blanc,
fie träumt nicht wie abet, und könnte man ihr einen
Vorwurf machen, fo wäre ed der, noch allzu häufig nach
der philofophifchen Schule zu ſchmecken!
Wir haben in den obigen Andeutungen es verfucht,
die verfchiedenen „Theorien der Armuth“, welche ſich ge
genmwärtig geltend machen, kurz darzuftellen und wir
glaubten keine zweckmaͤßigere Einleitung zur Beſptechung
der an die Spige dieſes Artikels geftellten Schriften ge⸗
174
ben zu können. Diefe Belprehung wird uns Veran⸗
laſſung werden, theil® auf die allgemeinen Punkte zu⸗
ruckzukommen, theils und in eine Eroͤrterung von Ein⸗
zelfragen, die zur Hauptfrage in directer Beziehung fe-
ben und von allgemeiner Wichtigkeit find, einzulaffen.
Mr. 1. Arnd, „Die naturgemäße Volkswirth⸗
haft”. Es ift fo viel und fo verfchiedenartig mit
dem Volke und ben Völkern gewirthſchaftet worden, die
Nationatötonomie hat fi) in fo enge Geſichtskreiſe ver-
foren, dag man wohl fagen dürfte, eine naturgemäße
Volkswirthſchaft, wahrhaft gegründet auf das Wohl des
VBolks, könne nur durch die Auflöfung aller beſtehenden
Volkswirthſchaft erzielt werden. Wir werden bald fe-
ben, was unfer Verf. unter „naturgemäßer” Volkswirth⸗
fchaft verſteht und ihm nachzuweiſen ſuchen, daß er fein
Syftem eben auf dem unnatürlichen Grunde begründet
hat. Vorerſt aber dürfte es nothwendig ſein, in beſon⸗
derer Rückſicht auf bie „Volkswirthſchaft“ ſich die Auf-
gabe der Gegenwart und der Zukunft duch einen Blick
in die volkswirthſchaftliche Wergangenheit zu vergegen-
märtigen.
An der erften Periode des germanifchen Europas
herrſchte eine Wiffenfchaft, welche Brüggemann (‚Der
deutfche Zoliverband und das Schutzſyſtem“, S. 109)
als ypatrimoniale Antheilswirthfchaft bezeichnet. Hier
war das ganze Vermögen des Volks, fein Belig und
fein Erwerb, in Antheile vertheilt und gefhügt mit
Bannrechten. Das Lehnswefen, das Zunftweien, das
Hoͤrigkeitsweſen, die Servitute ordneten die Geſellſchaft.
Aber in den Städten, wo fich der Handel fammelte,
mußte ſich bald eine andere Anficht von dem Rechte und
von dem Weſen ber Okonomie entwideln, und mit dem
Fortfchritte der europäifchen Gultur begann die zweite
Periode der „commerciellen &elbwirtbfchaft”. In Ita-
lien wurde fie geboren, mit der Neformation, mit der
Entdeckung der Seewege nad Amerita und Oſtindien,
überhaupt mit der höhern Entwidelung der Völker brach
fie entfchieden durch. Die Nationen, welche unmittelbar
bei den großen Weltbemegungen thätig waren, erwarben
ſich dadurch auch eine öfonomifche Kraft, mit der fie DIE
‘ andern mehr und mehr überflügelten. Bon ihnen aus
bemächtigte ſich die neue Geldwirthſchaft allınalig aller
mit ‚ihnen verkehrenden Nationen, und dadurch murben
denn immer mehr die alten Abhängigkeits - und An⸗
theilsverhältniffe gebrochen und größere Bildung verbrei-
tet, größerer Reichthum gewonnen. Mit biefer commer-
ciellen Geldwirthſchaft, mit dem einerfeitd gefteigerten
Reichthume bemerken wir andererfeits aber auch, mie ſich
bei allen Nationen die Armuth vermehrt und ſich dar-
aus der Pauperismus, das Maffenelend entwidelt. Die
Hauptſache diefer in befchleunigter Zunahme begriffenen
Krankheit ift oben nachgewiefen worden. Was ift nun
die volkswirthſchaftliche Aufgabe der Gegenwart? Sie
liege in den Geburtswehen einer dritten Periode, das
wird Jedem Mar. Aber was wird das Princip diefer
neuen Periode fein? Brüggemann glaubt Die neue Per
riode als die einer „nationalen“ oder „focialen Geld⸗
wirthfchaft” bezeichnen zu konnen. Wir wiffen nicht
vet, was er unter diefer „foeialen Geldwirthſchaft“
verfieht, um fo weniger, da er meint, fie fönne auch
„nationale Geldwirtbfchaft” genannt werden. National
und focial iſt uns ein bedeutender Unterfchieb und ver
der focialen Auffaffung ber wirthſchaftlichen Verhältniffe
fehen wir alle nationalen Abgrenzungen verfihieden. So⸗
cial ift allerdings die Aufgabe der Gegenwart und eben
indem fie diefe verfolgt, ift es ihr darum zu thun, die
alten nationalöfonomifhen Begriffe aufzulöfen und ein
neues Princip, das Princip der Affocdation, an ihre
Spitze zu fielen.
Der Liberalismus in der Volkswirthſchaft hat es
zum Princip der freien Coneurrenz gebracht; diefe trägt
allgemach Früchte, welche mit den erſten Bebingungen
der menfchlihen Würde und Freiheit in einen directen
Widerfpruch gerathen. Die Volkswirthſchaft mit dem
Princip der freien Concurrenz wahrt und fügt nicht
das Iutereffe des Volks, fondern der Mittelclaſſe, welche
nad) oben einen politifchen Liberalismus geltend macht,
nad) unten dagegen in Rüdficht auf die Maſſe bes
Volks immer ausfchließender wird. Ihre Baſis ift das
Kapital und die Ausfchließtichkeit des Kapital. Die
alte Geſellſchaft beruhte auf dem Rechte des Stärken,
die moderne hat bie Arbeit befreit, aber in ihren Folgen
zur Unfreiheit des Arbeiter geführt. Es ift der Pri-
vatbefig, weldhen bie Gegenwart auf die Spige ge-
trieben hat und in der Concurrenz den Kampf um ven
Privatbefitz. Die Macht des Privateigentgums hat: mit
dem britten Stande ihren Anfang genommen, benn auch
in dem völligften Eigenthumsrechte des Feudalismus wa⸗
ven Befchränktungen bamit verbunden, welche man jegt
nicht mehr anerkennt. Geijer fagt;
Ein abfolutes Privateigentypum war im Weubalipfteme
wenn aud nicht unbefannt, Doch durchaus nicht das herrichende.
Das Eigenthum war von allen Seiten mit einem Retze von
perföntichen Berhältniffen umfponnen, welche alles Sachredht
in ein perfönliches Recht verwanbelten und zu gleicher Zeit
das Band zwiſchen Befiger und Eigenthum zu einem gegen:
feitigen, in der That felbft moralifhen Bunde machten. i
erbliches, unveräußerliches an perſoͤnliche Verpflichtungen ge⸗
gen den Staat geknuͤpftes Eigenthum beſaß einen edlern Werth
als das bloße Privateigenthum.
Die Macht bes reinen Privateigenthums, theorerifch ver-
theidigt in dem durch die Juriften wiederbelebten römifchen
Rechte, wurde erft durch Die moderne Gefellfchaft befreit und
in ihr, welche ihren Ausbrud im Bürgerthum findet, eben
dur) das Bürgerthum ſowol zur Bafıs des Staats, ber
Geſetzgebung ale auch der Volkswirthfchaft erhoben. Alle
Volkswirthſchaft, wie wir fie bis jegt haben, geht von ber
Macht des PrivateigenthHums aus und ftellt diefes direct
an.die Spige.. So der Gründer der modernen Volks⸗
wirthichaft, Adam Smith, welcher den Nationalreichthum
als bloße Summe ber in einer Nation zu irgend einer
Zeit fi verbindenden Privatreichthümer betrachtet.
Schon der Graf Kauberbale bekämpfte biefen Sag unb
ftellte die Theorie Adam Smith's als bie Herrfchaft ei-
175
nes „dedorganifizenden Individualismus“ bar, er dringt
Darauf, daß neben dem einfeitigen Streben nah Dis
membration ber Gefellfhaft das andere ebenfo wefent-
lihe nad Conföderation nicht überfehen werde. Zwar
leidet er dabei an einer Vorliebe für vomantifch- feuda-
Liftifhe Hebensarten. In neuerer Zeit hat man ben
Adam Smith’fhen Begriff vom Nationalreihthum bes
richtigt, z. B. Adanı Müller, man hat gefagt, der Reich:
thbum wie bie Okonomie fowol der Privaten ale ber
Derfonen befteht durchaus „nicht allein in einer Anhäu-
fung von brauchbaren Sachen”, bie bald verzehrt und
verfhmwunden wären ober ungebraucht daliegend werth⸗
108 blieben, vielmehr allein in jener veprobuctiven Kraft
ber Wirthichaft, aus welcher die Sachen nicht nur mit-
wis der Production hervorgehen, fondern in welche fie
auch mittels einer wohlgeordneten Confumtion fo zurück⸗
ehren, daß fie, indem fie verbraucht werden, nicht ver-
ſchwinden, fondern nur ihren Grund befruchfen und be:
reichern, um reichlicher wieder hervorzugehen; allein mit
der Berichtigung einiger allgemeinen: volkswirthſchaftlichen
Begriffe ft die Hauptvorausfegung keineswegs umge:
flogen worden, und der Privatbefig in feiner Ausſchließ⸗
Jichkeit und Concurrenzfreiheit ift immer -die Grundlage
der Volkswirthſchaft geblieben. Eben dadurch ift fie in
Widerfpruch zur Freiheit überhaupt getreten, denn im
Weſen der Freiheit liegt die Allgemeinheit. Nur dann
Tann eine wahre Freiheit ſich bilden, wenn chen Alle frei
find. Diefe Allgemeinheit wirb aber von der bisherigen
Volkswirthſchaft dadurch ausgefchloffen, daß fie den Beftg
ganz wieder wie in ber Alteften germanifchen Zeit zur
Bedingung der Freiheit gemacht hat. Allerdings kann
eine innige Beziehung zwiſchen Freiheit und Befig nicht
geleugnet werden, aber die Freiheit ift der bedingenbe
Grund, der Befig ift die Folge der Freiheit und ihre
Erfüllung. Diefes Verhältniß ift vom Staate ſowol
wie von ber Volkswirthſchaft umgekehrt worden: bie
Subftanz ift Accidenz, die Accidenz aber ift Subftanz
geworden.
Da nun aber der Befig feiner Natur nach beſchränkt
ift, fo muß er auch, fobald er zur Bedingung der Frei-
beit gemacht wird, nothwenbigerweife zu einer Befchrän-
tung und Abfchliefung der Freiheit führen, fobalb er
in feiner befchränkten Natur erſcheint und einen abge-
ſchloſſenen Charafter annimmt. Die Zahl Derjenigen,
die zur Freiheit berechtigt find, vermehrt fih, nicht fo
der Beſitz. Man ift fo welt gegangen ald man konnte,
man hat die Theilung des Beſitzes anerkannt unb bie
weitefte Concurrenz eingeführt, aber nie bie Bebingung
des Befiges fallen laffen. So verftopft fih die Duelle
der Freiheit, die Bedingung ber Freiheit wird zur Un-
freiheit und die Volkswirthſchaft, wenn fie von der al-
ten Vorausſetzung nicht abgehen kann, ift in Wiber-
ſpruch zu Dem, was bie Zeit will und was fie muß,
immer mehr geratben.
(Die Yortfegung folgt.)
Bübniffe der deutſchen Könige und Kaifer von Karl
dem Großen bis Franz 11. nach Siegeln an Urkun⸗
ben, Münzen, Grabmälern, Dentmälern und Origi⸗
nalbifdniffen gezeichnet von Heinrich Schneider;
nebft charakteriftifchen Lebensbefchreibungen berfelben
von Friedrich Kohlrauſch. Zweites bie ſechstes
Heft. Gotha, F. u. U. Perthes. 1844 — 45. Ler.-B.
2 Thlr. 15 Ner. >
Seit wir das erfte Heft des genannten Werks in Rr. 129
d. Bl. f. 1314 anzeigten, find ald Zortfesung fünf andere er«
fhienen, von denen das britte und vierte und die Reihe ber
Hohenſtaufen bis zum Erlöjchen des großen Kaiferhaufes vor:
führt, das legte mit Heinrich von Luxemburg fließt. Biel
feiht ift der Gang des Werks Diefem oder jenem Leſer zu
langfam vorgefommen, aber mit vollem Rechte kann hier das
Wort angewendet werden: Gut Ding will Weile haben. Denn
gewiß, ein guted Ding ift bier von den Verlegern unternom»
men, von dem Künftler und dem Biographen ausgeführt.
Richt erhalten wir bier von den Königen und Kaifern Deutichs
lands Bilder in der Phantafie des Kuͤnſtlers entfprungen, wie
eine eigenthümliche Anſicht oder Vorliebe dieſelben erzeugt
batte, fondern auf gleichzeitige Monumente gegründete, in wel-
hen demnach die Spuren ber Wirklichkeit und Echtheit fo
weit verfolgt find, ald diefes bei fo weit von uns gelegenen
Begenftänden nur irgend mögli if. Siegel an Urkunden,
Münzen, Grab: und Denkmäler jind bier, benugt, und wenn
diefe auch Feine volle Gewißheit über das Außere des Mannes
geben, den fie darftellen, fo wird man, lie doch immer jenen
Phantafiebildern vorziehen, wie uns ja gleichzeitige Müngen
mit den Bildniffen ausgezeichneter Männer, auch unvollkom⸗
men, lieber find als Die aus einer fpätern Zeit herrührenden
Abbildungen verfelben. Den vorliegenden fiehbt man es auf
den erften Blick an, daß ed dem Künftler um Zreue zu thun
wars er hätte leicht durch Fünftlerifche Ausführung etwas Ge:
fälligered geben Sönnen, aber die Wahrheit hätte gewiß darum«
ter gelitten. Indeß enthält das legte Heft doch einige Bild-
niffe, in denen der Künftler nach größerer Gefälligkeit geftrebt
bat, ohne der Treue Abbruch zu thun.
Wie nun diefe Bildnifje, indem fie die Kraft und Deutſch⸗
beit jener Fuͤrſten ahnen laſſen, dem Deutfchen eine dankens⸗
wertbe Gabe find, fo laͤßt ſich dies in reiherm Maße von den
Lebensbeſchreibungen fagen, mit denen Hr. Kohltauſch diefel-
ben begleitet bat. Wir fprechen fogleih aus, welchen Kreis
von Leſern er ſich befonders gedacht haben mag, für welche fie
vorzugsweife geeignet find. Der Gefchichtöforfcher wird zu den.
Quellen geben; bem gebildeten, der Geichichte nicht fremden
Manne werden diefe Könige und Kaiſer aus dem Verlaufe der
Geſchichte, aus den Veränderungen, die vorzüglich durch fie in
ihr vorgegangen find, bekannt fein, wierwel auch diefer die
Reihe der in jenen Zeiten vorzugsweife wirkenden, auf fie E@in- -
Fluß übenden Männer gern nacheinander verfolgen und in Ge⸗
fammtheit überfehen wird. Aber den größten Reiz werden
diefe Biographien für deutſche Jünglinge haben, der eigentliche
Segen diefer Lecture wird für fie fein.
Der Unterricht auf unfern hoͤhern Schulen bringt e8 mit
fih, daß der reifende Knabe, der Züngling vor allen mit den
großen Charakteren bes Altertbums bekannt wird. Dies ift
ein großer Gewinn. Aber in dem deutſchen Süunglinge fol
früh auch Vaterlandsliebe erzeugt werden, ihm geziemt ed, die
großen Männer Eennen zu lernen, die fein Vaterland gehoben,
Heziert und ehrwürdig gemacht haben, er fol lernen ſich ih-
ver würdig zu machen, er fol die Gefchichte feines Vater⸗
lands lernen, und wer weiß nit, daß Biographien großer
Männer im jugendlihen Alter die vornehmften Punkte find,
an die ſich am leichteften und ficherften die ganze Breite, der
Schalt der Geſchichte anknüpft!
&o bat der deutfche Juͤngling in den großen Fürften fei-
176
nes Bots ein Begenbild und ein Gegengewicht zu jenen Gr
Gen des Alterthums. Wenn ein Golon, ein Numa, ein Alexan⸗
der und Eöfar ihn I fo erfennt ex, daß fein Deutſch⸗
land nicht minder große Männer hatte an feinem Karl, feinem
Heinrich und Dtto, an den Hohnflaufen; feine Liebe und Ber
eifterung wird nicht Durch ein fremdes Volk aufgezchrt wer»
en, er wird fi das Große um fo Fieber aneignen, da er fa:
gen darf: Diefe Männer gehören uns an.
Sole Betrachtungen find öfter angeftelit worden und
die Zeit liegt nicht weit hinter uns, wo dies mit befonderm
RNachdruck geſchah. Wir gedenten der Beit, die den Freiheits⸗
kriegen unmittelbar vorausging und der auf diefe zunachft fol⸗
enden. Aber leider litt diefe Zeit auch an dem Übel, das
ee einem rüdfichtslofen Enthuſiasmus fo leicht zugeſellt. Man
ging bilderftürmerifch zu Werke und vergaß, daB man einen
geliebten Gegenftand nicht dadurch ehrt, daß man alles Andere
neben ihm herabfept, fendern dadurch, daß man ihm die ge:
bührende Stelle anweift, wo auch Anderer Glanz den feinigen
nicht uͤberſtrahlt. Wie dieſer Teutonismus in das demagogiſche
Treiben eingriff und daſſelbe förderte, wie verderblich er auf
die deutfche Jugend wirkte, ift befannt. Ganz anders als Die
Wortführer jener Zeit verfährt Hr. Kohlrauſch. Er läßt das
Große einfach in feiner Natürlichkeit auf den Leſer wirken,
verdeckt die Schattenfeite nicht, Laßt die Charaktere der Könige
und Kaifer fih in ihrem Handeln entfalten, und wenn er felbft
einmal vortritt, iſt es der verftändige Lehrer, der durch viel
fältige, im Leben und in dem einflußreichen Amte, das ex be:
Pleidet, gefammelte Erfahrung zu lehren befähigt iſt. Liebe,
Gerechtigkeit und Maß find die Eigenfchaften des Biographen,
die ſich überall kundgeben. Befonders die legte Tugend, unfe:
rer Beit vor allen nöthig, und ach, fo felten! zeigt fih hier in
ihrem Lichte, und fie that noth, wenn mit Gerechtigkeit von
den eben jeßt fo oft über das Maß gepriefenen und verdamm⸗
ten Hohenftaufen oder von den großen Paͤpſten geredet wer:
den follte.
Denken wir und einen andern Kreid, für den das Bud
geeignet ſcheint, fo find es die deutfchen Frauen. Sie koͤnnen
ſich nicht in ein tiefere Studium der Gefchichte einlaffen, fie
werden vor Allem von dem biographifchen Theile derfelben an-
gezogen, fie haben von Ratur Empfängfichkeit für das Große
und Edle im Marme. Und bier begegnen ihnen auch Hohe
Mufter ihres Geſchlechts, deren Eigenthuͤmlichkeit und Gefchichte
verftändig, awedtmäßig in die Geſchichte der Männer, und mit
Liebe, eingeflochten iſt. Da haben fie des aroßen Karl's Hit:
degard, Heinrich's Mathilde, Otto's Edgitha und Adelheid,
Heinrich's III. Agnes und fo manche andere erhabene Frau.
Belche Nation hätte eine ähnliche Reihe aufzumeifen? umd
welche deutfche Mutter wird nicht mit Freuden die Ehrfurdt,
ven der fie durchdrungen ift, in die Herzen ihrer Zöchter und
Soͤhne einzuflößen fügen!
Es find Biographien, die bier gegeben werden. Aber
man denke nicht, daß fie vereinzelt aus der Geſchichte des
Volks heraußgerifien iind. Dies wäre nicht möglich, und hier
ift die gleichzeitige Geſchichte fo gefchidt in ihren Hauptmo-
menten ın die Biographien verflochten worden, überall finden
wir dieſe Momente mafjenweis fo gut vertheilt, daB man über:
fichtlih das Ganze erhält, indem vorzugsweife das Einzelne
hervorgehoben ift. Wie mander große Mann neben Denen,
von denen hauptſaͤchlich gehantelt wird, auftritt, wie Die
Quellen, auch die neuerdings Durch den Fleiß der Forfcher zu
Zage geförderten, benugt find, das ift bei Gelegenheit ber An⸗
zeige des erſten Hefts gefagt worden. Wir bemerfen zum
Schluß, daB die fünf folgenden in Peiner Hinficht jenem nad:
ftehen, daß überall gleicher leid, gleiche Xiebe und Genauig-
Peit fih fundgibt Und fo wünfchen wir dem mürdigen Berf.
Mufe, um das fehöne Werk vollenden zu koͤnnen, das in feiner
Fortfegung zwar nicht eine Reihe fo großer und hervorleuch
tender Charaktere, fo erfreuliche &reignilfe behandeln, aber
doch reich an Belehrung fein und zeigen wird, wie Deutfch-
lant nach und nad die Geſtalt gewann, in der wir es .
wärtig erblidien. Pr
Literarifhe Notizen aus Eranfrei.
Ein vor kurzem verftorbener Theaterdichter.
Indem wir die vor kutzem erfchienenen „Oeuvres de La-
ville de Mirmont” (4 Be) u Hand nehmen, koͤnnen wir
die literarifche Thaͤtigkeit eines Chrenmannes überblidten. Seine
beamatifchen Grüde haben viel zur Unterhaltung des Yubli-
cums beigetragen, und wenn fein Rame jept nicht mehr fo bes -
kannt ift als er es zu fein verdiente, fo ift dies weniger dem
Gehalte feiner Leiftungen ald dem Umftande beizumeffen, daß.
er das Klimpern, welches nun einmal, wie ſchon das Spruͤch
wort fagt, zum Handwerk gehört, nicht verfionden hat. Be⸗
föpeidenpeit und das Bewußtſein redlichen Strebens hielt ihn
‚um bie Gunft ber journaliflifhen Machthaber zu buhlen,
von deren Ausfpruche allein der ephemerc, papierene Nachruhm
abhängt. Laville war am 7. Aprit 1783 zu Verſailles geboren.
Er ehörte zu einer angefehenen Zamilie, und eine glänzende
gaufdahn wäre ihm erſchloſſen gewefen, wenn nicht der Sturm
der Revolution auch feine Kartenhaufer über den Haufen ge
worfen hätte. Indefien verfchafften ihm feine Talente und Kennt-
niffe in der Folge doch eine angemeffene Stellung im Staats⸗
dienfte. Nachdem er einige Zeit dem Minifterium der auswaͤr⸗
tigen Angelegenheiten attachirt gewefen war, erhielt er einen
einflußreichen Poſten im Minifterium des Innern, der ihn ber
ſonders mit Raine in nähere Berührung brachte. Diefer ange-
— Staatsmann, welcher die Befähigung Laville's erkannt
atte, ſchenkte ihm fein volles Vertrauen und übertrug ihm
wichtige Gefchäfte. Dadurch wurde er indeffen nicht abgehal⸗
ten, eifrig im Dienfte Der Mufen zu arbeiten, welche ihn ſchon
von früh an gefefielt hatten. Rachdem er anfangs bei feinen
eigenen poetifchen Productionen der Mode der Zeit geopfert
und fi) befonders in dem damals beliebten Genre der Heroide
verfucht hatte, wandte er fi in der Kolge mehr der Bühne
Bi Hier gelang es ihm zum heil glänzende Triumphe zu
eiern.
Griechiſche Colonien in Sicilien.
Auf der Philologenverfammlung zu Dresden fam das Ber»
haͤltniß des griechifchen zum romanifchen Element, wie es ſich
in Italien und vorzüglid) in Sicilien herausftellt, zur Sprache.
Intereffante Notizen wurden vom Director Schulz in Betreff
der langen Dauer der griechiſchen Sprache in Sicilien gegeben.
Wir werden an diefe Erörterungen Durch Dad Erfcheinen einer
Schrift erinnert, welche die griehifhen Niederlaſſungen auf
diefer Infel fehr erfchöpfend behandelt. Es ift dies eine Ars
beit, welche von der Akademie der moralifchen und politifchen
Wiſſenſchaften gekrönt iſt. Sie führt den Zitel: „Recherches
sur les 6tablissements des Grecs en Sicile, jusqu’a la re-
duction de cette fle en province romaine”, von Wladimir
Brunet de Presle. Obgleich die Alterthuͤmer, deren Sicilien
eine reiche gute bietet, in verfchtedenen Büchern und zum
Theil mit einem großen Aufwande von Gelehrſamkeit befchrie-
ben find, forfehlte ed doch gerade noch an einem Werke, wel:
es die für die ältefte Geſchichte Siciliens fo wichtigen grie⸗
chiſchen Eolonien näher beleuchtete. Cine folde Darftelung
wird und in vorliegendem Werke geboten. Dem Verf. gebührt
das Lob, daß er die Mefultate der neuern Forſchungen auf eine
befriedigende Weife verarbeitet hat. Wie viel feit einem Jahr⸗
hunderte für die Kenntniß der altern Geſchichte dieſer Inſel
gefchehen ift, ficht man recht Deutlich, wenn man biefe „Recher-
ches’ mit der Gejchichte Siciliend von Burigny vergleicht.
Diefe Schrift, welche ihrer Seit ganz brauchbar war, gegen
‚ die neuern Unterfuchungen gehalten aber recht dürftig genannt
werden muß, erfchien im 3. 1745.
Berantwortliger Herausgeber: Heinrich Brockzans. — Drud und Verlag von F. E. Brockßaus in Leipzig.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Sonnabend,
Die fociale Frage.
(Bortfegung aus Nr. 4.)
Der Berf. des vorliegenden Werks befchäftigt fich
keineswegs mit der Weiſe und ben Mitteln, Die
Volkswirthſchaft aus der Collifion, in welche fie auf
ihrem bisherigen Gange kommen mußte, zu befreien
und ihr ein neues Princip unterzulegen, er fpricht
eben nur noch einmal das Princip aus, welches fi
fhon lange in ihr geltend gemacht bat und befien
Entwidelung immer weiter vorfchreitet, um in feinen
Confequenzen zufammenzubrechen, nämlih das Princip
der freien Goncurrenz. Das Capital wird ihm zur
Hauptfahe. Man höre ihn felbft:
Da in civilifirten Staaten nur mittels des Befitzes von
Bermögen die meiften Zwecke der Menſchen erreicht werden
Tönnen, fo geht das Streben aller thatenluftigen Perſonen auf
den Erwerb und auf die Vermehrung von Eigenthum; denn
je mehr Eigenthum eine Perſon befigt, über eine defto größere
Mafie menſchlicher Kräfte kann fie gebieten; deshalb fagt mar.
mit Recht: Reichthum ift Macht.
Ferner. werden wir fehen, daß in civififirten neuen Län:
dern die Erzeugung neuer materieller Mittel nur mitteld ber
Anwendung eines Vorraths bereits erzeugter materieller Gü-
ter — nur mittel der Früchte früherer Arbeiten — mittels
Sapitalen — ftattfinden fann.
Bevor ein neued Erzeugniß verwertbet werden kann, Fir
fen tie dazu erfoderlihen Materialien angefauft, — ed mu
den mit deffen Hervorbringung beichäftigten Arbeitern ihr täg:
licher Lohn verabreicht — es müflen die erfoderlihen Wer
zeüge und Maſchinen angeichafft worden fein.
Es beruht daher der Betrieb der Landwirthichaft und ber
Gewerbe auf Capitalbeſitz; cbenfo ift es beim Handel; da ſich
der Handelömann die weiter zu verfaufenden Waaren nur mit:
tels Sapitalbefig verfchaffen kann; — nur nad Maßgabe des
Gapitalbefiged koͤnnen daher Lanbwirtbfchaft, Gewerbe und
Handel emporbfühen und fich ausbreiten.
Nun wird ed zwar Niemand leugnen, daß im
eivilifirten Staaten die meiften Zwede ber
Menſchen nur dur den Beſiß von Vermögen
erreicht werden können und daß eben beshalb bie
Maſſe der Menfchen biefe Zwecke nicht erreicht, aber
rechten darf man mit dem Verf., wenn er auf biefen
Zuftand eine „naturgemäße Bollswicchfchaft” begrün-
den will. Bat er weiter nichts wollen als ein Gompen-
dium für bie Beſitzenden ſchreiben — und es fiheint
zumeilen fo —, um ihnen für ihre Macht einen theore-
tifhen Anſtrich zu geben, fo hätte er biefes Interefſe
offen ausfprechen und fich nicht fiellen follen, als fei es
ihm um eine „naturgemäße” Volkéwirthſchaft au thun.
Ber wie der Verf. den wmörberifchen Krieg der Con⸗
currenz naturgemäß findet, wer das beflehende Verhaͤlt⸗
niß der Arbeit zum Gapitale „naturgemäß” nennt, dem
müffen wir in einer Zeit, welche ein neues Princip ge⸗
biert, fo ziemlich alle volkswirthſchaftliche Befähigung
und eine richtige Beurtheifung aller dahin einfchlagen-
den Zuflände. abfprechen. Ohne daß es uns nothwen-
dig ſcheint, ihm in die Ausbreitung jener Zuſtaͤnde zu
folgen, welche er auf Capital und Concurrenz begrün-
det, wellen wir doch ben Stod feiner Brundfäge inß
Auge faffen, um fo mehr, ba der Verf. eigentlich nur
dem Intereſſe und dem Gedanken unferer liberalen
Bourgesifie Worte verleiht. Der Verf. will nachmeir .
fen, daß
die ewige Weisheit als hauptjächlicyes Mittel zur Ver⸗
wirffichung en —5— —— auf die —5**
der wirthſchaftlichen Verhaͤltniſſe der menſchlichen Gefellſchaft —
der Concurrenz der menfchlichen Kräfte bedient; — daß es zu
den wirthſchaftlichen Fortſchritten, im Entwickelungsgange die⸗
ſer Gefellſchaft, weiter nichts bedarf als der Befreiung dieſer
Concurrenz von den ihr angelegten Feſſeln; — daß alle dieſe
Feſſeln nur von jenem von der menſchlichen Selbſtſucht aus⸗
ehenden Monopoliengeiſte herrühren, welcher ſchon im Alter
thbume die SHaverei und in neuerer Beit die Privilegien, Ma
jorate, Mauthen und Korngefege einführte.
Für die „ewige Weisheit” war bie Coneurrenz der
menfchlichen Kräfte eben nichts ale die freie Entwide-
fung aller Kräfte, eine Gleichberechtigung aller Kräfte
zum Leben, zur Arbeit, ein harmonifches Sneinandergrei-
fen; was ift aber die gegenwärtige Eoncurrenzwirthichaft?
Ein Krieg Aller gegen Alle, ein Kampf auf Tod und
Leben, ein Triumph‘ Weniger auf Koſten ber Mafte.
Der Verf. verfucht es dieſe Goncurrenz mit ber Can
currenz der menfhlichen Kräfte zu identifieizen und fet-
ner Lieblingeidee badurd ein geoffenbartee Dafein zu
nerfchaffen; aber der Unterfchieb zwifchen des natürlichen
Goncurtenz und bderienigen, welche uns beherrſcht und
welche der Verf. predigt, muß Jedem einleuchten. Wie
kann die moderne Concurrenz noch auf ben Namen
Concurrenz menfhlicher Kräfte einen Auſpruch mar
hen, ba das Kapital ige Beherrſcher iſt! Der Verf.
will nicht die ganz freie Goncurrenz ber menſchlichen
Kräfte, ohne Borausfegung von Capital, Beſitz, Eigen-
thum — bamit wären wir ganz einverflanden —, er
— —
178
will die Goncurrenz auf der Vorausfegung des Capi—
tals, welche die Maſſe der menfchlichen Kräfte erniedrigt,
geltend machen und auf dieſe Goncurrenz, welche wir
ſchon oben als den Quell des Pauperismus nachgewie⸗
fen haben und deren praftifche Folgen wir noch deutli-
her bei ber Beurtheilung des Engels’ihen Buchs bar-
fielen werden, feine „naturgemäße Volkswirthſchaft“ be-
gründen. Mit einer freien Concurrenz der menfd-
Iihen Kräfte ftchen die Grundjäge des Verf. in ci-
nem directen Widerfpruche, fie geflatten nichts Anderes
ale die Concurrenz des Vermögens.
Für den Standpunkt des Verf. iſt es fehr bezeich-
nend, daß er in feiner „naturgemäßen Volkswirthſchaft“
über die Arbeit, über ihre fittlihe Natur, über ihre
„naturgemäße” Foderung und Berechtigung gar nichte
zu fagen hat, fondern eben nur von ihrem „ötonomifchen
Effecte“ (5. 22) redet. Er gefteht zwar, daß die Ar—
beit „in mancher unferer Fabriken nicht fehr verfchieden
ift von den Verrichtungen unvernünftiger Thiere“, aber
er läßt diefe Entwürdigung ber Arbeit volllommen auf
fi beruhen und kommt auf die Theilung der Arbeiten
zu reden. Die Darftellung und die Entwidelung die
ſer Arbeitstheilung iſt fehr klar gehalten, aber über Die
Folgen diefer ins Unendliche gehenden Arbeitstheifung
im gegenwärtigen Gefellfchaftszuftande weiß der Verf.
nicht® zu fagen. Er führt zwar die Urfachen des über-
safhenden Erfolge an, welche durch die allfeitige Thei-
fung der Arbeit hervorgebracht werden, aber nicht die
Übel, welche fie für den vereinzelten Arbeiter mit füch
bringt. Der DVerf., weldher überall die. Concurrenz pre:
digt, hätte doch an der Theilung der Arbeit fehen fön-
nen, daß es eben der Affociationsgeift ift, welcher die
großen Erfolge bezweckt, denn was ift die Theilung an-
der6 als das Zufammenmwirken Aller für einen Zweck?
Aber unter den gegenwärtigen Zuftänden ift burch bie
Herrfchaft des Kapitals und der Concurrenz das natur:
gemäße Verhältniß diefes Zuſammenwirkens vernichtet
worden, der Arbeiter erfreut fich nicht der Theilung der
Arbeit, fondern er leidet unter ihr, nur dem Gapitaliften
fommt fie zugute, der Arbeiter wird durch fie in eine
willenlofe Mafıhine verwandelt, bie einfeitige Ausbildung
einer Heinen mechanifchen Fähigkeit zerflört feinen menfch-
lihen, ſowol feinen phyſiſchen als pfochifchen Organie-
mus, und den großen Refultaten, zu denen die Arbeits-
theilung auf. allen Gebieten des Lebens führt, fleht er
elend und ifolirt gegenüber. Das Princip der Affocia-
tion mill eben nur die Theilung der Arbeit auf ihre
naturgemäße Baſis zurüdbringen, welche durch ben
Egoismus und die Concurrenz vernichtet werben, aber
davon weiß der Verf. nicht nur nichts zu fagen, fondern
er fiellt fi) dazu gerabewegs in einen directen Wider⸗
ſpruch. Seine Arbeitsrheilung foll die Willfür der Con-
currenz beberrfchen. Höre man ihn felbft:
Werfen wir einen Blick in Wen täglichen Verkehr, in die
— der Güter, der Beſchaͤftigungen und Berufsarten
t
der menfchlichen Geſellſchaft, fo werden wir bald feben, daß
alles Dieſes Die Regelmäßigkeit feines Ganges und die NRatur⸗
gemäßheit feiner Anorbnung nur all-in der Concurrenz der
menſchlichen Kräfte verdankt.
" Wir haben gefehen, daß dem Verf. die Concurrenz
der menfchlihen Kräfte gleichbedeutend ift mit der mo-
bernen Woncurrenz, welche auf der Borausfegung bes
Capitals beruft. Ferner:
Der Lefer wird leicht entnehmen, weile Meinung wir
von den Syſtemen eines &t.: Simon, Zourier und Owen und
von der in unferer Beit fo oft empfohlenen Organifation der
Arbeit hegen; — diefe Organifation fegt die beiden Dauptlräfte,
auf welchen die wirthfchaftliche Drdnung der menſchlichen Ge⸗
felfchaft beruht, außer Wirkfamkeit, um fie durch kuͤnſtliche
Anſtalten zu erſetzen, durch welche dieſelben Bwede. unmoͤg
erreicht werden koͤnnen; — es ift dies das ſelbſtändige Stre⸗
ben nach Gewinn und Genuß, angeregt vom Sporn des Mett:
eiferd; es ift dies die gerechtefte, von der Concurrenʒ vollzogene,
Bertheilung der Gemwinnfte, nad) dem genau abgewogenen Maße
der eiftung.
Der Mangel an der erftern muß zur Sorglofigkeit und
Saulheit, und der Mangel der letztern muß zur Ungerechtigkeit
und hiermit zu Neibungen — zur Empörung und zur Auf⸗
löfung des ganzen Organismus führen!
Da haben wir die „Meinung“ des Verf. in nuce!
Er „meint” chen nichts Anderes ale was wir taufend»
fach hören, als was tauſendfach vorgebracht und taufend-
fach widerlegt worden ift. Zuvoͤrderſt möchten wir dem
Berf. bemerken, dag man noch gar fein „Communift ”
zu fein braucht, um eine Drganifation der Arbeit zus
wollen. Eine Organifation der Arbeit ift noch feine
Organifation der ganzen Geſellſchaft. Diefe Iegtere
fann man bekämpfen, ohne daß man deshalb auch ſchon
die erſtere beſtreiten müßte. St.Simon, Fourier, Owen
entſprechen wahrhaftig nicht unſern Anſichten, aber das
Princip, die Bewegung, welche ſich in ihnen durcharbei-
tet, iſt auch die unſerige und ſie ſteht mit dem Princip
des Verf. in einem fo directen Widerſpruch, daß es ſich
kaum noch der Mühe verlohnt auf feine Meinung ’
gründlich zu antworten. Die neue Theorie fept die
Hauptkräfte, auf denen die wirthſchaftliche Ordnung be=
ruht: 1) das felbftändige Streben nach Gewinn und Ge-
nuß, 2) die gerechtefte, von ber Concurrenz vollzogene
Vertheilung der Gewinnſte, außer Wirkung, fagt ber
Verf. Schen wir uns diefe Behauptung einmal näher
an! Das Streben nad) Genuß ſetzt Die neue Theorie
gewiß nicht außer Wirkung, im Gegentheil fie dehnt
dieſes Streben aus, fie vermenfchlicht es und fodert, daß
Alle genießen, daß nicht Einzelne zum Genuffe privilegire
nd auf Koften der darbenden Maffe. Aber auch das
felbftändige Streben nach Genuß fegt fie nicht außer
Wirkung, denn fie verlangt, daß jeder fich bes Werthes,
der Würde. feiner Arbeit bewußt werde, daß er eben
duch, feine Arbeit felbftändig nach Genuß ſtrebe, wie er
dieſes bei ber von der Concurrenz der Eapitalien beherrfchten
Arbeitstheilung unmöglich kann. Das Bedenien, bag
Faulheit — Sorgloſigkeit allerdings. — die. Folge fein
würde, hängt mit den blinden Gedanken zufanımen,
welche man fich gewöhnlich von einer Organifation der
Arbeit macht und wird durch das zweckloſe, phantaftifche
Conſtruiren frangöfifcher Communiſten gefördert. Gei
179
der Verf. überzeugt, daß eine Organifation ber Arbeit
noch fein Eden hervorbringen wird, wo Mil und Ho—
nig fließt und der Menſch weiter nichts zu thun hat
als fpazieren zu gehen, fondern daß es auch dann noch
immer heißen wird: Im Schweiße deines Angefichts ſollſt
du dein Brot effen, nur mit dem Unterfchiede, daß der
Schweiß dann wirklich das Brot und die Arbeit den
wirklichen, ungefihmälerten Lohn bringen muß. Die
zweite „Dauptkraft”, „bie gerechtefte, von der Concur⸗
ren, vollzogene Vertheilung der Gewinnfte, nach dem
genau abgewogenen Mafe der Leiftung”, wird allerdings
von dem neuen Zuftande der Dinge aufgchoben werden
müffen,, denn die Gerechtigkeit der Concurrenz iſt nichte
Anderes als das Privilegium der Einzelnen und das
Elend der Maffen. Die Entwidelung des Concurrenz⸗
principe, welche wir oben gegeben haben, beweift zur
Genüge, daß die „gerechtefte Bertheilung der Concurrenz
nad dem genau abgewogenen Mafe der Leiftung‘‘ die
furdhtbarfte Ungerechtigkeit ift, daß fie, ganz abflrahirend
von dem wahren Werthe der Arbeit, die Einzelnen
ebenfo unverhälmigmäßig begünftigt wie fie die Leiftun-
gen der Maffe nicht nad ihren Werthe, fondern nad)
rein äußern VBerhältniffen, Überproduction, Handelskriſis
u. f. w. unbarmherzig fchmälert. Wir empfehlen dem
Berf. die Lecture des Engels’fchen Buchs oder wenigſtens
der Auszüge, welche wir unten geben werden, um feine
„Meinung“ zu berichtigen, doch er ift ja felbft in Eng-
land gewefen und bat felbft dort, wo die Concurrenz
ale ihre Folgen ſchamlos enthüllt, nichts lernen fonnen!
Don der Einführung der neuen Theorie erwartet er
„Reibungen, Empörung, Auflöfung des ganzen Drga-
niemus”! Wie wenig muß er die wirklichen Zuftände
bes Lebens kennen, wenn er von einem Princip Das er-
wartet, was fein eigenes Princip alle Tage hervorbringt
und immer mehr droht hervorzubringen. Ein Blid in
den täglichen Verkehr wird Jedem beweifen, daß ein
Soncurrengverhältnig zu den heftigften „NReibungen” An-
laß gibt und aus den beften Freunden plöglich die bit-
terften Feinde macht, ein Blick aber auf die fociale Lage
der Welt zeigt Jedem, daß die Concurrenzherrſchaft zur
Empörung führt und immer mehr an der Auflöfung
des ganzen gefellfchaftlichen Organismus arbeitet. Was
ift die Urfache ber Arbeiterempörungen in England?
Was hat feibft den Weberaufftand in Schlefien herbei.
geführte? Wo anders als in der Herrſchaft des Kapitals
und der Concurrenz ift die Urfache folcher Zuftände zu
fuhen? Die nene Theorie will eben diefes unnatürliche
Verhaältniß fehlichten und der Gefellfhaft den Frieden
und mit dem Frieden die volle Luft des Lebens und der
Arbeit wiedergeben und da fürchtet der Verf., daß fie
einen Zuftand, Reibungen, Empörung, Auflöfung bes
ganzen Organismus herbeiführen möchte, den fein eige-
nes Princip ſchon lange herbeigeführt und durch den
Die Maſſe der Menſchen unmenfchlich vernichtet wird.
Das ift jedenfalls ein merkwürdiger Irrthum!
Betrachten wir jept die Anfichten des Verf. über
den Arbeitslohn, diefen Punkt, welcher in neuefter
a nn — —— — — — — — — rn — — — —— —— —— — — —
Zeit eine fo große Aufmerkſamkeit auf ſich gezogen.
Wir müffen ihn bier felbft reden laffen: Ä
Zunaͤchſt beitimmt fi zwar die Größe des Arbeitslohn
durch das Berhältniß des Bedarfs an Arbeitern zu deren vor:
bandenen Menge. Da jedoch duch das übergroße Fortpflahs
zungsvermögen Die Menge beinahe allenthalben ihre Grenze
nur in dem Mangel an Subfiftenzmitteln findet, fo beftimmen
diefe legtern die Größe des Tagelohns.
Unter den Subfiftenzmitteln haben wir zu verftchen: den
Aufwand für Nahrung, Kleidung und Wohnung, welchen,
nach ber beftehenden Sitte jedes Landes, der gemeine Arbeis
ter daſelbſt zu machen gewohnt ift. '
Steigt fein Lohn in Folge vermehrten Begehrs nach Ar-
beitern cder fält der Preis der Lebensmittel auf einige Zeit
herunter, fo fieht er fi) in den Stand gefegt, eine Familie zu
ftiften; — in feinen Kindern vermehrt fi) dadurdy dic Zahl
der Arbeiter, — fällt hierauf der Lohn wicder herab, fo fehen
fih wieder wenigere Arbeiter zur Stiftung von Familien in
den Stand geſetzt, es vermindert fich der Nachwuchs und for
mit der Borrath an Arbeitern.
‚ So bildet der Zagelohn den natürlichen Regulator für
die Beftimmung Der Menge der Arbeiter und hiermit auch
der Benölferung der Länder.
Der Erfahrung gemäß findet bei einem Tagelohne, wels
dyer doppelt fo viel beträgt als der Preis der Nahrungsmittel
für einen Dienjchen, einige Menfchenvermehrung ftatt; — ber
trägt er dagegen nur ein und ein balbmal diefen Preis, dann
tritt Berminderung ein.
Die Randesfitte regelt jene Qubfiftenzmittel auf die man»
nichfaltigfte Weife. In dem Lande, wo der gemeine Arbeiter
geößtentheild von Kartoffeln und Waffer lebt, im Sommer
Beine. Schuhe und Strümpfe trägt und fih an Sonntagen in
ganz grobe Stoffe kleidet, ift der Preis feiner Subfiftenzmittel
Heiner als. da, wo er täglich Bleifchipeifen und Wein oder Bier
genießt, wo er immer Schuhe und Strümpfe trägt u. f. w.
Diejenigen, welche Übervölferung und Dürftigkeit der un⸗
tern Arbeitsclaſſe ald unvermeidlihe Thatſache vorausfegen und
hieraus unverfuldete Armuth und Elend folgern, verwechſeln
die Wirkung mit der Urſache; — denn ihr eigener Mangel an
Ehrgefühl bei der leichtfinnigen Stiftung von Ehen und ber
Kindererzeugung, und ihre Anfpruchslofigkeit in Beziehung auf
ihre KLebensbedürfniffe find ed, was ibre Anzahl übermäßig
vermehrt, — und diefe übermäßige einge! drückt den Tage⸗
lohn herab und dieſe ſelbſtverſchuldete Niedrigkeit ihres Lohns
verſagt ihnen die Lebensgenuͤſſe der Wohlhabendern und er:
haͤlt ſie fortwaͤhrend in Armuth.
Als Reſultat dieſer Anſichten erhalten wir nun Folgendes:
So ſehr wir auch das in den untern Volksclaſſen häufig
vorfommende Elend beklagen müflen, fo Pönnen wir es doch
nur als ein Telbftverfhulpetee anſehen; — denn alle organi:
ſchen Gebilde bringen ein Übermaß neuer Zeugungen hervor —
diefes Übermaß muß immer aus Mangel an Subfiftenzmitteln
frühzeitig zu Grunde gehen; erhebt fi der Menſch nicht durch
feine Bernunft über die übrigen Gattungen der Raturgebilde; —
fegt er ebenfo wenig wie fie feiner Beugungsfähigkeit Schran⸗
ten, fo muß er auch das Schidfal diefer bewußt: und ver»
nunftlofen Gebilde theilen; — er fegt fi mit feinen Kindern
der Befahr aus, wegen Mangels an Bubfiftenzmitteln fruͤhzei⸗
tig zu Grunde zu geben.
Die Erfcheinung kann keineswegs Durch eine andere Verthei⸗
lung des Zefiges oder des Einfommend — wie die Communi⸗
ften träumen — eine wefentlihe Anderung erleiden, denn fie
ft ganz unabhängig von der zeitigen Theilung der vorhande-
nen Qubfiftenzmittel, fie gründet ſich nur allein auf das Ber:
haͤltniß, welches zwiſchen der Summe diefer Subiftengmittel
und der Anzahl der von ihr zu erhaltenden Menfchen beſteht; —
läßt diefe Menfchenzahl ihrem Beugungsvermögen freien Lauf,
fo findet eine folge Vermehrung derfelben ftatt, daß jene vor»
180
handenen ober erzielburen Gubfiftenzmittel zu ihrer Ernaͤh⸗
rung nicht ausreichen können; es muß daher die obenbezeich⸗
nete Erſcheinung nothwendig eintreten, jene Bertheilung mag
in der einen oder in der andern Weiſe ftattgefunden haben.
Die einzige Beränderung, welche eine andere Bertheilung des Zu:
ſammenkommens zur Folge haben würde, fann nur darin beftehen,
daß das einbrechende Elend andere Perfonen treffen würde.
(Die Yortfegung folgt.)
— — — — — — — — —
Rheiniſches Jahrbuch mit Beiträgen von A. W. von
Schlegel, G. Pfarrius, E. Bauernfeld, K.
Gutzkow, Varnhagen von Enſe, K. Simrod,
Anaſtaſius Grün u. U. m. Herausgegeben von
Levin Schücking. Erfter Jahrgang. Köln, Kohnen.
1846. Ler.:8, 4 Thlr.
Das „Rheiniſche Jahrbuch”, das von Freiligrath, Mage:
rath und Simrock für 1840 und 1841 ausging, aber nur Diefe
zwei Zahrgänge alt wurde, bat ſich nad vierjähriger Unter:
brechung dur eine neue Verlagshandlung in prachtvoller Ge:
ſtalt erneuert. Diefe großartige typographiſche Ausftattung
koſtete freilich nur einen Gntfchluß der Verlagshandlung; aber
ed gehörte Stud für den neuen Derausgeber dazu, in der fur:
zen Frift vom Sommerentſchluß des Verlegers bis zur Herbft:
eriheinung des Buchs wenigftens doch fo gute Beiträge zu
ewinnen, als in der prachtvollen Ausftattung erfcheinen. Ein
eweis, wie viel Freunde der yeachtete Kevin Schüding be:
fit! Freilich wird unter diefen Umftänden auch manches eben
Fertige, für den Zweck nicht befonderd Zubereitete mit dar:
eboten. Namentlich erfcheint von eigentlich rheinländifchem
eben nur fehr wenig. Wir erhalten deutſche Spenden, die
fih blos am Rhein zufammengefunden Haben. Doch, wenn
fon, wie bekannt geworben, die bloße Auswahl aus den ein:
geſchickten Beiträgen eine, felbft auf Nebendinge und Beiläu:
Peiten gerichtete Angftlichfeit und Rückſicht des Herausgebers
r rheinländifhe Werfiimmungen erfoderte, wie viel bedenk⸗
Gicher würde es geweſen fein, aus diefem verftimmten Leben
ſelbſt mehr oder das Meifte zu fchöpfen, ohne Saiten zu be:
rühren, die dad Rheinland jegt nicht vertragen kann! Ja, ed
ift betrübend wahrzunehmen, wie dies klare, heitere, kräftige
Bolt aus politiſcher Verdroſſenheit kirchlich eifert und roͤmiſch
empfindlich iſt; wie es, anſtatt der neuen deutſchen Bewegung
anzugehoͤren, ſich an die alten Übelftände anlehnt, die jene Be:
wegung bervorgerufen haben; wie ihm zu feinen Demonftea-
tionen die Männer und die Mittel gut genug find, die den
Widerwillen des gebildeten Deutfchlands erregen. Der Kampf
ift ruͤhmlich, den fie für echt deutfche Intereffen führen, nicht
aber defien römifcher Ruͤckenhalt. Gewiß würden fie auch mit
der Flut der neuen Überzeugungen politifch beffer fahren als mit
der Ebbe des Mittelalters.
Doch wir haben nicht das Rheinland zu Pritifiren, fondern
das „Rheiniſche Jahrbuch”. In der Vorhalle deffelben fteht bas
fauber ausgeführte Bildnig Auguſt Wilhelm v. Schlegel’s,
Stich von Gonzenbach. Gemalt fcheint ed in Schlegel’ noch
nit ganz welker Zeit, wiewol ſchon mit dem großen Stern
auf der Bruft, von dem er felbft Seite 15 fagt:
Wie man mit Wölfen heult, pruuf’ ich vor eitlen Leuten.
Diefe Beſcheidenheit geht Übrigend aus den „Reliquien“, die
aus feiner Verlaffenfhaft mitgetheilt find, nicht immer hervor.
Köftlich ift das Eingangsſonett, dag er zu einer Schelle feines
eigenen Werthes und Verdienftes gegoflen und polirt hat. Daran
ſchließt fih das folgende Sprüdlein nepl Exvrov. Es ift wahr,
wie Schlegel artig fein konnte, hat er vor feinem feligen Ende
dem bieibenden Geflecht die Mühe erfpart, ihm ein Zarator
feiner Berdienfte und ein vollbadiger Kobredner feines Werths
u fen. Es erkennt ihn, wie er felber im Sonett fagt —
eim Namen Auguſt Wilhelm Schlegel!
Schlegel war ein Formengeift, begabt zerftreuten Gedanken:
gehalt um: und zufammenzufcgmelzen, in verfchiebenen Spra⸗
hen fidh meifterlih auszubrüden. Auch unter biefen „ Keii.
quien’ finden wir Gedichte, correct und glatt in antiken und
modernen Formen. Das Piquante, Witzige, Launige herrſcht
dor. „Der Prophet des hingften Zages’’ iſt fehr ergöglic.
Weniger erquicklich find die kleinen Gpöttereien über Keine
Nebendinge in Goethe's und Schiller's Briefwechfel, das ver:
ſtohlene Rupfen an Schiller's Lorbern und die Sticheleien
auf Goethe. Auch die hier und da hervorſtechende Luͤſternheit
und Sinnlichkeit weiter Phantafie erweckt ungünftige Erinne
rung; da man nicht weiß, aus welcher Zeit diefe Verschen find,
ob vor» oder nachehelich erzeugt. Die Iepte „Reliquie”, der Brief
an eine Dame, worin Gchlegel fi über fein Verhältniß zu
den religiöfen Bekenntniſſen ausfpridgt, gewährt auch feinen
erhebenden Gchluß. Über diefen diplomatifchen Begenftand bat
er ſich Franzoͤſiſch — in bewußter Eleganz — audgedrüdt. Ganz
intereſſant ht er über die Neigung feiner Seit und feiner
Freunde, zur alten Kirche zurückzukehren. Für fi) felbft aber
findet er endlich das Refultat, daß er verfchiedene Berfuche
gemacht, an manches Thor angeflopft babe. „Zumweilen”, fagt
er, „ſuchte ich mich zu überreden, daß ich des chriftlichen Blau:
bens fei: dann aber ſah ich ein, daß es eine Taͤuſchung war.
Ein lebendiger Glaube muß doch wol fo ftark fei, daB man
fid) durchaus nicht von ihm losmachen fann. Gin willfürlicher,
erfünftelter Glaube dient zu nichts. So babe ich mich denn
entſchloſſen, wahr gegen mich felbft zu fein. Ich laſſe mein
Denken frei walten, und ergebe mich darein, welche Zweifel
und VBerneinungen dabei herauskommen. Ich halte mich an die
urfprüngliche, eingeborene, allgemeine Religion. Daß ift der
Schluß meiner Irrfahrten des Ulyſſes, das ift mein Ithaka!“
Rheinifches Keben bringt zunaͤchſt G. Bfarrius in Brud:
ftüden aus Denkwürdigkeiten über „Das Ende des Haufes
Dhaun”. Gin Leibarzt der legten Rheingräfin von Dhaun fol
diefe Memoiren Hinterlaffen und Pfarrius will nur den vorlie-
enden Ausſchnitt gemacht und binfihtlih der Diction nachge⸗
Bolfen haben. Jedenfalls Hat das mitgetheilte Bruchftüd ein
novellenartiges Anſehen, malt ſehr anfchaulich die wildroman:
tiſche Scenerie zwiſchen den malerifchen Vorhügeln des Huns:
ruͤck und refen durch feine Einblide in das Leben der Fami⸗
lie und der Zeit um die Mitte des vorigen Sahrhunderts. Die
Erzählung hätte poetiſch potenzirt werdenflönnen, wenn man,
von der angeblich wirklichen Gefchichte ein wenig abgehend, die
manchmal doc etwas zu fehr von außen kommenden Ereigniffe
mehr von innen heraus entwidelt und die Kataſtrophe näher
an die franzöfifhe Revolution gerüdt hätte. Die Zerftörung
der Burg wäre dann nit als ein zufälliges Anhängfel, fon-
dern als verhängnißvoller Ausgang erfchienen, wenn die Ka:
milie von Grumbach, die gu Ausführung ihres Feevelhahen
Erwerbs der Dhaun' ſchen Beſitzung fih franzoͤſiſcher Glüds-
ritter bedient hatte, durch glühlich erfundenen innern Zufam:
menhang an franzöfifche Revolutionnaire den ungerechten Befig
wieder verloren hätte.
„Die Reichsverſammlung ber Thiere“ gibt eine ironifche
Abfpiegelung deutſch⸗ conftitutionnellen Staatelebens im Ihier-
reiche. Das leichtgehaltene Drama. zeigt, wie man, von der
Idee der allgemeinen Gleichheit ausgehend, doch bei der alten
Sewaltherrfchaft ber Befigenden und Mächtigen wieder anlangt.
Es fehlt Dem Scherze nicht an guten Einfällen, unerwarteten Sen:
dungen und verftändlichen Seitenhieben. Man glaubt in mehr als
einem deutſchen Ländchen zu fein, wenn der Herold verfündigt:
Der Reichstag iſt auß,
Seht Ale na Haus!
Das Budget ift votirt,
Sept wird weiter regirt.
WBohlweislich hat der Poet feinen dichterifchen Reichsſtag nich
in berfelben Stunde der Eröffnung vertagt; ſonſt Hätte er
nit einmal Raum zu feinen bezuglichen Scherzen gehabt,
fondern nur eine kurze Poſſe gebracht.
(Der Beſchluß folgt.)
Berantwortlicer Heraußgeber : Heinzi Brockdans. — Druck und Verlag von F. M. Wrodpans in Leipzig.
Blatter
für
literariſche Unterhaltung.
Sonntag,
15. Februar 1846.
Die fociele Frage.
(Kortfesung aus Nr. 3.)
Nach dem Verf. würde die Höhe des Zagelohne in
einem richtigen Verhaͤltniß zum Preiſe der Lebensmittel
ſtehen, dieſes ift aber durchaus nicht der Kal. Tau⸗
ſendfache Veifpiele fießen fih aus englifhen, aus fran-
zoͤſiſchen, aus deutſchen Fabrikdiſtricten beibringen, wo
ed dem Arbeiter unmöglich wird, bei der angeſtrengteſten
Arbeit feine nothwendigſten Bebürfniffe zu befriedigen.
Ein richtiges Verhaͤltniß zwiſchen dem SPreife der Le-
bensbedürfniffe und dem Lohne der Arbeit wäre fchon
eine Art Organifation der Arbeit, aber diefe wird ummöglich
gemadyt von der Concurrenz, welche mit ihren entfernten
Zweden die Arbeit beherrſcht. Zwar wird die Concurrenz
den von ihr befchäftigken Arbeiter nicht geradewegs verhun-
gern laſſen, da fie ihn gebraucht, aber fie wird ihn, des
billigen Preifee wegen, womit fie auftreten kann, dem
Dunger, dem Elend, der Entblöfung fo nahe bringen
müffen als möglih. Dies ift überall der Fall, wo fie
herrſcht. Der Arbeitslohn ſteht in Peinem natürlichen
Berhältniffe zu den phnfifhen, zu den geiftigen, zu ben
“allgemein menfhlichen Bedürfniffen des Arbeiters, ber
von der Concurrenz willkuͤrlich gefeste bin- und ber-
ſchwankende Arbeitslohn entmenfchlidtt den Arbeiter.
Aber, faat der Verf., die Arbeiter find ſelbſt ſchuld an
Der Niedrigkeit des Lohns, je mehr Arbeiter, defto niebri-
ger ber Lohn! Warum befriedigen fie ihre gefchlechtlichen
Bedürfniffe, warum heirathen fie, warum vermehren fie
die Zahl der Arbeiter durch ihre Rindererjengung! Nach:
dem der Berf. den Wrbeiter zu einem Paria, zu einer
von der Concurrenz willenlos getrichenen Maſchine ber-
abgefegt hat, verlangt er noch von ihm einen Yet freier,
menſchlicher Selbfibeftimmung, eine freie Beherrſchung
feiner Lage! Das iſt etwas zu viel. Nachdem dem Ar-
beiter alle menfchlichen Genüſſe unmöglicdy geworden, ift
fein einziger der natürliche, der thierifche geblieben. Was
fümmert es. ihn, welche hoffnungsloſen Geſchoͤpfe er in
die Welt fegt, mit welchen elenden Greaturen er die fia-
tiftifchen Zabellen des Staatsmanns bevölkert? Ihm,
bem ifolirten, iſt e8 gleich, was nach ihm fommt, feln
Eiend kann durch ein paar Kinder nicht vergrößert wer⸗
den, was fümmert ihn das Ganze, der Zuftand der Be
felfhaft, da die Geſellſchaft ihm feindlich iſte Das
*
Elend braucht die Übervölkerung nicht zu fürchten, nur
der befigenden Geſellſchaft wird fie —— und ihr
zu Liebe ſoll dee Arbeiter auch noch feinem Ichten Ge⸗
nuß entſagen? Die Foderung, welche der Verf. an die
Arbeiter ſtellt, iſt ebenſo unbarmherzig als unnatürlich.
So lange die Welt ſich auf die Familie gründet, muß
Jeder das Recht haben, fi eine Familie zu fehaffen,
oder auch fie wird das Privifegium des Capitals, des
Vermoͤgens. Und ift es wirklich blos der Arbeiterftand
dem die elenden Gefchöpfe unferer Populationstabelten
ihre Eriftenz verdanken? Iſt es wicht ebenfe häufig bie
privilegirte Gefellfchaft, der das Weib, die Tochter des
Arbeiterd ein Spiel ihrer Lüfte wird, die auf diefe Art
taufende elender Weſen erzeugt, fie unter die Arbeiter
ſtößt und dadurch die Zahl berfelben vermehrt, den Kohn
berfelben vermindert? Kann der Verf. dies leugnen?
Wer verfchuldet dieſe, eben die allerelendefte,; Übervöl⸗
kerung? Aber wir geben es auch durchaus nicht zu,
bag der jegige Gefellfchaftszuftand ſich auf ein richtige®
Verhaͤltniß zmifchen der Sunme der Subfiftenzmittel
und der Anzahl der von ihr zu erhaltenden Menfchen
begründet, da fih Die Probuctionstraft der Erde bis ins
Unendliche fleigern. ließ, da Erfindungen jeder Art die
Befriedigung der Bebürfniffe immer mehr erleichtern, da
noch ungeheure Sheile der Erde brach und unbenupt
baliegen und dem Menfchengefchlechte angewieſen werden
fönnen: — es ift eben nur der privilegirte Befig der Ein-
zelnen anf. Koften der Menge, es ift die Herrſchaft der
Concurrenz, des Geldes, welche bisher die Fortentwicke⸗
lung der Menſchheit ausgebeuter haben, ohne der Menge
ihre menfchlichen Rechte zu gewähren, und es gibt am
dere Mittel die Gefellfchaft aus ihrem unnatürlichen Zu»
ande zu erlöfen als jenes unnatürliche, in deffen Nicht-
anmwenbung ber Verf: den Urfprung des „felbftverfchulbe-
ten‘ Elends der untern Volksclaſſen fieht. Geibft ohne
ſchon die Geſellſchaft vadical aus ihren Fugen zu reißen
tonnen ſolche Mittel angewendet werden, wir meinen
nämlich nach innen die Affociation, nach außen bie
Colonifation. |
Die Regelung des Arbeitslohns iſt eine der wichtig⸗
ften ragen, ‚weiche die Gegenwart kennt. Und der
Berf. thut ebenfo unrecht als er unpolitifh Handelt,
wenn er fie mit ein paar national öfonomifchen Wen⸗
182
dungen abmachen zu koͤnnen glaubt und ben beftchenden
Zuftand gar ale „naturgemäß betrachtet. Die Trage
der Regelung des Arbeitslohne ift die eigentliche Schlag-
ader des Kommunismus; wollen unfere Kiberalen ben
Sommunismus feiner Baſis berauben, fo können fie
nichts Klügered thun als dieſe Frage zu der ihrigen
machen. In Ihr findet ber Communismus feine pratti-
ſche Kraft, nur durch fie hat er fo großen Anhang, fo
bedeutende Sympathien in den untern Molfsclaffen ge-
funden! Wenn man dem Arbeiter fagt: Jetzt beſtimmt
das Capital den Lohn deiner Arbeit, die Capitale wol⸗
len fo hohe Intereffen ziehen als möglich, es fol aber
dein Arbeitslohn im Verhaͤltniß zu deinen Bedürfniffen
fiehen und zum Gewinne, den die Arbeit abmwirft —
fo begreift er das leicht und ift ſchnell damit inveeitun-
den. Unſere Arbeiter denken wahrlich nicht an bie Auf«
Yebung des Eigenthums, an bie Wbfchaffung des Gel:
des m. ſ. w., es iſt ihre gegenwärtige Lage, die fie be⸗
ſchäftigt, es iſt eine. billige Megelung des Arbeitslohns,
die fie wollen. Ihnen da fagen, wis der Verf. that:
Idhr verſchuldet eure Lage felbft, warum zeugt ihr Kin⸗
der? Das iſt nicht bios ungereiht, es ift auch im höchſten
Grade untiug! Kann man die Arbeitslohnsfrage löſen,
gelingt es der. nächften Zufunft, den Verdienſt der ar-
beitenden Claſſe mit ihren Bedürfniffen in Einklang zu
bringen, dann ift etwas (Großes gethan und der commu⸗
niſtiſchen Bewegung ein ſtarker Damm entgegengeſetzt
werden. Es ſcheint aber, ald ob weber unfere Staats⸗
männer noch unfer liberales Bürgerthum die Bedeu⸗
kung dieſer Frage einfehen wollen! Wir feben das an
dem Verf. Ä
Was die Bertheilung des Bermögensbefiges
betrifft, fo geſteht ber Berf., dag es ebenſo wol im Jn⸗
bereffe der naturgemäßen Entwidelung der menſchlichen
Gefeillſchaft wie in jenem der Humauität und der gefep-
Sehen Drbnung zu wänfcen fei, daß die Zahl der Gi⸗
genthuunsiofen auf das kleinſte Maß zurückgeführt. und
baf der Bermögensbefig möglichſt gleich vertheift werde;
uber — fege er hinzu — wollen wir uns nicht von
utopiſchen Luftfchlöffern verführen laſſen, fo müflen wir
uns dahin beichränten, das wir inmitten unferer gefell-
fchaftlichen Verhältniffe nur alle jene tirfachen der Ei.
genttumsichgteit und der Ungleichheit im Vermögens:
befige zu entfernen trachten, welche nicht in den Natur:
gefegen der Volkswirthfchaft begrändet, fonbern vom
Wionopoliengeifte herrühten. |
Über die Vertheilung des Grundbefiges fagt ber
Derf. im nıfprangliden Zuflande bringe Geber fein
Unrecht wie auf feine Eriſtenz fo auch auf den Mitge-
und der Früchte im die Welt, weiche die allgemeine
Kinelle desfeiben — die gemeinfchaftlidhe Grundflaͤche —
Jedem zu ſpenden bat; fobald indeß alle Grundfläche in
ben ausfchließlichen Befig beſtimmter Perfonen und Cor⸗
posationen übergegangen ift, verliert ein Theil ber Ge⸗
ſellſchaftsmitglieder — blos durch den Zufall der Geburt
und in Bolge ber bürgerlichen Geſetze — jenes allge
mei Anrecht auf die Bafıs feines Exiſtenz. Es ik
diefes ein in dem Entwidelungsgange’ der menfchlichen
Geſellſchaft begrüundetes Übel, welches Übel nur ba-
durch auf das Meinfte Maß befchräntt werden fann,
daß jedem folchen Benachtheiligten die möglichfte Leich⸗
tigkeit verfchafft werde, fih duch Kleif und Sparfam«
teit einen, wenn auch nur kleinen, Antheil an jenem
angeflamimten allgemeinen ®rundbefig zu erwerben.
Für die Vertheilung des Wermögensbefiges ift dem
Verf. das Concurrenzprincip in den Naturgefegen der
Volkswirthſchaft begründet, daffelbe macht ſich denn auch
bei der Frage der Gütervertheilung geltend. und führt
darin zur Auflöfung des Güterfchluffee, des Erſtgeburts⸗
rechts u. ſ. w, zur Dismembration. Allein der Verf:
täufcht fih, wenn er dadurch die Beſitzfrage gelöft zu
haben glaubt. Der Befig bleibt immer; gefchloffen, er
ift ausgedehnter geworden,. aber feine Natur blieb die-
felbe, er blieb immer ein Monopol der befiglofen Menge
gegenüber. Ihr iſt damit durchaus nicht geholfen,. dag _
jegt Mehre befigen was fonft Einer befaf, fie hat da⸗
bush nur miehre Herren befowmen. Die natürliche
Berechtigung eines Jeden ift durchaus nicht anerkannt,
die Frage ift durchaus diefelbe geblieben und in dem
Kampfe gegen alle Monopolien nach oben, um nad un«
ten das Monopol um fo ftärfer. feflzuftellen, wird fie
nie ihre „naturgemäße” Lofung finden. Ä
In dem Kampfe gegen alle Dlonepolien nad oben
ſucht der Verf, feinen Beruf, und zu diefem Kampfeo
hat er nit. ohne Klarheit und Scharffinn alles volks⸗
wirthfchaftlihe Material in Bewegung gefegt und ſyſte⸗
matiſch gegliedert. Er ſteht, wie man fieht, auf dem
Standpunfte des Liberalismus. Wir können und wol—⸗
len ihn nice in allen feinen Operationen gegen Dem
„Monppoliengeift” begleiten und es wäre auch unnütz,
nachdem wir nachgewieſen haben, wie ſich der Verf. zu
der großen ſocialen Frage, zu der Stellung und zu der
Berechtigung der arbeitenden Claſſe verhaͤt. Was küm⸗
mert uns ſein Kampf gegen den Güterſchluß, gegen die
indirecten Steuern, gegen den Zunftzwang, gegen das
Prohibitivfgftem und die Schuggölle! Wir haben gefchen,
was hinter dem Kampfe gegen die Monopolien ficht: —
nichts. als ein neues Monopol. Immer das Monopol
des Capitals, immer das Monopol, zu welchem die an
Befig, an Capital gebundene Concurrenz führt. Dar⸗
auf hat der Verf. feine „naturgemäße Volkswirthſchaft“
begründet und er hat das Verdienſt, Mar und heftimmt
ausgefpzochen zu haben, was die Geſellſchaft beherrfcht,
und fein vorliegendes Bud, das Reſultat eines langen
Lebens, iſt als eine Art von Bibel zu betrachten, worin
Kapital und Belig ihre Berkerrlihung finden. Zum
Schluß wollen wir als Außerft charakteriſtiſch fir den
Standpunkt des Verf. noch folgende Stelle anführen
(©. 363): Ä wu | |
Es ift zwar fehr wünfchenswerth, Daß der Kabrifant, Gü-
terbefiger und Pächter feine Arbeiter mit theilnehmender Liebe
beyandele umd ihnen in vorlummenden Verlegenheiten beiftehe
daB zwiſchen beiden Theilen ein vertrauemvelles Berhattni
weites allein unter einen imfländen kann verlangt. werben,
daß Der Fabrikant u. ſ. w. eimen hoͤhern Lohn zahle als ihn
- 183
das — zeifhen Angebot und Begebr beftinmm und
der in Kraft ſtehende Vertrag feſtſetzt. Jeder Aufſtand von
Arbeitern zum Behufe der Lohnſteigerung — durch weidye an⸗
dere Arbeiter genöthigt werden, auch ihre Werkſtaͤtten zu ver:
faffen oder durch weichen gar Maſchinen und Fabrikanlagen
zerſtoört werden — kann nur von diefem Geſichtspunkte betrach⸗
tet werden, denn es ſtehen jedem Arbeiter jederzeit zwei frieb-
liche Wege offen: — fühlt er fidg nämlich in feinem Vertrags:
verhältniife verlegt, fo fihreite er zur Klage vor Gericht; —
erfcheint ihm der in der einen Werfftätte gewährte Lohn zu niedrig,
fo ſuche er einen höhern Lohn in einer andern Werffdätte zu
erhalten. .
Muß man fih doch wundern über bie Freiheit,
weiche dem Arbeiter geblieben iſt! welchen Schug ihm
die Geſellſchaft gewaͤhrt, um von-feiner Arbeit leben zu
tönnen!
(Die Rortlegung folgt in der nädften Lieferung, Wr. 47.)
— — — — — — — 2 — — — — — —
Rheinifches Jahrbuch. Herausgegeben won Levin
Schücking. Erſter Jahrgang.
(Beſchluß aus Nr. 45.)
„Über Iheaterfchulen” liefert Karl Gutzkow ein Gefpräd.
Des Theater beichaftigt jeht den rafliofen Wann auch von Die:
fer aus Berlin angeregten Beite. Zmei Schaufpicler beſprechen
fih auf einem Spaziergang über diefe Frage, einer für Die
fchulmäßige Ausbildung der Kuͤnſtler ſchwaͤrmend, der andere
barüber fpottent. Auf diefem Wege bringt Gutzkow die Be:
denten getgen ein folches Inflitut und die etwanige Einrichtung
deſſelben frädmweife zur Sprache, geiſtreich, treffene, wiewol
nicht erihöpfend und mit jener Befcheidenheit, die diefe Frage
nicht intereflanter machen will als fie unter ben jegigen Ta—
gesfragen if. | ı
Barnhagen von Enfe als geborener Mbeinländer pen
det ein neues Stüd feiner „„Denktwürdigkeiten”, zwei Abſchnitte,
die ſich an bie Abtheilung „Wien 1"09", Bd. 5, &. IB, der
zweiten Auflage jener Memoiren anſchließen. Die Scene eroͤff⸗
net fich in Ungarn mitten in einem müßigen und läfligen 2a:
gerieben, über welchem die dumpfe Stimmung ver eincem- zu
erwartenden Friedensſchluſſe laſtet. Die Eifrigen hegen noch
eine Hoffnung für Wiederaufnahme des Kampfes. Allein „das
ganze Heer, welches im Auguft und &eptember mit bewun
dernswürdiger Anftrengung fi) wieder ſtark und ſchlagfertig
aufgeftellt Hatte, ſank im October auf die Hälfte feines Be⸗
5 zuruck, und die Angabe, daß OHM Kranke gezählt
wurden, war ein Dauptgtund, den Frieden nm jeden Preis
„sig, die Wiederaufnahme des Kampfes für ganz unmöglich
erachten”. Im zweiten Abfchnitte werden wir nah Wien
in die, auf Den Abzug der Franzoſen noch etwas verworrenen,
fünell aber ſich wieder echt wienerifch ordnenden Auftände ein:
£.- Wir wandern mit dem Sebhaft ih umtreibenden jun:
Dflizier Barnhagen in verfchiedene Kreife der höhern Ger
—* ſowie des befreundeten Verkehrs. Es iſt cine ſtille
aber nicht unbedeutende Zeit, in die uns Barnhagen fo be:
haglich ſetzt, fo umſtaͤndlich orientiert, und durch leiſe Finger:
zeige aufmerkfam macht. Man kennt Varnhagen's Darftellungs-
weiſe. Sie weicht darin durchaus vom Stil der meiſten Juͤn⸗
gr ab, daß fie ihre Begenftände nit erfaßt, um individuelle
immungen, yerfönliche Befangenheiten, Launen und geif:
veiche Sprünge daran auszulaflen, fondern daß fie auf die ob:
jective Wahrheit und auf eigenthuͤmliche Eharafterifirung der
Perfonen und Dinge ausgeht. Sich felbft macht es Barnhagen
nicht fo bequem als feinen Leſern. Bande feiner Gaben müf:
fen freilich mit feiner und voraus nicht eingenommener Zunge
‚werden. Wie mander Profeſſor tadelt einen feltfamen
sder gefuchten Ausdruck, ohne wahrzunehmen, dag er mehr ft
als corrert, naͤmlich — begeichnend. Wie treffend und kurz iſt
3. B. ©. 183 der Unterſchied der Wiener von den -Morbbeut-
ſchen hinſichtlich literarifcher Bebürfniffe, wenigſtens zu dama-
kiger Zeit, begeichnet! „Blieb und eine gewiſſe norddeutſche
Bildung, wie fie literariſch überliefert wird, für uns ſelber
ein unentbehrliches Element, fo erließen mir daſſelbe doch
gern den Andern, wo das Licht ohnehin nur ale Biendung
binftreifte.” Barnhagen wird mandmal dur; den Gontar
geiftreich, wo der Stoff nicht funfenhattig ift. Er befigt die
Kunft, auch ganz gewöhnliche Lebensereigniffe fo geſchmackvoll
und begeichnend mitzutheilen, daß man wähnt Ungerwöhnlichem
entgegen getragen zu werden. Mödhten fich Hierin einmal fo
manche unſerer jungen Haͤhne verfuchen, Die fo gern ihre es
dern gegen einen Mann fträuben, der fi) doch in feinem Kreiſe
nicht abſchließt, ſondern ſo warm wie irgend Einer allen Stroͤ⸗
mungen der Literatur folgt.
Die Gedichte nehmen einen verhaͤltnißmaͤßig Meinern Raum
ein: „Dietleib und Walther, deutſche Heldenſage““, von Kart
Simrod, ift launig und in altdeutſchem Zon und Stoff neu:
bezũglich; drei Gedichte von Unaftafius Grün, darunter ein
ſpaßhaftes über die befannte Anekdote vom Kaiſer Xeopold, dem
ed in jein öftreihifches Maul geregnet, jind — was die Form
betrifft — cin wenig ſchwerfaͤllig in ihrem ungegliederten Bang;
von Annette Drofte:Hülshoff zwei Gedichte — in der
befannten markig anmuthigen Weiſe der ausgezeichneten Dich
terin. Undere, weniger befannte Lyriker ſuchen hier, zum
Theil mit recht artigen Spenden, des Keferd fernere Gunft.
Wir haben nod) der ärtiftifihen Zugaben zu gedenfen. Diefe
werden, an fich betrachtet, den ungetbeilteften Beifall finden,
während ihr Erſcheinen an diefem Plage bereits Misbiligung
erfahren hat. Gin rheinifches Taſchenduch, fagt man, und
bringe, mit Übergehung der büffeldorfer, der Frankfurter Ma»
terfhulen, Zeichnungen ausländiicher Künftler, zur Illuſtrirung
eines nicht deutſchen literariſchen Products fremdgefchichtlicgen
Inhalts! Referent will ſelbſt deutfchyen, und namenilich rhei:
niſch⸗ deutichen Eifer genug haben, um vornherein diefen Ta—
dei mehr gelten zu taffen ald Das, was die Berlayshandlung
zu ihrer Entſchuldigung anführen mag, daß fie nämlich etwas
an fi Ausgezeichneted und, damit die Erfcheinung des Jahr:
buchs nicht verzögert werde, etwas ſchon Fertiged genommen
habe. Es jind Zeichnungen des befannten und berühmten bel-
giſchen Malers de Keyſer zu einem ihm gewidmeten Werke feis
ned Freundes Felix Boyaerts, einer ‚Lord Strafford” betitel:
ten Epijode der erften englifchen Revolufion. „Herrliche, von
H. Brown meifterhaft in Holz gefchnittene Eompofitionen, wo-
mit de Keyſer die Phantafiegebilde feines Freundes individua⸗
liſirt und mit jener Freiheit, Energie und Charakterifirung,
mit jener Leichtigkeit, Annuth und Wahrheit der Gruppirung,
die wir längft an ihm Pennen und bewundern gelernt haben,
in die Sphäre ſianlicher Anfchauung hereinzaubert.“
Der erite Jahrgang diefes Unternehmens bat einen glän-
zenden und großartigen Anlauf gethban. Möge der Werfuch bie
verdiente Theilnahme des Publicums finden, Damit ſich das
Jahrbuch mit den folgenden Jahrgängen immer mehr zu einem
rheiniſch⸗ deutſchen Erzeugniß unferer Yiteratur, Kunft und grefie
individualifire. - 21.
Bibliographie.
Briefe des Hans Michel aus Oberſteier an feinm Göb,
den Senfenfchmied in der Deb über Steiermart und Grag.
Iſtes bis Ite8 Bändchen. Jedes mit einem colorirten Bilde,
rap, Dirnböd. 1845. 8. à 6 Nor.
Agnes Fran. Eine Lebensſkizze. Mit dem Bildniß
der Dichterin. Breslau, Hirt. Br. 8. 10 Nor.
Gardinenpredigten. Aus dem Englifchen von F. Gerſt⸗
äder. Reipzig, DO. Wigand. 8. I Zhlr.
Die Gesetze des preussischen Staats im systematischen
Auszuge, herausgegeben von €. -F. Kbert. Ister Band: Das
184 \
allgemeine Landrecht. Istes bis Stes Heft. Berlin, Rei-
chardt und Comp. Gr. 8. Preis für 10 Hefte I Thir. 20 Ner.
Bueride, 9. €. F., Allgemeine chrifttiche Symbolik.
te, zum Theil ungearbeitete Wuflage. Leipzig, Köhler. Gr. ®.
3 Ihr.
Diele, R. H., Shakſpeare's Macbeth, erläutert und
gewürdigt. Merfeburg, Rulandt. Gr. 8. 22%, Ror.
Iridion in Rom. Nach dem Polnifchen bearbeitet. Ber:
lin, Hermes. Gr. 8. 1 Thir.
Zacobi, ©, &. J., Über Descartes' Leben und feine
Methode die Vernunft richtig zu leiten und die Wahrheit im
den Wifienfchaften zu fuchen. Eine Borlefung. Berlin, Adolf
und Eomp. Gr. 8. TY, Ngr.
Lewald, U, Rufiülhe Geſchichten. Zwei Theile. Ha:
nover, Kiuß. Gr. 12. 3 Chlr.
LiskKovius, K. F. 8S., Physiologie der menschlichen
Stimme für Ärzte und Nichtärzte. Leipzig, Barth. Gr.8.
21 rn...
Beurer, M., Luthers legte Kebenstage, Zod und Be:
gräbnif. Aus den Quellen erzählt. Dresden, Raumann. 8.
3 Rgr
Niederer's, I., Briefe von I707— IE) an Ken
Freund Tobler. ‚Herausgegeben von feiner Witwe Rofſette
Nicderer. Genf, Keßmann. 1815. Gr. 8. 1 The. 15 Ror.
Scholz, C. G., Aligemeine Weltgeichichte. Ifter Band:
Alte Gefchichte bis auf Auguſtus. Iftes Heit. Kangenfalie, Schul⸗
Buchhandlung des Thuͤringer Lehrervereins. 1345. Gr. 8. 5 Kar.
Starklof, 8., Armin Galoor. Zwei Theile. Leipzig,
O. Wigand. 8. 3 Thlr.
Sue, E., Mathilde. Memoiren einer jungen Frau. Aus
dem dranzoſiſchen Ifter bis Iter Band. Nordhauſen, Fürſt.
1845. 8 à 7 Rgr
Süß, M. V., Beiträge zur Geſchichte der Typographie
und des Buchhandels im vormaligen Erzſtifte nun Herzogthume
Salzburg. Salzburg, Duyle. 1845. 8. 15 Nor.
Tetzner, Th., Gewöhnliche Wahrheiten in ungewöhn⸗
lichem Gewande. Kleine Aufſätze paͤdagogiſchen Inhalte. Kan:
genſalza, Tetzner. 1815. 12, 3% Near.
Titllier, A. v., Geſchichte der Eidgenoſſenſchaft während
der Herrſchaft der Vermittlungsakte. Wen ihrer Einführung
un Frühjahr 18063 bis zu ihrer Aufloſung in den fepten Tagen
des Jahres 1813. After Band. Zurich, Schultheß. 13-45.
Sr. 8. 2 Thlr.
Über Gewiffensfreiheit. Briefe eine? alten Idioten an einen
olten Waffenbruder. Dresden, Naumann. 12. 23 Rer.
Vetter, ©. K., Gerichte. Dimüg. 189. 8. 15 Ror.
Vogel, $, Die alten Chreniken oder Denkwürdigkeiten
der Stadt und Lantfchaft Zürich von Den alteften Zeiten bie
1820 neu bearbeitet. Ifte Lieferung. Zuͤrich, Schultheß. 18145.
&r. 8. 15 Near. |
Wegweiſer durch die Literatur ber Deutjchen. Ein Hand:
buch für Laien. Herausgegeben von &. Schwab und K.
Klüpfel. Leipzig, Maver. Gr. 8. 1 She. 15 Nor.
Zagesliterstur.
Anhalt, E., Aus Weimars Rovembertagen. Sechs Ge:
dichte. Iena, Yrommann. 1845. 12. 2 Rar.
Kritifche Beleuchtung ber rheinifhen Gemeinde : Orbnung
und der Frage: Iſt die Annahme der revidirten Städteordnung
für die Rheinprovinz erſprießlich? Nebft einer Hiftorifchen Ein:
leitung. Don einem rheinischen Vermaltungsbeumten. Leipzig,
D. Wigand. 1815. Gr. 8. 7% Near.
Bernhard, &., Die fieben Grobeshügel in Leipzig. Ge:
dicht in Bezug auf die Worfälle in Leipzig vom 12.— 19. Au:
guft 1845. Keipzig, Rhein. 1815. Gr. 8. 21, Nor.
Braun, 3. F., Die Bedeutung ber lateinifhen Schule,
mit befonderer Beziehung auf die Gegenwart und ihre Bebürf:
niffe. Stuttgart, Schmidt und Spring. Br. 8. 7, Rur.
— - un —
Berantwortliher Herausgeber: Heinrich Wreodhaus. — Drud und Verlag von F. ME. Brockban⸗ in Beipsig.
— ——
Döderlein, L. Feſtrede bei dem 100jahrigen Stiftungs:
feft der Königl. Studienanftalt zu en am 1. Sur las,
49. . /ı Nor:
weriner @ifenbabn in ihrem nerhältnig u
Fectenberg und feinen Seeſtaͤdten. Luͤbeck, Afchenfeldt. I h3
e
Unterfrügung. Breslau, Aderholz. 1845. 8.
rummader, F ‚ Seid
etroft!
häusliche Bebrängte, am Erndtedanktefte. Giberfeid, 1.
1845. Sr. 8, Au gar. Ben eier, Saite
Brüunslow. v Nor
Raumer, F. v., Einleitungsworte zur öffentlichen Sigung
der Akademie der Wiffenfhaften am 16. October 1815. Ste
Auflage. Berlin, Buhhantlung des Yefecabinets. 1845. B.
4
gr. . .
Schatter, &. ©., Wir lieb und werth uns unfere pro»
teftantifch = evangelifche Kirche beim Hinblick auf Die deutſch⸗
katholiſche Gemeinfhaft werde. Predigt. Neuſtadt a. d. D.,
Wagner. 18 3. 3 Nor. "
Schraber, 3. 9. 2., Worte der Liebe und des Ernſtes
an die Glieder der evangelifhen Kirche umter ben Bewe en
und Kämpfen ber Zeit. Zwei Predigten. Frankfurt a. M.,
Sauerländer.. 18435. Gr. 8. 3%, Nor.
Stier, R., Daß und wozu wir auch an den biblifchen
Heiligen Tadel finden dürfen und ſollen. Predigt über Hiob
14, 14—15. Barmen, Langewieſche. 1845. Gr. 16. 27, —*
Tholuck, A., Wie ſelig der Menſch if, der Chriſtum
zum Heilande bat. Predigt zu Stockholm am IH. Sonntage
nach Zrinitatis 1344. Stodholm, Fritze. 1845. 8. 3%, Nur.
Bein, 3., Nante als Politiker. 2te Auftage. Gruͤn⸗
berg, Leonfohn. 1843. 8. 5 Mor.
Wuͤnſche der hohen Staatöregierung und ber hohen Staͤnde⸗
verfammlung bed Königreihe Sachſen ebrerbietigfl vorgelegt
ven einer Anzahl ſaͤchſiſchet Volksſchullehrer. Grimma, Bers
lagscomptoir. 145. 8. 6 Nor.
Actenmaͤßige Darftclung der gegen den Symnaflal: Ober:
iehrer Aug. Witt in Königsberg geführten fiscalifchen Unter
fuhung. Leipzig, Hartmann. 1845. 8. 1 Zple.
an so in eger, & —8* , — — Beier des Geburtstages Br.
dj. des König Friedri ilhelm !V. Hafberftadt, Fran
1845. Gr. * Mar balberſtadt, Frant
Mühlenfels, L. v., Berichtigung einiger mich betref⸗
fenden Angaben in der Schrift des Herrn —
v. Kamptz „Prüfung der grellen Irrthümer des Stadtgerichts
raths Simon“. Berlin, Reimer. 1845. Gr. 8. 3 Ser.
Pöhlandt, 8. W., Der Zuruf der Eonftitution an ihr
Volt. . Predigt über Ev. Matth. 6, 24—31. Wtenburg, Del:
big. 1345. 8. 3 Mr.
Sendfchreiben eines Nabbiners an die Rabbiner-Berfamme
tung, zu Sranffust a. M. Herausgegeben und ins Deutfche
überfegt von K—ım. Frankfurt a. M. 1845. Gr.8. 10 Ngr.
Verordnung über die Anwendung der Kriegsartifel und
inöbefondere der darin vorgefchriebenen Militaͤrſtrafen. Grün«
berg, Leupfohn.. 1845. Gr. 8. 3 Kor.
Wagner, 8.2. B., Roms Wirken überkaupt und be
fonders in Deutichland. Mit befonderer Rückſicht auf die neuefte
von dem Hrn. Geh. Staatsrath Dr. v. Linde erfchienene Schrift
Denen gewürdigt. Darmftadt, Beste. 1845. Gr. 8.
. T.
Blätter
für
literarifbe Unterhaltung.
— — —
Montag,
ee Nr. 47, ee
16. Februar 1846.
Die fociale Frage.
(Wertfegung aus Nr. 4.)
Nr. 2. Geier, „Über die innern gefellfchaftlichen
Derhäftniffe unferer Zeit”. Daß man in Gchweben
den Blick mannichfah auf die Natur ber innern ge-
fellfchaftlichen Zuſtaͤnde richtet, ift ſchon in den Ver⸗
haͤltniſſen dieſes Landes begründet. Schweden ift ein
armed Land, die Adelsregierung hat dort eine arme,
. elende bäuerlihe Bevölkerung gefchaffen, die Induſtrie
ber Städte bleibt immer fpärlich und dürftig und doch
iſt in Schweden eigentlich nur Armuth, wenigftens Fein
ausgebildeter Pauperismus. Wenn der Kampf, welcher
Schweden bewegt, auf den erften Augenblid rein poli-
tifch oder gar noch als ftändifch erfcheint, fo entwickeln
Ah doch auch ſchon in ihm mehr foriale Momente und
der weiterfehenbe Geſchichtſchreiber ift vollkommen berech-
tigt fie ins Auge zu faffen und ihre allgemeine Bedeu⸗
tung nachzumweifen. In Schweden fämpft gegenwärtig
die Mittelclaffe als neue Gefellihaftsmacht, aber auch
unter ihr regt fih eine neue Schicht, und fchon in dem
erſten Konftitutionsausfchuffe war von ben Anfprüchen
der Unrepräfentirten als von einem „fünften” Stande
die Nede. Man meinte freilich unter diefem fünften
Stande ebenfo wol die unrepräfentirte Mittelclaffe ale
das umrepräfentirte Volt und war fich über bie focialen
Gegenſaͤtze keineswegs Far. Geijer firirt die Gegenfäge
zwifchen Mittelclaffe und Volk, indem er nachmeift, wie
mit der Acceptation der Mittelclaffe und ihrer politifchen
Diſtinction die Herrfchaft des Vermögens beginnen werbe.
Er meint, man könne die Mittelclaffe zwar in ihrer
neugewonnenen Bedeutung anerkennen, aber man müffe
ihre Anſprüche, ausfchliefend das Volk zu repräfentiren,
zurüdweifen. Dies hieße, fagt er, eine ſchon fertige
neue Gefellichaftebildung anerkennen und zugleich einer
mehr umfafienden Plag machen.
Es Liefert diefe Auffaffung den Beweis, daß der
große Geſchichtſchreiber Schwedens fein Auge nicht fo
der focialen Weltbewegung verjchloffen bat wie wir es
mannichfach an unfern erfien bdeutfchen Hiſtorikern⸗ zu
rügen haben, mag feine Auffaffung felbft auch immerhin
noch fo begrenzt und befangen fein wie wir es nachwei⸗
fen wollen. Er bat den Punkt auf ben es ankommt
erkannt, mag er fih nun immer als monarchifch gefinnt
Erkenntniß
beweiſen und von der Zukunft noch ein allzu großes
Heil von einer religiöſen Entwickelung erwarten. Seine
Anſichten über die Macht der Concurrenz und die Herr⸗
ſchaft des Vermögens, ebenſo über das abfolute Privat⸗
eigenthumsrecht, welches die neue Zeit erſt geſchaffen hat,
ſind beſtimmt und entſchieden.
Der Durchbruch des Perſönlichkeitsprincips
gilt ihm als die große innere Urſache, aus der ſich alle
unerhörten Veränderungen ber Neuzeit herleiten laſſen.
Die Declaration der Menſchenrechte in der franzöfifchen
Revolution war ein foldher mächtiger Durchbruch des
Derfönlichkeitsprincipe. Allein wir müffen fogleich das
religiöfe Princip Geijer's an die Spige ftellen, um ba-
nad) feine ganze Weltanfhauung zu begreifen. Er fagt:
Das Berhältniß der Menfchen zueinander wird im Inner
ften von ihrem gemeinſchaftlichen Verhaͤltniſſe zu Gott beftimmt.
Religion, ſogt man, iſt die Erkenntniß Gottes. Allein Peine
ann rein gegeben oder einzig von außen mitgetheilt
werden. Die edelften Gaben find die, welche man nicht als
bloße Geſchenke empfangen ann, fondern fi zugleich felbftän-
dig aneignen muß. Die Wahrheit ift vor Allem eine Gabe
biefer göttlihen Art. Sie Tann nicht verfchenkt werden. Dar-
aus folgt, daß das Wefen, welchem Gott ben hoben Vorzug
feiner Erkenntniß mitgetbeilt hat, auch von ihm mit der
fetbftändigen Fähigkeit ausgeftattet fein müſſe, die dazu erfo-
dert wird, und Daß von ber GEntwidelung dieſer Faͤhigkeit
ebenfalls die Weife Bott zu begreifen abbänge- Hat nun diefe
Fähigfeit von Bott felbft das Gefeg ihrer Entwidelung erbal-
ten, fo bat er auch von biefer Entwidelung die Befchaffenbeit
feiner eigenen Erkenntniß abhängig gemadt. Er bat es ge-
than, weil er nur mit einſichtsvoller, freiwilliger Unterwürfig-
Beit verehrt werden will. Das ift feine Ehre, das iſt das Biel
feiner Schöpfung. -
Eine mitgetheilte Seldftändigfeit, fagten wir, fei
die Bedingung für die Erkenntniß Gottes. Schon ald mitge-
tbeilt erhebt diefe Selbftändigkeit den Menfchen über die Ra-
tur und ift aus derfelben nicht erflärbar. Gr muß diefe Er-
Härung zugleich in fich felbft und obenüber fich ſelbſt fuchen.
Alles Höhere aber ift dem Riedern unbegreiflih, wenn es ſich
nicht felbft mittheilt. So iſt es gegangen mit dem abfoluten
Wunder, der eigentlihen Offenbarung, in welcher fich Gott,
der ebenfalls über der Vernunft ift, zu dem Menfchen herab:
gelaffen hat. Daß Bott das von ihm gefchaffene freie Weſen,
in deſſen Macht ed alfo ebenfalls ftand von ihm abzufallen, fo
fehr liebt, daB er dem dadurch in das Irdiſche verſunkenen
Menfchen feinen Sohn, des Menſchen Bruder, fandte, um durch
den größten aller Liebesbemweife dad Herz der Menfchen zu be:
wegen, " zu ihm zu bekehren: das iſt Gottes Barmherzigkeit,
die höher iſt denn alle Bernunft. Die Liebe iſt über der Vernunft.
Es kommt bier nicht darauf an, bas Innere dieſer
chriſtlichen Myſtik genau zu prüfen und fie im Einzel⸗
nen zu widerlegen, nur die Anſchauung Geijer's fol ſich
- durch jene Worte firiven. Gr ift fern von aller Autonomie
: des Geiſtes und in feiner Auffaſſung unferer geſellſchaft⸗
lichen Verhaͤltniſſe tritt das chriflliche Element entfühie-
den hervor. Für ihn ift das Chriſtenthum nicht blos
die Religion der Vergangenheit, fondern auch bie heil-
bringende der Zukunft. Nicht genug, daß das Chriften-
thum zuerſt ben menfchlichen Perfönlichkeitsbegriff in bie
Belt gebracht hat, die „mitgetheilte Perfönlichkeitsidee
bes Chriſtenthums“ foll auch die Diffonanzen der Ge-
genwart ımb der Zukunft verfühnen. In diefer myſti⸗
fhen Anſchauung liegt Geijer's Poeſie, aber auch feine
Schwäche und feine Unklarheit. Er fieht Die Welt wan⸗
Ten, aber er hält Symbole feit und will mit ihnen die
Welt noch einmal erloͤſen. Geifer knüpft die Rettung
der Welt an den Himmel, bie Freiheit der Perfon an
die Mittheilumg von oben, bei uns aber in Deutſchland,
wo der philofophifhe Proceß alle diefe JUufionen ver-
[lungen und aufgerieben hat, wird eine ſolche perfön-
üche Freiheit nicht anders als perfünliche Unfreiheit be⸗
teachtet werden koͤnnen. Und wie bas Ehriftentgum, ale
es in den Inflirufionen des Staats und der Kirche feine
Möftigfte und großartigfie Ausbildung fand, ganze Stände
der Unfreiheit preisgab, fo zweifeln wir auch, daß er im
Stande fein wird, mit feinen alten Symbolen die Ge-
feufhaft aus dem Zuflande der Unfreipeit und Be⸗
drückung zu befreien, zu dem fie eben unter der Ent-
wickelung des Chriftentbums gelangte. Das Chriften-
thum ift, nach unferer Anficht, eine entſchieden pofitive
Religion. Seine pofitiven Sagungen find eben das
fpecififch Chriſtliche. Der comfequentefte und vollkom⸗
menfte Ausdruck bes‘ Chriſtenthums war die Hierarchie
des Mittelaltere. Laͤßt man alles Pofitivchrifttiche, eben
das Specifiihchriftliche fallen und ſtellt dafür das Phan-
tasma einer „hriftlihen Kiebe”, einer fogenannten „Brü⸗
derreligiom” auf, To mag man Alles haben was man
will, aber man bat eben kein Chriftenthum. Nichte ift
einfeitiger und ſchwaͤchlicher als wenn Diejenigen, welche
fi) die nene Weltgeftaltung angelegen fein laſſen, eine
Berbindung zwifchen ihrem Princip und dem Princip
des Chriſtenthums ſuchen. Diefes ift Häufig bei den
Communiften in Frankreich ber Kal, aber auch in
Deutichland kommt es vielfäh vor Man rebet da
von der chriftlichen Kiebe, von dem „Urchriſtenthume“,
von ber Gütergemeinſchaft der erften Ehriften und von
Bott weiß für welden Illuſionen und beraufiht fich in
himmliſch⸗irdiſcher Seligkeit. Ein „Urchriſtenthum“, weit
genug um Alles hineinzulegen, zu reguliren, iſt unmög-
lich, die Geſchichte lenkt in Leine alten Bahnen zurüd
und wenn man von ber Gütergemeinfhaft der erften
ChHriften jegt ein fo großes Aufheben macht, fo vergeffen
unfere fociafen Phantaften ganz und gar, daß fie rein
aus der Nothwendigkeit ded äußern Druds und durd)-
ans nicht aus einem gefchloffenen Princip hervorging.
Wenn Das focialiftifch ift, daß ſich das Chriftenthum
über bie privatrechtlichen Verhaͤltniſſe binausgefegt und
dafür chriſtliche Zuflände gefchaffen hat, fo mag man
das Chriſtenthum focialiftifch nennen; wenn aber bie
Auflöfung der privatrechtlihen Verhältniffe zum Weſen
des praktiſchen Sorialismus gehört, fo find auch fchon
bie erften Anfänge des Chriſtenchums in einem ganz
entfchiedenen Widerfpruche mit Dem, was wir Soclalis-
mus nennen, denn fie laſſen alle privatrechtlichen Fra-
gen ganz auf ſich beruhen, gehen darüber hinaus und
‚befriedigen fi in einer abftracten Bruberliebe, in Gott,
bei Ehriftus, im Himmel, während die Welt immer
mehr gefnechtet wird und das Privatrecht fih immer
härter geftaltet: So wird denn auch nun mit einem
„Urchriftenthume und mit dem Princip der chriftlichen
Liebe der Welt nicht geholfen werben können. Wir ge-
brauchen ben menſchlichen Ernſt. Zwiſchen dem Prin⸗
cip der chriſtlichen Liebe und dem Princip des ent⸗
ſchloſſenen Socialismus liegt eine ungeheure Auft, zwi⸗
ſchen ihnen iſt keine Verbindung möglich. Die chriſt⸗
liche Liebe kann das Jenſeits nicht aufgeben, der So⸗
cialismus hat allen feinen Ernſt auf das MDieffeits ge-
richtet; die chriſtliche Liebe fchaut die jemfeitige Gleichheit
an, der Socialismus bekämpft die Dieffeitige Ungleich-
heit, ber chriftlichen Liebe ift daB Eigentum werthlos,
denn ihr Eigenthum ift Chriflus und fie verabfchent
das Jagen nad irbifhem Gute; der Socialismus be⸗
tämpft das Princip des Privateigentbums, weil er Je⸗
den zum Genuffe irbifcher Güter bereihtigt nennt u. ſ. w.
Beijer nun ſteht auf dem Standpunkte der chriſtlichen
Riebe und es iſt nach ihm ber Glaube, bie Liebe, die
Hoffnung, welche verföhnend in allem Menſchlichen wir-
ten follen!
Das Perfönlichkeitsprindp, wie e8 in der franzoͤſi⸗
fhen Revolution durchbrach, kritifirt Geijer nun folgen-
bermaßen:
irklichkeit, fo falt im Gegentheil die natürliche Ungleich⸗
heit in die Augen. Man findet auch durch die Se
\
Erenzen für bie Erwerbung vos gäbe als bie,
welche für Alle gelten und in tiefer Hürficht aus dem gleichen
Rechte Allee folgen. Dies ift die geheiſchte Gleichheit ber
Beit vor dem Gelehe. Sie hat fih gegen alle alten verjährten
Seſchraͤnkungen dDiefed allgemeimen Rechts gewandt. Meilen
fie ſich am beatlichhien bewußt, ift, daß fte dem Verdienſte Die
Bahn des Wetteifeens nach allen Richtungen hin eröffnet Habe.
Alfo fire Seijer iſt die gleiche Berechtigung aller
Menſchen nur ein Poftulat, welches im Einzelnen bes
wiefen werben muß! Mit diefem Maßgßſtab Eritifirt er
die Declaration der Menschenrechte! Den richtigen Punkt
Der Kritik hat er vollkommen verfehlt, nämlich den, daß
Die franzöfifhe Revolution nur politiſch frei und gleich
machen wollte und die fociale Ungleichheit beftehen ließ,
Daß fie über die Form den Inhalt verfäumte Die
Folge dieſer Verfünmmiß ift eben die fociale Bewegung
im Kampfe mit dem politifjen Formalismus. Die po
Iitifche Freiheit und Gleichheit hat es bis zur freien Con⸗
currenz gebracht, von welcher Geijer richtig fagt, daß
fe, nachdem fie in die Geſellſchaft eingetreten ift, ſich
in allen Gonfequenzen geltend zu machen ſucht und daß
Alles, mas man liberale Ideen nennt, von diefem einzi⸗
gen Gedanken umfaßt wird.
Bei der Entwidelung der Concurrenzverhältniffe zeigt
Geijer fi) unparteiifcher und freier von feinen hiflori«
chen und religiöfen Vorausfegungen ale ſonſt. Er fagt,
der Liberalismus fei allmälig dazu gefommen, an feinem
eigenen Princip zu verzweifeln, an dem Princip der
feeien Concurrenz. Die Einzelheit der neuen Claſſe,
der Mittelclaffe, welche ſich gebildet habe, beftche darin,
bag ihre Grenze nad oben unbeflimmt ift, ſodaß fte
ebenfalls die wahren Antereffen der höhern Claſſen in
fi aufnehmen kann und in der That immer mehr mit
fi) vereinigt; nah unten dagegen fich immer fchärfer
beftimmt und in Rückſicht auf die Maffe des Volks
ausfchliegend wird. Die Grenze ift die des Vermögens
geworden und ein gewiffer Betrag von Vermögen Be⸗
Dingung für alle Ausübung politifher Rechte. Die fo-
cialen Folgen der Geldherrſchaft läßt Geiler unberüd-
fichtigt, er beobachtet eben nur die politifche Seite, aber
er ruft aus:
Daß die alte Gefellichaft allzu jeher auf das Recht des
Stärkern gebaut war, ift, was wir derfelben vormwerfen. In:
deffen was wäre die freie Conturrenz, wenn diefe nur ein
neues Mittel würde, den Schwachen zu unterbründen und wie
der in die Gefellfchaft das Recht des Stärkern einzuführen?
Bas wäre die gefeierte Befreiung der Arbeit, wenn fie in ib:
ren Folgen die Unfreiheit des Arbeiters mit fich führter "Was
Aufklärung, wenn ſie ber beſtaͤndig wachſenden Menge der auf
Den Grenzen der jegigen Gefellfchaft irrenden Anhaltslofen und
Befigiofen alles Das nur lehren follte, zu deflen Entbehrung
fie verurtheilt zu fein fcheinen? So find Die Fragen, bei deren
Beantwortung auch der Preifinnigfte mit dem Auge auf die
Zeichen der Zeit zurüdzuftugen und fich zu bedenken anfängt.
Wenn in ber That der Mittelftand inmmer mehr auf
das Gebiet der frühern Stände eingedrungen fei, fo
Sonne er, meint Geijer, einzig unb allein feinen Plag
buch Erfüllung aller Pflichten des Mitbürger und
Menſchen behaupten. Dazu gehöre aber auch die An-
ertennung alles menfhlichen Mechts, und da fich der
Gintsitt des meunſchlichen Rechte eigentlich in ber feeien
Gomsuwzenz zeige, fo umfaßt dies zugleich das Anerken
nen dieſes Principe in allen feinen Folgen. Die
ſes Anerkennen iſt es, wovor ber Liberalismus ber Mit-
telclaſſe zurückſtutzt. Die Concurrenz, welche Geijer ver⸗
langt, iſt wirklich eine Concurrenz der menſchlichen Kraͤfte
und nicht, wie bei Arnd, eine privilegirte Concurrenz
bes Capitals, des Beſitzes. Wir wollen Geiler fih im
Weientlichen felbft entwideln laffen:
Die Arbeit ift beweglich, wie Eönnte das Bermögen feſt⸗
bleiben? Es iſt die freie Concurrenz, welche die Arbeit losge⸗
macht und dadurch die neue Beweglichkeit des Eigenthums
verurfacht hat. Weswegen ift dieſe Bervegung fo zum Scha⸗
den bed Schwächern ausgefallen, ſodaß Der, defien einziges
Sapital feine Arbeitskraft ift, auch mit unverdroflener Anwen
dung berfelben fo oft der Gefahr preisgegeben wird, in eine
immer tiefere Abhängigkeit zu verſinken Was ift es, was ben
Werth des perfönlihen Capitals herabfegt, da bie Bahn nad
allen Richtungen der Urbeit freigegeben it? Es muß ſich ein
Bertheil außer der Arbeit finden, welcher auf der Bahn des
Wietteifers einen entfchiebenen Vorzug gibt. Es gibt ein fols .
ches Plus, weldhes im voraus Die des Sieges vergewiſſern
koͤnnte, die im Beſitze deſſelben ſind. Dieſes Plus in der Ars
beit ift die abgethane Arbeit und das Dispofitiondrecht
über diefelbe. Allein das Capital an und für jich felbft und
im unpesfönlihen Sinne ift in der That felbft bios die abge
thane Arbeit, und dad Geld, welches eine abgethane Urbeit res
präfentirt, ift gerade deöwegen ein Zaufchmittel für neue. Die
durch das Geld repräfentirte Macht ded Capitals follte alfo
auf die capitallofe Arbeit unterdrüddend wirken koͤnnen. Dies
ſtimmt mit der allgemeinen Anficht überein, was in unfern
Zagen auf adelige Herrſchaft, prieſterliches Anſehen und koͤnig⸗
liche Macht gefolgt, das fei die Plutokratie — fei die Ge
walt des Neichthums, fei die Gewalt des Geldes.
Wie aber die Macht des unperfünlichen Capitals,
die Macht des Geldes fo unvortheilhaft auf das perfün-
liche Capital, auf die einzelne Arbeitskraft wirken tönne,
das liege in dem gegebenen Übergewicht der collectiven
Arbeit über die ifolirte Arbeit. Das Kapital ift das
Mittel, durch welches fich die collective Einheit der Ar-
beit in demfelben Grabe entwidelt wie bie Vertheilung
ber Arbeit. Es zieht bem ifelirten Arbeiter zu füch, es
vereinigt ihn in große Maffen, es vermittelt alle Vorzüge
ber großen Induſtrie vor der Pleinern: zu gleicher Zeit
größere und beffere Production mit geringen Produc⸗
tionskoften. Das Kortichreiten auf der Bahn, welche
ben Arbeiter immer mehr von feinem Brotherrn abhän-
gig und währenddeß fein eigenes Schickſal dennoch
immer unficherer macht, ift ebenfo ſchleunig als unver
meidlich.
Die Urſache dieſes Zuſtandes findet Geijer darin,
daß, während man dem wachſenden Antheile der Intel⸗
ligenz an der Arbeit nach einer Richtung freien Spiel⸗
raum gelaffen, man fortfährt, ihn in einer andern zu
hemmen; daß, während man fagt, man huldige der freien
Eoncurtenz, man in der That felbft das Princip nit
in allen feinen Folgen anerkannt oder wenigftens bie
einzige, aber nothmwendige Vorausfegung überfehen und
verfannt babe, unter welcher ihre Folgen ſich fret ent-
wideln und möglicherweife allgemein wohlthuend wer⸗
den konnen. _
188
&o kommt denn auch Beier auf das Princip ber
Aſſociation. Es wird von Intereffe fein, einen Mann
wie ihn darüber felbft zu vernehmen:
Das Übel wird überall vom Volke, von den Regierungen
t und beide haben einfchreiten wollen, jedes auf feine
eife. Bei dem Volke bat fich dies blos als Gefühl einer
Krankheit geäußert, die ihr eigenes Heilmittel nicht kennt.
Der Proletarier, deren Maffe in der modernen Geſellſchaft un:
aufhörlich wächft, proteftirt gegen das Eigenthum: er thut es
in der That, er bat es angefangen in Lehre und Überzeugung
u thun. Die Statiftif der Griminalfäle gewährt Belege zu
enem, der Eommunismuß, deflen einziger Glaubendartikel die
Foderung der Gemeinfchaftlichkeit und Gleichheit des Eigen:
thums ift, gibt Belege zu Diefem. Der Socialismus ſteht cine
Stufe böber, wenigftens innerhalb des Gebiets der Bernünf:
tigkeit. arbeitet mit Dem, was man die Drgantfation der
Arbeit nennt, nad) der an und für ſich richtigen Borausfegung:
daß die Keinen Capitalien zufammengelegt und recht verwaltet
wie die großen und zum Gewinne aller Xheilnehmer wirken
müßten. Und es ift wahr: das Affociationsprincip ift ein Ret⸗
tungsmittel der Zeit, allein gewiß nicht blos das induftrielle.
Hierzu wird erfodert, daB das Affociationsprincip felbft ein
höheres, ein edleres Leben erhalte, duß es von dem wahren
Sefammtheitögeifte, der jegt in der Commun, der Corporation,
dem Stande feine alte politifche Bebeutung verloren bat, be
lebt werde. Wie eng die Sorialiften ihr Princip gefaßt haben,
eriheint ſchon daraus, daß fie immer mehr Religion und Staat
beifeite laffen. Auf eine wichtige, an die Öefeggebung gerich⸗
tete Foderung haben fie indeſſen hingewieſen. Schon lange ift
e8 anerkannt geweſen, daß weder die criminelle noch die civile
Geſetzgebung ein Wert der Willkür oder des Zufalls fein dürfe.
Die Zeit ift da, wo fich diefelbe Foderung immer mehr auf
die öfonomilche Gefeggebung der Geſellſchaft erftredit, wo man
immer deutlicher einfieht, daß es fich in dieſer nicht weniger
als in iener von Jedermanns Recht handele; woraus, da das
Geld felbft unter den Sefegen der Arbeit ſteht, befonders folgt,
daß die Gefeggebung, welche, anftatt fily biernach zu richten,
das Geld willkürlich zu fchaffen oder zu reguliren fucht, zu
gleicher Zeit unvermeiblih die Arbeit desorganifire.
Wie die Regierungen bis jegt auch verfucht, gegen
das Übel einzufchreiten, nichts habe gefruchtet; daraus
folge denn deutlich, daß die Kraft des moralifchen, per-
fönlihen Capitals verflärft werden müffe, wenn es nicht
immer mehr unter der Macht des unperfönlichen, bes
materiellen Capital erftidt werben folle, ein folcher
Zweck aber fei nur zu gewinnen duch das Affocia-
tionsprincip.
(Die Yortfegung folgt.)
Hortugiefifbe Dichter.
Der Berf. der „Revelations of Spain’, I. Hughes, gibt
in feinem neueften Werke „The ocean flower, a poem”, unter
welcher „Blume des Weltmeers” er Die Infel Madeira befingt,
zugleich eine überfüchtliche Darftelung der Entdeckungen der
Bortugiefen und der Geſchichte ihrer Seefahrten, endlich eine
Abhandlung über die portugiefifche Kiteratur zum Beften. Er
bemerkt in legterer, mit Ausnahme von Camoens wiffe man im
übrigen Europa nur fehr wenig von porkugiefifhen Dichtern.
Sedo dürfe man, weil der Schatten diefed großen Sängers
die Übrigen ins Dunkel geftellt, nicht annehmen, Portugal
entbehre anderer Dichternamen von Auszeichnung und Ber:
dienft. Denn wenn man in der Zeit nach dem Tode Camoens’
biß zum vorigen Zahrhundert nur auf Ricolao Luiz als einen
Dichter vom erften Range ftoße, deften „Ignez de Caſtro“ ein
herrliches und claſſiſches Zrauerfpiel fei, fo habe Portugal ges
Derantwortlider Herausgeber: Heinrich Brockzangs. — Drud und Verlag von $. EA. Broddand in Leipsig.
—32
gen Ende des vorigen Jahrhunderts Dichter hervorgebracht,
die ſich den beften anderer Voͤlker zur Seite fenen koͤnnken. Us
ein folder wird zuerft genannt Francisco oel Do Rasch
mento oder mit feinem Gchriftftelleenamen Filinto Elizio. Er
war ein Geiftlicher von großer Gelehrſamkeit und vielen Kennt-
niffen, aufs innigfte vertraut mit dem Geifte der claffifchen A⸗
teratur, aber der Inquifition von viel zu liberaler Geſinnung,
als daß fie ihn in Ruhe gelaffen hätte. Er entfloh ihren Ber:
folgungen und lebte mebre Jahre theils in Frankreich theils
im Haag. Ein wie glühender Freund feines Baterlandes er
auch war, fo ward ihm das Glüd nicht beſchieden, daſſelbe
wiederzuſehen. Ex Hat fehr viel gefchrieben und zeichnete ſich
mebr in erhabener Lyrik ald im erotiihen Genre aus, obwol er
auch darin fehr fruchtbar war. Man macht ihm trog feiner Eleganz
die Rachahmung lateinifcher Formen und Redensarten zum Bor:
wurf. Ein anderer zu derfelben Beit lebender Dichter, Manoel
Maria Barbofa du Bocage, genop gleichfalls als folder eines
bedeutenden Rufe. Er ftarb 1805; in der humoriſtiſchen Grab⸗
fchrift, Die er ſich felbft fente, bezeichnete er fein Leben als ein
fortdauerndes ſociales Wunder. Seine Ercentritäten brachten
ihn ins Sefängniß; um der Haft zu entkommen ließ er feine
Mufe fiy demüthigen und dem allmächtigen Minifter Pombal
einige Schmeichelverfe widmen. Bei den Mönchen fland er
in Gunft und wochenlang war er ein gerngefehener Gaſt in ih⸗
ren Klöftern, bis er fie fih durch einige feiner beißenden Sa⸗
tiren zu Feinden machte. Schwelgte er nicht in den Klöftern
umber, fo tafelte und jehte er bei feinen reichen weltlichen Be-
kanntſchaften; doch gab es auch Zeiten, wo er ſich dem größ-
ten Elende preißgegeben ſah. Seine bichterifchen Talente wa-
ven vorzugsweiſe gefelliger Natur. Er war vielleicyt der erfte
Stegreibihter, den die Welt je bervorgebradt. Kann man
Filinto Elizio den Horaz der Portugiefen, fo fann man Bo:
cage ihren Dvid nennen, ja er vereinigt auf wunderbare Weife
bie Gaben diefes römifchen Dichters mit Denen Tibull's und
Martial’d. Meifter feiner Mutterfprade kam er im Wohlflang
des Verſes faft dem großen Camoens gleih. Beine Liebes
gedichte iind wahrhaft bezaubernd; auch hat wol felten ein
ol einen beſſern Überfeger aufzumeifen. Unter den gegen-
wärtigen Dichtern Portugals ift nur einer von Auszeichnung. -
Es ift dies Senhor Almeida Garrett, der Führer der ultra=
liberalen Oppofition am Landtäge; wie als Dichter, fo als
Redner ift er hoch begabt, obwol urfprüngliche Gedankenfülle
ihm verfagt fcheint. Seine Profa ift glänzend und gewaltig.
Seine Dichtungen find zahlreich und nicht der geringfte ihrer
Reize find die Selehrfamkeit und der Reichthum feiner Kenntniß
des Alterthums, die fie beurfunden. 26.
Literariſche Anzeige.
Bolftänbig iſt bei F. UF. Brockhaus in Leipzig er⸗
ſchienen und in allen Buchhandlungen zu erhalten:
Arnd (€2.),
Geſchichte des Nrfprungs und der Eut-
widelung bes franzöfifchen Volks,
d
oder
Darftelung der vornehmften Ideen und Falten, von
denen die franzöfifche Nationalität vorbereitet worden
und unter deren Einfluß fie fi) ausgebildet hat.
Drei Bünde.
Gr. 8. 1844 — 46. 11 Thlr.
Der erfte und zweite Band Eoften jeder 3 Thlr. 15. Ragr.; der
deitte : Band 4 hir.
— — — — —
⸗
Bi
tter
für
literarifhe Unterhaltung.
Dienftag,
a rd EEE, SEE ie
Die fociale Frage.
(Bortfehung aus Nr. 47.)
Wir haben gefehen, dag der Gefchichtfihreiber Schwe⸗
dens fih in Beziehung auf die Concurrenz und die Herr-
fchaft des Geldes zu Grundfägen beiennt, welche ganz
focialiflifh genannt werden können, wir müffen nun
aber auch nachmweifen, wo er dem Socialismus entfchie-
den den Rüden zumenbet.: Verfolgen wir feine Erörte-
rungen über das Affociationszrincip:
Man kann den Charakter der focialen Ummälzung, welche
wir täglich ver Augen ſehen, mit den Worten bezeichnen, daß
der Staat mit dem Yuselnanderfegen des Bankrott ber
Sorporationen beſchaͤftigt fei. Gewiß hat er dadurch allzu viel
zu fchaffen befommen, und wird ihm nicht bei Zeiten von ei-
nem neuen Aſſociationsprincipe beigefprungen, fo ift er wahr:
Icheintich der Aufgabe nicht gewachſen. In induſtrieller und
finanzieller, in literarifcher und wiffenfchaftlicher, in moralifcher
und religiöfer Hinſicht zeigt fich dieſer neue Affociationsgeift.
Ale diefe Affsciationen, Geſellſchaften, Vereine zu eigenen und
allgemeinen Zwecken gehören zu den Zeichen der Zeit. Dies
iſt die mit der Beweglichkeit der Arbeit ebenfalls beweglich ge:
wordene Corporation, in welcher die anrüdenden Hülfstruppen
des neuen Staats fihtbar werden. Allein der eigentliche Aus:
druck des Gefammtgeiftes ift der Staat. Er hat feine Beit
in den Ständen gehabt, von denen ein jeder auf feine Weife
‚einmal die ganze Gefellichaft zu beberrfchen gefucht hat. Sie
find einzeln genommen blos Ausdrud des unvollftändigen Aſſo⸗
ctationsprincipd. Das eigentliche Leben dieſes ift politifch.
- @&o bat ed fich einmal bei einer herrfchenden Prieſterſchaft, bei
der aufblühenden freien Commun geäußert ; bis nach gegenfei-
tigen Kämpfen das Aggregat von Eorporationen, welches Die
Geſellſchaft des Mittelalters war, unter die Gewalt der Staat:
einheit und Koͤnigsmacht fiel. Diefe äußere Staatseinheit ift
endlich umgeſchlagen und hat fih als Bebürfniß einer innern
&taatdeinheit bei dem Wolle entzündet. Dieſes Bebürfniß hat
das Bewußtfein erzeugt, daß Beine Claſſe von den Mitgliedern
der Geſellſchaft jegt von dee Theilnahme ebenfalls an den po:
litifhen Rechten ausgefchloffen werden dürfe. Es ift das
politifche Leben, was bis zum Volke herabgebrungen iſt. Dies
anerkennen beißt blos Das anerkennen was iſt.
So ift Seiler denn glüdlich von feinem focialifti-
fhen Anfluge wieder auf den politifhen Grund und
Boden zurüdgelehrt! Staat und Religion follen die
Regulatoren der Zukunft fein. Die Religion Täßt bie
Derfönlichkeit nicht frei werden, ſondern bindet fie als
eine „mitgetheilte von oben’; der Staat, nachdem Geijer
einmal gejagt hat, daß die Gleichheit der Menfchen kein
Ariom, fondern nur ein Poftulat fei, welches im Einzel-
—— Nr. 48.
17. Februar 1846.
nen bewieſen fein müſſe, tritt mit feinen politiſchen Fo—
derungen trennend und ungleich berüdfichtigend ein; er
macht fein ganzes biftorifches Material geltend und Die»
fen hiftorifhen Spaltungen und Gegenfägen gegenüber
ſetzt Geijer in dem Königthume die Idee der Staats-
einbeit. Es kommt uns bier nicht darauf an, eine De-
duction feines politiihen Bewußtſeins zu liefern, nur
feine fociale Auffaffung fann uns befchäftigen, und ba
leuchtet es denn ein, baf fie, ungeachtet des richtigen
Blicks, welchen er in das Weſen der Concurrenz und
in bie Stellung des Volks zur Mittelclaffe geworfen
bat, noch fehr befangen geblieben ift. Er fagt, die So⸗
sialiften haben ihr Princip zu eng gefaßt, weil fie im⸗
mer mehr Staat und Meligion beifeite Taffen, aber ger
vade im Gegentheil, indem fie diefes thun, bemeifen fie
die Weite ihres Principe und bie Größe ihrer Fode⸗
rung. Bei Getjer ift der Begriff der Gefellfchaft noch
nicht weder mit den hiftorifhen Kormen ber Politik
noch mit den Symbolen der Religion in Widerſpruch
gerathen, er möchte ſich unter ihnen entwideln und ih⸗
nen accommobiren und Religion und Staat ale Herr-
fher und Ordner anerkennen; der fociafiftifche Geſell⸗
ihaftsbegriff Hat Religion und Staat durchbrochen und
ſich auf eigene Koften geftellt. Es gab eine Zeit als
die Religion in ihrer wirklichen Erfcheinung, der Kirche,
bie Welt beherrfchte und der Staat ihr vollfommen un.
terthan war; allmälig rüdte der Staat an den Plag
ber finfenden Kirche und bie Einheit des Staats, das
politifche echt wurde der Regulator der Welt und bes
Lebens, im Gange der Neuzeit aber fehen wir, wie Eu-
ropa in feinen politifhen Geftaltungen immer mehr er-
fhöpft und die Wirkungen des conftitutionnellen Regi-
ments fein befferes Reſultat liefern al6 bie des monarchi⸗
fhen. Da tritt eine neue Macht hervor, die Macht ber
Gefellfchaft, zugleich die aͤlteſte Macht, älter ale der
Staat, ben man fich nie ohne Regierungsmacht wirb
denken können. Iſt es nun natürlich, die politifhe Forw
des Staats ald den Beherrfcher der neuen Ordnung an⸗
zuerfennen und geräth der hiftorifche Staat nicht überall
in einen entfchiedenen Conflict mit ihr, 3. B. Tann der
Staat das Proletariat aufheben, kann es bie Sache bes
Staats fein, eine Regelung des Arbeitslohnes geltend
zu machen? Zwar redet man häufig von einem freien
Staate, von einem Staate der Zukunft, auf dem man
als tabula rasa operiren will, aber eben. nur Das ift
der wirflihe Staat, als was er ſich hiftorifch entwickelt
hat, mit feinem ganzen politifhen Formalismus, mit all
feinen ungleihen Berechtigungen und Foderungen. Er
kann nicht dee Here der neuen Ordnung fein, er ebenfo
menig als die Religion. Diefer Gegenfag zwifchen bem
neuen Princip und dem alten ift für Geijer noch ver-
fehleiert geblieben, es ift aber nicht zu verwundern, wenn
“ man bedenft, daß Schweden von der großen Krifie,
welche das mittlere Europa immer gewaltiger erfaßt,
nur erft fehr mittelbar berührt wird, und wir mögen in
den Entwidelungen des großen Gefchichtfchreibers über
die Concurrenz u. f. w. immerhin die Überzeugung ge:
winnen, daß auch dort der neuen Weltordnung vorge:
arbeitet wirb unb die Gegenfäge, wo fie bie jegt noch
nicht klar geworben, ſich allmälig immer beflimmter her⸗
ausſtellen werben.
Nr. 3. Bettziech, „Geld und Geiſt“. Wir wüf-
ten nicht au fagen, daß die Lecture diefer Schrift einen
befondern Eindruck auf uns gemacht hätte und daß
fie ein erhebliher Beitrag wäre zur Loſung der fo-
eialen Frage. Sie ift etwas allzu fehr ein berliner
Product, es fehlt ihr die Ruhe, der Ernft; ſtatt der
gründlichen Erörterungen tritt uns überall eine jour:
naliftifche Klüuchtigkeit entgegen und Facta und: Ro-
tizen, aus Journalen und ftatiflifchen Zabellen befannt,
find mit focialiftifcher Prädicantenmanier zu einem un«
vohftändigen Ganzen verbunden. Diefe Schrift, welche
zwifchen Broſchüre und Buch hin« und herſchwankt, ar-
beitet etwas allzu fehr auf den bloßen Effect los, zu⸗
weilen wigelt fie, zumeilen heult fie und Beides wollen
wir nieht, we nur ber fichtende Ernſt in feinem Berufe
if. „Gelb und Geiſt“ beſteht eigentlich nur aus ver-
ſchiedenen Sournalauffägen ohne innere Einheit, wenn
wir nicht die Declamation, welche von Anfang bis zu
Ende durch das Buch geht, dafür nehmen follen.
Zuerſt predigt der Verf. gegen die Autokratie bes
Geldes: „ntthronung des Geldes, des Rothſchildiemus,
des furchtbarften Fetiſchismus.“ Er fagt:
Wollen's ehrlich verfuhen, das Gelb wieder auf fein
Kichts zurädzuführen und nachzumeifen, daß der goldene und
füiberne, lockende Schein Fein eigener, nur ein geborgter fei,
wie der Mond, diefer Foloffale Louisdor des Himmels, nur mit
dom Lichte der Gonne die Raͤchte ſchwach beleuchten kann.
An diefem Zone geht's weiter. Was ber Verf. num
nd, das ift ſchon lange vor ihm gefchehen und
über das Berhältnig der Probuction zur Confumtion,
des Lohnes zur Arbeit ift Längft Beſſeres gefagt worden
als er zu fagen vermag. Der Verf. behauptet, das
Geld ſei Selbſtzweck geworben und darin berube der
Grund altes Elends. Nichte ift unwahrer als dieſe
Behauptung. Zwar beherrfcht das Geld alle Zuflände
des Lebens, aber es ſelbſt flieht wieder unter einem
höhern Geſetz, es iſt Bedingungen unterthan, bie fich
durchaus nid anf den tedten Selbſigweck des Geldes
zurüdführen laffen. Keine Zeit widerfpricht der leeren
Behauptung bed Verf. fo ſtark als die unferige. Das '
Geld ift ihe nur ein Mittel, aber darin, daß es ein
Mittel für Alles geworben, daß es bie Welt in
„Bemittelte” und „Unbemittelte getheilt bat, dußert
es feine furchtbaren, zerflörenden Wirkungen. Der Verf.
geht alfo in feinen Phantaften fogleih von einem un-
wahren Vorderfage aus und muß fich, in Folge deffen,
immer mehr in eine unbeflinmte Declamation verlieren.
Wir erhalten da denn auch wieder ein hübfches ſtaat⸗
liches Utopien; „es komme nur darauf an, baß der
Staat zu feinem Begriffe komme, fein Weſen und feine
Aufgabe erfaffe und duchführe”; der „Staat” fol die
„Volkskraft fihten und erlöfen” koͤnnen. Wenn ber
Staat das Heil der Zukunft bringen kann, fo macht der
Derf. ihm darin den flillfehweigenden Vorwurf, daß er
allein Schuld fei an dem jegigen Elend des Volks! Er
hätte ja den „furchtbarſten Fetiſchismus“ nicht auftom-
men laffen müffen! Das Eine ift ebenfo falfh als das
Andere! Die Affociafion befiegt, nad) dem Verf., den
„Rothſchildismus“ nicht, aber fo befchränkt ift fein Ge»
dankenkreis, daß er fih außer Stande zeigt, das Prin-
cip ber Affociation zu begreifen und aus ihrer Unzur
länglichteit im Einzelnen die Unzulänglichkeit ihres Prin-
cips nachweiſen will! So local=berlinifch wird er, daß
er ſich einbildet, die Unzulänglichkeit der Affociation ge-
zeigt zu haben, indem er berichtet, es befiche in Berlin
eine „geheime Affociation‘ zwifchen Kleifchern und Bädern;
Fleiſch und Brot feien bei gefleigerten Preiſen des Ma-
terials wol theurer, aber die Preife nicht wieder herab-
gefegt worden, nachdem die Preife des Materials gefal-
fen waren! Was iſt gegen ein folches Weifbier-Philifter-
Raifonnement zu fagen!
Die „Concurrenz“ gibt dem Verf. nun Gelegenheit, -
recht dicke Schlaglichter aufzufegen. Die „Concurrenz“
ift den focialiftifchen Praͤdicanten ganz fo ein Schlag-
wort geworden wie den politifchen Liberaten Volkésver⸗
tretung, Offentlichkeit and Mündlichkeit u. f. w. Wem
ed interefjant ift, etwas Näheres über ben Ginfluß der
Concurrenz auf die berliner Lebensverhältniffe zu erfah-
ren, der wird hier wancherlei Journalnotizen zufammen-
getragen finden, eine beftimmte Auffaffung bes Eoncur-
renzprincips, eine allgemeine Entwidelung beffetken er⸗
warte man nicht. So predigt der Verf. z. B. aͤußerſt
eifrig gegen bie „Nippfachen“ ber berliner Damen. Es
tft aber feltfam, wie der Verf. das Princip ber Eoncur-
renz verkennt. Er eifert 3. B. dagegen, daß die 15
Schornfteinfeger Berlins durch policeiliche Maßnahme
gegen Vermehrung gefhügt find und daß baffelbe auch
bei den Apotheken, GBafthöfen und Droſchkenkutſchern
gilt. Wie gleichgültig iſt eine ſolche Ausnahme für das
durchwirkende Princip der Concurrenz, fie ſchwächt es
weder noch ſteigert ſie es; nur wenn man der Concur⸗
renz des Capitals bie Concurrenz der befreiten Arbeite-
kraft oder die Organiſation der Arbeit entgegenſtellt,
kann ſie richtig kritiſirt werden. Ob innerhalb des Ca⸗
pitalmonopols und bei der allgemeinen Anerkennung bes
191
Concurrenzprincipe hier und da auch noch Schug gegen
weitere Concurrenz ftattfindet, ift für die große Frage
nicht anders als volllommen gleichgültig zu nennen!
Aber freilich, in dem unklaren Gebantengange des Verf.
fpielt das politifche Element, der „Staat“ und Ale,
was er thun umd laffen fol, eine nicht unbedeutende
Rolle. Keineswegs iſt der Verf. irgendwie über ben
Standpunkt Louis Blanc's hinausgelommen.
Wenn der Berf. mit berliner Localfarben malt, ge-
fällt er uns weit beffer als wenn er allgemeine Stand⸗
punkte einnehmen und behaupten will, 3. B.:
Eine eigenthümliche Frucht des ſtaͤdtiſchen Gelddienftes
find die berliner Laufburſchen. Diefe Laufburfchen find weder
Männer, noch Zünglinge, noch Knaben, weder Gefinde, noch
Zagelöhner, noch Hausdiener, fie find alles und nichts, fie find
General: Stadtpoften u. dgl. Man klagt allgemein über ihre
Beruntreuungen, Lügen und Betrügen, über ihre Tücke und
Berfchmigtheit. Sie bilden wie die Lohnbebienten (auch ein
Product der Geldherrfchaft) eine Art Zunft und haben wie
diefe ihre Herbergen und Niederlagen. Es foll über 2000
profeffionirende Burfchen der Art von 12—16 Jahren in Ber:
lin geben, die überall herumlaufburfchen von Dienft zu Dienft,
bie fie, in allen Arten der Betrügerei routinirt und moralifch
ruinirt, nidyt mehr als Laufburfchen unterfommen und nichts
gelernt haben. Sie laffen fih dann zu freien Rittern der In:
duftrie fchlagen und fuchen fo lange als möglich als Gauner,
Bagabunden und Spigbuben auf flottem freien Fuße zu leben.
Ungefähr 200 diefer Burfchen find beftändig brotlos. Ihr ein:
ziger Troſt ift im Intelligenzblatt die Rubrik: „Dienfte und
Beichäftigungen, wozu Perfonen verlangt werden.” Hier geht
ed ſtets auf Zod und Leben. &o haben denn mehre Keller:
ſchaͤnken dieſe Verhaͤltniſſe fpeculativ genug benupt. Sie er:
hatten täglich gegen geringe Zahlung vom Intelligenzcompfoir
jene Rubrik befonder6 voraus. Damit locken fie brotlofe Be⸗
Diente, Wrbeiter und Laufburfchen in ihre Kujelhöhlen, wo fie
natürlich wenigftens für einen Dreier fpirituöfen Troſt zu ſich
nehmen. Der Zunge von 12—14 Jahren fegt auch eine Ehre
darein, möglihft viel Schnaps vertragen zu Ponnen. Bo
blühen diefe milchbärtigen Knaben bald mit rother Raſe und
vergiften fih körperlicd und moraliſch. Der „angeftellte‘' Lauf:
burſche bleibt feinem Keller treu und hält die brotiofen &olle:
gen von dem Ertrage feiner Betrügereien frei u. f. w.
Auf dem Felde diefes Berlinismus, in ber Ver⸗
fprigung von berliner Localtinten ift der Verf. weit bef-
fer zu Daufe als in ber allgemeinen theoretifchen Be⸗
handlung principiellee Kragen; dafür reicht weder das
Material, über welches er gebietet, aus, noch überhaupt
der berlinifch » befchräntte Horizont feiner Bildung. In⸗
tereffe verdient, was der Verf. uber das berliner Zei-
tungsmwefen fagt, nicht vom ibeellen Standpunkte aus,
fondern vom Staudpunkte des Rechte zu leben, mate-
riell zu erifliven; Dies ift für ihn eine „Meffer- und
Gabelfrage“, und es ift allerdings ein auffallender Ana⸗
Hronismus, daß man in Preußen im Bereiche ber
Sreiheit die Befchräntung und Hemmung geſetzlich be-
fiehen läßt, während man im Kreife der Unfreibeit, im
materiellen Thun und Treiben, bie Freiheit zum Prin⸗
cipe erhoben hat. Der Berf. fagt über das berliner
Zeitungsiwefen:
Was in Berlin ſelbſt erſcheint, halt man im ber Regel für
das Schlechteſte, was in Bezug auf die peeußifchen Beitungen
auch fehr genau er Jeder, ber Zeitungen lieſt und kennt,
wird zugeben, daß Die Voß'ſche und Spener'ſche Zeitung unter
allen preußiſchen Zageblätttern an Inhalt und Zorm bi ⸗
terſte Stelle einnehmen. Ihre in geiſtiger Ziehen und wer
gleich zu andern Beitungen niedrigfte Induftrie fteht gleichwol
in materieller Hinſicht am hoͤchſten. Die Beitungen find name-
lich ns neben ihnen dürfen fich Feine neuen Organe
ber Zeit auf thun. Während materielle Arbeitskräfte ſich unge:
zügelt befriegen dürfen, ift e8 den geiftigen Kräften, wo der
Krieg der Bater alles Guten, Rechten, Wahren ift, unmoͤglich
aufeinander zu plagen. ‚„Raffet die Beifter aufeinanderplagen
fagt Suther. So nigt die Zalentlofigkeit Hier fiher und feft in
ihren Privilegien und zieht alljährlich Maffen Geldes aus dem
Volke, von welchen unzählige tüchtige Arbeiter im Weinberge
des Herrn leben Fönnten. Daß foldhe privilegiete Zeitungen
auch den Sinn für Offentlicheit und fociale und pofitifche lt.
dung überhaupt niederhalten, geht ſchon aus der Gefbtaktif
derfelben hervor. Einige hanbwerksmäßig thaͤtige und talent:
lofe Zeute beforgen den Zeitungsinhalt. Iſt da etwas zu be
tihtigen, beffer Darzuftellen, wahrer, eindringlicher, ift Jemand
geiftig ober materiell beleidigt, ift eine Tagedfrage, ein öffent:
liches Intereffe fchief und einfeitig oder gar lügenhaft darge:
ſtellt, fo entftcht in allem Betreffenden die Nothwendigkeit, das:
Nöthige dagegen zu fagen an bemfelben Orte, in derfelben Bei»
tung. Dazu bat jeder Betreffende und jeber Betroffene ein
Recht und die moralifche Pflicht. Wil er aber fein Recht aus:
üben, feine Pflicht thun, fo muß er fich erft die Erlaubniß dazu
a Zeile 2 Sgr. erkaufen. Die Wenigften haben Geld genug,
ber Dffentlichkeit immer mit Opfern zu dienen. Ganz natür-.
lich ift ſhon deshalb die Abneigung und der geringe Sinn für
Dffentlichkeit, weil fie als Geldinftitut in den Händen einiger
Menſchen ift, die ſich in Berlin noch dazu durch entſchiedene
Jalentloſigkeit als unfähig beweiſen. Wodurch hat Hr. keſſin
ſeinen Beruf, ein Organ der Preſſe zu leiten, je bekundet‘
Wodurch hat es Hr. Dr. Spiker gethant Haben fie werthvolle
publiciſtiſche Werke geſchrieben? Haben fie dem Staate, dem
Bolke, bem Gemeingeifte irgendwie bejondere Dienfte geleiftet ?
Daß ich nit wüßte! So lange ſolche privilegirte Inftitute die
Offentlichkeit fortwährend beeinträchtigen und ausbeuten, ift
an Fein Gebeihen und Erſtarken einer öffentlichen Meinung
und eined ſittlichen „politiſchen Gemeingeiſtes zu denken. Die
privilegirte „Koͤlniſche Zeitung bringt dem privilegirten @i-
genthümer, Buchhändler Dumont, jährlih über 21,000 Thaler
„reinen“ Uberſchuß. Davon könnten 24 deutfche Beifter praͤch
tig leben und ſchaffen, jept fallen fie einem einzigen Buchhänd-
ler zu, der als folder nicht einmal was Nechtes für die deut⸗
[de Literatur zu thun verfteht. Stockholm hat mit 80, o00
Einwohnern ſechs politifche Zeitungen, Berlin mit beinahe
400,000 @inwohnern nur zwei, benn die „Preußiſche Allge-
meine” kann man gar nicht mitzählen. England bat über
370 größtentheils politifche Zeitungen, welche zum Theil in ber
ganzen Welt gelefen werden, Preußen dagegen unter mehr ale
450 Zeitfgriften nur 42 politifhe für 15 Millionen Einwoh:
ner, zu benen body nody einige Millionen andere Deutfche kom:
men, die fi für Preußen intereffiren. Schweden hat für feine
3 Millionen Einwohner 120 Beitfchriften, unter denen gewiß
mehr als 42 politifche fein werden. Juſt in Preußen, bem
Stoate der Intelligenz, ift bie erfte und frifchefte Quelle ber
Intelligenz, die Preſſe, am dürftigften.
Wo dem Bar. keine Kocalverhältniffe zu Hülfe kom⸗
men, zeigt er fich ziemlich unfähig zur feldfländigen Be⸗
handlung der großen focialen Fragen. So findet fich
denn in der ganzen Schrift auch eigentlich kein einziger
Auffag, der auf eigenen Füͤßen flände, ber ein wahr-
haftiges Studium des Verf. verriethe. Er bat ale
Fournalift eine Menge verfchiedener Bücher und Bro-
ſchüren, aber wie es ſcheint ohne Ordnung gelefen, die’
Grundzüge diefer verfhiedenen Bücher zieht er aus und
umwirft diefelben mit einem pathetifchen, focial fein ſol⸗
192
Ienden Raifonnement. Stil bat ihm gefagt, das Geld
fei Selbſtzweck geworden und er fagt es getreulich nad;
2. Blanc und felbft U. Weil müffen für die Concur⸗
ven; als Stügpuntte dienen. Was über Landgemeinden
gefagtewirb, iſt faum etwas Anderes al6 ein Auszug
aus der Schrift: „Die Kandgemeinde in Preußen” von
M. v. Lavergne-Peguilden. Das Pofitive im Auflage
„Der Geldfleiß“ Ichnt fich wieder an Hoffmann's Bro⸗
ſchüre „Die Macht des Geldes” an, woraus denn auch
wörtlich die Mittel gegen die Macht des Geldes ange
geben werden u. f. w. Mit einem Worte, wir haben es
bier mit einem SJournaliften zu thun, der es verfchmäht
bat, eigene, gründliche Studien zu machen und ſich be
fähigt glaubt, durch Iufammentragung einer ungeordne-
ten und unverarbeiteten Lecture und Piquanterien auf
einem Gebiete erfcheinen zu Dürfen, wo nur der größte
Ernſt und die reinfte Selbftändigkeit berechtigt werden
kann. Wir müffen eine ſolche Frivolitaͤt um fo flärker
zügen, je mehr es zu fürchten ift, daß wir durch fie ei-
nen Wuſt fogenannter focialer Kiteratur erhalten, wel-
cher die eigentliche Brage nur verdunkeln und die Em-
pfänglichkeit für fie und ihre Confequenzen mit feinem
feeren Pathos verderben kann.
So unfelbftändig, ſchwach, ungleihmäßig und incon-
fequent ber Verf. nun ſchon da ift, wo er fi an einer
Kritit des Beftehenden verfuchen wollte, fo ganz unfähig
wird er da, wo er anfängt, von der „Organifation der
Arbeit‘ zu peroriren. Der arme Dann kann auch bier
wieder nichts Anderes thun ale fih an Hoffmann lehnen.
Bei den Handwerkern foll dadurch eime „Organiſation
der Arbeit‘ erreicht werden, daß die Gefellen fich wie:
der fefter an den Meifter ſchließen und mit ihm an fei-
nem Bamilientifche effen; die Fabrikarbeit fol dadurd)
organifirt werden, daß der Fabrikant verpflichtet wird,
feine Arbeiter zu verforgen und „dadurch würden bie
Menfchen einander fo befreundet und genähert, wie fie
fich jegt entfremdet und entgegengefegt werden”; bei den
Landbebauern foll es verhältnigmäßig ebenfo fein, „und
das Taglöhnerwefen, diefe Quelle des bdörflihen Pau-
perismus, würde allmälig verſchwinden“ u.f. mw. Nach—⸗
dem der Verf. anfangs mit lautem Gefchrei gegen bie
Concurrenz zu Felde geritten, will er dieſes Princip,
welches die Welt beherrfcht, plöglich patriarchalifch über:
winden, allein eigentlich will er «8 nicht, fondern Hoff:
mann und er fpricht demfelben nur nah. Nachdem er
anfangs den ganzen Weltzuftand als verderbt und vom
„Selbſtzweck des Geldes’ beherrfcht gemalt, will er mit
Nalliativmittelchen helfen; nachdem er einmal Alles da-
von erwartet hat, dag „der Staat zu feinem Begriffe
komme“, foll diefer Begriff durch eine Steuer erreicht
werden und diefe Steuer uns von Pauperismus, Selbft-
zweck bes Geldes und wer weiß wovon fonft noch er-
(öfen! Doch genug von einer folchen Confuſion und von
einem Buche, welches wir unmöglich anders als voll-
kommen verfehlt bezeichnen koͤnnen!
‚(Die Kortfegung folgt.)
Literarifhe Notizen aus England.
Englifhde Shmähungen gegen Rorbamerika.
Wieder hat fi) der Unmuth Sohn Bull's über feinen Stief⸗
fohn jenfeit des Weltmeers, der, nachdem er fein bevormunden-
des Joch abgetworfen, ed zu Ehren und Anſchen in der Welt
gebracht und es ihm felbit an Macht und Einfluß allenthalben
wettzuthun fucht, durch reiche Gallergießungen in ben Reife:
berichten eines gewiffen Rubio Luft gemacht, welche unter dem
Zitel „Rambles in the United States and Canada, during
the year 1845, with a short account of Oregon’ erſchienen
iind. Rah diefen Schilderungen bliebe, mit Ausnahme der
Schnelligkeit ihres Neifens, Bein gutes Stückchen an den Buͤr⸗
gern der Bereinigten Staaten. Selbſt die Schilderungen ber
Mrs. Zrollope und des Hrn. Featherftonehough find Schmei⸗
heleien im Vergleich zu Dem, was Rubio den Amerikanern
nachfagt. Die ganze Ration ift ein Haufen ven Schurken und
Schuften ohne Ausnahmen, geiftig und leiblich entartet und
verderbt. Nicht einmal dem ſchoͤnen Geſchlecht gefteht er eine
Auszeichnung zu, indem er behauptet, er habe in einem Sage
in London mehr hübſche Frauen gefehen als in ganz Amerika
während feines langen Aufenthalts bafelbft. Raturlich fehlt es
auch nicht an Prophezeiungen, daß die Preiftaaten über kurz
oder lang in Zrümmern geben und die Monarchie auf denfel:
ben ihren Herrſcherſtuhl auffchlagen werde. Die Amerikaner
mögen darüber lächeln; wiffen fie doch, daß felbft auf diefer
Scite der Waſſer Zaufende und Hunderttaufende in ihrem
Staate den Fünftigen Träger der fortfchreitenden Kivilifation
erbliden, wenn einft dem hereinbrechenden Barbarenthum des
Dftens die policeilich gefchulten und zum ſchweigenden Gehor⸗
ſam gewöhnten Staaten des Weſtens ſich werden beugen müf:
fen. Diefes Schmäben des amerifanifhen Ramens aus allen
Winkeln und Eden des monarchiſchen Europa ift nur ein Be
weis, wie Plein und ohnmächtig man fich dem erblühenden freien
Weltkoloſſe gegenüber fühlt.
Großes Buhhändlerunternchmen.
Der londoner Buchhändler Bogue gibt unter dem Zitel
„Ihe European library’ eine Reihe „der beften Werke der be»
ſten Schriftiteller’' heraus, beideren Auswahl er von dem Geſichts⸗
punfte ausgeht, „daß die hoͤchſten Beftrebungen der menfchlichen
Intelligenz, Die, wie es zum allergrößten Theile gefchehen, von
Männern des Volks ausgegangen, auch dem Volke vollfommen
faßtich find; und daß für die Erhebung des Volfögeiftes in Zukunft
nichtö nothwendig iſt als ihm in greifbarer Form den gefammelten
Geiſt darzubieten”. Deshalb follen in diefer Sammlung die
großen fhriftfteflerifchen Werke jedes Landes und jedes Zeit
alter6 Play finden, um diefelben zum Gemeingut jeder Haus⸗
haltung zu machen. Bis jegt find von diefer „Europäifchen Biblio»
thek“ erichienen Roscoe's „Life of Lorenzo de Medid, cal-
led the magnificent”, und Guizot's „History of the English
revolution”, überfegt von William Hazlitt.
Zudenemancipätion.
Auch in England zeigt fih unter den Juden eine Partei,
welche die Emancipation ihres Stammes nicht allein von einer
Entfernung des äußern noch auf ihm laftenden Drudes erwar⸗
tet, fondern durch eine innere Wiedergeburt, burch die Befreiung
des Geiſtes von den Feſſeln menſchlicher Sagungen diefem
Zwecke näher zu kommen hofft. Von diefer Anſicht gebt die
fürzlich erfchienene Schrift ‚Jewish emancipation’” aus. Der
Berf., felbft ein Jude, fagt in dieſer Beziehung: „Keine
Ketten find drüdender als die ben Geift feffeln; Beine Knecht⸗
ſchaft ift entwürdigender als die moralifhe; Feine Gewalt ift
fo — als die ungebändigter Leidenſchaften; Feine
Herrſchaft fo tyrannifch als die unferer eigenen Vorurtheile und
Froͤmmelei.“ Jedoch bleibt diefer Reformator —E bei
der Anerkennung des Pentateuch als Ausfluß göftlicher ofen
barung fteben. 12,
Verantwortlicher Herausgeber: Geinrich Wrodbans. — Drud und Verlag von J. X. Brockhaus in Reipzig.
Blätt
er
für
literarifde Unterhaltung.
Die fociale Frage.
(Bortfehung aus Nr. A)
Ar. 4. Mel, „Die Armuthsnoth in ihrer wah—⸗
ven Entſtehung und fichern Befämpfung”. Der Verf.
dieſer Leinen Schrift ift Lehrer in einer Fabrik⸗
gegend, er Tommt dadurch in eine unmittelbare Be-
rührung mit den armen und arbeitenden Claffen. Wie
er über ihre Noch und ihre Lage denkt, bietet er uns
in den wenigen Bogen. Wol ſchon feine Lebensftellung
hat es ihm unmöglich gemacht, unfere geſellſchaftlichen
Berhältniffe frei von oben zu betrachten und bie Adern
des Lebens überalf hin richtig zu verfolgen, er bewegt
fid) deshalb nur auf dem moralifchen Standpunkte und
bat ganz vorzüglich die Commune im Auge. Daß ben
Sommunen in der Arbeitöftage unendlich viel zu thun
bleibe, daß fie durch richtige Auffaffung bes Verhältniffe
ımenblih viel nugen und abwehren konnen, wirb mol
Feder zugeben müffen.
Anfange die bürgerliche Gefellihaft im Kleinen. Run
aber hat fich die bürgerliche Gefellfchaft im Großen ge-
funden und die großen focialen Garantien übernommen;
allein auch die kleinern localen, welche für die Sorgfalt
der Commun übrig find, verfiechen ohne das Leben, wel⸗
ſches nur der Zuſammenhang mit den großen ntereffen
und Bedingungen der Gegenwart gewährt. Kine bloße
Betrachtung der Armuth vom communalen Standpunfte
tarın deshalb ebenfo wenig genügen als bie blos mora-
liſche Beurtheilung derſelben.
Der Verf. ſagt: „Daß der Wohlſtand in Stadt und
Land im Allgemeinen ab=, dagegen das Armutheverber:
ben zugenommen hat, das ift eine nicht zu Teugnenbe
traurige Thatſache.“ Diefe Thatfache nimmt er hin, er
Laßt fich nicht auf alfgemeine Unterfuchungen ein und glaubt
die Armuth auf vier Quellen: Arbeitslofigkeit, Arbeits:
unluft, Verſchwendung und Berwahrlofung der Kinder
zurüdführen zu können. Aus der Annahme diefer vier
Quellen geht beutlich hervor, daß der Verf. über das
Weſen des Pauperismus zu feiner principiellen Klarheit
gefommen tft, jondern ihn immer noch mit ber alten
gewöhnlichen Armuth zufammenfegt, während er felbft
den Buftand des Proletariats folgendermaßen ganz rich-
tig darſtellt: Ä |
Bei vielen unferer Arbeiter iſt aber wegen des kaͤrglichen
Die Commune war in ihrem |
täglicgen Verdienftes eine Erfparung für Fünftige mitliche Ver⸗
bältnifie durchaus unmöglih. Das täglihe Einkommen in gu
ten Beiten reicht kaum Hin, die allernothwendigften Bedürfntffe
zu befriedigen, und jegliche Schmälerung oder wol gar Stodun
des gewohnten Verdienftes führt unaußbleibliche Dürftigkeit
und Mangel herbei. -
Hier hat der Verf. felbft das Weſen bes Proleta-
riats gezeichnet. Hier ift nicht von einer zufälligen Ar⸗
beitsfofigkeit, noch auch von einer Arbeitsunluft die Rede,
fondern Das ift die Sache, daß ber Arbeiter von der
angeftrengteften Arbeit nicht fo viel hat, um leben zu
können. Ferner: “
Es treffen aber leider Beiten in Fabrik⸗ und andern ®e-
genden ein, in weldhen es wirklid an der gewöhnlichen Arbeit
und fomit an Gelegenheit zu der gewohnten Beichäftigung
fehlt. Dieſe Perioden find theil6 von regelmäßig wiederkehren-
den, theil® von ganz zufälligen Seitverhäftnifien abhängig.
Doß 3. DB. der Maurer, der Schleifer, der Schiffer bei anhal⸗
tendem Froſte zur Winterzeit feinen gewöhnlichen Befchaftigun:
gen nicht nachgehen ann, liegt in der Ratur ber BAR es
ift dies alſo gar nichts Ungewoͤhnliches, nichts uͤberraſchendes,
die Art der Beſchaͤftigung dieſer Arbeiter bringt das fo mit
fih. Wußerdem können aber auch andere, namentlih alle Fa⸗
brifarbeiter in den Kal kommen, ihre gewohnte Beſchaͤftigung
zum Theil oder ganz einftellen zu müflen. Der ungertrennliche
Sefährte folder Störungen ift dann Armuth und @lend, Roth
und Jammer. | |
Der Berf. hat bier ebenfo. einfah als wahr bie
Wirkungen des Induſtrialismus dargeftellt und er muß
alfo zugeben, daß. die Grundquelle des Pauperismus in
‚Zuftänden beruht, welche der Arbeiter mit alter morali-
{hen Kraft und aller Arbeitsluſt unmöglich aufheben
fans, ſondern welche ihn willenlos als eine Dtafchine
benugen und vernichten. Der Verf. empfiehlt den Ge⸗
meinden dagegen Beichäftigung. der arbeitslosgewordenen
Arbeiter. Das ift allerdings eine augenblidliche, aber
durchaus feine dauernde Hülfe, und einer einzelnen Ge⸗
meinde ftehen nichts weniger zu Gebote als bie Mittel,
wodurd dem Principe des Induſtrialismus entgegenge-
wirft werden koͤnnte. Es wäre zu wünfchen gewefen,
der Verf. hätte fih das Weſen des Proletariats und die
Ratur des Induſtrialismus, wie er fie ganz richtig an-
gegeben, etwas fhärfer in ihren Urfprüngen und Gon-
fequenzen entwidelt. Er hätte. dann unmöglich in ben
Fehler verfallen können, welchen ex jegt dadurch begeht,
dag er neben ber unnatürlichen Arbeitsloſigkeit, welche
durch den Induſtrialismus, die Eoncurrenz u. f. 10. her⸗
194
vorgebracht wird, Arbeitsunfuft, Verſchwendung und Ver⸗
wahrlofung ber Kinder ald Quellen ber modernen Ar⸗
muth betrachtet. Die PVerwahrlofung ber Kinder if
feine Quelle, fondern nur eine Kolge der modernen Ar-
muth, und die Verfchwendung und Arbeitsunluft, wo fie
aus den Wirkungen des Induftrialismus refultiren, find
als folche Refultate ebenfo Feine Quellen, fondern nur
Folgen. Der Verf. ſcheint Armuth und Pauperismus
nur allzu oft zufammenzubringen und miteinander zu
vermechfeln. Er legt ſich Häufig auf das Moralifiren,
wo er unterfuchen folltee Dennoch hat er fo viel ge-
funden Verftand, dag er immer wieder das Richtige trifft.
Nachdem er ein Ranges und Breites von den Müfig-
gängern und Tagedieben geredet hat, welche ein wahres
Gift für den Gemeindeverband find dem fie angehören,
erklärt er fich folgendermaßen:
Aber auch dem braven und tüchtigen Arbeiter fann es
begegnen, daß er die Luft an feiner Arbeit verliert, und dies
tft Dann meift der Kal, wenn die mit feiner Xhätigfeit ver-
bundene SKraftanftrengung mit dem dafür zu gewärfigenden
Lohne nicht in dem richtigen Verhaͤltniſſe ſteht und er jomit
nicht im Stande ift, beim treuften Fleiße fi) und die &ei-
nigen redlich zu verforgen.
Bol mag die faft in allen Gewerbtzweigen eingetretene
vermehrte Concurrenz, die oft fo leichtfinnigen Speculationen
angehender Kaufleute, der bis zum Übermaße geftiegene Credit
und andere Berhältniffe den redlichen und wohlmeinenden Kauf:
mann gezwungen haben, feine Fabrikate ebenfalls zu geringern
Preiſen — allein es bleibt doch immer unverant⸗
wortlih, wenn der ungerehte Schweiß des Arbeiter dem
Brotherrn die fehlenden Procente erfegen fol. Mag dies nun
dadurch gefchehen, daB man dem Arbeiter an dem beftimmten
Lohne die desfallfigen Abzüge macht oder daß man ihn direct
oder indirect zwingt, für feinen Lohn Waaren zu erhöhten
Preifen oder auf. mehre Monate Taufende Anweifungen zu neh:
. men, immer klebt des Arbeiters Schweiß und Blut an den fo
gewonnenen Procenten. |
Werden nur Gefchäfte gemacht, um ſolche zu machen, fichert
das leitende Princip der Faufmännifchen Shätigkeit weder das
eigene noch das Beftehen der wirklichen Arbeiter, gebt die
Concurrenz darauf hinaus, dem redlich gefinnten Kaufmann
oder Kabritanten die beſcheidenen Procente und dem Arbeiter
die Butter vom Brote wegzunehmen: dann verdient foldhe
Handlungsweiſe mit öffentlicher Verachtung beftraft und mit
allen geſetzlich zuläffigen Mitteln in ihrer unheilbringenden
Wirkſamkeit gehemmt zu werden. '
Daß unter folhen Verhältniffen Arbeitsunluft unter
den Arbeitern berrfcht, ift ganz nafürlih. Aber ber Verf.
bat fie oben als eine Quelle der Armuth bezeichnet, wäh-
rend er jegt felbft nachgewiefen, daß fie aus dem un⸗
richtigen Verhältniffe zwifchen Lohn und Arbeit, alfo aus
der Armuth hervorgeht. Eine Folge kann nicht zugleich
Urfache fein. Die Verwechſelung zwifchen ber zufälligen
und der Maffenarmuth bat den Verf. zu diefer Incon-
fequenz verleitet.
der Armuth ift und fi nicht wieder auf. ein allgemel-
nes, ſociales Gebrechen zurüdführen läßt, da nimmt fie
mehr ober minder einen rein perfönlihen Eharakter an
und man braucht ihr bei der Gntwidelung der focialen
Frage keineswegs die Hauptaufmerkſamkeit zu ſchenken,
welche der Verf. ihr in verſchiedenen Unterabtheilungen
wibntet, verfehlte Berufswahl, Überbildung u. f. w., bie
Wo die Arbeitsunluft wirklich Quelle
retten Perfonen.
‚der haben ſchon mannichfache Aufmerkſamkeit auf fich
dann wieder Urfachen der Urſache find, da fie ganz an⸗
ders ihre Erledigung findet.
Hnlich iſt es mit der Verſchwendung. Ihr eigent-
licher Grund liegt, nad dem Verf., „in dem durch bie
Sünde geftörten Verhaͤltniſſe zwiſchen unferer finnlichen
und geiftigen Natur und namentlid in dem unfeligen
Übergewicht, welches jene über biefe unleugbar befigt”.
Von diefem chriftlich « moralifitenden Standpunkte aus
kaͤmpft der Verf. dagegen „mit dem Schwerte des Gei⸗
fies, welches ift das Wort Gottes“. Cr verlangt be-
fonders von den Seelforgern, daß fie „den Seelentran-
fen Speife und Trank bringen follen” und „die in der
Wüfte umberirrenden Schafe aufzufuchen”.. Wie wenig
wir in der Löfung der focialen Frage von bloßer Mo-
ral und von der Lehre des Chriſtenthums erwarten, ift
oben bereit angedeutet worden. . Die Bedürfniffe haben
ſich gefteigert, der Kohn ift zu ihnen nicht im richtigen
Berhältniffe geblieben. Dies und nit „das durch die
Sünde geftörte Verhältnis zwifchen unferer finnlichen
und geiftigen Natur‘ ift der Grund der Verſchwendung
in den untern Claffen, wenn man nämlich die forglofe '
Verwendung eines doch für die Befriedigung aller noth⸗
wendigen- Bedürfniffe niemals ausreichenden Lohnes fo
nennen darf. Der Induftriafismus, indem er die Exi⸗
ſtenzen der Arbeiter unfiher macht, die Concurrenz, in-
dem fie den Lohn herabdrüdt, äußert auch hier Wirkun-
gen, gegen bie ber Verf. vergeblih mit dem „Worte
Gottes” aneifert, die fih in unferm ganzen gefelfchaft:
lihen Zuftande begründen und die er, von feinem ein-
feitigen Standpunkte aus, als Urfachen betrachtet. Er
wittert allenthalben die „Sünde; aber wer ifl denn der
Sünder: der Einzelne oder das Ganze, aus dem das
Einzelne reſultirt? das Opfer des Princips oder das
Princip?
Waͤhrend der Verf. in der Verwahrloſung der Kin-
der zu Anfang eine Urfache der Armuth fieht, fagt er
(&. 51) felbft, „daß fie fih ale Folge der Armuth
zeigt”. Nachdem er alfo feine eigene Inconfequenz auf-
gedeckt, brauden wir ihn nicht weiter zu berichtigen.
Die Verwahrloſung der Kinder fhafft immer neue Pro-
letarier, aber nicht das Proletariat, fie ift eine Folge
deffeiben, „denn wo die Sorge um das tägliche Brot
die ungetheilte Thätigkeit und den forgfamfien Fleiß der
Mutter in Anfpruch nimmt, da ift an eine gehörige
Pflege umd Wartung, an eine tüchtige körperliche und
geiftige Erziehung gar nicht zu denken”. Hier ift aller
dinge vom Staate und von ber Gemeinde, wenn auch
nicht radical, doc mit Palliativmitteln zu helfen und
es gefchieht weniger als man verlangen darf. ‚Eine
heilſame Organifation der Volksſchulen und des Armen-
wefens find als folhe Palliativmittel zu nennen; das
mörderifche Grundprincip vernichten fie nicht, aber fie
Die in den Fabriken arbeitenden Kin-
gezogen. Man hat ihre Arbeitöftunden beſchränkt und
für den Fall, das fchulpflichtige Kinder in den Fabriken
verwendet werden, die Einrichtung befonderer Fabrikſchu⸗
195
len vorgefchrieben. Über man weiß aud, wie dieſes
Sefeg gehalten wird und die Abendſchulen, wohin Die
Kinder müde und matt, häufig auch gar nicht kommen,
feiften wenig oder nichts. Ebenſo wenig würde mol mit
Schulftunden geholfen fein, die des Morgens, vor der
Arbeit, flattfinden. Harkort, felbft ein großer Fabrikant,
verlangt deshalb: „Die Regierung muß mit aller Strenge
das Gefeg hinftellen und handhaben, daß durchaus keine
Kinder vor zurüdgelegter Schulzeit in Fabriten ange-
ftelle werben dürfen.” Durch eine folche Negation wird
allerdings noch Bein pofitiver Boden für eine gute Er-
zjiehung gewonnen, aber als Palliativmittel wäre ein
ſolches Geſetz immer anwendbar, weil baburch, wie Har-
fort fagt, wenn die Unmündigen aus dem Kreiſe ber
Dienfibarkeit ausfcheiden „die Altern eine beffere Ver⸗
gütung für die Arbeit ihrer Hände finden”. Das wäre
aber auch noch keineswegs genug, vielmehr müßte auch
durch den Staat für eine tüchtige Ausbildung des Lei⸗
bes wie bes Geifte® geforgt werden. Die Verbefferung
des Gehalts der Volksſchullehrer, ernftere Pflege des
Armenfchulmefens u. f. w., wäre-ebenfalls zu fodern.
Unfer Verf. geht auf folche Palliativmittel, wie wir
fie eben angedeutet haben, nicht ein. Er überficht nicht
die allgemeine Lage der Dinge, fein Hauptgedanke ift
der, die verwahrloften Kinder in Familien unterzubrin-
gen oder zu fammeln, „da der Einfluß einer guten häus-
lihen Erziehung dur gar nichts erfegt werden kann“.
Alsdann fchlägt er eine Organifation der Gemeinde vor,
wie fie zur Zeit der Localvereinsbewegung vielfach be-
ſprochen und endlich an dem Veto des Staats unmög-
lich geworden if. Sähe der Verf. in einem foldhen
neuen Verwaltungsſyſtem nur Palliativ- und Feine Ra⸗
dicalhülfe, fo wäre wol nichts dagegen einzuwenden;
aber indem er „das mit ber Infchrift « Menfchenwohl »
gezierte Panier hochaufflattern läßt” entſchwindet ihm
wieder einmal der wirkliche Boden. Worte freilich kön⸗
nen wir nicht für baare Münze und die Aufwallungen
eines guten Willens noch für keine Thaten halten. Ge⸗
gen das Princip der Gewerbefreiheit, gegen das Weſen
des Induftrialismus, gegen das Princip ber Eortcurrenz
fann ein Verein, wie der Verf. ihn will, feinen Kampf
beftehen, alfo Fann feine Hülfe auch nichts weniger als eine
radicale fein und felbfi zu Palliativmitteln gegen Die
Maffenarmuth möchte, nach unferer Anfiht, noch etwas
mehr erfobert werben als der gute Wille einer Gemeinde.
Segen die Armuch kann eine Commune unendlich viel
thun, gegen das Proletariat wird nur noch durch den
Staat, fei es durch die gefeggebende Macht, fei es durch
die Vereinigung und fittlihe Erhebung aller Staatebür-
ger, mit einigem Nachdrude palliativ gewirkt werden
fünnen. Cine radicale Hilfe aber geht aud) über bie
Möglichkeiten und Kräfte ded Staats hinaus. Steuer-
reform, eine allgemeine Fabrikenordnung, Drganifation
der Volksſchule und des Armenweſens, Ausbildung ci-
ned gewiſſen Perſonalcredits für den befiglofen Arbeiter,
Kaffenvereine zu gegenfeitiger Verſicherung, unter gewiſ⸗
fen Bedingungen auch ein Sparkaffenfoftem, Sterbe -
und Kranfenkaffen u. dgl. mögen als Palliativmittel an-
gewendet werben und fi bald mehr bald minder nüg-
(ich ermeifen.
(Die Fortſetzung folgt.)
Galerie fhweizerifher Dichter. *)
3. Abraham Emanuel Fröhlich, mit befonderer
Berüdfihtigung feines neueften Gedichts.
Unter allen ſchweizeriſchen Dichtern der Gegenwart hat
fi Feiner einer größern Anerkennung zu erfreuen als Froͤh⸗
lich, und in der That beſitzt derſelbe ein ſehr reiches Tälent,
das ihm, wie wir zuverſichtlich hoffen; ein immer zahlreicheret
Yublicum verfchaffen wird, wenn er ſich hütet, feine Mufe zur
Magd perfönlicher Keidenfchaften herabzumürdigen, wie e8 lei:
der ſchon einmal gefhehen ift.
‚.Beöhlich ift, wenn wir nicht irren, zuerft durch Menzel
(in feiner „Deutfchen Literatur”) in Deutfihland befannt gewor:
den; jedoch hat er ihn nur fehr einfeitig und oberflächlich auf:
gefaßt. Neuere Literaturhiftorifer haben ihn deshalb für we—
niger bedeutend gehalten als er wirklich ift, und fo kommt es
denn, daß weder Gervinus, noch Schäfer, noch Bilmar ihn
berühren; dagegen wird er von Piſchon und Helbig lobend er:
wähnt. Am meiften ift er wol dadurch in Deutfchland befannt
geworden, Daß zivei der größten Müfterfammlungen ihm cinen
gebübrenden Raum gewidmet haben, denn feitbem erfcheint
aum irgend ein Leſebuch cder ähnliches Werk, in welchem
nicht mehre Gedichte von ihm aufgenommen wären.
Die erſten Dichtungen, welche Fröhlich befannt machte,
find feine „Fabeln“ (Zürich 1825); fie haben nicht nur feinen
Ruf begründet, fondern jind auch jetzt noch das Beſte was
er geliefert hat. Diefelben zeichnen fi) zunaͤchſt durch ihre
eigenthümliche Behandlungsweife aus, die von ber altherge:
brachten fehr abweicht, aber im Grunde doch auf die altefte
Form berfelben zurüdführt. Während die meiften Fabeldichter
don Hageborn an immer die alten Erfindungen wieder neu be⸗
banbelten und von ihren Muftern nur in einzelnen Zügen ab:
wichen, oft auch nur in ber Darftellung, fobaß bie fpätern
häufig lediglich als Überfegungen oder Umarbeitungen ber frü-
bern anzufehen find, findet man bei Fröhlich gewiß nicht eine
einzige Kabel, die an ältere auch nur von fern erinnerte; viel-
mehr find die Erfindungen durchaus fein Eigenthum, und
fhon diefer Umftand reiht bin, uns darzuthun, daß fein poe⸗
tiſches Talent bedeutend und reich fein muß. Noch entfcheiden:
der ift aber der folgende Punkt: Wenn wir die Fabeln frühe-
rer Dichter lefen, wird der Eindrucd mit feltenen Ausnahmen
ber fein, daß die Kabel einzig und allein der Moral wegen ge»
fohrieben worden iſt; dieſe bildet den Mittelpunft, die
des ganzen Gebäudes, während die erzählte Begebenheit als
Nebenſache erfcheint, die der” Dichter nur aus dem Grunde
mitgetheilt bat, die Moral anfhaulicher zu machen. &o hatte -
die Fabel nah und nah alles epifche Leben verloren, das di»
daktiſche Element war durchaus vorherrfchend geworden. Man
fah es den Kabeln an, daß der Dichter ſich zuerft die Moral
ausgeſucht hatte, die er an einer erdachten Begebenbeit aus
der Thierwelt anfhaulic machen wollte, und daß er dann
fi bemühte, eine ſolche Begebenheit ausfindig zu machen, die
der Moral angepaßt werden könne, woraus denn natürlich gar
manche gezwungene und gefchraubte Erfindungen hervorgingen.
Fröhlich bat dagegen die Fabel viel naturgemäßer und daher
auch weit poetifher behandelt. Er ging von der Betrachtung
der ihn umgebenden Thier- oder Pflanzenwelt aus, fuchte deren
tiefere Bedeutung zu ergründen und dieſe ſodann an einer eben»
falls aus der Natur entnommenen oder in ihr wenigften lie:
genden Begebenheit zur Anfchauung zu bringen. Er bat mit
D. Red.
Y Bl. Nr. 177 u. 178 d. BT. f. 186.
19 -
einem Worte Daflelbe auf ‚epifgem Mege erreicht, was Karl
Mayer, Tanner u. U. m. in Iyrifcher fe e ten. les,
fagt Herder in einem feiner tieffinnigften Gedichte, in Der Mor
tur hat eine tiefere Bedeutung, und wenn der Menſch dieſe
erfaßt, ſo iſt er gleichſam ein zweiter Schoͤpfer derſelben. Die⸗
fer Ausſpruch, deſſen Wahrheit in materieller Hinſicht ſich tag⸗
täglich durch bie neuen Erfindungen Fund gibt, in denen ber
Wenſch die Kräfte der Raturerfheinungen beherrſcht, gibt den
Schluͤffel zu der gefammten zomantifchen Schule und ihrer
Fortbildung durch Uhland ‚und deſſen Kachfolger, ſowie er ganz
insbefonbere den eigentlichen Werth jener obengenannten Dich:
ter erſchließt. Die KRaturerfcheinungen waren ihnen nicht mehr
feelen« und leblofe, einer äußern Rothwendigkeit unterworfe |
ne Objecte; fie waren; ihnen vielmehr der verkörperte Aus:
druck einer Idee, die fie poetifch zu erfaffen und in menſch⸗
liche Sprache zu überfegen ſtrebten. So hat z. B. Anaftafius
Grün in feiner vortrefflichen „Baumpredigt“ die Eigenthüm⸗
lichkeiten der verſchiedenen Bäume ald äußere Darflellungen,
gleihfam als Werkörperungen ber in ihnen liegenden Idee ent:
widelt: die Pappel firecet bie Arme gen Himmel, weit fie fi
nach dem lichten Segensquell fehnt, der dort oben flrömt; bie
Weide dagegen blidt zur Erde, ihrer Mutter, deren Liebe fie
immer noch mit Blumen Fränzt u. |. w. Im biefem &inne
fagt die Welle bei Zanner: daß das Eurze Dafein eine Wohl⸗
that fri, da auch die Leiden dann nur von kurzer Dauer feien.
Denn nun der Dichter diefe in den Raturerfcheinungen
liegenden Ideen nicht im ihrer Allgemeinheit darjtelt, fondern
fie en einem einzelnen Kalle anſchaulich macht, fo wird fi
ibm das lyriſche Gedicht zur Kabel geftalten:
Tanner gefagt hätte: Einft klagte eine Welle als fie eben am
Ufer fich vlg: „Ach wie kurz if dieſes Wandern!” Da
entgegnete ihr die andere, welche heitern Muthes dem Tod
verfündenden Felſen ſich näherte: „Kurz gelebt, ift kurz gelit-
ten!“ fo wäre aus dem lyriſch-allegoriſchen Gedichte eine Ka:
bel geworden, aus der die Miele von felbft hervorgehen würde,
ohne daß der Dichter fit zu bezeichnen nöthig hätte, und ohne
daß er, was die Hauptfache iſt, von dieſer auögegangen wäre.
Bon diefem Standpunkte aus find Kröhlih 8 Kabeln zu
erfaflen, wenn man fie in ihrer ganzen Bedeutung und Bor:
trefflichfeit verftehen will; wer, wie anenjel, nur Anfpieluns
gen auf die ſchweizer Wirren ficht, beurkundet durch ſolchen
Ausſpruch, daß ihm alle Einſicht in die Poefie fehlt. Aller⸗
dings hat Fröhlich oft Verhältniffe des Tages berührt, und
nicht nur feiner Heimat, fondern auch oft genug Deutfchlands ;
- aber er bar diefelben jo objectiv aufgefaßt — und dies ift ge«
wiß Fein geringes Zeichen feined poetifhen Talente —, daB der
Refer dennoch die vollfommenfte Befriedigung findet, auch wenn
er von dem fpetiellen Kal nichts weiß, der möglicherweiſe den
Dichter zur Abfaflung diefer oder jener Zubel veranlaßt haben
mag. Ja, wir glauben fogar, daß die Befriedigung, welche
ein Kunſtwerk gewährt, nur dann volllommen fein fönne, wenn
wir von ber fpeciellen Veranlaflung gar nichts wilfen, und
daß es eben deöhalb ein ficheres Kriterium einer gelungenen
Dichtung iſt, wenn wir gar nicht ahnen, daß ihm eine [pe
eielle Veranlaffung zu Grunde liegt, und es uns nicht in den
Sinn kommt, nach einer folhen zu fragen. Sobald fi im
Lefer das Bedürfniß Bund gibt, nad dem Entftehungsgrund
irgend einer Dichtung zu forfchen, fo ift es ohne Zweifel ein
Beweis, daß der Dichter ed nicht verftanden hat, fih über den
einzelnen Fall, ber ihm vorlag, zu. erheben und ihn zu allge:
meiner Geltung zu bringen. Riemand, der 3. B. Boethe's
ſchoönes Bundeslied ‚In allen guten Stunden’ lieft und wie:
der lieſt, wird fich einfallen laffen, nach den Umftänden zu
fragen, die den Dichter bewogen haben mögen, bdaffelbe zu
verfafien, und wenn man einem von dem Liebe begeifterten Le⸗
fer ſagte, es fei urfprünglich ein Hochzeitögedicht auf die Ber:
mählung eined beftimmten Paar gewefen, fo wird er uns,
wenn er wirklih Sinn für Poefie hat und wenn er nicht aus
Benn 3.2. -
wiß keinen Dank dafür wiſſen, Daß wir ihm eine e
Wellung gemadt haben; denn es wird ihm ungmeifelke
Baubıy verfihwinden, ber ihn das Lieb als für alle Menſchen,
alſo auch fuͤr ihn gedichtet erſcheinen ließ.
Wir wollen ein anderes Beiſpiel aus ich ſelbſt an⸗
führen, weil wir zugleich die —2* te feiner
Fabeln mitzutheilen:
Siebesmäntler,
Gin Lamm ward weggebradt
In einer dunkeln Nacht,
Und nur der Diebe Spur
Entdeckt man auf ber Blur.
Da wird zum Augenfhein
Bon feiner Dorfgemein
Der Bus dorthin geſchickt.
Dod in der Spur erblidt
Er feines Vetters Kup,
Der ihm auch hehlen muß:
Drum mit gewandten: Schwanz
j Berwebelt er fie ganz.
- Ber diefe Kabel Hieft, wird fi Baum Denken Bönnen, dag
fie einem ſpeciellen Fall ihren Urfprung zu verdanden habe:
da fi in ihr ein allgemeines Bild menfclicher Schwache dar-
ſtellt. Der guide und die Dorfgemein find für den Lefer Beine
beftinimten Individuen, da er weiß, daß es folcher Liebesmänt:
ler in allen Ländern gibt und zu allen Zeiten gegeben hat;
die Fabel enthält für ihn nicht Die Charakteriftif eines hiſto⸗
riſchen Menfchen, fondern die poetifche Darſtellung einer ganz
en, weit verbreiteten Gattung von Charakteren, und fie er-
eut ihn durch ihre Wahrheit fowol als durch poetifche Ber«
anfhaulihung. Und doch ift diefe Fabel, wie wir zufällig
und zuverläfitg wiſſen, aus einem ganz fpeciellen Fall her=
dorgegangen, wie denn ber Dichter muthwillig genug den Ras
men ded Fuchſes Durch das letzte Beitiwort der Fabel gar deut⸗
lich bezeichnet bat. Dieſer lezte Umſtand kann wol dem bie
Verhaͤltniſſe kennenden Leſer ein Laͤcheln abgewinnen, aber wird
ihm gerade durch dieſes Lächeln nicht die höhere Freude an der
Dichtung geraubt? Wird er nit aus det poetifchen An—
ſchauung in die gemeine Wirklichkeit verfegt? Und gar, wenn
er noch dazu weiß, Daß unter dem Diebe ein geiftlicher Herr
au verſtehen it ber eins der ihm anvertrauten Schafe zu Fall
gebradt, wird fich nicht dad Wohlbehagen in Ekel verwan-
eln? wird nicht die Freude, die er ob der gelungenen poeti⸗
fhen Veranſchaulichung einer menfchlichen Schwäche empfand,
zur Verachtung des unwürdigen Geiftlichen ſowol als feines
Helfershelfers werden? Der Dichter hatte volllommen Recht,
ben ihm vorgefommenen Kal zum Thema einer Fabel zu ma-
hen; er hatte um fo mehr Recht, als es ihm dadurch gelin=
gen mußte, feinen Gedichten Wahrheit zu verleihen; aber wir
find ihm auch den größten Dank ſchuldig, Daß er und ben ſpe⸗
cielen Kal vollkommen entrüdt und ihn zur höchften Alige⸗
meinheit gehoben hat; dadurch hat er vor Allem feinen Beruf
als Dichter beurkundet.
Außer ben Kabeln verdanken wir Fröhlich auch Iprifche,
und insbefondere elegifche Gedichte, von denen einige alles Lob
verdienen. Dagegen bat er fi dur fein Pasquill — denn
Satire koͤnnen wir e8 unmöglich nennen — „Der junge Deutfch-
Michel“, harten, aber wohlverdienten Zadel zugezogen, den
auch wir vollkommen theilen, da dieſe Schrift nur ein Aus-
fluß der ungezügeltften Parteileidenfchaft ift und die Poefie in
ihr gänzlich untergeht. Wir können übrigens um fo eher hier
eine eindringlidhere Darftellung des Buͤchteins unterlaſſen, als
es ſchon früher in Nr. 33 d. BI. f. 1844 beſprochen wurde
und wir bie Anficht des Beurtheilers in allen Stücken theilen.
(Die Bortfegung folgt.)
wiſſenſchaftlichen @ränden nad aͤhnlichen Bingen forft, ne»
: *
Verantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brockdaus. — Drud und Verlag von ms. Brodpans in Leipzig.
— TE
Blätter
für
literarifde Unterhaltung.
Donnerdtag,
Die fociale Frage.
(Bortfegung aus Nr. 40.)
Me. 5. Engels, „Die Lage der arbeitenden Claffe
in England”. Diefe Schrift nimmt in unferer fo-
cialen Literatur eine fehr bedeutende Stellung ein
und trägt unendlich viel dazu bei, den Punkt, wot-
auf es bei der focialen Bewegung vorzüglich an«
tommt, richtig zu erfennen, das Weſen und bie Wir-
tungen des Induſtrialismus und der Concurrenz deut-
lich einzufehen. England ift immer der Gegenftand des
Neides unferer ‚großen: Induftriellen” geweien, Eng-
kands ungeheure Handelsmacht haben wir vielfach bewun⸗
dert; hier fieht man nun, auf welchem unnatürlichen, ja
auf weldem unmenfchlichen Zuftande die Macht und
die Kraft des flolzen Albions beruhen. Hier: haben
der Induftrialismus und die Concurrenz die philanthro-
pifche Larve abgeworfen, welche fie noch bei uns zu tragen
pflegen, und machen ungefcheut, unter dem Schuge der Ge⸗
fege, Taufende von Opfern, Zaufende von Leihen. Wir
find allerdings nicht der Anficht, welche Heß im britten
Hefte feines „Geſellſchaftsſpiegel“ ausfpriht, das burdy
die Engels’ihe Schrift das Wert von Buret „De la
misere des classes en Angleterre et en France” ganz
in den Hintergrund gedrängt werbe, betrachten fie aber
als eine gefichtete Zufammenftellung von Facten und
Notizen, aus der Vieles zu Ternen ift und die einen
dauernden Werth behalten wird. In England felbft
gibt es bis jege nur zerftreute und, wenn man ſich zu
dieſem Zwecke nicht felbft Fängere Zeit in England auf
hält, ſchwer zu befchaffende Schriften über die verfchie-
denen Erfcheinungen dieſer Zuftände; Engels hat uns
ein Zotalbild geliefert. Er führt uns in die Zuftände
der arbeitenden Claſſen Englands ein, welche das Gros
der Nation bilden und aus deren Niederdrud die weni-
gen Millionnaire und großen Grundeigenthümer ihre fo
häufig angeflaunte Kraft fchöpfen. Was uns aus ver-
ſchiedenen Parlamentsberichten und Unterfuchungsrefulta-
ten zerfireut bekannt geworden war, das hat Engeld mit
der umfichtigften Auswahl zufammengeftellt, er hat die-
fen Stoff durdy feine eigene Anfchauung mit manchem
Neuen vermehrt und fo ein Banzes hervorgebracht, def
fen Eindrud für Jeden, er fei wer er wolle und er be-
19. Februar 1846.
Senne fih zu einem Princip welches es auch fei, von
großer Bedeutung bleiben wird.
Im Vorworte feiner Schrift flellt Engeld den &e-
ſichtspunkt auf, von welchem er bei feiner Darftellun
geleitet worden. „Die Lage der arbeitenden Claffen h-
der thatfächliche Boden und der Ausgangspunkt aller
focialen Bewegungen der Gegenwart, weil fie die hödhfte,
unverhülltefte Spige unferer beftehenden focialen Miſere
iſt“, und deshalb, „einerfeits um den focialiftifchen Theo⸗
rien, andererſeits um den Urtheilen über ihre Berechti-
gungen einen feiten Boden zu geben, um allen Schwär-
mereien pro et contra ein Enbe zu machen”, fei bie
Erkenntniß der proletarifchen Zuftände für die Staats-
wiffenfhaft und Staatskunft der Gegenwart eine un-
umgängliche Nothwendigkeit geworden. Die profetari-
fhen Zuſtände in ihrer „claffifhen Form”, in ihrer
Vollendung eriftirten nur im britifchen Reiche und zu«
gleich fei nur in England das nöthige Material fo voll-
fländig zufammengetragen und durch officielle Unterfu-
chungen conftatirt als e8 zu einer irgendwie erfchöpfen-
den Darftellung des Gegenflandes nöthig ſei. Für
Deutfhland aber habe die Darftellung der englifchen
Proletariatszuftände, namentlich im jegigen YAugenblid,
noch eine befondere Bedeutung. Der deutſche Socialis-
mus und Communismus fei mehr als jeder andere von
theoretifchen Borausfegungen ausgegangen, die deutfchen
Theoretiter hätten fi) noch wenig um „bie fchlechte
Wirklichkeit” bekümmert und es fei faft kein Einziger
anders als durch die Feuerbach'ſche Auflöfung der Hegel’-
ſchen Speculation zum Communismus gefommen. Cine
Kenntniß der Thatfahen thue uns aber um deshalb fo
fehr noth, weil, wenn auch die proletarifchen Zuftände
noch nicht zu der Claſſicität wie bei ben Engländern
ausgebildet, doc, auch in Deutfchland diefelben Grund-
urfachen vorhanden feien und auf die Dauer biefelben
Refultate erzeugen müßten, „falls nicht bei Zeiten Die
Einficht der Nation Mafregeln zu Stande bringt, bie
dem ganzen focialen Syſtem eine neue Bafis geben”.
Der Berf. beginnt feine Darftellung mit einer Ein-
leitung, worin der Urfprung der heutigen proletarifchen
Zuftände nachgewiefen wird. Er fucht diefen Urfprung
in der legten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, in wel⸗
her die Erfindung der Dampfmafchine und der Ma-
⸗
, 198
fhinen zur Verarbeitung der Baummolle den. Anftof
zu einer Revolution gaben, bie zugleih die ganze bür⸗
gerliche Geſellſchaft ummanbelte und deren weltgeſchicht⸗
liche Bedeutung erſt jegt anfängt erkannt zu werden.
Indeffen geht die Wefchichte diefer Revolution über ben
befondern Zweck des Verf. hinaus. Sehr getreu ift die
Schilderung des Übergangs der frühern ——
mit Spinnerei und Weberei verbindenden Haͤusler⸗Fami⸗
lien in neuere Fabrikarbeiter-Familien und des damit
zufammenhängenden Umfchwunge ſowol ber ölonomifchen
als auch der moralifchen Zuftände der arbeitenden Glaf-
fen. Nachdem er in aller Kürze, aber in allen wefent-
lihen Zügen den Zuftand der Arbeiter vor der inbuftriel-
len Revolution gefchildert hat, concentrirt er fein Urtheil
folgendermaßen:
Sie lebten in Abgefchloffenheit und Zurückgezogenheit,
ohne geiftige Thaͤtigkeit und ohne gewaltfame Schwankungen
in ihres Lebensfrage. Sie Fonnten felten lefen und noch viel
keitener fehreiben, gingen regelmäßig in die Kirche, politijirten
nicht, confpiriwten nicht, vadten nicht, ergögten ſich an koͤrper⸗
lichen Übungen, hörten die Bibel mit angeflammter Andacht
vorlefen und vertrugen ſich bei ihrer anfpruchslofen Demuth
mit den angefehenern Claſſen der Gefellfchaft vortrefflich. Da-
für aber waren fie auch geiftig todt, lebten nur für ihre Pri-
Yatintereffen, für ihren Webeftuhl und ihr Gärtchen und wuß⸗
ten nichts von der gewaltigen Bewegung, die draußen durch
die Menfchheit ging. Sie fühlten fich bebaglich in ihrem ſtil⸗
len Pflangerleben und wären ohne die induftrielle Revolution
nie herausgetreten aus dieſer allerdinge fehr romantifih:gemüth:
lichen, aber doch eines Menſchen unwürdigen Eriften;.
Asdann fielle der Verf. den allmälig wachfenden
Eindrud des Induſtrialismus und des Mafchinenwefens
auf dieſe alte, gemüthlihe Ordnung der Dinge bar.
Den erften Einbruch machte die fpinnende Benny von
3. Dargreaves im J. 1764; durch fie konnte ein Mann
16 — 18 Spindeln in Bewegung fegen. Früher hielt
ein Weber drei Spinnereien befchäftigt und es war nie
mals Garn genug ba, jegt war mehr Garn da als bie
Arbeiter verbrauchen konnten. Diefe Nachfrage nad
Beuchen, ohnedies fhon in Zunahme, flieg noch mehr
durch den billigen Preis. Man brauchte mehr Weber,
das Webelohn flieg bedeutend in die Höhe. Da nun
der Arbeiter an feinem Stuhle weit mehr verdienen
konnte, fo verließ er allmälig feine Aderbaubefchäftigung
ganz und gar und „nach unb nad verfchmand fo Die
Claſſe der aderbauenden Weber ganz und löfte fich in
"die new entfiehende Claſſe der reinen Weber auf, bie
allein vom Arbeitslohn lebten und fomit Proletarier
wurden. Bisher war, fomweit died anging, unter einem
Dache das Garn gefponnen und verwebt worden. Yept,
wo bie Jenny ebenfo gut wie der Webftuhl eine Eräftige
Hank erfoberte, fingen auch Männer an zu fpinnen unb
ganze Familien Iebten von ihr allein, während andere
wiederum das überflügelte Spinnrad beifeite ſtellen und
allein von dem Webeſtuhle des Familienvater leben
mußten. Während fo das induftrielle Proleta-
ziat ſich entwidelte, gab diefelbe Mafchine auch Anlaß
zur Entftehung des Aderbauproletariats. Bisher
hatte es viele Feine Grundflüde gegeben, jegt trat bie
Glaffe der großen Pächter hervor, welche 50, 100, 200
und mehr Morgen pachteten und durch ihre verbefferte
Wirthſchaft den Kleinen Grundbefiger, den Yeoman, no .
thigten, fein Beſitzthum zu verlaufen und entweder eine
Jenny oder einen Webeſtuhl anzufchaffen oder fich ats
Proletarier des Aders, Tageloͤhner, bei bem grofen
Pachter zu verdingen. Die Induſtrie und die rationelle
Wirthſchaft fleigerten fi nun immer weiter, und wenn
fhon in der Jenny der Anfang bes Fabrikſyſtems lag, '
fo erhielt diefes durch die Spinning Throſtle, von vorn-
herein auf die mechanifche Triebkraft berechnet, eine im-
mer weitere Ausdehnung. Ihr folgte die Mule und
die Sardir- und Vorſpinnmaſchine; hiermit war für das
Spinnen der Baummolle das Fabrikſyſtem zum allein
berrfchenden geworden. In den legten Jahren des vori-
gen Jahrhunderts erfand noch Dr. Gartwright den me-
hanifhen Webftuhl und diefer war 1804 fo weit ge-
bracht, Daß er erfolgreich gegen die Handweber concur-
viren konnte. Alle diefe Mafchinen erhielten doppelte
Wichtigkeit buch Iames Watt's Dampfmafchine, bie.
um 1764 erfunden und feit 1785 zur Betreibung von
Spinnmafchinen angewandt worden war. Mit biefen
Erfindungen, die feitdem noch jedes Jahr verbeffert wur«
den, war der Sieg ber Mafchinenarbeit über die Hand⸗
arbeit entſchieden.
Der Verf. fehildert diefen fortwährenden Sieg ber
Mafchine, wie er fih in England in der Baummollen-
iuduſtrie, der Strumpfwirkerei, Spigenfabritation, Biei⸗
cherei und Druckerei, in der Wolleninduſtrie, Leinen⸗
induſtrie, Seideninduſtrie, in der Eiſenproduction und
Bearbeitung, in der Kohlenproduction, in den Topfereien
und ebenfo endlich auch im Ackerbaue immer welter
durchgefämpft hat. Die Bevölterungsbichtigkeit und die
Ergiebigkeit ber Production fliegen mit ungeheurer Schnel-
ligkeit, aber nur gleichzeitig met einer totalen Ummander
Iung ber focialen Phyfiognomie bes Landes. Es erho⸗
ben. fich die großen Fabrik⸗ und Handelsftähte des briti-
ſchen Reihe, in denen minbeftens Dreiviertel der Be⸗
völkerung der neuen Arbeiterclaſſe, d. b. dem Proleta⸗
riat angehören, jener Claffe, bie jegt nicht mehr durch
den Beinen Handwerker mit den befigenden Claſſen ver-
mittelt wird, fonbern ihnen gegenüber als feſt und erb-
lich adgefchloffen erfcheint. Wer jegt als Arbeiter gebo-
rem wurde, fagt der Verf., der hatte keine andere Aus⸗
fit als lebenslang Wroletarier zu bfeiben.
(Dice Bertfegung folgt.)
— —
Galerie ſchweizeriſcher Dichter.
3. Abraham Emanuel Froͤhlich.
(Fortſearmg aus Nr. 9.)
In den letzten Jahren hat fi Fröhlich im Epos verſucht;
im 3. 1840 gab er heraus: „Ulrich Zwingli.“ (Zürich 1840);
und ganz neuerlih: „Ulrich von putten. Sefänge-” (30:
rich, ÜReder und Zeller, 1845, 8., 2 Ihlr.) Sein „Zwingli‘
ift ebenfalls ſchon in Rr. 177 d. 1. f. 1842 befproden und
namentlich nad feinem Inhalte dargelegt worden. Wir erlau-
ben und daher auf jene Recenfion zu verweifen, Der wir nur
folgende Bemerkungen noch hinzufügen.
Bein FE abgefchlofjenes ze, fondern er beftcht nur aus
—— unter ſich in keinem nothwendigen Zuſammen⸗
hange ſtehenden Rhapſodien, die miteinander in der That nichts
weiter gemein haben als daß fie von einer und derjelben
Hauptperfon handeln, deren verfchiedene Lebensſchickſale in meh:
ten voneinander unabhängigen Bildern dargeftellt werben. Ja
ed ftehen ſogar mehre Gefänge in Feiner ober nur gefuchter
Beziehung zum Helden, wie 3. DB. ganz insbefondere der
für fig wohlgelungene britte Geſang: „Die Schlacht zu Ma⸗
ignano”, in welchem Zwingli nur ganz vorübergehend erwähnt
d,. bios damit wenigfiens fein Name genannt werbe, fo:
daß Diele Ernährung fit hätte unterlaffen werden kön:
nen, ohne Daß der Geſang im mindeften an Werth und das
Ganze an Sufammenhang verloren hätte. In „Ulrich von Hutten“
iſt Dagegen ein firengerer Zuſammenhang zwiſchen den einzelnen
Gefangen vorhanden, indem fie der Dichter durch wohlgewaͤhlte
Übergange miteinander verbunden hat. Dies ift ohne Zweifel
n ein großer Kortichritt, allein wir halten ihn noch lange
aicht für hinreichend. Der Dichter fol und nicht eine chrono⸗
logiſch geordnete, wenn auch im Einzelnen poetiſch ausgeführte
Lebensbefchreibung feined Helden geben; er fol uns das Leben
neugeftaltet, neu gefchaffen vorführen und bat ganz vorzüglich
dahin zu fireben, daß ed und als ein Ganzes erfcheine. Er
fell und nicht einzelne Bilder, fondern ein einzige Bild geben,
deffen Eunftreiche und umfaffende Compoſition alle Einzelheiten
in ſich vereinigt, in fich gleichfam untergehen läßt, obgleich fie
eben dadurch an wahrem Leben und Bedeutfamkeit gewinnen.
Dabei kann der Dichter ebenjo fireng an der hiftorifchen Wahr:
heit halten; ja er kann fogar die chronologifche Folge der Le:
bensſchickſale feines Helden hervortreten laffen, wenn er es für
feinen Zweck notbwendig finden follte. Man denfe nur an die
„Ztiade’ oder die „Odyſſee“! Auch in ihnen entwideln fich
geoße Zeiträume, aber der Dichter bat die Begebenheiten fo
anzuordnen verftanden, daß wir im Ganzen doch nur eine ver-
haͤltnißmaͤßig fehr kurze Periode zu durchleben glauben, wo⸗
Dusch der unermeßliche Vortheil gewonnen wird, daß uns das
Ganze mit allen feinen reichen Ginzelheiten doch als ein ein
aiges leicht faßbares Bild erfcheint. Wird uns Dagegen die
ffe der Begebenheiten chronologiſch vorgeführt, fo muͤſſen
wir ebenfo viele Sahre durchleben als fie in der Wirklichkeit
zu ihrer vollftändigen Entwidelung gebraudt haben, wir ver»
lieren alle Überfhaulichkeit, weil das Gedicht unmöglich zu
einem Zotaleindrude gelangen Bann. |
Wenn aber alle einzelnen Sefänge für ſich betrachtet voll⸗
kommen gelungen find, Fönnte man entgegnen, und der Dich»
ter eben nur einzelne Bilder geben wollte, ven Denen jedes,
obgleich mit den andern durch den Stoff, die Form, die Hal:
tung allgemein verbunden, doch als felbfländiges Ganze be
teachtet werden Bann und als ſolches Wohlgefallen erregt,
warum dann von dem Dichter verlangen, daß er ed anders
mache? Hat er nicht auch auf feinem Wege feinen Zweck er:
reicht? Wozu ihm dann Gefege vorfähreiben und andere Com⸗
pofition u. f. w. wünfchen? Ganz einfach, antworten wir, da-
mit das Gedicht wirklich ein Gedicht werde; denn in folcher
Haltung und Anordnung ift e8 eben weiter nichts ald eine ge:
“ reimmte Biographie, und bieibt eine ſolche, felbft wenn das
@inzeine mit allem Zauber der poetifchen Erfindung und Dar:
ftellung ausgeftattet wurde. Der Dichter fol vor Allem auch
Künftler fein und er kann nur dann auf Anerkennung An⸗
ſpruch maden, wenn er auch in Diefer Beziehung vollkommene
Befriedigung gewährt. Wir zweifeln nicht, daß fein Gedicht
auch in diefes unkünftlerifchen Form gefallen werde, wir geftehen
fogar fer gern zu, daB wir felbft, als wir den „Ulrich von
Hutten” durclafen. Freude und Interefle empfanden; allein fo
viel des Schönen wir auch gefunden haben, fo war doch der
Rückblick auf das Ganze fein angenehmer, Fein befriedigender,
weis fih umferer Erinnerung nur einzelne Punkte zeigten, wäh:
rend wir fo gern auf dad Banze zurüdgefchaut hätten. Es
ip’ fe ift Bein eigentliches Epos, es bildet
that uns dies um fo mehr leid, als wir der Übergeugung find
daß der Dichter die Schwierigkeiten einer Lünftlerifchen amd
lebensvollen Anordnung wol überwunden hätte, wenn er ger
wollt, jo groß diefelben in der That auch fein mögen.
Der „Ulrich von Hutten“ ift wie der „Bwingli” in der ſoge⸗
nannten Ribelungenſtrophe gedichtet. Es bat der Dichter in der
Behandlung derfelben ebenfalls Fortſchritte gemacht; tm „Ulrich
don Hutten” ift fie viel freier und reicher gehalten als im „Bwingt”,
und doch if fie dabei viel reiner. Übrigens willen wir nicht, ob wir
und täufchen, aber und dünkt diefe Strophe für ein größeres
Gedicht Faum paflend, da man ihr bei der Entwidelung un-
ferer Proſodie doch nicht die reiche, Mannichfaltigkeit geben
kann, die fie früher beſaß; fie erſcheint nach und nach einför-
mig und erregt dadurch gewiß eine Art Misbehagen. So vor»
trefflich fie ſich für kleinere epifche Gedichte eignet, fo ivenig
ſcheint fie und für größere Dichtungen mit Glück verwendet
werben zu Fönnen. Freilich wüßten wir nicht anzugeben, wel»
ches Metrum ein epifcher Dichter wählen follte, bean der Hera-
meter ift bei aller feiner Bortrefflichkeit undeutſch und hat auch
in der deutſchen Sprache keineswegs die bewegliche Mannich
faltigfeit, ‘Die wir an ihm bei den Griechen bewundern, die
italienifche Stanze aber ift zu lyriſch. Wir find der überzeu⸗
gung, daß ein der deutſchen Sprache angemeflenes epifches
Rat noch erft gefunden werben muf.
Nach dieſen allgemeinen Betrachtungen wollen wir einen
gebrängten Überblit des neueften Gedichte Froͤhlich's geben,
doch vorher noch die Bemerkung voranſchicken, daß der Dice
ter ofenbar die gründlichfien Studien gemacht und nicht bios
die Schriften Hutten’d, ſondern aud die feiner bedeutendften
Beitgenoflen geleien und fonft Forfhungen aller Art angeftellt
bat. So hat er einen überaus großen Reichthum ven Einzel⸗
beiten gewonnen, ben er meiftens glüdlich zu verwenden weiß;
doch kommen auch Stellen vor, in denen die Andeutungen für.
Den, der die Geſchichte jener Zeit nicht genauer Eennt raͤth⸗
ſelhaft ſein moͤgen.
Im erſten Geſang, die Flucht aus dem Kloſter, im Fruͤh⸗
ling 1904, zeigt uns der Dichter feinen Helden in „Fuldes
altem Kloſter“, in der Zelle fein Schitkſal befiagend, da fein
Bater ihn gegen feinen Willen zum Geiftlicden beftimmt bat.
Am folgenden Zag fol die Einkleidung ftattfinden. Sein Freund
und Vetter Johannes dv. Hutten, ber ber Feier beisumehnen
kommt, findet ihn in diefer düflern Stimmung ; er erbietet
fi, ihm zur Flucht behülflich zu fein, welche denn auch glüd-
lich gelingt. Uber der Bater Ulrich's ſpricht den Fluch über
ihn ans, fo ſehr die übrigen Verwandten fi des Flüchtlinge
annehmen. Der zweite Geſang, die erfte Wanderfahrt 1565
und 1506, erzählt und in Form eines von Ulrich an Johannes
geſchriebenen Brief die Abenteuer des Wanderers in den zwei
erften Zahren nad) feiner Flucht. Befonders gelungen iſt die
Darkkellung der Zuſammenkunft Hutten's mit Rutder in Er⸗
furt, als diefer fi eben entſchloß in das Kiofter zu gehen,
fowie die Erzählung des Aufenthalts in Yugsburg, wo wir
mit Pirkheimer, Dürer und Peutinger befannt werden, beflen
Tochter Eonftantia mit dem Ritter einen Liebesbund ſchließt,
der ihn fpäter in den unglüdlichften Augenblicken aufrecht er:
hält. Bon hohem Interefje find ferner die Eharakteriftiten
Reuchlin's und Geiler's, Brandt's und Erasmus’, fowie die
Schilderung des Rheins und der Gefühle, Die Hutten bei fei«
nem Anblicke erfüllten:
Nun rheinwärtd immer ſchneller ritt ich das Lard Hinaus;
Bald dann am Waldesrande brach ih in Sauczen auß,
Als fern ih Strasburgs Muͤnſter erblickt' im Abendroth,
Fernher der Rhein mit Rauſchen und Strahlenbliden Gräfe bot.
Als nun ich flaunend, jubelnd vor feinem Streme ftand,
Unendlih wie fein Wallen war da was ich empfand.
Jetzt fuͤhlt' ich's wie am Ganges der Hindu niederfällt,
Macht, Ewigkeit und Segen des Stromed für Gott ſelbſt Hält.
.
“ 260
Mir rauſchte die Geſchichte des deutſchen Volks vorbei,
Dort kuͤhn und wild im Kampfe, hier mild und immer frei;
Und feine Zukunft rauſchte vorbei im Siegeszug,
Die Flüſſe, Baͤch' und Quellen vereint in einem Zug und Plug.
In einem Bug und Fluge die Banner all gefchart
Bu einen Tuͤrkenkriege, zu einer Nömerfahrt,
In einem Zug und Fluge die Segel, all geſchwellt,
Aus allen deutfhen Strömen zur alten und zur neuen Welt.
So ſchaut' ich in die Fluten noch durch bie fpäte Nacht;
Im Strome glomm der Himmel, Vollmond und Sternenpradt;
Ih ſah vom Himmel fommen mit fammt bed Himmels Heer
Den Strom der Offenbarung, bie Welt verjüngend mehr und mehr,
Bis in der großen Kälte der Zeit au er erflarrt,
Gefefſelt im Verließe lang auf Erlöfung harrt;
Nun kam die Sonne wieder, und Wärme weht durchs Feld:
Den Eißgang hör’ ich donnern, und frei ift wiederum ber Held.
Überhaupt iſt der Dichter in Naturſchilderungen glücklich,
nur möchte man ihnen mehr Mannichfaltigkeit wünfchen. Den
Schluß des Gefangs bildet der Bericht Hutten’s über feinen
Aufenthalt bei Sidingen und in Köln, bei. welcher Belegen:
beit wir erfahren, woher der unauslöfcplihe und Hutten fo
verberblihe Haß kam, den die Dominicaner und ganz vorzüg-
lich der Kegerrichter Hogftraten gegen ihn faßten.
Der dritte Gefang führt uns zu einem ſchwelgeriſchen Ge:
lage der Dominicaner, in welchem ſich uns ihre Abfidhten ent:
hüllen; der vierte enthält die Befchreibung von Hutten's zwei⸗
ter Wanderfahrt (15183 — II). Wir halten diefen ſchon we⸗
- gen der künſtleriſchen Compofition für einen der gelungenften
Abjchnitte des ganzen Gedichte. Voll Wirkung ift insbefon:
dere der Anfang, wo uns Hutten im Bettlerfieide, von Krank:
heit ermattet, aber doch in ber ganzen Kraft feiner Feuerfeele
erſcheint. In Olmuͤtz wird er vom Bifchof gaftfreundlich auf:
genommen, der feinen Werth erkennt. Ihm erzählt er feine
bisherigen Abenteuer. Er war nach Franffurt an der Ober,
der neu geftifteten Hochfchule gezogen, dort aber durch Hog⸗
ſtraten's Einfluß bald wieder vertrieben worden. Nach einer
unglüdlihen Seefahrt war er nach Greifswald gefommen, wo
die Freundfchaft feiner erftien Gönner, der Xöge, fi) bald in
die bitterfte Zeindfchaft verwandelte, fodaß er, der aud dort
von Hogftraten nicht unangefochten blieb, wiederum weichen
mußte. Auf dem Wege nach Roſtock ward er von Meuchels
mördern der Löge überfallen, und er wäre, mitten im Winter,
an feinen Wunden erlegen, wenn ihn nicht ein edler Prieſter,
Edbert ven Harlem, zu fich genommen hätte. Als er wieder
gefund geworden, war er durch Sachſen und Böhmen gezogen
und nad ciner neuen Krankheit bis Mähren gekommen. Der
fünfte Gefang, Kriegszug nach Italien 1512—14, zeigt und
zuerft den Ritter auf der Reife nach Wien, zu der ihm der
edle Bifchof die Mittel gegeben hatte. In der Kaiferftadt wird
er nad) und nad) mit den bedeutendſten Männern befannt und
erhält zulegt Zutritt zum Kaifer Marimilian, der ihn in feine
Dienfte nimmt. Gr zieht mit dem Heere nach Italien; der
Zug ift lebendig dargeftelt, fowic die Schlacht bei Ravenna,
in welcher Hutten den Cardinal Iohann v. Medici, nachma⸗
ligen Papſt Leo X., von dem Schwerte der Landsknechte rettet.
Bald durauf rief der Kaifer fein Heer zurüd, allein Hutten
blieb in Italien; er zog nad Pavia, wo er fich ganz den Stu:
dien widmete, auß denen er aber durch den wilden Überfall
der fchweizerifchen Söldner aufgefchredt wurde, die auch ihn
mishandelten und plünderten. Als er fehon feinen Wunden zu
erliegen glaubte, ward er von Imingli, der damals als Prie:
fter bei den Schweizern in Italien war, gerettet und gepflegt.
Sie fchließen innige Freundfchaft und theilen ſich ihre Zdcen
über Die Nothwendigkeit einer Umgeftaltung der kirchlichen Ber:
gältniffe mit. Als fie fi) trennen müjjen, zieht Hutten nad)
ologna, wo ihn zuerft Krankheit und dann Elend aller Art
zwingt, ſich als Landsknecht anmwerben zu laffen. Endlich ent:
fließt er fi, in bie Heimat zurückzukehren, und fo finden
wir ihn im ſechsten hang in Stuttgart, wo ſein Better
—3 Hutten in großer Gunſt bei dem oge Ulrich von
eteihberg ftand. Doch bemerkte unfer Held bald, daß ber
Herzog, deſſen tyrannifche Bemütbsart allgemein befannt war,
frevle Abſichten gegen die gen feines Vetters hege. Er machte
diefen, aber umfonft, darauf aufmerffam, ja er wagte felbft ge-
gen den Derog Andeutungen zu machen, bie biefen fo erzürn-
ten, daß er bald darauf gezwungen wurde, das Land zu ver:
laſſen. Der Dichter Hat jede Gelegenheit ergriffen, utten,
beffen Berke, wie ſchon erwähnt, er mit dem größten Fleiße
fiudirt bat, mit feinen eigenen Worten reden zu lafſſen, fo
3. B. in diefem Gefange, wo er eine vortreffliche Bearbeitung
des Gedichts „Nemo mit großem Güde einzuflechten weiß.
Im fiebenten Gefang erfährt Hutten bie Ermordung fei-
nes Vetters Johannes; die Klage des Ritters, zu ber der Dich»
ter ebenfalls deffen Werke benupt bat, ift Prirefiic und ent⸗
hält einige fehr gelungene Stellen; ex faßt den ntſchluß, den
Gemordeten zu rächen, und eilt deshalb nah Haufe um fi
mit den Seinigen zu vereinigen. Heimgekommen verföhnt er
fih mit feinem Vater. Man befchließt, daß er zum Kaifer und
von dort nad) Rom reifen folle, um fich dort für Reuchlin zu
verwenden, der mit den Dominikanern harten Kampf zu ber
ftehen hatte.
Der achte Geſang, zweite Neife nad Italien 1515 und
1516, fcheint uns feinem Inhalte nach durchaus gegen die poe-
tiſche Wahrheit zu fein. So nahe dem Ritter Reuchlin's Un-
gelegenheit aud am Herzen lag, fo fehr er fogar perfönlich
dabei betheiligt war, fo konnte dieſelbe doch unmöglich Die
Rache gegen den Herzog fo fehr zurüddrängen. Da der Di:
ter dem Kriegszug gegen Ulrih von Würtemberg den erwähn-
ten Grund unterlegte, fo hätte er, um die epifche Einheit
nicht zu ftören, denfelben nicht fo Tange binausfchieben follen;
die drei Gefänge, welche auf den Racheſchwur folgen und ganz
heterogene Begebenheiten oder Thatſachen behandeln ‚ vernich⸗
ten allen Eindrud, den ber fiebente Gefang hervorgebracht
hatte, ſodaß, als der Kriegszug endlich begonnen und ausge:
führt wird, die Theilnahme für den Ritter gar fehr abgenom:
men bat und und fogar das ihm zugefchriebene jahrelange Rache⸗
gefühl beleidigt und abſtoͤßt. Dieſen unſers Beduͤnkens ſehr
roßen Mangel des Gedichts hat der Dichter lediglich dadurch
—— — daß er die einzelnen Lebensumſtaͤnde feines Hel⸗
den chronologifch vorführen wollte; bies ift aber wie ſchon be:
merkt Sache des Hiftorifers, nicht aber des Dichtere. Hätte
ver Berf. 3. B. den fiebenten Gefang zum zehnten gemacht,
und ihm die drei andern vorausgefchickt, was er durch geſchickte
Einkleidung leicht hätte bewerkſtelligen konnen, fo wuͤrde der
Racheſchwur und der Kriegszug Schlag auf Schlag gefolgt fein,
und die Wirkung wäre gewiß bedeutend größer gewefen, wie
benn auch der Lefer weit höhere Befriedigung gefunden hätte.
(Der Beſchluß folgt.)
—— — — — — —— —
Notiz.
Die Schrift der Kabplen.
Bits jegt war es den forgfältigften gelehrten Sorfchungen
nicht gelungen, zu ermitteln, ob die Kabylen, Deren Sprache
befanntlih dem femitifchen Stamme nicht angehört, ein ei»
gened Syſtem von Schriftzeichen befigen oder je befeflen
haben. Durchweg bedienen fie ſich jegt der arabifchen Kettern;
ob jie vor Eroberung der Moslemin überhaupt burch Schrift ſich
verftändigen fonnten, war ungewiß. Jetzt fol, wie ein Sours
nal in Algier meldet, ein bei der Civilverwaltung angeftellter
Dolmetſch dafelbft fo gluͤcklich geweſen fein das langgefuchte
kabyliſche Alphabet in einigen Munuferipten aufzufinden. Der
franzöfifche Kriegsminifter bat eine Commiſſion niebergefeßt,
welche die fraglihe Entdeckung prüfen und über deren Werth
und Echtheit Bericht erftatten fol. 12.
Verantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brockdaus. — Drud und Verlag von F. ME. Brockhaus in Leipzig.
en — — ——— ——
Blätter
für. -
literarifhe Unterhaltung.
Freitag,
— — —
J
Tr. " 51. —7
20. Februar. 1846.
.
nn ————— — . *
7 J
Die ſociale Frage.
(Fortſetzung ans Nr. 50.)
Auf dieſe Weiſe wurde bie ungeheure Maffe vo
Arbeitern zufammengebracht, welche das ganze. britifche
Reich erfüllt und deren fociale Laft fi mit jedem Tage
der Aufmerkfamkeit der civilifirten Welt mehr und mehr
aufdringt. Hoͤren wir den Verf.: .
Die Lage der arbeitenden, Claſſe, das heißt die Kage dei
ungeheuern Majorität des englifchen Volks, die Frage: Was
fol aus diefen befiglofen Millionen werden, die heute Das ver:
jehren was fie geitern verdient Haben, die mit ihren Erfin-
dungen und ihrer Arbeit Englands Größe gefchaffen haben,
die täglich ihrer Macht fi mehr und mehr bemußt werden
und täglich dringender ihren Antheil an den Wortheilen ber
geſellſchaftiichen Einrichtungen verlangen, — dieſe Frage iſt
ſeit der Reformbill die nationale Frage geworden. Alle eini⸗
ermaßen wichtigen Parlamentsdebatten laſſen ſich auf ſie re⸗
uciren; und wenn auch die engliſche Mittelclaſſe es ſich bis
jetzt nicht geſtehen will, wenn ſie dieſer großen Be auch
außzumweichen und ihre Interefien.als die wahrhaft nationa⸗
Yen hinzuftellen fucht, fo Hilft. ihe das gar nichts. Mit jeder
Barlamentsfeffion gewinnt die-arbeitende Claſſe Zerrain, ver:
Iieren Die Intereflen der Mittelclaffe an Bedeutung und ob»
wol die Mittelclaffe die Hauptmacht, ja die eingi e Macht bes
Parlaments ift, fo war doch die letzte Seſſion 1844 eine fort⸗
währende Debatte über Arbeiterverhältniffe (die Armenbill, die
Fabrikenbill, die Bill über das Verhaͤltniß von Herren und
Dienern), und Thomas Duncombe, der Vertreter der Arbeiter:
cdaffe im Unterhaufe, war ber grofie Mann der Seffion ; waͤh⸗
rend die liberale Mittelclaffe mit ihrer Motion wegen Abfchaf-
fung der Getreidegefege und die vadicale Mittelclafje mit ihrem
Antrag auf Steusrverweigerung eine jämmerliche Role ſpiel⸗
ten. Selbft die Debatten über Irland waren: im Grunde nur
Debatten über die Lage des irifchen Proletariatd und die Mit:
tel, ipm aufzubelfen. Es ift aber auch hohe Seit, daß die eng:
liſche Mittelclaffe den nicht bittenden, fondern drohenden und.
fodernden. Arbeitern Eonceffionen macht, denn in kurzem möchte
eb zu fpät fein. oo |
Die Lage diefer Elaffe nun ift es, welche der Verf.
uns ſchildert. Um e8 gründlich zu koͤnnen, muß nach
feiner Meinung das Profetariat in verſchiedene Unter
claffen abgetheilt werden, da fich in ben verfchiedenen
Kreifen auch ein verfchiebenes Stadium feiner Reife
zeigt. Im Kreiſe der Zeuchinduftrie, weiche zuerft von
dem großen induftrielen Umſchwunge berührt wurde, hat
: das Proletariat bie hoͤchſte Meife erlangt, alsdann kom⸗
men bie Arbeiter in den Kohlengruben und den Metall-
bergwerken, ihnen folgen die englifchen Aderbauproleta»
vier, und auf der vierten Stufe endlich fiehen die Ir⸗
laͤnder als dem alten faulen genügfamen Hänslerleben
noch am nädhften. Da aber, fagt der Verf., in diefem
Augenblicke bereit6 fo ziemlich das ganze Proletariat
von der Bewegung ergriffen ift und "die Rage der. ein-
zelnen Sectionen viel Bemeinfames hat, fo muß. diefes
Gemeinſame zuerſt durchgenommen werben, um fpäter
dann jede einzelne Verzweigung defto fchärfer in ihrer
Eigenthümtlichkeit betrachten zu Sonnen. Der Verf. be
fpricht deshalb in der erften Hälfte feines Buchs das
Bemeinfame der Lage der Arbeiterclaffen, in der zwei⸗
ten die Rage der Arbeiter in den einzelnen Arbeits-
zweigen. | |
Sehen wir bier zuerft auf den erften Theil, auf bas
Gemeinfame der Lage der Arbeiterclaffen, Hier. wird
unfer Blick zuerſt auf die großen Städte gerichtet; In
ihnen beweift fich die centralifirende Kraft der Induſtrie,
die Bevölkerung wird durch fie ebenfo centralifirt wie
das Kapital. Deshalb tretm auch in den .
fen Städten bie Confequenzen der Induſtrie in —*
zug auf das Proletariat am deutlichſten hervor. Eine
Stadt wie London, wo man ſtundenlang wandern kann
ohne auch nur an den Anfang des Endes zu kommen,
die koloſſale Concentration, welche in London drittehalb
Millionen Menſchen zuſammengehaͤuft und dadurch die
Kraft dieſer drittehalb Millionen verhundertfacht hat, iſt
zuerſt ſo maſſenhaft, ſo großartig, daß man gar nicht
zur Beſinnung kommt. Aber bald „tritt die brutale
Gleichguͤltigkeit, die gefürhlloſe Iſolirung jedes Einzelnen
auf ſeine Peioatintereffen um fo widerwärtiger und um
fo verlegender hervor, je mehr diefer Einzelnen auf den
Heinen Raum zufammengebrängt find”; aber wenn man
erft die „ſchlechten Viertel“ der Hauptftabt befucht und
gefehen hat, wie dicht „„barbarifche Gleichgültigkeit und
egoiftifhe Härte auf der einen und namenlofes Elend
auf der andern Seite” in diefer großen Menſchenanhaͤu⸗
fung nebeneinander wohnen, dann fieht man, „daß dieſe
Londoner das befte Theil ihrer Menfchheit aufopfern
mußten, um alle die Wunder der Civiliſation zu voll-
bringen, von denen ihre Stadt wimmelt, daß Hundert
Kräfte, die in ihnen fchlummerten, unthätig blieben und
unterdrüdt wurden, damit einige wenige fich voller ent»
wideln und durch die Wereinigung - mit Denen anderer
multiplicirt werden konnten“. Es iſt ber fociale Krieg,
der Krieg Aller gegen Alle, welcher in den großen Stäbd-
ten furchtbar ausgebrochen iſt, und da in dieſem Kriege
das Capital, der directe oder indirecte Befig der Lebens-
mittel und Proburtionsmittel die Waffe ift, mit der
efämpft wird, fo ift es einleuchtend, daß alle Nach⸗
heile diefes Zuſtandes auf den Armen falfen.
Dieſen Zuftand fohildert der Verf. mit furdhtbaren,
aber unzmeifelhaft wahren Farben; er gründet feine
Schilderung auf Thatſachen und authentifche Berichte.
Man höre ihn:
Jebe große Stadt hat ein oder mehre „ſchlechte Viertel”,
in denen fich die arbeitende Claſſe zufammendrängt. Dft frei
ih wohnt die Armuth in verftedten Gaͤßchen dicht neben den
Yaläften der Reichen, aber im Allgemeinen bat man ihr ein
aparted Gebiet angewiefen, wo fie, auß den Augen ber glück⸗
lichern Claſſen verbannt, fich mit fich felbft durchſchlagen mag
fo gut es geht, Diefe ſchlechten Viertel find in England in
allen Städten ziemlich egal eingerichtet; Die fchlechteiten
Häufer in der ſchlechteſten Gegend der Stadt; meift zweiftödige |
oder einftödige Siegelgebäube in langen Reihen, möglidyerweife
mit bewohnten Kellerräumen und Haft überall unregelmäßig
angelegt. Diefe Häuschen von drei bis vier Bimmern und ei»
ner Küche werden Cottages genannt und find in ganz Eng
land, einige. Theile von London außgenommen , die Mohr
nungen der arbeitenden Efaffe. Die Straßen felbft find ge:
woͤhnlich ungepflaftert, böderig, ſchmuzig, voll vegetabilifchen
und animalifchen Abfalls, ohne Abzugskanaͤle oder Ninnfteine,
dafür aber mit ftehenden, ftinfenden Pfügen verfeben. Dazu
wird Die Ventilation durch die fehlechte, verwworrene Bauart des
ganzen Stadtvierteld erſchwert und da hier viele Menſchen
auf einem Meinen Raume leben, fo kann man fich leicht vor:
ftellen, welche Luft in diefen Arbeiterbezirken herrſcht. Die
trafen dienen überdies bei fchönem Wetter als Trockenplatz
eB werden von Haus zu Haus Leinen. quer herüber gefpannt
und mit naffer Mäfche behangen. J |
Der Verf. geht nun einige der „ſchlechten Viertel”
welche er befucht hat fpeciell Durch. Zuerſt London mit
St.⸗Giles und Umgegend, mit Whitechapel und Bethnal-
Green, wo überall ganze Familien in einem Zimmer
zufammengedrängt find, fehr oft ohne alles Mobiliar,
ohne Bett. Aus dem reihen, ſchrecklichen Material,
welches ber Verf. zufammenftellt, bier nur ein, eben
noch nicht das furdtbarfte Bid:
Bei Gelegenheit einer Todtenſchau, die Hr. Earter, Coro⸗
ner für Surrey, über die Leiche der Fünfımdvierzigjährigen Ane
Galway am 14 Rov. 1843 abhielt, erzählen bie Journale Fol⸗
gende von ber. Wohnung der Berfiorbemen: Sie hatte in Kr. 3,
White: Lion-Court, Bermendfey : Street, London, mit ihrem
Mann und ihrem neunzehnjährigen Sohne in einem Beinen
Zimmer gewohnt, worin fih weder Bettftele oder Bettzeug
oder fonftige Meubles befanden. Sie lag todt neben ihrem
Sohne auf einem Haufen Pebern, die über ihren faft nackten
Körper geſtreut waren, denn es wur weder Dede noch Bettuch
vorhanden. Die Federn Plebten fo feft an ihr über den gan:
en Körper, daß der Arzt die Leiche nieht unterfuchen konnte,
eoor fie gereinigt war und dann fand er fie ganz abgemagert
und über und über von Ungeziefer zerbiffen. Ein Xheil des
Yußdodens im Zimmer war aufgerifjen und das Loch wurde
von der Familie als Abtritt benupt.
Don London führt und der Verf. durh Dublin,
Edinburg, Liverpool, die Fabrikſiädte Nottingham, Bir⸗
mingham, Glasgow, Leeds, Brabford u. f. w. und das
ganze an Fabrikſtädten fo überveiche Lancaſhire. Überall
daffelbe unmenfchlidde Elend der Maſſen. Sehr detail-
lirt endlich, durch eingebrudte Holzfchnitte und den Man
der Stadt erläutert, ift die Schilderung von Mandhefter,
diefer Krone aller Fabrikſtaͤdte. Der Verf. hat dort län
gere Zeit gelebt und indem er uns überall einführt im
die Lebensverhältniffe ber Arbeiter, was Wehnung, was
Kleidung, was Nahrung betrifft, befommen mir burch
ihn von den vielen phyſiſch und moralifch verderbfichen
Umſtänden des Arbeiterlebens ein erfchütterndes Bild.
Das Ganze überblidend fchlieft der Verf. feine Schil⸗
berung ber Arbeiterviertel:
Die Arbeiterclaffe der großen Städte bietet uns fo eine
Stufenleiter verfchiedener Lebenslagen dat, von einer erträgli«
hen Erijtenz bis zum bitterften Elende, das ſich bis zur Ob-
dachlofigkeit und bi6 zum Hungertode Fb ia fann, in dem
aber der Durchſchnitt dem fchlimmften Kalle weit näher liegt
als dem beften. Und diefe Stufenleiter theilt ſich nicht etwa
blos in fire Claſſen, fobaß man fagen Fünnte: dieſer Rraction
der Arbeiter geht ed gut, jener fchlecht, und fo bleibt es und
fo ift es fchon von jeher geweſen, fondern, wenn das auch hier
und da der Fall iſt, wenn einzelne Arbeitsgweige im Ganzen
einen Borzug vor andern genießen, fo ſchwankt doch auch die
Lage der Arbeiter in jeder Branche fo fehr, daß ein jeder ein»
zelne Wrbeiter in den Fall kommen kann, die ganze Stufen-
leiter zwiſchen verhälfnifmäßigem Comfort und dem äußerften
Mangel bis zum Hungertode durchzumachen, wie denn auch
jeder englifhe ‚Profetarier von bedeutenden Glücktzwechſeln zu
erzählen weiß. ü W |
Diefe Glückswechſel find in der That eine ber we»
fentlihften und folgereichften Seiten. des heutigen Pro⸗
letariat® und wenn es auch bis jept nur in England
feine claffifche, zwei Drittel bis brei Viertel der ganzen
Bevölkerung umfaifende Ausbreitung gewonnen hat, fo
| Hönnen. wir doch auch fehon in Deutſchland baffelbe nir-
gend mehr verleugnen und verkennen. Suden wir nun
nach der eigentlichen Urfache diefer gefchilderten Zuftände
und nach dem mächtigften Princip ihrer inneren Bewe⸗
gung, fo erkennen wir als foldyes die moderne Concur⸗
renz. Der Verf. hat und gezeigt, wie die Concurrenz
gleich im Anfange ber induftriellen Bewegung das Pro-
fetariat fehuf, indem fie bei vermehrter Nachfrage nach
gewebten Stoffen ben Webelohn fleigerte unb dadurch
die webenden Bauern veranlaßte, ihre Ackerwirthſchaft
aufzugeben, um am Webeſtuhl defto mehr verbienen zu
fönnen, und wie fie das Proletariat ſchuf, fo Hat fie
daffelbe auch immer weiter entwickelt. Was ber Verf.
im Allgemeinen über die Goncurrenz fagt, ift befannt
genug, da es eben nur das Hinlänglich Bekannte ent-
hält. Höchft intereffant aber: iſt die Darſtellung, welche
der Verf. von den in England fo gefürchteten unb fihon
| unvermeidlich gewordenen Fluctuationen ber. Production,
von ben periodifchen Krifen und von der Lage und Zus
nahme der „überflüffigen Bevölkerung” entwirft. Man
oͤre: | | u '
Diefer Überflüffigen gibt es nach den Berichten der Ar
mengeſetz⸗ Commiſſaire durchfhnittlid) anderthalb Millionen in
| England und Wales; in Schottland läßt fich die Zahl wegen
Mangel an Urmengefegen nicht beftimmen und von Irland
werden wir fpeciell zu fprechen haben. Diefe anderthalb Mil⸗
tionen fehließen übrigens nur Diejenigen ein, die wirklich bie
Armenverwaltung um Huͤlfe anfprechen ; die große Menge, die _
fi ohne dies legte fo ſehr geſchente Musbunftsmiktel anguwen-
den forthüft, iſt darin nicht eingeſchloſſen; dafür fallt aber
nun ein guter 4
und Bommt bier alſo nicht in Betracht. Während einer Krifis
vermehrt fich diefe Zahl natürlich um ein Bebeutendes und die
Roth fteigt auf den höchſten Brad. Nehmen wir 3. DB. die
Krifis von 1842, die, weil die legte, auch die heftigfte war —
denn bie SIntenfität der Kriſen wacht mit jeder Wiederholung
umd die nächfte, die wol 1847 fpäteftens eintreten wird, wird
allem Anſcheine nad) noch heftiger und bauernder fein. Waͤh⸗
rend diefer Krifis flieg die Armenfteuer in allen Städten auf
einen nie gefannten Höhepunkt. Unter Anderm mußten in Stodport
von jedem Pfund, das als Hausmiethe bezahlt wurde, 8 Schil⸗
ling Armenfteuer bezahlt werden, fobaß die Steuer allein 40
Procent. vom ganzen Miethöbelrage der Stadt ausmachte.
Dazu flanden ganze Strafen leer, ſodaß mindeftens 20,000
Einwohner weniger ald gewöhnlicher da waren und man an
die Zhüren der Leerftehenden Häufer gefchrieben fand: Stock-
port to let — Stodport zu vermiethen! In Bolton, wo in
gesvöhnlichen Jahren der Armenfteuer zahlende Miethertrag
ducchfchnittlih 86,000 Yf. St. betrug, ſank er auf 36,000.
Pf. St.; dagegen flieg. die Anzahl der gu. unterflügenden,
Armen auf 13,000, alfo über 20 Procent der Einwohnerzahl.
In Leeds hatte die Armenverwaltung einen Refervefonds von
10,00 Hf. St. Diefer fowie eine Collecte von 72000 Pf.
St. wurde ſchon che die Krifiß ihren Höhepunkt erreichte
voliftändig erihöpfe So war es überall; ein Bericht, den ein
&omite der Anci-Korngele-Figue im 3. 1843 über ben Zuftand
der Induftriebezirfe 1542 erftattete und der auf ausführlichen
Angaben der Fabrikanten beruhte, fagt aus, daß die Armen:
fleuer durchſchnittlich doppelt fo hoch gewefen fei al6 1839 und
die Zahl der Unterftugungsbedürftigen ſich feit jener Zeit ver-
dreifacht, ja verfünffacht babe; daß eine Menge Applicanten
einer Claſſe angehörten, die bis jetzt nie um Unterftügung ans
halten hätten u. f. w.; daß die arbeitende Claſſe über zwei
Drittel weniger 2ebensmittel zu verfügen habe als 1834 und
1836, daß die Conſumtion von Fleiſch bedeutend geringer
gewefen fsi, an einigen Orten 20 Procent, an andern bi6
zu 60 Procent; daB felbft die gewöhnlichen Handwerker,
Schmiede, Maurer u. f. w., die fonft in den gebeüdteften De
rioden noch volle Befchäftigung hatten, ebenfalls viel an Mans
gel an Arbeit und Eohmberabfegung gelitten hätten; und daß
felbft jegt, im San. 1843, der Lohn noch fortwährend im Fal⸗
fen ſei. Und das find die Berichte von Fabrikanten! Die brot:
Iofen Arbeiter, deren Fabriken ftillftanden, deren Brotherren
ihnen Feine, Arbeit geben Tonnten, fanden überall auf den
Straßen, bettelten einzeln oder in Haufen, belagerten fcharen»
weife die Chauffen und ſprachen die Borüberfommenden um
Unterftügung an; fie baten aber nicht kriechend wie gewöhn⸗
Siche Bettler , fondern drohend dur ihre Zahl Geberden und
Worte. So fah es in allen Induſtriebezirken aus, von Lei⸗
cefter bis Leeds und von Mandefter bis Birmingham. . Hier
und da brachen einzelne Unruhen aus, fo im Juli in den 2:
pfereien von Nord » Stafferdfhire; die fürchterlichfte Gaͤhrung
berrfchte unter den Arbeitern, bis fie endlich im Auguſt in der
allgemeinen Infurrection der Fabrifdiftricte zum Ausbruche
kam. As ich Ende Rov. 1842 nah Mancheſter kam, flanden
no überall eine Menge Arbeitölofer an den Straßeneden und
viele Jabriken ftanden noch ſtill; in den naͤchſten Monaten bie
Mitte 1343 verloren ſich die unfreimilligen Eckenſteher allmaͤ⸗
lig und die Fabriken kamen wieder in Betrieb, .
(Die Bortfegung folgt.)
Galerie ſchweizeriſcher Dichter.
3. Abraham Emanuel Fröhlich.
(Weihiuf aus Nr. 50.)
Im neunten wird. Hutten's Heimkehr von Rom
und feine Ankunft in Augsburg gefildert, wo er mit Con⸗
%
Theil der obigen Zahl auf die Aderbaudiftricte
ia den Seelenbund erneuert; ber zehnte Geſang beſchreibt
und des Ritters Dichterfrönung, der eihte den Kriegszug gegen
Ulrich von Würtemberxg, worauf er an den Hof des Erzbischofs
von Mainz zeg, ber jedoch aus Angft, fi Unannehmlichkeiten
zuzuziehen, ihm anbeutet, Daß es gut wäre‘, an einem andern
Dit beifere Zeiten zu erwarten. Dies ift ber Inhalt des zwölf
tem Gefangs ; im dreizehnten finden wir den Ritter in Brüffel,
wo er fi umfonft bemüht, Sutritt zum Kaifer (Karl V.) zu
erhalten, denn die Dominicaner hatten den persiber ſchon mit
Iren Regen umfponnen. Auf der Rüuͤckreiſe wird er vor den
achſtellungen Hogſtraten's gewarnt; viele Freunde geben ihm
bad Geleit, und fo frifft er den Keperrichter, der ſelbſt aus-
gegangen war, den Ritter zu fuchen, in einer abgelegenen Ge-
gend. Der erite Gedanke Hutten's war, ihn zu-tödten, doch
mäßigt er fih und begnügt fi, den Elenden mit der flachen
Klinge zu züchtigen. Der bierzehnte Sefang führt uns den
Reichsſtag zu Worms vor (1521), wehin Hutten von Sickin⸗
gen’8 Burg aus gezogen war, um Luther den Schutz des
tapfern Freundes anzubieten. Wirkungsvoll iſt die Schilderung
des Einzugs Karl's V. und dann Luther's. Dort Pracht und
Glanz aller Yet, aber Abneigung von Seiten des Volks; bier
einfaches Geleit der Freunde und Anhänger nebft Faiferlicher
Bewachung, aber der allgemeinfte Bolksjubel.. Als es bekannt
wurde, daß Der Kaiſer daß fichere Geleit zurücknehmen wolle,
das er Luther veriprochen habe, bietet ihm „Hutten den Schug
Sickingen's an, aber der kühne Mönch weigert fi ibn an:
zunehmen. Rad Ebernburg zu Sidingen zurückgekehrt, gelo:
ben. ji die Freunde, für die Freiheit Ales au wagen. Es
fou ein Bund des Adels und der Städte gefchloffen werden,
und Hutten fol die Macht feines Talents gebrauchen, das
Bolt für bie heilige Sache zu gewinnen. Er fagt:
IH will die Stimm’ erheben wie der Pofaune on,
Und auch von nun an reben deutich zu ber deutfchen Nation. '
Anher hab’ ich gefungen und lang genug Latein; j
Do bin ich durchgedrungen und Bring’ wol tiefer ein,
Red' ich in deutfcher Zunge, wie Luther recht und ſchlecht; ,
In deutfcher Pfalz und Kirche fei deutſch dad Wort und deutſch
das Reit!
Während Sickingen auszieht, Iheilnehmer zum Kampfe zu
werben, läßt Hutten feine Schriften erfcheinen, die dem Freund
mächtig vorarbeiten. Es wird ein Rittertag in Landau gehal-
ten und auf demfelben befchloffen, die neue Lehre mit den Wafe
fen zu unterftügen. Sidingen, zum oberften Hauptmann ge:
wählt, befchlicht, zuerft den Erzbifchof von Trier zu überfal⸗
len, und Alles wird trog der Doarnungen Okolampad's zu
dem Zuge gerüftet, Hutten aber in die Schweiz gefchidt, um
Hülfe zu holen. So weit.der funfzehnte Geſang. Im ſech⸗
zehnten fehen wir den Helden auf der Burg feiner Väter, um
von ben einen Abfchied zu nehmen. Auch der Vater, fo fehr
er mit dem Geiſte der neuen Lehre. einverftanden ift, warnt
vor Gewaltjchritten, dach umjonft; Hutten eilt nach Augsburg,
um auch dort von ber Geliebten Abfchieb zu nehmen und bie
baldige gängliche Bereinigung mit ihr zu befprechen. Ihrer
Treue ſicher ſetzt er heitern Muthes feine Wanderfahrt fort.
Er fingt: Ich wagt's mit Sinnen und trage keine Reu',
Und ſolli' ich nicht gewinnen, noch muß man ſpuͤren Brew. '
Das foll man noch erkennen, role wohl man baran thut,
Mich Pfaffenfeind: zu nennen; das kommt bem deutfchen Band zu gut,
Da laß’ ich Jeden lügen und reden was er wil;
Hät Wahrheit ich verſchwiegen, mir wären Hulder viel.
Ich babe, mich zu tröften, ein gut Gewiffen doch,
Daß Keiner von den Boͤſten die Ehre mir abbreche noch.
Und was mie mag erbenten ber Gurtifanen Lift,
Ein Herz läßt fi nicht kraͤnken, dad guter Meinung ift.
Noch müllen Sieg erwerben, die widerfteh'n aufs Blut;
Mid laflen nit verderben Landsknechte gut und Reitersmuth.
Die Siegeshoffnung ward aber nur zu bald und bitter
04
etäufcht. Kaum tft ber Aitter in der Mähe von Bafel ange:
Immen (fiebzehnter Sefang), als ihm „Schweikard Sickingen⸗
des Freundes erfter Sohn‘, begegnet und ihm das gänzliche
Misfingen des Bugs gegen Trier und den Zob bes ‚Helden
vaters berichtet. So ift denn das Vaterland für Hutten ver-
Ioren. Zwar Hoffe er noch auf Bafel, wo er allerdings auch
die befte Aufnahme bei Rath und Bürgerfchaft findet, aber
Erasmus zieht fi von ihm zurüd, ja er arbeitet fogar gegen
ihn und wendet den Rath von ihm ab.
De fprüht fein Auge Feuer, in Feuer malt Tein Blut,
Und an Erasmus ſchreibt er alfo in hödfter Bornesglut:
Bin ih, weil nun ungluͤcklich, deshalb ein ſchlechte Mann? .
Iſt Recht zu Unrecht worden, weil's nicht den Sieg gewann?
Und dw haft und die Waffen in dieſe Schlacht gereicht,
Der .nun fo felg und ſchimpflich von feinen Kampfgenoffen weicht.
Und du verföhnft di wieder mit dem Hogftraten gar,
Mit einem Eck und Vaber und ihrer finftern Schar,
und ſchmeichleriſche Briefe find und von dir bekannt
An die Legaten, welche du mit und eine Peſt genannt.
Und von ber heiligen Kieche nennft du dich ungetrennt;
Mun ſag', wo iſt die Kirche, bie ihren Herrn befennt?
Iſt fie in Rom denn einzig, In Köln noch oder Trier,
Und da, wo Kirchenfuͤrſten erweiſen Gunſt und Gnaden dir?
Ja mehr ald Kreundeötreue gilt dir der Herren Gunſt;
Mehr als der Wahrheit huldigt dem Ruhme deine Kunft;
Bon fürftlichen Gefchenten, der Herrſcher Iahrgehalt .
Wird bir dad Gold des Worteß, des Wortes Perle uͤberſtrahlt.
Und dennoch wird in Schatten bein hoher Ruhm geftellt
Bon Luther’d Heldenmuthe, bes aufregt alle Welt;
Drum beißet und bein Neiden abtrünnig und empört,
Die Sekte, fo die Kirche und beined Lebend Werk zerftört.
Und du zerſtoͤrſt es felber, dad Evangelium,
Das du hervor und holteſt, verbirgfi dy wiederum;
Du mußt dich felbft befeinden, daß Nom die freundlich fei;
Doch, mad du widerrufeſt, Rom felber lacht der Heuchelei
Wie bift du zu beilagen, noch an bed Grabes Rand
Um Menfhengunft au bublen! — Und wenn di deine Hand
Sm Kampf ermäbet fühlteft, warum erhebſt du dich
Denn wider beine Freunde, und warum benn verfolgft du mid,
Des dich fo oft befhüste, den -du belobt fo oft? .
Wie wenig haft verfianden dad Wort bu: Wer da hofft.
Sein Leben zu gewinnen, bem wird's verloren fein;
Ich kam, dad Schwert zw bringen, für mid muß ſich die Welt
entzwei'n.
Sei dieſes Schwert geſchwungen nunmehr auch wider dich!
Was Edles du vollbrachteſt, will ſelbſt verfechten ich;
Doch ſolch ein ſchnoͤd Verleugnen, Verraͤtherei und Trug
Entlarven und bekaͤmpfen bis zu dem letzten Athemzug.
Erasmus’ Benehmen und die Furcht vor dem Dolch oder
Sift der Dominicaner, die ihm auch in Bafel auflauerten, trieb
den Ritter nach Sürih, wo er von Bmwingli trog Erasmus’
leidenfchaftliche Briefe gut aufgenommen wurde. Doch Hut:
ten ſehnt ſich nach Abgeſchiedenheit und fo führt ihn Imingli
auf die. Infel Ufnau (im Züurcherfee), wo der Kapellan ihn
mit der treueften Liebe aufnimmt. Uber die alten Wunden
waren wieder aufgegangen und die Wunde des Herzend drang
immer tiefer ins Leben. &o ward er bei aller liebevollen
Pflege täglich matter, fodaß der Kapellan, der fich nicht mehr
taͤuſchte, Zwingli herbeirief. Diefer eilte fogleicy herbei, aber
als er gekommen und mit dem Freunde den Ritter im Freien
ſuchte, fanden fie ihn an einem Baume zurüdgelehnt erblaßt
figen, vor ihm feine Schriften, die Reber der Hand entfallen
neben ihm.
Er war ein’ Helb, fagt Broingli, bewährt in Kampf und Roth,
Und war ein edler Sänger, und farb bed Gängerd Zob,
Umſtrahlt von Celigkeiten, von Lieb’ und Freu’ umſchwebt;
Sein Schwert und feine Weber, gefegnet bleibt, was er eritrebt.
lich Höher ftehen würde, wenn fi
Sein Schwert und feine Weder, fen Fentes Eigenthum,
Er hat damit erworben Unſterblichkett und Ruhm.
Sein Grabmal iſt die Infel; Jahrhunderte Vergeh’n,
Dee Deutfde wird nad Husten zur Ufnau noch dinuͤberſch'n!
Wir hoffen, daß diefe Überficht des Ganzen des Ge⸗
dichts manchen unferer Lefer bewegen wird, daffelbe ganz ken⸗
nen zu lernen, und wir find überzeugt, daß, abgefehben vor
der Anordnung und künſtleriſchen Geftaltung, Jeder bei ber
Lecture Befriedigung finden wird. Uns fcheint freilich, daß die
Eompofition vor Am ind Auge gefaßt werden muß, wie wir
denn die innigſte Überzeugung be en, daß die Dichtung unend⸗
4 der Berf. zur Fünftlerifchen
Anfhauung erhoben Hätte, weshalb wir bei der Beurtheilung
vorzugsweife von dieſem Standpunkte ausgegangen find; zumal
wir wuͤnſchen, daß der Dichter bei fpätern Productionen felbft
die Wahrheit unferee Bemerkungen einfehben und beherzigen
möge. „Hätten wir dagegen mehr das Einzelne berüdfichtigt,
fo hätten fich der fchönen, ja frefflichen Stellen genug geboten,
dfe wir unfern Leſern hätten mittheilen können, ſodaß es und
trog unferer Anfiht doch wol vergönnt ift, das Gedicht zur
Lecture zu empfehlen. Denn, wir wiederholen ed, im Ein»
zelnen wird Seber Befriedigung finden. 65.
Eine Bittfhrift Jean Paul's.
Über den in Nr. 2 d. BI. unter diefer Überſchrift mitge⸗
theilten Artikel enthält die augsburger „Allgemeine Zeitung ’
in Rr. 29 Folgendes: u
„Es macht gegenwärtig ein Brief Sean Paul's anden Kaifer
Alerander von Rußland die Runde in deutfchen Zeitungen, in
welchem der Dichter des Kaiferd Berwendung beim Wiener
Eongreß für den Fortbeftand der ihm vom Fürften Primas er:
theilten Penſion in Anſpruch nimmt. Die «Blätter für lite
rariſche Unterhaltung» theilen ihn zuerſt und zwar aus ruſſi⸗
fhen Quellen mit. Der Brigt war näher zu haben, da. er in
der bei Mar in Breslau 1826— 33. erſchienenen Biographie
Sean Pauls (Bd. 8, ©. 18) bereits abgedrudt if. Hier
würde man auch finden, was genannte Blätter nicht mitthei»
len, daß Iean Paul's Brief an den menfchenfreundlichen Kai⸗
fer gänzlich erfolglos war, daß felbft Stägemann aus Berlin
| vergeblich -fih für ihn verwandte, und daß es dem königlich
bairifhen Miniſter Montgelas vorbehalten blieb, der Schuld
des Vaterlands gegen einen ihrer großen geiftigen Wohlthäter
| Anerkennung zu verfhaffen, und die zwei Jahre lang fiftirfe
Penſion auf die Staatskaſſe zu übertragen. Vielleicht werden
nad obigem Brief auch Jean Pauls Worte an dielen Mini
fter nicht ungern wieder gelefen; fie lauten: «Empfangen Sie
meinen gerübrteften Dank für nit bloß erhörte, fonbern fo-
gar übertroffene Hoffnungen. Aber am beften dank’ ich Ihnen,
wenn ih Ihnen, fomweit der Abftand der Kraft verftattet,
nahahme, nämlich wenn ih das Kicht, das ie burch Ala-
bemien und Schulen, durdy Bereinigung und Belohnung heller
Köpfe in die dunkeln und jungen fenden, mit meiner kleinen
Feder fortpflanzgen helfe; das LKicht, das moralifih wie phyſiſch
das Föftlichfte.und Fräftigfte Element der Erde bleibt, ohne wel⸗
ches jedes andere Element erfticbt.»
Citerarifche Anzeige.
Bei F. A. Brockhaus in Leipzig ift foeben erſchienen und
in allen Buchhandlungen zu erhalten:
dolphine, Neue Märden und Er-
zählungen für jugendlihe Lejerinnen.
Gr. 16. Geh. 24 Ngr.
Bon der Berfafferin erfchienen im Jahre 1844 ebendafelbft:
Märchen und Erzählungen für ingendliche
Referinuen, Gr. 16. er In He
Verantwortlicher Heraudgeber: Heinrich BWeoddaus. — Druck und Verlag von F. X. Srockdaus in Leipzig.
- —
Blaͤtter
fuͤr
literariſche Unterhaltung.
Sonnabend,
21. Februar 1846.
Die ſociale Frage.
(Bortfegung aus Nr. 61.)
Eine andere Concurrenz, worunter beſonders die eng⸗
liſchen Arbeiter leiden, geht aus der „iriſchen Einwande⸗
rung‘ hervor. Sie bildet die niedrigſte Arbeiterbevölke⸗
rung Englands und gefaͤhrdet durch ihre Concurrenz die
Civiliſation der engliſchen Arbeiter auf das allerempfind⸗
lichſte. Schmuz und Trunkſucht u. f. w. werden von
dieſen iriſchen Einwanderern zugleich mit ber Exrniebri-
gung des Lohns eingeführt und die ganze unterfte Arbei-
terclaffe Englands wird dadurch gewaltfam herabgezogen.
Der Verf. flelt nun die Refultate dar, was ans
dem Ürbeiter in einer folchen focialen Rage körperlich
und geiflig werden mußte. Er verfolgt zuerft, und zwar
immer auf officiele Zeugniffe geflügt, bie Wirkung ber
befchriebenen Umftändge auf die Gefundheit. Er beobachtet
die Schwindfucht und andere Lungentrankheiten und ba-
neben ben Typhus in ihrer Intenfität unter ben arbeir
tenden Claſſen nad Beichaffenheit der Wohnungen in
ben verfchiedenen Arbeltervierteln. Er befpricht alsdann
die mit den fchlechten Nabrungsmitteln zufammenhängen-
den Unterleibskrankheiten, Skropheln, Rachitis u. f. w.,
die Iangfame Vergiftung der Kinder durch befchwichti«
gende Dpiate, wie das allgemein angewandte „Godfrey's
Cordial“, die Trunkſucht bei beiben Gefchledhtern, die Quack⸗
falberei, durch fhlechte Sorge für das Medicinalweſen
befördert u.f.w. Er vergleicht bie Sterblichkeit der ver-
fehiedenen Claſſen dev Sefellfichaft, die enorme Zunahme
derfelben in Zeiten der induftriellen Kriſe. Alles nach
officiellen Zeugniffen. So wird ihm bier zum Refultat,
dag der Mangel pflichtmäßiger Sorge ber Gefellfchaft
für die Arbeiterclaffe vielfachen Todtſchlags an biefer fort-
während fchuldig werbe, woraus er die Anklage „des
forialen Mordes gegen die Bourgeoifie formulirt, weil
diefe jene Übel kenne, alfo um jenen Todtſchlag wife, die
Macht der Geſellſchaft, die Staatsgewalt, inne habe und
doch auf Verhütung derfelben nicht ernſthaft Bedacht nehme.
Dann befpricht der Verf. die Wirkung der Lage ber
Arbeiterclaſſen auf ihre intellectuelle und moralifche Bil-
dung. Er weift ben erfihredenden Grab des Man—⸗
geld an Bildungsmitteln nach und die vollfländige Un-
zulänglichkeit der Abend - und Sonntagsfihulen. Nicht
allein, daB der Arbeiter weber leſen noch fchreiben
ordentlich lernt, auch über fittliche DBerhältniffe, ja felbft
über die in England doch für fo wichtig gehaltenen po-
fitiven Religionsiehren fehlt der nachwachſenden Jugend
ber Ürbeiterclaffe in einem uns Deutichen fabelhaft
fheinenden Grade alle Vorftellung. Der Verf. bringt
Zeugniffe aus officiellen Prüfungen bei, die allen Glau⸗
ben überſteigen. Die Armuth mit ihrem brutalifirenden
Einfluffe, bie Unficherheit der Nahrung und die BVer-
dammung zu einer abflumpfenden Imangsarbeit unter-
graben die Sittlichleit des Proletariats. Hierzu tritt
aledann das Gefühl, Unrecht zu erbulden, der tägliche
Anbli des oben bezeichneten „focialen Mordes“ mit dem
Haffe gegen die Unterbrüder, wobei bann die Gentrali-
fation der Bevölkerung die bemoralifirende Wirkung ber
genannten Urfachen noch verftärft und ausbreiten hilft.
Der englifche Arbeiter zeigt aber dennoch, wofür ber
Berf. auch engliihe Gewährsmänner anführt, mehr
Mitgefühl und Hingebung für fremde Noth als ber
Engländer der befigenden Claſſen, fodaß die Armen am
meiften von den felbft bürftigen Stanbesgenofjen unter-
flüge werden, und hierin will er einen guten Einfluß des
Zufammenlebend mit dem gefelligern und hingebendern
Irländer erfennen. Dagegen feien Trunffucht, Zügel»
lofigkeit des Geſchlechtsverkehrs, Auflöfung der Familie
und Nichtachtung der focialen Ordnung bie gleichzeitig
in erfchrediendem Maße vorhandenen und in überaus
rafcher Zunahme begriffenen böfen Seiten des proletari-
fhen Charaktere. Die Erfolge der Mäfigkeitspredigten
würden meit übertrieben, indem freilich 3. B. in Men-
chefter jährlich mehr Mäßigkeitsgelübde abgelegt würden
ale es dort erwachſene Mitglieder der arbeitenden Claf-
fen gäbe, ein wirkliches Halten aber nur felten bemerkt
werde. Verbrechen, namentlich gegen bas Eigenthum,
nehmen nad, officiellen angeführten Mittheilungen von
Jahre zu Jahr um mehre Procent zu, 3. B. „in Enge
land und Wales verfiebenfachen fich die Verhaftungen
in 37 Jahren” und ein Krieg der Nichtbefigenden gegen
die Befigenden ift bereits fo gut wie ausgebrochen. ⸗
das Bewußtſein darüber reift in einem Theile der Ar⸗
beiterclaffe feyon heran und veranlafßt anders geartete,
befonnene und gejchloffene Bewegung derfelben.
Specialia können mir hier nicht geben, wir müffen
beshalb auf das Werk ſelbſt verweilen. Aber am
Schluſſe der erften Hälfte bes Buchs, welche das Ger
meinfame der Lage der Arbeiterclaffen unterfucht und
Die wir kurz ſtizzirt Haben, theilt der Verf. ein paar
Strophen eines Gedichte mit, das die Anſicht der Ar⸗
beiter felbft über das Fabrikſyſtem ausfpriht. Es ift
der richtige Ausdrud der unter den Arbeitern berrfchen-
den Geflmmung, verfaßt von Edward Mead in Wir-
mingham, und lautet felgendermaßen:
Gin König lebt, ein zorniger Fuͤrſt,
Richt des Dichters geträumtes Königsbild,
Ein Tyrann, den der weiße Save kennt,
Und der Dampf ift der König wild.
Er bat einen Urm, einen eifernen Arm,
Und obgleich er nur Einen trägt;
In dem Urme fchafft eine Zauberkraft,
Die Millionen fchlägt.
Wie der Moloch grimm', fein Ahn, der einft
Im Thale Hinnom Us
Iſt Feuersglut Tein Gingeweid’
Und Kinder find fein Fraß.
Seine Prieſterſchar, der Menſchheit ber,
Bol Blutdurſt, Stolz und Wuch,
Sie Ienfen — o Schand’! — feine Riefenhand
Und zaubern Gold aus Blut.
&ie treten in Staub das Menſchenrecht
Kür das fchnöde Gold, ihren Gott,
Des Weibes Schmerz ift ihnen Scherz,
Des. Mannes Thraͤn' ihr Spott.
Mufik iſt ihrem Ohr das Schrei'n
Der Armen im Todeskampfz
Skelette von Jungfrau'n und Knaben füll'n
Die Hoͤllen des Koͤnigs Dampf.
Die Hoͤll'n auf Erd’ fie verbreiten Tod,
Seit der Dampf herrfcht, ringe im Neid,
Denn des Menfchen Leib und Seele wird
Gewordet d’rin zugleich.
D’rum nieder ben Dampf, den Moloch wild,
Urbeitende Zaufende al’,
Bindet ihm die Hand oder unfer Land
Bringt er über Nacht zu Fat!
Und feine Voͤgte grimm, die Mill⸗Lords ftolz,
Goldſtrotzend und blutigroth,
Stuͤrzen muß fie des Volkes Zorn,
Wie das Scheufal, ihren Bett.
Der Verf. geht nun von dem Gemeinfamen in ber
Rage der arbeitenden Glaffen zu dem Gigenthümlichen
bes einzelnen Arbeitszweige über und bier flieht natür⸗
lich bie Abtheilung der eigentlichen Fabrikarbeiter oben
an, b. b. derjenigen Arbeiter, die unter dem „Fabrikactt“
ſtehen. Dieſes Gefeg regulict die Arbeitszeit in ben
Fabriben, in welchen Wolle, Seide, Baummolle und
Flache mit Hüffe von Waffer- oder Dampfkraft ge-
fponnen oder gewoben wird und erfiredt fi alfo auf
Die bebeutendften Zweige der engliſchen Inbuftrie.
Die von ihnen lebende Caſſe ift die zahlreichfte, ältefte,
inteligentefte und energifchfte, daher aber auch die unruhigfte
und ber Bourgeoifie am meiften verhaßte. Sie fteht, und ſpe⸗
ciell die Baumwollen : Kabrikarbeiter ftehen an der Spige ber
mubeiserberoegung, wie ihre Brotherren, die Fabrifanten, an
der pi ber Bourgeoisie - Agitation (der Anti - cornlaw-
keagus .
Die Arbeiter diefer Iuduſtriezweige wurden zuerſt
durch neue Mafchinen aus ihren biöherigen Verhältniffen
herausgerifſen und auch Tpäter noch won den Fortfchrit-
ten bes Fabrikſyſtems am meiften berührt. Noch im-
mer geht in biefen Zweigen die Arbeiter erfparende Ma-
finenvervolltommnung weiter. In Mancheſter z. B.
waren in 35 Kabrifen nur 1060 Mulefpinner mehr an-
geftellt ais 1841, obwel die Anzahl dee Spindeln in
eben diefen Fabriken in Diefer-Zeit um 09,339 vermehut
worben. Syn fünf Fabriken find gar keine Spinner mehr,
indem fie durch fogenannte self-actors erfegt find. Seit
1841 find aber ſchon wieder fo viele Verbefferungen be-
fonder& durch Verdoppelung ber Spinbelreigen eingeführt
worden, daß in einigen der genannten Fabriken feitdem
wieder die Hälfte der Spinner entiaffen werben if,
z. B. in einer Fabrik, wo vor kurzem noch 80 Spinner
waren, find nur noch 20; bie übrigen find weggeſchickt
oder müffen Kinderarbeit für Kinberlohn thun. Cbenfo
in Steckport, wo 1835 noch 840 Spinner und 1841
nur noch 140 befchäftigt wurden, obgleich die Spinnerei⸗
induftxie Stodports in biefer Zeit bebeutend zugenem⸗
men hatte. Beſonders Männerarbeis wird immer mehr
überflüſſig. Der mechanifhe Webſtuhl beginnt auch
fon in die Wollen» und L2einenweberei einzubrechen
und es ift nicht mehr abzufehen, wie die überzähligen
Ürbeiter Berwendung finden follen.
In den Spinmereien findet man bei den Throſtles
nur Weiber und Mädchen, bei den Mules einen Spin-
ner, einen erwachfenen Bann (der bei ben self-- acters
wegfällt) und mehre „„Piecer” zum Antnüpfen der Faͤ⸗
ben, meift Kinder und Weiber, zuweilen auch junge
Männer, meift von 18— 20 Jahren, und hier und da
einen alten, brotios geworbenen Spinner. (Der Fabrik⸗
infpector 2. Homer fagt in feinem officiellen Bericht vom
Det. 1844: Der Staub der Dinge in Beziehung auf
ben Arbeitolehn ift augenbiidiich ſehr verdreht in eini«
gen Zweigen der Baumwollenfabritation in Lancaſhire.
Es gibt Hunderte von jungen Männern, zwiſchen 20 —
30 Jahren, die als Piecer und fonft befchäftigt find und
nicht mehr als 8 oder 9 Schilling wöchentlich erhalten,
während unter demfelben Dache Kinder von 13 Jahren
5 Schilling und junge Mädchen zwifchen 16 und 20
Jahren 10 — 13 Schilling wöchentlic, verdienen.) Bei
ben mechaniſchen Webflühlen arbeiten meift Weiber vom
15— 20 Sahren und barüber, auch einige Maͤnner, bie
aber jelten über ihr einundzwanzigſtes Jahr bei ber Be-
fhäftigung bleiben. Don den 419,560 eigentlihen Ba-
brifarbeitern des britifhen Reiche (1539) waren 192,887,
alfo beinahe die Hälfte, unter 18 Jahren und 242,296
weiblichen Gefchlechts, von denen 112,194 unter 18 Jah⸗
ren waren, wonach alfo die Zahl ber männlichen erwach⸗
fenen Arbeiter nur 23 Procent ber Geſammtzahl, au
noch kein volles Viertel betrug. Durch bie Fabrikarbeit
der verheiratheten Weiber wird eine vollkommene Auf-
löfung der Familie herbeigeführt. Die Kinder wachen
wild auf oder werden zum Verwahren für 1 oder 14
Schilling die Woche ausgemiethet oder bleibenden furcht⸗
bar ſich häufenden Unglüdsfällen preisgegeben. „Die
Liften des Todtenſchau⸗Beamten von Mancheſter hatten
in 9 Monaten 69 durch Verbrennung, 56 buch Er⸗
—
teinten, 33 durch Fallen, 77 durdy andere Unglüdsfälle
Getödtete aufzınweifen.” Man tefe das Nähere felbft in
dem Buche. In vielen Zählen wird die Familie Durch das
Sebeiten ber Frau mehr auf den Kopf geſtellt als auf-
geloͤſt. Die Frau ernährt die Familie, der Mann fipt
su Daufe, verwahrt die Kinder, kehrt die Stube und
kocht; „in Mancheſter allein Tiefe ſich manches Hundert
folder Männer, die zu häuslichen Verrichtungen ver-
dammt find, zufansmenbringen.” Es wird vom Verf.
ein Brief mitgetheilt, in dem die Empfindung eines Ar-
beiter® über diefe zunehmende Umkehrung Sprache er-
hätt. Wie fehr ein folcher Zuftand den tüchtigen Arbeiter
empören muß, kann man fi denken; auch auf das
weibliche Geſchlecht wirft er äuferfi traurig. Die nad
fende Yrauengeneration hat fon nichts mehr von
haͤnslicher, weiblicher Arbeit gelernt, dagegen nur allzu
früh vieles Andere.
wolle feine Tochter lieber bettein als in die Fabrik ge-
den laffen und die meiften Freudenmädchen in der Stabt
Hätten ihre Entſtehung den Fabriken zu verdanken, —
und ein anderer aus. Manchefter „hat keinen Anftand,
zu behaupten, daß drei Viertel der jungen Arbeiterinnen
von 1420 Jahren unteufch feien‘.
Wie der phufifhe Zuftand der Fabrikarbeiter durch
die Überanftrengung ber Kinder degenerirt, wurde feit
lange hervorgehoben und durch verfchiedene officielle Un-
terfuchungen beftätigt.. Seit der Apprentices - bill von
-41802 find die argfien Misbräuche menigfiens etwas be⸗
ſchraͤnkt. Wenn aber auch die Kinder meifl nur noch
mit 8— 9 Jahren befchäftigt werben, fo ift doch auch
für dieſes Alter eine Tagearbeit von 14 — 16 Stunden
mörbderifh und die große Parlaumentsunterfuchung von
4833 hat die Folgen in Berfrummungen des Rüdgrathe
und der Schenkel und in allgemeiner Schwächung der
ganzen Eonftitution unwiderſprechlich herausgeftellt. Uber
das Nähere Iefe man die Schrift ſelbſt. Mit 40, hödh-
ſtens 45 Jahren gelten die Arbeiter für „alte Leute”,
fie werben nicht mehr für voll arbeitsfähig gehalten und
fehen um 10 — 15 Sabre älter aus als fie find. Für
bie weibliche Conſtitution zeigen ſich noch befondere Übel,
welche bie Geburten erfihweren. Einzelne Beſchaͤftigun⸗
gen in den Fabriken find wegen beftändiger Näffe oder
Hige oder Staubes noch befonders nachtheilig für die
Befundheit und es ift empörend, wie wenig im Alge-
meinen gethan wird, folche Unzuträglichkeiten zu ver
mindern. Wäre ber Arbeiter Sklave, meint der Verf.,
fo würde der Herr es gewiß vortheilhaft finden, einige
Koften auf Vorrichtungen zu verwenden, fein Befigthum
an Sklaven vor fo ſchnellem Verſchleiß zu bewahren;
aber nun ift der Arbeiter frei! Beſonders gilt dies auch
in Betreff der vielen Unglüͤcksfaͤlle, welche dadurch ent-
ſtehen, daß die Mafchinerien nicht mit Bruftwehren und
Derichlägen verjehen werden. Das. Krankenhaus von
Mandefter hatte 1843 allein 962 Verwundungen und
Berflünmelungen durch Mafchinen zu heilen, während
die Anzahl aller übrigen Unglücksfälle im Bereich des
Krankenhauſes fih auf 2426 belicf, ſodaß zwei Fünftel
Ein Zeuge aus Leicefter fagt, ex.
allein auf Rechnung des genaunten UÜßelftandes Zamen,
Häufig waren diefe Iuftände fchen zur Sprache gebracht,
aber immer von den Sprecherin und Schriftftellen bes
Babrifantenpartei geleugnet worden. Im J. 1831 fegte
nun die humane Zorgpartei, damals von Michael Sab-
ler geführt, ein Parlamentscomitd zur Unterfuchung des
Fabrikſyſtems durch, und das Comite erflattete 1832 ei⸗
nen Bericht, der einen Schrei des Entfegens im ganzen
Lande hervorrufen mußte. Diefer Bericht mar von der
Art, daß die Fabrikanten num felbft auf eine gründlichere
Unterfuhung drangen und aus dieſem neuen Berichte
vom 5. 1834 bat der Derf, feine Schilderungen ent-
nommen. Die Folge diefes Berichts war bas Kabrif-
gefeg von 1834, das die Arbeit von Kindern unter 9
Jahren verbot, die Arbeitözeit der Kinder zwifchen 9 und
13 Jahren auf 48 Stunden wöcentlih und höchftens
9 an einem Zage, die von jungen Leuten zwifchen dem
14. und 13. Lebensjahre auf 60 wöchentlih und 13
böchftend an einem Tage befchränfte, ein Diinimum won
1A Stunde Zwiſchenzeit für Mahlzeiten feftfegte unb
das Nachtarbeiten für alle unter 18 Jahren nochmals
verbot. Zugleich wurde ein täglich aweiftündiger, zwangs
mäßiger Schulbefuc, für alle Kinder unter 14 Sahren
eingeführt und der Fabrikant für ftraffällig erflärt, wenn
er Kinder ohne Alterscertificat der Kabrifärzte oder ohne
Schulbefuhhecertificat vom Lehrer befchäftigte. Außer
dem wurden Fabrifärzte oder Infpectoren ernannt, bie
zu jeder Zeit in die Fabrik gehen, die Arbeiter eidlich
verhören durften und auf bie Beachtung bes Gefeges
durch Klage beim Friedensgerichte zu halten hatten. Die
Folge dieſes Gefepes war, daß die Arbeit durchſchnittlich
auf 12 — 13 Stunden und bie Kinder fo gut erſetzt
wurden als es ging. „Damit verfehmanden einige der
fehreiendften Übel fat gänzlich; "Verfrüppelungen kamen
nur noch bei ſchwachen Perfonen vor, die Wirkung ber
Arbeit trat weniger eclatant an das Tageslicht.” In—⸗
deß lieferten fpätere Yabrikberichte noch oft genug den
Beweis, daß bie gelindern Übel, „Anfhwellungen der '
Fußgelenke, Schwaͤche und Schmerzen in Beinen, Hüf-
ten und Rüdgrath, varicofe Adern, Gefhwüre an den
untern Gptremitäten, allgemeine Schwäche, befonders
Schwächung bes Unterleibes, Neigung zum Erbrechen,
Mangel an Appetit abwechfelnd mit Heifhunger, fchlechte
Verdauung, Hypochondrie u. f. w.“ auch noch jegt den
Zabrifarbeitern eigen geblieben find. Mannichfach wurbe
das Geſetz auch noch von den Fabrilanten umgangen,
Bereitd 1839 war beshalb unter den Arbeitern die
„Zehnſtunden⸗Agitation“ im vollen Schwange und be-
fonders ſeit 1841 widmete auch die Toryregierung bem
Sabrikgefegen größere Aufmerkfamteit. Die Bil Gra-
ham’s von 1843, wodurch befonderd das Schulweſen
eenftlich verbeffert werden follte, fiel deshalb durch, weil
fih die Herren der Fabrifantenpartei, die Whigs mit,
den gegen den Einfluß der Staatskirche eiferfüchtigen
Diffenters verbanben und eine pfäffifche Agitation im
Lande erregten. Zwar fegte Lord Aſhley am 19. Mai
1844 die Zehnftundenclaufel durch, ale aber die Mini-
208
fler mit ihrem Rüdteitte drobten, gab das Haus feinen
Beſchluß wieder auf. Und feitdem herrſcht unter den
Arbeitern eine gefteigerte Abneigung gegen das beftehende
Mepräfentationdfoftem ; zu ihrer Unzufriedenheit trägt
noch die formelle Abhängigkeit vom Fabrikanten durch
unterdrüdende Fabrikenreglements und durch das foge-
nannte Truck⸗ und Cottagefoftem bei. Don diefen Fa⸗
brifenreglements hier nur ein Beiſpiel: Im Det. 1844
ftellten die Arbeiter des Fabrikanten Kennedy im Man-
hefter ihre Arbeit ein. Kennedy verflagte fie auf Grund
einer in der Fabrik angefchlagenen Vorfhrift, daß aus
jedem Zimmer nie mehr ald zwei Arbeiter auf einmal
tündigen durften‘, und das Gericht gab ihm Recht und
den Arbeitern bie Antwort: „Ihr wart ja euer eigener
Herr, ihr brauchtet ja einen folden Contract nicht ein
zugehen, wenn ihr feine Luft hattet.” Das Zrudfoftem
tft auch ſchon bei uns in Deutfchland bekannt gewor⸗
den, noch fchlechter ift das Cottageſyſtem, wonad) bie
Acheter in den Haͤuſern der Fabritherren wohnen müſ—⸗
fen; bei Zerwürfniffen mit dem Fabrikherrn wird dann
der Arbeiter, da die üblihe Kündigungsfrift nur eine
Woche beträgt, nicht nur brotlos, fondern auch obbad)-
(08, er verfällt dadurch als „Vagabund“ dem Gefepe
und wird von diefem ohne Gnade auf einen Monat in
Die Tretmühle gefendet!! Hier haben wir ein vollende-
tes, modernes Mittelalter!
Wir hielten es für zweckmaͤßig, die Zuſtaͤnde der
eigentlichen Zabritarbeiter etwas ausführlicher zu ſtizzi⸗
ven, weil in ihnen das Proletariat am weiteſten aus-
gebildet worden und feine höchfte Selbſtändigkeit gewon-
nen bat. Ihnen ſchließen fi) als verwandte Arbeits-
zweige der Kabrifarbeit an: bie Strumpfwirkerei, die
Spisenfabrikation, die Kattundruderei, die Sammetſche⸗
rerei, die Seidenmweberei, die Metallmaarenfabrikation,
die Töpferei und das Handwerk der londoner Putzmache⸗
rinnen und Näberinnen. Weil die Gefeggebung ihren
Schup auf dieſe Zweige noch nicht erfiredt hat, weil
die dahin gehörenden Arbeiter theil® geringer an Zahl,
theils fchwächer durch ihre Vereinzelung find, ift bie
Lage der Arbeiter in diefen Induftriezmeigen noch ſchlim⸗
mer als in ber eigentlichen Fabrifinduftrie. Der Stand
des Lohnes ift theilweife noch ſchlechter als bei unfern
fchlefifhen Webern und erzgebirgifhen Spigenklöpplerinnen,
oft — z. B. 1 Sgr. Nähelohn für ein ganzes Hemde —
bei englifchen Lebensmitteln kaum glaublih. Der Verf.
ſchließt dieſen Theil feiner Unterfuchungen folgender:
maßen:
Das ift die Lage bes englifchen induftrielen Proletariats.
Überall wohin wir und wenden finden wir Dauerndes oder
temporaired Elend, Krankheiten, die aus der Lage der Arbei-
ter entftehen, Demoralifation: überall Vernichtung, Tangfame,
aber fichere Untergrabung der menfchlichen Natur in Eörper:
licher wie geiftiger Beziehung. Iſt das ein Zufland der dauern
Tann? Diefer Zuftand fann und wird nicht dauern. Die Ar:
beiter, die große Majorität des Volks, wollen es nicht. Sehen
wir zu, was fie von diefem Zuftande fagen.
(Der Beſchluß folgt.)
Verantwortlicher Herausgeber: Seinrich Brockkaus. — Druk und Verlag von F. E. Brockhaus in Leipzig. _
Literarifhe Notizen.
@in Umerikaner in Genf.
Onkel Sam, der ed feinem Better und Rebenbuhler, Sohn
Bull, allentbaiben zuvorzuthun trachtet, füngt erade am,
auch den Neigungen des Letztern Geſchmack abzugerminnen, bie
nicht blos auf Befchäftigungen in Hanbel und Wandel, in Po⸗
litit und Kirche hinauslaufen. Der anlogermanffchen Nace ifk
die Reifeluft, die eben nichts Anderes ift als ein individueller Er:
oberungstrieb, einmal angeboren; dieſer Stamm wird allem
Anfchein die Reiſe um die Welt noch früher vollenden als
nad) dem bekannten Ausſpruch jenes großen Staatsmanns die
Revolution; zum Glück für die Welt tragen jedoch Brite wie
Yankee das Ergebniß ihrer und aller Revolution, den Port:
fchritt, bei ihren Zügen nah Oſt und Welt, nah Sud und
Nord mit fich fort und das ift am Ende befler als wenn fie
in eigener Gefbalt die Zour vollendet. Wie geſagt, der Ame⸗
rilaner, ein geborener Touriſt wie der Engländer, fängt auch
an wie diefer, wenn er fi von dem Lärmen feines öffentlichen
und Handelslebens erholen will, nach den ftillen Alpenthälern
des europäifchen Feſtlandes zu blicken und lieber dorthin als
in die großartige Natur feiner eigenen Wilöniffe den Schritt
u lenken. Einer der vielen nordamerikaniſchen NReifenden, die
in der neuern Beit Diefen Weg eingefhlagen, Dr. G. 8.
Eheever bat die Beobachtungen, die er darauf gefammelt,
fürzlich unter dem Titel „Wanderings of a pilgrim in the
shadow of Montblanc” veröffentlicht. Der Derf., ein eifri«
ger Calviniſt, nimmt die veligiöjen Zuftände in der Schweiz,
namentli in Genf, wo er dD’Aubigne kennen lernt, zum Aus⸗
gangspunkt von Betrachtungen, worin er als ein entjchiedener
Gegner der Vereinigung der Kirche und des Staats auftritt,
in welcher Beziehung dies Buch in jegiger Zeit, wo biefe Frage
in allen gefitteten Bändern einen fo wichtigen Streitpunkt bil-
det, von großem Interefie if. Doch enthalt es auch in ande
ver Hinficht viel Lehrreiches und Unterhaltendes und zeichnet
ich befonderd durch warme und lebendige Schilderungen ber
atur aus, von der ber Verf. gleich im Eingange behauptet,
daß fie ebenfo wol eine Seele als Charakterzüge habe. Im
Übrigen zieht ein religiöfer presbyterianifcher Geiſt durch bie
Darftellung.
Bopp's „Bergleihende Grammatik“ in England,
Bopp's berühmtes Wert bat eine englifhe Bearbei-
tung erfahren, die unter dem Xitel „A comparative gram-
mar of the Sanscrit, Zend, Greek, Latin, Lithuarian,
Gothic, German and Sclavonic languages’ jüngft er:
fhienen if. Der befannte Drientalift Bilfon und ber Lin⸗
guift Eaſtwick, defien deutihe Sprachſtudien kürzlich in die
fen Blättern erwähnt worden find, haben ihre Arbeiten zum
Zweck der Herausgabe diefes Werks vereinigt. Anlaß dazu gab
dem erftgenannten Gelchrten, vwoie er in ber Vorrede felbft er-
wähnt, der befannte Korb Francis Egerton, der bei der Ars
beit ſich auch felbft betbeiligte. Bei Ausführung des Unter:
nehmens ftellten fi diefem im Anfange zwei Bedenken ent
egen: der Umfang des Driginald und die Menge der Ta⸗
—* welche die Schriftzeichen der orientaliſchen Völker, des
Sanskrit und Zend erfoderlih machten. Er gewann daher die
beiden genanten Männer dafür, von denen Wilfon die Revi⸗
fion des orientalifhen Schrifttertes übernahm, während Eaſt⸗
wid, der bei feinem Aufenthalt in Bombay ſich mit der heili⸗
gen Sprache der Parfen vertraut gemacht hatte, feine längere
Anmwefenheit in Deutfchland dazu benugte, fi) die zur Über
tragung des Werks noch nöthigen Kenntniffe anzueignen. Wil
fon erflärt in feiner Vorecde in voller Anerkennung der Ber:
dienfte Bopp's, daß dieſes Werk auf das Studium der ver:
gleichenden Sprachkunde in Großbritannien einen fehr wohlthä-
tigen Einfluß äußern dürfte. 12.
1
!
Blätter
für
liferarifde Unterhaltung.
Sonntag,
32. Februar 1846,
(Beſchluß aus Nr. 52.)
So kommen wir denn nun.auf die englifhen Ar⸗
beiterbewegungen, melde ſich unter den Manufactur⸗
arbeitern immer rafcher und gefährlicher. entwickeln. Der
Zunahme der Verbrechen gegen das Eigentum ift be-
seite oben gedacht, fie ift der Proteſt gegen die befichen-
den Gefellichaftsverhältniffe in feiner roheſten Form, aber
es hat fih allmälig auch eine andere Reaction des Pro⸗
tetariat® ausgebildet, beftimmter, geſchloſſener. Sie aͤu⸗
Serte fich zuerſt in vereinzelten Auffländen gegen Ma-
ſchinerie, ganz ber Art wie bie böhmifchen. Druden
unruhen im Juni 1844. Die Fabriken wurden geflürmt,
die Maſchinen zerfhlagen. Wenn der augenblidliche
Zweck erreicht war, fo fiel die, volle Wucht der gefellfchaftli-
ben Macht wieder auf die Übelchäter und fie mußten ſich
Doch unter die Mafchinen beugen. Allmaͤlig ſahen die
Arbeiter bie Ohnmacht folcher Verſuche ein; auf diefe
Art konnten fie fich feine „beffere menſchlichere Stellung
verfhaffen“, ihre Reaction trat in eine neue Entwicke⸗
Inngöftufe. Dazu war ihnen ein Befes vom J. 1824
außerordentlich günflig, welches alle Acte aufbob, wo-
durch bisher Verbindungen. zwiſchen Arbeitern für Ar-
beitergwede verboten gewefen waren. Rachdem die Ar
beiter fo das Recht ber freien Affsciation erhalten hat⸗
ten, trat an die Stelle der geheimen Verſchwoͤrungen
die offene Werbündung und Ngitation. Es entflanden
in allen Arbeitszweigen offene Vereine zu dem Zwecke,
ber Lohnerniedrigung entgegenzumirten und beshalb in
Maſſe mit ben Wrbeitgebern zu unterbandeln unb die
unbefchäftigten Arbeiter zu unterftügen. Ihr gefeglich
zuläſſiges Mittel Haben fie an den Arbeitseinftellungen
(tarn-out oder strike genannt). Da die Fabrikanten
aber bei diefer Stimmung unter den Arbeitern fchen
in ihrem eigenen Intereife die Lohnherabfesung möglichft
vermeiden, während bie Arbeiter auch in den durch Die
Handelverhältniffe unvermeiblich gewordenen Lohnverkür⸗
zungen eine Verfchlechterung ihrer Lage fühlen, fo fallen bie
meiften Ürbeitseinftellungen zum Nachtbeile dee Arbeiter
aus. Sie haben bann nur noch die Bedeutung von Protefla»
tionen des. Proletariats gegen feine Rage und durchaus
nichts von Mitseln zur Verbefferung. Dabei kommt es
dann allerdings zumeilen zu furchtbarer Erbitterung,
grauſamen Exceſſen, bis zu Vorfällen wie fie in dem
Deoceffe der „Thugs vom Bladgomw’' 1838 bekannt wur⸗
ben, bis zum ſyſtematiſchen Meuchelmorde. Biefe Ihugs
Gatten nod) ihren Urfprung in den alten geheimen Ver⸗
bindungen.
Das neuere Streben geht auf die Allgemein⸗
heit den Arbeiteraffociation, durch die Erkämpfung
der Bolfscharte (perple’s charter), und der Chartismun
iſt die heutige, eompacte Form der englifchen. Arbeiter
bewegung geworden. Im 9. 1835 wurde von einem
Gomite der „Allgemeinen londoner Arbeitergefellfchaft”
mit William Lonett an der Spige bie Vollscharte im
ſechs Punkten entwerfen. Diefe lauten: 1) Allgemeines
Stimmrecht für jeben windigen Mann, der bei gefun-
dem Verftande und keines Werbrechens überführt ifl,
2) Jaͤhrlich zu erneuernde Parlamente. 3) Diäten für
die Barlamentsmitglieder, damit auch. Unbemittelte die
Wahl annehmen können. 4) Wahlen durch Ballotage,
un VBeftehung und Einfchüchterung durch die Bour⸗
geoifie zu vermeiden. 5) Gleiche Wahldiftricte, um glei
billige Repräfentation zu fihern und 6) allgemeine
Wählbarkeit aller Wähle. In diefen Punkten findet
man die Conſequenz bee Brundfäpe der aus den: achtzi-
ger Jahren des vorigen Jahrhunderts ſich herfchreiben-
den Radicalenpartei. Run aber liefert ber Verf. ben
Nachweis, wie fi in der Chartism-Agitation von 1837
und 1839 der Arbeiterchartismus ſchon non dem. Radi⸗
calismus fich gefehieden habe, indem der erſtere die Charte
nur als Mittel betrachten wollte. Schon 1838 fagte
ein methodifcher Priefter, Stephens, vor dem Meeting
von 300,000 Menfchen bei Manchefter: „Der Ehartis-
mus, meine Freunde, ift feine politifche Zrage, ſondern
das ift eine Meffer- und Gabelfrage; bie Eharte, das
heißt gute Wohnung, gutes Effen und Zrinten, gutes
Auslommen und kurze Wrbeitäzeit.” So maren auch
ſchon damals die Bewegungen gegen das neue Armen⸗
gefeg und für die Zehnftundenbill und bei all ben. Mee-
tings dieſer Epoche war auch ſchon ber Tary Caſtler thä⸗
tig. Im Fruͤhlinge 1842 vereinigten ſich wegen des
Armengefeges die Liberalen und Chartiſten wieder etwas
mehr, fie entwarfen eine Petition, welche ebenſo wol auf
Abfchaffung der Getreidegefege . wie auf Einführung dev
Charte drang und am folgenden Tage, am 16. Febr.
210
1849, wurde fie von beiden Parteien angenommen. Als
es ſich aber bei den Aufſtaͤnden im Spätfommer zeigte,
daß die Arbeiter keineswegs wie man erwartet hatte
die Abschaffung der Betreidegefege unter ihren Foderungen
obenanftelen wollten, begannen bie Rabicalen bie Char⸗
tiften zu fürdten und 1843 £rennten fie ſich, unter der
Leitung von Sturge, von ihnen. Seitdem wirb von
den Chartiften ihr Chartismus als wefentrich focialer
Natur betrachtet. „Politiſche Macht unfer Mittel, fociale
Gluͤckſeligkeit unfer Imed”, dies iſt jept ihr ausdrüd-
licher Wahlſpruch. Ihre fociale Theorie ift font fehr
wenig entwidelt. Neben dem Chartismus aber geht
ber von Dwen begründete englifhe Socialismus Her.
Er verlangt „allmälige Einführung der Gütergemein-
ſchaft in Heimatscolonien von 2—3000 Menfchen, wel:
che Induftrie und Aderbau treiben, gleiche Rechte und
gleiche Erziehung genießen, Erleichterung ber Eheſchei⸗
dung und Abſchaffung ber Strafen, die durch eine ver-
nünftige Behandlung des Verbrechers erfegt werben fol-
len”. Sie find fehr zahm und friedfertig, erfennen bie
beftehenden Verhäftniffe, fo ſchlecht fie auch find, info-
fern als gerechtfertigt an, als fie jeden andern Weg als
den ber öffentlichen Überzeugung verwerfen, und find doc)
zu gleicher Zeit fo abftract, daß fie in der jegigen Form
ihrer Principien diefe öffentliche Überzeugung nie gewin⸗
nen würden. Sie rekrutiren fich theilweife aus der Ar-
beiterclaffe, von ber fie aber nur einen fehr Fleinen Theil,
freilich die Gebildetfien und Charakterfefteften, herüber-
gezogen haben. In feiner jegigen Geflalt, meint ber
Berf., wird der Socialismus nie Gemeingut der Arbei-
terclaffe werben können, er wird fich fogar erniedrigen
müffen, einen Augenblick auf den chartiftifchen Stand⸗
punkt zurüdzutreten; aber der durch den Chartismus
bindurchgegangene, von feinen Bourgeoifie-@lementen ge
reinigte, echt proletarifche Socialismus, wie er fich ſchon
jept bei vielen Socialiften und bei vielen Chartiftenfüh-
rern, die faft alle Seocialiften find, entwidelt, wird aller-
dings, und das in kurzem, eine bedeutende Rolle in ber
Entwidelungsgefchichte des englifhen Volks übernehmen.
Die Socialiften haben unendlich viel zur Bildung det
Proletariats gethan, fie haben bie franzöfifchen Materia⸗
Iiften Helvetius, Holbach, Diberot u. U. überfegt und
nebft den beften englifhen Sachen in billigen Ausgaben
verbreitet. Strauß’ „Leben Jeſu“ und Proudhon’s „Ei⸗
genthum” werben ebenfalls nur unter den Proletariern
gefunden. Shelley und Byron haben ihre meiften Lefer
unter den Arbeitern, die Bourgeois befigen nur caftrirte
„family - editions”, die nach der Moral von heute zu-
geftugt find. Die beiden größten praktifchen Philoſophen
der legten Zeit, Bentham und Godwin, müffen ferner
Eigenthum des Proletariat® genannt werden und wenn
auch Bentham unter ber rabicalen Bourgeoifie eine
Schule befist, fo gelang es doch nur dem Proletariat
und dem Socialismus, aus ihm einen Kortfchritt zu
entwideln. Das Proletariat bat fih auf diefen Grund-
lagen eine eigene Literatur gebildet.
In der folgenden Abtheilung ſtellt der Verf. das
Bergwerkö-Proletariat, die Rage ber Urbeiter in Gorn-
wal, Alfton Moore, in den Eifen- und Kobienbiftricten
dar. Er ſchildert bie eigenthümlichen Krankheiten, denen
die Arbeiter in den niedrigen Stellen ausgefegt find, bie
häufigen Erplofionen und Unglüdsfälle, vorzüglich in Folge
der Erfparnif von Ventilationsſchachten u. ſ. w. Die
Bildung und die Moralität dieſer Arbeiter find äußerft
niedrig. Obgleich ein neues Gefeg die Verwendung von
Weibern und Kindern in den Gruben verbietet, fo wird
es doch nicht befolgt, denn es find Feine eigenen Berg-
werkeinfpectoren ernannt und die Friedensrichter find
entweder felbft Bergwerksbefiger oder Vettern derfelben. |
Neuerdings bat fich jedoch auch unter biefen Arbeitern
das Affociationsprincip geltend gemacht und 1844 fand
bekanntlich in den nördlichen Grafſchaften Englands eine
großartige Bewegung ftatt. Ein fünfmonatlicher turn-
out, mit feltener Gefeglichteit und Feſtigkeit durchge⸗
führt, bob die Bergwerksarbeiter auf den Standpunkt,
auf dem fie fih nun bereits an die Chartiſten ange
ſchloſſen haben. |
Der nächfte Abſchnitt ift dem Aderbau-Proletariat
gewidmet. Wie der Verf. uns diefes fchildert, ift hier
die Bildung am allerniedrigften und das Elend am
permanenteften. Unwilltürlich wirb man an Wlerander
Schneer's „„Darftellung der Arbeiter der fchlefifchen Lei⸗
nendiftricte” erinnert. Xreibt die Noth auch bier Be-
wegungen hervor, fo erfcheinen fie doch nur noch in der
Form des planlofen Verbrechens. Die Zaglöhner find
es in England, welche in den brotlofen Wintertagen bie
Scheunen ber Pächter anzünden. In Wales find es
die Beinen Pächter, welche mit den reichen betriebfamen
Paͤchtern Englands Feine Conturrenz aushalten Fönnen
und deshalb in ben „Rebekkaunruhen“ ihren Groll ge-
gen Wegegeld und Thorſperre auslaffen. In Irland
waren es fonft bei den elenden Kartoffelgärtnern bie
gräßlichften Thaten der Whiteboy's⸗Banden und ift «6
jegt die allerdings weit höher ſtehende, zugleich ein
Agrargefeg bezwedende Repealbewegung Bis jetzt ha⸗
ben weder ber Chartismus noch ber Socialismus einen
. befondern Erfolg in Iceland gehabt.
In dem legten Aufſatze bezeichnet Engels die Stel-
Iung ber Bourgeoifie zum Proletariat.e Ihm fei nie
eine fo tief bemoralifirte, eine fo unheilbar durch den
Gigennug verberbte, innerlich zerfreffene und für allen
Fortſchritt unfähig gemachte vorgefommen als die engli«
fehe Bourgeoiſie. Ale Lebensverhäftniffe werden nad)
dem Gelderwerb gemefjen und mas fein Geld abmwirft,
das ift dummes Zeug, unpraktiſch, ibdealiftifh. Darum
ft auch die Nationalöfonomie, die Wiffenfchaft bes
Gelderwerbs, die Lieblingswiffenfchaft der englifchen
Bourgeoifie. Jeder ift Rationalölonom. Das VBerhält-
niß bes Fabrifanten zum Arbeiter ift Bein menfchliches,
fondern ein rein ökonomiſches. Die offenfte Kriegser-
ärung der VBourgeoifie gegen das Profetariat nennt
ber Verf. die Malthus’fche Theorie der Population und
bas aus ihr entfiandene neue Armengefeg. Diele Theo⸗
vie, beißt es, iſt jegt die Leibtheorie aller echten engli-
211
ſchen Bourgesid. Die Arbeitshäuſer (mworkhouses) ober-
wie fie das Volt nennt, Armengefep « Baftillen (poor-
Inw-bastiles) find die empörenden Thaten diefer Theorie.
Der Verf. führt Beifpiele von Vorgaͤngen in englifhen
Arbeitöhäufern an, gegen bie auch der niedrigfte Grad
von Menſchlichkeit aufwallen wird. Unter ſolchen Um-
ſtaͤnden ift es natürlih, daß die Arbeiter in die furcht⸗
batſte Tiefe des Elends verfunten fein müffen, bevor ſie
in biefe Baftillen gehen, und von Newcaſtle bie nad
Doner herrſcht unter den Arbeitern nur eine Stimme
der Empörung über das neue Geſetz
Endlich entwidelt der Verf. die Chancen, welche bie
Bourgeoifie Englands für die Zukunft hat. Er meint,
England fei nicht im Stande, noch Lange bie Concurrenz
Norbamerifas auszuhalten, dieſes Land fei ganz Dazu
begabt , das induftriele Monopol an ih zu reißen.
Wenn nun, fagt er, auf biefe Weife bie englifche In.
duftrie gefchlagen wird, — mie Dies in den nächiten 20
Jahren, wenn bie jegigen focialen Zuftände bleiben, wol
nicht anders gefchehen fann —, fo wird die Majorität
des Proletariats auf immer „überflüffig” und hat feine
andere Wahl als zu verhungern oder zu tevoltiren. Aber
felbft wenn England das inbuftrielle Monopol behielte,
würden die Handelskrifen bleiben. Engels fagt:
Ich glaube nicht, daS das Bolt fi noch mehr ale eine
Krifiß wird gefallen laſſen. Wahrfcheinlich bringt ſchon die
nächte 1846 oder 1847 eintretende Kriſis die Abſchaffung der
Setreidegefege und die Eharte. Was die Eharte für revolution»
naire Bewegungen veranlafien wird, fteht au erwarten. Aber
bis zur dann folgenden Krifis, die nach der Analogie der biß-
herigen 1852 oder 1853 eintreten müßte, durch die Abfchaffung
ber Getreidegefege jedoch verzögert, wie burch andere Umftände,
auswärtige Concurrenz u. f. w. befchleunigt werben fann, bis
zu biefer Krifis wird es das englifche Bol wahrlich überbrüffig
fein, zum Bortheil der Capitatiften ſich ausbeuten zu laffen
und, wenn die Gapitaliften feiner nicht mehr bebürfen, zu vers
jungen. Wenn fih bis dahin die engliſche Bourgeoifte nicht
efinnt — und das thut fie allem Anfcheine nach gewiß nit —,
fo wirb eine Revolution folgen, mit ber fid) keine vorhergehende
meflen kann. Die zur Verzweiflung getriebenen SProletarier
werben die Brandfadel ergreifen, von der Stephen ihnen ges
predigt hat; die Voiksrache wird mit einer Wuth geübt wer:
den, von der uns das Jahr 1793 noch Feine Vorſtellung gibt.
Der Krieg der Urmen gegen die Reichen wird ber blutigſte
fein ber je geführt worden iſt.
So muf bie Gefchichte des englifhen Proletariats
voll großer Weiffagungen für das ganze abendlänbifche
Suropa fein. Daffelbe furchtbare moderne Übel, wel-
ches in England feine claffifhe Höhe erreicht hat und
offen zu Tage liegt, durchwüthet auch Belgien und
Frankreich, und — wir bürfen uns nicht über unfere
Rage täufhen — auch in Deutfchland greift e6 Immer
weiter und mächtiger um fih. Die fociale Trage iſt
deshalb die wichtigfte ber Welt. Ihre friedliche Loͤſung
bringt der Zukunft den Frieden, ihre immer größere Ber-
wirrung muß nothwendig zu einem Kampfe führen, bej-
fen Ende nicht abzufehen, veffen Srauenhaftigteit nicht
zu ermeffen ift. Möge fih Niemand darüber täufchen
und möge es namentlich unfern Staatsmännern gelin-
gen, ſich einen unparteiifchen Blick über bie Lage ber
Dinge zu verſchaffen und jenen’ engherzigen Geſcchtepunkt
aufzugeben, ber die gewaltige fociale Bewegung des ganzen
abendlänbifchen Europas mit dem Schlagworte „Commu-
nismus” bezeichnet, nur als eine Propaganda der Preffe und
junger phantaftifcher, irregeleiteter Männer betrachten will.
Sie haben eine große Verantwortung auf fi, genonimen
und können Vieles verhüten. 28
Bibliographie.
Adolphine, Neue Märchen und Erzählungen für ju⸗
gendliche eiſerinnen. Leipzig, Brockhaus. 4 1 —XR
Aimanach für Freunde der Schauſpielkunſt auf das Jahr
1845. Herausgegeben von 2. Wolff. IÜter Jah .
in. 8. 1 Ri. 0 Ru ff Sabrgang. Ber
rnd, ©., eſchichte des Urfprungs und der Entwide-
lung des franzöfifchen Volkes, oder Daritellung der vornehme
fen Ideen und Fakten, von benen bie franzöfifche Rationali:
tät vorbereitet und unter deren Einfluffe fie ſich ausgebildet
bat. Iter Band. Leipzig, Brockhaus. Gr. 8. 4 Thlr.
« Me Sum — dem Seenficher Kante im Berbör.
omifche Scene. e Auflage. Berlin, Rü T
1845. "RL 8. 10 Kar. > KRäcket und Puͤchler.
Bender, J. Die deutſchen Ortsnamen, in geographi⸗
ſcher, hiſtorifcher, beſonders in ſprachlicher Oiniht, me ee
as bex fremden Ortöbenennungen. Siegen, Friedrich.
.8 2. gr.
Berchter, G. W., Boter Klaus. im Erzähl r
Zung und Alt. Eiberfelb, Bädeker. 8. 3 a hlung für
Graf ©. D. v. Blüder Altona. Das Leben deſſelben in
leinen Hauptmomenten dargeftellt. Altona. 1845. Gr. 8:
r
Ror. an
Damen:Kalender für 1846. Eiberfeld, Haſſel. 32. 10 Rgr.
Der Edle und fein Hund. Bon Melancholikus Bre⸗
manus. Dfdenburg. Gr. 8. 4 Rgr.
Erinnerungen und Bedenken über das beutfche Schulweien,
als Stoffe zum weiteren Nachdenken für Alle, die fi für die
Erziehung und ben Unterricht der Jugend interefiiren koͤnnen,
folen und müflen. Augsburg, Rieger. 1845. 6%, Ror.
Geib, 8., Xheorie ber Dichtungsarten. Rebſt einem
Anhange über Rhetorik. Manheim, Loeffler. Gr.8. I Ihlr.
3 gt.
Goßler, J. H., Pilgerreiſe nah Ierufalem im Sabre
1843 und 1844. Iſte Lieferung. aderborn, Jun .
1845. 8. TIA Bar. % 9 ‚, SIunfermann
Holzhaufen, F. Q., Der Proteftantismus nach feiner.
geſchichtlichen Entftehung, Begründung und Fortbildung. Ifter
Band: Die gefchichtliche Entftehung des Proteftantismus. Leip⸗
zig, Brockhaus. Er. 8. 2 Thlr.
Kerner, T., Gedichte. Jena, Maufe 1845. Gr. 8.
Bet ri Spinnftube. Maͤrch
. Kletke, H-, Spinnftube. Märchen. Berlin elber
12. 1 Thir. 10 Nor. boaſſelbers
Koch, F., Der wohlunterrichtete Begleiter auf der male⸗
riſchen Donaureiſe mit dem Dampfſchiffe von Ulm bis Konſtan⸗
tinopel. After Theil: Um bis Wien. Wien, Singer und Goe⸗
ring. 1845. 12. 15 Nur.
Kratochwill, U. R., Die Armenpflege der k.k. Haupts
und Htefidenzftadt Wien, verbunden mit einer bejondern Ab⸗
hanbiung über die Zuftändigfeit oder das Heimathsrecht. Wien,
et. Gr. 8. 1 Ihlr. 15 Nor.
Krebs, 3., Kleine Abendbibliothek. Neuefte Novellen«
fammlung. Ifter Band. Iftes und Ltes Heft. Breslau, Gün-
ther. 1845. 10 Nor.
Lupe, 9, Die Allöopathen als Würge » Engel. Eine
Warnung für Jedermann durch Thatſachen bewieſen. Son⸗
dershaufen, Eupel. 1845. Gr. 16. 5 Rgr.
—ã— J. F rn ber Etadt Kin. Köln,
Oftinger, 3 * “ia des Alterthums. Vaden, Zehn⸗
Der.
Ede, 8%, 4 ion von —
vello. Leipzig, Brockhaus. Gr. I
Did Grobſchmidts VJochter. hi
dem Berfaer des „Walter Elayton”.
von W. du Noi. Imwei Theile. — Leibrock. 8.
2 Thlr. 30 er:
Volks: Bibliothef. 2ten Bank: o akte Heim. Leben
und Wirken Ernſt Ludw. Heim’s, Fönigtich preußifchen Gehei⸗
menraths und Doctors der Arzneiwiffenfchaft. Aus binterlaf
ſenen Briefen und Tagekü chen herausgegeben von G. B.
—32 Mit Heim's a 2te mi en vermehrte |:
Auflage. Leipzig, Brodhaus. 6
Eoangelifihe Beugnifle jegen ‚Rom A das Papftthum.
Sermusgegeben von 2. Pafſig. Leipzig, Grunow.
&. 8. I Ahlr. 7% ar.
Zagedliteratur.
ma gun, $ 5 JI Faotehantifhe Mänge. Berlin, Ame⸗
leng oliifihe Beobachtungen. ütes Heft: Über die proteftan-
afoen Eraune | in der Provinz Sachſen. Berlin, Röfe. 1845.
gr.
Eitefter, H., Dffene Antwort auf ein Sendſchreiben
des Königlichen Regierungs⸗ und Saulsathed Hrn. Striez,
betreffend die erklärung vom 15. Auguft d. 3. Potsdam,
Stuhr. 1845. Gr. 8. 7% Rear.
Eberhard, F., Der exorbitante Rationalismus, oder:
Die falſchen Propheten des 19. Jahrhunderts. in Wort a
" bie Bei Seit. Magdeburg, Faldenberg und Comp. 1845. Gr. 8
ioren court, F. v., Fliegende Blätter über Bra en der
Gegenwart. Nr. 1. "Raumburg, Zange. 1845. Gr. 8. 9 Nor.
Die proteftantifchen Freunde nad dem Xeben gezeichnet
von M. A. Leipzig, Einhorn. 74 Ror.
Froſch, R., Zur Verfaſſungsfra ⸗— in der evangeliſchen
Kirche. Drei Vorſqiage gehalten auf der er een rote ſchen
Provinzial⸗Synode. Breslau, Goſohorsky. 184 10 Ngr.
Der Geiſt der Evangeliſchen Fechtziunge Allen Licht
freunden gewidmet. Berlin, Bethge. 1845 r. I Nor.
Briffon, Ein furzes Wort der Rechtferfigung gegen
eine. Anklage ded Hrn. Regierung: und Schulraths Striez.
Rebſt der von 87 Geiftlichen und Richt: Geiftlichen untergeich-
neten Erflärung vom 15. Auguft d. 3. te mit einem Rai
De marneitie Auflage. pottdam, Stuhr. 1345. Gr.
& / gr
Hagen, 3.9. C., Die Ehriftusvorftellung der proteftan-
fon Brrunbe, Magdeburg, Faldenberg und Comp: 1845,
r gr.
Hanne, W., Der ideale Proteftantismuß , fein Wefen,
feine Geneſis und ‚fein Verhältniß zum Bibel: und Kirchen:
glauben, ſowie feine Stelung zu den gegenwärtigen religiöfen
geitrihtungen Bielefeld, Belhagen und Klafing. 1815. 8;
Hoffmann, E U. C., Die Proteſtation der proteſtan⸗
tifgen Freunde in Wittenberg, zur Belehrung für Sedermann
über. die Glaubensanfichten der proteftantifchen Freunde über
Haupt. Wittenberg, v. Schroeter. 1845. &r. 8: 5 Rar.
Kell, 3., Lebensbefchreibung Benj. Franklin's, des that«
kräftigen Mannes und freifinnigen Volksfreundes. Leipzig,
Klinkhardt. 1845. 8. 10 Nor.
Kief ert, K. Dr. Mart. Luther, ein Vorbild der Leh⸗
rer in feinem Streben nad Richt und Wahrheit, in Hinfi ht
feines Glaubensmuthes und feiner Glaubendfreudigkeit, in feis
. Zei
HAPE Ro. |, %r Streite der Gegenwart. Berlin,
ſtori Po men von.
Bein em Englifihen
"die Beit von R..
1845.. evangeliſch ⸗ proteſtantiſchen Kirche.
nem ˖ raſtlofen
chen und in Hinficht feines Biden, deutfchen
ne 2 Rear.
Striegau, Hoffmann. 1845,
Rsffing, Beryardin de Saint⸗Pierte ne ein Dritter. Eine
logie von. Bebenntniffen. Zur Berländig gung in dem reli⸗
melang. 1849. Gr. 8.
age
uͤbechs Bebrikkung. durch die damiſche Politie Ein Best
ie deutſchen dürfen. Braunfhweig, Weftermann. 1545,
8. Nar.
Marcker, F, A., Das Weſen bed Proteſtantismus, in
14 Theſen. Allen wahren Proteſtanten geweiht. Ref ein
leitung. und einigen Beilagen. Berlin, Voß. 1815. Gr. 8.
5 Nor.
Richt Papſt! nicht Euther! nicht Calvin! Einer iſt un⸗
: fer Meiſter: Ehriftusl!!! Mahnungen und Rügen der Zeit am
Deffau, Reubürger. 1845. Gr. 8. 10 Rar.
Die Rothwenbigkeit und der Werth der Symbole
Allgemein faBlich dargeſtelt
gun eincm fähfifchen Geiſtlichen. Leipzig, Klinkhardt. Gr. 8.
gr
Röhr, J. F., Semeinverftändliche und fhriftgemäße Dar-
ftelung der Grund: und Gtaubensfäge der evangelifc-proteften-
Aeen Kirche. Zur Bermittelung eines richtigen Urtheils in
un gen —— Wirren. Reuftadt a. d. O., Wagner.
Ye
Schede, €. H., Das Grundprincip der Reformation.
Sendſchreiben an Drn. Prediger Jonas zu Berlin, betreffend
die „Erflärung vom 15. Auguft“, zugleih als Beitrag zur
allgemeinen ‚Derftändigung über die kirchlichen Fragen. Berlin,
Schröder. . ©. 8. 5 Ror.
Schloſſer, J. F. 9, Die morgenländijcge othobore Kirche
Rußlands und das eutopäifche Abendland, Heidelberg, Mohr.
1845. Gr. 8. 20 Run.
Schröder, 3.9. Dos verachtete Luthertfum. In
drei Unterredungen eineR Gbrifen ber unirten Kirche mit einem
Lutheraner bargeitelt. 2te unveränderte Auflage. Culm. 1845.
Gr. 8. 12
Stahl, Wei Sendſchreiben an die Unte ihner der Er-
Härung vom 15., beziehungsmeife 26. Auf 45, zugleich
als ein Votum in der augsburgifchen Eonfeffiondfrage. —*
lin, Schröder. 1845. Gr. 8. 5 Nr.
Thilo, 2., Unmündige Frage eined Landpaſtors über die
Erklärung der "Yaftoren, Dorctoren und Bilchöfe wider bie
Gesunde, der a arlifgen Kirchenzeitung. Berlin, Thome.
r.
rien 3., Die merkwürdigften Berfaffungen evan-
gelifcher Landeslirhen Europas, na i— ibren Grundan ÜgER zus
fammengeftellt. Dresden, Arnold. 1845. 8. BR Nor.
Balenti, de, Chriftliche Slaubensichre mad dem Glaus
ben und dem Belenntniß der alten und neuen Kirche bargefkelit.
Zwei Hefte. Dem, Huber und Comp. 1845. 8. 1 Thlr. 20 Nor.
Dos Kleeblatt der Heiligkeit, Möhler, Schleier-
macher, Nigfchs oder dad neue Evangelium, geprüft naxh der
enangelifchen Lehre von ber Rechtfertigung allein durch ben
Glauben, Dem, Huber und &o 1845 1, Nor.
Wagner, 2 ‚Die — Kiche in Preu⸗
fen im w * eichte gargefteit und vertheidigt. Poſen, Gebr.
Su. 5. Gr. 8. 5 Ror.
a I su de den gumbelifigen Bühern? Dresden,
— —
rg die Natur und Bedeutung der
Gemein : Schule mit. Beziehung auf die Wünfche der Gegen⸗
wart. Worms. 1845. 4. 3%, Nor
Zur Berfländigung in ber Roth diefer Seit. Em Wort
aus dem Volke an die Bebildeten aller Stände mit beſonderer
Rückſicht auf Berlin und feine Lichtfreunde Bon einem epan⸗
gelifchen Laien und ‚Freund evangelifchen Lichts. Berlin, Ens⸗
In. 1845. Gr. 8 5 Nor.
Berantwortlicher Heraußgeber: Beinrich Wroddans. — Drud und Verlag von F. 8. Brodhaus in Reipjig.
Blatter
für
fiterarifhe Unterhaltung.
Montag,
— KR. —
23. Februar 1846.
Über neuere publiciflifch=biplomatifche Literatur.
Die Rüglichteit allgemeiner Sammlungen der öffent-
lichen Urkunden und Actenſtücke, welche die auswärtigen
Berhältniffe der Staaten in ihren wirklichen Beziehungen
zueinander und gegeneinander befreffen, wurde ſchon von
den Publiciften früherer Zeitalter eingefehen. Die eu-
ropäifche Literatur bes 97. Jahrhunderts hat darum be-
reits dergleichen aufzumeifen. Den Anfang machte ber
große Leibnig durch Herausgabe bes „Codex juris gen-
trım diplomaticus”, welcher 1693 zuerſt zu Hanover in
Folioformat im Drud erſchien und ebenbafelbft 1700
wieder aufgelegt wurde. Dann Fam Jak. Bernard mit
der Publication feines ‚„‚Recueil de traites de paix, de
treves, etc. depuis la naissance de Jesus-Christ jusqu’&
present”, welches 1700 im Haag in vier Folianten Die
Preſſe verlieh und die Periode von 536—1700 in fi
begriff.” Diefes Wert bat der großen Sammlung zur
Grundlage gedient, welche fpäterhin Dumont in acht
Foliobänden veröffentlichte und den Zeitraum von 800
n. Chr. Geb. bis 1731 umfaßte. Sie kam unter dem
Titel „Corps .universel diplomatique da droit des
gens” zu Amflerdam und im Haag 1726—31 heraus
und wurde nachgehend® ebendafeldft 1739 von Rouffet
bis zum Ende des I. 1738 in fünf neuen Folianten
fortgeſetzt. Im erften Supplementbande zu Dumont’e
„Corps diplomatique” wurde zugleich eine Gefchichte der
Staatöverträge feit 3496 v. Chr. bis 815 n. Chr. von
Barbeyrac mitgetheil. In Deutfchland veranftaltete
I. 3. Schmauß 1730 in Reipzig eine Sammlung von
minder großem Umfange; fein „Corpus juris gentium“
in zwei Octapbänden ging bis 1696 hinauf und reichte
bis 17131. In England wurde 1732 in London eine
-die Zeitperiode 1495— 1731 in fich fchließende „General
collection of treaties and other public papers relating
to peace and war” in vier Octavbaͤnden gedruckt. In
“Stanfreih gab der Vicomte de la Maillarbier im zwei⸗
ten Theile feiner „Bibliotheqne politique” ein „ Abrege
de traites depuis 1500 jusqu’& 1778”. Auch an nach⸗
folgenden Ergänzungen ber großen Dumont-Rouffet’fchen
Sammlungen fehlte es nicht. Eine folche kam unter
UAnderm auch zu Warfhau 1773 in polnifcher Sprache
in drei Octavbaͤnden unter dem Xitel „Traktaty Mie-
ı dri Mocarstwami Europejskiemi od roka 1648 zaszle
do roku 1763” zum Vorfchein. Daneben dienten bie
in einzelnen ändern nad) und nach herausgegebenen,
diefe fpeciel betreffenden öffentlichen Verträge zur Ver⸗
volfftändigung der Generalfammlungen. So war fdhon
1693 in Paris von F. Leonard ein „Becueil de traites
de paix, de treves, etc. faits par les rois de France
avec tous les princes de l’Europe depuis pres de trois
siecles” in feh® Quartbänden zum Drud befördert wor-
den. In Beziehung auf Großbritannien waren 1704 in
London von Thomas Rymer die „Foedera, conventio-
nes etc. inter reges Angliae et quosvis imperatores,
reges etc.” in 20 Foliobänden veröffentlicht worden, ein
Wert, das 1739 im Haag in einer vermehrten Ausgabe
erfhien. Außerdem hatte man bie unter dem Namen
Jenkinſon's bekannte, zu London in drei Bänden ge-
drudtte ‚Collection of all the treaties between Great-
Britain and other powers” vom MWeftfälifchen Frieden
1648 — 1783, wovon ber erfte Band 1772 erfchien,
eine mit Beifall von ben Publiciften aufgenommene
Sammlung, die 1785 eine neue Auflage erlebte. Für
die pyrenäifche Halbinfel war von Dr. Jof. Ant. de
Abreu y Bertodano 1740 — 52 zu Madrid eine „Col-
leccion de los tratados etc. hechos por los pueblos,
reyes y principes de Espafia 1598— 1700” in 12 %o-
fianten publicirt worden. Kür Deutfihland und Stalien
fand fi) in den 24 Koltobänden des „Reichsarchivs“ von
Lünig (Leipzig 1710—22) und fpätern Werken deffelden
Verfaffers manche Lüde ausgefüllt. Für Preugen ins-
befondere befaß man bas fchägbare, den Zeitraum 1756
— 91 umfaffende „Recueil” des Grafen von Herzberg.
In Betreff der Niederlande hatte man ein ‚‚Becneil
van de tractaaten 1usschen H. M. S. G. ende ver-
scheijde koningen etc. 1576 — 1792” in zwei Quart-
bänden. Für die Kenntniß der völkerrechtlihen Verhält-
niffe der Schweiz gaben zwei 1732 und 1737: in Bern
von 3. R. Holzer herausgegebene Werke: „Sammlung
der vornehmften Bündniſſe, Verträge, Bereinigungen
u. f. w., welche die Krone Frankreich mit löblicher Eid-
genoffenfchaft aufgerichtet” und „Die Bündniffe und
Verträge der heivetifchen Nation, weldye theils bie ver-
fhiedenen Städte und Republiken miteinander, theils
alle insgeſammt mit auswärtigen Potentaten haben“
ꝑ14
Hülfsmittel an die Hand. Für Schwedens Beziehun⸗
gen zum Auslande beſaß man die Arbeiten von G. R.
Mobie: „Utdrag af de emellan Hans Koniglige Ma-
jestaet och Kronan Suerige a ena och utrikes Magter
a andre siden, sedan 1718 siusna allianse traktator
och, afhandlinger 4718 — 33° (4., Stodholn 1761)
and „Utdrag atur publique hendlingar 1718 19
(4., Stodholm 1742—83). In Betreff Polens waren
feit 1758 in Wilna drei Bände in Folio von Dogiel
eines „Codex diplomaticus Poloniae.et magni ducatus
Lithuaniae, in quo pacta, foedera, tractatus pacis ete.
continentur” erfienen. Außerdem waren in Warſchau
acht Folianten „Prava konstytucye y przywileie krö-
lestwa polskiego y wilkiego ksiestwa litewskiego y
wezystkich Provincyi” gebrudt worden; Jeljersft hatte
daſelbſt 1789 „Traktaty Polskie etc. 1618 — 1775
herausgegeben und 1794 waren ebendafelbft zwei Bände
„Troktaty, Konvencye, Handlowe y Graaiczne etc.
1764 — 91" herausgefonmen. In Rußland waren in
Petersburg feit 1782 acht Quartbaͤnde von Tſchutkow's
„Istoritseskoe opisanie rossüskoi kommercü“ veröffent-
licht worden.
Es find dies nur die vornchmften. und befauntefien
General⸗ und Specialfammlungen, welche gemeiniglich
zum Nachſchlagen bei der Auffuhung früherer Staats
verträge dienen und in folchen Fällen zu Rathe gezogen
zu werben pflegen; ber Raum d. Bl. geftattet nicht,
dad Verzeichniß noch weiter a hen und noch mehre
bier aufzuführen Allein jene Werke ſchon bilden eine
jo große Menge und lange Reihe von Bänden und
find, greoßentheild verſchwunden aus bem Buchhandel, fo
felten mehr zu. haben, daß fie vollftändig kaum immer
felbft in den größten öffentlichen Bibliotheken anzutreffen
find. Die öffentlichen Verträge aus den früheren Sabre
hunderten find inbeffen auch lebiglich eigentlich für dem
Diftoriter von Werth, in der biplomatifchen Praxis kommt
böchft felten ber Fall vor, worin man nöthig hat, über
die Epoche des Weftfälifchen Friedens zurückzugehen.
Was der Staats» und praktiſche Gefhäftsmann im
biplomatifchen Fach Heutzutage bedarf, ift vorzüglich
Lenntniß ber Verträge, bie fi) aus der Neuzeit datiren.
Die meilten vorhandenen Sammlungen aber gingen nicht
über die Mitse des vorigen Jahrhunderts herunter, und je
mehr in der neueren Zeit die voͤlkerrechtlichen Beruhrun⸗
gen und Verbindungen ber Staaten fich nervielfältigten,
deſto fühlbarer ward das Bedürfaiß neuer zu veranſtal⸗
tender, die juͤngſte Zeitperiode umfaſſender Sammlungen.
Im 3, 1781 fing endlich Friedr. Aug. Wilh. Wenck
an, bemfelben duch Herausgabe eines „Codex juris
gontjum recentiseiwi” abzuhelfen. Allein diefe uortreff«
liche zu Leipzig im Drud erfcheinende Sammlung ſchritt
fo langſam fort, Daß in. einem Zeitraume yon. zehn Jah⸗
von exit zwei Bände die Preſſe vorlaffen. hatten, weiche
Die. Periode von 173554 in ſich ſchloſſen. Dies ver
anlaßte Georg Eriedrih Mortene, öffentlicher Lehe
ur. ded Moͤlkex⸗ und Staatenrechts auf der Uninerfität
zu Göttingen, barauf zu denken, die fn ſichtbare und mit
jedem Jahre merkliher empfundene Lüde in der neuern
publiciftifchen Literatur fchneller auszufüllen, und er
brachte diefen Plan 1790 mit Hülfe der Dieterich’-
[hen Buchhandlung auf eine Weile zur Ausführung,
daß die Verdienfllichdeit dieſes Unternehmens " {che
bald allgemeine Anerkennung bei den Maͤnnern vom
dFdach fand. Die Erſcheinung des Wenck ſchen Werks
bewog ihn, bei ber Mittheilung der Verträge und
anderer merkwürdiger diplomatiſcher Actenſtücke aus
der Jetztzeit nicht über die Epoche des Friedens von
Fontainebleau hinaufzugehen. Dieſe Martens ſche Samm-
lung kam unter dem Titel: „Recueil des principaux traités
d’alliance, de paix, de treve, de neutralite, de com-
merce, de limites, d’echange, etc., depuis 1761 jusqu’&
present“ 1794 anfangs blos in brei Bänden herays;
der vierte, der nachgeliefert wurde, enthielt nur Ergan-
zungen für bie nämliche Periode von 1761. Auch
würde, biefe Sammlung wahrſcheinlich damit geichloffen
worden fein, wenn die Wenck'ſche fortgefegt worben wäre.
Bon diefer war zwar 1795 noch ein britter Band aus⸗
gegeben worden, ber die Tractate bis 1772 lieferte; aber
ber 1811 erfolgte Tod bed Herausgebers unterbrach diefe
Arbeit und es Sam Fein vierter Band. Unter folgen
Umftänden befaßte fih Martens mit einer Kortfegung
feines „Becueil” und gab nach und nach vier Supple⸗
mentbände heraus, wodurch feine bis zu ads Bänden
und drei Supplementen aufgewacjene Sammlung bis
1808 fortgeführt wurde. Martens war zugleich mit
der Abfiht umgegangen, no eine andere Sammlung _
zu bearbeiten, welche die Staatöverträge feis bem Ende
des 17. Sahrhunderts bis zu ber Epoche, von ber fein
„Recueil“ ausging, in ſich fchließen follte; aber er gab
biefen Plan fpäterhin auf, nachdem 1802 zu Bafel das
Koch'ſche Werk erfhienen war, welches nachgehende
SchöU in einer neuen vermehrten Ausgabe zum Driud
beförderte. Inzwiſchen trat die weſtfaͤliſche Periode ein
und der hanoverfche Hofrath und Profeſſor von Martens
wurbe vom Könige Hieronymus in beffen Staatsrath
nach Kaffel berufen. In Folge biefer veränderten Stel-
lung des Herausgebers fand fich die weitere Forkfegung
des Martens’fhen „Becueil” «ine Reihe von Jahren
binducch unterbrochen; denn beufelbe bekleidete während
ber: fechsjährigen Dauer des Königreichs Weftfalen ba®
ehrenvolle Amt eines Staatsraths und war mit ganz
andern Dingen beſchaͤftigt. Nach Wuflöfung bed weſt⸗
fälifchen Staats trat Martens indeffen wieder in: hano-
verfche Dienfte zurüd, und fpäterhin zum hanonerfchen
Bunbestagsgefandten. ernannt, faßte er, aufgefobert von.
mehren Seiten, in Frankfurt den Plan, feine mit fo
vielem Beifall aufgenommene Sammlung nunmehr wie-
der fortzufegen und bis zu dem damaligen Zeitpunkt
fortzuführen, In ber Zwifchenzeit aber hatte bie ſtarke
Auflage ber hisher erfchienenen Baͤnde fich bereits nengrife
fen, und ba bie Nachfrage ſtets noch fo wurde
eine. neue vermehrte Auflage, derſelhen beſorgt. Bon
diefer zweiten Ausgabe wurden bie vier erſten Bänke,
welche den Zeitraum: 1761 — 00 in- fich ſchloſſin, von:
218
Hm. v. Martens von Fraukfurt aus ſelbſt Heransgege
ben; fie erfchlenen 1817 und 1818 zu Göttingen. In
der Vorrede zum. erfien Band fihrieb Derfelbe: „J’ai
termine cet ourrage à nne Epoque oü je n’avais plus
ai les memes facilites ni les memes motifs pour le
contiawer. - Sons de plus heareux auspices je re-
prends aujowsd’bui ce travail.“ Die Beforgung ber
Herausgabe ber Übrigen Bände in ber neuen Ausgabe
wurde fpäterhin von dem Baron Karl v. Martens,
Neffen des Bundestagsgefandten, übernommen. Unter
deſſen Redaction fam ber fünfte Band, ber den Zeit.
" raum 1791—95 in ſich begriff, 1826 zu Böttingen in
der Verlagshandlung bes ganzen Werks heraus. Der
fehete Band enthielt ben Zeitraum 1795—99 und er-
fhien 1829; der fiebente für ben Zeitraum 1800 — 3
1831 und ber achte für den Zeitraum 1803 — 8 .erfi
1335. Diefe vier Bände führten zugleich den Titel bes
erfien, zweiten, dritten und vierten Supplements in Be
ziehung auf die vier vorhergegangenen Bände, welche
den Zeitabſchnitt 1761 — 90 in fih faßtem Georg
Friedrich v. Martens ſelbſt hatte indeffen 1817 eine
‚neue Meibenfolge von Bänden feiner Sammlung unter
dem Titel „Nouveau recueil de traités, etc., depuis
1808 jusqu’a present” eröffnet. Der erfle Band ber-
felben, der 1817 erfhien, gab die öffentlihen Ur⸗
funden aus dem Zeitraum 1808 — 14; ber zweite
folgte ſchon 1848 nad und kieferte bios Actenftüde aus
den beiden Jahren 1814 und 4815, dem noch in dem
nömlichen Fahre ein dritter nachgeliefert wurde, um bie
Mitteilung bis 1818 fortzufegen. Aber nad) Herausgabe
des vierten Bandes ded „Nouveau recueil“, ber 1820
erfihien und neben Ergänzungen bis 18508 herauf bie
Sammlung bie 1819 fortführte, ging ber" hanover-
she Bunbestagsgefandte v. Martens zu Frankfurt mit
Zod ab, wodurd die Fortfegung mehre Jahre in Stoden
geriety. Im J. 1824 fügte jebsch deſſen Neffe, Karl
v. Martens, noch einen fünften Band hinzu, der Staats⸗
verträge bi 1822 enfhiet. Im I. 1828 übernahm,
endlich Profeffor Saalfeld in Göttingen bie Rebaction,
der fowel durch eine zeiche Nachleſe zur Exganzung bes
fünften Bandes beitrug, al® auch das „Nonveau recueil”
mit vier Bänden — den fechsten, fiebenten, achten und
neunten — vermehrte, worin er die Sammlung von
1833— 31 fortführte. Der legte Band von Saalfetb's
Hand erfihien 1833 und durch deſſen bald darauf er-
folgten Tod erlitt die Fortfegung des Werks eine aber-
malige, jedoch auch dießmal mur vorübergehende, naͤmlich
vierjährige Unterbrehung. Endlich wurde von ber Ver⸗
lagshandlung dem Hofrat Dr. Friedrich Murhard in
Kaflel die Redaction übertragen, der biefelbe von 1837
an bis auf die jegige Zeit beforgt hat. Don ihm find
fieben neue Bände des „Nouveau recueil” und außerdem
noch drei Bande „Nouveauz supplements” zu dem gan«
gen Werte 5 morden. Solchergeſtalt war
biefe große von Martens gegründete und bie 1839 fort-
geiegte Sammlung dis zu mehr als 30 Bänden ange-
gewachſen und die Anfhaffung derſelben mußte mit der
noch weitern Vermehrung ber Bandezechl inner Bef
fpieliger und ſchwieriger werben. Diele Betrachtung be
mog die Berlagspandlung, um den Ankauf des Werts
alten Denjenigen gu erleichtern, welchen vorzüglich ww,
Kenntniß ber öffentlichen Berträge in ber jüngften lau⸗
fenden Zeitperiode zu thun war, bie biäherige Samm⸗
lung mit dem ſechzehnten Bande bes „Nouyenu recueilt
zu fliegen und mit bem fünften Jahrzehnd unfers Jahr⸗
handerts eine neue Sammlung in einer neuen Reihen⸗
feige von Bänden beginnen zu laffen. Bon dieſer iſt
im Sabre 1843 ber erfte Band unter dem Titel:
Nouveau reeueil gen6ral de traites, conventions et autres
tWansactions remarquables, servant à la comnalinnanoe des
relations &trangeres des puissances et étata dans leurm
rapports mutuels. Redige aur des copies authentigues
par Frederic Murhnrd. Continuation du grand Recueil
de feu M. de Martens. Tome I, comprenant !’an 1840,
avec des supplements aux temes anterieurs de cette
collection.
in den Buchhandel gekommen und ber vierte Band,
weicher das J. 1843 umfaßt, befindet ſich gegenwärtig
unter der Preſſe, um im Jahre 1846 ausgegeben .
zu werden. Es ift zugleich dafür Sorge getragen wor⸗
den, daß, ſtatt früberhin in unbeflimmten Zeiträu—
men, von nun an regelmäßig alljährig ein Band er-
fheint, ſodaß Hinfüro nicht nur feine Unterbrechung
des Fortgangs bei dieſem periodifchen Werke zu beforgen,
fondern daffelbe auch im Stande fein wird, fiets mit
der Zeit gleihen Schritt zu halten. Zur Erleichterung
der Ermwerbung der nunmehr gefchloffenen alten bände-
reihen Sammlung, welde den langen Zeitraum von
1761 — 1339 einfchließlich in fich begreift, alfo nen der
Epoche des Friedens von Fontainebleau und bem Ende
des Biebenjährigen Kriegs im 18. Jahrhundert bis zum
Schluß des vierten Jahrzehnds des 19. reiht, hat die
Berlagshandlung in Göttingen in der neueften Zeit
ben frühern Ladenpreis bedeutend berabgefept, was
ben Morflehern von Bibliothelen, welche dieſe greße
Sammlung noch nicht befißen fellten, ſeht willkom⸗
men fein wird. Die Staatsmänner, Diplomaten
und GBefchichtfchreiber, die oft in den Zal kommen,
Zractate aus früheren Zeiten nachzufchlagen, werden es
überdies der Dieterich’fehen Buchhandlung Dank wiffen,
daß fie ihnen bei dem Gebrauche diefer aus fo vielen
Bänden beftehenben Sammlung buch Bewerkſtelligung
eines allgemeinen Regifters für bdiefelbe zu Bülfe ge-
kommen if. Dieſes iſt in zwei Theilen unter dem
Titel „Table generale alphabetique et chronologique
da Recueil de traites etc.” zu Göttingen im Drud
erfchienen, und bietet auch für Solche, welche ſich
nicht im Befige der ganzen Sammlung felbit befin-
den, ein nügliches Hülfemittel dar, um fi eine Über
fit der feit dem Zeitraume von faſt einem Jahre
. hunderte von den einzelnen Staaten abgefchloffenen Ver
träge zu verfchaffen. Der erſte Theil dieſes General⸗
vegifter®, welches auch als ein für ſich beſtehendes Werk
anf dem Wege des Buchhandels beſonders zu haben iſt,
ber 1837 herausgefommen, ſchließt in chronologiſcher
und alphabetififer Orbnung das Verzeichniß ber in ben
acht Bänden des Martens ſchen „Becueil” nad) der zwei⸗
ten Yusgabe für. den Zeitraum 1761 — 1807 und in
den fech6 erften Bänden des „Noweau recueil” für
den Zeitraum 1808 — 26 enthaltenen Artikel in fich.
Der zwoeite 1841 nachgelieferte Theil umfaßt die zehn
übrigen Bände des „Nouveau recueil” bis 1839 in-
elufive nebft den drei Bänden „Nouveaux supplements“,
Man Hat alfo Hier ein ſowol chronologiſch als alpha⸗
betifch nach den Namen ber Staaten georbnetes Ber
zeichniß der aus dem Zeitraume 1761-1839 vorhande⸗
nen und in ber Martens’fhen Sammlung mitgetheilten
Staatsverträge Die NRüglichkeit dieſes Generalverzeich-
niffes für den praftifchen Gebrauch in vielen vorkom-
menden Fällen würde allerdinge nod) vermehrt, wenn der |
neulich von einem Diplomaten im „Wilgemeinen Anzei-
ger der Deutfchen” geäußerte Wunſch in Erfallung
ginge, daß einer unferer Publiciften fich der freilich et-
was mühfamen Arbeit unterzöge, ein nah Mafgabe ber
Verſchiedenheit der Gegenftände, welche Die einzelnen Staats⸗
verträge berühren, georbnetes Verzeichniß fammtlicher im
ber großen Martens’fhen Sammlung zu findenden Ar
tifel anzufertigen. .
(Die Kortfegung folgt.)
— — — — — -- — — — ——
Notizen.
Venedig und die Eifenbahn.
Ein englifcher „„Zourift” in Italien, welcher in dem „Athe-
naeum” fehr intereflante Reifeberichte liefert, warf ſich kuͤrzlich
Die Frage auf: Auf was fi denn die Furcht vor der mioders
‚nen Wiſſenſchaft und Erziehung grimde, die man mit fo gros
Sem Pathos und Argwohn als deftructiv anlage? „Iſt die
ytilitarifhe Dampfmaſchine“, gab er fich ſelbſt zur Antwort,
„ein ebenfo großer Verwüfter der Unfchuld im Volke und der
bichteriſchen Schönheit als die Lehnöherrfchaft und ‚der Krie
im Mittelalter So bemerkte ich in Murray's Reifehandbud
eins empfindfame Klage über die strada ferrata, die ſicherlich
die malerifche Heiligkeit des viclbefuchten Venedigs zeritören
werde. Wer der Augen und Gedächtniß Hat follte ſich nicht
eher darüber freuen, da dieſer Schienenweg geeignet iſt, die
in der Sage lebende Blüte Benedigs zu erneuen! Bei der
Einbiegung der Bahn in dad Viertel von Canaregio iſt nur
einer einzigen malerifchfhönen Ausfiht auf die Stadt Eintrag
gefchehen. Der großartige Anblid von den Lagunen ber bleibt
wie er früher war; während das Leben, welches die Bahn
fetlbft in ihrem nody unvollendeten Zuftande in die Stadt ge:
bracht, indem fie durchſchnittlich Tag für Tag 500 Fremde
dabin führt, außer aller Frage iſt. Bor vier Jahren ſprach
ich im «Athenaeum» den Wunſch aus, daß es einem freundlichen
Hotentaten gefallen möge, Venedig vor feinem Verfall zu rets
tnn. Diefer Wunfh gebt feiner Erfüllung entgegen. Die
Haläfte am großen Kanal finden fehr ſchnell wieder Einwohner ;
ih Pann feben, wie an vielen berühmten Pläsen, bie vor Fur:
zem noch völliger Verödung. und gänzlichen Berfall entgegen:
‚gun, Bauten zur Wiederherftelung vorgenommen werden.
ie Verfaufsläden (mit Autnahme der Buchhandlerläden, welche
auf beflagenswerthe Weife öde ftehen) haben fich vermehrt und
find fchöner geworden, während der Marcusplag am Abende
belebter von Luſtwandelnden und Muſik ift als je feit den
Tagen bed armen ſchwachen Dogen Manini. Auch die Ein-
führung der Gasbeleuchtung bat mächtig zur Verfchönerung.
der Stadt beigetragen. Die Gärlengänge von Scamozzi, San⸗
ſovino und Bergamosco, die alte faragenifche Fagade des Der
genpalaftes, die verfchwenberifche Pracht der alten @t.: Mars
cuskirche fcheinen unter dem Zauber des Gaslihtd das traurige
Ausfehen des Verfalls das fie bei Sonnenfhein haben abzu⸗
werfen. Wer Eönnte nun die Wieberherfte der frühern
Hde wünfchen? und ift es nicht weifer und befler Matt auf
diefe Weife eine Vergangenheit, die nicht zurückkehren Tann,
zu beflagen, die Gegenwart mit vollem Danke anzunchmen
und weiterzubilden mit allen ihren Mitteln und Verwendun⸗
gen bes FichtE und der Berbeflerungen,, wie fehr wir auch
die Vergangenheit als einen edeln Traum oder ein maleriſched
Gedicht oder eine Vorrathshalle tiefer Wahrheiten betrachten
mögen, deren Princip ewig ift, deren Form und Weile aber
in Übersinftimmung mit dem Loos des Sterblichen dahinſchwin⸗
den muß.”
Arago und Eormenin. ’
-Der Verf. der „Voyage autour de la Chambre des de-
putes entwirft von diefen beiden hervorragenden Perfön:
lichkeiten folgende kurze Eli: „Herr Arage tft das ſchla⸗
gendfte Gegenbild des verftorbenen Laffitte. Berbunden durch
gleiche Anfichten und Gefinnungen fuchten fih dieſe Män-
ner oft im Sprachzimmer der Deputirtenlammer auf und er:
gingen fih im vertraulichen Sefprädh. In eben dem Maße
als Laffitte fih durch forgfältige Zoilette auszeichnete, macht
fih Arago durch Nachläſſigkeit im Anzug bemerklich. In
einem langen ſchwarzen Überrock, der bis zum Kinn zugeknöpft
ift, erfcheint der berühmte Sternkundige, von deſſen Haupt
das weiße Haar ſtets verworren in milden Locken auf die Schul⸗
teen herabfällt. Mir erfchien er als Typus jener erften Geſetz⸗
geber der erften conftituieenden Verſammlung, deren Züge
durch die Hand der Künftler auf und gefommen find. Hr.
Arago wandelt oft in jenem Saale, einen breitgeframpten Hut
auf dem Kopfe, in Iebhaftem Geſpraͤch mit Denen, welche ihn
anreden, zum großen Theil englifchen, deutſchen und amerifa-
nifchen Gelehrten, die den Raturforfcher ſelbſt im Vorſaal der
Deputirtenlamıner auffuchen, auf und nieder. Hr. Cormenin
trägt fi ziemlich ebenfo wie Arago, einen langen zugemach⸗
ten Reitrod, Hofen ohne Stege, langes gebleichtes Haar, das
er aber forgfältig bintenübergefämmt trägt. Er gebt, bleibt
ſtehen, laͤßt fid mit Jedem ins Gefpräh ein, ohne es zu fu-
hen oder zu vermeiden, Alles in einfadher, ziemlih gleichgül⸗
tiger Weife. Man möchte ihn nad feinem Äußern und Auf
treten für einen guten proteftantifchen Pfarrer inmitten feiner
Heerde halten; nichts in feinen offenen und ruhigen Zügen, in
feiner befcheidenen und mwohlmollenden Erfcheinung verräth den
ſchlauen, kauſtiſchen, wigigen und unbeftreitbar volksthümlichſten
politifchen Schriftfteller Frankreichs.” Das Lepte hat ſich freilich
in der neueften Zeit und nach dem Erfcheinen der Pamphlets zu
Gunſten der Ultramentanen gewaltig verändert. 12.
Literarifche Anzeige.
Im Verlage von F. A. Brockhaus in Leipzig ift neu er⸗
ſchienen und durch ale Buchhandlungen zu beziehen;
Schulz (Dr. Heinrich Wilhelm),
Über Die Nothwendigkeit eines
neuen Galeriegebäudes
königliche Gemäldeſammlung
zu Dresden.
Gr. 8. Geh. 4 Nor.
Berantwortlicher Heraußgeber: Heinrich Wrodhans. — Drud und Berlag von F. . Brockhans in Leipzig.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Dienflag,
| ö— Kr, 55.
24. Kebrunas 1846,
Rber neuere publiciſtiſch-diplomatiſche Literatur.
(Wortfegung aus Nr. 9.) |
Mertiwirdig ift es, daß biefes Wert, deſſen Fert-
fegung nunmehr, wenigſtens fo lange ale ber jetzige Her-
ausgeber lebt, verbürgt und gefichert fein dürfte und das dem
Namen Martens in der publiciftifchen, infonderhelt in der
diplomatifhen Welt eine fo große Berühmtheit verfchafft
bat, während ber langen Dauer feiner Exiſtenz, unge⸗
achtet mehrmals eingetretener, auf geraume Zeit ſich er⸗
ſtreckender Unterbrechungen in feiner. Erſcheinung, doch
niemals eine Concurrenz mit ähnlichen literariſchen Un⸗
ternehmungen zu beftehen gehabt hat. Je mehr in un-
ferm Zeitalter die wechlelfeitigen Beruhrungen, Beziehun⸗
gen und Verbindungen ber Staaten zueinander und unter⸗
einander ſich vervielfäftigten und je mehr die Zahl ber
Reiche und Nationen ſich vergrößerte, zwiſchen denen
völkerrechtlihe Verhältniffe eintraten, befto nöthiger wur⸗
den Werke, die eine erleichterte "Kenntnis und liberficht
der mannichfaltigen Übereinkünfte und Werträge ver-
lieben, bie zwifchen den verfchiedenen einzelnen Ländern
in Kraft beflanden und fäglich fich vermehrten. Man
hätte alfe wol denken follen, daß es in ber Schriftfieller-
und Buchhändlermelt nicht an mehrfachen Unternehmun⸗
gen fehten würbe, um einem folchen Bebürfniffe mehr
ober weniger Abhülfe zu verfchaffen und Genüge zu
hun. Gleichwol Hat das Martens’fche Werk feit feiner
Gründung bie zur Gegenwart, während mehr ald 30
Yahren, in ber neuern emropdifchen Literatur allein ge
ftanden, ohne auf einen Nebenbuhler zu ſtoßen, und
auch jegt hört man nirgend, daß bier oder dort irgend
ein Publicift oder irgend eine Buchhandlung mit dem
Plane wunginge, fi) mit einem analogen Unternehmen
zu befoffen. Theile die nicht geringe Mühfeligkeit einer
folden fortlaufenden Arbeit, theils bie große Schwierig:
keit der Herbeifchaffung und Zufammenbringung der da-
zu erfoberlihen Materialien aus. fo vielen nahen und
entfernten Gegenden ber Exde, fowol aus den verfihiebe-
nen europaiſchen als auch außereuropaͤiſchen Rändern, mag
davon abgeſchreckt Haben. Es gehört dazu eine ſtets fort-
gefegte Lecture der Tageblätter und Journale, vorzüglich
der Amtsblätter, die in den einzelnen Staaten erſcheinen,
eine Torgfältige Durchſicht der Geſetzſammlungen berfel-
ben, eine ſtete Kenntniß ber offitiellen Bekanntmachun⸗
gen der Regierungen neben einer weit ausgedehnten Cot⸗
refpendenz. Auch wird dabei eine Vertrautheit mit fo
vielen Sprachen und Idiomen vorausgefegt, bie felten
anderswo bei ben Gelehrten und Schriftftelern als in
Deutſchland anzutreffen If. Diefes hat wol in anbern
Ländern davon abgehalten, an ein Unternehmen zu den-
fen, welches beftimmt fein tonnte, das Martens’fche
„Recueil“ zu erfegen. So ift es gefommen, daß Deutfch-
land, wiewol es als folches kaum eine Rolle auf ber
politifhen Weltfhaubühne fptelt, doch in feiner Litera-
tur ein Werk befigt, welches einen europäifhen, ja felbft
außereuropäifhen Ruf genießt und von den Politikern
und Staatsmännern aller Zonen in der civilifirten Welt
bet allen Fragen, melde das pofitive Völkerrecht und
die auswärtigen Berhäftniffe der Staaten betreffen, vor»
zugsweiſe zu Mathe gezogen wird. Das den Publiciſten
aller Ränder, welche ſich des Beſitzes europäifcher Bil⸗
dung erfreuen, unter bem Namen Martens fo allgemein
befannte Werk iſt zugleich zum Handbuch für die mo⸗
dene Diplomatie geworden und zwar zum unentbehrli-
hen, weil in der gefammten neuern Fiteratur fein an-
dberes vorhanden ift, das demfelben an Bolftdndigkeit
und Authenticität gleich käme. Aus diefem Grunde fieht
man denn auch im allen diplomatifchen Verhandlungen,
wo es auf eriftirende Berträge ankommt, ſich auf daſ⸗
felbe berufen und in den Protofollen ber Congreſſe zu
Wien und Aachen, zu Laibach und Verona findet man
es in folchen Fällen citirt. Ebenfo wirb es in Ge⸗
ſchichtswerken Häufig als Quelle angeführt. Man kann
daher mohl behaupten, daß die große‘ Martens'ſche
Sammlung zu den Erzeugniffen der deutſchen Literatur
gehört, bie diefer In mehr als einem Betracht zur Ehre
gereichen und beren Werth auch überall im Yuslande
anerfannt if. Der Dieterih’fhen Buchhandlung in
Göttingen wird es darum ald Verdienſt anzurechnen
fein, daß fie beharrlich auf die Fortfegung dieſes Werts
bedacht geweſen ift und zu diefem Ende keine Koften
geftheut hat.
Weder die Engländer noch die Franzofen haben in
ihrer neuern Literatur ein Werk, das biefem deutfchen an
die Seite zu ſtellen wäre, geſchweige benn andere Natio-
nen. Sn England bat man fi) darauf befchränkt, eine
218 -
moͤglichſt vollfländige Sammlung ber noch in Kraft be»
findlichen, den Handel und bie Schiffahrt zwifchen Groß⸗
britannien und den fremden Mächten regulirenden Ver⸗
träge und Übereinkünfte zu veranftalten. Dieſelbe er-
fchien 1827 zu London in drei Bänden herausgegeben
von Levis Hertölet, Confervateur der Archive des aus⸗
wärtigen Departement, unter dem Titel: „A compleat
collection of the treaties and conventions and recipro-
cal regulations at present subsisting between Great-
Britain and foreiga powers. Compiled from authen-
tic documents.” In der jüngften Zeit erkannte man
:jeboch auch in England das Bedürfniß einer allgemet-
nern Sammlung, um zur Kenntniß nicht blos der Han⸗
dels- und Sciffahrtöverträge, fondern auch aller andern
Tractate zu dienen, die theils zwiſchen Großbritannien
und fremden Staaten, theils von legtern untereinander
zum Abſchluß gelangten. Es wurde deshalb die Her-
ausgabe einer fortlaufenden Sammlung beicloffen, bie
feit 1819 zu London, jedoh nur zum Gebrauche ber
Regierung und ihrer diplomatifchen Agenten bei aus»
wärtigen Höfen, alljährig dem Drud übergeben warb
und den Titel führte: „British and foreign state pa-
pers. Comprizing the principal documents which have
been made public, relating to the political and com-
mercial affairs of nations and to their relations with
each other, from the termination of the war in 1814
to the Jatest period. Printed exclusively for the use
of the government and of its diplomatic agents ab-
road. Compiled at the Foreign office by the libra-
rian and keeper of the papers.” Nachdem indeffen
eine Reihe von Jahren hindurch diefes urſprünglich für
das britiſche Minifterium und die britifhen Gefandtfchaf-
ten im Auslande ausfchließlich beftimmte, auf Staats-
koſten in der Druderei des Foreign office zu London
gedruckte Wert erfchienen war, fand man, daß beffen
größere Verbreitung auch für das Publicum von Nugen
fein würde, und es wurde hierauf die Einrichtung ge-
teoffen, daß Eremplare deffelben auch öffentlich verkauft
wurden und zu einem beflimmten reife auch für Pri-
vatperfonen zu haben waren. Die Buchhandlung James
Ridgway und Bohn wurde mit dem Verkauf beauf-
tragt. Da anfangs nur eine geringe Anzahl Erem-
plare für den officiellen Gebrauch gedrudt worden wa⸗
zen, fo mußten bie früheren Jahrgänge, um die Nad-
frage zu befriedigen, von neuem aufgelegt werben.
Bon dieſer Sammlung find im Ganzen 20 Bände er⸗
ſchienen, welche bie Periode 1818— 33 in fich begrei-
fen. Aber 1836 ward ber legte Band ausgegeben unb
feit der Zeit ift die Fortſetzung unterblieben. Die Her-
ausgabe diefer periodifhen Sammlung hatte übrigens,
da fie nicht über die Epoche des Sturzes der Napoleon’-
fhen Herrfhaft Hinausging, den fortdauernden Gebrauch
des Marten’fhen Werks felbft in England nicht über-
flüffig gemacht.
(Der Beſchluß folgt.)
Amerikana.
Bweiter und letter Artikel.)
4. Des Amerikaners Charles Fenow wilde Scenen in Wald
und Prairie mit Skizzen amerikaniſchen Lebens von Hoff⸗
mann. Aus dem Engliſchen von Fr. Gerftäder. Zwei
Bände. Dresden, Arnold. 1845. 12. 2 r.
3. Skizzen aus Rordamerifa. Schilderungen aus der Natur,
dem religiöfen, politiſchen und ſocialen Leben. In Briefen
eineh atgen Miffionnairs. Augsburg, Schmid. 1845,
. r.
6. Meine Reife nad Nordamerika im Jahre 1842. Mit ſta⸗
tiftifchen Bemerkungen über die Suftände der katholiſchen
Kirche bis auf die neuefte Seit. Bon Joſeph Salz-
bade r. Wien, Wimmer, Schmidt und Leo. 1845. Gr. B.
r.
7. Briefe aus und über Nordamerika, ober Beiträge zu einer
richtigen Kenntniß der Bereinigten Staaten und ihrer Be-
wohner, befonder& der deutfchen Bevölkerung, in kirchlicher,
fittlicher,, forialer und politiſcher Hinfiht und zur Beant-
wortung der Frage über Auswanderung, nebft Nachrichten
über Klima und Krandheiten in diefen Staaten. Bon 3.
G. Büttner. Zwei Bände. Dredden, Arnold. 1845.
Gr. 8. 23 Thlr. 15 Ngr.
Es Tann nicht genug über Amerika gefchrieben werden,
um uns zu belehren, fagte ich ungefähr im vorigen Artikel,
feit und fo lange unjere Hoffnung auf Die neue Welt gerichtet
iſtz und wie die ftrafende Erfüllung eines thörigen WBunfches
liegt wieder ein ganze Pad von Schriften über Amerika vor
mir. Wenn ich nun aber meine Anſicht geänbert hätte, denn
Monate, ein ereignißreiher Sommer find feitdem verftrichen!
Ih war auf einem Rheinfchiffe, das eine ganze Ladung deut:
fher Auswanderer nah dem Hafen führte, von wo fie dem
Baterlande auf ewig Lebewohl jagen follten. Deutfche Bauern⸗
famifien aus der Pfalz, Heflen, Baden und Schwaben; alle in-
Seht, Geſtalt, Tracht, Sprache der körnige Ausdruck deutfcher
‚Ratur und deutfchen Weſens. Männer, Frauen, Greife, Jüng-
linge und Kinder. Alle felbft voll Muth, fogar voll Heiter-'
keit, mit Gefichtern, noch ſtrotzend von der Erwartung des
Stüdes, das ihnen bevorftand, ohne Ahnung der Bitterkeiten,
welche vielleicht ſchon die nächflen Wochen ibnen bereiten dürfe
ten, Alle gehoben von dem jeligen Gefühl, ihre Lage zu ver-
ändern, und Alle verfihernd, wenn wir fie über da6 Warum
fengten: in Deutfchland wäre nichts mehr für fie zu machen.
Biffen fie, mas drüben für fie zu machen iſt? Wiflen das
die armen verhungerten Gefchöpfe in DOftpreußen, Mafluren,
Lithauen, deren Ernte im dritten Jahre wieder verdorben
ift, die mit leeren Magen, ohne Arbeit, in Befürchtung
eines neuen firengen Winters, ohne Brot, Kartoffeln, Streu
und Holz, der Verjweiflung und dem Hungertode entgegen
ſehend, an die Thüren der Regierungspaläfte jegt eben pochten
und flürmifh von ber Regierung verlangten, daß man fie nach
Amerika hinüberſchaffe? &o viel wird getrieben und gedrudt,
und fie Alle, die es wiſſen müßten, weil es fie zunächft angeht,
wiſſen nichts. &o viel Zinte, fo viel Druckerſchwärze, fo viel
Papier verwandt, um und zu unterrichten, die wir es nicht
brauchen, und warum ift noch fein populaives Werk erfchienen,
welches den Inhalt aus allen diefen Schriften in einer einzigen
kurzen und Blaren fürs Volk niederlegte. Dat Beſte für dafs
felbe wäre noch die Caricatur in den „liegenden Blättern”.
die Auswanderer unterjchrieben, wo auf einem Bilde die &e-
ligteiten, auf dem andern bie Mühfeligleiten des Auswande-
rers und Goloniften handgreiflich vargeftellt werden. Dort 6
ber glüdliche Plantagenbefiger auf einem Baumſtamm, fchlü
feinen Kaffee und eine junge Regerin zündet ihm Enieenb die Pfeife:
anz bier adert einer in einem Feld von Steinen, während feine
hungernden, zerlumpten Kinder vor den Pflug gefpannt find.
*) Bergl. den eriten Axtilellin Nr. 7 und 8 d. WI. D. Web.
——
Segenföge und keine Vermittclung! So ftellen YA
auch die Schriften dar; es ift ein buntes Gemengſel, Licht und
Schatten, Hige und Froſt, Übereultur und Roheit u. f. w.
"Das Refultot mag jeder verftändige Leſer fich felbit daraus
ziehen, aber eben ein Refultat, das fi nicht in wenige pofl-
tive Saͤtze faflen läßt. Gehen wir, wie die Dinge ftehen, auch
um deswillen von dem Borfag und Verſuche ab, die uns. vor⸗
liegenden Bücher fyftematifh zu orbnen. Der Verf. eines der
felben fagt in dem Borwort, daß er es mit feiner Materie
ebenfo gehalten. Rachdem er lange nachgedacht, wie fie zu
ordnen, co: und fubordiniren, habe es ihm als das Zweckmaͤ⸗
Sigfte gefchienen, gar nichts zu ordnen, fondern niederzujchrei-
ben was ihm von feinen Erlebniffen und Erfahrungen gerade
in den Sinn gelommen. Eine Bauerfrau am Ohio machte eb
ebenfo mit einem Krämer, der ein Stud nach dem andern
vorzog und ihr anbot. Lieber, fchütte deinen ganzen Kram
aus, ſprach fie, ftatt Eins nach dem Andern anzupreifen; denn
es iſt an uns zu wählen, und was wir wählen, preift ſich von
felbft und befler als du es kannſt.
Das vierte Buch, nämlich nad der Ordnung, die der Ti:
tel unferd Artikels angibt, und die-wenig mehr als das Loos
entfchied, hat einen prachtvollen Zitel, ift aber doch nur leichte
Waare. Hätten wir Hrn. Gerſtaͤcker's Buch, des überſetzers
eigenes, nicht vorher gelefen, fo koͤnnte es in Mandherlei bes
Ichren. Aber wir Eennen nun ſchon diefe wilden Scenen in
Wald und Prairie, und zwar aus dem Munte eines Lands:
manns, der jie jelbft erlebt bat. So wunderbar fie unferer
eisilifirten Ruhe und Gemächlichfeit erfcheinen, find fie Doch
immer nur Abenteuer, die auf derfelben Weile fpielen: Ba:
tenjagden, Hirfchiegden, zu Zand und zu Waſſer, Faͤhrlichkei⸗
ten der erftaunlichften Art, Kebensrettungen, Streifereien ins
Wüfte, Berirrungen, feltfame Wiederauffindungen u. f.w. Daß
fie ein geborener Amerikaner berichtet, gibt ihnen in unfern
Augen nit mehr Werth. Es ift und weit intereffanter zu
hören, wie Jemand von unferm Gefühl, unfern Sitten, unferer
Denkweiſe und unferer Sprache diefe fremden Dinge auffaßt. Die
" Überfchriften der Abfchnitte find poetifcher als ihr Inhalt, übrigens
ift Die Schreibweife nicht ohne Lebentigfeit und Klarheit. Der erfte
Zeil führt und in die nörblichern heile der Vereinigten
Staaten, in die weniger befannten Quellengegenden bes Hud⸗
fon. Hier find noch Wilönifie, die nur der Fuß des Trappers
betritt, und der Verf. entwirft in einem wie er verfichert
getreuen Portrait nach der Natur das Bild eines foldhen un«
ermüdlichen Zägers, wie ed von den amerikaniſchen Rovelliften
vielfach zu zeichnen verfucht worden ift.- Wir erfahren, daß
dort noch) folde unzugängliche, weit ausgedehnte Wildnifle des
Hochlandes find, daß Die armen Indianer, welche, obgleich hriftlich
und eivilifirt gemacht, von ihren angloamerifanifchen Nachbarn
aus Maine und Reuyork unbarmherzig fortgejagt werden, in
denfelben nody lange Jahre einen fichern Verfted fanden. Grauen
haft intereffant iſt eine Reminifcenz aus dem Freiheitskriege,
des Majors Erzählung überfhrieben, in welcher, freilich von
amerifanifcher Feder, die Grauſamkeiten wieber aufgefrifcht wer:
den, zu denen die Engländer gegen ihre amerifanifhen Brü-
der fich verftanden, indem fie die Gefangenen der Bannibalifchen
Wuth der ihnen verbündeten Rothhaͤute überließen. Der zweite
Theil bringt vorzugsweife Märchen, Sagen und meift ſpukhafte
Erzaͤhlungen aud der amerikanifchen Vorzeit. Un der Legende
aus ber großen amerikanischen Wildniß „Die geſpenſtiſchen
Reiter“ bar fichtlich europäifche Phantafie mitgearbeitet. Sie
iſt ſchauderhaft, aber fchon Birgit gedenkt dieſer Urt der ſchau⸗
dervollen Rache.
., Re. 9, in Briefen gefchrieben, iſt von einem katho⸗
liſchen Miffennair, ber im Norden der Bereinigten Staa⸗
ten feinem Belchrungsgefhäft nachgeht. Wir erfahren aus
der Vorrede, daß „der Katholik eine andere Urt bat die Dinge
ſich zu beſehen als der außerhalb der Kirche Stehende‘‘. Gr
fei „im Befig des geiftigen Auges, das alle Gegenflände un⸗
ter den richtigen Focus bringt” und urtheife deshalb mit einer
Sicherheit, die jedem andern nicht fo Begabten mehr oder mins
ber als Selbſtuͤberhebung oder Anmaßung erſcheine. Nach dies
fem Borwort. müßten wir uns eigentlich aller Kritik enthalten,
da wir außerhalb der Kirche ftehen, alfo nicht im Befike des
geiftigen Auges find, um den Gegenftand unferer Kritik unter
ben richtigen Focus zu bringen. Wenn wir aber als Proteftan-
ten urtheilen wollten, die aud eine andere Art haben die
Dinge ſich zu befehen, müßten wir nach folder Vorausfegung
werig von dem Buche erwarten. Ginigermaßen würde uns
aber diefes proteftantifche Urtheil täufchen, denn auch von uns
ferm falfchen Standpunkte aus betrachtet glauben wir in dem
Miffionnair einen jungen Mann von Gefühl, deutſchem Gemüth
und Phantafie, auch mit emiger Bildung begabt zu erblicken,
deſſen frifche und warme Anfchauungen von Interefle find, auch
wenn der Standpunkt, von dem aus er betrachtet, uns bes
—* erſcheint. Er ſchluͤrft die Jugendreize der amerikani⸗
ſchen Ratur mit Begeiſterung ein, er erfreut fi) an dem Ras
turleben der wilden Indianer und ift -über feine Fatholifchen
Bekehrungen in eben der Art erfreut als irgend ein rigerofer
Yuritaner oder Methodiſt. Umfaffende Anfchauungen des ame-
rikaniſchen Lebens, der Sitten und der Politik darf man hier
nicht fodern, aber in manchen Einzelheiten wirb man Belch-
rendes finden. Gebr maleriſch, deutlich und intereffant ift die
Schilderung eines Camp meeting, und in das Urtbeil des Kaͤ
tholiten über dieſe Ausartung religiöfer Brunft werden auch
alle vernünftigen Proteftanten gem einftimmen, wenn er fagt:
„Kein Sturm auf dem Meere hat mich fo ergriffen als der res
ligiöfe Wahnſinn diefer Sektirer, nachdem fie ihre Geiſtes- und
Körperkrafte zu wilden Wogen der Verrüdtheit aufgepeitfcht
und zu einem tobenden See voll Menfchenraferei zuſammen⸗
gefchwellt hatten’, und von den revivals fagt, baß er eher
alle Abenteuer des Freiherrn von Münchhaufen für moͤglich
gehalten hätte ale an die Möglichkeit eines ſolchen Teufelsſpuks
geglaubt. Bedenklicher erfcheint dagegen folgendes allgemeine
Urtheil über die Amerikaner: „Das Streben der Angloame:
rikaner, fi den Anſtrich einer firengen Sittlichkeit zu ver-
ſchaffen, ift charakteriſtiſch ‚und trog feiner ſuͤndhaften Heuche⸗
lei immer noch ein — freilich ſchwacher Damm, daf die ge»
meine Sittenloſigkeit bei der Zreiheit und Gleichheit des Lan»
bes nicht auf die unverfhämtefte und ſchreckhafteſte Weife öfr
fentlih auftritt. &o lange die wahre Religion und eine ge-
funde, gründliche, echt chriſtliche Kindererziehung in Amerika
nicht Die Oberhand gewinnt, fo lange die Bibel nur zum im-
merwährenden Zankapfel, und ber Schulunterricht blos zum
Mittel dient, daß einige Lehrindividuen von den Gemeinde
Schulgeldern unterhalten werben, fo lange muß man felbft .
wünfjchen, daß das Pharifäerübel des Puritanismus in den
Vereinigten Staaten nicht plönlic verfchwinde.. Denn der
zügellofefte Libertinismus berifcht: ba, wo ohne Religion und
gute Erziehung aud die‘ Anftandsfchranten niedergebrochen wur:
ben, welche bie vepublifanifche Klugheitsregel errichtet hatte:
vor feinen Mitbürgern als gut zu fcheinen, um bei allenfallſi⸗
gen Wahlen nicht überfehen zu werden. An der Krankheit
außerer Scheinheiligkeit bei innerer Verderbtheit leidet eim gro»
Ber Theil der Bevölkerung in Amerika fehr ſtark. Daraus
weil die Volksmaſſe fo wenig ober feine eigentliche Tugend bes
fist, entfpringt auch der fchnelle Glaube, wenn den edelften‘
ännern bie niederträchtigſten Verbrechen angedichtet werden.
Man hielt ihren wirklichen Tugendwerth aud nur für legalen’
Zugendfchein. Diefes Verbrechen fann nur von einer tief ein-
gehenden, ben gangen Menſchen erfaffenden, echt veligiöfen Er»
ziehung durch Fähtge ‚ tadellofe, fi felbft: aufopfernde Lehrer
eheilt werden. Das fehen die vernünftigen Angloameritaner
ehr gut ein, und obgleich fie gegen die Patholifche Religion
fchimpfen und toben, fenben fie dennoch ihre Kinder in die Col⸗
legien und Inftitute, die von geiftlichen Perfonen der verhaßten
und geſchmaͤhten Religion geleitet werden.” |
Das fechöte Werd, Salzbacher’s „Reife nach Nordamerika”,
ſchließt fih in der Tendenz dem vorigen Buche an, iſt aber
- Auswanderung, nebft Ra
cin sel von fo folidem Mau, baß es außirhacb ber Deur⸗
teilung über leichtere Zouriftenfchriften und feinem Inhalte
außerhalb der unfern liegt. Der Werf., weichen im 3.
7 eine Pügerreife nad dem gelebten Bande unternammen,
wet im 3. 1844 eine ähnliche unter oberhirtlicher Einwilligung
und mit Benebwigung des Heiligen Stuhls nad den nordame⸗
anifchen Freiſtaaten an, weil biefelben in pelitifcher und re:
Ugiöfer Begichung gegenwärtig fo fehr die Aufmerkſamkeit bes
Continents auf fich ziehen, und von deren —— —
allein ein großer Theil der künftigen Weitgeſchichte, ſondern
auch der kuͤnftigen Sirchengefchihte abhängt. Er wollte ins⸗
beſendere den Buftand der katholiſchen Miſſionen in jenem Weite
theile und namentlich den ber beutfchen Katholiken kennen ler⸗
wer. Der Bericht über disfe Reife, wit der ehrenfeften Ge⸗
nauigkeit eines Meifenden aus der alten Schule niedergefchrie-
ben, nebft den reichhaltigen und ausführlichen ſtatiſtiſchen Mit-
tgellungen über die Zuftande der Katholiken in den Freiſtaaten,
füllt die 416 enggedrudten Geiten dieſes Werks. Über feine
Tendenz gibt dab Berzeichniß der Bubfcribenten, die faft ins
gefammt dem hoͤhern katholiſchen Klerus in Oftreih und feinen
Inhängern angehören, im voraus Auskunft. Das Refultat ift
einerfeitö, daß der Zuftand der Katholiken und namentlich ih:
zer Miſſionnaire ein zur Zeit noch frauriger iſt, weil den Letz⸗
tern die gehörigen Unterflügungen abgehen, weshalb aud ber
Ertrag dieſes Buches den beutfch »Patholifchen Miſſionen in
Nordamerika gewidmet iſt; andererfeits aber die Zuverfücht des
Verf., daB ed ich mit der Zeit zum Beſſern wenden wird.
Das praktiſch Sichere in dem ganzen Weſen ber roͤmiſchen
Kirche verfehle nicht, einen tiefen Eindrud auf den praßtifchen
Amerikaner zu machen. &o fei denn zu Gott zu hoffen, daß
unter feinem Schuge die heilige roͤmiſche Kirche auf amerika»
nifhem Boden immer mehr und mehr gedeihe. Nach der Ans |
fücht eines katholiſchen Biſchofs in Nordamerika fehle aber dazu
noch etwas. Bwar erfreue ſich die Eutholifche Kirche feit der
Unabhängigkeitserflärung einer gänzlichen Freiheit; das Wort
Gottes werde ungeflört gepredigt, die Kirchen fliegen zahlreich
aus dem Boden empor, obne das geringfte Dinderniß zu fin
den, die Wirkſamkeit des Biſchofs, den Eifer der Miffionnaire
begrenzten Feine Geſetze, die Sonne des Friedens leuchte über
die junge Ausfaat, aber — es fehle nody der befruchtende Re
gen des. Bluts der Märtyrer. Das Erdreich werde durch dem
beftändigen Sonnenfcein ausgetrodnet, die Saat fafle Feine
tiefe Wurgel, und am Ende verdorre fie, bis der. einft kom⸗
mende Regen, d. i. eine offenbare Verfolgung, neue Pflanzen
bervorrufe, die alten befruchte und belebe und die erwünfchten
Früchte hervorbringe. Auf einem Sturm der Verfolgung bes
ruht alfo die Hoffnung für die katholiſche Kirche in Amerika.
Der ebrenwerthe Neifende Hegt übrigens auch die zuverſicht⸗
liche Hoffnung, daß für die Fatholifche Kirche in \Sngiand eine
reihe Ernte, vieleicht die ganze Inſel umfaſſend, bevorftebe,
und fieht die Yufeyiften als die jichere Brüde an, über weldye
Ram fiegreich in England einziehen werde. Über Die Yufeyiften
und feinen Beſuch bei Puſey felbft finden ſich intereffante De⸗
tails in dem Buche.
Das fiebente Werk, die Büttner’fchen Briefe tragen ihre
Tendenz ſchon auf dem Titel, als Beiträge zur richtigen Kennt⸗
niß ˖ der Vereinigten &taaten ‚und ihrer Bewohner, befonders
der deutfchen Benölferung, in Pirdhlicher, fittlider, forialer und
pelitifcher Hinfiht, und zur Beantwortung der Frage über
ichten über Klima und Krankheiten
in diefen Staaten. Eine tüchtige Arbeit, beftimmt durch that:
fächliche Darſtellung dem Eindruck entgegen zu arbeiten, wel:
hen das Brifion’fche Werk (vergl. unfern erften Artikel) auf des
Berf. Landöseute hervorgebracht haben koͤnnte. &o tief, be
—— er, ſei das amerikaniſche Volk Gott ſei Dank noch
nicht geſunken als es Griſſon dert male; es liebe ſich ſelbſt,
ſein Eigenthum, ſeinen Vortheil, aber es liebe ebenſo ſeine
Gonftitution, feine Freiheit, ſeine United atates. Dies ſpreche
ſich airgend deutlicher aus als in Amerikas Motto: Amerion
wir den fechöten X
knows © maa will do his duty, während Minglend (nur)
erpootd eva man wil de his duty. Das find Wemata,
Die db ge, Schriften und Buͤcher ſich nicht en
laſſen; die That, die Geſchichte alten kann Darüber en
Weder bewies und Griſſon die Regation, noch bewei
Autor und bie Voftlon. Der Lentere ift weniger Fr l⸗
ler, der durch Ausdruck und eigenthümliche —25*— gewin⸗
nen will, als ein getreuer, aufmerkſamer Referent, dem ein
gutes Gedaͤchtniß gu Huͤlfe kommt, und der eine ſolche Waffe
von Daten zuſammenſtellt, daß ber Berſtaͤndige fein Urtheil fi
ſelbſt fällen kann. Erquickend und lockend wird es jedoch, für
europkifche Begriffe, als Lotalität, au nad Ler geneigten
Buͤttner ſchen Darftellung nicht ausfallen. Die fehreiende Un⸗
gereihtigleit der Nordamerikaner gegen die Indianer, ni
aus alten Beiten, fondern in der neueften Gegenwart, nicht
gegen die barbariſchen Wilden der Urmwälber geübt, fondern
gegen die civilifivten Hefte der ansgerotteten Stämme im Rorb-
often, die Ackerbau treiben und fi zu den Künften des Frie⸗
dens neigen, tritt auch hier in ein fehreiendes ‚Licht, um fo
mebr als er fig aller declamatoriſchen Phrafen enthält und nur
die nadte Thatſache, aber darunter das beredte Wehgeſchrei,
bie Argumente der Ratur mittheift, mit der die Unglücklichen,
ihren unausbleiblichen Untergang vor Augen, ihre heiligen
Rechte zu vertheidigen fuchen. Büttner führt uns befonders
nach den neuen Berritorien und werdenden Staaten von Wit
confin und Iowa, wo dem Fleiß und der außdauernden Thaͤ⸗
tigkeit des Anſiedlers eine neue reiche Welt ſich darbietet.
(Der Beſchluß folgt.)
#
Literarifhe Notizen aus Frankreich.
Rancıd’s Briefe.
Max erinnert fi, daß Ehateaubriand, ber feit Jahren ſchon
von ih mit Hagender Stimme fagte, daß er am Rande des Grabes
ftehe und daß er vom politifchen fowie vom literarifchen Leben Ab⸗
fhied genommen habe, feine Zeitgenoflen vor Purzem noch einmal
in feiner Biographie des Stifter des Trappiſtenordens mit einem
Erzeugnifie feiner glänzenden Feder befhenkte. Diefes Werk,
welches fich im Grunde mehr im Kreife des Genre bewegt, das
der. Franzoſe durch den Ausdrud Kioge bezeichnet, hat auch in
Deutſchland, wo ed durch eine Überfegung eingeführt ift, einige
Berbreitung gefunden. Gegenwärtig erhalten wir ein neues Werk,
welches gewiffermaßen eine Art von Rachtrag oder eine Samm-
ung bifterifcher Belege zu bemfelben bildet. Es iſt Dies eine Zu⸗
fammenftellung von Driginalbriefen des Mannes, deffen Lebens»
befchreibung die Schrift von Ehateaubriand gewidmet iſt. Diefelbe
führt den Titel „Lettres authentiques de l'abbé de Rancé“.
Inwiefern der beriapmte Schriftfteller bei der Veröffentlichung die-
fer Briefe, unter denen ſich manches intereffante Document befin-
det, betheifigt ift, find wir nicht im Stande nachyumeifen.
Franzoͤſiſche Luftfchlöffer.
Schon öfters ift in d. Bi. ein Werk erwähnt, aus welchem
biejenigen unferer Rouelliften und Romanfchreiber, welche ihre
Stoffe aus der franzöftichen Konigsgeſchichte entichnen, eine Menge
dev verfhiedenften Mittheilungen ſchoͤpfen koͤnnen. Cs iſt dies ein
Werk, welches beſonders zur genauern und fpeeielleen Kennmiß
der Localität von beſonderm Interefle fein dürfte. Wir meinen Die
„Souvenirs historiques des r&sidences royales”. Der Verf. die:
fes umfaflenden Werks, Batout, welcher ſich feiner Arbeit mit
vieler Mühe unterzogen zu haben ſcheint, hat ein fehr reichhaltiges
und buntes Material zuſammengebracht; aber zugleich hat er es
auch auf eine anziehende Weiſe zu geftalten und zu verarbeiten ge»
wußt. Der neuefte Band biefer intereffanten Publication, welche
noch nicht bis zu ihrem Ende gedichen ift — gegenwärtig erhalten
heil —, behandelt die Deföreibung des koͤnigli⸗
hen Luftſchloſſes von Amboife und die hiſtoriſchen Erinnerungen,
weiche fi an diefen Namen knüpfen. 2
Verantwortlicher Heraußgeber: Heiurich Wrodfant. — Drud und Verlag von F. WE. Wrodpans in Seiptig.
|
—J77 — — — — 5—55 5—— —7—5—— 7— 75 —7—7— — 55 7 757— EEE ” —
Blätter
literarifhe Unterhaltung.
Mittwod,
Über neuere publiciſtiſch-diplomatiſche Piteratur.
(Beſchlus aus Nr. 58.)
. In Frankreich war es der Graf won Hauteville,
sous- directeur des archives et chancelleries au depar-
tement des affaires &trangeres, ber es, in Verbindung
wit feinem Vorgänger im Amte Ferd. v. Cuſſy, unter
nahm, ein ähnliches Werk wie das von Hertölet für Eng-
‚kanb bearheitete, deſſen große Nüglichkeit fih durch die
Erfahrung bewährt hatte, herauszugeben, jedoch in einem
rößern Umfange. Bei der Ausarbeitung des englifchen
—* war der Grundſatz befolgt worden, nur ſolche
öffentliche Verträge aufzunehmen, die als noch dermal
in Kraft befichend angefehen werben Tonnten; aber ben
Herausgebern des frangöffchen Werks erfehien die ſcharfe
Unterfcheidung zwiſchen den Staatsverträgen, die ganz
oder theilweiſe nach als gültig zu betrachten, und denen,
welche ihre Gültigkeit ganz oder theilweife verloren, un⸗
chunlich, da in der That eine Menge von dergleichen
Urkunden vorhanden war, auf bie ſich, wenngleich der
ſtipulirte Termin der Dauer üre Gültigkeit laͤngſt ab⸗
gelaufen iſt, doch noch immer haͤufig in Beziehung auf
darin aufgeſtellte Brunbfäge und in Gemäßheit diefer
flattgehabte Vorgänge berufen wird. Auch gibt es gar
mandye Tractate, die, während fie von dem einem ber
pacifeirenden Theile in Folge fpäterer Ereigniffe als nicht
mehr in Anwendung kommend angefehen werben, von
den andern als noch in Kraft befindlich anerkannt find.
Zugleich erkannten die Herausgeber, von welcher Nüplich-
keit es fein würde, nicht bei Mittheilung blos folcher
Staatsurkunden ſtehen zu bleiben, in welder Frankreich
als pacifcisender Theil aufgetreten, ſondern daneben auch
eine Sammlung ber vornehmften, ben Handel und
die Schiffahrt betreffenden Berträge zu veranflalten,
melde zwiſchen andern Mächten untereinander abgefchlof-
fen worben waren. „L’usage assez gensralement adopte -
entre les puissances amies”, bemerfen fie in ber
Borrede, „de s’assurer recipraguement la jowissence
du traitement et des privillges qui sont accordes ou
qui pourraient Pêtre par la suite & la nation Ja plus
favorisee, amsi que le pertent beaueoup de traitds
modernes, d@montre en effet la neoessit€ d’un tel se-
and recueil comme compl&ment indispensable du pre-
mier Car il me auffit plus à une nation quelcongue
| de conmaltre les traitds conchıs par sun gouvernement,
25. Bebruar 1846,
——
# Iui. deviemt encore necessaire de connaltre ceux qui
unissent lee autres nations entre alles, puisqu'ils sont
fondés dans certains cas & reelamer par assimilation les
privileges dent elles jouissent.” Daher haben fie ihre
Sammlung im zwei Abtheilungen gefchieben, won denem
bie eine die feit dem Weſtfaäliſchen Frieden non Frank
reich, uud die andeve bie von fremden Mächten unter
einander abgefchloffenen Staatsverträge in Beziehung
auf Handel und Schiffahrt in fi ſchließt. Alle bier
mitgetheilten Doeumente vwurben vor bes Abdruck auf
forgfältigfte mit ben Ortiginalinſtrumenten, die ſich im
ben Archiven des Minifteriums des Auswärtigen zu
Paris vorfanden, collationniet und haben dadurch einen
Grad von Wuthenticität erlangt, ber geflattet, ſich, fei
e8 bei biplomatifchen Unterbaublungen ober vor. ken Ge⸗
richten, auf fle zu berufen. Jede der beiden Abtheilun⸗
gem diefer Sammlung zerfällt in ebenſo viele Gapitel
als pacifeivende Staaten aufgeführt werden, bie nad
Mafgabe ihrer Namen in alphabetifcher Ordnung aufs
einander folgen. Die in jedem Capitel enthaltenen Trac⸗
tate, die bis 1648 hinaufgehen, finden ſich dann cher
nologifeh geordnet. Am Echluf ber ganzen Gamm-⸗
lung ift noch eine Die Brauchbarleit derſelben erhähenbe
„Table saisonade des matitzes’' beigefügt. Dieſes Wert
erfihien zu Paris hei ben Buchhändler Rey und Gra«
vier 1834— 37 im acht Großottavbänden zum Preis von
64 Frants, unter beim Atel: „Recweil des tuaités de
commerce et de mevigation de la Frances avec lea
pwissances #strangeres, depuis la paix Ja Weatphalie,
swivi du recueil des principaux traites de meme na-
ture conclus par les puissanses eirangeres entre ellen
depuis la meme dpoque. Supplemente, um biefe
Sammlung ſtets bis. zur Gegenwart weiter fortzufuͤh⸗
ren, find nicht erſchienen; bagegen warb 1838 ein pe⸗
riodiſches Wert won P. Henrichs in Paris gegründet,
worin von her Zeit an in monatlichen Lieferungen die
neueften Handels⸗ und Bciffahrtswerträge befannt ger
macht wurden, bei beren Mittheilung ans offiddellen
Quellen gefhöpft ward, indem das franzöfifche Minifte-
vum bes Handels biefes Unternehmen unterſtützte und
den Herausgeber authentiſche Abſchriften ber Urkunden
und Actenſtuͤcke zugehen Tief. Diefe „Archives de com-
merce on reeweil de tous les docsments officiels com.
merciaun de France et de Fetranger” find fpäterhar
unter dem Titel „Nouvelles archives” von %. Colombel
fortgefegt worden und 1845 bis zum ſechsunddreißigſten
Band angewachſen. In England hat man nicht einmal
ein eigenes periodifch im Druck herausfommendes Werk,
das als Portfegung der Hertslet'ſchen nur bis 1827
teichenden Sammlung bienen tönnte. Selbft um bie
von Großbritannien abgefchloffenen Zractate kennen zu
lernen, hat man fein anderes literarifches Hülfsmittel,
wenn fie nicht zufällig in Tageblättern, Monats» oder
Duartalfchriften zur Beröffentlihung gelangen, als bie
jährlich zu London erfcheinende „Collection of the public
general statutes, welche, nachdem fie das Parlament
paffirt, die Bönigliche Sanction erhalten haben.
Alle diefe verfchiedenartigen Erzeugniffe der englifchen
und franzöfifchen Preffe in der neuern Zeit haben jedoch
ben Gebrauch des in Deutfchand herausfommenden gro-
fen und vielumfaffenden Martens’fchen Werks Teines-
wegs überflüffig gemacht und maden können, meder in
England noch in Frankreih. Denn theil6 erfiredten fie
fich, wie bie eine Reihe von Jahren hindurch erfchienene
„British and foreign state papers”, auf einen kurzen
Zeitraum aus der jüngften Periode, fodaß man immer
wieber zu ber beutfchen bis zur Mitte des vorigen Jahr-
hunderts zurüdgehenden Sammlung feine Zuflucht neh-
men mußte, fo oft es fih um die Kenntniß früherer
Staatöverträge handelte, theild waren fie bei. ber Mit-
theilung der Actenftüde fpeciell blos auf einen’ Gegen-
fland der öffentlichen Verträge, nämlih Handel und
Schiffahrt, befhräntt. Der Publiciſt, Diplomat: und
Hiftoriter war aber oft ber Kenntnifnahme von Ver⸗
trägen auch über anbere. Gegenftände benöthigt: Dazu
kam, daß die in England und Frankreich publicirten
Sammlungen lediglih zum Gebrauche ber Engländer
und Sranzofen beflimmt und hierauf berechnet waren,
weshalb fie in der. Regel, ja gemeiniglich ausſchließlich
den Inhalt der Urkunden blos in ihrer Mutterfprache
lieferten. Allein zur genauen und richtigen Auslegung
und Deutung ber vorhandenen Verträge und für bie
Erklaͤrung des Sinnes ihrer Beftimmungen nad dem
Wortlaute war nicht felten die Einficht bed Driginal-
terte® erfoderlich und biefen fand man häufig nur im
"Martens’fchen „Recueil“ mitgetheilt. In der That. bie-
tet dieſes Tegtere, durch deutſchen literarifchen Unterneh⸗
mungsgeift ſchon vor länger als einem Bierteljahrhun-
dert gegründete und über ein Menfchenalter hindurch
mit deutſchem Fleiße fortgeführte Werk auch bermalen noch
in der gefammten publiciflifchen Literatur Europas bie
einzige allgemeine Sammlung der Perträge jeglicher
Art und aller Länder nach ihren Originalterten in einer
ununterbrochenen Reihe von: faft 100 Jahren dar, welche
bie Grundlage für das moderne Völkerrecht aller civili⸗
firten Nationen der Erde bilden. Aber immer ſchwieri⸗
ger und Eoftfpieliger wirb bie Zorffegung, da in unferer
Zeit der Raum eines Bandes kaum hinreicht, die Ergeb-
niffe eines Jahres in fi zu faffen, während früher bie
von mehren Jahren ſich füglich in einem einzigen Bande
vereinigen ließen. Der Verlagshandlung ift darum zu
wünfhen, daß ihre rühmliche Ausdauer bei biefem Un-
ternehmen durch Binreichende Unterflügung von Geiten
bes Publicums belohnt werben möge. *) 85.
Amerikana.
Zweiter und letzter Artikel.
(Beſchluß aus Nr. G.)
über die confeſſionnellen Kaͤmpfe in Amerika bietet uns das
Büttner'ſche Werk die bedeutſamſten Nachrichten. Wer ſich Darüber
unterrichten will, für den iſt es von ungleich größerer Wich⸗
tigkeit als fämmtliche vorhin genannte. Was uns die beiden .
katholiſchen Schriften von ihrem Standpunkte aus fagten, und
woran wir dennoch als von einem einfeitigen Parteiſtandpunkte
aus betrachtet zweifeln Fonnten, wird uns hier vom entgegen«
gefegten beftätigt. „Die römifch » Fatholifche Kirche defindet ſich
in einem mächtigen Wachsthume, ihr Muth und ihre Keckheit
wachſen, und ihr Grundfag: Aufgefchoben ift nicht aufgehoben, -
fegt die Gemüther der in die Zukunft Blickenden au da in,
Angft, wo fie augenblidiih von ihren Anfoderungen zurück⸗
tritt. Die römifche Prieſterſchaft tritt auch in den Vereinigten
Staaten. fchon heraudfodernd auf. Die Errichtung eines Bis«
thums für Connecticut bat die Gemüther der Proteftanten be:
ſonders erbittert, da nach den alten Gefegen dieſes Staats in
Connecticut nicht allein Bein Patholifcher Priefter wohnen, fon-
dern bei Todesſtrafe aus der Verbannung auch nicht zurückkeh⸗
ren follte. Sedernann durfte einen Prieſter auch ohne Ver⸗
baftöbefehl gefangen nehmen. Aud in dem altpuritanifhen
Hartford wird ein Bifchoföfig errichtet, was mehr ift als die
Nachkommen der alten Songregationiften, welche ſich jo muthig
der anglicanifhen Kirche widerfesten, ertragen koͤnnen. Im
3. 1843 find nicht weniger als fuͤnf neue Bisthümer errichtet
worden. Die römifhe Kirche zählt gegenwärtig im Ganzen
22 Bisthümer, 25 Bifhöfe und Coadjutoren, 634 Beier
671 Kirchen und Kapellen, 19 theologifche Seminare, 16 li⸗
terarifche Inftitute, 48 Akademien für Mädchen und 15 Zeit
fchriften zur: Verbreitung des Katholicismus beftimmt. Die
Unterftügungen, welche fie aus Europa erhält, follen größer fein
als man glaubt. Daher ift denn nicht zu verwundern, daß die
norbameribanifchen Proteftanten um die Fortdauer ihrer relis
giöfen und politifchen (2) Freiheit beforgt werden und gleich
den Schweizern zur Bewahrung diefer theuer erfauften Rechte
Alles aufbieten. Dan denke an die blutigen Aufſtände in
Baltimore und Philadelphia, durch welche übrigens die oben
ausgefprohenen Wünfche des Bifhofe von Neuyork nad einem
Martyrium fi der. Erfüllung genäbert hätten!
Leider ift nur, was der Verf. über die Zuftande der pro⸗
teftantifhen Sekten mittheilt, ebenfo wenig erfreulid. Schen
das Herumziehen, Feilihen und Markten mit den evangelifchen
Predigern hat nach unferm Gefühl etwas Verlegendes. Geiſt⸗
lihe auf Kündigung angenommen und wieder fortgeſchickt;
auch da nicht fiher ihres temporellen Befigftandes, wenn ein
anderer Geiftliher kommt und durch mehr Rebnergabe, lare
oder orthodore Grundfäge, je nachdem die Gemeinde geftimmt
ift, Lift, oder Connerionen die Gemüther fi zu: und dem
andern abwendet; oder endlich durch eine neue Sektirerei um
feine Gemeinde betrogen! Bei Herzählung biefer Schattenfei-
ten der unbedingten veligiöfen Freiheit vuft der Verf. aus:
„Man follte ale Die, welche in Deutichland nach diefer Frei
beit fchreien, hierher ſchicken; Hier an Drt und Stelle, wo fie
Gelegenheit haben, diefen gräßlichen Unfug ‚und Dies tolle Trei⸗
ben mit eigenen Obren anzuhören, würden fie zu ganz andern
Anſichten kommen u. f. w.’ Dagegen ließe ſich wol viel ein-
*) Über dad foeben mit dem erfien und zweiten Bande begonnene
„Recueil manuel et pratique de traitds, eonventions et auires
actes diplumatiques sur lesquels sont etablis les relations et les
repports existant aujourd’hui entre les divers dtats sonveralns du
globe, depuis l’annde 1760 jusqu’a l’Epoque actuelle. Par le Baron
Ch. de Martens et le Baron Herd. de. Cussy’ wir noͤchſtens in
d. BI. berichtet werben. D Reb.
wenden, wenn dazu hier der Drt wäre. Iſt denn ber fociale
Sufband in Amerita ſchon geſetzt (settled)? ift er nicht. im
ganzen Weſten noch ein Wanderleben, ein Werdeproceß? Wenn
der Grundeigenthümer felbft feinen Boden nur als eine fun-
gible. Sache betrachtet, und nad ben erſten Ernten verkauft,
aufpadt und weftlid in neues Land zieht, um neu zu Laufen,
bauen, ernten und wieder verlaufen und aufpaden, wie foll da
die Kirche, die chriſtliche Gemeinde in diefer Unruhe ſchon Ruhe
gewinnen? Iſt es nicht ſchon in den öftlichen Staaten Ame⸗
rikas anders; und wie fann denn dieſes Bild auf die gefefteten
europäifchen Zuftände Anwendung finden! Ferner erjehe man
and Büttner’ eigenen Berichten nur, wie ed mit der Er-
ziehung, den Schulen, Dem Bildungsftande in diefen weftlichen
Staaten ausfiebt, und frage fich dann, ob die religiöfe Freis
heit auf ſolchem rohen Fundamente erfprießlihe Früchte tra⸗
gen Fonne. Wo ſolche mangelhafte Schulbildung vorangeht,
verfällt das Gemüth, dad nach geiftiger Nahrung flrebt, von
felbft den Bigotismus und Fanatisſsmus, umd ed ift nicht zu
verwundern, wenn Phantaften und fchlaue Betrüger ungeheure
Eroberungen in biefem wilden Territorium maden und bie
ſchwachen, gläußigen Gemüther zu ihrem Bortheil ausbeuten.
Aber traurig find des Berf. Mittheilungen über das Gel:
tenweſen, trauriger ald alle die wir biöher gelefen, und na
mentlih find nah ihm die deutſchen Einwanderer befonderd
me Sektirerei geneigt. Er führt uns nicht weniger als folgende
ten unter den Deutſchen auf: Lutheraner und Reformirte, diefe
zerfallend in die Anhänger der alten und neuen Maßregeln,
Mennoniten, reformirte Mennoniten, Quäfer, Albrechtöleute,
Bereinigte Brüder in Chriſto, Aumiſche, Weinbrennerianer,
&iebentäger, Methodiften, Rappiften, Bäumlerianer, Habli⸗
ſtonleute, Kümmelleute (eine neue Sekte, die unter feinen Au:
gen entftanden), Reilyiten, Baptiften, Holländifch:Reformirte,
Evangeliſch⸗Proteſtantiſche, Rationaliften, paͤpſtlich und nicht
päpftlidh gefinnte Katholiken und eine Menge Nothingarians,
d. h. die fih zu gar Peiner Sekte beiennen, aber gegen alle
flreiten. Die merfwürdige Sekte der Shakers, von der myſte⸗
riöfen Mutter Anna Leo geftiftet, find befannt genug gewor⸗
ben, ber Berf. theilt uns aber die Hauptoorfchriften und Befehle
ihrer Obern mit, unter die, im Lande der Freiheit, die Tau⸗
nde von unglüdlichen Bethörten ſich blindlings fügen. Da
eißt e8: „Es ift gegen die Vorſchrift, e:nen Handel zu unter:
fucgen, den die Vorſteher abgefchloffen haben oder treiben.”
‚Mie Borfteher find die Grenzen der Borfchriften.” „Man darf
nicht weiter fagen, was fie gefprochen haben.” „Man barf
nicht Briefe fchreiben oder empfangen, ohne fie den Vorſtehern
vorgelegt zu haben.” „Ohne ihre Bewilligung darf
kein Mitglied ein Buch lefen.” „Man darf nicht zur
Kirche gehen mit Sünden, die noch night gebeichtet find‘ — „nicht
reifen ohne Erlaubniß, noch Freunde (Weitkinder) befuchen.’’ „Es
ift gegen die Borfhrift, ohne Erlaubniß der Obern Zeitungen zu
leſen.“ „Es ift gegen die Ordnung, mit Hunden oder Katzen
zu tändeln” — „gegen diefelbe, einbällige Schuhe zu tragen,
ober Die Hinterfappen nieberzutreten‘ u. f. w. Man muß bes
kennen, daß die römifche Kirche zur Beit ihter aͤrgſten Geiſtes⸗
tyrannei nie eine Willfürherrfchaft ausgeubs hat, welche die»
ſem despotifchen Unfinn gleichkaͤme, abgelehen von dem andern
Unfien der Trennung der Gefchledhter, welche ben Natur⸗
gelegen den empörenbdften Hohn Tpricht.
Betrübend lauten auch die Nachrichten über die aus Preus
Ben ımd Sachſen audgemanderten Altlutheraner, die, nicht ent-
taͤuſcht durch die entdeckten Frevel des Bifhofs Stephan, in
ihrer Starrgläubigkeit nicht allein verharren, fondern in Stolz
und Dünkel fi möglicherweife noch fleigern. Auch fie find
ſchon wieder in Sekten zerfallen, die ſich gegenfeitig ercommus
niciren. Allein in Buffalo gibt es fihon drei altlutherifche Ge⸗
meinden. Die unter dem Paſtor Grabau aus Erfurt, „der in
er a Herrſchſucht, Intoleranz und Berfluchung die Er
fuͤllung feines Berufs zu finden feheint”, verbammen ihre Glau⸗
bensgenoffen, die nicht zu ihnen halten, natürlich alle anders
enden, ihr deutſches Vaterland und ihre frühern Regie
zungen und nur — des Blaubens willen. Das gefammte
dentfihe Bol wird in Ihren Liedern ein „von Bott ver-
worfenes, frevelndes Geſchlecht und freche Schlan-
genbrut“ genannt. Nur die altlutherifche Kirche ift bie Kirche
der Rechtgläubigen, benn fie lehrt allein Die reine, evangelifche,
apoftolifche, katholiſche Slaubensichre und ſpendet die heiligen Sa⸗
cramente allein unverfäliht. „Sie bekennt feierlih und muß
fo befennen, daß außfchließend ber Staube, welchen fie Ichrt,
alleinfeligmadend iſt.“ Die Gewalt ber Paftoren über
diefe Gemeinde ift noch bewunderungswürdig groß, Stephan’s Bel:
fpiel fcheint ed nicht im geringften erfchüttert zu haben. Der Verf
fand in Buffalo einen Schneider aus Breslau, der Weib und Kind
verlaffen, weil fie in ihrer Berblendung beharrt. Sein Paftor hatte
es ihm um feines ewigen Heils willen befohlen! Bei folchen Er-
fheinungen darfman fidy nicht wundern, wenn die katholiſche Kirche
in Amerika wirkliche Fortfehritte macht! 1.
Wilhelm Ierufalem.
Seit der Erfiheinung der „‚Leiden des jungen Werther”
find bereits mehr als TV Sabre verfloffen; doch ift mit ber.
gernaftigen Aufregung, die Diefer Roman bei feiner erften Ver⸗
reitung veranlaßte, das Interefle, das man an bemfelben
nimmt, nicht erfofhen. Natürlich! denn naͤchſt dem eigenen
innern Werthe des Buchs ift ed von großer Bedeutung für
Den, der, von den Anfängen des größten deutſchen Dichters
. ausgehend, die Bildungsftufen verfolgt, die diefen endlich zu
einer fo feltenen Höhe führten. Dem. Verehrer Goethes iſt
auch dad Kleinfte wichtig, was zu feinem Leben und feinen
Werken in Beziehung fteht; und man wird ihm nicht ein blos
a Interefie Schuld geben, wenn er Umftänden nad
richt, Die auf Dieſes oder Jenes feiner Dichtungen, vor allen
auf die bedeutendften, Bezug haben. Hat doch der Dichter
felbft Manches mitgekheilt, was zu dem feinem „Werther zu
Grunde liegenden Stoffe gehört. Freilich ijt died nur Weni⸗
ges; und glei nad der Erfcheinung bed Romans folgten
Berichtigungen ber Gefhichte des jungen Werther; wie denn.
uns eine folde aus dem Jahre 1775 (mit Angabe bes fingir-
ten Drudorts Freiftadt) vorliegt. Uber dieſe enthält manches
Unrichtige; und wenn Goethe fagt: „Serufalem’8 — in biefem
fieht der Berf. der Berichtigung das Urbild Werther's — Tod
fei durch Die unglüdliche Reigung zu der Gattin eines Freun⸗
des veranlaßt worden”, fo fagt Iener: „So viel ich fchließen
fann, war nicht Zärtlichkeit, fondern die Ehrbegierde Werther's
Leidenſchaft. Der Zieffinn und die Zurückhaltung entfernten
ihn von weitläufigen Bekanntſchaften. Lange befchäftigte ihn
der Gedanke des Selbftmorbs, deffen Rechtmäßigkeit er bei je⸗
der Gelegenheit vertheidigte.”” Dann fpricht er von einem
Verdacht, dem Serufalem nicht habe entgehen koͤnnen, er liebe
die ſchoͤne Frau eines Geſandtſchaftſecretairs in Weglar.
Wir hoffen ben Berehrern Goethe's, den Bewunderern
feines feüheften Romans etwas Angenehmes zu erweifen, in-
dem wir ihnen Einiges aus Briefen, die ein günftiger Umftand
uns in die Hände brachte, mittheilen, und zwar aus Briefen,
von dem Bater ded Unglücklichen und von einem vertrauten
Freunde beffelben, dem in der Literatur wohlbekannten Eſchen⸗
burg, gefchrieben. Boraus ſchicken wir indeß, was Goethe in
feiner Biographie über das ungluͤckliche Ereigniß fagt:
„Serufalem’s Schickſal hatte großes Auffehen gemacht.
Ein gebildeter, liebenswertber, unbefcholtener junger Mann,
ber Sohn eines der erften Gottedgelahrten und Schriftftellers,
gefund und wohlhabend, ging auf einmal, ohne bekannte Ver»
anlaffung, aus der Welt. Jedermann fragte nun, wie dad mög:
lich geweſen? Und als man von einer unglüdlichen Liebe ver-
nahm, war die ganze Jugend, ald man von Bleinen Verdrieß⸗
lichfeiten, die ihm in vornehmerer Geſellſchaft begegnet, ſprach,
der ganze Mittelftand aufgeregt, und Jedermann wünſchte daB;
Genauere zu erfahren. .
Zunähft nun ein paar Stellen aus Briefen des Abts
Serufalem, gerichtet an einen Verwandten in Osnabrud, bem
Geburtsorte des Schreibers:
„25. Auguſt . Um Michaelis kommt Wilhelm (von der
Alodemie) nach Haus, worauf wir und PR fehr frnuuen. Dicken
Winter bleibt er bei und, und um Oftern ſchickt ihn der Prinz (vom '
Beaunfdwweig) entweder nad) England oder nach Wien. Wenn dev
Baren S. im Leben geblieben wäre, fo wäre er erſt nad) Wien ge
gengen, ba ich fon Abrede mit ihm genommen hatte.’
"Aus einem fpatern Briefe ohne Datum: „Wir gaben das
Vergnügen, daß Wilhelm noch bei uns iſt, indem ſeine Ein⸗
fuüͤhrung in die Kanzlei erſt um Oſtern fein wird; feine In⸗
. terimöpenfien & 500 Thaler hat indefien ſchon feit zwei Quar⸗
teten angefangen.”
2%. Febr. 1771. „Milhelm ift in Weglar recht vergnügt.”
7. Zan. 1772. ‚Wilhelm befindet fib in Wehlan ehe ver-
at. Sein hieſiger (vielmehr dortiger) Hr. Subdelegatus
ik zuar ein feltſamer Patron; aber er hat fih mit ihm auf
einen Fuß gefegt, wie es fein muß; und er wird. burd die
diffinguirte Freundfchaft der übrigen Herren Sefandten fowol
als Affefforen ſchadlos gehalten, da er von allen Legations⸗
fecretairen, wie mir der Geheimerath von 3. fchreibt, der ein-
ige if, auch den mainzifchen, der der Sohn eines Dafigen Ge⸗
imraths und der Neffe des Gefandten ift, nicht ausgenom⸗
men, ber die -Entrke in die Gefellfchaft hat. Der Praͤſdent,
des. Ge. Graf von B., hat ihm ein für allemal fein Haus und
ſeine Tafel angeboten, und mir feinetwegen ſehr verbindlich. ge:
ſchrieben. Col halte ihn geſund!“ |
Brief Efchenburg’6 an einen Freund, einen Prediger in
der Nähe Braunſchweigs, vermuthlich einen Verwandten Ierus
felem’s. „Braunfdweig, 16. Rov. 1772. Mecht ängftlich habe
ig an Sie feit der Beit gedacht, da ich Ihnen meinen Brief
von fo entſetzlichem Inhalte überſchickte, und an die Unzube,
im weiche Ste dieſer Brief verjegen würde. Sie fchienen mir
fhon die ſchwerſten Ahnungen eines ſchrecklichen Vorfalls in
Ihrem Briefe zu verrathen; Sie verlangten Alles zu: wiflenz
und ich fehrieb ed Ihnen, vieleicht zu ſehr gerabehin; aber
meine Betäubung, in ber ih noch immer bin, fo oft ich nur
ae den Fall denke, und die kurzen Augenblidie, dic mir ver-
dnnt waren, Ihren Brief zu beantworten, welches in einer
efellfchaft am dritten Orte gefhah, machten mich alle behut:
ſame Vorſicht vergefien. Sie wiſſen ed nun, und haben zecht,
ed Baum begreiflich zu finden. Den rechten Zufanmmenhang,
alte nähere Urſachen und Triebfedern weiß ich bis jegt ſelbſt
noch nichts aus ber mir genau bekannten Dentungsart bei
Berftorbenen und einigen hierher geſchriebenen Rachrichten fege
ich mir nur wahrfcheinlicge Bermuthungen zufammen. Könnte
ih zu Ihnen hinüber und mit Ihnen in einer freundfchaft:
lichen Unterrebung Alles fagen, was ich denke, was ich ver-
mathe — unfere Herzen würden leichter, und ein an fi nur
immer noch Außerit unerwartetes Unglüd Ihnen doch begreif:
lichen werben. Einem Briefe läßt fi das Alles nicht wohl
anverfrauen. Aber kurz, ich glaube es gern, daß die ganze
Sage, worin er ſich dort befand, zu feinem. Misvergnügen fehr
viel beigetragen, daß der Mangel eines vertrauten Freundes
ibm das Leben gleichgältiger gemacht hatz aber in feinem Lem
neramente, das wirklich, wie Sie felbfi, befter Hr. Paflor, be»
merkt haben müflen, viel melancholiſche Miſchung hatte, in fei-
nee unglüdlichen Fextigkeit, eine ſchwarze Idee unverrädt zu
verfolgen, ſich ihr Widriges eher zu vergrößern als zu zer:
ftreuen, und Alles nur von der unangenehmften Geite anzu⸗
ſehen, und nicht anderd anſehen zu wollen, dann in feiner oft
übertriebenen Delicateffe und einem vielleicht zu wenig gemär
figten, wiewol auf firenge Rechtſchaffenheit gegründeten Ehr⸗
geize, endlich in einem Hange zu gewilfen verliebten Schwaͤr⸗
mereien, Die ihm fo manche Stunde verbitterten, und von des
nm er, wie ich gewiß weiß, auch in. ber letzten Zeit nicht frei
wen — in allen diefen Umftänden glaube ich Keime zu fin
Dem, woraus wahrfcheinticherweife, vielleicht aus einem mehr
als dem andern, ber. Entichluß zu jener ſchrecklichen Ihat nach
und nah erwachſen if. Denn -leider! fcheint fie, nach allen
Heber befanntın Umftänben,
bereitet geweſen zu fen Sie Halten mir's zugute, daß ich fo
nücht fe gang raſch, Tondern vor: -
aufrichtig rede; denn Gott weiß, wie gern ich unfern. armen.
— entfchuädigen, wie gern alle Veranlaſſungen außer. pen
nden und vovansfegen möchte. Aber ich urtheile fo uon im,
| wie ih iyn gefannt Habe; und Sie wiflen er mar mein Ve
trauter. Ich ig: feine Vorzüge, und vor Alten ſein treues
freundfchaftlichei Herz ungemein; ich habe noch nie, nicht vor,
noch nach ihm, fehh einen ganz für mich geſchaffenen Freund
gefunden; aber ich kannte auch feine Schwächen, fa wie er bie
meinigen, und beide waren oft, fehr oft der Inhalt unferex
vertrauten Geſpraͤche, noch des Ichten! Aber daß ihn die ſei⸗
nigen fo weit fühsen, daß ev alle übrigen Betrachtungen fe
ganz vergeffen, unb befonderd bie Berhältniffe feiner Familie
unb die gegenfeitige Liebe derſelben, die doch auch bei ihm
hätte Reidenichaft fein follen, fo gang unwirkſam mürbe fein
laffen, wer hätte ſich das eingebilbet 8’
: „Und Alte beumrubigt der Gedanke um meiften, was bie
Entdedung aller Umftände, bie boch in der Länge mol ſchwer⸗
lid unterbleiben wird, für Bolgen auf die Gefundheit und &
müthöverfoffung ber guten Altern und Gefchwifter haben wird.
Gott! wie wird die fenjt fo 'aufmunternde Erinnerung an den
Verſtorbenen Tünftig der würdigen Familie alle Freuden ver
bittern! und wie viele der beften, gegründetften Hoffaungen hat
ſein ſchrecklicher Entſchluß auf einmal vernichtet?’
. geben Sie recht wohl. Wie bedaure ich's, daß wir nicht.
zueinander Tönnen! Ich weiß, wie beffemmend es ift, ſolchen
"Schmerz verfchloffen zu halten. Erhalten Sie mir Ihre Freund»
ſchaft, die mir überaus fhäbber tft, und lieben Sie ferzer
Ihren Eſchenburg.“
Wir wiſſen, daß Goethe manche eigene Erfahrung une. bie
ihm in einer gewiſſen Periode feines Lebens eigene Gemüths
flimmung in feinen Roman verwebt bat. Daß auch Serufalen:
in Hinficht auf die lehtere Werther verwandt war, gebt auß
dem Briefe Efchenburg’8 hervor. Auch hatte er aus der Duelle
gefhöpft, aus der Goethe zum Theil jene Selbftquälerei ber
leitet, auß der englifchen Ziteratur.”) Daß er ich mit ihr ber
fhäftigte, läßt ſchon die vertraute Bebanntſchaft mit Eſchen⸗
burg und ber Umſtand vermuthen, daß ber Prinz von Bram
ſchweig ihn für England beftimmt hatte, und Goethe fügt es
ausdruͤcklich. Übrigens findet fich in weitern Briefen bet Vaters
an den Verwandten, dem er fonft alle Familienangelegenheiten
mittheilt, fein Wort über die unglückliche Kataftrepbe.
Roc allem Diefen wird man hier nicht ungern Iefen, was
Goethe im Allgemeinen über Serufalem fagt: „Auch er, ver
Sohn des frei und zart denfenden Gottedgelehrten, war bei
der Gefandtfchaft angeſtelltz feine Geftalt gefällig, mittleren
Größe, wohlgebaut, ein mehr rundes als laͤngliches Geſicht;
weiche, ruhige Züge, und was fonft noch einem bübfchen blons
den Sunglinge zukommen mag; blaue Augen ſodann, mehr ans
ziehend als Tprehend zu nerinen. &eine Kleidung war bie un»
ter den Niederdeutſchen, in Nachahmung der Engländer, her⸗
gebrachte, blaner Frack, ledergelbe Weſte und Stiefeln mit
braunen ®tolpen. Die Auferungen bes jungen Mannes wa⸗
ren mäßig, aber wohlwollend. @r nahm an ben uerfchieben«
ſten Productionen Theil; befonders liebte er ſolche Zeichnungen
- und Skizzen, in weichen man einfamen Gegenden ihren flillen
Charakter abgewonnen hatte. Man ſprach Yon einer entfchies
denen Reibenfchaft zu ber Gattin eines Freundes. ffemlich
fah man fie nie miteinander. Als der Sohn eine wohlhaben⸗
den Mannes brauchte er fi) weder aͤngſtlich Geſchaͤften zu
widmen noch um balbige. Anftellung. dringenb zu bewerben.“
Bas wir bier in Bezug auf Geoethes Roman witgetheilt
haben, iſt etwas Geringes. Einen viel reichern Schag befigk
die Familie Keſtner. Dh: fe fich ich bewegen laſſen,
die gerechten Wuͤnſche des beutichen Publirums durch ——
lung deffelben zu llen!
. *) Die beiten von Goethe in feiner Biograpbis aufgefäßnten ag
liſchen Strophen ind aus Rodsfler („A satyr against manklad‘)
und Warten (‚The unicide’) genommen.
Beraptmortliier Derausgsber :. Soiurich Wroddans. — Drud und Belag von F. X. Brockhaus In Leipzig.
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Donnerstag,
— ⸗— Nr. 57,
26. Februar 1846,
LT —————— ——— —
Denkwurdigkeiten des Generals Eickemeyer, ehemali⸗
gen kurmainziſchen Ingenieur⸗Oberſtlieutenants,
ſodann im Dienſte der franzöſiſchen Republik
erausgegeben von Heinrich Koenig. Frank—
rt, Literariſche Anſtalt. 1845. 8. 1 Thlr.
22% Rot.
Der Roman, mit welchem Heinrich Koenig feit län-
gerer Zeit befchäftigt ift, hat, wenn mir recht iſt, Georg
Forſter zum Helden. Die Gefchichte der mainzer Zu-
flände, namentlich der Clubiſten dort in den neunziger
Jahren, fiele alfo mefentlih in die Studien zu diefem
poetifchen Plan. Varnhagen v. Enfe war es, der den
Herausgeber zuerft auf das Vorhandenſein von Denk.
würdigkeiten aufmerkſam machte, welche General Eide-
meyer feiner Familie binterlaffen babe. Die weitere
Ausmittelung der Papiere an den Herausgeber gefchah
wahrſcheinlich durch die Familie v. Ploennies in Darm-
ſtadt, die mit dem 1825 verftorbenen General verwandt
ifl. (Hr. v. Ploennies iſt Leibarzt am barmfläbter Hofe,
Frau Luife v. Ploennies ift die befannte Schrift.
ftellerin.). Der Herausgeber ſteht darüber im Ror-
wort nicht Rede; wir ftellen Deshalb nur unfere
Muthmaßung hin, wie er in weitern Beſitz ber Papiere
gekommen fein dürfte. Sein Vormort ift wefentlih ein
Fürwort zum Beften des Generals, den falfhe Zeugen
mit dem Vorwurf belaftet, bei der rärhfelhaften Über⸗
gabe der Reichsfeſte an Euftine die Rolle des Verräthers
gefpielt zu haben. Dies große Bollwerk des Reichs ge-
gen Frankreich fiel am 21. Oct. 1792 ohne Belagerung
und Vertheidigung, gleich auf die erſte Auffoberung ei-
nes feindlichen Generals von wenig fchredbarem Namen,
fodaß die Vermuthung von Verrätherei nahe lag, eine
Bermuthung der öffentlichen Meinung, die von den
obern Offizieren und den geflüchteten Beamten des Kur-
fürften lebhaft unterflugt und zu ihrem eigenen Nugen
ausgebeutet wurde. Namentli hat der Verfaſſer ber
erft vor ſechs Jahren erfhienenen Schrift: „Der Unter-
gang des AurfürftenthHums Mainz, von einem ehemali-
gen kurmainziſchen General, herausgegeben von Neige-
bauer”, fi bemüht, auf Rudolf Eickemeyer den Verdacht
der DVerrätherei zu werfen. Der Plan, die Feftung ben
Franzoſen in die Hände zu fpielen, fei fo fein angelegt
gewefen, fagt er, daß man ihn „gar nicht vermuther”
babe. Hberfilieutenant Eickemeyer, ber franzöfifchen
Sprade mädhtig, wurde als Parlementaire ins Rager
bes Feindes gefandt. Diefe Thatfache ſteht fell. Der
Argwohn gegen ihn ift vom Berfaffer jener Schrift erfl
fehr fpät erhoben und fteht mit der von ihm felbft an⸗
geführten ebenfo fichern Thatſache, daß Eickemeyer im
Kriegsrath zu Mainz der Einzige geweſen, ber gegen bie
Übergabe der Feſtung förmlich proteftirt habe, im gera-
den Widerfpruh. Als DVerfaffer jener ebenfo rathlofen
ale vermorrenen Schrift nennt man den Oberbefehlsha⸗
ber der mainzer Sarnifon, den Grafen Franz Ludwig
v. Hasfeld, deffen Verhalten auf bas abfichtlichfte darin
gerühmt wird. Argwoͤhniſch gegen die Tendenz biefer
Spätfehrift müffen wir auch die von ihr angegebenen
Thatſachen in gerechten Zweifel ziehen und wenden uns
zu dem Angeklagten feibft, ihn zum Verhör zu nehmen.
Bald nach Übergabe der Feſte verließ er den kurmainzi⸗
fhen Dienft und trat zum Feinde Deutfchlands über.
Aus diefem Schritte erklärt ſich, daß ihn die öffentliche
Meinung damals als Verräther bezeichnete. Die Scham
über die Erbärmlichkeit der deutfchen Zuftände und das
Bewußtſein der nationalen Faͤulniß fuchte nach einzelnen
Dpfern, um die allgemeine Schande zu decken. Der
Bormurf, die Sache Deutfchlande aufgegeben zu haben,
trifft Eicdemeger wie Forſter. Der Vorwurf bes fpeciel-
len Verraths bei Übergabe der Feftung muß dann noch
beſonders für Eickemeyer erledigt werden.
Der einfache, natürliche Zon, in welchem Eickemeyer
uns feine Erinnerungen vorführt, verräth uns einen fehr
ruhigen Beobachter, einen fchfichten Mann des Verſtan⸗
des, der das Vertrauen einflößt, immer richtig gefehen,
nie das Schlechte gewählt, immer das Beſſere, wo es
ihm unerreichbar blieb, gewünſcht zu haben. Es fehlt
ihm auch nicht an Muth das Beffere zu erfireben, aber
ba ihm jebe höhere Aufregung der Lebensgeifter abgeht,
muß ihm das Ziel nahe, es muß ihm gleihfam auf der
Hand liegen, wenn er es für erreichbar halten fol. Er
ift im Einzelnen umfihtig, thätig, kenntnißreich; fein
einfaches Rechtsgefühl ift im Bunde mit einer Klugheit,
die das Nächte angreift, das praktiſch Mögliche ſchnell
ausführt. Er Hat mitten im Gewühl der Aufloͤſung
aller Bande des Gehorfams und des Ehrgefühls faft
die claffifihe Ruhe jenes Renophon, ber uns mit einer
| .
Eindlichen Hingebung an das Einzelne, das der Augen⸗
blick bringt, den unglüdfchweren Rückzug ber Zehn-
taufend ſchildert. Was wir bei den Alten claſſiſche
Nuhe nennen, ſcheint uns beim Modernen nüchtern.
Dieſen Zuſtand der Nüchternheit moͤchten wir nicht mit
der blaſirten Abgeſtorhenheit verwechſelt wiſſen; dieſe
Ruhe des ſchlichten Verſtandes in ihrer unerſchuͤtterlichen
Feſligkeit iſt nur kindlichen Naturen eigen. Naturen
dieſer Art aber fehlt jene ſittliche Entrüſtung, jene Er-
bebung der hoͤhern Lebenskräfte zu einem Wollen, bie
wir im Conflict moderner Interejfen der Menſchheit zwe
Berechtigung für höhere Achtung fodern. Sittliche Em»
nörung entwidelt plöglich ungeahnte Lebensgeiſter, beflü-
gelt den pofttiven Muth zum Angriff, drängt zum Wag—⸗
niß, deſſen Gelingen uns ein Triumph dünkt, befien
Scheitern unfer warmes Mitgefühl aufruft. Biegen
oder Unterliegen! heißt ba das Wort und gilt. Diele
Aufregung des Geiftes fehlt Naturen von fo ſchlichtem,
fimpiem Bau, bie nur das Richtige, felten die höhere
Wahrheit, zu welcher Begeifterung gehört, vor Augen
haben. Das Richtige mit einfachem Verſtande zu tref-
fen. iſt in flürmifchen Seiten, wo es bie Beiligften Le⸗
hensgüter zu retten oder. zu verlieren gilt, meiftens ſehr
viel werth, aber doch nicht genug, unfern Anfoberungen
zu genügen, Diefen Anfoberungen, die fich eben. mit
bes Gefahr und mit dev Wichtigkeit ber bedrohten Hei⸗
ligthümer flsigern, entfpriht Rudolf Eickemeyer's Der-
halten. in feinem ſtürmiſch bewegten Zeitalter nicht. In
ochen freilich, wo nicht blos Alles Leidenſchaft iſt,
fondern die Leibenfchaft für das Höhere fih nicht. felten
mis gemeinen Antriehen färbt, muß es von großem In⸗
texeffe fein, den nüchternen Verſtand eines Ehrenmannes,
ber. an feine Ehre nichts wagt aber auch nichts verliert,
aus dem finfterfien Gewühl des bewegten ‚Lebens bin-
durch fih ruhig und ſtill entwideln zu fehen. Dies
Schaufpiel gewährt uns General Eickemeyer, diefer fühle,
freundliche, nie geteübte, nie außer füch gebrachte Rhein-
länder. Mich düntt, die ganze Landſchaft von Mainz
habe daffelbe Blut und Rudolf Eickemeyer fei in vieler
Hinſicht, auch in einer gewiffen Gleichgültigkeit gegen
den Formenwechſel in Kirche und Staat, ein Vertreter
feiner Landfchaft. Das geiftlihe Regiment mit feiner
Erſchlaffung hat Sahrhunderte lang daran gearbeitet, das
leichte, freie Blut des NRheinländers an Indifferenz ge-
gen ſchwere Lebendfragen zu gewühnen.
Ein Zug. aus der Jugend bes Mannes bezeichnet
fhon früh die Eigenthümlichkeit feines Nature. Dex
Knabe war zum Geiftlichen beſtimmt und follte in bie
Zußftapfen feines Großoheims treten, der Dechant am
Liebfrauenftift zu Mainz war, Er las heimlich in ber
Bibel. Er ſtieß auf Stellen die ihm ungeheuerlich vor-
famen, auf fhlüpferige Partien die ihm Angft machten,
Der Gedanke, Geiftlicher zu werden, fihredte ihn jegt;
ev gab ihn auf und bat die Seinigen inftändig ihn
Soldat. werden zu laffen, wozu feine heitere Art ihn
auch mehr beftimmte. Mathematik warb fein Kieblings-
fiudium und bei Fleiß und gutem Verhalten ward er
—2
im Ingenieurcorps bes Kurfürſten bald zum Offizier
und zum Lehrer der Kriegswiffenihaften an ber Uni⸗
verfität zu Mainz befördert. Er machte als junger
Offizier den Feldzug der Pfaffenfoldaten gegen die Lät-
ticher mit und erzählte und in ungeſuchter, ungeſchmink⸗
ter Weife komifche Züge davon. Ber Ton feiner Mib,
theilungen, nicht fharf genug zur Satire, iſt immerfort
jovial. Er will nicht verlegen, aber auch nicht ſittlich
aufregen. Die Erbärmlichkeit jenes in allen feinen Stof-
fen und Formen erfehlafften Zeitalters wird uns durch bie
beitese Mittheilungsweife Eickemeyer's möglichft gelinde
zur Schau geführt, während uns Georg Forfter in fei-
nen Schilderungen höher flimmt und empört. Mit dem
Eintritte des Frühlings 1791 Samen die Erecutions-
truppen nach Mainz zurüd und fagten ſich mit vieler
Selbfigefälligkeit, fie hatten die „Patrioten“ doch endlich
über die Klinge fpringen laffen. „Patriot“ war damals
dee Schimpfname für Männer von Ehre, die fi in
Lüttich gegen die Anmaßungen eines fchmelgerifchen und
lügnerifhen Pfaffen erhoben. Die Offiziere bebauerten
nur, daß ihnen nicht mehr Gelegenheit geboten wurbe
Patriotenblut zu vergießen. ALS ſich mehre diefer när-
rifhen Helden, die in Lüttich die ruhigen Zufchauer ge⸗
fpielt, in einem Weinhaufe in folhem Zone lauter ver-
nehmen ließen, erzählte ein junger Mann vom Civil die
Geſchichte vom Bode, der, um feinen Durft zu loͤſchen,
an den Bach geht, fih im Waſſer befpiegelt und beim
Anbli feiner Hörner ftolz auf feine Kraft wird. Waͤre
jegt nur der Wolf da! rief er aus, er follte ſchon ans
fommen! Der Wolf hörte das und flellte den Bock zur
Rede. Da entfchuldigte fih ber Bock und fagte, er
babe es beim Trunke gejagt.
Die Schilderung von Mainz unter ben beiden Kur-
fürften Emmerih Joſeph und Karl Friedrih Joſeph
(v. Ertbal) muß der Gefchichtsfreund willlommen heißen,
denn Eleine Züge, ungefucht zwiſchengeſtreut, werfen oft
mitten ins Dickicht der Zuftände ein überrafchendes Acht.
„Damals hHerrfchten in Mainz Kriecherei, Unwiſſenheit
und Aberglaube”, fagt Eickemeyer ganz einfah. Die
Gewalt des Fürften war durch 24. Domcapitulare be
ſchräͤnkt, die die öffentlichen Amter mit ihren Privat⸗
bienern befegten und das Land ausfogen. Der ftifts-
fähige Adel befand ſich ausfchließlich im Befig der Hof-
ftellen und erften Staatsämter. Alle Laften lagen auf
dem Landmanne; der Stäbter zahlte wenig; die Güter
des hohen Adels und ber. Geiftlichkeit waren’ gänzlich
feuerfrei. Ohne die vielen Stifter, Moͤnchs⸗ und Non⸗
nenklöfter auf dem Lande, hatte Mainz felbfl deren et⸗
liche zwanzig; 3— 400 Müßiggänger fanden bier
veichlicden Unterhalt; mit Ausnahme ber Sefuiten und
der welfchen Nonnen, bie Unterricht gaben, befchräntte
ſich deren Verpflichtung auf täglihen Chorgefang von
einigen Stunden. Die Weltgeiftlihen und Stifts⸗
herren lebten felten ohne hübſche Hausbälterinnen,
trieben Spiel und Jagd, hielten viel auf Baftereien und.
vereinten fich gern bed Abends in Meinen Gefellfchaften
beim Becher. Um ungeftörter und mit Wahrung des
Anftandes fotchen gemüshlichen Freuden obzuliegen, waren
ihre Wohnungen .in ber Regel fo gebaut, daß die Schlaf-
und Gefellfhaftszimmer nah dem Hofraume binauslie-
fen. Die Moͤnche mit firengerer Drdensregel befuchten
Abende die Bürgerhäufer, machten, dort Familiencirkel
mit und hätfchelten bie Weiber. DOffentlih, vor dem
großen Haufen fpielten Alle die Andächtler, und Eide-
meyer erzählt Tomifche Spuk- und Gefpenftergefchichten
die zu feiner Zeit vorfielen. Baron Erthal war zu
Emmerich Joſeph's Zeit als Gefandter nach Wien ger
ſchickt, weil er ein Gegner des bisherigen Regiments zu
ſein ſchien. Er erheuchelte ſich durch frommen Schein
und ſtrenge Maximen die Stimme zur Kurwürde und
wurde ſeines Gegners Nachfolger, um deſſen ſchlaffe
Wirthſchaft mit dem ganzen Schimmer eines frivolen
Freigeiſtes nur zu ſteigern. Die Andächtelei war nur
Mittel zum Zwei für ihn gewefen; er warf bie Maske
ab, hielt fi) Gefellfchafterinnen, die ihm die „Pucelle
d’Orieans” vorlafen, verſchwendete unfinnig und berief,
um fih einen Namen zu machen, Johannes Müller,
Georg Forſter, Wilhelm Heinfe an die Univerfität. Am
Berfaffer des „Ardinghello” Tiebte er nicht die Kraft des
freien Naturmenfchen, fondern ben Darfteller wollüftiger
Gemälde; Forfter, den er ſich vielleicht berief, um vom
Weltumſegler hübfche Anekdoten zu hören, durchſchaute
bald die ganze Wirthſchaft mit Ekel; Müller fchmei-
chelte fich fell ein in die Gunſt des eiteln, hochwürdi⸗
gen Herrn. Eidemeyer, erzähle das nicht, aber wit wife
fen es aus Forſter's Außerungen, entnehmen es aus
der ganzen Stellung ber Figuren zueinander. Der Kur-
fürft Hatte fi) von Preußen zum Fürftenbunde gewin-
nen laffen. Die Auswürflinge Frankreichs, die prah⸗
lerifchen Gecken bed ancien regime, fanden an feinem
Hofe glänzende Aufnahme; das ganze Elend des Fran⸗
zoſenthums jener Zeit in Deufchland ekelt uns in Mainz
entgegen wie nirgendwo fonft im geſunkenen Vaterlande,
während Frankreich felbft die alte heuchleriihe Schminke
feiner gleißnerifhen Cultur abzumerfen und aus voller
Bruft aufzuathmen beginnt. Als Cuſtine Speier er-
oberte, befand die Befagung in Mainz, bem großen
Bollwerk des Reichs, aus 1200 Mann, theils Invali⸗
den, theild Rekruten, theil® Truppen von fünf verfchie-
benen Beinen Reichsfürften, Weilburgern, bie beim erften
Lärm vom Heranrüden ber Franzoſen bavonliefen, fobaf
die guten, immer. jovialen Mainzer das Witzwort mad-
ten: Er reift aus wie ein Weilburger. Der Kurfürft
war der Erſte der floh. Auf der Flucht hinterließ er
noch den Sabinetöbefehl, daß Jeder, der von fegt ab bie
Stadt verließe, ein Staatöverräther fei. Der Adel war
ihm nämlich haufenmweife gefolgt, mit allen Schägen, mit
allem Komfort und mit einem Aufwand, mit deffen Ko⸗
ſten zur Hälfte die Feſtung in guten Belagerungsftand
gefegt werben konnte. Der ganze Hof war verfprengt,
die Flucht war allgemein, vom Biſchof bis zum Kano-
nicus, vom Premierminifter bis zum Sammerjunfer, vom
Majoratsherrn bis zur Magd die ihn bediente Mainz,
der Schauplag täglicher Luftbarkeiten, war ein ausges-
ſtorbenes Neſt; der Bürger, auf den Luxus des Hefe
verwielen, war brotlos, ohne Mittel und ohne Trieb
zum Erwerb. Mainz, deffen Gräben ber Commandanr
feit langen Jahren mit Küchenkräutern beflanzt, auf defr
fen Schanzen ber Kurfürft feine Gärten und Luſthaͤuſer
angelegt hatte, folte jegt gegen die Männer der Freiheit,
die den Hütten Freundfchaft, den Paläften Verderben
ankündigten, in Befeſtigungéſtand verwandelt werben.
Der Kurfürft hatte noch, wie Forfter erzählt, eine Kriegs-
faffe von ein paarmal hunderttaufend Gulden zufanmen-
gebracht, zu welcher Adel und Geiſtlichkeit freiwillig bei«
tragen — mußten. An diefen Fonds verkaufte er aus
feinen Waldungen das Holz zu den nöthigen Pallifaden
und gewann wmitteld biefer Jinanzoperation eine anfehn-
liche Summe für feine Reife, ftatt zu den Kriegsbedürf⸗
niffen beizutragen. Die Yupillengelder und die Waifene
kaſſe hatte er, vielleicht in der Zerftreuung oder aus
allzu väterliher Fürforge, mitgenommen. Inzwiſchen
wurde doch gerüſtet und Mainz möglihft in Stand ge
fegt, einem Streifcorps zu trogen. Mehr als ein flie-
gendes Corps hatte Guftine nicht, es fehlte ihm alles
Belagerungsgeräth, er zog heran auf gut Glüd, ohne
im Ernft an eine Bezwingung ber Feſte zu benfen.
Der Franzofe ließ es ſich nicht fräumen, wie erbärmlich
er die Grenzwehr des deutfchen Reihe fand, wie ehrlos
zwölf Generale mit 3000 Mann jeden Gebanten an
Widerftand aufgaben. Zu feiner Überraſchung öffnete
ihm Mainz die Thore. Schon bevor ein Kriegsrath-
zufammengetreten war, hatte der Gouverneur befchloffen,
den Plag unter billigen Bedingungen den Franzofen zu räue
men. General Graf Hagfelb erklärte fih, mie Eider
meger erzählt, zuerft für bie Nothwendigkeit einer Capi⸗
tulation; General v. Faber trat diefer Meinung mit
Hinzufügung dringender Gründe beiz Rüdt, Buſeck,
Stuger find die Namen der deutfhen Generale, die ohne
Weiteres zur Übergabe flimmten. Da der Fall von
Mainz fo vorbedeutungsvoll für fpätere Jahre war, wo
Offiziere mit preußifhen Adelsnamen fih an Feigheit
überboten, fo muß wol biefe erfte große Schmach un-
fers alten Jahrhunderts vorzugsmeife den Annalen der
deutfchen Gefchichte tief eingegraben werden. Man fage
nieht, daß die Thaten der Jahre 1813—15 jene Schmach
ausgemerzt hätten. Diefe Thaten waren XThaten des
Volks das fih endlich erhob. Jene Schnah war Er-
gebniß des geiftlihen und ariftofratifhen Regiments,
das auf lange hin mit feiner Sittenfäulnig auch bie
untern Stände angeſteckt hatte. Überall wo ariftofrati-
ſcher Dünkel unfern Fürften in die Zügel der Herrſchaft
greifen wilf, halte man ihnen aus dem Buche unferer
Gefchichte die Zafel entgegen, wo die Namen der Ehr⸗
fofen verzeichnet fliehen, die unfere Feſtungen fchamlos
und ohne Schwertfchlag den Feinden überlieferten!
Neben zwölf hochadeligen Offizieren vom Stabe war
der Ingenieur⸗Oberſtlieutenant Eickemeyer ber Einzige,
der im Kriegsrath zu Mainz gegen die Übergabe der
Feftung flimmte. Der Gouverneur fragte ihn um feine
Anfiht. Er antwortete, nach Dem, was foeben ſchon
0
228
einhellig befchloffen worden, würde feine Meinung über-
flüffig fein. - Aber er könne nicht einfehen wie es felbft
bei den flüchtig getroffenen DVertheidigungsanftalten dem
Zeinde möglich wäre, einen offenen Angriff mit Erfolg
auszuführen, fofern es nur Allen Ernſt fei Widerftand
zu leiften. Der Gouverneur fragte ihn, ob er für die
Folgen eines mislingenden Verſuchs zum Widerſtande
perfönlich verantwortlich fein wolle. „Diefe Foderung”,
fügt Eicdemeyer, „war bei ber eben laut gewordenen Ge-
finnung ber Commandirenden und bei dem unter ben
Truppen und ben Bürgern herrfchenden Geiſte doch
wol etwas zu ſtark!“
Die Übergabe warb befchloffen und Eickemeyer ſelbſt
wurde als Parlementaire an Cuſtine abgefendet. Er
fand gute Kriegszucht im franzöftfchen Lager; ſchon in
Speier, in Worms hatten die Franken fi edel benom-
men. Königsblut klebte noch nicht an ihren Händen,
Frankreich wollte damals mehr durch Die öffentliche
Meinung als durch Gewaltherrfchaft fisgen, es hatte
feierlich erklärt, e8 wolle feine Eroberung machen, aber
“ der Freund und natürliche Bundesgenoffe jener Mölker
fein, die fich für feine Grundfäge erflärten. Und dieſe
Srundfäge, waren fie für den gefnechteten Diener ber
elenden kurmainziſchen Hochwürdigkeit abfchredender Na⸗
tur? Wir müſſen dieſen Punkt ins Auge faſſen, um
Forſter's und Eickemeyer's eigentliche Verraͤtherei, d. h.
ihr Aufgeben der deutſchen Sache zu erlaͤutern. Es
waren in Mainz bald Männer zuſammengetreten, die es
vernunftbegabeer Welen für würdig erachfeten, über eine
Regierungsform nachzudenken, bie auf den natürlichen
echten des Menfchen und des Bürgers beruhe. Der
Entſchluß war bei der Ungewißheit des MWaffenglüds
ſehr gewagt und es gehörte ein hoher Grad von Selbft-
verleugnung und Begeifterung dazu, um ihn zu faffen.
Eickemeyer fagt:
Die Srundfäge, auf denen Frankreichs neue Staatsver⸗
faffung in der erften Phaſe der Revolution beruhte, nämlich
monardhifche, durch Vertreter des Volks gemäßigte Gewalt,
Abfchaffung der das Land drüdenden Privilegien einzelner,
Derfonen und Stände, gefiherte Rechtspflege und verbefferter
Staatshaushalt , werben heutigentages allgemein und von
allen Voͤlkern, die nicht etwa noch auf der unterften Stufe der
Cultur ſtehen, al& die einzige und nothwendige Grundlage des
öffentlichen Glücks und einer zwifchen dem Herrſcher und dem
Bolke gefiherten Wohlfahrt angeſehen. Sie beftanden zwar
damals als die Franzoſen nah Mainz Famen nicht mehr in
ihrer erften Reinheit: Gewaltthätigkeiten, an die Stelle des
Rechts gefreten, und ungezuͤgelte Leidenfchaften hatten fie über:
fpannt und verberbt. Allein das Übel, als Folge eines heftigen
Kampfs zwifchen Denen bie auf das Reuzufchaffende drangen,
und Jenen die vom Althergebrachten nicht laſſen wollten, konnte
nicht von Dauer fein; man mußte endlich zu ruhiger Befonnen-
beit zuruͤckkemmen. Die Anhänger an der Sache der fogenann:
ten Neufranken mochten daher auch, ungeachtet der graufamen
Misbraͤuche, welche diefe edle Sache zuerft erfahren hatte, ihr
doch nicht entfagen ; fie hofften daß Vernunft über Vorurtheile,
Wahrheit über Trug fiegen würde. \
Darauf bin und in diefem guten Glauben nahm
Eidemeyer Theil an der Sache ber Franzoſen,
denn fie ſchien ihm eine Sache ber Menfchheit. Gu-
ftine felbft machte ihm, als Eickemeyer Nachts vor
fein Lager trat und ihm bie Botfchaft von der Ent-
fchliegung feiner Generale brachte, eben auch nur ben
Eindruck eines conftitutionnellen Monarchiſten. Cuſtine
war geſprachig, er ließ ſich ſogar auf die Innern Zu⸗
ftände Frankreichs ein. Ludwig XVI. konnte nad ſei⸗
ner Anſicht nach dem allgemein verlorenen Vertrauen,
nach dem Verſuch einer Flucht zu ben Feinden nie wie-
der den Thron befteigen, aber er hoffte, dag man bis
zur Molljährigfeit feines Sohnes das Reich unter bie
Regentſchaft würbiger Männer fegen und dem Prinzen
eine den liberalen Grundfägen ber Franzofen angemef-
fene Erziehung geben werde.
Died — fagt Eidemeyer — war wirklich ber Plan, den
Euftine damals im geheim verfolgte, — gewiß für das Wohl
Frankreichs und ganz Europas der befle, wenn er ausführbar
gewefen wäre.
(Die Zortfegung folgt.)
Literarifhe Notizen aus England.
Das Nibelungenlied in England.
Bor einigen Jahren löfte eine Dame, wenn ich nicht fehr
irre eine ruſſiſche Gräfin, die gewiß nicht leichte Aufgabe, die
gebildete Welt des Auslandes durch eine Bearbeitung des Ni⸗
belungenliedes in franzöfifher Sprache mit den Schägen unferer
alten Heldenfage befannt zu machen. Das „Journal des d&bats”
theilte damals ihren Lefern und Leferinnen, um diefelben auf die
Schönheiten der Dichtung aufmerffam zu machen, feltfamer-
weife gerade jene Stelle daraus mit, wo Günther im Braut:
gemad mit dem Mannweib Brunhilde ringt und er von diefer
befiegt, ftatt die Freuden der Brautnacht zu genießen, an
einem Nagel aufgehängt wird. Jetzt hat audy ein Engländer,
3. Goftit, in feinem „Spirit of German poetry’’ unter Anderm
feine Landsleute mit unferm alten Rationalepos befannt zu mas
hen geſucht, indem er den Inhalt deffelben erzählt und hier
und da mefrifche Übertragungen einzelner fhöner Stellen daraus
mittheilt. So überträgt er 3. B. die befannte Eingangsſtrophe
Es wuchs in Burgonden ein edel Magebin
Daz in allen Landen nichts ſchoneres mogte fin
Ehrimehilb was fie geheizen und was gar fchone Wip
Darumbe muften verliefen vile kuone Degnen den lip
wie folgt
In Burgundy there flouriehed ea maiden wondrous fair
In all de lands around nonewith her could compare
And Kriemhilde was the name of this most beauteous maid,
For whose sake many warriore brave in bloody graves were laid.
Die Ausleger der Apokalypſe.
Ein engliſcher Swedenborgianer, der Geiſtliche Cliſſold,
hat in einer „Review of the principles of apocaliptical in-
terpretation” alle die unzähligen Anfichten und Auslegungen
gefammelt, die von ben älteften Beiten des Chriftentbums bis
Auf unfere Zage über den Inhalt der Offenbarung Sohannis
zum Borfchein gefommen find, eine Sammlung, ber man, von
unbefangenem und unparteiifhem Standpunkt aus unternoms
men, füglich den Titel eines wichtigen Beitrags zur Gefchichte
der Berirrungen und Yusfchweifungen des menſchlichen Beiftes
beilegen koͤnnte. Auch der Verfaſſer diefer Sammlung ift ber
Anſicht, daß alle feine Dorgänger bei Auslegung des räthfel-
baften Buchs den unrehten Weg gegangen und er will in
dem dritten Theile feines. Werks, der noch nicht erfchienen ift,
den wahren zum Deften geben. Aber nach der Sekte, der er
angebört, zu urtheilen, wird er nur die Anzahl ber frühern
Träumer und Schwärmer vermehren helfen. 12.
Berantwortlier Herausgeber: Heinrich Wrodfans, — Druk und Verlag von F. U. Wrodpans in Zeipzig.
Blätter
literarifche
für. _
Unterhaltung.
. Freitag,
Dentwärdigkeiten des Generals Eickemeyer. Hernud»
gegeben von Heinrih Koenig
( Vertfegung aus Nr. 2.)
Die hohen Generale von Mainz, beren Feigheit le⸗
diglich den Berrath an ber Sache des Waterlandes ver-
übt, waren in Folge der Gapitulation abgezogen; einer
ausgenommen, ber nebft Eickemeyer beauftragt war, den
Mag erſt nad förmlicher Befegung von Seiten ber
Pranzofen zu verlaffen. So fam Eidemeyer mit dem
Dbergeneral ber franzöfifchen Truppen in weitere Be:
rehrung. Deffen politifhe Anfichten waren von ben
feinigen nicht verſchieden und Euftine machte ihm beim-
Austaufh ihrer Meinungen den Antrag in franzöfifche
Dienfte zu treten.
In. der kurfürſtlichen Militeirverfaffung — fagt Eicke⸗
meyer — beftand kein Geſetz, das den Dffigier- Hinderte, nach
Gutbefinden feine Stelle nieberzulegen und andere Kriegsdienſte
zu nehmen; er glaubte alfo ohne Pflisptverlegung den Antrag
annehmen zu Fönnen.
Dies find feine Ausdrücke und hier ift der Punkt
in Eickemeyer's Berhalten, der etwas Merlegendes hat.
Wäre er aus Leidenfchaft für die Sache der Menfchheit,
die er damals von den Franzofen vertreten glaubte, ſtür⸗
mifh zu ihren Fahnen übergegangen, fein Schritt er-
ſchiene mir gerechtfertigter.. Er befpricht feinen Über-
trätt zur Partei der Feinde Deutſchlands wie einen
gleichgültigen Entfhluß, ohne Kampf, ohne Schmerz,
febft nicht von Ruhmſucht umd Thatendrang getrieben;
1e- befpricht ihn mit derſelben kühlen Niüchternheit, mit
der er bie fittliche Faͤulniß feiner heimiſchen Zuftände
ſchildert. Wir entziehen ihm bier unfer tieferes In⸗
texeffe, weil er in feiner Harmloſigkeit das Schickſals⸗
volle in der Wendung ber Dinge nicht ahnte. Die
deutfhe Sache Die er verlief war freilih ein Sumpf,
der alle guten Kräfte gleichgültig verfchlang und be-
geub. Und wen ein befferes Bewußtfein von der Auf:
gabe des Menfchen erfüllte, als Deutfchland fie damals
für fi. und feine Söhne: ftellte, konnte leicht zu dem
Egoismus geführt werden, ber fich felbft das Loſungs⸗
wort gibt: Nette fih wer kann! Bon. gewinnfüchligen,
unreinen Beweggründen blieb bie ruhige, einfach ver
ſtaͤndige Seele: Eickemeyer's frei. Werfe deshalb Nies
mand von. ben Nachgeborenen einen Gtein auf’ ihn! Ich
ſpreche ihm blos das tiefere Intereffe ab, das ber rin-
i. gende, ſchmerzlich im Kampfe mit ſich ſelbſt und ben
een der Menſchheit Befangene mit größerm Recht
verdient. |
Eickemeyer fihrieb an den Kurfürften,. ihm den Dienſt
auffündigend, und nahm feinen Anftand. ihm zu fagen,
daß das Deutihe Reich noch im Beige der Feſtung
wäre, bitte man ibm Gehör gegeben. Gr Tief dam
Schreiben in bie frankfurter und die mainzer Zeitung,
rücken; Feiner darin enthaltenen Angabe ward wider⸗
fprochen; nur feinen Bater ließ man es entgelten. Als.
der Kurfürft bald nad) MWiedereroberung der Feſte ducch
bie Preußen feinen Einzug in Mainz hielt, fuchte man
überhaupt das zurückgekehrte Schamgefühf in Wuth und
Rachedurſt zu eriiiden. Es ift nicht das einzige Mal,
dag beutfche Regierungen Rache übten, wo fie flrafen
ſollten. Jeder Mainzer, deffen Name fi auf ber Liſte
der Clubiſten fand, fah ſich der Erbitterung des zurück⸗
kehrenden Adels, der Mishandlung der gereisten Solda⸗
ten, der Zügellofigkeit eines raubfürhtigen Pöbeld preis.
gegeben. Ohne Anfchuldigung eines durch die Geſetze
bezeichneten Verbrechens, lediglich ald Clubiſt, ohne Rüd-
fiht auf Alter und Krankheit, warb der Bürgerdmann
in ungefunde Kerker geworfen, in denen einige ohne
ärztliche Pflege ftarben. Ein unbefholtenes, blühendes
Mädchen, erzähft der ruhige Eickemeyer, des nie über
treibt, nie aufgeregt ift, — wurde mit Flintenkolben fo
mishandelt, daß fie nach zwei Zagen flard. Man legte
ihr nichts zur Laſt ald daß fie auf einem Liebhaber:
theater unter Direction ber Clubiſten gefpielt habe. Ihre
beiden jüngern, ebenfalls mishandelten Schweſtern folg-
ten ihe bald nad, Miele rechtliche Männer, die ohne.
die mindefte Theilnahme an Politit in Mainz geblieben
waren und während der Belagerung, in welcher Deut-
fche eine beutfche Stadt einzuäfchern fuchten, den Wurf⸗
feuern ausgefegt,. oft genug ihr Leben gewagt hatten;
um Wohnung. und Eigenthum ihrer ausgemanderten
Mitbürger zu fihügen, wurden nicht minder bie Opfer
des Parteihaffee. Geplünbert, verhaftet, über ihr Ver⸗
halten zur. Verantwortung gezogen, wurden fie in: Er⸗
mangelung anderer &chulb, blos als ber Anhänglichkeit
an die franzoͤſiſche Verfaſſung verbächtig,. aus des Stadt
verwiefen. Me mainzer Regierung theilte damals dem
Grundſatz der franzöfiichen Emigranten, nad) welchem fie
ſich lediglich für die eigentliche Nation anfah und Ale,
die nicht fo feig wie fie entflohen waren als Bater-
kandefeinde behandelte. Jene Clubiſten wurden einige
Fahre lang auf Feſtungen aufbewahrt. Dort mit mehr
ober weniger Härte behandelt, je nachdem bas Kriegs:
glück fih auf dieſe oder jene Seite neigte, verbankten
fie ihre endliche Befreiung ben von Frankreich über die
Verbündeten erfochtenen Siegen. Nach ber Abtretung
von Mainz kehrten fie in ihre Vaterſtadt zurüd und be»
zeichneten ihre Ankunft durch eine feierliche Erklärung
gänzlicher Vergebung und Vergeſſenheit der ihnen zuge-
fügten Übel. |
Bei der Wiedereroberung von Mainz durch bie
Preußen, bei der Plünderung und PVerheerung ber beut-
fhen Stadt durch Deutfche, ‚fteht in ben Annalen nur
ein einziger denfwürdiger Zug ehrenhafter Gefinnung.
Prinz Louis, der fpäter bei Saalfeld blieb, ein genialer
Menfch, der weit mehr dem Gefühle der Erbitterung ge:
gen ein entartetes Zeitalter ale ben Kugeln der Feinde
erlag, ließ Georg Forſter's des Weltumfeglers Haus
durch eine Wache fchügen. Wo die Wiffenfchaft in den
Büchern bes Lebens nach Wahrheit geforfcht, gleichviel
ob fie fie gefunden oder vergeblich gefucht, da follte die
rohe Fauft nicht walten, die deutfche Hand ſich nicht
mit Schmach bedecken. Eickemeyer erzähle nichts davon,
aber es ift von andern Seiten hinreichend beglaubigt.
Damit war freilich der Erbaͤrmlichkeit nicht abgeholfen,
daß man auf Forſter's Kopf einen Preis fegte, einen
Preis von ſolcher Geringfügigkeit, daß Forſter ſelbſt
darüber fpotten mußte. Es ift Hier nicht am Orte,
Forſter's tragifches Ende in den Kreis der Eickemeyer'⸗
fhen „Denkwürdigkeiten“ zu ziehen. Freilich erfolgte
Strafe auf feine Losfagung von dem Schidfale deutfcher
Nation, bie Strafe der bittern Enttäufhung, in Frank⸗
reich den DVertreter der Sache der Menfchheit, in Paris
die Köfung der Aufgaben bes neuen Zeitalterd zu fu-
hen. In den Tagen der Tiger lag dort bie Wohlfahrt
des Geſchlechts; fo fand er die Dinge zur Zeit bes
Terrorismus, und Gram und Verzweiflung tödteten ihn
fit ab. Don feinem Gefährten Zur, mit welchem For-
ſter im Frühjahre 1793 von Seiten der Stadt Mainz
nach Paris geſchickt mar, berichtet Eickemeyer kürzlich.
Zur farb unter ber Guillotine. rgriffen von Abfcheu
vor den Graufamkeiten, die unter dem Scheine des Re
publifanismus verübt wurden, trat er nämlich mit einer
Verteidigung ber Charlotte Corday auf, als kein Fran⸗
zofe e8 wagte feine Stimme für das Weib zu erheben,
das fo vielen deutfchen Herzen ein begeiftertes Mitge-
fühl erwedte. „Ich weiß es“, redete Lux die Jako⸗
biner in einer andern Schrift, in feinem «Aufruf
an das franzöfiihe Voll» an, „ihr feid allgewaltig,
erklaͤre aber nichtsdeſtoweniger, daß ich nicht aufhören
werde euch öffentlich anzugreifen, bie ihr mid aufs
Schaffot führt ober eurer angemaßten Gewalt entfagt,
die ihr zu Gräuelthaten und zum Untergang der Frei-
beit mißbraucht!” Pelie Blau, ein dritter Clubiſt, Pro-
feffor der Theologie und Vorſtand des Seminars in
Mainz, allgemein geſchätt ald Gelehrter und noch mehr
als biederer menfchenfreundlicher Mann, flarb 1798 zu
Mainz an den Folgen der bei der Wichereroberung er⸗
littenen Mishandlungen. Retzer, der vierte, den Eide-
meyer aufführt, farb als Praͤſident des Tribunale zu
Kaiſerslautern, ſeiner Kenntniſſe, feines uneigennügigen,
dnfceundlich biedern Charakters wegen allgemein
geachtet.
Rudolf Eickemeyer's fernere Schickſale waren ohne
tragiſchen Ausgang, aber auch ohne Aufſchwung nach
innen oder außen. Er zeigt uns überall das Bild der
ſimpeln Rechtſchaffenheit, die in leidenſchaftlich bewegten
Zeitläufen nirgend eine dauernde Stätte, nirgend eine
angemeffene Stelle findet. Die Ereigniffe erfchüttern
ihn nicht, fie treiben ihn nicht zurüd, fie reifen ihn
nicht vorwärts; er fühle fih der Welt gegenüber mit
feinem anſcheinend fo praftifchen Sinne bald auf fi
felbft und die unverlierbare Reinheit feines nüchternen
Willens verwiefen. Weder Stimmung noch Talent
drängen ihn in eine glänzende Laufbahn, wo die Keiden-
haften ihren Wettkampf eröffnet haben und der Ehr⸗
geiz, die Ruhmſucht, die Gier nach Herrichaft ſich bald-
mit diefem bald mit jenem Mantel verbrämen. Die
einfache Redlichkeit ſah fi) bald beifeite gefchoben.
Klar, einfihtig im Einzelnen, unb mit der unveraͤußer⸗
lichen Ruhe die ihn bezeichnet beurtheilt Eickemeyer
bruben wie hüben die Fehler feiner Umgebung, ohne
doch den Anreiz zu fpüren, mit emergifcher Fauſt in
das ſchwaͤchliche Gewebe der Menfchen zu greifen, die
erfchlafften, misbrauchten Zügel an fich zu reifen. Cu⸗
fline, der ihn anfangs nad) Blaubensbefenntnig und
Haltung als Menfc und Krieger für fih eingenommen,
erliegt ebenfo bald wie die Generale von Mainz; bem
ruhigen Calcul feines Verſtandes. Er machte unter ihm
den ganzen Feldzug am Rhein mit und warb zum Ge-
neral ‚befördert, obfchon fein Angriffsplan verworfen.
wurde. Eickemeyer charakterifirt feinen franzöfifchen Be⸗
fehlshaber mit folgenden Worten:
Euftine befaß Fein Feldherrntalent und war theil& nicht
mit Zeuten umgeben, die ihn hätten berathen Fünnen, theils ließ
es feine @igenliebe nicht zu fremden Rath zu befolgen. Über-
müthig durch das Gluͤck, das ihn in Mainz begünftigt hatte, -
neigte er fein Ir der Schmeichelei, traute ſeinen Kraͤften zu⸗
viel zu, verſprach dem Convent und den Miniſtern mehr als
er leiſten konnte, und war dann ſehr geneigt, um feine Fehler
zu beiden, Andere zu opfern. So befdyuldigte ex die Generale
Kellermann, van Helden, Reumwinger u. U. ded Verraths. Er
würde felbft nach dem Überfalle bei Hochheim Houchard nicht
verfchont haben, wenn diefer nicht fein eigene® Geſchoͤpf gewe⸗
fen wäre und er ihn nicht vorher dem Convent auf eine zu
vortheilhafte Weife empfohlen hätte. In feinen Berichten wich
@uftine nicht felten von der Wahrheit ab und nahm keinen
Anftand feinen Adjutanten Sachen gu itiven, von deren Gegen:
theil fie Augenzeugen geweſen. ine politiſchen @runbfäge
waren zwar —* die conſtitutionnelle Monarchie; aber er war
keineswegs des Verraths gegen die Republik ſchuldig. Die ge⸗
gen ihn aufgeſtellten Anklagepunkte waren erbaͤrmlich, und die
hoͤchſte Verachtung verdienten die wider ihn aufgetretenen
Beugen. Sie waren in Allem was auf den Krieg Bezug:
hatte fo unwiſſend wie feine blutgierigen Richter ſeibſt, die
von Rache, von perfönlichem Haffe geleitet, oder vollends Rar⸗
ven waren. Die wirfiichen Fehler, deren fig Euftine ſchulbig
gemacht hatte, und bie nur Folgen feines beichränkten Talents
und feines eiteln Charakters waren, Tamen bei feiner Berur⸗
theilung gar nicht in Betracht. —
(Der Beſchluß folgt.)
Rime antiche, ossia poesie liriche italiane de’ secoli
xl, XIV, XV, scelte ed illustrate da Luigi Sel-
liers di Moranvile. Wien, Kaulfuß, Prandel und
Comp. 1845. 4. 1 Thlr. 20 Ner.
n öfter ift über die Vernachlaͤſſigung Befchwerde ge:
führt, welche die altitalienifchen Lyriker im Vergleich mit den
deutſchen und provencalifchen bis jegt erfahren haben. So rei:
ches Material auch die Handſchriften für die italienifche Dicht:
. Zunft des 13. und 14. Zahrhunderts bieten, fo weni
ift do
davon gedrudt, und died Wenige mit geringer Kritik, netten
umter falfhen Namen, und was fchlimmer ift mit entftelltem,
nicht felten völlig unverfländlichem Wert. Überdies bietet bie
-alterthümliche, noch in der Beftaltung begriffene Sprache je-
ner Alten bedeutende Schwierigkeiten, und fo erklärt es jich
Denn leicht, wie die Literaturgefchichte, wenn fie der Altern
2yrif in Italien gedenft, ihr Auge faft nur dem glänzenden
eftirn von Bauclufe zumendet. Dennoch hängt die Iyrifche
‚ Bildung Petrarca’6 lange nicht fo ausfchließlich als häufig be
bauptet ift, ja nicht einmal vorzugsweiſe, mit der der alten
Srovengalen zufammen, fondern ift vielmehr ald naturgemäße
rtentwidelung aus der Bildungöftufe feiner italienifchen Bor:
—* hervorgegangen. Es beſchraͤnkt fi aber das Intereſſe
an jenen aͤltern Dichtern keineswegs auf jenen nur geſchicht⸗
lichen Sefihtöpunft. Im Gegenfage gegen die Überverfeine:
zung des Meſſer Francesco, feine dreimal beftillirten Empfin-
dungen, feine fauber gebrechfelten, nabelfpigen Phrafen, finden
wir bei jenen Alten wenigftens zu Zeiten die naturkräftige
Sprache eines gefunden Gefühle. Auch find ed durchaus nicht
allein Lieder der Kiebe von denen diefer ältere Parnaß ertönt.
Mande erörtern fperulativ einzelne der großen ragen des
Dofeins, ober ftrafen bie Unfitte der Zeitz wieder andere find
Hymnen des frommen Glaubens, der die Beit dDurchbrang. *)
Um uns dieſe Fundgruben befler zu erfchließen als bis
dahin gefhehen war, konnte Zweierlei gethan werden. Einmal
boten die Bibliotheien, namentlich die von Mailand, Venedig,
Florenz und Rom reihen Borrath von ungebrudtem Material,
defien vollftändige Ausnugung nach manche Generation, befchäfs
tigen Tann, fodann aber bedurften diefe ehrmürbigen Überrefte
eines in fo vielfaher Beziehung uns weit entrüdten Alter:
thums gar häufig kundiger Deutung. Rühmliches in beiden
Begiehungen bat in neuefter Zeit der wackere Vincenzo Ran:
nucci (‚„Manuale della letteratura del primo secolo della lin-
gua italiana’, 3 Bde,, Florenz 1837 — 30) geleiftet. Seltene
Kunde beweift Rannucci namentlich in der provengalifchen Bit
teratur, und die zahlreichen Parallelen, welche Eaftelvetro, Cre⸗
feimbeni, Perticari und Galvani nachgewielen, dürften zuſam⸗
mengenommen kaum den Reichtbum von Nannucci erreichen.
Weniger erihöpfend ift feine Bekanntſchaft mit den einheimi-
ſchen Zeitgenoſſen der Schriftfteller, deren Erläuterung er über:
nommen, und obwol er auch in diefer Beziehung. die Verglei⸗
"hung mit Undern nicht zu feuen bat, beruben doc feine
Interpretationen nicht felten auf irrigen Grundlagen, und un»
ter Anderm konnte es ihm geſchehen (II, 286), einige Stro-
phen der vielleicht berühmteften Gangone von Dante („Voi,
che ’ntendendo il terzo ciel movete”) als ein unedirtes Ges
dit von Guido Novello da Polenta herauszugeben.
Benn nun ein Artikel der augsburger „Allgemeinen Bei»
tung” Hoffnung machte, Hr. Luigi Sellierd di Moranville,
*) Eine Gharakteriftit ded „‚Minnegefangd in Italien’ babe ich
verfudt in Newmont’s „Italia (Sahrgang 1838, ©. 18— 186).
231
dem als Beamten der k. k. Hofbibliothef in Wien zu weitver⸗
breiteten literariſchen Berbindungen, namentlih auch in Star
tien, reiche Selegenheit geboten war, werde in feiner Samm⸗
lung altitafienifcher Gedichte (die auf dem Unifchlagstitel ziem⸗
lich unitalieniſch als „Rime autiehe edite da Luigi Selliers _
di Moranville’” bezeichnet werben) ungedruckte Fundgruben er⸗
öffnen, fo fcheint dies zwar auf. entfchiedenem Irrthum zu bes
ruhen; doch haben wir feinen Grund darüber zu rechten, da
der Herausgeber in feiner nur allzu kurzen Borrede nichts Ders
| gleichen verfpricht, und da ſchon in gehöriger Bearbeitang des
gedrudt vorhandenen Stoffe, an kritiſcher Sichtung der Autor«
namen, an Berichtigung des Bertes und vorzugsweiſe an ges
böriger Erklaͤrung hinreichend genug zu thun vorlag.
Es ift nun zu prüfen, ob auf diefem befchränttern Ge:
biete Hr. v. Moranville billigen Erwartungen genügend ent⸗
ſprochen hat.
Was zunächft den äußern Umfang betrifft, fo finden wir
248 Gedichte, von 101 Dichtern aus dem 13., 14. und 15. Jahr⸗
hundert zuſammengeſtellt. Darunter werden 43 Dichter des
3. Jahrhunderts mit nur 62 Poeſien aufgefuͤhrt; Dagegen
erfiheinen 39 Autoren des 15. mit 111 Gedichten, und 20 des
14. (Dino Frescobaldi, der ſchon im 13. Sahrhundert einen
Platz gefunden, ehrt naͤmlich im 14. noch einmal wieder) gar
mit 79. Während nun bie überwiegende Reichhaltigkeit der
für dies leptere Jahrhundert ausgewählten Stüde durch die
Kamen Dante, Cino von Pifloja, Petrarca und Boccaccio Hin-
laͤnglich gerechtfertigt wird, und während wir auch im Allge⸗
meinen mit bem Herausgeber über die von ihm getroffene Aus⸗
wahl nicht rechten wollen, müflen wir doch bedauern, daß uns
nicht, flatt mancher ziemlich gehaltlofer Reimereien aus jener
Zeit, umfaflendere Proben von den bedeutendften unter den
Dichtern des 13. Jahrhunderts geboten find. So erfcheint es
denn namentlich unzureihend, wenn Pietro delle Vigne, Ja⸗
copo da’Lentino und Brunetto Latini jeder nur durch ein Go⸗
nett, und bie beiden ältern Guido (delle Eolonne und Gui⸗
nicelli) jeder nur durch eine Canzone vertreten find.
Die Frage, aus welchen Quellen der Herausgeber gefchöpft
babe, läßt fich bei feinem eigenen Stillſchweigen und bei dem
unverfennbaren Schwanken mit dem er verfahren iſt, nicht
durhgängig mit Sicherheit beantworten. Jedenfalls aber ift
die Erwartung, das überreihe Material, welches Hrn. v. Mor
ranville leicht zu Gebot jtand, mit einiger Vollſtaͤndigkeit bes
nugt zu ſehen, unerfüllt geblieben. Noch auffallender aber
als daß manche Hülfsmittel, und zum Theil fogar leicht zu⸗
gängliche, überfehen worden find, ift der Umftand, daß fidhern
Spuren zufolge andere dem Herausgeber wohl befannt waren
und dennoch an zahlreichen Stellen, wo e& dringend nothwen⸗
dig geweſen wäre, nicht von ihm benugt wurden. So bat ber
Herausgeber 3. B. Spalte 51, 52 die Canzone des Dino Fres⸗
cobaldi aus Rannucei’8 oben erwähnter Schrift (IT, 108) ent»
lehnt; die zahlreichen Berichtigungen aber, welche ihm Ran»
nucci zu 24 Gedichten des erften Jahrhunderts geboten hätte,
find vernachlaͤſſigt. Ebenfe ift das bier mit aufgenommene ſechste
Sonett des Cino (Sp. IT) erft von Eiampi herausgegeben 5
übrigend aber findet fih in den mitgetheilten Gedichten
Eino's Beine Spur, daß Eiampi’s mit Necht gepriefene Aus»
gabe gebraucht fei. Endlich finden. wir in den Gedichten Dan»
te's, obwol der Herausgeber ſich in Betreff derfelben Fraticelli
ausfchließlich zum Führer genommen, noch einzelne Textesent⸗
ftellungen (3. B. &p. 63, Sonett 5, 8. 6), die feit den Zeiten
bes alten Giunta aus allen Ausgaben verfhwunden waren.
Für die Gedichte des 13. Jahrhunderts ift bie Sammlung
Valeriani's („Poetà del primo secole’', Florenz 1816), fo weit
diefelbe reicht (und mit Ausnahme der einen aus Nannucci ent-
lehnten Canzone) ausfchließlich benugt. Balerioni hat aber die
Gedichte derjenigen Autoren nicht mit aufgenommen, deren
Poefien felbftändig gelommeit find: namentlich bie des Guit⸗
tone d'Arezzo, des Brunetto Latini und des Guido Eavalcanti.
Den Erften ımd den 2egten fcheint nun Hr. v. Moranville
wit in den nern Ausgaben von Walesiani (Floreng 1998)
wad Cicciaporci, fondem nur nach der alten Sammlung des
&iunte (1527) benugt zu haben. Dos einzige Sonett des
Beundto ſtamnt aus Grebeimbeni.
Die Meibe der Dichter, von denen Proben mitgetheift wer⸗
den, stöffnet ale der ältefte der Sieneſe —*z* de’ Fol⸗
cacchieri, den der Herausgeber zu Anfang des 13. Jahrhun⸗
derts ſegt. Ciullo d'Alcamo gilt ihm zwar ats noch älter,
doch Tchlisßt en deſſen bekanntes Zwiegeſpräch als in zu nie
derer Sprache gedichtet von feiner Sammlung aus. Wir bes
dauern, ein. fo charakteriſtiſches Beiſpiel altſitiliſcher Sinnesart
nicht aufgenommen zu fehen, halten aber nad den fehr forg-
fältigen Unserfuchungen des wackern be Angelis die von Hrn.
v. Moranville in, der Vorrede ziemlich geringſchaͤtzend verwor⸗
fene Meinung. allerdings für bie richtige, daß Foicacchiero um
1177, Ciullo aber erft unter Friedrich II, genauer nad
1231, dichtete.
Unter den Gedichten des 13. Jahrhunderts ift Spalte 38
unter dem Namen des Mico von Siena nad Baleriani's Vor⸗
gang (IT, ALT) die Ballade mitgetheilt, an welche Boccaccio
£„Delameron”, X, 7) die Entwidelung einer feiner Novellen
nüpft. Wie aber ſchon von Andern bemerkt ift, rührt dies
jeriiche Gedicht aller Wahrſcheinlichkeit nach von Boccaccio
jbft her.
ee die folgenden Beiten fland dem Herausgeber PRaleriami
nicht mehr zur Seite, doch vermehren ſich mit jedem fpätern
Zahrzehnd die Hülfsmittel, und fo follen denn bier nur noch
über eingelne der dem 14. Jahrhundert angehörenden Gedichte
ein paar Bemerkungen gemacht werden. Das zweite Buch er-
äffnet Dante. Auf jebn Sonette (von denen fieben der „Vita
mova“ angehören) folgen fünf Ballaten, deren erſte gleichfalls
der „Vita nuova’’ entlehnt ift; den Beſchluß macht eine Can⸗
e („Amor, che muovi tua virtä dal cielo‘‘). Iſt nun diefe
Vnege Auswahl, befonders in Betreff der Canzonen, fidher un.
genügend, fo ift befonder8 zu beklagen, daß unter biefen weni
gen Gedichten wenigftens eind (die Ballate „Fresca rosa no-
vella”) wol unzweifelhaft nicht von Dante, fondern von Guido
Ganalcanti, oder nach Andern vom König Enzius herrührt.
Außerdem find die drei Legen Sonette und noch eine Ballate
Foichè sasiar non posso gli occhj miei’’) von zweifelhafter
theit.
Überhaupt ſcheint die ſchwierige Frage, ob bie einem Dig.
ter zugefchriebenen Poeſien ihm auch wirklich angehören, Hrn.
v. Moranville wenig befchäftigt zu haben. inter den vier
Ganzonen ded Eino von Piftoja, bie Aufnahme erhalten haben,
find drei, ohne daß fich darüber hier eine Notiz fände, in ans
dern Ausgaben, obwol mit Unrecht, Dante beigelegt; eine aber
(„La bella stella che ’l tempo misura‘') eüpet wol unbedenk⸗
li von Buido Buiniceli her. Noch befrembdlicher ift ed, ohne
alleæ Autorität, lediglich auf Grund einer willlürlihen Vermu⸗
thung, eine wol richtiger dem Fazio degli Überti beigulegende
Gangone unter den Gedichten des Boccaccio zu finden. Manche
dieſer Miögriffe wären ficher vermieden worden, wenn Hr. v.
Moxanvpille den deutichen Korfchungen über verwandte Gegen-
ftände, mindeftens den in Wien felbft gedruckten, einige Auf:
merkſamkeit hätte zumenden wollen. *)
Eins der wefentlicften Erfoderniffe für ein Buch, das
die altitalienifche Lyrik zugänglicher zu machen dienen follte,
wäre die größte Gorrectheit des Textes geweſen. Berzichtete
dee Herausgeber alfo auch auf das DVerdienft, in ben biöheri-
gen Wusgaben befindliche Entſtellungen zu berichtigen, fo lag
ifm wenigftens ob, mit der größten Sorgfalt darüber zu wa⸗
chen, daß deren nicht newe in den Zert fich einfhlihen. Da
7) 8. 8. mwiener „‚Sabrbücher”, 1888, Anzeigeblatt Nr. 42.
Yudh. die erſte Außgabe meiner Arbeiten über Dante's Uyriſche Ges
dichte iſt in Wien, wenn ich nicht Irre bei Schade, nachgedruckt.
' Hand, erläutert. Auch
) für di
der Rei t iſt. © IH 8
vch der Reim zerftört iſt aß folche ——
(Sp. 46, 47) in fünf Zeilen, zu gaͤnzlicher Verunſtaltung des
Bersbaus, einzene Worte vergeflen worden (Mall. I, Str. 3,
9; Str. 95, 38.9. Ball. I, Str. 2, 8. 2; Er. 3, 3. i
und 3). Noch fehlimmer ift die Entftellung, wen, wie eb
auch hierfür nicht an Beifpielen fehlt, ganze Beilen überſpruu⸗
gen find. &o find (Sp. 23) in der berühmten Canzane des
Suido Guinicelli die dritte und vierte Zeile der erfken Stropbe
ineinandergefloflen; Str. 2, 3. 9 fehlt dagegen ganz. In der
| zweiten Ganzone des Eino von Piftoia (Sp. 8) find Str, 1,
8. 2 und Sir. 2, 3. 5 und in bez vierten (&p. 82) gar drei
Beilen hintereinander (Str. 1, 3. 6—8) ausgelaffen.
Endlich machten die fehr großen Schwierigkeiten, weiche
dieſe Gedichte dem Berfkänbniß entgegenftellen eine Beigabe
von Erläuterungen dringend nothwendig. Sm emieinen ha⸗
ben in diefer Beziehung die italieniſchen Herau (mit faſt
| alleiniger Ausnahme einiger Roten von Selvini) wenig vorge»
arbeitet; erſt in neuefter Zeit hat Rannucci die von ibm aus⸗
gewählten Gedichte, zum Theil vieleicht mit allzu freigebiger
Hr. v. Moranville hat dies Bebürfnif
gefühlt und deshalb den Text mit kurzen Anmerkungen beglei⸗
‚ tet, deren Babl und Umfang leider nur allzu beſchraͤnkt if.
Weitaus am reichlichften mit (vorgugsweife aus Nannucei
U, 52—59, entiehnten) Erklärungen bedacht ift Guido Eaval-
canti's Ganzone über die Ratur ber Liebe; dennoch aber rei»
‚ hen diefe 28 Beilen keineswegs hin, dies vieleicht ſchwierigſte
; Gedicht der italienifchen Lyrik, über das wir allein acht ſelb⸗
: fländige Commentare befigen, vollkommen verfländlich zu ma⸗
hen. Weit ftiefmütterliher find Die übrigen Gedichte behan⸗
beit. Leider genügen aber nicht felten Die Anmerkungen nicht
nur nicht, fondern fie bieten Irriges. So findet ſich z. B.
Sp. 34, Anmerk. 1), und &p. 72, Anmerk. 2, immer noch die
fon oft widerlegte völlig verkehrte Erklärung des Wortes la
stella dur: die Sonne, während ed nur: der geflirnte
Himmel beißen ann. Auch an folgenden, bei fluͤchtiger
Durchſicht angezeichneten Stellen wird der kundige Lefer ohne
Mühe die Irrigkeit der von Hrn. v. Moranville gegebenen
Deutungen ertennen: &p. 10, Anmerf. 9, 10; Sp W, Un
merk. 9; &p. 31 (Sonett 3), Anmerk. 65 Sp. 32 (Eanzene I),
Anmerk. 2; &p. 371, Anmerk. 4; Sp. Al, Anmerk. 8; &p. 62,
Anmerk. 55 &p. 86, Anmerk. 1 und 3; Sp. 68, Anmerk. 3,
19; Sp. 88 (Ballate 4), Anmerk. 2 u. f. w. Auch von die
ſen Misverftändniffen hätten manche vermieden werben koͤnnen,
wenn ber Herausgeber den in Deutſchland erfchienenen Borar-
beiten feine Aufmerkſamkeit hätte zuwenden wollen.
Iſt denn unfer lange gehegter Wunſch, daß ein genü-
gend vorbereiteter Gelehrter ee die Jufammenftellung und Er:
läuterung der Überrefte altitalienifcher Lyrik zur Lebensaufgabe
machen möge, durch vorliegende Schrift nur unvolllommen er:
füllt, fo begrüßen wir doch auch fie, als ein Zeichen des diefen
Studien zugewandten Streben, das, wie wir hoffen, in nicht
allzu langer Beit zeifere Früchte tragen möge.
Kari Witte,
Berantmortlicher Heraußgeber: Geinzih Wroddans. — Drul und Merlag von F. cc. VBerockhaus in Leipzig
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Sonnabend,
— R.59. —
28. Februar 1846.
Denkwürdigkeiten des Generals Eickemeyer. Heraus⸗
gegeben von Heinrich Koenig.
( Beſchluß aus Nr. 660.)
Eickemeyer ſtand als Befehlshaber einer Brigabe in
Belfort und ſchildert den Nachklang des pariſer Terro⸗
rismus in dem kleinen Orte. Faſt ergsoͤtzlich iſt wie er
uns den Jakobiner Haupt, ſeinen Landsmann, vorführt.
Eines Tages erſchien aus Paris ein Commiſſair des
Heildausfchuffes, deſſen Sendung in Belfort dahin ging,
die jungen Freiburger zu revolutionnaiten Maßregeln
aufzufobern, die rabicalen Grundfäge zu ‚verbreiten und
die Beamten zu beobachten. Er fam mit einem Secre⸗
taie zu Eickemeyer, ihn zu prüfen, ob er fich nicht des
Moderantismus verbächtig zeige. Zwei junge Menfchen
mit no dünnen Schnurbärten, mit rothen Mügen und
in Bämfen und Beinkleidern von Kalmud, bide Kno⸗
tenſtoͤcke und fange Säbel zur Seite, traten auf ihn ein
und er erfannte fie alsbald für feine ehemaligen Schü—⸗
ler auf der Univerfität zu Mainz. Der Commiffair
Robespierre's war ber Sohn eined mainzer Hofraths
Namens Haupt: Bald nad ber Ankunft ber Franzo⸗
fen hatte er bei ihnen Kriegedienfte genommen, in einem
Gefecht von ben Preußen gefangen, war er entflohen
und Hagte feinen General ber Verraͤtherei an, ging
auch nad) Paris, um gegen Cuſtine als Zeuge aufju-
greten. Hierdurch machte der Republitaner feine Lauf-
Kahn. Haupt hatte nicht übel Luft, feinen eigenen Vater
unter die Guillotine zu bringen. Der ehemalige Hof
rath von Mainz habe ihm zur Überreichung an den
Wohlfahrtsausfhuß eine Schrift überfendet, bie ein er-
bärmliches ariftofratifches Machwerk fei und ihrem Ver⸗
faffer wenigſtens Einfperrung zuziehen könne, wenn er
ſich aus feinem Schlupfwinkel in der Schweiz nad Pa⸗
zis wagte. Hofrath Haupt war ebenfalls auf Mainz
entflohen und hoffte, Frankreich werbe der Welt die Bahn
bed Rechts eröffnen. Der fanatifche Sohn lachte über
ben gemäßigten Vater und fagte, des Spaßes halber
wolle er ihm nicht abrathen nach Paris zu geben. Als
Eidemeyer ihm fein Diisfallen darüber bezeigte, machte
Haupt Miene, auch ihn beim Tribunal bed Ariftofratis-
mus und Moderantiemus anzuklagen. Nur daß Eide-
meyer ſich wirklich mäßigte, feine Empörung unterbrüdte,
war feine Rettung. In der Stadt Belfort felbft berief
Haupt alsbald die Volksgeſellſchaft zufammen, überbrachte
den Bruderfuß von den Jakobinern und vettheilte rothe
Mügen. In der Kirche beftieg er die Kanzel und be-
wies in einer Rede, es gebe aufer der Göttin Vernunft
feine Gottheit weiter, der Glaube an Unfterblichkeit fei
eine Thorheit, nur die Materie habe Dauer und ber
Menſch ale Theil diefer Materie gehe nach Auflöfung
feiner Perfönlichkeit in die Allgemeinheit zurüd, um als
Stoff zu neuen Schöpfungen zu dienen. Haupt wirkte
durch die Macht feines Plogigen, breitmäuligen Volks⸗
rebnertalentö bergeftalt, daß der Pöhbel alsbald über’ bie.
Heiligenbilder Herfiel und die Kirchengeräthe zertrüum-
merte. Auf dem Marktplage warb Alles zu. einem
Scheiterhaufen aufgethürmt und ber Haufe tanzte, die
Sarmagnole fmgend, um bie lodernden Flammen. Ein
altes Weib rief beim Anblid eines vom Altar geworfe⸗
nen Crucifixes: „Nun haft bu’s, fchlechter Herrgott! Es
ift gut, daß deine Regierung ein Enbe nimmt, du haft
dich wenig um die armen Leute bekümmert!“ Ein Grob-
ſchmied hatte ſich eines wunberthätigen Marienbilbes be
mächtigt, fchleifte e6 an einem Stride durch die Straßen,
indem er ihm Säbelhiebe verfegte und dabei rief: „So
thue doch Wunder, du alte —!“
Eickemeyer hat weder zur Charakteriſtik noch zur
Ausmalerei von Scenen Talent und Beruf; bei alledem
drängt ihn der frappante Stoff feiner Erlebniffe Hier
und da zur lebendigen Schilderung. Er bleibt uns
auch nicht Haupt’s ſpaͤtere Lebensſchickſale ſchuldig.
Man fah den Menſchen, der fi in Contributionsge⸗
fhäften bereichert hatte, in Italien als Baron v. Haupt
eine Rolle fpiefen. Er lebte zur SKirchenzeit in Rom.
auf vornehmem Fuß, erhielt vom Papfte den Orden vom
goldenen Sporn und warb Mitglied einiger gekehrten
Geſellſchaften. Bei alledem mar fein Ende klaͤglich. Er
machte nah manden Wechſelfällen bes Glücks ben
Feldzug nach Rußland mit und erfror auf dem Rück⸗
zuge von Moskau. Ä
Eickemeyer's Begegniffe ſeien hier mit wenigen Stri⸗
chen erledigt. Er machte unter Pichegru und Moreau
die Feldzüge in Süddeutſchland mit. Höfe und Volk
fchildert ex hier mit derfelben Ruhe, die an Kälte grenzt.
Was er in Baiern fand, reizte ihn am wenigſten zum
Rücktritt in die Dienfte des Vaterlandes; in feinen Be⸗
fenntniffen findet fi Feine Spur von Reue franzöflfche
Waffen zu tragen. Nachdem ich ſchon meine Anſicht
. ®
über ihn ausgefprochen, begnüge ich mich dies als That⸗
fache zu berihten. Es ift fohlimm, wenn ein Ehren»
mann folh Berhalten zu feiner Nation an den Tag
lege; fchlimmer noch, wenn biefe Nation Epochen und
Zuſtaände aufweiſt, die beim Ehtenmann Nöfhigihgen
foßkjer Art auferlegen. Seined Blekdens in frangofi-
ſchem Dienfte war übrigens nicht allzu lange. Unter
bem Gonfulat warb er beauftragt eine Rordarmer zu
organiſiren. Der DVeruntreuung öffentficher Gelder be-
ſchuldigt, techtfestigte er ſich in einer Schrift, die er un⸗
olitiſch us war auch dem Publicum zu überliefern.
e Gegenanklage fiel hald und haib auf einen
Schwager Berthier's. Er warb völlig freigeſprochen,
aber gleich barauf entlaffen. Er war einer der älteften
Brigadegenerale, dber den Zoͤgling Pichegru's und Mo⸗
reau's wollte man nicht befördern, ben ruhigen, felten,
unbeſtechlichen und unerfihütterlihen Mann von Gewif⸗
I berdrängten bie glamenden Lakaien des erſten Con⸗
uls. Einige dreißig Generale und Generaladjutanten
traf zu gleicher Zeit daſſelbe Loos. Mehte von ihnen
wurden bei Napoleon's Tpätern Kriegen wieber einberu-
Ten. Eickemeyer verfchmähte es fich vorm Kaiſer berufen
zu tollen. Er ſagt:
‚Ohne Herfönliches Intereſſe war ich aus deutſchen Kriegs:
dieniſten in franzöfijihe getreten; es galt damals die Vertheidi⸗
gang der Rechte des Menſchen. Napoleon's Kriege hatten aber
keinen andern Biverk als die Menſchen zu unteriohen und Er⸗
oberungen zu machen. Batte gelernt, falihen Ehrgeiz zu
— * meine phyſiſchen Bedurfniſſe zu befchränten und
rine unabhängige Mittelmäßigkeit einer glänzenden Knechtſchaft
dothuziehen | |
it dieſen Morten ſchlleßt die Handſchrift Eicke⸗
meyer v. Mich denkt, fie find eines Ehrenmanns wür⸗
big, Er Hatte ſich hf ein kleines Landgut feiner Fa⸗
ellie in Rheinheſſen zurückgezogen. Gr arbeitete dort
in ländlicher Stille mehre, kriegswiſſenſthaftliche Schrif⸗
sen qus, in denen er als Soldat feine Erfahrungen öf⸗
fentlich nieberlegte. Sein 1820 erfchiemenes „Lehrbuch ber
Kriegsbautunft” und feine „Abhandlung über Belange
gungs- und Befeſtigungsmechoden mag der Soldat neu
ach prufen. Ber Gemeinde des Beinen Orts, bem
idemeger, angehörte, war fein poaltifher Sinn mehr-
fach von Nugen. Sie wählte ihn zum Vorſtande, bie
Vrwinz zum Abgeordneten für Ste zweite Kammer bes
Großherzozthams Hoffen. Genftitutianneler Monarchift
gu fein war van fung auf der Wunſch feines Herzens,
der Inbegtiff Deſſen geweſen, mas «er in früherer Zeit
die Meuſchenrechte genannt Hatte, Somit ward ihm,
a6 fein heimatliches Deffen »- Dammfbadt ſich 1820 eine
Conſtitution, d. 5. eine gefegmäfige Debnung gab, ber
Duuſch der Iugend im Endziel feines Lebens umgefucht
verwirklicht FJ·. Guftav Kühne
Kushände und Dhrfelgen. Taſchenbuch für Humbr and
ative von Eduard Amthor. Leipzig, Schrey.
. 1845. Gr. 16, 1 Zhlr. 10 Nat.
mr Gere Berf. tritt mit nicht geringen Prätenfionen
auf. Humor und Satire — ja, das m ein Gietverfpredender
BSatirifern Hat das Kehtere niemals "genügt. Wenn
Titel; leider verfprechen aber bie meiften Zitel mehr als erfüllt
wird. Freilich glauben bis auf diefe Stunde noch Viele, daß
der Humor in nichts als einem unbändigen Capriolenmachen
beſtehe; fogar der heibelberger Schloffer fpricht es in feiner
„Geſchichte des 18. Jahrhunderts“ mehrmals aus, und vom ihm
fm wir begreiflich, dinn was til ſei, dadon Bat ar gar
inen Begriff, wir feine eigene anglaublich Anbeßbifeie Säireit“
art beweift. Der Stil des Humoriften ift allerdings, oft, wie
Hamann fagt, ein Wurftftil; aber ein mühfames Übereinan-
Deeftopfen der Säge ift darum noch nicht humoriſtiſche Schreib⸗
art; das Wechfeln der humoriſtiſchen Stimmung mag unbe
recgenbar wild fein, aber ein abfihtlider Humor vernichtet
fih ſelbſt. Echt Humoriſtiſches ift in dem ganzen Amthor’ichen
Buche wenig zu finden. Die Gauptfärte das Berf. liegt im
Wig, und zwar in einer untergeordneten Gattung deſſelben,
im Wortwig; ber berliner Wig ift Wortwig, auch Herr Sa⸗
phir gibt fih Mühe, darin zu ercelliren. Und Herrn Sapbte
ſcheint Here Amthor fehr hoch zu ſtellen; doch das ift auch
wol nur Schein. Denn wenn Jemand fagte, er ftelle diefen
Fabrikanten von Rullitäten hoch, fo ſchriebe er fih einen ſhlim⸗
men Empfehlungsbrief; Herr Amthor z. B. würde in bem
Falle einräumen, daß er fein Buch in bie Reihe derer gerech⸗
wet wiffen wolle, auf welchen fteht: „man fol und muß In-
den", oder „zum Todtlachen“, Sachen, bie mit ber Piteratur
nichts zu Schaffen haben. Die vielen Aphorismen, die der Herr
Berf. mittheilt, find größtentHeils fehr matt. Wir führen als
Beleg an ©. 156, wo es heißt: „Die krankſten Leute find dfe
Kaffirer: fle müffen immer einnehmen; die ſchwächſte Berbauung
Haben die Buchhändler: fie vertragen, obgleich das Fleiſch fo
zart ift, nicht mul Keebſe; die gutmüthigften Menſchen find
Die vornehmen Damen: fie thun nie etwas. Kerner: „Die Lich:
linge ber Bürften und Könige waren von jeher die Kron- und
Kammergüter. Kein Wunder alfo, daB fie aud fo größe Lieb⸗
finge der Fraum find; denn das hönite Kammergut bed Man⸗
ned bleibt ftetd das Weib; der Mann Bönnte daher ſchon vom
Ratur auf den Ziel Kammergutepachter Anſpruch u f
Kerner: „Wie niennt fh der Wann, w die Mutter feiner
Frau, der Gatte feines KindeB, Water, Großvater und Groß:
mufter in Einer Perfon ift? Adam.” Kerner: „Wie heißt der
Proceß, in welchem ſtets der rechthabende Bann'verliert? Die
Che.” Ferner: „Wie Tönnen die Autoren am beiten ſehen, wie
viel ihre Bücher wersh find? In der Auckidnen, wo man
bem Gewichte kauft. Was ift alſo das befie Mittel, folge
Autoren zahm p machen? Man ſchicke fie in die Auctionen,
damit fie mit eigenen Dhren hoͤren, wie hoch ihre Werke ur:
gefchtagen werden.“
Aus ben mitgetheilten Proben wird min erſehen, DAB WE:
gleichen vielleicht gut aufgenvinmen werden ma, wentz es
in luſtiger Geſellſchaft Dr wird; aber fir Humor
und Satire darf es ſich nicht ausgeben wollen
Daß Übrigens der Herr Verf. des humoriſtiſchen Talents
niiht bar fei,, bemweift ber Aufiog „Zu tichtiger —
der Liebe und Che” (S. N—iV00), ohne Siderſpruch der
Im ganzen Buche. Herr Amthor haͤtte bach lieder nicht fo eb
lig’mit der Herausgabe eines ganzen Baͤndchens Humoriſtiſcher
GSachen fein follen. . BE
Bas nun bie Satire in dem angezeigten Buche betrifft,
f findeh wir fie unbefriedigend. Wer die Wehtheit Ber Ho⸗
s'tchen Batire Bennt, vese die Strenge der Jiwenal
oder bus Deduen dee Perſius ſchen, der muß Lächeln, wenn Hert
Amthor meint, er auch Satire gefihrisben, naͤmlich in
Disfem angezeigten e. Unfer Decennium liefert der GSatire
gie rg en et an 8 vatiram non 'schiber®,
. 5. es tft in der‘ er, das Satirenfchreiben zu: untet⸗
laffen; wir Senn aber In fi) Drung und oaft dagu Mhkh,
ber mag: auch ſchreiben über Das, was unfere ee Dicke
tiges darbietet, und nicht über Die miferabelie üftre bes ſpieß⸗
bürgerlithen Lebens; ben wirkii großen Geiſtern —
t
ein wochter Batieifer geivefen wuͤre, was für Batire Kälte er
en müflen in jenem Sachſen, wo bie Fuüͤrſten ſardanapa⸗
liſirtea, Wo die —— —— Corte Menſchen regierte;
Rott deſſen fatirifirte enee über alte Jungfern, über che:
lofe Gelzbülfe, über arme Hofmeifter und Geuvernanten. Wenn
Her or einen Juvenal'ſchen ober Parfius ſchen Genins
hätte, fo würde er unmoͤglich ın einer fo ernflen Beit wie
die unfere den Wrtikel „Deuticlands Bierde” (S. 45-52)
haben iben Tannen, worin behauptet wird, tiefe Bierbe
feien Alöße und Bier; nach medicinifcher Giätheilung würde
dieſe Doſis unter die Stimulantia zu rechnen fein, aber
der Fehler ift, DaB das ganze Medicammt zu matt ift. Um
n mtbor fein Recht zu geben, theilen wir ein Paar
age mit: „Demtichland hat ein Recht auf Klöße, denn ber
5 it nicht blos deutſch, fondern ber Deutſche auch kloßig.
Wie der Kloß iſt er in feiner Iugend zart und wellig, bald
jedoch wirb er zabe, grob, Hartnädig, imgenießbar. Der
Deuiſche Laßt ſich Ineten und queffchen wie Kloßteig, er if
wie der Kloß die perfonificizte wohlhäbige Sutmüthigkeit, Ruhe
und Geduld, und wie ed dem Kloße.einerlei ift, wer ihn ver
gehn; fo kuͤmmert ſich der Deutſche nicht darum, ob er einem
ler ober Löwen anheimfällt. Ich bin au überzeugt, Der
arſte Menſch war ein Deutfcher, denn derfelbe wurde, wie aus
der Bibel bekannt, aus einem Erdkloße erfchaffen. Doc die
iöße, ſagt man, wollen fepwimmen. Der Deutſche bat das
um Schwimmen vorzüglich geeignete Element, er bat das
Der, und zwar tft dies fein eigentliches Element, das er ſich
in Ermangelung und in Unzufriedenheit mit andern Elemen⸗
ten ſelbſt geichaffen. Seine Luft ift ja zu ſchwül, fein Zeuer
verraudt, feine Erbe nicht fein und Das Wafler zu Dunn. Das
Bier ift des Deutſchen Arznei, feine Unterhaltung, fein Tages⸗
geſpraͤch. Das Bier ift feine Erfrifhung und fein homoopa⸗
Fhifches Mittel gegen die vielen Bitterfeiten des deutſchen Da-
feins. Das Bier ift das Opium, dad ihn einlullt, der Erlö-
fer, der ihn felig macht. Der Genuß von Bier fleht ihm hö⸗
als der Genuß feiner Rechte, und der Bierkrug manchmal
uber Weib und Kind. Heißt's «frei von Rom», fragt er vor
Allem: «Gibt's auch Bier ohne Rom!» Heißt's «frei von
Steuern», fragt er: «Gibt's auch Bier ohne Steuern?» Lieber
Bleibt er cömifch, Lieber ‚bezahlt er Steuern, aber Wier trinkt
er, am Zapfen muß er liegen, im Taumel vegekiren, im
Ihrane toben.”
Die angeführte Stelle wird Überzeugen, daß bie Satire
Des Ber. me äffend und zwickend ala direct und kraͤftig ans
ei i
“ Wenn Ref. den Inhalt der Vorrede ſich vergegenwärtigt,
fo erfſcheint ibm Here Amthor fo imgendblich keck daß, wenn er
vielleicht feibft zgugibt, | Bith fei Sein Meiſterwerk, x
gerade dadurch geftachelt wirb, ein zweites zu fhreiben, wel
ches diefem Mudme naher kommt; das billigen wir umd Zun⸗
Shen es.
Die aäghptiſche Reife des Prinzen Paul von
. Würtemberg. | |
Schon im 3. 1822 unternahm der Yrinz eine wiſſen ſchaft⸗
Wr Beife. na Amerika. Bon du zurückgekehrt * der⸗
———A—— * *
n sin u Ä
kehrte. Die zahlreichen ſchoͤnen Früchte dieſer wiſſenſchaftlichen
Weelien betannt; und fo ließ fi im voraus erwarte, Daß
Dr t des mit fo hohem Mrifihauungävermbgen und fü
wiektigen Fenntniſſen misgeräfleten Pringen in bem noch imt-
mer gu Wenig unterfuchten Lande ber Pharaduen der Willen
t merwarteten und ecfrenlichen Zuwachs bringen
werde. "Wiefe Reriſe wurde 1889 unternomimen und bis zum
&* der nbchkichen Breite unter fo günftigen Berhultnifſen fort .
föat, clB mar weriigen. Meifnben * * ̃. aupt
at der Umſtand dazu beigetragen, daß der Vicekoͤnig Agyptens
eine beſondere Buntigung zu bern Reiſenden füßte und beffen
Zwecke überall zuvorfommend unterfkügte. — * das 56
feine Alterthüͤmer auszuführen, wurde für die Perſon bed
Prinzen, bei feiner Abreiſe aufgehoben. Auf diefer ganzen Ian-
gen Reife, Die, was Bid jest nur fehr Wenigen gelungen in,
18 zu einer von 120 Meilen boin Yauator fort-
gefegt wurde, hat der Prihz nicht biod in feiner gewohnten
Weile auf Alles fein Augenmerk gerichtet, was Botanik, g0o⸗
logie, Geologie, Ethnographie u. |. w. betrifft, fondern es Bit
berfelbe auch den vorhandenen Alterthümern bes Landes, von
denen er manche Koftbarkeiten nach Deutfchland berpflanik
Aufmerkfamkeit gefihenft. Wit Theben fand er die Kalten
bed Ramſes Wemnon, des Dfiymandyas wieder, deren Grund»
riß auf zwei turiner Papyrus aus jener Zeit abgebildet ſteht,
und in welcher der koloſſale Granitſarkophag Des Mamfed im
- Kounre, nebft feinem Deckel gu Cambridge geftanden haben.
Dad Ramensſchild Memnon's, über dem Eingange der Kafa-
kombe in Stein gehauen, hat ber Prinz felbft mitgebracht.
Es ftimmt genau jmit dem Schilde auf dem Obelisk an ber
Porta del popolo zu Rom, welcher demjelben Dfymandyas er
richtet worden mar; jenem Obelisken, den Hermapion unter
Buguft nach, Seyffarth's vor drei Jahren bekannt gemachter
Entdeckung in das Briedifche uͤberſetzt bat und ber, als eine
zweite Infhrift von Rofette, die endlihe Entfcheidung über
Champollions und Seyffarth's Hieroglyphenſpſteme herbeige:
führt hat. Alle beſonders merkwuͤrdigen, auf feiner Reife ge⸗
fundenen Gegenftände, ſowol die archaͤologiſchen als die natür⸗
hißoriſchen, hat der Prinz zeichnen, großentheils auch coloriren
laſſen; fie füllen nicht weniger als zwei ſtarke Foliobaͤnde.
Schreiber Dieſes, der Gelegenheit hatte, die Sammlung zu
fehen, war erſtaunt über Die Menge ber hoͤchſt fauber aus⸗
geführten naturwiſſenſchaftlichen und gefchichtlichen Einzelheiten,
wozu namentlich bie hörhft merkwürdigen ethnographiſchen Ge⸗
genftände gehören. Es wäre daher fehr gu wuͤnſchen, daß
diefe beiehrenden und anziehenden Wbbildungen mit einer aus⸗
führlichen Reiſebeſchreibung zu einem beutfchen Gemeingute ge»
macht würden, da fie fo vieles Neue, befonders aus Ländern
enthalten, von denen wir zur Jet noch fehr Wenig wiſſen.
Auch würde. biefe Nesfebefchreibung ſchon deshalb vielen früheren
den Rang fireitig machen, weil ihr Uxcheber mit dem Vice⸗
könig und vielen hochgeſtellten Beamten bis nah Athiopien
hinauf in genauerer Verbindung geſtanden, den Zuſtand und
die Megierung des Landes beſſer als tauſend Andere kennen gu
lernen Gelegenheit gehabt hat. 80.
Bibliographie.
Alt, H., Die Kirchenlehre in ihrer hiſtoriſchen Entwicke⸗
Inag an den Bekenntrißformeln der einzelnen chriftlichen Con:
fefftonen und Secten dargeſtellt. Berlin, Plahn. Gr.8. 22%, Ngr.
Boz (Dilens), Das Heimden auf dem Herde. Eine
Eifengeſchichte. Aus dem Engliſchen un 3. Seybt. Mit
Eonfeience, H., WUusgewäßlte. Werke. Unter Mitwir⸗
Bang ‚bed Berfallerd dextich ven 3. W. Wolf. Iiles Baͤnd⸗
gen: Abendunden. Ifier Spell. Bonn, Marcus. Gr. 12.
2 u
Dos äfttiche Europa und Kaifer Rikolaus. Bam Berfaf-
fer de „enthoͤllten Mußland” und ber Aveißen Schanerel’. ,
Aus dem-Engliihen. von, Kresichmar. Mer Band. Grimma,
Berkagscompteir. 8. 1 Ihlr. 15 J .
uarini, G. B., Der treue Hirt. Aus dem Ztalieni⸗
ſchen metriſch uͤbertragen pin M. E. Merbach. imma,
Berlagscomptoir. RI. 8. 15 Nor. en
Meindoib, B., Geſammelte Schriften. Iſter Band:
Maria Schweibler, die Bernil e. Ropelle in ber —
des 17. Jaͤhrhunderts. Ike verbeſſerte Auflage. Leipzig, We⸗
der. 8. 1 Sekt. 15 Kgr.
.
234
über ihn ausgefprochen, begnüge ich mich dies al6 That⸗
fache zu berichten.
mann folh Verhalten zu feiner Nation an den Tag
legt; fehlimmer noch, wenn diefe Nation Epochen und
Zufrinde aufweiſt, die dem Ehtenmann Nölhigutken
ſolcher Aet auferlegen. Gened Blelibens in franfi-
ſchem Dienſte war übrigens nicht allzu lange. Unter
dem Conſulat ward er beauftragt eine Nordarmee zu
organiſiren. er Veruntreuung öffentlicher Gelder be⸗
ſchulbigt, rechtfertigte er ſich in einer Schrift, die er un⸗
olitifh genug war auch dem Publicum zu überliefern.
Ser fe Piel Halb und halb auf ehren
Schwager Berthier's. Er ward völlig freigefprochen,
aber gleich darauf entlaffen. Er war einer ber älteften
Vrigadegenerale, aber den Zoͤgling Pichegru's und Mo-
reau's wollte man nicht befoͤrbern, ben ruhigen, feſten,
unbeſtechlichen und unerſchütterlichen Mann von Gewiſf—⸗
I berdrängten die glänzenden Lafaien des erften Con⸗
fuls. Einige dreißig Geherale und Geheralabjutanten
traf zu gleicher Zelt baffelbe Koos. Mehte von ihnen
wurden bei Nappoleon's Tpätern Kriegen wieder einberu⸗
I Eickemeyer verſchmaͤhte es ſich vom Kaiſer berufen
u kaffen. Er ſagt:
‚Ohne vperſonliches Intereſſe war ich aus deutſchen Kriegs:
dieiſten in franzoͤſiſche getreten; es galt damals die Vertheidi⸗
Eine der echte des Menſchen. Rupoleon’s Kriege hatten aber
einen andern Zweck ald die Menfchen zu unteriochen und Er⸗
oberungen zu machen. Ich Hatte gelernt, falihen Ehrgeiz zu
——— meine phyſiſchen Bedürfniffe zu beſchraͤnken und
son Kr ngige Mittelmäßigkeit einer glänzenden Knechtſchaft
it dieſen Morten ſchließt die Hanbichrift Eicke⸗
eyer v. Mich deenkt, fie ſind eines Ehrenmanns wür⸗
Big. Er hatte ſich auf ein kleines Landgut feiner Fa
lie in Rheinheffen zurückgezogen. Er arbeitete dort
in laͤndlicher Stille mehre, knegswiſſenſthaftliche Schrife⸗
sen ans, in denen er. als Soldat feine Erfahrungen öf⸗
fentlich niederlegte. Sein 1820 erſchirnenesLehrhuch der
Kriegebautunk” und feine „Abbendlung über Belage⸗
rungs⸗ und Befeftigungsmerhoden” mag der Soldat von
ach prüfen. Mer Gemeinde bes Beinen Orts, bem
ickemeyer angehörte, war fein praitifiher Sinn mehr-
fad von Nugen. Sie wählte ihn zum Vorſtande, bie
Provinz zum Abgeordneten für Die zweite Kammer bes
Großherzozthums Hoffen. Gonflitutionneller Monarchiſt
au fein war van jung auf der Wunſch feines Herzens,
Dre Jadegeiff Oeſſen geweſen, was er in früherer Zeit
die Menfihenzechte germmt hatte Somit warb ihm,
ae fein heimatliches Heſſen⸗Darmſtadt fi) 1820 eine
Conſtitution, d. 5. eine gefegmäfige Ordnung gab, der
Munich ber. Jugend im Endziel feines Lebens umgefucht
verwintliche, gi Bullen Aühne
Küßhaͤnde und Dhrfelgen. Taſchenbuch für Humbr und
atire von Eduard Amthor. Keipzig, Schrey.
. 1845. Gr. 16. 1 Thlr. 10 Ngr.
“Re Gere Verf. tritt mit. nicht geringen Pratenſionen
auf. Humor ımd Satire — ja, . m ein —E—
Es iſt ſchlimm, wenn ein Ehren⸗
| disfem angejeigten.
Zitel; leider verſprechen aber die meiften Titel mehr als erfüllt
wird, Preili glauben bis auf diefe Stunde noch Viele, daß
ber Humor in nichts ald einem unbändigen Capriolenmachen
beſtehe; fogar der heibelberger Schloffer fpricht es in feiner
Seſchichte des 18. ——— mehrmals aus, und von ihm
froer wie's begteiflich, Dahn 19ds Ghit el, dalon Yat ee
inen Begtiff, wie feine eigene amglaublic Anbehbifeie Schreib
art beweilt. Der Stil des Humoriften ift allerdings, oft, wie
Hamann fagt, ein Wurftftil; aber ein mühfames Übereinan-
derſtopfen der Säge ift darum noch nicht humoriſtiſche Schreib:
art; das MWechfeln der humoriſtiſchen Stimmung mag unbe⸗
rechenbar wild fein, aber ein abfichtliger Humor vernichtet
fich felbft. Echt Humoriftifches ift in dem ganzen Amthor'fchen
Buche wenig zu finden. Die Yanptärte bes Berf, liegt im
Wis, und zwar in einer untergeordneten Battung beiflben,
im Wortwig ; ber berliner Wie if Dostwiß, auh Herr Sa⸗
phir gibt fih Mühe, darin zu ereeliren. Und Herrn Saphie
fcheint Herr Amthor ſehr Hoch zu flellen; doch das ift auch
wol nur Schein. Denn wenn Jemand fagte, er ftelle dieſen
Fabrtlanten von Rullitäten hoch, fo ſchriebe er ſich einen fehlim- _
men Empfehlungsbrief; Herr Amthor z. würde in d
Kalle einräumen, daß er fein gr in die Reihe derer gereiße
wet wiffen wolle, auf welchen ftedt: „man foX und muß Ih-
Ken’, oder „zum Zodtlachen”, Sachen, die mit der ?iteratur
nichts zu ſchaffen haben. Die vielen AUphoriämeng, die der Herr
Berf. mittheilt, fd größtentheils fehr matt. Wir führen al
Beleg an S. 156, wo ed heißt: „Die kränkſten Reute find die
Kaffirer: fie müffen immer einnehmen; die ſchwaͤchſte Verdauung
Haben die Buchhändler: fie verträgen, obgleich daB Fleiſch fo
zart ift, niche mal Krebſe; die gutmüthigften Menſchen find
die vornehmen Damen: fie thun nie etwas.’ * Die Lieb⸗
linge der Fuͤrſten und Könige waren von jeher die Kron⸗ und
Rammergüter. Kein Wunder alfo —— fie auch fo größe Lieb⸗
linge der Braum find; denn das dhön Kammergut bed Man⸗
ned bleibt ſtets das Weib; der Mann Bönnte daher Thon vom
Katar auf den Zitel Kammerguttpachter Anfpruc werben
Kerner: „Wie nennt ſich ber Mann, welger bie Mutter feiner
Frau, der Gatte feines Kindes, Vater, Großvater und Groß:
mufter in Einer Perfon ift? Adam.” Kerner: „Wie beißt der
Proreß, in welchen ſtets der rechth e Mann verliert? Die
7 Kerner: „Wie Törinen bie Autoren am Geften ſchen, wie
viel ihre Buͤcher werch find? In ben Auctidnen, wo mem
ben Gewichte kauft. Was ift alſo das beſte Mittel, folge
Autoren zahm zu machen? Man fihide i in die Auckionen,
bamit fie mit eigenen Ohren hören, wie hoch ihre Werke an⸗
geſchlagen werden” ““
nicht bar ſei, beweiſt der Auff |
der Liebe und Ehe” (3. 9T—106), ohne Siberſpru
en fein follen.
Bas nun bie Satire in dem angezeigten Buche betrffft,
fo finden wir fie unbefriedigend. er die Fekiheit ber ‚oe
Pas fen Satire Sennt, vorr die Gtrenge . der ‚Iwoendt:fchen,
odir dns Brauen der Perſtus ſchen, der anf Lächeln, wenn Pest
Amthor meint, er auch Satire geſchrieben, naͤmlich in
e. Unſer Decennium liefert der Satire
einen ern A en En arfficile u ‚alicatn non 'scrlbere,
d. h. es tft in der That ſchwer, dus renfchrefben zu umnet
laffen; wer denn aber — und Modft ditzu Fb,
Das, was unſere
der mutz: auch ſchreiben über Segenwart · Wi
tiges —ã and nicht über die miferabelſte Mere bed ſpie
bürgertigen Lebens; den wirklich großen Geiſtern unker den
Safitikern hat das Feptete niemals genligt. Wenn Rabenet
ein echter Batiriker geweſen wärs, was für Wetire hätte er
ſcheriben müffen in jehem Sachſen, wo bie Bürften farbanepas
Iifirten, wo Die verachtungswuͤrdigſte Gorte Menſchen regierte;
fast defien fatisifirte Rabener über alte Sungfern, über che
loſe —— über arme Hofmeiſter und Gouvernanten. Wenn
Herr Amthor einen Zuvenal'ſchen ober Parſfius ſchen Genius
hatte, fo wurde er unmoͤglich in einer fo ernflen Zeit wie
die unfere den Artikel „‚Deutichlands Bierde”’ (8. 45— 52)
Dean en können, worin behauptet wird, dieſe Bierbe
ien Albße und Bier; nach mediciniicher Gintheilung würde
Diefe Dos unter die Stimulantia zu reinen fein, aber
der Fehler ift, daB das ganze Medicammt zu matt iſt. Um
eren Amtbor fein Recht zu geben, theilen wir ein Paar
ge mit: ‚‚Demtichland hat ein Recht auf Klöße, denn ber
Kioh ift nicht blos deutfch, ſondern der Deutfche auch kloßig.
Wie der Kloß ift er in feiner Iugend zart und wellig, bald
jedoch wirb er zähe, grob, hartnaͤckig, imgenießbar. Der
Deuiſche läßt ſich kneten und quetichen wie Kloßteig, er if
wie der Kloß die perfonificizte wohlhaͤbige Gutmüthigkeit, Rube
und Geduld, und wie es dem Kloße einerlei ift, wer ibn ver⸗
geht, fo kuͤmmert ſich der Deutſche nicht darum, ob er einem
dier oder Löwen anheimfält. Sch bin auch überzeugt, Der
wefte Menſch war ein Deutfcher, denn berfelbe wurde, wie aus
der Bibel befannt, aus einem Erdkloße erfchaffen. Doch die
Ktiße, fügt man, wollen ſchwimmen. Der Deutfche bat das
um Schwimmen vorzüglid geeignete Element, er bat bad
Bier ‚ und zwar ift Dies fein eigenkliches Element, das er fi
in Ermangelung und in Unzufriedenheit mit andern Elemen⸗
ten ſelbſt geichaifen. Seine’ Luft ift in zu ſchwuͤl, fein Feuer
verraucht, feine Erbe nicht fein und das Wafler zu Dunn. Das
Bier ift des Deutſchen Armei, feine Unterhaltung, fein Aages⸗
geſpraͤch. Das Bier ift feine Erfrifhung und jein Hemöapa:
chiſches Mittel gegen bie vielen Bitterfeiten des beutichen Da-
feind. Das Bier ift das Opium, das ihn einlult, der Erlö-
fer, der ihn felig macht. Der Genuß von Bier fleht ihm hö⸗
her als ber Genuß feiner Rechte, und der Bierkrug manchmal
uber Weib mb Kind. Heißt's «frei von Rom», fragt er vor
Allem: «Gibt's auch Vier ohne Rom!» Heißt's «frei von
Steuerny, fragt er: «Gibt's auch Bier ohne Steuem?» Lieber
Heibt er romiſch, Lieber ‚bezahlt er Steuern, aber Bier trindt
er, am Zapfen muß er liegen, im Taumel vegetiren, im
Shrane toben.”
Herr
vielleicht felbft gugibt, fein Bun
gerade dadurch geſtachelt wird, ein zweites zu fchreiben, web
*. biefem Ruhme naher kommt; dad billigen wis und avün-
Die ügpptifche Reife des Prinzen Paul von
J Würtemberg.
Schon im J. 1822 unternahm der Prinz eine wiſſenſchaft⸗
Hei Amerika. Von da zurli t bersifle der:
Re Ward grnen uno Biden, worhuf er 18 am 34. 3
un aerteats Anıtrtka nd 3830
kehrte. Die —e —— ie
eeiſen Th betannt; und fo ließ ß
mer gi wenig unferfuchten Lande ber Pharobnen
umnerwarieten und erfrenli
. Miefe Seife wurde 1889 unterm und bis zum
&* der norblichen Breite unter To günfiegett: liniſſen fezb
t, als mür wenigen Meifenden vergönnt iſt. Ha ———
gvp
eine Befonbere Zuntigung zu dem Relſenden faßte und be
Bwecke überall zuvorkommend unterſtuüͤtzte. * das Fa
feine Wlterthümer audzuführen, wurde für die Perfon
Prinzen bei feiner Abreife aufgehoben. Auf diefer ganzen lan⸗
en Reife, Die, was Bid jegt nur fehr Wenigen gelungen {f,
id zu einer Epterpung von 120 Meilen boin Aquator forts
gefept wurde, hat der Prinz nicht blos in feiner gewohnken
Weiſe auf Alles fein Augenmerk gerichtet, was Botanik, Bus
logie, Geologie, Ethnographie u. — w. betrifft, ſondern es But
berfelbe auch ben vorhandenen Alterthüͤmern bed Landes, von
benen er manche Koftbarkeiten nach Deutfchland verpflanik,
Aufmerkfamkeit geſchenkt. Bei Theben fand er dic Katako
des Ramſes Memnon, des Oſymandyas wieder, deren Grund⸗
riß auf zwei turiner Papyrus aus jener Zeit abgebildet ſteht,
und in welcher der koloſſale Granitſarkophag des Ramſes im
. Louvre, nebſt feinem Deckel gu Cambridge geſtanden -baken.
Das Ranunsihild Memnon's, über dem Eingange der Kata⸗
kombe in Stein gehauen, hat ber Prinz felbft mitgebrant.
Es flimmt genau jmit dem Schilde auf dem Obeliſsk an der
Porta del popolo gu om, welcher demjelben Oſymandyas er»
richtet worden war; jenem Übeliäfen, den Hermapion unter
Auguſt nach Seyffarth's vor drei Jahren bekannt gemachter
Entdetung in dad Griechiſche überfegt hat und der, als sine
zweite Infihrift von Roſette, bie endliche Entſcheidung über
Champollion s und Seyffarth'E Hieroglyphenſpfteme herbeige-
führt bat. Alle befonderd merkwuͤrdigen, quf feiner Reife ge⸗
fundenen Gegenflände, ſowol die archäologifchen als die natur⸗
hißorifchen, hat der Yrim zeisypnen, guoßentheild au coloriren
laflen; fie füllen nicht weniger als prei ſtarke Foliobaͤnde.
Schreiber Dieſes, der Gelegenheit hatte, die Sammlung zu
fehen, war erſtaunt über die Menge ber höchft fauber aus⸗
geführten naturwiſſenſchaftlichen und geſchichtlichen Einzelheiten,
wozu nameuntlich die hoͤchſt merkwürdigen ethnographiſchen Ge⸗
genftände gehören. Es waͤre daher ſehr zu wuͤnſchen, daß
dieſe belehrenden und anziehenden Abbildungen mit einer aus⸗
fuͤhrlichen Reiſebeſchreibung zu einem deutſchen Gemeingute ge⸗
macht würden, da fie fo vieles Neue, beſonders aus Ländern
enthalten, von denen wir zur Seit nach fehr wenig mifien.
Auch würde. biefe Neifebefhreibung ſchon deshalb vielen früheren
ben Rang fireitig machen, weil ihr licheber mit Dice
könig und vielen bocgefkeuken Beamten bis nah Wthiopien
binauf in genauerer Verbinduimg gefltanden, ben Buftand und
die Megierung des Landes beſſer als taufend Andere kennen gu
lernen Gelegenheit gehabt hat. i 80.
Bibliographie.
Alt, H., Die Kirchenlehre in ihrer hiſtoriſchen ˖Entwicke⸗
kung an den Befenntnißformeln der einzelnen chriſtlichen Con⸗
feſſtanen und Secten dargeſtellt. Berlin, Plahn. Gr.8. 22%, Nr.
Boz (Dicken6), Das Heimchen auf dem Herde. Eine
Eiſengeſchichte. Aus dem Engliſchen um 3. Seybt. Mit
vier Feberzeichnungen. Leipzig, Lord. Br. 16. 10 Rgr.
Fontcience, H., Auegewaͤhlte Werke. Unter Mitwir⸗
Bang ‚bed Verfaſſers deutſch ven J. W. Wolf. Iiles Bad⸗
en: Abendfunden. Ifer Theil. Boan, Marcus. Gr. 13.
2 Ron.
* Das oͤſtliche Curopa und Kaifer Rikolaus . Vom Berfafs
fer des „enthoͤllten Mußland” und ber „weißen Scan ..
Aus dem-Engliihen.von U. Kregihmar. Hier Band. Grimma,
Beriggscomptsir. 8. 1 Ihir. 19 DE
warini, ©. B., Der treue Hirt. Aus dem Ztalieni⸗
fen metrifch übertuagen von M. E. Merb ach. Grimme,
Berlagscomptoir. RL. 8. 15 Nor. ..
Meinhold, W., Gefammelte Schriften. After Band:
Maria Schweibler, die Bernſteinhexe. Nopelle in ber Sp
des 17. Zahrhunderts. te verbefierte Auflage. Leipzig,
ber. 8. 1 &hle. 15 Ser.
Der kabbaliſtiſch⸗bibelſche Occident. I. Die kosmiſche Ur:
idee und bie hiftorifche Erſcheinung. Hamburg, Berendfohn.
1845. 8. 10 Nor. | oo
Sievers, 3. H., Wladyslaw und Diffepli. Eine tſcher⸗
teffilde Erzaͤhlung. Leipzig, Brockhaus. 8. 20 Nor.
Biffel, 2. v., Ruhmwuͤrdige Thaten, welche in den
legten Kriegen von Unteroffizieren und Soldaten der engliſch⸗
deutſchen Legion und der hanover’fhen Armee verrichtet find.
Hanover, Helwing. Gr. 12. 20 Nor.
Die Zuftände der Religion und Kirche im 15. Jahrhun⸗
dert. Aus den erften Quellen dargeftelt von einem Laien.
Magdeburg, Falckenberg und Comp. 1845. Gr. 8.
Tagesliteratur.
Anſicht eines Laien über. bie Frage: was iſt das Eſſen⸗
tielle des Chriſtenthums? Den proteſtantiſchen Freunden ge⸗
widmet vom Verfafſer. 2te vermehrte Auflage. Magdeburg,
Falckenberg und Eomp. Gr. 8. 3%, Nor.
Herr Dr. Behnſch als Kritiker, ‚eogifer und Theolog,
nebft untermifchten Neflerionen über die kirchlichen Zeitbewe⸗
gungen. Breslau, Aderholz. 1845. Gr. 8. 27, Nor.
Beiträge zu einer Kritik der neuen, deutſch-katholiſchen
Glaubensbekenntniſſe. Bon einem Breslauer Bürger. Ifte Lie
ferung. Breslau, Trewendt. 1845. Gr. 8. 5 Near.
Die Berechtigung des Nationalismus. Ein Sendfchreiben
m ven Prediger G. A. Kämpfe. Magdeburg, Rubach. Gr. 8,
r
Ri erends, 3., Was wir wollen! Eine Beleuchtung ber
Fer Berliner Protefte. Berlin, Kraufe. 1845. Gr. 8.
2 98.
Ernfte Betrachtungen eines zwölf Jahre gedienten Unter:
offiziert. Borken, Brunn. 1845. 12. 2 Nor.
Bezzel, H., Die Löfung des behaupteten Widerfpruchs
in der proteftantifch-evangelifchen Lehre von der Rechtfertigung
duch den Glauben allein, und der Forderung an die Men
je, das Gefeg zu erfüllen. Ansbach, Dollfuß. 1845. Gr. 8.
r
gr.
Breuske, J. G., 22 Fragen in drei Abtheilungen ge⸗
ſtellt zur Selbſtbeantwortung für Lichtfreunde und bie ed wer⸗
den wollen. Rranffurt a. d. D., Erowigih und Sohn. 1845.
Gr. 8. 5 Ror.
Neun Briefe über den eventuellen Anfhluß Hamburgs an
den Boliverein. Im Jahre 1841 in ber Hamburger Börfen-
halle» Lifte zwanglos erſchienen. Mit einem Borworte von
E—n. Hamburg, Hoffmann und Campe. 1845. 8. 71, Ngr.
Gr. 8. .
Credner, K. U., Die Berechtigung ber proteftantifchen
Kirche Deutfchlands zum Kortfchritt auf dem Grunde der hei
ligen Schrift. _Aus ben in Deutfchland allgemeine Geſetzes⸗
kraft habenden Beflimmungen urkundlich nochgewieſen. Frank⸗
furt a. M., Sauerländer. 1845. Gr. 8. 15 Nor.
Decher, C., Die Religion, mit Hinblick auf die religiö-
fen Wirren diefer Seit, vornehmlich in der proteftantifchen
Kirche Deutfchlands. Gießen, Ferber. 1845. Gr. 8. 15 Nur.
Eberhard, H. N., Die Augsburgifche -Eonfeffion ver
deutſcht und mit Anmerkungen für unfere Zeit Herauögegeben.
Rebſt einem Anbange: Das apoftolifhe, Ricänifche und Atha⸗
naRanifce Symbolum. Wltenburg, Helbig. 1845. Gr. 8.
/s Br.
v. Blorencourt, Rebe, gehalten in der Naumburger
Berfammlung ber „pecteftantifhen Freunde‘ am 8. Juli 1845
Elberfeld, Schmachtenberg. 1845. 12. 1 Ror.
18 Nor.
Kurze Gefchichte und Beſchreibung des zu Trier aufbes
wahrten heiligen Rockes, nebft Anda übungen. Ste under
änderte Auflage. Borken, Brunn. 1845. 12. 2Y, Nor.
Hot von Hordnegg, Evangeliſches Handbüchlein wider
das Papftthum. Nach der 12ten Driginalausgabe mit den noͤ⸗
thigen Zufägen herauögegeben und bis auf unfere Zeiten fort-
geführt von 8. Zeufher. Weimar, Voigt. Gr.8. 15 Ncr.,
Luthers, M., Prophetiſche Zeugniſſe wider die Verach⸗
ter des göttlichen Worts in der evangelifchen und Fatholifchen
Kirche Deutfchlandse. Herausgegeben von W. Böttider.
Hamburg, Agentur des Rauben Baufes, 1845. 8. 12%, Rer:
Maafen, ©. D., Zur Charakteriſtik der jetzt in der
Kirche Herrfchenden Anficdten und Zuftände. ine Sammlung
von Briefen. Breslau, Trewendt. 1845. Er. 8. 1%, Ror:
Probft, F., Die fogenannte Reformation und die wirk:
lihe Reformation. Ein Beitrag zur MOjährigen Subelfeier
ber allgemeinen Kirchenverfammlung von Zrient am 3. Decem⸗
ber 1845. Mebft einem Anhang: Kurzer Überblict über die
Unterföjeibungsehren der Katholifen und Proteftanten. Mainz,
Kunze. 1845. 8. 15 Nor. a"
Raumer, F. v., Einleitungsworte jur öffentliden Sitzung
der Akademie der Wiſſenſchaften am 16. October 1845. 2te
Aufinge. Berlin, Buchhandlung ded Lefecabinetd. 1845. 8.
.
gr.
Schmakowsky, W. v., Preußen und bad Eoncorbat.
Breslau, Zrewendt. 1845. Gr. 8. 6 Ror.
Schrift und fymbolifche Vücher im Widerſpruche für. Ie-
dermann faßlich nachgewiefen aus der Lehre deu Trinität, Erb»
fünde und Abendmahl. Keipzig, Goetz. 1845. &r.8. 10 Rgr.
Shulg, E. S. F., Erwiderung an den ‚Hrn. Regierungs⸗
Schulrath Strieg zu Potsdam auf das GSendfchreiben an bie
Geiftlihen zu Berlin und Potsdam, welche die Erklärung vom
Fr Augufl unterzeichnet haben. Berlin, Schmibt. 1845. Gr. B8.
ı Rgr.
Schultze, EU S., Die Zukunft ber deutſchen Unis
verfitäten. Bewillfommnungsrede bei dem afabemifchen Erin:
nerungsfefte zu Greifswald am 30. September 1845. Greif:
wald, Bamberg. 1845. Gr. 8. 6 Nor.
Snüffelmann, Ienny Lind und die Hamburger, oder
ein Staͤndchen im Sungfernflig. Genrebild. Hamburg. 1845.
Gr. 8. 3%, Nor. i
Stichert, F. D., Dr. Martin Luther's Tod. Eine aus⸗
führliche Darſtellung der letzten Lebensumſtaͤnde, des Endes
und Begräbniſſes des großen Reformators, nebſt den bei letz⸗
terem gehaltenen Predigten und Reden. Annaberg, Rudolph
und Dieterici. 1845. 8. 20 Nor.
Zobifh, A., Der Streit des Pfarrers Wislicenus vom
rechtlichen Standpunfte. Ein Conferenzvortrag. Wltenburg,
Selbig. 1845. Gr. 8. 5 Rer. ot
Uhlich, Die Throne im Himmel und auf Erden und die
peoteftantifhen Sreunde. Eine @rörterung zunaͤchſt ben Len⸗
n in Staat und Kirche dargereicht. Deftau, Fritſche. 1845.
Gr. 8. 5 Rear.
Ullmann, ®., Für die Zukunft der evangelifihen Kirche
Deutfchlands. Ein Wort an ihre Schirmherren und Freunde.
Stuttgart, Cotta. 1845. 8. 11Y, Nor.
ache auf der du fehläfft! Ernſter Zuruf an Deutfch-
lands gefinnungsvolle, gläubige Ehriften, Katholiken wie Pro⸗
teftanten. Bon einem Laien ın ber Gemeine Breblau,
holz. 1845. Gr. 8. 2%, Nor. Ze 0
Wegnern, U. v., Über die Erklärung ber Sechs und
Achtzig in Sachen der Kichtfreunde wider die evangelifhe Kir⸗
denzeitung. Ein Wort aus dem Glauben an Alle, die es hö-
ren wollen. Halle, Müblmann. 1345. Kl. 8. 5 Nor.
gellfelder, G. E. W., Gefahr für die evangelifßde Kirche!
Dder: Die Liturgie in der „Agende für chriſtliche
des evangelifch »Iutberifchen Belenntniffe, herausgegeben von
WB. Löhe” beleuchtet. Ansbach, Dollfuß. 1845. Er.B. ANgr.
Verantwortlicher Heraudgeber: Heiurich WBerdfans. — Drud und Verlag von F. M. Brockhans in Leipzig.
Ader⸗
-
En 93 Ge
.
Blätter
ur
für
literarifhe Unterhaltung.
Sonntag,
F März 1 846.
— — — — — nn ne nn nn — no — — — —
Fur Radridt.
Bon dieſer Zeitfehrift erſcheint täglih eine Nummer und ber Preis beträgt für den Jahrgang 12 Zhle. Ale
Buchhandlungen in und außer Deutſchland nehmen Beſtellungen berauf an; ebenfo alle Poftämter, bie fi an bie
Königl. ſaͤchſiſche Zeitungserpebition in Bere un Pier Berfenbung findet in Wodenlieferungen und
in Monatöheften .
Zur Sudenfrage.
Die Aufgabe des Judenthums und Des Juden in der Ges
genwart. Acht Vorlefungen, gehalten in Berlin, vom 15. Ja⸗
nuar bid 12. März 1845. Won 8. Stern. Berlin, Bud
handlung des Lefecabinet. 1845. 8. 1 Thlr. 10 Nor.
Die Theoretiter haben faſt aller Orten ihre Stim-
men für die Emancipation der Juden erhohen und laute
Klagen erichallen laffen uber die Barbarei unferer Zeit,
die fih no immer nıht von der Nothwendigkeit über-
zeugen wolle, das Unrecht früherer Jahrhunderte endlich
gut zu machen. Nichtsdeſtoweniger ift bie Praxis über-
aus hartnädig geblieben. Die Staatsmänner haben
nicht allein die Ausfprüche der Theorie nicht berüuͤckſich⸗
tigt, fondern wol gar ausdrücklich gegen diefelbe fich
verwahrt. Man hat ihr bie Befugniß abgeftritten, über
praktifche Rechtsfoderungen zu entfcheiden, in ragen
des Lebens eine Antwort zu geben. Von mehr als ei⸗
ner Seite ift geäußert worden, was in ber Theorie für
Zulaffung ber Juden zum Staatsbürgerthum fpreche,
entfcheide ehen nur eine theoretifche Zulaffung ober Die
Zufaffung in den £heoretifhen Staat; zwifchen dieſem
aber und dem ber Wirklichkeit ſei glücklicherweiſe oder
unglüdlicherweife ein gerade fo gewaltiger Unterfchieb ale
zwifchen dem abfirasten allgemeinen Begriffe und der
finnlihen einzelnen Anſchauung. Was von jenem gelte,
brauche wenigſtens nicht nothwendig auch für dieſe zu
paſſen.
So ſtehen denn alſo in der Beantwortung der Ju⸗
denfrage Theorie und Praxis einander gegenüber, jede
auf ihr gutes Mecht pochend, jede das der andern be⸗
fireitend, die Theorie die Macht des Geiſtes, die Praris
die des Lebens von fi rühmend: ein Begenfag wie er
in taufend Formen und Geftalten im heutigen Dafein
wiederkehrt. Faſt in allen Gebieten fehen mir bie Theo⸗
rie Foderungen ftellen, denen die Praxis nachzukommen
ſich nicht entfehliegen will, faſt überall die Wiffenfchaft
| Reformorfchläge ausſprechen und das Leben in ſtarrſter
Gleichgültigkeit dagegen verharren. Ganz unwillkürlich
bringt ſich die Frage auf, welcher Umſtaͤnde Schuld dieſer
durchgehende Gegenſatz ſei. Waͤren wir nur Theoretiker
und huldigten einſeitig dem Gedanken, fo würden wie
ſicherlich nicht anſtehen, über die faule Gewoͤhnung der
Praxis, über ‚die Bequemlichkeitsliebe der Menſchen und
ihr Hängen am Alten und einmal Hergebrachten mit
allem. Aufwand von Worten der uns zu Gebote ficht
Klagen über Klagen zu erheben. Wir würden unfehl-
bar in jenen gewaltigen Zorn und Ingrimm gegen bie
Wirklichkeit ausbrechen, barin der Gedanke feine eitfe
Selbftgefälligkeit am gott» und geiftverlaffenen Dafein
ber Welt gegenüber feiert. Wir würden ohne Zweifel
endlih dieſen Zorn burch bie gewöhnlichen pomphaften
Verfiherungen. von der Allgewalt des Geiſtes wieder
beruhigen, des Beiftes, der fich trop alles Widerſtrebens
der Wirklichkeit, trog aller Hemmniſſe, welche ihm das
Leben entgegenfege, mit unabänderlicher Nochwendigkeit
ſiegreich bucchführen und feine Ziele erreichen wüſſe.
Wir würden ſchließlich und zulegt nach ſolchem Verfuche,
uns Muth einzuſprechen und in unſerer ſproͤden Beharr⸗
lichkeit gegen die ungläubige Welt uns zu beſtaͤrken, —
die Sache auf ſich beruhen laſſen. Aber wir find Feine
Theoretiker unb darum weder geneigt noch bereshtigt, es
und gar fo leicht zu machen. Wenigſtens meinen wir,
erſt ganz ernfihaft unterfuchen zu müſſen, ob nicht bie
Praxis am Ende bed noch ein höheres Recht als das
ber bloßen Bequemlichkeitsliebe. für ihr Abweiſen der
Theorie geltend machen kann.
Daß das Leben der Wiffenfchaft bedarf, um über
ſich felbft zum Bewußtſein zu gelangen, liegt auf ber Hand,
Nicht minder, dafi folches Bewußtſein die unumgaͤngliche
Bedingung, die conditio sine qua non jedes naturgemaͤßen
Handelns if. Denn da die Menfchheit von keinem In⸗
ſtinet getrieben ihren Zielen entgegengeführt wird, fo
233
würde fie ohne die Einſicht in die Gefege des Lebens, wie
fie durch die Bebürfniffe, leibliche und geiflige, vorge-
zeichnet werben, bem verderblihen Schwanten völliger
Nathlofigkeit preisgegeben fein.
Freiheit einen Quell ausfchließlichen Irrthums, -in ihrer
Willensfähigkeit die Möglichkeit nur des Böſen befigen:
erft in der Erkenntniß erreicht die Kreiheit ihre Wahr-
beit, der Wille feinen Beflimmungsgrund. Die Er-
kenntniß ift der Menfchheit ein Leitfaden, der fie im wir⸗
ren und zügellofen Treiben da und dorthin ausfchreiten:
der Willkür, in ben mannichfachen Abirrungen der Lei-
denfhaft und vom Augenblid erregter Begierde, bei ih-
rem rechten und wahren WBefen, bei fich felbft erhält.
Sie ift das Maß des Freiheitsgebrauhe. Eben um
deswillen aber darf fie auch nichts Außerliches, nichte
anfer dem Leben Liegendes für die Wiffenfchaft, darf
nicht Namen enthalten, die nicht aus der Wirklichkeit
des Dafeins gefchöpft find, nicht Lehren bieten, die ale
ein Neues und Fremdes an das Leben herantreten.
Vielmehr würden ihre Lehren, ihre Grundfäge, ihre
Machtſprüche die zum Bemußtfein gefommenen Xhatfa-
chen diefes Lebens fein und bie Praris hat ein gutes
Recht zu dem Derlangen, in denfelben fi und eben
nur fich wiederzufinden.
Gleichwol ift die gegenwärtige Wiffenfchaft gerade
bad Gegentheil von dem Allen. Sie hat zwar an der
Wirklichkeit der Welt ihren Ausgangspunkt — denn
das Wiſſen an und für fi, ift ein leeres und bedarf
der Wirklichkeit zum Inhalte —; aber von Abftraction
zu Abftraction fortfteigend und fo biefen Ausgangspunkt
mehr und mehr zurüdfchiebend, fucht fie ihre Ziele in
: einem alleraligemeiniten Gedanken, ber kaum noch einen
Schatten, einen leifen Schimmer des Dafeins wider:
ſpiegelt. Aus der finnlichen Anfchauung ihren erften
und urfprünglichen Inhalt empfangend, arbeitet fie an
deffen Umwandlung durch das Denken fo lange bie er
ein allerfubjectivftes Gepräge trägt und feine Beziehung
zur Gegenftändlichkeit auf ein Minimum gebracht if.
Mit einem Worte, fie entfleidet die Dinge ihrer unmit-
telbaren Wefenheit und verkleidet fie zu einfärbigen Be⸗
griffen, folche Unwirklichfeit dann für das wahre Wefen
berfelben ausgebend. ft es da zu verwunbern, daf Die
finnlihe Welt diefe Wiffenfchaft von fich ſtößt? Oder
wie vermöchte fie noch in berfelben fich wieberzuerken-
nen? Die Praxis findet eine Theorie vor, die Alles cher
enthält als eben ihre unmittelbar erfundenen Bebürf-
niffe, ihre Thatſachen und Bedingungen, eine Theorie,
die fomit keineswegs geeignet ift, fie uber Sich felbft
aufzuklären, ihr zum Selbſtverſtändniſſe zu verhelfen:
was follte fie da veranlaffen, bei folder fih Raths zu
erholen und folcher Ausſprüche für fich gelten zu laſſen?
Gewiß, die gegenwärtige Wiffenfhaft, unfähig dem Le⸗
ben rechte Belehrung zu fpenben, trägt allein, einig und
allein die Schuld, wenn dieſes nunmehr feinen eigenen
Boberungen nicht zu genügen, auf feine eigenen Fragen
keine Antworten zu geben, feine eigenen Streitpunfte zu
keiner naturgemäßen Entfcheidung zu führen im Stande ift.
Sie würde in ihrer,
—— ———— — — — — — — — — —
J
Wir werden uns überzeugen, daß dies weſentlich der
Fall in der Judenfrage iſt. Bei einem großen Theile
der Theoretiker beruht der ganze Rechtstitel der Juden⸗
emancipation in der Annahme einer natürlichen Gleich⸗
heit der Menſchen. Alle Dienfchen, heißt es, find gleich
geboren und darum gleicher Rechte und Pflichten fahigz
Unterfchiede der Berechtigung und der Verpflichtung
widerftreiten der Natur und ihre Exiſtenz ift ein Zu-
ftand der Krankheit der Geſellſchaft. Die gefunde
Vernunft muß dagegen anfämpfen und ift beftrebt, den
gegenwärtigen Staat auf jene natürlihen Verhältniſſe
und Bedingungen zurüdzuführen.
die Jubenemancipation eins ihrer erften und dringend-
ften Poftulate. Denn es läßt ſich doch wol nicht in
Abrede ftellen, daß die Ausfchliefung ber Anhänger ei-
ned Glaubekenntniſſes von politifchen Rechten, in beren
Genuffe die eines andern ſich befinden, eine gewaltige
Störung des als normal bezeichneten Zuftandes der Be:
ſellſchaft iſt. Von diefem Standpunkte aus wirb alfo
die Judenemancipation zu einer Frage der Humanität,
der allgemeinen Menjchlichkeit. Es wird darum auch
ohne Aufhören von der allgemeinen Bruderliebe geredet,
welhe den Menjhen mit dem Menfchen verknüpfen
müffe, und natürlich kann es nun und nimmermehr be-
griffen werden, wie folhe ber Vergangenheit habe fo gänz⸗
lich fehlen können. Wird nach dem Erflärungsgrunde
für folchen bedauernswertben Mangel gefucht, fo muß
in der Regel veligiöfe Unduldſamkeit Alles verfchuldet
haben. Die Phraſe der Toleranz fpielt dann ihre eitle
felbftgefällige Rolle und unter überftrömenden Gefühls-
ergüffen wird die emancipationsluftige Sudenmenfchheit
in ihre „matürlihen Rechte” — vorläufig theoretifh —
eingefegt. Aber von vornherein muß das politifche Xe-
ben ſolche natürliche Gleichheit der Menfchen als eine,
leere Einbildung, als ein Truggeſpinnſt abweifen. Die-
je weiß nichts von allgemeiner Menfchlichkeit, von all-
gemeinem Menfchenthume; es. ift nur gewöhnt, die Men-
hen in ihrer Sonderung zu verfchiedenen Nationalitä-
ten, in ihrer Sonderung durch Gefchichte und Bildung
aufzufaffen. Es Hat ed nirgend und an feinem Punkte
mit dem Menfchen als Menfchen, d. h. eigentlich mit
dem Menfchenbegriffe, in welchem allein alle Menfchen
als etwas Gleiches in Eins zufammenfallen, zu thun.
Denn diefer allgemeine Menſch wird nirgend im ftaat-
lichen Xeben erfahren. Wird alfo eine Emancipation
der Juden auf Grund des Umftands verlangt, daf an
biefen fih alle diejenigen Merkmale zufammenfinden,
weiche den Dienfchen im Allgemeinen ausmachen, fo geht
dies die politiſche Praxis nichts an. Denn dieſe Fode⸗
tung fodert ganz eigentlich nicht die Zulaffung der Ju⸗
den in den beftimmten, befondern Staat, in das be-
ſtimmte befondere Volksthum, fondern nur die Zulaffung
zum allgemieinen Menfchenthume, und jene hat wahrlich
folher Zoberung Recht noch niemals beftritten. Sie
hat noch nie die Juden ihres Menfchenfeins berauben,
fie darin verfürzen wollen, man müßte denn etwa die
Judenverfolgungen früherer Zeiten als derartige Berfuche
Sau; natürlich iſt
auslegen. Gottlob aber! in ber Gegenwart braucht
Dergleihen nicht mehr gefücchtet zu werden. Tritt
nichtödeftorweniger die Theorie und dies nicht ohne Eifer
und Hige für das gute Recht der Juden ale Menſchen
zu gelten in bie Schranken, fo erinnert dies am das
Gefep jenes akademiſchen Senats, der verordnete,
daß hinfüro Derjenige, welcher einen Nachtwächter
todte, ganz ebenſo beſtraft werden ſolle als Derjenige,
welcher ein gleiches Verbrechen gegen einen andern Men-
fen verube. Die Juden haben alle Urfache, diefen ih⸗
ren Freunden, welche ſich auf die Entdeckung, daß ein
Jude doch fo zu fagen auch ein Menfch fei, wunders
wie viel zu gute thun, gänzlich abzufagen.
Eine andere Beweisführung, wie fie von ber Theorie
für die Judenemancipation beliebt wird, beruft fi) auf
bie Vortrefflichkeit der Moral des Judenthums. Dem
Staate, wird gefagt, könne Feine Gefahr drohen von
Bekennern einer Religion, die nicht minder als jede an-
dere zwifhen Gutem und Böſem zu unterfcheiden wife,
und es fei fomit fein Grund vorhanden, die Juden von
demfelben auszufchließen. Aber mer hat denn fchon je
behauptet, muß die Praris dagegen reden, daß der Staat
nichts weiter als eine moralifhe Anftalt! In China
etwa könnte diefe Beweisführung eine fehlagende fein
und aud da nicht einmal ganz. Der Staat hat es
mit noch ganz andern Dingen zu thun als die bloße
Moral zu eyecutiren; diefe entnimmt fich vielmehr det
ſpecifiſch ftaatlihen Sphäre und ift eine allen Völkern
der Erde in gleicher Weife gemeinfame. Aus der Mo-
tal könnte Niemand die Verfchiedenheit der Staaten be-
greifen, aus der Moral Niemand die wefentlichen Be⸗
dingungen des Beſtehens derfelben herleiten; — denn
ihre Gebote find durchaus allgemeine, über jede Befon-
derheit hinausreichende, und ein tugendfames Keben ift
zu vielen Dingen nüge, aber es gewährt an und für
fih noch keinen Patriotismus, kein politifhes Ehrgefühl
und alles Das nicht, was ben Staatsbürger als Staats-
bürger bejeelen fol. Mit der Moral mag es fi im
Privatleben gut haushalten Laffen als Einzelner gegen
den Einzelnen; die politifche Okonomie hat mehr Be⸗
dürfniffe als daß fie damit ausreichen könnte. Das
ftaatliche Leben, welches felbft wieder ein deutfches oder
franzöfifche® oder englifches u. f. w. ift, verlangt von
der Theorie Belehrung darüber, ob die Juden in das
gegenwärtige Deutſchihum ober Kranzofenthum oder
Engländerthum u. f. m. eingegangen, mit biefem inner-
lich verfhmolzen find. Die Antwort barauf ift: „Das
Tann ich nicht fagen, aber es find im Allgemeinen recht
ehrliche Leute und weder Räuber noch Mörder.” Iſt
das nicht ganz ausnehmend theoretifch?
Konnte nun das Leben in keinerlei Weife durch
folche Theorien veranlaßt werden, die Nothwendigkeit
der Judenemancipation anzuerkennen und demgemäß zu
verfahren, fo wurde die Frage gänzlich verfehoben und
der Knoten ein geradezu unauflöslicher, als ein gewiffer
philoſophiſcher Wbfolutismus fi darein mengte. Diefer
erflärte, die Gegenwart des ftaatlichen Lebens fei durch⸗
-
aus nicht berufen dazu, bie Zulaffung der Juden zum
Staatsbürgerthbum auszuſprechen, und machte, um Wlles
in Einem zu fagen, die Möglichkeit der Emancipation
von taufend Unmöglichkeiten abhängig. Die ganze Frage
in ihrer jegigen Stellung wurde ins Gebiet der Theo⸗
logie verwiefen: die ganze Sache, wurde behauptet, ift
ein Zank des Judenthums und des Chriftenthums, ber
um bes begrifflihen Gegenſatzes zwifchen dieſen beiden
an und für ſich nicht zu befchwichtigen, nur mit Aufgabe
fomol des Chriſtenthums ale auch bes Judenthums, mit
Herfiellung eines allgemeinen Humanismus zu feiner
„kritiſchen“ Entfcheidung gebracht werden fann. Der
Chriſt fol den Chriften, der Jude den Juden ausziehen,
beide fi zu allgemeinen Menfhen verflüdhtigen, dann
gibt es von vornherein feine Trennung mehr und die
Zubdenfrage braucht gar nicht erft aufgeworfen zu wer-
den. So lange dagegen der Jude noch Jude ift, wie
follte er in den „hriftlichen Staat“ eingehen fönnen, —-
fo Tange der Chriſt noch Chrift, wie follte er den Zu-
den als feines Gleichen beiennen? Denn Chrift und
Zube find Zodfeinde und müffen fh um des Begriffs
willen durchaus haffen. Die Theorie gebietet ihnen ge-
radezu: Haßt und verfolgt euch! und ber Schlaf, in
welchen: fie befangen, ift tief genug, um ihr den Traum-
wahn nicht zu nehmen, fie fei wirklich eine abfolute Ge-
bieterin des Lebens. Diefe Theorie macht fcheinbar ei⸗
nen Anſatz dazu, der wirklichen Sachlage ſich zu nähern;
fie ftellt wenigftens die Frage: Iſt der beflimmte, nach
ihr der „chriftliche”, Staat im Stande, die Juden in fi
aufzunehmen, und biefe, in einen folchen beflimmten ein-
zugehen? Sie bringt alfo feheinbar ſchon Verhältniffe
und Thatfachen der Wirklichkeit zufammen und unter-
ſucht, 0b diefelben einer Einigung fähig oder nicht; aber
in Wahrheit und bei Lichte befehen find freilich dieſe
Thatſachen der Wirklichkeit keine, ſondern wieder ganz
wilftürlihe theoretifche Begriffe Oder wo in aller
Welt befteht heute der „hriftliche Staat”, wo in aller
Welt gibt es Juden, die fo ganz und gar noch mit dem
Judenthume zufammenfallen, daß fie außer bemfelben
nicht auch noch etwas für fi) find? Der Staat ift von
Anfang an nur ein nationaler gewefen und hat im
Volksthume ganz ausfchlieglih feinen Träger gehabt.
Die Religion hat die Kirche, ein allgemeines Reich der
Heiligen und Gläubigen begründet, aber bie Staaten
haben fich innerhalb dieſes allgemeinen Reiche nach der
Verſchiedenheit der Nationalitäten gegliedert und das
Chriſtenthum hat diefen gegenüber niemals Gewalt ge-
habt. Im Verlauf der Geſchichte hat fich dieſes Ver⸗
hältnig der Bleichgültigkeit zwifchen Volksthum und
Religion immer fehärfer, immer offenbarer herausgeftellt,
fodaß in der Gegenwart auch bie äußere völlige Tren⸗
nung beider ein unabweisbares Bedürfniß geworben.
Wer gab ber Theorie das Recht, der Gefchichte und der
Natur der Dinge zum Hohne auf die im Augenblick
allerdings noch beftehende, aber Tängft ale Lüge von
ben Berfländigen empfundene Verbindung des Staats-
thums mit dem Kicchenthume die Behauptung zu grün-
.
den, Daß der gegenwärtige Staat ein chriftlicher feiß
Nicht allein, daß fie damit das Werfen des Staats,
weiches ein reiches und mannicfaltiges ik, in einem
sinzigen Merkmale untergehen läßt, diefes eine Merkwmal
it nicht einmal ein bem Staate weſentlich zugehöriges,
fondern ein nur zufällig und momentan mit ihm verbun-
denes. Wahrlich die Ehriftlicgkeit bes heutigen Staats
ſteht der Iubenemancipstion nit mehr entgegen ald
etwa der Mohammedanismus deſſelben.
(Die Sortſetung foiat.)
Sechs humoriſtiſche Vorleſungen von Eduard. Ge—
druckt als Faftnachtsgabe für Freunde. Aachen,
Wengler. 1845. 16. 77% Nor.
Diefe Vorlefungen find, wie der Verf. im Vorworte ſagt,
vor zahlreichen Verfammlungen zu Aachen, Köln und Leipzig
„unter ſtürmiſchem Beifall“ gehalten worden. Dabei kommt
daß Meile auf Die Stimmung der Gefellfchaft an. ft der
Nedner fonft als ein jowiales Haus beliebt, gen fih feine
Zuhbrer durch Gefpräh und Mein Hinlanglih erwärmt, fo
kann er mit einem jeher mäßigen Aufwande von Witz großes
Gelächter, mit andern Worten ftürmifchen Beifall, Hervor-
sufen. Gedruckt freilich machen fi die Sachen anders; be
trachtet man fie dann in nüchternem Buftande näher, fo wun⸗
dert man ſich wohl, wie es möglich gemwefen ift, darüber zu
lachen. Das follte Jeder, weldyer dergleichen Borlefungen gt
halten bat, reiflich bedenken, ehe er fih zum Druck derfelben
entichließt, und wäre «6 auch nur für Freunde. Wir waren
nicht fo glüdlich, in den Kreifen zu fügen welche Hr. Eduard
miit feinen mündlicdyen Vorträgen erheiterte; was bier gedruckt
vorliegt, hat und nicht angefprochen und vergeblidy haben wir
darin nad Humor gefucht. Doch enthalten wir uns billig
einer Tritifhen Berprechung biefer Reden und glauben gern,
Daß Re in luſtigen Gefellfchaften einen beſſern Eindrud ger
macht haben. 13. :
Bemertung.
LiebenswürdigPeit der Frauen.
Alle Liebensiwürbdigkeit, alſo auch- weiblihe, verlangt ihre
Zeit und ihren Raum, und ift dadurch von beiden abhängig.
Den Raum gewährt ihr das gefittete Gefelifchaftsleben, denn
vor Huronen ift fie niht aa ihrem Ort; die Zeit wird von
felber durch das Lebensalter beflimmt. Darum foll die Liebens:
wuͤrdigkeit gleich der Wiffenfchaft fortgehen mit der Zeit,
d. 6. fie ſoll nicht ſtehen bleiben in einer veralteten Form; die
und Mutter fol nicht mit der Liebenswuͤrdigkeit des
Maͤdchens, Die Matrone nicht mit degjenigen einer jungen Fran
erſcheinen; fonft wird es ben Weibern gehen wie ben von ih»
nen gelefenen Romanen, wie dem beliebten Lafontaine und
Walter Scott, deren Seit vorüber. Doch ift es ein verzeihli:
her Irrthum, wenn Frauen, deren Gemüth viel länger jung
bleibt als das männliche, das Ablaufen einer Zeitepoche nicht
gewahren, ſonach ihre Liebenswürdigkeit gu ſtarr fefthalten, bie
Manier nicht verändern, gleichwie Lafontaine feine polternden
Oheime und empfindfamen Sünglinge, Scott feine wahnfinni-
gen alten Weiber und ſpitzbuͤbiſchen Helden wiederbringt. Mög:
Ticherweife find durch Kunft die Grenzen dee Beiträume etwas
zu verrücken, durch MRachhälfe kann Die anfängliche Abnahme
bluͤhender WBefichtöfarbe oder eine Runzel verborgen werden;
doch größere Kluft von Jahren und die Ungefügigleit des Ver⸗
gangenen und Gegenwärtigen macht ſich endlich immer gel:
tend. Daß nun Weiber dennoch mit Kunft Beiträume zu ver-
Heinen fuchen, gereicht ihnen bei firengen Richtern zum Nach.
theil, und man daraus eine wre Berienung der Mar
tur. Freilich gefällt von Natur das Weib dem Manne; allein
vr ausgezeichneten Liebenswürdigkeit ift Kunft erfoberlich, eine
böhung des Natürlichen, eine mit Meifterfchaft vollendete
Dar ſtellung defleiben. Dann will das Meib gefallen, und
man gewahrt Died gern, man wird begaubert, bis hinterher
der überlegende Berfland entbedt, das Weib fei feiner Kunf
mittel gewiß, braude djefelben bei Jedem und Allen für ali⸗
gemeinen Beifall. Sogleich ift die männliche Eitelkeit belei⸗
Digt, welche Bemühungen des Gefallens für fi allein begehrt
und geru Den Ruhm davontrüge, durch perfünliche Anregung
das Bibembwärbige des Weibes in volles Licht geftellt zu ha⸗
ben. Daraus enlipringen Bormürfe von Unmwahrheit, Zierexei,
und @itelfeit, die fo häufig gehört werden: — Beſchuldigungen
der Eitelkeit wurzeln meiftens in der eigenen. Man Magt
über ermuͤdende gefuchte Unterhaltung, über Kertheilung vom
Gefühlen, über ein von blinden Verehrern erwecktes und un⸗
glülli angeftrebtes Ideal, man ſpräche vielleicht lieber ſelbſt,
erwedte zu neuem Gefühl, und gäbe dem Ideale das erjte
Lob. Wie ungerecht! Kunft und Pünftlerifches Bewußtfein fol
len fehlen, bloße reine Natur foll gelten,-und zwar in derjeni⸗
gen Geſtalt, die der Beobachter als die vollkommenſte ſich aus«
gedacht. Dies if bei allgemeiner Liebenswürdigkeit unmöglich,
fie muß gencmmen werben in ihrer eigenen Art, in einer Bobs
mopolitifhen nicht immer dem engern Ih und Hausfinn zw
fagenden Weite, mit einem Bühnengefchmad, der andere Vor⸗
tehrungen verlangt als das Auftreten in der Familie und das
Preiswurdige unter vier Uugen. Dabei mag denn die Gefahr
nicht geleuguet werden, daß liebenswürdige Frauen im weiten
Raume der großen Welt fich felbft verlieren und eine Samm⸗
lung ihres Weſens entbehren, chne welche die Innigfeit und
Wahrheit des Gefühle ſchwerlich beftcht, und für deren Pflege
ihnen Beit und Ruhe mangeln. Sie find alsdann mehr zu bes
dauern ald zu verurtbeilen, und ber Fehler ift zu fuchen, wo
er überhaupt für viele menfchliche Verhältniffe zu finden *
im unrechten Maß von Raum und Zeit.
— — — — —
Literariſche Anzeige.
In meinem Verlage iſt erſchienen und durch alle Buchhand⸗
lungen zu beziehen:
Luther's Leben.
Erſte Abtheilung:
Futher von feiner Geburt bis zum Ablaßſtreite.
(1483 — 1517.)
Karl Zü 8
ar urgens.
Erster 4
Gr. 8 Geh. 2 Thlr. 15 Near.
Der Wunfc des Berfaflers dieſes Werkes geht dahin, möge
lichſt vielen Denfenden ein deutliches und wahre, ben Bes
dürfniffen und Foberungen der Gegenwart genügendes Bud
von Luther zu geben. Die zu löfende Aufgabe beftcht vornäm»
lich in der Rachweiſung, wie Luther ganz mit feiner Zeit fidh
bildete, mit ihr wurde was er geworden tft, mit ihr that was
er gethan, feft in ihr ftehen bleibend fie weiter fuͤhrte, ihre
Richtungen in fih aufnahm, durchbildete, zur Reife beachte
und eben dadurch neue Wege bahnte, fodaß er daſteht al& Ber»
treter und Werkzeug des Gebots der a des Wollens
der Vernunft ſeines Zeitalters, ſofern es auf ihn und er auf
die Beitgenoffen eingewirkt hat.
3%. Brodheus.
Berantwortlicher Beraubgeder: Heinzid Bro@pans. — Drau und Berlag von F. . Brockhaus in Leipzig.
Blätter
fiterarifde
für
Unterhaltung.
Zur Judenfrage.
- (Kortfegung aus Nr. &.)
Ein ebenfo begriffliches Unding oder undinglicher
Begriff als der Staat iſt der Jude diefer Theorie.
Nicht im mindeflen berüdfichtigt fie, daß zwiſchen dem
Inden der Gegenwart und dem der Zeiten etwa bes
‚ Könige Davib ein gar gemaltiger Unterfhieb ift, daß
richt minder Unterſchiede ſich herausſtellen, wenn man
die polniſchen, ruſſiſchen, ſpaniſchen Juden u. ſ. w. mit
den deutſchen, franzoͤſiſchen und engliſchen vergleicht,
daß man alſo die einen nicht für die andern verant⸗
wortlich machen, die charakteriſtiſchen Eigenſchaften der
einen nicht zugleich von den andern ausſagen kann.
Sie hat es immer nur mit dem allgemeinen Juden zu
thun und weiß von dieſem kein anderes Merkmal gel⸗
tend zu machen als eben das Judenthum nur. Daß
aber der Jude des Lebens, der leibhafte und wirkliche
Jude, nicht bios Jude, ein durch und durch jüdiſcher
Jude iſt, ſondern ſo gut wie der Chriſt auch eine von
ber Religion unabhängige, felbſtändige Sphäre noch
ausfüllt, das kümmert ſie nicht, darum will ſie ſich nicht
kümmern. Ihr Eins und ihr Alles iſt der Begriff;
das Leben ſeinerſeits mag zuſehen, wie es dieſem ſich un⸗
terordnet, oder des ganzen Zorns der Theorie ſich gewaͤr⸗
tig halten.
Freilich aber iſt es auch vom Standpunkte des Be⸗
griffs aus ganz und gar unbegreiflich, mie der Glaube
und ein vom Glauben nicht bedingtes Leben nebenein-
anber hergeben Pönnen. Denn der Begriff vermag fi
über den logiſchen Widerfpruch des religiöfen und eines
davon unabhängigen politifchen Lebens nicht zu erheben
und tft immer bereit, fein Entweder — Ober bazmifchen
zu fehreien. „Entweder fei ein Religiöfer — beifcht er —
oder fei Lebemann, entweder huldige Bott oder huldige
den Menfchen; denn du kannſt nicht Beides wellen, nicht
zweien Herren zugleich dienen. Der Dienft Gottes ver-
langt Hingabe an ein berfinnliches, an eine jenfeitige
Welt der Wahrheit; der Dienſt der Menfchen verlangt,
daß du biefe irdiſche Welt als bie wahre anerkennſt und
beinen Genuß und deine Befriedigung auf Erben fuchfl.
Du würdeſt ein untauglicher Weltmann fein, wollteſt
du über dem Anfchauen des Gottesreiches die Gegen-
wart mit ihren Foderungen und Beduͤrfniſſen ans den
Augen verlieren.” Aber der Begriff nergift dabei gaͤnz⸗
Up, daß auch nicht bie minbefie Nöthigung verhanden
ift, ſolche wiberfpeechenbe Momente‘ in eine Einheit zu⸗
fammenzufaffen, wie er Dies willkinlich thut. Er hat aller
dings Recht zu der Behauptung, daf Niemand zweien
Herren gleichzeitig dienen fönne; aber wie dann, wenn
von folder Gleichzeitigkeit gar nicht die Reber Gerade
dieſes ‚‚ gleichzeitig” wird vom Begriffe nur erfchlichen,
benn im ihm felbit wird von Zeit ımd Raum gang umb
gar abgefehen. Beine Einheit ift eine zeitlofe und kanu
darum für das Leben nicht gelten, deſſen wefentliche
Sorm. und Mebingung bie Zeit. Was im Begriffe
wicht zufammenpaffen will, kann immer ndc getrennt
eriftiren ; was nicht gleichzeitig möglich, kann in ber
Aufeinanderfolge möglich fein; was als Einheit nicht ifl,
kann als Zweiheit fein; mit einem Worte: ber Wider
ſpruch, welcher logiſch unftatthaft, iſt es um deswillen
nicht in der Praxis und das Leben mehr als eine logi⸗
ſche Abhandlung. Die Theorie hat zu ihrer Foderung:
Entweder Himmel ober Erde! nicht ein Haar breit mehr
Recht als zu der Foderung: Entweder Tiſch ober Bank!
Wie dieſes ant — aut am Naume, ſo ſplittert jenes an
der Zeit. Man kann es ſehr gut begreifen, daß Tiſch
und Bank nebeneinander beſtehen können; nicht ſchwieri⸗
ger iſt die Einſicht in bie Möglichkeit, daß der Menſch
dem Himmel und ber Erbe suum cnique! Jeden fein
befcheiden Theil der Verehrung und Liebe zulommen läßt.
Rad, allen diefen Verirrungen dee Theorie fann es
nicht mehr ſchwer fallen, die ſachgemaͤße Stellung der
Judenfrage zu finden. Sie iſt einfach biefe: Sind bie
gegenwärtigen Juden fähig, in den modernen volfsthüm-
lichen Staat einzugehen, haben bie jept lebenden deut⸗
fehen Juden das Deutfchthum wahrhaft in fich aufge
nommen, ſodaß gleiche volkliche Intereffen mit den na⸗
turmüchfigen deutſchen Staatsgenoffen bei ihnen moͤglich
find? Wir werden bdiefe Frage nicht beantworten Fön-
nen, ohne ein fchen Angedeutetes, einerfeits das Ver⸗
Häftnif des gegenwärtigen Ehriflenthums, andererfeite .
das des gegenwärtigen Judenthums zum nationalen
Staate ausführliher und forgfältiger zu prüfen.
Das Chriſtenthum iſt feiner innerften Ratur nach
alle Dem abgewandt, was den Genuß bes irbdifchen Le
bens angeht. Nur und ausfchliehlich dem religiöfen
.- 212
f 4 —
Bebürfniffe der Menſchen Befriedigung bietend, laͤßt es Seit der Reformation aber iſt die Trennung im Glau⸗
den ganzen übrigen Menſchen unberückſichtigt außer ſich | ben eine immer mannichfaltigere geworben. , Die ver-
liegen. Es if eine Religion, bie nichts weiter fein will | ſchiedenſten und entgegengefegteften religiöfen Überzeugun-
als Religion, die nicht mehr geben will als Erbauung, | gen wurden geltend; faft jeder Bekenner des Chriſten⸗
die keineswegs alle Seligkeit, alle Genüffe und alles | thums bekannte einen andern Glauben, ſodaß es heut«
eil des Menfchen in ſich ſchließt. Wenn fie gebietet: | zutage faum noch zwei Ehriften geben mag, deren An»
bet dem Kaifer was bes Kaifers ift und Gott was fihten vollfomnen und ganz und gar übereinftinnmen.
Gottes, fo bekennt fie ausdrüdlid, daß das gefammte | Wollte nun ber Staat die Bedingung feiner Eriftenz,
Leben nicht unter ihr befangen, daß es auch felbfländige | bie Garantie feines Beftehens in die Religion fegen,
Sphären außer ihr gebe. Etwa nur in den früheften Zeiten | welcher Staat beftände wol noch? Wahrlih, es kann
ihres Dafeins, da noch der Gegenfag eines maßlofen | nichts Kächerlicheres geben als bie Anficht Derer, welche
und überreizten weltliden Lebens dem Gläubigen un- | die naturwüchfige Einheit des Volksthums durch eine
mittelbar vor Augen fland, mochte fie über bdiefen eine | etwanige künftliche Einheit des in feinem Weſen zerklüf-
ansfchließlihe Herrſchaft führen, dieſer fi) mit der | teten und, weil die mannichfachſten Deutungen und
Summe feiner Bebürfniffe ihr unterordnen. Wer aber | Auslegungen, die mannichfachften Gegenfäge zulaffenden
fieht nicht, daß dies eine bloße zeitwweilige Erfcheinungs- | Glaubens erfegen wollen. Der Staat betrügt fich felbft,
form ift, nicht das Wefen der Religion felbfi! So war | der an der Religion feine Stütze ſucht. Nach den viel-
es denn auch eine Nothwendigkeit, daß das ftaatliche | fachen Erfahrungen, die er in biefer Beziehung zu fei-
Leben auf durchaus unabhängigen Bafen erwuchs. Das | nem Schaden gemacht hat, wird er es fi nicht bergem
Chriſtenthum bewies fich fo wenig als ein flantenbilden- | Fönnen, daß er die Religion nun auch wirklich äußerlich
des Princip, daß es felbft in feiner erſten Friſche nicht | von fich abfcheiden und fich felbft anheimgeben muß. Er
im Stande war, den entgeifteten antifen Staat, in den | wird endlih das Staatsbürgertfum nur nod von ber
es einging, umzufchaffen oder ihm neuen Halt, neue Le: | Hingabe an das Volksthum, wie ed durch Natur und
bensfähigkeit zu geben. Der griedifch-römifhe Staat | Gefchichte geworden, abhängig machen dürfen und bie
blieb der er gewefen, obwol das Chriftenthum zur Staats» | Juden zu jenem berechtigen müffen, fobald er fi da⸗
religion erhoben worden. Ebenſo wenig bat es ben ger- | von überzeugt bat, daß ihr. Eingehen in dieſes eine
manifhen Staat geichaffen. Waͤre dies der Ball, fo | wirklihe Thatſache.
, müßte derfelbe nothwendig ein Staat aller Gläubigen, Allerdings aber hat es mit dem eigentlichen Juden⸗
nicht ein Staat des befondern Volksthums fein. - Em- | thume eine ganz andere Bewandtnif als mit dem Chri⸗
pfing er nichtsdeſtoweniger das Prädicat allgemeiner | ftenthume. Wenn Diefes in feinen Beiennera nur eine
Chriſtlichkeit, fo konnte ihn bie doc nicht hindern, | Seite, nur ein Bedürfniß in Anfpruch nimmt und die
- feine fpeciellen Intereffen, und war es auch zum Nach- | übrigen frei entläßt zu felbftändiger Befriedigung, fo
theil ber ganzen übrigen Chriftenheit, zu verfolgen. Zu | umfaßt das wahre alte Judenthum den ganzen Den»
wieberhoften Malen führte er fein befonderes Volksthum ſchen. Es bietet nicht nur religiöfe Erbauung, es bietet
gegen ein anderes in den Kampf, wenngleich beide in | in fich felbft auch ſchon den Genuß der Weltlichkeit; «6
gleiher Weife dem einigen «hriftlichen Glauben buldig- ſcheidet fih nicht von dem flaatlihen Leben als ein be=
ten. Das flaatliche Intereffe zeigte fich alfo wenig mit | fondere® und diefem gleichgultiges® ab, fondern macht
dem der Religion verbunden, die Religion vermochte den | den Staat von ſich abhängig. - Der chriſtliche Gott hat es
Staat, der Staat die Religion nicht zu bedingen. Wäh- | mit Volksthun, mit Staat und Politik nicht zu fihaft
send Deutfche gegen Welfche die ganze Schärfe ihres | fen, er ift ein Gott aller Gläubigen, gehören biefe ei-
nationalen Zornes kehrten, blieben Deutfche wie Welfche | nem Volksthume an welchem es immer fei; aber ber
doch Brüder im Glauben. jüdifche Gott ift ein Gott feines auserwählten Volks,
Noch fchärfer ftellte fi dies Verhaͤltniß der Gleich | Jehovah iſt der Träger und das Princip des jüdiſchen
gültigfeit zwilchen Religion und Staat nach der Refor- | Stammes. Der Jude finder in feiner‘ Religion fein
mation. heraus. Diefe zerklüftete den bisher einigen | Eins und fein Alles; fie ift ihm Glaube, Heimat und
"Glauben in zwei fehroffe feindliche Gegenfäge: gleihmwol | Vaterland, die Garantie nicht bios innerer Seligkeit,
behauptete der Staat feine Einheit und umfaßte in die= | fondern auch äußern Gebeihens und weltlichen Wohl⸗
fer, die getrennten Parteien. Mußte er nicht alfo den | flandes. Im Judenthume werden alle Bedürfniffe des
Traͤger feiner Einheit in einem durchaus andern Princip | Gläubigen gefättigt; das Leben dieſes ift von der Reli-
finden als in dem des Glaubens? in einem Princip, | gion ganz und gar durchdrungen, und es gibt fein Mo-
ba6 fich durch Spaltungen ber Slaubensmeinungen nicht | ment, das fi ihr entziehen, eine felbftändige Geltung
wirklich erjchüttern ließ, das ftabiler und fefter war denn | für fih in Anfpruch nehmen könnte. Das Judenthum
biefe?t Proteflant und Katholik, im Glauben getrennt, | ift eine gründliche Heiligung, eine durchgehende Vergoͤtt⸗
wurden Genoſſen eines und beffelben Staats, fanden in | lichung der gefammten Weltlichkeit: — biefe. für fi ift
biefem eine Sphäre, welche fie vereinigte, ihnen gleiche | nichts, fie empfängt ihr Sein, ihr Wefen, ihre Bedeu⸗
Intereffen gab. War bies möglich, wenn Staatsleben und | tung erft von Jehovah. So konnte es denn auch ge—
Slaubensbelenntnig wefentlih in Eine zufammenfielen® | fehehen, daß als die Judenzeit Längft ihrer natutwüchſi⸗
\
2ı3
den Nationatität Beraubt, als Fe vom Boden ihrer Bä- |
ter vertrieben und über alle Länder der Erbe zerfirent
war, fie nichtödeftoweniger ihr Volksthum in aller Starr:
heit aufrecht erhielt. In ihrer Religion fand fie es
wieber und da, wo ihr nur fo viel Raum geboten war,
um Schovah einen Altar zu errichten, hatte fie auch ihre
Heimat. Glaube und Volksthum waren ihr fo unzer⸗
trennlich, daß der Abfall vom rechten. Glauben zugleich
ein Verrath an der Nation und folcher ohne jenen nicht
bentbar war. Anders hätten auch die Juden mitten in
dem bewegten Treiben der Völker, welche die moderne
Geſchichte gefchaffen, nicht ihre unbewegte Ruhe, die
Starrheit des Todes behaupten fönnen; und jene Ver⸗
folgungen, deren Gegenftand fie zu wieberholten Malen
gewefen, hatten ficherfich ebenfo fehr, wenn nicht mehr
noch, in einem beleidigten Volksthum ihren Grund al#
in religiöfem Fanatismus. Beides verband ſich der Ju⸗
denheit gegenüber überaus leicht. Die Zähigkeit, mit
. welcher die Juden die Vergangenheit mitten-in’ ber Ge
genwart fefthieften, eine längft abgeflorbene Nationalität
innerhalb einer lebendigen und in frifhem Ringen und
Kämpfen begriffenen, mußte das Selbfigefühl und ben
Stolz diefer gegen ſich aufbringen. Nicht ewig aber
konnte der Widerfpruch dieſer Stellung der Juben
dauern; er mußte endlich feine gefchichtliche Xöfung fin-
den und es machte fie bier wie in allen ähnlichen Zäl-
len das melthiftorifche Mecht des lebendigen Volksthums
geltend. - Kann man auch feinen beflimmten Zeitpunkt
angeben, mo das Leben ber Gefhichte zuerft in die Ju⸗
denzeit einbrach und das Judenthum bemältigte, fo find
doch die Folgen eines ſolchen Einbruchs unwiderleglich
vorhanden. Die deutſchen Juden der Gegenwart find
nicht mehr mas ihre Wäter und Borfahren; fie find
nicht mehr eine abgefchloffene Nationalität, wenigftene
freuen fie füch derſelben nicht mehr, wenigfiens mollen
fie diefelbe nicht weiter behaupten. Wie diefer Proceß
vor fih gegangen, wie allmälig bie religiöſe Nationali»
tät der naturwüchſigen gewichen, mie das Judenthum
in feinen Belennern auf das rein religiöfe Gebiet zu-
rüudgedrängt worden und alle übrigen Sphären des Les
bens, die an und für fich nicht religiöfen, freigegeben |
hat, darüber fehlen uns noch die Nachrichten. Es ift
leicht begreiflih, dag die Juden, welche allmälig zum
Berauftfein des Widerfpruche ihrer Stellung zum Leben
tamen und dem modernen Volksthume ſich anzufchließen
firebten, wenig an bie Darftellung ſolchen Proceffes, in
welchem ſie unmittelbar befangen waren, denken konn⸗
ten. Den Ehriften aber fehlten wieder alle andern Bebin-
gungen, weiche Forfchungen danach ermöglichen.
Das Judenthum der Gegenwart enthält nun zwar
allerdings noch alle jene Dogmen, welche ben vergange-
nen und zukünftigen Gottesſtaat verfündigen und die
Erinnerungen des Geweſenen nicht minder als die Ver⸗
Beifungen des Kommenden fefthalten; e6 mird im heuti⸗
gen Judenthume noch gelehrt, daß der Meſſias erfchei-
nen werde, um alle Feinde deſſelben ihm zu Füßen zu
legen und einen Schemel der Herrlichkeit der Judenheit dar»
au zu bereiten; fo laut auch in verſchiebenen Gegenden
Deutſchlands teformatsrifche Stimmen fi Haben verneh⸗
men laſſen, der große, ja vielleicht der größte Theil Dee
Juden bleibt dem Glauben feiner Väter getreu und am
dert kein Jota an bem Überfommenen; — aber gleich
viel, das weltliche Herz iſt bei- diefen Dogmen nicht,
Das voeltliche Herz hat ſich vom teligisfen Gemüthe ge⸗
trennt, ſich von deſſen ausſchließlicher Herrſchaft emanti⸗
pirt und lebt und ſchlaͤgt für ben Genuß bes lebendigen
Daſeins der Gegenwart. Nur als Religiöfer noch preift
ber heutige Jude den kommenden Meſſias, aber auch ee
‚ unterfcheidet ganz unmillfürlich zwifchen feiner Religioſi⸗
tät und feiner weltlichen Beſtimmung, feiner Lebensaufe
gabe. Er rüttelt am Dogma nicht, weil es ihm von
früh an Erbauung und eine befeligende Erregung bes
Gemüth® geboten, — wer aber mag behaupten, daß fein
ganzes Bein in folch feligen Iräumereien aufgeht, baf
er. nicht vielmehr neben diefen noch andere Freuden, feie
ner andern Bebürfniffe Befriedigung fuhe? Er ändert
Das, was ihm von ben Vätern überliefert werben, nicht
und verfucht es nicht, „zeitgemäße Beflimmungen‘’ bin«
einzutragen, weil dem Frommen die Religion nicht Men⸗
ſchenwerk, fondern ein unantaftbar Heiliges ift, weil er
in biefer Heiligkeit keine Unterfchiede zu machen weiß
und jede Veränderung und Umpeftaltung eines Theiles ihm
die Heiligkeit bes Ganzen zu gefährden fcheint; — aber
da, wo er nicht Religiöfer ift, mo ihn das Leben ber
Welt mit feinen taufenderlei Foderungen und Anfprü«
hen umfängt, wie follte ihn ba noch daß religiöfe Ber
kenntniß hindern, jenem ganz und gar und mit ganzem
Herzen fih hinzugeben? Nur etwa der. Gebildete, bei
dem das Bedürfniß bes Denkens rege geworden, der ber
Confequenz huldigt und gewöhnt ift fein ganzes Leben
in firengfter Folgerichtigkeit, in völliger Übereinftimmung
aller feiner Theile aufzufaffen, nur diefer wird veranlaßt
fein, feiner religiöfen Überzeugung einen dem Leben ent
fprechenden Ausdrud zu geben. Er wird ein Dogma
nicht weiter beiennen. wollen, was er im Leben nicht
zugleich befennt, und ſich demgemäß eine Religion für
feinen weltlichen Gebrauch zurichten.
zu meinen, Daß nur dem Gebildeten das Bebürfnif nad
Anſchluß an das Leben der Gegenwart aufgegangen,
wer ſieht nicht wie irrthümlich, wie wenig auf die Er-
fahrung gegründet folch Urtheil wärel Wir wagen ohne
Furcht vom Leben Lügen geftraft zu werben die Bes
hauptung, daß den gegenwärtigen deutfchen Juden fammt
und fonder6 Ungebildeten wie Gebilbeten dic Religion,
obwol fie in ſich felbft ein eigenes Volksthum begründet,
fein Hinderniß mehr ift, ſich an das gegenwärtige Hin»
zugeben, mit diefem zu verfehmelzen. Ja, wir geben
noch weiter und behaupten, daß der nicht blos mögliche,
fondern wirkliche Anſchluß an den modernen Staat und
beffen Borausfegungen eine bamit gleichzeitige, Davon gar
nicht zu trennende Thatfache ift. Der Jude Eonnte den
religiöfen Staat, das religiöfe Volksthum um feines An⸗
dern willen aufgeben ale um bes wirklich lebendigen
Staats der Geſchichte willen.
Aber darım etwa .
men unfese Aufgabe, diclemgen Thattachen
‚ welche bie Beweiſe da⸗
n, fa tönnen wir derſelben mr
isber die unmistelbaze Anfchauung
3
28
3
3
*
ausſegung,
Uches iſt. Wird man es uns verübeln koͤnnen, waun
wir an ber Unbefangenheit ber Anſchauung eines großen
Theiles der Leſer befcgeidene Zweifel hegen? Nicht zu
gedenken Dexer, die von nornbesein jeben Gedanken an
Gmancipation der Juden abweifen, fo haben von ben
Andern die meiften gerade nur theoretifch ſich damit ab-
gefunden und meinen «6 fih um deswillen nicht verbir-
a zu müffen, im Leben Die allermerkwürdigſten Vorur⸗
theile gegen die Juden beizubehalten. Eie wollen bie
Zuden als allgemeine Menfhen emankipirt wiffen
und halten es darum für etwas Gleichgültiges, daß fie
diefelben als befondere Menſchen nicht leiden mögen
und gewöhnt find, nicht ohne Widerwillen fie zu be-
trahten. Daß dies jeber ermiten Forſchung hinderlich
entgegentritt, ift gewiß und wir fürchten, offen geſtan⸗
den, geradezu daran zu ſcheitern. Richtsdeſtoweniger
ſall wenigſtens der Verſuch gewagt werben, den Lefer
zur Unbefangenheit zu — nöthigen.
(Der Beſchiuß felgt.)
— —— —
Thomas Morus und fein berühmtes Werk „Utopia“.
Aus dem Engliſchen überfegt. Dit bio- und biblio-
geaphifcher Einleitung herausgegeben von E. M. Ot-
tinger. Leipig, Ph. Reclam. 1846. Gr. S.
22", Nor.
Kacı dem Zitel diefes Buͤchleins follte man vermuthen, es
fei die Überfegung eines englifchen Werks über Thomas Mo-
tus, und man ſieht nicht wohl ein, was die „bio und biblio⸗
raphiſche“ inleitung des Hrn. DOttinger dabei ſollte. Cs
ß aber nur cine Überfegung der von Thomas Rorus verfaßten
„Mtopia”, und die Einleitung, die über ben Besf. handelt, f
nur vier Seiten lang, und, befteht größtentheil in der Auf
— von Ziteln von Überſetzungen des Buchs in mehre
europällche Sprachen, und Biographien bed Verf. Das eigent-
lich Biographifche diefer Einleitung nimmt nur 15 Beilen ein.
Endlich ift die Überfegung ‚;aus der gewandten Feder bed
Srn. Hermann Kothe“ nicht nad der Urfprache angefertigt,
denn das Buch iſt von Verf. Lateinifch abgefaßt worden, ſon⸗
dern nach einer englifchen Übertragung. Das nennt man Buch
macherei I Ref. Bann fi von der Nothwendigkeit der vielen
Überfegungen, welche heutzutage erſcheinen, nicht überzeugen.
Wer nicht die wenigen Sprachtenntnifie befigt, die zum Ver⸗
ſtaͤndniß wiſſenſchaftlicher Werke erfoderlih find — und wie
ſollte dazu viel erfoderlih fein, da ja die Kunftausbrüde in
allen Sprachen diefelben find? —, dem ift auch nicht der Bil:
dungsgrad zuzutrauen, den eine fahgemäße Benutzung derfel-
ben int Und vollends ein Buch das in engliſcher
Gprade zu lejen ift, die ſich der Deutsche mit fo leichter Wiche
ansignet! Der Berf, führt eine Außerung bes berühmten Su-
riften G. W. Böhmer an: „ed würde cine Überfegung dieſes
Berantwortlicher Herausgeber: Heinrich Srockdaus. — Dru und Berlag von F. Ee. Brockhaus in Beipzig.
| werden ſollen! „Und“, heißt
Dun Biseratux mit einem intezeflansen Atenftüte
zur fi x te der Rechtsphiloſophie jenes Beitalters bereichern.
jen |
ieber Gott, wenn alle „Actenffüke zur Geſchichte“ überfege
e8 weiter, „ſelbſt bei neuen Eri⸗
minalgefeggebungen angewendet werben koͤnnen.“ Bon wen ®
Run, wird men agtwerten, von Landtagsdeputirten chun:
willſt bu dena Diefe Aingelsgenpeiten wieder ganz in die Hände
ftudirter Romaniften legen? Um Vergebung! die Mitwirkung
von ſchlichten Männern aus dem Bolke — denn von diefen
handelt es fich in dieſem Falle allein, den Gebildeten iſt das
Eagliſche zuganglich — bei dergleichen Dingen if ein großer
Bortfepritt, aber man muß fie richtig verfichen. Sie ifk nom
ganı anderer Art als die der Studirten. Gie kann nicht
arauf gehen, diefe in ihrer wiflenfchaftlihen Begründung und
hiftorifchen Gelehrſamkeit zu controliren — und dazu fcheinen
ihnen dergleichen egungen dienen zu follen, durch bie fie
doch gerade ganz und gar Yon den andern abhängig würden,
die ihnen bergleichen nur nicht anzufertigen brauchten —, fonr
dern fie kommt als die ganz unmittelbare Stimme Les Volks
und Zeitalter in Betracht. Run bedarf zwar auch diefe einer
geriften Ausbildung; allein dazu möchte ein Werk, das ganz
m Geifte des 10. Jahrhunderts abgefaßt ift, vielleicht am we
nigften geeignet fein. Es ift hiſtoriſch intereſſant, daß ſchon
damald eine Stimme eriholen gegen Die Übel, an denen
England krankt oder noch vor furzem krankte, der Anhäufung
des Grundbefigeß in wenigen Händen, der Todesſtrafe für den
Oiebſtahl — aber was dagegen vorgebracdht wird, ift heutigen»
tags Jedermann geläufig. Und von manden andern Mif-
ſtaͤnden, die bier zur Sprache gebracht werden, 3. B. ber
Kriegdluft der Fürften ober ben Debrücungen derfelben, if
ſchon lange nicht mehr die Rede. Aber der Grundgedanke des
utopifhen Staats, den der berühmte Kanzler von einem gewif
fen Rafael Hythladde fchilbern läßt, der ihn, vom Am
Bespucci auf feiner vierten Reife zurudigelaflen, in Ameri
entdeckt haben ſoll, ift Die ter gemeinfchaft Da haben wir
vieleicht den Grund, weshalb das Buch den heutigen Lefern in
bie Hände gefpielt werden fol. So bat man fich vor furzem von
communiftifcher Seite auch auf die Republik Platon's berufen.
ber mit ſchlechtem Süd; wenn die mobernen forialiftifchen
Theorien darauf ausgehen, das Individuum geltend zu machen,
läuft die Platon'ſche Staatslehre gerade auf dad Gegentheil
hinaus. Und fo kann auch das vorliegende Buh im Grunde
ur Löfung unferer Tagesfragen nichts beitragen; denn feine
endenz tft nicht ſowol focial als moraliſch. rigens ſcheint
bis Überfegung an einigen Gtellen etwas flüchtig gearbeitet zu
fein; ed wird (&. 132) von den Utopiern geruͤhmt, fie felen
ewandt und nervös — cin feltfamer Vorzug! — es wird
im Engliſchen wahrſcheinlich nervous ftehen, das bedeutet aber
muskulos oder nervig. 42.
Literarifhe Notiz.
Neue englifhe Erzählungen. _
‚The master passion, and etlier tales and sketches’’,
von Thomas Colley Srattan (London 1945), find nur eine
Sammlung in Beitfehriften erfchienener Erzählungen bed dur
feine „Highways and byways‘ rühmlichft befannten Berfaſſers
Die Erzählung, welche dem Buche ben Zitel gegeben, iſt ungtrei⸗
tig die befte, mit dem jegt feltenen Verdienſte origineller Schoͤ⸗
pfung und dem alleinigen Behfer bier und da zu ſtark aufgetrage⸗
ner Farben. Die übrigen Erzählungen find insgeſammt fürzer
und flüchtiger, empfehlen fich aber ber großen Waffe der Lei
bibliothetendunden buch inmohnende Schauder. Arherden
fehlt es Seiner an Handlung, an Greigniflen, an Überratgun.
gen und nebenbei an Zärtlichkeiten. .
Blätter
literariſche
für.
Unterhaltung.
So lange die Juben noch nie wirklich dutch das
Grfep emancipirt fr, fondern vom eigentlichen flaakli⸗
chen Leben noch ausgeſchloſſen, Iiegt es anf der Hand,
baß die Reife, In bene fie ihre Hingabe an das Wolke.
thum ber Gegenwart bewähren kaͤnnen, nut geringe und
beſchraͤnkte find. Nur in einzelnen Theilen Deutfchlands
Iefigen fie ſchon die Hechte det Gemeindebuͤrger, wie in
Preußen; in dem übrigen Theile dagegen iſt es ihrer
Maͤtigkeit noch faſt — verwehtt, über dad Privat⸗
leben hinautzugehen. Gleichwol bietet auch dieſes ſchon
ein reiches Feld zu ben fraglichen Beobachtungen. Man
wird «0 nicht für unweſentlich Halten bürfen,
daß das Familienleben der Juden längft feine frühere
Abgeſchlofſenheit aufgegeben und dem eindringenden Volks⸗
thume Thor und This bereitwillig geöffnet bat, — oder
es ignoriren, daß das gefellige Leben überall am beut-
ſchen Elemente feine Ergaͤnzung und Bereicherung fucht.
Gs iſt eine Thatfache, von ber Jeder, der mit Juden
verkehtt Yat, fi überzeugt haben muß, daß von biefen
Die Freundſchaft und ein tranlicher Verkehr mit chrifl-
Kern Volkegenoſſen ale ein lebhaftes Bebürfnif em⸗
pfunden, daß fie felbſt mit Dpfern gefucht und ertauft
wird. Die Familien ſchicken ihre Angehörigen in bie
chriſtlichen Schalen und nicht nur biefe und jene, ſon⸗
. ben 100 es irgend die Verhaͤltniſſe gefiatten. In ber
Sıhulgenoffenfhaft aber wird von früh an dem Einzel«
nen ferne Gemeinſamkeit mit ben Andern fchon durch den
gemeinſchaftlichen Unterricht, durch ein gemeinſames Ler-
nen und Streben zum Bewußtſein gebracht. Die Bande
jugendlicher Freundſchaft, die ſich hier knüpfen, moͤgen
noch fo wenig dauernd' ſein, fo erſchließen fie doch das
z und erheben es über die Schranken der bloßen
bensgenofſenſchaft. Wie ſollte die Familie den Ih⸗
rigen dies geſtatten, ‚wenn ihr ſelbſt ſolche Gemeinſam⸗
keit zuwider waͤre? Das volkliche Element muß ihr vlel⸗
mehr kein fremdes mehr fein, würde fie doch ſonſt durch
polches Thun ben Bench ihrer ſelbſt heraufbeſchwoͤren.
Send in Hand damft geht die durchaus deutſche Bu⸗
dung unſerer gegenwaͤrtigen Judenheit. Nicht mehr die
Kenntniß des Alter Teſtaments und Nabbinerweitheit
giit ihr als Erfoderniß des Sehens, fie zieht ihre weſent⸗
Dienſtag, — MR, —
welfe eines Volks errungen.
nung auf Die Familie und den Einzelnen üderſt
Geifteh fich dechelügt.
t
4. März 1946,
liche geiftige Nahrung aus dem deutſchen Geiſte. ii
leicht wird von uns felbft nicht mit größerer Berehrung
ben Heroen unſerer Wiſſenſchaft und Kunft gehuldigt
als von ben modernen Juben und gewiß Mi, daß wenn
diefe ofl zu einem lbacherlichen Enihuftasmus fich anf
ſpreizt und don der Eitelkeit eines ‚„jüblfchen Schon⸗
—*8 er Schau getragen wird, darin ein nit min⸗
8 Anetkenntniß zit ſuchen iſt. Untet al Meſer Ver⸗
zerrung leuchtet noch immer das gefunde Bedürfniß her⸗
vor, mit dem solfsthüntichen Geifle ſich zu vermaͤhler.
Mögen es auch innerlich ſchlechte Ehemaͤnner fein, die
ihre Liebe ewig und inmer im Munde führen, fo Bes
kennen fie doch, daß die &he Ihnen etwas Werentliches
it. Denn mit Unweſentlichem oder als unnsefenetdl
anntern pflegen die Menſchen nicht zu prunfen.
ift denn and) die deutſche Sprache det Juden heutzuta
die Sprüche des Lebens. Nicht mehr Premiblänbif
Latte, fondern die heirhifchen find es, in denen das Aiab
zum erften und fruheften Verſtaͤndniß der Welt gekingt,
in denen es feine erftert Beziehungen zum Dafeln, zum -
Ausdrud bringt. Und das iſt eine gar weſentliche Sache;
denn Sprache und Erkennen hängen innig zuſantmen,
und mit der Sprache, ba wo fie nicht blos außerlich er-
femt, ſondern erlebt wird, wird zugleich die Anſchattungs⸗
In der Sprache legt ein
Voik anf bie unmiltelbarſte Weiſe ſein ganzes volkliche⸗
Empfinden, Fühlen und Vorftellen nieder: follte Derfe⸗
nige, welcher In ine f6 zu fagen geboren und erzögelt
wird, noch ein Fremder fein können? Was Bann «6
überhaupt außer der Geburt von beutfchen Altern noch
für ein natürlicheres Barld der nationafet Genoſſen⸗
fchaft geben als eben das der Sptacher Muß auf Hr
nicht ganz unmittelbar dolkliche Geſittung Mb *8
römen
Aber nicht genug, daß die Juden auf dieſe Weile das
beutſche Volksthum In fich aufnehmen, don —* endhrt
und durchdrungen werben, fie haben das eiöfangene
auch ſchoͤpferiſch weiter gebiidet und wahrlich nicht in
geringem Maße an der Fortentwickelung bed derrtſchen
ell ihnen alle anbern Sphaͤten,
bie at ——— a Thaͤtigkeit we abge⸗
ſchnitten „haben fie mit einer ſtaunenwerthett
Energie auf kiteratur, Kanft and Wiſſenſchaft g
Die große Menge der Juden, die heutzutage in biefen
Feldern mit Leiflungen aufgetreten find, zeugt von dem
weiten Umfange bes Bedürfniffes, an der Bildung des
vaterländifchen Lebens mitzumwirten. Wir finden unter
ihnen Männer, bie das Höchfte erreicht, die als ein
Stolz des deutſchen Namens aufgeführt werden, denen
die Nation’ nicht in ephemerem Beifalle, fondern in’ auf-
richtiger Anerkennung das Zeugniß ausgeftellt hat, daß fie
in ihnen fich felbft verkiärt wiebergefunden. Wir begeg-
nen gerade unter den Juden Männern, die einer über
handnehmenden Nahahmung bes Fremdländifhen gegen-
über das beutfche Weſen aufrecht erhalten und mit fel-
tenem Erfolge vertreten. Haben wir es doch erſt in
diefen Tagen erlebt, daß gerade von einem folchen wie-
der die Richtung auf das Volksthümliche in ber Lite⸗
ratur angebahnt und einer gewiffen kosmopolitifchen
Verſtandesbildung unferer gegenwärtigen Gefellihaft das
Bild des Lebens in Kreifen, die ftrenger und inniger am
Heimifchen hängen, entgegengehalten wurde. Ebenſo zählt
gegenwärtig bie deutſche Muſik unter ihren hauptfäc-
lihen Trägern einen von jüdifcher Abflammung. Die
Mufit aber ift die Weife, darin die reinſte Innerlichkeit
des Gefühlslebens zu Tage konımt. Wenn im Worte
der Menſch feine Beziehung zur Außenwelt darlegt, fo
redet im Zone die in fich felbft verfuntene Seele. In
den Ton faßt der Menfch jenes Fühlen und Empfinden,
bad gegenftandlos. in feinem tiefften Innern waltend
lebt. Er ift die reine Beziehung der Pfyche auf fi)
felbft, der Ausdruck innigften Selbſtgenuſſes. Welch
völlige Hingabe an das Volksthum erheifcht es alſo
nicht, wenn in der Mufit ihm eine tönende Erfcheinung
gegeben werden fol? Gewiß, eine Hingabe, die aller
felbftifchen Befonderheit ſich entäußert.
. Und wenn nun die Juden auf dieſe Weife ihre pri-
vate Stellung in jeder möglichen Hinſicht ausgebeutet,
wenn. fie als Private nicht nur das lebendigfte Inter
effe am deutſchen Volksthume an den Tag gelegt, fon-
dern bewiefen haben, daß diefes in fie und fie in dieſes
wirklich) eingegangen, fo ift nicht minder anzuerkennen,
baf da, wo eine weitere Sphäre ihnen erfchloffen gewe⸗
fen, auch dieſe vollkommen ausgefüllt worden. In dem
Kampfe gegen die franzöfifche Herrſchaft haben Juden
freiwillig fih in die Scharen der Streiter für Gott und
- Vaterland eingereiht und damit ben Beweis gegeben,
dag auch ihnen die volkliche Ehre und Freiheit Deutfch-
lands eine unabweisbare Bedingung bes Lebens. Als
in ſich gefchloffene Nationalität hätte es fie allerdings
wenig kümmern konnen, ob Deutjchen oder Kranzofen
. bie Herefchaft anheimfalle; aber ſchon damals hatten fie
aufgehört eine ſolche zu fein. Sie gaben ihre Kräfte
willig bin zum Gedeihen des großen Ganzen, als beffen
Glieder fie fi, fühlten. Nun, eine Verbindung, die in
ber Noth erprobt wird, iſt ficherlich nicht bie lockerſte.
Ohne no zum vollen Staatsbürgerthum zugelaffen zu
fein, baben die Juden nichtédeſtoweniger auch fpä-
ter in ben Zeiten des Friedens die Verpflichtung zum
Militairdienfte nicht als eine Laſt gezwungen übernoni-
men, fonbern als ein wefentliches cheures Recht verthei-
digt. Sie unterziehen fi mit Freuden einer Leiftung,
die ihnen doc) noch Feinerlei Gegenleiftungen von Seiten
des Staats gewährt und würden Den ficherlich nicht ale
ren Freund betrachten, der fie bavon entbinden wollte:
Kann man ein Recht fihöner verdienen als durch Er⸗
fülung ber entfprechenden Pflichten? Diefer Eifer ber
Juden, mit welchem fie die Zulaffung zur Vertheibigung
bes gemeinfamen Vaterlandes in Anfpruch nehmen, ift
nicht ber geringfte Rechtstitel, auf Grund deffen eine
endliche Emancipation gefodert werden kann.
Gleichwol wäre es irrthümlih zu behaupten, daß
die Juden in ihrer Gefammtheit fchon völlig und ganz
und gar nationalifirt feien. Dem wiberflreitet der Au⸗
genfhein und gegen folhen hilft alles Sttäuben nicht.
Vielmehr ift gewiß, daß das Deutſchthum felbft in ih⸗
nen noch als ein apartes Deutſchthum, als ein jüdifches
Deutfchthum zu Lage kommt. Bei aller Merinnerlihung
des volflihen Elements fcheint biefes aus einem ſpecifiſch
gefärbten Spiegel wider. Aber keineswegs kann folcher
Umftand gegen die Judenemancipation gekehrt werben.
Wenn auch verlangt wird, daß diefe fihon eine That⸗
fache fei, ehe fie die Kraft des Gefeges erhalte, fo darf
doch nicht andererfeits außer Acht gelaffen werden, daß
eben dieſes Gefeg felbft wieder eine Die urfprüngliche
Zhatfache weiter bildende Kraft hat. Kraft wird erft
wirklich -in der Kraftäußerung, in der Übung: fo kann
auch bie im Wege -geifliger Bildung mögliche Natione-
lifirung dee Judenheit nicht anders erreicht werden als
indem ihr alle Sphären des Volksthums ohne Aus
nahme erfchloffen werden. So lange fie nur auf: ein-
zelne befchränft ift, muß es genügen, wenn Diefe ausge⸗
füllt werden: die Nothwendigfeit der Zubenemancipation
ift vorhanden, wenn in allen anbern Gebieten des Le-
bens, außer dem ftaatlichen, von den Juden das Volks⸗
thum bewährt wird. Eben in der Befchränftheit jener
Gebiete aber und nicht in den Perfonen liegt es, wenn
dieſes noch feine volle und ganze Wahrheit if. Man
braucht wenigſtens nicht gar zu meife zu fein, um ein«
zuſehen, daß das Verlangen, bag Jemand vollig gut
ſchwimmen ſolle, noch ehe er je ins Waſſer gegangen, eine
Unmoͤglichkeit enthaͤlt. Uberdies aber iſt das Volkothum
ein naturwüchſiges. Nur durch die Ehe iſt von je jede
wahre Verſchmelzung zweier Nationalitäten vor ſich ge
gangen. Will alfo der Staat die Emancipation — und
ee muß fie wollen, wenn er feine gefegliche Aufgabe
der Fortbildung des Lebens begreift —, fo muß gleich-
zeitig die engberzige Ficchliche Ehe fallen und an ihre
Stelle die Eivilche treten. Dieſe ergibt ſich auch
fhon aus der vielberuhmten Nothwendigkeit der Ab-
ſcheidung bes Staats von der Kirche überhaupt.
Wir wenden und jegt zu dem Werke, welches zu
vorſtehender Auseinanderfegung Beranlaffung gegeben
at. .
Hr. Stern hat nach unfeger Anficht den richtigen Stand⸗
punkt der Jubenfrage durchaus verrückt, indem er fie mehr
7
oder weniger auf. das Gebiet ber Theologie hinüber⸗
fpielt. Natürlich mußte er dadurch aud, zu einem verkehr-
ten Refultate, zu einer ungenügenden Antwort gelangen.
Statt nämlicy die Emancipation auf Grund des thatfädh-
lichen Bebürfniffes der Juden, in das moderne Volks⸗
thum einzugehen, zu fobern, macht er fie von einer
Abaͤnderung des jüdifchen Glaubens abhängig. Diejeni-
gen, welche zu biefer fich nicht verftehen wollen, bleiben
ausgefchloffen; denn nur das reformirte Judenthum gibt
dem Staate die nöthigen Garantien und muß dem:
gemäß confeguenterweife zur dritten Staatskirche erho-
ben werden.
Herr Stern ift Theoretiter und das Element, in dem
fein Anfchauen fi bewegt, ift der Begriff. Darum.
begreift er nicht, wie der Widerſpruch gewiffer kirchlicher
Dogmen ohne Gefahr neben dem Staate einhergehen
könne. Cr ſucht in dem altjüdifchen Glauben an ein
Lünftiges Meffiasreich eine wirkliche Gefahr für das
geſunde Volksthum, einen wirklichen Abbruch beffel-
ben. Triebe er aber bie Confequenz bis zu ben Gren⸗
zen ihrer Möglichkeit, fo würde er dabei nicht ſtehen
bleiben können. Er würde dann einfehen, daß jede Ne |
ligion als die Hingabe an ein Überirdifches mit dem
irdifhen Treiben der Politit an und für fi, d. i. im
Begriffe unvereinbar fe. Die Wahrheit feines Stand-
puntts ift alfo ganz unleugbar die Bruno Bauer’fche
Anfhauungsweife. So fehr er fi dagegen firäuben
mag, er kann nicht anders, er muß dieſer endlich ver-
fallen. In feiner jegigen Yuffaffung der Judenfrage
kann er wenigftens den gerechten Zadel der Halbheit
in Peiner Weife ablehnen.
Aber freilich, Herr Stern ift Theoretiter und Reli:
giöfer zugleihd. Er will fein übrigens fehr nüchternes
und abgeklärtes Judenthum mitten in das Xeben hinein-
verfegen und erwartet von foldyer Verbindung eine Hei⸗
ligung des Lebens und eine DVerlebendigung des Heili-
gm. Es ift dies ein DVerfuch, vergleichbar mit dem ber
Reformation im Chriftenthume, aber eben um deswillen
ein Zufpätgefommenes. Denn menn es auch diefer ge-
lungen, im Anfange Heiliges und Weltlihes in Be⸗
ziehung zueinander zu fegen, fo hat die Geſchichte längft
wieder gefchleben und ſolche Beziehung als eine Unmög-
lichkeit aufgemwiefen. Die Religion hat im ihrer Geftal-
tung zur Landeskirche die erträumte Verlebendigung nicht
erhalten, ftatt deffen mancherlei Zwang und Gewalt er-
fahren; der Staat feinerfeits hat’ in feinem Verhalte zu
den verfchiedenen Landeskirchen mehr als einmal felbft
die wahre Einheit feines Volksthums gefährdet ge-
fehben. Und man darf, um folcher Anſchauung fich
zu entziehen, die Augen nicht mehr willkürlich zudrücken.
Will das Judenthum mit dem mobernen Volfsthume
fi) vermählen, ift e8 ihm rechter Ernft damit, fo muß
es auch die Refultate beffelben in fi) aufnehmen. Die
Lüge der Landeskirche dagegen beftärken, ihr einen neuen
Halt geben wollen, ift in der Gegenwart ein durchaus un-
biftorifches Verfahren. Die Judenemancipation ift nur
dann möglich, wenn Staat und Kirche ſich trennen und
des feinen eigenen Schwerpunkt, diefe im Glauben, jener
im Volksthume findet. RB. Vrichensbnrg.
Literarifhe Notiz.
Gregor VII.
Die Freunde der Hierarchie und des Papſtthums in Frank:
reich jubeln über das vor kurzem in Paris erfchienene Wert:
‚„Gregoire VII etc.”, von E. 3. Delecluge (2 Bde). Bilder: .
brand, dieſe Perfonificirung papftlichen Übermuths und geift
liden Despotismus, wird von. neuem den Gläubigen zur Hul⸗
digung aufgeftelt. Der jegt verftorbene fonft verehrungswerthe '
englifhe Dr. Arnold bat diefen Papſt zu rechtfertigen geſucht;
Herr Guizot nennt ihn den Zar Peter der Fatholifchen Kirche;
Prof. Voigt in Königsberg rühmt ihn als den größten und
fehlerfreieften aller fogenannten Statthalter Chriſti, und ein
orforber Katholik, Herr Bowden, ſpricht jenem deutfchen Ges
lehrten und berühmten deutfchen Gefchichtfchreiber hierin nach.
Endlih werden der Herr Delécluze und die „Bibliotheque ,
universelle de Geneve‘ durch dieſes Thema in die Region
erhoben, wo Rhetorik und Poejle aneinander grenzen, während
der Abt Jäger ein Triumphlied darüber .anflimmt, daB die
Energie, Klugheit und Charakterfeftigkeit dieſes Papſtes auch
von einigen geihichtölundigen Proteftanten, anerfannt worden
find. Doch war er der Gründer einer nicht weniger verhaß⸗
ten Zyrannei ald die war, der er inhalt that, und wurde
offenbar von einem ebenfo felbftifhen und rüdficytslofen Ehr⸗
geiz zu feinen Handlungen angetrieben als feine weltlichen
Gegner. Hildebrand’8 einziger Anſpruch auf den ihm von
Guizot beigelegten Zitel eines Bar Peter der Kirche ift der,
daß er durch feinen eifernen Willen ihre Inftitutionen und
Satzungen zu feinen Zwecken mobelte. Aber der ruffifhe Zar
arbeitete im Geift eines Baumeiſters, welcher feinen eigenen
Plan erfindet, ordnet und ausführt; Hildebrand im Geift eines
Mannes, der auf göttlichen. Befehl einen Tempel errichtet,
wovon die Hand Gottes den Plan entworfen-und die Mate
rialien herbeigefchafft hat. Ihn als einen chriftlichen Stoiker
zu preifen, den die Srümmer einer Welt von dem Wege der
Nechifchaffenbeit und Wahrheit zu entfernen nicht vermocht hats"
ten, ift gar zu übertrieben. Seine Politit war herrifch und
gebietend,, feine Mittel und Wege die eines Prieſters. Bann»
flühe und Schmeicheleien, baldftarriger Zrop und fihlaue Sn:
finuationen, Schimpfreden wie fie von Genferich hätten herab⸗
gedonnert, und Bertheidigungsreden wie fie von Yuguftulus
hätten bergeflüftert werden können, folgen einander in feiner
Gefchichte ohne irgend eine Spur von Scham oder Bedenklidh-
keit. Sogar feine Drthodorie ift zweifelhaft geworden. durch
fein Betragen und feine Sprache gegen den eifrigen Bekaͤmpfer
der Zransfubftantiation, Berengar. Mit Wilhelm von Eng»
land, Philipp von Frankreich, Robert von Apulien und felbft
mit Heinrich IV. von Deutichland temporifirte er auf Koften
feiner eigenen Grundfäge fo oft er es für vorteilhaft hielt.
Er fand das Papſtthum abhängig vom Kaifer und machte e6
durch Bündniffe mit andern Mächten von ihm unabhängig.
Er fand die niederc Geiftlichfeit abhängig von und verbündet
mit der weltlichen Macht und verwandelte diefelbe, befonders
durch das Verbot ber Driefterche in unzertrennliche Unter«
ftüger der feinigen. Er fand die höhern Würdenträger der
Kirche der weltlichen Herrfchaft untherthan und unterwarf fie
der dreifachen Krone. Mit Einem Worte, er vollendete den
Niefenbau der römifchen Hierarchie. 31,
Bibliographie...
Fournier, M.R., Geheimniffe eines politifcyen Spione.
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dem Franzöfifhen. After Zheil. Grimma; Berlagsceomptoir.
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Behr, M.U., Dog Ale, die an ben kirchlichen Beftrebun:
gen unferer Zeit Theil nehmen, fehr wohl thun, wenn fie fidh
das Bild Luther’s vorbalten. Predigt am Reformationsfefte
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Ein fliegendes Blatt aus Dem Vaterlande. Herausgegeben
von G. E. Cramer. Leipzig, Frieſe. Gr. 8. 3 Ru
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Stiftungsfefte ber evangeliich: lutherilchden Kirche. Reforma⸗
tionspredigt. - eipaig, Klinkhardt. 1845. 9. 3 Nor.
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R.WVelder. Frankfurt a. M., Keßler. 18419. Gr. 8. 3°, Rear.
Falkſon, F., Die Emanzipation der Juden und die Eman-
zipation der Dentenden. Altona, Hammerich. 1845. Gr. 8. 5 Rgr.
Feger, 3, Der Geift unferer Beit und des wahren
Chriſtenthums. Preßburg, Landes. Gr. 8. 1 Ihlr. 6 Nur.
Francke, G. C. J., Berfuh einer Beantwortung der
Frage, wie fol die Straußifche Anfiht vom Chriftentbume
aufgefoßt und widerlegt werben? Bamburg, Reftler und. Miele.
1845. 8. 15 Ror.
Gebauer, K. E., Die Reform der Kirchenverfaſſung.
Ein Beitrag zur Würdigung der in Borfchlag gebrachten
Presbyterial: Synodal :» Verfaflung mit Bezug auf den der vor:
jährigen Provinzial: Synode zu Königsberg vorgelegten und
bier vollftändig mitgetheilten Entwurf einer foldhen. Koͤnigs⸗
berg, Tag und Ko. 1845. Gr. 8. 7%, Nor.
Geſpraͤch eined vernünftizen Chriften mit einem foge:
nannten Pietiften. Berlin, Grobe. 135. 16. 3 Rear.
Großmann, € ©. 2, Die kirchliche Bewegung ber
Gegenwart ale ein Beichen der Zeit für die evangelifhe Kirche.
Dat am Beformationejefte 1845. Leipzig, Kellmann. 1845.
Di L.:
8
‚Haas, R., Bertheibigung des Proteftantismus gegen die
pelitifche. Verdaͤchtigung von Seiten. des Ultsamontanismus nad
ifeen beiberfeitigen Principien und der Geſchichte buschgeführt.
Gießen, Heyer. 1845. Gr. 8. 2%, Nor.
Haſt, I, Dffene Aufforderung zu einer öffentlichen Dis:
putation über 135, die jegigen Religionswirren betreffende
Säge. 2te vermehrte und verbefferke Auflage. Berlin, Eyſſen⸗
| 12. 3%, Nor.
haxbt. 1845.
— — 88 ginge wohl, aber es geht nichtl ober: Glau⸗
benobrkenntuiß der Berliner Pribilſchen Proteftpartei, durch Das
men bie ganze Diffidenten: Welt und mas daran hängt unter
einen
| gand.
bringen moͤchte. Bon falfchem Wiitterfkatt entlfel-
— Yrüfung vorgelegt. Berlin, Eyſſenhacht
. (} N 4 .
. Zfftand, 9. MR, Geiſt oder Buchſtabe? Noch einige
Worte zur De 'aung, Yervorgrsufen durch Die * auf
bie Unterzeichner der Erklärung vom 15. Auguft 1849. Bet⸗
Iin, Schroeder. 1845. Wr. 8. 2%, War.
Die böhmifche Kicche wie fie war und wieder werben fell.
18495. 12 3 Rer. is
Köhler, F. A., Was ſpricht unfere PVerfeffung zum
Geiſte ber FAR Predigt am Wonftitutiondfefte Mo den
ſalza. 1945. 8. 4 Nor.
Körner, 3, Bum Berfländniß der Gegendart und ihree
religiöfen Wirren. Ein Berfuh. Schneeberg. 1845. 8. 10 Rgr.
Löffter, A., Die bevorſtehende Staatsperänderung in
Preußen. Berlin, Cohn und Comp. 1845. 8. 6 Kor.
‚ Die bervortretenden Merkmale, Elemente, Richtungen und .
Wirkungen der Zeit auf- dus pofitive Ehriſtenthuum im Allge⸗
meinen; inöbefondeve aber auf den Stand der tämifch-Butheli-
fgen Kirche und die Einwirkungen zum Abfall von derfeiben.
gon gineg göntifgen Katholiken. Berlin, Eyfienhardt. 1845.
r.
gr.
Sapper, A., Die Pietiſten. Eine Skizze. Berlin, Rel⸗
Ger un Comp. Fr Ri „ö Ngr.
teswig⸗ Holftein. Ein Wort zur Verſtändigung. Le
ig, Kell. Er. o 74 Nor. "ung. Sipe
Scholl, ©, Meine Suspenſion. Wit einem Vorwort
bon G. A. Wislicenus. Leipzig, D. Wigand. 1345. Gr. 8.
gr.
Schüler, U. F. C., Sind die Natienaliften unter den
Geiſtlichen freche Lügner? in Belenatniß auf den Abdruck
der Mebe des Hrn. v. Florencourt. Stolberg a. H., Kleinecke.
1345. 8. 2%, Nor. Ä
Schwarz, J. C. E., Die Kirchenverbeſſerung der Ge⸗
genwart. Predigt am Heformationdfefle zu Jena. Jena, Front
mann. 1845. Gr. 8. 3 Rer.
Sendfchreiben an die Stadt Berlin. Worte des ewigen
Lchend zur Vereinigung aller Lichtfeeunde unter den Juden und
Ehriften, von Siegfried Iuftus I. Berlin, Reichardt und
Eomp. 1845. ©r. 8. 3 Ror.
Seybt, D., Über.die Wünfche und Beſtrebungen, die
fih gegenwärtig in unferer Kirche zu ertennen geben. Presige
am Reformationsfefte 1815. Baugen, Schulze. 1845. Gr.8.
gr. .
Stimmen aus dem Volke über den Berliner Proteft vom
I. Auguft 1845. Herausgegeben von einem evangelifchen Pro:
teftanten. Berlin, Kraufe. 1343. Gr. 8, 2%, Rear.
Die Xheologie des Berliner Magiſtrats. Münfter, Dei⸗
1845. @r. 8. 71, Nor.
Uhlich, „Hier ftehe ih, ih kann nicht anders.” Refor⸗
mationspredigt. Magdeburg, Ereug. 1815. Gr. 8. 3%, Nor.
Die preußife landſtaͤndiſche Verfaffung. Vorlage zur
Discuffion von einem preußifchen Beamten. Leipzig, D. Wi⸗
1845. Gr. 8. 11, Nor.
Boll und König. Oder die Adreßfrage und ihre Behand⸗
lung in der gegenwaͤrtigen Staͤndeverſammlung Sachſens. Leip⸗
zig, Briefe. 1845. 8, 6 Nur.
Was find Kichtfreunde, wie find fie entſtanden und was
woßen fie. Nebſt der Rede des Hrn. v. Florencourt. Zus
freien allgemeinen Selbitbeurtheilung aufamnengeftelt von einem
Freunde des Lichts. Berlin, Schepeler. 1845. 8. 21% Nor.
etfen, H., Das Weſen unferer evangelifchen Kirche-
Keformations : Predigt. Erfurt, Körner. 1845. &r.8. 2%, Nor.
6; ir gF. * As Ixt und de Eine ge
meinfaßli oteſtan chutz⸗ und Lehrſchrift. Stuttgart,
Steinkopf. 64 12. 71%, Ye ai gr
Wolkenau, A., Ift Chriſtus Gottes Sohn? Ein Send»
Ihreiben an den Archidiakonus ıc. Kraufe. Breslau, Berlagb-
Eomptoir. 1815. 8. 11, Rür.
ters.
-
Verantwortlicher Deraudgeber: Heinrig Wrodfaus. — Drud und Verlag von F. N. Drockhaus in Reipzig.
”
. Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Mittwoch,
— Nr. 63. FE
4. Mär; 1846.
Zur Gefhihte der Entwidelung des
| Dramas in Deutfchland.
Während im ſüdlichen und weſtlichen Europa die
Poeſie ſchon vor den Kreuzzügen zu einer fhönen Blüte
fih entfaltete, ward biefelbe in Deutfchland bie in bie
Mitte des 12. Jahrhunderts nur fpärlich gepflegt und
tonnte zu feinem felbftändigen Leben gelangen. Zwar
Hatte bereit zu Karl's des Großen Zeit, befonderd nad)
feinem Zuge gegen die fpanifihen Saracenen, und etwas
fpäter nad) den Kämpfen ber Franken mit den Normannen,
eine Menge von Sagen fich gebildet, die theils aus dem
füdlichen, theild aus dem nördlichen Frankreich ſich nad)
Deutſchland verbreiteten, wo fie überfegt oder umgearbei⸗
tet wurden; zwar hatte felbft Karl der Große feine Vor-
liebe für vaterländifche Poeſie dadurch bekundet, baf er
(nach der gewöhnlichen Interpretation ber Worte feinee
Biographen Eginharb „memoriae mandavit”) die alten
einheimifchen Heldenlieder fammeln ließ und die wenigen
Dichter an feinem Hofe auf alle Weiſe chrte und hob:
indeffen wollte doch in Deutfchland, und namentlich in
den Klofterfchulen, wo die Wiffenfchaften und Künfte
zu ber Zeit ausfchließlich mit Eifer gepflegt wurben, ja
felbft in den ſchnell aufblühenden Dom - und Stifte.
ſchulen, wo man die alten Claſſiker, insbefondere die
Dichter, mit großem Fleiß ftuditte, die vaterländifche
Poeſie keineswegs in dem Maße gedeihen, daß fie nicht
durch den in Folge des vermehrten Reichthums und
der überfchmänglich wachfenden Macht des Klerus ein-
getretenen Derfall diefer Pflegerinnen geiftiger Bildung
gleichfall® hätte ſinken oder doch wenigſtens in ihrer
felbftändigen Entwidelung aufgehalten werben müjfen.
Von manchen Gedichten aus der Karolingifchen Zeit‘ ift
nichts als die Nachricht ihres ehemaligen Daſeins auf
uns gelommen, von andern befigen wir lateinifche Um⸗
arbeitungen; die Originale waren entweder nie aufge-
fchrieben oder in der bewegten Zeit wieber verloren ge-
gangen. Eine nicht unbeträchtliche Anzahl hat fi in-
deffen in ihrer Urgeftalt erhalten, deren Werth uns zu
der Vorausſetzung berechtigt, daß ohne Hemmniffe und
nachtheilige Einflüffe von außen die deutſche Poefte fich
früher und reicher würde entfaltet haben als es in der
Wirklichkeit geſchah. Es darf zum Belege biefer Ber
Hauptung nur auf das befannte „Hildebrandslieb”, auf '
das nach deutfchem Vorbilde von dem St.-Baller Moͤnch
Edehart 1. verfaßte Tateinifche Gedicht „De prima expe-
ditione Attilae in Gallias ac de rebus gestis Waltharä
Aquitan. prineipis”, auf das vortreffliche „Ludwigslied⸗“,
auf das alliterirende „Weſſobronner Gebet“, auf Otfrieb’s
berühmte „Evangelien - Harmonie”, auf die Legende vom
heiligen Georg u. a. m. hingewiefen werben.
Erft unter den glorreihen Hohenflaufen gewannen
die innern und äußern WBerhäftniffe Deutfchlands eine
ſolche Geftalt, daß die Poeſie in unglaublich kurzer Zeit
fi) zu einer fehönen Blüte entfalten konnte, während
die Profa nur einer kärglichen Pflege genoß. Insbeſon⸗
bere waren es bie Kreuzzüge, die in Deutfchland ein
der Poeſie günftiges Nitterthum hervorriefen, wie es die
weitlichen Völker ſchon früher kannten, aus dem dann
bald das Ritterepos hervorging, welches fid durch
Verſchmelzung mit einer Fülle von. Sagen und Legen-
den aus dem Driente und dem Byzantinerreihe um fo
romantifcher geftaltete. Als einmal in Deutfchland diefe
Anregung der Geifter Boden gewonnen und das neue
Präftige Leben in der Poeſie fich raſch durch alle Gaue
zu verbreiten begonnen hatte, mußte auch bald Empfäng-
lichkeit für fremde Dichtwerke fi offenbaren und ben
Einfluß vermitteln, den die provencalifchen Dichter un-
beftreitbar auf die deutfhen ausgeübt haben. Ob bie
Wettgefänge franzöfifcher und deutfher Dichter in Mainz
vor Friedrich) Rothbart Hiftorifch haltbar find, mag bier
dbahingeftellt bleiben; jedenfalld kam eine Menge poeti-
[her Stoffe aus dem Welten nad Deutfchland her⸗
über, und während die Igrifche Poefie ihren nationalen
Charakter rein bewahrte, erfcheinen uns die meiften epi⸗
[hen Erzählungen und Nittergebichte dieſer Zeit ale
Nahbildungen wälſcher Originale. Durch die Hohen⸗
ftaufen ward zum Heil für die deutfche Poeſie der fchöne,
fügfame jchwäbifche Dialekt allgemeine Schrift - und
Dichtfprache, deren fich felbft die Mehrzahl nieberfärhft-
fher Dichter bediente; und noch jept können wir nur
mit Wehmuth auf eine Zeit zurüdbliden, bie uns eine
felbfländige, durch den mufifalifhen Vortrag beftimmte
Dichterfpracdhe hätte geben konnen, wenn man ihren Werth
früher erfannt und fie feflzuhalten gewußt hätte. .
Unſtreitig war es die größere politifhe Einheit, de-
ren ſich Deutfchland unter ben Eräftigen Hohenftaufen
zu erfreuen hatte und in beren Gefolge Aderbau und
Handel neu aufblühten, welche den wachfenden Wohl⸗
fland der Einwohner hervorrief, ihnen eine behagliche
Ruhe verfhaffte und fo den Sinn für alle das menſch⸗
liche Leben verfehönernde Künfte medte. Die enge Ver⸗
bindung zwiſchen Italien und Deutfchland übte vorzugs⸗
weile auf die Stäbtebewohner des legtern Landes einen
befebenden Einfluß, und die mannichfahen Wirren und
Zermürfniffe in den Verhältniffen des öffentlichen Lebens,
insbefondere zur Zeit Friedrich's 11., regten felbfl bie
Dichter dergeftalt an, daß viele ber vorzüglichften Ge⸗
Dichte der Zeit, namentlich Iyrifche, unmittelbar aus beit
damaligen politifchen Erfhütterungen heroorgingen. Dazu
kam das äußere Anerkenntniß, das die Poefie in diefer
rubmeeichen Beit fand, indem mit ihrer Ausübung bie
höchfte Ehre verbunden war, da felbft Brafen und Kür-
fien, ja Könige und Kaifer den Dichterruhm nicht ver-
fchmähten ober wenigftens eine Ehre darin fuchten, öf-
fentlih als Gönner und Körberer der Kunft aufzutreten.
Died gilt namentlich von dem Landgrafen Hermann
von Thüringen, von bem Herzoge Leopold von Dftreich,
son den Kaifern Heinrich VI., Friedrich II., von dem
jungen Konradin u. U. Dadurch) ward es möglich, daß
auch ärmere Kunftjünger fih aus dem Staube erheben
und unter dem Schuge reicher und mächtiger Herren
Sängerorden und Sängerfchulen gründen konnten, bie
ihren Einfluß bald über ganz Deutfchland und alle Volts-
ſtaͤnde geltend machten. Nicht blos der Ritter öffnete
nun dem wandernden Dichter bereitwillig feine Burg,
au bei den Zünftlern in ben Städten unb bei den
Bauern war er wohl gelitten, und während dert das
deusfche Epos in feiner reichften Schönheit fich entfaltete,
gewahren wir bier die erften, wenngleich rohen Anfänge
der: Dramatifchen Poeſie in den Darftellungen der um⸗
berziebenden fogenannten Spruchfprecher, Die zwar derb,
formlos, ungefittet, aber kräftig und vol lebendigen, im⸗
mer treffenden Wiges geweſen fein follen.
So war alfo auch für letztgenannte Dichtart die
Bahn gebrochen, und es mar zu hoffen, daß bei ber
allgemein verbreiteten Empfanglichkeit für Kunfigenüffe
gerade fie, bie fich in einem- unmittelbar aus der Geſin⸗
nung hervorfretenden, im Dialog ſich entwidelnden Han⸗
dein offenbert, wegen ihres tiefern Einbringen in bie
Berbältniffe des wirklichen Lebens und wegen ihrer in-
rigen Verwandtſchaft mit dem fo glüdlich cultivirten
Epos, da die Baſis beider das ſittliche Element der
Menfchennatur ift, zu einer Tunftgemäßen Geftaltung
gelangen mußte; — aber leider ging biefe fehöne der
Poeſie fo günftige Zeit zu ſchnell vorüber. Mit ber
innern Zerklüftung des Deutfihen Reiche nach dem Er-
iöfhen der Hohenſtaufen⸗Dynaſtie, mit der Auflöfung
aller Ordnung und ber daraus erwachſenen gegenfeitigen
Defehdung des Adels und der Städte, hörte zunächſt
das Intereſſe auf, das der Ritterſtand bis dahin an ber
Poeſie genommen hatte, und auch in den Städten wedte
das täglid, gefährdete Leben andere Sorgen als die um
Kunft und Lebensgenuß. Der arme Dichter fand kei⸗
nen zeichen Patron mehr und die noch unlängft fo laut
ertönende Saͤngerſtimme verflummte ganzlich. Diefer
Berfall der Poefie, der felbft durch die Eräftigen Beſtre⸗
bungen eines Rudolf von Habsburg, nach Aufbören
des Intersegnums, nicht. gehemmt merben konnte, mußte
vorzugsmweife das junge neh unmtndige Leben des
Dramas verberbli berühren; denn während die lyriſche
und epiſche Poeſie nır zeitweilig verftummten, um ihre
reihen Schäge ber Folgezeit als Nachahmungsmuſter
zu entfalten, ging Allee, was von bramatifcher Poeſie
vorhanden war, gänzlih wieder unter, da diefe ihren
Play als felbftändige Kunſtgattung fi) noch nicht hatte
erringen koͤnnen. Zu einer Neubelebung biefer Dich⸗
tungsart war die nächftfolgende Zeit aber um fo weni-
ger geeignet, al® mit ber Trennung Italiens von Deutfch-
land eine Menge großartiger, bie Phantafie des Dich-
tere machtig anregender Verhaͤltniſſe aufhörte, und
auch das Leben im engern Kreife fi) immer unfreund-
licher und kleinlicher geftaltete, fobaß die meiften Dichter
der Zeit ihre poetifchen Stoffe nicht mehr außer ſich
fanden, und deshalb zu einer froftigen Dialektik, zu eir
nem überfhwänglichen Allegoriſiren und zur oft nüch⸗
ternften Reflerion ihre Zuflucht nahmen. Diefer allge
meine Verfall der Poeſie offenbart fih am deutlichfien
in den Meifterfängern jüngern Schlags, die den frühern
Epitern nur mühfam und zumeift erfolgles nachringen
und felbft in ihren Igrifchen Dichtungen in künftelndem
Strophenbau und andern Formweſen erfiarren. Aus
der -innern Zerfplitterung des Reichs ging gleichzeitig bie
Nichtachtung einer allgültigen Schriftfprache hervor; bie
Provinzialdialekte verlangten und fanden, zum Nachtheil
für die Poefie, ihre Recht, und es bildete ſich bald über-
au eine harte, unpoetifche Mengfprache, in ber von dem
Wohlflange und der Gefügigkeit des fchönen ſchwäbi⸗
fhen Dialekts Feine Spur zu entdedien war.
So verfloß die Iegte Hälfte des 14. und das ganze
15. Jahrhundert, ohne daß der Raum der Poeſie an-
bere als verkümmerte Früchte getrieben Hätte; exit ums
Jahr 1500 erbliden wir aufs neue Anfänge der dra-
matiſchen Poeſie, die freilich noch eine geraume Zeit hin⸗
durd) zu roh find, um fich eine Stelle als felbftänbige
Kunftgattung zu ficgern oder beiebend auf das Geſammt⸗
gebiet der Dichtkunft zurückzuwirken. Dagegen eilt, bei
alles Sprachverwilderung, die Proſa raſch ihrer Ent-
widelung entgegen und gewinnt in verhältnifmäßig kur⸗
zer Zeit einen hoben Grad von Beſtimmtheit. Die
Gründe, welche ein ſchnelleres Aufblühen der dramati«
fihen Poeſie binderten, und um biefe Zeit überhaupt
fein neues Auftreten in die Dichtkunft kommen ließen,
liegen großentheild wiederum in den politifchen Derhält-
niffen Deutfchlande. Im Innern des Reiche mangelte
e8 auf der einen Seite an Ginheit und auf ber andern
an großartigen Begebenheiten, Unternehmungen nad au⸗
fen bin, wie früher unter ben Hohenſtaufen, fanden
ebenfo wenig ftatt. Die Macht’ des Kaifers mar nicht
mehr ausreichend, bie kecken Anmafungen ber Großen
des Reichs zu bewältigen und den unaufhoörlichen, gegen⸗
feitigen Befehdungen, die alle- Ordnung untergruben und
das Recht des Stärken zum hoͤchſten Gefetz erhoben,
einen Damm entgegenzuſezen. So verwilberten Fürſten
uud Adel, die von nun an nur an Waffenubungen, fei
eö im eruflen Kampf ober im Turnier, ſowie an Trink⸗
gelagen und Jagden ein Behagen fanden, den vaterlän-
diſchen Sänger aber, ale umwürdigem Geſchäfte fröh-
neud, verfpotteten.. Auch in ben Städten, die unter ben
mannichfachen Begünftigungen der Kaifer bush Handel
und lebendige Juduſtrie bald hochaufblühten, namentlich
in dem norbbeutfchen, wo die Hanſa buch Reichthum
und Macht außerordentliche Bedeutung gewann, wurbe
.Die- Blume des Poeſie wenig gepflegt, da Fauſtrecht und
Wegelagerungen von Seiten des raubfüchtigen Adels
den thätigen Bürger unaufhorlich flörten und nedten
und ibn bie den fchönen Künften fo nöthige Muße nie
erlangen ließen. Etwas befier war ed zwar in dem
ſüddeutſchen Städten, wo bie alte deutfche Sangeslufl
fortdauerte und bald in ordentlichen Zünften eine flei-
ige, aber wenig erfolgreiche Pflege fand. Auch bie
Neformation übte infofern auf die Poeſie einen nach⸗
theiligen Einfluß, als fie das Intereſſe der Zeitgenoffen
ausfchließtich auf Die religiöfen Angelegenheiten hinlenkte
und in Deutfchland einen mehre Generationen über-
dauernden Ziwiefpalt hervorrief. Keinediwegs war jebod)
ber Zinn für Poeſie gänzlih erftorben, denn wo nur
irgend ein Begebniß höherer Bedeutung ſich zutiug, da
“fehlte es auch nicht an einem Sänger, ber die Groß⸗
thaten feiner Mitbürger der- Nachwelt zu überliefern
firebte. So befang Rofenplüt den Sieg der Nürnber-
ger 1490 und: die zwifchen dem Kurfürften von Köln
und der Stadt Soeft 1437 — 39 geführte Fehde; fo
Priſchuch das kofiniger Concil; fo Veit Weber bie Hel⸗
denthaten der Schweizer, insbefondere den Sieg über
Karl den Kühnen von. Burgund bei Murten 1476.
Leider wirkte der Gelehrtenfiand, der feit ber Wieder-
belebung des claffiichen Alterthums fih mit allen Schägen
griechifcher und Iateinifher Kunft und Wiſſenſchaft ver-
traut gemacht hatte, und von dem man daher hätte er⸗
warten fönnen, daß.er der vaterländifchen Poejie die
rechte Bahn anmeifen würde, diefer am meiften entge⸗
gen, indem er, mit vornehmer Verachtung der Mutter-
ſprache, die lateinifche fo ausfchließlih zur Gelehrten-
fprache erhob, daß felbft Dichter, die Univerfitätsftudien
gemacht hatten, fich nur der lateinischen Sprache zu
ihren Poefien bedimten. Dadurch mußte natürlich eine
weite luft zwifchen der gelchrten und der volfsthüm«
lichen Bildung entſtehen, die um fo weniger ausgefüllt
werden konnte ald der Begenfag zwifchen beiden von
Jahr zus Jahr immer greller hervortrat. So war denn
die vaterländifche Dichtkunft ganz in bie Hände des nie-
dern, bildungsloſen Volks gegeben, das ſich allein nod)
mit Luft und treuer Auhänglichfeit zu feinen alten Lie⸗
dern biel. Darin liegt theilweife auch der Grund,
warum. die ſchon nm die Mitte des 15. Jahrhunderts
in den Städten auftauchenden dramatifchen Spiele fo
wenig Beifall und Aufmunterung an den Fürftenhöfen
fanden, denn ba fie von ber niedern Volksclaſſe aus»
gingen, fo waren fie zu derb und roh, um bie höhere
Unfprüde der feiner Gebildeten zu befvtebigen. Immer
mehr zogen fih bie höhern Stände von der, Posfle zu
rüd, die jegt verfümmerte und fi abmühte, eine froſtige
Dialektik mittels roher Reime in einer harten, ungefuͤg
gen Sprache zu handhaben. So blieb Deutkhlaud Bin-
ter. feinen vomanifhen Nachbarn, bie um bdiefe Zeit
ſchon muftergültige Schriftſteller aufzuweiſen hatten, weit
zurüd; freilich ward es legten durch die innige Ber
wandtſchaft ihrer Sprache mit ber lateiniſchen ungleich
leichter, die Nationalliteratur zu einer ſchnellen Reife
zu bringen.
Als Vorläufer der dramatiſchen Poefie find in Deutſch⸗
land ſchon Lange vor der Mitte des 15. Jahrhunderto,
wo, wie erwähnt, bie erfien bramatifchen Spiele in dem
Städten vorlamen, die unter dem Namen Dipfkerien be-
kannten, geiftlich-Tomifchen Schaufpiele anzufchen, von
denen freilich, nicht viel auf uns gekommen ift, und bie
wel in der Regel Lateinisch abgefaßt waren, wenngleich
in dem Mofterium „Das Leiden Chrifi”, wovon wie
noch Bruchſtücke befigen, beutfche Verfe den lateiniſchen
untermifeht find. Späterhin gab es indeffen wol gang
beutihe Myſterien. Diefe Dichtungen, worin Bott, En«
gel, Heilige und in der Regel wenigftens vier Teufel
auftreten, follen zuerft in Frankreich zum Vorſchein ges
fommen fein, fi aber bald nach Deutſchland überfie-
beit haben, mobei es allerdings merkwürdig bleibt, daß
in der neuen Zeit, wie im Witerthume, der Urfprung
des Schaufpield in der Religion gefunden wird. In
Frankreich ſoll freilich fon ebenfo wie ‚Deutfchland
eine Art dramatifhen Spiels dieſen Myfterien voran
gegangen fein, benn bereits die Troubadours folken dia⸗
logifche Gefänge aufgeführt und davon zuerft den Na⸗
men les Comiques erhalten haben; doch waren dieſe
Dialogen, gleich den Leiftungen der deutſchen Joculato⸗
ven, wol nur Bänkelfängereien, jedenfalls wenigftens zu
formlos, um fie ald Anfang der eigentlichen dramati⸗
hen Kunft anzufehen. ‚Die erſten Mofterien wurden
in Zrantzeic etwa ums Jahr 1375 — ermeislich noch
vor dem 1380 erfolgten Tode Karl’s V. — aufgeführt,
und follen in dialogiſirten geiftliden Gedichten beftanden
haben, welche die aus dem. heiligen Sande oder andern
Walfahrtsorten rückkehrenden Pilger bei feftlihen An⸗
läffen öffentlich abfangen. Bald darauf erhielten die
babei agisenden Schaufpieler den Namen der Pafltond-
brüderfchaft, weil ihre Dramen großentheils die Paſſion
Ehrifti zum Inhalte hatten. Schon bei bem 1380 er⸗
erfolgten Einzuge Karl’s VI. in Paris zeichnete ſich bie
Confrerie de la passion durch ihre Zeftfpiele aus. Une
ter Ludwig Xl. hatten diefe Myflerien einen außerordent⸗
lichen Zertgang, fie verbreiteten fi raſch über ganz
Trankreih und von hier aus auch bald über Deutfch-
fand. Ihr Stoff war in der Regel ber biblifhen Ge⸗
fihichte oder den Legenden entnommen, und fie dienten
anfangs mol weniger zur Beluffigung als zur Erbauung
des Volks; bald aber arteten fie in bloße Ergöglichkel-
ten aus, um beren willen nicht felten der Gottesdienft
abgekürzt ward. Es ift in der That eine eigenthümliche
Erfcheinung ber Zeit, daß in allen Richtungen ber Volks⸗
—
poeſie die fehroffen Begenfäge des Bibliſch⸗Erbaulichen
und bes Obfeön- Scurrilen eng verbunden hervortreten:
eine Erſcheinung, die wol geeignet ift, und manche Zwei⸗
fel an der Hechgepriefenen Frömmigkeit jener Zeit auf-
zubrängen. Bald nahmen diefe Ergöglichkeiten einen
immer frivolern Charakter an und murbden zu wahren
Traveſtirungen ber heiligen Geſchichte, ſodaß man nicht
begreift, wie eine ſolche Verhöhnung alles Heiligſten je-
mals mit religiöfen Acten zu frommer Erhebung in
enge Verbindung gebracht werden konnte. In Paris
führten die Paſſionsbrüder anfänglich ihre Stüde auf
freier Straße auf; dann warb ihnen im Hofpital der
heiligen Dreieinigkeit ein formliches Theater erbaut, auf
dem an allen Kefltagen Paflionsftüde gegeben wurden.
Die Zufdjauer faßen fchon damals auf amphitheatralifch
anfteigenden Sigen, deren höchfter das Paradies genannt
wurde. In Deutfchland, wo die Mofterien neben einer
andern Art geiftlicher Schaufpiele, Moralitäten genannt,
vorzüglich in den Klöſtern einheimifch wurden und. mit
allerlei Carnevalsmummereien in Verbindung famen, nah⸗
men fie eine etwas veränderte, durch die Ortlichkeit be-
dingte Beftalt an und gewannen überhaupt nicht die Be⸗
deutfamfeit wie in Frankreich; doc, erfchienen auch dort
Gott der Vater, die Engel, die heilige Jungfrau und
menigftens vier Teufel jedes Dial auf der Bühne, melde
legtern fo wüthend umbertobten, daß davon bald die
Redensart: einen teuflifchen ober hollifchen Lärm machen
(die Sranzofen fagten: faire le diable à quatre) in
Schwang kam. In der Regel waren diefe Myſtetien
fehr lang, und nicht wie bei uns die Schaufpiele in
Acte, fondern in Tage abgetheikt, ſodaß jede Vorftel-
fung während fo vieler Tage fpielte als fie Abtheilun-
gen hatte. Deffenungeachtet fpielte jede Abtheilung noch
fo lange, daß die Vorftelung um einige Stunden un-
terbrochen werden mußte, um die nöthige Zeit zum Eſ⸗
fen zu gewinnen. Dadurch ward man freilich in Stand
gefegt, mit Verlegung aller Zeiteinheit ganze Lebensläufe
in breitefter - und weitfchweifigfter WBeife aufzuführen,
felbft ganze Gefchlechtereihen auf die Bühne zu bringen,
die nicht felten einen Zeitraum von einem halben Jahr:
bundert und darüber ausfüllten; ja oft wurden in einem
Stücke Kinder geboren, die heranwuchſen, ſich verheira«
theten und Kinder erzeugten, welche diefelbe Stufenlei-
ter ducchmachten und noch in demfelben Stüde hochbe-
jahre ftarben. Ebenfo wenig wie ‚auf Zeiteinheit, kam
es dabei auf biftorifhe Treue an, und die ſchlechten
Derfonen - der heiligen Gefchichte wurden drolligerweife
immer zu Heiden oder gar zu Mohammedanern gemacht,
welches Roos in der Regel den König Herodes traf.
Gin wmefentliches Element bei diefen Darftellungen war
der Luſtigmacher, ber durch feine ertemporirten Späße
das Publicum beiuftigen mußte, wodurd das XTragifche
und Komifche oft auf die abenteuerlichfte Art vermengt
werd. Go trat unmittelbar nad einer Kreuzigung
Chriſti, nah einer Enthauptung bes - Johannes, der
Narr vor und ſuchte durch die plumpften und obfeönften
Baufeleien die Zuhörer zu ergöpen. So roh und form-
(08 diefe Schaufpiele im Ganzen auch ‚waren, fo fehlt
e6 doch nicht an einzelmen Dichtungen darunter, die fich
über die Mittelmäßigkeit erhoben; befonders in Frant-
reich, wo fie zum Theil mit Chören und andern Sang-
partien ausgefhmüdt waren. Von der damaligen
Bühneneinrihtung in Deutfchland wiffen wir faſt
nichts; in Frankreich war fie unabänderlih folgende
(vergl. Beauchamp, „Recherches du theätre frangais):
Mitten auf der Bühne war ein erhabenes Gerüft er-
richtet, worauf Bott der Bater in einem langen Talare,
von Engeln umgeben, faß. Etwas mehr nach vorn be-
fand fi die Hölle in der Geſtalt eines graufenerregen-
den Draden, durch deffen weit geöffneten Rachen bie
im Stüde agirenden Teufel ein- und auspaffitten; ber
übrige Raum ftellte die Welt vor. An der einen Seite
war eine mit einem Vorhange verfehene Nifche ange:
bracht, worin alles Das vorging, was nicht füglich auf
die Bühne’ gebracht werden Tonnte, fo die Niederkunft
dee heiligen Jungfrau, die Beißelung ober Kreuzigung
Shrifti, die Enthauptung des Johannes u. dgl. m. An
der andern Seite flanden Bänke, auf welche diejenigen
Acteurs fich niederfegten, die nicht gerade in der Scene
befchäftigt waren; denn alle waren immer gleichzeitig
auf'der Bühne, welche fie erft nad, gänzlicher Beendi—
gung des Stücks verliefen. Neben diefen Myſterien
gewannen bald die fehon erwähnten fogenannten Mora-
litäten große Verbreitung, eine Art alfegorifch-moralifcyer
Schaufpiele mit rein dibaktifcher Tendenz, indem durch
Perfonificirung von Tugenden und Laſtern Liebe für
jene und Abſcheu gegen diefe eingeflößt werden follte.
Sie enthielten oft einen höchft ergöglihen Stoff und
waren mit vielem Wige gewürzt. In einer foldhen Farce
unter dem Titel „Bantets Verurtheilung“ kommen fol-
gende Perfonen vor: Leckerei, Schmarogerei, Gute Ge⸗
ſellſchaft, Ihr Wohlfein,- Zur fehuldigen Dankſagung,
Podagra, Gicht, Kolit und Schlagfluß, die in eine arge
Balgerei gerathen, worauf fich die Erfahrung zu Ge⸗
richt ſezt und nach erfolgtem Urtheilsfpruche die Diät
das Henkeramt verfieht.
‘ (Die Fortfegung-- folgt.)
r.
Neugriechiſche Kiteratur.
Außer der ſchon früher erwähnten „Geſchichte der alten Vol⸗
ker’ („„Iorupla Tor woxaluv &urav‘') von K. D. Schinas er:
fhien fürzlih in Athen auf dem Gebiete ber hiftorifchen Lite
vatur eine „Kurzgefaßte allgemeine Geſchichte“ („Zrarzewiln:
zerıny Inropıa’) von Kenft. Paparrigopulos, der jich ſchon durch
einige Schriften bemerklich gemacht hat. Er hat dieſelbe für
die griechiſchen Spmnafien beftimmt, übrigens dabei befonders
das Wert des Franzoſen Lewi ald Grundlage benugt. Die
Profeſſoren Afopios und Manuffis in Athen haben den Abbrud
der Byzantiner nach der bonner Ausgabe für Griechenland be-
gonnen. Alerander Sutfos hat ſich Fürzlich wieder einmal in fei-
ner gewohnten Weiſe vernehmen laflen. Es erſchien von ihm ein
„ UÜormrıxow yaoroygvlaxıor'' (,‚Poetifhe Brieftafche”), eine
Sammlung politifcher Satiren, worin er fid offen für Kolettis
ald eine Nothivendigkeit und gegen die Oppofition erklärt, zu:
gleich aber auch die Lähmung der Regierung und bie Befeitigung,
d. 5. die Vernachlaͤſſigung der Gelehrten beklagt. 5.
Verantwortlicher Herausgeber: Seiurich Brockpauns. — Druck und Verlag von F. X. Drockhaus in Leipzig.
.. Blätter
far *
Donnerstag,
literarifhe Unterhaltung. .
5. März 1846, .
Zur Gefdihte der Entwidelung des
Dramas in Deutfhland.
(Bortfegung aus Nr. 65.)
Neben den Myſterien und Moralitäten durften auch
die während mehrer Jahrhunderte des mittlern Zeital-
ters in den Rheingegenden Deutfchlande — aud) in an-
dern Ländern — üblihen NRarren« und Eſelsfeſte nicht
ohne Einfluß auf den Charakter des ſich entwickelnden
Dramas geblieben fein. Die Narrenfefte follen bis in
das 5. Zahrhundert unferer Zeitrechnung hinaufreichen;
erweislich waren fie. um das Jahr 1500 in Deutfchland
noch nicht abgeſchafft. Sie wurden von Geiſtlichen und
Laien unter den größten Rarrheiten-um die Weihnachts-
zeit gefeiert und waren wahrfcheinlich eine Nachahmung
der römischen Saturnalien. Anfangs agirten bei einem
foihen Fefte nur. die Chorknaben und untergeorbneten
Beiftlichen, weshalb es auch wol das Feſt der Subdia⸗
fonen genannt wurde, und der Bifchof, die Canonici
und die übrige höhere Geiſtlichkeit bildeten die Zuſchauer;
in der Folge nahmen jedoch felbft höhere Geiſtliche und
auch Laien an dem Spectatel Theil. Die jungen Xc-
teures wählten dabei aus ihrer Mitte unter. fomifchen
Geremonien einen Narrenbifhof, der dann mit lächerli-
chen Gepränge in der Kathedrale felbft zum Bifchofe
geweiht und auf den gewöhnlichen Thron des Biſchofs
gefegt wurde. Hierauf hielt derfelde unter den fragen-
bafteften Grimaffen das Hochamt und ertheilte dem
Volke den Segen. Unterdeffen fanden fi eine Menge
junger Leute ald Narren in allerlei Vermummungen
und Maskenanzügen in der Kirche ein, nedten bie
Anmefenden und verübten die ausgelaffenften Tollheiten;
fie fangen unfittliche Lieder, führten verdächtige Tänze
auf und bildeten Gruppen in den obfcönften Stellungen.
Wir befigen noch vollftändige Ritualien, nach denen
diefe Hefte, die ebenfalls aus Frankreich ftammen follen,
begangen wurden. Im 14. und 15. Jahrhundert wur-
den dieſe Fefte, die freilid mit dem Ernfte der Reli-
gion ſchwer zu vereinigen find, von Päpften, Bifchöfen
und Concilien häufig, jedoch felten mit rechtem Erfolg,
verboten. Verwandt mit diefen Narrenfeflen waren bie
Efetsfefte, welche um diefelbe Zeit, gleichfalls zu Weih⸗
nachten, gefeiert wurden. Sie haben ihren Namen von
dem Eſel, der in geiftlicher Amtskleidung unter feierli-
hen Gefängen mitten in die Kirche geleitet wurde, wo
man dann ebenfalls Zänze und taufend Poffen unter
wilden Gefchrei und Nachahmung der Eſelsſtimme auf-
führte. Gewöhnlich erfchien auch Bileam auf einer
Efelin, weshalb man in der Regel annimmt, daß dies
Feſt zum Andenken der Propheten, welche die Geburt
des Heilandes gemeiffagt hatten, gefeiert worden fei;
indeffen ift ed auch nicht unwahrfcheinlich, dag man ur⸗
fprünglih damit blos die Flucht der heiligen Jungfrau
nad) Agypten verfinnlichen mollte.
Nicht unähnli den alten Mofterien ift ein ums
Jahr 1480 gefchriebenes merkwürdige Drama unter
dem Zitel: „Ein fchön Spiel von Frau Jutten“, von
einem @eiftlihen Namens Schernbert, Dies Stud, das
die famöfe Gefchichte der Papftin Johanna zum Gegen-
ftande hat, ift vielleicht die älteſte deutfche Driginaltra-
göbdie, denn wenngleich das Gedicht erft 1565 im Drud
erfchienen ift, fo fagt Doch der Herausgeber, M. Hierony-
mus Zilefins, Hirfchpergenfis, ausdrüdlih, dag es „im
jhar Vierzehenhundert und achtzig durch einen Meßpfaf-
fen Theodoricum Schernberf in einer Reichftatt gemacht
vnd gefchrieben ift, wie man mit des Authoris eigen
Handfhrifft in Driginali darthun fan: vnd zwar jeder-
man auch leichtlih in der ompofition fehen wird.
Darüber iſt's auch alſo approbiret, das es öffentlich zur
felben Zeit alfo gefpielet: und agirer ift worden.” Dies
wunbderliche Product, das von Katholiken häufig für ein
Machwerk von Proteftanten fpäterer Zeit ausgegeben
worden ift, trägt eben in feinen vielen Gebrechen die"
innern Merkmale der Echtheit; auch ift es eine unleug-
bare Wahrheit, wie dies der Kirchenfcridbent Platina
ausdrüdlic erzählt, dag man die lächerlihe Fabel von
der Päpſtin Johanna felbft in der römifchen Kirche
lange Zeit allgemein geglaubt hat. Die Angriffe auf
die Kirche können nichts bemeifen, denn Ahnliches fommt
auch in Roſenplüt's Faftnachtöfpielen vor, deren Echt:
heit unmöglich bezmeifelt werden kann. Gottſched hält
diefe Dichtung — ob mit Recht mag Ddahingeftellt
bleiben — für das älteſte neueuropäifche Xrauerfpiel
und bat es aus dem Grunde neu abdruden laſſen.
Wie mangelhaft dies Gedicht auch in vieler Hinficht
fein mag, indem der Verf. weder eine Idee von Ein-
beit der Handlung noch von dramatiſcher Okonomie und
Charakterzeihnung hat, fo iſt es doc, keineswegs fo
arm an Erfindung und Originalität der Stoffbehand⸗
lung, daß es nicht außer einem literarhiftorifchen auch
einen poetifchen Werth in Anſpruch nehmen follte. Die
agierenden Perfonen in diefem Drama, in dem ein ber
modernen Romantik ziemlich verwandter Geift weht,
find folgende:
Luciper. Bafilius, Babſt.
anuerfün. Zeuffels Groß Primus
eillis, des Teuffels Groß: | Secundus .
mutter. r Tertius Cardimalis.
8 Sathanas. Quartus
piegelglant Senator, ein Koͤmiſcher Raths⸗
I Zebberwifc. err.
Rottis. | Simfon, vom Jeuffel befeflen.
Aftrot. EHriftus Saluator. _
"\ Krengelein. Marta.
Babft Sutta. . &. Ricolaus.
GSterteuß , Babſt Jutten el! Engel
Buhle. Michael ge
Magister Noster Pari- More, der Zodt.
siensis. |
Den herrſchenden Ton in diefem Gedicht fann man
fhon aus dem Eingang entnehmen:
Luciper rüffet feinem Hellifchen Gefinde zubauff und
ſpricht:
Wolher, Wolher, Wolher,
Alles Teufeliſches heer,
Aus bechen vnd aus brüchich,
Aus wieſen vnd aus rorich,
Nu kompt her aus holtze vnd aus felden
Eher denn ich euch begin zu ſchelden.
Alle meine liebe Helle Kindt,
Die mit mir in der Helle findt,
Krengelein vnd Fedderwiſch,
Darzu Rottis ein Teuffel friſch,
Aſtrot und Spiegelglang,
Bnd machet mir ein lobetang,
Darnach wil ich euch jagen,
Heutte an biefem Tagen,
Was ih von euch begeren,
Diſs ſollet ihr mich geweren,
Dauon folt jhr haben den lohn,
Das ſchwere ich euch bey meiner ron.
Nu heb an, knecht Bnuerfün, den gſang,
Des ſoltu allweg haben danck,
Mit meinem Freunde Sathanas,
Der mir je der liebfte Schald was.
Bruerfün, ein Teuffel.
Das fol, Herr Luciper, geſchehen
Alſo balde von mir gar chen,
Ih erfülle gern den willen dein,
Du liebfter Herr und Freund mein,
Womit ih dir gedienen Fündte,
- Mit Sathanas deim guten freundte,
Des wer ich vnuerdroflen,
Vnd wolde das durch niemands laflen.
Rhun wil anheben den edlen gelang,
Und wil das nicht machen lang,
Vnd wollen tangen und reyen
In diefem Pülen Meyen- .
Bnuerfün Ber Teuffel, finget vor, Die andern Zeuffel fingen nach:
Lutiper in deim throne
Rimo, Rimo, Rimo
2
Warſtu ein Engel fchone,
Rimo, Rimo, Rimo
Nu biftu ein Teuffel grewiih
Rimo Rimo, Rimo. ,
eillis, des Teuffels Großmutter, fpringet au an der
Meyen, vnd fpricht:
Hie lauffe ih train auch mit vmbher,
Bnd mi nimpt grod wunder,
Was jhr euch habt vermeffen,
Das jhr meiner habt vergeffen,
Bnd fan ih do gar — geſchregke,
Bnd wil an den Reyen gelegke,
Auch kan ich gar weidlich geſchwantze
Vnd mich verdrehen an dieſem tange,
Darumb ſolt jhr nicht mit mir grungen,
Laft mich auch ſchütteln die alten runtzeln
Vnd laſt mich auch helffen ſingen
Bnd meine roſterige kele erklingen
Bey dem edlen guten gelang,
Des folt jhr allweg haben dand.
Des Zeufel® Großmutter fodert darauf Lucifern auf,
den verfammelten Zeufeln fein Begehr zu offenbaren,
was diefer fobann mit folgenden Worten thut:
Das wil ich liebe mutter thun fo drotthen,
Vnd habe mich darauff gereide berothen,
Darumb mein lieben Herrn gebet rath
Der vns allen wol anftatt,
Sehet hin zu jener Amen,
Da gehet gar ein fhön Jungfrawen,
Die ift Jutta genant,
Die wil ziehen aus Engellandt
Mit einem Schreiber wife -
In die hohe Schule kegen Paris,
Vnd ſie wil ſich anderft laffen nennen
Das man fie nicht mag erkennen,
Auch wil fie heimlich vnd leife
Gekleidet gehen in Mannes weife,
Vnd ihr Ram fol fein genant
Sohannes aus Engellandt,
Da rathet liebe gefellen zu
Das fie das gar balde thu,
Bnt mögen fie ons gerüden
Zu jhrem großen unglüden,
Das wird vnſer groſſer frome werden
Nach alle vnſers bergen begerden.
Die Teufel vollbringen das Wert und berüden bie
Jungfrau, bie mit ihrem Buhlen nach Paris geht, dort
verkleidet fih unter die Studenten mifcht, große Gelehr-
famfeit einfammelt und dann mit ihrem Begleiter nad)
Rom wandert. Bier werden Beide zu Cardinälen
ernannt, und nad dem Tode des Bafılius wird Jutta
Papſt. Balb darauf geräth fie mit dem Teufel in
Conflict, der fie aus Race Mutter werben läßt, was
zu allerlei Skandal’ und einer Zwieſprach zwifchen Chri—
ſtus und der Jungfrau Maria Anlaß gibt. Letztere
bittet für Jutta, worauf Chriftus den Engel Gabriel
an jie abſchickt, um fie zu befehren, was ihm auch ge:
lingt. Dann ruft Chriftus den Tod herbei und fpricht:
Darumb gebiete ich dir Todt zu diefer frift,
Das du mir gehorfam bift,
Vnd machſt dich auff die bahn,
Da dir die Fraw wird vnterthan,
Die ſolche miflethat .
Wider mi begangen hat,
By
-
feuer erlöft und duch den Erzengel Michack in ben
Vnd töbteft fie gar brottben, ‘
Drauff bi6 ſchnell und bafd berothen.
' P Mord, der Todt.
Hie,gin ich bereit heiliger Gott,
Vnd will. gern halten bein gebot,
Wenn id bin grewlich und gramfam,
Alled das mir je fürguam, .
Sey flard oder dicke, -
Men ich e8 recht erblicke,
Ich geb jhm ein folchen ſchlag,
ad er ewiglih am mich gedenden mag,
Ich meſſe ihm in die lenge und in die breithen,
Das ev meiner kaum mag erleithen,
Ih treibe ſolchen geſpug,
Darzu folgen vungefug,
Das ihm die Secle in dem leiben
Nirgend mag gebleiben,
Ich E yı ein Pol gekochen,
Das ih Araden alle knochen
Auch, gebe ich ihm zu trinden bier von ſtarkem Hopffe
Daͤs ſich ihm verwenden die augen im Bopffe,
Zuletzt Ecme idy jhm auff das hertze,
Da mus die Seele leiden groffe ſchmertze,
Bis daB fie reumet djefelbige ftadt
Die fie lange befeffen hat, ‘
Es an mid nicht erbarme,
Mir iſt der reiche wie der arme,
Der Deutfche ald der Wahle*)
Sch rücke fie alle aus ihrem fahle,
® Mnd müffen von mir leiden den todt,
Auch ward noch nie Fein mundt fo rodt,
Ich made jhn wol miſſefahr,
Ich breche die liechten augen klar,
Ich hawe fie hin als das Hawen **),
Sch fürdht auch niemands Dramen,
3% werde, ich werde grewleich,
Mir ift der Niefe mit dem Zwerge gleich),
Was von der Erden ift geboren
Das ift zumal mit mir verloren,
Hierumb wil ich, Himliſcher Gott,
Mich auffmahen alfo droth,
Vnd wil nicht lenger gedagen
Vnd wil dad weib darumb fragen,
Was ſie damit gemeinet hat,
Das ſie ſolche miſſethat
Hat wider dich begangen,
Darumb wil ich fie anlangen,
Vnd wer ſie noch fo klug vnd weiſen
So fol fie doch nichts aus meinen henden reifen.
Der Tod begibt fih zu Jutta, die nun nod . viele
Reneworte fpricht und fingt, zu welchem Behufe Roten
eingefhaltet find, ſodaß der Tod deffen zulegt überdrüffig
wird und unmwillig in Die Worte. ausbricht:
Ru höre auff mit deinem Baffen,
Ich mus mein gefcheffte fchaffen
Alhier an diefer ftatt,
Denn du machſt mich mit deinem reden matt.
Dann verfegt er ihr einen Schlag; fie fällt nieder,
wird Mutter und flirbt während der Geburt, worauf
ein Zeufel mit ihrer Seele von bannen fährt. Auf
Fürbitte der Maria und des heiligen Nikolaus wird die
Seele, die als agirende Perfon auftritt, aus dem Fege⸗
9 Der Wahle, d. i. der Bälle.
*") Die dad Deu.
Himmel geführt, worauf diefer fpricht:
Himlifher Gott und Herr,
‚. pier bring id ber mit chren
Die arme ſuͤnderin,
Die hab ich genomen ‚aus der pein, .
Die begeret nu deine gnade,
Die lab ihr Herr komen zu ftade.
Saluator.
Bis wilfomen Du liebfte Tochter mein,
Du folt mit mir frölich fein |
In meinem Himelreiche,
, Das fage ich dir ficherleiche,
Ru und gu ewiger zeit, ".
Das glaube mir abe neibt, 7. ; "- ina.ciscıe.
x
Und was du gethan haft in deingm leben, temm An.
Das fol dir all fein vergeben »
Wenn Maria die liebe Mutter mein
Hat dir gethan jhrer hülffe fchein
Mit dem heiligen Nicolao,
Drumb foltu fein wolgemut vnd fro,
Du bift aus forgen genefen
Vnd folt mit mir in ewigen freuden weſen.
Diefes formloſe Gedicht, das gegen alle Regeln der |
dramatifchen Dreieinigkeit verflößt, würde als Drama
freilich ganz zufammenfallen, wenn A. W. Schlegel mit
feiner Behauptung, bag im Drama die Anfoderung dee
Theater, als feiner nothwendigen Ergänzung, liege,
Recht hätte; indeffen hat fhon Jean Paul die Unhalt-
barkeit dieſes Sates genügend nachgewieſen, und ſelbſt
Goethe antwortet auf Schiller's Vorwurf, daß es ſeinen
Dramen an der nöthigen Concentration zu wirkſamer
Bühnendarſtellung fehle: daß er die Wirkung ad extra
nicht ale Hauptfache anfehen könne, und daß die poeti-
ſche Anfoderung an das Drama erledigt fei, wenn durch
Aufſchließung des menſchlichen Innern mittels der Hand⸗
lung ein aͤſthetiſcher Zweck erreicht werde. Wie wenig
es überhaupt mit der Einheit der Zeit und des Orté
im Drama auf fich habe, zeigt fich am beutlichften bei
Shakfpeare. Dagegen fündigt unfer Gedicht zu ſtark
gegen die unerlagliche Einheit der Handlung, die nicht
genügend in fih abgefchloffen erfcheint, indem der Dich⸗
ter weder den Anfangs» noch den Endpunkt richtig auf-
zufaffen gewußt hat, fondern rückwaͤrts und vorwärts
über bie feften Grenzen des Dramas hinausſchweift.
Nicht viel fodter als dieſes Drama und wahrfchein⸗
lich noch vor 1500, find einige Komödien des Terenz
deutſch bearbeitet worden, wie Dies aus ben gefchriebenen
Auszügen zweier biefer Komödien in der Schulbibliothek
zu Zwickau erhellt. Wahrſcheinlich waren fie zu Auf-
führungen bei Schulfeierlichkeiten beftimmt, wie dies aus
dem Prolog hervorgeht, der fo anhebt:-
Achtbare, Erbare, nahmbafte, großgünftige Herren,
Die ihr ſeydt ipt auff vnſer bytt erfchtenen gern,
Desgleichen andern herrn und freundt,
So viel ihr igt vorhanden feindt,
Die bytt ic allefampt bie entgegen,
Bon aller unfer ſchuͤler wegen,
Belt günftiglich diß unfer fpiel .
Anhoͤrn auff Dießmal in der fill,
Denn bie nicht wie fi mancher ihrt
Die Büberey gelernet wirbt;
v
*
.
Es hatt gar viel ein ander fin
Wie ihr denn werdet hoͤrn hierin
Damit vielmehr die tungen Leudt
Bon Buͤberey wern abgefcheutt,
Wenn fie all nun vermerden eben
Soldyer Belge vngoͤttlich feben
: Ihr falfche vnd gefchmirtte wortt
Da durch manch feel wirdt gemordt,
Bas bie fonft ift Mu merden weytter
Wern euch die knaben alhie bedeutten,
. Wolt derhalben euern gueten willn
Hierin erzeygen und ſchweigen ſtill.
Das erſte überfegte Stück führt die Uberſchrift „Phä⸗
dria“ und beſteht aus einer Reihe wunderlicher Perſon⸗
beſchreibungen ohne genügenden Zuſammenhang; vielleicht
aber wurden lateiniſche Scenen dazwiſchen eingeflochten.
Der Anfang des Epilogs macht die bereits geäußerte
Vermuthung, daß dies Stud bei einem Schulactus auf⸗
geführt worden ſei, noch wahrſcheinlicher. Er lautet ſo:
Hiemit habt ihr großgünſtig herrn
Gehert, hoff ich on all beſchweren
Bnfer ſchulrecht auff diß mall
So wirs nun hetten troffen woll,
Das ihr daran gut gnügen heutt
Wern wir alſampt hochlich erfreutt u. ſ. w.
Etwas höher ſteht das zweite Stud, eine Ummode⸗
lung des Zerenz’fchen „Heautantimorumenos”. Gottfched
ift der Meinung, daß das Ganze nur Einfhaltung zu
den wirklich Lateiniſch aufgeführten Komödien des Te⸗
renz babe fein follen, zum Berftändnig für diejenigen
Zuſchauer, die des Lateinifchen nicht kundig waren.
(Die Fortfegung folgt.)
Berichte aus Bohmens Vorzeit verbeutfcht von Jofeph
Mathias Grafen von Thun. Mit einer Einlei-
tung von 9. 3. Safarif und Anmerkungen von
5. Palacky. Prag, Calve. 1845. Gr. 8. 15 Nor,
Rod widerbaliten die Worte des Herrn Strafen Mathias
v. Zhun, die er im „Slawismus in Böhmen” gefprocdhen, von
einem Ende Böhmens zum andern, als die frohe Nachricht
fi} verbreitete, der edle Graf, der es für feine „„Ritterpflicht‘
erflärt Hatte, an der Seite der fhmwächern Ezechen zu ftehen, .
habe ein zweites Werk in Bereitfchaft, die Ehre der böhmifchen
Ration zu vertheidigen. In kurzer Zeit erfchien ed und über:
rafchte Durch die Gediegenheit der Arbeit, Die um fo werth:
voller je fchwieriger fie an fih ift, nicht minder als durch
ihren Inhalt. Die älteften‘ böhmifchen Gedichte, wie fie die
fogenannte Königinhofer Hundfchrift und’ einige andere zufäl-
lig erhaltene Blätter alter Manuferipte aufbewahrt haben,
waren zwar bereits früher vom Prof. Swoboda und Anderr,
ja eins fogar von Goethe ind Deutfche überfegt worden; al:
lein theild hatten ſich feitdem mandherlei neue Auffaffungen
einzelner Stellen berausgearbeitet, theile waren es andere |
Grunde, welche eine Auffriihung des Gegenftandes unter der
Lefewelt nothivendig machten; genug, der Wunſch einer neuen
Überfegung ward von vielen Seiten gefühlt. Auch der Verf.
des vorliegenden Buchs fcheint das Bedürfniß getheilt zu ha⸗
ben. Als ihm daher, fagt er in feiner Vorrede: „das Glüd
wurde, diefe Heiligthümer im Urterte lefen und verfteben zu
tönnen, ergriff mid eine unnennbare Wehmuth, und lebhaft
erwachte der Wunfch in mir, dieſes Seugniß nicht geahnter Eultur
auch deutfhen Augen, die fehen wollen, vorzulegen. In den
Geiſt einzubringen fuchend, wähnte ich mich felbft von ihm
angebaucht, und fo entitand diefer Werfuch. ein Iwed war:
„eine in Form und Ausdruck moͤglichſt treue Copie vorzulegen
ſolchen deutſchen Leſern, welche durch univerſelle Bildung über
nationale, Einſeitigkeit erhoben find.” Der Verf. geſteht ein,
daß die Überfegung an ſich wegen der gänzlichen Verſchieden
heit der beiden Sprachen ungemein fchrierig gewefen; trogbem
fann man nicht anders als die ungemeine Gewandtheit bewun-
bern, mit welcher er fih an dad Original anzufchmiegen weiß;
nicht blos biefelbe Sylben: und Berszahl, vielmehr ‚noch das
möglichft treue Wiedergeben des Gefühle, der edeln Einfach⸗
heit, der Gedankenfuͤlle und der für unfere Zeit nicht felten
allzu kühn erfcheinenden poetifhen Wendungen, mit einem
Worte, der ganze alterthümliche Geift des böhmifchen Drigi«
nals, ber und bier in deutihe Wörter gekleidet entgegentritt,
ift e8 was wir an ber vorliegenden Überfegung befonders läb-
li hervorheben müflen. Ein —— offenes Hinge⸗
ben, ein Sichverſenken in dieſe Lieder duͤrfte aan einen dem
ſlawiſchen Geifte ganz Fremden ahnen laffen, was biefer fla-
wiſche Geift ift, der ın Diefen alten Heldenfagen aus den frü-
beften Jahrhunderten zu uns herüberragt. Wer ähnliche Arbei-
ten nur einigermaßen Eennt, wird die Keiftungen des Berf. zu
würdigen wiflen. Das Buh enthält alle Gedichte der Könie
ginhofer Handfchrift fordie einige andere der älteften und beiten
böhmifchen Dichtungen. Zur Bergleihung jteht der Driginal-
tert der Überfegung gegenüber; erfterer ift nach der jeßigen
Orthographie gefhrieben, aber in den Wortformen dem Zerte
in der Handſchrift möglichft nahe gehalten. Jedem Gedichte
geht eine kurze Beichreibung der Handfhrift, in der es fich
erhalten, die Beſtimmung der Zeit, aus welcher daffelde ab-
ftammt fowie derjenigen, in welcher Das Gedicht abgefaßt wor:
den fein mag, und dergleichen arcäologifhe Angaben mehr,
voran. Diefe Notizen find von Palacld. Die Einleitung von
Safarif dagegen erzählt auf 40 Seiten den ganzen Hergang,
wie der Bibliothekar Hanka auf einer feiner vielen Reifen zur
Aufſuchung alter Sprachdenkmaͤler die Handfchrift in einzelnen
Blättern nicht zufällig, fondern beim Unterfuchen einer alten
Rumpellammer in ber Föniginhofer Kirche entdedt hat; verthei-
digt diefelbe dann gegen jeden Vorwurf der Faͤlſchung und ge:
gen alle gegen fie vorgebrachten Verdaͤchtigungen; ſchildert die
Zheilnahme, welche dieſelbe bei allen flawifhen Bölfern und
auch andermärts gefunden; geht dann auf den Inhalt felbft
über; beftimmt die Hiftorifhen Eigenſchaften des Fragmente;
zeichnet Die Dichtungsweife in den Liedern, Metrum und der:
gleichen, und jchließt mit der Erklärung, er wolle auf weitere
Beweife der Echtheit der Handfchrift ſich nicht weiter einlaffen, '
„weil wir in der Eile des Burgen Lebens viel wichtigere Pflich⸗
ten zu erfüllen haben ald gegen die Grillen einer pyrrhoniichen
Kritik ein Denkmal änaftlih in Schug zu nehmen, welches,
nad unfer lebendigen Überzeugung, das Sepräge feiner Ab⸗
kunft für jeden Urtheilsfähigen und Unbefangenen deutlich an
der Stirn tragend, unfers ängftlihen Schutzes durchaus nicht
bedarf. Wir überlaflen demnach getroft die Königinhofer Hands
Ihrift ihrem Schiefale: möge fie ihre Sache vor der unpar⸗
teiifchen Mit: und Nachwelt felbft führen und bemeilen, ob
ie eine Schöpfung der Wahrheit, wofür wir fie halten, oder
eine Ausgeburt der Lüge fei, wofür fie Einige ausgeben.“
J. BP. Kordan.
— — — — —— — —
Literariſche Anzeige.
Soeben erſchien und iſt durch alle Buchhandlungen zu erhalten:
Alberti (J. G.), Der Stand der Arzte
in Preußen. Ein hiſtoriſch-kritiſcher Verſuch,
mit Beziehung auf die bevorſtehende Reform des
preußiſchen Medicinalweſens. Gr. 12. Geh. 24 Ngr.
Eeipzig, im Maͤrz 1846.
S. A. Brockhaus.
Verantwortlicher Herausgeber: Seiurich Wrodtauns. — Druck und Verlag von F. N. Srockhaus in LZeipzig.
⸗
Blatter
für
literarijde Unterhaltung.
Freitag,
— Nr. 65.
6. März; 1846.
Zur Gefhidhte der
Dramad in Deutfchland.
(Sortfegung au Nr. 6.)
Ungleich wichtiger als die genannten Erzeugniffe find
die Zaftnachtefpiele des Dane Holz oder Bol, und bes
Johann Rofenplüt, genannt Schnepperer, bie ältefien
vollftändigen beutfchen dramatifhen Gedichte, da fie
fhon aus der Mitte des 15. Jahrhunderts ftammen.
Sie find zwar äußerft roh in Anlage und Ausführung
und das Material befteht faft nur aus. einer Reihen⸗
folge von groben &emeinheiten, indeffen find fie doch
reich an treffendem Wig und liefern ein Bild echter
Volksthumlichkeit. Hans Kolz, ein Wormfer von Ge-
burt, lebte um 1450 in Nürnberg als Barbier und
war zu der legten Hälfte des 15. Jahrhunderts als
Meifterfänger berühmt. Bon feinen der Schule ange-
hörigen Gedichten ift das Meifte verloren gegangen, doc)
befigen wir von ihm noch vier Kaftnachtöfpiele, die zu
ber Zeit und noch lange nach des Verf. Tode fehr be-
liebt waren, fodaß fie im Anfange des 16. Zahrhun-
derts wiederholt abgedrucdt wurden. Diefe vier Stüde
find: „Salomon und Markolf“, „Ein Bauerngericht”,
„@ine gar bäuerifehe Bauernheirath“ und „Der Arzt
und der Kranke”.
Um dieſelbe Zeit, jedenfalls noch in der legten Hälfte
des 15. Jahrhunderts lebte Johann Rofenplüt mit dem
Beinamen Schnepperer, d. h. lofer Schwäger, Zoten⸗
reißer, welchen er wegen der entfeglichen Frechheit und
Zügellofigkeit erhielt, die durchweg in feinen Faſtnachts⸗
fpielen herrſcht, deren wir noch ſechs vollftändig befigen.
Auch feine Stücke entbehren durchaus alles dramatifchen
Intereſſes, indem fie aus einer wenig zufammenhängen-
den Scenenreihe beſtehen; indeffen herrſcht doch in ihnen
ein fehr kräftiger, treffendber Wig und ihre wohl berech⸗
nete fatirifche Tendenz macht fie jedenfalls hoͤchſt beach⸗
tenswerth. Wenn wir von Rofenplüt nichts weiter als
feine Saftnachtsfpiele beſaͤßen, fo wären mir allerdings
berechtigt, ihn für den unzüchtigften, frivolften Mann
zu halten; ganz anders erfcheint er uns aber in feinen
recht gelungenen komiſchen Erzählungen, in denen ſich
viel Geiſt und ein ungleich feinerer Witz ausfprict.
Bir müffen daher glauben, daß jener fhlupferige Ton durch
Entwidelung des
den damals herrfchenden Charakter ber Faftnachtefpiele
bedingt wurde. Das erſte von feinen ſechs Stüden bat
| blos den Titel „Ein Baßnachtfpiel” und ift eine Satire
auf die Untreue der Ehemaͤnner und bie Fehler ber
Frauen, die jene veranlaffen. Bei bem Bifchofe von
Bamberg, unter deffen Kirchenregiment Nürnberg zu je-
ner Zeit fland, find fo viele Klagen ber Frauen gegen
ihre Ehemänner eingegangen, daß er feinem Official bie
Unterfuhung der Sache aufträgtz biefer tritt auf und
ſpricht:
Ihr herren wen man hie wird nennen
Der trett herfür vnd laſſe ſich kennen
Bnd thu fein Anttwurtt auf die clag
So horet man auf ewer beyder ſag,
An wem man das vnrecht wird verſten,
Der mus ſein fürpaß abgen
Bnd wenn wir eins mer auf ein valbenpferd finden
So wolten wir es in dem hoben pan verfünden.
german Sunnenglang,
ietrich Seydenſchwantz,
Eberhart Blumental
Berantwurtt euch vor dem Official.
Dann treten die Frauen als Klägerinnen nebft ihren
Männern vor, worauf Nede und Gegentede beginnt;
der Official fpricht zulegt das Urtheil. Schade, daf der
Zon in bdiefen Dialogen fo unfittlih ift, daß ‚er Feine
Auszüge geftattet. Daß es bei dieſen Faſtnachtsſpielen
auf eine gute Bewirthung der Agirenden abgefehen war,
fheint aus der Schlußrede hervorzugehen, bie ein He-
told — übrigens ein hors d’oeuyre — fpricht:
Her der Wirt nu gebt uns eine gute nadht,
Db wir es zu grob hatten gemacht,
So folt ir es für einen Schimpff*) verften,
Wenn alle die heint zu euch gen
Die wellen mit euch Ichimpffen vnd lachen,
Die Vaßnnacht fan manchen narren machen,
Dos er in torrechter weife umbget
Wenn ir das felber wol verfiet
Das man zu Vaßnnacht frelicher ift
Dann am Karfreytag fo man den paffion lift,
Wer des nicht glaubt von mannen und weiben
Den wollen wir in vnfer narren Buch fehreiben. |
Das zweite Stüd führt ben Titel „Die foben Mei
ſter“ und enthält eine fehr einfache Fabel. Ein Jüng-
ling meldet fi) bei den fieben Meiftern, um von ihnen
DD. i. Shen.
8
die Kunft zu lernen „den Frawen zu gebinen vnd wol
zu gefallen”. Die fieben Meifter preifen ihm der Reihe ;
nach ihre Wiffenfchaften zu diefem Behufe an, fo der
erfte Meifter die Grammatik:
. ‚Ein, man der ſrawen dienen fol.
Der bedarffe Gramatica recht wol
Das a In dyen mit rechtem fleiß,
Das er nicht nyder Iren Höhen preift
Bann framen dinft ift gar ungleich,
Einer vngeſchaffen, einer fernberleih u. f. w.
Der zweite Meifter fpricht die Logik rühmenb:
Einer der frawen dienen wil mit fleiß
Der bedarff zu wißen fivarty und weiß
alten vnd laßen nicht tewſchen und effen
Yenoen und haben nicht felen vnd treffen
Richt zwey geheißen vnd drew gefelt
Vnd allweg wilt feyn one gelt
Nicht große clage und cleime fmergen
Br heiß Im mund vnd Balt im bergen u. f. w.
Der dritte Meifter empfiehlt die Geometrie:
‘Einer der in frawen dinft wil leben
Dem ift Seometria chen
Wer das nicht Pan der ift ſchab ab
Vnd weren geben Funigreidy) fein
So muß er dennoch ber frawen großloffel feyn.
Der vierte Meifter preift die Rhetorik:
Rethorica die lert einen man
Das er mit framen wol reden Fan
Nicht viel geſchreyß und wenig wollen
As offt thun die narren vnd vollen
Bnd golt geheißen vnd kupffer gelten
Bnd voren loben vnd Hinten ſchelten
Bud oben ſchon vnd vnten der ſchawer
Bnd awßen edel vnd Innen ein Bawer,
Beldyer man den Frawen recht byenen wil
Der gelob In wentg vnd halt In viel.
Der fünfte Meifter empfiehlt die Mufit:
„Ein man der frawen dienen wil
Der bedarff gefanges vnd feptenfpil
Damit er hoch und nyder reicht "
Bann füche fiym frawen erweicht
Das fie gein bene Man auf enttewnt
Der ver nicht gewefen Ir freunt
Das fie follich freuntſchaft zu Im tregt
Das fie fi) an fein arme legt u. f. w.
Der ſechste Meifter preift die Arithmetik:
Die Arismetrica die zelt
— — — ein Zung Helt
Den frawen dyenen fl — — —
Dos ich In eimen frawen dyener en
Hat er gekempfft geftärmt vnd geftriten
Seclherumpelt — — — —
Getutniret geſtochen getarigt geſprung
Mit ſnellen gelauffen mit ſtarcken gerungen
Vnd mit hohen eren iſt kumen her
Erſt ſchreib ich Im ein halben frawen dyener.
Der ſiebente Meifter endlich empfiehlt die Aſtronomie:
‚Afteonomia ift ein Funk
Die einem wolff hilfft zu feawen gunft
Mann zeigte zeit macht grunen im glichs krawt
Sarumb wer zu Techter zeit :parut
Der gewint ein fruchtreichs eren
Das Fan die Punft Aftronomia beiweren.
Der Jüngling danke den Meiftern mit folgenden Worten:
Ir weiſen Meifter wol gelert
Sch dank euch fer auff diefer vart
Dat aa pie ben wol PN
a8 hab ich Bie euch gefunden
Run soll ic) den fremden und kunden
Bon ewren behen Tunflen fagen
Vnd wil ewern preife in alle lant tragen.
Die Frauen, zufrieden mit feinem Vorſatze, ihretwe⸗
gen alle Wiffenfhaften und Künfte zu lernen, beioh.
nen ihn mit ihrer Gunſt, indem fie ſprechen:
Hort junger Man wir haben euch wol vernomen
Das Ir durch framen willen feit aws komen
Vnd wolf eud-in allen den kunſten nieten
Damit man Vnns frawen mag ere erpieten
Mit kunſt mit fangen vnd nut fpringen
Mit ftechen mit turniren mit fügen vnd mit fingen.
Vnd allgeit Bnuſer lob gemeren
Dorumb wollen wir euch mit dicfem Cleynot vereren.
Auch in diefem Stud findet ſich ein Herold, der nach⸗
ſtehenden Prolog (worin ein arger Anachronismus vor-
Tommt, indem der Aftronom Ptolomäus mit einem ber
Könige gleiches Namens verwechfelt wird) an das
Publicum Hält:
Run horet ir fremden und tr kunden
Hie wirt geoß kunſt und mweißheit fanden
Bey [yben weiſen meiftern gra
Briscimnus mit gramatica
Die kert lateiniſch reden und fprechen
Die Sylben fpalten piegen und brechen.
Hie find man loyca mit ir liſt
Die lert was valſch und vnrecht iſt
Sie krumpt ſie flicht ſie gentzt ſie trent
Die lug fie bey der wahrheit Bent
Ir meifter Heift Ariftotiles.
Die Geometria lert Euclites
Die milfet Hoch tieff eng vnd weyt
Kurt langk fmal preit die kunſt das geit.
Zulius lert Retorica
Hubſchlich reden neyn vnd ia
Vnd mit geblumten wortten dietiren
Bd fa von fach fpecificiren.
Bohetius lert die muften
Wie vt re mi fa fol ond la
&o fonft her klingt auf ſeyten fpilen
Mit vingern vnd mit vederkilen.
Pibagoras lert pratticiren
Bnd kan auch wol awßziferiren
Wie ſich yeber numetus gemert
Die Arismetrica das lert.
Aftronomie geit zu veriten
"Wie funne mond vnd fterren umbgen
Bnd wie fie all Frucht wurcken bin onten
Das Yat mein Her kunig tholomens gefunden.
Ob yemannt fie fernen wolt i
In kurtzer weil und umb deinen folt
Der ſulle ed den meiftern offenbaren
Bad fulle In das mit WVortten ertlaren
bie er heiß vnd wer er ſey
Der lernen wolle ber trete herbey.
Sum Schluß fodert der Herold Die Zuhörer mit folgen-
den Morten zur Faſtnachteluſt auf:
Darumb folt ir frolich leben
Der Babft hat vnns den gewalt geben,
Wann wir die vaßnnacht nicht frolich funden
Den wort wie bis Suniag in dem pan laffen derkunden
Das Brite Süd, teritelt „Des Türten Bußnach ·
Tpiel" hat cin wanderliches Sujet. Der Dichter läßt
den Broftürden Mohammed Il. nad) der Unterwerfung
Griechenlanbs und Eroberung Konſiantinopels, alſo ge⸗
rade um bie Zeit, von Roſenplüt lebte, mit feinem wei⸗
feſten Rathe unter ſicherm Geleit der Stadt Nürnberg
nach Deutſchland ziehen, um die Streitigkeiten unter den
Chriſten zu ſchlichten. Das Ganze iſt eine bittere Satire
auf das vor dem Gebot des Landfriebens in ch»
fand herrfchende Fauſtrecht. Auf Höchft poffirliche Weiſe
proteftirt ein Nürnberger gegen die Einmiſchung des
Türken und fagt zu dem weifen Rath:
Davor fol uns unfer got bebüten
Wamn vnſer get bat deinen get ven oben herab geftaßen.
Chriften auch einen flarfen Bott hätten, der unüber⸗
windiih wäre, fo lange fein Gebot nicht übertreten
würde”. Der Sultan verfegt berauf:
Wir großmechtig Turck von hoher gepurt
Es hat Fein Vbel vnnſer berg noch nie angerürt
Wir fein nicht herfumen das wir wollen Briegen
So wollen wir nyemant hie betriegen
Aber doch wollen wir vnnfer heil verſuchen
Wir haben geleſen in den Buchen
Wenn der reiche den armen. beugt
Vnd wenn der weile dem narren fein gut abtreugt
- Bnd der voU den hungrigen nicht wit fpeifen
Bnd wenn die gelerten vnd ſchrifft meifen
Dem legen bofe ebenpild vortragen
Bnd wenn der vater vber daß Find wird clagen
Vnd wenn der ber nicht befridt feinen Bawerßman
So hebt fi dann der Eriften unglüd an,
Die ſtuck horen wir alle in irem land clagen u. ſ. w.
Dann zählt er die neun Garbinalfünden der Chriften
auf und erflärt, er wolle dieſe Übel abflellen, weil fie
Gott misfallen. Plöglich aber erfcheint ein Abgefandter
des Papſtes, der dem Zürken die unflätigften Grobhei-
ten fagt, die diefer auf gleiche Weife erwidert. Nun
kommt ein Gefandter des Kaifers, der den Türken mit
ähnlihen Grobheiten anläßt amd ihn mit Krieg, Gefan-
genfchaft und Strafen bedroht, worauf biefer unter
Schimpfen und Zluchen betheuert, ex werde mit ben
Seinigen nicht abziehen, fondern Gericht ber die laſter⸗
haften EhHriften halten. Ein Bote vom Rheine her, von
den verfammelten Kurfürften abgefandt, kommt dazu
und legt im Namen bderfelben Proteſt gegen die Erobe⸗
vang von Konftantinopel ein, was den Zürfen in bie
größte Wuth verfegt. Jetzt tritt der Bürgermeiſter
der Stadt Nürnberg auf und eröffnet dem Sultan in
einer ſehr hoͤflichen Rede, die fo anhebt:
Allerhoͤchſter Rer alleroberfter Imperator
Adler Tuͤrcken und Heyden gubernater
, Der allernechſt nach deinem got Madgmet,
baß das fichere Beleit des Seren von Nürnberg wit
dem naͤchſten Tage zu Ende gehe und daß er baher
noch vor der Vesper die Stadt räumen müſſe. Dies
befänftigt alsbald den tobenden Groftürken und er fpricht:
Bir nemen Süeßholtz in den Mund
Wenn fleg und ſtich fein vnns wngefimt.
Er dankt Für DaB gehaltene Seleit und ſeheleßt Zoflich
mit folgenden Worten:
VBVnd wo it inndert kumpt in vnnſer
So muß euch ale —* De oeplet
Große ere vnd wirde erkeigen
Bnafer hertz ſoll Ki nummer Bon euch neygen.
Das wollen wir euch halten wie Türckiſche Heyden
Ru wollauff vnd laffet vnns von bynnen fcheyden.
Das vierte Saftnadefoiel unter dem Zitel „Don
dem Pawern und dem Bock“ ift fehr unbedeutend und
befieht in einem Turzen Ddialogifirten Schwant. Kin
ehrlicher Bauer, der nie eine Lüge gefprochen, befigt das
volle Vertrauen feined Herrn; die Frau weitet mit Letz⸗
“erin, ihn durch Lift zw einer Rüge zu bewegen, welches
worauf biefer fih am den Großtürken wendet und ihn ihr ber micht, gelingt, fobaß fie die Wette verliert.
bittet, folhe Rebe nicht übel zu nehmen, „zumal bie
Ebenfo inhaltarm find die beiden andern Spiefe: „Bon
dem Jünglingk“ und „Die Kuchenſpeiſe“.
In der zwidauer Bibliothek befindet ſich auch nude
eine Umarbeitung des Terenz'ſchen „Eunuchus‘ mit über-
| fegtem Prolog, deutſchem Argument und einer Menge
wunderlicher deutfcher Erfärungen und Gloffen, welche
die Jahreszahl 1486 auf dem Titel trägt und von
Gottſched für das ältefte im Druck erfchienene Luftfpiel
gehalten wird. Der volftändige Titel Tautet: „Win
maifterlich und wolgefegte Comedien, zelefen vnd zehören,
luftig vnd furgmylig, die der Hochgelert vnd groß Mai⸗
fier vnd Poet Therencius gar fubtill mit groffer kunſt
vnd hohen flyß gefege hat, darin man lernet die gemuet
aigenſchafft vnd fitten der Menfchen des gemainen Beltz
erdennen. Darvmb ain yeben fo durch leſen oder hören
deß wiſſen⸗empfachet, fah defter bag vor aller betrügnuß
der böfen Menſchen mag hätten und wiſſen gebemaren.‘“
Am Ende ſteht: „Diefe Comedia hat Hanns Nythart
zu Vlm laffen druden den Cunrat Dinkmut in fol.
Nach Crifts gebürt 1486." Unter den Erklärungen be-
findet ſich auch folgende Definition des Luftipiels:
Was Comedian zeteutfcht gefprochen feie, wie fie auch ge⸗
teilt und ausgelegt werde: „Comedia iſt ein gebicht, aus mem
geriet das gemuet vnd anfechtung mitler Perfon inhaltende.
——— —— Dis —— —
emaiden. Wn
* ſpiegel ſeie vnd ain Pildung ber Warheit.“
Die erſte gedruckte vollftändige überſetzung des Te⸗
zen; iſt aus dem Jahr 1409. Im der Vorrede wird
geſagt, daß bie Überfegung won bemfelben Verfaſſer fei,
wämli „dem vrfamen und wyſen Hanfen Nytharg,
Burger zn Bm”. Zur Einleitung bienen folgende
Verſe:
ſ Zu Cartago in der Stat fo hoc
Ward geborn idy Therencus, doch
Zu dem Hömfchen rich Fam ich gerobt
Bon miner vernunft vaft hoch begobt,
Wler menfch fytten befihriden Hab
Gar von iugent an biß in das grab. .
Wie auch die knecht die herren belrigen
Wie ein fchnöd frow vnd frihard Ligen.
Ein yeglicher der das leſen ii
Der macht ſich ficher zu aller friſt.
9 D. 1. Vom.
Am Schluffe des aus 166 Blaͤttern in Folio be-
fichenden Bandes ftehen die Worte:
Getrudt in der kaiſerlichen vnd freyen ſtatt Gtraßburg
von Hannß Benimger, nd — —— Beendet uff zynſtag vor
font Sregorientag. Rah Erifti geburt 1499.
Die Überfegung ift ein erbärmliches Machwerk und
in dem kaum zu enträthfelnden, damaligen ſchwaͤbiſchen
Idiom abgefaßt, wie dies zur Benüge aus ber erſten
Scene des erften Acts (die Acte nennt der Uberſetzer
„Übungen”) der „Andria” erhellt, bie nebft den Anmer—
tungen fo lautet:
Symo. Bofia.
Ir die Ding hynnyn, nemeng hynweg, gonb darvon.
Diver alfo fecundum Donatum.*) Ir nement hyn ) die Ding
hynnyn gangen hinwegk. Sofia näder did mir, mit wenigem
ih dich wil. Sofia
Du ſchetzeſt es ſy gſagt. Fuͤrwahr das die Ding recht
gekocht werden.
Symo.
Gar wyt ein anders.
Sofia. -
Was ift es meer dann das myn kunſt verbringen mag
u. f. w.
*, Mit vrſach mangelt dad er nit anfacht mit dem eygen namen.
Desgleichen dad Virgilius anfadht mit den engen namen.
® Gr meldet ein Vrſach den andern hynwegk zu gon fo er Tprict.
Nement bon die Ding hynnyn, das er nit argkwon yeſtoße
dan Soſiam binben fie, vB vrſach im teilbufftig machen finer
heymlichkeit u. f. w.
Jede Komödie hat zur Ausihmüdung einen Holzſchnitt,
auf dem alle handelnden Perfonen mit ihrem Namen,
ſaͤmmtlich in "damaliger ſchwaͤbiſcher oder elfaffer Tracht,
nebft der gefammten Scenerie des Stücks abgebildet find. |
(Die Bortfegung folgt.)
Notizen.
Ein Bibelſpruch in dem Munde eines mauriſchen
Diplomaten.
Die chriſtliche Diplomatie der neuern Beit, obwol fie ſchon
heilige Allianzen gefchloflen, hat es meines Wiſſens noch im-
mer vermieden, in diplomatifchem Rotenmechfel fih auf Bibel:
ftellen zu berufen. Sie mag guten Grund gehabt haben ba:
von abzufehen, da das Verfahren der chriſtlichen Staaten zu:
und gegeneinander in den meiften Zällen der Art iſt, daß cine
Anwendung ſolcher Argumentation jeder Seite höchſt wahrfchein:
tich in den Augen frommer Seelen nur ſchaden könnte. Die
Bedeutung Defien, was man heute chriſtlichen Staat zu nennen
fi gefällt, würde bei ſolchem Verfahren die ihr gebührende Be
leuchtung erhalten. Die Ungläubigen, Zürken und Beiden,
haben dergleichen Rüdfichten nicht zu nehmen und deshalb fin:
det fi in den diplomatischen Verhandlungen folder Mächte
mit chriſtlichen dann und warn eine Berufung auf die Bibel.
Ein fehr merkwuͤrdiges und gewiß ergögliches Delpie ıft eine
Mote des vorigen Sultan von Marokko Mulei Soleiman an
ben franzöfifchen Eonful zu Zanger, der wegen Gewaltthätig-
keiten, bie ein Santon, d. i. ein im Geruch der Heiligkeit fte-
hender Wahnfinniger an ihm begangen, Genugthuung verlangt
hatte. Diefe Rote befindet ſich in dem vor einiger Beit er:
fhienenen Werke des Franzoſen R. Ihomaffy „Le Maroc et
Bexantwortlider Herausgeber: veiurich Brockdaus. — Druck und Verlag von F. %. Brocthaue in Leipzig.
—
ses caravanes etc.” Dieſes ſeltſame Actenſtuͤck lautet: „In
der Furcht des barmherzigen und gnäbigen Gottes! Es gibt
weder Gewalt noch Stärke außer bei dem höchften und allmaͤch⸗
tigen Gotte! Un den Eonful Frankreichs, Sourdeau. Heil
Jedem, der da wandelt auf dem rechten Weg! Gintemalen bu
unfer Saft, unter unferm Schuge ſtehſt und Gonfuf einer gro-
fen Kation in unferm Lande bift, können wir dir nur die
böchfte Ruͤckſicht und die Pöftlichfte Ehre wuͤnſchen. Daraus
magft du erfehen, wie fehr uns der Vorfall am Herzen liegt,
der dich betroffen, ebenfo fehr, als wäre er einem unferer
theuerflen Verwandten oder Freunde widerfahren. Und obwol
man den Beſchlüſſen der göttlichen Berfehung nicht zu wider:
ftehen vermag, koͤnnen wir doch eine ſolche Sache nicht unbe-
merkt hingehen laſſen, follte auch der Keidende der niedrigite
der Menſchen oder felbft der m ai fein. Deshalb werten wir
nicht anftehen, fo es Gott gefällt, dir Gerechtigkeit zu ver-
fhaffen. Aber ihr Ehriften habt Herzen voll Mitleiden, und
feid demüthig unter Beleidigungen nad dem sehn eures
Propheten (dem Gott Ehre verleihe!) Jeſus, des nes Mas
ria's, welcher in dem Bud, das er und brachte, in dem Ra:
men Gottes au die Lehre gibt: fo man euh auf eine
Wange einen Streich gibt, die andere hinzurei—
hen; und ber felbft (möge ihn Bott allezeit fegnen!) keinen
Widerftand leiftete, al& dic Juden Samen ihn zu tödten; wes⸗
halb ihn Gott zu ſich nahm. In unjerer eigenen heiligen Schrift
wird auh und von unferm Propheten gefagt, daß kein Volk
efunden werden koͤnnte, welches den wahren Gläubigen in
Barmherzigkeit mehr gleich komme als diejenigen, welche fi
Ehriften nennen. Und dies ift fehr wahr, da unter ihnen es
heilige Priefter und Männer gibt, dic ſicherlich ohne allen
Stolz find. Unfer Prophet jagt und aud), daß den Handlun⸗
en dreier Gattungen Menfchen Fein Vorwurf gemacht merden
ann, nämlich dem Narren, bis er wieder zu Verſtande kommt;
dem Beinen Rinde und dem Mann im Schlafe.. Run ift der
Menfh, welder dir Schimpf angetban, cin Narr, der des
Berftundes völlig ermangelt; aber wir haben Befehl ertheilt,
dag man Genugthuung an ihm nehmen foll wegen feincs Ber:
ehens. Wenn du ihm hingegen verzeihen willjt, wirft du
—* edel handeln und wirſt bei dem Allbarmherzigen belohnt
dafür werden. Aber beſtehſt du darauf, daß Gerechtigkeit in
dieſer Welt geübt werde, ſo ver du nur zu ſprechen; denn
wenn es Gott gefällt, fo fol in meinem Reihe Niemand Ur
ſache haben, vor Ungerechtigfeit oder Schlägen fid) zu fuͤrchten.“
Dem franzöjifchen Conſul blicb natürlich auf ein fo fein abge⸗
foßtes Schreiben nichts übrig als dem Zanatifer zu verzeihen.
Schrift über die Reform der englifhen Univer—
fitäten.
Die Univerfitätöreform ift in England ein noch dringen:
deres Beduͤrfniß als in Deutichland, obwol die Berbeflerung
in den beiden Ländern nach einer yanz verfchiedenen Richtung
bin gefucht werden muß. Unter den vielen Schriften, die in
England in neuerer Zeit über diefe Frage erfchienen find, dringt
die von Whytehead „College life, letters to an under- gra-
duate” auf größere „Ausbildung der Einbildungstrafl" der
Wiſſenſchaftsbefliſſenen auf den dortigen Univerfitäten. Ein eng»
liſcher Kritiker bemerkt deshalb: „Der Derfafler ift in feinen
Auffaffungen etwas Deutſcher“; der Gegenſatz aber, den er daran
knuͤpft, daB fih auch vieles Gute in dem Buche findet, ber
weift, DaB er mit diefer Bezeichnung eben eine Empfehlung
beabfihtigt. Haben wir au Grund, uns darüber zu beſchwe⸗
ven, daß das Ausland die Deutfchen nicht für praftifche Leute,
fondern für Phantaften anfieht? Ein Voll, das ftolz darauf
ift die Buchdruderfunft und die Weltweisheit und das Aller:
weltbürgerthum erfunden zu haben, und fich dad Genfiren und .
das Bevormunden fowie den Drud von innen und außen ge:
fallen läßt! 12,
Blätter
für
Sonnabend,
Zut Gefhihte der Entwidelung ded
Dramas in Deutſchland.
(Bortfegung aus Ar. €&) |
Nah folhen Anfängen hätte man wol erwarten
folfen, daß das Drama, däs in ben bedeutendern und
"reichern Handelsftädten, namentlih Süddentfchlande, mit
großer Liebe gepflegt wurde, fich recht bald aus feiner
. Riedrigteit erheben und kunſtgemäßer geftalten müßte;
allein gerade der Umftand, daß es feine Hauptpflege nur
in den Städten fand, mo Meifterfängerfchufen blühten,
warb die Veranlaffung, daß faft nur Zunftmitglieder,
alſo meiftens ungebildete Handwerker als dramatifche
Dichter auftraten, die nach der Tendenz ihrer Schule
überhaupt fih ausfchlieplich den religiöfen Intereffen zu⸗
wandten und rein moralifche Zwecke verfolgten. Selten
befchäftigte fich ein Gelehrter mit der dramatiſchen Poefie,
und mo es gefchah, kamen monftrofe, von Pedantismus
und Ungefhmad firogende Misgeburten zur Welt. So
blieb denn das Faftnachtfpiel die einzige Dramengattung,
die einen felbftändigen poetifchen Werth behauptete und
bald unter der gewanbten Hand bes nürnberger Schuh:
machers und Meifterfängers Hans Sachs zu höherer
Ausbildung gedieh. Doch bald darauf — für das
Drama, das gerade im Entmwidelungsftadium begriffen
war, jedenfall zu früh — regte bie bewegte Zeit ber
Reformation ganz andere Intereffen in Deutfhland an,
wodurch auch die Poefie eine neue, veränderte Nichtung
erhielt, in welcher das Iebenskzäftige Faſtnachtſpiel allmd-
lig fpurlos unterging. Während bie Profa in Kolge
des vielen durch bie Reformation hervorgerufenen pole⸗
mifchen Schriften, befonders aber durch die Ausbildung .
und Werbreitung der neuhochdeutſchen Schriftfprache ats
Sefammtfprache aller Deutſchen, taſch zu einer gemwiffen
Diüte gelangte, verflummten bie poetiſchen Stimmen,
die nur für engere Kreiſe gefangen und fi) gern bes
Provinzialidioms bebient hatten, immer mehr; und bie
Zünftler, bie fich von den Fachgelehrten verfpottet fahen,
entfagten bald gämlich der edlen Singekunſt. Die Ges
lehrten, die fih im Laufe des 16. Jahrhunderts mit
den Stubium der griechifgen unb römifchen Dramatiker
beichäftigten, hattın zu wenig Einfiche und Geſchmack,
um günflig auf eine kunſtgemaͤße Entwickelung bes deut.
fihen Dramas einzuwitken; ihr games Einfluß beſchraͤnkt
7. März; 1846.
m —[—[
ſich auf Außerlichkeiten, wie auf bie Einführung dee
Benennungen Zragödie und Komödie und der Einthei«
lung in Acte. Wie wenig fie felbft dabei in das We⸗
fen ber Dichtung einzubringen verflanben, erhellt zum
Genüge daraus, daß man den ganzen Unterfchleb zuede
hen Zragödie und Komödie darein fegte, ob Menfchen
in dem Stück ums Leben kommen oder nicht. Auch
mit der Eintheilung in Acte oder Wirkungen verband
man Feine klare Vorſtellung, denn es entſtanden Stücke
von 10, 13, ja 39 Acten. Es fehlte alſo an allem
Begriffe eined organifhen Zuſammenwirkens, da die
| Bmifchenacte bloß als Ruhepunkte für den. Zufchauer
und ald das Refultat einer zein mechanifchen Zerlegung
oder mol gar einer arithmetifchen Proportion betrachtet
wurden; während fie do in ber That nothmwendige
Diomente in der organifchen Entmwidelung find und fi)
genau an bie verfchiedenen Acte ber Erpofition, ber
Knotenfhürzung und der, Kataftrophe ſchließen. Ebenfo
fremd blieb die innere Okonomie in Verwendung dei
Perfonale und Ausfchliefung alles Epiſodiſchen, ſodaß
unter Anderm ein gewiffer Matthias Holzwart ein aus
10 Acten beftchenbes Drama „Saul’ auf die Bühne
brachte, zu deſſen Darſtellung 100 rebende und 500
ſtumme Perfonen exfoderlid waren; ja Johann Brum⸗
mer ließ 1592 die ganze Apoſtelgeſchichte ald Tragi⸗
fomödia” von 250 Perfonen aufführen. Die Vorliebe
für religiöfe Dranıen bauerte durch das ganze Jahrhun⸗
dert fort und war um. fo weniger geeiguet, auf bie ſo
nothwendige Charakterzeichnung einen günftigen Einfluß
zu äußern, als die Dichter allen Anfoberungen nollftän-
dig zu begegnen glaubten, wenn fie die Religionsftreitig«
keiten in das Drama hinüberzogen und biefem dadurch
einen graß polemifchen oder berb fatirifchen Charakter
gaben. So blieb Anlage und Durchführung der Stücke
vbenfo roh ale Dietion und Versbau. In den Stüden,
bie Seine biblifchen Stoffe behandeln, herrſcht eine nüch⸗
terne Moral und froftige Neflerion, bie den fehlenden
bramatifchen Geift dur) preciöfen Gentenzen - und
Allegorienvorrath zu erfegen fuchenz fie finb daher un-
gleich unpoetifcher als jene. Etwas gehaltreicher find
die fogenannten weltlichen Komödien und Zragödien, de⸗
ren Babel aus der alten Gefchichte, insbefonbere aus ber
altdeutfchen Sage entiehnt ift, die aber auf ber andern
Seite an allen ben Gebrechen leiden, an kenen noch
Titerarifde Unterhaltung.
‘
22 “
heutzutage die aus epiſchen Dichtungen hervorgegange-
nen Scaufpiele kranken. Din und wieder famen auch
noch Tateinifhe Komödien zum Vorſchein, die meiſtens
als Zugabe von Schulfeierlichfeiten bienten, wogegen die
deutfch gefchriedenen in ber Regel unter freiem Himmel
aufgeführt wurden.
Aus dem Zeitraum von 1499, wo, wie fihon er-
wähnt, Nythart den Terenz überfegte, bie 1517
"if ein dramatifches Product auf uns gelommen; in
fegterm Jahre erfchien das erfte. Faſtnachtsſpiel von
Hans Sachs, nämlich, „Das Hofgefind Veneris“, deffen
Anhalt hier, um einen Einblid in die dramatifhe Dicht-
weife dieſes gepriefenen Meifterfängerd zu gewähren,
näher angegeben werben fol. Zur Aufführung gehörten
13 Perſonen, darunter 4 rebende. Nah herkömmlicher
Art der Zaftnachtöfpiele ift die Scene in eine Privat-
gefellfchaft verlegt, wo zunaͤchſt ein Ehrnhold (Herold)
als Prolog auftritt und fpricht:
Sot grüß euch alle jhr Byderleutt,
Als ihr denn bie gefamtet feyd,
Her fompt mit mir ein kleines beer,
Die wöllen euch allem zu ehr,
Ein kurtzes Faftnachipiel hie machen,
Wer denn luft bat mag fein wol ladyen,
Doch wird in diefem Faſtnachſpiel
Geredt zu weng oder zu vil,
&o bitten wir euch all voran
Ir wöllt ed in gutem verftan,
Bnd vns zu dem beften auslegen,
Run wi ih euch ftellen entgegen,
Ein in ein langen graven Bart,
Derfelbig Heift der trew Edhart,
Der kompt her aus dem Venusbergk
Wird euch fagen groß Wunderwerf.
- Darauf erfcheint ber aus mehren andern Gedichten da-
mals genugfam bekannte treue Eckard und berichtet, daß
die Königin Venus fogleich, in der Abſicht erfcheinen
werde, ihr „Hofgeſind“ zu vermehren; er warnt män-
niglid vor ihren Pfeilen und räth Allen, bei Zeiten zu
fliehen. Aber ſowol der „Danheufer” — eine befannte
Figur aus dem 13. Jahrhundert — als auch ein Doc«
„tor, ein Bürger, ein Bauer, ein Landsknecht, ein Spie-
ler und ein Trinker, die fämmtlich der Macht der Ve⸗
nus fpotten, werden darauf von den Pfellen der Göttin
getroffen und müffen fi) ihrem Dienfte weihen. Dann
erfcheint eine Jungfrau und darauf ein „Frewlein“ (b. i.
junge Frau), denen e6 nicht beffer ergeht. Don Mit-
leid bewegt, wendet fich der treue Edarb jegt an die
Böttin mit ber Bitte, Niemanden weiter zu verlegen,
und wird erhört. Dann Faget der Danheufer im Na-
men aller Getroffenen über ihre tiefen Wunden und.
verlangt Befreiung, melde Bitte jedoch nicht gewährt
wird. Venus vielmehr fpottet ihrer Leiden und fpricht.
dann zum Sckuffe:
Wolauff, wolauff mein Hofgefin,
Wolauff, wolauf mit mir dahın,
Ich wil euch füren da ih han
Vorhin gefürt mannichen Man
Auch manch jungfram und ſchoͤne Brawen
Bon einem Zurniren und Stechen
Manni ritterlih Speer zu brechen,
ber Fall ift — entnommen.
An meinem Hof fehten und ringen
Zangen, bofieren vnd fingen,
Auch mannich ſüßes Seitenfpiel,
Sonft ander kurtzweil one Ziel
Die hie von mir find ongenamdt
Dergleich man find in Feinem Landt,
Darum wolauff mit eil vnd jach,
Wer mit ons mil, der kom bernadh,
Wir wöllen in Frau Venus Berg,
&o fpicht Hans Sachs von Nürnberg.
In diefem einactigen Spiel offenbart fich freilich noch
wenig dbramatifche Kunft, denn es fehlt fomol an aller
Einheit und Charakterzeihnung als an Werwidelung
und einer Alles Iöfenden Schlußkataftrophe; nichtsdeſto⸗
weniger gewahren wir in ihm fchon eine nicht gemeine
Fruchtbarkeit in Erfindung und ein ungewöhnliches Ta-
lent für lebendige Darftelung. In feinen fpätern Dra-
men, beren Zahl bis auf 208 fleigt, entwidelt ſich fein
Talent immer üppiger und freier unb läßt es uns in-
nig bedauern, daß feine mangelhafte Bildung ihn hin-
berte, der Gründer eines beutfchen Nationaldramas zu.
werden. Die Sprache bleibt zwar aud in feinen fpä-
tern Producten rauh, doc haben fie einen trefflichen
Kern und zeichnen fih nicht felten durch eine höchſt
finnreihe Erfindung, durch tiefe Gemüthlichkeit, eine
wigige Darftellung und treffende Satire aus. Bis 1530
haben die Dramen des Hans Sachs nur einen Xkt;
in diefem Jahr fehrieb er das erfte dreiactige Stüd un-
ter dem Titel: „Comoedia, darinnen bie Göttin Pallas
die Zugend und die Göttin Venus die Wolluft verficht.”
Späterhin fchrieb er fünfactige und 1551 das erfte fieben-
actige Stud, nämlih: „Florio deß Könige Sohn auf
gibania mit der ſchoͤn Biancephora.” Sein letztes
rama ift eine wunderliche Umarbeitung bes Terenz'⸗
fhen „Eunuchus“ und führt den Titel: „Ein Schöne Co-
medi Zerenzit, def Poeten, vor 1700 Jahren befchrie-
ben, Bon der Bulerin-Thais, vnd jhren zweyen Bu-
lern, dem Ritter Thrafo und Phädria.“ Es ift 1563,
alfo 13 Jahre vor des Dichterd Tode gefchrieben und
liefert den Beweis, dab Hans Sachs fih 46 Jahre
bindurdy mit der Abfaffung von Komödien und Yafl-
nachtöfpielen befchäftigt Hat, nämlich vom 3. 1517 —63.
Unter den Zeitgenoffen und unmittelbaren Nachfolgern
von Hans Sachs beſchäftigten ſich zwar Viele mit der
dramatifchen Poeſie, indeffen ſtehen fie in ihren Leiſtun⸗
gen größtentheild tief unter dem großen Meifterfänger.
Haft in allen fpriche fich die damals ziemlich allgemein
berrfchende Borliebe für alte Religionsdramen deutlich
aus; namentlich ift es die Gefchichte Joſeph's, die von
den Dichtern vorzugsweiſe dramatifirt wird. Selten ift
ber Stoff der ‚alten Mythologie, noch feltener der alt⸗
deutichen Sage — was Beides bei Hans Sachs fo häufig
Die beffern dramatifchen
Dichter des 16. Jahrhunderts find folgende: Gengen-
bach (feit 1519), Grymm (feit 1520), Ham und Greff
von Zmwidau (feit 1535), Rebhun (feit 1536), Tyrolf
(feit 1538), Thomas Kirchmeyer von Straubing (feit
1541), Briginger und Jacoby (feit 1555), Schumard
m TEE — ln, EHE m em —
(feit 1565), Rulf (feit 9566), Roll (feit 1573), Agri-
eola (feit 1578), Bitter (feit 1585), die Gebrüder Ni-
codemus Friſchlin, der Lateinifch und Jakob Friſchlin,
der Deutſch ſchrieb (ſeit 1589), Spangenberg (feit 1590),
Puſchmann, ein Schüler des Hans Sache, der fih noch
Meifterfänger nennt und in ber Vorrede zu einer feiner
Komödien eine Art Poetik Tiefert, und Jakob Ayrer,
Der alle ‚genannten beiweitem überragt und der einzige
epochemachende unter ihnen ift. Indeffen darf nicht uner-
wähnt bleiben, daß ſchon 1535 Heinrich Ham des Terenz
„Andria” und den „Eunuchus” mit vielem Geſchick überfegte
und daß feine Arbeit fo allgemeinen Beifall fand, daf
fie in den $. 1553, 1586 und noch 1602 neue Auf-
Sagen erlebte. In demfelben Jahre (1535) wurde aud
Die erſte Komödie des Plautus, nämlich „Aulularia”, von
Greff von Zwickau ins Deutfche übertragen, eine gleich⸗
falls nicht verbienftlofe Arbeit. In metrifcher Hinſicht
fehr beachtenswerth iſt Paul Rebhun's 1536 erfchiene-
nes Luſtſpiel: „Ein Geiftlih fpiel von ber Gotfurchtigen
vnd feufhen Frawen Sufannen gang luſtig vnd frucht⸗
barlich zu leſen.“ Rebhun ſchreibt ſo gute Verſe, wie
kein dramatiſcher Dichter vor ihm, und läßt jambiſche
- und trocheifche Verſe in regelmäßigen Abtheilungen,
dald mit ausſchließlich männlichen, bald mit ausjchließ-
lich weiblichen, bald mit gemifchten Reimen aufeinander
folgen. Außerdem führt ev einen in vier Strophen ge-
theilten Chor ein, der wirklich eine Art Schidfalsre-
präfentanten oder Interpreten vorftellt. Die Länge der
Berfe ift ımgleich; die Jamben find meiftens vierfüßig,
mitunter auch breifüßig; die Trochden ebenfalls vier-
füßig, theilweife aber auch fechöfüßig. Der Chor, deſſen
Versmaß einige Ähnlichkeit mit den antiken lyriſchen
Metren bat, ift mit Noten verfehen und war alfo zum
Abſingen beftimmt. Sonſt ift die Dichtung werthlos.
Sm 3. 1534 erfhien die erfte, dem Geiſte des Zeital⸗
ters angepaßte, deutſche UÜberfegung einer griechifchen
Tragödie, nämlich Euripides’ „Iphigenia in Aulis“, die
freilich nur eine literarhiftorifche Bedeutung hat, da
die Übertragung höchſt geſchmacklos und die Sprache
ungleich fehlerhafter ift als bei andern gleichzeitig lebenden
‚Schriftftellern, wie dies ſchon aus dem Titel erhellt, der
sollftändig fo lautet: „Iphigenia in Aulide, ein vberaus
ſchoöne Hiftoria oder Comoediotragedia, von des Myeeni-
chen koͤniges Agamemnon’s Tochter, welche fih willig
für die Griechifche Armada, fo nah Troia gefchiffet, in
todt gegeben. Nüglichen zu lefen und zu Agiren, aus
Briehifher fprach mit vleis befehrieben. Durch Michae⸗
Sem Babft von Ro, Pfarheren zu Mohorn.” (1584.)
Ungleich höher ſteht, wie ſchon erwähnt, Jakob Ayrer,
ein jüngerer Zeitgenoffe von Hans Sache, Notarius und
Procurator zu Nürnberg, wo er auch 1618 ſtarb. Er
hielt ſich nicht ausschließlich an bibfifche Stoffe, fondern
nahm fein Material theild aus der alten Sage, theils
aus ber Geſchichte; dabei ift feine Sprache ungleich rei-
ner als die feiner Vorgänger und feine Charakterſchilde⸗
rung treffender ‘und gehaltener. Auch offenbart er be-
reits eine gute Einſicht in die dramatiſche Ofonomie,
gibt eine ziemlich geſchickte Erpofitioen und weiß den
Situationen durch gefteigerte WBerwidelung bis zum
Schluß Intereife zu geben. Einige feiner Luftfpiele
fönnen, wie ſchon Koberftein richtig bemerkt, als die
erften deutſchen Intriguenftüde angefehen werden. Die
Zeit, wann feine Dramen entflanden, läßt ſich nicht ge-
nau angeben; nach Einigen foll er fein erſtes Stud ein
Jahr vor Hans Sachs' Zode, alfo 1575, fein letztes
1584 gefchrieben haben; nach Andern foll er die meiften
erft nach 1690 geſchrieben haben, und nicht mit Unrecht
will man in ihnen den Einfluß der englifchen Dramen, bie
zu Anfange des 17. Jahrhunderts durch umberziehende
englifhe Schaufpieler in Deutfchlend bekannt geworden
waren, wahrnehmen. Ayrer ift ein außerordentlich frucht-
barer Dichter, denn die Gefammtzahl feiner Schaufpiele
fol fich auf ungefähr 100 belaufen, von denen jedoch nur
66 gedruckt erfchienen find, und zwar 1618 zu Nürnberg in
einem Foliobande unter dem Titel: „Opus Theatricum,
oder dreißig ausbündige.fchöne Comedien und Tragedien
von allerhand Denkwürdigen alten Römifchen Hiftorien
vnd andern Politifchen gefchichten und gedichten; Sampt
noch andern Sechs ond dreißig ſchoͤnen luſtigen vnd
furgweiligen Faßnacht oder Poffen - Spilen.- Durd
Wenland den Erbarn und wolgelährten Herrn Jacobum
Ayrer, Notarium Publicam vnd Gerichts - Procuratorn
zu Nürnberg feeligen. Auß mandyerley alten Poeten und
Scribenten zu feiner weil ond luft mit ſonderm fleiß zufam-
men colligirt, vnd in Zeutfche Reimen Spilweiß verfaf-
fet, das man perfönlich agirn kann.“
(Der Beſchluß folgt.)
Literariſche Notizen aus Frankreich.
Literatur über die Pyrenäen.
Seit einiger Zeit ziehen die Pyrenaͤen die Aufmerkſamkeit
unferer beweglichen Touriften im vorzüglichften Grade auf ſich.
Die Rheingegenden, Italien und Die übrigen Länder, welde
zur großen fafbionablen Tour gehören, find nachgerade fo zien: .
li abgemeidet. Es gilt nun’ Partien aufzufinden, welche we⸗
niger von den Wellen 'blafirter Neifenden überflutet find. Bis
jegt gehörte jener majeftätifche Gebirgszug nicht eben zu den
Partien, welche das gewöhnliche Ziel zwecklos umbherirrender
Wanderer genannt werden könnten; aber wie gefagt, fchon
fommen die Pic der Pyrenäen en vogue, und bald werden
ihre Thaͤler ebenfo jeher der Tummelplatz moderner Touriſten
fein wie feit langer Zeit ſchon die Heerftraße Italiens es ift.
Unter den Reiſenden, welche fih längere Beit in jenen Gegen:
den aufgehalten haben, zeichnet fich der Engländer Taylor vor-
theilhaft aus, weil fih in feinem Werke, dad er über jenen.
Aufenthalt herausgegeben bat, eine ungenteine Sachkenntniß
ausipricht. Daſſelbe führt den Zitel: „De V’infwence curative
du climat de Pau.” Es war urfprünglich in englifiher Sprache
gefchrieben, und ift dann erft ins Franzoͤſiſche überfegt worden.
Sein Inhalt ift nicht etwa, wie der Titel vermutbhen laſſen fönnte,
rein mebdicinifch, fondern erftredit fih au auf andere Gegen-
fände von allgemeinem Intereſſe. So zeichnet und der Verf.
ein anfprechendes Bild der Gegend, deren vortheilbafter Ge:
fundheitszuftand das eigentliche Thema feines Werks bildet.
Ein franzöfifcher Baron des gleichen Namens hat unter dem
Zitel „Les Pyrénées“ ein — umfaflenderes Werk heraus⸗
gegeben, welches der vielſeitigſten Beleuchtung jenes pittores⸗
[3
den Weils vom füblichen Frankteich gewidmet if. Der Ba-
ron von Taylor ift bekannt als freigebiger Mäcen und Befor⸗
derer aller wahrhaft Fünftlerifchen Beftrebungen. Bei widti-
gen Werken, welche ohne bedeutende Geldunterſtuͤgungen nicht
hätten ind Leben treten koͤnnen, hat er ſich auf Die uneigen-
nügigfte Weife betheiligt, ſodaß mehr als ein Gchriftfteller und
Künftler fih ihm zum lebhafteften Danke verpflichtet fühlen
muß. Auch als geſchmackvoller Schriftiteller hat er ſich auf
die vortheilhaftefte Weife bekannt gemacht. In dem vorliegen:
den Werke, welches auf feine Anregung und zum grö
Theil auch aus feiner Feder entftanden ift, wird die Geſchichte
. bebjenigen Landſtrichs, den man als zu ben Pyrenaͤen gehörig
betrachtet, ferner die zum Theil fehr verwidelten Rechtsverhaͤlt⸗
niffe dieſer Provinzen behandelt; dabei werben die wichtigften
Partien der Archäologie, infofern jie auf die Überrefle Bezug ha⸗
den, welche jene Diftriete auß dem Alterthume aufzumeifen haben,
berüͤckſichtigt. Beſonders intereffant und felbft für das größere
Lefepublicum eime reiche Ausbente gewährend find bie Mitthet-
Iungen, welche der Herausgeber von den dichterifegen Sagen und
Volksliedern der Pyrenäen macht. Beſonders reih und man-
nichfach iſt das Material, welches Taylor in Betreff der Pro:
vinzen Bearn, Navarra, Bigorre und der Grafſchaft Foir zu
fammengebradht hat.
baren Werken verarbeitet; wir erinnern bier nur an die „Ka-
seis historiques sur le Beam‘ von Faget de Baure (1818).
Überhaupt ift nicht zu verdennen,, daß der Herausgeber in der
—A— Literatur mehr als eine gediegene Vorarbeit vor⸗
and. Dahin rechnen wir das „Album pittoresque et histori-
que des Pyréênées“, von Fourcade, und vorzüglich Die reich⸗
baltige „„Arch6ologie pyrendenne, ou antiquites historiques,
religieuses, militaires’, von Dumege (3 Bde.) Im Al:
gemeinen muß man, ungeachtet mandyer Irrthümer und ob:
gleich einige Partien, 3.8. Das, was ec über die Basken fagt,
etwas flüchtig gehalten find, dem Berf. Das Zeugniß geben,
daß er Ddiefe Quellen auf eine angemeflene Weiſe benugt und
eine ganz annehmbare Arbeit geliefert hat, welche des Verf.
Der „„Voyages pittoresques dans l’ancienne France” würdig ift.
Da wir hier einmal einige hervortrstende Punkte der auf
die Pyrenaͤen bezüglichen Kiteratur berührt haben, wollen wir
auch jchließlih noch erwähnen, daß diefer Stoff mehr als ein:
mal eine dichterifhe Behandlung erfahren hat. Am anfpre-
chendften ift diefes mit hiſtoriſchen Grinnerungen fo reich ges
fhmüdte Gebirge von Dureau⸗Delamalle befungen. Das dich»
terifche Werk diefes Poeten, welches im 3. 180
wie die Yublication de8 Barons Zaylor Ten Zitel „Les Py-
renden’'.
Zimon als politifher Proteus.
Selten haben wol Flugichriften eine Verbreitung gefunden,
welche im gleichen Maße wie die fliegenden Blätter -von is
mon felbft in die umtern Kreife der Gefeifchaft gedrungen wa:
zen. Man wird unwillkürlich an die Popufarität Courier's
erinnert, deffen einfohneidende Productionen voll kuͤnſtlicher Rai:
verät die mit bitterer Galle gefchriebenen Pamphlets von I
mon freilig beiweitem überragen. Eormenin, der fith bekannt⸗
lich hinter die Maske des Zimen birgt, ift gar Bein fo großer
Berächter der Menſchen als er und durch Annahme feines
Hfeudonym glauben zu machen firebt. Wenn er die Bezichun⸗
: gen zu den Menfchen wirklich flöhe, fo würde er auch fruͤher
nit durch piquanten Stil, durch blendendes Leuchtkugelſpiel
eines ruͤckſichtsloſen Witzes umd durch einen trügerifgen Une
ih von Liberalismus auf die Gunſt und den Beifall der
enge fpeculirt haben. In letzter Zeit fcheint er freilich die
fes Buhlen mit einer wohlfetlen Popwarität, dieſes Scharwen-
zen mit dem taufendlöpfigen Despoten ber öffentlichen Mei
nung — diefer Gögemdienft ift ungleich muͤhvoller als die Plage
Desjenigen, weicher den wirklichen Machthabern ſchueichelt —
Ein Theil defjelben war bereits in brauch⸗
erfchien, führt
allerding® don ſich geworfen zu haben. Um offenen und ent»
ſchiedenſten trat er den herrſchenden Anfichten der Menge in
feinen Zlugfchriften entgegen, welche dem bekannten Hader um
die leibige Unterrichtsfreiheit — ſowie man fie faßte, ein we⸗
fenlofed Shhemen — gewidmet waren. Daß franzöftfche Phi⸗
Uſterthum tiß erflaung die Uugen auf und glaubte am WBahne
einer optifhen Taͤuſchung be ngn zu fein als es Sormenin,
diefe Freude und Wonne aller Deren, welche dic Regierung,
den Urquell aller Übel, gern in Bedrängniß willen, an der
Stelle, wo er fonft zu ftehen pflegte, vermißte. Man traute
feinem Ohte kaum als man vernahm, Cormenin Gebe ſich zum
Wertheidiger des Klerus, gegen den das Journal der Gpicenf
eben Morgen feine Blige ſchleuderte, aufgeworfen. Und wie
rte er die Bertheidigung! Wie regneten von jeiner ka f
geubten Hand die trehhe auf den dickfelligen Rüden ber Sin.
den Menge! wie wußte er die Iournaliften, dieſe bezahlten
Saukler jedes Tages, mit feinen Raketen aus dem Wege zu
fegen! Es war eine Luft für jeden Unparteüfgen, aber ber
empörte und beleidigte Gewürzkrämer, Der Cormenin beim Er⸗
[Seinen feiner „Briefe über die Eivillijte” in den Himmel geho⸗
en hatte, wandte fi mit Entrüftung von dieſem „Apoftaten
der Preiheit” ab. Diefer Unwille der Menge gegen den fonft
fo vergötterten Pamphletiſten flieg aber noch als «8 ſich her⸗
ausftelte, wie Simon in neuerer Zeit mehr und mehr Dazauf
beflifien war, die allgu radicale Kärbung feines vielgelefenen
„Livre des orateurs’ zu mildern und zu mäßigen. Das war
ein unethörter Zrevel, Der ihm von feinem frühern Publicum
nun und nimmermehr verziehen werden kann. Nichts ift Teich»
ter als in biefer Beziehung einem Schriftſteller Widerfprüde
mit fih felbft und den frühern Erzeugniſſen feiner Feder nach⸗
zumweifen. Als wenn ein Autor allein dem Entwidelungsgange
der Zeit nicht folgen dürfte, ald wäre jedes auch nody fo ge-
finnungsvolle Abmeichen von frühern Ausſprüchen ein Hochs
verrath. Mit dem ſchweren Gerchäüg ſolcher Anſchuldigungen
kommt man benn jegt in der That jchon gegen Cormenin an
gerüudt. Bouton, der früher Commiß beim Buchhändfer Pag⸗
neere, dem Verleger des Cormenin'ſchen Blugichriften, war,
und ber ſich in biefer Stellung in den Befitz vertrauter Mit:
tbeilungen von Zimon Fr Tonnte, hat das ergiebige Thema
von der Apoftafie des ehedem fo beliebten Wolksfchriftftellers '
nach Herzensluft ausgebeutst. Aus dreifahem Schlunde laͤßt
er daB Feuer gegen den „Bertheidiger ultramontaner Finfter
linge” fprüben. Diefe Libelle eines obfeuren Pfennigfchrifte
ftelers führen die Zitel: „Boulet rouge”, „Cormenin, facsimile
pour orner ses dementis’ und „ wisses parlönıeutaires
pour faire suite au Livre des orateurs, par un pamphletaire
qui rassemble a Timon.’ In diefen leichtfertigen und zufam-
mengemwürfelten Yabrifationen einer liberalen Büchermacherei
finder fi) eine Sammlung aller mögliden Documente und Be
lege, zu der befonders der Papierkorb Cormenin' reichliche
Beifteuer geliefert hat. Bouton wurde von Timon häufig als
Adſchreiber gebraucht, und in dieſer Eigenſchaft war er im
Stande fi Papiere jü verfhaffen, die er jegt nicht Anſtand
nimmt der DOffentlichkeit zu übergeben. Es befinden fich dar⸗
unter zum heil vertrauliche Mittheilungen vom Berf. des
„Livre des orateurs” an feinen Verleger, die allerdings nicht
immer für ein weitered Yublicum deſtimmit waren. Fuͤr Diefe
Verlegungen. bed Vertrauens bat nun Eormenin feinen unbefug-
ten Portraitiften vor das Geriht gezogen. Er - die
Authenticität der Außerungen, welche Bouton auf feine Rech:
nung Test, durchaus nicht, Tucht aber ihren Inhalt auf feine
eigentliche Bedeutung zurückzuführen und will den Berteger
des MWertrauend beſtra wifen. Dies Letztere iſt men zwar
nicht geſchehen: Bouton iſt von der Strafe losgeſprochen und
nur zu den Koſten verurtheilt; aber die ganze Verhandlung,
welche bei dieſer Veranlaſſung gepflo iſt, gewährt einen
intereffanten Blick in die Literarifthen Werhältniff Branfreihe.
Verantwortlicher Heraudgeber: Seinrich Brockhaud. — Drutk und Verlag von F. EM. Wrodpans in Leipzig.
yr
— — — — ——
ö Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Zur Geſchichte der Entwickelung des
Dramas in Deutſchland.
( Beſchluß and Rr. 66.)
Der raſche Aufſchwung, der in der Literatur ber
romanifchen Nationen gegen das Ende des 16. und zu
Anfange des 17. Jahrhunderts al® Folge des neu er-
wachten Studiums der alten Claſſiker fihtbar wir,
tonnte in Deutfchland nicht heroortreten, theils wegen
der geringern Verwandtſchaft der deutfchen und lateini⸗
fen Sprache, theild wegen der ungünftigen Eimwir-
tung der politifchen Zerwürfniffe in Deutſchland auf die
Entwidelung eines freien geiftigen Lebens. Während
jene daher raſch einer zweiten Kunſtvollendung entgegen-
gingen, fehritten die Deutfchen auf der Entwidelungs-
bahn nur langſam vor, und der belebende und richtig
leitende Einfiuß der Alten offenbarte fich bei ihnen nur
in vereinzelten Erſcheinungen, welche die allgemeine Ge⸗
fhmadsverirrung und die verkehrte Richtung der Dich»
ter zu verhüten nicht im Stande waren. Der lang
verhaftene gegenfeitige Haß der verfchiedenen Religions:
parteien in Deutfchland brach endlih in hellen Flam⸗
men aus, und der verheerende Dreißigjährige Krieg zer-
riß Deutſchlands Einheit gänzlich und lähmte alle Kräfte
des Volks auf lange Zeit hin. Entfittlihung und Ber-
armung gingen Hand in Hand unb führten zu einer
ſolchen Erniedrigung der ganzen Nation, daß fie eines
vollen Jahrhunderte bedurfte, um die eigene Würde und
Vie Achtung des Uuslandes wieder zu gewinnen. Dazu
tommt, daß gerade um dieſe Zeit der Einfluß der fran-
zöfifehen Sitten und Moden allgemein wird unb vor-
zugsweiſe diejenigen Stände berudt, bie zunächſt beru«
fen waren, der neuern Literatur ein wahrhaft nationa»
led Leben einzuhauchen, Fürften und Adel. Die fran-
zöfifhe Sprache wurde gefprochen; der Adel, immer an
die Fürften ſich drängend, gab fich diefen zu Gefallen
einen franzöftfchen Anfirich, und ber höhere Birrgerfland
fchämte fih nit, durch Nachäffung des Adels zum
gänzlihen Verfall deutfcher Eigenthümlichkeit ebenfalls
die Hand zu bieten. Daß unter folchen Umftänden bie
Literatur fih nicht heben konnte, ift augenfällig, und es
darf uns gar nicht befremden, wenn bald eine verberh-
liche Sprachmengerei entfland, die zu vollſtaͤndigem Bar⸗
barismus zurüdzuleiten drohte und die Deutſchen ber
bamaligen: Zeit zu dem lächerlichften und verächtlichfien
Volke in Europa machte. Des Gelehrte fchrieb Lateiniſch,
ber Bornehme Franzöfifch; wer fi etwa herabließ, in
feiner Mutterfprache zu fihreiben, ber ftaffirte biefelbe
dergeſtalt mit Tateinifchen und franzöfifhen Ausbrücken
und Redensarten aus, daß ein Gemengſel daraus her⸗
vorging, in dem fi ber höchfte Grab von Pebanterie
‚und Geſchmackloſigkeit kundgab, mb der alle National
literatur, zumeift die poetifche, bie fich gegen frembe
Elemente immer am meiften ſtraͤubt, zu vernichten drohte.
Zwar fehlte es nicht an Einzelnen, die das Verberben
erkannten und bem Unweſen zu flesern fuchten, aber
ihre Beſtrebungen waren unzureichend und ihre war⸗
nende Stimme verhallte. Selbſt die Vereine, die unter
dem Namen „Der Palmenorben“, „Die beutfchgefimite
Senoffenfchaft”, „Der gefrönte Blumenorben”, „Des
Schwanenorben an der Elbe“ und andern ſich bildeten, .
erreichten das vorgeſteckte Ziel, Reinigung der Mutter-
ſprache von fremden Wörtern, fo wenig, daß fie fi
vielmehr ben Spott der verbiendeten Zeitgenoflen zuzo⸗
gen. Kein Wunder baber, das felbft das fleißigfte Stu:
dium ber Dichter des tlaſſiſchen Alterthums ber vater
laͤndiſchen Poefie keinen Nugen brachte, ſondern daß fie
in eben dem Grade an innerm Gehalt verarmte wie fie
an aͤußerm Prunk und Flitter zunahm. Erſt mie Opig,
der die fräftige reine Sprache Luther's zur allgemeinen
Dichterfprache erhob, und deſſen Verdienſt um Sprach⸗
reinigung und Einführung reinerer und edlerer Formen
in bie Poefie nicht genug anzuerkennen ift, begann eine
neue Epoche in der beutfchen Nationalliteratur. Er ver»
wandte auf Stil und Versbau ben größten Fleiß unb
lehrte die deutſchen Dichter die verfihiedenen Versmaße
unterfchieden. Freilich flieg er dabei nicht zu ber Quelle
zurück, aus der er hätte fchöpfen folen — zu den kunſt⸗
reichen poetifhen Formen der Dichter aus der fehmäbi-
ſchen Periode —, fondern entlehnte feine Metern von
. Sranzofen, Italienern und Holländern; indeffen kann
ihm Dies nicht zum Vorwurf gereichen, ba fene reiche
Quelle feinem Zeitalter ganz fremb geworden mar. Lei⸗
ber erwarb fih Opig, neben Wechkherlin, das Unver-
bienft, ben von den Franzofen erfundenen Aleranbriner
im die deutſche Poeſie, insbefendere im bie dramatiſche
@\
einzuführen, wo er als fein geringes Hemmniß ber
Entwicklung des Gefühle für rhythmiſchen Wohllaut
fih bis tief in das 18. Jahrhundert hinein in großem
Anfehen erhielt. Überhaupt find Opitz'* Verdienfte um
diefe Dichtungsart ungleich geringer als um die Inrifche,
die didaktiſche und bie befchreibende; denn fie befchränfen
ſich auf die Überfegung der „Antigone” des Sophokles,
ber „Zrojanerinnen” des Seneca und zweier italienifchen
Stüde, nämlich bed Singfpield „Daphne” und des
geiftlichen Trauerſpiels „Judith“. Wie wenig Opig in
das wahre Wefen der dramatifchen Poeſie einzubringen
vermochte, geht zur Genüge aus feinem Urtheile über
den lateinifchen Dichter Seneca hervor, ben er als mu-
flergültigen Dramatiker anfieht und alles Ernſtes dem
Sophokles und Shakſpeare an die Seite gefegt wiflen
wid. Seine Neigung zum NRhetorifchen und zur Ne:
flexion — bie freilich feine Zeitgenoffen nicht für einen
Fehler hielten — hemmte den freien Aufflug feiner Phan-
tafie und ließ ihn nicht zum felbftändigen Schöpfer von
Kationaldramen werben, fondern verführte ihn, die eigene
Kraft misachtend, Ausländer zu Vorbildern zu wählen
und den Franzofen und Holländern ihre fentenziöfe Nüd)-
ternheit und fteife Glätte zu entnehmen. Diefem Ge:
fhmade huldigten auch feine zahlreihen Schüler, bie
nad) dem Mufter der Holländer ‘die Chöre wieder ein-
führten ‘und auch fonft die Tragödien mit "zahlreichen
Sefängen durchflochten, wodurch fie, ihrer Meinung nach,
ſich kein geringes Verdienſt erwarben, indem fie fo den
Heiz des italienifchen Schäferfpield mit dem Ernit des
allegorifchen Dramas zu verbinden glaubten. Erſt dem
glogauer Dichter Andreas Gryphius (er flarb am 16.
Zuni 1664) gebirhrt das Verdienſt, die dDramatifche Poeſie
ber Deutfihen aus ihrer Niedrigkeit hervorgezogen und
fie mit Trauerſpielen und Luftfpielen bereichert zu ha⸗
ben, die durch geichidte Wahl des Stoffe, gute Anord-
nung, richtige Sharakterzeichnung und eine eble, poeti⸗
fhe Sprache Alles was bis dahin auf biefem Gebiete
erfchienen war weit überragen. Ihm wurde daher auch
mit Recht der ehrenvolle Beiname zu Theil: Vater
bes deutſchen Dramas. 87
Engliſche Taſchenbücher.
Was von dieſer hübſchen leichten Waare einſt ein volles
Mandel ausmachte, reicht jetzt nur eben hin, ein Collegium zu
bilden, und moͤglich daß die Zeit nicht fern iſt, wo Collegium
conservatur in uno, bis auch dies eine letzte Glied abſterben
wird. Ob das gut oder nicht gut, ein Beweis verbeſſerten
oder verſchlechterten Geſchmacks und welche Urſachen den Ver⸗
fall herbeigeführt, kann hier weniger in Frage kommen als
ob die drei letzten Repraͤſentanten des einſt fo zahlreichen Ge⸗
ſchlechts Anſpruch auf ihre Fortdauer haben. Und die Frage ſteht
im Allgemeinen zu bejahen. Die drei Überlebenten nennen ſich:
l. Forget me not. For 1846. Edited by Fred. Shober!.
3. The Keepsake. For 1846. Edited by the countess of
Blessington.
3. Heath’s Book of beauty. For 1846. Edited by the
countess of Bleseington.
Benn in Diefer Folge das ältefte der engliſchen Annuals
den Reihen beginnt, während eins der jüngften ihn ſchließt, fo
erfcheint das für Erſteres ein um fo gäufligeres Beichen als
die vor wenigen Jahren die Verlagshandlung — Adermann
und Comp. — getroffene Bedrängniß noch beute nicht zu den
Dingen gehört, die geweſen find. Aber unparteiifches ürtheil
kann das Zeichen nicht unterflügen. Die Bilder verrathen ein
Sparfyftem,_ das, weil nicht anlodend nach außen, nicht ein-
traͤglich jurüdnieten dürfte und auch im literarifchen heile
infofern bemerfbar ift, als die Zräger deſſelben wenig berühmte
Ramen haben. Unter den Erzaͤhlungen find einige vielleicht
nicht werthlofer als die geringften in den beften deutſchen Ta⸗
ſchenbũchern, doch möchte wol keine die Mühe des Überfegens
lohnen. Gedichte find mehr Gefchmadsfache. Eins und das
andere wird gern gelefen werden. So ohne Zweifel in unferer
durch und durch politifch fühlenden Zeit das Gedicht einer Mi-
ftreß 2. 9. Sigourney auf den legten Beſuch der Königin Vic:
toria bei Ludwig Philipp. Bur Probe die zwei Schlußftrophen,
deren frommer Wunſch freilich nicht in Rorbamerifa allein auf
Beine Sympathie rechnen kann. Sie lauten:
Shout, chivalry of France!
Shout, England’s true and brave,
- Nor bid your battle thunders ver ' -
Again the affrighted wave;
But let the cherished olive tree
Perennial verdure keep, ,
And with ite fruitage bless the lande
That set its roots so deep.
On history's annal fair,
in golden letters grave,
The visit of the youthful Queen,
Who boldly rode the wave;
Aud strongly wich a diamond pen
Be the true date impressel,
When he, the Mentor of his realm,
Received that royal guest.
Das „Keepsake” bekundet feinen ariftofratifchen Charak⸗
ter fon durch das vorgeſetzte, idealifch fchöne Bild der Prin-
zess Royal und die von der Gräfin Bleffington ihm beigegebe:
nen Berfe, die im Ganzen fi weit über das Gewoͤhnliche fol
der Anfingungen erheben und nur vielleicht in den Zeilen ein
Lächeln erregen, wo die Königin „intent on weighty cares of
state’ und voll „anxious thoughts for Englands weal’ ge:
nannt wird. Ein ferneres ariftofratifhes Merkmal find die
Namen der Contribuenten, Hochgeborene Frauen und Herren,
die fih gern gedrudt ſehen und ftatt dem Berleger Honorar
zu Poften ihm den Abfag manches Exemplars im Kreife ihrer
Bekannten verbürgen. Keine ihrer Gaben Bann jedoch abfolut
ſchlecht heißen; die meiften find gut, einige mehr als das. So
ein Gedicht von Lord John Manners und eins vonLandor.
Auch die Erzählungen haben jede ihren Werth. Der „Coun-
try banker“ von Mißreß Abdy ift geſchickt angelegt und durch⸗
geführt. D’Israeli hat eine Beichreibung der Gärten von
Shonha beigefteuert, die es fehr begreiflich macht, warum Alle,
die fie gefehben, mit Bewunderung von ihnen fpreden.
den nicht wenigen Beiträgen der Herausgeberin verdient be:
fonders „Cortile Salviati’ Erwähnung, ein tiefer Blick in das
Gemuͤth der unglüdlichen Bianca Eapella.
- Daß „Book of beauty‘ ift bekanntlich noch ariftofrati«
fcher, beſchraͤnkt aber diesmal feine Hoffähigkeit auf die aus:
gezeichnet ſchoͤn in Stahl geftochenen Illuſtrationen englifcher
Frauenſchoͤnheit, indem unter den Erzählern und Dichtern bei»
derlei Geſchlechts aud nicht eben illuftre Namen ſich finden.
Die Leiftungen find jedoch deshalb keineswegs geringhaltiger.
Eher das Gegentheil Zu ben vorzüglichften im ernften Bade
gehören „The postman’s knock” von Miß Power, „The
impatient man and his deaf family” von Reynolds, „The
debtors and creditors‘' von Miß Camilla Zoulmin. Im
komiſchen Fache: „Uncle Benjie's ring‘ und „Stolen piece
of linen’’ anonym nebft „The old brown Coat” von Mar:
Unter.
‘
267
‚yet. in Gemälde bes ehelichen pariſer Lebend in „The
parisian couple” vom Chevalier De Ehatelain- leidet zu fehr
an Übertreibung, um gefallen zu koͤnnen. Doch möchte ihm
nit alle Wahrheit abzufprechen jein. Wie im ‚‚Keepsake‘
hat die Heraußgeberin auch bier lange Beweiſe ihres Fleißes
niedergelegt, von welchen namentlich die Erzählung „Clemence
d’Bigernon” ihr Ehre macht. 23.
Bibliographie.
Sräße, 3. ©. J., Die Sage vom Ritter Zanhäufer,
aus dem Munde ded Bells erzählt, mit verwandten Sagen
verglichen und kritiſch erläutert. Nebft einem Anhang von al:
En ae betreffenden Volksliedern. Dresden, Arnold.
r.
wöbe, W., Das Muſterdörfchen. Eine lehrreiche Ge:
Kiste für den Bürger und Landmann. Dresden, Arnold.
Rgr.
eubojatzky, F., Die fieben Todſünden. Nah E. Sue.
iſt und Tter Theil. Grimma, Verlagscomptoir. Kl. 8.
ä Nor.
Mulder, G. J., Reden über die Welt der Materie,
als ein Mittel zu höherer Entwickelung. Aus dem Hollän-
dischen übersetzt von J. Muleschutt. Utrecht, Bötticher.
1845. Kl. 8, 7%, Ner.
Mundt, J., Mgemeine Literaturgefchichte. Drei Bünde.
Berlin, Simion. 8. Thlr. 10 Ror.
Sachs, H., Ein Lobgediht auf Regensburg. Mit cr:
läuternden Anmerkungen von I. R. Schuegraf. Regen:
burg. 1835. 6Y/, Rear.
Seifen, D., Gefchichte der Reformation zu Heidelberg
von ihren erfien Anfängen bi6 zur Abfaffung des Heidelberger
Catechismus. Heidelberg, Mohr. Gr. 8. 22%, Nor.
Stägemann, Elifabeth v., Erinnerungen für edle
Frauen. Rebſt Lebensnachrichten über die Verfaflerin und
einem Anhange von Briefen. Zwei Bände. Mit Portrait und
Zarfimile. Leipzig, Hinrichs. Gr. 8. 2 Thlr. 15 Nor.
Zagesliteratur.
. Das A und DO. Eine Bornlampe zur Beleuchtung ter
Schrift des Dr. Paniel: Aktenſtücke in Bezug auf ten von
neun Bremer Paſtoren gemachten Verſuch, den Hrn. Paſtor
Rag:! aus tem Minifterium auszufehließen. Oldenburg. Gr. 8.
Nor.
Anrede an einen Kleinen Kreis katholiſcher Ghriften, welche
bie ömifehe Kirche verlaffen wollen. Danzig, Gerhard. Gr. 8.
fa Rer:
’ Aurelius, Der Kirche Krieg und Sieg. Kine theolo:
gifche Denkſchrift. Naumburg, Lange. Gr. 8. 15 Nor.
Balitzky, V. v., Begründung des Glaubensbelenntnif:
ſes der chriftlich-apoftolifchen Gemeinden durch Beugniffe der
heiligen Schrift und der erflen Kirche. Danzig, Gerhard. 1845.
5 10 NRgr.
Ballnus, A., Leget an die Waffen des Lichts! Eine
politifche Predigt über Roͤm. 13, 12. Danzig, Gerhard. 1845.
Sr. 8. 3%, Nor.
Baron, R., Das Princip und die Verfammlungen der
proteftantifhen Freunde beleuchtet. Offene Antwort auf das
Sendichreiben an den Verfaffer: „Die proteftantifchen Freunde
und ihre erfte Hauptverfammlun
A. Kraufe.” Breslau, Goſohorsky. 1845. Gr. 8. 5 Nar.
Bernhard, G., Der füchfifche Landtag von 1845—1N46.
Ein patriotifches Gedicht. Leipzig, Nein. Gr. 8. 3 Nor.
Binder, W., Meine Rechtfertigung und mein Glaube.
Augsburg, Kollmann. 12. 5%, Rgr. ü
Dffener Brief an A. Adler, Witglied der Br. Nabbiner:
Berfammlung. Als Antwort auf fein Sendfhreiben an die
77 sogenannten Rabbiner”, die durch Verbächtigung und Ber:
in Breslau ıc. von C. W. |
|
läumdung zu gewinnen wähnen. Bon K—m. ?te Auflage.
Bockenheim, Levy. 1845. Gr. 8. 5 Nor.
Dffener Brief an die Bonner Studenten. Bonn, Pleimed.
1845. 12. 4 Ber.
Die ſymboliſchen Bücher der proteftantifchen Kirche in ih⸗
vem Widerſpruche mit Schrift und - Vernunft. Eine Überficht
der Geſchichte und des Inhaltes ber fymbolifchen Bücher für
das deutfche Boll. Leipzig, Feſt. Sr. 8. 15 Ngr.
Galmer, H., Die confeffionellen Kragen der Gegenwart
von kirchenrechtlichem und theologifchem Standpunkte, mit be
fonderer Rüdjicht auf die in Mainz erfdylenenen beiden Schrif:
ten: „Betrachtungen über bie neueften kirchlichen Ereigniffe
von einem rechtögelehrten Staatsmann‘ und „v. Linde's Staatks
firche, Gewiſſensfreiheit und veligiöfe Vereine.” Darmſtadt,
v. Auw. Gr. 8 15 Nor.
Carlo, B., Wachet! Myſtiker und jefuitiihe Maul
würfe untergraben die proteftantifhe Kirche! 2te vermehrte und
veränderte Auflage. Hamburg, Berendiohn. 1844. 8.5 Kar.
Der Conflict zwifhen der bifchöflichen Behörde zu Mün-
flee und der dortigen koͤniglichen Regierung über Die Anſtel⸗
lung der Schuliehrer. Mainz, Kirchheim, Schott und Thief
mann. 1845. 8. 2 Ror.
Czerski's Leben und Wirken. Mit mehreren Beilagen.
2te Auflage. Iena, Luden. 1845. 16. 3 War. .
Chriſtliches Denkmal zum Forjäbrigen Gedaͤchtniß des Le:
bensendes Dr. Martin Luthers am 18. Februar 1346. Gü—
terslch, Bertelömann. 3. 5 Nur.
Dowiat, R., Meine Converſien. Danzig, Gerhard.
1845. 8. 1, Nor. | ze
Dunder, M., Die Krifid der Reformation. Ein Bor: °
trag in der Berfammlung der proteftantifchen Freunde au Halle
am 6. Auyuft 1849. Leipzig, Kirchner. Gr. 8. 7%, Nor.
Eijenbeil, F., Reformator Dr. Mart. Luther. Ein Ber-
glei zu den Neformatoren der heutigen Zeit. (Gedicht.)
Schweidnig. 1845. 1%, Nor.
Engeljohann, 4, Der Maäßiykeitsverein in feinem
Verhältniß zu Kirche und Staat. Ein thegloaiſches Bedenken.
Osnabruͤck, Rackhorſt. 1845. Gr. 8. Nagr.
Die katholiſch-theologiſche Facultaͤt an der Univerfität zu
Breslau. Prüfung der über die Verhaͤltniſſe derfelben von Hrn.
Prof. Dr. Movers veröffentlichten Denkſchrift. Leipzig, Brock
haus. 1843. Gr. 8: 6 Ngr.
Florencourt, F. v., liegende Blätter über Fragen
der Gegenwart. Rr.2. Naumburg, Lange. Gr. 8. 12% Rgr.
Freytag, I. U, Der Menſch lebet nicht vom Brode
allein. Ein Wort für die Guflav: Adolph: Stiftung an das
evangelifche Volk und feine Jugend. Hanover, Helming. 1345.
&r. 8. 21% Nor.
Frige, 9. ©., Die gegenwärtigen Kämpfe und &pal-
tungen in der chriftlihen, befonders evangelifhen Kirche, in
ihren tieferen Gründen und ihrer großen Bedeutung beleuchtet
für Alle, die eine Mare Einfiht davon gewinnen wollen. Mag»
deburg, Rubach. 1845. 5 Nor.
Frofh, R., Wider die Predigt Krauſe's vom Meinungs⸗
ftreite über die Berfon Jeſuz mit einem Anhange: Pantheis«
mus, Iheismug, die Dreieinheit Gottes und der Gott: Menfch
des Ehriitenthbums. Breslau, Goſohorsky. I Ror.
Fuchs, 3. B., Unparteiifhe Würdigung der Frage:
„Sind die Proteftanten wirklich reicher al& die Katholiken ?'
Regensburg, Manz. Gr. 8. 10 Nor.
Die chriſtkatholiſche Gemeinde zu Breslau. Vom Entfteben
bis zu der Eröffnung ihres Gottesdienfles x. am 9. März
1845. Breslau, Guͤnther. 1819. 14 Nor.
Gerhard, R., Dad neue Licht oder die alte Wahrheit
— wofür follen wir uns erflären? | Eine Frage in Beziehung
auf die proteftantiihen Freunde beantwortet. Nebft einem An»
hange über den rechtfertigenden Glauben nad, dem Lehrbegriff
der fombolifchen Bücher. Breslau, Trewendt. 1815. Gr. 8.
22, Nor.
. 268
Soig, 8. J. S., Die rechte Mitte zwiſchen den eytrer
men Parteien unferer Zeit auf dem. Sebiete der evangeliſchen
irche. Rürftenwalde. Sr. 8. 10 Rear.
she a 8 e Tr 2., Wie kann der proteftantifihen Kicche in un:
fern Tagen aufzeholfen werden? Jena, Luden. 1345. 8. 6 Nor.
Handtmann, K., Kritifche Notizen 8 dem dogmatiſchen
Inhait der Erklaͤrung vom 15: — 1845, mit beſonderet
Beziehung auf die Vertheidigungsſchrift des Herrn Predigers
@itefter: „Offene Untwort sc.” Potsdam, Stuhr. 1849. Gr. 8.
3 Rer. j
Dartnag el, % J., Upslogie mehrer Hauptpunkte des
Katyeliziemus, eine Reihe von Kanzelteden, den religiöfen Be
wegungen der Gegenwart gegenüber in ber katholiſchen Kirche
zu Gießen gehalten. Regensburg, Mans 1845. Gr. 8. 25. Rgr.
Hauber, 3., Das Wiederaufleben der geiftlihen Orden
und Klöfter in unferer Zeit, eine erfreuliche Sache. Dargeftellt
in Ersählungen aus der Gefchichte des 19. Jahrhunderts. Schaf
haufen, Hurter. 8. 11Y, Nor.
Der Herausgeber der evangeliſchen Kirchen⸗Zeitung gegen
die Erklaͤrimg vom 15. Auguft. Berlin, Dehmigke. 1845.
®r. 8. 71, Nur.
Hinrichs, Verfaſſungsweſen des Großherzogtbums Dis
denburg. Jever. 8. gr.
Hofferichter, T., Wir wiſſen, daß wir aus dem Tode
"in das Leben gekommen find. Zwölf Predigten, gehalten in
den chriſtkatholiſchen Gemeinden zu Bredlau, Friedeberg a.R.,
Börlig, Landeshut, Lauban, Liegnig, Lüben, Gtriegau und
Waldenburg. Lauban. 1895. Gr. 8. 15 Near.
Hofmann, 3. ©., Betrachtung der gemachten Bor:
ſchlaͤge für das Wohl der arbeitenden Kiafien. Berlin, Wohl:
‚gemuth. 1845. Gr. 8. 5 Rgr.
“I gZacoby, 3., Beſchraͤnkung der Redefreiheit. Eine Pro:
vocation auf rechtliches Gehör. Manheim. Gr. 8. 3 Nyr.
Jahn, &., Einige Worte über allgemeine Studenten:
Khaft, zunähft für die Bonner Studenten. Bonn, Wittmann.
1845. 8. 5 Nor j
Index lbrorum prohibitorum. Katalog über die in den
Sahren 1844 und 1845 in Deutfchland verbotenen Bücher.
Ifte Häffte. Sena, Luden. 1845. 8. 3 Rgr. u
Inftrurtionen und Rathfchläge des Satans an bie in Frank:
weich duch Michelet und Quinet ins Treiben gebrachten Iefui-
ten. Herausgegeben ven Herrn v. Beelzebub. Nah dem Fran:
zöfifchen von Lucifer. Weimar, Voigt. 8. 2 Yyı Rt.
Zohannfen, 3. C. &., Die Zeichen diefer Zeit. Drei
Predigten. Kopenhagen, Reigel. 1845. 8. 7, Xgr.
Jordan's Bewußtſein über feine Schuld oder Unſchuld.
Siegen, Friedrich. 1845. Gr. 3. 3%, Rgr.
Die Kirche nach der heiligen Schrift. Von dem Verfaſſer
der Beleuchtungen des Zeitgeiftes. Bern. 1848. 8. 5 Rgr.
Koethe, F. A., Zur Todtenfeier Dr. Martin Luther's
am 18. Februar 1846. Leipzig, Brockhaus. 12. 24 Rgr.
Lambeck, A. G. H., Welche Überzeugung muß der
Chriſt haben von der Bibel, von der Perſon Chriſti, ſeinen
Wundern, ſeiner Auferſtehung und der durch ihn bewirkten Er⸗
loͤſung, wenn er in Wahrheit als Chrift will angeſehen wer:
den? Thorn, Rambed. 1945. 8. 7! Near. .
Lehren der katholiſchen Kirche gegenüber den Irrthümern
ber deutfchen Sektirer. Regensburg, Manz. Kl. 8. 2, Nor.
Lisco, F. G., Die Scheidelehren der evangeliid - pro:
ra und der Batholifhen Kirche. Berlin, Müller.
. , Nor.
Die eteratur in Bezug auf die Rockfahrt, Ronge und
Scneibemüßt. Ifte und te Lieferung. Jena, Xuden. 1845.
8. Aa 3 Nor.
Mendels sohn, J., Über Zettelbanken, mit besonde-
rer Hinsicht auf eine preussische Landesbank. Nebst Aus-
sögen aus den Statuten und Reglements der österreichi-
schen, bayerischen, französischen und englischen Bank.
Berlin, A. Duncker. Gr. 8. 10 Ngr.
MÖHT, U., Über die neuen erligiöfen Dirren in Deutfi-
land. Danheim, Bensheimer. —8 Kl. 8. 5 Ryr.
Motive und Grundlinien einer allgemeinen Staats⸗Neli⸗
gion und fittlicher Weltgebote für Das Iahrtaufend. Wreslau,
Trewendt. 8. 15 Bor.
Müller, ©. F., Anſichten Im WBiedermann's deu
Fa ra über die beutfche Poſtreform. Jena, Luden. 5.
1. 07:
Müller, G., Sind die Unterzeichner der Erklaͤrung vom
15. Auguft Bauchdiener? Dffene Anfragen an die deren
yoge Kunge und Souchon. Berlin, Enslin 1845. Vr. 8.
2% Ror.
Nagel, 8. G., Das Papſtthum und die reformatoriſchen
Beftrebungen in der hriftlichen Kirche, von ihrem Uranfange
bi6 auf Ronge und Czerski. Ein Volksbuch für Proteftanten
und Katholiten. Ifte und 2te Lieferung. Halberftadt, Linde-
quift und Schönrod. Gr. 16. à TY, Xgr.
Neander, U, Worte tes re unter den Gegen⸗
r. |
fenbah a. M. am 3. Dctober 1345 durch Ronge und Beglei⸗
ter. Gin Beitbild, zugleich eine ernfte Frage an die Gemeinde.
Franffurt a. M., Zimmer. 1845. 9. 3%, Ror.
Nudelbadh, A. ©., Der Abſchied des Fremdlings. Ab⸗
fhiedepredigt bei der Umtönicderlegung. am 2Uften Sonntage
nad Zrinitatis 1845. Magdeburg, Waldenberg und Comp.
&r. 8. 5 Rur.
Schäffer, C., Un fie. Eine Rede mit Unterbrechungen
am Jahrestage des Ronge'ſchen Briefed. Bor dem deutien
Publicum gehalten. Darmftadt, Leske. 1345. Gr. 8. ARgr.
Schiller, J., An die Unkirchlichen unferer Zeit. Pre:
Frankfurt a. M., Zimmer. 8. 2 Nor.
Schröder, U, Die Augsburgifche Confeſſion ein Be:
kenntniß und Beine Formel. Zwei Sendfdhreiben an Hrn. Prof.
Dr. Stahl zur Antwort und Verjtändigung. Potsdam, Stuhr.
1845. Gr. S. 10 Nor. .
Schweder, ©., Antwort auf die zwei Gendfchreiben des
Hrn. Prof. Dr. Stahl an die Unterzeichner der Erklärung vom
15. Auguft 1545. Berlin, Reimer. Gr. 8. 74, Rgr.
Segnig, ©. W., Bon der Gefahr einer gänzlihen Spal-
tung, welche gegenwärtig Die evangelifche Kirche bedroht. Ein
Vortrag. Meißen, Goedihe. 12. »4 Ngr.
Sintenid, W. F., Herr Prediger Guſtav Adolph Kämpfe
in Magdeburg und die Kirchenlehre oder die kirchliche Kecht⸗
gläubigkeit des Antwortgeberd auf Uhlich's Belenntniffe, bar=
geftelt in Briefen an den Herrn Paftor König in Anderbed.
Leipzig, D. Wigand. Gr. 8. 3 Kor.
Smets, W., Wir bauen mit am Kölner Dome. Rebe.
Aachen, Boiſſeree. 8. 2%, Nor.
Starke, Die rationaliftifchen Bewegungen der Gegen
wart. Rede am Geburtöfefte Königs Friedrich Wilbelm’s IV.
Reu:Ruppin. 1845. 8. 5 Nur.
Thomas, Kann in der evangelifchen Kirche die Augs⸗
burgifche Eonfeffion oder eine andere Belenntnißfchrift Lehr⸗
norm fein? Sendfchreiben an den Hrn. Prof. Stahl. Ber:
iin, Müller. 1845. Gr. 8. 3 Nor.
Weiffenborn, K. DH, Muß der Nationalismus aus
der evangeliihen Kirde und tem Guftav: Adolph : Vereine
ſcheiden? Crörterung, gelnüpft an die Sendfchreiben des Re⸗
gierungsraths Schede an den Prediger Jonas und des Dr. El-
vers an den Lonſiſtorialrath Dr. Lüde. Magdeburg, Rubach.
1845. Gr. 8. 7%, Nor.
Bolterſtorff, J. U. G., Beleuchtung der Antwort
Pumpe aufühlich's Bekenntniſſe. Wolfenbüttel, Holle. Gr. 8.
2 98.
digt.
VBerantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brockdans. — Drud und Berlag von F. M. Srockhaus in Leipzig.
*
Blätter
für: }
Titerarifde Unterhaltung,
mann. 1845.
Ein preußiſches Charakterbilb? Es läßt fi wei
vom englifchen, ſpaniſchen, polniſchen und manchem ans
dern Rationalcharakter ein feſter Begriff aufftellen, nicht
aber vom preußiſchen. Gin ſpecifiſches Prrußenthum
gibt es in Bezug auf die Geſammtheit des Volks
nicht. Allenfalls ließen ſich die verſchiedenen Provinzen
des Landes, die verſchiedenen Stände ſeiner Einwohner
nach hervorſtechenden Eigenthümlichkeiten ſondern; man
koͤnnte von einem ſchleſifchen, rheiniſchen, pommerſchen,
ſogar von einem maͤrkiſchen Charakter ſprechen; man
könnte ſich bei dem Worte „preußiſcher Beamter” u. ſ. w.
etwas denken, was gerade in Preußen ſeinen Typus für
ſich hat; auch einzelne Zuſtaͤnde und Einrichtungen mö-
gen immerhin als ausfchließlich preußiſche gelten. Ein
beflimmtes Gepräge aber, eine Drigimalität der Gitten,
Dentweife ober au nur ber äufern Erſcheinung, wo⸗
durch ſich die Bewohner ver preußiſchen Monardie von
andern Nationen unterfcheiben , eriftiet nicht; michiw
mürffen wir die Bezeichnung „preufifches Charakterbild
für unftattgaft Halten, fo lange de Sache für den Ra⸗
men fehlt.
enden wir und nach diejer flüchtigen Bemerkung,
welche fidy bei Lefung des Titels anfdrängt, zu dem In⸗
halt des Bude, fo finden wir die bantenswerthe Mit⸗
tbeilung einer Lebensgefchichte, melche Barnhagen wit
feiner bekannten Meifterfchaft in klarer und anziehenber
Darftelung verführt. Es iſt bas Bild ber ſtatren Red⸗
lchkeit in einer moraliſch banktotten Beit; es find bi
zur That anffirchenden Dumanttäteideen, mit weichen
Voltaire, Rouffenu und Friedrich II. ihr Jahrhundert
erleuchtet hatten; es iſt ein ebler, rückſichteloſer Enthuſiaſt,
ber bier vor ung auftritt, den ungleichen Kampf gegen
vornehme Schlechtigkeit wagendb und verlierend.
Dans v. Held ift der füngern Benammeion nur we⸗
ig bekannt, da feine Schickſale und fein Wirken mit
der Gegenwart in keinem Zuſammenhange fichen; der
intereffantefte Theil feiner Erlebniſſe fälle in den Zeit ⸗
raum, welcher mit des großen Könige Tode begann unb
mit bem Zilfiter Frieden abſchloß: ein Zeitraum, in
weichem feurige, für Recht und Wahrheit begeifterte
;ı Männer genng Anlaß fanden, durch unwillkommenet
Auflehnen gegen Verderbniß aller Art ſich ſelbſt ins
Berdberben zu flürgen. Zu biefen gehörten namentfiä
Hand v. Held umd fein Freund Zerboni. Bon geheimen
Berdindungen großes Heil erwartend, hatte Held ſchon
auf der Univerſität ſich dielfah um bie Ausbildung bei
Gonftantiftenotbens bemuͤht. Der erfte Hauptzwec bie
fe® Bundes war mie bei ben fpätern Butſchenſchaften
Berebelung und Vervollkommnung der Verbrüderten an
Geiſt und Herr. In Betreff der Staatsverhattnifſe
wollten fie dad Beſtehende ehren und alle Bamit ver:
bundenen Pflichten treu erfüllen, fo fange fie nicht im
zu auffallenden Wiberfprucd treten mit den höhern Pflich⸗
ten der Menfchlichkeit und den unſpruͤnglichen Koderum:
gen des — Naturrechts! Wie Tange hätte wol unter bie⸗
fen Bedingungen bie Ehrfurcht vor bem damals Beflchen:
den Stich halten koͤnnen? Rach vielen mühſamen und
fruchtiofen Verſuchen fah Heid ſich veranlaßt feinen Plan
aufzugeben; am wenigſten hatte er damit in Berlin aus⸗
gerichtet. Er fagt felbft in einem fpätern Auflage:
Die Berliner Eonnten fi nicht einigen, weil das Metien-
wefen, bie Bergnügungen, Zerftreuungen und xiebſchaften der
Hauptſtadt, endlich die Unverträglichbeit, Klatſcherei, Geld bor⸗
gen und nicht wiedergeben, dazwiſchen kam.
Wen fallen wicht hierbei manche neuern berliner
Bereinspropeete ind Gebächtniß?
Ein paar Jahre fpäter ſchloß Held, ber unterdeß
Oberactiſe- und Zollrath geworden war, mit dem in
Stag angeftellten Kriegsrathe Zerboni und mit dem aus
DOftreich geflühhteten Rapuzinet Ignaz Feßler einen Bund,
Im Det. 1793 kamen die drei Freunde auf dem wüſten
Schloſſe des polnifchen Dorfs Tarnau zuſammen, ſtell⸗
ten ihre Satzungen feſt und nannten ihren Bund den
ber Evergeten oder Gutesthuer. Einige Mitglieder wur-
den bald zu demſelben geworden; doch blieb die Sache
in dem geringen Anfange ftoden; der Bund ging Unter,
ehe er entftanden war, und bie Freunde betrachte⸗
ten ihn felbft nur noch als ein Spielwerk jugendlicher
Träume, nicht ahnend, daß aus biefem verlaffenen Spiel
werke ihnen nor furchebarer Ernft erwachſen würde.
Das Jahr 1796 brachte MWidrigkeiten und Verwicke⸗
lungen, ‚welche zunaͤchſt auf Zerboni fielen, in denen
aber auch Held tief betheilige war und bie ex fpdter
270°
durch freiwillige That ganz auf fi riß, ſodaß fein nach⸗
heriges noch langes Leben von den Folgen heimgefucht
wurde. Schleſien und Sübpreußen fanden damals unter
Hoym’s faft unumſchränkter Verwaltung. Nah Varn⸗
hagen befaß Hoym wirkliche Herzensgüte und große Lie-
benswürbigteit, doch, ohne fittliche Kraft, entbehrten biefe
Eigenfchaften alles ernſten Haltes und dienten: aur der
Gitelfeit und Selbſtſucht. Von Schmeichlern aller Art
umgeben, feiner Stügen am Hofe ficher, überließ er ſich
bald allen Schwächen eines eiteln und mächtigen Man-
nes, der bie Welt vorhanden glaubt, um feines Gleichen
zu tragen und zu verehrten; denn Geburt und Stand
galten. ihm über Alles, und der traurige Wahn, daß
vornehmes Befehlen und gewandtes Weltweien zum
Staatömanne genügen, hatte ſich tief in ihm feftgefegt.
Was die betreffenden Provinzen unter Hoym's Willfür
und Verſchwendung litten,. ift begreiflich. Verſchenkungen
der Staatögüter an unmwürdige Menfchen, Unterfhleife
aller Art waren an der Tagesordnung. Einige dortige
Beamte hatten ben Staat um eine Million betrogen;
Zerboni, der indeß nad) Petritau verfegt worben war,
entdeckte den Betrug und machte pflichtgetreuen Bericht
an Hoym; doch will diefer nichts von der Sache hören,
nennt Zerboni’8 Angabe einen unberufenen Fürwitz und
verweift ihn mit beleidigenden Ausbrüden zur Ruhe.
- Run gehen Zerboni die Augen auf; von des Minifters
ſcheinbarem Edelfinne bisher getäufcht, wird ihm deſſen
wahres Wefen deutlicher. Die Unzufriedenheit war mitt-
Ierweile in Schlefien auf den hoͤchſten Grad geftiegen,
der Haß gegen Hoym zeigte fih immer offener und
drohender; in Breslau Fam die gährende Misſtimmung
bei einem zufälligen Anlaß zum Ausbruch. Die ganze
Stadt gerieth . in Aufruhr, bie anrüdenden Zruppen
wurden zurüdgebrängt, und ber Sturm, einmal losge⸗
laſſen, wandte ſich ſchnell mit ganzer Stärke gegen
Hoym, auf deffen Palaft das Volk herantobte. Hoym,
leichenbla6 und zitternd, hielt fi) für verloren, jammerte
um fein Leben, verſprach jebe Beſſerung. Kaum war
aber die Gefahr befeitige, fo trat er aufs neue wieber in
alter Hoffahrt auf und nachdem er durch Truppen und
Behoͤrden feine Macht erft wieder -gefichert fah, dachte
er nur einzig an Rache für die erlittene Demüthigung.
Der breslauer Aufruhr Hatte am 6. Det. 1796 flatt-
. gehabt, die tobende Menge war zulegt buch Kartät-
fchenhagel auseinandergejagt worden, gegen hundert Men-
ſchen waren umgekommen, Werhaftungen folgten und
fharfe Drohungen, die ganze Stadt war in Trauer
und Schreden. Zerboni empfing in Petrifau mit tief
fter Bewegung die Nachricht von biefen Vorgängen, von
dem Muthe des Volks, von ber Angft des Minifiers;
mit Unwillen und Schmerz hörte er, wie Hoym nun zu
Handlungen bes Haffes und der Grauſamkeit fortgerif-
fen wurde und ſich dadurch neues Unglüd bereite. In
der leidenfhaftlihen Stimmung eines aus Erbitterung
und Mitleid, Verachtung und Theilnahme -gemifchten
Gefühls, feiner redlihen Abficht gewiß, einen guten Er⸗
folg noch für möglich haltend, ſchrieb er am 12. Oct.
an Hoym einen Brief, der den mächtigen Mann aufs
beftigfte exbittern mußte. Held, für welchen diefer Brief
ebenfalls verhängnißvoll wurde, war keineswegs zufrie-
ben mit deſſen Inhalt; er ſchalt ihn „ein unfeliges Mit-
telding von Schmeichelei -und Grobheit, nur halbdreiſt
und eigentlih mehr kraͤnkend und nedend abgefaßt al
der Ausbruch eines von der Unordnung, Zweckwidrigkeit
und Unmoralität in ber innern Berwaltung empörten
Bemüths ift.”
Vier Wochen blieb Zerboni ohne Antwort; ploͤtzlich
wurde er am Abend des 17. Nov. in der Mitte feiner
Familie verhaftet und ale Staatsgefangener auf die
Feſtung Glag abgeführt, Hoym ließ Tämmtlihe Pa⸗
piere bei Zerboni in Beſchlag nehmen und nach deren
Durchſuchung glaubte er eine andere, weit ſchwerere
Schuld auf ihn wälzen zu konnen. Man hatte naͤm⸗
ih Schriften und Briefe gefunden, welche den Everge⸗
tenbund betrafen, und diefer wurde als ein Staatöver-
brechen dargeftellt. Mit großer Härte, theils nicht ſtreng
bem Gefege gemäß, theils entichieden parteilich, wurde
nun gegen ben Gefangenen verfahren. Was ein Mann
wie Varnhagen bier über richterlihe Werirrungen bei
den politifchen Proceffen äußert, verdient mol bie allfei-
feitigfte Beachtung : Ä |
Überall hat man die traurige Erfahrung gemacht, daß
die Richter, wenn fie einen fogenannten politiſchen Proceß
überfommen, ale Kaflung verlieren, fie jehen fih in unge
wohnter Wichtigkeit, das Gewiffen wird von dem Eifer be⸗
täubt, ſich bei folcyer glänzenden Gelegenheit auszuzeichnen, den
Dane und die Belohnungen der Derrfchenden gu erwerben;
da wird jeder zweifelhafte Umftand als erwieſene Schuld aus»
gelegt, jede gewaltfamfte Schlußfolgerung verfucht.
So geſchah es auch hier; vergebens berief ſich Zer⸗
bont auf bie gefeglichen Vorfchriften, verlangte vor fei«
nen ordentlichen Richter geftellt zu werden, beitand dar⸗
auf, die Anklage wegen des Briefs nicht mit der we⸗
gen des vergeffenen Ordens vermengen zu laflen; das
Verfahren ging feinen Gang, in welchem folche „Unre-
gelmäßigfeiten” (diefen Euphemismus braucht Varnha⸗
gen) vorfielen, daß fogar zwei Minifter, ber Großkanzler
von Goldbeck und der Winifter der. auswärtigen Ange-
legenheiten Graf von Haugmig, eine Bekanntmachung
unterfchrieben, weiche über die Verhafteten falfche Anga⸗
ben durch die Zeitungen verbreitete. Noch einige An-
dere wurden mit in den Proceß hineingezogen und ver⸗
haftet; gegen Held wurde nicht eingefchritten, da man
Briefe von ihm an Zerboni vorfand, in denen er ben
Evergetenbund als unnüg und unausführbar verworfen
und fih gänzlich davon losgefagt hatte. Das Gericht
erkannte in zwei Inſtanzen auf mehrjährige Feſtungs⸗
firafe gegen Zerboni; doch brachte der Regentenmechfet
bald Milderung in fein Schidfal, er wurde 1708 der
"Haft gänzlic, .entlaffen und kehrte nad, Petrikau zurüd.
(Später machte Zerboni noch gute Carriere und farb
als Oberpräfident von Pofen.)
(Der Beſchluß folgt.)
‚ ningen. Schon in ihrem
231
Romanliteratur.
1, ‚Beltglüd. Von Therefe. Braunſchweig, Vieweg. 1845.
Gr. 8. 2 Thir. . |
Aus Cäciliend Papieren wirb uns mitgetheilt, und wir
erhalten eine Neihe von Lebensbildern aus den höhern Kreifen,
in jenen verblichenen Karben der Refignation, bes Unbefriedigt-
feins, wie bie höhern Kreife wol erzeugen koͤnnen. Cäcilie i
ein Fräulein von Rudolphszell, das Stammſchloß heißt Schd:
lternpaar erkennen wir eine nicht
glückliche Ehe; der Bater gehört mehr der Welt, der Idee an
als ‘der Ramilie, und die Mutter, welche aus Liebe geheira⸗
thet hat, jehnt fich nach Liebe und ift unglücklich. Sie ftirbt.
Zwei Jahre lang fühlt ih unfere Heldin allein, eine Neigung
zu einem jungen bürgerlichen Baumeifter fchleicht ſich in ihr
Herz und wird getbeiltz doch der junge Mann überwindet fein
Gefühl, er erkennt die Kluft, welche der Stolz einer arifto:
kratiſchen Familie zwijchen ihm und der Geliebten zieht, und
fein Stolz erhebt eine noch unüberfteiglichere Barriere, er hei⸗
rathet des Pfarrers Tochter. Läciliend Vater heirathet wie⸗
der, und abermals lernen wir eine unglüdliche abelige Familie
kennen, in jenem Misklang lebend, welcher das Scheinenmwollen
was man nicht ift hervorbringt. Die Zochter diefer Kamilie
wird Cäciliend Stiefmutter und bringt Unglüd in deren vä⸗
terlihe® Haus, indem fie durch unmäßigen Lurus auch Eäci:
liens mütterlicdes Vermögen verfchwendet. Ein ungeheures
Misbehagen ergreift den Leſer bei dieſer Schilderung eines raft:
Iofen Strebens nach außen, einer verzweifelten Komödie von
Gluͤck und Größe in dem im Innern zerquälten Yamilienleben.
Eäcilie wird Hofdame und abermals findet man nur Mid:
behagen hinter den Koulifien des Hofes, auch bier fühlt fich
unfere Heldin nicht glüdlih. „Die ewigen Sorgen um bie-
Xoilette, dad ewige Einerlei cined Lebens, wo jede Stunde im
Zoge vorausbeflimmt ift, wo die Kreife fo eng gezogen wer:
den, daß fie vergoldete Gitter vorftellen, wo die ganze Exi⸗
ſtenz aus nichts ald aus Nüdfichten befteht, wo man weder
krank noch betrübt fein darf und p zu fagen Die ganze Ichheit
in einem Rebel verſchwimmt. Und in diefer Beweglichkeit ein
fuͤrchterlich druͤckendes Stillſtehen.“
Auf der erſten Seite des vorliegenden Romans wird der:
felbe als Tendenzroman geftempelt durch folgende Worte: „Da
unfere Seit eine ſolche ift, wo jede Sphäre aus der einen in
die andere firebt, wo ein Verkennen des Gegebenen dur das
Ringen nad) dem Entfagten entfteht, wo Keinem der Play
auf den das Schickſal ihn flellt genügen will” u. f. w., wes⸗
halb die Verf. fih berufen fühlt, diefem übel durd den Be
weid zu begegnen, daß jegliches Individuum fein Maß vLeiden,
in welchem Kreife ed fi) immer bewege, zu tragen hat; fie
will darthun, daß diefes Leiden fogar im Verhaͤliniß mit Aus
ferm Stanz empfindlicher wird, fie will den. Unbegüterten,
welche den Reichen nachahmen, zurufen: „Glaubt doch nicht,
daß das Süd im Palaſte, hinter golddurchwirkten Vorhaͤngen
wohne” u. |. w. Da der Roman nun in diefe Zendenz ein
geht, müffen wir auch die diefer Tendenz am meiften ſich zu
wenbenden Punkte vor allen beleuhten. So fagt die Berf.
unter Anderm: „Sind denn die Großen glüdlih? Bei ihnen
befteht Alles mehr als anderswo nad) der einmal eingerichte-
tm Drbnungs es tritt eine Gewöhnung bes Herkoͤmmlichen
ein, was nur durch einen gewaltigen Schloßbrand getilgt wer-
den koͤnnte; da werden neben uraltem fchwerem Silberzeug
Durchlöcherte Servietten ausyetbeilt, da bekommt man den
Kaffee wäflerig und die Butter verdorben, da verläßt fich der,
Höhere auf den Niedern, die Kammerfrau auf die Kammer:
iungfes, und fo fort, fodaß nie etwas Ordentliches zu Stande
kommt und alle, außer vielleicht die Herrſchaften, darunter
leiden. Ja die Herrichaften find oft felbft die Opfer ihrer Un-
tergebenen,, das Opfer ihrer Wr Sie fihildert nun
ihr großes unheimliches Zimmer ald Hofdame mit dem verbli-
—— Teppich, dem taudenden Kamine der entfernt woh⸗
nenden Kammerſrau. Wir thun auch einen Blick in das kalte
Berhaͤltniß dee Herzogin zur Tochter, wie fremde Einflaͤſterer
bad Kind ber Mutter entfrembet haben, wie eine wunderfiche
Schroffheit durch faliche Behandlung in der Prinzeffin erzeugt
iſt. Gäcibie‘ ift Hofdame ter Yringeffin, und ed gelingt ihr
beten Bertrauen zu gewinnen. Die Reflerionen über De fo
oft verfehlten Erziehungen der Prinzen und Prinzeffinnen ver⸗
dienen bier Erwähnung. „Wie ſollte audy in einem Dafein in«
nere Preiheit Eingang finden, Dad nah Stunden und Minu⸗
ten geregelt nie dad traͤumeriſche Element, das himmliſche
Dolce for nients zuläßt; das mit einem gedruckten und eins
gerahmten Plan alle freien Lebendzüge nieberfchlägt; das tan⸗
jen muß wenn ed [chlafen, ſchlafen muß wenn es leſen, freie
en muß wenn es zeichnen möchter dem Spiel Arbeit iſt; das
im dritten oder vierten Jahre Drden und im zehnten Benerals-
Epauletten hat; das vom Syſtem der Combination abhängt;
Dem nie ein freier Athemzug gegönnt ift, dem ale Kinder
freuden immer geknickt find. Wie oft gefchieht es, daß fie, zur
Selbftändigkeit gelangt, die geraubten Genuͤſſe nachholen, fich
in unerlaubte Zerftreuungen gerade dann ftürgen wollen, wenn
ihre Zage Ernſt, Sammlung und äußerte Burüdhaltung er:
heifcht.” Die von der Etiquette von allen Seiten eingeengte
junge Fürſtin, Der nie ein Vergnügen der Jugend ſich aufthat,
bricht in die Klage aus: „Das ift Fürftenbeftimmung.” Das
Schickſal legt den fogenannten Begünſtigten heimliche prickelnde
Entbehrungen gleih Strafen auf, Am öfterften bezahlt das
Herz die äußern Gluͤcksguͤter, am öfterften ift bier die Freude ein
Traum, der Genuß eine Laune, bie Etiquette ein Lebenszweck.“
Intereffant ift die Schülderung des Hoflebens, wie der Tag
mit Geſchwindigkeit durchflogen werden muß, wie nichts mitRuhe
und Muße gelrieben werden kann, wie zu nicht& ordentlich Beit
ift, auch nicht zum Lefen der Bittfchreiben der Unterthanen,
bie nur im Excerpt vorgelegt werden; das hajtige Leben, das
baftige Neifen, das haftige Drängen von einem Bergnügen
um andern. Man meint befannte Züge zu erfennen in jenem
ürftlichen Portrait.
Die Prinzeffin wird die Braut eined ausgezeichneten, geift-
reichen, vielgereiſten Erbprinzen. Schon früher hatte er ver»
kleidet die Prinzeffin umſchlichen, und wie es fcheint fih in
die Hofdame verliebt. Cine glühende Leidenfchaft erwacht für
Leptere in ihm, und fie wird getheilt. Wir erleben Kämpfe des
tugendbaften Mädchens; ihr Herz hatte einft eine Reigung
ınter ihrem Stand erlebt, jegt erhebt es fich über denfelben,
ebenfo hoffnungslos und trofllos. Um biefer Gefahr fih zu
entreißen, nimmt fie ben Heirathsantrag des Hofmarfchalld an
und erträgt den Balten verachtenden Blick des (Beliebten. Ihre
Ehe wird nun wieder eine unglüdlie; der Weltmann genügt
ihrem Herzen nicht und gibt ihr fein häusliches Glück. Und
neben ihr wohnt der einft geliebte Architekt, mit Frau und
Kind, und fie fann von ihrem Fenfter aus deſſen haͤusliches
Gluͤck beobadten. Ihe Gemahl wird Gefandter am Hofe
des von Eäcilien fo hochgeſtellten Fürftenfohnes; fie findet die
Prinzeffin bleich und ungluͤcklich wieder, eine unbefritdigte Che
in höbern Sphären. Der Erbprinz liebt feine Gemahlin nicht
und ift auf Sabre verreift. Eäcilie hat nun zwar feine Kämpfe
für ihre Tugend zu beftthen, doch andere werden ihr aufer-
legt. Der eitle Semahl überbietet fi in Außerm Luxus, er
wit Eeinem der Gefandten nachſtehen an Pracht, und Eäcitie
muß im Innern des Haufes die größte Sparfamkeit üben 3
fle ſchildert mit den grellſten Farben jenen Zuftand, wo mit«
ten im Reichthum die Armuth Herrfcht, wo dem Anftand die
wirkliche Behaglichkeit geopfert wird, wo zwar fllberne Schüfe
fen vorhanden, aber meift leer oder dürftig befest find. „Die
Bevorzugten der Erde werben beneidet, man glaubt, Haß fie
beftändig über große Mittel zu gebieten haben und weiß felten;
daß e8 einen Mangel im Überfluß, einen Zwang gibt, der alle
wirklichen $reuden vernichtet. Ja das Glück der großen Welt
ift illuſoriſch; unter hundert Familien gibt ed kaum zehn, de:
ren Stellung im Einktang mit ihrem Einkommen if. Immer
muß der Anftand dem Schein geopfert werden, immer liegt
bier die freie harmloſe Bewegung in Banden. 8war wiflen
272
die Armanſchreiber über Millionen zu gebieten, aber bie Wirk
tigkeit nimmt ſich wie eine Iromie gegen diefe ſardanapaliſchen
Zuufionen aus. Iſt eb doch ſchon ſchwer genug zu fagen, was
nothimendig, was überfläffg if. Hat doch bier ſchon des fühle
Berftand Baum 8 ‚um mit laͤchelndem Bunde über die
Nechwendigkeit, in feibenen Kleidern Kartoffeln in der Schale
efien zu urüffen, zu entſcheiden.“
as Herzog fieht Eäcilie den Erbprinzen wieder und bie
albe Neigung erwacht in Beiden; beide erblicken ineinander das
Zoeat, deffen Yhantaie Hergen bedurfte. Gäcilie war, wie
Died im verfehlten Ehen meift ber Fau ift, eine leidenſchaftliche
Mutter geworden und dieſes Gefühl hielt das Gegengewicht
der wieder erwachenden Reigung. Der Herzog beſucht fie, bit»
ist um Verzeihung wegen fruͤherer Leidenichaftlichteit, bietet
feine Freundſchaft an und befucht die Freundin nun täglic,
deren Umgang ihm Erheiterung und Zroft in feinen vielfadgden
Sorgen war.
RBB liegt eine tief angelegte Sehnfucht in mir, fagt der
Fürk, die bis jept nichts heilen konnte. Weil ih Fuͤrſt bin,
ih meine Schmerzen tragen, aber find fie baram weniger
itter Pflicgtetfüllung, bürgerliche, ja felbft im edelften @inne
iche Pflichterfüllung ift lange nicht ausreichend genug,
am mir ganz zu helfen. Auf Augenblicke lehrt fie vergeſſen.“
ind weiter fagt er: „Dan legt fo gern die ganze Laſt bes
geiftigen Dranges in die Seele eines Andern, und thut aus
der heraus, was man aus der eigenen umficher thun würde.
Es iſt das eigentlich ber höchſte Gipfel des Gefühls das Ende
in der Liebe und der Anfang in der Religion. So grenzen
die beiden heiligen Gebiete dicht anemander. Das was Die
Dichter ‘ihre Muſe nennen, geht nur auf die Form, und if
lange nicht fo heilig ald Das was idy meine.”
Diefes Berhaͤltniß konnte natürlich der falfchen Auslegung
nicht entgehen: die Fürſtia, welche nie ihrem Gemahl etwas
hatte fein Eönnen, meinte doch durch Gäcilien beraubt worden
u fein, und bewirkte endlich die Abberufung des Gefandten.
—* der Füͤrſt Eonnte feine Freundin nicht ziehen ſehen und
ernannte ihren Gemahl zum Minifter. Run beginnt wieder
sine neue Phafe von Ungluͤck. Der neue Minifter ift feiner
Stelle und deren Mnfoberungen nicht gewachſen; nad den auf:
teibenbften Kämpfen, vom Ehrgeiz geſpornt, von feiner geiſti⸗
gen Unzulaͤnglichkeit und durch die mangelnden Faͤhigkeiten und
Kenniniffe gehemmt, unterliegt er der innern und äußern Auf⸗
regung ; er wird wahnfinnig und ſtirbt in Gäciliens Armen.
Sie beweint in ihm ben Vater ihrer Kinder, ihren ans Zegt
wer fie frei und liebte. Was follte fie thun ? Die Berant-
wortlichkeit einer Witwe, die Pflichten einer auf ihre Redlich⸗
Beit gewiefenen Mutter, erfhienen mit furdhtbarer Schwere.
Sie ertannte, daß eb etwas Höheres und Heiligered gibt ale
ein freied Leben, als ein der Kiebe geweihtes Dafein. Sie
reift ab und gurüd in die Heimat. Sie bewohnt wieder das
Haus, in beften Nachbarſchaft der einft geliebte Baumeifter
wohnt. Deften Sohn liebt Caͤciliens Tochter. „Wenn er fie
um Weib begehrt”, fchließt Eäcilie, „ob ich wol den Muth
atte, Rein zu fagen. Ob mir wol von dem Stolz ber
&tandebsorurtheile nach allen diefen Kämpfen noch fo viel
übrig geblieben wäre, noch jegt an eine bevorzugte Gefellfchaft
zu glauben? Wir find uns Alle glei, gleich in unfern Hoff
nungen auf Glad, glei in unfern Anfehauungen. Wenn
diefe Blätter berviefen haben, daß die große Welt ärmer an
wahrem Glück ift als die Meine, fo haben fie ihren Haupt:
zweck erreicht.”
Bir alle Tendenzromane ift auch der vorliegende kinfeitig,
und man Pönnte wol ebenfo viel Bilder unbefriedigter Griften:
zen und unharmoniſcher Ehen unter den Menſchen, weiche als
einfachere Menſchen bezeichnet werben, finden ald unter den
fogenannten bevorrechteten. Indeß ift e8 immer gut, der Menſch⸗
heit zu wiederholen, daß nicht Alles Bold iſt was glänzt,
und Die aneinander gereibten Lebensbilder find meift fo ſchoͤn
und von tiefen Reflerionen und von tief poetifchen Anſchauun⸗
en burchwoben, daß, wenn Ref. auch nicht die Wahrheit der
pr möchte gelten laſſen, er J den einzelnen ſo an⸗
muthig dorgetragenen Wahrheiten volle Zuſtimmung geben muß.
2. Prag unter König Wenzel IV. Hiſtoriſcher Roman von
riedrih Wallmar. Drei Bände. Leipzig, Reclam jun.
846. 8. 4 Thlr.
Der erfte Theil diefes Romans beginne im I. 1389, der
dritte 13 Jahre fpäter. Das ganze Werk umfaßt Wenzel's
Regierung in Böhmen, Sigmund's Regentihaft während Kö—
nig Wenzel's Befangenihaft und Wenzel's Rückkehr. Chatak⸗
teriſtiſche Bilder aus jener Zeit mit ihren tiefen mittelalter-
ligen Schatten find aneinander gereiht. Sudenverfolgungen,
NRaufereien, Gefegtofigkeiten und Böfewichte, noch jene echten
Boͤſewichte aus den Pöhern Ständen, welche boͤs fein wollen
und auch lange bo8 fein Fönnen, ehe die ſchreckliche Strafe fie
erreicht. Die drei Bände enthalten wi einen doppelten Do»
man. Sn ber erflen Hälfte flirbt die Heldin bes erften Mor
mans; deren Couſine ift die des zweiten. Der Held des erften
Romans ift der väaterliche Freund des zweiten Gelben, und die
Grafen Scala, Bater und Sohn, fpielen in beiden Romanen
das böfe Princip, indem fie die Verfolgungen der Unfchuld leis
ten und zufegt dafür büßen; der eine wird enthauptet, der
andere erhängt fich ſelbſt. Die Bruchſtücke ber Geſchichte und
der Buftände jener Zeit werden dem Lefer durch zahlloſe Dia:
loge fund gethan; in Dialogen entwideln fi) auch Die verſchie⸗
denen Charaktere; die Dialoge vergegenwärtigen und die Lie
besverhältnifie, wodurch bei vielen Verdienſten Ber Roman et:
was Schleppendes enthält, was nicht eines Seden Geſchmack iſt.
3. Frauen» Rovellen von Luiſe v. G. Zwei Bände. Darm:
ſtadt, Songhaus. 1845. 8. 3 Ehir: 20 Rear.
Die anmuthigen Novellen machen der weiblichen Hand
Ehre die fie ſchrieb. Wir begegneten fon einigen derfelben
in verfchiedenen Iournalen und freuten uns, fie in guter Ger
fellfHaft wieder zu finden. In die größern Rovellen find
Meinere Erzählungen eingefchaltet, welche, obgleich fie nicht In
den Baden der größern eingreifen, doch hübſche Epiſoden bil:
den. Zwei Geiftergefchichten erregten befonders des Ref. Auf⸗
merkſamkeit, und wir Eönnen nicht angeben, ob fie erfunden
ober nacherzaͤhlt find; auf jeden Fall find fie fehr gut erzaͤhlt.
Die erfte handelt von einem jungen Mädchen, welche im kol⸗
ner Dom einen fpanifhen Schädel bewundert und im Scherz
demfelben ihre Liebe zufichert;s in der Racht erfcheint ihr eine
Geſtalt und erklaͤrt fie als Verlobte und nimmt einen Ring;
auch fehlt ihr wirklich ein Ming, und Eurze Zeit darauf ftirbt
das Maͤdchen am Rervenfieber, in ihren Phantafien beftändig
mit dem Spanier verfchrend. Die Novelle, worin diefe Er:
gehlun enthalten tft, ‚Der eaeif", bat manche fehr gute
erwidelung, doch kann Ref. nicht umbin, die Heldin über:
fpannt zu finden in ihrem Stolz, und bei diefem Stolz, bei
ihrem klaren Berftande, ift es nicht natürlich, daß jie vom
Egoiſten fo fehnell eingenommen fein Eonnte. "Wollte Sott,
da wir immer Novellen in die Hand befämen, welche fo viel
Gutes und fo wenig Schwächen aufzumelfen hätten als die
vorliegenden! 46.
— — — — —
Literarifhe Anzeige.
Soeben erihien bei F. WE. Brockhaus in Leipzig und ik
duch alle Buchhandlungen zu erhalten:
Benevion von Tonlouse. -
Hiſtoriſche Novelle
von
Reopold Shhefer.
Gr. 12. Geh. 1 The. 15 Nor.
Verantwortlicher Heraußgeder: Heiurich Brockkäaus. — Druck und Werlag von F. X. Brockhans in Leipjig.
— — —— — — — — — —
— — ·— —
Blätter
Sn
für
literariſche Unterhaltung.
Dienftag,
Hans von Held. Ein preußifches Charakterbitd.
Von K. A. Varnhagen von Enfe
(Beſchluß aus Nr.) .
Durch die Verhaftung und Wegführung Zerboni’e
wurde Held im Innerften erfchüttert; fein Haß gegen
den Verfolger Hoym loderte in wahren Grimm auf.
In Schlefien und Sudpreußen war der Staatebetrug
unter diefem Minijter foftematifch ausgebildet und ver-
urfachte allgemeines Argernif. Unter folchen Umftänden
machte ein Feftlied „Au den Gemeinſinn“, welches Held
zur Geburtstagsfeier des Könige am 25. Sept. 1797
in Pofen druden lieg, das größte Auffehen. Jubelnd
wurden Strophen wie folgende aufgenommen:
Allen Buben ihren Kohn,
Die den Staat beträgen,
Und aus Raubfuht um den Thron
Sich wie Schlangen ſchmiegen.
Später Rache heißer Tag,
Draͤut aus fernen: Wettern
&ie mit Einem großen Schlag
In den Staub zu jchmettern.
Diefe legten Zeilen wurden als eine Anfpielung auf
den künftigen König Friedrich Wilhelm III. gedeutet, der
als Kronprinz in fihweigendem Unwillen ben herrſchen⸗
den Bünftlingen als ein drohendes Schredbild erſchien.
Hoym war außer ih über den Druck und die freudige
Aufnahme dieſes Gedichte, und ber ihm ſchon längft
‚verhaßte Autor follte ſchwer dafür büßen. Die Drud-
erlaubnig war durch den PRegierungsprälidenten von
Dandelmann in Pofen harmlos ertheilt, aber es wurde
nachher behauptet, dies fei nicht gefhehen, und foldyen
Vorwand ergreifend (wieder eine „Unregelmäfigteit”),
fandte‘ Hoym eine Anflage gegen Held nad Berlin,
daß derfelbe ein Gedicht von frechen und jebenfalls für
die Beburtstagfeier des Königs unziemlihem Inhalt ges
gen das Verbot der Genfur habe drucken laffen; er ge
höre überhaupt zu den unruhigen Köpfen, die, von dem’
Freiheitsfſchwindel ergriffen, biefen überall zu verbreiten
ſuchten, und es fei daher zwedmäßig, ihn aus Pofen,
wo ei folches Argerni gegeben, umd überhaupt aus
Südpreufen zu entfernen. Diefe Anklage gerieth, ba
Friedrich Wilhelm 11. mittlerweile am 16. Nov. 1797
„ geftorben war, in die Bände feines Nachfolgers, der in
den erften Tagen feiner Regierung foldhe Sache unbe
benflih nach den Angaben feines geheimen Eabinets-
raths entſchied. Diefer war Menten, ein ehemals viel
belobter, aber ſchwacher und furchtfamer Mann, früher
mit Held befannt, fept aber perfönlich wider Ihn einge-
nommen. Held war zur Zeit des Thronmwechfels auf
Urlaub in Berlin, fpeifte gerade beim Minifter Struen-
fee, als dieſer über Tiſch eine Cabinetsordre empfing,
deren Inhalt er ihm noch an bemfelben Tage befannt
machte. Der König hatte befohlen, * unverzüglich
in eine Beine Stadt der Mark zu verjegen; bemgemäß
ſchickte ihn der Minifter Struenfee, der übrigens viel
Mohlmwollen für ihn hegte, nah Brandenburg, wo er
mit Belaſſung feines zeitherigen Gehalte Mitglied der
Provinzialzolldirection wurde. Im Gafthofe, wo Held
diefes Schreiben empfing, verfaßte er fofort feine Ver⸗
antwortung und reichte fie am folgenden Morgen dem.
Minifter ein. Er ſagt darin ohne Rückhalt und Scheu
gerabe heraus, was bie Welt von Hoym offenkundig
wußte und urtheilte. Er bewies, daß es eine Züge fei,
wenn gefagt werde, fein Gedicht fei ohne Cenſur ge
drudt, ſodann befannte er frei, daß er baffelbe abſicht⸗
lich gegen mande Perfonen zugefpiet, welche die Gut⸗
müthigfeit des vorigen Königs mißbraucht hätten und
welche ber jegige König bereits begonnen habe unter das
Sefeg zu ftellen und zu beftrafen, Er fagt:
Manches darin gilt den VBerfrüpplern des gefunden Men»
fhenverftandes und des an ſich guten Nationalcharakters, die
fett zehn Jahren ihe Unmefen getrieben und die Monarchie
auswärtig lächerlich gemacht haben; denn feit dem Religions:
ediet fkiegen zahlloſe Heuchler Die Treppe ber Eonfiftorien, in-
fonderheit aber der Kanzeln ale Sonntage hinauf, und befaß-
len und predigten wunderliche, unfruchtbare, unbegreiflice
Dinge, ftatt häusliche und bürgerliche Tugend zu lehren, die
auf die beffere Praris des wirklichen Lebens eingreifen; doch
ich befaffe mich mit diefer Menſchenſorte nicht weiter, ba ihr
Reich jegt dahin ift. |
Schlieglich hofft er, daß der König dieſe Berant-
wortung leſen, bie abgedrungene Nothwehr aus dem
rechten Geſichtspunkte faffen und die Stage: Ob. foldhe
Minifter wie Hoym oder ſolche Dieter. wie Held mehr
der bürgerlichen Ruhe ſchaden? nicht zu. bes Letztern Un⸗
glüd entſchieden werde. Diefe Eingabe, welche von Der.
Vertheidigung fo lebhaft zum Angriffe überging, hatte nur
zur Folge, daß Held mit wiederholten: Verweife ben Be-
fcheid erhielt, es habe bei dem Werfügten fein Bewenden.
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gu Brandenburg angelangt, fand er fih anfangs
in der Meinen Stadt fehr einfam. Der Ruf feiner
Ungnade war ihm vorangegangen, man fcheute ben
ftaatsgefährlihen Mann, einige Beamte und Offiziere
wollten ihre gute Gefinnung dadurch bemeifen, daß fie
ihm mit ——** Kälte begegneten. Mit freche Ueber⸗
muth wurde er einmal oͤffentlich von drei hoͤhern Mili⸗
tairperſonen beleidigt und ſah ſich dadurch veranlaßt, bei
dem Könige Beſchwerde zu führen „über den Generallieute⸗
nant v. Rüchel wegen unbefugter und nedender An⸗
maßung, gegen den General v. Puttlammer wegen Bru⸗
telität und gegen den Major v. Boͤmcken wegen anbe-
son Ungtzegenheiten“. In biefer Befchwerbefptift au⸗
ferte ſich Held freimüthig über die ſchmaͤhliche Roheit
und Geringfchatzung, mit welcher fig damals die meiſten
Dffigieve gegen die Civiliſten betrugen. Er ſchrieb:
In ſolchen Ungerechtigkeiten follten Ew. Majeftät doch
ein firenges Sinſehen haben, Brutale Soldaten ſchaden offen⸗
bar der Achtung und Liebe zum Regenten im Ganzen... Wir
Giviliften find offenbar gegen folhe Militairs nicht geſchuͤtzt
und im gefehlichen Gleichgewicht... Es ift hier nicht der Ort,
diefe traurigen — näher zu erörtern, welche Ew. Ma:
jefkät nur dann genau einlewchten würden, tenn Allerhoͤchſt⸗
eſelben vollkommen ſich herabdenken könnten in die Lage eines
kieinen engbeſchraͤnkten Privatmannes, des nicht Soldat ift.
Kur dann koͤnnten Allerhöchſtdieſelben ganz fühlen, daß auf
Erden nichts unerträgliher und empörender ift als militairifche
Infolenz gegen den ruhigen unbewafneten einheimifhen Bürger.
Nicht beſonders erfreulich lautete der Beſcheid aus
dem Cabinet; es wurde gerügt, daß Held nicht zuerſt
an die naͤchſten Behörden, fondern gleich an ben König
gegangen war. Ä |
Zerboni hatte indeß die Acten feines Proceſſes bruden
laſſen; hierfür follte er aufs neue zur Strafe gezogen
werden. Held ergrimmte darüber und befchloß auf ber
Stelle, das Verderben, welches dem Freunde drohte, auf
die Häupter feiner Feinde zurücdzumdlzen. Gr nahm
hier eine Saat ber Aufreizung in fein Gemüth, die
rel und gewaltig emporſtieg und ihm perfönlich das
größte Ungluͤck brachte Er mußte fih durch Uberre⸗
dung und Sthlauheit Abſchriften der Acten eines höchſt
aͤrgerlichzn Moreſſes zu verfchaffen, in welchem Hoym
d Goldbeck ſehr bloßgeſtellt waren, ſchrieb in Eile,
begeiſtert von Unwillen und Zorn, heftige Erlaͤuterungen
dazu und nahm die druckfertige Schrift, Das ſchwarze
Buch“ mit nach Bertin. Hier begab er ſich zu dem
Miniſter v. Struenfee, erbat fich geheimes Gehör und
legte ihm die Schrift vor. Held fagt:
Struenſee's Mienen waren anfänglich misbilligend und er
ſchuͤttelte den Kopf, je länger ich aber ſprach und ihm Alles
verbeutlichte, je mehr klaͤrte fich fein Geſicht auf, bis zu jenem
ſatdoniſchen Lacheln, weiches diefe in der Megel ernfthafte Phy⸗
fognonie fo wohl Peitete und ſo großes Butrauen erwechte.
GStruenſee behielt die Schrift einige Tage und afs
er fe zutückgab, erklärte er bie Thatſachen fin ganz
richtig, allen beiweitem noch nicht volftändigs ee wiffe
ben Zufammenhang, ein Geheimniß, das der WVerfoffer
nicht Habe wiſſen kännen. Gtreuenfee fuhr zu Held fort:
Judeß it das Buch off genug, um dem König auf⸗
zufallen Sie wagen bamit vie. Entweder wird damit etwas
recht Gutes oder etwas recht Schlimmes geſtiftet, und Sie
koͤnnen ſich dadurch recht gudis oder noch unglüdlicher mas
den als Sie ſchon find. rathen will ich Ihnen nicht, mich
darein meliren fann und will ich aber auch nit. Die Zu⸗
gänge find zu fehr verriegelt. i
Held empfand es fihnterzlich, daß‘ Struenſee ihm .
eine eigennügige Abfiht auf Glück beizumeſſen ſchien,
und lehnte Died entfchieden ab, worauf Sruenſee er»
wiberte:
Für Ihr Heil würde eine Portion Egoismus Ihnen fehr
dienlich fein.
Er: fügte noch hinzu:
In unferm Staate ift Bein Reformiren A als das
unmittelbar vom Koͤnige ausgeht, im Einzelnen iſt nirgend
ein vernünftiger Anfang zu machen; jeder Geſchäftsmann
bei und arbeitet nur dahin, Daß er ſich durch die
Borm dede und nicht actenmäßig verantwortiid
werde. -
Und fo ſprach Struenſee noch. Vieles, was ben Zu-
fand des Staats berraf, für Held aber, anftatt ihn ab-
zuſchrecken, nur zu flärkerer Anreizung wurde, die Schrift
drucken au laſſen. Der Buchhändler Frölih, dem er
fein Geheimniß anvertraut hatte, übernahm den Drud;
fie gaben ſich das Ehrenwort, daß feiner den, andern in
diefee Sache je nennen molle. Held fegte auf feine
Schrift den Titel: „Die wahren Jakobiner im preufi-
fhen Staate, oder actenmäßige Darftellung der böfen
Ränke und bettügerifchen Dienftführung zweier preufi-
hen Staatsminifter.” Nach feiner Ausftattung — nicht
nur ber Umfchlag, auch der Schnitt war ſchwarz — er-
hielt das Werk den Namen bes Schwarzen Buchs. Drei
Eremplare ließ Helb in den erfien Tagen des Februar
1801 von Nauen zur Poſt nah Berlin abgehen, An
den König, an ben Oberſten v. Ködkig und an ben
Minifter Graf v. d. Schulenburg. Durch das Zufam-
mentreffen mehrer Umftänbe wurde bie Sache entdeckt
und fefort Held's Verhaftung befchloffen. Er war ge-
rade in Berlin als dies gefchad. Held wurbe auf die
Hausvogtei vor den Geheimen Juſtizrath Warſing citirt.
Frölich Hatte Alles geftanden, es blieb für Held nichte
weiter übrig als feine Autorfchaft einzuräumen. War:
fing ließ ihn noch in berfelben Nacht in ein dunkles
fhmuziges Gefängnis Bringen. Held erzählt: _
Kaum war ich drinnen, fo brachte man eine Bettftell und
eine elende Matratze, zuͤndete ein Dreierichk an, ſchlug die
Thuͤr gu, legte die waffeinden Miegel und Sqhibſſer auswendig
wieder vor und fo ward iin aller Geſchwindigkeit ein Staat
gefangener. Meine Blide überflogen nun den kleinen Raum
in bem ich mich befand, Auf einmal flieg aus dem Bette lin-
ter Hand eine lange, hagere, blaſſe nöflaur mit einer
überaus großen Rafe, trüben verlöfthten Augen, eine ſchmuzige
Rahtmüte auf Dem Kopf und in ein überall locherichtes Racht
kamiſol gekleidet, empor. Wir begrüßten und, und meine erfle
Frage war: Warum figen Sie hier? was haben Sie gethan®.
ntwort: SH babe an das Kammergericht gellprieben, daß
deſſen Mitglieder Spi „Moͤrder und Schinder wären,
und babe mit dem Juſtitiarius in der Stade Strasburg einen
Proceh wegen eine® Mädchens gehabt, weiches mich als Water .
zu einem Kinde angab, befien eigentliher Water der Zufkitia«
rius wol felbft fin möchte; ich bin veformirter Prediger in
gewefen, fite ſchon zum dritten Mal, und dies
——
legte Mal bereitb in den achten Monat.
v
EEE
Beinahe eine Woche dauerte es, ehe die VBerhöre
begannen; wir fühlen uns gedrangen bier noch eine
Stelle aufzunehmen, in welcher Barnhagen fi über
das Loos der Staatsgefangenen ausfpricht:
frei üpiele im Profeflors Zordan,
Des Rectors Weidig, die bitteren Klagen, bie wmaufbörlich aus
Frankreich herüberſchallen, find aller Welt bekannt; einzig Eng:
land macht in dieſem Bezug eine nie gemug zu preiſende Aus»
nahme. Wir fehen, wie für den Unglüͤcklichen, der unter jene
Benennung fällt, mehr noch al6 die Strenge des Geſetzes, die
Leidenfchaften der Macht zu fürchten find, wie Unparteilichkeit
und Milde dem unterthänigen Eifer, des fühllofen Härte wei⸗
den, wie die Unterſuchung foft immer in Haß und Feindfchaft,
in ſchadenfrohen Hohn ausarte. Wir wiflen, durch weiche
unnöthige Berfagungen, peinliche Förmlichkeiten und endlofe
Hingögerungen die Kerferhaft zur verzweifiunzsvollen Marter
wird, wie jede Kleimigkeit zur Erleichterung des Lebens, zur
Erquickung des Geiſtes oder gar zum Bedarf ber Vertheidi⸗
ung, meift demüthig erbettelt, langmierig erwartet und allen:
mit Geld aufgerwogen werden muß; nicht au gedenken ber
taufendfahen Qualereien, welche bald durch Einfamkeit und
Stille, bald durch unmwürdige Genoſſenſchaft, dur Unbill und
Züde der Unterbeamten, durch verrätberifche Aushorcher, dur
alle die fchnöden Hüffsmittel, die man zu dem fogenannten
Mürbemachen gebraucht, auf den politifchen Gefangenen ſich
haͤufen, der vielleicht das reinfte Bewußtſein trägt, noch nicht
verurtheitt it, vielleicht am Ende wirklich freigefprochen wird,
einftweilen aber ſchlimmer als der gemeinfte Verbrecher gehal-
ten wird, aufgegeben von den erſchteckten Freunden, abgeſchnit⸗
ten von ber öffentlihen Stimme, deren ſcheues Anfragen in
damkler Unkunde auch bald verhallt.
In Held's Proceß war die Beleidigung der beiden
Staatsminiſter offenbar; die Verletzung der Ehrfurcht
für den König wurde nachdrücklich hervorgehoben, fo
konnte es mit fehlen, das Held unterlag; bie Erimi-
naldeputation des Kammergerichts erkannte für Recht,
daß er mit Amtsentfegung und achtzehnmonatlicher
Seftungshaft zu beftcafen ſei. Das Urtel zweiter In⸗
fianz beflätigte das ber erfien und Heid wurde nach
Kelberg geſchafft. Vorher Harte er noch Aubien; bei
Schulendburg und Struenſee; was ihm Beide fagten,
iſt nicht blos für die damalige Zeit bezeichnend.
Wie Sonnten Sie — rief Schulenburg — doch fo etwas
unternehmen und aussufühsen hoffen, was ich nicht fun.
Dos hängt Alles an perfonlidien Verhaͤltnifſen, wodon Sie
nichts willen.
Stewenfee zeigte fich Herzlich und gerührt, gebachte
feines in Dänemark enfhanpteten Bruders und vergoß
Thränen. Hiernach ſprach er ausführlich über den Zu-
fland der Welt, über die Stellung der Gebieter, welche
überall, freilich aus eigener Schuld, weit weniger mäch-
tig fein ald man im gemöhnlichen Leben dafür Halte;
fie ſcheuten fih, die Verbrechen Derer, welchen fie ihre
Macht und ihr Anfehen geliehen, aufzudelen und zu
ſtrafen, weil fie baburdy- die —5 — vor aller Obrig⸗
keit zu ſchwaͤchen fürchteten, — wiewol das Gegentheil dies
noch ſchneller zu bewirken pflege. Held berichtet weiter:
demon e ed mir an den Fingern, warum die Obrig⸗
keit, in der Aufrechthaltung ihrer Stellung obenan in der &o:
eietät, fi erleichtert finde, werm fie Don den beagaften Einst
hen der dad Weſen ber Gefege verhöhnenden Boͤſewichter, fo
lange fie die Formen gefhidt beobadhten, keine Ro:
tiz nimmt, und bie rechtichaffenfte That des tugendhafteften
nned, Die gegen die Formen anftößt, als ein Verbrechen
ahndet. Er fagte unter vier Augen geräbehin, daß, fo weit er
fehe, die Welt nur von einem minimum sepientiae und ve
perſoͤnlichen Rückſichten, keineswegs aber nach reinen, tonfe-
quenten Grundbfägen regiert werde; daß die Macht Alles, die
Bernunft wenig oder nicht feiz endlich daß die Menfchen ins⸗
efjammt, ohne Ausnahme, mit ihren Zugenden und Laftern,
ten Sympathien und Untipathien, mehr noch unter der Herr:
[haft des Geldes als felbfk des Hungers und der Wolluft ſtänden.
In der That eine große Offenheit von Geiten eines
preußifchen Staatsminiſters gegen einen in Ungmabe ge«
fallenen Sträfling, der eben zur Keftung wandern fell!
Nach Ablauf feiner Strafzeit wurde Held zwar frei
gelaffen, hatte aber mancherlei Drangfale, die fich wäh.
rend ber frangöfifchen Deccupation fleigerten, zu beftehen,
ehe er zu einiger Ruhe und Zufriedenheit gelangte.
Sein Gönner Struenfee war geflorben und erſt nad
langer Zeit wurde dem viel geprüften Manne wieder
eine gute Anftellung zu Theil. Durch Hardenberg er
hielt Held die Salzfactorei in Berlin. Bon diefer Zeit
an enffagte er den politifchen Kämpfen. Zwar hatte
Hardenberg, der aufmerffam auf gewandte Schriftfteller
war, Held auffodern laſſen, feine Feder den neuem
Staatseinrichtungen zu widmen; diefer antwortete jedoch:
Gern würde ich Ew. Ercellenz meine Feder anbieten, wenn
ich hoffen dürfte, Ihnen damit nüglich zu fein. Allem, waB
im gemeinen Sinne Vergnügen heißt, längft abgeftorben, und
auf ben Umgang nur weniger und achtbarer Freunde befchrändt,
hätte ich im Winter Zeit genug dazu. Ach! aber meine trau⸗
tigen Erfahrungen Haben mich mistrauifch gemacht, meine ermab⸗
tete Seele iſt zu teäge geworden für alles Detail; Leine Genſur
von Liſſabon bis Kiga und Wien duldet die Berührung Deſſen,
worauf es eigentlich ankommt, bie einheimifchen Regierungen
geftatten ebene wenig wie die franzöfifche eine freie Sprache,
nur fehaled Sefhwäg wird erlaubt, ganz Guropa liegt wartend
in einem politifchen und Zdeen-Interim. Ich wünſche mir weis
ter nichts. als Ruhe und, hinter meine Salztonnen verſchanzt,
bie Begebenheiten der Weltereinifie im Waterlande gleich den
Bildern der Laterna magica anſchauen zu Binnen. '
Gleichwol verfant Held nicht in ſtumpfe Gleichgül ⸗
tigkeit gegen bie Außenwelt; den großen Treigniffen, be⸗
ſonders denen, in melden das Menfchliche gefördert er⸗
fhien, widmete er fortwährend eine lebhafte Aufmerf-
ſamkeit. Doch traten auch nah und fern genug Bege⸗
benbeiten ein, die feinen Sinn ummölften, weil fie im
feinen Augen Rüdichritte waren und wieder verloren
gaben, was fire immer gewonnen ſchien. Ihm, der mit
inmiger Andacht die Reformationdfefte feiern half, wa⸗
ren andere religiöfe Ereiferungen, in denen er nur Ver-
dbunfelung oder gar Heuchelei erblidte, zum tiefften Ab⸗
hen. Den neuen Bahnen, welche bie Philofophie brach,
weiche die Poeſie und bie ganze Literatur nahm, konnte
ee fich nicht befreunden; das Licht der Vernunft, welches
fire Alle lenchten follte, dünkte ihm in fpigfindiger Schul-
weisbeit zum Gigenthume weniger Auserlefeuen gemacht,
und bas Ziel der Sittlichleit in romantiſchem Wuſt ven
beit. Die feömmelnde Kımfltiebhaberei muthete ihn
ats eine Schwaͤchlichkrit an, die zur Entnervung führen
müſſe. Nun, biefe Periode iſt zum großen Theil über-
wunden, und hatte Held fo ganz unreht?
. Noch erlebte er im I. 1840 den Thronwechfel; bald
darauf wurde er von hartem Misgefhid heimgeſucht und
machte feinem Leben durch Selbſtmord ein Ende, wie
der Berf. in folgender Weife erzähle:
Held ftand bereitd im adtundfiebzigften Jahre und diente
dem Staate im breiundfunfzigften, als noch zulegt den nur
Frieden fucgenden und der Ruhe bedürftigen Greis unvermus
het und von mehren Seiten zugleich bitteres Unglüd fe
und an der Schwelle des Todes noch zu harten Lebenslämpfen
aufrief. Dur Diebſtahl hatte die Salzkaſſe, welche er ver:
waltete, einen beträchtlichen Verluſt erlitten; wenn ihm auch
hierbei perfönlid nichts vorzuwerfen war als höchfiens eine
zu große Arglofigkeit, fo war ihm dod auferlegt, den Schaden
u erjegen. Hierzu fehlten die Mittel, fehlte alle Ausſicht fie
berbesufgafer Er fah neue grenzenlofe Berrütfungen vor
ugen; nad) fo vielen ausgeftandenen Leiden, in dieſen Jahren,
mußte eine ſolche Wiederholung deffelben Unglücks ihm eine
unerträgliche Schmach dünfen. Dazu Fam, daß ihm wegen Des
Baued des neuen Mufeums plöglic fein kleiner Garten genom-
men wurde, das Lepte, was ihm und feiner feit langer Zeit
erkrankten Frau nody ven Xebensreiz geblieben war, und aud)
die Dienftwohnung felbft mußte geräumt werben. Seine Aus
en nahmen ab, feine bisher gute Gefundheit fing an zu wan«
dem, bald mußte er dienftunfähig werden und in diefer Ausficht
mit Sorgen und Mühen ringen, die au Den muthigften Strei«
ter erfchredten Eonnten. Er wollte es nicht, er beſchloß bie
Welt zu verlaflen. Seine beiden Söhne waren verforgt, feine
Frau wurde es durch feinen Tod, der überdies In der Groß.
muth bed Königs die Zilgung feiner Schuld bewirken follte.
Er befchloß zu ſterben. Stil und überlegt waren feine legten
Zage und Handlungen; fehwebte feinen Angehörigen auch fchon
lange die Möglichkeit eines Außerften Entſchluſſes als ein furcht:
bares Geſpenſt vor, fo war doch am Vorabend der That in
feinem nur etwas mildern Weſen Eein beforgliched Anzeichen
u entdeden. Mit rubigem Blute, feftem Willen und klarem
lt in die Zukunft traf er feine Unordnungen, ſchrieb mehre
Briefe und legte fi dann zum Echlafe nieder. Fruüh Morgens
um 7 Uhr ging er hinaus zum Invalidenhaufe, wo deſſen Com:
mandant, fein Bruder, wohnte. Bier unter ben Fenſtern def:
felben , in einem grünen Bufche, fiel ein Schuß. Die Herbei⸗
eifenden fanden feinen ſchon entfeelten Körper. Daheim auf
feinem Zifche lagen wohlgeordnet und fchwarzgefiegelt cine An⸗
zahl von Abfchiedsbriefen,, einer Darunter an den König, dem
er in fo edein ald rührenden Worten feine Bitte vortrug und
feine Söhne empfahl. Die Großmuth des Königs, nicht ver:
geblich angerufen, erfüllte die Bitte des edeln Zodten. 13
Literarifche Notizen aus England.
Ein englifhes Urtheil uber die Gräfin Hahn:
ahn
„Es iſt ſchwer“, äußert ſich das „Quarterly review”
über die Gräfin Hahn⸗Hahn, „ein uns ſelbſt genügendes Ur:
theil über eine ſolche Schriftftelerin zu fällen. Die Vorzüge
und Mängel ihrer Schriften find fo eng miteinander verwoben,
daß man kaum barüber ſprechen kann, ohne ungerecht gegen
die einen und viel zu nachſichtig genen die andern zu fein.
Die gnäbige Frau ift eine Art von Puͤckler Muskau, nur wit
dem -Unterfchied, daß diefelbe Art von Geift beffer einer Frau
anfteht, Ddiefelben Irrthümer bei ihr unausftehlicher find, und
daß fie beide. in weit höherm Grade befist. Auch möchten
wir vermeinen, daß der Gräfin Hahn: Hahn Laufbahn als No⸗
veilenverfafferin eine geeignete Vorbereitung zu ihrer neuen
Laufbahn als Touriſtin gewefen. Ihre geiftreichen und piquan-
ten Gedanken, der leichte und malerifhe Fluß ihrer Rede blei-
Verantwortlicher Heraubgeber: Heinrich Wroldans. — Drud und Verlag von F. EM. Brockhaus in Leipzig.
ben au bier are Borzüges aber ihrer Lebhaften Phanta⸗
fie ift weniger Spielraum geftattet, ihr ſtets im Buche ſich
widerfpiegelndes Ich muß mehr vor der Weiblichkeit zuruͤck
treten. Was beim Rovelliften ein Hauptvorzug ift, die fub:
jective Ratur feines Stoffs, das Innerlich⸗Durchgelebte Deffen
was er erzählt, dad wird ber größte Fehler beim Touriſten.
Run find aber die Erfahrungen und Stimmungen des Dergeng,
das Gemüthsleben, die Stoffe, welche Bräfin Ida am kunft⸗
fertigften zu verarbeiten weiß, und wenn fie junge, hübſche,
geiftreiche und unabhängige Heldinnen ſchafft, welche diefe Em⸗
pfindungen ausſprechen, und romantiſche Stellungen und Ver⸗
haͤltniſſe, welche geeignet find, ſolche Charaktere zu erzeugen,
fo find fie gewiß an ihrem Platze, obgleich wir fie ſelten billi⸗
gen koͤnnen. Ganz anders aber wird die Sache, ivenn ber
Schleier des erfundenen Namens fällt. Denn wenn uns eine
Dame einladet, jie felbft auf Reifen durch Länder zu begleiten,
die einen reihen Schag von intereffanten und neuen @indrüden
darbieten, dabei aber bei jedem Schritt ſtillſteht, um nicht
allein ihre eigenen Gedanken in Gefühle darzulegen, ſon⸗
dern auch alle jene Gewohnheiten, Gigenbeiten, Sympa⸗
thien und Untipathien, welche felbft fie, follte man meinen,
in ſolchen Uugenbliden vergeffen folte, fo fühlen wir uns an
eine Gefellfchafterin gefefielt, die zu Haufe langweilig fein
muß, in der Fremde aber jedenfalld unerträglid wird. Wen:
den wir und jedoch zu den glänzenden Worzügen, die ſeilbſt
einen fo wiberwärtigen Fehler in anderer und ernflerer Urt
nicht verdunleln können, fo müffen wir eingeftehen, daß die
Gräfin einige von den dem Zouriften erfoderlihen Gaben in
einem ungewöhnlichen Grade befigt. In feinempfindender Beob⸗
achtungsgabe, Beweglichkeit und Reichthum des Geiſtes, in
leichtem und gewandtem Ausbrucd fteht fie einzig da unter al-
len Schriftftellerinnen die wir Pennen, geſchweige denn unter
ihren Landsmänninnen. Wo fich Daher ihre Weder mit Gegen⸗
ftänden befchäftigt, wo der fentimentale Egoismus bed deut:
[hen Weibes nicht ind Spiel kommt oder das Schicklichkeits⸗
gefühl des englifchen Leferd nicht verlegt wird, folgen wir ihr
mit der Bewunderung, die feltenen Zalenten gebührt.”
Das „Edinburgh review” über Prescott's
„Geſchichte der Eroberung von Merico”.
Über Prescott's Werk, von dem im Original jegt bereits bie
Apeite Auflage erichienen und auch in einer trefflihen deutſchen
berfeßung vorhanden ift, find die englifhen Kritiker einftimmis
gen Lobes voll. Daß „Edinburgh review’ jagt darüber: „Press
cott fcheint uns faft jede nöthige Eigenfchaft zum Gefchichtfhreiber
eines ſolchen Begenftandes zu befigen. Ein reiner, einfacher und
beredter Stil, ein Iebhaftes Gefühl für das Materifche, eine ſchnelle
und fharfe Einficht in die Charaktere der Handelnden, und eine
ruhige, edle und aufgeblärte Philanthropie find Die Hauptzuͤge des
Werks. Ohne Übertreibung läßt fich behaupten, daß feine „Hi-
story of the conqueat of Mexico’ — wenn man die geringe Wich⸗
tigkeit und den mindern Umfang feines Borwurfs mit in gehörige
Betrachtung zieht — die meiften der werthvollen Eigenfchaften
"befigt, welche die populairften englifchen Geſchichtſchreiber der
Jetztzeit audzeichnen. Sie vereinigt den ritterlichen und gebdie:
genen Enthuſiasmus des Oberften Rapier, und die Lebendigkeit
des Verf. der „Chronicle of the conquest of Granada” mit dem
geduldigen Korfchungstrieb und der reihen Wiſſenſchaft Tytler's.
Woliten wir Auszüge geben, fo wäre es und leicht, jablreiche Sei⸗
ten zu füllen mit Landſchaftsſchilderungen die Scott's würdig mä-
ren, mit Schlachtfceenen die mit denen Napier's wetteifern,
mit Schilderungen von tragifhen Greigniffen Feine weniger
pathetifch als fie Thucydides gefchildert. er trotz des Glanzes
der Details vergißt man die Schönheit des Coloxrits faſt über
die Großartigkeit der Contouren, und der Hauptvorzug des
Werks iſt eben, Daß es uns durch den ganzen Keichthum aben⸗
teuerliher Epifoden und Rebenvorfälle die ganze Berwegen:
beit des Unternehmens in foharfen und großen Umriſſen er:
blicken Laßt.” ' 6,
—
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Mittwod, — Nr.70 —
——— —— — — — nn
Leiltungen auf dem Gebiete der modernen Epik.
Die Iepten Jahre haben uns wenig WUuögezeichnetes in
epifcher Dinficht gebracht, wie fih Solches aus den Über:
fihten, die wir alljährlich in d. BI. dem Lefern geben, klaͤrlich
erweift. Es fehlt nicht blo8 an materiell reichen Producten die⸗
er Gattung, an jenen Oeuvres à longue haleine, denen in
übern Beiten hocherglühende Geifter Athmen und Leben weih⸗
ten, fondern der poetifche Beitgeift fcheint ſich auch ausſchließ⸗
lich dem Subjectiv»Eyrifhen zugumenden und dem in der Ge:
fellichaft und im Staate wirklich Borhandenen, und fomit
die idealen Geftaltungen der Momantit nad und nad zu
antiquiren. Überdies zeichnet das junge epiſche Europa nicht
mehr mit fo kraͤftiger Hand wie ehedem. Mo finden
wir in unfern, Tagen fo markige Heldengeflalten wie Odyſ⸗
feus, Achill, Aneas, Gottfried, Orlando, oder Yerrau und
Nodomont? Wer wagt ed denn jest noch, die Unfterblidhen mit
maͤchtigem Arm auf die Erde zu ziehen und fie in unfere
häuslichen, jorialen und religiöfen Verhältniffe und Angelegen:
heiten zu verflechten? Unfere Epiker ftellen uns nur ländliche
oder gar kleinſtaͤdtiſche Situationen und Charaktere vor das
Auge; fie fteigen eine Stufe abwärts in das Gebiet ber Idylle,
und größtentheils ftammt die Invention von einem flubenfigen-
den Belehrten von fentimental : larmoyanter Stimmung ber.
Die Helden find daher zarte Geftalten mit einer Siegwart⸗
Phyfiognomie oder ätherifche Frauengebilde, die an Sean Pauls |
Liane im „Zitan’’ gemahnen. Diefe legte Behauptung bewahr:
heiter ſich gleich in dem erften der bier anzuzeigenden epijchen |
Erzeugnifle, betitelt:
1. Hesperus. Gedicht in drei Gefängen von Theodor
Stamm. Bien, Gero. 1844. Gr. 8. 15 Rgr.
Zunaͤchſt drängt fi uns beim Leſen des Buchs die Be
merfung auf, Daß bei den füdoftdeutfchen Epikern das Iyrifche
Moment faft immer überwiegend ift und vorberrfcht. Die Ge⸗
genwart mit ihren Neigungen zu finnlihem Genuß und ihren
materiellen Intereffen fcheint die Dichter an der Donau wieder
ſtark zu berühren und fie in ihre Wirbel dahinzuziehen, wie
wir died bei den Rorddeutfchen wahrnehmen. In dem uns
vorliegenden Gedicht ift von Handlung und Wechſel der Bege:
benheiten blutwenig die Rede; deſto häufiger ftoßen wir auf
Schilderungen pfychifcher Zuftände, auf Naturmalerei und Blide
in daß Reich höherer Geiſter oder fchönerer Welten, und das
Ganze ift überall fo ätherifch und nebelhaft gehalten, daB man
ade Kraft der Seele aufbieten muß, um bie oft formlos zer
fließenden Geftalten nicht aus den Augen zu verlieren. Der
Held ſelbſt ift nicht einmal mehr ein Wefen von Fleiſch und
Bein, ein Bewohner unferd Planeten. Er hat das Erden-
Heid ausgezogen und ift Bervohner eines fehönen Sterns (des
Hebperus) geworben. Halb verkehrt er mit feligen Geiftern,
halb ift er mit unfterblider Liebe der Hier zuruͤckgebliebenen
Geliebten zugemwendet, für die er freiwillig geftorben ift, indem
-
11. März 1846.
er ihr das Ratterngift aus der Wunde gefogen. Dies ift aber
auch das einzige Factum im ganzen Buche, und um baffelbe
dreht fih Alled; denn eine Art von Epifode, in welcher ein
neugriechifcher Held auftritt, bei deſſen Schilderung wir an
Byron's Manier erinnert werden, ift zu tinbedeutend und
diungarm, als baß fie gerechnet werben konnte, obwol 7
ie Kataſtrophe vorbereitet. Maria, dies ift der Rame der zu⸗
rüdgebliebenen, zwölf Monate lang fehnfüchtig nad dem Hes⸗
perus blidenden Geliebten, foll — wir wiflen nicht warum
— dem Griechen Heliodor ihre Hand reichen; abet in dem Au⸗
genblick vor der Eopulation, wo die erften Strahlen des Hes⸗
perus fihtbar werben, entwindet ſich ihr Geiſt der Körperhülle
und fie vettet fich in Die Arme des ihrer auf dem feligen
Sterne harrenden Guide. Wir theilen den L2efern. die leute
Scene mit, nicht blos um fie mit Geift und Sprache des Ger
dichte, fondern auch mit defien Form bekannt zu machen:
Maria ift allein — allein
Zum legtenmal im Purpurfchein
Des Abends, deſſen hold Erblaffen
Ste arm an Freuden nie gelaffen; »
Und wird fie heut’, in berbiter Pein, ”
Verlaffen, ohne Rettung fein?
Sie ſtehet träumend, ohne Schmerz,
Denn kraftlos ift ihr Herz,
Verblutend an dem Thärfiten Pfeil,
Su fühlen Pein, zu hoffen Hell;
Und wenn im Auge Thraͤnen blinken,
Sind's Thraͤnen, welche nimmer finten,
Ein Reif, vom Herbſtfroft hergeweht,
Der mit der Blume nur vergeht.
Sie blidt zum Himmel auf — „ed ruht
Noch undurchfurcht die blaue Flut
Bon ihren taufend Silbernaden. .. .
Einſt — mar ed nicht? — als müßt! ih wachen
Ob eined Schiffleins fliler Fahrt?
Und unausſprechlich ſelig ward
Mein Herz, wenn feiner Wimpel Saum
Mir kuͤndete den ſchoͤrſten Traum?
Und hatte ih in jener Beit
Nicht ein Gebet für ihn bereit? ... -
a&tern meiner Liebe, filberned Boot» —
Es ſteigt! — Mein Stern! Algüt’ger Gott!
O nicht verftoßen haft du mic!
Di ſeh' ih wieder! Guido dich!
Di Engel meiner flillen Stunden!
Du haft mein heiß Gebet empfunden,
Und tommft, bevor ber Leidenskranz
Die Stirne fengt, mit Himmelsglanz
Mich zu entkuͤſſen dieſem Sein,
Das Gott gehd:t und bir allein.
Allliebenber! verbien’ ich nicht
Den Segen, den mein Fleh'n begebet,
Hält deine Liebe doch Dericht
Und gibt den Thraͤnen Tutzendwerth.
ch fehe Guido! laͤchelnd, winkend
In deiner felgen Blume dich!
Mir if, als Iöften Flügel blintend
Aus meinen Isihten Schultern Wh,
Be bir wi) hech empor zu heben,
Stun meiner heißen Zerttichteit.
Den Gottes Guͤte und gegeben
Bum Wohnort ew’ger Seligkeit!
Etwas mögen biefe Burgen Iamben bazu bei
dichts ganze Idee noch mehr zu erfchlaffen ;
auch fein, mögen auch manche Wunderlichkeiten in Reim und
Bortbildung gefliffentlih als originell und geiftreich hinge⸗
edit fein da Talent, eine freie iſt dem Barf.
doch nicht abzuſprechen. Wer ſich davon überzeugen will, ber
Lfe die Gchiderung der Seelenftimmung Maria's (S. 50).
2, Des Sängers Grab. in modernes Epos von R. Eich:
% r. — Brockhaus. 1844. Gr. 8. 1 Ihlr.
Allerdings gebührt dieſem Epos das ihm vom Verf. bei⸗
gegebene Ep n modern; denn aus modernen Beitanft
tom und Beitwerhältniffen ift es Hervorgegangen, und des Di
1036 Seeie gleicht einem Spiegel, aus welchem die Unbülben
und Wirren der. Gegenwart Par hervortreten; biefe —*
Biber find Hier und da fo ſcharf ausgeprägt, daß die Cenſur⸗
behdrde (wie das aus zwei Läden ,
nden hat, die feharfiten Eden abzuftoßen ımb bie greift
ben zu verwifchen. Doch ift des Dichters Stimmung nicht
die jegt vorwaltend berrfchende, harte, vaube, von langverhab
tenem Grolie erzeugte, fondern weich und elegif, bin und wie
der übergehend in die oben evwähnte larmoyante Gentimenta:
tät. Der bier dargeftellte Weltfchmerz tritt in dem Helden
nicht auf mit den ffen des Sarcadmus, oder mit unver:
⸗2
en, des Ge
er mag dies
fühnbarem Timoniſchen Haſſe, oder mit dem dämonifchen Hohn |
eines Shelley und Byron, oder gar mit den fanatifirenden
Phraſen eine Jakobiners, fondern mit der Wehmuth eines
Menfchen, der das Gute will, der aber bei Ausführung feiner
lane taufend Hinderniffe findet und nun, erfüllt mit dem
efüht des Mitleids mit der blinden Weit, mit dem flillen
Weh des Berkanntfeins, mit dem Schmerz vereitelter Wuͤnſche
und Hoffnungen auf all und jedes Glück bieffeit des Grabes mit
gebrochenem Herzen verzichtet. Er würde dem nSacopo Drtis”
des Ugo Foscolo gleihen, wenn ed dem Berf. gefallen hätte,
ihn Hand an fi —* legen zu laſſen; das thut er aber nicht,
ſondern laͤßt die Hand der Natur dies Werk an ihm vollzie⸗
en. Vom Namen dieſes Helden, ſeiner Herkunft und ſeinen
erbindungen mit dem bürgerlichen Leben erfahren wir gar
nichts und auch in diefer Hinfiht hat das Merk einige Ahn⸗
Hpkeit mit dem. vorher beſprochenen „Hesperus“. Allenfalls
erblidden wir einige Züge feines Wildes in einigen Stanzen
(8. 42— 43). Da tritt er auf als
Ein Dann, und zwar ein ebler beutfcher Mann!
- Wie er gewandelt, bat er auch gebichtet,
Wie biefer. Sang ed eu verkänden Bann.
Mit reinfler Lich’ und hohem Gottvertrauen
Nahm er die Welt in feinen Buſen auf.
Man fah ihn ruhig in das Keben fihauen,
Denn eine fhönere Zukunft ging ihm auf.
Dem Menſchenwohl, dem theuern Vaterlande
Gelobt' ex, feine Thaͤtigkeit zu weih'n.
Und nicht zu ruh'n, bis er am Graͤbesrande
Von dem Geluͤbde würd’ entbunden fein.
Und manche hohe, herrliiche Gebanken
Erſtanden ſchaell in feinem Geiſte auf,
Gr bielt fie pflegend feſt und olme Wanken
Berfolgt’ er ſeinen ſelbſtgewaͤhlten Lauf.
Den Mann foldder geiftigen und fittlidden Ratur finden wir
eich im Beginn des Gedicht am Geſtade der ſchaͤumenden
rin liegen, tiefen Schmerz auf Aug' und Gtim, und Rla-
gen auf den bleichen Lippen über bie verlorene @elichte. Dem
ın einen kurzen, unruhigen Schlummer Gefunfenen zeigt ein
Traum feine verflärte Laura, dis ihre Lippen auf feine Ai
drüdt und ſcheidend ihm zuruft: a
Bis hierher folgt ich dir im flillen Reben’
Und ſchritt, von dir geleitet, Himmel an;
Doch länger iſt es und nicht mehr gegeben,
Bereint zu wandeln auf der Einen Bahn.
Sept fcheiden unf’re Wege; hier der meine
Erhebt fih aufwärts und führt bin zum Licht!
Bum vollen Leben leitet dich ber beine,
Und Wirken, Schaffen ift nun beine Pflicht!
D’rum lebe wohl! Mag Gott dir Frieden geben!
Bleib! deiner Hohen Liebe treu und bir!
Ich werde did als Genius umſchweben;
Dody ar’ auf ihn! — Eeb’ wohl! — Einft folgft du wir.
Wie er erwacht, erblidt er ſtaunend die Laurs, die cben au
ihm geredet und ihn ermuntert hats aber es ift eine wirkliche,
noch im Leben wallende Laura, vielleicht von der Werklärten
gefendet, um ihn au beruhigen uud zu flärken. Sie führt den
Wankenden gaftfreundlic in das Baus ber Mutter. Der _
Kummer wirft ihn bier auf das Krandenlager. Der Wieder⸗
genefene will bie Gaftfreundinnen verlaflen; aber fie halten
ihn, die Mutter durch fanfte Vorftellangen, die Tochter durch
Die Gewalt einer in ihrer Seele raſch emporgeblübten Reis
gung zum Leidenden. Der unglädliche Züngling kann inde der
innig Liebenden nichts werden als Freund und Bruder; Laßt,
fügt er ihnen,
Last mid jest! Umfonft iſt jebed Streben!
Denn fterben muß ich doch am Fluch der Beit ,
Und an dem falfhen Tociellen Leben,
Das nur dem Giteln feine Liebe weißt!
Diefe trübe Ahnung wird batd Wirklichkeit. Die Liebende findet
den Freund im Garten als Leiche. Sie ruft der Mutter gu:
Gr, den ich Liebe, IfE voraudgegangen,
am feine Thraͤnen find nun ausgeweint ;
36 folg’ ihm nad, zu ihm ſteht mein erlangen,
Bis mid ein fanfter Tod mit ihm vereint.
Mit dem Tode der Liebenden, dic der Schmerz tödtet, ſchließt
ein Gedicht, dem eine gewifle Vollendung in Gedanken und
Form nicht abzuſprechen iſt, und weiches, da es Zeitideen an⸗
vegt auch zweifeldohne Sympathien werten wird; indeffen ge»
nügt es keineswegs allen epifchen Poftulaten Des Handlung
iſt zu wenig, der Deckamation zu viel. Des Held —
Held, der aus dem Kampf mit dem Leben als Si vor»
t. Gr gibt fich nicht blos felbft auf, fondern weiß auch ben.
merz nicht mit jener Würde zu fragen, bie dem Manne
ziemt. läßt die Wogen des Beitiammers über feinem Saupte
wfammenfchlagen, ohne nur einen Rettungsverfuch zu machen.
Er redet, reflecirt, klagt und meint, und über dem weichen
Worte vergift er das Handeln. Laura, das ſchwache Weib,
nimmt fi im Buche wirklich viel befler aus. Bon ihr erwar⸗
tet man nichts weiter als Reſignation; ja fie bewährt ihren
Heldenmuth fogar, wenn fie am gebrochenen Dan ftirbt.
Trotz dieſer Ausſtellung halten wie uns jedoch verpflichtet, Die
Begabtheit des Verf. anzuerkennen, dem ed gewiß bei eifri
Studium nicht an Geſchick fehlen wird, eine echte Heldengeſtal
und vor das Auge gu fielen und eine Dichtung zu bilden, bie
von cinem buntbewegten Rebeu durchzogen 1
) Der Werf. des Hier beſprochenen Gedichts iſt bald nach deſ⸗
fen Erſcheinen geſtorben. D. Red.
'3. Mehrfine. Gedicht in drei Sefinyn um Eheober Apel.
2. gr.
keipzig, Hinrichs. 1844. Wr. 1
Ber die Geſchichte der ſchoͤnen Melufine nicht aus dem
Munde des Volks oder von einer redfeligen —* und Fami⸗
lientante als Kind vernommen, der kann fie in Marbady’s
„Deutfhen Bolfsbüchern” in echter Originalität finden; Je
dem aber, mag er aus eimer Quelle fchöpfen welche es ſei,
muß ſich die Überzeugung aufdrängen, ed ruhe in diefem Mär:
chen eine tiefe, tüpsende Poefie, und „Meluſine“ fei wirklich
eine frifche, vuftende Btüte der Romantik. Als ſolche iſt fie
auch von dem begabten Berf. erkannt, der den gegebenen Stoff
mit vielee Geſchicklichkeit verarbeitet, imdem er weder überflüf:
fige Ornanıente hinzufügt, neh etwas Sharalteriftifches weg:
fihneidet, auch Ten Genuß des Leſers durch feine melodijch da⸗
binfliskenden Detaven erhöht. Hiſtoriſch bemerken wir nur,
daß die Geſchichte Melufinens nicht deutfchen Urfprungs iſt,
fondern von einem Schweizer Ramens Ringolfingen und zwar
nach dem Wranzöitichen bearbeitet ward, jowie auch, daß bas
Schloß Lufignan der Schauplag der Beiden und Freuden Me
lufinens, deflen Ruinen noch heute den Reffenden von Hirten
und Laudleuten gezeigt werben, in den baskiſchen Provinzen
gelegen iſt. Wir empfehlen das Peine, mohlgelungene Werk |
omantit.
jedem Freunde der R
4. ita. Italieniſche Idylle von Eduard Boas. Leipzi
85 Tg Kor u
Dieſes Heine, freundliche , italienifche Idyll, welches
zuerſt die „Zeitung für die elegante Welt’ ihren Lefeen mit:
theilte, Hat fo viel Anklang bein Lefenden Publicum ge⸗
fanden, daß der Dichter deffelben fi beivogen gefunden bat,
ed ats felbftändiges Werklein druden zu laffen. Unerachtet
daß Tiebliche naive Mägdlein von einem Kritikus jüngft recht
hart angebellt wurde, braucht es fich doch deshalb wol nicht
zu fürchten; fie ift gar niedlich, naiv, piquant, und mit leid):
ter Weder gezeichnet. Gin Freund des Ref., der diefe Be⸗
kanntſchaft fon in der „Zeitung für die elegante Welt“ ge:
macht hatte, meinte, der Idyllendichter habe eben nicht in fei-
nem und Pepita's Vortheil gehandelt, daß er den leichten ge:
falligen Stoff in die Form reimlofer, Buragemeffener Trochaͤen
gegoſſen Habe. Wol möglich, daß er seht bat.
3. Die Verlobung. Ein laͤndliches Gedicht in acht Idyllen.
Bon &. J. Eduard Erufius Sondershauſen, Eupel.
1944. 16. 230 Ror. '
Schade, daß das Gedicht in Form und Geiſt gar zu leb⸗
haft an Voß' „Luife” erinnert, fenft fünnte man es empfehlen
wegen ber Schlichtheit der Erfindung, ber patriarchaliſchen
Färbung der Charaktere und der würdigen fittlihen Haltung.
Uebrigens iſt es nur ein Merk in Sedez dem Zormat und
dem Geiſte nad).
6. M a. Gin Gediht von G. E. ©. Liprenberg.
18 1 Y, Ror. ie
Als wir den Zitelnamen „Mazeppa“ lafen, glaubten wir
natürlich, der Verf. fei auf den Gedanken gekommen, Dem
gleichnamigen Werke bes hechberühmten britichen Dichters fei-
nen Stoff zu entnehmen und neu zu bearbeiten; allein Dieb if
Eeineswegs alfo. In dem kurzen Vorworte gibt er und bie
Berficherung, daß er das Byron ſche Gedicht, vor der Bearbei-
tung des gegenwärtigen, deflen Stoff einer Rovelle entnommen
fei, gar nicht gelefen habe. Das glauben wir ihm gern; denn
beide Arbeiten haben nicht die geringfte Ähnlichkeit witeinan«
Der. Dort fingt ein hoher Meifter in der Kunft, hier übergibt
ein Lehrling die Grfllinge feiner Muſe dem Publicum, in wel
dem er das zinzige, unparteiifhe Tribunal der Dichter ſieht;
dort wird und ein großartiges Bild des ſlawiſchen Rationals
lebens und Charakters entrollt, hier wird der an und für fich
gute Stoff unter Schwul, fehülerbafter Unbehülflichkeit im
Ausdrud, ermübender Breite und in einer Form abgehaspelt,
Die nicht fchlechter fein kann als fie if. Richt einmal der
Sprache tft der junge Mann Herr. Er treibt ein gar wun
beriihe Spiel mit dem Irzuy der Praͤpofitionen. Die
Berwechſelungen von dos und daß koͤnnen auch nicht immer
auf die Rechnung des Setzers gefchrieben werden. Seine Re
flerionen gehen auf Gtelzen, und bin und wieder fteigert fi
die Bavardage darin zum Ronſens. Cr beginnt he
der Form mit einer Art von Stangen, die manchmal wie Dc«
taven ausfehen; männliche und weibtihe Reime wirft er plan:
(08 durcheinander; in die vier⸗ und fünffüßigen Jamben mifcht
er — eine poetifche Licenz vielleicht! — trodäifche Verſe, und
wiederum, wenn er bie hafis zu fleigern gebenkt, täßt er
der Veränderung halber daftylifche VBerfe ihre Capriolen mas
hen, Hören wir ald Beleg zu dem Gefagten nur zwei Stan»
zen, in denen er (8. 9) von einem menſchlichen und weifen
Könige redet:
Bonn wie von ber Sonne golb’nen Strahlen
Nings um ihm dad Gluck der Länder blüht,
Wollen fernend zogen, fel’ge Wonne
Wie ein Roſenkranz daB Land umzieht,
Naht die Freude ihm Im reichften Prangen,
Hält die Seligkeit ihn hier umfangen,
Und im SIenfelts, wenn bie Erde weicht,
Die Vergeltung ihm die Palme reicht.
Aber wehe, wenn er feinen Nachen
Auf dem Thraͤnenmeer der Dienfchheit treibt,
Wenn er rutlos und Verberben breitend (7)
In der Zelten Bub den Namen freibt,
Wenn daB Pfand er nit vermehren kann,
Das ihm Gott gab, ewig dann
Wird er Dual und Hoͤllenangſt erfragen
Nach des Herrſchens unheildvollen Tagen.
Weife hat diefer angehende Homeros feinen Namen dem Pu⸗
blicum nicht genannt. Um jedoch auch nicht geradehin als un-
gerecht und tadelfüchtig zu erfcheinen, wollen wir nicht in Ab⸗
rede ſtellen, daß in einigen Stangen, namentlich in denen, wo
und gefchildert wird, wie Mazeppa, auf das wilde tatarifche,
Roß gebunden, die Wüften durchfliegt, einige Spuren poeti⸗
fher Begabung fihtbar werben. Einige Spuren — aber nicht
mehr. Wir wünfchen, daß das gebildete Yublicum, auf deffen
Urtheilsipruch der Verf. einzig und allein provocirt, das auch
finden möge.
7. Der Feierabend eines Greifes. Ländliches Gemälde von
Karl Kirſch. Leipzig, Teubner. 1844. Gr. 16. 22%, Mor,
Das Unfchauen diefes ländlichen Gemäldes, welches in den
antiden Rahmen volltünender Herameter gefaßt ift, bat auf
des Ref. Semüth einen wohlthätigen Eindruck gemacht wii
ihn ın eine Stimmung verfept, wo das nach und nad eye
wärmte Hera fih den glüdlichen Bewohnern einer Welt der
Unſchuld und des Friedens ganz bingeben möchte. Aber nicht
deshalb Hat das Buch dieje Wirkung gehabt, weil wir neuer-
fundene Situationen, piquante Charaktere oder ausgezeichnete
Begabung in demfelben gefunden; denn bie Ingredienzien bie
bier hinzugethan find unterfcheiden fich in Feiner Art von den
gewöhnlichen. Ein hochbetagter Landpfarrer, der jedoch nie an
die ftereotype Landpafloreniigur ded Pfarrers von Grünau er
innert; jeine Enkelin Maria, die keineswegs ciner Luife ähnelt;
eine edle, gräftiche, kinderloſe Gutsherrichaft, die ein liebli
Adoptiokind zu fih genommen, Das im Buche in ber The
nicht viel mehr iſt als die Statiſtin auf einer Bühne: ein
friedliches Dorf mit einem neuerbauten Kirchlein; eine Weihe
der für baffelbe beftimmten Glocken; Sophie, eines Foͤrſters
Zodter, die von Kurt, einem zweiten Enkel des greifen Pfar⸗
rexs, verlaſſen worden ; einige Morgenfcenen im weinumranften
Pfarchaufe, wo man des Greiſes Jubelfeſt vorbereitet, und wo
fh Maria mit Herrlich, dem jungen Paftor aus Grunbaie,
verlobt; ein Jubelfeſt mit feinen Procefiionen, frommen heil
nehmern, geiftlichen Reden und Orgelklängen; ein Abend auf
dem Friedhofe, auf welchem der Greis unter theuern Gräbern
wandelt, mohin Maria mit dem Berlobten eilt, daß fie den
-— — — — ——
äterli Segen auf den neuen Bunb der Herzen legen
e, und m. But, der halbverlosene Sohn, * wieder
einfindet, um an die verſoͤhnten Pen des Großvaters, der
Schwefter und der Geliebten zu füllen. — das ift der ganze,
höcd einfache, idylliſch »epifche Apparat, den der Verf. aber
fo geſchickt zufammenftelt, daß das Auge mit Wohlgefallen
darauf ruht. Nirgend find bei Schilderungen bie Farben zu
art aufgetragen. Der Verf. redet überall die Sprache ber
enden ‚ ohne dabei in dab trügerifhe Spiel einer lar⸗
moyanten &entimentalität zu verfallen. Um dies zu belegen,
theilen wir aus der Ginleitung in die vierte Idylle eine Apo⸗
firophe an den Friedhof mit:
Jriedhof, Garten des Herrn, wie wand!’ ich fo gern durch bie
Dügel,
Die wie ein blühended Bett, bu über die Ruhenden breiteft! —
AU’ die Taufende fhlummern, vom Kampfe bed Lebens ermuͤdet,
Ah, Biel haft du begraben: der Freuden viel und der Schmerzen,
Manches gebrochene Ders und mandeb weinende Auge, —
Manches prargende Gluͤck und manches bluͤhende Leben, —
Tugenden viel, viel Sünden, — des Haſſes viel und der Liebe.
Au' Das deckteſt du zul — bein Grabſtein ift ja der Grenzſtein
Aller irdifhen Luft und alles irdifhen Wehe; —
Deine Sräber, — fie find nur Furchen, barinnen bie Saat liegt,
„Saat, von Gott gefäet, am Tage der Garben zu reifen;
Leber Hügel ein Tabor, um welchen der Himmel bie Strahlen
Höh’eer Verklärung giebt. Du bringeſt „Segen nad dunkler
Naht”); du nimmt aus der Hand bed ermuͤdeten Erdenpilgers
Seinen Wanderftab und eröffneit die Pforten der Heimat.
Friedhof, heiliged Land! wie wandl' ih fo gern durch bie Dügel,
Ob mir auch jeder Gang aufreißt die blutenden Wunden.
Viele der Graͤber find hier von meinen Thränen begoffen, —
Ad, zwei Gräber vor allen, nur Heine! — Doch find ie mir großer
Schmerzen Quell. Seht, dort von den duftenden Linden beſchattet,
Unter den gränen Bügeln, von weißen Steinen bedrdet,
Ruh'n zwel liebliche Kinder, die Wonne der glüdlien Ältern,
Nun ihr Schmerz! Ich weihte die Stätte mit frrömenden Ihränen. —
Oßtar, Knabe voll Kraft! Kiotilde, du herziges Mägdieln,
Die, im Tode noch ſchoͤn, noch Tädhelte mild wie Im Leben!
Wandelt ihr Hand in Hand in den Palmenhainen bed Himmels?
Ja, ihr habt euch gefunden, ihr feib nun Engel geworden,
Sießet nun manden Strahl, geſchoͤpft aus dem ewigen Lidtmeer
Jenes bimmlifchen Friedens In unfre befümmerten Herzen.
Leitet als Genien und auf den ſtuͤrmiſchen Wogen ded Lebens
Und empfangt uns einft dort in bem Hafen der ewigen Heimat!
Das Bud) kündet im Außern eine ungewöhnlid geſchmackvolle
Zierlichleit. Ein Stahlſtich, die Glockenweihe darftelend, kuͤn⸗
det die Hand eined feinen und geſchickten Kuͤnſtlers, und das
Buch eignet fi vortrefflih zu einer Gabe auf den Geburts:
tags⸗, Weihnacht: oder Zotlettentifch einer Liebenden und ges
liebten Jungfrau.
8. Der Prättigauer Freiheitölampf. Ein Bild aus der Ger
fchichte Graubündens, von Alfons von Flugi. Chur,
Grubenmann. 1844. Gr. 12. 124, Nor.
Hier will die bildende Phantafie auf einer hiſtoriſchen Uns
terlage arbeiten; denn die Prättigäuer haben einft wirklich ei»
nen Kampf gegen die fie knechtenden DOftreicher gelämpft und
Sieg davongetragen. Das erzählt uns nun bier der patrio-
tifche Verf. in fehefüßigen Jamben, in die fih mitunter Tafo-
phoniſche Trochaͤen oder euphonifche Daktylen mifhen; das
erzählt er, aber auch nicht mehr als eben das. Es erwarte
alfo der Lefer ja nicht etwa eine Darftelung der Motive des
Kampfs, detaillirte Schlachtfeenen, anzichende Charaktere der
Helden, den epifchen Hebel von Erſcheinungen aus der Geiſter ⸗
welt, oder Hindeutungen auf verwandte Juftände in der relis
iöfen und politifhen Welt der Gegenwart. Unfer Epiker haͤlt
6 ans Allgemeines tautologijch erzählt er, wie die Oftreicher
*, Abſchiedsworte Boingli'S an feine Battin,
Berantwortlicher Herausgeber: Heintich Brockbans.
von Schweizerbauern aus dieſem und jenem Orte verjagt wur⸗
den; dazwiſchen etwas Declamation, die aber weder die Ein⸗
— befluͤgelt noch das Herz erwärmt, ſondern ſo
mohnartig wirkt, daß wir bei der Lecture alle Muͤhe hatten,
uns den Schlaf abzuwehren. Vielleicht geht's indeſſen des Verf.
Landsleuten nicht fo; wir wünfchen das von ganzen Herzen.
(Die Fortſetung folgt.)
LZiterariſche Notizen aus Frankreich.
Zur Gefhichte des Ritterwefens.
Wir haben Delkclufe bisher immer nur als einen mittel
mäßigen Rovellifken und einen gutmüthigen, aber jeder tiefern
Kritik ermangelnden Kunftrichter gefannt. In feinen Eritifchen
Aufjägen, denen das „Journal des debats“ feine ungeheuern
Spalten öffnet, fpielt er im Allgemeinen mehr die Rolle eines
woblwollenden Erklaͤrers und Beſchonigers als die eines tiefer
gehenden Aeſthetikers. Er erfcheint in ne Eigenfchaft recht ei⸗
gentlich der Protector und Beſchützer aufkeimender Talente, die
er mit aufmunternden Andeutungen und ſelten nur mit tadeln⸗
den Winken anzutreiben fucht. Ein ſolcher Kritiker iſt bei dem
biſſigen, gallichten Tone, deſſen fi ſonſt die höchften Richter
in Sachen der Kunſt zu bedienen pflegen, allerdings eine ſel⸗
tene, ausnahmsweiſe Erſcheinung; aber derſelbe wäre doch
nicht geeignet, feinem Rumen in literaxriſcher Beziehung ir⸗
gend einiges Gewicht beizulegen, wenn Delecluſe nicht in letz⸗
ter Zeit angefangen hätte, ſich einer ernftern, nachhaltigern
Production zuzumenden. Wir haben vor nicht langer Zeit
auß feiner Feder einen ganz gediegenen Beitrag zur Geſchichte
des Wiederaufblühens Der Kunfte und Wiffenfchaften erhalten.
Es war dies eigentlich nur der Vorläufer oder das Bruchſtück
einer umfaffendern Wrbeit, in der und Die verfchiedenen Nic:
tungen jener Zeit in ausführlicher Darftclung vorgeführt wer:
den follen. Wir erhalten jegt vom Berf. einen ncuen Beitrag
zur Sittengefchichte des Mittelalters. Dad Werk, in weldgem
derfelbe enthalten ift, behandelt die Geſchichte des Ritterwefens
und führt den Xitel „Roland ou la chevalerie”' (2 Bde. ).
Der Verf. hat feinen Stoff mit Fleiß und Sachkenntniß gu:
fammengebradt, und wenn man auß feinem Werke aud Feine
neuen Ideen oder großartige Anſchauungen gewinnt, fo ift
es doch immer eine dankenswerthe Bufammenftellung vieler in»
tereffanter und beziehungsreicher Einzelheiten, welche in Dies
fem Punkte noch nicht zu einem überblicke verarbeitet waren.
Zudem fehlt es feiner Darftelung keineswegs an Geſchick oder
Anmuth, fodaß wir feine Arbeit cine in mehr ald einer Bezie⸗
bung empfeblenswerthe bezeichnen können.
Handbuch der Nationalölonomie.
Die nationalöfonomifche Literatur der Franzoſen verdankt
den Stafienern ſchon mehr als eine Bereicherung. Wir koͤnn⸗
ten bier mehre wichtige Werke diefer Art nennen, welche zwar
Italiener zu Berfaffern haben, aber durch Überfegungen in der
franzöfifchen Literatur eingebürgert find. An dieſe Schriften
reiht fih eine neue Arbeit eines jungen Italieners, welche fich
mit einer Entwidelung der nationalöfonomifchen Grundideen
befaßt. Wir erhalten — eine franzoͤſiſche Überfegung davon
und ſind alſo berechtigt, ſie in dieſer den bedeutenden Erſchei⸗
nungen der franzoͤfiſchen Literatur gewidmeten Rubrik flüchtig
zu berühren. Der Zitel diefer Bearbeitung lautet: „Principes
de l’&conomie sociale, exposes selon l’ordre logique des idées,
par M. Seinlaja (de Naples); traduit et annote par M. de
Vitlera.“ Der Berf. bat fih im Allgemeinen auf kurze Un:
deutungen beſchränkt, und ſagt austrudlich, daß er fich der
größten Kürze befleißige. Vielleicht find bier und da feine
Säge allzu gedrängt und zum Theil felbft etwas dunkel gewor:
ben. Im Ganzen aber iſt es nicht zu verkennen, daß er mit
wenig Worten viel zu fagen weiß, eine Kunft, welche in unfern
Zagen nicht allzu häufig genannt werden fanm. 17.
— Drud und Berlag von F. SE. Brockhaus in Reipzig.
Blatt er
für
literarifde Unterhaltung.
Donnerstag,
Leiftungen auf dem Gebiete der modernen Epik.
* (Bortfepung aus Mr. W.) -
9. MWeferlieder, von Ludwi einrih Meyer. Hanover
Hahn. 1844. Sr. 8. 9? Nor. ’ ’ '
Da Hr. Meyer das Dampfihiff, in welchem er den von
ihm befungenen om befchiffen will, alfo anredet:
j Dein Scyifflein, nun elle! Zuhhe! Juchhe!
Du fol uns tragen bid au die Eee,
Die reizenden Ufer der Weſer entlang,
"Bei Luftigem Scherz, bei frohem Befang.
She auf zur froͤhtichen Bahrt!
Du foift und zeigen die Städte ſchoͤn,
Die ragenden Belfen, die Bergeshoͤh'n,
Die Schlöffer, die Dörfeken im grünen Thal,
Die flattlihen Wurgen im Sonnenſtrahl.
Friſch auf zur fröhlichen Fahrt!
fo müffen wir fein Buch fihon mit zur epiſchen Kategorie zie:
ben. An Patriotißmus fehlt es ihm Peineswegs, auch nicht an
Luft und Willen, jede Hiftorifhe Bagatelle oder Sage am
Wefergeftade aufzufpüren; wol aber fehlt es an dem poetifchen
Haude, der die hiſtoriſche Wahrheit zur Dichtung macht, und
zuweilen haucht uns aus Romanze und Sage eine eifesfalte
Al an. Am beften gefällt uns der hamelnfche Ratten:
Anger (S. Al). &o viel fteht aber feft, daß Hr. Meyer bei
den a des Geftades der Wefer viel mehr Beifall fin-
den und frifchere Lorbern ernten wirb als bei den Stäbten
an der Pleiße und Spree. Jene haben ja do nun einmal
eine große Vorliebe für heimatliches Waſſer.
10. Karthäufernelten. Sagen und Legenden aus der driftli-
hen Vorzeit. Bon Johann NR. Bogl. Wien, Strauß’
Witwe u. Sommer. 1845.
Nah dem vorhin Erwähnten können wir nuch dieſes
neuefte Dpus des wadern wiener Dichters bier nur kurz be:
fpreden. Was zunachft das Materielle des Buchs anlangt,
fo weicht es von ber gewöhnlichen äußern Form etwas ab;
denn es tft mit großen gothifchen Leitern und in großen Octav⸗
format gedrudt. Hinſichtlich der Beurtbeilung feines Inhalts
aber beziehen wir und auf das Schreiben des Hrn. Jakob Rut⸗
tenſtock, eines Praͤlaten im Stifte zu Kloftere-Meuburg, welches
der Dichter den Legenden hat vordruden laflen und welches
lautet: „Bei Ducchlefung Ihres Manufrripts fand ich die gün-
flige Meinung, welche ſchon Ihre frübern poetifchen Leiſtungen
mir eingeflößt hatten, neuerdings beftätigt, und ich kann nicht
umhin, per transennam zu bemerken, daß ich den würzigen
Duft Ihrer «Karthäufernelten» in vollen Zügen einathmete.
Nachdem die kirchlich⸗alterthuͤmliche Sage in poetifcher Hülle,
wie fie von Goethe, U. W. Schlegel u. U. bearbeitet wurde,
in unfern Seiten immer feltener wird, fo ift Ihr diefem bei:
nahe verwahrloften Fache zugewandtes poetiſches Streben aller
Anerkennung würdig, und um fo -erfreulider, als es Ihnen
Nr. I. — 12. März 1846.
gelang, nicht nur aus der Maffe zahlreicher Legenden lehereiche
und erhebende Sagen auszufondern, fondern auch diefe in ein⸗
fache, ſchlichte und dabei doch poetiſche Sprache religiöfer Se⸗
müthlichkeit zu Beiden” u. ſ. w. Es genüge Hier die Verfiche⸗
rung, daß der Eritifche Prölat recht bat, und daß aud die
Beröffentlihung dieſes belobenden Schreibens dem Dichter nicht
als Eitelkeit und Sucht zu glänzen außgelegt werben kKnne.
Das verfificirte Vorwort fpricht fich befiheiden genug über die
„Karthäufernelten” aus. Einige Rummern find Heine Meifter
ſtücke in dieſem Genre.
11. Licht und Leben in Stillnau. in Erntefefllied von Io>
hannes Friedrich. Erlangen, Bläfing. 1845. 16.
20 Nor. \
Das Büchlein, obwol minder guftos im Yußern fich Dem
Publicum darftellend, erinnert feinem materiellen Inhalte nach
an den oben befprochenen „Feierabend eines Breifed‘‘ von Kinfch,
und wenn, wie wir dort bemerften, der Kirſch'ſche Pfarrer dem
Paſter von Grünau gar nicht ahnlich flieht, fo iſt der Pfarrer
von Stilinau von dem denfgläubigen, liberalen Voß'ſchen Pa⸗
ftor vollends himmelweit unterfihieben. Stillnau ift naͤmlich
ein Dorf, wirklih bewohnt von den „Stillen im Lande‘, usb
ber Geift der ſtrengſten Orthodoxie durchweht das ganze Fleime
Epos, an deften Licht und Leben ſich die Stillen ımb Auser:
wählten im Reiche Gottes zweifelsohne erquidien werden. Des
Sprache wird nur einmal Gewalt ungethban, wo wir (3. 89)
lefet ftatt lieſt finden; bie Bilder, wo fie mit beſcheidenen
Karben etwa auftreten, find nicht ohne Leben; 28 redet dur
alle fech6 in Hexametern abgefaßte Gefänge Tie Sprache der
Heiligen ft, und die Naturanſchauung iſt überall die
bibliſch ⸗chriſtliche. Der Berf., welcher aller Wohrfcheintichkeit
nach feinen währen Ranıen nicht genannt hat, und durch ben
auf dem Zitelblatte angegebenen vielleicht nur den Geiſt dei
Werts und feinen eigenen Charakter bezeichnen wollte, ſchildert
einen Erntefeſttag in Stillnaus frommer Gemeine, deren geiſt⸗
licher Hirt feinen wohlthuenden und beiebenden Einfluß nicht
bios auf die Mitglieder derfeiben, fondern auch auf den graͤf⸗
lichen Gutsherrn des Orts verbreitet. Gern laſſen wir uns
von bdiefem wahrhaft evangelifchen Geiſtlichen und feiner fie-
benswürdigen Ramilie auf die Ernteflur von Steinfeld führen,
machen die Bekanntſchaft des zwar nod in manchen Refigiond«
zweifeln befangenen, aber nach Licht und Wahrheit eifrig rin⸗
genden jungen Vfarramtsgehülfen von RKechſtein, und treten
mit der Pfarrerfamilie auf dem gräfligen Schlofle ab, wo ber:
feibe framme Geiſt wie im Pfarrhaufe zu Stillnau athmet,
redet und feinen Frieden ausgieht. Run Dat dieſes Idyl noch
eine Eigenthuͤmlichkeit, durch welche ed ſich ver allen andern
derartigen Producten neuer und älterer Epik weſentlich unter
ſcheidet. Nicht bie Liche und Ehe ift es nämlich hier, worauf
am Ende Alles hinmeeläuft, fondern der Arbeit Biel und Spige
id — eine chriſtliche Miffton in die Heidenwelt! Es hat zwar
den Anſchein, als ob das frommen Grafen frommer Sohn fi
mit zarter Empfindung zu Zheodulia, der Tieblihen Yfaruae
3
todgter, ndige; aber der Süngling unterbrüdt dieſes Gefühl
vielleicht e8 als Giftpflange einer finnlihen Leidenfcpaft betra-
tend. Dagegen iſt es ein neunzigjäbriger überaus frommer
Greis zu neu, weldher Konrad, einen wadern Jüngling,
dahin flimmt, bie Segrangen des Chriſtenthums in die heid⸗
e
niſchen Länder jenſeit & itmeers gu tragen, und fo ſchlleßt
das Büchlein mit einem Heinen Miſſionsfeſte. Iſt das nicht
eigenthümlich und ungewoͤhnlich? D, mit welchem Eifenhammer
der Kritik würde Johann Heinrih Voß, wenn sr noch lebte,
auf den gottfeligen Pfarrer von Stillnau und feine Umgebung
losfchlagen !
12. Das Lutherbuch. Gin Lieberfrang, dem beutfchen lau:
benshelden perounben von Ludwig Bender. Biegen,
Friedrich. 1845. 8. 1 TIhlr.
Die Blüten diefed Liederkranzes, von welchem wir erft
daB eine Halbrund vor uns liegen fehen, find weder auf mark:
und faftlofen Stengein gewachfen, noch entbehren fie der Zarbe
und des Dufts, und die Bermuthung, die wir anfänglich nähr:
ten, das ganze Unternehmen fei auf eine temporaire Richtung
und Reigung bed Publicums gegründet, hat fih uns bei der
Lecture als ungegründet und als böfer Argwohn dargethan.
Denn der uns unbefannte Verf. feheint wirklich Durch des gro:
Sen Meformators PVerdienfte und Sinnesart von einer edeln,
fih ſtets gleichbleibenden Begeifterung durchdrungen zu fein.
Er fieht in dem Helden einen Meifterfänger, von welchem bie
deutfche Poeſie eine neue Ara datirt, in deffen Bibelüberfegung
der —28— Strom des Kirchenliedes ſeinen Quell hat, der
unfere Sprache neu bildete und verjüngte, und dem eben des⸗
halb die Mufe zu unauslöfhlichem Danke verpflichtet if. Im
den nachftehenden Liedern will er ihr etwas von unferer Schuld
abtragen. Die Lieder felbft fehildern Luther nicht als einen
thifchen, fondern hiftorifchen Helden; fie ftellen nicht vage
Phantaſiegebilde und Ideale auf, fondern faflen, in Kalliope'6
Dienfte getreten, die Wirklichkeit in einen poetifhen Rahmen,
wo jeder Charakterzug des Manned in einem hiftorifchen Fac⸗
tum fich darftellend heraustrit, Er läßt das Ganze in fünf
Bilder mit folgenden Überfchriften zerfallen: „Die Zurüftung”,
mit zwölf Rummern, die und bis zu feiner Dppofltion gegen
Tegel führen; ‚„Der Kampf”, mo wir bis gen Worms mit
In fahren: „Der Sieg‘, deſſen legte Rummer der Bauern:
Priegs „Der Triumph” und „Der Feierabend‘', der mit bem Tode
ded Helden das Werk fchließt. Die vor uns liegenden 28
Nummern erfiheinen ald ein Cyklus von Bildern, jegliches in
eigenthuͤmlicher Bärbung und Form, die uns ein vollftändiges
id Luther's geben follen. Was nun tie Form anlangt,
fo bat er weder den antiten Hexameter, noch den allerdings
wenig beweglichen Nibelungenvere, noch auch die füdliche
Stanze * d gewaͤhlt, ſondern er bewegt fich, weil Lu⸗
ther's Leben ſo mannichfache, abwechſelnde Situationen bietet,
ſiets im unſern neuern romantiſchen Formen mit Rhythmus
und Reim, und wir meinen, die Wahl fei nicht übel. Genug,
daß wir felten auf eine chythmifche, ohrbeleidigende Härte flo:
Ben, und daß nirgend gegen bie Kürze, welche die eigenfinnige
Kalliope nun einmal vorſchreibt, gefündigt ift.
13. Der Eidſchwur im Nütli, oder wie es einft war im Schwei-
gerlande. Poetiſch gefchildert von einem Freunde des Va⸗
ndes. GSchaffhaufen, Brodtmann. 1845. 8. 10 Ror.
triotiſch, geſinnungsvoll, gemäßigter politifcher Anficht
und fromm ift diefer Freund feines belvetifhen Waterlandes,
aber ein Poet ift er nicht, und am wenigften ift ihm Kalliope
mit ihren eigenfinnigen Foderungen gervogen. Aber auch Po⸗
lybymnia laͤchelt ihm nicht. Nicht genug, daß er mit Ahyth-
mus und Reim nicht recht fertig werden kann, es tauchen auch
hier und dort die matteften Profaftellen auf, die Diction Iabos
rirt an einem hektiſchen Huften, und eine gewiſſe Unbehüuͤiflich⸗
Beit in ber Bildung der Formen kommt befonders im Anfang
des Liedes zum Vorſchein. Er will die denkwürdige, dem
x
Schweizervolke unvergeßliche Nacht im Rütli fildern, wo
Stauffacher, Fürft und Melchthal nebft 30 MWitverbündeten
den Bundeseid zur Befreiung des Baterlandes von der Swing:
herrſchaft —* Boͤgte ſchwuren: ein trefflicher epiſcher
Stoff, der bei zwedmäßiger Bearbeitung gewiß nicht ohne
Effect bliebe; aber die drei Männer und ihre Bunbesbgüber
ebören, wie fie hier gefchildert find, Peinesiwegs zu jenen mans
igen, großartigen Heldengeftalten, die uns für ſich einnehmen,
und die Reden, die fie bier führen, find nur Geichrwäg und ein
vages Hin: und Herreden, das den Lefer nicht felten gähnen
macht. Die epifhe Form ober der Strom ber erzählenden Rebe
wendet fi, mit Ausnahme von ein paar Nummern, zum Dra⸗
matifchen, aber auch darin ift eine Gewandtheit und Alles ift
zu einer widerlichen Breite audgefponnen. Ein national : idyi⸗
lifched Moment ift allenfalls in „Nächtliched Gefpraͤch der Land.
leute” (8. 80). Das Erträglichfte und Lesbarſte im ganzen
Bude ift der Schluß, wo ber Berf., ind Didaktifche uͤberge⸗
hend, feine eraltirten Landsleute der Gegenwart über Freiheit,
Gleichheit und Staatsverfaflung vom Standpunkte der Ethik
und des Chriſtenthums aus belehrt. Hier ift mehr als eine
Wahrheit über diefe in unfern Zagen fo viel beregten Begen-
ftände ausgeſprochen; deffenungeachtet müffen wir es uns ver:
fagen, auch aus dieſem Schluſſe des Büchleins den Refern
eine Probe zu eigener Beurtbeilung vorzulegen.
14. Deutfchlands Freiheitskaͤmpfe von W. N. Stehling.
Drittes Buch: Andreas Hofer 1509. in Heldenlied von
BR. St. Düffeldorf, Stahl. 1845. 8. 15 Rgr.
Den heldenfühnen, biderben Sandwirth, welcher im Kam:
pfe gegen den Mannpart (fo nannten Die Tiroler den Kaifer
Rapoleon) zum Märtyrer ward, ann man bier ſchon recht lieb
gewinnen. S. 9 wird und fein Bild gezeichnet:
Mol größer noch um Hauptes Länge
IR er ald einer in der Menge.
Und Alles ſchweigt und fieht ihn an.
Der Held ift einfach angethan:
Dat Leberhofen, ſchwarz und kurz,
Hat Strümpf und Bruſtlatz purpurioth;
— Das ift fein Weg. der durch viel Blut
Am Gnbe führt zum eig’'nen Tod! —
Der Rod iſt hellgruͤn, ſchwarz der Hut,
Und ober'm bunten Gürtel ruht
St.:&eorg’d Bild in Gluͤck und Noth;
Sein Bart wallt auf bie breite Bruft;
Sein Bid ift fromm, doch voller Luft;
Und wie er rings um fih gefhaut,
Anhebt er feine Rede laut:
„Bott gräß euch, Männer von Paflenem! —
Seid ihre Tiroler oder Baiern? —
Tiroler hießen eure Väter,
Und ihr dürft alfo nicht mehr heißen ?
Weil Schloß Tirol fie niederreißen? —
She Männer von Tirol feld freir
Wenn ihe ein hölzern Bild gemadt.
Könnt ihr’6 nah Wien zu Markte tragen?
Bon breien Ähren gebt ihr zwei? —
Eur’ Sohn foll gegen Öſtreich fchlagen? —
Auf Männer denn zur Rettungsſchlacht!
Berreißt bie Feind', fo lang' fie Neh’n!
Doch Gnade denen, die d’rum fleh'n! —
Wir ſchwoͤren unfer Gut und Leben
Juͤr unfre Freiheit. hinzugeben,
Für Bott, Tirol und Kaifer Franz!”
„Wie ſchwoͤren!“ ruft der weite Kranz
Der Männer mit entblößtem Haupt,
Und legen auf bie Zahn’ bie ‚Hand,
Die Andern heben fie empor;
Ein einiger, ein deil’ger Ghor
Der Netter in Tirolerland!
oe W v
„Nun auf nmach Stoͤrziag!“ ruft Andre,
Winkt mit der Hand gen Gaufen's Hoͤh',
Und wie die Trommel und Schwoͤgel (Pfeife) ſchallt,
Dad Der laut jauchzend von bannen wall.
Doch Hofer wendet fih zurüd
Noch einmal mit dem frommen Bid
Und grüßt fein Weib; die fant aufs Knie
Dort oben auf der Galerie;
Ste weint, indeß bie Kinder au
Sich 0b der Pfeifen hellem Schall
Und ob der vielen Männer freu’n,
Und um die Mutter jubelud fchrei’n.
In diefen Eurzgemeffenen, jambiſchen Berfen tritt A re
dem Lefer Form und Geift entgegen, in welchen diefes Helden:
lied treugefchichtlih in 29 Rummern auf WW Seiten gefungen
if. Wir meinen, der Berf. verdiene Aufmunterungs doch
würde er vermutblih auch ohne unfer gnaͤdiges, kritiſches
Perge fortfahren, fich in der modernen Epopöe zu. verfuchen ;
denn, wie ſchon der Titel anzeigt, iſt gegenwaͤrtiges Heldenlied
nur erft der dritte Theil eines größern, noch unvollendeten
Werks, welches die deutfchen Freiheitsfämpfe beiingen fol.
Als cin in jich abgefchloffenes Ganze läßt er den Andreas Ho⸗
fer als Probe vorangehen, um vorläufig nad Urtheilen aus
der kritiſchen Welt bier und dorthin zu horchen. Bon ganzer
Seele wuͤnſchen wir, daß ihm aus den Recenfionsanftalten aller
vier Himmelsgegenden unfers deutfchen Vaterlandes ein gleis
des Perge wie aus diefen Blättern zugerufen werde. Gpä:
terhin, wenn erft mehr vorliegt, kemmen wir wol auf den
wahrfcheinlich noch jungen Verf. zurüd,
15. Das Rahethal in Liedern von Guftav Pfarrius. Imeile
Auflage. Bonn, Habicht. 1845. 16. 1 Zhlr. IO Nor.
Es ift’ein ganz nutzloſes Geſchaͤft, ein Buch zu recenfiren,
über deilen Werth oder Unwerth fich des Publicums Stimme
ausgeſprochen. Es liegt naͤmlich hier die zweite, mit topogra=
phijch » hiftorifchen Racweifungen für die Befucher des Nabe:
thals, mit acht Stahiſtichen und einer Karte vermehrte Auf:
lage vor und. Wäre Fein Verlangen nach dem niedlichen Büdh-
fein, über defien erſte Auftage wir und in Rr. 65 d. Bl. f.
1859 kurz ausgefprochen haben, gemwefen, fo hätte es nicht
zum zweiten Male gedrudt werden Eönnen. Bon größerm
äſthetiſchen Werthe ift unftreitig die folgende bier anzuzeis
gende Schrift:
36. Sonnenberg. Kunden und Sagen. Ein Gedenkbuch der
Auine, von ©. Drärler: Manfred. Biegen, Frie⸗
drih. 1849. Gr. 8. 1 hir. 10 Nor.
Schon das Außere des mit feinem Zitellupfer und Ti⸗
teloignette vergierten Buche befticyt dad Auge, der Name feir
nes ruͤhmlich befannten und auch in d. Bl. bereitd oft erwähn»
ten Berf. hat einen guten Klang, und das günftige Vorurtheil,
mit welchem man diefe „Kunden und Sagen’ von der roman:
tifchen Ruine Sonnenberg, in der Nähe von Wiesbaden gele⸗
gen, zur Hand nimmt, wird keineswegs getäufcht. Freilich
werden diefe „Runden und Sagen” an Ort und Stelle beiwei⸗
tem mehr Intereſſe erweden als bei uns Dber-: und Rieder:
ſachſen; auch ift ed nicht zu leugnen, daß der Mehrzahl diefer
Sagen jenes frifche Colorit fehlt, weldyes ihnen ſonſt die
Volksphantaſie anhaucht, aber der Geiſt und die Gewandtheit
des Dichters weiß diefe Heinen Übelftände fo in Schatten zu
ftellen, daß fie von den Wenigften bemerkt werden. Auch wird
das Buch um feines Berf. ſelbſt willen nicht bloß eine freund»
liche Aufnahme finden, fondern ed wird gewiß auch von man»
chem Badegafte als ein Auskunfts⸗ und Gedenkbuch an das
reizende Wiesbaden gekauft und mit zur Heimat genommen
werden, da es jeden Zoilettentifch ziert und in jedem Damenthee
gern gelefen werden wird. Einen noch ungetheiltern Beifall
wird aber im leggenannten Kreife und anderswo finden
%
16. Romancero. Bon Betty Paoli. Leipzig, G. Mi
a Br 1 hr Do 08 S. Wigand.
Die fubjectivsIgrifche Betty Paoli’, die mit der Annahnu
| eines ſuͤdeuropaͤiſchen Namens auch ein füdlich »glühendes Mas
turel angenommen und das deutſch⸗ſchleſiſche Geblüt verleug-
net g’ haben feheint, haben wir bereits in Nr. 304 d, Buf.
1843 mit "einigen Zederſtrichen zu fizziven uns beftrebt; bier
tritt nun bie objectiv⸗epiſche Betty vor uns auf. Db auf ein
ihr günftiges Terrain? Wir werden fehen. Der „Romancero‘
bringt fünf Nummern. Die erfte hat die Überfchrift „Stabat
mater”. Die Dichterin baut bier ein Schaffot auf, an deſſen
Fuß ein junges Weib, wie ſie mit ihrem Kinde vom Blute deß
hingerichteten Gatten fich beſpritzt ſieht, einen Schmerzenslaut.
ausſtoͤßt:
So mochte an des Welterloͤſers Krippe
Der Gruß ertoͤnen von der Hirten Lippe,
So mochten fromme Seraphſcharen weinen,
Als ſuͤhnend litt der Reinſte von den Reinen.
Dieſer Ton dringt in die Seele Pergoleſe's und entflammt
ihn zur Compoſition jenes herrlichen bekannten „Stabat mater“,
womit der junge Zondichter fein irdiſches Tagewerk erſt wuͤr⸗
dig vollbracht zu haben glaubt, und mit deffen Vollendung er
felbft aus dem Leben ſcheidet. Die Grzählung dieſes an fich
einfachen Ereigniffes kleidet die Dichterin fo geſchickt in Res
flerion und Schilderung, daß man kaum bemerkt, wie fie Po⸗
lyhymnia's Gebiet verlaſſen und ſich in Kalliope's Dienſte bes
geben habe. Dieſem erſten Stück möchten wir den Preis zus
erfennen. In Rummer zwei: „Maria Pellico“, tritt uns die
ganze Betty Paoli in ihrer elegifh »Igrifchen Stimmung aus
dem Zahre 1841 und mit dem ganzen uͤberſchwenglichen Meich»
thum ihrer eigenen fdhmerzlich-füßen Empfindung entgegen,
md wird fomit, wol ohne es zu wiflen und zu wollen, ber
ernſtern Kalliope untreu. Sie flattet nämlid Maria Pellico,
die in een Mitgefühl vergehend vor dem Kerker⸗
gitter ihres Bruders Silvio ihren Schmerz; in melancholifcher
Betrachtung und Klage aushaucht, und diefem Schmerz Frei⸗
heit, Bräutigam und Leben zum Opfer bringt, mit dem reichen
Schage jubjectiver Empfindung aus, und gibt fich jenem Buge
ber Geele in füßer Berauſchung hin, der fie zuerft in den heie
tigen Lorberhain führte. Gin gelungenes, anziehendes Bild.
Rummer drei: „Ein Zodtenopfer” (Eofenza). Wir theilen
eine Stelle daraus zur Probe mit. Rachdem fie erzählt, wie
ein Schiff mit athenienfiihen Juͤnglingen nach Kretas fluch⸗
beladener Küfte, wo ber Minotauruß ihrer harrte, gefegelt fei,
fährt fie (&. 106) alfo fort:
Das ift vorbei. — So mandı’ Iahrtaufend ſchwand,
Doch fieht die Eonne fletd Daſſelbe wieder.
Und wieder ftößt ein Schiff vom gried’fhen Strand,
Bom Hand gewiegt der füßen Meereslieder,
An Südenklarheit ſtrahlt des Himmels Blau,
Es ſchwellt der frifhe Morgenwind die Segel,
Zum Bugfpriet fbäumt die Flut und Seegevoͤgel
Umflattert ſcheu des Maftes fchlanten Bau.
Die Unter lichten fi, gehorfam theilt
Die Woge fi, auffeufzend tief und bange.
Ein letzter Eruß: Das Fahrzeug ſchwebt und eilt
Dem fernen Weften zu, dem Unterganne.
Ja wol: bem Untergang! Ihm find geweißt,
Die träumend jest den feuchten Pfad befciffen,
Es harret ihrer bei Coſenzas Niffen
Der grimme Minodotaurus unfrer Zeit.
Ihm g’nügen bie gemeinen Opfer nit!
Er firedt die mordgewohn'ten Tigerkrallen
Nach Jenen nur, in beren Seele Licht,
Ein Strahl von oben zundend iſt gefallen.
Nur Jene, die bereit zum beil'gen Strauß,
Trifft ſeines Grolles unverföhnlich Hadern,
Und mit dem edeln Quell aus ihren Adern
Loͤſcht er das kaum entflammte Hoffen aud.
Web fe gef. Ihr ſtarbt, wie khr gelebt.
D daß den Henkern folder Tod nit werde! u. ſ. w.
Wir fchen hieraus. einmal, wie auch die Beit mit ihren Er⸗
ſcheinungen unt Beftrebungen das Gemüth der Dichterin be⸗
hre, und dann, daß fie wirklich fubjectiv fein Fann. Den
Beſchiuß machen zwei Kloſterſagen oder Legenden: „Die Beichte
des Mönche” und „Piamma”. Die phantaflifhe Romantik,
wie fie in mittelatterlicher Farbe in dem erfigenannten Stüde
athmet, ift nieht allein ſchon allzu oft dageweſen, ſondern es
zei auch, als ob die geiſt⸗ und gemuͤthreiche Dichterin nicht
Stande ſei, die Kuͤhlheit und Ruhe zu bewahren, wel⸗
e die Behandlung eines Legendenſtoffs heiſcht. Dieſe „Beichte”
4 ſo outrirt und die Farben ſind hier und da ſo ſtark aufge⸗
tragen, daß das Ganze keinen befriedigenden Eindruck machen
Tann. Mehr befriedigt „Fiamma“, eine echte Legende, in ſüd⸗
licher Bolkspoeſie empfangen, und vielleicht hier nur ein wenig
u weit auögefponnen. Die Ausftattung des Werks von Sei⸗
In "des Berlegers ift feinem äfthetifchen Werthe volltommen
angemeffen, Bettina v. Arnim aber ift e8 als Ausbrud freudi-
get Bewunderung für ihren Geniuß dedicirt.
i3. Guſtav Adolf's Heldentod für die Zreiheit der evangeli«
fhen Kirche Deutihlande. Ein biſtoriſches Gedicht in vier
Gefangen, von G. Friederich. Dritte "neubearbeitete
Auflage. Mit Kupfern. Zranffurt a. M., Dehler. 1345.
8. 1 Thlr.
Hätte fi nicht eine lächerlidde Vereinswuth Deutichlands
bemädtigt, vorliegendes Gedicht, über defien Erſcheinung wir
uns fon in Rr. 203 d. Bl. f. 1833 des Breitern ausgefpro-
den haben, würde ſchwerlich zum dritten Wale aufgelegt wor:
den fein. Wir koͤnnen das früher gefällte Urtheil nicht wider:
zufen. Die Beziehungen auf Modernes zeugen von Veraͤnde⸗
rungen in biefer neuen Auflage, vielleicht S. 109, I14, jeden:
falls ©. 153 (König Oskar). Wie kommt aber Luther in die
Walhalla? (©. 159) Ganz neu hinzugefommen ift der vierte
Geſang; aber, obwol hier Vieles poetiſch aufgefaßt wurde, fo
iſt er doch nicht befriedigend. Wie unpaflend ift Die Berka:
rung Clemens’ XIV.! Die biftorifchen Erklärungen ſcheinen für
ſeht unkundige Leſer berechnet. Unrichtig aber ift es, daß ber
Schwebdenftein bei Zügen durch ein neues Denkmal erjegt fei;
der Stein liegt, vom Dentmal überbäut, noch da. Dod ge:
nug des Mäfelns und Krittelnd! Das Yublicum bat ganz an-
ders über dad Werk geurtheilt als wir; befienungeachtet aber
geftehen wir, daß Hr. Kriederich ein beiweitem beſſerer Theolog
und Homilet ift als epifcher Dichter !
19. DOttilia, die Bergmannsbraut. Ein poetiſches Gemälde aus
der Zeit des Mittelalters, von C. Schreiber. Eisleben,
Neihardt. 1845. 8. 10 Ngr.
Ein Freund, der dieſes Werkchen durchflogen, brach den
tab über daffelbe mit den Worten: „@ine wenig anfprecdhende
Sage, behandelt in fehülerhafter Weiſe, orbinair ebenfo in Er:
findung, Versbau und Sprache wie in Drud und Papier.‘
Mef. Bann dem aljo ſcharf aburtelnden Freunde nicht ganz
beiftimmen. Beurtheilen wir freilich da5 Werkchen vom Stand:
punkt der Anfprühe aus, welche unfere Zeit an derartige
Kunftproducte macht, fo mag er recht haben; aber das dürfen
wir bier nicht; das Beine Gemälde, trog all feiner ordinairen
Reime und feines ganzlihen Mangel an Idealiſirung des
Stoffe, pt eine große VPopularität und Verfländlichkeit, und
ba e8 auf einen Kreis von Lefern berechnet ift, die eine voll:
endete Kunftform weder beanipruchen noch beurtheilen können,
die Sage felbft auch in ihrer Einfalt und Natürlichkeit ein
poetifches Moment und vor allen einen gewiſſen Localwerth
bat, fo wollen wir dem Schriftchen immer fein kurzes Das
fein bienieden gönnen, und uns freuen, wenn die Bergfnap:
pen des Ihüringerwaldes fih für den civilen Preis von zehn
Neugroſchen hier baß ergögen! .
(Die Bortfegung folgt.)
Berantwortlier Herausgeber:
Literarifhe Rotiz aus England.
Cheſterfield.
Lord Ehefterfieid denken wir uns gewöhnlich als das Mu⸗
fter eines Weltmannes, glatt, kalt und egoiſtiſch, geiftreich und
beshaft, ausgejtattet mit aller Grazie der Außern Erſcheinung,
innerlich aber Hohl und leer. Noch neuerlich entwarf Didiens,
der freilich mit feiner bausbadenen Sentimentalität und ſpieß⸗
bürgerlichen Befchränttheit am wenigften geeignet zu fein fcheint,
ſtaats⸗ und weltmännifche Vorzüge zu würdigen, in feinem
Sir Chefter im „Barnaby Rudge” ein ſolches Bild von ihm.
ent hat Lord Mahon, der Bert, einer guten Gefchichte Eng⸗
lands vom Utrechter Frieden an, den Briefwechiel feiner be»
rühmten Beewandten (Beide gehören der Familie Stanhope an)
neu herausgegeben und mit einer hifterifchen Einleitung ver-
fehen , die und genügendes Material zur gerechten Würbt un.
eines Mannes an die Hand gibt, der als Menfch, Schrift .
ler und Staatsmann gleiche Anfprüde auf unfere Beachtun
hat. Cheſterfield's Ruf ale Schriftfteller ruht vorzugsweiſe
auf feinen Briefen über Erziehen an feinen unebelichen Sohn,
aus dem der Vater ein Muſter von Gelehrtheit, Beredtſamkeit
und weltmännifcher Bildung machen wollte, deflen natürliche
Anlagen aber keineswegs einer folchen Rolle entfprachen. Was
Schnfon nicht ohne Einfluß perfönlicher Rancune von diefen
Briefen fagt, fie lehrten die Moral eines Freudenmaädchens
und die Manieren eined Zanzmeifters, ift allzu willig von der
Mafle der Urtheilslofen als Drakelfprug hingenommen worden.
Der Vorwurf, mit Bewußtfein Inmoralität zu lehren, kann
fie nur teeffen, wenn man die gefellfchaftlichen Zuftände ber
damaligen Zeit ganz und gar aus den Wugen verliert. Eine
Ztaifon mit einer verheiratheten Dame, womit Chefterfield fei«
nem Sohne feinen Eintritt in die Welt zu beginnen anräth,
hatte bei den laren Sitten der damaligen parifer Geſellſchaft
durchaus nichts Auffälliges und galt nicht für unfittlich. Über
andere Punkte der Moral kann der muiterhaftefte Bater kaum
eindringlicher fprechen als es Lord Chefterfield thut. Ein zweis
ter Borwurf ift der, daB der Brieffteller zu großes Gewicht
auf Außerliche Politur lege. Diefem begegnet Lort Mahon dur
die befannte Thatſache, daß Philipp Stanhope (der Sohn) eher
alzu eifrig in der Erwerbung von Kenntniflen_war, er alfo in
dieſer Hinfiht keines Sporns bedurfte, fein Außeres Dagegen
über alle Gebühr vernadhläfigte. Im Bewußtfein diefes Mans
geld mag Lord Cheſterfield die Erwerbung geſellſchaftlicher Anz
muth und äußerer Politur angelegentlidher empfohlen haben
als ihm eigentlih ums Herz war. Deswegen ift man nod
nicht zu dem Vorwurfe berechtigt, er habe dieſe Vorzüge un:
gebührlich überfchägt. Eher ließe fi) einmenden, daß er der
Erziehung überhaupt die Macht zufchreibt, die Richtung eines
Charakters im Widerfpruch mit der natürlichen Begabung def:
felben zu beftimmen. Uber neben diefen Mängeln find die
Briefe.uberreidh an Bemerkungen und Rathfchlägen voll feiner
Welt: und Menfchenkenntniß, an Stellen, über die Laroche⸗
foucauld nachdenfen, und die Labruyere beneiden würde. Aller»
dings koͤnnen nur Perſonen von gereiftem Urtheil die Vorzüge
Diefer Briefe vollkommen würdigen, während fie durchaus nicht
geeignet find, der Jugend felbft in die Hand gegeben zu wer:
den. Wol aber find fie einem Vater zu empfehlen, ber ſei⸗
nen Sohn für das öffentliche Leben erziehen will. Neben der
Feſtſtellung der Verdienſte ChHefterfield 8 als Schriftfleller be:
ſchaͤftigt fih die Biographie noch meitläufig mit feiner politi⸗
ſchen Raufbahn, und fehildert uns ihn als einflußreichen Red:
ner des Oberhauſes, als Geſandten in Holland, als Minifter
und als Bicelönig von Iceland, wo feine aufgeflärten und
der damaligen und zum Theil felbft der jegigen Zeit weit voran«
gefchrittenen Regierungsprincipien noch heute in dankbarer Ber:
ehrung find. Lord Cheiterfield ftarb am 24. Märg 1773, 79
Zahre alt. Rangiahrige Zaubheit hatte ihm geboten, von der
politifhen Bühne abzutreten und ibm Muße zu literariſchen
Arbeiten gegeben, denen er mit Eifer oblag. 6.
— —
BSeiurich Brockkans. — Drud und Verlag von F. X. Drockhans in Leipzig.
Blätter i
literariſche Unterhaltung.
r
Leiſtungen auf dem Gebiete der modernen Epik.
(Bortfegung aus Nr. 121.)
20. Die Bekehrung der Preußen durch Hermann von Salza.
Gedicht in zehn Gefangen von Karl Hentfhel. Mit
- dem Bildniffe Hermann's. Sondershauſen, Eupel. 1845.
Ler.:8.- l Ihr.
Hr. Hentihel ift in Langenſalza geboren, und weiht fein
Buch theild den noch Icbenten Rachfommen Hermann's, theils
den Bürgern feiner Vaterftadt, die auch dic Geburssftadt des
Helden iſt,
Der ruhmvoll, Salze, deinen Namen trägt,
Shn, feiner Zeit ben weiſeſten ber Geiſter,
Des Papſtes Liebling und des Kaiſers Freund,
Des- teutfchen Ordens hochberuͤhmten Meifter,
Der Heldenmuth mit Edelfinn vezeint.
Er trätt feinen Gang in das epifche Gebiet an der Hand der
Geſchichte, der Mythe und der fagenhaften Legende an. Über
fo befreundet und vertrauf jeder Epiker mit dieſen drei Füh⸗
zerinnen fein foüte, ift unſer Sänger keineswegs. Dem dab
Schöne bildenden Geifte müflen wir zwar die Freiheit zuge:
ſtehen, Hiftorifhe Facta au ibealifiren, und mögen ihm au
einen Anachronismus durchgehen laffen; fo haben wir 4. 8.
nichts dagegen, wenn Hr. Hentfchel in einer Rote (8. 126)
fagt: „Man wird es dem Dichter verzeihen, wenn er ſich nicht
fireng an chronofogifhe Ordnung bindet”; aber wir meinen
Do, unfer Epiker geftatte ſich allzu viel Licenz in dieſer Hin»
ſicht. So muß dem geſchichtskundigen Leſer ſchon alles In:
terefie an dieſem Heldenliede ſchwinden, weil er meiß, daß Ser:
mann von Sala ſchon vor der Eroberung Romoves gefior- |
ben, ja daß er nie perfönlich in Preußen geweſen feis wenig:
ſtens Voigt, unferd Sängers bifterifhe Hauptautorität, er⸗
srähnt fein Wort davon. Richten wir den Blick auf das my⸗
thifhe Moment bed Werbe, fo gebraucht der Berf. zwar den
Oder die Befchreibung 8. 143:
aitbekannten epifchen Hebel, indem er höhere, unfihtbare Mächte
ins Spiel zieht umb uns die altpreußifhe Götterweit rathend
und bandelnd vor Augen ftellt; aber dieſe Götter find wahr:
ich feine Domerifchen, erhabenen Geftaltungen, fondern werden
hier und da bis ind Fratzenhafte verzerrt, und gewinnen uns
noch weniger durch ihre Geſpraͤche. Welch ein Mägliches Imwie:
geſpraͤch z. B. auf ©. 156 fg. zwifchen tem Donnerer Percus
nos, der fiih ein ſchwaches Kind nennt, und feinem göttlichen
Gollegen Potoll, der es nicht an Rodomontaden fehlen läßt,
indem er audruft:
Wie durch ben Forſt im Sturme rıft das Feuer,
Und Baum um Baum verzehrt durch feine Blut, —
So will ich wüthen, will, ein Ungeheuer,
Wolüftig änen wich am Ghriftenbluf.
Alle wothiſchez Perſonen, bis auf die Zauberin Pagezania, ſpie⸗
len von A bis 3 eine klaͤgliche Nolle. Hinſichtlich des ſagen⸗
haften, legendenartigen Moments kann man ſchon eher befrie⸗
digt werden. Dee Verf. geſellt nämlich den heiligen Adalbert,
Freitag, u — Pr.
TR. — 13. März 1846.
den befannten Apoftel der Preußen, feinem Helden ald Schug-
geift bei, und Das wunderbare Zitherſpiel defjelben iſt Hier un
da nicht ohne Effect. Ware Übrigens unfer Sänger aus Lan:
genfalza nur ein Vierteljahr Tang bei feinem berühmten Colle:
gen aus Sorrento, dem Zorquato Kaffe, in die Schule gegan-
en, fo würde fein ziemlich materiel gebaltenee Bert einen
öhern, gi igern, poctifhern Anflug bekommen haben; aber
nicht allein Das, fondern er würde auch daffelbe mit anzie⸗
denen Epifoden durchwebt haben als hier geicheben iſt. Die:
em allgemeinen Urtheile über dad Buch Pöhnten wir nod
einige befondere Audftelungen und Rügen anfügen, Die dem
Leſer wenigftend beweifen würden, daß wir alle gen Gefänge
geiefen aben, indeß unterlaflen wir es aus Rückſicht auf den
eſchraͤnkten Raum. Die Reime find theild ganz gewöhnlich,
I theild fehlerhaft, ja das Ganze hat den Anſtrich einer gereim⸗
ten Chronik. Wo fo viel Schatten ift, müflen Strophen,
wie ©. 19:
D Hoffnung, Hoffnung, deren Schmeihelworte
Berubigen das fchmerzzerriffine Derz,
Die du noch troͤſtend an des Todes Pforte
Des Dulders Blide leiteſt himmelmärts,
D Schlummer, ſuͤßer Schlummer, des hienieden,
Der Hoffnung glei, die Sterblichen beglädt,
Ihr gabt auf Eurze Zelt dem Priefter Frieden,
Und habt zu ſchwerer Prüfung ihn erguidt.
Oder 9. 98:
DOD Baterjtabt, gedenke biefer Tage,
Die, wie ein füßer Traum bir froh entſchwebt,
Dein eig'nes Kind rief fie hervor; ich frage:
„Haſt du wol Schän’red jemals noch erlebt?
Dein Kind, Hochmeiſter von dem deutfhen Orden,
Dein Kind, durch Herz und Geiſt und Tapferkeit
Sn auer Wett fo hochberühmt gemorden,
Dein Kind, ber Held, der Fuͤhrer feiner Zeit!”
Der Preuße fieht den Streih; ihm auszuweichen,
Gelingt ihm durch geivandten Geitenfprung,
Und blitzſchnell hebt ex untsr lautem Keuchen
Die Keule zum gewalt'gen Todesſchwung;
Da freut dad Roß und ſieh' ded Nitterd lieder
Sind unverfebrt; die Keule freift den Buß;
Nun raffelt ſchnell der maͤcht'ge Flamberg wieder
Dem Helden bringend blut’gen Todesgruß.
Dder ©. 165:
Sol ſich des Dichters Geift in Formen zwängen?
Nein! ift fein Herz nur rein, fein Yang nur wahr! —
Des Dichters Gruß, gewebt aus leikten Klängen,
Umfäuf’ie fanft des Vaterlands Altar;
Der König iſt der Priefter am Altare,
Nur fegnend blidt er auf ben Unterthan,
Der König will dad Gute, Schöne, Wahre; — .
Ihr Engel, ebnet feine Herrſcherbahn!
—
Oder endlich S. 215:
Und Alles kaiet und ſchweigt. Horch, Sitherklaͤnge!
Und noch einmal laͤßt Adalbert ſich ſeh'n,
Und noch einmal zu ber erſtaunten Menge
Nuft ex, entſchwebend in des Himmels Höhn:
" „‚Zchumpbt des Geiſtes Dunkel iſt zerronnen:
Das Preußenvolk erkennt bed Kreuzes Macht,
Auf ewig fil’8 dem Ehriftentfum gewonnen,
Heil, Salza, bir, bu haſt's mit Gott vollbracht!
als freundliche Lichtpunkte erfcheinen.
21. Zuleika. Ein Seelengemälde in vier Schilderungen frei
nah Byron’s „Braut von Abydos“ dargeftellt von @.
R. Harfenton. Stendal, Franzen und Groſſe. 1845.
8. 221, Ror.
Wer des genialen Lords „Bride of Abydos” in ber
Originalſprache gelefen hat, der Icfe gegenwärtige Nachbildung
derfelben ja nicht. Der Nachbildner, der das fein Streben yut
bezeichnende Pſeudonym Harfenton angenommen, verzerrt nicht
eben die Erzählung mit ihrer öftlichen Scenerie und ihren echt:
türkifhen Charakteren, aber er zerrt fie jaͤmmerlich auseinan⸗
der, und Ref. kann das Beginnen und Thun beffelben mit,
nichts Anderm vergleichen ald mit dem eines Mundkochs, der
einer Träftigen Fleifhbrühe fo viel warmes Waſſer zugießt,
daß die Quantität fi) zwar um ein Bedeutendes vermehrt,
aber die gefunde Speije an Qualität unendlich verliert, wenn
fih auch der primitive Geſchmack den Zungenwärzchen noch
fühlbar macht. Edel mag das hier gebrauchte Bild nicht fein,
aber es ift gewiß bezeichnend. Das engliihe Original
nimmt vieleicht zwei Drudbogen ein, bier müffen wir uns
durch zehn Bogen mit Petitſchrift durcharbeiten. ‘Bon Über:
fegen Fann die Rede nicht fein, obwol ed Hin und wieder
fcheint, einzelne Paſſus feien in ber Mutterfprache wiederge:
geben. Was Byron andeutet, wird hier ind Breite geſponnen;
was er nur ahnen läßt, ift hier meitläufig erklärt; was er mit
dem Schleier des Geheimniſſes bedeckt, ift hier durch Eonjectur
oder are Belehrung enthüllt und eben dadurch alles Neizes
‚beraubt. Ja es fcheint, als ob der Nahbilbner es verſchmaͤht
habe, einzelne Geniusblige des britifchen Urfängerd mit in fein
Machwerk hinüberleuchten zu a fo, um nur ein Beifpiel
anzuführen, erinnert Pafcha Giaffir, eine echte despotiſche Tür⸗
Eennatur, feinen erften Haremswächter Harun, er hafte mit
feinem Kopfe dafür, daß Zuleifa (des alten Paſchas einzige Toch⸗
ter) nicht wieder mit Selim fih im Garten ergebe; „ſonſt“,
fügt er Hinzu, „du fiehft jenen Bogen, er hat eine Sehne ”
(If thus Zuleika oft takes wing, thou seest yon bow — it
hath a string!). Diefe ſchlagend lakoniſche materielle Drohung
ift hier gar nicht wiedergegeben. In der dritten Schilderung
ift vielleicht das Beſte, was in epifher Hinficht fi hier findet.
Da wird der Harem und (&. 7i) eine Ddalisfe befhrieben:
Verführerifih auf Elfenbeinesſchimmer
Der Perlenzähne winkt der fuße Kelch,
Def dufl’gen Rand wie Sonnenthaus Geflimmer
Gin Lächeln engelgleich umfpielt. O, welch
Ein Liebreiz ſchwimmt im Glanz der Wange,
Und ſchmeichelt riefelnd fi mit fanftem Drange
Tief in dein Derz hinein, bis finnbethört
Die Seele ganz dem fhönen Weib gehört.
Denn glühend Süblandeblut in raſchen Schlägen
Durchwogt die hingegoff’ne Huldgeſtalt.
Die Marmorarme zitternd fi) bewegen
Im Pulſesſchlag; und zaubervoll ummwallt
Wir fonn’ger Woge Schaum der Schwanen Flügel
Ein Silberflor ded Vuſens Lillenhügel.
Der Glieder Zul’ in üupp’gem Wellenſchwung
Dröngt auch das Felfenherz zur Huldigung.
Zuleika's Monologe (S. W fg.) wären fhön, wenn man Lord
Byron nicht Pennte; aber fie find zu langathmig, tautologifch
286
und gedehnt, um fich in ihrer urfprüngliden Glut erhalten zu
koͤnnen, das erglübte Mädchen kann Bein Ende mit ihren Jauch⸗
zen und Bangen der Liebe finden, und fchwägt und trippelt
und feufzt in ihrer Zelle von &. 88 — I14!! Und dann ift jie
noch nicht fertig! Wäre das Ganze die Erfindung des Berf.,
1 fo würde fih natürlih die Kritik ganı anders Darüber aus⸗
fprechen, und fie koͤnnte auch nichts dagegen haben, daß er fein
Werk ein Seclengemälde nennt, oder daß er gefuchte Ausdrücke,
Zautologien, allzu lange Perioden und einmal (&. 110) eine
Neminifcenz aus Schiller'8 „Glocke“ dem Geifte und der Form
nad mit unterlaufen käßt.
(Der Beſchluß folgt.)
Religionsproceß des Predigerd Schulz zu Gielödorf, ge-
nannt Zopfſchulz, eines Lichtfreundes des 18. Gabe.
hunderts; actenmäßig dargeftellt von Leopold Volk—
mar. Leipzig, Reclam jun. 1846. 8. 1Thlr. 15 Ngr.
Der Prediger Schulz zu Gielödorf, weldher im 3. 1782
noch einen unmodifchen Zopf trug, und mit ſolchem fogar, und
nicht in einer „Peruͤcke oder gekräufeltem Haare“ auf der
Kanzel zu erfcheinen wagte, daher den Namen Sopfihulz da»
vongetragen hat, wurde im 3. 1791 wegen feines fittlichen
Lebenswandeld und feiner religiöfen Überzeugungen in eine
Unterfuhung verwidelt. Die tönigliche Cabinetsortre vom
13. Auguſt 1791, welche fie anbefahl, fügte, daB von dem
längft berüchtigten Prediger Schul; zu Gielöderf fo viele böfe
Dinge gehört würden, daß man unmöglid dazu ſtille iſchwei⸗
gen könne. Diefe böfen Dinge laſſen fih nad) dem Berneh:
mungs⸗Protokolle vom 23. Auguft darauf zurüdbringen, daß
Schulz die Gottheit Ehrifti nicht gelehrt habe, nicht über
das Werföhnopfer Ehrifti, über die Dreielnigkeit, Buße und
Glauben, und überhaupt feiner Gemeinde nichts von kirchlichen
Definitionen, fondern nur die hriftlichen Pflichten des Lebens
vorgetragen habe. Erfolglos war ſolche Wirkſamkeit nicht ges
blieben. Nach dem Zeugniffe des Magno v. Pfuel, Patrons
des Schulz, hatte während der Amtsführung deſſelben zwifchen
dem Gutöheren und den Unterthanen fein Rechtöftreit obgewal⸗
tet, in 20 Jahren war Fein Verbrechen vorgefallen, ſodaß der
Iuftitiarius niemals Veranlaffung gehabt hatte, einen Gerichts:
tag abzuhalten. Indeilen das bekannte Religionsedict des Mi»
niſters Woͤllner beabfichtigte den lutheriſch⸗kirchlichen Glauben
einzufchärfen, weihen Schulz freilid bei Seite fegen zu wol:
lien ſchien. Eine fernere Cabinetdordre nahm daher Meranlaf:
fung , ausbrüdlich auszufprechen, daß das Kammergericht, als
urtheilende Behörde, befagted Religiondedict nicht aus den Aus
gen laſſen folle, und fo wol fein Bedenken tragen werde, auf
die im Edicte feftgefegten Strafen zu erkennen. Der Vertheir
diger ded Schulz, Criminalrath Amelang, erklärte, daB diefe
Ordre der künftigen -richterlihen Prüfung mit zu unterwerfen
fei. „Sr. Majeſtaͤt allerhöchfte Perſon find zu gerecht, als daß
diefelben auch nur eine Außerung magen dürften, welche den
Sefegen nicht vollkommen entipräche, und mit felbigen überal
befteben könnte. Die BVBertheidigungsichrift des ulz felbft
beichräntte ſich darauf nachzwreifen, daB es fein alleiniger
Zweck fei: „Die wahre Lehre ded Jeſus von Nazareth uns
ter der Lajt der -irrigen Borftellungen und 2ehrfäge, womit
fie in der Folge überladen und dadurch faft ganz erſtickt wor:
den tft, fo viel an ihm liege, wieder hervorzuziehen und fie
in ihrer urfprünglichen’ Geftalt, als die ſchoͤnſte Unterweifung
für Menfchen zu ihrem gegenwärtigen und Fünftigen Glück,
ihnen vor Augen gi fielen. Richt die in der Bibel und in
specie im Neuen Teſtamente erzählten Befchichtöbegebenheiten,
fondern einzig und allein die wahre Lehre Jeſu fei der eigent⸗
lihe Grund des Chriſtenthums.“ Die Sahe kam demmächſt
zum Erkenntniſſe des. Kammergerichts. Hier ift Die wefentlich
bedeutende Stelle der vorliegenden Schrift wahrzunehmen, wie
ein Gericht damaliger Zeit feine Stellung zu Fragen der Re⸗
ligion auffaßte. Denn Widerſpruch gegen Dogmen und Co:
binetsverfolgung find in Kirche und Staat nie etwas Neues
gewefen, und bier iind fte aud) ohne allgemeine Yolgen geblie⸗
ben. Dann aber hat uns die hiftorifche Kritit von Strauß,
die Philofophie von Feuerbach ganz andere Dinge “über das
Shriftentbum yefagt als jener Prediger nur zu ahnen fähig
war. Das Rammergericht aber behandelte die Frage ganz fo,
als wenn ihm vorgelegen hätte zu entfcheiden, ob 3. B. Ie-
mand eine durch ein Privilegium gefchügte Fabtikation einer
Maare in derjelben Weiſe nachgebildet Habe oder nicht. Es ift
dazu ein töchnifches Gutachten Sachverftändiger nöthig. Diefeß
erfoberte ed vom Dberconfiftorium in folgenden fünf ragen:
1) Ob die Lehre Jeſu fämmtlihe Gruntwahrbeiten der chriſt⸗
lichen Religion enthalte? und worin diefe Grundwahrheiten
beftehen? 2) Ob außer den Lehren Iefu noh Grundwahrhei⸗
fen der Religion vorhanden? und worin diefe beftehen? 3) Ob
die Grundwahrheiten der Iutherifchen Eonfeffien mit den Grunds
wahrheiten der chriſtlichen Religion übereinftimmen? oder worin
ihre Richtübereinftimmung fi gründe? 4) Was ed mit den
fegenannten Gtaubenswahrheiten für eine Bewandtniß habe?
und cb jie die Grundwahrheiten der Neligion überhaupt und
der lutheriſchen Confeſſion insbefondere ausmachen? 5) Ob
der Prediger Schulz bei ſeinen Lehren, wie ſolche bei der
Unterſuchung ausgemittelt worden, von den Grundwahrheiten
der chriſtlichen Religion überhaupt? oder der lutheriſchen Con:
feffion abgemichen ſei? Wir koͤnnen in der That dem Könige
nicht ganz unrecht geben, wenn er über dieje Fragen an den
Großkanzler v. Sarmer ſchrieb: daß Das Kammergericht ſich
fehr wunderlich aufführe, und allerlei unnüge Fragen an daß
Scnüiftorium habe aelangen laffen. Dieſes begutachtete übrigens:
der ıc. Schulz fei nad) dem Sinne des Religionsedictd Bein lu⸗
therifcher Prediger; der DOberconfiftorialrathd Zeller in einem
defondern Zotum: daß er überhaupt wol ein lutheriſcher Pre-
diger fein Fonne. Hierauf entjchied das Kammergericht: daß
der ıc. Schulz zwar für feinen proteftantifch »Iutherifcyen aber
wol für einen riftlihen Prediger und feine Gemeinden zwar
für Beine proteftantifch = lutherifchen, wol aber für chriftliche
. Gemeinden zu balten, und er hiernach als chriftlicher Prediger,
und feine Gemeinden ald chriftliche. Gemeinden, fowie bisher ge:
ſchehen ift, anzufehen und zu dulden. Mag man nun auch
der Zendenz diefes Urtheils feine Beiftimmung nicht verfagen,
fo ift doch von jurijlifchen Standpunkte aus unftreitig, daß
es über die Grenzen des Streitd gegangen iſt. Was die Ge:
meinden wären und ob fie geduldet werden müßten, war nicht
im entfernteiten. Gegenftand der Unterfuchung geweſen. Das
Urtheil drang ihnen ein Prädicat auf, welches fie weder bean:
ſprucht, noch welches ihnen abgefprodhen war. Dann aber ift
mit dem Prädicate „chriſtlich“ eine Gefelfchaft nicht im min-
deften bezeichnet, eine Perſon wol, wenn fie diefe innere Eigen:
Schaft, Ddiefes Wefen bat. Cine. Gefellfchaft muß aber auch
äußerlih eine chriftlihe Form haben, cine Kirche fein. Dies
Bann fie nur Durch Aufnahme und Seftaltung derjenigen Kir:
chenformen, die aus der Gefhichte ein Recht entnehmen koͤn⸗
nen. Ob dies Alles vorhanden, lag dem Kammergerichte aber
nit vor. Dann aber tft ein chriftlicher Prediger ebenfo we:
nig etwäs. Gin Prediger ift Died nur in Bezug auf eine be:
flimmte Kirchengeſellſchaft; ein chriſtlicher Prediger heißt fo
viel als Bein jüdifcher oder mohbammedanifcher, was das Kam⸗
mergericht ebenfalls nicht zu enticheiden Hatte. Es iſt augen:
ſcheinlich, daß es nicht wußte, was cd mit dem Religionsedict
anfangen follte; darum hatte ed die Iangijährige ſtillſchweigende
Duldung der Gemeinden hervorgehoben, damit diefe dem Pre
Diger felbft zur Stütze gereichte. Der König caflirte das Er:
kenntniß und fegte dafür: daß der ıc. Schulz für einen pros
- teftantijch » lutherifchen Prediger nicht zu achten; ſolchennach
diefed Amtes bei den lutheriſchen Kirchen zu Giel&dorf rc. zu
entfegen. Dieſes Nefcript wurde Durch das zweite Urtel des
py atione ſegeis des Kammergerichts zu einen: Nechtdaus:
fpruche erhoben. Das Erkenntniß, lediglih auf das Religions⸗
ebiet geflügt, Tonnte nicht anders ausfallen. Es ift bier nicht
der Drt, Die Anwendbarkeit jenes Edicts zu prüfch. Hiermit
aber nahm Die ganze Angelegenheit ein Ende. Wir erfahren
nicht aus bem Buche, was mit Schulz weiter geworden und
wie das Ende feines Lebens gewefen fei. Der Herausgeber
fließt nur damit: es fei Pflicht weiter zu wirken an dem
Werke Iened mit männlicher Gefimung. Wir möchten es
aber für fehr ſchwer halten, nur zurudzufehren zu feinen
einfachen Principien, umd noch ſchwerer aus der deutfchen
Kirche der Geſchichte eine heimlich » friedliche Dorfkirche zu
machen. - I Marauarb.
—i
— — — — — —
Bibliographie.
Allgemeine deutfche Bibliothek. Neuefte Encyklopädie der
deutſchen Nationalliteratur. Die deutfchen Tlaſſiker von Gocthe
biß auf unfere Zeit. Iftes bis Ites Bändchen. Grimma, Ver:
lagöcomptoir. 16. a 2), Nor.
Bu ginger, Gefchichtlihe Nachrichten über die ehema⸗
lige Grafichaft und das Landgericht Dachau. Bis 1800. Mün-
hen, Franz. 1844. Gr. 8. 20 Nor.
Sonrad und Adelgis. Ein Mährchen. Berlin. 1845. 16.
1’r Ror. ' j
Eurtmann, W.,.Die Mäthjel des Lebens, ein Verſuch.
I. Jenſeits. Darmſtadt, Diehl. Gr. 5. 20 Nor.
Gabriele von Belle-Isle oder die verhängnißvolle Wette.
Schaufpiel in fünf Aufzügen. Nah A. Dumas übertragen
von 2. Dften. Hamburg, Berendfohn. 1845. 12. 15 ar.
Henrici, Das Leben der Heiligen, ein Glaubensfpiegel.
Erweckungen für Geiſt und Leben. Mit Titelkupfer. Leipzig,
Hartung. 1845. Kl. 8. 20 Ror.
Morig, A., März: Beilhen. Ein Kranz des Andenkens
auf das Grab feiner Minna. Berlin, Wohlgemuth. 1945. 8,
"1 Nie.
Müpler, 9. v., Geſchichte der evangeliichen Kirchen:
verfaſſung in der Mark Brandenburg. Weimar, Landes⸗
Induftrie: Comptoir, Gr. 8. 2 Thlr. 15 Nor.
‚ Rarrhalla>Lieder mit Bildern und Singweifen. Mainz,
Wirth. Gr. 16. 15 Nor.
Drtlepp, ©, Gefammelte Werke. Ifter und Iter Bant.
Winterthur, Literariſches Comptoir von Hegner älter. 1845.
Gr. 16, a 18 Nr.
— — Enriko und Blanka oder die Heirath aus Narbe.
Zrauerfpiel in fünf Acten. Winterthur, Literarifches Comp:
toir von Hegner älter. 1845. Gr. 16. 9 Nor.
Schellenberg- Biedermann, E., Ein Jahr aus Ur-
ſula's Leben. Winterthur, Literarifches Comptoir von Heg⸗
ner alter. 1845. 8. 1 hir. 24 Nor.
Zournefort, 3. v., Der Antihrift. Ein Gegenftüd
zu Gngen Sue's „Ewiger Jude“. Aus dem Franzoͤfiſchen.
Ifte Lieferung. Aachen, Cremer. Gr. 12. 5 Nur.
Walter, ®., Der Anacharſis des 13. Jahrhunderts.
Ein Sittengemälde der Vorzeit. Zwei Theile. Aachen, Cre—⸗
mer. 1345. 12. 20 Nor.
Zagedliteratur.
Ammann, %., Der Styl der römifchen Curie und der
fromme Betrug des heiligen Stuhls, biftorifh nachgewiefen an
einem hoͤchſt merkwürdigen römifchen Dokumente. Zte Auflage.
Baden, Zehnder. Gr. 16. Ti, Nor.
Die religiöfe Aufregung der Gegenwart, in befonderm
Bezug auf die Symbolfrage. Grimma, Beslagscomptoir. 1349,
. gr.
Baron, R., Zum confelltonellen Frieden! Ein Neujahr»
geub an Katholiten und Proteftanten. Breslau, Goſohorsky.
815. Gr. 8. 5 Ngr.
Baumgarten, Die Klug: oder fliegende Schrift des
A. ©. Frieder. Freih. v. Strachwitz, angeblich nur den katho⸗
.
en Prieſter Donge vor dem leſenden Volke befprechen?.
—— Schulz und Comp. 1845. Gr. 8. 2',
Dffene Beantwortung der Frage bed Hrn. P. er, ob
die Unterzeichner der Erklärung vom 15. Auguſt Baucbienert
Don einem Freunde ber Wahrheit. Berlin, Ihome Gr. 8
" Bemestungen über Stahl's Senbfchreiben gegen die Er
—— vom 19. Auguſt 1845. Berlin, Schulge. I &r.8.
N
5 ern e au A Dr. K. * it, Chef, vn * Reformations⸗
redigt, angegriffen von Kon riſt, vertheidigt von ꝛc.
—* Müller. 1845. 8. 74 Ngꝗr.
Collmann, C. 2, Ein Wort zur Erinnerung an den
100. Geburtstag Heinr. Peftalozzt's und an beffen erſtes Saä⸗
cularfeſt, nebft einigen Auffügen über die Peſtaloz;ai⸗Stiftung
und zwei Mctenftüden von 3. Falk über die Erziehung ver
wahrlofter Kinder. ae veränderte und vermehrte Auflage.
Kaflel, Bobnt Gr. 8. 15 Near.
Dos Definitivum des Hrn. Cporſchili in Betreff der Deutſch⸗
Katholiken. Beleuchtet und zurücdigewiefen von M. U. Leip:
zig. Einhorn. Kl. 8. TY Kar.
Franke, F. A , Schattenrib eines großen Reformators
oder Dr. Anton Iheiner nad) feiner Stellung in der Wiſſen⸗
Br und im Leben gezeichnet. Say, Hirſchberg. Ler.:8.
Freimund, A., Die Hiftorifchepolitifche Schule und Boͤh⸗
mer's geichichtliche anühten Gine deutſche Kritik. Berlin,
Schulge. 1845. 8 Nar.
Gabe der Liebe, 2 Herrn Sem.-Director Dr. F.
A. W. Diesterweg. dargebracht zum 3. Juli 13456. Von einem
Nichtlehrer. 2te Auflage. Meurs, Dolle, Gr. 8. 2Y, Ngr.
Gieſe, B. M., Bekenntniſſe eines Preigewordenen, mit
befonderer Beziehung auf Kämpfe's Beantwortung der Uhlich'⸗
fchen Belenntniffe. Altenburg, Helbig. Gr. 8. 16 Nor.
Glaubens : Belenntniß der nach dem Proteft vom 15. Mai
1845 zu Berlin” fid bitbenden Seit. atholiſchen Gemeinde.
Berlin, Wohlgemuth. Gr. 8. 3%, Nor.
Günther, F., Der Oetegenpeitkticte 2te Auflage.
Erfurt, Henningd und Hopf. 1845. Qu. 8. 10 Rgr.
Harms, Einer wider Einen. Cine Grttärung. Ham»
burg, Berendfohn. 1845. 8. 3%, Nor
v. Holgendorff: Bietmansüorf, Brief an den Land:
tags⸗ Abgeordneten ꝛt. Herin v. Arnim auf Eriewen bei Schwedt.
Berlin, Springer. 1845. Gr. 8. gr.
Johannes, Welche Zeit iſt's im Reiche Gottes? Grimma,
Berlagscompteir. 8. 71, Nor.
Zordan’s Bewußtfein über feine Schuld oder Unfchuld.
Siegen, Friedrich. Gr. 8. 1Y, Nor.
Julius, ©. Bankweſen. Ein neues Geſpenſti in Deutſch⸗
land. Leipzig, D. eigane. ®r. 8. 1 Zhlr.
Knöna ——— Sider den Kornwucher. Leipzig, Hart:
mann.
De Ronfikt in Woadtländiſchen Geiſtlichkeit mit ihren
Staatsbehörden, und ihre Verhandlungen vom 11. und 12. No⸗
vember 1845, welche den maſſenhaften Rüctmitt dom Amte
zur Folge hatten. Aarau, EhHriften. &r..8. 10 Nor.
Konrad, J. A., Die Idee Gottes ’aus dem Stantpunlte
der chriſtlichen "Offenbarungsiehre dargeftelt. Gin wiflenihafts
licher Verſuch. Baden, Höhr und Langbein. 1845. 8. Hi Kor.
Lauter, Nationales Zeugniß von Chrifto und für Chriſtum.
@ine Predigt über die Frage: Wie duͤnkt eu um Chriſto?
weß Sohn ifter? Halle, Schwetfchke und Sohn. Gr. 8. 3 Nr.
Lidco, G., Von dem Verhältniß der Geiftlichen au der
Antrittepredigt. Berlin, Bethge. 8. 2Y, Rar.
Luther's Lchen, Wirken und &terben in zwölf Driginalien
gefhildert von Melanchthon, Luther felbft, Juſtus Jonas und
andern Augen⸗ und Ohrenzeugen. Kurlerube, Braun. 8.
75, Nor.
Verantwortlicher Deraußgeber: Heinrich Brockhaus.
feſte 1845. Predigt.
— Druck und Verlag von F. E. Wrodbans in Leipzig.
Mager, Einrichtung und Unterrichtsplan eines . Bürger
Gymnafiums (Meal: oder höhere Bürgerfule).
Verlags » und Soräimenet-Bugbanbiumg. 10 45. Gr. 8. 15 *
Mann, G. F. Der Kampf des Bits mit ber Finſter⸗
niß. Gedicht. Weißenſee, Großmann. 1845. &r.8. 6Rgr.
Märtyrerthum der Dberin Irena Marrine Mieczyslaweka
und ihrer Beldensgefährtinnen. Aus dem Pranzöfiffen. Mit
einem Vorworte und dem Biltniß der Dberin Nieczvelawsko.
Augsburg, Schmid. Br. 8. 5 Nor.
Dppel, C., Joh. Heinr. —— Le Molin und
Birken. — a. W., 5 Ngr.
Orth, E., Jakob und —* Drei Predigten —E einem
offenen Scräben an an Hrn. Prediger Kunge. Berlin, Dehmigke.
1345. Gr. 8 Nur.
Darth, H. F. W., Der Herr ift der Beil. Wo aber
der Geift des Herrn ift, da iſt Freiheit. Rede an gebüdete
Ehriften zum einfachen und richtigen Verſtaͤndniß dieſes auch
in gegenwärtiger Zeit fo oft gemißdeutcten und gemißbrauchten
apoftolifhen Ausſpruchs. Berlin, Amelang. 8. 3 Rgr.
erez, Die Borfchläge des Oberconſiſtorialrathe Dr.
Snethlage und bes Abtes Dr. Rupftein zur Vereinigung der
den Kirche Deutſchlands. Grimma, Verlagtcomptoix.
Piper, ®. D., Der Pfarrer Guftav Adolph Wislicenus,
und die Bedeutung feiner Bekenntniſſe und Erlebniffe für die
Gefammtheit. Eine Zuſchrift an die „proteftanten. Halle,
Schwetfchke und Sohn. Gr. 8. 6
Ringeltaube, ©. 8, Daß Chin und der Zeit:
geift, oder Beleuchtung einiger Zeitfragen auf dem Gebiete
der Kirche mit den Worten der heiligen Schrift. Berlin,
Wohlgemuth. 1845. Gr. 8. 20 Ror.
Rothe, R., Chriſtus ift nicht gekommen,
— ‚, fondern das Schwert. Heidelberg, Winter.
— Saeıy, : J., Die Volksſchule. Didenburg, Schulze. 1545.
r. Nor.
Schönwetter, 9. 3., Was fıgt das Wort Gottes in
Betreff des ichtee, das unfree Kirche gegenwärtig noth thut?
— über 1. Mof. 1, 3, Kördlingen, Bed. Gr. 8.
3 r.
Sgubarth, EM, Da der epangeliſche Landmann
in alltäglichen Erfahrungen feined Berufs ein fehr wirkjames
Schugmittel habe gegen die Reuerungsſucht auf dem Gebiete
feines Glaubens und feiner Kirche. Arntefeftpredigt. Grimma,
Gebot, 18. Gr. 8. 3 Nor
ütz, W. v., Proteftantifiher Jeſuitenhaß und katho⸗
fer 3 Der Geſellſchaft Jeſu um ihren Freunden
gewicmet. Wugsburg, Kollmann. Gr. 8. 51%, Mor.
- Eine Stimme ans der Mitte der Theologie Studirenden
über Die ſächſiſchen Minifterialerlaffe vom 37. und 19. Juli
1345. Grimma, Berlagscomptoir. 1845. 8. 5 Rgr.
Herr M. A. Thiers und feine Geſchichte des Tonſulats
und Aailerreiht. keipzig. 12. 10 Ror.
Uhlich, Über den Amtseid ber @eifttichen. 2te Auflage.
Leipzig, Klemm. Kl. 8. 3 Rgr
— — Dffenes Sendfhreiben an bie proteftantifche deutjche
Conferenz in Berlin. Wolfenbüttel, Holle. 8. IR
Boldmar, &., Der höchſte Grundfag bes Chris,
der Reformation und des „freien Katholizismus der Gegenwart.
Siegen, FBriederih. 8. 21%, Nor.
Wern er, B., Unftecblichfeit, Heilige und Fegefeuer und
was etwa noch daran bängt, in einigen Umriffen für alle
eriſtenthum fegenden Rationaliſten. Darmſtadt, Kern. 1845.
Nor.
ei —— Zum Beften u si He Deu in Sannover.
nige Berfe an alle milden ilifter Deutfchlande. Darm-
ftadt, Kern. 1845. 16. Fra „
Bille, M.A., Der eoangellihe Chriſt am Reformations:
Reipzig, Klinkhardt. Gr. 8. 3 Nor.
Srieden u
Blätter. e J | J
für
litera riſche Unterh altung.
Sonnabend,
Leiſtungen auf dem Gebiete der modernen Epik.
(Beſchluß and Nr. TB.’ F
32. Balladen. Bon Karl Beidtel. Leipzig, Brockhaus.
1845. 8. 1Ihlr.
Die Inhaltsanzeige mit ihren piquant' überfchriebenen
Rummern ſowie ber erfte rhapſodiſche Durchflug der Balladen
ſelbſt erfüllte uns mit einem fehr günftigen Borurtheil für den
Berf., der bier fein erſtes "oc »epifches Debut zu machen
n ints denn es läßt fih nicht in Abrede ſtellen, da nur we⸗
ge Stüde in dieſer Sammlung find, durch Die nicht irgend
ein fchöner geiftreicher Gedanke, ähnlich einem abendlichen Wet
ferleuchten, zudte, ober uns ein cbenfo neues als reizendes
Bild uͤberraſchend vor Augen träte. Aber eine forgfältigere
Lecture zerflört dieſes guͤnſtige Vorurtheil und die Scattenkeite
des Buchs tritt mit einem gewiſſen Eclat hervor. Die Ba:
Ken laboriten nämlich fämmtlih an Dunkelheit. Man ver
Afiehe uns indefien recht. Wir rügen hier nicht die melando-
liſch⸗ trübe Färbung, die alle Stücke tragen — denn die Ballade,
um ſich von der heller zu haltenden Romanze zu unterfdeiden,
fol ja nach ber Theorie unferer Poetiker in eine ſchwermuͤthig
Dunfle Karbe eingetaudht fein —, fondern wir rügen hier die
Dunkelheit, Unklarheit und Unverftändfichfeit der Gebanken,
die und auf jeder Blattfeite entgegentommen und aller äftheti-
ſchen Genuß vergällen. Es find Stüde bier zu lefen, we
der Lefer feine Gefchidfichkeit im Errathen des Sinnes auf
die Probe ftelen kann, wo er aber doch ſchwerlich aufs Reine
oder vielmehr ins Helle fommt, z. B. „Aug’ um Auge” (©. 36)
und „Der falihe Heinzelmann” (8. 105). Diefe Dunkelheit
paralyfirt natürlich Den Eindruck des Geiftvollen und Unger
woͤhnlichen, den das Lefen diefer Sachen anfänglich auf unfer
Gemüth macht. Richten wir den Blick auf den inhaltlichen
&toff, fo finden wir eine nicht geringe Anzahl originel erfun-
dener Stuͤcke, 3. B. das erſte: „Die Fliegende Pet”, nimmt
ſehr ein und befticht und; aber im Verlauf der Lecture offen:
hart fich doch eine große Einförmigkeit des Inhalts und im:
mer wiederkehrende Ideen, Facta und Situationen. Die Haupt:
rolle fpielen immer und immer faft Jäger, Waflermänner,
Niren, Heren, und er betritt überall gern die Region des
Bunderbaren, Myſtiſchen und Gefpenftifhunheimlichen, worüber
er fi in einem Prologe vortrefflih alfo ausſpricht:
Auch macht fi hier und da der alte Glaube
An Geifter, Ahnungen und Träume gelten,
Und hebt bie Todten auß der Erbe Staube.
Das wilde Heer zieht durch die finftern Forſte,
Die Lurlei fipt auf hohem Klippenhorfte,
Der Tod Läuft überd Grab, bie Gnomen ſchelten,
Bulegt mit Schlüffeldund und Spitzenhaube
Tritt uns die Abnfrau an auß andern Welten.
Diefe Worte aber verheifen uns mehr als und gegeben wird,
und find viel beſſer ald die Schilderungen ſelbſt. Eins feines
Lieblingsthematen ift Die Treuloſigkeit des Maͤdchens, die einen
beſſern Fiebhaber und Freund kennen gelernt hat, 3. B. „Der
es uns alle
Kire Rache” (&. 159). Ahnlich find „Der weiße Ritter”. 33)
„Der Bahrgaſt“ (8. 171), „Die legte Zagd (8.67). „Die
legte Nacht (@. 147) iſt dee Anlage nach ein vortweffliches
&ujet, aber die Ausführung täufcht uns; der Berf. beherrſcht
auch bier die Klarheit der Gedanken und Bilder fo wenig, Daß
Augenblicke iſt als. ftänden wir vor der Räthfel
aufgebenden Sphinx. Der Sprade nad ift „Das verſchwun⸗
dene Brautpaar” (8.73) das geiſtreichſte Stuͤck aber der Verf.
macht es effectlos durch den unmotivirten Schluß und, Aus:
gang. Ebenfalls fchön ift „Dad Muttergottesbild“ (©. SI)
und „Aus der Schweiz” (8. 122), was freilih an &Geidl’s
„Hans Euler” allzu jehr erinnert. „Der Treudruch“ (S. 75)
wird zulegt dadurch, daB die Battin todt ift, völlig verdorben.
Schon if au das Peine fabelähnliche Stud ‚„Mutterliebe”
(S. 191). Was Bers und Reim betrifft, erlaubt fih Hr.
Beidtel viele Freiheiten; von kakophoniſchen Rhythmen ließe
ſich eine reiche Blumenlefe halten, und Reime wie Walde auf
halte, padt und gewagt, entzüdt und gewiegt find etwas ganz
Gewoͤhnliches. Auch die Sprache, fonft das Befte und, die
Lichtfeite im Buche, erlaubt fh Willkuͤrlichkeit und Ansmalien,,
welche bypergenial find; 3. DB. ſchmacherroten ſtatt erröthet,
gewunken ftatt gewinkt, entzunden ſtatt entzündet, ja gar ge>
malen ftatt gemalt. In Hinfiht der ihm eigenen Orthogra«
phie drängt * uns die Bemerkung auf, daß der Verf. ein
Feind des Spiritus iſt: er verbannt dad ehrliche deutſche h
gänzlich aus den Worten. Verſuchen wir, ob wir den Leſer
nad) ben bier gemachten Bemerkungen und Audftellungen ver:
föhnen können mit den epifchen Keiftungen des Hrn. Beidtel,
wenn wir bier das Stück mittbeilen, weiches wir für das Ju⸗
wei der Sammlung erflären:
Die fliegende Pe.
„Steb’, Alter, auf von jenem Grabeshuͤgel—
Der Froft verfilbert Buſch bereitd und Dede,
Zu Abend fehliehe ich ber Ihre Riegel
und fuche meines Bettes warme Dede.”
„Die hergebettet du zu ew'ger Ruhe,
Die Sonne war's in meinem Jugendlande,
Sobald dir Dedel fiel auf ihre Truhe,
War meine Hofinung, war mein Glüd zu Rande.”
Der Käfter laͤchelt; „Wunderlicher After,
Willſt du mit fremdem Misgeſchick dich quälen?
Komm in mein Hand, erſt fing’ ich einen Pfalter,
Denn will von diefem Mädchen il erzäßlen. — —
Es find wol fünfzig Jahre, daß mit Andern
Nach dieſes Staͤbtchens engen Haͤuferreihen
Ein Juͤngling kam nach jahrelangem Wandern,
um an der Lieben Anblick ſich zu freuen.
Der gelbe Strom, der Wirthe grüne Gilde
Erzaͤhlen ihm von taufend kecken Gcherzen,
Die Anabenzeit, bie wählige, bie wilde,
Lebt wieder auf in folnem warmen Pergen.
” #,
Und eines Voͤgleins denkt er blau wie Äther,
Wie Sonnenfrahlen glänzend, ohne Fuͤße,
Er folgte feinem Fluge, bis es fpäter
Verborgen fi in einem Mauerriffe.
Am Simfe Prod, dad Wunderthier zu fangen,
Ein Inder Rnabe er nah dem Verſtecke,
Doch wie er langt, er kann eb nidt erlangen,
Tief fipt dad Thier in dunkler Mauerede.
Erboft, daß ſeiner Hand ber Bund entwiſche.
Nimmt einen lafen Ziegel er vom Dache,
Zügt ſorgſam in die Fugen ihn ber Nifche
VUad geht entzoͤckt ob ber gelung’'nen Race.
Doc was geſchehen, quälte ihn allmädtig,
D5 lange er zum Iüngling aufgeſchofſen.
Das blaue Voͤglein, glänzend, wunberprädtig,
Es mat Ihn finfter, traͤumeriſch, verſchloſſen.
Aus jebem Haus fah es, aus allen. Spalten,
"Und nirgend Ruhe feinen fluͤcht'gen Sohlen,
Sich ſchabdlos für das Ungemach zu halten,
Will er ih nun des Voͤgleins Febern holen.
Und nad) dem Haus, in beffen Mauerlüde
Der Vogel einft gefloh’n, eilt der Geſelle,
Nach tem verkichten Ziegel ſpaͤh'n bie Blicke,
. „Da tft er, da, und das die Grabedftelle.”
Gr klimmt hinauf, geöffnet ifl die Mauer,
Der Vogel lebt, er fieht ihn blitzſchnell fliegen,
Da überlommt es ihn wie eiffger Schauer,
Wie er erwacht, fieht er im Bett fich Liegen.
Und fheuen Blickes fteht mit bleihen Wangen
"Sein Lieb vor ihm und ringt bie zarten Haͤnde:
„Des Baterd Auge hat dad Grab umfangen,
Der Mutter, ven Geſchwiſtern naht dad Ende.
‚Die Yelt . . die Pe! Die Gaſſen fill und öde,
Da warft der Erſte, der an ihr erkrankte,
Ein blauer Vogel beine einz’ge Rede
Als mir vor deinen Phantafien bangte.“ — —
„Gin blauer Bogelt” ... Die Doctoren wiegen
Die Köpfe, wie den Fall er ihnen beichtet:
Db’8 concentrirt Miasma vor? . . &6 liegen
Erempel vor, daß durch bie Luft es. leuchtet.’
„Um meine That, um meine Neugier müffen
Nun Tauſende in Todeſqual vergehen!”
Der Kranke ſinkt verzweifelnd in die Kiffen,
um fpät zu neuem Leben zu erfichen.
„Wo if dad Mädchen, dad zuerſt willkommen
Geheißen mi auf meiner Väter Boden?’
„Die Knechte frag’, die fie von bier genommen,
Und fortgefähleppt gleich taufend andern Todten.“
„Dein Muͤtterchen, wo bift du? Wo die Brüder,
Wo eine Hand, bie fonk die meine brüdte?
Nur kummerblaffe Leute feh’ ih wieder
Und ich, ber ihrer Wangen Furchen pflägte.”
Nicht Einer wi den Heimgekomm'nen grüßen,
Nicht Eines trinft mit ihm aus Einem Glafe,
Da fhättelt er den Staub von feinen Füßen
Und wandelt fernab elufam feine Straße.
Man fagte mir, auf Afghaniſtans Grde,
Im heitern Kaukaſus fei er geweſen;
Doch beimifh wurde er an keinem Herde,
Denn was er wollte kann er nie vergefien.
Auf jenem Grab die kreideweißen Roſen,
Die Schweſtern derer find's, bie feiner Lieben
Man fierbend in die Locken flocht, die Lofen,
Und baß fie eine Braut erfcheine drüben.
290
D’rrum, ſo ihe ein verloren Kind betrauert,
Da6 war der Stein nit, unter bem «ed mebert.
Nun eßt und triaft und in die Ede kauert
Cuch hin, wit feh'n, 068 im Kamine lobert.”
Der Alte rüber fi nicht. Der Küfter leuchtet
Ihm ind Gefñcht, erſchrocken ſteht er ſtille:
„Ihr ſeid der Mann, deſſ' Schickſal ich gebeidhtet,
So meine Sinne treu. Was Euer Wille?“
„Was ich gefucht, ich Habe es gefunden,
Zur leaten Stunde holet aus der Hammer
Und .Iedig deſſſ, was Andere gebunden,”
Geh’ Ih zur bleichen Liebe in die Kammer.”
Nun faͤllt dad Antlig auf die magern Bände
Die an des Tiſches Sehne ſich gehalten.
Auf vaterlaͤnd'ſcher Erb’ ein filed Ende,
Vott wachte über dad Geſchick des Alten.
23. Paulus. Geiftlihes Gedicht in zehn Geſaͤngen von Hein⸗
rih Alerander Seidel. Schwerin, Kürfchner. 1345,
Gr. 8.. 1 Zhlr. IS Nor.
Dieſes chrüftlich = biblifche Epos ſcheint und aus einem
doppelten Grunde einer forgfältigen Beachtung werth. Einmal
weil es in feinem bedeutenden materiellen Umfange von 934
wohlgebauten Dttaven fchon als eine Seltenheit auf Deutfch-
lands literariihem Bazar erfcheint. Wir haben zwar ebenfo
umfangreiche geiftliche Epopöen, aber Feine in ſolchem Geifte -
abgefaßte; denn Ruͤckert's allbekannte „Evangelienharmonie” tft
am Ende nichts weiter ald eine gereimte evangelifche Geſchichte,
in welcher des heiligen Driginald eigenthümliche Reize noch
obendrein oft verwifcht werden. Daß ift hier nicht der Fall,
Dann aber ift das Buch auch deshalb beachtensiwerth, weil
der Berf. der doppelten Anfoberung, die man an den geiftlichen
Dichter unferer Zeit macht, velllommen Genüge leiftet, bie
aber in unfern glaubensarmen und nur auf materielle Inter:
effen fich richtenden Tagen hoͤchſt felten erfüllt wird: der Sän-
ger des „Paulus’ verbindet nämlich Dichterifche Begabung mit
läubigem Sinne, @igenjchaften, die man nicht oft beifammen
3 2. Schefer in feinem „Laienbrevier“ und Sallet im
„Laienevangelium“ geben uns in diefen Schriften als veichbes.
gabte Dichter eine Fülle von poetifhen Anfchauungen und an-
ziebenden Gemälden; aber umfchnürt von den Banden einer in
fih fireng abgefchloffenen Schulweisheit Fehlt ihnen das dhrift-
lige Moment, der Glaube, und fomit find fie eben Beine echt
geiftlihen Dichter. Mit H. U. Seidel (wir wiſſen nicht, ob
er mit Heinrich Seidel, deſſen „Mofait” wir in Rr. 292
d, Bl. f. 1844 ruͤhmlich gedacht haben, tdentifch ift) verhaͤlt
ed ſich anders. Er gehört weder einer philofophifchen Schule
noch auch einer religiöfen Partei der Neuzeit an; es fehlt ihm
weder die Weihe des Dichters noch der Glaube des Ehriften.
Weiſen wir Beides im Werde felbft nach, wenn auch nur mit
wenigen Bederftrichen. Nicht eben der Paulus, den uns Lukas
in feiner Erzählung der Thaten und Schidfale der Apoſtel
Sefu vor Augen geftellt bat, wird uns hier gezeichnet, fondern
wir fehen das heroiſche Eharafterbild des wunderbaren Man:
ned aus Zarfus in Eilicien, wie es ald eigenthümliches Spie⸗
gelbild in die Seele bed Verf. gefallen ift; das ftellt er uns
in marfigen Zügen mit pfychologifhem Scharfblid und mit
großer Geſchicklichkeit, wechſeinde Zuftände und Stimmungen
der menfchlichen Gerle zu malen, vor Augen. Diefe Geſchick⸗
lichkeit offenbart ſich vorzugsweife im fechöten Gefange, ber
uns die Neue, Scham, Furcht und Selbftveracdhtung, und dann
wieder die Feimende Hoffnung, den fich belebenden Muth und
das neue Reben des von dem Herrn ergriffenen und umgewan-
beiten Helden in großartigen Zügen und mit pſychologiſcher
Wahrheit fchildert. Überdies webt auch bie dichtente produc⸗
tive Phantäfte manche Scene und mandes Ereigniß epiſoden⸗
artig mit ein, wovon in der heiligen Urkunde Bein Wort ftehe
und Peine Andeutung fich findet. Dahin geyört die Erſchei⸗
: mung der Mutter des Gtephanus, das Weilen bes Helden am
. .
.
2 %
Grabe diefes erften Blutzeugen, der Charakter des greifen Gar
maliel, des Lehrers Pauli, die anziehende Geflalt des Joſes,
mit welchem Paulus durch die Bande der innigſten Freund⸗
ſchaft verbunden erſcheint, welcher aber ſchon vor des Apo⸗
Bekehrung ſich zu Jeſus wandte, den Paulus ſpäter im
ſe des Lazarus und ſeiner beiden Schweſtern in Betha⸗
nien findet und der ihm zuletzt unter dem Kreuze Jeſu wie⸗
der verföhnt in die Urme ſinkt, die Schilderung der Mar⸗
sen, die Pautus zu Jeruſalem über einige Chriftenfinder
Eonrmen ließ, die Zatıfe des Wpoftels durch Ananias im Fluffe
bei DamasPus und des fanatiſchen Synagogenvor⸗
chers Simon zu Damaskus. Dabei zieht der Berf. nach alt⸗
epifcher Sitte Und Brauch die Maͤchte der Geifterwelt in bie
Kreife der handelnden GSterblichen; aber er bedient fich folcher
e aus dem NRüftbaufe Kalliope's mit einer gewiffen
Diseretion. So macht der Heilige des Evangeliums dem Hel⸗
den felbft und den Seinen feine Naͤhe nur ein paar Mal
fühlber und benedt die Stätte des Haufes, wo fie wetlen.
Ein überaus glüdlicher und poetifch gehaltener Bedankte ıft es,
daß der Geiſt des Stephanus bem Paulus in wichtigen Lebensmo⸗
menten als Engel mit dem Yalmenzweige, mahnend und warnend
im Unfange, und tröftend und ertmufhigend am Ende erſcheint. In
Der Rolle, die der Verf. den Satan fptelen läßt (denn wie dürfte
Diefe fehlen?), iſt durchaus nichts Verzerrtes und Barodes, wie wir
das in früher erfchienenen epiſchen Werken wahrnahmen.
Die Dlonomie, mit welcher der materielle Stoff des
Buchs eingetheilt und gegliedert ift, verdient alle ner:
Zennung. In den erften fünf Gefängen, deren jedem ein
bibliſches, feinen Inhalt andeutendes Motto vorangefegt ift,
fehen wir den fihnaubenden, in Satans Schlingen noch wan-
delnden, verbiendeten Saulus vor uns; in des Buchs zweiter
Halbſchied oder in den letzten fünf Gefängen Dagegen tritt
der durch Ghriftus gewonnene, in einem neuen Leben warn:
delnde Paulus vor und auf. Indeſſen umfaßt diefer zweite
Theil nit die Ihaten und Schickfale des Helden auf feinen
Miffionsreifen bis zu feiner Sefangenfchaft in Rom, fondern
ſchließt fhon mit dem Augenblid, wo Paulus in dem Kreis
der andern Apoſtel ald Bruder erkannt und als Mitarbeiter
im Weinberge ded Herrn aufgenommen und durch Gebet ge»
weiht wird, und wo er fi anfchickt, den Namen Jeſu zu den
Heiden zu tragen und das Kreuz in den Ringmauern klein⸗
Aatifher Städte aufzupflanzen. Den Referenten theologifcher
Blätter müflen wir es überlaflen, den ftofflichen Inhalt bes
Epos weiter zu erponiren. Dazu kommt nun die edle, reine
Sprache, die fliegenden Rhythmen (denn daß der Verf. Jeho⸗
vab bald als Daktylus, bald ale Anapäft mißt und gebraucht,
ift am Ende irrelevant), die euphonifhen Ottaven, die faft
durdgängig, reinen Reime, die richtigen Bilder und Verglei⸗
qungen! Rirgend ein profaifher Pafſus, eine Erfchlaffung bes
Flügels der Begeifterung! Ein Guß durch das Ganze von der
exften bis zur lehten Ottave! Kurz, ein Dichter hat das Buch
geichrieben; aber auch ein gläubtger Dichter! Er ift ortho-
dor, aber doch Fein Ultra; Fin Lieb preift den Herrn der Herr:
lichkeit in hoher Davidiſcher Begeifterung, aber er tändelt nicht
mit Worten, heilandelt und lämmelt nicht; er glüht für das |
Heilige, für das was droben ift und ewig währt, aber man |
ſieht, es ift Fein erheucheltes Glüben ober myſtiſches Träumen
und Binfeln ; er legt feinem Helden die Unfichten von der
Rechtfertigung, der Erwählung, der ftellvertretenden Genug:
thuung und der Erlöfung in den Mund, er ann aber ni
anders, wenn er biftorifch und piyholseifd treu fchildern und
Berichten will. Von feinem Glauben, und zwar dem echt lu⸗
therifchen, legt glei die Widmung an die evangelifche Kirche
Kunde und Zeugniß ab:
Durch Werke nicht wird jeder Menſch gereht.
Im Glauben nur an ein gekreuzigt Lieben
Grlanget Heil das fündige Geflecht.
Wie Paulus mit Menfchen» und "Engeljungen redet, ergibt
fich zunaͤchſt aus feiner begeifterten Anrede an Ananias nad
8
ber Taufe im ſiebenten Geſange van
theilen hieraus zur Probe einige Stellen mit, die der Verf.
den brieflichen Morten feines Helden an die Römer entnom⸗
men und rhythmiſirt hat (S. 224): .
Wiet zaget ihr? euch fhredt daB ferne Droͤhnen
Des Sturmeß, der auf Erdenwolken fährt?
Schreckt, Bräber, euch der morſchen Ruͤſtung Toͤnen,
Damit bie Welt ſich gegen euch bewehrt? a
Sähredt much der Spott, ber Büge giftig Höhuen, ...
Der Erdenſchmerz, der nur beu Leib verfehrt?
De, fhaut, woruntier und worauf ihr ſtehet!
Die Gnade trägs, euch ſchirmt das Kreuz erhoͤhet.
Iſt Bott für und, wer mag und wibetiireben?
Der nicht verfhont den eingebor'nen Sohn,
Der Uebend Ihn für und bahin gegeben,
Wie ſollt' er nicht wit ihm der Himmel Kron',
Und Alles ſchenken? — und der, und zum Leben,
Das Grab vertauſchte mit der Himmel Thron,
Wie follt’ er nicht, wenn feinen Weg wir geben,
Der Herrliche, zu unfrer Seite flehen?
Wer will beſchuldigen, die Gott erwählet?
Sa, Sott iſt Hier, ber machet und gerecht!
Und wer verbammen, die ibm zugezählet ?
Wer, frag’ ih, wer? o Satanskinder, ſprecht!
Chriſtus iſt bier, der ſich mit und vermählet,
Chriſtus iſt Hier, geſtorben ald ein Knecht,
Ja, Ehriſtus, der, erweckt und auferflanden,
Une nun vertritt, er madet eud) zu Schanden!
Wer will, o wer, von Gottes Lieb' und ſcheiden?
Träbfal und Angſt! Werfolgung! Hunger! Schwert!
Schmach! Faͤhrlichkeit! Gericht! des Kerkers Leiden?
9a, wuͤth' o Welt! — wir bleiben unverfehrt!
Die Liebe gibt und Sieg und Giegedfreuben,
Nicht Tod, nicht Leben unfre Bande fldrt; .
Nicht Engel, Fuͤrſtenthum, Gewalt kann ſcheiden
Von Gottes Eich’, die fi in Chriſto weiden.
O nimmer bangen wir, denn Abba ſchreit
Der Geil in und, den wir von ihm empfangen,
Der zeugt, daB und zu Kindern Gott geweiht,
Und Kinder ja zum Erbtheil einft gelangen.
Was achten wir der Leiden biefer Belt!
Dur; Leiden if zur Herrlichkeit gegangen
Dev und ertauft und trägt mit Liebesarmen:
Der Gnade Preis, dem ewigen Erbarmen!
Biel fehöner aber noch fchildert und Paulus das felige Gefühl
feiner Gemeinfhaft mit Ehrifto noch in demfelben fiebenten,
Gefange, der fo reich an großartigen und gottinnigen Gedan⸗
Een ifl. Wir erlauben und noch vier Stangen (S. 231) dar⸗
über mitzuteilen:
Sahſt du den Bräut'gam bie "Gefährten flieh’n,
Und zögernd geh’n, auf flilem Pfad verloren?
Sahſt du den Mann dem Hauſe ſich entzieh'n, ’
Darin ihm warb ber erſte Sohn geboren,
Und einfen wandeln? Sahſt du glüh’n
Den Helden, den fein Bolt zum ‚Dort erloren,
Am Abend, da ber Sieg gekrönt fein Streiten?
Dann magſt bu ihre Ginfamkeit wohl beuten?
Und war bir fchon, in ew’gen (?) Augenbliden .
Unenblih wohl im hodpgewälbten ‚Hain,
Wo nichts beengt der Serie Hocdentzüden,
Wo ſchoͤn ihr Sang bir widerklingt und rein?
Wo Geiſterſtimmen did ber Welt entrüden
Und Himmelöwiegenlieder fingen ein
Mit hehren Weifen von den buntem Bäumen
Sn Himmelsruhe, voll von Lebendträumen;
Wo Barer bu als bei dem klarſten Wachen
Das Leben ſchaueſt durch fein Hebelkfeib,
M
We Mi, was dir Gotted Molte
Gar wunderbar und deutiidy ſich eraent
Berborg'nes Licht mit Litern dich vurchſreent,
‚te, wie bad Blau durch grünen Deus Spalten,
Der Himmel lacht in deiner Seele Walten?
Dann ahneſt du, wa in dem Gegen webet,
Der ſtill für ſich die ſchatt'gen Gaͤnge geht,
Dei Grele hoch auf Tankienfiägeln ſchwebet,
Und fanft ſich wiegt, vom Gelfle augerocht.
Dada ahneſt bu dad Bied, dab in ihm lebet,
St ſelber ſingt und famwellend fi erhöht; .
‚Daun ahneſt bu bie Toͤne, die entſchwaben
1 Den Himmelöhöh’n, und darauf Antwort geben. .
Ganz gewürdigt, wir wiederholen es am Schlufſe diefer Rela⸗
tion, Seideis Werk bier nicht; aber unſer Wort zieht viel-
Leicht te Aufmerkſamkeit andere KRunftrichter oder des größeren
Publicums auf daffelbe und verfchafft ihm die Anerkennung
die ihm gebührt. 54.
Literariſche Notizen aus Frankreich.
Mignet’s Reformationsgefhichte.
Die nun fon feit Jahren mit Ungebuld erwartete Ge
fihichfe der Beformation von Mignet, der erjt neuerdings wie
der ia feinem „Antonio Perez‘ ein glänzendes Seugniß von
feiner hervorragenden Lünftlerifchen eftaltungegabe abgelegt
bat, wird nun als binnen kurzem erfheinend angefündigt. Wie
es heißt wird dieſes Werl, weldyes bereits unter der Preife
ift, fein. Thema mit einer gewiffen Ausführlichkeit behandeln.
an fptieht von zehn Bänden, aus benen es befteben fol.
Ber einigermaßen Gelegenheit gehabt, fi, wie Schreiber bie:
fer Beilen, von der Grünblichkeit zu überzeugen, mit welcher
der berühmte Geſchichtſchreiber der evolution feine Studien
über die Geſchichte des Reformationtgeitelterd Jahre lang be:
trieben bat, der wied fi gewiß von der bevorſtehenden Publi⸗
eation Ausgezeichnetes perſprechen. BZunächſt wich freilich fein
Wert wol ern naͤheres Intereſſe für Frankreich haben, in:
dem es der franzäfifchen Literatur an einer Darftelung der
Reformationsgeſchichte, welche den Foderungen der neuern Be:
fhichtfchreibung einigermaßen angemeflen wäre, immer noch ge:
bricht, obgleich dieſes Schema gerade neuerdings von verſchie⸗
denen Seiten ber zur Behandlung gewählt if. In ber Regel
waren die Vorarbeiten, aus denen biefe Werke hervorgegangen
nd, nicht genügend genug, wie denn namentlich, in diefem
junkte die unenblid) wichtigen Forſchungen beutjger Gelehrter
Frankreich faſt gar Feine Berudfihtigung gefunden haben.
Häufig aber auch fehlte e8 Denen, welche jih an diefe Unfgabe
machten, bdiefen wichtigen Beitabfchnitt, welcher den Anfangs:
punkt der neuern Zeit bildet, zu behandeln, an Reife des Ur:
theild und Gediegenheit der Gefinnung, welde allein der Ge:
ſchichte fo einflußreicher religiöfer Bewegungen dad Gepraͤge
einer würdigen Darftelung aufzudrüden im
diefe Eigenſchaften nun wird Riemand Anftand nehmen Mig-
net im reichlichen Maße zuzuertennen, welcher außerdem noch
damit die Vorzüge einer Pünftlerifhen Darſtellung verbindet.
Unter diefen Umftänden Tann man wol behaupten, daß der
franzoͤſiſchen Literatur eine wefentlihe Bereicherung beuorftcht.
Aber auch für Deutſchland wird dieſes Geſchichtswerk nicht
ohne Bedeutung ſein. Freilich werden wir hier wirklich neue
Reſultate, welche dem Forſcherblicke deutſcher Gelehrten bisher
gaͤnzlich entgangen waͤren, ſchwerlich zu erwarten haben. Aber
Mignet gehört offenbar zu den Schriftftellern, welche, wenn
fie fi) eine Gegenftandes einmal bemaͤchtigt haben, demfelben
immer neue Selten adzugewinnen willen. So werben gewiß
auch deutfche Leſer, wenn fie im Stande find, in einem hiſto⸗
rifhen Werke etwas Anderes zu fchen als eine rohe Auffpei- |
&erung einzelner Rotizen, das Werk, auf weiches wir glei
im voraus bie Afenttiche Stufnıerife
t unbefrie nd u
ei un efe u | ohne neue Anregung gefunden gu haben
tande find. Alle |}.
\nleit Binkenten möchten,
Baur franzöfifgen Provinzialgeſchichte.
Das Leben des verjdiebenen Theile von Frankreich ik viel
buntes und mannidfaltiger ald es gewöhnlich geſchildert waͤrd
Aus der Berne betradgtet ſcheint eb fa, als feien ſchon Die
—— des provinziellen Lebens in der Eentralifatkon,
welche von Paris aus ſich über alle Theile des Landes e
aufgegangen; tritt man aber näher heran, fo erblidt man fhaet
der verfhwimmenden Ginförmigfeit ein vielgegliedertes, vief-
fad abgefiuftes und zum Zyeil felbf höcft verfdpieven
Leben. Die charakteriſtiſchen Züge defſelben kann mon natıız»
lich nur entbedien und auffinden, wenn man Gelegenheit bat,
an Drt und Stelle fih von der Falfchheit der gewöhntidden
Behauptungen zu überzeugen, ober wenn man es nicht ver⸗
ſchmaͤht gu ſolchen Werken zu greifen, welche in diefer Bezie⸗
bung allein Belehrung gewährten fünnen. Ein wahres, tiefe
res Verſtaͤndniß eröffnet ſich aber uns au erſt, wenn wir
auf bie frühere Provinzialgeſchichte und auf die Entwidelung
und hiftorifche Geftaltung des provingiellen Lebens zurückgehen.
Einen intereffanten Beitrag zur Kunde einer der ‚wichtigen
Provinzen Frankreichs erhalten wir in folgender Schrift „L’Au-
vergne au Idicme niecle‘, von A. Maaure. Der Berf., befanmt
durch ein gediegenes Werk über die Geſchichte von Bearn, hat
fi nicht begnügt, die äußern politifchen Ereignifle, von denen
bie Auvergne berührt wurde, und bie hiftorifchen Momente,
welche im Schooſe diefer Provinz fich herausftellten, im allge
meinen Umriſſen zu zeichnen, fondern Die Aufgabe, weiche er
fich geftellt hatte, ging dahin, uns ein lebendiges Bild von
dem ‚reiben dieſer Gegenden während einer erfcheinungsreichen
Zeit des Mittelalter zu entwerfen. &o werden bier alfo bie
Sitten und Gewohnheiten, die abweichenden Formen der öffent-
lichen Inftitutionen, die Verhaͤltniſſe des alltäglichen Lebens
ebenfe aut beruckſichtigt aid die eigentlich hiſtoriſchen Bar
giterarifche Anzeige.
Allgemeines
Bücher-Rexikon ar.
Bon
Wilhelm Heinfins.
Neunter Band, welcher die von 1835 bis Ende 1841
erfihienenen Bücher und die Berichtigungen früherer
Erfheinungen enthält. '
Herausgegeben von
Otto August. Schutz.
Erſte bis ebente Zieferung, Bogen 1—70.
A—Leuchs.)
Gr. 4. Geh. Jede Lieferung auf Drudpap. 25 Ror.,
auf Schreibpap. 1 Thlr. 6 Nor.
Die erften fieben Bände des „Allgemeinen Bücher : Lerikon ’’
, von —— — 1812—29) find 4 aufammengenommen
r
im berabg ten Preiſe 20 Zyfr. zu erhalten;
werden einzelne Bände zu verhältnißmäßig erniebrigten Greifen
erlafien. Der achte Band, welcher bie von 1828 Bis Ende
, 1334 erflenenen Bücher enthält, koſtet auf Druckp. 10 Thlr.
I Rgr., auf Schreibpap. 12 Thlr. 20 Rgr.
Reipsig, im März 1846. .
Er A. Srockhaus.
Verantwortlicher Herausgeber: beinrich VBrockhand. — Druck und Berlag von F. X. Broddans in Leipzig. ,
Blätter
für
literarifde Unterhaltung.
Sonntag,
Suchen wir uns zunörderft von dem Titel „Künſtler⸗
Dramen’ Mechenfchaft zu geben, fo bat bexfelbe doc
nur dann eine erfaßbare Bedeutung, wenn wir anneh-
men, daß nicht nur bie innere Welt bes Künftlers eine
andere fei al& die der andern Menfchen, fondern daf
auch die äußern Erfcheinungen fih dem Künftler anders
darftellen und abfpiegeln als dies bei feinen Mitbrüdern
der Fall if. Don diefer Annahme, wenn auch bie
Hypothefe etwas ſtolz und kühn fein follte, gebt
denn der Verf. dieſer Dramen allerdings auch ans.
Er legt den Künftlern, welche er zum Vorwurf feiner
Leiftungen nimmt, eine gewiffe typiſche Grundform un«
ter, welche individuel nur geringe Abweichungen erfen-
nen läßt; er nimmt an, daß in gewiflen Grundzügen
des Weſens und bed Geiſtes alle Jünger der Kunft
übereinfommen. Alle feine Künftlerhelden find Natur⸗
menſchen, um die Welt und ihre Sitte nur wenig be
fümmert; alle fühlen lebhafter ald andere Menfchen Leid
und Freude; alle find ftolz, etwas fchelmifch und unzu-
verläfitg, fehr warmblütig und leicht reizbar; alle daher
ſtark der Liebe ergeben und gegen Diejenigen, welche fich
Das Anfehen geben, die Kunft zu verachten, höchft un»
erbittlihe und fehr gefährliche Widerſacher. Wir koͤn⸗
nen nun wol biefe Grundform zugeben; glauben jeboch
im Allgemeinen, daß der Verf. etwas mehr fubjective
Verſchiedenheit hätte gelten laſſen follen als er in „Bor-
caccio”, „Salvator Rofa’‘, „Pigault Lebrun“, „Garrick“
und „Hand Sachs” zur Darſtellung zu bringen für gut fand.
Die Mannichfaltigkeit diefer Geifter ift groß, in ben
zwei Theilen des Verf. erfcheinen fie faft wie ein fünf-
blattiged Brudergefchlecht, bei beffen Zeichnung er da-
von ausgeht, daß die Künftler ein gefonbertes Gefchlecht
für fi feien. Und er bat recht. Die innere Welt des
Kimftlers gleicht nur fih ſelbſt. Wie er glüht, Tiebt
und faßt, wie er eine ideale Welt aufbauend die reale
mistennt und geringfhägt, das tft ein Bild für ſich,
wenn es nur Jemand barzuftellen weiß, wie Goethe im
„Tafſo“; es tft ein Gemälde fo eigenthümlicher Art,
daß wir bie Anficht geiten Taffen müffen, es konne
eine befondere dramatiſche Künftlerform — das Künftler-
' Drama — mol geben und dieſe habe ein Recht für
ſich zu beſtehen.
nen fehl
So viel vom Jitel und ſeiner Berechtigung. Wir
erwarten nun in dieſen Dramen zu ſehen, wie der Fünfte
lee bie Höhen und Tiefen der Melt burchmißt, mie en
verwirft und von fich weiſt, was bie übrige Welt liebt
und bochfchägt, wie er dagegen ſchwaͤrmt und glübt fie
Das, was bei den Menfchen in Beinem Anſchen fleht,
mie er fih hingibt für iheale Lebensgüter und bie realen
Intereffen mit Füßen tritt, wie er auf ben inneren Nuf
laufcht und horcht, der an ihn ergangen ift, und für bie
Lockungen ber Sirene „Welt“ taub ift, wie er Him⸗
melsluft athmet und ber irdifchen um fich ber vergißs.
Dies Allee erwarten wir zu fehen; benn alles Dies ik
der befonbere Vorwurf bei diefen „Künftler-Dramen”. Wir
wollen nun befennen, daß ber Berf. nach einem mie billig
verfleinerten Mafftabe dies Alles auch im ber That zur
Unfcheunng bringe — wir fagen, in einem verkleinerten
Mapftabe im Vergleich zu bem, welcher etwa an Goe⸗
the's „Zaffo” anzulegen ift —, wie es fich für bie leichter
aufgefaßten Berhältniffe eines Schaufpield oder Luſtſpiels
paßt, und mit geringerer poetiſcher Betonung als fie im
„Correggio“ von Ohlenfchläger, im „Eamoens" und an⸗
dern verwandten Arbeiten anzutreffen if. Im Allgemei-
t benz Verf. niemals eine gefchidte Wenbung
des novelliftifchen Stoffe, der feinen Dramen zum Grunde
liege; feiner Handlung mangelt es in allen fünf Stücken
niemals an einem geiftigen Intereffe, und wenn auch,
in ber Richtung auf Zeit und Lebensfchilderung bin,
fein „dans Sache” beiweitem das außgeführtefte unter
diefen Dramen ift, dem an poetifchem Gehalt keins der
übrigen gleichſteht, fo find doch die kleinern und mehr
auf die Abrundung eines fcenifchen Stoff hinzielen⸗
den Arbeiten wie „Boccaccie” und „Balvator Roſa“
den Charakter treugeblieben, den wir in Vorſtehendem
von einem „Künftler-Drama” fodern zu dürfen glaubten.
Dagegen müffen wir einräumen, baf das Element bed
Wortwiges von dem Verf. völlig vernachlaͤſſigt if, und
bag in allen fünf Dramen eigentlich nur eine einzige
Scene im „Pigault Lebrun“ dies Element anbaute.
Wir mollen diefe Dramen nun ber Reihe nach, in
der fie und geboten werben, etwas näher anfchen, indem
wir von ihnen allen bemerken, daß fie, gut dargeftellt
294 '
ober raſch vorgelefen, einen günfligen Gindrud zurüd-
laffen und. ben Berf. in Dem, was'man gemeinhin als
„bühnengerecht ” bezeichnet, für einen Meifter erkennen
laſſen. Zuerſt alfo:
1. „Pigault Lebrun“, Luſtſpiel in fünf Acten. In
dein Leben dieſes luſtigen Romanautors der Franzoſen
lag wol am wenigſten Grund und Anlaß zu einer Aus-
tiefung ber eigenthümlichen Züge ber Künftlernatur in
dem Sinne wie wir fie nad) Goethe und Oblenfchläger
oben aufgefaßt haben. Inzwifchen finden fich doch die allge-
meinen Züge, heißes Gefühl, Unbeforgtheit, Schelmerei,
Stolz und Selbftüberhebung, die ſich viel erlaubt hält,
in dem Charakter des Helden genugfam wieber, um
menigftens nicht mit der Idee eines Künftler- Drama
in MWiderfpruch zu ftchen. Der flofflihe Inhalt iſt
kürzlich diefer. Pigault, der ein Mädchen, in Pflege
bei ihrem Verwandten Miraude, liebt, führt ſich bei die-
fem, der die Schaufpieler haft, ale Präaceptor für Fleu⸗
rette ein, gewinnt ihre Herz, wird von dem eiferfüchtir
gen Miraude entlarot umd flieht mit der Geliebten. In
Calais umftriden ihn Umftände, welche ihn nöthigen in
feinem eigenen Stüde auf. die Bühne zu treten. Das
dramatifche Intereſſe beruht hier auf der geiftreichen
Zeichnung einer Schaufpielerin Marion Lamotte unb
ihres Verehrers, des Oberrichters von Calais, und die
Verwickelung föft ſich durch die reizende Marion dahin,
bog Miraude erft für ihre Hand, und als ihm diefe
entfchlüpft, für ein Abdelsdiplom Fleuretten fahren läßt
und fie Pigault vermählt. Wir haben an dem Stüde
auszufegen, daß die beiden erſten Acte nicht nur ge
dehnt und gemöhnlich, fondern auch ohne den Abel in
den ‚Charakteren erfcheinen, der hier nicht fehlen burfte.
" Yigault nimmt viel zu viel von gemeinem Betruge auf
feine Schultern, als daß er uns hier zu gefallen ein
ein Recht hätte. Vom dritten Acte gewinnt der Stoff
jedoch eine andere Form. Die Handlung drängt fidh,
die Sprache wird um Vieles edler, der Vers lebhafter,
Intrigue und Charaktere erweden ein ungleich höheres
Intereffe. Das Bild der reizenden Marion ift vortreff-
lich aufgefaßt; ug, anziehend, eine äufßerft wigige, äu-
ßerſt vermöhnte franzöfifhe Schaufpielerin aus dem Le⸗
ben; ihr zur Seite bie Lomifche Geſtalt Lafont’s, des
Oberrichters, der für fie glüht und dieſer Leidenfchaft
fih im Gefühle feiner Würde fhämt. Kurz, die drei
legten Acte, in welchen Held und Dichter fi von ih⸗
ven Verirrungen läutern, gehören offenbar einem fehr
unterhaltenden, feinen und geiftreihen Luftfpiel an, ei⸗
nem jener Eonverfationsdramen, durch welche die Hof-
bühne zu Wien vor ganz Deutfchland glänzt. Allerliebſt
ift befonders die Scene bed dritten Acts zwifchen Lafont
und Pigault, zwifchen denen es zum Zweikampf kom⸗
men will und in welchem ber Crftere einen Poeten
alſo ſchildert:
Was allgemein Poet man nennt; das heißt:
Zwei Drittel Duͤnkel und ein Drittel Geift;
Ein wenig Wis, noch wen'ger Phantafie,
Am meiften lebensmüde Ironie;
Berfpottend Alles, was und Nugen et
Beftändig prahlend mit erlog'ner Kraft;
Und wieder en von erlog'ner Pein,
Und nichts verehrend als nur fi allein u. f. w. -
Zulegt bemerken wir dem geehrten Verf., daß
„des Adelsbriefs Erledigung”
in dem von ihm gedachten Sinne nicht deutſch iſt, ſon⸗
dern ein oͤſtreichiſcher Kanzleiterminus. |
2. „Boccaccio“, dramatifches Gedicht in zwei Acten,
bietet in Erfindung und Anlage zu einer wefentlichen
Austellung Grund und kann vor einer ftrengen Kritik
in diefer Beziehung kaum beftehen. Indem der Dichter
fingirt, daß Fiammetta, welche Boccaccio liebt, die „ver-
mählte Gattin” des Contarelli geworden fei ohne felbft
eine Sylbe hiervon zu wiffen, und daß Contarelli dies
Verhältnig durch feinen blogen Willen zu löfen vermöge,
gibt er fi) und uns ein Raͤthſel auf, das wir nicht
zu löfen wiſſen. Es ift faft unerflärlih, wie ein fo
bühnengeübter Dramaturg in einen fo feltfamen "und
leicht vermeiblichen Fehler verfallen konnte, welcher, ab⸗
gefehen davon, daß er die erhifche Kauterkeit feines Su-
jetd ohne Noth trübte, feine Erfindung zugleih allen
Anſpruchs auf Wahrfheinlichkeit beraubt, und ſchwer zu
begreifen, wie der Verf. nicht auf das Mittel verfiel,
einfach dadurch, dag er Kiammetta als die Verlobte bes
Contarelli Hinftellte, allen biefen Schwierigkeiten fofort
zu entgehen. Für die Wirkung des Dramas ging durch
biefe Anderung wenig oder nichts verloren; vielmehr das
Drama gewann erft Exiſtenz dadurch, daß die darge:
fielte Handlung zu einer wahrfcheinlihen wurde Bei
dem Fleiße, der fonft auf Ausarbeitung, auf Sprache
‚und Vers diefes Stüds verwandt ift, haben wir um fo
mehr zu wünfcen, daß es nicht für ein „non ens“ ge—
achtet und für immer vergeffen werde. So wie die Sa-
chen jegt darin ftehen, können wir nicht annehnten, daß
Iſabella recht habe wenn fie fagt:
Es ift ein Ausweg möglid — gebt fie auf!
Sie war ein Kind, ald fie vermählt euch wurde; -
Seit diefer Beit habt ihr fie nie gefeh'n.
Wenn fie und ihr die Trennung anverlangt,
So trennt dergleihen Ehen das Geſetz.
Wir zweifeln, daß das Geſetz der Kirche fo fpricht;
allein fpräche es auch fo, fo bliebe immer noch uner-
Härt, wie Kiammetta von biefer Ehe feine Ahnung ha⸗
ben kann. Genug, wie Sfabella räth, fo gefchieht es; in
dem Augenblid, mo die Treuen fi für immer trennen
wollen, erfcheint ein Deus ex machina, das Blatt Con-
-tarelli’s, das Fiammetta (Maria von Aquino) aufgibt.
Im Übrigen bat uns der Verf. in diefem Stüde weit
. mehr den Liebhaber und viel weniger den Dichter Boc⸗
caccio dargeftelt als wir wünfchten; denn die mittelbare
Schilderung, welche Francesco (S. 173) von ihm ent-
wirft, können wir als eine folde kaum gelten laſſen.
Durch ſich felbft und feine Handlungen foll der Künftler
in einem Sünftler-Drama zu uns fprehen. Am mei⸗
ften gefchieht dies noch durch die fiebente Scene im zwei-
ten Act, da wo Fiammetta fagt:
Du haft mich nie geliebt, das fühl’ ih nun!
und Boccaccio antwortet: on
So liebt die Blume nicht das Sonnenlicht,
Der Vogel nicht die Luft wie ich Dich liebe.
Fiammetta.
Und gibſt mich auf?
Boccaccio.
Weil es die Pflicht gebietet.
3. Eine reinere Freude gewährt das dritte der Dra⸗
. men dieſes Theils: „Salvator Roſa“, Luſtſpiel in zwei
Acten, unter dem Titel „Das Bild der Danae“ auf
vielen Bühnen gern gefehen. Hier ift eine leichte, bei-
nabe fee und dennoch) warme und wahre Erfindung
zu Grunde gelegt und mit fo gefälliger Laune und fo
viel natürlicher Anmuth ausgeftattet, dag das Stud in
feiner Gattung Mufter ifl. Salvator Roſa entdedt in
feinem Wundarzt ein Dalertalent, das aus Liebe zu
Laura, der Nichte des Akabemiedirectord, mit der Kunſt
ringt. Salvator nimmt fi des Armen an, indem er
ihm zum Ruhm und zugleid‘ zu der Hand feiner Laura
verhilft. Dies gefchieht mittels einer Intrigue, welche
etwas klarer und bdurchfichtiger fein konnte, die jedoch
ihren Zweck erreicht, den Oheim Laura's, in der Malerei
einen Stümper, zu befhämen und den Meiſter Ra—
vienna zwiefach zu frönen. In diefem Drama fpielt
die Kunft eine Hauptrolle, obwol der Künftler (Salva-
tor Rofa) nicht die des Helden, fondern jene des Intri-
guant zu übernehmen bat. Die Handlung felbft ift
voller Leben, raſch entwidelt und feſſelnd. Die Charaf-
tere, der geizige, eitle und liebeglühende Galmari, ber
fchelmifche, an Hülfemitteln unerfchöpfliche Salvator, der
fehüchterne, befcheidene Ravienna; fegen ſich gegenfeitig
in das ergöglichfte Spiel, und die Sprache, fein und
gewandt, frifch und farbenreih, zeugt dafür, daß der
Dichter mit Luft an diefem Stud arbeitete. Der Er-
folg wird nirgend fehlen; denn die Art wie Calmari
getäufcht, wie der Ged in ihm gefoppt wird, ift durch
und durch ergöglih. Mir möchten von diefem Stüde
fagen, daß es die GBeiftesforn des Dichters am treuften
und. reinflen wiedergibt und fomit feine „eigenſte“ Ar-
beit darſtellt; faſt mehr noch als fein weit mehr genann-
ter und befannter „Dans Sache”.
( Der Beſchluß folgt.)
— — ·· — — —
— — —
— —— —— — — —
Der taube Reiſende.
Es iſt eine bekannte Sache, daß die an der eigenen Wa:
tur des Individuums von diefem felbft Durch genaue und ftrenge
Beobachtung derfelben gefammelten Erfahrungen die werthvoll-
ſten Materialien zum wiflenfchaftlihen Bau der Pathologie,
der Phyſiologie und der damit im innigften Zufammenbange
ftchenden Piychologie darreichen, welche legtere ihrem wahren
Weſen nad) ebenfo eine Erfahrungs: und Raturwiffenfchaft ift
und fein muß wie Chemie und Phyſik, Anatomie und Medis
cin, die der Engländer viel richtiger wie wir Deutfche die phis
loſophiſchen Willenschaften nennt, während wir uns darin ge»
fallen, den Syftemen abftracter Gedantenfpeculationen, den Mes
tamorphofen ded in überirdifhen Sphären fich ergögenden
Denkvermögens, der alten Babel von der Gefchichte des Huts,
Diefen Ramen beizulegen. Wie die Heilfunft erft zur Wiffen:
(haft wurde, als fie aus dem Mebelkreife des Duadjalber- und
Pfufchertyums, aus dem Wahne böfer den Menſchen quälender
Geifter, aus dem Umulet : und Beihwörungsmittellram her
austrat, ſich mit der Auffaffung der Krankheitözeichen und ber
Auffindung ihrer ftofflichen Urfachen ‚befaßte, und die Wirkung
der Heilmittel an dem gefunden Körper zu erproben begann,
ſo kann auch die fogenannte Scelentunde erſt zur Wiſſenſchaſt
werden, wenn fie Den geheimnißvellen Dunftkreis eines über:
natürlichen und überirdifhen Dafeins verläßt nnd fih auf den
Boden der Natur und ihrer Erfcheinungen ftellt.
. Dieb fei beiläufig bei der Erwähnung eined Werks gejagt,
dad aus den obenängegebenen Gründen in phyſidlogiſcher Hin⸗
fiht von größtem Intereſſe if. Der Verf. deifelben Dr. J.
Kitte, bat unter dem Titel „The lost senses. — Deafness”,
eine Schilderung des Weſens der Zaubheit gelicfert, die er "
aus an fich felbft erfahrenen Beobachtungen gefhöpft, da er
in Folge eines töbtlichen Falles in feinem zwölften Jahre fein
Gehör verloren und den größten heil feined Lebens in cifri-
gen Studien zugebracht, um, wie cr fagt, „Die Merkmale -und
Eigenthümlichkeiten des tauben Zuftandes zu ermitteln‘. Da
er zu der Zeit, wo er nach tödtlihem Kranfenlager in Folge
jenes Falles von einer Leiter erkannte, daB er das Gehör ver:
foren, bereit lefen und ſchreiben Eonnte, jo befaß er die nothe
wendigiten Mittel zu fernerer Ausbildung, aber bezeichnend iſt
ed, daB die fortdauernde Zaubheit auch einen traurigen Ein:
fluß auf jeine Sprache äußerte, indem nad und nad) feine
Ausſprache in Eintönigfeit und Midton der eines geborenen
Zaubftummen, welcher fprechen lernt, ganz ähnlich wurde.
Auch machte das Sprechen ihm fehr viel Mühe oder Schmerz,
und er z09 es deshalb in frühern Jahren vor feine Gedanken
und Begehren ſchriftlich auszudrücken. Merkwürdig ift ferner,
daß die conventionnelle Umgangsſprache, die im gegenſeitigen
Verkehre der Menſchen oft die Stelle des Geſpraͤchs uͤber wirk⸗
liche Angelegenheiten einnimmt, ihn ſtets anwiderte und er es
nie uͤber ſich gewinnen konnte, feine Zuflucht dazu zu nehmen.
„Ich konnte“, äußert er in dieſer Beziehung, „wie ſehr ich
meinen Sprachwerkzeugen auch Gewalt anthun wollte, es nie
uͤber mich bringen Jemanden uͤber ſein Wohlſein zu fragen,
den ich geſund vor mir ſah; oder Redensarten mit Andern
über das Wetter zu wechſeln, und ihnen zu ſagen «Ss iſt ſehr
warn», oder «Ss iſt cin nebelichter Morgen», oder «Ss iſt ſehr
falt» u. ſ. w., wo fie ſelbſt fo gut wie ich die Sache bemer:
fen mußten. In gleicher Weife babe ich mich ftet6 der ge-
wöhnlihen Begrüßungen «Guten Tag, guten Morgen» u.f.w.
enthalten, die ich nicht herauszubringen vermochte. Ein ſchwei⸗
gended Riten mit dem Kopfe, ein Augenwinken, eine Verbeu⸗
gung oder eine Bewegung der Lippen, war Alles was ich ftatt
deffen zu thun im Stande war. Auch die Höflichfeitsphrafen
«sch danke Ihnen», «Werm ed Ihnen beliebt» ftanden nicht in
meinem Wörterbudhe, nicht aus Abneigung dagegen, fondern
weil id annahm, daß, wenn ich Alles gejagt hatte was wer
ſentlich nothwendig war, alle Ausbrüde der Höflichkeit fi von
felbft verftänden und daß aus meiner Art und Weife man mit
Gewißheit ſchließen müffe, daß ich alles Das fühle, was jene
Höflichkeiten ausdruͤcken ſollten ©
Dr. Kitto bat einen großen Theil Europad und Aſiens
Durchreifts es ift von Höchftem Interefle, feinen Beobachtungen
und Eindrüden auf diefen Reiſen zu folyen, wobei ihm manch⸗
mal der Mangel feines Gehoͤrs einen ſchlimmen Streich zu
fpielen drohte. ». Hören wir ihn darüber felbft:
. „Kür einen Zauben ijt das Reifen trog Allem nicht ohne
Gefahren und Schwierigfeiten. Ich bielt mich am Bosporus
in der Ortſchaft Orta Khoi, etwas über eine Meile von Kon⸗
ftantinopel, auf, zu deflen Vorftädten der Drt gezählt wird.
Ich pflegte von dort zu Waſſer nach der Hauptfladt zu gehen
umd auf eben diefem Wege zurüdzufchren. Eines Morgens wo
id) meine Spazierfahrt antreten wollte drohte der Himmel mit
Regenz aber ich nahm meinen Regenfhirm und machte mich
auf den Weg. Als ih am Strande anfam, fihien es al
296
wenn alle Boote abgefahren wären, und es blieb mir nichts
übrig, als mein Vorhaben aufzugeben, oder zu wu den We
. entlang zu geben, der augenfcheinlich hinter Pen Gebäuden un
öfen, welche den Bosporus einfchließen, nach dem Biel meiner
ahrt binführte. Ich war nicht weit. gegangen als es zu reg:
nen anfing; ich fpannte den Regenfchirm auf und trollte vor-
waͤrts, während mie in einiger Entfernung ein alter Türke in
gleicher Lage folgte; denn es muß bemerkt werden, daß in und
um Konftantincpel Die Leute dergeftalt gewohnt find ſich der
Bafferfahrten zu bedienen, daß ber Gebrauch der Pferde in
Feiner morgenländifhen Stadt weniger üblich tft alß Dort. Es
begegnete mir nichts bis ich Hinter den fhönen Sommerpalaft
von Dolma Baltfche gekommen war, deſſen Vorderſeite oft
_ meine Bewunderung etrege hatte, wern id zu Waſſer hinauf
oder hinunter gefahren war. Hier bedeutete mic die Schild:
wache auf ganz eigenthümliche Weife, die ich nicht verftehen
Eonnte. Sie hatte wahrſcheinlich etft mich angerufen, aber ver:
geblih. Da ber Soldat ſah, daß ich mich nicht darum küm⸗
mere, eilte er in fehr heftiger Bewegung auf mid) zu und hielt
fein Bayonnet mtr. dicht vor die ruf, als der gutmüthige
Tuͤrke, welcher mittlerweile mich eingeholt hatte, mich eben
nicht fehr höflich von hinten anfaßte, und mir den Regenfchirm
berunterriß. Nachdem er einige Worte mit ber Schildwache
gewechfelt, ward mir geftattet unter jeinem Schuß vorüberzu:
eben, biß wir außer dem Bereiche der Vorhöfe des Faiferlichen
uftfchloffes gefonrmen waren, wo der Tuͤrke feinen eigenen
Regenſchirm aufipannte und mich bedeutete, ein Gleiches zu
thun. Dadurch und durch die Zeichen, die er zur Erklaͤrung
diefes feltfamen Auftritts machte, entnahm ich denn Deutlich,
daß Alles von wegen des Regenfchirms geſchehen war. Dieſer
. Gegenftand nämlich, in regnichten Himmelsſtrichen von fo gro:
Sem Nugen und in allgemeinem Gebrauch, ift im Morgenlande
eine fürftliche Ausgeichnungs und obwol der Gebrauch zu ge:
woͤhnlichem Zwecke fih auch in Konftantinopel eingefchlichen,
fo wird doch angenommen, der Padiſchah wiſſe nichts darum,
und der Regenihirm darf in feiner Gegenwart und beim Bor:
übergehen vor einer Der Nefidenzen des Sultans unter Peiner
Bedingung aufygefpannt werden. Un demjelben Tage wurde
ih in, Vera länger als ich erwartete aufgehalten und es war
dunkle Nacht geworden, als der Rachen, auf dem ich zurüd:
Behrte, bei Drta Khoi anlegte. Nachdem ich das Yahrgeld ent:
richtet hatte und meinen Weg längs der Bai fortfegte, folgten
mir die Bootleute und gaben fih Mühe, zwar auf ziemlich
nachdrückliche Weiſe, aber durchaus nicht unhöflich, mir etwas
deutlich zu mahen. Mir fchien aber, als wollten fie noch et:
was mehr Als das ihnen gebührende Fahrgeld von mir erpreffen;
und da ich wußte, daß ich ihnen den richtigen Betrag verabfolgt,
fo befchloß ich mit dem ganzen Haf Sohn Bull's gegen Erprefr
fung nicht einen Deut mehr zu geben. Der Streit zwifchen uns
rief einige Soldaten des reyulairen Militairs and dem nahen
Wachthauſe herbei, die die Partei der Schiffer ergriffen; denn
als ich es verfuchte meinen Wen fortzufegen, weigerten fie fich,
mir ſolches zu geftatten. Hier war ich in einem wirklichen Di-
lemma und fing eben an zu vermuthen, daß es fi) um noch etwas
Anderes als daB bloße Kahrgeld handle, als ein Türke, dem
Anſchein nach von höherer Stellung, herbeifam und die Sol
daten, nachdem zwifchen jenem und ihnen einige Worte gewech⸗
felt waren, veranlaßte mich ungehindert weiter zu laffen. Wis
ih aber die Hauptftraße des Fleckens binaufging, wurde ich
durch ein von oben mit großer Gewalt herabgeworfenes ſchwe⸗
res irdenes Gefäß, das auf dem Pflafter dicht vor meinen Fü-
Ben in Scherben zerfprang, in großen Schrecken verfegt. In
bemfelben Augenblick hagelte es, während ich meinen Weg
fortfegte, von allen Seiten um mic)
Ihüß, das zu Scherben ging. Es ift ein Wunder, daß mir
bei diefer Gelegenheit das Hirn nicht eingeſchlagen wurde; ich
trug nur einen fchmerslihen Schlag zwifchen den Schultern
"davon. Als ich das wirthliche Obdach erreichte, unter dem ich
Rückkehr gerade den Aben
von ähnlichem Wurfge⸗
meinen Wohnſitz aufgefehlagen, erfuhr ih, daß ich zu meiner
d getroffen hatte, an deu die Arme⸗
nier, welche ben größten Theil der Bevölkerung des Fleckens
bilden, ihre Häufer von den böfen Geiſtern fäubern, indem fie
mit gewiffen lauten Ausrufen, die den oribergebenben ju=
leich als Warnungen dienen follen, irdenes Gefchirr zum Fen⸗
-tter binauswerfen; aber troß diefer Warnungen ift das Gehen
in den Straßen in diefer Seit fo gefährlich, dag kaum Jemand
wagt, fi auf der Straße blidden zu loffen, fo lange biefe Teu⸗
felaustreibung ftattfindet. Das Richthören der Warnungsrufe
machte meine Lage Doppelt. gefährlich, und mein Entlommen
aus diefer Gefahr ſchien den Leuten deshalb mehr als merk:
würdig; auch muß ich geftehen, daß ich gleicher Meinung war,
als ich am andern Morgen die ungebeuere Menge zerbrochenen
Geſchirrs fah, womit die Straßen bedeckt waren. Wahrſchein⸗
lich hatte der Auftritt an der Bai feinen Urfprung in ber
wohlmwollenden Abfiht der Bootführer und Soldaten, zu ver:
bindern, daß ich mich diefer Gefahr ausfege. Aber es beftand
auch eine Verordnung, die verbietet, daB Jemand des Nachts
ohne Laternen in den Straßen fih blicken laßt, und ihre Ab⸗
fiht war vielleicht, mich zur Beobachtung diefed Gefeges zu
zwingen, befonders da eine Laterne mir ın diefer Racht zum
Schug gedient haben würde, indem die Zopfzerbrecher dadurch
von meiner Anweſenheit in der Straße in Kenntniß gelegt
worden wären.” 26.
— — — — —— — —
Notisz..
Der Reugrieche Reophytos Dukas.
Der zu Anfange des gegenwaͤrtigen Jahres in Athen ver⸗
ſtorbene Neophytos Dukas war einer der gelehrteſten Griechen
unſerer Zeit. Aus Epirus gebürtig bekleidete er früher, im
den erften Wirren ded gegenwärtigen Jahrhunderts, zehn Jahre
lang die erfte Rehrerftelle an dem feiner Zeit ausgezeichneten
Lyceum in Bukareſcht. Sein Patriotismus ließ auch ihn wie
fo manchen andern Griechen der neuern Zeit die Krüchte fei-
ner Gelehrſamkeit und literariſchen Zhätigfeit auf den Altar
des Waterlandes nicderlegen, indem er die von ihm beforgten
Ausgaben alter Elaffifer unentgeltlich in den Schulen Srieben-
lands und unter der bedürftigen aber lernbegierigen Jugend
vertheilte. Bon 18060 — 15 gab er auf feine eigenen Koften
über 40 Detavbände, unter Anderm den Zhucydides in 10, Ar-
rian in 7, den Chryſoſtomus in 3, Die attifhen Redner
in 10 Bänden, ferner Upollodor und Herodian, fpäter, 1818,
Aſchines, im 3. 1834 und folgenden, nachdem er nad dem
freien Griechenland zurüdgekehrt war, eine Rhetorik, Logik,
Ethik, Phyfif und Methaphyſik, ſowie den Sophofles, Euri⸗
pides und Homer, theilweile mit Überfepungen, heraus. Au⸗
Berdem hat er namentlich eine Pädagogik in drei Bänden (1813),
ein Magazin für Kinder in zwei (1814), fowie fpäter (1835)
„Eriivicı zo0s, day onuus arpı drayopmy noayuarmr‘' in
zwei Bänden druden laflen. Sein Griechiſch, das er ſchrieb,
näherte fih biß zu einer, für das Volk und für Diejenigen, für
- welche er zunächft ſchrieb, nachtheiligen Unverftändlichleit dem
Altgrichifhen, und er war in Anfehung der Art und Weile,
die neugriechiiche Sprache zu verbeifern, ein erflärter Gegner
bes Koraid, der diefelbe durchaus auf das Altgriechifge felbft
zurüdgeführt wiflen wollte. Auch hatte er bereit im 3. 1804
eine methodifchere Grammatik der altgriechifchen Sprache unter
dem Zitel „Teoyessa" herausgegeben, die 1803 in zweiter,
nach und nach in einer fechöten Ausgabe erfchienen und gegen.
Korais gerichtet war, übrigens aber das Stubium ber altgrie-
hifhen Sprache ſehr erleichterte. Befonders war Reophytos
Dukas in früherer Zeit vielfah und eifrig bemüht,
Errichtung von Schulen in feinem Daterlande zu veran-
Nlaſſen. 5.
Berantwortlicher Herausgeber: Oeinrich Brockans. — Drud und Verlag von F. E. Brockhans in Leipzig.
r
Blätter
für
Titerarifde Unterhaltung.
Künflterdramen. Bon Ludwig Franz Dein»
barbftein. Zwei Suede.
(Beſchias aus Mr. 74.)
4. „Hans Sachs”, dramatifches Gedicht in vier
Acten, eröffnet den zweiten Theil biefer Sammlung.
Es ift über diefe Arbeit im lobenden wie tabelnden
Sinne fo viel gefagt worden, dag wir baräber um fo
raſcher hingehen können. Man hat namentlih daran
ansgeftellt, daß ber Poet ber Herrlichkeit des Mittelalters
nicht Gerechtigkeit: erzeugt und daß er ben „Schuſter“
zu fehr, den „Dichter zu wenig in feinem Helden her⸗
ausgeftellt habe. Gegen beide Vorwürfe glauben wir
ihn in Schutz nehmen zu möüffen. Uber bie vermeint-
liche Herrlichkeit des Mittelalters, die Macht und ben
Elanz Nürnbergs 3. B. mögen wol erhebliche Täuſchun⸗
gen obmalten und das Banze mag volllommen fo viel
Kieinftädterei und Jammer enthalten haben ale an dem
Bilde des Verf. gerade getabelt worden if. Es fpricht
bier eine Parteianficht, der wir nicht beizutreten geneigt
find. Was aber die Zoderung betrifft, daß Hans Sache
mehr dichtend Hätte auftreten follen, fo iſt zwar nicht
ganz zu leugnen, daß der Sache des Verf. zumeilen
ald eine etwas profaifhe Natur auftritt; allein es lag
gerade fowol in dem Gefeg des Contraſtes als in dem
Douppelbilde, das die Hiftorie uns von dem Meifter gibt,
daß es richtig war, in ihm wefentlih den Bürger und
nur ausnahmsweife den Poeten zur Darftellung zu brin-
gen. ‚ Richtsdeſtoweniger geben wir zu wie es flörend
iſt, baß gerade das einzige ganz poetiſche Fragment in
dieſem Stück, die Erzaͤhlung von dem Juwel, dem Kai⸗
ſer Maximilian in den Mund gelegt iſt. Der Gang
der Fabel iſt bekannt; ſie iſt, was ſie ſein ſoll, einfach,
anmuthig, ſelbſt, was heutzutage ſo überaus ſelten
gelingt, hin und wieder naiv. Goethe hat davon
geſagt:
Und hingeſchrieben mit leichter Hand,
Als ftünd’ es farbig an der Wand,
Und zwar mit Worten fo verftändig,
Als würde Bemaltes wieder lebendig.
Einem ſolchen Lobe ift nichts Hinzuzufügen, mas
noch von Wirkung wäre; es fei denn dies, daß es un.
gemein ſchwer ift, einem Charakter fo lange Zeit hin⸗
durch alle Farben der ,, Kindlichleit"‘ treu zu bewahren,
16. Mär; 1646,
— — — ——
wie bier mit Hans Sachs geſchicht, ohne in das Abge⸗
ſchmackte und Lächerliche zu verfallen. In dieſer De
ziehung iſt dies Drama ein Kunſtwerk, dem wenige
ähnlich ſind, das für den Verf. Zeugniß gibt von dem
Befig eines eigenen Pinfeld und eined Barbentones, ben
er mit Niemandem theilt. Citate und Belege hierzu kä⸗
men zu ſpät; allein es Tann nicht umgehörtg gefunden
werden, wenn wir als ein würdiges Bruchſtück ſchöner
Neflerionsporfie aus dem trefflihen Monslog des Hans
Sachs im erſten Act folgende Stelle bier für den
Berf. reden laffen:
Komm doch zur Ruh’, bewegt Gent !
Du mußt dies Treiben unterlaffen.
Venn's gar fo heftig in bir qlübt
Kann ich 8 ja nicht in Worte faſſen.
Undenkbar faft erfcheint es mir,
Wie And're oft fo ruhig dichten;
Die volle. Brufk zerfprengt mir's ſchier,
Muß ih den Sinn auf Höh'res richten.
Die Nacht mit ihrem Sternengelt,
Der Tag mit feinen Blütenzweigen,
Die ganze Tieberfüllte Welt
Schau ih ih mir entgegenneigen.
Ih feh' vor mir gar fenderbar
Die Menfchen durcheinander treiben,
Und von der heißbewegten Schar
Wil Eeiner mir dahinter bleiben. ..... —
Hilf du mir fpäter Träume weben,
Jetzt zieht Das Herz mich Hin gu ihr —
Dort wartet mein eim ſchoͤn'res Leben;
Wer recht geliebt, verfennt es nie:
„Lieb ift bie höchſte Poeſie!“
Wir meinen doch, baf jenem Vorwurfe einer allzu
proſaiſchen Zeichnung feine® Helden gegenüber Dans
Sachs fi bier ziemlich gut und wirkſam als Poet
zeichnet, mindeſtens als Gingeweihter jenes unbewuften
poetiſchen Triebes, der den dichteriſchen Naturlaut ſucht
und findet. \
5. „Garrick in Briſtol“, Luftfpiel in vier Acten, mit
welchem der zweite Theil ſchließt, Hat fih kaum gerin-
gere Beltung auf der Bühne verfhafft als „Hans Sache“,
obgleich nad) Stoff und Inhalt einem gan andern Kunft-
gebiete angehörig. Tendenz und Führung der Fabel
fielen e8 dem „Pigault Lebtun‘‘ zur Seite, mit dem es
mehre der Hauptcharaktere gemein bat. Bor diefem bar
es jeborh eine von vornherein lebhaftere Scenenfolge, ein
x
reicheres Bühnenintereffe in der Darfiellung eines viel-
geftaltigen Schaufpielers und eine größere Wärme in
den Berhältniffen voraus, während es an Sprachge:
wandtheit und dramatifchen Localeffecten alle andern
Arbeiten bed Verf. hinter fih zurück läßt. Sowol ba
wo Garrid in der Maske des Kritikers Sohnfon auf-
tritt, ald wo er duch fein Spiel das Stud feines
Schuͤtzlings Frondham, das jeboch ber betrogene Hild für
fein eigenes gelten laſſen möchte, bald hebt bald fallen
läßt, ift die Intrigue von der ergöglichften Art und bie
Seelenmarter des atmen Gefoppten von burchaus komi⸗
ſcher Wirkung. Nächdem der Feind ber Schaufpieltunft
zu dem Außerſten gebracht worden ift, ſelbſt das „Lam⸗
penfieber” zu beftehen, fehen wir den redlichen Frondham
duch Garrick's Kunft beglüdt und hören befriedigt, daß
ihn Hild ſelbſt zu der Laufbahn einfegnet, die er ver-
laffen will, indem er fagt: |
Denn für die Qualen, die der Mufen Gunft.
Mich finden ließ, erkenn' ih mich zu ſchwach.
Ihr geht nach London gleich, ich folg’ euch nach,
Und lebe dort genie ßend nur der Kunft.
Wir faffen diefe Überficht gern dahin zufammen, daß
ber Berf. in diefen „Künftler- Dramen“ ein Feld ange-
baut hat, auf dem für ihn erfreuliche Früchte wuchfen.
Der Geift des Dramas hat fi) in unfern Tagen fo
feltfame Formen gefallen laſſen müffen, er ift in diefen
Bermandlungen fo fonderbare Misverftändniffe durch⸗
gangen und hat fo viele leere Hüllen und Gewänder
Angenommen, daß es erfreulich ift, auf einen Drama-
turgen zu treffen, der feine Gedanken in fefte Ordnung
gebracht hat und der feine Geftalten nach gefunden Na-
turanfchauungen zeichnet, und es nicht verſchmäht, an
feine Erfindungen, bevor er fich in fie vertieft, den Maß—
flab einer einfichtigen Kritik anzulegen. Seine Arbeiten
find ein Wert der Erwägung, nit des unbewußten
Triebes; fie fprechen die Kenntniß der Kunft mehr ale
den Impuls des Genius aus, fie athmen Beinheit,
Sicherheit und Geſchmack mehr als fie nach bem Unge⸗
wöhnlichen, Unerhörten unb Überrafchenden ringen. Seine
Sprache ift ein natürliches Abbild der guten Conferva-
tion, feine Charaktere liegen in dem Kreife ber Gefell-
fchaft, die uns bekannt ift, und geht fein Ziel auch
nicht auf ethifche Erfchütterungen hin, welche Gewittern
gleich die Menfchenfeele reinigen und läutern, fo erreicht
er doch die Aufgabe, durch Reiz zu belehren, duch Wit
zu ftrafen, durch Anmuth zu böhern Gedanken zu erhe⸗
ben. Seines Zwecks ſich ſtets und voll bewußt, flieht
er die Abgründe und Klippen zur Linken wie zur Redh-
ten und lenkt das Schiff feiner Kunft gleichweit von
der Chargbdis der Alltäglichkeit wie von der Scylla des
Unerhörten einem fihern Ziele zu. So ift er.einer ber
anfehnlichiten und beften Pfeiler ber Kunftgattung ge-
worden, die mit der Bezeichnung bed Converſations⸗
dramas auf der Hofbühne feiner Vaterſtadt in langem
und berühmtem Anfchen fteht, den Fremden zum Genuß,
den Einheimifchen zu gerechtem Stolz, zu einer Zeit, wo
die Spufgeftalten, weldhe auf andern großen Bühnen
ihr regelloſes Wefen treiben, den Kreis der wahrhaft
Gebildeten mehr und mehr von jenen entweihten Räu-
men entfernen, welche ehemals im beutfchen Leben eine
fo große Bedeutung hatten. Und in der That — fol an
eine wirkliche Regeneration der beutfchen Bühne gedacht
werden, wollen wir in ihr etwas retten, das wenigfteng
den Schein von etwas Nationalem an fi trage —, fo
kann es nur gefhehen durch den Anbau derjenigen Gat-
tung des Dramas, welcher ber Verf. die bier befproche-
nen beiden Theile gewidmet hat. Es wäre zu wünſchen,
daß die zur Rationaluntugend gewordene Scheu vor dem
Anlauf dramatifher Sachen nicht fo groß unter und ges
werben wäre, damit diefe in vielen Beziehungen als
Mufter zu bezeichnenden Dramen in recht viele Hände
gelangten unb fomit an ihrem Xheil dazu beitrügen,
ber Eläglichen Gattung des auf bloßen Sceneneffect be-
rechneten Dramas oder dem noch bebenflichern Jammer
der franzöfifchen Sentimentalität einen Damm entgegen-
zufegen. 19.
Literarifche Notizen aus England.
Ein neuer Roman Cooper's.
Faſt gleichzeitig mit Lytton Bulwer erfchredite Zenimore
Cooper die Romanleferwelt durch die Nachricht, daß er „in vor:
liegendem” feinen lesten Roman gefchrieben. Erſterer hat bisher
Wort gehalten, Letzterer nicht, ſei es daß die Anzeige ihm
nicht Ernft gewefen oder der Geift in ihm zu mächtig und ber
Schreibedrang unwiderftehlid. Sein wortbrüdiges Product
heißt „The chain bearer; or the little page manuscripts.
Edited by the author of the Spy, etc.” (3 Bde., London
1845). Das Edited” fol den Wortbruch bemänteln; 's will’s
aber halt nit thun. Und wer einem literarifchen Berfprechen
oder Vorfage in einer Weiſe untreu wird wie Cooper es ge»
worden, braucht darüber nicht zu erröthen. Wahrfcheinlich
wird Beine Kritik und Bein Leſer den „Kettenträger“ für Coo-
per's befte Dichtung oder auch nur für die naͤchſte nad feiner
beften erflären. Hätte ex aber nie eine beflere geſchrieben, er
würde doch den Rang eined der erften Rovellendichter unferer
Seit verdienen. Cooper ‚wird alt. Das bezeugt fein Geburts»
jahre 1789, Er ift auch alt als Schriftiteller, denn obfchon er
erſt in gereiftern Iahren zur „Federfahne“ gefchworen, bient
er doch ſchon lange. Damit hören aber die Merkzeichen feines
Altwerdens auf, wenigſtens für den ihm fern ftehenden Leſer
feines „The chain bearer“. Immer noch) tüchtige Schöpferkraft,
frifche Phantafie und ein reicher Gedaͤchtnißvorrath von Geſe⸗
benem und Gehörtem. Er ftrauchelt nie über den gefährlichen
Stein des Anftoßes, pathetifche Scenen genannt, hält immer
die Grenzen zwifchen wahrem und erheucheltem Gefühl, ver:
iert fih nie zu bochtrabenden Schilderungen übermenfchlicher
Herzenöeffecte, fondern fehreibt einfach und natürlich, gruppirt
weibliche und männliche Charaktere mit meifterhaftem Geſchick,
weift jedem den gehörigen Platz an und läßt nie eine Frau fa:
gen was befler für einen Mann, oder einen Mann was rich:
tiger für eine Frau ſich geziemt hätte. Unter den aufftretens
den Perfonen find allerdings einige alte Bekannte, Cooper'ſche
Stereotypen. Doc Feiner macht fi unnüh, fie find indge:
fammt an ihrem Plage.
- Geheimniffe von London.
Der erfie Band ber heftweife erfchienenen ‚Mysteries
of London‘, von G. W. M. Reynolds (London 1843), von der
Feder eines Mannes, der neben mehren Rovellen auch durch
ein wifienfchaftliches Werk über die neuere frangöfifche Literatur
ſich vortheilhaft befannt gemacht hat, ftellt ein gutes Gemälde.
*
auf von den hervorſpringenden Zügen des londoner Lebens und
Zreibend — einige Grellpeiten natürlich abgerechnet. Die Hoöh⸗
en des Lafterd, die Wohnungen der Armuth und die Paläfte
der Reichen werden geöffnet und zeigen Mancherlei, was nicht
fein folte. Der durchlaufende Faden ift die Lebensgefchichte
zweier Brüder, die fich früh getrennt haben, um in verfcie-
denen Richtungen ihr Glüd zu machen, und von Welchen der
eine der reblichfle, der andere der kübifchfte Menfch auf Sot-
tes weiter Welt. Bid zum Ende des erſten Bandes find die
Charaktere gut gehalten und ift der Knoten derb gebunden.
kiterarifhe Bildniffe. -
Ein Bud, das viel Pritifirt und wenig gelefen werden
wird, ift „A gallery of literary portraits”, von George Gil-
fillan (Edinburg 1545). Die Portraitirten, insgefammt aus
Der neuern Literatur und Lieblinge des Verf., find namentlich
Godwin, Hazlitt, Hal, Chalmers, Carlyle, Koleridge,
Quincey, Prof. Wilfon, Landor, Wordsworth, Sheley. Wie
man hoͤrt ift der Verf. Prediger einer alten diffentirenden Ge⸗
meinde in Schottland und predigt er, wie er bier gefchrieben
hat, muß fein Vortrag Fe und feurig, blühend und ſchwül⸗
flig, verworren und unverfländlich fein. Das Buch hat un:
ftreitig eine Menge Goldlörner; es Boftet aber fehwere Mühe, .
fie aus Scheffelfäcten vol Spreu herauszuklauben, und des⸗
balb eben wird zwar die Kritik ſich jeiner bemädhtigen, die
Zefewelt aber wenig Notiz davon nehmen. Kine deutjche Über:
fegung wäre ein frivoles Beginnen. 16.
Bibliographie.
Adolar, Morgengrüße. Gedichte. Ite Auflage. Breslau,
Fremen, 8, 15 Ror. ,
aur, %., Die Kirchengefchichte in gedrängter Überficht.
Weimar, Bandes » Indufkrie : Comptoir. 2 13 Nor.
Geramb, M.3.v., Wallfahrt nad) Ierufalem und dem
Berge Sinai, in den Zahren 1831, 1832 und 1833. 2te ver-
beflerte Auflage. Iſte und Zte Lieferung. Aachen, Cremer.
1845. Gr. 32. Bollftändig in 6 Lieferungen I Zhlr. 15 Ngr.
Geſchichte Louis Philipp's L, König der Framgofen, von
A. Boudin und F. Mouttet, nach vertraulihen Mitthei-
lungen des Königs verfaßt. Überjegt von 8. Große Mit
Iluftrationen. Iftes Heft. Meißen, Goedſche. 8. 7 Rar.
Bogel, R., Ruffiiche Novellen. Rah 2. Viar dot über:
tragen von H. Bote. Zwei Theile. Reipzig, Klemm. 8.
1 Ahle. 15 Nor.
j Sräffer, 8, Wiener: Dofenftüde, naͤhmlich: Phyſiog⸗
nomien,. Gonverfationsbildchen, Auftritte, Genreſcenen, Cari:
caturen und Diefes und Iened, Wien und die Wiener betref:
fend, thatfächlid und novelliftifh. After Theil. — A. u. d. T.:
Kleine Wiener Memoiren. Ater Xheil. Wien, Mörfchner’s Wwe.
und Biandi. Gr. 12. 1 Thlr.
Heger, 3. 3., Uber den Nutzen und die Wichtigkeit
der Sterographie im gewöhnlichen Gejchäftstleben überhaupt
und .über ihren gegenwärtigen Stand in Deutfchland. Mit
wörtlicher Überfegung in ftenographifcher Schrift vom Berfaj-
fer eigenhändig kithographirt. Prag. Gr. 8. 9 Nor.
ie Kunft der Gefchichtfchreibung und Herrn Dahlmann's
Geſchichte der frangöfifegen Revolution. Magdeburg, Kalden-
berg und Comp. 8. 12 Nor.
Lenau, R., Die Albigenfer. Freie Dichtungen. He Auf
lage Stuttgart, Eotte. Gr. 8. 1 Thlr. 25 Rer.
Luthers, M., Zeugniß von der Herrlichkeit Jeſu Chrifti.
Aus Luther’s Schriften herausgegeben von €. &. Hermes.
Magdeburg, Kaldenberg und Eomp. 8. 22%, Nor.
Der Ochfenkopf zu Arnheim. Siftorifh:romantifche Er»
zählung aus dem Geldernſchen Kriege. Aus dem Hollaͤndiſchen
übertragen von G. Jade. Grimma, Berlagscemptoir. RI. ®.
1 Ahlr. 15 Ror.
JGoedſche. Kl. 8. 2
Paulſen, P., Verſuch einer Schulſtatiſtik des Herzog⸗
thums ehleny. Dfldenburg, Fraͤnkel. 1845. 8. 2 Ihlr.
Stöber, C., Erzählungen. Gejammtausgabe mit Zeich⸗
nungen von %, Richter. te Auflage Ifter Band. Iſtes
und 2te8 Heft. Dresden, Naumann. 4. à 10 Nor.
Zod und Unfterbfichkeit. Poetiſch bearbeitet nach Vernunft,
Natur und Schrift. Breslau, Scholz. 1845. Gr. 16. 714 Nor.
Die Unbekannte. Aus den Papieren einer Fürftin von '
einem Unbekannten (Berfaffer der Geheimniffe der vornehmen
Welt in Wien, Prag und Peſth.) Zwei Bände. Meißen,
Thlr. 15 Ror.
Deutihe Volksbücher nach den älteften Ausgaben herge-
ftelt von 8. Simrod. Mit Holzichnitten. Ro. Il. Kaifer
Octavianus. Frankfurt a. M., Brönner. 8. 10 Ror.
— — Derfelben Ro. 12. Reineke Fuchs. Frankfurt a. M.,
Brönner. 8. 15 Nor.
— — Dirjelben Ro. 13. Peter Dimringer von Staufen»
berg. Frankfurt a. M., Brönner. 8. 3%, Nor. ..
— — Derjelben 2ter Band. Kranffurt a. M., Brönner.
Ss. 1 hr. 10 Xgr. "
Wallot, Hedwig und Eleonore, Gedichte. Frank—
furt a. M., Brönner. 8. Thlr.
Tagesltiteratur.
Carſtädt, Die Berfaſſungsfrage der proteſtantiſchen
Kirche in Preußen. Ein Synodal-Vortrag. Breslau, Gofor
horsky. 1845. Gr. 8. 3 Wer.
23 zeitgemäße Defideria Kir dad deutfche und namentlich
das jächliiche Medizinalmefen. Skizzen aus dem praßtifchen
Leben -zur würdigen Erhebung des ärztlichen Standes und
Aufdedung medizinifchen Unfuge und Quackſalbereien. Bon
einem Arste aus der Provinz. Dresden, Adler und Diepe.
. gr.
Faucher, 3, Die Vereinigung von Sparkaffe und Hy⸗
pothefenbant und der Anfchluß eines Häuferbauvereind als fo»
cialzöfonomifche Aufgabe unferer Zeit, insbefondere der Be⸗
firebungen für das Wohl der arbeitenden Klaffen. Berlin,
Grobe. 1845. Gr. 8. 10 Ragr.
Chriſtliche Glaubenstoͤne gefaßt in Worte treuer Liebe und
Dankbarkeit an einen edeln Leidenden den Hrn. Seminarlehrer
ic. Wedemann in Weimar, von einem evangeliſchen Pfarrer.
Leipzig. 1845. Gr. 8. 2 Nor.
Humoriſtiſche Gloſſen und intereffante nachträgliche Noti⸗
zen zu dem Rod von Trier und was daran und darum hängt.
Annaberg, Rudolph und Dieterici. 1845. Gr. & 3 Nor.
Goetz, R., Der Lehrbegriff der römifch-Fatholifchen. Kirche
und fein Widerfpruh mit der Gonftitution des Königreichs
Sachſen. Patriotifche Bedenken. Annaberg, Rudolph und
Dieterici. 1845. 8. 5 Kor.
Günther, J., Luther's dreihundertjaͤhrige Todesfeier.
Gedenkbuch für proteſtirende Chriſten mit Beitraͤgen von Bie⸗
len. Jena, Mauke. 8. 1 Thlir.
Harleß, C. G. A., Votum über die eidliche Verpflich⸗
tung der proteſtantiſchen Geiſtlichen in Sachſen auf die kirch⸗
lichen Symbole und die Anderung oder Aufhebung dieſer Ber:
pflichtung. " Leipzig, Dörffling. Gr. 8. 8 Ngr. ,
Hafenkamp, H.v., Kritik der unter dem 3. April 1845,
20. Zuli 1843, 16. Mai 1844 und 27. September 1849 er»
lafienen preußijhen Militair-, Straf: und ehrengerichttihen
Geſetze, Berordnungen und Kabinetsordren. Leipzig, D. Wis
gand. Gr. 8. 7%, Nor.
erling, ©. H. Q., Prüfungen oder Wegweiſer durch
die Piechlichen oder religiöfen Zeitfragen für gebildete Laien.
Frankfurt a. M., Hermann. 1845. Gr. 12. 26%, Near.
Höpfner, E. F., Wehllage eines abgehenden Prediger,
oder Schrift: und erfahrungsmäßiged Bedenken, ob. ein evan-
geliſcher Lehrer im Königreich Sachſen gegenwärtig ein geiſt⸗
liches Amt antreten und verwalten Fönne, ohne fein Gewiſſen
J
u verlegen. Eine Wofiebapredigt, gehalten bei der freiwil⸗
rap eberlegung zweier Pfarrämter. Waldenburg. &r. 8.
zu
aifer, 9. 2., Hirtenbrief an die Geiftlichkeit und die
—*2*— feineß Kirdsenfprengeld gi ‚dem re a d ber Bar
zeit 1845. Die Auflage. Mainz, Wi
Klee, & W., Papſtthum oder Sbeiftenipum zur vn.
ſtellung der rigen Breiheit oder der wahren Katholicität
wit Bezug auf die in Mainz erfihienene „Betrachtung eines
techtögelehrten Staatömannes un die ar kirchlichen Er
eigniſſe“. ofen A Sohn. 1845.
Kramer, 9 ginige Bemerkungen über Sie für Chri⸗
ſtenthum und Rircplichkeit edenkliche Seite in der theologifchen
Richtung und den Beftrebungen der proteſtantiſchen Freunde.
Helmſtedt, Fleckeifen. 1845. Gr. 8. 2%, Nor
Löſchke, K. J, Dr. Martin xuther's fegte Lebenstage,
Tod und Begräbniß. Aus Luther's eigenen Briefen und ben
Berichten feiner Freunde zufammengeftellt, nebft vorangefchid:
tem kurzen uͤberblick über das Wirken des Reformators. Bres⸗
lau. Scholz. Br. 12. 3%, Nor.
Lömwenftein, M.) Einige Kandbemerfungen zu Herrn
Dr. Dengftendergt 8 Brofchüre gegen die Erflärung vom 15. Auguft
Berlin, Springer. Gr. 8. 5 Ngr.
Mittyeilungen über die in den meiften Erziehungsanftal:
ten der franzöfiihen Schweiz herrfchenden pädagogiichen Zehl:
griffe und Mängel. ter unveränderter Abdrud. Baden, Sehn:
der. 8.8. 4 Nor
Montanus, R., Die erfte Hrifttich:apoftotifch-Fatholifche
Gemeinde zu Dansig freudig begrüßt. Danzig. 1845. 8. 3%, Rgr.
‚Müller, M., Deutſch-katholiſch, nicht roͤmiſch. Berlin,
Hermes. 1845. er. 8. 1 Nor.
Der ahkihe Landtag und die Deutfch: Katholiken.
Berlin, Held. I 8 7%, Ror
— pi die Philofophie bei langen Winternaͤch⸗
ten, oder Enzyklopaͤdie der Religionsphiloſophie von einem ka⸗
tholiſchen Prieſter. Landshut, Thomann. Kl. 8. 5%, Nor.
Ragel, F. A., Über die Medaille zur Erinnerun ng an
bie usftelung deuffcher Gew ern erkeugnifl e in Berlin.
dow, Hirſchberg. 1845. 2, gr
Die göttliche Offenbarung, oder Warnungsſtimme an alle
Bewohner ber Erde. Eine merkwürdige Begebenheit, die ſich
mit einem Prediger in England, Namiens Chaperlain, zuge:
tragen bat. Aus dem polländifgen, TR dte unverän=
derte Auflage. Berlin, Grobe. 8. 21, Nor.
Ohlert, H., Ein Hirt und Eine beerde, oder Friedens-
wort an die Gelehrten und das große Publikum. Danzig,
Anhuth. 8. 10 Nor.
, Der DOberlehrer Dr. Yaur zu Neiße und fein-Kampf ge
gen die Unvernunft. Breslau, Aderholz. 1845. Gr. 8. 2 Nor.
Petermann, 8. G., Dr. Martin Luther's letzte Tage
nebft einem Abriſſe feines Lebens, dargeftellt für die evange-
liſche Schuljugend Deutfchlands zur SUbjäpeigen 1 Erinnerungs«
feier feines Todes. Dresden, Arnold. Gr 2 Nor.
Heters, D., Die evangelifhe Kirche und der Chrift:
karholizismus. Ein Beitrag zur Verſtaͤndigung äber dab ge⸗
genmärtige Berhältniß beider. Schmweibnig, Weigmann. 1845,
r.
ee 8. E., Die evangelifche Kirche muß ein neues
Staubensbefenntniß haben! Keujahrswort bein Zufammentritt
des Berliner „Eoncils' an das deutfche Volk evangelifcher Eon:
feffion. Berlin, „ohlgemutd Gr. 8. 10 Ror.
Richter, A. 2., Der Staat und die Deutſch-Katholiken.
Eine ſtaats⸗ und Hirchentechtliche Betrachtung. Leipzig, Tauch⸗
nis jun. ©r. 3. 77% Rear.
Robert, x. 5, Die Grundzüge der Ronge ſchen Ger
meindeverfaffung , befonderß ihr Glaubensbekenntniß, kritiſch
Gr. 8.
Bandring, Das Gewand des Erlöſers. —X
ed Seheimnifie Magdeburg, Falckenberg und Comp
— — . letzte Prophet ober der Wahn des 19. Sehr.
hunderte, BRagveburg, Falckenberg und Comp. 1845. Br. 8
Br
— — Dffenes Sendſchreiben am ben z papt Or Gregor XVI.
Magbeburg, Baltenberg und Eomp. 4 Rgr.
heele, C., Offenherzige —X über ee
* * Fiſche Eonfefion und Symbolzwang. Magdeburg, Ru:
Nor.
esnitt, 2. 3. K., Die Bewegungen unferer Beit auf
dem Gebiete der &riftlichen Kirche. gugbiet über Luc. 958,
Ifte Auflage. Marburg, Eiwert. Gr. 8, 2%, Nor.
Hulz, 9. W., Über die Rothiwendigkelt eines —*
Galeriegehäudes für die Fönigliche Gemaͤldeſammlung zu Dres:
den. Leipzig, Brodhaus. 4 Ngr.
Spener's, P. J., pia desideria, herzliches Verlangen
nach gottgefälliger Bellern der wahren evangelifhen Kirche,
fammt einigen einfältig babin abzweckenden driftfihen Bor:
fhlägen. Aufs neue überarbeitet und mit Anmerkungen ber berieben
von F. W. P.L. Feldner. Dresden, Naumann
Stoeveken, H., Clemens Auguſt, Freiherr Dre wu
Viſchering, in feinem. Leben, Wirken und Tode gefchildert.
Mainz, Kirchheim, Schott und Ihielmann. Gr. 8. 6%, Nur.
Stohlmann, W., Einige ärztliche Stimmen geaen die
Gnthaltfamkeitsvereine. Bielefeld, Hetmich. 1845. Gr. 8. 5 Ngr.
Die gegenwärtige allgemeine Synode der deutſchen pro⸗
teftantifchen Kirche in Berlin. Eine freimüthige Anſprache an
Regierende und Regierte, an Geiſtliche und Laien von einem
Laien. Berlin, Grobe. 8. 2 Nor.
Lholud, ©., Eröffnungsrede zu der Öten Berſammlung
bes Eirchlichen Eentralvereind in der Provinz Sachſen zu Gna⸗
dau am 2. April 1845. Magdeburg, Falckenberg und Comp.
Gr. 8. 2%, Nor.
Über preußifche Suftizämter und deren Einrichtung, ſowie
über greus Derihtöverfaflung. Quedlinburg, Ftanke 1845.
r
Uhlich, Setenntniſſe. Mit Bezug auf die proteſtantiſchen
Freunde und auf erfahrene Angeife 4te unveränderte Auf:
lage. Leipzig, Böhme. 19 Rgr.
Uhlich, Das Büchlein vom Reihe Gottes. Allen freien
Chriſten gewidmet. —5* durchgeſehene Auflage. Magdeburg,
Greug. 1840.
Uhli q's Vortrag " der Derle mmlung proteftantifcher
Freunde av Pe am 30, Juli 1845. Breslau, Leuckart.
r
Korte und Berhandlungen bei der am 16. Juli 1845
ve Quedlinburg flattgefundenen allgemeinen Berfammlung des
ereinds der Guftan: Adolph: Stiftung für das Fürftentgum
Hatberftadt und Stift Quedlinburg. Quedlinburg, Franke.
845. Gr. 8. 5 Rar.
Was bedeutet Papfttbum, Colibat, Ohrenbeichte! Ein
freies Wort von einem deutſchen Mann. 2te Auflage. Bres⸗
lau, Günther. 1845. 8. 1,
Mas koͤnnte und follte Faden in der Ehriftenheit zur
Herftellung eines allgemeinen apoftofifchen Gemeindeverbandes ?
Eine Stimme aus der Gemeinde. Nebft einem Rarhtrag aus
der Rede von Werte d'Aubigné, gehalten Mai 18415 bei der
Generalverfammlung der freien PAD F Kirche. Hamburg,
Perthes⸗Beſſer und Mauke. Rgr.
Zur Erklaͤrung vom 15. Auguſt * Von Unterzeich⸗
nern derſelben. Berlin, Müller. Gr. 8. Apr.
Bur Berftändigung in der Roth befer Zeit. @in Wort
aus dem Volke an die Gebildeten aller Stände, mit befonderer
Ruͤckſicht auf Berlin und feine Pichtfreunde. Bon einem evan⸗
beteugtet und geraten Breslau, Günther. 1345. 8. 2 Rgr. | gelifchen Laien und Freund evangelifchen Lichts. 2te vermehrte
Sandring, Aufruf an Israel und an bie Welt. Mag: | Auflage. Mit einem Vorwort von U. Reanber. Berlin,
deburg, Faldenderg und Eomp. 1845. Gr. 8. 4 Rgr. Enslin. 1845. Gr. 3. 5 Rgr.
Berantwortlider Heraußgeber: Heinrich Brockdans. — Drud und Verlag von F. X. Wesdhdans in Reipsig-
u — ———
2
— Blaͤtter
B für
literariſche Unterhaltung.
Dienſtag,
17. Maͤrz 1846.
= i R
’
Die Kouriften im Orient.
Bierter Artikel.‘
4. Grinnerungen aus Rußland und dem Orient, aufgezeichnet
während feiner Reifen im Rorden, in der Fürkei, Palaͤſtina,
gypten und Griechenland duch Daniel Wegelin.
Herausgegeben. von H. Leemann. Mit 13 Anfichten und
zwei Plänen. Bwei heile. Zürich, Schultheß. 1845.
Gr. 12. Ihlr. 14 Nor.
I. Palaͤſtina. Bilder aus dem heiligen Lande, aufgezeichnet
während feine Aufenthalts in Serufalem von Daniel
Wegelin. Herausgegeben son 9. Leemann. Mit
ſechs Anſichten und zwei Plänen. Bürih, Schultheß. 1845.
&r. 8. 26 Rer.
. Wanderungen im Morgenlande während der Jahre 1842
—43, von $. 4. Lorent. Manheim, Löffler. 1345.
Gr. 3. 4 Thlr. 15 Rgr.
7. Fragmente aus dem Drient. Bon Jakob ” Fallme⸗
—* gwei Bande. Stuttgart, Cotta. 1845. Gr. 8.
Was hilft es, daß der hohe Bundestag zu Frank⸗
furt erſt neuerdings wieder in wohlverclauſulirten, reif⸗
lich erwogenen Paragraphen dem literariſchen Eigenthum
einen möglihft vollſtändigen Schutz gewährt und die
rechtmäßigen Anſprüche auf ben Gewinn der geifligen
Arbeit der Familie und den Grben der Verfaſſer bie
auf 30 Jahre nach ihrem Tode fichert, wenn die armen
Scriftfteler ruhig zufehen müffen, wie man noch bei
ihren Lebzeiten ihre mohlbegründeten Rechte ungeftraft
Sränfen kann! Allen policeilichen Maßregeln unb
allen Proteſtationen des leipziger Literatenvereins zum
Trotz bat ſich das ergiebige Handwerk ber literari⸗
ſchen Freibeuterei nie eines fo fröhlichen Gedeihens zu
erfreuen gehabt als gerade jegt. Es ift eine unabweis-
bare Thatſache, daß unzählige Winkeljournale und zum
Theil felbft Zeitfhriften, welche Anſpruch auf einen
ernfien, gewichtigen Charakter erheben, ihre Spalten mit
unrechtmaͤßig erworbenen Schmuggelmwaaren füllen. Der
geichmeidige Geiſt der literarifchen Chevaliers d’industrie
weiß alle wohlmeinenden Beflimmungen der einfichts-
vollen Policei durch leichte Umgeftaltungen und Berände-
rungen im Texte der geflohlenen Arbeiten, duch Ver⸗
Türzungen oder nichtefagende Paraphrafen mit einer Frech.
heit und Gewandtheit zu umgehen, wie fie in den ge-
) Vergl. den eriten, zweiten und dritten Artikel in Nr. 152-154,
2-0 und IT 6. WI. f. 185. D. Res.
wöhnlichen Kreifen ber eigentlichen Bewerkthätigkeit nicht
ſchlagender gefunden werden können.
Die Journaliſtik gewährt zufolge der Beihaffenheit
ihres ganzen Terrains nur allzu viele Schlupfwintel und
Verſtecke für dieſe dreiften Contrebandiers. Unbegreif-
licher noch ift die Schamlofigfeit, mit welcher von den
literarifchen Wegelagerern felbft größere Werke geplün-
dert und unter fremden Namen wieder dem Publicum -
vorgeführt werben.
Im Allgemeinen mögen jegt wol nur noch wenige
Nahdrudereien im eigentlichften Einne des Worte be-
ftehen, welche ihr Handwerk mit wohlbelannter beigifcher
Unbefangenheit, wie man es vor Zeiten wol aud in
Karlsruhe und Wien that, betreiben; aber nicht minder
ſchmaͤhlich iſt darum das Verfahren, welches von pflidt-
vergeffenen Buchhaͤndlern und ehrlofen Perfonen, bie
ih für Schriftfteller ausgeben, zu einer fiehenden Praxis
gemadt iſt. Früher druckte man das Buch, welches
feinem Inhalte nad) oder wegen bes Verfaſſers einen
einträglihen Abfag verſprach, in unveränberter Geftalt,
mit Beibehaltung des vollftändigen Titel und oft. mit
der Bezeichnung ber rechtmäßigen Firma ab; jegt wird
bie Sache feiner betrieben. Man läßt hier und da ein
Wort aus, fchaltet eine leere, nichtöfagende Phrafe ein,
verbalfhornifirt auf das Gerathewohl irgend eine belie-
bige Stelle des Originals, auf das man es abgefehen
bat, und bietet nun das geftohlene Gut als ein ganz
neues Geiftesproduct, auf das mit frecher Stirn unter
obligatem Paukenlärm und mit Trompetenſtößen bie
„ öffentliche Aufmerkſamkeit hingelenkt wird. Diefer Fre-
vel ift natürlich doppelt fchimpflich; denn während früher
hoͤchſtens der, Buchhändler um feinen gebührenden Er-
merb befrogen, der Schriftfteller aber nur durch Reaction
in feinem Honorar gefchmälert wurde, beftiehlt man jegt
beide ebenfo unummunden an ihrem materiellen Gewinne,
inden man ben Derfaffer auch außerdem noch um. einen
Theil feines literarifchen Rufs bringe. Auf diefe Weiſe
ift die gelehrte wie die belletriftifche Kiteratur in ein La⸗
ger verwändelt, in bem von ferchen Marodeurs ohne
Scrupel ſowie ohne Gefahr geplündert wird. Bei dem
ungenügenden Schuge, den die vorhandenen Gefege ge-
währen koͤnnen, Halten es die beraubten, in ihren In-
tereffen gefränkten Autoren in ben meiften Fällen nicht
für der Mühe werth, Lärm zu ſchlagen und ihre Zu⸗
flucht zu gerichtlichen Verfolgungen zu nehmen. Laͤßt
es fi) aber ja einer berfeiben beitommen, fein „Halter
den Dieb!” zu rufen, wenn er beftohlen wird, fo ſehe
er fich wohl vor, ehe er einen fürmlichen Rechtshandel
gegen einen Preßfrevler anhängig macht, denn in ber
Regel ift der Plagiarius gerieben genug, um allen Ber-
folgungen zu entgehen, und bann wird der Stläger
‚nicht nur abgemiefen, fondern zugleich auch noch in die
Koften verurtheilt. Wir fönnten zahlreiche Beifpiele aus
der jüngften Vergangenheit anführen, wenn es hier über» |
haupt der Belege bedürfte.
Die Veranlaffung zu diefer langen Herzensergießung,
welche gewiß bei Jedem, ber bei feiner literarifchen Thä-
tigkeit auf Exrwerbung eines ehrlichen Namens und auf
einen angemeffenen materiellen Gewinn bedacht ift, ein
Echo findet, gibt uns ein Werk, deſſen Verfaffer und
Herausgeber bereits an einem andern Orte ald bes Pla-
giats ſchuldig gebührendermagen an den Pranger ge
ftelle find. Wir find bei unferer Rundſchau über bie
' Erfcheinungen auf dem Gebiete der Zouriften - Kiteratur
genöthige, auf diefe Schrift, welche man mit Unwillen
beifeite werfen follte, noch einmal zurückzukommen.
Leemann — mir wiffen nicht inwieweit er Mit:
fhuldiger des literarifchen Betrugs ift — führte das
vorliegende Buch, welches ſich als Erinnerungen drei⸗
zehnjähriger Neifen bietet, mit einer echt ſchweizeriſchen
Butmüthigkeit und zugleih mit einer Art Pathos ein,
in den die Schriftfteller Helvetiens überhaupt leicht ver-
fallen. Er meint, die bunten Exlebniffe eines „ſchwei⸗
zerifchen Mitbürgers“ würden gewiß von allen Lands:
leuten mit regem Intereſſe gelefen, indem man von
allen Seiten bemerkt hätte, „daß diefe anſpruchsloſe Er⸗
zählung feiner Begebenheiten weit entfernt von der Viel⸗
rednerei mancher andern Meifenden das Gepräge der
Wahrheit an fi trügen” (S. v). Die Folge hat lei⸗
der dem Herausgeber cin arges Dementi gegeben. Wie
befhäimt muß der vertrauensvolle Mann, melder feinen
Beiftand zur Beröffentlihung diefes zufammengerafften
Werts geliehen hat, gemwefen fein, al& er fich überzeugen
konnte, daß diefe Erzählungen, „melche das Gepräge der
Wahrheit tragen’, nicht die Erinnerungen eines fchlich-
ten Wanderers, ſondern zum Theil wenigftens bie Aus-
züge aus einem vielgelefenen Werke find, aus dem
„Morgenland und Abendland. Vom Berfaffer ber
Cartons“ (3 Bde, Stuttgart 1841),
Indem wir Wegelin oder Leemann — mer ift der
Schuldige? — der größten literarifchen Sünde zeihen,
welde ein Schriftfteller begehen kann, find wir aber
keineswegs gewillt, alle Erxlebniffe, die Hier gefchildert
werden, und die ganze Meife, welche die Grundlage vor-
liegenden Werks bilden foll, für eine Fiction zu erflä-
ren... Wahrſcheinlich waren die Notizen, welche Wegelin
auf feiner Wanderung gefammelt hatte, etwas bürftig
ausgefallen; das Gedaͤchtniß, auf das ex fich verlaffen
hatte, zeigte fih nicht immer frifch und regfam genug,
und fo mußte aus den nächften Quellen, welche gerade
zugänglich waren, ergänzt werden. Aber: weshalb, fich
zum Schriftfleller aufmerfen, wenn mit bem Material
zugleih aud die Gewandtheit der Einkleidung fehlt,
wie man daraus erfehen kann, daß er die gefammelten
Notizen einer fremden Überarbeitung zumeifen mußte!
Einigermaßen zu entfchuldigen wäre die allzu häufige
Nachleſe und ſtillſchweigende Entlehnung aus fremden
Werken, wenn fich diefelbe auf hiftorifhe Notizen, Schil-
derungen malerifher Landſchaften und allenfalls Betrach⸗
tungen allgemeinen Inhalte ausfchlieglich erftzedte. In
Bezug auf literarifhen Unterfchleif diefer Art haben
unfere modernen Zouriften befanntlid ein fehr weites
Gewiſſen. Plumper muß man das Berfahren ſchon
nennen, wenn wie bier felbft an folchen Stellen, welche
nicht geradezu abgefchrieben find, doch ein fonderbares
Zufammentreffen in Betreff der Eleinlichen Exlebniffe des
Tags mit frühern Neifenden flattfindet. So kann man
es unferm Reifenden nachrechnen, daß er z. B. nament-
ih in Paläftina überall die namlichen Eindrüde- em-
pfängt als der bekannte Verfaſſer der „Cartons“.
"Was einigen Zweifel gegen die innere Wahrheit der
ganzen Irrfahrt, deren angeblicher Bericht uns hier ges
boten wird, zu erregen im Stande wäre, ift der Um:
ftand, daß Wegelin nicht nur felbft auffallend häufig
drohenden Gefahren ausgeſetzt ift, fondern daß er auch
überall bei wichtigen Ereigniſſen perfönlich zugegen ge⸗
weſen fein will. Freilich flimmt bie Zeitrechnung, und
feine Erzählungen liegen deshalb im -Kreife der Mög-
lichkeit; aber die Zweifel, in denen man von dem Ge
danken, dag er fih in Benugung fremder Schriften eine
unverzeihliche Unredlichkeit hat zu Schulden fommen laffen,
beftärkt wird, werben durch die Beftimmtheit, mit der
er feine Erlebniffe hinſtellt, nicht entkräftet.
* Wir wollen mit wenigen Worten ein flüchtiges Bild
von dem Plane, dem Reifeziele umd den Abenteuern
feiner Irrfahrten entwerfen. Wegelin erzähle, dag ihn
früh, Schon ein lebhaftes Verlangen getrieben habe, ſich
in der Welt umberzutummeln; deshalb mochte er nicht
länger in den’ engen Kreifen feiner Baterftadt St.⸗Gallen
ausharren, und begab ſich, nachdem er feine Lehrzeit ale
Kaufmann im Haufe feines Vaters beendigt hatte, zu⸗
vörderft nach Riga, wo er mit Hülfe der Verbindun«
gen, welche fein Vater mit einigen dortigen Familien
angefnüpft hatte, leicht eine Stellung zu finden hoffte.
Die Schilderung feiner Reife über Berlin, Frankfurt,
Königsberg, Memel übergeben wir füglich; fie ift mit
Reifebemerfungen wie: „Berlin ift in einer fandigen
und daher äußerſt öden Gegend gelegen” (T, 4), ver-
brämt. Die Hoffnungen, melde er auf Riga geftelle
hatte, feiterten, und er tritt deshalb etwas nicderge-
fchlagen feine Rückreiſe nah St.⸗Gallen an, wird aber
in Lübeck veranlaßt, fi nach Hamburg zu begeben, mo
ihm eine Anftellung in Ausficht geftelle wird. Auf der
Ueberfahrt nach Lübeck Hat er, im Worbeigehen gefagt,-
den erſten Seeſturm auszuſtehen. Darauf finden wir
ihn als intereffanten Gefchäftsreifenden für ein hambur⸗
ger Haus, das ihm nach einem fehr traurigen und größ-
MB
tentheil® erfolglefen Duschzuge durh Mecklenburg und
die Mark den Auftrag gibt, nah Memel in Gefchäften
zurüdzugehen. Neues Ungemach wartet feiner auf ber
Dfifee. Aber auch in Memel wollen die Gefchäfte,
welche ihm anvertraut find, nicht recht gedeihen. Nun
wendet er fid nad Petersburg, welches er ein „Pa—
läftemeer " nennt. Hier findet er in einem Spedition:
hauſe das gewünſchte Unterfommen. Nachdem er in
diefer Stellung zwei Jahre gearbeitet hat, afjoctirt er
fih mit einem Kaufmanne. Während feines Aufent-
halte in Petersburg erlebte er außen vielen andern Faͤhr⸗
lichkeiten und denfwürdigen Ereigniffen die ungeheure
Überfhwemmung am 19. Nov. 1823, deren Schilde:
rung wir ihm gerathen haben würden aus einer geift-
reichen Novelle von Leopold Schefer zu entlehnen, und
den dentwürdigen Aufftand, der unmittelbar nad) dem
Negierungsantritte bes Kaiſers Nikolaus ftattfand. Eine
förperliche Schwäche, Folge einer Fieberkrankheit, melde
er fih durch einen Sturz .in die Nema zugezogen hat,
veranlaßt ihn, auf einige Zeit nad) feiner Vaterſtadt
zurückzukehren; aber während feiner Abwefenheit bringt
fein Affocie das gemeinfchaftliche Gefchäft durch feine
treulofen Speculationen dem gänzlihen Verfall nahe.
Boll Verdruß bricht er nun feine petersburger Verbin⸗
dungen ab. Zum Glück bietet fih ein Antrag, für ein
peter&burger Haus in Moskau ein eigenes Comptoir zu
errichten (Dec. 1830). Der Verf. gibt uns Gelegen-
beit feinen Muth zu bewundern, weldyen er dadurch be-
weift, daß er geraden Wegs der Cholera entgegenreift. Aber
kaum ift er in Moskau, diefem „Kieinode ber Ruſſen“
wie er es bezeichnet, angelangt, fo trifft ihn wie ein
ſchwerer Schlag die betrübende Nachricht, daß feine Ge-
fiebte ihm ungetreu geworden if. Nun ift ihm Ruß—⸗
fand verhaßt, und er befchließt, ungefäumt feinen Wan⸗
derftab nach der Türkei zu lenken. Wir bemerken von
den Zährniffen diefer neuen Reiſe nur, daß er von Wöl-
fen, die ihm blutgierig nachſchnauben, in nicht geringe
Gefahr verfegt wird.
Nah flüchtiger Neife, auf der er die deutihen Co⸗
fonien berührt — er erwähnt nur im Vorbeigehen und
ohne irgend eine neue Notiz beizubringen Rudolfſtadt —
langt er in Odeſſa an, das er aber bald wieder ver-
läßt, um ſich nad Konftantinopel einzufciffen. Auf
der Überfahrt gibt e8 wieder den unvermeidlichen Sturm.
Der Verf. würzt feine Schilderung von Konftantinopel
— die, irren wir nicht, auch fhon anderswo zu lefen
ift — mit einer Befchreibung bes Brandes von Pera
(am 2. Aug. 1831). Wegelin, der für einen flüchtig
Reifenden ganz vorzugsweife vom Glücke begünftigt ift,
wohnt diefem Schaufpiele wiederum bei. Sonſt ift une
in Bezug auf die Türkei und die Hauptſtadt derfelben
im Allgemeinen nidyts Neues aufgeftofen als Das, mas
er über die Zoleranz der Türken mittheilt: „Uber Un-
duldfamteit von Seiten der Regierung können fich die
Ghriften in neuerer Zeit nicht beſchweren“ (I, 196).
In dem meofcheenreihen Stambul faßte plöglih un»
fern Neifenden, der uns allmälig faſt im Lichte eines
planlos in der Irre” umherwandernden Abenteurers er-
Iheint, das Verlangen, eine Pilgerfahrt ins heilige Land
zu unternehmen. Diefer Theil der Reifefchilderung ift
nun berjenige ‚ wo ber Verf. nachweislih am menigften
auf eigenen Füßen ſteht. Wir wollen ung deshalb nicht
bie Mühe geben, dem etwas problematifchen Reiſenden
auf jeiner ganzen Tour zu folgen. Wir erwähnen nur,
daß er zu wiederholten Malen in Paläftina gemefen zu
fein vorgibt, und daß er nad) mehrfachen Irrfahrten in
Alexandrien eine Exiſtenz findet, indem ihm der ruffifche
Viceconſul Lavifon eine mit einer angemeffenen Ein:
nahme verbundene Beichäftigung auf feinem Bureau
gewährt. Im diefer Stellung bat er auch Gelegenheit,
Mehemet Ali zu fehen. Er bemerkt über den äußern -
Eindrud diefes vielbefprochenen Mannes (IT, 204):
Ic kann nicht fügen, daß feine Erſcheinung den Eindrud
auf mic gemacht hätte, welcher uns in der Naͤhe wahrhaft
erhabener Männer zu erfaflen pflegt. Ein Eleiner lebhafter
Greis, mit fprübenden Augen, gewöhnlichen Gefichtözügen,
weißem langem Bart, zeigte feine Spur von ber Majeftät,
mit welcher fonft glückliche Emporkommlinge den mangelnden
Stammbaum würdig zu erfegen wiflen.
Diefes Bild weiche von dem fehmeichelhaften Por-
trait, welches der „„DVerflorbene” von feinem Lieblinge
entwirft, bedeutend ab. Nach längerm Aufenthalt in
Alerandrien begleitet Wegelin Lavifon nad Konſtanti-
nopel und begibt fi in Gefellfhaft eines Herrn Puff
— der Calembourg liegt hier fehr nahe — nach Napoli
bi Romania, von wo ihn fein febhafter Wunſch das
Baterland wieder zu fehen und der Math feines Arztes
zum Aufbrucd treiben. Unterdeffen müffen wir noch
zwei Seeſtürme einregiſtriren (Il, 180, 231), melche faft
den Gedanken auffteigen laffen, die zahlreichen Befchwer-
den biefer Art, mit denen unfer Reifender zu kaͤmpfen
bat, könnten etwa auf Überfreibungen oder auf optifchen
Zäufhungen .berugen. Wenn dies Legtere der Fall fein
follte, jo fann er fi mit dem ſchwungvollen Lamartine
tröften, der auch in feinen orientalifhen Reifeeindrüden
einen mächtigen Scefturm befchreibt, der — wie fpäter
durch Verfiherung von Zeugen notorifch geworben ift —
bei näherer Betrachtung zu einer Fiction zuſammen⸗
Shrumpft. Der gefälige Gapitain hatte nämlich dem
berühmten Reifenden bie Freude bereiten wollen, einem
fhönen Sturm, der fi) von gewandter Feder befchrie-
ben immer anziehender ausnimmt als in der Wirklich»
feit, beizuwohnen.
Im Allgemeinen hält fich der Verf. mehr an die
oberflädhlihen Beobadytungen und äußern Cindrüde;
nur bier und da ftreut er feiner Darftellung höchſt will-
kuͤrlich zufammengelefene biftorifche Notizen ein. Bis
zum Ekel werden uns befonders in den Eapiteln, melde
Paläfting gewidmet find, die befannteften Dinge vorge
führt. Deſſenungeachtet fcheint der Herausgeber, ber
wie er felbft gefteht hier recht con amore nachgeholfen
und gebeffert hat, gerade auf diefe Partie des Werks
vorzügliches Gewicht zu legen, indem er fie noch eines
befondern Abdrucks gewürdigt hat. Da nun gerade
diefe Abfchnitte am meiften aus fremden Beſtandtheilen
304
gebildet find; fo erhalten wir in dem Nr. 5 ‚bezeichneten
befondern Bande einen Abdrud eines Plagiats, was an
bie „Impressions de voyage’ von Alerandre Dumas
erinnert, welche durd Die unzähligen Bervielfältigungen,
‘wie der „Charivari” fagt, zu reimpressions des im-
pressions geworden find.
(Die Yortfesung folgt.)
Literarifhe Notizen aus Frankreich.
Bollftändigfte Ausgabe von Labruykre.
Su den grellen Eontraften, welche unfere Gegenwart cha:
zakterificen, gehört auch der, daB das PYublicum mit der un
- glaublichften Leichtfertigkeit Die wichtigſten Erfcheinungen der
Siteratur in den Wind fahren läßt, und Dann doch wieter an-
dererſeits eine fait rührende Pietät für einmal officiel beglau:
bigte Größen an den Zay legt. Diefe forgfame Kiebe für die
als claffiih anerkannten Werke tritt auch in Frankreich in einer
zoßen Menge von forgfältigen Auszgaben folcher literarifchen
Sroductionen hervor. Ein Zheil diefer Editionen verrät einen
Sammilerfleiß und eine ritifche Richtung , wie wir fiein Deutſch⸗
and nur bei Werfen des griechifchen oder römifchen Alterthums
in Anwendung gebradt haben. Wir haben felbft in d. Bl.
ſchon 3. B. Ausgaben von Moliere's unfterblihen Dramatifchen
Dichtungen erwähnt, weiche mit einer in Das Kleinliche gehen:
den Boilftänbigkeit jeden Unterfchied der Lesarten aufzablen,
und in denen der Rotenfchwall über dem Texte zufammenjchlägt.
Gegenwärtig erhalten wir eine hoͤchſt vertienftvolle Ausgabe
der „Caracteres de Theophraste avec les Caracteres ou les
moeurs de ce sieche de Labruyere”, welche wir Dem umſich⸗
figen und thätigen Baron Walckenaer verdanken. Demfelben
muß das Net zugeftanden werden, feine Arbeit ,Premidre
edition complete” zu nennen, und der Herausgeber macht auch
von diefem Rechte auf dem Titelblatte Gebrauch. Von befon-
derer Wichtigkeit ift der Anfang, in welchem wir einen genauen
Nachweis finden von allen Veränderungen, die ber Berf. in
ben verfchiedenen Ausgaben veranftaltet hat. Labruyere hat
deren felber neun beforgt, welche zum Theil fehr voneinander
abweichen. Befonders ftellen ſich in Bezug auf die Anordnung,
weldye dem Verf. fehr am Herzen gelegen zu haben ſcheint, da
ex fie. fo oft über den Haufen geworfen und umgekehrt hat,
fehr merkliche Abweichungen heraus. Außerdem bat der Der:
ausgeber die Sammlung, wie fie gewöhnlich abgedrudt wird,
durch vier Charakterbilder bereichert, von denen zwei aus der
fünften und zwei auß der fechöten Driginalausgabe wieder her:
vorgezogen find. Die hiſtoriſchen und anderweitigen @rfäute:
rungen, durch welche der Herausgeber in das Verftändniß ei-
niger ſchwieriger Stellen und bisweilen dunkler Anfpielungen
einzuleiten fucht, bieten eine Bolftändigkeit und Genauigkeit,
wie wir fie noch in Feiner Ausgabe diefer frifchen Lebensbilder
gefunden haben. Die biograpbifche Notiz entlih, welche an
der Spitze diefer Ebdition fteht, ift ein lebendiges Bild des
Schriftfieler& und feiner Zeit.
Überfegung: von Vieira's Predigten.
Während man über der franzoͤſiſchen Literatur mit Recht
den Vorwurf machen Fonnte, daß fie im zu geringen Maße
die wichtigern Erfcheinungen des Auslandes berudfichtige, nimmt
Diefelbe immer mehr und mehr einen Bosmopolitifhen Un:
ſtrich an, als gelte es auch bier den von Goethe verheißenen
Auftand der Weltliteratur herbeizuführen. Unter ben neueften
Üderfegungen, durch welche die Franzofen den Schag ihrer ei:
genen Literatur wie durch fremde Anleihen zu bereichern krach⸗
ten, bemerken wir eine Bearbeitung der Predigten eines aus⸗
gejeichneten portugiefifhen Kanzelrebnerd. Der Pater Bieira,
welcher dem Orden der Iefuiten angehörte, wird wicht ohne
Grund den hervorragendſten Rebnern aller Beiten Beigezäblt.
Er war 1648 zu Liffabon geboren und brachte einen großen
Theil ſeines vielbewegten Lebens in Amerika zu. Er erntete
in feinem Baterlande, in Paris, in Holland und Rom den
veichlichften Beifall. In der letzten Stadt predigte er vor Chri⸗
fine von Schweden, welche ihm wiederholt die Stelle ihres
Beichtvaters antrug. Barbofa meint in portugiefilcdh -prunf:
voller Weife, diefe Königin fei vom eifigen Nordpole herbei:
geeilt, um als eine zweite Königin von Saba diefen neuen
evangeliihen Salomo zu bewundern. Mehr ald ſolche über:
triebene, bombaſtiſche Zobreden ehren die mildthätigen Hand:
lungen, welche biefer Briefter an den armen Indianern Ame⸗
rikas verrichtete, feinen Charakter. Man Hat Bieira haufig
mit Boſſuet verglichen, und Ferd. Denis, dieſer Kenner der
portugiefifchen Literatur, meint in feiner „Histoire de la litte-
rature portugaise’’, daß er an manchen Stellen allerdings den
erhabenen Schwung dieſes herrlichen franzöfiihen Redners er-
“reiche. Die Beforgung einer lesbaren franzöfiihen Übertragung
ift von einer Gefelifchaft von Freunden erbaulicher Lecture dem
als Reifenden und forgfältigen Literaten bekannten Eugene be
Monglave übertragen. Der Erzbiſchof von Paris hat diefes
Unternehmen feines befondern Schuges für würdig gehalten,
nachdem er die Werke, welche es betrifft, durch den UbbE La⸗
couture einer teligiöfen Prifung bat unterwerfen laffen und
nachdem ihm vom Biſchof von Bifeu über den Werth und die
Bedeutung dieſes Kanzelvedners ein fehr vortheilhafter Bericht
eritattet worden ift. Das Ganze wird 12 Octavbaͤnde umfaſſen.
Fichte ins Franzöſiſche überfegt.
Wir haben oft fihon von der Verbreitung deutiher Phi⸗
lofophie in Frankreich geſprochen, welche Dank den Beſtrebun⸗
gen Eingelner in diefem Lande einen immer breitern Boden
gewinnt. Es bedarf indeflen nicht der Verfiherung, daß wir
uns darum noch nicht überfpannten Hoffnungen bingeben dür-
fen. Eine neue Grfcheinung, welche wiederum für das fleigende
Berlangen der gebildeten Franzoſen, aus dem Borne deuiſcher
Philofophie zu trinken, fpricht, ift die Bearbeitung eines der
wichtigften Fichte ſchen Werke, welche wir dem Prof. Bouillier
verdanken, deſſen Arbeiten über Geſchichte der Philofophie in
Frankreich Anerfennung gefunden haben. Diefe Bearbeitung
ft unter dem Xitel , Methode pour arriver & la vie
bienheureuse’’ erfhienen. Die bi fcheint uns deshalb
nicht ungluͤcklich, weil in diefem Werke bie Lehre Fichte's den
Franzoſen weniger unverftändlich erſcheinen wird als dies in an-
dern feiner Schriften der Fall fein dürfte. Diefe Überfegung bat
dadurch für uns einiges Intereffe, weil der Sohn des deutichen
Philofophen fie mit einer befondern @inleitung verfehen dat.
Literarifhe Anzeige.
Bon F. A. Brockhaus in Leipzig ift durch alle Bud:
handlungen zu beziehen:
Seinrich Peſtalozzi.
Züge aus dem Bilde feines Lebens und Wirkens nad
elbflzeugniffen, Anfchauungen und Mittheilungen
von
K. Zuftus Blochmann.
Mit Deftalozzl’o Biſpniß und vier lithographirten Cuſeln.
Gr. 8. Geh. 16 Nor.
> Ein Theil des Ertrans biefer @
. ve⸗
Verantwortlicher Serausgeber: Heinrich Brockdans. — Drad und Verlag von, J. . MWrodpaus in Leipzig.
Blätter
für
literarifde Unterhaltung.
‚18. März 1846.
Die Zouriften im Drient.
Bierter Artikel.
(Fortſedung aus Nr. 7%.)
Ein Werk von ganz anderm Schrot und Korn wird
uns in ben „Wanderungen von Lorent geboten. Die
etwas abgebrofchene und allmälig verdächtig gemordene
Bemerkung in ber Borrede, der Verf. habe ſich nur
anf „befonderes Zureden mehrer Bekannten” zur Her-
ausgabe diefer Reiſefkizzen entfchloffen, und der etmas
emphatifd) »hochtrabende Anfang des Werks felbft floͤßte
uns, offen gefagt, Fein allzu günftiges Borurtheil eim.
Aber fpäter fahen mir, daß die hohlgehenden Wellen der
Wohlredenheit bald einen einfach natürlichern Fluß nah:
men und nur hier und da die Klippe einer Inverfion
oder eine allzu häufig wiederkehrende Anziehung mytho⸗
logifcher Bilder — 3. B. „in Agypten ergreift Klio Die
Hand des wißbegierigen Forſchers, führt ihn über Lethes
Fluten wieder zurüd und leuchtet ihm mit heller Fackel
tief in die Nacht längſt dahingeſchwundener Aonen hin
ein” — ein gezwungenes Kräufeln der glatten Oberfläche
bewirkt. Dazu kommt, daß man im Keifenden bald
einen wiſſenſchaftlich gebildeten Dann ertennt, deffen
Bert wenn auch feine große gelehrte Ausbeute
doch eine ganz empfehlenswerthe Lecture biete. Er er-
klaͤrt es felbft, daß es nur feine Abſicht war, den Orient
im Allgemeinen kennen zu lernen (S. 4), und es fiheint,
das er die vwiflenfchaftlichen Zwecke — botanifche Stu⸗
dien, deren Refultate er nah den Beflimmungen des
Prof. Hochftädter am Ende feines Werks mittheilt —
nur nebenbei verfolgt bat.
Der Berf. beginnt feine Befchreibung in KRonftanti-
nopel, um nicht Durch Schilderung allzu befannter Ge⸗
genden zu ermüden, und erfiredt fi) dann über Agyp-
sen, Syrien, Mefopotamien und Armenien. In Bezug
auf die türkifchen Zuftände faßt er ſich fehr kurz und
wir bemerfen nur, daß er dem Sultan Mahmud, den er
„nen Affen Peter's des Großen‘ nennt, die Vernichtung
der türkifhen Nationalität vorzüglich zur Laſt legt.
Über Smyrna, das wegen der vielen bafelbft feßhaften
Chriſten gewöhntih Giaur Ismir (S. 13) genannt
wird, begibt Lorent ſich nad) Alexandrien. Dieſe Stadt
iſt von den europaäiſchen Touriſten zu fehr abgeweidet
als daß ſich bier ſonderlich viel Neues auffinden ließe.
Indeſſen gewährt Das, was er (S. 22 u, 34) über die
ägyptifchen Schulen fagt, einiges Intereffe. Sodann
geht er auf dem Mamudie⸗Kanale, welcher von 25,000
Menfhen in ſechs Monaten vollendet ift (©. 24), na
dem Nil. Kahira machte auf fein empfängliches Ge
müth keinen geringen Eindrud, und beſonders gefällt er
ſich in den Schilderungen der reisenden Gartenanlagen
von Schubra (S. 42), die, wie wir gefehen haben, auch
dem fachkundigen Pückler lebhafte Bewunderung entlod-
ten. Die Befchreibung der Hechzeitsfeierlichkeiten, deren
Zufchauer Forent war (&. 30), ruft uns das einfache,
are, aber gerade beshalb auch fo .anfprechende Reife
buch des ältern Niebuhr zurück, der fein Werk dur
naive Darfiellungen aus dem Volksieben zu einer Ar-
beit von dauerndem Werthe gemacht hat.
Seine Reife nad) den Ruinen des hundertthorigen
heben legte Lorent auf einer eigens gemietheten Barke
zurück, die wie es ägyptifcher Brauch ift zuerft in
das Waffer getaucht wird, um fie vom Ungeziefer zu
reinigen (&. 44). Unterwegs fallen die vielen Santon-
(Heiligen) Gräber am Ufer vorzüglich in feinen Blick.
An dem Hügel des Scheich Said bitten ihn die Araber
ein Stud Brot ins Waffer zu werfen, weil dann ein
weißer Vogel kommen werde, um es für vorüberziehende
Wanderer am Grabe des Heiligen niederzulegen (©. 48).
Die Zahrt firomaufmärts geht natürlich nur fehr lang- ”
fam von flatten, und fie Tann nur einigermaßen bda=- -
durch beflügelt werden, daß die Ruderer an feichten
Stellen ms Waſſer fpringen, um ben Kahn zu ziehen.
Im Allgemeinen aber zeigen fich bie eingeborenen Die-
ner als träge, kangfame Kerle, deren Eifer nur durch bie’
Drohung, daß ihnen die Baſtonnade verabfolgt werden
fol (S. 52), einigermaßen beflügelt werden fann. Das .
intereffantefte Abenteuer auf diefer Tangwierigen Reife
ift die Bekanntſchaft des Reifenden mit einer Gawazieh
(5. 56), db. i. mit eimer jener Tänzerinnen, melche
Mehemet wahrſcheinlich ihrer allzu freien Sitten wegen
nach dem obern Agypten verbannt hat. Die Andeutun⸗
gen, melche wie über ben ägyptiſchen Lieblingstanz
Nachle, d. h. Biene, erhalten, laffen allerdings arge
Bermuthungen über bie Leichtigkeit, den Sinnentaumel
der Agypter zu erregen, auffleigen. Eine forgfältigere
Beichreibung bdiefer üppigen und über die Grenze bloßer
Frivolitaͤt hinausfchweifenden Gaukelei möge man in ei»
nem Auffage von Hammer (im Jahrgang 1844 ber
wiener „Jahrbücher ) fuchen.
Über die Ruinen von Theben faßt fih der Verf.
furz, indem er —A geſteht, wie er ſich hier auf
fine perfönlihen Kindrüde befchränfen müſſe. Man
ann es nur billigen, daß er es verfehmäht, mit einem
Apparat zufammengelefener Gelehrſamkeit, wie fie von
den Reiſenden gewöhnlich erft fpäter im Studirzimmer
und mit Zuziehung ganzer Bibliothefen aufgetrieben
wird, zu prunfen. Dabei haben feine fchlichten Schil⸗
-derungen von SKarnat und Luror und vorzüglich vom
Palaſte Medinet Abu (S. 74) nichts verloren. Bon
Kahira aus, wohin er zurückkehrt, um dafelbfi einen län:
gern Aufenthalt zu nehmen, befucht er auf einem Aus-
fluge die Pyramiden, über deren Bedeutung und Be—
flimmung erft jüngft wieder auf Anregung eines eige-
nen Werks vom Franzoſen Fialin viel hin= und herge:
firitten iſt. Der Eindruck, den diefe koloſſalen Monu-
mente auf ihn gemacht haben, erfcheint weniger über-
raſchend. Er fagt in diefer. Beziehung gewiß ganz rich»
tig (S. 113):
Die große Einfachheit macht, was bei Tempeln nicht mög-
ich ift, Daß ſich die Phantafie ihr Bud genau vorjtellen kann,
und daher fieht man fie das erfte Mal fo ganz vorbereitet und
oft mit überfpannten Erwartungen.
Wir haben es bereits in einem frühern Artikel die-
fer Umfchau gefagt, daß man fich in neueſter Zeit durch
die Lebhaftigkeit politifcher Debatte gewöhnt habe, bei
einem Buche über Agypten immer zueft zu fragen:
Was denkt der Verf. von Mehemer Ali? Hält er ihn
für einen ftarren Tyrannen, für einen unbeugfamen DBe-
herrfcher gebrüdter Unterthanen, oder erjcheint er in fei-
ner Darftellung — wir bedienen uns eines Ausdrucks
von Pückler — als ein „Beglüder von Millionen‘ ?
So können wir es denn ſchon nicht unterlaffen, unferm
-Reifenden mit biefer unferer unvermeidlichen Gewiſſens⸗
frage entgegenzutreten. Im Algemeinen, müffen wir
zuvor bemerken, räumt Lorent der politifhen Betrach-
‚tung nur eine untergeordnete Berückſichtigung ein; er
überläßt .es Andern, mit einem abfprechenden Worte
über die ftaatlichen Zuftände fremder Völker, mit denen
er in einen flüchtigen Verkehr getreten ift, ein dictatori»
ſches Urtheil zu fällen. Nur fo viel fieht man wol, daß
ee die unleugbarc Strenge Mehemet's, feine gewaltigen
Maßregeln, welche ſich allerdings nicht in Abrede ftellen
laffen, ald Product und Ergebniß der unerbittlicäften
Nothwendigkeit betrachtet. Mit andern Hebeln als mit
Härte, meint er, laffe ſich die Zrägheit der Fellahs nicht
‚aufrütteln. Deshalb verwahrt er fih ausdrücklich gegen
Diejenigen, welche nach abendländifchen Anfichten über
den „Regenten Agyptens“ den Stab brechen wollen:
„Nur Europäer werden Mehemet's Regierung tyrannifch
heißen, weil fie die Gefege und nicht das Volk kennen.“
| Wir wollen dem Verf. auf feiner Reife von Kahira
über Ei Arifch (Rariffa), Gaza und Ramla (Arimathen,
fpäter Ramatha) nach Ierufalem nicht folgen. Auch
über Serufalem fihweigen wir, da die Schilderungen
Lorent's, welcher bier von feiner löbliden Gewohnheit
abmweicht und fi in unnöthige Hiftorifhe Auseinander⸗
fegungen einläßt — „weil es einzig eine Stadt,der Er-
innerungen iſt“ (S. 146) — nichts wefentlih Neues
bieten. Rah einem Ausfluge nad) Jericho — jept ift
es ein ärmliches Dorf Riha —, nad) dem Todten Meere
und Bethlehem, fegt der Verf. feine Reife nah Damas-
tus fort und berührt dabei Naplus, Tiberias, Nazareth,
St.» Zean d'Acre, Tyrus, Sidon und Beirut. In Ty-
rus (jegt Sur) fah er Araber, welche nach Schägen
gruben, wie dies die Einwohner diefer Gegend zu thun
pflegen, wenn fie Europäer mit ihren Reiſehandbüchern
auf den Ruinen umberwandeln fehen. Sie glauben
dann, daß die Fremdlinge aus diefem zerfallenen Orte
ftammen, und ihre Vorfahren den Nachkommen fchrift«
liche Nachrichten darüber hinterlaffen hätten, wo ihre
Schäge ruhten (S. 191). Überhaupt macht der Rei-
fende uns in einigen zerftreuten Zügen eine fonderbare
Vorftellung von der Art und Weiſe, wie die Bewohner
des Drients Wiffenfhaft und Schriftenthun betrachten.
So erzählt er wie er feine Begleiter, welche ihn wegen
feiner botanischen Sammlungen verlachen, nur beruhigen
ann, indem er ihnen allen Ernſtes jagt, er fei in das Land
gefommen, um auf hohen Bergkuppen einige hundert
Pflanzenarten zu fammeln, aus denen fich. ein Trank der
Unfterblichkeit zufanımenbrauen laffe (S. 294).
Auf feinen Wanderungen nad Aleppo trifft er in
Latakia (Laodice) den fonderbaren Reifenden Holman
(S. 233), welcher, obgleich er des Lichtes feiner Augen:
beraubt ift, doch vom Reiſeteufel befeffen zu fein fcheint
und bereits mehre Male die Erde umreift iſt. In
Aleppo war unferm Wanderer die Belanntfchaft bes
Dr. Lunz für die Kenntnig der Landesverhältniffe von
weientlichem Belang. So verdankte er, der felbft Arzt
zu fein fcheint, bemfelben einige Mittheilungen über die in-
tereffante Krankheit bouton d’Aleppo, welde er für ein
Überbleibfel der alten Lepra hält (&. 259). Don Aleppo
"begab ſich Lorent nach Diarbekr. Auf diefem Zuge be-
rührte er das Schlachtfeld von Nifibi, wo Ibrahim den
glänzenden Sieg über die türkiſchen Armeen erfocht.
Seine Abſicht war es, nach dem Perfiihen Meere zu
gehen; aber ein unglüdlicher Sturz, welcher feinen Fuß
befchädigte, nöthigte ihn, 14 Tage in Diarbekr zu lie-
gen. und dann an die Umkehr zu denken. Er bewerf-
ftelligte diefelbe über Palan, Erzerum, Arkale, Baibad,
Gümüſchchane und Zrebifond nach Konftantinopel.
Über diefen legten Theil ber Reife gleiten wir flüch⸗
tiger hinweg; befonders enthalten wir uns jeder Mit⸗
theilung aus den Schilderungen, welche Lorent von Zre-
bifond und der Umgegend diefer denfwürdigen Stadt
entwirft. Wir thun dies, weil uns noch bie Beſprechung
eines Werks vorliegt, welches — es gehört überhaupt
zu den bebeutendften Erſcheinungen ber Touriften - Litera«
tur — ein herrliches, unvergleichlihes Bild diefer Ge⸗
genden vor unfern Blicken aufrolt. Wir meinen Zall-
merayer's „Sragmente”, die, nachdem fie in einem weit
—
4
verbreiteten Blatte bereitö durch den Prunk ihrer Farben,
. durch bie Kraft ihrer Schilderungen und die Gediegen-
heit ihres ganzen Inhalts ein weites Publicum entzückt
hatten, jegt nun in vollftändigerer- Sammlung und als
felbfländiges Werk ſich in unfern Händen befinden.
(Die Zortfegung folgt.)
Literarifhe Briefe aus der Schweiz.”)
ji
T. Gedichte und Pritifche Auffäge aus den Jahren 1839 und 1840,
von Georg Herwegh. Belle:Bue, Verlags: und Cor:
timentöhandlung. 1843. 16. 1 Zhlr. 7%, Nur. **)
Diefe Schrift enthält eine Sammlung von Auflagen und
Gedichten von Herwegh, die früher in der in Belle-Bue her⸗
ausgelommenen „Volkshalle“ unter der Nedaction Wirth's
erfchienen waren. An wem ed nun auch liegen mag, daß fie
iegt, ohne Vorwiſſen Derwegh 8, wieder abgebrustt wurden,
e8 bleibt dies ein unrechtmaßiges und undelicated Verfahren.
In Rr. 2:0 der „Allgemeinen Zeitung“ für 1845 erflärte Her:
wegh, daß er die Echtheit der von ihm herrühren jollenden
Hroductionen nicht anerfenne, ohne daB ihm jedoch damals
Thon dad Buch zu Geſicht gelommen war. Die jebige Ver⸗
lagsbandlung antwortete hierauf in Nr. 279 derfelben Zeitung:
„derbürgen zu Eönnen, daß die Sammlung Peine Zeile enthalte,
die nicht aus der Feder des Hrn. ©. Herwegh gefloffen wäre”.
Da Herwegh hierauf nichts erwiderte, fo tft wol die Echtheit
diefer Auffäge und Gedichte nicht zu bezweifeln. Es find in
ihnen die Keime unverkennbar, die fpäter aufgingen und fi
herrlich entfalteten ; es fpricht für ihre Echtheit die lebendige
Friſche und Unmittelbardeit fowie die bilderreiche, poetiſche
Ausdrudsmweife, au im profaifhen Iheile der Sammlung. -
Wol ift eriichtlih, daB es theilmeife unbedeutende Jugendver⸗
fuche find, die und hier geboten werden; unbedeutend befonders
dadurch, daß die kritiſchen Auffage oft Schriften, die nicht Der
Rede werth find, mit großem Eifer beſprechen. Wir glauben
ed dem Berf. gern, daß er nie daran dachte, dem Publicum
diefe Arbeiten in der Form cine Buchs wieder vorzuführen.
Aber immerhin bleibt es interefiant, die Quelle eines Stroms
kennen zu lernen, auch wenn er in feinem weitern Kaufe fein
Bett verändern follte. Herwegh indeß ift der Hauptrichtung,
die ſich in dieſen Productionen ausfpricht, treu geblieben, der
Richtung nad der Freiheit, nach der Wahrheit. Hoffen wir
auch, daß noch, jegt daffelbe Herz in ihm fchlägt wie damals,
wo er in einem Auffage über die neue Literatur (S. 13) aus:
ruft:",„Ich ſchreibe einzig und allein für mein Bolt, für mein
deutſches Bolt! Was feine beften Genien in ſtillen Nächten
getraumt und gefungen, was fie Ziefes bevausgefördert aus
den Schuchten der Kunft und Wiffenfchaft, das will ich mei-
nem Volke zeigen, ich will e8 ihm zu deuten und zu erklären
verſuchen. Echte Kritik ift ja nichts Anderes als Vermittelung
der Production an die Maſſe. Wo etwas Züchtiges in der
Literatur geleiftet worden ift, wo ein Dichterherz im Einklang
efhlagen hat mit dem Herzen des Volks, wo ein Sänger ge-
fangen von unjern Freuden, mitgelitten unfere Leiden, wo cr
Balſam geträufelt in unfere Wunden, da will ich Beinen Au:
genblid anftehen und begeifternd rufen: Das ift der Wann,
den folt ihr lieben; das ift der Dichter, dem folt ihr eure
Zheilnahme fchenken!
Der junge Krititer halt Wort. Jedem wahren Zalent
reicht er mit vollen Händen feine Kränze. - Mit befonberer
Wärme nimmt er fich unter Undern des damals noch ver-
kannten Platen an; er reiht ihn mit Enthuſiasmus in bie
Zahl der. echten Dichters er fucht zu beweifen, daß er, der Ge»
burt nach Arijtotrat, dem Herzen nad) Volksmann war. Wie
hätte er auch ſonſt die herrlichen Polentieder dichten koͤnnen,
Bergl. Nr. N— 2 d. Bl. D. Red.
Bergl. eine frühere Mitthellung hierüber in Nr.35 d. BI.
f. 16%. . j D. eb.
307
bie dem Beften, was bie polltifche Poefie fpäter gefdhaffen,
gleih Sommen, und Die zu einer Zeit entftanden, wo diefe Art
Poefie noch Bein Modeartilel war!
Das Amt der Kritik, das er für fo wichtig hält, verwal⸗
tete Herwegh wirklih nad den von ihm ausgefprodyenen An«
ſichten: „Der Kritifer fol Bein trockener Referent fein (ein
Ausdruck den man endlih abfchaffen möge!), ber haarkiein
Alles wieberfäuet, er fol öfter die Stimmgabel als das ana⸗
tomifche Meffer führen. Er ift der Vorredner der Bücher....
Gine Kritik fol reizen, fol, loden. Ihr erftes Geſchäft ift,
dem Buche feine Stelle anzuweiſen; was aber das Detail be
trifft, fo-foll fie mehr andeuten und die Neugierde erregen
als in breiten Ausführungen fi erfchöpfen. Ein gutes Buch
muß getauft werden” u. f. w. ,
Die Literatur überhaupt betrachtet Herwegh als eine emi⸗
nente Macht von unberechenbarem Einfluß, und prophezeit ihr
eine große Zukunft. Uber der Strom der giteratur fließt im:
mer ergichiger. Aus übergroßer Fruchtbarkeit entfteht eine
überſchwemmung, Die aber nicht wic die liberſchwemmung des
Nils, wenn fie auch viel Schlamm mit fid) führt, reichlichen
Segen verbreitet. Gegen die große Maffe per Literatur muß
nad) und nach eine gewiſſe Blafirtheit entfliehen. Das Beſſere
kann ſich in dieſer Maſſe nur mühfam geltend machen, mand:
mal nur dur einen Zufall. Herwegh fucht in mehren Auf
fägen darzuthun, wie die „junge Kiteratur” im Gegenfage zu
den frühern Zeiten eine demokratiſche Richtung genommen:
„Für fie ift in jedem Zimmer ein Roman, für fie rauſcht in.
jeden Herzen die Melcdie des Schickſals ... . die Junge Kites
ratur ftürzt fi mitten in den Strom des Lebens und fchöpft
aus ihm die meiften Wellen. Der Dichter vereinfamt ſich
nicht mehr, er jagt fich von Feiner gefellichaftlichen. Beziehung
mehr los, kein Interefle des Volks und der Menfchheit bleibt
feinem Herzen fremd; er ift nicht nur demokratiſcher, er ift
auch univerfeler geworden.” Zum Beweis indeß, DAB Her:
wegh nicht in einer gewiffen Einfeitigeit befangen war wie
fo manche Andere: „Der Dichter Darf ſich den Kragen Der Seit
nicht entziehen; wir dürfen aber desiwegen nicht Jeden tadeln,
der feine poetiſchen Geftalten nicht mit den bunten Zarben der
Gegenwart behängt, fofern er nur die ewige Eine Wahrheit
im Yuge behält und fie in genialen Formen wiederzugeben
verfteht. ”
WVieles was Herwegh vor fieben Jahren fagte, findet erft
jest feine rechte Anwendung, wie z. B. die folgende Stelle
(8.76): „Welchen unberechenbar gräßern moraliihen Eindruck
würden unfere großen Dichter und Denker machen, wenn fie
fern von den Paläften in den niedern Sphären des Volks ges
blieben roären, wenn fie ihr Xeben mehr in Einklang gebracht
hätten mit ihren Worten! &ie haben der Freiheit viel gefche:
det; ſie haben fo hübfche Verſe auf diefelbe gemacht und durch
ihre fociale Srelung ihr fo ſchnurſtracks entgegen gehandelt: “
Eine demofratifche Verirrung nennt e8 Herwegh, wenn mans
he Dichter mit der bloßen Wahl eines Zeitftoffs Alles ge
than zu haben glauben und fih über die Zorm wegfegen.
„Es werden Geifter kommen“, ruft er aus, „es find fchen
Geifter da, die ein Echo bilden für alle Laute der Freude und
der Pein, welche aus der Bruft des Volks kommen; wir wol:
len fie doppelt willkommen heißen, wenn fie im Stande find,
ihren Dichtungen die glühenden Karben des Moments zu ges
ben, ohne darum der Schönheit Eintrag zu thun.”
Möchten doch dies Letztere befonders die neuern fogenannten
focialiftifhen Dichter beberzigen. Mayche unter ihnen, die als:
‚dann freilich Beine Dichter find, gefallen fi) nur im Heinlicyen
Ausmalen der Armuth und ded Elends; es fehlt außer der
fhönen Form auch die poetifche Idee, der Götterfunke, der
Licht wirft in die Racht des Jammers. Herwegh's Bitte an
die „Arbeiter im Weinberge ber Hegel’fchen Philofophie, mes
niger efoterifch, weniger ausſchließlich zu fein und ſich nicht fo
fehr einem bloßem Kaftengeift hinzugeben”, war tauben Ohren
gepredigt. Wenn auch jetzt Die Neuphiloſophen glauben, volks⸗
—* und praktiſch geworden zu ſein, ſo bleiben ſie doch
“Be Tee ee en 0 7 — —
A —
nach wie vor Doctrinaires, bie, verſteinert, ſich im alleinigen
Befitze des Steins der Weifen wähnen. nn
Bemerfenswerth ift in dem Munde eines zwanzigiaͤhrigen
Zünglings die folgende Stelle (©. 24): „Das ift eben ber be:
Foagenswerthe, unverzeipliähe Fehler unferer Yartei, daß fie
überall ſogleich abfpricht, wo fie nicht den unmittelbarſten Aus:
druck ihrer Sinn: und Denkweiſe findet.“ Sähen doch die Wahr:
beit dieſes Ausſpruchs jo mande Männer ein, bie in diefem
Fehler wirklich befangen ihn durch den der Anmaßung und
des Hochmuths noch augenfälliger machen. Bon diefem Fehler
ſpricht indeß Herwegh den Philoſophen Roſenkranz in einem
ihm gewidmeten Auffage frei. Jean Paul's Herz nennt Her:
wegh den fchönften Tempel bed Böttlichen, und biefes Herz
habe einen perfönlichen Gott und eine perfönliche Unfterblichkeit
verlangt. Mit Jean Paul's Herz verlangen dies noch tauſend
und aber taufend andere Herzen, die feine Befriedigung im
„Nichts finden. Wenn Herwegh (©. 165) ausruft: „Achtung,
obe Achtung vor dem harmlofen Gemüthe, dad noch feine Be:
0 bigung findet im theuern Glauben feiner Baͤter!“ fo ergibt
fi) aus den darauf folgenden Stellen, daß, wenn er auch Die:
fen Glauben nicht theilt, er doc nicht derjenigen Richtung an:
gehört, die dem Volke in diefer Beziehung Alles nehmen will
obne ihm etwaß zu geben. „Es gibt keine Utheiften,
und bie man fo brandmarkt, fuchen eben Gott am inbrünftig:
ften, und die fie verfegern find eben Diejenigen, bie unfähig
find, fich zum Ideal aller Ideale zu erheben. Man nimmt dir
einen Gott, um ihn dir reiner, verklärter, fehöner wiederzu:
geben” (8. 166). An einem andern Orte fchließt eine Be:
trachtung über die Hegel’fche Philofophie mit den Worten«
„Gott ift allein das Maß aller Dinge” (2. 38). Die humo⸗
riftifche Aber Herwegh's kommt mehre Male höchft ergoͤtzlich
um Vorſchein, wenn auch nicht gerade in dem mitgetheilten
* ſchwachen Bruchſtuͤck eines Luſtſpiels. Auch eine prakti⸗
ſche Seite zeigt er uns in einem Aufſatz über Schriftſteller⸗
affociation, worin er fich beſonders über die Überſetzungsfünden
und die im deutfchen Buchhandel herrſchenden Mängel verbreitet.
Allen Schriftftellern und Buchhaͤndlern zu empfehlen.’
In Beziehung anf die deutfihe Lyrik äußert Herwegh un-
ter Anderm: „Man Bann fein Leben lang in einer dichterifchen
Stimmung fein und doch Fein gutes Gedicht zu Stande brin-
gen. Ein Gedicht muß Hand und Zuß, muß Geftalt, muß
Etwas das man greifen und paden kann haben; es ift noch
gar weit ‚von dem füßen Aufgelöftfein und Verwehen der
Seele ins Blaue bis zur echten poetifchen Eoncretion!” Daß
wir e8 aber hier mit einem echten Dichter zu thun haben, das
bemweifen die in dem vorliegenden Buche mitgetheilten Gedichte.
Sie rühren aus dem Jahre‘ 1840 her und find gleich den er-
ften Blumen des Frühlings die Vorboten des reihen Blüten:
fegens gewefen, den uns 1811 Herwegh's Genius brachte.
Mehre diefer poetiſchen Erftlinge drücken eine tiefe aber kei:
neöwegs fentimentale Schwermuth aus, einen Schmerz, der
noch nicht weiß fol er fi an dad Leben oder an den Tod
halten. So fchließt Las fchöne Gedicht „Fruͤhlingsnacht“ mit
folgender Strophe:
Mein Scifftein treibt im Sturm allein,
Und Niemand will ed retten;
So muͤd' dies Daupt, ſchlaͤft's doch nicht ein,
Ich muß ibm tiefer beiten.
Sn einem Sonett tröftet er ſich felbft:
Ihr wiffet ja: Sewitter maden kalt:
So werd’ id denk vor meinem Winter alt - -
Was griff ich auch fo frühe in die Saiten?
Alein — kein Menſchenleben braucht's zum Gluͤck!
Ich fuͤhle oft, es iſt ein Augenblick,
In dem wir und die Ewigkeit erſtreiten!
Später loͤſte ſich des Dichters Schwermuth in Zorn gegen das
Unrecht und das Unwahre auf, und aus dem BD
gen erſtand der „Lebendige“. Wenn er (S. 85) ausruft: „Ich
bin jung, ich leugne es nicht, ich moͤchte einſt einige Theil⸗
nahme erwerben bei meiner Nation“, fo bat er feinen Wunſch
erreicht und wir wünfchen ihm nun unfererfeitö, daß es ihm
bald möglich werde, bie ihm ſchon einmal gewordene Theil⸗
nahme bald wieder aufzufrifchen.
Ein anderes, abwechfelnd aus proſaiſchen und poetifchen
Productionen zufammengefegtes Buch liegt uns vor :‘
8. Deutfches Taſchenbuch. Zweiter Jahrgang. Zürich, Fröbel
amd Comp. 1846. 8. I hir. 18 Nor. *)
Jedenfalls Fann diefer zweite Jahrgang auf große Man:
nichfaltigkeit Anfpruch machen. Dem Lefer wird glei in dem
erften Aufſatz: „Wolitifche Skizzen aus Ungarn von einem
Slawen‘, ein intereffantes Gemälde des die Aufmerkſamkeit
mehr und mehr in Anſpruch nehmenden Landes geboten. Wenn
in diefee Skizze eine etwas große Vorliebe für das Magyaren:
thum ſich ausſpricht, fo find feine Schilderungen vielleicht ge:
rade deshalb um fo frifcyer, lebendiger und eindringlicher. Die
Beirhreibung der „Congregation des zulaber Comitats am
31. Aug. 1843” iſt wahrhaft plaftifh. Es wird uns bier ein
Volksfeſt vor Augen geführt, das durch feinen wichtigen poli-
tifchen Zweck eine tiefe Bedeutung erhält. Die einzelnen Cha⸗
raftere der „‚populairen Männer in Ungarn‘ werden mit eben-
fo viel Anſchaulichkeit gefchildert.
Die Abhandlung über den ‚Itprismus” ober den Yan-
flawismus auf öftreichifhenm Boden ift reich an intereffanten
Auffchtüffen und Bemerkungen. Bon dem Slawen im öftrei-
chiſchen Bundesgebiete fagt der Verf, daB er „Geiſteigener“
des Deutfchen geblieben, nachdem die Leibeigenfchaft aufgehoben
war, und daß er fih auch ferner mehr und mehr germanifiren
werde. Der Illyrismus in Kroatien entftanden wird als Die
„außgeprägtefte jlawifch: nationale Beftrebung”’ gegen den ma⸗
gyarifchen Geiſt bezeichnet. Indeß wird weiter nachgewieſen,
daß diefer Illyrismus, als weder im Volke haftend noch au
von der öftreichifchen Regierung wegen feiner Sympathien mit '
Rußland begünftigt Feine Wurzeln ſchlagen Tann. Eine le
bendige Charakteriſtik folgt von den Böhmen, den Krainern,
Wenden, Kroaten, Slowaken u. f. w.” Die Polen in Galizien
werden al& die Einzigen betrachtet, welche an rein Nawifper
Rationalität fefthalten. Daß nicht bloß im Elſaß und in der
chweiz, fondern auch in Ungarn ber Name „Schwab“ ein
ne Schimpfwort ift, wiſſen die Schwaben vielleicht ſelbſt
noch nicht.
In der Abtheilung „Über die kirchlichen Verhaͤltniſſe und
den religiöfen Volkscharakter in Ungarn und Oftreih” erfah⸗
ten wir, daß zwei proteftantifche Kirchenzeitungen , deren eine
in beutfcher, die andere in ungarifcher Sprache erfcheint, eine
Patholifche hervorgerufen haben und daß fi an die hierdurch
herbeigeführten wiflenfhaftliden Erörterungen die Hoffnung
einer Bereinigung beider Kirchen knuͤpfe. Merkwürdig wäre
es, wenn in einem Lande, wo man ed am wenigften erwarten
ſollte, Das zuerft zur Ausführung Püme, was jest theilweiſe
auch in Deutichland angeftrebt wird. Uber die Liguorianer und
Jeſuiten enthalt der-Auffag noch einige merkwürdige Winke.
Cine Abhandlung „Über Deutſchlands Landftände in der
ältern and jegigen Zeit“ entwickelt genetifch an der Hand der
Geſchichte die verfchiedenen Wundlungen, die das Inftitut der
Landftände feit feinem Urbeginn bi8 auf unfere Zeiten erlitten.
Der Verf. bezweckt befonders dadurch den Unterſchied der Ber
faffungen zur Zeit des deutfchen Reichs und berer der neuern
Zeit zu zeigen, um davor zu warnen, die heutigen Berfaffun- .
gen conflitutionneller Staaten nur aus den altdeutfchen zu et:
klaͤren, als feien die erftern Feine „repräfentativen‘‘ Berfaffun:
gen, ſondern deutſchen, monarchiſch-ſtaͤndiſche“. Diefer in ei⸗
ner klaren für Jedermann verſtaͤndlichen Sprache geſchriebene
Auffag iſt Leſern der verſchiedenſten Urt zu empfehlen.
(Des Beſchluß —B
*) Über den erſten Jahrgang dieſes Taſchenbuchs wurde in Nr. 138
d. Bl. f. 1845 berichtet. D. Reb.
BSoramwortlicher Gerauögeber: Geinwid Meodhant, — Drud und Berlag von F. SF. Weodhans in Leipzig.
.
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Donnerstag,
— Nr. 78.
19. Maͤrz 1846.
Die Touriſten im Orient.
Vierter Artikel.
(Bortfegung aus Nr. 77.)
Fallmerayer bat uns felbft in einem Auffage ber
Ergänzungsblätter „mild und ſchonungsvoll“ genannt,
weil wir die über ihr Ziel hinausgehenden Angriffe ge
gen die DVerfafferin der „Drientalifchen Briefe” auf ihr
rechtes Map zurüdzuführen verfucht haben. Wielleicht
dünkt ihm deshalb hier unfer unbedingtes Lob und un-
fer freudiger Dank für die jchöne Gabe, welche er und
in feinem neueften Werke bietet, unbebeutend und ge-
ringfügig. Aber diefe Betrachtung foll ebenfo wenig
den Ausdrud unferer Bewunderung ſchmälern ober zu:
rüddringen als die Überzeugung, daß er in jener bei-
läufigen Replit offenbar ſich einer einen Verdrehung
ſchuldig gemacht hat, wenn er meint, wir hätten ohne alles
Weitere die Gräfin Hahn-Hahn als eine durchaus preis-
würdige Erfcheinung hingeftellt. Was wir behaupteten,
war nut, daß Fallmerayer bei der Beurtheilung jener
Reifebriefe einen falſchen Mapftab anlege, indem er an
ein der leichtern Salonlecture gervidmetes Bud) gewiffer-
maßen wiffenfhhaftliche Anfoderungen ftelle, und dag er |
in einem feltfamen Widerfpruche befangen fei, weil er
einerfeitö den Werth jener Schrift auf Null anfchlage
und Goch immer wieder und bei jeder Gelegenheit dar-
auf zurückkäme. In der That glauben mir noch jet,
‚daß es nicht ein Zeichen fonderlihen Gefhmads if,
wenn man auf eine Erfcheinung, von deren Nichtigkeit
man überzeugt zu fein vorgibt, immer und immer wie
der zurückkommt und biefelben Wige z. B. über den
„ſchleppenden Schritt”, über „die Reiſendin“, über „die
fentimentale Frau Ida” oft felbft an folchen Orten, wo
man gewiß derartige Ausfälle nicht erwartet, z. B. in
einer Recenfion von Schaffarik's „Slawiſchen Alterthü-
mern”, in ben „Belehrten Anzeigen der münchener Aka⸗
demie“ u. ſ. w., bis zum Überdruß auftifcht.
Aber wie gefagt, dies thut unferer Achtung vor dem
mächtigen Talente, welches Fallmerayer zu Gebote flcht,
und unferer Freude über die Gediegenheit und XTrefflich-
feit feiner jüngften Production durchaus feinen Abbruch.
Es ift inbeffen nicht die vollendete Form, nicht die reife
und gewiegte Darftellung allein, welche auf uns ben
günftigften Eindruck bewirkt, obgleich auch dies ſchon
Eigenſchaften ſind, die uns aus der Maſſe und dem
Wuſte der gewöhnlichen Reiſeliteratur nicht allzu häufig
entgegentreten, nein, mehr als alle Vorzüge dieſes glän-
zenden Stils, mehr als die Mannichfaltigkeit der Sce⸗
nen, welche vor unſern Augen vorübergleiten, iſt es die
charaktervolle Haltung, die Unbeſtechlichkeit des Verf.
Hier wird nichts bemaͤntelt und mit fhönen Redensarten
übertufcht, nichts um kleinlicher Rüdfichten willen von
der Wahrheit abgemarktet und abgefeilfcht. Schonungs⸗
los tritt der muthige Kämpfer für feine entfchiedene
Sache heraus, und wenn er ja die Miene der Mäßi-
gung und Schonung annimmt, fo traut Ihm nicht allzu
fehr, denn in diefer Haltung führt er oft die nachdrüd-
lichſten und gefährlichiten Diebe. Jedes Thema ift ihm
recht; die DBerhältniffe der morgenländifchen Staaten,
die Zuſtände jener abgetriebenen, Nationen, Sittenge⸗
ſchichte, fprachhiftorifhe Unterfuhungen, vceidentalifche
Dolitit — Alles ift ihm aeläufig, überall rührt er den
alten Sauerteig auf. Dabei flieht ihm jede Waffe zu
Gebote. Bon der ernften, gemeffenen, citatenreichen
wiffenfchaftlichen Beweisführung bis zu den leichten,
wigigen Plänteleien des Feuilletoniften und den vergife
teten Stichen Ariftophanifcher Satire ift er jeder Art
von Titerarifcher Kriegsführung kundig. Freilich wird
er aber mit feiner ägenden, vernichtenden Manier
von feiner Seite rechten Dank ernten noch irgend einer
Partei angenehm erfcheinen. Die Conſervativen, bie
Freunde biftorifcher Entmwidelung werden vor ihm war⸗
nen und in ihm einen Geift der nur verneint fehen;
die Liberalen, die „Glückſeligkeitsdemiurgen“, wie er fie
felbft nennt, bie fi fo gern mit hochklingenden Frei-
heitsphrafen abfpeifen laffen, und die fih von einer er-
borgten Matamorftellung eine gewaltige Wirkung ver-
fprechen, wird er durch feine wiederholten Proteftationen,
daß es ihm auf „Umgeftaltung der Regierungsform mit
Schranken aus Papier durchaus nicht ankomme“, zu⸗
rückſtoßen und erzürnen. Den Machthabern wirb er
durch den freien Ton feiner Rebe, durch die unummundene
Erklärung, daß die Ruffen unfere „Sklavencapacität”
befonders hochhalten („wir Deutfchen find geborene Knechte
unferer Fürften“, &. xıv) anftößig und verbädhlig er-
fcheinen, während bie indolente, flumpfe Menge, bie er
310
durch kraͤftige Donnerſchläge aufzurütteln verſucht, ihn
höchft unbequem und läſtig finden muß (S. xxxii, xxxiii):
Keine Veränderung der Negierungsform hat Beftand und
bringt die gewünfchte Frucht, wenn dic Ummälgung nit von
unten auf und gleichfam mit dem Individuum felbft beginnt,
wenn fie nicht langſam, aber drohend und beengend wie die
Wafler der großen Flut um den Sitz des Übels reift. So
lange tie öffentliche Macht überall corrupte und für jede
Schlechtigkeit bereitwillige Inftrumente findet, und fo lange Als
le8 unter und neben ihr Bäuflicy:unterthänig feine Dienfte bie⸗
“tet, wird und kann fie ihrer Ratur Böfes zu tbun und über
die Schranken zu greifen menſchlicherweiſe unmöglich entfagen.
Faft jedes Mal ift die Staatögewalt nicht Wufter und Vor⸗
bild, wie man fagt, fondern im Gegentheil nur morulijcher
Abglanz und Spiegel der öffentlichen Sittlichkeit. Habt den
Muth felbft gerecht zu fein und ihr werdet auch gerechtere
Fürften haben.
Wie werden die politifchen Philiſter den Kopf ſchüt⸗
tein über fo läftige, anmaßende Behauptungen und Zu-
muthungen! Aber freilich find fie nun gewarnt,. die
Wunden liegen offen und unfere Phantaften und Schreier
dürfen nun nicht mehr ihre Hände in Unſchuld waſchen,
alle Leiden auf Rechnung der Pegierenden fegen und
fih dann ruhigen Gemüths in einen fügen Schlummer
wiegen. Am meiften aber werden die vollblütigen Pa-
trioten, welche auf hoher Warte fiehen und ins Land
hinauslugen, um fogleih ins Horn zu blafen, fobald
der Feind der Grenze gu nahen wagt, ihr Zeter erheben
über diefen „Lobredner ausländifcher Größe und fremden
Nuhmes”, über diefen „Frevler an der heiligen Sache
des Vaterlandes“. D, ihr überwachen Ebenbilder Dorn
Quixote's, welche ihr Deutfchland zur erften Macht ber
Welt erhoben zu Haben glaubtet, weil ihr euch in bie
Bruſt warfet und weil eure Xippen von prahlerifchen
Reden überfirömten, feht welche -zermalmende Kunde
dieſer Wanderer aus dem Morgenlande, dem Lande des
Aufgangs mitbringt, wenn er gleich im Anfange feines
Werts euch unverfchleiert und ohne die’ herbe Pille zu
überzudern die unerbittlihe Eröffnung macht (S. va, 1x):
Bergeblich fucht man es noch länger zu verbedien und zu
vertufchen, es bricht überall durch die Rinde hervor und drängt
fih in alle Gemüther ein: Wir Deutfchen find in der öffentl»
hen Meinung Europas auf Rull herabgefunfen, find außerhalb
der heimifchen Grenzen ald Rationaleinheit für nichts ge
achtet und im großen Wechfelfpiel der Weltgefchäfte von Nie
mandem mehr in Rechnung gebraiht. Wir find nur noch ge
meinfames Object und gleihfam Materie des großen Völker:
markts, wo der Fremde auf das „fleifh = und Enochenreiche
Thier ohne Kopf” fpeculirt und feine Fonds auf Die Deutfchen
legt als Guano für Befruchtung des Ackerbodens in Texas,
am Pruth, am Kur und Amazonenſtrom. Das größte Kleinod
felbftändiger Nationen — den dußern Gredit und das öffent:
liche Zutrauen auf nachhaltige innere Kraft und erpanfive Wirk:
ſamkeit — haben wir verfi erst Daß wir in der zerbrödel:
ten Ordnung zwiſchen zwei rührfamen Kofoffen eingeengt in
die Länge ungermalt befiehen koͤnnen, glaubt außer den Deut:
ſchen felbft in Europa Niemand mehr.
Daß Fallmerayer übrigens bei feiner büftern Schil-
derung von dem geringen Einfluß und der Verachtung
der „Riemegflämme" im Orient die Farben nicht zu
ſtark aufträgt ober in Übertreibungen verfällt, fieht man
aus allen Schilderungen unbefangener Reifenden. Ban
nehme nur, die „Briefe eines Reifenden am Schwarzen
Meere”, auf bie wir bei der Beſprechung orientalifher
Zuftände immer wieder zurückkommen müffen, zur Hand,
um ſich zu überzeugen, daß. Fallmerayer volle Wahrheit
redet, wenn er behauptet, wir würden im byzantinischen
Drient, bei Gräken und Türken allgemein und insge»
fanımt für flupid und verzagt gehalten (H, 291).
Man glaube aber nicht, daß er von unpatriotifcher
Spottfucht getrieben oder gar in der Abficht feine eigene
Nation herabzufegen mit diefen herben KReifeeindrüden
hervortritt, noch, daß er etwa durch Schmähung germa-
mifchen Wefens dem Auslande gefchmeichelt habe. Er.
fann fi vielmehr ohne Prahlerei ruhmen, in jenen Ge
genden die erſten vernünftigen Begriffe über unfer po-
litiſches Dafein verbreitet zu haben. Freilih meint er
aus Patriotismus fei er verworren und unverftändlich
geblieben (II, 294):
Hätte ich den Leuten freimüthig geftchen koͤnnen, daB
Einsfein des deutfchen Staatencomplered fei nur ein im ab»
ftracten Denkvermögen, nicht in der Realität beftehendes, fei
gleichfam nur ein idealer Begriff, der in der Wirklichkeit Eeine
Anwendung finde, jo wäre Allen Alles glei anfangs Mar
geworden.
Da nun ber Deutfche einmal die. fonderbare Prä-
tenfion hat, Alles begreifen und genetifch erflären zu
wollen, fo, meint ber Verf., fange man jest, wo bie
Thatfache, dag wir beim Auslande als Nationalität im
erbärmlichften Credit ftehen, zur Evidenz geworden ift,
allmälig an herumzufragen, wie Deutfchland in der öf-
fentlihen Schägung fo tief gefunten fei. Er für feinen
Theil gibt unverhohlen zu verftehen, daß ein Hauptgrund
davon bie Herrfchaft fei, welche die „unfruchtbare Idee“
und „das leere Wort” in Deutfchland ausüben, wäh-
rend unfere Zeit die That fodert (S. viu). Unfere
„profunden Metaphufiter”, welche über die „Konftruction
der Weltentwidelung”, über „Phönomologie des (Hegel’-
fchen) Geiſtes“ disputiren, wahrend man in „der Nach⸗
barfchaft verhandelt, wer uns das Penfum vorlegen
und uns für Koft und Lohn in Dienft zu nehmen habe“,
befommen ein ganzes Sturzbad von der ägenden Lauge
feines Witzes. Auch die „weiſe Praris Deutſchlands,
feine Dänen=, Elbe, Mauth- und Sundflotten-Energie,
feine andächtige Langeweile und fein melandholifches Fich⸗
tenwalb -Berlangen” (I, 242) gehen nicht leer aus und
mitten in den lieblihen Buchenwäldern von Zrebifond
fpottet er voll koͤſtlichen Humors über bie „„ Saturnalien
eines allergnädigft conceffionnirten und policeilih über-
wachten Volksfreiheits⸗Kanzlei⸗-Rheinliedsſchwindels in
amtlich vorgefihriebener Form’ (I, 70)
(Der Beſchluß folgt.)
giterarifhe Briefe aus der Schweiz.
Ä
(Beſchluß aus Nr. 77.)
„Rinftige Gabinetsordres Dlim’s des Großen" find eine
Satire in 29 Paragraphen, und da kann unmöglich jever Wig
— — — 0...
311
gleich ſchwer wiegen. Der Wis laͤßt ſich eben nicht comman⸗
diren, 13 Seiten lang Stand zu halten und mit ſcharfgeſchlif⸗
fenen Waffen bei jedem Hiebe zu treffen. Am tiefften ſchnei⸗
det er ein, wenn er wie der Blitz aus heiterer Luft Fällt.
Doch wird der Lefer cinen vortrefflihen Paragraphen finden,
deffen Entdedung es wol werth ift daß er alle 25 leſe.
„Protokolle des bewußt: und tendbenzlofen Clubs zu Amen-
fetd”, von Janus (Iohannes Müller), ift eine noch weit,
längere und fo verſteckte Satire, daB man vergeblich nadjfin-
nen muß, um den etwanigen Sinn aus dem Wuft von Unfinn, -
der mit komiſchen Ausdrüden und Wendungen verbrämt ift,
herauszufinden. Im endlichen Schluß: „Exrtraordinaires Bul⸗
letin für die Mondfüchtigen” — der Verf. ſcheint ganz ertra
zu den Mondfühtigen zu gehören —, findet ſich des Pudels
Kern, eine Satire auf Schelling, die zwar wiig genug ift, ſich
aber dech einen abgebrauchten Gegenitand gewählt hat.
Wenden wir und zu etwas Erfreuliherm, zur Poeſie:
„Einundswanzig Liebeslieder von Gottfried Keller.‘ Ob⸗
wei 21, fc find doch dieje Liebeslieder höchft originel und reich,
abwechfelnd fowol an Form ald an Inhalt. So verfchieden
und unerfchöpflich-die Individualität des Menfchen ift, fo un:
erichöpflich auch ift die Liebe, Die zur Poeſie wird bei einem
Weſen, dad diejes Gefühl wahr und rein in fich trägt. Aber
doch nur einem echten Dichter Eonnte es gelingen, das oft be:
handelte Thema in fo neue Farben zu Peiden, einem Dichter,
der nicht durch hundert Zicheleien Lie Friſche feines Deriens
verloren hat. In diefem Cyklus wird uns ein rührender Pleis
ner Roman, aus dem Leben gegriffen, vorgeführt, der gewiß
auf Lie verfchiedenften Naturen eine ticfe Wirkung nicht ver:
fehlen wird. Großartig ift der Schluß, wo der Dichter, nad»
dem feine Geliebte im Grabe ruht, auch feine Liebe begräbt
und von feinen Schmerzen auferitehend fi wieder dem „reis
Leben‘ zuwenbet, „Stirn und Herz den Stürmen bietend‘.
Die „Feueridylle“ von demfelben Dichter befteht aus einer
Keihe ohne Zweifel der eigenen Anfchauung entnommener Bil:
der, in einem einfachen, ſchmuckloſen Gewande, die aber gerade
besbalb fo fehr anſprechen, weil fie zugleich die tiefſten Ideen
ausdrüden, wie beſonders das Gediht &. 133. Bon audges
zeichneter Schönheit au ift bad Gedicht, melde einen.vom
Feuer ergriffenen Blütenbaum ſchildert (&. 135), ſowie das
vom Wein (&. 133). Überflüffig erfcheint auf dem Titel die
ſes Cyklius die Bezeichnung „Allegorie”, da jedes gute Gedicht
in dem Sinne wie diege Feueridylle eine Allcgorie ift.
Unter den „Elegien vom Verf. des «Hand von Kagen-
fingen »’ ift die bedeutendere „Der Untergang” reich an poe⸗
tiſchen Schönheiten und Schilderungen. Uber welche trofklofe
und wenig poetiiche Weltanſchauung offenbart fi darin! Der
oft beſagte, Weltſchmerz“ und die „SBerriffenheit” in einer
neuen Auflage! Der Dichter verzweifelt an Allem, nicht blos
an einem Könige — was man fi) gefallen läßt —, er ver:
zweifelt am Glauben, an der Soffnung, an Beit und Emigkeit
"und gar auch an ber Liebe. Micht einmal die Erinnerung an
feine Lieben, die er mußte flerben fehen, gießt Balſam in feine
Wunden; aud von ihnen ift ihm nichts geblieben als ein
„Richts“. But, daß nicht Alles fo iſt wie er es anzuſehen
vorgibt, denn fonft müßte er fi) noch heute eine Kugel vor
»den Kopf fihießen, da die Ausfiht auf den Untergang Europas
und die Erhebung Amerikas, wemit er fein Gedicht ſchließt,
Doch etwas weit ausfehend iſt. Die Stanzen find theilweiſe
ſchoͤn, theilweife aber auch hoͤchſt muͤhſelig. Es wird ber
Sprache Gewalt angethan, ed kommen gepnungene Conſtruc⸗
tionen vor, was wol bei einem komiſchen Stoffe die Wirkung
manchmal erhöht, hier aber flörend iſt und den ausgedrüdten
Gedanken unklar mat. Rur ein Beifpiel: Die Natur, beißt
es, lähelt, wenn der Denfd den Arm- um ein geliebtes
Kind fchlögt, nn
Doch einfam ſteh'n auf ihren hoͤchſten Höhn —
Oo fie if fhwarz! Denn fie ik wunderſchoͤn!
Auch eine Fortfegung des komiſchen Gedichte „Hans von
Kagenfingen” enthält dicfer zweite Jahrgang des ‚„„‚Deutfchen Zus
ſchenbuch“. Iſt der negirende Dichter auch an feiner Producs
tion&fraft verzweifelt?! Man follte es denken, denn Die dies⸗
jährige Bortfegung fteht dem vorjährigen Unfange bes Ge⸗
dichts weit nad. .
Die mitgetheilten Gedichte Otto's v. Wendftern find
zum heil ſchon anderwärtd abgedruckt und nebft den hier new
gegebenen von Feiner großen poetiſchen Bedeutung. Wenn aber
der deutfche „Michel” feine Sympathien mit der Schweiz auf
eine fo fchöne Weife ausdrudt wie es in den „Drei Liedern
aud Deutfchland” gefchehen, fo beeilt fi die Schweiz dies an⸗
zuerfennen. Schon ift das dritte Gedicht „Im April 1845 -
(8. 362) in mehre Schweizerblätter übergegangen. ’
9%. Es war in der erſten Abtheilung Ddiefes Briefe von
den fecialen Dichtern, wie fie nicht fein follten, Die Rede. In
Hrn. H. Püttmann haben wir gleich einen folchen auf der
hat ertappt. Seine
Sorialen Gedichte. Belle: Buc 1845.
lafien den Berf. der „Iſcherkeſſen⸗Lieder“ nicht wieder erkennen.
Denen kann fchwerlich Die Noth des Volks zu Herzen gehen,
die ihm mit fo ſchwachen Gedichten zu helfen meinen. Anyes
nommen, daß fie wirklich in das Wolf drangen, glaubt denn
Hr. Yüttmann , daß ihm etwas der Art aud nur gefallen
fönnte? Er möge ſich doch des Weberliedes erinnern, Das fich
die ſchlefiſchen Weber ſelbſt gedichtet Haben, und e8 zum Mus
fter nehmen. D, das Volk, fo roh ed zum heil leider noch
ift, will ftatt eines Liedes Beine ,‚‚fade” Proſa. Es will et-
was das ergreift, das eindringt, daß padt. Und um fi ihm
verftändlich zu machen, braucht es da Geſchmackloſigkeiten, Tri⸗
vialitäten und — Dummheiten? Hr. Püttmann wird noch lange
den „bürren &fel der Gelehrfamkeit” (8. 154) verachtend das
„Dromedar der Hoffnung’ (8. 119) und „das dumme Vieh
der Geduld‘ (43) zufammenfpannen fünnen — er wird doch
nicht auf den Parnaß gelangen. Do wir müffen vorn ans
fangen um eine Eleine Unkrautleſe zu geben.
Rübezahl Laßt einen reichen Fabrikherrn träumen, daß er
von einem armen Weber an der Kehle gepadt würde:
Vor feinem Blid wirdes Naht —
Die Zung' tritt aub dem Halfe —
De ftöhnt er und erwadt.
Sich die Zunge aus dem Hald herausträumen! Poefie verhülle
dein Antlig! Die Ausrufungen in Gedichten: „'s ift nur in»
fam!’ und „D 's ift zum Entſetzen!“ wollen wir nicht einmal
rechnen. Nun aber heißt es in der Erzählung der traurigen
Geſchichte eines armen Mannes, „der von des Tages Plad
bezwungen“ feine fünf Kinder umgebradt (&. 32):
Ind Zuchthaus fperrt ihre ihn nur achtzehn Jahr
Den Mörder: Vater? — Himmel bad if fade!
a fade! Bei einer zweiten Auflage dev Gedichte gäben bie
vier legten Worte des Verſes ein vecht paſſendes Motto. Und
diefer Hr. Püttmann fingt noch: ”
Die Wahrheit fpriht aus meinem Dichtermunde. (!)
So macht denn Gedichte fo viel ihr wollt, aber behaltet fie bei
euch, oder wenn es durchaus fein muß, fo laßt fie auch drucken
wenn fih ein Verleger findet, aber nennt euch doch nicht alle
Augenblide „Dichter ’'! Das ift eine Verfündigung an dieſem
heiligen Ramen.
Gehen wir weiter. &. 6 und 7 „erlebt man Fein Sen»
feit8". Uber der Verf. weiß Peine atheiftifche Policei zu‘ hal⸗
ten; denn unverſehens entwifhen ihm (&. 31) fünf Seren
in den — Dimmel! .
Bum Simmel zogen fünf unſchuld'ge Seelen —
wie man aus einem Haufe ins andere zieht. Welche Incon-
fequens, Hr. Puͤttmann, für einen Unhänger der neuen Philos
fophie! Man begreift nicht, warum (&. 33) gerade „zw eihuns
dert Harfen füße Klänge ſchwirren“ follen um den gequälten
Mann? Wenn if) denn doch einmal nad Hunderten rechnete,
312
kame mir ed auf einige weitere Hunderte nit an. In dem
Schicht „Am Wege” kommt folgende Strophe vor:
Der Pilger? — ob ich's felber mir —
Wird auch nit lang mehr wallen:
Vielleicht ertrinkt er in dem Meer,
Vieleicht in Feſteshallen.
Da kann er fi) doch mol nur betrinten. &. 144 handelt es
fh um „woblgeruciig Saar”, der weiteren Sprachfehler nicht
zu gedenken. S. 167 hebt ein Vers folgendermaßen an:
Aber ach, das Toͤchterlein,
Bart von Nerven und von Nieren: (!)
Gehört der Verf. zu Denen, die ſich felbft für Gott halten
und darum glauben Herzen und Nieren zu prüfen? In ber
dritten „Crayonfſkizze“ heißt e6:
Auch der Prinz leutfelig grüßt
Mit der Peitfhe, mit ber Peitſche
Mit der Peitſche, mit — der Peitfhe —
Auch der Prinz leutfelig grüßt.
Eine ſehr überflüffige Strophe, da Hr. Puͤttmann auch ohne
Peitſche zu Matfchen weiß. Ein Gedicht ijt in der Sammlung,
von dem man nicht begreift wie es hierher kommt, da ed mehr
werth ift wie der ganze andere Kram und eine wahrhaft poe-
‚ tifche Idee darin liegt. Es heißt. „Das Fabrikkind“ (S. 44),
und ift früher fchon im „Geſellſchaftsſpiegel“ erichienen. Eine
rühmlihe Erwähnung verdient noch „Der Zigeunertönig ’
(&. 140), aber er ift mit „Zugrundlegung eines altdeutfchen
Bolksliedes” entftanden. Das „Zugrundlegen‘' fcheint Hr. Pütt-
mann aus dem Grunde zu verftehen. &o fihaltet er (S. 170)
einen ganzen Vers des fchönen Volfslicdes ein: „So viel
Stern' am Himmel ftehen”, und fährt dann höchſt geſchmack⸗
108 fort: ’
- So viel Diebe gab 8 fürwabr
So vielmal der Graf ließ Enuten.
Doch genug! Mögen dem Volle in feiner Mitte würdi—
gere Vertreter feiner Sache. erfteben ; nicht Solche, die ihr
durch eine faliche einfeitige Auffaſſung derſelben nur ſchaden
müffen. Handelt fi ed auch vorerft um die Abftellung des
materiellen Rotbftandes bes Volks, fo. ift diefer allein noch
ein Segenftand der Pocfie. Die ſociale Frage muß zugleid
von der ideellen Seite aufgefaßt werden, und Dazu muß man
Kopf und Herz auf den rechten Flecke haben.
1. Guerrillaskrieg, verfprengte Lieber. Belle⸗Vue 1349.
wären wol der Erwähnung nicht werth, wenn c& nicht gälte,
an einem weitern Beilpiele zu zeigen, wie jämmerlidh cd jegt
um einen Theil der deutſchen Lyrik beftellt ift; denn leider
find die Dichter der „Socialen Gedichte‘ und ber „„Beriprengten
Lieder” nicht die Einzigen in ihrer Art. Der Wille unfers
Guerrilla, der wol ein Mufenfohn fein mag und fein Sohn
der Mufen, tft gut, aber feine Poeſie ift ſchwach. Auch ift er
nichts weniger als wild und Friegerifh. Er meint (8. 94):
Es trifft einit das Verkehrte
Auch ohne und der Tod,
D'rum moͤgen wir zum Schwerte
Nicht greifen ohne Noth.
Und da greift er zum Gänſekiel, um gereimte Lieder in Proſa
und mit Sprachfehlern zu fchreiben. Und dazu thut es Peins dies
fer „Verſprengten“ unter T— 13 langen Strophen, und ach!
wie langweilig find fie erft! Da wird Herwegh's Gedicht „Die
Zungen ımd tie Alten” (S. 11) neun Strophen hindurch va:
riirt und imitirt:
Schmaͤht mir nicht die blonden Locken
beißt e8 dort,
Ihr böhnt die braunen Haare
heißt es bier. Da werden Jahn und Sordan, ber Bar und
Gejheraog Stephan, Dr. Rauwerck und die Iefniten, Weitling
und 9. Grün glei lang und langweilig angefungen und von
Letzterm wird ‚gefagt, er habe in den „Nibelungen im Brad Bild
on Bild gezwungen „wie Lämmer in den Sad. Dingelftedt
fogar ſoll früher „mit Liederſcheiten“ „den ‚glatten Leuten ge:
heizt” haben! Da wird in 63 Beilen das alte Lied von dem
„Was vwoir follten” geleiert. Vor Allem hätte der jedenfalls
‚junge‘ Menſch wiffen follen, was er nicht gefollt: Lieder ma⸗
den und fie druden laſſen auf fo ſchoͤnes Papier, jede Seite
zierlich befranzt. Kein Wunder, daß „Die Gegner“ endlich im
letzten Gedichte die Geduld verlieren, dem Guerrilla zu Leibe
gehen und fragen:
Wozu bie tauſend Hände u ;
Mit Stift und Federliel ?
Jawol, wozu, wozu? als dem Bolfe den Geſchmack an Poe:
fie zu verleiden und dazu beizutragen, daß man mistrauiſch
jeden Band Gedichte zur Hand nimmt. Wo kommen nur die
Berleger für die Mafle unbedeutender Gedichte her? Wer fauft
fie, oder gar wer lieft fie als etwa cin mitleidiger Recenfent ?
Sa, tiefes Keidwefen ergreift Einen bei diefem Theile der Lite:
ratur. Don der Preßfreibeit ift in diefer Hinſicht feine Beſſe⸗
rung zu erwarten; fie ift nur zu erwarten -von einem geſell⸗
fhaftlichen. Zuftande, der jedem &liede der Gefeltfchaft feine
richtige Stelle anweift und ben ſchlechten Poeten etwas ihren
ſchwachen Kräften Angemeffenes zu thun gibt. 59,
Hiftorifhe Miscellen.
Das Concilium zu Trident.
Als im 3. 1545 das Concilium zu Zrident war eröffnet
worden, wußten weder die daſelbſt verfammelten Bijchöfe
noch auch die vom Papfte abgeordneten Gardinäle, was denn
nun eigentlich zu thun und wie zu verhandeln fei. Sie er:
ließen daher ein merkwürdige Schreiben an den Papſt Paul IIL.,
in welchem fie, mit ber Bitte um Berhultungsbefehle, eine
Unzahl von Fragen vorlegten, die ind kleinſte Detail ſich ver
Ioren und weldye bei Sarpi nachgelefen zu werben verbie-
nen. Die verfammelten Väter hätten fih die erlegen:
heit und die Mühe erſparen Fönnen, wenn fie wie 18 Jahre
nachher wenigftend von der Mehrzahl gefchehen ‚offen das
Geſtaͤndniß abgelegt hätten: „Das Concilium fei nur dazu ba,
die Meinungen ber Proteftanten zu verbammen.” Diefe haupt:
Ele Abfiht hat ſich denn auch laut ausgefproden in der
Schlußfeene dieſes Eonciliums, dad, unter dem Vortritte des
Gardinals von Lothringen, mit dem einftimmigen Ausrufe fi
endigte: „Anathema cunctis haereticis! Anathema-! Ana-
thema!’ Ein Ausruf, der mit der Lehre Chrifti: ‚Daran
fol Ieder erkennen, daß ihr meine Schüler feid, wenn ihr
Liche unter einander habet“ (Ev. Joh. Cap. 13, 3. 35)
wol nimmermehr in Einklang zu bringen ift.
. Heinrih VII und der Papſt.
König Heinrich VIII. von England hatte wie be:
fannt ein Buch „Von den fieben Sacramenten” erfcheinen
lafien, in weldem er die Autorität des Papſtes vertbeidigte
und dagegen Luther's Lehre beftritt, wofür ihn der Papſt
Leo X. mitteld einer im October 1521 erlaflenen Bulle mit
dem Ehrentitel eines ,‚Vertheidigers des Glaubens” belohnte.
Der König war darüber fehr erfreut und that fih auf den er-
haltenen Zitel nicht wenig zu gute. Als er nun gerade einmal
in einer ſolchen fröhlichen Laune war, fragte ihn fein Hofnarr
Patch nach der Urfache feiner Heitern Stimmung. Der Kö:
nig geftand ihm, daß der vom Papſt erhaltene Titel eines
„Vertheidigers ded Glaubens” ihn fo hoch erfreue. „Du gur
ter Seinridet petfegte darauf ber Narr, „forge nur dafür, daß
du Dich felbft wider den Papft vertheidigft+ der Glaube wird
ſich wol ohnedies vertheibigen.” Acht Jahre nachher befolgte
der König den Rath feines Hofnarren und begann die Refor«
mation in ſeinem Lande. 2,
Verantwortlicher Deraudgeber: Heiunrich Brockhaus. — Drud und Verlag von F. X. Drockhaus in Reipzig.
B lhaͤtter
für
literariſche Unterhaltung.
Freitag,
— Nr.79. —
20. Maͤrz 1846.
Die Zouriften im Drient.
Dritter Artikel.
(Beſchluß aus Nr. 78.)
Aber man zürne dem argen Spötter nicht; er ge-
ſteht ja felbft, daß, als ihm durch ein günftige® Unge⸗
fähr in Salonichi M—t's „Philofophie der fubjectiven
Natur” in die Hände fiel, und er, müde der türfifchen
Syntar, darin las „Negation ift Negation ded Ausein-
anders der Natur”, ihn ordentlih das mohlthuende
‚Gefühl eines füßen Heimwehs (II, 55) überfhlih. Da-
bei verleugnet er, ber fo ſehr auf die That und die
Praxis pocht, hoch keineswegs die wehmuthsvolle Schwär⸗
merei, diefen Grundton, ber durch unfer ganzes Weſen
klingt — die Ruffen legen uns deshalb bekanntlich den
Namen Schmerz bei —, und wenn fein Auge über die
prachtvollen Scenen bes Hagion Oros hinſchweift, fo
kann es fih der Thränen nicht erwehren. Dafür per:
fifliet er fih freilich dann felbft wieder (1, 73):
Gebt ihnen (den Deutfchen) etwas Mondfchein mit Wel⸗
Iengebrumm, und ihr mögt ihnen ruhig die Taſchen leeren
und Feſſeln an die Arme legen. Ä
und meint (I, 120):
Leider vollenden Andere, während wir irdifcher Roth ver:
geflend mit Einſamkeit und milden Zinfen kolchiſcher Som⸗
merlüfte buhlen, ihre politifhen Rechenerempel und legen ber
überrafchten Welt ihr Facit hin.
Dabei ift aber feine ganz Reife, der Zweck und bie
Beranlaffung zu derfelben ganz fo, daß man es ihr an⸗
fieht, fie koͤnne nur aus dem Kopfe eines Deutfchen,
„welcher dev Wiffenfchaft wie einer großen weltgebieten-
den Macht huldigt“ (S. xın), hervorgegangen feien. Er
zieht als „Papier - Jafon aus dem innern Keltenlande
bis Kolchis, um die politiihen Momente eines unbe-
tannten romanhaften Schattenreich® aufzuhellen‘“.
Zum Glück haben ihm diefe gelehrten Forſchungen,
an die er „wie an feine Lebensaufgabe gefeſſelt ſcheint“
feinen unbefangenen Sinn nicht etwa verwirrt und von
der Wirklichkeit abgezogen, fobaß er ungeaditet der ge
Iehrten Bürbe, welche er nach echter deutfcher Art mit
ſich fehleppt, von fi fagen kann (I, 133):
Ich ftreife als Abenteurer frei und forglos burch die Laͤn⸗
der von Byzanz; mich entzüdt der Wald, die fanfte Schwel⸗
lung des Höhenzugß ‚ der Immergrüne Buſch, felbft Roth und
Entbehrung find Kir mi
‘
& Genuß. Wo Andere eilen, bleibe .
ich Liegen, horche auf den dumpf und regelmäßig wieberlehren:
den Wellenſchlag der Pontus⸗Sunde und betrachte noch weit
lieber als alte Pergamente die Menfchen und ihre Sitten.
Seit langer Zeit haben wir kein Werk erhalten,. in
welchem die verzwicdten orientalifchen DVerhältniffe zu. ei⸗
nem fo ruhigen, fichern Bilde zufammengefaßt würden
ale in dieſen „Fragmenten“. Dazu kommt, daf ber Verf.
feine Überzeugungen, welche er aus unbefangener laͤnge⸗
rer Beobachtung gewonnen hat, mit rüdfichtslofer Offen-
beit und ohne irgend welche geheime Sympathien zu
—F herausſagt. Wir müſſen uns hier auf einige
ndeutungen befchränten, welche von der Kernhaftigkeit
und Reife der politiſchen Anſichten ſowie von der Ge⸗
diegenheit und Kraft, mit der ſie vorgetragen werden,
nur ein ſchwaches Abbild geben mögen. Bei dem ge⸗
genwaͤrtigen Zuſtande der Dinge, wo die Hauptſtadt
des türkiſchen Reichs den vorzüglichſten Schauplatz des
diplomatiſchen Intriguenſpiels abgibt, und wo „man faſt
ſtündlich mit Sorge dem Erloͤſchen bes osmaniſchen
Sultanats entgegenſieht“, zieht wol die Frage, welchem
Umſtande vorzüglich das Verglimmen und Hinſiechen der
früher fo ungeſtümen osmanifchen Lebenskraft zur Laſt
zu legen iſt, beſonderes Intereſſe auf ſich. Fallmerayer
ſieht nicht ſowol im Volke, das indeſſen, wie (I, 93)
dargethan wird, über feine Kraft in einer unbegreiflichen
Sellbſttäuſchung befangen iſt, als in dem gänzlich ver⸗
morſchten und herabgewürdigten Herrſcherhauſe und der
Regierung den Grund und den Anſtoß zum Verfall
(l, 315). Dies ſagt der Verf. auch mit beſtimmten
Worten (II, 266): | |
Herabgewürdigt und ohne Auverficht ift in ber Zürkei nur
die Regierung; das Volk bat weder von feiner fanatifchen
Energie no von feinem Selbftvertrauen etwas verloren und
fühlt fi) dem meuterifhen Sinn der chriftlihen Raja ohne
fremde Dazwifchentunft fogar in der europäifhen Hälfte des
Reichs vollſtaͤndig gewachſen. |
Das Gemälde, welches hier von der Regierung ent-
worfen wird, tft EHäglich und jammervoll (Il, 145):
‚Die Klepfin iſt das einfachfte und Eennbarfte Bild der öf-
fentlihen Buftände im Drient: Jeder ftiehlt, mas der Andere
faetz die Regierungen aber nehmen bier Allen Alles weg, und
Frieden bat nur wer Bettler if.
Unfere politifchen NRechenmeifter haben nun im Hin-
blick auf ben zerfallenden türkifchen Staatöförper ihre
Muthmaßungen über das wahrfcheinlihe Ende biefer
314
orientalifchen Verwickelungen in der anfpruchsvollen Form
politifcher "Prophezeiungen ausgefprochen. Der Frag-
mentift tritt den meiften dieſer politifhen Wahrſchein⸗
lichkeitsberechnungen mit Entfchiebenheit entgegen. Am
haltiofeften fcheint ihm die Anſicht, daß ſich aus den
lostßfenden Theilen der tuͤrliſchen Monarchie einzelne be⸗
fondere Meine Staaten als Vertreter der verſchiedenen
bis jegt unter einer Herrſchaft zufammengefoppelten Na⸗
tionalitäten herausbilden merden. Zur Zeit des Lärmens
wegen des leidigen Juliverttags fand diefe Meinung auf
der Tribune befonders in Lamartine einen phrafenreichen
und begeifterten Vertheidiger. Sallmerayer weiſt bas
Thörichte dieſer Vorausfegungen, welche dadurch nichts
an Nachdruck gewinnen, daß ihr hartnädigfter Vertreter
den Orient felbft nach Zouriftenart durchzogen hat, auf
das bündigfte nad) (1, 316). Er meint, immer wür⸗
den die einzelnen Glieder dem einen gemeinfamen Mit:
telpunkte Konftantinopel wie ihrer gemeinfamen Sonne
zuftreben (I, 317): '
Alle eure Kimfte macht die Stadt mit ihrem eingeborenen
Genius zu Schanden. Schneide man immer entlegene Zheile
vom Ganzen meg und erwärme fie wie der begeifterte Pygma⸗
lion fein Steingebilde, fie verdorren dennoh aus Sehnſucht
nach heimatlicher Lebensluft, oder rinnen von felbft unaufhalt:
fam wieder in den Schoos des Mutterflaats zurüd. So groß
if der Zauber biefer geheimnißvollen, noch unbegriffenen Stadt.
Roch Hirnlofer feheint ihm die Annahme, für bie
unfere philologifhen Schwärmer fid) gern erwärmen, ats
ob die Hellenen, bie felbfi faum im Stande find, ein
eigenes politifchese Dafein zu friften, „in Die Competen-
teiteeihe zur künftigen Vacatur des Drients“ geftellt
werden tünnten (1, 326). Wer fol denn aber nun im
Sinne des Fragmentiften das große Erbe der lebens⸗
matten Osmanen antreten? Kein anderer als die Ruffen,
deren ganze Politik feit älteſter Zeit her von Byzanz wie
von einem Magnet angezogen ift und Die recht eigent-
lich vom Verhaͤngniß mit dem nöthigen Zeuche ausge⸗
rüftet fcheinen. „Die Reftauration von Byzanz, das ift
Ariom, kann nur eine »flamwogräfifchen, Feine «byzantini-
ſchey, am wenigfien aber eine «hellenifcye» fein” (1, 336)..
Freilich hat der unerhittliche Fallmerayer wol Recht, diefe
Antwort iſt Vielen unbequem und verhaßt, welche ihr
Bericht widerlegt zu haben glauben, wenn fie ihrem
Urheber Schuld gegeben, er fei ein Werkzeug vuififcher
Politik. Diefe Behauptung, melde ſich wirklich in ver-
ſchiedenen Journalen Luft gemacht hat, ‚finder ihre ſchla⸗
gendfte Widerlegung in dem entſchiedenen Ruffenhaffe,
der im ganzen Werke welches uns vorliegt athmet.
Bon befonderer Bebeutung fcheint zur Verfechtung
feiner Theſis dem Verf. die Stellung und das Verhält⸗
niß der griechiſchen Kirche, der er eine viel größere
Macht und eine viel zähere Lebenskraft beilegt (I, 334)
ale man ihr gewöhnlich zugufchreiben pflegt (Il, 279):
"Was der abendländifchen Kirche nie ganz gelingen wollte,
oder ſchnell wieder verloren ging, bat die morgenlaͤndiſche voll⸗
ftändig durchgeſetzt: fie ift eine compacte Einheit in Sinn und
Beitrebung und ihre größte Stätte liegt in der Mäßigung,
mit der fie erſt nur um Anerkennung gleicher Nechte ringt.
Nach dem Biege wird fie ihrerfeits zum Angriff übergehen.
mal, daß ſich im großen i
‘bleibende Schöpfun
Wir theilen enblich hier noch eine kurze Stelle mit,
welche gewiffermaßen ein gebrängtes Refumd der politi⸗
[hen Anſichten bes Verf. über die orientalifchen Zus
ftände gibt (IT, 267— 268): :
Bwei Dinge ſcheinen mir beute unmöglicher als je:- einz
ltyriſchen Dreieck gend ein chriftlich⸗
byzantiniſcher Staat durch ſich felbſt zu erheben und politiſch
jelbftändig zu conflituiren, Durch &igene innere Kraft ich frei
zu erhalten und fortzuleben vermöge ; zweitens, Daß irgend eine
genannter Art durch den Occidenta⸗
lismus in jener Gegend zu erwerben fei.
Wir haben bereits angedeutet, daß ber Reiſende
fih duch das Gift politifcher rörterungen feine
Freude an ber Pracht und der Mannichfaltigkeit der
üppigen Scenerien, melde ſich auf feiner Wanderung
vor ihm auftollen, nicht vergällen läßt. Dazu kommt,
daß er das Zalent, die äußern Eindrüde, welche er em⸗
pfängt, in ungetrübter Naturtreue abzuſpiegeln und zu
geſtalten, im höchſten Grade beſitzt. Einzelne feiner Na-
turbilder, beſonders die farbenreichen, ſaftigen Landſchafts⸗
gemälde find von einer künſtlerifchen Vollendung, daß
wir ihnen auf dem weiten Gebiete der. Literatur faft
gar nichts zur Seite ftellen können. Wo läßt ſich eine
fhönere Schilderung auffinden als die, welche wir bier
von Hagion Dros, vom Athos, erhalten, den der Frag⸗
mentift den koloffalen, von der Natur felbft aufgethitem-
ten und mit unvermwelflihen Feſtgewande umzogenen
Münfter von Byzanz nennt? (II, 5—8):
Kanggeftredt ift die Halbinfel, nicht flach, auch nicht wel⸗
lenformig hingegoffen, nody als ſchiefe Ebene nur auf einer
Seite auffteigend, auth nicht ein mit Hügel: und Keljengerirre
unregelmäßig ausgefünten Gonglomerat: haldig und ſanft ſteigt
es von beiden Strandſeiten gegen die Mitte empor’ und läuf
jattelformig mit wachjender Höhe und Steile in langen Win-
dungen. fort wie ein Tempeldach, und am Ende ſtrotzt leibig
und wohlgenährt, von drei Seiten rund aus dem Wafterfpie-
gel herausfteigend und auf der vierten bis aur halben Höhe
mit dem Waldgebirge verwachſen, einfam und frei die riefige
Athoskuppel in die Lüfte, auf der Plattform ein weithin ficht-
bares Kirchlein, das hoͤchſte und Iuftigfte Gotteshaus der mor-
genländifhen Chriften, zugleih Sig der Sommerluft, der An:
dacht und der Windsbraut der Athoniten. Man denke fich eine
Auguſtnacht in Purpurflor und mit allen Reizen des Südhim-
meld angethan, den glatten Spiegel über bodenlofer Ziefe,
mildhauchende Seelüfte über die Gärten und Söller fächelnd,
Rachtigallen im Rofenbufh, das lange Walddunkel und die
Wachtfeuer auf ber Bergſpitze; oder wie das Morgenroth und
der erfte Sonnenftrahl goldfunkelnd auf die Felfenfrone fällt
und weit unten auf dem Kaftanienwalde noch ſchweigſame Nacht
oder kaum das erfte zweifelhafte Dämmerlicht über den Klofter-
innen am Strande liegt!
Athos ift Hochwarte des Agäifchen Meeres umb Leuchtthurm
aller Drthoboren in Byzanz. Vom Peftlande in das Meer hin:
ausfpringende Eherfonefe find vorzugsweife eine Eigenthünlid-
keit der griehifchen Welt. Zu Kerafunt in Kolchis, bei Si⸗
nope in Paphlagonien und in der Nähe des Athos felbft hat
die Natur ähnliche Bebitde bald nur begonnen, bald ausge⸗
führt, nirgend aber ein fo ſchlankes Maß angelegt, die Wände
fo romantiſch ausgeführt und den Wuchs in fo liebliche For⸗
men ergoffen wie hier. Ein felfichtes ſchroff und mühevol zu
erflimmendes Radelholzgebirge, quer über den Ifthmus ſtrei⸗
hend, hütet wie ein Säulengang das Thor zur immergriunen
Baumregion des Athos, und wenn der Fremdling nad Über-
ſchreitung dieſer Querwand über tiefe Schluchten und Hügel
315
aus wilbem Rosmarin den Hochpfad .erfiommen bat, thut fi
eine Scene auf, deren Schönheit man mol empfinden, aber
nicht befchreiben kann.
Wie ein langer Silberfaden Läuft über Sattellamm und
Bergichneide durch hellgrünes Gebüfh und dichtverwachſenes
epheuumranktes Baumgewühl der Hochpfad' mitten durch die
Halbinſel bis zum hoben Athosfegel. Bald fihroff und ohne
vermittelnden Übergang, bald fanft und in verlorenen Halden
ſenkt es jich zu beiden Seiten des Weges in romantifchen Bor:
fprüngen und verfihlungenen Thalwindungen oder in weiten,
amphitheatraliſch ausgebogenen Prachtfächern über Waldoͤde,
über lieblich bebautes Einſiedlergehöfte, in dunkelm Waldſchat⸗
ten, bier zum fingitifchen, dort zum ſtrymoniſchen Golf hinab;
die Sonne bligt auf den Waflerfpiegel und lodt, dur die
faubigen Bäume fallend, eine Zhrane wehmuthsvoller Erinne:
rung aus dem Auge des fremden Wonderers. Tief unten am
Strande, in weiter Entfernung voneinander abgefondert, durch
Wald und Borgedirge getrennt, auf.grüner Watte ausgebrei⸗
tet oder in waldüberhangenen Schluchten, an raufchenden Sil-
berbaͤchen, zwifchen Limoniengärten und langmwipflichten Eypref:
fen heimatlich verborgen, erſcheinen die Mönchkaftelle mit he:
hen Mauern, mit gewölbten Shorgängen, mit Blodenhaus,
mit wart» und zinnenbefrangteen Feſtungsthürmen und eifen-
befchlagenen Doppelflügeln zur Hut der byzantinifchen Heilig⸗
thümer wider feindliche Gtwalten.
Nicht minder lieblidy und poeſieathmend fmd die Land⸗
haften aus der Umgegend von Zrebifond, welche der
Verf. abweichend vom Sprachgebrauch der alten Geo-
graphie, mit dem etwas weit ausgedehnten Namen Kol:
chis bezeichnet. Er fügt felbft von diefem Lande (1, 294):
Richt das goldene Bließ, nicht blos alte Yergamente und
die melancholiſchen Ruinen der Komnenenburg zu Zrapezunt
haben mich nah Kolchis geführt; ich folgte geheimnißvollerm
Zuge, wich einer unerfärten Sympathie der Erdgeborenen für
heitere Lüfte und quellenreiche Einfamleit immergrüner Wald:
partin. Was Ierujalem für den myſtiſchen Schwung ber
büßenden Seele, ift Kolchis für den Gögendienft irdifch bezau⸗
berter Phantaſie.
Aber das Talent des Verf. ift gefhmeidig und viel-
feitig; er fchildere mit demfelben Glück die befchränftern
Kreife eines heitern Stilllebens wie die Sitten der Völ—⸗
fer im Ganzen und Großen. Mit viel Humor und
anziehender Gemüthlichfeit führt er uns ein in das
Haug feiner rechtgläubigen Wirthin, welche, um fich von
feiner Zrömmigfeit zu überzeugen, ihm heimlich auf:
lauert, ob er die Meffe mit Regelmäßigkeit befucht
(1, 55). Auch die Sconen aus dem Mönchsleben,
weiche er feiner Darftellung einverwoben bat, enthalten
der Föftlichen Züge viel und geben uns ein lebendiges,
Mares Bild vom Treiben der „anatolifchen Seldftüber-
winder”., Was er ferner von feinen eigentlichen Reife-
erlebniffen, von den Vorbereitungen und Abenteuern ſei⸗
ner Wanderungen felbft mittheile, ift durchaus geeignet,
den Reiz der Mannichfaltigfeit, welche dem ganzen Werke
eigenthümlich ift, noch zu erhöhen. Wenn er fih auch
nicht geradezu enthält, von feiner Perfon und von Dem,
was unmittelbar darauf Bezug hat, zu reben, fo läßt
er fie doch gerade nur fo viel bei feiner Darftelung in
den Vordergrund treten al® zur Belebung des Ganzen
von Interefje fcheint. Nirgend blickt jenes Haſchen nad)
Piquantem, jene platte Indiscretion und das Coquettiren
mit perfönlihen Beziehungen dur, welche in den mei-
fien Erfcheinungen der modernen Zouriften-2iteratur fo
kend gemacht.
widerwärtig wirken. Und wenn der Reifende auch wol
von ſich feldft redet, fo Ternen wir in ihm einc von un-
fern abgehegten „europamüden Weltfahrtlern” fo durch⸗
aus verjdiedene Perfönlichkeit kennen, daß wir biefe
fernbafte, gefunde Natur vol Saft und Kraft durchaus
liebgewinnen müffen. |
Selbft die fharfe Polemik, welche hier und da ge-
gen die Feinde und Widerſacher des Zragmentiften vor-
bricht, und ſich beſonders gegen den Schluß des Werts
hin in einem vollen Strome ergießt, thut für Leſer, dev
nen Die literarifchen Beziehungen ber Gegenwart geläufig
find, dem Werthe des Ganzen feinen Abbruch. Diefe
polemifchen Streiflichter beziehen fi, wie man wol ver-
muthet, auf die befannte, vielfach angefochtene Tihefis
Fallmerayer's über die Abfunft der Hellenen. Er fagt
es unummunden, er fei ungeachtet aller Angriffe und
Verfeindungen, denen er fi durch feine allbefannte Be:
hauptung, daß in der gegenwärtigen Bevölkerung von
Griechenland das ſlawiſche Element überwiege, ausgefegt
bat, in feiner frübern Amahme noch immer nicht mans
Ale Säge, welche er früher in feiner
„Geſchichte von Morea während des Mittelalters” auf
geftellt hat, verficht er noch jegt, nur noch entjchiedener
(1, 376) und wie es uns fcheint mit mehr Nachdrud
und Geichrfamfeit. In der That Laffen fich feine ge⸗
wichtigen Gründe, welche aus der Gefchichte fowie aus
ſprachlichen Erklärungen entnommen find, Dur) Demon-
ftrationen und Manifefte wie fie z. B. in Athen gegen
den „Berächter griechifcher Nationalität” an den Tag
gelegt und unternommen murden, nicht befeitigen und
entkräften. Mit Recht fpottet er über die begeifterten
Verehrer des helleniſchen Alterthums, welche ſich für
verpflichtet halten, die Ehre und die Echtbuͤrtigkeit der
modernen Griechen zu retten, und melde der unumftöß-
lichen Überzeugung leben, „daß eigentlich die deutſchen
Philologen die Türken aus Griechenland vertrieben und
das große Seetreffen bei Navarino gewonnen haben”
(Il, 478). Am fchlimmften fpielt der Fragmentiſt dem
Prof. Greverus mit, welcher fi fehmeichelte, den Be-
weis geliefert zu haben, daß „Fallmerayer ein’ Erzlügner”
ſei. Es wird. ihm vom Verf. ein eigener Abfchnitt ge-
widmet, in dem berfelbe „den friefifchen Gruß des Deren
Greverus mit Höflichkeit erwibert”. Er meint, der ol-
denburger Gelehrte habe fein Buch „Reifeluft in Ideen
und Bildern aus Griechenland” lieber „Wein- und
Wanzenchronik von Morea“ (ll, 505) betiteln follen. *)
FJ. @. Günter.
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) Einen fünften Artikel geben wir ſpaͤter nah Berndigung von
Tiſchendorf's Reife. D. Red.
4‘
316
Jluſtrirter Kalender für 1846. Jahrbuch der Seeigrifle,
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\
Zagesliteratur.
Anfichten über Sänger, Gefangvereine und Gefangfefte.
Schweinfurt, Siegler. Gr. 8. 3 Nur.
Antwort auf Herrn Eonfiftorialratb Dr. Piſchon's Send:
{reiben an Hrn. Prediger Souchon. Bon einem Mitgliede
der Gemeinde Ehrifti. Berlin, Wohlgemuth. 1845. 8. 2Y, Ryr.
Bemerkungen über das Sendfchreiben bed Herrn Stanger,
Domkapitulars in Zrier, an feine ehemaligen Pfarrkinder zu
Kreuznach. Kreuznach, Kehr. 1345. Gr. 8. 23 Nor.
Blide auf den Hergang und den Geiſt des Trienter Con⸗
cils. Für das deutſche Ehriftenvolt gefprieben don einem Pro»
teftanten. Leipzig, Orthaus. Gr. 8. 71, Nor. Ä
Glemend Auguft Freih. von Drofte zu Viſchering, Erz:
bifhof von Coͤln. Nach den zuverläffigften Quellen treu und
wahr gefchilbert von M. eb einem Anhange: Intereffante
Gharakterzüge und einige biöher ungedrudte Gedichte des Ver:
Rorenen. it dem Portrait des Erzbifhofs. Zanten. 1845.
8. Nor.
Dietlein, D.W., Die Berliner Erflärung vom 15. Au⸗
guſt 1845 und deren Literatur. Berlin, Herbig. Gr.8. 5 Rgr.
Eingabe der medicinifchen Facultät zu Leipzig, in Beziehung
auf die Beilage des Allerhochſten Deerets vom 29. Rovember
1845, die chirurgiſch⸗ medicinifche Akademie betreffend. Leipzig,
"Köhler. Sr. 8. 4 Nor.
Die große Yeuersbrunft zu New⸗VYork am 19. Juli 1845.
Hamburg, Berendſohn. 1845. 8. 5 Kor. ’
Sember, A., Die Kirche der Zukunft. Ein Beitrag
Berftändigung über die Blaubenswirsen der Gegenwart.
erlin, Schulge. Sr. 8. 10 Nar.
George, 2., Richt Schrifi, nicht Geift, aber der Geift
der Schrift. Ein Wort zur Derftändigung und zum Frieden
in unferer aufgeregten Zeit. Berlin, Müller. &r.8. 3 Rar.
Das Glaubensbekenntniß der allgemeinen chriſtlichen Kirche.
Sin „orichlag zur Prüfung. Kreugnah, Kehr. 1845. &r. 8.
2 r.
Ss, G. 3., Jeſus und feine Beitgenoffen. @in zeit:
gemäßes Wort an Fatholifche Ehriften, ausgefprochen in jeche
Faftenpredigten. Regensburg, Manz. Gr. 8. I1Y, Rear.
Kämpfe, &. U, Erwiderung auf das unter dem Titel
die Berechtigung tes Nationalismus an mich gerichtete Send»
Iüreiben eines Ungenannten. Magdeburg, Heinrichshofen. Gr. 8.
R
gr.
Kehr, R., 3. Die Weihe der deutſch⸗-katholiſchen Ge⸗
meinde zu Kreugnah am 25. Mai 1845 Dur Herrn Pfarrer
Kerbler. DI. Zeitbemerfung eines Laien über Deutfch- Katholi:
zismus, Proteftantismus und Momanismus. Nebſt Beilagen.
Kreuznach, ne 1b. 5 er. * 5 vr
‚_Kortüm, F., Rüdblid auf Joh. Heinr. Peſtalozzi, nebft
etlichen ungebrudten Blättern deffelben. Heidelberg 3 Mohr.
Br. 3. 5 Nur.
‚ „SKraufe, 9. J., Frommes Andenken an Iohannes Ronge
in Beimar. Cine Rahmittagsbetrahhtung. Ste verbefferte und
mit einem Vorwort vermehrte Auflage. Weimar, Hoffmann.
1845. 8, 3%, Ror.
‚ 2uger, F., Heinrich Peſtalozzi, ein Beitrag zur Beier
feined Andenkens. Hamburg, Agentur des Rauben Haufes.
&.8. 5 Ner.
Moll, 8. B., Der Unterfhieb der wahren und ber fal-
fen Biätfreunde. Predigt. Pafewalt, Köhler. 1845. Gr.8.
Ya Nor.
Dot, A., Haben wir"von Menfchen oder von Chriſtus
unfer Heil zu erwarten? Predigt. Pofen. 1845. 8. 23%, Rgr.
Ramdohr, 4, ‚Was ift von dem Richten über Andere
wegen Slaubensverſchiedenheiten halten? — t über
1. Kor. 4, 15. Potsdam, Stuhr. Gr. 8. 2%, Rgr.
Keckum, Bitterwafler, verordnet dem nur zu treuen
Hengftenberg. Altenburg, Helbig. Gr. 8. 10 Kor.
Ronge, J., Rede, gehalten am 23. September 1845 in
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lagscomptoir. KL. 8.
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Nah den sebrfägen eined Iefuiten dargeſtellt. Regensburg,
Manz. Gr. 8. 171, Ror.
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Schuſelka, F. Ronge in Weimar den 14., 15. und 16.
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. gr.
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Henninge und Hopf. 4. 5 Nor.
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Ein freies Wort an das deutfche Volk. Ite Auflage. Breblau,
Günther. 35 . 2 Ror.
— — Ein Wort an Kerbler und Eichhorn. Breslau;
Günther. 1845. 8. 1%, Nar. ichbor
Zittells Motion für Religionsfreiheit. Manheim, Hoff.
&r. 4. 2 Nor.
Berantwortlier Heraudgeber: KHeinrich Brodpaus. — Drud und Verlag von F. SE, Brockhaus in Leipzig.
re ——
— — — r — 1
ae Te TEE ET TTV ET
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
x
— — —
Sonnabend,
r. 80.
21. Maͤrz 1846.
ul]
Der deutfche Zollverein und das u aldi
Ein Verſuch zur Verfländigung der Anſichten und
für Ausgleichung der Interefin. Bon K. H.
Brüggemann. Belin, Dunder und Humblot.
1845. Gr. 8. 1 Thlir.
Der Berf. gibt in dem Werke eine geordnete Zu⸗
fammenftellung der wichtigften Argumente, die in einem
fortlaufenden Kampfe dreier Jahre gegen bie Anhänger
des Schutzzollſyſtems einerfeit® und gegen ihre einfeitigen
Gegner, die Bureaufraten und die Männer des Laissez
faire andererfeit von ihm angewendet worden find und
in den ftettiner „Börfennachrichten von der Öftfee” in
kürzern und fängern Artikeln veröffentlicht waren. Den
Exftern will er nachweifen, daß bie von ihnen aufgeftell-
ten ethifchen Ideen theild anderweitig entlehnt worden,
theils in dieſer Entlehnung misbräuhlid und falfch ge⸗
handhabt wurben und viel mehr nur aus feinem Syſteme
der Handelsfreiheit ausgefprochen werben und das Leben
mit ihren Wirkungen erfüllen fönnten; bie Leptern aber
daran erinnern, daß nur aus einer kraftvollen Exrfaffung,
Einführung und Vollendung der „deutfchen Staatsideen
der erleuchteten preufifchen Zeit von 1807 — 12” das
Heil’ zu erwarten fei, daß der Zollverein nur als eine
Folge diefer erfcheine und diefem in feiner urfprünglichen
Auffaffung die Idee der Handelsfreiheit zum Grunde
gelegen, daher confequent nunmehr durchzuführen und,
wenn auch für einzelne Artikel höhere Zölle für einen
Zeitlauf zuläffig wären, dieſe doch in Bezug auf die
Grundidee einer Ausgleihung unterworfen werben müß-
ten. Diefe Säge bilden den Inhalt der Schrift, deren
Ausführung wir nunmehr in berfelben verfolgen wollen.
Da die Anhänger des Schutz zollſyſtems in dem Grund»
fage der Erhebung der Manufacturarbeit die Anfichten des
Mercantilfuftems theilmeife adoptirt hätten, bat fich ber
Berf. zur erften Aufgabe gemacht, dieſe nach ber Smith'-
ſchen Theorie zu miberlegen, welches er (S. 13 — 49)
als „Kritik des gemeinen Mercantilismus” unternommen
hat. Hier berührt er zuerſt ( S. 13— 16) die „Chimaire
der Banbelsbilany”, fie, wie laͤngſt nachgewieſen, mit dem
Grundfage der „Produktivität der Arbeit” kurz bekaͤm⸗
pfend. Etwas verweilt er bei der -auch von Bülow⸗
Eummerow dem Zollverein vorgemorfenen, um mehr als 22
Milionen gröfern Einfuhr als Ausfuhr in den Jahren
1837 — 39, alfo ebenfo großem Verluſte am Rational:
vermögen, wogegen gleichzeitig der Oberfinanzrath Bier⸗
ſack berechnet habe, daß in den 3. 1837—41 der Zoll-
verein über 13 Millionen mehr aus⸗ ald eingeführt habe.
Er behauptet, daß dieſe Zahlen nichts bemeifen könnten,
es vielmehr darauf ankäme, ob mit dem Mehreingeführ- .
ten Tieberlich gewirthfchaftet worben und daher bie Ein⸗
fuhr fih vergrößert habe, welches im Zollvereine nicht
bemerkbar geworden. Beweife find für Diefes nicht an-
gegeben worden; überhaupt auf die ganze Frage niche
näher eingegangen. Wenn aber der Verf. die Familien-
wirthfchaft zum Beifpiele genommen, fo möchten wir ihm
boch wol den Fall entgegenhalten, daß eine Kamilie fort-
während einnehmen Tann und "doch, wie man im ge-
meinen Leben fagt, zu nichts kommt, d. h. eben ſich
ſolche Gegenftände anzufchaffen bei aller Einnahme und
ohne daß fie Tiederlich wirthfchaftet nicht im Stande
ift, Die Aber ben nothwendigen Bedarf bes Lebens rei«
hen, an deren Befig eine Familie als etwas Schönem
fi) erfreut, eine Nation aber als etwas Nügliches aus-
ührt. Es möchten alfo Zahlen doch wol einen guten
Sinn haben und nicht allein „frappiren“; und eine Na⸗
tion bie fortwährend und mehr einführte, lebt wie man
von Familien zu fagen pflegt aus der Hand in ben
Mund, und ift eine arme, bei aller Ehrlichkeit und
Rechtlichkeit der Wirthſchaft. S. 16—35 wird fodann
ber Grundfag der Schugzölle beſprochen, das National-
einfommen zu erhöhen, durch ben Zwang ber angeſtreng⸗
tern Verwendung der ölonomifchen Productivfräfte. Der
Verf. deducirt fo: Da die Maffe und die Güte dieſer
Kräfte, zu denen er Arbeit, Natur und Capital zählt,
unmittelbar im Allgemeinen nicht erhoben werben, fo
fommt es darauf an zu unterfuchen: 1) welche Wir-
fung äußern die Schugzölle auf jeden diefer Einfommens-
gründe im Befondern; 2) aber auch welche auf bie
Stände, bie diefe Gründe zur Darftellung ober Pro⸗
duction in fi bringen. Bür bie reine Wiffenfchaft, un⸗
berücfichtigt die deuefch - nationale Färbung, die in ber’
Schutzzollfrage liegt, ift bier offenbar ber Angelpunft.
Diefe miffenfchaftliche Seite hat aber der Berf. aus ei»
nem falfchen Gefihtspuntte betrachtet; denn will man
in die Einzelheiten des Lebens oder ber Wirklichkeit
binabfleigen, fo wird man bald nicht mehr allein bei
. .
.
t
Kräften und Staͤnden ſtehen bleiben können, ſon⸗
vn —l getrieben werden, die Frage auf Perfo-
nen und Familien auszudehnen. Das ift aber nur eine
Ablenkung von dem wiſſenſchaftlichen Wege und ein
Verſuch den Gegner aus der Ferne und hinter ‚einzelnen
Higterhaften hervor, die für ſich jedes eine en
haben mögen, mit Steinen zu bewerfen, anftatt o n
auf dem freien, im Ganzen überſichtlichen Felde mit
ihm zu kaͤmpfen. Die Wiſſenſchaft beurtheilt nur Be⸗
griffe, und dieſe ſind umfaſſende Vorſtellungen, deren
einzelne für ſich nichts find, fondern nur. ale bewußter
Inhalt des Ganzen gelten. Die wiſſenſchaftliche Frage
iſt alſo nyr die: In welchem VBerhältniffe fieht bie Idee
der Schugzölle zum Zwecke der Volksarbeit; die Arbeit
ift aber nicht eing Productivkraft, fondern nur eine Ma⸗
ſchine, eine Mermittelung ber Kraft. Diefe beruht ledig⸗
lich auf dem Geifte des Volks, auf dem Willen zur
Hrbeit. Da nun aber die Idee ber Saupgälie feine
andere ift als die, durch den Zmang den Willen zur
Arbeit in Bewegung zu fegen, fo handelt es ſich zuerft
um die Mögfichfeit folder Einwirkung; und da koͤnnte
man wol das Beifpiel eines Gefängniffes heranziehen,
wo gleiche Grundfäge geübt werben. Aber ber Willens-
Koden einer Perfon ift deren Lebendniederfchlag, den fie
nur durch ihre geiftige Freiheit zur Production der in-
‚nern Gütes bearbeiten fann; ebenfo wird eine Nation
ihre, gefchichtlihe Natur, die fie ſich nicht gegeben hat,
nur durch ihre Freiheit zur Production der äußern Gü⸗
ter bes Verkehrs, melde der Zweck der Volksarbeit ift,.
erheben können. Es frage ſich alfo endlih: Kann Zwang
die geiflige Freiheit erwecken? Und dann freilich wird
man antworten müffen, daß es ein Fünftlicher wie im
Sefängniffe "2 im Stande ift, fondern nur folcher,
welcher wie bei Perfanen ein Lebensmoment fo bei Völ⸗
tern ein gefchichtliches und planetarifches if. Die in“
fularifhe Lage und bie Kriege des Gontinents haben
für England. den Zwang herbeigeführt, den man .nad
der Anficht des Verf. jegt für Deutſchland durch Zölle
aufſchrauben will, wobei es fi) aber noch fragt, ob biefe
„beutfhen Zölle nicht eine Noth der Geſchichte find.
Wir vermiffen alfo bei der Ausführung des Verf.
an biefer Stelle einen wiffenfhaftlichen Sig über den
er. Es iſt nur ein Umherzanken, wobei mander
treffende Dich gertheilt, aber ber Feind nicht getöbtet
wird, Dabei läuft aber aus viel Oberflächliches mit-
unter, was nicht zu vermeiden ift, fofern man ebew von
cinelnen Standpunften aus redet. So heißt es z. B.
In beitimmten Kreifen und für beftimmte Arten von Ar⸗
beiten koͤnnen este den Arbeitslohn allerdings fehr wohl
vorüber ehend erhöhen, indem fie die Nachfrage nad —
ten eitstkraͤften erweitern, aber nur indem fie dafür bie
frage nach andern, mit deren Producten früher die Ein-
fuhren aus dem Wuslanng bezahlt wurben, deflo mehs ver:
mindern.
Klingt das nicht gerade fo als wollte man z. 2.
Eifenbahnen um beöwillen verdammen, weil I das Ge⸗
werbe ber Fuhrleute behindert haben? Diefer reiche
Mittelpunkt Hat vielmehr die Arbeitethaͤtigkeit überhaupt
erhöht, ex hat das Mittel der Productivfraft überhaupt
beweglicher gemacht, und dann kann es nicht intereffiren,
ob die untern Zweige abfallen, wenn ber ganze Baum -
wur nach oben wähf. Die Vermehrung bes Reich-
thums durch Schutzzoͤlle wird überhaupt vom Verf. uns
bewiefen als auf Koften der wenigen Reichen und der Ar-
men hingeftellt; dieſes war ausführlich darzulegen, wo⸗
durch freilich die ganze Sache bedeutend kangirt worden
wäre. Run aber bleibt der Begriff „auf Koften” ganz
unerflärt. Sollte der Verf. den geringen Beſitz von
Capital bei vermehrter Arbeitögelegenheit, die auch durch
ben Reichthum kommen kann, unter Koſten des Meichr
thums verftchen, die dieſer von den Gapitalien an fich
ziehe Der Verf. ſagt jedoch fetbft, daß feine „gebräng«
ten Erörterungen über bie allgemeinen Befege der Guͤ⸗
terwelt durchaus nicht hinreichen, die öfonomifchen Ver⸗
haͤltniſſe auch nur ivgend einer einzigen Nation nach ih-
ter ganzen wirklichen Beſtimmtheit vollfländig zu erklaͤ⸗
ven’, wiewol das Gebrängte ben aufgebedten Principien⸗
fehler nicht entfchuldigen kann; aber er fommt nun
(S. 35—39) auf die „Anmendung auf beſtimmtere In-
tereffen im Zollvereine“. Diefe find Agricultur und die
arbeitenden Claffen. Der Lefer wird aber nichts au ben
befondern Berhältniffen des Zollvereind dargelegt finden,
jondern nur eine Wiederholung des vom allgemeinen
Standpunfte von gefonderten Kräften und Ständen be-
reits Geſagten und oben ſchon Widerlegten.
Nachdem ber Verf. auf diefe Weile den gemei-
nen Mercantilismus einer Kritik unterworfen, thut er
diefed (S. 50 — 103) mit dena „höher Standpunkte
und bem nationalen Syſteme ded Hm. Dr. F. Lift“.
Er gibt zu, daß es einen höhern Standpunft gebe, .
„auf dem die abflracten Gefege der alten Theorie ale .
lebendige hiſtoriſche Principien erfaßt werden, und
auf welchem die Hinderniſſe und Bedingungen des
freien Verkehrs in ihrem jebesmaligen hiſtoriſchen und
nationalen Beftande mit aufgefaßt werden“; allein Dr.
Lift habe von folhem „nur reden gehört, und rede nad),
was er von Ad. Müller gehört oder gelefen, aber durch⸗
aus nicht verfianden bat”. Der Verf. unterzicht zuvor
einer nähseen Prüfung die Anwendung ber Grundfäge
des höhern Standpunkte des Dr. Lift auf bie Erziehung
ber Nation, ſowel in Bezug auf einen beflimmten durch
den Zollſatz beſchützten Induftriezmeig als auch in Be⸗
treff der allgemeinen Induftriebildung, der nationalen
Selbſtaͤndigkeit und der geifligen Freiheit und fittlichen
Bildung. Hiermit fleigen wir nun von ben Höhen der
Wiffenfhaft, die wir freilich, da der Verf. feibft fie
nicht erfliegen bat, in Obigem nur flizzivend haben an⸗
deuten Tonnen, in die fruchttragenden Thaͤler des Lebens
herab. Deun alle die gegebenen Fragen von politifcher
Selbſtändigkeit, geiftigen Freiheit und fittlicher Bildung
und der Erziehung dazu haben nur Sinn für eine be»
flimmte Nation unb kommen auf die eine weſentliche
hinaus, ob ein beſtimmter Bmang aus einem befkiuau-
tea geſchichtlichen Yortgange einer beſtimuten Motion
819
cder einem ſolchen notienaien Mereine wie der Zolloerein
iſt reſultitt und für den Fertgang Bedeutung hat.
Wenn man ſich nun überhaupt nicht enthalten kann,
und der Verf. ſelbſt, da er ethiſche Momente in ber
Bölkerbildung geltend annimmt, zuläflig finden wird, bie.
Bildung der Perfonen zum Vergleiche zu nehmen, fo
finden wir es anerkannt, daß Zwang ein Erziehungsmit-
tel der Jugend if. Der Schul» und Kirchenzwang ift
das Bildungsmitsel des Geiftes und Gemüths; der Un-
gezwungens ifi ein vagabundivendes Genie oder ein Ver⸗
brecher. Der Mann freilih Hat Handels- und Ber-
Echröfreiheit feiner Durch den Zwang erworbenen Güter '
nöthig. Erft aber müſſen diefe da fein, und erſt muß
man ein Mann geworden fein, ehe man Freiheit zu fo-
dern berechtigt if. Es frage fich alſo: Iſt Deutfchland
im Zeitalter einer füllreichen und heranwachfenden Ju⸗
gend? Denn das alte Rußland wird man vergeben®
durch die Peitfche der Zölle, vorwärts treiben wollen; ed
wird nie ein freihandelnder Mann werden. Jene Krage
ift aber zu bejahen, denn der deutfhe Handel im Mit-
telalter war nur an gemiffen Orten und gewiffer norb-
oder ſüddeutſcher Städte. Die deutſche Erhebung cr-
folgte erſt durch den Krieg um die äußere Freiheit der
3.1813 und 1814. So iſt Deutfchland erfl in feiner
Jugend und der Zollverein nur eine Form feiner Ju:
gend. Ehe es alfo Handel treibt, muß ed auch haben
womit es handle. Solche Güter hat der Verf. bei ſei⸗
ner Dandelsfreiheit anzuführen vergeffen; zu folchen fol
ihm aber der Zwang verhelfen, und fomit ift der ber
Zölle eine Nothroendigkeit der deutfchen Gefchichte, wo⸗
von der Zollverein nur ein Moment if. Der Verf.
- fagt ſelbſt (S. 61), dab in einzelnen Fällen bei vor«
züglich ficherer Ausſicht des Erfolgs, vorübergehende an⸗
gefündigtermaßen in beflimmten Friften abnehmende Schug-
zölle auferlegt werden koͤnnten, und wenn er auch vor
einem Zugeftändniffe der Principien der Schugzölle in-
fofeen fich refervirt, als diefe etwa alle Zweige der In-
dufteie ohne Rückſicht auf die nationalen Eigenthümlich⸗
feiten erzeugen wollten, fo ift doc unzweifelhaft, daß
eine „Ausficht auf Erfolg” bei der Erſtarkung des Ma-
nufacturbetriebs überall nicht in Abrede geftellt werben
Tann. Natürlich die Gapitalien der Erde kann fich eine
Nation nicht geben, wol aber den Arbeitswillen, welcher
aus ihrer Zreiheit fließt, und durch diefe die freie Ar
beit, die Manufacturfunft, und durch diefe wieder Die
äußern Handelsgüter, mit benen e6 frei zu verkehren hat.
Die Freiheit wird aber überall duch den lebendigen
Zwang gewedt, und fo können das Zwangsfyftem und
das Syſtem der Handelöfreiheit fehr gut nebeneinander
beftehen; ein junger Baun wird durch das Band des
Pfahls zum freien Wuchſe in Die Höhe gezwungen.
Gehen wir jetzt fpecieller auf die Ausführungen bes
Berf. ein, fo yermiſſen wir überall die Widerlegung,
daß die Agricultur und Manufactur zuerft die Güter
erzeugen müffen, die dem Handel zum Objecte gereichen
tönnen. Der Verf. citirt das Zeugniß ber Gefchichte.
Aber wird er leugnen, daß die handeltreibenden Phoͤni⸗
dies zuvor die künſlichſten Mamtfacturiſten geweſen fink;
cher daß bie italieniſche kuͤnſtliche Metall Ba —*
induſtrie and der deutſche nürnberger Fleiß dem Handel
voraufgegangen find? Mir wollen nur ein einziges echt
deutſches Beifpiel verhalten. Der deutſche Buchhandel
und feine Folgen werden nicht in Abrede geftelle werden
tönnen, aber es muften erft Bücher da fein, und fo if
bie Kunſt oder die Manufacturarbeit der Buchdruderei
biefeme Handel vorangegangen. Daß die Kunfk der mate⸗
riellen oder äußern Güter auch neben den Sanbel be
fanden hat und beſtehen muß, ift richtig; denn fie gibs
im die Object. Nur ber Handel mit den nationalen
Kunſtproducten ift ber freie und, freimachende; der mis
ben internationalen Naturproducten auch ber fogenann«
ten Eolontalmaaren iſt entweder ein flüchtiger Schmuck,
fobald er nicht auf jener fehlen Bafıs beruht, welches
Spanien und Holland zur Benüge bemiefen haben; oder
aber nur der gemeine Tauſchwerthhandel. Es iſi rich
tig, daß der Handel, wenn er die fich bewegende mate-
rielle Kunft ift, worunter wir eben die arbeitende
Freihe it, bie Manufactur der Völker verfichen, dieſe
zu ihrer individuellen Freiheit als felbftändige, geſchicht⸗
liche und hanbelsfähige Perfonen führt, daraus folgt
aber nicht, daß die Freiheit der Arbeit der Freiheit des
Handels nicht vorangehen ſolle, und ebenſo wenig, daß
ein Volk zu jener Freiheit durch den ihm anpaffenden
Zwang nicht hingeleitet oder erzogen werben könnte, ſo⸗
fen es eben nur erziehungsfähig iſt.
Der Berf. hebt noch befonders zwei Gefahren ber-
vor, die Überproduction und die Demoralifation ber
Fabrikarbeiter, ſagt jeboch felbft, daß beide für Deutſch⸗
land noch nicht drohten. Dann war aber entweber davon
gegen deutſches Fabrikweſen kein Gebrauch zu machen,
oder aber nachzuweiſen, dag in jenem die Keime für
gleiche Wirkungen lägen. In der Arbeit ober dem
Haufe werden biefe für bie Demoralifation doch nicht
zu finden fein, mol mur in den Perſonen und dann be-
ren- nationalem Charakter als legtem Grunde. Oder
glaubt der Verf. etwa, weil er engliſche und franzöfifche-
Vorgänge fo fihroff ale Beiſpiele hinſtellt, daß die Na⸗
tionalität Fein Moment fei, fo wollen wir ihn daram
erinnern, daß 3. DB. der Muffe unter ber Uniform ber-
Ehre feine Gewohnheit zu ftehlen fortfegt und unter ben
Spautetten Ohrfeigen fürtieb nimmt. Nun aber, wenn
ber Einzelne eben als Bein allgemeiner Menſch, fondern
als eine nationale Perſoͤnlichkeit geboren wirb und
die arbeitende Freiheit ihn zu jener Höhe auch miche
hebt, welches nur der benfenden zufieht, ber Arbei⸗
ter alſo in der Nation bleibt, fo werfe der Verf. doch
nur einen flüchtigen Bid! auf die übrigen Grfcheinun-
gen der nationalen Freiheit in Deutſchland, wovon die -
Freiheit der Arbeit nur eine if. Sind denn in unferm
politiſchen Leben die Factoren des ‚Ihamlofen Beficchens
und Sichbeftechenlaffens, der Emportheit“ und alle bie
Fledien der Geſinnung, mit Denen das öffentliche Leben
in Frankreich gefättigt zu fein ſcheint und die der Verf.
| fo fehr rügt, bei uns in gleichem Mate vorhanden?
Wir glauben, daß der Berf. uns ſolches nicht aufbürben
wird. Es möchte alfo ein Grund vorhanden fein, die
offenbare Demoralifation unferer Arbeiter durchaus vos
herzuſagen. Die Überprobuction ift ein Flecken der eng-
lifchen öffentlichen Geſellſchaftezuſtaͤnde; und da fragen
wir wieder, ob ber Verf. in unferer Gefellfchaft den
Egoismus, die Habfucht, den Luxus zu fehen im Stande
ift, welche bort herrſchen und in ihrer polgpenartigen
Umfpannung und Ausſaugung ber Kräfte der untern
Volksclaſſen die Erfcheinungen hervorgebracht, haben,
welche Nationalölenomen dem Phantome ber Überpro-
buction zuzufchseiben für gut befunden haben? Endlich
wirft der Verf. mehrfach hoͤhniſche Seitenblide auf die
deutſchen Fletten und Golonien, welche vorzüglich in
neuerer Zeit als eine Nothwendigkeit für Deutfchland
in Anregung gebracht worben find. Es ift wahr, wir
haben davon noch nichts, und ſcheint es einer langen
Zeit zu bedürfen, ehe wir. bavon nur etwas .befigen wer⸗
der. Über, wenn aus dem Principe des Handels, dem
der Derf. huldigt, alle Confequenzen angenommen wer⸗
den müffen, fo auch bie des öffentlichen Schuges und
des öffentlihen und freien Aufpflanzens der Landes-
zeichen auf dem Felde der Wogen, wo noch weit mehr
der Naturzuftand der Feindſchaft die leitenben Grund-
füge abgibt als auf dem civilifirten Lande, wo both auch
die Staaten zur Wahrung ihres politifhen Handelns
das Bayonnet aufzufteden für eine Nothwendigkeit erach-
ten. Die Handelscolonien freilich .hatten den Zweck, von
den Zieferftehenden zu profitiren, und ob nun bei bem
erhöhten Wiffen des Geiftes in den Böltern fie noch
diefen Nugen abwerfen werben, ift faft mit Gewißheit
zu vereinen; aber ed waren wenigſtens dieſe ragen
nicht ironifch beifeite zu legen. Der Berf. lebt über-
haupt nicht in ihnen und bat nicht die Schäge ihrer
Ziefen bervorgeholt. Kür eine Zeitungslecture hat die
Behandlungsweife ihren vollgültigen Reiz, gegen hin und
wieder auftauchendes feichtes Raifonnement au Perfonen der
Gegenwart zu fämpfen, und über die Production des Geiſtes
binftreifend hin und ber eine Hand davon zu füllen und
vor dem Lefer auszubreiten; in gefonderter Schrift aber
verlangt man auch Eingehen und mit bem vollen Kranze
ber Wiffenfchaft gefchmüdtes Hervortreten. So fehen
wir aber den Verf., für den beilaufig Willen nur ein
Stab einer perfünlichen Überzeugung ift (S. 108), in
feiner Kritit nirgend, felbft da nicht, wo er die Entich-
nung ber von Lift -aufgeftellten Säge aus A. Müller
: zu beweifen fucht. Diefer bewegt fih im Kreife ab»
ſtracter Begriffe wie fie feiner verftändigen Wiſſenſchaft
eigen find. Seine Theorie von ber Nationaltraft und
dem Gemeinwefen hat nur dieſen verftändigen Sinn.
Lift aber Hat ben unbeftreitbaren Vorzug, daß er bie
Girculation bes Lebens in die abfiracten Begriffe der
Nationalölonomen eingeführt hat; daß er die Bedeutung
ber Manufactur oder der Kunftproduction für bie Bil⸗
bung ber Nationen nachgewiefen hat, wovon in Ab. Mül-
ler nicht ein Wort fteht, welches der Verf. ſelbſt fagt,
und daß dieſe Kunftflufe ber Nationen, vergleichöweife
ihr thierifches Moment, wic bas Pflanzliche in bee Agri⸗
eultur fi) wieberhoft, eine Zwiſchenſtufe zum frei einher⸗
fhreitenden und mit feinen Gütern verkehrenden menſch⸗
lihen Momente nicht fein fol, will der Verf. zwar ha⸗
ben, hat e6 aber nicht bewiefen.
(Der Beſchlub folgt.)
Literarifhe Notizen.
Eine neue Schrift Brougham's.
Lord Brougham's geiftreihe Weber bat die Melt wieker
mit einem jener Werke befchenft, bie er in den feltenen Inter»
‚vallen des Parteienkampfes auszuarbeiten liebt. Als Fort⸗
fegung der früher erfchienenen Reihe von Biographien von
Staatsmännern find jegt von ihm „Lives of men of letters”
erſchienen, die Biographien von Voltaire, Rouffeau, Robert:
fon, Bla, Prieſtley, Cavendiſh, Simſon, Watt und Dav
enthaltend. Doch findet dies Werk nicht diefelbe günftige Auf
nahme wie die frühere Serie. Ein, Kritifer des „Quarterly
review‘ Plagt den Verf. der Flüchtigkeit an, ein Vorwurf, den
er hauptſächlich auf die Lebensbefchreibungen Rouſſeau's und
Voltaire's fügt. Die Befangenheit der englifihen Kritif, wo _
ed fih um veligiöfe Fragen handelt, ift befannt. Nur wenige
aufgeflärte Beifter, wie der verftorbene Dr. Arnold, Lord
Brougham und Andere wagten und wagen es über daß literari«
ſche Berdienft eines Schriftftellers ohne Rückblick auf feinen Blau:
ben oder: feinen Unglauben zu urtheilen. Daher darf es nicht
"Wunder nehmen, wenn ſich die engbrüftige englifche Froͤmmig⸗
Peit gegen Lord Brougham's gewagten Berfuch auflehnt, Vol⸗
faire gegen den Vorwurf des Atheismus zu rechtfertigen
und feine Peindfeligfeit gegen das Chriſtenthum ald das Re⸗
fultat irregeleiteter, aber doch aufrichtiger Forſchung Darzuftel«
len. Daß Voltaire's ethifcher Charakter von wefentlichen Flecken
entftellt war, daß ex im beißen und ausdauernden Kampfe ge-
en alte Misbräuche und fehreiende Ungerechtigkeiten, die ihre
—2— Wurzel im blinden Autoritätsglauben, in der Macht
und dem Anſehen einer verderbten Geiftlichfeit hatten, fo zu
fagen dad Kind mit dem Bade ausfchüttete, und Bande Iöfle,
die nur gelodert werden follten, wer möchte das leugnen ?
Aber mit dem englifhen Kritiker in ihm nur den frechen Spoͤt⸗
ter, den rachfüchtigen Berleumder und feigen Schmeichler, den
unermüblichen Börfenfpeculanten und unerfättliden Wucherer
u ſehen, das kann nur einem englifhen Hochkirchenmann ein⸗
allen, der in der Offenbarungdgläubigkeit den einzigen Weg
nicht allein zum Seelenheil fondern auch zu literarifcher Wür
digfeit erblickt. Überhaupt iſt es charakteriftifch für engliſche
Literaturzuftäande, daß Brougham fi vor allen Dingen be-
müht, Voltaire in den Augen feiner Lefer zu einem leidlich
guten Ehriften zu machen. .
Bosnien.
Das ruſſiſche Miniſterialjournal für November‘ 1844 kün⸗
digt ein Werk über Bodnien und die angrenzenden Länder an.
Es erfcheint in ferbifcher Sprache mit einer Beilage von 110
Urkunden aud dem 6. —12. Jahrhundert, und ift um fo beach⸗
tenswerther als die Quellen für die ältere Geſchichte Bodniens
ſehr fpärlich fließen. 6.
Literarifche Anzeige.
Im Berlage von F. N. Brockhaus in Reipzig if ſoeben
erſchienen und Durch alle Buchhandlungen zu erhalten:
Röben (3. 9.),
Der fouveraine chriftliche Staat, das Ende
unferer Zeitwirren.
Gr. 8. Geh. 1 Thlr. 15 Ngr.
VDerantwortlicher Herausgeber: Heinrich Wrodfant., — Druck und Werlag von F. X. Wreodhans in Beipyig.
DE EEE. 0 5—
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Der deutſche Zollverein und das Schutzzollſyſtem.
Von K. H. Brüggemann. ok
(Beſchluß and Nr. ©.)
Indeffen es find noch die „eigenen praftifchen An-
ſichten und Borfchläge” des Verf. zu unterfuchen, die
Traufe der Decrete gerathen.
“nen. Der ölonomifchen
er (&. 104 — 195) als „die gegenwärtige Aufgabe des
deutfchen Zollvereins, beurtheilt von dem wahren höhern,
dem wahren, nationalen und hiftorifhen Standpunfte”,
angegeben hat. Bon der Theorie ſcheint der Verf.
überhaupt Fein großer Freund zu fein; denn fo eifrig
wir auch nach ber Ausſprache des höhern Standpunkte des
Berf. geſucht haben, wir haben fie nicht gefunden; wenn
fie nicht die „Politit” ber „bewußten Staatstunft” und
der „wahren Staatsmänner” fein fol, die ber Verf. als
nationaler Factor anzuempfehlen fcheint.
gelbandes der Politik, der Staatstunft, der Staatsmaͤn⸗
ner ſoll fi eine Nation erfreuen, und zwar einer be:
wußten, wenn der Verf. faft auf berfelden Seite Wiſſen
für einen perfonlichen Überzeugungsgrad ausgibt? Das
hieße doch wahrlich aus dem Regen der Zölle unter bie
Es ift aber dem Verf.
vorzugsweiſe um das Praktifche, um eine Verftändigung
und Ausgleihung zu thun. Zuletzt unternimmt er eine
Drientirung über bie „allgemeine fociale Aufgabe in der
Gegenwart”. Nachdem er gefagt, daß die „patrimoniale
Antheildwirthfchaft” und die „commercielle Geldwirth-
ſchaft“ die Stonomifchen Perioden der Vergangenheit ge-
wefen, fährt er fort:
Die in beſchleunigter Zunahme begriffene Krankheit der
gegenwärtigen Ofonomteepoche, der Yauperißmus oder das me:
derne Maſſenelend, ift bereits überall Gegenfland des Nachden⸗
kens geworden ; umd die Gegenwart ift überall in Wiſſenjſchaft
web Praris in den Geburtöweben einer. dritten Periode, m
welcher zwar nicht die alte patrimoniale Antheilswirthfchaft
zurüdgeführt werden darf, jeboch der freie Verkehr wieder eine
einheitliche Zufammenfaffung zur Befeirigung feiner Stodun:
‚gen erhalten muß; eine Periode, welche wir allenfalls ald die
einer nationalen ober forialen Gelbwisthfchaft bezeichnen koͤn⸗
Krife gebt natürlich überall die ga
leichbebeutende und übereinflimmende flaaterechtliche, eigentli
ogenannte potitifhe Krife zur Seite. Beide find ihrer Natur
nah Eins und Fönnen auch überall miteinander zugleich ihre
‚Bfung finden,
Und nachdem er auf diefe Weiſe ausgefprochen, duß
‚etwas da: fei und Daß: etwas geſchehen müffe, aber nicht
Alfo des Gän⸗
einmal verfucht hat, in einer gegenftändlichen Vorſtellung
das Wie zur Anfchauung zu bringen, ja durch die gan
beliebige unerBlärte Vermiſchung mit den eigentlich poli⸗
tiſchen Werhältniffen fein Object fich felbft gang und
gar verwifcht Hat, fügt er Binzu: ‘
Damit haben wir und nun in der Zeit orientirt und bie
allgemeine Yufgabe der europäifchen Okonomiepolitik der Ge-
nmwart angedeutet. Ale Vorfchläge und Maßregeln der heur
tigen Vollswirthfchaftspflege, die nicht von dem hier angedeu:
teten Geſichtspunkte Ausgehen halten wir für oberfkaͤchlich
und unbedeutend.
Nun wenn das aber auch nicht eine oberflaͤchlicht
Manter ift, mit ben Gegenfländen zu verfahren, dan
wiffen wir wahrlich nicht, wann wir biefes Epitheton
gebrauden follen. Der Verf. geht hierauf die einzelrtem
Nationen nach feiner myfteriöfen einheitlichen Idee durch,
ohne aber auch nur im mindeften feine keck und flüch-
tig Hingeworfenen Urtheile durch Nachweiſung zu legiti⸗
miren. Er fagt aber feibft: |
Die Borzüge ber einheitlicher verfaßten Continentalftasten
fehlen dem freien Snfelveiche fo gut wie feine Vorzüge uns
fehlen. Bine nähere Darlegung würde zu weit
‚führen!
Für Preußen namentlich macht der Verf. eine gan
neue Entdedung. Er fagt:
Die feinem größten Monarchen vorfchwebende Idee war
bie einer Monarchie des Gemeinwohls und einer unarifto:
Pratifhen Volksfreiheit.
Das ift in ber That eigenthümlich, daß der Verf.
nicht8 vom preußifihen Abel gehört hat, nichte von dem
Elende des Bürgerthums vor 1808, nichts davon, daf
ein preußtfches Volk erft anerkannt worden ift, nachdem
man feines Geldes und feines Blutes bedurfte. Es wäre
zwar fehr wuͤnſchenswerth, wenn die Pläne von 1807—11
oder wie anderweitig fieht von 1808-12 für Preußen
vollftändig durchgeführt würden; aber wenn ber Verf., wie
bemerkt, Ökonomie und Politik gänzlich identificirt, warum
richt‘ den Zahlen ein paar Jahre zufchreiben, etwa bis
1818 oder 18197 Sollte etwa das böfe Gefeg vom
22. Mai 1815 den einheitlichen Wünfchen des Verf.
oder der bewußten Staatskunſt fo fehr zumider fein?
Zwar will er haben, daß der, Stand ber Manufacturiften
und Kaufleute eine größere politifchere Ehre und ausge⸗
dehntere Theilnahme an ber Verwaltung don Staat und
Gemeinde (ifl dem Verf. denn die , Revidirte Städte-
ordnung“ noch nicht revidirt genug?) genießen follen, da⸗
mit der Induſtriegeiſt gehoben würde; aber wie haͤngt
denn das damit zuſammen, daß er wenige Seiten früher
die Plutokratie in Frankreich ſo fürchterlich ſchmaͤht?
und wie damit, daß er unmittelbar davon den Landbau
nicht durch politiſche Ehre der Bauern, ſondern durch
„ſyſtematiſchen Aufſchluß des Bodens durch umfaſſende
Stein - und Schienenwegebauten, Stromregulirungen und
Einrihtung einer vollftändigen nationalen Creditorgani-
fation” gehoben wiffen will? Aber nun in aller Welt,
find denn Wege kein Schug für den Landmann? fein
Zwang für ihn, wegen der erleichtesten Communication,
und dadurch des erleichterten Gelderwerbs, fein But
fpeculativ zu nügen, damit fo auch die Agricultur unter
das Printip der Freiheit fommer Wollen Schugzölle
‚etwas Anderes? Das Denken, die Speculation wollen fie
erzeugen, und fomit die Freiheit und bie Erhebung über
die angeborene Gewohnheit als den Boden des Lebens.
Aber lieber präfentirt der Berf. den Honig der polifi-
fen Ehre der Induftrie, welche jedoch leider, wie man
zu fagen pflegt, alt und grau darüber werben Bann, ehe
ihr Stand zu einer gewünfchten Ehre hierin zu gelan-
gen im Stande fein möchte. Wenn ber Verf. weiter
felbft zugefteht, daß Preußen „in den Zeiten feiner tief:
ften äußerlichen Erniedrigung die Idee des neuen Staa-
tes kühn erkannt habe‘, fo fragen wir ihn, was find
Schutzzoͤlle anders als eine „äußerliche Erniedrigung”,
und warum foll nun gerade aus diefer die innere Er-
hebung ber Idee nicht erfolgen, wenn nur ein erhabenes
Gemüth vorhanden, welches doch ber Verf. nicht etwa
feinem Vaterlande abzufprechen geneigt fein möchte? Gr
fhließe feine Betrachtungen: über die fociale Aufgabe
der Gegenwart mit folgenden Worten:
Was ift alfo die gegenwättige Aufgabe? De muthuolle
Wiederaufnahme und Durchführung ber großartigen preußiſchen
Drganifationsideen von IS08—I2 und dann in dieſer zugleich
die Durchführung der urfprünglichen Idee des deutfchen Zoll: |
vereind. Vermag Preußen die Idee des neuen Staat bei I
und dadurch ſchon unabweisiih auch in Deutfchland gelten
zu machen, fo wird ed fi) und ganz Deutfchland den fehönften
und ruhmvollſten Antheil an der bereits im Gange feienden
großen Bewegung, der Gegenwart zum Übergange aus ber
Periode der blos commerciellen in die der nationalen oder fo:
cialen Geldwirthſchaft ſichern. Und das ift eben feine Aufgabe;
und zu ihrer Löfung beizutragen, das allein ift bie wahre Ber
jtimmung des deutſchen Zollvereins.
Nun auf folhen Höhen ift der Verf. vor jedem An⸗
griffe ficher;. die Baſis feiner Gedanken ift ein fo un-
mögliche Terrain, daß Niemand im Stande fein wird
darauf gegen ihn feften Fuß zu faffen. Denn erftens
‚ft die Wiederaufnahme der Ideen von 1808 — 12 jegt
fhon eine pure Unmöglichkeit; auch der wahrfte Staate-
mann nad) dem Herzen. des DVerf. muß davor in ber
tiefften Seele exrbeben. Es wird dem Verf. nicht ent-
gangen fein, daß in feine Periobe auch das Edict vom
27. Det. 1810 fällt, durch welches bereits im Allge
meinen eine Nätionalrepräfentation verfptochen ift; und
. dann bie Idee eines einigen Deutfchland, eine Wieder⸗
erhebung des Deutſchen Reiche, welche im Hintergrunde
4
jener Ideen als ihre Folie glänzt; foll dieſe auch muth-
voll von der preufifchen Regierung durchgeführt werben ?
ne.
%
Eine zweite Unmöglichkeit ift die, daß die übrigen deut⸗
[hen Staaten jegt den Vorgängen in Preußen fo lau⸗
ſchen werden, daß fie nit eilig genug biefelben bei ſich
sinbürgern könnten. Sachen, Baden, Baiern haben
ein ganz anderes Bewußtſein, ganz andern Willen unb
ganz andere Mittel als die preufifche Regierung hat,
von der doch nad des Verf. Anfichten die Initiative
ergriffen werden fol. Eine britte Unmöglichkeit ift die,
baf Preußen die Aufgabe haben folle, die Gegenwart
zu veformiren. Ein folche® lebendiges Gefühl fann in
dem Herzen eines jeden deutſchen und außerdentichen
germaniſchen Staats pulficen, der es ernftlich mit der
Zeit meint. Ob aber gerade Preußen noch heute bie
fen Schlag des Lebens fühlt, if bei feiner Regierung
zum mindeften fehr die Frage. Der Verf. hat fi alfo
auch hier nur in einen perfönlichen LÜberzeugungegrad
eingefponnen, den nur Diejenigen mit ihm theilen koͤn⸗
nen, die gleiche Idioſynkraſien als Mafftab an die Ge-
Ihichte Tegen und die den Glauben des Verſtaͤndniſſes
des Namens fociale Geldwirthfchaft zu haben geneigt
fein möchten. |
Indem der Merf. weiter die „gegenmärtige friti-
ſche Lage des Zollvereins” befpricht, kommt er auf dem
preußifhen Grundfag einer „verfländigen. und concreten
Handelsfreiheit”, indem es „verfehlt fein würde, dem
urſprünglichen preußischen Zollfgfteme alle Schugzölle ab-
zufprechen”. Diefes preußifche Syſtem will er vertreten,
wie er fagt, und doch nicht den mwefentlichen Zufammen-
bang von Schugzöllen mit dem Manufackurgeifte aner«
fennen? Freilich, fagt er, daf die Kraft des Zollvereins
fei „die almälige Ausbreitung des preußifchen Princips
ber Verkehröfreiheit über den ganzen Umfang des Vater⸗
lands”; aber do immer mit dem Grundfage der ver⸗
ftändigen und concreten Handelsfreiheit, alfo ‚mit den
nothwendigen Schugzöllen nad) außen. Denn der in-
nere gegenfeitige Verkehr ift im Zollvereine thatfächlich
frei,. und was im Junern der einzelnen Staaten ſelbſt
vorgeht, iſt ganz gleichgültig, wenn fie nur im äußern
Verkehre fich affociirt haben. Man fragt eine Perfon,
mit der man fih verbunden bat, gewiß nicht wie ihr
Magen befhaffen ift, wenn fie nur ihren Willen in Ge-
meinfhaft mit uns äußert. Daß aber nad aufen
dem Dereine beifpielöweife in der Leinen- und Baum⸗
wolleninduftrie einen Schugzoll die öffentliche Meinung
vorjchreibt, hat der Verf. zugeftehen müffen; und iſt nun
die öffentliche Meinung nicht ein Wiffen, oder, mit dem Verf.
zu veben, ein Überzeugungsgrad der Zeit? Das. ift aber
richtig, daß Die Schugzölle nicht ewig dauern fellen; dann
würden fie in Feſſeln ausarten: aber daß fie für eine ge-
wiſſe Zeit nothwendig find, hat der Verf. felbft zugeftchen
müſſen; er ift gezwungen worden, fie durch eine Hinter:
thür wieder hineinzulaffen, um ihr dringenbes Anklopfen
zu feuern, nachdem fein Syftem fie vorn auf die Straße
binausgeworfen. Gr fagt zwar, feine Schugzölle hätten
mit. denen ber Gegner nichts gemein; fo lange, er aher
528
dieſes wicht beweiſt und nicht diametral entgegengefegte das wahr und nicht: wahr, je nach dem inne, ber im
Kefultate nachweifl, müffen wir. feine Ermunterungszölfe
für ein ganz gleiches Princip halten, umb können es
nur bedauern, daß er fie an einer Stelle flatuirt, an
ber andern aber für ein „gefährliches Mittel” Halt. Die
anempfohlene „Gontrebalancieung” endlih der Schug-
zölle hat zu jehr den Weg eines ſchwachen Schaufel
ſyſtems in politifchden Angelegenheiten, um durch Auf⸗
reibung der Kräfte eine allgemeine Verderbniß einzu-
führen, als daß daraus die männlidhe Kraft der Han-
deiöfreiheit erblühen könnte, deren fortfchreitende Reſul⸗
tate der Derf. zu fehen fo fehr begierig if. Es iſt im-
mer eine Schwäche ber Syfteme fowol wie des Willens,
einen Weg nicht mit allen Gonfequenzen zu verfolgen.
Nun kommt ber Verf. auf feine allgemeinen Er-
ziehungsmittel der Nationen; und zwar erſtens: „Be⸗
günftigung des auswärtigen Handels.” Diefer flimmen
wir volltommen bei. Nur müſſen erſt, wie wir fchon
bemerkt, nationale Objerte des Handel da fein, mit
welchen zu handeln, und biefe gibt eben nur die natio-
nale Kunft als der Inhalt und der Körper der Hans
delsbewegung mit dem Mittel der Manufacturarbeit.
Wir meinen auch gleihfalle, daß Differentialzölle den
Diresten Handel’ an ſich nie erzeugen werben, wenn fte
auch, wo er ſchon befteht, einen freundfchaftlihern Ver⸗
kehr an gewiffen Punkten zu mehren im Stande find.
Der Handel ift eine freie That, eine freie Selbſtbewe⸗
gung, ein Leben, welches feine Mängel und Krankheiten
aus fich abſtoßen und fich reproduciren muß; fonft ift
es eben fein Leben. Das zweite Mittel ift die „Pflege
der nationalen Selbftändigkeit und Allſeitigkeit; und
wenn ber Verf. hierher Wegebauten, Creditanftalten,
Schulen, freie Landgemeindeordnungen, Aufhebung der
Domanialpolicei und der Patrimoniafgerichtsbarkeit, Aut
bildung der fländifhen Verfaſſung rechnet, iſt ihm vol-
dig beizufiimmen. Uber warum follen zur Allſeitigkeit
nicht auch die Fabriken gehören? Zumal bei une, Die,
wie der Verf. wol wiffen wird, in allen Höhen und
allen Tiefen, nur nicht im eigenen Haufe einheimifc ge-
wefen find, und jegt erſt anfangen an der Leitung ber
sonftitutionnellen Shätigkeit vom Dimmel zur Erde her-
nieberzufteigen. Des Verf. dritte Foderung iſt „verbop-
pelter Eifer in Pflege der geifligen Zreiheit und fittli-
ben Haltung der ganzen Gefellfhaft überhaupt und
der fogenannten arbeitenden Claffen insbefondere”‘; wel⸗
cher ebenfalls vollkommen beizuftimmen und woritber
um fo weniger ſich zu verbreiten nöthig iſt als eigen-
thümliche Veranftaltungen dazu vom Verf. nicht anem⸗
pfoblen find. Ein Handeldminifterium, auf welches der
Derf. deingt, ift nicht zu vermwerfen; aber es fehlen auch
Handelsgerichte, die, wie Gans fihon bemerkt hat, aus
dem Dareinfein in den Verhältniffen den Sprud des
Rechts mit der lebendigen Färbung der Zeit verfehen
werben.
Wenn aber der Verf. ſchließlich als bie Felfen
der preußifhen Regierung bezeichnet die Städteordnung,
die- Volksſchule und die. allgemeine Landwehr, fo iſt
dieſen Inftituten kreiſet und den das Volk oder bie Zeit
bineinführt. Niemalé wird irgend eine Regierung ber
Welt ihren Inſtituten den höthigen Inhalt zu geben
im Stande fein ohne den Willen bes Volks. Solche
Dinge find alfo niemals Felfen der Regierungen, fon-
dern lediglich Baume des Volks, an denen defien Blü⸗
ten zu Tage geben. Das aber ift keine Empfehlung
für Felfen, wenn der Berf. emphatifh ausruft: „An
ihnen würden alle noch fo mächtigen oalitionen privi-
legienfüchtiger Sonderintereffen zerfchellen oder von
ihnen zermalmt werden; gegen diefe könne Rie-
mand, er fei wer er wolle”; denn wenn Felfen zermal-
men follen, fo müffen fie gefallen fein, und das wird
der Verf. doch nicht haben fagen wollen!
8 Marguarb,
— — gr — — —— — — —
Charlet.
Vor kurzem iſt in Paris einer der beruͤhmteſten franzoͤ⸗
ſiſchen Zeichner, Charlet, im 53. Jahre ſeines Alters mit Tode
abgegangen. Er war 1783 in Paris geboren und hat eine er:
ſtaunliche Menge Zeichnungen verfertigt, welche theilweife als
Albums gefammelt im Kunftyandel vorhanden, theild in Pri⸗
vatcabineten zerftreut find. Alles was Charlet gezeichnet hat
ift mit Ausnahme Deſſen, was cr in den legten Jahren gear:
beitet, aus dem vwirflichen, aber mit künſtlerifch wählenden und
ins Schöne malenden Augen angefehenen Leben aufgefaßt und
ohne Prunk, ohne Haſchen nach PFünftlich überrafchender Wir:
fung ausgeführt; das populaire Genre erhielt durch ihn einen
bedeutenden Aufſchwung und einen bis dahin uncrhörten Grab
von Feinheit und Wahrheit. Charlet zeichnete gewöhnlich in
Meinem Rormat, in freien und fichern Umriffen, die er bald mit
dem Stift meijterlich auf Stein fEizzirte, bald mit der Feder
fo zu ſchraffiren verjtand, daß fie radirten Blättern glichen;
oder er fufchte und colorirte fie mit dem Pinfel in lieblich har»
monifchem Yarbenfpiel, fodaß fülche forgfaltig ausgeführte Ar⸗
beiten an jene zterlihen Handzeichnungen erinnern, weldye von
den niederländischen Genremaleen des 17. Jahrhunderts auf
und gekommen find. Alles darin athmet Leben, Seele und
feine£, originelled Gefühl. Gewiffermaßen wie Hogarth verfer:
tigte er vorzugsmweife ganze Reihenfolgen von Bildern, welde,
ohne den Anſchein vorfäglicher Belehrung, immer eine pollti⸗
ſche Zendenz enthielten. Seine Zeichnungen find daher an in-
nerm geiftigen Leben noch reicher als an technifchem Gehalt,
und tragen burchgehends das Gepräge des feinften‘ Geſchmacks.
Selbſt in den Spottbildern überfchritt er faft nie Die Grenzen
des Anftandes in ekelhaften Übertreibungen, und verlegte eben»
fo wenig das Heiligthum der Kunft, die fittliche Grazie. Seine
komiſche Mufe blieb durchweg keuſch und rein. Diefes Talent,
das Lächerliche treffend darzuftellen und nedend zu geißeln, flößte
mitunter befhränkten Perfonen vor feinem Wige eine Art von
Scheu ein, die aber völlig ungegründet war; denn feine Gut⸗
müthigkeit, die Peine Yerfönlichfeit zu beleidigen und Keinen
auch noch fo abgefhmadten Menfchen berabzuwürdigen ver:
mocht hätte, übertraf noch fein Zalent.
Charlet iſt der Beranger der Caricatur, heiter, bdrollig,
eiftreich ; nie tft eine Bosheit auß feinem Zeichenftift noch aus
Peiner Feder gefloffen. Ich jage abfihtlih aus feiner Feder;
benn die gefchriebene Caricatur ergänzt bei ihm die ie
nete, und diefer ergänzende heil in ebenfo piquant, manni
faltig und originel als der erfte. Man kann wol fagen, baß
2
Charlet der eigentlihe Schöpfer jener wibigen Unterfchriften
ift, die aus einer Lithographie zugleich ein elletriftiiches Werk
324
alt von zwei Weiten Yeuchten Talfen vote
Ben un Sr ne
on Diamant. Kein fra
e tibung, ©
alt aufgefaßt als Charlet.
icher Laune Earicaturen auf
Sende hehe
Gene — Meben, und If daher nur nad aus
wbhaberei gefuht. Gavarni, von tieferer hiſtoriſcher Beben
ift fo weit gegangen, als beißender, jelbft an Eynismus
ſtreifender Spott und wigelnder Hohn gehen koͤnnen. Charlet,
gründlicher als Catle Bernet und naiver als Gavarni, ift bei»
nahe nie aus den Gehranten des heitern und ii
igen Spaßes hera angen: die wunderlichen Eigen⸗
eiten, bie Schnurren und Witze der untern Volksclaſſen, die
Albernheiten und Poflen ber Rekruten, die Schelmenftreiche
der Schul: und Gaflenbuben gaben zu feinen Compofitionen
die Motive. Gavarni führt und in die Gefellfchaft der Studen-
ten, der Börfenmälter, der Loretten; feine Zeichnungen haben
daher einen weit unfittlihern Inhalt; fie ſchildern und eine
Welt, wo Alles verborben ift, fogar die Kinder.
Charlet's Zeichnungen find ein intercflantes Stuͤck Dppo⸗
fition aus der Reftaurationsperiode. Als Frankreich nach dem
- zweiten Sturze Rapoleon’6 aus glorreihem Kriegs: und Waf-
enlärm mit einem Male in tiefen, ruhmlofen Frieden verſank,
der Kaifer,, in dem der gemeine Franzoſe noch weniger den
MWelteroberer als den Plebejer, den Repräfentanten der De
mokratie abgöttifdh verehrte, in bie Verbannung und die große
Armee auf allerhoͤchſten Befchl des zurüdgetehrten Königs
audeinandergehen mußte; als Adel und Klerus über den
Staats ſchatz berfturzten wie Jagdhunde über die Beute einek
Tode gebegten Wildes; als ale alten Anſprüche und ver:
—** Vorurtheile wieder aufwachten und die Contrerevo⸗
lution unter den Trümmern des Kaiſerthrons wie eine alte
Eule aus ihrem Verſteck hervorhufchte, fühlte Charlet tief das
Sraurige und Lächerliche in biefer von Grund aus geänderten
Lage der Dinge, und machte feinem verhaltenen Ingrimme ge»
gen. die neue legitimiftifche Wirthſchaft in’ Spott» und Bitten:
bildern Luft: Die Leute, welche das Kunftverdienft und die Be:
deutung derfelben nicht begriffen, betrachteten diefe Wilder alt
Lappalien, ald Sfizzen, und allerdings waren ed Skizzen, in
der Urt wie Beranger's Dden Ehanfons waren; Beine vollftän:
dige Dichtungen mit Schlußreimen und Gaflenhauer-Refrains.
Nie dem „angeftammten Zürftenhaufe” Hold, es vielmehr aus
tieffter Secle verabfcheuend, hatten Beranger und Charlet von
der erſten Reflauration an ſtill das Volk beobachtet, den
Srund feines Herzens erforicht, und da fanden fie einen bit:
tern, brennenden Haß gegen die Bourbon, eine fhmwärmerifche
Begeifterung für den Kaijer, eine unverhohlene Geringfhägung
der Staatöreligion und ihrer Diener, und verfielen fo auf den:
elben Gedanken: audzufprehen, was die Daffe dachte und
ühlte. Beide wußten aber wohl, daß nur Dinge, die leicht zu
verfteben und gu behalten find, bei der Mafle Anklang und
Eingang finden. Ein Baudevilie-Refrain, eine bekannte Melodie
find Ginprägungsmittel, und das Luſtige, das brollig Präg-
nante frappırt Jedermann. Charlet ftellte die Natur, von ih:
zer feherzbafteften Seite genommen, dar, und Beranger fehrieb
Refrains zu bewunderndwürdigen Werfen, wozu die Melodie
nicht recht paffen wollte. Die Refraind und bie carisatur:
artige Einkleidung waren die Laufpäfle für den tieffinnigen
er fpöttifchen Inhalt, für die liberale und demoktatiſche Ten⸗
denz der Zeichnungen und Eonplets. Die zwei Künftler — die
ich gern zufammenftelle, obſchon die Bormvollendung Dei dem
Dichter beiweitem Toftbarer und größer ift als bei dem Jeich⸗
ner — verrechneten ſich nichts fie wurden populair, fo popu-
lair, daß ihre Werke in den Schenken und Kafernen, in Kel⸗
lern und Dachſtuben, in glänzenden Salons und fogor in alt
adefigen Haͤuſern eine günflige oder en ſtiſche Aufnahne
fanden. Die unendliche Bollendung Er = ur Gpos
Ge in Biranger, die anmütkige und geiftreige Weile db Bew
trags und der Erfindung von Eharlet entſchuldigte in ben Au⸗
m Derer, welchen die Spanfont und Zeichnungen galten, ben
ecken und verwegenen Inhalt, während dieſer Inhalt daß
’ geicgefimte große Publikum, das ſich weniger um bie Form
mmerte, zur Bewunderung hiariß
(Der Veſchluß Telgt.)
Notiz.
Euriofe gelehrte afademifhe Abhandlungen.
Dergleigen kamen in älterer Zeit nicht jelten vor. Go
fegrieb 3. B. ein Advocat Heinrich Klüver in Stade zu Uns
fang des vorigen Jahrhunderts (1710 und 1711h) ein „Be
denten über die juriftifche Zrage, ob eine ſchwangere Frau,
wenn fie während der Meife auf bem Wagen eines: Kindes ge-
neſen, für felbiges Fuhrlohn zu geben gehalten fei”, und ke
dann einen Commentar zu dem Gage folgen: „Jeder kann auf
feinem Grund und Boden bis an den Himmel hinauf bauen”,
worauf er nachher noch eine Abhandlung vom „Hunderecht“
herausgab, welche einen großen Aufwand non Belehrfamkeit
zeigt. Ein Anderer, 3. F. Kraus, erwarb fi 1745 zu Wit
tenberg bie Würde eines Doctors der Nechte durch eine Dis⸗
tation „Über dad Recht des Gefichtt im Civilproceſſe“, in-
dem er weitläufig unterfuchte, inwieweit das bei der Geburt
verunſtaltete Geficht die Anfprüche auf Erbfchaft, auf birger
liche Rechte überhaupt, oder die Ahnlichfeit mit dem, Vater
Anfprüce auf eheliche Geburt, fowie der Mangel an Ühnlich⸗
Seit den Verdacht firäfliden Umgangs der Mutter mit einem
Buhlen u. f. w. bedinge- Roh ein Anderer vertheidigte 1715
eine Abhandlung vom „Kingerrechte”; wieder ein Anderer über
„Die durch Wilder zugefügten Beleidigungen”, imdem hierbei
nicht unfere Spottbilder oder Garicaturen, fonbern Portraits
im Betracht gezogen wurden, und in großen Sammlungen als
ter akademiſcher Differtationen mögen Hierzu noch zablreidye,
zum Theil komiſche Belege vorhanden fein; denn felbft über
daß „Recht der Mäufe” Haben wir eine folche Streitihrift von
einem G. 4. Struve aus jener Zeit, um nicht von dem ber
Schafe, Ziegen und Tauben zu ſprechen. Cine der wahr
haft komiſchſten alademifchen Streitfchriften foldger Art ift ohne
Bweifel Dr. J. E. Schopper’s5 „Specimen de proverbio: Hände
und Füße wachfen nicht wieder wie die Krebsſcheren“ (Ro
ftod 1712). Der Verf. nennt es felbft ein „Specimen medi-
cinae eurrosae”. Ein Seitenſtuͤck dazu, das aber auch den
abſcheutichen barbariſchen Sinn jener Zeit darthut, kann die
Abhandlung des Prof. 3. 3. Schöpfer in Roſtock (geft- 1719)
„De gemeilis concretis’' abgeben. Er unterfuchte barin bie
Frage, ob zuſammengewachſenen Zwillingen ®) die Folter zuer⸗
kannt werben koͤnne, wenn der Eine eined Verbrechens wegen.
im Unterſuchung fei, und entichieb fie mit Jaz Die Daumen
ünd Beinfgrauben Pönnten ohne Bedenken angelegt werben,
fagt «x, „guia ex. tali ressione non facile alteri immi-
nebit periculum”. Dod man würde nicht fertig, allen fol-
Ken gelehrten Uufinn in der gelehrten Polterkammer aufzu⸗
fuhen und durchzumuſtern. 88.
*) Zwei zuſammengewachſene in Ungarn geborene Maͤdchen Was
ren nad) Roſtock gekommen. Sie warm 1170 in Syön bei Komorn
von einer Vauerfrau geboren worden unb veiften fpäter, wie hie
befannten fiamefifhen Smwillinge, durch ganz Europa. Ihr ob ap
folgte ziemlich gleichzeitig, binnen etwa jmei Stunden, ungefähr Im
18, obes 19. Jahre. Näheres über ihre Organifation in Dr. M. @..
Ettmäller'3 ‚Dissertatio de monstro Hungarico” (Leipzig IT).
Berantwortlifer Herausgebers Heinrich Brockhaus.
— Drud und Berlag von F. X. Brockhaus in Leipzig.
— Blatter
für
(iterarifhe Unterhaltung.
23. März 1846,
dem Elſaß und der Rheinpfalz. Leipzig, Brod-
haus. — Gr. 12. 1 Thlir. 15 Er *)
Wir freuen uns einen zweiten Theil dieſes Werks
anzeigen zu können, beffen erftem die gebührende Aner-
fennung alffeitig voiderfahren if. In dem Vorworte
zeigt uns Hr. Waagen zuvörberft eine Abweichung von
der bisherigen Behandlungsweife an, indem er hier auch
Nachrichten über Denkmale der Kunft mittheilt, die er
nicht aus eigener Anfchauung kennt, weil er Drte, wo
ſich folche befinden, überhaupt nicht beſucht hat, oder
auch weil diefelben ihm nur aus einem oder dem an-
dern Grunde nicht zu Gefichte gekommen find. Diefe
„Abweichung“ ift um fo lobenswerther ale das Bud)
bereits, mie Ref. in feiner Anzeige vorausgefagt, ein
hrer auf Reifen geworden ift und zu den wefentlid-
en Eigenfchaften eines folchen nächft der Zuverläffigkeit
auch die möglichfte Vollftändigkeit der Nachrichten ge:
hört. Gleich dem vorigen Theile bringt uns ber vor-
liegende fieben Briefe (vom achten bis zum vierzehnten),
in welchen ein reiches Moterial zufammengetragen und
verarbeitet ifl. Ohne tiefer in die Einzelheiten beffelben
einzudringen, muß Ref. fi dermalen begnügen bei Vie⸗
fem blos an der Oberfläche hinzuftreifen und den fehr
ergiebigen Inhalt öfters mehr anzubeuten als ausführ:
lich zu befprechen.
Der erfte (achte) Brief handelt von Augs⸗
Burg, ber fchönen aber feider etwas veröbeten Stadt,
die wie Nürnberg das Gepräge ihrer Gefchichte trägt.
Während aber hier in Architektur, Sculptur und Male-
rei der deutſche Charakter vormaltet, zeigt fi) in Augs-
burg, auf welches Stalien durch feine Nähe und Han⸗
delöverbindungen einen großen Einfluß ausübte, mehr
der italienifche Geſchmack. Wir erhalten durch die vie
fen palaftartigen Gebäude, durch die flattlichen Brun-
nen, durch die gewaltigen Stabtmauern und Gräben ei-
nen vornehmen und großartigen Eindrud, der freilich
dem mehr gemüthlichen, mannichfaltigen und malerifchen,
welchen Nürnberg erzeugt, nachſtehen muß. Wie bürf-
- %) WBergl. über den erſten Theil Nr. 184 und 106 d. BL. f. 1841.
. - D. Red.
tig auch gegen fonft enthält Augsburg doch noch Vieles,
was den Kunftfreund lebhaft anziehen muß. Zuerft ber
fucht Hr. Waagen das „geräumige Local” des Antiqua»
riums, welches nicht blos antike, fondern auch mittel
älterliche Gegenflände enthält. Gemälde aus dem 14.
Jahrhundert fuchte er in Augsburg vergebens, und bie
von Hrn. v. Stetten fo gerühmten Bilder Peter Kal⸗
tenhofer's vom 3. 1457 in der Amtöftube des Weber
hauſes fand er beimeitem unter feiner Erwartung. Ein
paar Manuferipte mit Miniaturen auf der Stabtbiblie-
thet gewährten für diefe Taͤuſchung einigen Erfag. Sehr
bedeutend ift die in einem ehemaligen Klofter aufgeftellte
fönigliche Bildergalerie und für das Studium der ſchwa⸗
bifchen Malerſchule, Die einen durchaus eigenthirmlichen
und von ber fränfifchen Schule unabhängigen Charakter
zeigt, fehr wichtig. Hier findet man ausgezeichnete Werke
des Altern Holbein, Hans Burgkmair’s, Bartholomäus
Zeitbloom's, Martin Schaffner's u. A., aber auch eine
beträchtliche Anzahl von italienifchen und nieberländifchen
Meiftern. Wir können Hrn. Waagen in die mitunter
zu weit ausgefponnenen Details der Befchreibung und
Kritik, die über 40 Seiten füllen, nicht folgen, heben
aber ale fehr anziehenb feine Charakteriſtik der ſchwaͤbi⸗
Shen Meifter hervor. Nach‘ den Bildern werben bie
Kirchen gemuftert (Dom, St.-Ulrich und Afra, Annen-,
Jakobs⸗ und Barfüßerkirche), welche trog vieler Ent⸗
fiellungen durch den Ungeſchmack fpäterer Zeit doch noch
des Urfprünglihen und alterthümlich Merkwürdigen viel
aufzumweifen haben. An die Spitze der weltlichen Ge⸗
bäude ftellt ber Verf. wie Billig das Rathhaus mit fei-
nem berühmten goldenen Saale, in ber erften Hälfte
bes 17. Jahrhunderts erbaut von Elias Hol, dem vor»
züglichften Architekten, welchen Augsburg hervorgebracht,
von dem andy das mit flattlichen bronzenen Statuen
gefhmüdte Zeughaus und das Haus der Fleifcherinnung,
ausgezeichnet durch glückliche Berhaͤltniſſe und tüchtige
Profilirung, herrührt. Nun folgen die herrlichen Brun⸗
nen in der ſchoͤnen Maximilianſtraße (Auguſtus⸗ Marcus⸗
und Herculesbrunnen), jedem Beſucher Augsburg un⸗
vergeßlich. Von dem Reichthum und der Kunſtliebe der
Fugger hat ſich wenig oder nichts mehr erhalten. Leicht
und flüchtig ausgeführte Wandmalereien im Geſchmack
ber Rafael'ſchen Arabesken, welche ſich in den jegt dem
Kunſtvereine dienenden Badezimmern des Fuggerhauſes
befinden, gelten für Arbeiten Azian's, haben aber, wie
ſich Ref. noch im vorigen Herbſt überzeugte, nichts mit
derfelben gemein. Dazu kommt, daß zufolge einer In-
Schrift diefe Malereien im J. 1572 ungefertigt find,
als Kizion bereis 35 Jahre zählte. Von den’ Werken
ber Holzſchneide und Kupferiiehertuuft, welche Yugs-
burg während des 16. und 17. Jahrhunderts in fo gro-
fer Anzahl erzeugte, ebenfo von feinen berühmten Gold⸗
fejmiebearbeiten und Scufpturen in Elfenbein und Hol;
legt dort feine Sammlung mehr ein würdiges Zeugniß
ab.’ -Bieles davon findet ſich noch in den Kunfl-- und‘
Raritätencabineten fowie in den Schatzkammern beutfcher
Fürften, wie denn 3. B. ber berühmte pommerfche
Schrank in ber Kunfllammer zu Berlin eine ſolche
ausgezeichnete Arbeit ift. |
Der neunte Brief bringt ung Mittheilungen über Frei⸗
fingen, Landshut, Regensburg und Amberg.
In Freifingen ift wol nur der Dom bemerkenswereh, ber
nad dem Brande 1159 noch in der romanifchen Bau⸗
weiſe, doch ſchon mit Übergängen in den gothiſchen Stil,
ausgeführt ift. Landshut, höchſt maleriſch gelegen und
von dem alten Schloffe Trausnig überragt, befigt an
feiner Martinslicche den höchften Thurm in Baiern, im
dem derfelbe fehr ſchlank bie. zu 448 Fuß emporfteigt.
Regensburg bietet für Kunft und Altertum mehr Aus-
beute dar. Die Mufterung beginnt Hr. Waagen mit
. dem alten Dom, der hinter dem neuen Dom fo verfiedt
liegt, daß er vielen Kunftfreunden entgeht; Doch hat ihn
Nef. zu verſchiedenen Zeiten ſtets mit dem größten In⸗
texeffe beſucht. Er dürfte dem 10. Jahrhundert ange-
hören. Im Alter zunächft folgte das Schottenklofter,
merkwürdig durch fein Portal mit einem Reichthum an
Sculpturen, wie ihn kein anderes: Denkmal der romani⸗
Shen Architektur in Deutſchland aufzumweilen hat. Den
Uebergang von biefer Baumeife in die gothifche bezeich-
nen die fogenannte „Alte Pfarr“, die jegt nicht mehr
zum Gottesdienfte dient, und die Kirche des aufgehobe-
nen Nonnenflofters Niedermünſter. Nein gothifch er«
ſcheint die bedeutende Kirche des vormaligen Dominica»
nerkloſters; jedoch das fchönfte Monument Regensburgs
und eine der fchönften gothiſchen Kirchen Deutichlanbe
überhaupt bleibt immer der Dom. Bekanntlich ift durch
die weiſe Zürforge des Könige Ludwig von Baiern das
wahrhaft herrliche Innere deffelben von allem &rembar-
tigen befreit, in feiner Urfprünglichteit hergeftellt und
no mit mehren Glasgemälden der Fenſter geſchmückt
worden, welche zu ben eriten glücklichen Verfuchen biefer
wiebererftandenen Kunft gehören, die fpäter in Mün-
chen den hoͤchſten Triumph errungen hat. Die Kirche
bes ehemaligen berühmten Kloſters St. - Eimmeran, wie:
wol ſchon im. 7. Jahrhundert geſtiftet und nach einem
Brande 1163 wieder erbaut, befist außer ihrer Vorhalle
wenig Urfprüngliches mehr und ift auf das fchmählichfte
durch eine „Überkleifterung” im fpätern italieniſchen Bau⸗
geſchmack entſtellt. Ganz erhalten ift noch ber große
und überaus fhöne Kreuzgang, in beffen Hofraum ber
Fürſt von Thum und Zaris eine Grabfapelle und un
ter derfelben eine Familiengruft hat einrichten laſſen.
Das ehemalige Klofter ift jept zu einem fürftlichen Pa⸗
laſt eingerichtet und enthält eine fehr werthvolle Samm-
lung von Bildern lebender Künſtler, von denen der Verf.
mehre ausgezeichnete namhaft macht. Nichte minder lo⸗
bend gedenkt er der firrflichen Reitſchule mit Sculptu⸗
ven von Schwanthaler, an denen nur auszufegen, daß
fie von Gyps und nit von Marmor find. Bei Ge-
legenheit des Nathhaufes hätten wol als hiftorifche Merk⸗
wirbigfeit die unterirdiſchen Kerker beffelben und die
noch vollftändig vorhandenen Apparate der Tchauerlichen
Bolterfammern eine Erima verdient. Viel &
bares enthalten auch die Sammlungen des Hiſtoriſchen
Vereins, namentlich Gemälde alter Meiſter und unter
diefen von Albrecht Altdorfer, der, wie Hans Schäuffe-
fein im Nördlingen, jo in Regensburg die Kunſtweiſe
Dürer’s einheimifc machte. Dieſe Bilder hat dem Ver⸗
eine ein jehr eifriger Kunftfreund und Sammler, Br.
Kränner, verehrt, der aber auch in feinem Haufe fehr
werthvolle Kunftgegenftände befigt, unter welchen ein
Gemälde Jan's van Eyk, Maria den todten Chriftus
bemweinend, von Hrn. Waagen für eine Kunſtperle erklärt
wird. Die Walhalla hat unfer Verf. (er fchreibt im J.
1839) noch nicht fertig gefehen; Ref., der fie ſchon ei-
nige Male feit ihrer Vollendung beſucht, kann ibn ver-
fihern, daß die Ausführung des Ganzen in jeder Be⸗
ziehung vortrefflich ift, jedoch die großartige Wirkung
des überaus reichgejchmüdten Innern durch nichts fo.
fehr beeinträchtigt wird als eben durch ben Kern biefer
prachtvollen Schale, durch die Büften.
Im zehnten Briefe komme zuerfi Ulm an die Reibe,
eine Stadt, die vor vielen andern das Gepräge des
Mittelaltere treu bewahrt und noch viele Denkmale def-
felben aufzumeifen bat. ' Die bildenden Künfte fanden .
bier einen fruchtbaren Boden, mas uns durch die noch
erhaltenen Bauwerke, Gemälde und Sculpturen beftätigt
wird, wiewol gegen ben ehemaligen Reichtum an Kunft-
werten (bi6 gegen die Mitte des 16. Jahrhunderts) die
Stadt jegt arm erfcheinen muß. Namentlich bildete die
ulmer Dalerfchule einen Hauptzweig der ſchwäͤbiſchen
Schule. Im Vergleiche mit dem andern Hauptzweige,
ber Schule von Augsburg, erkennt Hr. Waagen bei je-
ner eine mehr ideale Richtung, und findet zwiſchen bei-
den ein ähnliches Verhaͤltniß wie zwifchen der floren-
tinifchen und umbrifchen Schule derfelben Zeit. Gine
ſehr ausführlihe Beſchreibung und Würdigung erhält
zuerft. das berühmte Münfter (S. 138 — 160), wel»
ches durch fehr viel Mertwürbiges, vorzüglich durch die
Schaffner’fchen Bilder, das fchöne Sacramenthaus, Haupt-
fähli aber durch die vortrefflich in Holz gefchnigten
CHorftühle Jörg Syrlin's des Alten ausgezeichnet if.
Nach dem Dome bildet der fogenannte Fifchlaften, ein
anfehnlicher Brunnen auf dem Markte, Ums merheür-
digſtes Kunſtdenkmal, doch bietet bie Stadt an und in
vielen alten Häufern dem Forfcher noch mancherlei In⸗
texeffantes dar. Auf der Weiterreife befuchs der Verf.
die im beutfch - romaniichen Stil erbauten Kirchen zu
7:
Jaurnbdau und Brenz, und eine kleine gothifche Kirche
auf dem Heerberge, welche nicht ahnen läßt, daß fie ein
bedeutendes Denkmal ber fhwäbifchen Malerfchule an
igeem Altarſchrein beſitzt. Das Innere deſſelben ent⸗
haͤlt geſchnigte und bemalte Figuten, aber Flügel, Staf⸗
fel und Rüdfeite beglaubigte Malereien von B. Zeit⸗
bloom. Auh Hal befigt manche intereffante Schnig-
werte am Altarfchreinen und an einer Grablegung in
lebensgroßen Figuren ein bedeutendes "Kunftdentmal. In
Komburg befindet ſich in der Kirche der vormaligen Be-
nebictinerabtei ein fehr reiches, kuͤnſtleriſches Antependium
aus der erſten Hälfte des 13. Jahrhunderts (abgebildet
in Boiſſeréee's, Denkmaͤlern der Baukunſt am Niederehein‘‘)
und im Kloſter zu Blaubeuren ein Altarſchrein, „deſſen
"bemalte Schnigwerte zu dem Schönften gehören mas
Deutſchland von diefer Kunftweife befigt”. Eben geht
‚ums eine Anfündigung zu von einem Stiche diefes Werks
nach einer Zeichnung Heideloff's, der nach allgemeiner
Annahme die Arbeit dem Syrlin zufchreibt, welcher An-
fihe aber Hr. Waagen entgegen ifl. Noch befpridht
berfelbe in diefem Briefe eine in Holz gefchnigte Figur
im Schloffe Erbach, einige Steinreliefs in ber Vorhalle
der Kicche zu Oberdifchingen, einen Altarfchrein in ber
Bottesaderkicche unmeit des Dorfes Rißdingen, ein Schnig-
wert zu Reutti an der Donau und eine Sammlung von
Kunftdentmälern des Profeffors Durſch in Ehingen.
. Dex elfte Brief ift aus Stuttgart datirtim 3. 1842,
mithin vier Jahre jünger als der vorige. Hier empfängt
den Verf. ein fehr günfliger Genius locı und ein nicht
unerhebliches Zeld für feine Forſchungen. Diefe began-
nen mit ber Stiftöfirche, einem immerhin noch bedeu⸗
tenden Bau im dem ſchon minder reinen gothifchen Ge⸗
ſchmack der Zeit (1460), worin beſonders der Chor mit
den flattlichen Stanbbildern der alten Grafen von Wür-
temberg einen reichen Eindrud hervorbringt. Zunahfl
unterfucht der Verf. in der öffentlichen und in der Pri⸗
vatbibliothet des Könige die zahlreichen Evangeliarien
und Pfalterien, deren Miniaturen wie gewöhnlich ihn
lebhaft beſchäftigen. Im Böniglihen Schloffe erregen
vor Allem das Intereſſe des Kunfifreundes die Gemälde
von Wächter und Schi, durch welche nach dem Bor-
gange von Garftene der Anbrud einer neuen Ara für
bie deutfche Kunft bezeichnet wird; auch die neuen Fres⸗
ten von Gegenbauer verdienen Aufmerkſamkeit. In dem
neuen Kunftgebäude waren die Gemälde, deren fchägbare
Sammlung man felbft durch namhafte @elbopfer zu
vergrößern bemüht tft, noch nicht aufgeftellt, doch bereits
die reiche Sammlung von Gopsabgüffen feiner Werke,
welche Thorwaldſen der Anftalt zum Gefchent gemacht,
zur Stelle. Kine fehr. ausführlide Beſchreibung weiht
Hr. Waagen der auch Ref. wohlbekannten Sammlung
affbeutfcher und altniederlandiſcher Gemälde des Hrnu.
Dberprocuratore Abel, welche für die Geſchichte ber
ſchwaͤbiſchen Schule viel Wichtiges unb namentlich aus
— Arbeiten von B. Zeitbloem enthält. Schöne
er „aus den glücklichſten Epochen der italieniſchen
und nieberlänbifchen Säulen “ ſah Hr. Wangen noch
x
bei dem englifhen Gefandten Sir George Shee, Lega⸗
tionsrath v. Kölle, Kriegsrath Landauer, ‘dem franzöfi-
hen Gefandten Grafen Fontenay und Kanzleirath Bührs.
len. Wenn ihn die Statue Schiller's von Thorwalbfen
nicht ganz befriedigt, fo werden ihm fehr Viele barin
beiftimmen, welchen die Auffaffung des Dichterfopfes in
Danneder’s Foloffaler Marmorbüfte wahrer und darum
ſchoͤner erſcheint. Endlich fehlt es auch in ber Men⸗
ſchenwelt Stuttgarts unſerm Verf. nicht an intereſſanten
Begegnungen und an einer wohlthuenden, ihm dort mehr
als anderswo vorgekommenen Anerkennung ſeiner ſchrift⸗
ſtelleriſchen Arbeiten auf dem Felde der Kunſtgeſchichte,
welcher Anerkennung er aber allenthalben gewiß ſein
kann, wo der Sinn für edle Beſtrebungen und bewährte
Leiftungen noch nicht erftorben ift.
Auf Stuttgart folgen Mühlhaufen am Nedar, Eß—
lingen, Göppingen, Klofter Lord, Weilheim, Urach, Tü⸗
bingen, Herrenberg, Kentheim, Tiefenbronn, Maulbronn
und Heilbronn, über deren artiftifche Merkwürdigkeiten
Hr. Waagen nicht ſowol aus eigener Anſchauung als
viehmehr nach ben bekannten Mittheilungen Grüneifen’s
und Mauch's („Sendfchreiben” und „Ulms Künſtlerleben
im Mittelalter”) berichtet. Den Beſchluß des Briefes
macht Karlsruhe, welches Hr. Waagen jegt ebenfalls
nicht perfönlich befucht, indeffen gibt er doch von ben
neuen duch Hübfch ausgeführten Bauten, von bem-
Frescobilde Schwind's und von einigen Hauptbilbern
der Gemälbefammlung, die ihm bei feiner Anmefenheit
1818 aufgefallen, einige Nachricht. Der herrlichen Sta⸗
tue Karl Friedrich’ mit den Statuen ber vier badi⸗
[hen Kreife am Piedeſtal, einer Meifterarbeit Schwan-
thaler’s, gefhicht noch Feine Erwähnung.
(Der Beſchluß folgt.)
Charlet.
Eu (Beſchluß aus Nr. 81.)
Eharlet hat zwei Fächer, in denen er Meifter iſt: die
Soldaten und die Kinder. Seine alten Eiſenfreſſer aus
den Rapoleon’fchen Heeren machten ihn zuerft als Zeichner be»
rühmt; Keiner, felbft Horace Bernet nicht, hat den Typus des
alten Brummbärs, ded fogenannten Grognard, fo vortrefflih
aufgefaßt. Die Haltung der Arme und Beine, die von Der
Bärenmüsge gerunzelten und binaufgezogenen Augenbrauen, ba
gefurchte und gebräunte Antlig mit dem fürchterlihen Schnurr⸗
bart, das ganze Geberdenfpiel, die ganze Gehabung ded Sol⸗
daten der alten Kaifergarde wußte der talentvolle Kuͤnſtler
mit unvergleichlicher Kraft und Reinheit wiederzugeben. Bon
Charlet rührt das bekannte: „Le petit caporal, Fautre!”...
Er ift der Rapoleon von allen Malern Rapoleon’8; mit einigen
Strichen zeichnete ex den Umriß des Kaiferd fo täujchend ähn⸗
lich und lebendig, daß ae Reiterftatuen-Zabrifanten darüber aus
der Haut fahren möchten. Charlet gefiel fid vor Allem in den
Erinnerungen an den Kaifer, an den Ruhm der großen Urs
mee; er war 'ein eingefleifchter Imperialift und unermüdlicher
Repräfentant des Gedankens, daß die —I die große Ra⸗
tion ſind; ſeine Zeichnungen ſchlugen faſt immer eine patrioti⸗
ſche Saite an und ſchmeichelten hauptſaͤchlich der franzoͤſiſchen
Nationaleitelkeit, ſodaß fie uns zum Theil wie Gascognaden er⸗
ſcheinen, die jedoch immer inſofern in Ehren zu ra und
Amen Schmerz eined ganzen
gelten zu laffen find, als fie ein gemeinſames Gefühl, einen
gemein]
tolz, einen gemeinfamen
*
Bolkes ausdrücken. Gs find tiefe politiſche U andlungen, ge:
chrieben wider Wiffen und Willen, und wie Beranger'd Chan⸗
—— fo haben Eharlet'8 Zeichnungen ebenfo viel und mehr
als die Journale der Oppofitionspreile beigetragen, ben unter
der Ufche glimmenden Volkshaß gegen die Bourbons in be:
Rändiger Glut zu erhalten und fo lange anzufadhen, bis er
endlih in hellen Flammen aufloberte.
@ine eigene Unterabtheilung der Charlet'ſchen Soldaten
bilden die Eonferits. Der Bauernjunge im Soldatenrode, Res
Erut genannt, iſt in Frankreich wie allenthalben das naivfte,
Leichtgläubigfie Geſchoͤpf unter der Sonne. Ber vornehmfte
Gharakterzug deſſelben ift sine unbegrenzte, unglaubliche Eitel-
keit auf feine Uniform und feine, Perfon, und das riefenmäßig
Fabelhafte ift ihm genehm und glaubwürdig, ſobald es dieſe
feine @itelleit Figelt. Im Rrieden träumt er in Paris von
vornehmen Weibern und Madchen, Gräfinnen und Prinzeffin-
nen, die fi in ihn verlieben und ihn zum Gluͤcklichſten der
Sterblichen machen. inftweilen und in Grwartung biefer
Gtüdsfonne Indpft er feine Kamafchen, macht links und rechts,
und um dem trägen Gluͤcke nachzuhelfen, bringt er von Zeit
zu Seit fein letztes Zwanzigſousſtück zu der Karten age
bie es natürlich an Prinzeffinnen und Königinnen nit Tehlen
läßt und davon gibt fo viel er will; oder er beſucht In feis
nen Preiftunden den Jardin des Plantes und die Elyſaͤiſchen
eider, wo ihm fein Nachbar zur Rechten oder zur Linken den
parpfennig aus der Taſche wegprafticirt, während er mit
flarren Augen die Herrlichkeiten der Menagerie betrachtet und
den Späßen des Bären Martin zufieht, oder die Kunftftüde
der fahrenden, Wundermaͤnner angafft und vor Erflaunen über
das Berfchlingen der Kröten, Dolde, Schlangen, Schwerter
und glühenden Kohlen den Mund aufreißt. Charlet's Rekru⸗
ten, in allen dieſen Sitwationen durchgeführt, find einzig.
Keinem Andern ift ed gelungen, bas Etwas von Pinfel und
Kölpel zugleich, Das Gemifh von bäurifchem und foldatifchem
Weſen, welches die franzoͤſiſchen Eonfcribirten auszeichnet, die
pfiffige Dummbartsmiene der Einen und die geſpreizte Erobe⸗
rermiene der Andern, fo komiſch auszudrücken. Mit köſtlichem
Vergnügen betrachtete ich z. B. oft die Caricatur, auf wel
der man einen jungen Soldaten vor einem —A ‚in
buntem, geheimnißvollem Anzuge fieht, der ihm mit hochwich⸗
tiger Miene fein zulünftiges Schickſal folgendermaßen verfün:
det: „Eine vornehme, rein, mächtige Yringefin verliebt fich
fterblich in einen jungen franzöfifhen und blonden Corporal
auf der Parade; fie laßt ihn entführen und in ihre Staaten
bringen, wo er, wie die Regierung, auf Koften der Prin-
zeffin freie Wohnung, freie Kot und freie Wäfche hat.” Und
während ber jun e Corporal in pausbädiger Glorie feiner zu:
Tünftigen Gr e borcht und fi in der Erhebung über feine
Kameraden aufbläft, flichlt ihm der Hanswurft das Schnupf:
tuch aus dem Tſchacko, den er aus Ehrfurdt vor einer fo
wichtigen Perfon abgezogen bat, er, der fonft überall fürchtet,
ber Soldatenehre etwas zu vergeben, ‚wenn er anders ald mit
bedecktem Haupte erfchiene. er hat endlich nicht manchmal
bis zum Weinen gelacht über jene Meinen, mit ebenfo feinem
Gefühl als mit Witz, Laune, Geift und Ausdrud behandelten
- Meifterwerke, welche folgende Unterfchriften führen: „Si j'etais
tant seulement le polichinelle!” ‚Je m’ai pas assez mefi6
de la payse!“ ‚Vous seriez le petit caporal lui - m&me,
nd je vous dis qu’on ne passe pas!” In dem legtern
Blotte ſticht die entfchloffene und grimmige Haltung des wüs
thenden Soldatenknirpfes aufs ergöglichite gegen die wohlwol⸗
Iende, fhmunzelnde Ruhe Rapoleon’s ab.
„Als die alten Kalfergardiften und die jungen Rekruten
aufgebraudt waren, machte fih Charlet Hinter die Kinder.
Sein feines und originelles Raturgefühl bewährte fi auch in
diefer neuen Studienreihe. Er iſt von nalver, anmuthiger
Wahrheit in der Darftellung fchelmifcher oder trogöpfiger Kin:
derphyfiognomien; der Gamin, die Buben aus der Schule ber
chriſtlichen Lehrbrüder oder des gegenfeitigen Unterrichts find
dttlich wenn er fie ſorechen ober handeln laͤßt. Er weiß in
einen Peinen Kinderbramen das allzu Kinbifche zu vermeiden,
und gibt felbft den unbedeutendften Borgän en ein anziehendes
Relief durch die Fuͤlle von heiterer, gutsnütdiger Laune, bie er
darüber audgieft. Einige enthalten fogar verſteckte Lectionen
von einer gewiſſen Gchußweite, wie bas ſchoͤne Blatt, welches
einen Irupp Urbeiterbuben darftellt, die mit Kindern von rei»
hen Altern Soldatchen fpielen. Der größte von den ſchlecht
gefleideten wilden Rangen droht ben gut angezogenen kleinen
Kameraben mit einer Tracht Prügel, wenn fie, wierer fagt,
immer Generäle fein wollen.
Nach der Julizevolution feheint ed, als wäre dem Künfl-
ler der populaire Inftinct ausge angen, welchem er den eigen-
thümlichen Charakter feines entd verdankte. Sei es, daß
er geiftig erfchöpft oder daß feine Beipaber verfiecht war, von
jener Beit an verließ Eharlet der ‚wo er fo reichliche
Lorbern gepflüdt und tappte.wie im Finſtern umher, ohne be
flimmte Richtung und Mares Bewußtfein. Seine Ausführung
litt ſehr darunter. Da er von der Natur abying, die ihn ſtets
jo glücklich inſpirirt hatte, gebrach es ihm plöglih an einem
Anhaltspunkte, weil fein Talent ſich durchaus nicht nad claffi-
ſchen Studien gebildet hatte. eine Hand wurde ſchwer und
fein Gedächtniß lieferte ihm nur noch ſchematiſche Sppen oder
todte Nachahmungen von alten Muftern. Seine legten Lithos .
arapbien find mit Ausnahme einiger, weldhe die gefhabte Ma-
nier nachahmen und eine gewiſſe Farbe Haben, keineswegs Das,
was man von Eharlet hätte erwarten follen, welches um fe
auffalender, da er noch nicht alt war und im runde noch
immer acht oder zehn Jahre hätte fortarbeiten können; aber
der gufe Charlet war der neuen Generation fremd geworden
und im Kaiferreich ftehen geblieben, deffen Sitten und Sprache
und Ideen er beibehalten hatte. Er gehörte Peiner Schule,
Beiner Coterie an, und hatte Beinen andern Lehrmeifter als
die Natur und feine Phantaſie. Bon feinen zahlreichen Rach⸗
folgern und Schülern find einige mit ihrer Zeit fortgegangen-
Belange macht faft ebenfo ähnliche alte Grognards als bie
von Eharlet, nur fehlt Ihnen der feine, belebende Hauch des
Meiftere. Maffet kommt dem Geifte Ehurlet's am nächften,
und man hat von ihm vortreffliche Schlachtftüce. Gr ift nicht
beftändig gleich heiter und launig, u aber mitunter eine poe=
tiſche Ader getroffen, die man bei feinem Vorgänger vermißt.
Charlet war von fehr großer Statur und martialiſchem
ußern, zumal in feiner Untform als Gapitain einer Grena⸗
biercompagnie ber Rationalgarde: er hatte den Kopf Des olym- .
Bilden Beuß, aber bes Beus bei guter Laune und in ſarkaſti⸗
her Wachtmeiſterſtimmung. Sein Verleger ift reih an i
geworden, er felbft aber nicht reich geitorben, obſchon er in
feiner glänzenden Zeit außerordentliche Einnahmen hatte. Er
lebte einfach, aber nicht oͤkonomiſch; gleich Denjenigen, die in
ber gefahrvollen Unſicherheit ihres Lebens fi) ganz dem Glücke
und Genuſſe des Augenblicks bingeben, weil fie nit wiflen,
ch die nächte Zukunft noch ihnen ift, gleich den von ihm fo
heiß geliebten Soldaten hatte er bie Bemohngeit, von dem
Zage zu nehmen was er gab, und nur an die Gegenwart und
fih felbft zu denken, ſodaß er gleih reih war, er mochte
10,000 Thaler oder 10,000 Groſchen jährlich einnehmen. @eine
Lithographien allein haben ihm cine halbe Million eingebracht;
außerdem gibt es von ihm eine ungeheure Anzahl von Zeber:,
Tuſch-, Kreide:, Aquarell: und Paftellzeichnungen, die er mit
wunderbarer Leichtigkeit anfertigte und zu hohen Preifen ver:
kaufte, und man darf wol annehmen, daß er damit ebenfo
viel als mit feinen Steinzeichnungen verdient bat, fodaß er
alfo während feines Lebens wenigftens eine Million Branch
eingenommen bat. Man fieht, dad franzöfiihe Publicum weiß
feine Lieblinge zu belohnen und bezahlt feine Bünftlinge Bö-
niglich; es läßt ſich in feinen Spmpathien dur die Schul
haͤen wenig irre machen, und wenn es daxauf anloınmt,
Gluͤck und Ruhm zu. fpenden, thut man immer noch am beften,
ed feiner Entjcheidung zu überlaflen. .
Berantwortlicher Herausgeber: Heiurich Brockhaus. — Druck und Belag von F. X. Broddans in Leiprig.
I
u
PRATER A ES LIERERBLRTRM u. ..
an ucih
Blätter
' für
literariſche Unterhaltung.
Dienftag
Zweiter Thril.
(Behind aus Mr. .,
Der gweölfte Brief iR 5843 aus Daſel datiert und
verfegt und zuerſt in das liebliche Freiburg im Breiegar,
weiches aber ber Verf. auch nicht jept, fondern zum Ief-
ten Male vor 20 Jahren befircchte. Seine Mittheitungen
betreffen worgiglich das herrliche Münfter, find aber micht
vellftändig, da z. B. son ben ſchoͤnen Glasmalereien ber
Gehritver Helnle u. m. U. noch nicht die Rebe if. So
kennt er auch noch wicht bie fchöne alte, im zomanifchen
Stil erbaute Kirche, welche von Tennbach hierher wer-
fegt und ven Hibfch mit einem achteckigen Thurme ge-
kmäaßt wurde, und bie jept zum evangeliſchen Gottes⸗
enfte benutzt wird. Das alte Bafel bietet dem Kunfl-
freunde nach manchen Stoff zu Genuͤſſen dar. Zuerſt das
Münfter, son deffen arſprünglichem Bau, der 1019 be-
reits eingeweiht wurde, wol nur äußerſt wenig noch er⸗
fein mag. Sehr Thon ift feine hohe Rage auf
der fogenamnten Pfalz mit der Ausſicht auf Flug, Stadt
ud Umgebung. Bon ber frühen Ausübung der Ma-
Ierei in Dafel zeugen einige Tobtentänze, von denen aber
nur nod) Copien vorhanden find; doch ihre höchſte Bluͤte
exreichte die Malerei dadurch, daß die beruͤhmte Maler⸗
familie der Holbein, wahrſcheinlich ſeit 1517, von Augs⸗
vurg hiecher überfiebelte. Auch in literariſcher Beziehung
war jene Zeit für Baſel eine fche bedeutende, als Eras
uns von Motterbam, der gelehrte Buchdrucker Ichannes
Aroben, ber berühmee Geograph Sebaſtian Münfter und
der Reformator Dlolampabius gleichzeitig dert leb⸗
“en. Es iſt begreiflich, daß ber Sinflich eines Meifters
wie des jüngern Holbein auf alle Faͤcher der Kunft ſehr
groß fein muß, um fo mehr hat es Bafel zu beifagen,
daß derfelde nur bis zum J. 1520 deut: anfäffig blieb
zb Tmäter won England aus nur beſuchsweiſe ſich laͤn⸗
geve aber Bürzere Zeit in Baſel aufhielt. Ein noch
größeres Unglud brachte die Meformationszct, als am
dhermittwmed 1529 ein Fürslicker Bilderflurm in den
| ae ſtattfand und der große Reichchum derſelben an
Aunfiwerten
durch bie Bürger auf zmäf Haufen ver⸗
beannt wurde. Auch In fpäterer Zeit bat Baſel noch
manches bedeutende Aunſtwerk eingeküife, wie dem z. B.
Hobalnas Kedlihmins ‚Bumıdide der Jamilie des Bizge- :
24. März 1846. _
meiſters Meyer in Aubetung der heiligen Jungfrau einge
Hauptzierde der Tönigl. Galerie in Dresden bildet und
das Büdniß des Kaufmauns Georg Bufi ‚gegenwärtig
die Krone der Portraite deutſcher Schule im Mufeum
gu Berlin if’. Aller diefer Werlufte ungeachtet hat doch
Sein Det in der Welt noch heute fo viele Denkmale non
Holbein’s Kunſt aufzumeifen als bie öffentliche Biblia⸗
shet in Bafel. Sie entſtammen heuptfächlich der Samm⸗
fung oder Kunſtkammer des wit Erasmus en
sen Dr. Bonifacins Amerbach, weiche die Regierung 1661
von den Erben deffelden erwarb, und der Kunſtkammer
der Familie Feſch, weiche 1823 dem Stante anheinfid.
Jetzt foll ein Maſeum für dieſe Schäge eingerichtet wer⸗
den. Bei ber fehr genauen und liebevollen Betrachtung,
weiche der Verf. ben Bildern weiht, kann Mef. ihn nicht
zu allen Einzelheiten derfelben ‘begleiten, aber es hat ihn
innig gefreut bier beftätigt: zu finden, was er felbft pwei
Jahre: fruiger. in feinen Zogrhüchern. über - biefe Bilder,
namentli die kleine Paſſion, den Leichnam Chxriſti, ei⸗
nige Bildniſſe u. |. m. angemerkt hat. Ebenſo gewiffen-
Haft wie die Bilder werden auch die zahlreichen Zeich⸗
nungen ˖ Holbein's gemuſtert, unter weichen: ſich Gartens
zu Glasgemaͤlden, Zeichnungen für Gold⸗ und Waffen⸗
Schmiede u. a. befinden. Im RNathhauſe, einem Fyit-
gothifchen Bau, defien malerifche Wirkung man aus
Quaglio's Zeichnung kennt, findet Hr. Waagen bie Wap-
pen der zwölf Cautone in Glaſsmalereien und in dem hier
aufbewahrten Theile des vormaligen Domſchatzes mehre
Gegenſtände bemerlenswerth. Endlich bieten noch tie
Drivatfammdungen der Herren Peter Viſcher, Maͤglin,
Speyr und Miville Krug manches hoͤchſt fchägbare Denf-
mol ber Kauft und des Alterthums bar. =
Im dreizehnten Weiefe folgen wir dem Verf. nat
Kolmar, wohin er ſich der unbezweifelt echten Gemaͤlde
Martin Schongauer's wegen begab: Was von diefen
noch vorhanden (demn auch Hier hat die Meformations-
zeit und noch mehr Die franzöfiice Revolution ihren
Vandalismus an ben Kunſtalterthürmern bewährt), befin-
det ſich auf der Bibliothek und in der einfichtsvollen
Pflege des Archivars Hugot. Mit großer Genauigkezt
prüft und beſchreibt Hr. Wangen dieſe merkwurbigen
Bilder und wo er nicht ganz mit Paffavant umd
Quandt über ihre Echcheit rinverſtanden ift, rechtfertigt
33
er feine Anficht fehr überzeugend. Das Hauptbilb des | Erfindung eine Lichtquelle im Reiche des Wiffens ge-
Meifters, Maria im Nofenhag, hängt im Seitenſchiff
der St. - Martinsliche leider etwas zu hoch, macht: aber
auch fo einen fehr lieblichen Eindruck und läßt une in
den Wunfch des Verf. einftimmen, daß dieſes koſtbarſte
Werk des großen Meifters, mit beffen übrigen Bildern
in der neuen Räumlichkeit vereint, vor weiterm Verderb
bewahrt und den Kunftfreunden möglichft genießbar auf-
geftelit werde.
Der Brief ift aus Strassburg datirt (Nov. 1343),
welches nun an die Reihe fommt und wie billig unfern
Berf. ungemein befhäftigt. Nachdem er zuerfl einen
Bid ‚auf die günftige geogsaphifche Lage, die Geſchichte,
die Blüte und Bedeutung ber Stadt im Mittelalter bis
auf die newefte Zeit geworfen, begibt er ſich an die Be⸗
trachtung des Münfters, bei welcher Genuß und Beleh-
sung fih in feltenem Grade die Hand bieten, da man
Hier wie an keinem andern Gebäude die gothifche Archi⸗
iektur von ihrer Entwicklung aus der fpät romanifchen
Baumeife bis zu ihrer höchften und reinften Ausbildung
und wieder in ihrer Abnahme bis zu ihrer völligen Aus-
artung durch alle Stufen verfolgen kann. Wie viel
Gruͤndliches und Schönes man auch bereits über das
Muͤnſter gelefen oder an Ort und Stelle ſelbſt gedacht
und empfunden haben mag, fo wird man dod) mit er-
neutem Intereffe den Verf. duch alle Theile des merk⸗
würdigen Gebäudes begleiten, feinen hiftorifhen und ar-
tiftifchen Auseinanberfegungen ein aufmerkſames Ohr
feihen und in feine begeifterte Bewunderung einftimmen.
Aufgefallen ift es Ref., daß Hr. Waagen nur von drei
Keiterfiatuen (Chlodwig, Dagobert und Rudolf von
Habsburg) an drei vorfpringenden Pfeilern der Vorder⸗
feite fpricht, da doch noch eine vierte, allerdings erſt
in neuerer Zeit aufgeftellte, aber doch lange vor 1843
dazu gekommen ifl. Vergebens freute fih Ref. ſchon
im voraus bei diefer Gelegenheit mit bem DBerf. auch
in der Indignation zu fompathifiren, denn jener ſtei⸗
nerne Reiter ift kein anderer als der Lönigliche Räuber
des Eifaffee, Ludwig XIV., welcher Namen in großen
weißen Lettern auf ſchwarzem Grunde zu leſen ift.
Ebenſo fcheint Hr. Wangen die Statue Butenberg’s
von David, welche, beiläufig bemerkt, nicht auf dem
Dlage vor dem Münfter, fondern weiter bavon auf, dem
@emüfemarkte (Marche aux herbes) ſteht und bie Ref.
ſchon 1842 dort fah, nicht aus Autopfie zu kennen, er
würbe fonft auf dem Drudbogen, ben Gutenberg Hält,
nicht gelefen haben: Fiat lux! fondern: Et la lumiere
fut. 8. v. Quandt in feiner eben erfchienenen Schrift
(„Reife ins mittägige Frankreich“) fallt nicht nur über
dieſe Statue ein fehr ungünfliges Urtheil, was fie nicht
ganz verdient, ſondern tadelt auch befonderd die ange
führten Worte, weil einmal Gutenberg nie ein franzöf-
ſiſches Wort gedrudt und weil das Kichtwerden feine
Folge der Buchdruderei, fondern umgekehrt biefe eine
VSolge von jenem fi. Wir können hierin Hrn. v. Quandt
‚nicht weht geben und nehmen die Worte in ber gewiß
vom Künftler felbft gemeinten Bedeutung, daß jene große
worden fei. .
In der Thomaskirche, deren Architektur ein ſchoͤnes
Beifpiel von dem Übergang des romanifchen Bauſtils
in ben gothifchen barbietet, findet Hr. Waagen das ber
rühmte Monument bes Marſchalls non Sachſen von
Pigalle, welches er fehr wahr ein rechtes Prachteremplar
von dem verkehrten Gefhmad jener Zeit nennt Im
dem fihönen gothifchen Chor der alten Peterskirche be-
finden fi) neun Bilder aus der Paffıon, in deren un«
befanntem Meifter der Verf. einen tüchtigen, dem Mar⸗
tin Schongauer verwandten Künftler erfennen will. Seit
1840 beſiht Strasburg auch ein fiäbtifches Muſeum,
welches in den prächtigen Sälen des Stadthauſes ein-
gerichtet ift. Unter den vom Verf. namhaft gemachten
Bildern hat Ref. mit Verwundexung eine heilige Apol-
lonia (Ste. « Apolline) vermißt, bie man oft für ein Werk
Rafael's hielt, jegt aber im Katalog mit dem Namen
Perugino's bezeichnet findet. Hr. v. Quandt hält diefes
Bild für eine theilweife alte Eopie der dem F. Francia
zugefchriebenen in Münden befindlichen Madonna vor
dem Üofengehege, und zwar für eine aus Verehrung
für Francia von Rafael felbft angefertigte Copie oder
vielmehr Reproduction „aus der liebevollſten Grinne-
rung”. Die dem Martin Scongauer zugefchriebene
Derfpottung Chriſti erfennen Hr. Waagen wie Hr. v.
Quandt nicht als ein Werk diefes Meifters an. Die
Vermählung der heiligen Katharina, die ber Katalog’
dem Lukas von Leyden beimißt, hält Hr. v. Quandt
nur für ein Werk der Eyk'ſchen Schule, während der
Verf. nad dem Vorgange Paffavanı's das Bild für ein
ganz ficheres und fehr ausgezeichnetes Wert bes Hans
Memling und für das werthvollſte Gemälde der ganıen
Sammlung erklärt. Endlich enthält noch die Univerfi-
tätsbibliothek eine fehr merkwürdige Sammlung von rö⸗
mifchen Witerthümern und in ber vormaligen Domini«
canerkirche, worin jegt ein großer Theil der Bibliothek
aufgeſtellt ift, eine Reihe ausgezeichnet ſchöner Glasge⸗
mälde. Unter den merkwürdigen Hanbſchriften iſt ber
„Codex argenteus” wichtig, unferm Berf. aber beiweitem
intereffanter ber „„Hortus deliciarum” der Abtiffin Herrab
von Landöperg, weil biefer Gober das einzige Denkmal
ift, weiches von der Art und Stufe der Malerei im
Elſaß aus dem 12. Jahrhundert eine anſchauliche Bor-
ftellung gibt, weshalb Hr. Waagen ihm eine fehr aus⸗
führliche Betrachtung widmet.
Der vierzehnte Brief ift aus Oppenheim vom 21.
Nov. 1845 batirt und führt uns zuerfi nach Speier.
Stadt und Dom haben viele harte Schidfale zu beklagen
und namentlich trägt dies ehrwürdige und großartige Ge⸗
bäube noch bie tiefen Spuren des franzöftfchen Vanda⸗
lismus. Um fo lebhafter wird jeder Kunftfreund an-
erkennen, mas bereits durch den König Lubwig von
Baiern für ben Dom gefchehen iſt und fortwährend ge-
fhieht. Nice nur iſt der faſt zur Ruine geworbene
Bau gänzlich wiederhergeftellt, fondern auch ein An⸗
fang gemacht worden zur künſtleriſchen Ausſchmückung
des. Innern. Die Momente bes Kaiſers Ad⸗olf von Raf-
ſau (durch den verfiordenen Herzog von Raffau- errich-
tet) und Rudolf’s von Habsburg von Schmwanthaler find
Dereits fertig, und die nadten weißen Waͤnde fehen
Frescomalercien entgegen, mit welchen Schraubolph (nicht
Schrauborff) in Münden beauftragt if. In Heibel-
berg gibt die Gefchichte der reizenden Stadt Hrn. Waagen
Beranlaffung zu manden Bliden in die Vergangenheit
und zu theuern Erinnerungen aus bem eigenen Leben,
deſſen akademiſche Jahre er bort zugebracht hat. -Lie-
bend verweilt er wieder in Betrachtung bes alten Schloſ⸗
fe6, von dem er mit Recht behauptet, daß an jenem
maieriſchen Reiz, den verfchiebenartige Gebäude, in der
sen Zufammenflellung Regel und Zufall angenchm wech⸗
fein, hemerbringen, an Anmuth und Zierlichkeit der
nädften Umgebungen, an Mammichfaltigfeit der fhönften
Ausfihten nah und fern fich fein anderes fürftliches
Schloß in Deutſchland und überhaupt in der Welt habe
meffen tönnen, wie es denn auch in feinem jegigen Zu«
ande durch den über baffelbe ausgegoffenen wehmüthig
poetifchen Zauber felbft noch großartigere Ruinen über
trifft, Große Befriedigung gewährte dem Verf. das
Studium der Miniaturen auf der Univerfitätsbibliotheß,
welde durch die 1816 erfolgte Zurüdgabe der fämmt-
lichen 847 deutſchen Handſchriften aus der Vaticana
und durch einige aus dem Kloſter Salem am Bobenfee
vom Großherzog hierher geftiftete Codices wieder eine
ungemeine Bedeutung gewonnen hat. In Handſchuchs ·
Heim bei Heidelberg befucht Hr. Wangen die intereffante
Sammlung mericanifcher Alterthümer des Hrn. Uhde,
aber aus Zeitmangel gelangt er nicht nach dem doch fo
nahen Stift Neuburg zu Hrn. Rath Sätofke, der, fo
viel Ref. ſich erinnert, nicht fowol „eine Reihe werth-
voller Gemälde lebender Kuͤnſiler, namentlid von Oper
bed, als vielmehr herrliche Handzeichnungen von bier
ſem Meifter und von Eduard Steinle befigt. Sehr be-
iohnend ift ein Ausflug in den tomantifhen Odenwald
and ein Beſuch des Schloffes Erbach, über deffen Alter-
thümerfammlung Hr. Waagen bie bei einem frühern
Aufenthalte gefommelten Notizen jegt mittheilt. Worme
welt Erinnerungen an die Nibelungen und mandes
wichtige hiſtoriſche Ereigniß, hat aber von feiner vorma-
Hgen Bedentung faft nichts mehr aufzumeifen als ben
Dom, ber durch fein Außeres und fein Inneres einen
würdigen umb ernfien Einbrud hervorruft. Bon künft-
leriſchem Schmud ift faft gar nichts mehr vorhanden;
merkwürdig jedoch und nicht ohne Kunftwerth find die
Fleinernen Standbilder von drei Prinzeffinnen, waht ·
ſcheinlich aus dem 14. Jahrhundert, deren Ramen mit
Einbede, Warbede und Willebebe bezeichnet find. Den
Beſchluß macht Oppenheim mit ben Reften feiner Ka-
tharinenkirche, die unftreitig zu den ausgezeichnetſten
Dentmalen gehört, welche die gothiſche Architektur zur
Zeit ihrer höchften Blute hervorgebracht hat. Bon be-
‚wunderungswürbiger Schönheit und Eleganz iſt nament-
lich das dreiſchiffige Langhaus fowol in feinen harmoni-
ſchen Besätifen ci in der Hutbidung der Amelnen
haufen,
Zeile. Br. Waagen ift geneigt zu glauben, baß ber '.
gleichzeitige Erin von Steinbach entweder felbft oder
durch einen Schüler auf diefen Theil des Baues Ein ⸗
flug ausgeübt Habe, fo fehr wurde er van det Überein»
ftimmung diefer Formen mit denen der Vorderſeite des
ſtrasburger Münfters überrafcht.
Sind wir dem Verf. bis hierher mit ſtets gleichem
Intereſſe gefolgt, fo fehen wir aud feinen weitern Mit-
theilungen, namentlih Dünen, die Rheinlande u. |. w.,
mit der größten. Erwartung entgegen. Wünfchenswerth '
würde ed. dann fein, bie Beſchreibungen einzelner Bil-
der u. f. w. zuweilen in etwas gefürzt zu finden, da
alle technifhen und äfthetifchen Erläuterungen den Refer
ohne Anfhauung des Gegenftandes gewöhnlich bald er
müden und bem Beſchauer an Drt und Stelle gewiß
auch nur in der gebrängteften Zaffung bie liebften find.
Wahrſcheinlich haben wir am dereinnigen Schluffe des
ganzen Werks ein Regifter zu erwarten, deffen Mangel
jedod in dem einzelnen Theilen fi föon" ſehr fühlbar
macht. 32.
Sibliographie.
Anderſen's, H. C., Maͤrchen. Geſammtausgabe. Aus
dem Daͤniſchen übertragen "von J.Reuſcher. 2te Sammlung.
Dit Bit Berheignumgen von T. Hofemann: Berlin, Simion.
Bremfe der Fuchs. Aus den hinterlaffenen Papieren Bu
qhert des Bibers. Neubrandenburg, Brünslom. Gr. 8. INgr.
Dualis, Des Vaters Rache oder Bruno von Blutflein.
Eine Kittergefigte aus den Beiten der heiligen Vehme. Kord«
Bus, &. ie der Geſchichte des Schriftenthums
der — und ömer und der zomanifhen und germanifchen
Völker. Halle, Schmwetfhfe und Sohn. Gr. 8. 1 ade. 15 Kar.
Mir Sure Wbrißderfelben, Hale, Shwerfke u. Cop.
Ir.
—* wadwig bilipp's I. Königs der Franzoſen. Bon
I. Boudin und J. Mouttet. Aus dem Franzbſiſchen übers
ft von —D—— Ifte Lieferung. Reipsig, Seubner.
t.
N Sefandtfaftd-Reife nach- Spanien 12
Bra wegegeben von 3. Chmel.‘ Wien, Rohrmann. Gr. 8.
2
Zahn, G. A., Über den nenen Planeten Miträn und den
Biela ſchen "Kometen. An Frieſe. 8. 8
edwenſtein, E., Die Geopferte, oder: Mi flammende
Stern über der Rauenburg. Romantifche Rittergefchichte. 2 Theile.
Rordpaufen, Fürft. 8. 1 Xhlr.
Mantell, S. A., Die Denkmöngen, ber Schöpfung, oder
erſter Unterricht in dee Geologie, und in bem Gtubium der -
srganif en Reſte. Deutſch bear! ifet von &. . A. Hartmann.
iſie Lieferung Eu freiberg, Engelhardt. 89. 1 Ahlr.
Monatsichrift für Politik. —SeS— von K. Rau⸗
Bird. abegang 1846 in 12 Rummern. Berlin, E. Kraufe.
4. 1 Bpie.
Monatsfrift für t und Gericht. Herausgegeben von
—— Be Mn Ben, Sprinr
Monats] Bolksbildimg. von I.
mu — Sb 20 ae 2 Rummern.
I jialeb_Leben.
für Bol — und jate .
‚Herausgegeben von Rugender Jahrgang I
mern. Se Bob: Er. 4. Pair hir.
r
a}
ss '
Wehnnleci; ga —
— ee re deich ea Sep Fuͤrſt ch don
9, 30 e
np De au, Älteffe —* in le * ſeinem
Augen feiner Belt. Beffau, Aue Bir &x.8
Bene Skizzen. Bier und ken aus *
von U. Branket und 8. Köppen.
. 3 Zhlr.
2. A. Staudinger
zeben Ft Betanlaflung ber e puteiotiflen Heft au zn
urg, 9
Das Behälen leniß Ervatiens zu Ung m "ei Einen
Burg Ungarn.
tegler abein and Crzählun 8. Sal ,
— TA n zaͤhlungen. en
ciitaniſche — and Nedellen. Dt. Gul⸗
n und Weſen. Hinblick auf geande Sr
Bände. —A Wie.
ein Leben und Wirken. Beraus:
Rei und Meile. Ai
der Stephen v. —— —— Eroatimd
1846, 8. zn
Tagesliterataur.
Der WS ven Badia de Fiore oder poophetifche Lichtbliche
im 12. und 13% Jahrhundert. Mit Bezug auf die Fragen „ob
Schrift, ob Sei. u Papktium oder Freiheit.” Bre⸗
men, Geisler. 25
Apelt, K. F. G., Umfere nr antnißſchriften, Löftliche
Kleinodien der evangelifch- then Kirche. te Auflage.
Bauen, Schlüffel. 1845. 8.
Belmann, Katholiſches * katholiſche Mahnung
und katholiſche Zuverſicht in den irchihe Wirren der Beit.
igt. Münfter, Deitert u 8 3 Nygr.
Bericht, wie die Sadhe ber —S Diffidenten im
Koͤnigreiche Sachen gefoͤrdert worden if. Von einem unpar⸗
teiiſchen Beobachter. Leipgig, Jackowitz. Gr. 8. TY, Ngr.
Bernhardi, K., Philipp der Großmüthige,
amf Ki Seffen, über Gewifſensfreiheit und über das Bedürf-
wi diner allgemeinen evangelifchen Kiechenvesfanunlung in
Destfäjland. Kaffel» Bohn. Er. & 3%, Ror.
Bernhardt, W., Worte ernfler Liebe an den Archidia⸗
Fonuß ıc. Hrn. Kraufe, und an die Hörer und Leſer feiner Pre
Niet: De Meinungsftueit über die Perſon Jeſu.“ Potodam,
Stuhr: Ge. 8 3 Nor.
Bertholdi, H., Rante juniors Gaflbefuch bei feinem
Freund und Better David Repomud Pomuchel in Danzig.
Danzig, Homann. 134. 8. 6 Rer.
Bromme, Bertheidigung des Privatgelehrten Hrn. von
Ar zu Naumburg in der wegen Prehvergeheng gegen
nn — gemachten Untesfuchung. Leipgig, O. WBigand.
— T, Das Alte iſt verg anden; es if an ae
geworden. Predigt am Reujahretage 1346. Leipzig, D.
gand. Er. 8. 3 Nor.
— u ME find dazu geboren, baß wir die Beichit zeu⸗
gen fellen! —— am Sonntage wach. Reujaht 1846. LBelp-
zig, D. Miga ns. Gr. 8 3R
Dräfeke Schlichtes Racwert zu der befannten Erklaͤ⸗
rung vom 18. Zus 1845. Potsdam, Stuhr. Sr.8. 27, Nor.
@iholz, E., Die Jefuiten und ihr Enumbjag : ” ‚Ber
Zweck Yeiligt die Mittel”. Sie Vorträge, gehalten im Ber⸗
Im GmmbwerkerBerein. Berlin, Springer. Gr. 8. 2 Ror.
Slade, Der Haube, daß Jefus der Sohn Gottes tt, der
Sieg, der die Welt überwindet Deebigt. Magdeburg, Baldın |
börg'und Gomp. @r. 8, 2, #
Göckemann, K. &, Denbmale, dem Dr. Bert. Pu⸗
ther von ber Hochachtung wid Liebe feitter Seitgenoſſen errich⸗
tet ad zur Bien Wücularfeier des Dodes Dry herauthege⸗
ben. Kordhauſen, Foͤrſtemann. Er. 8. 20
. — — Dr. Mart. Lutherv Tod und Begräbnif im Ichwe
Berantwortlicher Heraudgeber:
Aunds |.
X Br a m nun
und Reden am una n Originslausgaben its
getheilt. Kordhaufen
Dar Freiſchare Wr bad & —* det st angenen im
Luzern im März u rit 1845 argeftellt ma
Buvertäfi-
ge Bueden und den Berichten von Yugengeugen. 8
er
—— since 4 en Iraeliten. Baſel, Ba
al und Lübed. ia Entgegnung auf zwei Stimmen
ars Mel uͤber die Brofchüre: ecks „nebrüd nung hat duch die
— Boris Labeck, 9. Robden 184
kongen aus m vertrauten Bein eines he
Gen Por Baiern über bie religi Bewegungen unferer Bet
und den Proteſtantismus. ſt Anmerkungen. Leipzig, Pö-
nicke und Sonn. Gr. 8. 3 Nor.
Pelz, &, Die Me —— oo; Sant mid
Forftwirtge in ** VBretlan. 5 Nr.
Aubl gt-
iftes
Schule, 3 W., Einige Bedenken, die ErMärung ber
treffend, welde in der Berliner Zeitung vom 25. Auguſt ge-
gen die — Ri Kirchenzeitung und deren Kogrmannte Par⸗
tei veröffentficht worden iſt. Potsbam, Stufe. 1845. Wr. 8.
» Rar.
Schulze, I. 3, Die ſymboliſchen Bücher der enange-
kifch « Lutherifchen Kirche im Königreih Sachen. Gin Berfuh,
die Gemeine über diefelben und über die neueften fie betreffen-
den Kundgebungen bet Behörden zu verfländigen. Baugen,
Schluͤſſel. 1865. 8. 7, Nur.
Schuſelka, F, Das deutſch· kathellſche Prieſterthum.
Mit einer Erinnerung an die Ordination Dr. Bergmann's durch
farrer Kerbler, am I. December IS45 zu Erfurt. Weimar,
offinann. Gr. 8. 1 Kor.
Sintenis, 8 W., Denkſchrift Dur Feier des 18.
benar 1846, den Suejdbrigen Soßeötug Dr. Wastin Luther"
Zerbſt, Kummır. &r. 8. 12% Rer.
Souhon, A. 8, Das dreifage Aufichen in der ge
wärtigen Zeit. Hredigt über Röm. 16, 17—%. Berlin
Wohlgemuth. 8. 2%, Nor.
Sperling, Bemerkungen und Zufäße gu dem offenem
&roofchreiben Unlih’B an die peotefkänfüfche peutige Gonfesenz
in Berlin. Magdeburg, Baenfh. Gr. 5. 3 Wer.
Stimmen aus Gräbern. Ausfprüce berühmter Moͤnner
über Religion und Chriſtenthum̃. Breslau, Verlags⸗ conprut.
gr
Shiel, 8. X., Einen, und Eh 4 A Bey WE
eilt. Aachen, Cremer. 12.
enheit über
Zräber, ©. 6., ehe an die —8* ern
Jacobi 3, 19. 20. in Folge des Treibens ber Speagnten Licht⸗
freunde. Berlin, Wohlgemuth. 1845.
Biedebantt. D., Die Wabrhett, "dap der nf ge⸗
recht werde ohne des Gelege Yale aßein darch Den Diauben,
als die ſchoͤpferiſche a Der Neformation. Predigt. Beulen,
Wohlgemuth. 8. 2%, Nor.
— — Bahrheit! Freiheit! Der Nachruf des Br an
die Reuconfirmirten. eoigt. ee 8 2,8 zur.
e
Zſchiefche, Die
BelBbeiit —E an Sie. — —— Vr. .
Wiite Petition der deutſch⸗katholiſchen Gemeinde zu Dress
den an die bode Stärideverfammlung des Koͤniareichs —
und zwar zun Sf an an de ‚Hohe zweite Rananer, Meißen,
Hat ums Sohn. Mr. 5 Br.
Seinrig Brodjand. — Drud und Verlag von : %. Brockhaus in Reipzig. "
Blätter u
für
literarifhe unterdattung.
Mittwoch,
Crımbsüge der böhmiſchen Aiterthumdlundte. Won
Tohaun Eradmus Wocel. Mit acht lichogra⸗
Baifen Tafeln. Prag, —— und Rziwnatz
Gr. 8. 1 Ahlr. 20 Rgr.
hei: diefe Schrift vorzugsweife darauf berechnet
iſt, die Kenntniß und dadudch auch bie Liebe zu dem hei-
miſchen Dentmälern der Baukunſt, der Bildhauerei und
Malerei wie der Dichtkunſt im Böhmen felbft zu ver⸗
breiten, iſt fie doch zugleich in einem befondern Grabe
Dazu geeignet, dieſe Begenftände auch Im Auslande bei
ollen Freunden der Kunſt umd einer volksthümlichen
Poefie in weitern Rreifen befannt zu machen als dies
disher ber Fall mar. ef. Hält es aber um fo mehr für
feine Pflicht anf dieſes Buch aufmerkſam zu machen,
als er der Anſicht iſt, daß die Czechen ber edelfte Zweig
bed großen flawiſchen Völkerftammes find, welcher man
nichfaltige geiftige Anlagen ſchon fehr früh zu einer be⸗
deutenden Ausbildung gebtacht hat. Der Baf. ifl
mit Leib und Seele ein Böhme und fein Buch athmet
baher durchweg den märmften Patriotismus. Wenn ihn
derfelbe haufig zu einer gereisten Stimmung gegen die
Deutihen hinreißt, fo ift ihm dies infofern nicht zu
verargen, als bie Deutſchen im Mittelalter ale harte
Unterdrüder der Slawen erfcheinen und die im Ganzen
mit Recht an ihnen gerühmte Eigenſchaft, die Eigen—
thiunlichkeit und das Verdienſt fremder Nationen zu er-
tennen und mit Liebe zu würdigen, in vielen Yällen
den Slawen, zumal den Böhmen gegenüber, nicht be:
währt haben.
Das Werk zerfällt in zwei Hauptabſchnitte, "von des
zen der erſte ſich mit den Alterthümern ber heidnifchen,
der mit denen des Mittelalters befchäftigt. Für
beide find die vielen darüber vorhandenen Monsgraphien
mit Einficht benutzt worden.
Den Hauptinhalt des erſtern bilden natürlich wie
überall die Gegenftände, weiche fih in den Brabfkätten
vorfinden. Rad den auf den Bier erſten Tafeln ent-
haltenen Abbildungen ſtimmen die meiſten Formen der
ſteinernen wie der bronzenen Waffen und Geräthe und
der thonernen Gefäße in den Formen mit den ähnlichen
Gegenftänden überein; welche in ben verſchiedenſten fonfti-
gen Gegenden Deutſchlands im heidniſchen Grabſtätten
gefanden worden ſind. Die Hauptfundorte für derglei⸗
> _ a a Eu EEE. ee, a nu Mile —— —
qen in Böhmen werden aufgezaͤhlt und als die dwuri
wichtigſten Sammlungen derſelden die im Vaterlaͤndiſchen
Muſenm, die des Ritters von Neuberg, welchen das
Buch ganibmet iſt, und die bed Hm. Pochel, ſaͤmmtlich
su Prag, angeführt.
Die Benemmung der Meinen bronzenen Figürchen
8 heidniſche Götter ift bekanntlich einer ber verrufen⸗
fen Theile der nordiſch⸗ heidniſchen Arhäologie, und «8
bat daher Ref. gefreut, daß der: Verf. einige ſolche We
nennungen nur als Meinungen anführt. Dagegen
möchte Mef. die auf ber Tafel N unter Nr. 8 abgebil-
dete Perfon ſowie die bronzenen Thiergeſtalten 6, ®,
10, 11 ebenda ſchon ber frühern Belt ber deifliichen
Epoche angebörig halten, wie denn auch dem ä
fefbft Hei den Iegten drei eine große KÄhnlichkeit mit
andern auf dem Zütelblatt einer Pergamenthaubfcheift
des 12. Jahrhunderts aufgefallen if. Dieſelbe Bemer
tung macht der Verf. in Betreff einer ſeht zierlichen
weiblichen Figur (Tafel I, Mr. 2), welche als Kelief
auf den Boden eimer im eimen unterisdifchen Gewölbe
am Wyxehrad zu Prag gefundenen bromgessen Schüſſel
befindlich, in Den Händen eime Blnme und einen Ksanz
Halt, auch ift diefes Melief gewiß aus feiner Altern Zeit
als dem 12. Sahrhundert. Der auf dem Rande beſind·
Fiche Rame ber flawifchen Göttin Siva, welche ber Ceres
entfprechen fol, beweilt mur, daß es in men nach
Einfirhrung des Chriftentkums infofern aͤhnlich mie nach
demfelben Ereigniß im alktrömifchen Reiche ergangen WE,
daß man aus ber frühern Religion gewiſſe Naturgest-
heiten, wie 3. 3. bei den Römern Sol und Lana, auch
noch Tängere Zeit gebildet hat. Nur findet Hier inſofern
ein Unterſchied ſtatt, daß fette Abbliibungen Hei den Ni
mern in der altheidniſchen Warm, bei den Böhmen er
in der neuem mit dem Chriſtenthum xingemanberten
gehalten waren. Sicher aber kann man aus biefem
Heltef, womit auch eime mit ähnlicher * verſchene
Mmiatur, welche ich in dem merkwuͤrdigen oder „Bister
verborum” auf ber Bibliothek des Baterlundeſchen Mu⸗
feum zu Prag gefehen Habe, übersinfikmmt, immer auf
die Darſtellungsweiſe unb bie Attribute ber Goͤttin Siva
bei den heidniſchen Böhmen ſchließen. Unter den Me-
tallwaffen find bie Tafel Mi unter Wr. 8 und 9 abge⸗
blibeten Schwerter nach der ganzen Form fiherih Ri
merfchwerter, welche als Kriegsbeute oder durch Handel
in den Befig der Germanen oder Slawen gekommen find.
Zunaͤchſt handele der Verf. von den Opferplägen und
Ustrinen, ober ben Orten, wo die Todten verbrannt wur-
den, Beide befinden fih durchgaͤngig auf Hügeln von
mehr oder minder anfehnlicher Höhe. Bei der Aufzäh-
fung der wichtigften, um deren Erforfchung fich neuer:
“ dings Dr. SKalina von Jaͤthenſtein befonders verdient
gemacht, ift nicht angegeben, ob ein foldher Ort das
Eine oder das Andere iſt. Auch mag dies, da das Auf:
finden von Aſche, Trümmern von Gefäßen und Knochen
den Iweden beider entfpricht, in vielen Fällen ſchwer
zu beftimmen fein. Wo indeß dieſe GBegenflände in fo
großer Maffe vorkommen wie auf dem Berge zu Schlan
oder dem Radlſtein bei Bilin, kann man wol mit Sicher-
beit auf Dpferflätten ſchließen.
Endlich kommt der Verf. noch auf die Betrachtung
der bisher wenig. beachteten Erdwälle, welche fih in
einigen Gegenden Böhmens befinden. Die bedeutend»
ſten berfelben im bidfchower Kreife, in der Nähe des
Dorfes Wrſec, zeigen einen erftaunlichen Aufwand menſch⸗
licher Kraft, denn die Länge derjelben beträgt 600, die
Breite 305 Klafter, die Höhe an vielen Stellen gegen
30 Fuß. Ref. flimmt den Gründen des Verf. bei, der
diefe Art Befefligungen unter den verfchiedenen Völ—⸗
kerſtämmen der Kelten, Germanen und Slawen, melde
Böhmen nacheinander inne gehabt, am erſten dem felti«
Shen Volke der Bojen beimeflen möchte.
Am Kolgenden befhäftigt ſich der Verf. mit der
ſchwierigen Aufgabe den Unterfchied zu beflimmen, wonach
man erkennen kann, welchem von jenen drei Volkeſtäm⸗
men ein Grab beizumefien if. Wenn er mit vollem
Recht das parteiifhe und unkritifche Verfahren tadelt,
welches Krufe u. X. in bdiefer Angelegenheit zum Nach⸗
theil der Slawen beobachtet haben, fo. ermangelt es
feiner Beweisführung, wonach er glaubt foldhe Gräber,
weiche in regelmäßigen Reihen und in den Ebenen an«
gelegt find und in denen ſich befonders reihe Gaben
von bronzenem Beräth und von filbernem und goldenem
Schmuck der Frauen befinden, vorzugsweife den Slawen
beimeſſen zu können, doch auch wieder an einer binläng-
lihen kritiſchen Srundlage. Er geht bei dieſer Gelegen⸗
beit von den Unterfuchungen aus, welche der Diakonus
Alßerti in den Grabftätten der Eleinen Städte Ranis
und WWernebesg im ziegenrüder Kreife im Boigtlande
angeftellt und in dem zweiten Stud der „Variscia“ be-
kannt gemacht hat. Zuvoͤrderſt wäre es wol angemeffen
gewefen, anftatt ber einfachen Verfiherung, daß jener
Forfcher jene Grabftätten als unbeftritten flawifh aner⸗
kennt, die Gründe anzugeben, welche zu jener Annahme
berechtigen, ale worauf doch hier Alles anfommt. Da vom
5. Jahrhundert bis zur Verbreitung des Chriſtenthums
bier fiher die Sorben, ein flawifcher Völkerftamm, an⸗
ſäſſig geweſen und eiferne Waffen, Schmud und ande-
res Geräth, welches fich in jenen Gräbern vorgefunden,
mit Gewißheit auf eine fchon weit vorgefchrittene Cul⸗
tur, das unfrüglichfte Kennzeichen, daß jene heibnifchen
Grabſtaͤtten den fpäteflen Epochen berfelben im noͤrdli⸗
hen Europa angehören, ſchließen laffen, fo ift auch Nef.
allerdings vollfländig überzengt, daß biefelben ſlawiſchen
Urfprungs find. Nun aber gibt Alberti zu, daß die im
Breisgau gefundenen Gräber, melde fiher ben Germa⸗
nen angehören, indem in dieſer Gegend niemals Slawen
gefeffen haben, fowol in der Anlage in geordneten Rei-
ben, als in dem Inhalt bderfelben mit jenen Gräbern
im Boigtlande eine große Ahnlichkeit haben dürften, wo⸗
nah alfo jene Eigenfchaften offenbar nicht als ficheres
Kriterion der flawifchen Abkunft von Grabftätten gelten
fönnen. Daß übrigens in ſlawiſchen Grabftätten ſolche
‚Gegenftände, welche einer fihon. weit vorgefchrittenen Cul⸗
tur angehören, häufiger vorfommen als in germanifchen
Grabftätten, ift auch Ref. überzeugt. Daſſelbe aber er-
klaͤrt fich fehr natürlih aus dem Umſtande, daß der
Übertritt zum Chriſtenthum bei der Mehrzahl der Sia-
wen viel fpäter fällt ald bei den Germanen, ſodaß fie
noch zu einer Zeit, in welcher beide Voölkerſtämme in
der Cultur ſchon mehr vorgerudt waren, ihre Todten
nach beidnifcher Art beftatteten, während dieſes bei ben
Germanen längft aufgehört hatte. Hiernach dürfte im
Ländern wie in den Öder- und Elbgegenden, wo früber
Germanen, fpäter Slawen feßhaft find, bei folchen Grab⸗
ftätten,' in denen die Arbeit der darin gefundenen Ge⸗
genftände befonders gefhidt ift, fowie das Vorkommen
von Bronze und Eifen fiher auf eine flawifche Abkunft
zu. ſchließen fein, um fo mehr als der Verf. beweift, daß
die Slawen ihre Todten nicht nach der bisherigen An-
nahme bios begraben, fondern aud, verbrannt haben,
‚mithin der Grund wegfallt, ſolche Grabftätten, in denen
fih Aſchenurnen finden, den Slawen abzufprechen, mie
dies bisher geſchehen ifl.
(Die Fortiekung folgt.)
Militairifche Briefe eines deutſchen Offiziers während
einer Reife durd) die Schweiz und das mittlere Frank⸗
reih im Anfange des Jahres 1844. Mit befonde-
rer Bezugnahme auf die neuern franzöfifchen Befe⸗
ftigungsanlagen in militairifcher und politifcher Hin-
ſicht. Mit Planen von Paris und Lyon. Adorf,
Verlagsbureau. 1845. Gr. 8. 2 XThlr.
Haben Montesquieu’s5 berühmte „Lettres persannes” in
Lettres chinoises, grecques, indiennes u. f. w. mehrfache
aber meift wenig glüdliche Nachahmungen gefunden, und yaben
Eugen Sue's „Mysteres de Paris’ Anlaß zur Enthüllung
einer Menge des Willens durchaus nicht würdiger, berliner,
altenburger und anderer Geheimniffe gegeben, fo darf man fich
nicht wundern, daß auch die bekannten „Militairifhen Briefe
eines Verſtorbenen“ mehr oder weniger glückliche Rachbiſdun⸗
gen finden mußten. Daß dieſes aber im Interefie der Würde
der Militairskiteratur nicht au wünſchen ift, haben wir bereits
bei Befprechung der „Eavaleriftifchen Briefe” (Nr. 218 d. DE.
f. 1844) näher auseinandergefegt und es haben die vorliegen-
den ‚„Militairifhen Briefe” uns in diefer Meinung nur be
ftärft. Der ungenannte Berf. derfelben theilt nämlich in zwoͤlf
Briefen, von denen fimulirt wird daß fie auf einer Reife über
Bafel, Senf, Zoulon, Lyon nach Paris an einen Freund in
Deutſchland gefhrieben worden, in oft fehr zwangloſer Form
mo
Fr —— — — - = - —
un Ausdr
usd iſe nicht nur feine en militais
riſche und politiſche Berhältniffe eined Theils der Schweiz
und Frankreichs und über die zu Zoulon, „Lyon und Paris
in neuerer Zeit zur Ausführung gekommenen Befeſtigun⸗
mit,. fondern er ergeht no auch ‚bin ‚und wieder in
aturfilderungen, bringt Gefühldäußerungen an und erörtert
fosiale Berhältniffe. An und für fih begründet Letzteres zwar
durchaus feinen Vorwurf und namentlich ift Ref. fehr weit
davon entfernt, ein gramlidher Splitterrichter zu fein; aber
wenn der Berf. gleih tm erſten Briefe ald Probe feiner
Beobachtung focialer Zuftände zwei Seiten mit einem über
alle Beſchreibung trivialen Dialog zweier Repräfentanten ber
alten und jungen Schweiz füllt, und wenn er bekennt, daß
er die Alpennafur wegen ded „precairen“ Zuflundes der Agri—
eulturverhältniffe der Alpenbewohner wol „impoſant“, aber
nicht Ihn finden könne, und Dieſem (gelegentlich der Aus«
fit auf dem Plateau des Simplons) binzufügt: „Ich
bin, du weißt ed, für ſolche zwar majeftätifche, aber daB
Gefühl beflemmende, faft erjtarrende Anfichten wenig em:
pfänglih, hier zwingt aber die Größe zur Bewunderung und
ſelbſt ich (!!!E) fand im Unfchauen- verfunten”, fo find die:
ſes Dinge, mit welchen der Verf. unferer Meinung nach- feine
Lefer billig. hätte verfihonen follen. Sehr intereffant ift dage⸗
gen, was ber Verf. im zweiten und dritten Briefe über das
von. dem franzöfifhen Ingenieurcorps jeit 1830 in Ausführung
gebrachte Syftem einer allgemeinen Landesbefeftigung mittheilt.
Hier ift der Berf. ganz auf feinem eigentlichen Felde und be⸗
urkundet einen ebenſo einfichtsvollen als Eenntnißreichen Beob⸗
achter. Um ſo unangenehmer wird wan aber durch auch hier
wieder haͤufig vorkommende theils gaͤnzlich verfehlte, theils im
nachläſſigſten Stile ausgedrückte Gefuhlsäußerungen berührt.
So ;
3. beginnt der Berf. eine auf Fort Napoleon
zu Xoulon angeftellte Betrachtung mit den Worten: „Es ift
eine eigene Sache um Orte, wo große Männer gewirkt und
gehandelt haben.- Ein anderer Wind weht den Soldaten an,
der einen großen Rampfplag betritt, ald den Bauer, der ruhig
über die großen Gräber feine Pflugfchar ftreichen läßt u. f. m.’
Dabei hat der Verf. aber offenbar überfehen, in weißher hoͤchſt
anmaßenden Weife er feinen Stand überhebt, weil man doc
wol wahrlich nicht eben nur Soldat fein muß, um an Stellen,
wo große Männer gewirkt und gehantelt haben, für den Ein-
Aluß begeifternder @rinnerungen empfänglih zu fein, obgleich
allerdings der pflügende Bauer für foldhe Erinnerungen wenig
&inn zu haben pflegt. Ebenfo wird zwar jeder vaterlands-
liebente Deutfche die gerechte Entrüftung des Berf. gegen bie
immer noch in Deutfcpland ziemlich zahlreiche Elaffe der Un:
deutfchen völlig theilen, aber auch mit uns übereinftimmen,
daß es zu wünfchen gewefen, fie wäre in edlerer Weife als mit
den Worten ausgedrüdt worden: „Gott danken wollte ich, werm
alle diefe Undeutfchen hinübergingen und die rothe Hofe (!!!)
anzögen, da wären wir fie doch los.“
Glücklicherweiſe finden fich Die im vierten und fünften Briefe
enthaltenen umfichtigen Betrachtungen und feharffinnigen Erörte:
tungen, welche der Verf. über die politifche und militatrifche Wich⸗
tigkeit £yons als zweiter Hanptftabt Frankreichs, die aus ihrer uͤber⸗
völferung an Kabrikarbeitern ſich esgebenden Bicftande und die
desfalld zur Anwendung zu bringende und theilweife auch zur
Ausführung gelangte Art und Weife der Befeftigung anftellt,
von ſolchen mislungenen gbrofen faft gänzlich befreit. Die
ſehr ind Einzelne gehende Befchreibung der von dem General
Fleury geleiteten. und der Vollendung nahen Befeftigung von
Lyon mird durch einen fauber geſtochenen und angebli von
dem Berf. forgfältig berichtigten Plane in einem großen Maß⸗
ftabe ſehr verdeutlicht. Gleichwol ift es zu bedauern, Daß hier:
bei nicht mehr Rudfiht auf die Darftellung des umliegenden
Gelandes genommen worden ift, und vollends verdient es eine
Rüge, daß fih im Stabtförper nicht wenigftens dasjenige De:
tail der Straßen und öffentligen Gebäude einge eichnet findet,
weldhes zum Berftändniß der (recht anziehend elöriebenen) in
%
.
ben Jahren 1831 und 1834 zu yon Battgefimbenen Yufs
fände durchaus nöthig erfcheint. Bon ganz ausnehmendem
Intereſſe ift aber, was ber Verf. in ben folgenden vier Brie⸗
fen über die Befeftigung von Parid mitteilt und ıwobei er '
bie gediegenfte und fpecielfte Sachkenntniß an den Tag legt.
Nef. fand fich hiervon um fo mehr angezogen, ale er, wie er
glaubt, der Erſte in Deutfchland geweſen ift, der öffentlich und
im fchroffen Gegenfage mit der Damals vorherrſchenden Anficht
fi dahin geäußert hat, daß die Wehrkraft Frankreichs durch
die Befefligung von Paris leider einen Zuwachs von unberes
henbarem Werth gewonnen habe... Breilih war damals die
Ausführung noch wenig vorgefihritten. und als Ref. die Um
egend von Paris faft nur im Fluge Durchpifgerte, war die
efeftigung überhaupt erft zur Zagedfrage geworden, der Be-
feftigungsplan felbft aber noch ganz unbeflimmt. Deſto grö-
Ber die Befriedigung des Mef., daß der Verf. bei ungleich
gründlicgerer Wüterfuchung des Terrains und genauefter. Be:
augenfcheinigung der inzwiſchen faft vollendeten Befeftigungs-
werke, und bei weit überlegener Sachfenntniß dennoch in allen
wefentlihen Punkten, fowol bezügli der Vertheidigung als
ded Angriffe, ganz bdiefelbe Meinung äußert. Überhaupt möchte
dem Berf. der Ruhm zuzuerfennen fein, durch feine ebenfo er-
ſchöpfenden ald überzeugenden Unterfuchungen die Acten über
diefe Frage gefchloffen zu haben, weil nicht gut abzufehen ift,
was weiter für das pro anzuführen fein möchte und nod
weniger, mit welcher Begründung dad contra ſich ferner
geltend machen koͤnnte. Was die innere Bertheidigung gegen
Wolksaufftände betrifft, fo hat ed indeflen Nef. überrafcht, daß
der Berf. die Stellung des Loupre und der Zuilerien als un:
einnehmbar bezeichnet. Ref. kann fid) zu diefer Anficht wenig:
ftens fo lange nicht bekennen, bis nicht das ganze nördlich von
der Rue St.:Honore, öftlich von der Rue des Poulies oder de
l'Oratoire begrenzte und theil® in den Garouflelplag hinein»
ragende, theild nur durch die fehr enge Rue froidmanteau von
dem Louvre geichiedene Häuferquartier abgeriflen und die nörd»
we Galerie des Louvre vollendet fein wird. Bon dem bei-
gefügten fauber geftochenen Plane verfidhert der Verf., daß er
officiellen' Urfprungs fei. Er enthält zwar die Umgegend in
ausreichender Ausdehnung, Doch fcheint und die Terraindarſtel-⸗
lung in jenem dem dreißigften Bande deö „Spectateur militaire”
beigefügten anfprechender zu fein, und nicht minder würde es zu.
winfchen geweſen fein, wenn die Vertheidigungslinien im In-
nern der Stadt bemerflid gemacht worden wären.
In den drei legten Briefen wird die Drganifation, Yusbil-
dung, Geiſt und Weſen des franzöfifchen Heeres beiprochen. Nicht
unrecht bat ber Verf. in Dem, was er über die Misſtäͤnde au:
Bert, Die das Syſtem nach fi zieht, die Dffiziersftellen in der
Linie zu zwei Dritteln Durch Unteroffiziere zu befegen, denen mei-
ftens alle wiffenfchaftlihe und haufig felbft jede gefellfchaftliche.
Bildung mangelt, weshalb auch nur das Dffigiercorps des Stat -
major general eine gefellfchaftliche Stellung genießt und dem
in Deutfchland und England vorbherrichenden Begriffe von ei-
nem DOffiziercorps als einem Vereine gebildeter und anftändiger
Männer entfpridt. Hiermit freilich fehr verfchieden müſſen
vi und wieder anderswo die Offizierdaipiranten. fi entweder
alb blind oder hektiſch ftudiren, oder auch wol eine Adels⸗
probe beſtehen. Um fo unvereinbarer aber auch wieder bier:
mit, daß trog des vielen Geredes (& la baron de la Motte
Fouque) von der Adeligfeit und edelſchoͤnen Ritterlichkeit des
Offizierftandes deſſen Genoffen mitunter einer Behandlung ſich
bloßgeftellt ſehen, die nichts weniger als paſſend für ſolche soi-
disants Yaladine zu eradten if. Run denn, etwas mehr:
jaste milieu hüben und drüben möchte beiderfeitd zu wuͤnſchen
fein. Bis dahin haben die Branzofen einftweilen, wie der Verf.
ſelbſt zugibt, ein höchft Dienfkeifriges, vortreffliches Unterofk-
ziercorp& und unter jungen Stabsoffizieren viele vieux trou-
iers als Gapitaines und wir? ei nun wir haben gerade noch
einen Mangel an Exercir⸗, Parade: und Kleinmeiftern und
jungen Paladinen, qui n’scrivent paa volontiers, nur die
‘
guten Unteroffigiere And bei ums etwas feltens inbeffen euum
ne, : Bon bem franzöfifchen gemeinen Soldaten fagt der
Berf. ſehr treffend und wahr: „Sebrauchen, benugen läßt
fig der Mann bis aufs Blut, aber dyicantren? Niemals,
Darum auch die Vielen Bubordinationsvergehen.” Es feheint
überhaupt, als wenn in neueren Seiten eine richhigere Anſicht
über den Seift Des franzoͤſiſchen Heerweſens fi im beutfchen
mölttetrifchen Publicum zu verbreiten anfange. Der Werf. der
der „Uägemeinen Militairzeitung” erſchienenen „Rilitairi⸗
F Reifterinnerungen“ bat * die Bahn gebrochen. Der
um d. Bl. erlaubt uns leider nicht, hierauf weiter einzuge
ben, both Yönnen wir nidyt umbin zu Bemerfen, daB Rodomon⸗
saben, wie fie der Berf. gu Zoufon zu hören dekam, immer
no verträglicher, weil erlich, erfgeinen als eine gewiſſe
eundlichkeit, welche ſich zuweilen bin und wieder
merklich macht. Was vollends die &. 21 er:
e Uneloote betrifft, daß ein ——* Generalſtabsoffi·
zier ſich bei einem deukſchen "Buchhändler zu Paris über die
Zuſammenfehung des achten Armeetorps des deutſchen Bundes
heeres Raths erholt habe, fo ſcheint die daraus abgeleitete
Schlußfolgerang wol wicht ganz ſtichhaltig zu fein, denn erfichtlich
des fünften Bandes des ‘Journal des sciences militaires”’ {fl
mon in Frankreich mit jenen Verhaͤltniſſen wol genugfam bes
dannt und jedenfulls gibt es auch in Deutfchland nicht wenige
ſehr tüchtige Generalftabsoffizieee, von denen gu argmwühnen
tt, ‚daß ſie in nicht geringe Werlegenheit kommen würden,
. wenn fie plöplid) Rede und Antwort über die Sufuntmenfehung der
Referveinfanteriedivifion des deutfchen Bundesheers geben follten.
aAßt man nach all Diefem den Gefammteindrud de vor»
ftogenden Werks in einen Geſichtspunkt sufammen, fo muß
baffelbe als voll des intereffanteften Stoffs und der fchäp-
barften Belehrungen bezeichnet werden. Solche zu einem vor:
trefflicden Werke zu verarbeiten würde der Verf. zwar ˖voll⸗
Fommen_ befähigt -gervefen fein, ift indefien babet leider durch
die Bierfür erwählte, fcheinbar fo gefügige Form zu mannich⸗
fachen Midgriffen verleitet worden. Um fo gerechtfertigter da»
ber auch wol unfere gutgemeinte Warnung vor jener Yorm
der Darſtelung, welche zwar durch die „Militairiſchen Briefe
eines Berftordenen‘‘ mit böchft glängendem Erfolge in die Mi⸗
fitatr » £iteratun eingeführt worden ift, deren Handhabung aber
auch ebenſo ungewöhnliche als eigenthuͤmliche Wefähigung er:
heiſcht. DaB übrigens dem Berf. trog ber gerügten Stellen
Peineswegd dad Bermögen edler Ausdrucksweiſe mangelt, bat
er unter Underm &. 217 in der Höchft gelungenen Schilde⸗
rung ded Eindrucks beurßundet, melden die Berbündeten em:
pfunden haben möchten, als fie von dem erflürmten Montmar-
tre herab die veigendfte aller Günderinnen der Erbe, das ge:
demüuͤthigte Paris zu ihren Fuͤßen erblidten, und wir glauben
auch unferen Bericht nicht beſſer als mit den Schlußworten je
ner Stelle endigen zu Fönnen: „Einen Moment der Wehmuth
für Die, die es nicht erlebten, ein Hurrah für den Feldherrn,
der die Unfern dahin geführt.” 10.
Riterarifhe Notizen aus Franfreid.
Philoſophiſches Elementarbug.
Unter den vielen Erſcheinungen auf dem Gebiete der phi⸗
Iefspbifcden Literatur erwähnen wir den ‚Precis d'un cours
el6mentaire de philosophie”, von Eh. Benard. Es ift Dies
ein Wert, welches auf eigentlich wiſſenſchaftlichen Gehalt kei⸗
nen Anſpruch macht und das mehr auf eine Einführung in des
' phiſche Stubinm berechnet if. Der Verf. bietet feine
Schrift auch keineswegé als ein Refultat ſelbſtändiger Forſchun⸗
gen und deutet in der Vorrebe felbſt die Quellen an, aus de⸗
nen er geſchoͤpft hat. In Bezug auf die pſychologiſchen Ent⸗
wickelungen geſteht er, das —— den Werken Reid's und den
en were Royer⸗Collard zu den Werken des fihottifchen
Shilorephen herausgegeben Hat, fowie den Werlefingen von
auf die diplomatiſchen Berhäl
Saromiguibte zu verdanken. Muferdem hat er in biefer partie
nad ne Angabe a a Dt lie
n forsie: die Werde von Leibnig vlelfach benugt.
Seine Logik Ichnt MG an die Mrifisteliiden Entwickelungen,
Descartes, Bacon und ‚, Euler's Brick an eine betr
at der Verf. Andeutungen über bie Gefchichte der Philofophie
n” an. Bei ber Darlegung der Moralphilofophie
- Plata und Cicero vorzugsweife zu Grunde gelegt. Außerdan -
yinzugefügt, die ‚war nur dürftig ausfallen fonnten, body aber -
dem vorg ne e vollkommen zu entſprechen ſchei⸗
nen. Ban ſieht, die Auswahl der benugten Werke iſt frei
etwas zufanimengewürfelt ; aber wenn man bedenft, daß da
Bert durchaus mitt eigentlih ein voßftändiges Softem, fon:
dern nur einzelne Andeutungen ımd ein für Anfänger im phi⸗
Iofophifhen Denken berechnetes Material bieten fol, fo wird
man dem Verf. einräumen, daß fein Werk einem in Frank⸗
reich längft gefühlten Beduͤrfniſſe entgegentommt.
Hiſtoriſche Dorcumente
"Mehr als einmal Bereits haben‘ wir Die unermuͤdliche ha⸗
tigbeit der Commifſion hervorgehoben, welche mit der Herais⸗
gabe wichtiger hiſtoriſcher Docutmente beauftragt iſt. Die Sanım-
lung, welche unter der Leitung dieſer Commifſion erſcheint
(„Collection des documents médite relatifs & I’histeire de
Franee”) hat vor kurzem eine wefentliche Bereicherung erhal⸗
ten dur die Veroͤffentlichung vom geti neuen Bänden, welche
fe zwiſchen Frankreich und
Oftreich beziehen. Ihr Zitel lautet „Negoeiations diplomati-
ques entre la France et l’Autriche, durant les trente pre-
mitres annsdes du seizitme siecle ”, herausgegeben von le
Say. Der Herausgeber, Confervator der Archive des De
partement du Rord, bekannt durch feine treffliche Geſchichte
der Grafen von Wlandern, hat den größten heil feiner wich⸗
tigen Dorumente aud dem Archive gu Lille entnommen; aufer-
dem haben noch die Fönigliche Bibliothek in Paris und die Bd»
niglichen Be zu Brüffel reihe Ausbeute geliefert. Die
Einteitung ergeht ſich über die Versältniffe, welche zum Ber⸗
ſtändniß der mitgetheilten Documente von Wichtigkeit Mind.
In vieler Beziehung intereffant Find die Notigen, welche une
mit den diplomatifchen Agenten, deren im Werke Erwähnung
geſchieht, näher befannt machen. 17,
Literariſche Anzeige.
In meinem Verlage ift focben erfchienen und dur alle Bud-
handlungen zu erhalten:
Geſammelte Schriften
fudwig Rellfinb,
—* und niezgehnter, ober
Reue Ige erſter nub zweiter Baub.
Gr. 12. Beh. 2 The.
Diefe zwei Bände enthalten in einer neum Auflage des Ber:
faffers Roman „Algier und Paris im Sabre 1830”. Die
erfie Folge, Band 1—12 der Gefammtausgabe, erſchien
1843—44 in vier Lieferungen zu 3 Thtr. und enthält: 1812.
Dritte Auflage. — Sagen und rommtifdge Erzählungen. —
Kunftnovellen. — Rovellen. — Auswahl aus der Reifebilder:
galerie. — Vermiſchtes. — Vermifſchte Schriften. — Drama-
-tiiche Werke. — Gedichte.
Reipzig, im März I.
$. A. Zrodhaus.
Berantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brodfant. — Druck und Verlag von F. SE. Wrodhans in Leipzig.
⸗
Blätter
für
Titerarifde Unterhaltung.
Donnerstag,
26. März 1846.
Srunbzüge der böhmifchen Alterthumskunde.
Bon Iohann Erasmus Wocel.
(Bortfegung aus Nr. 8.) Ä
“ Der — ungleich umfaſſendere Abſchnitt, welcher
von den Alterthinnern des Mittelalters in Böhmen han⸗
det, zerfällt in zwei Hauptepochen, deren erfte den Zeit-
zaum von der Einführung bes Chriſtenthums in Böh-
men am Ende des 9. bis zur Mitte bes 13. Jahrhunderts
begreift. In diefer blieb in der Kunft wie im Leben
noch bie eigenthümliche Natur und Geiſtesart der Czechen,
wenngleich in abnehmendem Maße, vorwaltend. In ber
zweiten Epoche von der Mitte des 13. Jahrhunderts ab
bis zum Regierungsanteitt Ferdinand's I. im J. 1526
wird jene Geiſtesart von dem immer mehr überwiegen-
den Einfluß des deutſchen Weſens zurüdigebrängt.
Die erfte Epoche beginnt ber Def, mit der Dicht.
kunſt, welche wie überall fo auch in Böhnien unter al«
len Kimften am frübeflen zur Ausbildung gelangte.
Die erfien drei Gedichte der berühmten „Königinhofer
Handichrift" fowie das Fragment von „Libuffa’s Gedicht”
gehören eigentlich noch der erſten heidniſchen Epoche an,
ja find wie die ficherſten fo auch die bedeutendſten
Kunftdentmale derfelben, und nur bie Abficht, die Poeſie
der Czechen in ununterbrochener Folge in ihrer Geſammt⸗
beit zu behandeln, kann den Verf. bevoogen haben, bie-
feiken in diefe zweite Epoche zu ziehen. Denn wenn
auch die Kenner der heimifchen LKiteratur ber Anſicht
find, daß die Abfaffung von „Libuſſa's Gedicht” vielleicht
erſt in bie erfle Hälfte des 10. Jahrhunderts fälle *),
gehört es doch ber Form und dem Geift nad durchaus
jener erften Epoche an. Hbgleich dem ef. jene Ge⸗
bite nur im der deutſchen Überfegung zugänglich find,
iſt er durch ben eigenthümlichen und echtportifchen @eift
derfelben immer innig erfreut worden. Hier zur Probe
der Anfang von „Libuſſa's Gedicht" nad) ber Überfegung
Swoboda's
€i was trübft du Bltawa dein * er?
Bas **. du bein Aiberfhäumig Water!
Hat der wilde Sturmwind,
Sgüttelnd | ber 8 weiten Himmels Better,
) So nah Safarik und Palacky,
dere Kenne ber flowifgen Sprache gegen bie Echtheit biefed Be:
Achto geäußert haben, Taffe ich dier auf ſich bexuben.
o
Die Bivelfel, welche an⸗
Spülend ab bie Haͤupter grüner Berge,
. Spülend aud ben Lehmgrund, ben go jond "gen?
Wie doch follt' ich nicht die Bafler trüben, .
Wenn im Hader find zwei eig'ne Brüber,
Eig’ne Brüder um ded Baterd Erbgut?
Die Art, wie bier der Dichter dem Fluſſe menfchliches
Bewußtfein leiht, erinnert an die ähnliche Auffaffung
des Griechen. Hoͤchſt harakteriftifh für den Ton echter
Bolkspoefie find jene der Muſik verwandten Wiederholun ·
gen, bei deren jeder ein neues Bild eintritt.
Der gerechte Nationalſtolz auf eine ſo maͤchtige Stadt
wie Prag findet ſeinen Mittelpunkt in dieſen alten Ge⸗
fangen in dem Preife der alten Königsburg, dem Wysch-
rad. So heißt es in dem Minnelied unter diefer Burg:
Ha du unf’re Sonne,
Feſter Wyserad!
Stolz und trotzend vagft u
Dort auf fteiler Hoͤh',
Rageft am Felſen
Frembdlingen furdtbar!
Andere Gedichte wie „Zabei”, „Slavoi“ und „Ludek“,
welche fiegreiche Kämpfe gegen bie Deutfchen feiern, , ath-
men Heldenmuth und begeifterte MWaterlandsliche. -
Daß aber auch noch nach Einführung bes Ggeiften-
thums die heibnifche Poeſie mit dem beflen Erfolg bie
verfchiebenartigften Toͤne anſchlug, bemeifen bie zauten
Riebeslieber fowie das ſich auf den Sieg der Böhmen
über die Mongolen beziehende vortreffliche Epos „Ja⸗
roslaw in der „Koͤniginhofer Handſchrift“.
Charakteriſtiſch iſt, daß alle dieſe echt nationalen
Dichtungen reimlos find. Erſt mit der vom König
Wenzel 1. begünftigten Rachahmung deutfcher Dichtkunſt
tritt der Reim ein. Mit ihm aber wird der Sprache
wie den Gedanken Zwang angethan, und in dem öfter
antiten oder beutfchmittelalterfichen Stoffen verliert ſich
der Geiſt ber nationalen Poefie. Als Beifpiele führt
ber Verf. das als Hanbfihrift in der Bibliothek bes
prager Domeapitels aufbemahrte Heldengebicht „Aleran-
der”, eins von Zriftan und ein anderes, ebenfalle dem
Sagentreife ber Tafelrunde entnommenes Gedicht „Tan
daris” an, von dem fi das Manuſcript in Stodyeim
befindet.
Sehr merkwürdig das Fragment eine? Dramas,
„Der Quackſalber“ überfchrieben, weiches Hanka auf dem
Dergamenteinbande eines alten Kolianten gefunden hat und
aus dem Schluffe des 13. Jahrhunderts herrührend gehalten
wird. Es gewährt nämlich ein Beiſpiel, wie früh auch
in Böhmen bie fogenannten Myſterien benugt wurben,
um allerlei Iuflige. aus dem Leben genommene Scenen
angabringen. Ber Dichter gefällt ſich hier in den er-
fen. Scehen in bderber und übsrmüthiger Weiſe das
Treiben eines Duadfalbers zu fchildern, zu dem dann
die Marien fommen, um Salben für ben heiligen Reich:
nam Chrifti zu kaufen. Diefe Auffaffung der heiligen
Geſchichte erinnert an bie der älteften niederländifchen
Genremaler im 16. Jahrhundert. Auch die für echte
j e.fo wenig fruchtbaren Gattungen der Reimchroni-
ten und Lehrgebichte find in diefer Epoche in Böhmen
angebaut worden. Den größten Theil der Dichtungen
des 15. und 16. Jahrhunderts machen indeß, der vor-
waltenden Richtung des Geiftes entfprechend, Xegenden,
fromme Betrachtungen und geiftlihe Lieder aus.
Aus der „Königinhofer Handſchrift“ erhellt, dag jene
alten Gedichte gefungen und auf einem Juſtrument
„Varito“ genannt begleitet wurden. Bei dem ausge:
zeichneten Talent, welches den Czechen für die Muſik
bi6 auf den, heutigen Tag eigen ift, läßt ſich voraus-
fegen, daß diefe Kunſt dort fihon zeitig zu einer eigen-
thumlichen Ausbildung gelangt iſt, wofür auch eine
Stelle in der in der erfien Hälfte des 14. Jahrhunderte
geſchriebenen Chronik des Domherrn Franz fpricht, worin
er fi) beklagt, daß zu feiner Zeit bie getragenen, edeln
und gefühlvollen Melodien außer Acht gelaffen und von
ben ſchnellen und büpfenden des Auslandes verbrängt
worden. Der Umftand, daß der Verf. fi) nicht aus⸗
führlicher über die vaterländifche Muſik verbreitet, läßt
fließen, Daß es darüber noch an genauern Forſchungen
fehlt. Es würde fchon ungemein intereffant fein, das
Verhaͤltniß der böhmifchen Ehoräle bes 15. und 16.
Jahrhunderts, deren der Berf. als fehr ergreifend er-
wähnt, zu den gleichzeitigen deutſchen kennen zu lernen.
Bei der Architektur, worauf der Verf. zunächft kommt,
draucht fich Ref. nicht fo lange zu verweilen, Indem: füh
darin nicht wie in ber Poefie eine nationale Gigen-
thumlichkeit kundthut, fondern ſich Sie in den übrigen
Abendländern gebraͤuchlichen Formen angewendet finden.
Mus der Epoche des romanifchen Bauſtils haben fich
nur wenige Gebäude geringen Umfangs in Böhmen er-
halten, von benen des Verf. Die Krypten ber Georgs⸗
kirche zu Prag, der vormaligen Stiftelivche zu Doxan
und der Collegiatkirche zu Altbunzlau anführt.
Bohmens Hauptbentmal der gothiihen Baukunſt,
als deren Charakteriſtiſches der Verf. nicht ſowol die
Anwendung bed Spitzbogens als daB ganze, aus der
Natur deffelden oxiginel entwickelte Baufyſtem bätte
hervorheben Tollen, if bekanntlich die fchöne, dem heili⸗
gen Veit geweihte Domkirche zu Prag, welche Kaifer
Kari IV. nad) dem Plan bes —28 von Arras aufe
" führen ließ. Dem lebhaft ausgefprochenen Wunſche des
Berf;, daß derfelbe in unſern Tagen zur völligen Aus⸗
Herzen bei. Dies wäre ein ber Kunft- wie der Ba-
terlandeliebe der Stände Böhmens gleich würdiges Un-
ternehmen. Bon den gothifchen Kirchen Prags, welche
der Verf. noch anführt, erwähnt Ref. der am Karlhof
und der Theinkirche, von den zahlreichen in andere
Städten Böhmens nur noch der &. Barbarakirche zu
Kuttenberg, welche fünf Schiffe hat. Auch in Mähren
macht der Verf. eine Reihe gothifcher Kirchen namhaft,
von denen es genügen möge hier nur Die zu Olmüg
und Brünn anzuführen. Unter den gothiſchen Gebäu-
den Böhmens für weltliche Zwecke gebührt dem. ſchoͤnen
Rathhauſe in der Altftadt zu Prag der erfie Rang.
Den fogenanuten Bauſtil der Renaiſſante |
ber Verf. nach dem Vorgange von Stieglig und Hope
zu hart. Ws das fchönfte Beiſpiel beffelben in Prag
führt er das unter Kaiſer Ferdinand I. 1534 von dem
Architekten Farabosco aufgeführte Luſthaus im Lönigl.
Schloßgarten, und ven andern weltlichen Gebäuden bie
ungleich fpätern. Waldftein’fchen und Gernin’schen Palaͤſte
an. Daß der legte impofante Bau immer mehr droht
eime Ruine zu werben, muß Ref. aufrichtig beklagen,
Don den von dem Berf. angeführten Kirchen vieles
fpätern Geſchmacks zu Prag begnägt fih Ref. die Sal-
vator- und die Kreuzherrnkirche zu nennen.
Der Bauart der Burgen, welche im Mittelalter eine
fo bedeutende Mole fpielen, hat der Verf. ein eigenes
Capitel gewidmet, Aus verfchiedenen Stellen ber Ge⸗
dichte in ber „Königinhofer Danbfdyift” wird geſolgert,
daß die Böhmen ſchon im 9. Zahrhundert von Stein
aufgeführte Kelfenburgen gehabt haben. ef. ficht über
das Alter jener Gedichte kein Urtheil zu. Indeß ift es
an ſich nicht unwahrfcheinlich, Daß die in Böhmen überall
zuc Hand liegenden Steine die Czechen fon ungleich
früher als ihre Stammverwandten in Pommern, deren
Tempel und SBefefligungen, wie wir aus bem Saxo
Srammaticus lernen, noch im 1R Jahrhundert mit
Ausnahme der fleinernen Fundamente aus Holz beften-
den, auf den Steinbau geführt haben mögen. on
Burgen größern Umfangs finden ſich erſt nach dem Gin-
fall der Mongolen 1241 Nachrichten. In der Baumeife
wurden von diefer Zeit am meiſt deutfche Burgen zum
Mufter genommen, ja fie erhielten bei der Vorliebe
Wenzel's I. für die deutfche Sprache fogar Häufig deut-
{he Namen, wie 5. B. die von 1241—46 erbaute Burg
Rofendberg, der Stammſitz der echtböhmiſchen Familie
dieſes Namens. Darauf gibt der Verf. die Namen ber
einzelnen Theile, welche denen in Leo's befannter Ab⸗
handlung über Burgmbau und Burgeinrichtung ent
fprechen, in böhmifcher Sprache, und führt die wichtig⸗
fien ber noch in Böhmen und Mähren vorhandenen
Burgen an, unter denen wie billig der Karlſtein die
erfte Stelle einnimmt. Intereffant ift die hierauf fol-
gende Überficht ber bedeutendften Burgeumen, weiche
‚ der Verf. na Umfang, Befefligungsart und Lage in
acht Glaffen theilt. Zu bedauern ift, daß derfelbe feine
Bemerkung, daß Sitte und Rebensweife auf diefen Bux-
führung gelangen möchte, pflichtet ef. von ganzem | gen nationalböhmilch geblieben fei, micht durch eine
[4
Seäikerung derfelben etwas mehr ausfühe. Wem der | ruf. =) Maßer
Berl. am Ende diefes Abfehnitts die Zerſtoͤrung der
ſlawiſchen Staͤdte Rhetra, Pineta und Arkona beklagt,
pt zuvörberft von der zweiten zu bemerken, daß, nach-⸗
m Friedrich v. Rumoht und, ihm folgend, Levezow
aus einem Vergleich der Nachrichten bes frühern Adam
von Bremen mit denen in der fpätern Chronik des
Helmold augenſcheinlich bewiefen, daß eine Stadt Vineta
nie eriffirt hat, fondern diefer Name nur von Helmold
an die Stelle des bei feiner Quelle dem Adam von
Bremen ſtehenden Julin gefept worden iſt, von einem
Bineta billig nicht mehr in der Geſchichte die Rede fein
ſollte. Schwerlich aber würde von jenen Städten, auch
wenn fie nicht, von feindlicher Hand zerflört worden
wären, noch heute etwas vorhanden fein, da fie mit Aus:
nahme der Fundamente fiher nur aus Holy befanden.
AIndeß ift es nach denfelben Zeugen ganz gewiß, daf
diefe Hofzbaukunft fowol in der Gonftruction, als in der
Sanberfeit daran gefehnigter Sierathen einen fehr acht ⸗
baren Grad von Ausbildung erlangt hatte. Aus vollem
Hetzen flimmt Ref. in den Noth- und Hülfsruf des Verf.
gegen die Barbarei ein, durch welche die alten Dentmale
der Baukunft auch noch heute fo häufig zerflört werden.
(Die Yortfegung folgt.)
Schule ber Erziehung in biographiſchen Umriffen.
Eufebius Schmidt. Berlm, &imion. 1846. 8.
1 TH. 10 Nor.
Der Verf. ſtellte ſich die Aufgabe, unter vorbandenen Bior
araphien diejenigen auszuwählen, welche paͤdagogiſches Intereſſe
getoähren, hierbei beſonders bie Zugendgefhigte und Gharak:
terbifdung zu berüßfigptigen und biefem @tofe Bemerkungen
zur Anregung weiten Nachdenkens über mannichfache Seiten
der Erzichungsfunf beizufügen. Wir finden diefe Aufgabe auf
fo befriedigende Weiſe gelöft, daB mir das Bud allen ange
enden Erjichern und namentlich gebildeten Müttern, deren Be:
lichten nicht im @alonleben aufgehen, zur Benugung
empfehlen fönnen. us den mitgeteilten 34 Giographifhen
tigen läßt fi ſchon etwas lernen; veich fließt die Duelle
der Erfenntniß aus dem Leben der Männer und Frauen, welche
hier vorgeführt werden, die werfchiebenartigfien Richtungen fer
hen wir in Diefen bedeutenden Perfönlicpkeiten vertreten und in
jeder einzelnen bieten fi) anziehende und beiehrende Momente
menfäjlicher Entroidelung dar. Ungeachtet der Kürze, mit wel:
her der Verf. die Biographien behandelt, ift er nicht in den
Fehler der Zrodenheit verfallen; überall ift die Darftellung fo
aehelten, daß fie ein Intı fie die Gebildeten enwedt, und
wma ber Mangel an Wusführlicgkeit in dem Leſer den Wunfdy
nad volfkändigern Lebensbefgreibungen vege macht, fo er-
wirbt ſich die vorliegende Schrift noch das befondere Berdienft,
zur Berbreitung des Geſchmacks an guter und bildender Lecture
Pe Dean wir dürfen wol nicht erft ausführen, daß
fü bedeutende Biographien fets den mittelmäßigen
Romanen vorzwichen find.
Der Bel'pat feine biographifchen Umeiffe nach folgen-
den Rubriken geordnet: I. 2ebensteieb und Sirkſamkeit vor-
hertſchend religids (@pener, Singendorf, Savater, Jung ·
Stiking). 1. ꝛebenstrieb und Wirkfamkeit vorherrſchend mil:
—— Eeſfing, Krand, Kant, Fichte, Bohlen). IM. Die
Bike , burdbrangen von ber Religion (Bühhing, Her-
der, 3. 0. Müßer, Steffens, Meßter). IV. Kunftberuf (Mic:
ind, Sopebuc, & 3. 0. Biber, Mod). Übergang zum
prakriſchen Beruf (Geume, Barzto). V. Praktifher Be:
.
Von’
wit dee Bifenktoft (Artahk),
b) Duc@orungen von der Wiffenicaft (Dinter, 26 De
Hetoig). 0) In üerbinbumg mat der Wiffenkhaft und
rungen von ber Religion (Gicdel, Ragel, Rappard, =
Anhang. Frauen (Unna Lavater, @life v. d. Rede,
Sophie v. Laroche, Amalie Emma Schoppe, Dorothea v. Robbe,
Amalie v. Galligin).
gen, wetche der Verf. dieſen biogtaphifdien
ogiſchen Takt
religioſer Bezieh: alt eber !
wie von Aelafer @eihpätiäht Sum Bee Dafın Ten
nen. Wenn nun von der einen Seite fein Grund vorhanden
ift, dem jungen Kinde die Bekanntfgaft Gprifti vorzuenthal ⸗
ten, fo Bann e8 von der andern Seite auch durchaus nicht ber
denklich und dem Geifte unferd Meifters entgegengefeht er⸗
feinen, daß wir das Kind die erfte Befanntfcaft mit ifm
nur umter einer ſolchen Borftellung machen Saffen, bie, an fi
daraus wahr und edit, zugleich der findhchen Geele am an
gemefienften it. Da erfheint mie dann bie, unter welcher
ihn Zingendorf zuerſt faffen lernte — daß er unfer Bru⸗
der und auß Liebe für un& geftorben fei, als eine der anwend:
barften, fofern fie Liebe und Vertrautn wedt und erhätt, und
fomit nicht nur bie Hauptgefinnung und bie Haupttugend des
Shriftenthums, ſondern auch zugleich die Gefinnung und Zugend,
deren das Kind am früheften fähig if-“
(Die betreffende Stelle aus Jinzendorf's Leben lautet:
„Schon im vierten Jahre betete er vol Andacht und hegte mit
der Borftelung, daß Ehriftus unfer Bruder umd für und ge
foxben fei, die berzlichfte Biebe zu dem Seilende. 48 dürfe
ja mit dem Bruder, glaubte er ſchon damals, Jedermann brds
derlich umgehen, und brauche nicht zu ſcheuen, ihm Alles,
wenn et auc mod fo ſchlecht wäre, vorzutragen. So entfpann
ſich in dem kindlichen Gemüthe ein trauiicher Verkehr mit dem
‚Heilande, der ihm für fein ganzes Leben eine füße und unent ⸗
behrliche Gewohnheit werde.)
Des Berf. beachtungswerthe Bemerkungen über das er
aungene Nirchengeden der Zugend fnüpfen fid an bie
Mittheilungen aut Kotzebue's Leben. Diefem epe es in feir
ner Kindheit nicht an Frömmigkeit; er ſelbſt erzäßft: „Kaum
hatte ich des WMorgens mein Lager verlaffen, fo ging ich au,
um gang ungeftört zu beten, an einen heimlichen Drt, den bie
Chrbarkeit zu nennen verbietet. Dort fchloß ich mich forgfäl«
tig ein, miete nieder und betete, Peine auswendig gelernten,
fondern aus dem Herzen kommende Seufzer.“ Aber durch er»
wungenes Kirchengehen — an jedem Sonntage Vormittag und
Kadpmittag führten die Hofmeiſter in Weimar ihre Böglinge
in die Kirche — wurde jener Hang zur Prömmigkeit in dem
Knaben erftit. Hierbei nimmt der Berf. Beranlaflung zu
folgenden Betrachtungen: J
„Schon öfter ift durch erzwungenes Kirchengehen bei
der Jugend gerade da8 Gegenteil von Dem gewirkt worden,
mas dur. daffelde beabfihtigt mar. ur in feltenen Fällen
iſt das Kind ver dem zwölften Jahre — oft auch noch nicht
nach demielben — fähig und geneigt, einem lange dauernden
sufammenhängenden Bortrage mit Wufmerfamteit zu folgen,
‚
.
D
J
elbſt unter bei Vorausſetzung, daß derſelbe dem kindlichen Faſ⸗
nasvermoͤgen ganz angemeſſen wäre. Die Predigt aber, als
ft an Erwachſene gerichtet, wird auch von dem aufmer?:
amen Knaben oder Maͤdchen nur theilweile verftanden werden.
So ift es denn kaum anders möglich, ald daß das Rind wäh
send der Kirche in den peinlichen und fehädlichen Zuſtand ber
Langweile geräth, der, je öfter er wiederkehrt, ihm befto un-
exträglicher werben muß. Freilich gibt e& auch hier Ausnah⸗
men von der Regel: eine haben wir bereitd in Fichte kennen
lernt, der ſchon als achtjaͤhriger Knabe eine Predigt aus dem
edächtniß ziemlich vollftändig wiederzugeben vermochte: eine
andere bildet Bollmar Reinhard, defien regelmäßige Sonntags:
befihäftigung es ſchon im elften Jahre war, die Predigt feines
Baters aus dem Gedaͤchtniſſe aufs Papier zu bringen. Bor:
ich begabte Linder bilden aber auch in andern Beziehungen:
usnahmen von der ‚Regel. Zwar koͤnnte von Denjenigen,
weiche für einen möglichft ‚früben regelmäßigen Kirchenbeſuch
find, eingewandt werden: a) Wenn au nicht die Predigt, fo
wird. duch der Geſang ber Gemeinde und beren feomme, an:
daͤchtige Stimmung einen woßlthätigen religiöfen Eindrud auf
die Kinder machen und fromme Gefühle auch in ihnen weden
und beleben. b) Die Jugend muß an eine Bitte gewöhnt wer:
den, die ihr im fpätern Alter eine unerlaßliche Pflicht ift und
“die ihr in dem Grade eine immer angenehmere werden wird,
in welchem das Berftändniß der kirchlichen —— ihr
aufgeht. c) Es bleibt doch auch von der Predigt den Kindern
etwas, das fie ſchon auf ihr jegiged oder auf das fpätere Le:
ben anmwenden fönnen. d) Es wird ihnen wenigftens die Ge:
legenheit genommen, während dieſer Zeit Böfes zu thun. —
Run läßt fih nicht Teugnen, daß die angeführten Gründe zum
Theil etwas für ſich haben; aber was den erfien betrifft, fo.
wird doch auch wieder der Eindrud um fo flärker fein, je fel-
tener dad Feine Kind in die Kirche kommt, und er kann leicht
ganz verloren geben, wenn der Kirchenbeſuch allfonntäglich wie»
derholt wird. Der zufegt angeführte Grund bat nur unter
befondern Berhältniffen etwas zu bedeuten und die beiden an-
deren erhalten ein um fo volleres Gewicht, wenn man die Wer
wähnung zur regelmäßigen Theilnahme am Gottesdienft erft
dann eintreten läßt, wenn das Kind fähig if, ihm mit Ber:
ftand und Herzen beizumohnen. Died, meinen wir nun, Ponne
etwa nach erreichtem zwölften Jahre gefchehen, ohne jedoch den
einzig angemeffenen Zeitpunkt beflimmen zu vollen‘, oder zu
meinen, dag bis dahin gar nicht für Das kirchliche Leben des
Kindes geforgt werden müſſe. Vielmehr erflären wir dieſe
Sorge für eine entjchiedene Pflicht des Haufes und der Schule.
Beide müflen nicht nur unterrichtlid darauf hinweifen, daß ein
hriftliches Leben immer auch ein Eirchliches fein müffe, fondern
die Altern insbefondere nrüffen auch den Sonntag auf eine
würdige Weiſe auszeichnen und duch ihr Beifpiel zeigen, wie
Lieb und wie wichtig ihnen die Kirche fei. Geſchaͤhe dies und
nähmen dann die Witern an den Hauptfefttagen und fonft zu:
weılen ihre Kinder mit in das Gotteshaus, fo würden wir auch
der in neuerer Zeit an manchen Orten eingerichteten Kinder:
otteödienite entbehren koͤnnen, die, aus fo löblicher Abficht fie
rvorgehen, doch fchwer den ber Eindlichen Ratur angemefle-
nen Takt und Zon treffen. — Bon der Schule aus pflegt wol
auh an erwachſenere Knaben und Mädchen die Anfoderung
emacht zu werden, daß fie»die Dispoſition der Predigt auf:
Poreiben., und infofern dadurd eine Anregung zur Yufmerf:
famkeit und eine Anleitung zum vollftändigern Berftändniß er:
ielt werden fol, Bann Vieh Einrichtung nur gelobt werben.
—* hat ſie doch auch ihr Bedenkliches. Das Kind wird da⸗
durch gezwungen, gerade auf das abſtracte, todte Gerippe der
Rede feine Aufmerkſamkeit zu richten, und Herz und Empfin:
dung geben dabei Leicht leer aus. ine entwickelnde Unterre: -
dung über das Ganze ber Predigt, in welcher man bie Dis:
pofition finden läßt, möchte denjelben Zwed ohne jenen Rad:
theil erreichen ··
Indem wir mit Hinſicht auf dieſen Gegenſtand an Lavater,
Stilling und Bohlen erinnern, und auf Dinter,
®. v. Gallitin lee eine uns noch befenderer Beach⸗
ein fe
tung werth, was Bfcho iner „Selobſtſ
„Ran bielt mi in meiner Kindheit eifrig zum Beſuch des
Sottesdienftes an, während mir unerflärlih war, wozu dem
lieben Gott» das lange Seillfigen, Gingen und Predigt»
hören dienen Pönne, ba es doch uns Kindern nur Langweile
machte. Ich trieb’3 übrigens in der Kirche wie jeder meines
Alters, flatterte in Gedanken in meinen Robinfonaden umher,
betrachtete mir fehr andächtig des Pfarrers Geberdenfpiel, ben
wechfeinden Faltenwurf feines Kanzelrocks, lauſchte dem Ber:
ballen feiner Stimme‘ in den Kirchengewölben nad), ober er-
gögte mic an der Roth der Schlafenden, ihr anfländiges Sieich⸗
gericht zu erhalten. Der erſte Tempelbeſuch eined jungen
" darüber fagt:
Menfchen folte ihm nur bei binlänglicher Berflanbesrrife ge: '
ftattet und fein erfter religiöfer Fefttag fein.”
Literarifche Notizen aus England.
Bulmwer über Waffercuren.
Bad man nicht Alles zu Iefen bekommt! Sir Edward
Lotton Bulwer, oder wie er fich jest ſchreibt, Bulwer eytton,
hat ein Buͤchelchen herausgegeben: „Confessions and observa-
. tions of a water patient” (£ondon 1845), das im londoner
Driginal 25, in der leipziger Ausgabe 4 Nur. Poftet und umfonft
zu theuer if. Daß der Verf. we Bühne häufigen Weingenuf:
ſes und fonftiger Allotrien ein Waſſertrinker geworden tft, bes
greift fi. Wie er aber in nüchternem Zuſtande dad Büchel:
hen hat fehreiben Fönnen, begreift fih kaum. Es erfcheint in
Geſtalt eines Briefs an Harrifon Ainsworth — etwa zum Be:
hufder Belehrung? — und beginnt mit einer Artigkeit über defr .
fen Redartion des „New monthiy”, eine Würde, wie der befchei-
dene Berf. fagt, „welche ich die Ehre gehabt habe vor Ihnen zu
befeiden”. Daß das mit Waflertrinten weniger gemein hat als.
mit wäfferlichem Schreiben, weiß Jeder, der du8 „New monthly”
fennt. Wo iftnun der Werth des Opus? Er hält der Waflercur
eine Zobrede, ohne zu fagen, worin jene beſteht. Ein Anlauf wirb
genommen, die ſchwere Kunſt zu lehren, fich in ein naffes Bett-
tuch einzufchlagen. Dabei bewendet es. Dann folgt der Rath,
Waſſer ſtatt Weine zu trinken. Ein Jahrhunderte alter, für
Millionen Menfhen völlig unnöthiger Rath. Aber was für
Waſſer? Quellwaſſer, Flußwafler oder Regenwafler? Davon
fein Wort. In welcher Quantität? Kein Wort. Baden wird
empfohlen. Heißes, warmes ober Paltes Bad? Fluß-, See-
oder Wannenbad? Wieder Fein Wort. Genug, dad Büchel⸗
chen ift lediglich ein lobredneriſches Stüd Autobiographie, das
auf die Welt gefommen, um der Welt zu fagen, daß der Berf.
noch am Leben. Und das einzig Reue, was der Lefer erfährt,
rebucirt fi darauf, daß nichts der Gefundheit zuträglicher als
früh aufftchen, ſich Bewegung machen und im Effen und Trin⸗
tem mäßig fein. 's tft nicht zu glauben!
j Eine neue englifhe Novelle.
Der öffentlich noch ungekannte Berf. der vielgelefenen drei⸗
bändigen Novelle „Lord Daere of Gilsland‘' bat eine zweite
herausgegeben ‚„Githa of the forest” (London 1845), welde
bie erftere an Intereſſe übertrifft und das befondere Berdienft
bat, einen tiefern Blick in die Sitten und Gebräude der alten
Dänen und Sachſen zu gewähren. Der Zitel tft der Name
der Heldin, der Schauplap anfangs Lincolnfhire, zufegt Ror-
wegen, und bie Hauptangel der Geſchichte die Berrätherri eines
chriſtlichen Häuptlings an einem guten, gaftfreien Heiden unter
der Regierung Ethelwolf's. In Folge dieſer Berrätherei ſchwoͤrt
die Gattin des Daͤnen dem Sachſen Rache und nimmt ihrem
einzigen Kinde, einer Tochter, denſelben Schwur ab. Der
Kelch wird dem Sachſen bis zum Rande gefüllt und er muß
ihn leeren bis zur Reige. Die antiquarifhen Forſchungen find
fo geichidt in die Fabel verwebt, daß ber Fleiß, ber fie ein⸗
fhoflen, fi nirgend damit breit oder auch nur bemerk⸗
ar macht. 16, .
Berantwortlicher Herausgeber: HReinrich Wrodhant., — Druck und Berlag von F. X. Drockhaus in Beipzigr *
— —
m — ¶ — ——
Blaͤftt ter
| Fr |
literarifhe Unterhaltung.
Grundzüge der böhmifchen Alterthumskunde.
Von Johann Erasmus Wotel.
(Bortfegumg aus Nr. ®.)
WVon den bildenden Kimften, worauf der Berf.
nun kommt, behandelt er zunächft die Malerei. Ale
Beifpiel der tupifchen Darftelung Chriſti, wie fie Die
byzantinifhe Kunſt ausbildete, führt er dad Antlig
Shrifti in der Domkirche zu Prag an. Ref. gefteht, daß
ex darin nicht mit bem Verf. eine erhabene Würde und
einen eigenthümfichen geiftigen Reiz finden kann. Die
ganz feeren, zinnoberrothen Lippen, der ſchwere, fo frifch
braune Zon bes Fleiſches feheinen ihm vielmehr für eine
fpätere Ubermalung zu fprehen. Wenn der Verf. die
altkolniſche Malerſchule als eine foldhe hervorhebt, welche
mit der altitalienifchen und der böhmifhen vorzugsweiſe
Töchter der byzantiniſchen zu nennen wären, fo muß
Ref. bemerken, daß ın der altkölnifchen Schuls ein fol-
cher Einfluß nicht ftärker wahrzunehmen iſt als in den
meiften Malerfchulen des Abendlandes, in den Bildern
vom Meifter Wilhelm und feiner Zeit aber nur Hödhft
dedingungsweife flattgefunden hat. Daß dagegen in
Böhmen, in Folge der Ginführung des Chriſtenthums
durch Method gegen Ende des 9. Jahrhunderts die by-
zantiniſche Kunſt in ben nächften Jahrhunderten einen
fehr entfchiedenen Einfluß ausgeübt hat, erfcheint auch
ef. fehr natürlich. Diefer Art mögen die Malereien
geweſen fein, welche ber Abt des Kloſters Sazawa,
Bozetech, der aͤlteſte böhmifche Maler, von welchem wir
Kunde haben, in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhun-
derts ausgeführt hat. In dieſem Kioſter iſt die Kunſi
befonders gepflegt worden, wie denn auch ein Abt Sil⸗
vefter ebenfalls noch im 1. Jahrhundert dort Malereien
ausführen lief. Im 3. 1129 aber ließ der Herzog
Sobeslaw die Wände der Collegiatkirche am Wyschrad
mit Malereien fhmüden. Das Altefte noch vorhandene
Denkmal boͤhmiſcher Kunft iſt mach dem Verf. der erfte
Theif eines mit gemalten Initialen geſchmückten Evan⸗
gelienbuchs, welches von dem heiligen Procop zwiſchen
den Jahren 1U10—49 eigenhändig geſchrieben, feit 1574
mertwärbigerweife im Dome zu KRheims aufbewahrt
wird. Diefem läßt der Berf. noch eine Reihe von
nt Handſchriften mit Miniaturen und fpäter noch
ein fehr fchönes Mepbu in ber prager Dombibläochel
foigen, welche, mit einigen Ausnahmen auch ben Ef.
bekannt, feine® Erachtens wugleich mehr geeignet finb
bie Geicdichee und Eigenthümlichkeit der attiöhmeilden
Malerei kennen zu lemen ale bie noch verkandewen
Wand - und Tafeigemätde; denn theite umfaffen fir d-
nem Zeitraum vom 11. bis zur zweiten Bälfte bes 18.
Jahrhunderts, waͤhrend die dem Ref. bekannt geworde⸗
nen größeen Gemaͤlde faͤmmtlich etwa von 1380 1660
fallen moͤchten, ſobann iſt bie Zeit der Miniaturen faſt
durchgaͤngig ſichet beglaubigt, endlich find. fie meiſt we⸗
der verdorben noch der urſprüngliche Charakter durch Ne⸗
ſtaurationen entſtellt. Mef., welcher außer ben erwaͤhn ⸗
ten noch eine Reihe von ſehr wichtigen Haudſchriften mit
boheniſchen Miniaturen in der kaiſerlichen unb in der am⸗
braſer Bibliothek zu Wien gefehen hat, muß ch begnügen,
bier einige Hauptergebniſſe diefer Studien witzuchellen,
indem er die nähere Begründung dexfeiben feier
ſchichte der Miniaturmulerei vorbehält. Der fogenanme
„Wysthrader Coder“ auf der Univerſitaͤtsbibltothek zu
Prag, ber wol ficher der erſten Hälfte bes 11. Jahrhun⸗
derts angehört, beweiſt, daß fihen fehe zeitig ein Einfluß
vom frankiſchen Reiche ats flattgefinden bat, dem mit
Ausnahme der Art des Segnens nach dem Minus der grie: 5
chiſchen Kirche zeigt ex keinen byzantiſchen Einfluß, fon
desn gleicht in Auffaffung und Technik den echt voma⸗
niſchen Miniakuren des 10. Jahrhumeres fo fahr, be
man verſucht wäre, ihm fir fraͤnkiſcher Abkeanſt zu hal-
sen, wenn ſich naht ſchon bier das ben flawiſchen Demt-
malen eigenthümliche Poliment von ſchwarzer Farbe zean
Auftragen des Goldes verfände, waͤhrend alle anben
mie befanuten Möller, welche ven Soldgrandb angewen⸗
det, zur Folie ven Bolus gebraucht haben. Außerdem
find mir auch ſchon hier einige eigenthümliche, beſouders
abwätich, aus dem Leben beobachtete Motive aufgefallen,
weiche fich im den im Allgemeinen ebenfalle in Stufe
und Art der Aushildung mit den deutſchen Miniaturen
der fobgenden Jahrhunderte übereinftimnteneen Riniateren
gleichfalls vorfinden. Der Chartaktoe ber boͤhmiſchen
Malerſchule des 14. Jahrhunderts iſt aber sine MRobik-
catien einer ibraliſtiſchen und fchr Bitgemäßen Richcung,
weiche, wie Ref. an verſchiedenen rien nachgewieſen,
Brot zuerſt im Köln beobachtet, von dir Mitde Des
t4. Jahrhunderts ab zu geiches Zeit in am Deut
8
nach Prag gebracht hatte.
land, den Rieberianden und Frankreich herrſchte. Fin
Theodorich von Prag, deffen Bilder in der Königskapelle
des Karlſteins ficher beglaubigt find, befteht diefe Mo-
dification vornehmlich bei den Männern in dem Streben
nad) Granbiofität und Würde, welches mit eines, gewiffen
Schwerfälligkeit und zu, großer Ausladung der Formen,
befonder6 der der Nafen mit breitem Rüden, verbunden
tft, in weitgeöffneten Augen, in einem fehr feinen grauen
Zone der Schatten und Halbtöne und einer fehr zarten
Berſchmelzung der flüffigen Karben. In den Werken
anderer böhmifcher Maler der Zeit ift, zumal in den
etwas gefchligten Augen, beftimmt ein Einfluß des treff-
lichen italienifchen Malers Thomaſo ba Modena, ben
Karl IV. nach Böhmen berief, unverkennbar. ' In den
Miniaturen gefellt ſich noch ein Einflug aus Frankreich
und den Niederlanden hinzu, welcher wol am natürlich⸗
ſten dadurch zu ertlären ift, daß jener Kaifer, welcher
feinen geliebten Böhmen gern in jeder Beziehung das
Trefflichſte zuwenden wollte, bergleichen Miniaturen aus
Paris, dem damaligen Hauptort für diefe Kunſt, mit
an Feinheit der Ausbildung find die Durch die Beifchrift böh-
mifcher Maler, 3. B. eines Zbinko von Trotina, oder ander:
wveitig ficher beglaubigten böhmiſchen Miniaturen ben gleich-
zeitigen deutfchen allerdings überlegen. Zugleich ift barin
ungleich mehr. ald aus den dem Ref. bekannt geworde⸗
nen Wand- und Staffeleigemälden ein lebhaftes Gefühl
für eine fehöne und gefällige Bildung ber Köpfe, zumal
der weiblichen , und für Anmuth der Dewegungen, ale
durchaus eigenthümliche und .fehr ausgezeichnete Cigen⸗
fhaften der. böhmifchen Malerfhute des 14. Jahrhun⸗
derts, zu erfennen. Hierzu fommt noch bei den Por⸗
traiten ein fehr achtbarer. Brad der Individualifirung.
Ans Obigem erhellt, daß Ref. dem Verf. durchaus
nicht beiftimmen kann, wenn er ber Anficht ift, daß we⸗
gen bes rohen Zuſtandes der Gebilde deutfcher Male⸗
rei bis zum Ahfange des 13. Jahrhunderts früher fein
Einfluß der deutfchen Malerei auf die böhmifche- ftatt-
gefunden bat. Er läßt fi, um dieſes zu bemeifen, von
feinem Patriotismus dazu verleiten aus der „Geſchichte
der Kunft” von Kugler einen Schluß zu ziehen, der kei⸗
netwegs aus den Worten deffelben folgte. Kugler fpricht
nämlich bort lediglich von den zufällig in Deutſchland
erhaltenen Mauer- und Eitaffeleigemälden, während er
verſchiedentlich geltend macht, was in Deutfchland feit dem
Anfange des 11. Jahrhunderts Bedeutendes in der Minia-
turmalergi geleiftet worden ift, welches der Verf. um fo
mehr haͤtte berudfichtigen follen, als er die böhmifche
Miniaturmalerei, und zwar mit großem Recht, geltend
made. Übrigens fcheint es dem Ref. ungleich weniger
darauf anzukommen, ob in Böhmen fremde Cinflüffe
auf bie Kunft flattgehabt haben, welche in der Verket⸗
tung der Kunftgefhichte ſich bei allen Völkern des Mit⸗
telalters darthun laffen, als ob die Böhmen das lber-
fommene in ihr eigenes geifliges Lebensblut verwandelt
und mit Geiſt und Geſchick daraus etwas Eigenthümli-
dies von Bedeutung herausgebildet haben, was aller-
242
An Schönheit der Farben,
dings, wie Ref. oben angedeutet hat, durchaus ber all
iſt. Schr dankenswerth iſt die Vermehrung des Ma-
terials der Geſchichte der Malerei in Böhmen durch die
Aufzählung einer Anzahl bisher nur wenig bekannter
‚Tofelgemälde aus dem 14., .15. und 16. Jahrhundert,
von denen Ref. bier nur eine Maria mit dem SKinde
in der wysherader Collegiatkirche, Vorgänge aus ber Lei-
densgefchichte und den Tod Mariä in der Dedyanteificche
zu Raudnic und ein Marienbild in der Kirche zu Hohen ⸗
furth als von befonderer Bedeutung hervorheben. will.
Selbſt die böhmifhen Maler des 17. Jahrhunderts ver-
"dienen, wie Ref. gelegentlich darzuthun hofft, viel mehr
Beachtung als: ihnen bisher zu Theil geworden if.
(Der Beſchluß folgt.)
Romanliteratur.
1. Eine. Kunftreife und ihre Folgen. Eebensbild aus ciner klei⸗
nen Stadt. Breblau, Kern. 1845. 8. 1 Zhlr.
— — — —— — —— —— — —
- Bir können nicht umhin den vorliegenden Roman für den
Erftlingsverfuch einer weiblichen Feder zu halten; die Schrift
ftellerin ſcheint fi aber nicht klar geworden zu fein, ob fie
diefen Verſuch einer Zendenz widmen wollte oder nur der bio-
Ben Unterhaltung. Zumeilen meint man die gute Lehre her⸗
ausnehmen zu müflen, daß die Frauen auch praktifche Haus:
frauen fein follen, um den Mann zu beglüden; zulegt wird
man indeß mit der Gelehrten ausgeföhnt, als fie, indem
den Sternenhimmel mit wiſſenſchaftlichem Blick beſchaut, das
Feuer. auf dem Landhauſe ihres Schwiegervaters erblidt und
ſchoͤne Eigenſchaften Des Gemuͤths entwidelt. Cine Schaufpie
fertruppe, welde in dem Städtchen Borftcllungen gibt, bring
Bewegung unter die Kleinftädter, welche Manchem zum Siuh,
RManchem zum Unglüd gereihen; unter den Zufchauern werden
Bebanntichaften angefnüpft und Ehen gefchlofien wie auf der
Bühne und der ehrliche Docter Behrend entdeckt die Untreue
feiner Dienfiboten, welche, um ins Theater zu geben, ihn be-
trugen. Der Roman enthält manche wahre Bemerkung, man-
he gute Neflerion, doch ift er ganz ohne Talent gefchrieben
und kleinlich; er beichäftigt ſich mit Unbebeutendheiten, welche
den gebildeten Kefer gar nicht, den ungebildeten nur wenig in:
tegsfiren koͤnnen.
2. König und Rarr.
£eipgig, Hunger.
Barum das vorliegende Werk „König und Rarr’ Heißt,
begreift man nicht, da der König Heinrich VIII. und der Rasr
weder die Ertreme noch den Mittelpunkt des Romans bilden.
Der König erfcheint nur einen Augenblid, um ein wißiges hu⸗
moriftifches Geſpraͤch mit dem Rarren zu halten, welcher aller
dings dem Shakſpeare ſchen Karren geiſtverwandt iſt; doch es
iſt nicht der Narr, ſondern ein Gauner welcher vom Rarren
gezwungen war die Rolle zu übernehmen und welcher entdeckt
wird, entfpringt und Bauner bleibt bit er gehängt wird. Der
Roman machte Ref. überhaupt Den Eindrud, ald habe der Berf.
nur einzelne Bilder einer fchöpferifchen geiſtreichen Yhantafic
zufammengewürfelt; es find Iebendige Scenen voll Geiſt und
Humor, welche zu einem Ganzen gezwungen wurden ; der Ro:
man ift unwahrfcheinli und geichraubt, es bleiben die bedeu⸗
tendften Greigniffe unmotivirt, unerflärt. hätten zwei
Zheile dazu gehört, um der Skizze die Deutlichbeit und Yus-
führung zu geben, die fie dem Berftändniß des Lefers zugang-
lich gemacht haben würde. Ginzelne Figuren find trefflich ge
ſchildert, z. B. der Gauner Bodet, und der Gonftabler Zapp-
tapp. Wigfauld, der arme Budlige, weldyer in der Irauer
um feinen Affen dem Wahnſinn nahe fteht, in feiner Liebe zur
ſchoͤnen Linea nicht minder, ruͤhrt trog der zahlreichen Verzer⸗
Roman von Bernhard Heßlein.
1846. 8. 1 hir.
&
343
rungen. feinen WBıdhmera des Aleinfichens und Ungeliebt
durch |
feind. Nef. bedauert, die früheren Werke des Berf.: „B.:Dor
mingo”, „De Brahe u.a., deren das Zitelblatt erwähnt, nicht
gelefen zu haben, denn wenn auch der vorliegende Roman nicht
Allen Unfoderungen entfpridht, und in vieler Hinficht nicht ge-
nugt, ſo beurkundet er doch ein ſchoͤnes Talent, und Mef. er:
Auge ſei gewiß Seele geweſen; um ihretwillen
bes als ein Zufall, wenn letzteres nichts Ganzes und Be⸗
iedigendes hervorgebracht. .
3. Byron d ‚Srauen. Bon Ida von Düringsfeld. Breslau,
Kern. 13945. 8. 1 Thlr. 7% Rar.
Wie in dem Beelenfpiegel einer Dichterin des grefen Dich-
ter& herrliche Geftalten aufgenommen, wie fie wiebergegeben
werden, ift gewiß der Lefewelt nicht ohne Intereſſe; und die
Leſewelt bat fchon mit fo vieler Xiebe und Dankbarkeit die
Wideripicgelungen bes wirklichen Lebens von biefer Berf. in
Den verfchiedenen Werken, wie „Das Schloß Goczyn““, „Mag:
Dalena‘, „Graf Chala“, aufgenommen, DaB das vorlie
gende Werk nur ein freudiges Willlommen finden kann. Die |
Kritik einer Kritik zu fchreiben, ift indeß eine ſchwierige Auf:
gabe- und fein Gewinn für die Kiteraturs es fleht immer zu
befürchten, daB wie in einem Zimmer, wo allzu viel Spiegel an-
gebracht find, dic fo oft wiebergegebenen Bilder am. Ende unklar
und verzerrt werden, fo auch die Krititen der Kritik am Ende |-
ins Undeutlihe verſchwinden müflen. Bon Kritik kann bei
dem vorliegenden Werke übrigens. gar nicht die Rede fein.
Ref. kann die Byron’fhen Frauen vieleicht anderd aufge:
faßt, würde fie anders wiedergegeben haben, darıım hat er
noch nicht das Recht, die vorliegende Auffaffung zu fritifiren,
und er wird wohltbun, wenn er, um einen Begriff von der
Auffaffungsweije der Autorin gu geben, fie für fi felbft ſpre⸗
hen läßt und eins ihrer Bilder dem Publicum vorlegt. Wir
wählen Leila aus dem „Giaur”:
Gie wer ein Bild von Leben und Licht, s
Geſehen, warb fie zum @eficht,
Und fand, wohin ich immer fah,
Das Sternbild der Erinn’rung ba.
„Die &Havin eines Pafcha und die Geliebte eines Giaur, wie
Der Ehrift bei Mohammed's Gläubigen Heißt, untreu ihrem
Herrn und treu bis zum Tode ihrem Geliebten, getödtet durch
den Born des Einen und gerächt durch die Liebe des Andern,
Das ift Leila’6 Beftimmung. Leila felbft tft die erfte Schönheit
weiche Byron malte, biöher hatte er nur gezeichnet. Wie er
Da die Farben gleich in feiner Dichtergewalt hat! Wie fie ihm
geborgen und magifch zufammenfließen, damit in ihrem Glanze
- Dad Bild erfcheine! Jedoch erzählt Byron nicht felbft von «der
TJochter Circafſiens, dem lieblichften Bogel ihres Randes»; er
laͤßt es erſt einen alten türkifchen Fiſcher, dann ihren @elieb:
ten thun. Die muß wunderfchon gewefen fein; der alte Fiſcher
it noch ganz in Begeifterung, da er von ihr fpricht, zu der
Seit, wo fie noch die geliebte Sklavin des Paſchas, die Ge:
bieterin feines Harems war. Der Fiſcher meint: in ihrem
glaubt er es
nimmermebhr: das Weib fei nichts als feelenlofer Staub. Leila
muß wunderfchön geweſen fein in der Mitte ihrer Mädchen,
ihre Fuße weißer als der Bergichnee, ihr Haar auf den Mar:
morboden fallend. Der Rifcher fagt, wie der Schwan im
Wafler, fo edel habe fie auf der Erde bewegt. Er erzählt
weiter: Sonderbare Gerüchte wären damals in der Nacht des
BDeiramd aus des Paſchas Palaſt gekommen. Leila follte als
georgiſcher Page verkleidet mit dem Giaur entflohen fein. Doc
ber Fiſcher weiß es befier: dev Giaur ift in jener Nacht ger
fehen, worden, wie er wüthend dabingefprengt; aber er bat
weder Waͤdchen noch Pagen hinter fi auf dem ſchwarzen
Rofie gehabt. Das Hat der Fifcher gehört, felbft aber noch
mehr erfahren. ine Schar kommt in jener Nacht, bewaffnet,
eine Laft forgfältig tragend. Der Fiſcher bietet fein Boot an.
Der Fuͤhrer der Bewaffneten heißt in die Mitte der Felſen ru:
dern, mo das Waſſer ſtill ſchlaͤft, dort fenten fie die Loft in
das Mer. Die La aber iſt Leila's fihßne Leiche geweſen;
denn in der gemordeten: Leila Ramen überfällt der Giaur ben
Paſcha kurze Zeit darauf. Der Pafıka ‚ feine Hale ver
ödet, der Giaur flieht in ein Kiofter, da lebt er fchweigend bis
der Zod zu ihm kommt. In der legten Stunde erzählt er eis -
nem Mönche von der Geliebten:
Ich liebte Water fies noch mehr,
Ich betste fie glühend an;
Doch Worte find dad, hohl und leer,
Wie Jeder fie gebrauden kann;
Dura meine That bewies ich mehr.
Daß Blut an dieſem Schwerte iſt,
Du fiehſt es wohl? es geht nicht ab —
Das habe ich für ſie vergoſſen,
Die meinethalb geſtorben iſt:
Der fie geſendet in das Grab,
Aus feinem Herzen iſt's geſloſſen.
- Dig Liebe ſucht fich einen Pfad,
Mo Wölfe kaum zu rauben wagen,
Und iſt dann kuͤhn genug ihr Wagen.
Empfängt fie wol den Kohn ber That.
Gleich ift es wie ed mir gelang,
Genug, daß nit umfonft Ich rang;
. Doch wuͤnſch' ich oft umfonfl, daß nie
. Mein heißes Gluͤh'n erwidert fie.
Sie ſtarb — doch wie ihr Tod geweſen,
Ich ſag' es nicht, du kannſt es leſen
In meines Xngefichtes Bud,
Da ſtehet Kain's Schulb und Fluch.
Doch od du mich verdammſt, halt ein;
Die Urſach' nur der That war mein.
Doch was er that ich that's gleich ihm/
Wenn treulos fie geworden mir;
Er gab den Kohn der Untreu‘ ihr,
Ich raͤchte ihre Treu’ an ihm
Was fie auch Todeswuͤrd'ges that,
Nur Treu' an mir war ihr Verrath.
Sie gab ihr Herz mir — was allein
Frei in’ der Sklaverei kann Jen —
‚Ih kounte nicht ihr Retter fein.
Doch was ich geben konnte, gab
Ich treulih — unferm Beind ein Grab.
Sen Tod iſt nichts; doch was bein BE
Test (haut, ich ward's dur ihr Beldie.
Am Bolten Land if Falt das Blut,
Und Eiche kaum, was man fo nennt;
Mein Lieben gli der Lavaglut,
Bir fie in -Ätnad Tiefen brennt. -
Ich konnte nicht ſuͤßweichlich fingen
Bon Schoͤnheitsglanz und Lieheöfchlingen ;
Allein, wenn Wangen bie erbleithen,
Und Adern wo verfiegt daß Reben,
Uns Lippen welge zuden» beben,
Em Her, dab fpringt, ein Hiru das brennt,
Gewagte That und rädender Stahl,
Und was ich fühlt’ und fühl an Qual,
Das find, woran fi Lieb’ erkennt .
Die meine batte diefe Zeichen. —
Ich Hagt’ und feufste nit — eriverben,
Nur Das vermocht' ich oder Rerben. .
Sch Üterbe, aber ih beſaß;
Und was da wolle mög’ geſchehen,
Ich werd’ es rubig kommen fehen,
Weil ih des Gluͤckes nicht vergaß.
Mist beugt, daß ich beraubt, nuch nieder,
Und waͤr' es nit um ihr Geſchik —
Gib mir fo Luk wie Leid zuräd —
Mein ganzes Leben lebt! ich wieter.
J
eraurt tief, doch nälkt wi ihn,
Der ſtirbt, — um fie, die Inuge wuhk,
Cie fhlummmert unter Mecreälient: —
0 Yant’ zu ihrem Grab’ ich gichtn!
Dieb Yaupt, dies Herz, fie ſuchten dert
An ihrer Bruft ben Nuheort.
Sie war ein Bild von Leben und Licht,
Geſehen, ward fie zum Geficht,
Und ſtand, wohin ich immer ſah,
Des Sternbild der Erinn'rung ba.
Ach ich möchte auch Hagen, daß Byron fo unüberjegbar ge-
dichtet! Der Sterbende erfättigt ſich nicht, in feiner legten
&tunde von feiner einzigen Geliebten zu reden; die Lava ſei⸗
ner Liebe. bricht in einem gemaitigen Strome hervor, und ihre
Slut ſchillert in prachtvollen Farben. Aber wer kann dieſen
Farbenſchmelz übertragen? Ich nicht. — Ein Bild nur noch!
Die Liebe des Giaur ift das Licht, die Schönheit Leila's der
Edelſtein. Wenn das Licht den Edelſtein nicht fand, wo er
im Dunkel des Harems ruhte — er hätte nie aufleuchten Fön:
“nen; aber ed konnte auch nur ein Edelſtein dem Lichte feinen
Kuß mit folhem Glanz erwidern. Leila mußte fo ſchoͤn fein,
um fo geliebt werden zu Fünnen. Segt, wie fie ift und ber
Giaur liebt, geben fie einander Leuchten, Liebe und Leben, aber
auch Schuld, Weh' und Zot. Doch wer möchfe nicht Tieben,
weil Lieben Leiden macht? Keiner, der geliebt.”
Auf diefe Weife find alle Frauen aus Byron's Dichtungen
charakteriſirt. Als befonders gelungen und mit Liebe bearbeitet
erfchienen uns Zuleika aus „Die Braut von Abydos“; Medora,
Gulnara aus dem „Korfar”. An den modernen Zrauen im
„Don Juan“ jcheint die Verf. weniger Freude gehabt zu haben
als an den poetifchen Geftalten des großen Dichterd. Sie bat
ihre Lieblinge, die fie mit befonderer Güte behandelt, das fühlt
man heraus; bei den einen bleibt ihre Charakteriſtik eine Be:
fhreibung, bei den andern wird fie ein Gedicht. Wir würden
dem Lefer vathen, das vorliegende Werk ald Commentar zu By:
ron 8 Werken zu legen und zu lefen; als die Kerze die defien
Schönheit noch heller hervortreten laͤßt.
4. Aus der Zeit 1649— 80. Hiftorifher Roman von Ma:
ria Feodora von Dalberg. Iwei Theile. Frankfurt
a. M., Sauerländer. 1845. 12. 1 Ihle. 25 Nor.
Der Roman behandelt die Xiebe Des Kurfürften Karl Lud⸗
wig von der Pfalz zur fhönen Hoftame feiner Gemahlin Ma»
rie Luiſe Sufanne, Freiin von Degenfeld. Das unfchuldige
Mädchen erwidert diefe Neigung und nad langem Kampfe wird
fie feine Maitreffe und endlih, nachdem er fih von feiner Ge:
mahlin gefchieden bat, ihm angeteaut, und führt den Titel
KRaugräfin. Die Aufgaben, welche fih die Verfaſſerin fchon
in rem frübern Werke „Ein Phantafieleben und feine %ol:
gen’ geftellt hat, nämlih die ftille refignirte ‚Pflichterfül:
fung, das fih Fügen in die gegebenen Berhältniffe als
glüßbringender zu ſchildern als das Folgen phantaftifchen Ein:
gebungen, ald das Streben nad) Idealen, hat fie auch bier vor
Yugen gehabt, indem fie dem Leſer als Gegenſatz Die fchöne
Geliebte des Rurfürften, Flora von Lodowitz, vorführt, welche
eine Neigung unterbrüdt, um ihr Wort zu löfen. Der Roman
it Bein Kunftwerk, weder in Form, noch im Inhalt, nocd im
Stil; er leidet unter Anderm auch an einer Überfülle von Pi:
guren, welche nicht zur Entwickelung des Ganzen nöthig find,
noch dazu beitragen. Die Geſchichte wied ſtuͤckweis erzählt,
klar und kurz, doch fonft trägt nichts die Faͤrbung der Zeit
und des Orts, wo die Begebenheiten fih zutragen. Der bi:
ſtoriſche Roman ift nit das Feld worauf die Verf. Lorbern
ernten wird, und wir ertheilen ihr den Rath, fi in den
Grenzen ded Geſellſchaftsromans zu halten, wodurch fie Der
ſchoͤnen Zendeng, der heiligen Morel und dem’ edein Willen,
der fie zu befeelen fcheint, beſſer entfprechen wird. 4.
| wachfenden Beach
Literarifie Notizen aus Fraukreith.
Richer's Werke in einer franzöfilgen Wear:
eitung _
6 gewährt eine gewifle Befriedigung zu chen, wie bie
Forſchungen unferer Gelehrten ſich in Frankreich mer i
tung: zu erfreuen Haben. Ginen neuen Be-
weis dafür, daß die beachtungswerthen Reſultato der deutſchen
.
WBiffenfchaft auch bei unfern Rachbarn jenfeit des Rheins .
nicht verloren find, liefert ein vor kurzem erſchienenes hiſtori⸗
ſches Werk, welches einen Theil der von der „Societe de I'his-
tsire de Franoe” heran en Sammlung ausmacht. Daf-
felbe betrifft das eigenbändige Manuſtript Richer’s, weiches Perg
im 3. 1833 in der Bibliochek zu Bamberg aufgefunden und im
feinen „Mohumenta Germaniae historiea” zuerft veröffentticht
bat. Diefes hiſtotiſche Document war allerdings geeignet auf die
altere Geſchichte Frankreichs manches Licht zu werfen. Daher laͤßt
es ſich denn erklären, daß die franzöftfchen Gelehrten des auf
unerwartete Weife erworbenen Schatzes ſich bald su bemädjti- |
gen fuchten. Die erfle ausführliche Kunde von ber wichtigen
Entdeckung verbreitete Guerard im „Journal des savan”.
Die BocidteE de Ihisteire de France, welche durch diefe in⸗
tereffante Rotiz aufmerffam geworden war, ‚glaubte dad Wert
Richer's in ihrer Sammlung nicht entbehren zu koͤnnen. Ste
übertrug deshafb die Herausgabe deffelben dem geachteten I.
Guadet, der feine Befähigung zu folchen Arbeiten bereits bin:
laͤnglich bekundet hat. genwaärtig erhalten wie den erſten
Band ſeiner zwechmaͤßigen Bearbeitung („Richer, histoire de
son temps, texte reproduit d'après lédition originale den-
nee par G. 1. Pertz, avec traduction frangaise, notice et
commentaire ;, par J. Guadet”). Der erfle Band, welcher
und bis jegt erft vorliegt, enthalt außer einer ausführlichen
Darftelung über das Leben Richer's und über die Zuftände
feiner Zeit die beiden erften Bücher feined Werks. In denfel:
ben werden die zwifhen den Jahren 883 und 954 liegenden
Ereigniffe behandelt. Der Überfegung, welche dem lateiniſchen
Zerte gegenüberftcht, find erläuternde Roten Eritiichen und
eregetifchen Inhalts beigegeben. Die Fortjegung wird und au:
Ber dem Schluß des eigentlichen Werkes noch mehre abgefon=.
derte Abhandlungen bringen, welche in Beziehung zu dem ab«
gehandelten Gegenſtande ftehen. So haben wir unter andern
Unterfuchungen über die geographiihen Verhältniſſe Frankreichs
im 10. Jahrhunderte genealogifhe Zabellen über die in
dem Richer'fchen Werke erwähnten. Familien u. dergl. zu er:
warten. a
—
Zur alten Geographie Frankreichs.
Es find zwar ſchon vielfache Verſuche gemacht, in Form
einer Karte die geographiſchen Verhaͤltniſſe des äftern Frank⸗
reiche anſchaulich darftellen; aber alle dieſe Beinühungen haben
noch Fein vollkommen befriedigende Reſultat herbeigeführt.
Immer noch bleiben einige Partien übrig, welche der Auflfä-
rung bedürfen und über weiche neue Forfchungen das ermünfchte
Licht verbreiten müflen. Einen wichtigen Beitrag zur Kunde
ıder geographifchen VBerhältniffe von Burgund erhalten wir in
einem Werke, in welchem — dem Titel nad zu ſchließen —
die Befprechung diefer Intereffen nur von untergeorbneter Be:
deutung zu fein ſcheint. Daffelbe enthält eine Sammlung $i-
ftorifcher Documente und führt den Titel „Ghartes bourguig-
nones inedites des neuriäme, dixieme et onzieme slöcies”“,
von 3. Garnier. In der Hiftorifchen Einleitung, welche dem
Ganzen vorangelchtett wird, fommt der Punkt, weldgen wir
bier angedeutet haben, auf eine ebenfo erfchöpfende al8 geiſt⸗
reiche Weife zur Sprache. Die Documente felbft, welche bier
mitgetgeift werden, 56 an ber Zabl, fint zum heil in der
öffentlichen Bibliothek von Dion in den Departementalarthapen
der Cote-d'or aufgefunden. - 17.
Verantwortlicher Heranbgeber: Heinrich Weokhans. — Drum und Verlag von B. X. Vrockhane in Leippig:
B [ atter
für
literarifhe Unterhaltung.
— —
Sonnabend,
(Beläluß aus Nr. 3.) ’
Die Geſchichte der böhmifchen Sculptur, worauf der
Berf. fodann kommt, ift biöher ungleich weniger beachtet
werden als die der Malerei und daher auch hier mage-
rer und fragmentarifcher ausgefallen ale jene. Rachdem
verfchiedene Zeugniffe für die Ausübung derfelben fchon
feit dem 10. Jahrhundert angeführt, -und fehr richtig
bemerft wird, dab die reiche Ausbente der Gold⸗ unb
Eitberbergmerfe in Böhmen viel zur Ausuͤbung der
Künfte und auch mithin der Scufptur beigetragen, gibt
der Werf. als allgemeinen Charakter der ihm bekannt
gevoordenen Dentmale der böhmifchen Sculptur Wahr⸗
deit und Innigkeit des Ausdrude, Fleiß und Tüchtigkeit
er Ausführung und im Gegenfag zu deutfchen Sculp-
turen einen leichten und natürlichen Faltenwurf an.
Ref. kennt zu wenige der betreffenden Dentmale, um
Diefes Urtheil prüfen zu Fönnen, bemerkt indeß, daß es
in Betreff des Vergleiche mit den deutfchen Sculpturen
nicht richtig gefaßt ift, wenn ihnen fo ganz im Allge-
"meinen ein fnitteriges und Heinliches Faltenweſen beige:
wird, indem dieſelben bis zum Anfang des 15.
Jahrhunderts keineswegs diefen Vorwurf verdienen. Bei
der Wichtigkeit der Muͤnzen für die Geſchichte der Sculp⸗
tur, weil ſie eine ununterbrochene Folge geben und die
Zeit der einzelnen in der Regel ganz ſicher iſt, be
fremdet es, daß fi der Verf. mit einem allgemeinen
Hinweis auf die vortrefflihe im Mufeum zu Prag be»
findlihe Münzfammlung begnügt. Ref., welcher diefelbe
lediglich in kunſthiſtoriſcher Beziehung durchgefehen, fand
fi überrafcht von manchen Typen des 12. Jahrhunderts,
welche nicht allein in dem heiligen Wenzel mit dem En-
gel in ganzer Figur, fondern auch in öfter lebhaft be-
wegten Gompofitionen von fünf bis ſechs Figuren ſehr
richtige und verfländlicde Motive zeigen, wiewol die Aus-
bildung natürlih roh if. Im 33. Jahrhundert tritt
mie den Brarteaten dagegen ein großer Verfall ein.
Der bildende Einfluß de6 Königs Johann in der erften
Hälfte des 14. Jahrhunderts ift auch bier auf eine auf-
fallende Weife wahrzunehmen. Die älteften unter ihm.
geſchlagenen ‚böhmifchen Dukaten beweifen, daß biefer
reiſeluftige Fürft das Mufler Hierzu aus Florenz mit
gebracht bat, denn man ſieht darauf in ganz ähnlicher
Weife wie auf dem alten: Golbfloren Johannes den Täu-
fer in ganzer Figur mit dem böhmifchen Löwen bauchen. '
Dagegen entfpreihen die unter Kaiſer Karl IV. geſchla⸗
genen Münzen keineswegs der Blüte, in weicher bie
bitdenden Künfte unter ihm ftanden. Daß died mehr
an dem bisweilen zufälligen Mangel. gefchidter Künſtler
fire Diefen befondern Zeig als an der Bildungsfiufe
der Geulptur in: Allgemeinen liegt, beweift die 1373
von Martin und Georg von Cluſſenbach gegöffene Rei
terflatue des heiligen Georg im Hofe des Faiferlichen
Schloffes zu Prag, deffen Erfindung in Betracht Dex ' |
Zeit die größte Bemunderung verbient und als eimpiges
Beifpiel eines Werks, wie Böhmen fie dereinſt ohne
Zweifel in großer Zahl befeffen, von außerordentlicher
Wichtigkeit if. (Wie vielfach Die Gießkunſt in Bronzs
in Böhmen in Anwendung gelommen, dafür zeugen
noch heute die bronzenen Zauffteine und Zaufbedien;
welche in vielen alten Kitchen vorhanden find.) Wenn
man bie unruhigen Zeiten in Böhmen im Laufe dee
15. Jahrhunderts bedenkt, darf es nicht Wunder neh⸗
men, baf bie öffentluhen Münzen aus denselben fein
ausgezeichnetes Kunftverdienft haben. Hiervon find in-
def verfchiedene mit dem Bildniß des Johann Huf, ale
dem Gegenftande der Begeiſterung eines großen Theils
ber Nation, ſowie mancher der großen böhmifchen Fami
lien 3. B. Lobkowitz, Waldftein, welche zum Theil, eine
fehr vorzüglicge Arbeit zeigen, auszunehm
vounderfchönen Medaitten mit den Bildniffen von Kaiſer
Ferdinand 1., feiner Gemahlin und feinem Sohne, Kais
fee Maximilian I1., welche fi in des Sammlung befin⸗
den, müßte, um. fie als Beifpiele böhmifcher Kunft ‚gel-
tend zu machen, erſt hewiefen werden, ob die Gtenrpei
bierzu von böhmifcyen Künftlern gejchnitten worben find;
denn bei der Stellung jener Fuͤrſten als deutſche Kaifer
Itegt es fehr nahe, daß fie fich zu diefen Arbeiten deut:
fer Künftler bedient haben, um fo mehr, da gerade in
diefer Zeit in Nürnberg und Augsburg in Bilbniffen
für Medaillen, nach der Anficht des Ref., die größte
Kunfthöhe des . gefammten Mittelalters -erreicht won
den iſt.
Für die Ausübung der Geulptur in Stein führe
ber Verf. die Arbeiten an den Uußenfeiten des Dome
en. Bei ben
- —
zu Prag, der Bardarakirche zu Pilſen an. Auch
die Holzſculptur iſt in Böhmen vielfältig ausgeübt und
zu großer Meiſterſchaft ausgebildet worden. Wichtige
Beiſpiele hierfür geben das auch nach der Anſicht des
—
Ref. großartige umb nit pygemeinem Wiſſen durchge⸗
| deiner rechtmäßigen Ehefrau mit deu Armen mnſchlun⸗
hiidete Erucife in der Teinkirche, eine Boweinung des
eichnams Chrifti ebenda, eine Maria mit dem Stinde
im Franciscanerkloſter zu Eger und fonflige Werke,
weiche der Verf. anführt. Daß endlih bie Sculptur
ale Begenftand der Goldſchmiedearbeit und der Effen-
beinfchnigerei in Böhmen vielfach und mit großem Er⸗
folg betrieben worden, beweifen die zahlreichen noch vor:
liqui ‚tie Neliefs und Cruciſixe, de⸗
ren namentlich der Domſchatz zu Prag eine reiche Folge
Bei den drei letzten Abſchnitten bes Buchs, welche
von dan Mitterweſen in Böhmen, von dem Kriegsweſen
der Dufliten und ‚vos dem Koflume in Bihmen bat
ben, muß Ref. ſich mit einer Amen Betrachtung bes
gaügen.
ME einem freudigen und gerechten patristifchen Ge⸗
ſüͤhl weilt ber Berf. nad, wie fich bie Kampfrüſtigkeit
der Böhmen fchon bei der Exoberung von Mailand durch
den Kaifer Friedrich Barbaroffa und in den Kreuzzügen
bewährt. Dbgleicd das eigentliche Ritter» und Turnier⸗
weien erſt um die Mitte des 13. Jahrhunderts aus
Deutſchland in Böhmen eingeführt wurde, fo ‚geht doch
aus einem Gedicht der „Königinhofer Handfcheift” hervor,
bag Affemtliche Iweifämpfe bafelbft ſchon ungleid, Früßer
ſtattgehabt Haben. Noch im Laufe defjelben Jahrhun⸗
derts wurde aber bas Ritterweſen mit großem Eifer be-
trieben und, wie der Verf. nachweift, ber in Deutjch-
band blühen Weile in alten einzelnen Thrilen nachge⸗
Diset. Darauf werden Jarestaw, Zawis von Noſen⸗
berg und Heinrich von Duba als befonders hervorragende |
Wittergeftaleen dieſer Zeit angeführt und. als Beifpiel
ritterlicher Pracht die Krönung Konigs Wenzel Il. 1297
beſchreben. Matürlich hebt der Verf. als die Geftatt,
werim das Ritterthum in Bahnen im 14. Jahrhundert
feinen Glanzpunbt wereichte, den König Johann hervar.
Zugleich gibt er son einigen böhmifgen Rittern Kunde,
weiche dieſem Könige rühmlich nacheiferten. Die böh-
miſchen Nitter des 15. Jahrhunderte ‘aber zeichnen fich
dadurch aus, bag ſie, ohne an ihrer Wehrhaftigkeit ein-
zubüßen, ſich die hohe geiftige Bildung, weiche damals
m ihrem Vakferlande herrſchte, angerignet hatten unb,
ſngeachtet der furchtbaren Kämpfe in der erſten Hälfte
jenes Jahrhunderts, auch äußerlich nicht verwilbert wa⸗
son, ſondern in der zweiten Hälfte feine Sitte und große
Biestichleit in Wehr und Tracht zeigten. Lieber als hei
ven wüften Tchbewefen, welches nach einigen vom Merf.
gegebenen Beiſpielen dem der Deutſchen an ‚blinder Zer⸗
ſtärungswuth nächte nachgab, und als bei den willfurfichen,
er heutiges Gefühl enspörenden Gerichtskaͤmpfen, ver:
weilt Ref. noch einen Augenblid bei der freien. und
getheten Stellung, in welcher fi) die Frauen in Böh⸗
men obefanden. Die Achtung, welche eine Frau bias
— ——
lichem Comfort ſich befinden.
—
|
als folche genof, war ſo groß, daß ein Abdeliger, wenn
er fih mit einer Bürgerlichen oder Bäuerin vermählte,
dadurch nicht an feiner Standesehre Schaden litt, indem
fie buch eine ſolche Berbindung ale geadelt angefehen
Wurde. Wenn aber ein zum Zode Verurtbälter vom
gen oder mit ihrem Gewande bededt vorgefünden wurde,
fo durfte nicht Hand an ihn gelegt werben. Die hei—
lige Ludmilla, Elifabeth, die Gemahlin des Könige Jo⸗
hann und einige andere werben als hervorragende Bei-
ſpiele gefchildert, wie fehr fih die Frauen jener geehrten
Stellung würdig erwiefen. |
Bei dem Kris em ber Hufſiten gibt der Verf.
nach gleichzeitigen Quellen fehr genaue Grörterungen
von der Weiſe, mie die Wagenburg, welde die Huſſiten
gegen die Deutſchen wit fo furchtbarem Erfelg gebrauch-
ten, gebildet und dem jedesmaligen Umftänden gemäß im
Kriege benugt wurde. Der legte Abfıhnitt über das
Coſtume der Böhmen, welches verfhiedentlih einen ſehr
entfchiebenen Einfluß ven den benachbarten Dentfchen
erfahren hat, enthält eine Weihe von ſehr lehrreichen
Bemerkungen, welche vorzugsweife, wie ſchon in dem treff-
lichen Werke des Prof. v. Hefner, durch die Miniaturen
im Handſchriften, als dem ergiebigfien und ficherfien Lei⸗
ter., begründet worden find, bie aber in dem Bude
ſelbſt im Zufammenbaug gelefen werden müffen.
BB. 8: Wagen. .
Die Abenteuer eines Auswanderers. Erzählungen aus
den Golonien von Wandiemensland. Bon Charles
Rowcroft. Aus dem Englifhen von Friedrich
Gerſtäcker. Drei Bände. Leipzig, D. Wigand. 1945,
8. 2 Thlr. 20 Nor.
Ein gutes Buch, wer nicht mehr davon verlangt als bie
neue Welt wie fie war und im Werden ift kennen zu lernen.
Ber an Übervölterungs> und Berhimgerungsmelanihelie Leider,
der mag Troſt daraus fchöpfen, wenn er Ben:compacten, wi
Ktumpen, Bandiemendland genannt, auf der Karte betrachtet
und ihn mit den popularifirten und civiliſirten Laͤndetn verglei-
hend ausmißt, und dann berechnet, wie viel Bungerleidende
bier Nahrung, wie viel Arbeitdlofe da Befthaftigung finden
mögen; wenn er aus dieſem Buche fesner erfieht, Daß der Bes
den zumeaft gut, bie Beiden fett find, daß es an Waſſer, Heiz
und Steinen. nicht fehlt, daß unſer Rindrich gut aufgenom
men ift und gedeiht, unfere Schafe aber wahrhaft wucherifch
profperiren, daß es an Wild die ſchmackhaften Kaͤnguruhs gibt,
weiche die Hafen, Hirfche, Rebe, Auerochfen, Bären, kurz Al⸗
led in Allem, was anberwärts Die Wälder belebt, erfegen ‚miäf-
fen. Troſt mag er fegüpfen, wenn er erfährt, wie aus Deu
Rafenhüsten allmälig Blockhaͤuſer, aus den Blockhaͤuſern flei-
nerne Gebäude werden, wie Straßen dur die unwegſamen
Wildniffe fich fhlängeln, wie die Städte aufblühen, der Han-
dei fich belebt, Grund und Boden in ungeheuern Progreffionen
an Werth; fleigt, und die Unfiedler, fintt zu hungern and auf
die Früchte ‚ihrer Jagdflinte angemiefen -zu fein, ſetzt in ziem⸗
uch die übrigen Schredien ner.
ſchwinden allmälig, die wilden Eingeborenen find decimirt und
auf gutem Wrge ganz Ausgerottet zu werden, die noch wil⸗
dern Bafbranger, entlaufene Sträftinge, die fh zu Räuber:
banden conftitumt haben, werben mehr und ‚mehr in .die @
getrieben und endlich ganz mubgerattet fein, und wenn Curopa
u ZU nl 3 en Wu
zugeworfen.
m wöre, ‚bie aus Zeit na immer nad dieſen Golem
tranäpestiet werden, fo hätte es ben Anſchein, als Panne in
Dex neuen Welt ein das golden Zeitalter der buͤxgerlichen
Sicherheit und des behaglichen Frieden eintreten.
Das ber Ivo, den wir aus dem Buche fchöpfen mögen,
aber nit. Kine größere Durftigkeit an Lebensfroff möchte
. man.-anderwärtd fihwerlich fuchen. Wie ungerecht erſcheinen
und ba unſere aͤſthetiſchen Klagen von ehemals üher Amerikas
Wemuth an GBefchichte und echebenden Giamenken.
mit feinen Arwäldern, feinen blauen Bergen, feinen veichen
wed tiefen Strömen, feinen Rataralten und Ezminen, feinen
wewig fſinnenden reifen Menſchen, bie ihsen "Untergang vor
wugmn fehen, den Ppramiden und Gräbern und Minen Der
fergegangenen Geſchlechtet, mit feinen Aligataren, Büffele,
Hirfhen und den zahliofen bumten Bogelheezen: welch eine
Yorke der Vergangenbeit, geſchweige der Bulunft, Die fi
in fo umsnberbarem Procefſe damit verfaüpft, bietet diefer
Belttheil, nur in. feinem Norden angefchen, gegen: Dieb a
lich arme Land em Bübpel, krog feiner blauen warmen Luft,
feiner tropiſchen Natur. Scheint es doch wirklich erft eine
pätgeburt der Weltichöpfung, wo nichts de I ats Land und
Walker mit fegonen Baͤmnen, eine oarte blamche, auf die Der
oft Charaktere singeaben fo. Mur nicht die Men-
fchen, welche dort gefunden werden, benn fo jummesvoll Duck
tig als dieſe ſchwarzen Kannibalen ift doch kaum ein Bölker:
fanım von Weitumieglern und Sutdeckern irgendwo gefunden
werben. Nackte, ſtumpfr, gefrüßige ſchwarze GSeſchoͤpfe, Die,
aines verhaͤltnißmuͤßig langen Berkehrs mit den Europären un>
‚ed noch nicht einmal dahin gebracht haben, ſich etwas
ven ihnen anzueignen, nicht einmal Die Lumpen ihver Klei⸗
bang, geſchweige benn den Gebrauch des Schiehgewehrs, wel
Ges doch immer das Erſte ift, was Barbaren von «ivilifirten
Botfern annchmen. Rur der Allerweltsbezwinger, der Brannt
wein, bat auch dieſes Geſchlecht erobert. Ihre edlen Bettern,
die Meufeeländer, verfigmähten bis jetzt Das Feuerwaſſer. Elek
hafter fann sum eine Schiberung fein als die eines der
„Fraße“ diefer verkümmerten Seſchöpfe, weiche der Verf. mit
tbeilt. Das Dpoſſum, ein fo widerwärtiges Thier, daß felbft
verkungernde Sträftinge, die aus ihrer Haft entwichen, kaum
ſich überwinden, dieſe Beutelrage zu verzehren, das Dpofium
ft ihre Hauptnahrung. Mit Haut. und Huaren in die Kohlen
geworfen und angemacht mit Baumbarz, wind es von ihren
Zähnen zerriſſen, ausgefroffen und was uͤbrig bleibt den Frauen
Selbſt die Karaibenkuchen mit ihren .röftenden
und ‚zerlegten Menfchenbraten erſcheinen geruiffermaßen appesit-
lich gegen die Schiiderung der unſchuldigen Mahlzeit, wie fie
unfer Autos entwirft. Bom Gebrauch des Metalls Feine Spur,
ſelbſt der Stein ift von ihrer —— — unberäprt, ihre
Weiten, Lanzen, ſind —— . Mo das forthauern
kann nach zwanzig⸗, breißig : dis funfsigfährigem Umgang mit
ihren weißen Feinden, fpricht eine ungbermindliche Geiftes-
armuth aus. Der Philanthrep kann nicht bedauern, Daß foldhe
Uüboriginer ausgetilgt werben.
Der Berf. des Buches fteht in geiftiger Beziehung wait
feinem Shema au niveau, koͤnnte man fügen. Mo michts iſt,
trägt er nichts him, aber was er findet ſchidert und beban-
delt er wie er eben kann, und das iſt das Bee. Ein Dich:
ver iſt er nicht, auch nicht was war. nennt ein yeiftreicher
SDchrift ſteller, und Erfindungskraft wohnt ihm am wenigſten
‚bei. em darum glauben wir am bie Wufrichtigfeit feiner
Schuderungen. Er macht zuweilen Anſtrengungen, ſich über
ſich ſelbſt und ſein Thema zu erheben, aber die Reflexion ge⸗
tingt ihm ſo wenig alt des Humor und Mig. Er will inter:
hant fein, er Wil einen Anfiedlerroman freiben, und man
ſtaht, daß er viel Anſiedlerromane geleſen hat, und in Die weite
Borm giebt er Sen magern.@teom feiner ‚eigenen Srlebniſſe,
feiner eigenen ‚Wahrnehmungen. Da muß denn breit geſchla⸗
gen, gebehnt, Schaum gemacht werben wo der Fluß nicht
%
eA⸗reicht. Jeher deſer zu ı BR: Page. Men apa nicht ent⸗
gehen, daß ch Be —— — N ge
— —— ——
ox vorqgtt muy can Kinderverſchlep t
hineinbringt, xm doſh auch ein Pomgninsereile zu engengam,
wizd er fogar unausſprachlich albern, und Doc, mesfmink
genug, ſchadet alıs Bas bem wahren Anterefie des Fer
nichts. Die Wahrheit blit hindurch und der ernige Reiz ME
Aufgabe, mie der Menſch Die Rote bewältigt, wi ar Day
wird Uber alle monatiſchen und ꝓbyſiſchen Bindermifie, bie ſich
ibm in den Weg fielen, übt auch in diefim auſtegiiſchen Mor
| man feine unwiderftehliche Anziehungskraft. Ref. gafteht, daß,
| drei Winde dur
als sr den Gharakter bes Buches crkannt, ex eigenili nur
darin blättern wollte, denn was ned vorkommen konnte, duwfte
er fich ſelbſt ſagen; aber er hat nicht geblättert, ſondern (die
Wir mögen es gern glnuben, da
ber Derf. ein altexnder Eplomift üt, wie gr verfichert, der *
fünfundzwanzigiahriger Arbeit, die gediehen iſt, feinen Kindeug
Pflug und Spaten übergeben bat, um ſtatt deren die Feder
in die Hand zu nehmen und feine Erfahrungen und Eriebnifis
aufzunotiren; zugleich glauben wir aber, daß er fie nicht zum
Druck gegeben, wie fie mit auſtraliſcher Tinte geſchrieben find,
fondern daß irgend‘ eine Londoner Feder das Umfchreibeamt
übernommen bat. . 1
Bibliographie,
eindl, 8. &., Pübegogifche Ährenteſe, oder: Wichtiges
unb Bere aus näbagogifdhen Gepriften akter und neuer Zeit.
Iftes Heft. Augsburg, M. Nieger. Br. 8. 3%, Nor.
Ideler, C. W., Die allgemeine Diaͤtetik für Gebildete.
Du fhehii bearbeitet. Halle, Schwetfchle u. Sohn. Br. 8.
r.
Kortum, F., Grundsiß der neueſten, politiſch⸗militairi⸗
ſchen Geſchichte Europas. Vom Ausbruch der ——
Revolution bis zum zweiten Sturz der ſpaniſchen Cortes
(1789 — 1823.) Heidelberg, Mohr. 1845. Gr.N. 74, Ber.
Setteris, M., Erbaulice Detrahtungen, hebraͤifche Bar
gen und Dichtungen. Prag. 1845. 8. 5 Rar. " Ä
Moartenfen, &., Srundriß Des Sofſtems der Moralphi-
Icfophie. Aus dem Danifchen. Kiel, Bünfew. 1845. 8. 15 Nee.
Montholon, Beihichte der Gefangenſchaft Napoleons
auf Bt. Helena. Aus dem Branzöfifhen. Iſter Band, Ifte Lie
ferung. Leipzig, Brockhaus und Avenarius. 9. 3”, Mar.
— — te der enſchaft auf Gt. Helena. Ss
Deutſche Übertragen und mit hen Anmerkungen beylei-
tet von A. Kühn. iſtes Heft. Leipzig, Steinader. Gr. 8.
TYy, Nor. ißhe Eryäß Ver
‚ Dumoriftif jählungen und Skizzen. Bras⸗
lau, Trewendt. 23% Wer. Be
Pyrker, 3. 2., Zieder der Schnfucht nach den Alpen.
Neue vermehrte Ausgabe. Stuttgart, Cotta. Gr. 8. 1. A
Reden, ;Freih. v., Denkschrift über die österreichi-
sche Gewerbeausstelluug in Wien 1845, deren Verhältnisse
zur Industrie des deütschen Zolivereins und die gegensei-
tigen Handelsbeziehungen. Berlia, Schroeder. Gr.3. MNgr.
Rosa..i., Die Demen von Attika und ihre „ertiekung
unter die Phylen. Nach Inschriften. Herausgegeben
wit Anmerkungen begleitet von 3. H. E. Meier. Malle,
Schwetschke und Sohn. Gr. 4. 2 Thir. E
Schmig, J., ChHriftliche Gedichte. Ifted Banden. Meurs,
Dole. Br. 12. 0 Mer.
Schneider, 'J., Der Elitenberg Montferland : und bei
erich. :Bin Beitrag zur Geschichte. des römischen Be-
festigungswesens auf der rechten Rheinseite. Kummmerich,
Romen. 1845. Gr. 8. .12Y. Near.
Soulié, F., Es war Bett, oder: Auch das Woſe Hat
fein Butss. Aus dem Franzöſtſchen. 2 heile. Rordhauſen,
Furſt. 8. 1 Se.
‚ehe deutfchen Ordens, erfolg drich 3.,
dnigs bon Preußen, verſuchte Ruͤckkehr zur katholiſchen Kirche.
Rebſt einem geſchichtlichen Anhange über Die Wiedervereinigung
mehrerer Dlitglieder der regierenden und fürftlichen Häufer vn
Hannover, Heffen: Darmſtadt, Holftein und Würtemberg, d
reichſsgraͤflichen Familien von Bentheim, Effing, Hohenlohe u. a. m
mit der katholiſchen Kirche im 17. Jahrhundert. wach am mit
Driginalsitrfunden. Uugsburg, Kollmann. Gr. 8. 15 Ror.
Ufträlom, R., Anleitung zur erften Eienung der ruf
ſiſchen Geſchichte. —5 — von P. Kuhlberg. ?te Auflage.
Mitau, Lucas. 8. 14, Nor.
' Shüringtfier Bolfskalender auf das Jahr 1846. Heraus:
en von E. Rümpler. Arnſtadt, Meinhardt. Gr. 8.
Bihotte, $., Bruteno und Waidewut. Ein biftorifie:
römantifches Gemälde aus Preußens Borzeit. %. u.
Wanderungen durch Littauen und Samland. —
Sagen und Denkmaͤler, hiſtoriſch geordnet und erlaͤutert von
F. Siäoffe. Reipzig, Briefe. 1845. 8. 1 Zr. IV Nor.
—— —e— — zu pen und Were,
Zagcesliteratur.
Bericht über die legten Lebenstage und Stunden Dr. M.
Zutber's und feinen am 18. Februar 1546 erfolgten Tod, von
einigen namhaften Augenzeugen. Getreu nach dem Originale,
Leipzig, Dönide und Sohn. 1 Er. 8. 3 Nor.
Blätter der Erinnerung an die letzten Lebenſstage des am
I8. Februar 1546 au Eisleben Teig entfchlafenen Dr. M. Bur
tber. Sifenberg, Schöne. 12. 17, Rear.
Boden, A
Uzismus. Ein Wort vom Standpunkte des gefunden Men:
fpenverftandes an Gelehrte und Ungelehrte. Kebft einem Aw
hange über die etrepiiep-renolutiondrg Rihtung der, esongelifigen
. er .
Kirhenzeitung. Frankfurt a. M., Öpler.
Deutſchland und Rom. —S zur Verſtaͤndniß der
kirchlichen Bewegung in der Gegenwart. Bon einem Manne
aus dem Bolfe für des Voltes Kern. Ifte Gabe. Rudolſtadt,
Froebel. Gr. 8.
Der —— bei der Berliner Genoſſenſchaft für
Reform im Judenthum und die daſelbſt gehaltenen Predigten
von dem Rabbiner Dr. Philippſon in Magdebur p Beurtheilt
von einem der Mitglieder. Altona, Heilbutt 75 Ror.
Für chriftlarholifhes Leben. Materialien zur Geſchichte
Ber chriſtkatholiſchen Kirche, heraudgegeben von Behnſch. Ifter
Band, Iftes Heft. 2te Auflage. Breslau, Schulʒ und Comp.
1845, re. 8. 5 Nor.
Georgi, 2. ., Worte des Friedens. Beleuchtung und Wuͤr⸗
digung des Standpunktes der „Lichtfreunde”, gegenüber dem
bet Dibelgläubigen, nach Anleitung des Wortes: „ob Schrift?
ob Geiſt?“ und u der Entwidelung des Geiſtes. Meurb,
Dolle. 184. Gr. 8 10 Rgr
Gerber, 3. 9., Wider den heiligen Rod in der prote⸗
ftantifchen Kirche Schleswig: Holfteind. Ein Dont, ſtreittheolo⸗
giſche Auffüge. — —8 1845. Gr. 8. 6, Nor.
Geſell, C., Sendſchreiben ans Bolk, beantwer.
—* aus dem Fe fürs Bolt. Magdeburg, Faldenberg u. Gomp.
rs . ( gt
Dffenes Glaubenßbekenntniß ber chriſtlich ⸗ apoſtoliſch · katho·
ade 8 Gemeinde zu Schneidemüpl. Ciberfeld, Bäpdeler. 18145.
8 1 Rear.
Der Gottesdienſt in der chriftfatholifchen Gemeinde ıu
Meurb, abgehalten den 5. Dct. 1845 durch die Herren R. Hockel⸗
mann und Koenen, nebft dem Blaubenäbekenntnip der Gemeinde
zu Meurs. Meurs, Dolle. 12. 2, Rer.
Greßler, 8. @. 2., Atronomie und Chriſtenthum. Eine
Antwort auf die von Wislicenus aufgemorfenen Fragen: I) Slaubt
ihr an bie au Gibeon ſtillſtehende Sonne? 2) Glaubt ihr.an
den vor den Weiſen des Morgeniandes hergehenden und end⸗
Berantwortlicher Herausgeber:
‚ Eine Stimme mehr * den Deutſch⸗Katho⸗
—S des Tbüringife en Leh —— Bar 1 ar
ge der Glaubensleh 9 des tiere und der
&
getefung De guptatheifgen Kirche. Breslau, Sulz und:
—XW 9 A., Rede bei ber Bülular: Geburts: deier
5 H. a am 12. Januar 1846. Altona, Slätır.
ar
—— ea
fi Kir einland d ien. ,
gerif ge x 3 un — —e
Heinrich, S 88 wir uns bei einer neuen Glaw
bensrichtung zu verhalten haben? Yrebigt aber Matth. 11, 2-10.
Breslau, S A 1845. Gr. 8. 2% Rar.
WB, Predigt zur Empfehlung der gr des Su:
ſtav⸗ Molphe-Bereine. goenıfedt, GH. UN
Hofferidter, J., Unfer Bekenntniß am —ã
Predigt über Pfalm 12 6,1. Breslau, Trewendt. 8
— — De Kinhenbann. Predigt über Luc. 6, 37. Sn
lau, Trewendt. 2 Nar.
— — ———— für die allgemeine chriſtliche Kirche
Predigt über 4. Mof. 6, Bredlau, Trewendt. 5. 2 Rgr.
— — Bomit —8* wir und ruͤſten gegen unſere Feinde?
predigt über gb: IM ee enger —— 8 Wer.
ung, U , Über die Freiſinnigkeit inner des Geſetes
Kiel, Bünſow. 1845. Gr. 8. Ngr.
Krumhaar, &., Dr. M. —* an ſeinem Lebensabend
und in ſeiner Sterbeſtunde. Rach Autographa und andern
Quellen gearbeitet. Halle, Lippert und Schmidt. 42. 8 Rgr.
Krüfi, H., Poetifhe Gabe auf den I00. Geburtsteg
ar Bürich, Dreh, Füßli und Somp. 9. 4 Xgr.
, Dr. Steiger’d Leben, Berurtheilung und Flucht
aus um Sefängnife zu Luzern. Berlin, Wolff.
fa Rot.
Riungie der. chriſtkatholiſchen Gemeinden in Schleſien. Bres⸗
lau, Schulz und Comp. 189. 8. 2 NR
Mann, K. Die Zahresfefte bev heiftligen and menſchen⸗
freundlichen Sefeßfchaften in London im Mai vieſes Jahres.
Nach englifhen —— herausgegeben. Karlsruhe, Macklot.
1845. Gr. 8
Mendelsfohn, . B., Die ftändifche Zuſtitution im
monarchiſchen Staate. Bonn, Marcus. Br. 8. 0 Rer.
Raub, 8, Chriſtus der Weinſtock, wir Die —8* Joh.
15, 5. Predigt über die Perſon und Würde Chriſti im Ver⸗
ältniffe zu.Sott und zur Menfchheit, über die. Dreieinigkeifä-
i843. 8.
i
lehre und Die —5 — des wahren Glaubens. Leipzig,
Woͤller. Gr. 8. 2.N
— — Ein Herr, En Glaube, Eine Baufe, Ein Sott und
Bater unfer ale Pet über Ephef. 4 ‚3-15, Leipzig,
Wöller. Er. 8. 2% Nor.
Urſprung und Schicfale ber ehemaligen berühmten Mall:
fahrt auf der Waldraſt in Tirol. Innsbrud, 1845. 12. 5 Ner.
Zwei Vorträge, gehalten am 6. Auguſt in einer Berfanum
kung proteftantifcher Freunde in Halle von C. Schwarz und
2..Hildenhagen. Witenburg, Helbig. 1845. Gr. 8. 6Ngt.
Ein Wort zur Berftäntigung über bie K. Sächſ. Schul-
iebzerfeminarien, von Q. A. 8. 6 ' @ifterberg, Diegel.
Gr. 8. 3 Rgr.
Vier Zeitpredigten von D. Dietrih, 3. € %
Schmeidler, K. W. U Kaufe, H. Rhode. (Bo
Ebriftus nicht? — Bon dem Gräuel der Berwüftung an hei-
ee Stätte. — Die Argliſt. — Zeſu Prophezeihung vom Schick⸗
der — und —E Breslau, Leuckart. in.
Heinrich Brodyens. — er und von 9. MÆ. Drockhane in ——
⁊*
⸗
— — ·— — —
⸗
‚fein, der ihm zutraut, daß er auch
| Blätter
für
Titerarifde Unterhaltung.
Sonntag,
239. März 1846.
Beobadtungen und hantafien über Menſchen, Na⸗
tur und Kunſt auf einer Reiſe ins mirtägige Frank⸗
reich Bon Johann Gottlob von Duandt.
Leipzig, Hirfchfeld. 1846. Gr. 8. 1Thlr. 24 Ngr.
Über Reifen kein Vergnügen,
. Wenn Gefundheit mit uns get.
Werth aber und Gehalt biefed Vergnügens, wie un⸗
endlich verfihieden find fie! Natürlich prägt dieſe Ver⸗
ſchiedenheit fih aud in den Befchreibungen der Reifen
aus. Allerdings fliehen auf ihrer unterflen Stufe Die
„gedruckten Lohnbebienten, welche über Hötels und Kaf-
‚feehäufer Auskunft geben und dem Fremden die chroni-
que scandaleuse des Auslandes erzählen”. Und doch
ift einer und der andere diefer Lohnbedienten noch ein
ganz reſpectabler Burfche, ftellt man ihn in Vergleich
zu towriftifchen Herrſchaften, von deren Reifebefchreibun-
gen die Salonmelt ſich entzücken läßt, ober erinnert man
fi eines Reiſenden, ben man von Zeit zu Zeit abfah-
ren and heimkehren ſieht, das Trachten immer nur dar⸗
auf gerichtet, wie er durch alle erfinnliche Mittel, wohl-
nachweisliche Aufſchneidereien gar nicht ausgefchloffen,
fh in des Publicums Meinung fo binauffchrauben
könne als vernimftigerweife Niemand in ber eigenen
Meinung ſtehen ann. Scheint bei einer Schrift
Quandt's dieſe Ereiferung nichts weniger als am Plage,
fo dient zur Entſchuldigung, dag unfer Reifender bie
Beranlaffung dazu einigermaßen felbft gegeben, inbem
er bie ede mit der Erklärung anhebt, feine Reife
befhreibung ſei kein Lohnbedienter ber eben bemerkten
Art, und fobann meiter ausfpricht, er könne mit Helve:
tius fagen: „Toujours de bonne foi avec moi-meme,
je n’ai rien dit que je n’aie cru vrai, et rien ecrit
jue je n'aie pense.” Und bas ift wirflih der Fall.
Das Buch ift de bonne foi gefchrieden, durch und durch
de bonne foiz Bürge bafür kann Ref. einem Jeden
zwiſchen den Zeilen
zu fefen hinlaͤnglich geübt iſt, um in Berreff der Redlichkeit
eines Berfaffers ne von einem 399 Seiten Tangen Buche
nicht hinter das Licht führen zu laſſen. Der Rediich-
keit Quandt's iſt ber Lohr und Gegen auf dem Fuße
nachgefolgt; denn eben darum, weil er fich ſchlicht und
ehrfich gegeben mie er ift, blieb von Seite zur Seite ihm
fern, was den böfen Dämon ber Langweile berbei- !
' gen fehe zuedtmmißig angewendet. Le Xe
ſchwoͤrt oder, fehlimmer noch, fatt erfreulich und anre⸗
gend zu erhalten, nur zu Verdruß über widerwärtige
Affertation flimmt. Möge es Ref. gelingen, das Ver⸗
gnügen, womit er das Buch befpricht, dem Leſer vorlie-
gender Anzeige mitzutheilen.
Zunähft haben des Reifenden Freunde fih Glück zu
wünfchen, daß nicht fchon vor dem Erfcheinen das Bud
aus der Reihe der Möglichkeiten getilge worden tft. Dem
lieſt man, wie bei Kehl die Rücreife durch die Nhein- '
überſchwemmung genommen ward und als nirgend
mehr Land zu ſehen war, ben ringsumfluteten Poſtillon
Schwindel ergreift, fo überzeugt man fich, daß bier mehr
als ein unfreiwilliges Bad zu befürchten fland; ebenſo
auf der Rhonefahrt nad Valence, wo ber Keffel des
Dampfboots fpringt, und fodann auf ber Fahrt von
Valence nah Avignon; eine Stelle die uͤberdem geeignet
if, um nad DVorfihrift des Horaz ben Leſer gleich im
medias res zu verfegen. "
Er — ein alter Zranzofe, mit dem fi auf dem Verdecke
Quandt in ein Geſpraͤch eingelaflen hatte — verfiderte mir,
daß er mein Vaterland fehr liebe, und hielt mich für einen
Belgier, wofür id in Frankteich oft angefehen wurde. Als
ich ihm fagte: „Non Monsieur — je suls de Dreede“ — fo
vermedhfelte ev Dresden mit Zrieft und ließ ſich nicht ausreden,
daß Beides einerlei fei und nur ton den Branzofen richtiger
Triest und nit Dresde ausgefprodgen werbe. Ich fuchte mid
von dem Schwaͤtzer zu entfernen und fegte meinen Stuhl an
einen Ort, wo & eine freie Ausfiht gewann. Hier genof ich
ein überaus abwechſelndes malerifched Schaufpiel. Rad Welten
erhoben ſich Gebirge über Gebirge, die nähern mit Dliven und
Bein bedeckt, die fernern fteil und öde. Jede Wendung der
Rhone zeigte ein neues Bild und führte mit reißender Schnel⸗
Iigfeit daran vorüber. Der Strom wurbe vor Menfchengeden:
Een durch ungehenre Raturertignifie aus feinem Laufe verbrangt
und flüchtet fich nun ducch tiefe Schluchten, wo die hohen
jen Denkmale des Kampfes der Elemente find, welche bie Kalk⸗
ebirge fprengten und glühende Lava und Bafaltfäulen wie
—**— Springbrunnen hervortrieben, die zu ſeltſam geſtalteten
Kegeln eritarıten. Alles bat hier ein wildes Anſehen, ſowol die
verwitterten #elfen als bie grauen verfallenen Städte. Am
wunderlichften fieht hier der Fleine Ort Rochemaure mit den Rui⸗
nen ber ungeheuern Burg aus. Die Bauart der Häufer koͤnnte
zu einem eigenen Stil Veranlaffung geben, denn man hat die Ba-
faltfäulen, ohne ihre Naturform zu ändern, zu Thür» und Fen⸗
ſtergewaͤnden, die Lavaplatten gu Freitreppen und zu Berb: ‚
Zeit, Bidiers und Bourg
int: Andeol mit einer uralten Kirche ſehen mehr wie Grab:
en
male als Wohnungen für Kebende aus. Der Strom riß uns
42380
an dieſen ſchauerlichen aber erhabenen Bildern voruͤber und iſt
hier ſehr gefahrvoll zu befahren, weil unter ſeinen brauſenden
Wogen heimtuͤckiſche Klippen verborgen liegen. Es wurde ba:
ber ein Lootſe herbeigeholt, der das Fahrwaſſer kennen ſollte
und vier ſtarke Steuermänner an das Steuerruder geſtellt.
Der Lootſe gab das Warnungdzeichen erſt als wir uns ſchon
i Ber fake befanden und die Steuermänner wußten das
in
Schiff nicht anders zu retien als daß fie ihm eine fo gewaltige.
Wendung gaben, daß es eine Kreifelbewegung machte und in
einem zweimaligen Wirbel von dem Strom mit größter Hef:
tigkeit gegen das Ufer gefchleubert wurde, wo es ein angelan:
deted Fleineres Schiff zermalmte. Wer auf den Beinen fland
fiel, Alles fchrie, die Matrofen zankten fi mit dem Lootfen.
Der Befiger des zertrümmerten Schiffes fluchte. Der Schred
batte Alles in die größte Verwirrung gebradt. Als man wie:
der beruhigt und das Schiff in vollem Kaufe war, gewährte es
mir eine große Unterhaltung, wie fi Jeder in feiner Weile
über das Ereigniß äußerte. . Ein alter munterer Branzofe fragte
den Gapitain, vb die Gefahr wirklich vecht fehr groß? „Ah
parbleu! Nous dtions pres de périr“, anttvortete Der Capi⸗
tain, worauf jenex ausrief: „Ah! je me rejonis beaucoap de
m’etre trouve dans un grand danger.” (Ein Underer machte
dem Capitain Vorwürfe, daß er für Eeinen zuverläffigen Loot⸗
fen geforgt und 200 Menfchen der Gefahr ausgefegt hatte, das
Leben zu verlieren, worauf der Ebpitain erwiderte: „Ah! ce
‚ gest rien — mais — pensez done — les marchandises qui
sont au bord!“ Wir vergaßen über das beftandene Ereigniß
die Gefahr, welche und noch bei dem Pont Saint-Esprit drohte.
Diefe Stelle ward von jeher für fehr gefährlich gehalten und
ift es jegt mehr als fonft, weil eine große Bafferflut vor meh:
ren Zahren einige Bogen der Brüde in den Stom geſtürzt
bat. Wir fuhren pfeilſchnell aber glüdlid an den Irummern
vorüber. Die Deohenden Gebirge ziehen ſich zurüd, der Strom
theilt ſich in zwei maͤchtige Arme, welche die große Inſel de la
Barthelaſſe einſchließen. Einen ſehr freundlichen Anblick ge:
währt die Meine Inſel Ile Pio durch ihr Gebufch, über das
ich eine mächtige alte Pinic erhebt, als Wahrzeichen, daß wir
uns im Süden von Europa befinden. Man ift bier Avignon.
anz nahe, deſſen altes päpftlihes Schloß wie ein ſchroffer
Helfen die bethurmten und gezahnten Mauern hoch überragt.
Nachdem wir uns überzeugt, allen Fährlicgkeiten zum
Trotz fei der Reifende wohlbehalten vor Avignon ange:
tommen, läßt fi mit um fo größerer Gemüthsberuhi⸗
gung bei den Bemerkungen verweilen, wozu der Weg
bis Avignon ihm Anlaß gegeben; jedoch um ihn fo cher
dort wieder einzuholen heben wir aus der erften Partie
des Buchs nur ein paar Momente aus. Bei einer: Reife
nad) Frankreich und da von dem Rufe nah Mündlid-
keit und Öffentlichkeit jegt Alles widerhallt, konnte es
nicht fehlen, daß der Reifende fowie er nach Stras-
burg kam einer gerichtlichen Verhandlung beizumohnen
wünfchte. Der Lohnbediente, den er um das Wo und Wann
befragte, entgegnete: „Won übermorgen an beginnen zwei
Monate Gerichtöferien. Beute, hat mir der Gerichtsdie⸗
ner gefagt, würden nur Kleinigkeiten, Diebftähle u. dgl.
entfchieden. Die Leite haben nichts, alfo muß das Ge:
richt den Advacaten bezahlen, wenn fie einen Bertheibdi-
ger begehren; oft aber verlangen fie auch Beinen. Sie
werden alfo auch fein Wunder der Beredtſamkeit hören
und ſich nicht amufiven. Überhaupt hat es dieſes Jahr
an beachtenswerthen Verbrechen gefehlt, welche die Auf-
merkſamkeit der Reifenden . verdienten.” Deffenungead-
tet ließ fih Quandt nit abhalten nah dem Sitzungs⸗
faale zu gehen, wo in Anweſenheit von höchftens 40
Perfonen, zwei Bauern in. männlidem Alter, von
Knaben und jungen Leuten nit über 20 Jahre unb
noch einem NReifenden, ein alter Mann und vier Wei-
ber, ſaͤmmtlich aus der niedern Bolksclaffe, zu Gefaͤng⸗
niß verurtheilt wweden. Dies der Bericht, womit
Duandt feine Anfihten von öffentlicher Gerichtspflege
einleitet. Sie nehmen «inen fo wenig erhabenen: An-
lauf, daß wir und weniger als es außerdem der Kal
fein würde überrafcht fühlen, wenn Quandt die Pa-
radorienfucht bie zu der Ercentricität treibt, gegen Offent⸗
lichkeit der Criminalgerichtöpflege zu flimmen. Bei den
Sründen, womit "Quandt fein Votum motivirt, um-
ftändlicher zu verweilen, fcheint der Mühe wert um
deswillen, weil in größern Kreifen für ein abfolut wah⸗
res das Urtheil gilt, Anfihten von Rechtspflege un -
von Allem was rechtliche Entſcheidung betrifft wären um
- fo zuverläjfiger, je weniger fie von Jurisprudenz influen-
eirt reined Ergebnif des bon sens wären. Da ed nun
ein handgreiflicher Unfinn wäre, wenn Jemand behaup-
tete, um die logifcge und grammatifche Nichtigkeit einer
Schrift zu beurtheilen, fei- vor allen Dingen Igneranz
in Logik und Grammatik nöthig, damit der bon sens
allein, und darum beffer als Logik und Gramı-
matik, die Beurtheilung vollbringe, fo fcheint aud der
befiere Gredit, den man dem bon sens im Verhaͤltniß
zur Jurisprudenz gibt, eine Widerſinnigkeit. Indeß da-
mit fönnte es doch mehr auf ſich haben als die Juriften
zugeben wollen. Gleichwie bei jeder andern nicht rein
jpeculativen Disciplin, haben wir aud bei der Zuris-
prudenz zu unterfcheiden zwiſchen Theorie und Praris.
Dffenbar iſt legtere werthlos, nichts Beſſeres als fchale
Routine, geiftlofe Keiftenfchneiderei, wurzelt fie nicht in
der Theorie, und dieſe ift wiederum Feine umd führt die
Benennung nur misbräudlih, wenn fie kein aus erfien
den Beweis in ſich felbft enthaltenden Wahrheiten con».
fequent fortgeführter Aufbau, fondern blos ein Aggregat
aus Buchſtabenwerk und. traditionnellem Glauben if.
Stände ed alfo mit dem Fundamente unferer juriftifchen-
Nraris — und es gibt Juriften, Die dies nur um des⸗
willen nicht behaupten, weil man feinen Mohren weif
wäſcht —, alsdann würde auch im Gebiete der Rechts.
pflege der bon sens fih zwar ale unausreichend bewei⸗
fen, denn fein inftinctmäßiges Treffen des Rechten gebt
nie weiter als hoͤchſtens bis zu dem concreten Einzelnen,
immer aber wäre ev noch beffer als manches Juriften
fogenannte juriftifche Wiffenfchaft berechtigt, über Recht
und Rechtspflege zu fprechen. Jedenfalls ift es alſo
mehr als bloße Anmaplichkeit, wenn über Rechtspflege
Quandt fpriht, und alfo ein Mann, beffen eigent-
liche Domaine nur die Kunft iſt, der aber bier mit phi⸗
loſophiſcher Penetration verfabrend im Stande iſt nicht
nur mit bon sens, fondern auch von einer ganz andern
und allgemeingültigern Bafis aus zu Werke zu gehen,
als gar manche bis zum Efel und Überdruß in herfimm-
lichen Poeafen fi) ergebende Declamationen. Quandt.
flimmt gegen Offentlichfeit der Criminalrechtspflege, weil
fie, ben boshafteſten wie. ben blos leichtfinnigen Ver⸗
— — — — — —
nn gu]
35
bescher und zwar noch vor der Schuibigerflätung an den
Pranger ftellend, ſich ald Barbarisnus brandmacrke, weil
fie ferner, dem Angeklagten ‚nicht nur vor das Bericht,
fordern auch vor ein-von Schauluſt und Neugier her
beigegogenes Publicum ftellend, dieſes aus frivolen Mo-
tiven verfammelte Publikum zu einem zweiten Richter
über ben Angeklagten. mache, zu einem Richter, gegen
deffen Ausfpruch weder Gaffation noch Appellation ſtatt ⸗
Finde, weil endiich die Offentlichkeit der Erimmalrechts-
‚pflege, fobald das Schuldig oder Nichtſchuldig Geſchwo⸗
rene ausfprechen, alſo Reute, bie nur eine Braction des
von ihnen repräfenfirten Yublicums find, das Publicum
nicht nur zu einem zmeiten, fondern zu dem alleinigen
Nichter mache, fomit aber eine Behörde, die gegen den
Inpopulairen allemal parteiiſch fei, während nicht felten
ausgezeicgnete und. Ehrfurcht gebietende Perſoönlichteiten
als die allerinpopulairften erſchienen, da zu allen Zeiten
die Maffen geneigt wären, Glänzendes zu ſchwärzen
und Hoher in den Staub zu ziehen. Mit Gefchmore-
nen befegte Gerichte, fo jagt Quandt meiter, find
Voltogerichte, und daß in diefen allemal die Affecte der
zu Gericht Sigenden ſich als Hauptfaetoren des Spen-
ches beweifen, das beftätige nicht nur die franzöflfche,
fondern auch, der ihr eigenen impofanten Gravität un ·
geachtet, die antike gerichtliche Beredtſamkeit. So 3.8. |
meint er fei es in Cicero's Reden Maxime, fi der
Stimmung bes Gerichts zu bemmichtigen und dies zwar durch
die nämlihen Motiven, welche geeignet waren, die Stim-
mung der auf dem Zorum verfammelten Menge zu
captiviren; auch wiſſe jeder gründlicher Unterrichtete, dag
die altclaſſiſchen Anleitungen zur gerichtlichen Beredtfam-
Zeit größtentheild nichts Anderes lehrten als bie vegel-
recht ausgebildete Kunft, diefen oder jenen Affect des
Auditoriums, z. B. Mitleid oder Haß, für oder gegen
eine Partei zu erregen, obſchon bereit ein Alter jo
wahr als ſinnreich bemerte, dies komme ihm vor als
verböge man dad Winkelmaß, bevor man ſich deffelben
zum wirklichen Gebrauch bebiene. Natürlich iſt auch
Duandt nicht fo einſichtslos, dag er überfehen ſollte,
wie viel Unheil das Verfahren an abgefchloffenen Ge-
richtsſtaͤtten ftiften müffe, wenn es in der Hand eines
böswilligen, menſchenfeindlichen oder doch ungeſchickten
Inquirenten gelegt iſt. Er glaubt aber — wir laſſen
dahingeſtellt mit welchem Recht — bier werde fi vor
beugen laſſen, wogegen, weil Beine menſchliche Weisheit
ändern tönne, was unabänderlih durch die menſchliche
Natur felbft bedingt fei, ſchlechterdings nichts den ange
deuteten Übelftänden der @elchwornengerichte abhelfen
kõnne Wol_ aber ſpricht Quandt fih für Dffent-
lichkeit und Wimdlichkeit der Civilproceffe aus. Wir
theilen fein Raiſonnement wörtlich mit. Bon dem rein
menſchlichen Standpunkte aus angefehen ſcheint es un-
wiberlegbar; ift es aber: dies wirklich, dann wäre es
wol der Mühe werth, zu erfahren, ob aber vielmehr
wie? — denn das 0b iſt gewiß — die Juriſten dem-
ſelben widerfprehen möchten. Er fagt: B
Etwas ganz Underes ift es bei dem Civilproceß, wo über
Gegenftände geftritten wird, die Beine Perfonen find und wobei de
Nihteripruc Fein meralifces Urteil mothwentig einfihliche,
Kur in jeltenen Zällen, ‚bei ſchreienden Ungeredhtigkeiten, Ber
trügereien, wmbarmherziger Härte einer Partei -würde bie
Stimme der Moral laut werden und die gerade Banner,
welche für honette Leute gelten möchten, um ihr Gewerbe mit
Borfheil betreiben zu koͤnnen, abhalten, ihre Ränfe zur Sprache
tommen zu laffen, welde die ftummen Acten verfchweigen.
Bei der ichteit ſoicher Rechtshändel würde 6 dem Bes
drütßten nit an frenviligen Beugen fehlen, welche oft Auf:
fhlüffe geben fönnten, Die dem Metbeiligten biß dahin flo
unbeßannt waren. Der Richter würde fid) über alle Umftände,
Berhältniffe und @ründe bei der öffentlichen und mündlichen
Verhandlung vollſtaͤndiger unterrichten fünnen als bei der bloß
ſchriftlichen, wo er danach urteilt, was die Parteien vorbrin«
gen, weiche oft felbft nur eine mangelhafte Kenntniß der Lage
und Beweife ihrer Sache haben. Ich weiß fehr wohl, daß
unfere Rechtögelchrten von einem Inftructionsproceh nichts hör
ten mögen und blos danach, richten wollen, was Die Parteien
in der Klage und dem Beweis verzubringen wiffen. Allein
fol denn dem Richter blos an der formalen Richtigkeit feines
Ürtheils gelegen fin Soll auf feiner Unkenntniß der Sache
feine Unparteificpfeit beruhen? Oder muß er e& fi nicht zur
Sewiffensfahe machen, fo weit es Menfchen möglich ift, gerecht
zu richten, d. h. der Wahrheit angemeffen, und Bann er dies
mot, ohme fich über die Wahrheit fo weit e8 möglich ift in
Kenntniß zu fegen® woburd er einzig und allein competent
wird, denn feine Befähigung hängt davon faſt noch mehr ab
alß von feiner juriftifhen Gelehrfamkeit. Solte e6 dem dich
ter daher nicht ebenfo wichtig fein wie den Parteien felbft, alle
Umftänte und Gründe vorher zu erforſchen und zu erfragen,
che er uetheilt? Sol denn ein Proceh über Recht und Eigen:
thum ein Gluͤcksſpiel fein, welches von der zufälligen Sach⸗
Eenntniß und ber Geſchicklichkeit oder Ungefhidtiätet der Ad⸗
voraten abhängt? Bei der Dffentlicfeit und Mündligkeit in
Livilſachen muß fich aber der Richter felbft Aufklärung ver«
ſchaffen, und jo werden die Urtheile niemals gelehrten Orakel
forüggen gleichen, die der gemeine Menfcenverftand anftaunt
ohne fie zu begreifen. Dies würde bei einem öffentlichen und
mündlichen Civilproceß ganz anders und befler gehen als bei
einem fummen Schriftwechſel, dem ein ſehr mangelafter Ber»
börstermin vorausgeht, und zwar ſchon darum, weil bei den
öffentlichen Berpandlungen über ein Recht oder Eigenthum fich
ein ganz anderes Yublicum als bei dem Griminalprocefie eine
finden würde. Es beftände gewiß nicht blos aus Reugierigen,
welche am Scandal oder insbefondere an der Schande einzelner
Perfonen eine Freude finden, fondern aus mwohlunterrichteten
Perfonen, Urtheilsfähigen, Gefchäftsmännern und in wichtigen,
verwidelten Bällen Dedtslunbigen. Diefe-Verfammlung würde
bei Rechtshaͤndeln, wo es fih um eine Sache, aber um feine
Yerfon handelt, ebenfo heiiſam auf die Richter und Parteien
einwirßen als der Zubdr: des gemeinen oder vornehmen Vö ·
bel bei Eriminalunterfuchungen fgädlih if. Durch Dffent
lichkeit und Muͤndlichteit der Rechtöverhandlungen würden ber
fonderd Witwen und. Waifen an dem Yublicum eine BVertrer
tung ihrer Rechte finden, benn das Wolf mag noch fo geneigt
fein, lieblos, wol FH ungereit über die Perſon zu urtheilen,
es nimmt fi der Sache des Berlaffenen an, felbft wenn das
Individuum nicht beliebt ift.
Beweift diefe Stelle, daß der Verf. ſich nicht von
Mobeanfichten beherrfchen läßt, die in andern Gebieten
als denen ber Kunft allgemein verbreitet find, fo beweiſt
was er über ein Gemälde des Rubens im Mufeum
zu Lyon fagt, daß, wie groß aud der Name ei-
nes Künſilers fei, doch die Größe des Namens nicht
Quandt's Urtheil befticht. - Beſonderes Vergnügen
hat diefe Stelle Ref. gemacht; und follte noch Jeman-.
352
dem außer diefem bebdünfen, baß viele Gemälde des Nu⸗
bend entweder unpaflende Traveſtien des Schönen find
wie 3: B. bie drei Weibsbilder auf dem Urtheil des
arts in dee Balerie zu Dresden und der Parts, dem
beim Anblick derſelben ein Starrkrampf bis in die große
Fußzehe fährt), ober eine unſchickliche Apotheofe nieder
laͤndiſcher Bauern (wie 3. B. in eben biefer Galerie der
Beilige Hieronymus mit ben Bliedern und dem Knochenbau
eined tiere), fo wird einem ſolchen Gleichgefinnten es
ebenfo wie Nef. Labfal und Erquickung fein, fo etwas
einmal von einem anerkannten Kunſtkenner gerade her⸗
aus gefagt zu leſen. Des Rubens Gemälde, worüber
Duandt im angedeuteten Sinne fpriche, ſtellt Chriſtus
vor, den die Erbe gar fehr in Zorn brachte.
Er Hat einen Blig ergriffen und will ihn berabjchleudern,
‚woraus gewiß ein großes Ungluͤck entflchen würde. Der heilige
Dominicus und der heilige Franciscus nehmen die Erde ın
Schutz. Der eine breitet feinen Mantel darüber, der andere
Hält die Hände darauf und der heilige Franciscus fcheint Durch
derbe Worte den Erzürnten zur Überlegung bringen zu wollen,
indeß andere Heilige ſich aufs Bitten legen. Maria ** thut
einen Fußfall, aber Chriſtus achtet auf nichts und gebt mit
dem Blige fo unvorfihtig um, daß er ihn feiner Mutter an
den Kopf werfen wird, wenn fie ſich nicht eiligft zurüdzieht.
Der Gegenftand ift denn doch für eine jo humoriſtiſche Bes
handlung zu ehrwürdig, ald daß man fie mit der Kühnheit des
Malers, der Areipeit der Pinfelführung und Kraft der Farbe
entfchuldigen Fünnte. Oder ift dieſe Wuth etwa eine fünftleri:
ſche Begeiſterung? diefe Übertreibung Rubens ſches Pathos?
Oder iſt es etwa die Ironie der Kunft, welche fo viel befpro-
chen wurde, wo im Gemeinen das Erhabene, im Menſchlichen
das Göttliche dargeftellt wird? Könnte ich nur die Attribute
ändern, dem faft nackten Ehriflus die Kleider eines Teniers ſchen
Bauern anziehen und den Donnerkeil in ein Bankbein ver:
- wandeln, Maria in eine Schenkmagd umlleiden und die Heili⸗
gen zu den Gemeindeälteiten eines Dorfs maden, fo würde
mir dad Bild auch gefallen.
(Die Zortfegung folgt.)
Literarifhe Notizen aus Frankreich.
Franzöfifhe BVolksdichter.
Die Sammkung der Hiftorifihen Leder unt Gefänge Frank:
reih8 von 2erour de Lincy ift wie Alles mas diefer Gelchrte
Herausgegeben Hat ein Product forgfumen Gamtmierfleißes.
Der Herausgeber hat alle ihm zu Gebote ftehenden Quellen
mit Sorgfalt und Umfiht benugt, und fein Werk gemährt in
literarischer fowie in Hiftorifcher Beziehung ein vieffades In:
tereffe, welches durch die lehrreichen Einleitungen und Anmer:
kungen noch gefteigert wird. Bor kurzem ift num noch ein
anderes Werk erfchienen, weiches in diefem und jenem Punkte
vielleicht mit der fraglichen Sammlung von Leroux concurriren
koͤnnte, wenn nicht Eine Grenzen in einer Beziehung viel wei:
ter, in anderer wieder enger geſteckt wären. Daſſelbe führt
den Zitel „Chansons nationales et populaires de la France,
precedees d’une histoire de la chanson francaise‘, von Dur
merfan. Der Aufgabe nach umfaßt diefes Werk ein größeres
Gebiet ald die Schrift von Lerour de Lincy, auf weldhe wir
uns bier beziehen. Der Verf. will hier alle Arten von Volks⸗
liedern, ſowol diejenigen, weiche ſich an biftorifche Ereigniſſe
anknüpfen als die, in denen ſich ein ungefimfteltes Gefühl des
Volks über die ver{hicdenen Beziehungen des gewöhnlichen Le⸗
ben® Luft macht, erüdfiätigen, während Leroux nur ſolche
Lieder in feinee Sammlung einträgt, welche in Hiftorifcher Be»
ziehung Intereffe verdienen. Dagegen aber befchränft ih Du⸗
merfan meht auf eine Auswahl, in Bezug auf die ih eine
vollftändige Übereinfiimmung der Anſichten wol fdhwerikh er⸗
veichen laßt, während der Herausgeber ber „Chants histeri-
ques” die möglichfie Vollſtaͤndigkeit erzielt. Wielleicht iſt der
wiffenfchaftliche Gehalt der legtern Sammlung hervorragender ;
indeffen ift auch das andere Werk ganz empfehlenswertb. &s
ährt uns einen angenehmen und felbft lehrreichen Überblick
uber dab bunte und düftereiche Feld ber franzoͤſiſchen Volks⸗
poeſie und es verfhmilgt hier dad poetiſche Intereffe mit dem
ethnographiſchen. |
Sur Geſchichte der dramatifgen Literatur im Mit-
telalter.
Die dramatifhen Dichtungen der Grosvitha, welche be:
Fanntli in der zweiten Bälfte bes 10. Jahrhunderts ſchrieb,
würden einem gtößern Yublicum felbft in Deutſchland kaum
dem Ramen nad) bekannt fein, wenn fie nicht vor einiger Zeit
von Raupach in Berlin durch einen geiſtreichen Vortrag einem
weiten Kreife vorgeführt waren. * ben kiteraturhiſtoriter
find fie von hohem Berthe. Deſſenungeachtet iſt es eine fafſt
auffallend zu nennende Erſcheinung, daß fie ein franzoͤſiſcher
Schriftfteller in einem befondern Werke einer tiefern Beachtung
würdigt. Wir erhalten jegt nämlich unter dem Titel „Thbek-
tro de Hrosvitha traduit pour la premiere fois em fi is,
avec le texte latin, précédé d’une introduction et suivi de
notes” eine literarhiftorifche Arbeit, welche wir dem Fleiße
des bekannten Charles Magnin verdanken. Diefer Schriftiteller
hat fi befanntlih auf dem Webiete der Literaturgeſchichte
durch feine gediegenen Forſchungen über die Anfänge der bra-
matiſchen Literatur vortheilhaft ausgezeichnet. Seine neue Ar:
beit kann gleichfalls als Beleg für jeinen Sammlerfleiß, feine
Kenntniß und die Probehaltigkeit feiner Kritik gelten. Die
ſechs Stüde, welche die Grundlage zu diefem Werke bilden,
find nad) dem bekannten Manuferipte in München‘, welches frü-
be ber Abtei Sant-Emmeran in Regensburg angehörte, mit-
getheilt.
Kirchenhiſtoriſches.
Einen nit unwichtigen Beitrag zur Kirchengeſchichte über-
haupt, insbefondere aber zur Kunde der Firchlichen Berhältniffe
und religiöfen Anſchauungen Des Mittelalters enthält ein Werk
aus der Feder des Abbe A. Eoufin de Saint: Denoeur, von
welchem vor kurzem der erfte Band erfhienen if. Der Zitel
diefer Schrift, welcher etwas zufammengemwürfelt ericheint, lau-
tet: „EKssai sur l’histoire scolastique, du droit canon et de
la liturgie, succession des principales &coles théologiques;
parallele des prinoipaux auteurs catholiques et her6tiques;
suivi d’un r&sum6 de leurs guvrages les plus marquanta.” 17T.
Literarifche Anzeige
In meinem Verlage ift erſchienen und durch alle Buchhand⸗
lungen zu beziehen: j
Zweite Mufprade
an die deuffche Tafion
über die kirchlichen Wirren, ihre Ermäßigung and
möglichen Ausgang
. von
He €. Freiherr on GBagern.
| 8 Geb. 15 Near.
Reipsig, im März 1846.
I U. Srodbens.
Berantwortlider Herausgeber: Geinrich Wrsktane. — Drud und Derlag von F. SE. Mrodhans in Reipzig.
nn
op:
Blätter
für
J
literariſche Unterhaltung. |
Montag,
a Kr. 89,
30. Marz 1846.
Beobachtungen und Phantafien über Menfhen, Na⸗
fur und Kunſt auf einer Reife ins mittägige Frank⸗
reich Bon Johann Gottlob von Quandt.
(Bortfegung aus Rr. 88.)
Nachdem wir von dem Bielen, was die Reife bis
Avignon enthält, dies Wenige mitgetheilt, zunächft hier
Einiges, was fih „aus den Streifzügen durch die
Provence“ vereinzelt hervorheben läßt; hiermit wer-
den wir zugleich aus andern Partien des Werks Eini-
ges verbinden, das fih uns damit nach dem Geſetze
der Sdeenaffociation verbunden hat. Über Bauclufe und
Petrarca wird fi nichts Neues fagen laffen, aber im⸗
mer und ewig hoͤchſt Anziehendes, wofür folgende.
Stellen der Reifebefchreibung als Beleg dienen Zönnen.
S. 167:
In der Kühle eines heitern Morgens verließen wir das
dunfle Avignon. Der Weg führt, wenn man aus dem Thor
v’Dule kommt, längs der alten Stadtmauer hin. Wer in ber
Mitte der Stadt wohnt, thut beffer feine Wanderung nad
Baucufe durch das Thor Saint-Lazare anzutreten. Eine alte
Lindenallee fhügte und vor der Sonne eine gute Gtrede de6
Wegs. Ich würde meine alten Randsleute, die Linden, nicht
erkannt Haben, wenn mir mein Kutfcher nicht verfichert hätte:
es wären tilleuls. Das tiefe Smaragdgrün ihres Laubes haben
fie in dem füdlichen Klima gegen ein fahled Grau vertaufcht.
Dazu wird den Linden in Frankreich Gewalt angethan: ihre
Zweige befchneidet man, ſodaß fie flache Dächer bilden und fi
nicht zu hohen Domen wölben Bönnen. Am Ende diefer Allee
traten. wir ins freie Feld, und bier wehte mich zum erften
Male die gewürzige Luft, dee Provence an, deren belebender
Hauch, ein halſamiſcher Ather, aus dem Dufte des Lavendel:
krauts, der DOlbäume und Mandeln gemifcht, Alles übertrifft,
was die Dichter davon fingen und fagen.
S. 170: . |
Als wir Isle im Rüden batten, ftand die hohe Felswand
vor uns, welche Bauclufe wie ein Schirm von der Welt abfon-
dert, und in Furzer Zeit erreichten wir diefen Ort. Hohe
ſchroffe Gebirge, an welchen kein Baum Wurzel faflen, Fein
genügfames Graschen Nahrung finden kann, umſchließen Pe:
‚trarca’8 infiedelei, deflen kleines Haus unter dem Schug eines
überbangenden Felſens ftand, den die Trümmer einer Burg frö-
nen, welche dem Wanderer die Zähne ihrer Mauern zeigt, ale
bewache fie das geheimnißvolle Heiligthum, in welches fih ber
Dichter zurũckzog, feine Liebe und fein Leiden ungeftört in Lie:
der zu ergießen. Petrarca’6 Hütte und fein Lorberbaum find
verfhrwunden. An die Stelle der erftern iſt ein ganz gemöhn:
liches neues fleinernes Haus gebaut und feit einigen Jahren
an dem Orte, wo ber Lorberbaum ftand, ein junger Baum an»
gepflanzt worden. | |
‚und fie über die Antiquitäten zu unterrichten. in
Ein Beifpiel, moderner Barbarei:
‚Mr. Ioudon macht Petrarca zum Borwurf, daß er in
feinen Briefen jagt: Frankreich fei ein rauhes und barbari-
ſches Land. Rur noch eind will ic von Bauclufe erzählen umb
möchte willen, was Mr. Joudon dagegen fagen winte. Mic
wenig den Franzoſen irgend etwas heilig ift, davon gibt der
alte Feigenbaum, der ſchon zu Petrarca's Zeiten feine mächti⸗
gen Aſte über der Quelle ausbreitete, einen Beweis. Er glaubte
fich gewiß an dieſer Stelle gefichert und ſchlug feine Wurzeln
tief ın eine Felfenfpalte, wo ihn Feine Hand berühren konnte.
Die jegigen Iagdliebhaber, deren es mehr in Frankreich gibt
als Sperlinge, ſodaß fie nichts finden was fie fchießen konn⸗
ten, haben A diefen Zeigenbaum zum Ziel genommen und ihn
ganz und gar zerſchoſſen. Hiernach möchte man glauben, Laß
Petrarcas Urtbeit über die Kranzofen nicht ungerecht wäre.
Den Bemerkungen über bas antite Theater bei Orange,
„eins der größten und unter allen das am vollftändigften
erhaltene”, die fich durch ihre Klarheit dem "Archäologen
empfehlen werben, ift die Schilderung einer fehr 'ergöß-
lichen Scene eingewebt. Der Reifende erzählt:
Als ich an der Mauer ded Theaters hinging, um’in das
Innere deffelben zu gelangen, fand ich ein großes Loch in der
felben und daneben einen Anſchlag mit den Worten: Conser-
vateur du theätre romain. Auf mein Rufen zeigte fich ein
in Lumpen gehülltes Wefen, welches ſogleich wieder in der
Dunkelheit der Höhle verfhwand. Bald darauf öffnete mir
ein alter wohlgeHeibeter Herr die Thür und fprah: Mein
Hear!’ id bin der Abgeordnete ( delegu6) des Inftituts der
Wiffenfhaften zu Avignon. Ich habe die Ehre, audgezeichne-
ten Fremden Diefed größte aller Werke der Römer zu deigen
err un
drei Damen, "die ebenfalls Einlaß wünfchten, gejellten fich zu
uns, und der Herr delegue wiederholte diefelben Worte. Er hub
mit größter Dreiftigbeit eines Archäologen fort und erklärte
die Einrichtungen des antiken Iheaterd wie er fie fich dachte.
nter Anderm gab er an der Ruͤckwand der Bühne eine große.
ffnung, die mit einer Riſche verglichen werden kann und ber
Ort war, wo die Götter hervorträten, für die Paiferliche Loge
aus, bie fo angebracht geweſen wäre, daß der Kaiſer jich hoch
über der Scene befunden und von ben Schaufpielern nichts
als die Köpfe geſehen hätte. Als er mit dem Erklären fertig
war, winfte er und, auf den antiten Sigen Plag zu nehmen;.
er aber ſchritt feierlich über die DOrcheftra dahin, flieg auf der
Bühnentreppe binan, ftügte fich mit der Linken auf einen Stein,
ſtreckte den rechten Arm weit aus und begann die berühmte
Erzählung aus der „Phabra” des Racine: „A peine nous sor-
tions des portes de Trezene, etc.”, wobei er auf allen ei
und ai mit der Stimme laftete. Das franzöfifche Pathos, wel-
ches darauf angelegt ift, dem Zuhörer Bewunderung der Berfe
abgurwingen, ubergoß mich mit einem Gchauber dei. Wider:
willend. Mir fehlte es an Gebulb und -id; konnte bie Lange,
‘
Erzählung von dem Tode Hippolyt's nicht wie Ihefeus bis zu
Ende anhören. Ich rief daher: „viva Talma! — Talma
viva!’ Der Redner verbeugte fih dankbar, und mein Rad:
bar, ein fehr gebildeter Mann, aber ganz Franzoſe, hielt mei:
men Beifall für echt und ſagte zu mir: „Es ift wahr, er hat
fehr gut gaprochen.“ Der Herr delägus fpiekte den Beſchei⸗
denen unb perſicherte, er Habe blos die
geh, wie, ohne Anftrengung der Stimme, der Schaufpieler in
diefem weiten Raume verftanden werde.
Wenn aber Quandt binfihtlid, jener berühmten Er-
zählung fagt, „dieſes bewunderte Prachtſtück der fran-
zöſiſchen -Dramatifchen Poeſie legte der große Racine ei:
nem Boten in den Mund, fodaf es fheint, der Dich-
ter habe felbft an feinen Helden nicht mehr gedacht
und Diefen zum müßigen Zuhörer eines Specimens der
Rhetorik gemacht”, fo muß Ref. einwenden, daß diefe
Erzählung und die Scene in der fie vorkommt fehr treu
aus Euripides copirt find, der, flände- er wieder von ben
Todten auf, ſich gegen den Zabel, der ihn und nicht
Nacine trifft, wahrſcheinlich würde zu vertheidigen wife
fen, nicht zu gedenfen, daß ganz ähnliche lange Erzäh-
lungen auch nod In andern griechifchen Tragödien fi)
finden: Daß der Reifende den Eindruck, welden auf
ihn der Pont du Gard machte, nicht beffer glaubte fchil-
dern au können als indem er überfegte was darüber
Rouſſeau in den „Confessions” fagt, war Ref. un fo
in denen ih Quandt nad der Ankunft in Genf
über Rouffeau verbreitet, zum Theil ganz gewiß auch
ungerecht find, ungerecht ſchon durch Das, was fie mit
Stillſchweigen übergehen. Es bat namlidy das fcharfe
Urtheil, welches Quandt über Rouſſeau .ausfpricht, |
den „Emile“ gänzlicdy unbeachtet gelaffen, der, wie Sean
MPaul in der „Levana“ fagt, eine Revolution in allen
Kinderſtuben hervorgebracht bat. Nach den begeifterten
Worten zu fließen, womit Quandt Jean Paul's ge
denkt (S. 8), wird er vielleicht den Einwand für nicht
fo ganz unerheblich anfehen, obſchon Nef. felbfi weniger
auf jene Autorität gibt als zweifelsohne Quandt, der,
indens ex. unter Anderm von Jean Paul fügt: Es fei
deffen Witz ein ganz eigener, der das Verſchiedene nicht
miteinander vergleiche, fondern die WVerfchiedenheit auf:
hebe und in Liebe verföhne, etwas ausſpricht, wobei
Aef. nur dann fi etwas denfen Bonnte, wenn «6 nicht
von Jean Paul gefagt wäre. Als wahrhaft erfreulich
. und erhebend ift dagegen auszuzeichnen, was, veranlaßt
von Betrachtung des Denkmals Schillers in Würtemberg
geſagt ift. Hier nur die Schlußworte:
Die Differenz in Dem, was der innere edle Sinn erfehnt
und die Wirklichkeit gewährt, blieb Schiller und verleiht fei-
nen Werken eine bezaubernde Wehmuth, ein fehnendes edeles
Streben nach einem unerreichbar Geahneten. Seine Dichtun⸗
gen gleichen den glänzenden Wolken, welche vor der Sonne
fteden; fie Igpeint hindurch, aber fie loͤſt fie nicht auf; es ift
feine fchöne Subjertivität, welche dur die obiective Weltan:
ſchauung bindurchfiheint und fie erwärmt, aber nicht bis zur
Berflärung in der Idee hinanhebt.
Unftreitig verdient nicht minder Beifall, was fi
bei gleicher Beranlaffung ber Hebel gefagt findet:
ſicht gehabt zu zei: .
|
1 —
Dieſer Dichter war was andere Bolksdichter ſich abmühen
ſcheinen und zu erkuͤnſfteln. Er hätte von fi ſagen dür⸗
n: Ich finge wie der Vogel ſingt, und weil er fo ganz Ra:
turdihter war, war er au recht eigentlich Voilksdichter.
Schwerlich moͤchte er in einer andern Mundart als det ale
Mannifchen Zöne gefunden Haben, durch) die vernehmbar wird,
Boofür faſt der Wortlaut Hoch gu maseriel iſt, und mit ent
zudungsvoller Überrafhung hören wir in feinen Liedern, was
der Menſch nur in der geheimnißvellftien fillen Tiefe feiner
Bruſt erlebt. Durch dieſen Einklang der alemannifchen Mund:
art mit den zarteften Stimmungen des Gemüths entftcht eine
folde Wechſelwirkung zwifhen Gefühl und Sprache wie unter -
zwei völlig vein und ygleichgeftimmten Glocken, welche die in
ihnen beiden fhlummernden Zöne gegenfeitig wecken. Da fi
in Hebel's Liedern Gefühl und Sprache völlig durchdringen
jo iſt die treuefte Wahrheit, zwanglofefte Heiterkeit, ungefuch:
tefte Natürlichkeit, bisweilen auch ein Köcheln unter Thraͤnen
parin, welches auf das innigfle rührt.
(Der Deſchiusß folgt.)
— — —— — — — —— — — — — — — - — — — —
Zwolf Basreliefs griechiſcher Erfindung aus Palazzo Spada,
dem Capitoliniſchen Muſeum und Villa Albani, hexaus⸗
gegeben durch das Inſtitut für archaͤologiſche Corre⸗
fpondenz. Erfter Band. Rom 1845.
Es war eine Bereinigung verſchiedener glücklicher Umſtaͤnde
erfoderlich,, um ein Werk wie das obige zu Stande zu bringen,
welches jeder echte Kunftfreund, zumal: in Deutichland, mit der
„u, ı lebhafteften Zreude begrüßen muß. Nachdem bci der Mehrzahl
erfreulicher als die. allerdings geiftreihen Bemerkungen, | P hrzab
der Publicationen, welche in den letzten Jahrzehnden in Eurepa
über antike Kunft erſchienen find, der Standpunkt der Erklä⸗
vung feltener umd ſchwer zu entziffernder Gegenftände «der ber
der biftorifchen Bedeutung der Denkmale feftgehalten, ift bier
vornehmlich die den Kunfterfindungen der Griechen innewoh⸗
nende Schönheit ind Auge gefaßt worden. Wenn die hiernady
getroffene Auswahl der Denkmale ſchon eine fehr glüdliche zu
nennen ift, fo entfpricht derjelben feltenerweije auch die getreue
und gefchmadvolle Art der Darſtellung ſowie der tie wärmſte
Begeiſterung für die Schönheit griechiſcher Kunſt athmende und
doch zugleich die nöthigen archäologiſchen Erklärungen ebenfo
fein als anfpruch6los enthaltende Zert. Typen und Papier
find endlich von der Art, daß man mit Sicherheit behaupten
Kann, daß, fo lange die Sonne die fiebenhiügelige Stadt be:
dene: Dort nie in Deutfger Sprade ein Prachtwerk er:
ſchienen ift wie dieſes, welches fi in der Ausſtattung dreift
neben Jedes ftellen Bann, fo in diefer Art in England und Frank⸗
reich geleiftet worden if. Das Inftitut der archäologifehen
Gorrefpondenz hat Dur die Widmung diefes Werks an feinem
erhabenen Protector, den König von Preußen, einc der gelaͤu⸗
terten Kunftliebe dieſes Herrn in einem befondern Grabe wür⸗
Vige Gabe dargebracht. Gin Solches zu leiften. ift daffelbe aber
durch einen deutfchen Edelmann befähigt worden, weicher nicht
allein in Dingen der Kunft eine reine Liebe und eine edle Ge:
ſchmacksbildung befigt, fondern hödpftfeltenerweife auch einen
bedeutenden
zu beweifen und zur Verbreitung ähnlicher Gigenfchaften nad
allen Kräften. zu wirken, Wenn eine liebenswürdige Befchei«
benheit deffelben die Nennung feines Namens in dem Werke
unterdrüdt bat, fo ift ed für den Ref. die Erfüllung ciner an»
genehmen Pflicht, hiermit auszufpredhen, daß es der unter ben
Künftlern und Kunftfreunden Staliens und des füblichen Deutſch⸗
lands ald eifriger Sammler von Kunftwerken rühmlichſt be-
Fannte Baron Alfred Lotzbeck iß welchem wir haupfſaͤchlich die⸗
ſes ſchoͤne Werk zu banken haben. Indeß dürfte daſſelbe ſchwer⸗
lich fo in jedem Betracht genügend ausgefallen fein, wenn
nicht dieſer Kunftfreund gludlicherweife in Dr. Emil Braun
einen Archäologen gefunden, welder, in der Sefhmadsbifbung
ihm eng verwandt, auch die wiſſenſchaftliche Ausftattung in
eldaufwand nicht ſcheut, eine foldye thatjächlich
Deuikiben Eiame :d
.Hierzu if beſonders Die
ſiavreiche Wahl derjenigen —— 3 — in
minder enger Beziehang ze jedem ber zwölf in
von wnfchniicher Größe Pr ag Reliefs, als Bigneften,
den jedtömaligen Wert zu Anfang und Ende b . Da die
Ausführung an Feinheit und Verſtaͤndniß bei einem diefer Re»
liefs der Schönheit der Erfindung entiprit, ift wol mit Si⸗
cherheit anzunehmen, daß biefelbe von mehr oder minder ge:
fehikten Rünftisen aus der Kaiferzeit herrührt. Die erften acht
Reliefs, weiche bei einer Ernewetung der Kirche St.Agneſe
fuor ie wura,. wovon eine Anficht an der Spitze der Einleitung,
entdedt und von Bort nach dem Palaſt Spada alla Regola,
deſſen Anſicht am Schluſſe derfeiben, verfegt wurden, baben
ihre verhältnißmäßig yute Erhaltung dem felkfamen Umſtande
zu banken, daß fie, als Platten für den Fußboden jener Kirche
benugt, mit der Geite, worauf fi bie Bildhauerarbeit befand,
nach unten gelehrt waren. Diele Folge macht gegenwärtig im
einem Saale des Palaſtes Spada einen um fo flattlühern Ein
druck, ale die Figuren etwa drei Biertel tebensgroß find. Mef.
bemerkt bei diefer Gelegenheit, daß Die Angabe der Maße,
welche bei drei der andern Reliefs Meiner ind, beſonders für
Soldye, welche Die Originale nicht kennen, wunſchensſverth geweſen
wäre. Eine geiftige Beziehung, welche Dr. Braut zwiſchen ben
Gegenfländen der einzelnen Reliefs zu erkennen glaubt, ſcheint
dem Nef. bei der Mehrzahl nicht binlanglich nachgewiefen
zu fein. .
Das erfte Reich ſtellt den Bellerspbon, welcher den Pe⸗
yajus tränkt, vor. Die herrliche, jugendliche Heldengeftalt des
Bellerophon zeigt in der fehr einfachen ımd ruhigen, aber doch
ſchönen Stellung recht daB eigenthümliche Weſen griechiſcher
Kunſt urd bildet einen fehr anſprechenden Gegenſatz mit dem
hier in der Gphäre der keineswdegs veredelten Raturwahrheit
Bargefteliten Mufenpferde, weiches mit thieriſcher Begierde feinen
Durſt loͤſcht. Als erfte Vignette ift hier die Abbildung einer fehr
ſchoönen Chimära, nach einem Relief in der Billa Aldani, ge:
geben, weiche außer dem Löwen: und Biegendopf von dem Kunft:
ter ausnahmsweiſe auch mit einem Wolfskopf begabt worden,
der aber im Driginal fo befchädigt ift, Daß er in dem Kupfer
eher einem Fiſchkopfe ähnelt. Ref. gefteht, dab ihm die Chi⸗
mära vom allen phantaftifchen Kunſtgebilden der Griechen im⸗
mer am wenigſten zugefagt, weil es ahr an der bei Hipporam⸗
yen, Eentauren ıc. fo bermundstungswürbigen, man möchte fa-
gen organifhen Verbindung ber einzelnen Theile fehlt. Die
zweite Pignette, ein Pegafus nad einem Relief aus derfelben
Villa Albani, gibt dem Verf. VBerantaffung, Den ganz ironi⸗
ſchen Standpunkt hervorzuheben, aus w die Alten gele:
gentlich fo manche Gegenſtaͤnde auffaßten. In allen Theilen,
3. ®. in der ſtarken Behadrung, iſt Hier abfidhtlich ein fo ger
meines Pferd dargeftellt, daß man nicht begreifen kann, wie
es zu den Flügeln kommt. Auf wie viel Dichter alter und
neuer Zeit läßt fi nicht dieſe Vorſtellung anwenden!
Mit Recht erklärt der Verf. das zweite Relief, gegen die
gewöhnlih Annahme, weldge darin’ einen Meleager erkennt,
einen flerbenden Adonis. Dafür entſcheidet die verbundene
Bunde am Beine. Allerdings iſt der Drt der Wunde am Un-
terbeine fowie die fichende Stellung bei diefem Gegenſtande
ungewöhnlich, doch entipricht: letztere fehr wohl Dem. Jeldenmäßi-
gen Charakter des kuͤhnen Jaͤgerb, welcher dem Schmerz auch
aͤußerlich nit eher nachgibt, als bis er von ihm uͤberwaͤltigt,
zujammenfintt. Mon den beiden Bignetten zeichnet ſich ein in
liegender Stellung fterbender Adonis von einem bei Toscanella
-gefundenen Denkmal im Hetruskiſchen Mufeum zu Rem dur
Das fehr Lebendige Motiv aus, wennſchon die Auffaffung: vist-
weniger weal if.
u dem dritten Relief, Amphion und Zethus, Hat nach
der Vermuthung des Verf. eine berühmte Scene der Tragoͤdie
des Euripides deffelden Namens Berantaffung gegeben, in wel
cher Zethus bie VBortheile und Reize der Jagd und der Leibes:
übungen, Wtaphin die bes @wferBürke pellend matt. Bor: '
effücch ME hier Berfelde Gegenſad in dem nachläffig, fü
daͤuriſch daſitzenden Zethus Yon uͤbermuͤthig ſportiſchem A
druck, ohne daß indeß dadurch der Schönheitsfintt verletzt wird;
und dem Untphion audgefprocen, welcher mit überkgettem Be:
mußtfein bie Bora, als das Symbol der Richtung, welche er
vertritt, aufftellt und den Bruder ruhig finnend anblidt. Mei
der erften Wignette, welche das Wiederſehen der beiden Brüder
und ihrer Mutter, ber Antiope, nad dem bekannten ſchoͤnen
.Kellef im Mufeum — mit den beigeſchriebenen Ramen
darſtellt, erklaͤrt der ſehr treffend, wie ganz dieſelbe Com⸗
pofñtion in einem Relief des Muſeums zu Reapel zufolge der
ufſchriften zu dem Abſchiede dee von dem Mercur zur Unter
weit geleiteten Gurydice hat dienen Eönnen. In dem Kopfe ber
Frau konnte ſelbſt der Ausdruck nach ber einen wie nach der
andern Bedeutung ziemlich Derfelbe bleiben, ba ein lebhafter
Cchmes; unb ein Übermaß von Freude fi in den Zügen auf
eine fehr ähnliche Weife abbilden, wie Shakſpeare Legteres fo
fhön durch die Worte bezeichnet: Die Freude fei fo groß, daß
fe vom Kummer Thraͤnen borgen muͤſſe. Bei der zweiten
Bignette, welche uns die berühmte Gruppe bed Parnefifchen
Stiers vorführt, gedenkt ber Verf. der treffenden Bemerkung
Otfried Müllers, daß auch hier der Künftler den Charakter
der beiden Brüder feflgehalten, indem ber robere und unge:
ſtümere Zethus die Dirce bereit an die Hörner des wüthen⸗
den Stiers feflele, während Die Unglückliche noch zu dem mil:
dern Amphion um Erbarmen emporflehe.
Bei dem vierten Relief, Dem Raub des Palladiums durch
Odyſſeus und Diomed, iſt der dargeftellte Moment fehwer zu
erklaͤren, auch iſt Dadurch, Daß beide mehr einzeln und auf ver»
ſchiedenen Plänen dargeftellt find, die Eompofition weniger ab:
gerundet, die Ausfüllung des Raums, minder fiilgemäß als
bei den andern Relief. Der Charakter der Helden ift indeß
sortreflich ausgedrückt und die Motive laflen ſehr gluͤcklich im
Odyſſeus den Rathenden, in Diomed den Yusführenden erken⸗
nen. Die erſte Bignette enthält Die gewöhnlichere Darfielung
des Gegenftandes auf dem von Felir geſchnittenen Steine der
Arundel’ihen Sammlung, Die zweite den auf dem Altar knieen⸗
den Diemed, welcher das geraubte Palladium hält, nach einer
antiken Glaspaſte.
An dem fünften Relief, Daͤdalus, welcher der Paſiphae
die Yon ihm gebildete hölgerne Kuh zeigt, iſt ſowol die Discre⸗
tion in der ganzen Darftelung, als die edle Geſtalt der Köni:
gin wie dad Sinnige in dem erfindungsreihen Künftler her⸗
vorzuheben. Die Bignetten, Pafiphae allein mit der Kuh und
der Kopf des Minotauros, find bier minder erheblich.
Das bewegtefte Leben zeigt uns im meifterlicher WBeife das
fechöte Relief. Vortrefflich ift die doppelte Handlung in der
furchtbasen Schlange, welche, während fie Opheltes, das un:
felige,, im Todesſchmerz fehreiende Kind, umſtrickt bat, ſich ge:
gen die beiden zum Kampf heranſtürmenden Helden enipor:
baumt. Unvergleichlih edel und lebendig iſt aber in der un⸗
glüdtichen Wärterin, Gypfipple, das Gatfegen und die Ber:
zweiflung ausgedrüdt. Beſonders gluͤcklich iſt hier die Wahl
m ven Bignetten zu nennen, denn bie erfte, nach einer ruveſi⸗
fhen Bafe im Beſitz des Baron Lotzbeck genommen, zeigt ung,
wie derfelbe Gegenftand, dem. Stil umd den Raumgefehen die:
fer Kunſt gemäß, anders. und mit reichern Rebenbeziehungen
auftzefaßt iſtz die zweite, nad) der berühmten ruveſiſchen Bafe
im Batican, ftellt die feierliche Beſtattung des Opheltes dar,
mit finnreisher Unbentung der nemalfchen Spiele, welche zu
feinem Andenken geftiftet wurden.
Recht im os führt und dad fiebente Relief einen
idylliſchen Gegenſtand don wunderbarem Reiz vor Augen. Der
bei feiner Deerde in behaglicher Ruhe weilende Parts leiht den
@inflüfterungen des Eros, weicher ihn zur Untreue gegen die
Denome zu verleiten ſucht, ein williged Gehör, Behr paflend
fielen die Mi das Urtheil des Paris nach dem Relief in
der Billa Ludovifi, und den Sylvan mit den ühntich gruppir⸗
ten Andern nach dem -trefflichen Melle der Giyptothek in Mün-
4
Su \ S
den vor. Ye drei Kunftwerke deuten auf ein gemeinfames
Urbild, welchem die Motive nad Maßgabe der jedesmaligen
| Aufgabe entnommen und frei verwendet worden find.
bisher für die Gutführung ber Helena genommenen Neliefs;
worin ber Berf. fehr richtig mit Dtto Jahn zufemmentreffend
den Abſchied des Paris von ber Denone erkennt. Schon liegt
bad verhängnißvolle Schiff bereit, als Denone, eine Geſtalt von
der einfachen griechifchen Anmuth, weicher ein fo wunderbarer
Bauber innewohnt, noch zum legten Male verfucht, den leichtr
manigen Gemahl von der Fahrt abzuhalten, deren unfelige Fol⸗
gen fe oo
x eng fließt. fig hieran der Gegenſtand des achten,
sausfiebt. Der mächtige Flußgott im Borgrunde er⸗
fbeint hiernach fehr natürlich als der Water der Denone, Ke
ven, welcher die Hand auch abmahnend erhebt. Daß hier Kopf
und Arme des Paris neu find, thut der Auslegung Leinen Ein:
trag, welche in der erſten Bignette alücklich durch eine von
Milingen edirte Ihonvafe mit beigelchriebenen Namen, auf
welcher fih auch ber Flußgott findet, unterflügt wird. Sehr
weckmaͤßig enthält die andere Vignette die re und aus
—** —* der Entfuührung der Helena nad dem Re:
lief des Haufes Garaffa im Mufeum zu Neapel, worauf in der
für die. griechiſche Auffaffung fo harakteriftifchen Weife die He:
lena von der Aphrodite und der Peitho, Paris aber von dem
Eros zu dem entfcheidenden Schritte beredet wird.
Das neunte unter dem Papſt Elemens XI. auf dem Aven⸗
tin gefundene und jegt im Capitoliniſchen Mufeum befindliche
Relief, welches den Ilafenden Endymion barftellt, zeigt in
wunderbarer Wahrheit, Grazie und Binfachheit in der ſchoͤnen
jugendlihen Geſtalt das Übernommenmwerden vom Schlaf, be:
vor der Schläfer noch eine bequeme Rage dazu bat annehmen
Tonnen. Sehr gut hebt der Verf. die‘ Keinheit hervor, womit
buch das Bellen des emporfehenden treuen Hundes das Naben
der Diana angedeutet ift, weiche felbft darzuftellen bier der
Raum nicht geftattete. Ungemein glücklich wird in der erften
Vignette Die bier fehlende Göttin durch die Statue derfelben
im Braccio nuovo des Batitans vergegeniwärtigt, deren (Ge:
berde vortrefflih das freudige Erftaunen über den fchönen
Schlaͤfer ausdrüdt. Eine von Guatani mitgetheilte Statue des
auf den Boden ausgeſtreckten Endymion, welche im Motiv eine
große Übereinitimmung mit der großartigen Statue beffelben in
Stodholm zeigt, ift Der Gegenfland der zweiten Vignette.
Perſeus und Andremeda nach dem berühmten, unter dem
Palaft Muti bei der Kirche &t.: Apoftoli gefundenen Relief im
Eapitolinifhen Mufeum, macht den Gegenftand des zehnten
Reliefs aus und ift nach dem Gefühl deB Ref. die Krone der
anzen Folge. Nur felten hat mol die Kunft den Gegenfag
Keubiger und auf eigene Kraft beruhender Heldengroͤße und
hülfsbedürftiger und durch unbewußte Schönheit über jene wie-
der fiegreiche Brauennatur in fo einfacher und. binreißender
Weiſe dargeftellt als in diefem Werke. In dem Motiv des
Perſeus macht der Eontraft des Emporſtreckens der Rechten
zur Andromeda und des beforglidgen Verbergens des töbtlichen
Medufenhauptes mit der Linken, fo ganz aus dem geifligen Ge⸗
halt der Aufgabe heraus, eine herrliche Wirkung. Bergeblich
aber ringt die Sprache, den Eindrud jener bolden, jungfräu:
lihen Schüchternheit in ber Andromeda wiederzugeben, tve
gefenkten Blickes die hülfreiche Hand ihres Netterd ergriffen
bat und verzagten Schrittes im Begriff ift, den Zelfen Dinab-
aufteigen, während in Folge biefer Bewegung die fchönen For⸗
men der ſchlanken und edeln Geſtalt durch das leichte Gewand,
welches fie umwallt, deutlicher hervorfchimmern. Der Verf.
macht es hoͤchſt wahrſcheinlich, daB dem Kuͤnſtler hier die Tra⸗
gödie des Euripides, welche diefen Stoff behandelte, zum Vor⸗
bilde gedient hat. Sehr charakteriftifch ift e8, Daß vieles ges
rade von dieſem Dichter aelehen, weicher auch in fo mandhen
andern Beziehungen einen Übergang von der ſtreng griechiſchen
zu einer der romantiſchen verwandtern Sinnesweiſe macht,
MERASMENRASEERAASEEIGIEEEL: Aieiieesee
‚einem von
denn jener Wiyihos
ſtes mittelalterlichen
heiligen Georg en
z. B. vondem A
tereſſanten
deſſelben &
eben IR. @inen zode.
gewaͤhrt Das ſchone ponwejaniſche Gemälde
e in Der erſten Bignette. Die zweite, nad
elief, zeigt denfeiben im
, DAB man daraus auf’eim
* ſchon 33 ege einds großen
damit genſtuͤck Perſens
edufenhaupt und die ihn ſchirmende Pallas, ımd im
der Mitte die us Unabyomene- verbunden.
Herakles bei den Hesperiden nad einem Relief der Billa
Albani ift für die eifte Worftellung gewählt worden. Beion-
ders anfprechend ift hier die Geſtalt der einen Hesperibe,
fittig und beivundernd vor bem ruhenden, Bier jugendlich ge
nommenen gelben feht und den Apfelzweig, das antike Zei:
hen der Liebeserklärung, halt, fobaf hierdurch nach der tref-
fenden Bemerkung des Verf. der Kohn der Heldenthat angebeu:
tet wird. Bon der andern Hesperide find leider im Driginal
nur wenige Überrefte erhalten. Die erfte Bignette nah einem
Meinen Relief in derſelben Wille zeigt den Heraßles, wie ev
nad Bollbringung ‚berfelben Helbenthat fih am Weine labt,
in der zweiten, nad einer Vorſtellung auf einer itiliſchen
Vaſe genommen, aber iſt derſelbe Bosgang ins Lächerliche ge:
zogen. In Gegenwart des Hermes und Jolaus ift der Sohn des
Zeus in komiſcher Haſt Lief gebüdt bemüht, Die goldenen Apfel
in ein Körbihen zu fammeln.
._ Den Beſchluß macht endlich ein anderes Relief aus der
Billa Albani, Daͤdalus, welcher ſidend emfig an cincm Flü-
gel arbeitet, deflen Spige von dem banebenftehenden, ſchon be-
flügelten Zkarus gehalten wird. Der Gegenſat des befonne:
nen, werkthätigen Künftler6 mit dem müßigen und bedachtiofen
Juͤngling ſowie die ſtilgemaͤße Ausfüllung des Raums wird
bier mit Feinheit gewuͤrdigt. Die zwei Fragmente, welche von
dieſem Werke noch vorhanden find, haben durch ein anderes
Relief derfelben Billa, welches dieſen Gegenfland nur weniger
ſchoͤn behandelt, gluͤcklich ergangt werden koͤnnen. Es iſt hier
in der erſten Vignette gegeben worden, waͤhrend die zweite
nad) einem pompejaniſchen Gemälde und bie traurige Folge der
Undefonnenheit des Ikarus vor Augen führt, wie er am Ufer
des Meeres herabgeftürzt entfeclt daliegt und von dem beran«
fliegenden Vater aus den Lüften voU Schmerz betrachtet wird.
Möchte des dem Ref. unbekannte Preis diefes ſchoͤnen Werks
ber Urt fein, daß auch minder bemittelte Kunflfreunde zu dem
Befige befielben gelangen koͤnnen, und möchte Daflelbe in der
Richtung, uns das Schöne antiker Kunfk in würdiger Weiſe
vorzuführen, recht zahlreiche Nachfolge finden! ww.
mn
Literarifhe Notiz.
, Biftorifhe Bibliographie -
Für alle Diejenigen, weiche ſich die Erforſchung det fran«
zoͤſiſchen Geſchichte zum Begenftande befonderer Unterfucgungen
gewählt haben, iſt vor Burzem ein wichtiges Werk erfchienen,
welches allerdings nur ein bibliographifches Intereſſe in An:
ſpruch nimmt, aber nichtödefloweniger für den Nachweis der
Duellen und litevarifchen Hülfsmittel ein unentbebrliches Hand:
bud) iſt. Diefed Werk führt den Zitel: „Bibliographie his-
torique de la France ou catalogue de tous des onvrages
imprinds en francais depuis le quinzieme sidele jusqu au‘
mois d’avril 1845”, von A. Gerauit de Saint-Fargeau. Die
Nubriten, in die daB gefammte Material zerfällt, find fol:
gende: I) „Division g&ographique ancienne de la France”;
„Preliminaires g6neraux de !’histoire de France”; 3) „Car-
tes geographigues”; 4) „Ville de Paris’; 5) „Andiennes
provinces et leur subdivision en d&partements.” 1. -
Besantwertliger Hrrauögcher: Heinrich Srockana. — Deu und Werleg von F. X. Musdyans in Leipgig.
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Blätter
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literarifche Unterhaltung.
Dienftag,
tur und Kunſt auf einer Reife ins mittägige Frank—
reih. Von Johann Gottlob von Quandt.
(Beſchluß aus Nr. 89.)
Die Schenswürdigkeiten im Mufeum zu Avignon —
fehr intereffant voa# darüber S. 122 fg. gejagt ift — ge
ben dem Reiſenden unter Anderm zu ber Bemerkung Anlag:
Es ſchienen die frühern Bewohner diefer Gegend fih mit
Brennen von Gefäßen und Ziegeln viel befchäftigt zu haben,
worauf auch noch die vielen Stempel hindeuten, womit ders
leihen Arbeiten bezeichnet wurden, deren eine große Anzahl
in dem Mufeum aufbewahrt werden. Man bat no unDenuge
Borräthe von fehr Feftgebrannten Biegeln aufgefunden. In
mehren haben fih Hühnerfüße und Hundepfoten abgebrückt,
ehe die Ziegel getrodnet waren. Die Thiere die darüber hin:
Tiefen Wr nicht, daß dieſe Zeichen ihres Lebens uber ein
Schrtaufend nach ihrem Zode fi erhalten würden. Auch ein
fchöner jugendlicher Menfchenfuß war in dem einen Ziegel ab⸗
gedrüdt. Ich hätte gern etwas Beftinnmteres über den Lebens:
wandel diefed Fußes gewußt. Meine Phantafie bildete bie Ger
ftalt aus den weichen Formen diefer Sohle bid zum Scheitel
Hervor. Es war bie eines Zünglings in der Zeit zwijchen dem
jugendlichen Zräumen und männlidhen. Erwadhen. Ih fah
wie er unbewußt fpielend und finnend feinen Zuß in der wei»
hen Erde abdruͤckte.
Wenn dieſes ex ungue leonem mehr fein foll als
das Spiel einer momentanaı Phantaſieanregung, fo
Tann man nicht umbin, Die Größe eines alfo ausgebilde-
ten Formenfinns zu bewundern. Nicht unzwelmäfig
ift dem Reiſeberichte über Avignon viel Hiftorifches ein-
gewebt, was infonberheit binfichtlich der paͤpſtlichen Burg,
jetzt Aufenthalt cafernizender Regimenter, lebendig den
Gontraft zwifchen Damals und jegt Hervorhebt. Man
ermißt, wie viel Liebes und Gutes hier von ber neuen
Bewohnerſchaft alte Wandgemälde haben zu erleiden
gehabt. Von ben. noch fichtbaren Gemälden erklärt
Duandt die in dem mittlen Stockwerke bee fübli-
chen Turmes für unverkennbare Werke Biotto’s,
was alle Fälle nicht widerlegt wird durch Die felt-
famen Kinblichkeiten, die baran zu fehen find. 3. 8.
alle Heiligenfiheine ftellen füch als runde Scheiben, die
Köpfe mögen von vorn oder: von der Seite anzufehen
fein. Bon mehren folchen Heiligenfdfeinen find bahin-
terftehende Figuren bedeckt. Ubrigens ſcheint es, man
Hat den Kuͤnſtler die Cartons zu jenen Gemälden ent-
werfen lafien, ohne dag man ihm Notiz gab ober er
Notiz ‚nahm von ber runden Form des Saales mit be-
deutenden Fenſtervertiefungen, woreus der Ubelftand
bersorgegangen ift, daß einige Köpfe gerade auf ſolche
Stellen gefommen find, wo die Wände Ecken bilden, fo-
daß Hintertheil des Kopfes und Geficht fich auf ver-
fchiedenen Flächen befinden. Nicht ohne Bedeutung ift
folgende ſcheinbar unmwichtige Scene. Der Reiſende
hatte die heißen Nachmittagfiunden in den ſchauerlichen
Räumen ber päpftlihen Burg und in dem Dome zu-
gebracht und machte jenfeit der Rhone (S. 144 die an»
fprechende Legende von Erbauung der Brüde zu St.-
Benezet) einen Ausflug nach der reizend gelegenen klei⸗
nen Stabt PBilleneuve. Die Wanderung unterbrechend
laͤßt er fih auf einem Steine nieder, die Yusficht zu
genießen; 4
allein ein alter Fiſcher ſchickte einen Knaben in feine Hütte
und ließ mir einen Seſſel bringen. Bein Anſehen war fü
ftattlih, obwol er nur geringe Kleider trug, daß ich nicht
wagte ihm eine Bezahlung für die Gefaͤlligkeit anzubieten. Ex
fragte mich eenft und befcheiden nady meinem Baterlande —
ed ift Dies immer die erfle Frage der Reute aus dem Bolke.
Bon Deutföhland kannte er nur den Rhein. Gr lobte die
Deutichen und fragte, ob fih Deutfchland von ben Verwüſtun⸗
gen des Krieges erholt habe. Bald gefellten fi Mehre zu
und, die von Strömen und Meeren, an weichen Deutſchland
liegt, gern etwas erfahren wollten. Einer fagte gang lauf,
die Deutisgen find “Brave Beute, fie. Haben die Mourbond auf:
genommen.
Mancher Lefer, der von König Rene nicht viel
mehr wiſſen dürfte als bie Erwähnung "beffelben in
der „Jungfrau von Orleaus“, mind überrafeht fein,
eines Gemäldes beffeiben gedacht zu finden, das der
Neifende im Hoſpital zu: Villenenve betrachtete,
ftellt den Zuſtand der Seelen nach dem Tode vor
und ift nach Quandt's einem franzöfifchen Kunſtkenner
beiftimmenden Uetheile eins der aller vortrefflichften
Werke des 15. Jahrhunderts. Hierbei verbreitet fi
Quandt umftändlih in Erörterung der für die Kunfl-
geſchichte wichtigen Frage über das Wusreichende ber
Gründe, aus weichen man den König Nend für einen
Schüler des van Eyk ausgegeben, was begreiflicherweife
von allgemeiner kunſtgeſchichtlicher Bedeutung iſt, info-
fern es fih um den Einfluß handelt, ben deutſche Kunſt
auf die franzöfifche. geübt. Wichtig wird diefe Stelle
auch den Werehrern ber „Divina commedia ” fein ale
&s ’
858
abermäliger Beleg, wie diefes in den Augen der Sept-
‚welt abftrufe Gedicht für die Zeitgenoffen fehr populait
fein konnte. Wir übergehen, als keinen Auszug geftat-
tend, das Viele, was außerdem über Kunftgegenflände
in bem Buche gefagt iR (fo 3. B. die Deutung, welche
einem Gemälde des Lukas Kranach in Karlsruhe gege⸗
den iſt, &. 326, das man bisher für einen Ritter er-
Härt hat, ber unter drei Nymphen feine Gattin wählt,
fowie die Gefchichte Würtembergs in Gegenbauer’s Fresco⸗
gemälden, &.333 fg.), halten uns aber fir‘ verpflichtet
auf die Gefchichte der Malerei zu vermweifen, welche
einen in ſich abgefchloffenen und gewiß höchft anzie-
henden Beftandiheil der Schrift bilde. Zeugniß für
den Werth dieſer Betrachtungen fcheint Nef. zu liegen
‚in ber Bemerdung : °
Was in einer Zeit gemalt wird, wie die Gegenftände auf:
gefaßt, bie Aufgaben gelöft werden, läßt uns zugleich einen
tiefern Blick in die Sinnedweife einer Generation thun, und
gerade in einen Lebenskreis hineinfehen, der fi uns nicht in
den großen Weltbegebenheiten auffchließt.
Mer hierin keine unableugbare Wahrheit findet, hat
entweder nie Niederländer gefehen ober fie doch ohne
‚ allen Sinn für das Mefentliche derſelben gefehen.
Quandt bedient fi) eines andern, die Wahrheit fei-
ner Worte nicht minder beftätigenden Beifpield, indem
er ſagt:
Es ift beinahe rührend, wenn man Bilder vor fich fieht,
die in Deutfchland zu Zeiten Friedrich's des Großen gemalt
wurden, 3.3. die Meinen, freundlichen, ftillen, fleißig gemalten
Landihäftcgen, die Portraite gepugter laͤchelnder Herren und
Damen, erſtere oft in der einen Hand eine Dofe, in der an:
dern eine Prife haltend, wobei der kleine Finger ausgefpreizt
wird, und die Damen mit einem Fächer fpielend; die Stillies
ben und Dorfſchenken.
Telugg eined gemüthlihen, fehr befchränkten und harmloſen
Volkscharakters, wovon die Geſchichte einer Zeit nichts ahnen
läßt, in der fi ein deutfcher Fuͤrſt mit den größten Mächten
Europas herumſchlug? Geliert's Fabeln und Geßner's Idyllen
gehören ja auch jener Zeit an und bezeichnen eine Sinnes⸗
weife, die wir aus der Weltgefchichte nicht errathen und er:
Hören Fönnen.
- Noch einen Gegenfland, den Quandt überall be-
handelt bat, wo fich ihm. dazu Veranlaffung bot, fön-
nen wir ebenfalls nur erwähnen, wir meinen Dasjenige,
: was er über die auf der Reife von ihm betrachteten
Dentmale mittelalterlicher Baukunſt fagt und infonder-
heit darauf hinausläuft, die Auffaffung des Spitzbogens
als conftructiven Elements eines darauf beruhenden ei-
genthümlichen Bauſtils den Deutfchen zu vinbiciren.
Diele Partie des Buchs kann nur von dem ganz ſach⸗
kundigen LZefer gewürdigt werden. Schwerlich aber hätte
es in diefer Beziehung der entfehuldigenden Mormorte
beburft:- |
Hinfichtlih meiner ardjiteltonifchen Betrachtungen, welchen
ich zu viel Raum vergönnt habe, muß ich die Leer um Ge:
duld bitten. Ich Bonnte Beine Gelegenheit vorübergeben laflen,
weiche fi) darbot, meine Überzeugung zu befefligen, daß der
Spigbogenftil nicht in Frankreich, Sondern in Deutſchland aus:
gebildet wurde. Wem die Frage, welchem Volke der Spig:
bogenftü angehört, eine ſolche Herzensangelegenheit ift wie mir,
der wird die Wiederholungen dieſes Begenftandes gern verzeihen.
Geben und diefe Bilder nicht die Vor⸗
Deffen womit wir in Dem was Kunft heißt uns
auf leiblih würdige Weiſe mit dem Alterthum meffen
Tönnen, gibt es ja fo wenig, und in diefem Wenigen
fteht die fogenannte gothifche Baukunſt fo bemunderns-
werth und fiaunenerregend da, daß bie Frage: Db der
Spigbogenftil (nicht der Spigbogen) deutſche Erfindung
fei, von größter Bedeutung für Jeden fein muß, der
überhaupt Kunft- und Gulturgefhichte nicht von dem
Wiffenswerthen ausfchlieft und in irgend einer Bezie-
bung fi zu dem Publicum unfers Reifenden rechnen
darf. Diefem Publicum find die Schriften Quandt's
ſchon durch fich felbft fo hinreichend empfohlen, daß zu
Empfehlung der jegt angezeigten wir vielleicht, ſchon viel
mehr gejagt haben als nöthig geweſen wäre. 29.
⸗
Sklavenemancipation.
In den vor kurzem erfchienenen „Brief notices concerning
Hayu and Jamaica” von John Eandler findet man ſehr in-
tereffante Rachrichten von der Wirkung der Emancipation der
&Haven in den engliſchen Colonien Weſtindiens. r Verf.,
der zur Sekte der Quaͤker gehoͤrt, hat die von ihm mitgetheil⸗
ten Thatſachen mit eigenen Augen geſehen, und ſein Zeugniß
verdient allen Glauben, da cr ein Mann von geſundem Ber:
ftand, richtiger Urtheilskraft und größter Unbefangenheit if. .
Nach feiner Behauptung hat die völlige Freilafiung ber Skla⸗
ven auf der Infel Iamaica und. in den übrigen engliſchen Be:
figungen Weftindiens den glüdlichften Erfolg gehabt; alle Claſ⸗
fen der Bevölkerung freuen fi über das Refultat, welches die:
fetbe gehabt. Die Vorherfagungen der Pflanzer und Gutsbe⸗
figer in den Eolonien, welche verkündigten, die einmal freige-
laffenen Sklaven würden ein faules und landftreicherifches Vodik⸗
chen werden, welches dem Lande nur Schaden bringen würde,
die Felder würden nicht angebaut werben, Das Leben der Wei—
Ben würde gefährdet und ihre Befigthum ruinirt fein: alle
diefe und ob andere ebenfo beunrubigende Prophezeiungen find
durch die befriedigendften Refultate wiberlegt worden. Das Ge⸗
gentheil von Dem, was man vorhergefagt, fand ftatt, und Ja»
maica und die übrigen Inſeln find auf eine neue Bahn der
Woblfahrt eingetreten. Der Aderbau findet gegen Lohn im-
mer zur Arbeit bereite Hände; Bettelei und Herumſtreichen
find unbefannt; die Zuder: und Kaffeeplantagen, welche im
Unfang der Sklavenemancipation theilweife verhachläffigt wur⸗
den, weil die Aufſeher die Unvorfichtigkeit begingen,, die
jegt freien Arbeiter blos durch Gewalt anzutreiben, fangen
an ihre ehemalige Pruchtbarkeit wieder zu gewinnen. Swei
Jahre lang nahmen die Producte durch das unfluge Berfahren
ber Pflanzer abs; im dritten brachte eine anhaltende trodene
Witterung den Miswachs. Aber tiefere Einfiht in bie Staate⸗
und Landwirthſchaft und ein Blügere® Benehmen der Planta⸗
gen : und übrigen Gutsbefiger haben Alles wieder gut ges
macht; die Ernten fallen wieder reichlich aus, ‚und man bat
jegt allen Grund, für die Zukunft einen ausgedehntern
Handel und einen immer zunchmenden Wohlſtand zu hoffen.
Sohn Gandler hat die Infel Jamaica in allen Bichtungen
bereift und Beinen Menſchen gefunden, der die flattgefundene
Beränderung zu beflagen fthien, Eeinen einzigen, der, auch mit
Abfiht auf Gewinn, die ehemalige Sklaverei der Schwarzen
zuruͤckwuͤnſchte. Er fprady mit Menſchen aus allen Ständen
unb Glaffen, von dem Statthalter und den Richtern der Infel
bis zum Bollbeamten herab, und Alle bezeugten einftimmig, daß
die Früchte der Freiheit vortrefflich find. Der Fremde, der in
biefem Sande reift, Bann fich wirklich bei jedem Gchritt von -
dem Guten überzeugen, welches die Freiheit dem Urbeiter ge
bracht Bat, und eine Peine Anzahl einfacher und in die Au:
gen fallender Shatfachen beweiſen es, wie günflig fie dem Eis
ne voll
genthümer iſt. Es ift durch zahlreiche Beiſpiele ausgemacht,
Daß alle Befigungen jegt befier und wohlfeiler als zur Zeit
der Sklaverei angebaut find. Es ift eine allgemein anerfunnte
Zhatfache, DaB die Koften für bie Unterhaltung der Felder, wo
maͤn dad Vieh weidet und mäftet, weit geringer find wie fonft;
bie größten Naffeepflanzungen werden um einen wohlfeilern
Preis cultivirt und die größten Pflanzungen von Zuckerrohr
often an Arbeitslohn wenigftens nicht mehr wie chemals. Es
it allen Befigern dieſer Ländereien volllommen einleuchtent,
daß fie den Theil von den 20 Millionen, welcher ihnen zuge:
fallen ift, für nichts erhalten haben. Der den Pflanzern von
Großbritannien bezahlte Schabenerfag dient ihnen nicht dazu,
durch die Abichaffung der Sklaverei erlittene Berlufte zu decken,
fondern zur Abtragung der gehäuften und ſtets wachlenden La⸗
ften, welche das unterdrüdende Syftem der SHaverei nad und
nad) herbeigeführt hatte. Ein großer heil der Beſihungen in
Beftindien war ſehr vesfehuldet und mit ſchweren Hypotheken
beladen. Die von der Regierung bezuhlte Schadloshaltung hat
dem Übel abgebholfen. Statt wie fonft allerlei Pladereien und
Beſchraͤnkungen in feinem Handel und Verkehr unterworfen zu
fein, bat der Pflanzer jegt die Freiheit, feine Producte nach
dem Markt zu ſchicken, wo er fio am vortheilhafteften abjegen
Bann, den fähigften Kaufmann zu feinem Eorrefpondenten zu
wählen und die Zransporsloften in die okonomiſchſten Grenzen
zu beichränfen. Ein Schritt auf der Bahn der Hkonomie führt
zum andern; der Pflanzer fieht fih um; glücklich durch den
Erfolg feiner Erfahrung verſucht er’ eine andere; indem er all«
mälig vorjchreitet, wie jeder vorfihtige Wann es immer thun
muß, befiert er fi) nad und nad) von feinen alten Gewohn⸗
beiten der Nachlaͤſfigkeit und unnöthigen Ausgaben und endigt.
damit, ſich von dem Zuſtand der Dürftigkeit, worein feine Ge⸗
wohnheiten ihn gebradt hatten, zu befreien. Died iſt die
Folge ded gegenwärtigen Zuſtandes der Dinge, d. h. der dem
Sklaven gegebenen Freiheit und der dem Deren gegebenen
Danbelsfreiheit, daB der Werth des Landbefiges merklich zu
nimmt, und daß in den meiften Fällen der ehemalige Preis
der Sflaven fi jest in den größern Werth, den ber Boden
gewonnen hat, wieder findet. Biele Kändereien werden heutzu:
tage zu einer weit hoͤhern Summe verkauft als die Veraͤuße⸗
rung von Rand und Sklaven zufammen eingetragen haben
würde zu der Zcit, da man ſich noch über die Abfchaffung der
Sklaverei ftritt. Auch in diefem Ball bewährt fi) mithin das
alte Spruͤchwort, daß die Gerechtigkeit die befte Politik if.
" Uber au wenn der Pflanzer beweilen koͤnnte, daß diefe Ver:
änderung ftatt ein Gewinn für ihn zu fein ihm eimen Ber:
luft verurfache; wenn man weniger Buder und Rum aus
führte und wenn ber Ertrag von den Kaffee» und Zuckerrohr⸗
pflarzungen geringer wäre, was hätte diefer kleine Rachtheil
zu bedeuten in Vergleich mit dem unermeßlicdyen Bortheil, wel:
chen die Errichtung einer arbeitfamen Communität berbeige:
führt hat? Gefegt den Fall, die Grundbefiger hätten wirklich
ein geringeres Ginfommen als fonft; aber das gemeine Volf
iſt beſſer genährt, beſſer logirt und befier gekleidet, man baut
Kirchen, Kapellen und Schulen, man fucht die @rziehung,
wohnt dem Sffentlicgen GSottesdienfte bei, Die Befängnifle leeren
fih nad nnd nad, und freie, fromme umb fittliche Urbeiter ber
bauen jest einen Boden, der noch vor nicht langer Beit durch
Ketten und die Sklavenpeitſche gefchändet war. 31.
Bibliographie.
a —— — 5 die ee 2 befonderer nut auf
und Bermefung : der nen. ettin, Worin.
1845. &r. 8. 10 Kar. 8
Beyer, M., Das Auswanderungsbuch, oder Fuͤhrer und
Rathgeber bei der Auswanderung nad) NRordamerika und Teras
in a Ueberfahrt, Ankunſt und Anfiedelung, nebft ei:
ändigen Schilderung des geographifihen, politifchen
und gefelligen Buftandes jener Länder und genauere Erbrterung
aer bei der Ausrwanderung Air berückfichtigenden Punkte. Groͤß
tentheils nad eigener Auffaſſung ‚während eines jährigen
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Buſche, H. vom, Zriedrih Karl Freih. v. Mofer. Aus
feinen Schriften fein Geift an das 19. Jahrhundert. Stutt⸗
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Deutfche Gefchichten in deutfchen Liedern. Iſtes und 2tes
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Heufinger, E., Dieffeit6 und jenſeits des Oceans.
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Jäkel, E. J., Geſchichte der Reformation von Luther’s
Zode bis auf unfere Beit. Volksbuch. Ajtes Heft. Leipzig,
Naumburg. Gr. 16. Für zwei Hefte 10 Nor. ’
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guflage. Münden, Literarifchsartiftifche Anftatt. 8. 1 hie.
gr. 0
— — Schnadahüpfln und Sprühln, mit Bildern von F.
Pocci. München, Literarifchsartiftifche Anftalt. 8. 8 Nor.
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lehrung und Erbauung. Iſtes Heft. Breslau, Aderholz. 8.
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gart, Hallberger. A. 8. 1Thlr.
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tona, Schlüter. 1845. Gr. 8. 7%, Nor.
„tyra, 8. W., Plattdeutfhe Briefe, Erzählungen, Ge:
dichte u. |. w. mit bejonderer Rüdficht auf Spruͤchwoͤrter und
eigenthümliche Redensarten des Landvolfs in Weftphalen. Osna⸗
brüd. 1845. Gr. 8. 22%, Nor.
Marienlegenden. Gtuttgart, Krabbe. 8. I hir.
Meißner, I. C., Allgemeine europäifche Wechſelpraktik.
Rah den Quellen bearbeitet. Rürnberg, Schrag. Gr. 8.
1 Thlr. 4 Ngr.
Montholon, Gefchichte der Gefängenfchaft auf St. He:
lena. Deutih von U. Diezmaun. Mit dem Portrait des
Kaiferd und dem Zacfimile der Handſchrift Montholon’s. Ifte
Lieferung. Leipzig, Zeubner. Gr. 16. 3 Nor.
Mor vell, Memoiren eines Berliner Rachtwaͤchters. Sechs
Bändchen. Danzig, Gerhard. 1845. 8. 2 Thlr.
Riebuhr, B. G., Geſchichte des Zeitalterd der Revolu⸗
tion. Borlefungen an der Univerfität 3_ Bonn im Gommer
1829. ZweiBände. Hamburg, Agentur des Rauhen Hauſes.
1845. 4 Thir. '
Dämonifche Reifen in alle Welt. Nach einem noch unge:
drudten franzöfifchen Ranuferipte bearbeitet. Ifte Lieferung.
Zübingen, Dftander. Br. 8. 10 Kor.
Reybaud, 2., Serome Paturot, oder der Kampf um Stel:
fung in der Gefellfchaft. Aus dem Kranzöfifchen. Bmei Bände.
Stuttgart, Hallberger. Kl. 8. 2 Zhlr.
Ruppius, D., Die Schlacht bei Leuthen. ittenbild.
aus dem vorigen Jahrhundert. Berlin, Simion, 8. 10 F
Schmidt, Geſchichte der Stadt Schweidnig. Iſte und 2te
Sieferung. Schweidnig, Heege. Gr.8. Für drei Lieferungen
r
ouveſtre, E., Die Verworfenen und die Auserwaͤhlten.
Aus dem Franzoͤſiſchen überſetzt. Drei Bände. Stuttgart,
Hallberger. 8. 3 Thlr.
Staudenmaier, F. U, Zum religiöfen Frieden der '
Zukunft, mit Ruͤckſicht auf die veligiös : politiſche Aufgabe der
Gegenwart. 8wei Theile. Freiburg im Br., Wagner. Gr. 8.
2 Thlr. 7%, Rar.
€., Der ewige Jude. Aus dem Branzöffichen über:
Sue
F aRit Holafepnitten. Iftes Heft. &tuttgart. 1845. Ler.d.
Hebe etzungs· Bibliothek ausgewählter Schriften der mober-
nen polniſchen Literatur. Iter Band: Die Reife ohne Biel.
Aus dem Leben. Rad dem Polnifchen des Grafen von Star:
v
bet. Deutfh von E. v. „zoftem. Smei heile. Berlin,
v. Puttkammer. H 1 5
Burſt, 8.3, Eine bie sphifge Skizze. Mit dem Bild.
niffe — Reutlingen, Maͤcken Sohn. Lex.⸗8. I0 Rgr.
Zagesliteratur.
. Übel, 8.2.€., Ihr feib allzumal Einer in Chriſto Jefu-
Ein Reujabräwort, unter den reli iöfen Beitbemegungen geſpro⸗
chen am I. Januar 1846 Reraufen, Köhne. 8. 3 Nor.
Behrens, ©. H., Wie muß die proteflantifche Kirche fich
entwideln, wenn F m Sinne Sefu gefchehen fol? Ein Bor:
trag über Matth. 28, 18 — 20. Braunfchweig, Rademacher.
Gr. 8. 2% 3.
Brand, Badelzug für 3. Ronge. Breslau. 1845.
Ler.3. 2% Nor.
Bülom-Cummerom, Das normale Geldſyſtem in fd
ur Anwendung auf Preußen. Berlin, Beit und Comp. Gr.
Nor
—* Julian Chownitz, Gründer und Geſchichtſchreiber
der erſten deutſch⸗ katholiſchen Gemeinde in Schwaben. Beleuch⸗
tet von einem Finſterling. Ulm, Seitz. 1845. 8. 2 Nor.
Ehriftus, Der gei⸗ des Heils und der Stein des Anſto⸗
ßens. Drei Predigten, gehalten von den drei Predigern ber
evangelifchelutherif n Gemeinde in Elberfeld (U. S. Jaspis,
J. F. €. Sznder W. Hülsmann). Elberfeld, Haſſel,
1845. Gr. 8. 5 Rer.
Decker, a, ‚Ordnung des Gottesdienſtes und der kirch⸗
lichen Handlungen in ber Gemeinde Klein:Wefenberg, ald Ver⸗
ſuch zum Entwurf einer Sälsiwi a heiten Kirchenagende.
—* Schlüter. Gr. 8
Ficker, C. G., So Lange Died unfere evangelifche Kirche
fein und bleiben, fo lange fie fi zum Deren als dem Geifte
bekennt. Leipzig, Klinkhardt. Gr. 8. 3 Nor
Geiſſel, I. v., Feſtrede bei der, Sujäßrigen biſchoͤflichen
Jubelfeier des Biſchofẽ von Münfter Caspar Mar, Reichsfreih.
y. Drofte zu Viſchering im Dome zu Muͤnſter am 6, Septem⸗
ber 1845. söln, Bahem. 1845. Gr. 8. 4 Nr.
Göring, C. E. 8, Ermunternde Anfeitung zum Bibel:
lefen. Dinkelsbühl. S. 2%, Ror.
Hagen, €. 2, Am Grabe Luther's. „Brei Keine Gaben
für das deutſche Voir. Jena, Luden. RI 8. 6 Nor.
Heſſenmüller, ©, Dr. Mart. Luther's Wirken, Tod
und Begraͤbniß, nach den Quellen dargeftelt: Braunſchweig,
Rademader. Gr. 8. 15 Rgr
Der Sefuitenorden und fine Unverträglichkeit mit den peut:
hen ee paltniflen, Stuttgart, Ebner und Seubert. Gr. 8
gr
"ampadius, W. A., Die deutſch-katholiſche Bewegung
von ihrem erſten Entſtehen bie auf die Gegenwart aus protes
ſtantiſchem Geſichtspunkte hiſtoriſch⸗kritiſch Beleudtet. Zugleich
ein vorbereitender Deituo rünbung einer deutſchen Na:
FiomalEisde. zeipzs, 28 Gr. 8. 7% Rgr.
Le Beau, 2., Voͤm Einfluſſe des Sündenfales auf die
Schöpfung. Mit einem Anhange; „Wider Ulmann’s 40 Säge
über Pehifreipeit 40 Segenfäge über den Lehrweg der prote⸗
Rantithen Kirche.” Freiburg im Br., Wagner. 1345. 12.
gr
Liliencren, R. v., * deutſche Kirche. (Gedicht.)
Kiel, —— Gr. 8. 1YR
Loͤhe, W., Zuruf aus der Heimat an die deutich - luthe«
riſche Kirche Nordamerikas. Beiſtimmende unterſchrif.
ten. Stuttgat, Kiefhing. Schmal 4. 5 Ror
Der Magiftrat von Berlin vor feinem önige. Urtheil
de6 Journal des Döbats vom 23. Dctober 1845. Franzoͤſiſch
. mit mit beuefcher Kbenfegung, Berlin, Buchhandlung bes Leſccabi
Petition an die Ständer immbung des Königreichs Sach⸗
- fen vom Stadtrathe und ben Stadtverordneten zu k rg um
Verantwortlicher Herausgeber :
Berwendung für die genauere Unterfugung der Susfüßcharkeit
einer @ifenbahn für den erzgebirgifchen Kreis zwifchen Dresden
über Brebers a ber na Fr ap Cilenbapn. Freiberg,
Cra
ä— on, eig —— —8 bei dem erſten
Sottesdienſte der Genofſenſchaft für Reform im Judenthum zu
Berlin. Rebſt der Ginleitungsrede zum Gottesdienfte, gehalten
von S. tern. Berlin, Simion. 1845. 8. 5 Nor.
Brebigt über das Thema von einer Sekte, die Ach *
yeliſche 8 re et Für das katholifche Bol. Um, Bei
14, R
Eine Predigt. Der kathouſche Slaube wird von aller Weit
angenonmen werben. Kür das katholiſche Boll. Um, Geip-
1845. 8, * Rar.
Der ächte Rod Chriſti, der im Jahre des Heils 1845 zu
Schwabiſ uͤnd ausgehaͤngt wurde, an das Licht bes Evan⸗
geliums und der Bernunft geſtellt von Romano - Cathelicus.
Um, Seig. 1845. 8, 23 Kor.
Köhr, I. F., Semeinverfänblice und fehriftgemäße Dar-
ftellung der Grund⸗ und Glaubensſaͤtze ber evangelifih » prote-
ſtantiſchen Rinde. 2te vermehrte Au Neuſtadt a. d. O.,
Wagner. 8 7 Nur.
— — Dringende $inweifung auf die den heiligen Namen
Jeſu misbraudenben Pharifäer der chriſtlichen Kirche. Predigt.
4te Auflage. Weimar, Hoffmann. Er. 8. 5 Rear.
Roma. Kampf, Sieg, Glanz der katholiſchen Kirche. (Zur
Zubelfeier des Biſchofs von Münfter Gaspar Marimilion Keichtfr.
Drofe zu Biſchering.) Münfter, Deiters. 1845. Gr. 8. 6 Star.
3384 H., Die Wahrheit und ihr. Zerrbild, oder die
roͤmiſch⸗katholiſche Kirchenlehre gegenüber der „Bertheidigung
des Duisburger Katechismus von H. J. Graͤber,“ dargelegt
und gernäebigt, 2te verbefierte und vermehrte Auflage. Em⸗
merih, Romen. 1845. 8. 20 Mer.
Salamin⸗Novarhol, Parallelen aus Anlaß des Leip⸗
ziger Attentats vom 12. en 1845. Diagdeburg, Yalden-
berg und Eomp. Gr. 8
Schiller, 3., Über —** Kinberzuct in Luther’5 Geiſt
und Wort. Mit vorangeſchicktem Berichte Dr. Juſtus Sonas
über Luther's feli e Sinfahre und Melanchthen’s Rebe über der
Leiche deſſelben. Frankfurt a M., Zimmer. 8 10 Rgr.
— — Nachtraͤgliches —— in Sachen der evange⸗
then Kirchenzeitung gegen 72 86 vom 15. Auguft nebft Vor:
Nachtrab. Frankfurt a ‚ Bimmer. Gr. 8. 5 Nor.
d Shroedter, F. A., — E an die Feier des
jährigen Amtsjubiläums und ber Dienftentiaffurig des Ber:
< | Ieflens- Me A anbeote Auflage. Oldenburg, Fraͤnckel. 1845.
t 2, r.
Särocter, €., Eures Waters Wohlgefallen ift es, euch
das Reich zu geben. Gaftoredigt gehalten in der Verſammlung
der Deutſchkat urn in Worms am 30. Novr. 1845. Worms
Rahke. Br. 8. 2%, Nor.
. Bincerus 1 S., Woher die gegenwärtigen Bewegun⸗
en in der evangelifhen ana und wohin werden fie führen?
a mming. 8 5ER
precher für die De «Katholiken. in der gegenwaͤr⸗
tigen e offihen Ständeverfammlung. Hies Heft: die Sprecher
der erften Kammer. Nebft dem allerhöchſten Decrete, der De:
cretsbeilage und dem Deputationsberichte. keipzis, Melzer.
1815. Gr. 8. 7, Nor.
Welcker's Motion, daß die erſte Kammer eine Adreſſe
auf die Gröffnungsrede beſchließen möge. Borgetragen in der
7. ofentlichen Sitzung der Badiſchen 2. Kammer am’O. Dez
1845.) Mannheim, Hoff. Gr. d. 2, NR
Wilfarth, 3. G., 50 kurze Theſes Fr Geiftesfveipeit,
Wahrheit und Prieden in der Kirche. Braunſchweig, Rade⸗
mader. 12. 2%, Ror.
Zarnad, W., Gegen Hrn. Paſtor Balger in Naumburg,
den Bertheidiger des Hrn. Paſtor Uhlich und ber ‚Peotehanti”
ſchen Freunde. Raumburg, Kange. 1845. Gr. 8. 5 Rar.
Beiurich Wrodians. — Drud und Verlag von F. X. DVrockhans in Leipsig
— — —
eu u
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Mittwoch,
— Nr. 91, ——
1. April 1846.
Zur Radridt.
Bon dieſer Zeitſchrift erſcheint täglich eine Mummer und ber Preis beträgt für den Jahrgang 12 Thlr. Ulle
Buchhandlungen in und außer Deutſchland nehmen Beſtellungen baranf an; ebenfo alle Boltämter, bie fih an bie
Königt, ſaͤchſiſche Zeitungsexpedition in vente wenden. * Verſendung ſindet in Wochenlieferungen und
onatsheften ſtatt.
Dramatiſche Buͤcherſchau fuͤr das Jahr 1845.
Erſter Artikel.
Es iſt bekannt, welches Geſetz des Miswachſes in
dem verfloſſenen Jahre alle vegetabiliſche Production durch
faſt ganz Europa getroffen hat; uns ſcheint faſt, als ob
daſſelbe Geſetz auch auf dem Gebiete der Literatur, we⸗
nigſtens der dramatiſchen Production, Herrſchaft ausge⸗
übt habe. Faſſen wir freilich blos die Nummerzahl ins
Auge, fo ift die legte Ernte nicht unter dem gewöhn-
lichen Mittelertrage geblieben; allein die Maffe der tau-
ben, hohlen und unergiebigen Krüchte ift größer, bie ber
ausgiebigen, dauernden und vorhaltenden Erzeugniffe ge
ringer als feit vielen Jahren. Gegen die legtverfloffenen
Sabre, gegen 1844 namentlich, ift das Jahr 1845 ein
calamitofes, ein volllommenes Misjahe zu nennen, das,
etwa fünf oder. fech6 mehr oder minder kunſtgerechte Ar-
beiten von mehr ober minder Eritifcher Bedeutung ab»
gerechnet, kaum eine Frucht hervorgebracht bat, die bis
jur naͤchſten Ernte zu dauern verfpriht. Wollte der
Himmel es entfiände hieraus eine Theuerung, ein Heiß-
hunger nach bramatifchen Erzeugniffen, wie beide leider
nah den Früchten des Feldes entflianden find. Ein
ſolches Ereignif wäre für die Dichter, für die Verleger,
für die Theaterregien und endlich auch für das Publi-
cum ein überaus glüdliches zu nennen und würde in
nädjfter Zukunft ohne allen Zweifel von Jedermann freu-
big begrüßt werben. Nun, wir wollen fehen!
Was wir vor allem Andern unter ben Erzeugniffen
des legten Jahres vermiffen, das ift jene Reihe körniger
und charakternoller, wenn auch nicht gerade fchöner und
poetifher Dramen, welche in den Vorjahren Prug,
Gutzkow und Wiefe lieferten, und mit welchen fie einen
‚neuen lebenvollern Zon im Drama angufchlagen began-
nen. An ihre Stelle iſt dagegen eine Anzahl wortfeliger,
ſentenzenreicher und charakterarmer Stücke getreten, wel⸗
he mehr und mehr die Beſergniß erwecken, daß mit der
Steigerung der Sprachfertigkeit, die fo traurige Fort⸗
fhritte unter uns macht, die Energie und die Fülle der
Gedanken, das Streben nah Bedeutung und Nachwir⸗
fung in den Charakteren allmälig verſchwinden und ei⸗
ner Epoche, ähnlich der der Secentiften in Italien ober
der gleichzeitigen fpanifchen Dramaturgie, auch bei uns
Platz machen werde. Zu diefem Misbraud bed Worte, -
zu biefer Verflachung des Dramas in einen bloßen Rebe
wechjel trägt leider einer unferer Dichterveteranen, F.
NRüdert, wie wir weiterhin fehen werben, wefentlich bei,
indem er das Drama zu unferm Bedauern faft ganz
aus dem Kreife der That und des Gedankens in den
Kreis der Rede und des Wortwechfeld verfegt, was wir
offen geftanden für einen fehr übeln Dienſt halten, den
er am Ende feiner ſchönen Laufbahn der Literatur er-
weiſt. Hoffen wir jedoch auf eine Umkehr, oder vielmehr
vertenuen wir, daß ber deutfche Literaturgeift fich nicht
durch ein Beifpiel diefer Art auf einen Irrweg werde
führen faffen, den jede gefunde Kritik nur aufs aͤußerſte
beflagen Fönnte, und thun wir endlich das Unferige, um
fo treffliche Kräfte wie die find, bie in jenen charafter-
vollen Dramatitern ſich ankündigten, zu ermuntern und
zum Werte zu erweden! |
Hat auch die ſchwaͤchliche und fentimentale Gattung
im verfloffenen Jahre fichtbar die Oberhand behauptet,
fo Laffen fi doc Gründe genug zu der Anmahme auf-
finden, daß die6 ‚nicht immer fo fein werde. Denn ein«
mal ift anzuerfennen, daß ein „Morig von Sachſen“,
ein „Bourbon” und ein „Patkul“ nicht in jedem Mo-
nat fertig zu machen fei, und zweitens war die Zeit-
woge, welche das Jahr 1845 beherrfchte, überhaupt der
Poefie des Gedankens darin ungünftig, daß fie bie Be
trachtung übermäßig auf ein anderes Gebiet abrief und
fie in der religiöfen Discuffion faft ganz abforbirte. Die
Kunft aber, die Dichtung iſt auch ein Cultus und fie
fieht mit des Kultur, wit der Sumanität, mit ber leg
ten Aufgabe bes Menſchenthums, in ganz ebenfo nahem
Zufammenhang als die Theologie, fo weit dieſe auch ein
Menfchenwerk if. Die Roheiten und die Kurzfichtig:
teiten des theologifchen Streits aber verlegen bie kunſt⸗
geweihte Geche ebenſo tief als die glaͤubige; ja zwiſchen
ber Religion und ber Poeſie mwaltet dine ſolche Identi⸗
tät der Intereſſen, daß ein Zeitalter nicht theologifch-
flreitfüchtig fein kann, ohne zugleich unpoetifh und un-
künſtleriſch zu werden.
Es erſcheint wie eine Reaction der Geiſter gegen
dieſe Richtung, daß im verfloſſenen Jahresabſchnitt vor⸗
züglich viele ſatiriſche und launige Erzeugniſſe auf dem
dramatiſchen Gebiete hervorteraten. War der Ernſt und
die Wahrheit abſorbirt im Partei- und im Sekkenſtreit,
fo machte fi die Spottſucht und bie Caricatur frei;
za Tie farb fir proworist Dusch das Ubermaß von In«
steeffe, das die indibiduelle Anficht, ber fein Geſetz der
Schoͤnheit und des Geſchmacks etwas galt, für ſich im
Anfpruh nahm. Auf diefe Art erklären wir uns die
Zille bumoriftifcher Productionen, an welchen jener Zeit-
abſchnitt reich if. Doch auch hier hat die Ungunft ei-
nes calamitoſen Jahres, das Berderben des Misrathens
gewaltet; denn ımter der großen Menge diefer Art von
Hervorbringungen ft nur fehr wenigen Dauer umd Nach⸗
wirkung zu verfpredhen. Derſelbe Waſſerſtoff, der die
Felbfrucht des Jahres am ihrem Gedeihen gehindert hat,
macht auch die wigigen Kinder Thaliens in diefem Jahre
ſtockicht, zaͤh und ungenießbar. Keine einzige Wrbeit, bie
das Salz Platen's oder Raupachs, den Geiftreichihum
Bauerrifelb’s, den Geſchmack Toͤpfer's oder die guten Ein⸗
fülle Benedir', oder auch nur bie Zheileffecte geringerer
Geiſter ‚erreichte, tritt aus Diefer Schar hervor.
Nach diefem Allen haben wir für unfere nachfolgende
erficht faum etwas mehr als das Intereffe einer Tite-
tarhiftorifchen Arbeit in Anfpruch zu nehmen, fofern es
unferm Bemühen, auf die Brundfäge für die einzelnen
Gattungen der dramatiſchen Muſe etwas mehr als ge-
woͤhnlich einzugehen, nicht gelmgen möchte, biefer Über:
fit einen felbftänbigern Werth mitgurheiten.
1, geroee der Große. Bon Friedrich Rückert. Zweites
"Stu: Herodes und feine Söhne. Stuttgart, Lieſching.
154. Gr. B. 1° . .
2. Griftofero Colombo, oder die Entbudung der neuen Welt.
Geſchichtsdrama in drei Theilen. Bon Friedrich Rüdert.
greni Bände. Frankfurt a. M,, Sauerländer. 1845. 12.
Thlr. 15 Mar.
Den zroriten Vheil
vwd volle
darch Twehlhe das 38414 ch ielen der t.
ee De
r Spi erſicht, welche kein
dato mit no: an de ige unferer
em Zahre 1845 angehörigt
in Gedenkenfillung ımd Eharafteraudtiehun
Denn 100g aller Erianezummgen, zu denen
bapfitgen Büprung, in feiner Benoirrung und Werbuufelung
ber dramatiſchen . in feinem geſchmackwidrigen Einzelhei⸗
ten vollen Aulaß gibt, Haben wir doch den portfihen Bär zu
ennen, der über wid ber aus ben en t. Sie
hnde ungemnaßigter Hertfäbegier md bie . ‚Obmbe dei
Herobes wider befferes Wiſſen und Ahnen, dem @eift der neu-
erwachenben Welt nicht huldigen, das Alte und Wbgelebte mit
Sewalt feftigen und erhalten, fich felbft in den Mitteipunkt ber
Welt fegen j wollen, anftatt der Sache der Menfchheit diefen
Play einzuräumen, diefe Sünde Herodes wird an ihm unb fei-
nem Geſchlecht von dem Dichter auf bb poetiſche Art ge
ftraft. Schne Gewalt ſchlägt über ihn feltft zufammen, feine
Kift verſtrickt ihm felbft, feine eigene Untreue verräth ihn und
alle Herrſcherkunſt wird an einer Welt zu Schanden, die fich
mit unmiderftehlicher Macht aus den Feſſeln des alten Egois⸗
muß losringt, um in für Andere zu denken, zu fühlen
und zu leiden. Daß dies der dichterifhe Grundgedanke bes
ehrwurdigen Berf. fei, die Geſchicke in der ſich felbit zerflören-
den Familie des Helden aber nur die Träger dieſes Gedankens
gemifermaßen ihr ftoffartiger iederfhlag, bieb bemeif fi
owol aus den Schlußfeenen des erften Theils als aus bem
Rachlpiel oder dem Schlußbilde des zweiten Stücks, in dem
plöglich, nachdem des Herodes Tod ausgerufen ift, der Engel
und Joſeph in Agypten, Hanna und Simeen im Xempel zu
Zerufalem einen kurzen Epilog bringen, welcher alle Greuel
ber vorgangenen Scenen in die fanfte Zuverſicht eines neu er»
wachten „Heils der Welt’ auflöſen:
Simeon.
Mas ih Tag um Tag ærſchachte: ſich' nun, es duchbriht bie Nackt.
Hanna.
Was ih Nacht um Naht errvakte, fiehe nun, das Lit erwacht.
Simeon.
Siehe du, wie dort ten Tempel ſchon der neue Glanz erfält?
Hanna.
Und die Zukunft aller Welten iſt in dieſem Glanz verhuͤllt.
Simeo»n. .
Nur mit Dank ſchließ' ich mein Auge, da es Herr dein Heil gefeh'n !
Hanna.
Laß mit ſchweigender Anbetung uns dem Herrn entgegengeh'n?
Ein —* Schluß würde gar nicht zu begreifen fein, wenn
er nicht eben barin feine dichterifche Rechtfertigung fände, daß
unter den Verwickelungen, welche den lintergang des Helden
and feiner Familie herbeiführen, Pill jener Grundgedanke him:
läuft, daß die alte Welt mit ihrer Moral und ihrer Politik,
mit ihrem hoben Geiſt und ihren Verirrungen, mit ihren Xu
genben und ihren Laftern bier ausgehe, ausathme, fo zu fagen
eine neue Zeit und eine Welt neuer Ideen. &o allein
ben wir dies Gedicht unſers Rüdert zu verftehen und fo al⸗
lein wird ed zum Gedicht. Denn am fi) und m feine Einzel⸗
heiten zerlegt, obwol auch biefen fletd Bedeutung und Cha⸗
rakter beiwohnt, macht es und an dem ſchoͤnen Geiſte oft irre,
den wir an Rüuͤckert jo lange geliebt und bewundert haben.
Der unleugbarfte Eigenſinn und bie offenbarften Ge
widrigkeiten verdarben uns den Genuß Taft aller Scenen, in
denen oft das Größte mit unfaglicher Frivolitaͤt behandelt und
die koͤſtliche Poeſie einzelner Mommte durch die rhapſodiſche
Berriffenheit des Ganzen wie mit frevlem Muthe zerflört wird.
Es ift. eine unbegreifliche Befchäftigung, wenn wir dem Dichter
feine erhabenften Auffaffungen unmittelbar nad Ihrem Hervor⸗
treten wie misfälliges Beihmäg durch offenbar misfälliges
Geſchwaͤtz verwüften und zerfiören und ihn von einer Manie
des twofklofeften Wortſpiels beherrſcht ſehen, die nur zu ihrer
Selbfivernichtung da zu fein ſcheint. Kin Beilpiel für hundert
mag genügen In der Scene, mo Pherores der Kypros bie
Andunft der Enkel Mierander und Ariſtobul, Markımne's Kin
der, antimbigt, die er bezeichnet 6
... reiht Kine Filge Minmeen,
Dub Stoles Ihöne Bivtaen, Role Blumen
Der Sqhoͤnheit, voͤllig ihrer Mutter Soͤhne —
fagt er zu Mutter und Echweſter:
Auf sen GR taſt uud paiunen halten.
Yaloıme..
Dub, Beuber, kalte du dir Aber vor:
Zu Golf an ut und an Deroded ’
Du aber yültlk nit immer fell gefammen.
DYhderoreß.
Din ich To fahrig?
Solome.
0. da, ich fuͤrchte, va
Du naͤchſtens ganz wirſt aubeinander fahren.
Pherores.
El, Sehweſter, bie Gefahr iſt nicht fo nah”.
Was, fahrig, fahren? Iſt es nicht, um aus
Der Haut zu fahren, wie bu hocheinder faͤhrſt,
Wie du mid anfährfl, überd Maul mir fährk,
Dog, Fahten und kein Ende...
Kypros.
Still, ige Kinder u. f. w.
GSoicher unbegreiflichen Stellen enthält jede Scene wenigftend
eine, es ift als wenn der Zon des Works feftfaße im Geiſte unfers
würdigen Beteranen und ihn nicht eher den Gedanken fortſetzen
Siehe, Bis er erft alle Terifalifchen Bedeutungen des verderblichen
Grundtons in einem Redeberipiel ausgebeutet und dargelegt
habe! Wie Schade! Denn fürwahr an dichteriſchen Säönkeiken
ſichlt es in diefem tieffinnigen, nur allzu flizzenhaften Drama
nicht, fo wenig wie an geiſtvoller Auffaffung, neuer Ergrüns
vung und ergreifender Darftelung des Hiftorifchen, vorzüglich
der Politik der Nömerherrfchaft in Zudda. Der Tod ber ih:
am Kinder Mariamne's, welche bie väterliche Eiferfucht Löd-
tet, iſt der oftenfible trägifche Inhalt des zweiten Theils des
„Hexodes“, der Beftandtheil des Stücks, a dem fein Füpten:
Bed Element beruht; denn des Bruders Pherores Tod iſt
wohlverdient. Die Weltiane aber, die Geſtalt der Roͤmerherr⸗
ſchaft und Zubaas zur Zeit der Erſcheinung des Heilands iſt
Ver geheime, der vermittelte Inhalt des Dramas, defien glaͤn⸗
zendfte Schönheit es ift, daB es dieſe „Lage der Welt” unge
mein treffend verfinnlicht. Hier iſt Ziefe, Geiſt und Studium,
Wer ift Poeſie in Überfluß — follen wir nicht aufrichtig bedauern,
daß die Ausführung dem Eigenfinn und der fonderbarften Ver:
terang des Geſchmacks verfallen ift!
Doch unfer Bedauern über den Verfall fo fehöner
Keäfte ſoll noch wachſen bei Durchleſung der zweiten Arbeit
älerts. „Criſtofero Colombo, oder die Entdeckung ber
neuen Welt’, zu defien Bezeichnung der Berf. den neuen
Ausdruck ‚„Sefhihtsdrama” erwählt, ift eine für jede Gattung
- verfehlte, des Inhalte und der Bedeutung ganz entbehrende,
ja eine faft völlig troſt⸗ und hoffnungslofe Arbeit in zwei Bän-
von! Es fällt und wahrlich ſchwer, von einem Werke unfers
Wabert ein ſolches Urtheil, dem alle Pflicht der Pietät ent
nyutreten fcheint, außfprechen zu müflen, und wir wünfdgen
Ser auch fo ſchnell als möglich über die Sache hinzugeben,
nechdem mit einigen Worten angebeutet fein wirb, wie und
auf welchem Wege der Dichter zu einer fo unausgiebigen Lei-
flung gefommen fein mag. Der gewöhnliche, der convention»
nelle Hohle Wortpomp ded Dramas ift dem Verf. verhaßt; er
fucht nad einem neuen Stil im Drama, fo viel ift Mar. Hier:
bei ift ihm num der Gedanke gefommen, es mit dem ganz
——— — —— verſuchen J— zu hr pi
viel po ir iermit hervorbringen laffe.
dam Serfuch, aus dem dieſer, 0” Hervorging, Liegt
etrdas Richtiges; nur ift die Grenzlinie ungemein zart und die
Sefahr ihrer Überfchreitung naheliegend. Rückert bat dieſe
Grenzlinie nicht feftgehalten: er ift aus dem Naturftil in das
Rohe, das Kindiſche, das ganz Friviale verfallen; indem er
bie Kunflconvenienz vermeiden wollte, iſt er aus der Bahn al:
ker a gewichen. Seine Dramstis personee ſyre⸗
chen € wie durch die Kunſt erhöhte Menſchen, ſon⸗
been wir Schiffer, wie Zakaien, wie rohe Kaziken, wie Wilde
endlich. Bu vicl Natur made fe fix die unit unmahe; derm
- matifch gelten
auf ber andern Gtite WEL ber Werf. bei ſich darbietender Ge⸗
legenheit keineswegs den Worten verteugnen oder fich Iyri
üfe, poetiſche Gemaͤlde und bieterifche Erzählungen aller
Urt verfagen. Hieraus iſt num ein völlig disharmoniſches Werk
entanden , das unter Feiner Kunftgattung eine Sielle hat.
Die ganze Unternehmung zerfällt in drei Sheildramen, deren
exfted die Kämpfe und Gefahren zum Inhalt hat, die Colombo
bis zur kandung tm ber neuen Welt befteht, und das mit der
Aufrichtung des Kreuzes — wie des Kazike ſagt:
Es war ein gruͤner Baum im Walde hier
Und if ein namenlod Gebilde nm — —
auf Guanahani endet. In biefem helle fehlt es nicht an
poetifden Auffaffungen. Die Feſtigkeit Eolombo’s, feine Glau⸗
benszuverfiht, das goldene Land Cipango zu entdeden, die
feltfamen Zweifel, Zräume und Hoffnungen, welche feine Unter-
nehmung am Hofe, bei ihm felbft und in der Welt erwedien;
der Eindruck endlich, den die Raturmenfchen der neuen Welt
von ber @Erfcheinung der Europäer empfangen und ihre blinde
Unterwerfung unter die höhere Macht des Seiſtes, afles Dies
gibt Diefem Theildrama ftoffartigen Inhalt genug, um über
den gänzlichen Mangel aller dramatifchen Kunftbedingungen zu
täufchen oder doch hinwegzuheben. In den beiden folgenden
Iheilen ift dies Intereffe erfchöpft; ein neues, aus der Ges
ſchichte nicht bekanntes, tritt entweder nicht auf, oder trägt,
mo es verſucht wird, wie in der Liebe Higuamota’s und Gue-
vara's, in der Geftalt Anacaona's und in dem freuen Steuer ⸗
mann Gebaftian fo feltfame und naturwibrige Farben, daß wir
ganz und völlig zu dem Gefühl troſtloſer Rangemweile gelangen,
welche uns in den Gefprächen mit Kindern, den Dialogen ber
Wilden, den Unterhaltungen zwiſchen Colombo und feinen Root»
fen oder Brüdern unwiderſtehlich machen muß. Colombo von
gefcheiterten Unternehmungen heimgekehrt, von Bovadilla im
Ketten gelegt — die er ald Gnadenketien ihm zu laſſen bittet
ald man fie ihm abnehmen will —, alles Glanzes, aller Kraft
des Widerftandes beraubt, macht den Schluß des zweiten
Theils. Im dritten ſteht Colombo in Spanien wieder vor den
Königen, die ihm ſchmeicheln, aber in feinem Amte, in feinen
Würden ihn nicht wiederherftellen, worauf dee Hefd in Lab
Eafas’ Armen ſtirbt, nachdem das Streben des Dichters na
Retürlichkeit in allen Richtungen bin gu vollftändigfter Un⸗
natur umgeſchlagen if. Denn follen araktere und Geſtal⸗
ten wie Anacaona und ihr Bruder Behechio, Unterhandlungen,
wie bie mit der Königin von Spanien in allen drei Zheilen,
oder Scenen wie der vierte ct tes zweiten Zheils fie dar⸗
bietet, für natürlich, und Monslone wie (S. 152) der Eaona-
bo's oder im zweiten Theil (8.1 6) der Colombo's, für dras
Was bat der Dichter überhaupt bei der Be;
eichnung feines Werks als „Geſchichtsdrama“ fich gedacht ?
eine Arbeit ift weder Geſchichte noch ift fie ein Drama. Sie
ift aber auch Beine dritte Species, denn dem feinfolleriden
Drama fehlt das dramatiſche Beben und der Geſchichte fehlt
die hiſtoriſche Treue. Selbſt als dramatifirte Gefchichte ober
als hiſtoriſches Drama kann das Wert nicht gelten; denn
die dramatifiete Geſchichte fodert urkundliche Treue der Ereig
niffe und der Gharaftere, und mit beiden ift nach dunkeln
Kunſtzwecken hoͤchſt willkürlich verfahren, und das hiſtoriſche
Drama verlangt eine einige, homogene und poetffch abgeſchloſ⸗
ſene Handlung, während wir hier ein fietives Menſchenleben,
aber keine Handliung erhalten. Richtsdeſtoweniger opfert der
Dichter auch in dieſem ganz und weſentlich verfehlten Werke
ſtellenweiſe den Grazien und mehr als eine Partie iſt — wie
dies bei Rückert nicht anders fein kann — voller Reiz und
Anmuth, Eigenthimmtichfeit und Intuition, wenn wir auch bei
EHorgefang der indianiſchen Maͤdchen:
Übers Meer kommt bie Sonne,
Kommt der Mond geſchwommen,
Ubers Meer find in Wonne
Die weißen Männer gekommen. |
nicht gerade hierzu rochnen moͤchten. Allein ſolche einzelne Gtel-
len mmen infelgleich in einem Meer der ödeften Lange
—X machen dieſe nur noch fühlbarer. .
Und fo Läßt diefe feltfame Arbeit denn ein Gefühl ber
Trauer und ber Wehmuth — und vielleicht follte fie dies! —
bei dem Lefer zurüdt, der Mühe hat zu glauben, daß Rüdert
mit folhen Werken der Sache der Poeſie förderlich zu fein
meinen Pann, und der dem geliebten, vielgeftaltigen und vielbe:
wunderten Dichter ein ‚Jam rude donatus” zurufen möchte;
überzeugt, daß aller Dufendienft im endlichen Subject, in
Jedem von uns, feine abgeftedte und nicht zu berrüdende
Grenze babe, und alfo denn wol aud in dieſem faft unüber-
febbaren und wie es fcheint nicht zu ermüdenden Geifl.
(Die Kortfegung folgt.)
Samennais’ neue Überfegung der Evangelien.
Faſt alle Nationen Europas, die eine Literatur haben, be
figen in ihrer Sprache überfegungen ber Heiligen Schrift, die
um Zheil die Schönheiten des Driginald wiedergeben. Rur
die Franzoſen Eönnen fich deſſen nicht rühmen. Die vielen
Meifterwerke ihrer Nationalliteratur und die zahlreichen fran⸗
zöfifchen Erbauungsfcpriften, unter denen es ganz vorzügliche
gibt, erlauben nicht, diefen Mangel dem Mangel an Zalent
zuzuſchreiben. Vielleicht kommt es daher, weil die vermeint-
iche Gefahr, dem Volke die Heilige Schrift in bie Hände zu
geben, bie tüdhtigften Gotteögelehrten Frankreichs einem ſol⸗
then Unternehmen abwendig machte. Boſſuet und Fenelon dach⸗
ten nie daran, und doch laſen und ſtudirten Beide die Bibel
aufs ſorgſamſte und mit dem unablaͤſſigſten Eifer. Boſſuet be⸗
ſonders iſt fo ganz von dieſem goͤttlichen Werke durchdrungen,
daß fein Genie beinahe mit nichts Anderm genaͤhrt ſcheint. Der
Gedanke, die heiligen Schriften in die Volksſprache zu über:
tragen, ging zuerft unter Ludwig XIV. von ben Janfeniften
aus, denen ed indeß an der nöthigften Eigenſchaft gebrach, die
Anmuth, die Stärke und Pracht de Urtertes wiederzugeben.
Die Überfepungen der Heiligen Schrift in moderne Sprachen,
mal ins Franzoͤſiſche, haben allerdings einen großen Übel⸗
- Hand, der in der Natur Diefer Sprachen liegt, wo fi an alle
Worte ein beftimmter, durch den Gebrauch ftreng feflgeftellter
Einn Enüpft. Bei den alten Sprachen ift das nicht der Fall:
jedes Wort hat fozufagen eine größere Tragweite als das ihm
entiprechende franzöfifche, fpanifcge, italienifche Wort, ſodaß die
Idee oder die Wahrheit, welche dieſe oder jene Stelle in ſich
fließt, in den meiften Überfegungen gefchmälert und verklei-
nert wird. Der Urtert ift gebaltreicher, anregender, vollftän-
diger, fruchtbarer, welcher Vorzug bisweilen audy von ber Wen:
dung der Phrafe berrührt, Die nicht wiedergegeben. werben
kann. Die Bulgata, ein nicht genug bewundertes und zu bes
wunderndes Meiſterwerk, ijt frei von diefem Fehler, weil der
Genius der lateinifchen Sprache dem Genius des Griechifchen
und Hebräifchen näher verwandt ift und fie ohnehin, fogar auf
Koften der Grammatik, eine buchftäbliche Treue erlaubt, weldye
allenfalls unfere deutiche Sprache, die Franzöfifche aber platter:
dings nicht zuläßt. Hieraus erklärt ſich, daß ſelbſt an den be:
ften
fegen bieibt, Bis jetzt verdiente Die von Genoude vor allen
den Borzug. Der im Ganzen genommen reine Stil hat Schwun
Wahrheit, Kraft, und zeigt nur hier und da Spuren von Af⸗
fectation; doch trifft Hrn. v. Genoude der Vorwurf, daß er zu
haufig den antifen Charakter einer fehüchtern » modernen Ele⸗
ganz aufopfert. Die Heilige Schrift iſt voll naiver Ausbrüde
und Pühner Ellipfen, vor deren Übertragung der gute Ger
ſchmack keine Ungft haben darf. An manden Stellen ftößt
man darin auf etwas Schroffes, Seltſames, das der Rebe eine
wunderfame Kraft gibt. Bei Boffuet finden ſich viele folde
Schönheiten; er hat, wie die Bibel, eine eigene Harmonie.
feanzöfifchen Bibelüberfegungen immer nod Vieles auszu⸗
Die gewaltigften Raturerſcheinungen haben nichts Ganftes,
nichts Anziehendes, und doch gibt ed nichts, das uns tiefer
rührt und bewegt. Die ment Gpecialüberfegung der Evange⸗
lien von dem berühmten Überfeger der „Rachfolge Ehrifti" — des
fchönften Buches, fagt Wontenelle, das aus Menfchenhänden
hervorgegangen, weil das Evangelium nicht davon herkommt —
nähert fich, meines Erachtens, mehr als eine frühere der Voll⸗
Tommenpeit, die eine ſolche Arbeit verträgt. Lamennais bat
diefer neuen Überfegung die bewundernswürdigen Eigenfehaften
des Stils, die alle feine Schriften auszeichnen, mitgegeben und,
foweit e8 nur immer anging, darin ben Charakter der zugleich
naiven und erhabenen, fhwungvollen und bilderreichen, einfa⸗
hen und beredten Sprache des Driginals beibehalten. Jedoch
möchten wir für eine gründliche Kenntniß des Textes und eim
richtiges Verftändniß des Inhalts nicht immer einftehen. Die
Arbeit Lamennais' ift Feine bloße Überfegung, fondern eine Über:
fegung mit Unmerkungen und Eommentaren. Die hinter jedem
Capitel angehängten Betrachtungen find mit dem blendenden
Glanze gefchrieben, der Lamennais eigen ift, und erinnern bis⸗
weilen an ben biblifch : Igrifchen Schwung der „Paroles d’un
croyant”. Auch wo man feine Neflerionen nicht billigen Tann,
läßt man dem Zauber des Stils Gerechtigkeit widerfahren.
Was den Inhalt der Commentare betrifft, fo ift er größten
theils moraliſirender, theilweife auch polemifirender Ratur, im
dem Sinne eines demokratifch -rationaliftifhen Volkspredigers,
der nicht zu Bibelgläubigen, ſondern zu Bibelignotanten redet.
In einem Lande, wo eine fo große Unbelanntfchaft mit dem
Inhalte der Heiligen Schrift zu Haufe ift wie in Frankreich,
dürften diefe Commentare, fo viel Irriges und Bedenkliches fie
auch enthalten, doch mehr Nutzen ald Schaden ftiften, weil fie
auch viel Wahres und indringliches fagen und hauptfächlich
darauf abzweden, duch Darftielung des Ganges und Ausgan⸗
ges Jeſu den Menfchen ihren Gang und ihr Ziel vorzuzeichnen;
und in einer Beit, wo die religiöjen Ideen wieder Die Gemü⸗
ther aufregen und die vom Skepticismus abgematteten Geifter
im Glauben neue Stärfe und Ruͤſtung —*8* Tann es nur
ünftige Wirkungen haben, wenn die Evangelien in der Über
egung eined populairen Schriftftellers unter das verwahrlofte
Volk kommen; diefe göttlichen Bücher, die auf die tiefften, eis
ligften und unbefriedigten Bedürfniffe der Menfchheit antwor⸗
ten, alle Zweifel und Raͤthſel der Erdenfchieffale löfen, den
NRaturoffenbarungen für uns erft beflimmten Umriß und Karben -
eben, und das Gewiffen als Statthalter Gotted in unferm -
Innern proclamiren. Will die radicale Demofratie in Frank⸗
reich je durchdringen, fo ift ihre Aus ſohnung und Einigung mit
heiftlihen Ideen unumgänglich nothwendig. Dieſe chriſtlichen
Ideen werden allein die göttliche Kraft haben, die Demokratie
umzugeftalten, ihre Grundfäge zu verbeffern und fie almäfig
bis dahin zu verändern, daß von ihrem urfprünglichen unbäns
digen Charakter und ihrem Voltairifch:liberalen Geifte nur die⸗
jenige Freiheitsliebe und Spottluft übrig bleibt, welche mit der
Herrfchaft der böhern fittlichen Mächte beftehen kann. 80.
titerarifhe Anzeige.
Durch alle Buchhandlungen iſt zu beziehen:
Die
Fabrikgerichte in Frankreich.
H. ſ. Meißner.
Gr. 8. Geh. 20 Nor.
Eeipzig, im April 1846.,
F. A. Brockhaus.
Berantwortliher Herausgeber: Heinrich Brockkpdaus. — Drud und Verlag von F. E, Mrodyans In Beipsig.
“ Er Ee
rechnen iſt haben wir efivas' Fertiges und
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung
Donnerstag,
— mn ie en
Dramatifche Bücherfchau für das Jahr 1845.
Erfier Artikel.
(Bortfegung aud Nr. 9.)
3. Dramalifhe Werke von Heinrich Laube.
Monaldeschi. Leipzig, Weber. 1345. 8.
Man würde einer Zeit, im welden Dramen wie Bau»
bes „Monaldeshi” wirklich und aufrichtig für dramatifche
Kunftwerfe gelten Fönnten, nicht Unrecht thun, wenn man ihr
den Beruf zur dramatifchen Kunftproduction gerabehin gb»
race Diefe Arbeit, welche wir ohne weitere Erinnerung
üc ‘eine geiftreiche, dramatifirte Novelle pafliren laſſen, hat
von der echten Tragödie weder Anlage, noch Befinnung, noch
Kunftform; PFonnte die Kritif unſeret Zage dies verkennen, fo
hätten wir Abſchied zu nehmen von aller Afthetif und die Dra⸗
maturgie hätte vom Abe ber wieder angufangen. i
Es ift feltfam genug, daß der Werf., nachdem er uns
Erſter Band:
I hie.
nicht ohne Selbftgefälligfeit in einer 74 &elten langen Vor:
rede von feiner dramaturgiſchen Bildung unterhalten und alle
die Irrthuͤmer, Fehler und Berftöße aufgezählt, die er in
einer dreißigiährigen Laufbahn vermeiden gelernt, alle die
kritiſche Einfiht fperificirt Hat, die er nunmehr genommen,
ein Drama in ber höhern Wortbedeutung hinſtellen konnte,
das allen Gefegen der Aftbetiß, fo weit fie dieſe Kunftforn be:
treffen, fo entfihieden Hohn jpricht wie in feinem „Monal:
deschi“ der Fall ift. vLehrreich und feltfam iſt es, Daß er, der
als ein fehlerloſes Ariom binftellt, nur die Handlung, die Hand»
lung allein und nichts als die Handlung begründe die Wirfung
des Dramas und gebe ihm Beftand und Dauer, daß er, Der
dem Streben nad) Charakterzeichnung völlig den Stab bricht,
ein Stuͤck binftellt, in dem dramatiſche Handlung gar nicht
enthalten iſt und deſſen alleiniger Werth in einer gewiſſen
Birtuofität der Charakterzeichnung befteht.
Das Stüd ift in Frankreich gefchrieben und erinnert in
der That Strich für Strich an Victor Hugo. Deutfihes Ele:
ment ift darin gar nicht und Driginales noch weniger; wol
aber dieſelbe Übertriebenheit, Gewaltſamkeit und naturwidrige
Bufpigung der Empfindungen, biefelbe Art, die Scenen einzu:
rahmen und mit Schlagfchatten zu verfehen wie bei Victor
Hugo, eine große Berwandtfchaft der Charakterzeichnung und
biefetbe Form des Dialogs wie bei dem Franzoſen. Män glaubt
einen Pendant au Hernani“, oder „Le Roi s’amuse” zu lefen, an
die deutſche Dramatik erinnert nichts. Iſt Das die Frucht von
Raube's breißigfäßriger deamatifcher Vorſchule, Das das Me:
fultet einer mit‘ Begierde. verfolgten Britifchen Erkenntniß, der
Laube: fein halbes Leben widmete: fo muß uns einleuchten, daB
ber dramatifche Dichter geboren wird und nicht zu mädhen ift.
Denn ſelbſt nicht einmal’ in Dem, was ber leidigen Form an:
gehört, nicht einmal in Dem, was Aue Anlage bed Dramas zu
e
*
*
feiedigendes vor
uns in einem Stuͤck, das erſtens aus
Interefſen zuſammen gewachſen iſt,
Acten in Profa und zwei Acten in Verſen vom wildeſten
zwei ganz geſonderten
und das zweitens aus brei
| er Met Buchs
beſteht! Solche Regelloſigkeiten, ſolche Misachtung gemeiner
Foderungen, ſolche Rachlaͤſfigkeiten gegen das zum Urtheil be⸗
rufene Yublieum hat Victor Hugo ſich nie erlaubt, wie ſehr
er auch nach Ungebundenheit ringt; man muß ein deutſcher
Poet fein, um Dergleichen nur zu begreifen.
.Doch genug des Allgemeinen; eine nähere Anſicht dieſes
Stud mag dem Gefagten zur Stüße dienen. Nach den Yn«
deutungen in der Vorrede bat dem Verf. vorgeſchwebt, in die⸗
ſem Drama das Ringen nah „Macht und Gluͤck“ in ‚einem
egabten Menfchen, einem Abenteurer der beften Art, zur. Dar:
elung zu bringen. Das Thema mag gelten, obgleid ed von
aus aus fein edles, und daher ſchon an fih in der Tragoͤdi⸗
feinen bleibenden Sieg zu erfämpfen geeignet if. Denn bare
auf müffen wir Den Verf. gleich hier aufmerkfan machen, daß
er, indem er dad Intereſſe der Handlung als den eigentlichſten
Kern aller Dramaturgie hinftellt, ein weſentliches Moment Im
a apt nämlich dab, daß dies Intereffe ein ethi⸗
ſches fein muß, nicht eins der bloßen Neugier oder ber bioßen
Hiftorie. Hier liegt ein Grundgeheimniß der Dramatif, fo
glauben wir, verfchleiert! Prüfen wir alle Werke dauernden
Ruhms in der Dramatik, die Alten, Shakſpeare, Calderon,
Racine, Schiller, Goethe, worin beruht ihre Macht, welcher
ift der Hebel ihrer äfthetifchen Wirkung? Es ift das ethifche
Interefie, das wir an der Handlung zu nehmen ge mungen
find. Es ift die Gerechtigkeit, die —28 die Selbſtvernich⸗
tung der Schuld, die Aufopferung für Andere, fuͤr eine Idee,
ein hoͤheres Gut als das Leben u. ſ. w. Sind wir daruͤber
einig, ſo fragen wir weiter: Wohnt dem Ringen nach Macht
und Glück von Seiten. eines Abenteurers ein ſolches ethiſches
Intereffe bei Und wenn wir biefe Frage mit Rein beant:
worten müffen, kann der Verf. fi) wundern, wenn wir in fei-
nem „Monaldeschi” auch nicht eine Spur jenes Intereſſes ent:
deden können, mit dem wir z. B. ben „Macbeth“ noch nad
der zwanzigften Darftelung wiederfehen und wieberlefen? Das
Interefle, das ihm bleibt, ıft Bein edles; es ift das der bloßen
Neugier, das mit der Entdedung befriedigt ift.
giernad fällt nur noch die Charaktstauffaffung unter un
fere Betrachtung. Wir haben fchon bemerkt, daß bie Geſtalt
Monaldescht's, sit venta verbo, ganz Birtor Hugo's iſt. Die
Art und Weiſe wie dieſer kecke Abenteurer ſich einführt, zu ber
Königin dringt, mit ihr verhandelt, ört ganz dem flangöfl:
fhen Poeten an; nur Der kann fie für ‚original halten, der.
biefen nicht Bennt. Auch Sylya, die Rebenbußlerin der Köni-
gin, iſt jenem Dichter entlehnt. Man wird in Der That irte
an der Originalität Laube's und faͤngt an, auf eine Austrock
nung ber Quellen ber Erfindung bei ihm zu ſchließen. Die
übrigen Kebenfiguren Malſtroͤm, Schnurre, Mofenhah, felbft
Santinelli, find Dearionetten ;. als menfchliche. Gefaiten, ats
dramatiſche Verfonificationen von einiger Bebeutung und zu:
als ſelbſtaͤndige Schöpfungen bleiben nur Ehriftine und
Bene ihr —* Kath übe. Der Berf. hätte das Stüd ba:
ber auch nach feiner Hauptgeftalt, nach der Königin, benennen
follen. Der Charakter Chriſtinens ift gut und in feften Zügen
aufgefaßt, der Poet ift mit ihm zum Abſchluß gekommen.
Was fie fagt und.thut bat Gewicht; es fließt aus dem Cha:
gafter, wie er vor und tritt, vein und naturgemäß ab; in Die:
fem Punkte befriedigt Laube s Arbeit. Bon der Führung bed
Greigniffes ift jedoch nicht Daffelbe zu fagen. Die Begebenheit
ift einestheils haftend und von lanyfamer Entwidelung, an-
derntheils fprungbaft und ohne Bufammenhang ; zwiſchen dem
vierten und fünften Act fehlt alle Verbindung, und warum
Monalbeschi fterben muß, wofür er es muß, wird bem Bu:
ſchauer durchaus nicht Far. Zuletzt überftürzt fich die erſt
gernde Handlung, der Verf. hat einen zu engen Rahmen fuͤr
fein Bild gewaͤhit, er mußte die Handlung theilen, mit der
Mitte bes Stuͤcks beginnen, und die erjten Ucte vorausfegen.
&o wie das Drama nun vor und liegt ift die Kataftrophe,
Monaldeschi'd Ende, ganz unvollftäntig motivirt, mehr ober
minder ein Näthiel:
Nach allem Diefen ift nicht viel übrig, den Ruf dieſes
Stuͤcks zu rechtfertigen. Einige floffartig anziehende Scenen,
wie das erfte Erfcheinen Monaldeschi’6 vor Ehriftine, die Ab⸗
dankungsfeene und des Helden.Zod, einige gelungene und geift-
reich aufftaffirte Dialoge zwiſchen der Königin und Brahe, ein
paar Monologe, in denen fi der Schmerz um die fo leicht⸗
fertig aufgegebene Macht gut ausſpricht, das ift es, was ber
Dichter für fih aufmweifen Tann. Eine im Ganzen edle Hal-
tung, eine bedeutende Erleuchtung und Derklärung gefchicht:
licher Charaktere, einen großen ethiſchen Gedanken, der uns
dichteriſch verfinnlicht gewaltig ergreife, fafle ‚und fefthalte, ent:
decken wir fo wenig in diefer Leiſtung Laube's mie Das, was
man gewöhnlich als gestise Schönheiten bezeichnet, begeifterte
ober phantafiereiche Stellen. Die drei erftien Acte find viel
mehr in einer Profa gefchrieben, Lie wie alle Proſa Laube's
etwas Gefuchtes und Gezwidtes bat, etwas das unvermeidlich
an Lamartine erinnert und denfelben Charakter an fih trägt
wie Meyerbeer’6 Mufit, den peinlicher Arbeit. Gegen das
Ende des Stuͤcks fällt der Verf. in den Ders. Warum, ift
nicht abzufehen. Auch hier diefelben gefpreizten Eentenzen, aud)
hier nirgend Fluß, Ratur, Hingeriffenheit. 8.8. Monaldes i
trachtet die Königin wider Willen nah Schweden zurückzufuͤh⸗
ren. Alles ift dazu eingeleitet. fle find auf dem Schiffe.
BSiebente Scene.
Monaldeschi (allein).
Und er hat reht! — In meinem alten Fehler,
Sentenzen madend, treib’ ich mid umher,
Erbige mid) und übertreibe mid!
Daß wir gequält find, Alles zu erfiären,
Und damit unfre Wirklichkeit zu fälfchen.
Es tommt body Alled aus verborg’nem Schoos,
Und die Erktaͤrung, ſich als Mutter ſpreizend,
ZA ewig nur die Amme unſ'rer That.
Wo aber That fi ralfonnirenb zeugt,
Da ift fie ſtets ein gar verfrüppelt Ding.
Sort, Plunder, 's gibt zu handeln. — Fertig ift ber Wind !
Wie gemacht, wie ſtelzenhaft, wie unnatürlich und nur wahr
für den Dichter felbft, der hier fein eigenes Loos fehildert; wie
querfeldein im. Augenblick einer ſolchen Zhat! Die Schluß:
feene in der Hirfihgalerie ift ihrem Inhalt nach von unbefieg»
lichem Intereffe, wie Enapp und wunderlich mißt und der Dich:
ter aber auch bier feine Poefie zu. „Renne dich auf”, ruft
Santinelli dem Opfer zu; und in diefer byperpoetifchen Stim⸗
mung kann Ronaldeschi erwidern: „Henkersknecht bis zum
enter haft bu es gebracht, Schurke, und du biſt fo brutal
einfältig, nicht zu wiflen, dag man den Henker zum Teufel jagt
wenn er fein Gefchäft verrichtet Hat.” Beſſer ift bie folgende
Scene, wo Ehriftine erfcheint, ihr Dpfer Beichte zu hören:
q
Du haft die tieffle Seele
Bu ſchreiendem Haß mir aufgefdrt.
Du darf nit leben — fahre wohl.
Worauf Monaldeshi unter Santinelli's Streichen fällt. Die
legte Verwirrung in ber zwölften Scene ift gut gezeichnet:
Die letzten Diomente bed Lebens! — Gnifeslih —
Alles möcht’ ich noch einmal bedenken,
Was id, gedacht und getban — unb wie daB Meer
Drängt fi in Maffe Alles zu Haupt
Über mich der!
Ich Bann nichts fondern, ich kann nichts wählen!
Wären die Verſe nur nicht fo unverantwortlich unfertig ges
blieben! Zum Schluß: Wir finden, daß Laube nicht Achtung
genug vor feinem Yublicum bat, und ihm zu genieße zumus
thet, was er felbft für eine nicht fertig gewordene Urbeit hal
ten muß. Möge er zu den. in feinem Vorwort aufgezählten
Verirrungen, in welche er auf feiner Laufbahn nach und nad
verfallen, endlich auch dieſe rechnen, und ſchoͤne Menfchenkräfte
kuͤnftig ſchoͤn verwenden!
4. Cola di Rienzi, Trauerſpiel von Rudolf Kirner. Leip⸗
zig, Brockhaus. 1845. 8. 21 Ngr.
Die Geſchichte des „lezten Roͤmers“, wie der Senator Cola
di Nienzi wohl genannt worden, ift fo vielfach zu dramatr
[hen Zweden gebraucht und misbraudht worden, daß der ei:
gentliche Inhalt derfelben aus dem fabelhaften Nimbus, der
fie umgibt, nicht Leicht ne herauszuerfennen if. Was übrig
bleibt ıft jedoch) immer noch ein ganz dankbarer Stoff und Fann
in einer Zeit, die eine Vorliebe für politifche Phrafen von ge-
wifier Betonung bat, immer noch mit Erfolg verwendet wer»
den, obſchon wir in dem biftorifchen Rienzi unfererfeits mehr
Liebe zur Herrfchaft als Liebe zur Freiheit zu entdecken glau-
ben. Auf das höchfte gewürdigt ftand Rienzi nicht über feiner
Zeit; er war ein Sohn verwirrter Zuftände und feine Nadh-
ahmung des Alterthums ordnete bie Verwirrung nicht. Ins
dem er den Bauber der Prieſtermacht brach, brach er die ein-
zige Feſſel der rohen Gewalt, bie zu feiner Zeit Macht hatte ;
fein Wunder, daß er felbft als ein Opfer der losgebundenen
Gewalt fi. In diefem Auffteigen feiner kurzen Macht — ei»
ner Nothwendigkeit bei der Abweſenheit der paͤpſtlichen —, in
der natürlichen Überhebung in diefer Macht und in ıhrem Ver:
fall, fobald fie ſich auf Härte und Eigenwillen ftügen wollte,
liegt die ganze Gefchichte Rienzis. Der Verf. hat daraus ein
gedankenreiches Zrauerfpiel gemalt, ohne gerade große Effecte
fuht oder erlangt zu haben. Es war ihm mehr um Ber:
lärung der Geſchichte, um Motivirung des Ereigniſſes und
um feine dichterifche Bekleidung als um überrafgende Gruppi⸗
rung der Scenen zu thun, und fo ijt ihm denn auch mehr ein
lebhaftes und treues Bild der Auftände als ein effectuolles
Drama gelungen. Ob er und das innere Weſen feines Helden
darlegt, bleibt zmweifelhafts es fcheint, daß Nienzi, indem er für
fein Volk zu handeln glaubt, doch am Ende nur dem eigenen
Willen und der Selbſtſucht fröhnt. in Hauptmangel des
Stuͤcks if, daß weder der Held felbft noch der Zuhörer ge⸗
nugfam an feine eigene Größe glaubt, daß wir zu viel vom
ofen Stoff an ihm erbliden, zu wenig Begeifterung für
eine Idee.
Was die Kebenperfonen betrifft, fo tritt außer Stefano
Colonna und Buallato Fein Charakter unter ihnen auf; ihre
Baht iſt zu groß, Feind und Freund umdrängen den Helden
zu ſehr als J ed in dieſem Gewirre zur Charakterentwicke⸗
lung kommen konnte. Es wäre der Handlung, die nur fieben
Jahre umfaßt, mehr Eoncentration zu wünfchen gewefen. Hier⸗
von abgeſehen enthält dad Drama adytbare Intentionen und
einzelne Schönheiten in Menge. Die Sprache ift durchweg
vein, warm, inhaltreich; das Verhaͤltniß zwifchen Guallato und
Agnes, der Zochter Rienzi's, ift zart gehalten; der Narr zur
Seite des Helden ift eine begabte Beftalt, und die Zeichnungen
vom Wankelmuth des Volks find mit vollem und ſcha Pin⸗
u
fel ausgeführt, und. dennoch möchten wir das Stüd mehr als
eine verfpredhende Blüte Denn old .eine fdöne Frucht bezei—
nen; denn Das, wes.cin hifterijded Gemälde zum Drama «ı
hebt, der eine fegen e Gedanke, das fehlt dem Stücke. Es
enthält wirkſame mologe, gute und treffende Anteden, geift-
reiche Awiegefpräcde, aber weder ergreifende Seenen 108 die
nen dramatifchen ümſchwung der Handlung. Daß und in wel
dem Maße der Verf. dagegen die Sprache zu gebrauden weiß
und ihres poetifchen Schmuds mächtig ift, zeigt eine Reihe
trefiliyer, gedankenreicher Stellen, wie beifpielßweife der Mo»
nolog Rienzi’s im fünften At:
D Rom, der Zeit gewaltigkes Bermäctniß,
Tiferner Kräfte fefter Volterbau.
Du Praßtwert der gefrönten Weltrerrſchaft —
Wie Hein im Riefenfhoofe der Natur!
Und dennoch wenb’ ih von bed Volkes Jubel,
Bon melneb Lichtes froher Morgenröthe
Die Blide weg zu bir, du einy’ge Stadt.
3%) mag did mit den Bildern meiner Wandsung
Und von dem Geifte wuchſeſt du ſogleich
34 laufgte meinem Verzen und «6 flug
Eehufüctig höher mir . . -
Denn, wart du ſelbſt nit meine erſte Liebe?
Und diefer fo geſuͤhlvolle Mann zeigt fih nun fofort als ein
unerbittlihher Despot, hart bis zur Zerftörung feines eigenen
Werts: Der farze Rahmen des fünften Arts zeigt uns den
Bugen Botksfährer nach feiner Ruͤckkehr aus der Verbannung
gänglid verwandelt. Gegen dieſe Härte, Diefen Mangel an
iebe umd Vertrauen erhebt ſich das Bol, dur Pinrichtungen
gereipt, und leicht zertrümmert e8 den von ihm felbft errichter
tem enhemeren Thron. Stefano Eolonna hält dem erfchlagenen
Dietator die Weihrede:
Du Atgott deined Volks, von ihm befhtmpft,
Sein Richter du, von feiner Wuth verdammt,
Du, fein Befreier, Näubern gleich mishandelt,
Du. fein Tyrann, zu milde noch geftraft.
Du Schwörmer, lebieſt in dem Alterthum,
D’rum ſel beitaltet au nad alter Sitte. —
Zeagt ihn vor unfre Burg. das Kaifergrab,
Dos Maufoleum des Xuguflus hin u. f. w.
Ohne eine tiefe Wirkung zu hinterlafien, flieht fo da8 Drama,
das wir mit Befriedigung und in der Erwartung, aus der:
felben Duelle wol noch Reiferes und Beflered hervorgehen zu
, durchlafen.
vom ae (Die Fortfezung folgt.)
Zürft Kosloffsky, kaiſerlich ruſſiſcher wirklicher Staats:
rath, Kammerherr bes Kaifers, außerordentlicher Ger
fandter und bevollmächtigter Minifter in Turin, Stutt-
gart und Karldruhe. Herausgegeben von Wilhelm
Dorom. Leipzig, Ph. Reclam. 1846. 8. 2 Thlr.
Wir haben”, fo fteht in Rahel'6 «Tagebuche⸗ (Bd. 3,
®. 139, „einen fehr originellen, verftandvollen Fremden hier:
dorſt Koslofefy, Muffe, gewefener Gefandter in Zurin, Gtutt-
gart, Karlsruhe; in Branfreic, England, Ztalien zu Haufe:
voller Leben und Geift. Cr ift weit über bie fogenannte große
Welt hinaus; bedarf ihrer aber fowie großer Converfationen
und eines großen Intereſſes. eine Geburt öffnet ihm alle
Salons, da hat er die große Welt, die große Converfation
wacht er dort felbft und für fih allein; und bei feinem unger
beuern gefeliſchaftlichen Ehrgeiz ſchafft er ſich ebenfo für fi
allein, auch ein großes Interefie mit Pleinen Mitteln.”
Der Mann, über den eine fo ausgezeichnete Frau als
Nabel war fo beifällig uetpeilt, kann —8 kein gewoͤhn ·
licher Menfdh geweſen fein. Um fo mehr verdient Dorom
Dont für diefe - Sufammenftellungen über ihn, die, wenn:
tannte Dinge erzählen. Aus dieſen Mittheifungen, welde der
Herausgeber von Hrn. Barnhagen v. Enfe, der den Zürften „eir
nen prächtigen Nuffen‘’ nennt, und von einem andern vher·
ehrten Freunde des Mollendeten enpfing, erfehen Die Refer, daß
Kobloffäky im December 1793 zu Moskau geboren war, daß
er in Sprachen und Biffenfhaften wohl unterrichtet wurde
und feine Ausbildung in Rom unter dem Zefuiten Lami vos
endete. ben diefer bekehrte ihn auch zur fatholifchen Kirche,
der er.jetoch nicht mit zu großer Gläubigkeit anhing und nur
eigentlich von einigen Scyrelniffen Latholifcher Vorftellungen
im Leben öfter& unangenehm berührt wurde. That e8 aber
noth, fo magte er aud) die Gebräude der griecifhen Kirche
mit, von den Proteftanten wollte er jedoch nichts willen und
gefiel fi) in harten, bittern Wigiworten über Ruther, von dem
er fortwährend im Sinne der Fathofifhen Kirche glaubte, daß
er mur aus weltlichen Rüdfiten vom Papfte abgefallen fei.
Seine diplomatiſche Laufbahn begann. Kosloffsfy in der Kanz ·
lei des rufichen Minifter6 Romanzoff, Hatte aber daS Unglüd,
demfelben das Zintenfaß auf die fhpönen weißen Veinklcider zu
werfen, als er eben Sand auf eine Depefche ftreuen folte.
Einen fo ungeſchickten Secretair wollte der Minifter nicht um
fd) dulden, man gab ihm alfo 1811 den Gefandtfchaftspoften
am fardinifhen Hofe, berief ihn dann zum Gongreffe nad
Bien und beftelte ihn 1819 zum Gefandten an den Höfen in
Stuttgart und Karlsruhe. Seine über die fändijchen Anger
legenheiten in Deutſchland nach Petersburg erftatteten Berichte
erregten dort großes Aufichen, und da Kosioffsky feine Aufz
faſſungen nicht den Anſichten des ruſſiſchen Cabinets aufopfern
wollte, fo erfolgte feine Verabiciedung IS21, ſchneller ald er
es wol felbft gedacht Hatte.
„Bon jegt an durchwanderte er 13 Jahre (ang Europa und
hielt ſich in London, Varis und Berlin längere 34 auf, wo
er überall mit Güte und Freundlichkeit ſich aufgenommen fa,
und bei König Friedrich Wilhelm IH. von Preußen und bei
König Georg IV.-von England durch feine Gelehrfamkeit in
den matpematifipen und medanifen Biffenfepaften, duch feine
‚Heiterkeit, feinen Wig und die Fülle feiner geiftreichen, offenen
Unterhaltung ſehr wohl angefehen war. Hr. Dotom hat hier«
über manche anziepende Zeugniffe mitgetheilt. Wis er 1334
nad Rußland zurückkehrte, hatte er in Warſchau das Ungfüd
dur) das Umwerfen feines Wagens ein Bein zu zerbrechen,
und erfchien affo lahm in Peteräburg nach dreiunbzwangigjähe
tiger Abweſenheit. Der Kaifer Nikolaus und die Faiferlihe
Familie bewiefen ihm bier große Huld, Kodioffsey vergalt fie
durd) die beften Spenden feiner reihen Unferhaltungsgabe.
& bericptet der Herausgeber, daß er fih beim rafchen Cin-
teitte deB Kaifers in eine Gefeüfpaft nicht fehneN genug habe
von feinem Sehnfluhle erheben Pönnen. Raifer Kilsiaub Aber
legte ihm die Hände auf die Schultern und hieß dem Gebrech:
tichen ruhig figen bleiben, worauf diefer Läcelnb ermiderte:
„Comment pourrais-je me lever, quand soixante millione
‚ösent sur moi?” “ Jahre fpäter flarb der Für am
26. Det. 1840 während feines Wufenthaltes zu Baden, wo er
fich ſelbſt zu heilen verfucht hatte.
Diefe Lebensumftinde fühlen die erften 22 eiten des vor ·
liegenden Buche. Unter den hier veröffentlichten Schriften ftel-
len wir das Bruchſtũck aus feinen Denkwuͤrdigkeiten oben af,
deren vollſtaͤndiges Manufeript noch nicht hat aufgefunden wer
den fönnen, und daß bereits in einem frühern Werke des Hrn.
Dorow: „Krieg, Literatur und Theater”, abgedrudt war. Wir
wiffen daher fkon, daß der Fürft bier im eleganten Frangöfifeh
die unnachahmliche Grazie und Liebenswuͤrdigkeit der jept ver⸗
witweten Großherzogin Alerandrine_von Mecklenburg » Schwer
ein, damaligen Erbgroßperzogin gefeiert, und außerdem feine
Beobachtungen über den mecklenburgiſchen Hof, über das Bade
leben in Dobberan und über den nasmafigen Kaifer Nikolaus
von Rußland und feine Umgebung niedergelegt hat. Ein zwei ·
368
tas Otück enthält eine Anzahl Unterhaltungen des Fürften Ro6-
Jeff; mit dem Grafen de la Garde während beB Songreffes
Wien, unter denen ſich manche Fuge und geſchickte Bemer:
Fang über eingelne Perfonen befindet, wir aber doch Anſtand
nehmen dem franzöfiichen Berichterftatter überall fo zu trauen
wie es Dorom gethban bat. Daſſelbe gilt von den Aus—⸗
n aus der Unterredung Koslofföfy 6 mit dem befannten
Grafen Guftine, deſſen lächerliche Arroganz in Befchreibung
rafiſcher Zuftände ſchon binlänglih geruͤgt ift und dem wir
unmöglich das Beiwort eines „liebenswürdigen Franzoſen“ mit
Dorow zugeſtehen können. Die fhredlihe Erzählung von den
Graufamkriten bes. Grafen Ungern-Sternberg auf der Infel Dagö
im efthnifchen Meerbufen hat weder Kosloffsko noch Cuſtine
ft erzählt. Bon des Erſten diplsmatifchen und politifchen
niichten iſt die „Jaettre au duc de Broglie sur les prisonniers
ds Vincennes” (Januar 18:4) ein ganz paffender Beleg.
In den Anlagen findet fich die Rede des Bifchofs Bloom
field von Cheſter, die er am 17. Mai 1825 im englifchen Ober:
baufe gegen die Gmancipation der irländifchen Katholiken ger
Hatten hat. Ihe Abdruck bat durch weiter nichts motiviert wer:
den können, als weil Kosloffsky während feines Aufenthalts
in England diefer Ungelegenheit ein befondercs Intereffe be:
wiefen haben fol, und fo müflen denn die Lefer über 60 Sei⸗
ten mit bezahlen, ohne fonderlidyen Bortheil davon zu ziehen.
‚Die übrigen Anlagen find ebenfalls nicht bedeutend und bes
rechtigen zu der Schlußbemerkung, daß es Hrn. Dorow hätte
gefallen mögen, die einzelnen Züge aus dem eben feined Hel⸗
den mit den biographiſchen Nachrichten, Die aus feiner eigenen
Weder herrähren, in ein Ganzes zu verarbeiten, wodurch die Leſer
unftreitig eine weit beffere Anſchauung gewonnen haben würden.
Als wir diefe Anzeige niebergefchrieben hatten, kam uns
die Nachricht von Hrn. Dorow's Tode zu, der im December
1865 zu Halle erfolgt if. Wir haben alfo Fein Erlebtes,
keine Reminifcenzen, Feine Denkſchriften und Briefe berühmter
Berftorbener mehr zu erwarten, und über feinem Grabe ruht
auch Hoffentlich die Fehde mit dem Dr. Heinrich in Bonn,
welche in den legten Monaten fein Leben erfüllt und den Seis
tungen. emen willkommenen Anlaß zu allerhand Geklatſch ge
geben hatte. War diefelbe gleich durch einen in Dorow's „Er⸗
lebtem“ abgedrudkten Brief veranfaßt, fo war Dorow doch nicht
der Schreiber jened Briefs und auch nicht der Schuldige; der
berühmte Schreiber jenes Brief aber hatte über den bonner
Philologen nur in derfelben mißfälligen Weife geurtheilt wie
in älmlichem Falle viele angefchene Zeitgenoffen geurtheilt ba:
ben würben. a.
Kiterarifhe Notizen aus England.
Ein neuer von Cooper hberausgegebener Roman.
Auch Fenimore Cooper hat fich berbeigelaffen, das Wert
eier ungenannten Sand „Elinor Wyliys, a tale’ (3 Bde.,
London 1845) mit feinem Namen auszuflatten, ihm ein „Edi-
ted by uorzufegen und baburch Theil an dem Ungebührniffe
u nehmen, das, verwerflich aus: mehr als einem Grunde, auf
dem englifchen Büchermarkte gar zu arg wird. Verantwort
lich für den Inhalt, wie ein Herausgeber von Rechtöwegen
fein follte, will er aber nicht fein, und da die fihreibende Hand
einer Dame gehört, if feine desfallfige Erklärung im Vorworte
ebenfo artig als grob. Beides, weil er fagt, die Dame fei
felbft: eine fo competente Richterin, daB er nur einen kleinen
Theil des Manufcripts gelefen habe. Um fo größer und ta-
deinswerther die Farce des „Kdited by”. Indeffen fügt
es fih, daB Cooper ein gefundes, Präftiges Kind aus ber
Zaufe gehoben hat. Es macht feiner Mutter ungewößntieh viel
Ehre und Frederike Bremer dürfte leicht in ihr eine glüdliche
Rivalin befommen. Der Schauplag der Erzählung ift Amerifa.
Aber nichts von Cooper'ſchen Prairien, vom Leben und Trei⸗
ben vertwegener Hinterwalbsjäger, von ſtalpirenden haͤnten
und ihrem ohrenzerreißenden Kriegsgeſchrei. Es iſt eine ein⸗
fache Häusliche Geſchichte ohne funkenſprühende Verwickelung;
erſt ein allerliebſtes Bild ruhiger Familienſcenen, voll Freude
und ‚ dann ein große® Zableau der Borgänge in
Reuyork während der Saifon, zulegt bie Ruͤckkehr aufs Land,
ein aufgerolite Gemälde ländlicher Myfterien. Überall natut:
getreue Scenerie umd rein menfchliche Charaktere. Eine Menge
alte Herren, jeder anders. Mehre Mütter, keine wie die at:
dere, und eine ziemliche Zahl junger Männer und Maͤdchen,
von denen jeder und jede eine eigenthümliche Zeſchnung. Um
gelungenften ift die der Heldin, eines jungen Mädchens, das,
ohne Ichön zu fein, bezgaubert und fern won einem Ideal ber
Inbegriff echter Weiblichkeit. Muß es eih Fehler heißen, daß
das Ende der Geſchichte fi ſchon im Anfange verräth, fo ift
es wenigſtens einer, der wol Niemand abhält, das Buch zu
Ende zu lefen.
Schriften von 2. Blandard.
Mehres vereinigt fih, ‚Sketches from !He, by the late
Laman Blanchard’’ (3 Bde., London 1845) zu empfehlen. Gr:
ſtens den Freunden und Verehrern des in ber fiterarifchen Ber:
fammlung ziemlich ftumm gewordenen Edward Lytton Bulmwer,
welcher dem Werke eine natürlich fehr gut gefchriebene Bio:
grophie feines verfischenen Breundes beigegeben Bat. Zweitens
den Freunden leichter Literatur. „Blanchard's Schriften”, fagt
Bulwer, „verdienen einen Play in jeder Sammlung von beiles
lettres. Sie beitgen, was in ber leichfen Literatur fo felten,
den eigenthümlihen Reiz, angenehme Eindrüde zu hinterlaffen.
"Sie find ein Spiegel des weichen Naturels bed Verf., vermei«
den jede fehmerzliche Anficht des Lebens, alles Herbe der Beob⸗
achtung, alles Bittere des Spottes, und nicht zu vergeffen,
enthalten teinen Gedanken, nicht eine Zeile, wovor die forg:
famften Altern Urfache hätten ihr Kind zu hüten.“ Diefe jo
gelobten Schriften find Aufjäpe über gefellfchafttiche Gegen:
ftände, Commentare zu den Sitten unferer Zeit und nad ib:
ver Faſſung wie der Ziel fie nennt „Skizzen aus dem Leben”.
Manche mögen fchon früher ihren Weg nach Deutſchland ge: .
funden haben, find aber jegt zum erſten Male aus den perto-
difhen Blättern, in welchen ber Verf. fie niedergelegt, gu ei:
nenn Ganzen geordnet worden. Eine dritte Empfehlung des
Werks ift der milde Zwed feiner WVeröffentlihung. Der Er:
trag ſoll den mittellofen Kindern bes Jung aus dem Leben ge:
gangenen Verf. gehören. Am 15. Mai 1803 trat er zu Yar«
mouth in die Welt, ein Sohn geachteter Bürgersleute; er ver:
tieß fie am 15. Febr. 1845. Ein huͤbſcher Schmuck des Buchs
find fowot fein in Stahl geftochenes Portrait, gemalt von Da:
clife, alß eine Menge Holzfchnitte nach Beichnungen von Eryif:
ſhank, Kenny Meadows und Frank Stone.
Ein Roman über China.
„The fall of the man Souny; a tale of the mogul con-
quest of China”, von U. 2. Bymburnes (3 Bde., London 1845),
ift der Zitel eines im Banzen neuen Verſuchs, die Refewelt
dureh das Vehikel des Romans mit den Sitten und Gehräu-
chen ber Ghinefen befannt zu machen. Ob er ein gelungeker,
fteht freilich dahin, wiewol das Eeinem Zweifel zu unterliegen
ſcheint, Daß der Verf. fi) mit feiner Aufgabe viel Mühe gege:
ben und bie beften Autoritäten zu Rathe gezogen. Auch ſchreibt
und befchreibt er vortrefflih. Die Hauptperfonen find hiſtoriſch,
und daß er eine fo ferne Zeit wie die der Eroberung des chi⸗
nefifchen Reichs durch die Mongolen — in der zweiten Hälfte
des 13. Jahrhunderts — fi zum Schauplag gewählt, erBlärt
er, und wol mit Recht, deshalb für belanglos, weil bie Sitten
und Denkungsweiſe der Chineſen ſeitdem wenig Betändeeung
erfahren, und daher anzunehmen, daß ihre jetzigen Gewohnhei⸗
ge ihren damaligen Geſelligkeitszuſtand ziemlich genau Adi
zeichnen. i .
Berantwortlicher Herausgeber: Heinrich Wrodtans, — Drud und Verlag von F. ME. Srockhans in Reipzig.
Blätter
für "
literarifhe Unterhaltung.
Freitag,
— —— —— u m nn nu Amen an a
Dramatifche Buͤcherſchau für das Jahr 1845.
Erſter Artikel.
(Zortſetzung aus Nr. 92.)
5. Sten Sture. Hiſtoriſches Schauſpiel in zwei Abtheilungen.
1. Der Reichsverweſer und der Erzbiſchof, in drei Acten.
2. Dad Interdict, in zwei Acten. Bon C. H. Weſel, Bagel.
1845. 16. 1 Zhir.
Auch diefe Arbeit, hervorgerufen, wie uns ber Verf. fagt,
durch den Anblid der Fülner Wirren im I. 1837, und gezeitigt
durch den der veligiöfen Kämpfe unferer Tage, rechnen wir zu
den ernftern und bedeutendern des Jahres, wenn auch ihr Au:
tor uns unbetannt iſt. Er ift ein Seift, in dem der Typus
des Dramas offenbar und urfprünglicdh lebendig tft; feine beiden
Stüde find Proben’ glüdlichfter dDramatifcher Auffaffung. der Ge⸗
fhichte, durch und durch Leben, Handlung, That, in durchaus dra⸗
matifcher Geftaltung. Nichts ift gemacht oder gefucht, e& ward
ibm Alles gegeben; indem er feinen Blick feft auf das Ge:
ſchehene richtet, daher der Geſchichte treu bleibt, entfprangen
eine nach der andern diefe greifbaren Geſtalten aus dem Chaos
und redeten zu ihm dieſe faßbare, offene, kraͤftige Sprache,
welche diefe Urbeit auszeichnet. Unmillfürlich ſchoß fo das
Drama vor ihm zufammen, gang und völlig aus der bloßen
ernft :finnenden Betrachtung der Geſchichte. Und fo fol «6
fein, fo muß das Hiftorifhe Drama erwachfen, wenn ed Das‘
fein fol was es fein will. Tritt Einer mit Intentionen an
die Geſchichte heran, fagt er au ihr: Liefern wir ein Drama!
dreht und wendet er feinen Gefchichtöftoff zu einer gewifien
Anficht, zu einem beftimmten Ziele bin — der Fehler in Prutz
hiftorifhen Dramen — fofort ift die Hälfte der Wirkung ver:
loren. Wir fpüren Abſicht, Willkür, mir hören das poetifche
Räderwerk knarren und find verfiimmt. Es ift nur zu ver
wundern, erftens, daß wir überhaupt bei ſolchem Anblick noch
ausdauern, und zweitend, wie wenige Dichter und Gelbftkri-
tiker die Entdeckung madgen, daB auf diefem Wege niemals ein
wirkſames, ein dauernde Drama entſteht. Auch Laube, fo
ſinnreich in Entdedung der Fehler, welche die dramatifche
Schöpfurg zu begleiten pflegen, hat das Verderben nicht er-
kannt, das aus der Abfichtlichleit in das Drama überfließt.
Und doch Liegt es auf der Hand. Ergreifen wir einen dra-
matifchen Stoff mit einer beftimmten Abficht, fo haben wir fo:
fort zu erwägen, baß die Gefchichte, als etwas Concretes, fich
jedem hineingetragenen und fremden Zweck entzieht; das Hin-
zutreten eines folhen muß fie fofort fälfchen. Mit vollem
Grunde überlaͤßt fi er der Berf. ganz der Wirkung, bie
der Anblick der Begebenpeit wie fie tft auf ihn herdorbringt;
er dramatifirt fie, aber er deutet fie nicht aus. Er fieht eine
Meihe bebeytender Eharaktere, Ehrifktern I., Sten &ture, den
Patrioten Guſtav Zrofle, ben trewen Sünger Gregor's VII. den
Repräfentanten bed Kirchenthums in feiner Reinheit, Guftav Bafa,
den Fünftigen Helden Schwedens, Helene feine Braut, Ingolf ihren
— — — — —— — — — nn m nn — —,——..-
3. April 1846,
Bater, den Statthalter von Stockholm Lejonhuſwud, Chriſtine
Gillenſtjern, Sture's Gattin vor fih, er ſetzt fie in Xhätigkelt
und em Bild entfteht, deffen großartiges Intereſſe — aus dem
Kampf der Geifter gegeneinander hervorgehen? — ms f
wider Willen mit in Anſpruch nimmt. entfpringt das hi⸗
Rerifie Drama, wir Eennen Feinen andern Weg, eb po
ur Erſcheinung zu bringen. Alle jene Charaktere find mit
—* aber feſter Hand und mit Naturtreue gezeichnet: bie
einzige unbiftorifche, und an übertriebener Erfindung kraͤnkelnde
Geſtalt ift die bed Enthufiaften, des Mörderd Lejonhufmud, ob»
wol feine Tollheit zu erfhütternden Scenen den Stoff Hergibt.
Richt fo unbedingt wie die Charakterauffaffung und die Füh⸗
rung ber Babel können wir die Sprache Toben, in der diefe
Dramen geſchrieben find. ine jugendliche Überreiztheit des
Ausdrucks fchadet der poetifchen Wirkung in den meiften Sce⸗
nen; es fehlt am ſchoͤnen Mas, an Sinn, an Haltung in ihr.
Henn Dlof z. B. auseuft:
Ha, ba, gefühlvoh und Verriger! Weinen,
Daß man fein Herz, das liebe Wickelkind,
Schon von der fähen Mil entwöhnt .. .
Dder:
Dann wär’ bie Gaftfreundfihaft, durd die Bei euch
Die gute Dame bil und fett geworden,
Ein voller Grund zu der Vermuthung, daß
Ihr Kindlein, die Empoͤrung, euch das Leben
Bervantt ... .
fo fehlt foldem Ausdrud die Würde, die Ort und Umgebung
begehren. Dagegen gelingt cben diefem SKraftüberfluß, ber
der Charakter diefer Arbeiten ift, auch eine tiefe und poe⸗
tifhe Wirkung an gar vielen Stellen. Poetiſch if es, wenn
Trolle fagt: .
She ſprecht
Bom lieben Vest, da eine Spanne Zeit
Kür eur’ Gedankenpodagra ein Abgrund,
Ein dunkler, weitgefpalt'ner Schlund if, den
Dad Rieſenmaß des größten Muthes Laum
Bu meflen wagt . . Jetzt —
Es gibt Kein Jetzt für Den, ber vorwärts fieht
Die Bett iſt Leiche und Gebauͤrerin
In einem Augenbiid, wenn nicht der Menſch
Mit feinem Gotteshauch die Neugeburt
Dem Tod entreißt ... fdymeigt mir non eurem „Zert”....
Mitnihten! Dem ber Städte faͤßt die Guben
Des Bogen und dazwiſchen hängt die Sehne,
Schlaff, willenlos, ein Spiel der Beinbedlaune.
Wenn vor dem Thor ber Stier bed wiſden Zum —
Dad Erdreich vruͤllend mit den Hoͤrnern Fpaktk,
IR where Raum noch Zeit zur kLiſt u. ſ. w.
Wir meinen in diefen Proben von den Borgügen wie von den
Mängeln der Diction des Berf. eine Borfielung gegeben zu
haben. Er zügle das noch etwas zaumenfwöhnte Roß feines
Ausdrucks und er wird und damn willfommen fein; bie ſchöne
870
[4
Kraft aber, das Grundelement aller Poeſie, erhalte ihm fein !
Genius ungefchmälert.
6. Der Sohn der Zeit. Irauerfpiel in fünf Aufzügen. Ber:
fin, Herbig. 1845. 12. 15 Ror. .
Der Titel diefes Stücks eines Unbelannten enthält eine
furchtbare Beiuldigung gegen unfere Zeit. Iſt ein Menid,
bei welchem Leichtſinn und grundfähliher Egoismus die Höhe
erreicht, daß er ohne Gewiſſensbiſſe falfhe Banknoten macht,
diefe einem Gaſtfreunde in die Taſche fchiebt, hierauf, nachdem
Jener nah Botany⸗Bay transportirt ift, mit feinen Papieren
verfehen, feine Braut wegkapert, endlich, nad, ſchwelgeriſchem
Leben, als der fälfchlich Verurtheilte ploͤtzlich wieder erfcheint,
Gaſtfreund und Gattin mit Kaffee (!) vergiftet — nicht etwa
bloß ein Sohn ber Beit, fondern zur Pnyiyv der Sohn der
Seit, fo ift umfere Zeit allerdings haͤngenswerth! Doc, das
Ganze ift ja nur eine Verirrung eined ohnmaͤchtigen Trauer⸗
fpielpoeten, und darum fo ernſt nicht aufzufaffen. Es ift recht
ſchade um biefe Verirrung; denn in der Anlage des Stud,
in der Diction, im Verſe, in Allem, was der bloßen Technik
angehört, ift viel Talent anzutreffen. Die Charaktere haben
etwas von guter Beihnung an fi, die Formgebung, Die
Sprache, die Situationen felbft find in Byron'ſchem Stil ziem-
lich wirkungsvoll und manche einzelne Züge in dem Gemälde
tragen einen, poetifhen Stempel zur Schau. Wie aber hat
der nicht unbegabte Verf. glauben koönnen, aus einem ſolchen
Stoff, der das nadte Lafter, die gemeine Berbrechernatur fo
unverhoblen an der Stirn trägt, eine Kunfttragüdie bilden zu
Eönnen? Hier liegt das NRäthfel, die geringfte Prüfung mußte
ibn lehren, zu welcher Verirrung er auf dem Wege war. Als
lein, fo ergeht es nicht ihm allein, vielmehr der Mehrzahl als
ler jungen Dramaturgen. Ein Stoff wird ergriffen, leichtfer:
tig, und fofort gehört alles Studium nur dem Ziele, wie diefer
Stoff dramatiſch zu formen und durchzuführen iſt. Wohl oder
übel, man kommt damit zu Stande, freut fi an feiner- Ge:
ſchicklichkeit vielleicht einen widerftrebenden Stoff gebändigt zu
haben und läßt — druden. Umfonft, Mühe und Arbeit ıft
verloren, weshalb? Weil die erfte Ergreifung des Stoffs eine
ungeprüfte, ungerechtfertigte war. Nicht laut, nicht oft, nicht
eindringlich genug Bann es daher wiederholt werben, daß bie
Dramatifche Arbeit mit dem Anfange anzufangen fei, d. h. mit
der mühfeligften, genaueften, forgfältigiten Kritif des Stoffe
an fih. Kann diefer ein edles Interefle nicht erwecken, bie
äfthetifchen Elemente in der Seele nicht auf die Oberfläche
bringen, fort mit ibm, er taugt nicht, er belohnt die Mühe
des weitern Sinnens nid!
Wir Hoffen verftanden zu werden, obwol wir die Sache
abfichtlich einmal recht populair ausgebrüdt haben, diefelbe
Sache, die wir mit alten und neuen philofophifhen Redewen⸗
dungen ausbrüden Eonnten und ausgedrüdt haben. Niemand
folgere Daraus, daß nach unferer Meinung eine Zragbbie durch»
aus eine ethiſche Mopanblung fein müfle: nein, fie ann, ja
fie muß vielleicht die Schuld in vorübergehenden Triumphe
barpellen; aber was fie nicht darf, ift, moralifchen Ekel zu
egen.
7. Andreas Hofer. Zrauerfpiel in fünf Abtbeilungen. Bon
milhelm Gärtner. Leipzig, Zeubner. 1845. 16.
r.
Ein ſchwieriges Unternehmen, mit friſcher Kraft gut durch⸗
geführt! Es iſt ſchoͤn, wenn und der Poet fo in medias res
verfegt, wie der Verf. thut. Wir leben einige Stunden mit
Ladarner, Speckbacher, Kemenater und allen ben alten, präch—⸗
tigen Kumpanen Hoſer's, und wenn der Vorhang fällt, glau⸗
ben wie wirklich Beugen jenes Kampfes der Baterlandsliebe
gegen die Maffe geweien, ja wol felbft den Stutzen mit jenen
rnigen und geifteöfrifhen Kämpen gehandhabt zu haben. In
biefer vollendeten Taͤuſchung unſers Selbſt liegt Reiz und
Werth diefer Arbeit, in ihr liegt es, daß dies Stück neben
Immermann und fo vielen andern Hofer» Xragödien ſich ber
⸗
hauptet und gilt. So friſch, wahr, naturgetreu und koͤrnig
iſt kein anderes dramatiſches Gemälde von den Thaten jener
tiroler Helden. Die Arbeit der Erfindung wurde dem Verf.
hier durch die Geſchichte erſpart; er ließ, ohne viel Kunſt, die
Thatſachen aufeinander. folgen die Charaktere reden und han⸗
dein wie fie der Hiſtoriker reden und handeln fieht. Und den»
noch, wie ergreifend if dies Bild von Treue und felfenfeftem
Gottvertrauen, von bewußtlofem Berdienft und Selbftverleug-
nung, das und der Sandwirth von Pafleyr aufftellt! Und den»
ch, eine wie tiefe Rührung fließt aus diefem Schidfal, wel:
er Sieg der Idee, welche heroiſche Geringfhägung der äu-
Bern Güter im Kampf mit den höbhern Gewalten ſtrahlt aus
biefem Naturbilde auf uns herab! Und dennoch, wie durch und
durch poetifch iſt dieſe Geſtalt des edeln Hofer! Alles Dies
glauben wir am Präftigften zu bezeugen, wenn wir befennen,
daß wir jede Scene, in ber diefer Hofer auftritt, zwei und
dreimal mit ignigem Bergnügen gelefen haben, vor allen aber
die wahrhaft erhabene Unterrebung zwiſchen Eugen bem Bice:
koͤnig und Hofer im fünften Act. Hofer hat fein Vaterland
vor dem Sieger gefchildert und beweint, und Eugen hat ihm
mit Theilnahme zugebört.
Und dieſes Land wollt ihr verberben —
ruft der Held aus.
Eugen.
Befigen will ih es.
Hofer. ”
Wollt Ihr? Und wenn wir Euch nit wollen?
’ Eugen.
Warum wollt ihre mich nicht?
Dofer.
Fragt unf're Abler, warum fie nicht
Aus Sturm und Höhe nieder ſchweben,
Den gold’nen Käfig wählen und Zutter nehmen
Aus zarter Hand — fragt Euren Hund,
Warum er feinen Herru, der Gutes ihm geiban,
Nicht wechfeln mag. Schlagt ihn — er geht nit!
Gugen.
Kann ich nicht geben, was euch Äſtreich gab?
Hofer.
Nein, König!
Gugen.
Und was vermöchte ich euch nicht zu geben
Das Öftreih gibt?
Sofer.
Die Liebe...
Eugen.
Und wenn nun euer Kaifer euch nit mag?
HYdfer.
Wer fagt daB?
Meint Ihr, weil er und abgetreten?
Wißt Ihr, daß er nit Vaterſchmerz empfand ?
@ugen.
Und warum warf der Kalfer grade euch
Sum Raube hin von allen feinen Kindern. . . -
offer.
Weil wir von allen ihm das liebſte find!
Eugen.
Daß ift mehr Weisheit als ich faffen kann!
offer.
Wie feid Ihr doch fo vornehm und fo blind!
Ich Halt! zwei Hunde, beide treu,
Doc einer rettete mein Leben einft
Aus ſchlechtem Bolt, dad blieb mir im Gedanken. .
Da kam mein Pathe Sichler auf der Mörr:
Andre, ſprach er, laß mir von den zwei Hunden einen!
An beide hatt' ich mid) gewöhnt, verſteht Ihr —
31
Was meint Ihr, weichen ich von beiden gab?
Den, dem idy'3 Beben danite oder,
Den Brveiten.
Eugen
Dean Zweiten!
Hofer.
Den, dem ich's Leben dankte, gab ich! —
Jetzt weiter. Andern Tages in der Fruͤh—
Da hört ich draußen an ber Thuͤr was heulen.
Raſch war id auf und ſah hinaus zum Fenſter —
Da ftand mein „Türke draußen auf der Stiege,
Noch die zerriffne Kette an dem Dalfe . . .
Sch hatt’d gewußt — der reißt die Kell! entzwei ... .
Hier ift etwas, das nahe an Leffing erinnert, eine Präftige,
friſche, unberußte poetifche Anfchauung, wie fie wahrlich heute
zu den feltenen Erfcheinungen gehört. In gleihemn Geifte ift
das ganze Stüd gedacht und niedergefchrieben; die Kunft des
Berſchweigens — jened nicht genug zu preifende Hüffsmittel
des dramatifchen Effects — wendet der Verf. oft, vor allen
aber am Schluß bed Trauerſpiels mit höchfter Wirkung an.
ür alle feine Kampfgenoſſen ift jede Hoffnung verloren, alle
5 und verbergen ſich, nur Hofer haͤlt an der Hoffnung
unerfchütterlich feſt, und weicht nicht vom Dache feines Hauſes
Im Tobel vor dem Waſſer
Am Sand.
Umſonſt fleht Ladarner, umſonſt ſein Weib — er weicht nicht.
Da heißt es:
Ladarner.
Gott Ihut nicht Wunder — dent’ an Welb und Kind!
. Yofer.
Meine Kinder!
Bringt mir die Kinder — rettet mir die Kinder. -
Die unfhuld’gen Engel, wo, wo find fie? -
(Dan bringt die Kinder.)
Gib den Buben, gib bie füße Marli.
Jetzt — Schnell fort! ,
Ein Soldat (ihm entgegentretend).
Seid Ihr der Sandwirth? j
Dofer.
Stu — weck' mir nicht die Kinberchen, ich bin
Andread Hofer!
&o fällt der Vorhang! Unfere Eitate eigen dem Lefer wohl,
daß wir an dem Stüde Freude gehabt ba en, und in ber That
Scheint uns Peine der vorhergehenden und nachfolgenden Arbei⸗
ten des Jahres an Präftiger und geſtaltenreicher Lebensnach⸗
bildımg wie an natürlicder und ungefuchter dichterifher Wir:
kung diefe Leiftung zu übertreffen. Möge der Verf. daher ſich
felbft treu bleiben, fo foll er uns ſtets willfommen fein.
(Die PBortfegung folgt.) .
Ungsrifches Portefenille von A. I. Groß⸗Hoffinger.
Zwei Bände. Leipzig, Ph. Reclam. 1846. 8,
3 Thlr. 15 Nor. '
Der Berf. erBlärt in feinem Borworte, „am Ende zu fein
wit ade modernen politifchen Theorien, und in der heutigen
nichts mehr zu fehen als eine im raſchen Verfall begrif-
fene Ruine”. „Mein Auge,” fagt er, „hat keine Gegenwart
vor fig, nur eine Zukunft. Der DOften oder Nichts wird die
Welt befreien. Diefem Zräumen zufolge, wie der Berf. fein
Denken felbft nennt, und welches wir ihm fo als das indivi-
viduellſte Glück belaffen wollen, hat er feine Blicke auf Ungarn
gewendet. Er bedauert, daß Ungarn „keinen felbftändigen Gang
dee Entwickelung eingefchlagen, fondern ſich faft willen: und
gedankenlos von der Zeit fortreißen laffe”. Demgemäß bat der
Berf, verſucht, „ein Soſtem der Reform Ungarns zu entwer⸗
fen, eine Aufgabe, an welcher feit 20 Jahren Ration und Mes
gierung vergeblih arbeiten”. Wird aber auch wol irgend Je⸗
mand fein Buch in Ungarn lejen, vorzüglich der Adel, auf web’
hen ed .hauptfächlich berechnet ift? Der Ungar, und aud die
Dauptmafle des Adeld verftehen die deutſche Sprache nicht, ja
fie haſſen fie. &o lange alfo der Verf. für Ungarn nicht Un»
gariſch fchreibt, fehlt ihm ver Boden unter den Füßen, auf
welchem ex ſtehen und wirken könne; es fehlt dem Werke alle
materiche Bedeutung. Doc die reformatorifchen Ideen des
Berf. find vielleicht aus einem fo hohen Schwunge der reinen
Bernunft — man erlaube bier dieſen, Zerminus — concipiet,
und mit folder Wahrheit der praßtifchen dargeftclit, daß bie
Schrift daher ſchon als allgemein gültiges Kunſtwerk ihre Stelle
behaupten werde? Diefe Frage kann allein der Gegenftand ei
ner deutſchen Kritif de& „Ungarifchen Portefeuwille” fein. Der
Berf. deutet zuvor an, daß die gegenwärtigen rohen und wil-
den Eigenfchaften ded ungarischen Rationalcharakters aus ben
graufamen Schidfalen des Landes und unmenfchlichen Kriegen
ſich herſchreiben. Sodann ftellt er den Grundfag auf: die oft:
reichiſche Monarchie fei Durch Ungarn moralifch zu erobern,
d. b. die Ungarn müßten fi) beftreben, ihre Berfaflung fo zu
reformiren, „Daß die barin enthaltenen politifchen Rechte auf
das übrige Oſtreich übertragen werden fönnten; und fo nur
koͤnne Ungarn fi feine Selbftändigkeit bewahren und verhin⸗
dern, Daß es von den „ſchlechten Sitten, Der Srundfaglofigbeit,
der Demoralifation Oſtreichs“ angeſteckt und erfüllt werde.
Es iſt traurig, Daß bei Diefer ſchweren Anklage ber Verf. nicht
genau gejagt hat, was er eigentilh unter ſtreich hier veritgn-
den hat. Wenn Die gewöhnlichen Anklagen gegen diefen Ra⸗
men ergehen, fo meint man barunter das eigentliche urfprüng« '
liche öftreihifche Land, und unter den angefhuldigten Perfonen
nicht das Volk, fondern die Beamten. Der Verf. fcheint je:
doch diefen beiden Glafien des Staats in Oftreih, wie er es
nennt, nicht fonderlich geneigt zu fein. Er fagt: doſtreich
wird Beine Zugenden aus Ungarn beziehen, Ungarn feinen 2a»
ſtern freie Einfuhr gejtatten. Die Zwiſchenzoͤlle werden nicht
hindern, daß böfe politifche Geiſter zolfrei aus Ungarn nach
Oſtreich herüberfommen. Die ungarifche Sprache wird nicht
hindern, Daß öftreichifche, liederliche, gefinnungslofe, flaue, ba»
firte Lebensanfichten in Ungarn eintreten. Ungarn wird Oft
rei durch Schugverein und ns der ungarifchen Ab⸗
fagwege mit feiner Armuth beſchenken, Oſtreich dagegen mit
zärtliher Dankbarkeit ihm feine moraliſche Syphilis verehren.
Jene liederlidhe, weinfelig» und wolluftmatt lächeinde 's ift mir
Alles Eins: Philofophie, jene mit geſtrenger Amtshoffahrt im
Namen der Regierung bewerkftelligte Licitationsfunft der ges
meinen Beſtechlichkeit; jener buntichedige Katzenbuckelpatriotis⸗
mus Derjenigen, welche unter der Agide des Doppeladlers im
Zrüben fiſchen; jene innere Zertigkeit und Bereitwilligkeit zu
Berrath, Lug und Zrug, Heuchelei und Hinterliftiger Verfol⸗
gung werden nicht ermangeln, in Ungarn fortzufahren, fich zu
verbreiten.’ Hätte diefe ſchweren Beſchuldigungen Jemand uns
gelast, der nicht vorweg erklärt hätte: er träume in politifchen
achten, wir hätten uns eher geneigt fühlen müffen daran zu
glauben. Aber wer den Ruin der Gegenwart zu einem allge:
meinen Principe macht, der muß und den Verdacht erlauben,
daß er durch ſolche gefärbte Brille auch mehr gefehen als er
ſehen konnte und durfte. Es ift überhaupt auf den Grundirw
thum in unferer politifchen Literatur zu achten, daß alles Das,
was für ein Sournal oder eine Klugfchrift paßt, und ba, Zen: .
den emäß, gefagt werden barf, auch fofort in Broducten der
Wiſſenſchaft unbewiefen fich breit machen dürfe. Und das vorlie⸗
- gende Werk, ein fo großes Unternehmen, Das erfegen zu wollen,
was eine ganze Nation nicht verftanden habe, muß doch wol aus
ber tiefften Wiffenfchaft hervorgegangen fen. Aber wie läßt
ſich das beweifen, was der Verf. anführt? Durch Namhaft⸗
machung glaubmwürbdiger Zeugen, Die aus eigener Anfchauung
erzählt, Laßt fich das ſehr gut erlangen. Es ift mit ſolchen
v
872
Zuftänden, und wenn fle uns die einheimiſchſten zu
fein oinen, nicht anders, ald wenn wir davon vom Rorbpol
wiffen wollen. Und bann in einer —— aufgeregten Zeit
bt man nur zu gern an ein Tagetgeſpraͤch; gu ſolchem
uben aber zu verführen, follte ber Wiſſenſchaft wenigftend
fremd fein. Indeſſen der fpecielle Bwert des vorliegenden Buchs
wird dadurch immer nicht gefchwächt. Die Erhebung der un-
ifchen Berfaffung muß ja an und für fich ein ausreichendes
ject fein. Rachdem nun der Verf. no eine Weile in ben
finftern Abgründen einer conftitutionnellen und einer monardi«
fißen Regierung umbergetaumelt ift, detaillirt er Die gegen:
wärtige ungarifche Gtoatseinrichtung und geht dann endlich
auf „einige Grundlinien und Ideen zu einem Fünftigen Ent:
wurfe einer Staatöverfaffung für Ungarn” über. Alſo wir
werden nur den Anfang eines Anfangs zu fehen bekommen.
Es ift unfteeitig, daß Der Staat ber Gegenwart aus zwei ſtrei⸗
tenden Kräften befteht, Bolk und Regierung, welche eben durch
die neutrale Verfaffung ein gemeinſchaftliches Drgan erhalten
foßen. Regierung iſt das Abftracte, Feſte, welches Feine Ge⸗
fpichte in der Gegenwart hatz die Beamten der Eäfaren zu
Rom find die heutigen, das Volk ift der ewig fortichreitende
eomerete Inhalt der Gegenwart; daher ber Streit. In einem
beitten, einem Drgane, koͤnnen fich beide Principien nur durch
ihre Bertretung ausgleichen. Es iſt fo gut die Vertretung der
Regierung wie die des Volks nöthigs und bie Production bed
Drrgans des Lebens ift das bildende Geſez. Diefe Grundfäge
einer geregelten Staatsverfaſſung find im Allgemeinen von dem
Berf. anertannt worden; ja die Volksvertretung foll auch eine
indirecte Vertretung ber Proletarier in ſich ſchließen. Es ift
diefes Wort bei einer gewiſſen Fraction der politiſchen Schrift⸗
zu einem Modeworte geworden. Von einer politiſchen
MWertretung derſelben glaubt man das ganze Heil des Staats
erwarten zu müflen. Aber wie würde man doc diejenige Re⸗
gierung für eine wahnfinnige erflären, die eine Vertretung ih⸗
rer ſubalternen Beamten beanſpruchen moͤchte; Schreiber, Bo⸗
ten, Actenhefter u. dergl., welche bei dem voran dargelegten
Grgenfage mit den Proletariern parallel ftehen! Gin gemein-
fehaftliches Organ kann ja nur Das fein, wohin nicht das Zu:
Kae und Befondere von Perfonen und Ständen, ein trüber
Ba
‚ gelangt, fondern das Allgemeine, klar und lauter lies.
‚sende der Principien, alfo der Intelligenz. Die Intelligenz
des Volks und der Regierung ift zu vertreten, und dieſe iſt
weber bei den’ Proletariern noch bei den Subalternen zu fin:
den. Die Armukh, deren Stand der Proletarier- bildet, wird
nicht erlöft duch die Politik des Staats; denn ebenfo wenig
wie Intelligenz die alleinige ober höchſte Kraft des Menfchen
ift, ebenfo wenig ift Staat die hoͤchſte Darftelung der Menſch⸗
beit. Doch diefes Weitere gehört nicht hierher; es follte nur
aufmerffam gemacht werden, wie menig durch politifye Ver⸗
tretung den Proletariern geholfen fein Tann, und um fo weni
ger, als in dem ganzen Staatöfchema des Verf. nicht mit ei«
nem Worte der Schule gedacht ift, die den Proletarier zur
Intelligenz heben koͤnnte. Bielmehr er fol für fich fortvegeti-
ven, und 100, warum nicht 101, Delegaten vom Handels⸗,
Induftrie-, Gelehrten. und Bauernftande follen ihn bereifen und
dem Landtage Bericht von ihm abftatten! Es gebt in der That
ins Unglaubliche, woran der Menſch glauben und was ex Al⸗
les träumen kann. Denn entweder muß dann den Proletariern
chafsverftand zingeimpft werben, oder die ganze Finanz⸗
wirthſchaft muß ſich auf Anlegung von Öffentlichen Magazinen
eomcentriren. Erkennt ber Proletarier erft, daß er gefüttert
wird, fo wird er heute ein Pfund Brot dankbar annehmen,
über acht Tagen aber ſchon mit achten fih nicht mehr begmi-
en. Hat nun der Verf. ſo fehon ſich einer großen Illufion
Bingegeben, fo it die Praris feiner Einrichtungen oft micht
minder bebauernöwerth. 8.8. ſchlaͤgt er vor, und das ift ein
Hauptpunkt einer verftändigen Einrichtung: der König kann
and fol (warum fchon diefe Gefuchtheit des Ausdrucks bei
—1
werde. — Wer ſoll nun
unnuͤtze Schreibereien n
- verlaflen hat.
Staatseinrichtungen 9) den Landtag alle brei Jahre einberufen
und auflöfens dann fann aud der Landtag vom Monar⸗
hen verlangen, daß, fo lange der Staat fi in dringenden
Lagen befindet, der Landtag aljährlih ein Mal verfammelt
bier entſcheiden über bie dringenden
Lagen? Iſt dadurch nicht ein großer Anlaß hy innern Unruben
gegeben, vornehmlich bei dem ungarifchen Volkscharakter, den
der Verf. felbft grell genug ſchildert Doch was fol man über
mehr Worte verlieren. Die leeren
Staatskafſſen follen vornaͤmlich durch Einkommen⸗ und Lurus-
ſteuern gefüllt werden; der Berf. entwirft ein vollſtaͤndiges
Zableau der Iektern. Den angewandten Rurus fol ein jeber
Eonfument felbft beurtheilen und bie Gtewer dafür jelbft
offeriven. Wird aber die Regierung nicht wiflen wollen wer
es unterläßt? Dann alfo ift für jeden Menfchen und für je-
ben Augenblick des Lebens ein Spion zu befiellen. In der That,
das Sräumen des Verf. ift ein gewaltiges Hi einnf. Und
nun gehören zu den Lurudgegenftänden z. B. aus vad, Rum,
Kuchen u. f. w.; aber doc) nur dann, wenn fie Jemand con-
fumirt. Alſo diefe Handlung ift das Wefentlihe. Das aber
bat der Verf. vergefien, die Handlungen der Iururiöfen Venus
zu befteuern und den Eonfumenten anzubefehlen, in dem jedes⸗
maligen alle davon obrigkeitliche Anzeige zu maden. Him⸗
mel, was werden da für intereffante Sachen an dad Xages:
licht fommen!
Der übrige Inhalt betrifft erftens ftatiftifhe NRachweiſe
und Auszüge aus andern Schriftftellern über ungarifche Zu-
fände, weldyes manches Interefiante und Neue bringt und dem
Werke feinen alleinigen Werth gibt. Endlich folgt im Gewande
einer Dichtung eine Charafteriftit des ungarifchen Adels, vor:
züglih in feinem Berhältniffe zu den Frauen und den Juden,
die nicht übel zu leſen ift. - B. Marquar bd.
Literarifhe Notiz.
A. Jubinal's neuefte Leiftungen.
Einer der regfamften unter den Gelehrten, welche ſich die
Pflege der altfranzöfifchen Literatur zur eigerttlichen Aufgabe
ihres Lebens gemacht haben, ift Achille Zubinal. Er hat ſchon
eine ganze Reihe gediegener Werke, in denen zum Xheil bie
Refultate fehr gehaltreicher Forſchungen enthalten find, ans
Licht gefördert. Seine gegenwärtige Stellung ale Profefſor
der auslaͤndiſchen Literatur an der Facultat zu Montpellier
ſcheint ihn aber mehr und mehr zu veranlaffen, den Horizont
feiner Studien zu erweitern und auf die forgfältigere Beach⸗
tung der wichtigen literariſchen Erſcheinungen des Auslandes
auszudehnen. Als Ergebniß dieſer Studien werben uns jept
Bruchſtücke feiner hierauf bezüglichen Vorleſungen unter dem
Zitel „Cours de litterature étrangère extrait de lecons pu-
bliques” geboten. In diefen Fragmenten zeigen fi) Gruͤnd⸗
lichkeit der Kenntniffe und Unbefangenheit des Urtheild als bie
bervorftechenden Charakterzuͤge. Wahrfpeintid verdbanfen wir
greihfons der Anregung Jubinal's die Veröffentlichung einer
feinen Schrift, welche vor kurzem zu Mentpellier die Preſſe
Diefelbe enthält Aphorismen und Marimen der
Königin Ehriftine, welche in einer Wibliofhel zu Montpellier
aufgefunden find, ımd führt den Xitel „Pensees de ia reime
Christine, d’apres le matmscrit de T’6cele de Montpellier".
Wir bemerken endli noch, daß die von Jubinal geleitete „„Re-
vue de Midi’, deren wir in d. BI. bereits ruͤhmliche Erwaͤh⸗
nung gethan haben, guten Wortgang zu haben fiheint. Der
Zahrgang 1845 ift veih an intereffanten Beiträgen und gibt
der Hoffnung Raum, daB der Gerausgeber feiner Beitichrift
auch für die Folge die würdige Haltung, welche bi® jegt ſtets Li
ihr zu ruͤhmen gewefen ift, zu bewahren willen wird.
Verantwortliger Heraudgeber: Heinrich Brockband. — Drud und Berlag von F. M. Wroddans in Leipzig.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Sonnabend,
4. April 1846,
Dramatijche Bücherfchau für das Jahr 1845.
Erſter Artikel.
(Fortſetzung aus Nr. 9.)
8. Die Seherin. Dramatiſches Gedicht von Emil Mecklen⸗
burg. Leipzig, Brauns. 1845. 8. 2 Ahlr.
Um des Sontraftes willen laflen wir diefem Raturlaut der
Poeſie eine Arbeit folgen, von der man leicht, im Gegenſa
au jener, auöfprechen könnte, daß fie die Kunft über fidy felb
erhoͤhe und durch ein Übermaß von Reflexion zur Unnatur ge
lange. Es ift jedoch nicht zu leugnen, daß trog eines im Gan⸗
zen ungünftigen Totaleindrucks, den das Stück zurücklaſſen muß,
es dennoch feine einzelnen Schönheiten und gelungenen Partien
enthalte. Das Drama gehört durchaus der Gattung an, die
'wir bisweilen ſchon als Gedankentragoͤdien bezeichnet haben.
Der Gedanke, nicht das Leben, tft ihre Zräger. Verwickelun
und Entwidelung beruhen auf einer Idee, das Leben muß fi
wohl oder übel dazu hergeßen, die Idee zu verwirklichen. Wir
fehen ein Mädchen vor uns, Laura, Liebesglutfchwärmerin im
allerhöchften Grade, und Frey, ihren überfeligen Geliebten. Die
Scene, in der und dies zur Darftelung gebracht wird, iſt et-
was lang; die Verfe find gut. Plöglich fehen wir Frey im
ſchlechter, mindeftens frivoler Geſellſchaft und Laura von einer
Tante und emem liſtigen Kammermädcden dem Könige al
Buhlin in die Hände gefpielt:e Der König macht eine üble
‚ Figur, din ürft wäre genug geweſen. Dann kommt die Reue
über die Untreue, das Gefühl der Leere, über welche Empfin-
dungen Laura in Krämpfe verfällt. In jenen Eonvulfionen,
die bald habituell werden, ſieht fie Gott und Satan um ihre
Seele ſtreiten. Diefe Streitdialoge zwifchen dem guten und
dem böfen Princip jmd offenbar der Kern, das Biel bed Ge⸗
dichts, Das damit zu einer Urt weiblichen Zauft oder zu einsm
potenzirten Gretchen werden fol. Es muß nun zugegeben
werden, daB einzelne Stellen in biefen Dialogen — uneradtet
des übeln Eindruds, den die Gegenwart Gottes und Satans
am Lager der Seherin macht — voller Poeſie und wirklich
ergreifend jind, beſonders an den Stellen, wo Laura wieder
zum Grfennen ber Dinge umber nach jenen leifen Weltgefpra:
den erwacht. Der Gedanke ift wirklich neu und nicht ohne
eine gewiſſe ftille Majeftät, die uns mit leifem Schauer füllt;
allein die Keder Pl zu oft und ftumpft ſich endlih ab. Die
Reden Satans find ziemlich im Charakter des Mephiſto, doch
beinahe noch fpottfüchtiger und höhnender, mehr frivol als
teufliich, fodaß fie ein Nep um bie arme Seele, Laura, fchlin:
gen, dem diefe nun und nimmermehr entfchlüpfen kann; denn
draußen harren die harten Medensarten Gottes auf fie und
fheuden fie in die alte Loge gurüd. Die größte Fineſſe in
der Maske des Satans aber iſt, bag er ſtets von Gott als fei-
nem gnädigen Herrn ſpricht und dem Chriſtenthum jede mög-
lie Lobrede hält, ihm jeden möglichen Vorſchub leiſtet. Er
ift die perfonificirte Emancipation des Kleifches, dieſer fröhliche
unb nedende Satan, bem man gar keine böfe Abficht anmerkt,
bis er zuletzt, eben da Laura für Frey dem Könige zu Füßen
allen will, wahrfcheintich mit der Abſicht ihm ihre Schuld zu
etennen und fih ihm wieder zu eigen zu geben, das Fräulein
erdroffelt, womit das Stück zu Ende iſt. Denn Frey ſchmach⸗
tet als Demagog im Kerker.
Man wird geſtehen, daB wir es hier mit einer kuühnen
und feltfamen Arbeit zu thun haben, die vielleicht einer tiefer
eingehenden Kritik ald fie bier zu geben ift würdig fein mag.
Wenn man ihr den Charakter deutſchen Ernſtes und deutſcher
Tiefe zufpricht, widerfäßrt ihr nur ihr Recht; das MWerdienft
forgfältiger Ausarbeitung verkündet fi ſchon durch ben Vers
und den durchweg feflgehaltenen Reim in diefem fangen Ger
dicht. Bon den Rebenfiguren, weldhe nur den Zweck haben,
die Frivolität der hoͤhern Geſellſchaft zu zeichnen, Tonnen wir
[htweigen. Roß, Stark, die Tante, Lieschen löfen nur dieſe
Aufgabe. Der Kern der Dichtung ruht wie gefagt in den
leifen Gefprächen zwiſchen Laura’ Seele, Gott und Teufel.
Bon diefen müffen wir, foll das Ganze nicht ohne Charakteri-
ftif bleiben, eine oder die andere Probe geben. An welcher
Stelle wir fie erwaͤhlen ift ziemlich gleich. Alſo Raura, welche
eben eine midfällige politifhe Anrede des Satan hören mußte,
jagt ihn weg. Sofort erſcheint ihr Gott auf ihren Ruf.
ott. j
Noch einmal nahe idy mit mildem Triebe
Nicht angezogen von ber Erde Gruͤnden,
Nach meiner Gnade bie und meiner Liebe
Befeligende Botfhaft zu verkünden.
Nimm an des Evangellumd Verheißen
Und wende dich zu mir und meinem Sohne.
Die trd’fhen Bande werben bann zerreißen,
Die di umfangen, und an meinem Throne
Wirft du einmıI des Gluͤces Stunde fegnen,
Wo did) gerettet göttlidhed Begegnen.
Laura.
D Leber Gott, du vebeft immer noch,
Als waͤre ih in beiner tiefſten Schulb.
Was habe Böfes ich verbrochen doch,
Das mir entzogen deine hohe Huld?
Du willfſt mich nicht aus meiner Noth erloͤſen,
Und kannſt mich nicht befreien von dem Boͤſen.
Satan.
Mamfeliden! Pog taufenb! Ich bitt' es mir aus!
Am Ende verleugnet die Schelmifhe mid.
Ich make bier tollen Spektakel im Dauß . . ,
Wenn mir nicht Gerechtigkeit gleich widerfaͤhrt,
Für alles Geſcheite, was ich bir gelehrt.
Laura.
D ja, Geſcheites; aber ſolche Dinge,
Daß mir ganz angft und bange d’rüber wird. «+
Bott. -
Du fängft als Raͤuber mit geübter Schlinge
Die Schaͤfſchen, fo nit flieht dee treue Hirt. . . .
Doch was er rathe, wie du felber bangk —
Du fiicheft niht in meinen gnäb’gen Schoos7
Ma
Laura.
Was fol Ih thun? Die Hülfe thut mir Noth —
MWilllommen, wer mir Bf, wär's auch ber Tod!
Satan.
O papperlagapni So reden fie jet,
Se wich Bevatter Mephiſto vervetzt.
Kaum wunten Pr’ Gnabden ben göttlien Rüden,
So bitten wir wieder. und doch zu beglüden.
Gott.
Ich thue bir im hoͤchſten Ernfte Bund,
Die Seele wird zu deiner Beute nicht.
ud würd! fie dein legt auf diefem Rund,
So führt der Tod fie in mein Himmelsligt.
Gatem.
Zopp, Ihro Snaben, ber Pact iſt geſchloſſen:
Nu habe ſchon Öftar derfeiben gemadt,
Ynh memals nody hat ed mich Tpäter verbroffen,
Denn oftinals (dem habe ich bei mir gedacht:
Da d’rüben! Das find doch verdächtige Sachen
Born mem mit der Erbe: deu ‚Himmel vergleicht
Dart fig ich an unwillkuͤrlich ge lachen —
She werden verzeihen — ich lache ſehr Ind. . . -
Bern ewig ich lebte: ich wärde ganz dumm
Ich brächte vor Langeweile mich ums. . . .
ai be nf. genügen; ſie veicht Hin, bie Intention und
—— —— De zeigen, in der Die Intention verfolgt
wied. Daß fie eine ernſte und eine —— ſei, wird kein
ernſthafter Leſer verkennen; doch dies Geſchlecht Ei in unfern
Adgen felten geworden, und die Luſt, eine neue Variation des
„Kauf ober des „Münfred” zu leſen, Teitet nur nd Be
nige bei der Wahl ihrer Lecture. Dee Berf. wird ſich kuͤrftig
wol kuͤrzer faſſen miſſſen.
9. Schultheiß Wenge von Solothurn. Vaterlaͤndiſches Schau
fpiel von Franz Krutter. Solothurn, Ient 3
mann. 1845. 15 Rer.
An dieſem Stuͤck iſt Alles rauh und unpoetiſch, der Name
des Verf: entbehrt. ebenſo wie feine Diction alles Wohlklangs;
der Stoff ift für ein hiſtoriſches Drama viel zu eng und Hein;
die Handlung ift eine querelle de famille, oder eine Balgerei
unter Spiefbürgern, und obwol bie Religion fi darein miſcht,
kaum beſſer als fie in Preußen jebe Stadtverordneten⸗
—æ — — darſtellt. Soll man aus jedem ſolchen Berwürf:
niß, das ohne hiſtoriſche Zolgen bleibt, eine hiſtoriſche Tragö⸗
die machen? Gewiß nicht. Dem Erzeugniß, dad hier aus:
erwählt wird, muß entweder das Gewicht einer Bewegung in
Maſſe oder die moraliſche Groͤße ber einzelnen That zu Hulfe
tommen. Hier fehlt das Cine wie das Andere, das Stück
hätte daher ungeichrieben bleiben Pünnen. Indeß, einen großen
Aufwand von Kunftmitteln hat der ehrliche Verf. auch nicht
darauf verwendet: von der Yormgebung des Dramas hat er
wol kaum eine dunkle Ahnung, und die Sprache die er ver:
braucht ift etwa Die aus den Stilubungen eines fähigen Ter⸗
tianers.
10. Thron und Hütte. Romantiſches Drama in fünf Auf:
zügen: Von 2. M. Eckardt. Wien, Kaulfuß Witwe,
Grandel und Comp. 1846. Er. 8. 20 Ror.
Ah! Auch die fhöne Zeit des nordifhen Antiquar-Enthu«
fiadmus ift vorüber! Die Gigurd:Schlangentödter, die Gun⸗
- Iaugur: Drachenzunge und Frithjoffagen Plingen nur noch dun⸗
kel und verballend nah; Riemand glüht mehr für oder
wider die Nibelungen, und die Namen Halfvan, Ring und
Sigduna fegen Erine Zunge mehr in Bewegung, wie viel min-
der ein Herz! Der Verf. bringt daher eine Ilias post Ho-
merum, wenn eu jegk noch mit einen deamatifirten Frithiofs⸗
[1 heraußtritt, und. märz er der Skalde Ringolf felbft, er
ände kaum ein Dbe bereit ihn kn So fehr gehört es
zur glüdlichen Übung der Mufen bie rechte Seit und den
| tig, daß er wie es ſcheint ſich
rechten Stoff zu wählen und ben Bannruf Veraltet“ non
feinem Dichterhaupte abzuwenden. Doch unfer treffliher Verf.
hat an dem „Beraltetfein’ feines Stoffe noch nicht genug; er
zeigt fi noch in einer andern Beziehung als ein Spätling,
er befiev als Einer, der Die letzten 20 Bahre beobachtungẽ⸗
8 verträumt zu haben fiheint. wie er, aus Diefent
Traum erWachend, noch Ehren⸗Fouqué in Ehren wähnt, fd
laubt er auch in anderer Beziehung noch an Ehren : Wolfe.
08 fagt der Lefer wenn er am Eingang des Stuͤcks lieft:
Wie ſchoͤn, wie lieblich dich die Roſe kleidet,
Der Morgen ſchmuͤcktt ſich neu, weil er dich fieht!
und am Schluffe:
Verföhnung, treuer Bruder . . .
Bon tum VFeſſen rei IM die die Handy,
Ergreife fie und eil’ zu mie Herüber.
Die Schweſter foll das Yfand ber Liebe fein
Cie möge wie ber Farben Kranz der fieben
Vereinen nun, was je getrennt geblieben.
| Ein folder inconfequenter und ftemdartiger Eigenjinn bat et-
was Abſchreckendes; Recht behalten vooflen gegen bie ge
Welt Tann nicht die Eigenfchaft eines Dichter im hoͤhern
Wortiinne fen. So ſteckt denn auch bei diefer Arbeit die
yore mar in dem Klang ber Wort: die Handlung, fo weit
e dem Verf. angehört, iſt gaͤnzlich davon entblöft, triviak,
langweilig und ohne wung. Ba nun auch die Cha⸗
rakterzeichnung gleich Mut if, fo bleibt für die poetiſchen &n-
ſprüche des Autors nichts übrig als die qute Berwendung der
Bilder aus ber nordiſchen Mythologie. Diefe Laffen wir ihm
ohne fie ihm au beneiden; ein Reiz durch Misdrauch ftumpf
gemädht, ein Pfeil der nirgend trifft und haftet, eine Blume
ohne Duft, ein verloſchener Regenbogen.
(Der Beſchluß ſolgt.)
Vorleſungen über flawiſche Likeratur und Zuſtaͤnde. Ge⸗
haften im College de France in ben Jahren von
1840 — 44. Von Abam Mickiewie, Dritter
und vierter Theil. Leipzig, Brockhaus und Avenarius.
1844 — 45. Gr, 12. 2 Thir. 25 Rgr.
Der dritte Dheil der Vorlefungen erfobert vielleicht mehr
als jeder andere die Beachtung Deutfchlands und vornehmlid
ver beutfchen Philoſophen; denn ex enthält nicht nur eine ſchar
unbarmherzige Kritik aller neuern deutfchen philofophifchen Sy⸗
fteme, fondern enthält auch zugleich alle Momente, durch weißt
nad Mickiewirz’6 Anficht die im flawiſchen Volke im Keime
liegende Philoſophie fich über die deutſche Philoſophie der Ges
genwärt erhebt. Wir find weit entfernt, die außerordentlichen
Leiſtungen der deutfihen Philofophen leugnen noch je auf einen.
Augendli den ungeheuern Einfiuß vergefien zu wollen, ben
erade darch die philoſophiſche —— deutſche Wiſſen⸗
Nat und deutſches Wefen in der Neuzeit auf die rivilifirten
Boͤlker Europas gewonnen bat, und von welchem Enfuß ge
rade auch das Buch von Mickiewicz ein mehr als glaͤnzender
Beweis if. Denn fo viel der Verf. über die verſchiedenen phi⸗
lsfophiſchen Richtungen in Europa le o ift doch beiwei⸗
tem der meiſte Raum ber deutſchen P ofophie und ihrem Sy⸗
fteme gewidmet; fie fcheint dem Verf. trog der@eringichägum
die er fo oft gegen fie an dem Tag Ieatı dennoch fo hochwich⸗
elbſt zum Irog jedes Der
dentfchen Hauptfefteme einzeln weitläufig durchgeht, und dann
bei dem einzelnen Prineipfragen, die er behandelt, immer und.
immer wieder auf diefefben zurückkehrt. Eine beflere, eine mehr
erzoungene Anerkennung der Wichtigkeit kann man nicht fo⸗
*) Bulegt. beriditeten wir über biefed Wirrk in Sr. 2 und WI
dv, Bi. f. Me, D. Art.
‘
328
dern. Det Hauptunterſchedungtyunkt aber, Sen wit ſogleich
im Unfen, oorheben zu u jen glauben, befteßt eigen
det deutlichen ilefoppie und der tig Nasifgen des Michie:
wicz in dee Diateftik. Zwar 0% Michiersie, ferdft Amer ger
oumgen, von derfelben Gebrauch zu machen, um feine Gegner
mieberzußämpfen: allein trogdem habt er fie und negirt dieſelbe
von Princip aus. Die deutſche Philoſophie fei reine abftrarte
Be mepot lofophie, reine Berftandesipecufätton und führe ald
force nie zu einem Refultate in derjenigen gauptfragen bes
Mrenfengeie lechtö, deren 2öfung das harrende Europa eben
errarte. Diefer Philofophie Melt der Verf. feine und einiger
fpäter zu nennenden Ppilofophen Gefühld:, Willens» oder ger
Haner Intuitionsphilofopfie entgegen, und vindietet diefe Ic:
tere, welche unmittelbar auf daB stein auf die That, auf
die gegenwärtigen Zuftände der Xölker loefteure, ausftpfießtic,
dem flawifchen und franzöfifhen Wolfe, während die abftracte,
theoretiſche Specutationsieife den germanifchen Volkern vor
nehmfich zuzufhreiben ſei. Ohne uns In die Unterfuhung der
Baprpeit —8 Behauptung einzulaffen, zu ber hier nicht ein ⸗
mat der Raum toäre, wenn wir dazu auch Beruf verfphrten,
demerten wir nur, daß die praßtifchen Refultate, wie fie bi
jegt vorliegen, alerdings manches ſtrenge Uttheii Mickeriirz's
du redhtfertigen feinen, wie wir weiter unten feben werden.
Der dritte Teil enthält zwei Hauptgegenflände, von der
hen der eine die Slawen allein und ausfchließfich angeht: daB
ir die Unterfachungen über das ſlawiſche Altertfunt, Über bie
webreitung dieſes Votksftanimes in den älteften Zeiten, wo es
bereits die Hauptbeodtferung Europas dargeftellt Hätte, bis es
Iter überall zu Sklapen gemacht worden: über bie altflawiſche
thologie, in der fi der urfprüngliche europätfche Mythus
am rei und unverfätfhteften erhalten habe, ſodaß fie jet
das einzige und wichtigfte Mittel zur Erfärung aller europät-
em Mythologien fei, wie ei B. eine Menge griechiſcher Göt-
ternamen erft aus dem Siawiſchen erklärt Werden koͤnnen.
Der andere Hanpttheil des Buchs bezieht ſich auf die Hr
der Frage, was will bie ſlawiſche Philofophie und weiches i
tr —RX zu ihren Borgängerinnens Mit dieſem Gegen
de beginnen die BVorlefungen. Die erfte Eigenſchaft ber
ifgen Phitofophte ift der Glaube an die Vothwendigkelt
des Opfers, det Uufopferung nicht nut der Mergangenpeit,
gen auch feiner felbft und feiner Rechte zum Beten der
(gemeinhelt; bie zweite Tigenſchaft die Erwartung, das
Streben nad) der Zußunft, nad, einer Offenbarung, u, in
Bie gegemmärtigen Qerhältniffe einer volltommenen Umſturz,
ei vollfommeneß Gebäude na den Grundfägen der dpriftlichen
Xiebe aufführen werde. Das Mittel zur Realifirung ß hoher
Swede beftche in der Begeiſterung, melde gegenwärtig Dur
Die Porfie, vornehmlich aber durch die poiniſche repräfentirt würde.
das Dichtergenie muß die polnifh » ſiawiſche gukunft er:
füßt, durch daffelbe der ganzen Nation offenbart werben. Das
ber Beruf der ſlawlſchen Dichter in der Gegenwart. Sie
ıben Denfelben theild ſchwacher theils fhärfer anerfannt.
ar tritt dieſes Bewußtfein bei dem Berfafler der —
Eombdie und in Zaleski'6 „Duch od Stepu‘ herborz ſchwaͤcher
Bei Puſchtin, deſſen Sedichi „Der Prophet” diefen Beruf leife
ambeutet; umficher iR des Berf. Urtheil über Rollar, deffen
Werke fowie die der Öftreichifchen Slawen überhaupt Mickie:
wicz nur oberflächlich und ——— nur don Hörenſagen
defannt find. Im defto größerer Wollftänbigfeit gi der Verf.
den Geiſt und den Inhalt der „Hölifchen Komödie” wiedet, wel
ges Drama allerdings einzig in feiner Art und fo erhaben
durch innern Werth wie durch Tendenz über allen neuern Dra»
men ber Gegenwart ſteht, daß die Polen allerdings fehr vet
daran thun, dieſes große wahrhaft genlale Werk immer wieder"
durchzuatbeiten Die ausfpliegligpe Beurtheilung der europäl-
Then Phitofophie beginnt aber erft 9.224.
Dem Berf. ift bie gegenwärtige Richtung bet deutſchen Philoſo⸗
phie durchaus fKolaftifch, an einer andern Stelle Mieder daraus
preußifch, anderwärts endtih durchaus preteftantifdg, swie unter
andern ihr Entftehungsgrund beweife, da das durch bie Reformar
Son gerne Band bes keligidſen Gemneintebens bie proteftanti-
je Geiſtlichkeit gen iſolirt hingeftelit und fie fo zu ber abfteacteit
berufation verleitet oder dur&) Den Mneren Buchftibengmang
ber Spmbolifhen Bücher, über die man nicht habe hinausgehen
bürfen, — jen Habe. Von da an habe das abitracte Den
Een eine folde Gerriaft in Norddeutſchland erfangt, daß es
nicht möglich geweſen wäre, derfelben Einfluß oder nur Begie-
hung zu dem praftifken Leben zu verichaffen. Wie weit dieje
? ilofoppie in diefer Hinficht qurüd fei, beweife der, Umftand,
ab Hegel felbft Preußen für das Ideal des guten Staats ge:
alten und durch die Kachricht von der Jufirevolution in den
Jöchften Zorn und bie größte Trauer verfegt worden ſei; der
polnifche Aufftand habe feinen füßen Traͤumen noch den Reft
gegeben. „Ihm ſchien es nämlich, die Menfchheit hätte ſchon
nichts weiter zu. thun als nur die Glüuͤckſeligkeit des Dafeins
genießen, Welhes fle in den Formen ber fraͤnzoſiſchen Monar:
ie, des uffen und oſtreichiſchen Ba errungen, hat
deren Mufter aber und Typus die preußifhe Monarie dar.”
&o habe denn weder er noch feine Nachfolger „eine Neuerung
in der Politik gemacht; fie denen, daß die deutſchen Staaten
das Biöchen Zreiheit, welches fie genießen, Frankreich und zum
Theil Polen ſchuldig find. Der gegenwärfige Zuftand der Dinge
vieler biefer Reiche wurde nad dem Sturze Napoleon’ uml
geößtentheits nad dem Mufter der feanzöfifchen Revolution ein:
geführt. Der frangöfifepe Givilcoder wirkte ebenfalls farf auf
die Gefeggebung der deutſchen Länder ein, namentlidy ber Pro:
vinzen, zu Preußen gehören. Daß aber in diefer Veräns
derung fic) etwas wührhaft Deutſches vorfände, dab der Fort:
fbritt deutſchet Philofophie zur Widerung der Lage Deutfch-
lands in itgend etwas beigetragen päte, iſt durchaus nicht zu
bemeifen.” (S. 300.). Ja, wege fogar_ noch weiter, indem
er ed mit einer fehr fcharfen Betonung hervorhebt, wie „die
Hegelfde Schule in Parteien zerfallen, die fih die Ramen der
teten Seite, der linken Seite und der Mitte, wie in. den
feanzöfifhen Kammern geben, und öfters, um nur ben Deut:
hen felbft begreiflih zu maden, was unter ihnen vorgeht,
müffen fie zu det politischen Sprache Frankreichs ihre Zuflucht
nehmen. Bir wiederholen eſs, die Deutſchen verftchen fi
fetbit nicht mehr untereinander, nur wenn fie fi Frangöfile
ausdrüden.” (@.426.) Uns fceint Diefer legte Worwurf offen
geftanden an fi nicht von Bedeutung, fondern dient hödhftens
als Beweis, daß die allgemeine Bildung au in politiſcher
Hinſicht In Deutfchland weit über die gegenwärtigen polit
Zuftände hinaus ift, worin zugleich die — Garantie liegt,
dag au die politiſchen Veränderungen nach dieſer Seite hin
unaufpaltdar find, daß fie aber jedenfals auf fricblihem Mege
erreicht werden; denn nur ſolche neue Zuftände, deren Zülle von
Einzelnen, Wenigen erfannt wird, müffen dur, Crfdütterun:
‚gen herbeigeführt werben. Das beweifen die Sitte Polens
u deutlich, ald daß fie Mickiericz hätte verkennen folen. Als
jermittelungsorgane zwiſchen der deutſchen und der ſiawiſchen
Philoſophie ficht Mickierwicz zunaͤchſt Eiedzkowati an, der unter
der Aufren Scufe ber deufhen p —2 — Methode polni«
ſchen Geift verberge und mit feinen Schriften erfdütternd un⸗
ter die Häupter ber deuiſchen philoſophie trete. Seine Ber-
venftändigung ndd) der. teligiöfen Seite
mit den Deuffäpen veligiöfen, Philofoppen
Kriterium der Wahrheit nit in den al
dert in den Geift fegt. Diefe beiden I
märtig füt bie größten Peiofont en Ei
von deneh man überhaupt etwas Dauerr
warten dürfe. Ob und inwieweit Mic
wartungen derechtigt ilt, Das zu unterf
Kefern felbft überlaffen; es ift dies bie ir
tigfte Partie bed vorliegenden Tpeild; |
Menfpeit, Unfterblifeit, Glaube, Gott
Weiſe beſprochen, die Anfichten der weile, u
ner der Gegenwart und Mergangenheit von einem beitimmten,
feften aus auf ve md Mate Seiſe behan ·
delt, daß ’felbft Diejenigen, welche eben dieſes Princip negiten,
376
e8 SIntereffe diefe Partie des Buches durch⸗
Uns gendgt «8, darauf aufmerkſam zu machen,
und die Worte zu wiederholen, welche der Überfeger in feiner
Borrede an Deutfihlande Gelehrte richtet: „Die aufgellärten
und biedern Männer Deutſchlands, denen wir biefes Wert
widmen, werden erfucht, die erhabenen Wahrheiten, die ber
Verf. feinen Zuhörern im lebendigen Vortrage Mar verftändlidh
und fühlbar gemacht, volftändig und umfaflend zu würdigen
und durchzuarbeiten.” Die legte Vorlefung enthalt eine Re
capftulation des Inhalts der erften drei Theile, gleichſam das
Slaubentbefenntniß des Berfaflers.
(Der Beſchluß folgt.)
nicht ohne inn
geben werden.
Notizen.
NRaturbeweis eines künftigen Dafeins. _
Die Erſcheinung der Auflöfung bietet einige der Marften
Beifpiele von volftändiger Veränderung koͤrperlicher Gegen:
\ Bände ohne deren Vernichtung dar, wir find aber an biefe
eränderungen fo gemöhnt, daß, obgleich die aufgelöften Sub-
ftanzen nicht mehr erfannt werden Föonnen und in ihrem neuen
Zuftande vollfommen unſichtbar geworden find, wir Doch Eeinen
Yugenbli lang annehmen, F irgend ein Theil von ihnen
verloren gegangen fei. Die Auflöfung eines Studies Zuder in
einer Theetaffe ann als ein ganz einfaches Beifpiel angeführt
werden. Der harte, kryſtallifirte Zuder wird in den Thee ge:
taucht und verfchwindet nach kurzer Zeit völlig. Wenn Je:
mand eine ſolche Erfcheinung zum erften Male erblidite, würde
er glauben, der Zuder gebe gänzlich verloren, und geneigt
fein, deſſen Verſchwinden einer Zauberei zuzufchreiben. Wir
find aber Alle fo gut mit dieſem Vorgange befannt, daß wir
aufhören diefe Erſcheinung für unferer Aufmerkſamkeit werth
u balten, und wiffen daß der Zuder nichts an feinen Eigen:
thümlichkeiten durch den chemiſchen Proceß verlor, der ihn für
die Organe des Gefihtd und Gefühle unficgtbar macht. Der
Zuderftoff Fann ja dur das Abdampfen der Fluͤſſigkeit bis
zur Trockenheit in fefter Form wiederhergeftellt werden, indem
das Reſiduum in Zuckerkryſtallen befteht, welche gerade wieder
ebenfo viel wiegen ald das frühere Stud. Wenn uns nun alfo
die Erfahrung lehrt, daß diejenigen Operationen, die man ge:
woͤhnlich für die zerftörendften Hält, in der Zhat nicht ein ein:
ziges Theilchen der Materie zerftören, und wenn wir lernen,
daß dieſe Operationen felbft nichts Anderes als die Wir-
kungen neuer Eombinationen find, gaͤnzlich abhängig von der
Dperation der legtern, fo erhalten wir dadurch zunehmende
Gewißheit der unmwiderlegbarften Art, analogifh die künftige
Fortdauer zu beweifen. Wir begreifen —* daß es dieſen
Vorgängen, welche die Geſtalt der Körper verändern, unmög⸗
lich fein würde, die legten Partikeln der Materie zu zerftören,
weil diefe Vorgänge felbft bloße Wirkungen der ſchon vorge:
angenen Wirkungen find, und nur anzeigen, daß die neuen
ombinationen vollendet find. So müflen wir denn in Folge
dieſer Maffe von Evidenz, die zu groß ift ald daß man he
widerfteben Fönnte, glauben, daß die Elemente der Materie,
welche jemals erfchaffen worden, nur durch die directe Vermit—
telung der allmächtigen Kraft, die ihnen das Dafein gab, aud)
wieder zerftört werden können. Folglich: Die Veränderungen
die beim Zode eintreten find nicht bedeutender, und gewähren
keine entfchiebenere Anſicht der Vernichtung als die Auflöfung
des Zuckers in Waffer. Wenn wir nun diefe Zhatfachen bin:
fihtlich der Ungerftörbarkeit der Materie zufammenftellen, und
unfere Unfähigkeit in Betracht ziehen, unmaterielle Stoffe zu
unterfuchen, fo erhalten wir dadurch die triftigften Gründe
zu der Überzeugung, daß der Geiſt ebenfo unvergänglich ift
als die materielle Subftanz, und erfennen die Unhaltbarkeit der
Einwürfe, die man gegen die abgefonderte Eriftenz der Seele
5108 aus dem Grunde erhoben hat, daß ein ſoicher Zuftand der
Trennung unbegreiflich fei. (Batewelt.)
Südamerilanifher Waffermangel.
As Darwin durch Südamerika reifte, beſchrieb mon ihm
auf dos Ledhaftefte die Wirkungen des legtvergangenen großen
Waſſermangels und die Rachrichten darüber Pönnen zugleidh
einiges Kicht auf die Grunde werfen, warum man bier und dba
nicht felten die Gerippe einer Menge Thiere aller Art aufge»
häuft findet. „Der Zeitraum zwiſchen den Jahren 1327 — 30
wird die große Trockenheit oder die große Duͤrre genannt.
Während diefer Zeit fiel fo wenig Regen, daß die Vegetation
bis felbft auf die Difteln abftarb; bie Bäche trodineten aus,
und die ganze Gegend gewann das Anſehen einer flaubigen
Landftraße. Dies war befonders der Kal in den noͤrdlichen
Gegenden von Buenos Ayres und dem füblihen Xheile von
Santa: FE. Eine große Menge Vögel, wilde Ihiere, Heerden
und Pferde kamen aus Mangel an Zutter und Waſſer um.
Jemand erzählte mir, daß das Wild in die Höfe zu den Quel⸗
len kam, die er hatte müflen ausgraben laſſen um feine eigene
Familie mit Wafler zu verforgen, und die Rebhühner kaum
Kraft genug befaßen fortzufliegen, wenn fie verſcheucht wurden.
Der geringfte Anfchlag des Verluſtes an Zuchtvieh in der Pro:
vinz Buenos Ayres allein wurde zu einer Million Stüden an⸗
efhlagen. Ein Landbefiger in San: Pedro hatte vor diefen
I ren eine Heerde von 20,000 Stüd, und nad 1830 war
nicht eins mehr vorhanden. San Pedro liegt inmitten des
ſchoͤnſten Landſtrichs und ift jegt wieder reich mit Vieh ver-
fehen, aber denno wurde in dem legtern Stadium der großen
Trockenheit Vieh zur Speifung der Einwohner auf Schiffen
dahin gebracht. Das Bieh dad aus den Gehöften nad Süden
bin auswanderte, war in fo großer Anzahl untereinander ge⸗
mifcht, daß eine Regierungscommiffion von Buenos Ayres ab«
gefhidt wurde, um die Zwiftigkeiten der Eigenthümer zu ſchlich⸗
ten. Sir Woodbine Pariſh erzählte mir noch eine andere fehr
eigenthuͤmliche Urfache zu Streitigkeiten. Da der Erdboden fo
lange troden gelegen, hatten fi folde Staubwolken gebildet
und erhoben, daß in diefer ebenen Gegend die Grenzzeichen
verfehüttet wurden und die Beliger nicht mehr ihre Grenzen
u beftimmen mußten. Gin Augenzeuge fagte mir, daß das
Bieh in Heerden von Zaufenden in die Yarana gelprungen waͤ⸗
ren, und dann vor Hunger erſchoͤpft nicht wieder die ſchlam⸗
migen Ufer hätten heraufklettern koͤnnen, ſodaß fie erfäuft wor⸗
den. Der Arm des Fluſſes, der bei San: Pedro vorüber geht,
war fo vol PViehgerippe, daß mir ein Schifföherr erzählte, ber
Geſtank daven Habe ihn ganz unfahrbar gemadt. Unftreitig
famen auf diefe Art mehre Hunderttaufende von Thieren in
dem Fluffe um. Dan fah ihre in Fäulniß übergehenden Kür:
per den Strom abwärts fdywimmen, und vicle derfelben wur»
den ohne Zweifel in die Bucht des Plata abgelagert. Ale
Meinen Flüffe wurden fehr falzhaltig und Died verurfacdhte an
einzelnen Punkten wieder vielfaches Sterben, denn ein Vieh
das folhes Waſſer trinft muß crepiren. Azara befchreibt die
Wuth der wilden Pferde bei einer folden Gelegenheit, wie fie
in die Sümpfe ftürzen, ſodaß die welche zuerft Lort angelangt
von den Nachkommenden überraunt und zu Boden .. gefreten
werden. Er behauptet, daB er mehr ald cinmal die Gerippe
von taufend auf diefe Art getödteten wilden Pferden gefehen
habe. Ich felbft bemerkte, daß Die kleinern Zlüffe der Yampas
mit einer Breccie von Knochen gepflaftert waren, dies ift aber
wahrfcheinlich eher die Kolge ciner ftufenweifen Bermehrung
als einer Zerſtoͤrung auf einmal. Nach biefer großen Trockenheit
folgte eine fehr regnerifche Zeit, welche hohe Fluten bewirkte.
Sonach ift ed außer allem Zweifel, daß mehre Laufende vor
Gerippen durch die Ablagerungen im darauf folgenden Zahre
begraben wurden. Was würde nun cin Zoologe davon urthei⸗
len, wenn er eine fo ungeheure Sammlung von Thierknochen
aller Art und des Alters in eine dicke erdige Maſſe eingehullt
fände? Würde er dies nicht eher einer großen Zlut die das Land
überfhwemmt babe zufchreiben als dem gervöhnliden Laufe
der Begebenheiten?” 18,
Verantwortlier Herausgeber: Heinrich Srockzauns. — Drud und Verlag von F. X. Brockbans in Leipsie.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung,
Sonntag,
m —— — —— m U — — — 7
Dramatiſche Buͤcherſchau fuͤr das Jahr 1845.
Erſter Artikel.
(Beſchluß aus Nr. 24.)
il. Horatio, der Mulatte. Nomantiſches Drama in fünf Auf⸗
zügen, von 3. C. Anderfen. Frei nad dem BDänifhen
beacheitet von Le Hetit. Hamburg, Kittler. 1845.
12. 230 Nor.
Es ift ein eigenes Schaufpiel um einen Schriftfteller, der
deutfche Bücher fchreibt, und von der Eonftruction der deutfchen
Sprache fo wenig weiß, daß er nicht drei Beilen ohne einen
Gonftructionsbarbarism zu frhreiben vermag. Wenn wir fo all:
mälig weiter gehen, wohin werden wir endlich gelangen? Dbne
Zweifel zu einem literarifigen Kinderlallen, das unftreitig fehr
originel und anziehend fein wird für Ammen und junge
Mütter! Fuͤr Andere ift der Genuß verloren, der in folchen
Berfen ruht, wie
Der Sklav, ber ſchaͤndlich ſich erkuͤhnt,
Die Hand zu heben wider einen Weißen,
Nur mit dem Leben ſolchen Frevel ſuͤhnt,
Zu Tode man ihn geißle, ſoll es heißen.
und andere. Das Stück ſelbſt ruht auf dem Gedanken, daß
ein armer SHave, der duch irgend ein Vergeben dem Tode
verfallen iſt, dadurch vom Untergang gerettet wird, daß Caͤci⸗
lie, Gräfin v. Ratet, ihm ihre Hand reicht, indem:
Gin anderes Geſetz es Inutet: Aber hätte
Sonſt eine Frau von Abel, freigeboren,
Den Knecht zum Selten wirklich auserfpren,
Dann if er frei, und feine Sklavenkette
Haͤngt man im Schiff ber Kirche auf. KVerzieh'n
Iſt alle frühe Schuld — Dem Ei’gemal
Der Dome wird das volle Mecht verlieh’n,
Derfelbe Rang und Stand, ben fie zumal
Bekleidet. ... .
Das Süd fpielt natürlih auf Martinique. Da wir Deut:
ſchen aber dermalen Feine Golenien und Feine Sklaven zu be:
fiten fo glüdiich find, fo darf die Kritik nicht erft bevorwor⸗
ten, daß das Stück diesfeit der Eider Fein fonderliches In:
aut erwecken dürftes für Hamburg aber ein Avis au lesteur
ein mag.
12. Imgrund, ober die wieberverfähnte Eidgenoſſenſchaft auf
dem Tage zu Stans 1431. Gin vaterländifhes Schauſpiel
in fünf — Bon A. B. Zürich, Drell Jüͤßli umb
Comp. 1845. 8. 12 Rgr.
Auch bier fällt Der Nahmen für ein in weiterm Kreife
we Wirkung beeufenes Hiftorifches Drama viel zu eng aus
imd läßt nur einer bürftigen Wegebenheit Raum, die kaum ei⸗
nem und dem andern allgemeinen Gedanken Entwicklung ge:
flattet. Das Gerüft biefer Begebemheit ift das einfachfte: Wal⸗
ter Imgrund liebt bie Tochter des Mitters Winkelrieb; die Ber:
PEN VE Ve „m — — — an ne — — — — — — — — — — — un
5. April 1846,
— nn ——
würfniß der Gidgenofien kreuzt diefe Mebe mit wilden Partei⸗
bag, der zum Berfall Des ganzen Bunde gu ne droht s 0
gelingt es dem frommen und geichieten Bufprich Heinrich Im⸗
grund's, des Pfarrers von Stans, die Streitenden zur Beſin⸗
nung zu bringen, die Eintracht wieberherzuftellen, und ben die
benden Herzen auch Außerlih ein Recht gu geben fi auzuge⸗
hören. Weltbewegende Ideen läßt ein ſolcher Vorwurf nicht
zu: die Gefchichte wird zum Bamilienereigniß‘ kurz, es ift der
Punkt, wo fih Zragdbie und Komödie berühren. So wenig
wie durch die Erfindung, ebenfo wenig zeichnet fi) dieſe Ar:
beit duch Sprache ober Bild aus. Die Gefandten der Eid:
genoffenfchaft Halten lange Neben, die ziemlich treu den Ehro-
niten entnommen fein mögen und die den heutigen ſchweizeri⸗
hen &taatöreden auf ein Haar gleichen; dazwiſchen etwas
Bollstumult und zwifchen beiden einiger Liebesjammer. Alles
Dies kann Fein Drama bilden. Summa: es ſcheint dem Verf,
zum dramatifchen Poeten an. allem Requiflt, ſelbſt am Gemf
zu fehlen, das Loch fonft unter den Jüngern Apollo’ b
allergewöhntichfte Befisthum, ja der Boden ift, in dem alle
Poefie wurzelt und auß dem fie Nahrung zieht.
13. Die Spielbank. Ein tragiiches Schaufpiel in fünf Auf
ungen. Belle :Bue, Berlagd : und Sortimentshawblung.
845. 8. 10 Ror.
Ein Stück von unbefanntem Berf. und fehr bekannten
Inhalt. Wir willen ihn auswendig ſobald wir eine Scene des
Stuͤcks uͤberblickt haben: Spielbank, zerftärte® Glück, Zwei⸗
kampf, Tod, unendlicher Jammer, was Tann es anders fein®
„Hier die Reichen zweier füreinander geſchaffenen Freunde,
dert eine vor Bram binfchmachtende Braut, dba eine troftiofe
Mutter und bier ich, der beiammernswerthe Water‘, fo hei
es an einer &telle des Stud. Wir aber fragen, wer richtet
nur alles dies Unglüd an? Antwort, der unbekannte Berfaffer.
Alle diefe Unglücgeftalten wären nicht da, wenn er fie nicht
vor uns hinmalte. Nicht die Folgen des Spiels, nein, nur
die Leidenſchaft des Spiels felbft Fanu allenfalls, wiewol im⸗
mer nur ein hoͤchſt ungluͤcklicher, Vorwurf des Dramas fein.
Der Autor kann Ach nicht damit fhügen, daß feine Abficht guf,
und fein Stück ein handgreifliher Wink für die deutfchen Re:
gierungen fei, welde die Spielbanken nicht bloß dulden, fon-
dern felbft privilegiren. .
14. Gabrielle von Delle⸗Isle, ober die verhaͤngnißvolle Wette.
Schaufpiel in fünf Mufzügen. Rad Yleranbre Dumas
qhertragen von 2. Dften. Hamburg, Berendſohn. 1845.
. gr.
Wer kennt nicht dieſes geiſt⸗ und relzvolle Schauſpiel des
beſten Kenners der Regentenzeit unter den ffranzoſen und des
wisigften Darſtellers ihrer geiſtreichen Abfurditaͤten In dee
That, Dumas ift in plaftifher Nachbildung diefer unter more
lifchem Gefichtspunkt fo hoͤchſt merkwürdigen wer under:
gleichtih ; er ift in biefer Nachbildung, was man aud don ſei⸗
ner Leichtigkeit ſagen möge, wahrhaft Dichter, Erklaͤrer ber
Geheimniſſe der Geſchichte, Sreget der ethiſchen Verirrungen
vn Fra Wie eur und feltfam doch! Während die
roße Mafie des Menfchengefchlehts eigentlich in demſel⸗
en Zuſtand moraliſcher Ausbildung verharrt, von der Zeit der
barasnen bis zu unfern Tagen, von Rinus und Seſoſtris
i6 Robespierre und O' Connell, wie wechſelt der ethifhe Bu:
fand der höhern Menfchenkreifet Welche Tugenden und wel»
de Lafter bei den. Perfern, ben Griechen, den Römern, welche
in Borgia’s Zeit in Italien, welde in der Epoche des Regen:
ten, Drleans von Franfreih, welche um und neben Marat
und Barras, und welche endlich in unfern Zagen? Wie ganz
anders in jeder diefer Epoche, wie unaͤhnlich ſich felbft biefe
Buftände, und dennoch, wer belehrt uns, ob Kortichritt, ob
Nücfchritt, und ob wir bie Beſſern fein? In diefem Wechfel
der höheren Menfchenfitte hat alle Kunft ihre Wiege, bejonders
aber die des Dramas. Es bleibt ungewiß, wer veinere Sitten
fehildert, Ariftophanes, Molitre oder Dumas; aber darum, weil
alle Drei died auf hoͤchſt plaftifche Weife thun, gilt ihr Name.
„Sabrielle von Belle: Isle’ ift Dumas’ eigenthümlichſtes Stüd
und die Arbeit des Überfegers ift gut. Hätten wir ben Be:
ruf zum fittenmalenden Drama, wir würden und Dumas zum
Vorbild nehmen; ja Laube würde fich bei diefem Vorbilde ohne
Bweifel beſſer ftehen als bei dem Bictor Hugo's.
15. Glück, Misbrauch und Ruͤckkehr, oder da8 Geheimniß des
auen Hauſes. Poſſe in fünf Aufzügen, von Joh. Ne:
roy. Wien, Walishaufler. 1845. 12. 15 Rgr.
Diefen etwas ernften Artifel wollen wir mit einer Poſſe
fihließen, damit uns nicht ber Vorwurf gemacht werde, als
hätten wir nur Sinn und Auge für die thränenreichen Ka:
‚ kegorien des Dramas. Wir haben bier Stoff genug zu herz:
lichem Lachen. Reftroy pi der Meifter der Darftelung der
abfoluten Albernheiten. eine @ulenfpiegel und feine Bla⸗
& find, um mit ihm felbft zu fprechen, in ihrer Art „claſſiſch“
haben die beffere Figur Till's, wie die ernflere gute Laune
Raimund's, von der Bühne verdrängt durch eine unbegrenzte
Zrivolität; von der Bühne, wo nicht das Beſſere gilt, fondern
Das Wirkungsvollere. Umfonft fegen wir ihm entgegen, daß
Raupach würdigere und Raimund poetifchere Poſſen darbringt,
Reſtroy gibt effectoollere. Die Gattung tft dergeftalt fingulair
und gehört ihm in ſolcher Art allein an, daß wir Niemand
rathen wollen, feine Ragahmung zu verfuchen, wenn er nicht
ſchmaͤhlich ſcheitern wi. Denn bei aller Tollheit liegt in Re
ſtroy doch immer ein Ernſtes zum Grunde, und zieht fich wie
ein Goldfaden auch durd, feine anfcheinend frivolften Erfin-
dungen. „Warnung vor Übermuth im Glück“ iſt in dieſem
Stüde jener Goldfaden; aber die Art, wie er eingemebt ift,
flört den Ladfinn nicht, auf defien Erregung es dem Autor
doch vorzugsweife ankommt. Reſtroy's Maskenſpiele find nicht
fo edel als die Gozzi's; aber fie find lachſtoffhaitiger als unfer
gefammtes norddeutſches Luftfpielrepertoire. *) 19.
Vorlefungen über flawifche Literatur und Zuftänbe.
Schalten im College de France in den Jahren von
1840— 42. Von Adam Mictiewicz. Dritter
und vierter Theil.
. ( Beſchlus aus Nr. 9.)
Ir vierte und legte Theil der Vorlefungen Mickiewicz's,
—** an Umfang als jeder der vorangehenden, und dennoch
reicher als jene, ba er die ganzen, ebenfo tief poetiſchen
als philoſophiſchen Anfichten des Verf. über Religion und Po⸗
Utif und bie zukünftige Sefaltung beider enthält, ift mit einer
Enwhaſe, mit einer aus jedem Worte bervorauellenden, wahr:
dei propbetifchen überzeugungskraft gefihrieben, welche unwill⸗
lich den Lefer in die innere Aufregung verfegt. Man ahnt,
7) Den zweiten und legten Artikel geben wir im Monat Mai.
D. Red.
der entfgeidende Moment, die Krifiß fei gekommen, welche die
Beitrebungen des Dichters in Wirklichkeit, in Fleifh und Bein
verwandeln, oder aber fie gleich Seifenblafen zerplagen machen
und als fruchtlofen Kampf gegen eingebildete Gefpenfter dem
Belächter der profanen Menge preisgeben müfle. Was zunächfk
| get eben ift, haben die Zeitungen genügend berichtet 3 die Ab⸗
n
ankung Mickiewicz's und, wie es fcheint, die legten Ereignifie
geben uns hinreichende Fingerzeige.
Ale Bewegung, welde im Norden und Dften Europas
fih regt, ift die Wirkung des Erwachens ber flawifchen Ra-
tion, meint Michiewicz mit Net. „Diele Race will leben; fie
fängt an zu leben, und ihr Leben ift unvereinbar mit dem Be⸗
fteben der Staaten, welche die flamifche Race beberrfchen.”(!Tt)
Diefes Leben ‚fol die Zubunft entfalten; die Regierungen aber
„Klammern ſich mit dem Starrfinn der Bezweiflung an die Ver⸗
gangenheit feſt“. Zwar find die Slawen fich ihrer vollen Be⸗
ftimmung noch nicht bewußt; aber fie verlangen Hülfe vom We⸗
ften, und Mickiewicz bat fi „bemüht, ihnen die Geheimniffe
ihrer Zukunft aufzudecken“. Run muß er „mit allem $reimuth‘
auf die Frage Frankreichs antworten: was die Slawen Neues
braͤchten. Staatsbündniffe, die jest faft nur auf materiellen
Ruͤckſichten beruhen, wuͤrden in der Zukunft, damit fie dauernd
feien, auf geiftige Verwandtſchaft, alfo auf innere Wahrheit
gebaut werden müflen. Der Kern des moralifchen Lebens des
polnifhen Volkes iſt gleich dem des franzöfifhen, und darum
will Mickiewicz in feinem Geifte die „Kraft, die der flawifche
Genius berbeibringt, mit dem Willen, das den Weſten regiert,
zu’vereinigen fuchen”, um jene Frage zu entfcheiden. Darum
werde fein Lehrſtuhl „von heute an zu einem militairifchen Streit-
poften, zu einer Kriegsſchanze, die Der Genius Frankreichs dem
Nawifchen Seite, dem Bundesgenoffen des franzöfifchen Volkes
anvertraut.“
Das Hauptwerk, das ihm zur Erklaͤrung jener Frage dienen
konne, ſei die „Biefiada’’ (von Towianski), deren Vorläufer das Ge⸗
dicht „Przedswit“ (Dämmerung) und „Ceſara's Traum”. Allein
um dieje Werke zu verftchen, muß man eine gewiſſe geiftige Vorberei⸗
tung fih erringen, die befonder& für die Zranzofen fchwer fei. Im
Weiten berrfcht die Doctrin, der Glaube, aus einer einzigen
erkannten Wahrheit könne dur Formeln Alles deducirt wer-
den, jede Erfenntniß fei nur durch Dialektik möglich, mit ei⸗
nem Worte, die Scholafti, das Syſtem. Allein diefer Grund»
fag fei durchaus falfh. Alles Große und Erhabene, was die
Menfchheit je zu Stande gebracht, geſchah durch Intuition,
durch das Inſichgehen in „Das innere Gebiet, die innere Sphäre‘,
in dad Land, wohin bie Seele trachtet (nicht der nadte, ſy⸗
ftematifivende Berftand), aus welchem Lande alle Völker herge⸗
kommen, aus dem aber die Slawen zulegt hervorgegangen und
derum befähigt und beftimmt feien, die geiftig mit ihnen nachft
verwandten Franzoſen in daflelbe einzuführen. Allein um ben
allzu großen Swildenraum zwiſchen der Syſtemmacherei und der
Intuition zu überfchreiten, fei ein geiftiger Erguß nothwendig,
feien alle die Bedingungen zu erfüllen, obne welche die Er⸗
kenntniß der Wahrheit nicht möglich fei- Die erſte diefer Be⸗
dingungen fei die gänzliche Losfagung von aller Doctrin. Rad
diefer negativen Bedingung folge eine pofitive, die Zubereitung
des eigenen Geiſtes zum Empfange der großen Wahrheit, bes
neuen Evangeliums. Worin beftcht aber dieſe Worbereitung? .
Der Berf. iſt ſehr zurüdhaltend mit feinen Offenbarungen: ,
ehe er fie verfündet, fcheint ihm noch ein langer „Berfuch nö-
edle, das religiöfe Leben der Patholifchen und der oͤſtlichen Kirche
in den flawifchen Ländern, die Beziehungen zwifchen diefem Le:
ben und demjenigen, das fi in Frankreich entfaltet, und Die
Bedingungen darzuftellen, unter welchen Frankreich auf die
Mitwirkung ber flawifchen Bölker zählen kann; ein Verſuch,
Dasienige zu erflären, was man unter Symbol, Ahnung, ho⸗
ber Poefie und DOffenbarung verftehen darf; ein Verſuch, den
Einfluß zu beftimmen, welchen die Ratur des Nordens auf den
Geift der flawifchen Völker ausübt; ein Berfuch, die Barbarei
im Allgemeinen zu definieren und ben Einfluß der Barbaren
auf das Mittelalter und die civilifirten Boller“ zu erklären
(&. 22). Alle diefe Dinge, die Mickiewicz bier berührt, fallen
in den einen Begriff der Intuition als ihren Ichten Erklaͤrungs⸗
grund zufammen; und darum fteüt er zunaͤchſt eben diefen Be:
griff fell. Die Intuition iſt wirklich vorhanden, das
ift der Hauptfag, auf deſſen Beweis hier Alles ankommt. ie
zeigt fih dem Berf. in der Kunſt; hier trete man mit bem
Künftler in unmittelbare geiftige Wechſelwirkung, ohne Gedan⸗
Ten zu denken fühle, ahne man den geifligen Hauch des Berf.
Daſſelbe Gefühl der Unmittelbarfeit zeigt fi) in der Bewun⸗
derung der Ratur, jeder großen Zhat. Der Berf. halt dieſe
Intuition, die unmittelbare Anjchauung, die äfthetiiche Begei-
fterung, die bier obwaltet, für die wahre Quelle jeglicher Er⸗
kenntniß, wenigftens der hohen Wahrheiten, und fagt vorher,
auch die Erfenntniß der politifhen und philofophifchen Wahr:
heiten werde und müfle bald eine fo unmittelbare werden, frei
und ohne jcholaftifche Formen und Syfteme errungen. Und das
ift wol der Schlußpunkt feiner ganzen Philofophie. Die Ein-
wirkung der Kunftproducte, der Natur, die Bewunderung eis
ner großen That faßt Die jegige Schule der Philofophie als
äfthetifche Erkenntniſſe auf ıınd trennt fie ftreng von den logi⸗
ſchen oder philofophifchen. Ob Mickiewicz fie mit Recht den»
ſeiben Gefegen unterwirft wie die legtern, das zu entjcheiden
müffen wir den deutfchen Philojophen überlaffen, denen er S. 25
jede Möglichfeit dies zu begreifen abfpricht, da Schelling zwar
ähnliche Augenblicke der Intuition gehabt und in foldyen die
Rothivendigkeit feines „philoſophiſchen Organs“ erkannt, allein
bis jegt vergeblich fi) bemüht habe, die „allgemeine Entrüftung”
der deutfchen Philofophen zu bewältigen. Ia „die Berliner
fühlen diefen Mangel; darum werden fie auch wild gegen Alles,
was Begeifterung, was injtinctmäßige Eraltation ift; Eur
gegen Alles, was dem anatomifchen Secirmeſſer der Scholafti
entfchlüpft und im Menſchen ein Organ des höhern Lebens vor.
ausſetzt“ (S 25). Und doch „enthält diefe Rührung Das,
was das Zieffle und das Böttlihite im Charakter des Men⸗
ſchen ift; fie beurfundet das Dafein des Degant der großen
efühle, die Quelle der großen Thaten“ (©. 26). Die Ins
tuition ift auch bereits durch das Gefeg ind wirkliche Loben
eingeführt; denn bie Jury bafirt ihre entſcheidenden Urtheile
rein auf Intuition (8. 58). In diefen Zuſtand der Ruͤhrung
alfo müffe man fi) verfegen, „um die Kunſt Ki fühlen, um
die Philofophie zu begreifen und felbft um die Zußunft zu faf
fen”. Run gibt es ein Bolt, welches in diefem Zuftande fich
bereits befindet, die Slawen, und ein zweites, in welchem die
meiften Glemente zu demfelben entwidelt find, die Franzofen
nur diefe beiden Völker alfo haben eine Zukunft. Die materia-
tiftifhen Volker dagegen, die an der Doctrin bangen, bie Deut:
ſchen und Engländer, die Völker der Vergangenheit, halten
diefen Entbufiasmus für myſtiſch, phantaſtiſch; er fei
fhön, aber nur als Poeſie, als Kunft, müffe aber von der Po»
fitit und Philoſophie ftetd ausgefchloffen bleiben. Und doch ſteht
es feft, daß nur fol ein Entdufiasmus das Chriftenthum ge:
ſchaffen; der Mangel eines foldyen ift das wahre Heibenthum,
welches jenem auch in der Zukunft unterliegen müfles denn Das
Bolk dürfte nach diefer Klamme, welche den Menfchen fich felbft
wieder zurüdgäbe. Volk nämlich heißt unferm Verf. „der Manır,
welcher leidet, welcher aufftrebt, der geifteöfreie Mann, der
nit mit Beinen, gen fertigen Syſtemen ankommt“ (&. 29).
Und auf diefen wire der Enthufiagmus unmittelbar. Ihm alfo
müffe man ein Ideal aufftellen. Wer es volllommen gibt, ift
ein „vollftändiger Menſch““. Und einen folchen verlange das
flawifche Volk, nicht die beftialifche Wuth der Leidenſchaften,
wie man fie in der franzoͤſiſchen Revolution aufgeftachelt, Pi
dern „Däupter will es haben, an welchen man den göttlichen
Charakter wieder erkenne, und eine Gefepgebung,, die man als
— anerkennen koͤnne“. Sie kommen zu Frankreich, die
Blawen, damit dieſes ihrem „geeielten Geifte das geheime Lo»
fungswort zu hören gebe” (8. 33). Früher befaß Die Babe
ber Intuition die Kirche; jetzt hat fie diefelbe verloren, fie hat
*
fi aus Zurcht vor den Megierungen don dem Bolke und der
in ihm glühenden Bewegung losgeriſſen, die Laien haben fie
überholt, fie iſt unfähig, die Welt weiter hin zu führen. Den
fiderften Beweis davon Liefert ihr Verhalten zu Polen, das fie
im Stiche gelaffen, obgleich es das alerfathotifäfte Bolt war.
‚ „Und nun folgen jene furchtbaren Angriffe gegen die amtliche
Kirche, deren Wucht die franzöfifche Geiſtlichkeit zum offenen
Kampfe gegen die Univerfität aufwedte, und deren Cha⸗
rakter vortrefflich durch „Cefara’d Traum“ dargeftellt wird,
worin Die alte Kirche mit dem Papft zufammenfturzt und die
neue Kirche der Zukunft durch eine Schar polnifher Pilger ges
rettet wird. Nur eine einzige Rettung gibt es für die amt-
liche Kirche: wenn fie fih aus dem Volksgeiſte verjüngt. Und
darum mögen ihre Männer „damit anfangen, ſich zu demüthi⸗
gen, fich innerlich felbft zu verleugnen; und fühlen jie fich nicht
berufen, große und gewaltige Männer zu fein, fo mögen fie
fi nicht mehr die Soldaten des größten und gewaltigften aller
Geifter nennen, die Soldaten Iefu Ehrifti, fondern ſich zu den
gewöhnlichen Arbeiten des Lebens wenden”. Und wagen fie es
nicht mehr, von Wundern zu predigen, um ſich vor den Pros
teftanten nicht läcderli zu maden: „Nun wohlan, auch
ohne fie und felbft gegen fie wird dieſe Kirche gerettets und
weil fie es nicht wagen, fo wollen wir es ausfprechen: fie wird
durh ein Wunder gerettet werden” (S. 52). Kein Wunder
fei ed unter foldhen Umfländen, daß dis polnifche Kiteratur von
der amtlichen Kirche verdammt werde, da ſie echt prieſterlich
ſei, aber prophetiſch und erhaben uͤber den Geiſt der amtlichen
Kirche; denn zu wem Gott nur einmal geſprochen, der wiſſe
Alles, und wer nur einmal zur Intuition ſich emporgeſchwun⸗
gen, der ſtehe Hoch über allen Formeln der Scholaſtik. Und
gerade in dieſem Charakter ber flawifchen Philoſophie und Über:
lieferung liegt die Schwierigkeit, die philoſophiſche Sprache
derfeiben begreiflich zu machen. &o gibt es ſchon für bas
Wort Duch, Geiſt, Geiftigkeit, Fein völlig entfprechendes in
den weftliden Sprachen. Darum zeigt der Verf. durch eine
lange Unterfudhung, was das „Werk des Geiſtes“ iſt. Geiſtig⸗
keit, Duch, zeige fi) am beutlichften in der Kunft, aus dr
fucht Mickiewicz alfo den Begriff zu erflären, und bringt eine ,
Reihe der vortrefflichften Ideen über Kunſt herbei. . Jedes Kunſt⸗
werk ift dad Nefultat einer Bifion, einer Intuition, die der
Künftter gehabt, als cr daffelbe concipirt, der Geift des Indi⸗
viduums bat fi ihm als Nejultat der ganzen Claſſe offenbart.
Dieſem nach ftellt die Sculptur mehr irbifche, die Malerei
dagegen himmlifche Beifter dar. Woher nun die Erfcheinung,
daß die Slawen weder Sculptur noch Malerei haben? Wie
befigen alle diefe Viftonen bereits in ihrer Phantafie, in ihren
Sagen und Liedern zu Geſtalten ausgeprägt; ihnen reicht Die
Natur aus, den Inftinct des Wunderbaren zu weden, während
im Weften die Kunft taufenderlei Mittel dazu anwenden müfle.
Uns wundert, daß der Verf. hierbei auch die Muſik ganz ver-
gelten, jene Kunft, weiche das Geiftigmenfchliche am unmittel-
arften zu repräfentiren feheint, und die nach den plaftifchen
und den Redekünſten die dritte Potenz darſtellt. Mickiewicz
fährt dann fort, darzuſtellen, wie die Kunft erſt Perfonen «,
und dann Familienkunſt geweſen fei, und wie fie in der Bus
kunft die Völker in ihrer Ganzheit auffaflen werde. Gr zeigt
dies an den Beifpielen Rapoleon’s, welcher „der Erztypus der
neuen Kunft” iſt. Nach diefer Theorie der Geiftigkeit bedarf
der Berf. aber noch, che er an bie Offenbarung der „Biefiada”’
geht, die Erklärung des „Wortes“, le verbe, welches ihm
„der Leib und der Geift a durch das dem
Menſchen ne göttlide Feuer” ıft (S. 89), und das er
fpäter (&. 104) fo ziemlich gleich mit Energie” fegt. Den⸗
felben Sinn bat die den Upofteln verliehene Gabe der Zun⸗
en, welche zwar bie amtliche Kirche hätte erben folen, bie
e aber verloren hat. Sept fei Das Wort nur nody im Beflg
einiger Völker, welche ſich nicht fo wie die amtliche Kirche ge
cheut Haben, fich felbft ihr eigenes Ich zum Opfer zu bringen
ur dieſes „Wort“, das die Volker der Erbe erwarten. Denn
eben nur die Aufopferung feiner felbft, daß man fein geiftiges
Sch dem Gelächter de8 baufens, dem Hochmuth des Haſſes,
den Angriffen der Intelligenzen und Leidenfchaften u
befähige den Menſchen zum Empfange des „Wortes“. Dieſes
Dpfer aber hat bie amtliche Kirche verſchmaͤht, während außerhalb
ige e Dipfer gebracht worden find, und einzelne Männer in
deu That verſucht haben, das ‚Wort‘ auszufpredden. Das
„Vort“ ift demnach die ganze moraliſche Kraft, welche ben Men:
ſchen phyñſch und geiftig nährt und ihn zu Allem befähigt;
dee Mangel deſſelben ift die Quelle alles materiellen Elends.
So liegt alfo in dem ‚‚Worte‘ aud die Löfung der nationalöfo-
nomifchen Frage, welche die Gegenwart bewegt.
Dieſe Frage, zuerft von ben Polen aufgeworfen und zum Theil
beantwortet, bann von ben Franzofen aufgenommen, erfaßt Mickie:
wicz fo, daß er ploͤtzlich erklärt, Urfache zu haben, die „Biefiada‘‘
nicht -vorgulefen, fonbern ſich unmittelbar zur Unterfuchung ber
Borfrage wendet: Woher fommen wir und wohin geben
wir, von deren Loͤſung jede andere Frage abhänge. Die Theo
logie der Geiftlichkeit fei nicht im Stande mehr, jene Frage
n löfen; bie weltlichen Philoſophen intereffiren fi bei der Er:
borfgung der Wahrheit nur dafür, daß ihe Name berühmt
werde; alfo feien auch fie unfähig, jene Frage zu löfen. Auch
Fammerten ſich die Staatsmänner nichts um bie Theorien ber
fegtern. Darum ift gegenwärtig jede Autorität in Religion
und Politik vernichtet — das unverkennbare Zeichen einer „uni«
verfellen Umwaͤlzung.“ Died geftehe man in Frankreich felbft
ein, unter den ®lawen fühle man es ebenfalls und halte ſich
für verpflichtet, Frankreich auf die daher drohenden Gefahren
aufmerffam zu machen; fo fogar mehre ruffifhe Schriftfteller,
deren Ausſprüche citirt werben. Nicht um ein politifche Sys
ſtem, um BBerfaffungswechfel handle es fi; denn Europa hat
elle Syſteme von der ruſſiſchen Autokratie bie zur ſchweizeri⸗
ſchen Demokratie und ber patriarchaliſchen Berfaſſung Mon«
tenegros, und demnach genuͤge keins dem Bedurfniß. Was
num aber die Hauptzüge jener Umwaͤlzung fein würden, gibt
der Verf. nicht weiter an, fondern beiäpäftigt fi ftatt deffen
mit der Beftimmung bes Begriffd „Werth, welchen Begriff
die chriftliche Kirche abermals ganz vergeflen habe. Aller Werth
berubt im Geifte, in der Energie, in dem lebendigen „Vorte.“
Dieſes Wort fei „Leib geworden”, und zwar dur Chriſtus,
welcher der Nepräfentant der Menfchheit, fowie Ulerander der
Repräfentant der griechiſchen, Julius Caͤſar der roͤmiſchen My⸗
thologie und Napoleon der Repräfentant des alten Ehriften-
thums ſei. Run erwarte die Welt einen Repräfentanten des
neuen Chriftenthums, der neuen Dffenbarung. Michienia ſelbſt
erklaͤrt jich für einen „Funken, der von dieſer Fackel abgefal⸗
len,“ deſſen Sendung es ſei, der Welt dieſes zu verkündigen;
er erklaͤrt ſich „im Angeſichte des Himmels für einen lebendi⸗
gen Beugen ber neuen Offenbarung“ und fodert feine Zuhörer,
Polen. wie Franzoſen auf zu antworten, ob eine folde neue
enbarung da ift und ob fie ihn für einen Verkuͤndiger der:
felben halten. Das donnernde „Ja“ der in ftürmifcher Ekſtaſe
bebenden Zuhörer erfchaflte damals bald in allen Beitungsbe-
richten durch ganz Europa und machte nicht geringe Senfation.
beſchloß aber zugleich auch die weitere Wirkſamkeit des Verf;
denn bie vier folgenden Vorleſungen, in denen er einen Rück⸗
blick auf feine ganze bisherige Wirkſamkeit wirft, und endlich
: bie Refultate, das große Wort feiner Sendung audfpricht, bes
fhränten fi ihrem innern Inhalte nad rein auf Ddiefelben
Sheen, welche wir in ben vorhergehenden Theilen zerftreut und
unter verfchiedenen Geſichtspunkten mobificist yorfanden; noch
einmal ſpricht Mickiewicz, zum erſten und letzten Male, wie
er m von feiner eigenen Perfon, von der Wichtigkeit ſeines
Berufs, den er nun erfüllt habe, und tritt Dann mit einer be
geifterten Apotheofe an Napoleon auf immer von feinem Poften
zurüd. Bald darauf erfolgte feine Buspendirung und endliche
Abdankung, feheinbar zwar freiwillig, aber jedenfalls dureh die
feanzöfifche Regierung felbft veranlaft.
Es liegt und zu fern, den ganzen Effect der vierjährigen
Lehrwirkſamkeit Rickiewicz's bier näher zu erörtern; doch bürgt
der legtgenannte Umſtand, fowie die Maffe von Freunden, melde
der Profeſſor fih an dem College und felbft unter feinen Amts»
genoflen erworben hat, fowie endlich die Vorrede, mit welgher
drei Pranzofen im Ramen der franzöfifchen Ration biefen vier
ten Jahrgang ganz Frankreich anempfehlen, als hohe Offenba⸗
tung von endlofem Intereffe, binlänglih dafür, daB Rickie⸗
wicz 8 Auftreten am College de France nicht ohne Erfolg ge
wefen ifl. Bir haben es hier blos mit feinem Werke zu thun,
und: da geftehen wir effen, vap ed eine allfeitige Beachtung ber
deutſchen Yubliciften und der deutfchen Philoſophen im hoͤchſten
Grade verdient. Zwar mug der Hauptwerth des Werks vor:
züglich negativ fein; allein gerade um fo nuͤtzlicher dürfte es
deshalb für Deutfchland fein, Pennen zu lernen, was ein gei⸗
ftig fo Hochgeftellter Mann über deutfches Wiffen und deutſchen
Rationalgeift denkt und ohne Rückhalt der Nation förmliy ind
Geſicht wirft. Möge eine Antwort von deutfcher Seite nicht
ausbleiben, aber eine gediegene, auf den Kern ber Sache ein»
dringende, ebenfo rüdhaltslofe Antwort, wie der Angriff. c& ift-
& P- Sorbau.
Bibliagraphie. |
Ahrens, H., Das Raturrecht oder die Rechtsphiloſophie
nach dem gehenwärtigen Zuftande diefer Wiſſenſchaft in Deutſch⸗
land. Rah der 2. Ausgabe beutfh von A. Wirk. Braun—⸗
ſchweig Weſtermann. Gr. 8. 1 Thlr. 10 RNRgr.
urgwardt, H., Heinrich Peſtalozzi. Ein Buch für
Itert und Lehrer, beſonders für Mütter. Altona, Lehmkuhl.
2. r.
Gerbert, Abbe P., Skizze des chri ih Roms. Aus
dem Kranzöfifcehen. Ifte Lieferung. Wien, Mechitariften-Eongr.:
Buchhandlung. 8. 11Y, Rear. '
Hällmayer, 8 Ausflug in die Schweiz. In Briefen.
Speyer. Gr. 12. Nor.
Lancizolle, €. W., Über Königthum und Landftände in
Preußen. Berlin, F. Dümmier. 8. 2 Thlr.
Protofolle und Abtenftüde der zweiten Rabbiner-Berfamm:
lung, abgehalten zu Frankfurt a. M. vom 15—28. Zuli 1845,
Sranffurt a. M., Ullmann. 1845. Gr. 8. 1 Zhlr. 10 Nor.
Rellſtab, 2., Algier und Paris im Jahre 1830. Neue
Auflage. Zwei heile. (Der gefammelten Schriften 13ter und
Biter oder neuer golge ſter und 2ter Band.) Leipzig, Brock⸗
haus. Gr. 12. bir. i
zagesliteratur. J
WMuͤller, €. F., Das Interimiſtikum der Deutſch-Katho⸗
liken im Koͤnigreiche Sachſen und Herr J. Sporſchil. Eiſen⸗
berg, Schöne Kl. 8. 6 Nor.
pautuß, 9. €. ©., Zur Rechtfertigung der Deutſch⸗
Fatholifchen gegen Klagen Römifchgläubiger. Eine bifturifape
und faatörechtliche Beleuchtung. Karlsruhe, Madlot. Sr. 8.
I Zhir. I : ner.
Peſchke, 8, Jeſus Chriftus wahrer Gott. Predigt.
Breslau, Aderholz. Gr. 8. 21, Por. predis
Schroeter, E., Das deutſch katholiſche Princip allein
ausreichend. Ein Wort zur Verſtaͤndigung mit den ehrlichen
inden ber heutigen Kirchenreform. Jena, Luden. Kl. 8.
r.
elige, Die Unioeefalteform und der Egoismus. Eine
Leberfigt über den Bang der Entwidelung der neueften Phi:
loſophie. Charlottenburg, Bauer. Gr. 8. 4 Rot.
‚ Bolfart, P.2., Die evangelifch-unirte Landeskirche und
die auß der römifchen Hierarchie gefchtedenen Katholiken. Pots⸗
dam, Stuhr. 8. 5 Nor.
Das Wort der Schrift: (Mare. 8, 25.) „er warb wieder
gurecht gebracht, 34 ade Kl fehen a Sendſchrei⸗
en eines Gymnafiallehrers an Hrn. Prediger Jonas in Berlin.
Berlin, Grobe. [815 85 — i Ber
Berantwortlidher Herauögeber: Heinrih Brockband. — Drud und Verlag von J. X. Wesdhans in Leipzig.
Blätter
für
literarifſche Unterhaltung.
| Branz Freiherr Gaudy.
Franz Freiherrn Saudy’s fammtliche Werke. Herausgegeben
von Arthur Müller. Bierundzmanzig Bände. Berlin,
Klemann. 1844. Gr. 16. 8 Thir.
Zu den Dichtern, deren eigenes Leben und Schickſal
durch einen feltfamen, bunten Wechſel von Glück und
Unglüf, von Förderungen ‚und Hemmungen ein befon-
Dered, in gewiffer Axt poetifches Intereffe gewinnt, ge
hörte auch der zu früh verftorbene Gandy. Schon in
feinem vierzigften Jahre raffte ein ganz plöglicher Tod,
duch einen Blut» und Dirnfchlag, den Präftigen Dann,
- inmitten feines mächtigen Schaffens und feiner umfaffen-
den Entwürfe bin, nachdem er jedoch an bem Tage ſei⸗
ned Todes, den Schluß eines größeren Gedichte, an mel-
dem er arbeitete, anticipivend, folgende Verſe nieder-
gefchrieben hatte:
Da trat, mit fäl’gem Wechfel in der Hand,
Ein harter Glaͤub'ger plöglich an fein Bett,
Der Spediteur der Welt, Hand Mors genannt —
die legten Worte, welche feiner Feder entfloffen. Aber.
auch fonft hatte er die Ahnung eines frühen. Todes
mehrmals in feinen Gedichten mit großer Beſtimmtheit
ausgeſprochen, und fo wenig er feiner ganzen Natur nad
fentimental war, hatte ſich ihm doch) dee Wunfch zu fter-
ben in Folge herber Schidfate oft ſehr lebhaft aufge-
drängt, fo 3. D. in dem fchönen Gedicht „Die Kränze”,
wo er davon fpricdht, daß ihn ber Roſenkranz ber Liebe
und der Lorberfrang bed Dichters gelockt, aber beide ihn
getaͤuſcht haben, und dann fchließt:
Kur ein dritter Kranz noch funkelt wie ein milder Abend:
ftern
Dem vom Schidfal oft Getäufhten — und er ſchimmert
nicht mehr fern.
Bor des dritten ernftem Zauber ſchwindet Ruhm und Liebes:
lan
Und den Traͤger neibet Keiner, PR ihn erſt der Tod⸗
tentran;.
Wenn Gaudy in eben biefem Gedichte Hagt, baf ber
Kranz des Dichters, wonach er in ruhmbegierigem Ju⸗
gendfinne gefrebt, und von dem er oft gewähnt habe,
er fireife über feine Schläfe hin, ihm doch immer wie-
der entſchwunden und wieber ferner denn je geweſen fei,
fo will er fih offenbar damit nicht über Mangel an An-
ertennung beklagen, fondern er fpricht bas tiefe und
fhmerzliche Bewußtſein aus, baf feine Poefie boch im -
mer weit hinter feinem Ideal, hinter feinen eigenen An-
foberungen an das Wefen ber höchſten Poeſie zurüdge-
blieben fei. Wirklich fehlte auch der Mufe Gaudy’s bie
füße Aufmunterung und Belohnung des Lobes und des
äußern Erfolges nit, und er hatte ſich gar nicht als
Dichter über die Ungunft des Schidfals zu beklagen, —
weit cher als Menſch, obwol bie Widerwärtigkeiten
und die harten Schläge, die ihn betrafen, zum Theil in
feinem eigenen Thun und Wefen, in feiner ganzen Indi⸗
vibualität ihren Grund haben mochten. Aber dieje In⸗
bividualität, dieſes Temperament und biefen Charakter
hatte er ſich ja auch nicht felbft gegeben, und wer wollte
ausmitteln, wo das Verdienſt und die Schuld der Frei-
heit begirmt ? 2.
Als der Sohn einer vornehmen altabeligen Familie
(die Gaudy fiammten aus Schottland, die Mutter von
Franz v. Gaudy war eine geborene Gräfin Schmettomw)
genoß Gaudy, wie uns bie den Werken voranfichende
Biographie aus der Feder feines Freundes und des Her-
ausgebers feiner Werke berichtet, in feinen früheften Jah⸗
ven der mancherlei WBortheile, melche Kindern vornehmer,
begüterter und dabei gebilderter Altern zw’ gute kommen,
und je nach Umftänden ein bleibender Gewinn für das
ganze Leben werben können. Bei feinem lebhaften, glück⸗
lich organifirten Geiſt eignete er fih auch früh ſchon
Diele an, zumal da der wiffenfchaftlich gebildete und
weitfundige Water ſich der geiftigen Ausbildung feine®
Sohnes mit großem Eifer widmete. Diefer lernte Fran⸗
zöfifch und Deutfch zugleich fprechen und las im vierten
Jahre ſchon beide Sprachen; frühe Reifen, theilnehmende
Freunde des Haufes, Bilderbücher u. f. w. gaben dem
raſch fi entwidelnden, Iernbegierigen Geifte des Kna⸗
ben reichlihe Nahrung, und fpornten ihn, ſich diefe ſehr
bald fchon felbftändig zu fuchen. Zugleich jedoch mis
frühreifer Intelligenz entwidelte fi auch eine große
Selbſtaͤndigkeit, ja Unbändigkeit des Willens und Cha-
rakters, welche die fanfte, liebevolle Mutter nicht zu
überwinden vermochte, und ber Water, welcher feit 1805
als Militair von feiner Familie abberufen wurde, nun
auch nicht mehr in ben gehörigen Schranken halten und
zügeln konnte. Vielleicht wäre e8 überhaupt fehr ſchwer
geweſen, vielleicht ging auch der Water nicht gehörig in
das Wefen feines Sohnes ein. Verſchiedene Verſuche,
ihn in Penſionen erziehen zu laffen, hatten nicht beu
gewuͤnſchten Erfolg, obwol er in Kenntniffen zunahm.
In ben 3. 1810 — 12 wurde er, da fein Vater zum
Gouverneur des Kronprinzen von Areußen berufen wurde,
mit dieſem bekannt und von ihm mit vieler Güte be-
handelt; er theilte mit ihm gymnaſtiſche Übungen und
war fonft öfters in feiner Gefellfchaft. Um diefe Zeit,
im zehnten Jahre, fing er fhon an zu dichten. In
Folge des Kriege Hörte der Verkehr mit dem Kronprin- |
- zen (dev jedoch mehre Jahre älter war als Gaudy) auf,
und‘ Franz wurbe, weil die Lehrer in Berlin nicht mit
ihm fertig wurden, nach Schulpforta geſchickt, wo er,
troh mancher Reibungen, drei im Ganzen glüdliche
Fahre zubsachte und fehr viel in Sprachen und Wiffen-
fhaften teınte. Aber nun begammen bie Misgefchide.
Die Butter, melde den flarren und eigenwilligen Soßn
richtiger erkannte und würdigte, und immer noch einigen
Einfnß auf ihm wbte, flarb 1817. Die damaligen un:
ruhigen Bewegungen auf ben deutſchen Univerfitäten be⸗
wogen ben Vater, feinen Sohn, welcher früher hatte bie
Bechte ſtudiren follen, dem Soldatenflande zu - widmen,
und fo trat der junge Baudy als Grenadier in das erfle
Garderegiment zu Potsdam. In Jahresfriſt avancirte
er zum Offizier, und bei ſeinen einflußreichen Verbin⸗
dungen und Belauntihaften fehien ihm eine glänzende
Laufbahn offen zu Heben; aber obgleich ihm diefer Be⸗
ruf nicht zuwider gersefen war und ihm Zeit zum Le
fen und Stubiren ließ, konnte fich doch fein jugendlich
ungeftümer Sinn namentlih in bie oͤkonomiſche Be⸗
fihräntshett feiner Lage in ber lockenden Daupeflabt nicht
finden, und fein Water, der fich wieber verheirathet hatte
wub nicht viel für ibn zu thun geneigt war, veranlafte
1821 feine Verſetung nach Breslau. Zwoͤlf Jahre
. verlebte nun Gaudy als Lieutenant an verſchiedenen
Drten, zum Theil auch auf ber Feflung, wegen Duellen
umb ähnlicher Geſchichten, den Leichtfinn, die Langeweile
und die Abentener des GBarnifonsiebense mit poetifcher
Phantaſie und Yusgelaffenheit mwinzend. Ginen mehr
bien ala heitern Anſtrich erhielt dad Leben, Treiben
wm. Schaffen bes dichterifchen Offizier durch den har⸗
ten Schickſalsſchlag, der ihn 1823 traf und fein Leben.
gäud, feine Doffnungen zerftörte. Er hatte in Breslau
eine glũckliche Liebe angelnüpft und fich verlobt; da flarb
ſein Vater, durch die Ungeſchicklichkeit ober Bewiffenloftg-
Teit des Vormundes verloren die Kinder (Gaudy Hatte
eine füngere Schwefter) ihr Bermögen bis auf den letz⸗
ten Heller, und fp mußte Gaudy, ber nichts als feinen
Degen sd Schulden hatte, der Geliebten entfagen, —
om Unglück, das er kaum zu überleben vermochte und
das auf fein gamzes übrige Leben däftere Schatten warf.
Sr füegelte non der Zeit an feine Briefe nur noch ſchwarz.
Die Poeße wurde von nun an fein beſter und treuefler
Such, obmol auch fir ihn mit feinem Schickſal und mit
dan: Laſten ſeines Berufs nicht amssuföhnen vermochte.
Der Galdatenftand wurde ibm zulett unertraͤglichz we
nahe 1833 feinen Abeſcheh, bekam von dem Kronprin⸗
zen eine Peine Penfion und lebte nun meift in Berlin,
tn Kreiſe befreundeter Dichter und Autoren, befonders
Chamiſſo's, aber auch viel auf Reifen als Schriftfieller.
Zweimal wanderte er in ben legten Jahren feines Le-
bens nach Italien, dem Lande feiner ‚heißen Sehnſucht,
bus für ihn eine reihe Yundgrube von Poeſie, von Ge⸗
dichten, Novellen und frifchen Anfchauungen jeder Are
wurde. „Nur um bie ewig quälende, an meinem Leben
zehrende Sehnſucht nach dem gelobten Lande in Schlaf
zu lullen, ſchrieb Id dieſe (venetianifchen) Novellen nie⸗
der”, fagt er Bd. 13, &. 13. So fruchthar war feine
auf den mannichfachſten Gebieten ſich verfuchende
daß fein Freund U, Müller aus
Sammlung von 24 Bändchen bilden konnte, deren Wib-
mung ber jeptregievende König von Preußen annahm,
und welcher gewiß der Beifall nicht fehlen wird, mit
welchem früher die einzelnen Preductionen des Dichters
aufgenommen wurden.
Seine Perſonlichkeit hat der Dichter Franz Freiherr
Gaudy, wie er fi nannte, „vielleicht weil er fich niches
aus ben drei omindfen Buchſtaben (von) machte, unb
den Leuten blos zeigen wollte, daß er ein freier Bere
fei und fid) um Nemanden ſchere“, — felbft geſchildert
in dem artigen kleinen Aufſatz,Beſuch bei einem Dich»
ter”, der in die Jahre feines Lebens in Berlin fällt.
Der Beſuchende essählt, daß er an dem Baron einen
etwas barſchen Herren gefunden, deſſen „ziemlich alltäg-
liche Gefihtöbitbung einen gewiffen moquanten ober viel⸗
mehr verbrieflichen Charakter an fih getragen“. Er
ſchildert den Freiherrn als einen ftarten Raucher und
erwähnt ein paar Iserer Burgunderflaſchen, bie er auf
einem Geitentifch flehen geſehen. Gaudy babe fi dann
über bie Literatur ausgefprochen, namentlich bie neueſte,
und geäußert: „er für feinen Theil Habe den ganzen
Bettel ſatt.“ Dann „ſtichelte er ziemlich. unverblümt
auf ſtoffarme Tageblatte⸗Scrtibenten, welche ſich bei nam⸗
haften Leuten eindrängten, um ihre Perſonalia audzu-
ſchmüffeln und nachher das ganze Zeug brühwarm wie⸗
der abdrucken laſſen“, und am Ende bekräftigt ber
Schreiber bes Auffages mit feiner Nantensunterfceift,
daß der Befuchende ten Anderer ift als Dee Befuchte
fetbit, mithin jener Indiscretion ſich wicht ſchuldig mache.
Diefe fehr artige Doppelgängersi kann einerfelts als Be
weis gelten, daß Gaudy nicht frei war von eier ge-
wiffen Eitelteit und Goquetterie mit ſich felbft — eine
befonders ben modernen Dichtern und Autoren bäufig
anhaftende Eigenſchaft —, anderntheils aber zeigt fie,
daß er gegen feine eigenen Schwächen und Unarten nicht
blind war, — freilich auch, daß er fih darin Bis auf
einen gewiffen Brad gefiel, was eben mit jener mo⸗
denen Eitelkeit zufammenhängt. Der „moquante ober
verbrießliche Shavakter”, melden ber Beſuchende im
Geſicht des Befuchenden bemerbt haben will, ben: aber
Andere, wenigftens in guten Stunden, nicht darin ge—
funden Haben, würde auch Hinbeuten auf Eigenſchaften,
durch welche ſich mande ;‚moderne* Dichter nice eben
ruͤhmlich auszeichnen, durch Die fie aber dennoch einen
ufe,
- une
nice garten Veifal wab. cin ſchmcichelhaftes Zutereſſe
fo zu fagen ersropdt haben, auf einen Egoismus und
ine Menfihenfeindlichkeit, welche in etiwanigen bittern Er:
fahrungen bed Lebens eigentlih nur einen Vorwand und
eine Mechtfertigung natürlicher Schwächen und bequemer
Bingebung an alle „genialen“ Launen und Gelüfte fü-
hen und finden. Dir Elemente zu dieſem -mebernen
Charakter ſcheinen der Natur Gaudy's nicht ganz ge
fehlt zu haben und bie Verhältniſſe feines Lebens hat-
ten ben Grund zu einer Verſtimmung gelegt, welche
fih nie mehr ganz ausglih; aber das Befunde, bas
Männlide, dad Edle in ihm übermog das Krankhafte,
das Sentimentale und bie Garicatur; und aus bem
Ganzen feiner Schriften tritt uns eine anmuthenbe, ge:
bitdete poetifche Individualität entgegen.
. (Die Sortfefung folgt.)
Abaͤlard und Heloiſe. Ihre Briefe und bie Leidens⸗
geſchichte; überfegt und eingeleitet durch eine Darſtel⸗
kung von Abalarb’s Philoſophie und feinem Kampf
mit der Kiche. Bon Morig Earriere Gießen,
Ricker. 1844. 8. 1 Thlr. 15 Nor.
.. Es iſt gewiß ein fehr perdienftvolles Unternehmen, Die.
iloſophie des Mittelalters, wie fie fich theils in der Schola⸗
‚ theild in der Myſtik ausſprach, gründlichen Zorfchungen zu
unterwerfen und diefelben zu einem Gemeingut des Publicums
zu machen; einmal, weil dieſe Seite der Geſchichte des menſchli⸗
hen Geiſtes noch viel zu wenig unterfudgt worben, alfo noch
ſehr Bieles in dieſer Hinfiht zu thun ift, um zu einer volle
kommen Haren Ginficht darüber zu gelangen, zweitens weil die
Beſchaͤftigung wit derartigen Forſ n mehr oder minder
eine Wufopferung erbeifcht, wenigflen® dem großen Publicum
gegenüber. Denn untere Zeit ift viel zu fehr mit der Gegen-
wart unb der Löfung ber dringendfln ragen befchäftigt, als
daß fie fi ernflli Mühe geben möchte, in bie Schächte ver⸗
ener Jahrhunderte nieberzufteigen, fi in die Eigenthuͤm⸗
akt entfernter Epochen zu verfegen und an einem ſolchen
Studium Geſchmack und Interefie zu findens am allerivenig-
fen, fcheint es, möchte ihr eine nähere Bekanntſchaft mit bes
ſcholaßiſchen Philofophie zufagen, ba dieſe im günfligften Falle
ed dodh nur mit leeren Abſtractionen zu thun ‚ weit
häufiger mit vefultatlofen Spisfindigfeiten und Wortgeklingel,
während die Gegenwart mit immer entfchiebener ausgeſproche⸗
nem Willen nd frifcher That, nach echtem Leben ringe. Al⸗
lein wie überhaupt das Leben des Gegenwart und die verſchie⸗
Denen Momente in ihr, weiche die heutige Menfchheit ind Auge
‚ gefaßt und zum Obiecte ihrer geiftigen Thaͤtigkeit gemacht hat,
wur dann einer befriedigenden- neuen Ordnung ber Dinge ent:
„gegenfehen Pönnen, wenn die hiſtoriſche Enfwidelung gehörig
eruüͤckſichtigt wird, fo ift offenbar die foefpung bes Geiſtes
irgend einer wichtigen Epoche in dem Leben der ſchheit ein
bebeutungsvoller Beitrag zu der Grreichung des legten großen
Zweckes, den fich die Gegenwart geſteckt. Dies hat daB Pu⸗
blicum auch bereit# eingeſehen; in ber Überzeugung, daß man
füh erſt darüber klar werden müfle, wie unfese Zeit geworden,
um danach auch die näcfte Tendenz der Zukunft zu ergründen,
wirſt es fü aͤchſt auf das Studium ſolcher Epochen, w
bis auf die It einen außerordentlichen Einfluß gehabt
Haben; fo ift es denn namentlich die Reformati it, welche
nwärtig unter allen am meiften ergründet und fludirk wisd.
fien muß bald eine, ſelbſt oberflächtiche Kenntniß jener Bei-
ten zu der Anficht hinleiten, daß auch die Reformation nur das
BRefultat eines andauernden Strebens der Menſchheit tft,
md Die B ver der Refösmation vorangehenden ringen⸗
: verbreitet. Mom fiebt aus dem und
ben” und Fänupfenben
in einem ähnlichen Ringe: und Strebekampf fich Befindet. Hier⸗
Be Augenblick, ai ae 2 iſche ußtſein ſo
ct die gange gebi eit ergriffen hatte, daß eia
heil derſelben nad SIerufolem zog, um das Grab Wi Hei⸗
landes zu erſtreiten, während ein anderer bie poñtiven Wahr⸗
heiten des chriſtlichen Glaubens mit den Malen des Geiftes
befier zu begründen fixebte, in dem Augenblicke alfo, als das
Ehriftenthum, wie ed im der Form der Kicche erfchien, weit .
liche wie geiftige Waffen in der höchften Potenz als feine
Streiter erblidte, da begann ſofort ber Zwieſpalt in feinem
Sanern ſich zu erheben, und zwar gerade von bem Elemente
ausgehend, welches der ſicherſte Garant für die Herrſchoft der
neuen Macht fein konnte, von dem Elemente des Geiſtes.
Uber freilich, der Geift bleibt fo cher ‚nur auf dem Gebiete
der Freiheit. So wie man ibm einmal feine Feſſein löſt, fo
wird er aljobald zu Fühnem Fluge fich erheben und nit ra
ften, ala bis ex das Biel feines Stredens erreicht. Indem dis
Kirche den Geiſt beſchwor, ihre eigenen Satzungen phitofophifch
zw rechtſertigen, hatte fie gerade in ihm den gefährlichſten Geg⸗
ner ſich herangezogen. Was half es, wenn Anfelm von Gans
terbury, der als der Begründer des ſcholaſtiſchen Philoſophie
— wird, als Rorm feiner Unterſuchungen den Sag
ca Ire: „ih glaube, um zu verſtehen“, da ein Uinderer, Abaͤ⸗
d, entg fegten : „id verſtehe, um lau»
ben, umd wenn ich nicht verſtehe, fo glaube id; nice, "Sp
Abälard ift daher durchaus das reformaterifche, das proteſtan⸗
tifhe Princip vertreten. Und zwar in dem erfien Momente
feined Stadiums, da nämlich, wo die Kirche auf der hoͤchſten
Spige ihrer Macht angelommen war, und wo fie, voll des gro:
fen moraliſchen Einfuffes, den fie auf die Mitwelt übte, wa⸗
gen Eonnte, fich felbft mit den Waffen des Geiftes zu umgür⸗
ten,, diefen ihr zinsbar zu mahen. Es ift daher fehr inter-
effant, diefe Erlgeinung näher zu betrachten, und der Verf.
bat fi, wie fchon berührt, durch dieſe feine Urbeit offenbar
ein Berdienſt erworben. .
Das vorliegende Buch beftebt aus zwei btheilungen, die
erfte enthält die 33 Abalard's und feinen Kampf mit
der Kirche: die zweite iſt eine eng der Briefe Abalarb's
und Heloife. In der erſten ift, wie ſchon der Titel fagt, nicht
eigentlich eine Biographie Abaͤlards gegeben, wiewol wir dies
gewänfcht hatten: von feinem Berbältniffe zu Heloife, das doch
fo maßgebend war für feine ganze innere Gukwidelmg, wie
Darin gar nichts erwähnt alt andeutend am Schluffe, wahr⸗
fdeinlih weil der Verf. meint, die Briefe gemügten ſchon.
Die Abhandlung ift vielmehs nur auf eime Darflellung der
Abaͤlard ſchen Philoſophie und -insbefondere auch berienigen
Yunkte gerichtet, in. weichen ex gegen die herrſcheude birchliche
— 3 en trat. Das H ei ni en vw
Hauptſache, und aud, wie wir glauben, für tößere Yu⸗
blicum. Die rein pinlofopbifhen oder beijer dialektifepen Mo⸗
mente in feines Philoſophie, weiche ber Verf. anfangs erörtert,
haben beiweitem weniger Jutereſſe. Aber hoͤchſt bedeutend if
feine Unfiht vom Glauben, ber ibm nur darch eine voren⸗
gegangene Erkenntniß diefen Ramen verdient, der feruer nur
durch die Liebe FD sis ein rechter erweife; feine Stellung fer
ner Heibent , das er keineswegs als Gegenfag des
Ehrift 8 fat, fondern als- eine Demfelben vorangegangene
Stufe; feine Anficht über bie Neinität, bie er Kid zu
deuten ſucht; die Erloͤſungstheorie und endlich feine ethiſchen
Meinungen. Über alles Died bat ſich der Verf. ausführlicher
Mitpetheitten, wie Abälard
als ein von den veformatorifchen Ideen ſchon durchaus Ein⸗
enommener anzufehen iſt. Ramentlich zeigt ſich Dies in ber
it. Hierüber hat er eine durchaus großartige echt refor⸗
matorifche Anfiht. „Sitten“, jagt er ©. 65 beim. Berf., „find
Fehler oder gute Eigenſchaften des Geiſtes, bie uns zu guten
oder böfen Werken geneigt machen. Sol ein Fehler if aber
nicht Eins. mit der Sünde, noch diefe mit dee ſchlechten Hand»
lung. Jener gibt uns Stoff zum Kampf, er fol überwunden
werden, und nur Derjenige wird gekrönt, wer recht gekampft
hat. Die Sünde dagegen iſt die Zuſtimmung des Beiftes zu
Dem, was zu thun oder zu meiden nicht geziemt. Sündigen
heißt Bott verachten, um feinetwillen Das nicht thun, was wir
um feinetwillen glauben thun zu müflen. Die Sünde beruht
- alfe vielmehr im Nichtfeienden, in der Abweſenheit der rechten
Sefinnung, als im @eienden. Und fo kommt es nicht auf das
Wert an, fondern auf die Gefinnung, mit der es vollführt
wird, denn Gott wirb beleidigt nicht durch den aus ber Außer:
lichen That entipringenden Schaden, fondern durch die Verach—
tung feiner felbft. 8 nicht gegen Wiffen und Gewiflen ift,
ift keine Sünde, aber wer ein Weib anflehet, ihrer zu begeh⸗
sen, der hat bereits mit ihr die Ehe gebrochen. Gott belohnt
nicht den @rfolg, fondern die gute Abſicht. Die Liebe ift bes
Geſetzes Erfüllung, habe nur Liebe und thue mas du willſt!
Wer Chriſtum nicht kennt und feinen Glauben deshalb ver:
ſchmaͤht, weil er ihn für Gott widerwaͤrtig haͤlt, wie wäre der
ein Berdchter Gotted, da er doch für ihn zu handeln ſelbſt
überzeugt ıt?_ Die Ehriftum freuzigten und ein gutes Werk
u thun gedachten, haben feine Sünde begangen, denn ber
—* fagt: Wenn und unſer Herz nicht verklagt, fo konnen
wir Buverficht haben zu Gott. Auch die Freuden der Sinne
und des Fleiſches find nicht fündlich, da fie ja von Natur dem
Genuß des Weines oder dem ehelichen Leben beigeordnet wurden.“
Der Kampf Abälard's mit der Kirche ift die’ ſchwächere
Yartie des Buchs. Es wird bdafelbft nicht mehr beigebracht
als mas ſchon bekannt ift.
In der zweiten Abtheilung folgen die Briefe Abälard’s
und Heloife überſetzt. Wir gefteben, daß uns in diefen Brie:
fen Heloife als ein viel bebdeutenderer, großartigerer Charakter
erfcheint als Abälard, und wir find bier mit dem Verf., wel
er, Abälard's Schwäche wohl fühlend, ihn zu vertheidigen
ſucht, nicht ganz einverftanden. Wbälard hatte freilich nicht
mehr zu verlieren und Darum war es das Klügfte und Belle
für ihn, fi in fein Schickſal zu fügen, die frühern Gedanken
zu entfernen und rein entgegengefcgte ihre Stelle einnchmen
- au laffen. Ia wir können es fogar noch Flug finden, wenn er
diefelbe Richtung, die er einzufchlagen für das Beſte hielt, au
feinee Geliebten anräth. Aber den Eindrud eines gewalti-
gen titanifchen Charaktere macht das Alles nit. Man fieht
aber doc), daß Abälard mehr oder minder fih den Borftellun-
gen der Kirche näherte, daß er feine oppofitionnelle Stellung
nah und nad) aufgibt. Bei Heloife indeffen ift Alles anders,
ruͤckſichtslos fpricht fie ihren Schmerz aus, ruͤckſichtslos nennt
- fie Abälard ihr Ein und Alles, ihren Gott; anftatt Neue zu
empfinden über das Vergangene wie Abälard, erklärt fie viel:
mehr, daß fie fich deffen noch freue: fie ift ganz aufgegangen
in ihrem Geliebten, lebt und webt nur in ihm? Der Verf. bat
ſehr reht, wenn er Heloife den Nepräfentanten des romanti-
fen Liebesideals nennt, ja ich möchte noch mehr fagen, ich
möchte Heloife überhaupt das Ideal echter weiblicher Liebe nen»
nen. Denn biefe gänzlihe Hingebung an ihren Geliebten,
felbft der Wunfd von ihrer Seite, daß er fie lieber als Ge⸗
Hebte denn als Gattin haben follte, weil fie fürchtet, durch
das Letztere feine höhern Plane zu ftören, Died findet fich in
diefer Ausdehnung gewiß bei Feinem Weibe, wenigftens bei
einem in der Gefchichte bekannt gewordenen, in welchem zu:
gleich eine ſolche Fülle von Geiſt und Kenntniffen beifammen
Gegenſtaͤnden, fo if —* ber fünfte Brief, wo fie über
das Moͤnchsſsweſen ausſpricht, ganz ausgezeichnet Mar, faßlich
und durchaus auf den Keen eingehend. ut uns nur leid,
daß der Verf. am Ende die Briefe etwas verkürzt hat, na⸗
mentlich die Heloifens. Wären die beiden Liebenden nicht von
einer Welt umgeben gewefen, weldye von durchaus andern
Theorien ausging, fo ätte gerade diefes ihr Verhaͤltniß mehr
als irgend .eine philofophifche Deduction dazu beitragen Eönnen,
die gegenfeitige Stellung der beiden Geſchlechter in das rechte
Licht zu fegen, eine Sufgab deren Loͤſung wie fo viele andere
der Gegenwart noch vorbehalten bleibt. 59,
Literarifhe Notizen aus Spanien.
Führer für Reifende.
Das heutige Spanien ift uns übrigen Europäern ein Land
geworden, weldes faft noch zu entdeden if. Trotzdem daß es
2 den Politikern und Zeitungdlefern im vergangenen Sahr-
zehnd ziemlih aufdringlich gemacht hat, find wir doch in un»
ſerer Kenntniß des Landes kaum über Bourgoing, Kaborde und
Huber hinausgekommen. Der langjährige Bürgerkrieg, die
Verwirrung im Lande, die uns aus der Kerne noch größer er⸗
fchien als fie in Wirblichleit war, und der Umftand, ba in
demfelben Maße, wie Die Verkehrsmittel mit andern Ländern
zunehmen, Spanien und ferner gerüdt wird, haben den Strom
der Zouriften an den Pyrenäen ftillfichen machen. Jetzt be⸗
ginnt das anders zu werten. Schon hat die wenigftens vor
der Hand wieberbergeftellte Ruhe jenfeit der Pyrenäen ein⸗
zelne Eclaireurs binubergelodt, die dem Groß der Neifenden
Wege zu bahnen und zu fuchen geneigt fird. Wer ihnen fol:
en will, findet in „Ford’s handbook for travellers in Spain”
ORonden 1545) einen trefflihen Wegweiſer. Langjähriger Au⸗
fenthalt in dem Lande hat dem Verf. die Spanier lichen und
ſchätzen gelehrt, und er ſchildert die dortigen Zujtände mit einer
Unbefangenbeit, die fih vortheilhaft vor der Engherzigkeit aus:
zeichnet, mit der Engländer gemeinhin das Ausland und feine
Sitten zu beurtheilen pflegen. Cr ift offenbar ein geiftreicher
Mann und origineller Kopf, der fcharfe Beobachtungsgabe und
efundes Urtheil mit Gelehrſamkeit und reichem Humor ver:
indet und feine Gedanken in einen cbenfo lebendigen als ori»
ginelen Stil zu leiden weiß. Neben ben gewöhnlihen Erfo-
derniffen eines Reiſehandbuchs, der allgemeinen Topographie
und feiner Sehenswürbdigkeiten, gibt dad Werk ein volftandiges
und lebendig colorirtes Bild des Nationalcharalter und der
Bolksſitten der Spanier, ihrer Eulturzuftände und der Eigen⸗
thümlichleiten des Landes, und überall müffen wir in dem
Berf. daß beau-ideal eines Eicerone erkennen, einen Mann, der
Alles weiß, was den Reiſenden intereffiren kann, und es mit
einer Lebendigkeit erzählt, die das Intereſſe beftändig wach er-
hält. Es gebührt der Kritif um fo mehr auf biefes Buch auf-
merffam zu machen als es dem Publicum in einer Form ge
boten wird, in der man nur gewöhnlich alltägliche Gedanken
in abgedrofchene Phraſen gekleidet zu finden gewohnt ifl.
Hiftorifhe Literatur.
Auch in Spanien regt ſich einige Leben in der hiſtori⸗
fhen Literatur. Alcala⸗Galiano's „Geſchichte Spaniens von
den früheften Beiten bis zur Majorennität Iſabellens 11.”
ift bereits biß zum zweiten Bande gediehen. Bon Weiß’
„Geſchichte Spaniens von Philipp IT. bie zu den Bour«
bons’‘ .ift eine Überfegung erfchienen; ebenfo eine neue wohl:
feile Ausgabe von Mariana's „Historia de Espaüa‘. Im
Sach der neuern Geſchichte ift bemerfenswerth Madrozo's „Mi⸗
kitairifche Gefchichte der Keldzüuge Zumala⸗Carreguy's“, mit Plä-
nen und Kupfern, und eine eben begonnene „SGeſchichte der
eonftitutionnellen Cortes“, mit Bildniffen ausgezeichneter Depu:
war wie bei Heloifen. Wir folgen ihr gern aud in andern | tieten.
. Berantwortliäger Herausgeber HSeinrich Brockzdand. — Drud und Berlag von F. X. Brockhaus in Leipzig.
Blätter
für
literarifche Unterh
Dienftag,
Kranz Zreihberr Gaudy.
(Zortfegung aus Nr. 86.
Zwar tönnte Einer, nach flüchtiger Lecture mehrer
Werte Saudy’s, auf die Anftcht kommen, bdiefer Autor
fei viel mehr ein Nachahmer als ein eigenthümliches Ta⸗
fent. Allerdings ift unverkennbar, daß dem Dichter
bei: vielen feiner Productionen gewiffe Autoren und
Werke vorgefchwebt und einen Einfluß auf ihn geübt
haben; eine Menge feiner Gedichte, befonders der frü-
bern, verrathen bie Heine'ſche Schule; fpätere, nament-
lich die Terzinen, zeugen von dem Einfluffe Chamiſſo's;
die Nefraingebichte erinnern durch Form und Inhalt
ſtark an Belranger; das erzählende Gedicht „Yaulina”
erfcheint faft wie eine UÜberfegung von Byron, fo fehr
find Motive, Farbe, Ton im Charakter des Briten ge-
halten; „Aus bem Tagebuch eines wandernden Schnei-
bergeſellen“ trifft im Ton vielfady mit ichendorff’s
„Taugenichts“ zufammen; in zahlreichen humoriſtiſchen
Stüden ftellt ſich Gaudy als Schüler Jean Paul’s dar.
Die Elegien und Epigramme find ohne Zweifel Ab-
Tömmlinge der Goethe ſchen. In der „Nachricht von
den allerneueften Scidfalen ded Hundes Breganza”
knüpft er an Cervantes an; in manchen Erzählungen
Mingt der Ton Callot⸗Hoffmann's durch, und eine ge⸗
nauere mikroſkopiſche Betrachtung würde ohne Smeifel
noch manche Einflüffe von größern und kleinern Göttern
der Literatur auf Gaudy's Probuctionen erkennen laſſen.
Auch hat er fein ungewöhnliches Talent der Aneignung
in mannichfachen meifterhaften Nachbildungen, in Über-
fegungen von Poefien aus dem Franzoͤſiſchen und Alt⸗
franzoͤſiſchen, dem Italieniſchen, den Polnifchen bewährt,
und Dichtungen des verfchiedenften Charakters mit gfei-
chem Glück ine Deutfche übertragen. Uber zwifchen
Rachahmen und Nachahmen ift ein großer Unterſchied,
und es gibt eine Urt der Nachahmung, des Angeregtwerbens
von fremden Vorbilbern, bie fich felbft bei den größten Ge⸗
nies findet. So kann man 3. DB. auch von Goethe fa-
gen, er babe in „Dermann und Dorothea” die „Luiſe“
von Voß nachgeahmt, und felbft fein „Kauft“ -fei eine
Nachahmung von frühern Bearbeitungen deſſelben Ge⸗
genſtandes; aber in ſolchen Fällen kann von einer Ab⸗
hängigfeit in Form und Tendenz, welche das Charakte⸗
7. April’1846.
Du nn
riſtiſhe der Nahahmung im gewöhnlichen Sinn tft, nicht
die Rebe fein, fondern es beurkundet ſich hier der glüde
liche Inftinet des Genies, welcher die von Andern ge
fundenen Gegenflände und Formen auf das freiefte zu
benugen und ſich anzuelgnen und fie zu einer viel bö-
bern Würde und Bedeutung künſtleriſch wie philofo-
phifch zu erheben weiß. Daß nun Gaudy's Nachah⸗
mungen auch von diefer Art gewefen, wollen und koͤn⸗
nen wir nicht behaupten; vielmehr erfchelnt er in man-
hen in völliger Abhängigkeit von feinen Vorbildern, ſo⸗
daß er ihre Fehler felbft gewiſſenhaft und eifrigſt abop-
tiert, wie 5. B. in der .„Paulina’”, welche ſich vielleicht
ohne große Mühe zu einer Parodie ber Byron'ſchen
Dichtungsweife hätte umarbeiten laffen; aber in dem
„Schneidergeſellen“ 3. B. wird ber Charakter der Rach⸗
ahmung dadurch bedeutend mobifichrt, daß ‚das Werk-
hen zugleih auf eine amufante und wigige Weiſe
bie Reifebefchreibung Nicolai's verfpottet und bad vor-
zugsweife romantifch -fentimentale Element ber Eichen-
borfffchen Novelle durch eine tüchtige Zutat von JIro⸗
nie, gegen bie feichte Bitdung gewiffer Berliner, würzt
und ummandelt. Überhaupt darf man woh fagen: Dies
Dichten nah gewiffen Vorbildern, dies Anlehnen an
Andere gehörte zu Gaudy's Schule und Bildungsgang;
er war fein folcher gewaltiger Genius, daß er von An-
fang an mit ficherm Inftinet das ihm gemäße Gebiet
ber Poeſie ertannt und ergriffen hätte, er mar ein höchſt
empfängkiches, bildungsfähiges Talent, welches, um ſich
zu Dem zu entwideln, was es zu leiften vermochte, der
mannichfaltigfien Anregungen von außen durch Leben
und Leeture beburfte. Nicht Xieffinn ber Gedanken,
nicht gewaltige Schöpferfraft und Drang der Phantafie
zeichneten ihn aus; es war ihm nicht gegeben, bie Welt
zu umfaffen oder eine Melt aus feinem Innern entfle-
ben zu laſſen; das Sichverfenten in bie Idee oder in
daß eigene Ich, welches man bei vielen deutſchen Dich⸗
tern findet, und was chenfo oft ihre Schwäche als ihre
| Jugend ift, war ihm fremd; er war eine mehr auf bad
ußere, auf die Bielheit und Mannichfaltigkeit des Le⸗
bens und der Welt angemwiefene Natur. Er war in
feiner Poefie weit mehr Künftler als Philoſoph. Dazu
frug neben feiner Individualität ir fein Lebens» unb
Bildungsgang nicht wenig bei. Währenb weitaus bie
altung.
tifer Bu
‚rden pfleg:
dem literaris
»t blos für die
ur die ungehefr
D is und thatkräf:
Yräfentaten und
Refolutionen, mitten
‚ein Dem feine volle
tvande_ des literarifhen
sen auch als fhaffender
: Stelle einzunehmen und
dieſein Gefihtspunkte aus
aus dem Wanderlcben” des
„oc, fügen aber fofort die Bes
"Spalt an fih uns zum Dank
Es it ein heiteres, Darmlofeß,
‚svüglingsgefchene, das uns bier
unjer Wanderer vermeilte, am
‚ auf Meeren und auf Seen, auf
bei Ruinen und Monumenten greift
t im Staube begrabene Harfe” und
ıgen, Die in verwandten Gemüthern
ird. Überall gibt er in gebundener
t, ben das erquidende Bermeilen
m Punkte unjerd deutſchen Water
t. Hier und da läuft auch, wie er
ie andere Frucht heiter: gemüthlicher
die nicht mit den Wanderungen in
ichört befonders ein Lied am Schluß
’ treffliche Gedicht „Zum Wjährigen
und Profeſſors Wilhelm zu Kloſter
326. Wer in jenen Jubeltagen in
Rbodosvias eingetreten und Theil⸗
nden gewefen ift, wird e8 nod in
wie der Verf. der „Wanderlieder“
ı feftlihen Tagen einen edeln Schmuck
anz verdientermaßen empfangen bat,
inhuld zierte. Vlättern wir weiter,
finnige Lied, zB. „Die Kapellen:
", einer intereffanten Gruppe einzels
Belfen ohnweit der Stadt Horn im
d, ober „Der Kreuzberg am Prer
el an der grünen Bude zu Reuftadt:
an die Langeweile”, die dem Verf.
erzweiflung über bie im Anfang feir
albad) im Sommer 1333 peinigende
ctirt ward, oder „Die Kleinbilder an
eidegruß an diefen Pöitlichen Strom”,
n Swinemünde ynd an Helgoland“
unferm Sänger, der feine poetifche
fin Marie von Hanover gewidmet
ıB er bald wieber einmal mit einer
3botichaft zu erſcheinen Beranfaflung
otizen aus Engtand.
de Dichterſprache.
beſchreibungen ausgezeichwefer engli»
srdene Miß Goftello hat ald Weig
e rose of Persia‘ exſcheinen laſſen,
Alles übertrifft was diesmal an Tas
man achs u. f.w. veröffentlicht wurde.
auf biefe Weife wie durch eine Art
ußern ſymbolifch dargeſteilt werden
ſen hat die Verf. einen Artikel der
n gewidmet, mit welchen bie mor-
meiften deutſchen Dichter und Schriftſteller eine akade⸗
miſche und daher bis auf einen gewiſſen Grad philoſo⸗
phiſche Bildung erhalten, was fi dann in ihren Wer⸗
. ten felten verleugnet, entbehrte zwar Gaudy in Folge fei-
nes Aufenthalts in Scwipferta und feiner ſtets fortge-
sten Studien einer chaffifchen und gelchrten Bildung
eineswegs und er befaß In Sprachen, Literatur und
Geſchichte ſehr fchöne Kenntniffe; aber in ben Jahren,
wo Andere einen meift auf das ganze Leben nachwir⸗
tenden Trunk aus den Quellen bes Idealen, dev Philo⸗
fophie, ſchoͤpfen, ſah ſich Gaudy ſchon in bie ſtürmifchen
Wogen des wirklichen Lebens hineingeworfen und machte
ſtatt der idegliſtiſchen Träume und Schwaͤrmereien ber
Schule die ſehr realiſtiſchen Abenteuer des Lebens, bes
Soldatenlebens, mit. Viele in feiner Lage wären wol
van dem Strome der gemeinen Wirklichkeit fortgeriffen
ud verſchlungen werben, hätten füh nur etwa als be-
ſonders kuflige und witzige Kamevaden außgezeichnet;
abar in Gaudy war ber poetifche Trieb, war das Ideale
denn doch zu mächtig; es rang fich fiegreid aus ben
Wellen empor. Jedoch bekam feine Poeſie einen eigen-
sgismlächen, einen vorwiegend realiftiihen Charakter, und
. wog der vielſachen Einflüffe, die fie erfahren, behauptet
ſie eine Sigenthünrichfeit, die wir etwas näher zu be-
zeichnen verfuchen.
Em Kind des Jahrhunderts (er wurbe 1800 gebo-
ren), aber zu fpät gekommen, um an ben grofen Be ˖
wegungen und Thaten ber erfien Jahrzehnde noch Theil
nehmen zu koͤrmen, fühlte fih Gaudy durch fein Natu-
res und feinen Charaßter wie Busch feinen Beruf als
Solbat zum thätigen Handeln, zum energifhen Kampfe
beftimmt, und da die Verhaͤltniſſe ihn zur Unthätigkeit
und Ruhe verdammten, nahm er, ohmehin verſtimmt
md verbittert, in feinem ganzen Weſen und Gereben
Bie Richtung der Oppofition an, — bed Widerſtandes
gegen Alles, was ihm in ber Politik, im Staat, im
Leben, in Geſetzen und Bitten veraltet, willkürlich, klein⸗
kb, eine Hemmung ber natürlichen und veruünftigen
Freiheit ſchien, und neigte ſich fo als Dichter mit ent⸗
ſchiedener Vorliebe den deutſchen, franzöftfchen und eng⸗
Wien Dichtern zu, welche als die Verfechter der Frei⸗
heit im wetteſten Simie gegen Zwang und Unterdrückung
and ſelbſt gegen Geſetz und Sitten gelten konnten. Weis
nen Verdruß über die Thatloſigkeit ber Zeit ſpricht fehr
bezeichnend fein Gedicht Fortſchritte“ aus, wo die zwei
Tupten Setrophen fo kuuten :
Nur für eine Seele noch zu ſchwaͤrmen
Ba A Auf‘ Ar unr Mor 3. —
n icht mehr eswärmen,
Seit der philoſaph ſche Samum ſtrich.
Mit dem Maul wird ſtatt des Schwerts geſtritten,
Rauch quelmt überall, und nirgend brennt’.
Za, wir ſchreiten vor mit Rieſenſchritten
Im ZJahrhunderte der Impotenz.
An epponirenden Dichtern verſchiedener Art has es num
allerdings in Deutſchland ſeit einer Reihe von Jahren
nicht gefehlt; aber Gaudy gehärt zu denjenigen, melden
S68—
es einerſeits mit ihrer Oppoſition am meiſten Ernſt war,
und welche andererſeits die Oppoſition in eine nicht un-
poetifche, in eine graziöfe Form zu kleiden wußten, weiche
fih nicht in blindem Pathos überflürzten, nicht in wü⸗
shendem Sarkasmus die ganze Welt des Beſßehenden
angriffen, welche ſich die Aufgabe fegten: Ridendo dicere
verum. Während mande Dichter Bei ber heftigften
Oppofitton in politifcher und focialer Beziehung doch die
ariſtokratiſche Gefinnung und Stellung keineswegs auf-
zugeben gemeint waren und Lieblinge gerade der Xriflo-
kratie wurden, entfernte fi) Gaudy, durd die Geburt
den Kreifen der hohen Geſellſchaft angehörend, ale Menſch
und als Dichter entfhieden von ber Ariftofratie, wie ex
diefe in dem Gedicht „Entfhuld’gen Sie, Frau Gräfin !”
(Ida Hahn⸗Hahn) fehr artig ausfpricht, inbem er feine
bürgerliche, fehr bürgerliche Denkungsweiſe in vielen wich“
tigen Punkten bekennt. Dagegen bewährt Gaudy eine
hohe und feine Bildung, wie man fie bei den haͤhern
Ständen erwartet und vgrausfegt, obwol nidst immer
findet, darin, daß er in feiner Polemik und Oppefitier
gegen Herkommen und Vorurtheil, auch wol gegen Big
ſtrengere Sitte, immer Maß zu halten weiß, daß er den
YAuftand nicht verlegt, nicht in Roheit und Unanftändig«
keit verfällt, wie dies felbft dem vielgeruhmten Berauger
nur zu oft geichieht, daß faft durchaus fhalthafte Gre-
zien bie Gönnerinnen und Hüterinuen feiner Poeſie blei⸗
ben, derjenigen wenigfiens, welde er für hie Öffentlich⸗
Seit beſtiaimte. Statt ſich in polemiſchen, ironiſchen,
epigrammatiſchen Gedichten zu zerſplittern, ſtatt die
witzige Muſt in immer forcirtern Sprüngen ſich erſchö⸗
pfen und zu Tode jagen zu laſſen — eine Klippe, woran
ſchon Mancher geſcheitert —, behielt Gaudy kuͤnſtleriſche
Befonnenheit, idealen poetiſchen Geiſt genug, um ſich
vor ſolcher Vergeudung und Aufloͤſung bes Jalents gm
bewahren. Er concentrirte ſich vielmehr, er wurde in
der Form immer ſtrenger gegen ſich, er firebte aus ber
Subjectivität der Sclbfibefpiegelung und eines ſich ſelbſt
vergehrenden Humors heraus, er firebte nach Anfchaumer
gen und Geftalten, und ba feinem enesgifchen Geiſte
das Handeln in ber Melt, die bedeutende Thaͤtigkeit ner-
jagt war, marf ex fich in der Meife und Vollkraft fei-
ner Jahre mit Gifer und Glück auf die poatiſche Er⸗
foffung und Darflelung der größten hiſtoriſchen Geſtalt
und Perfönlichleit unfers Jahrhunderts, und fiedelte er
fih mit Geiſt, Gemüth und Phantaſie in demjenigen
Lande an, welches durch feine herrliche Natur wie buch
feine großen Erinnerungen am geeignesften ift, ben Men⸗
hen über bie Alltaͤglichkeit hinaus zum Idealen and
Schönen zu erheben, — er beſang Napelen in hen
„Kaiſerliodern“ und unteraahm feinen „Römerzug‘‘ nadk
Jtalien, mo ihm eine neue Welt Her Poefte, ber reinem
und hähern Anfchauung aufging, eine langgenaͤhrte Sehn⸗
ſucht ihm geſtillt wurde. Man kann es vom vaserlän-
bifchen Geſichtäpunkt aus mol bedawmın, daß ein fo be⸗
gabter Dichter die Heimat ſeiner Muſe auf. fnemben,
italieniſchem, Boden findet, und noch mehe, daß er wis
feinen Rieden ben Feind, Dem Unterhrüder ſeinet Ma⸗
|
|
|
" N
teutands, Mustiihlanbs unb ganz befondert Üiramfens,
feiert; aber men muß nicht vergeffen, daß dies Auße⸗
rangen und Symptome einer tieffiegenden Oppoſitions⸗
fimmung oder Berfimmung waren, daß ber Dihter
nit and Verdruß über die deutſchen Merhältnifle fremde
Teiumpbe befarig; und die Blumen der Poeſie, welche
er auf tralienifchem Boden ypflüdte, kamen ja jeben-
falls der deutſchen Literatur zu gute, welche Darüber
nicht, wie vielleicht über bie „Salferlieber”, zu erröthen
Get. Für ben Dichter ſelbſt aber war jebenfalld bie
Gondentrirung feiner Kräfte auf größere Schöpfungen
und Anfhauungen ein bedeutender Gewinn und Fort⸗
{&ritt, fein poetifches Talent gewann dadurch an Ein-
Beit und an fhärferm, claſſiſchem Gepräge, obwol er
auch jeht nach dem Jean-Paulifirenden Humor nicht un⸗
w wurde. Gaudy's Poeſie bekam jegt immer mehr
alt, Gediegenheit, Sicherheit, bei ungemeiner Gewandt⸗
- beit und Leichtigkeit in der Form; fein Stil in der Poefie
ift oft ebenfo glänzend und baum wieder fo epigramma⸗
tiſch fein wie fein Stil in der Proſa ſich flüffig, glatt,
eimfchmeichelnd bewegt und fi) der Werfchiedenheit der
Gegenftände in ber reihften Mänutchfaltigfeit der Er-
zählungen und Schilderungen glücklich anſchmiegt. Dan
bat ſchon die Bemerkung gemacht, daß mande Poeten
und Autoren in ihrem Gharafter Züge einer fremden
Nationalität zeigen, und vieleicht darf Gaudy ale ein
Solcher betrachtet werden, welcher mehr als irgend ein
Anderer in der beutfchen Literatur zum franzöfifchen
Charakter fih hinneigt, — nicht in der Art, daß er
änßerlich von den Franzoſen entichnte, fondern fo, daß
in der Anlage feines Geiftes felbft Schon Franzöfifche
Elemente ſich finden, löbliche, die Franzofen auszeich-
nende Qigenfchaften, und immer noͤch fo mit beutfchen
verwoben, daß die Franzoſen ihn ſchwerlich als den Ih—
rigen in Anfpruch nehmen werden. Wir rechnen dahin
die Art von epigrammatifchen Geiſt und Witz, wie man
fie bei Gaudy teifft, die Correctheit der Form, die Praͤ⸗
cifion der Sprache, die au in der Kedheit noch maß-
haltende Schalknaftigkeit, den Glanz des Ausdruds und
Der Bilder, und ſelbſt die ihm eigene Art von Senti⸗
wientalität, welche den Franzoſen gar nicht fo fremb iſt
ale Manche glauben. Möglich jehoch, daß bie franzöfl-
ſche Sprade, welche Gaudy von Kindheit an fo geläufig
war wie bie beutfche, ſammt der vertrauten Bekanntſchaft
mit der franzöfffchen Riteratur, die ſich daran Tnüpfte,
der Geiflesart und dem Stil des Dichter jenes Ge—
präge zum Theil verfichen haben.
(Der Befchluß folgt.)
Bier aus meinem Wanderleben. Wekblingegabe für
1846 von Alpin (A. von Sedendorff). Alten
‚burg, Schuuphaſe. 1846. 13. 16 Per.
In einer Seitperiode wo die Staatsmaſchine, wie einft ein
Dei et Da —* den 2 * Ei ia
mpffraft angenonamen wo «in Echauf⸗
fietfein don Gefhäften aller Urt von den 233
|
|
tiges Jutereſſe
—————— — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — —
n als ein '
Bellungen an bi6 gu ben fi Ganabberiftifcher
aͤnde angeſehen zu werden ea
ber Gegerwart und ihrer,
—* Aexſt erquicklich, beim Umherſchlenbenn auf dem litgratie
Markte einmal Jemanden zu treffen, der nicht blos für die
gebefteten Acten ber Chatoulle, ſondern au * die ae
teten Arten des hoͤhern geiftigen Lebens ein reges und thatfräf:
Je und Der mitten. unter Präfentaten unb
Signaturen, mitten unter Reſcripten und Mefolutionen, mitten
unser Disſcuſſſonen und Debatten nicht allein Dem feine yolla
Animerkfamkeit ſchenkt, was in die Regiſtrande des Jiterarifchen
Verkehrs singetragen worben iſt, jondern su als fchaffender
‚Yriefter im Jempel der Mufen eine Stelle nen und.
zu behaupten weiß. Schon von diefem Geſichtspunkte aus
begrüßen wir bie obigen „Bilder aus dem Wanderleben“ des
Ber. ols eine wohltguende Babe, fügen aber ſofort Die Bes
merkung bei, daß au ihr Inhalt an fih uns zum Dank
gegen benfelben. verpflichtet. Es ift ein heiteres, harmloſes
das Gcmüth anfprechendes Fruͤhlingsgeſchenk, das uns hier
geboten wird. Uberall wo unfer Wanderer verweilte, am
Rhein und an der Donau, auf Meeren und auf @een, auf
Dergen und auf Burgen, bei Ruinen und Monumenten greift
feine Hand an die „nicht im Staube begrabene Harfe” und
weiß eine Saite anzufcplagen, die in verwandten Gemüthern
ihren Widerhall finden wird. überall gibt er in gehundener
Rede ben Eindru wieder, den das erquidende Verweilen
an einigen der harrlichſten Punkte unferb deutſchen Vatar⸗
lands auf ihn gemacht bat. Hier und da Läuft au, wie ee
ſelbſt bemerkt, eine und die andere Frucht heiter «- gemuͤthlicher
Mußeftunden mit unter, die nicht mit den Wanderungen in
Beziehung ſteht. Dahin gehört befonders em Lied am Schluß
des Jahres 1835 und dos treffliche Gedicht „um en
Amteiuhelfeft des Rectors und Profefiord Wilhelm zu Klofter
Roßleben am 17. Mai 1836”. Wer in jenen Iußeltagen in
die „weit geöffneten Pforten Rhodosvias eingetreten und Theil:
nehmer ber feftlihen Stunden gewefen iſt, wird es noch in
gutem Andenken haben, wie der Werf. der „Branderlieber’’
duch, fein Dichtertalent den feftlichen Zagen einen edeln Schmuck
verliehen und ben Lorberkranz verdientermaßen empfangen bat,
mit dem ihn Damals Frauenhuld zierte. Blättern wir weiter,
fo begegnet und mandes finnige Lied, z. B. „Die Kapellen:
weihe auf den Grterfteinen”, einer intereffansen Gruppe einzel:
ner, freiftebender, nackter Bellen ohnweit der Stadt Horn im
Fürſtenthum Lippe- Detmold, oder „Der Kreuzberg am Pre⸗
bifchtbor”’, oder Die Epiftel an der grünen Bude zu Reuftadt-
Dresden”, ober die „Dde an die Langeweile”, die dem Verf.
von der nugenblidlichen Verzweiflung uber die imi Anfang ſei⸗
ned Aufenthalts in Schwalbach un Sommer 1333 peinigende
Langeweile in Die Feder bietirt ward, oder „Die Kleinbilber an
ber Donau fammt dem Scheidegruß an dieſen koͤſtlichen Steam‘,
oder „Die Erinnerung an Swinemünde und an Delgeland’
u.f.w. Wir ſcheiden von unferm Sänger, der feine poetiſche
Gabe der rau Kronprinzeffin Marie von Hanovder gewibmet
bat, mit dem Wunſche, daß er balb wieber einmal mit einer
SE anfprechenden Fruͤhlingsbotſchaft zu erfgeinen Beranlaflung
Literarifche Notizen aus England.
Die perfifhe Dichterſprache. |
Die durch ihre Lehensbefrhreibungen ausgezeichneter engli⸗
ſchen Frauen bekannt gewordene Miß Coſtello bat ala Weih⸗
e ein Werk „The rose of Persia‘ erſcheinen laſſen,
deflen außere Ausflattung Alles übertrifft was diesmal an EA
fchenbüchern, Keenſakes, Almanachs u. ſ. w. verdffentlicgt wurde.
Der Inhalt das Bushs bat auf dieſe Weife wie Much eine Urt
BDiumeniprage auch im Außen ſpomboliſch dargeſtellt werden
ſollen. Aur Erklaͤrung deſſen hat bie Verf. einen Artikel der
Beſchreibung der Bierathen gewidmet, mit weichen bie mor⸗
.
re
Bu e Sandeleute mit den Schaͤten des per
chen Bichtkunſt bekannt zu machen, in Betreff welcher die
erf. behauptet, Perfien befige mehr. ter‘ als alle andern
Bötler zufammengenommen. Sie theilt aber nur Mufter von
einigen diefer Dichter, natürlich in der freieften Übertragung,
mit, denn eine getreue Umdichtung diefer Poefien in einer für
Europäer verfländlichen oder ſchmackhaften Form ift eine reine
Unmöglichkeit, was von ber eigenthuͤmlichen idiomatiſchen Bil⸗
dung der Sprache herrührt, worübet ſich ein perfifger Ge⸗
lehrter der neueften Seit, Ibrahim Mirza, folgendermaßen aus:
fpricht: „Eins der Kennzeichen der perfiſchen Dichterfprache be:
fleht darin, daß ed kaum einen Gegenftand gibt, für welche fie
nicht eine Menge verfchiedener und bedeutungsveller Worte be
figt, von denen felten zwei ganz denfelben Gegenfland ohne
irgend eine befondere Färbung und Mobdification bezeichnen;
eins davon fehildert 3. B. den Segenſtand an und für fi, die
andern unter verfchiedenen Gefichtöpunften — fo wird, wenn
dee Dichter eine Kerze nennt, er ein anderes Wort gebrauchen,
je nachdem er von der Eigenſchaft oder der Stellung oder dem
Buftande der Kerze fpricht —, was dem Überfeger namenloſe
Schwierigkeiten bereitet. Gine einzige Beile erfobert oft brei
oder vier Seiten Erklärung, um alle die Anfpielungen und
Feinheiten des Ausdruds aufzuhellen, welche der Dichter beab-
fihtigte. Ein Kameel 3. B. bat gegen 50 — 100 verfchiedene
Kamen, indem für jede Alteräftufe von dem Tage wo es ge:
worfen ift bis
bezeihnung vorhanden iſt. Kameele von verfchiebener Farbe
und verfchiedenen Eigenſchaften, Kameele im Lauf oder Schritt,
oder im Stehen oder Liegen, alle haben ihre eigenthümliche
Benennung, während dein Überfeger, will er ſich nicht lan»
er Umfchreibungen bedienen, nur das einzige Wort Kameel zu
ebote ſteht. Alle Beitwörter oder Infinitive beftehen mit we⸗
nigen Ausnahmen aus drei Buchftaben, durch deren verfchie:
bene Berfegung und bie Hinzufegung von einem, zwei oder drei
befondern Buchſtaben aus diefen dreilautigen Wurzeln 13 Eon:
jugafionen entftehen, in deren jeder das Wort einen verfchie:
denen Laut und eine-verfchiebene Bedeutung annintmt.” Auf
diefe Weiſe werden völlig voneinander verfchiedene Zuftände
duch ein einziges Wort ausgedrückt, bei deffen Übertragung
durch eine weniger finnvole Bezeichnung Diefe bedeutung:
vollen Unterfchiede, welche einen wefentlichen und nothwendigen
heil jener Pocfie ausmaden, verloren geben müflen. Wie
nach Diefem die perſiſchen Dichtungen der Miß Coftello in Be:
zug auf die Eigenthümlichkeit ihrer Quellen ausgefallen fein
mögen, mag baraus hervorgehen, daß fie felbft gefteht, fie fei
mit der perfifchen Sprache nicht hinlaͤnglich vertraut, fondern
babe fi zu ihrem Zwecke vorhandener Überfegungen bedient.
Es find alfo nicht Anderes ale Gedichte, denen bie Gedanken
perfifcher Dichter zu Grunde liegen, Gedichte, Die überdies von
eigenem dichterifchen Schwung der Berf. zeugen.
genlän ben Botker ihre Handſchriften ausftatten. Der Zweck
des je aber iſt,
Die Dichter aub der Schreibftube.
George Gilfilan in feiner im vorigen Jahre erfchienenen
„Gallery of literary portraits‘ freut bei der Schilderung. des
Dichters Charles La
und die Umftände, unter welchen er ſich am günftigften ent:
wideln könne, ein, die manches Richtige enthält, aber in ihrer
: Allgemeinheit fiherlic nicht für gültig angenommen werden
barf: „Es ift ein eigenthuͤmlicher Umſtand, daß in unfern
Tagen der Faufmännifche und Kpängeiftige Charakter in gewif⸗
- fen Fällen fi) miteinander vermifcht haben, ohne einander zu
verniten. Die Literatur hat in unferm feltenen” Beitalter
die Schreibftube des Kaufmanns betreten. Schöngeiftige Faͤhig⸗
Beit der feltenften Art hat bei dem Auspaden von Güterballen
bölfreiche Hand geleiftet. Geiſt, der echteften und überlegeriften
Cast, hat fi auf-den hohen dreibeinigen Eomptoirftubl nieder:
Verantwortlicher Deraudgeber ; Geinrich Wrodhans. — Drud und Verlag von F. U. Wrodtans in eeipzig.
des Lorbers getragen.
um Tage wo es verendet eine eigene Wort⸗
folgende Bemerkung über Dichterberuf
| |
' 388
gelaften und Hinter feinem -«bebenden Dr» einen Federklel ſtatt
Diefer auf folge Weife gefrönte Genius
iſt freilich nicht vom romantifchften und ätherifcheften Range ge
wefen. Es iſt lächerlich fich einen Schreiber zu denken, der jegt
mit Glut und dichterifcher Wuth ein Myfterium entwirft, und
dann einen Frachtbrief für Duffeline ſchreibt; der Nie Feder fallen
laͤßt, womit er die ſchrecklichen Strophen einer Balpurgienacht
bingeworfen, um Garne zu facturiren. Mit aller Udhtung vor
dem Handel in feinen verfchiebenen Zweigen Binnen wir. es
nicht für möglih halten, daß ein Goethe, ein Schiller, ein
Byron oder ein Ghelley u. f. w. in einer Waarenhalle aufer:
zogen worden wäre. Hätten fie nit dur Wald und Forſt
geſchwaͤrmt, durch die weiten Felder, «vertraut jedem Gteene
und jedem ftürmenden Wind», mit freiem Fuße, um nah Ges
fallen die Watte oder die Haide, den fanften Mafen oder bie
erftarrte Lava, den Sand oder den Schnee zu befchreiten; mit
von den Sonnenſtrahlen des Tags gebräunten Geſichtern und
vergeifligt durch die Gternenaugen, welche. auf fie des Xachts
ihren Einfluß berunterfchoffen — nimmer hätten fie werben koͤn⸗
nen, was fie zur Ehre ihrer Gattung und zum Ruhme des
Weltalls geworden find. Man denke fih einmal Goethe mit
der erhabenen Stirn und der gebietenden Geftalt über das
Hauptbuch gebüdt, oder den Seber Eoleridge, mit feinen tief⸗
träumerifchen Augen, vertieft in Berechnung des Eurszettels
Und doch brachte Charles Lamb, Eoleridge’s liebſter Freund,
den größten Theil feines Lebens auf folhe Urt zu. Aber des⸗
halb war Charles Lamb, obwol ein echter Dictergeift wie je
einer, ein Genius von ganz verfdiedenem und untergeordnetem
Range. Und wir wiffen nicht, wie viel größer er geworben
wäre, wenn er eine andere Erziehung empfangen und flatt ber
Sklave einer Faufmännifchen Schreibftube, der Freie jener Stade
genelen wäre, deren Erbauer und Gründer Gott ift.” Zur
iderlegung der allgemeinen Richtigkeit dieſer Behauptung
braucht es nichts als daß wir auf unfern Breiligrath hinweiſen,
der, obwol er über Hauptbuch und Strasse gebuͤckt gefeffen, bie
Glut und Schöpfungsluft und Schöpfungsfraft eines Dichter⸗
geifteß beurkundet, der fi mit dem Coleridge und Eheley
des Engländers mehr als meflen Bann. 2.
Literarifche Anzeige.
En vente chez F. A. Brockhaus a Leipzig:
Recueil manuel ot pratique de traitös, conveR-
tions et autres actes diplomatiques sur lesquels
sont etablis les relations et les rapports existant
aujourd’hui entre les divers &tats souverains da
globe, depuis l’annee 1760 jusqu’a l’epoque
actuelle. Par le Baron_Ch. de Martens
et le Baron Flerd. de Cussy.
Tome premier et second.
‚Gr. n-8. Brock 4A Thlr. 16 Negr.
Ouvrages de Mr. de Martens qui se trouvent ches
F. A. Brockhaus a Leipzig:
Guide diplomatique. 2 vols. Gr. in-8. 1832.
4 Thlr. 15 Ngr.
Causes oölöhres du droit des 2 vols.
Gr. in-8. 1827. 4 Thlr. 15 Ngr.
Nouvelles coauses oölöhres du droit des gens.
2 vol. Gr. in-8. 1843. 5 Thir. 10 Ngr.
Blätter
für
literarifde Unterhaltung.
8. April 1846,
Franz Freiherr Gaudy.
(Beſchluß aus Nr. 9.)
Wenn wir Gaudy Das mas bie Franzoſen esprit
nennen in bebeutendem Maße zufchreiben, fo ſchließen
wie damit andere wichtige Elemente bes poetifchen Ge⸗
nius keineswegs aus.
Einbildungskraft ift ihm durchaus nicht abzuſprechen,
und wenn die Probuctivität hauptſaͤchlich durch biefe
Gigenfchaft bedingt ift, fo fheint bie große Zahl und
Maffe von Gaudy's Hervorbringungen für ſich allein
ſchon ein vollgültiges Zeugniß für. diefelben abzulegen.
In der That firömen ihm im Einzelnen die Bilder in
üppigfter Fülle und Mannihfaltigkeit zu und häufen
fi fogar bisweilen bis zum Übermaß, und ebenfo muß
ihm das Erfinden fehr leicht geworden fein. Jedoch
möchten wir ihm mehr überkleidende Einbildungskraft
als fchöpferifche Phantaſie zufchreibenz die Seelen feiner
Gedichte find häufiger Gedanken als eigentlid poe⸗
tifhe tiefe Anfchauungen und freie. Conceptionen; bie
Stoffe und Motive feiner Novellen und Erzählungen
find ihm theils von ber Gefchichte gegeben, theils Ab-
fenter won ähnlichen ihm vorfchmebenden Probuctionen,
auch wol eigene Erlebniffe, — immer glüdlich gewenbet,
geiftvoll varürt, duch neue Verknüpfungen anziehend
gemacht; aber in echter Erfindungskraft, forpol was die
Kabel als was die Geftalten und Perſonen betrifft, kann
er fih mit den Mataboren auf dem Felde der Roman⸗
und Märchen» Ropellenpoefie keineswegs meffen. Die
Novelle war Gaudy, wie und fcheint, oft nicht ſowol
Zweck als vielmehr nur Mittel um gewiffe Anfchauun-
gen, Eindrüde, Hiftorifche Erinnerungen und Bilder in
eine anfprechende Form zu faffen. Betrachten wir bei-
fpielsweife die Erzählung „Der Pfarrer von Weinfperg”,
Die Frucht einer Reife nach Schwaben, welche der Dich-
ter aus bem Munde des Pfarrers von Pfullingen ge-
hört haben will. Wol mag ihm eine Gefchichte der Art
erzählt worden fein, aber unverkennbar ift e8 dem Verf.
vor Allem darum zu thun, den Eindrud,. welchen der
Kichtenftein, dur W. Haufffs Roman zu großer Be-
rühmtheit gelangt, auf ihn gemacht, zu fchildern, und
damit eine Darftellung der biftoriichen Erinnerungen zu
verbinden, welche duch den Beſuch bes Staͤdtchent
⸗
Eine fruchtbare und glänzenbe-
Weinfperg in ihm gewedt wurden. Dies gefchieht nun
durch eine Erzählung, deren Kern folgender iſt: Zu’
bem Ritter von LKichtenflein kommt ein fahrender Schü-
les von Reutlingen gebürtig, wie er- feit vielen Jahren
pflegt, und wird von ihm und feinem holden Toͤchter⸗
fein als ein lieber Gaft wohl aufgenommen. Das Le
ben und die Urt der fahrenden Schüler wird dabei recht
anfhaulid und anmuthig gefchildert. Das Eraftvolle
Auftreten des Martin Luther in Wittenberg, der eben
das Werk der Reformation begonnen hatte, kommt zur
Sprache. In der Nacht kommt ber vertricbene Herzog
Ulrich von Würtemberg (den aufer W. Hauff und vor
ihm ſchon Achim von Arnim in feinen „Kronwächtern”
poetiſch behandelt und vielleicht treuer nach dem Leben
gezeichnet hat), aufs Schloß. Mathias Häuslin, der
fahrende Schüler, kennt den Herzog nicht, und erbittert
ihn durch kecken Widerſpruch und wenig fchmeichelhafte
Reden über den Herzog von Würtemberg bergeftalt, daß
er ihn zum Fenſter in den Abgrund hinunter flürzen '
will, wovon er mit Mühe von dem alten Ritter fich
abhalten läßt. Aber übel zugerichtet muß ber Schüler
das Schloß verlaffen, das er mehre Jahre nicht wieder
fieht, fo fehr fich fein Herz dahin ſehnt. Sechs Jahre
naher, 1525, tobt der Bauernkrieg um Weinſperg und
ed werden nun bie bortigen graufigen Dergänge, die
Angft der Bürger vor dem Anzug ber Bauern, ber
Übermuth der ihnen zu Hülfe gelommenen Ritter, bie
Erftürmung des Städtchens, die Niedermegelung. der ge⸗
fangenen Edelleute fehr lebendig und anfchaulich gefchil-
dert. Pfarrer in MWeinfperg ift mittlerweile Mathias
Häuslin geworden, und unter den Rittern ift auch der
alte, Herr von Kichtenftein mit dem Bräutigam feiner
Tochter; Lepterer wird erfchlagen, Erſterer aber durch
eine glückliche Fügung und mit Hülfe- des, Pfarrers ge-
rettet, und aus Dankbarkeit gibt er feine Tochter Irene
dem ehemaligen fahrenden Schüler, ber fie lange im
Herzen trug und deffen Neigung fie erwibert hat, zum
Weibe. Die Beftandtheile dieſer Erzählung find nicht
neu und die Fabel felbft if, fo oder * ſchon oft dage⸗
weſen, auch haben die Charaktere durchaus nichts Aus⸗
gezeichnetes, Praͤgnantes; aber die Geſchichte lieſt ſich
doch recht angenehm und intereſſirt durch bie Verflech⸗
tung der Schilderung der Scenerie mit gefhichtlichen
nerungen; und auf aͤhnliche Weife find wol noch
ande Srsductionen Baudy's entflanden, beren Verdienſt
weniger in ber poetifchen Erfindung des Ganzen, in ber
per, beſteht, als in der lebendigen, geiſt und geſchmack⸗
dollen und oft wirklich poetiſchen Anwendung der ver-
ſchiebenen Elemente, bie er geſchickt berbeiyugkehen mei —
—E hiſtoriſche Begebenheiten und Merk⸗
würdigfeiten, Gittenzuftände, Gefühle und Leidenſchaften.
Gaudy's Fictionen und Perfonen find im Ganzen mehr
nur die Träger feiner eigenen Empfindungen und Ge-
danken, Miefer Gefühle wie fatirifcher und humoriſtiſcher
Ein⸗ und Ausfälle; feine Charaktere find, wie bied bei
ortſten ſo Hänfig gefchicht, ober minder Cari⸗
* was auch der Dichter ſelbſt wol weiß. „Der
moberne Paris“ z. B. enthaͤlt eine techt ergägliche Dar⸗
ſtellung und Verfiflage moderner Blaſittheit und Affecta⸗
tion, gepaart mit dem hetzlofeften Egeismas in der Per-
fon des Helden, welcher drei Lirbesgätbel anfnüpft und
am Ende als Liebhaber und Bräutigam von Großmut⸗
tet, Mutter und Tochter in peinlicher Verlegenheit da⸗
ſteht; abet fo fehr manche Züge des modernen Paris
nach dem Leben copirt fein mögen, roird doch der ganze
Charakter nicht pigchelogiich anſchanlich gemacht, — wie⸗
wol eb vielleicht zu viel verlangt iſt, einer ſolchen herz⸗
Idfen Larve einen eigentlichen Charakter zu geben; und
(ever erzeugt unſere Zeit ſolcher Larven genug. Un die
Mbogkchteit einer ſolchen Perſon wie die Großmutter zu
gkauben iſt eine etwas ſtarke Zumuchung fin den Lefer.
Wenn indeffen gegen Fabel und Charaktere in ben No-
vellen Gaudy's ſich mande Einwendungen machen laffen,
fo maß man bo den Schiderungen, ben Empfindun⸗
gen und Gedanken, deren Traͤger jene find, Hohes Lob
fpenden; die Befchreidungen von Scenerien mb von
Situationen, bie Darſtellung von Gefühlen, die ernſten
unb humorittiſchen Neflerionen, die man bei ihm teich-
lich finder, find ebenfo lebendig und atifchaulith, ebenfe
marmichfaltig als innig, tief und durch Wahrheit ergrei-
find. Gaudy Hut ſich mit ſcharfem offenen Auge Im
Leben umgefchen, er hat ein gutes Stuͤck Welt kennen
gelernt und ift über viele Slluflonen hinaus; felbft von
einiger Bitterkelt iſt er nicht freizuſprechen, und baber
weiß er die Thorheiten und Verkehrtheiten der Menſchen
im Gtoßen und im Kleinen ſcharf zu geißeiln; Aber es
iſt rührend zu bemerken, wie er dabei doch bie feinſte
Fühlbarkeit des Hetzens ſich bewahrt hat, wie er bie
reinen, die heiligen ‘Gefühle ber unverfälfſchten Natur,
dlie ſüßen, unſchuldigen Erinnerungen ber Kindheit und
Jagend mit ſorgſamſtet Pietät hütet, wie er mit tiefer
Sehnfucht in die veinen Tage der Jugend mit ih⸗
rem träuimerifihen Glück ihrer ahnungsvollen Riebe, ſich
zielkverſezt, wir er das harmloſe Behagen ſolcher be⸗
ſcht ankten Naturen beneidet, bie in einem engen Kreiſe,
einer Schule z. B., fi bewegend, doch in dieſer gleich⸗
föemigen Thaͤtigkeit hr Gluck finden, wie er ſolche Stili-
ichen mit Inkider rare und Sympathie zugleich Im
Gelfte Sean Paulls ſchuvett. Hier weiß der: Dichter
oft Alt den einfachſten "Mitten die eiefſten Galten des
Herzens in Bewegung zu ſetzen, und ſeine Erzaͤhlung
„Jugendliebe“ ift in ihrer anſpruchloſen Einfachheit tief
ergreifend. Überhaupt fpricht es für” die Gediegenheit
von Gaudy's Natur und Gemüth, daß er unter Ver⸗
Yältniffen, welche ber eruſten Sammlung bes Geiſtes,
einer tiefen Auffaffung des Kebens chen wicht günflig
waren, und bei feinse Anlage zu Humor und Satire,
wozu noch eine unleugbare Berfiimmung und Verdüſte⸗
rung feiner Gefühle kam, doch nicht zur Frivolität, zur
Mifanthropte und zum Cynismus fi nieigte, fondern
im Gegentheil einer milden Lebensweisheit, einer auf ge-
müthlichen und fittlichen Ernſt gegründeten Weltanfchau-
ung ſich ‚ und duvch die Beebachtung fe vieler
Thorheiten und Verkehrtheiten im Großen und Kleinen
fih im Glauben an das Wahre und Schöne nicht irre
machen ließ; daß er, den Schulen der Philofophen ziem-
lih fremd, aus ben Erfahrungen bes bewegten Lebens
ſelbſi fi eine wenn auch nit üͤbeeſchwaͤngliche, doch
im beften Sinn humane Philoſophie gründete. Wien
dings waren es weit mehr die Segenflände ber Phile-
ſophie, die ihn, den glücklichen Beobachter, den humoröüfti⸗
ſchen Schriftfteller befchäftigten, ale metaphyſiſche Räth⸗
fel und Probleme, und bie bimten Erſcheinungen bes
wirklichen Lebens boten ihm für feine Federzeichnungen
den erwünfchteften, dankbarſten Stoff, ohne daß er in
die tranfeendente Welt der Ideen aufzufliegen fich ge
drungen Jefkhle hätte; aber au für Das, was nm
bem tiefften Gefühl, ber Ahnung, ber Sehnſucht bes
Menſchenherzens zugänglich ift, blieb ihm, einem echten
Dichter, ber Sinn nicht verfchleffen, und eins der ſchwie⸗
rigſten Themata der Metaphyſik oder der Theolegie,
„Die Ewigkeit“, bat er in einem Gedicht mit bie
Ueberfhrift in Terzinen behandelt. Die Sage, weiche
diefem Gedicht zu Grunde liegt, daß nämlich ein Mönch,
der fein Kloſter verläffen, dem "Belang eines wunderba⸗
ven Vogels mit Entzücken gelaufcht, und als er ne
einet Stunde, wie er wähnte, wieder nach‘ Haufe ging,
Alles verwandelt gefunden babe, weil inzwiſchen nicht
eine Stunde, fondern hundert oder tauſend Jahre ver⸗
floffen waren, diefe Sage iſt auch fonft ſchon poetiſth be⸗
arbeitet worden, aber mol nie fo gluͤcklich wie von Gaudby:
Es tönt hoch aus der Wolfe glockenrein
Ein Klang, wie ſüdwärts ziehender Sihwaͤne Lieder,
Wie SHenfang beim Tanz im Mondenſchein.
Ein Bogel wit goldſchillerndem Gefieder,
Dei Darabiefen farbiged Bunderkind
Senkt auf den Yalmenzweig ſich Ratternd nieder.
Er fing. Seine WBunbertönr find |
Wie wenn der Holsharfe gold'ne Baiten
Mit Ieifem Kuß berührt der Abendwind.
Bald Magend, trauernd, fehnend, ſchluchzend gleiten
Der ZEhne Wellen in & N En a
Bald freudig, wie Verheißung beſſ'rer Beiten;
Bald hoch auffauchzend wie der Bleger Chor,
Ba erzlich feufgend gleich der Mutter Stähmen,
Wenn fie den Sohn, Den einzigen, verlor. -
dieſem Gericht hat Gauby ebenſo fehr Feine
Meiſterſchaft In ber Form bewaͤhrt als gezeigt, weich
— nr
"gen Ausdauer dieſer braven
wer, wab wenn unſer Dichter häufig vorzugsweiſe
Scherz zu huldigen, an bie äußere Erſcheinung bes. bun⸗
sen Lebens mit Worliebe fih zu halten fiheinen mag,
fo aheifiht ber doch die Gerechtigkeit, anzuerleunen, bag im
imerfien Kern feiner Ratur ein tiefer Ernſt wohnte,
den er wol mochte zurücktreten laſſen ‚, aber den er we⸗
ber als Menſch noch ale Dichter je aufzugeben gemeint
war, und der in feinen beiten Erzeugniſſen, aud in de-
wen der heitern Art, durchklingt und das wohltpnende
Gefühl echten Gehalts dem Leſer gewährt.
Die Sachſen in Rufiand. Ein Beiteng zur Geſchichte
bes ruflifehen Feldzugs im Jahre 1812, beſonders im
Bezug auf das Sciäfal dee koͤnigl. fiſ Truppen⸗
abtheilung bei der großen franzöſifchen Armee. Aus
dem Nachlaſſe des eönigt- preuf. 5 Majors von Bur-
kersroda, ehemaligen Offizier des königl. Tan. De Re-
giments Garde du corps n. f. m. Naumbuvg, We
ber. 1846. ©r. 8. 12 Per.
Su Ddiefem Meinen Schriftchen erhalten wir einen nicht un⸗
intereffanten Beitrag zur eſchichte des ruſſiſchen Feldzugs von
einem ehemals ſachſiſchen Offizier und Adjutanten des Generals
von Thielmann, der bekanntlich eine Brigade des unter dem
Befehle des Generals Yatour-Waubourg ſtehenden vierten Ga»
valerie- Referve: Corps commandirte. Die Operationen Diejes
Corps und inshejondere der erwähnten Brigade, welche ſich in
diefem Feldzuge fo vielen Ruhm erwarb,. aber auch faſt gang
Grunde ging, von dem Übergunge über Den Riemen bei
rodnow an bi6 zur Ruͤckkehr zu diefem Pluffe bei Kowno,
werden von dem Berf. ald Augenzeugen in gedrängter uͤberſicht
dargeſtellt und die überall eingeſtreute Mittheilung einzelner
Züge eigener Anſchauung und Erfahrung geben ein fo lebendi⸗
* Bi der heroifhen Aufo spferung . und bewunderung&würdi«
achſen in Kampf und Roth, ba
der Lefer ſich dem Bohne des bereits Längft verblichenen Berf.
Fir bie Beröftentlihung dieſer anfpruchlofen Memoiren dankbar
verpflichtet fühlen. muß Auszüge würden ſehr unpaſſend fein
aus einem Büchlein, das auf jeder Seite anziehende Einzelhei⸗
ten enthält. Rur au einer Keemerfung finder Ref. durch mehre
dieſer Mittheilungen Beranlaffung. Es ift wahrhaft empörend,
wie Kae braven Landsleute, die ihr Blut für die Intereflen
des franzoͤſiſchen Kaiſers 3 während des ganzen Feld⸗
zuot nicht nur durch Vernachlaͤſſigung aller Art von Seiten
r Franzoſen beeinträchtigt, andern uch durch böhnifchen und
brutalen Übermuth derfelben verlegt worden find. Der nom
General Latour: Mauboung gegen unfern Verf. ausgefproshene
Garkasinus über die dem General Thielmann von feinem Koͤ⸗
nige während bes Rüdzugs zu Iheil gewordene Yußgeichnung
fowie das Unzünden einer Ortſchaft von Ion Geiten der Jungen
Garde, welche den Flüchtlingen, die vor ihnen bafelbft ange:
Fommen waren, die Ruhe nicht gönnte, geben neben vielem
Undern für Beides traurige Beigt, Übrigens beflätigt auch
dieſes Schriftchen das große rl id der Rufen während bies
ſes ganzen Feldzugs. Alle Ehre verbleibe dem Patriotismus
und der Japferkeit, welche & e dabei bewieſen haben. Aber wo
die Fig] fo oft, barbietenbe Gelegenheit, den bebrängten ſchwaͤ⸗
eind mit leichter Mühe zu vernichten, fo wie bei dieſem
— ber Framzoſen unbenugt gelaſſen wird, da muß ber
Hochmuth, mit welchem bie Mulfen von dieſem Rrisge au in
dieſer Beziehung gu ſprechen ‚pflegen, ſehr Kcherlich erſhinen.
288
eraflm und -tkeffinnipen Mufgeben fein Talent fen
Biblisgraphie.
Bauer, D,, Seſchichte Deutfchlands und der fra en
Revolution ——* der Herrſchaft Rapolson’s. Ifter Sat Bi
gan Beieben 908 Lunepille. Charlottenburg, Bauer. (Br
Sir. U Rear.
Clorus, 2, Darfiellung ber Veanif n Literatur im Mit:
telalter. Mit einer Vorrede von 3. v Goͤrres. Zwei heile
Mainz, Kirchheim, Schett und Zhielmann. Gr. 8. 4 Zhlr.
Eichbolz, E., Saiejale eined Proletariers. Ein Boll»
buch. Leipzig, Keclam ju 75. Rer.
Sort, €. F. v., Di Töntfigen Heerſtraßen und erh
mer der fdreäbifänen Alp und am Bedenſee. Nach Urchiv.D>e
cumenten und neueren Forſchungen, nit Ruͤckſicht auf das vdrittt
Segment te Peutinger'fchen Tafel befeuchtet. Stuttgart, Koͤh⸗
fer.
Groß⸗ Boffinger, A. 3., Fuͤrſt Metterni und das
öfterreihifge Staats - Syftem. Ein Gutachten. Ifter Band.
Leipzig, Reclam jun. 8. 2 Ip.
Hahn, 2, Geſchichte der Auftöfang der Jeſniten⸗Gongre⸗
gationen in Sranfreich im Jahre 184 Leipzig, Brockhaus
und Avenaxius. Gr. 8. 1 hie. 10 Rgr.
Hegel's Gotteslehre und Gottesfurcht. Seinen vornehm⸗
lichen Gegnern, den theologiſchen, anthropologiſchen und an⸗
—— zur Erwaͤgung geſchrieben. Leipzig, Schmidt.
r.
SerloßfohnE., Die Tochter des Piccolomini. Hiſto⸗
eif@ romantifehed Gemälde Drei Bände. Altenburg, Pieter.
Al. FA
8, Thlr. I 5 Nar.
Sache. ©. G. A., Über Descartes Beben und feine Me:
tbode die Bernunft ei zu leiten und die Wahrheit in dem
Fe ln zu ſuchen. Berlin, Adolf und Comp. Gr. 8.
Sohn, R., Die Geſchichte der chriſtlichen Kirche. Dem
dutſgen Bol Volke gefehildert für Schule und Haus. Leipzig, Feſt.
Sürgenn K., Luther's Leben. Ifte Abfheilung. Luther
von ſeiner Geburt bis aum nd reite. Ifter Band. Leip⸗
zig, Brodhaus. Er. 8. 2 Ahle. 15 Nor.
Kirchner, €., —5 der Dffenbarung Gottes im
neuen Teſtament, in Verbindung mit der Erklärung und An⸗
wendung derjenigen Abſchnitte deſſelben, aus welchen die Vor⸗
—— Pflanzung und Leitung der Kirche Feſu Seil
hervorleuchtet. Berlin, Müller. Gr. 8. 1 Lhlr.
"Rar.
gauer, H., Die Philofophie des Rechts in ihren Grund⸗
PR Ifter She in, Kirchheim, Schott und Shielmann.
— Fi Deutfce Briefe und Sendſchreiben Sn.
einer zeitgemäßen Ausıwa I herausgegeben von Dörin
Ifter an. ı Ifte Haͤlfte. Bei au den Jahren —
Altenburg, Pierer. Kl. 8. 15 Xgr.
— — Ungedrudte Predigten. Aus den Sand griften ber
berzoglüchen Bibliothef zu Wolfenbüttel herausgege
oec. Iſte Lieferung — zu Weimar gehalten. Im
abre 1522. Berlin, — 8. 15 Ser.
Meißner, % u, „Die 5 Babritgerinhte in Fronkreich. Seip
zig, Brockhaus. Br. 8 Rar.
Petri, k. A., Das 2*5 EB aus den Heiligen
on Hannover, Hahn. Gr. 8
Richt Fee * * des Königreichs — 25*8
r un
re
—* * ig, ie
d mälde, oder Bei k des «6
m urban Um Beinen, A, Sn —
BT Ti Re
. B_-._
Erinnerungen; und auf aͤhnliche Weiſe find wol noch
manche Productionen Gaudys entſtanden, deren Verdlenſt
weniger in der poetiſchen Erfindung des Ganzen, in der
Idee, beſteht, als in der lebendigen, geiſt⸗ und geſchmack⸗
vollen und oft wirklich poetiſchen Anwendung ber ver⸗
fepiehenen Elemente, Sie er geſchickt herbeizuztehen welß —
—— , hiſtoriſche Begebenheiten und Merk⸗
wuͤrdigkeiten, Sittenzuſtände, Gefühle und Leidenſchaften.
Gaudy's Fictionen und Perſonen ſind im Ganzen mehr
nur die Traͤger ſeiner eigenen Empfindungen und Ge—
danken, kiefer Gefühle wie fatirifcher und humoriſtiſcher
Ein und Ausfälle; feine Charaktere find, wie dies bei
Humortſten fe bänfig geſchieht, mehr oder minder Cari⸗
caturen, was auch der Dichter felbft wol weiß. „Der
woberne Vario” 4.3. enthält eine techt ergögliche Dar-
ſtellung und Perfiflage moderner Blaſittheit und Affecta⸗
tion, gepaatt mit bem herzloſeften Egeismes in der Per-
fon des Helden, welcher drei Liebeögandel anknüpft und
am Ende als Liebhaber und Bräutigam von Grofmut-
tet, Mutter und Tochter in peinlicher Verlegenheit ba-
fteht; aber fo fehr manche Züge des modernen Paris
mach bem Leben copirt fein mögen, wird doch der ganze
Charakter nicht pigchetogifch anfchamtich gemacht, — wie⸗
wol ed vieleicht zu viel verlangt iſt, einer ſolchen herz⸗
Idfen Larve einen eigentlichen Charakter zu geben; und
leider erzeugt unfere Zeit folder Larven genug. Un die
Moglachteit einer folgen Perfon wie die Großmutter zu
gkauben iſt eine etwas ſtarke Zumuchung für den Leſer.
Wenn indeſſen gegen Fabel und Charaktere in ben No-
vellen Gaudy's ſich manche Einwendungen machen laffen,
ſo muß man doch den derungen, den Empfindun⸗
gen und Gedanken, beten Traͤger jene find, Hohes Lob
foenden; die Beſchreibungen Yon Scenerien und von
Situationen, die Darſtellung von Gefühlen, die ernſten
und humoriiſchen Neflexionen, die man bei ihm teich⸗
Lich finder, find ebenfo lebendig und anſchaulich, ebene
manmichfaltig ale innig, tief und durch Wahrheit ergrei-
fend. Gaudy Hat fih mit ſcharfem offenen Auge im
Leben umgefehen, er hat ein gutes Stuͤck Welt kennen
gelernt und ift über viele Illuſſonen hinaus; ſelbſt von
einiger Bitterfelt iſt er nicht freizuſprechen, und daher
weiß er die Thorheiten und Verkehrtheiten der Menſchen
im Großen und im Kleinen fiharf zu Heißeln; Aber «6
ift rüßrend zu bemerken, wie er dabei doch bie feinfte
Fühlbarkeit des Herzens fi bewahrt hat, wie er bie
reinen, die heiligen "Befühle der unverfälfiten Natur,
die fügen, unſchuldigen Erinnerungen der Kindheit und
FJögend mit forgfatnfler Piece hütet, wie er mit tiefer
Sehnſucht in die veinen Tage der Jugend mit ih⸗
rem träumerifchen Gluͤck, Ihrer ahnungsvollen Riebe, fich
zuclckverſezt, wie er das harmloſe Behagen folder be⸗
ſchraͤnkten Naturen beneidet, bie im einem engen Kreiſe,
einer Schute z. B., fi bewegend, doc in dieſer gleich⸗
förmigen Thaͤtigkeit he Glück finden, wie er ſolche Still⸗
lcben mit illder Zronle und Syinpatkhie zugleich im
Gelſte Sean Baus ſchuvett. Hier welß der Dichter
oft ut den einfach
ſten Micteln die tiefſten Galten des’
Herzens in Bewegung zu fegen, und feine Erzählung
Jugendliebe“ ift in ihrer anſpruchloſen Einfachheit tief
ergreifend. Überhaupt fpricht es für die Gediegenheit
von Gaudy's Natur und Bemüth, daß er unter Ver⸗
Kältniffen, welche ber eräften Sammlung bed Geifes,
einer tiefern Auffaffung des Lebens eben nicht günflig
waren, und bei feiner Anlage zu Humor und Satire,
wozu noch eine unleugbare Berfiimmung und Berbüfte-
rung feiner Gefühle kam, doch nicht zur Frivolität, zur
Mifanthropte und zum Cynismus ſich neigte, fondern
im Wegentheil einer milden Lebensweisheit, einer auf ge-
müthlichen und fittlihen Ernft gegründeten Weltanfchau-
die vieler
ung na
Thorheiten und Werkehrtheiten im Großen und Kleinen
fih im Glauben an das Wahre und Schöne nicht irre
machen ließ; daß er, den Schulen der Philofophen ziem-
ih fremd, aus den Erfahrungen des bemegten Lebens
ſelbſt ſich eine wern auch nicht überſchwaͤngliche, doch
im beſten Sinn humane Philoſophie gründete. Aller⸗
dings waren es weit mehr bie Gegenſtände der Philo⸗
ſophie, die ihn, den glädlichen Beobachter, den humoriſti⸗
fen Schriftfteller befchäftigten, als metaphyfiſche Raͤth⸗
fel und Probfeme, und die bunten Erfeinuugen bes
witklichen Lebens boten ihm für feine Feberzeichnungen
den erwünfchteften, dankbarſten Stoff, ohne daß a in
die tranfeendente Welt der Ideen aufsnfliegen fich ge⸗
drungen gefhit Hätte; aber auch für Das, was nme
dem tieffien Gefühl, der Ahnung, dev Gehnfucht des
Menſchenherzens zugänglich ift, biieb ihm, einem: echten
Dieter, der Sinn nicht verfchleffen, und eins der ſchwie⸗
rigſten Themata der Metaphyſik oder der Thevisgie,
„Die Ewigkeit“, hat er in einem Gedicht mit dieſer
Ueberſchrift in Terzinen behandelt. Die Sage, welche
dieſem Gedicht sm Grunde liegt, daß nämlich ein Möuch,
der fein Kloſter verläffen, dem "Belang eines munberba-
ven Vogels mit Entzücken gelaufcht, und als er neh
einer Stunde, wie er waͤhnte, wieder nach Haufe ging;
Alles verwandelt gefunden habe, weil inzwiſchen nicht
eine Stunde, fondern Hundert oder tauſend Jahre wer-
ftoffen waren, dieſt Sage iſt auch ſonſt fon portifih be⸗
arbeitet worden, aber mol nie fo ‚glücklich wie von Gaudy:
Es tönt hoch aus der Wolke glockenrein |
Ein Klang, wie fübwärtd ztehender Sihwaͤne Lieber,
Wie Menfang beim Tanz im Mondenſchein.
Ein Bogel wit golbſchillerndem Gefieder,
Dei Darabiefes farbiged Bunderkind
Senkt auf den Palmenzweig ſich ſatternd nieder.
Er finget. Seine Wunbertöne find
Wie wenn der Holshatfe gold'ne Saiten
Mit leiſem Kuß berührt der Abendwind.
Bald klagend, trauernd, fehnend, ſchluchzend gleiten
Der Ibne Wellen in IK eures un en
Bald freudig, wie Verheißung beſſ'rer Seitens
‚Bald hoch auffauchzend mie der Steger Eher,
Ba mie feufgend gleich der Wutter Stöhmen,
Wenn fie ben Sohn, ben einzigen, verlor. -
dieſen Gedicht Hat Gaudy ebenfo Fehr feine
M aft In ber Form bewaͤhrt als gezeigt, welch
REZIETEO
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wie unfere biuven amnvonm: mus un uses
De Far Raifers verfptigten,, 353 Bed ganen Bei
nur durch Bernacläffigung aller
—— — beeinträchtigt, fondern aud durä, —X und
brutalen u derfelben verlegt worden Der vom
General Latour: Mauboug dee unfern Be aus, erden
Sarkasmus über die, — neral Thielmann "von Kam Ks
FR8 ganzen Reldgugs.
und der Tapferkeit, „Ei dabei — haben. do wo
Die Ad fo oft barbietende Gelegenpeit, Den bebrängten fhwäs
gern Zeind mit leichter Mühe zu vernichten, fo wie bei diefem
A De Bere —X ee wird, da PA ur
„, mit welchem m von biefem Sriege a
dieſer Beriehung gu ſprechen pflegen, ſchr Laächeriich eriheinen.
Augen. per ayeu. wmuing, Sitwwyrun, wıyur unv aymınunn.
&. 8. 1 Spt. 5 Ror.
—8 een M., Deutfpe Briefe und Sendſchreibe
au 12 eb Diri Mn.
Ifter An Ifte win Sapın Rı —E
Mitenburg, Yire. Kl. 8. De Ri
edruckte Pre) "us den Handſchriften ber
erg 8 vn Bird zů pe Fenbüttel Hevausgegeben von MB
ER BE Er de
R n ı 9.8, Di ii te an
ie, ei mern * v an in Bei
aus den Halligen
der Seit achten, een won I Deiders. Leipzig,
Feſt. Gr. 12. * I ,
Schmidt, E. Schule der vun in biographiſchen
Umriffen. Berlin, Simion. 8. 1 Thir. 10 Rgr. ,
chott, W., Über den Buddhai in Hochasien und
in China. Berlin, Veit und Comp. Gr.4. 1Tbir. 10 Ner.
Schücking, 2, Die Nitterbärtigen. Roman. Drei Theile.
"Beipzig, Brockhaus. Gr. 12. 4 Ahlx. 15 Nor
GSuckow, 8%, ABC evangeliſcher iechenverfaffung.
BSreslau, Goſohorsky. Br. 8. 1 Thle. 20 Nor
Wackernagel, W., Altfranzösische Lieder und Leiche
sus Handschriften zu Bern und Neuenburg. Mit gramma-
tischen und literarischen Abhandlungen. Basel, Bohweig-
hauser. Gr. 8. 1 Thir. 10 Ngr.
Zagesdliteratur
Alberti, J. G. Der Stand der Aerzte in Preußen. Ein
hiſtoriſch⸗kritiſcher Verſuch, mit Beziehung auf die bevorſtehende
Meform des preußifchen Medicinalweſens. Leipzig, Brodhaus.
GR. 94 Sur. ſch zig, ckh
8
Anſichten eines Unbefangenen über die Reduction ber ſte⸗
en Deere und die Einführung zeitgemäßer Volkswehrver⸗
affungen. Adorf, Verfagsbureau. Br. 8. 10 Nor.
Die Befchwerdevorftellungen der Mitglieder der proteſtan⸗
- tifchen Generalfynoden in Bayern vom Sabre 1844 und die
hierauf ergangenen allerhöchften Entfchließungen. &t.- Gallen,
Huber und Comp. Br. 8. 15 Rar.
Blochmann, 8.3, Heinrich Peſtalozzi. Züge aus dem
Bilde feines Lebens und Wirkens nady Selbflzeugniffen, An⸗
[danungen und Mittbeilungen. Leipzig, Brodhaus. Gr, 8,
pr.
Caspari, W., Die neue Heimath. Gericht. Berlin,
Oehmigke. 1845. 8. 2%, Ner.
Columba, ©., Seid flarf in dem Herren und in der
Macht feiner Stärke! Ein Wort an das deutfhe Volk und bie
en Fuͤrſten. Göttingen, Vandenhoeck und Ruprecht. Gr. 8.
, Ror-
Denkſchrift der Fönigl. Handelöfammer zu Köln über bie
Beförderung der Schifffahrt des Zollvereins. Köln, Du Mont-
Schauberg. Br. 4. 3%, Rur-
Dietlein, W. D., Das Neid Gottes. Kine Biblifch-
theologifhe Erörterung, mit Deyesung auf die Kirchenfrage.
Berlin, Müller. Gr. 8. 12%, Nor.
Eberty, ©., Schugichrift für Guſtav Adolph Wislicenus
‚gegen die Anſchuldigung der Abweichung von ber Lehrbafis der
‚evangelifchen Kirche und von der kirchlichen Ordnung. - Alten-
burg, Helbig. &r. 8. 12 Kor.
Sagern, 9.8. Freih.v., Zweite Anſprache an bie beutfche
Ration über die Firchlichen Wirren, ihre Ermäßigung und mög:
lichen Ausgang. Leipzig, Brodhaus. 8. 15 Nar.
Halſchner, H., Die preußifche Berfaffungsfrage und bie
Politik der rheinifchen ritterbürtigen Autonomen. Beranlaßt
durch: „die Verfaffungöfrage von C. ©. N. Rintel.“ Bonn,
Marcus. 10 Nor.
Jörg, 3. G., Beleuchtung der für das Koͤnigreich
Sachſen beantragten Reform der Medizinalverfaffung. Leipzig,
Brockhaus. Gr. 8. 8 Nor. .
Käuffer, 3. © R., Laßt uns durch an Wandel zei⸗
gen, Daß umfer Bol für eine angemeßnere Berfaffung der evan⸗
geltſchen Kirche nicht unmündig fei. Predigt. Dresden, R.
und W. Kori. ®r. 8. 3 Nor.
Keber, C. M., Die Koloniſations⸗Geſellſchaft in Könige:
berg zur Gründung einer deutfchen Kolonie auf Muslito in
Mittelamerita. Königsberg, Boigt. . a Rgr.
Kell, 3., Die deutfche Volksſchule an die evangelifihe Con:
fereng zu Berlin. Grimma, Verlagscomptoir. Kl. 8. INgr.
Verantwortlicher Heraugeber: Heinrich Brock aus. — Drud und Berlag von F. E. Brockhaus in Leipzig.
Luther's, M., Letzte Predigt, aber Matth. 11
4: zu Eisleben am 14. Febr. 3% | und
extäutert von E. H. Pfeilſchmidt. Leipzig, NRenger. Gr. 8.
r.
= — Zeftamente aus den Jahren 1537 und 1542, nebt
urlundlichen Nachrichten über des letzteren Vollſtreckung im
Jahre 1346 und über Luthers Wittwe und Kinder. Mitge-
the om 8. ©. Förftemann. Rordhauſen, dJoͤrſtemanm.
. er.
— — Bermahnung zum Sakrament des Leibe und Blu⸗
tes unfess Seren, nebſt einer Burgen Nachricht von feinem Tode,
— von ©. W. 8Seidler. Stade, Schaumburg. 8.
4 NIE. ’
Mengert, A. F. ©, Dr. Mart. Luther's Tod und Leis
henbegängniß in den Zagen vom 18. — 22. Februar 1546.
Kürnderg, Raw. 8. 21% Roer.
Reumann, P. Die Refsrm des Judenthums zu Berlin,
beleuchtet. Berlin, Wohlgemuth. Gr. 8. 3 Nor.
Bafig, 3 2., Dr. Mart. Luther's legte Lebens Tod
und Begraäbniß. Mit dem Bildniß Luther's im Tode. 2te un-
veränderte Auflage. Leipzig, Grunow. 17 Nor.
Preudter, R., Stadt» und Dorf: Jahrbücher (Orts⸗
Chroniken) zur Förderung der Baterlandsgefchicgte und eines
‚regen Sinned für bes Ortes Gedeihen, nach Rugen und Ein-
Fihtung geſchildert. Leipzig, Priedlein und Hirfh. Gr. 8.
I Nor
Ried, E., Über Arbeit, Capital und Affociation, mit bes
fonderer Beziehung auf unfere Gewerbs⸗Induſtrie. Hannover,
Gab. * 8 2% N tat
ofenfranz, K., Peſtalozzi. Rede zur Keftfeier feines
100jährigen Geburtstages am 12 Januar [346. —Se
Graͤfe und Unzer. Gr. 8. gr. |
Saalſchuͤtz, 3.2, Hauptprincipien bei Entwerfung einer
zeitgemäßen Liturgie für den israelitiſchen Bottesdienft. Ein
amtiches Gutachten. Königsberg, Gräfe und Unzer. Br. 8,
gr.
Schufelfa, F., Die neue Kirche und die alte Politik.
2te Auflage. Leipzig, Weidmann. 9. 1 Thlr. 15 Nor.
Der Schwanen: Orden. Worte eines Preußen an feine
Zeitgenoflen. Leipzig, Schmidt. Gr. 8. gr.
Stamm, 8. 2, Die St. Ludgerifeier zu Helmftedt am
18, September” 1845 nebft Hiftorifchen Nachrichten und den bei
ber Beier gehaltenen Reden. Helmftedt, Fledeifen. 1845. Sr. 8.
gr.
Stern, W., Antrag auf Slaubensfreiheit. Geſtellt in der
2. badifchen Kammer von Dem Abgeordneten Pfarrer Zittel;
beleuchtet mit Hinblid auf verwandte Bewegungen und Forde⸗
rungen der Beit. Karlörube, Madlot. Gr. 8. 3 Nor.
Theremin, F., Der Sieg des Glaubens über die Welt.
VPredigt. Berlin, - Dunder und Humblot. Gr. 8. 21/, rar:
5.
— — Tagebuch während einer Reife im Sommer
Berlin, Duncker und Humblot. Gr. 8. 3%, Rgr.
— — Die Berherrlihung der Menfchheit dur Chriftum.
Rede am Krönungs: und DOrdensfefte den 18. Sanuar 1846.
Berlin, Dunder und Humblot. Gr. 8. 24, Nor.
Tholuck, A., Sechs Predigten über religiöfe Beitfragen,
gehalten im afademifchen Gottesdienfte der Univerfität Halle im
Binter 1815/46. Halle, Mahlmann. 8. 10 Rer.
Das gute Werk der Union gegen des Predigers Claus
Harms in Kiel Erklärung „iner wider fieben und achtzig”“,
vertreten durch Dr. Eylert, evangeliihen Bifhof und Hofr
prediger zu Potsdam, und W. Ionas, Fönigl Geh. Revi⸗
fionsroth zu Berlin. Potsdam, Stuhr. 1845. ©r.8. 5 gr.
Wolff, D., Zum 18. Febr. 1846, dem 3Vjährigen Ge
denttage des Todes Dr, Markt. Luthers. Eine Erinnerungs:
ae aus den Quellen zufammengetragen für den evangeli:
fhen Bürger und Landmann. Grünberg, Weiß. 8. 8 Nor.
für
literariſche. Unterhaltung. —
Donnerstag,
Erſter Artikel.
Unter dieſem Titel iſt ein Buch erſchienen, welches
nicht mit Unrecht ein politiſches Ereigniß genannt wer⸗
den kann. Daß es im Allgemeinen Bücher gibt, welche
in die politiſche Gegenwart eingreifen, auf Stimmung
und Entſchließung dergeſtalt einwirken, ſodaß man ihren
directen Einfluß auf die Geſtaltung des Moments klar
und unwiderſprechlich nachweiſen und ſie daher auch nicht
blos auf wiſſenſchaftlichem Gebiete wegen ihres innern
Gehalts, ſondern auch auf dem Felde der praktiſchen
Politik wegen ihrer äußern Folgen als ſtaatliche Ereig-
niſſe betrachten muß, das wird Niemand in Abrede ftel-
len, der namentlich bie moderne Gefchichte im legten
Jahrhundert verfolgt hat! So z. B. war die berühmte
Brofchüre des Abbe Sieyes „Qu’est ce que c'est le
tiers Etat?’ gewiß ein folches Ereigniß, von fo birectem
Einfluffe auf die Stimmung und Überzeugung bes fran-
zöfifchen Volke, daß fie den Namen eines politifchen Er:
eigniffes verdiente; denn es ift fehr die Frage, ob ohne
diefelbe Richtung und Bang der franzöfifchen Revolution
fo raſch und fo beſtimmt auf ein klares und feftes Ziel
Hin gemefen wäre. Die 84 Thefen Luther’6 waren ganz
gewiß auch mehr als ein blos literariſches Ereigniß, wel-
ches nur mittelbar und erft nach langen Umwegen, nad):
dem es einzelne Chriften erft in der Stille bearbeitet hat,
uf die Entfchlüffe und Thaten der Menfchen einwirft.
Auch das Becker'ſche Rheinlied und den Ronge’fchen
Brief dat man nicht mit Unrecht als folche politifche
&reigniffe, wenn auch nur in kleinerm Mafftabe, be-
trachtet. Sol ein Buch jedoch folhe Wirkung auf bie
unmittelbaren politifhen Entfcheidungen der Gegenwart
ausüben, fo muß es vor allen Dingen zwei Eigenfchaf:
ten als erfle Erfoderniffe befigen, die man von einem
Werke, melches blos zur Befruchtung literarifiher Kreife
vorzugsweife beftimme ift, nicht in dem Grade foberk:
es muß zuerft gerade im rechten Augenblicke erfcheinen.
Es muß eben den- Moment treffen, mo bie Gemüther
für feinen Zweck vollkommen vorbereitet und aufgefchlof-
fen find; es muß fruchtbares Wetter fein, fobaß die Saat
urplöglich. keimt und aufgeht. Sodann aber muß «6
, |
9. April 1846.
auch in der vollftändig geeigneten Form, ich möchte fa- .
gen, vollkommen mundgerecht in die Zeit hineingefchleu-
dert werben, ſodaß es von Sedermann auf der Stelle
goutirt und verbaut werben Tann. Fehlen dieſe beiden
Eigenfchaften, fo kann ein Buch ganz biefelben Wahr-
heiten enthalten, es Tann ‘fie vielleicht unendlich tiefer
begründen, beimeitem umfichtiger und vollftändiger aus-
führen, und es wird doch nie jenen unmittelbar directen
politifchen Einfluß erlangen, ben ein Werk erobert, wel-
ches an miffenfchaftlichem Werthe vielleicht weit Hinter
ihm zurückſteht. Eben in diefen beiden Eigenfchaften
liegt vorzugsmweife Die Bedingung und der Werth politi-
ſcher Tagesfchriftftellerei.
Dbiges Buch nun wirkt allerdings nicht auf fo aus⸗
gebehnte Volkskreiſe und fo elektrifch, dag fein Inhalt
die ganze Nation von oben bis unten durchzitterte. Ein-
mal ift es ein ziemlich dider Ockavband, und da bie
Mehrzahl der Menfchen heutzutage nur noch Brofchüren
und Zeitfchriften, keineswegs aber ausgedehntere Werke
fteft, fo wird fie auch von diefem Buche nicht unmittel-
bar berührt. Sodann aber ift es auch in einem feinen,
hochgebildeten Stile gefchrieben, iſt, wenn auch nicht ab⸗
ftract gehalten, doch reich an Gedanken mit tiefern
| Wahrheiten, welche nicht nur angedeutet, fondern aue-
führlich auseinandergefegt find, an Gedanken und Wahr-
heiten, die fic) miteinander verbinden und untereinander
vielfach verfchlingen, ſodaß ſchon eine gewiffe Fähigkeit
zum zufammenhängenden Denken und Leſen vorausge⸗
jegt wird, um es vecht auf fih einwirken zu laffen.
Das ift der zweite Grund, weshalb es nicht wol un»
mittelbares Eigenthum bes ganzen Volks werben fann.
Auf der andern Seite aber fommt es für den behan-
beiten Gegenftand fo fehr A propos, bei aller, Entſchie⸗
denheit und allem Feuer der Gefinnung fpricht es fi
in fo eleganter, taßtvoller Form aus, ohne alle Eden
und ohne die minbefte Verlegung bes feinften Anftandes;
es trifft fo vollfommen das rechte Maß zwifchen abftrac-
ter Philofophie und zwifchen praßtifher Wahrheit des
gefunden Menfchenverfiandes, neben grünbliher Den».
fungsweife offenbart es fo viel Welt: und Menfchen-
kenntniß, Bekanntfchaft mit der Wirklichkeit und den be-
ftehenden Verhältniffen, daß es ‚auf die Kreife der Di-
plomatie und der höhern Staatemänner, in melden bie _
⸗
21
CEntſcheidung der auf dem Titel angegebenen Frage in
Diefem Augenblicke ſchwebt, vorzugsweiſe berechnet und
für dieſelben recht eigentlich gemacht zu fein ſcheint.
Und in dieſer Abficht hat ſich der Verf. denn auch nicht
getaͤuſcht. Seit langer Zeit 3 kein Buch in ng} *
“ Krfiſen yreußiſchen Heamtenwen eine ſelche
— ch Es ift ber ſtehende Gegenftand der
Converſation geworben; wer ——— Ban Fir
eufiiche Verfaffungsfrage” von einem ‚eicher gelefen
— Kein Gefandter, fein Minifter, fein Mitglied
des Töniglichen Haufes, der nicht Notiz davon genommen
Hätte. &8 hat die Beifter auf merkwürdige Weife eben
in jenen Kreifen erregt, die fonft fo felten durch litera-
riſche Probucte bewegt werden, fondern vielmehr gewohnt
find, mit einge gewiffen mitleidigen Wesähtfichteis anf
"pofififcpe Werke über ahgemeige Fragen berabjubliden.
Zür diefe reife hot es eben den rechten Moment far
inpf gle Dig redte Form getzaffen, unb ba, leider, ven
. bes Stimmung in biefen reifen eg no fo ziemlirh ale
Tein abhängt, wie die politiſchen Würfel uber dad Schid-
fal Deuttilands fallen werden, fo ann man es mit
vollfiem Werte, mie wir es eben gerhan haben. ein pn
Niifches Greigniß nennen.
Ich faun nicht umbin, hier beiläufig auf die bedeaut ·
Thatſoche —* au maden, wie auffallnd
ig ben jn den Beamtenkreifen die Stimmung in Be-
zug auf diefe wichtigfte Frage der Gegenwart, über die
Berfaffungsfrage, feit einigen Jahren geändert hat. Un«
ter der (rät Regierung des verfkorbenen Könige mar
f&on die Teifefte Hindeutung auf bie bloße Möglichkeit
&iher zeiflndifßen Verfafung völig geachtet. Ge gab
gewiß nur ſehr wenige Beamte, bie im Herzen eine Nr
im bafür gehegt hätten, aber noch wenigere, dic den
uth befaßen, diefe Neigung offen einzugeftchen. Pie
Soche ſchien damals für diefe Herzen völlig erledigt zu
fein; die Frage war entſchieden, und zwar unbedingt
verneinend. Der König wollte feine Verfoffung, und
die mädhft Ihe einlufreiäften Pefonen des Staats wolk
s
ten ebenfalls feine Zefeflung, Das wußte man gewiß,
und bei der eigenthümlichen Richtung, bie der preuͤßiſche
Beamten! d in Beriehung auf alle höhern Lebendftg:
ga, fie feien num möralifcher, politiſcher oder seligiöfer
lafur, "einmal in Preußen genommen hat, war, 44 ga:
gben herab au⸗
efamynten Bag
be Etſcheinuns in
Fra —
er gewiß
n und Tebäobige
asgenüher bei, Dem
„Waren, am verig ·
ieſes an ad auf,
‚Ob. anf der, Shan:
8% wollen pi hier,
vurde al
8. YO: IHN CE
igt,
um DR auf mög:
lichſt geiſtreiche Weiſe zu begründen. Es mag wol fein,
daß Viele bei diefem Gebahren aufrichtigen Herzens wa-
en. Bei der großen Mehrzahl jedoch Tönnte gar leicht
eine freiwillige Selbſttaͤuſchung flattgefunden haben. Man
occupirte nachtraͤglich gas gern eine Xheorie, um fih im
den Augen der Welt ud vor feinem eigenen Gewiſſen
zu entſchuldigen. Mar Mammerte fih mit angſtlicher
Dankbarkeit an Grundfäge an, welche freundliche Hof-
publiciften fo gütig waren für das tägliche Leben zur
Rettung des £ . Dem fei nun aber
wie ihm wolle, fo viel ift gewiß, daß damals in ben ge«
ſellſchaftlichen Kreiſen der Beamtenwelt die Frage von
einer preußiſchen Verfaffang nicht leicht aufgemorfen wer»
den konnte, ohne daß fich nicht Jedermann pflichtſchul -⸗
disft beireujigt Hätte, gleitwie wen von dem feibhafti-
gen „Wort fei bei und“ bie Rede fei. Wer im entfern-
ten Geruche ftand ein Verfaffungsfreund zu fein, wurde
geflohen und gemjehen wis ein Berpefteter, von dem
man ſich nicht weit genug entfernt halten lann. Er war
mit einer levis nota behaftet; die älteſten Freunde er⸗
innexten ſich nicht mehr ihm jemals gekannt au haben,
und auf feine künftige Carriere ‚hätte Niemand ihm eir
hen en vargef@afen. Seine Attien flanden fehr
lecht.
Das bat ſich nun auf eine quffallend merkreuckige
Weiſe in den legten Jahren geändert. Selbſt als der
jegige König zur Regierung kam und der Wunſch
und die Überzeugung für eine preußifche Repräfentetin- _
verfaffung in den ührigen Kreiſen des Volks wenigſtens
ſich immer deutlicher und lebhafter auczuſprechen begann,
dauerte es immer nad) geraume Zeit, bevar das verpoͤnte
Wort in den eigentlichen Beamtencirkein genannt wer⸗
den durfte. Allmälig jedoch wurde es auch in biefe ein
geihmuggelt ; anfangs watuͤrlich mit großer Vorſicht und
Heimfichkeit. Man raunte es fih nyr in deu vertvau ·
teften Kreifen in die Ohren. Rach und wach bänmere
| iedocd) die inftinstartige Ahnung immer muche und mehr
auf, daß eine Werfalfung für Praugen doch wog wicht .
| fo ganz entfemt fein möchte, üb daß es vielleicht am
| der Zeit fei, allmälig einen auſtaͤndigen Rüdzug für feige
Berfpn. varubereiten, Die alfelut «royalifliigen hen
| rien wurden mit wenigen SJunerfüs. vorgetragan, oder
verſtummten mol auch gayg. Hier und da Haß man im
Gefpräce Durchhlicen, dag ſich für eins Berfaffung dad
Wanges fagen Unfe, und dag, in dam gl Bahrgieifk
dee Stanssmagen ich wur nad: mit Mühe fortbemegen
Üefe. Es wäre vun fehr umart gamelan, wenn man om
ühere gatſchiedene Außerumgen. in entgsgeagefeptem
Ainng erinnert hätte, In biefer Beziehung Ieiden hie
weißen Menihen an geafien Gerähknipfhnäne,
welongen quch von Anden, daß fie fein Immerce Ge
dachtng hakay fallen, Richts macht. ſich leichter ala fal-
Gr filkämeigpube allgemein, Canvantien, über das Ber
gangene, ebem meil Die Meiltey; uemelich. gieichviel Verg
a Ren Roch
n Roden haben, was mach teeikes: Di
' menshlihe Schwaͤge und Grbänmlishfehk, nie ” &
and, hier mh, hrrifep Stien alas ein. venhällend
den vor.
gewiatt gezeigt hat, weiter außmalen? ESs geningt die
Xhatfade, daS felbft in der Beamtenwelt von Tag zu
Tag mehr eine gewiffe Unentſchiedenheit, Fr gewiffes
Dianeigem zu der früher verbotenen
A diefe Burfläsbe fepwantenber, politifcher x
gen umter den Beamten fiel num piötlich dieſes Buch
eines Öftreihers über die preußtfche Berfaffungsfrage
hinein. Gin Bud), welches das Alles Bar, entſchieden
und in der verſtaͤndlichſten, angemeffenften Form aus-
ſprach, was mehr oder weniger ein Jeder im Innern
für wuͤnſchenswerth oder zuträglich hielt, ſich felbft aber
oder Undern wegen mangelnder Innerer und äußerer
Sicherheit noch micht recht einzugefichen wagte. In die-
fer Besichung haben wir das Buch ein politiihes Er-
eigniß gewannt ; es war eben für bie höhern Beamten.
kreife geſchrieben und fand einen wohlvorbereiteten Bo-
Es brachte, wie man zu fagen pflegt, die
Frage zum Abſchluß. Es Hatte ſich jept Jemand ger
funden, der volfftändig und gründlicher und dreifler ale
man fich feibft zutraute, bie eigenen Herzenstoimfhe laut
ausgefpredhen. jegt konnte man auf eine Autorität pro
vociten, auf eine Autorität, deren die meiften Menfhen
ja nun einmal bedürfen, wenn fie ſich zu einer Überzeu«
gung beiennen follen. Man brauchte auch nun nicht
fest mehr in feurigen und beredten Worten feine Grund-
füge auszuführen, eine Sache, die man theil® nicht ver«
ſteht, theils für bedenklich hält; man brauchte nur ein-
fach auf diefes Buch Hinzumeifen. „Haben Cie den
Öftreicher gelejen®" Diefe mit fhlauem, vielfagendem
Lächeln ausgefprochene Frage ift bie plöglic aufgefun-
dene Bundesformel, das Grfennungszeihen geworden,
womit fid) die verfaffungsfreumblichen Mitglieder ber
preufifchen Beamtenwelt von nun am zuwinken. &o-
wis man fonfl zu fagen pflegte: „Rom hat gefprodyen”,
fo fagt man jept: „Der Oftreicher hat gefpredgen“, und
Tieren KH p Ay die Antwort ride ſchwer zu geben.
Es kaun einig und allein nur die herrichende Bote der
Vareaubratie fein.: Es ifi daher ganz gewiß ein bebeut«
fomes Reichen der Zeit, daß feihfi Biefe ſich einer Ber-
fatgung zuneigt. Wie möchte ein Zuftand noch länger
aufhalten fein, für — Einführung ſich felbſt der
wirkliche und natürliche Gegner earklaͤrt Wir ha ·
ben hier alſo wieder dieſelbe Erſcheinung, die ſich bei je⸗
dem Umwandlungsproceſſe in ber BWBeltgefcichte wieder ·
halt. IE der befichende Zuſtand einmal mit den geifli-
gen und materiellen Bebinfniffen. ber Mitlebenden völlig
unvereinbar, widerſpricht ‘en Mar und entſchieden der ethi-
ſchen Bildung der Gegenvart, fo fühlen ſich zuletzt felbft
Diejenigen in ihm unbehaglich 5 arbeiten Darauf hin
ihn bei Seite zu ſchaffen, die au den durch ihn Bevor ·
I
Bios en Blicke noch einigen von
demfelben zu ziehen fegeinen. Sobald aber ferdff diefe
unficher, unzuhig und umgufsieben werben, fe fällt die
Iegte Stäge, und das re ift nicht m
Es wäre auch ſchlimm, wenn die Verbeſſe
Theils der Mitiebenden immer nur auf
andern Glaffe bewerkſtelligt werden könnt
es geimdliger unterfucht, fo gewinnen In
Theile, denn ber Verluſt unzeitgemäßer I
Vorrechte ift Fein wirklicher, reeüer Verlu
den Inhabern ſelbſt nicht mehr zur Be
zum wahren Wohle gereichen.
(Die Bortfegung folgt.)
Der Papierdradie. Jean Paui's legte
des Dichters Nachlaß herausgegeben voı
fier. Zwei Theile. Frankfurt a. M., |
Halt. 1345. 8. 2 Thlr.
Den förifefteterifgen Nachlaß eines bedeı
% ordnen und zu veröffentlicgen ift immer e
Nhmnieriges Seſchaͤft; um fo ſchwieriger, je bedeu
if. Der Hi ‚Serausgeber von Jean Paul’ Rach
denfalls die Anerkennung, daß er die ihm ger
weder übereilt nodp mit der folden Arbeiten
haftenben Leichtfertigkeit abgethan hat; Ernſt
Mann, der die innere Befähigung zu derartige
haupt befigt, und daß er zu der borliegenden
Schwiegerfohn ebenfo berechtigt als berufen n
Frage 1. Ein kurzes Vorwort belehrt uns,
vorliegenden Bändchen nur eine Auswahl aus
piervorrathe Jean Paul’s enthalten, an weld
nad) des Verfaſſers Andeutungen bie ordnende
ohne jedo ein innerlich zufammenhängendes
BVorhandenen zufammenftellen zu fönnen. Hier uno va gar ver
Herausgeber erkläcende Anmerkungen und Hinweifungen auf
Berwandtes fparfam hinzugefügt. &o ann, wenn "Die Berause
gabe biefer Blätter eimmal Rattfiuden foUte, die Art und Weife,
in welcher fie erfolgt, nut gelobt werden.
Es Liegt aber dem ganzen bier Gebotenen ein gemeinfamet
von Jean Paul herrührender Plan zu Grunde, den eine kurze
dritthafb Jahre vor feinem Tode verfaßte Borrede aus|
Sie beginnt: „Endli muß ja mein legtes Werk geſchrie ⸗
bem werden, daß eben unter diefem Zitel feer ode oder vieleicht
unter dem andern vom Kometen angekündigten: pen
drache⸗, oder wol unter beiden Titeln, in ode |
in der weiten Form einer Wochenſchrift wie 5. B. En per
Ufgpe_ Sufchauer » einen kt. "Und ferner: „In di
feuheteingende — zit [up Alles hineingefchrier
m werben, was id nur ek komiſchen —
Benerfan jen über —X un an und allen Satan und
feine Großmutter, und don vati fen * philofopälfgen an·
fchten, ja von aufbewahrten & wsb Kähtungen nur im
Pulte und im Kopfe vorräthig befetberge; — ein Wahres ums»
gefürues Frucpthorn, bei dem das unter bem fü —5 — Le
ben noch nachkommenbe Fallobſt gar nit einm gejchlagen-
wird, woraus vollends a Länge des et jen, don
welchem ber fegte Bogen je. Faum ab; Er er var nun, ee A
nicht zu leugnen, daß eigentlich alle
allen Borzügen, die fe befigen, dad einen en Paul
entbehren und nad; Der ganzen Ratur ihres Un 6 enibeh⸗
ren — deſſen Abweſengeit — fogar einen neuen Reig
verfeißt, id) meine den — jet art —
En! ‚er Ducchbildun, ffenen Ganzen:
es wol Ir Sweifel fein, > die: in dem * dam
Yaut bei „Payierdradhen‘” noch weit mehr hätte, hei
vortreten Beim adden, IR und KA jet | ba a
find, entfchieden vorherrſcht. Es Liegt dies fo ganz in der Ra»
tur der er daB von einem darauf gegründeten Tadel ge:
gen den Verf. natürlich gar nicht die Rede fein kann, und auch
gegen den Herausgeber würde ein folcher nur infofern auszu⸗
fprechen fein, ald das von ihm Beröffentlihte an ſich unwerth
oder unreif erſchiene. Es wird alfo der Inhalt des hier Ge⸗
botenen etwas näher anzugeben fein.
Erſter Band. Erftes Stüd. „Lepter Wille Was für
Säge nach meinem Bode jährlich follen erwiefen werden und
was ich dafür teflamentariich legire“ gehört zu den Abſchnitten,
in weldhen wir Scan Pauls Wig, dem er die ganze belehte
und unbelebte Welt dienftbar macht, bewundern, ohne jedoch
irgend einen Haren und bleibenden Eindrud von dem Ganzen
zu erhalten. — Zweites Stud. „Zwoͤlf Schwanzfedern. Be:
merfungen über uns närrifche Menſchen“ enthalten unter ver:
fchiedenen Überfchriften einen Reichtum an einzelnen Gedan⸗
Ben über bürgerliche, fittliye, gemüthliche Zuftände u. dgl. m,
die zum größten Zheile durch Eigenthuͤmlichkeit und faft mehr
noch durch tiefe Wahrheit ergreifen. — Drittes Stüd. „Freu⸗
denbüchlein. Die Kunſt ſtets heiter zu fein’ iſt ein fchöner und
klarer Ausdrud der Sittlichleitslehre, wie fie Sean Paul auch
fonft vorträgt; es fchließt: „Nur halte man nicht Genießen
für Freuen! Denn man kann einen feligen feligften Tag haben,
ohne etwas Anderes dazu zu gebrauchen als blauen Himmel
und grüne Prühlingserde und — wenn es hoch fteigt — ein
Almofen, das man gibt." — Viertes Stück. „Die bairifche
Kreuzerlomödie. Erſter Theil” enthält folgende drei Scenen:
„QAbgefchriebenes Avertiffement des Gntrepreneurs des Prügel-
Bureau’; ‚Die Rede, worin der Teufel auf unferer Maskerade
binlänglidy dargethan, daß er gar nicht exiſtire“; „Des außer:
ordentlihen Profeſſors Vorleſung aus dem Staatsrecht über
die Krönungdfeierlichkeiten”. Auch bier berrfcht der formale
umor dermaßen vor, daß man kaum den Kern eined wahren
nhalts herausfinden kann; am meiften dürfte dies noch der
all fein bei der zweiten Scene, welche manchen ungefchicten
Eregeten und Philoſophen treffend perfiflirt. — Fünftes Stud.
„later aus dem Tage- und Kebensbuhh”, ohne große Be:
eutung.
. Bweiter Band. „Dedication an Chr. Otto.“ — „Der
bairifchen Kreuzerfomödie zweiter Theil” enthält: „Zwiſchen⸗
fpiel des Harlekins“, „Thiere nebft ihren Kabeln und Mora:
len”, „Rothdringliche Defenfion für I. Kraus Me;ner, der
im Kloftergeriht zu &. durch den Strang vom Leben zum
Tode gebracht worden, wider die attentirte und vollführte In:
quifition Punkto Straßenraubs”, „Vorſtellung des Entrepre:
neurs der biefigen Bordelle an das Dberpoliceiamt gegen die
einreißenden Liebfchaften und Ehebrüche“, „NRachfpiel: meine
lebendige Begrabung“; der zweite, dritte und vierte Diefer Ab: '
fepnitte werden von allen Berehrern Jean Paul's gewiß hödy-
lichſt willlommen geheißen werden. — Von dem übrigen In-
halte dieſes Bandes enthalten die Abfchnitte: „Schmerzlicher
Tod einer guten Gattin und Mutter vor dem Traume eines
redlihen Zreundes”, „Stammbuchblätter", „Gedankenfluͤge in
auffteigender Richtung”, „„Derzblätter und Schwungfedern“,
ehreide Belege für das tiefe und reiche Gefühl ihres Urs
ebers.
Beiweitem das Bedeutendſte ober in der ganzen Samm-
lung dürfte der Auffag „Wider das Überchriftentbum” fein, da
er in dem engften Zufammenhange mit den religiöfen Bewe:
gungen unferer Zage fteht. Jean Paul erfcheint bier durchaus
als auf dem Standpunkte unferer Lichtfreunde ftehend, nur mit
dem Unterfchiede, Daß dieſe ald allgemeines Voiks- und Ge:
meindebewußtfein hinftellen und fodern, was jener mehr als
fubjective Überzeugung ausfpricht und durchaus auch auf den
Kreis des einzelnen Subjects zu befchränten ſcheint, fodaß er
die Kirche in ihrem ganzen Wefen unangetaftet ftehen läßt und
nur verlangt, daß fie ter perfönlichen Überzeugung einen freiern
Spielraum geftatte als dies bisher oft gefchen if. Jeden⸗
falls iſt e8 von nicht geringem Intereffe, eine foldye Stimme
- fies Werk ift in Cantos getbeilt, deren jeder eine Geſchichte
‚lerdings ein waghalfigeres Geſchlecht waren als ihre heutigen
ſtens beabfihtigt er eine Mare Darftellun
eines großen Verſtorhenen in den Streit der Gegenwart hineln-
Elingen zu hören.
&o dürfen wir denn wol ſchließlich ausfprechen, daß Foͤr⸗
fter nichts in feine Sammlung aufgenommen bat, was i
Berfaſſers unwürdig erfcheinen könnte. Jean Paul hat immer
nur einen engern Leſer⸗ und Freundeskreis gefunden und wird
wol nie der tiftfteller der Maffen werden; jene erftern wer⸗
den auch diefen Rachlaß willkommen beißen und reiche Gold:
koͤrner in demfelben finden. | 47.
Literarifhe Notizen aus England.
Thomas Cooper.
Die Reihen der englifhen Chartiften zahlen einige nicht
unbedeutende Diäternamen, unter welchen Thomas Eooper wie
den beften Klang fo vielleicht den meiften Beruf hat. i
„Purgatory of auicides“ iſt bereits in d. Bl. ruͤhmlich er⸗
wähnt worden und feine neueſte Dichtung: „The Baron’s Jule
feast. A Christmas rhyme‘’ (London 1345), wenn auch min-
der reih an markerfgütternden Stellen, bat doch das volle
Bepräge eines echten Dichtergeifteß. Cooper ift unftreitig ein
geborener Poet, ein Kind des Gefanges, der feine Begeifterung
nicht aus Büchern zufammenlieft noch um den Vorgang Ande⸗
rer fih Tümmert, jondern an den Quellen der Ratur fchöpft
und ihr Innerftes mit fcharfem Blicke durchdringt. Sein neue:
erzählt aus der alten Ritterzeit, wo die „eifernen Barone“ al⸗
Urenkel. Ob die Gedichte in beutfcher Überfegung auf Genfur-
erlaubniß hoffen dürfen, Laßt fich fhon aus den erſten Zeilen
des „Woodman’s song” abnehmen. Sie lauten:
I would not be a crowned king
For all his gandy gear;
I would not be tkat pamperod thing,
His gewgaw gold te wear.
Keue Schrift über Rußland.
Ein neues Werk des Verf. von „Das enthüllte Rußland‘
von „Die weiße Sklavin“ u. f. w. tft ein neuer Schritt auf
ber fih vorgezeichneten Bahn nad) dreifahem Zielpunfte. Er⸗
der umfangreichften
und fürchterlichften Sklaverei, bie es auf der Welt gebe, und
ber fluhwürdigen Schuld, welche das ruffifche Cabinet Daran
babe. Zweitens will er durch neue Beifpiele aus Rußland und
Polen erweifen, daß bie fihauderhaften von dort befannt ge
wordenen Ereigniffe fi täglich und ſtündlich wiederholen, und
drittens will er auf einen Wechſel der Dinge aufmerkfam ma»
hen, weldyer in keiner fernen Beit das oͤſtliche Europa be
drobe. Er erBlärt fih hierüber im Vorworte zu feinem füng-
fien Werke: „Eeastern Europe and the emperor Nicholas”
(Londox 1845), und das Buch felbft Liefert den Gommentar.
Literarifhe Anzeige.
In meinem Berlage ift neu erfchienen und in allen Buchhand⸗
lungen zu haben:
d
NMinfa.
Eine Novelle.
Zwei Cheile.
Gr. 12. Geh. 3 Thlr. 10 Ngr.
Reip ’ i April 1846.
va, im F. A. Brockhaus.
Berantwortlicher Herausgeber: Seinrich Wrodpans. — Drud und Verlag von F. X. Drockhbaus in Leipzig.
Blaͤ te r
| für
titerarifhe Unterpaltung.
Die preußiſche Verfaffungefrage und bad s mebife
Princip· Von einem Vftreiche
Erher Artikel.
' (Bertfegung and We. .)
Dec kommen wir auf den Inhalt unſers Buche.
Es heit „Die preußiſche Berfaffungsfsage", koͤnnte aber
zugleich ebenſo gut auch „Die Oſtreichiſche Verfofunge
| frage” heißen; denn mit der letztern beſchaͤftigt ſich der
Vexf. ebenſo viel und ebenſo grundlich wie mit der er-
fern, Für beide Staaten hält er eine Verfaſſung gleich
nuͤtzlich und gleich nothwendig, und, wohl zu merken, et
verficht darunter eine Mepräfmtativverfaffung im voll-
Ken, wahrften Sinne des Worte, eine Repräfentativ.
verfaſſung mit allgemeinen Woflsvertretern, mit Preß⸗
freiheit, Stenerbewilligungerecht u. f. w. Beiden Staa⸗
ten prophezeit er Unheil und Untergang, ſowol durch
innere Zerwürfniffe als Dusch Aufere, übermädtige An⸗
griffe, wenn fie nicht zu ber Gomftitukrung ihres ge⸗
famımnten Staatslebens auf der feiten Grundlage einer
aufrichtigen und volllommen durchgeführten Repräfenta-
tinverfaffimg ſchreiten. Der einzige Unterfchieb, den er
zwifchen beiden Staaten macht, beſteht darin, daß er
Preußen vie Rolle des erflen Anfangs überweift, und
von fisch eine möglichft baldige Nachfolge verlangt.
Bean wir aud weder für die erfte noch felbft für die
zweite, jedenfalls gewagtere und Bühnere und auch weni⸗
ger verbreitete Anſicht eben keine neuen Gründe in dem
Fe gefimden haben, fo moöchte es doch nicht leicht rin
geben, weiches alle vorhandenen Dülfsteuppen für
dieſe —— fo geſchickt und vollſtändig ins Treffen ge⸗
führe und fie alle zuſammen im fo wohl bieponitte gut⸗
berechnete Schlachtlinie geflellt Hätte. Ganz vortrefflich
wamentlih, agirt ber Berf. in Widerlegung der’ Segen
"geimde feiner Anſicht. Mit ebenſo virl Geſchick als
Gründtichkeit weiß er ihnen dergeſtalt zu brgegnen, daß
es fie niche nur enckraͤftet, ſondern fle fogar zu Beweiſen
für feine eigene Uerzgengung umwandelt. Der Berf.
vereinigt in fi ſaͤmmelichte Ginmfchaften, Sie erfoderlich
waren, um anf biefem fo beeityetvetenen Felde noch Ein
druck und Effert machen zu fönnen. Er iſt ein {dur
fee Dialeftifer und ein warnet gefümungspoller Cha
talter zugleich; daber cin Mann von genauen 1 yo
. fen Kımniniffen, von gefundev Phileſcyhte wub’ von
poutiſchem Uberblicke, wmd alle diefe Gig
ee in einem ebenfo milben und eleganten als kr ande
und beredten Stile an den Tag zu legen. Zu einigen
Beinen Ausftelungen, bie wir etwa zu machen haͤtten,
wird ſich Gelegenheit geben, wenn wir ben Inhalt der
einzelnen Gapitel kutz angeben und befprechen.
Nach einer kurzen hiſtoriſchen Ginleitung über bie
preußiſche Berfaffungsfrage gelangt der Verf. zu ran
erſten Hanpteapitel, „Das Löniglihe Verſprechen“ über-
ſchrieben.
„Bir müffen eine Eonſtitution bekommen, dena der ſel
König Hat und eine verſprochen!“ Dies if} nun aller
** gemeinfaßlich und wohl berechnet einen Grundztu
des deutſchen Volkscharakters. Gewiß iſt hauptſachlich
* Anwendung dieſes Satzes die * —— net
e jegt fo allgemein popufdir geworden, daß ſch ns
Teint Preuße mit zweifellofer Beſtimmtheit jagt: „ Be
fen eine Bonftitution bekommen!“ Selbſt wer gar nicht wei
worum es fih bei Berleihung einer — ng eigentli
handfe, kennt doch das deutfhe ‚„, Ein Wort ein ann“, ", kann
alfo, auf dieſe Kenntniß geftügt, fehr moraliſch über die pridt
der Regierung raifonniren, das Pönigliche Verſprechen zu er:
füllen ımd cine Berfaffung Er ben. Haben es bie Reste:
tungen durch eigene Schuld erbaunt ſchon fo weit —
daß Jeder, der nur einigermaßen vernünftig ge
bas öffenfliche Urtheit dee Menge für fih bat, fo it Dies in
der preußifchen Derfaffungefrage um fo allpemetrier und flät-
Ber dev Fall, als es fi hierbei wie geſagt blos um die Ci
fällung eines gegebenm Verſprechens handeln fol. Es iſt Ein
die fortwährende Berufung auf diefes on ie Ber afpreget a
ein
allerdings ein fehr wirkſames Mittel, die Öffentliche
egen die Verweigerung einer Berfaffung, aufzubringen. Die
Regierung ift dadurch bereits in arge Verlegenheit —5
worden, uimd die Wirkungen dieſes Zankes über koͤn
Wort muͤffen dem Anſehen des Koͤnigthums überhaupt es x
den bringen und koͤnnen daher BEN für kung | noch fe
gefährlich werden. Für die preußiſche Regtern ollte he
afferdings eben das eönigtiche Verſprechen in au
ger Grund meh, fein, die verhaͤn nißpstie Berteffungbfeuge
radtich befriedigend zu Idfen. Di en,
then und als Grund "ipreb Siderrathes Die Fre, it *
führen, eben in Preußen die Königsgewalt ungeſ
unbeiejräntt ug: zu apalten, täuschen fi, entweder oe
oder wollen täufıhin. Sie glaußen oder weder glanben hm
‚daß he vn treueften und nichlichſten Wiener bei Könige
16 Selen, aber fie werden. eben in diefee Gadhe.bic gefäher
Behften Feinde deſſelben, bean fe. ſchwächen quad —* dae
Koͤnigthum in Inem innesflen Eobensnexu, inbem fe
ihm
und und ch vie tu Meinung entzi
f hun rumg fi Ken m jegt E diefe. dfſentiiche re
08
fi) überzeugen, daß in dolge dieſes
nung prüfen, fo wire fe fh über
unfeligen Zankes über ein koͤnigliches Wort das Koͤnigthum
bereit wefentlichen Schaden gelitten. Rirgend mehr in Preu⸗
die alt i t vor dem
Ki ——* , die —ãS en Tagen die
almachti e Stüpe diefes Throns gewefen. Um des Pöniglichen
Heüs willen ſoll alfo die preußifhe Negierung bie lung
jenes Töniglichen Verſprechens nicht von fi weifen. Durch
Gewährung der freieften Verfaſſung wird fi das Königthum
in Preußen nicht fo viel vergeben, als durch diefen unfeligen
und unwürdigen Zank um und über das Fönigliche Worr.
Muß nun aber jeder Freund und Werehrer einer feſten
und hochgeftellten Königsgewalt die preußifche Regierung drin⸗
end zur Anerkennung jenes koͤniglichen Verſprechens aufrufen,
o iſt es nicht minder die Pflicht jedes Freundes conftitution:
neller Volksberechtigung, die Kämpfer für eine preußifche Ber:
faffung dringend zu ermahnen, ihr Verlangen doch nicht im:
‚mer und einzig num auf das Lönigliche Verſprechen zu ftügen.
Denn der Nachtheil diefes wortgläubigen und wortBlauberifchen
Berfafftungszankes ſchadet der conftitutionnellen Sache recht ei-
gentlich im $Princip. >.
Wäre die Sache nicht fo hochwichtig und verhaängnißvoll
ernſt, fo müßte man ed wahrhaft komiſch finden, DaB Diejeni-
‚ die mit Stolz von der geiftigen Großjährigkeit des preu⸗
Filen Volks ſprechen, ſich zu gleicher Zeit fo Finblih, um
nicht zu fagen kindiſch an dad koͤniglich väterlihe Verſprechen
klammern; daß Diejenigen, welche die Mitregentfchaft über eine
Deltmacht anfprechen, dafür Peine andere Berechtigung anfüh-
ren als das Fönigliche Verfprehen! Wenn fogar der wadere
Dr. Jacoby in feiner parifer Flugſchrift behauptet: Friedrich
Wilhelm III. habe dur das Derret vom 22. Mai 1815 das
greußifhe Volk für mündig erklärt, jo fpricht er wahrhaft im
Sinne der ärgften Gegner der Volksberechtigungen, denn wenn
er zugibt, daß ein Volk durch königlichen Befchluß für mündig
erflärt werden Tonne, jo räumt er auch die Zolgerung ein,
daß diefes Volk durch einen neuen Beſchluß der Regierung
wieder unter Curatel gefegt werden dürfe. Diefe Kolgerung
wird in Preußen auch wirklich geltend gemacht. Man fugt
ausbrüdfich, der verftorbene König habe allerdings eine Volks:
verteetung einführen wollen, fpäter aber dieſe Berfaffung als
den Berhältniffen des preußiſchen Staats nicht angemeflen er-
Eannt und daher Eraft derjelben höchsten Verſtandes⸗ und Wil-
lenskraft, Die früher das Verſprechen gegeben hatte, daſſelbe
wieder zurüdgenommen.
Die preußifchen Berfaflungsfreunde ftürzen das conftitu-
tionnelle Princip geradezu um, indem fie ihre Verfaſſungsfrage
u einer rein perjönliden Privatſache der Könige machen.
Säge wie: „Wir müflen eine Verfaſſung betommen, "denn ber
König bat fie verſprochen, das preußifihe Bolk ift mündig,
denn der König hat es durch das Gefeg vom 22. Mai 1815
füs mündig erflart”, e Säge verrathen durchaus noch
ſtreng abfolutiftifhe Gedanken und Gefühle, beweifen, daB die
zeußen no immer allzu fehr gewohnt find, alle Lebens:
rt ritte ihres Staatd von den Königen befohlen zu fehen,
eben den Gegnern ein Recht, zu behaupten, daß im preufi:
hen Bolt durchaus noch Bein conftitutionneller Geiſt vorhan⸗
den, baher die Verleihung einer Gonftitution vor der ‚Hand
noch unmöglich fei. Ä
Wer könnte die Wahrheit diefer Worte in Abrede
flellen? Diefes ewige Herumreiten auf dem fogenannten
Löniglichen Verſprechen, wie es von den meiften preufi-
ſchen Liberalen gefchieht, ift gewiß ein Beweis von eben-
fo großer politifcher Moheit als von fflavifcher Geſin⸗
nung. Den. beabfichtigten Zwed wird man auf diefe
Weife nicht erreichen. Gin vernünftiger Menſch wird
ſich dadurch von der Zweckmaͤßigkeit und Nothwendigkeit
einer Repraͤſentativverfaſſung für Preußen ſchwerlich über-
zeugen laffen, wenn man ibm auc noch fo evibent nadh-
weift, daß irgend ein verfiorbener oder lebender König
ein folches Verſprechen geleiftet babe. Gin König fan
fih fo gut irren wie jeder andere Menfh, und kann
auch feine Überzeugung ändern wie jeber Andere. Es
wäre fehr ſchlimm, wenn er an eine jebe, früher einmal
öffentlich ausgefprochene Anfiht für fi) und feine Nadh-
folger auf ewige Zeiten gebunden wäre, felbft auch dans
noch, wenn er fpäter das Falſche und Verderbliche der-
felben erkennen follte. In diefem Falle vielmehr hat er
‚nicht nur das Recht, ſondern auch dic Pflicht, nach fei-
ner fpäter gewonnenen beffern Überzeugung zu handeln.
Das Wort „Verfprechen”, welches man für bie frübern
Erlaffe des Könige Friedrich Wilhelm IN. in Bezug auf
die Verfaſſung fo häufig anwendet, iſt überhaupt ſchon
ein ganz falfher Ausdrud. Der König als König fann
weder etwas in biefer Eigenſchaft verfpredyen noch ver-
fhenten, am allermenigfien dem eigenen Staate gegen-
über, deffen oberſter Beamter er zwar, aber keineswegs
beffen Eigenthümer er iſt. Das gilt wenigſtens der Idee
nad ſowol von einem abfeluten ald von einem confli-
tutionnellen Könige. Eine foldye Annahme ift auch ſchon
ein logifcher Unfinn. Verſprechen und ſchenken kann man
nur dritten Perfonen etwas, nicht aber fich felbft; fich
felbft verfpricht man nicht6 und ſchenkt man nichts. Der
König ale Staatsoberhaupt kann daher auch dem eige-
nen Ötaate weder ein Berfaffungsrecht verfprechen noch
ſchenken, oder man müßte ihn fonft als eine fremde,
außerhalb des Staats befindliche Perfon, als einen an⸗
dern Staat betrachten. Ganz anders verhiefte fih Vie
Sache, wenn ber König irgend eine Leiflung aus fei-
nem Privatvermögen oder aus feinen Privatrechten dem
Staate verfprochen hätte. Dazu wäre er ‚freilich ſowol
moralifch als juriſtiſch, auch fpäter felbft dann noch ver»
bunden, nachdem es ihn auch fchon gereut haben follte.
Aber jene Erlaſſe von 1810, 1811, 1813, 1815 u. ſ. w.
fie find weiter nichts als öffentlich ausgeiprochene Ab⸗
fihten, gefeggeberifche Plane, die der Geſetzgeber jeden
Augenbli bei veränderter Erkenntniß mit veränderten
Umftänden wieder fallen laffen oder modificiren darf, eben⸗
fo gut wie ein ſchon befichendes Gefeh aufheben ober
bie frühere Interpretation deffelben dur eine andere
fnätere erfegen kann. Diefe fortmwährende Provocation
auf ein Verfprechen, welches gar kein Verſprechen ift,
gehört daher in die Reihe der fophiftifihen Kunfigriffe,
deren fich die meiften Ziberalen leider fe gern bedienen,
fobald fie glauben, daß ihrer Sache ein augenblidlicher
Mugen dadurch geftiftet werben könnte. Das ift aber
nicht nur ein unmoraliſches und unwahres Treiben, fon-
dern «6 zeigt auch won großer politifcher Kurzfichtigkeit.
Nachhaltige Bewegung und Erfolge kann man nur durch
bie ‚ber reinen Wahrheit innemohnende heilige und über
zeugenbe Kraft bervorbringen. Durch Sophismen, die
man felbft nicht glaubt, täufcht man weder feine eigenen
Anhänger noch vollends feine Gegner, Man ſtreut nur
Mistrauen aus und zerflört bie eigene moralifche Kraft.
San, ‚anders verhielte fi bie: Sache, wenn eine
| oo.
‘
wirkliche Werfoflung bereits ‚gegeben und in Kraft ger | tung und Kunft ehons thut,und hafft, eignet fie mehr oder
treten wäre, und. wenn diefe Berfaffung alebann !Be-
ſtimmungen enthielte, welche das bis dahin abfolut ge- |
fepgeberifche Recht des Königs Beichränktungen unter:
worfen und jede Veränderung der Berfaffung an bie
Zuftiimmung von Wollsrepräfentanten gebunden hätte.
Alsdann freilich wäre der König zur Ausübung ber
Verfafſung verpflichtet und befäße nicht das Hecht, fic
einfeitig wieber aufzuheben. Aber den bloßen Plan zu
einer Verfaffung, deren näherer Inhalt ohnedem noch gar
nicht angegeben war, den wird man doch nicht. mit ei-
ner ſchon befiehenden den Modus der Geſetzgebung voll⸗
Händig regelnden Berfaffung als gleichbedeutend erklären
wollen? Es wäre doch ein gar zu grober, auf der Hand
liegender Trugfhluß! Und dennoch gefdieht es leider je-
den Tag. Unbegreiflich ift es daher namentlich, wie
ein fo feiner, ſcharfer jurfflifcher Hopf als Dr. Jacoby
aus einer gar nicht vorhandenen Berfaffung fchon ver:
faffungsmäßige Rechte ableiten will.
( Die Yortfegung folgt.)
—— [m —u mn 1 m — — — — — — — — —
1. Oldenburgiſche Theaterſchau von Adolf Stahr.
Bevorwortet von Julius Mofen. Zwei Theile.
Oldenburg, Schulze. 1845. Gr. 12. 2 Thlr. 20 Rgr.
23. Über Goethe's „Faufl“. Zwei dramaturgiſche Abhand⸗
lungen von Julius Moſen und Adolf Stahr.
Oldenburg, Schulze. 1845. Gr. 8. 20 Nor.
.In vielen Beitaltern iſt das Theater ein Gradmeſſer für
die Bildung », wie weit. die Griechen in politifher, die Nömer
in focialer, das Mittelalter in, religiöfer Bildung war, das
zeigt das Theater. Es iſt Fein guted Zeichen unferer Zeit,
wern das Theater fat überall nur wie eine Anftalt zum Zeit-
tödten ungefehen wird. Was Schiller über die moralifche Be:
deutung der Schaubühne fehrieb, das hat noch immer Setung.
Schiller verglich den Einfluß der Schaubühne mit ber Wirk:
ſamkeit der Religion; er verlangte, Politit, Religion und
Schaubühne folten zufammenwirfen, ihm ift die Schaubühne
mehr als jede andere oͤffe: tliche Anſtalt des Staats eine
Schule der praktifchen Weisheit, ein Wegweiſer durch das bür:
gerliche Leben, ein unfehlbarer Schküffel zu Den geheimjten Zus
ängen der menfchlichen Seele. Schiller fagt: „Es gibt eine
Erale von Menſchen, die Urfache hat, dankbarer als alle übri«
gen gegen die Bühne zu fein; daB find die Großen und Für:
Ben der Welt, weil fie dafelbft Wahrheit Hören und Menfchen
fehen. Beides ift ebenfo felten als wichtig für fie. Vielleicht
ründet die Theilnahme der Zürften für das Theater fih ur:
—** auf dies Bebürfniß, und die Bühne erſetzt ihnen in
diefer Beziehung die Hofnarren des Mittelalters.” Schiller malt
es forgfältig aus, wie die Schaubühne der Kanal fei,.in wel
von dem denfenden, beffern heile des Volks das Licht
der Wahrheit berunterfirömt, um von da aus in mildern
Strahlen Durch den ganzen Staat ſich zu verbreiten; richtigere
Begriffe, yeläutertere Grundfäge, reinere Gefühle fließen von
da durch alle Adern des Volks. Schiller behauptet, daß durch
das Theater fi die Meinungen der Ration über Regierung
und Negenten aurechtweifen ließen, es käme nur darauf an,
daß die Dichter Patrioten wären; er meint fogar, daB durch
das Theater dahin gewirkt werden koͤnnte, daß wir Deutfchen
emmal eine Ration würden. Wenngleich diefe legten Behaup:
tungen über das Erfahrungsmäßige hinausgehen, fo liegt in
Dentefben doch. Wahrheit, und Jeder, der für dramaliſche Dich⸗
weniger fi an. .
Das Berhaltniß, in melden die neueſten dtamatifchen
Dichter zu ihren Vorgängern fichen, deutet Mofen im Bor: '
worte zu Stahr's Bude an. Der Weltzuftend, weihen Sha
jpeare malt, war ein rein pathologifcher, fagt er. Shakfpeare's
Menſchen find daͤmoniſche Könige und Fürſten der Thierwelt,
weldye im leidenſchaftgeſtachelten Egoismus aneinander zu
Grunde gehen, wie jene Zeis un fich felbft. Wen überfam
wicht bei der Darſtellung diefer greäßlichen Zuflinde einer ver⸗
fautenden Welt in „Hamlet, „König Rear”, „Richard TIL”,
„Macbeth, in deren Nacht Bein Lichtſtrahl einer rettenden
Idee fällt, eine endloſe Troſtloſfigkeit? Diefe rettenden Ideen,
die Ideale der hellenischen Weit, find in der neuern Zeit uns
wieder nahe gerüdt. Die Völker empfinden ſich als eins mit
dem Baterlande, fie wollen einen Gott in der Gefchichte, Recht
und Breiheit im Gefeg. Diefer neue Geiſt hat in der drama:
tifchen Poeſie zuerſt feinen Wusdrud gefunden in Leſſing's be»
deutendftem Werke „Nathan der Weile‘, und bann in Goethe
und Schiller, bei Allen aber, wie es in jener Zeit noch nicht
anders fein konnte, außerhalb des wirklichen tebens, jodaß fic
entweder eine bereits vorhandene oder felbfigefchaffene Mythe
zur Srägerin ihrer Ideale machen mußten, wie Schiller in
„Wilhelm Tel”, „Jungfrau von Drleans”, „Braut.von Ref:
ſina“, oder Goethe in „Kauft“, „Iphigenia”, „Taſſo“z oder
einen geſchichtlichen Stoff mythiſch behandelten, wie Schiller
„Bon Carlos“, „Maria Stuart”, „Wallenſtein“, oder wie
Goethe den Egmont”. Mofen bezeichnet nun „diefe großar:
tigen Anfänge‘ der beutfchen ‚dramatifchen Literatur als die
mythiſche Richtung. Unausgefüllt ift die luft zwiſchen dem
trandcendenten Ideale in ihren Dramen und der Wirktichkeit;
Mofen fagt, die großen Meifter Leffing, Schiller, Goethe, hät:
ten und durch die Mythe an die Schwelle ber Geſchichte ger
führt. „Daher“, fagt Mofen, „ift bem modernen Tragöden die
Aufgabe geftelt, der Gefchichte den Proceß der Erlöfung des
Menſchen zu den Idealen nachzudichten, wie der helleniſche
Kuͤnſtler ſeine plaſtiſchen Geftalten der Ratur, jedoch nicht wie
fie behindert von der Zufälligkeit der Materie, fondern in gött»
licher Freiheit, nachgebildet hat, und wie diefer die Ratur in
der plaftifgen Kunſt au ihrem Ideale gebracht, fo wird ber
moderne Dichter die Gefchichte in der Tragödie zum freien
Bewußtiein erlöfen müffen. In jenem Gedanken, welcher die
Geſchichte ald einen in ſich arbeitenden Lebensproceß begreift,
erblickt das Auge des Geiftes die Bergangenheit und die Zu-
Bunft, dad Gewordene und das Werdende im Moment der Ge:
genwart, ſodaß es dem dramatiſchen Dichter leicht wird in der
Bergangenheit feiner Zeit gegenüber die entfprechende Paral⸗
lele tebendig zu machen. In dieſer Richtung hin bewegt ſich
nicht nur das gegenwärtige Drama, fondern auch dic plafki:
ſche Kunft, deren Vertreter in der Malerei Leffing in Düſfel⸗
dorf iſt. Die Gefhichte der dramatifchen Literatur theilt fi
daber ab in das mythiſche und in das wirklich biftorifche
Drama, zu welchem dic romantifche Schule die Übergangsfkufe
gebildet hat.“
Was nun ferner das Verhältniß der Kritid zur dramati-
— Kunſt betrifft, ſo wird im zweiten Theile daruͤber unge⸗
aͤhr in folgender Weiſe geſprochen: Die Verſtandesbildung iſt
der Geſchmacksbildung jetzt weit über den Kopf gewachſen. Un:
fere @itelkeit mag das beftreiten, aber wahr ift es. Alle un:
fere Künfte, unfere Lebensformen, unfere Rococoliebhabereien
und chineſiſchen Launen in Bedürfniß: und Lurußgerätb des
täglichen Lebens, ja felbft unfere Moden und Trachten bewei»
fen fo gut wie unfer in allen Beitaltern berumtaumelnder Baus
geſchmack, der die Säulenfchönheit griechifcher Göttertempel an
die Kaftenform moderner Kafernen feimt, daß unfere äfthetifche
Cultur noch tief im Argen liegt, und daß das theoretifche
Wiffen unjere Praris auch auf diefen Gebieten weit über:
flügelt hat. Wenn die Kritit des Theaters nur aufräumen
hilft, iſt fie ſchon nicht unyerdienſtlich. Leſſing fügte in der
408
Untünvigung feiner „Dramiaturgie”:: Es Binnen nicht immer
Meifterfiüde —*58 werden, denn Wahl fegt Menge voraus;
aber es ift yut, wenn das Mittelmäßige für nichts mehr aus⸗
gegeben wird als es ift und ber unbefriedigte Zuſchauer we
nigfiens daran urtheilen lernt. Einem Menſchen von gefun-
dem Berftande, wenn man ihm Geſchmack beibringen will,
braugt man nur auseinanberzujegen, warum ihm etwas nicht
gefallen bat; wenn num Die Kritik aussinanderfegt, warum et⸗
was nicht gefallen hat, fo fürbert fie die äſthetiſche Bildung
auch dadurch, Daß fie einfehen lehrt, marum etwas gefallen
bat.” Hr. Stahr fagt, was die Bühne nicht il, das kann fie
werden, und ihr Dazu verbelfen, wos fic werden Tann, iſt Beine
veräshtliche Wufgabe — das iſt Die Sentenz mis der er Die
Herausgabe feiner „Didernburgifchen Theaterſchau“ motivirt.
Hr. Stahr bat fi feit einigen Jahren fowol durch wi:
ſenſchaftliche ats aͤſthetiſche Arbeiten befannt gemacht; es A
von Imterefie, daß er fich jetzt der Theaterkritik zuwendet. Die
vorliegenden Artikel enthalten vorzugsweife eine Kritik ber
Dichtungen; dev Verf. jagt felbft, wie gewiſſenhaft er zu
Werke gebe; er habe ſich, um nur Eins anzufuͤhren, mit dem
„Morig von Sahfen’ wochenlang befchäftigt, ehe er darüber
ſchrieb. Diefe Sorgfalt ift ebenfo ehrenwerth ale mufterhaft s
nur müßte Hr. Stahr fi) hüten, nicht mehr in die Dichtungen |
feiner Freunde hineinzulogen ale was barin ift. Im der Mer
urtheilung des „Morig von Sachſen“ fpricht er fehr treffen®
über das Goquettiren mit Schlagwörtern dee Gegenwart in
den modernen Dramen. Stahr ſagt, daß es nicht gut ſei,
wenn die Anſpielungen auf die Gegenwart und ihre Kämpfe
allzu gehäuft find m emem Dramas man merkt bie Abficht,
und man ift verfimmt. Ramentlich die Anfpi en auf ein
einiges und freied Deutſchland treffen von er Bühne herab,
von ber fie 1840 noch wundertief gewirkt hätten, auf ein
Yublicum, das juft an fehönen Worten und Verheifungen dieſer
Art ſich den Magen überladen bat, das von ‚Worten diefer
Art, woher fie auch kommen, nichts mehr bören mag und
‘Tone, ohne einer bittern Empfindung Raum zu geben, die bier
den Dichter mit trifft. &o wird für diefen der aͤſthetiſche Feh⸗
Ver zum politifchen und er hat nicht einmal den Troſt, an
Wirkung des Augenblicks zu gewinnen, mas fein Werk an
bleibendbem Werthe verliert. Indeß tröftet Stahr bie juͤngſten
Dramattker über feine Rüge wieder, indem. er erwähnt, daß
Soethe feibit fogar in feinem „Goͤt“ Baſedow'ſchen Erjie-
hungäppilanthropismus und Unterriht6realißmms predige. Übri-
gend findet man in allen Necenfiouen Stahr's hiſtoriſche und
Isterarifche Notizen und allerlei Meine intereflante Mittheilun⸗
gen; manchmal erhebt er ſich ſogar zu Upoftropben an dab
Yublicum, fogar an ganz Deutfihland.
. Die Kritik der dramatiſchen Künftler iſt wol ber fepwadyfte
Theil des Buchs; Hr. Stahr ſcheint Leicht iedengeſtellt mit
den Leiſtimgen diefer kleinen oldenburger Bühne und ſtreicht
ihre wenig bekannten Mitglieder wol zu ſehr hetvor. Wenn
aber Jemand ſo weit ginge zu ſagen, es ſei ganz abfurd, die
Aeronfionen über in Dfdenburg aufgeführte Sheaterftüde her:
auszugeben, dem müßten wir widerfprechen, weil bort ein an«
erkennenswerthes Streben Träftig ſich regt; bie Pleinen Ver—
hältniffe mögen die Schuld tragen, daß wir ſehr viele neue
Dramatiker in Stahr's Buch nicht beurtheilt finden, weil ihre
Stade in Dfdenburg nicht zur Aufführung kamen. |
In Form und Stoff ähnlich diefem erſten iſt das zweite
der oden genannten Bücher. Die erfle Abhandlung: Das
Gedicht als Drama”, von Julius Mofen, bietet eine allge:
mein faßliche Zerglieberung und Erklaͤrung des „Fauſt“. Lei⸗
ber gibt es ſelten Kuͤnſtier die denken; für die mag es gut
fir, wenn Jemand ihnen was er gedacht hat mittheilt, Die
zweite Abhandlung gibt einen „Bericht über die Aufführung
des «Fauſto auf ber oldenburger Höfbühne”, von Adolf Stahr.
Des Befle in diefer GMigze ſheint uns Die Eerlle, wo gef
wird, vb wen — mit Ernſt und Fleiß an —9—
führung eines ſolchen Werks geht, dieſelbe eine Berfündigugg
an dem heiligen Geifte der Kunft if, Wie nothiwendig der
— dem dramatiſchen Künftler fei, wird jegt, wo aüerlei
kuspokus, wo die miferebeiften Leiſtungen echte AMmflier- .
lungen genannt werden, nur wenig merkannt. Gepbei-
wonn fpricht es in feinen —* edirten Briefen oft um
nachdrücklich aus, daß ern dem dramatifchen —— 14
nöthip fi. Hr. Stahr erzählt, dag man in Ofdenburg dur
eine ben Lefeproben vorhergehende organifche Entwidelung des
Kunſtwerks, mit befländigem Bezuge auf die dramatiſche
ſtellung, ben Gehalt unb die Bedeutung des &edi jebem
einzeinen Schauſpiecler Mar zu maden gefucht habe; «8 mer
ſchon viel, meint er, wenn nur Jeder die Stimmung bekam,
worin er ſich aus dem Handwerksmaͤßigen der Zagesarbeit in
bie Sphäre eines Geiftigen verfegt und von bem Sauberhaudh
age fÜhlt, der bie Seſtalten diefer Dichtung umwiltere
Dann folgten die allgemeinen Lefeproben, darauf freie Schore
dung mit einzelnen Mitgliedern über MWerfländnig und Yaf-
foflungdweife, dann nad Specialproben die ernfteften General
proben. Wie gefagt, ſehr Tebhafte Anerkennung verdient die:
fer Fleiß; aber man erwarte vom Einftudiren, überhaupt vom
den Theaterſchulen nicht zu viel: guten Mittelfchlag von Xc:
teurd koͤnnen fie bilden; Künftler bleiben wie bisher felten.
Kunftfchuien mäffen naturgemäß entfteben, d. b. um bervor:
ragende künſtleriſche Perfönlichkeiten müffen ſich jüngere ſcha⸗
ren; fo bildeten ſich Die alten italienifhen Malerſchulen, eim
Meiſter rief den andern ins Leben, förderte ihn, vollendete
ihn. Dieſe Theaterſchule, die nun jegt dem Vernehmen nad
in Berlin errichtet werden fol, wird ein Zreibhaus, aber al
len —B fehlt die Raturfarbes gegen die Pflan⸗
zen, die in Luft umd Sonne erwuchſen, halten fie nicht zaus
Bibliographie.
Berthet, E., Der Edelfalke. Grzählung aus ber Zeit
der Belagesung von Paris durch Heinrich IV. Aus dem Fran-
zöfifchen uberfegt von Fanny Zarnom. Leipzig, Kollmann.
8. 8. 1 Thlr. 9 Ror.
Briefe von und an Goethe. Desgleichen Aphorismen
und Brocarbica. peraußgegeben ven F. W. Riemer. Keim
zig, Weidmann. IX 2 The.
Curtius, E., Naxos. Ria Vortrag im wissenschaft-
lichen Vereine zu Berlin. Berlin, Besser. Gr.8. 10 Ner.
nt, E, Polizei: Gefchichten. Leipzig, Lord 8.
Ir.
Barndam, 2. J., Wanderungen über bie Belfengebirge
in dag Oregon-Gebiet. Aus dem Englifchen von F. Gerſtaͤcker.
Leipzig, Mayer, Kl. 8. 1Thlr.
Gernanb, Beben und Lieben, Dichten und Trachten des
Amtsſchreibers Michael Häderlein. Wien, Gerold. 12. 1 Ihe.
Gedichte eines Elſaͤßers nebfk einer mufifatiichen Bugabe
zu demfelden Straßburg, Treuttel und Würg. 12.
Genre-Bilder aus dem Oriente. Gesammelt auf der
Reise des Herzogs Maximilian in Bayera und gezeichnet
von H. v. Mayr. Mit erklärendem Texte vor Fischer,
Iste Lieferung. Stuttgart, Ebner und Seubert. Fol. 3 Thie,
0 Ngr.
Handbuch für Reisende in den Orient. Iahalt: Die jo«
nischen Inseln, Griechenland, Türkei, Kleinasien, Inseln des
Archipels, Syrien, Palästina} und Ägypten. Nach eigener
Anschauung und den besten Hülfsquellen. Nebst Lehren
und Winke für Reisende. Mit Register, 5 Karten und den
Planen ‚on Constantinopel und Jerusalem. Stuttgart, Krabbe,
Wiramnorliiher Divandgeber: Geinzilh Weotpame. — Brut und Bertag von. ec. Brokhand in Belprig.
WXar. -
4
literariſche
Sonnabend,
Hrincip. Von einem Dflreich
Erſter Artiketl.
(dortſetung aus Sir. 108.)
Der Umftand, daß ber verſtorbene König ſelbſt in
dem Wahne geftanden, er Babe ein bindendes Verſpre⸗
den zur Ertheilung einer vollftändigen modernen Re⸗
präfentativverfaffiing geleiftet, verändert diefen Gefichts⸗
punkt auch nicht im mindeften. Er ift vielmehr völlig
irrelevant und beweift nur, daß der König ebenfalls die
terige Anficht gehegt habe, wie die ihm zuftehenbe abfo-
Iut gefeggeberifche Gewalt ein bloßes Privatrecht fei, ein
Privateigenthum, deffen er fih zum WBortheile britter
Derfonen entäußern koͤnne, was fi) von feiner Geite
als Privatmann verfchenten und von andern Privat⸗
leuten acceptiren Tiefe. Diefe Anficht von ber privat
rechtlichen Natur feiner Rechte als Staatsoberhaupt
kann unmöglich die wirkliche, öffentliche Ratur dieſer
Rechte ummandeln. In diefem Falle freilich ſcheint fie
das liberale Princip zu begünfligen, aber ſchwerlich moͤch⸗
ten bie Liberalen felbft mit allen Folgerungen einverftan-
ben fein, die fi von den Anhängern bes Hrn. v. Hal-
ler u. A. daraus ziehen umb darauf bauen liefen. Es
Die preußtfche Werfaffungefrage „und das norbifhe |
er.
möoͤchte ihnen ſelbſt gar übel bekommen.
Es iſt übrigens eine intereſſante pſychologiſche That⸗
ſache, daß Friedrich Wilhelm II. ſtets der Uebetrzeugung
gelebt, er habe ein wirklich bindendes Verſprechen auf
Bolkorepraͤſentation abgelegt, und koͤnne ohne Wortbruch
diefes Verſprechen nicht oͤffentlich wieder zurücknehmen.
Ob daſſelbe überhaupt fe frei aus feiner eigenen Seele
hervorgegangen, oder ob er nicht vielmehr Halb wider-
firebend durch den Geiſt ber Zeit unb duch feine Liber
ralen Rathgeber, Stein und Hardenberg an der Spige,
dazu genoͤthigt worden iſt, wollen wir bier nicht weiter
unterfuhen. Wir glauben es jedoch allerbings. Gin
freier Deinungslampf, wie ihn eine Volksrepraͤſentation
unbebingt sorausfegt, war ein Zuſtand, mit dem fich der
König feinem innerften Weſen nach nie recht befretinden
tonnte. Ein Freund flrieter, mifitairifcher Orbnung ſah
er in jenen Iebhaften Meinungstämpfen nur ben Keim
zur Unorbuung und Anarchie; denn das höhere Beleg
im ber aoraliſchen Weltordnuug, welches auch Abes bie
fen ſcheinbat reggelloſen Kämpfen herrſcht uud fie einem
-
Blätter
für
Unterhaltung.
nothmwendigen Ziele entgegenfühet, wurde won ihm nichts
weniger als lebhaft erkannt. Der philoſophiſche Blick in
den Bang ber Beichichte sing ihm ab. Wenn er auch
vermöge feiner natürlichen Schuͤchternheit und Beſchei⸗
benheit ſeine eigene verneinenbe Anſicht damals nie
auszufprechen wagte, als feine geiſtreichſten Miniſter, die
das GEtaatoſchiff bis dahin vortrefflich gelenkt harten,
und mit ihnen ganz Preußen und ganz Deutfchland fi
für eine liberale Verfaſſung zu erläcen feierten, fo hat
ihm die volle, freudige Ubergeugung dafür doch gewiß
ſelbſt in jener Beit ſchon gemangelt. Alle dahin ztelenden
Stellen in den verſchiedenen bekannten Erlaſſen, nament⸗
lich in dem entſcheidenden vom Mai 1815, Find ſicher
mehr in den Köpfen feiner Rathgeber entforungen, und
von denſelben redigirt ihm nur zur Unterſchtift vorgelegt
worden. Auch bie fo entfcheibenden Erklärungen der
preufifgen Geſandtſchaft auf bem Wiener Congrefſe
und noch fpäter bei dem Deutfehen Bundedtage fin
ihm felbft gewiß am wenigfien zummechnen. Dennsch
hielt er fi, wenn auch wicht durch fein Gewiſſen, wel⸗
ches ihn ſtets davon abmahnte, To doch wengſtens durch
feine Ehre gebunden. Gr ſchreckte dahor zutuck, öffent⸗
lich als ein Wortbruͤchiger zu erſcheinen, wie es feine.
Anſicht nach der Fall fein würde, ſobald er bie früher
ausgeſprochene Abſicht zur Ertheilung einer Nepraͤſenta⸗
tivverfaſſung zuruicknaͤhme. Dieſen Seelenzuftand hatte
namentlich ſein Staatstanzler Hardenberg, der bis ans
Ende feiner Tage die Idee einer preußiſchen Repräfen-
tatiuverfaffung im Setzen hegte, wiewol ex noch weh⸗
rend feiner Amtsführung fi) zu Rückſchtitten von bie-
fer Nichtung genbthigt fah, gar wohl erkannt. Und mit
feiner gewohnten Feinheit und Gchlawbeit mußte er bes:
ſelben für feine Plane zu denugen. Ramantlich war
die Antwort, die er dem Koͤnige auf bie berlihme Tob-
lenzer Adreſſe im I. 1818 in ben Mund legte, ein wah-
te& hors doeuvre biplomatifiher Schlauheit. Auf bie
än eine tg mahnende Adreſfe der Stade Keb⸗
lem lautete bie Antwort des Königs folgeudermaßen:
beörepräfentetion aus ſveier Entfihliefing gab, datau
erinriert, der zweifelt frevelhaft au ber Unver⸗
draächlichkeit der Juſage Mähemb er auf biefe
Welle ber fich unter Gemiſſeneſcrußein winberben Cute
des Königd über die Verlegenheit des nächſten Augen⸗
blicks hinweghalf und Aufihub für fie erlangte, wußte
er den König moralifh duch ſolche öffentliche Erklä⸗
zungen nur defto fefter zu binden und einen ausdrüd-
lichen Wiberruf der feühern Erlaffe für ihn unmöglich
zu machen. Der bloße Zweifel an der Unverbrüclichkeit
der Zufage wurde fchon vom Könige felbft für einen
Frevel erklärt; als was würde nun der Bruch der Zu⸗
fage felbft erfchienen fein? Go raub und fireng diefe
Worte in der Form daher auch waren, fo haben fid
die Unterzeichner jener Adreſſe eine folhe Zurechtweifung,
deren eigentliher Kern fo entfchieden ihren Wünfchen
entfprach, doch gewiß gern gefallen laffen. So erklärt
fi) denn auch, wie der König felbft fpäter, als feine
Handlungen von Zag zu Tag mehr nad) einem anti-
conftitutionnellen Ziele hinarbeiteten, doch in feinen Wot⸗
ten immer.nody auf das frühere Berfprechen einer Ver⸗
faffung hindeutete, wie dieſes felbft noch in- dem Gefege
vom 5. Juni 1823 über die Provinzialſtände, welches
gewiß gerade das Gegentheil von einer wirklichen Volks⸗
tepräfentation enthielt, noch der Kal war. Wenn Fried-
rich Wilhelm III. aufrichtig gegen fi fein wollte, fo
mußte er fich eingefichen, daß die Erfüllung feines ein-
gebildeten Verſprechens längft nicht mehr feine Abficht
fei. Leicht möglich, daß er es ſtets vermieden bat, fich
Diefe Frage felbft fharf und Mar zur Beantwortung zu
fielen ; aber daran wird wol Niemand zweifeln, daß
Preußen unter ihm Feine Repräfentativverfaffung erhal:
ten, und wenn er noch hundert Jahre länger regiert hätte.
Seine Handlungen ſprechen deutlicher wie feine Worte.
. Wir müſſen es für einen Fehler unfers Berf. er-
Bären, daß auch er fich zu juriſtiſch blos an die Worte
bes Könige hält und bie denfelben wiberfpredhende in-
nere Überzeugung befjelben vollig ignorirt. Welche Ab-
fisht ihn dazu vermocht bat, wiflen wir nicht anzugeben.
Aber mer einmal ein nad allen Seiten gerüftetes Bud),
weiches für Freund und Feind gleich überzeugend fein
fol, fchreiben wid — und diefes war doch bie Abficht
bes Berf., die er auch im Allgemeinen in fo hohem
Grabe erreicht hat —, der muß nichts ſimuliren und
nichts verfehweigen. "Er muß keinen Umſtand umd Peine
Schwierigkeit umgehen, wenn bie moralifche Überlegen»
heit feines Werks wirklich auf allen Punkten ſiegreich
durchbrechen fol.
Wiewol nun der Verf. jenes fogenannte Eönigliche
Berfprechen für die Entſcheidung der preußiſchen Ver⸗
faffungsfrage als vollig irrelevant erklärt, fo läßt er fi
doch auf eine weitläufige Debuction ein, in welcher er
auszuführen ſucht, daß allerdings die unzweifelhafteften
Erklärungen für Einführung einer Repräfentativverfaf-
fung von dem verftorbenen Könige ausgegangen, und
daß diefe nie, wie die Gegner wollen, von demfelben zu-
rückgenommen fein. So gründlich und - evident num
auch dieſe Deduction ift, fo Eönnte man doch wol bie
Frage aufmwerfen, ob er felbft feiner eigenen Anſicht zu⸗
folge nicht zu. viel Raum und Zeit damit verfchwenbet
babet Sie nimmt faft ein Drittel des Buchs ein. War
⸗
das aber noͤthig bei einer Frage, durch deren Beantwor⸗
tung eingeſtandenermaßen ũberhaupt nicht das Mindeſte
entſchieden werden kann? Wir glauben, es wäre beſſer
und conſequenter, auf alle Faͤlle auch für den Leſer we⸗
niger abfpannend geweſen, wenn der Verf. ſich hier kür⸗
zer gefaßt und uns gleich mitten in den Schwerpunkt
feines Werks, in den Nachweis der moraliſchen und po⸗
litiſchen Nothwendigkeit einer Repräfentativverfaffung für
Preußen und Oftreich Hineingerüudt hätte. .
Da er aber einmal auf jenes ziemlich gleihgültige
Thema fich einließ, fo hatte er ganz recht, daß er auch
die Behauptungen ber Gegner zu entkräften und zu wi-
derlegen fuchte. Diefe wollen befanntlich die Welt glau-
ben machen, daß der verfiorbene König zwar im Allge-
meinen eine Verfaſſung verfprodyen, daß er barunter aber
keineswegs eine Volksrepraͤſentation mit entfcheidender
Stimme bei Gefeggebung und Steuerauflagen verfianden
babe. Eventualiter freilich geben fie fodann nachträglich
zu verfiehen, wie derfelbe jedenfalls doch fpäter diefe Zu-
fage, falls er fie dennoch ertheilt, durch das Geſetz von
1823 über die Provinzialftände ausdrücklich zurüdge
nommen habe.
(Der Beſchluß folgt.)
‚Diver Crommwel und feine Selbftvertheidigung.
Der bekannte Thomas Carlyle, der Verfaſſer ber ‚Six
lectures on heroes and hero-worship and the heroes in hi-
story‘ und anderer Werke, die ihrer Beit Durch geiftreiche und
gedankenvolle Auffaflung trog mancher Überfpanntheit viel Auf:
ſehen gemacht haben, ift jegt mit der Herausgabe hiftorifcher
Schäge bervorgetreten, die für die fo wichtige Geſchichte der
erften englifhen Revolution von der größten Bedeutung find:
Es find Dies die „Oliter Cromwell’s letters and speeches ‘‘,
mit Erflärungen vom Herausgeber verjehen (2 Bde., London 1845),
Dies ift eine höchft fleißige Arbeit, da der Herausgeber nicht nur
allenthalben den Inhalt derfelben zufammengefucht, fondern auch
ben Tert auf Daß genauefie durchgefehen, verbeflert, gehörig ge
ordnet, mit Anmerbungen und biftorijchen Erläuserungen verfehen
bat, fodaß der Lehrer ein treued Bild des Mannes und feines We⸗
in erhält, der mehr oder minder biöher noch gewifiermaßen
ür ein Hiftorifches Rätbfel galt und dem man noch fürziidh
felbft in feinem Vaterlande, das ihm die Grundlagen feiner
auswärtigen Macht und Größe verdankt, von 'gewiflen Seiten
den woblverdienten Anſpruch beftritten bat, in der Reihe der
roßen Männer, deren Standbilder man ım neuen Parlaments⸗
Baufe aufftelen will, den ihm gebührenden Pag einzunehmen.
Nachdem dies in feinem Baterlande gefchehen, mag es freilich
nicht Wunder nehmen, daß auswärts. die fo ungewöhnliche und
großartige Erfcheinung dieſes Mannes, wie es namentlih von
ablmann in feiner „Geſchichte der englifchen Revolution‘ er-
folgt ift, nicht Be gewürdigt und feine Thatengröße mehr
als eine Bolge zufälliger Ereigniſſe dargeftelt worden iſt. Die
Sammlung Carlyle's, der feinen Helden vielleicht auf ein all:
zu hohes Fußgeſtell in feinem Heldenfaale ftellt, wird vielleicht
dazu beitragen, einer richtigern Würdigung dieſes merkwürdi⸗
gen Charakters Eingang zu verfchaffen.
Gartyie weift die Unrichtigkeiten und Oberflaͤchlichkeit der
frühern Biographen feines Helden, Clarendon eingeſchloſſen,
nad) und zeigt darauf hin, wie thöricht es ift, anzunehmen,
daß ein ang⸗ Volk von ernſtem, geſetztem Weſen wie das
puzitanifihe glend von einem fo plumpen unb befchrändten,
neidifchen Sefelen von kaum mehr als gewöhnlicher Berfchla-
208.
‚ als welchen man Cromwell darzuftellen gewohnt ift,
einem Kampfe auf Tod und Leben gegen eine fejtbegrüntcte
nigsmacht fihb habe hinreißen laſſen Fünnen. Bekanntlich
bat CTromwell zu wiederholten Malen oͤffentlich im Parlamente
fih gegen die ihm ſchuldgegebenen Verbrechen — 2 — und
ſein Verfahren gerechtfertigt. Es iſt gewiß intereſſant, eine
dieſer Vertheidigungsreden, wie fie Carlyles Sammlung dar⸗
bietet, cusfuͤhrlich mitzutheilen, da ſie den Wann, wie er war,
abzeichnen.
„Ich war durch Geburt ein Edelmann — lich er ſich einſt
in dem Parlament von 1654 vernehmen — , der weder in ir:
end betsächtlich hoher Stellung noch au in Dunkelheit lebte.
I bin zu verfchiedenen Amtern im Volke berufen worden: im
Parlamente und anderweit Dienfte zu leiften, und, daß id
nicht zu weitfchweifig werde, ich war bemüht, die Pflicht eines
ehrlichen Mannes in diefen Dienften für Gott und feines Bol:
kes Vortheil und zum Nutzen des Gemeinwohls zu erfüllen;
ſodaß ich jeweilig eine entfprechende Anerkennung in den Der
zen der Menfchen und cinige Beweife davon erhielt. Ich bin
nicht gemeint, die Beiten und Gelegenheiten und die Borkomm:
nifie aufzuzählen, die von Gott mir bezeichnet wurden, ihm
darin zu dienen, noch den Beiftant und Segen Gottes, die
mir dabei Zeugniß lieferten. Nachdem ſich mir einige Gelegen:
heiten geboten, im Verein mit meinen Brüdern und Landsleu⸗
ten unfern harten Kriegen und Kämpfen mit dem gemeinfamen
Feinde ein glückliches Ende gefegt zu fehen, hoffte ich in ber
Eigenſchaft eines Privatmannes zufammen mit meinen Brüdern
die Frucht und Wohlthat unferer Mübfeligkeiten und Gefahren
zu ernten; nämlich den Genuß des Friedens und ber Freiheit
und die Rechte eines Ehriften und Menfchen in gewiffer Gleich:
vertbeilung mit Andern, je nachdem ed dem Herrn gefallen
folite mir davon mitzutheilen. Und als, wie. ich füge, Gatt
unfern Kriegen ein Ente gemacht, ober fie wenigftens zu glüd:-
lihem Ausgange, beinahe zu Ende gebracht, nad dem Ge⸗
fecht von Worceſter, Bam .ich nad London, dem Parlamente,
das damals ſaß, meine Dienfte und Verpflichtungen zu leiften,
indem ich hoffte, daß alle Geifter geneigt fein würden, Dem zu
entfprechen, was die Abficht Gottes zu fein fehien, nämlich
feinem Volke Frieden und Ruhe zu geben, und befonderd De:
nen, die mehr als Andere geblutet, indem fie die Eriegerifchen
Angelegenheiten ausführen mußten: — ich warb ſehr in mei:
nen Erwartungen getäufcht. Denn daß Ende erwies fich gan
anders. Weflen man fi) immer rühmen, oder was man au
entftellen mag, es war nicht fo, nicht fo! In der Einfalt mei-
ner Seele darf ich fagen, ich liebe es nicht, ich liebe es nicht
— ih wies es in einer frübern Rede zurüd — ich Tiebe es
nicht, Wunden aufzudecken oder Blößen zu enthüllen! Br
was ich ftrebe, ift dies: Ich fage Euch, ich hoffte Erlaubni
zu erhalten, mid ins Privatleben zurüdzuziehen. Ich
fuchte um &ntlaffung von meinem Amte nad, ich bat wieder
und wieder, und Gott fei Beuge zwiſchen mir und allen Men-
fhen, wenn ich in diefer Sache füge! Daß th in Thatſachen
nicht lüge, iſt fehr Bieten befannt: aber ob ich eine Lüge in
meinem Herzen fage, da fei Gott mein Richter. Mögen herz
loſe Menfcgen, die Undere nach ſich beurtbeilen, denken was
ihnen beliebt. Was die Thatſache betrifft, fo behaupte ich, das
fei wahr. In Bezug auf die Aufrichtigfeit und Unbefcholten:
heit meined Herzens bei diefem Wunſche — berufe ih mich wie
vorhin gleichfalls auf die Wahrheit defielben! Aber ich konnte
nicht erlangen, wonad meine Seele begehrte. Und daß ich Die
offene Wahrheit fage, ich fing darauf an zu beforgen, Einige
wären der Meinung (ſolches ift der — *88 ihres Urtheils
von dem meinigen), daß es nicht wohl geſchehen koͤnne. Ich
geſtehe, ich bin in einiger Verlegenheit zu ſagen, was ich ſa⸗
en koͤnnte und was wahr iſt — 538 —*8 was darauf
gte. Ich drang in das Parlament, als Mitglied deſſel⸗
ben, fich ſelbſt aufzulöfen — einmal, und wieder und wieder,
und zehn, ja mehr als zwanzigmal. Ich fagte ihnen — denn
ich wußte es befier ald irgend ein Underer im Parlament es
wiffen Fonnte, in Wolge meiner Lebensweiſe, welche mich allent⸗
halben in Volke hin und wieder geführt und mir Dadurch ver:
gönnt hatte, die Stimmung, die Gefinnung aller Yeute und
der Beften von ihnen zu feben und Eennen zu leınen —, daß
die Ration ihrer Seſſion überdrüffiy je. Ich wußte es. Und
ſoweit ich beurtheilen konnte, fo trähte, als fie aufgelöft wurbde,.
kein Bahn danach (ihere was not so much as the barking
of a dog), noch war ein allgemeines oder ſichtbares Bebauern
darüber. Es find nicht Wenige von Euch hier gegenwärtig,
die Ihr dich wie ich ſelbſt beftätigen könnt. Und daß ber kein
tigfte Grund zur Auflöfung vorhanden war, ift völlig Mar;
nicht blos in Betracht der Fortdauer jened Parlaments aus
eigener Macht war gegründete Furcht vorhanden, fondern es
lag wirklich in feinem Plane. Ja, wären nicht Ungelegenhei⸗
ten von außen ihm auf die Ferſen getreten, die bis zu Dro:
hungen fliegen, ich glaube, man wäre bis in alle Ewigkeit
nie auf den Gedanken gerathen, es aufzuheben, oder aus die
fem Saale zu geben. Ich felbft ward ausgehordht, und von
feinen ſchlechten Leuten, und in Berfuchung geführt; und es
wurden mir Borfchläge zu eben odieſem Zwecke gemacht; daß
man naͤmlich das Parlament auf diefe Weife fortdauern Laffen,
daB man die leeren Plüge durch neue ‚Wahlen ergänzen, und
jo fortfahren folle von Geſchlecht zu Geſchlecht. Ich bin un-
gern daran gegangen, ſehr ungern Daran gegangen, dieſe Dinge
Euch aufzudecken. Aber da ich einmal fo weit gegangen bin,
muß ih Guc ferner erzählen, daß unter Ddiefer —E
Gewalt arme ehe zu Vierzigen an einem Morgen gleich
einer Heerde Schafe audgetrieben und ihre Güter und ihr Ver:
mögen eingezogen worden ſind, ohne daß irgend Jemand im
Stande geweſen wäre, einen Grund dafür anzugeben, weshalb
nur zwei von ihnen um einen Schilling gebüßt zu werben ver:
dient hätten! Ich fage Euch die Wahrheit. Und meine Seele
und viele Perfonen, die ih hier erblide, waren im höchften
Grade betrubt uber diefe Dinge: und wir mußten nicht, auf
welche Weile ihnen zu helfen wäre außer durch Klagen, oder
indem wir_unfere verneinende Stimme abgaben, wenn die Ge:
legenheit fi darbot. — Ih habe Euch nur einen ſchwachen
Umeiß der damaligen Misſtände gegeben. Ich bin überzeugt,
ihr Habt Gelegenheit gehabt, viel mehr darüber zu hören; denn
nichts ift offenkundiger. Zwar wird man fagen, daß ein Heil
mittel verfucht wurde, diefem ewigen Parlamente dadurch ein
Ende zu machen, indem man uns eine zulünftige Vertretung
gab. Wie man dahin gelangte, durch weldye Ungelegenheiten
man es erreichte und mit welchem Miderwillen man einmwilligte,
it befannt. Was war Died Heilmittel? Es war die anſchei⸗
nende Bereitwilligkeit, und aufeinanderfolgende Parlamente zu
gewähren. Und welcher Art war diefe Yufeinanderfolger Sie
beftand darin, daß wenn ein Parlament. feinen Sig verlaffen
hatte, unmittelbar darauf in demſelben Saale ſich ein anderes
nieberliche, ohne Vorkehrung gegen die wirkliche Gefahr, naͤm⸗
lich die, daß diefelben Männer im Parlamente wieder fort
bauerten. Was eine wunde Stelle ift, die ſtets offen bleiben
wird, fo lange bie Menſchen ehrgeizig und unruhig find, wenn
Fein Mittel dagegen aufzufinden iſt. Ia, im beften alle, wo
bin wird ein foldyes Mittel führen? Es wäre eine Verwech⸗
jelung eined Parlaments, das fortdauernd gewefen wäre, mit
einer gefegnebenden Gewalt, die immerfort ihren Sig behielt!
Und fo werden die Freiheiten und die Intereffen und das Les
ben des Volks nicht durch irgend befannte Geſetze und Befug⸗
niffe, fondern durch eine willfürliche Macht entfchieden , welche
den Parlamenten anhaftet und ihnen nothivendig iſt; Durch eine
willfürlihe Gewalt, fage ich, um das Eigenthum der Leute .
der Beſchlagnahme, ihre Perſonen der Einferferung — zuwei⸗
len durch Gefege, die erſt nach begangenen Vergehen gemacht
find — auszufegen; indem oft dic Parlamente fi angemußt
haben, Urtheile zu erlaffen, fowol in Gapitalfällen al& andern
Criminalſachen, während man in früherer Zeit von Ausübung
einer ſolchen vichterlichen Gewalt nichts wußte. Dies war,
wie ih vermuthe, bier der Fall. Und nach meiner Meinung
.
— — —— — — 0.2.
404
war daB Heilmittel’ dem Übel angemeffen. Ich muß geftehen,
aus diefen Gründen und mit der Suflimmung verſchiedener Per:
fonen, welche keinen andern Ausweg fahen, Hand die Auflöfung
des Parlaments ftatt®), und wir, weiche zu fehen wünfhten,
ob einige Wenige für eine Burze Beit zufanmengerufen werben
Könnten, welche die Ration in einen Zuſtand ber Beſchwichtigung
bringen möchten, riefen jene Herten auß den verichiebenen Iheilen
der Ration aufammen.” (Das fogenannte kurze Parlament.)
Hierauf ergeht fi Erommwel in neuen Betheuerungen,
daß er nichts ale Wahrheit fage und gefagt habe, worauf er ft
führt: „Wie der hauptfächlichfte Bwed bei Sufammenberufung
diefer Berſammlung bie DB der Nation war, fo war
in Bezug auf mid) meine Hauptabficht, bie Gewalt nieberzu:
legen, die in meinen Händen lag; ich erkläre ed Euch nochmals
im Ungeficht jenes Gottes, der mich gefegnet hat und ift mit
mir geweſen in al meinen Widerwärtigleiten umd in meinen
tüdlichen Erfolgen, died war für nid elbſt der hoͤchſte Zweck!
Ein Wunſch vielleicht, ich fürdpte, fündhaft genug, der Ge⸗
walt, die Gott auf das klarſte durch feine Borfehung in meine
Hände gegeben, mich eher zu entkleiden, als er mir gebot fie
nieberzulegen, bevor jenes ehrenhafte Biel unferer Kämpfe er»
reicht und Alles geordnet war. — Ich erkläre, da die Macht⸗
befugniß in meiner Hand fo ſchrankenlos war — denn durch
Seſchluß des Parlaments war ich General aller Streitkräfte in
den drei Bölfern von England, Schottland und Irland, in
weich unbefgränkter Gewalt ich nicht einen Tag zu leben be»
ehrte —, fo riefen wir jene Verſammlung zu obenangegebenem
wede zufammen. Welchen Erfolg und Ausgang diefe Ber»
ſammlung hatte, ift Allen in traurigem Angedenten. Es la:
gen große Lehren darin und ich hoffe, es wird uns Flüger für
die Bußunft machen! Uber, da jene Verfammlung nicht von
Erfolg war und fie unfern Erwartungen ſolche Zäufchung be
reitete, fo will ic iegt nicht darauf zurückkommen; daß einzige
Ergebnif war das, daß fie kamen und mir ein von weit aus
dem größten Theile derfelben unterzeichnete Pergament brach:
ten, worin fie ihre Abdankung und Berzichtieiftung der ihnen
erfheilten Befugniß und Macht wieder in meine Hände legten.
Und ic kann in Gegenwart vieler Yerfonen bier, die wiflen,
ob ich eine Lüge darın fage, behaupten, daß ich nicht ein Ti—
telchen von jener Abdankung erfahren, bis fie alle kamen und
brachten fie und überlieferten fie in meine Hände. Auch def
fen find viele Herzen bier anweſend. Ih empfing diefe Ber
ichtleiftungen, nachdem ich früher es an Bemühungen und
Überredung nicht fehlen gelaffen, fie beifammen zu behalten.
Da ih ihre Meinungsverfihiedenheit bemerkt, hatte ich es für
meine Pflicht gehalten, ihnen Rath zu ertheilen, daß ich es
über fie gerwönne, eine Vereinigung herbeizuführen. Uber es
hatte die befagte Wirkung, und ich hatte mich getäufcht. Als
dies fi herausftelte, boten wir Alles auf, um bie Dinge für
die Zukunft zu ordnen. Meine eigene Macht war durch diefe
Hefignation wieder fo ſchrankenlos und unbegrenzt geworden
wie —*8*— ‚ indem Alles dem willkürlichen Ermeffen unterwor-
fen blieb und in mir fich die Gewalt über brei Völker ohne
feftgefegte Schranke oder Grenze vereinigte, auch alle Berwal:
tung in diefer Angelegenheit aufgelöft und alle bürgerliche Ad⸗
miniftration zu Ende ging.”
Man mag die in dieſer Selbftvertheidigung feiner Han:
delsweiſe vorgebrachten Theorien über Bollsvertretung umd die
Sejaͤhrlichkeit der Allmacht gefepberathender Berfammlungen
für richtig anerfenmen oder nicht, immer wird man in dieſem
Artenftüde die Sprache eines die Verhältniffe Mar auffaffenden
md mit praktiſchem Sinne unterſcheidenden Geiſtes erkennen,
wie folches auch aus andern von Erommell’s Reben hervorgeht,
9 Es I bier naͤmlich von der Aufföfung bed fogmannten „Ian:
gen Parlaments’ die Rebe, bie am 20. April 1668, nachdem es über
M Jahre gefeffen Hatte, erfolgte. oo
denen man mit großem Unrecht vorgeworfen Hat, daß fie verſchro⸗
ben und abfichtlich unverftändlich find ; während, wo fie wirklich
dunkel und zweideutig erfchienen, dies nur jenen Grund in
einer gewiffen myſtiſch religiöfen Richtung hat, der jene ganze
Zeit und namentlih das Bolt und die Partei auszeichnet, in
deren Mitte Cromwell emporftieg und bie Herrfeaft FE
Mo diefer Einfluß nicht vorhanden, erfcheint Cromwell's Spra
von jener praktiſchen Auffaffungsgabe unterflügt, von jener
Entſchloſſenheit befeelt, Die ihn in fo en Berbältniffen
zum nothwendigen Manne machten, ihn ſchon in vorgerudten
Mannesjahren ohne alle Briegerifche Vorbildung zum Heerfüh:
rer und aus einem Priedendridhter eines Pleinen Orts zum
vollendetften Staatsmann feiner Zeit fchufen.
Es hieße zu viel gefagt, behaupten, daß der Zufall,
das Gluͤck ihn nicht vielfach begünftigt habe; aber. wo wäre ein
Großer in der Wellgeſchichte von Alexander herab bis auf Ra-
poleon, Die ohne dieſes Zufall oder blindes Gluͤck genannte
Ding geworden wären was fie wurden? Wenn aber die Auge
Benugung des Augenblicks zur Ausführung gefaßter Plane,
das unabirrbare Feflhalten eined gewiffen Zielpunktes und bie
praktiſche Gewandtheit, jede zufällig ſich darbietende Gelegenheit
in ein Beichleunigungsmittel zur Erreihung dieſes Zield um-
zugeftalten, Die Virtuofität endlich, gemwiffen Anfchauungen und
Gedankenrichtungen der Beit den Umfländen angemeflene unt
fchnelle Verwirklichung zu geben, . wenn Dieb Alles die noth⸗
wendigen Eigenſchaften eines wahrhaft großen Mannes find,
fo wird ein unbefangener Gefchichtichreiber dem fogenannten
„Sohn des buntingdoner Brauerd” diefen Ruhm ebenfo wenig
abiprechen Bönnen ald Rapoleon und Andern feined Steigen.
LZiterariſche Notizen aus Frankreich.
Legitimiftifhe Hofbiftoriograpben.
Die Schriftfteller der legitimiftifchen Partei möchten gern
die erlaucdhten Perfonen, deren Sache fie vertreten, in einem
recht . glänzenden Lichte erjcheinen laſſen. Jeder no fo un:
bedeutende Zug, jede nichtöfagende Anekdote, welche ſich zu
Sunften der Bourbonifhen Glieder ausbeuten läßt, wird in den
Spalten der Journale, über die fie zu verfügen haben, in be-
haglicher Breite aufgetifcht. Leider wird dieſen Hofbiftoriogra-
phen ihr undankbares Geſchäft nicht fo leicht gemadyt, indem
fie, um ihrem Stoffe nur irgend eine ergiebige Seite abzuge:
winnen, meiftens ihre Phantaſie fehr in Koften zu ſetzen haben.
Wenn man die ganze Lächerlichkeit dieſer panegyrifchen Lob-
hudler durchſchauen will, fo braucht man nur bie vor kurzem
hienenen „Voyages da Henri de France en Koesse, ep
Angleterre, en Allemagne et en Italie” von SIohanet zur
Hand zu nehmen. Hier wird der Weihrauch mit vollen Händen
ausgeſtreut, und das hoble Pathos fpielt eine bebeutende Rolke.
Über das ritterlihe Leben des Mittelalters.
‚ Ein in heraldiſcher fowie hiftorifcher Beziehung nicht un: -
intereffanter Beitrag zur Kunde des Mittelalters ift in einem
vor kurzem erfchienenen Werke enthalten, deſſen Titel alfo
lautet: ,, Noblesse et chevalerie du oomte de Flandres,
d’Arteis et de Picardie”, von P. Roger. Diefe inhalt:
reiche Schrift bringt außer den hetaldiſchen Rachroeifungen
und den Notizen zur Gefchichte der erwähnten Familien viel:
fache Andeutungen über das ritterliche Leben des Mittelalters.
Beſonders anziehend gem die Mittheifungen über bie Tourniete,
die Feſte und das Waffenleben der Ritter. Auch in Bezug
auf die Belagerung Con Diſy in Artois fowie zur deutlichen
Anfhauung der Schlachten von Bouvines, von" Eourtrai, von
Saint:Dmer, von Bofeberque, von Azincourt und von Mans
en Bimen erhalten wir beachtenswerthe Mittheilungen. 17.
Berantwortucher Herausgeber: Geinvid Bropans. — Brad und Serlag von F. 9. Vrockhans in Betpztg.
Blätter
far
literarifde Un terbaltung.
32. April 1646.
preußifche Zerfa ſunge wrage ‚und das nordiſche
on einem Oftreicher.
Erſter Artikel.
(Beſchluß aus Rr. 301.)
Bas nun den erften Punkt berrifft, fo find wir
mit der Widerlegung beffelben von Seiten unfers Berf.
im Allgemeinen einverflanden. Doch ſcheint er und zu
viel Gewicht auf das Wort „Repräfentation” zu legen,
welches der Erlaß von 1815 gebraudt. Er meint näm-
‚Ah, daß der König, falld er blos "berathende Stände,
wie die Begner ‚behaupten, den Lande habe verfprechen
wollen, fi .ficher nicht des Worts „Repräfentation‘ be-
dient haben würde, ſondern an beffen flatt den Aus-
druck ſtaͤndiſche Werfaffung” vorgezogen hätte. Die wif-
fenfchaftliche Unterfcheidung zwifchen dem Begriffe .einer
Bolksrepräfentation einerfeitd und einer ſtaͤndiſchen Ver⸗
faffung andererfeits fei damals ſchon fo feſt begründet
und fo allgemein befannt gewefen, daß der König un-
möglich eine ſolche Verwechſelung ſich babe zu ſchulden
tommen laffen können. Dem ift aber nicht alfe. Im
der damaligen Zeit dachte man überhaupt nicht an bios
berathende Stände, und die Worte „Landflände”, „Ver⸗
faffung”, „Conſtitution“, „Bollsrepräfentation” wurden
promiscue für eine und diefelbe Sache gebraucht. Wirft
man einen Blick in die damalige politiſche Literatur, fo
konn darüber Sein Zweifel obwalten. Die liberalſten
Schriftfteller, die mit ihren Koderungen am weitelten ge
den, fprechen von Ständen, Randftänden u. ſ. w., ohne
daß es ihnen im mindeften in den Sinn fommt, durch
folhe Ausdrüde das Stenerbewilligungsreht und die
entſcheidende Zuſtimmung zu den Gefegen duch das
Bott aufgeben ober nur In Frage flellen gu wollen.
Über die Art und -Weife der Zufammenfegung eines fol
chen Parlaments moihten damals allerdings ſchon ner-
ſchiedene Anfihten ebwalten, man ‚mecte getheilter Mei-
nung Darüber fein, ob einzelne Staͤnde vorzugsweiſe ſtark
vepraͤſentirt fein ſollten, oder ob blos die Kopfzahl dab
beftimmte Maß bilden würde, aber die den Staͤnden zu⸗
ſtehenden Rechte waren Seineswegs controyers, Es iſt
sine hiſtorifch⸗moraliſche Unmöglichkeit, die ſich ſamol
aus dem Zeitgeiſte im Allgemeinen. als aus privaten und
Hentligen Actenſtücken der damals am Ruder Tih be⸗
findenden preufifhen Btaatömänner auf das zweifel-
lofefte nachweifen läßt, und die von feinem nur Halb⸗
fundigen auch wol je ehrlicherweife in Zweifel gezogen
if, daß im J. 1815 au eine folche Unterfiheidung zwi⸗
fhen Ständen mit berathenber ober mit entfcheidender .
Stimme in Preugen gar nicht gedacht merben konnte.
Auch die Gegner fimuliren nur dieſe Möglichkeit. Ernft-
baft glauben fie felbit nicht an die 8 Begründung
diefer Controverſe. Erſt viele Jahre ſpaͤter verfielen die
abfoluten Royaliften auf diefe Unterfcheidung. Irre ich
nicht, fo mar e6 der Zürft von Selms-Lich, der Präfi-
dent des jüngften rheinifchen Landtags, welcher in einer
Brofhüre vom 3. 1835 den urfprünglichen Unterſchied
zwifchen ftändifcher Vertretung und Voltsvertretung, ber
fh einzig und allein ſtets auf ihre Zufammenfegung
bezogen hat, auch auf die Berechtigung derfelben audzu-
dehnen und dieſe beiden ganz verjchiedenen Fragen mit-
einander ‚zu verwechfeln ſuchte. Den ehrlihen Mann
will ich noch fehen, und fei er nach ſo eingefleifchter
Abfolutift, der ohne die Augen niederzufchlagen von An-
geficht zu Angeficht zu behaupten vermöchte, daß ber Kö⸗
nig 1815 an blos berarhende Stände nur in entfernte
fien gedacht haben würde, felbft wenn ex ſich ſtatt des
Morts „Repräfentation” des Ausdrude „Ranbftände”
bedient hätte. Zu einer vwiffenfchaftlich « grammatifali-
fhen Wortklauberei braucht man wahrlid, feine Zuflucht
night zu nehmen, um den einzig «möglichen Sinn, ber
damals in dem Grlaffe liegen konnte, über allen. Zwei⸗
fel zu erheben.
Die zweite Cinrede der preußiſchen Hafpubliiften:
„dab der König ndmlid) doch jedenfalls dire Zuſage
durch verſchiedene ſpaͤtere Erlaſſe, und namentlich buch
das Gefep von 5823 über die Propinzialſtaͤnde ausdrück⸗
lid) wieder zurüdigenommen ‚habe, ;felbfi wenn er auch
früher eine moberne Ballssepeälentation in Ausſicht ae⸗
flellt hätte“, mich von dem Perf. ebenfalls auf das umn⸗
miberfnrechlichfte widerlegt. Hier kammt es allerdinge
iſchon mehr auf Unterſuchung der Ausdrücke an, die in
dem Geſetze enthalten find. Denn as iſt wol keinem
‚Bronifel ‚ussterworfen, ‚wie wir Shen früher bemerkt ha⸗
ben, daß der König allerdings feine frühexre Meinung
‚geändert unb Deren Ausfühmng merkäufg ‚völlig ‚aufge
‚urban ‚haste. Wenn fir) aber bie Merfaflungegeane: mit
dinfem ‚Bugsftänhalffe wirkt Ingwügen, ſondern auch ehe
. Mei
war das Heilmittel dem Übel an «Ic muß geftehen, | ı
ans diefen Gründen und mit ber Juffimnmung verfiedener Per« | |
fonen, welche feinen andern Ausweg fahen, fand die Auflöf I
des Parlaments ftatt®), und wir, melde zu fehen wünfgten, | «
ob einige Wenige für eine kurze Seit ufanmengerufen werden | }
Eönnten, welche die Ration in einen Bufland der Befchmwichtigung | I
bringen möchten, riefen jene Herten aus den verfchledenen heiten | I
der Ration zufanmen.” (Das fogenannte kurze Parlament.) J
auf ergeht fich Tromwell in neuen Betheuerungen, | |
dag er nichts ald Wahrheit fage und gefägt habe, worauf er fort: | ;
führt: „ie der beupefäitäfte Siwedbei Bufammenberuhung | 1
diefer Berfommlung die Beruhigung der Ration war, fo war | ı
in Bezug auf mid) meine Yaup , bie Gewalt niederzu: | ı
legen, die in meinen Händen lag; ich erfläre es Euch nochmals
im üngeficht jenes Gottes, ber mic gefegnet hat und ift mit | ı
mir gemwefen in all meinen Miberwärtigkeiten und in meinen | ı
hehihen Erfolgen, dies war für mich felbft der höcfte Amed! | |
En WBunfd) vieleit, ih fürchte, Mmdpaft genug, der Ger |:
walt, die Gott auf das Mlarfte durch feine Borfehung in meine |;
Hände gegeben, mich eher zü entkleiden, als er mir gedot fie | ı
nieberzulegen, bevor jenes ehrenhafte Ziel unferer Kämpfe er | |
reicht und es geordnet war. — 34 erfläre, da die Macht: | |
befugniß in meiner Hand fo fhranfenlod mar — denn durch
FH des Parlaments war ich General aller Streitkräfte in | ı
den drei Bölkern von England, Schottland und Irland, in | |
weich unbefchränkter Gewalt ich nicht einen Tag zu leben ber | |
jehrte—, fo riefen wir jene Berfammlung zu obenangegebenem | |
mee zufammen. Weldyen Erfolg und Ausgang diefe Ber
fammlung hatte, ift Allen in traurigem Angebenken. Es la:
gen große Lehren darin und ich hoffe, es wird uns Müger für
die Bufunft machen! Wber, ba jene Verſammlung nicht von
Erfolg war und fie unfern Erwartungen ſolche Taͤuſchung ber
veitete, fo will ich jege nicht Darauf zurückommen; das einzige
Ergebniß war das daß fie kamen und mir ein von weit aus
dem größten heile derfelben unterzeichneteß Pergament brach:
ten, worin fie ihre Abdankung und Berzictieiftung der ihnen
erteilten Befugniß und Macht wieder in meine Hände legten.
Und ich Tann in Gegenwart vieler Perfonen bier, die wiflen,
ob ich eine Lüge darin fage, behaupten, daß ich nicht ein Ti
telchen von jener Abdankung erfahren, bis fie alle kamen und
brachten fie und überlieferten fie in meine Hände. Auch def
fen find viele Herzen hier anmefend. Ich empfing biefe Ber-
Aötleifungen, nachdem ich früher es an Bemühungen und
ng nicht fehlen geiaffen, fie beifammen zu behalten.
Da ich ihre Meinungsverfihiedenheit bemerkt, hatte ich es für
meine Pflicht gehalten, ihnen Rath zu ertheilen, daß ich es
über fie gervönne, eine Vereinigung herbeizuführen. ber es
hatte die befagte Wirkung, und ih hatte mich getaͤuſcht. Als
dies fich herausftete, boten wir Alles auf, um bie Dinge für
die Zukunft zu ordnen. Meine eigene Macht mar di diefe
mean wieder fo ſchrankenloe und unbegrenzt geworden
wie er, indem Alles dem willküͤrlichen Ermeſſen unterwor-
bfieb und in mir fi die Gewalt über drei Völker ohne
jefente Schranke oder Grenze vereinigte, — alle Serwal ⸗
fung im diefer Mngelegenheit aufgeläft und ae bürgerliche #-
minifteation zu Ende ging.”
Man mag die in deſer @elbfivertheibigung
dels weiſe vorgebrachten Theorien über Bolksvertr
" Sefährlihteit der Allmacht „üsfeoßeratpender 8
für richtig anerkennen ober ‚ immer wird r
Artenftüce die ache eines die Berhaͤltniſſe Ela
und mit praktiſe Sinne unterſcheidenden Sei
wie folches auch aus andern von Tromwell's Rebı
*) @8 M dier nämlid) von ber Aufkoͤſung des fogmannten lan⸗
gen Parlamentö‘ die Rebe, bie am 20. April 168, nachdem ed Aber
M Sahre gefeffen Hatte, erfolgte,
Berantwortiihte derautgeber: Geinvich Beodtpans:
far
literarifhe Unterhaltung.
32. Apeil 1846,
Erſter Artikel.
(Beſchluß aus Rr. 101.)
Was nun den erſten Punkt betrifft, fo find wir
mit her Wiberlegung beffelben von Seiten unfers Derf.
im AWlgemeinen einverfianden. Doch feheint er uns zu
viel Gewicht auf das Wort „Repräfentation” zu legen,
welches der Erlaß von 1815 gebraudt. Er meint näm-
‚Ah, dag der König, falls er blos berathende Stände,
wie die Gegner behaupten, den Rande habe verfprechen
walten, ſich ficher nicht des Worts „Repräfentation‘‘ be
Dient haben würde, fondern an deſſen flatt den Aus⸗
druck „ſtaͤndiſche Verfaffung” vorgezogen hätte. Die wif-
jenfchaftliche Unterfcheidung zwifchen dem Begriffe einer
Volksrepraͤſentation einerfeits und einer ſtaͤndiſchen Ver⸗
faffung andererfeits fei Damals ſchon fo feſt begründet
and fo allgemein bekannt gewefen, daß der König un-
möglich eine ſolche Verwechſelung ſich habe zu ſchulden
tommen laffen können. Dem ift aber nicht alfe. In
der damaligen Zeit dachte man überhaupt nicht an bies
Serattyende Stände, und die Worte „Landftände”, „Ber-
faffung”, „Eonfitutten”, „Bollsrepräfentation” wurden
promiscue für eine und biefelbe Eache gebraucht. Wirft
man einen Blick in bie damalige politifche Literatur, fo
lofefte nachweifen läßt, und die von einem nur Halb.
tundigen auch wol je ehrlicherweife in Zweifel gezogen
iſt, daß im 3. 1815 an eine ſolche Unterfcheidung zwi⸗
fhen Ständen mit beratender ober mit entfcheidender .
Stimme in Preufen gar nicht gebacht werben konnte.
Auch die Gegner ſimuliren nur biefe Möglichkeit. Ernſt⸗
haft glauben fie felbft nicht an Die reelle Begründung
dieſer Controverſe. Erſt viele Jahre fpäter verfielen die
abfoluten Royaliften auf diefe Unterfcheidung. Irre ich
sicht, fo war es ber Zürft von Solms⸗Lich, der Bräfi-
dent des jüngften rheiniſchen Landtags, welcher in einer
Brofhüre vom 9. 1835 den urfprünglichen Unterſchied
zwifchen fländifcher Vertretung und Volksvertretung, der
ſich einzig und allein ſtets auf ihre Zufammenfegung
bezogen hat, aush auf die Berechtigung derfelben quszu⸗
behnen und biefe beiden ganz verſchiedenen ragen mit-
einander zu verwechſeln ſuchte. Den chrlihen Mann
will ich nach fehen, und fei er noch fo eingefleifähter
Abfolutift, ber ohne bie Augen niederzuſchlagen von’
gefiht zu Angeficht zu behaupten vernibchte, daß ber Kö-
nig 1815 an blos beraskende Stände ‚nur im entfernfe-
fien gedacht haben würde, ſelbſt wenn er fih ſtatt bei
Worts „Repräfentation” des Ausdrude „Randflände”
bedient hätte. Zu einer wiſſenſchaftlich - grammantal-
ſchen Wortffauberei braucht man wahrlich feine Zufluch
kann darüber fein Zweifel abmalten. Die iberalfen | might zu nehmen, nm den einig andgfihen in, N
Schriftſteller, die ‚mit ihren en am weiteften ge- | Damals in bem ÜErlaffe liegen konnte, über allen
fprechen von Ständen, Lanbftänden u. f. w., obme |, fel zu erheben, »
1 %
ta
es ihnen im mindeften in den Sinn kommt, buch
th tere das Steuerbewilligungerecht und ?'
ea “ efchloffener und
— Be
, , ! 1) jet a —⸗
Gefes — o Chriſten⸗
-— en Einheit zu:
‚n den Kunftbeftre
.gen muß auf die Ge:
werfen. Kinkel bat diefe
‚ce 2öfung aber im Einzelnen
urtheilen, da, außer einer allge-
.ıoden, die eigentliche Gefchichte im
‚. biö zum Ende des erſten Jahrtauſends
a „a erſten Theil betrifft, fo hälte der allgemeine
veB Heidenthums und feiner Kunſt wol für fidh al
3 fammenbängender bingeftellt werben
‚nen, damit dad Welen der chrifilichen Kunſt fi) daran
141606
förmliche geſetzliche Zurücknahme von Seiten des Königs
berausinterpretiven wollen, fo thun fie allerdings dem klar⸗
ften Wortlaute etwas unverfhhämte Gewalt an, und es
wird dem Verf. nicht ſchwer ihnen diefes nachzuweiſen.
Dies iſt das Berhältnif der Taktik, -welches- beide
Parteien ruͤckſichtlich des fogeriannten koöniglichen Ber-
fprechens gegeneinander bis jegt beobachtet haben. Sind
die Verfaffungsfreunde unwahr, und fpeculiren fie un-
politifchermweife viel zu fehr auf den Unverftandb der
Menge, wenn fie diefer Zufage die bindende Kraft eines
Privatvorfprechens oder gar eines wirklichen Gefeges bei-
legen wollen, die es eben nach ihren eigenen politifchen
Überzeugungen gar nicht haben konnte, fo find die An-
hänger einer monarchiſchen Despotie jedenfalld nicht wah-
ver, wenn fie verfuchen, ein ſolche Zufage überhaupt in
Abrede ftellen und weginterpretiren zu wollen. Und auch
fie thun ſich hierdurch den größten Schaden. Theils em-
pören fie dadurd das Rechtlichkeits- und Wahrheitsge-
fühl der Nation, was um fo mehr zu beklagen ift, als
fie dabei nicht vermeiden Fönnen, daf ein gemiffer Schein
von Mitfhuld dabei auf den Inhaber des Throne jelbft
fallen muß, wenn er auch noch fo unfhuldig an diefem
unredlichen Gebahren feiner Liebebiener fein mag. Der
Berf. hat darin ganz recht — man muf es mit Schmerz
und mit den bangſten Ahnungen für die Zukunft einge-
fliehen —, daß die Ehrfurcht vor dem Throne und vor
dem monardifhen Principe im Wolke bedeutend erfchüt-
tert if. Es ift eine bedauerlihe Schwäche, wenn man
gegen factifche Thatſachen feinen Blick abfihtlich ver-
fließt und es nicht wagt, fi) und Andern die Wahr-
‚heit offen einzugeflehben. Die wirkliche Rage der Dinge
muß man foharf ins Auge faffen, das hat noch nie ge-
ſchadet, aber jene verabfcheuungsmwerthe Manier der Höf-
linge, einen Abgrund mit Blumen füßduftender Redens-
arten zu beftreuen, der hat ſchon unberechenbares Ber:
derben gebracht. Wer nicht blos in der Actenftube, fon-
dern im Volke lebt und vermöge feiner Stellung und
Perfönlichkeit die unverfchleierte Stimmung des Volks
‚zu hören bekommt, der weiß, daß der Verf. recht hat.
Und wenn wir die Schuld jener unglücklich bedrohlichen
Thatfache auch keineswegs wie der Verf. vorzugsmweife
auf jene unmwürdigen Spibenftechereien fehieben, durch wel-
che man königliche. Ausdrüde hat drehen und "deuteln
wollen ; wenn wir vielmehr ber Anficht find, daß es
mannichfaltigere und tiefere Gründe dafür gibt: fo koͤn⸗
nen wir doch auch nicht verkennen, daß die falfche Tak⸗
tik der Anhänger einer abfoluten Monardyie in Bezie⸗
hung auf das königliche Verfprechen auch das Ihrige zu
diefer antimonarchiſchen Stimmung beigetragen Habe.
Die guten Freunde find auch Hier wieder die fchlinmften
Feinde. In dem Intereſſe ihrer eigenen Sache fowol
als au vor Allem in dem Intereffe der Monarchie
ſelbſt, die bei ſolchen Streitigkeiten nie mitleiden follte,
wäre es daher zu wünſchen, wenn auch don unſern
Gegnern dieſes Schlachtfeld ganz aufgegeben und ver⸗
ale würde und dadurch, daß fie ſich Immer noch an
"Worte hängen, bie fi doch einmal nun nicht umdeuten
febende Mängel.
en und Das Chriften
laffen, zeigen fie eben andererſeits, wie verzweiflungevoll
es mit der Sache ſteht, die fie verfechten. *)
3. von Florencourt.
— — —— ——
— — — —
Geſchichte der bildenden Künfte bei dem chriſtlichen Vol⸗
kern, vom Anfange unſerer Zeitrechnung bis zur Gegen⸗
wart. Von Gottfried Kinkel. örſte Lieferung.
Die altchriſtliche Kunſt. Mit acht Tafeln. Bonn, Henry
und Cohen. 1915. Gr. 8. 1 Thir. 10 Nor. -
Bol in Beiner Zeit hat die Menfchheit ihre Blicke fo for-
ſchend rüdwärts gewandt, fo fehnfüchtig jedes verlorene . gei-
ſtige Beſizthum aufgefucht und durch die Wiffenfchaft fig wie
dererrungen als in der Gegenwart, wo fo mande Stüsen
des Lebens unficher zu werden drohen. Keine Wiſſenſchaft biuht
daher fo frifch und genießt ſolche Autorität als die Geſchichte,
welche die Thaten und Gedanken vergangener Zeiten und Vol—
ter, ihre Werke der Kunſt und Piteratur aus Schutt und
Staub wieder ins Leben ruft. Wie aber für die Bearbeitung
einzelner Faͤcher der Hiſtorie eine Überficht ihres Gefammtge-
biete ſtets hülfreiche Hand bietet, fo iſt auch für das Stu:
dtum der Kunft eine umfaffende Darftelung ihrer Gefchichte
von der hoͤchſten Bedeutung, und wir muften daber das vor
wenigen Jahren erfhisnene „Handbuch der Runftgefchichte‘
von Kugler als ein epochemachendes Werk beurüßen. ES—⸗
orientirte zum erften Mal in dem Labyrinthe der verfchieden-
ken Kunftrichtungen der Jahrtaufende und legte fo den Grund
ür alle folgenden Unternehmungen diefer Art, indem es zu:
gleich für eine genauere Betrachtung der einzelnen Perisden
die Thuͤr öffnete. Gleich jedem Anfange, hat cs jedoch neben
feinen unbeftreitbaren großen Verdienſten auch nicht zu über:
1. Grft unter fortdauernder Bearbeitung kann
fih der Stoff in feinen kleinſten Iheilan abglätten und zu ei⸗
nem barmonifchen Ganzen ausbilden; ımd ein ungeübtes Auge
muß erſchrecken über die ungeheure Maſſe des vorliegenden.
Stoffes. Mit fcharfem Blick und tüchtigem Fleiße bat num
Kugler die zahliofen Daujteine ausgefucht und zufammengefüge,
aber es fehlt feinem Werke die Durchbildung und Abrundung;
die verſchiedenen Metalle ſind nicht zu Einem Guſſe zufammen-
geſchmolzen. Daher kann die Behandlung eines einzelnen Ge⸗
bietes und eines wichtigern Periode der Kunſt nur als hoͤchſt
erfreulich erſcheinen, wie fie in Kinkel's „Geſchichte der bi
benden Künfte bei den chriftlichen Wölfen” in ihrer erften
Lieferung uns vorliegt.
Schen der Gegenstand felbft nimmt ein-aligemeineres Im⸗
tereſſe in Anſpruch, indem es die uns zunächft liegende Ver⸗
und ‚das thum ift, deren kuͤnſtleriſche Be-
ebungen in biftorifcher Entwidelung vorgeführt werden. Der
enge Zufammenhäng von Religion und Kunft fritt uns bier
dor Augen, wie er der proteftantifchen Anfchauung bisher fer:
ner lag, und 'Katholirismus und Proteſtantismus eimigen ſich
hier auf einem Gebiete, wo alle gebildeten Bölßer fi) bie
Hand reispen.. Es ift neutraler Boden, ben wir in den Kaͤm—
pfen der Seit betreten, obgleih auch bier ein Hauch des reli⸗
giöfen Lebens alle Werke durchweht, der aber eine höhere Ein:
heit uns ahnen laͤßt in dem Streit der Parteien. Hier findet
alfo Jeder, auch der Laie in der Kunft, in feinem veligidfen
aber kirchlichen Interefie einen Anknüpfungspuntt, an dem er
fih zum ; eiffigen Oenuß der einzelnen Werke wie zu tieferer
——* es allgemeinen Weſens der Kunſt erheben kann,
indem dieſe Geſchichte derſelben neben der gründlichſten Sach⸗
kenntniß auch noch Durch ihre edle Popularität für alle gebil⸗
deten Kreije zugänglich. iſt. Das Kugierfhe Werk dagegen
entfpricht dieſem Bebürfniffe nicht, da e8 für Laien zu feinem
Verftändniß zu viel voraysfegt ; welchem Mangel dur eine
*) Den zwelten Artikel geben wie im näcften Monat. D. Net.
%
Gereniung von bbildungen einzeluer Nurdiwerke jett
nachgeholfen werden fol, wir fie bei Kinkel den einzelnen He
ten ſahr paffend gleich beigefügt find. Wußerbem erleichtert der
enge Bufammenhang des Stoffs bei dieſem den UÜberblick, wel»
her bei Kugler durch die Maſſe erfchwert wird. Es ift Dem»
nach ein große Ganzes, welches fich Hier vor unfern Augen
aufroßt, der mächtige Baum der chriſtlichen Kunit, den wir
emporwacfen, fi) entfalten-und die herrlichſten Blüten und
Früchte treiben ſehen. Riemand aber war auch wol durch feine
Stellung, feine Studien und fein Talent zu einer ſolchen Auf
gobe, wo bad Allgemeine mit dem Einzelnen, die gelehrte
Forſchung mit leichter Darftellung verbunden werben mußte,
fo herufen wie gerade der Verfaſſer.
Kinkel ift nämlich eigentlich proteitantifcher Theolog und
war bis jetzt Privatdocent an ber Uiniverfität Bonn, mo er
vorzugsweife über Kirchengefchichte lad und daneben ſich mit
allgemein geſchichtlichen, bejonders aber kunſthiſtoriſchen Stu⸗
dien befchäftigte. Seine erſte Schrift enthielt eine Sammlung
SHredigten, welche ſich durch blühenden Stil, tiefe Herzens:
kenntniß wie menſchlich ſchoͤne Auffaffung der Lehre und Per:
fon Ehrifti auszeichneten, aber mehr jchilbernd als entwidelnd,
mehr rhetoriſch als praßtifch ergreifend waren. Hatte er fi
Hierdurdy als Redner vortheilhaft- befannt gemacht, fo trat er
vemmaͤchſt auch als Dichter mit einem Bändchen Poefien (Stutt-
gard 1843) auf, mo fein Zalent mehr auf die Seite der er:
zählenden Dichtung, des Epos, als der Lyrik hinneigte, indem
die Heinen Stüde gegen das größere „Otto der Schüg” be:
deutend zurüdfichen. Diefes Zalent für die Erzählung, Schil-
derung, Geſchichte bewährte fih in der Profa dann glänzend
duch ein romantiſches Märchen: „Ein Traum im Speffart”,
in einem der legten ne des „Rheiniſchen Taſchenbuch“,
welches fo melodiſch weich dahinfließt wie Ouellenmurmeln und
Waldesrauſchen und fo zauberiſch traͤumend uns anblitkt wie
eine monderhellte Brüblingsnadht. Einige Dramen, welche noch
nicht zur Aufführung gekommen find, behandeln bedeutende
Hiftorifche Momente, doch mangelt der Sprache des Berf.
dabei der verzehrende Blitz der Leidenfchaft, die Beweglichkeit
und Spannung der lebendigen That, wogegen fie in der Er»
zaͤhlung, dem Epos und der Gefchichte ihren ruhig fpiegelfla
ren Strom ungeftört entfalten Bann. Diefed Talent fowol ats
das Intereffe für Kunft und Hifterie konnte nun an Einem
Stoffe nicht beffer befriedigt werden als an einer folchen
Geſchichte der bildenden Künfte, wie fie des Verf. neueftes
Work liefert, worin auf gleiche Weiſe gründliche Gelehrſam⸗
Leit, Eünftlerifcher Sinn und fchöne Form zu hHarmonifcher Ein:
heit zufammenwirfen.
Leider liegt bis jept nur eine Kieferung vor und, welches
das erfte Zahrtaufend der hriftlihen Zeitrechnung umfaßt, in-
dem die drei noch folgenden im Laufe des Jahres 1846 erſchei⸗
nen follen, aber wie ex ungue leonem, fo Tann man von
diefem heile ſchon mit Sicherheit auf das Übrige fchließen.
Demnach würde das Ganze einem großartigen Epos zu ver:
gleichen fein, deflen erfter Geſang die Geburt der chriftlichen
Kunft feiert, wie fie ſich langfam aus den Windeln des Alter:
fhums losmacht und das über den Trümmern der antiken
Belt errichtete Kreuz mit blühenden Rofen umfchlingt. Die
einzelnen Stadien der Entwidelung und die Charaktere der
verfchiedenen Epochen find mit-fharfen, feften Zügen gezeich-
net, indem zwifchen felche Gefchichtserzählung die Beſchreibun⸗
gen bedeutender Kunftdentmäler gleih anmuthigen Epijoden
eingeftreut find. Dabei weiß der Berf. Einzelnes und Ad:
gemeines meifterhaft miteinander zu verbinden, wie 3. B. der
nfang und Die erfte Entwickelung kuͤnſtleriſcher Thaͤtigkeit bei
den ne lebendig gefbütbert, und der Charakter des by-
zantiniſchen Stils durch kurze aber vielfagende hiftorifche Schlag⸗
worte aufs fehärffte ausgeprägt wird, an welche geringſchei⸗
nende Andeutungen für ben Geſchichtskundigen ganze Reihen
von Bildern uud dem Leben der Kirche und des Hofes von
Byzanz ũch anknuͤpfen. Dieſer Einfluß der Weligion und
Fönnen, damit das MWifen der
r
AR
Hicche: auf die Kunſt iſt hier an dev Geflhidhte derſelben von
Kinkel zum erſten Male vollſtaͤndig nathgewiefen worden, wie
es das Berdienſt von Haſe in Iena iſt, Die Geſchichte bes
chriſtlichen Kunft auch in das Studium der Theologie einge
führt zu haben, wovon feine „Kircheng eſchichte“, welche unftrei»
tig das geiftreichfte theologifch-hiftoriiche Werk unferer Beit ifl,
ben Beweis liefert. Alle Kunfl geht nach Kinkel von ber
Religion, vom Cultus aus, und wie bie Wölfer des. Alters
thums durch die Verſchiedenheit ihrer Religionen ſcharf von⸗
sinander getrennt waren, fo iſt ihre Kunſt nur national; die
moderne Gultumvelt Dagegen tft Dusch eine gemeinfame Reli:
gion, durch das Chriſtenthum, unter fich verknüpft. Wäh⸗
rend ji, demnach die Kunftgefchichte der voxchriftlicgen Welt
in lauter faft ganz unverbundene Bildungsgefchichten der ein⸗
zelnen Voölker auseinanderlegt, ‚haben wir in - der modernen
Belt eine ungerreißbare Einheit vor und.‘ Darum überweg
bier das kirchliche Clement in der Kunft gegen das biftorifche,
weiches ſtets im fpeciellen Bölferleben feine Wurzeln fchlägts
aber die Religion felbft bat bier eine Gefchichte, was im A:
terthum nicht der Fall tft, und Religion und Gefchichte, in
der antifen Welt getrennt, find hier eins. Diefe Abhängig:
keit der neuern Kunft von der Entwidelung des Ehriftenthums
gibt erfterer ihre große Bedeutung, und die genaue Beruͤck
fihtigung ihres beiderfeitigen DVerhältnifies ift ein befonderes
Berdienſt Kinkel's. Bei Kugler dagegen tritt der religiöfe
Aufammenbang der neuern Kunft zurüd, und er wird im
Mittelalter dadurch fogleich zerriffen, daß der Islam mit fei-
nen Schöpfungen zwifchen den Unfang und die Blüte der co-
mantiſchen Kunſt jtörend bereintritt, was freilich bei ſolch ei⸗
ner allgemeinen Darſtellung, welche die Zeitfolge fefthalten
muß, ſchwer zu vermeiden war. Um fo erfreulicher erfcheint
ein Werk, weldhes, von Einer Idee ausgehend, alle aus ihre
entfprungenen fünftlerifhen Beftrebungen in Ginem Überblide
zufammenfaßt, wo man ohne Störung von der allgemeinen
Betrachtung einer Periode zu den Meinften Gebilden berfelben
berabfleigen und diefe ſtets wieder an den gefchichtlihen Ya:
den anknüpfen Tann. Bei Kugler tritt deshalb die chrifkliche
Kunſt auch nur im Mittelalter als ein Ganzes auf; in der,
neuern Zeit fehlt ihm ein leitender Gedanke und es zerfplit-
tert fi feine Geſchichte nach den verfihiedenen Boͤlkern und
Schulen, mährend das religiöfe Element nur an einzelnen
Punkten hervorgehoben wird. Gerade für die moderne Beit
aber, wo mit der Wiffenfchaft auch die Kunft ſich von der
Kirche abgewandt und in die ˖ Fülle des Weltiebens vertieft hat,
war ed vor Allem nothwendig, die geheimen Fäden aufzufu:
hen, welche die mannichfaltigen Kunſtrichtungen innerlich doch
an die religiöſe Idee anfnüpfen und fo untereinander wieber
zu einem. Ganzen verbinden. Denn feinem wahren Weſen
nach ift Der moderne Geift, wenn auch nicht kirchlich wie das
Mittelalter, doch ebenfo religiös wie. jenes, aber auf eine
neue umfafiendere Weife. Bewirkte das Chriſtenthum zunächft
ein Umfchlagen des Geiſtes aus dem Außern ins Innere, weo-
durch es felbft äußerlich wurde, fo hat es in der neuen Seit '
ein Umſchlagen deffelben aus dem Innern ins Außere bervor-
gebracht, wodurch es felbft weſentlich innerliher und geiftiger
geworden ill. Nach außen hat fich Daher Welt und Ehriften-
thum getrennt, aber im Geifte zu einer größern Einheit zu-
fammengefchloffens und diefe Einheit auch in den Kunftbeftre:
bungen der Bölker und Zeiten nachzuweiſen muß auf die &e-
ſchichte derfelben ein neues Licht werfen. Kinkel bat dieſe
Aufgabe Präftig erfaßt, über ihre Köfung aber im Einzelnen
Laßt ſich noch nichts Näheres urtheilen, da, außer einer allge:
meinen Überfiht der Perioden, die eigentliche Geſchichte tm
vorliegenden Hefte nur bis zum Ende des erſten Jahrtauſends
fortgeführt if. ,
Was diefen erften Theil betrifft, fo haͤtte der allgemeine
Charakter des Heidenthums und feiner Kunſt wol für fi al-
fein abgefchloffener und a ehem bingeftellt werden
rifflichen Kunſt ſich Daran
wu R ein dr 5*5 The
, „rn e etung d en if." *
es hierbei der — —— für ——
nen Momente ihrer a —— —** *
ſchneidende Gogen riſchen Da
—— — — erſt aus dem Siege der
lichen Kunft die Stärke des überwumbenen Zeindes ahnen 1&
Freilich tritt an einzelnen Werten der Unterſchied in diefem
arſten Jahrtauſend noch —8 fo Ilogend hervor is im zwei
nentbinnhtzk a und Flöfdndig. eatalten Komme *
ei aͤ entfalten e e
— e Einkleidung chriſtlicher Gedanken in hei
Bi
Begenfa
pr feinem
wider diefelbe m mer; und Schafude Pe Beides
han nau zufanımen und bezeichnet der ſinnlichen rende
und Be —— der Antike gegenüber das eigenthüm⸗
ce Weſen der chriſtlichen Kunſt, was bei Kinkel nicht genug
dervergeboben wird. Niemand aber bat dieſen Gontraſt ſchoͤ⸗
zer ausgeſprochen wie Lenas in ſeinem herrlichen Gedichte
„Waoenarola”, wo es z. B. heißt:
Daß fie am Schmerz, den fir zu troͤſten |
Micht wußte, mild vorüberfährt, |
Glen’ ih als ber Zauber grbften, |
Womit und bie Antike ruͤhrt;
und wo er in Anerkenntniß Diefes Mangels der alten Kunfl,
welche mur für Südliche paßt und für die geheimen Qualen
der Mentgenbruft Beinen Troſt, fondern nur Scherz und
@pott bietet, einen Künftler wie Michel Ungele mitten im
Sianze einer Appigen Kunft und Ratur verzwetfelnd und ju-
beind zugleich ausrufen läßt:
Hier fteht der Menſchenſchmerz inmitten
Der fremden Kunft und ber Ratur,
Bon ihren Herzen abgefähnitten,
Gehoͤhnt von ihrer Freudenfpar.
Doch fiehit du dort ab jenen Zweigen
Daß Kicchenkreuz im Mondenftrabl?
Siehft du den Bott herab fih neigen
&o mitleibbvoll zu unfrer Dual?
Mir ſtroͤmt «6 ferudig von den Wangen,
Denn ploͤtzlich durch des Shmerzes Bunf
JG meinen Blickm aufgegangen
Die tiefe Welt der Chriſtenkunſt.
Die Feindſchaft der jungen Religion gegen das Heidenthum
mußte nothwendig 4 eine Beindfgaft gegen feine *
Bollendung in der Kun ugen; wie da
über. jenes -gefiggt — über. jenes -gefiegt hatse, fo glaubte es auch Die verfuhriſche IBM abbrihh 17 es —* die ——
FI
N
Er
g
Min
En
uffaßt
denthum war überwunden, aber woch nicht d
allein war die Wahrheit erkangt, aber neben.
eit und Berwerflichbeit der Retur
—E Darum ergri mäth
ten tm 2* des Sieges der wehmüthigſte Schmerz uad Die
heiheſte Sehnſucht, und Die Kunſt —— umd — 5
dieſen Widerſpruch in ihren Sebilden Sehnſucht
oben, die Begeiſterung für das Ideale wie die Geligkeit des
Eyhymerzes und ber Entfegung ift e6, was fie feiert in ihren
Heiligenbildern und ihren bimmelenfirebenden
it;
ſchaften tritt jegt in der Malcrei und Sculptur hervor,
rend dir Glieder als ohne Bedeutung verhüllt werden. Die
Architektur Dagegen zeigt den Charakter der Erhebung, det
Aufſtrebens, des überwiegens ber Höhe über die Preite fomei
im romaniſchen wie im gothifehen Stile. Doch waltet in je-
nem neben gehaltener Ruhe noch das Princip der Sunerli-
keit vor, während dieſer nur in der Mnendiichkeit feiner febram- '
Benlofen, unbefriedigten Sehnſucht felbft Ruhe - findet, umb
auch nach außen Hin die Unendlichkeit feiner Gedanken in ei⸗
ner Fülle zahllofer Blüten und Bilder offenbart. Derum wer
ide t pafiend, wenn Kugler den romanifchen und ges:
maniſchen Stil zwei befondern Perioden zutheilte, da fie auch
den Werken der Malerei und Sculptur dieſer Zeiten ihren
Unterfchied nit fo ſcharf als ihren gemeinfomen Charafter
aufprägen. Kinkel dagegen faßt Beides in die Periode DaB
Mittelatterd zufammen, nachdem er den erften Seitraum bib
gm Sabre 1001 als den der unfelbftäudigen chriſtlichen Aunft
—— bat, weil fie Bier noch unter dem Einfluſſe der Un-
e arbeit
(Der Deſchluß ſolgt.)
—— Rotiz.
Geſchichte von Rheims.
Zu den wichtigſten —æ8 derjenigen Nubrif der
hiſtoriſchen Literatur Frankreichs, welche der Geſchichte einzel⸗
ner Städte gewidmet iſt, gehört die Geſchichte von Kheims ve
Pater Dom Guillaume ale. Bis jegt find mir indeffen
nur im Befig einer vom Berf. felbft veranftalteten lateiniſchen
Bearbeitung geweſen, indem zu verſtehen gegeben war, daß fein
Werk nur in biefer Zorm werde veröffentlidgt werben Fünnen.
&o iſt denn die cigentlihe urfprüngliche Arbeit, bei welder
ber Berf. fih her franzoͤſiſchen Sprache bedient hatte, unge:
druckt geblieben, bis fie jegt endlich auf Anregung und unter
dem befondern Schuge der Akademie von Rheims unter bem
Bitel „Histoire de la ville, <ite ‚et universitt de Reime,
meötropolitaine de la Gaule be ‚ divisde en douse
livres, contenant l’estat eccl&siastique et civil du “i
Drude erſchienen iſt. Dieſe Faflung iſt nicht blos ——
Bearbeitung (,,Mettopolensis Remeneais à, 106 *8*
1679) nicht e neue
fondern weicht auch in einigen Partien von der Ia
historia
unbedeutend ab. Die
rd en. bis zum 2 1663, —e Die Tee ge
VBerantwortlidher Herausgeber: Yeinzig Ber Bro@pant, — Drad und Berlag ı — Drud und ö— zerantwortliher Herausgeber: Seinrid Mrodtans. — Drud und Berlag von $. WC. Meodidaus in Bei. — von $. x. Brockhaus in Beipgig.
Blätter
für
literarifße Unterhaltung.
13. April 1846.
Religiöfe Tendenzromane.
1. Der ewige Jude. Bon Eugen Gue.
0% A Bände. Leipzig, Brodhaus.
Ir
2. Kaifer und ir. Hiſtoriſcher Roman von Heribert
Rau. Drei Xheile. Leipzig, Brockhaus. 1845. Gr. 12.
kr.
Ihlr
3. Die Jefuiten .in England und Dftreidh. Ein Roman.
Dre Zn Pal Engelmann. 1845. : Gr. 12.
Zyr. 1
4. Mac ler, ner muß es eine Kirche geben? und welche?
Rovelle von Bilbelm Gartner. Zwei Theile. Leipzig,
Teubner. 1845. 2 Thlr. 12 Rgr.
5. Die Separatiften. " Roneie von 2. van ber Meulen.
Ami Bände. Leipzig, Brigfhe. 1845. 8. 2 Abir.
gr.
6. Die Neukatholifhen. Roman aus der Gegenwart von
Er. „euboiaetp Drei Bände. Grimma, Verlagscomptoir.
Aus dem Fran:
u
1845. 8. 4 Tilr. 15 Rgr.
7. Chan na Soggarth, der Priefterfänger. “Eine Kine Er⸗
zäblung aus den Beiten ber Religionsacht. Bon M. Arch⸗
deacon. Augsburg, Schmid. 1845. 8. 1 Ahle,
8. Der Bauer am Gaisberge. Cine Erzählung aus dem 16.
Zahrhundert. Bon Karl Wehrmann. Gt.» Gallen,
uber u. Comp. 1845. 8. 13%, Rer.
>
unft und Leben. Eine romantifche Eryäblung in drei
heilen aus ber en 3 4 3. U. Moshamer.
Wien, Pichler.
Wir wollen nit damit hesimmen, das Weſen dee
Nomans zu entwideln, feine Anfänge nachzuweiſen, feine
verfhisdenen Phafen durchzunehmen und ihn ſtufenweiſe
auf den Punkt zu begleiten, anf welchem. er gegenwärtig
mgelangt iſt. Dazu gehörte mehr Raum ald wir zu
verwenden haben, auch haben wir unfere Grundanſichten
über das Weſen des Romans und über feine Geftaltum-
gen bereitd in einem frühern Jahrgange b. BI. zur Ge⸗
nüge dargelegt; hier haben wir es mit dem Romane wie
er gegenwärtig ift, mit der Begenwart des Romans zu
hun. Alle Romane, deren Titel oben verzeichnen ſtehen,
wurzein mit Ausnahme einiger weniger — unb auch deren
Tendenz besieht fi) auf das Heute — mit ihrem Stoffe
in der Gegenwart unb wollen eben dadurch, baf fie
Partien der Gegenwart charakterifiren, ein beſonderes
Interefſe in Anſpruch nehmen.
Der Roman gewährt. allerdings für bie Bemegungen
der. Gegenwart bie. paſſendſte und .die bequemſte Dich⸗
tungeform. Keine : :andexe Zum if :fo :ausbehnbar, fo
“bewegt ift, nicht ihren vollen Ausdrud geben. .
‚Spiegel alles jener Bewegun
geichmeidig, fo willig, Alles in fi aufzunehmen und mit
einem faum noch bemerkbaren kuͤnſtleriſchen Bande zu⸗
fammenzubalten. Durch dieſe Geſchmeidigkeit und Cla-
flicität ift eben der Roman ein rechtes Kind unferer Zeit,
die noch nirgend zum Abſchluß gefommen und nad) al
len Richtungen bin immer neue Kruftallifationen hervor⸗
treibt. Die epifhe Ruhe, die dramatifche Erhabenheit,
die lyriſche Weichheit koͤnnen unferer Zeit, welche ſtets
Ihre
deutlichſte Zeichnung findet ſie im Romane, der eben
epifche, dramatifche nnd lyriſche Elemente in ſich auf-
nehmen ann, aber auch deshalb, feiner -Unftätigfeit hal-
ber, auf eine claffifde Formendurchbildung feinen An-
ſpruch zu machen bat. Dehlgerwandeſcaften werden
nicht mehr geſchrieben. Es iſt der Stoff, es iſt die
Tendenz mit ihrer Unruhe, welche der Form bed No-
mans weit über den Kopf gewachſen ift, fie vielfach zer
fprengt bat und fie nur noch nebenfächlich hinter ſich
herfchlepp. Die Kunft des Romans ſcheint über die
politiſche und ſociale Theorie des Romans immer mehr
vernachläſſigt zu werden, immer mehr zu Grunde zu
gehen. Die Kunft des Romans verlangt zu ihrer Wahr⸗
werbung eine volllommene Harmonie zwifchen Idee umd -
Erfcheinung, zwifhen der Ausführung unb ber Inten⸗
tion, unſerer Zeit aber, in dem Kampfe ihrer Wider⸗
ſprüche, fehlt, mit den Grundbedingungen aller Kunſt,
auch die objective Ruhe, weiche über den Erſcheinungen
thront und die es allein zu einem fünftlerifch-vollendeten
Romane bringen, fann. Das Blut fiedet zu heif, die
Bewegungen find zu gewaltig, es ift zu fehr die Tiefe
des Inhalte, der Zbeen, ber Principien, welche die Welt
bewegen und über die Begrenzung ber künſtleriſchen
Form hinausreißen, ale dag man noch allzu großen
Werth auf eine feine Kifelirarbeit, auf eine mühſam
vollendete Moſaik legen folte. Die geniale Sand, ber
zeiche Sealsfield und endlich der effectreiche Sue haben
fih genöthigt geſehen, die Grenzen, welche ihnen der
alte Roman ſetzte, zu überſpringen und ſi ch auf einem
durchaus freien Felde zu bewegen.
Indem der Roman alſo aus ſeiner runfileriſch
geſchlofſenen Sphäre berausgetreten if und fih zum
ogungen gemacht ‚hat, weiße b die
Zeit ans ihrem tiefen ieheefe hervortreibt, fällt er auch,
410
ganz abgefehen von dem Kunftromane, der feinen Zweck
in der Befriedigung des afthetifchen Genuſſes und der
poetifchen Darftelung fucht, natürlich nad den Haupf-
richtungen auseinander, welche die Zeit eingefchlagen hat.
Dieſe Hauptrichtungen find’ als der palitiſche, der ſociale
und der religiöle Geſichtspunkt zu bezeichnen. Das po-
litiſche Gebiet ift fchon feit längerer Zeit durchadert und :
durchfurcht worden, deshalb find auch ſchon feit längerer
Zeit fogenannte politiihe Romane vielfach erfchienen.
Sie repraͤſentirten entweder abftracte politifhe Tendenzen
‚oder fie fuchten die Gefchide ihrer Helden mehr oder
minder mit dem Laufe der. politifchen Sterne in Ver⸗
bindung zu bringen und mehr politifche Decorationd-
malerei ald den Blut- und Mervengeift des politifchen
Lebens därzuftellen. ° Während biefe letztern großentheils
durch ihre dicken Effecte auf die große Maffe des Publi⸗
cums -berechnee waren, blieb ber Kreis der erflern immer
mur fehr Begrenzte. Die 'abftracten Tendenzen, die in
ihnen überall hervordrachen, drangen zu feinem vollen
Leben durch, fie gaben flaatswiffenfchaftlihe Kompen-
dien zum Beften, wo fid) die Gefihichte in Individiali-
täten und Situationen entwideln follte, und wenn fie
ed zu -Bitnationen und Individualirdten brachten, fo
waren diefe in der Regel abfihrediend, unnatürlich, fie-
berhaft. Man merfte es ihmen-allzu fehr an, daß Die
geſchichtliche Beweguug in Deutfchland noch zu keinem
freien Fhiffe gekommen fei, daß ihre Geſtalten nicht
aus der NReichhaftigkeit des realen- Lebens gefchöpft, daß
fie als Homunculi in den Retorten deftillirtt und in Ge-
fehrtenftuben gezeugt worden waren. Unfere politifche
Romanliteratur bietet wenig Großartiges, ſei es in ber
Anläge, ſei ed in der Ausführung. Die Verfuche bee
Aungen Deutfhlands auf diefem Felde find durchaus
eine voller: reifen Geftaltungen geworden, - dagegen hat
fidy die Mittelmäßigteit bald mit mehr bald mit minder
Begabung. anf bdielem Felde nad) allen Dimenſionen
ausgebreitet, und unſerm gewähnfihen Publicum mag es
recht bequem geivorden fein, je weniger es felbft Ge⸗
ſchichte macht, "bet einer leichten Romanlecture die nee:
ften Wallungen ber Zeitgefchichte zu empfinden. - *
Einen andern großen Rreis hat ſich der Noman in
der foctalen Frage erobert. : Die Darftellung und die
Kritik der Tohalen Zuſtände find- von ihm aufgenommen
‘worden. Das poltifche Intereffe tritt für dieſe größte
Frage der europäiſchen Menſchheit auch bereitö im Ro—
mane zurüd. Die. praktifhe Natur der Englänper hält
ößtentheild von "der Entwickelung der ſo⸗
cialen Intereffen in der Form des Romans ab, dagegen
diefe Nation
Fühlen fih Franzoſen und-Deutfche Tebhaft Dazu hinge-
zogen.’ Wie nun in Deutſchland die Entwidelung der
jocialen Frage noch hinter derfelben in Frankreich zu-
rückſteht, fo auch⸗ der ſociale Roman. Was wir auf
diefem Felde befigen, -find nur noch Anfänge und Ver⸗
ſuche, in Frankreich dagegen . hat ber fbeinte Roman
nach allen: Ricytungen. Hin Ausbreitung genommen, von
der feinfinmigen Sand bis zum derben,effesteeichen ‚Sue.
Die unterwühlten:. -Zuftände- der Gegenwart ‚und. die
Probleme einer communiftifhen Zukunft find mit glei-
Her Kraft in der franzöfifchen Literatur dargeftellt wor-
den. Und wie die fociale Bewegung noch eine große
Zufunft vor fih bat, fo muß der fociale Roman eben-
falls no ein ‚weites Reich zur Beherrſchung haben.
‚Der ſociale Roman iſt das echte Product unferer me-
dernen Entwidelung. In ihm finden fih .alle Tiefen
und Saiten derfelben vereinigt. Wie einft der Ritter-
roman die altfpanifche Weltanfchauung ausfpradh, wie
der deutſche Charakter ſich einft im Familienromane wi-
berfpiegelte, fo ift jegt der fociale Roman zum Ausdrud
der wefteuropäifhen Weltbewegung geworden und er
verhullt und entſchleiert zugleich die Probleme unferer
gemeinſamen Zufunft.
Eine ganz eigenthüntiche Seite des Romans iſt in
Deutfchland und zwar vorzüglich in der allerneueflen Zeit
zur Entwidelung gebracht worden. Dies ift der theologiſche
Roman, oder fagen wir der Roman mit religiöfen Ten-
denzen. Kann ſich die Natur unfers Volks beffer aus-
drüden ald in diefen Romanen, welche ihn: ganz eigen-
thümlich find? Unſer Volk muß die Religion in alle
Verhältnijfe einführen, es geht, überall an eine Werar-
beitung derfelben. Nicht genug daß die Religion im
Staate eine Macht ift, nicht genug daß fie die Gefelf-
[haft trennt und .zerfplittert, nicht genug daß fie auf
Kanzeln und Kathedern fleht, nicht genug daß fie ſich
in jüngfter Zeit im Überfluß über den großen Bücher-
marft, durch das breite Bett der Journaliſtik und der
Brofchürenliteratur ergießt, auch der Roman wird von
ihr in Beichlag genommen und er muß zur Werarbei-
tung der religiöfen Frage nah allen Seiten hin dienen.
Diefer theologifivende Roman ift deshalb nicht als
etwas Iſolirtes zu betrachten.” Man mus in ihm die
bewegende Kraft und das Drangen und Kämpfen des
deutfchen Volks erkennen. Eine religiöfe Entwidelung
wie Deutichland fie genommen, ein theologiiher Kampf
wie er in Deutſchland bis zit den vweiteften Gonjequen-
zen durchgefochten, iſt von Feiner andern Nation der
Belt aufzuweiſen. Das Gebiet der Religion und der
Theologie iſt fo recht das Gebtet des beutfchen Volks,
über nicht blos um darin -zu bleiben, fondern aud um
es aufzulöfen:: und um &8:. gründlich zu zerflören. Der
reltgiöfe . Kampf. wie er. Deutfchland bewegt kann von
feinem: andern Volke richtig verfianden ‚werden, Deutſch⸗
fand fämpft. ihm für die ganze Welt, es ift zugleich
das : Land der glänbigften Myſtik und des bewußtvoll⸗
ſten, confegienteften Atheismus. 0 Zr
Die eigenthümlicde Stellung, welche Deutfchland zur
Religion und "Theologie einnimmt, wird: erft:dann recht
Har,. wenn man die reltgiöfen, theofogifchen und phile-
ſophiſchen Zuftäande der. Nachbarländer, Englands und
Frankreichs, betrachtet. :. In beiden: Ländern wird bie
Steligion vom: einem ‚gan; anbern Standpuntte aus am⸗
gefehen als in Deutſchland. Man geht dort immer von
Vorausſetzungen aus und wagt es nirgend mie in
Deutſchland die religioſen: Vorausſetzungen ſeibſt einet
Kritik unterzuorbdnen. England, deſſen Urſprung ſich
— — — — — -
411
wit Deutſchland auf biefelbe Wurzel zurückführen haft,
iſt deffenungenchtet in veligtöfer Beziehung bee firengfte
Gegenfatz Deutſchlands. Die religisfe Vorausſetung,
die ſtrengſte Hierarchie beherrſcht das. freieſte Volk Eu⸗
ropas durch einen ſtarren, geiſtloſen Formalismus, den
ſich Deutſchland niemals gefallen laſſen würde. Die
Wiffenfchaft iſt in England noch immer der Theologie
untergeordnet, die Freiheit ift noch immer durch den
confeffionnelleh Zwang. gebunden, die Vernunft, ‚die Frei:
beit hat fich noch nicht al im Gegenfage zur Religion
und Thenlogie erkaunt wie in Deutſchlaud, und einen
Streit, einen Kampf hervorgerufen, wie er alle Adern
Deutſchlands erfhüttert. Der Proteſtantismtis iſt in
England in dem farren Bau der anglicanifthen Kirche
eingefroren, fein Grundelement ift verloren gegangen und
noch die legten Parlamentöyerhandlungen über bie
Maynoothbill haben den eclatanten Beweis geliefert, daß
die Mehrzahl ber floizen- Infalaner über eine engbe-
grenzte confeffionnelle Neligionsfphäre nicht hinaüsblicken
könne. In England fühlt fi die Regierung aus politi-
fhen Gründen veranlaft, den confeflionnellen Kreis zu
erweitern. aber bie Nation befindet fi in Oppofition
dagegen; in Deutfchland fuchen die Regierungen aus
politifhen. Gründen die confeflionnellen Kreiſe feiter zu
ſchließen und ein Princip geltend zu machen, welches
fi) dem englifchen annähern möchte, aber der alte echte
Geiſt deutfcher Nation ift mächtig gegen fie in Die
Schranfen getreten und weiß -ein folhes Thun mit all
feiner Kraft zu verhindern. Blicken wir nun von Eng-
land auf Frankreich hinüber als auf dasjenige Land,
welches im romanifchen Bölferfreije die freieſte Entwicke⸗
fung genommen hat, fo.:beweift fi hier ebenfalls, wie
ſchwach und nebenfaͤchlich der religiöfe Kampf Deutſch⸗
land gegenüber geführt wird. Man kämpft hier nicht
wie in Deutfchland gegen Prikcipien, gegen Ideen, man
ſtreitet um Formen, um Inftientionen, die veligiöfe Vor⸗
ausfegung berührt man nicht, fie bleibt auf bem runde
des Franzoſenthums beruhend. In Frankreich ift zwar
der Geift ber Revolution geboren, aber es fehlt ihm. der
Geift der Reformation ,: der ſich ſeit brei Jahrhunderten
in nimmer endenden Kämpfen durch Deutfehjland bewegt. |
Der Franzoſe ift außer Stande die Neligion fo inner:
lich aufzufaſſen und fo geiftig zu. durchdringen wie der
Deutfche, deshalb kann er weder fo naiv glauben wie
der Deutfche noch auch fo confequent. alle religiöſen
Vorausſetzungen vernichten wie der deutfche Geifl. Im -
Slauben bringt er es nur zur Form des Glaubens, zum
icche, im Zweifel nur zum Mar
terialismus, wie es die franzöfifche ‚Literatur der legten .
Gehorfam gegen..die
Hälfte des vorigen Jahrhunderts beweiſt. Der veligiöfe
Kampf Frankreichs bewegt fih nur gegen Formen, ge-
gen bie Form des Ultramontanismus, im Gegenfage zu
einer franzoͤſiſchen Nationalkirche, gegen das Inftitut der
Sefuiten als der. träftigften und unermüblichfien Ver—
theidiger Roms. Frankreich hat Feine productiven Kräfte,
weder ins Religiöfen noch im Antireligiöſen, weder in
der Theologie noch in der Philofophie, es hat- nur refi-
®
«
a . s
*
gisfe und -autireligiöfe, theologiſche und philoſophifche
Sormalismen. In Deutfchland aber drängen alle jene
pᷣroductiven Kräfte hervor, die "wir in Frankreich ver-
— und fie. geſtalten ein Schauſpiel, wie es nur aus
er Organifation des. deutfshen Geiftes zu begreifen ift,
fie beherrſchen, verwirren, befeuchten das Leben in einer
Art wie fie nirgend anderswo ftattfindet. Der Kampf
gegen die Religion wird .bei uns ebenfo gläubig und
theologifch geführt als der Kampf für einzelne Seiten
ber Religion, und es fcheint eine Aufgabe des deutſchen
Volkes zu. fein, das religiöfe Element bis in feine weis
teſte Confeguenz zu verfolgen. ze
a (Die Fortfegung folgt.) .
— —
Geſchichte der.bildenden, Kuͤnſte bei den chriſtlichen Mol:
fern, vom Anfangeunferer Zeitrechnung bis zur Gegen.
” wart. Bon Gottfried Kinkel. Erſte Lieferung.
u CVBeſchluß aus Nr. 102.) 0
Die Einheit der kirchlichen Kunft des Mittelalters, dier
fer Hinimel, den fie in al ihren Gebilden anbetet, wie ift er
plöglid Dahingeichwunden, einem leichten‘ Morgentraume ver«
gleichbar, vor - der alten und. fcharfen Luft des Wiſſens
und der Erkenntniß, welche mit dem 15. Jahrhundert über
die Erde .weht!.. Und wir würden ihn nur für einen. Traum
halten, wenn nicht feine Rieſenwerke. dafür zeugten, daß ey
Wirklichkeit gewefen. Wie das Mittelalter feine. böchften
Kräfte daran, verfchwendete, jene Sehnſucht nach dem Himmel
und einer Terfühnung des Geifted mit der Natur kuͤnſtleriſch
zu verherrlihen, jo will die neue Zeit dieſe Verföhnung felbft
vollbringen durch wirkliche Unterjochung der Raturkräfte, und
darın beftcht die fogenannte Preja ded heutigen Lebens. Die
*
45
Bergangenheit wandte ihre Augen nach oben, um den irdi:
fen :3ammer zu vergefien, Die Gegenwart aber fenkt tief in
die Erde und das Menſchenleben. hinein ihre Blicke, und es
entipringt rdaraus eine Saat mächtiger Werke und Erfinduns
. gen. Ihren Rupen, ihre verborgenen Kräfte lauſcht der
Menfch der Natur ab, und damit geht ihm: auch wieder der
Sinn für. ihre Schönheit auf. . Die Berfühnung, weiche Die
Religion verheißt, volbringt er durch mühevolle Arbeit, und
dieſe erfcheint ihm daher nicht minder heilig und ‚religiös. alb
die Freude ‚und der Genuß. - Der überwundene Schmerz liegt
nur ald dunkler Hintergrund in feinem. iegedfrohen Auge ;-
braucht. die Natur nicht. wehr zu fürchten, da er die Mittel
befißt ihre Zauberkräfte zu bannen,: unb fo vermählt‘er ſich
wieder Siebend mit ihr in der Kunſt. Diefe ericheint deshalb
als ein Zurüdftreben nad) der Antife, aber .nicht um das Alte
wiederherzuftellen,, fondern durch das Chriftenthum neu zu: er
füllen, und als sein Studium: der Rotur, aber nicht: um jie
fHtovifch nachzuahmen, fondern geiftig zu verklären. Ein neues
Heidenthum tritt allerdings, wie Snimermann in feinem „Muͤnch⸗
haufen‘ es prophegeit, in die Welt ein, und wer, die Brille des
Vorurtheils abgenominen , kann es ſchon in nächſter Räühe er
blicken. Das Studium der Gefchichte und der alten Kunft; die
Begeifterung für die Ideale reiner Menjchlichkeit, der Cultus
des Genius in den ımzähligen Monumenten unjever. großen
Männer: Alles weift boffend und weiffagend auf ein. Keues
bin. Wol Mancher ahnt und fühlt Daflelbe, aber noch Nie:
mand hat fein Wefen in Einem Worte ausgefprochen, obgleich
ed nichts iſt als das uralte Weſen der Menfchheit felbit, was
feiner ewigen Jugend fich wieder bewußt wird. Wie: erlifcht
und : verblaßt vor diefem thatenglühenden, ingendfraftigen
Streben nad vorwärts der Heiligenſchein um Die modernen
Märtyrer: und Madonnenbilder! Wie Falt und unverflanden
ſchauen die grauen Dome auf: dab raſtloſe Treiben unferer
‚410
ganz abgefehen von dem Kunftromane, der feinen Zweck
in der Befriedigung des afthetifchen Genuſſes und der
poetifchen Darftellung fucht, natürlich nach den Haupt:
richtungen auseinander, welche die Zeit eingefchlagen hat.
Diefe Hauptrichtungen find als der politifege, der fociale
und ber religiöfe Geſichtspunkt zu bezeichnen. Das po-
litiſche Gebiet ift ſchon feit längerer Zeit durchadert und
durchfurcht worden, deshalb find auch ſchon feit längerer
Zeit fogenannte politiihe Romane vielfach erfchienen.
ie repräfensitten entweder abftracte politifche Tendenzen
‚oder fie fuchten die Gefchide ihrer Helden mehr oder.
minder mit dem Laufe der. politifhen Sterne in Ber:
bindung zu bringen und mehr politifche Decorationd-
malerei als den Blut- und Mervengeift des politifchen
Lebens’ därzuftellen. * Während diefe legtern großentheile
durch ihre dicken Effecte auf die große Maffe des Publi⸗
cums -berechnee waren, blieb der Kreis der erflern immer
nur fehr begrenzt. Die abftracten Tendenzen, die in
ihnen überall hervorbrachen, drangen zu feinem vollen
Leben durch, fie gaben flaatswiffenfchaftlihe Kompen-
dien zum Beſten, wo fi} die Geichichte in Individuali—
täten und Situationen entwideln follte, und wenn fie
es zu ‚Situationen und Individualitäten brachten, fo
waren biefe in der Negel abfihrediend, unnatürlich, fie
berhaft. Man merkte es ihnen- allzu fehr an, daß die
geſchichtliche Bewegung in Deutfchland noch zu feinem
freien Flüſſe gefommen fei, daß ihre Geftalten nicht
aus der Reichhaftigkeit des vealen- Lebens gefhöpft, daß
fie als Homunculi in den Retorten deftillirt und in Ge—
fehrtenftuben gezeugt worden waren. Unſere politifche
Romanliteratur bietet wenig Grofartiges, fer ed in der
Anläge, fet es in der Ausführung. Die Verfuche bes
Jungen Deutihlands anf diefem Zelde find durchaus
eine voller: reifen Geftaltungen geworden, - dagegen hat
fich die Mittelmäßigkeit bald mit mehr bald mit minder
Begabung: anf diefem Felde nah allen Dimenſionen
ausgebreitet, und unſerm gewoͤhnlichen Publicum mag es
recht beguem geiborden fein, je weniger ed felbft Ge-
ſchichte macht, ber einer leichten Romanlecture bie neue-
ften Wallungen ber Zeitgefhichte zu empfinden. : " :
‚Einen andern großen Kreis hat fi) der Roman in
der focialen Frage "erobert. Die Darftellung und’ die
Kritik der ſocialen Zuflände find- von ihm aufgenommen
‘worden. Das poſttiſche Intereffe tritt für diefe größte
Frage der europäifchen Menfchheit auch bereits im Ro—
mane zurück. Die. praftifche Natur: der Engländer bält
diefe Nation größteneheils von der Entwickelung der fo-
cialen — in der Form des Romans ab; dagegen
fühlen ſich Franzoſen und- Deutfche Iebhaft dazu hinge-
zogen. Wie nun in Deutfchland die Entwidelung der
ſocialen Frage’ noch hinter derfelben in Frankreich zu-
rückſteht, fo auch: der fociale Meinen. Was wir auf
diefem Felde befigen, ſind nur noch Anfänge und Ver—
fuche, in Frankreich dagegen bat ber: fbriale Roman
nach allen: Richtungen. Hin Ausbreitung genommen, von
der feinfinmigen Sand bis zum bderben, effecteeichen Sue.
Die unterwühlten Zuſtände der Gegenwart ‚und. bie
Probleme einer communiſtiſchen Zukunft find mit glei-
Her Kraft in der franzöfifchen Literatur dargefiellt wor-
den. Und mie die fociale Bewegung noch eine große
Zukunft vor fih hat, fo muß der fociale Roman eben⸗
falls noch ein ‚weites Neich zur Beherrſchung babem.
‚Der fociate Roman ift das echte Product unferer me-
dernen Entwidelung. In ihm finden fih alle Tiefen
und Saiten derfelben vereinigt. Wie einft der Ritter-
roman die altfpanifche Weltanfhauung ausſprach, wie
der deutſche Charakter fi einft im Familienromane wi-
derſpiegelte, fo ift jegt der fociale- Roman zum Ausdbrud
der weftenropäifchen Weltbewegung geworden und er
verhüllt und entſchleiert zugleich die Probleme unferer
gemeinfamen Zukunft.
Eine ganz eigenthümfiche Seite de6 Romans iſt in
Deutſchland und zwar vorzüglich in der allerneueften Zeit
zur Entwidelung gebracht worden. Dies ift der theologiſche
Roman, oder fagen wir der Roman mit religisien Ten-
denzen. Kann ſich die Natur unfers Volks beffer aus-
drücden als in diefen Romanen, weldhe ihm ganz eigen-
thümlich find? Unſer Volt muß die Religion in alle
Verhältniffe einführen, es gebt, überall an eine Verar⸗
beitung derfelben. Nicht genug daB die Religion im
Staate eine Macht if, nicht genug daß fie die Gefelf-
[haft trennt und .zerfplittert, wicht genug daß fie auf
Kanzeln und Kathedern ſteht, wicht genug das jie ſich
in jüngfter Zeit im Überfluß über den großen Bücher:
marft, dur das breite Bett der Sournaliftit und der
Brofchitrenliteratur ergießt, auch der Roman wird von
ihr in Beſchlag genommen und er muß zur Berarbei-
tung der religiöfen Arage nach allen Seiten hin dienen.
Diefer theologifivende Roman ift deshalb nicht ale
etwas Ifolirted zu betrachten. Man muß in ihm die
bewegende Kraft und das Draugen und Kämpfen des
deutfchen Volks ertennen. ine religiöfe Entwidelung
wie Deutſchland fie genommen, ein theologifcher Kampf
wie er in Deitfchland bis zit den weiteſten Eonfequen-
zen durchgefochten, tft von Feiner andern Nation der
Welt aufzumeifen. Das Gebiet der Neligion und der
Theologie iſt fo recht das Gebler .bes beutfchen Volks
aber nicht blos um darin zu bleiben, fondern aud um
es aufzulöfen : und um es gründlich zu zerflören. Der
reltgiöfe Kampf wie er. Deutfchland bewegt kann von
feinem. andern Volke richtig verfianden werden, Deutſch⸗
kand kaͤmpft ihn für die ganze Welt, es ift zugleich
das "Land der glänbigften Myſtik und des bewußtvoll⸗
ften,. confeguenteften Atheismus. | J
Die eigenthümliche Stellung, welche Deutſchland zur
Religion und Theologie einnimmt, wird erſt: dann recht
Bar, wenn man die religiöſen, theologiſchen und phile-
ſophiſchen Zuftände ber Nachbarländer, Englands und
Frankreichs, betrachtet. In beiden Laͤndern wird bie
Religion von einem gan, andern Standpunkte aus an⸗
gefehen als in Deutſchland. Man geht dort immer von
Berausfegungen aus‘ :und wagt es nirgend wie in
Deutſchtand Die veligiöfen: Vorausſetzungen ſelbſt einek
‚Kritik unterzuordnen. England, deſſen Urſprung .fich
U.
giöſe and zautireligiöft, - theofogifche und ‚phifofepbifige
mit Deutſchland auf biefelbe Wurzel zurückführen läßt,
iſt deffenungeschtet in veligtöfer Beziehung ber firengfte
Gegenfap Deutſchlands. Die religioſe Vorausfegung,
die firengfte Hierarchie beherrfiht das. freicfte Volt Eu-
ropas burch einen flarren, geiftlofen Formalismus, den
ſich Deutfchland niemals gefallen laffen würde. Die
Wiffenihaft ft in England noch immer der Theologie
untergeordnet, die Freiheit ift noch, immer durd, den
eonfeffionnellen Zwang gebunden; die Bernunft, die Frei-
beit bat fich noch nicht als’ im Gegenfage zur Religion
und Theologie erkaumt wie in Deutfchland,: und einen
Streit, einen Kampf hervorgerufen, wie er alle Adern
Deutfhlands erſchüttert. Der "Proteflantismüs iſt in
England in dem fiarren Bau der anglicanifthen Kirche
eingefroren, fein Grundelement ift verloren gegangen und
noch die legten Parlamentsverhandlungen über die
Maynoothbill haben den eclatanfen Beweis geliefert, daß
die Mehrzahl ber ſtolzen Inſulaner über eine engbe-
grenzte -confeffionnelle Heligionsfphäre nicht hinaüsblicken
tönne. In England fühlt fi die Regierung aus polifi-
fhen Gründen veranlagt, den confeffionnellen Kreis zu
erweitern, ‘aber bie Nation befindet fi) in Oppoſition
dagegen; in Deutfchland fuchen die Regierungen aus
politifchen. Gründen die confeflionnelleg Kreiſe feiter zu
fhliegen und ein Princip geltend zu machen, welches
fi) dem englifchen annähern "möchte, aber der alte echte
Geift dentfcher Nation ift mächtig gegen fie in die
Schranken getreten und weiß ein folches Thun mit all
feiner Kraft zu verhindern. Blicken wir nun von Eng-
land auf Frankreich hinüber ald auf dasjenige Land,
welches im zomanifchen Bölkerfreije die freieſte Entwide-
lung genommen hat, fo.:beweift. ſich hier ebenfalls, wie
ſchwach und nebenfählich der vefigiöfe Kampf Deutfch-
land gegenüber geführt wird. Man kaͤmpft hier nicht
wie in Deutfehland gegen: Principien,; gegen Jdeen, man
ftreitet um Formen, um Inſtitutionen, die religiöfe Vor⸗
ausfegung berührt man. nicht, fi bleibt auf dem Grunde
des Franzoſenthums beruhend. In Frankreich ift zwar
der Geiſt der Revolution geboren, aber es fehlt ihm der
Geiſt der Reformation, der ſich ſeit drei Jahrhunderten
in nimmer endenden Kaͤmpfen durch Deutſchland bewegt.
Der Franzoſe iſt außer Stande die Religion fo inner: '
lich aufzufaffen und fo geiftig zu. durchdringen wie der
Deutfche, deshalb kann er weder fo naiv glauben wie
der Deutfhe noch auch fo confequent- alle veligiöfen
Vorausſetzungen vernichten wie der deutfche Geiſt. Im
Blauben bringf er ed nur zus Form des Glaubens, zum
Gehorfam gegen. die Kirche, im Zweifel nur zum Ma-
terialismus, wie es die franzöftfche Literatur der legten :
Hälfte des vorigen Jahrhunderts beweiſt. Der veligtöfe
Kampf Frankreichs bewegt fih nur gegen “Formen, ge⸗
gen die Form des Ultramontanismus, im Gegenfage zu
einer franzöfifhen Nationalkirche, gegen das Inftitut der
Jeſuiten als ber Träftigften und unermüblichften Ver⸗
theidiger Roms. Frankreich hat keine productiven Kräfte,
weder im Religiöfen noch im Wntireligiöfen, weder - in
der Theologie noch in der Philofophie, es hat- nur reli⸗
® +
a
Formalismen. In Deutſchland aber drängen alle jene
Productiven Kräfte‘ hervor, die wir in Frankreich ver-
— und ſie geſtalten ein Schauſpiel, wie es nur aus
er Organiſation des. deutfchen Geiſtes zu begreifen iſt,
fie beherrfchen, verwireen, beleuchten das Leben. in einer
Art wie fie snirgend anderswo ftatefindet.. Der: Kampf
gegen die Religion wird bei uns ebenfo gläubig und
theologifch geführt als der Kampf für einzelne Seiten
ber Religion, und es fcheint-eine Aufgabe des deutſchen
Volkes zu. fein, dad religiöſe Element bis in feine wei:
tefte Confegienz zu verfolgen. ° ° | *1
DE) (Die Fortfegung folgt.)
Geſchichte der.bildenden. Künfte bei den chriſtlichen Voöl—
tern, vom Anfange:unferer Zeitrechnung bis zur Gegen-
® wart. Von Gottfried Kinkel. Erſte Lieferung. :
' | (Beſchlus aus Nr. m) 5. ⸗
Die Einheit der kirchlichen Kunſt des Mittelalters, die
fer Himmel ,-den fie in all ihren Gebilden anbetet, wie ift-er
plögli Dahingefchwunden, einem leichten‘ Morgentraume ver:
gleichbar, vor der Palten und. ſcharfen Kuft des Wiſſens
und der Erkenntniß, welche mit dem 45. Zahrhundert über
die Erde weht! . Und wir würden ihn nur für einen Traum
halten, wenn nicht feine Wicfenmerke.dafür Zeugten, daß er
Wirklichkeit geweien. Wie das Mittelalter feine böchften
Kräfte daran verfchwendete, jene Sehnſucht nach dem Himmel
und einer Verſoͤhnung des Geiftes mit der Natur kuͤnſtleriſch
‘,
>
D
zu verherrlichen, jo will die neue Zeit dieſe VBerföhnung ſelbſt
pollbringen duch wirkliche Unterjohimg der Naturkräfte, und
darin befteht die fogenannte Preſa des heutigen Lebens. Die
Bergangenheit wandte ihre Augen nad oben, um den irdi-
ſchen: Sammer zu vergeffen, die Gegenwart aber fenkt tief in
die Erde und das Menfchenlcben .. hinein ihre Blide, und es
entipringt rdaraus eine Saat mächtiger Werke und Erfindun⸗
gen. Ihren Ruben, ihre verborgenen Kräfte lauſcht der
Menſth der Natur ab, und damit geht ihm: auch wieber per
Sion für ihre Schönheit auf. _ Die Verföhnung, walche die
Religion verheißt, vollbringt er durch mühenolle Arbeit, und
diefe erfcheint ihm daher nicht minder heilig und religiös, ’als
“die Freude und der Genuß. - Der. überwundene Schmerz liegt
nur als dunfler Hintergrund in feinem: fiegesfroben Wuge;- er
braucht. Die NRatur nicht. mehr zu, fuͤrchten, da. er die Mittel
befigt ihre Zauberkräfte, zu bannen, umb fo vermählt er fi
wieder fiebend mit ihr in der Kunſt. Diefe ericheint Deshalb
als ein Zurüdftreben nach der Antife, aber ‚nicht um, das Alte
wiederherzuſtellen, fondern durch das Chriftenthum neu zu er-
füllen, und ald ‚cin Studium: der Natur, aber nicht um jie
ſtlaviſch nachzuahmen, fondern geiftig zu verklaͤren. Ein neues
Heidenthum tritt allerdings, wie ISnimermann in feinem „Münch
haufen’ es prophegeit, in die Welt ein, und wer, die Brille des
Vorurtheils abgenommen, kann es ſchon in nächſter Raͤhe er
blicken. Das Studium der Geſchichte und der alten Kunſt, die
Begeiſterung für die Ideale reiner Menſchlichkeit, der Cultus
des Genius in den unzähligen Monumenten unſerer großen
Männer: Alles weiſt hoffend und weiſſagend auf ein: Neues
bin. Wol Mancher ahnt und fühlt Daffelbe, aber noch Rie:
mand hat fein Weſen in Einem Worte ausgefprochen, obgleich
ed nichts iſt als das uralte Weſen der Menjchheit felbft, was
feiner ewigen Jugend fich ‚wieder bewußt wird. Wie. erlifcht
und verblaßt vor diefem thatenglühenhen , jugendfräftigen
Streben nad vormwärtd der -Heiligenfchein um Die modernen
Märtyrer: und Mabonnenbilder! Wie Falt und unverftanden
fhauen die grauen Dome auf das raſtloſe Treiben unferer
daß die ehöpfung und alles Reinmen
p
| oo Ä 212
Kade herab, welche doch einft die glühendfte Begeiſterung zum
Simmel erhob!
Für dies dem Mittelalter durchaus feindlihe Streben
der neuern Seit und ihrer Kunft bat fi) aber Kinkel den
Weg gebahnt durch eine weitere und freiere Auffaffung des
Chriſtenthums felbft; wonach es nur durch feine erfte Abhän-
igkeit von engherzigen jüdiſchen Unfichten und durch feinen
enfag gegen die Heibnifhen Religionen jene überfinnliche,
afcetifche, weltflüchtige Richtung annahm, während es feinem
innerften Weſen nad die SHeiligfprehung alles Reinmenſch⸗
lien als des Guten und Göttlihen if. Als es daher mit
dem 15. Jahrhundert zum Bewußtſein feiner äußern Feſſeln
kam, erkannte es ſich von neuem ald Geiſt, und wit im Un:
fang des Mittelalter die Völker, fo rangen jept die Einzel
eifter nach Freiheit. In der Kunft fügte fi) aber dieſes
treben auf die erfte vollfommene Offenbarung bed Menſchli⸗
“hen in der Antife, „und der Proteflantismus mit Anerken⸗
nung des Leiblihen ald des von Natur Berechtigten riß fich
von der bisherigen Kunfttradition, überhaupt von der heiligen
Kunft los, und ging zumeift in Holland zur Auffaffung des
realen, wirklichen Lebens über‘. „Auf jener erneuten, im
edeiften Sinne heidniſchen Kunſtanſchauung, auf dem Gedanken,
(liche auch außerhalb
der kirchlichen bäre ein Göttliches fei, bar die moderne
Kunft mit ihrer Eräftigen Neigung für Natur und Geſchichte
fih entwidelt.” Uber „wie ‚in den Gedanken der modernen
Welt die Freiheit un die Stelle Der Religion, an die Der Theo
logie aber Philofophie, Raturkunde, Geſchichte getreten find, fo
wird auch Die kirchliche Kunft von der —* überall aus
dem Felde geſchlagen“. Und das konnte zunaͤchſt nicht ohne
großen Schaden Fir die Kunft überhaupt geſchehen; denn fie
verfiel dadurch in das Subjective, Manierirte, wie ed die Re
naiffance und der Rococoſtil zeigen, um endlich feit Windel
mann zum Studium der ächten Antike ald einzigem Rettungs⸗
mittel zurüdzulehren. Uber die alte Nachahmung derfelben
Tonnte Eein neued Leben erzeugen, und vergebens fuchte Die
romantifche Schule das Heil im Mittelalter; der Eigenfinn der
Mode fehritt ſchnell über biefe verrotteten Beftrebungen bin:
weg, feßte ihnen jedoch erft die Krone auf durch feine Nachah⸗
mung des fchlechteften Geſchmacks aus dem vorigen Jahrhun⸗
dert. „Unter all diefen Erſcheinungen beginnt man allmälig den
Nuf der Beit nach hiftorifcher Kunſt zu begreifen”, ſagt Kinkel,
und er ſchließt feine einleitende Uberfiht mit den Worten:
„Wir haben in der Burzen Zeit eines halben Jahrhunderts das
fonderbare Bergnügen gehabt, daß die Kunft der Mode alle
vergangenen Formen und noch einmal abfpiegelte, die antike,
die mittelalteväche, die des vorigen Jahrhunderts: mit diefem
Guckkaſtenſpaß Hat es nunmehr ein Ende, da es für die Affen
der Kunft nichts mehr nachzuahmen gibt. Wir find auf den
Punkt gefommen, wo wir dad Bauen, Bilden, Malen aufge
ben, oder einen neuen unferm Zeitgeifte verwandten Stil auf
finden müffen.” '
Zu einem folchen Auffhwunge der Kunft ift indefjen im-
mer die Einwirkung äußerer Ereignifie nothwendig, melde
das ganze Leben neu beftimmen oder geſtalten; aber ebenfo
gewiß ift, daß eine Belebung der Kunft durch nichts befler be-
rdert, unterflügt und vorbereitet werden Bann, als durch ein
ründliches Studium ihrer Vergangenheit, ihrer gefchichtlichen
Entwickelung. Denn aus den Geſetzen des Werdens, melde
darin fi auspraͤgen, zeigt fih der Weg, auf dem die Sur
kunft ihre Werke vorbereitet. Und andererfeitd kann nur eine
Kenntniß der Geſchichte der Kunſt in den Stand fepen, ihre
gegenwärtigen und fünftigen Schöpfungen zu würdigen, welche
ih immer neu auf dem Schutte der Vorzeit erheben. Denn
nie, auch nicht vor dem Froſthauche des proſaiſcheſten und kaäl⸗
teften Jahrhunderts, wird jemals die Blüte der Kunft ver:
welten, vielmehr wird fie immer mehr wie im Alterthum wie-
der ein Gemeingut, ein geiftiger Genuß, ‚eine Schule der Bil:
dung und Veredlung werben; — und biefem Zwecke dient kein
4:
Buch beffer als das vorliegende, weiches durch lebendige Ber»
anſchaulichung der vergangenen Kunſtbeſtrebungen zur Höhe
der Gegenwart binaufführt. Möge es daher in den weitefken
Kreifen und unter den verfchiedenften Ständen Lefer finden,
wie es fie fodert und verdient! 92
Literarifhe Anzeige.
Allgemeine Encpftopäbie
Der
iſſenſchaften und Kuͤnſte
in alphabetiſcher Folge von genannten Schriftſtellern
bearbeitet und herausgegeben von
8.8. Erſch und J. G. Gruber.
Mit Aupfern und Marten.
Der Pranumerationspreis beträgt für jeden Theil
in der Wusgabe auf Drudpapier 3 Thlr. 25 Ngr., auf
Belinpapier 5 Thlr.
ZZ” Frühen Subferibenten auf die !CHgemeine En-
eyPlopabdie, welden eine Reihe von T fehlt, fe
wie Selen, bie als Abonnenten neu eintreten wollen,
werden die den Ankauf ae ofen Bedingungen zu⸗
. ’ 8 .
' Im Jahre 1845 find neu erfchienen:
Erfie Geetion (A—G). Herausgegeben von 3. @. Gru⸗
ber. -Alfter und 42fter Theil.
Zweite Gection (H—N). Herausgegeben von 4. G. Hoff:
mann. Z4fter heit.
Dritte Seetion (O— Z). Herausgegeben von M. H. €.
Meier. MWfter Theil
Diefe Theile enthalten u. A. folgende wichtige Artikel:
Erfte Section: Fabrik von Eiselen; Facultät (nuneri-
fche) von Sohncke; Färöderne von Schubert; Falco und Felis
von Burmeister; Falk (Johannes) von Döring; Falknerei von
Pfeil; Falklandsinseln von Pöppig; Fallvon Hankel; Fallsucht
von Rosenbaum; Kamiliengüter und Familienrecht von Diecks
Familienwesen von Bosse; Fanatismus und Fechtkunst von
Scheidier; Fatum, Faustrecht und Kehmgericht von Wachter ;
Farbe (mathematifh, phyſikaliſch und äfthetifch) von Hankel
und v. Quandt; Farbestoff von Steinberg; Farnese von Gruber ;
Fasten und Fejertage von Fink; Fascia von Theile; Waust
(Sage von) von Sommer; La Fayette von Stramberg; Feen
von Richter; WKehrbellin (Schlacht bei) von Heymann. -
Zweite Section: Irland von Lappenberg; Irre
Irrenanstalten von Zeller; Irritation von Österlen; Isaak (bibli⸗-
ſche und gefchichtliche Perfonen) von Hoffmann, Röse und Külb;
Isabella (Königinnen) von Röse, Wachter und Genersich;
Isatis Tinctoria von Murrer; Isäus von Weissenborn: Isenburg
von Jandau; leis von Matthiae, Schirlite, Meyer und Pöppig;
Ismail (Regenten und Gelehrte) von Fidgel und Benteken.
D Section: Peutinger von Kckermann; La Peyrouse
von Fischer; Pfändung und Pfandrecht von Pfotenkauer;
Pfänner und Pfännerschaft von Martins; Pfaffenrecht vor
Wislicenus; Pfahlbürger von Löker; Pfalz (Geographie und
Geſchichte) und Pfaingraf von Fischer und Wachter; Pfanne
(mit zwei Tafeln) von Backe.
Beipgig, im April 1846.
5. Brockhans.
Berantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brockzans. — Drud und Verlag von F. X. Drockhaus in Leipzig. .
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Keligidfe Tendenzromane.
. (Borkfekung aus Nr. 18.)
Ben diefent Geſichtspunkte aus iſt die veligiöfe und
kirchliche Bewegung zu betrachten, welche gegenwärtig
Deutſchland beherrſcht. Der Proteflantismus ift in zwei
große Extreme auseinander gegangen. Auf der einen
Seite ſteht die Partei der Orthodoxen, der Wortgläubi⸗
gen, der Anhänger Hengftenberg’s, welche den Proteftan-
tismus auf ein enges Gebäude kirchlicher Hierarchie zu⸗
ruckführen wollen und den Glauben über die Vernunft
gefegt haben. Ihnen gegemüber ſteht ein Phalanx, bei
dem der Proteſtantismus im Durchgange durch bie
neue Philoſophie in einen durchweg confeqienten, phile-
ſophiſchen Atheismus übergefchlagen iſt. Zwiſchen bei-
Sen bewegen fi die Vermittelnden bin unb ber, bie
aften Rationaliften und die neuen Lichtfreunde, und. bei
ihren Wermittelungsverfuchen tauchen Fragen auf und
beunruhigen den beutfhen Volksgeiſt, die man längſt
überwunden zu haben glaubte und die nun als Schat⸗
ten der Gruft entfieigen. ine Vermittelung hat im-
mer etwas Unerguidliched und Ungenügendes, ganı be⸗
fonder6 da, wo wie bei une in veligtöfen Angelegenhei-
ten ber allgemeine Charakter zu dem entfchiebenften Con⸗
fequenzen bintreibt. Aber eine. Vermittelung bat auch
wiederum eine nothmwenbige Seite, wo wie bei uns die
Unmöglüchkeit vor Wugen liegt, auf einen Schlag bie
große Menge des beutfchen Volks zur legten Conſequenz
in Sachen der Religion zu führen. Während unfere phi-
lofophifchen Atheiften den Wermittelungsverfuchen ebenfo
abgeneigt find wie ihre Antipoden die Orthodoxen, ift es
den DVermittlern vor allen Dingen darum zu thun, bie
alte Einchlihe und theologifche Begrenzung aufzuheben
und eine freiere Bewegung zu geflatten. Sie geben
‚deshalb die religiöfen, kirchlichen und theologifchen Grund⸗
Beftimmungen nicht auf wie die Atheiften es verlangen,
fie ſuchen fie vielmehr weiter und für die Vernunft zu-
gaͤnglicher zu machen. So tft das proteftantifche Gebiet
in Deutſchland der Plan für die verfchiedenften Rich⸗
tungen und für bie heftigfien Kämpfe geworben und
nur die Einſeitigkeit der Regierungsmaßregein hemmt
ab und zu bdiefen Kampf und drückt die Geftaltungen,
weiche fih offen audfpreihen wollen, in die Tiefe, ohne
Le
Dienftag, — Str. 104, |
14. April 1846.
fie aber vernichten zu koͤnnen. Derfelbe Kampf bat fich
auf dem Gebiete der Katholicismus geltend gemadıt.
Die Sache der Janfeniften in älterer, die der Hermeſia⸗
ner in neuer Zeit hatte uns ben Beweis geliefert, daß
innerhalb bes Katholicismus eine Reform unmöglich fei;
da brach ſich aber in Deutfchland eine Bewegung Bahn, -
weiche Fathofifch bleiben wollte, ohne fich moch fernerhin
den Sagungen Roms unterzuorbnen. Diefe Bewegung
iſt noch zu neu als daß ihr hiftorifcher Verlauf ſchon
angegeben werben tönnte, aber fie beweift wiederum
den religiöfen Beruf des beutfchen Geiftes und feine
Kraft. Wir müffen es noch abwarten, melche productiwe
Geftaltung der Deutſch⸗Katholicismus nehmen wird.
Bis jegt iſt er eigentlich nur noch durch die Negation
Noms von Bedeutung gemefen. Es fragt fi) aber nicht
nur, wie er zu Rom fteht, es muß fih aucd fragen,
wie er fih zum Principe der Meformatlon und über-
haupt zum Principe des freien Geiſtes verhaften merbe.
8 muß ſich zeigen, ob ihm eine Entwidelungsfähigkeit '
inne wohnt, die ihn befähigt, mit den Entwidelungen
des proteftantifchen Geiftes Schritt zu Halten, alſo, ob
er eine dauernde, hiſtoriſche Bedeutung gewinnen wird,
Dazu bedarf er nicht blos der Perfönlichkeiten, fondern
noch mehr der Ideen. Eine Sache bes Volks ift er
geworden, er bat baffelbe in feiner innerlichſten Natur
bewegt, es ift nun nur noch dahin zu fehen, daß dieſe
VBolksbewegung ſich in dauernden Früchten einen Preis ,
gewinne. Der Zwieſpalt in ihm felbft ſchadet nichts,
er ift ein Zeichen des Rebend. Und um es zu bewahr⸗
heiten, daß die religiöfe Bewegung mit duf befondere :
Kreife befchränkt, fondern eine allgemeine fei, fehen wir
fie fogar im Judenthume Geftaltung gewinnen und ſich
mit den Waffen des Nationalismus gegen die Rabbiner
Drthodorte wenden. Nicht mehr die Eonfefflonen trem-
nen in Deutfchland, die Ideen fchlagen dur. Der -
tömifche Katholik fleht dem Hengftenbergianer näher ale
dem Deutfch-Katholiten, der Lichtfreund fteht dem Deutſch⸗
Katholiten näher als dem Orthodoxen feiner Confeſſion.
Und eben diefe Allgemeinheit der religiös-ticchlicden Be⸗
wegung iſt das Große derfelben in Dentfchland, eben fie
fefert mehr als irgend ein confeffionnellee Hader den
Beweis, daß es eine Miffion des deutſchen Volks ifl,
ſich über den beſchraͤnkten Geſichtékreis gleichberechtigter
414
Seiten zu erheben und in dem freien Humanismus bie
neue Weltreligion zu begründen. |
Blickt man allerdings von dem hohen Standpunfte,
wo die Religion ausfchlieglih Sache des Einzelnen ge-
worden, auf unfere gegenwärtigen ZJuftände, fo haben
fie manche abſchreckende Seite. Der Kampf wird Häufig
wüſt und wire geführt, es wirken allzu oft fremdartige
Motive. E86 gewinnt häufig den Anfchein, als ob aus
diefem Knäuel nicht eine Schlihtung zu erwarten fei,
als ob ein fo inveterirtes Übel einen gefunden Drganis-
mus für alle Zeiten unmöglid) made. Es geben man⸗
che Gefpenfter umber In moberbuftenden Hemden. Die
“Fragen, an welchen fi) der Geift abmüht, find vielfach
nicht frifch und rein, fonbern veraltet und aus zuſam—
mengeſtürzten Gräbern herbeigehelt. Es macht fih Man⸗
ches ala Fortfchritt geltend, was nur ein Rückſchritt wäre.
Die Bdeen fprechen ſich nicht geoßartig, nicht mit jener
hiſtoriſchen Gewalt aus, welche frühere Perioden befeclte,
fie verweilen in einer Halbheit und in eines Zurüdhaltung
wie fie dem Charakter unferer Gegenwart eigenthümlich;
fie fcheuen häufig die Gonfequenzen, zu denen der deut»
fche Geift berufen if. Das ift die ſchwächliche Seite
unferer mobernen Religions - und Kirchenbewegungen,
namentlich wenn wir fie mit jenen markigen Geftaltun-
gen vergleichen, die im Zeitalter der Reformation gebo-
zen wurden und bie einen fo reichen poetifchen Inhalt
gewähren. .
Wie es nun in der Natur des Romans liegt, fich
zum poetiſchen Ausdruck aller Zeitbewegungen zu ma⸗
hen, fo bat durch die religiosſ⸗ Pirchlichen Streitfragen
auch unſere Romanliteratur einen eigenthümlichen reli-
giös-tendentiellen Charakter angenommen. Cr erfcheins
nach ben verfchiebenften Seiten bin. Nun aber hat ber
Roman außer feinen tendentiellen Fähigkeit auch einen
poetifchen Beruf, die VPoefie wird immer von ihm ver-
langt werben müflen, wenn er nicht zu einem dürren
‚Katechismus, zu einem trodenen Compendium herabfin-
ten fol. Seine Stoffe müſſen alfe von ber Poeſie
burchdrungen werden können, es muß ihrem Leben eine
Uumittelbarksis zu eigen fein. Wie verhält fih nun der
. Ghavaktes unſerer zeligiös-Licchlicden Bewegung zu die
fer Anfoderung, welche wir dem Romane niemals er⸗
laffen dürfen? Die Bewegung mag gefchicktlich fo be-
bedeutend fein wis nur irgend etwas, aber iſt fie denn
auch poetiſch, kann fis fi zu einem poetiſchen Wormurfe |
eignen? Ja, es ſcheint uns faſt, als ob der religioͤs⸗
kirchliche, Eifer ben deutſchen Geiſt, ald er auch die Ro-
manform für feine Eirchlichen und veligiöfen Anſichten
in Anſpruch nahm, über die Bedingungen ber Woche
fo ziemlich hinausgeführt habe. Es kaun zwar Nie
mand leugnen, daß die Meligion, biefe Triebfeder ber
größten und ungeheuerften Keidenfchaften, ganz vor
zuglich befähigt iſt, der Poeſie sin tiefer Inhalt zu wer⸗
ben; die erhabenſte Poeſie, bie Poeſie des künſtleriſch
en — pr —* der — ke *
rein öfe Natur; aber es fragt fich, ie jegige
3 Bewegung zu einem poetiſchen Vor⸗
wurfe vollkommen geeignet ſei. Eben weil in ber heuti⸗
gen Bewegung die Leidenſchaften nicht großartig auftre⸗
ten, eben weil die Fragen, welche man vorbringt, nicht
rein und unmittelbar, ſondern nur ein Nachlaß früßerer
Kämpfe find, eben weil die Perfönlichkeiten, welche *1
der Bühne erſcheinen, faſt immer des hiſtoriſchen Adels
enthehren, eben deshalb find fie, mögen fie ſonſt
auch fo bedeutend fein wie fie wollen, wenig poe⸗
tiſch. Wir Haben ſchon oben auf den poetifchen Inhalt
bes Reformationszeitalters hingedeutet. Die Poefie die-
fer Zeit beruht in ber großen Reinheit ihrer Fragen, in
dem Muthe, in der Energie ihrer Charaktere. Aber wir
haben heutzutage ebenſo wenig einen Luther wie einen
arl V. und einen Uirich v. Gutten! Wer fühlte es
nieht fogleich, daß biefe Geſtalten poetifch find? Wer
wird aber einen Ronge oder einen Wisliconus u. X.
als poetifch anerkennen? Die Poeſie des Meformations-
zeitalters beweifen auch Lieder wie „ine feRe Burg ift
unfer Gott!’ u. f. w.; aber wo wurde jegt ein ähnli⸗
Her poetifcher Erguß, felbft wo ſich ber große Kampf
zeigt, lebendig? Nein, poetifch find unfere kirchlich⸗
religioͤſen Bewegungen noch keineswegs, wenn ſie auch
nothwendig geworden fein mögen; poetiſch iſt immer nur
das Ganze, das Große, das Entſchiedene und nie=
mals das Halbe. Die Orthodoxie eines Hengſtenbderg
und ber vereinſamte Atheismus eines Bruno Bauer
tönnte ber Entſchiedenheit wegen ſchon weit poctiſcher
erfheinen als die Lichtfreundfchaft eines Uhlich und
Bislicenus Des alte Görses wäre. ebenfalls poetifcher
als Ronge und Czerski. in polniſcher Jude ine
Schmuze feiner Orthodoxie und feines Kaftans ifk immer
noch poetiſcher als der jüdiſche Rationalifi mit dem glatt
geſchorenen Barte und fäner Halbheit! Wenn aber der
moderne Roman auch berechtigt ift, über die fizenge
künſtleriſche Form hinauszugehen, fo wird man doch im-
mer nod einen poetiſchen Inhalt von ihm verlangen
müßten, und legen wir biefen unzweifelhaft richtige
Maßſtab an umfere moderne religiös-tendentielle Roman-
kkteratur, fo werden wir uns mit ihrem Inhalte nur
allzu oft im einem bebeutenden Wiberfpruche befinden.
Was ſonſt neh zu fagen wäre, wird bei ber Beurthei⸗
bang bee einzelnen Werke "am beflen gefagt merken
8
oͤnnen.
(Die dortſetang folgt.)
— —
Eine literariſche Fehde über Den neuphils⸗
ſophiſchen Rihilismus.
Während ber eble Kittel in der badiſchen Kammer für
Seligtondfreiheit in bie Schranken trat und Larum von einem
1 Gläde nur Beinen helle des fanatifieten Solkes faiſch⸗
licherweiſe a6 Solcher bezeichnet wurde, Der die ig
überhaupt abſchaffen wolle, bildet ſich eine Meine phi |
Partei ein, Died ſchon längft gethan zu haben. Auch Einige
unter den Sommuniften, bie in Feder Bestehung das Kind mit
aa * des Br d —*ã* *
8 Ä ig mit der ng des
Mefigion in aller San feutig zu werden. Br bie
44%
Rebormatoren auf dem religiöfen Gebiete, fo
—E han auch jene philoſophiſche Richtung im Namen
der Geißesfreiheit auf und merft in ihrem Eifer und bei fenft |
gutem Willen nicht, daß fie auf die Herrſchaft eines Denk⸗
zwangs binarbeitet, da für fie jedev Andersbendende, bei ber
eingebildeten Unfehlbarkeit ihrer Unficgten, we ne ein
Bernunftfeind, ein Reactionnaire, Pfaffe, Pietiſt u. w. if.
Dos religtöfe Bewußtſein, das tief in Das Weſen des
Menſchen eingegraben ift, auszurotten und dafür unpraktifche,
unerquickliche Theorien populair machen zu wollen, ift im Laufe
dev Seſchichte überhaupt felten und nur theilweiſe ums auf
kurze Seit gelungen. WBenn nun auch viefe Verfuche ihrem ne
gativen Charakter nach manchen Schutt wegräumten und die
Bahn der Wiffenfchaft lichten halfen, fo erſcheinen fie jegt
ganz und gar außer der Zeitz ſetzt, wo das deutſche
Bott wahrheftig nicht aus Gleichgültigkeit gegen die Religion
in einer Aufregung fich befindet, wie fle feit der Reformation
nit wieder vorfam. Anfangs wurde die religiöfe Bewegung
von der bigeichneten uhilofopbif en Partei für vereingelt und
mwichtig gehalten, für einen Kampf um Etwas, das in ihrem
Auge fchon langt „übermunden” war. Nun aber, da Ddirfe
Gricheinung mehr und mehr wächſt und in ihrer Bedeutung
nicht mehr wegguleugnen ift, nun möchte fie dieſelde als eine
Brüde betsachten und benugen, auf der das Bold, wenn es
erſt das roͤmiſche Joch amd die Drthodorie mit ihrem Symbol:
awange abgefchättelt, hinüber zum
Befreiung von der Religion geleitet werden tönnte und hier⸗
durch, wie fie wähnt, zu feiner politifchen Freiheit. Und doch
ift es gerade jener Nidiliemus und Atheismus, welcher der
Reaction Vorſchub leiftet und ihr in die Hände arbeitet, Indem
et ihr Gelegenheit gibt, mit den Gegnern aller Religion zu:
gleich die ganze Partei des Fortſchritts in den Augen bed Voiks
zu verdächtigen. Um fo leichter weiß fich alfo die Reaction, da
. wo fi) atheiftifche Elemente gewahren laſſen, den Schein des
Rechts zu geben und feibft
den Ruhm der Popularität zu er
werben, indem fie dem Atheismus entgegentritt, aber dann
aud) die günftige Betegendeit nicht unbenugt läßt, nach allen
&eiten hin hemmend einzufchreiten.
Wenn auch die beutfche Ration in diefem Augenbli ihre
politifchen Interefien, bie Hand in Hand mit ben religidfen
den, nicht außer Acht läßt, fo hat fie doch gegenmärtig be:
Andere die letztern im Auge und darum konnte ed nicht fehlen,
daB ein Buch wie das ohnlängft von A. Ruge herausgegebene, die
Frucht ſeines Aufenthaltes in Paris, nicht nur lau u fgenonimen
wurde, fondern auch bei den Freunden des Fortfchritts Widerſpruch
und theilmeife Entrüftung erregen mußte. *%) Gntrüftung aud
war ed, die einen lange Verſtummten bewog, wieder öffentlich
aufzutreten. Aus dem Munde der drutſchen Jugend ertönten
in den Jahren 1819 und 1820 bie begeifterten Gefänge A.
Follen's, in denen, abgefehen von einer damals noch beliebten
romantifch uͤberdeutſchen Manler, eine frifche lebendige Poefie
ſprudelt, was jeder Unparteiifche auch noch jept bei ganz ver:
änderter Zeit und Stimmung anerdennen muß. Diefer 9. Fol:
len nun, der vor mehr denn zwanzig Jahren von Freiheit und
Vaterlaud —— gi bald nad der Veröffentlichung des
angeführten 8 von Ruge in ſechs Genetten, „An die gott⸗
Iofen eg e, flie Blatt von einem Verſcholle⸗
nen”, bei Winter in Heidelberg. herausgekommen, feinem Zorne
freien Lauf gegen jene erwähnte Richtung, die in ihrem Rihi-
Iismus wol auch die erſten Regungen eines deutſchen Rational
gefühte. wieder vernichten möchte. Und werm auch biefe Sonette
etwas hart Bingen, daher —5 wie ein oft altener
und Steine mit fi, ſuhrender DB öm, nicht durchweg Mar
fließen wie ein durch biumige Wieſen ſich ſchlaͤngelndet Bad,
von welcher Sorte Baͤ die moderne Poefie ſonſt ja un⸗
>) ehe vie Kritiken über dafſelbe in der „Allgemeinen Beis
tung’, Mb, Nr. 38, und bie in dem. „Btättern für Aterariſche Unt
terhattung⸗, 1885, Nr. T u. 8.
.
theismus, zur fogenannten |
w
zählige aufzuweiſen hat, fo find fie doch von Seiſt und Sitz,
und der Hagel. ift darin nicht felten auf Den Kopf getroffen.
Darum verloren aud bie dadurch Angegriffenen den Kopf und
fuchten in ihrer Replik nicht die Sache, fondern die Perfon
ded Gegners zu treffen, was eine gar bequeme Sache ift, zu⸗
mal wenn ed in fo fhülerhaften Verfen gefchieht und in &o-
netten, die nicht einmal ben gewöhnlichen Regeln des Reims
folgen, wie fie fih unter dem Zitel finden: „Blätter zu dem
Lorberfrange eines «Berfhollenen», eine fromme Neujahrs:
gabe von einigen «Richtd : Wütherichen » (Züri 1846).
Die Herren U. Ruge und 8. Heinzen, die ſich ſpaͤter als
Berfaffer nannten, haben fi durch dieſe fogenannten Poeſien
an ber Poeſie verkinbigt, und ihren eigenen Krängen dadurch
Beine neuen Blätter binzugefügt. So haben fie 3. B. den .
Verfaſſer der ſechs Sonette nicht verftanden, oder nicht vers
ftehen wollen, wenn fie ihn gleich auf der erſten Seite igrer
Erwiderung als Policeidenuncianten binftellen, wegen einiger
— Fragezeichen, die im Eingang zu den Sonetten ſtehen⸗
Weiter ſchieben fie Denen, die ihre febr feparitiftifchen Anſichten
über Religion nicht theilen, frifhweg eine „Furcht vor Gotteß-
zorn“, eine „Höllenangft” unter und find auf diefe Art Leicht
und ſchnell mit ihnen fertig. Smwar ſoll das „Bühne Zeugen’
mit der „‚nadten Bernunft” des „Geiſtes Milde” zur Felt
- bringen; auch fol des „Herzens reine Lohe” das „entgötterte
Gefilde verfiären. Und wirklich ſcheinen die beiden Herren fo
higig, daß fie eine ſtarke Übervölferung mit jungen Göttern,
Arnold und Karl, Hays und Kunz mit Rarren, bejorgen laffen.
Aber in diefem hohen Zone gebt es nicht weiter; ed kommen
vielmehr in ziemlich trivialer Weiſe Herfönlichkeiten zum Vor⸗
ihein, die das große Yublicum fihlechthin nicht intereffiren.
In Yrofa wurde ber Streit, nicht durchweg auf ſehr erquid-
liche Art, in der „Reuen Züricher Zeitung‘ und in einigen
züricher Kocalblättern fortgefegt, biß nun eine zweite aufs Vier:
fache bermebrie Ausgabe der erwähnten Sonette erfchienen ift,
unter dem Titel:
Fliegendes Blatt von einem Verfchollenen (Züri 1846).
Es führt folgendes Motto:
u „Schimpf und Glimpf“ möcht” ih ein Wort euch fagen, ,
Ihr Alle, bie aus unferd® Hauſes Jammer,
Zumal aus feiner engen, hohen Kammer
‚Den Bd empor zur freien Kirche tragen.
Mehre Sonette behandeln das Thema ders negativen Phi⸗
loſophie einläßlicher , indern fie ſich an Hegel, Feuerbach, Strauß:
und Bruno Bauer wenden. Das den beiden Letztern als
Kritikern gewidmete Sonstt enthält den fihönen Ber:
Doch jraes Bild, dad wir im Weite teagen
Bon einem Denfhenfohn. ber, rein von Shüden,
Durch Dpferte) ber Eiche Reich will gehuben “=:
Das hat bein Kritikus and Kreuz gefchlaget.
In einem andern Sonett „An feinen abgefchiebenen Le
bendigen” legt der Verf. fein Glaubensbekenniniß ab in fol⸗
genden Worten:
Die Menſchheit iſt ein Monſch; die einz'len Glieder
Schied Ichſucht, eint die Freie Liebe wieder:
Das ift der einzig echte Humanibmus.
Das ik die Demuth mit dem folgen Doffen,
Der Freien Staube, dem der Himmel offen;
Des IR — mein Gommunidmus und Theismus.
Bird Herwegh Netü on nehmen? Wird er nick
endlich auch einmal, fei feine Überzeugung welche fie wolle, eit-
Wort mitfprechen in einer Beit, die weit tiefer und vie
bewegt P als jene, in der er fi den Namen de „Zebertdigen‘‘.
beilegte
Die Zee, daß nut bie Ucbe die wahre Befreierin ifl, file
det Kb im det —* Hälfte dus 22. Frese ſehr w g und.
poetiſch ausgedruͤckt:
0 416
Des. Beif tritt aus bes Bauberfelafes Grotte,
.- Bu fühnen Ginem Bott die freien Mannen.
So muß der freie Glaube fi bewähren,
An deutfchen hapentfündigten Altären
An Liebes⸗That fih und das Wolk verkiären!
Pur wenn der Lest’ und Erſt' am Heimatherde
In Krubderlieb' emporglüh'n, mag fein „Werbe
Lit” firömen durch bie Truͤbſal diefer Erbe.
Das Sonett „Die deutfche Kirche” hat zum Motto bie
Worte Welcker's: „Der Geift Gottes bat die deutſche Nation
gewürdigt, die Religiondeinheit durchzufuͤhren.“
Dies wird neuerdings der deutſchen Nation etwas ſchwer
emacht. Was indeß einmal einen großen Theil eines Volkes
er ergriffen, was einmal ein Beitbeburfniß geworden, das kann
war guruͤckgewieſen, aber durch Berweigern nicht bauernd zum
Shreigen gebracht werden.
Der Verf. der Sonette ficht in feinem prophetiſchen
Geiſte die „deutfche Kirche“:
Sie nabt fih! dͤmmernd kaum dem Auge Freier —,
Unfihtbar —, doch es rauſchen die Gewande:
"Und in Geſpenſterfurcht erbleibt die Bande
Der frommen Heuchler wie ber frechen Schreier.
Dody vor des Deutſchen Blick gerrinnt der Schleier,
Und, glühend no. von blinden Hafſes Brande,
Reit er die Hand dem Bruder bar zum Pfande,
Das ift der Freien beutfhe Kirhenfeier!
Sie aber fleigt empor auf Adlerſchwingenz
Bor ihrem unfibtbaren Ghore dringen
Und unbekannt⸗bekannte Grüß’ hemieder:
Daß find die Deren, fo in frühern Tagen
Kür Gott und Heimat liebevoll gefhlagen!
— Und um bad Haupt verfammeln ſich die Blieder.
Die ernften Poeſien des Dichters, wie aus biefen
hervorgeht, find edel gehalten und es ſpricht fi darin eine
* tüchtige wahre Überzeugung in fhöner und Präftiger Sprache
aus; fein Humor Dagegen ift weniger wohlthuend. Obwol in
eine reine Korm gekleidet, kommen doch mitunter gar feltfame
Ausbrücde vor, er hat häufig etwas Barodes, etwas ſcheinbar
Sefuchtes und hierdurch Unflares. Doc) hat er auch fehr glüd-
lihe Wortbildungen, wie & B. die Bezeichnung der Nihiliften
als „Ihel”, da die Confequenz ihrer Lehre trotz aller
gegentheiligen Betheuerungen .von ihrer Seite am - Ende
denn Doch auf einen flarren und Palten Egoismus auslau⸗
fen würde. - '
Der Berf. hat fi) bewogen gefunden, erläuternde und
das Thema ber Gonette weiter ausführende Anmerkungen bei.
zufügen. Diefe Profa enthält manche cingelne Schönheiten,
manches Geiſtvolle und Witzige; leidet aber faft noch mehr wie
die Sonette an dem erwähnten Fehler der Unklarheit, fodaß
es Roth thäte, zu dieſen Anmerkungen wieber Anmerkungen
u madhen. Unangenehm fällt die abermalige Erwiderung gegen
die oben angeführten Lorberblätter von Ruge und Heinzen
auf. Die darin enthaltenen Angriffe hatte der Verf. ſchon
früher in der „Reuen Züricher Zeitung’ in ben gehörigen
Schatten geftellti dennoch Fnüpft er weiter dagegen in feinen
Sonetten und zum Dritten in den Anmerkungen. Das ift ja
jenen dürren „Blättern” weit mehr Bedeutung beigelegt als
fie verdienen. ' .
Höchft merkwürdig ift eine mitgetheilte Außerung Fichte‘,
die aud) eine prophetifche Bedeutung hatte, aus deſſen „Grund:
aüge des aegenwärtigen Zeitalters”, aus dem Jahr 1805: „Die
Grundmarime diefes Beitalters ift durchaus nichts gelten
zu laffen als Das was e8 begreift; der Punkt auf den
es fußet ift ſonach der Begriff. Auch ift ſchon gezeigt worden,
daß es fo lange noch nicht eigentlich Epoche made und ſich
als eine befondere geit hinftelle, fo lange es noch dunkel
toben
nach jener Maxime verfährt: fondern daß es erfi dann wahr⸗
baft erfaßt werden koͤnne, wenn es fi in fich felber in jener
Maxime Mar wird und fi begreift und ſich als das Höchſte
hinſtellt. Dieſes Zeitalter ift Demnach in feinem eigentlichen
und abgeſonderten Daſein Begriff des Begriffe,
und trägt die Form der Wiſſenſchaft; freili nur bie
leere Form, da ihm Dasienige, wodurch allein die Willen:
ſchaft einen Geh alt bekommt, die Idee, gänzlich abgeht.“
Ja, ein Körper ohne Seele, eine leere Form ohne In⸗
balt iſt ein Volk ohne Idee, die es beicbend, erwärmend, er:
hebend und begeifternd durchdringt. Die Idee fuchen die Einen
in der fogenannten Befreiung von Gott, die Andern in ber
Freiheit mit Gott, und bdiefer Punkt ift unter den Männern
des Fortſchritts ſchon länger ein Gegenftand des Streits, dem
die neue Zeit mit ihrer religidfen Aufregung mehr Ausdehnung
gegeben hat. Er wird weder durch die befprodyenen @onefte
und noch viel weniger dur Epigramme a ia Ruge und Bein:
zen audgefochten werden; aber hoffentlich noch zu ernften wii:
fenfchaftliden Crörterungen Gelegenheit geben. Doch wäre
alsdann zu wünfchen, daß ſolche Fragen, an denen das Volk
felbft mit Kopf und Herz fo lebendigen Antheil nimmt, endlich
einmal in einer auch fur Richtphiloſophen verfiändiidhen und
gleichwol gründlichen Weile erörtert würbens nicht in der ber-
gebrachten Schulfprache, in der bie Philofophen nur imaner
wieder für Philoſophen zu fchreiben pflegen. Zft gleich diefe
Aufgabe fchwierig, fo iſt fie Doch nicht unlößbar, und gewiß
bleibt ed eins der dringenbften Bedürfniffe der Reuzeit, dag
jene von der Schulphiloſophie gefästen religiöfen Bweifel, die
einer freudigen ſocialen und politiſchen Entwickelung fo vielfach
bemmend im Wege ſtehen, endlich durch eine populaire Phi⸗
loſophie auf anthropologiſcher Grundlage zerſtreut und
befeitigt werden. 9.
Literarifche Notizen aus England.
Gedichte von Thomas Hood.
Eine mit neuen Zugaben bereicherte Gammlung von des
verftorbenen Ihomas Hood „„Poems” (London 1349) beweift
fhon in den vorliegenden zwei Banden — ein dritter geban-
fenvollern Inhalte, „‚composed of the more thoughtful pieces
in his poems of wit and humour”, wird in Ausficht geftellt —,
daß er beträchtlich mehr war ald wofür er im Allgemeinen
gilt, mehr als der belachte MWortipielfabrifant und Humoriſt,
Erzähler luftiger Schwänfe und Erfinder witziger mots. Ein
Gedicht mit der freilich fonderbaren Überfchri „Song of the
shirt” reiht vollkommen aus, diefe Meinung zu berichtigen
und den Verf. zu einem Dichter wenigftend zweiten Ranges zu
ſtempeln. Er felbft bat die legte Hand an die Sammlung ge⸗
legt und zwei Stangen: „Karewell life!’ und „Welcome Ira”,
bezeichnen feinen Abfchied von diefem und feinen Eingang zu
jenem Leben. .
—
Balladenpoefie.
„Ballad romanoes”, von R. H. Horne, Berf. von „Orion“,
„Cosmo de’ Medici‘ ıc. (Zondon 1845), find im Allgemeinen
nur zu loben. inige gewinnen noch befonbers buch ihren
Anſchluß an heutige. Zagesfragen. So die erfte, „Das edle
Herz", eine boͤhmiſche Legende voll romantifchem Interefle, in
welcher der Dichter die Thorheit und das Berächtliche des Duells
fo klar vor Yugen ftellt, daß Jeder es fehen muß, wenn auch
Keiner deshalb eine Ausfoderung zurückweiſen wird. - &o die
zweite, „Der Mönch aud der Schweinskopf⸗Abtei““, Die richtie
g heißen würde, was fie iſt, eine Romanze. aus der Zeit der
etreibegefege, und die durch das traurige Ende des Könige Jo⸗
bann von England den Fluch zu belegen fucht, welchem Die⸗
jenigen verfallen, in beren Macht es ſteht, dem Volke wohl:
feiles Brot zu geben, und es nicht thun. i 16.
VBerantwortliber Herausgeber: Heiuri Wrodfans. — Divd und Berlag von $. =. Brockhans in Leipzig.
2
%
Blatter
j für
literarifde
Unterhaltung,
Religiöfe Tendenzromane.
(Bontfegung aus Rx. 104.)
I. „Der ewige Jude“ von Eugen Sue.
In⸗
dem wir dieſen viel beſprochenen Roman an bie Spitze
flelien, verweifen wir auf Das, was oben über ben
erirchlich⸗ religiöfen Charakter Frankreichs gejagt worden
iſt. Es findet in ihm eine vollkommene Beſtaͤtigung.
Inferweit naͤmlich der „Ewige Jude“ der religiöfen Ten⸗
denzromanliteratur angehört, Tämpft er nicht gegen Ideen,
fondern gegen Inftitutionen. Bas Quinet und Miche⸗
tet in philofophifchen Abhandlungen fhaten, das Fhut
Gugen Sue dur den „Emigen Juden“ in ber Zorm
des Remand. Der Iefuitiömus ift ber Gegenſtand fei-
ner Polemik geworben, der Mittelpunkt des überaus
leſen Gwid. — |
Es jft diefer Roman der Gegenſtand ber größten
Aufmerkfamkeit und der verfchiedenartigfien Betrachtun-
gen geworden. Das Feuilleton ber „„Constitutionnel” war,
ats er zuerſt erfehlen, formlich in Belagerungszuftand
erklaͤrt, die Überfeger drängten fih um die naffen Bo⸗
gen. Man begann zu leſen und war einigermaßen be-
ürzt. Die Racht und der Schnee des Nordpols, das
myflifche Kreuz, der gefpenflige Wanderer und enblich
der Thierbändiger Morok, diefe feheußlich-wilde Natur,
bad waren Erſcheinungen, wie man fie nicht erwartet
hatte. Dennoch ließ man fi micht flören, man folgte
dem Autor getroſt durch feine Verſchlingungen und Ip-
fen Bruppen,. man wurde Hier und da gefpamm, um
wieder abgefpannt zu werben, es rollten ſich bie interef:
fanteften and piquanteften Gemälde auf in weiter Breite,
um fi dann plöglidh wieder zuſammenzuziehen und fich
In gefuchten Kataftrophen zu vernichten. Es wurbe in
dieſem Romane Bein Mittel ber Raffinerie gefpart, tm
feinen Einband zu fleigern, e6 wurde die Romantik mit
dem Gerialidmus, ber Kampf gegen den Jeſuitismus
mit den Sympathien für das Proletariat perbunden,
um etwas nie Dagewefenes zu Hefern, es wurden Cha⸗
vattere, Gruppen gemalt, al fresco und em detail, wie
Be nur aus dem ewig gährenden Krater der franzöfifchen
Hauptſtadt hervortauchen koͤnnen und, nachdem warn fich
Man duech bie Zahl der Sande bis zum Scluffe duch:
gearbeitet dat, welchen Eindruck matht der, Ewige Jude
als Ganzes? Dieſe Frage wird und wol zuerſt beſchaͤf⸗
tigen miürffen.
Man kann fi, indem man diefe Frage aufwirft,
fhon auf das unbefangene Gefühl der Leſer verkaffen
und braucht durchaus nicht in die aͤſthetiſchen Ruſtkam⸗
mern zu dringen, um dort Maßſtaͤbe zu ſuchen. Der
„Ewige Jude“ bat bie Form des Romans durchbrochen,
er hat fie durchbrechen möüflen, indem er ein Ausdruck
ber fiebernden Bewegungen unferer Gegenmwatt werden
wollte, aber er tft ein Ehaos geworden, auf bem bie
Lichter und Irrlichter ſchwanken, ein Chaos, welches die
Auswürfe einer alten Welt unb die Unfäge einer
jungen Zukunft durcheinander fihüttelt. Sue ift bei der
Entwickelung feines „ESwigen Juden” nit von reinen,
fichern ertiven, fondern vom bloßen Zufall geleitet
worden, er ift nicht Meifter des Stoffs geblieben, fon-
bern der Stoff tft über den Autor empor gewachſen und
hat biefem gegenüber eine furchtbar brohende Miene an-
genommen, ber Autor wird von feinem Gtoffe gepeinigt
und gehegt unb greift zulegt nach den allergewöhnlich⸗
ften Mitteln, um ſich aus der Affaire zu ziehen. Darin,
bag Eugen Sue feinen — nicht von Anfang an
ſicher beherrſcht, liegt eine der Hauptſchwaͤchen bes „Ewi⸗
gen Juden“ und trotz der fthönen, gelungenen Einzelhei⸗
ten, ber mit Glück verfochtenen Tendenzen, ber interef-
fanten Chataktere und der piquauten Sitwationen wird
doch wol den meiften Lefern bei ber Recture des „Emigen
Auden“ engefibe fo zu Muthe werden ale ob fie 6
auf einem Schiffe befinden, welches mit vollen Segeln
den Drean durchpeitfcht, während ſich Planke auf Planke
Löft und es bem firhern Untergange entgegeneilt. Die
Anlage der Yabel Tiefer: von vornherein den Beweis,
daß Eugen Sue es mehr auf Einzeleindrücke ale auf
einen Totaleindruck abgefehen hatte, denn er zerſpillt
fen Material im ebenſo yiel Romane ats er Erbfchafts⸗
beredjtigte an dem nepont’fcyen Rachlaſſe aufftelit
und fucht feine Stärke in den Schickſalen ber einzelnen
Menmeponts zu beweifen, um fie dann enblih, nach ei⸗
nem reihen Situationswechſel, in einer Auflöſung zu
vereinigen, bie gewiß wicht anders fs bürflig und ale
—— — zu den großen Apſtrengungen genannt
werben kann, bie für fie gemacht werden Fb wilden
diefe fieben Romane bat Eugen Sue den Jeſuitiemus
[0
418
in feinen Operationen geftellt, unter denen alle Mitglie-
der der Nennepont'ſchen Familie leiden müffen und durch
die fie vernichtet werben. Der Jeſuitismus iſt der ei⸗
gentliche Zufammenhang ded „Ewigen Juden‘, benn bie
Seftalt des ewigen Juden felbft, diefer phantaflifche
Spuk, kann kaum in Betracht kommen und iſt eine
‚ziemlich .ummefentliche Beigabe bed romantifchen Gelüftes.
Allein Eugen Sue hat ihn an die Spige feines Werks
geſtellt, und ei legt ihm dadurch eine Bebeutung bei,
die im Vergleich zur Entwidelung des wirklichen In⸗
halts durchaus unwahr und übertrieben iſt. Sue ſchil⸗
dert feine Wanderungen mit einem romantifirenden Wohl:
gefallen, in welchen wir einen directen Widerfpruch zu
den focialiftifch » praftifchen Problemen, welche der Ro:
man auffiellt, erfennen.
Wenn der Roman aber ſowol in Franfrei als in
Deutfchland fi) bisher darin feine Aufgabe geftelit
hatte, die Mannichfaltigkeit des menfhlichen Lebens in
den verfchiebeniten Schattirungen barzuftellen, jo kann
man wohl fogen, daß Eugen Sue dem Romane eine
ganz neue Seite abgewonnen hat, indem er den Stoff
deffelben durch die Unterfuhung der generellen Phäno⸗
mene unfers focialen Lebens zu erfüllen fucht, indem er
darauf ausgeht, bie allgemeinen Gefege deffelben darzu⸗
ftellen und die Berwidelungen und Verworrenheiten defr
felben zur poetifchen Anſchauung zu bringen. Cr bat
es verfucht der Poeſie ein neues Feld zu erobern, unb
wenn es ihm nicht im Ganzen, fondern nur noch im
Einzelnen gelingt, die Fülle des Lebens und die Gefege
deffelben auszubrüden, wenn er über den Mechanismus
der flofflichen Behandlung nicht durchweg zum Organis-
mus der Lebenswahrheit gelangen fan, fo mag das
Alles den neuen großartigen Motiven gegenüber, welche
er in den Kreis bes Romans einführt, fihon eine Ent:
fhuldigung finden können. _
Vorgearbeitet ift ihm allerdings morden, ber fo-
cial » philofophifhe Geift der Gegenwart offenbart
fi) nit Einem von oben ‚herab, fondern er ent-
widelt fih nad allgemeinen Gefegen im Leben. So
bat denn auch Eugen Sue nur auf einem Boden
fortgearbeitet, der fehon angelegt war. ‚Unzählige Schrift
fteller vor ihm haben es verfucht die Lächerlichkeit ihrer
Zeit, die Unnatur bürgerlicher Zuftände in dem Rahmen
eines Romans barzuftellen und zu geifeln, dies that im
Frankreich ebenfo gut Rabelais in feinem „Garganfua”
und „Pantagruel” wie in Deutichland der „Eulenfpiegel” ;
aber wie ſich auch die Zuftände des Lebens, und unter
ihrem Einfluffe die Dimenfionen des Nomans entwidel-
ten, immer blieb man trog der genialen Schlaglichter
bier und da vielmehr im Kreife eines . generalifirten
Sittengemäldes ftehen ald daß man es zu dem Stand-
punfte und zu der Anwendung einer focialen Kritik
: hätte bringen konnen. Aus dem Kreife ber focialen
Kritik laͤßt Eugen Sue fih allerdings auch gern im
ein romanhaftes Utopien verloden und er fließt fih
bier gewiffermaßen Vorbildern an wie fie von Thomas
Morus, Harringten, Campanella, Cabet u. A. in Werken
gegeben find, die „Utopien’ oder „Deeana“ ober die Son⸗
nenftadt” oder „Ikarien“ u. f. w. genannt wurden; es va⸗
einigt fi in ihm mit dem Drange nad) focialer
auch ein Drang nad) focialer Romantik und es ſchwan⸗
ken verwirrte romantifche Lichter über feine Grundprin⸗
cipien; aber immer treten uns bie Zuflände des Lebens,
wo er ſich nicht im Allgemeinen ‚verliert, fondern in den
Einzelheiten die Bedingungen, die Gefege, die Vorur⸗
theile des Lebens nachweift, in einer Fülle und in einer
Wahrheit, welche fich freilich ſelbſt auf Koften der Poeſie
geltend macht, entgegen, wie wir fie nicht leicht anders⸗
wo .und am wenigften in ber deutfchen Romanliteratur
bis auf die neuefte Zeit gefunden haben.
So ift es denn nicht die Romantik, fondern der fo-
cial»philofophifche Geiſt, in dem wir die Kraft der neue-
fin Werte Eugen Sue's fuchen und diefer fodal-philo-
fophifche Geift, durch den er’für die ganze Romanlite-
ratur von Bedeutung geworden, tritt uns meniger in
der Allgemeinheit und Unbeftimmiheit einer Theorie, im .
philofophifhen Conjecturen und Declamationen als da
entgegen, wo er in die ungeheure Tiefe der parifer
Welt Hineingreift und an den Geftalten, welche duch fie
geboren und entwidelt worden find, einen Thermometer
der allgemeinen Zuftände liefert, wo gefchloffene Situa-
tionen, concrete Erfcheinungen, nicht duch ein abftracte®
Raiſonnement, fondern dur ihre eigenthümliche Ent-
widelung, duch ihr Dafein den Nachweis über gefell-
ſchaftliche Verhältniffe liefern. Durch feine Gewalt über
die concrete Welt kann Eugen Sue für feinen „Ewigen
Juden” eine größere Bedeutung in Anfprucd nehmen
ale man fie fonft Fiterarifchen Phantaſieſtücken ju vindi-
ciren pflegt.
Der Iefuitismus ift der Mittelpunkt des „Ewigen
Juden“, er verbindet das lofe Gewebe der verfchiedenen
Gabeln. Der Jefuitismus ift der Gegenftand feiner
Polemik, aber nicht ein ausfchließliher. Wir glauben,
ed bieße die Bemühung Eugen Sue's zu: eng faffen,
wenn man behaupten wollte, er habe mit feinem „Emi«
gen Juden” feine andere Abficht gehabt al® darauf ei-
nen Antrag auf die Aufhebung des Sefuitenordens zu
begründen. Seine Kritit geht weit über das religiöfe
Gebiet hinaus, fo tief fie auch in baffelbe einfchneidet.
Der „Emige Jude” ift deshalb mehr als ein religiöfer
Zendenzroman, er gehört deshalb der Sphäre des foria-
len Romans an, welche wir oben bezeichnet haben. Der
Kampf gegen den Jefuitismus und feine Suftitutionen
ift nur ein verbindendes Moment in dem Ganzen. Der
Jeſuitismus iſt für Eugen Sue mehr eine Gelegenheit
als ein Zweck geweſen und man fann es nicht leugnen,
daß er die Gelegenheit mit einer furchtbaren Energie ge⸗
gen denjelben benugt hat. 0
Der Zefuitismus hat zu einer eigenen Romantik
Beranlaffung gegeben. Seine Macht, das gcheimnif-
volle Dunkel, in dem er ſich bewegt, fein Grundfag
„ber Zweck heilige die Mittel”, feine Geſchichte haben
fowol Hiſtoriker als Romanfchreiber verwirrt gemacht.
Trotz der Dinneigung zum Romanticismus, welde Eu⸗
49, Ä |
. gen Sue auch noch in feinen neueften Werten zu er-
fennen gibt, muß man body zugeben, daß er, mas den
Jeſuitismus anlangt, die. Romantik bis auf Weniges
ganz aus dem Spiele gelaffen und an ihre Stelle bie
Wahrheit gefept Hat. Nicht die. Wirklichkeit, aber die
Wahrheit, deren Bewußtfein er in einem Nachworte
folgendermaßen ausdrüdt: |
Wir haben Mitglieder der Geſellſchaft Jeſu angenommen,
welche von den derabfcheuungswürdigen Grundfägen ihrer claſ⸗
fifchen Theologen befeelt waren und dem Geift und Buchftaben
jener verworfenen Bücher, die ihr Katechismus, ihr erſtes
Hülfsbud find, gemäß handelten, mit einem Worte, wir ba»
ben diefe nichtöwürdigen Lehren in Bewegung, in Anſchau⸗
lichkeit, in Kleifh und Knochen gebracht, nichts mehr — nichts
weniger.
" (Die Bortfetung folgt.)
Das hohe Lied. Bon Titus Ulrid. Berlin, Butt:
tfammer. 1845. 8 1 Zhlr. 15 Nor.
Man erinnert fich der frühern Auslegung des „Hohenlie⸗
des’ , nach welcher daſſelbe Hymnen enthalten jollte, in denen
Chriftus und feine Kirche gefeiert würden. Man erinnert fi)
ferner des vor einigen Jahren erjchienenen Buchs von Feuer⸗
bach „Das Wefen des Chriſtenthums“, in welchem feine Wi:
Berfacher Selbftvergötterung Des Menſchen gelehrt jehen zu bür:
fen glaubten. Der Verf. des vorliegenden Gedicht thut jenen
Widerfahern den Gefallen, aus dieſem Eultus vollen bittern
Ernft zu machen. Daher der Zitel deffelben. Man bezeichnet
es vielleicht am richtigften als cine Santate zur Feier des Gott:
Menfchen, denn die fünf Theile, aus denen es befteht, find aus
. mehr oder weniger bymnenartigen GErgüffen zufammengefept,
die don recitativifihen Partien ın reimlofen Verfen unterbro
chen werden. Wir geben fo gut es ſich thun läßt eine Über:
fiht des Inhalts, wobei wir den Dichter an den wichtigften
Stellen felbft reden laflen. '
Der erfte Theil, gleichfam die Duverture, denn er fpricht
ſchon das Ganze aus, beginnt mit einer Schilderung des Auf:
gange der Sonne, unter welcher die Freiheit zu verfiehen it.
- Der Sänger glüht, fühlt — was? — Du fühlit es ewig nidt,
der in den Banden des Glaubens oder politifcher Knechtichaft
fhmadtet — „die Macht des Seins, unendlichen Sein Ent:
zuden’. Die ganze Natur ift Herold feines Wonnedranges;
er ergreift dad AU als feiner eigenen Seele Fülle und fühlt
ſich gleich dem Kreife eines Magier um daflelbe gefchlungen.
Vermagſt du zu erfaffen ſolches Sein
Mit Allem, was es birgt im Grunde,
Was es erſchafft, echaben, rein,
Bon dauernder Natur, in Einer Stunde,
Wo vor dem Licht, das deine Schläf’ umgluͤht,
Nacht, Gram und Raͤthſelqual entfließt:
Dann, dann wirſt du dich voll erkennen —
Dich ſelber ewig — Bott — und Alles nennen!
Zweiter Theil. Es werde Licht — der Erinnerung: die
innere Geſchichte des Saͤngers geht an ihm vorüber. I. Die
Kindheit. Unfchuldige Freuden: der ſchoͤnen Jahreszeit, der Hoff:
nung auf das Weihnachtefefl. Dem Knaben wird gefagt, wenn
es das Chriſtkindlein erblide, jeid um die Gaben geichehen.
Er Iugt dennoch dur das Schluͤſſelloch:
. Du alfo, lieb Müfterchen mein,
Du alfo biſt Ehriſttindelein.
N, Die Schule. Wo vordem Monche hauſten, mit Einer
Hoffnung nur, aufs Grab, ift ein glühendes junges Herz ein-
gefhloffen. Sehnſucht in die Ferne. Entbehren und Entjagen.
Aber nähren nicht die Meifter ſelbſt, die dies anempfehlen, un:
fer Herz mit hohen Idealen?
Ihr preifet Muth; ihr kroͤnt das Selbilvertrauen,
Ihr ließt der Vorzeit Helbengroͤße ſchauen,
Und wenn ich frei dann traͤumt' mich zu ergeh'n,
Da bieß es gleich: „Lern' erſt auf unferm Boden fieh’n!”
II. Abgang auf die Univerfität. In ernftem Brüten be
geht der Sänger das Abfchiedsgelage, genedt von den lärmen-
den Freunden, von Alltagsart, nicht lange gewählt, ganz wie
fie Zufall fchart, unferer Iugend Genoffen zu werden. In.
nächtlicher Einfamkeit wird ihm ein bedeutungdvolles Dmen.
“IV. Ankunft in der großen Stadt. @r fühlt fi lan von
der. Menge verfchlungen. Mastenfaal und Schaubühne eröff:
nen fi) dem Staunenden, doch fein Biel iſt Erfenntniß.
Was bin ib, was der Hauch der in mir weht!
Der zitternd bangt, ob er auch fortbefteht.
‚v. Bünf Iahrtaufende blicken hohnlachend auf-den For⸗
Di herab, der fi) dem Kinderglauben entriffen. Die "Kaufte
überer Zeiten citirten Geifter, unfer Sänger befchwört ben
eigenen Geift allein. VI. Vergebens. Die Geſchichte bietet
nur eine Wiederholung des Menſchengeſchicks, das Zeder in fi
felbft erfahren. Und von der Natur gewinnen wir nur Gr:
fheinung und Oberfläche, „und jene traurig bitt’re Lehre, daß
fi ein Stäubhen winzig und vergeffen mit unferer Wid-
tigkeit im Weltenraum kann meflen.” Nun aber Philoſophie.
Der Sänger folgt dem Meiſter auf des Berges Spitze
Was fah ih mehr? — den Himmel über mir, hoch traun!
Wie font — unb ob des Horizontes Kreis
Erweitert au), dod Alles wie zerfloffen
Im Grau des Nebeld, den die Fern’ ergoffen!
Und ſeltſamlich, was Diefer Wahrheit rühmt, das ſchien,
Dem Andern blinden Wahnes Müh’n.
Ich hörte Worte, wunderſcharf gefpalten,
Getrennt, gebreht, entgegen jest gehalten,
Zum Bund vereint dann wieder nun.
Verſtand ih euch? Wars mehr als and’rer Klang und Name,
Wenn ihr vermeint, erfaßt nun tiefer fet,
Und fo gelöft der Dinge Grund und Same?
Ihr fliegt fo geifterhaft vorbei
Din über eurer Worte luft’'ge Bräden —
Ich aber möchte mit Entzuͤcken '
Nur Leben, Leben an den Bufen brüden.
Alfo weg mit den Fee VI. Am Bett des Sterben»
den. Die Verwandten, einfache Landleute, tröften ſich mit re
ligiöfen Betracht
wünfcht fich ein Schwert, es der Ratur auf die Bruft zu ſetzen,
daß fie erzittere und ihm ihre Geheimniß offenbarc. Ba der
Menſch ift ohnmächtig.
'S lohnt mehr vlelleicht d’rrum, wie fie flutet eben,
Des Bluted Strömung frei fih hinzugeben,
Friſch zu geniehen weg ein Lufl’ged Leben.
n; ber Gänger kann nicht glauben. VII. Er.
IX. Liebe, die Doch die Frage nicht beantwortet nach dem ,
Beheimniß des Dafeins.
Wozu, mein Lieb, der Balſamhauch,
Des Morgens frifhe Würze,
Dad Tropfgefunkel hell am Strauch,
Des Waldbachs Silberſtuͤrze?
Aus Nebeln taucht dad Wieſengrün,
Die Sonne aͤugelt nieber,
Es fummt und furrt und d’rüber zieh'n
Der Lerche Ätherlieder.
Wozu, wenn wir ſterben, ſterben müffen
Und von au dem Zauber nichts mehr wiffen?!
Wozu der Trieb, der forfht und finnt,
Und über Trümmern brütet,
Und jeden Schaf, den er gewinnt,
"Mit emf'ger Sorge huͤtet?
Wozu des Geißes flolzer Ilug
Nach aller Schöpfung Ferne,
‚ bie Welt ſchoͤn w
nn
Zief unter und ber Wollen Zug
Und über und bie Sterne?
Beyu ic.
” MBeoyu bed Herzend Sturmeöltlag,
Der Siehe füp Werlangen,
Bis eiaſt enttaucht bes fhönfte Tag
Dem Purpus ſchaͤm ger Mangen?
Died heiße Ringen ohne Streit,
Died Traͤumen ohne Schlummer.
Died Beben ohne Baugigkeit,
Died Weinen abe Kummer ?
nr Bazyı x.
X, „Aein Erdenweib mehr, eine Mufe nur.” XI Mu:
KIT. Witdefler Lebensgenuß. Ball mit lockern Mädchen.
ar Kirchhofsgedanken. Neue. Betäubung durch neuen
. „Und wie in fternenlofesr Nacht und ſchw Lost
ank's Laftend auf mich ein von Dumpfer Schwere!" An. Ber:
, ſich ins Joch ded Geſchaͤftslebens zu ſpannen. Vernich⸗
e Niebrigfeit ber Alltagswelt. Ihre Geſtalten mit Hiob 6
zaunden verglichen. XIV. Rückkehr zur Ginfamkeit. Die Rar
fur bat für den Sänger Feine Reize mehr, er ift zu tief in
fi verfunken.
Grin ober denken, dab iR biefer Tage
Gewichtig hooere Hamletsfrage:
Ob unfer Denken nichts als nur bie Wege,
Die irre, deven brandende Umarmung
Der Felſen „Welt““, dies trugig fremde Sein
Mit Stolz zuruͤckeweiſt? Ob Namen erk
Den Bauber ſprechen, daß dies Gteffgebilbe
Das reihe Zormenfpiel der Weſen, trete
In Wirklichkeit vor unfer Aug' und Dbr,
Zum wahren, einz’gen Sein geſtempelt fo
Dur unfre Kraft, Die mit dem Riefennes
Des Raumes und ber Zeit, mit raſchem Fledhtwerf,
And braufende Geſtade eilt, zu fangen
Die Welt, dem. großen LKeviathan, b’rin$
g Denten !
Erkennen dann! — Ad, was du nennt Erkennen,
Eindringen Yinter Bormen und Grfheinung
Mit Formeln, Schluß, auf uͤberird'ſchen Minen (?)
VDehr fhplen wollen als der Nerv emmpknbet,
Mehr fagen als ein Inft’ger Laut begeisbnet,
Das iſt die Luſt, zu fein au jenes Ding,
Was dein Gebenf’ umſchlingt mit branft'gen Armen,
Bu fein, was du nicht bift, ein and'res Weſen. -
Und in dem Andern felber Du zugleich!
Es lebt in dem Gänge wol noch Die Erinnerung, daß einft
av, aber wohin ift fie gekommen?
Ein fgwearger Traum
Das it der Menfhenfeele Einſamkeit!
Ein Schreidgefähl, dad plozlich und durchſchauert,
Wied den mag ypaden
Und tigerhaft ihm zerfleiſchen ben Naden,
Der lebendig eingemauert
Aufrafend in Berzweiflung füreit, —
Das Braun, dad ih wit meinem Sein, h
Mit meinem IH im ganzen All bin einfam und allein!
Langentbehrte geliebte Verwandte befuchen ihn; fie Fönnen ihn
dem Leben nicht wiedergeben. Empörung! ruft er durchs UL,
Empörung! Doch Niemand hört ihn. Oder hört ihn ein Gott,
ein großer Himmelsfultan, der herablugt auf ber Weſen ba-
bylonifche Spracdgenwirrnißt
Schlau laͤchelnd, daß mich der Sturm nicht verſteht,
Und da6 Mess nicht den Sturm,
Umb bie Mielke dad Were nicht,
Und ber Berg nicht die Molke,
Geſchmiedet au’ in ferne Schmerzenbeinfalelt?
XV. Was weiß ih von dir, von dem die Gage geht,
daß du ben Menſchen nach deinem Ebenbild erſchaffend
Oritter She. Requiem. Die ganze Welt iſt dem San⸗
ins alte Chaos verfunfen. Barum trifft nicht au ihn
Bernihtung? „Die Bölker fterben, bie Goͤtter fierben, war
immer übrig bleibt allein des Meng.
(Der Buälus folgt.)
Literarifche Notizen aus Frankreich.
Die Morisken.
Die abenteuerlidy:glanzvolle Beit der maurifhen Herrſchaft
ift in Liedern und Momanen nach alten Richtungen bin aus:
jebeutet ; an einer in allen Beziehungen befriedigenden wiffen«
chaftlichen Darſtellung dieſes bunten Lebens fehlt eb aber noch
immer, obgleich manche einzelne Punkte bereits in befonberm
Monographien auf eine gediegene und — Beiſe be:
handelt find. Einen neuen Beitrag zur Geſchichte der Araber
auf der pyrenaͤiſchen Halbinſel erhalten wir in folgendem Werke
„Histoire des Mores Mudejares et des Morieques, ou des
Arabes d’Espagne sous la demination des Ohretiens” von
Eircourt. Es handelt fi in diefem umfangsreiden Were —
es umfaßt drei Bände — um die Geſchichte der traurigen, aber
an intereffanten Epifoden überreichen Kämpfe, welche auf die
Bernichtung der arabiſchen Rationalität abzielten. Wir wohnen
bier dem legten Auflodern des maurifhen Beiftes bei. Der
Sinn der Unabhängigkeit, der fih In den Morisken regte, die
tiefigen Unftrengungen, durch melde fie, fo lange es gehen
wollte, ihre Selbfländigleit aufrecht erhatten wollten, und die
Sutdürftige WButh ihrer Berfolger bieten eine reiche Fuͤlle gu
einer mannichfaltigen und unterhaltenden BDarfielung. Uber
die Arbeit Gircourt’s tft nicht bios auf Unterhaltung berechnet,
fondern kann felbft wiffenfchaftliche Bedeutung in Anfpruch neb-
men. Wir erhalten eine genügende Zuſammenſtellung Dorzüge
lich der ſpaniſchen Quellen, weiche um fo dankenswerther tft
als die fpanifchen Werke, welche bier benupt find, im Allge-
meinen weniger zugänglich find.
Zur Gefhichte der Revolutionszeik.
Die „Histoire parlementaire de la revolution” von Bu:
Ger und Rour ift vorzüglich dadurch von fo großer Bedeutung,
daß wir nidyt nur eine Sufammenftellung der wichtigften par⸗
Iamentarifhen Verhandlungen, welche ſchon der Zitel verkeißt,
fondern auch die intereflanteflen Auszüge aus den Seitblättern
und Flugichriften erhalten, deren Einfiht man fi fonft nur
ſehr ſchwer würde verfchaffen Fönnen. Freilich muß man da:
für auch die leidige Sucht ber franzoͤfiſchen Hiſtoriker, Alles
nach ihrer beſchraͤnkten Parteianficht zu mobeln, mit in den
Kauf nehmen. Died zeigt fi nicht nur in einer gewiffen Will-
Pürlichkeit der Auswahl, weiche nach Gutdünken einfchlagende
Stellen hervorhebt oder ausläßt, fondern ſelbſt in handgreif⸗
Wadsmuth
riſchen und phi Handbücher. Das Berl wird
" 3 feiner neuen — aus 25 — — 1.
Derantwortlicher Yrsaußgebe: Heinsid Wrodhans. — Druf und Berlag von F. MC. Mroiipand ia Bripig.
Blätter
fr
literariſche Unterhaltung.
Religidfe Tendenzromane.
Tertfigung and Mr. 108.)
Das Mecht, allgemeine Principlen in Perſoͤnlichbei⸗
ten lebendig zu machen, kann dem Dichter nicht ab⸗
Speuftig gemacht werben, es iſt eins ſeiner größten Rechte.
Eugen Sue hat dieſes vielfach vernachlaͤffigte Recht wie-
der angewendet. Eine Einwendung, ein Redin exiſtire
nicht, der Jeſultiomus Habe nicht operirt wie Eugen Sue
Hubert, iſt ohne Erfolg Der Jeſuitiomus kann auf
der Baſie feiner Srundprincipien unter ähnlichen Berhält-
niſſen fo operiten, ec kann einen Robin zeugen umb in
ihm eine Incarnatisn feines Principe feiern. Bodin
fl, wenn auch feine Wirklichkeit, doch eine Moͤglichkett,
une poetiſche Wahrheit. Sue bat den Zefuitismus
nicht romantiſch, fondern pratifch amgegriffen, er hat ihn
amd fich ſelbſt entwickelt. Er behampter nicht, daß alle
Jefuiten fo find wie Robin ift, aber er weift nad, daß
Se fo fein Bönuen. Es befigen wicht ale Jefuiten die Faä—
bigkeit, den Much, die Nichtswürbigkeit, bie gefährlichen
Waffen in Gebrauch zu nehmen, welche das finftere
RNuͤſthaus ihres Ordens enthäh; darum find es nicht
Perſonen, welche Eugen Sue angreift, fordern Inſti⸗
tutionen, es ift der abſcheullche Geiſt der Conſtitution
der Geſellſchaft Jeſu, es find die Bücher ihrer elaſſiſchen
Weologen, welden Eugen Sue veeſucht hat einen leben-
digen Ausdruck zu verleihen. Dies iſt ihm überrafchend
gelungen. Sein Buch bat gerade ductch dieſe Partie
das größte GSlück gemacht, obwol wir fie nicht als bie
feinfte und beſte bezeichnen wollen, denn jebenfalts ſte⸗
Gen die Eharaftere, welche Sue ans dem Jeſuitismus
——* — ae are Iran er durch
en orbringen läßt. e aftere ind wahr;
Die Begebenheiten, die Ereiguiffe intlinteen noch immer
zu Romantif.
Erinnern wie uns hier un bie Grundlagen des Dra-
mas. Es zeigt fi ein Kampf, ber zwiſchen dem Je⸗
fattenorden, dieſem ſchon darch feine Deamer wie durch
die Behavrlichkeit feiner Abſichten, die Selbfiverleugmung
ber Mitglieber bei Wellführung des gemeinſamen Werke
und daburch, daß er nörhigenfalis alle Beunbfäge, die
In im Wege Fein wärden, aus ben Augen zu ſehen
weiß, fo wichtigen Brreint winerfeite und zwifchen Mine
Familie andererfeits, deren Mitglieder einander zum
Donnerstag, — Rr. 106, —
186. April 1946,
beil frenibbleiben, ſich faft immer vereinzelt vextheibdi⸗·
gen und, Rats alle ihre Kräfte und ihr ganzes Rach⸗
denken auf ben Gegenſtand ihres Screbens zu pereini⸗
gen, durch die bei Allen, die im Weltgetümmel leben,
öhnlichen Leidenſchaften zerſtreut, geſchwaͤcht, getvemmt
ſtattfindet. Zum Bundesgenoſſen hat Sue ihnen
allerdiags einen romantiſchen Spuk, chen ben ewigen
Juden gegeben, aber der zomensifche Spuk ſiegt nicht
uͤber den praktiſchen Jeſuitismus. Die Anlage dei No⸗
mans iſt jedenfalls einfach genug für bie weitlaͤußge
Ausführung, einfach im Auseinandergehen der einzelnen
Romane, wenn auch kein organiſches Ganze. Der Zweck
des Kampfes iſt keine Idee, kein Princip, ſondern der
Befig einer ungeheuern Erbſchaft, die darch den Ma⸗
rinus v. Nemepont ſaͤmmtlichen Mitgliedern ſeines Ge⸗
ſchlechts im J. 1682 vermacht wurde. Hr. v. Menme-
pont war zu ſeiner Zeit ein Opfer des Jeſuitismus ge⸗
worden, ex hatte aufgehört Katholik zu fein „comme si
le catholicisme tout entier lui eüt paru solidaine des
crimes de cette seciete”, er hatte die Macht der Ver⸗
einigung begriffen und wänfchte, daß feine Nachkommen
Augen von ihr ziehen möchten. Hr. Marius v. Renne⸗
pont verfügt Über die von jeinem Vermögen geretteten
50,000 Zhaler einige Stunden vor feinem Selbſtmorde,
und zwar fo, baf fie auderthalb Jahrhunderte für Ipd-
tere (Erben, one daß biele etwas davon willen, verwal⸗
tet werben follen, bie in Biefer Zeit auf Zinſen aehäufee
Maffe fol dann nah Ablauf dieſer Zeit an bie Nach⸗
konunen gewiſſer Geitenverwandten bes Hrn. v. Renne⸗
pont übergeben werden, und zwar nur an Die, welche
perfonlich erſcheinen werben, Diefe perfänliche Erſchei⸗
nung wird »on dem Erblaffer zur Pflicht gemacht, ba-
mit Sch feine fpätern Erben, von denen er voramslicht,
daß fie fih in ben nerfchiebeniten Ständen der menfh-
lichen Geſellſchaft befinden werben, wo möglich eine Ver-
einigung bilden. Es Laffen fih von zuxiſtiſcher Seite ge⸗
gen bie Möglichkeit eined folgen Teſtaments, unter beu
gegebenen Umftänden, und von oͤkonomiſchet Geite gegen
die Möglichkeit der Ausführung ber Vermogensverwal⸗
tung ziemlich ſtarke Bedenklichkeiten exheben, aber wir
wollen darüber hinwegſehen und. nur einen Blick auf
bie Perſonen werfen, welche ber Dichter im Kampfe
um Die große Erbſchaft im Bewegrng Yafeht Hat.
422
Einige Monate vor dem beflimmten Zermine beſteht
die Familie Rennepont aus fieben Perſonen, welche der
Dichter durch alle Stufen der Geſellſchaft vertheilt, um
eben an ihnen bie Zuftände und Einflüffe diefer Geſell⸗
fchaft nachweifen zu können.
Dbenan das Fräulein Adrienne von Earbonille. Der
Dieter hat über diefe Erfcheinung ein brennendes, glän«
zendes Golorit verbreitet. Zum Grunde liegt ihr bie
Idee des praktifhen Pantheismus, er ibealifirt fich in
ihrem ganzen Weſen. Sie ift eine Senfitive, die alles
Unfcärie verabſcheut, ihr Gefühl, ihr Neroenleben iſt
auf das zartefte organifirt, fie möchte die Schönheit
zum Heren der Welt machen und über Alles einen
äfthetifchen Duft verfchwenden. Eugen Sue fucht in der
Adrienne das Princip des Hellenismus zur Anſchauung
zu bringen, aber er legt ihr auch eine fittlihe, großar⸗
tige Idee unter und ihr Charakter erſcheint uns als eine
wunderbare Vermiſchung des griechifchen Schoͤnheitsgei⸗
ſtes und der chriftlichen Kiebe. In ihrem Verhältniß
zu dem armen „Knirps” ſiegt das Princip der thätigen
Menfchentiebe über den Schönheitsgeift, fie, die fi nur
mit Schönem zu umgeben bemüht ift, überwindet ſich,
den häßlichen „Knirps” zu ihrer Freundin zu erheben.
. Heinrich Leo charakterifirt die Adrienne in der „Evan-
gelifchen Kirchenzeitung” folgendermaßen:
Sie ift ein Weſen, welches gewaltige politifche Sympathie
mit den Leiden der armen @laflen Bat (die allerdings auch ein
fehr dunkles Loch in eine äſthetiſche Faſſung des fittlichen Le⸗
bens bohren), das bie Ehe ats eine zu rohe Form und Feſſel
verachtet, aber dafür beim Anblick des indifthen ya in
einer Gefühlsregung ſchwellt, die eine ſchon ganz überreife und
corrumpirte Phantafie vorausſetzt; da diefe Erregung, beim
rechten medicinifyen Ramen genannt, nur eine gewifle geiftige
eiederlichkeit ift.
Er Hält Adrienne für eine „fittlide Caricatur“.
Wir fönnen uns zu diefem Urteile nur im Gegenfage
befinden. Sue hat in der Mdrienne das Ideal eince
Weibes fchaffen wollen, eines Weißes, in dem bie fchöne
Sinnlichkeit und der Geift füh die Wage halten; fie er:
fcheint empfänglich für jede gute Gefinnung, ergriffen
von allem Schönen und Großen, gefühlvoll, aber charak⸗
terfeft, finnlich, über ruhig. In ihrer Liebe zu Djalma,
in dem brünftigen Aufjauchzen einer unverdorbenen Na-
tur, welche, die ganze Göttlichkeit der Liebe ahnt, Fön-
nen wir feine „überreizte und corrumpirte Phantafie
erkennen, meit cher erfcheint uns „Die Marotte felbfige-
machter, Fünftlicher, anmwidernder Pruderie“, mit der fie
fi) Djalma gegenüber verhält, bis endlich im Braut-
und Zobdtenbett der Eultus der Kiebe im Tode gefeiert
wird, ale ein Makel an dieſer Erfcheinung, als eine
Unvolftändigkeit diefes font erhabenen, idealifirten Cha-
rafterd. Mag Adrienne fi gegen Heinrich Leo mit ih-
ren eigenen Worten vertheidigen:
Sans doute, je ne vis comme personne, je ne pense
comme personne; je suis choquee de choses, qui ne cho-
quent personne; mais qu’est ce que cela prouve? que je
ne ressemble pas aux autres..... ai-je mauvais cosur ꝰ suis-je
envieuse, % mes id6es sont bizarres, je l’avoue, mon
Dieu, je l’avoue, mais enfin, Mengieur Baleinier, vous le
saveg bien, vous... leur but est genereux, eleve...
Der Prinz Djalma iſt der Gegenfland ihrer Liebe.
Es ſcheint ald ob Eugen Sue geglaubt habe, ein Mann,
im Kreife europäiſcher Kivilifation gebildet, könnte ber
Liebe feiner Adrienne nicht würdig fein. Sue will in
feinem Djalma einen Naturgott, einen Bachus, in dem
ein volles, fpringendes Leben pulfirt, malen. Wir möd-
ten nicht fagen, daß ihm diefer Charakter allzu fehr ge=
lungen if. Wie kann eine Adrienne einen Djalma
vergöttern, ber eben nur als phyſiſche Kraft, als roher
Edelmuth erſcheint? Hat ihre Liebe nicht viel feinere
Spigen, verlangt der Eultus ihrer Liche nicht einem
ganz aubern Tempel als einen folchen, wie er in der
orientalifhen Welt den Weibern angewiefen iftt_ Zwar
ſucht Sue den Djalma über die Brutalität feines orien-
talifhen Stammlandes zu erheben und ihn regiert wer-
den laffen von ber fehroffen Geradheit allgemeiner In⸗
ſtincte, aber nichtöbefloweniger ift es bem Dichter nicht
gelungen, in dem Djalma eine Geſtalt zu fchaffen, welche
den Eindrud eines Apollo machen könnte. Leo nennt
den Dialma einen „ehierifch leidenfchaftlichen Menfchen“.
Wir treten ihm in diefer Charakterifirung volllommen
bei. Dialma erfcheint und nur als von Naturtrieben,
durchaus nicht von einer fittlichen Idee getragen, und es
iſt zwifchen ihm und einer Adrienne durchaus fein Ber-
hältniß zu finden.
Ein anderer Erbe ifi der Kabritbefiger Hardy. Ein
Mann wit ſtarker Erregbarkeit und einem ausgezeichne⸗
ten Kopfe ausgeftattet. : Seine Mutter, fagt Eugen Sue,
nannte ihn eine Senfitive, eine Organifation von unge:
meiner Feinheit und Zartheit, ebenfo herzlich, ebenſo
liebevoll wie edel und großmüthig, aber ebenfo teizbar,
daß fie fich bei der geringſten Beranlaffung in ſich felbft
zurückzieht. Ganz abgefehen von der perfünlichen Schil-
derung Hardy's hat Sue es verfucht, in dem Berhält-
niffe diefes Mannes zu feinen Zabritarbeitern focialifli«
he Plane zu entwideln. Die Fabrik Hardy's iſt ein
focialiftifcher Staat im Kleinen. Gegen ihren Herrn
und ihr Princip wird ein Berflörungsfampf unternommen,
den Sue vortrefflich gezeichnet hat. Die Schilderung
der Hardy'ſchen Fabritanlagen foll den Beweis liefern,
wie fehr die Durchführung des reinen Affociationsprin-
cips im Intereffe Aller if. Sue liefert in ihr ein
Bid, wie es dem Dichter geftattet fein kann, im
der Wirklichkeit aber würde bdaffelbe im Kampfe gegen
die Uberwucht der es umlagernden egoiftifchen Intereffen
immer als eine Illuſion erfcheinen müffen. Freilich ſucht
Sue auch den Egoismus zu intereffiren, indem er ſich
nachzuweiſen bemüht, „daß Speculanten zugleich eime
menfchenfreundliche, edle, fegensreihe Handlung verrich⸗
ten und ihre Geld zu fünf Procent anlegen wircben,
wenn fie fich zur Erichtung von Gemeinhäufeen verflän-
ben”, aber was beweift Eugen Sue anders in diefem
Vorſchlage ale daß ihm bie Tiefe ber fodaliflifchen
Prineipien und Probleme noch volltommen fremd ger
blieben ifi?
Eine andere Baupifigur und zugleich -Erbfehafts-
theifnehmer iſt der Abbe Gabriel. Ein Vertreter des
romantifch - ibtalifirten Cheiftenthunts, ein Stud Urchri⸗
ſtenthum, eine Art Johannes wie er an der Bruft des
Herrn lag. Uns erfcheint dieſe Geſtalt als vollkommen
verfehlt. Sue gibt durch fie den Beweis, daß er nicht
im Stande ift, über die Grenzen der chriſtlichen Welt-
anſchauung hinauszuſehen, es ift nicht der Menſch, der
freigeworbene, ſelbſtbewußte Menfch, fondern der gläubige
Diener einer geoffenbarten Religion, welcher bier in
Gabriel verhesrlicht wird. Sue wollte der Tücke und
Nacht des Jeſuitenthums den Glorienſchein eines reinen
chriſtlichen Priefters entgegenftellen und fo werben benn
die Grundlagen und Gonfequenzen bes Chriftenthums
in allgemeine, durchaus unbeflimmte Phraſen verflüch⸗
tigt. Wie bei vielen Franzoſen, ſcheint aud bei Eugen
Sue ein Act von religiöfem Communismus die höchfte
Rigickeit zu bleiben. Weil Gabriel den reinen Chri-
ſtenbegriff vepräfentiren fol, muß er ganz nothwendig
aufhören menfchlich zu fein, fein ganzes Weſen, feine
ganze Erfcheinung wird denn auch übermenfhlih. Gr
ift fo übermenfchlich gezeichnet, daß jeder feſt auf feinen
Füßen ftehende Menſch ſich von einem folchen Chriften-
thume dispenfiren und bdaffelbe nur als Erankhafte Eral- |.
tation betrachten wird. Andererſeits aber hat Sue auch
den übermenfchlicden Standpunkt nicht durchgängig feft-
halten koͤnnen und der reine chriftliche Priefter läßt ſich
zuweilen von Motiven bewegen, die nichts weniger ale
chriſtlich find, läßt fih fogar von einer befondern Eitel-
keit beherrſchen. Er foll angeblich den höchften geiftigen
Muth befigen, er fol vor Feiner Aufopferung und vor Feiner
Erniebrigung zurüdbeben, aber deffenungeachtet fchauert
er, nachdem er bereits die Einſicht in die jefuitifchen
NRichtswürdigkeiten gewonnen hat, vor dem Gedanken
zurück, daß man ihn für eigennüugig halten fonne, wenn
er das den Jeſuiten gegebene Verſprechen feines Ver⸗
mögens wieder zurüdnehmen würde Um alfo nicht bei
den Schurken als eigennügig zu erfcheinen, vermehrt er
wiffentlih die Sicherheit und Macht diefer Schurken.
Durd feine abſtracten Moralismen vermehrt er die
praktiſche Macht des Schlechten. Ja, der Charakter
Gabriel’ ift volltommen lebensunfähig und Eugen
Sue hat in bdiefer Apologie des Chriftenthums, welches
zugleich eine Aufgebung jedes beftimmten Chriftenthums
ift, durchaus nichts Anderes als ein Monftrum liefern
tönnen.
- ‚(Die Bortfegung folgt.)
— —— — —
Das hohe Lied. Von Titus Ullrich.
( Beſchluß aus Nr. 1%.)
‚ Bierter Theil. I. Der Sänger befucht feine Heimat. Die
Crinnerung feiner Iugendfreuben und Iugenbträume macht es
ihm nur Barer, daß fein Leben ein verfehltes fei. 11. Wald⸗
einfamkeit. Wunderbare Ahnungen bewegen den Digter. Iſt
etwa dee Menſch ein Anderer als er ſcheint? Er er zuerſt
das Meer; Seefahrt. Heilende Wirkung
— — — —
x
.
berfelben. Gewinnt
etwa ber Seele eigenfter Gehalt erſt dann Beftalt, wenn Schiei- '
gen auf ber Ziefe ruht? Wird etwa des Lebens Flamme
Menſchen erſt dam erbellen, wenn fie ruhiger weiter brennt
„Hegt noch mein Beift ein Element, aus dem Berföhnung -mie
mag quellen!” HI. Apenwelt. Es ift nicht gut, daß dar
Meni allein fei. Aber er war cd. Glanzvoll umgab ihn die
Welt, unfäglich hehr, geheimnißvoll.
Da trat ber Menſch,
Der. einfam bange Menſch,
Un der Begeift'rung Strom und fchöpfte
Johannes Baptiſta
Die heil'ge Flut und taufte: — Bötter!
Die Ratur ſchmiegt fih un unfere Bruft, als folte fie erſt in
ihr zu wahrem Sein erwachen; es ahnt der Menfch feine eigene
Majeſtaͤt. Doch '
’ Der Boͤlker Stimmen vernehm’ ih —
Wie Kindergelalle Hingt es:
Gott if der Nil und der Ganges,
Gott if die Sonne!
Und fie nannten Zeus did,
Allah, Sehova,
Meltfchöpfer und Lenker,
Unb gaben bir Namen,
Menſchbildliche Titel,
Je goͤttlicher — luft'ger!
Und nieder warf der Menſch
Sich, vor dem eignen Bilde nieder!
Bin gab er mit Freuden "
Sein Herrenthum, — Alles,
@in Zweiter zu fein nur,
Ein tnieender Shave
Biel lieber als — einfam!
Und flammelt Ehrfurcht und Zerknirſchung
Und füplet froh ſich — Nichts!
Denn jenſeit if dad Neid,
Bei den Böttern Kraft und Herrlichkeit
Amen!
IV. &ine arme Weberfamilie. Und ihnen fol der legte
Troſt geraubt fein, die Religion? — Sie find um die Erſtge⸗
burt betrogen, für das Linfengericht der Unfterblichkeitshoffnung —
fo mögen fie dem Bruber verzeihen und ihn auffodern, jest
die [haft ehrlich zu theiten. Mit frohem Blick ficht der
&änger wieder in die Ratur: er fühlt von ihren Lippen den
Kuß Endymion’s.
Ha! biſt du, Natur, j
Nicht durch mich felber allein
Was bu bift mir?
Nicht in mir felber allein?
Und mo, wo beginaft du ?
Wo hör’ ih auf? '
: Da. in mir —
Ich in bier — ,
Mein volle Sein, umfaßt «6
FL Nicht dich und Alles?
V. Der Saͤnger auf Reiſen. Italiens und Griechenlands
rlichkeit. Doch hier ſtarb Sokrates. Hier bringt man den
öttern des Batholifi Dlymps Menſchenopfer an Klofter-
jungfrauen. War nicht ein folches Menfchenopfer das ganze
Mittelalter mit feinem Moͤnchsgilauben? Und jegt noch biefe
feomme katholiſche Faſtnachtspolonaiſe! Wohl und! Alle biefe
alten Goͤtter find herabgefliegen von ihren Ihronen, zu ie
nen im Diymp der Kunft. VI. Rückkehr in bie Heimat. Welche
Molle fo der Sänger fpielen in der Welt? Ss paßt für ihn
eine. Das Gtüd, in dem er auftreten koͤnnte, ift wol neh
nicht gefchrieben. Koͤnigsſtadt. Huldigungsfeſt.
„WWir Haben unf're Seelen Bett gegeben!
-Berzeib‘, o Herr, uud Armen,
Und nimm in gnäblgem Grbarmen
Du unfern Leib. und unfer Leben!”
J
[4
Merziucn Gãnger t ben Dante dur unſere heuti⸗
Acben ande Der Kenn, dee bie Hölle geſchen, vermag
Im Unbiid nicht zu ertragen und entflicht. Mbas ift unfere
Wert
„08 edler im Genäth”, zu fein was man begehrt,
Durch rege Kraft des Heiles werth,
Ode zu beſcheiden mit Gedanken fi,
Bis einft des Übeld Druck von feiber with.
VI. Mene mene Tekel Upharsin. Grftürmung der Ba:
file. VIH. „Und immer übrig bleibt der Menſch allein.”
"Sie haben ihn gefhmäht, gefchlagen.
Bie zogen aus, ben Menſchen zu ergreifen.
und ſtellten ihn mit einem Dornenfireifen
Ums Haupt, mit eined Purpurmantels Spoit
Zum Blutgericht wor ihren Babelgest!
Bergebens. Schön ift die Ratur — dech kann fie uns nicht
mehr befriedigen.
Mi ruft der Menſch!
In dieſem Namen iſt die Welt erkannt,
In ihm find wir und eng vertvandt,
An diefem Namen find wir AN’ verföhnt,
Gr ifl'8, der „In Hoc Signo Vincos!” tönt.
IX. Hymnus im Sinne des neuen Blaubens.
Fuͤnfter Theil. Die GSchöpfungsgefchichte ber Religion der
Zukunft. „Im Aufang war ber Menſch, er war im AU das
AU” und endlich
Das AlL ift ſein Gehalt, fein Weſen Gotteswalten,
Die Freiheit feine Form und fein Entfalten!
Barnen, daß das Gedicht infofern eine wichtige Grfcheinung ift
als es Die Summe der radicalen Veſtrebungen ind Kurze zu:
ſammenfaßt und mter Ginen Hut bringt.
mde aus diefem Grunde haben wir nicht viel über baffelbe zu
fagen. Wir Haben feinen Inhalt für Freund und Beind ehr⸗
ich dargelegt: ein Urtheil über ihn ausſprechen, hieße jene Be:
firebungen felbft würdigen wollen, ein Unternehmen, bad für
diefen Drt zu weit ausfehend wäre und für das überdies ge-
wiſſe Geſichtspunkte vorher einer fireng wifienfhaftlihen Be:
gründung bedürfen würden. Rur zweierlei Bemerkungen koͤn⸗
nen wir nicht unterdrücken. Das Gedicht dat darin eine große
Bedeutung, daß es den Pananthropiſsmus — fo bürfte der
Berf. felbit feine Lehre bezeichnen — auf innere Lebensentwide:
lung gründen will. Auch werden wit wirklich durch eine lange
Meibe von Seelenerfahrungen hindurchgeführt. Nur Eins ver:
miflen wir — das religtöfe Leben. Denn biefes fol doch nicht
etwa mit der Entdeckung des frommen Betruge, Den dem Kna⸗
hen am Weihnachtsabend die Mutter fpielt, abgemacht fein?
Med doc, wäre 26 vielleicht die Hanptſache, darzutium, Daß
auth Das religibſe Beben fih in jenen Yanantyrapismus auflsſe
ober, am und einer Schulformel zu bedienen, in «hm feine
Bahrheit habe. Wir rathen bem Berf., diefe Lüde hei ef
ner zweiten Suflape auszufüllen; es konnte fonft ein Böswilli:
meinen, dieſelbe fei nicht zufällig und der Paranthropift
Überhaupt ein echt religioͤſes Lehen uch erſt in Kb
erfahren und umgekehrt als die Wahrheit feiner Lebenban
enpuerfennen,. Das iſt eine von unfeen —— Einige
an
Berantwortlicher Herausgeber:
es Bebiets ber Ba enfäuft
Die auch dem Werl. nebſt dem „Hantlet”, wie Vie a rten
Wroben geigen, häufig yorfchineben. ber damit nicht Die.
tung zu einer bloßen Hußerung Berabfinke, ihre Runfmittel im
den Rang von rhetorifchen Predigtlünften sreten und es ‚ben
Anſchein habe, als 0b fie nur um der größern Eindringlichkeit
w der Profa vorgezogen würe, DU de Stoffe die
ter
dem monologiſivenden Helden Tuufklerife) ablöft, mag auch ũbei⸗
8, was derfelbe ausfpricht, jene ex;
Fein Auch möchte das vorliegende Gedicht hinter Den genenn-
tun barin zurückſterhen, daß diefen eine eigenthümlilbe Bei:
Wesrihtung, wie fie ſich auf Berantaffing beſtimmter Beitver-
Ydlnale nd Bait
mittelung durch diefelbe erſt hinterher erwartete, während wir
hier die Refultate eines fehr verbreiteten wiſſenfchaftlichen Wer-
Bes vorgetragen finden und bei den Hauptflellen entweder an
die verikinbigen Grunde derfflben, die jenes entwidelt, zund®-
benfen, oder und von ihnen augefproden finden, als fellten
{ fie als versus memoriales dienen. Endlich fcheint uns Der
anze Gegenftand für die dichteriſche Behandlung nicht geeig:
De pr fein Sein tft die Loſung diefer Weftanficht, * Das
| Bein des Dienihen, fagt fie, M bie Ihat. IM darauf mem
ih von vornheran gu, erwidern,
otteönanıen fein möge, — wer
darüber fo vielUUmitände und Redens zu machen, fo fcheint eine
dichteriſche Fixirung diefer Weltanfhauung, die doch immer
auf ein „Berweile doch, du bit fo ſchöͤn“ binausläuft, in ih⸗
cem eigenen Sinne fir bie frevelhafteſte Unthätigfeit gel-
ten zu mäffen, und alfo eine Beförderung diefer Weltanſchauung
mittels der Dichtung eine cantradictie ia adjecto zu fein.
Wir wurden auf diefe Bemerkung dur eine Stelle am Schluffe
des Gedichte felbft geführt, m welcher die Rede iſt von der
Sabbathorche des Gott: chen, welche diefen zur Lagerſtatt
keite voie Sera den Beuß Auf dem Ida, — web doch, wäre
es nicht eben der dDichterifhen Form dieſer Entwickelung
Feuerbach'ſcher Philoſopheme zuzuſchreiben, wirklich 4* gu fehr
aus der Schule ſchwatzen hiche Wilhelm Banzel.
mon fort rue im
Literarifhe Notizen aus England.
Die regenfheuen Helden.
Die in Nr. 92 bereits erwähnten „Sketches frem life’ von
2. Blandyard enthalten folgende Anekdote. Blanchard und jein
Freund Jerrold gingen ernfllich damit um, ſich Lord Byron in Grie⸗
chenland anzufipließen ; fie wollten das Waffenhandwerk ergrei-
fen und dem Dichter in der Befreiung Griechenlands beiftehen.
Manchen Ubendfpagiergang brachten fie mit Beſprechung ihres
Pland hin. Mitten in einem diefer Geſpraͤche wurben fie einft
von einem heftigen Gewitterregen überfallen, vor welchem fie
unter einem Thorwege Schutz ſuchten. Als der Regen fort:
bauerte und ihre Geduld fid) zu erfchöpfen begamn, knuͤpfte
Blanchard feinen Rod zu und rief feinem Freunde zu: „Roman
mit, SIerrold, was werben wir den Griechen nügen, wenn
wir vor einem Regenfchauer uns ſcheuen d“ Bo braden fie
denn auf und ließen fih heroiſch durchweichen. Ihren Helden:
vorfag brachten fie jedoch nicht zur Ausführung.
VBeröffentlihung geſchichtlicher Urkunden.
Die Königin von England hat zur Veröffentlichung ber in
ihrem Beige dlichen authentifchen Urdunden in Betreff der
Geſchichte der t8 Erlaubaiß ertheilt. Des VBriefwechſei
des Bi Atterbury wird zuerſt erſcheinen, vnd demſelben
under die Briefe und Papiere des Lords Bolingoreke, des,
. Strafen v. Mar, des Herzogs v. Wharton amd Anderer fo
HBeinrich Brockhanus. — PDrud und Berlag von F. WE. Mrodhans in Leipzig.
hindert'6 denn? — chme‘
Blätter
für
literarifche Unterhaltung.
— 1,
Freitag,
17. April 1846.
Religiöfe Tendenzromane.
(Bortfehung aus Wr. 16)
Die beiden Töchter des Herzogs von Bigny, die Zwil ⸗
lingeſchweſtern Rofa und Blanca find ziemlich unbebem-
tende Erſcheinungen, ihr Weſen ift krankhaft, ihre eich“
nung fann Frauen und jungen Mädchen Theilnahme ein«
fen. Dan koͤnnte meinen, daß Sue die Abſicht habe zu
zeigen, wie vortrefflich der Menfch auch ohne alle Kennt-
nif bes Evangeliums, ohne beftinuten Religionsunter-
richt gedeihen Tönne, aber die Natur der beiden Mäd⸗
chen kommt durchaus nicht zu etwas Rechtem, fondern
bleibt in der Weichlichteit und der Dichter ſucht ſich
derſelben, nachdem fie ihm und ihrer Umgebung durch
ihre krankhafte Gefühlszartheit und Weltunkenntniß große
Sorge gemacht haben, in einem Cholerahofpital zu ent-
ledigen.
Noch ein anderer Eibe des Hru. v. Rennepont iſt
ein Arbeiter, der, weil er einmal im Eifer der Arbeit
auch das Hemd weggeworfen, den Namen couche-tout-nn,
in vorliegender Überfegung „Nadtimbert“ erhalten hatte.
Im der Zeichnung diefes Menſchen und in der Entwide:
tung feiner Rebensyuftände beweiſt Sue wieder ein gro-
fes Talent. Die Enefittlihung bes Proletariats weiß
Sue auf die effectvollfte Weiſe darzuftellen, er zeige uns
den Kern einer vortrefflichen Natur, welche unter der
Macht der Umftände immer tiefer ins Wüſte und Lieder-
liche bie zum gänzlichen Verderben berabgezogen wird.
Dos Berhãltuiß bes Nacktimbett mit ber „Becherfönigin“,
die Zeichnung biefer parifer Figur und alle fich daran
ſqließenden Scenen gehören zu deu Vortrefflichſten, was
wir im „Ewigen Juden” finden und was wir und ent«
finnen überhaupt gelefen zu haben. Sue's größte Kraft
biegt in der Detailmuferei ber parifer Rebenszuflände,
wicht in der Romantif, nicht in ber Durchführung oll-
gemeiner Principien. Die Erregbarkeit des Nadtimbett
iſt bedeutend, fein Charakter iſt ſchwach, dadurch wird
er den Machinationen des Jefuitenthums, welches ſich
Her des Thierbandigers Morok bedient, preisgegeben.
Auch ihn ereilt das Fatum bes Sue ſchen Romans,
nãmiich die Chelera. Heinrich Leo meint, „ein tücptiges
Arbeitohaus fei die Hefte Cur für folche Subjecte
Dieſen Figwven fieht nun das Incerefſe und Das
Princip des Jefuitenchums gegenüber. Zuerſt wirb daf-
felbe durch den Warquis von Aigrigny vepräfentiet, nach ·
dem dieſer aber ungeſchikt manoenweirt hat und am
Ende feiner Weisheit angelommen, entpuppt ſich ploͤt ·
U der Held des Romans, der Jeſuit Robin. Was
Ageigng wicht vermocht hat durch gemaltfame Mittel,
till ev erreichen. Weducht Durch les immmenses res-
sources d’andamtissements mutael oa partiel, que
pert offeir le jeu des ‚passions humaines habilement
combindes, opposees, contrarides, dechaindes, surex-
citẽes etc. Er bebient fi) zur Erreichung feiner Plane
ziemlich phantaflifcher Figuren, des oflindifchen Morbge-
fellen Faringhea, des Ihierbändigers Worek, des ven
ſtellten Simpel im Haufe des Warſchalls v. Banp, die
allerdings häufig nur ald aͤußerliche dii ex machine ee
feinen, um bie Fäden gerade fo zu drehen wie Sut
fie für feine befondern Zwecke Haben maß. Wenn nun
aber Eugen Sue auch durch diefe romantiſche Maſchi ⸗
nerie ben Verweis Kiefern mag, daß feine Kräfte in Be-
slehung auf höhere kuͤnſtleriſche Leiflung duchaus umzu ·
teichend bleiben, fo bleibe eine Zeichnung wie Robin
doch immer noch bedeutend genug, um ein allgemeines
Jutereſſe einzuößen. Teuflifche Ehrſucht, verſteckte
Heuchelei, eigenfinnige Beharrlichkeit, bie vielleicht aus
dem Gefühle der Kraft bes Ordens eutſpringt, Sieich
güligkeit hinfichtlich der Wahl Der Mittel, bie ſiece
durch ben Zweck geheiligt werden, und endlich unet ⸗
ſchoͤpfliche Erfindungsgabe und erſtaunliche Klacheit ei-
nes ſtets auf Berfolgung eines und deſſelben Planes
gerichteten Geiſtes find die Hanptzüge in Rodin's Gha-
takter. Robin ift das Gegenſtuck Gabriel's, Beide ber
wegen fi af dem Boden des Chriftenthums; in Robin
zeigt ſich die Woficht, fich an die Spige des Jeſuitenerdens
und von dieſem Punkte aus an bie &pige ber vieniſchen
Kiche zu ſchwiugen, um dann ben Jeſuitenorden ſeibſt
zu abforbiren aber wielmehr die vömifche Hierarchie amd
den Jeſukenorden zu identifichten; in Gabriel die größte
Unfpruchsiofigkeit und Verzichtleiſtung auf bie MBiter
diefer Welt. Man köonnte fagen, ebenfo übermenfchlih
wie Gabriel gezelchnet fei, fi auch Rodin gereithmet,
ebenfo wenig mie eim Gabriel in ber chriflichen Kirche
eziftisen Panne, korme auch ein Robin epiftiren; aber
dieſes im Allgemeinen zugegeben, fo iſt Dach im Melon:
dern zu bemerien, daß Sue ben Robin nicht wie den J nen mitunter in Phantaſtik über und wenn fi zu⸗
Gabriel aus allgemeinen verfhmommenen Phrafen zu-
fammenfegt, fondern ihn ganz beflimmt aus einer pofi-
tiven Grundlage, aus den Bafen des Jefuitenordens,
entwidelt. Robin ift eme Verkoörperung der jefuitifchen
Grundſaͤtze, die, wie fie vereinzelt durch die Jahrhunderte
auf die Menfchheit wirkten, in einer Individualität zu-
fammengetragen, bier in einem beſtimmt abgefchloffenen
Kreife ihre Zähigkeit und Macht beweifen. Das Red,
fo zu verfahren, wird Niemand dem Dichter abfprechen
mögen, wenn er auch, mie ſchon bemerkt, vor dem Ta⸗
del Fünftlerifcher Unzulänglichkeit ſich keineswegs hüten
konnte.
Es iſt natürlich nicht möglich, alle jene Perſonen
hervorzuheben und zu charakteriſiren, die in der Welt
des „Ewigen Juden“ bunt durcheinander laufen; es ſei
genug, daß derjenigen, die ein hervorſtechendes Intereſſe
in Anſpruch nehmen, Erwähnung geſchehen iſt. Uber
die allgemeine Bedeutung bed „Ewigen Juden‘ ift [on
oben geredet werben, allein Eugen Sue hat in einem
Nachworte noch die befondern Punkte hervorgehoben, um
deren Auseinanderfegung es ihm vorzüglich zu thun ge⸗
wefen iſt. Abgefehen von feinen Operationen gegen den
Jeſuitismus will er 1) gezeigt haben, daß Weiber—
arbeit fehlechter bezahlt werde und die ſchrecklichen Fol⸗
gen dieſer Unzulänglichkeit, 2) habe er neue Sicher⸗
heit verlangt gegen die leichte Möglichkeit, Jemanden
in ein Irrenhaus zu fperren, 3) daß der Arbeiter der
Rechtswohlthat in Betreff der „Freiheit unter Buͤrg⸗
ſchaft“ theilhaftig werben könne. Endlich hat er es noch
verfucht, wovon ſchon oben die Rede, die Einrichtung
eines Gemeinhaufes für Arbeiter praktiſch darzuſtellen.
- Auf diefe vier Punkte laufen allerdings die focialen
Etemente des „Emigen Juden” hinaus, aber fo ungenü⸗
gend fih in ihnen auch der fociale Zufland der Gegen-
wart darftellt, fo wichtig find fie dennoch und fo bedeutend
iſt Sue in der Entwidelung jener ergreifenden Situa⸗
tionen, die in ihnen ihren Urfprung finden, denjenigen ge-
genüber, in welchen Sue allgemeine Principien ver
lebendigen will. Eugen Sue ift erfaßt von dem focial-
philofophifchen Geiſte der Gegenmart, er iſt hineinge-
drungen in feine poetifchen Schöpfungen, aber Sue bat
es noch nicht zur Dichtung im Großen, im Ganzen
bringen fönmen, es iff das Detail, in dem er Bebeu-
tendes leiſtet und in dem er ſich verliert. Sue erkennt
ſociale Gebrechen, aber er ift nicht im Stande, in ben
Zufammenhang derfelben einzubringen und bie volle
Wahrheit darzuſtellen; wo er ohnmächtig wird, greift ex
zur Romantik. Es ift in ihm ein Streben und ein be-
deutfamer Anfang, aber nicht6 weniger: ald eine Vollen-
dung. Berne neuern Romane haben einen tiefen Sinn
als die momentane Befriedigung des Neugierkigels, aber
fie find nicht aus einem Guffe, fie zeigen nicht die fichere
Hand eines Meifters, fondern ein ſtetes Schwanken und
Schmweben, fie find nit Beftaltungen, losgelöft von: ei«
ner durch das klarſie Bewußtſein beherrſchten und ge⸗
regelten Phantafie, fondern bie Phantafte geht in ih⸗
weilen in ihnen das Leben in feiner ganzen Realität er-
Pennen laͤßt, fo forget der Verf. doch au immer wieder
für romantifchen Nebel, um einen freien Überblid un-
möglich zu machen und um feine eigene Schwäche, feine
große Unficherheit in den Principien, zu verhüllen. Ber
gierig find wir indef, ob und wie er feine Fehler in
feinem neuen Roman, den „Sieben Todfünden” vermei-
den wird.
(Die Zortfegung folgt in ber nädyften Lieferung, Nr. IB.)
Der Tribun. Geſchichtliches Taſchenbuch für das deutfche
Volt. Herausgegeben von Adolf Bod. Hanover,
Kius. 1846. 16. 20 Near.
Hören wir zunächft was der Berf. mit diefem Buche beab-
fihtigte, um fodann in der Kürze anzugeben was er erreicht
bat. Er wollte „in einer fo redfeligen Zeit nicht der einzige
Summe fein, der bei den Dingen, welde in der Welt vor
gehen, mit den Händen, wie die Stumme von Portid, nur
gefticuliren mag”; er hat e8 Daher verfucht, „auch eine Anficht
unter Anſichten zu äußern”. Er bietet dem Leſer biftorifche
Stoffe, „weil es vorläufig in Deutichland noch nöthig zu fein
fheint, den Sad zu fihlagen, wenn man den Efel meint”.
Dabei gilt: ihm die Aufmerkſamkeit der Zeitgenoffen Alles.
Der Berf. beftrebte fi, „für das größere gebildete Publicum
u fchreiben, Stoffe, die in der gelehrten Welt ſchon mannich⸗
ach genug abgewogen zu fein fohienen, um im Refultat ergrif-
fen zu werden, für Diejenigen zugaͤnglich zu machen, denen
die Welt der Kolianten und des geledrten Apparats fern liegt“;
feine Tendenz war, aus dem Bolke für dab Bolk zu reden und’
die Höfe planmäßig bei Seite zu laflen.
Loͤblich ift es, bei den Dingen, die in der Welt vorgehen,
nicht blos mit den Händen zu geſticuliren; doch fcheint der Ber:
glei) mit der Stummen von Portici zu hinken, da gerade Diefe
dem Opernpublicum wohlbefannte Demagogin durch ihre ſtum⸗
men Geberden eine mächtigere Beredtſamkeit entfaltete ald gar
viele mit normalen Sprachwerkzeugen verfehene Individuen.
Der Berf. wollte eine Anſicht unter Anfichten äußern; das ift
auch biöweilen gefchehen und zwar in Harer, verftändiger Weife,
aber ohne befonderd anregende Kraft. Anjichten über gefchicht-
liche Ereigniffe müflen piquant fein oder aus einer tiefen Auf⸗
faffung entfpringen, wenn fie für das gebildete Publicum Werth
haben follen. Biftorifche Stoffe deshalb vorzuführen, um
auf den Sad zu fchlagen, wenn man den Efel meint, mag
in einem mit der Cenfur behafteten Lande oft ein gutes Mittel
zur Berftändigung fein; in dieſem Kalle muß aber die Geißel
ſehr kraͤftig geſchwungen werden und der Sad nidyt zu’ did
geftopft fein, ſonſt bringen die Schläge nicht bis auf das Fett
des Eſels. Wegen der Welt der Polianten bat es fon
lange Feine Noth mehr; feit vielen Sahren wird die Geſchichte
dem ‚‚größern gebildeten Publicum“ im bequemften Formate
auf die intereffantefte Weife zugänglich gemacht; nicht zu ge⸗
denken der unüberfehbaren Memoirenliteratur erinnern wir nur
an Raumer’5 und Hormayr's Zafchenbücer, die keineswegs
blos für Fachgelehrte gefchrieben find. Gegen die Tendenz
des Berf., aus dem Volke und für das Volk zu fhreiben, ift
nichts einzuwenden; wollte er aber die Höfe „planmäßig ver⸗
meiden‘, fo mußte er den zweiter Parifer Frieden unbeſprochen
laflenz; denn was er uns davon mittheilt, iſt nur eine Reihe
von Hof: und Winifterintriguen, bei denen das Wolf au na
im entfernteften in Betracht kommt. Die übrigen vier Aufe
fäße handeln über Benedig, die Wiebertäufer in Münfter, Hen⸗
ning Brabant und die Hofnarren, lauter Stoffe, von denen
populaire Darftellungen bereit6 mehrfach befamnt find. Eine
nochmalige Bearbeitung biefer Materien müßte ſich vor den
mM
ühern durch augenſcheinliche Vorzüge auszeichnen, um ihre
—— zu —æ— ir wollen ſehen, ob dem
Berf, diefe Rechtfertigung gelingen if.
Betrachten wie den erfien Artikel: Venedig. Die Ge
ſchichte dieſes Staats bietet unftreitig viele anziehende Momente
dar; diefe hervorzuheben, die Eigenthümlichkeiten, die Macht,
den Untergang der Republik in großen und ergreifenden Bügen
zu vergegenwärtigen,, ihre gewaltigen Perfönlichleiten und Er:
eigniffe mit dramatifcher Lebendigkeit zu ſchildern, ift gewiß
eine lohnende Aufgabe für den Gefchichtfchreiber. Aber ftatt
einer kraftvollen und binreißenden Schilderung gibt uns der
Berf. in möglichft kutzen Sägen eine trockene Überficht der
Thatſachen von der Entitehung Benedigs bis zu feiner Einver⸗
leibung mit Oftreih. Yur Probe diene folgende Stelle: ‚Der
feurige Franz I., Ludwig's XU. Nachfolger, unterfchrieb mit
Den Benetianern . das zu Blois gefchloffene Buͤndniß. Er kam
1515 nad, Italien und der Kaiſer Marimilian, der König von
"Spanien, die-Schweizer und der Papft flanden jenen wieder
feindlich gegenüber. Die Franzofen und die Schweizer rückten
von zwei Seiten auf Mailand; den Venetianern flanden die
Spanier femdlich gegenüber. Die Franzoſen fiegten in der
Schlacht von Warignano über die Schweizer, die in ihre Ge:
birge zurüdkehrten. Mailand blieb in der Gewalt der Kran:
zoſen. Marimilian Sforza ging mit einem Jahrgehalt nad)
Frankreich. Die Spanier räumten ohne fonderlihe Waffentha-
ten dad Feld und die Venetianer nahmen ihre alten Befiguns
gen ein“ u. f. w. oo.
Sin Stil diefer Art paßt ganz gut für einen yedrängten
Leitfaden des hiſtoriſchen Unterrichts, nicht aber für ein Bud,
welches fi) vorfegt, „aus der bewegtern Beryangenheit zu
fhöpfen, um dadurch Anregung, Ermunterung, Troͤſtung, War:
nung zu gewinnen”. In Yoldem Gewande fann die Geſchichte
Venedigs nur abſtoßen. Wer möchte 3. B. an den Verhaͤlt⸗
niffen der Republik zu Karl VII. auch nur das geringfle In-
tereffe nehmen, wenn fie auf folgende Art dargeftellt werden:
„Bei dem Kriege König Karl’s VIII. von Frankreich ges
gen Sicilien blieb Venedig neutral, tropdem daß fich der Papft
an den Sultan Bajazet und der Sultan an die Republik ge:
wendet hatte, um fie gegen den franzöfiichen König Partei neh:
men zu lafien. Erſt Karl's VIII. Gluͤck machte fie auf die Ge:
fahr Kür ganz Italien aufmerkſam. Vereint mit Mailand trat
fie Dem Könige entgegen. Ihr Heer wurde zwar bei Foronovo
von den Franzofen gefchlagen, doch war ed von Seiten der
Xegtern nur ein Durchſchlagen; fie räumten, zumal die Vene:
tianer zur See glüdlih waren, Italien. Die leihtfinnige Po:
litik Karl's VIII. drohte aber den Angriff auf Sicilien zu wie:
derholen: Mailand und Venedig fuchten den in Frankreich be-
findtichen Kaifer Marmilian durch Subfidien gegen Frankreich
zu gewinnen. Maximilian verſprach Hülfe.’‘ flach ftreift
die Darftellung über jene wichtigen Begebenheiten hin und doch
wäre gerade bier der richtige Drt geweſen, die fubtile Staats:
!ugheit Benedigs anſchaulich zu machen; die daſelbſt betriebene
Coalition der Feinde Karl's machte Venedig zu einem Mittel:
punkte der damaligen Weltbändel; die fchlaue Einleitung und
kraftvolle Durchführung der gegen die Franzoſen ergriffenen
Maßregeln charakterifict aufs treffendite den Geift der venetia-
nifhen Politit. Comines, Der als franzöffcher Geſandter in
Benedig ungeachtet feiner eigenen Berfchmigtheit überliftet und
biß zum legten Augenblicke kuͤnſtlich bingehalten wurde, bat
hierüber ſehr anziehend gefchrieben; ebenfo hat auch Daru in
feiner „Histoire de la republique de Venise“ diefe diploma-
tifchen Raͤnke nicht übergangens hätte der Verf. den einen oder
andern biefer Schriftfteler benugt, jo würde er dem Gegen:
ftande wahrfcheinlich mehr abgewonnen haben.
Wir wollen nicht verfennen, daß die übrigen Aufläge et»
was anfpredgender find als dieſer erfte; Einzelnes, wie die tolle
Wirthfchaft des Könige Johann Bockelſohn in Münfter, ift
recht gut befchrieben ; das Gewirre der diplomatiſchen Berhand-
lungen in Paris findet ji hier möglichft in Ordnung gelegt,
über die Hofnorren if manche brauchbere Notiz mitgeiheilt —
aber im Ganzen ſchien uns das Buch nicht geeignet, feinen
Zweck zu erfüllen und den Sinn für hiſtoriſche Lecture zu ber
leben. Dem Gebildeten, mit der Geſchichte fon mannichfach
Bertrauten bringt ed zu wenig Neues; für andere Leſer iſt es
nieht erwärmend genug und bietet zu wenig Unterhaltung, die
doch ſelbſt bei rein geichichtlihen Werken fehr wohl gewährt
werden Bann, bei einem geſchichtlichen Bolkstafchenbuche aber
gewährt werden muß. 13.
—m— — —
Zur polniſchen Literatur.
I. Kollataj wrewolucyi Kosciuszkowej. (Kollontaj während
der Kosciuszko'ſchen Revelution.) Liffe und Gnefen 1846.
Während der polnifhen Revolution von 1794, die noch
beute in Polen faft nur nad dem Oberanführer die Kosciuszko'ſche
genannt wird, genoß der Kanonifus und Kanzler Hugo Kol⸗
lontaj bes Oberanführers Rosciuszto unumfchränktes Bertrauen
und ftand deshalb unter den Haͤuptern der Revolution da. Bo
fehr das polnifhe Bolt damaliger Zeit in unbegrenzter Achtung
Kosciuszko's felbft einig mar, jo getheilt waren die Meinungen
über Kollontaj. Während die Einen in ihm einen großen von
Patriotismus glühenden Charakter erblidten, erregte er bei
Andern Mistrauen und ward wol gar — was in Polen frei»
lich Leicht gefchieht — den Vaterlandsverräthern zugezählt. In
vorgenannter Schrift kommt nun fpät einer der perfönlichen
Gegner Kollontaj’d zu Worte. Sie ift angeblih von einem
Unbefannten verfaßt unter den Papieren eines angefebenen pol:
nifchen Staatsbeamten vorgefunden worden, fie enthält die ärg-
ften Schmähungen eines Mannes, der um die literarifche Bil:
dung der Polen wefentliche Verdienfte hat, es wird Kollontai
geradezu Schuld gegeben, eigennügig das Vertrauen Kosciuszko's
gemisbraudt, fih aus dem Äffentlichen Schage bereichert, ja
wol gar das Volk zu den warfchauer Gräuelfcenen vom 28. Zuni
1704 gereizt zu haben. Dieſe Anfchultigungen würden weit
größeres Gewicht haben, wenn der Verf. der Schrift, der, wie
er ſelbſt fagt, manche JZurüdfegung von Kollontaj erfahren hat,
befannt wäre; fo find fie ohne Gewähr nur hingeftelft.
2. Piesni chrzesciaiskie religijne. (Chriſtliche religiöfe Ge:
fänge.) Warfchau 1849.
Diefe Gedichtſammlung gehört zu den feltenen Zeugniffen
des noch unter den Polen vorhandenen evangelifchen Ehriften:
thbums. Neben mehren altpolnifchen Kirchenliedern finden fich
hier die fchönften altern und neuern deutfchen Kirchenlieder von
Gellert, Klopſtock u. ſ. w. in polnifchen Überfegungen, zum Ge:
brauche beim öffentlichen Gottesdienfte geordnet. In einem An:
hange find falbungsvolle, in einfady evangeliſchem Sinne ab:
gefaßte Gebete beigegeben.
3. Wspomnienia Wloch i Szwajcaryi przez Bartlomteja
Oranskiego. Zwei Zheile. Poſen 1849.
Der Berf. diefer Reifebefchreibung durch Stalien und die
Schweiz, Bartholomäus Oranski, früher Magifter an der war:
Schauer Univerfität, ftarb 38 Jahre alt im Mai 1843 zu Berdyczow
im Haufe des Kürften Michael Radziwill, welcher dem gemuͤth⸗
lichen und geiftvollen, befonder& durch die Liebe zur Kunſt aus»
gezeichneten Manne eine forgenfreic Stelung bei ſich gewährt
hatte. Im Gefolge der Radziwill'ſchen Familie bereifte Dranski
in den Jahren 1832 und 1830 Italien und die Schweiz, feine
Befchreibungen befunden ebenfowol feinen tief religiöfen Sinn,
der überall an die Hinfälligkeit alles Irdifchen erinnert wird,
wie fein treffendes Urtheil über die Kunftdentmäler des Alters
thums und die Werke der Malerei und Architektur neuerer Zeit.
Da die polnifche Literatur an folden in das Berfländniß der
Kunftwerfe einführenden Schriften nicht eben reich ift, fo ver-
dient die Herausgabe dieſes intereffanten Rachlaffes Dank.
4. Podania i Legendy polskie, ruskie, litewskie zebrat Lu-
cian Siemteneki. Poſen 1845.
Diefe Sammlung von polnifchen Volfsfagen, und Legenden,
die von einem der beften polnifhen Erzähler der Gegenwart
Be 428
unternonemnen werben if, zeichnet ſich vor den ſchon Früher er-
ſchienenen ähnlichen Sammlungen eines Wojcicki, Jucewicz u. ſ. w.
durch ihre Reichhaltigkeit aus. Zum erſten Male find bier ne⸗
bon wenigen bisher ungedruckten alle biäher bekannten polni⸗
fihen Sagen zuſammen t, fowol die, welche fib in den
Chroniken und Beitfigtiften zerſtreut befinden, als auch weiche
in ben biöherigen nur die eingelnen Landestheile Altpolens be:
ruͤchſichtigenden Sammlungen bereite befindlich waren. Daher
kann aus dem vorliegenden Werke eine ſo ziemlich vollſtaͤndige
Anſicht von dem ganzen Sagenreichthume der Polen gewonnen
werben. Zu loben if, daß der Herausgeber die Sagen einfach,
“und treu im Bollstone ohne jede weitere Ausſchmückung bins
ftelt, was der im vorigen Sabre von dem befannten Literaten
San Marte (Schulz) deutſch veranftalteten „Sammlung groß
polnifcher Bollöfagen” nicht nachgerühmt werben kann.
3. Pisma Juli Gocsaikowekiij. Bochnia 1845.
Es find dies die Erfllinge einer jedenfalls talentvollen,
noch fehr jungen polnischen Dichterin, theild rührende, gefühl:
volle Poeſien, tbeild Erzählungen im Volkstone, die in Polen
nicht geringe Aufmerkſamkeit auf fich gezogen haben. v.
Bibliegraphie.
Barnes, J., Briefe über Gärtnerei. Aus dem Engli-
schen. Potsdam. 8. 22%, Neger.
. Bernbardi, R., Beiträge zu einer hiſtoriſch⸗romantiſchen
Skizze der Saline und des Soolbaded zu Salzungen. Salzun-
gen, Vocke. 12. 11%, Mr:
Hiſtoriſch-ſtatiſtiſches Wild der Stadt Poſen in früheren
Zeiten, bearbeitet nach dem polnifhen Werke bes S. v. Lu⸗
Faszewicz. Ifted Heft. Life, Sünther. Gr. 12. 7, Rgr.
Binder, W., Der Yroteftantismus in feiner Selbftauf:
Löfung. Eine theologifch-politifche Denkſchrift in Briefen. Zwei
Bände. 2te durchgefehene Auflage. Schaffhauſen, Hutter.
8 2 Thlr. 7, Nor.
Blum, 8. v., Ein Bild aus den Oftfee-Provingen oder
Andreas von Löwis of Menar. Berlin, Dunder und Humblot.
Kl. 8. 24 Ryr.
Clemens, F., Endliher und vollendeter Friedensſchluß
zwifchen Vernunft und Chriſtenthum, duch Nachweiſung ber
abſoluten Identität beider, nebft: Grundzüge zur Definition der
reinen Vernunft, nad) originalen Prinzipien. Hamburg, Do:
gel. Kl. 8. 20 Rgr.
Conſcience, H. Geſchichte des Grafen Hugo von Craen⸗
hove und ſeines Freundes Abulfaragus. Aus dem Flämiſchen
von O. 2. B. Wolff. Illuſtrirt von €. Dujardin. Leipzig,
Lord. 8. 1 Thlr. 10 Nor.
— — Sammlung ausgewählter Schriften. Aus dem Vlaͤ⸗
mifehen. Iſtes und ‚2te8 Bändchen. Münfter, Aſchendorff. 12,
a 10 Rgr.
Ecenbrecher, ©. v., Über die Faſten der griechiichen
Kirche, und über die Sofen der proteftantifchen Kirche. Ber:
5 Nor.
In, Bethge. Gr. 8.
ter Band. Leipzig, DO. Wigand. Gr. 8.
Die Epigonen.
I Thlr. 25 Mer.
Soethe's Gedichte. Auswahl für Schule und Haus.
$reausgegeben von J. W. Schäfer Stuttgart, Cotta. 8.
r.
agen, K., Fragen der Zeit, vom hiſtoriſchen Stand⸗
zr betrachtet. 2ter Band. Stuttgart, Franckh. 8. 1Thlr.
gr
Die Hand der Mache. Zwei Belfpiele von der Wirkung
der. Gewiffensangft bei geheimen Miffethätern. rei nach dem
Holländifden von G. Ripking. Dfterobe, Sorge. 8. 19 Ber.
94 Febr, D. E., Gedichte. Leipzig, Brockhaus. Gr. 12.
gr.
Hösl, F., Leben des fel. Johannes Eolumbini aus Siena,
Stifters der Iefuaten. Nach den Bollandiften bearbeitet Re:
gensburg, Yuftet. 8. 10 Kar.
Berantwortlider Heraußgeber: Heinrich Brodhans. —
Lagesliteratur.
Anhalt, E. Die Univerfität. Üborblick ihrer Seſchichte
und Darfellung ihrer gegenwärtigen Aufgabe. Jena, Mauke,
Gr. 8. 11, Ar .
Anton, ©., Erianerung an das Mandver bei Halle 1844.
Magdeburg, Falckenberg und Comp. 1849. Gr. 8. 5 Nee.
Bauer, G., Dos Licht der Welt und die Nachfolge des
Herrn. Zwei Weibnachtöpredigten über Ev. Ich. 8,12. Ber-
In, Enslin. 5 Rar.
pe Prager mer — Fanatiker, in der
rion ca; Deine. W. I. Xhisrfh. Zur Charakteriſtik
der neweiten Sheologie. Stuttgart, Beder. 8. 15 .
‚ Behr, 3. 9. I, Frommes Andenken an Luther's Ab⸗
ſchied aus biefer Welt. Predigt. Gera, Kenis. Gr. 8. 3 Rgr.
Beiträge zu einer Charakteriſtik der neuen deutfcd-Eatholi=
ſchen Kirche in Abfertigung eines gewiſſen Literaten und Zei⸗
tung6 » Sorrefpondenten von einem Breblauer Bürger. Kebfk
einer kurzen Beleuchtung von Hrn. Ronge's Flugſchriftchen
Neue und doch alte Feinde. Gruͤnbderg, Weiß Gr.8. 2%, Nar-
Authentiſcher Bericht der Makrena Mieczyslawska, b-
tiffin der Bafilianerinnen ven Minsk, ober Geſchichte einer
Tjährigen Seriolgung, erlitten wegen des Glaubens von ibe
und ihren Ronnen. Auf Befehl des PYapfted Gregor XVI. von
ihr zu Protokoll gegeben. Aus dem Franzöfiihen von 3. S.
Sera, Urmbrufter. Gr. 16. 7%, Rar.
Fliegendes Blatt von einem Verſchollenen. 2te, aufs Bier:
face vermehrte Ausgabe. Zürich, Drei, Füßli und Gomp.
Gr. 8. 10 Rer.
Fliegende Blätter aus Dem Tagebuche eines heſſiſchen Beikt-
lichen, betreffend die gegenwärtigen Spaltungen und Kämpfe
innerhalb ber, gritu hen irche Deutſchlands. Darmſtadt, Dichi.
. 8. 3% Rgr
gr.
Selbſtgeſpraͤche. Ein Berfud des philofophifchen Bewußt⸗
feins ſich mit den populären Bewegungen der Gegenwart zu
vermitteln. Berlin, Amelang. Gr. 8. 12 Nor.
Semmig, H., Säͤchſiſche Zuſtaͤnde nebft Randwioflen und
Leuchtkugeln. Zunäachſt ein Ruf an das ſächſiſche Bol Ham:
burg, Vogel. Gr. 8. 15 Rear.
Sintenis, W. %., Luther Lebt noch! Predigt am 2MWV-
jährigen Todestage Luthers. Nebft dem Altargebete zu der⸗
felben Sedähtnißfeier von 8. A. Klufemann. Magdeburg,
Baenſch. Gr. 8. A Nir.
Stern, D., Die Lihtfreunde. Betrachtungen über Deutſch⸗
ogde ugiöfe Bewegungen. Grimme, Berlagscomptoir. RI. 8
7 Ngr.
Tholuck, A., Vier Predigten über die Bewegungen dee
Zeit, gehalten im alabemifchen Gottesdienſte der Univerfitat Halle
im Sommer 1845. 3te Auflage. Halle, Mühlmann. Kl. 8.
gr.
— — Predigt bei der Trauerfeier der Univerfität ‚Dalle-
Pittenberg am Todestage Luthers. Halle, Müblmann. Er. 8.
gr:
Jhomaſius, ©, Die Kraft des Glaubens an die freie
Gnade Gottes in Chriſto. Predigt zum Gedaͤchtniß Luther's.
Erlangen, Bläfing. Gr. 8. 2%, Near.
Über die Rothwendigkeit, den Eifenbahnen eine allgemei-
nere Anwendung zu verfchaffen, und die Möglichkeit, dies durch
Hferdeförderung ze thun. Bon M. F. G. Freiberg, Engel:
hardt. Gr. 8. Nor. -
Uber dad Rongethum und feine Buläffigkeit in Bayern,
Don einem Regensburger Imvaliden. Regensburg, Puſtet. 8.
gr.
Erfte Verfammlung zur Beiprechung der Angelegenheiten
* er Beat und höheren Bürgerfäuten. Meiben, Gersiche.
. if gr.
Zſchieſche, S., Der kirchliche Kampf zwiſchen den. Her⸗
ten ra und Schleiermacherianern. —5
tel, Holle. Gr. 8. 5 Rgr.
Druck und Verlag von F. X. Wroddans in Leipzig.
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
——————————————————
Religiöſe Tendenzromane.
(Fortſetzung aus Nr. 107.)
2. „Kaiſer und Narr“ von Heribert Rau.
Wir verlaſſen mit dieſem Romane das Gebiet der
Gegenwart und ihrer kirchlichen Kämpfe; er führt
uns in jene Periode der Geſchichte zurüd, wo Kai-
fer und Papſt, Staat und Kirche, Deutfchland
und Rom, anenthum und Romanenthbum um die
Herrſchaft der Welt Tümpften und der apoftolifche
Thron alle Mittel ammendete, bie kaiferlihe Macht dem
Monde gleichzufiellen, der feinen Glanz von ihr, ber
Sonne, empfange. Die Epoche der Hohenſtaufen iſt nicht
blos geichichtlich einer. der größten Zeitabfchnitte für un⸗
fer Deutfhland: fie gibt auch dem Dichter ein Beinahe
unerfihöpfliches Material, es raufcht ein mächtiger Le⸗
bensſtrom dur diefe Zeit, es tauchen große lichtvolle
Seftalten und Rieſenideen empor aus ihrer Bewegung.
Leiber haben unfere Dichter, fowol im Drama als im
Nomane, meniger ben tiefen Inhalt der Hohenftaufen-
zeit hervorgehoben als ſich an einen leeren Romanticis-
mund bingegeben, in dem fie fälfchlich die Poefie dieſer
Tage ſuchen unb den fie fo breit gefchlagen haben, daß
dieſe große Periode unferer Geſchichte und ihre wahre
Dache kaum noch vor all der falſchen Poefie, ber lü-
genden, entftellenden Romantik mit ihrem ganzen mittel-
alterlichen Geſtaltenſpuk und Betteltroß erkannt werden
fonuen.
Unfere Gegenwert iſt mit all ihren Kämpfen und’
Zerrüttungen das Werk der großen Kataſtrophen, bie fich
im Bange ber Gefchichte, welcher das Mittelalter zer-
flört, aus dem großen Streite der geififichen mit ber
weltlichen Macht entwidelt Haben. Die Reformation mit
ihrem 2ebensprineip und ihren Folgen iſt ganz unmög-
lich richtig zu verfiehen, wenn man nit die Kämpfe,
. bie ihr vorangegangen, die Kämpfe der Heohenftaufenzelt
vihtig erkannt hat. Obgleich das Papſtthum ſcheinbar
bem Hohenſtaufenthume gegenüber triumphirte, es wurbe
doch tobwund in biefen Riefenftreite. - Die Kreuzzüge
ſelbſt, welche es angeregt Hatte, Mößten ihm Gift ein
md wedten bie Keime einer neuen Welt, fie fprengten
ben engen, ſchon in- fich zerrütteten europaͤiſchen Drga-
nem. Die Kreuzzüge eröffneten zum erſten Dial nüch
Jahrhund erten wieder ben wildverwachſenen Orient und
die Zurückkehrenden brachten eine ganz neue Ideenwelt
in die alte Heimat. Ein anderer Glaube, andere Göt⸗
ter, andere Propheten‘ waren bekannt geworden, bie
oceidentalifche Chriftenheit trat aus ihrer engen Gefchlof-
fenheit. Nene, bisher ungekannte Beltanfhauungen be»
mädhtigten ſich der traditiönnellen alten; was das Papft-
thum ſtaͤrken ſollte, unternagfe es Tangfam. Als Byzanz
gefallen, zerſtreuten fich feine Söhne über Europa und
fügrten ben Welten in eine Welt ein, von ber er .bie-
ber feine Ahnung hatte, der Geift Altgriechenlands wuchs
trog des Prieſterthums und feiner Kloſterburgen wieder.
hervor und es fegte fich die Fülle einer fchönen Sinnlichkeit
bem afcetiſchen Ernfte entgegen, die Kunſt, die Wiffen-
fhaft begannen fi von der Kirche zu emancipiren, es
zeifte die neue Welt. Der Geift der claffifchen Bildung
leuchtete über das öde Wiſſen des Mittelalters und un⸗
tergrub Die herrfihende Gedankenwelt immer mächtiger,
e6 eröffneten fich überall neue Sphären. Die Welt des
flillen Glaubens ging zu Ende, die Zwingburgen, welche
die Hierarchie über den Häuptern ber Völker erbaut
hatte, wurden grell angeleuchtet von dem Lichtglanze ei-
nes ganz neuen Lebens. Die alten Symbole konnten
dem wachfenden Begriff Teinen nachhaltigen Stoff dar⸗
bieten, der germanifehe Geiſt überragte immer gewaltiger
das alternde Rom. Es wuchs ber Zweifel, es regte fich
überall die kritiſche Betrachtung. Die Unterfuchungen
voutden durch den Drud im ganzen Geifterreiche ver⸗
breitet. So konnte die von allen Geiten verbreitete Ka⸗
taftrophe, die Reformation, richt lange ausbleiben. Das
ift der Weg, den Dentfihland von den Hohenftaufen bis
zu Luther zurückgelegt hat, ihn muß man bis in feine
Einzelheiten kennen, um die Reformation und felbft um
die Kämpfe unferer Gegenwart richtig zu verflehen. Und
wer empfänbe es nicht, wie voll von Poefie diefes Sproffen
und Treiben tft? Die alten Spitzbogen berften, es leuch⸗
tet ein neuer Tag, ein jugendlichee Morgenroth hinein,
die Scholaſtik wird geflürzt von dem fich befreienden
Gedanken! Es iſt die Zeit ber Fauſte!
Der Dichter des vorliegenden Romans hat den Kat-
fer Friedrich I. zu feinem Helden gemacht. Es iſt die
Zeit ber legten Kreuzzüge, in welche er uns verfegt; ber
phantaflifche Glaubensmuth mar ſchon lange von den
Kreuzfahrern gewichen, die Demoralifation ımd Die egoifli-
ſche Hertſchſucht der Ritterorden war dafür an die Stelle
ww
getreten. Der Kaifer Friedrich 11. if allerdings eine
der hervorragendften Erfdeinungen ‚jener Goche. Nie
find vieleicht fehönere Kräfte an bie Belämpfung des
Dapftthums gefegt werben. Friedrich ift ganz einer
poetifhen Behandlung würdig. Wen dem Berf. aud)
‚Vieles fehlt, um die ganze innere Natur, das reiche Le
ben diefes Kaiſers richtig zu enthüllen und ein gefchloffe-
nes Sharakterbild zu liefern, fo ift feine Auffaffung Fried ·
rich's doc, volfommen würdig und, wenn auch im Gan-
zen nicht großartig genug, Doch reich an einzelnen vor-
trefflihen Zügen. Den wahren poetifhen Werth jeines
Romans und feiner einzelnen Geſtalten flört der Verf.
allzu häufig durch das unfelige Gelüfte des Hohen-
ſtaufen ſchen Romanticismus, welches aud ihn über
iommt und weldes ihn dann über allerlei mittelalter»
lichen Mummenfdanz die tiefen Lebensbewegungen ver-
tennen läßt. Wir Sonnen alfo nicht fagen, daß der
Verf. in feinem „bifterifhen Romane‘ Das geleiftet
hat, was wir von dem wahrhaften hiftorifchen Romane
immer verlangen werben: bie geiſtige Durhbringung der
ganzen betreffenden Epoche in kuͤnſtleriſchet Begren-
zung, bem geſchichtlichen Athemzug ihrer Perfonen und
ihre freie Bewegung im Spiegel der Poefie, aber nicht
im Hohlfpiegel der Romantit. Doch fönnen wir aud
wieber gern zugeben, daß der Verf., andern hiſtoriſchen
Romanen gegenüber, durchaus etwas Befleres bietet und
dag fi ein Streben in ihm bemerkbar macht, höhern
Anfoderungen als einer bloßen Decorationsmalerei zu
genügen, wenn auch nicht die poetifhe und bie hiſtori ⸗
fi
dr
auch diefer Figur hätte der Autor ei reb, Hiftori
ſches Relief geben koͤnnen — zur — —
lienifhen Städte und zur Wi der faifer-
‚len Macht erließ. Gr mollte durdy das Lehnsſoſten
den Freiheitsgeiſt der italieniſchen Etäbte, durch *
eſſe mit dem Papſtthum verbunden, bezwingen.
feine Hauptintereffen in Italien vergaß er Deutſchland,
beförberte er die Zerflüdelung beffelben.
Der Berf. beginnt feinen Roman mit bem Kreuzzuge
Friedrich's in das heilige Land, ſchützt eine ſchwaͤrmeriſche
Liebe des Kaiſers zu einer ſchönen Mohammedanerin hinein
und entwidelt daun ig die großen Tableaur des kai ·
ferlihen Lebens. In allen erſcheint der Narr als eine
wehmüthig « ironiſche Natur, der wir nur etwas mehr
Shakſpeare ſchen Geift gewuͤnſcht haben möchten. Es
fehlt dem ganzen Gemälde, trog des Fleißes und man-
es loblichen Beftrebens, der Geifl der geichichtfichen
Tragik; der Romanticismus läßt es nicht dazu fommen.
As Innocenz den Kaifer mit dem Bannflude belaftete,
tief Thaddäus: „Dies istae, dies irae, calamitatis et
miseriae!” und er war ein Prophet. Aber bezeichnend
für die Natur des Kaifers, er, der top des Bannfluds
unermũdlich in Italien forttämpfte, deſſen Unerfdroden-
heit durch feinen politifhen Sturm vernichtet werden
Tonnte, brach zufammen als jein Kanzler treulos murde
und fein Lieblingsfehn Enzie in @efangenfhaft fam.
Der Verf. wird uns vieleicht fagen, daß er fi bemüht
habe, diefes innere Gentüchsleben des Kaifer zu fchildern,
aber er hat darüber den Kaifer, den unerfhrodenen
gwyranrsıpen
BERKERATESEANLERN
‘
.
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.
43 di 4
eben nichts Beſonderes. Auch bier wie im „Ewigen
Juden’ "handelt es fih für bie Jefuiten um eine Erb⸗
ſchaft, wenn auch nit um eine ‚fo bedeutende, um bie
Erbſchaft des Lord Afterley, deffen zwei Söhne, Harry
und Arthur, zum Mittelpunfte der Handlung werden.
Un fie ſchließen fih ber Jeſuit Harker als das feindfe-
lige Princip Arthur’ und der Bettler Blount als das
befchügende beffelden. Die Erzählung der ganzen Hand:
lung halten wir für überflüffig, fie ‚geht in ruhigen
Bahnen, ohne allzu große Spannungen, aber auch ohne
grobe Unebenheiten bis zu einem fröhlichen Ende. Der
englifche Geiſt, das englifche Leben, die englifchen Ge⸗
fege und Geſellſchaftsverhaͤltniſſe ſcheinen dem Verf.
durchaus fremd zu fein; das England, in dem feine Je⸗
fuiten fid) bewegen, ift ein erdichtete6 England. Und es
gersinnt dadurch eben -nicht an ntereffe. Der Jefuit
Harker ift mit Robin, obgleich er ſich in ähnlichen La-
gen befindet, durchaus nicht zu vergleichen. Er ift ganz
und gar ohne deffen geiftige Energie, ohne beffen Fein⸗
heit, Lift und feelifche Gewalt, er zeigt fih überall plump
und wird durch feine Unklugheit, in der er das Inter⸗
effe des Ordens wahrnimmt, ziemlich verähtlih. in
Döfewicht mie Harker kann nicht das ntereffe erregen,
weiches ein Rodin durch feine Großartigkeit immer in
Anſpruch nehmen wird, feine Natur ift eine Peine, und
wenn man an Robin fehen kann, wie ug Sefuiten
find, fo würde man an Barker nur fehen, wie dumm fie
geworden. ben weil feine Unverftändigfeit zu Far
hervortritt und alle jefuitifchen Plane daran jcheitern,
laßt der Verf. ihn denn auch aus England abberufen
und in das Liguorianerflofter bei Linz gebracht werben.
Auch der Zefuit Jacobſohn, dem wegen eines Mordes
in England der Balgen beftimmt wird, iſt weniger eine
großartige als eine häfliche Erſcheinung. Die Jefuiten-
bemühungen in England, welche ber Verf. fchildert,
bleiben, durchaus in einer privaten Sphäre; er gibt
ihnen feinen allgemeinen, großartigen Hintergrund, wie
er an ben iriſchen Zuftänden fi von felbft darbie-
tet. Wir hatten dergleichen erwartet. Ob der Jefuiten-
orden wirklich Piratenfchiffe auf feine Koften und zu
feinem Vortheile unterhält, bezweifeln wir. Das ift
wol nur eine müßige, vomantifche Erfindung bes Verf.
Als Gegner der Jeſuiten und ihrer Schlihe wird ein
Bettler Blount, ein fpäterer Sir Gramton, aufgeftellt.
Der Verf. hat in diefer Figur die tiefen Abgründe bes
londoner Lebens anbeuten wollen, wird ſich aber felbft
nicht Mar. Ex Hat keinen Ducchblid in focialen Zus -
ftänden. Blount hat mit ber Menfchheit gebrochen, er
bat ihr den Krieg erklärt und operirt deshalb im Verein
mit Naͤubern und Mörbdern, thut aber immer fehr mo-
valifch und fpielt gern Vorſehung. Diefes Vorfehung-
fpielen hat unendlich viel Unmatürliches und Lächerliches,
Blount erfcheint und durchaus nicht ale eine großartig orga⸗
nifirte, Den Kampf gegen die Geſellſchaft nach beſtimmten
Grundfägen treibende Geftalt, wie 3. B. der Galeerenfllane
in Balzar’d „Water Goriot“. Er macht auf uns in ber
That keinen andern Eindrud als den eines Pedanten. _
Weit glüdlicger ald da, wo der Roman eine groß⸗
artige Perfpective gewinnen fol, ift der Verf. ba,
wo er nicht aus ber Unterhaltungsfphäre bes Ro—
mans berausgeht. Er bat nach den manchen gelunge-
nen Situationen, die wir gelefen, jedenfalls viel Gefchid
für den flillen, befcheidenen Roman, aber er muß nicht
große, allgemeine Beziehungen und Verwickelungen aus-
drücken wollen; dafür fehlt ihm, wie es fiheint, nicht
nur ‚der innere Beruf, fondern .auch genaue Kenntniß
des Lebens. Es ift wahrhaftig nicht gleichgültig, das
Eugen Sue in Paris lebt, Paris hat vielleicht mehr
und Fraftiger an den „Beheimniffen” und an dem „Ewigen
Juden” gearbeitet als Eugen Sue felbfl. Wir haben
fhon oben gefagt, wie wenig ber Verf. die englifchen
Zebensverhältniffe kennt und das macht alle feine Anla-
gen und Ausführungen dürftig, es fehlt der Stempel
der Wahrheit. Aus den Verzerrungen bes „Emigen Ju:
den’’ tritt immer noch die Wahrheit hervor; der Verf.
verliert fich in eine nebulofe Romantif. Die Geftalten
Eugen Sue's bewegen fih in einer großen, lebenden,
immer neu ?reifenden Welt, fie erfcheinen als Producte
des modernen Lebens, als Ausdrüde unferer focialen
Zuftände, als verkörperte Diffonanzen unfere gemein:
ſchaftlichen Dafeind; die Figuren des Verf. bleiben im-
mer nur Zictionen feines Gehiens und fie bewegen fih
nur auf einer tabula rasa. Doch ift der Verf. talent-
voll genug, feine Kreife, wenn er fie nicht zu weit aud-
dehnt, zu füllen und ein lebhaftes Intereffe für die Be⸗
wegung innerhalb derfelben einzuflögen. Es thut ihm
nur eine Begrenzung noth, um Vortreffliches zu leiften,
eine Entfagung, große Perfpectiven malen zu wollen,
die ihm felbft nicht deutlich vor die Seele treten.
So ift auch die Partie feines Buchs, deren Schau-
plag Wien oder überhaupt Oftreich ift, den englifchen
Situationen und Schilderungen beimeitem vorzuziehen,
er ift hier gefchloffener, feier, er fcheint das Terrain
beffer zu kennen und ſich freier auf bemfelben bewegen
zu fönnen. Die Darftellung ber wiener Gefellfchafts-
verhältniffe, die Liebe zwifchen Arthur und Charlotte,
auch die Schilderung des Jefuitenklofters bei Linz find
vortrefflich gelungen; es ift Leben und Wahrheit in den⸗
felben. Aus ben privaten Abfichten und ntereffen tritt
allerdings der Jefuitismus in Dftreich ebenfo wenig her⸗
aus wie in England, er kämpft in ben Erpofitionen des
Berf. nicht um ein Princip, fondern eben. nur um eine
Erbſchaft und deshalb gegen eine Perfon, gegen Arthur,
den er auf jede Art und Weiſe zu verderben fucht.‘ Aber
Harker's Pläne midlingen auch bier, Blount der Bett-
ler oder vielmehr Sir Grawton, fteht ihnen gegenüber.
Wenn man nah dem Titel diefes Buchs nicht erwartet,
große Auffchlüffe über das Wehen und Treiben des Se-
fuitismus in den genannten Ländern zu erhalten und
fi damit begnügen will, den Sefuitiömus als äußer-
lichen Hebel für das Romanintereffe angewendet zu fe-
fen, fo wird man bei der Lecture der „Sefuiten in Eng⸗
land und Öftreich” volltommene Befriedigung finden.
(Die Vortſeßung folgt.)
getreten. Der Kaiſer Friedrich II. iſt allerdings eine
der hervorragendften Erſcheinungen jener Epoche. Nie
find vielleicht fihönere Kräfte an die Bekämpfung bes
Papſtthums gefegt worden. Friedrich ift ganz einer
poetifchen Behandlung würdig. Wenn dem Berf. auch
‚Vieles fehlt, um die ganze innere Natur, das reiche Le-
ben dieſes Kaifers richtig zu enthüllen und ein gefchloffe-
nes Charakterbild zu liefern, fo ift feine Auffaffung Fried⸗
rich's doch vollfommen würdig und, wenn aud im Gan⸗
zen nicht großartig genug, doch reich an einzelnen vor⸗
trefflichen Zügen. Den wahren poetifchen Werth feinee
Romans und feiner einzelnen Geftalten flört der Verf.
allzu Häufig durch das unfelige Gelüfte des Hohen-
ſtaufen ſchen Romanticismus, welches auch ihn über
kommt und welches ihn dann über allerlei mittelalter⸗
lichen Mummenſchanz die tiefen Lebensbewegungen ver⸗
kennen läßt. Wir können alſo nicht fagen, daß der
Berf. in feinem „biftorifehen Romane” Das geleiftet
hat, was wir von dem wahrhaften hiftorifchen Romane
immer verlangen werben: bie geiftige Durchdringung ber
ganzen betreffenden Epoche in künſtleriſcher Begren-
zung, den gefchichtlichen Athemzug ihrer Perfonen und
ihre freie Bewegung im Spiegel der Poefie, aber nicht
im Hohlfpiegel der Romantik. Dod können wir aud)
wieber gern zugeben, daß der Verf., andern biftorifchen
Romanen gegenüber, durchaus etwas Befferes bietet und
daß fih ein Streben in ihm bemerkbar macht, höhern
Anfoderungen als einer bloßen Decorationdmalerei zu
genügen, wenn auch nicht bie poetifche und bie hiſtori⸗
ſche Kraft, e6 durchzuführen.
Der Friedrich dieſes Romans kann nicht ben Ein-
druck machen, ben der hiftorifche immer machen muß, wenn
- man ihn nach glaubwürdigen Quellen, nur nit nad
Konftantin Höfler’s fogenanntem ‚Beitrag zur Berichti-
gung der Anfichten über den Sturz der Hohenftaufen”
(Münden 1844) fludirt. Der Verf. hält ihn viel zu weich,
ja zu weichlich; das Zragifche feiner Stellung tritt aus
dem bunten Mummenfchanze zu wenig beutlicd hervor,
der Narr mit feiner Ironie genügt nicht, es fteht ihm
kein Lear gegenüber... Xriebrich fland an dem Ausgange
des ungeheuern Kampfes, welcher das ganze Mittelalter
durchwühlte. Welch ein poetifches und biftorifches Mate-
rial fland hier dem Dichter zu Gebote; aber der Verf.
ift über feinen Romanticismus nicht zum rechten Be⸗
wußtfein deffelben gefommen. Friedrich hatte bie Heir-
ſchergrundſaͤhe feines Großvaters Barbaroffa zu den fei-
nigen gemacht, er kaͤmpfte um Italien auf diefelbe Weiſe,
er entwidelte in diefem Kampfe, der fein ganzes Reben
toftete, einen ausbauernden Muth, eine feltene Klugheit;
aber bei dem Berf. erfcheint diefer Kaifer zu häufig als
ein abentenernder Held, ald ein irrender Ritter, ald ein
phantaftifcher Schwaͤrmer. Wenn er irrte, fo ierte er
keineswegs als ein fanguinifcher, ale ein blinder Held,
er irrte als ein fehender Mann, er irrte in den Princi⸗
pien feiner Hauspoliti. Wie Bug er war immerhalb
biefer verberblihen Hauspolitit, das beweifen die vielen
Geſetze, welche er in Verbindung mit feinem Kanıler —
lichen Macht erließ.
auch, diefer Figur Hätte der Autor ein höheres, hiftori-
ſches Relief geben fonnen — zur Beſchränkung der ita-
lienifchen Städte und zur Wieberherftelung der kaifer-
Gr wollte durch das Lehnsſyſtemn
den Freiheitögeift der italienifchen Städte, durch Bater-
effe mit dem Papſtthum verbunden, : bezwingen. '
feine Hauptintereffen in Stalien vergaß er Deutſchland,
beförderte er die Zerftüdelung beffelben.
Der Verf. beginnt feinen Roman mit dem Kreuzzuge
Friedrich's in das heilige Land, ſchürzt eine ſchwärmexiſche
Liebe des Kaifers zu einer fhönen Mohammedanerin hinein
und entwidelt dann allmälig Die großen Tableaur bes kai⸗
ferlichen Lebens. In allen erfcheint der Narr als eine
wehmüthig » ironifhe Natur, der wir nur etwas mehr
Shakſpeare'ſchen Geift gewünfcht haben möchten. Es
fehlt dem ganzen Gemälde, trog des Fleifes und man-
ches löblichen Beſtrebens, der Geift der gefchichtlichen
Tragik; der Romanticismus läßt es nicht dazu kommen.
Als Innocenz den Kaifer mit dem Bannfluche belaftete,
rief Thadbäus: „Dies istae, dies irae, calamitatis et
miseriae!” und er war ein Prophet. Aber bezeichnenb
für die Natur des Kaifers, er, der trog des Bannfluchs
unermüdlich in Stalien forttämpfte, deſſen Unerfhroden-
heit durch ‚feinen politifchen Sturm vernichtet werben
fonnte, brach zufammen als jein Kanzler treulos wurde
und fein Lieblingsfohn Enzio in Befangenfchaft kam.
Der Verf. wird uns vielleicht fagen, daß er fih bemüht
babe, diejes innere Gemüthsleben des Kaifer zu fehildern,
aber er ‚hat darüber den Kaifer, den unerfchrodenen
Helden, den Eugen Staatsmann, den großen Mittel
punkt einer ungeheuern biftorifchen Tragödie vernad-
läffigt und allzu fehr dem Romanticismus preißgegeben.
Mit dem Sturze Friedrich's triumphirte das Papſtthum,
aber es Inüpfte fi an biefen Triumph ber Beginn fei-
ned Sturzed. Auch diefe Lage ber Welt Hätte der Berf.
ftärfer und mit mehr hiftorifcher Kraft und Poeſie zeich⸗
nen fünnen und er hätte gerade‘ barin bie moberne Be
deutung feines Romans finden follen, wäre er nicht eben
zu romantiſch gewefen!
3. „Die Sefuiten in England und Oftreih.” Wir
haben es allerdings auch in diefem Romane wie im
„Ewigen Juden” mit dem Umtrieben des Jeſuitismus
zu thun, aber fie treten keineswegs fo-erfchütternd, fo
einfchneidend in das Fleiſch und Blut unferer Gegen⸗
wart auf, wie in dem franzöfifchen Werke. Der Berf.
ift noch viel mehr Romanfchriftftellee als Politiker und
Weltkenner. Es ift ihm weit mehr um Roman-
effecte und um das bequeme Ausfpinmen berfelben als
um bie eigentliche Entwidelung der jefuitifchen. Beſtre⸗
bungen, als um den Krieg gegen ben Sefuitismus zu
tun. Irren wir wicht, fo ift er ein Oſtreicher. Der
Titel ift vielverfprehend. Daß ber Sefuitenorben auch
im proteftantifchen England feine Standpunfte findet
und feine Hebel anwendet, kann nicht mehr geleugnet
werden. Wir dachten, ber Berf. werde uns einige in-
tereffante Auffchlüffe geben können. Aber wir erfahren.
.
‘
1
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.
18 “.
“” *
eben nichts Beſonderes. Auch bier wie im „Ewigen
Juden” "handelt es ſich für bie Jeſuiten um eine Erb⸗
ſchaft, wenn auch nicht um eine ſo bedeutende, um bie
Erbfchaft des Lord Afterley, deffen zwei Söhne, Harry
und Arthur, zum Mittelpuntte der Handlung werben.
An fie fchließen ſich ber Jeſuit Harker als das feindfe-
lige Princip Arthur’s und der Bettler Blount ale das
beichügende beffelben. Die Erzählung der ganzen, Hand-
lung halten wir für überflüflig, fie geht in ruhigen
Bahnen, ohne allzu große Spannungen, aber auch ohne
grobe Unebenheiten bis zu einem fröhlichen Ende. Der
englifche Geiſt, das englifche Leben, die englifchen Ge⸗
fege und Gefellfihaftsverhältniffe feheinen dem Verf.
durchaus fremd zu fein; das England, in dem feine Je⸗
fuiten fid) bewegen, ift ein erdichteted England. Und es
* gewinnt dadurch eben-nicht an Intereſſe. Der Jeſuit
Harker ift mit Rodin, obgleich er fi, in ähnlichen La—
gen befindet, durchaus nicht zu vergleichen. Er ift ganz
und gar ohne deffen geiftige Energie, ohne deſſen Fein-
beit, Lift und feelifche Gewalt, er zeigt fih überall plump
und wird dusch feine Unklugheit, in der er das Inter-
effe des Ordens wahrnimmt, ziemlich verächtlich. Ein
Böfewiht wie Harker kann nicht das Intereffe erregen,
weiches ein Rodin duch feine Großartigkeit immer in
Anſpruch nehmen wird, feine Natur ift eine Beine, und
wenn man an Rodin fehen kann, wie ug Sefuiten
find, fo wirde man an Barker nur fehen, wie dumm fie
geworden. ben weil feine Unverftändigfeit zu klar
hervortritt und alle jefuitifchen Plane daran fcheitern,
läßt der Verf. ihn denn auch aus England abberufen
und in das Liguorianerklofter bei Linz gebracht werden.
Auch der Zefuit Jacobſohn, dem wegen eines Mordes
in England der Galgen beftimmt wird, if weniger eine
großartige als eine häßliche Erfeheinung. Die Jefuiten-
bemühungen in England, welche der Verf. ſchildert,
bleiben, durchaus in einer privaten Sphäre; er gibt
ihnen feinen allgemeinen, großartigen Hintergrund, wie
er an den iriſchen Zuftänden fi von felbft darbie-
tet. Wir hatten dergleichen erwartet. Ob der Jefuiten-
orden wirklich Piratenfchiffe auf feine Koften und zu
feinem Vortheile unterhält, bezweifeln wir. Das ift
wol nur eine müfige, vomantifche Erfindung des Verf.
As Gegner der Zefuiten und ihrer Schlihe wird ein
Bettler Blount, ein fpäterer Sir Grawton, aufgeftellt.
Dee Verf. hat in diefer Figur die tiefen Abgründe bes
londoner Lebens andeuten wollen, wirb fih aber felbft
nicht Mar. Er hat keinen Duchblid in forialen Zu⸗
ftänden. Blount Hat mit der Menſchheit gebrochen, er
hat ihr den Krieg erklärt und operirt Deshalb im Verein
mit Mäubern und Mörbern, thut aber immer ehr mo-
ralifch und fpielt gem Vorſehung. Diefes Borfehung-
fpielen hat unendlich viel Unnatürliches und Lächerliches,
Blount erfcheint ung buschaus nicht als eine großartig orga⸗
nifirte, den Kampf gegen die Gefellfchaft nach beflimmten
Srundfägen treibende Geftalt, wie z. B. der Galeerenfllave
in Balzac's „Water Goriot”. Gr wiacht auf und in der
That Beinen andern Eindrud als den eines Pedanten.
Weit glüdlicher als da, wo der Roman eine groß.
artige Perfpectine gewinnen fol, ift ber Verf. ba,
wo er nicht. aus der Unterhaltungsiphäre des Ro-
mans berausgeht. Er bat nach ben manchen gelunge-
nen ‚Situationen, die wir gelefen, jedenfalls viel Gefchid
für den flillen, befcheidenen Roman, aber er muß nicht
große, allgemeine Beziehungen und Verwickelungen aus
drüden wollen; dafür fehlt ihm, mie es fcheint, nicht
nur ‚der innere Beruf, fondern auch genaue Senntniß
des Lebens. Es ift wahrhaftig nicht gleichgültig, daß
Eugen Sue in Paris lebt, Paris hat vielleicht mehr
und fräftiger an den „Geheimniffen” und an dem „Ewigen
Juden” gearbeitet als Eugen Sue felbf. Wir haben
[bon oben gefagt, wie wenig ber Verf. die englifchen
Zebensverbältniffe kennt und das macht alle feine Anla-
gen und Ausführungen dürftig, es fehlt dee Stempel
ber Wahrheit. Aus den Verzerrungen des „Emigen Ju⸗
ben” tritt immer noch die Wahrheit hervor; der Verf.
verliert fi) in eine nebulofe Romantik. Die Geftalten:
Eugen Sue's bewegen ſich in einer großen, lebenden,
immer neu kreiſenden Welt, fie erfcheinen als Producte
des modernen Lebens, als Ausdrüde unferer focialen
Zuftände, als verkörperte Diffonanzen unſers gemein-
ſchaftlichen Daſeins; die Figuren des Verf. bleiben im-
mer nur Fictionen feines Gehirns und fie bewegen ſich
nur auf einer tabula rasa. Doch ift der Verf. talent-
vol genug, feine Kreife, wenn er fie nicht zu weit aus⸗
dehnt, zu füllen und ein lebhaftes Intereffe für die Be⸗
wegung innerhalb derfelben einzuflößen. Es thut ihm
nur eine Begrenzung noth, um Vortreffliches zu leiften,
eine Entfagung, große Perfpectiven malen zu wollen,
die ihm felbft nicht beutlich vor die Seele treten.
So ift auch die Partie feines Buchs, deren Schau-
plag Wien oder überhaupt Oſtreich ift, den englifchen
Situationen und Schilderungen beimeitem vorzuziehen,
er ift "hier gefchloffener, feier, er fcheint das Xerrain
beffer zu kennen und fich freier auf demfelben bewegen
zu können. Die Darftellung der wiener Gefellfchafts-
verhältniffe, die Liebe zwifchen Arthur und Charlotte,
auch die Schilderung des Jeſuitenkloſters bei Kin, find
vortrefflich gelungen; es ift Leben und Wahrheit in den-
felben. Aus den privaten Abfichten und Intereſſen tritt
allerdings der Jeſuitismus in Oſtreich ebenfo wenig her⸗
aus wie in England, er kämpft in den Erpofitionen des
Verf. nicht um ein Princip, fondern eben. nur um eine
Erbſchaft und deshalb gegen eine Perfon, gegen Arthur,
den er auf jede Art und Weiſe zu verderben ſucht. Aber
Harker's Pläne midlingen auch hier, Blount der Bett-
ler ober vielmehr Sir Grawton, ſteht ihnen gegenüber.
Wenn man nad dem Titel diefes Buche nicht erwartet, :
große Auffchlüffe über das Wehen und Treiben bed Se-
fuitismus in den genannten Ländern zu erhalten und
fih damit begnügen will, den Sefuitiömus als äußer⸗
lichen Hebel für das Romanintereffe angewendet zu fe
fen, fo wird man bei der Lecture der „Zefuiten in Eng⸗
land und Oftreich” volllommene Befriedigung finden.
(Die Portfegung folgt.)
432
Zur Mempsiren-Literatur.
J. Yus dem Tagebuche des alten Komdbianten. Bon Franz
Wallner. Leipzig, D. Wigand. 1865. 8. 1 Hr. II Nor.
9. Memoiren eines berliner Nachtwaͤchters. Bon Morvelt.
Erfied und zweited Baͤndchen. Danzig, Gerhard. 1845. 8.
20 Rgr.
Un die Bücher, bie man jetzt Memoiren nennt, mai ich
ungefähr diefelben Anſprüche wie an Chroniken. Je einfacher
fie darftellen, um defto werthvoller find fie; je anfpruchBlofer der
Autor ift, um defto mehr verdient er Beifall. Der Ton muß nativ
fein; nichts ift wiberwärtiger als gefallfüchtige Memoiren, und für
den Berf. gibt ed Beine widerwärtigern Memoiren als die der
Markgraͤfin von Baireuth, der Schwefter Friedrich's des Gro⸗
Ben.
die Unmittelbarkeit des erften Eindruds genau wiedergibt und
das Factum gleichſam in einem veinen Spiegel ſcharf ſehen
läßt. Daß das Faetum dur feine Befonberheit verdiene
fpriftlig aufbewahrt zu 'werden, ift eine Foderung, die nit
‚jeder Memoirenfchreiber erfüllt. Preilich gibt es auch Memoi⸗
ren und Chroniken der Heldenthaten von Perfonen, aus Deren
Leben nichts Anderes zu melden ift als die Zahl der Hafen, bie
fie — Jahr geſchoſſen und der Pferde, die ſie lahm geritten
A
en.
Das Tagebuch des „alten Komoͤdianten“ ift, wie der Verf.
ſelbſt ſagt, zunächſt Freunden und Bebannten gewidmet und
zwar mit Recht; daß fein Buch für die Literatur von Bedeu:
„tung fei, wird der Autor felbft gewiß nicht behaupten wollen.
- Die „Memoiren eines berliner Nachtwaͤchters“ find
zum Theil wie Stüde aus dem „Juif errant” von Qugen
Sue. Es find Nachtſtücke, das deutet ja au der Zitel fchon
an; bie Lichter find faft immer grell aufgefegt; das Meifte in
dem Buch ift erſchreckend; des Beruhigenden und Berfühnen:
. den ift wenig darin. Aber dieſe Darftellungen alle tragen einen
eigenthümligen Stempel der Wahrheit an fih; erfunden und
emacht fcheint nichts zu fein. Manches in dem Bude if
7 ft wichtig ge Pfychologie der Verbrecher, zum Urtheil über
Schuld und Unfhuld; viele der Mittheilungen Pönnen ange:
fehen werden wie Beifpiele zu Manchem, was Bettina in ihrer -
Schrift „Dies Buch gehört dem König” über Verbrechen,
Anklage, Burechnungsfähigkeit und Schuld fagt; mit einem
Wort, das Banze ift eine Beifpielfammlung zu der Geſchichte
der Gebrechen und Mängel unferer foctalen Zuftände und unferer
moralifchen Bildung oder zu den Eonflicten, in welche beide
oft gegeneinander treten. "
NRoch eine Bemerbung fügen wir hinzu. In Büchern, die
nicht der firengen Wiſſenſchaft angehören, fondern die für die
Lefer aus den verfchiedenften Regionen der bürgerlien Geſell⸗
ſchaft beftimmt find, follte doch der Verfaſſer allezeit ſich hüten,
nicht Mittheilungen oder Aufhellung zu geben, die über Serual-
verhaͤltniſſe widernatuͤrlich Scheusliches berichten; Mef. bericht
fich auf Theil 3, Seite fg. Dergleichen follte man ber The⸗
rapie oder der medieina forensis überlaffen. 35.
rRiterarifbe Notiz.
Winkelried als Held.einer Tragödie.
Bon 3. 3. Porchat, ſchon als dramatifcher Dichter durch
feine ‚Jeanne d’Arc’ befannt, ift eine neue Tragödie erſchienen:
„Winkelried, drame en cing actes et en vera“, weldye in
der Schweiz großen Beifall findet. Im erften Acte, „Unterwal:
den” überfehrieben, tritt Winkelried als liebevolle und forg-
ſames Haupt einer Schweizerfamilie und zugleich al6 Bater-
landsfreund und unerfchrodener Krieger auf. Der Dichter. hat
die Hauptleute ber eidgmöffifchen Truppen um ihn verfammelt
und ftelt uns in diefem ftürmifchen Kriegsrath fowol die ber
Schweiz drohenden Gefahren als die ihr zu Gebote ftehenden
Memoiren haben nur dann Werth, wenn der Schreiber.
8 igungswittel vor bie Augen. Der Übermufg bes Undis
vgeig und oft großmüthige Stolz des Hauſes Habse⸗
burg find im zweiten Acte geſchildert. Der Gontraft zwiſcher
dem dautfchen Lehnsweſen und der Unabhängigkeit der Schwei⸗
zer wird in Winkelried und Herzog Leopold und in ihren bei-
den Söhnen anfchaulich gemacht. Bei Sempach, wo der dritte
Act fpielt, treten die Anſichten der Eidgenofſen in Conflict;
der heftige Eifer und bie ruhige Befonnendeit erathen in einen
ungleihen Kampf.‘ Man fieht ein Schweigerlager mit feiner
Bampfluftigen Intisciplin, welche bloß der heroiſche Snftinct der
Schlachten zu bändigen vermag. Im vierten Act, „Die Ka:
pelle“ betitelt, miſcht fi die Kirche in den Streit der Cdel⸗
leute und der Bauern. Für die ern find die Fürften, für
die Legtern bie Mönche. Es ift das Sinnbild der beiden Ge
enföge, welche im Mittelalter fih um die Herrihaft im Staate
—2* In den fuͤnften Act fällt die Schlacht bei Sempach,
in welcher der Heldenmuth ber Schweizer fich fo glänzend be⸗
währte. Der Dichter bietet uns ein intereffantes 6. De der.
Sitten, Interefien und Leidenfchaften der gegeneinander Kaͤm⸗
pfenden bar. Der Ritter von Stanz und ber Herzog Leopold
find darin die Hauptperfonen. Übrigens find die handelnden
Derfonen eher blos ffizzirte und pittoresk im Stud aufgeftellte
Figuren als ſcharf und beftimmt gezeichnete Charaktere. Win⸗
kelried felbft wird meiftens duch bie Liebe zu-feinem Sohne
und feiner Familie zur That angetrieben, und bie übrigen
großen Eigenfchaften, welche ihm die Gefchichte zuerfennt, wer
den nit gehörig hervorgehoben. Leopold erfcheint als ihm
entſchieden überlegen. Um den Contraft zu erhöhen und augen:
fheinlicher zu machen, bat Porchat nicht allein neben ben
Helden ihre Söhne, naivere und lebendigere Raturen, fondern auch
ihre Raͤthe und Waffengefährten geftellt. Reben Leopold fteht
der tapfere Halmyl, ein Krieger, der nur von Schlachten
fpriht und, gewaltige Maßregeln Tennt, und der Aftrolog
Gerard, der an feine Kunſt felbft glaubt; Winkelried zur
Seite fteht der Schultheiß von Luzern, Goldonding, ber eben:
fo tapfer im Kriege ald Nug im Mathe ift, und der Minne:
fünger Wolfram, der ihn mit dem Enthufiasmus eines Did:
ters und eines Patrioten liebt. Eine Geftalt fehlt jedoch an
der Seite des tragifhen Helden: Winkelried’s Frau. Das
ſchweizeriſche Weib wird mithin in diefem Rationafdrama nicht
repräfentirt, und man muß ſich wundern, daß der Dichter eine
folche Rüde in einem Wamiliengemälde des 14. Jahrhunderts
gelaffen hat. Jeder Act fließt mit Chören, die zur Schoͤn⸗
heit des Stuͤcks viel beitragen. Auf jeden Kal verdient diefes
Zraueripiel die Aufmerkfamkeit und Anerkennung aller Fremde
31.
der dramatifchen Kunft.
Literarifhe Anzeige.
In meinem Berlage erfchien foeben und ift in allen Buchhand⸗
lungen zu erhalten:
Briefe
eines deutſchen Künſtlers
aus Stalien. -
Aus ben nachgelaſſenen Papieren
Erwin Spedire ame Hamburg
Zwei Theile,
Gr. 12.. Geh. 3 Thir. 15 Ngr.
Ecipzig, im April 1846.
| $. A. Brockhaus,
Berantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brockans. — Drud und Verlag von J. . Brockhaus in Leipzig.
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Sonntag,
Religidfe Tendenzromane.
(Fortſezung aus Nr. 108.)
4, „Mac Lalor, oder muß es eine Kirche geben?
und welche?" von Wilhelm Gärtner. Die Form
der Novelle ift bei diefem Buche durchaus etwas Über:
flüffigee. Sie fchlottert ziemlih haltslos um philo-
fophifche oder vielmehr philoſophiſch fein follende Ab⸗
bandlungen, und das Refultat derfelden iſt: die katho⸗
liſche Kirche ift die wahrhafte Kirche. Die Grundge-
danken des Berf. find folgende: Es gibt ein Ewiges,
vom Ewigen Selbftgedachtee . — „weil Selbftdentendes,
deffen Veräußerung ale Schöpfung nothwendig in Po-
Iarität ausging und in dieſer nicht blos eine materielle,
nicht blos eine geiftige Schöpfung war, fondern Beides
zugleich fein mußte”. Polarifation bedinge ein gegenfeiti-
ges Verhalten, alfo Verbindung; darum und weil die
Schöpfungsgefhichte die eines Kreifes aus Gott und
zu Gott zuruͤck fei und ihre Bewegung feine an-
dere als die des göttlichen Gedankens, des Nicht « Urge⸗
danfens, wüffe es in der Schöpfung einen Punkt oder
eine Linie geben, in meldjer Geift und Materie fich
erreichen; diefer Punkt fei der ideale Enbpunft des zur
Hälfte vollendeten Kreifes der Geſchichte der Endlichkeit.
Durch den „Zal der Menfchen” fei die Ordnung des
Berbandes zwiſchen Geiſt und Materie auf einem Punkte
geftört worden, die fortgehende Entmidelung der Welt
habe nicht mehr dem. Urbilde des Gottesgedankens ent-
forochen, diefe Störung habe in Geiſt und Materie fort-
gewirft und fei fo groß geworben für die legtere, daß
die Erde aus ihren Polen gehoben wurde. Wenn die
- Erde mit veränderter Achſe in die allgemeine Weltpolar-
orbnung hineingezogen werden mußte, fo mußte, um Die
Ordnung allfeitig herzuftellen, Ahnliches mit „dem gefal«
lenen, der Unordnung und Zerrüttung mehr und mehr
verfallenden Geifte” gefchehen. Es fei nothwendig ge-
wefen, „daß der Menfh in die Ordnung der Geifter
zurückgleiſe“. Aber eine Entfernung der Störung „durch
Vernichtung des Menfchen und. der Erde wäre in ber
Idee Gottes unmöglich gewefen, denn das wäre geweſen
Selbft - Rectificieung Gottes". So fei dem Menfchen
die Aufgabe geftellt „Durch freie Thätigkeit nicht nur
die verlorene Stellung wiederzugewinnen, fondern zu:
19. April 1846.
glei) über diefe hinaus die ihm von Anbeginn geftellte
Beftimmung zu erftreben”. Alſo follte der Menſch nad
dem Verf. „auf der Exde wieder werden das vergeiftigte,
unfterblihe gottanfchauende, das heißt feines Schöpfers
ohne Frage gewiffe Wefen, es follte feiner Zeit auf der
Erde ein ganzes Geſchlecht folder Wefen fein und die⸗
fes Geſchlecht follte den Weg des Opfers. durch Dingabe
der Freiheit (2) in Bereinigung mit Gott zurüdgelegt
baben und hierdurch an der Schwelle des Himmels, das
HE des Hieraus für es hervorgehenben und von Gott neu
ermittelten Zuſtandes der Gottſeligkeit angelangt fen”.
Da aber der Menfh durch feinen Fall ein „anderes,
zum Theil thierifches Weſen“ geworden, fo blieb für bie
Realifirung der Menfchenbeftimmung nichts Anderes übrig
als dieſe Beſtimmung ihm aufs neue zu „ſchenken“.
Nunmehr fei die Beftimmung des Menfchen „Beruf“
und „Gnade“ geworden. Neben der Gottesidee und
dem Beſchluſſe der. „Gnade“ habe auch noch bie Ver⸗
Dammung oder vielmehr das „Verdammtſein“ des Men-
ſchengeſchlechts beftanden und biefes Berbammtfein be-
ruhe in feinem Tegten Grunde, gerade fo wie das Be-
gnadigtfein in Gott, aber es fei nicht ein ‚von Gott
„gethaner” Fluch, fondern für Gott ein „Argerniß“.
(Alfo die Lehre vom Teufel!) Das Argerniß fei die
Unfähigkeit gewefen; nicht der unfähige Menfch, aber die
Unfähigkeit mußte vernichtet werden. Der Vernichtungs-
act der Unfähigkeit, zu dem Zwede neuer Befähigung,
fei der „Beginn des Gnadenacts“. Diefed wäre nur
möglich gewefen einem Wefen, „das felbft Gott und
durch feine Menfchwerdung in das der Erlöfung bebürf-
tige Gefchlecht eingetreten war, daher ed auch für alle
Bedingungen feiner Zeit mit eingehen und gerade ein
volles Menfchenalter durchleben mußte, und die menſch⸗
liche Natur diefes Weſens mußte zerftört werden, d. i.
bie Lebensform diefes Weſens mußte aufgehoben werben
durch Auseinanderlegung des Geiſtes und ber Seele im
Tode”. Sobald diefes erreicht, fei die „Wieberherftellung
der Meltordnung, die neue Verbindung ber Menfchen
| mit. Gott‘ erreicht worden. Außerſt komiſch iſt folgende
Conjectur über die Geburt Chriſti:
Das Mutterwerben und das fimmuftäne Werben der zur.
sealen @inheit mit Gottesnatur beftimmten menſchlichen Ratus
im Mutterleibe mußte auf andern als feitherigen Wegen voll:
434
führt werden, nämlich auf bem Wege der Unorbnung. So
Werden
entfpra das des neuen Menſchen dem eheeinfligen
Werden der Urmutter aus dem Urvater; die jungfräuliche Mut-
ter vernahm in dem „Ave“ des Sendboten ihren Beruf, das
Gegenbild der „Eva“ zu werden — gleidhwie Ave das umge:
kehrte Eva iſt —, und der Sohn dieſer neuen Eva war be:
fliamt, dee neue Adam und Stamnwater bed vercreixten Men:
chengeſchlechts zu werden und im Wege feines Gühnamtes
eine WMenfchheit zu dem frühern vergeiftigten menfchlichen Ur:
fein zurüdsuführen.
&o find wir auf der übermenfchlichen Baſis des
Chriftentbums angelangt. „Da der Gottmenſch bes
Sühnopfers Leine andere Beftimmung hatte ale die Her⸗
flelung ber Xebensgemeinfhaft zwifchen Gott und den
Menſchen, fo lag das Lehramt nur infofern im Bereiche
feiner Beftimmung, als den Menſchen die Lebendgemein-
fhaft mit Bott in ihrer Nothwendigkeit, Beſchaffenheit
und Beziehung in das Bewußtfein gebracht werden mußte.”
Die Lebensgemeinfhaft mit Gott, als ein Sichhinuber-
leben in Gott, müßte ein Leben geifligen Handels fein
folen. Die Momente diefes Verkehrs follen alfo Tha⸗
ten — nicht Gottes, nicht der Menfchen, fondern — zwi⸗
fen Gott und den Menſchen fein, „Die den bezüglichen
Momenten des Weltgedankens in Bots entfprechen”, und
bas find unferm Derf. zufolge die „Sacramente“. Wir
überloffen dem Verf. feine überfhwängliche Entwidelung
yon der „Rothwendigkeit fieben Heiliger facramentalifcher
Geheimnißmomente im Berkehre mit Gott‘ und deuten
nur an, im weicher Weife er die Organifation des kirch⸗
küchen Lebens zu entwideln fucht:
Die neue Lebensgemeinfhaft mit Gott mußte in allem Be:
ginn fih über hinreichend Viele hinreichend befruchtend ergie-
—* um ein für allemal eine gemeinſchaftliche, uͤbereinſtimmende
ur die Fortpflanzung in alle Zeiten beftimmte Anfchauung (?!)
der Menſchenaufgabe und deren Verſtaͤndniß zu wirden; daher
eine über die Grundwahrheiten der Menichenbeftimmmmg über
alten Bweifet ununterbrochen gewifle (!) Gemeinde, daher eine
unbefüegbare Lebens :» und Fortpflanzungskraft in dieſer Ge
meinde,
Diefe Gemeinde foll ihre Einheit finden in der „Ein-
gebung der von dem gottheitlichen Gnabenquell und von
dem gottbeitlichen Sühner ausgegangenen gottheitlichen
Lebensgewalt”. Damit aber das Wild der Gemeinde
entfpreche „den betreffenden Momente in dem Gottes-
gedanken der Welt”, muß das „Selbſt Gottes” aud in
der Organiſation der Gemeinde feinen Nefler finden, ber
„auch in die Materie Hineinragen und darum zugleich
ein äußerlich fichtbarer fein muß”. Nun folgende Ent-
widelung des Papismuf:
Do nun Gatt fein Selbflbewußtfein in der Gottedidee der
Welt beharrlich gegen den Fall und die Unortnung der Welt
behauptet dat und Da er es behauptete zunaͤchſt Dusch den Süf-
ner, fo wird der Refler des gottheitlichen Selbſt in
Der inde zunaͤchſt das Selbſt des Suühners offenbaren
wüflen, das ift: es wird der Sühner als Stifter und Ober:
Baupt der Gemeinde in einem, und nur einem fihtban
ren Dberhaupte der Gemeinde reproduciren.
Die Aufgabe ber Gemeinde fol nah dem Verf.
über das irdifhe Sein hinausreihen! Sie folt, „wor
ber Menſch von jeher beſtimmt mar“, den Opferweg
durch Hingabe der Preiheit in charfächlicher Eimigumg
mit Gott zurüdiegen und fo auf dem Weg ber Heilig-
feit an die Schwelle der Gottfeligkeit und des Himmels
gelangen! Auf diefe Weife fol die Gemeinde nichts
Anderes fein ale
die Erfüllung und Vollendung der mit Gott dem Shö-
pfer cingeleiteten, im @rlöfer ind Wert ten, im Heiligen
erhaltenen und zu Ende geführten Recrealion des Menichen-
— und der Erde — und der Hinleitung der Menſch⸗
eit zu Gott als ihrem Ziele.
Die Entwidelung des Papismus geht nun rafch
vorwärts. „in Gott-Erfahren gab es nur vor dem
Kalle und gibt es nur wieder in der Kirche.” „Wäre
nicht Eingebung das Wefen chriftliher Anſchauung,
fo ließe fi der Glaube nicht gegen Angriffe vertheibi-
gen.” „Nur die Eingebung der Lebensgemeinfchaft mit
Gott erringt der Kirche Selbfländigkeit und Unabhaͤngig⸗
keit von den Phaſen der Wiffenfchaft und der Zeiten.”
Eine bumoriftifche Bekämpfung der wiffenfchaftlichen
Prüfung ift folgende:
- Ben in dem Yugenblide, da der Menich die felbfleigene
Überzeugung aufgeben muß, alle die Millionen Gläubige und
alle die Biſchoͤfe der Kirche um fein Sterbelager herumſtehen
und, dafſelbe Glaubensbekenntniß fprechend, dem Sterbenden
mit ihrem Glauben für die Wahrheit beiftehen, — wird folche
Beugenfchaft der Wahrheit dad Haupt des Sterbenden nicht
Kein beiten ald die Borlefung eines philofophifhen Para-
raphen
— Dem Lehramte in der Kirche wird eine doppelte
Autoritaͤt vindicirt; erſtens die ihrer Offenbarungs⸗
weiſe und dann die ihrer „gottgemeinſchaftlichen Unfehl⸗
barkeit”. Sobald der „urfprüngliche” Stand des Men⸗
[hen verloren gegangen, foll die Drganifation ber Kirche
nothwendig geworden fein; Rom ale Mittelpunkt ber
Kirche wird folgendermaßen erHärt:
Der Drganismus der Kirche mußte ſich als ein mit der
Freiheit des Menſchen wechfelnder mit der Geſchichte ent»
wideln, daher die Stiftung der Kirche in einer Seit, da die
Philoſophie des Heidenthums fih zu dem Standpunkte des
Monotheisuns endlich Binaufgerungen hatte, Daher bie
Stätte für ihre Fundament Rom, als die Stelle,
auf welder die Menfchheit ihre Höhfte Bildung
ee — namentlih Willensmaht — erreicht
atte.
Über bie Trennung ber Kirche vom Staate heit es:
Indem ſich die Kirche als eine mit Gott in Lebensgemein⸗
fhaft verfehrende Gemeinde organifirte, ſchied fie Alles aus,
was nicht von ſolcher Lehensgeneinſchaft iſt (auch die weltliche
Herrſ 9); fo ward Trennung gelegt zwiſchen ihr als dem
Bereiche göttlicher Verhandlungen und zwifchen weltliden An⸗
gelegenheiten; alfo Trennung der e,vom Staate.
Nun fol „die Entwickelung der Kirche eine gefon-
derte, außerorbentliche Geſchichte in ber Geſchichte
der Menfchheit machen. Der Kirche kam es zu, bie
ntuitionen aller Geſchichte offenbarend zu erklären.“
Durch die Kirche ift den Menfchen „ihre Geſchichte erſt
Mar geworden”. Es bedurfte „der Kirche, um Lit im
die Racht der Gefchichte und hierdurch — in bie Phi⸗
loſophie zu bringen!” Die Geſchichte der Kirche iſt „bie
Weltgefchichte vom hoͤchſten Standpunkte ans tet‘!
Der Glaubensact des in der Kirche Befindlichen „bat
mit dem Acte voiffenfchaftlicher Forſchung gar nichts ge
mein, nicht einmal eine Beziehung zu dieſem“. „Das
Bertrauen und der Glaube ift der Anfang, die Fort:
fegung und die Vollendung alles Wahrnehmens und
Bernehmens, d. h. aller Wiſſenſchaft.“ Dem Alten folgt
der phantaftifhe Schluß: |
Aber eine Zeit muß kommen, da die kirchliche Gemeinde
aus der Lebendgemeinfhaft mit Bott dad Bemußtjein Diefer
Semeinfhaft ald ihr Höchftes gewonnen hat; da dag kirch⸗
lihe Bewußtfein ein allgemeines, die Einheit der Glieder voll⸗
endendes ift; eine wahrhaft große Beit muß kommen, da bie
Beftimmung der Menfchheit und der Materie ihre legte Lö⸗
fung erfährt, da Materie und Menfchheit in die Unordnung
zurüdgleifen, da die Erde ihre einflige Achfe wieder einnimmt,
da „Rauſchen der Meere”, bie in ihre frübern Becken zuruͤck⸗
kehren, zu hören fein wird; da eine neue auferflandene Menfch:
beit, eine neue Erde fein und diefer Erde und dieſer Menfch-
beit fi der Himmel in ungefannter Neuheit darftellen und
eröffnen wird. Und diefer Zeit wird vorangeben ein Vorabend,
da Zeichen am Himmel geichehen, da vom Geifle der Lebens:
gemeinfchaft mit Gott erfüllte Menfchen anfündigen werden,
was bevorfteht und da der alsbald nahende Meſſias in folchen
Menfhen wieder feine Vorläufer haben wird, wie er bei feiner
erften Ankunft am Jordan einen hatte. Auf diefe Punkte
müffen dann zurüdigeführt und nach deren Maßgabe berigtigt
werben der Bhilofophie Prophezeiungen einer hoͤhern Eultur:
periode, al& die des Reuen Teſtaments.
Aus dem Mitgetheilten erfieht wol Jeder, daf wir
es bier nicht mit einer Novelle, ſondern mit ultramonta-
ner Theologie, mit modern aufgepugter, mittelalterlicher
Scholaſtik zu thun haben. Bedarf ed noch einer orga-
nifchen, weit ausgreifenden Wiberlegung derfeiben? Be:
bauptungen, die mit den Refultaten des Naturwiſſen⸗
fchaft, mit dem Proceſſe der Gefchichte, mit den Zer⸗
fegungen der Philofophie in dem graffeften Widerfpruche
ftehen, die fi) auf das Dogma ber Erbfünde, auf bie
Autorität des Papftes u. f. w. flügen, richten fich ſelbſt
ana beften, und wir haben fie fich deshalb ſeibſt Eritifi-
ven laffen. Dialekeit und Kenntniffe, jedoch confus ge-
ordnete, fprechen wir dem Verf. nicht ab, fein ganzes
Buch aber bat auf uns, ſowol mas Form als was In⸗—
halt betrifft, keinen andern Eindruck als den einer Mon-
fteofität machen Sonnen. '
"(Die Yortfegung folgt.)
Dichtergräber: Ravenna. Arqua. Certaldo. Bon
Alfred Reumont. Berlin, A. Duncker. 1846.
8. 15 Nor.
Bie in Stalten die Blumen an den Trümmern einet grö-
Sem Borzeit je, Daften und das düftere Gemäuer mit buntem
| de zu kleiden tieben, fo wendet der lebensfrohe, for»
genmeidende Italiener eine finnige, faft rührende Vorliebe fei-
nen Gräbern zu. Wem kommt eb in Deutſchland, Frankreich
oder England wol in den Sinn, dem Fremden Grabmäfer zu
igen, und welcher Neifende fragt in unfern Städten, Rürn-
oder Salzburg etwa abgerechnet, nach den Kirchhöfen?
Italien tft das Land der Gräber. Seit den Zeiten wo Erz:
biſchof Ubaldo Lanfrandhi von Piſa vor ſechs Jahrhunderten 34
Saleeren voll Erde aus Yaläflina in feine Heimat fchiffte, da⸗
wit die Bürger jener mächtigen Republik in gew Lande
ruben möchten, und feit noch länger find biefe umfangreichen
Gampifonti oder Richhöfe der ot; fo mancher itafientfäpen
Stadt (unter denen neben Piſa nur noch Brettia, Bologna,
Le ——— — — — — — — — — — — — — —
Ferrara, Parma und Ceſena genannt werden mögen), Felder,
auf denen die verſchiedenen Kuͤnſſe wetteifernd fi ergeben:
Die Architektat umgibt den geweihten Raum mit ſchlauken
Sunfreidyen Bogengangen ; die Malerei ſchmuͤckt, wie 3. B. in
Piſa, die Wände niit Darftellungen, die dem Zrauernden ver:
gegenwärtigen, wie Der chriftliche Glaube dem Jode feine
Schreden genommen bat; die Bildhauerti weiht dem Einzelnen
die ihm theure Stelle, und die Redekunſt keiht ihr in Worten
ber Liebe und bes Troſtes eine Sprache, um auch des Fremden
Theilnahme zu wecken; denn fehon. mehr als Einer unter ben
erſten Schriftftellern Staliens (wie z. B. Giordani) verfchmähte
es nitht, manchen Hinterbliebenen gu willfahren, die feine Hilfe
erbafen, um ihren Gefühlen, die der Scheibegruß auf dem
Grabfteine ausfprechen follte, eine edlere Geftalt zu geben.
Graͤber find es, alte Römergräber, die ftatt unferer lang⸗
weiligen Ehaufleepappeln längs den alten Heerftraßen fich hin-
ziebend dem Pilger, von welcher Seite er auch komme, den
erften Gruß der ewigen Stadt verfünden, ein Grabmal ift die
Feſtung Rome, Lie Engelöburg, und auf Gräber, die Gräber
der Apoftel, gegründet iſt Sanct-Peter's Dom, die erfte Kirche
der katholiſchen Chriftenheit. Unzählbare Ehriftengräber, die
Katakomben von Rom und Neapel, unterhöhlen meilenweit den
Boden und ganze Nekropolen reichgeſchmuͤckter Gräber aus he:
truriſcher oder griechifcher Zeit fehütten bei Nolterra, Perugia,
Chiuſi, Vulci, Corneto, Rola und wo nicht fonft noch ihren
unerfchöpflichen Reichthum an alabafternen Zodtenkäften, be:
malten Shongefäßen, goldenen Schmuckſachen u. f. mw. täglich
mit freigebiger Hand aus. Das wunderbarfte aber unter den
vielen Gräbern, bie Italien aufzuweiſen bat, ift das mit Re:
bengelanden "und Drtfchaften überdedte, unter welchem Hercu⸗
lanum, Pompeji und Stabiä durch länger als anderthalb Jahr:
taufende geichlafen.
So hat fich denn in Italien, dem Lande der Gräber, eine
eigene Gräberliteratur gebildet und die vielverbreiteten Gedichte
über diefen Gegenftand von Foscolo, Pindemonte, Zorti und
Arici gehören zu dem Bellern, was wir von jenen Schriftftel
lern befigen. Angemeffen und willtommen ift denn auch die
Peine Schrift, in der ein des Landes, der Gefchichte und ber
Literatur im hoͤchſten Maße Pundiger Deutſcher drei von jenen
een beraushebt, um fie zu ſchildern und einfichtig zu ber
prechen.
Die drei älteften und vielleicht die drei größten unter den
großen Schriftftellern Italiens, Dante, Petrarca und Boccaccio,
ihrem Urfprunge nach fämmtlih Toscaner, alle drei Lieblings;
finder der fchönen Urnoftabt, ruhen fämmtlich entfernt von Flo⸗
renz, deffen hoͤchſter Stolz fie find; weit ab von den vielbetres
tenen Wegen, auf denen der europäifche Touriſt einherzieht, in
der fumpfigen Niederung des Po-Deltas, auf einem Itenpügel
der vulfanıfchen Euganeengruppe und an den Abhängen des
Eſathals. Sie ruhen, wenngleich ihre Grabesruhe von ben
Stürmen nicht frei blieb, die ihr Leben fo vielfach erfchüttert
hatten. Sechs Zahre nach Dante's Zode erklärte der Earbie
nallegat Bertrando dei Poggetto die über die „Monar⸗
hie’ für ketzeriſch und ſprach über des Verfafſers Gebeine die
ſelbe Strafe der Bauberei aus, von der am 26. September
eben dieſes Jahres Gaftruccio Caſtrucane's Schutz Dante's bes
I a Widerfacher, den Dichter Cecco d'Ascoli, nicht hatte
befreien Bönnen. Rur die Fuͤrſprache Pino's della Lofa und
bed Uſurpators Dftafio von Polenta rettete Dänte’s Aſche von
fhmählicher Entweihung. Nach Petrarca's Tode waren 356
Jahre verſtrichen, als ein Edelmann von Rovigo, ein vandali»
fer Berehrer des Dichters, zwei Bewohner von Arqua ver:
| leitete, die Marmorurne zu zerträmmern, die des Gebirgsboͤrf⸗
chens einzigen Ruhm ausmadt, um den Arm zu entwenden,
der zum reife der fchömen Provencalin fo unzähtbare girtie
Betlen gefihrieben. Die Grabfchänder traf’ die Strafe des Schwer:
ted und Beute noch bezeichnet ein eingefügteg Stuͤck Marmor
mit der Jahredzuhl die Berletung des Sarkophags; ber
Arm des Dichter® aber ift nicht mehr wiedergefunden: Lüngere
2
führt werden, nämlich auf dem Wege der Unordnun ug. ©:
entſprach das Werden des neuen Menſchen dem che figen
Werden der Urmutter aus dem Urvater; bis jungfräuliche Mut-
ter vernahm in dem „Ave“ des Sendboten ihren Beruf, das
Gegenbild der „Eva“ zu werden — gleihwie Ave das umge:
—* Eu if —, und der Sohn diefer neuen Eva war be:
dee neue Adam und Stammwoater bed vescreisten Men:
—* chlechts zu werden und im Wege ſeines Sühnamtes
eine Menſch au dem frühern vergeiftigten menſchlichen Ur:
fein zuruͤckzufuͤh
&o find * auf der übermenſchlichen Baſis des
Chriſtenthums angelangt. „Da der Gottmenſch des
Sühnopferd Leine andere Beſtimmung hatte als die Her⸗
flelung ber Lebensgemeinſchaft zwifchen Gott und den
Menſchen, fo lag das Lehramt nus infofern im Bereiche
feiner Beftimmung, als den Menfchen Die Lebendgemein-
ſchaft mit Bott in ihrer Nothwendigkeit, Beichaffenheit
und Beziehung in das Bewußtfein gebracht werden mußte.”
Die Lebentgemeinfhaft mit Gott, als ein Sichhinüber-
eben in Gott, müßte ein Leben geifligen Handels fein
teen. Die Momente -diefes Verkehrs follen alfo Tha-
— nicht Gottes, nicht der Menfchen, fondern — zwi⸗
—* Gott und den Menſchen ſein, „die den bezüglichen
Momenten des Weltgedankens in Bott entfprechen”, und
bas find unferm Verf. zufolge die „Sacramente“. Wir
überloffen dem Verf. feine uberfchwängliche Entwidelung
yon der „Rothwendigkeit fieben heiliger facramentalifcher
Seheimnifmomente im Verkehre mit Gott‘ und beuten
nur an, im weicher Weife er die Drganifation bes kirch⸗
küchen Lebens zu entwideln fucht:
Die neue Lebensgemeinfhaft mit Gott mußte in „dem Be
ginn fi über hinreichend Viele hinreichend befruchtend ergie-
en, um ein für allemal eine gemeinſchaftliche, übereinfkimmende
& die Fortpflanzung in alle Zeiten beftimmte anfgauung (1)
Menjhenaufgabe und deren Verfländniß zu wirten; daher
— ehe =
e ’
untefugbarı Lebens » und gortpflanzungskra ft in dieſer Ge
mind
Diefe Gemeinde foll ihre Einheit finden in der „Ein-
gehung der von dem gotfheitlihen Gnadenquell und von
dem gottbeitlihen Sühner ausgegangenen gottheitlichen
Lebensgewalt”. Damit aber das Wild der Gemeinde
entfprehe „dem betreffenden Momente in bem Gottes-
gedanken ber Welt”, muß das „Selbſt Gottes’ auch in
der Orgonifation der Gemeinde feinen Reflex finden, ber
„auch in die Materie hineinragen und barum zugleich
ein äußerlich fihtbarer fein muß”. Run folgende Ent-
widelung, des Papismus:
Da nun Gott fein Gelbſtbewußtſein in der Gottesidee der
Be —— d gegen den Fall und die Unordnun ber 5
da er es en 3 Per dur
— ar der hctbaze itlichen ar in
ber inde —* das Suͤhners offenbasın
üſſen, das iſt: ed wird ber Gübner als ifter und Dber-
Die Aufgabe der Gemeinde fol 5 dem Verf.
über das ievilhe Sein hinausreihen! Sie foll, „wozu
ber Menſch von jeher beſtimmt mar“, den Opferweg
Durch Hingabe der Freiheit In cherfächlicher Einigung
mit Gott zurüdlegen und fo auf dem Weg ber Heilig-
keit an die Schwellt der GBottfeligkeit und des Himmels
gelangen! Auf diefe Weife foll die Gemeinde nichts
Anderes fein als
bie Erfüllung und Bollendung der mit Gott dem Schoͤ⸗
pfer cingeleiteten, im Erlöfer ind Wert ge gefet sten, im Heiligen
erhaltenen und zu Ende geführten Becreation des Menichen:
An und der Erde — und der Hinleitung der Menſch⸗
eit zu Gott als ihrem Ziele.
Die Entwidelung des Papismus geht nun rafch
vorwärts, „Kin Gott- Erfahren gab es nur vor dem
Falle und gibt es nur wieder in der Kirche.” „Wäre
niht Eingebung das Weſen chriſtlicher Anſchauung,
fo ließe fi der Glaube nicht gegen Angriffe vertheibi-
gen.’ „Nur die Eingebung der Kebensgemeinfchaft mit
Gott erringt der Kirche Selbftändigfeit und Unabhängig-
feit von den Phafen ber Wiffenfchaft und ber Zeiten.”
Cine Humoriftifche Bekämpfung ber wiffenfchaftlichen
Prüfung ift folgende:
Wenn in dem Augenblide, da der Menſch die ſelbſteigene
uͤberzeugun aufgeben muß, alle die Millionen Gläubige und
alle die Bilhöfe der Kirche um fein Sterbelager berumftchen
und, dDaffelbe Glaubensbekenntniß fprechend, dem Sterbenten
mit ihrem Glauben für die Wahrheit beiftehen, — wird foldhe
deugenſchaft der Wahrheit das Haupt des Sterbenden nicht
Kern betten als die Borlefung eines philoſophiſchen Para-
raphen
Dem Lehramte in der Kirche wird eine doppelte
Autoritaͤt vindicirt; erſtens die ihrer Offenbarungs⸗
weiſe und dann die ihrer „gottgemeinſchaftlichen Unfehl⸗
barkeit”. Sobald der „urſprüngliche“ Stand des Men-
fen verloren gegangen, foll die Drganifation ber Kirche
nothwendig geworden fein; Rom ale Mittelpunft der
Kirche wird folgendermaßen erflärt:
Der Organismus der Kirche mußte fich als ein mit der
Freiheit des Menfhen wechfelnder mit der Geſchichte ent-
wideln, daher bie g der Kirche in einer Seit, da die
Philoſophie des beidenthums fi$ zu dem Standpunkte
Monotheituus - endlich Binaufgerungen hatte, daher die
Stätte für ihr Fundament Rom, als die Stelle,
auf welcher die Menfhheit ihre höchſte Bildung
ee — namentlich Billensmacht — erreidt
a
' Über bie Zrennung der Kirche vom Staate beißt «6:
Indem die Kirche als eime mit Gott in
(hof verfihcenbe Gemeine urganifrie, vn ge
* niit von ſolcher Lehen —— if auch die weltliche
7); fe ward —e geleg fen ihr als dem
Fa eg — Berpandlungen und Fe ſchen weltlichen Un:
gelegenheiten; alfo Trennung ber vonr Staate.
Nun fol „die —æe der Kirche eine gefon-
derte, außerordentliche Geſchichte in ber Geſchichte
ber Menfchheit machen. Der Kirche kam es zu, bie
Intuitionen aller Gefchichte offenbarend zu erklären.“
Durch die Kirche ift den Denfchen „ihre Geſchichte erſt
Mar geworben”. Es bedurfte „der Kirche, um Licht im
bie Racht ber Gefchichte und hierdurch — in die Phi-
loſophie zu bringen!’ Die Geſchichte der Kirche ifl „bie
Weltgeſchichte vom höchften Standpunkte aus betrachtet”
Der Glaubensact des in der Kirche Wefindlichen „bat
mit dem Acte wiffenfchaftlicher Forſchung gar nichts ger
mein, nicht einmal eine Beziehung zu diefem”. „Das
Vertrauen unb der Glaube ift der Anfang, die Fort-
fegung und die Vollendung alles Wahrnehmens und
Bernehmens, d. h. alter Wiffenfchaft.” Dem Alen folgt
der phantaftifche Schluß:
Aber eine Zeit muß kommen, da die kirchliche Gemeinde
aus der Lebensgemeinſchaft mit Gott das Bewußtfein biefer
Gemeinſchaft als ihr Höchftes gewonnen hat; da das kirch⸗
liche Bewußtfein ein allgemeines, Die Einheit der Glieder voll
endendes ift; eine wahrhaft große Zeit muß kommen, da die
Beftimmung der Menjchheit und der Materie ihre legte Loͤ⸗
fung erfährt, da Materie und Menfhheit in die Unorbnung
zurüdgleifen, da die Erde ihre einflige Achfe wieder einnimmt,
da „Rauſchen der Meere”, die in ihre fruͤhern Becken zurüd:
ehren, zu hören fein wird; da eine neue auferflantene Menfch:
heit, eine neue Erde fein und diefer Erde und diefer Menſch⸗
heit fih der Himmel in ungelannter Reubeit darftellen und
eröffnen wird. Und diefer Zeit wird vorangeben ein Vorabend,
da Zeihen am Himmel geihehen, da vom Geifle der Lebens⸗
gemeinfhaft mit Gott erfüllte Menfchen anfündigen werden,
was bevorfteht und da der alsbald nahende Meffias in folchen
Menfchen wieder feine Vorläufer haben wird, wie er bei feiner
erften Ankunft am Jordan einen hatte. Auf diefe Punkte
müffen dann zurüdgeführt und nach deren Maßgabe berichtigt
werben der Philoſophie Prophezeiungen einer hoͤhern Eultur:
periode, ald die des Neuen Zeftaments.
Aus dem Mitgetheilten erficht wol Jeder, daß wir
e6 bier nicht mit einer Novelle, fondern nrit ultramonta-
ner Theologie, mit modern aufgepugter, mittelalterlicher
Scolaftit zu thun haben. Bedarf ed noch einer orga-
nifchen, weit ausgreifenden Wiberlegung bderfelben? Be-
Bauptungen, die mit den Refultaten des Naturwiſſen⸗
fhaft, mit dem Proceſſe der Geſchichte, mit den Zer-
fegungen der Philofophte in dem graffeften Widerfpruche
ftehen, die fi auf das Dogma der Erbfünde, auf bie
Autorität des Papftes u. f. w. flügen, richten fich felbft
ana beften, und wir haben fie fich deshalb ſelbſt kritifi⸗
ren laſſen. Dialektik und Kenntniſſe, jedoch confus ge-
ordnete, fprechen wir dem Verf. nicht ab, fein ganzes
Bud) aber hat auf uns, fomol was Form ale was In⸗
halt betrifft, keinen andern Eindruck als den einer Mon-
firofität machen Tonnen. °
r (Die Yortfegung folgt.)
Dichtergräber: Ravenna. Arqua. Certaldo. Bon
Alfred Reumont. Berlin, X. Dunder. 1846,
8. 15 Nar.
Sem Beryeit ın baften um daß Däßere Gemdur mit bunden
tt zu düftere mit buntem
Gämude zu —** fieben, fo wendet der lebensfrohe, for»
genmeidende Italiener eine finnige, faft rührende Vorliebe ſei⸗
nen Gräbern zu. Wem komm es in Deutfchland‘, Frankreich
oder England wol in den Sinn, dem Fremden Grabmäler zu
igen, und welcher Reifende fragt in unfern Städten, Rürm-
oder Salzburg etwa abgerechnet, ‚nach den Kirchhöfen ?
Italien tft dad Land der Gräber. Seit den Zeiten wo Erz⸗
biſchof Ubaldo Lanfranchi von Piſa vor ſechs Jahrhunderten 84
Galeeren voll Erde aus Palaͤſtina in feine Heimat ſchiffte, da⸗
wit die Bürger jener m en Republik in geweihtem Lande
ruhen möchten, und feit noch länger find dich umfangreichen
Gampitfanti oder Kirchhoͤfe der 3 fo mander itaftenifchen
Stadt (unter denen neben Pifa nur noch Brebtia, Bologna,
VFerrara, Yarma und Ceſena genannt werden mögen), Felder,
auf denen die verfihiebenen Künfte wetteifernd fi ergeben-
Die Urchiteftur umgibt den geweißten Ramm mit ſchlauken
kunßreichen Bogengäangen; die Malerei ſchmuͤckt, wie z. B. in
Piſa, die Wände mit Darſtellungen, die dem Trauernden ver⸗
egenwaͤrtigen, wie ber chriſtliche Glaube dem Tode ſeine
recken genommen bat; die Bildhauerei weiht dem Einzelnen
die ihm theure Stelle, und die Redekunſt leiht ihr in Worten
ber Liebe und des Troſtes eine Sprache, um auch des Fremden
Theilnahme zu wecken; denn ſchon mehr als Einer unter den
erften Schriftftelern Italiens (wie z. B. Giordani) verfchmähte
es nicht, manchen Hinterbliebenen zu willfahren, die feine Hülfe
erbaten, um ihren Gefühlen, die der Scheidegruß auf dem
Grabfteine ausfprechen follte, eine edlere Geftalt zu geben.
Gräber find es, alte Nömergräber, die flatt unferer lang⸗
weiligen Ehauffeepappeln längs den alten Heerſtraßen fih hin⸗
ziebend dem Pilger, von welcher Seite er auch komme, den
erfien Gruß der ewigen Stadt verkünden, ein Grabmal tft die
Feſtung Roms, Lie Engelöburg, und auf Gräber, die Gräber
der Apoſtel, gegründet iſt Sanct: Peter’ Dom, die erfte Kirche
der katholiſchen Chriftenheit. Unzählbare Ebhriftengräber, die
Katafomben von Rom und Neapel, unterhöhlen .meilenweit den
Boden und ganze Rekropolen reichgefhmüdter Gräber aus be:
truriſcher oder griechifcher Zeit fhütten bei Nolterra, Perugia,
Chiuſi, Vulci, Corneto, Rola und wo nicht fonft noch ihren
unerfchöpflichen Reichthum an alabafternen Todtenkäſten, be:
malten Thongefaͤßen, goldenen Schmudfachen u. f. w. täglich
mit freigebiger Hand aus. Das wunderbarfte aber unter den
vielen Gräbern, die Italien aufzumweifen hat, ift das mit Ne:
bengeländen ‘und Drtfchaften überdedte, unter welchem Hercu⸗
lanum, Pompeii und Stabiä durch länger als anderthalb Fahr
taufende gefchlafen.
So bat fih denn in Italien, dem Lande der Gräber, eine
eigene Gräberliteratur gebildet und die vielverbreiteten Gedichte
über diefen Segenftand von Foscolo, Pindemonte, Zorti und
Arici gehören zu dem Beflern, was wir von jenen Schriftftel:
lern befigen. Angemeſſen und willlommen iſt denn auch die
Peine Schrift, in der ein des Landes, der Gefchichte und der
Literatur im höchften Maße Pundiger Deutfcher Drei von jenen
em beraushebt, um fie zu ſchildern und emfichtig zu bes
prechen.
Die drei älteften und vielleicht die drei größten unter den
großen Schriftftelleen Italiens, Dante, Petrarca und Boccaccio,
ihrem Urfprunge nach ſaͤmmtlich Xoscaner, alle drei Lieblings:
Finder der fhönen Arnoftadt, ruhen ſaͤmmtlich entfernt von Flo⸗
renz, deſſen hoͤchſter Stolz fie find; weit ab von den vielbetrer
tenen Wegen, auf denen der europäifche Tourift einherzieht, in
ber fumpfigen Niederung des Po⸗Deltas, auf einem Geitenhügel
der vulkaniſchen @ugancengruppe und an den Abhängen des
Elſathals. Sie ruhen, wenngleich ihre Grabesruße von den
Sturmen nicht frei blieb, die ihr Leben fo vielfach erfchüttert
hatten. Sechs Jahre nach Dante's Zode erBlärte der Eardis
nallegat Bertrando dei Poggetto bie rg Hi über die „Monar«
hie” für ketzeriſch und ra über des Verfafſſers Gebeine dies
felbe Strafe der Bauberel aus, von der am 26. September
eben dieſes Jahres Gaftruccio Eaftrucane'3 Schutz Dante’s ber
rüßmten Widerfacher, den Dichter Cecco d'Ascoli, nicht hatte
befreien koͤnnen. Rur die Fuͤrſprache Pino’s della Yofa und
des Uſurpators DOftaflo von Polenta rettete Daͤnte's Aſche von
fhmählicher Entweihung. Nach Yetraren’8 Tode waren 258
Jahre verftridhen, als ein Edelmann von Rovigo, ein vandali⸗
fger Berehrer des Dichters, zwei Bewohner von Arqua ver:
leitete, die Marmorurne zu zertrümmern, die des Gebirgsbärf-
chens einzigen Ruhm ausmadt, um den Arm zu entwenden,
der zum Preiſe der em Hrovencalin fo unzählbare zierliche
Betten gefhrieben. Die Grabfihänder trafdie Strafe des Schwer:
tes und Beute noch bezeichnet ein eingefügte® Stuͤck Marmor
mit der Jahredzahl 1000 die Verlegung bed Sarkophags; ber
Arm des Dichters aber ift nicht mehr wiedergefunden. Laͤngere
Aube wurde ben Gebeinen Boccaccios gegoͤnnt; nachdem fle
aber 408 Jahre lang in der Kirche San» Zacopo, die der Dich⸗
ter des „‚Delameron‘ mit Bermaͤchtniſſen bedacht hatte, beftattet
gewefen, verftreute fie ein in folder Anwendung mehr als laäͤ⸗
cherliches fanitätöpoliceiliches Geſetz, und felbit von dem Grab:
fleine fonnte bie Pietaͤt ber trefflichen Befigerin feines Hauſes,
Carlotta MebicisLenzoni, nur Bruchflüde retten. -
Dante, Petrarca, Boccasciol wel eine Welt von Erin-
nerungen Enüpft fi an biefe Ramen! Theologie Philofophie
und Poeſie des Mittelalters in ihrer legten aber hoͤchſten Blüte.
Die hereinbrechende neue Beit mit ihrer Aufklaͤrung, ihrer fle-
genden Vorliebe für claffiſches Altertyum. Die junge melodifche
weiche Sprache, anderthalb Jahrhunderte nachdem die Feder
ihre erften Laute verzeichnet hatte, zu der Außerften Bollendung
erblüht, die ihr beſchieden war. Und im Hintergrunde Die gro⸗
fen Bewegungen der ‚gewaltigen Zeit. Kaiſerthum und Papſt⸗
thum im ungleichen Kampfe; bald aber ‚auch diefes an innerer
Verderbniß Ddahinfterbend. Kirchendogma und Wiſſenſchaft,
Stäbtefreiheit und Municipaltyrannei in noch unentſchiedenem
Steeite begriffen. Wol verlohnt es fich, Gräber, die fo Groß⸗
5 — vergegenwaͤrtigen, an eines kundigen Fuͤhrers Hand zu
beſuchen.
ſ Ein kundiger Führer im vollſten Maße iſt nun aber
Hr. Reumont; ein Führer, der & nicht damit begnügt, den
unmittelbaren Gegenftand feiner Schilderung und vor bie Aus
en zu bringen, ſondern der und das Ddarzuftellende Bild im
ufommenhange der ganzen landſchaftlichen Umgebung erbliden
läßt und wieder dieſe durch eine Fülle anregender geſchichtlicher
Erinnerungen zu beleben weiß. Mit lebhaftem Intereſſe ver-
folgen wir in biefen Blättern die jih zum Ende neigenden Ge⸗
ſchicke der drei Männer, zu deren Gräbern wir geführt wer:
den, und die Iheilnahme . ihr eigenes Loos laͤßt uns bereit⸗
willig auf die Kunde merken, die uns über das Ende der
Machthaber gewährt wird, bei denen die zwei Erſten ihre legte
Zuflucht gefunden. Dante und Petrarca find es, Die und nad
Auskunft uber die Schieffale der Polentanen und Garrarefen
verlangen machen; denn Boccaccio, der nah dem fchwachen
Umfange feiner Kräfte immer zu Opfern Bereite, gegen Rie:
mand jemals Misgünftige hat ein höheres Maß von Bönner-
fchaft wol nie erfahren als was ihm in dem Xeftamente feines
Freundes Petrarca zu Theil ward, der ihm 50 Soldgülden zu
einem warmen Winterfleide vermachte.
des Büchlein ift Navenna und Dante's Grabe gewidmet, und
wir erkennen dankbar das große Geſchick bes Verf., Ortlichfei-
ten, Ereignifle, ja felbft Empfindungen, wo immer die Gele:
genbeit ſich dazu bietet, und mit den eigenen Worten bes Sän-
gers der „Goͤttlichen Komödie” vorzuführen.
Namentlid in Bezug auf Petrarca und Boccaccio wären
auch nach veihere Gaben ſolcher Art gewiß nit unwillkommen
geweſen. &o hätten wir aus den mehrfachen Berichten Pe:
trarca’8 über fein beſchauliches Landleben in Arqua einige Mit
theilungen gern gelefen. Beſonders ungern aber vermiflen wir
die Lebendige und maleriſche Schilderung von Eertaldo, die
Boccaccio in feinem LTroftbriefe an Pino de’ Roſſi entwirft.
Unangemeflen wäre e6, in Betreff einer Schrift, welde ge:
fhichtliher Erinnerungen nur beiläufig gedenkt und nichts ale
geſchehen berichtet, für das nicht geachtete Autoritäten ange:
führt werden Fünnen, darüber zu rechten, ob der Verf. gerade
den Beugniffen den Vorzug eingeräumt Babe, denen der Ref.
im Gegenjag gegen andere vorzügliche Glaubwürdigkeit beimißt-
Nur das Kine möge erwähnt werden, daB Hr. Reumont
zu unferm Bedauern die ſchoͤne Sage vermwirft, nach der bie
teaten GSefänge von Dante's damals für unvollendet geachteter
„Böttlicher Komödie” erft nach des Dichter Tode von deffen
Sohne in Folge eined Zraumgefichts aufgefunden fein. Wenn
auch die Geftalt, in welcher Boccaccio dad Ereigniß uns berich⸗
tet, deutliche Beichen poetüfcher Ausfhmüdun
fo dürften Spuren vorhanden fein, die einen Kern von Wahr:
beit vermutben laflen. Kari Bitte.
Die größere Halfte:
an fich trägt,
—Notizen.
. Cenſirte Geſchichtſchreibung.
Kaiſer Leopold J. ließ ſeit dem Jahre 1600 eine neue Be
beitung von s „Epiegel der Ehren bed Hauſes Hftreich“
anfertigen, denn da die Beſchreibung „gar ſtellet, alt⸗
vaͤtteriſch, gleich denen gemeinen Hiſtorien⸗Buͤchlein“, ſei es
„eine Rothdurft, die ganze Chronik auf jetzige Art zu ftilifiren
und daraus Marginalia zu gm Mit diefer Arbeit wurde
der bekannte Pegnitzſchaͤffer Sigmund Yetulius oder von Birken
in Rürnberg beauftragt, der fie auch bis zum Jahre 1668 in
drei Bänden vollendete. Jeder Bogen mußte aber in Wien
vorgelegt werden, wo hochſtehende Beamte, zuerfi der Hofrath
und Kanzler Suttinger, dann der Faiferliche Hiftoriograpbus
unb Leibmedicus Mannagetta, zulegt der gelehrte Bibliothekar
Petrus Lambecius, mit welhem Lestern fih Birken nicht fon-
derlich gut vertrug, die Genfur übten. In den Briefen, welche
Birken von diefen Eenforen erhielt und deren mehre in Ama:
rantes’ (Joh. Herdegen’8) „„Hiftorifcher Nachricht von deß loͤb⸗
lichen Hirten: und Blumen: Ordend an der Pegnit Anfang
und Fortgang” abgedrudt find, werden wiederholt Berhaltungb:
regeln gegeben, nad) welchen fih der Bearbeiter zu richten
babe; fo folle er „alles Dasjenige, fo etwan wider Ihro Päbſt⸗
lihe Heiligkeit, die Geiftlihen, Venedig, Bayern, Schweit
und andere hohe Häufer gefchrieben, und etwan mit abfonder:
lihem Eifer erzehlet worden, auslaffen‘; und während Birken
einerfeitd allerdings mit feltenen Geſchichtswerken, auch ur:
kundlichen Nachrichten reichlich von Wien aus unterflügt wurde,
mußte er es ſich Doch andererfeit5 gefallen laffen, daß ihm von
oben herab vorgefchrieben wurde, was und wie er zu beridten
habe. So fchreibt Manmagetta 5. B.: „Ihro Majeftät haben
mir geftern befohlen, den Prediger: Mönden den Tod Hem
rici VIL nicht zuzufchreiben, daß Ihme nemlih in der Com»
munion feye vergeben worden, fondern, wie Spondanus, in
feinen Annalibus Ao. 1313 diefelbe zu entfchuldigen.” Daß
auch ſchon damals zwiſchen bairifhen und oͤſtreichiſchen Ger
fchichtöfchreibern eine ähnlihe Stimmung geherrſcht habe, wie
fie in neuefter Seit namentlih an einem Geſchichtsforſcher, wel⸗
cher beiden Staaten nacheinander angehört hat, hervorgetreten
ift, ergibt fi aus folgenden Worten des einen Briefs, welche
die Wahl der Gegenkaiſer Ludwig's des Baiern und Friedrich's
des Schönen betreffen: „Ob zwar die Bayrifche Historici. dem
Haus Defterreich fehr übel wollen, fo daß jie wider Abraha-
mum Bzovium durch den Bayriſchen Herwart Ao. 1618 ein.
ziemlich dickes Buch in Qu. zu Mönchen herfür gegeben, Latin:
nen Ludovicus IV. Imperator defensus, Bzovius iniuriarum
postulatus, intitulirt, — — ZJedannoch Kat Ihro Kaiferliche
Majeftät Ihnen belieben laffen, daß die Klection ex Annah-
bus Spondani Ao, 1314 ſollte befchrieben werden.” Am ch:
renwertheften bei der ganzen Sache erfcheint am Ende immer
hr bes Kaifers perfönliche Theilnahme für eine wiſſenſchaft⸗
lie Arbeit.
Deutſch-kaiſerliche Hofpoeterei vor 150 Jahren.
Im Jahre 1700 wurde ein nürnberger Kaufmann, Chri⸗
ſtoph Adam Negelein, nachdem er zum Katholicismus üderge
getreten war, Baiferliher Hofpoet in Wien. Was damals der
deutfche Hofpoet an dem Paiferlihen Hofe zu thun hatte, mel
det er felbft mit folgenden Worten: „Es find bier nur zween
Hof-Poeten, welche von Ihro Kaiferlihen Majeftät wuͤrkliches
appointement genießen; namlich Tit. Herr Donatus Cupebo,
ein Staliäner, und ic. Jener bat ji das ganze Jahr über
mit den Erfindungen von ſechs Italiänifchen Opern, und einem
paar Dperetten zu beſchäͤftigen, welche ſowohl als die Italiaͤ⸗
niſche und lateiniſche Dratoria, je in ber Faſten⸗Zeit vor Ihro
Kaiſerlichen Majeſtaͤt muſiciret werden, fo dann ich zu verteutſchen,
auch dann und wann teutſche Iheatralia felbft zu inventiren be»
komme. Die Ehre der lateinischen Poeſie und Comöbdien aber bleibt.
denen Herren Patribus Jesuitis reſervirt.“ 47.
Verantwortlicher Herausgeber: Heinrich Wrodjauns. — Druck und Verlag von F. E. Brockhans in Leipzig.
x
Blätter
für.
literarifhe Unterhaltung.
‚WRontag,
_ — — 7
Religidfe Tendenzromane.
(Bortfegung ans Nt. 1.)
5. „Die Separatifien” von 2. van der Menlen.
Din Mittelpunkt dieſer Novelle bilden bie fepavati-
ſtiſchen Bewegungen innerhalb ber protefbantifdyen
Kirche Preußens. Das Parteir und Sektenweſen in
nerhalb der evangelifchen Kirche verbient fjegt um fa
mehr Aufmerkfamfeit als es, wie das Jeſuitenthum mit
feinen affiliirten Geſellſchaften die römifch - katholiſche
Kirche an fi zu reißen trarhtet, fo bie Allenherrichaft
in der evangelifhen Kirche zu erlangen bemüht iſt.
Man ſucht nad Aufklärung über dieſes Weſen. Doc
fehlt für die Gegenwart ein Werk, welches unterhielte
ohne ald eine gelehrte Abhandlung zu ermüben, und
befehrte ohne in einen Predigtton zu verfallen... Es fehlt
ein Werk, etwa wie Jung-Stilling’s „Theobald oder die
Sechwaͤrmer“, weiches fir feine Zeit hochſt paffend war.
Der Verf. vorliegender Novelle verſucht es, biefem Mian-
gel nach Kräften für die jegige Zeit abzubelfen, inbem
er Jemanden fchildert, des aus dem heutigen Pietiämus
ſich bis in den Intherifchen Separatiomus verlor, bann
aber, durch Erfahrungen geldutert, nach einer mehrjdh-
rigen Fortbildung auch in fremben Ländern und unter
verſchiedenen Religionsparteien zur evangeliſchen Freiſim⸗
nigkeit hindurchbrach. Der Verf. weit auch auf das
ultramontane roͤmiſche Weſen hin, um zu zeigen, wie un⸗
evangeliſch der Separatismus überhaupt ift, dann aber
auch, „um ben Splitterrichtern auf dieſem Gebiete bes
merklich ˖ zu machen, daß fie den Balken in dem eigenen
Auge nicht vergeffen mögen ”.
Der Leſer finder ſich in dieſer Novelle in einen füngft
nergangenen kirchlichen Streit in Preußen verfegt. Seit
bes Befreiungẽkriege zeigte fich, im Begenfage zu bem
alten Rationalismus des 18. Jahrhunderts, an verſchie⸗
denen Punkten Deutſchlands ein rafigiöfer Trieb, ber in
der katholiſchen Welt von ben Jefuiten zu ihren Zwecken
beuupt wird, -in der evangelifhen Welt aber auf bie
Anfange des Iutherifhen Reformation zurückgehen möchte.
Disfe Stimmung wurde im evangeliſchen Deutſchland
von. einer fremdartigen, ſchwarmeriſchen, ſelbſtſuͤchtigen
Partei zu ihrem Vottheile ausgebeutet, ſie erſchien unter
den Namen der Pietißen, der Feinen, der Myſti⸗
— Nr. 110. —
cealviniſchen Disripfinen zu begreifen.
durch eine theatraliſche, phantaſtiſche Aufſtutzung. Durch
Shakſpeate her bis auf Waltter Scott in deſſen „Pree⸗
byterianern‘ feine Beleuchtung gefunden Hat, ſuhte
ſich unter einer gefaͤlligen Form in Geltung. Rur ven
ſich felh halt es und behauptet ungeiſtlich, ruhmredig
und hoffärtig, die alleinigen Chriſten und Gläubigen in
dem eigenen beſchraäͤnkten Kreiſe and in deſſen finfter
Es empfiehlt ſich
feine teagifch - künſtlichen Vorſtellungen von ber Suͤube
und dem Verderben und busch feine ebenfo phantaflliſch⸗
finnliche Darftellung von der Gnade, neben den Legen»
ben und Belchrungsgekchishten in Tractäͤtlein und neben
den bie Einbildungskraft überſchwemmenden übermäßigen
Gebeten in ben Eonventikeln wirkte dieſer Pietismus
viel für ſich. Bei feinem geiſtlichen Scheine, durch el»
chen er blendete, wußte ex jede geiffige Unmünbdigfeit bei
gutem Willen, jede Narrheit und jede ſchwache Geite
an dem Menſchen meifterhaft faufmännifh und politiſch
‚für ſich auszubeuten. Und wenn
Jemand in dem Nepe
gefifcht war, dann ließ ihn ſchon bie fünftlich angewandte
Disciplin nicht wieder zus Nüchternbeit des Geiſtes ge
langen.
ber veformirten und Futherifchen Kürche ben Weg gebahnt
hatte. In den Schilberungen des Merf. wird nicht blos
ber Übesreft bes alten halleſchen Pirtismus, fondem auch
ber moderne Pietiomus vertreten,
Das Friedrich Wilhelm lil. von dieſem Pletigamus
angeſteckt geweſen, muß bezweifelt werben, aber er dehnte
feine politiſche Macht zu weit auf das Privatgebiet desßs
Glaubens aus und erregte dadurch eine heftige Oppofiion
bei einem Theile feiner Unterthanen, wie fie eine politiſche
Zwangsmaßregel niemaje erregen wuͤrbe. Er ſuchte eine
evangeliſch· deutſche Allgemeinheit, in ber ſich die Prin⸗
cipien des abſolutiſtiſchen Regierungsſyſtems kirchlich deu
treten ließen und wollte zu dieſem Zwecke ein klrchli⸗
ches Berfaflungsgebäube errichten. Demgemaͤß lieh er bie
viel erwähnte Agende verfaffenz des Wiberſpruch, 7
diefsfbe wie bie Union ſelbſt erregte, I bekannt. e
religiöfen Parteiungen, weiche niche ausſchleßlich ihre
So war dieſer Pietismus nicht mr in bie ver⸗
ſchiedenſten Kivchenparteien eingebrungen, fondern er fand
beſonders in der evangelifchen Kirche Preußens ein eve.
wünfchtes Gebiet, indem ihm bier bie kirchliche Union.
.
Glaͤubigen“ in Pommern.
. ”
⸗
Parteiintereffen durch bie Agende begünftigt ſahen, erhoben
ihre Stimme dagegen. Nur dem eigentlichen Pietismus,
weil die Union dadurch befefligt wurde, war fie ganz will-
Zommen. Es ſonderten ſich die Elemente; viele, bie zur
Union mit den Pietiften verbrübert, wurden wegen ih-
zer Tutherifchen Theslogie und weil diefer Pietismus bei
ihnen zur Zelotie fich gefteigert hatte, die heftigften Gegner
der Union und ber Agende. Liber diefem Kreuzfeuer mit
der Theologie und ihren Parteien griff die Regierung
zu Zwangsmaßregeln, um die neue Einrichtung einzu-
führen und nicht zergehen zu laffen. „Die Pfaffen der
Landeskirche find durchweg Bauchdiener, Heuchler und
Feinde des Evangeliums!” fo riefen die Separatiften.
Die Regierung ließ Berhaftungen, Erecutionen, Amts⸗
entfegungen u. f. w. anordnen, die kirchlichen Zuftände
des beutfchen Proteſtantismus zeigten fi) in jeber Be⸗
ziehung von ihrer trübfeligften Seite. Eine unerfreu-
lie Sektirerei in. den Maffen, ein Übergriff der politi-
ſchen Staatögewalt in die Privatfache bes Glaubens!
. Der Mittelpunkt der vorliegenden Novelle ift Pom⸗
mern. Bier, in Binterpommern, wirkte ber Separatid-
mus befonders ſtark. Prieſter und Abelige vereinigten
fih gegen die Behörden, „denn man müffe Sort mehr
gefallen ale den Menfchen”. Cine Urfache finden wir
im Chatakter der Pommern, welche uns ber Verf. fol-
gendermaßen ſchildert:
Siegfried erörterte, die Pommern feien die Dorer der
Deutihen. Eine gewiffe Geiſtesſchwere fei ihnen eigenthuͤm⸗
lich. Daraus entipringe ihr Ernft, ihre Unbeweglichkeit, ſowol
im guten als bofen Sinne; daraus ihre Sediegenheit, ihr Fleiß,
ihre Ausdauer, ihre Beftändigfeit. Auf dem Herzen lafte, ne:
ben dem feften Berftande, eine gewiſſe Schwere im Gefühle,
welche die Pommern, wo ihr Gemüth erregt werde, zu einem
Heuchlerifchen Volle made. Mit der Baterlandötreue Hand in
Hand gehe die kirchliche. Doch fei diefelbe bei Vielen weniger
ein freied Bewußtfein als ein unbedingter Hang zum Alten,
Gewohnten, Herkoͤmmlichen. Dadurch, ın Berbindung mit der
Semüthefchwere,; neige fi der Pommer befonders leicht zu ei»
ner verfinnlichten Andacht und Religion.
Durch diefe Charakteriflit des pommerfchen Ratureis
wird es allerdings ziemlich erflärlich, wie der Separatis-
mus gerade in Pommern fo großen Anklang finden
fonnte. Der Adel begünftigte die Conventikel und das
fogenannte „lebendige“ ober „erweckte Chriftenthum ber
Die Sache war neu und
man mußte den Sinn eines fo gemüthlichen Volks wie
die Pommern mit theatralifher Kunft zu bearbeiten.
Bei den Bildern von der Sünde, von dem Gerichte,
dem Satan und der Hölle fohrien Viele laut auf und
fingen an fich die Haare auszuraufen. Andere began-
nen zu flöhnen und bekamen Zudungen; Andere waren
ſchon von der finnlihen Darftellung forfgeriffen, in ber
Gnade verzüdt. Jungfrauen, bei denen zu der Einbil-
dungskraft der Geſchlechtstrieb einmwirkte, wurden verzückt
und fingen an in prophetifcher Sprache Wunberdinge
zu reben. Es kamen die Dhyfiognomien zum Borfchein,
welche, als chriftusähnliche, einen Herrn Liebetrut, den
erfien Donnerer gegen Wislicenus in ber „Evangelifchen
Kirchenzeitung“, bei den lutherifchen Separatiften in Wall-
voda fo fentimental anziehen, an denen uns.äber ſchon
der gefunde Shaffpeare, doch in anderer Weife, zu er-
gögen weiß, wenn er feine Puritaner erfcheinen läßt ober
die uns jüngft noch ein Walter Scott in feinen „Pres⸗
byterianern“, im „Waverley“ u. f. w. vorführte, zum
Beweiſe, daß dieſes fhwärmerifhe Pfuſcherchriſtenthum
innerhalb der geſunden reformirten Kirche ebenſo von
jeher angefehen worden iſt, wie es uns auch ein Luther
erachten lehrte und Erasmus von Rotterdam es uns in
feinem „Lobe der Narrheit” auf dem roͤmiſch⸗katholi⸗
fchen Gebiete vorführt.
Der Autor der Novelle hat tiefe und gefunde Blicke
in das pietiflifche und feparatiflifche Zreiben der Gegen-
wart gethan, er fondert die Tendenzen und Beftrebun-
gen bis in ihre fpeciellften Nuancen, aber über dei
theologifchen Zweck geht die poetifhe Wirkung der No⸗
velle ziemlich verloren. Die Liebesgefihichte des Helden
vermag wenig zu feffeln, fie fchlottert nur nebenbei und.
ift nichts als eine Konceffion, welche der Novelle ge=
macht worden ift. Poetiſch iſt einmal der Stoff nicht,
den fich der DBerf. zum Vorwurfe genommen, er zeichnet
eine der unerquidlichften Partien des deutſchen Lebens,
und dach hätte er ihn noch poetifcher behandeln konnen
als es gefchehen, durch eine großartigere Auffaffung,
durch die Ausbreitung von Gonflicten, denen ein allge»
mein menfchliches Intereſſe innewohnt. Der Verf. iſt
mehr Theolog als Dichter, und doch hätte er die Theo.
logie der Novelle unterordbnen und die Kämpfe mehr
duch gefchloffene Figuren als durch lange Deductionen
darftellen follen.
6. „Die Deutfch- Katholiken” von Fr. Luboſfatzky.
Eine erfreufichere Richtung der veligiöfen Intereffen bes
beutfchen @eiftes hat fi) diefe Production zum Vorwurfe
genommen. Freilich, eine fo unfertige Bewegung wie bie
des Deutfch-Katholicismus fchon zum Gegenftande eines
dickleibigen, breibändigen Romans machen, iſt ziemlich
kühn. Die ganze deutſch⸗katholiſche Bewegung bietet eigente
lich noch gar nichts für eine epifche, objective Behandlung.
Aber der Verf. des vorliegenden Romans nimmt es weder
mit aͤſthetiſchen Grundfägen noch mit religiäfen Printi⸗
pien allzu genau, es ift ihm mehr barauf angelommen,
den Deutfä - Katholiciemus für das gewöhnliche Leih-
bibliothefenpublicum zu bearbeiten und zu verarbeiten.
Er häuft mehr die äußern Effecte zufammen als dag er
Motive und Urfachen entwidelte, er gefällt ſich lieber im
Schlagmwörtern ale in einer von innen heraus ftrebenden
Entwidelung. Die eigentliche Natur, das wahrhafte We⸗
fen des Deutfch »- Katholicismus wird aus biefem Romane
Niemand lernen konnen; was gegeben wird, wird nur
durch alibefannte Schablonen gegeben. Die Römifch-
Katholifchen erfcheinen in diefem Romane ale Schurken
oder ale Dummtöpfe, die Deutfch - Katholifchen dagegen
ale Märtyrer ober ald Helden. Der Verf. bat weder
einen feinen biftorifchen Blick nody weiß er eine pſycho⸗
logiſche Kunft geltend zu machen. Die Figuren, welde
er vorbringt, find ebenfo grobfchrätig wie überhaupt die
Zabel des ganıen Romans. Die Polemik gegen Rom;
die Foderung des Deutſch⸗Katholicismus feheint bei ihm
auf feinem gründlihern Bemwußtfein zu beruhen als auf
demjenigen, welches in jüngfter Zeit durch unſere Jour⸗
nalpreffe aphoriftifh ausgefprodgden worden ifl. Deshalb
ift es ihm denn auch unmöglich, die wahre Natur bes
Dentfdh - Katholicismus in einem Momane zu reproduci⸗
ren, deshalb gibt er flatt der Principien meiftens Jour-
nalphrafen, ftatt der Perfönlichkeiten nur Figuren, wie
ee fie eben für den Mechanismus feines Romans ge-
brauchen kann. Hier ein paar Beifpiele von der Phra-
feologie des Verf. (Bb. 2, ©. 3):
Don Rom her weht der Hauch einer ſchauerlichen Eon:
fequenn. ' ,
Bd. 2, ©. 302 und 303:
Ronge's Brief rief in Deutſchland, wie befannt, eine all»
emeine Bewegung der Geifter hervor, ex glich einem friſchen
ftfirom, der durch eine Gruft voll mephitifcher Dünfte ftreicht
und diefe aufregt. (Alſo der Deutſch⸗Katholicismus wäre nichts
als eine Aufregung mepditifher Dünfte?) Es if hier nicht der
Dirt, weiter diefe hochwichtige Sache der Menfchheit zu behan:
deln, als ed nur gerade im Allgemeinen die Ereigniffe unfers
Romans angeht und mit demielben zufammenhängt. (Der
Verf. verzichtet alfo felbft auf eine principiele Bedeutung fei-
nes Romant.) Der Zefuitismus hat Rom mehr Schaden ge:
tban als Rugen gebracht, denn welche Meinung foll man von
dem Papſtthum haben, wenn es ſolche Apoftel für feine treuen
Söhne erklärt, die fih beeifern, der Welt durch ihre Thaten
und Lehren einen Abſcheu einzuflößen,. Die den Aberglauben
und Ranatiömus in ten Herzen des Volks einzubürgern trach⸗
ten u. f. w. (Mie oft iſt diefe Phraſe gefchrieben?)
Der Serretair, Hr. Aloys Molitor, erfcheint uns als
ein ziemlich unfluger Menſch, da er in einer trierſchen
Weinftube, vor eingefleifchten Römisch-Katholifchen, eine
Philippika gegen Rom hält. Natürlid kommt es bei⸗
nahe zum Herausfchmeigen und der Secretaie erlärt:
„Sie greifen gewaltfam in mein Menſchenrecht.“ Bir
tönnen in einem foldyen unbefonnenen Maͤrtyrthum, wel:
ches die Weinftuben zu feinem Schauplage macht und
mit Worten auf leere Schädel losdrifcht, durchaus nicht
irgend’ etwas Großartiges und Erhebendes finden, wie
der Berf. es ſucht.
Die Conflicte des nach Freiheit, nah Selbftbeftim-
mung ringenden Individuums, den Foberungen Roms
und feiner barmherzigkeitsloſen Hierarchie gegenüber,
eignen fich allerdings ganz vortrefflih zum Vorwurfe
eines Romans oder einer Novelle; dagegen fcheint une
das Princip des Deutfch- Katholicismus, eben als ein
unfertiges, fich erſt losringendes Princip, durchaus
ndch nicht dem Rahmen des Romans anzugehören und
die reiche Außenwelt deffelben erfüllen zu können. Der.
Verf. hat fih bei der Ausarbeitung des vorliegenden
Romans von der Sucht verleiten laffen, einem Xriebe
der Zeit quand-meme zu genügen, er bat weder philo-
fophifch noch Afthetifch geprüft und eben blos auf die
Befriedigung des Leihbibliothekenpublicums hingearbeitet.
Natürlich darf die Erfheinung Ronge's, diefes „Mefor-
mators des 19. Jahrhunderts”, nicht fehlen. Ronge ift
jedoch - viel zu wenig eine hiſtoriſche Geſtalt als daß er
ein lebhafter Mittelpunkt werden koͤnnte und, wo er er-
ſcheint, Hat der Verf. nichts Anderes verflanden afs ihm
allgemeine Phrafen in den Mund zu legen.
(Der Beſchluß folgt.)
Literarifhe Rotizen aus England.
Englifhes Urtheil über Léon Fauder.
Das Werk Lion Paucher's „Etndes sur PAngleterre‘ hat
auch in England felbft großes Auffehen gemacht. Man gefteht
ihm zu, daß er bei feiner Aufgabe mit Offenheit und Redlichs
Peit zu Werke gegangen, obwol ihm ber Vorwurf gemacht wird,
daß er das Bild, welches er von den großen Manufacturftädten
entwirft,- weniger aus eigenen Anſchauungen als nad den
Auszügen aus parlamentarifhen und ftatiftifchen Berichten ent»
werten. Seine traurige Borherfagumg, „England mahne ihn
in vieler Hinfiht an Die Erſcheinung Staliens während des
Verfalls des Roͤmerreichs, wo das in Gärten verwandelte Land
nur Patricier und Sklaven genährt”, wird für übertrieben ge«
halten. "Ein Beurtheiler dieſes Werks im „Athenaeum‘ meint in
Bezug auf dieſe Anficht: es gebe zwar fehr viel gefellfchaftliche
Anonialien in England, die Reichen feien oft zu reich, die Ar:
men zu arm, aber ed fände zu bezweifeln, ob man diefen
Übeln dadurch abhelfen konne, daß man das jegige Syftem des
Bodenbefiged dem in Frankreich geltenden ähnlih made. Es
gereihe einem Volke zum Bortheil, wenn es durch feine Ein-
rihtungen und Werfaffungsformen mit der Gefchichte feiner
Vergangenheit verbunden Ki. Daraus hätten die Engländer
ihre gewohnte Liebe zur Drdnung und ihren Gehorfam gegen
das Geſetz erlangt, wodurch London unter dem Sau einiger
hundert Scharwächter ficherer fei ald Paris mit ber Befagun
eines ganzen Heerd. Wenn Faucher audi der Thatfache, da
die Arbeitölöhne nicht in demſelben Verhältniß wie der allge
meine Wohlſtand der engliſchen Nation geftiegen fei, eine Ent
artung und Berfchlimmerung der arbeitenden Claſſen folgere,
und er zum Erweis diefer Thatſache anführe, daß mehr als
eine halbe Million Einwohner jährlih ein Einfommen von
mehr als 150 Pf. &t. zu verzehren haben, während der Kohn
eines Handwebers kaum fünf Shillinge wöchentlich betrage, fo
fei eine ſolche Beweisführung nur ein Beleg jenes ſich über-
ſtürzenden Generalifirens, auf das man allenthalben im Werke
des frangöfiichen Socialiften ftoße;s denn der Weber am Hand»
webftuhl dei Fein Beifpiel, das man maßgebend für die arbeir
tenden Claſſen überhaupt zur Beurtheilung für deren Rage an-
führen könne, da ganz ausnahmsweife und eigenthümliche Um-
ftände die Zuftände diefer Urbeiter verfchlimmert hätten.
Ein Weib gegen die Iagdgefege.
Die bekannte Miß Harriet Martineau hat unter dem Ti⸗
tel „‚Worest and e law tales’ eine neue fihöngeiftige
Tendenzſchrift erfcheinen laſſen, wodurch fie zu einer Umgeftal
tung der in England fo firengen und brüdenden Sagd.» unb
Forfifrevelgefepe beizutragen hofft. Sie geht dabei von ber
Anficht aus, daß man, um die gegenwärtige Gefehgebung in
diefer Hinficht zu verftehen, ihren gefchichtlichen Urfprung und
ihre Entwicklung Pennen müffe. Det erfte Theil ihres Werks,
dem noch zwei Bände folgen follen, enthält deshalb in vier
Erzählungen die Schilderung der aus den damaligen Jar
und Ben hervorgegangenen Zuflände des Volks. t
lebhaften Farben und geiſtreicher, gefuͤhlvoller Auffaſſung ent⸗
wirft fie das Bild jener rohen Zeiten der angelſachſiſchen Kö»
nige und der ihnen folgenden normännifhen Dynaften, deren
unmenſchliche Sagungen in Bezug auf das Eigenthum des
Büteradeld an Wald und Wild der fortlaufenden Gefittung
einer Reihe von Jahrhunderten nech heute nicht ganz gewichen
find. Auch in Deutfchland würde eine Miß Harriet Marti«
neau in der alten wie in der jüngften Zeit-reichen Stoff zu
folchen Bildern finden, wie denn’ auch erſt vor Purzem einer
468
diſchen Künftter, den durch Dehoaudlung focater
e ale pr "Gedeutendem Ruf —*8* ig, N dieſes
Borwurfs bemaͤchtigt hat. 13.
Biblisgrapbhie.
Hanne, J. B., Antiorthobor oder n Buchftabendienft
und Pfaffenthum, und für den freien Sch — —e und
des Ehriftenthume: — — Weftermann. Gr.8. 23 Ror.
Hayemann, W., Geſchichte bes Musgange des Zampel-
rdens. Stuttgart, Gotta. Gr. 8. 2 .
Zäger, 3.R., Geelenheilkunde, gefkügt auf pſychologiſche
Grundfäge- Gin Handbuch für Pfuchologen, Aerzte, eelforger
und Richter. 2te Yuflage. Leipzig, Brochhaus. Gr. 8. 2 Ehir.
Köhler, 2., Primavera. Mopyellen, Zwei Bande. Jena,
Luden. 8. 2 Zhlr. 15 Rar.
Kolde, 8. % 3., Dr. Iohann Heß, der ſchleſiſche Re
formator. Breslau, Zrewendt. Er. 8. 221, Nur.
Leupoldt, J. M. Zur Charakteristik der Mediein der
Gegenwart. Erlangen, Blaesing. Gr. 8. 15 Nez:
Xewald’s, U, gefammelte iften. IUter bis IXer Band
Leipgir, Breckhaut. Gr. 12. 3 Tolr.
. Lıbuffe. Zahrbuch für 1846. Herausgegeben von P. U.
Klar. ter Jahrgang. Mit Stahlfkichen und lithagraphiſchen
Anſichten. Prag. Ki. 8. 1 Thlr. 20 Rear.
Lichtenberg, ©. o., Die Strafe, die Zuchthänfer unb
dab Swangs-Crziebungs-&pftem rechtlich entwickelt und practifch
dargeſtellt. Berlin, Heymann! Gr. 8. 1 The. 20 Kar.
Macchiavelli's, N., Florentiniſche Gefchichten, über:
— bon X. R eumont. Zwei heile. Leipzig, Brockhaus.
x. 12. 9 Ihlr. '
Deutſches Marchenbuch ‚ Herausgegeben von 8. Bed:
Bein. Leipzig, G. Wigand. 5. 10 Kar.
Nante Strumpf mit feinem Sohne Auguſt und Madame
Buffey, geb. Breeje, auf der Freiberger Ausſtellung. Zreiberg,
Engelhardt. 12. I Nr. -
Napoleon. Dargeftellt nach den beften Quellen von *x.
de Auflage. fe und 2te Lieferung. Leipzig, Kallmann. Gr. 8.
r
fe Eine Noyelle. Zwei Theile. Leipzig, Brockhaus.
8 3 Ihr. 10 Ror.
. ..Pfundheller, J., Ein Gang durch die Vorzeit. Hiſts-
uk: Rovellen. Wien, Mörfjchner 6. Witwe und Biandi. 8.
Ir
Die Quãkerſtadt und ihre Geheimniſſe. Amerikaniſche Nacht⸗
ſeiten. Nach dem hinterlaſſenen Manuſcripte des Hrn. K. Ad⸗
er Philadelphia. Vier Bände. Leipzig, D. Wigand.
. v.
Zagedliteratur.
Böckb, A., Über Friedrichs des Grossen classische
Studien. Akademisehe Einleitungsrede in der öffentlichen
Sitzung der königl, preuss. Akademie der Wissenschaften
. am 29. Januar 1846. Berlin, Veitund Comp. 4. 7 Ngr.
Erdmann, Die leberwindung des Boͤſen. Predigt. Halle,
Lippert und Schmidt. Gr. 8. 3 Rear.
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eind in Stuttgart am 1., 2. und 3. Sept. 1845. Bericht an
ben „loreüigen Hauptverein. Deflau, Fritſche. 1845. Gr. 8.
| r
Gilbert, N. O., Dad evangelifhe Erbe, welches Luther
2 binterlafien hat. Predigt. Chemnitz, Goedſche Sohn. 8.
r.
g
Harleß, G. E. A., Die Liebe, das Kennzeichen des wah⸗
ven Lehrers. Predigt. Leipzig, Teubner. Gr. 8. 3 Nor.
— — Rede am Zodestage Luther's den 18. Februar 1846
im Auftrage des Ausſchuſſes der Zutherftiftung. Leipzig, Barth.
@r. 8. 4 Nar.
Heimbürger, 9. €., Die heilige Lebensſache, bie und
dar Todetiag de Bebennens Pnigf:
Gele, Capaun. ZU Ror ' Gen. ish
"Hennig, Die Somnamdule in Rebfin in der Wefl-Yrieg-
Kurzer Bericht und Anleitung, ichtigen Be il
—— —— * he tigen 1 une un
gr u 1198
Harrmann, G., Über bie neueſte Beſtreitung ber vedzt-
lichen Auctorität des kirchlichen Symbols. Ein kirchenrechtiiches
Bot. € — ae *. j Ty Rgr. n de
effenmülter, ©, Dr. Mart Luther in feinen Wefer
aunb Wirken. Nee, Braunfdweig, Rademacher. Gr.8. 5 Rac.
Hofferichter, Z., Bas if unſern jungen Gemeindew
iu wänfgen? Predigt beim Gottesdienste der ——
meinde zu Brieg. Brieg, Schwarg. 8. 1 Kgr.
Zacobſon, 9. F., Her Dr. R in Königöberg ine
Eonflict mit den Gymbolm der evangeliihen Kirche und dem
Preußifgen Provinzial» Eonfiftorium. Cine Beleugptung ber
Schrift: „Die Symbole oder Gottes Wort? Bon 3. Rupp.”
Kimigsberg, Gräfe und Unzer. Gr. 8. 10 Nee.
Die Zefuiten und ber Ultramontanismas in der
von IT98 bis 1845. Aus der „‚Wlgemeinen Halleſchen Fitere
turzeitung” beſonders abgebrudt und heransgegeben mit. einem
Vorworte von I. Gihr. Bieftal, Honegger. &r.8, 5%, Nor.
Julius, ©, Der Spuk des Bankgeſpenſtes. Ein der
Kometen Zeg reß⸗e geſetztes Denkmal. keipzig, Naumburg.
t. B. gr.
» Klögner, ©.W8., „Das Gedaͤchtniß unſers Luther.”
digt. Eifenberg, Schöne. 8. Era fers dathe *
Linke, H. M., Dr. Mart. Luther. Das Sichtigſte aus
feinem Beben und ‚Wirken größtentheils nad) Matheſius erzähtt.
Zwidau, Berein zur Verbreitung von Bolksſchriften. 8. 3 Mer.
Lisco, G., Bollenden wir das Werk Luthers! Ein Wort
an evangelifhe Chriſten. Berlin, Muͤller Gr. 8. 3 Mer.
Dr. Bart. Luther'd legte Predigt, gehalten zu Gi6-
a6. Derssden,
- leben kurz vor feinem Tode, den 14. Febr. 1546.
Raumann. 8. 1, Nor.
Meyer, M. K., Dr. Mart, Luther's Jugend, Wirken
md Ende. Nebft Luther’ Bildniß — Cranach und
dem Facſimile der Handſchrift. Gotha, ringe. 8. 8 Res.
Nihelis, J., Der Katholizismus und die Lüge. Cine
Zufchrift am die katholiſche Gemeinde zu Duisburg. Duisburg,
Humel. 12. 71% Mar.
Neander, A., Die Bedeutung des Thomas Arnold für
den Standpunkt der kirchlichen Gegenwart, nach den über
sein Lebeit erschisnenen Denkwürdigkeiten. Berlin, Besser.
Gr. 8. 4 Ngr
Stirm, €. 9, Predigt zum 3Mjährigen enalptni bes
. B.
Jodestages Dr. Mart. Luther's. Stuttgart, Belfer.
3 Rgr.
Klraut, E R. J., Der Brannkwein⸗ Enthaltſantteits
verein in Oberſchleſſen und fein neueſter Defenſor Dr. Weite
mann. Fe Eriticher Berſuch Greugburg, Landöberger. 1845.
8, gr.
Thaulow, ©, Rede bei der Säͤcular⸗ Geburtsfeier Peſta⸗
lozzis. Kiel, Schwers. Gr. 8. 3 .
Ueber den Querzug dev Lichtritter in feiner iehgiöfen und
hiſtoriſchen Bebentung, Drei Reben. Liegnig. 8. 15 Nur.
Beber, D., Um Todestage Dr. Luther's den 1. Zehs,
1846. (Gedicht) Keipzig, Engelmann. Gr. 8, 2 Nor.
Weiß, E., Vorſchlag zu einem Denkmale Peftalozzi's mi
Ruͤckſicht auf deſſen Geundfage der Erziehung und des Unter
richte. Deerfeburg, Rulandt. En. 8. 5 Nor.
Boeniger, 4. J., Bülow: Eummerow's Bettelbantyne
jeet. Gin Eritifcher Beitrag zur Geſchichte Der Geidariſtokrati
Berlin, Hofmann und Eomp. 8. 10 Ror.
Sittel, Begruͤndung dev Motion über Religionsfreißeit.
Berlin, demn I *
— — fion 9 eſtattung ei Reillgionsfreigelt.
3ter Abdruck. Karlsruhe, Macklot. er 3 Kar. h
Berantwortlicher Herausgeber: HSeinrich Brockkans. — Druck und Berlag u. E. Brockhans in Leipzig.
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Dienſtag,
Religioͤſe Tendenzromane.
(Beſchluß aus Nr. 110.)
1. „Shawn na Soggarth, der Priefterfänger” von M.
Arhdeäcon. Diefe Erzählung gehört nur durch Über:
fegung der beutfchen Literatur an, aber eineganz andere Aus-
beute bietet der Boden, auf dem fie fich bewegt, für den Ro⸗
man als der Deutſch⸗Katholicismus. Wir werben in jene
Zeiten verfegt, ald die Neligionsacht auf dem unglüdli-
hen Irland ruhte. Jener Zeitraum iſt der fchwärzefte
in der Gefchichte Englands. Denn wo gäbe es eine
fegwerere Verirrung des menfchlichen @eiftes als wenn
Unrecht zum Recht erhoben, Berfolgung und Ziyrannei
‚ gefeplich geboten wird! Das katholiſche Irland wurde
in der Schlaht am Boynefluß von der Übermacht bes
proteftantifhen Englands erobert, während es’ früher,
ſelbſt unter Cromwell, nur befiege worden war. Unmit-
telbar nach derfelben wurden 4000 Katholiten ald Re⸗
bellen und Verräther erklärt und ihre Güter im Betrage
von 1,060,000 Acres eingezogen, eine Gemaltthat, bie
weniger dem Könige Wilhelm als dem englifchen Par-
lamente zur Laſt fallen dürfte. Der Katholicismus
wurde natürlich ein Maͤrtyrthum, ein unglückliches Volk
Mammerte fi) durch die Verfolgungen nur um fo ver-
zweifelter an das Gewand der fanatifch » Fatholifchen
Priefter, „welche den Muth hatten für ihren Glauben
zu bluten. Mit den Güterberaubungen ging die reli-
giöfe Verfolgung Hand in Hand. Die Engländer wa-
ren feit dem Ende des 17. Jahrhunderts vorzugsweife
ein Handelsvolk geworden, nun traf der Handelszwang,
der Irland auferlegt werden mußte, um England zu he
ben, bie proteftantifchen Einwohner Irlands, die man
in jeder Weiſe bevorzugen wollte, nicht minder ſchwer
als die Fatholifchen. "Dafür mußte jenen ein Aquivafent
werben und es murbe ber ftillfehweigender Contract zwi⸗
fchen England und den irifchen Proteftanten gemacht:
Abe opfert und den Handel und Gewerbefleiß Irlands
und feid unfere commerciellen Sklaven, dafür werben
die Katholiken eure Sklaven in jeder andern materiellen
und moralifhen Beziehung. So mar Albion wohlge-
fällig vor den Augen des Heren und füllte zugleich feine
Tafchen, zwei comfortable Dinge, die John Bull bis auf
die Bibelfrämer herunter flets gut zu vereinbaren wußte.
21. April 1846.
Das legale Mittel, um den irifchen Proteftanten Wort
zu halten, waren die von dem irifchen Parlamente, d. 5.
den irifchen Proteſtauten erlaffenen und von England
in Ausführung gebrachten Poͤnalgeſetze.
In der irifchen, von diefen graufamften aller Geſetze
bedrängten Welt bewegt ſich die vorliegende Erzählung.
Ein ganzes Volk, wegen feiner religiöfen Überzeugungen
gemartert und gedrüdt, gibt jedenfalls einen vortreffli-
chen Stoff für den Roman. Der Verf. des vorliegen-
den kennt die irifche Welt, er fchilbert bie Noth feines
Vaterlandes, feiner Landsleute, und fo verfucht er ed denn‘
mit nicht geringem Glücke, die fanatifche Treue zu ſchildern,
mit der fie an bem Glauben ihrer Väter unter allen Gefahren
und Kümmerniffen während der düftern Periode der Re⸗
ligionsacht fefihielten. Es rollen fi tragifhe Scenen
vor unfern Blicken auf, er führt uns in erfchütternde
Situationen und man wird ihm die Zähigfeit einer
fünftferifhen Geftaltung und Gruppirung nicht abfpre-
hen können. Verdienſtlich fcheint es uns aber beſonders,
daß der Verf. nicht blos den Neiz einer inhaltslofen
Romantik im Auge hat, fondern daß er die ‚wahren
Entwidelungen des Lebens zu treffen ſucht. Auch iſt
er mit Seinen irländifchen Nationalvorurtheilen, mit kei⸗
ner bigoten Gefinnung und feiner bösmilligen Erbitte⸗
rung an fein Werk gegangen. Füuͤrchtet er, man werde
ihm einen Vorwurf daraus machen, „Daß er Scenen
wieder aufgefrifht und Erinnerungen heraufbeſchwo⸗
ren habe, die beffer fir ewig in der Nacht der Vergeſ⸗
fenheit begraben geblieben wären”, fo ift das eine Durch»
ans unnöthige Furcht. Dem Dichter gehört die Ver⸗
gangenheit, und die traurige Vergangenheit Irlands iſt
unendlich lehrreich für die Gegenwart und Zukunft bie-
ſes verwahrloften Landes. Er bedarf der Entfchuldigun-
gen nit; zwar find die Pönalftatuten jegt ganz oder
doch faft gan, zum todten Buchſtaben geworden, aber
noch immer laftet der mächtige Arm des ſtolzen Eng-
‚lands auf dem grünen Erin und, ganz abgefehen von
der äfthetifchen Frage, auch von patriotifcher Seite find
die Zwecke und Tendenzen des Verf. vollkommen zu ch-
‚ren. Was das abfchenliche Gefchöpf angeht, deffen Name
diefem Buche feinen Titel gegeben bat, fo verfichert ung
ber Verf., daß er bei Schilderung feines Charakters und
feiner Thaten eine erdichtete Perfünlichkeit zu zeichnen
⸗
442
geſucht Habe, ſondern daß ber Prieſterfänger Sharon
na Soggarth ein Mann geweſen ſei, deſſen fluchbelade⸗
nes Leben während des legten Jahrhunderts der Gegen⸗
ſtand zahlloſer irländifcher Sagen geworden iſt, die alle
fein teuflifhes Wefen und den verkommenen Zuftand
der Geſellelſchaft, die ein: fo verabſcheuungswürdiges
Umthier hervorbringen unb großziehen konnte, beurfunden.
In dem Rector Gordon dagegen hat uns der Verf. eine
verföhnende Geftalt gezeichnet, welche inmitten aller
Grauſamkeiten eines privilegirten proteftantifchen Fana⸗
tiemus von dem Lichte der Milde, der Toleranz und
der Humanität durchleuchtet wird.
Der Berk. liefert uns ein treues Bild feines Va⸗
terlandes wie es war in den Zeiten der Zinfterniß und
der Verfolgung, und ſchließt mit den Worten, bie feinen
Charakter deutlich bezeichnen:
Wenn es und gelungen, dad Mitgefühl des Edeldenkenden,
fo verfchieden auch feinarekigiöfe Nerzeugung von Der unferigen fein
mag, für ein geduldiges, unter langen Leiden ſchmachtendes
Bol zu erweden, das unter Verfuchung und Gefahr, Verban:
‚nung und Tod gn dem alten Glauben feiner Väter feithielt ;
oder wenn wir vermocht haben, den von Borurtheilen Ginge-
nommenen Die Überzeugung beizubringen, daß Werfolgung fidh
ſelbſt ihr Ziel und Streben vernichtet und dag fchlimme Ge⸗
fege nur jchlimme Thaten hervorrufen, fo dürfen wir mit dem
Bewußtſein feheiden, nicht umfonjt die Erzählung von Shawn
na Soggarth gefchrieben zu haben.
8. „Der Bauer am Gaisberge‘‘ von Karl Wehr-
mann. Wir ftehen wieder auf dem beutfchen Boden jener
Tage des 16. Jahrhunderts, als im Kampfe gegen eine ent⸗
fittlächte Hierarchie der deutfche Geift im Proteſtantismus
hervorbrach. Der Proteſtantismus war damals ein echt
demolratifches Element, er war die Lebensfrage des
deutſchen Volks, und der Verf. der vorliegenden Fleirten
Erzählung ſcheint dieſe Stellung des damaligen Prote—⸗
ſtantismus richtig aufgefaßt und verflanden zu haben,
indem er uns die Schickſale des Hand Poßler, dieſes
ſchlichten Bauers am Gaisberge, einfach und ohne große
Schminke darftellt, Der Zweck des Verf. ift, jedenfalls
aus dem Wolfe heraus für das deutfche Volk zu ſchrei⸗
ben,. dieſes Streben iſt anerkennenswerth, auch ift es Fein
bloßes unerreichte® Streben geblieben. Wir wünfchen
dem Heinen Büchelden eine recht weite Verbreitung ; es
ift ein gefunder Kern in demfelben. Die Erzählung
. bewegt fih auf einem Boden, wo feitdem wieder aller
poateſtantiſcher Geift geſchwunden ifl, wo die Hierarchie
mis jefnitifchen Mitteln den gefunden Sinn des Volks
wieder vollftändig erdrüdt hat, im Salzburgiſchen. Durch
ganz Süddeutfchland wehte zu Luther's Zeit dex prote-
ftontifche Odem. Wer fih näher darüber unterrichten
will, nehme Sugenheim’s „Kirchen- und Volkszu⸗
flände Baierns im 16. Zahrhunderte” zur Hand. Aber
dem Jeſuitisnius iſt es gelungen, unter Begünſtigung
politiſcher Verhaͤltniſſe, in Suͤddeutſchland den Kampf
gegen den Proteſtantismus mit Erfolg bis auf den heu⸗
tigen Tag zu führen. „Ein lebendiges Bild von den
Zuftänden und Verhaͤltniſſen der Vergangenheit und von
den Beftrebungen ber dem Evangelio feinbfichen jeſuiti⸗
ſchen Macht zu liefern“, gibt der Verf. als den Zweck
ſeiner Erzaͤhlung an. Nachdem er die herrlichen Gegen⸗
den Salzburgs geſchildert hat, ruft er wehmüthig aus:
Wer koͤnnte dies Yo ohne vom tiefen Schmerz ergriffen
u werden darüber, daß gerade in hiefem Lande der Gnaden⸗
nnenfchein des Evangeliums fo gewaltfam unb graufam zu»
rüdgedrängt und die Menfchen, fo weit es nur immer möglich
war, wieder in Die veligiöfe Finſterniß des Mittelalters ges.
bannt wurden!
Wie dies gefhah, welche Hebel man anmwenbete,
duch welche Mittel man die Kraft des füddeutſchen
Volksgeiſtes und fein te für den Proteſtantismus
brach, das zeige uns der . an den Schickſalen Hans
Dofler’s und Derjenigen, die mit ihm das „Evangelium“
wollten und fi ber Hierarchie des Erzbifhofs von Salz-
burg und feiner ſittlich verwahrloſten Prieſter enigegen-
ſtellten. Den fohlichten, fittlichkeitserfüllten und glau-
bensmüthigen Beſtrebungen eines einfachen Bergvolks
gegenüber erfcheint die grenzenlofe Werderbtheit des Pfaf-
fenthums, welches feine Macht nicht aufgeben wollte.
Er führt verfchtedene hiftorifche Zeugniffe an. So fagt
ein Dann, der keineswegs ein Freund Luther's und der
Reformation war, in einem Briefe an den fürchterlich
graufamen Erzbifchof Firmian von Salzburg im Jahre
1740:
Die verweitlidgten Sitten der höchiten geiftlihen Wuͤrden⸗
träger, Die Wachläffigkeit, der Geiz und die Unwiffenleit des
Klerus, die gefunkene Zucht der Kirche und die Verachtung
und dee Haß gegen die Geiftlichfeit — das find die eigentli-
hen Quellen geweſen, worgus in Deutfchland Die Kiebe zu Lu:
ther flo. Ein überreiches Feld, gegen das Er ſchreiben konnte,
fand ev an der unglaublichen Unmiffenheit, Ausſchweifung, Bie:
derlichkeit, Unverfchämtheit, Frechheit und andern Laſtern der
Mönde, welche Damals Jedermann wußte, heutzutage aber Nies
mand leugnen wird ald die allerunmiffendften Meniden.
In unfern Zagen, glfo 100 Jahre fpäter, leugnet
man Dies unter dem Scheine großer Gelehrſamkeit und
tiefer geſchichtlicher Forſchung, oder ſucht ed menigitene
häufig zu verdeden, indem man dafür die Neformatoren
als die gottlofeften und unfistlichften Menfchen darſtellt.
Der verderhten Priefterfhaft jener Tage wäre es ſchwer⸗
ih gelungen, den gefunden Trieb des beutichen Volks
zu unterdrüden, hätte bie romaniſche Welt nicht dem
proteftantifchen Beifte, dem Producte der germanifchen
Welt, eine neue Waffe, den Jeſuitismus, gegenüberge-
ftellt; Diefen: wurde ia Süddeutſchland möglid), was
fonft niemals gefchehen fein würde. Ale Reprüfen-
tant dieſer antideusfhen Macht erfcheint in Der vor
liegenden Erzählung der berüchtigte Caniſſus. Gr er
fgeint im Beſondern . ald die Urfache des Sturzes
Hans Posler’s, ins Allgemeinen als der fchlaue Vernich⸗
ter des proteftantifchen Lebens überhaupt. Caniſius ging
nach Dftreih, als das Lutherthum fich dort regte und
wußte feinem Orden einen ſolchen Einfluß am Hofe zu
Wien zu verfchaffen, daß überall die Evangelifchen um-
terbrüdt wurden. Er bekam deshalb den Namen deb
„oͤſtreichiſchen Hundes‘ (Caniz austriscus) und diefer Canis
austriacus wird gegenwärtig in Rom heilig gefproden.
448
[8
Auch zu den Geldmaͤthten jener Zuge fand der Je⸗
fuitjämus in bdirecter Verbindung, Uder dus Verhält-
niß des Canifius zu den Fugger ſagt uns ber Verf.
Folgendes:
Betrieb nun der Jeſuit Caniſius fein Werk, um jeden
Yreeis Ginfluß auf das Volk zu gewinnen, auch damit, Daß er
Yänfige Zeufelsaustreibungen aus angeblich. Beſeſſenen, Geiſter⸗
Defywörungen, wunderbare Rrankenbeilungen zu vollziehen vor⸗
gab, überall langft verachtete und vergefiene Heiligenbilder wie
Der in Unfehen und Wallfahrten in Übung brachte: fo waren,
ed gerade die reichen Fugger, welche zu allem Dem mithatfen
und. durch ihr Anſehen und ihr Geld die Sache der Iefuiten
unterftuͤtzten.
uw:
Sanifius hatte eine Frau Puggerin und ihren Gemaht
vermocht, mit ibm und einem bejeffenen Iungfräulein nad
Aktötting zu reifen, um dort dad Wunder der Auötreibung
der höfen Geifter vor ihren Augen vollziehen zu Fünnen.
Die protefiantifchen Kräfte tm Salgburgifchen. fan-
den dagegen an dem zeichen Herrn Theun eine Stütze;
allein nachdem Hans Poßler den Märtyrtob geflorben,
erhielt auch Herr Thenn den Befehl, das falzburger Ge:
biet zu verlaffen. Canifius, der Jefuitismus triumphirte,
im Salzburgifhen wurbe es wieder finfter und finſter
iſt es daſelbſt hi6 auf den heutigen Tag geblieben. Das
Ans berührt der Berf., indem er fchlicht und einfach die
Schickſale des „Baters am Gaisberge“ darftellt, und er
hat in feiner Erzählung ein ‚ganz vortreffliches DVolts-
buch geliefert.
9. „Kunft und Leben” von 3.8. Moshamer.
Der Verlagsort Wien brauchte gar nicht auf dem
Titel zu fliehen, wir würben das. öftreihifche Literatur:
product fo errathen. Momantit im Leben ber Gegen-
wart! Alfo die Gegenwart mit ihrem concreten Ge⸗
halte zu romantifcher Gehalt « und Geſtaltloſigkeit ver-
waͤſſert? Und fo ift ee. Dem Ber. ift die borniete
Romantik noch Religion und in diefem Sinne gehört
auch das vorliegende Werk zu den religiöfen Romanen.
Die Handlung roh, flatt der Perfönlichkeiten fcheußliche
Fragen. Viel Theater: und Kunftgefhwäg ohne das
geringfte Verſtaͤndniß. Das Game trinial, grob, ge⸗
ſchmacklos. Wie bedauern bie Zeit die wir, auf Die
Lecture diefer „romantifchen Erzählung” verwendet haben.
28,
Die Befreiung von Texas.
Teras hat neuerlich wieder die Aufmerkſamkeit auf ſich
esogen. Diefelben Verhaͤltniſſe, denen das Land feine Be:
Freiung verdankt, find es, Die ihm die Behauptung feiner Un:
abhängigkeit erfihweren. Sehen wir, wie es in ſeine jetzige
Lage gelangt if.
Ein Bürger der jungen Republik, Herm. Ehrenberg, be
ſuchte uns vos etwa zwei Jahren bier im Leipzig. Er ift ein
geborener Magdeburger und war in ferner Heimat dazu be
ſtimmt, Materialhändter oder Dergleicden zu werden. Das ein:
gefchränfte Leben, die Geiftlofigkeit und Krämerei des Gewerbes
war ihm tödtlich. Er ging auf gut Gluͤck nach Nordamerika
und hielt fi eben in Neworleans auf, als die Eoloniften von
Teras Freiwillige dafelbft warben, um ihren Aufftand gegen
ben menianifeher Dietator Santana mit mehr Xruppen«.
macht und Rachdruck beginnen zu konnen. hrenderg war
unter den-Erjten, welche hinüberzogen, um- der Mhnen Provinz
gegen die übermächtigen Heere des
in Bindifcher Eitelkeit den Rapolcon dei Weiten nannte, beißzu⸗
ſtehen. Slücklich cntrann er in den gefährlichiten Lagen dem
Zode und erhielt, nachdem der Krieg beendigt umd die Seibſt⸗
fländigkeit der Teraner errungen war, den Landantheil, welcher
jedem der Freiwilligen zugefagt war. Um fidy durch ernfte
landwirthſchaftliche Studien auf: vaterländifchen Anftalten für
feinen neuen Beruf tüchtig auszubilden, unternahm Ehrenberg
mit den: wenigen Mitten, die ihm zu Gebote flanden, eine
Reiſe nach Deutichland. Beinen kurzen Aufenthalt in Leipzig
benugte er, um eine Schilderung der Ereigniffe des von i
mit Durchgefochfenen Befreiungskampfes, welche. er ausgearbeitet:
hatte, dem Drude zu übergeben.’ Sie erſchien unter dem Titel:
Texras und feine Revolution von Hermann Ehrenberg.
Leipzig, D. Wigand. 1813. Gr. 8. 1 Ahle. 15 Nore.*)
mit dem Motto: „Das Alte ftürzt, es ändert ſich die Beit, und
neue Leben blüht aus den Ruinen.” Durch diefe Schrift in
Verbindung mit der vor zwei Jahren erichienenen von G. .
Scherpf: „ Entftehungsgefhichte und gegenwärtiger Zuſtand
des neuen Staates Texas ꝛc.“ (Augsburg 1841) find wir nun
recht gut in den Stand gefegt, und mit ber Eintwidelungsges
ſchichte dieſes Theiles von Mittelamerifa und den gegenwärtie
gen Zuftänden dafelbft. befannt zu maden.
Das Schrifthen von Ehrenberg, erfreut durch Anſchaulich⸗
Beit und Lebendigkeit der Schilderungen, durch rafchın, man:
koͤnnte fagen dramatiſchen Kortfchritt der Handlung, und durch
den frifhen Muth, welcher die Handlungen wie die Darſtellung
des Verf. durchweht. Mit ten Berichten über blutige Bor:
gange wechſeln anmuthige landſchaftliche Schilderungen, Be:
fhreibungen der Volkscharaktere und der Sitten, Bilder dei
häuslichen und öffentlihen Lebens der Goloniften, des Lager
lebens der Miligen, mit den ernften und fchredlichen we *
heitere und komiſche Scenen mannichfaltig ab. Der Verf. er⸗
zaͤhlt vornehmlich das Selbſterlebte, aber er bat. auch dafür
gejorgt, den Lefer im Zuſammenhange der Ereigniffe zu erhal
ten und für Das, was er nidt jelbft ſah, mit vielem Ge-
ſchick ſtatt trockenen Berichtd die Mittheilung von Augengeugen
eingeführt, welche als handelnde Perfonen in feiner Darftellung-
auftreten. Eine Schilderung der mericanijchen Verhältniſſe
vor 1935 eröffnet das Gange, damit ed dem Lefer nit an.
Bekanntſchaft mit den gefchichtlichen Vorausfegungen des Mus
tigen Dramas fehle.
In Merico madhte fih die Iiyrannei der fpanifher Beam⸗
ten fo drüdend, daß es zu einer allgemeinen Ummälzung fam.
Rah eifjährigem Räwpfen und Morden erklärte Merico im
3. 1821 feine Unabhängigkeit und zwang den fpanifchen Dice
gpuveineur, biefe anzuerkennen. Sturbide bemädhtigte ih nad
manderlei Schwankungen der Regierung, wurde 1823 als
Kaifer ausgerufen, aber fchon im folgenden Jahre geftürzt und
verbannt. Dean führte 1824 eine fogenannte freie Verfaſſung,
faft ganz nad dem Mufter der in der nordamerikaniſchen Union,
beftebenden Perfaffung in Merico ein. Diefe aufgepfropfte
Berfaffung ſcheint indeſen die genußſüchtigen und unruhigen
Mexicaner nicht zu ruhigen und ehrſamen conſtitutionnellen
Staatsbürgern veredelt zu haben. Die Schilderung, welche
uns Ehrenberg von der Denkungsart und den Sitten der
Mexicaner macht, iſt nicht einladend. Er hat nun wol da
mit Texaneraugen geſehen. Indeſſen einen hefonders noblen
Charakter hat man allerdings nicht gerade Urſache den Me—
ricanern zuzufrauen. Ehrgeizige Soldaten und noch ehrgei⸗
zigere Prieſter mifchten in Merico die Karten und dic Beie
Das Werk ift ſeitbem noch einmal unter bem Titel erſchienen:
Fahrten und Schickſale eined Deutihen in Teras von Dermann
Chrenberg. Leipzig, DO. Wigand. "1845, Er. 8. 29 Ner.
öpoten, welchen fih felbft:
444. r
bis 1839 ging unter Unorbnungen und blutigen Raufereien
bin. In Den nenannten Zahre, während Buſtamente die Ge⸗
walt tyrannify behauptete, trat Santana an die Spige ber
liberalen Partei und proclamirte die MWieberherftellung der
zeinen Berfaffung von 1824. Kaum. aber hatte ſich Santa:
na ber Zügel bemaͤchtigt, fo fing aud er an despotiſch zu
verfahren, ftrebte danach, die Verwaltung der Republik immer
mehr zu centralifiren und die einzelnen Beſtandtheile berfelben,
die fouverainen Staaten der mericanifchen Union, in Provinzen
umzuwandeln. Beſonders drüdend wurden feine
und oft finnlofen Verfügungen den Coleniften von Zeras.
Es iſt bier vorerft nöthig, einige Rechenicaft von dem
damaligen Zuftande dieſes Landes zu geben, wobei —
Scherpf unſer Führer fein fol. Noch während der Herrſcha
fpanifcher Viregouverneure in Merico hatten ſich einzelne Fa:
milien aus den füdlidden Staaten der nordamerifanifchen Union,
befonders aus Luiſiana und Miffiffippi, nach Texas übergeficdelt
und ohne weiteres Land in Befig genommen. Seit dem Jahre
1824 machte Die neue Regierung Mexicos es fih zur Lieblings:
aufgabe, Texas zu colonifiren und erließ zu dem Ende ſehr
liberale und lodende Berfügungen. Sie verfuhr bei der wirt:
lichen Ausführung ihres Planes folgendermaßen. Ste contrahirte
mit fogenannten Impreffarios, welche eine Landſtrecke wählten
und fih anheifhig machten, darauf eine Anzahl von Familien
einzuführen. Iede Familie erhielt ein Grundftüd von 4423
Acres (engl.) und zahlte dafür in drei Friften (nach Ablauf
des vierten, fünften und fechsten Jahres) je JO Dollars, außer
dem die Vermeſſungskoſten und Stempelgebühren, in Allem
150 Dollars. Beräthichaften, Ackerwerkzeuge, Saͤmereien ıc. konn⸗
ten bis zum Werthe von 2000 Piaftern frei eingeführt werden,
und auf zehn Jahre war völlige Abgabenfreiheit bewilligt. Wer
ein Jahr in Texas anfäffig war, follte wahlberechtigt und
wählbar fein. Der Impreifarib feinerfeits erbielt für jedes
Hundert Liguas, dad an Einwanderer vertheilt wurde, je 5
Liguas (von 4423 Acres). Der erfte Impreflario war ber
Mann, welcher der Regierung den ganzen Colonifationsplan
vorgelegt hatte, Moſes Auftin. aus Durham in Connecticut;
er ftarb ſchon 1821 in Folge der großen Strapazen, bie ihm
fein Geſchaͤft verurſachte. Sein Sohn, Obriſt, fpäter General
Stephan %.Auftin, fegte das Werk des Vaters fort und grün:
dete die Colonie am Brazo. Bor der Befreiung Mericos von
fpanifcher Herrfchaft war die eigentlich mexicaniſche Bevölke⸗
rung von Texas nicht über 600 Köpfe ſtark gemwefen und
hatte, in fteter Angft vor den wilden Comanches und andern
Hrairie: Indianern, zufammengedrängt in den Städten San:
Antonio, 2a Bahia (Goliad), Nacogdoches und einigen Mif-
fionsanftalten gelebt. Die Kurt vor den Comanches war fo
groß, Daß die mericanifchen Behörden ihnen Zribut zahlten.
Durch die Einwanderung nahm die Kopfzahl fchnell zu. Aber
fie betrug bis 1830 auf dem ganzen ungefähr 4 — UNO
engl. Auadratmeilen umfaffenden Gebiete von Terad doch nur
hoͤchſtens 16,000 Köpfe. Die meiften der Anfiedler waren Ame:
titaner, einige derfelben Europger von verfchiedenen Nationen.
Außer den verftreuten Eoloniftenfigen entftanden neue Städte,
von denen allmälig Galveſton (Dafenftadt und die größte von
allen) und Auftin (jest Sig der Regierung) die bedeutendften
wurden. Bon dem Entftehen einer Stadt in dieſen Gegenden
gewinnt man durch Ehrenberg's Buch eine Vorftellung. „Wir
hielten uns,” erzählt er, „einige Zage in dem noch neuen
Waſhington auf. Mehre Hundert neue Häuſer fliegen in
dem Walde empor, durch welchen des thätigen Einwanderers
Art freundli mit feinem Echo, ſchallte. Stundlih fielen die
ftolzen Eichen und die majeftätifchen Pecanen und Hickories.
Mancher der edlen Parfimonen hatte durch den zerfchmeltern-
ben Fall feine beinahe reifen, fhön röthlichgelben Früchte weit
umhergeſtreut; gewaltige Haufen Reißholz, krumme Afte und
Stämme brannten in verfchiedenen Richtungen, um ben Boden
zu reinigen, und erfk feit Purzem fandte die Sonne ihre wohl
thätige Wärme auf die feuchte, fruchtbare, ſchwarzbraune Erbe.
ichen
Schon fanden Hier mehre Goffee⸗ haufes; ein 8; einige
Provifionshandlungen, verbunden, wie tie Gefchäfte der Hin⸗
terwäldfer find, mit einem Lager von fertigen Kleidern, Klei-
derftoffen und allen Bebürfnifien, die der Anfiedler nöthig Hat.
Auch fanden wir bereits ein gutes Billard und; wie überall in
Amerita, ein Gourthoufe (Berichtshaus) und daneben die nie
fehlende Gewehrſchmiedewerkſtatt.“ Mit ben entfchloffenen und
Eröftigen Ameritanern wagten es die Indianer balo nicht mehr
fo leicht als mit den feigen und ſchwachen Mexicanern anzubin-
den. Die Anſiedler konnten immer ficherer auf ihren Pflan⸗
ae leben und fühlten fi immer wobler in der neuen
eimat.
Sie hielten feft an der föberaliftifchen Gonititution vom
1324, in welche fie eingefchloffen waren; aber noch vor dem
Eintritt der Gewaltherrſchaft Santana's fanden fie manche
Urfache zur Unzufriedenheit mit der Regierung. Diele unter-
fagte 1827 die Einführung von Sfaven, und 1829 erließ der
Präfident Querero ein Decret, welhes alle Sklaven in der
mericanifchen Union für frei erflärte. Die Eoloniften reclamir⸗
ten gegen dieſes Decret und erlangten aud die Widerrufung
beffelben für den Umfang des Staats Texas. Wan wird fi
über die Abneigung der Goloniften gegen die Sklavenemanci⸗
pation nicht wundern, wenn man bedenkt, daß fie der großen
Mehrzahl nah aus den Süpdftaaten der norbamerifanifchen
Union eingewanbert waren. Zur Entſchuldigung der Coloniften
in diefer Beziehung fagt Scherpf: „Dienſtboten find in Texas
fchwer zu haben, indem es Weiße für eine Art Schande halten,
ın diefem Berhältmifie zu leben..., zumal die Zöhnung von
einigen Monaten (10 — 30 Dollars monatlich) hinreicht, einen
Landbefig zu erwerben, der in wenigen Jahren Wohlſtand
fidert.— .... Mit der fteigenden Bevoͤlkerung wird in Zerab,
wie gewiß auch in den Güdflaaten der nordamerifanifchen
Union, die Sklaverei von felbft und ohne convulfivifche Anftren-
gungen verſchwinden.“
(Die Sortfegung folgt.)
Literarifche Notiz aus Frankreich.
Die Drganifation der Arbeit.
In der Angelegenheit des Communismus und Socialismus
wird ungemein viel hohles Zeug geredet. Wir meinen nicht
blos auf Seiten der marktfchreierifchen Declamatoren, welche
dieſe Lehren ohne weiteres zu den ibrigen gemacht haben, fom-
dern auch von Denen, weldhe von der Höhe der Kritit herab
über alle diefe Verhältnifie den Stab brechen. Um fo dringen»
der wird nun aber daher die Pflicht, auf wirklich bedeutende
Erſcheinungen aufmerkfam zu machen, welche ſich auf dieje wid:
tigen Zagesfragen beziehen. Wir nehmen einen Anftand, da⸗
hin folgende Schrift zu rechnen: „Theorie des contradictions
des &conomistes ou philosophie du travail.” Diefelbe hat
erft vor kurzem bie Preſſe verlaffen. Sie hat den bekannten
Socialphilofophen Proudhon in Lyon zum Berfaffer. Indem
wir ihm die Bezeichnung eines Socialphitofophen beilegen, mei:
nen wir keineswegs, ihn dadurch auf die Seite der Socialiften
im engeren &inne zu ftellen, gegen die er zum heil fogar auf
einfchneidende Weiſe polemifirt, fondern wir wollen dadurch
nur auf feine gewichtigen Arbeiten über die verfchrobenen ge
alien und ſtaatlichen Verhältnifie hindeuten. In die:
em neuen Buche fpringt er mit den Fouricriften, den Com⸗
muniften, den großfprecherifchen Radicalen hart um, ohne des⸗
halb gegen die Rationalöfonomen gewöhnlichen Schlags, welche
immer nur in den gegebenen Verhältniſſen ihr volles Behagen
finden, gelinder zu verfahren. in eigentlides Syſtem baut
Proudhon fih in vorliegendem Werke, welches durchaus nur
fichtenden und Eritifchen Inhalts ift, nicht auf. Er behält fi
die Entwidelung der pofitiven Seite feiner Anfichten für eine
foätere Zeit vor, welche nad feinen bisherigen keiſtungen zu
3 eo
Schließen Epoche machen wird.
Berantwortliger Herauögeder: Heineih Wrodhans. — Drud und Verlag von F. MC. Brochans in Leipjig.
8lar ter
für
literarifche Unterhaltung.
Mittwoch,
ihn erſchienene Schriften.
„Der Menſch iſt nicht um ſeiner ſelbſt willen in
der Welt, er vollendet ſich nur durch die Vollendung
feiner Brüder.” Deltalozzk
Le mehr die Ideen eines großen Mannes, dis er.wäh-
rend feines Lebens nicht nur ausgeſprochen, fondern bie
bei ihm auch zur That wurden, mit ben Ideen, bie eine
fpätere Zeit ausprägt, zufammentreffen, je größer muß
feine Anerfennung werden, je mehr muß feine Bedeu⸗
tung und fein Ruhm fi fleigern. Ein propbetifches
“ Genie diefer Art war Peſtalozzi, und die Schriften,
weiche zu feiner ins vergangenen Monat Januar: ftatt-
gehabten Säcularfeier erfchienen find, haben fi das
Verdienſt erworben, den erhabenen Geift des edlen Wohl⸗
thäterd der Menfchheit von neuem herauf zu befchmören.
Sein. Andenken ift zwar mit unauslöfchlichen Zügen m
die Herzen feiner zahleeichen Schüler und Verehrer ge-
ſchrieben, aber bis jegt war es noch nicht in den Kern
des Volks gedrungen, das unbewußt fchon feit Jange ber
Segnungen theilhaftig ift, Die Peſtalozzi, wie jeder Ger
nius einer innern gebieterifchen Stimme folgend, durch
fein unaufbhaltfames, vor feinen Opfern zurüdichredendes
Wirken ausgegofien hat. Zeigte er Doch der Welt, „daß
nicht nur für die Reichen und Vornehmen das Licht bed
geiftigen Lebens leuchte, fondern daß es auch fin bie
Armen aufgegangen fei”. Diefen Amen nun wied in
einer Beinen Schrift:
einei alozzi, fein Leben mb Wirken einfach und treu
Vie far * —— Belt, herausge ri von dei
aüe herifägen Schulſynode und verfaßt vom Secundarlehrer
är
gezeigt, wer der Mann war, dem es ben blühenden Zu⸗
ſtand des Pflanzſtätten der Gefittung und Veredelung,
dem es die jetzigen Volksſchulen verdankt. Diefes Schrift⸗
chen, im Canton Zürich in mehr als 20,600 Eyemplaren
verbreitet, iſt in den Händen von Jedermann. Mit ber
gleichen Freude lieſt es der Städter wie der Landmann,
mit der gleichen Ruͤhrung erfüllt es das alte Mütter
chen in der Hütte wie das Kind in der Schule. Ihnen
Allen wird Peſtalozzi nahe gebracht, ficht vor ihren als
die perfoniftcirte Liebe, als ein Mufter echter Frommig⸗
feit, als ein Beifpiel der feltenften Ausdauer und Auf:
opferung. Kannte ex doch, was feine Perfon betraf,
beinahe den Begriff des Eigentums nit — unähnlid
ben Gentmuniften, tie nicht nur geben, fondern aud)
nehmen wollen —; brachte ex doch Alles, was er und
feine Frau an zeitlichen Gütern befaßen, dem „Ziele fei-
nes Herzens” dar. Widmete er doch ein Leben von 50
Jahren, feine Tage, feine Nächte, alle feine Kräfte der
Idee, mittels der Erziehung „eben zu feiner Selbft-
traft zu erweden und bas wahrfle Selbftgefühl
zur edelften Anwendung berfelben gelangen zu laffen’‘z -
und fomis aud die Grhebung der armen Volksclaſſe
und die Berbefferung ihrer’ Lage zu erreichen.
Und nice wie unfere neuen Socialiſten wirkte er
blos durch Aufftellung von Theorien und Syſtemen,
fondern Bedankte und Ausführung war bei ihm ein und
daſſelbe. Nicht wie jene Socialiſten ſuchte ex blos die Übel
zu erforfchen an denen das Volk leidet, um feine Wun⸗
den zu enthällen: nein, er goß heilenden Balfam hin-
ein, er legte eine liebende helfende Hand in die bes.
Volks. Manches Auge negt fih, menn es in dem er⸗
waͤhnten Schriftchen fieft — ſchlicht und einfah iſt es
da erzählt — mie Peſtalozzi ein Bettler unter Bettlern
. lebte, um fie zu lehren: wie Menſchen zu leben, wie er
"fein Haus zu eines Zeit, wo er ſelbſt im äußerften Elend
fich befand, zu einer Erzsiehungsanftalt für verlaufene.
heimatloſe Berteltinder machte und bern mehr ald hun⸗
dert zu brauchbaren Menfchen bildete. Wie er fpäter,
immer dem Zuge feines Herzens folgend, die Ideen, die
in ihm glühten, ins praktiſche Leben überzutragen, nad
Stanz im Canton Unterwalben ging, wo er gegen hun⸗
dert gänzlich verwahrloſten, durch den Krieg zu Waifen
gewordenen Kindern Alles in Allem wurde. Bon fei-
nem Wirken in Stanz fihrieb er einft an Geßner:
Mein Eifer, einmal an den großen Traum meine Lebens:
Hand anlegen zu können, hätte mich dahin gebracht, in den
hoͤchſten Wipen, ich miöchte fagen, ohne Feuer und Waſſer an⸗
zufangen, wenn man mid nur einmal hätte anfangen laflen.
.Ein Grundzug in Peſtalozzi's Weſen war eine un⸗
erfehüttesliche Kiebe für ba6 Wahre unb Rechte, das er
unter allem Volk geltend machen wollte. Auch frühe
ſchon zeigte er einen Trieb, in das öffentliche Reben und
Treiben einzugreifen und fi der Armen und Unter
., u 446
brüten anzunehmen. So wirb z. D. in dem Volks⸗
ſchriftchen mitgetheilt, daß er im Verein mit mehren.
"züricher Zünglingen, an deren Spitze Lavater fland, ei-
nen Landvogt, der fi Gewaltthaͤtigkeiten gegen feine
Untesgebenen erlaubt hatte, deffen ariſtokratiſchen Ver⸗
wartdten in der Stadt gegenäber, mit beifpielfofer Un-
erſchrockenheit öffentlich vor Gericht zog und feine Ab-
fegung und Berbannung durchſetzte. |
Als es ihm ſchon in jungen Jahren vollig klar ge-
worden, „wie die Quelle der Armfeligkeit des großen
Haufens deſſen geiftige und fittliche Verwahrloſung fei”,
fam ‚er auf ben Gedanken eines verbefferten Volksunter⸗
rihte und rief die befannten denfwürdigen Worte aus:
„Set hab’ ich's gefunden, ein Schulmeifter will ich
werben!” nachdem er vorher den Verfuch gemacht hatte,
als Pfarrer und fpäter als Rechtsgelehrter für feine Ideen
zu wirken. |
Müffen ibm nun folhe Züge nicht da® Herz bes
VBolks gewinnen, das er in allen feinen Lebensverhält-
niffen in feinem Herzen voll Liebe trug® Dachte er doch,
als er zum erftien Mal im berner Oberland von einem
Berge aus eine weite Landſchaft vor fich fah, „mehr an
das arme, Übel unterrichtete Volk in den Thälern als
an die fhöne Natur”; vergaß er doch, ale er einft in
Baſel eine Audienz bei dem Kaifer von Rufland hatte,
um ihm wegen feiner Anftalt in Iverdon eine Bitt-
ſchrift zu überreichen, warum er vor Alerander fland.
Sein Anblid nämlich erinnerte ihn an bie Millionen
. Keibeigene, über die der Kaifer herrfchte; und nun ent»
widelte er ihm feine Anfichten über Volkserziehung, in-
bem er ihm immer näher rüdte, bis er ihn in die äu-
Ferfte Ecke des Saale gedrängt hatte, wo er erft durch
eine Armbemwegung des Kaifers wieder zu fi) fam und
merkte wo er mar. J
Auf dem Wege, den Peſtalozzi in Stanz eingeſchla⸗
gen hatte, das Kind aus ſich heraus naturgemäß ſich
entwickeln zu laffen, entgegen andern Pädagogen, die
nur in dad Kind Hinein erziehen wollten, ging er in
Burgdorf weiter. Er entriß es dem Schulzwang und
den bis jegt gewöhnlichen Lehrmitteln, der einfeitigen
Zuchſtabenlehre, und Tieß es an der Anfchaunng der
Natur und feiner Umgebung fernen. Auch in Burg-
dorf hatte er fein Erziehungsinftitue mit einer Anzahl
Waiſenkinder eröffnet und verband damit eine Schulfehrer-
Bildungsanftalt, um feine Methode in ben fchmweizerifchen
Dorfſchulen allgemein zu machen. In Iverdon, wo ſei⸗
nem großertigen Ergiehungsinftitut bald reiche und vor⸗
nehme Zöglinge aus allen Weltgegenden zuflrömten, wo
bald der Sammelplag einer Menge von Fremden, Schul-
männern, Belehrten und Fürſten war, behielt boch Pefta-
lozzi immer bie Idee im Auge, durch Errichtung einer
Armenbildungsanftalt, die ihre Zöglinge ausfenden koͤnnte,
um anderwärts ähnliche Anflalten zu gründen — auf
bie Bildung bes eigentlichen Volks zu wirken. Er grün-
dete auch wirklich eine ſolche Anftalt in der Nähe von
Iverdon, die aber bald, bei den fchnellen Zortfchritten
bie ihre Schüler machten, mit der in JIverdon vereinigt
wurde und fo ihre urfprünglihe Beſtimmung verlor.
Später, als Peſtalozzi fhon in hohem Alter fand, be-
Ihäftigte ihn immer noch der Gedanke, ſich mit einigen
Lehrern aus Iverdon auf fein Gut Neuhof im Aargau
zurüdzuziehen, um da eine dem Volke allein zu gute:
kommende Anflalt zu errichten. Doch bie übermütbig
gewordenen Lehrer hielten etwas der Art unter ihrer
Würde. Erſt jegt, 20 Jahre nad) feinem Tode, wirb
Das ind Leben treten, was er vergeblich angeftrebt, ba
es, wenn er es erreicht zu haben glaubte, fih ihm un-
ter ben Händen wider feinen Willen verwandelt. Auf
feinem ihm fo theuer gewefenen Landgute Neuhof im
Aargau wird ſich eine Volksbildungsanftalt in feinem
Geiſte erheben, ein lebendiges Nationaldenfmal, bag
die Schweiz ihrem großen Mitbürger fliften wird und
bem Beiträge aus dem In- umd Nuslande zufließen..
Je reichlicher fie ausfallen, je größer und ſegensvoller
wird die Wirkung dieſer Stiftung im Geifte Pefta-
lo3308 fein.
Kurz vor feinem Tode, der ihm bekanntlich durch
niedrige Schmähfchriften von Seiten feiner Feinde, bie
zum Theil aus Parteiteidenfchaft handelten, fo ſchwer
gemacht wurde, fehrieb noch der zweiundachtzigjährige
Greis mit zitternden Hänben die merkwürdigen Worte
nieder:
— — Und meine Armen! die gedrüdten, verachteten und
verftoßenen Armen! — Arme, man wird auch euch wie mid
verlaflen. Der Reihe in feinem Überfluß gedenkt euer nicht;
es könnt’ eudy hoͤchſtens au nur ein Stud Brot chen, wei⸗
ter nichts — er ift ja felbft arm, und hat nur Geld und —
anders nichts! Euch einzuladen zur geiftigen Mahl⸗
zeit, und euch zu Menſchen zu machen — daran
wird man noch lang, gar lang nicht denken!
Wie recht hatte er! Iſt es doch noch nicht gar Tarige,
feit man anfängt allgemeiner an geſellſchaftliche Refor⸗
men zu denken; feit man fühle, daß die eine Hälfte
bee Menfchheit geiftig und leiblich darbt, weil die an⸗
dere Hälfte nur genießt! Aber wie wenig weit iſt man
noch mit diefem Denken und Fühlen gefommen! ind
doch die meiften focialiftifchen Syſteme entweber durch⸗
aus unpraktiſch oder nur in einzelnen ihrer Theile aus⸗
führbar; oder auch ihre Verwirklichung ift bios in Blei« -
nen ſektenartigen Kreifen auf kürzere Zeit möglich. Ei—
‚nige von ihnen ftellten, wie befannt, mit ber Aufhebung
der Familie den Grundfag ber öffentlichen Erziehung
auf, der das Kind vom zweiten Jahre an anheimfallen
follte. Die Mutter wäre demnach nur die phufifche und
nicht auch die geiflige Mutter des Menfchen. Peſtalozzi
dagegen, „ber von der Bildung des Gemüths ausgeht
und bem Faden der Natur folgt”, ftellt den Grundfag
auf, daf eine Erziehung, die nicht auf das Leben im
Haufe gebaut fei, zu einer fünftlihen Berfhrum-
pfung unſers Gefchlechts führen würde.
Unfere Beituäter und Zeitmütter find faft allgemein aus
dem Bewußtfein, daß fie etwas, daß fie Alles für die Er:
siehung ihrer Kinder thun koͤnnen, herausgefalien. Diefer
große Abfall ber Bäter und Mütter vom Glauben an fi
jelbft ift die vorzüglihfte Quelle der Bodenloflakeit
Erziehungsmittel. figfeit unferer
Pi er
441
Bor Ulen ſetzt Peſtalezzi in Bezichung auf bad
Kind die Mutter in ihre Rechte, deren heiligen Ra⸗
men er fo fchön und poetifh in feinen Schriften feiert.
Er, der Alles auf die Mutter zurüdführte, rief be
geiftert aus:
Rein, die Beredelung des Volks ift Fein Traum, ich will
ihre Kunft in die Hand der Mutter werfen, in die Hand bes
Kindes und in bie Hand der Unfhuß! W
Er will, daß die Mütter fo gebildet werden, daß fie
durch den Elementarunterricht ein Hauptgefchäft der Er-
ziehung felbft beforgen fönnen:
Der erfte Unterricht des Kindes fei nie Sache des Kopfes,
der Bernunft — er fei ewig die Sache der Sinne, die Sache
des Herzens, die Sache der Mutter — er bleibe lange die
Sache des Weibes, che er die Sache des Mannes wird.
Auch wollte er ald Begenftand und Mittel des Un-
terrichts nur das Kind felbft Haben umb ihm Gelegen-
heit geben, durch finnliche Anſchauungen fein geiftigee
Leben felbft zu entwideln und zu geftalten, wobei nur.
Langfam von der Übung der Sinne zur Übung des
Urtheils übergegangen werden follte. Nach Peftaloz-
zi's weiterer Anficht, daß das natürliche Neben dem
künſtlichen des Lefens und Schreibens vorangehen müffe,
follte das Kind in allem Andern, was in feinen Ge⸗
ſichtskreis fällt, früher bewandert fein als es in Büchern
Iefen lernt. Aber die Hauptſache war ihm, in dem
Kinde die Ideen des Wahren, Guten und Schönen zu
entwideln und zu bilden, die eigentliche Menſchenbil⸗
dung ihm fo tief einzuprägen, daß file ihm unter allem
Drang künftiger Berufsarbeit, unter aller Neth eines
tfümmerlihen Geſchicks, eines gedrückten Dafeins
unzerflörbar bleiben und es fähig ˖werde, fein ganzes
Leben hindurch feine Kortbildung felbft betreiben zu
"Lönnen. Unfer Volksſchriftchen ſagt:
Bon Peftalozzi, dem Stern, ber im Ulpenland erſchienen
war, ging nicht nur über die Schweizerauen, nein, auch über
Deutidland, ja über ganz Europa ein Licht aus, das Allen
Hell und Segen gebradt hat.
(Die Yortfegung folgt.)
Die Befreiung von Texas.
(Bortfegung aus Nr. 114.)
Indeſſen bofften die Eoloniften Abftellung aller ihrer wire:
lichen und eingebildeten Beihwerden und aller Urfachen zur
Entrüftung, als fie die Erneuerung der Verfaſſung von 1924
durch Santana erfuhren; Stephan F. Auſtin ging fogleich
nach Merico und bat Namens der Teraner: die Generalregie⸗
zung, Texas ausdrüdlich als eigenen Staat und unabhängigen
Beftandtheil der mexicaniſchen Union anzuerdennen. Uber Auftin
wurde ins Gefaͤngniß geworfen und kehrte erft nach zwei Jah:
sen, im Sommer 1835, nad) Texas zurüd. Inzwiſchen erließ
Santana Verordnungen, denen zufolge Die Xeraner ihre
Waffen mit Ausnahme je eines Gewehre für fünf Plantagen
abliefern folten, Feine Kirchen bauen durften u. dal. m. Iept
riß den Texanern die Gebuld; e8 wurde ein terani a Comite
zur Drganifirtung bes Widerflandes conftituirt, Au oberungen
an die Eolaniften, eine Milig zu bilden, wurden erlaflen, Fuͤh⸗
zer erwählt, und in ben Vereinigten Staaten von Nordamerika
erfchien ein Aufruf, in welchem «6 hieß: „Zeras, das Prairie⸗
land, ift aufgeftanden, um dem Zyrannen Santana und den
bereich und. habſüchtigen Prieſtern Mericos bewaffnet entge-
genzutreten. Die liberalen Bürger der Union werden um Hülfe
gebeten.” Bei einer Bolfkeverſammkung, weilche deswegen im
Kaffeehauſe der „Arcade“ zu Feuers ebalten de, zeich⸗
neten die Anweſenden auf der Stelle 10,00 Dollars und fehon
am Tage darauf, am 12. Det. 1835, brad daß erfte Corps
Freiwilliger, „die Grauen“ wegen ihrer grauen Kittel ge⸗
nannt, mit Büchfen, Piftolen und langen Bowemeſſern beimaff:
net, nach Texas auf. Diefe Unterflügung der Revolution von
Zeras war nur Privatunternehmen Der Bürger von Reuor-
leand; die Regierung der Vereinigten Staaten fonnte natürlich
dazu die Hand nicht bieten, und daher Fam es, daß die Frei⸗
willigen auf der Grenze militairifche Poften, welche auf ihrem
Wege lagen, umgingen. Der erften Compagnie der Grauen
folgte al&bald eine zweite und endlih ging ein nad der meri-
canifchen Stadt Zampico beflimmtes, aus Amerifanern, Briten,
Branzofen, Deutfihen gebildete Corps, die Tampico- Blues,
unter Segel. Diefe Leptern fanden unter dem Befchle eines
emeritirten mericanifchen Generatd Namens Meria, der von
Santana 30, 000 Dollars empfangen hatte, um für Merico
Zruppen zu werben, fie aber aus Haß gegen Santana für die
Sache der Zeraner verwandte. Überall wo die Freiwilligen
durchkamen, wurden fie von den Goloniften mit Jubel aufge:
nommen. In Racogboches wurde ihnen ein glänzendes Feſt⸗
mahl gegeben, wobei unter andern Zcaften auch einer vorkam,
über welden Ehrenberg folgendermaßen Bericht gibt:
„Bob, der mit vier Bouteillen bereintrat, ſtellte diefelben _
auf den Zifch und der Squire Stern (ein geborener Deutfcher,
derfelbe, welcher als Abgeordneter von Texas die Bubfeription
in Reuorleans bewirkt hatte) füllte die Cläfer bis zum Rande,
ergriff das feine und als deutfcher Sproß rief er aus: «Dieſes
perlende Glas dem alten ehrwuͤrdigen Rhein. Mögen feine
Wogen baldigſt nur daB Land einer einzigen, einer großen
freien Ration durchftrömen!» «Der alte deutfche Rhein!» wie-
derholte der aus verfchiedenen Nationen zufammengefegte Chor -
rus, und das fließende Gold des crften Glaſes rolite über.
unfere Gaumen.‘
Die Zeraner gingen damals noch nicht damit um, Texas
unabhängig zu machen, wollten wenigftens eine ſolche Abſicht
nicht offen ausfprechen, denn fie hofften noch, daß der Aufftand
gegen die Regierung Santana’s ſich auch über die mericanifchen
taaten der Conföderation verbreiten würde. Nur die deutfchen
Freiwilligen drangen von Anfang an darauf, daß ihr neues
Wohnland zu einer felbfländigen Republik gemacht werde.
Ihre Foderung fpricht unfer Verf. in folgenden Worten aus:
„Sind wir tenn nad Texas gekommen, um uns von neuem
unter den Abfolutismus zu beugen, nachdem wir kaum daß
Leben eines freien Volkes haben kennen lernen? Hatten bie
Grauen die Prairied betreten, um unter Santana's oder
irgend einer dieſer Kupferfragen-Buchteuthe die Urmälder aus
zurotten? um für ihre Pfaffen das Land zu durchbrechen, oder
große Heerden zu ziehen, damit, wenn die Sippfchaft 'mal Luft
befäme, fie es ebenſo maden würde wie der Erzfeind, der
jegt den Dolch des Despotismus über Merico ſchwingt? Rein
— bedanken uns, Squire — bleiben nicht auf halbem Wege
fteben — geben den whole hog, wie unfere Freunde in ben
Staaten fagen.” Es ging aber in der That nach dem Wunſche
der Freiwilligen. Mericaner fchloffen fi nirgend dem Aufs
ftande der Zeraner an; bie Memicaner find fo gute Katholiken,
daß fie ein Geſetz Haben’ (vom 12. März 1828), demzufolge auf
mericanifhem Gebiete Niemand naturalifirt werden kann, wer
fih nicht dur Laufſchein oder fonft gültiges Zeugniß als
„apoſtoliſch⸗ roͤmiſcher Katholik“ ausweift; fie haften die Ketzer
zu fehr, wie auch die irländifchen Anfiebler thaten, welche bei
der Annäherung des Pegerifchen Heeres fih, als gute Katholis
Een, über den Rio Grande zuruͤckzogen. &o wurde ber Gedanke,
Zeras unabhängig zu erflären, immer allgemeiner. General
Houfton fagte fhon im December 1835 in einer Rede, welde
er an bie verfammelten Zruppen ber Texaner hielt: „Laßt uns
das noch frifhe Blatt von dem abfterbenden Cactus (dad meri-
canifhe Wappen ift ein Cactus mit fo vielen Blättern, ale fi _
/ 440
en, gefochten, mit Truppen, welche ihren Fall ihrer innern
be zuzufchreiben hatten; feiner wollte den andern Ge-
Gay utenie in wem dortigen Bert Ulm zurhäifienk Wis
fie unterwegs in einer lachenden Landſchaft bei Dem Jort Me⸗
fugio lagerfe, traf der alte tapfere General Houſton, Oberbe⸗
fehlshaber der teranifdyen Truppen, Bei ihr ein. &prenderg
ſchidert bei einer ſpaͤkern Getegenheit Houfton’s Kußeres and
ich will diefe Schilderung hier einſchalten: „Ein ungefähr ſechs
Yuß hoher, ftarker Bann, des mit tief ind Geſicht gebrüdtem,
grauen, breitzänderigem, zerknicktem Zilshute durch die Reihen
der Feuer ſchritt. Gelbe Lederhoſen und lange Waſſerſti
Meiteten den untern Aheil der großen Wigus, währen über
die breiten, kraͤftigen Schultern das mit Franſen befepte agb
bembe eines Cherokee hing, und eine lange, ziemlich tief über
die Hüften herabgehende, halb zugefnöpfte Weſte fügte zu ber
großen Figur etwas Erhabenes, welches ihm felbft ferne Feinde
nicht ablengnen Ponnten. Der Kragen und Bufenftreif feines
feinen leinenen Hemdes hingen zerdrüdt zur Wefte heraus,
und der weiße Hals und die Bruft bildeten einen fihneitenden
Eontraft mit den braunen, fon immer. heitern Gefichtözügen.
Aber jept hatte ſich die Stien in gewaltige Falten gelegt und
müsrifh knurrend ging der alte Sam mit auf dem Rüden
getreuzten Armen durch das Lager.“ Houfton zpiderrieth den
An ri auf Matamoras als ein völlig nuglofed und nur bie
Kräfte zerfplitterndes Unternehmen. „Wollen wir dem Feinde
ſchaden“, fagte er, ‚fo laßt uns ihr erwarten und feine durch
Maͤrſche und Mühfeligkeiten erihöpfte Mannfchaft die Wir
tung unferer Büchſen empfinden laſſen; laßt uns ihnen bewei⸗
fen, mas eine Nation vermag, die vereinigt, wenn auch zur
ſchwach an Kräften fi in Maffe emporreißt, und mit Ent-
ſchloſſenheit ausfpricht: wir wollen frei fein.” Die Weiften
folgten dem erfahrenen und von Allen geachteten Führer; nur
70 Mann und unter ihnen die fümmtlichen Actißeriften beſtan⸗
den auf ihrem Gntfchluffe, gegen Matamoras wenigſtens
40 Miles weiter vorzuruden, und dazu nur noch die Ankun
eines Freicorps, welches Obrift Fannin befehligte, abzuwarten.
„Unter den Gompagnien diefes Corps”, fagt der Nerf., „will
ih bier nur das famoſe Seorgia-Bataillon unter Major Ward
erwähnen, alles herculijche, muscutöfe Geftalten ; aber Die Beſten
waren die Med:Roverd, wohlgebildete Bürgersjößne von Ala⸗
bama, ſämmtlich in braune Zagdhemden und : ofen gekleidet
und mit Büchfen und Piftolen bewaffnet. Doctor Shaflefort,
ihr Eapitain, wurde von Allen wie cin Vater verehrt, da er
der einzige bejahrte Mann unter ihnen war; au fein Sohn
und Reffe hatten mit ihm für unfere gerechte Sache die Büchſe
gefchultert.” Auch Obriſt Fannin zeigte fih, fobald er einger
troffen war, entfchieden, nicht nach Metamoras zu marſchiren,
fondern verfchanzte fich diesfeit Des Rio Grande in Goliab.
Die vorausgerücdte Beine Abtheilung war indefien unter Obrift
Grant damit befhäftigt, Pferde, welche in diefer Gegend ſehr wohl⸗
feil zu haben waren, für die ganze teranifcye Armee einzufaufen.
(Der Boſchluß folgt. )
Citerarifche Anzeige.
In meinem Verlage if neu erfthienen:
Seelenheilkunde,
geffigl auf pfychofogifche Srundſatze.
Fanbdbuch für Pſpchologen, —2 Serlſorget und Richter
3. A. Zäger.
weite vor erte Auflage.
3 Gr. 8: ar 3 Thir. ”
Eeipzig, im Aprit 1846.
F. A. Brockhaus. -
Drud und Verlag von F. X. Brockhaus in Leipzig. -
Blätter
s
fir
literarifde Unterbaltung.
Donnerdtag,
Peſtalozzi und einige neue in der Schweiz über
ihn erfchienene Schriften.
(Vortfegung aus Nr. 112.)
Eine hoͤchſt verdienftlihe Schrift von dem Vorſteher
eines nach Peſtalozzi's Methode eingerichteten Inſtituts,
die ben Titel führt: | |
Der Genius von Vater Peſtalozzi. Bon I. B. Banblin,
Aürich, Höher. 1846. Sr. 8. 27%, Nor.
enthält eine umfaflende, treffende Darftellung Peſtaloz⸗
308 in allen feinen Lebensverhältniffen, Beftrebungen
und Leitungen. Cine folche zu entwerfen war wol nur
einem Manne möglich, der wie der. Verf. in vielfachen
Beziehungen zu Peftalozzi geftanden und fi) von beffen
. no lebenden Freunden Beiträge gu feiner Schrift zu
verfehaffen wußte. Schade, daß neben ben fchönen ein-
fahen Worten Peſtalozzi's, den er oft felbft fprechen
läßt, zumellen etwas gefchmadlofe Redensarten des Verf.
fih finden. So führt er 5. B. Klagen über die jegige
Zeit, „wo ber Magen den Scepter führt und das Herz
als Revolutionnair in Feffeln gefchlagen wird, die Ju⸗
gend wie ſchwäbiſche Keftgänfe vollgefüttert, ihr Inter⸗
eſſe für die Speifefammer ſich von Tag zu Tag fleigert
und der Schlüffel zum Bibliothefzimmer ungebraudt
einroftet”‘! Das heißt denn doch ans einem engen Kreife
heraus über Baufh und Bogen urtheilen. Doc bes
vielen Guten wegen, dad Banblin’s Buch enthält, kann
man ihm wol etwas nachfehen. Auch läßt fi daraus
klar genug nachweifen, wie Geltendmachung der Men-
ſchennatur und Hebung der ärmern Volksclaſſe Peſta⸗
103318 Ziel, der „Traum feines Lebens“ war.
Daß „die Liebe eine göttliche Kraft if, wenn fie
wahrhaftig iſt und das Kreuz nicht fcheut”, dies be=
waͤhrte fih an dem feltenen Manne im vollftien Sinne
des Worte. Beine allbelebende warme Menſchenliebe
war bei feiner gemüthlichen und reizbaren Natur Feine
blos weiche Stimmung, nein, fie war gepaart mit Un»
eigennügigfeit und Aufopferungefraft, fie befähigte ihn
zur Selbſtbeherrſchung und Ausdauer, zur Willenskraft
und einem Muthe, ber fi, je mehr Schwierigkeiten zu
überwinden waren, nur deſto unerfchütterlicher bewährte.
„Ich lebte”, fagt er von fih, „auf jedem Punkte, auf
bem ich fand, bis zur hoͤchſten Spannung meiner Ner-
23. April 1846.
Dies wird be
ven in dem Kreife, in dem ich wirkte,”
fonders anſchaulich bei feinen eigenen in bie genannte
Schrift eingereihten tief ergreifenden Schilderungen von
Dem, was er in Stanz, ohne Hülfsmittel, wollte und
erreichte, in jenem WWaifenhaufe, das ein berühmter
Staasemann bie Wiege ber Wiedergeburt des Menfchen-
gefchlechts nannte. „Ich mußte beftimmt nicht was ich
that”, fagte Peſtalozzi von dieſem feinem Wirken in
Stanz, „aber ich mußte, was ich wollte, und das mar
Zod oder Durchfegung meines Imedes.
Deftalozzi glaubte, bie bedeutendfte Wirkung-ber Volks⸗
bildung fei durch eine große Anzahl von Individuen aus.
den ärmflen Kindern .im Lande zu erzielen, wenn biefe
Kinder nicht aus ihrem Kreife gehoben, fonbern vielmehr
duch ihre Erziehung fefter an. denfelben angefnüpft
würden. Wie richtig ift dieſes und wie folgereich koͤnnte
eine folche Volkserziehung werben, wenn fie noch dem
Affociationsgeift zu weden fuchte. Die gegenfeitige Lehr-
methode, deren Erfinder Peſtalozzi gleichzeitig mit Beil
in Oftindien war, ift ſchon eine Aſſociation in Bezie⸗
bung auf die Unterrichtsweife. Die Volksſchulen aber
ſollten fo eingerichtet fein, daß fie als Vorſchulen zweck⸗
mäßiger Affociationen auch auf Anderes fich. erftreckten,
z. B. auf Arbeiten im Fache ber Lanbwirthfchaft, der
verfchiedenen Handwerke u. f. w., bamit ſchon früh bem
Kindern die Nothwendigkeit des Zuſammenwirkens beut-
lich würde, was dann fruchtbringend für ihr ‚ganzes
tünftiges Leben, werben könnte. Peſtalozzi betrachtete
die Arbeit als etwas Heiliges, als das Mittel, das
neben der Liebe, bie es nicht fire zu gering achtet auch
den Geringften geiflig zu fich emporzuheben, Jedem
Die Möglichkeit einer menfchlih würdigen Eriftenz ge
ben ſollte. .
Das Treffendfte, was fchon zu Anfang biefes Jahr-
bundertd von dem damaligen Schulunterrichte gefage
wurde und was heute auf unfern ganzen focialen Zu⸗
ſtand angewendet werden kann, liegt unſtreitig in fol⸗
gendem Gleichniß Peflalogis: - . ' Zn
So weit ich den Schulunterricht kannte, Fam er mir wie
ein’ großes Haus vor, deſſen oberſtes Stodwerf in vollendeter
Kunk ſtrahlt, aber nur von wenigen Menfchen bewohnt iſt;
in dem mittlern wohnen dann ſchon mehre, aber ed mangelt
ihnen an Treppen, auf denen fie auf eine menſchliche
Weife in das obere Hinauffteigen Fönnten, und wenn etwa
man ihnen, wo man es flieht, ziemlich
te Binger und bier und da wol gar einen Arm
oder ein Bein entzwei, das fie bei diefem Hinaufklettern an»
frengten. Im dritten Gto unten wohnt benn endlich eine
Einige Gefüfte zeigen, in üprem Rofpfland gierig hinauf gu
fetten, lägt
allgemein die Bing
(lofe Menſchenheerde, die für Sonnenſchein und gefunde Luft -
ooliends mit den oben Wohnenden Has gleihe Recht ha⸗
Benz aber fie wird nicht nur im efelpaften Dunkel fenfterlofer
Loͤcher fich felbſt überlafien, ſondern man macht ihr durch
Binden und Blendwerke die Augen ſogar zum
Hinaufgucken in dieſes obere Stockwerk untauglid.
Belümmert man ſich ja Überhaupt erſt ſeit kurzem
um die im „unterſten Stockwerk“ Wohnenden! Und doch
zog ſich ſchon vor mehr als 80 Jahren wie ein rother
Yaden
ganze mühfelige, gegm
und Hemmniffe aller Urt ankämpfende Leben eines
Mans die Idee: theils bie Unterrichtämittel des nie
dern Bolkse zu vereinfachen und zu erleichtern, theils
durch eine Tefer begrimdete Bildung für okonomiſchen
Erwerb den Sufland des Fegenannten gemeinen Volkt
grundlich zu verbeffern, des Molke, das cr „durch bie
Folgen feiner. Hintanfegung in feiner naͤchſten Umgebung
vielfetfig ungluͤcklich, unbefriedigt und gefährdet fay”.
Mit glhenden Karben, mit einer hinveifenbden Berebt⸗
famtkeit, einer Unmittelbarkeit ber Darſtellung, durch Die
er ſich um bie deutſche Sprache und Literatur fo ver⸗
dient gemacht hat, ſchildert er die Lage dieſes Beiks, feine
Roth und jene Verſunkenheit und weiſt deren Quellen
nach. Mit derſelben Wahrhtit und in ſcharfen Zügen
tharakterifirt er aber auch den vornehmen Pobel, ber im
em „oberften Stockwerk“ des focialen Bebäubes feine
Wohnung aufgeſchlagen; zeichnet ſein „Woh lkönnen
bes Unnoͤthigen, und fen Rich tkönnen bed Rothwendi⸗
1 durch Züge verdeckte Verdorbenheit, ſeime
itrikeit und Flachheit. Dieſer Pübel ſollte nach ihm
ebenfſo gut aus der Weit verſchwinden wie derjenige, der
in dem unterſten Scockwerk, im ckelhaften Dunkel fen⸗
ſſerloſer Löcher Ach ſelbſt überlaſſen IE”. Zu dieſem
zicht ihn unublaäſſig, wie ſchon öfter im dieſer Stizze
hervorgehoben wurde, auch während er ſich der Grzie⸗
Yasg ber Rreichen und Vornchmen widmete, ſein Der
vo Beimıefahl und Hingebung. Much wolflte er die
iſſen ſcheft pepulzrifiuen, „aitht :um fie als ſolche zum
teicgenden Spielwerke der Bent bebrfenden A zu
mathen, enden die Brot bebiarfende: Armuth durch bie
evſten Fundamente ber Wahrheit und ber Weisheit won
der Gefahr zu beferien, bas unglückliche Epielwerk iheer
ebgenen Unwiſſenheit formel 8 der Schlauheit Andever
zu ſein“.
And wbe famımelte er ˖ die reichen Erfahrungen über
Die Lage ber mmern Btänbet Durch die verungluͤckten
Bexſuche, die er, der mpraktiſche Mann, fihen frich,
necmentlich in Ber Laudwiethſhaft machte, um: auch auf
biefem Wege zur Verwirklichung feiner Ideen zu geban⸗
Bettler
gem, war er zum. geumuben ; und während er
fetbft mit Roth zu Lampfen Harte, eichteten ſich alle feime
Gedanken darauf, ter Noch Anderer abzuhelfen. Hären
wir, was er an Geßner hierüber ſchreibt:
Im Elend ilernit ich Das Mead des Volbe und feine Du»
len immer tiefer und fo kennen wie jie kein Sluͤckticher kennt.
IH litt, was das Bolf litt, und das Bolt ki te ſich mir wie
«8 war und wie ed fi Riemandem zeigte. faß eine Reihe
von Jahren unter ihm wie die Eule unter den Bögeln. Uber
mitten im Hobngelächter der mid wegwerfenden Menfchen,
mitten in ihrem’ lauten Buruf: Du Armfgliger! du bift went»
er als der ſchlechteſte Tagloͤhner im Stande, dir feräft
Deiten und‘ bildet bir in, daß du dem Wolfe helfen —*
mitten in dieſem hohnlachenden Zuruf hoͤrte mein Herz nicht
auf wie ein mächtiger Strom zu wallen, einzig und einzig
nad dem Biele, die Quellen des Elends zu verftopfen, in das
ih das Bott um mich ber verfinfen fab, und von einer @eite
ftärkte fi meine Kraft immer mehr. Mein Unglüd lehrte
mich immer mehr Wahrheit für meinen Zweck Was Nie⸗
mand täufchte, das täuſchte mich immer; aber was
Alle täufßte, das täufchte mich niet mehr.
Wie bezeichnend auch find diefe Iegten Worte für
das Ideale, das in Peftalozzi’s Natur lag, und bei dem
er doch, fo klar einfah, was den Menfchen fehlte! Gr
ruft aus:
Werden fie ewig blind fein, werden fie ewig nicht zu den
erſten Quellen empor fteigen, aus denen die Serrüttung unfers
Geiftes, die Berftörung unferer Unſchuld, des Keims unferer
Kraft und alle ihre Folgen entfpringen, die uns zu einem ums
befriedigten Xeben und Zaufende von und zum Sterben in den
Spitälern und zum Rafen in Ketten und Banden binführen?
(Der Beſchluß folgt.)
Die Befreiung von Texas.
Beſchlus aus ir. 122.)
Smeite fein, fondern TeihRändig agiren wollte, hatte es fi in
den Kopf gefegt, Goliad zu behaupten. Gr wurde ober ge-
yaungen, endlich doch an den Rüdzug zu denken, wurde unter:
wegs angegriffen, ergab ſich Den Mericanern gegen die Bebingung
ehrenvoller Gefangenſchaft und wurde Yon den Treubrüͤchigen
fammt faſt allen feinen Leuten ſchaͤndlich ermordet. Auch das
Corps in der Alamo und dab unter Dbrift Grant fowie das
Corps der Tampioo-Blues, alle diefe kamen bis auf wenige
Mann um. Ehrenberg entrann dem Blutbade des Fannin'fchen
nder.
Flucht ‚bier nus Bolgendeb. „ollte ich mich erzaͤhlt er,
von einem unvermeidlichen Tode retten, ſo mußte ich fort —
bort, um nr ex au een —* einzige Hoffnung Er
na eften e ſchwarze Arm vor mit.
ae fort Baum, Fein Buſch, fen Str
auf meinen Wege, nichts «td cin endloſes, wankendes Alumen⸗
beet um mich ber. Endlich ⸗—rreichte ich den Saum des Wal-
des — aber Leine Spur von MWafler, Alles war ausgetrocknet
und gewiß wfürde ich bier ein Mahl der Wölfe geworben fein,
hätte ich nicht auf dem gewaltigen baumlofen Plateau, das
ausgebreitet ver mir lag, wenn auch /in bedeutender Entfernung,
einen hellen, blauem See wahrgenammen, deſſen anbered Ufer
wit bichter Waldung ‚eingefaßt ſchien und an den ficdh
dene Pflanzerhäufer reihten. Bon neuem Muthe beſeelt ſchritt
ic vorwärts, ungeachtet es mir unerflärlihd war, in dieſem
heile von Texas auf einen See zu ſtoßen, da ein folcher auf
' ſchwankte vorwärts unb zur
leiner Karte n & mer. Ich. vorn
die Hafnung, doe Waſſer zu erreichen, gab meinen Rewen
neue Staͤrke. Wieder brannte die Gonne auf meincn don
d
neuem fieberifchen ‚und mit Moos ummundenen Kopf hernieber.
Die Welten auf der blauen‘ Mäche bebten und ale meine
felmfüchtigen Mitde; die am Ben: Hängenden MBohnungent
teagen mehr und mehr aus ihrem nebeligen Schleier hervor,
und mit jedem nähernden Schritte Pr ih, der Umtiß des
einladenden blauen Spiegeld. Die Gegend nahm jegt ein be:
fonderes Unfehen an, bi der, die den Meerbufen begzenit,
Starkes, dickes Gras, fartige Gewächfe, Palmetos und an»
dere Hededten den radeon Boden, welcher nun eine wogen ·
ähnliche Geſtalt annahiı. Eben wor über eine biefer Wel-
ien Binmeggefäritten, A auf ber ige einer ameiten und
richtete meine Augen ſehnſuchtevol vn eh Bee du. Aber welch
bad Slendwerkl —* —— — Bo war
der See mit feinen Fluten? wo bie
die ich fo Ka] da ke Pr Alles — Alles war zer,
den. ‚Hoffnungen auf einmal vernichtet.
konnte und a } — ben, ih 8 jähte links ——
rechts aber ich entdeckte nichts; ich wandke je meinen Blick
der Gegend, wo ich herfam, befürdtend, im Patorpemus "de
Biebers einen — gemacht zu haben, aber auch ba fah
ih nur die Infeln, an ar en erft Finish, vorüber, erging,
Rocgmols blidte ih nad der Gegend, we die blaue Waf
ferfläche erfchienen war, aber nichts war zu entdedien, bie Graͤ⸗
fer gitterten und wogten, und felbft die Strahlen ber Sonne,
die auf der Prairie landen, bebten. Die Häufer der Anfiedier
waren verfhmwunden, aber duͤſtere Forſte besiteten $& vor mir
aud und mehre mächtige, mit Moos behangene Lebenseichen
fanden vor dem gewaltigen Walde wie die Worpoften vor
einem ‚großen Rager. Wahnfinnig warf ih mich auf die
Yraivie.” Rad langem Umberieren auf den Prairien kam er
an verlaffene Plantagen und werte bald, daß er fih ganz in
der Rähe von der dort lagernden Divifion das mericaniihen
Generals Urrea befand. Da ihm nicht Anderes übrig blieb,
lieferte er ſich diefem General auß, erzählte eine ‚rührende Ges
ſchichte, wie er ein reifender Preuße fei, der auf einer der vers
laffenen Plantagen im pigigen Fieber liegend zurüdgeblieben,
wahrend die Bewohner vetteten u. f. m. „IC me zu
Ihnen", fagte er, „alß ein Menſch in Roth, der nichts als das
Sefüht feiner Rein in Anſpruch nimmt.” Gine lange
Debatte mifpann ip hierauf zwilhen dem General und den
Perfonen, dk bei biefem im Bike waren, nämlich einem ges
wiffen Solinger, Einem Aibeinpesuben, der fih vom Zimmer:
mann zum Sberſten aufgefchwungen und nod einem andern
mericanifchen Offizier. it Bärte wurden bebächtig gedrehet,
Martiny = und meine Perfon mußte ae a de
te Hol
like des Cinen we bed Andern, ai
Eh ie
Be * Ze
Lem wollte den ® —8*
Befehl zur — des
, Sr Keroper- —8 aegen
ſich perſonlich —— Er ſchonie von nun on alle in
Sefangen«
‘einem Wanne zufamı
damation auf eigene in weißer er *
gem zen ums F ai rn Unnefie verhu den R
ie teranifche Armee unter | jattı
der Heinen Stadt —9— —A— le de
Xeranet, die fogenannten ern aus denen fie Behand,
euten von mehr, um das
ee konnte lien daran denken, dem
= trugen verfhiedene —— und die fe
von rothem un gefen
ve Schönheiten des el — Jeden, Bing an dem =
nen, —& ‚bten Hirſchfelltiemen der fid unter der Laſt ber.
an bie Eräftigen Zormen anlegte. at einer bite
zen Zabad von
teen Be ne reichte der Befchriebene den fan
Hand zu ‚Hand weiter, aber nicht Einer — Eh ſich deſſelben,
melde als ein Beiden von 9 ingewäbniber Aufregung
gelten mußte. Der alte Gmnerät Redte Laback, nachdem er
die Runde gemacht hatte, in die zul unb ft, fe —*
die — fort, und Lo fo kalt, fo geiaflen, ae
pflegt, den man zum —
Male im Leben Kr * aa ber Kampfluſt der Texaner
gelang es dem alten Sam, fie abermals gm Rüdzuge zu bes
3% und die Armee —2 nach aldungen des
dieſer Zeit erreichte Urrea wit feiner Diyiſion
die an und pafficte diefen Aluß mit vieler re
Reit, denn die ‚abziehenden Coloniſten ‚hatten alle Übergange»
mittel zerſtoͤri aber entfernt. Andere mericanifige Abtheilungen
waren ſchon an andern 1 Bunten Über denfslben Fluß gegan-
Er Mrrea ging nad MI. F jorba, ließ dort unter enger 6
weten eine —* von 400 Dann zuruͤck und rüdte gegen
DR * en fd 90
Dperationspläne aus aufgefai
Borrüden des geindes ein Biel
er ihm entgegen, überraßpte i
KA sine are Sl di⸗
Den Rüdzug hatte
dm a ve Brüde, weiche über
führte, bexeits, ehe mitten.
Yande. Urrea's Divifion ve
Prairie, hart bedrängt von den
48%
Dicht auf den Ferfen war ihe ſtets bie teyaniſche Armee, melde j
weil Houfton verwundet war, ein Advocat aus Racogbo-
—— Fa Su commanbirte. Als die Rachricht von der
Kiederlage der mericanifhen Urmee nad Matagorda tom, lie
Holzinger fein bewegliches Gut auf ein Boot bringen, das er
anderm Smwede I it hatte bauen laſſen, und begab fi
dann ſeibſt, mit act Mericanern und feche a
Texanern, unter denen auch Ghrenberg war, au das ge:
brechliche Fahrzeug, um nad Ratamoras zu flüchten.
„Freude, Wreude!” ruft unfer Verf. nach überftandener Ge
fangenfaft und Mühfel aus, „die Prairie iſt unſer, bie
junge Republik hat gefiegt, der neue Stern fleigt freiheitftap:
Iend am weftlichen Horizonte empor und ber herrliche Dark,
das Eldorado, unfer Texas, unfer neued, ewig theures Bater⸗
Iand, ift endlich den arbeitliebenden Bewohnern des Rordens
- der neuen und alten Welt eröffnet. — Die willfommenen Aus⸗
wanderer werden hereinftrömen und der wilde Blumengarten,
die bunte Savanna, wird in kurzem vor dem von ihrem ſtar⸗
gen Arme geleiteten Pfluge verfhwinden. Aber große Felder
der fchneeigen Baumwolle, des faftigen Zuckerrohrs, des edel ⸗
fen Tabacks werden in kurzer Zeit das Auge ebenfo angenehm
ezaubern. — Die Drange, die Limone, bie Hfirfihe, Die Pa:
paw, die herrliche Magnolia, alles Schöne, was der Süden
probneirt, wird das Aſyl des Landmannes fhmüden, und, ein
König in feinem Haufe, auf feinem eigenen Boden, würde er
nicht mit den Herrfhern Europas tauſchen.“
“Mit unglaublicher Schnelligkeit nahm nunmehr die Bevoͤl⸗
Eerung zu. Im Jahre 1834, alfo kurz vor dem Ausbruch des
Aufftandes, beftand jie, nad den Angaben Scherpfs, aus unge⸗
ahr 40,000 Köpfen, im Sahre des Sieges 1836 ſchon aus etwa
‚000; im Sabre 1839 wuchs fie au 125,000 und im Zahre
- 1840 auf 150,000 Seelen. Ja, Kennedy in feiner Stchrift
uber Texas (1841) fagt, man ſchaͤtze bereits Die Volkszahl auf
HV,0UO Menfchen und es ſcheine, daß fie binnen etwa fieben
Jahren auf 1 Million wachen wolle.
Ehrenberg ſchloß fein Buch mit den Worten: „Die
Söhne Uncle Sam's haben der Welt bewiefen, daß fie com-
mon sense befiten und dieſes auch zu vertbeidigen willen,
daß, um die Freiheit zu erringen, alles &onderinterefie tief
in den Hintergrund treten muß; daß für diefes hoͤchſte Ge
ſchenk des Weltgeiftes Gut und Blut in die Schanze geſchla⸗
gen werden muß; mit einem Worte, daß dad Volk Patriotib:
mus befigen muß, jedoch einen reellen, keinen verdampfenden.
Tief, Rn muß er im Herzen ruhen, und klar und wahr muß
er fich über die Bebrechen des Baterlanded audfprechen. —
Richt jener Scholle, auf der wir zum erfien Male die Sonne
erblictten, kommt der Begriff Vaterland zu, wenn wir auf ihr
wie das Schrot auf der Polirmaſchine willkuͤrlich herumge⸗
trieben werden; nein, nur von dem Lande, wo ich felbft ein
Bahn der Räder bin, fann ich fagen, das ift mein Baterland.
Für diefes das Leben! Für ein ſolches Vaterland legt der tiefe,
innige Patriotismus die Lanze ein; wenn Finfterlinge, herz⸗
und feefenlofe Ereaturen das Bolt um fein Bewußtfein zu be:
trügen und bie alte goldene Beit mit ihrer Gleißnerei und
Räuberei wieder in Flor zu bringen fuchen, dann verharrt die⸗
ſes göttliche Gefühl nicht bei bloden, blanden Worten und ver:
geblihen Proteſtationen, fondern es fchreitet vorwarte zur ge:
waltigen That.“
„Der Landmann wie der Kaufmann, der Gewerbtreibende
wie der Fabrikant, der Soldat wie der Beamte, des Wolkes
Diener, alle, alle find Bürger des Staats, Jeder ift cin Theil
der mächtigen Mafchine; Zeder muß des Landes Laften tragen
helfen und Ieder x und muß deshalb gleiche Mechte vor dem
Sefege Haben: Keine Monopole, Peine Bevorzugung, feine
Koften, Peine nichtsfagenden Formen, Peine Willkür in Dem
was das Ganze angeht, und Leine Feſſeln für die Preſſe!
Seine für, die bfigende Idee!! Keine für die wahrheitredende
unge!!! '
—
„Bas find die Yrincipien der Zeranians; für biefe, ja für
diefe fegen wir freudig daß Leben ein, und nochmals rufe ich:
- Liberty! Law! and Texas for ever!”
®, Qutius.
Literarifihe Notizen aus Frankreich.
Deutſche Buftände.
Die induftriellen und commerciellen Verhaͤltniſſe Deutfch-
lands finden von Seiten des Auslandes eine Immer wachſende
Theilnahme. Die großen Nagesblätter Englands und Frank:
reichs geftatten der Befprechung deutfcher Angelegenheiten einen
immer größern Raum, und währen man frü
überbi 8
nur unfere Befähigung zu wiffenfchaftlichen —
gelten ließ, faͤngt man
maͤlig an, unſerer Gewerkthaͤtigkeit,
unſerm Erfindungsgeiſte und ſelbſt unſerm Geſchmacke eine ge⸗
wiſſe anertennung zu zollen. Bu den verſchiedenen Schriften,
welche in diefem Sinne während der legten Zeit herausgekom⸗
men find, rechnen wir einen Bericht von Lechatelier über das
beutfche Eiſenbahnweſen und eine treffliche Abhandlung von
Richelot über den Deutfchen Zollverein. Das erftere Werk führt
den Zitel „Chemins de fer de Allemagne: description sta-
tistique, syst&me d’ex&cution, trace, voie de fer etc.”, daß
legtere ift „L’association douaniere allemande“ betitelt. Bes
chatelier ift alb Mann vom Fach befannt und die Neife, deren
Nefultate er bier mittheilt, ift auf Veranftaltung der Regie
rung unternommen worden. ®ein Bericht ift zwar nicht gan
frei von nationalen Entftelungen, wie fie bei franzöfifchen Mit:
theilungen nur gar zu leicht einfließen; aber im Allgemeinen
erkennt man doch, daß der Berfafler es ſich redlich hat ange:
legen fein laſſen, unfere Verhättniffe möglichft objectiv aufzu:
faffen. Ungleich gediegener ift freilich die Arbeit von Richelot,
die wirMich in jeder Beziehung beachtenswerth if. Der Berf.
bat ſich bereits durch einige andere literarifche Leiftungen auch
als Kenner unferer Literatur ausgerwiefen. Seine Bearbeitung
von Goethes „Wahrheit und Dichtung‘ fpricht nicht nur da=
für, daß er in unfere Sprache eingeweiht ift, fondern die bei⸗
gegebene Einleitung liefert auch den Beweis feiner gründlichen
Studien, welche er in Bezug auf die deutfche Literatur unter⸗
nommen bat. Die gegenwärtige Urbeit aber kann nur zur Er⸗
weiterung feines literarifchen Rufb beitragen, und fie bat in
der That auch felbft ſchon in Deutfchland von Seiten ſachkun⸗
diger Männer Beachtung und Empfehlung gefunden.
Lacretelle's Befhichte des Kaiſerreichs.
‚Das vielbefprochene Thiers'ſche Geſchichtswerk, defien Er:
ſcheinung in Frankreich ſowie in Deutfchland mit Poſaunenklan
begrüßt wurde, bat wahrfcheinlih durch das bedeutende —*
ſehen, welches es wenigſtens im Anfange machte, manchen Hi⸗
ſtoriker und Tagesſchriftſteller zu einer Concurrenz angeregt.
So erklaͤren wir uns das plögliche Erſcheinen einer ganzen
Menge von Geſchichtswerken, welche fi über den Zeitabichnitt
erſtrecken, den auch Thiers behandelt. Unter biefen hiſtoriſchen
—— — weiche wie die Pilze aufſchießen, zeichnet fich
dur Gewiſſenhaftigkeit der Vorarbeiten ſowie durch fleißige
und forgfältige Ausführung die neuefte Schrift von Racretelle
aus. Sie führt den Zitel „Histoire du consulat et de T’em-
pire” und es find von ihr bis jent zwei Bände erfhienen. Un
Leichtigkeit und Anmuth, an Gefaligkeit der Gruppirung und
dur Farbenpracht in der Ausmalung glänzender Epiſoden
mag Thiers alle feine Mitbewerber um die hiſtoriſche Palme
übertreffen; aber an wirklicher Bediegenbeit Bann er fi mit
Lacretelle, der fi in manden andern Werfen ſchon als um:
ſichtiger, fleißiger Jogtee gezeigt hat, nicht meſſen. Wie ein
flüchtiger Blick auf den Inhalt der erſten bereits erſchienenen
Bände zeigt, findet man diefelben Eigenſchaften auch in feinem
neueften Werde wieder. 47.
Berantwortliger Herausgeber: Heinrich Brodyans. — Drul und Verlag von F. E. Brodpans in Leipzig.
Blatter
für
literariſche Unterhaltung.
Breitas, —
Peſtalozzi und einige neue in der Schweiz über
ihn erfihienene Scheiften.
¶ Beſchla aus Nr. 112.)
An der Schrift von Bandlin wird erzaͤhlt wie Peſta⸗
lozzi, um den —— in allen feinen Theilen
kennen zu leinen, fi oft in bie Aeinkſtuben geſchlichen;
wie or ſich Da hinter den Den oder einen Bothang ver⸗
ſteckte, um unbemerkt bie eſpraͤche der Bauern mn Der
laafchenz wie er fogar einmal in einer Schenke in ein
Kaſten gtkoochen, dee als Bettſtele diente und mit dnem
Dede verfehen war, den er, um nicht bemerkt zu imer-
Pr halb Thief, und wie dann einer der eintretenden
fte ſich auf diefen Deckel gefegt und ben armen Defle-
De —2 erſtickt Hätte, u. dgl. mehr.
Auf diefe Art mag denn der fo wenig prakktiſche
und Traumeriihe Marm Das erhaſcht haben, was er,
ber mit dem Deren dachte, dichteriſch gefaltete und in
feinem unſterblichen Vokksbuch „Rienhard und Gertrud“,
dem „heiiften hl feines Seiftes “, niedergelegt hat.
Das tief innerſte Weſen, daB ganze Beben und Zreiben,
die Tugenden und die Fehler, die Bebürfniffe und die
R nen, das end mid bie Verfuntenheit, aber au
tidjkett der Crhebung des Volks Hat er im J.
1780 mit vinem Big feines der Zeit weit vorangeellten
Genles in biefem Bude beleuchtet. Nur eine Stelle
daraus wis Nachweis drs „rothen Fadenb“, der durch
Peſtawzzis games Weſen grht.
Bei dllen Volksefeſten des Alterthums wurde der Arme mit
Gyelfe und Srank erquickt; und am Feſte des neuen Bundes
win der Hert Brot u gab den Seinigen gu eſſen,
Fi Be vgen der Amnen
S.ir ber Yatbehven bie .er auf, Erden ge
at; Tonsie euerbaupt Aufhebung alle Bedruͤckenden an
Fa — der ‘Stände "der Menſchen und Cmporhsbmg
2* vad Amen wm fanden 222 Riten F
ler Segamoen ım tees venehnung fl.
Die beiden * Bit von „Beenkurb ur ‚(deu
ab’, im denen bie Kiegamifation ber Bchule, ber Kivthe
aub de Scaats Ybilblic, entioonfen HE, Mind Seider jegt
felten ‚gewenben. Dagegen wurden ie Yheiben erſten
Bände im 3. 1844 men unfgeiege, sin seiner ſchẽenen :unb
wohlfsiien Prachtauchabe bei Meger und Keller in Zü-
sehangen Bidekte's gm Peficlong erfahre
ne dem Legtern inmal bie Bemerbung machte, bie
Defen tief ſchenerzte, Lienhard und GBertiub ſei kein
Bub für das Bolt, ſondern fur Diejenigen, welche
bas WIE wollten tennen lernen. Du ng fi
wegen eines —— — eine dest. ber
Erſtere aneinander, wie cin ſolches Biatt heichaffen
fon wife, um bei dem Wolle Gindrack zu machenß ne
1 B. gewiffe merftäntdiche Schlagworte Pipdihwärnser
w dgl. fich fänken, hehe Mr dad Volk au andccu⸗
Neheverfiäntlichen ziuen Blei, ar Bazichung hiercaf
te: %
r Eatbeliipe Bauer er:
ſchen Sprache bei feinem het ft ‚08 ans
ben Rei des Geheimnißngllen sinbüßen. —8
ihm die allein eirbige auf den ken bt es Yrieſters
—— Er iſt damit gleichfam dem Dhr der Heiligen
er
Solche m früherer Felt richtig gaewsfere Aus⸗
fprüche zeigen deutlich, daß es jetzt mit allen ‚Gegen
uosroäene acht. "SHE ja gerade die Verbannung der la⸗
toiniſchen Sprache ein weſentlicher Punkt in dem neu⸗
—* Ritus. Bei fortſchreitender ——
verliest ſich der Reiz des Geheimnißvallen; der Men!
tritt mehr r Die Kinderſchuhe aus; or will Alar
fehen und deutlich hören,
Interefſeut tt, dßz Fellenberg als Bängling Surch
bie Kecture non „„Rienhaxb md Meurubt fo ‚gerüher
mude, daß ar in Gegenwart ‚feier Mutter u **
eat, 1 fish ainft An Mlemen :und mer ann
wm. Gr hat as — menn aouh an 25
wie Peſtalau. findet ih rin zder ——*
Shut sine Barack "nen han vꝙealtiſchen, ſcharf
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gen den Kern- der Menſchen geworben und
‚ıc geborene Liebe”, bis zum legten Athemzuge
. der Armen und Berlaffenen geblieben fei.
Zichtigkeit find drei bisher ungedruckte Briefe
.3, bie: Kortüm feinem Schriftchen. beifügte, an
‘r Freunde, Kirchenrath Kleinfchmidt in Hei-
Sie find in dem eindringlichen Stile ge⸗
der nur Solchen eigen ift, bie Das wieder-
vas ihnen unmittelbar aus dem Herzen kommt.
i fpricht darin (1905) unter Anderm die Ge—
ing aus, „dahin gekommen zu fein, Kopf und
un hundert deln Menſchen für eine folide Be⸗
ıng des Erziehungsmeiens in Bewegung zu ſetzen,
‘ce werden meinem Ziele auf eine Weife und mit
siraft entgegenftreben, die ich nie zu erleben, noch
„eniger zu erwarten hatte hoffen dürfen”. Auch
er feinen Freund‘, ihm Nachricht zu geben, „be-
.s was unfer Stedenpferd angeht, ob es feinen
bei Ihnen gut trage, ob es auf guten Füßen
ob es keine Bodsfprunge mache, und beſonders
wie wir hoffen wie ein englifcher Läufer nach dem
jage“.
Eine Rechtfertigung Peſtalozzi's gegen die Verdaͤch—
ng, als widerſtreite ſeine Erziehungsmethode den Ge⸗
en der Religion, enthält folgende Worte, die man
aus in alle Welt rufen möchte:
Jeſus Chriſtus, die Weisheit deiner Lehre iſt vom ber
“ut des Laſters umgejchmolzen und von den Schmiedeknechten
“er Kinfterniß auf dem Ambos der Gewalt zu gefrümm-
ren Ketteneingen gemacht worden, um durd ihre Bande alten
Jögendienft der Welt gegen deine Wahrheit, gegen dein
icht und gegen dein Necht ewig zu erhalten.
Mögen es Die hören, die da behaupten, weil aus
dem Chriſtenthum „Kettenringe” gefehmiedet wurben, fei
das Chriſtenthum jelbft ein Kettenring! Mögen es
uch Die bören, die jetzt in der gewichtvollen Arbeit
begriffen find, die Wahrheit, das Licht und das Recht
des Chriſtenthums den Händen der Finſterniß und ber
Gewalt zu entreißen! on
Lavater's Gruß an Peſtalozzi, auf feinem legten
Krankenbette abgefaßt, ſchließt, ale Facſimile Peſtalozzi's,
das beachtenswerthe Schriftchen Kortüm's:
Einziger, oft miskannter, doch hoch bewundert von Vielen,
Schneller Berfucher Deflen, was vor dir Niemand verfuchte,
Schenke Selingen dir Gott und Erön’ dein Alter mit. Ruhe!
Früher ſchon -fagte Lavater von Peſtalozzi:
Einen Mann, in bem der Geift des Erlöfers ſich fo dur
und durch in Gefinnung, Wort und That verberrlicht und fi
in folder Glorie darftellt, Hab’ ich noch Beinen getroffen. Ei
nen beſſern Zünger hatte Ehriftus felbft zu feinen Lebzeiten nicht.
Auffallend ift ed, dag in den genannten und auch
in modernen Schriften "über Peſtalozzi feiner Lebens⸗
gefährtin mur in allgemeinen Ausdrüden gedacht if:
daß fie von ganzer Seele Theil genommen hätte an fei-
nen Beftrebungen, daß fie ihm Alles geopfert und er fie
die Krone feines Lebens genannt habe. Und doch wif-
fen. wir aus guter Duelle, dag fie, namentlich in
Burgdorf, nicht hlos ordnend den häuslichen Gefchäften
vorftand, fondern auch felbft Hand gnlegte an das Werf
ihres Mannes, thaͤtig eingeiff in. alle Theile des ſich
täglich mehr. erweiternden Unternehmens. Auch früher,
auf dem Neuhof; nahm ſie zu ihrem einzigen Söhnchen
die große Schar der heimatlofen Bettelfinder auf und
ward für fie eine hülfreiche forgende Mutter. Bon ihe
ver Perfönlichkeit erfahren. wir nur aus dem Buche
Bandlin's, daß fie, zu ihrer Zeit die fchöne und wegen
ihrer Belefenheit gelehrt genannte Anna Schultheß, auf
die Frage, warum fie einen fo häßlichen Dann heira-
the, geantwortet habe, weil er eine deſto fihönere Seele
befige. Sie war eine von den Frauen, die Peſtalozzi
mit der Sonne Gottes vergleicht, die vom Morgen bie
am Abend ihre Bahn geht.
Dein Auge bemerkt keinen ihrer Schritte und dein Ohr
böret ihren Lauf nicht; aber bei ihrem Untergange weißt du,
daß fie wieder auferftehen und fortwirken werde, die Erbe zu
wärmen, bis ihre Früchte reif find. - -
In Dem was Fichte in feinen „Reden an die deut:
fhe Nation” über Peſtalozzi gefagt hat, Tiegt eine wei⸗
tere Beſtaͤtigung Deffen, was in diefem Auffage befon-
ders hervorgehoben wurde, und fo ift wol hier der Drt,
es wieder in ‚Erinnerung zu bringen: .
Er wollte blo6 dem Volke helfen; aber feine Erfindung
(Erziehungsmethode) in ihrer ganzen Ausdehnung genpmmen,
hebt allen Unterfchied zwifchen diefem und einem gebifdeten
Stande aufz gibt ſtatt der gefuchten Volkserziehung Na—
tionalerziehung, und hätte wol das Vermögen, den Völ⸗
fern und dem ganzen Menſchengeſchlechte aus der Ziefe
feines dermaligen Elendes empor zu helfen.
Und welter:
Peftalozzi wurde aufrecht gehalten und getrieben durch ei-
nen unverfiegbaren, allmächtigen und deutſchen Zrieb: die
Liebe zum armen verwahrloften Volke. Diefe allmärhtige
Liebe hatte ihn, ebenfo wie Luther, nur in einer andern und
jeiner Zeit angemeflenern Beziehung, zu ihrem Werkzeuge ge
macht, und war das Leben georden in feinem Leben, fie war
der ihm felbft unbekannte, ftete und unmanbelbare Leitfiern
dieſes feined Lebens, der es hindurchführte durch alle ihn. um-
gebende Nacht. i
Und wie dunkel war diefe Nacht! Sie beftand nicht
nur aus den Vorurtheilen, in die feine Zeit tief ver⸗
firidt war, nicht nur aus den Schmähungen feiner
Feinde, der Derkennung feiner Zeitgenoffen — fie be-
fiand auh aus feiner eigenen Unbeholfenheit, aus der
fparlichen Ausftattung mit den gewöhnlichen Hülfsmit-
tein der Erziehung. Konnte er boch lange feine Zeile
ohne Fehler ſchreiben. Sie beftand aus einer brüden- .
den Armuth — mir erinnern hier nur an einen feiner
Briefe an Zſchokke, worin er fagt, daß ihm gegen 30
Jahre die Nothdurft des Lebens gemangelt —, einer
oͤkonomiſchen Verwirrung, die ſelbſt die glängendften
pecuniairen Verhaͤltniſſe nicht zu beſeitigen vermochten.
Aus den angeführten Schriften ſowie aus Peſtalozzi's
mit ſeltener Offenheit und Beſcheidenheit abgefaßten
Selbſtbekenntniſſen lernen wir ſeine Schwächen und
Fehler kennen. Jemand, der wie er nur für die
Menſchheit lebte, mußte die Sorge für ſich ſelbſt, mit
der freilich auch die für ſeine Familie zuſammenhing,
vergeſſen. Wer energiſch wie er mit einer eiſernen Be⸗
harrlichkeit die Ausführung ſeiner großen Entwürfe ver⸗
folgte, bei dem konnte dieſe Beharrlichkeit in minder
-
454
verftändigen unb berechnenden Fellenberg und dem poe-
tifhen, gemüthvollen und enthuſiaſtiſchen Peſtalozzi, ſo⸗
wie eine Reihe von Briefen bes Leptern an den Erſtern
aus ben neunziger Jahren über die damaligen politifchen
Verhältniffe der Schweig zu Frankreich und über Pefta- |
lozzis Beſtrebungen, "feinem Baterlande zu nügen. Er,
der die franzöfifche Revolution von ihrem erften Ur-
fprunge für eine einfache Folge der verwahrloften
Menſchennatur' anfah, fehrieb damals poetifh und
treffend an Fellenderg:
‚Unfer Beitalter ift ein heißer Sommertag, an bem die
Früchte der Erde unter Donner und Hagel zur Reife ge-
beiben. Das Gange: geminnt, aber Theile werben fchredlich
zerfchlagen. |
Als entfchiebener Demokrat, ald Freund. der Unter-
drückten, als „Politiker des Volks”, machte Peſtalozzi fich
durch feine unverhehlt freifinnigen Grundfäge bei der Ariſto⸗
kratie verhaßt, die ihm bei der Berwirklihung feiner
Ideen hemmend entgegentrat zu einer Zeit, mo fie noch
feft an allen ihren Anfprüchen hing, die fie erſt in Kolge
der franzöfifhen evolution nothgebrungen aufgeben
mußte. Auch durch eine von ihm 1802 herausgegebene
Schrift über die „Gefepgebung Helvetiens” machte er
fi) feine Freunde unter den Ariſtokraten.
Banblin theilt eine Reihe hoͤchſt charakteriſtiſcher
und zum Theil noch nicht bekannter Anekdoten ans dem
Leben Peſtalozzi's mit, fowie einzelne feiner Eigenthüm-
lichkeiten und Züge aus feinen legten Lebenstagen. Jene
Anekdoten finden ſich größtentheils nacherzählt In einem
Auffag , Erinnerungen an Peſtalozzi“ in Nr. 49 ber
„Allgemeinen Zeitung”. Der Berf. diefes Auffages
hat Ach die undankbare und vergebliche Mühe gegeben,
die Peſtalozzi⸗Feier in der Schweiz als etwas Ge⸗
machtes bdarzuftellen, dem ed an Begelfterung gefehlt
haben foll; und zugleich das Volksſchulweſen im Can⸗
ton Züurich zu. verbächtigen und ‚Herabzumindigen, wofür
er in einem Artitel der „Neuen Zürcher Zeitung” als
„kein Freund Peſtalozzi's und der Volksſchulen“ ver-
dientermaßen abgefertigt wurde.
In einer Nede, die der einundachtzigjaͤhrige Greis
als Präfident der Helvetiſchen Geſellſchaft hielt und die
zum Gegenfland eine PVergleihung feiner frühern mit
der damaligen Zeit (1826) hatte, kommt die merfwür-
dige Stelle vor: .
Die große Maffe unferer Armen Tann durchaus nicht befi
fer werden als fie wirklich ift, und fich auch nicht höher heben
als fie wirklich ſteht, wenn nicht alle Stände unferd Landes
fih gemeinfam beftreben, in Ruͤckſicht auf die Fundamente des
öffentlichen Wohlſtandes ſich auch zu höhern und cdlern Grund⸗
fügen zu erheben als diejenigen find, zu denen uns unfere
Zeitfelbffucht hingeriffen. |
So hat Peſtalozzi in feinen legten Lebensjahren, ob-
wol felbft von Gram gebeugt, beftändig der Armen
gedacht; und fein Mitgefühl tft fo weit gegangen, daf
er, wie Banblin erzählt, für die durch fchlechte und Talte
Wohnungen Leidenden ihm pafjend fcheinende Steine
auf den Feldern zuſammen fuchte, um ihnen zu zeigen
wie fie‘ fich felbft beſſere Wohnungen und Ofen barin
errichten koönnten.
Bei der Section Peſtalozzi's ſou von feinen innern
Organen allein daB ungewöhnlich große Herz gefund ge-
weien fein; das Herz, das, fo lange es fchlug, für An⸗
bere gefchlagen Hatte; in dem ber Bötterfunke der Kiebe
geglüht und nicht verloſch, ſelbſt als: feine Feinde. ihm
fein Lebensende werbitterten und verdunkelten. Als er
den Todeskelch tranf,.den fie ihm durch ihre Berun-
glimpfungen und Schmähungen bereitet hatten, verzich
er ihnen noch auf feinem Gterbebette in den rührend⸗
ſten Ausbrüden. |
Die legten Lebensjahre Peſtalozzi's, in denen er ver-
zweifelnd glaubte, umfonft gelebt zu haben, haben et-
v008 wehmäthig Gchmerzliches, Herperreifenbee. Dafür
findet fih nur in dem Gedanken Verfühnung, daß bas
von Gott zum Genius geftempelte Werkzeug gelitten,
das Gefäß, in welches er das Feuer feines Geiftes ge-
goffen, das aber oft Den verzehrt, in dem es auf-
flanımt, während e8 kommende Gefchlechter erwärmt und
ihnen keuchtet. |
Wenn auch die Schrift:
Rückblick auf J. H. Peſtalozzi nebft etlichen ungebruditen Blat⸗
tern deſſelben, von Fr. Kortüm. Heidelberg, J. €. B.
Mohr. 1846. Gr. 8. 15 Nor.
in Heidelberg und nicht in ber Schweiz exfchienen iſt,
fo veiht fie ſich doch ergänzend. des eben befprocenen
an. Sie Hat fi) die Aufgabe geftellt, Das darzufiellen,
was Peſtalozzi „als Erzieher und Lehrer, als Bürger
und Menſch entwidelte und ausprägte”. Wenn an fo
manchen Schriften ihre Lange zu tadeln ift, fo ift an
der Brofehüre von Kortüm ihre Kürze ein Fehler. Der
Stoff ift allzu reich, den das Leben Peſtalozzi's in den
angegebenen Beziehungen darbietet, als daß er fich gut
auf wenige Blätter zufamntendrängen liege. Da, wo
Kortüm der lebhaften Zheilnahme Peſtalozzi's an der
Politik gedenkt, fhildert er ihn als entfchiebenen An-
bänger ber helvetifchen Revolution, der fich durch keine
Sucht und Miskennung, dadurch daß Diele ihn einen
Narren oder Revolutionnair fehalten, abhalten ließ, feine
Überzeugungen mit allem Sreimuth zu äußern; für eine
Natur wie die Peſtalozzi's fei ed damals unmöglich ge
weien, neutral zu bleiben. Weiter ſagt Kortüm von
ihm, daß auch fpäter, als er fich von der Politit zurüd-
gezogen und nur der Verwirklichung feiner Erziehungs-
ideale .lebte, ihm der empfänglide Sinn für die trüben
und heitern Geſchicke Europas ungeſchwaͤcht geblieben
fei. Ein beigefügtes fehr treffendes Urtheil Peſtalozzi's
über Napoleon beweift wieder die poetifche Darftellungs-
gabe des Erſtern. Bei der Schilderung, die Kortüm
von Peſtalozzi ald Erzieher entwirft, wird bemerkt, daß
er auch „den Außern Dingen gegenüber eine gelenfe und
ftarke, duch) Turnkunſt herbeigeführte Leibesbefchaffen-
heit als Abwehr verweichlichenden Sinneögenuffes” wollte,
was in andern Schriften nicht angeführt iſt, in denen
er nur als Bildner des Geiſtes und Gemuths erfcheint,
da er doch gewiß als „Menfchenbildner” nicht die eine
Hälfte des Menfchen aufer Acht laſſen Eonnte.
Auch Kortüm hebt hervor, daß, wie oft Peftalozzi
verfannt und betrogen wurbe, er doch niemals mis⸗
458
- gegen den: Kern: der Dienfihen geworden und
Daß er, „die geborene Liebe“, bis zum legten Athemzuge
ein Vater der Armen und DBerlaffenen geblieben -fei.
Bon Wichtigkeit find drei bisher ungebdrudte Briefe
Peſtalozzi's, die; Kortum feinem Schriftchen beifügte, an
einen feiner Freunde, Kirchenrath Kleinfchmibt in Hei-
delberg. Sie find im dem eindringlichen Stile ge
fehrieben, der nur Solchen eigen ift, die Das wieder
geben, was ihnen unmittelbar aus dem Herzen kommt.
Peſtalozzi fpricht darin (1805) unter Anderm die &e-
nugthuung aus, „dahin gelommen zu fein, Kopf und
Herz von hundert edeln Menfchen für eine folide Be⸗
gründung des Erziehungsweſens in Bewegung: zu fegen;
und diefe werben meinem Ziele auf eine WBeife und mit
"einer Kraft entgegenftreben, die ich nie zu erleben, noch
viel weniger zu erwarten hatte hoffen dürfen”. Auch
bittet er feinen Freund, ihm Nachricht zu geben, „be-
fonders was unfer Stedenpferb angeht, ob es feinen
Kopf bei Ihnen gut trage, ob ed auf guten Füßen
fiehe, ob es keine Bodsfprünge made, und befonders
ob es wie wir hoffen wie ein englifcher Läufer nach dem
Ziele jage”.
Eine Rechtfertigung Peſtalozzi's gegen die Verdaͤch—
tigung, als wiberftreite feine Erziehungsmethode den Ge⸗
fegen der Religion, enthält folgende Worte, .die man
Hinaus in alle Welt ruſen möchte:
Jeſus Chriſtus, die Weisheit Deiner Lehre ift von ber
Glut des Laſters umgejchmolzen und von den Schmiedeknechten
der Finfterniß auf dem Ambos der Gewalt zu gekrümm⸗
ten Kettenringen gemacht worden, um durch ihre Bande alten
Sögendienft der Welt gegen deine Wahrheit, gegen dein
Lit und gegen dein Recht ewig zur erhalten.
Mögen ed Die hören, die da behaupten, weil aus
dem Chriftenthum: ,Kettenringe“ gefchmiedet wurden, fei
das Chriſtenthum jelbft ein Kettenring! Mögen es
auch Die hören, die jetzt in der gewichtvolien Arbeit
"begriffen find, die Wahrheit, das Licht und das Recht
des Chriftenthums den Händen ber Finſterniß und ber
Gewalt zu entreißen! on
Lavater's Gruß an Peſtalozzi, auf feinem legten
Krankenbette abgefaßt, ſchließt, als Facſimile Peſtalozzi's,
das beachtenswerthe Schriftchen Kortüm's:
Einziger, oft miskannter, doch hoch bewundert von Vielen,
Schneller Verſucher Deſſen, was vor dir Niemand verſuchte,
Schenke Gelingen dir Gott und Erön’ dein Alter mit. Ruhe!
Früher ſchon ſagte Lavater von Peſtalozzi:
Einen Mann, in dem der Geiſt des Erloͤſers ſich ſo durch
und durch in Geſinnung, Wort und That verherrlicht und ſich
in folcher Glorie barftellt, hab’ ich noch Beinen getroffen. €i-
nen beſſern Jünger hatte Chriftus felbft zu feinen Lebzeiten nicht.
Auffallend iſt ed, dag in den genannten und auch
in modernen Schriften über Peſtalozzi feiner Lebens-
gefährtin mur in allgemeinen Ausdrüden gedacht ift:
daß fie von ganzer Seele Theil genommen hätte an ſei⸗
nen Beltrebungen, daß fie ihm Alles geopfert und er fie
die Krone feines Lebens genannt habe. Und doch wif-
fen. wir and guter Quelle, dag fie, namentlkh in.
Burgdorf, nicht blos ordnend den häuslichen Gefcäften
vorftand, fondern auch felbft Hand gniegte an das Werf
ihres Mannıs, thaͤtig eingriff in. alle Theile des ſich
täglich mehr erweiternden Unternehmens. Auch früher,
auf dem Neuhof; nahm fie zu ihrem einzigen Söhnchen
bie große Schar der heimatlofen Bettelkinder auf und
werd für fie eine hülfreiche forgende Mutter. Bon ih»
ver Perfönlichkeit erfahren wir nur aus dem Buche
Bandlin’s, daß fie, zu ihrer Zeit die fchöne und wegen
ihrer Belefenheit gelehrt genannte Anna Schultheß, auf
die Frage, warum fie einen fo haͤßlichen Mann heira-
the, geantwortet habe, weil er eine befto fihönere Seele
befige. Sie war eine von ben Frauen, bie Peſtalozzi
mit der Sonne Gottes vergleicht, die vom Morgen bis
am Abend ihre Bahn geht.
Dein Auge bemerkt einen ihrer Schritte und dein Ohr
höret ihren Lauf nicht; aber bei ihrem Untergange weißt bu,
daß fie wieder auferftehen und fortwirken werde, die Erde zu
wärmen, bis ihre Früchte reif find. -
In Dem was Fichte in feinen „Reden an die deut⸗
fe Nation” über Peſtalozzi gefagt hat, Tiegt eine wei⸗
tere Beftätigung Deffen, was in biefem Auffage befon-
ders hervorgehoben wurde, und fo ift wol hier der Drt,
ed wieder in Erinnerung zu bringen: .
Er wollte blos dem Bolke helfen; aber feine Erfindung
(Erziehungsmethode) in ihrer ganzen Ausdehnung genommen,
bebt allen Unterfchied zwifchen diefem und einem gebildeten
Stande aufs gibt ſtatt der gefuchten Bolkserziehung Ra:
tionalerziehung, und hätte wol das Vermögen, den Böls
fern und dem ganzen Menfchengefchlehte aus der Tiefe
feineödermaligen Elendes empor zu helfen.
Und weiter:
Peſtalozzi wurde aufrecht gehalten unb getrieben durch ei⸗
nen unverfiegbaren, allmädtigen und beutfchen : Zrieb: die
Liebe zum armen verwahrloften Volke. Diefe allmächtige
Liebe hatte ihn, ebenfo wie Luther, nur in einer andern und
feiner Zeit angemeffenern Beziehung ,, zu ihrem Werkzeuge ge»
macht, und war bad Leben georden in feinem Leben, fie war
der ihm felbft unbelannte, ftete und unwandelbare Leitftern
diefes feined Lebens, der es binducchführte durch alle ihn. um-
gebende Racht.
Und wie dunkel war diefe Nacht! Sie beftand nicht
nur aus den Vorurteilen, in bie feine Zeit tief ver-
firidt war, nie nur aus den Schmähungen Teiner
Feinde, der Verkennung feiner Zeitgenoffen — fie be-
fiand auch aus feiner eigenen Unbeholfenheit, aus der
fpärlihen Ausitattung mit den gewöhnlichen Hülfsmit-
teln der Erziehung. Konnte er doch lange keine Zeile
ohne Fehler fehreiben. Sie beftand aus einer brüden-
den Pa — mir erinnern hier nur an einen feiner
Briefe an Zſchokke, worin er fagt, daß ihm gegen 30
Jahre die Nothdurft des Lebens gemangelt — , eine
ölonomifhen Verwirrung , die ſelbſt die glänzendften
pecuniatren DVerhältniffe nicht zu befeitigen vermochten.
Aus den angeführten Schriften fomie aus Peftalozzi’s
mit feltener Offenheit und Befcheidenheit abgefaßten
Selbftbefenntniffen lernen wir feine Schwähen und _
Tehler kennen. Jemand, der wie er nur für bie
Menfchheit lebte, mußte die Sorge für fich ſelbſt, mit
der freilich auch die für feine Familie zufammenhing,
vergeffen.. Wer energiſch wie er mit einer eifernen Be⸗
harrlichkeit die Ausführung feiner großen Entwürfe ver-
folgte, bei dem konnte dieſe Beharrlichkeit in minder
[
48
| —* Bingen zum gigenſtun werben. Wer mit
re Feuer mit einer feltenen ‚Lebendigkeit und
ich, Meyer und Beier
de au tt, 1 der wird auch aufbrauſen koͤn⸗ t
Met don Sdinpathien wid. Antipakhien —
So eße ſich von allen ſtinen Fch⸗ Eheiinan; 8. E., Wir Tobebmuch Wed glãnbatzen Byrk-
— 3 vos rc Dr. Dart Bar
Rih; Aa r ee Art meiſten ſeibſt gelitten, nachweiſen,
baß ein Faber der Fehler feiner Tugenden War. Unb
tecchtet wirb erwari die große Söhne wenliger, weil ME
eihtge Fecken hat?
Mein, das Biud Peſtalsnggrs, &8 Wehe ſchon lange
Ahr nur gereckiagt von den er den feiner Feinde,
es ſteht auch frei da von den Sthla die mit der
kediſchen Form von dem Büfte abgeffreift werben. Cr
war ein Samenkorn, das aus der Band Wortes Fiel,
dãe KA ji BE ebi var, ET: “ * Br. %
X net, —
Verthrtbiganz ber —— eirche gegen —*—
8 Abtounnige. ——*2 6; Rudciyh und Diskeric.
—ã Lu —ER
(3
bamit es aufgehe und taufendfältige Früchte trage.
fo weigah es. Einmal gewurzeit, mußte «6 wein, | ——— 5 Por — Bavnti ur
* — aeg behalten N Fin nk — ve suropäijchen, Bet ve ee iſchen —** hentigen
Gerz Brlöte pa erhteh ton biefem Gettehfamen. | mann. 4. 2 Mir 7 der
9 Kofle, m. Mans AUmbigreiben : — Wie
— en on Semeinde su Danzig- Dayyig,
. &
Wihlisgrephir. | |
Hehninger, ©, Raffau in feinen Sagen, Geſchichten
und 88 — und Eee en I Bände Pain i
en, 013,
nquet 6: 9 Vida coritra tyrannos. Ueber bie :
gefelige acht de Fürften über das Bolt und des Volkeß
Ihe den Fürften. Nach der Ausgabe von 1580 mitt einer ge-
eichen en Einleitung über das Leben und die Beit des Der
arbeitet ton R. Treitzfihke. Leipzig, Barth. 8.
Maohir, d Über Irren⸗ Heilanſtalten, Pflege und Be: |
Yemdlung ber — 2 — —5 den Principien der bewaͤhr⸗
feſten Irrenaͤrzte Belgiens, Englandb, —— und Deutſch⸗ |
Hands. Stuttgart, Cotta. Br. 8. 1 Thlr. 6 Nor.
Prechti, 3. J., Untersuchungen über den Plug der '
Vögel. Wien. Gerold Gr. 8. 2 Thlr. 15 Ner.
Reltſtab, 2 ‚ Bubrig Berger, ein Denkmal. Bern,
Srauhwein. &r. 8. 1 Che.
. Rosenberg, C. H., Das Leibes und der Seele voll
“ ständige Gesundheits- und Brziehungslehre. Briefe, über |
iehung, Befö örderung‘ und Aufrechthaltung eines möglichxt ! |
— —— Zubtandes des Körpers 'nnd Geistes. Iste Läe-
‘Wien, Gerold. 'Gr. 15 :Ner. |
——6 e, XR. B., Piccioin oder die Blume des Gefan⸗
enen. Nach der 17. verbefferten, um ein -Kapitel vermehrten
Big inal-Außgabe von H.Bode. Mit einer en von Bit
Berkpeidigun u a ae ln Antwort auf uh⸗
as Bd Bin *
A er hr —8 sterben und ——— Soſchichte dar
deformation. Nebſt noch gar Vielem, was gu wiſſen 8
dem noth, von welcher Eonteffion er ſei. Zuſammeng
Mehrexen und hesausgegeben von G. Gengel. 2e —* —
Mit 10 Bildniſſen und Derftelungen und ber oe Denit
Ruther's. Berlin, Vereins Buchhandlung. ©.
Pafig, 3. R., Wodurch beweifen Predi en A
liums, daß ſie ihren Beruf erkannt und begeiften haben? Ab⸗
Thienspredigt. Keipzig, Srunow. Gr. 8. 2%, Rot. |
Holen und Feine Erhebung zur Preiheit * —— X
Wine Darſtellung des gegenwaͤrtigen Gecipeitsnupfeß der “eo:
ten. Pi J Leip up, Briefe. 4 Sorte
and, F., Die Batholifche Bewegu eine
neu bs ber a mation —88 's. Predigt. Beipaig, Müller.
— HER J. P., Ioh. Heine. ———
miß zum modernen Leben und zur nimbernen Wi
dertzes —F Bechreroerein zu Nurnberg. Ausbach, erh,
r r.
— ‚ Rom und die Bernunft. AR Serie Sort
und Menſch zugleich oder nie Rent Ein ein. Ham⸗
burg. Senn und Campe. IB. 8, wer Rat.
„Fẽ. E., Phie ur dritten Shkularfeise ‚des
—2 FR She, Bockelmann. ir. 8. 3 Nor.
Schuhmann, 9. ©. G., Untwort quf Die Rede des
Sen. v. Florencourt. Berlin, Trautwein. 3. 3 Kür.
Ihienemann, W. F. Dad äpoftöltfche Symbolum nad
feiner een, feinem Ur vunge, feiner Bufatumenfegung
und feinem Werthe aus den Quellen, mit befonderer Werk:
fichtigung der Schrift des Hrn. ve. Rudelbach: „Über Die Ber
den Be Symibolumd —* Leipzig,
Kilinkhardt. Gr. RO
ie ‚pölnifche Wer — ee u bes Sahres ‚138.
rimma, Be eo
efhäftigungen ver chiedener Stäatögefangenen vom Biblio .
zhileh t Sacob (Paul Lecroir). Leipzig, Gerhard
Shrfoi, rs 8, Die Parochialrechte. Ifier Band:
allgemeiner Theil. ttgart, Bed und Fraͤnkel. Sr. 8. 1Thlr.
Die nein r- riften ber Tutherifchen und, reformir:
ten Kirche in Preußen, nebit den allgemeinen 'nber alttirchlichen
Symbolen in ihrer urfpruͤnglichen Forin wit beigefuͤgker deut⸗
Adyer ———— geſchichtlicher ECinleiturg. Breslau, re
ger ee @., — — Swei Baͤndchen. Wien, Ge⸗
al. Rot. — Derfefben 2t Ina Wetingdeniipteke.
Tafel, ®, Ei af tehrmethode. Stuttgart, Mt. 8. 2), R
Eolta. * ie a apeie Sprach ethode. ar A F, Die Lycker Landkathowahl aus dem Jahne
Hin —— Testament. Mit einen “Nach- | 1842 und die Koͤnigl. Regierung ws Sun! nnen. Eine alten:
trage. Berlin, Besser. Gr. 8. 10 Ner. | mäßige Darlegung. Franffurt.a. d.D., Horwigty 8. 8
Berantwortlicher Heraudgeber : Beinsi Des&tans. — Driuk und Berlag von F. ©. —x in —
N
‚zu Stande gefommen zu fein.
Blätter 5
literarifde
Sonnabend,
für
Unterhaltung.
25. April 1846,
Btiftung ber Republik. Bon F. E. Dahlmann.
Leipzig,
Die Anzeige diefe® Buchs ift nicht ohne Grund ver-
fpätet worden. Es gibt Bücher, denen man wol anficht,
daß fie für ein gemwiffes Publicum gefchrieben find, und
wer nicht feläft zu diefem Publicum gehört, dem bleibt
nichts übrig als ihre Wirkung auf baffelbe abzumarten,
will er anders gegen ihr Verdienſt gerecht fein. Diefe
neueſte, Geſchichte der franzöfifchen Revolution’ hat in
der That große Vorzüge und Schönheiten. Zu jenen ge-
hört, daß fie fih Teicht und bequem liefl, was man be:
kanntlich deutſchen Geſchichtbüchern nicht immer nad)-
rühmen Tann; zu diefen rechnen wir einige Schilderungen
von Menſchen, Berhältniffen, Auftritten, welche bie Wir-
fung haben ben Lefer auf das lebhafteſte anzuregen.
Es ift fiherlich yichte Leichtes für einen Geſchichtſchrei⸗
ber ber Revolution, fich durch den Wuft von Material,
durch das Gewirr von Widerfprüchen, durch das Ge⸗
tümmel leidenfchaftlicher Urtheile, Meinungen, Behaup-
tungen, womit er es bei der Befchäftigung mie diefer Welt-
begebenheit zu thun hat, bis zu dee Klarheit durch⸗
‚zufchlagen, die eine fo einfache und fo erpeditive Darftel-
lung möglidh macht wie diefe Dahlmann'ſche if. Wir
haben wenig, oder beffer wir haben gar Feine Gefchicht-
bücher folder Art, und ed würde ſchwer fein unter den
gegemwärtigen gelehrten Schriftfielleen — und ein ge
lehrter müßte es doch fein — einen zu nennen, der im
Stande wäre Dahlmann ein ſolches Bud, nachzuſchrei⸗
ben. Ein mahres Glück daß dem fo iſt; denn den An-
reiz ber Nachahmung zu weden, namentlich in Solchen,
welche vor Allen rafche und fchlagende Wirkungen auf
ein großes Yublicum ausüben möchten, dazu ift die Art
und Weife diefes Werks nicht wenig geeignet, zumal es
das Anfehen hat, ohne viel mühfames Studium, ohne
langwieriges Nachſuchen und umftänbliche Quellenkritik
Solche Arbeiten, von
Männern unbeſtrittener Gruͤndlichkelt ausgehend, find bei
une etwas fo Überrafchendes, daß fie den Kefern und Be
urtheifern nicht recht geheuer vorkommen und allerhand
geheime Abficht dahinter gewittert wird. Der Eine ver-
fiihert es fei eine Tendenzſchrift, der Andere es fei da⸗
bei gar nicht auf die franzöfifche Revolution fondern auf
j etwas ganz Anderes abgefehen, etwa nach bem bekannten
Sprühmert, wonach die Laft geprügelt,, das Laftthier
aber gemeint wird. Die wunderlihfte Außerung aber
iſt die, welche dies Dahlmann'ſche Buch zu einem Volks⸗
buche macht. Was foll denn wol das Boll aus einem
Buche fich Herauslefen, in welchem vom Volke gar nicht
die Rede iſt? Was hat das Volk mit Necker und Ca⸗
Ionme, mit Parlamenten und Rotabeln zu ſchaffen? Bon
Regierungsfünften und Regierungsfehlern, von Hofintri«
guen und Finanzen verfteht es nichts; fein Intereſſe,
wenn ed überall an der Geſchichte Intereffe nimmt, waͤre
zu ſehen, wie es zu andern Zeiten andern Völkern er-
gangen ift, wie es bei ihnen um Wohl und Wehe, um
Freiheit und Drud, um Dienfte und Abgaben, um
Kriegspflichten, um Slaubensangelegenheiten ausgefehen.
Bon alle Dem wird es in diefem Buche nichts finden.
Wie gefchah.es denn, daß bie Nation fo behende und ein-
müthig von der evolution ergriffen ward $ Ging «6
bem Volke denn fo traurig, ward es durch Gutsherrfchaft
und Regierungsbeanite fo ſchmaͤhlich bebrüdt, von Ab⸗
gaben fo belaftet, durch Verachtung fo niebergebeugt, wie
von Vielen behauptet wird? Es gibt ja Leute genug die
bes Alles in Abrede flellen, und Andere bie «6 zwar
einräumen, aber ein für allemal als ganz unwichtig er»
klaͤren. Waren die Bürger fo bintangefegt, fo aller per⸗
fönlichen Bürgſchaften beraubt, durch Zunftgefege, Fa⸗
britzwang, Zölle, innere Verkehrshemmungen, Beamten-
willfür und Härte fo eingeswängt und verfolgt, daß fie
ben Zuftand nicht. Länger ertragen konnten, und eine Re
volution ausgebrochen wäre auch wenn Ludwig XVI. das
Staatsruder in die Hände der ehrlichften und faͤhigſten
Männer gegeben und fle baran erhalten hätte? Solche
Fragen find es, welche das Volt, die Bürger (und auch
andere Leute die gewöhnlich zu 2einen von Beiden ge⸗
zähle werden) beantwortet haben möchten. ber biefe
Dinge aber iſt das Buch flumm, und follte es vom
Bolke, etwa von Zandleuten, Handwerkern, Krämern,
Fabrikarbeitern gelefen werden, was kaum wahrſcheinlich
tft, da fie das Meifte und Hauptfächliche darin nicht
verftehen würden, fo möchte der Gindrud ber nieder⸗
fhlagende fein, daß fie erführen, was fie aus ber gro»
ßen Mehrzahl unferer Gefchichtbücher ohnehin erfahren
Tonnen, nämlich daß fie nicht in bie Gefchichte hinein
. gehören und daß das Wolf, menngleich verſichert wird,
„daß die treibende Kraft im Staate von’ ihm ausgeht“,
im Grunde und zulept doch nur das getriebene ift. Frei⸗
lich aber ift da6 Buch, wenn auch nicht für das Volk,
doch jedenfalls fo geicjtieben, es dusch den barin
— 28 Von, dush Auffaſſung und Darſtellung
bei einem großen Theile der Nation nicht anders als
ſehr beliebt hat werden müſſen. J
Was wir hier zu ſagen im Begriff ſind, wird hoffent⸗
lich nicht misverſtanden ober verkannt werden, um fd
weniger, als in Deutſchland in den legten Zeiten fo große
Kortfehritte in der Selbitfhägung und Selbſterkenntniß
gemacht werben. Giner ber akteriftiſch hervortreten⸗
den deutſchen nationalen Züge beſonders in politiſchen
Dingen tt, daß derbe Auslaſſungen in evnſten ober hei⸗
ven Worten gegen machthabende Gewalten den Frei⸗
Yeitögeifte, von dem fie ausgehen, fo große Genugthuung
gewwäßten, daß fie Mm die Geclle Toisliiher Spaten u
vertreten im Stande find und eine volllonmene Selbſt⸗
befriedigung zur Folge haben. Jenes, die Freuͤde an den
Auslaffungen, in Worten, Geberben, Spielen u. ſ. w.,
iſt tine allgemein werbueisete, Die frauzoͤſiſche Monarchie
war ‚bekanntlich tempéeroe par des chansons; das An⸗
dere aber, die Genugſamkeit und Beruhigung an derlei
Demonſtrationen, der Glaube, damit wirklich etwas ge⸗
than zu haben und mit gerechtem Frohlocken davongehen
zu konnen, dieſe Empfindung fcheint vorzugéẽweiſe unter
uns heimiſch zu fein. |
Diefe Art des Vergnügens ift es nun, welche das
Dahlmann'ſche Buch in recht reichlichem Maße zu ver-
ſchaffen geeignet iſt; kann fich der liberal gefinrite Leſer
auf jeder Seite deſſelben an den Schlägen ergögen, wel⸗
. de ohme viel Zögern tüchtig und ſcharf den Macht:
habern son damabs verſcht werden, fo iſt dafür geforgt,
daß er ‘eine mod viel ‚größere Freude an dem Echo zu
srepfinden bekomme, welches von biefen Schlägen zu ben
Dhren der Machthaber von jept zurücdpralt. Die Frage
bieibt, ob es wünſchenswertch fein kann, dem unbeflreit-
ber vorhandenen, beſonders einer gewiſſen Partei eigen»
‘ tämlichen Hang zu ſelchem Grgögen, der ohnehin ſchon
opt und iſtark genug -unter uns zum Vorſchein konnnt,
noch weitere Nahrung ‚zu ‚geben? Es ift immer fihon
mielich, wenn Worte und ‚Zeichen genügen follen, wo es
allein auf das Thun ankaͤme; ift ‚aber das Thun un
thunlich und muß darauf verzichtet wesden, fo feheinen
nur ſolche Worte rũhmlich an die Stelle treten gar kön⸗
nen, welche gerabraus und unumwunden auf ihren Ge⸗
geuſtanud Msgehen; Worte und Reden aber, welche auf
It» und Seitenwegen ihr iel zu treffen ſuchen, haben
zu ‚einem wnften und maͤnnlichen Denken ein ſchiefek
VBerhaͤliaiß, und das Wohlgefallen des Publieums dar⸗
an muß ein ſehr untergeordnetes ‚genannt werden. Sieht
man auf diejenigen Stellin des Dahlraun'ſchen Buche,
welthe aller Orten hervorgehoben werden und -ein beſon⸗
deres Mehagen ewegt haben, ſo iſt Grund zu fürchten,
daß es jener Art des Wohlgefallens einen nicht geringen
Zheil des erworbenen Beifalls verbanten tag. Ehre
88
aber bem Manne, weicher die Entwickelung ‚einer großen
Volkotragoͤdie fo befchreibt, daß tiefer fittlicher Unwille
über ben frevelhaften Leichefinn Derer, bie diefe Tragödie
herbeigeführt, feine ganze Darſtellung durchbringt, und
der fih nicht durch Enghche, ober was oft Daſſelbe iff,
durch amtliche Bedenken abhalten Läßt, bernähmlich, wenn
gleich imdirect, auszufprechen, daß über Frankreich fo gro- -
ßes Unheil hauptfächlich darum gefommen ift, weil: feine
Lenker und Verwalter nah Grundfägen, Lieblingsgeban-
fen und Anſichten handelten ganz ähnlich denen, Die heute
mitten unter uns, ba und bort, herrfchen ober herrſchen
toollen. Der Verf. gehört zu unfern vorzüglidhen und
zugleich zu unfern geprüften Mannern. Man wirb von
grwifler Seite ber nicht verfehlen zu fagen, daß bie
ſchneibende Schärfe feiner Darftellumg etwas ganz Indi⸗
viburlles ſei, das ſich aus den Schickſalen and politi⸗
ſchen Erlebniſſen des Mannes erklaͤre und inſoſern
nichts beroeiſe. Richtiger wäre wol, die Betrachtung an⸗
zuſtellen, wie viele Stacheln die Zeit, in welcher wir le⸗
ben, haben nrüffe, wenn fie es vermag einen bewaͤhrten
Gharalter zu folder Stimmung aufzureisen. Denn das
Bud ift durchweg mit bitteem Hohn geſchrieben, der fih
Er jeber Seite ausfpriht; es ift Hohn ſchon in ber
erfhriften der Gapitel: „Die Holden Jahre Der Selbſi⸗
taͤuſchung.“ „Es wird ber Mevelution aufgethan.“ „Dex
Geburtstag ‚der Revolution. „Der König flüchtig, ge
fangen, fuspendirt, wieber angeſtellt.“ Derfelben ſchnei⸗
denden Kälte begegnet man fiberall; die Menfhen wer-
den fo ‚gefhildert, die Begebetcheiten werben fo erzählt,
daß an jenen und dieſen die Vergeltung fthon zu haften
und die Nemeſis nicht Hinter» fondeen nebenher zu lau⸗
fen ſcheint. Bei Erwaͤhnung dus Unglüds, welches fidh
am Bermählungsfefle des Königs mit Matt Anutoinette
ereignete, fchwibt. Dühlmann:
Über 160 Menſchen werden evbrädt, wel 1060 ſtarben an
den Bolgen. &s war der 30. Mai 1770. Auf diefem Plage
fiel 22 Zahre darauf das Haupt des Königs und der Königin.
Bei Gelegenheit von Necker's übereilt gefoderter Ent:
laffung heißt es:
E ſelbſt hat fpäter die Haft bereut, mit welcher er feine .
Finanzarbeiten 'u. ſ. w. im Stiche lied. Nur ein hafdes Jahr
noch Geduld, mit dem Öffentlichen Zutrauen ſich getroſtet, und
Maurepas ‚hatte feine Schuldigkeit gethan, war tobt!
An einer andern Stelle fagt ber Verf.:
Recker's Schrift warb hoͤchſten Orts übel empfunden: der
Überläftige, der fo ganz und gar nicht begreifen wollte, daß die
Wahrheit In Frankreich zu den Regierungsreihten gehöre!
Aber es wäre nicht ausführbar, auch nur bie hervor⸗
tretendſten Stellen dieſer Art auszuheben, man müßte
fi) namentlich in der erſten Hälfte des Buchs bei jeder
Seite aufhalten.
Die Königin wöllte durchaus diesmal das Vergnügen ha⸗
ber einen Minlfter zu ſchaffen.
Damit Niemand bezwelfeln Pörme, auf weiger "Seite ‚die
gute Bade fei, ward Brieme mit dem Erzbiothum Cent,
weit reicher als ‚fein biäheriges, der mit minder habfuͤchtige
Lamoignon mit einem großen Gelbgefchente belohnt. |
Der Saal, der für bie Eröffnung der Reichsſtaͤnde pracht⸗
von eingerichtet wurde, hieß der ‘Saul :der Meinen Wergnüguns
gen. Man verſprach fh ein 'verht großes Bergnuͤgen Damen.
kalte Irdaie, dieſt edige Härte und ſchroſfe
Bietet iſt im ganzen Buche von Anfang bis zu Ende
—8 Beſonders den König Ludwig XVL treffen
orte vom geaufamer Kälte Es ift die Rebe von ben
vielen Dentfiheiften, weiche Jurgot dem König eine nad)
Der andern überteichte, und wodurch er diefem unbequem
ward. Dahlmann füge hierbei in feiner bittern Weiſe:
&o war ed denn doch wirklich nicht gemeint gewefen.
Auch Ludwig arbeitete wol zu Beiten mit der Feber und hatte
noch kuͤrzlich über die Kanindhengehege der Grundherren eine
gründliche Ausarbeitung geliefett. . . .
Ein anderes Mal, da die Abneigung bes Könige,
Brimne zum Minifter zu machen, zur Sprache kommt,
erzählt Dahlmann: .
Der Mann glaubt nicht an Gett, rief der König aus; dar
gegen ward eingewandt, der Prälat Habe große Studien ge
mahht, im Eifer gegen die Proteſtanten Fomme ihm Niemand
i& und er babe bei den Rotabeln ſtets die zarte Linie des
icklichen eingehalten. Und Brienne erreichte fern Biel.
In weichem Lichte laͤßt Dahlmann den König er-
ſcheinen! Dort den ernſthafteſten Staatsangelegenheiten
gegenüber mit Kaninchen beſchäftigt, bier fo, daß feine
Entfcheidung durch zwei Motive beftimmt erfcheint, das
eine gehäffig, das andere frivol. Mialesherbes reiche ihm
eine Denkſchrift über ſtaͤndiſche Berfaffung ein; „las ber
König diefe Denkſchrift? er ſchien fich um diefe Zeit der
Regierungsangelegenheiten gefliſſentlich zu entfehlagen ; er
jagte”. Da Dahlmann aus ber Rede des Könige im
Lit de justice vom 8. Mai die Worte citirt: „Ein
oßer Staat bedarf einen einzigen König”, fügt er in
arenthefe die Frage bei: „Bären denn für einen klei⸗
sun mehre Könige noch”
Bittere Verhoͤhnung im allen biefen Worten, um fb
bitterer und eifiger, wenn man die Lage bes Könige,
femen Charakter, fein Schidfal vor Augen hat. Wie
viele Monarchen aus alter und neuer Zeit find herfümm-
lich unglücklich genaunt, die doch nur fehuldig waren.
Ludwig XVI. aber war in Wahrheit tief unglüdfich, und
der Geſchichtſchreiber, welcher bie Güte und Xiebe diefes
Könige nicht in den Vordergrund feiner Schilderung
ſtellt, ſcheint mit feiner Darftellung hinter’ der erfchüt-
ter Wirkung der Geſchichte ſelbſt zurückzubleiben.
Nein, ſo war Ludwig nicht wie er in dieſem Buche er⸗
ſcheint; die Geſchichte iſt unerbittlich, aber nicht ſpoͤttiſch;
fie richtet, aber fie michandelt wicht. Man fühlt das
Bedürfniß, fi) von den Einkrücken die jene Auffaſſung
zurücklaͤßt abzuwenden und fi ben edlern Gehalt des
Königs zu vergegenwärtigen, wie er erfcheint, wenn er
un Calonne fihreibt, nachdem er ben Entfchluß zur Be-
rufung der Nötabeln gefaßt: „Ich habe die Nacht nicht
Ichlafen Finnen, aber es war vor Freude“; oder wenn
er Lapeyrouſe eine Juſtruttion auf bie Reiſe mitgibt,
worin er fi folgendermaßen ausfpriät : |
"Sollte Lapeyrouſe jemals von der Überlegenheit feiner
Werten gegen Wilde Gebrauch machen müffen, fo würde er
Nur mit größter Möfigung verfahren und mit äußerfter Strenge
Diejenigen feiner Leute züchtigen, welche feine Befehle über
—— — ing Den duch Ns entfeleben bi
un un an, entſchieden DIE
‘
x
2»
Geungofen bedreht werden fellte, wird ber Mefchlahaber da
rpeditien Gewalt anwenden. Der König würde es old ei
der gluͤcklichſten Erfolge der Unternehmung ahfeben, wenn fi
vollbracht werben Tönnte ohne das Leben Eine einzigen Men-
ſchen gekoſtet zu haben.
Hier zeigt ſich ganz die liebenswütdige Milbe, Sorg⸗
ſamkeit, Friedensliebe, die in feinem Charakter war und
die er auch in großen Bebrängniffen nicht verleugnete.
Er finder fih im Alles, wenn ur Unglück verhuͤtet wird,
und eben dadurch führt er e6 herbei. Einem ber Häup-
ser des alten Abels, der ihm in einem kritiſchen Augen-
blick feinen und der Seinigen Degen zur Verfügung
ſtellt, antwortet er: „Ih wii nicht daß ein einziger
um meiner Händel willen umkomme.“ Er fi
‚In polltifchen Dingen weder ohne Einſicht noch ohne
Würde der Gefinnung; nach der Nacht bes 4. Auguſt
fcreibt er an dem Erzbiſchof von Arles;
ei Ich an . ne ren ——— een Selle
tande eichs en, fie da große r gedr
für die allgemeine Ausſohnung, für das Vaterland, fir ben
König (— er nennt ſich an letzter Stelle —), aber Diele
Aufopferung, ich Tann fie nur bewundern: niemals werde ich
in die ung meiner Geiſtlichkeit, meines Adels willigen;
thäte ich eb, dann allerdings würde eines Tages das fra
fihe Bold mich der Ungerechtigkeit und Schwäthe anklagen kö
nen. ie, mein Herr Erzbifchuf, unterwerfen fi ben Beichlüffen
der Borfehung, ich glaube mi ihnen zu unterwerfen wenn ich
ich des Enthuſiasmus etwehre, der fi aller Stände bemädh-
tigt hat, der aber über mein Gemüth nur leife hinſtreift; ich
werde Alles was in meiner Macht fücht aufbisten, um meinen
Klerus, meinen Adel zu erhalten. Sollte Gewalt mich nöthigen
meine Sanction zu ertheilen, dann werde ich nachgeben, aber
dan würde in Frankreich weder Monarchie fein noch Monard.
Ich weiß daß die Zeiten fchwierig find; jegt iſt es daß wir der
Erleuchtung des Himmels bedürfen; flehen Sie ihn darum an,
er wird uns erhoͤren.
Dahlmann führt fo manches Document wörtlich oder
auszugsweife an; war fein Raum für eins von jenen
oder den zahlreichen andern, die man nur zu Innen
‚braucht, um für immer gerecht gegen ben Koͤnig zu blei⸗
dent Gr, ber zum Throne geboren wer, war nicht Für
den Thron geboren, und diefer einzige Vorwurf den man
ihm machen Tann ift Tein Vorwurf, Was Burke fagt,
möchte man mit befonderer Beziehung und verändert
Anwendung bier wieberholen : |
Unglüd ift nicht Verbrechen, und Verirrung nicht Frevel;
nie —8* —— an daß diefer Knie * Bo⸗
gern feine Macht eim neen, feinem Lande Freiheiten zu
eben, einen Theil feiner herkoͤmmlichen Befugniſſe zu opfern
ereit war, verdient Hätte der Gegenftand fo graufamen Spot:
teß zu werden wie Yarib und Doctor Prire (Bebner eines eng:
lifchen Revolutionsciubs) über ihn ausgegoffen haben. |
Damals, in der Zeit ber aufgeregteiten polltiſchen
Leidenfchaften, war jebe, auch bie herzloſeſte Schärfe und
Bitterbeit des Netheils begreiflich und verzeihlich. "Sind
unſere heutigen Zeiten wie jene damaligen? Fraſt moͤchte
man es glauben, und das Dahlmann'ſche Bu iſt, uns
wenigfiend, durch nichts merkwürdiger als durch bas un⸗
lengbare Zeugniß, welches der darin Heusfihende Ton für
die Stimmung abgibt, in weicher gegenwirtig gebucht
and empfunden wird. Die Foderungen aber an bie Ge⸗
ſchichte, an ihren Beruf und Veiſt, bleiben Immer die-
458
- gehören und daß das Wolf, wenngleich verfichert wird,
" „Daß die treibende Kraft im Staate von’ ihm ausgeht”,
im Grunde und zulegt doch nur das getriebene ift. Frei⸗
lich aber iſt das Buch, wenn auch nicht für das Volk,
boch jedenfalls fo gefdjichen, daß es durch den barin
angeſtimmten Won, bush Auffaflung und Darftellung
bei einem großen Selle der Nation nicht anders ale
ſehr beliebt hat werden müffen. J
Was wir hier zu ſagen im Begriff ſind, wird hoffent⸗
lich nicht misverſtanden oder verkannt werden, um fo
weniger, als in Deutſchland in den legten Zeiten fo graße
Kortfchritte in der Selbitfhägung und Selbfterfenntnig
gemacht werben. Giner der da .
den beutfchen nationalen Züge befonders in politifchen
Dingen it, dag derbe Auslaſſungen in ernſten ober hei⸗
ven Worten gegen machthabende Bemwalten den Frei⸗
heitsgeiſte, von dem fie ausgehen, fo große Genugthuung
genaͤhren, daß fie ihm die Stelle wirilicher Thaten zu
vertreten im Stande find und eine volllommene Selbſt⸗
befriedigung zur Folge haben. Jenes, die Freude an ben
Yuslaffungen, in Worten, Geberden, Spielen u. f. w.,
iſt tine allgemein verbreitete, die framgäfiche Monarchie
wer bekanntlich tempérée par des chamsons ; dad An⸗
dere aber, dir Genugſamkeit und Beruhigung an derlei
Brmonftrationen, der Glaube, damit witklich etwas ge
than zu haben und mit gerechtem Frohlocken davongehen
zu können, biefe Euwpfindung ſcheint vorzugsweiſe unter
uns heimiſch zu fein. |
WDiefe Art bed Bergnügene ift es nun, welche das
Dohimann’fihe Buch in recht reichlichem Maße zu ver⸗
ſchaffen geeignet ift; kann fich der liberal geſinnte Leſer
auf jeder Seite deſſelben an den Schlägen ergötzen, wel⸗
. de vhne viel Zögern tüchtig und feharf den Macht⸗
habern won damsabs verfegt erden, fo iſt dafür ‚geforgt,
daß er eine noch viel groͤßere Freude an dem Echo au
vnspfinden bekomme, welches von biefen Schlägen zu den
- Digsen der Machthaber von jept zurückprallt. Die Frage
bloibt, ob «6 wunſchenswerch fein Tann, dem unbeftreit-
ber vorhandenen, befonder6 einer gewiſſen Partei eigen
thumlichen Hang zu ſolchem Grgögen, der ohnehin ſchon
oft und iſtark „genug unter und zum Vorſchein konnnt,
noch ‚weitere Nahrung zu geben? Es ift immer fchon
mielich, wenn Worte und ‚Beichen genugen follen, wo «6
allein auf das Thun ankaͤme; ift aber das Thun un⸗
thunlich und muß darauf verzichtet werden, fo ſcheinen
nur folche Worte rũhmlich au die Stelle treten gu koͤn⸗
em, welche gerabraus und unumwunden auf ihren Ge⸗
geunſtaud Ausgehen; Worte und Reden aber, welche auf
Um⸗ und Seitenwegen ihr Biel zu «treffen ſuchen, haben
zu ‚einem unften und ‚männlichen Oenken ein fehiefes
Verhaͤltaiß, und das Wohlgefallen des Publicums dar⸗
an muß ein ſehr untergeordnetes genannt werden. Sieht
won auf diejenigen Stellen des Dahlmaun'ſchen Buche,
welthe aller Drien Servargehoben werben and -ein beſon⸗
deres Behagen ewegt haben, fo If Grund gu fürchten,
daß es jener Urt des Wohlgefallens einen nicht "geringen
Theil des erworbenen Beifalls verbanten -wtag. Ehre
aber dem Manne, welcher die Entwidelung einer großen
Volkstragoͤdie fo befchreibt, daß tiefer fittliher Unwille
über ben frevelhaften Keichtfinn Derer, die diefe Trogöbie
herbeigeführt, feine ganze Darfiellung durchdringt, unb
der ſich nicht durch Angfliche, ober mas of elbe iſt
buch amlliche Bedenken abhalten läßt, vernchmuͤch, wenn
gleich indirect, auszuſprechen, daß über Frankreich fo gro⸗
ßes Unheil hauptſächlich darum gekommen iſt, weil ſeine
Lenker und Verwalter nad) Grundſaͤten, Riehlingsgeban-
ten und Anſichten handelten ganz ähnlich denen, die heute
mitten unter uns, da und dort, herrfchen —A
wollen. Der Verf. gehoͤrt zu unſern vorzüglichen und
zugleich zu = geprüften Maͤnnern. Man wirb von
gewiſſer Seite her nicht verfehlen zu ſagen, daß die
ſchneidende Schärfe ſeiner Darſtellung etwas gan Indi⸗
viduelles ſei, das ſich aus den Schickſalen md -peiiti-
[hen Exlebniffen des Mammes erklaͤre und im
nichts beweiſe. Richtiger wäre wol, bie Betrachtung an-
aufteilen, wie viele Stacheln die Zeit, in melcher wir le⸗
ben, haben nrüffe, wenn fie a6 vermag einen bewährten
Sharakter zu folder Stimmung aufzureisen. Denn das
Buch ift durchweg mit bitterm Hohn geſchrieben, der fi
era jeder Seite ausſpricht; es iſt Hohn ſchon im ben
esfehriften der Capitel: „Die holden Jahre der Selbſt⸗
taͤuſchung.“ „Es wirb ber Revolution aufgethan.“ „Dex
Grburtstag der Revolution.“ „Der König flüchtig, ge
fangen, fuspendirt, wieder anheſtellt.“ Derſelben ſchnei⸗
denden Kälte begegnet man Überall; bie Menſchen wer-
ben fo geſchildert, die Begebetcheiten werben fo erzaͤhlt
daß an ‘jenen und dieſen die Vergeltung fthon zu haften
und die Nemeſis nicht Hinter» ſondern nebenher zu lau⸗
fen ſcheint. Bei Erwaͤhnung des Unglüds, welches fi
am Bermählungsfefle des Königs mit Marke Untoimette
ereignete, fchweibt. Dahlmann: |
Über 160 Menfchen werden erdruͤckt, wol 1060 ſtarben an
den got en. Gs war der 30. Mai 1770. Auf diefem Plage
fiel 22 Sabre darauf dad Haupt des Könige und der Königin.
Bei Gelegenheit von Necker's übereilt gefoderter Ent:
laffung heißt es: Ä
Er ſelbſt har ſpäͤter die Haft bereut, mit welcher er feim .
Finanzarbeiten 'u. f. w. im Stiche lied. Nur ein Hafdes Zube
| duld, mit dem Sfentlihen Zutvauen ſich geitöftet, und
Maurepas ‚hatte feine Schuldigkeit getban, war tobt!
An einer andern Stelle fagt der Verf.:
„, Reder's Schrift ward hoͤchſten Mrs übel empfundgm: der
Überläftige, der fo Yanz und gar nicht begreifen wollte, daß die
Wahrheit in Ftankreich zu den Regierungsreihten gehöre!
Aber es waͤre nicht ausführbar, auch nur bie hervor ⸗
tretendſten Stellen diefer Art. auszuheben, man mühe
1 namentlich in der erften Hälfte des Buchs bei jeder
eite aufhalten.
Die Shnigin wöllte durchaus diesmal das Vergnügen Ya-
ber einen Riniſter zu ſchaffen.
Damit Riemand bezweifeln Pörme, auf weicher Geite ‚die
gute Sache fei, ward Brieme mit dem Erzbiſthum Gmb,
weit reicher als ‚fein biäherige&, ber nicht minder habfuͤchtig⸗
Lamoignon mit einem großen Geldgeſchenke belohnt.
Der Saat, der für die Eröffnung der Reichsſtaͤnde pracht⸗
duR eingtrichtet wurde, ‚hieß der Saul der Meinen Vergnügun⸗
gen. Man verſprach ih ein vecht groes Wergnügen damen.
Falte Ironie, dieſt eige Härte unb
Eiretet iſt im ganzen Buche von Anfang bi® zu Ende
erefchend. Belonders den König Ludwig XVL treffen
orte von geaufamer Kälte. Es iſt die Rede von ben
vielen Dentichriften, weiche urgot dem König eine nach
Der andern überteichte, und wodurch er diefem unbequem
ward. Dahlmann füge hierbei in feiner bittern Weiſe:
&o war ed denn doch wirklich nicht gemeint gewefen-
uch Ludwig arbeitete wol zu Beiten mit der Feder und hatte
noch kuͤrzlich über die Kaninchengehege Der Brundherren eine
gründliche Ausarbeitung gelicfett. . . .
Ein anderes Mal, da die Abneigung bes Könige,
Brienne zum Minifter zu machen, zur Sprache kommt,
erzaͤhlt Dahlmann: .
Der Mann glaubt nicht an Gott, rief der König aus; der
egen ward eingewandt, der Prälat Habe große Studien ge
mat, im Eifer gegen die Yroteftanten Fomme ihm Niemand
i& und er habe bei den Rotabeln ſtets die zarte Linie des
Sereigen eingehalten. Und Brienne erreichte fem Biel.
An weichem Lichte laͤßt Dahlmann ben König er
ſcheinen! Dort den ernfthafteflen Gtaatsangelegenheiten
gegenüber mit Kaninchen befchäftigt, bier fo, daß feine
Entfcheidung ˖ durch zwei Motive beftimmt erfcheint, das
eine gehäffig, das andere frivol. Malesherbes reicht ihm
eine Denkſchrift über ftändifche Verfaffung ein; „las ber
König diefe Denkſchrift? er ſchien ſich um dieſe Zeit ber
Negierungsangelegenheiten gefliffentlich zu entſchlagen; ex
jagte”. Da Dahlmann aus der Rede bes Könige im
Lit de justice vom 8. Mat die-Worte eitirt: „Ein
oßer Staat bedarf einen eintipen König”, fügt er in
azenthefe die Frage bei: „Wären denn für einen klei⸗
wen mehre Könige noth?“
Bittere Berhöhnung in allen biefen Worten, um fb
Bittere: und eifiger, wenn man die Lage bed Könige,
femen Charakter, fein Schidfal vor Augm bat. Wie
viele Monarchen aus alter und neugr Zeit find herfümm-
lich unglücklich genaunt, die doch nur fehuldig waren.
Ludwig XVI. aber war in Wahrheit tief unglüdlich, und
der Sefhichtfchreiber, welcher die Güte und Liebe dieſes
Königs nicht in den Vordergrund feiner Schilderung
ſtellt, fcheine mit feiner Darflellung hinter’ der erfchüt-
ternden Wirkung der Gefchichte ſelbſt zurückzubleiben.
Mein, fo war Ludwig nicht wie er in biefem Buche er-
ſcheint; die Geſchichte ift unerbittlich, aber nicht ſpoͤttiſch;
fie richtet, aber fie michandelt wicht. Man fühlt das
Bebürfniß, fi) von den Eintwüden die jene Auffaffung
zurückläßt abzumenden und fich ben edlern Gehalt bes
Könige zu vergegenwärtigen, wie er erfcheint, wenn er
an Calonne ſchreibt, nachdem er den Entſchluß zur Be⸗
tafung der Natabeln gefaßt: „Ich habe die Nacht nicht
Ichlafen Sinnen, aber es war vor Freude”; ober wenn
er Lapeyrouſe eine Inſtruction auf die Reiſe mitgibt,
worin er fi folgendermaßen ausfpriät :
Sollte Kapeyroufe jemals von der Überlegenheit feiner
Werten gegen Wilde Gebrauch machen müflen, fo würde er
ur mit größter Räßigung verfahren und mit äußerfter Strenge
diejenigen feiner Leute züchkigen, weldhe feine Befehle über-
fritten. Nur im legten Rothfall, bios zus Verthtibigu
und über mir wenn und has Suter het Ye ansecna ve
ofen bedroht werden fellte, wird der Mefchiähaber bar
spedition Gewalt anwenden. Der König würde es als ei
der glüdsichften Erfolge der Unternehmung ahfehen, ivenn fi
vollbracht werben Tönnte ohne das Leben Eine® einzigen Men-
ſchen gekoſtot zu haben.
Hier zeigt ſich ganz die liebenswuürbige Milbe, Sorg
famteit, Sriebensliebe, die in feinem Charakter war und
die er auch in großen Bebrängniffen nicht verleugnete.
Er finder ſich in Alles, wenn ur Unglück verhütet wird,
und eben dadurch führt er es herbei. Einem ber Häup-
ter des alten Adels, der ihm in einem Fritiichen Augen⸗
blick feinen und der Seinigen Degen zur Verfügung
fickt, antwortet er: „Ich will nicht daß ein einziger
um meiner Händel willen umkomme.“ Er ft
‚In polßtifchen Dingen weder ohne Einfiht noch ohne
Mürde der Gefinnung; nach der Nacht des 4. Auguſt
Schreibt er an ben Erzbiſchof von Arles:
Ich bin mit Diefen edeln Entſchließungen der beiden erften
Stände des Reichs zufrieden, fie haben große r geb
für Die allgemeine Ausſohnung, für das Baterland, für den
König (— er nennt fih an letzter Stelle —), aber Diele
Aufopferung, ic kann fie nur bewundern; niemals werde ich
in Die Beraubung meiner Geiſtlichkeit, meines Adels willigen;
thäte ich es, dann allerdings würde eines Tages das fra
ſche Bold mich der Unpernehtägteit und Schwäche anklagen
nen. Sie, mein Herr Erzbiſchof, unterwerfen fi den Beichlüffen
der Borfehung, idy glaube mi ihnen zu unterwerfen wenn ich
ich des Enthuſiasmus etwehre, der fi aller Stände bemaͤch⸗
tigt hat, der aber über mein Gemüth nur leiſe binftreift; ich
werde Alles was in meiner Macht ficht aufbisten, um meinen
Klerus, meinen Adel zu erhalten. Sollte Gewalt mich nöthiger
meine Ganction zu ertheilen, dann werde ich nachgeben, a
dam würde in Frankreich weber Monarchie fein noch Monard.
Ich weiß Daß die Zeiten ſchwierig find; jegt ift es daß wir der
Erleuchtung des Himmels bedürfen; ficken Ste ihn darum an,
er wird uns erhoͤren.
Dahlmann führt fo mandes Document wörtlich oder
auszugsweife an; war fein Raum für eins von jenen
oder dem zahlreichen andern, die man nur zu Innen
‚braucht, um für immer gerecht gegen ben König zu blei⸗
ben? Gr, der zum Throne geboren wer, war nicht Für
den Thron geboren, und diefer einzige Vorwurf den man
ihm machen Tann ift kein Vorwurf, Was Burke fagt,
möchte man mit befonberer Beziehung und veränderter
Unwendung bier wiederholen: j
Ungläd i t Verbrechen, und Verirrung nicht Frevel
nie —8* i per t “ daß dieſer —* * *
gern feine Nacht —*
eben, einen Zheil feiner herkoͤmmlichen Befugniſſe zu opfern
Bereit war, verdient Hätte der Gegenftand fo graufumen eo
te8 zu werben wie Yarib und Doctor Prire Redner eints eng:
liſchen Revolutionsclubs) über ihn außgegoffen haben.
Damals, in der Zeit ber aufgeregteſten politiſchen
Leidenfchaften, war jebe, auch bie herzloſeſte Schärfe und
Bitterkeit des Uetheils begreiflich und verzeihlich. "Sind
unfere heutigen Zeiten ‚wie jene bumaligen? Faſt moͤchte
man es glauben, und das Dahlmann'ſche Buch iſt, uns
wenigfiend, durch nichts merkwürdiger als durch bas un⸗
Vengbare Zeugniß, weldes der darin hasfihende Ion fir
die Shimmung abgibt, in weicher gegenwirtig gebacht
and empfunden wird. Die Foderungen aber un bie Ge⸗
ſchichte, an ihren Beruf und Beiſt, bleiben Immer die⸗
nden, feinem Lande Preibeiten gu .
1
-.
ſelben, und wenn Diele an dem Buche um fo gewiffere
Befriedigung empfinden als die Stimmung beffelben mit
ihrer eigenen zufammentrifft, fo barf man mit verbop-
peltem Nachdruck die Frage aufwerfen, ob folder Ein-
drud aus Gefchichtsbüchern hervorgehen foll,
(Die Joktſetung folgt.)
Literarifhe Notizen aus England.
Über Thomas Thyrnau im Englifhen
Bei Gelegenheit der Anzeige des von Mary Howitt unter
dem Titel: „The citizen of Prague” (3 Bde., London 1845)
ind Engliſche Aberfegten. „Ihomas Thyrnau“ fagt die „Sunday
Times” vom 11. Ianuar: „er eine gewifle ungefeilte Die
tion nicht fonderlich beachtet, dem kann die Überfegung dieſes
Buchs viel Vergnügen gewähren. As Novelle hat es Fehler.
Die Ereigniffe werden zu deutlich ausgemalt, die Grydhlun
durch eingelegte Häufig fehr unerquickliche Geſpraͤche bedeuten
in die Länge gezogen. Die meiſten ob aus dem Schwediſchen
oder aus dem Deutfchen überfegpten Novellen haben bie gemein:
ſchaftliche Eigenthümlichkeit, eine fublime Philoſophie zu erſtre⸗
ben. Frederike Bremer, fo bewundernswerth, wenn fie ſich
auf Schilderung der Zagesbegebenheiten des häuslichen Lebens
befchränft, wird beim Abweichen davon faft wnerträglih. Sie
ſowol als Gräfin "Hahn: Hahn brauchen nur ihr Gebiet zu
verlaffen, den Leidenfchaften, welche das Herz beherrfchen, Worte
n geben und fie fliegen augenblicklich in einer Art unbegraif:
fipem Myfticiemus auf und davon und verlieren in dem phi⸗
tofophifchen Rebel bie firengen Regeln der Sittlichkeit aus ben
Augen. Die Phantaſie führt fie über die Sphäre der Wirk
lichfeiten hinaus, fie vergefien, daB es in der bürgerlidhen Ge⸗
ſeliſchaft Sapungen gibt, deren Befolgung das harmonifche Be:
ftehen der Gefellihaft unmwiderlegbar bedingt. Alles Dies güt
nicht in gleichem Maße vom «Citizen of Prague»; denn kom⸗
men auch Scenen und Phrafen vor, die einer englifchen Ro:
velle fremd bleiben würden, fo ift doch Ton und Haltung rein
fittlich. Es gibt hochfliegende Stellen, tragifche Reden, Arauer
über Bergangenes und maßlofe, von Brauen gegen die gefammte
Menfchheit ausgefloßene Verwuͤnſchungen, die der Leſer fich oft
verfucht fühlen wird zu überfchlagen; doch hat das Werk feine
unbeftreitbaren Verdienſte. Dabin gehören die häußlichen
wahrhaft rührenden Sm und bier und da Beine Bemer⸗
Zungen von feltener Schönheit. Gie begründen ben Haupt
werth diefes Romans. Die in die Geſchichte verflochtenen ariſto⸗
kratifchen Perfonen ftehen unferer Sympathie fern. Dagegen |
fühlen wir für die natürlihern Menſchen aus niederm Stande
und kommen immer gern auf die Befchreibungen der untern
Volksclaſſe zuruͤck. Da ift die Verf. fihtbar zu Haufe, und in
dem Bewußtfein, zu kennen was fie fchildert, fchildert fie es
gut. Die hiftorifhen Partien zeugen von geringerm Geſchick
Da macht fich eine gewiſſe Schuchternheit bemerkbar, wie das
äufig der Fall, wenn der Schriftiteller einen Gegenftand be-
— dem er nicht gewachſen iſt. Deſſenungeachtet wird der
‚englifche Leſer dad Buch nicht ohne genoſſenes Vergnügen aus
der Hand legen und! Jeder würde mit Haft danach greifen,
wäre e8 um die Hälfte kürzer.” .
Charles Didenb.
Es ift ſchon früher bemerkt worden, daß der pfeudonyme
Boz und wirkliche Charles Dickens ein von der Preſſe verzo-
enes Kind fei, und allerdings kommt es in der Literaturge:
Poichte felten vor, daß ein Autor mit gleicher Schnelligkeit be:
rühmt und von der Kriti? gleich einftimmig gelobt wird. Daß
die Leiftungen eines folhen Gluͤcklichen nicht alltägliche Exfcei:
nungen fein koͤnnen, liegt auf der Hand. Auch Dickens Werke
find es nicht. Hat, aber Kritit und Lefewelt ben Werth der⸗
feiben nicht überfhägt — was wol möglih —, fo ſcheint fie
nicht geeignet, feinen Ru
‚Das Heumchen auf dem Herde” — „The cricket
fairy tale of home’ (London 1846) läßt bie
zweimal behandelte Frage von gefellfchaftlichem Recht und Un»
recht unberührt, ift ein Gemälde des bürgerlichen Lebens von
der poetifchen und etwas romantifchen Seite, einigermaßen à le
Wordsworth, nur daß wie diefem Dickens' Kenntniß des ftädtt:
fen Zreibens, fo Dickens Wordsworth's Tiefe und Schalt
ebt. Die Elemente feined Raͤrchens find einfach und kei⸗
nedwegs neu. Der einzige neue Charakter bürfte rg Slow:
boy fein, ein Mädchen aus dem Findelbaufe, Das bei ber Heb
din der Mefhichte, einer Miftreß Peerpbingle, ald Magb dient.
Die übrigen Perfonen find: Der Mann der Heldin, ein mib
telbejahrter Kärrner, von ſchwachem Verftand, aber warmem
Herzen, der fein Frauen, ein junges, luftiges, bausbadiges
Geſchoͤpf, wegen ihrer Eleinen Geftalt „Yunktchen” nennt;
ein &pielzeugverfertiger, Caleb Ylummer, deffen zwei Kinder, _
Eduard und Bertha, Leptere blind; ein &pielzeughändier,
Tadleton, und May Field no famt ihrer Mutter, einer her⸗
abgefommenen Frau höhern Standes mit beibehaftenem Standes:
Borurtheil. Eduard, der Matroſe ift, erfährt bei feiner Rück
Schr aus dem „goldenen Südamerika”, daß May Fielding, feine
verlobte Braut, ihn für todt gehalten und dem reichen Tackleton
ihre Hand verfprochen hat. Das Terrain zu unterfuchen, ver⸗
kleidet er ſich als ein alter, tauber Herr, zieht zu Peerybingle
und vertraut fein Geheimniß der Kleinen Frau, bie ihrem Manne
nichts davon fagt. Tackleton, immer das Häßlichfte veram-
thend, fegt dem Kärrner „einen Floh ins Ohr”. ber obfchon
eiferfüchtig ift diefer Flüger als Othello, und das Ganze endigt
zu allfeitiger Zufriedenheit, indem auch Tackleton feine Bosheit
ablegt und Eduard und May bie Hochzeitfeier ausrichtet. Mär-
den ift die Erzählung eigentlich blos wegen eines Gefprädhs
zwiſchen Dem —3 am Feuer und dem Heimchen auf dem
Herde, wodurch Peerybingle von Mordgedanken gegen Eduard
abgebracht wird. 16.
Literariſche Anzeige.
In meinem Verlage iſt neu erſchienen und dutch alle Bud»
bandlungen zu beziehen:
Holzhauſen (3. A.),
Der Proteſtantismus in ſeiner geſchichtlichen
Entſtehung, Begrändung und Fortbildung.
Erſter Band,
Gr. 8. Geh. 2 Thlr.
Dieſes Werk, das nicht allein für Theologen, ſondern
auch für wiſſenſchaftlich Gebildete im Allgemeinen beftimmt if,
wird die Geſchichte des Proteftantismus überhaupt von bem
Urfprunge defielben biß auf unfere Tage darftellen und dürfte
infofern für unfere Zeit von befonderm Interefle fein, da der
Berfaffer einen rein geſchichtlichen Standpunkt einnimmt umb
die kirchliche Entwidelung des Proteftantiömus nad dem Gier
Er organifcher Bildung verfolgt, um auf diefem e eine
beitimmte und klare Anficht über das legte Ziel beffi zu
ermitteln. Dad Werk wird aus drei Bänden beſtehen und der
zweite und dritte Band werden raſch folgen.
Eeipzig, im April 1846.
u F. A. Brockhaus.
Verantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brockkdans. — Druck und Berlag von WB. X. Drockhans in Leipzig.
‚Bläfter - j \
titerarifche
mzoöͤſtſchen Revolution bis af die
Gefſchichte der feangönt
Stiſtuug der Republil. Bon F. & Dahlmann.
(Kortfekiung aus Re. 16.)
Wird der König mit ße herben. Griffen gehandhabt,
fo tät ſich urtheilen, welche Schaͤtzung ſolchen Perfön-
lichkeiten wie Neder, Brienne, Calonne in dem Buche
zu Theil wird. Den Lestgenannten finden wir fo ein⸗
tt:
u Die Belt der Schurken ſchrie Triumph, als ed der unge:
ſchickten Ehrlichkeit (nämlich dem wackern D’Ormelfon) fd übel
gelingen: war, und aus der nicht Heinen Zahl von Bewerbern;
vow dern Rechtlichkeit nichts zu fürchten war (jedes: Wort iſt
ei Starke!) , griff Ludwig's unglückliche Band: gerade ben
Schlimmſten heraus. Der Hr. v. Ealonne war ald Intendant
fo. übel berufen, ſolch ein Schuldenmacher, daß ihn der König
barſch verwarf; allein feine beitete Zuserfißt ..... gewann ihm
jene höchſten Kreife Bald, weichen forgenvolle Stirnen ein Greuel
find. Jener d'Ormeſſon hatte beiden Brüdern des Königs bie
Bezahlung ihren Schulden rund abgeſchlagen, Calerine lich
3 andere Glöcklein klingen und Artois war entzüdt von
ihm. Da nun die Königin beifälig nickte, Vergennes nicht
widerſprach, fo ließ fich der König einen Mürn gefallen, der
ihm gute Tage in. Aussicht ſtellte.
Wie iſt Hier wiederum Ludwig geſchildert, der eitten
Menſchen, deſſen übler Ruf ihn erft zurückſtößt, dann
Darum zum Demifter macht, weil er gute Tage bei ihm
zu Haben hofft: Sodann erfahren wir von Calonne nichts
weiter als daß er Königin, Hof und verarmte Große
sie Geſchenken bedeckt, Meifter in leichten Formen und‘
ſchneller Ratögeber in Verlegenheiten war, ſich durch „fo
einteuchtende Verdienſte vonr Könige feine Verſchwen⸗
dungen verzeihen Lie, dann plöglich, als der Schatz leer
geworden, „mit: einer: Frechheit ohne Gleichen” die Sache
mmchrte, alle Vorbeſſerungen die Zurgof im Sinne ge:
babe‘ „in eine Denkſchrift zufammenmitft” md damit en- |
dee, die Berufung ber Notabeln zu: werlangen, welche
aber; nachdem fie zuſammengetreten waren‘, gegen: „den
Wvefdämten’‘, der ihnen die widerwärtigd Grundſtener
zummuthete, ihren hitzigſten Jorn ausließen, bis et: fich: ge:
nothigt ſah zu weiten und von einer peinlichen Anflage
bedroht nach England zu: enfflichen.
Caldnne fo Hart richten als man wolle, eine ſolche Dat:
ſtccuung fept ihn jedenfalls noch tiefer: Herunter als er
oßinchin; Mor ſtancb und es geſchleht mvermeidlich viß
mis ihm auch alle Diejenigen, die Alt‘ zum Minilſter
Man mag aber
für.
Unterhaltung.
26. April 1846,
machte: und laͤnger als drei Jahre ein Amt ethluitem
um ebenſo wie: Stufen: als ex ſelbſt ermichrige erſchemnen
Alleedintzo war en ein leichtfeerlger Abenteuver, aber: ex
war doch noch etwas mehr ala Das Werten nie bie
Berhättnöffe fetöft: ſchief gerinkt, wen: man an Bew Yars -
voreretenden Perſonlichkeiten nur Due ſchildert, was Mis⸗
achtunz erwechen kan? Ir net: neueſten: Arbeit Adw'
Calonne's Verwaltung ) ME über denſelben Folgendes
ET
Geſchleblichkeit wird ihm Mierhund abſprechen ber fehle
Schriften lieſt, fie zeigen eine merkwuͤrdige Gewandtheit und
Dreiftigkeit des Geiſtesz von den gebrupften find bie wel
ſich auf Verwaltung beziehen nicht ohne literarisches Verdienſt.
Auch im Umgang teußte et GE akens zu machen; er trag:
getrt' gute Grundfätze oder die glänzenden allgemeinen halbwah⸗
ven Ideen vor, die nuch der Höher Gefellſchaft mportauchenn;
mis der äußern Hätte eines Hofmanns verband er einem ger
wiffen Scharfjinn im Grgreifen des Unterfcheidenden und der
Heinen Beziehungen, hatte Lebhaftigkeit und Anmuth ded ut:
drucks; wer e& leicht nit den Dingen nahm ward bald über:
redet, daß Memmd fie beſſer wie Calonne verſtehe; unterrich⸗
tete Maͤnner hielten ihn für einen Enpiriket und Chariatan:
Abſichtlich iſt Hier der Auffaffung Dahlmann's nicht
unfere eigene, ſondetn die eitied bewährten Kritikers ent⸗
gegen gehalten, damit unſere Ausſtellungen nicht etwa
den’ Anſchein haben, auf Polemik und‘ Widerſpruch hin⸗
auslaufen zu ſollen. In dieſer letztern Schildetung et⸗
(een denn duch ber Mann fo, daß feine Wahl zum
nifter wenigſtens nicht wie das Werk der verächtlich⸗
ſten Zeivontde: aubffeht, daß min die auf ihr gefegtei?
Hoffnungen begreift, ohne ME Hoffenden getabehin ver⸗
dammen zu muſſen. Wer überhaupt ſich ſtaatsmänniſch
ftellt, und 3. B. an Menfchen wie Mirabeau über Cha-
rakter, Bernegpründe und anberes Verwerfliche hinweg
Raͤnte: Ohne Zweffol IE es HIER: verbiehtich, die That⸗
ſachen, auch unvedentende, in ihrer: Nqhtigkett herjuftellen; fo wriſt
Raute nnd, daß bie überall, auch bei Dahimann ſich vorfintende
Angabe, Calonne habe feine Reformplane vor der Königin verborgen
gehalten, falſch ſei. Indeß kommt auf ſolche Dinge denn dodh ni
fo entſetzltch vlelt aty e& genügt‘ fle zu beriägltgen, zum einer Zurkbcht⸗
weifang, wie fie Hantt dent’ Geſchichtſchrelber Diss rithelie, iſt eia
folder Anlaß’ zu gering. Ranke wehrt‘ des, Letztern Belanntes- Buch
ein wohlgeeneintes. Das if fehr vornehn gurtpeilt. Alle gebühr
rende Achtung vor der Quellenkritit; aber fie darf nicht etwa glau:
ben ‚ auf ein philoſoͤphiſches Geſchichtöbach von oben heräbſehen zu’
tom.
ſieht, um nur feine politifhe Wirkung als das allein
Weſentliche hervorzuheben, müßte etwas von biefer Un⸗
bedenklichteit auch einem Menfchen wie Calonne zugute
kommen laffen, und hätte weit mehr Grund zu fcharfem
Urtheil gegen die Notabeln als gegen ihn, denn ihr Wi
derftand war factiod und perfönlich, und fie waren es
welche die Schäden, die Salonne verurfacht, erſt recht
weit aufriffen. Calonne fol gefagt haben (das Wort
wird auch Andern, aber ihm am wahrfcheinlichiten zuge
ſchrieben): die Misbraͤuche feien eine vortrefflihe Sache,
nur möüffe man feinen Misbrauch damit treiben. Er ift
indeß der erfte Minifter gewefen, welcher von ben herr—
ſchenden Misbraͤuchen nicht nur gefprochen und in Dent-
ſchriften gefchrieben, fondern welcher den Muth gehabt
fie laut vor ganz Frankreich, freilich dur die Umſtaͤnde
gebrängt, auszurufen, und hinzuzufegen, baß fie nicht bios
die. tieflien und weitverzweigteften Wurzeln haben, ſon⸗
dern auch am bärteflen auf die arbeitenden und erzeu⸗
genden Claſſen drüden. Überdies ift zu. ber oben ange-
zogenen Schilderung hinzuzufügen und gegen Dahlmann's
Äußerungen anzumerken, daß Calonne feine Reformen
ſelbſt keineswegs für neu ausgegeben, noch, feine Vor—
gänger verleugnet, vielmehr ohne Umſchweif erklärt hat,
was er bringe fei „keine neue Erfindung, fondern nur
die Verbindung und Zufammenfaffung von Entwürfen
zum öffentlichen Heil, bie feit fange ſchon von ben vor-
züglichften Staatömännern feien erfonnen worden”. Daß
Galonne, der Höfling, der Verfchwender, fo ununwun—
ben mit populairen und volksfreundlichen Anträgen ber-
vortrat, iſt eine gefchichtlich viel zu bedeutende und cha⸗
rakteriflifche Thatſache als dag man fie nur dazu be-
nugen dürfte, ihren Urheber zu verhöhnen und verächtlich
erfcheinen zu laſſen. Sonderbar, daß die bitter ſcharfe
Luft die in dem Buche weht immer nur die Perfonen
trifft, welche am Hof und in den Minifterien figuriren,
während die Übrigen, wenn fie nur irgendwie Oppofition
machen, mit einem fhügenden Gehege umgeben feinen.
Der Geſchichtſchreiber ſchlägt fi) auf die Seite der da⸗
maligen öffentlihen Stimmung, der Alles ohne. Unter-
fheidung redht war, menn nur Widerfiand gegen Hof
und Minifter geleiftet wurde, Uber das von Grund aus
verwerfliche Benehmen der Notabeln wird ganz ſchonend
hinweggegangen mit den Worten:
Es war augenfcheinlich Plan in allen diefen Verwerfuns
gen... . &o aber war das Ende doch, daß man die Steuern
abſchlug als zu deren Bewilligung nicht befugt; dabei von al-
len Seiten Überdruß der Sipungen. Am 25. Mai Entlaffung.
der Rotabeln.
Hier kein herbes Wort, keine von den kantigen Aus-
drudsweifen und Wendungen. Ebenſo glimpflich ift mit
ben Parlamenten umgegangen; fie machten ja aud) Op-
pofition, gleichviel welche, und foderten Reichsſtände, auch
gleichviel welche. Da die Parlamentdmitglieder ihres
Trotzes halber nad, Troyes verbannt werden, bort aber
vor Langeweile nicht aushalten und fih durch bie Lo:
ckungen der Hauptſtadt fehr leicht wieder zur Rückkehr
nach Paris bewegen laffen, bemerkt der fonft fo fcho-
nungslofe Verf. nur Dies, daß „bie Selbftachtung, an ber
462
Wurzel verlegt, fo bald nicht wieder nahwähft“. Es
wird wol einmal eine kritiſche Befchichte der Parlamente
von ihrer Wichereinberufung bis zur Gefeggebenden Ver⸗
fammlung gefchrieben werden; aus biefer werben bie Par⸗
Iamente zu ganz anderer Würdigung hervorgehen als bie
ihnen gewöhnlich zu Theil wird. Selbſt aus dem Dianbe
eines Miniftere wie Calonne fonnte man doch die Worte:
öffentliches und Volkowohl, vernehmen, ja es läßt fi
nicht daran zweifeln, daß es zulegt mehr als nur Worte
bei ihm waren; von den Notabeln und Parlamenten
aber hörte man folche Zöne nicht anfchlagen, fie dachten
viel an fich felbft und wenig an die Nation. Als die
Zeit gefommen war, in welcher das Volk über bas ei«
gentlihe Wefen der Parlamente nicht als rechtſprechen⸗
der ſondern als politifcher Körperfchaften Mar zu fehen
vermochte, da urtheilte e6 über die Derren Räthe unge-
fähr fo: in der Stabt, fagte ed, benehmen fich diefe Her⸗
ren wie Vertheidiger der Unterdrüdten, auf dem Lande
unterdrüden fie felbft; gegen die Lettres de cachet er:
hoben fie ſich erft als fte felbft anfingen bavon betroffen
zu werden; niemald haben fie gegen einen der Ihrigen
Gerechtigkeit geübt; fie fobern zwar Generalftände, fo-
bald aber der dritte Stand angemeffen darin vertreten
werden will, behaupten fie felbft Generalftände an fen;
fie publiciren fogar Gefege gegen Zufammenrottungen,
ftiften aber gelegentlich felbft Meutereien an. Natürlich
verfäumt auch Dahlmann nicht zu erzählen, wie und
wodurd das Parlament am 25. Sept. 1788 die Popu⸗
larität verlor und die Achtung einbüßte, „welche ihm felbft
ruhige Beobachter eine Zeit lang zollen mochten‘, und daß
der freigegebene d’Espremenil auf feiner Rüdreife durch
Ftankreich „wie ein fafelnder Geck betrachtet wurde“.
Um fo feltfamer ift es, baß der Widerſtand und Wi⸗
derfpruchsgeift diejes Parlaments nicht von allem Anfang
an nad) feiner eigentlichen Art und Ratur dargeftellt ift,
fondern fo gefchildert wird, daß der Gefchichtfchreiber ſich
ihm anzufchließen, und zufrieden, gleichwie es bamals
die Menge war, daß nur überhaupt Auflehnung fich ir-
gendmwo zeigte, mit demſelben Winde zu fahren fcheint,
mit welchem die Parlamente fegelten, als. fei der Hof
und Megierungspartei gegenüber Wahrheit, Friſche und
Nationalgeift auf ihrer Seite. Soll aber unnachfichtliche
Strenge geübt und ernfies Gericht über jene folgen-
fhweren Borgänge gehalten werben, fo ift wol fein Zwei⸗
fel, daß die Parlamente diefen Ernft der. Uinterfuchung
mehr werden zu fürchten haben als Brienne und Ca⸗
‚Sonne, ald Königin und Artois, als Neder und Lub-
wig XVI. Uber Das mas von diefen verfäumt, gefehlt,
gefündige worden, könnte die Geſchichte allenfalls Teichten
Fußes hinweggehen, es wirb nichts für das politifche
Verftändnig der Revolution Weſentliches dadurch verlo⸗
ven werden; was aber die Parlamente thaten, war fief
einfchneidend, und die Gefchichte barf diefe Körperfchaften
für die Echtheit ihrer Beweggründe, für den Patriotis⸗
mus ihrer Angriffe auf die Pöniglihe Macht um fo un⸗
erbittlicher verantwortlich machen, als fie es Maren, bie
zu allem Nachfolgenden das Signal gegeben haben, unb
ats von ihnen, weichen Beruf und Einſicht bie Erkennt? vie Grenzen zu erinnern, welche zwifchen ben Erſcheinungen
niß des allgemein Nothwendigen möglich und leicht machte,
Selbftvetleugnung” und Hingebung an die Geſammtheit
au fodern war. Es geſchah einmal, daß der König felbft
ihnen ariftofratifche Tendenzen vorwarf; fie wehrten ſich
Dagegen und erwiderten: Nein, keine Ariſtokratie, aber
auch kein Despotismus, Sire! Aber ſie haben zur Ge⸗
nüge bewieſen, daß ſie gegen den Despotismus nichts
einzuwenden hatten, wenn er ſie ſelbſt nur nicht traf;
wührend fie ſich gegen den Despotismus der Menſchen
auffehnten, zeigten fie die hartnaͤckigſte Vorliebe für den
ber Einrichtungen, ber heftehenden Ungerechtigkeiten und
der größten politifchen Monftrofitäten Sieht man wie
die Freiheitshelden des Parlamente, nachdem fie einen fo
gewaltigen Laͤrm erhoben, in dem entfcheibenden Augen-
blicke ficy eiligft bis auf das Jahr 1614 zurüdzogen,
und fomit die kühn PVorwärtsdringenden plöglich als fo
entfeglich weit Zurückgebliebene daſtanden, fo meint man
bier fei einem mit Lauge fchreibenden Gefhichtserzähler
wahrhaft Gelegenheit zu gerechtem Hohn und ägendem
Spott gegeben. Dahlmann aber, wie fihon erwähnt
an folhen Stellen mild und nachſichtig, nennt jenen
Rüdgang des Parlaments eben nur einen „unbebad):
ten Schritt”. .
(Die Kortfegung folgt.)
Die Gallerin auf der Rieggereburg. Hiftorifcher Roman
mit Urkunden. Bon einem Steiermärker. Drei Theile.
Mit funfzehn Kupfertafeln. Darmſtadt, Leske. 1845.
Gr. 8. 6 Thlr.
So lange die Geſchichte von den Dichtern als Fundgrube
für ihre Darſtellungen betrachtet und benutzt worden iſt, hat
man ſich bemüht, über das Was und Wie der Darſtellung ſich
aufzuklären, zu verftändigen und die Bedingungen zu ermit⸗
teln, denen der biftorifche Stoff unter den Flügeln.der Phan⸗
tafie fi zu fügen bat, denen aber auch die Phantaſie ernfte
Beachtung nicht verfagen darf. Wird und daher irgend. ein
poetiſches Kunftwerk, eine Romanze, ein Epos, ein Drama,
- eine Zragödie, ein Roman ald „hiſtoriſch“ vorgeführt, fo
werden wir uns den Stoff, fo weit wir das bei den mieiſtens
dürftig und ungenügend von den Hiſtorikern gebotenen Mit:
teln vermögen, aneignen und fein Berhältniß zu feiner Beit
und Umgebung zu ermitteln bemüht fein. Wir werden fodann
unterfuchen, ob ber Dichter der Hiftorie getreu geblieben oder
von ihe abgewichen iſt. Letzteres ift als Regel anzunehmen:
theils muß das nackte Factum zu hiftorifher Wahrheit, zum
Leben, erhoben werden, indem es den Erſcheinungen feiner
Beit berpaupt harmonisch einzureihen iſt; theil& unterliegt das
Kunſtwerk, weichem ein foldyes Kartum als Fundament dienen
fol, eigenen Gefegen, welche der Poet nicht verlegen darf, und
diefe Geſetze müflen zugleich als Nichtfehnur bei Entwidelung
ber befondern Idee dienen,ı deren Darftelung fi) der Poet
als Aufgabe geftellt hat. Hierin iſt die innere Nothwendig⸗
* Seit des poetifchen Bildes begründet, und wir können und duͤr⸗
fen dabei nicht von Abweichungen aus der hiftorifchen Bahn
veden, oder wir müßten jede höhere, jede poetifche Wahrheit
überhaupt in Frage ftellen wollen. Unter der großen Menge
biftorifcher Gemälde 3. B., von den Malern aller Zeiten uns
vorgeführt, ift fiher nicht eins, welches] den Moment bed Er:
eigniſſes genau fo darſtellt wie es die Wirklichkeit that; gleich
wol wird es und, die kuͤnſtleriſche Vollendung des Gemäldes
vorausgefept, nicht einfallen, der Wahrheit deſſelben Zweifel
entgegenzujtellen.
- Diefe wenigen Andeutungen genügen vielleicht ſchon, an
⁊
des Lebens und der Kunſt ihrer Darſtellung liegen, aber auch
wiederum auf das Medium binzubeuten, welches fie verbindet
denn allerdings würde bie Darſtellung des Geſchehenen ohne
ein Bermittelndes Unmoglichkeit bleiben, und dieſes Bermit⸗
telude iſt die Wahrheit der Idee.
Der Berf.. des vorliegenden umfangreihen Werks ſtellt
in der Vorrede Die Geſchichte dem hiftorifchen Roman fchroff
gegenüber, indem er an Dasjenige erinnert, was in beiden
Faͤchern, zunächit im biftorifchen Roman, bisher geleiftet wor»
den iſt. Won biefer praftifchen Seite aufgefaßt hat er denn
auch nicht unrecht, wenn er bie Gefcdichtfchreiber anklagt,
„auftatt genußreicyer, Geift und Herz nährender Gerichte. nur
trodened chronologiſches und gencalogifches Heu und Stroh aufs
zutiſchen“, und den Romanfchriftfieleen vorwirft: „ſte mis⸗
Handeln die Geſchichte, und diefe hat fih darüber um fo mehr
zu belagen, je größer der Bauber der. Darftelung und je
bleibenber. der Eindrud berfelben .auf junge Gemuͤther und auf
Geifter, von hiftorifchen Disciplinen ungefchult, iſt.“ Indeflen
wäre damit doch eigentlih nur nachgewiefen, daß man noch
ebenfo unficher in Darftellung der Gefchichte fei wie über die
Mittel und Wege, die dem Romanfchriftfteller allein zu Ge
bote ftehen dürfen. Und Das ift ed denn auch, was der Verf.
hat ausfprecdhen wollen, indem er glaubt, zu Bermittelung des
von ihm bervorgehabenen Segenfages zwifchen Geſchichte und
Roman durch das vorliegende Werk beizutragen, und fo „bie
beiden Außerften zu verföhnen, unterhaltende Lefung in einem
und demfelben Bude mit unterrichtender Quellentenntniß zu
paaren, und den hiftorifchen Roman auf.eine höhere Stufe zu
heben als berfelbe in der Literatur überhaupt und insbefon-
dere in ber beutfchen gegenwärtig einnimmt”. Bu dieſem Zwecke
ſoll dem hiftorifhen Roman ‚eine fefte gefchichtliche, urkund⸗
liche Unterlage gegeben werden, auf welcher ſich das luftige
Gebäude der Dichtung mit aller Freiheit poetiſcher Bildung
in beliebigem Stile griechifcher oder römifcher, faracenifcher
oder gothifcher Baukunſt erhebt”. „Je zahlreicher und beſtim⸗
mender die Urkunden, deſto größer das hiftorifche Intereffe,
aber auch deſto befchränkter die poetifche Freiheit. Indeſſen
bleibt diefer Freiheit Spielraum genug auf bem meiten Felde
pfychologifcher Vermuthung: hier ift der eigentliche Tummel⸗
plag biftorifcher und poetifcher Gompofltion.” Mit diefen Au⸗
Berungen des Berf. wären wir nun dahin gelangt, daß wir
fagen müſſen: genau fo haben bisher ſchon die Hifteriter wie
die Romanfchriftfteller die Sache angefehen, und wenn fie den.
noch Beide nicht befriedigen, fo liegt vieleicht die Schuld nur
darin, daß die Leer Die Gefchichte, 3. B. irgend eine von
Hormayr, als Roman, dagegen den Roman, etwa von W.
Scott, als Gefchichte betrachten. Wer aber trägt bier die Schuld ©
Gehen wir indeß zu Dem umfangreichen Werke felbit über,
welches der Berf. als cin vermittelndes vorlegt, fo finden wir
darın den Haushalt in derſelben Weiſe beftelt wie forgfältige
und gewiflenbafte Hiſtoriker den ihrigen einzurichten pflegen:
ed ift namlich der Erzählung, der biftorifchen Dorftellung ein
Urbundenbud angefügt und damit dem Lefer anbeimgeftellt, ob
feine Wißbegierde ſich mit der erſtern begnügen oder aber
auch dad legtere noch als Maßftab benugen will. Gin Rer
eenfent aber, dert nun einmal jedes ihm vorliegende Bert
claffifieiren fol, Fönnte leicht unentfchieben bleiben, ob „Die
Gallerin“ in das Gefchichtöfach zu fielen oder den Romanen
anzureiben fei, wenn fich hier nicht, obgleich das Buch wirk⸗
lich nur als ein hiftorifches Werk zu bezeichnen ift, Dad Aus»
kunftsmittel fände, das Buch genau nur fo zu nehmen wie
es ber Titel geben will, nämlich als „biftoriihen Roman mit
Urkunden”. enn damit und in der angezeigten Einrichtung
des. Ganzen auch der Conflict nicht aufgehoben erfcheint, den
ber Berf. felber aufgeftellt und zu vermitteln übernommen hat;
wenn überhaupt die ganze Form, felbft ſchon das Format und "
der Umfang des Werkes in jenen weiten Leſerkreis ‚nicht ein⸗
dringen dürfte, der feinem Antheil an der Riteratur nur gele-
gentliche Unterhaltung angemeſſen erachtet; wenn felbft der
gewöhnliche Hiftorifer beim Unblid des Wortes ,„Romen’'
[4
In
fondere re N le Burafrau usb das —æ— 3
feine wit einer kurzen Derficlung b
Hr
fer
Bert
E64}:
4
;
Er
1:
{
„5
»F;
9
vi Grund zu einem ber mertwärbigfien am haföfes
fer Vreceffe gelegt, indem ort Hauptpfuster Strobl, dem ein
berlömmlidyes zu Aheil geworben, in feines
Predigt den Wechslern Fr Au mitfpieit, daß die Gallerin
im Höchiten Born, laut „9 verkündend, die Kische verläßt.
Wie folgenden Bücher geben Rachrichten von den Famitien ber
der damit verwandten „Urfenpethe md Galler,
und fahren fobann zu ber Heldin des ganzen Werks zurück,
berichtend von ihren Resten und Werhäitniffen überhaupt, ih:
vn rer es , den Fr ronzen zwifchen 2 us
ihrem Gemahl, Monaten als Wi
und —— ten iR von nun an in mann
cherlei Proceſſe verwickelt, in denen fie nicht felten bie Weber
ſewſt mt mit großer Seſchi tichheit führt.
Der denfwürbigfte diefer Proceffe if der [hen erwähnte
is dem Hauptpfarrer Strobl. Abgeſehen von jenem Greigniß
vos. vier: Jahren bei ber Leichenferer ihres Dheimb war der
a. Anlaß zu diefem Procoſſe wie fo oft ein hoͤchſt ge
giger. Ihe Hauspfleger (Dberamtmann) ließ das Schloß
Kirchthur ändern und ſteckte den Schluͤſſel in hie Taſche.
Damie war dee Gottesbienft gehindert und einem Proceſſe Die
Zhür geöffner, der fi bald genug von feinem Urſprung ent»
5* die heterogenſten Elemente in ſein ‚immer breiter
—*
Adben und auf ihrer Ferumg, deren vollendendes
—* ſte aiausgefegt beſchaͤftigte, war ihr nicht leicht bei⸗
zukommen. GE Half dem Klerus nichts, daß ev fie verdaͤch⸗
figte: ‚Me und ihre Pfteger führten eim Lehen, von dem man
nicht vecht wiffe, ob es * ober —8RX ſei.“ Sieben
Jetre Hatte: man proceſſirt, bie Actenſüöße waren zu einem
Salben: Baufend: angewachſen unb ſtrotten ven Scchimpf und
Leideuf fie von allen Beissn: Deunad ergab 2 Bein
Durch Bee als daß Alles beim Alten blieb
er, zu Kichts ging.er aus, doch lebt er
de Bette noch Fan fort.
Ehreb Proceſſes mit dem Mifteie n Houferd, Koh
chre Hund nur einem Mann * einem * —8 —*
verherrli
erzogen und for
vexwandtin, * at
Anti d (6 5
—— — En Hs
wu, Did denn Dex Franz. Gruft von
Kocdhter es Freiherr
Susotal die Braut heimführt. Damit ſchließt ver exhe Ipeil,
Der zweite Theil, „Die Huldigung und die Verſchwoͤrung“
führt uns von der Rieggersbarg weg durch die Otelemart
und dad —— al und macht und mie ben eblen Geſchlechtern
Der Berf. liebt feine ſchöne Heimat zu few,
als daß ihn ein Bemerkenswerthes entgehen folite,
er benugt om ſt unfpeinbarcn Anlaß, feine Alles
dringende Befanntfchaft mit dem Begenftante feiner Liebe dar
zulegen, ohne irgendwie befangen oder parteifich zu erfcheinen.
Es iſt ein ubles Beichen des Beit, fo etwas befonders hervor⸗
beben zu müflen: eben beshalb aber ift es Pfliche, und ua
Berf. bot fi überall Anlaß genug, irgend eine Vorliebe zu
bethätigen, 3. B. in dem Ahema der Gegenwart , dem Reli
—— denn die Reformation war tief in Dftreidh ein⸗
gedrungen und hatte noch im 17. Jahrfumderte ſehr deutliche
Spuren hinterlafen. Gteichwol nimmt dev Berf. fo ‚wenig
Partei, daß die Darftellung des katholiſchen Zuſtaͤnde, wie rein
und fireng biftorifch fie auch gehalten iſt, wahrſcheinlich Anlaß
Hab, das Buch außerhalb der öͤſtreichi Add gen Staaten erſcheinen
ge Iffn, da es hier wel eine Unmögli efen pe tt.
mag auch der fehlende Name bes
maßregel fein, Die man freili beklagen —* —* an Yen
Eiteratme eat auden als unüberfeigfiches Bollwerk entgegenftäude.
Im Großen und Ganzen ift ber zweite Theil als Mefler
bes Slanzpunktes im Leben ber Gallerin zu bezeichnen, wenn
gleih wir fie hier auf einee Schwäche ertappen, die nun 8
mal das an BO fo man geiſtig Präftigen Naturen
ſgeint auben, die Matrone ſei —— ——
das ſo Kenia Gluͤck des Eheftandes, fie fei wenig
u viel zu einfichtig, um ſich Die fahren zu —
weiche eine ſolche Verbindung der SHährigen Frau, der Mub
ter einer verheiratheten Tochter, ber veiden, folgen, freiem
Frau, die gewohnt war gleich einem Manne ihre Angelegen⸗
heiten zu Leiten und zu beherrſchen/ bereiten mu Allein —
fle hatte ſich gegen ihren Hauspfleger fo eigen „getelt, dag
biefen ſich Hoffnungen herausnahm, welche fie, abgefehen aud
von feiner geringen Geburt, doch nicht erfüllen mochte. Gie
mußte fi eines Menfchen enkledigen, Der im Laufe ber
auf mancherlei Wegen eine ſtets läftiger werdende Unab
gigkeit zu ufurpiren gewußt, und glaubte Hierzu in der Hei
rath —— Becher Detikof — I das ein⸗
zige Mittel geboten zu fehen 6 war Selbfttä welche
die Heirath als äußere Nothwendigkeit hinſtellte. — Lei⸗
denſchaſtlichkeit, ihre erben Gatten fig Thon lange Jahre
mit einer zweiten Deirath beichaftigt, und verleiteten fie nım,
der menſchlichen und weiblichen Schwädhe ein Opfer zu brin-
gm. Es. war nicht das Leute, denn nach dem Tode des Ober⸗
Ken ſchritt fie foger noch zus deitten Ehe mit dem etwa
M Jahre jüngern Prelheren von Seadl, die nach manchertei
Ylackereien kein anderes Ende für bie alte Sea nahm als
Mußtinanderfegung durch einen Scheidungsproceß
(Der Beſchluß yrwvvcß
Berantwortlicher Heraußgeder: Heinrich Wrokhans. — Dis und BVerlag von FJ. WM. Brockhaus in Leiptig.
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Montag,
— Nr. 117. nn
27. April 1846.
Geſchichte der franzöfifchen Revolution bis auf die |
Stiftung der Republil. Von F. C. Dahlmann.
(Sortfegung aus Wr. 116.)
Bei folder Eigenthümlichkeit des Buche, in welchem
man überhaupt bemerft, daß die Maffen und Gefammt-
heiten, vorerft bie Nation felbft, dann die politifchen Kör-
perfchaften und berufenen Verſammlungen entweder mit
Schonung oder mit Gleichgültigkeit, bie hervortretenden
Derfönlichkeiten aber mit befonderm Intereffe und, wie
man gefehen, mit eiskalter Strenge behandelt werben,
muß die ausgeſuchte Gunſt und Vorliebe, welche ber
Derfon Mirabeau’s zugewendet iſt, um fo flärker in
Berwunderung fegen. Der perfönlichen Gefchichte deffel-
ben ift eine ganze Reihe von Blättern gewidmet; in ihr
allein laͤßt die Darftellung bes Verf. beinahe die ganze
Nationalverfammlung aufgehen; Mirabeau ift ein Haupt- -
impuls zur Revolution; ja er macht fie faft allein, denn
nachdem Dahlmann die befannte Anrede deſſelben an
den Marquis de Brezd angeführt, laͤßt er die Worte
folgen: „Das war die Revolution.” Wie kommt «6,
daß ber fcharfe Muth; mit welchem das Buch gefchrie-
ben, fih Mirabeau gegenüber in große Nachgiebigkeit
verwandelt, obgleich) wie Jedermann weiß und wie bie
Zeitgenoffen und Collegen ded Mannes hinreichend ge⸗
Iehrt haben, Mirabeau's Charakter und politifches Be⸗
nehmen unzählige offene Seiten für den heftigften An-
griff darbietet? So viel ift gewiß, wenn ber Verf. nicht
zweierlei Gewichte hat, fondern Mirabeau mit demfelben
wiegt, mit welchem die ſchon genannten Perfonen von
ihm gewogen worben, fo kann fein Heros nicht halb fo
fhwer herausfommen ale er ihn macht. Diefe Schä-
sung und Behandlung Mirabeau’s, ba hierbei der mo-
ralifche Geſichtspunkt aufgegeben iſt, wirft benn auch
unvermeidlich einen Schatten auf das Princip, aus wel⸗
chem jene fon mehrfach bezeichnete Akrimonie des Verf.
Devon oder fie ift wenigſtens geeignet Leſer
und Beurtheiler ftugig zu machen, wie denn überhaupt
das Buch fo abfonderlicher Art if, daß man oft zwei-
felhaft werden Tann, ob es überhaupt mit hiftorifchem
Mae gemeffen fein wolle, und ob Jemand, der mit ber
Foderung objectiver Teidenfchaftlofer Haltung herantrete,
nicht ein völliges Misverfländnig der Abſichten des Verf.
an den Tag lege, und kurzſichtig, ja dupirt neben dem
Buche herlaufe. Weshalb denn auch, wie bereits er-
wähnt, Viele die Meinung geäußert haben, das Buch fei
gar nit um der’ Gefchichte willen, fondern zu dem
Zwecke febhafter Einwirkung auf den politifchen Sinn
der Deutfchen gefchrieben.
Wie Dahlmann von Mirabeau’s Wert über die
preußifhe Monarchie fagt: „Vielfach, wo er Preußen
nannte, hatte er Frankreich im Auge“, fo tönnte ja au
ein Buch gefehrieben werben, in welchem man Franfreid
nennt und Preußen im Auge bat. Aber wenn es ir⸗
gend eines Beweiſes bedarf, daß jene Meinung eine ganz
f&hiefe ift, fo wäre er in des Verf. Auffaffung und
Darfiellung Mirabeau’s zu finden. Hier find feine an⸗
bern Zwecke denkbar als bie offenbaren der Gefchicht-
fhreibung, der Erzählung. Der Mann wird ald Das
was er war, ale ein Phänomen befchrieben, als das
volle, gewaltige Product, wie es biefe beſtimmte Zeit al⸗
lein hervorbringen koͤnne, wird er dargeftellt und in fei-
nem mächtigen Walten und Wirken anfchaulich gemacht.
Hier Tann von Nuganmendungen auf und und für uns
nicht die Rede fein. An Mirabeau wäre nur Eins
nachzuahmen, fein Genie, und das ift nicht nachzuah⸗
men. In Dahlmann’s Buche iſt er wie zur Bewunbe-
rung bingeftelle, und von dem Augenblide feines Auf⸗
treten® an fcheint das Bud, nur für ihn gefchrieben; er
iſt gefchildert ‚wie man eine Naturkraft fchildert, die in
ihrem Laufe verfolgt, mit einer Art Unterwürfigkeit an-
geftaunt werden foll, aber nicht. nach den Begriffen des
Rechten und Falfchen, des Buten und Schlechten zu
richten iſt. Gleich anfangs, da von dem Schritte bie
Nede ift, welchen ber dritte Stand zu thun im Begriff
war, feine Repräfentation für die bed gefammten Frank⸗
reichs zu erflären, wobei Mirabeau fi bekanntlich fo be»
nahm, daß er erſt gegen dies Beginnen donnerte und
fi ihm dann ohne weiteres anſchloß, fehen wir den
fonft fo herben Verf. über diefen Moment mit den leicht.
füßigen Worten hinweggleiten: „An demfelben Tage an
welchem er (Mirabeau) an Sieyes' Seite den gefürdte-
ten Schritt gleichwol that, trachtete er für die Regie»
rung die er erfchütterte neue Stügen zu gewinnen.” An
Sieyes' Seite, wie es hier heißt, Hingt freilich harmlofer
als: mit Sieyes im Einverfländniß, wie es hätte beißen
-folen, und das Wörtchen „gleichwol“ Hilft über bie
Hauptfchwierigkeit raſch hinweg.
Uber das Benehmen Mirabeau's, vor der Entſchei⸗
466
dung des Kampfes, den er gegen die Benennung: Na-
tionalverfammlung, felbft bervorgerufen, die Flucht zu
nehmen, lefen wir die gleihmüthigen Worte: „Mira-
beau entzog fich diefer Sigung, deren Ergebniß er vor:
ausfah und nicht billigte.“ So ift die Darfiellungsweife
in Bezug auf Mirabeau durchweg gehalten. Ein Mexrſch
feines Schlages Tann, wie allgemein anerkannt werden
muß, allerdings nicht nach gemeinem Maße gemeffen
‚ werden, und wer über ihn fpricht darf nie das Wort
des Mannes felbft: „Die kleine Moral tödtet die große”,
vergeffen. Wer aber wie Dahlmann eine politifche Mo-
tal anerkennt, fo fehr, baf ber Reſpect vor berfelben in
jeder Zeile zu Tefen if; wer die Verachtung dieſer Mo-
ral an den Staatslenkern und fonft Hochgeftellten mit fo
ſcharfer Geißel in die Zucht nimmt, ber fcheint durch
ſelche Behandlung Mirabeau's mit ſich felbft in Wider⸗
ſpruch zu gerathen und gegen ben Charakter feines Buchs
zu verfioßen, wenn er biefen Heros nur als Gegenftand
ber Bewunderung aufftellt, vor welchem die erft fo viel-
fach geübte Schärfe des Urtheils fih in Nachſicht und
Schweigſamkeit verwandelt. Denn wie manches Bedenk⸗
liche das Mirabeau angeht hat Feine. Erwähnung im
Buche gefunden! Wir meinen nicht etwa das perfönlich
fondern das politiſch Bedenkliche. Es war vor Allem
eine Aufgabe des Buche, welcher es fich wegen feiner
ganz befondera Anlage am allerwenigfien entziehen durfte,
unverhohlen an den Tag zu legen, ob Mirabeau Alles,
womit er durch Macht und Genie ausgerüftet war, auch
wirklich zur Rettung der Monarchie aufgeboten bat, ob
er dies Ziel als großer politifcher Charakter mit Bewußt⸗
fein verfolgt hat, ob feine Abweihungen von diefer Bahn
nur fcheinbar, nur duch die Umftände geboten und nur
Hug waren, ober ob er fi durch Ehrgeiz und gewalt-
haberiſche Abſichten bat ablenken laffen.
Da Mirabeau in dem Grringen diefed Ziele® feine
Schickung und Rechtfertigung felbft erblickte, fo tft dies
das eigentlihe Gebiet auf weichem das Urtheil über ihn
gefprochen werben, der Punkt den die Geſchichte, wenn
fie den Lauf diefed Mannes verfolgt, im Auge behalten
muß. Fort denn mit aller weiten Umflänblichkeit über
feine Perfon, wobei ja doch, nichts als allgemein Be⸗
kanntes wiederholt werden kann, fort mit Allem was in
bie Biographie und unter die Anekdoten gehört, fort
auch mit dem Pathos der Bewunderung. Unfere Zeit,
für Die doc, gefchrieben fein fol, fodert ernftern politi-
fegen Unterricht und will über den tiefern innern Zu«
fammeuhang ber Dinge belehrt fein. Wir zumal in
Deutſchland bewundern ſchon ohnehin gmug. Wir moͤ⸗
gen, befonbers im Peolitifchen, allerdings Grund haben
fremde Größen anzuftsunen, aber jedenfalls ifi das Ver⸗
fichen und Würdigen beffer als das Bewundern und An-
Raunen, Es kommt wol einmal vor, daß der Darf. Mi-
rabeau's Benehmen „ſchmaͤhlich nennt, z. B. als Mi.
rabeau gegen feine Überzeugung bie Entbehrlichkeit der
Toniglihen Sanction zu ben Beſchlüſſen des 4. Auguft
behauptete. Aber diefe Rebe, an welcher hie würdeloſeſte
Sonhiſtik zu rügen war, nennt Dahlmann „einen der
Blige die Mirabeau gegen ben Thron ſchleuderte“ Huch
wo wir Gefinnung und Verfahren verwerfen müffen, fol-
len wir immer noch wenigftens die Gewalt des Helben
bewundern. Es gab aber in dem politifchen Leben def-
jelben Momente genug, in welchen für die Bewaunderung
nichts, um fo mehr aber fie bie Verwunderung übrig
blieb. Diefe find im’ Buch übergangen. Was that, um
nur Eins anzuführen, Mirabeau, ale, nach den Ermor-
dungen Foulon's und Berthier's, von Lally Tollendal
eine Proclamation an das Volk zur Ermahnung deffel-
ben beantragt worden war, welche der trefflihe Mou⸗
nier mit ben Worten unterflügse: „Deute oder nie muß
die gefeggebende Autorität hervortreten; dringt Ihr beim
Volke buch, fo iſt Euer Muth belohnt; wenn nicht, fo
habt Ihr dech Eure Pflicht gethan!“ Mirabeau ſtand
auf und fprach: „Nach meiner Meinung, ich erfläre es,
würden BHeinlihe Mittel die Würde der Verſammlung
bloßftcllen; die Unorbnungen welche vorgefallen find da⸗
ber entitanden, daß bie parifer Wählerfchaft fi) ohne for-
melle Einwilligung der Commune der Zügel ber Stadt⸗
verwaltung bemächtigt hat. Man muß alfo vor allen
Dingen die Stabtobrigkeit organifiren. Als Lally Tol-
lendal fah, dag Mirabeau in einem folden Moment auf
die Seite der Anardiften trat, konnte er fi nicht ent-
halten auszurufen: „Man kann fehr viel Geift haben,
fehr große Ideen, und ein Zyrann fein!“
Damals war Mirabeau noh im Genuß voller Po⸗
pularität; welch ein Gewicht hätte er auf bie Seite der
Drdnung werfen können, wenn er gleich beim Beginn
der erften Volksbarbareien den Donner feiner Stimme
Dagegen erhoben hätte! Ihm, wenn irgend Einem, hätte
es damals gelingen müſſen, der Nationalverfammlung
ein ſolches Anſehen zu geben, dag fie auch [päterhin nie
hätte vor dem Palais royal zittern dürfen. Warum
that fer es nicht? Hier find für fein Verfahren nur
Heine perfönlihe und nicht große allgemeine Abſichten
denkbar, um fo gewifier, als derſelbe Mirabeau nur drei
Moden früher, bei ungleich geringerm Anlaß, namlich
als die königliche Sigung vom 23. Juni große Aufre-
gung erzeugt, felbfl eine Adreſſe an das Volk zur Bor«
lefung gebracht hatte, worin no ganz andere Dinge
fanden als in jener des Lally Tollendal, z. B. dag man
die höheren Stände megen der Unruhe, bie fie um ihre
Beiigthümer empfänden, „mit ben Vorurtheilen ihrer Er⸗
ziehung und ben Gewohnheiten ihrer Kindheit entſchul⸗
digen mäfle”; daß Tumult und Unordnung nur ben
Feinden der Freiheit zu Nuge komme, daß „bie größefte
der Miffethaten, der ſchwärzeſte Frevel wäre, fih den
hohen Geſchicken Frankreichs zu wiberfegen, dies Unheil
aber einzig und allein aus den Drangfalen entfichen
Tonne, welche die unansbleibligen Folgen der Zügellofig-
keit find“. Solche und bie vielen ähnlichen Momente,
weiche in Mirabeau's Laufbahn vorkommen, find in dem
Buche unerwähnt geblieben,. obgleich fie in das Weſen
des Mannes tiefe Einblide thun laſſen.
(Der Beſchluß folgt.)
“ führte, fo mußte jie auch alte B
——
467
Die Ballerin auf der Rieggersburg. Hiſtoriſcher Reman
mit Urkunden. Don einem Gteiermärker. Drei Theile.
(Beſchluß aus Nr. 116.) |
Ungeachtet diefer Eheſtandsverirrungen, bie auch ein ern
ſtes Zerwuͤrfniß mit Schwiegerfohn und Kochter zur Yolge hat»
ten; ungeadgtet des verbeießligen umb langwierigen Handels
mit eben Demjenigen, ben die Gallerin durch ihre Heirath am
beften zu befeitigen dachte, namli) bem zachefuchenden Haus»
pfleger; ungeachtet der Streitigkeiten mit ben Behörden we:
gen der von der Befigerin als Allobium behuupteten, von je=
nen aber als verfallenes Lehn angefprochenen Rieggersburg,
haben wir ben zweiten Zheil Doch als Nefler der Glanzperiode
im Leben der Ballerin bezeichnet. Die lebensluftige Frau war,
wie doch fonft gemeinlich wiederheirathende Witwen, mit einer
ſtillen Hochzeit nicht zufrieden: fie veranftaltet ein ‚glänzendes
Feſt, welches die Repräfentanten der älteften und ebelften Ge⸗
ſchlechter verbertlichen, und da auch dieſes nody nicht genügt,
fo werden durch ein eigenes Wahlcapitel Vorbereitungen zu eis
nem ungewöhnlichen Mitterfefte getroffen. Die Berhandlungen
des Wahlcapiteld bethätigen die genauefte Bekanntſchaft der
Ballerin mit allen Stammbaͤumen der Steiermark, fie ber
ſtrengſten Adelsprobe unterwerfend, und das Feſt felbft, wie
eine Allegorie auf der Grenze mittelalterticher Yracht und mo:
dernen dramatifchen Bebens ſtehend, mag zu den denfwärdig:
ften feiner Zeit gerechnet werben.
Denkwürdiger noch erfcheint dic Erbhuldigung des Kai⸗
ers Leopold, Die derſelbe perſoͤnlich entgegennahm. Die bes:
Uſigen Einleitungen ſowie bie Handlung ſelbſt find dem Ge:
ſchichtsfreunde überhaupt um fo intereffanter, als eine ſolche
Begebenheit nur felten vorkommt, und namentlich in Steier⸗
mer? feit 1728 nicht flattgefunden bat. Hier erfcheint die
Erbhuldigung noch um fo bedeutſamet, als Oftreih fortwäh:
rend mit den Zürfen in Händel verwidelt war, die endlich
gar die Belagerung von Wien zur Yolge hatten, und wäh:
tend des Feſtes die Rachricht einlief, Sidi Ali⸗Paſcha rücke mit
großer Macht auf Großwardein an, und General Souchez fei
aum in ®tande ihm zu widerfichen; ale ferner au fchon
Bier Die Faͤden ber — *8 Verſchwoͤrung angeknuͤpft wurden,
die nicht allein eine nähere Verbindung mit den Tuͤrken als
nothiwendig erfiheinen ließ, fondern auch dad Leben des Kai:
ſers bebroßte.
Wie die Erbhuldigung eine: ‚gehe Geſellſchaft nad) Graͤt
anntſchaften erneuen, enger
verfnüpfen, und neue Verhaͤltniſſe der verſchiedenſten Art ber
vorrufen. Sie gibt Anlaß zu einer Beluchreife der jungen
Frau von Purgftall, Die bei ihrer frommen Richtung zugleich
als eine Wallfahrt betrachtet werben muß, und dieſe in ge
Iehrter und poetifher Begleitung unternommene Reife durch
das Raabthal ſowie fpäter nach der Steiermark bietet dem
Verf. die treffiichften Schilderungen, an welche ſich biftorifche
und andere Nachweiſungen der mannichfaltigften Art in fo gro
Ger Maſſe Inüpfen, daß man wie ſchon früher bier von
neuem verfucht wird, dem Berf. einen ziemlich vergeffenen
Ehrentitel, naͤmlich den eined Polyhiſtors zu vindiciren, der
aber vor jenen alten Bücherfchränten den großen Bortheil eige⸗
ner Enſchauung vorauß Bat. Dazwifchen [leicht die ungari⸗
fe Berſchwoͤrung unter der truͤgeriſchen Agide zarter Ver
altniffe, unter dem Mantel der gegen den Türken nothwen:
tgen Landesvertheidigung und der Schlacht von St.Gotthard,
in welcher der Freiherr von Kapell bleibt, mit wachfender
Kühnheit immer näher und den KRaifer enger umgarnend ber:
an. Der Kaifer ſollte fallen ober doch aufgehoben werben,
während er feine Brauf, die Infemtin Margarethe Therefia
einholte. Gräfin Purgſtall, davon heimlich unterrichtet, Täßt
den Kaifer warnen; er iſt gerettet; die Berfchworenen fallen
unter dem Schwerte des Gerichts, und erſt nach Jahren er:
führt der Kaiſer, wer ihn gevettet.
Unter diefer die Sonne verfinfternden Wolke gehen wir
zu dem dritten Theile, „Der Herenproceß”, über. Die Galle⸗
. .
.gen dann wol
rin, bon allem Gluͤck verlaffen, welches fie im Cheſtande zu
fpat fuchte, ift nun eine alte Frau geworden, die Beine Un:
ſprüche mehr an Lebensfreude zu machen weiß und dennoch ih»
ven firebenden Geiſt befhäftigen muß. Andere Frauen pfle⸗
der Andacht zu ergeben, um, ba, fie doch
Die Welt verloren, wenigftene vom Himmel zu retten was
möglich iſt. Die Gallerin, obgleich ein Jeſuit Jahre lang bei
ihr verkehrte, batte vielleiht eben deswegen niemals ernften
Sorgen für ihr Seelenheil Raum verftattet, gleihwol kann fie
die innigen Beziehungen des Irdifchen zum Himmliſchen nicht
zurückweiſen, und ſucht fie nur in einer Berierung, an wel⸗
ger, und das entfchuldigt fie, ihre Zeit überhaupt noch krank
lag. Sie ergibt fi dem Stubium der Bauberei und Magie.
3br jegiger Hauptpfarrer Zirkelius ift in diefen Regionen zu
Haufe, und wo ein Gottesmann Feine Sünde findet, da kann
fie getroft ihm folgen.
Bir können die Einzelheiten, welche einen durch viele Be:
tHeiligte verwidelten Herenproceß und endlich hier wie überall
Sceiterhaufen, traurige Brandopfer am Grabe der Gallerin,
herbeiführen, nicht umfländfid begleiten, da wir die Erſchei⸗
nungen im Serenzeitalter beim Lefer im Allgemeinen als be
kannt vorausfegen dürfen. Doch ift anzuführen, daß dieſer
unheilvolle Proeeß vom Berf. ald Grund eines Gemäldes be
nugt wird, welches die Vermählung des Kaiſers und die da⸗
durch veranlaßten Feſte darſtellt. Sodann aber ift eine wenn
auch nicht fo gang neue, bo hier vorzugsweile feftgehaltene
Auffaffung des Hexenweſens hervorzuheben. Es ift mit kur⸗
zen Morten die: daß das Coölibat der katholiſchen Geiſtlichen
feinen Zügel gewähre gegen Keidenfchaften, welche eben durch
dafielbe in rohe Begierde aubarten, für deren Befriedigung
jedes Mittel recht ifl. Das Gebot des Gölibats ijt ein Gott
verhöhnender Gingriff in daß mweltalte veine Gittengefeg, und
ba der Per nicht Eine Frau lieben darf, fo verfel er ſchon
früh auf den auch heutzutage noch bin und wieder laut wer⸗
denden Schluß: das ganze Befchlecht fei feine Geliebte. Im
ftumpfern ter trat an deren Stelle die Flaſche, wenn fie
nicht gar ſchon früher verbunden waren. Aftrologie, Magie
und überhaupt jene Verirrungen des Menfchengeiftes im Stre⸗
ben nach dem Gebeimniffe der Natur dienten leicht zu @tei-
gerung ter Gelüſte, zugleich aber auch ihnen eine Form zu
geben und die Mittel der Befriedigung. Die Form war über
dem leicht den bacchiſchen Feſten Der alten Welt entlehnt:
Staat und Kirche der Gegenwart aber gewährten keinen Bor
den, und das Dunkel der Nacht mußte bie Einfamkeit des
Schauplatzes müfter Orgien noch verfchleiern, wohin man ben
Gegenitand der Begier zu verloden trachtete. Der TJeufel
en damals in großem Anſehen. Selbſt die Sallerin hielt ihn
ür den eigentlichen Herrfcher der Belt, fie debucirte dad dem
elehrten Sefuiten Zaferner fogar ans ‚dem Vaterunſer: es
—* daher nicht auffallen, daß er bei geringern Weibern
fehr mächtig war, wenn er in Prieſtergeſtalt winkte. Das
Alles mag nun. damals in Steiermark fo geweien fein. Doch
zeigt der Herenunfug fo mancherlei Formen, daß wir nicht an⸗
nehmen dürfen, er fei lediglich aus der Verſunkenheit der
Prieſter in dem oben angegebenen Sinne hervorgegangen, oder
aber der „Malleus maleficarum’ wäre ein noch größeres Ber
brechen am gefunden Menfchenverftande als er ed an fich ſchon
ift, da er, von einem Priefter geſchmicdet, nicht die Prieſter,
fondern deren Opfer zerichmetterte. Der be an Hexen iſt
überdem Jahrtauſende älter als das @ölibatgefeg und beffen
Folgen, welches überdem im proteftantifchen Deutfihland, eben⸗
falls von Scheiterhaufen durchlodert, ohne Geltung war. Die
Derenprocefie waren eine Peſt der Zeit überhaupt, aber dem
Berf. gebührt das Verdienſt, an eine Quelle derfelben erin-
nert zu baben, welche bisher wenig beachtet worden Äft.
Die Gallerin ftarb am 12. Fehr. 1672, den Tod fürd:
tend, ohne des in magifche und kabbaliſtiſche Kreiſe gebannten
Lebens froh zu fein. Noch am Tage zuvor misbrauchte fie bie
Bibel, dielleicht der katholiſchen Frau zu leſen erlaubt, um
irgenb einen bie drückenden Sterbegedanden zerftteuenden Xert
mit einer Nadel herauszuſtechen: aber auch das heilige Buch
iat ihr die Zahl „„zweiundficbenzig‘, Thon Jahre zuvor als
date Zahl von einer Zigeunerin ihr verlündet. Einen Grab⸗
flein wollte fie nicht, und die Pietaͤt der Tochter gehorchte.
Diele farb fon vier Jahre nach dem Toͤde der Mutter. Der
ältere Sohn, zur Freude der Jeſuiten ein Wüftling, folgte
ihr; der Züngere, fehon bei der Geburt dem geiftlichen Stande
verpfändet, war cin willenloſes Werkzeug in den Händen ber
Sefuiten, und fein Vermögen dem Bau und der Dotirung eis
ned Gymnaſiunis zu Marburg gemwitmet. Der Stolz der Sul:
ferin, die Rieggersburg, mußte von den Iefuiten, nad) weit:
laͤufigem — die Habſucht des Ordens und die Mittel,
fie zu befriedigen, offen u Tage legend, durch einen Erben
böhmifcher ‚Linie um 50,000 Fl. geloͤſt werden, und damit iſt
das Leben einer Frau abgefchloffen, die nur gekommen zu fein
fıhien, um als die Legt: vom Gefchlechte der Wechsler und
aller über ihrer Beit zu ftehen, ohne doch die Feſſeln derfel:
ben abgeftreift zu haben.
Die Urkunden, für deren Abdruck vom Verleger eigens
ſchwabacher Schrift Herbeigefhafft worden ift, ‚dürfen, wie:
wol fie einen wahrhaften hiſtoriſchen Schag darbieten, nur
kurz berührt werden, da fie der Tendenz diefer Blätter weni:
ger als einem rein biftorifhen Organ fich eignen. Wie es
aber im Allgemeinen Pflicht ift, den Hiftoriter auf diefen
Schatz, welhen er bier vieleiht nit ſucht, aufmerkfam zu
madyen, fo muß bier der Werth defjelben für Kenntniß zu»
nächft der Sprache und Sitten, bes Rechts, des Policei, über:
haupt des Eulturzuftandes ihrer Zeit hervorgehoben werben,
wie denn fihon der Verf. im Vorwort die ganze Sammlung
richtig als reihen Stoff zu einem Gloffar des Oberdeutfchen
im 17. Zahrhundert bezeichnet. In diefer Beziehung ift gleich
die erfte Urkunde im erften heile, „Gerihtözeugbrief des
Landmarfchalls von OÖftreih vom 16. Mär; 1865”, ein hoͤchſt
merfwärdiger Beleg für bie Zhatjache, daß die Sprache im
Laufe der naͤchſten drei Zahrhunderte fich nicht fortbildete.
Wie nun diefe Urkunden meiftentheits Kauf und Verkauf,
Rechte und Gerechtigkeiten, Heirathen und Todesfälle, über:
haupt folge Gegenſtaͤnde betreffen, bei welchen ein Contracts⸗
verhälmig in Frage kommt, die aber zugleich Plare Blicke in
befondere @igenthumlichfeiten des Orts und der Zeit gewaͤh⸗
ren, fo find doch manche berfelben bier noch befonders hervor:
zubeben. Dahin gehören:
Im erften heile. Mr. 104. Zeitungsnachrichten vom
Dec. 1648 und San. 1649, alfo zur Zeit des Weſtfaͤliſchen
Friedens, auß einem großen Theile von Europa. Nr. 105
107. ſtreichiſche Untertbanen, welche binnen Jahresfriſt fich
nit zur Patholifchen Kirsche bequemen, follen das Land ver:
laſſen; die adelige minderjährige Jugend aber foll im Lande
erhalten werden. Demgemaͤß veverfirt fih Regina Globiger
mit Leib, Gut und Blut, ihre außer Land geführten Kinder
auf erftes Begehren wiederum zu ſtellen. Rr. Ill. Inventa>
rium der Berlafienfchaft diefer Frau, intereflant ſchon wegen
der beigefügten Preife. Nr. 112 — 113. Zwei Briefe des
Doctors Apoſtoli, welcher der Gallerin eine Eur verordnet.
Nr. 130. Auszug aus dem Inventar über den RNachlaß des
Freiheren Galler. Rr. 131. Katalog der Galler ſchen Biblio:
thek, welcher viele Iutherifche Impressa enthält. Nr. 132. Eine
Suchbinderrechnung. Nr. 149—227 betreffen den merkwuͤrdi⸗
en Proce$ wider den Hauptpfarrer Strobl, worunter Nr. 169-—
70 Beugenausfagen wider den Pfarrer umd deffen em
Kr. 173. Klagſchrift deifelben wider die Gallerin. Nr. 185.
Merkwürdiges Schreiben des Richters zu Feldbach an die Kö-
in. Re. 19%. Eingabe der Gallerin zur Vertheidigung ih⸗
res Büchfenmeifters. Nr. 198. Die 25 Beicgwerdepunkte der
Gallerin wider Strobl. Nr. 199. Deffen Vertheidigungsſchriften
befonder6 hervorzuheben find. Wr. 243. Ein Stammbud
aus den Jahren 1633 — 44, in welchem wir manchem guten
Sprüdjlein und mancher Rotabilität jener Zeit begegnen.
- den die
Im zweiten Theile. Mr. 3 — 5. Blutiger Streit wegen
nicht völlig eriegten Kaufſchillings. Nr. 6. Baareurechnun
für die Freiin Galler vom Jahre 16%. Nr. 43. Verglei
zwiſchen der Gallerin und Strobl wegen Gewaltihätigkeiten
und mehr als 20 Proceſſe. Nr. 67 — BA betreffen die Ser:
wäürfniffe mit dem Pfleger Grattenau. Xr. 105. Ein Anſchlag
der Werb- und Rüſtungskoſten von zwei Regimentern Fußvolk
zu 1500 Mann. Wr. 106. Koftenanfchlag der Ausrüftung und
Beftallung der ftehenden landſchaftlichen Mannſchaft mit der
Aufbringung bes dreißigfien Mannes. Rr. 117. Schreiben Kaifer
Leopold’ an den Grafen Brinyi. Nr. 115. Dedgleihen an den
General Grafen Leslie, mit deſſen Operationen gegen die Tür⸗
Ben der Kaifer nicht zufrieden iſt. Nr. 119. Antwort bes Gra⸗
fen Leslie auf dieſes Schreiben. Rr. 120. Verhaltungsbefehl
beffelben für das Benehmen feines Weiters bei Hof. Rr. 157.
Beichwerdepunfte der Gallerin wider ihren Gemahl Hans Rus
bolf von Stadl, um die Scheidung von ihm zu erlangen.
Nr. 164, Klagſchrift Grattenau's über erlittene Mishandlung
vom Freiberen von Yurgftall. Nr. 165. Replik des Letztern
auf die Klagfchrift-
Das Urkundenbuch des dritten Theils gibt ın 139 Nums
mern die Verhandlungen bed berüchtigten Derenproceffeh von
Feldbach; eine wahre Yundgrube für Juriften, Theofogen,
Phitofophen und den gefunden Menfchenverftand. Das größte
Unglüd für die alten Weiber war ein Unwetter, weldyed bie
Gegend heimſuchte und von ihnen gemacht fein follte. Die
peinlihe Frage vermochte fie, das Wettermachen einzugeftehen.
Damit nehmen wir Abſchied von einem Bude, welches
Genuß und Belehrung in einem Brade gewährt, wie das nur
von wenigen Werfen der Gegenwart zu fagen if. Wenn wir
und auch vom Standpunkte ber Kunftpbilofophie aus mit dem
Verf. nicht eigentlich einverftanden erklären: fonnten, fo moͤch⸗
ten wir doch wünſchen, daß begabte Hiſtoriker durch dieſes
Werk fih zu ähnlichen Productionen anregen ließen. Dann
wäre Ausficht vorhanden, daß die Geſchichte nach und nad
lebendig, mehr und mehr dem Volke zum Bewußtfein gebradht
und damit zum Eigenthum defielben erhoben würde. Kur ba,
wo die Gefchichte, die Chronik, die Sage lebt, lebt au das
Boll, und nur da werben wir Patriotismus finden, wie
er allein dem Einzelnen wie dem Ganzen frommt, aber verge-
bens von Kanzeln gepredigt und in Ausſchreiben receptirt
wird. In dieſer Beziehung gibt auch fchon die Vorrede de6
Buches beherzigenswerthe Winke. 18,
Ziterarifhe Notiz aus Frankreich.
Nodier's Werke.
Der liebenswürdige Schriftfteler Charles Nodier hat, ob⸗
glei) ex immer als bedeutende literarifhe Autorität betrachtet
ft, doch niemals als Dichter die Geltung und Anerkennung
gefunden welche ihm gebührt. Seine größern novelliftifchen
Produrtionen waren viel zu hoch, als daß fie dem Geſchmacke
des Publicums, das, wie Nüdert fagt, gar nicht wählerifch
ift wie die Biegen, hätte zufagen koͤnnen, und felbft feine Mei-
nen luftigen Gompofitionen find in einem Stile gefchrieben, für
enge Fein Berftändniß hat. So find denn feine dich⸗
terifhen Werke nur folchen Raturen an das Herz gewachſen,
welche für feiner organifirt gelten Fönnen. Wer fie aber ein-
mal lieb gewonnen hat, ber iſt auch durch den garten Sinn,
in dem fie empfangen find, und ben buftigen Hau, der über
der ganzen Darftellung ſchwebt, um fo mehr gefeſſelt. Den
Kreifen, in denen der Name Nodier wirklich populair ift, wird _
in einer Sammlung ausgewählter Erzählungen aus feiner Feder
eine erfreuliche Erfcheinung geboten. Diefe Auswahl hat u. d. X,
„Contes choisies” zu erſcheinen angefangen. Die Ausflattung
ift anfpredgend und geſchmackvoll, aud fehlt es nicht an bem
üblihen Illuſtrationen, weide ge wenigftens nicht wie in fo
vielen Fällen an umvürdige Stoffe. verfchwendet find. 1.
Berantwortlicher Herausgeber: BSeinrich Brockdans. — Drud und Verlag von F. X. Wurdhans in Leipzig.
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Dienftag,
28. April 1846,
(Beihluß aus Nr. 117.)
Mit derfelben Leichtigkeit die wir fchon oben ange-
merkt geht der Verf. über Mirabeau’s Berhalten zu
Reder hinweg. Jener hatte die bekannte Unterredung mit
Diefem gefodert, weil er für feine Pflicht hielt Alles dar⸗
anzufegen, damit dem drohenden Umflurz der Monarchie
gewehrt werde. Dahlmann erzählt den Ausgang ber Un-
terrebung ganz gleichmüthig ; von feinen vielen edigen
Worten hat er auch bei diefem Anlaß Fein einziges für
Mirabeau, obgleich die perfönliche Gereiztheit deffelben,
der er ben großen angelündigten Zweck wilb aufopferte,
fo geringfügig war! Noch Peiner aber als dieſe war
feine fpät genommene Rache an Neder; ale nach deffen
Nüdberufung die parifer Commun auf feine Fürbitte
eine Amneftie und Freilaſſung der Gefangenen bewilligt
hatte, betrieb Mirabeau bei den Wählern feines Bezirks
die Aufhebung diefes Beſchluſſes. Bon foldhen Dingen
ift in dem Buche nichts zu finden ; fie möchten, bei ber
Gedrängtheit deffelben, immerhin fehlen, würbe nur burd)
diefe Mangelhaftigkeit der Hiftorifhen Erkenntniß keiner⸗
lei Eintrag gethan.
Wenn unwiderſprechlich wahr ift, daß Mirabeau nicht
durch den Makel, den er aus feiner Vergangenheit mit-
brachte, fondern vornehmlich durch die Blöfen, die er fich
während feines politifcden Lebens felbft gab, die Macht
feiner Einwirkungen gebrochen, das Vertrauen verfcherzt,
und die Rettung bie feine Aufgabe war nicht durchzu⸗
fegen vermocht bat, fo folgt baraus, daß ber Geſchicht⸗
fihreiber das Kleine, das an diefem Charakter war, mit
nicht geringerm Nachdruck ale das Große bas in feinen
Zähigkeiten lag hervorzuheben haben wird; denn das
Eine war Hiftorifch nicht minder wichtig als das Andere.
Auch find die übrigen bedeutenden Dlitglieder der Na-
tionalverfammlung gegen Mirabeau nicht fo weit zurück⸗
geftellt gewefen als die geringe Beachtung, die fie in bem
Buche finden, glauben machen kann. An Umfang und
hinreißender Gewalt der Beredtfamkeit und an politifchem
Derftande war ihm Keiner vergleichbar; die fittliche
Würde und Haltung aber, durch welche fie für immer
denkwürbig bleibt, "verdankt die Nationalverfammlung
andern ihrer Mitglieder, deren Einfluß fletiger, wenn-
glei minder glänzend war. Die einflußreichfte aber
aller Mächte, weiche auf die Nationalverfammlung ge⸗
wirft haben, der öffentliche Geiſt ift in bem Buche gar
nicht in Anfchlag gebracht. Niemand kann glauben, daß
Dahlmann dieſe Macht geringfchägt, aber gewiß ift, daß
er fie als foldhe in feinem Werke ignoriert hat. Die
Nation fpielt darin eine geringe Rolle; wie fie vorberei-
tet war, die Mevolution zu empfangen, was fie, im
Sanzen und Broßen genommen, gewollt und gebacht hat,
ob und wie weit ihre Vertreter fie wirklich ‘vertreten,
ihre Organe für fie gefprochen und gehandelt haben, ob
ein richtiges oder falfches Verhaͤltniß zwiſchen Beiden
obmwaltete, wie es innerhalb der verfhiebenen Stände um
bie politifhen &efinnungen und Ginfichten ausgefehen,
über dieſe und biefen nabeliegendbe Dinge erhalten bie
Lefer des Buche einen Aufſchluß. Was außerhalb ber:
Sphäre ber formell conftituirten politifchen Gewalten ge-
ſchieht, dafür bat ber Verf. nur fparfame Aufmerkfam-
feit bewiefen; überhaupt auf diefenigen Erfcheinungen, in
welchen ſich der herrfchende Geiſt ber Nation, ber Ein-
fluß der längft verbreiteten Ideen, Bürgermuth und Tuͤch⸗
tigkeit am unmittelbarften ausgefprochen, wenig Werth
gelegt. Selbft die Nationalverfammlung ift nur nach ih⸗
rer parlamentarifchen Thaͤtigkeit, vornehmlich inſoweit
als Mirabeau fie beherrſcht hat, geſchildert; ber große
begeifterte Sinn, von bem fie für die Erhabenheit ihrer
Zwecke durchdrungen war, ift nicht gezeichnet; die Feier⸗
lichkeit des erften Zufammentretens, die hohe Freudigkeit
womit die Beftgefinnten ſich voll Hoffnung und Zuver⸗
fiht verfländigten, dies Alles, was bei der Beichäftigung
mit der Revolutionsgefchichte Leidenſchaften ebler Art zw
erregen geeignet ift, erfährt geringe Beachtung. Das
Wort Mirabeau’s, bei welchem ber Verf. wie oben an«
geführt fagt: das war die Revolution, war groß; aber
der Schmur im Ballhaus war größer. Diefer Act be
zeichnet die Zeit, jener nur ben einzelnen Menfchen.
Daß Mirabeau beim Beginn ber Generalftände ein
Journal zu fchreiben anfing, verfäumt ber Verf. nicht
anzuführen; daß aber, als dies Journal verboten wurde,
die Wähler im Stabthaufe ihre Arbeiten unterbracdhen,
um durch förmlichen Beſchluß gegen dies Verbot ale ge-
gen einen Angriff auf die öffentliche Freiheit zu prote-
ftiren, ſolcher bezeichnenden Thatfachen iſt nicht erwähnt;
430
fie find uͤberall, wie unwichtig, bei Geite gelaffen. Und
was ben Einfluß der Ideen betrifft, fo zeigt fich bie ge⸗
ringe Neigung bes Verf. für die Darſtellung deffelben
am bdeutlichften da, wo Discuffionen wie bie über Gr-
Plärung ber ee t Space kommen. Hat
Dahlmann in einer Ställe — Buchs den Jeitpunkt
fitirt, bis zu welchem „die vielverklagten Speculationen“
eine Schuld tragen, fo fcheint, es wäre auch ber andere
Zeitpunkt zu bezeichnen geweſen, an welchem biefe Spe-
eulationen anfingen ihre Wirkung zu thun. Der Verf.
erinmert, daß bie Rationalverfammlung an ber Befchei-
denheit ber Natur habe ein Mufter nehmen follen, „wel⸗
che niemals von unvolllommenen Bildungen dur eineu
Sprung zu den vollfommenften übergeht”. Wenn Dem
fo ii, fo ſeeht man wicht, wie es fich mit folcher Lehre
venträgt, daß der Berf. an einer anberm Stelle feines
Buchs ven Grundfag „allmäliger” politischer Verbeſſe⸗
rungen als das „Wiegenlieb bes Hofes“ verfpottet. Viel⸗
leicht Dachte die Nationalverſammlung, als fie auf eine
GrBärung dee Menfchensehhte drang, daß es gerathen
fei von Grund aus zu bauen, flatt nur auszubeſſern,
warin fie Eines Sinnes mit dem MPerf. gewefen wäre,
welcher, nicht minder abſolut gefiimmt, am jemer Stelle
ausſpricht: „Die Entmwidelung eines baufälligen Hauſes
iſt ſein Umſturz.“ Mirabean, ein Gegner ber Erklärung
der Menfchenrechte, ungefähr aus benfelben Gründen
weiche Dahlmann mit allen empirifhen Staatsmaͤnnern
Dagegen aufbringt, kam bekauntlich hennoch mit einem
Entwurf diefer Rechte zum Berxfchein, deſſen erſter Ar⸗
tikel wit den übel angeſchriebenen Worten anfängt: „Alle:
Menſchen find frei um gleich geboren u. ſ. w.
Mirabeau, ber nicht mie Robeipierre war, den er
verſpottete, weil er am Alles glaube was er fage, mochte
überdies wol audi gefühlt haben, weiche revolutionnaixe
Kaft damals in einer ſolchen Erklaͤrung allgemeiner
echte Ing. Es Hilfe bier Leine, auch nicht die gegrün-
detſte Kritik, nicht bie beſonnenſte Unserfcheidung bes
Moͤglichen und Unmoͤglichen; das Bedürfniß der Ver⸗
nunft auf das Allgemeine zurüdgugehen bleibt unab⸗
weislich und macht fich jeden Augenblick gegen das nur
geſchichtlich Beſtehende gelten. Die Praris der auf das
Auafühebare gerichteten Staatsmanner wirb niemals bie
Volber begeiftsen; we «6 anf dieſe Begeiſterung ankommit,
mirb die Berufung auf allgemeine Ideen, wenngleich fie
ein ımeerveichbase® Ziel. verhalten, und vielleicht eben dar»
ums allein, von etgreifender Wirkung. fein. Bei der Dir
cuffion über bie Deenfchenzechte kamen die Brundgeban-
ten der Zeit, in been das Geheinmiß der gewaltigen
Wirkung des damaligen Frankreichs auf had gefammte
Europe lag, zum Borſchein; man fah mas die Franze⸗
fen bewegte, wie fie noch etwas Anderes unb Umfaſſen⸗
deres mollten ale nur bie Abfchaffung von Misbräuchen,
Prinilegien, abfolusen Regisrungsformen; es zeigte ſich
udem, wel cin allgemein civiliſirendes Glement in der
ation liegt. Duport fagte: „Ed handelt ſich um eine
Erklaͤrung weiche auf alle Menfchen, alle Nationen An⸗
werbung, findet; biefe Crklaͤrung zu geben habt ihr euch
Angefihte des ganzen Buropa verbindlich gemacht. ”
Diefe Discuffion, wenngleih in gewiffem Sinne aller-
dings „unerquidiich”, ift dennoch die Ehre ber National-
verſammlung.
Kann der berühmte Verf. auf alle dieſe Ausſtelun⸗
gen mit gutem Nechte erwibern, daß er bie Geſichts⸗
Punkte von benen fie ausgehen nicht anerfennt, daß er
feine eigenen und nit fremde Imede im Auge: gehabt
unb daß er bei der Gedrängtheit der Darftellung, die er
fich vorgefegt, aus dem gefammten Soft Dasjenige her⸗
ausgehoben, was ihm felbft und nicht Das mas Ankern
als das Wichtigfte erfchienen fei, fo iſt um fo weniger
mit ibm zu rechten, als Das, mas er gibt, in meiſterhaf⸗
tefter Weiſe gegeben ift. Nur ein Mann von anerfann-
ter Perfönlichkeit, welcher fühle und fühlen barf, daß x
den Seinigen im Vaterlande, für die er ſchreibt, etwas
bedeutet und daß er von ihnen gehört wird, vermag zu
der fertigen Sicherheit zu gelangen wit welcher dies
Buch gefchrieben ift; nur ein folder hat ben Vortheil,
ftine individuelle Gigenheit in den Gegenflanb werfen
zu Sonnen, fo fehr ohne Schaden für diefen, daß viel⸗
mehr das Intereffe an bemfelben durch jene Verfchmel-
zung für bie meiften Lefer nur noch erhöht wird. Se
mehr das Buch freilich durch diefs individuelle Haltung
mit baldigem Meralten bedroht erfcheint, um fo inten-
— wird es auf die Gegenwart zu wirken die Macht
haben. 62.
— — 1
Titles of honour.
&o überfärieben enthielt das „Hdinburgh journal‘ vor
einiger Zeit einen gang hubfchen Auffag über Ehrentitel, en
zwar ſchon oft dageweſener, aber immer anzichender Gegen⸗
ftand. Hier ein gebrängter Auszug:
‚Bilde Bölker willen nichts von Bamiliennamm. Man
nennt fi) bei Ehrentiteln, bei Schandtiteln ober bei Titeln nach
irgend einer individuellen Eigenſchaft. Ein tapferer Dann
heißt vieleicht der Löwe, ein yraufamer ber Figer. Solche
Titel, zumal wenn fie Lob oder Achtung ausbräden, werden
von bem Wilden mit ebenfo viel Stolz geführt wie in Guropa
der Herzogs: oder Marquistitel. Sie gewähren eine Auszeich⸗
nung, die Behorfam und Unterwürfigkeit Seiten des Stammes
und bei Zeiten den Ehrenplag ge Folge bat. Siemlich wie
im modernen ciwiläfirten Leben. Ba werben die Betitelten auch
von ber Schar der Unbetitelten eifriaft aufgefucht una fetirt.
Nur findet zwifchen den Ehrentiteln der Barbarei unb denen der
Civilifation der Unterfchieb ftatt, daß fie dort allein durch Tha⸗
ten zu erlangen find, verdient werden müflen, was bei den
modernen Auszeihnungen nicht immer der Ball.... In der
foriaten und politifhen Berfaffung neuerer Staaten Mind alle
Ehrentitel der Ausflug von Amtern. Biele der letztern find
ei ngen, erftere geblieben. So bei ben fünf Rangorduun
gen der britifchen Pairie ſammt der Baronetd» und der Ritter-
würde. Unfer Herzog, Marquis, Graf, Viscount, Baron, Bas
ronet und Ritter befleidet gegenwärtig Eein feinen Xitel bes
Dingendes Amt. Anders iſt das in einigen Theilen Deutfchlanbe.
und bei ben Wölfen des Orients. Milob der bochſte aller Zitel,
der des Königs oder Herrſchers, iſt ſtets mehr als. Ehrentitel
eweſen, dafür aber auch, wie zu erwarten, mit den ausſchwei⸗
endften Superlativen ausgeftattet worden. Das befonderd im
Orient. Die Shineſen erachten ihren Kaiſer für ded Himmels
alleinigen Stellvertreter auf Erben. Daher. feine Qitel: Eohn
das Dimmels — Behrtaufend Sabre. — Bmnsdıy der Zone —
7% | Ä
Geufin: genache des Menbıt — Beeier aler Biere... Die |
nicht geringer. Gr menme ſich:
des Schah von Perfien find
Hide Ring — Beherrſcher des Untverfums — Phbnie des
a — Shoe unfberblichen Wohlfens Gene Beamten
dhmen das na. So fügt der Statthalter von Sthtras feinen
amtlichen Würden bie wohlriechenden Gleichniſſe Bei: Blume
Der Autigkeit, Nuskatennuß des Aroſtes und Rofe der Wonnt...
Der türfifhe Sultan ſtellt fi) neben die Gottheit, und ber
ehrliche Schelm, der tm laufenden Jahrhunderte Mühe genug
chabt hat, die eigene Krone auf dem Haupte zu behalten,
Phreibt fi: Berfüger über alle Kronen. ... Die Könige von
anien warm 18 fo mit Titeln beladen, daß Philipp III.
1 befahl, ihn blos el rey, nuestro seior zu nennen — der
König, unfer .... Dur das eigenthtimliche fpanifche
Beudalrecht geſchah es oft, daß viele kleine Güter in den Be
fig Eines Mannes kamen, der die Namen derfelben dem feini-
en anbing. So erzählt man, daß eines Abends ein verirrter
Send an die Thuͤr eines abgelegenen Gafthofe geklopft und
af die übliche Frage: Quien es? wer da8 geantwortet: «Don
ego de Mendofa, Silva Ribera, Guzman Pimentel, Dforio
Ponce de Leon Zuniga, Ycuna Tellez y iron, Sandoval y
Moras, Velaseo Man». Worauf der Wirth, das Zenfter zu:
werfenb: «So geht eurer Wege, ich habe nicht für die Gälkte
von euch Plagy.... Die Deutihen hängen mit der hart
nädigften Zärtlichleit an aller Art Ziteln und führen deren
oft ohne das geringfte Recht dazu. Biele echte Titel ind käuf⸗
lich und manche erworbene Ländereien, mit deren Beſit ein
Zitel verknüpft if. Jene Käuflichkeit übertrifft Alles, was in
der Hinfiht in Frankreich unter dem cortupteften r&gime
ftattfand. (9!) Eine ganz gewöhnliche Ehrenbenennung ift
Seheimerath. Aber die Wenigften haben ein Recht ſich fo
zu nennen, weshalb-Diejenigen, die es haben, ein Wirklich an-
ängen.” (Pac true after the designation. ft alles Das
nicht fehr fpaßpaft?) „Jeder Menſch fieht ungeheuer darauf,
bei feinem Aitel angerebet zu werben. Jemand wie in Eng»
fand mit Mein Here anzureden, grenzt unmittelbar an bte
Injurie. Man fol fein Amt, feine Würde ausfindig machen.
Der allergemöhntichfte Jitel iſt Rath. Der Architekt ift Bau-
2 dee Advocat Juſtizrath, und wer gar nichts iſt, ſucht
Hofrath zu werden, ein Titel, der wieder nichts bedeutet, da
er Solchen zufaͤllt, die nicht in der Stellung, am Hofe
u rathen. Der Srofeflorstitel wird kaum minder ftarf gemis⸗
—88 Man thut in Deutſchland beiweitem klüger, über
die Gebühr Hohe als unter ber Gebühr niedrige Titel beizu⸗
legen, und daher kommt ed, daß ein Engländer oft zu feiner
großen Betmunderung Herr Graf und Eure Gnaden angerebet
wird. «Ber in einem öffentlihen Amte ftebt», jagt Ruffell in
feiner «Reife duch Deutfchland», «und wäre er ein Vicefuper-
numerarfchreiber mit Iumpigen 40 Pfund jährlih» (?! an
230 Ihaler), «der will das Vergnügen haben, nicht bei feinem
Namen, ſondern bei feinem Zifel angeredet zu werden.» Die
Dom bleiben in ihren Xitelanfprüdhen nit zurüd. @ine
Frau verlangt den Zitel ihres Mannes mit weiblicher Endung.
Alfo Frau Gereralin, Frau Geheimeräthin, Frau Buchhalte⸗
rin u. f. w. Es begreift fith, daß diefe Titel bismeilen zu
einer unausfprechbaren Länge anwachſen. Welche Sumulhung
3. 3. für die Sprechfaͤhigkeit eines Ausländers, eine Dame
als Frau Oberconfiftortaldmertorin anzureden!”...
„Auf dem Gontinente ifk Die guoße weng Titel Urſache,
daß ſie den Inhabern wenig Anſehen geben. Anders in Eng-
land. In England wird das koͤnigliche Vorrecht, Ritter und
Edelleute zu creiren, mit feltenen Audnahmen beiweitem um:
fichtiger geübt als fotches von benachbarten Fürften geſchehen
E und noch gesicht, Um fo Höher werden baher die der
inen Zahl Ausgezeichneter ertheitten Ehren gefhäpt. Dazu
kommt, daß, weit das Gefühl der Loyalität nirgend fo heiß
und auftichtig wie in Großbritannien, nicht blos die Quelle
der. Ehre, fondern auch die daraus abfließenden Ehren In hoher
Achtung ficken... Der. Pringentitel gebührt bier zu Sande
nur den Soͤhnen und Weſſen von Aigen... Erſter
par Eduard, der ſchwarze Pe a Er wurde zum Se 4
Cornwallis ernannt, ein Ehrentitel, melden ſeitdem
nigs aͤtteſter Sohn bei eehgeiten feines Vaters geführt hat,
wethalb er in der Sprache der Heraldik Aux natus heißt, ge
borener Herzog. Rad ihm gab es viele duees creatl, zu per
zögen Ernannte mit dem Rechte, ihre Litel auf ihre Nachkom⸗
mem zu vererben. Unter Eliſabeth 1572 erloſch die Würde.
Ein halbes Zahrhundert fpäter erneuerte fie Jakob, indem er
feinen Sünftling George Billiers zum Herzog von Budingham
mahte.... e Söhne der Yairs von Großbritannien und
Irland haben formel einen Adelsrang. Aber par courtoiste
führt der ältefte Sohn den zweiten Titel ber Familie, dafern
fie einen dat, und die ‚jüngern Söhne heißen Lords, voraus-
gefegt daß der Vater mindeftens Graf.... In zweiter Rang»
ordnung fteht der Marquis. Er erhält has rädicat «most
noble», obfhon nah Vorſchrift der Heraldif ihm nur «most
honourable» gebührt. Mon allen Ehrentikeln ift der eines
Grafen, earl — vom fähfifhen eorl — der ältefle.... Nach
ber normannifhen Eroberung nahmen die earls den franzöfi-
fden Ramen counts an, legten ihn jedoch Bald wieder ab.
ER HH heißen ihre Bezirke noch heute counties und ihre
Gemahlinnen countesses. Bald überhoben fi) die earls
der Beforgung der Graffaftsangelegenheiten und beftellten
dazu einen Beamten, mit dem Zitel vice comes. Daher in
vierter Rangordnung die viscounts.... Die Gefchichte und
Etymologie der in fünfter Drdnung rangirenden Barone liegt
ſehr im Dunkeln.... Die Frauen und Zöchter fämmtlicher
Pairs haben an den Ehrentiteln der ihnen zunaͤchſt Stehenden
bald mehr bald minder Theil, außgenommen Die weiblichen Un:
gehörigen ber Prälaten, die ſchlechtweg Mißreß und Miß heißen.
Saͤmmtliche Pair, mit Ausnahme «ihrer Guaden» der Her
jöge, werden «my Lord» angeredet. (Daher der fo Tächerliche.
Pudel in deutſchen Schriften, «Mylorb» ftatt «mein Lord» oder
blod «Lord» zu fagen.).... Der nächte Schritt abwärts auf der
Leiter der Hofrangordnung bringt aus ber Pairie in Die Bas
ronetſchaft. Des Titel Baronet ift eine Zufammenfegung von
Baron und der verkleinernden Endſylbe et. Alfo ein Heiner
Baron, ein Baronchen. Der Drden wurde von Safob I. auf
Anregung des Sir Robert Cotton 1611 geftiftet. Es ift ber
unterfte erbliche Ehrentitel. Dann kommen die Ritter, deren
Geſchichte in die des alten Roms zurüdreidt.... Außerdem
gibt es den Zitel esquire. Der iſt aber nachgerade in Eng⸗
land ebenfo nidytöfagend geworden wie ber Geheimerathstitel
in Deutfchland. Was bie Bezeichnung urfprünglich bedeutete,
erhellt aus der Ableitung des Wortes vom Lateiniſchen, ecuti-
fer, Schildträger. Unſere angefehenften Rechtslehrer haben viel
darüber geftritten, wem eigentlich der Zitel esquire zuftehe.
Bladftone und Cohn haben den Begenftand in Schriften be
handelt und in einer neulichen Verſammlung zu Kenfington ift
die Frage aufs neue lebhaft angeregt worden.”
„Die Titel erfreuen fih bei uns einer fo hohen Achtung,
daß es ſchon für eine Ehre gilt, mit emem Wetitelten auch wer
entfernt befannt zu fein. Deshalb iſt des englifche Mittelſtand
nicht mit Unrecht ein Korps Bufchjäger genannt worden. Diefe
Menſchen haben eine Art Ehrfurcht, eine gewiffe heilige Scheu,
nicht fowol vor den Adeligen in propria persona als vor deven
Titten. Die Pafrie, Baronetſchaft und Bitterfchaft wiſſen fie
audwendig und den Beinften Berſtoß in dee Wulfhrift eines
Briefs oder beim Anreden Eines vom Adel erachten flo für
unverzeibliche Sünde. Wir haben von einem militairiſchen Dich:
tee gehört — er ſelbſt Lieutenant in einem Infanterieregimente —,
der in einem Gedichte auf Waterloo eine feiner Schlachterinnerun⸗
gen in folgendem heraldiſchen Eouplet niedergelegt het:
«Step forth, Lieateuant Oobden, of Her Müfeaty's hundred and
second ſdot — step fort unto the fromt»,
Cried Major General Sir Hassey Vivian, K. C. B. — wand
bear the battic’s bruntn». 93
erzog
von
Ko⸗
Biblisgraphie.
Beimfoefb, g., Die Bahrbei über den Rhythmus in’
den & ängen der alten Griechen. Rebſt einem Anhange über
die Au iprung De der griechiſchen Befänge. Bonn, Henry und
Eohen-.
Nor.
Leibrod, A., De Dom » Bicar und feine A
Eine Erzählung der neuern Beit. Bivei Xheile.
mann. Kl. 8. Ir.
Rochlit, 8, a8 Weſen und Zreiben der Gauner, Diebe
und Betrüger Deutſchlands nebft Angabe von Maßregeln, fich
egen Raub, Diebflahl und Betrug zu fügen, und einem
—** der Diebesſprache. Leipzig, Schmidt. 8. 12 Mor.
t, 3. L., Geſchichte der Kirchen in ber Wüfte unter
den —— Frankreichs vom Ende der Regierun ud
wig’s XIV. an bis zur franzöfifhen Revolution. Ra
franzoͤſiſchen Werbe des Charles Goquerel in treuem un er.
—*2* Auszuge bearbeitet. Berlin, Enslin. 8. 24 Rar.
Spedter, E., Briefe eines deutſchen Kuͤnſtlers aus Ita:
lien. Aus vn na geiafte enen P2 ieren. Zwei Theile. Leipzig,
Brockhaus. 3 Thlr. 15 Rgr.
—R %., Die BVerbältniffe der Bevölkerung und
ber Lebensdauer im Königreiche Hannover. Ein Beitra
Gtatiſtik Deutfchlands. Hannover, Helwing. 4. 2Thlr. 20Ngr.
Thaulow, ©, Die Schule der Zu unft, mit befonderer
Rüdficht auf die Herzogthümer Schleswig und Holftein. Ein
Bortrag. Kiel, Schwerd. Gr. 8. 9 Nor.
Urkundenbuch des Klosters Otterberg in der Rhein-
falz. Herausgegeben von M. Frey und F. X. Remling.
ainz, Kirchheim, Schott und Thielmann, 1845. Gr. 8.
2 Thir. 10 Ngr
Vogel, E ., Die alten Chroniken oder Denkwuͤrdigkeiten
der Sıodt und Zandſchaft Züri von den älteften Zeiten bis
1820 neu bearbeitet. iſte bis Öte Lieferung. Zuͤrich, Schult⸗
ben. 1845. 3. 12 Nor
Vries, I. de, De Eid oder Verbrechen und Gewiſſens⸗
biſſe. Ein Roman. Aus dem Hollaͤndiſchen von E. Wegener.
Bwei Bände. Leipzig, Kollmann. Kl. 8. 1 Thlr. 24 Rer.
Wang Keaou Lwan Pih Neen Chaug Han, oder die
blutige Rache einer jungen Frau. Chinesische Erzählung.
Nach der in Canton 1839 erschienenen Ausgabe von Slo
übersetzt vnn A. Böttger. Leipzig, Jurany. Gr.8. 2 Thlr.
Werl, G., Gefchichte der Chalifen. Rah Hanbfeifticen,
größtentpeite noch unbenugten Quellen bearbeitet. Ifter Band
om Tode Mohammed's bid zum Untergange der Dmeijaben,
mit Einfluß der Geſchichte Spaniens, vom Einfalle der Ara:
ber bis zur Trennung vom öftlichen Chalifate. Manheim, Baf:
fermann. &r. 8. 6 hir.
Zagesliteratur.
Carus, H., Briefe an Immanuel. Spiegelbilber der
Seit für Proteftanten und Katpolifen. 2te unveraͤnderte Auf⸗
lage. Augsburg, Schmid. 8. 12%, Nor.
- Freytag, 3.4, Dr Menſch (che nicht vom Brode al⸗
lein. Ein Wort für die Guſtav⸗Adolph⸗Stiftung an das evan⸗
gelifhe Bolt und feine „Segen. 2te Auflage. Hanover, Hel:
wing. Gr. 8,
Grimm, $., Ei das Licht des Herrn noch immer über
jeglichem Geiflißen Volke aufgehen müfle. Predigt. Adorf,
Müller. Gr. 8 2) Nor.
Knittet, 8. W., Jeſus Ehriftus ift wahrbaftiger Gott.
Bur Beurtheilung der von Hrn. Senior Kraufe gehaltenen Predigt
gar nd it über die Perſon Jeſu.“ Gchweidnig, Heege.
gr
Köhler, 2 Bwölf Predigten Dpeitweife mit Be:
siehung auf die En Bewegungen der Gegenwart, nebft
einem Enpange, von Selegenheitsreden. Reuftadt a.d.D., Wag⸗
ner.
— — Deraußgeber : HKHeinrich Brockhaus.
zur
Köhler, M., Gin Bat in der Gar.
@in Gonferengvortrag- PN Luden. 8.
Krummader, S. D., Die Sonne vu Serechtigkeit.
Fuͤnf Predigten über —* 4, 2. und zwei Reformations-
sebigten vom Sahre 1817. Eiberfeid und Zeure, Rheinifche
—— 1845. Gr. 8. 7, Rgr.
u ar anerungeblätter aus Luther's Leben.
Robbe, ©. F. A., Rede am 18. Februar 1846 zur Saͤ⸗
eularfeier des Todesſta \ Dr. M. Lutbher's. Leipzig, Barth;
Hinrichs. Gr. 8. 2 Far.
— — Gtammbaum der Familie des Dr. Mart. Luther.
Grumn, Gebhardt. Br. 5. 18 Rear.
‚, 3, Bruno Bauer und feine Gegner. Bier Eritifdge
FE a Ireblan, Trewendt. Gr. 8 5 Bar.
tto, E., Unbefangene Beleußtung De gittel ſchen Ans
traqs auf Meligiondfreiheit. Ein beſcheidenes Wort zur Be:
rubigung der Gemüther an Babend Sugoliten und Proteſtan⸗
ten. Karlsruhe, Madiot. Er. 8. IR
Der papierene Papft der —e— Eine Fury Beleh⸗
rung für das proteſtantiſche Volk. Deſſau, Fritſche. 8. 5 Rear.
Pätſch, H. F. W., Gedenket an eure Lehrer, die euch
das Wort Gottes geſagt haben, welcher Ende fhauet an, und
folget ihrem Glauben nad. Predigt bei ber geebädtnißfeier
des Todestages Luthers. Berlin, Ameang. 8. 5 Ror.
Die Peſtalozzi⸗Feier in Plauen, am 12. Januar 18 ver
anftaltet dom Te Bolksſchullehrerverein. Plauen,
en
Meine Betbeiligung an ber Raihsberr
zu Bade Rorbnefhiihte Büridh, Dreh — und Comp. Gr. 8.
Riding 8, * W., Predigt für gebildete Katholiken über
die ve ventih s Batholifche Sekte. Wieſenſteig, Schmid. Br. 8.
2
a H, K., Sohann Schwanewedel auf ber Segelerd- Plate.
Oder: bie edle und a Reerfahrt am 22. Detober 1845.
Gele, Schulze. en 2, R
Röbbelen, U. H., Das Zurnen, eine beachtungswerthe
Beitfenge, —7 für Hannover erörtert. Hildesheim, Finde.
8. 2 AgE
Rudolph, 3., Bekenntniffe. Gin Send ſchreiben Il u
an bie fogenannten Deuiſch Katholiken bei Ba Ru Ra zur
Batholifchen Kirche, Leipzig, Liebeskind. Gr. 8.
Auland, I.NR., Das Beftändige im Bergängligen "ren
jabrspredigt. Berlin, Eyffenharbt. Gr. 8.
Schenkel, D., Die proteſtantiſche Geiſtlichkeit und die
Deutſchkatholiken. Eine Erwiderung auf die neueſte Schrift
von®.&. —— Zürich, Meyer und Seller. 8. 15 Rgr.
Schmalg, M. $., Predigt zur Gebächtnißfeier ded To⸗
Bee M. eutper 6. Leipzig, %. Bleifher. Gr.8. 3 Nor.
chmidt, C., Der Prediger in der Sergeit, Eine Ab:
handlung, F* Jefus Chriſtus. Eine Predigt. Deſſau, Fritſche.
r. gr.
mie, Luther der Upoftel des beutfchen Volks.
Predigt zu Dr. MR. Suter, Gedaͤchtnißfeier zu Wittenberg.
Halle, Mühlmann. "&. 8. 3 Nor
Schwarz, 3. €. E., Die Stimme bes Geiſtes an Mart.
Luther's Grabe. „Prebigt. Nebft drei Beilagen. Jena, rom
mann. Gr. 8. 5 Ngr.
Saweiger, A., Das Pirchliche Zerwuͤrfniß des Jahres
1845 im Kanton Waadt, mit Benugung ber Akten dargeftellt.
Bürih, Orell, Füßli und Comp. 10 Ngr
Schwertfeger, Der Feldzug der Seifter innerhalb der
Batholifchen Kirche während der Jahre 1844—1846 fog. Pro⸗
teftantifcher Dftermorgengruß an Ronge und Goͤrres, zugleich
als Gabe der Erinnerung an die Zeit nad Luther's Tode und
an den Schmalkaldiſchen Krieg in den nSapren I 34 und 1547.
Annaberg, Rudolph und Dieterici.
— Druck und Berlag von F. X. Drockhans in in.
Blätter
fir
kiferarifbe Unterhaltung,
Die deutfche Polleei im
Guſtav Zimmermann Zw
ver, Shlätr. 1845. Gr. 8. 3 Thlr.
Das Rächfte, was wir ven einer Schrife über bie
Policei, die mit der Praͤtenſion ber Wiſſenſchaftlichkeit
auftritt, zu erwarten berechtigt find, ift wentgflens ein
ernſtlicher Verfuch, die Unklacheit, welche über den Be⸗
riff und das Wefen jenes Inſtituts herrſcht und dem
egenftand alibefannter Klagen bilder, zu befeitigen.
Wir können es um fo weniger vermeiden gleich von
vornherein auf biefen Punkt einzugehen, als wir weder
den wiffenfchaftlichen Standpunkt des Verf. der oben
genannten Schrift theilen noch feine Behandlungsweiſe
billigen können, und namentli der Überzeugung find,
dag mit dem von ibm unaufhoͤrlich eingefihärften Feſt⸗
Halten an dem Pofitiven und der täglichen Praxis für
Die Löfung jener Hauptſchwierigkeit nichts gemonnen
wird. Die Praris bat freilich ihre Thaͤtigkeit nicht zu
fuspendiren, bis bie Theorie unangefochtene und einleuch-
tende Begriffe über Sinn und Gegenftand diefer Thätig-
fit zur Geltung gebracht hat; gleichwol kann fie jener
Begriffe aber dennoch nicht entbehren, indem ber Prak⸗
titer, der mehr fein will als geiftlofer Routinier, auch
fiber die Bedeutung feines eigenen Thuns im Klaren
je fein verlangt, und überdies die Tegislattve Thdrigkeit,
e ben praftifhen Staatsmännern obliegt, ohne weitere
und höhere Principien auf eine bedauernsmerthe, ſchon
fo oft als fchädfich erprobte Weiſe im Finſtern tappen
wirede. Reicht nun die Theorie nach dem Gtanbpunfte
der Wiſſenſchaft in einer beftimmten Epoche nicht aus, tft
fie vage und unpraktiſch, fo fol man fie verbeffern und
nit mit einem weife unb prätentiös gehaltenen Rück⸗
folle auf den berbften Empirismus etwas geleifter zu
haben meinen. Bei folhen Rüuͤckfaällen erfährt man
vielmehr meiftentheild die Ironie, daß bie verächtiich be⸗
handelte Theorie genauer betrachtet body fehr anerfen-
nenswerthe Muffchlüffe enthielt und daß bie eigenen als
neues Evangelium eten Reiffungen hinter dem
langft Bekannten weit zurüdhleiben.
Allerdings ift nun bie Rechts⸗ und Staatslehre ge-
rabe in Bezug auf die Policei noch zu feinem genü⸗
genden Abſchließen gekommen. Wir können biefes ohne
ein ermübendes Durchgehen ber Literatur und fihon mit
wentgen Zügen in bas Licht fielen. Bas vationafifil
fe Raturrecht der Kamt'ſchen Schule, welches den
Staat nur ale Product der Einyehwillen auffaft und
feinen Zweck auf bie Intereſſen der Einzelnen be»
zieht, nimmt nur den Rechtsſchut ats diefen Zweck an
und findet dann für bie Police nur die Function, def
fre fünftigen Verlezungen vorbeuge. Da die Police aber
offenbar mehr thut, da fie für Sitte und Wehlfland
forgt, fo erflärt man dieſes Mehr nur daraus, daß da-
mit künftigen Werlegungen vorgebeugt werde. Demfel-
ben Standpunkte gehört noch bie Lehre Mohl's an,
weicher in ber Poltcei bie Gefammtheit aller jener ver⸗
ſchiedenartigen Unftalten und Einrichtungen erblickt, wel
che bezwedien, burdy Verwendung ber Staatsgewalt bie-
jenigen Binberniffe der allfeitigen Entwidelung ber
lichen Kräfte zu entfernen, welche durch bie Kraft bee
Einzelnen gar nit oder nur unvollfländig, wol aber
durch die Anwendung ber Geſammtkraft der Burger
entfernt werben fönnen. Pichte bat in feiner „Staats
lehre“ ben Fortſchritt gemacht, daß er bei der Beſtim⸗
mung ber Policei theils Aber das bloße Verhüten, theils
über die Rechte der Unterthanen als Zweck ber policeili⸗
hen Thätigkeit Hinausging. Der Staat flieht mit dem
Unterthanen in einem gesenfeitigen Bertrage, zufolge
deffen e8 von beiden Geiten Rechte und Pflichten gibt.
In den Fällen, ba ber Unterthan Hagen kann, iſt das
Berbindungsmittel zwiſchen beiden gefunden. Über Bie-
les wird indeß nicht gektagt, und für biefe Kalle bildet
eben bie Pollcei das Berbindungemittel zwiſchen ber
erecutiven Gewalt und den Unterfhanen. Noch tiefes
in das Cimeine gehende Anfichten finden ſich bei Segel,
ber namentlich die Trennung ber Juſtiz von dee Policei
fharf zu beftimmen gefucht hat. Im dritten Theile
handelt Hegel unter bem Begriffe der Sittlichkeit von
der Familie, ber bürgerfichen Gefellſchaft und bem Staate.
Die bürgerliche Gefellſchaft enchätt drei Momente. Zu⸗
naͤchſt bie Bermittelung des Bedürfnifſes und die Be⸗
[eleeigung des Einzelnen burch feine Arbeit unb durch
ie Arbeit und Befriedigung ber Bebürfniffe aller
Übrigen — das Syfiem der VBebürfniffe. Dann bie
Birkiäfeit des darin enthaltenen Algemeinen ber Frei⸗
ums durch die Rechte
heit, der Schuß bed
orforge gegen die in jenen
pflege. Endlich aber die
424
Syſtemen zuruͤckbleibende Zufaͤlligkeit und die Beſorgung
des beſondern Intereſſes als eines Gemeinſamen dur
die Policei und Corporation. In der Rechtspflege wi
das Allgemeine mit dem Beſondern vermittelt: das All⸗
gemeine, das Recht, ift aber ein befchränkter Kreis, dem
das Wohl noch etwas Außerliches bleibt. Die Foͤrde⸗
rung biefes befondern Wohles Tiegt der Policei od. An
dieſer ganzen Gliederung, an welche fich einzelne fcharfe
und fehr beachtenswerthe Bemerkungen über bie policei-
liche Thaͤtigkeit knüpfen, Haben mir dann den Formalis-
mus zu tadeln, der bei Degel, namentlich in feiner „Rechts⸗
philofophie”, eine Losreißung ber einzelnen Glemente
aus ihrem natürlichen Zuſammenhange und ein Einzwän-
gen derfelben in ein ber durchgehenden logifchen Formel
gemäßes Schema veranlaft. Gerade bei dem vorliegen,
ben Segenftande fcheint uns die Auflöfung der den ein-
zeinen Elementen gegebenen Anordnung befonders noth-
wendig und folgenreih. Es ift an fi ein Verdienſt,
daß Hegel ben Staat nicht mit ber bürgerlichen Gefell-
ſchaft ibentificirt: bie einzelnen Unterfcheidungen unb
Merkmale beider find aber wider die Wirklichkeit ange:
nommen. Rechtspflege und Policei find zunächft offen-
bar ſtaatliche Elemente und fallen mit in das innere
Staatsrecht, in welchem bei Hegel das religiöfe Ele
ment beiläufig, und fonft Regierung, Gefepgebung und
fürftlihe Gewalt vorkommt. Ferner ift die Zolge von
Familie, bürgerlicher Geſellſchaft und Staat nicht Die
richtige. Wir finden bier eine Gliederung, deren einzelne
Stufen einen jeden Menfchen und zwar ganz und nad)
allen Seiten umfaffen und bie fonad nicht unpaffend
die Grundperſonen alles menfhlihen Zufammenlebens
genanmt find. Diefe Perfonen find indeß augenfchein-
lich Zamilie, Gemeinde, Nation, Volt und Staat, und
in weiterm Kortfchritte Staatenbund und endlich bie
Menfchheit. Neben diefer Reihe von Organismen, die
zugleich der räumlichen Abfonderung ber Einzelnen und
Sefammtperfonen entfprechen, gibt e8 eine zweite, aus
der Natur des Menfchen, feinen geiftigen und phyſiſchen
Anlagen und feiner Beftimmung abzunehmende Wir
finden hier die Sphären der Religion, der Kunft, der
Wiſſenſchaft, der Induftrie und des Handels, und eine
mit ber befondern Function der Gewährung bes Rechts
bekleidete Sphäre des Politifchen oder den Staat, Ob⸗
gleich es zur Zeit nur erſt für das religiöfe und politi-
ſche Element fefte Organifationen gibt, jo find doch auch
die übrigen Elemente folder Drganifationen fähig und
fiteben der Bildung berfelben fichtlih zu. Kommt es
darauf an, bas Verhältnig des Staats zu ihnen zu be-
flimmen, fo ift dieſes das ber Coorbination, und bem
Staate kommt es zu, ihnen ihr Recht, b. i. die Ge⸗
fammtheit der zu ihrer Eriftenz und Entwidelung nö-
fhigen Bedingungen zu fihen. Wie fruchtbar dieſe
dee Krauſe ſchen Philofophie entnommene Auffaffung
überhaupt fei, wird hier nicht nach allen Seiten bin zu
erörtern fein, wir dürfen nur die Gonfequenzen für ben
gerade Hier vorliegenden Gegenfland andeuten.
Wenn wir den Staat ale die Sphäre des Rechts
auffaffen, fo « en wir ben Wege Mecht
ſo ni daß ana Proceſſe und Hertel bi —8
Function des Staats wären. Wir verſtehen unter dem
Rechte vielmehr die Geſammtheit der von menjchlicher
Freiheit abhängenden Bedingungen für die Erreichung
ber Bernunftbeftimmung bes Einzelnen wie der Gefell
fhaften. In der Verwirklichung des Rechts fegt ſich
der Staat baher mit allen übrigen Sphären der Gefell-
[haft in ein inniges Verhaͤltniß. Er befchräntt fick
nicht auf bloßes Behenlaffen, fondern nimmt fich alles
Menfhlihen an und kommt der Erfüllung aller gefell-
ſchaftlichen Zwecke zu Hülfe Nun ſtehen aber alle vor-
bin bezeichneten Elemente ber Gefellihaft in einem ſol⸗
hen organifhen Zufammenhange, daß wicht nur jeber
Ginzelne an allen Theil bat, fondern auch jeder Verein,
jede Sphäre mit allen übrigen eng verfnüpft if. So
ift die Familie ebenfo wie die Gemeinde aber das Bolt
ein Mittelpunkt für Pflege des Rechts, der Kunfl, Wif-
fenfhaft u. f. w., fo ift der Verein für Recht oder der
Staat auch von Moral, Religion durchdrungen u. f. w,
fo ift die Religion in der Kirche nach dem Rechte or-
ganiftrt, mit Kunft und Wiffenfchaft verbunden u. f. w,
ſodaß fich in dem dargeftellten Organismus jedes Glied
mit jedem verbindet. DVollftändigkeit oder Mängel dieſer
Organifation hängen von ber Culturſtufe und dem welt⸗
hiftorifchen Standpunkte der Völfer ab: in dem einer allge»
meinen Harmonie entgegenftrebenden Entwidelungsgange
bemerken wir aber, daß die vollftändiger organifirte Sphäre
über die übrigen zur Führung einer gleihfam vormund»
fhaftlihen Gewalt berufen iſt. Hiernach ift allerdings
eine große Varietät felbft zu einer und berfelben ge»
ſchichtlichen Epoche moͤglich, indem die Selbſtändigkeit
ber einzelnen Gefellfhaftsfphären in verfhiebenen Gra⸗
den abgemeffen und von ihren eigenthümlichen Functio⸗
nen mehr oder weniger geradezu in ben Staat verlegt
fein fann. Es ergeben ſich Hier die Verfchiedenheiten
mehr oder minder centralifirter Staatsorganifationen,
Tragen wir nun nach einer Begriffsbeflimmung der
Policei und infonderheit nach ihrem Unterfchiede von ber
Rechtspflege im eigentlichen Sinne, fo finden wir bier
eine ſcheinbare Unbeflimmtheit, die ſich aus ben verfchies
denen Erfcheinungsmeifen der Policei in verfchieden or⸗
ganifirten Staaten erflärt. Mit dem bloßen Rechtſpre⸗
chen ift bie Function des Staats, das Recht, d. i. ſaͤmmt⸗
liche äußere Bedingungen für die Beftimmung der In⸗
dividuen und Gefanmtheiten zu gewähren, nicht erfchöpft,
denn das Rechtfprechen bezieht ſich blos auf die Falle,
in welchen diefe Bedingungen von Einzelnen oder Ge⸗
fammtheiten zu leiften und diefe bei ihrem Wiberfpruche
durch Zwang zur Leiftung anzubalten find. Viele jener
Bedingungen werben aber durch eine allgemeine Für⸗
forge de6 Staat (oder der Familie, der Gemeinde) ge-
leiftet, e8 fehlt der Natur ber Sache nach an civilifli-
[hen Rechtsnormen für dergleichen nah Zweckmaßigkeit
und Bedürfniß zu gebenden Leiſtungen, unb es fommf
nicht fowol auf Foderung, Weigerung, juriflifhe Prü⸗
fung und Zwang als auf vorausfichtiges Anordnen an,
Das ik das Gebiet. der Policei, welches man wiel zu
wage beſtimmt, wenn man es auf Vorbeugungen oder
auf Aufrechterhaltung ber Ordnung befchräntt. Diefe
allgemeine Zürforge für Ordnung iſt ebenfo, wol wie
das Borbeugen nur ein beſtimmter Theil jener allge-
weinen leitenden, forgenden und ordnenden Thätigkeit.
. (Der Befchluß falgt.)
Miſtreß H Martineau.
Die Anſiedler im eigenen Haufe von H. Martineau. Heraus:
eben von W. Häring, Berlin, Buchhandlung des Leſe⸗
binets. 1846. 8. 1 ihr. 10 Rgr.
. Indem ich bier ein Buch Toben will, belieba der Lefer die⸗
fer Anzeige auf die Unterfchrift zu achten, um von vornherein
gegen mein Lob gewarnt zu fein, infofern ich es mir felbft
ertbeile. Meinerfeits gefchieht «8 mit gutem Gewiſſen; es if
an dem Lefer bed Buceb und des Berichts zu entſcheiden, ob
das Gewiften fih von meinem Intereffe an der Sache fortrei-
Ben ließ oder ob auch er mit gutem Gewiſſen mir beiftimmt.
‚> Die Dichtungen, Rovellen, Parabeln, oder welchen Ramen
man' den eigenthümlichen Schriften der Martineau beilegen will,
Haben eine bedeutende Wirkſamkeit in ihrem Vaterlande wie
in Amerika geübt. Uber fie erfchienen zu einer Beit, wo in
Deutfchland die Poefte noch als eine Macht galt, deren Zweck
eben die Poeſie war. Die Frau mit ihren moralifchen, prakti⸗
ſchen Zendenzen kam uns fremd auf dem Gebiete vor, wo wir
die Begeifterung nur als berechtigt aufzutreten hielten. - Ich
befenne, daß ic), mit VBoreingenommenbeit gegen die ganze Gat⸗
tung, die Erſcheinung hingehen ließ ohne fie zu beachten.
Was follten und Dichtungen, welche zum Zwecke hatten, die
Gngländer mit der Zweckmaͤßigkeit und Billigkeit diefer und
jener bürgerligen Einrichtung befannt zu machen, um. fie da:
weit zu befreunden, oder umgekehrt über die Unbilligteit und
Ungerechtigkeit anderer ihnen das Auge zu Öffnen? Die Zeiten
haben fich geändert, auch bei uns fing man an, die Poefie ge-
währen zu laffen, wo fte, nach unfern Altern Begriffen, eine
Mesalliance mit dem Beduͤrfniß und dem Rugen ſchloß. Der
Begriff des Volles, und was für das Volk ift, tauchte immer
dringender und mahnender auf, ſchon fangen wir an, nad
einer Bolksliteratur uns umzufchauen und ſchon find manche
treffliche Bücher zu diefem Zweck gefchrieben; aber die engiif
Matrone‘, die es fehon früher gethan, war inzwifchen über:
feben und vergeflen.
Deutfche Erzieherinnen, bie ed ernſt mit ihrer Sache mei-
nen, machten mich zuerft wieder auf die fremde Frau aufmerk⸗
fom. Sie Plagten, daß teog der Überflutung des Marktes mit
QIugendfchriften doch noch Immer ein empfindlicher Mangel an
tüchtigen, auf Herz, Verſtand, Moral und zugleich auch auf
die Phantafie einwirkenden Schriften vorhanden ſei. Wo nicht
daß albern Kindifche vorwalte, mache fich ber abgeblaßte, matte
doctrinaire Charakter in den meiften deutfchen Büchern für die
Jugend Luft, der aller finnlihen Anziehungskraft entbehre.
Worum man denn nicht die trefflichen Bücher der Martineau
we Auch da kam es mir feltfam vor, daß eine Frau,
welche fpröde, trockene Stoffe des Altagslebens, der Fabrikthä⸗
tigkeit, des Handels und ber Gewerbe zu Novellen verarbeite,
befonderß geeignet fein follte, auf Herz, Geift und Phantafle
nferer Jugend einzumwirken. Zur felben Beit legte mir die
Iberfegerin der „Settiers at home‘ oben genannte Schrift der
berühmten Engländerin, mit der Bitte, de zu prüfen, und,
wenn ich mich zu ihren Gunſten ausſprechen Eönne, mit der
vor, fie durch ein Borwort beim deutſchen Publicum einzufüb:
ven. Denn — die Schrift habe ohne einen deutſchen Ramen
davor Teinen Verleger gefunden!
Die Thatſache, daß ich die Schrift bevorwortet und heraus:
gegeben habe, ift mein Urteil. Was nicht Alles überfegen wir,
und die Martineau fand noch keinen Verleger, die populaire
Büriftiekewin, beven Werke in Amerika nachgedruckt und von
für die Volkserziehung zufammengetretenen Bereinen für Spotf-
preife oder gratis an das Wolf ausgetheilt werben! Es find
‚mehr wunderliche Dinge in unferer Literatur, .ald daß wir uns
darüber fo befonders zu verwundern hätten. Es ift beffer über
das Bergangene zu ſchweigen und das Unfere zu thun, es für
die Bußunft beſſer zu machen. u
. Eine Dichterin, die auf kühnen Schwingen über die Erde
| fi erhebt, nod eine, die das tiefſte Web und bie böcfke
Freude der Menichenbruft in ihren Dichtungen widerklingen
dieße, ift die Martineau nicht;. auch nicht eine, welche mit bes
fonderer Lieblichfeit und Anmuth Die wirklichen Erfcheinungen
des Lebens malte und accompagnirte. Sie ift vielmehr eine
etwas harte, Eurze, ‚puritanifche Frau, die auf fichern Füßen
und mit fiherm Blicke auf ihrem Gebiet umbherwandelnd ſich
durch glänzenden Schein fo wenig täufchen läßt, als fie töufchen
will. Die Ertravagangen der Gemüthöwelt find ihr fremd, fie
will nicht aufregen, fie will beſchwichtigen. So wenig fie das
wirkliche Elend übertünden will oder die böfen Triebe befchö-
nigen, duldet fie fih darin, die Nothzuſtaͤnde zu übertreiben
und bie verbrecherifchen. Tendenzen noch fchwärzer zu zeichnen
als fie find. Aber fie deckt die Verderbtheiten der Verhältniſſe
und des Herzens auf, um auf fchlichte Weife die Mittel an die
Hand RN geben, durch welche der Menfh im Allgemeinen und
jeder Menih im Befondern ſich helfen kann. Obgleich Eng-
landerin, doch entfernt von aller frömmelnden Orthodorie, lehrt
fie das chriftlihe Sittengefeg: Laß Dich nicht des Boͤſen über-
winden, ſondern überwinde das Böfe mit Gutem. &ie iſt in
vielen ihrer flaatsöfonomifchen Schriften in entfchiedener Oppo⸗
fition mit bem Beftehenden, aber ihre Angriffe find nicht des
ſtructiver Art. Es wäre eine zu kühne Aufgabe für eine Frau,
chaotiſch Srund und Boden aufwühlen zu wollen, fie ift für fie
fhon ehrenvoll genug, dem Menſchen zu zeigen, wie er fi
und feine Rädyften aus dem Gewirr, den Irrgängen und den
Einfturz, drohenden Ruinen herausziehen und Feten Boden
gewinnen möge. -
Laſſe man bdiefe auf Englands fperielle Verhaͤltniſſe berg“
lichen Schriften und Rovellen einftweilen aus dem Spiel, ob»
don auch unter ihnen mehre mit befonderm Geſchick und fo
ebandelt find, daß fie für einen allgemeinern Lejefreis von.
Intereffe find. Uns intereffirt die Martineau jegt nur als
Schriftftellerin für die Jugend, wie fie Sittlichkeit ehrt ohne
langweilige Moral; wie fie, eine feine und fidhere Beobachterin
bes Herzenb, feinen zarten Regungen, feinen Affecten nachgeht,
deren Quellsn entdedt, und ihre Wirkungen zu lebendiger Uns
fhaulichkeit bringt; wie unter ihrer Hand jeber Gedanke fi
plaftifch geftaltet, wie fie immer fort lehrt und doch nie docirt;
wie fie im Spielen ihre Spielgenoffen das Rechte finden und
ihren Berftand durch die Degegnie des Lebens fih entwickeln
Iäßt, inflinctartig anfangend bis zur bewußten Thatkraft. Sie
ift von etwas harter Natur, fagte ich fehon, fie ift eine Gou⸗
vernante, die nicht mit ihnen rennt, fpringt und tanzt, was
junge Mäbchen doch bisweilen auch gern ſehen, fie gebt ge
meflenen langfamen Schritte mit ihnen fort und vermweilt, wo
ed ihr nöthig fcheint, DaB wir uns umſehen; fie weift ihre Be
gleitexinnen aber nicht abfichtlich darauf bin, fondern wartet,
is der Segenftand ihnen auffällt. Dann gibt fie wol bie
notpwendigften Erklärungen; lieber aber ift es ihr Doch, wenn
die Jugend fie fich felbft gibt, durch eigenes Nachſinnen. "Sie
ift eine ernfle Matrone, der Heiterkeit nicht fremd, aber — und
diefer Fehler, oder lieber Mangel, darf nicht verſchwiegen wer⸗
den — nirgend Bann fie fich zur Luftigkeit beilaffen und ber
Humor ift ihr ganz fremd. Dafür. hat fie eine andere Babe:
während bie Reugier und Wißbegier der Jugend Rahrung er⸗
halt, unterhält fie und beſen durch die fehlichte, natürliche und
fpannende Handlung auch ermachfene Leſer. Ihre Jugender⸗
zählungen, entfernt von allem Kindifchen und Wbernen, find
zugleih Romane, im beften Sinne bed Wortes, die in jebem
Refer ein edles Nachdenken erregen; und ilt bas nicht anı Ende
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Zuagend, ganz feine — —— wenn wir die Zeit uns
verge aͤrtigen, in welcher ex entſtand. Unſere Rartineau
aber die Aufgabe anders gefaßt und in die Moͤglichkeit, in
die Berhaͤltniſſe überfegt, die und Allen begegnen Könnten.
Kinder, auf einer Mühle in der Niederung, von einer
wemmung betsoffen und von ihren Ültern getrennt, Aa
auf angewiefen, fich feld zu Helfen. Das alte
Haus finkt, von den Fluten erfihüttert und durchweicht, w
und mehr aufammen, nachdem die Peine Republik Ach allmälig
bis in die oberfte Dahlammer gerettet be &ie nuflen am
berwärtd ihre Buflucht fuchen, fie werden Schiffer, Schiffbauer,
iſcher, Jäger, fie bauen, kochen, ſammein, und bie Erfindungs-
aft in den Heinen Hirnen wird aufs Außerſte angeſtrengt.
Da fehlt es nicht an ergreifenben Gituationen, bübfhen Bil
dern und Gpannungen, bie auch bem Altern Leſer beivegen,
* doch die Nerven krankhaft anzuregen. Das if aber nur
der eine Außertiche Theil. Die Kinder find von verfdhiedenem
‚ @aben, Reigungen; es gilt, unter ihnen felbft Frieden
ww Eintragt herzuftellen, muß herrſchen. —* ihnen
geſellt ſich aber auch noch ein fremdes Kind, ein erzboͤſer Bube,
der Sohn von ſehr ſchlechten Altern, ſchon vorhin der Etixen-
feied der Gegend, und jegt wie das boͤſe Princip unter biefe
unglüdtiche Seweinſchaft auf einer umflutsten Erdſcholle ge»
Kerut. MBöhrend fie zu gemeinfamer Bettung arbeiten, ſtets
im Kampf mit dem Elemente, mit Witterung, böfen Dünften,
Mahrumgsforgen und Krankheit, müflen fie noch beftändig auf
Weer Hut fein gegm ben Heinen Reidhard ˖ und ——
era das gute Princip ſiegt; wie die Kinder febbR, erſchüttert
mad geweiht durch die Orangſale, zu einer Einblichen Gotteb-
ga einer innern Geiligung gelangen, gebt auch der
ln Due allmaͤlig in ſich. Diefe Belehrung ıft Feine will
Bere mit **— Aheatercoups ſondern auf die einfachfte,
erbeigeführt. Ein einzige Moment ift in
** * Reihe von —* und Handlungen, bie wie
om auf einanber folgen, willkuͤrlich besbeigegogen, bie
vom Zaafker ungen, wa A aus einem u nebſt
jeder ſelbſt ſein Brot, vom Enſtreuen des Wei⸗
Beim Worte Nebinfen mndhe ſich der Wer wit: Conupe
wie den MR. € IR mt —5— ee e
Dre de6 10. Ghrhenbertb Tüpte Terre a
gu Mutgang des 18. Die deutſche zugend eroberte, wenn ey
ine gleiche Miſſton mit gleichem Sluͤck überneimen wollte.
Ion getroffen; nur in —— folgen
—* dem Sit: dem j * *
bringen brfte. "en. Ategis.
Literarifche Notiz aus Frankreich.
Benrebilder nah dem Leben.
Di ——8 würden es allmaͤlig uͤberdruͤ
den, bie bunten Geſtaltungen w parifer Lebens tum u
immer wieder zum Gegenftanbe ihrer Schilderungen zu machen,
wenn biefer fluffige, bewegliche a nit unter dein Einfafe
einer fleten Umwandlung fläube. mit Aufmerkſamkeit den
ften Erſcheinungen ai zielem 2
fen mit beſonderm & bauten Felde rechnen wir das
Sammelwerk „Le 88* * , welches aus dem Bufen»
menwirken mehrer beliebten Beuiletoniften wie Balzac, &ue,
®. Sam, P. 3. Stahl u. U. hervorgegangen ik. Wir er
halten hier anziehende Spiegelbilder, wehhe mit ficherer Hand
unmittelbar aus dem bunten Leben heeaußgegriffen find. Die
Berfaſſer haben die Grenzen fo weit als gezogen, unb
fo werben Scenen aus allen Kreiſen an uns vorübergefühet.
Auch die obligaten Illuſtrationen, welche mehr und mehr Deu
wefenttichen ndcheil ſolcher Berke bilden, fehlen nicht, und
man muß geftehen, Gavarni wieder einen überrafchenben
Beweis feiner unerfchöpflichen —— gie bat. Re
ben dem „Diable à Paris”, zu dem auch Balgac, diefer Überall
und Rigend, beigefteuert hat, müflen wir noch ein befondeues
Wert dieſes er ep fruchtbaren Schriftftchers erwähnen,
welches ſich gleichfalls im Kreiſe der ——— bewegt. Wir
meinen feine „Petites misdres de ia vie oonjugale”.
den man dem Grfinder ber Frau von 30 Jahren genannt ri
weil eine Bet lang in feinen Romandichtungen jene 5*
intereſſanten Deſen, deren erſter Jugendreiz einem
en Aufluge gewichen if, eine bedeutende Rolle ſpielten,
HA in dieſer neuen Production wieder als ein ſchacfer
ter der ehelichen B —— dens handelt es ſich * wi
um die Form, bie Che in den Berhältniffen des
fädtifhen Lebens angenommen hat, und bie dem eigentli
echn der ehelichen Berbindung nur allyı wenig
Go erhalten wir eine Menge piquanter Gihuationen mit
Betrachtungen aller Urt verbrämt, welche ben Bew
men lüfberner xeſer Fipeln. Im Allgemeinen aber ſteht *
neue Schoͤpfung des unermuͤdlichen Schriftſtellers, beſonders
was Feinheit und ae —— — —5 "inter ber
geiftusihen „Physielogi Berfaflers weit
rüd. alle eptere Berk iſt ewme va —— nei»
ken der elcigaflihen Beisungen, näde fir den ga
ten ——* eine merſchoͤpfliche Fülle von B
om und von den Frans
Verantwortlicher an Seinrich Brockdans. — Drud und Verlag von F. X. Drockdaus in Leipzig.
Blatter
für
literarifche Unterhettang
Die beutfche Police im 19. Jahrhundert. Kon
uſtav Zimmermann Zwei Bände.
' ’ ¶ Beſchlach aus Nr. 18.)
Die ſcheinbare Unbeftiinmepeit bi diefer Beſchreibung
der Police verſchmindet, fewie man zum Concretern
fortgeht, indem fich Hier fofort Bremen und nähere
Beſtimmungen esgeben.
an, in welchem Berhaͤltniſſe der Ausbildung ımb Har⸗
monie fich jewe einzelnen Gefellichaftselemente befinden,
ie weichem Maße daB eine zu einer Suprematie oder
Oberherrſchaft über die andern gelangt if. So wäre
es dem Begriffe dev Sache entſprechend, baf in jeber
Kamille jene allgemeine Fürferge und Aufrechterkaltung
Der Ordnung vom Yamilienhaupte, daß die Losalpolicei
in ben einzelnen Gemeinden von biefen und endlich im
Staate eine Fürforge geübt werde, welche bie policeiliche
Thätigkeit in ben einzelnen Grundperſonen der Familien
und Gemeinden nice aufbebe, fonbern überwacht. und
ſich alles Deſſen annimmt, was nicht blos local ifk
Auf gleiche Weife hätten bie im ber zmeisen Reihe hi
henden Drganifationen für Religion, Biffenfhaft, 3
huaftrie u. f. w. in ihren eigenthumlichen Gebieten Her
falls jene Bürforge zu üben. In der Wirklichkeit fehen
wir aber eine Reihe von Abweichungen und Verſchieden
heiten. Wo ein anderes Gefellſchaftselement ſtaͤrker iſt
als das politiſche oder der Staat, führt biefes die Po
leeigewalt, z. D. bie Rice. Gerade die Gewalt ber
Kirche druͤckt am empfindlicäften, weil fie den Menſchen
in alten Lehmnsbegiehungen berührt. Bei dem Vorherr
ſchen des Staats if dann nach Brrfaffung uab Bil⸗
dungsſtufe eine Reihe von Verſchiedenheiten möglich.
In menarkhifchen, Staaten, wo das privatrechtliche Prur
ap an der Spitze ficht und befanbere Sntereffen vorwal⸗
test, gewinntdie Voli einen beſondern & Oft
wirb fie in Folge bes Princips bes Dielregierend und
Gentralifivens bie Selbſtaͤnbigkeit der Volkselemente be
eissträchtigen und: ihre Fürſorge bis in hie den Gemein⸗
ken zu Äsberlaffende Localpolicei, je fogar. bis in Die Fa⸗
milienangelegercheiten erſtrecke
recht enthält Beſtimmungen über das Saͤugen und War
se der kleinen Kinder und üuber bie intinsflen chelichen
Vorhaͤltniſſe. Beſanders aber wird fie an: dem Charak
ver. Den Wobitsaksen ſeſchalem, ſich Beinen: ſeſten Normen
Es kommt bier Altes darauf
n. Das Preußiſche Raute
—
eiten der
unterwerfen und für das hoͤchſte —*
En einen weiten Gpielsaum bewahren. Die
fäligten und Perfönlichleit, durch welche, nach
—* sdruck, die Policei etwas aͤſſiges bekommt,
werben fharf hervortreten. Ginen Gegenjag bie
gen Norbamerita und England. Hier iſt die ei
nur Dienerin und Vollzieherin der befichenden Geſetze
und ſteht unter ben Befehlen ber flädtifchen und grafe
fchaftlihen Behörden, ſodaß der Unterfchied zwiſchen
rechtlicher und poliseilicher Befugniß, das Berufen auf
eine ganz ſchrankenloſe ——— wegfaͤllt und ber
Policeibeamte für willkuͤrliche Verhaftungen ebenſo ver⸗
antwortlich iſt als jeder Privatmann.
Wenden wir uns nun zu der vorliegenden Sehrift
über die Policei, fo glauben wir biefelbe folgendermaßen
charakteriſiren zu müſſſen. Der . tt über ſeinen
Gegenſtand gut unterrichtet und man kann ihm Scharf
fina und praftifihen Blick auf keine Weile abſprechen.
Das ganze Buch zerfällt in fimf Abſchnitte. Dev erfie
enthält einen „Beitrag zur Naturgeſchichte det policeili
den Riteratne”, ber zweite ‚Geihichtliide —
über die Policel“, der dritte eine, Allgemeine Begtun-
bung und Ehanokterifik bes policeilichen Inſtituts“, der
vierte „Die nerrüfene Lehre von Umfang and
ber Politei“ unb ber fünfte, der den ganzen zweiten
Band füllt, „über Die poficeilichen Gefoge und bie cha⸗
rakteriſtiſchen Thaͤtigkeiten ber Policei“, die beobachtende,
vorbeugende Sorge, die Behaudlting gegemmärtiger. Ubel⸗
ſtaͤnde und die entdeckende Thütigkeit der Policei. Was
ſich in den Eroͤrterungen des Verf., bie. ſich in dieſen
Rahmen bewegen, nun Gutes und Brauchbares findet,
wird leider durch mehre üble Eigeuſchaften des Buchs
wieder in ben Schatten geſtellt. In ber Form beſleißigt
ſich der Verf. — deu hier die ftrengen Kritiken feiner
„Dachpredigten leider keines Beſſern belehrt haben ei⸗
ner geiſtreich ſchwatzzaften und breiten Darſtellung, Busch
welche das Buch intereffant gemacht und verhütet wer
ben foll, „baf es: nicht tw jene Handbbibliochek gerät,
aus welcher man zu: einſchlaͤferndem Awecke nach Xäfche
oder ver Sechlafengehen greift”. Gine ungtücklicherr
Forur und eine zu welcher. der Werk, weniger Geſchick
hatte war ſihwerlich zu wählen Bumächfi paßt diefe
Form zu. nem if — Werte: überhaupt nicht;
ATS
ührt au Zwittererzeugmiffen, bei benen man eigent-
—*8 eh, ob man etwas Ernfes oder etwas blos
Unterhaltendes vor ſich hat, und läßt den Ernſt und bie
Wiſſenſchaftlichkeit augenſcheinlich leiden. Dann aber
bat gerade ber Berf. zu der gewählten Darftellungs-
weiſe, auf die er ſich etwas einzubilden feheint, entſchie⸗
den gar Fein Talent. Die ganze Schreibweiſe erinnert
nicht an ein geiftreiches unb ungebundenes Salonsge⸗
foräch — wie fie wahrfcheinlich fol —, fondern an den
faloppen Rabuliftenton in ſchlechten Advocatenſchriften
oder an das Schenkftubengefhwäg mancher mobernen
Politiker des legten Ranges. Es ift in diefer Weife
etwas Abſtoßendes, man fühle fih einer Sphäre näher
gerüdt, die Jebem, der etwas auf fich halt, unausſprechlich
ignobel vorkommt, und wäre das Buch ein Menfch, fo
wlirde man nichts mit ihm zu thun Haben wollen. Das
Widerwärtigfte find die ewigen VBerhöhnungen ber beut-
fhen Wiffenfhaftlichkeit und Philoſophie, an deren Stelle
ber Verf. die roheſte Empirie und das entfchiedenfte
Feſtklammern am Beitehenden fept. Sowie in ben „Po-
litiſchen Predigten” eine wirklich große in Deutichland
zur Erfcheinung gekommene dee auf eine Art und‘
Weiſe angegriffen wurde, daß fih bie gefunde Empfin-
dung verlegt fühlen mußte, fo macht es auch hier den
peinlichſten Eindrud, Dasjenige, worauf Deutſchland
unter fo vielen Leiden und Nachtheilen noch ſtolz fein
barf, feine miffenfchaftfiche Ziefe und feine Philoſophie,
verhöhnt und verfpottet zu fehen. Und gleichwol ver-
dankt der Verf. die guten Gedanken bie er vorbeingt
nur eben biefer Philoſophie, umter der er fich frei-
Eich nichts als eine leere Traͤumerei zu denken fcheint.
Seine graß empirifche Auffaffung hätte ihn nicht weit
geführt. Er will fih an bie ganz rohe Realität, an
die handfeſte Sache halten und meint, die Policel wie
jedes ftaatlihe Organ und Inſtitut ſei nicht aus Ideen⸗
floff gewebt, ſondern aus Menſchen, Behörden, Formen,
die fich als äußere Erfcheinung der Sinnenwelt geltend
machten (&. 127). Diefe äußere Seite leugnet Beine
vernünftige Theorie; eine Anſicht aber, die nichts als
diefe aͤußere Seite kennen und gelten laffen will, kann
man nur ale abfurb bezeichnen. Wenn der Verf. fi
blos an bie empirifchen Realitäten, an bie handfeften Dinge
halt, fo findet er auf ber Policei Gemächer, Xifche,
Stühle, Schreibmaterial umd Menfchen. Um in diefen
empirifhen Realitäten einen Sinn zu finden, muß er
die Gedanken zu Hülfe nehmen und einen Ideenſtoff
anerkennen, aus bem das Inftitut allerdings gewoben
und zufammengefegt if. Gr fchiebt alfo ganz unbe-
merkt den Ideenſtoff mit Hinein und meint, er halte fich
an die Realitäten, wenn er nur feine neuen “been,
nichts was über ben in der jegigen Lage ber Sache in
‚dem Snftitute einmal waltenden Geiſt hinausgeht, bin-
einbringt. Hiermit wird dann das Weſen der Sache
nicht getroffen, fonbern nur die zufällige hiſtoriſche Er⸗
fheinungsfeite, und das ganze Buch müßte eine Apolo⸗
gie des Schlendriang fein, wenn ber Verf. feinem Stand⸗
punkte bucchgängig treu bliebe. Wo er dieſes nicht
das neben ber Juſtiz auf bie Weiſe für die Erhaltum
thut, gelangt er oft zu guten Bemerkungen, mo er aber
-an feinem Principe fefihält, verwidelt er fih in Wider⸗
fprüche. So befinirt oder befchveibt er die Policei ale
das öffentliche Behörbeninftitue im Innern des Staats,
der bürgerlichen Ordnung thätig if, dag es alle 8
bältniffe und Vorfälle, welche fih auf den Ordnungs-
zuftand beziehen, bauernb und fuftematifch beobachtet;
ferner den DOrbnungsflörungen, bie drohen oder begin-
nen, vorbeugt, vorhandene Unregelmäßigkeiten befämpft,
gefchehene Frevel aber entdeckt und bdexen Urheber zur
Strafe bringe. Die Unbeflimmtheit biefer Befchreibung
halten wir für keinen er, denn die Sache ſelbſt &
unbeſtimmt; wir haben hoͤchſtens die Einwendung zu
machen, daß die policeiliche Thätigkeit nicht blos ben
negativen Zweck Hat Unorbnungen abzuhalten, fondern
daß fie auch manche pofitive Bebürfniffe, deren Fehlen
gerade Teine Störung dee Ordnung wäre, herbeiſchafft.
Dann wehrt der Berf. Die Idee ab, die Policei aus
dem Staatszwecke abzuleiten; folche Ableitungen werben
ihm zu abftract, zu metaphyſiſch. Das hindert ihn aber
nicht, fie aus dem Bedürfniſſe des Staats zu beduciren
(S. 117), obgleich ſich hier nun weiter fragen läßt, für
welche Zwecke denn der Staat Bebürfniffe hate. Bei
dem Pofitivismus, von dem ber Verf. fich leiten läßt,
müßte alles Recht, alle Staatsorganifation und auch Bie
Policei nur aus den einmal vorhandenen Gefegen, aus
dem einmal anusgefprochenen Willen ber Herrſchenden
abgeleitet werden, und es ift eine Inconfequenz, wenn
fih der Verf. auf Begründungen einläßt, die hierüber
noch binausgehen.
Wie wir indeß ſchon bemerkten, enthält das Bud
eine Reihe recht guter und fharffinniger Bemerkungen.
Man folte glauben, nad dem eingenommenen empiri-
[hen Standpunkte des Verf. müßte das Bud ein recht
praßtifches fein. Hiervon ift es inbeß gerade bas Ge
gentheil. Die Praktiker werben viel zu werig Mase-
rial und viel zu viel Maifonnement und Ideologie darin
finden. Das ift bie Kolge bes vom Berf. angenomme-
nen Standpunfts: er fträubt fih auf das Hartnädigfte
gegen alle Ideologie, und ewig ehrt fie ihm mieber au-
rück; nur daß fie zum Theil unter feinen Händen wirk⸗
lich zu leerem Raifonnement wird. So wird z. B. fein
Praktiker, der Belehrung ſucht, in dem wichtigen Xb-
fnitte über Gompetenzconflicte etwas Fruchtbares fin-
ben. Der Verf. hätte alfo beffer gethan, ſich mit der
Ideologie zu befreunden und fi) die Refultate der deut⸗
fhen Rechtsphiloſophie anzueignen: er würde alsdann
gewiß etwas fehr Berbienftliches geleiftet Haben. Dann
aber iſt das Gute des Buchs In jener breiten, langwel⸗
ligen und wiberwärtigen Darftellungsweife wie verſchwom⸗
men und zerronnen, und bem Ref. iſt lange keine müß-
famere und unerquidlichers Lecture vorgefommen als ge
rade biefes Buch. Wenn ber Berf. bei künftigen Xxr«
beiten ſich nicht entichließt, Das was er zu fagen Hat
einfach und unummunden darzuſtellen, fo zweifeln wir,
daß er noch Lefer finden wird, umb wollen ihm, ba’ er
2
ein Motto für feine Schriften zu lieben ſcheint für die⸗
fen Fall den zweiten Verb aus ber erſten Satire des
Derfins empfehlen. . | 35.
Das Bud) der Narrheit. Bon Ludwig Kaliſch. Mit
Holzſchnitten. Mainz, Wirth. 1345. Gr. 8. 1 The
15 Nar.
. Es war eine gute Zeit, we man an den Hoͤfen noch Rar⸗
ren hielt. Es gab doch damals Einen, der unter Peiner Gen-
fur fland, der die Wahrheit nicht wie Eontrebande einzuſchmug⸗
gein brauchte, fondern der fie frei ausgeben durfte. er Rarr
war vielleicht urfprünglich eine komiſche Perſon; aber feine ei-
liche Bedeutung war immer höchft ernſthaft; er trat auf
warnend, bald höhnend, bald prophezeiend,, bald sorrigi-
send. Was für eine Bedeutung namentlich im Leben ber Fuͤr⸗
en der Narr gehabt habe, das ſieht man poetiſch dargeſtellt
Shaffpeare'8 Dramen; ich erinnere nur an den unvergleich
lich Thön gehaltenen Rarın im ‚König Lear. Die freie Car⸗
nevalözeit in den rheinifchen Städten bat in Deutfchland noch
eine Erinnerung an bie Karren erhalten; im Bufammenhange
damit ift auch das vorbezeichnete Buch entftanden. Mef. hat
das Zalent des Herrn Kalifch fchon einmal in dieſen Blättern
als ein-anerfennenswerthed bezeichnet; dies Urtbeil wird auch
Buch „Das Bud der Rarrheit“ betätigt, Allerdings gebt
der Zon, die Haltung einzelner Partien dieſes Werkchens nicht
felten ind Burleske übers es ift eine tolle Welt, in die der
Berf. uns hineinblidden läßt: aber es iſt doch in den meiſten
Bildern ein richtiges Maß gehalten und faft überall fpringt
der ernfte Grundgedanke leicht ind Auge. In „Ritter Toggen⸗
burg, oder Liebe, Haß, Mache, Reue, Romantik, Selbſtmord
und moraliſches Bewußtſein“, ferner in „Genoveva, oder die
Iagräfin und Die eheliche Irene, oder Natur und Hirfchkuh”,
in „Die Tochter des Magifters von Zaubenbain, oder
die ungeheure Mordthat”, ſcheint ber Verf. bisweilen etwas zu
weit gegangen zu fein; der Lefer fürchtet bisweilen, über die
Grenze der Möglichkeit geriffen zu werben; — allein wenn
man erwägt, wie unglaublid groß der Ungefchmad des deut»
ſchen Yublicums jest ift, wenn man fieht, welcher miferable
Unfinn auf dem Theater nnd in Romanen gelobt, geliebt, be⸗
Hatfcht und dadurch in Deutfchland berühmt wird, wenn man
die meiftend ganz miferabein dramatifhen Dichtungen neuefter
Zeit, die ſich Rum erfcgmeicheln und erbettein, zu fehen von
Beit zu Beit das Unglüd hat, fo muß man Herrn Kaliſch Recht
geben, daß er alle diefe Erbaͤrmlichkeit fo fcharf, fo mitleidlos
geißelt und dem Publicum zeigt, wie auch der fhönfte Stoff
gan einer ungefchiedten Hand verfudelt und verborben werden
”
Kernerweit muß Ref. bemerken, daß ber Verf. alle Waf—⸗
fen der Satire, ber Ironie, des Fomifchen Eontraftes, det Per⸗
lage geſchickt und wirkfam zu gebrauchen verficht; und es
fehlt ihm nicht an Muth, gegen die melften falfchen Bögen
unferer Beit zu Felde zu ziehen, einigen die Maske abzureißen,
andere in ihrer Iämmerlichkeit zu portraitiren, andere zu ver⸗
böhnen, andere zu äffen. Was das größte Lob verdient, mäfs
R wir bier noch bejonders erwähnen, nämlich daß ber Verf.
ch niemals zur Labcivität oder zur Frivolitaͤt verirrt. Mef.
erlaubt ſich von den Sinnſprüchen bes Verf. ein paar Proben
zu geben.
—Als einfk zum grünen Wald kam ein Holzhauer,
Erfaßte jeden Baum ein Falter Schauer.
„O weh!‘ rief Tann’ unb Ulm’ mit Bittern,
„en wird von und die wilde Art zerfplittern!‘-
„Web und”, rief Bir und Buch’ mit Wehen,
„Wer zahlt won und der wilden Art dad Leben?!”
Wie Alleb nun erbebt dem grimmen Gtreiche,
_ Sdpyricht eine alte biigverfehrte Ciche:
„Nit brauchtet ihr jegtt zu -erbeben,
Wenn ihr der Art nit einen Stiel gegeben. s
' Jetzt hilft eur Klagen nichts. D’rum ſchweigt und. duldet
Den bittern Tod, den ihr ja ſelbſt verfäpuideti"
Ubi bene, ibi patria.
Em wahres Spruͤchwort der Rateiner
D’'rum weiß in Deutfhland Keiner,
Gr fei Zub’ oder Chriſt,
Bo fern Vaterland ift.
Detition ber *""fhen Unterthanen.
D großer Herrſcher, wir bitten und ermahnen
Dich voU Inbrunft zu diefer Stunde:
Behandle und kuͤnftig nicht wie beine Unterthanen,
Behandle und fo fanft und mild wie deine Hunde.
Unerhoͤrt!
Es ſaßen auf dem Throne
Der Kaiſer und ſein Sohne.
Dre Kaiſer und fein Sohne,
Die faßen auf dem Throne.
Da fpra der Koifer zum Sohne
Auf feinem gold'nen Throne;
Dann fprad zum Kalfer der Sohne
Auf feinem gold’nen Threne.
Und als fie beide geſprochen,
Richt Länger mehr fie ſprachen.
Alles dies it geſcheden
In der großen Katferfkadt Aachen.
Bon Seite 297 — 322 findet man einige hoͤchſt piquante
Gefpräche über Ausweifungen, Eenfur und Ähnliches. Pa in
eine Sammlung, die 28 Bogen füllen mußte, auch mancherlet
weniger Treffendes aufgenommen ift, dürfte Manchem ent
ſchuldbar ſcheinen.
Die meiſten Holzſchnitte find ergoͤtzlich. 25.
Bibliographie.
Allenſtein, M., Rob Henoch ober was thut me dermit.
gin Familiengemälde in drei Abtheilungen. Berlin. Gr. 8.
er.
Baltiſch, F., Eigenthum und Vielkinderei, Hauptquel
len bed Gluͤcks und des Ungluͤcks der Völker. Kiel, Schwers,
&r. 8, | Thlr.
Das Buch der Seelenſympathie. Album fuͤr Liebende al⸗
ler Stände, ger Gefühle gegenfeitig auszutaufchen. Döbeln,
Dittmann. 8. 721, Nor.
Dumas, U., Michel Angelo. Bearbeitet von Mathilde
Franziska. Münfter, Wundermann. 1845. Kl. 8. 15 Ngr.
Eberhard, H. R., Die religiöfen Ideen nad ihrer ges
ſchichtlichen Entwickelung in der Bibel dargeſtellt. Breslau,
Trewendt. Gr. 8. 15 Rear.
Florey, R., Zroftesftimmen an SU, um geliebte
r
Tode weinen. aa Klinkhardt. 8.
2 Ag.
Die Geſellſchaft der proteftantifchen Freunde in Königs»
berg, ihr Entſtehen, ihr Wirken u. di w., dargeftellt von ei-
nem Mitgliede derfelben. Leipzig. Gr. 8. TY, Rot.
Girard, ©., Über den regelmäßigen Unterricht in ber
Mutterfprache für Schule und Haus. Deutſch herausgegeben
von KR. Papft. Ifte Lieferung. Biel Gr. 8. 1 Ror-
Staubensftärfung wider das Gift des Zeitgeiftes. Wine
zeitgemäße Sammlung auserlefener Abfchnitte aus den Schrifr
ten der erleuchtetften Sotteßgelehrten der evangelifchen Vorzeit,
für das Volk herausgegeben von W. Bötticher. Iſtes Heft:
Magnus Moos. Berlin, Grobe. Gr. 8. 7%, R
I Rgr.
Gutzkow, 8., Sefammelte Werke. Bollftändig umgear⸗
— —— — —
— — mwswt—— — — ——
.
Band: Gähuiarbilder. Brank-
nu ———
ii l, G., elden, in un⸗
ae —*2* Aus den. Reiten des en.
gen rieges Leipzig, Kollmann. 8. 1 Ahlr. 12 Rgr.
ehe U. Yıln) Eugen, der edle Ritter. Hi
— 1 ‚Boman. Ifte Abtheilung Leipzig, Kollmann. 8.
r
— W., Über die alten und bie neuen Schulen.
Mains, Kirchheim ‚, Schott und Ihielmann. Gr. 8. ZI Nor.
Kock und Guſte. Pofle in einem Aufzuge. Brei nach dem |
Kranzöfifgen von W. Friedrich. Mit einem Polorirten Ti⸗
telfupfer von Ih. Hofemann. Berlin, Springer. RI. 8. I Rgr.
Kurnik, M., Susgemäblte Dramen, analytifch erläutert.
3te8 Heft: Rathen ber Weife. Breslau, Kohn. 8. 15 Rgr.
atzke, D., Die natürlide Theologie bes Raymundus |
wu Quther' & liegt feine vorzüglichfke Defäbigun
von Sabımde. Ein Beitrag zur Dogmengeit ot bes 15. Jahr:
hunderts. Breslau, Zrewendt. Gr. 8.
mieten J., Das Volk, —* Sof a. 8. 24 Ngr.
Papft, , Die —— egrifihet Zrauerfpiel in
1 ut. —* Wundermann. 5. 5 Rgr.
— — Die Wiedertäufer in en Trauerſpiel in 9
Alten. Münfter, Wundermann. 18455. 8. 159 rar.
Reipenbag, M., Gesähtungen und Movelien. Ater
Band: Die Erſcheinung am Grabe, n eo grei andern Rovel:
en. Leipzig, Kolmann. 8. 1 hir.
Sagera (Don Ramen be la), eur Fr em der Strafan-
falten. Bekhreibung der berühmteften Straf» unb einiger
ohlthaͤtigkeitsanſtalten der Bereinigten Staaten von Rorb-
amerika, nebſt Bemerkungen uͤber das pennſylvaniſche und Au⸗
burn’fche Pönitenkiar- Eoftem, Deutfch bearbeitet von 2. Hein.
Quedlinburg, Baſſe. .. 10 Nr.
Salzmann, 9, Briefe von der Eihe über paäd agegifch"
wege Tagekfeagen Beipzig, D.Wigand. 8. 22, Nor.
le, 3 Klofer. Weltlich und geiſtlich. Meiſt
aus —* aͤltern ven Volks⸗, Wunder», Guriofitäten- und
voraugdimeife tomifchen Litesatur, Per Band: Doctor Johann
Fauſt. Mit 105 Abbildungen auf 49 Safeln und mit 50 Holz:
itten. Stuttgart. Sr. 16. 3 Ihr. 5 N RI
Ein Weib aus. dem Bolfe! Drama in 9 Alten. rei
nah Dennery und Millian von 3. Mendelsfohn. Ham-
burg, Berendfopn. 16, Nor
Ratolifche Suftände der Gegenwart, mit beſonderer Rüd
fiht auf Deutfchland und die Schweiz. Mit einem Anhange.
ee DE Parkbeift von einem Layen. Schaffhauſen,
urter.
Sagesliteratur.
Agermann, W. H., Seinnerungen, aue meinem Leben
bei, oil. Frankfurt a. M., Jäger. 8. nr
Albre t, F., Antrittöprebigt,. Baſel. 4
er die Fortdauer nach dem Tode. —* dt übe
1. Joh. m. 2, Ulm, Heerbrandt und, Thaͤmel.
N. F., gdxriſius ins Haus. Predigt. Berlin, Si
her) 4 zo T.
Bahmann, 8. B., SGebäcdtnißfeier des Todes Dr. M.
ber. PN und Predigt. Berlin, Moefer und Kühn.
Becker, 8. C., Vorträge zur Bor» und Rachfeier des
a Serätnibpges Dr. M. Luther's. Frankfurt a. M.
Bundhung der Rede des Fürſten Ludwi ‚von Öttingen
Malerftein, & legentlich der Berathung über. Die Anträge bes
* von vebe in- Betreff der Quarta und des Klöfter.
gtebur
—ãAAä der ſagenannten proteſtantiſchen Freunde,
unparteiiſch —— von; einem ſaͤchſiſchen Theologen. Mun⸗
fer, Weiſfing Gr. 8._10 War.
, Verfolgung, weldhe
Wigand. a ne Bay 10 Rer, Zu
Erläuterungen und Bufäge der Rede, wege S. D. der
Here Fuͤrſt Ludwig von Ditingen · Wallerſtein über die
in Bayern gelegentlid, der Berathungen über die Unträge bes
Seren Bürfe v. Wrede gehalten hat. Augsburg, Schmid.
Rgr.
Er zahl der Mutter Nakrena Mierzyslamste, Abtiffin
der Bahtlionerinnen u Minsk, oder Geſchichte einer Tjährigen
Er dur ihre —— um des Glau⸗
* willen gelitten. Beſahl des Papſtes Gregor XVI.
a ihr eibſt bictirt —* niedergefchrichen durch ns Sylle,
Setamidi m — Grete 5 gr.
aucher, 3, 3 age gegen v Juli.
Berlin, Beh. Gr. 8.
Biker, €. &, —* in ber tiefen und aufrichtigen Der
reforma⸗
“ eng prdit über Epiſt. — 21- 21.
in BGr.
— — C. 3 a Base des Evangeliums im
ihrer Bewährung an feinen treuen Beugen. Predigt zur MD
‚ jährigen. arnächknigfeien vom Luther's Tode. Leipzig, 3. Fler
ſcher. 88.
Deubner, & 2., Predigten und Rede. bei der 300jäh-
vigen rdädtnißfsier des Todestages Pr. M. xuther's zu Wit
tenberg gehalten. Wittenberg, Zimmermann. Gr.8. 8 Rgr.
Hoſchke, Rede Feier des ebriges odeotages un⸗
ſers Kutter —** — Eh ,
ubn, on der edeu eb evangeli
digtamtes. Xcvigt Reval. 1845. —X 5 Rer. gelifäpen pwe
Iſenberg, D., Uhlich's nik: gewürdigt von w.
Braunſchweig, ehrt 8 7% Ror.
Kieiner politifcher —e— mit Reimen und Sprüchen.
Jena, Mauk. %
Die katholiſche Kirche 7 Die allein wahre, die allein. felig-
madpende en oper Niemand, Aſchaffenburg, Pergay.
84). Gr. 16. ar
Die lutheriſche Kirche in Preußen. Gine zunoͤchſt der ge-
ſammten Iutheriichen ooolesia roprassentativa gewidmet: Den
jhrift. Leipzig, aeieihe &. 8. 6 Ror.
Lange, 8%, Was -haben wir Proteitänten zu tbun, um
der proteftantifhen Kirche nach dem Borgange ihrer Stifter
Einheit, fefte Dauer und ben endlichen Sieg zu verichaffen ?
Leipzig, Kollmann. Gr. 8. 12 Ror.
Dr. Bart. Luther von der Wiege bis zum Grabe. Kür
das Well erzählt. Weißenfels, Such. 9. 2, Nur. .
Marquard, F., Die Untwort des Königs von Preußen
an den Berliner Magiftrat, in Bezug auf Die evangeliſchen
Sonoden beleuchtet, Leipzig, G. Wigand. 8, 5 Nor.
Rendſchmidt, F., Rebe, gehalten am Peſtalozzi⸗Feſt zu
Dreu. Ace Sant, &. 8 2%, Rear.
füchen —X “und für den FA der Rechte Dr. =
Geier: garsbfen. are, D. mel a 5 >: Nur.
riever „Autritts⸗ u Dis Predigt, ge
ten zu Stier am 85. Mai 1836 und am IV. Nov. 1 1844, 3 .
Beirag zur Gefchichte unferer Tage. Xrier, Troſchel. ci. I
gr
Walther, $. G. 2., Über den fistichen Einfluß des heu⸗
tigen Turnweſens. Berlin, Grobe. 8. Nor. v
Walther, ide, © Friedensworte bei Aupe Zodtenfeier.
Ein Gedicht. Capaun. 8. 2, NR
Wander, R. 8. W., Offenes Gendf reiben an Se. Er
cellenz, ben König: Preuß. Minifter der Geiftliden-, Unter»
richts⸗ und Medicinal lea nheiten ‚ Hrn. Dr. &ihhorn.
Leipzig, D. Wigand. Ror.
— — Herausgeber: OSeinrich BroEhans. — Drud und Belag von F. M. Drockhaus in Leipzig,
Blaͤtte
-
r
für
literarifde Unterhaltung.
Freitag,
ö—N Nr. 121. A
1. Mai 1846,
3ur Nadhhricht.
Von dieſer Zeitſchrift erſcheint taͤglich eine Nummer und der Preis betraͤgt für den Jahrgang 12 Thlr. Alle
Buchhandlungen in und außer Deutſchland nehmen Beſtellungen darauf an; ebenſo alle Poſtämter, die ſich an die
snigl. ſächſiſche Zeitungsezpedition in
Eeipzig wenden. Die Verſendung findet in Wochenlieferungen und
in Monatsheften ftatt.
Die gefihichtlichen Perfönlichkeiten in Jakob Cafanova’s |
Memoiren. Beiträge zur Gefchichte des 18. Jahr⸗
hunderts von 5. W. Barthold. Zwei Bände.
Berlin, 9. Dunder. 1846. 8, 3 Zhlr.
Wir erinnern und noch recht wohl aus ben erften
zwanziger Jahren diefes Jahrhunderts des Aufſehens
und der verfchiebenartigen Urtheile, mit denen bie beiden
erften Bruchſtücke aus Caſanova's Memoiren in bem
Tafchenbuche „Urania ” aufgenommen wurden, benen
hierauf ein von With. v. Schüg beforgter Auszug aus
dem Originale in zwölf Bänden und zulegt das Drigi-
nal felbft in einer gleihen Anzahl von Bänden folgte.
Das Iegtere haben freilich nur Wenige gelefen, obfchon
die Individualität des Selbftbiographen fich hier am unge⸗
teübteften vor Augen ftellt, da manche Lüde in der deut⸗
ſchen Bearbeitung, wie fie bie flrengere deutfche Denk⸗
art erfoderte, bier ausgefüllt worden iſt, und der befon-
dere Neiz, den Caſanova's eigenthümlicher franzöfifcher
Ausdrud mit feinen vielen Italienismen und Latinismen
gewährt, ganz "wegfält. Zwar mürden die Sittenrichter
und firengen Eiferer hier noch beffern Stoff für ihre
Tadelſucht gefunden haben und die Ehrentitel eines die-
bifchen, tüdifchen, über alle Beſchreibung wollüftigen
Menſchen, eines Kupplers, eines Verführers der Jugend,
eines Spielers von Profeffion, eines Verſchwenders mä-
zen dann dem Gafanova in einem weit höhern Grade
ertheilt worden. Wer könnte nun wol die den Boden
des ganzen Buchs überwuchernde Sinnlichkeit und Leicht:
fertigkeit in gefchlechtlihen ‘Dingen gutheifen? Uber
Das darf uns doc, nicht Kindern die Vorzüge eines
Selbſtbiographen anzuerkennen, der wie Caſanova voll
ber ungemöhnlichfien und verfchiebenartigften Kenntniffe
tft, mit einem Geifte der Beobachtung ausgeftattet, der
zu ben feltenen Gaben der Natur gehört, der durch ein
an Abenteuern reiches Leben in die mannichfaltigften
Berhältniffe und in unmittelbare Berührung mit bei-
nahe allen ausgezeichneten Menfchen feiner Zeit gekom⸗
men iſt, der endlich vermöge feiner ausgezeichneten Per⸗
fönlichkeit überalU wo er auftritt, an Höfen, in Kerken,
in Spitälern, bei: den Gelehrten wie bei den Weltleu-
ten, bei den Frauen vornehmen ober niedern Standes,
eine bedeutende Rolle zu ſpielen vermocht hat.
Alles Dies nun auch zugegeben, fo durfte man fich
Doch gleich nach dem Erfcheinen der erften Bände manche
Zweifel an der Wahrhaftigkeit der Caſanova'ſchen Er⸗
zählungen nicht verhehlen. Man mußte nicht, wie viel
die Luft einen erfindungsreihen Noman noch wei-
ter auszufpinnen zur Erweiterung des Buchs beigetra-
gen habe, ja man konnte im günftigften Falle anneh⸗
men, daß bei einem Schriftfteller, der wie Caſanova
im fiebzigften Jahre feines Lebens biefe Denkwürdigkei⸗
ten niederfchrieb, das Gedächtniß ihm untren geworben
und daß eine Verwechfelung von Perfonen, Zeiten und
Umftänden nur zu moͤglich geweſen. Im Jahre. 1828
äußerte ein vorurtheilsiofer Beurtheiler in Nr. 120 der
„Senaifhen Allgemeinen Literaturzeitung” Folgendes:
Die Wahrhaftigkeit Caſanova's ift für Den außer Zwei⸗
fel, der feinen Memoiren mit prüfender Aufmerkſamkeit folgt.
Nicht der leiſeſte Widerfpuh in Ddiefem fo lang fortgeführten
Faden von Greigniffen und Begebenheiten aller Art begegnet
dem Blick, bie Grundlage der Begebenheiten ift daher gewiß
und unbezweifelt wahr und reel, nur in der Form und Su:
fammenfegung darf man nicht vergeflen, daB der Verfafler ei:
ner der phantafievollften Italiener ift, die je gelebt haben. So
geben wir zu, daß feine Zahlenbeftimmungen faft immer will⸗
fürlich fein mögen, ebenfo mag auch mander Pinfelftrich in
den Charakteren feiner Gegner mehr der Phantaſie als ber
Wahrheit entlehnt und manche galante Scene mit grelleen Farben
gemalt fein als die Wahrheit fie trugs allein die Ereigniffe, die
er erzählt, find nichtödeftomeniger — aller menſchlichen Ver⸗
muthung nady — in den Hauptfachen wahr und treu und von
bundertfäftigen Beweifen belegt.
Diefe Anficht beftätigt fih jegt in einer vor 18 Jah-
ren kaum geahnten Weife durch das vorliegende Buch
des Hrn Barthold, mwenigftens in ihren meiften Theilen.
482
Wir Iafen zuerft in einem vornehm fpöttifchen Artikel
der vorjährigen augsburger , Allgemeinen Zeitung “
vom 18. November, daß nur ein deutfcher Profeffor auf
den Einfall kommen tönne, Caſanova's Memoiren Tri-
tifch zu zergliedern, fie mit Ernſt, ja mit Pedanterie zu
beleuchten und fie mit taufend Beweisſtellen oder Cita⸗
“ten ans ehrbaren und fcandaleufen Denfwürdigfeiten,
Correfpondenzen und Gefchichtsbüchern auszuftaffiren.
As wir nun, nicht wenig befrembet über dies Urtheil,
das Buch durchgelefen und genauer kennen gelernt hat-
ten, brachte diefelbe augeburger „Allgemeine Zeitung” in
Sr. 21 des laufenden Jahrgangs einen zweiten Artikel,
in dem Hrn. Barthold’8 Bud 'ein ſehr wunderliches
Buch hieß, eine hiftorifche Euriofität, zwar reich an Da-
ten, aber doch hinfichtlich feines Nugens nur von unter-
georbnetem Werthe und trog einer gemwiffen foliden Lec⸗
ture boch bei einer erſtaunlichen Vorliebe für alle Arten
lieberlichen Details, Anhäufungen von Anekdoten und
bafenhaftene Geſchwaͤtze eine unerfreuliche Erſcheinung,
durch die ein fchlechted und fittenlofes Buch wieder aus
dem Grabe einer verdienten Vergeffenheit auferwedt werde.
Wir find aber weit entfernt folche Urtheile zu unter:
ſchreiben. Allerdings ift das Barthold'ſche Buch eine
auffallende Erfcheinung auf deutſchem hiſtoriſchen Bo⸗
den und der Einfall, einem fo verzufenen Manne wie
Caſanova war jahrelange ernfle Studien zuzumenden,
durchaus neu. Indeſſen vermögen wie nicht abzufehen,
wie es Hrn. Bartholb verargt werden kann, feine hifto-
rifchen Unterfuchungen über das 18. Jahrhundert an die
Selbfibiographie eines Mannes anzuknüpfen, der als ei-
ner der vollendetften Nepräfentanten deffelben in ber Zahl
ber merkwürdigen Abenteurer erſcheint. Müffen nun
feine entfchiedenften Widerfacher zugeben, daß Caſanova
jeder neuen Verbindung irgend eine eigenthümliche Seite
abzugewinnen weiß, daß er, felbft Egoiſt, uns die Zeit
bodenloſer Verderbtheit und die unbefchränttefte Herr-
ſchaft des Egoismus, in die fein Leben fiel, mit großer
Kraft und Lebenhigkeit zu zeichnen weiß, daß endlich in
feinen einfachen und Eunftlofen BDarftellungen die Zur
fände und die Perſonen auf das anziehendfte hervor⸗
treten und daß er die ganze Außenwelt in den Kreis
feiner Perfönlichkeit hineinzuziehen weiß — dann, fagen
wir, erfcheint uns das Unternehmen des Hrn. Barthold
vollfonmen gerechtfertigt. Es ift wahrlich Beine bloße
Unterhaltungsfchrift und ebenfo wenig ein mageres Sam⸗
melwerk voll planlos aufgelefener Notizen, fondern es
enthält wichtige, belehrende Beiträge zur Geſchichte des
18. Jahrhunderts, von dem heutzutage frog unferer gerühm-
ten Forefehritte ein Jeder gern hört. Da darf nun ein
Hiftorifer nicht zu fehr zurücdhaltend fein, feine Erzäh-
lungen können nun einmal das Anflögige nicht immer
vermeiden, wie denn ſolche Scandale auch in die größeren
Werke von Raumer und Schloffer übergegangen find,
von denen ja der Kegtere gar nicht genug gepriefen wer-
den kann, daß er fo offen, rückſichtelos und ohne Men-
ſchenfurcht fein Buch, verfaßt habe. Aber in Bezug auf
den Artikel der „Allgemeinen Zeitung” darüber noch
— — —— — — — — *
-
viele Worte zu verlieren, als ob Br. Barthold durch
Aufnahme fittenlofer Scenen, piquanter Gemälde u. dgl.
feinen Leſern empfindlichen Schaden zugefügt habe, oder
ihn zu vertheidigen, fcheint uns bei der geachteten Stel⸗
lung eines angefehenen Ugiverfitätäichrers ganı mmnätbig
zu fein. ine vorforglidye Mutter wird ihren LToͤchtern
das Buch freilich entziehen, aber für diefe hat auch Hr.
Barthold nicht gefchrieben, ebenfo wenig für das hunge⸗
rige Publicum der Leihbibliothefen, dem ohnehin Die ge-
lehrte Form nicht behagen wird; gebildete Lefer der vor⸗
nehmen Stände aber find ohnehin ſchon mit allerhand
gefährlichen Stoffen und Geftaltungen erfüllt, das Arge
neutralifirt fi ohnehin für fie, das Verbotene wird faft
wieder erlaubt, wo wäre da etwa Schädlihes aus Hm.
Barthold's Buche zu beforgen, wenn es überhaupt eine
anftögige Waare wäre und ein fchlimmes Gift enthielte.
Daher meinen wir, daß das morliegende - Werk
für ruhige Lefer, für fleifige Beobachter, für Män-
ner, ‚die felbft in der Welt wirken und handeln fol
len, wichtige Belehrungen und anziehende Auszüge aus
vielen, faſt vergeffenen Schriften enthalte, und daß bie
bedeutendften Zuflände im focialen Verkehre des 18. Jahr⸗
hundert in einer Reihe nügliher Zufammenftellungen
und Erörterungen auf bas beſte beleuchtet worden find.
Und bei ſolchen Vorzügen fol! man mit dem Verf. ha⸗
bern? Gewiß darf dies ebenfo wenig der Kal fein, als
wenn man über die Gelehrfamkeit der fleifigen Gom-
mentatoren des Petronius, ber fich bei aller Unfittlichkeit
auch die geiftige Freiheit bewahrt hatte, aus dieſem
Grunde einen Zabel ausfprechen wollte. Haben benn
die echten Verehrer des römifchen Alterthums es nicht
bis auf den heutigen Tag bedauert, daß eine umfaffende
Bearbeitung der Ovid'ſchen „Kunſt zu lieben” und der
„LKiebeselegien”, bie ale das lebendigſte Sittengemälbe
der Augufteifchen Zeit anzufeben find, noch immer durch
jene Angſtlichkeit gehindert zu fein fcheint, die, einft
Garne bei Gelegenheit der Manfo’fchen UÜberfegung in
einem Briefe an feine Mutter (vergl. Nr. 341 d. BL.
f. 1830) äußerte, er wundere fih, wie ein Fleiß
wie der Manfo’s mit Ausfchweifungen beftehen. könnte.
Uber ſelbſt folche bedenkliche Gemüther müßten fi ei-
gentlich nıit Caſanova's Memoiren und ihrem vielbelefenen
Erklärer verfühnen, weil die Nemefis den böfen Schritten
Caſanova's ſo oft nachfolge und er zulegt einem einfa-
men, unbehaglichen Alter erlegen ifl. In diefer Bes
ziehung haben weder Fielding’ „Tom Jones“ nach) Le»
fage’6 „Bilblas” ein größeres Verdienft zu beanfpruchen
ale Safanova’s „Memoiren‘, und ein Mann, ber fi
die Mühe gibt, dies mit Fleiß und Ausdauer nachzu⸗
weifen, verdient für ein folches hochnothpeinliches Hals⸗
gericht (wie entfernt er auch von allem pelitifchen Ver⸗
folgungsgeifte ift) viel mehr den Dank ber frommen
und verfchämten Seelen als Zabel und Misachtung.
Sp viel im Allgemeinen über Hin. Bartheid’s Bud
und feine Eigenthümlichfeiten. Unternehmen wir num
im Gingelnen über biefelbea und über die Ginrichfung
ber vorliegenden beiden Bände zu besihen. .
Wei) auf den erſten Geiten des erſten Bandes er⸗
Hart der Verf., daß er ſich enthalten werde den Caſa⸗
nova als Schriftſteller zu fehildern, und bittet feine Leſer
ihm den Kommentar über bie Erofica in diefen Memoi⸗
ren zu erlaffen, indem in feinem Buche nur folche Lie-
besabenteuer Beachtung finden würben, bie entweder von
einem hböhern poetifchen Reize begleitet find ober ben
Blick in gefchichtlich anziehende Werhältniffe geftatten.
Bein Borfag fei vielmehr eine kritiſche Prüfung ber
Angaben und Abenteuer Caſanova's anzuflellen und ben
Beweis für des Leptern Wahrhaftigkeit oder Verdrehung
von Thatſachen zu liefen. Hr. Barthold fagt:
Died befteht aber darin, daß wie erftens die eigenthuͤm⸗
liche Stellung eines Italieners zur gebildeten, außeritalienifchen
Geſellſchaft des IRB. Zahrhundertö beleuchten und zumal bie un:
berechenbaren Bortheile hervorheben, welche dem Benctianer
beim Eintritt in das Ausland feine Herkunft, feine heimifche
Bildung und Brfahrung wie einen Preibrief und Berechti⸗
gungsfchein zur genußreichften, perſonlichen Beltung zuwies.
Hierbei müffen wir gleich die vortrefflihe Abhand⸗
fung über die Stellung der Staliener in England, Frank⸗
reich, Deutfchland, Rußland und andern europäifchen
Ländern fowie ihren Einfluß auf Literatur, Kunſt und
geſellige Berhältniffe ganz beſonders auszeichnen, die
nicht allein als die zwedmäßigfte Einleitung anzufehen
ft, fondern aud als felbfländige Abhandlung jedem
biftorifhen Werke zur Zierde gereichen. würde. Daß
aber niemals im vorigen Jahrhundert ein Italiener. feh⸗
len durfte, wo irgend an Höfen Schmähliches im Werke
war, zeigt ber Verf. unter Anderm an einer geheimniß-
vollen, haͤßlichen Geſchichte vom dresdner Hofe, die er
ober mit der anſtandésvollſten Kritit behandelt bat. Der
Berf. fährt fort: |
Bweltens werben wir den Lefer durch alle zwölf Bänbe
der Biographie in fo weit gefeiten, daß wir alle namhaften,
der Dffentlichleit irgendwie kundbaren Perfonen und alle An-
allgemeiner Berhältniffe ftreng prüfen, um moͤglichſt
Widerfprüche in den Beitangaben, in den geſchichtlichen Attri⸗
buten der Perſonen und in der Zeichnung ded Einzelnen, in
der Bezugnahme auf die Politif und auf dad Staatsleben und
mderweitig bekannte Dinge wahrzunehmen.
Bon befonderm Nugen fei nun für biefe Art der
Keitit die Gegenfeitigkeit und Befreundung der Berühmt:
heiten des 18. Jahrhunderts, ſodaß man ‚mit einer faſt
policeimäßigen Chronit Allem nachkonmen unb ſchelmi⸗
ſche Landfahrer bald einer Züge zeihen könnte. Gerade
Hier aber fei zuerft der Widerſpruch zu befeitigen, daß
in fo vielen Denkwürdigkeiten, Brieffammlungen, Ge
fandtfhaftsberichten und andern Schilderungen Cafano-
va's Name fo feiten vorkommt unb- bag er eigentlich
nur aus den fihern Angaben über feine legten greifigen
Tage in den Denfwürdigkeiten des Fürften von Ligne
betannt geworden ift. Hierauf weiß Hr. Barthold in
glänzender Weile zu antworten. Caſanova's Daſein
wird bezeugt durch feine verwandtfchaftliche Beziehung
zu ben beiden namhaften Brüdern Johann und Franz,
durch die gedrudte Erzählung - feiner Flucht aus den
Bleikammern zu Venedig, durch feine fchriftftellerifchen
Werke, durch feine anſtoͤßige, 1790 bekannt gewordene
Derbindung mit dem Herzoge Karl Biron von Kurland,
und durch andere Beugniffe, endlich durch die Einficht
des Driginalmanufcripte feiner Denfwürdigkeiten Nach
bes Derf. Worten heißt es:
Diefe aber find das vollendete, ausführliche Gemaͤlde wicht
allein bes fitlichen und der Gefellfchaftszuftinde des Jahrhun⸗
derts, welches der franzoͤſiſchen Staatsummälzung voranging,
fondern au ber Spiegel ded Staatslebens in feinen indivt«
duellen Sweigen, der Kirche, der Denkweife der Nationen, ber
Vorurtheile der Stände, der Abdrud der Philofophie, alfe des
innerften Lebens des Beitalterd. Wir möchten behaupten, daß.
wenn alle andern Schriftwerde zur Kenntniß des 18. Sahrhun:
derts verloren gingen, wir in Eafanovar hinlänglihen Stoff be
Ben, um dic unausbleibliche Rothwendigkeit einer allgemeinen
Umwälung zu ermeflen. Wer bat wie er die Verſunkenheit
und Waulniß der hoͤhern, der fogenannten gebildeten Gefell-
haft, den gedankeniofen Leichtfinn, den ‚Übermuth und bie
beraußfodernde trogige Verneinung der privilegirten Stände
gegen die unveräußerlichen Güter der Menfchheit, die gefpreizte
Seiftesormuth und Erbärmlichkeit und Unnatur bes Rococo>
zeitalters dargeftellt $
Die weitere Ausführung der furzen, aber fehr Eräf-
tigen Charakteriftit des 13. Jahrhunderts müffen wir
aus Mangel an Raum unterlaffen. _
At num fomit von Hrn. Barthold die Perfon Ea-
fanova’s als Die eines wirklichen Menfchen und nambaf-
ten Abenteurers binlänglich feftgeftellt, fo erklärt er fer-
ner feine objective Treue und Wahrhaftigkeit in allen
perfönlihen Verhaͤltniſſen für wahrhaft bewundernswär-
dig. Unter Zaufend von gefhichtlichen Zügen gibt es
kaum ein halbes Hundert in denen er irrt, kaum einen
in dem er einer gefliffentlihen Täufchung überführt wer-
ben kann. Eine Reihe von Beifpielen, zuerft Bb. I,
&. 17—24, und dann an vielen Stellen beider Bände
(wie Bd.1, 8.257; Bd. 2, ©. 134, 243, 225) führt
uns die wichtigflen ſolcher Verſehen mit großer Berch-
tigkeit und ohne Schonung gegen Caſanova vor, wie
denn auf der andern Seite Hrn. Barthold's Belefenheit
in zahlreichen Büchern und Denkſchriften und bie große
Mühe, die er fich zur Aufhellung oder Beftätigung der
Lebensereigniffe Caſanova's gegeben hat, fede Anerfen-
nung verdient. So werden für Cafanova’s Aufenthalt
in Bemedig 1743 Rouſſeau's Beobachtungen und gleich-
artige Erlebniffe benutzt; die Richtigkeit der chronologi⸗
fden Angaben während feines Aufenthalts bei Friedrich II.
wird aus Roͤdenbeck's „BSefhichtstalender” dargethan; ber
dem Caſanova zur Laſt gelegte Irrthum in der Perfon
des Unterfuchungsrichtere Fielding zu London in einer
ziemlich anſtößigen Sache Elärt fi dadurch, daß bier
nicht Horaz Fielding, fondern Sohn Fielding, fein Stief-
beuber, ber ebenfalls ein Richteramt bekleidete, bis in
bie Beinften Umftände auf; bie Erlebniffe in Rom 1761
zeigen durch Vergleichung der Winckelmann'ſchen Briefe
eine wunberbare Gedäachtnißtreue; die Umftände, welche
nad) Caſanova's Berichte dem Herzoge von Montpenfier
(Philipp Egalite) das Leben gaben, flimmen ganz mit
der Zeitrehnung überein; die gelungene Portraitirung
bes Cardinals Bernis ift mit vollfländiger chronologi«
fer Berüdfichtigung gegeben; bie Epifobe bes Zufam-
menlebens Caſanova's und Voltaire's gegen kritiſche
Zweifel durch allſeitige Erörterung der kleinlichſften Um⸗
-
484
fände (die aber nun einmal mit befprochen werben muß⸗
ten) hinlaͤnglich gefhügt. Und fo Fönnten wir noch viele
ähnliche Belege anführen, wie aus den Gchriften des
Barons Grimm, Wraxall's, Dutene’, &t, - Simon’s,
Duclos’, Marmontel’s, Hammer’s, Gorani's, Keyßler't,
Thiebault's, Winckelmann's, Brienne’s, Befenval’s u. X,
ferner aus den Memoiren Lauzun’s, der Frau de Hauf-
fet und der (faft zu viel benugten) Marquiſe von Cri-
qui, aus den Werfen Voltaire’ und vielen anonymen
größern Büchern und Flugfchriften bes vorigen Jahr⸗
hunderts, um bie außerordentlihe Sorgfalt des Hrn.
Barthoid zu beweifen. Es fei aber nur noch eines Fal-
les bier gedacht. Im neunten und zehnten Bande fei-
ner Dentwürbigkeiten erwähnt Caſanova während fei-
nee Aufenthalts in London und Leipzig 1763 und 1766
eines als Epielers und verworfenen Menfchen berüchtig-
ten Grafen Sch..., jenes Neffen bes prager Helden,
welcher das biutgeträntte Ordensband (nah Andern
das blutige Hemde) feines Oheims gebrauchte, um ſich
aus augenbliclichen Geldverlegenheiten zu ziehen. Mehre
Anfragen des Hrn. Barthold über dies unwürdige Glied
jenes ruhmvollen Geſchlechts bei den Mitgliedern ber
Familie blieben unbeantwortet, bis es ihm endlich ge-
lang, durch eine bejahrte, dem Haufe nahe verwandte,
würdige Matrone die ficherfie Auskunft zu erlangen,
durch welche Caſanoya's Nachrichten vollkommen beftätigt
wurden. Hinterher fand der Verf. auch ein anderes
glaubhaftes Zeugnig in Thiebault's Schrift über Fried-
rih II. Bei diefer Gelegenheit haben wir auch die be-
fondere Zartheit zw beloben, mit welcher Hr. Barthold
etwanige Scanbale angefehener noch blühender Familien
im Gegenfage zu der jegt fo beliebten und unanftändi-
gen Hervorziehung folcher Dinge an bie Offentlichkeit
behandelt hat; fo’ verfchweigt er den Namen einer ſchö⸗
nen Danoveranerin, mit der Bafanova in London ein
Verhältnig angelnüpft hat und deren vornehmes Ge-
ſchlecht ſich wol ausfpüren ließ, oder enthält fi bie
Sattin jenes koͤlniſchen Bürgermeifters zu nennen, die in
ihrer Hauskapelle mit Caſanova zärtlihe Zufammen-
fünfte hatte, obſchon bie Sage in Köln, wie uns nicht
unbekannt ift, jene Frau als die Großmutter eines ge-
achteten Geſchlechts nennt.
(Die Gortfegung folgt.)
— —
Zur polniſchen Literatur.,
Sm Februar d. 3. ſtarb in Warſchau Johann BVincenz
Bandtkje oder Bandtke, der jüngere Bruder des vor einigen
Jahren in Krakau verftorbenen Bibliothelars und polniihen
iſtorikers Samuel Bandthe, in einem Alter von 63 Jahren.
war, nachdem er zur Zeit des Herzogthums Warfchau ein
Rotariatsamt verwaltet hatte, bis zur Auflöfung der warfchauer
Univerfität ald Profeffor der Rechte an derfelben angeftellt ge
weien. Seine Werke beziehen fich größtentheild auf die pol:
niſche Rechtsgeſchichte. Zuerft gab er in Breslau 1806 eine
Schrift „De studio juris polonici” heraus, der I808 „‚Vindi-
ciae juris romani Justinianei” folgten. Sein Hauptwerk ift
eine Audgabe des „Jus culmense“ (Warſchau 18514) nebfk ei:
‚ner Abhandlung über das kulmer Recht und die oft: und weft:
preußifchen Landrechte. Cine wichtige Sammlung zur Gefchichte
des altpolnifchen Rechts ift auch fein „Jus polonicum, codici-
bus, veterinus Fr Fi beler Kar collatis editum”
Warſchau 44.. plögli "erregte umter fei
8 —e— Schuͤlern lebhafte Theilnahme. ir ſer
Zwei andere in letzter Zeit verſtorbene polniſche Literaten
find der Profeſſor an der ehemaligen wilnaer Univerfität Ze⸗
gota Dnacewicz und der durch feine bibliographifchen Forſchun⸗
gem verdienſtvolle Staatsrath Bafıli Anaſtaſzewicz.
Die Polen befigen ein großes heraldiſches Werk, das ber
um 375 verftorbene Jeſuit Carpar Rieſiecki mit unfaglicher
Mühe und im Kampfe mit vielfahen Widerwärtigfeiten unter
bem Zitel „Korona polska” in Lemberg von 1728 — 43 in
vier ftarken Quartbänden —— bet Es enthält bie
Geſchichte fämmtlicher adeligen Geſchlechter Polens mit Abbil.
dungen der Wappen, unb iſt fo forgfam zufammengetragen,
daß es als authentifche Quelle zur Rachweifung bed Adels gilt.
Da es felten geworden und fehr koſtbar ift, fo iſt es dankens-
werth, daß Bobrowicz in Leipzig jetzt einen-neuen Abbrud des
ganzen Werkes in zehn Detavbänden veranftaltet hat. Ders
felbe ift fehr fplendid gedrudt und untangft vollendet worden;
zu bedauern ift nur, daß der Derauögeber nit im Stande
war, die manderlei Lüden und Mängel, die fi) doch im Werke
finden, zu befeitigen. Neuerdings hat er einen Band Rad:
träge zu feiner Ausgabe geliefert, Die aber durchaus nicht in Rüd-
fiht auf Hiftorifche Treue an Nieſiecki 8 Wer fi) unreiben koönnen
und die nicht gewiſſenhaft genug zufammengetragen find.
In dem Oſſolinski'ſchen Inftitue zu Lemberg ift ein in
tereſſantes hiftorifches Werk vom Grafen Dziedußzycki, „Dzieje
i sprawy Lissowczyköw”, in zwei Zheilen herausgegeben wor⸗
ben. Es befchreibt die Züge der Liſſowczyker, einer wilden
abentenerlihen Schar polnifcher Krieger, die im Anfange des
17. Zahrhunderts, ald Sigismund Waſa den ruffiichen Zaren
mit Krieg überzog, ganz Rußland durchftreiften, dann aber von
Sigismund dem Kaifer Zerdinand IL gegen Betlem Gabor zu
Hülfe gefandt wurden, und die fehr weſentlich zur Unterwer⸗
fung beffelben beitrugen. Sie trugen einen vollftändigen Sieg
über Stephan Ragozy davon. Die Furcht vor ihnen war fo
groß, daB Betlem Gabor, ber in Dfen bereits feine Krönung
vorbereitete, bei ihrer Annäherung Ofen verlieh. Später tries
ben fie während bes Dreißigjährigen Kriegs im Dienfte des Kai-
ferd Ferdinand in Böhmen und Deutfchland ihr Weſen und
arteten in eine überall Schreden erregende Räuberfchar aus.
Ein bedeutendes Hiftorifches Werk hat Begota Pauli in
Lemberg begonnen, „„Zywoty Hetmanow‘, Lebensbeſchreibun⸗
gem der Hetmane forwol der Krone Polen als auch des Groß
berzogthums Lithauen. Er hat dabei die alten unlängft aufge
fundenen wichtigen Materialien Brodowski's zum Grunde gelegt.
Diebeigegebenen Wappen der Feldherren find eine Bierde des Werks.
Roch erſcheinen zuweilen polnifche Schriften in Petersburg,
In legter Beit ift dafelbft eine Schilderung ber Zuftände von
Weißrußland, „Szlacheic Zawalnia czyli Bialorus”, von Re:
mugld Podbereski, mit einem Eritifchen Uberbli über die weiß
ruſſiſche Literatur erfchienen, ferner eine Gedichtſammlung eines
Ukrainers, Daszkowski, ‚„Niezapominajki Ukrainca ” (1845),
in welcher theild Driginale, theild Überfegungen Pufchkin’fcher
Eedichte enthalten find.
Anerkennung auch bei deutſchen Gelehrten hat das über
das polnifhe Münzivefen von Ignaz Zagorsſski und dem Baron
Eduard Raſtawiecki in Warſchau 1345 herausgegebene Werk
gefunden, „Monety dawnej Polski”. Man findet hier nicht
nur die vom polnifchen Staate felbft, fondern auch die von den
Städten und Provinzen außgegebenen Münzen befchrieben und
auf 60 Zafeln in Lithographie abgebildet, Das Werk bericht ſich
aber vornehmlich nur auf die Drei legten Sahrhunderte. 9,
Verantwortlider Herausgeber: Heinrich Wrodpans. — Drud und Verlag von F. X. Brockhans in Leipzig.
— —
J —
J
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Sonnabend,
— ft.
—
Die gefchichtlichen Perfönlichkeiten in Jakob Caſanova's
Memoiren. Beiträge gi Geſchichte des 18. Jahr:
bunderts von F. W. Barthold. Zwei Bände.
(Bortfegung aud Nr. 121.)
Iſt alfo buch die eben gegebenen Rachweifungen
die Wahrhaftigkeit Caſanova's im Erzählen erhärtet, fo
erklärt e8 ferner die Art feines Auftretens zur Genüge,
weshalb fein Name in den Büchern bes 18. Jahrhun-
bertö nicht fo oft genannt ift als der eines Freiheren
von ber Trend, eines Grafen von St.-Germain, eines
Caglioſtro. Alle Diefe foderten durch freche Baunerkünfte,
prahlerifche Geheimnißfrämerei und hohe Anmafungen
das öffentliche Urtheil heraus, Caſanova aber ift viel
feiner und vorſichtiger. Er reifte zwar als vornehmer
Herr, aber unter dem Titel eines Chevalier de Seingalt,
fein Debut am Pharotifche war gewandt, befonnen unb
nicht auf falfche Griffe und Kartenkünſte gerichtet, feine
geheimnißvolle Kabbala mehr eine Spielerei, eine geiftvolle
Moftification vornehmer Thoren als eine Ermwerböquelle:
nur durch die unbefiegliche Narrheit der Marquiſe b’Urfe
gezwungen mußte er von feiner Überlegenheit Gebrauch
machen, um die fleigenden Bedürfniffe feiner verfeiner-
ten Genußfucht zu befriedigen. Ebenſo Hatte er, auch
wenn es in ben Dienften eines Fürften arbeitete, nie
einen öffentliden Zitel, wogegen ihn feine fchnell be-
kannt gewordene Flucht aus den venetianifchen Bleikam⸗
mern als ein Opfer ungerechter Juftiz in dem glänzend»
ſten Lichte erſcheinen lieg und fein ehrenhafter Zweikampf
mit dem polnifchen Kronfeldheren Branicki in Warfchau
ihm die Stellung in der abeligen Welt ficherte, zu der
er ſich berechtigt hielt. In allen folhen Beziehungen
ift bie DVergleichung, bie Hr. Barthold zwifchen Cafa-
nova und Trend anftelt, fehr belehrend, „der Stalie-
ner”, fagt er, „bleibt, feiner Gaunerfünfte und heillofen
Moral ungeachtet, dennoch wie umbeftritten intellectuell
fo auch fittlih eine höhere, vornehmere Natur”. Dabei
find die Schattenfeiten in Caſanova's Leben nicht un-
aufgededt geblieben, feine haͤßliche Geldnoth, die verwor-
fene Geſellſchaft in der er mitunter Iebte, die Rüdfichts-
lofigkeit im Umgange mit ben meiften Frauen, endlich
die Abnahme feines Glücks, feitdem ihn in Großbritan-
nien 1763 fein böfes Schickſal dem Galgen nahe brachte,
von jener Lebenshöhe, auf der er fich zehn Jahre früher
ohne Schwindel, bewegte und die mit feinem Aufent-
122, —
2. Mai 1846,
halte in Venedig 1753, den ber vierte Theil „des Epos
heroiſcher Wolluſt“ fchildert, begonnen hatte. Jene höhere
Natur zeigt aber Caſanova befonders als Schriftfteller,
Sittenmaler und Gefchichtfchreiber, er fteht nach unferm
Verf. hier unendlih hoch über dem Abenteurer Cafa-
nova und verebelt einen Lebensroman, der nad) der ge-
wöhnlichen Auffaffung nur voll der unzüdtigften Bil-
der ift, Die aber felbft dem abgeflumpften Lüftling durch
cyniſche Befeeltheit noch einigen Kigel erregen, zu einem
Werke der ernſten Klio, dergleichen die neuere Literatur
fein anderes aufzumeifen hat. So gern wir auch Hrn.
Barthold alle Gerechtigkeit widerfahren Laffen, fo hätten
wir doch um feines Werkes willen gewünfcht, er hätte
—* faſt zu ſtolzen Worte nicht an die Spitze deſſelben
geſtellt.
Um nun aber zu zeigen, wie ſehr Caſanova's Buch
durch den Barthold'ſchen Commentar gewonnen hat —
was bekanntlich nicht der Vorzug aller Commentare
iſt —, verfolgen wir jetzt in raſchen Überblicken die ein⸗
zelnen Begebenheiten und bezeichnen bie reichen Ausfüh-
rungen und nüglihen Erceurfe, die ihnen von der Band
des gelehrten Profeffors zu Theil geworden find.
Caſanova war nad) feiner eigenen, genauen Angabe
in Benedig am 2. April 1725 geboren. Diefe Ge-
burtsftabe hat auf ihn während feines ganzen Lebens
den größten Einfluß gehabt, fie ift unermüdet fein Lieb-
Iingsplag geblieben und es ift faft rührend zu lefen,
wie ihn 1773 das Heimmeh oder bie Unmöglichkeit, fern
von der Waterftadt feine Tage angenehm zu verleben,
ringe um das Gebiet der Republik umhertreibt. Mit
Recht hat daher Hr. Barthold den venetianifhen Zur
ftänden eine genaue Aufmerkſamkeit gewidmet und uns
im erften Bande ſowol von bem mächtigen Wirken der
furchtbaren Staatsinquifition als von der Zunft der ve-
netianifchen Courtifanen, dieſer unentbehrlihen Stütze
des republifanifchen Staats, von den Sungfranenflöftern
auf Murano und überhaupt von bem Xeben und Trei⸗
ben in diefer „Metropole ber raffinirten Freiheit des
Sinnengenuffes” fehr farbenreiche, auf fleifigen Studien
beruhende Bilder aufgeftellt. Ebenfo hat berfelbe Caſa⸗
nova’s dunkle Herkunft (er war der Sohn eines Schau-
fpielerpaars) möglichft aufgeflärt unb dadurch zwei Er⸗
gebniffe von Wichtigkeit für das Leben feines Helden
gewonnen, einmal, daß in deffen junge Seele auch nicht
ein daͤmmerndes Bild von ehrbarem Kamilien- und Bür⸗
gerleben fallen konnte, und zweitens, daß das wanbernde
Reben ber Altern eine Kette von perfönlichen Verbin⸗
dungen duch ganz Europa für Caſanova geworben if.
Man weiß ja, mit welcher Keftigfeit folche Berbindungen
ımter Schaufpieleen, und namentlich bei foldhen, die
nicht auf ben erften und reichften Bühnen angeftellt find,
feftgehalten zu werben pflegen. Die erften Liebesaben-
teuer Caſanova's fallen aud in dieſe Zeit, und die Lie
besnacht mit der fihönen Römerin in Marino nöthigt
bie Kritik unfers Verf., „die Hauptfäden der politifchen
Geſchichte in das Teichtfertige Gewebe einzufchlagen”‘, was
denn auch mit der erfoderlichen Sachkenntniß geſchehen
iſt. Das naͤchſte Jahr in Caſanova's Leben (Juni 1745,
25. Nov. 1745) führt die Leſer nach Konſtantinopel,
wo für ihn der berüchtigte Renegat Bonneval die an-
ziehendfte Bekanntſchaft war. Wichtiger als feine Er-
lebniffe find aber für uns die kritiſchen Erörterungen
Hrn. Barthold's, durch die er aus unverdächtigen Duel-
len die Hauptmomente des Lebens Bonneval’s zuerſt
berichtigt und befonders feine festen Jahre beleuchtet
bat. Nach der Rückkehr bleibt Venedig für die näd)-
ften Jahre Caſanova's Schauplag, er führt das Leben
des gebankenlofeften Taugenichts und zeige die Sitten
der Stadt im grellften Xichte, wodurch der Verf. Ver-
anlaſſung erhält, der Begebenheiten Rouſſeau's, ber 1743
und 1744 Secretair bei ber franzöfifhen Gefandtfchaft
in Venedig war, zu gebenfen, obfchon fie mit Caſano⸗
va's Schickſalen damals noch in feiner Berührung ftan-
den. Diefer pilgerte im Juni 1750 nad Paris, wohin
fein Sinn fchon lange ftand, die Reife führte ihn über
Ferrara und Turin, mo allerhand Perfonlichkeiten von
Hrn. Barthold kürzlich beſchrieben werden.
Die Schilderungen des parifer Lebens 1730 — wo
Ludwig XV. über jedes Vorurtheil von Pflicht, Ehre
und Gewifſen hinausgekommen und die Belt vom Hofe
durch alle Fugen des bürgerlichen und häuslichen Lebens
gebrungen war, fodaß felbft die partfee Handwerker bald
lernten ſich en philosophe über Alles hinwegzuſetzen, was
furchtſame Gemöhnung bisher noch als mohlthätige
Schranke anerkannt hatte — gehören zu ben bedeutenbften
Helen des vorliegenden Werks. Caſanova, zuerft auf
feine Komödiantenfippfähaft angewiefen, fand Bald an
Madame Sylvia, ber erfien Berühmtheit der italieni-
fhen Dper, und an der ſchamloſen Mabemoifelle Le Fel
freigebige Befchügerinnen, die uns von Hrn. Barthold
fowie die andern ausgezeichneten Theaterheldinnen jener
Belt, eine Gauffer, Gauchin, Lolotte, Clairon u. U.
aus den Schriften der Zeitgenoffen fehr anſchaulich ge
fchildert find. Bei der wichtigen Rolle, welche biefe
Shaufpielerinnen, über beren Frechheit Cafanova felbft
erſtaunen mußte, in der bamaligen vornehmen Welt
fpielten, ift die Ausführlichleit gar nicht übertrieben,
namentlich wo fie fih fo ganz in den Grenzen des
Anftandes Halt und überhaupt — was wir wieberholt
bemerken — bie erotifhen Stüde nur als untergeord-
nete Theile zur Anknuͤpfung gefchichtlicher Thatſachen
behandelt. Uber auch VWoltaire mit feinem Anbange,
Sontenelle und d’Alembert und andere Männer ber
Wiffenfhaft, die Frauen Geoffrin, Dubocage treten uns
Hier entgegen, Hand in Hand mit ihnen die Ausſchwei⸗
fungen des emtarteten Hofs, Monfieur Duizin, der Ger
Tegenheitsmacher bes Königs, der alte Sünder Richelieu
in feinem fcandalöfen Liebeshbandel mit Madame be la
Popeliniere, bie beiden Familien Boufflerd und Lurem-
bourg, Die man in Paris als die Muſter des Auf-
ſchwungs über die Worurtheile des Pöbels pries und
deren genealogifche Verhältniffe ihre gründliche Beleuch⸗
tung einer gelegentlichen Außerung Caſansva's verban-
ten, endlich die anftößigen Gefhichten aus dem Haufe
Orleans. An dem Marfhall von Sadfen, dem Sohne
der berühmten Aurora von Königsmark, die „weder fo
jung noch fo jungfräulicd, als gemöhnlicy geglaubt wird
in den glänzenden Reihen ber Kebsweiber Friedrich Au-
guſt's eintrat”, tadelt Hr. Barthold die ſchmuzigſten, un⸗
würdigften Gefchichten, die fein fittliches Leben beflecken,
die Tächerliche Rivalität mit kleinen Poeten und Paſte⸗
tenbäderjungen, die undeutfche Sefinnung. „Ohne feine
Thaten hätte Deutfchland den Raub Franfreihs am
Elfaß wieder abgejagt.“ Geben nun fhon biefe Schau-
ftellungen oft genannter Männer und Frauen ein fehr
buntes Bild des damaligen Paris, fo vervollftändigt es
unfer Verf. noch durch die Schilderımg jener Liebhabe⸗
reiten für Zauberei, Xeufelsbefhmörung und bie kabba⸗
liſtiſchen Wiffenfhaften, wo bie erflärteften Freigeiften,
Männer wie Frauen, am erften das Spiel liftiger Aben⸗
teurer wurden. Caſanova hatte biefe Kunſt mit glüd-
lichem Erfolge in Italien getrieben und felbft eine neue
Diethode erfunden, die er in Frankreich noch weiter trieb
und fid) dadurch in ben höchſten Auf fegte, als ſtehe er
mit der phantaſtiſchen @eifterwelt in Verbindung, ale
habe er über Mittel zu verfügen, bie Alles übertrafen,
was wir in neuerer Zeit von den freihen Betrügereien
eines Baglioftro und St.-Germain erfahren haben. Das
beflagenswerthefte Opfer diefer Künfte iſt die Marquiſe
b’UrfE geworden, die Heldin des fünften bis achten
Bandes.
Ehe nun Bafanova nad Venedig heimkehrte, gibt
fein Aufenchalt zu Dresden und Wien im Sommer 1752
und 1753 Hrn. Barthold Gelegenheit zu eben nicht er-
freulihen Schilderungen nıehrer hervorragenden Perfönlich-
feiten in beiden beutfchen Städten. Reich an Erfahrung,
aber arm am Beutel, kam er in feine Vaterſtadt zu-
rück und verflocht wieder eine Neihe von Romanen ve
nefianifchen Stils in fein Leben, an welche bie Kritik
feine Bemerkung Mnüpfen Tann, bis der Inhalt des
vierten Bandes der Betrachtung neuen Stoff gibt, weil
die handelnden Perfonen fowie die Beweggründe der Ka⸗
taftrophe der Gefhichte angehören. Unter diefen Perfo-
nen ift der bamalige franzöfiihe Gefandte in Venedig,
der vormalige Cardinal Bernie, vorzüglich zu nennen,
deffen Leben Hr. Barthold mit befonderer Ausführlich“
feit verfolgt hat, weil Caſanova, begünſtigt burd das
Spiel und ben Schug reicher Patricier, durch ihre bei-
derfeitige Freundin die Nonne M. M. im Caſino zu
Murano, diefes großartige Mufter aller veretianiſchen
Hetären, mis ihm in nähere Verbindung trat. Hier-
neben ift das Geheimnißvolle und linheinsliche ber ven«-
ttaniſchen Regierung in das hellſte Licht gefept, nament-
lich die Staatsinquifition auf das genauefte beurtheilt,
als deren Opfer Cafanova nach Bernis’ Abreife in Folge
feiner blasphemifchen Kabbala, feiner frechen Lufigier,
weiche bie Kioftermauern durchbrochen hatte, und der
verbotenen engen Berbindung mit einem ausländifchen
Sefandten am 26. Juli 1755 fiel und in die verrufe-
nen Bleikammern gebracht ward. Seine munberbare
Flucht aus benfelben, die ihn einer gewiffen Hinrichtung
ohne Verhoͤr und Unterfuhung entzog, wirb nur bei-
läufig berührt und zu einer Vergleichung mit ben aͤhn⸗
lichen Entweichungen Benvenuto Eellini’s und Trenck's
benutzt, feine Gefchichte aber erſt in Frankreich feit dem
5. San. 1757 wieber aufgenommen. Die richtige Auf-
faffung der fietlihen Zuftände in Frankreich, vor alfen
der Pompadour und ihrer Maitreffenwirtbfchaft, erfennt
ber Verf. vollkommen an und weiß fie durch bedeutende
Einzelheiten zu beftätigen, aber in bie politifchen, ver⸗
ſchleierten Geheimniſſe ift Caſanova's Blick nicht einge-
drungen. Durch feinen Gönner Bernie gelangt er jetzt
zu finanziellen Bedienungen, er macht auch einen An⸗
fang in ber diplomatiſchen Laufbahn, aber fein be-
ſtes Glück hat er bei hoffähigen und nichthoffähigen
Frauen, deren Privatleben unfer Verf. nad) allen Sei⸗
ten bin beleuchtet, mie das jener Gräfin de Blois be
Chaurigny, welche aus Sentimentalität die Kuhmilch
verfchmähte, die Nahrung junger Lämmer für fi allein
paffend fanb und gegen Buffon ſich beflagte, daß bie
Tauben niht Milch gäben. Durch fo hohe Freundin-
nen begann unfer Held wieder die alten kabbaliftifchen
Künfte und knüpfte feine Verbindung mit der tollen
Naͤrrin, ber Marguife d'Urfé, an.
(Die Kortfegung folgt.)
Die Entführung der heibelberger Bibliothek nah Rom
im Jahre 1623. Don Johann Chriftian Felir
Bähr. Leipzig, T. O. Weigel. 1845. Gr. 8. 8 Neger.
Ob das Net der Eroberer fih nur darauf ' befchränft,
Menschen zu tödten, Länder zu verwüften, Geld und Geldes:
werth zu tauben, oder ob e& ihnen auch zufteht, Gchäge der
Kunft und Wiſſenſchaft fortzufchleppen, ift eine Frage, die ver-
fhiedentliche Beantwortungen gefunden bat. Wenn einmal das
militairifche Raͤuberhandwerk durch großartiges Auftreten und
gluͤckliche Erfolge eine Art Sanction erhalten hat, fo fcheint es
nicht darauf anzufommen, ob der Sieger nur Menfchen und
Bieh jchlachtet, ſich Gold und Silber aneignet, oder ob er auch
Böker, Gemälde, Denkmäler u. dergl. als angenehmen Lohn
für feine ieh ie Die ih Römer ee Sardaen
felgen Unterichied; erbin find Fortichleppungen von gen
der Kunft oder Wiflenfehaft nur felten vorgefommen, aus dem
hinreichenden Srunde, weil man nicht viel davon fand und das
Sefundene nicht Mi würdigen wußte. Daß die Benetianer bie
vier bronzenen Pferde aus Konftantinopel mitführten, um ihr
St.⸗Marcusportal damit zu ſchmücken, daß das Recht des Stär:
fern den Codex argenteus, die Bibliothefen der braunsberger
&
umd wuͤrzburger Jeſuiten nach Upfala wandern lieh, ſind ver:
einzelte Bälle. Erſt Napoleon hat die Ausbeutung ersberter
Länder in diefem Genre wieder eu gros und planmäßig betrie⸗
ben; er beurtheilte ganz richtig, daß der Ruhm der großen Ra-
tion durch ſolche Trophaͤen nicht wenig erhöht werden müßte;
und bei der vorgefchrittenen äfthetifhen und wiſſenſchaftlichen
Bildung iſt es ſehr wahrſcheinlich, daß Fünftige Eroberer in
diefem Punkte nidye bedenklicher fein werden als Napoleon.
Sollte es demnach überflüffig fein, wenn: fi die europäifchen
Potentaten über völkerrcchtliche, dieſen Gegenftand fichernde Be
ſtimmungen einigten® Hierauf müßte man aber ſchon in Frie-
denszeiten Bedacht nehmen; denn wenn erft eine Invafion aus
Norden oder fonft woher hereingebrochen ift, bürften folche
Stipulationen zu Tpät kommen.
‚ Eine der intereffanteften Raubgefchichten jener Gattung if
bie im Dreißigjährigen Kriege erfolgte Entführung der pfälzt:
fhen Bibliothel aus Heidelberg nah Rom. Der Papſt ver:
Bon ed, ohne ſelbſt ins Feld zu rüden, diefe werthvolle Beute
ür fich zu gewinnen. Und daß er daran wohlgethan, daß fein
Name deshalb „ftet6 von der fpäteften Nachwelt dankbarſt ge-
priefen werben müffe, daB er dabei von den edelſten Sefinnun-
gen geleitet und zugleich auf fein heiliges Recht geftügt
war‘, bat Dr. Auguftin Theiner, Priefter des Oratoriums zu
Nom, in einer befondern Schrift auf eine für jeden Römer
ſchlagende Weife dargethan. Diefe Schrift gab dem Dr. Bähr,
jegigem Dberbibliothefar der Heidelberger Univerfitätsbibliothek,
Beranlaffung, die Sache aus einem andern Standpunkte zu
beleuchten, und was derfelbe mit Benugung ber ältern und
neuern, zum Theil felbft bisher nicht bekannten Quellen zur
Würdigung jenes Ereigniffes beigetragen bat, verdient volle
Anerkennung:
Die pfaͤlziſche Bibliothek, befonders wegen ihres Reichthums
an Manuferipten die bedeutendfte in ganz Deutſchland, hatte
die Begehrlichkeit Gregor's XV. in hohem Maße erregt. Schon
längere Zeit vor der @innahme Heidelbergs richtete er deshalb
ſeine Bewerbungen an den Herzog Maximilian von Baiern;
bier fanden fie guͤnſtige Aufnahme und kaum hatte ſich Tilly
der Stadt bemädhtigt, fo ging die Schenkungsurfunde nad
Rom ab. Gregor Ponnte hierbei verfchiedene Motive haben:
religiöfe, politiſche und finanzielle. Über die religiöfen fagt
Auguſtin Theiner:
„Er (der Papſt) wuͤnſchte dieſen berühmten Buͤcherſchatz
nad Rom verſetzt, um den Proteſtanten, die gerade in dieſer
Beit die Denkmäler der chriſtlichen Vorzeit fo fehr entfteliten
und die PBatholifche Kirche mit aller Misfennung und Verfaͤl⸗
fung ihrer Documente aufs leidenfchaftlichfte angriffen, dieſe
Goldgrube, aus der fie mit Beratung des koſtbaren Metalis,
das fie enthielt, nur die gemeinſten Schladen bis jetzt auszu⸗
graben gewohnt waren, um bie katholiſche Kirche anzufeinden,
u fchtießen (In Betreff diefer guten Meinung von ben deut:
(er Proteſtanten fagen fogar die muͤnchner "Biftorifche politi
hen Blätter” in einer von Herrn Bähr citirten Stele: „daß
ihre deutſche Empfindung ihnen verbiete, fi bei diefem Ur»
theile unbebingt zu betheiligen.’‘)
Bu der Annahme, daß Politik den Papft in der Sache
geleitet babe, liefert Theiner ebenfalls eine Begründung, indem
er erzählt, DaB Gregor gleich feinen Vorgängern etwas Großes
für die Wiffenfchaften und deren Pflege in Rom duch Ver⸗
mehrung handfchriftlicher und literarifcher Hälfsmittel zu thum
wuͤnſchte und fich daher mittel& feines Nuntius Caraffa die hei⸗
belberger Bibliothek von Marimilian erbeten habe. Hinfichtlich
der finanziellen Beweggründe ſchreibt Iheiner: „Es war nichts
billiger als daß der Papft für bie vielen und großen Opfer,
bie er feit dem Antritt feines Pontificats dem Herzoge von
Baiern dargebracht hatte, eine Entſchaͤdigung verlangte. Mehr
als 200,000 Kronen Hatte er ihm und dem Kaifer zur Fuͤh⸗
rung des Kriegs bereits außgezahlt, Beiden anfehnliche Zehnten
auf geiftliche Güter eingeräumt, dem Herzoge von Baiern fer»
ner ftehende monatliche H en buch den koͤlner Nun⸗
tius gefichert und noch überdies den 6. Oct. 1021 eine Baar:
gahlung von 60,000 @ulden zugeſchickt. Welche Dpfer! Eine
affendere und zugleich ehrenvollere und für den Herzog von
—* weniger drüdende Entfchädigung als die Schenkun
der heidelberger Palatinbibliothek konnte vom Papſt ficherli
nicht verlangt werden.”
Wo nun Religion, Politik und Geld fo mächtig zufammen-
wirken, wo es für den Empfänger durchaus „billig“, für den
Geber hoͤchſt „paflend und ehrenvoll“ if, einen Handel mit
geraubtem Gute zu treiben, da kann man fich nit wundern,
wenn das Geſchaͤft p gegenſeitiger Zufriedenheit und ohne Zeit-
verluſt zu Stande kam. 3
Am 19. Sept. 1622 fiel das Schloß Heidelberg in Tilly's
Hände und fchon im folgenden Monat trat der päpftlide Com
miflar, eo Allatius, die Reife nad) Deutihland an, um Die
Bücher und Manuferipte zu übernehmen und über die Alpen
zu geleiten. Allatius war ein gefhidter Mann, der nichts Gu⸗
te8 in Heidelberg liegen ließ. Die Beute wurde auf JO Wa:
en nad München gebracht, wo man megen ber weitern Zort-
chaffung über die Gebirge eine Umpadung in 196 Kleinere Ki-
ften vornahm. Rach vielen Mühen langte Allatius glüdlid
mit feinem Zrandport in Rom an und fofort wurden dieſe Bü:
cher und Manufcripte der vaticanifchen Bibliothek einverleibt.
Gregor XV. war bereitö geſtorben; fein Nachfolger, Urban VIII,
ließ die Manuferipte mit neuem Einbande ſchmücken und in
ſchoͤnen raͤnken aufſtellen. Ein Memoirenſchreiber der da⸗
maligen Zeit ſagt: „Au bout ceste partie de la bibliothèque
palatine est aujourd'huy un des plus riches meubles du Va-
tican, et porte encore les ınarques de l’heresie, estant logee
a part et marquce d’un escriteau heretiquc de bibliotheque
palatine.'
Der katholiſche Bonaparte trug Fein Bedenken, fih im
Zrieden von Zolentino (1797) 500 durch franzöfiiche Commif-
fare auszumwählende Dandfchriften ber vaticaniſchen Bibliothek
auszubedingen; auch 38 Manufcripte der alten pfälzifchen Bis
bliothed wurden ungeachtet des 6criteau heretique mit unter
die Auswahl genommen. Diefer Umftand gereichte fpäter der
Univerfität Heidelberg zum Vortheil. Der Parifer Frieden, der
auch andern Ländern die von den Franzoſen weggefchleppten
Kunftfhäge, Bücher, Handfchriften u. dgl. zurüdgab, war die
Beranlaffung, daß ein Theil der alten nach Rom entführten
Palatina wieder in ihre urfprüngliche Heimat gelangte. Als
päpftlicherfeitd die SUO durch den Frieden von Zolentino nach
Paris gebrachten Handfchriften zur Rückgabe reclamirt wurden,
unterließ auch Die großherzoglich badiſche Regierung nicht, eine
ähnliche Reclamation Hinfichtlich der ehedem pfälzifchen, Heidel⸗
berg zugehörigen Handfchriften zu erheben; durch die Bemü-
Hungen der öftreihifchen wic vorzüglich der en Behör-
den gelang es im Rovember 1815 die 38 Handfchriften zurück⸗
verhalten. Es war natürlih, daß ein ſolches Ereigniß auch
en Wunfch hervorrief, die noch übrigen weit zahlreichern Hand»
ſchriften der alten heidelberger Bibliothek bei diefer Gelegenheit
aus Rom wiederzubetommen, zumal da der Papſt durch die
großmüthigen Anftrengungen der Verbündeten, namentlich der
großen beutfchen Mächte, nicht bloß in den Befig feiner Staa-
ten und Rechte wieder eingefegt war, ſondern auch fo viele
und bedeutende Kunftfchäge, welche aus dieſen Staaten nad
aris entführt worden waren, von bort wieder zurüderhalten
* unter ſolchen Umſtaͤnden ſich daher auch eher erwarten
ieß, daß ein derartiges Geſuch Berückſichtigung finden werde.
So ging ſchon in den erſten Tagen des October 1815 eine
hierauf abzielende Vorſtellung in das Hauptquartier der Alliir⸗
ten, wo ſie eine guͤnſtige Aufnahme fand; insbeſondere waren
ed wieder Preußen und Oftreih, welche fih der Sache eifrigſt
annahmen und durch ihre Legationen in Rom das Gefuch der
heibelberger Univerfität aufs nachdrücklichſte unterftügten, jedoch
nur mit theilweifem Erfolge, indem man fi in Rom nur zur
Burüdgabe von 847 deutfchen Handfchriften, zu welchen fpä-
Bexrantwortlicher Herausgeber: Heinrich Wreodjant., —
ter noch fünf andere hinzukamen ( Dtfried s Evangeliſche Se⸗
ſchichten“ und vier die Univerfität en Ganpferiften),
verſtand. Diefe Handfchriften, in der Gefammtzahl don 852,
wurden am 15. Mai 1816 dem zur Übernahme Seitens ber
Univerfität nad Rom abgefendeten Oberbibliothekar Wilken
feievtihft übergeben und kamen über bie Alpen glüdlid in Hei⸗
elberg on. j
Das Factifche der Entführung und theilweifen Wiedererlan-
gung der in Rede flehenden Bibliothek ift zwar durch Hrn. Bähr’s
Schrift zur Maren Anſchauung gebradht worden; doch beklagt
er jelbft, daß es ibm an Mitteln gefehlt babe, manche noch
ſehr wuͤnſchenswerthe Aufllärungen über die Sache zu erhal-
ten, namentlih in Betreff der einleitenden Unterhandlungen
zwilhen Marimilian und Gregor. In den Acten der Univer-
ſitaͤtsbibliothek, fo vollftändig ſie auch fonft find, befindet
gerade bier eine Luͤcke; es fehlen die Acten ber Jahre 1621 —
was fich leicht aus der damaligen Kriegenoth erklären laßt.
Wenn alfo aus örtlichen Quellen nichts zu gewinnen ift, fo
find nur noch Rom und München als die bei ber Angelegen-
beit zunächft betheiligten Drte übrig, von welchen nähere Aufs
fhlüffe durch archivalifche Nachrichten, Urkunden, Berichte u. dal.
zu erwarten wären. München blieb in diefer Beziehung bis
jegt ganz verfchloffens was Theiner aus römifchen Quellen mit
getheilt Bat, bezieht fich meift nur auf die unwefentlichfte Seite
des Ganzen; am ausführlichiten verweilt er bei dem Verpacken
der Bücher und dem allerdings mühevollen Transportiren ber
felben nad) Italien. Über die Verhandlungen, welche zwiſchen
dem Papſte und dem Herzoge vor der Übergabe der Bibliothel
ftattgefunden haben müffen, liefert Theiner Fein einzi-
ges Actenſtück.
Zum Schluſſe unſerer Mittheilung ſei es uns vergoͤnnt,
noch ein Proͤbchen von echt jeſuitiſcher Beſchoͤnigungskunſt bei⸗
zubringen. Auguſt Theiner rechnet die Wegführung der pfäl
ziſchen Bibliothek dem Papſt Gregor XV. und dem Herzoge
Maximilian als ein hohes Verdienſt an, indem er Beide als
Männer bezeichnet, „deren Namen ſtets von der fpäteften Rach:
welt als die Erhalter der Palatina dankbar gegriefen wer
den müffen‘. Das hängt fo zufammen. Die Fortichleppung
fand 1623 fkatt. Im Sahre 1693 wurde Heidelberg von
den Franzoſen in Brand geftedt. Die Bibliothek hätte mög:
liherweife mit verbrennen Fönnen. Aber Gregor und Ma-
rimilian baben fie dem unvermeidlichen Untergange ent«
riſſen, weil fie diefelbe 70 Jahre früher nah Rom ſchaffen lie»
Ben, folglich gereicht es ihnen zum hohen Berdienfte, die Bi
bliothef gerettet zu haben! 13.
giterarifhe Anzeige.
Dur alle Buchhandlungen ift zu erhalten:
August Lewald’s
gefammelte Schriften.
Sn einer Auswahl.
Bwölf Bände.
Gr. 12. 1844 — 46. Geh. 12 Thlr.
(Stud in vier Rieferungen a B Ihlr. an beziehen.)
Die legte Lieferung (Bd. 10 — 12) diefer Geſammtausgabe
von Bewald’s Schriften wurde ſoeben verfandt, fobaß die:
jelbe nunmehr von ftändig in den Händen des Yublicums ifl.
Reipzig, im Mai 1846,
$. A. Brochhans.
Drud und Verlag von F. ME. Srockhaus in Leipzig.
Blätter |
für Ä »
literariſche Unterhaltung.
Sonntag, ‘
ö— ⸗ Nr. 123.
3. Mai 1846.
Die gefchichtlichen Perföntichkeiten in Jakob Caſanova's
emoiren. Beiträge zur Gefchichte bes 18. Jahr⸗
bunderts von F. W. Barthold. Zwei Bände.
(Bortfegung aus Nr. 122.)
Der zweite Band bes Barthold'ſchen Werks beginnt
mit der Gefchichte des Haufes d'Urfé und gibt mit Hülfe
feltener Bücher ben Lefern ein durch mannichfache Far⸗
benfchattirungen gefchmüdtes Gemälde der franzöfifchen
Landſchaft Forez, in welcher jenes reichbegabte ritter-
liche Geſchlecht feine Schlöffer und Befigungen hatte.
Wir halten dies Stud für eins der gelungenften im
ganzen Buche, wenn auch nicht der grämliche augsbur-
ger Zadler hierin ein fo befonderes Zalent des Verf.
für die Darftellung erkannt hätte, und bebauern nur,
nicht mehr aus bemfelben über die gefeierten Män-
ner Anne und Honor d'Urfe, des Verf. des berühm-
ten Schäferromans „Aftede”, der das Wunder des 17.
Jahrhunderts hieß, fowie über andere jenes Haufes hier
- mittheilen zu fönnen. Ihm entflammte Joanna d'urfe,
da8 bebauerungswürdige Opfer der Gaufeleien Gafano-
va’s und feiner goldmachenden, lebensverjüngenden Hänbe,
über die zunächſt genealogifhe Nachrichten der Mar-
quife von Erequi, fonft ber Tebendigen Chronik des fran-
zöfifchen Adels, von Hrn. Barthold berichtigt werden
mußten. In ihrem Haufe begegneten fih Gafanova
und der Graf von St.-Germain, es begann von jegt
an zwifchen dem Kabbaliften und dem Adepten ein Wett-
ſtreit in verderblichen Gaunerkünſten, bem wir eine reiche
Auswahl anziehender Überlieferungen aus weniger ge-
tannten Büchern, wie aus den Memoiren ber Dame
de Hauffet, aus Graf Lamberg's „Memorial d’nn mon-
dain” und aus Graf Gleichen's ungedrudten Denkwür⸗
digkeiten im Sahrgange 1813 des „Mercure étranger“
verdanten. Hr. Barthold fagt: "
Denn weil St.:Germain mit unferm Abenteurer fo merk
würdig daß vorige Jahrhundert charakterifirt und des Leptern
Geſchichte gleichwol noch nicht kritiſch beleuchtet ift, glauben
wir bier die paflende Stelle zur Unterfuchung gefunden zu haben.
Und fo führt uns derſelbe in einer gedrängten und
doch mit allerhand Abfchweifungen ausgeftatteten Erzäh-
lung die erflaunenswerthen Dinge vor, die St.-Germain
in Wien, London, im Haag, in Paris in den Gemaͤ⸗
hen der Pompabour und in andern Städten. und
Schloͤſſern vollführt haben fol, und endigt mit feinem
Verſchwinden, worüber die Angaben ber biographifchen
Wörterbücher fehr unfiher find und felbft Hr. Barthold
trog der forgfältigften Nachforfhungen ‚nichts Entfchei-
dendes zu ermitteln im Stande gemwefen if. Des Grafen
&t. - Germain Lebenverfüngungseligir, fein Diamanten-
fhmelzen, feine WBahrfagereien, fein hohes Alter, feine
anmuthige und wigige Gabe der Unterhaltung werben
fo binlänglic befprochen, daß es für den größten Theil
ber Lefer nicht an unterhaltender Xecture und neuen
Auffchlüffen über St. - Germain und die Goldmacherei
feiner Zeit fehlen wird. Gafanova, beffen Erfebniffe
durch biefe kritiſche Biographie unterbrochen find, ſchwelgte
indes m Paris in allerhand geiftigen Benüffen, trieb fein
Weſen mit Tänzerinnen und lebensluftigen Frauen unb
überließ fich der tollſten Verſchwendung, von ber er fi
dann immer bei den Reichthümern ber Marquife d'Urfe
erholte, mit ber er, faft gezwungen, ſechs Jahre hindurch
fein Spiel treibt, bis er in Marfeille an der Eindifchen,
halb verrüdten Alten im Frühlinge 1763 den ruchlofen
Proceß der Wiedergeburt und Ausplünderung vollendete.
In Paris begegnen wir noch mehren namhaften Perfo-
nen, befonders Rouſſeau, am längften aber verweilt ber
Verf. bei Caſanova's Befchüger, Bernis, über deffen
legte Greigniffe Caſanova's Angaben eine Berichtigung
nothwendig machen, da er nur Wligemeines, wie es bie
Welt damals erfuhr, mittheilen konnte.
Mit dem fechsten Theile und dem Jahre 1760 führt
und die wechfelnde Scene in das -franzöfifche Hauptquar-
tier nach Köln, wo die große Zahl neuer und alter Be-
kannten zu vielen hiftorifchen Crörterungen Anlaß gibt.
Wir blicken bier in die große Auflöfung des franzöfi-
fhen Heerwefens im Gtebenjährigen Kriege, aber wir
gewahren auch unfer deutſches Vaterland in feiner tie-
fen Erniedrigung, namentlih in jenem Drängen deut.
fcher Prinzen und Edelleute in den Dienft Frankreichs,
das mit dem aͤußerſten Hohne auf fie herabſah. Wir
verweilen an der Hand des in allen Hofgefchichten be-
wanderten Verf. an den Höfen zu Bonn und Gtutt-
gart, leſen eine etwas lofe angefnüpfte Epifode über bie
befannte ZTänzerfamilie Veſtris, meiftens aus Grimm’s
„Briefwechfel“ und werben dann in die Schweiz geführt,
wo uns die folethurner Gefellfchaft in bes Diplomaten
480 .
‘
Chauvelin Gchlaraffenieben und bie wiffenfhaftlihen Un-
terhaltungen im Haufe Haller's zu Bern überrafhende
Gegenfäge darbieten. Ein noch anziehenderes Stud iſt
das Zufammenleben Caſanova's mit Voltaire, ſodaß fi
Hr. Barthold für verpflichtet gehalten hat, alle Fritifchen
utfomiciet amezubenten und zugleich eine anſchauliche
childerung ded wirklich fürftlichen Lebens in Ferney
zu geben, wo er dann auch jener nicht fonderlid) an-
ftändigen Geſchichte gedenken mußte, die Voltaire ein
„philoſophiſches Vergnügen‘ zu nennen pflegte und in
‚der wir ein treues Gemälde des entfchiedenen Egoismus
in jener Gefelligkeitsregion vor uns haben.
Der Berlauf der folgenden Lebensjahre Caſanova's,
die bis zum $. 1770 von Hrn. Barthold beleuchtet wor-
den find, bietet in ben Kreifen, die ber Wenetianer in
Zusin, in Mailand, in der Dauphine, in London, Ber-
lin, Braunſchweig, Petersburg, Warſchau, Dresden,
Aachen, Spaa, Madrid, Neapel, Florenz und Rom be-
uchte, noch viele anziehende Einzelheiten über die erfien
eruhmtheiten jener Jahre dar. Aber mir Sonnen ſie
nicht alle aufzählen. In London z. DB. empfangen wir
ein unverfchleiertes Bild der ärgerlichen Wirthfchaft am
Hofe Georg's Il. und der fittliden Faͤulniß des engli⸗
fhen hohen Abele, wobei nicht verfchwiegen wird, Daß
aſanova's anzichende Novelle mit ber Portugiefia Pau⸗
line vor der Hiftorifchen Kritik nicht recht beſtehen kann;
in Berlin wird die Unterredung mit Friedrich Ti. (im
Juli 1764) als chronologisch richtig erwieſen und im an-
ziehender Weiſe erläutert; in Mabrid feffeln bie beiden
Staatsmaͤnner Aranda und Dlavides unfere Aufmest-
ſamkeit, und ans ber Dauphiné wird an dem KBeifpiele
der Mademioifelle Romans, ber Schülerin Gafanova's,
gezeigt, wie das Gift aus dem Privatleben Ludwig's XV.
auch ben ehrbaren Bürgerfiand in den Provinzen durch⸗
drungen hatte Die Romans iſt bekanntlich eine ber
‚ausgezeichneten Geliebten Lubwig’s XV. geweſen. Caſa⸗
nova’d Aufenthalt in Rom erhält für beutfche Lefer
eine befondere Anziehung durd feinen Verkehr mit Win-
celmann, und Hr. Barthold hat daher mit großem Fleiße
alle Hier einſchlägigen Stellen aus ben Briefen des Lep-
tern zuſammengebracht. Wir erfehen hieraus, dag Beide
zufammen ein. beiteres Kunftleben geführt haben, daß
aber nur bieſes Band ben ungefättigten Wüflling mit
dem platoniſchen Verehrer des Sinnlichfchönen vereinigte,
werin auch eine Stelle Bei Caſanova eine Verbindung
anderer
Vie fehr ſich Winkelmann au mit Idealen männlicher
und weibliher Schönheit umgeben hatte, fo war doch feine
Seele, gleich den edelften Charakteren des Alterthums, eine
Sonnenweite von Dem enffernt, was dem Berbacht fcheinbar
fo nahe liegt. Grziehung, Iugenbeinbrüde und umverborbenes
altmaͤrkiſches Plebejerhiut bewahrten den täglichen Geſellſchaf⸗
ter plaftifcher Nacktheit vor dem Falle.
Nicht minder ergibt fich dies aus feinem merkwürdi-
gen Berhäftniffe zu Margaretha Mengẽe, wo diefer feltene
Menſch zum erften Male von heißer Liebe au einem
fhönen Weibe erfüllt, aufgefobert und faſt berechtigt
von bem Ehemanne, der Lodung zu folgen, feiner Git-
re zu verrathen fiheint. Hr. Barthold fagt:
tenſtrenge treu blieb. Hr. Barthold bat den Verlauf
ber Begebenheit aus Windelmann’s Briefen erzählt, auch
die Zweifel nicht unterdrückt, welche das plögliche Schwei⸗
gen Windelmann’s feit dem Nov. 1767, wo die Mengs
wieder in Rom mar, in ihm erregen konnte. Auffal⸗
Iend iſt es allerdings, dab unfern Winkelmann: vos da
ab unerflärliche Unruhe aus Rom nah dem ihm fonft
fo verhaßten Norden zieht und daß ihn dann wieder
eine unerklärbare Sehnſucht oder Schwermuth zwang, an
der Schwelle Deutſchlands umzukehren, nm in Trieſt
die Beute eines elenben Mörders zu werden. ‚ber
wer vermag die labyrinthifchen Entfchlüffe eines fo be-
wegten Gemuths zu beuten.”
Mir haben abfichtlic hierbei etwas länger verweilt,
um .die Sorgfalt anzudenten, mis der Dr. Barchold Hei
feinem Buche zu Werte gegangen ift unb wie er fo
geſchickt das Xhatfächliche mit pſychologiſchen Wabınch-
mungen zu einigen verflanden hat.
(Der Beſchtuß folgt.)
Im Gebirg und auf ben Gletfchern. Von K. Vogt.
Solothurn, Jent und Gaßmann. 1843. 8. 1 Thlr,
75 Ngr.
Das vorliegende Werk beſitzt in vieler Hinſicht die Eigen⸗
ſchaften eines literariſchen Sonderlings, aber eines Sonderlings
von hoͤchſt interefianter Kiebenswürdigkeit. Seinen Hauptin-
halt bilden Erinnefungen an bühne Reifen durd einige claſſi⸗
(he Höhenpunkte der Schweiz, durchwoben umd belebt mit
heitern Erzählungen, lieblichen Sagen und Märchen, mit -
wunderlichen Erlebniffen und fcharfen Becbachtungen an diefen
Orten. Bon den gewöhnlichen Schönheiten diefes Zauberlandes,
von den Ausſichten auf die Alpenketten aus ben Thaͤlern und
von den Seen, weiche, fo allgemein mit dee erbabenften Poeſie
befungen, mit dem feurigften Enthufiasmus befproden und be:
wundert worden find, nimmt es wenig oder Peine Notiz. Auf
dem Wege nah Thun behält es feinen Lefer in dem bunteln
106, wie die fühlen überfeeifhen Fremden in bem Dofhagen
und ber ee etſchern
ſprudeit der Witz in
ülle.
. ift der Gelehrtenwelt ſchon als Naturhiſtoriker
und ald Gebirgsnaturforſcher der Schweiz rühmlichft bekannt.
Hiernach koͤnnte man mit Recht erwarten, daß berfelbe fein
Wiſſen auch mit in feine NReifeerinnerungen hineingeflschten
habe; aber auch barin täuſcht man ſich. Er will in biefem
Buche durchaus nichts von Gelehrſamkeit durchblicken laflen; er
zeige nur Sinn für das Erflimmen ſchwindelnder Höher auf
gefahrdsohenden Pfaben, nur Liebe für das Verweilen in un
wohnfamen, menfchenleeren Einöden, in Höhlen und Klüften
der Berge und Gletſcher. Doch weiß er dieſe wunderlichen
Lieblingsthemata fo überzeugend wahr, in fo anziehenden Worten
und Farben und mit einer fo gemuͤthvollen Behaglichkeit zu
behandeln und zu ſchmücken, daß der Befer ihm fr ftetd erncu⸗
reden und fehreiben ?
an
s
zer Cpänmung und zutdülichher Seneigecheit die ungetheiite
Wufmetkiamtfeit ihenkt. vo 3
Ben Geburt wahrftyeiniich ein Deutfiher iſt er aber burch
——— Verweilen in der Sthweiz, Durch Reigung und
uf nach und nach felbſt zu einem gangen weizer gewor⸗
ven. Aus vidifeitiger eigener Unfhauung Pernt, liebt und
bewundert er die Erhabenheit der Natur dieſes reich Hefegneten
Landısı er. ficht, er for und befpricht Alle mit Unbefan-
enheit und klarer Geiftesfülles er genießt und preif mit der offenen
erzenstiefe und Ber Biedern Geradheit des alten Fernigen Hirten⸗
fdawmes. Es ift wahr, dieſe Schweizerliebe ift bel ihm groß, fie fft
des Mannes edelſter Keitftern Durchs Leben, das Höchfte auf Erden,
aber fie bieibt doch immer auf echt: deutfihem Boden. Die deutfche
Wahrheit blickt überall mit ihrer ſihlichten Ehrlichkeit hindurch,
ja fie bricht zuweilen ſogar mit berben Hieben aus ihrem Hin-
terhalte hervor, befonders da, wo fie in die Rähe von Keufen
und Einrihtungen kommt, welche die einfache Natur der
Schweiz zur Unnatur verfehrt und verbildet haben. Aus diefem
&xunde find ihm die Engländer recht von Herzen zuwider. Wo
e8 nur einigermaßen möglich tft, da fährt er über fie ber. Es
fiheint ihm Ddiefer Haß fchon zu einer zweiten Ratur geworden
zu fein. Die Englaͤnder tragen aber ficherkich nicht allein Die
Schuld an feinem Argernißz die lieben Schweizer, denen für
fremdes, befonders englifched Geld Alles feil geworden ift, find
feldft eine Hauptveranlaffung dazu.
Aus den bisher Gefagten ift ſchon zur Genüge deuflid
geworden, wie warm fi Ref. für das in Rede ftehende Bud
intereffirt ; baraus folgt aber auch zugleich, daß ein nur all:
gemein gehaltenes Urtheil darüber nicht gut in feiner Abficht
liegen Fann. Iſt es 'nun, von diefer Seite betrachtet, dem Ref.
Schon ganz nach Wunfch, etwas mehr in daB Innere des Buches
Gineinzugehen, fo glaubt er dies aber au noch dem wirklichen
Werthe des Gegenſtandes ſowie Der ſcharfen Bewahrheitung
der obigen Ausſpruͤche ſchuldig zu ſeu.
Herr Dr. Karl Vogt iſt ein Schalk. Sein ganzes Werk
wimmelt von Belegen fuͤr dieſe Behauptung, am meiſten
beweiſt dies aber die Vorrede. Sie iſt in Form eines Briefes
an Frau 9... B... abgefaßt. Aus dieſem offenen Schreiben
erfährt man, daß der Herr Doctor nur den dringendften Bit:
ten diefer gütigen Dame nachgegeben, daß er fi) ungern zur
Veröftentlihnng der nachfolgenden Blätter babe entſchlie⸗
Ben koͤnnen. Run e8 aber einmal gefchehen, fo mälzt er
auch alle Schuld auf fie. Sie foll ed verantworten, ‚wenn
feine Neifegefährten ein Argerniß an der Preisftelung vor dem
Publicum nehmen, ihrem unrichtigen Urtheile über die Schrift
tolle es allein nur zur Laft fallen, wenn feine Bekannten den
Kopf fhütteln, ein betrübtes Gefiht machen und fagen: „Lie:
ber Bott, Karl, Sie hätten beſſer gethan hinter Fiſchen und
Kröten figen zu bleiben, ats ſich mit Schöngeiftereien die Beit zu
vertreiben, von denen man nicht einmal weiß, ob fie Dichtung
ober Wahrheit fein ſollen;“ — oder: „Dider, die Mühe hät
teft du dir fparen Tonnen. Meinſt du denn, man lerne
aus den anatomilchen und Phyfiologifgen Handbüchern Deutſch
Glaubſt du, mit einem ſolchen Stile
dürfe man ſich heutzutage ſehen laſſen? Warte nur, ſie
werden dir deinen Pelz rupfen.“ In dieſer Weiſe macht er
ſich ſelbſt immer kleiner und unbedeutender und aͤngſtigt feine
ſchone Goͤnnerin bis aufs Blut.
dern und in die einzelnen fehlerhaften Theile zerlegen wird,
fo freut er fi m auch wieder über den Haupfjag, daß
alle Schuld der Frau Hd... WB... zur Laft fallen werde. Er jagt
fogar recht fchelmifch von fi, indem er ſich aus der Affaire
zu ziehen wähnt: „Der figt jegt behaglich in feinem Lehnſtuhle,
lacht ins Faͤuſtchen und freut ſich, wie er alle Welt ein wenig
hinter das Licht geführt bat. Erſt feinen Buchhaändler, der
Wunder meinte, welche treffliche Speculation er mit dem Ma-
eulatur -machen würde; dann Sie, die eine viel zu hochge⸗
fpannte Meinung von dem Berf. hegten, die nun getäufcht
Wenn er auch zittert vor |
der fcharfen Kritik, welche fein befcheidenes Product zerglie:.
|
wire, und enbkih die wenigen Lefer, welche das Burh öffnen
werden, um Unterhaltung zu fuchen und vielleicht nicht einmal
Stoff zum Einſchlafen finden. Wenn aber alle die Betrogenen
über ben Berf. herfallen, und ihm feine Günden vorhalten wer»
ben, fo wird er fich fefter in den alten Flausrock wideln, bie
Beine übereinander fhlagen, einen gewaltigen Zug aus ber
Eigarre tun, einen Schluck aus der ftets gefüllten Kaffeetafie
nehmen und fagen: «Was geht's mich an? Laßt mich in Ruße.
Ss Hat mie Mühe genug gekoftet, das Ding zu ‚fchreiben.
Wollt ihr mich noch jegt mit Sachen drgern, die fchon laͤngſt
in da8 Dunkel ber Vergeſſenheit verfenkt find?»” Man flieht,
die ganze Sprache diefer Borrede iſt zu iaunig und trägt zu
chr den Stempel ber muthrwilligen Ironie, ais daß man fie
r Wahrheit. nehmen und mit Borurtheil und Geringſchaͤtzung
auf dad nachfolgende Buch blicken Fönnte. Ja, es iſt fogar
wahrſcheinlich, daß der Berf. mit dem beften Vorbedacht feine
von ihm felbft ſichetlich yefchäßte Arbeit abjichtlich tadelt und
ins unbedeutendfte Licht Rent, damit fpäter bei näherer Pruͤ⸗
fung der wahre Werth um fo glänzender hervorleuchten oder
überhaupt diefe; Prüfung nicht unterbleiben möge. |
Dad Bud ift in zehn Abſchnitte getheilt, wovon jeder eine
befondere Uberſchrift an der Stirn tragt. Die Reife auf das
Baulhorn eröffnet den Reigen. Bier ift der Verf. noch bernes
Student. Er ift in Geſellſchaft von noch drei andern Muſen⸗
föhnen, welche wie er noch Beine Furcht vor dem Eramen kat
ten, denen der einzige Zitel zur Reife der achtzehnjährige Ge:
burtstag, der einzige Collegienzwang der freie Wille, und die
geringſte Ausſicht der Staatsdienſt war. Ein muthwilliges
Voͤlklchen! Bid Iſetwald intereſſiren fie ſich für nichts weis
ter als für ‚ihre burſchikoſen Späße. Aber in Ifetwald erwacht
ihr Sinn für die fhöne Natur und für das idyllifche Schwei⸗
zerleben fo mächtig, daß es ihnen faum möglich wird, ſich zur
Weiterreiſe entſchließen zu koͤnnen. Das Anmuthige dieſes
weltberuͤhmten Doͤrfchens am Brienzerſee wird meiſterhaft ge⸗
ſchildert. Hören wir Einiges davon mit den eigenen Worten
unfers Berfaffers:
„ine ſchmale Landzunge verbirgt es dem See, dichte
Buchenwaldungen umhüllen es auf der Seite des Gebirge.
Kleine, niedrige Hütten, mit fteinbefhwerten Schindeln ge
deckt, [hauen aus grünen Wiejen oder bunten Gärtchen her.
vor. Alles ſcheint uns ſchon feit alter Zeit befannt, wenn
wir dort eintreten; wir glauben die Hühner auf dem Hofe ge⸗
fehen zu haben, wo wir als Knaben uns tummelten, und jedes
freundlihe Geſicht, welches hinter ben blinden Fenſterſcheiben
nickt, fpiegelt und geliebte Züge. Ich habe Künftler gebannt,
welche ind Oberland zogen mit Schiffsladungen von Zeichen:
büdern, die fie mit Skizzen und Studien zu füllen gebaditen.
&ie famen nad) Sfetwald und fahen ſich am Ziele ihrer Wuͤn⸗
fhe. Der Sommer verftrih, und ald ber Herbfi mit rauhen
Winden fie von den Ufern des Briengerfee'd zurüdjagte, ba
ließen fie das weiße Papier zurüd; — zum Undenfen..... F
die Ihoren! Warum gingen fie nach Ifetwald, deſſen Luft
wirt wie Lethe's Gewäfler, in denen man Vergeſſenheit fei-
ner felbft trinkt? Wußten u nicht, daß dort das Moos weiche
Arme hat, womit ed den Muͤden empfängt, dab die Buchen
ben in ihrem Schatten Ruhenden Schlaflieder lispeln, und
daß felbf der Geſang des Kukuks auf der Wanduhr in für
fen Zaumel lullt?
Es hätte nicht viel gefehlt, fo wäre es unfern Muſenſoh⸗
nen ebenfo ergangen wie jenen Künftlern. Sie empfanden
ſchon ganz und gar die Wirkungen des Zaubers und waren
davon bis auf unfern Heren Karl fo gut wie befiegt. Sein
Trachten nach oben, zu der himmelanftrebenden Höhe erwacht
plöglih mit aller feiner Kraft. Uber vergebens warnte er,
ein treuer Edart, vor laͤngerm Verweilen, vergebens zeigte -
er auf den Stand der Sonne, vergebens rief er den Gefähr-
ten den fieilen Bergpfad, den fie noch zu erklimmen hatten,
ins Gedächtniß! Umfonft durchlief er alle Stufen der, Er⸗
mahnung und Bitte, von den einfachften Worten an bis zu
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den fraftuolifien Schwüren. Endlich wirft feine eigene Ber:
gweiflung mehr als alle Grmahnungen und Bitten. Sie er-
mannen fi, aber erft um 4 Uhr Nachmittags und nad:
dem des Guten faft ſchon zu viel genoffen war. Daß in einer
folchen Zeit und in einem ſolchen Zuſtande ein vier Stunden
langes mühſames Emporklettern faft eine Unmöglichkeit war,
Läßt jich leicht denken. Der Weg von Ifetwald zum Faulhorn
ift allerdings der Fürzefte, aber auch der fteilftes er überfteigt
an Befchwerlichkeiten, noch den vom Gießbache aus und fteht
in gar Feinem Vergleiche mit denen von Grindelwald und Ro:
fenlaui. Daher fehlen denn auch die Folgen nicht. Der eine
Gefaͤhrte fällt nieder, als fie kaum die Hälfte der Höhe erftie:
gen haben. Er kann und will nit weiter und ift dem Tode
nahe. Der in Äsculap's Sälen gebildete Sinn unfer& Herrn
Karl will feine Geſchicklichkeit im Blutlaffen zeigen, und es iſt
ein Glück, daß Niemand von ber Sefenfchaf: ein Kedermefler
bei ſich Hatte, fonft wär's vielleicht um das fhöne Leben des
Dhnmächtigen gefhehen. Die plätfchernde Quelle in der Nähe
ibt ihnen Rath und ſchnelle Hülfe. Sie wandern weiter mit
—**— Muthe und neu geſtaͤrkten Kraͤften; da überfällt fie
ein Gewitter. Es bligt unter und über ihnen, und in Purzer
Beit find fie bis auf Die Haut durdnäßt. Das Gewitter in
den Gebirgen ift furdtbar. Herr Vogt muß eb oft erlebt ha⸗
ben, denn er befchreibt es fo wahr, fo gerau und mit fo tref:
fenden Wortfarben, daß man unmwillfürlich fchaudert und fich
mitten hinein verfegt fieht. Nach al diefem Ungemad Fom:
men fie endlich zu den Sennhütten ber Betenalp. Hier ent:
zweien fich die Reifegeföhrten. Zwei von ihnen wollen Nacht:
quartier machen, während die andern Beiden, wozu ber Stu:
dioſus Vogt als Hauptheld gehörte, noch weiter, noch zur
Spitze des Faulhorns hinauf wollen. Es war bereits finſtere
Racht geworden, Wind und Wetter furchtbar, ſodaß ein ſol⸗
cher Entſchluß mehr als tolfühn genannt werden Eonnte.
Dennod blieben fie bei ihrem Vorſatze. Ohne Führer, ohne
fihtbaren Pfad kletterten fie noch einige Zeit weiter fort, doch
kamen fie zulegt noch zur Vernunft. Sie kehrten cbenfalls
ein bei den Hirten auf Betenalp, wählten aber eine andere
Senne ald ihre Gefährten, um fich vor ihrem Hohne zu fügen.
Die Beichreibung der Sennhütte mit den darin wohnenden
Hirten ift in wenigen aber Höchft treffenden Worten gegeben,
ebenfo auch die Erzählung von ihrer Aufnahme bei biefen un-
verborbenen, guten Schweisern. Der nothwendige Kleider:
wechfel macht fie äußerlich fetbft zu Sennen, und wie treu fie
in diefem Scheine der Wahrheit nahegekommen find, laͤßt fich
daraus abnehmen, daß fie in diefem Eoftume am andern Mor:
gen ihren Neifegefährten entgegengehen und die Freude haben,
von diefen nicht erfannt zu werden.
Bob nun müfjen wir die Reifenden allein ziehen laffen,
damit wir auch den andern Abfchnitten noch einige Aufmerk:
fambeit wibmen Ponnen. Wäre den luftigen Reifenden oben
auf dem Gipfel des Faulhorns ein mehr heiteres Wetter zu
Theil geworden, fo hätten wir ed uns ficher nicht verfagen
Ponnen, mit ihnen die berühmte Ausficht zu genießen, welche
an Schönheit mit der vom Rigi wetteifert und in Hinfiht der
Großartigkeit noch beimeitem höher fteht durch die nächfte
Nähe der mächtigen Alpenriefen.
(Der Beſchluß folgt.)
Literarifhe Notizen aus Frankreich.
Das Doppelgeflirn Michelet und Quinet.
Der Gefhichtfchreiber Frankreichs, Micyelet, läßt fich durch
den raufchenden Beifall, weichen feine Teidenfchaftliche Polemik
gegen die ultramontanen Beftrebungen bed Tages gefunden
at, von dem ftilen Pfade des einfamen Borfcherd immer mehr
in das lärmende Gewühl des Marktes verloden. Statt un:
beirrt durch die Launen des Tages an der Vollendung feiner
umfaſſenden Hiftorifhen Aufgaben zu arbeiten, läßt er feine
ganze Leidenſchaftlichkeit in glügenden Flugſchriften und aufne-
genden Declamationen ausftrömen. Was er dadurch au ephe⸗
merem Beifall von Seiten der Menge gewinnt, geht ihm von
feiner eigentlich literariſchen Autorität verloren. Immer hoh⸗
ler wird der Pathos, in dem er ſich gefällt, und ſchon ſteht
er zumeilen in feinen Ausbrüchen einer leidenfchaftlich aufge»
regten Stimmung am Abgrunde der Abgeſchmacktheit. Wir
wollen dem Hiftorifer nicht zu nahe treten; aber in feiner neuer
fin Schrift „Le peuple’ vermißt man zum Theil wirklich das
regelnde Maß des Verſtandes. Es ift ein auf den Jubel ber
Maſſe berechnetes Manifeſt der alten franzöfifden Ratisnafe
eitelleit, eine Hymne auf die „große Nation”, ein Reizmittel
zur Auffriſchung glorreicher Erinnerungen. Alles was bis jegt
über Frankreichs Bebeutung mit feiefrüberfchägender überfchwäng«
lichkeit gefagt ift, swird bier überboten. Rod nie ift der na-
tionalen Selbſtſucht auf eine offenere, unummundenere Weiſe
fröhnt worden. Michelet ergeht fi hier im Itrgarten eit⸗
es &elbftbefpiegelung und eintge feiner Behauptungen, z. B-
die Stelle, in weldher er die Meinung audfpricht, die Franzo⸗
fen hatten nur einen Fehler, nämlich den, daß fie ihren eige⸗
nen Werth zu niedrig anfchlügen, ftreifen geradezu ans Lächer»
liche. Solche hohle Declamationen,, wie wir fie bier erhalten,
find durchaus nur geeignet, daß literarifche Anſehen ihres Ur
hebers wanfend zu machen: denn wer ſich in der Beurtheilung
der Gegenwart in folhem Grade vergreift, wie kann der bie
hiſtoriſchen VBerbältniffe der vergangenen Sahrbunderte rein und
ungetrübt darftelen? Quinet, der Phantaftifh:Unffare, beei⸗
fert fi, mit feinem Freunde und Gollegen gleihen Schritt zu
halten. Er iſt von Haus aus verworrener, undeutlicher als die:
fer; dabei ftügt er fih nicht auf eine fo folide wiſſenſchaftliche
Grundlage, aber deſſenungeachtet wird es ihm in der Folge ſchwer
fallen, den Berfaffer de8 „Lie peuple” in Bezug auf Berfchro:
benheit zu überbieten. Die neueſte Gabe Quinet's find feine
„Vacances en Espagne”, von denen uns erft der Anfang zu
Sefiht gekommen ift. Derfelbe ergeht ſich bier, mit dem flim-
mernden Bewande einer pretenfiös »philofophifhen Darftellung
angethan, über alle möglihen Beziehungen der literarifchen,
politifhen und efeufchaftticen Buftände Franfreihs. Dabei
fchweift der Bert natürlich nach jetzt beliebter Weife auf jedes
Thema ab, das fi nur irgend einer ergiebigen Ausbeute dar⸗
bietet. Er thut died mit einem Aufwande fchöner, vollklingen⸗
der Phrafen, welche beim Publicum gemöhnliden Schluges ihre
Wirkung nicht verfehlen werden. .
Uber das chineſiſche Unterrihtewefen.
Bas wir vom chinefiichen Unterrichtöwefen wiffen, be⸗
ſchränkt fih im Grunde auf wenige dürftige Notizen. Wir
wiffen zwar, daß das ganze Leben der Ehinefen im viel eigent-
lichern Sinne als bei uns — die endlofen Eramina bürgen da=
für — eine Schule iſt; aber wie die wirklichen Unterrichtsanftal-
ten befchaffen find, unter weldem Einfluß die Entwidelung
der im Kinde fohlummernden Keime vor fih geht — alle Das
find für uns unfösbare Räthfel. Nur Denen, welchen ed ver:
gönnt ift, aus den Quellen felbft zu fehöpfen, gelingt es, fi
wenigftens ein nothdürftiges Bild von allen diefen Verbäftnif:
fen zu entwerfen. Wir erhalten jegt ein Werk, in dem die Rebel,
welche in diefer Beziehung unfere Augen befangen haben, zer:
ftreut werden. Es iſt dies eine jener Arbeiten, welche auf der
forgfältigften Quellenforfhung beruhen ynd die innerhalb Des
Kreifes, welchen fie fich felbft ihrer Aufgabe nach vorzeichnen,
Epoche mahen. Wir verdanken es Edouard Biot, welcher fi
auf dem Gebiete der chinefifchen Kiteratur bereits namhafte Wer:
dienfte erworben hat. Der Titel Diefer in jeder Beziehung beach⸗
tenöwerthen Erfcheinung lautet: „‚Kssai sur P’histoire de Jin-
struction publique en Chine et de la corporation des gens
de lettres, depuis les ancieus temps jusqu’a nos jours:
ouvrage entierement rédigé d’apres les documents chinois.”
17.
Berantwortliger Herausgeber: Heinzih Brockdaus. — Drud und Verlag von F. BE. Brokpaus in Reipzig.
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Montag,
er Kr, 124, nn
4. Mei 1846,
Die gefchichtlichen Perfönlichkeiten in Satob Caſanova's
Memoiren. Beiträge zur Gefchichte des 18. Jahr-
bunderts von F. W. Barthold. Zwei Bände.
(Beſchluß aus Nr. 123.) ,
Nun bleibt noch übrig einen Blick auf Eafanova’s
Aufenthalt in den nordifchen Städten Riga, Petersburg:
und Warfhau zu werfen. Am erfien Orte machte er
im Winter 1764 die Bekanntſchaft des Prinzen Karl
Ernft Biron von Kurland, eines für alchymiftifche und
theofophifche Gaukler höchft zugänglichen Mannes, eines
fürftlihen Glückritters, deffen Lebensumftände Hr. Bar-
thold aus den „Me&moires historiques et anthentiques de
la Bastille” mitgetheilt und an bie Auszüge aus dem
feltenen Buche feine kritiſchen Bemerkungen geknüpft
bat, denen man hier wie faft überall beiflimmen muß.
In Petersburg beiehrt uns ber mit ruffifchen Zuftänden
wohl befannte Verfaſſer über die Ungeswungenheit und
den natürlichen Egoismus ber vornehmen ruffiihen Welt
"und über die 1765 hervorragenden Perfonen am Hofe
Katharina’s II. und weiß aus Stählin's, Maſſon's, Ca⸗
flera’8 und andern Schriften die Bildniffe zu vervoll-
ftändigen, die uns Caſanova von den Eaftraten Putini
und Luini, von ben Günftlingen Yelegin und Teplom,
von dem General Meliffino und dem Minifter Panin,
von den Fräuleins Sievers und Chitrom entworfen hat;
Alerts DOrlow ſchrecklichen Gedaͤchtniſſes“ erfcheint erft
fpäter bei der grauenvollen Wesführung der Prinzeffin
Elifabeth Zarrafanom in die ruffifchen Kerker. Don
bem zweiten Geſpraͤche Caſanova's mit der Kaiferin ur-
theilt unfer Verf., daß es das geiftvollfte Seitenftüd zu
feiner Unterhaltung mit Friedrich 11. fei, dag man ihn
aber in Rußland verfchmähte, wie keck, felbftändig und
ausftudirt er auftrat, weil man feines Gleichen fchon
genug hatte und weil er ungerufen fam. In Warſchau
find Caſanova's Nachrichten überall glaubhaft, feine Er-
lebniffe, feine Schilderung des Königs und bes polni-
fhen Adels, der „in der Wüſte des verfeinerten Wohl⸗
lebens mit theatralifhem Heldenmuthe die Lebensfragen
des Staats betrieb, und in einem undurchdringlichen
Spiele ftolzer Freiheitsliebe, Tirchlichee und bürgerlicher
Unduldfamkeit, ſchnoͤden Eigennuges und gebanfenlofen
Leichtſinns fich gefiel”, bilden ein feltenes Cabinetsſtück.
Der Zweikampf mit Branichi diente überdies zur Her !
ftelung feines Rufes, ber ſich in der legten Zeit aller-
dings verfchlechtert hatte.
Indem wir bier abbrechen, bemerken wir freilich in
ben Aufzeichnungen, die wir und für die Abfaffung die-
ſes Artikels gemacht hatten, noch gar manche mitthei-
lungswerthe Sittenfhülderungen und Lebenszüge von der
Derbheit am Hofe Ferbinand’s IV. von Neapel, wo der
König ohne Scheu alle Sachen beim rechten Namen
nannte und zwar Meifter in allen Leibesübungen war,
aber um fo gleichgültiger gegen den ihm von Gott ver-
liehenen Fürftenberuf, oder von den anftändigen Der
Hältniffen am Hofe zu Florenz und von ber lächerlichen
Eitelkeit des Fürften von Monaco, Allee im zweiten
Bande. Wir finden ‚ferner in der bunten Reihe der
entlegenften Endpunfte und größten Gegenſaͤtze, wie fie
die Folge von Caſanova's Streifzügen durch die euro⸗
‚päifhen Reiche find, neben Papft Benedict XIV., Gu⸗
ftav III. von Schweden, Karl von Würtemberg, Karl IE.
von Spanien, der Königin Karoline von Neapel, ber
Kaiferin Marie Antonie von Sachſen die Minifter und
Bünftlinge Acton, Karinelli und Schuwalow, englifche
Sonberlinge wie die Lords Baltimore und Talon, Ge-
lehrte, Künftler, Schaufpieler und Schaufpielerinnen,
deren ſchon mehre genannt find, aber auch die Standes⸗
genoffen des Venetianers, die zahlreichen Abenteurer und
Slüdsritter des 18. Jahrhunderts, fehlen nicht, ein Ba⸗
con Tott, ein Ritter d’Eon, ein Lewenhaupt und die
balmatifchen Brüber Steffano und Premislam Zano-
witſch — mit Einem Worte die Mannichfaltigkeit die⸗
ſes Werks ift fo groß, baß fie jede Erwartung be⸗
friedigen muß. |
Hiernach flimmen wir alfo ganz und gar nit in
ben Tadel des augsburger Kritikers ein, bag man bei
Hrn. Barthold doc noch die Benugung mancher Bü-
cher und- Memoiren vermiffe. Eine Feine Nachleſe aus
Schriften biefer Art, wie hier etwa aus dem an die Zeiten
Gafanova’s fi) mehr anfchliegenden „Espion anglais”,
zu halten ift heutzutage gerade kein fo ſchwieriges Un-
ternehmen. Daher fühlen wir an unferm heile un
auch nur zu folgenden wenigen Bemerkungen veranlaßt.
Es ift uns auffallend gewefen, daß Hr. Barthold, Der
mit Vorliebe des liebenswürdigen Freundes Friedrich's
des Großen, des Lords Marifhal, an verfchiedenen Stel-
Bun
394:
d
len gedacht hat, gaͤnzlich die Erwaͤhnung der Lebensbe⸗
ſchreibung ſeines Bruders, des Marſchalls Keith, von
Varnhagen von Enſe übergeht. Die Abhandlung deſſel⸗
ben Verfaſſers (im „Berliner Kalender” für 1846) über
Voltaire's Verhaftung In Frankfurt a. M, konnte Hrn.
Berthold no nicht befan fein, weil fonft wal einzelne
Ausdrücke gemilbert worden wären. Wenn ferner der
Verf. die Auslaffung In allen Biographien Friedrich's II.
rugt, daß der König 17.40 einen Dlorbverfuch bes kaiſer⸗
lichen Hofes gegen fi entdedt zu haben glaubte, fo trifft
dieſer Borwurf wenigſtens ben neueflen verdienfteollen
Blographen des Könige mit Unrecht. Geglaubt hat
Friedrich 11. allerdings an eimen beabfichtinten Morbent-
wurf, wie man aus einem Memorialcirceular an Die
preußifchen Geſandten erficht, das unter dem 11. März
1741 an ben Minifter v. Danckelmann gerichtet iſt und
in 3%. 3. Moſer's „Europälfhem Voͤlkerrecht in Kriegs⸗
gelten" (Gb. 2, ©. 277) abgebrudt ſteht. Aber ber
volener Hof Hat alsbald die ganze Beſchuldigung als
ndnztih ungegründet erwiefen, und da von der ganzen
Sache nie mwieber die Mebe gewefen ift, felbft nicht bei
jener Anzeige bes Fürſten Kaunig, daß zwei Staliener
bem Könige nad) bem Leben trachteten (wie diefer in
der „Seſchichte des Stebenjährigen Kriege” erzähle hat),
fo follte auch Preuß nicht wieder an diefelbe unnöthiger-
weiſe erinnern. Endlich iſt es uns erfreulich, da wir
dem Merf. für fo manche Belehrung und Auftlarung
verpflichtet find, die in Bb.2, ©, 316, angeführte und
ihm entfallene Stelle aus ber Kebensgefchichte der Kü-.
nigin Marie Ontoinette von Frankreich nachweiſen zu
Börmen, Sie finder fih nämlich in den „Memoiren des
Strafen Wlerander von T.“ (Tilly), Bd. 2, &. 226, der
indeß ſelbft an ber Michtigkeit diefer Anekdote zweifelt.
Wir befchließen unfern Artikel mit einer Mitthei-
fung des Fuͤrſten von Ligne über Caſanova, bie er bem
Grafen Lagarde au Wien 1814 machte und die Hrn.
Barthold aus des Letztern „‚Fetes ct souvenirs du
eongriu de Vienne“ entgangen iſt. Es heißt bort:
Casanova eat le plus divertissant original que j’aie
connu dana ma vie. Cem lui qui dissit qu’ane femme n’a
jemals que lage que Jul donne son amant. Ses souvenies
tarissablas, son Imagination aussi fraiche qu’a vingt ans,
son entlouslasme peur mol m’avaient gagn le coeur. Il
ma lu aouvent neu memolres qui aont ceux & la fois d’un
chevaller at d’un juif errant.
Die Musftattung des vorliegenden Buchs ift ohne
Tadel. Wir wünſchten nur, daß die Kenntnig feines
zeichen Inhalts durch ein Regiſter oder wenigſtens durch
Sapitelüberfchriften In einem weiten SKreife befördert
worden fel. Eines dritten Artikels In der aug&burger
„Allgemeinen Zeitung” vom 6. Februar, der uns foeben
au Geſicht kommt, gedenken wir noch um fo lieber, weit
er das Verdienſt des Verf., aus dem Wuſt der verlieb-
ten Irrfahrten eines oft mehr als zweideutigen Charak⸗
ter6 den rothen Baden ber Hiftorie herauszufinden, fo
unpartellfch gewürdigt hat. 20,
Im Gebirg und auf den Bietfhen. Bon E. Begt.
" (Belhluß aus Nr. 128.)
ammenbangendeß
Ganze und find von dem Erftgenannten Ber dadurch un
Auf dem Aargletiher Halt fi die eben erwähnte Geſell⸗
fchaft am längften auf. Ihre Wohnung war in der That ge⸗
eignet, ein enges Fanilienleben zu befördern, und mancher
Eskimo mag eine geräumigere befigen,, wenngleich nicht gli
licher ſich darin befinden. Architeftur und Ameublement von
der einfachſten Art. Gin ungeheurer Felsblock, vielleicht ber
größte auf den Gletſchern, diente zugleich als Dad; ımd ei:
tenmauer. Mit feinem Hintern Xheile ruhte er auf dem
Eife des Gletſchers; fein vorberes Ende war ſchief abgeſchnit
ten und ragte etwa acht Fuß aus dem Eife hervor. So wer
ein Raum von der Breite von etwa 20 Fuß von diefem Stein-
blocke ſchon felbft übermölbt, und das nad hinten abfallende
Dad mochte eine Tiefe von 10 Fuß betragen. Breite umd
iefe waren zum Aufnehmen der acht Mitglieder der (Gefell-
ſchaft fo ziemlich ausreichend, allein die fchnell abnehmende
Hoͤhe machte noch ein Aushoͤhlen des Gletſcherbodens nothwen
dig. So bildete denn auf der einen Seite eine etwa vier Fuß
hohe Eiswand die eine Seitenmauer der Hütte und zugleich
eine bequeme Ablage für ihre Gerätbfchaften. Ein vorgehäng-
te6 Tuch vertrat bie Stelle der Thür. Yuf dem Eiſe Kamp
ein Zuckerhut und einige Krüge, an der Mauer hingen
phyfikalifche Infteumente und Kleidungsftüdle über Bobrften-
gen, in ber Ede neben der Thür waren Reiſeſacke und
Ranzen aufgetfürmt. Die Lagerftätte nahm den ganıen Be-
den ein. Man batte das Eis mit breiten Schieferplatten be⸗
deckt und zur Abhaltung von Feuchtigkeit Wabsirinwand 2er
über gebreitet. Hieruͤber kam eine Bage Heu und bann wie
ber ein Wachstuch. Das Lager felbft beftand aus W i
hen und Heukiſſen, auf dem fie ebenfo vortrefflich
mie auf elaſtiſchen Matratzen.
Wir wollen nuim etwas von Dem zur tache bringen,
was bie Bewohner diefer eben befehriebenen I in Fin ee-
habenen Ginfamkeit erlebten. Doch mag Herr Begt wirder
[ER asden, damit er unfer Urtheil über ihn durch 1b ſelbſt
eftätige :
„Eines Rachmittage war ich bei der Hütte 6 igt, bir
andern Freunde entfernt, als —* Be eg 8
ſamkeit erregen. Es waren augenfcheinlich zwei Sane Les
Rebelländes in feinen weißen Sajtorhüten, Eurzen Gemmer-
roͤcken, mit gewaltigen Fernroͤhren bewaffnet. Ihnen na
keuchte ein Fuͤhrer, bepadt mit einem Ränzchen und zwei —
geheuer langen Entenflinten, melde ih ſegleich für em
Eigentum der Grimfel erfannte. Es ward mir nicht Toyirieh
Mar, was bie Leute wollten. Die Sonne zeigte wel zmiıhen
3 und 4 Uhr Raspmittags; fie hatten demnady die but, bei
und zu übernadten, denn auf dem Gletſcher zu ſchlafen mä
bei bem drohenden Regen ein ſchlechtes Vergnügen gemciem.
Allein wir waren vollzaͤhlig, unfer Haum, daS mußte mas
«
num zu qub, war auf des Mäsbigfte beſchraͤnkt, und Dem Grim⸗
felwirtb war ebenfalls bekannt, daß gerade heute alle Kräfte
auf dem Gletſcher vereinigt waren. Wie konnte der Mann
und alfe noch Gäfte auf den Hats ſchicken, denen bei fo fpä-
ter Tageszeit die Beherbergung nicht verfagt werden durfte.
Während ich diefe und ähnliche Reflerionen machte, hatten die
Gaftorhüte die Steinhaufen überklettert und fanden mir ge
genüber. Kein Gruß. Sie nahmen von mir, dem einzi-
gen Ichenden Weſen, was verbanden war, anch nicht Die ge:
singfte Rotiz. Der Führers warf feinen Pack ab, lehnte bie
Gewehre an und fuchte feinen Herren einen Sitz gurecht gu
machen. Diefe hatten fi unterdeffen dem Herde genäbert,
abre Eigarren angezündet und überließen fih num ihrer Neu:
ierde. Gie krochen um Die Hütte herum, befchnüffelten die
— und Geraͤthſchaften und ſchienen nicht übel Luſt
zu haben, ohne Weiteres ihr Quartier in unferer Behaufung
aufsufhlagen. Mir lief die Galle über. Ich halte wahr:
haftig nit fo ſehr viel auf die Formen einer zu weit getrie⸗
enen Höflichkeit ; ja, ich gehe fo weit, zu glauben, daß eine
gewifle Portion göttlicher Grobheit dem Manne ebenfo gut an-
40 als den Frauen ein wenig Zorn; allein dies Betragen
ging mir denn Doch wie man zu fagen pflegt über das Boh⸗
nenlied. Ich ftellte mir vor, ed müfle einem Jeden von Ra-
tur wenigftens fo viel Gefühl eingeflößt fein, daß er für an-
ftändig finde, Denjenigen zu begrüßen, defien Gaſtfreundſchaft
ee anfpriht. Einen Menfchen, der ohne Weiteres in eines
Andern Haus einbricht und nicht einmal den Befiger um Er:
laubniß fragt, würde man zum wenigften mit einer derben
Lection wieder hinauswerfen. Die beiden Caftorbüte aber,
welche doch wol einfehen fonnten, daß fie erfrieren oder den
Hals auf dem Rückwege bredden müßten, wenn man fie nicht
gaſtfreundlich aufnähme, fanden es nicht einmal für nöthig,
den Einzigen, der das Haus hütete, um gefällige Aufnahme
zu bitten! Indeß zwang ich mich ruhig zu fiheinen und
mich weiter zu befchäftigen, wenngleih ich zuweilen nad der
Seite fchielte, feſt entfchloffen, den Erſten, welcher es wagen
würde. in die Hütte felbft einzutreten, tvog des Caſtorhutes
unb des feinen Sommerrodes über die Steine binabzufchleu:
dern. Endlich brad der Führer dab Schweigen. „Wir Fön-
nen doch wol hier übernachten?” — „Wuf keinen Fall.“ —
„Herr, Ihr ſpaßet.“ — „Mein völliger Ernſt.“ — „Wber
man bat und doch auf dem Spital gejagt, wir koͤnnten bier
in der Hütte bleiben und morgen mit Jakob Leuthold auf die
Gemsjagd gehen.” — „Dad kann man Euch nicht gefagt ha⸗
sen. — „Herr, wolt Ihe mich zum Lügner machen?“ —
„Gott bewahre! allein bier bleiben Pönnt Ihr nicht. Unfere
Hütte if voll, und bie der Fuͤhrer auch.” — „Uber mein
immel, wo follen wir bin?“ — „Burüd, wo Ihr herge⸗
ommen ſeid.“ — „Seht doch nur, wie ſich das hal mit
Nebel füllt. In einer Stunde ift es fkodfinfter. Wir können
nicht mehr zuruͤck.“ — „So fchlaft auf dem Gletſcher.“ — „Es
wäre mir unmögli&, den Weg bei Nacht zu finden.” — „Sit
nicht meine Sache.“ — ‚Benn nur der Jakob Leutholb da
wäre.” — „Der wird kommen, wenn er unfere Gefchäfte be»
forgt bat.” — „Iſt er denn Euer Führer, Herr?” — „Ja.“ —
„Se wird do wol morgen mit uns auf bie Gemsjagd ge
ben?" — „Wenn wir es iym erlauben, fonft nicht.” — „Mein
Sott’', rief der Führer mit verzweifelndem Gefichte aus, „ich
weiß nicht, wo mir der Kopf ſteht.“ — — Die jungen Lords
Kemer bis zu dieſem Augenblidde nicht den geringften Qwei⸗
el gu hegen, daß ihnen von Rechtewegen ein Plag in ber
Hütte gebuhre. Die Botfchaft des Yührers, fo unerwartet fie
kam, ſchien einigen Einkrud zu machen. Die Sonne begann
zu finfen, die Kälte wurde fuhlbar, der Fuͤhrer meigerte fi
garüdqufegeen; fie mußten ſich endlich und höchfteinftimmig
itten
an und wenden. Wir hielten jedoch feſt an unferm
Beichlufle, deuteten indeß an, daß wir nichts dagegen hätten,
wenn die Führer fie gegen Bezahlung in ihrer Hütte aufneh:
men würden. — — Wir fahen fie am andern Morgen nicht
mehe, allein wir hörten von umfern Heuten, daß die guten
Zungen durch die Heine Lection außerordentlich geſchmeidig ge
worden feien.“ .
Durch folge Abenteuer wird daB Die der Gegend und
das Einformige des Lebens auf das angenehmſte belebt Es
iſt gewiß das Meiſte von dieſen Erzählungen wahr, und ſollte
auch das Eine ober das Andere hinzugefegt fein, fo iſt wenig⸗
ſtens nicht zu leugnen, daß dies fehr geſchickt erfunden und ver⸗
braucht worden ift.
Hera achten Abfchnitte ift der Name „Interlaken ge
ben. Nach dem Vorhergehenden wird man fich fchen denken
Eönnen, in welcher Michtung diefes Thema benutzt worden iſt,
da man dieſen Yunkt- der — ſchon lange als eine Colo⸗
nie Englands en bat. Hier tritt der Verf. nun
aud in feiner wahren Geſtalt auf. Er theilt nicht bloß eie
nige fatirifche Diebe aus, er ift hier ein Satyr felbft. Hier
kann er es auch nicht unterlaffen, die ſtarken Blößen der
* mit anzugreifen, aber man merkt doch, wie viel
erwindung es ihm gekoſtet bat, ſich Dog zu verſtehen. Nach⸗
dem es mit dem Beſpoͤtteln zu Ende gekommen, zieht er fich
voll Unmuth und mit wehmuthsvollem Ernſte von diefem Thema
zurüd. O der Unnatur! Beklagen wir mit ihm, daß fie ſich
nicht fhämen im Angeſichte ihrer heimifhen Berge, deren
gewaltige Stirmen, trog der Jahrtaufende, welche über fie
binweggegangen fein mögen, noch ebenfo frei und unverän-
dert in den blauen Himmel bineinragen als fie aus der Hand
der fchöpfenden Natur hervorgegangen find. Im Schatten je-
ner Rußbäume — deren Blatter noch von dem ehernen Zritte
der. Gepanzerten flüftern fönnten, gegenüber jener Jungfrau,
deren Feufher Kranz nur dem Kubhnften ward — wandeln
jegt die fchnöden Rachkommen eines berrlihen Geſchlechts und
fuhen die ſchwere Börfe des Infulaners durch girrendes Ko⸗
fen zu erleichtern. .
„Die Beatushöhle” Heißt die Überfchrift vom neunten Abs -
ſchnitte. Hier wird die Legende vom heiligen Beutus erzählt,
die Höhle felbft befchrieben und ganz befonders die majeftätifche
Ausficht von ihr mit zarten und Präftigen Karben ausgemalt.
Lin und, wieder kommt auch wol ein Feiner Scherz vor, der
Verf. redet vom Narren von Merlingen, von den berühmten
Streihen zu Griesheim und Schöppenftedt, indeß fpaßt er bei»
weitem nicht fo häufig als in allen vorhergehenden Rbfchnitten.
Der ernſte Kon im neunten Abfchnitte ift im zehnten gar
nicht wieder zu erkennen. In dieſem ift das komiſche Element
das allein herrſchende. Beide Ubfchnitte ſtehen übrigens in
dem beften Berhaltniß zueinander. Ohne jenes würde dieſes
den fhönften Theil feiner Wirkung verlieren. Die Überfchrift
„Reife des Heinen Däumerlings in bie Alpen’ laͤßt den In-
halt ſchon ahnen.
Man wird fi nun überzeugt halten, daß bas Bud) für
deutſche Freunde und Kenggr ber [chmeizerifchen Alpen von ho⸗
hem Werthe if. Die verjländigen, fchlihten deutfhen Wan⸗
derer in diefen ſchöͤnen Landen werben bei dem Lefen bed Wer-
kes duch feine Klarheit und Wahrheit, durch feine Keinheit,
Schärfe und felbft Derbheit in der Darftellung des Schöne
in der Schilderung des Lebens und Zreibens ber Fremden auf
den Gebirgen ind Gletfihern fo anmuthig unterhalten, fo an
regend belehrt und fo lebendig wieber in die Beiten des eige⸗
nen Reiſens verfegt, daß ihnen @rinnerung wie Gegenwart
vor die Seele tritt. Es wäre wünfchenswerth, daß der Verf.
Reigung und Muße hätte, dieſen MReifeesinnerungen bald
eine zweite, eine dritte und vierte Folge zuzugeſellen. Un
Stoff mird es ihm nicht, fehlen koͤnnen, wenn man bedenkt,
daß er Schweizer und Schmweizerreifender von Beruf und waß-
ser Keigung ift, wenn man in Erwägung zieht, wie Fury der
Weg von der Beatnshöhle bis zur Furka und wie dennoch die
Ausbeute fo veih an Erfahrungen, Gchilderungen und Be⸗
tsachtungen darüber ausfallen Fonnte. 52.
Olla Potrida, oder Dies Buch gehört dem Käufer. Gine | quelle
Sammlung von Auffäpen heitern Inhalts und Apho-
riemen. Prag, Ehrlih. 1845. 12. 30 Near.
r Herr Berf. ift, wie er in der Vorrede ſagt, fehr be
‚en. Reh Ken. daß es das Loos folder Blätter
9 eine Zeit lang zu gruͤnen, dann zu welken, dann abzufallen
und vom Wirbeiwinde der Vergeſſenheit verweht zu werben.
Ref. darf bezeugen, daß viele diefer Auffäge nicht ohne Wig
-find, daß mancher Scherz ſich hoöchſt leicht und natuͤrlich dar⸗
Met, daß der Verf. die Geißel der Ironie und der Perfiflage
eſchickt zu ſchwingen verfiepf. Die Lecture diefer Sachen und
Sicheihen ift amufant. Die Mittheilung von Aphorismen iſt
in folchen der Unterhaltung geritmeien Büchern nicht erwuͤnſcht;
das Leſen derſelben wirkt Ermudung. 25.
Bibliographie.
Ettmüller, L., Daz maere von Vroun Helchen S&-
Aus der Ravennaschlacht ausgehoben. Zürich, Meyer
Gr. 8. 27 Ngr.
Die Walkyrien der flandinavifch « germani«
fhen Götter: und Heldenfage.- Aus den nordifchen Quellen
dargeftellt. Weimar, Landes »Induftriecomptoir. 8. 15 Nor.
Goethe, Briefe und Auffäge aus den Jahren 1766 bis
1786. Sum erftenmal herausgegeben buch A. Schoͤll. Wer
mar, Randes«Induftriecomptoie.” 8. 1 hr.
Kraszewski, 3. J., Der Dichter und bie Welt. Ro:
man aus dem Bolnifben, deutfh von W. Eonftant. Zwei
* Xpeite- Leipzig, Gebhardt und Reisland. 8. 1SThlr. 15 Nor.
' Lacordaire, H.D., Kanzelvorträge in der Notre-Dame:
Kirche zu Paris, gehalten in dem 3. 1835, 1836, 1843 und
1344. Aus dem Pranzöfifchen überfegt von I. Lug. Rebſt
einer Abhandlung: Lacordaire und feine Stellung zu Staat
und Kirche in Frankreich. Zübingen, Laupp. Gr.8. 1 Ahle.
25 Nor.
Eegenden. In Bearbeitungen der nambhafteften Dichter
Deutfchlande. After und 2ter Band. Leipzig, Barth. 8,
2 Thir. 15 Ror.
Das Liebhabertheater.
nen.
und Zeller.
Frauer, 2,
Eine Sammlung der neueften und
beften leicht darftellbaren Thenterftüde für Privatbühnen und
Familienfreife, herausgegeben von T. Hell. Stes und Gtes
Heft: Gold und Ahnen. Luftfpiel in drei Mufzügen von F. 2.
Schröder. Grimma, Verlagscomptoir. 16. 10 Nor.
Schmid, H., Geſchichte der Tontretiftiloen Streitigkeiten
in ber Beit des Georg Calirt. Erlangen, Heyder. Gr. 8
3 Ihr. 7%, Nor.
Schröder, I. A., Gedichte.
&r. 8. 25 Nor.
amars,
eine Philoſophie
Braunſchweig, Leibrod.
H., Über die wefentlichften Forderungen an
der Gegenwart und deren Vollziehung. 8wei
Abhandlungen. Ulm, Heerbrandt und Thämel. 8. 12 Nr.
Das russische ‘Ständerecht. Eine Übersetzung des 9.
Bandes des Codex der Gesetze des russischen Reichs von
H. Faltin. Mitau, Reyer. Gr. 8. I Thlr. 22), Ngr.
Storch, 2, Was euch beliebt. Grzählungen. Zwei
Bände. Leipzig, Brigfhe. 8. 2 Täler. 15 Nor.
Streuber, W. T., Der Sonntag, das Theater und
das Sonntagstheater mit besonderer Beziehung auf Basel.
Eine historische Darstellung. Zürich, Meyer und Zeller.
Gr. 8. 12 Ngr. |
Zag und Dämmerung. Harmlofe Gedichte eines Anti
Muckers. Reipzig, Klemm. 16. 15 Rgr.
Thierſch, H. W. 3., Vorlefungen über Katholizismus
und SProteftantismus. Ifte Abtheilung. @rlangen, Heyder.
Gr. 8. 1 Ihr. 10 Rear.
Velsen, G. v., Die Stadt Cleve, ihre nächste und
entferntere Umgegend, vormals und jetzt, mit besonderer
Berücksichtigung des Alterthümlichen; nebst der Mineral-
im Tiergarten. Mit dem Bildnisse des Priazen Mo-
ritz von Nassau-Biegen und der Abbildung des Thiergartens
vor 1795. Cieve. Char. 8. I Thlr.
Wallenheim, Ludewife, ar Driginal Rovellen.
Berlin, Reichardbt und Comp. 8. 1 ZHir.
Zagesliteratur.
Braun, %., Anrede an meine Schüler über: das rechte
Streben nad Wahrheit und Freiheit. Behalten in der polp-
tehnifhen Schule zu Karleruße. Karlsruhe, Holgmann.. &r.8.
r
gr.
Dulon, R., Luther's Nachlaß. Predigt. Rebſt einem
Vorworte vom Lehren gemaͤß den Bekenntnißſchriften. Alten⸗
burg, Helbig. 5 Rar.
Generalbericht an den Staatsrath von Reuchatel über die
geheime deutſche Propaganda, über die Klubbs des jungen
Deutfchlands "und über den Lemanbund. Abdruck der in dem
4. Heft der eidgenöffifchen Monatsſchrift enthaltenen Überfegung,
nebft Einleitung: die Gefchichte des deutfchen Radicalismus im
der Schweiz. Zürich, Meyer und Seller. 1845. Gr. 8. 13 Rgr.
Die kirchliche Krifis im Kanton Waadt. Mit den Alten
ftüden. Aus dem Franzoͤſiſchen. Zürich, Meyer und Zeller.
&r. 8. 9 Nor.
Lorenz, S. F., Die Herrlichkeit des Auferftehungstages
für gläubige und geheiligte Seelen. Aufd neue abgedruckt.
Nördlingen, Bed. Br. 8. 3 Nor.
Lübker, F., Rede beider Säcular⸗Geburtsfeier Peftalozzt's.
Schleswig. Br. 3. 21, Rgr.
Das Dregon : Gebiet. „Der Rechtötitel der Bereinigten
Staaten Mar und unbeftreitbar.” Offizielle Correſpondenz des
brittifchen bevollmädhtigten Miniſters in Wafhington und des
Gtaatsfeeretärd der Vereinigten Staaten. Überfegung. Bre
men, Schünemann. ©r. 8. 7’, Nur.
Heinrich Peſtalozzi. Sein Leben einfach und getreu erzählt
für das Voll. Herausgegeben von der Züricherfhen Schul»
fonode. 2te Auflage. Zürich, Meyer und Seller. 5 Rer.
Polen, feine Erniedrigung durch die drei Theilungen une
fen Ofterreich,, Preußen und Rußland in den 3. 1772—1738
und 1795 und feine Berfuche zur Wiedererlangung der Selbſt⸗
ftändigkeit. Weſel, Bagel. 7% Rgr.
Rednagel, J. G. ©, Der Tag des Herrn und feine
Feier. Ein Wort zur Beherzigung für Proteftanten und Ka:
tholiten. Erlangen, Heyber. Sr. 8. 5 Nor.
Mohleder, F. T., Vermifchte Auffäge zu Förderung des
wahren Proteftantidmus auf dem nach ihm genannten, Eirchlic
religiöfen Gebietes nebft einem ausführlichern Zueignungdvor-.
worte an alle feine proteftantifch-deutfchen Amtöbrüder, vorzüg-
li aber in Schlefien. Altona, Hammerid. Gr. $. 10 Rgr.
Trippenbach, ©. E., Die Stimme der Seit an bie Land»
bewohner und befonders an deren Lehrer. Dder Beantwortung
der Frage: „Was muß gefchehen zu einer zeitgemäßen Erzie⸗
bung und Bildung der Iugend auf dem Lande?” Quedlinburg,
Bafle, 8. 121% Nor.
über Chriſtenthum, Proteſtantismus und Fortſchritt. Ein
offenes &Sendfchreiben an Hrn. Prof. Dr. theol. Credner, mit
Beziehung auf defien Schrift” „Die Berechtigung der prote-
ftantiichen Kirche Deutfchlande zum Kortfchritt auf dem Grund
der heiligen Schrift 1.” (Bon ©. Reid.) Frankfurt a.M.,
Brönner. 8. 10 Nor.
Bogtherr, Er, Zeugnifle für. chriſtkatholiſches Leben.
Drei Predigten (der Herr ift nahe! — des Ehriften Weihnachts:
Di mache dich auf, werde Licht!). Bredlau, Trewendt.
gr.
Wucherer, 3. F., Vom evangelifch :Iutherifhen Haupt:
ottesdienfte. Eine biftorifcheliturgifche Verftändigung mit be=
Fonberer Berüdfihtigung von Loͤhe's Agende und Sellfelder's:
ER für die evangelifche Kirche. Nördlingen, Bed. Kl. 8,
gr.
Werantwortlier Herausgeber: Heinrich Brockdaus. — Drud und Verlag von F. U, Wrodyans in Leipzig.
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Dienftag,
Die preußifche Verfaffungsfrage „und das norbdifche
Princip. Von einen Oftreicher. |
8 weiter Artikel.”
Der Verf. gelangt nun zu dem eigentlichen Kerne fei-
ned Buchs, zu dem Nugen umd der. Nothwendigkeit einer
Berfaffung für Preußen. Bei dem königlichen Verfpre-
hen hat er fih unferer Anficht nach etwas zu lange
aufgehalten. Faſt wären wir in Verſuchung Daffelbe aud)
von diefem zweiten Capitel zu behaupten. Wir erfennen:
es freilich vollkommen an, daß die preußifche Verfaſſungs⸗
frage nur auf dieſem Felde, auf dem Felde der Unter-
fuchung über den Nugen und die Nothwendigkeit einer preu-
ßiſchen Conſtitution entſchieden werden koͤnne. Wir er-
kennen ferner an, daß dieſe Unterſuchung, wenn ſie über⸗
Haupt angeſtellt wird, nicht forgfältig und gründlich ge-
nug geführt werben Tann, und geflehen gern, daß biefee
vom Berf. ganz vortrefflich gefcheben if. Allein, für
wen fihreibt der Verf. eigentlich? Wen will er durch
feinen beredten Stil, durch feine ſchlagend entwickelten
Gründe noch überzeugen? Bedarf es in der That eines
folchen Aufwandes von Zeit zur Auseinanderfegung längft
anerkannter, über allen Zweifel erhabener. Wahrheiten ?
Die Zeit felbft hat die preußiſche Berfaffungsfrage be-
reits mit einem fo entfchiedenen Ja beantwortet, in jahre-
langer Discuffion find von unzähligen Seiten fo viel
Gründe dafür angeführt worden, die Gegengründe find
durch das allgemeine Bewußtſein fo vollfkändig aus dem
Felde gefchlagen, daß man bie Geduld des Verf. bewun-
dern muß, mit der er feine fchönen Kräfte an einen we⸗
nigſtens literarifch längſt abgeftandenen und verbrauchten
Stoff verfchwendet. Ref. wenigftens gefteht aufrichtig,
"da er die Geduld nicht befäße, dieſe Frage noch einmal
nad allen Seiten bin zu befprehen und zu erörtern.
Der Worte find in der That genug gewechfelt. Worte
find eine fhöne Sache, fo lange es fih darum handelt,
Iren .aufjuflären, entgegenftehente Ueberzeugung zu be-
kehren, Beweiſe zu führen u. f. w. Iſt das Alles aber
gefihehen, und bis zum UÜbermaße gefchehen, hat man
alle Gründe pro und contra von A bis Z durchgeknetet,
und swieber von vorn angefangen und, wieder durchge⸗
knetet, bann tritt zulegt eine gewiſſe Überſättigung, ein
) Vergl. den erften Artikel in Nr. 89 — 102 d. BI. D. Red.
9. Mai 1846,
Efel an den Worten ein, ein moralifcher Zuftanb, wo
& das vortrefflichfte Wort zur Sünde an dem guten
Geſchmacke wird, meil es fich bereits überlebt hat. That
und Wort fiehen in Wechfelwirtung, hat das Wort feine
: Schuldigkeit gethan, fo muß bie That erfolgen, auf daf
das Wort erfüllt werde. Faſt möchten wir behaupten,
dag ein folcher überfättigter Zuftand rückſichtlich der preu-
ßiſchen Berfaffungsfrage bereits vorhanden ſei. Denn
noch einmal, für wen fchreibt der Verf.? Wen will er
noch überzeugen? Höchftens einige geiftesarme und ge⸗
finnungsbanteotte Nachzügler, auf bie es überhaupt
nicht anfommt. Wer überhaupt kiterarifch zu überzeugen
war, der ift es in diefer Beziehung ſchon längft, und
nit allein durch die Literatur, fondern auch durch das
unmittelbare Bedürfniß, burch das Leben felbft. Ober
ſchmeichelt ſich der Verf. vielleicht, durch feine Veredt⸗
ſamkeit anf gewiſſe pensces immuables einzumwirfen und
das Unmöglihe möglich zu mahen? In der That, „viel
Selbftvertrauen und fühner Muth”! Aber unferer innig-
ften Überzeugung nach ein vergebliche® Beginnen. Alle
fieben Weifen Griechenlands, wenn fie fich vereinigten,
wenn fie die Zunge eines Demofthenes und eines Mira⸗
beau und die Federn. aller alten und neuen Autoren zu
Hülfe riefen, ‚fie würben umverrichteter Sache wieber ab-
ziehen müſſen. Auch wir haben gehofft, innig, glühend,
mit einer wahren defperaten Angft gehofft ; aber mir
hoffen nicht mehr.
Es gibt gewiffe Vorurtheile, Lieblingsideen, gemiffe
eingemurzelte Anfichten, entftanden aus einem Gemiſch von
Wahrem und Zalfchem, von Gutem und Boͤſem, von
Geiftreihem und Abfurdem, von Klarem und Unklarem,
von Anerzogenem, Angemöhntem und von Urfprünglichem
und Eigenthümlihem u. f. w., die fo feft mit dem inner-
fin Sein und Leben einer Individualität vermachfen
find, daß fie völlig Lebensbedingung geworben, und nur
mit dem Leben felbft aufhören fünnen. Gegen derartige
Erfcheinungen im menſchlichen Charakter gibt es fein
Heilmittel. Wenn man mit Waffen des Verflandes da⸗
gegen Fämpft, fo flüchten fie ſich auf das Gebiet des
Befühls, und greift man fie mit dem Gefühle an, fo
fuchen fie ſich wieder durch den Verſtand zu ſchützen.
Sucht man durch nüchterne Logik ihnen beizufommen,
fo ift ihnen die Phantafie zur Flucht behälflich; und
‚498
folgt man ihnen auf dieſer luftigen Bahn, fo verfteden
fie ſich wieder hinter Autorität; und räumt man auch
dieſe hinweg, fo find fie wieder wo anders. Hat ber
Verf. ‚vielleicht je mit einem Frauenzimmer bisputirt ?
Und wenn er das gethan, ift es ihm je gelungen, baf»
felbe von der Irrigkeit einer Anficht, ‚auf. welche es ſich
einmal gefteift, zu überzeugen? So vergeblih ein fol:
ches Beginnen gewefen fein wird, eben weil hier über-
haupt Feine begründete Überzeugung, fondern ein bloßer
Wille zu überwinden war, ebenfo vergeblich iſt es, ge
wiſſe palitifche Willensmeinungen, bie mit einem beftimm-
ten Willen einmal verwachfen find, zu disputiren. „Nun
„aber erſt veche nicht““, wird daher von folchen Seiten
ber die Antwort fein auf die preußiſche Verfaffungsfrage
„ unfers Öftreichere. 2
- - Wasfere: Leſer erlaffen es uns mol, .alle die vielen
MGruͤnde, bie des Verf. für den Nugen und die Nothwen⸗
‚ digkeit einer preußiſchen Verfaffung anführt, zu berichten,
amd alle die Gegengründe berzuzählen die er widerlegt.
Gebildete Leute: darf. man nicht mit dem ADB E unter
‚haften, wir wollen baber nur nad Zufall und Laune
„ einige Gedanken herausgreifen, . denen fich vielleicht noch
eine intereffante Seite abgewinnen ließe. „Die Monar-
sshie, fagen die Feinde des Volksrechts, iſt göttlicher Ein-
: fegung; der Monarch ift ein Stellvertreter . Gottes, ein
Gott auf. Erben; in dieſer Würde kann und darf er
: Beine -Beichräntung leiben.” (Gegen diefen Sag polemi⸗
-‚firt der Verf. Es fei zu trivial, meint er, auf dieſe
hochmũthige -Sleichflellung eines Menfchen mit Gott zu
‚ eutgegnen,: daß felbft der weife und allmächtige Gott den
: freien Willen der Menfchen achte. Vielmehr müffe. die-
» fer fo traurig in das Leben der Völker eingreifende Irr-
tham ernſter berichtigt werden.
Immerhin möge man die monarchiſche Staatsver⸗
aſſung als Einfegung ‚Gottes preifen; aber. dadurch fei
weder bewieien, daß bas demokratiſche Princip vom Zeu-
‚ feb geflifter fei, noch genauer angegeben, welche monar-
chiſche Verfaſſung, und wie. weit, wodurch und wozu: fie
: göttlich fei. Der Sinn, in welchem das. monarchiſche
MPrincip amtlich, Fönnte dach nur. immer folgender fein:
Gott wolle ale Zweck und Ziel des ganzen Erdenlebens
die innere volllommenere Entwidelung der: Menfchbeit,
„und da die monarchiſche Staatöverfaffung. ein vorzüg-
liches Mittel zu dieſer Entwidelung fei, fo babe Gott
allerdings dieſes Mittel gewollt. Vernunft und Ge⸗
fhichte bewieſen aber, daß die Monarchie durchaus nur
‚.bann..ein taugliches Mittel für die göttliche Abficht der
Menſchenbildung fei, wenn fie. mitteld einer volksrecht⸗
Aichen Berfaffung mit dem bemofratifhen Principe in
„‚MWerbinbung gebracht werde. . Somit könne alfo nur bie
volksrechtliche Monarchie göttlicher Einfegung fein, und
.folglih könnten fih auch nur die.conflitution-
„nellem Monarchen mit Fug und Recht vor Bott
‚und dev Welt Herrfher von Gottes. Gnaden
* nennen. - Wäre dagegen bie Monarchie in dem inne
ngäftlich,- wie ihn die Kobrebner bes Abſolutismus bean-
naſpruchten, ja müffe Bott eigene, durchaus göttlich begabte
Monarchengeſchlechter fhaffen, und zugleich der gemeinen
Menfchheit den freien Willen und die Würde der Selb⸗
ftändigfeit verfagt haben.
Es ließe ſich gegen dieſe Auffaffung ber conftitution-
nellen Monarchie als ausſchließlich unbedingt richtige
Staatöform gar Manches einwenden. Wir verfparen
das aber auf einen fpdtern- Artikel, wo die Anfıht Bes
Verf. über die öftreichifche Monarchie zur Sprache kommt.
Dagegen können wir nicht umbin zu bemerken, wie fehr
rationaliftifch ber Verf. mit dem Blaubensfage vom gött-
lichen Rechte und von Gottes Gnaben hier umfpringt,
und welche nüchterne Verftandesdeutung er biefem My⸗
fterium unterzulegen fuht, Wer bürgt ihm denn über-
haupt dafür, bag Gott nicht eigene, durchaus göttlich be⸗
gabte Monarchengefchlechter gefchaffen habe? Und wer
bürgt ihm bafür, daß ber gemeinen Menfchheit der freie
Mille und die Würbe der Selbftändigkeit nicht verfagt
ſei? Faſt fcheint es, als wenn ber Verf. eine ſolche Be⸗
hauptung für eine Abſurdität bielte, bie ſich von ſelbſt
wibderlege. Wenn aber nun Jemand kaͤme und ibm beim
Worte nähme, die logifche Kolgerung als richtig aner-
tennte, aber auch zugleich den Inhalt berfelben als
wahr behauptete, wie dann?
ch gefiche aufrichtig, daß ich in der ‚Theorie des
göttlichen Rechts und der Monarchie von Gottes Gna⸗
ben nicht wohl bewanbert bin. Hrn. b. Haller habe ich
feeilich gelefen, aber mid recht bineinzubenten in das
Syſtem beffelben, das vermochte ich nicht. -Die andern
-Schriftfteller, Die dieſes Dogma vorzüglich angebaut ha⸗
ben, kenne ich entweder gar nicht, oder nur bruchſtücks⸗
weife. Aufrichtig gefage vermuthe ich aber, daß jene
Theorie vom göttlichen Königthume überhaupt noch nicht
fo confequent und wiſſenſchaftlich durchgebildet ift wie
manche andere ftaatsrechtlihe Anſicht. Sie erfcheint mir
derzeit mehr noch wie eine mufleriöfe Phrafe wie ale
ein rein philofephifcher Hauptſatz. Die Monarhie von
Gottes Gnaden nähert ſich offenbar fehr dem Gebiete
ber religiöfen Myfterien, die man wol glauben aber nicht
begreifen kann. Sobald zohe Hände fie in das Gebiet
des Verſtandes herabziehen, fo verfchwindet der Nimbus
ber ihr Haupt umgibt. Su diefem richtigen - Gefühle
haben es daher auch die politifchen Blänbigen wol felbft.
vermieden, dieſes Dogma nad allen Seiten bin zu zer-
legen und confequent durchzuführen. Die Lehre von ber
Tradition und Inſpiration ift auf. Eirchlichem Gebiete
jedenfalls ſchon vollftändiger durchgebildet al6 auf welt⸗
lichem Gebiete. Es fragt ſich aber doch, ob es nie an
ber Zeit fein möchte, das Syſtem auch hier vollftänbig
auszuführen. Es täme auf einen Verſuch an, und wie:
wol ich felbft weder Luft noch Talent zu einem foldhen
Verſuche befige, fo möchte ich mir doch erlauben, dem
fünftigen berliner Profeſſor, der diefes Unternehmen aus-
führen wird, einige andeutende Grundlinien vorzuzeichnen.
- Hier find ſie:
Die Menfchheit an fich ober vielmehr die große Waffe
der gewöhnlichen Menſchen ift. abfolut unfähig jur Er⸗
kenntniß der. Wahrheit. Deshalb bedarf es einer un⸗
v % 49
“, '}
mittelbar göttlichen Offenbarung und einzelner, fortwaͤh⸗ | ter, fo reihhaltig und fo offen ausgeftreut, hielten die Span⸗
vend- Infoieirtet Dienfeen Diefe legtern find natürlich 0, ii vr — —— hatte es aber din-Anfcein,
abſolut unfehlbar, was ſie ſagen muß als unbedingt aefunten fe. Selb ie & eich af hin mi —e
wahr von der großen Maſſe der nicht Inſpirirten ge⸗ ' fein hinauskon men zu Bimnen: Wird nun der vorliegende
"glaube und befolgt werben. Bis jegt nahm man immer Verſuch eine neue Erhebung zu bewirken im Stande fein?
"an, dag eine ſolche Infpiration nur auf dem ‚Gebiete | Wir zweifeln, fo wie wir nur die erſten Zeilen der Ginleitung
des Glaubens ftattfäride, und daß die römifch -Fatholifche leſen. Der Verf. ſagt: er fei durch den Zob- eines Freundes
Geiſtlichkeit allein jene bevorzugte Glaffe von Menfchen
fei, welche die Wahrheit erblide. Das aber war ein Irr⸗
thum. So wie bie Menfchennatur überhaupf in zwei Theile
‘zerfällt, in eine innere und in eine äußere, in eine himmli⸗
ſche und in eine irdifthe, fo ift auch) die Dffenbarung doppel«
ter Natur. Es gibt irdiſch infpirixte und himmliſch infpi-
rirte Menfchen. Die Seiftlichen find die himmlischen Inſpi⸗
rirten, die Fürften die irdifchen Infpirirten. Jeder von
ihnen Hat feine befondere Domaine der Wahrheit, auf
der er als, beftallter Verwalter von Gott fist. Die
Geiſtlichen haben die Kirche, die Könige haben den Staat.
Bei der Geiftlichkeit theilt ſich bie Infpiration durch die
Weihe mit. Diefe ift demnach kein gefchloffener Staat,
und man brauchte nur alle Menfchen zu weihen, fo
würden fie in Glaubensſachen alle infpirirt fein. In
weltlihen Dingen aber und auf weltlichem Gebiete ver⸗
Halt fich die Sache anders. Hier ſteckt die Infpiration
im Blute, und wird durch Zeugungen fortgepflanzt.
Naͤhme man freilih an, dag Adam der erfte infpirirte
"König geweſen fei, ber mit dem nöthigen gefunden Dien-
ſchenverſtande, mit den noͤthigen fünf gefunden Sinnen
auegerüuftet geweien, fo würde freilich bie geſammte
Menschheit als Nachkommenſchaft deffelben ebenfalls als
infpirirt zu betrachten fein. Aber dem muß body wol
nicht fo fein, oder wenigftens muß auch die Infpiration
in: weltlihen Dingen. durch den Sündenfall abhanden
gelommen und erſt fpäter wieder durch irgend einen
weltlichen Erlöfer, durch einen erften König für ein 'be-
fonderes Monarchengefchlecht ausfchließlich wieder gewon⸗
‚nen fein. Wer num bdiefer erſte König, von dem bie erfte
Infpiration datirt, ob Ninus oder Sardanapal, ob Ne-
bukadnezar oder Tamerlan, das tft noch gefchichtlich zu
ermitteln, und ſtellt die intereffanteflen und fcharffinnig-
ſten Eonjecturen in Hoffnung. Wil Jemand noch wei-
. tere Seen zum Aufbau eines wiſſenſchaftlichen Syſtems
für das Königthum durch göttlihes Recht und von. Got-
tes Snaden, fo wende ve fih nur an mich; ich werde
“fe ihm ablaffen, und mid) babek billig finden Taffen.
SH kann fie nicht brauchen, und ein Anderer koͤnnte
doch viel daraus machen.
(Die Bortfegung folgt. )
Galerie berühmter Männer bed 19, Jah underts von Gu⸗
ſtav von Struve. Erſtes Heft. Heidelberg, Groos.
1845. Gr. 8. 10 Re.
Als der Doctor Gall im vorigen Jahrhunderte ſeine phre⸗
nologiſchen Theorien veröffentlichte, erregten fie wie jedes
Reue die allgemeine Aufmerkſamkeit, und umſomehr, als fie
eine Enthuͤllung des geheimen Wirkens dev Natur zu verſpre⸗
Ken ſchienen. Die phyſiognomiſchen Schattenriſſe von Lava⸗
| ften großen Verſtan
-Zuftände der
auf das tiefſte erihüttert worden, und um fich die fo ent-
ftandene Luͤcke auszufüllen, babe er es unternommen, die ge:
genwärtig veröffentlichten Unterfuhungen anzuftelen. Es liege
alfo offenbar nur eine individuelle Laune zum Grunde, die wol
vermag Intereſſantes zu geben, aber nicht der Fortbildung
ber Wiffenfchaft nüpt. Intereflant ift an nur das vorliegende
Heft. Es enthält in den Briefen, namentlich vom Kanzler
v. Wächter und Prof. Ewald, manche intereffante- Notizen zur
Charakteriftit ber Perſonen, befumdet auch nicht minder das
vielfeltige Talent des DBerf., beſonders der anfhaulichen Ber:
gegenwärtigung des Erfahrenen; aber wir fünnen nicht glau⸗
ben, daß die -phrenologifcgen Unalyfen -frei find weder von ei⸗
ner ſchon vorhandenen Vorftelung ber Berfon im Bewußtſein
des Verf., noch auch von jeder Ausfhmüdung der Phanta—
fie, und noch weniger von der Hervorhebung des Lobes, wel⸗
ches, da die Unterfuhten im Allgemeinen politifh Gleichge⸗
finnte mit dem Verf. find, in jegiger Seit von fich fern zu
halten eine faft unüberwindliche Aufgabe fein möchte Wie
Phantafie und Reigung zum Lobe eingewirft haben, woellen
wir beifpielßweife mit Kolgendem belegen. Bei Prof. Weller
find die Anzeichen des Erwerbtriebs und des Selbftgefühls nidyt
fehr groß gefandın; "daraus entnimmt der. Verf. Wolgendes:
„Bei der Wahl einer Gattin kann micht das Gtreben nach
äußern Bortheilen den Ausſchlag gegeben, fondern bie freie
Reigung kann bier einzig die Wohl beftimmt haben.” Aber
wenn nun Here Welcker nicht verheirathet wäre, oder wenig-
ftens nicht fo, wie er e8 etwa fein mag, müßte und könnte
auch mit ganz gut jener Sat ganz anders lauten als er jetzt
willtürlid auf eine Gattin bezogen ft, die doch aus der
Structur des Kopfes nicht wird entnommen worden fein? Bon
diefer Art mwillfürlicher Verbindung mit nicht nothwendig ge⸗
gebenen Begriffen, woher alfo die Berhältniffe der Structuren
mit jedem andern Begriffe, der ihrer Vorſtellung conform ift,
eine Verbindung im Gedanken eingehen Tönnen, find die übri⸗
en. phrenelogifchen Analpfen gleichfalls erfült. Bahlenver-
aͤltniſſe erklaͤren die Bildungen. Der Rasur, wie etwa ber
Kryſtalle und Pflanzen; aber die Bildungsfolge diefer Ber:
bäftniffe iſt ſichtbar da, ift gegeben, und die ——
tet nur die Erſcheiaungen, welche ſelbſt gezwungen fich
nach einem beſtimmten Grundverhaältnifſe zu richten. Ob aber
das Zeichen des Erwerbtriebes, wenn es überhaupt richtig
verſtanden iſt, auf eine Frau, Geld, Käufer, Seltenheiten u.
ſ. w. gerichtet geweſen iſt, laͤßt ſich einmal nicht aus den
Merkmalen ſelbſt entnehmen, ſondern aus der Kenntniß der
Lebensverhältnifie, die man außerdem noͤthig bat; dann aber
legt der Menſch an fein Leben nicht fpeciel ben Maßſtab fei-
nes Grwerbtriebes oder irgend eines andern, fonbern den feir
nes ganzen Willens, feined Selbſt, wofür aber weder eine Er:
en ee noch eine Vertiefung am Kopfe, fondern der Menſch
R die niemals. außer:
Itch erfcheinen 4 fondern nur von Ungeichen, Symptomen der
Geſundheit auch ein Aggregat einzehrer Fähigkeiten und Kräfte
ift, wäre noch fehr zu bezweifeln, und daher nicht minder die
Richtigkeit des Schluſſes aus folhen einzelnen, außeen: Zeichen
auf den ganzen Begriff einer Seele. keute mit ber ſchoͤnſten
Stirn find Dunmföpfe geweſen, während ſolche mit der flach⸗
gehabt Haben. Das ſchoͤnſte ⸗Bildwerk
eſundheit, der Seele, wie fie der Arzt von ber
"Krankheit Bennt. Diefe iſt nun etwas Einzelnes und kann
daher an einzelnen Somptomen erkannt werden; ‘ob aber die -
be n eigenes Symptom iſt. Es moͤchte auch durchaus ein
Fehler fein, bier von Organen zu reben,
ohne Geiſt if tobt, und an einem Zorfo kann man wol erken⸗
phrenologiſchen Folgerungen einzutreten, denn dev Kopf möchte
508
t ber en Statue gehört, aber
nie nit —— — —— muß
tafie aushelfens etwas Anderes ſcheint uns auch nicht bei den
wol nichts weiter als ein Zorfo bee Menfchen fein.
SG. Marquard.
Literarifhe Notizen aus England.
Eine Lehre der Geſchichte.
‚Die „Letters of royal and illustrious ladies of Great-
Britain, from the commencement of-the twelfth century to
the close of the reiga of Queen Mary. Kadited chiefly from
originals in the State paper office, the Tower of London eto.“,
von M. AR. E. Word, enthalten für den Geſchichtsforſcher
eine reiche Yundgrube von Usfunben und Aufflärungen über
einige der mwicptigften Partien der ältern englifhen Geſchichte.
Unter Underm ift darın ein Schreiben der Markgräfn von
Dorfet aus dem Jahre 1526 zu finden, welches in Betracht
der Perfon, an die e# gerichtet ift, von höchſtem Intereſſe er-
ſcheint. Daſſelbe iſt namlich adreffirt an „ Cromwell, ihres
Sohnes, des Marquis, Diener“ und lautet wie folgt: „Crom⸗
wei, Ich will, daß Jhr mir eiligſt das Gebett aus Wollenzeug
und das Federbett mit den Barchentüberzügen und einer dazu
gehörigen Matrage fammt dem Deckbett zufenbet. Auch will
ih, daß Ihr alle Belte, Sommerhäufer und Höfe, fo Ihr von
mie habt, meinem Sohne Leonard überliefert, fo Eud an mei:
ner Gewogenheit gelegen ifl. Und dies fol Euch volllommene
Bollmadyt und Befcheinigung fein für alle Zeiten. Geſchrieben
zu Bedwell dieſen gegenwärtigen Donnerstag vor dem Him⸗
melfahrtötage unferer lieben Frauen. Gerile. Doriet.” Und
vor biefem Wanne, an welchen obige bifehlende Zeilen gerich⸗
tet wurden, beugten ıfich einige Jahrzehnde fpäter auf feinen
Augenwink die ftolgeften Geſchlechter des engliſchen Hochadels,
— — — — — — bie CEdelknaben,
Das Rohr, mit dem man wollt' den Sturm bekriegen;
an dieſen Mann richtete die Schwiegertochter derſelben Marl:
röfin von Dorfet, die verwitwete Gemahlin ihres Sohnes,
Päter ein Schreiben, das gleichfalls in jener Sammlung ent:
halten ift und worin fie dem Protector „fo viele untermwürfige
Dankfagungen als ihr Herz denken kann, für die Zortdauer
des Wohlwollens, das fie aus Sr. Lordſchaft Händen finde”,
ausdrückt; in Dienften dieſes Mannes, des Brauer von Yun:
tington, ftand der Sohn der markgräflichen Witwe, ber Ente
jener Frau, die wie an einen niedrigen Dienftmann und wie |
ed fcheint nichts weniger als gnädig dem fpätern Lenker der
Geſchicke Großbritanniens Befehle ertheilte!
Sean Pauls „Klegeljahre” im Engliſchen.
Auch Jean Paul's herrliche „Blegeljahre” haben englifche
Bearbeiter, aber nicht in England felbft, fondern in Amerika
gefunden, wo wie ed fcheint die nabe Berührung bes britifchen
und deutfchen Stammes nad und nad den Volksgeiſt beider
in allen feinen Kundgebungen viel näher miteinander befreun-
den wird als dies diesfeit ded Weltmeers je ftattfinden duͤrfte.
Auch findet die Bearbeitung unfers großen Humoriften in eng:
Vifcher Sprache durchaus nicht den Beifall der Infelbriten. So
äußert fi dad „Athenaeum‘’ über die unter dem Zitel „Walt
and Vult or the twine” erfchienene Überfegung des Amerika—
ners folgendermaßen: „Wir müffen unfern aufrichtigen Zwei:
fel ausfprechen, ob an diefer Arbeit die Mühe nicht gewiſſer⸗
maßen weggeinorten ift; ob die Lefer irgend eines andern Lan⸗
des als Deutichlands geneigt find, ein auf fo phantaftifche
Grundlage aufgeführtes Merk zu bewillkommnen. Shane Ge⸗
danken findet man allenthalben, und Diejenigen, welche Bücher
perfönlihen Willens und der Kraft der Phan- .
Leipzig, Baumgärtner. 8.
lieben, wobei fie träumen koͤnnen und nicht denken bürfen, wer
den fidh nicht davon wegwenden. Aber liegt darin nicht etwas
zu viel von jenem bezaubernden Gefhwäg, dad den klaren Scharf⸗
bii®, welchen unfere Beit mehr alß jede frühere erheifcht, trübt,
und das Unklarheit des Borfages, Mangel an Kraft und Bäpe-
lichkeit verraͤth? Wie Dem auch fein
wären, ohne baß ingeweihte oder Uneingeweihte etwas Ernſt⸗
liches dabei verloren hätten.‘
Ein Charakterzug Eabrera's.
Der englifhe Eapitain Merander Ball, welcher bie Uben-
teuer und Erfahrungen feines Kriegslebens im Dienfte der Bri⸗
tifchen Legion und im fpanifchen Heere während der legten Buͤr⸗
gerkriege auf der Halbinfel in feine „Personal narrative of
seven years in Spain’ niedergelegt bat, erzählt unter Anberm
folgende Zhat des Blutmenfchen Eabrera. Gin junger Offigier
ward mit 25 Mann von den Karlijten zu Gefangenen gemadt;
fie wurden am andern Tage auf den öffentlichen Platz gefüßrt,
um erſchoſſen zu werden. Cabrera faß, vor fi den Hinrich:
tungsplag, ſchmauchend auf dem Söller feines Quartiers. Gi
junges Maͤdchen, die Zochter des Haufes, wo Gabrera ein:
Auartirt war, welche mit Schrecken die Gefangennahme bes
Offiziers bemerkt hatte, flehte Eabrera an, ihn nicht erfchie
Ben zu laſſen. „Gut“, ſagte endlich der Tiger, „ich werde ihn
nicht erſchießen laſſen.“ Die 25 Mann fielen hierauf durch die
Kugeln, aber den jungen Offizier erwartete ein viel graufame⸗
res Schickſal. Am naͤchſten Morgen warb er auf den Markt
geführt und Eabrera ließ das Maͤdchen rufen, ihren Geliebten
zu feben. Hierauf ließ er einen Zug feiner Leute Dad Bayonnet
aufpflanzen und den Jüngling in die Bayonnete treiben; als
er gefallen war, Eehrte er fih zu dem entjegten Mädchen und
fagte mit teuflifhem Spotte, er habe fein Wort gehalten, denn
er babe verfprochen, daß Iener nicht erfchoflen werden gu.
12.
Bibliographie.. |
Burmann’s, Peter, macaronisches Gedicht über das
Tiabakrauchen, herausgegehen von F. V. Genthe. Eisleben,
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— Thlr. 15 Rgr.
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rich's I., Königs von Deutſchland. Eine wahre und lehrreiche
Lebensgefchichte. Mit einem VBorworte von E. Höfler. Re
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Ein biftorifches Denkbüchlein für das deutſche Bolk. Eisleben,
Neichardt. Gr. 8. 6 Rgr. "
Escherich, Ärztliche Vorschläge zur Milderung der
gegenwärtigen Noth durch den Mangel und die Theuerung
der Nahrungsmittel. Erlangen, Enke. Gr. 8. 4 Ner.
Börftemann, €. ©., Vortrag, en im Gymnafium
zu Nordhauſen am 18. Febr. 1846, mit biftorifhen Anmerkun⸗
gen. NRordhaufen, Börftemann. 4. 4 Nor
Weidling, predigt am Keformattonsfeft 1845 über _
Pred. Sal. 1, v.
— 11. Eisleben, Reichardt. 1843. 8.
3 Nor. "
Berantwortliges Deraußgeber: Heinrich Brockdans. — Druck und Werlag von F. A. Brockhaus in Leipzig.
wir müffen ge .
daß «Walt und Vult» viel beffer im beutfi en Gewande ee
Blätter _
. fer
literariſche Unterhaltung.
Mittwoch,
8. Mai 1846.
weiter Artibkel.
(Kortfegung aus Nr. 185.)
Weiter behauptet der Verf., es fei irrig, wenn man
meine, der abfolute Monarch fei frei, der conflitutionnelle
dagegen abhängig. Es kommt aber darauf an wie man
es nimmt. Wen es mehr Vergnügen macht, mit der
Zunge fo viel befehlen zu dürfen wie er will, ohne daß
Jemand das Recht hat zu widerfprechen, der findet als
abfoluter Monarch jedenfalls beffer feine Rechnung wie
als conflitutionneller., Wem aber das bloße Decretiren
feinee Wunſche und Überzeugungen nicht genügt, fondern
wen ed auch am Herzen liege, daß biefe Befehle wirk⸗
lic) befolgt, daß fie fittliehe Wirkungen im Volke äußern,
daß fie nicht blos auf dem Papiere, fondern aud im
Leben realifirt werben follen, ber wird es mit einer volks⸗
zechtlichen Verfaffung halten. Es waͤre freilid; eine an⸗
genehme Sache, wenn ber bloße Befehl: mein Volt fol
reich, glüdlih, tugendhaft, mächtig und fromm fein,
fhon genügte, um diefe erfreulihen Wirkungen in Wirk⸗
lichkeit Hervorzubringen. Da das aber nicht der Fall ift,
fondern da bie freie Überzeugung unb die eigene An⸗
fitengung des Volks einmal immer das Beſte dabei thun
muß, fo halten wir diejenigen_Fürften, welche auf dem
Wege der freien Berfaffung die Überzeugungen und bie
Capacitãt des Volks zu ermitteln fuchen und nach dem
gewonnenen Mefultate ihre Befehle einrichten, immer
noch für die klügern und auch für bie, denen es um
eine reelle wirklihe Herrſchaft, fo weit fie überhaupt
möglih, am meiften zu thum if. Die Herrfchaft der
abfoluten Fürften beruht allerdings mehr auf dem bio-
fen Schein. Sie verwechfeln die Herrſchaft in Worten
mit der Herrſchaft in ber That; aber freilich haben fie
fih an diefe widerfpruchslofe Wortherrſchaft bergeftalt
gewöhnt, fie ift ihnen eine fo freundliche Bemohnbeit des
Daſeins und Wirkens geworden, daß fie bderfelben oft
um feinen Preis, felbft nicht zu Gunften einer reellen,
eindeingljchern, wahrhaft Hiftorifcyen Wirkſamkeit entfa-
gen mögen. Die äußere Unterwürfigkeit ihrer Mitmen-
fchen ift ihnen zur Hauptfache geworden. Inwieweit
die Geifter und die Geſchichte feluft ihnen dadurch un-
texthan werde, das kümmert fie nicht. Wenn ihnen nur
im erſten Augenblide nicht widerfprochen wird, wenn
fie in ihren Salons nur lauter unterwürfige Rücken er-
blicken, fo find fie zufrieden. - Für wen alfo fehreibt ber
Berf.t Wir fragen abermals. Für das große gebildete
Yublicum, dem diefe Wahrheit ſchon längft ohnehin be
fannt ift, welches ohnehin ſchon lange weiß wie ein ein-
ziges, mit Hülfe der Volkskammern von Fürſten gege-
benes Gefeg. mehr wirkliche Früchte bringt, und tiefere
Wurzeln ind Leben treibt als taufend Befehle eines ab»
foluten Fürften, die immer nur auf den Fels und in
dir Dornen fallen, und von denen nad wenigen Jahren
feine Spur mehr vorhanden ift, oder für die wenigen
an den Schein Gewöhnten und durch den Schein Ber-
zogenen, bie fi) einmal an der Täufchung und der Il⸗
Infion ergögen, und ſich darin wohler fühlen als in ei-
ner reellen, gefunden Wirklichkeit, für die fie fehon ver .
dorben find? Die erfte Claſſe braucht feine Wahrheiten
nicht mehr, und die andere Claſſe will fie nicht, ſondern
nimmt fie übel.
Auch darin hat bee Verf. recht, wenn er behauptet,
wie die Conſequenz bes erblich monarchiſchen Principé
es nothwendig mache, naturwidrig die Kindheit und Ju⸗
gend der Thronberechtigten zu kürzen und ihnen das
Scepter zu einer Zeit in die Hand zu geben, wo fie lie
ber nach einem Spielzeug langen möchten, . oder wo iß-
nen die Fähigkeit für den heiligen Ernſt des Regenten-
lebens naturnothiwendig noch fehlen muͤſſe. In abſolu⸗
ten Monarchien herrjchen in ſolchen Zällen neben „kindi⸗
fhen Launen und Ungezogenbeiten, neben flegeljährigem
Uebermuth die Leidenfchaften und Begierden Derjenigen,
die fich des gefrönten Kindes oder Juͤnglings zu bemei-
flern wüßten“. Es ließe fich gar leicht nachweifen, wie⸗
viel „unausfprechlichee Elend dadurch nicht bios über
Bölker, fondern auch über regierende Familien gelommen
fei, mit wie viel Fluch und Schande dadurch die Ge⸗
fchichte des monardifchen Principe bededit worden”. In
einer conftitutionnellen Monarchie bagegen erfege in ei⸗
nem ſolchen Kalle das Volt durch feine Vertreter dem
Kinde die Jahre, dem Zünglinge den Mangel des Ern-
ſtes und ber ftantsmännifchen Bildung. In der Schule
des Volksrathes reife der junge Regent glüdlich zu felb-
ftänbiger Wirkſamkeit heran; das Volksleben bleibe un⸗
getrübt, das monarchiſche Princip fleckenlos.
WW 08.
Aber für wen fehreibt er diefe, man kann wol fagen,
trivialen Wahrheiten? Doch nicht etwa für Die, die blos
immer an fi denken, an ben nächften Augenblid, die
in ihrer verzogenen Empfindlichfeit das unerträglid, fin
den, wenn fie dann und wann daran erinnert werden
fönnten, daß es noch felbfländige Willen außer dem ih:
rigen ‘geben könne? Dod nit für Die, deren ganzes
Wefen von dem Sage durchdrungen ift: Zuerſt fomme
ich, und dann komme ich noch einmal, und zulegt fomme
ich abermals? Doch nicht für Die, welche es freilich recht
gern haben, wenn es ihrer Nachkommenſchaft und ber
übrigen Menfchheit recht wohl gehen möge, aber nur
unter der Vorausfegung, daß fie in ihren Gelüften und
Belieben auf keine Weife genirt werben dürfen? Doc
nicht für Die, welche mit der Gräfin D.barıy ausrufen:
Apres nous le deluge? oder menigftend nad) diefem
Srundfag inftinctartig handeln? Und wenn nit für
Diefe, für wen fonft? Wer märe denn außerdem nicht |
fhon völlig überzeugt ?
Dagegen vermiffen wir noch eine Anbdeutung, bie
fih) ung immer bei Betrachtung junger Fürftenföhne in
Deutfhland aufgedrängt hat. Wie ift es möglich, fürft:
lichen Kindern in abfoluten Staaten eine chriftfiche, wahr:
haft menfhlihe Bildung anzuerziehen? Wie ift es über-
haupt nur möglich, ihnen eine fröhliche, friſche Jugend⸗
zeit zu bewahren? Bu den erften Grundbedingungen ei-
ner gefunden Charafterentwidelung gehört erftlich jene
Demuth des Kindes vor dem erwachfenen Alter, welche
in der moralifchen Natur des Menfchen begründet ift;
und zweitens jene freie Genoffenfchaft gleichalteriger Ge-
fpielen, mit benen das Kind feine gemeinfhaftlichen.
Freuden, feine gemeinfchaftlihen Beftrebungen nach Ent-
widelung der in ihm ruhenden geifligen und körperlichen
Kräfte theilt. Wo diefe beiden natürlichen Bedingungen
fehlen, da hilft die forgfältigfte Überwachung, da helfen
die vortrefflichften Lehren nichts. Keine Lünftliche Ver⸗
anftaltung kann die natürlichen Anfoderungen der Na-
tur erfegen. Die Verhältniffe in abfoluten Monarchien
find aber der Art, dag das fürftliche Kind ſchon von
feinem erſten Athemzuge an in eine excluſive, moralifch
widernatürliche Stellung zu den Mitlebenden verfegt
wird. Unter allen erwachſenen Perſonen, die ed von
feühefter Jugend an umgeben, vom Hofmarfchall und
Gouverneur herab bis zum Stalffnecht erblickt es nichts
als Lakaiengefichter und Lafaienmanieren. Iſt ber re
gierende Vater ein höheres, infpirirtes Weſen, fo ift es
auch der Sohn, der einft regieren wird. An einem Hofe
und in einem Rande, mo das göttliche Recht noch als
Srundfag gilt, und wo das ganze Ceremoniel, der ganze
Verkehr zwifchen Fürſt und Volk auf diefe Fiction ge-
baut ift, da wird auch das ganze Benehmen der Men-
fohen gegen den fürftlichen Knaben ſchon eine folhe un-
terwürfige Kärbung annehmen; da verwandelt fich das
natürliche Uebergewicht des erwachſenen Alters in wibder-
liche Unterwürfigkeit gegen das fürftlihe Sind. Der
Knabe merkt gar leicht, daß er als ein höheres bevor-
zugtes Weſen betrachtet und behandelt wird. Und mas
N
ſchon im erfien Keime vergiften.
find die Folgen davon? Hochmuth, Selbſtſucht, Men⸗
fhenveradhtung ; das find die verberblihen Eindrücke,
welche die moralifhe Natur des unglüdlihen Kindes
Die fürftlichen Väter,
welche eine ſolche Unterwürfigkeit als höhere Wefen fix
ihre Perfon entſchieden beanfpruchen und ganz in bee
Ordnung finden, befigen freilih in der Regel fo viel
natürliche Liebe zu ihren Kindern, baf fie das Verderb-
liche dieſer Verhältniffe in Bezug auf dieſe wenigſtens
vollfommen fühlen. Denn durch alle Entftelungen und
Verbildungen des urfprünglicd) » menſchlichen Weſens bricht
an einzelnen Stellen doch immer ein Strahl der menfd;-
lichen Natur mit Allgewalt hindurch, und bie äfterfüche
Liebe ift eben überall die unüberwindliche, natürfiche
Empfindung, die gegen alle angeerbten hiftorifchen Vor⸗
urtheile fiegreich ihr Recht behauptet. Bei ihren Kin.
dern möchten die Väter daher fo gern eine Ausnahme
von ihren eigenen Grundfägen machen. Hier möchten
fie die WVerhältniffe, deren Aufrechthaltung ihnen - übri-
gend fo fehr am Herzen liegt, mit einem Male umän-
dern. Sie möchten das Kind in feine urfprünglich mo-
ralifche Stellung zu den Mitlebenden verfegen. Der
ganze Hofftaat des jungen Prinzen von Gottes Gnaben
empfängt daher in der Regel den firengen Befehl,
ihn durchaus nicht merken zu faffen auf irgend eine
Weiſe, daß er ein Prinz von Gottes Gnaden fei. Ber-
gebliches Bemühen. Die Grundfäge, die man felbft ge-
predigt hat, die Verhältniffe, die man felbft aufrecht er-
halten und geftügt, die Sitten und Gefinnungen, die
man felbft gepflegt und gefördert hat, fie menden fich
nun mit unglücklicher Confequenz gegen ihren eigenen
Ucheber. Das ift die waltende Nemefis, die immer an
dem wundeſten Flecke ihr Racheſchwert eintaucht. DO
wie viel würde mancher fürſtliche Vater darum geben,
wenn er nur einige freie Maͤnnerblicke, nur einige un⸗
abhängige Stirnen, auf denen das Bewußlſein gleich-
berechtigter Menſchenwürde gefchrieben ftände, für fein
armes, unglüdliches, dem Verderben geweihtes Kind auf-
treiben fönnte. Uber vergebens, vergebens. Er hat diefe
Schrift .felbft aus den Angefichtern der Menſchen ver-
wifcht, und mo fie fi etwa noch findet, da Tieht ſie
ihm nicht mehr zu Gebote. Sein Befehl wird äußerlich
befolgt, man zwingt fi dem Kinde gegenüber zn einer
gemwiffen Oftentation von Unabhängigkeit, fo lange der
Pater felbft zugegen ift. Aber man bringt ed zu wei-
ter nichts als zu einer fchlechtgefpielten Komödie. Mit
dem ber Kindheit eigenthümlichen Scharffinne erfennt
der Knabe gar bald die einftudirte Rolle, durch welche
aller Augenblide die angewohnte Hundedemuth und bie
Deferenz vor dem ſpecifiſch verfchiedenen höhern Weſen
hindurchblickt.
Und nun vollends der Umgang mit Altersgenoſſen.
Dieſer ſelige Himmel ber Kinderzeit, welch ein bejam-
mernswerthes Zerrbild wird den Prinzen von Gottes
Gnaden dafür gereicht! Da ift Fein ernſter Wetteifer,
fein Leidenfchaftliches Ringen, Bein Anziehen und Abfto-
gen der Charaktere, kein Siegen und Unterliegen, keine
17
Arankung und feine Verſohnung; das Alles, wodurch
das Gemüth, der Wille, die Menſchenkenntniß ſchon früh
gebildet, wodurch der Charakter geſtählt wird, wodurch
der. Knabe lernt, ſich feinen Plag zu erringen der ihm
gebührt, der Unbill zu wehren, die Kraͤnkung zu verzei-
hen, fich felbft zu beberrfchen, diefe ganze wunderbare
fugendlihe Schule für das fünftige männliche Leben,
dieſer Mikrokosmus wahrer, unentbehrlicher menfchlicher
Sreiheit, bem armen Linde von Gottes Gnaden wird
daraus blos eine Eünftliche Veranftaltung, blos ein Schein
deffelben gegeben. Ein Spielplag, wo man nicht mwirf-
lich fpielt, wohin die Genoffen zur Frohne gehen und
wo fie den armen Unglüdlihen nie und nimmer als ihres
Bleiben im Herzen anerfennen, ein Kampf, wo ber
Prinz immer Sieger ift, und wo Geber fih in Acht
nimmt, gegen das Beine Wefen von Gottes Gnaden feine
Kraft zu gebrauchen, und wo eine derbe Maulfchelle von
der berumftehenden Dienerfchaft wie ein Eleiner Hochver-
rath und ein Bischen Nafenbiuten wie ein verfuchter Für-
flenmord en miniature betrachtet wird. Was kann dar-
aus anders werden als ein verdroffener, verzogener, hoch.
müthiger, eigenfinniger, gemelner Despot, der gar nicht
weiß was Liebe ift, der überall oben hinaus ift, feinen
Widerftand ertragen Tann, und doch bei ben erften ſtren⸗
gen Schiljalsfchlägen im Mannesalter gleich zufammen-
knickt wie ein Tafchenmeffer ?
Früher war e8 anders, früher war der Fürſt unter
feinen Baronen nur Primus inter pares, und wie er
ſelbſt an feiner Zafelrunde fi nicht als höheres Weſen
erfhien, wie ihm überall Blicke entgegenleuchteten, bie
ihm zu fagen fihienen: Wir haben fo gut Rechte wie
bu, wir find fo gut freie Maͤnner wie du, fo genoffen
auch feine Kinder das Glück, mit freien, unbefangenen
Kinderfeelen ſich herumtummeln zu konnen.
Und aud) in conflitutionnellen Staaten ift es anders,
d. h. in ſolchen Staaten, wo bie Conftitution nicht blos
auf den Papiere, fondern auch in den Herzen und in
der Befinnung der Menfchen gefchrieben ſteht. Im freien
England ift e8 anders; dort, wo bei allem Neſpecte ge:
en die Würde des Königs doch Jedermann fi feiner
echte bewußt ift und fie fehr wohl gegen die Rechte
des Königs abzuwägen und zu vertheidigen weiß, wo
ſelbſt der Diener ſich noch als freier Engländer fühlt,
dort gibt e8 noch eine angemeffene Umgebung für fürft-
lihe Kinder, dort noch YJugendgefpielen, bie dem Kna⸗
ben in Freude und Leib jeden Augenblid beweifen, daß
er nichts mehr und nichts weniger ift als ein Menfch
unfer Menſchen. (Die gortfegung folgt.)
Srühlingsblumen aus Oftreih. Gedichte von Hermann
Rollett. Jena, Luden. 1846. 8. 1.Thir. 15 Ngr.
. Es hat lange gedauert, bis fich die öftreichiiche Literatur
einige Geltung in Deutfchland erftrebte. Seit Nicolai wurde
ed Mode unter den beutfhen Krititern und Literarbiftorikern,
die öftreichifche giterafur entiveder ganz zu ignoriren oder fie
in flüchtigen Inmerkungen .verächtlich und fpöttifch abzuferki-
gen. Selbſt die öftreihijche Volfsbühne, die doch gewiß be
beutend baftand, wurde von der beutfihen Kritik misachtet,
obwol fie durch ihre allgemeine Verbreitung bewich, daß fie
ein allgemein deutſches Nationalelement enthalte, obwol fie
durch Raimund zu wahrhaft poetifcher Bedeutung erhoben
wurde. Diefes traurige Misverhältniß mußte, wie es die Folge
eines politifgen Unglücks war, zur Steigerung und Verewi⸗
gung dieſes Unglüdd beitragen. Es war und ift ſchon hoͤchſt
betrubend, daß man von einer Öftreichifchen Literatur im Re⸗
ben: und @egenfag zur deutſchen fprach und alſo hier in Ber
zug auf einen fo großen und wichtigen Theil Deutfchlands auch
die einzige wirkliche Einheit zerriß, deren fich das viel zerrif-
jene Deutſchland zu erfreuen hat. Warum fprach man denn nicht
aud von einer bairifhen, preußifchen, ja nicht einmal von
einer fchweizerifchen Literatur? Selbſt was in Rußland ‚Deut
ſches erfchien, rechnete man vwohlgefällig zum allgemein deut⸗
fhen Gute, nur das Oftreichifche ſchied man aus!
Es kann und fol nicht geleugnet werden, daß an diefem
traurigen. UÜbelftand die Dftreiher ihren Antheil haben. Sie
gögerten de lange, fih durch würdige Offenbarungen als chen»
bürtige eifteögenoflen Deutfchlands zu beweifen, fie nahmen
zu lange blos paffiv empfangend am beutfchen Geijtesichen
Antheil. Dennoch ift das größere Unrecht auf Seite der deut:
[hen Kritit und Literaturgefchichte. Diefeß Unrecht ging fo
weit, daß man bei dieſer wichtigen geiftigen Beurtheilung les
diglich den Drudort enticheiden ließ und nur Das als äftreichi»
fe Literatur erkannte, was in Oftreich gedrudtt wurde, wo
man dann allerdings viel Grund zu verächtlichen Urtheilen fin
den Eonnte, aber dennody aus leicht begreiflichen Gründen un:
gerecht gegen die Oftreicher blieb. Wenn der Drudort entfcheir
den follte, wie ftände e8 dann 3. B. um denjenigen Theil der
franzöfifchen Kiteratur, die eine neue geiftige Epoche eröffnete?
Sind nicht Die meiften jener Schriften franzöfiicher Großgeifter
in Holland und in der Schweiz erfchienen! Dennoch fait es
Riemandem ein, ſie ven der franzoͤſiſchen Literatur auszufchei-
den; was aber oͤſtreichiſche Workämpfer in Leipzig, Hamburg,
Stuttgart drucken ließen, das rechnete man beifädlig zur deut»
ſchen Literatur und fuhr fort, die öftreidhifche in fpöttifchen
Anmerkungen abzuurteln.
Sn neuefter Zeit ift es aud in diefer Beziehung beffer
geworden. Oſtreich tritt immer fräftiger und freier als thäti:
ger „Mitarbeiter am großen Werk des deutfchen Geiftes auf,
ae an land erkennt freundlicher die Geiftesbrüderfchaft Oft
reihe an.
Das erfte und vorzüglichfte Verdienft Darum haben die oͤſt⸗
reichiſchen Lyriker. Sie haben DOftreich wach gefungen und lafs
fen es nicht wieder in dumpfen Schlummer verſinken. Dftreich
war vor Alters das Land des Gefanges, ift ed in neuefter
Zeit zeitwürdig neu geworben. Faſt jedes neue Jahr begrüßt
einen neuen öftreichifchen Sänger, und daß es fo vielen gelingt,
fih freie Bahn zu öffnen, die Höhen des beutfchen Geiftes
zu erfehweben und in der Tiefe des deutichen Herzens heimiſch
au werben, ift ein freudiger Beweis ihrer naturkräftigen, echt
deutfchen Dichterfendung. In rafcher Folge haben jüngft Mo:
rig Hartmann, Alfred Meißner und Albert Knoll ſich ins Licht
und Leben der deutichen Gegenwart und Bufunft gefungen und
fchon begrüßt Oftreih und das freundliche Deutichland einen
neuen freicifchen Frühlingsboten, Hermann Nollett.
Es wird Frühling in Oftreih! Dies ruft der Sänger mit
Lerchenjubel, ohne darum die Minterfchauer, die. Froftgefahr
zu vergeffen, die den Frühling bedrohen. Rollett's Gedichte
find im buchftäblihen Sinne eine Frühlingsbotichaft und Fruͤh⸗
ingsgabe. Wir begrüßen eine echte lieb» und freudenreiche
Dichternatur und zugleich einen Sänger, der das Wort des
großen Dichter verfteht und erfüllt: „Worte find des Dichters
Waffen!“ Mollett bringt politifche Gedichte, in denen bie
poetifche Kraft mit dem politifchen Muth gleich hoch fteht. Das
find Peine gereimten Zeitungsartikel! Und Rollett widmet feine
fühnen Lieder „feinem ſchönen Dftreich in Lieb’ und Treue“.
Seit Anaftafius Grün bat Bein öftreichifher Dichter ſolchen
edlen Yntriotitmus bewieſen. Rollett macht wie Grm wicht
egen red Dppofition, fondern aus Liebe zu Oſtreich gegen
igifche Übel. Hierin und in Folgendem liegt eine befondere
politiſche Bedeutung dieſes Buches. Es wurde biöher immer
fchreiend behauptet, die öftreicpifchen Dppofitiondfriftfteller
feien entweder unbefriebigte ehrgeizige Ariſtokraten/ ober arme
Schlucker, oder ungarifche und boͤhmiſche Geparatiften. Rollett
nun ift aus einer echt Öftreicdhifehen, fehr wohlhabenten, hoch
begünftigten Buͤrgerfamilie. Er liefert ben Beweis, daß auch
der wohlhabende äftreihifche Mittelſtand, den man gewoͤhn⸗
li in völlig gedankenloſer Zufriedenheit ſchwelgend waͤhnt, von
allen Bewegungen der Zeit mächtig ergriffen i) t.
Ic unterlafle es, dem Lefer aus dieſen Frühlingsliedern
eingelne. Proben mitzutheilen. Gine Blume macht keinen Früh⸗
fing, und bier blüht wirklich ein ganzer Fruͤhling. Auch will
ich nicht tadeln, obwol natürlich Manches zu tadeln ware, denn
eben der Frühling hat feine Unvollkommenheiten. Aber ich will
den Frühling nicht feriren.
Ber ein Herz, für wahre Poeſie hat und wer Die neue
geiftige Bewegung ſtreichs als höchft wichtig erfennt und an-
erfennt, Der wird bei diefen Gedichten Frühlingäluft empfinden
und von Fruͤhlingsahnungen erhoben werden.
Franz Schuſelka.
Urſprung des Worts Carmagnole.
Der unter dem Namen Carmagnole bekannte, urſprüng⸗
lich italienifche Tanz ift durch die Schreckensjahre der Einen
und untheilbaren Republif Frankreich zu entfegliher Berupmt-
beit gelangt. Uber den Urfprung des Namens bringt eine
englifche Zeitfchrift Folgende gefchichtliche Angaben, von benen
wir nicht entfiheiden mögen, ob fie mehr dem Roman oder der
Geſchichte angehören. Im Anfang des 15. Jahrhunderts lebte
am vechten Ufer des Po, nicht weit von Zurin, ein Hirten:
fnabe von 15 Sahren, der wegen ungemwößnlicher Kühn:
beit, die er in feinem Beruf gegen bad Raubthier und das
räuberifche Gefindel des Gebirgs gezeigt hatte, von feinen Ge⸗
noffen den Namen des „kühnen Schafhirten, Brancedco Bar:
tolomeo Buffone” erhalten hatte. Zu jener Zeit war ber
Krieg zwifchen den Freiſtaaten und den Dpnaftengefchlechtern
des obern Italiens heftiger als je ausgebrochen. Unter den
Häuptern der Eonbdottieri, welche je nach dem Lohn, den man
ihnen bot, gleich bereit waren, einer oder der andern Partei
u dienen, fand ein gewiſſer Fatino Eane in hohem Ruf, und
kein Nichtadeliger konnte in jenen blutigen Jwiften in den bei:
derfeitigen Heeren zu einer Befehlshaberftelle aufiteigen, der
nicht in den Rotten diefeß Häuptling6 feine Sporen verdient
patte. Eines Abends, ald der Hirtenjüngling fchlafend ne:
n feinee Heerde im Grafe lag, erweckte ihn der zuberrichende
Ruf eines vorüberreitenden Bremden. Aus feinen Zräumen
emporfahrend ftarrte der Knabe ben Reiter an, ber ihn mit
forfchendem Auge 'betrachtete und in die Worte ausbrach: „Das
ift eine Mannsgeftalt”, worauf Iener den Arm zum Schlage
gegen den Störenfried ausholend erwiderte: „Und eines Man⸗
ned Herz!“ Als der Fremde ihm jedoch zurief: „Ich bin Ba:
eino Gane, welder von unten auf in den Zruppen Bisconti’e
zu den höchſten Ehren cmporgeiliegen ift und ſich felbft zum
Fürften von Toͤrtone und Berceil gemacht bat, weil bie Welt
den Männern von Muth gehoͤrt“, lich der Züngling ben auf:
gehobenen Arm ſinken und verlangte Iheil zu nehmen an fei-
nem Ruhm und feiner Macht. „Hier iit der Schlüffel zu dei⸗
nem Herzogsſchloß“, erwiderte darauf der Fühne Abenteurer,
indem ex ihm ein glänzendes Schwert umhing. Neun Sabre
fpäter, im Jahre 1425 finden wir zum Manne gereift ben
Hirtenknaben wieder ald Graf von Gaftel nuovo, die Richte
des Herzogs von Mailand Philipp Maria, die fhöne Antoi⸗
nette Bisconti, in dem Palafte dei Broletto heimführend. Im
Berlauf- diefer Zeit war er vom einfachen Söldner zum Haupt⸗
mann und Feldhauptmann, berühmt geworden unter dem Na:
men Sarmagnole, endlich zur Grafenwürbe und zum Eidam
des Herzogs von Mailand emporgeftiegen.
Aber in feiner Bruft ſchlug nad wie vor ein warmes
Herz für das Volk und für Gerechtigkeit und Großmuth. Gr
wir der Abgott der Krieger und die durch das Schwert Bes
fiegten Völker feffelte ex in der Scunde des Siegs Durch weiße
Möfigung und Leutfeligleit an Mh. Das führte feinen Stu
herbei. Verbannt und alles Güter beraubt mußte er fein Be
terland verlaffen, nichts mit ſich nehmend als feinen Ruhm,
und daB beim Beginn feiner Heldenlaufbahn empfangene
Schwert, womit er ihn gewonnen. Die Sage geht, daß der
verbannte und geächtete Held von Allem entblößt und NRab-
sung und Obdach fuchend eines Abends in die Hütte eines
armen Landmanns getreten und feinen Namen genannt. De
fei die ganze Familie vor ibn auf die Knie gefunfen und das
jüngſte Kind babe von den Altern auf der Stelle den Ramen
Felix Glorioſo erhalten, weil e6 Tpielend den Griff des be⸗
rühmten Schwertes Garmagnola’s berührt. Er trat in Me
Dienfte der Republik Venedig; der Herzog von Mailand ſchickte
Meuhelmörder gegen ibn aus, um nach Art der Despoten
ihm die großen Dienfte zu lohnen, die er feiner Herrſchaft ge
leiftet. Carmagnola entging ihren Dolchen und bald darauf
empfing er in der. &t.: Marcusfirche aus den Händen des Do-
gen den Oberbefehl über alle Zruppen des Freiſtaats. Uber
er war Fein Dann nad den Herzen jener argmwöhniichen Ger
walthaber. Nachdem er durch cine Reihe von Siegen die
Macht der Republik befeftigt und ihr Gebiet vergrößert, warf
man ihn in ben Kerker, ließ ihn foltern und martern und
ſchleppte ihn endlih am 5. Juni 1432 zum Ridhtplag, wo fein
Haupt fiel.*) Man hatte es ihm zur Schuld angerechnet, daß
er 460 Kriegsgefangene in ihre Heimat entlaffen hatte; aber
der geheime Grund feined Todeburtheils war die unbegrenzte
Liebe und Unhänglichkeit, Die er fih durch Milde und Leutfes
ligkeit im Heer und im Volke erworben, während er nie Ger
legenheit gegeben hatte feine der Republik geſchworene Treue
zu verdächtigen. Das Boll aber, dem Carmagnola durch biu-
tige6 Urtheil feiner Zwingherren entriffen wurde, feierte ihn,
den Dann des Volks, den Hirtenknaben, den Gefährten Ka
eino Cane's, den Netter des Herzogs von Mailand, den Ber
ſchirmer Venedigs in Liedern, die zu den Volkstänzen gelun:
gen wurden; und fo übertrug fih nach und nad der Kamen
auf die Zänze felbft, welche ſich aus den fardinifchen Staaten
unter das Landvolk des mittägigen Frankreichs verpflanzten.
So geihah es durch eine feltfame Rache des Schickſals, daß
der Rame, defien Zräger einft wegen der Volksgunſt, die er
ji) erworben, von einer graufamen Nriftefratie unter das
Meſſer geliefert wurde, den entfeglichen Leichenfang bildete,
mit dem cin durd Verzweiflung zum Wahnfinn getriebenes
Volk die Opfer feiner Wuth, die „Ariſtokraten“ zum Fallbeil
Heleitete! | 26.
*) Aleffandro Manzoni's Tragödle „Il cante di Carmeguola” bes .
handelt bekanntlich diefen Steff. D. Red.
Literariiche Anzeige.
Durch ale Buchhandlungen ift von mir zu beziehen:
Die Palmen
in Kirchenmelodien übergetragen
- von
F. A. Koethbe.
Gr. 12. Geh. 24 Nor.
Der Inhalt ſowol als auch die typograpbifche Ausftuttung mıa-
chen dieſes Buch befonders zu Geſchenken geeignet.
Eeipzig, im Mai 1846.
S. A. Brockhaus.
Berantwortlicher Herausgeber: Heiunrich Wrodpaus. — Drud und Verlag von F. X. Brodhans in Beiyzig.
Bläti
für
literariſche un
Donnerdtag, — Nr. 127
Die preußifde Verfaffungsfrage und das norbifche
Princip. Von einem Öftreicher.
Bweiter Artikel.
(Bertfegung aus Nr. 130.)
In den morgenländifhen Märchen wird häufig er-
zählt: wie irgend ein Schah feinen Sohn unerkannt
und ſich ſelbſt unbewußt von früher Kindheit an bei ar-
men Pflegeältern habe erziehen laffen. Diefe morgen ⸗
laͤndiſchen Schahs, die befanntlih auch Könige von
Gottes Gnaden waren, zeigten dadurch, daß fie gute
Väter und Pädogogen waren. Schade, daß eine ſolche
Etziehung incognito jegt bei uns nicht mehr‘ möglich
und auch von ben fürftlichen Vätern nicht beliebt wer«
den möchte. Es wäre jedenfalls ein gutes Mittel, um
bei unfern jungen Prinzen jene abnormen Gharakter-
eigenfchaften zu verhüten, Die mehr oder weniger fo häu-
fig zum Vorfchein fommen. Ich erinnete nur an den
erzog Karl von Braunſchweig als befonders hervor-
flechendes Beifpiel. Man kann nicht fagen, daß berfelbe
an Verftandesverwirrung leidet, im Gegentheil ift er ein
gewandter und klarer Kopf; feine Krankheit liegt in ber
Sefinnung, in moralifchen Gebrechen von ſolch intenfiver
Abnormität, daß fie diefelben Wirkungen hervorbringen
wie ein geftörter Berftand. Die abnormen Charafter-
entwidelungen und tranfhaften moralifchen Zuftände in
fürftlichen Familien hat man durch die Hypotheſe einer
Ausariung, welche durch fortgefegtes Heirathen in zu
naher Verwandtſchaft hervorgebracht werde, zu erklären
geſucht, eine Hypotheſe, die allerdings der Theorie von
der Reinheit des Blutes ſchnurſtracks entgegenftcht.
Wir glauben übrigens weber an letztere noch an erftere,
und erflären uns jene nicht abzuleugnende Thatſache
krankhafter moralifcher Erſcheinungen ganz einfach durch
die widernatürliche moralifhe Stellung, in welche bie
Kinder vom erflen Augenblide ihres Lebens an zu den
Mitlebenden gebracht werden. Es gewährt in der That
wenn auch einen trüben, doc) intereffanten Anblid, wenn
man fieht, wie der ewige Grundfag fowol in der phy-
ſiſchen als in der morafifhen Welt: die Ertreme berüh-
ren ſich, auch hier in Erfcheinung tritt. Die moraliſchen
Symptome des Proletariats, gänzlicher Mangel an Re-
t vor den Rechten Anderer, vor der Heiligleit des
chame, hoͤchſte Sittenloſigkeit u, ſ. w., wir erblicken
voll zu empfangen und auszuführen, ober ehrfurchtsvoll
um feine Entlaffung zu bitten. In Beziehung ‚auf ehr⸗
furchtsvolle Gebräuche und Bitten gegen das Koͤnigthum
“möchte mancher abſolute Fürſt vielleicht ſogar ben König
von. England heueiden, nämlich, mas ben perfönlicen
Verkehr in ben Salons und bei officiellen Gelegenheiten
betrifft. Formel wirb die Eigenliebe des Monarchen
dort im mündlichen Verkehr ebenjo wenig verlegt wie
in abfoluten Staaten. Die Illuſion, die ihm fo ‚heuer,
wird innerhalb der vier Wände nie aufgehoben. Die
Preſſe dagegen ift zuweilen ein grober, ungeſchlachter
Geſeil, fie hält wenig oder nichts von Convenienz und
5 Nedensarten; fie firebt danach, Alles nid
tern und -fcharf beim rechten Namen zu nennen, und,
wenn ein Theil derſelben auch: die dem Koͤnigthum an⸗
geftammte Würde immer forgfam im Auge hält, die Illu⸗
fon von der Machtvollkommenheit deffelben aufs zartefte
font, fo gibt ed immer genug ungefchlachte Gefellen,
weiche - biefelbe ſtraflos verfcheuchen dürfen. Das num
ift es, was mancher abfolute Fürſt nie und: nimmer er-
tragen und verfchmerzen Tann. Wenn er auch recht gut
fühle, dag er in der That Feine unbedingte Machtvoll«
kommenheit befigt, daß er aud ohne Berfaffung dem
. Willen ded Volks auf die Länge Folge leiften muß, fo
will er doch den Schein von diefer Machtvollkommenheit,
von diefer. unbedingt freien Entſchließung beibehalten
wiffen. Es ſoll wenigſtens ſcheinbar Alles‘ aus Gnade
heroorgehen, auch das abfolute Muß. Und die freie
Preffe iſt es eben, welche diefe „gegenfeitige Gonvenienz
nicht immer fefthält, fondern oft aufs gröblichfte verlegt.
Das läßt ſich nun nicht leugnen, und alle beredten
Gründe unfers gutmüthigen Oftseihers für. die Preß-
freiheit; die er aus der menfchlichen Würde, aus umver-
äuferlichen Rechten ber Völker u. f. w. hernimmt, fie
werden dieſer Thatfache gegenüber, daß die freie Preſſe
Häufig das perfönliche Gefühl des Fürſten verlegen kann,
herzlich wenig helfen.
Weit cher moͤchte noch eine andere Betraͤchtung - eini-
gen Eindrud machen. Man muß nämlich doch allmä⸗
ig. die Erfahrung gemacht haben, daß auch die firengfte
Genfur folche: Verletzungen und. Kränkungen nicht: ver.
ten. kann. Es iſt diefes auch: ſchon höchſten Dres öfe
fontlich ansgefprochen: Die Genfur ift: als eine: unzu⸗
‚veigende. Maßregel erklaͤrit. Dex Geiſt iſt bekanntlich
etwas Immaterielles, er dringt übesall durch und laͤßt ſich
nicht einſchließfen. Iſt nun. einmal ein: malktiöfer, bos⸗
hafter, pietätsiofer Geiſt in dem Volke und. feiner Breffe
vorhanden, mill er ſuh einmal äußern, fo erfcheint in-
dev That die Cenſur als. eine. fo unendlich: ohnmäthtige
Maßregel Dagegen, daß fie den. Ginfichtigen- faft. nur.
noch ein. Zärhein abnöthigen Tann: Gin bischen flören,
weisen und chicaniren kann fie. dieſen ſchlimmen Geifſt
allerdings; aber. ihn wirklich nachhaltig hindern und hem⸗
men — wie kann man⸗ſe etwas nur für möglich hal⸗
tm! Im: Gegmmtheil) fie ſtachelt ihn ⸗ nur auf, macht ihn
boſer und böfer und: babe: erfinderifcher und: gemandten,
Yh-für meine Merſon ˖ z. B. mache-mich anheiſchig, wenn
ich es einmal darauf anlege, auch unter der allerſtreng⸗
ſten Cenſur mit der ſcheinbar trockenſten und unſchul⸗
digſten Miene doch ſo viele zweideutige, verkappte, tief
ins Fleiſch ſchneidende Bosheiten zu ſagen als ich bei
der vollſten Preßfreiheit nur immer koͤnnte. Iſt dieſer
Geiſt einmal vorhanden, fo bleibt weiter nichts übrig,
wenn man einmal nit Gewalt dagegen verfahren will,
al® alle Druderpreffen zerfchlagen und alle Papiermüh-
fen verbrennen zu laffen.
Iſt dieſe Betrachtung, daß in jegiger Zeit die Cen⸗
fur die perfönliden Kränkungen ebenfalld nicht verkin-
dern kann, ſchon von einigem Gewichte, fo möchte Daf-
felbe noch um: Vieles durch die Thatſache verftärkt wer⸗
den, daß fie eben ein viel feindfeligere® und refpectwibri-
ges Derhältni der Preffe gegen den abfoluten Monar⸗
hen erzeugt und unterhält, als es nur immer in einem
conftitutionnellen Staate, wo ber Fürft: aufrichtig und
ehrlich an der Conſtitution hält, gefehehen kann. Bon
hogern ethifcken Gründen verſpreche ich mir einmal
nicht viel; in dieſer Beziehung. bin: ich: wie gefagt jegt
völlig enttäufcht. Aber die: Gründe des gewöhnlichen
Vortheils und des Eigennuges, die ja überhaupt in her
tiger Zeit in Deutſchland fo überwiegend: find, die halte -
ich für außerorbentlich wirkſam. Sie werben die Ent⸗
ſcheidung herbeiführen, ſobald fie nur erſt eingeſehen finb:
Das monarchiſche Anſehen aber. muß bei der Genfur
und in einem abfolut -» monachifchen Staate unrettbar
zu Grunbe gehen. Wenigſtens in einer Zeit,. wo unter.
109 gebildeten Menſchen 90 Gonftitution und Preffrei--
heit verlangen. Es iſt freilich ebenfalls eine- triviale, all»
"gemein bekannte Thatſache, daß in einer. abfoluten Mon⸗
archie die gange moralifche Veranutwortlichkeit der Megie-
rung von ber Öffentlichen Meinung: einzig. und allein im-
legter und höchſter Inſtanz auf den Fürften ſelbſt zu⸗
rückfällt. Das geht Heutzutage aber fo weit, bag alles
Unglüd, was den Einzelnen betrifft, und flänbe es mit:
ben ftnatlichen Zufkinden in. noch fo .entferntem: Zuſam⸗
menhange, ftet® dem Fürften zur Lafk gelegt wird. Gr
ift in der That der Sündenbock niche nur für fämmet-
liche Beamte, ſondern felbft für bie: felbftverfehulbeten
Leiden und Thorheiten der Untertanen „Alles auf ben
König!" ruft Heinrih V. fchmerzli aus. Unb..in der
That, fe iſt es auch bei uns. Der König: foll regnen
und Sonne ſcheinen laffen, wie: edrber Einzelne wünfct.
Für jeden zurückgekommenen Nahrumgszuftand, für: jedes
missathene Kind, für jeden: umerfüllten Wunſch, für Us
les was ben Einzelnen brüdt, wirb der König. veranm.
wortlich gemacht. . Auch hier: wieder: bie Nemeſis, die ei⸗
nem falſchen Srunbfage ſtets auf bem. Fuße nachfelgt.
Nicht vergebens proslamist der Fürft fick: als ein höhe⸗
res Weſen, dem in: weltlichen ‘Dingen einzig: und: allein
Macht: und Intelligenz beimahne. Die üffentliche Mei⸗
nung nimmt ibn beim Worte, fie verlangt, baf die A-
macht und Allweisheit ſich praktiſch zeige; aber fie these
es. im umgelehrtn Sinnt. Denn während: fie. alkes.
Gute, was man. beftgt, unds alles Glck, defien man ger
nießt, als: ihr eigenes Berdleuſt ober als ſich von fekbfl:
werfisyenh. betrachtet, tmägt fie die Schuld jeglichen: Übel-
ſtandes dagegen anf das Haupt. Deſſen über, ber ja
- wach Gefallen glucklich machen und Segen fpenden kann.
Andexrs in. conflitutionnellen Staaten. Hier. weiß. daß.
Bolk, daß ihm die gebrasenen Tauben nicht in den Munk
Fliegen, ſondern daß es felbft Hand anlegen muß, wenn
es feine Zuftände verbeffern will. Weder die Erfüllung
der möglihen noch der unmöglichen Wünfche erwartet
e8 von einem. Könige, ber nur Das. ausführen Tann,
mad das Volk ſelbſt will und felbft vorbereitet‘ hat.
Hier wenden fi die Berflimmungen und Leibenfchaften
flets nur gegen die am Ruder befindliche Partei und
gegen die von ihr getragenen verantwortlichen Minifter.
Der König wird nie von ihnen berührt, denn er fteht
über den Parteien.
(Der Beſchluß folgt.)
Der ruffifih-türkifche Feldzug: in der europäiſchen Zäurkei
1328 und 1829, dargeftellt durch Freiherr von Moltke.
Mit Kartenund Plänen. Berlin, Reimer. 1845. Gr. 8.
3 Thlr. 15 Nor.
- Ref. muß offen geftehen, das vorliegende Werk um fo mehr
mit einigem Borurtheil: zur Sand genommen zu haben, als
Die. bisher über diefe Geſchichtsperiode erfchienenen Racyrichten,
foweit ſolche zu feiner Kenntniß gelangten, mehr oder weniger
eine flark' ausgeprägte Parteilichkeit für das ruffiihe Intereffe
beurfundeten , für welches aber Nef. nicht Die geringſte Sym⸗
pathie empfindet. Um fo angenehmer fand ſich derſelbe aber
auch überraſcht, ſchon auf den, erften Blättern der Einleitung
-umd in der darin enthaltenen Überſicht der politiſchen Verhält⸗
wiffe, unter welchen jener Kampf ftattfand, nicht blos einer
fehr anziehenden Form der Darſtellung, fonbern auch eimer
im ſehr edler Ausdrucksweiſe beurkundeten geſinnungsvollen
Meinungsunabpängigkeit des‘ Berf. zu begegnen. Freilich ift
eine yefinnungsuolle Meinungsunabhängigkeit Grundbedingniß
jeder Geſchichtſchreibung; aber zieht man in Betracht, wie in
den bisher von preußifchen Militairfchriftftelleen zu Bag ge⸗
fürderten Beiträgen zur Darſtellung jenes ruſſiſch⸗ türkiſchen
und Des polnifchen Krieges, oder übergaupt in jeglicher Mit
theilung über ruſſiſche Mititairzuftände,, faft oßne Ausnahme,
ein lautes Hoftanna des Ruſſenthums angeſtimmt ward, fo
wuh es um fo mehr dem Berf: zum Werdienfte angerechnet wer⸗
den, eine hiervon gänzlich abweichende Nichtung eingefchlagen
zu buben, ohne deshalb jedoch etwa im das enfgegengefinte
&picem verfallen zu fein: Es dürfte vielmehr in legterer Be⸗
ziehung eben die fo parteilofe Darftellung bed Berf. ſehr Bie⸗
126 dazu beitragen, Die in Deutfihland vorberrichende, etwas
geringfegägige Meinung: über das Dffenfiyvermögen Rußlande
angemeflen zu besichtigen umd fehr beherzigungswerthe Finger⸗
zeige zu geben, daß Deutſchland alle. UÜrſache haben —2*
den Einbruch eines ſelbſt nur 100,000 Mann ſtarken ruffiſchen
Imoafionsberrd als eine jehr große Gefaͤhrdung feiner Gelb:
fändigkeit und Unabhängigkeit zu betrachten, und daß es fehr
Roth thun würde, hlergegen alle Kraft: und allen Muth auf
zubieten, west — in dem ruffifdfen Heere Elemente Erieges
rifiher Tugenden zu finden fmd, bie nur ſchwer übertrofk
fen werden können. Dagegen belehrt uns der Verf. aber auch
wieber, daß ſchon blos wegen ter topographiſchen und Flima:
tigen Gigenthümlichleiten der auf: einem Zuge gegen Kon
ſtantinopel berührt werdenden Landſtriche die völlige Zertruͤm⸗
wmerung
Rußland keineſswegs eine ſehr leichte oder ganz gefahrloſe Un⸗
ternehmung, fein wuͤrde. Uherhaupt möchte das vorliegende
auf
der türkiichen Herriaft in Europa au jegt noch für. |
Werk hei: den darin enen, gedroͤngten, klaren unb le⸗
bendigen und deshalb mehrfach als muſterhaft au bezeichnenden
Darſtellungen der Begebeaheiten und Zuflände *) vielfachen
derartigen Nefkgrionen geben und unter. Anderm dar
binweijen, wie feltfam oft eine gewiſſe Jronie des Schich⸗
fals ın dem Leben der Menſchen wie in jenem der Völker und
in der Geſtaltung ihrer ſocialen und kriegeriſchen Inftitutionen:
ſich geltend macht. Als eine ſolche Ironie. des Schidfals iſt
es 3: B. zu bezeichnen, Daß, nachdem ſich Rußland (ber größte
Militairſtaat der Gegenwart) fieben Jahre lang. zu jenem
Kampfe vorbereitet hatte, :die Eröffnung des Feldgugs Doch
nur erſt zu ſehr ſpaͤtet Jahreszeit und mit völlig ungenü:
den Streitkräften begonnen wurde, und auch das fiegreiche
de des ganzen. Krieges ſich an den äußerſten Eulmimations:
punkt der Invaſion und an das Blendwerk eines Heer am
Inupfte, wad im vollen Wortfinne bis auf den bloßen Nur.
men zufammengeichmolzen war.
Bei der großen Gedraͤngtheit ber Darftellung ift übrigens
ein tiefere Eingehen auf das @inzelne ber Begebenheiten nicht
wol: thunlich, Dagegen glauben win einige auf Die. innern
Berhältnifie des ruſſiſchen Heers Bezug habende Beſonder⸗
heiten naͤher ins Auge faſſen zu muͤſſen. Wenn es uns naͤm⸗
lich ſchon ungemein befremdete, daß Der Operationsarmee nur
AO Koſacken beigeordnet waren, weil man wol weit eher
hätte erwarten Finnen, daß diefe Gattung von Reiterei in’
Folge ihres in den Feldzügen von 1312 und 1813 (allerdings
weit über alles Verdienft) erworbenen Rufes in Überzahl her⸗
angezogen worden wäre, fo überrafchte es Ref. vollends aufs
äußerfte, daB überhaupt die vuffifche MMeiterer, von deren
Pracht der Ausrüftung und Vollkommenheit der Ausbildung
und unter Anderm Graf Bismark doch Dinge erzählt, die an
das Maͤrchenhafte grenzen und die ber Behauptung jened edlen
Srafen zufolge in der Perjon ihres Kaifers einen veritabeln
Seydlig befigen fol, durch die auf tatarifchen Sätteln in
"franzöfifcden Steigbügeln und türkiſchen Hoſen figende, mit.
engliſchen Saͤbeln und belgiſchen Piltolen nach franzoͤßſchem
Reglement fechtende osmaniſche Reiterei, namentlich bei Ba:
ſandſchick und Kosludfcha, völlige Niederlagen erlitt, und über
haupt nirgend ein entſchiedenes Übergewicht zu erringen ver:
mochte. Diefed Vorkommniß erfchien Ref. aber um fo uner⸗
klaͤrlicher, als doch die fo vielfach und nicht ganz mit Unrecht
verhöhnte franzöfifche Reiterei in ihren Chasseurs d’Afrique
eine Truppe befigt, welche zur Zeit weder durch Abd⸗el⸗Kader's
femicivilifirte noch durch die arabifhe Naturreiterei jemals.
eine Niederlage erlitten bat, obwol weder der Parademarſch,
in Escadrons, Front und im Galop, noch der Springmarſch —
Kopf an Stiefel — zu ihren Zacultäten gehören möchte. Sollte
vielleicht der Shläfel. zu Ddiefem Gontrafte darin gejucht wer»
‚den müflen, daß der in alten feinen Reformen fo unglückliche
Beherrſcher ber Gläubigen auch bei den auf der Ebene von
Daud⸗Paſcha geübten Cavaleriemanoeuvres nicht dazu gelangt
war, aus feinen Timarlys und Spahis das natürliche Unges
ftum fo vollig heraus zu erorcifiren ala fein Baiferlicher Bru⸗
der aus feinen Kleinruſſen auf den Platz Parads zu Peters⸗
burg und Mosfaut Güte überhaupt nicht auf jemen Plag
Yarade das moderne Paradesiinwefen berangereift und von da
. aus (wie die Cholera aus den indifchen Dichungelm) fi über
einen: großen heil von: Europa verbreitet haben; und follte
namentlich nicht: Schamyl in: der Parade der ruffifgen Infan⸗
terie einen mächtigen Verbündeten verehren dürfen?‘ Wenn.
dieſes der Fall wäre, dann würde Mef. ein begeifterungsvoller
Anhänger Des ruffiihen Parabewefend werden und es ihm zur
großen Befriedigung gereichen, wenn der moſkowitiſche Bus:
enträger auch ferner noch, unter einer Laſt von 61 Pfund,
im: Gtleichtritte und in ſchnurgleicher Richtung (%) tirailliren und
* Wie: 5. B. die S. 93:93 enthaltene Darftellung bed Stur⸗
mes auf Brailow und die &. 162-198: enthaltene: Grzähfung de®
Gefechtes bei Kuptstepe unweit Verne.
die Artillerie ſtatt in Sch en, etwa im! — Zraveriren
ſich auszeichnen würde; aber freilich praeterea censeo, pas-
-sum ceremonislem in Germania abolendum esse.
Bon ganz befonderm Interefie find namentlich auch noch
die Darftelungen der gerundet von Brailow, Barna und
Siliſtria, und es wäre fehr zu wünfchen, daß desfalls das
vorliegende Merk des Verf. von Bundeswegen für die Bun⸗
desfeftungs » Bibliotheken angefchafft würde. Preilih würden
die Baudirectionen von Ulm und Raſtatt fi Hieraus eben
nicht viel Raths erholen Fönnen, wol aber bie dereinſtigen
Commanbanten diefer vr ein Bild vor Augen geftellt fin-
den, wie nachdruͤcklich ſelbſt die allerelendeften Bereftigungen
vertbeidigt zu werden vermögen, wenn es den Bertheidigern
nur nicht an Muth und an Ausdauer gebricht. Hieran aber:
und abermals zu erinnern dürfte um fo zeitgemäßer fein, als
aus Anlaß der Befeftigung von Paris ein übelverftandener
atriotismus hin und wieder hoͤchſt wunderliche Anſichten ent:
altet bat, deren Gonfequenzen nur zu einer fehr beklagens⸗
werthen Afterpbilanthropie hinführen würden, wie denn i B.
erſt ganz kuͤrzlich Die berliner „Militair⸗Literatur⸗geitung (1845,
Rr. 42) der preußiſchen Feſtungßcommandanten des Jahres
1806 als zum Theil duch ihre Bürger: und Menſchenfreund⸗
lichkeit irregeführte und deshalb bebauerungswürbige Unglück⸗
id erwähnte. Möchte man ba nicht ausrufen: D! ihr guten
Menſchen aber fchlehte Mufitanten —? Solche Menthen:
- freundlichkeit iſt wahrlih eine fehr übelangebracdhte, denn im
Kriege heißt ee:
Liege, wer will, mitten in der Bahn,
Sei's mein Bruber, mein leibliher Sohn,
Zerriß mir die Seele fein Iammerton,
über feinen Leib muß ich jagen,
Kann ihn nicht ſachte bei Seite tragen.
Darum bewahre und auch Bott in Gnaden vor folden Men:
fhen» und Bürgerfreunden wie Bade und Conforten, und '
fende uns lieber ein halbes Zaufend jener ruchlofen Arnauten,
ba fie uns lehren den Fuß der Brefchen unferer Zeiten zu
vertheidigen, wie in Brailow, Varna und Siliftria gefchehen.
Entfegensvoll ift, was der Berf. in einem Anhange über
die Verheerungen mittheilt, die Krankheiten aller Art und na:
mentlich die Peſt unter dem ruffifhen Deere angerichtet hat:
ten, denn baflelbe Yerlor vom Mai 1828 bis Februar 18
die Hälfte feines ausrüdenden Stande, und am Ende des
Jahres 1829 Lehrten von 66,000 GStreitern, die den Feldzug
von 1829 eröffnet Hatten, gar nur 10— 15,000 Mann über
den Pruth zurüd; da 3. B. allein im großen Hofpitale zu
Adrianopel von 6000 dafelbft zurüdgebliebenen Kranken 3200
eine Beute des Todes geworden waren. Wahrli weniger ob
der blutigen Schlachtfelder mit ihren Todten und Berftüm:
melten, als ob der Gräuel der Hofpitäler iſt der Krieg als
ein Fluch der Menfchheit zu bezeichnen, denn
' Gluͤckſellg wen ber Tod im Siegesglanze
Den blut’gen Lorber um die Stirne windet.
Was die beigefügten Pläne und Karten betrifft, fo erfül-
len folcde zwar ihren Zweck vollkommen, indeflen find wegen
Kleinheit der Schrift viele Orte auf der Überfichtöfarte ſchwer
aufzufinden.,
Ref. glaubt übrigens fein Schlußurtheil am beften durch
die Bemerhung auszudrüden, Daß, fo viel er ſich erinnert, ihm
„in nwerer Zeit Feine kriegsgeſchichtliche Arbeit vorgelommen
ift, die er mit gefteigertem Interefie durchlefen und mit ei-
ner relativ größern Befriedigung aus ber Dand gelegt babe
ald die vorliegende. Um übrigens unfern Lefern wenigftens
doch eine Probe von der ——— des Verf. mitzu⸗
theilen, wollen wir unſern Bericht mit folgender auf das Ge⸗
rathewohl der &. 397 entnommenen Stelle ſchließen, welche
fich auf die Annahme der ruſſiſchen Friedensbedingungen von
Seiten des GSultans bezieht:
Berantwortlicher Heraußgeber :
„Lange vwiderftand Sultan ud ben Pleinmüthigen
Rathſchlaͤgen feiner Minifter und dem Drängen der fremden
Mächte, von denen Feine ihn im Kampfe unterftügt, keine in
ber Lage war, ihm im Walle gänzlichen Unterliegens beizu⸗
fpringen. Thraͤnen follen dem unglüdlichen Fürften über die
Bangen gerolit fein, als er am 14. Sept. genöthigt wer,
feinen eifernen Willen vor der noch härtern Gewalt der Ber-
bhältniffe zu beugen und wochenlang verfchloß er fih in feinem
Palaſt zu Iherapia, wie in feinem Innern vernidtet. Denn
mit jenem Vertrage unterzeichnete er zugleich das Geſtaͤndniß,
daß das Gtreben feines ganzen Lebens ein verfehltes geweſen
ſei. Stroͤme von Blut waren vergoflen, bie alten Ginricgtum«
en und das geheiligte Herkommen feines Landes zerftört, der
laube und der EL eines Volkes untergraben worden für
den Zweck der Reform. Und diefe Reform? Das Gottesur-
theil des @rfolgs hatte fie verdammt.”
MR. von Ditfurth.
eiterariſche Notiz aus England.
Indianiſche —A en.
Dem in Rr. 155 d. BL f. 1845 erwähnten erſten Bande
der „Indian tales‘ von Percy B. &t. John ift ein zweiter
gefolgt: (London 1845), deſſen Inhalt: „The enchanted
sock, a Comanche legend’, weder ber „Trapper's bride”
noh der „Rose of Ouisconsin” an Intereſſe nachfteht.
Man fieht es auch diefer Erzählung dushweg an, baf
der Verf. feine Kenntniß ded wilden teranifchen Lebens —
denn Xerad ift wieder der Schauplag — nicht aus Bü—
bern zufammengelefen, fondern an Drt und Stelle einge⸗
fammelt bat, daB er Augenzeuge geweſen ift von ben Befeh-
dungen der einzelnen Stämme, von ihren nächtlichen Überfällen,
ipres Flucht und Verfolgung, ihrer fieggekroͤnten Ruͤckkehr zu
ihren Zelten, ihren Zänzen, Gefängen und Feſtlichkeiten. Die
in „The enchanted rock’ abgefponnene Intrigue ift zwar eben⸗
falls fehr einfach, doch hängt ihr ein gewifles geheimnißvolles
Weſen an, das allein binreichen würde, die Aufmerkfamfeit
vom Anfang bis zu Ende zu feffeln. Umftände, die wahr oder
erfunden fein Bönnen, haben zwifchen einem Engländer Namens
Mainwaring und dem jungen Buffalo, Sohn eines Häuptlings
der Comanchen, einen innigen Freundſchaftsbund geftiftet, in
defien Folge Erfterer die verftchlenen Zufammenfünfte des Le
teen wit feiner geliebten Kitjear- begünftigt, ohne daß Buff
ahnt, was der Engländer für die fchöne Indianerin empfin⸗
det. Plöglich werben die Comanchen vom Lepau » Stamme zur
Nachtzeit überfallen, aber nicht gefchlagen, und am folgenden
Morgen wird zwifchen den feindlichen Stämmen ein Buͤndniß
gefchloffen, zu deſſen Bekräftigung ein Lepau: Häuptling bie
ſchoöne Kitfear zur Frau begehrt. Diefe weigert fih und wil⸗
ligt endlih nur ein, dafern es ſechs Männern vom Lepau«
Stamme gelänge,,- bei einem ihr zu gebenden Borfprunge fi
ihrer zu bemädtigen. „Bringt Kitfear ein flüdhtiges Roß”,
fagt fie; „laßt bis zum MWaldesrande mich voraus; dann mö⸗
en fechd tapfere Lepau: Männer ihre Noffe befteigen und mir
olgen.“ Ehe der Wettritt beginnt, halten Mainwaring und
Buffalo ein langes, ernſtes Geſpraͤch. Sie find zugegen, als
Kitfear über bie Ebene fprengt und gefolgt von ſechs Lepau⸗
Männern unter den Bäumen verfhwindet. Dann find Beide
nirgend mehr zu fehen. Graufiges gefchieht im Waldesdun⸗
Bel. Bier der fechd Verfolger wälzen ſich in ihrem Blute; die
zwei andern entfliehen. Kitfear begegnet dem Gngländer.
Seine Wangen find bleih, feine Augen haften am Boden und
halb getrocknetes Menſchenblut Hebt an feinem Sanbmefler.
Der junge Buffalo Pehrt nie zurud in den Wigwam feiner Bä-
ter, Kitfear wird gefangen zu den Zelten des Lepau⸗Stammes
gebracht und der Schluß der Erzählung — bieibe under»
rathen.
Beinrich Brockdand. — Druck und Werlag von F. E. Wroddans in Leipzig.
ini Be
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
weeußiiche Verfaffungäftage und das norbifche
Princip. Bon einem Oftreicher.
weiter Artikel.
( Beſchlud aus Nr. 18.)
Und diefe natürlicht In der Belt und den MWerhält- |
niſſen begründete Richtung ber Gemiüther, die mit Bit⸗
terkeit dem abjoluten Fuͤrſten jegliche Verankwortlichkeit
aufladet, fie wird durch eine unter ber Cenſur ſchmach⸗
sende Prefſe fortwährend genährt umd gefördert. Go
kange Genfur befteht, beſteht ein beidenſchaftlicher, unver⸗
[ähnlicher Kriegszuſtand zwiſchen der gefammten Schrift
flellerwelt und der Gewalt, welche fie hemmt, genirt und
drückt. Und diefe Gewalt wird durch den König wie
beram einzig und allein repräfentiet. Es ift ber koͤnig⸗
Ihe Wille, der für jede Unbill eines Cenſors verant«
wortlich gemacht wird. Auf ben König ſchießt bie Preffe
alle ihre. vergifteten Pfeile ab, er ift das Ziel, wohin
fie ihre Gefchoffe richte. So lange die Cenſur eriflirt,
gieicht die Preſſe einem tückiſchen, boshaften Sklaven,
ber in feine Kette knirrſcht und in gr en fein
Kaum ift für bilfige Anerkennung und erechtigkeit.
JZemchr man ihn feſſelt, deſto mehr verſtockt er ſich in
ſeiner feindſeligen rr und ſelbſt die gutmuͤthig⸗
ften und wohlwollendſten Charaktere werden zuleht won
dem Fanatismus des Haffes angeſteckt. Der heimliche
Krieg gegen den Herrn wird zur Ehrenſache, zur Lebens-
aufgabe, zu dem ſich die wechſelſeitig immer
von meuem anſtacheln und wozu die Sklavenaufſeher
täglich neuen Zunder hinzutragen. Werh arge Verblen⸗
bung, wenn man ſelbſt eingeſteht, daß die Cenſur nicht
im Stande ift, die boͤswillige Gefinnung der Preffe zu
untesdrüuden, und wenn man dennoch diefe demnach ganz
nugtefe Gewaltmaßregel, wodurch nur immer mehr 5
6 Fener gegoſſen wird, fortbeſtehen Täft! ‘So fange
Man noch wähnte, durch policeiliche Gewalt jebe mis⸗
liebige Richtung der Preſſe abwenden zu koͤnnen, fo
lange hatte die Genfur menigflens einen logifchen Sinn,
wenn fie auch in ethiſcher Beziehung wit zu recheferti⸗
en geivefen wäre. GSie war wenigfiens ein Mittel, weh
—* zum Zweck führte. Aber von dem Augenblicke an,
wo mon fie als zweckloſes Mittel erkannt hat, it fie
and, ein logiſcher Widerſpruch. Wan bem Augenblicke
. an, wo man einſah, daß bie Die Geſinnung der Preffe
den einzig möglichen Berſuch, die gereiste —
ſaͤnftigen, und ben immer erneuten Angriffen ihre Mo⸗
Sen bezwingen konnte. Und das Necept für biefe ran
et, es 45 in einer vollen, ganzen Doſis von Com
itution und Preßfreiheit.
Die Dipkomatın m ihren Salons und die ganze
Beamtenfchar, fie wiffen nicht, wie bei den jetzigen Zus
ftänden das Anfehen der Krone ſchon auf das gefähr-
lichfie untergraben ift und täglich mehr untergraben wird,
Sie follten nur einmal unter dem Wolle leben, und bie
gereiste Stimmung, bie ſich in ben legten Jahren mis
riefenhafter Progreffion entwidelt hat, beobachtet haben.
Und wenn fie aledann aufrichtig monarchiſch gefinnt wi-
ven, wenn ihre Liebe für die Perſon des Fürften Teine
bloße Phrafe, Feine Heuchelei ik — was bei gar vielen
diefes in condentionneller Mbrichtung und reiner "Gribfi-
fucht erzogenen Claſſe leider nur zu häufig der Fall fein
möchte —, dann werben fie felbft mit mir ausrufen:
Nein, diefe Stellung der Krone ift nicht mehr haltbar.
Die beiben Säulen, bie wir ihr untergeſchoben haben,
daß göttliche Recht und Die Cenſur, fle A mörfch und
müffen näcftens zuſammenſtuͤrzen und in khrem Sturze
Alles zerſchmettern, was auf ihnen ruhtei — Dann
werben fie wit in den Herzen ber Menfchen er-
blicken, wie hohe Seit, auch ſchon bles vom Seanbptınäte
eines gewoͤhnlichen Vortheils aus gerechnet es fei, daß
dieſe ſcheindaren Freunde der Perſon des Mimarchen,
Cenſur und Abſolutismus, aufs ſchleunigſte aus feiner
Umgebang entfernt werden müffen, wril ſie in ber That
heimlich fehtintmflen Todfeinde find. Wee zeſagt,
ich, enthalte mich weisfich alter Höhern hen, Hiftochfiße
philoſophiſchen, aller chriſtlichen Gründe für dieſe Sache,
Ich mag unferm gutmüthigen Oftreicher nicht auf die⸗
ſem Gebiete folgen, welches von den Becheiligten bed)
- haben, auffallend fcheinen, daB gerade die Überfegung eines
"Ihn für einen Parteigänger Heliogabal’d. JIridion widerlegt
„80 :
nicht anerfannt, fondern mit den beliebten fiehenden Aus-
drüden: „Hohle Theorien, feichte Declamation” u. f. w.
abgefertigt wird. Ich fpreche einzig allein nur von dem
Bortheile, hört ihr, von dem nädften, auf der Hand
liegenden, nadten, nüchternen Vortheile, von dem. per-
fönlichen Intereſſe, was doch leichter verftanden: zu wer⸗
den pflegt "und für welches man leichter offene Ohren
bat. ber freilich, das wahre perfönliche Intereffe wird
in diefer von Leidenfchaften, Gitelteiten und Gelüſten be⸗
berrfchten Welt faſt ebenfo ſchwer verftanden als die
moralifche Chrijtenpflicht.
Der Artikel ift jegt ungefähr lang genug; alfo möge
ein folgender die Verfafſungsfrage auf fpetiel preußiſchem
Gebiete weiter verfolgen. *)
8. von Florencourt.
Iridion in Rom. Nach dem Polniſchen bearbeitet. Ber⸗
lin, Hermes. 1846. Gr. 8. | Thlr. . °
Es konnte, wie fi nun einmal die Verhältniſſe geftaltet
polnifchen Werkes geeignet befunden worden, der deutſchekatho⸗
lifchen Sache gewidmet zu werden. Aber bei Lefung des Buche
erflärt ſich diefes leicht und zwar in doppelter Beziehung, in
Bezug auf welche das Werk freilich kaum als ein echt polni-
ſches betrachtet werden kann, fodaß es beinahe als ein Euphe⸗
misnuss ericheinen muß, wenn ber Überfeger im Vorworte be
merkt, daß die polniſche Kritik in ihrer Auffaffung deſſelben
geteilt fei. Der Inhalt ift biefer. Ein Grieche Amphilochos,
ein Nachkomme des Philopömen und von glühendbem Haſſe ge
gen die Römer erfüllt, lernt an der cimbriſchen Eherfones,
die er als Kaufmann befucht, die Tochter des greifen Herrſchers
Sigurd, Griemhilde, eine Priefterin bed Odin, kennen und
führt fie als Gattin in feine Heimat. Hier wird ihnen ein
Kinderpaar geboren, Gifinoe und Iridion. Auf ben Legtern
übertragen fie ihren beiderfeitigen Roͤmerhaß. Er fept fich Die
entfchiebene Aufgabe, Die Romermacht zu flürgen und Die „ewige
GStabt vom Boden zu vertilgen. Befonders feuert ihn Dazu
ein alter SHave feines Vaters, Mafıniffe, an. Jridion fegt
ſich zur Ausführung feines Zweckes mit Alerander Severus
in Berbindumg, welcher auf Aufruhr gegen Heliogabalus finnt,
er fucht die Chriſten zu gewinnen, er richtet fi) an den Kai
fer felbft, um ihn zu Tollheiten zu bewegen, wie z. D. na
Rero's Beifpiel die Stadt anzuzünden, ja er fucht feine Schwe⸗
fer Eifinoe zu bereden, ſich demfelben preiszugeben, damit fie
on als Maitreffe beherrſchen Fönne. Aber die Epriften wollen
nur dulden und lieben, und nicht Fämpfen, Elfinoe übt den
ihr zugemutheten Einfluß auf den Eindiihen Herrſcher nur in-
foweit aus, als fie eb als fpröde Beliebte thun Tann, und Jri⸗
Dion unterliegt gegen Alerander Severus, mit dem er fich nicht
verbünden Tann, weil er in ihm nur einen neuen und bazu
mächtigern und kraftvollern Vertreter ber römifchen Bröße fiebt.
Dies Alles hätte noch nichts Auffallendes; im Begentheil muß
man infoweit den Inhalt echt national Bernifß finden — benn
es handelt fid) von dem Jahrhunderte lang fortgährenden, im:
mer wieder ausbrechenden und bis zur Selbflvernichtung gegen
die ftärkften Feſſeln anmwüthenden das einer gefnechteten Na⸗
tionalität gegen ihre Unterdrüder. find in Diefer Beziehung
wahrhaft. claſſiſche Stellen in dem Gedicht. Wir führen eine
kurze Scene an. Ulpian ift an Jridion abgefendet, Iribion
aufzufodern, fi) nad mehrtägigem blutigen Kampfe in den
Straßen Roms endlih dem Sieger zu ergeben. Ulpian hält
») Den druten Yrtlfel theilen wir im nähen Ronat mit. D. Mer.
bis. Ulpian: Kür wen Fämpfft bu denn und gegen wen?
Iridion: reis, das find lange Geſchichten! Ulpian: Alexan⸗
ber Severus war ſtets gnaͤdig gegen dich. Sridion: Auch iſt
er nur ein kleines Theilchen meines Haſſes. Ulpian: Sprich
enn, wer iſt dein Feind? Irid ion: Saget dem Tauben und
linden, faget o Brüder, wer vertrieb euch vom betretenen
Wege des Menſchengeſchlechts und zwang euch zu wandeln bie
Pfade der Finfternig — wer drüdte von der Bicge an euch
das Merkmal des Durfles und Hungers auf die Stirn — wer
geftattete in fpätern Jahren euch nicht Weiber zu lieben und
euh zu fegen an die Flamme bed häuslichen Herdes? Chor —
aus Sladiatoren beftehend, die aber die, Sprößlinge der edelſten
roͤmiſchen Familien find, welche die legten Kaifer proferibirt
oder in die Verbannung gejagt — Roma! Iridion: Wer
ſetzte, felber fterblih, auf die Roth und Schmach der Sterb⸗
lichen feine füßeften Hoffnungen — wer pried den Sohn Mi:
thridat’s, da er die Hand gegen den alten Vater erhob — wer -
lud die Berrätber des Südens und die Verräter des Rordens
zu feinen Zeftgelagen — wer leerte bis auf Die Hefen die Schale
des Weltelends? Chor: Roma! Iridion: Wer beraufchte fich
im Nektar von Zhränen und im Nektar von Blut? Chor:
Roma, Roma! — Allein, und dies ift das Eigenthümliche,
bei dieſem Haſſe foll eb nach des Dichters Unficht nicht bleiben.
Zener Mafiniffa, welcher den Iridion zu demfelben unaufbör-
ih anftachelt, ift Riemand anders als der Teufel felbft.
Der Überfeger erinnert felbft an den Fauſt; er fagt, es verför-
pere ſich in Jridion ein Princip, das in.der Geſchichte immer
wieder erfcheine; derfelbe fei eben Das in der Welt der Er-
fheinung, was Fauſt in der ded Gedankens. Auch ift der
Schluß geradezu dem Gorthe’fchen „‚Zauft” entlehnt; Jridion
wird aus den Händen des Satans errettet, einerfeitd zwar,
weil er nicht ſowol Rom gehaßt als Griechenland geliebt babe,
ſodann aber-um eines Ehriftenmädchens. willen, das ihm nah
verbunden war. So wird bier alfo jener alte Nationalhaß in
feiner eigenfinnigen Firirung als das Böfe aufgefaßt. „Der
den bramatifirten Inhalt durchziehende Grundgedanke ift das
Princip der Race”, fagt der Überfeper, „das ſich in der Welt⸗
geſchichte als Weltgericht darftellt und Durch verfchiedene Sta-
dien der menſchlichen Gmtwidelung fi zus Geltung bringt,
doch endlich einer hohern Macht weichen muß, die fih aus den -
Ideen bes Chriftentbums in die heidniſchen Berftellungen der
alten Welt Singang verfchaffte. Dies ift die Eine Beziehun
in weldher das Werk dem obligaten Polenthbum fremd if. Die
zweite liegt der Beförderung der beutfch-fathofifchen Sache noch
näher. Iridion fieht allerdings noch im Kaufe der Jahrhun⸗
derte, die er vermöge der Zauberkunſt des Mafiniffa durchlebt,
bie tiefite Erntedrigung Roms. Worin befteht ſie ‚Im Gange
der Baſilika ftehen zwei Greife in Purpurmänteln, Möndse bes
rüßen fie mit dem Ramen Fürften der Kirche und Bäter —
ihren Gefihtern ift Gedankenarmuth eingegraben. Sie fleigen
in einen Wagen — ſchwarze dürre Pferde ziehen fie und him
ten fteht ein Diener mit einer Laterne, wie fie der Water hält
über dem Kinde, das vor Hunger fticht, und an den Rahmen
des Fenſters und an den Leiften des Baus ſchimmert ein Neft
von Vergoldung! «Ss find die Rachfolger der Eäfaren, es ift
ber Wagen der capitolinifhen Kortunan», fprach der Führer und
der Sohn Griechenlands fchaute und klatſchte in die Bände.”
So viel über den Inhalt des merfwürdigen Buches. Was nun
die Som betrifft, fo iſt es freilich ſchwer, über bas Werk ei-
ner fremden Literatur zu urtbeilen, denn eine jede hat darin
ihr eigenes Maß des Erlaubten; au muß Mandyes, was fo
wie ed im Driginal gefaßt ift überall erlaubt wäre, aus fei-
ner beimifchen Atmofphäre herausgerifien, aud in ber beften
erfegung fremdartig erfcheinen. Doc darf nicht verfchwicgen
werden, daß hier Manches bis zur Unverftändlichkeit ſchwülſtig
iſt. Auch tft die Compofition bes Ganzen durchaus formlos.
Den Unfang bildet eine Einleitung , in welcher in dithyrambi-
ſchem Schwunge die Geſchichte des Anwhilochos und der Grieum-
bilde erzählt wird, Dann folgt die Unternehmung JIridion's im
sl
om als sin vieractiges Drama, und den Schluß bildet wieder
eine Anzahl theils erzählenter, theils ſchwungvoll betrachtender
Aphorismen. Noch muß beurerdt werden, daß die griedifchen
KRomen faft ohne Ausnahme falſch gefchrieben find, z. B. Mitra
ſtatt Mithras, Thyreſias u. dergl. Es mag hierin im Polni⸗
Iden wie im Franzoͤſiſchen eine befondere Obfervanz beftehen,
ber diefe hätte nicht ind Deutfche übertragen werden iolen.
Literarifhe Notiz aus Franfreid.
Beurtheilungen deutfcher Don —
Unfere deutſchen Buflände finden in ber franzöſiſchen Preffe
eine immer allgemeiner werdende Berudfichtigung. Es iſt nicht
verdennen, daß in der letzten Zeit nicht nur das Interefie
ndern auch die Sachkenntniß ſehr gefliegen iſt. Deflenunge:
achtet darf man nod Fein allzu großes Gewicht darauf legen,
wenn man in den &palten einer franzäfifchen Zeitfehrift die
Namen unferer hervorragenden GBeifter in bunter Auswahl an:
“ geführt findet. Dies kann höchftens als Beweis dafür gelten,
daß ein oberflaͤchliches, jebes tiefen Verſtaͤndniſſes ermangeln⸗
des Coquettiren mit deutſchen Namen einigermaßen Mode ge⸗
worden iſt. Es gehoͤrt nun einmal zum guten Zone, Goethe,
Leibnig oder auh wol Schlegel anzuführen; aber wenn man
diefe Schriftfteller in den Spalten der Zournaliftif oder in der
feinern Converfation figuriven ſieht, fo folgt daraus noch kei⸗
nesſswegs, Daß ihre Werke in Frankreich au nur einige Ber:
breitung gefunden haben. Gegenwärtig haben wir ein Wert
erhalten, welches Aus einer fehr genauen Belanntfchaft mit
Deutichland Hervorgegangen zu fein ſcheint. Es führt den Zi»
tel: „Des Allemands par un Francais.” Diefe getftreiche
Schrift, welche in unfern politifchen Blättern bereits mehrfa
SBeiprechungen hervorgerufen bat, darf auch in diefer Zeitfihrift .
nicht mit Stillfchweigen übergangen werden. Wir kennen den
Verf. nichts aber fo viel geht aus feiner ganzen Darftellung
hervor, Daß er ſich mit den deutfchen Verhaltniffen vertrauter
gemacht hat als mancher Deutfche. Obgleich er ſich von aller
nationalen Befangenheit ziemlich frei gemacht bat, fo verleug-
net er doch ben Franzofen infofern nicht, als er überall, wo
fih die Belegenheit ungezswungen bietet, auf Frankreich und
die franzöfifhen Zuftände Bezug nimmt. Dieb geht aber nie
fo weit, daß dadurch fein Blick getrübt, feine Auffaffung ver-
Ichoben würde. Befonders zeigt fich dies in der Partie, wo
es eine möglichft unparteiifche Parallele der Franzoſen und der
Deutfchen in Bezug auf ihre Eharaktereigenthümlichkeiten ent:
wirft. Hier tritt uns eine fharfe Beobachtungsgabe und eine
| feltene Unbefangenheit entgegen, melde eine um fo größere Un:
erkennung verdient, ald im Allgemeinen die franzoͤſiſchen Gchrift-
fteller bei der Beurtheilung —* Zuſtaͤnde nur allzu leicht
von falſchen Vorausſetzungen auszugehen pflegen. Ein Punkt
möchte in biefer Darftellung vielleicht einigen Widerſpruch ber:
ausfodern; dies iſt die Behauptung, daß wir mehr als andere
Boͤlker unter dem Einfluß einer gewiflen Rationaleitelfeit ſtaͤn⸗
den, welche durch ein ungünfliges Urtheil nur allzu leicht ver⸗
legt und gereizt würde. Bis jeht haben wir geglaubt, daß
dab Bewußtfein unferer Rationalwürde zu wenig rege wäre,
und diefe Meinung wird einigermaßen duch die blinde Bor:
liebe, welde wir zum Theil felbft jegt noch für alles Fremde
an ben Tag legen, betätigt. Doc wie gefagt, im Ganzen tft
die Darftelung im verföhnenden Tone gehalten, und offenbar
liegt es dem Berf. am ‚Herzen, Deutfehland, dem ex ein tiefes
und liebevolle Studium gewidmet bat, feinen Landsleuten nö-
ber zu bringen. Die literarifgen Berhältniffe werben zwar
auch im Großen und Allgemeinen berüdfichtigt, aber ein Ein-
geben auf die Einzelheiten liegt nicht in der Aufgabe des Verf.,
obgleich man wol erkennt, daß.berfelbe auch hier bewanbert if.
In dieſer Beziehung kann ein Wert empfohlen werben, welches
gleichfalls erft vor kurzem erfchienen if. Wir meinen die
„Poödtes modernes de l’Allemagne” von R. Martin: Der
- franzöfifchen Dichter zu thun.
‚Bemerkungen; nebft einer
Band. Eisleben, Reichardt.
Herausgeber has fich bereits als Überfeher von Chamiſſo's
„Schlemihl“ und dutch einige Heincre felbftändige Arbeiten be-
kannt gemacht. Auch als Dichter haben wir ihn befonders in
der „Revue de Paris’ unt durch eine Heine Sammlung, wel
he, irren wir nicht, der verwitweten Herzogin von Drleans
gerniömet war, kennen gelernt. In allen feinen literarifchen
eiftungen, beſonders in feinen Dichtungen verräth er nicht nur
eine forgfältige Kenntniß von Deutfhland und befonders von
beutfcher Literatur, fondern es fpricht fih fogar darin eine
wahrbafte Sympathie mit dem Weſen ber deutichen Ration
aus, welche fo weit geht, daß man leicht feine Driginalgedichte
für bloße Überfegungen aus dem Deutfhen nehmen Tönnte.
Sie haben alle eine fo eigenthümliche Faͤrbung, es ſchwebt
über ihnen ein fo echt deuticher Hauch, daß man ſich kaum an
den Gedanken gewöhnen kann, man habe es bier mit einem
Wenn ihm nun diefes Hinnei⸗
gen zum germanifchen WBefen einerfeits infofern. hinderlich fein
muß, als er nicht fo leicht bei feinen‘ Landeleuten die ihm ges
bührende Anerkennung finden wird, fo machen ihn die bezeich⸗
neten Eigenfchaften andererfeits zu einem Dolmetfcher dentſcher
Poeten vorzuͤglich geeignet. 11.
Bibliographie.
Apel, B., Biblifche Gefchichte mit Erläuterungen und
einzelnen Betrachtungen. Iften Bandes Ifte Lieferung. Lan-
genſalza, Zepner. 8. 9 Nor.
Des 9. Aureliuß Augufinus Büchlein an den, Marcelli-
nus vom Geift und Buchftaben in wortgetreuer Überfegung
nebft 100 Auguftinifhen Sentenzen. Eine Dftergabe für die
deutfche Ehriftenheit und die Rachdenklichern unter den Israe⸗
liten von 8. W. Heydler. Berlin, Dehmigke. 8. 15 Rgr.
Bonaparte, Prinz Napoleon Louis, Die Vertilgung des
Pauperismus. Nach der Iten Auflage des franzöfifchen Hrigi⸗
nals überfegt von P. Str. Rordhaufen, Fürft. Kl.8. 10 Nor.
Conſcience, H., Geſchichte des Srafen Hugo von Eraen-
bove und feines Freundes Abulfaragus. Hiſtoriſches Gemälde
aus dem 14. Jahrhunderts. Aus dem Blaemiſchen von G.
Dvermann. Köln, Welter. 8. 15 Rgr.
Dehn, C., Seeland und die Seeländer. Ein Beitra
zur Charakteriſtik des dänifchen Landes und Volkes. Reb
einem Ausfluge nah Schweden. 2te, durch Zufüge und Be
richtigungen bis Dftern 1845 fortgeführte Ausgabe. Schwerin,
Kürfhner. 8. 32%, Rygr. nn
Hiffen, U, Nadtrag zum erften Iheil des Verſuchs
einer Polyglotte der europäifchen Poefie. O Ioconuc Innorn.
Gin griechiſches Gedicht aud dem Sagenkreife der Tafelrunde.
In Driginal und Überfegung, mit einleitenden und Pritifchen
berficht anderer griechiſcher Dich:
tungen des Mittelalters und fpäterer Zeit. Leipzig, D. Wigand.
&r. 8. 10 Ror.
Die Entwidelung ber Staatäfräfte Rußlands feit Peter
dem Großen. Berlin, Schroeder. 23 Rgr.
Unfere Gegenwart und Zukunft. Herausgegeben von 8.
Aebermann. 2ter Band. Leipzig, Mayer. Gr. 8. 1 Ile.
gr.
Genthe, F. W., Deutsche Dichtungen des Mittelal-
ters in vollständigen Auszügen und Bearbeitungen. Jter
Gr. 8. 2 Thir.
Dos Guſtav⸗Adolphs⸗kied von 1633. Mit einer literari-"
ſchen Einleitung und biftorifchen Anmerkungen, zum erftenmal
wieder befannt gemacht und Deraußgegeben von W.v. Maltzahn.
Berlin, W. Adolf. 8. 10 Rgr. BR
Köhler, L., Johannes Huß und feine Zeit. Hiltorif-
nl eö „Beisgemälbe, Drei Bünde. Leipzig, Barth. 9.
Thlr. r.
Leop od, E., Dos Prebigtamt im Urchriftentgume. Die
Entwidelung des Predigtamtes zur Zeit der Apoſtel und apo-
ſtoliſchen Schüler, mit Rüdficht auf defien Veränderungen und
v
v8
u ren 353 Aten über das apoſtoliſche Slau⸗
Wens! —* Sei in be regen —— e zu
Pottvam. ——
Martin Luther’ — po Be ige Wei diſeunag
Hairimeit 30 Sabre nach feinem Tode, im ‚3
Tn Auß, Fe Ru ne. von . 2. Knapp.
tuttgart I
er F. 7 4 er Geuchichte der Innern
‘und Ausiern ‚Eatiickelung, der der englischen Sprache. Leip-
rtner
at, C, Dt Taler Drftan. Von Philipp dem
Kr auf Louis Phifipp d ‚sei urer. Aus dem
errüdten bis auf fo ifipp den ma
ang Se von #. Herrin ann. a, Berlagscomptoir.
Raumerd, 8. ‚Der:
ausfreund am Yeleeabenb. Hfle
Kieferumg: Raus. He Au age. Leipzig, Vereinsbuchhand⸗
Br ie „. Petrage zum Berftänbmffie bi e dir regeib, genochn
für die ſtubirende Jugend. Innsbruck
Rear —— oder Sonverfatione, s2erifon
für das Fathotifi Deutihiand Bearbeitet von einem Verein
Frag Gele rien. es Heft. egensburg. Manz. Lex.8.
Nor
Reinhold, W., Chronik der Stadt Dahme und der Um⸗
gegend. ter Ban ind een. Dahme. 1845. &r.8. 1 —
vo, — 8
— Beitraͤge zur tee dub Befens der
ee gürich, eye und Seller. 8. 12 Nor.
Schaumann, A A., Zur Geschichte der Erobe-
ring Englands durch germanische Stämme. 1a aktängen, Van-
denhoeck und Ruprecht. 1845. Gr. 8. 10 Ngr.
Der Sorgenbrecher oder das Buch zum DR und Bud:
liglachen. An das Licht geftellt durch goeofum Hilarium
Ku: rzweil, gen. eadtteb. Ste fehr vermehrte Auflage.
aufen, sit Il Ngr
gt.
Steinhart, € eur und Leben. Bin Geſpraͤch, vor⸗
Ben im testen Berein zu Naumburg. Raumburg,
eber. "Br.
a Fr ud Yes deiligthum. (Gedichte.) Berlin. B.
Rgr.
Göttinger Studien. Göttingen, Vandenhoeck und Rup-
fecht. 1845. Gr. 8 Thir.
Thalheim, $., Der Kegermeifter , oder: Heinrich v
en und Agnes von —— ——
u — chte. Nordhauſen, Fuͤrſt. Rgr
— einrich Burkart. Braunſchweig, Vieweg und
inet die drei Erwachen. Zwei Rathſchlaͤge der
— — Reden. Aus dem vanetefehen, uhr von
3. Schmid. Zürich, Meyer und Heller. Br. 8. 9 Ror.
Bot pt, J., Hildebrand als Papft Gregorius * und
ſein Zeitalter, nach den Quellen dargefteflt. 2te vielfach verän-
derte un Weimar, ns "Induftriecomptoir. &r.8. able.
* Ro Der Schwanenritter. Leipzig, D
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1846. &. 8.
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ficherer gu Begegnen? ‚Hannover. 1845. B. 7%,
Hermanni, MR, Bergangenheit, Gegehwert und Butter
der Polen. Ein Wort zu feiner Beit. Berlin. 8. 2%, Mer.
Hold heim, ©, Sie Härten nit auf Mofes vor zn
des Ddems und ddr — Arbeit. Predigt.
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Der * —* Sotteshaufes and 2*
der Sehrben Wei Predigten. Schwetin, Kürfchnet.
—8B F x GB edenket an eure Lehrer, die euch daB
Wort Gottes sefast Bahn, Predigt über Her. 18, 7. Uns
das, Gummi.
4
Letzte —* und — bes toben Refürmators Dr. 9:
Luther. Eisleben, Reichardt. 14
¶ Anthespopathife —ES Siegnig, Heiner. ©.
gr
Reßler, F. B., Erbauliches Andenken an Dr. MR. Luther“
feliges Lebensende. Predigt. Eisleben, Reichardt. 8. INg
RKRiedner, Borlefung zur akademiſchen Gedaͤchtnißfeier
thers an feinem Mjährigen Zodedtage in der Univerfitätt
Aula zu Selpzig. Leipzig, 2. DO. Weigel. Sr. 8. 5 Nor.
Prebig ten zur Soojäbrigen —8* feier des Tobdes Dr.
AR, Süthen 6, gehalten am 18. Febr. 1846 in Eisieben. EB⸗
ieben, Reichardt. 8. 10 Rgr.
Ravenftein, A., Andeutungen über die ——
von Turnvereinen und Zurnanftalten. Frankfurt a. R., Saust
länder. 81.8. 9 Ror.
Reinhard, 8, Der See, in Kanzelvortrag.
Schwerin, Sücfäner. 1845. 8. 24 9
Ruland, Dir fränkifche derus md die Rebenigte
riften. Dentich 8 dei der beahiihtigten Einführung diefeß
Dredens in Franken. Würzburg, Voigt und Meder. 8. FE Mir.
Schwindt, 3, Ein Bor an den Hen. Neichörath
— rede ol als * im bayeriſchen Walde. Augbburg,
r. Rgr.
Stimme aus "England über den politiſchen —— pair
hens. Aus dem Fainburgh Review (Februo
von A. Kretzſchmar. Grimma, ee
79, Rear.
Stromever, %., Die Folgen der Aufhebung der en
ſchen Korngefetze für —— und die deutſche eek
Stuttgart, Mebler. Kar.
Userbiid der tät in Galizien und Polen im 3. 1708.
Leipzig, Hinrichs. Br, 8. 10 Nur
Uesheit bes Oberappeliätions- — zu Eaffel in verun
Jürbean weder
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den K. Siniſter Dr. Eichhoen. Ne Yuffage.
g, O. Bigand. Gr. 8. 10 Rgr.
—B8 Geſchichte Königeberge Leipzig. 106, r.®.
Berantwertliher Derausgeber: Geinsih Wredhane. — Drud und Werlag von P. W. Woagpaus In Leipig.
-
—— ·—⸗e j — — — —
|
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Sonnabend,
— rn
Es iſt und bleibt immer eine fehr kitzliche Frage,
was Policei fei. Keiner Hat noch recht zu fagen gewußt,
was fie eigentlich folle, und wie weit ihre Grenzen ge
hen, und diefe ſchwere und verwidelte Frage bleibt noch
dem größten Staatsmanne, der aber auch der größte
Menſch fein muß, zu löfen übrig. Unter Ludwig XIV.,
anter welchem die Kunſt -ein Volk zu despotifiren auf
den hoͤchſten Gipfel gebracht ward, kam auch die Staats⸗
poltcei zuerft zu ihrer völligen Ausbildung, ein Zweig
der Regierung, der wenn er nicht guten und weifen
Händen anvertraut ifi zu allen Misbräuchen und Be⸗
drückungen Anlaß gibt und in bie fcheußlichfie und die⸗
bifehefte Spigbüberei ausartet, und alle Tage Leben und
Ehre der Einzelnen und des Ganzen gefährbei; denn
auch der Staat ift als ein einzelnes Leben anzuſehen,
das nur zu leicht verleglih und zu töbten if. Ein
Wunder der Schlauheit und des fdhleichenden Despotid-
mus war es indeffen, daf das freimüthigfte und liebens-
würbigfte Volt, daß bie offenen Franzoſen ſich ſolche
Dinge gefallen ließen, die nicht beffer maren als bie of-
fenen Löwenmäuler in Venedig, und alle Tage neue
Einwohner in die. erledigten Kerker der Baftille und von
Vincennes, oder gar in die weitern Kerker des Tarta⸗
rus **) ſchickten. Ludwig XIV. haste unter den großen
Staalsmännern und Feldherren, bie vorzüglich die erften
30 Zahre feiner Regierung auszeichneten, zmar immer
bespotifch gewaltet und gefchaltet, aber boch oft groß
und fürftlich gedacht und gehandelt. Als Colbert und
Louvois, als Turenne und Condé nicht mehr waren, als
der Genuß der Lüfte feinen eiteln, feigen und weibifchen
Charakter noch Heiner und fehlaffer gemacht "hatte, ba
ging ein ganz anbeses Regiment an. In der intriguan-
ten Maintenon, die immer über Gebühr gelobt und ge
tadelt wird, beftieg ein Weib den Thron von Frankreich,
und über 20 Jahre drehen ſich die wichtigften Angele⸗
geaheiten Europas um die Spindel diefer Parze, waͤh⸗
zend fie fi immer das Anfehen zu geben wußte, nur
”), Histoire de la police de Paris, per Horace Raisson.
Paris 1844.
) Geheime Hinrihtungen waren noch unter kudwig IV. ein fe
Hender Artikel der Policeiauſsgaben.
9. Mai 1846.
mit der befcheidbenen Spindel der Frauen zu thun zu -
haben. Unter ihrer Leitung vegierte Ludwig mie ein
Weib, und fie wußte ihn mit allen Klätfchereien und
Trätfchereien bes Hofes, mit den Geſchichten der Läfter-
chronik vornehmer Häufer und Familien, kurz mit dem
erbärmlichen Detail des Privatlebens zu unterhalten,
worum felbft ein Privarmann fi wenig, ein König fich
nie fümmern fol. Die Familien zitterten, ihre Geheim-
niffe fo aufgedeckt und ihre Penetralia aufgeriffen zu
fehen, und fahen fih um ein zweideutiges Lächeln, um
ein leichte® Wort, um einen arglofen Win? in Ungnabe,
woraus eß bei fo einem Heren fihwer war ſich zu er-
heben. Die ehrlichen Leute zogen fi von einem Hofe
zurück, wo fie über eine beffere Zeit und über ihre Na-
tion trauerten; und wo bie Spigbüberei und Spionirerei
duch alle Claffen ging, da nahmen die feilen und fei-
gen Seelen ihre Stellen ein. Während Ludwig fo ei-
nen Mouchard der Policei machte, vwoiderrief man das
Edict von Nantes, das fein braver Großvater feinen
treueften Unterthanen gab, und befehrte durch die Dra-
gonaden, welche Frankreich beinahe eine Million Men-
fchen und den Nerluft feiner beften Fabriten und Ma-
nufacturen fofteten; man verfolgte einen Feͤnelon und
die frommen Gelehrten des Port-royal, und überließ
den Sefuiten und jefuitifchen Froͤmmlern die Geiftlichkeit
und die Wiffenfchaften, welche fie in kurzer Zeit verbar-
ben und Alles, mas durch Geiftesfreiheit und Genie ber-
vorragte, von ben beften Stellen ober über die. &renzen
jagten. Ludwig verbetete feine legten Jahre mit ber
Maintenon, die Pfaffen verfiherten dem alten Sünder
den Himmel, und er ließ ihnen bie Erde. Bon theole:
gifhen Factionen zerriffen, von den blutigen Kriegen er⸗
fchöpft, womit der Haß Europas bie Plane feiner Ehr- .
fucht vergalt, verfluchte endlich bie Nation einem König,
den fie in feinen frühern Sahren angebetet und den
Großen genannt hatte. In diefer Periode lebte ein
Mann, der bie -Policei, nach Ludwig's Angabe, zur
größten Vollkommenheit brachte, und nad deffen Mufter
fich alle Die gebildet haben, welche nachher in diefer ger
fährlihen Kunft berühmt wurden. Es iſt der berüchtigte
Voyer d’Argenfon, welcher von 1697-— 1718 die Stelle
eines Policeiverwefers bekleidete, fpäter unter dem Re⸗
genten Finanzminifter und Siegelbewahrer ward, und
endlih 1721, wegen feines Auflehnens gegen bie Raw’
»
—nT
. 514
m Finanggaunereien, in einer ehrlichern Ungnade farb
A fein Leben gemefen war. Bon diefem Schöpfer und
* Ausbilder einer autorifirten Gpigbüberei, wovor freie
Völker immer als vor einem gefährlichern Mittel der
Si des Steuts gebebt
keis ſelbſt iſt, will ich hier ein kurzes Portrait herſchen,
wie es der Herzog Saint · Simon vieleicht zu nachſichtig
in feinen Memoiren gezeichnet hat:
jenfon war ein unendlich geſcheiter Dann von nad-
jiebigem Geiſte, ber, feined Vortpeil wegen, ſich Allem ans
ingbe. Seine Herkunft war beſſer als «6 gumeift bei £rus
ten feines Amtes der Pal ift, und er verwaltete feit langer
Beit die Palieei, ober vielmehr die Zaquiſition auf ains traus ·
feendente Weife, da er Feine Scheu hatte vor dem Parlamente,
melde ihn, oft angegriffen hats. Er hatte fidh beftändig die
erften ‚Häufer zu Freunden gemacht, da er dem verftorbenen
Könige Gubmig XIV.) und Pontchartrain Abenteuer ihrer Kin»
der und Verwandten verheinflichte, die bloße Jugenbfänden wa-
ven, und die auf immer ihre Musfichten zu Srumbe geritet
Gatten, werm er fie nicht mit feinem Unusmantel hätte,
indem er ſchnell den Borhang darüber fallen ließ. Mit einer
fpeußlicgen Phyfiognomie, welche die der drei Hollenrichter
Darfteltte, machte fi d’Argenfon Wles zur Luft mit Geifted:
Überlegenheit, und hatte eine folhe Drbnung in bie ungeheure
Boltsmenge von Paris gebradt, daß Reine bebeutende Perfon
war, wovon er nicht täglich, wenn er ed wollte, das Betzagen
und bie debeneweiſe wiffen konnte. Mit einem ausgefughten
Takt, bei jeder Vorkommenheit feine Hand ſchwer oder leicht
u machen, immer für die gelindeften Maftegeln geftimmt, mit
Ber Kunft, den Unfe igfen in feiner Gegenwart Angft ein»
‚en, muthig, tähn, verwegen bei Meutereien und dadurch
Backen ve Kute, hatte er in feinen Sitten viel von den
Manieren Derer an fi, mit denen er unaufhörlid verkehren
Gottheiten als
ute als von
den Zügel fihießen und war
ın. Er hatte einige Bildung,
keit fonft in irgend einer Gab
des Miflens, ı Mutterwig erfegte, und eine
gi — Weit: und 2 tmiß, ein feitenes, Boftbares
ing in feinem Stande. Unter dem verflorbenen Könige hatte
renen Reuten, ließ e
atllerliebſt in folden
aber wenig oder gar
* ‚ex fi den Jeſuiten hingegeben; dabei that er aber fo wenig
Gählimmes a6 anging unter einem Schieier der Werfolgungs-
fucht, den ex für notwendig erachtete, um in der Chat we ⸗
Hr verfolgen und die Bei zu fiponen. Ba das
Glüd feine Magnetnadel war, fü er glei ſeht den
König, die Minifter, die Sefuiten und das Yublicum.
Dieſer Polieeilleutenaut brachte das Ding zuerſt in
ein Syſtem und ward bald das Schrecken aller ehrlichen
Leute; aben bach flieht man aus dieſer flüchtigen, viel ⸗
leicht nicht. ganz, richtigen Zeichnung, daß es in feines
Gewalt ftand, viel mehr Boͤſes zu thun als er that, ja
daß er felbft viel Schlimmes zum Guten kehrte. Aber
Seint- Simon if pauteiifch; er kennt, ungeachtet. feiner
Ausrafungen und Declamationen bed Patriociumus und
des Mitleids mit ber Nasien, nur Ginen Theil der Na⸗
tion, den alten Adel *), und von dieſem redet er auch
*) Geist Otmen ik vou Bift uni. ale Imrkter. daB fo vieh
fehs Yohe Gtaatd>, Risen und Kriogböeumte jener Zeit dem deike
haben als Die Anſterblich |:
“unter welcher Wet von Menſchen er feine pfiffige Sub
faft allein. Wenn er und fagt, daß der jhlmik
genfon feine andere Gottheit kannte als das Gi, m
&8 mit König, Miniftern, Jeſuiten und
noͤthig auf em fa [dlüpfriges Dfabe,
der die Hälfe und Köpfe anderer Leute in
oft ſehr leicht und unverfehens um feinen
men fann. Man weiß, was zu ſolchen Schonunan
Durähelfungen gehört. Wer den Lauf der Dinge km,
weiß, daß dafür viel Kleine und Unbemerfte of a
Xüdenbüßer machen müffen. Gern indeffen wel wx
zur Ehre der Menſchheit glauben, daß b’Argenfe ie
gelindere Partei ergriff, wo er es ohne Gefahr kur;
und aud fo konnte er manches Gute fliften, ud ke
feiner Nachfolger im Gpigbabenregimert der gie
Policei haben fein Andenken der Nation feniehk
würdig gemacht. Gr warb und beſoldete zuerſi ca me
zes Spionenheer, umd hatte in allen Ständen, mw
Stadt und bei Hofe feine Auflaurer, die fi da} Bo
tramen ber Leute erſchlichen und ihren Chzef von Ws
unterrichteten. Ludwig XIV. ſelbſt verwunderie ſih de
über und fragte eines Tages feinen Peliceilientnum
j
ſchaftet aushäbe. „Sire“, erwiderte 8’ Argenfen, ab
ien Geänden, hauptfächlich aber umter bem Heim
und Lakaien.“
Es ging unter Ludwig fo weit, daß nicht Nik
die Hänfer nud zu ben Geheimniffen der Tafeln mb
Gardinen verfappte umd verfleidete Spione geſchiet wer
den, fondern felbft das heilige und unter öffeniihe
Sanıtion ftehende Geheimnig der Briefe veriept meh
Bei allen Poftbureaur in Paris und in ben Prwime,
100 ein großer Sufammenflng von Wriefen mu, fuh
eine geheime Bande, die mit bewiundernsreibige Sr
ſchickuchkeit und Schlauheit bie verſchiedenen Diieft Br
nafifirte und auswitterte, bie verdächtigen erbrah wi
wieder zufiegelte, und ihre Berichte und Waszüge an de
Policai ober an eine beſonders bazu beſtimmte Perfen
einfcjichte. 8 mar eine der liebften Unterhaltngen dei
Könige, in diefem Mift der Vocheit zu mwühlen. Er
wollte nicht bIio® Geſchichten feiner Familie, feines Hau
fe6, nicht blos Urtheile und Auferungen über .fih mad
bie Regierung und Bertsaltung wiffen; fendern die ein.
den einigleiten der Famikten, ihre täglichen med näthfe
lichen Abenteuer, ihre Mebfähaften, Hahnreifthaften, Ber-
bindungen, Zänßereien und &täntereten interefitten und
ergöpten ihn, und aus dem alterhoͤchſten Munde Tam
Manches ind Publicum, mas der Diener eines gutem
Hauſes fi gefcheut haben wirche zu verbreiten. Se
mar nichts fo geheim, fe verſteckt und raͤthſelhaft, daß
b’Argenfen umd feine ſchlimmern Gehütfen es nicht her ⸗
ausgefunden und gelöft hätten. Run ging das Reid
der Verfinfterung, Anſchwärzung und Cabale auf das
ten Stande angehören und nennt dam bie Regierung Eubroig’S XIV.
„ce long rögae de vile bourgeeisie”.
— —
Ax en. . Bon nm. Ssnbe: des weiten Reiches | alt ein- König von Frankteih ſelbſt, und Hdf | Cd
TE las aan ambern verbreitete die Eichlange der Kimterlift war | Ber, Mieter und Genfer —8
eſſe feiner Perſon dem Jutereſſe ber Stadt, ober bas
Sntereffe des Königs, d. h. ber Miniſter, Maitreſſen
und Bünftlinge, den Intereſſe der Bürger unterſchob.
Unter Rubwig XV., mo das Moitreffenregiment In
Frankreich feinen höchften For und ſchmaͤhlichſten Cul⸗
m, Fi N 22 2 ⸗
EN dEeniewiscrti ihr Gift; und jeder Sänger, der auf tegesb
EM be Engiger kebeutenden Höhe fand, mußte erſi feine Gardinen
"Sieien ansktepfen, eb. fie au Ohem hätten, che ex fi zum
Dig fa Schlafen niederlegte. j | |
—RX So ging es durch bie felgenden Regiermngen ohne
dei min alle Schonung immer fchlinmmer fort. Die Üuflaure⸗
ae:
wei und Ungebersi, bie bisher fo zu fagen auf ben
a balr: beiben aͤußerften Eprofſen der Reiter, bei den Hof⸗
ze mal auten und Lakaien, fliehen geblieben, an denen wei⸗
Gas ter nichts zu verberben war, flieg. nad und nach alle
Stufen von oben bis unten herab. D’Argenfon’s Nach
minationdeunft erreichte, flellte ber Policeilieutenant Ber⸗
iger, welcher feine Ernennung zu biefem hohen Poſten
ber Marguife von Pompadour verdankte, die hundert ge»
heimen Argusaugen und Bureauparme der Policei zur
undedingten Verfügung feiner erlauchten @önnerin, die
auf diefe Weiſe zuerft die Hefcabalen und den Stabt«
klatſch erfuhr, wovon fie fih die einen hinter Ohr
mami febger fuchten die Policei allgegenwärtig und allwiffenb
ee: ze machen, und dieſer gottesläfterliche Chrgeiz verkeitete | fehtieb, den andern ald Braten für den König aufhob
een fie, alle Art Beute im Dienſt zu nehmen und Spione | und fo aus beiden Vortheil zog. Das ganze Policei«
tie ts ms allen Claſſen ſcharenweis anzuwerben. Bänkelſän⸗ | perfonal .arbeitäte einzig und allein für die Ehrfucht,
ger, Fintrekutſcher, Werber, Buhldirnen, Lafttriger, Fecht⸗
meiſter, Marionettenſpieler, Muſikanten u. ſ. w. fehworen
wa ben Fahnen ber Policei und erhielten Erlaubniß zu
Herrſchſucht, Beſorgniß, Exbitterung und Rachſucht der
Favoritin. Die Btebftähle und nächtlichen Einbrüche
nahmen in Paris überhand; freche Mordthaten verbrei-
ya Eimtiätung von Borbellen, Spicihaͤuſern, Fechtſaͤlen und | teten Schreien und Beflürzung unter feinen Einwoh⸗
zz einer Menge verbähtiger Wirthichaften, wo alles loſe | nern, die ihre Häufer von förmlich organifirten Raͤuber⸗
kn I @efinbel von Paris in die Falle gelodt und ausgeholt banden ‚angefallen und ausgeplündert fahen. Die Po-
ai wurde, währen Hausknechte, Dienftmägbe, Stubenwich- | Iiei bekiummerte fich nicht im geringften um dergleichen
mi fe: Auslänfer, Thürſteher und bergleichen bienfifertige | Lappalien; alle ihre Spürhunde waren lesgelaffen um
ar! Schutzgeiſter fih in das Innere ber Familien ftahlen, | auf Garicaturen, Spottgedichte und Schmähfchriften ge⸗
um die Geheimmiſſe der honetten Leute zu erforfchen. | gen die Pompabour Jagd zu machen und nach Feinden,
Dieter Iweig ber Pollteiverwaltung nahm bald bie Tadlern und Neidern der Maitreffe des Königs herum⸗
MM aäupter derfelben awsichlieftih in Anſprach, und die | zufchnüffeln. Berryer lief während bex feche Jahre ſei⸗
ME Z—eigaheit, Pfiffthkeit und Überlegenheit der pariſer Poli- ner Amtsverwaltung wegen Verbrechen, Injurien und
erelei hat, wie Ihre Despotie, ihren nochwendigen Urſprung Vergehen gegen bie Pompadour über 4000 Perfonen .
daraus gegen. So ward ber Policeilientenant ber | verhaften, wovon einige nur gelinde geſtraft, viele aber
Anz Despot von Paris, wie ber Mönig ber Dedpot von | des Landes verwiefen und mehr ald 800 in die Baſtille,
'#8. FJennbreeich war, und der kleine Despotismus eines Po- | nach Wincennes, Ham, Doullens unb Lille geſchickt und
En u Sn EEE Fan en. ZU “Sutter
Ed
lieeiverweſers war ſchaͤdlicher und ſchrecklicher als der
große Despotiemus eines Landesregenten, weil dieſer wol
mit Kolbenfchlägen aber ſelten traf und nicht anders als
mit Geräufch und öffentlich verfahren konnte, wodurch
er fi alſo beobachtet und in Schranten gehalten. fah
und feine Gewaltflreihe ihrer Natur nach vorübergehend
waren, jener aber mitteld feiner unzähligen Kanäle zur
Kenntniß ber Bürger, ihrer Grundſaͤtze, hhres Nahrungs-
erwerbe und ihrer Befchäftigungen täglich faft in allen
Berhältniffen des Lebens mit Nadelſtichen im Verbor⸗
genen quälen, wie ein Vampyr fig an bie Einzelnen
hängen und ihr Wut unbemerkt im Stillen ausfaugen,
kurz im Geheinten fo- ziemlich nach Belieben fchalten,
drüden, peinigen und tyranniſch mishandeln konnte, und
bie6 um fo fisherer und ungeſtrafter, ba feine Ope⸗
ration nur ihm und feinen Creaturen belannt waren,
und dba ihm tauſend Vorwaͤnde und Mittel übrig biie-
ben, ſeine launifchen, habſüchtigen und nieberteächtigen
Eingriffe In die Rechte der Menfshbeit zu bemänteln
oder zu entichuldigen, und gar fi obendrein das An-
fehen zu geben, als wirde er in feinem Berufe. Gin
Policeitteutenant von Paris war, menn er feine Macht
und Hülfsmittel miöbrauchen wollte, uneingeſchraͤnkter
erft nach dem Tobe ihrer argmwöhnifchen und rachſüchti⸗
gen Keindin wieber auf freien Fuß gefegt wurden. Un⸗
tee ben fpätern Policeilientenants bildete ſich die geheime
Polteei immer füschterlicher und verächtlicher aus. Ruhe,
Freiheit und Sicherheit ber Bürger flanden in den Hän-
den von Menfhen, die großtentheils aus ber Hefe des
Volks, aus Banquerotteurs, vormaligen Schmugglern
und Wilddieben, und felbft aus überwiefenen Baunern
und gebrandmarkten Dieben und Betrügern zuſammen⸗
geraffi waren. Sartines, melcher 12 Jahre lang,
17602 — 74, bie Policei von Paris verwaltete, griff zu⸗
erft zu diefem verzweifelten Mittel: er hatte beſtaͤndig
brei oder vier foldhe reuige Gauner und Erzſpitzbuben
um ſich, bie er feine Flügeladjutanten nannte, und
zühmte ſich mit cyniſcher Offenheit, fo viel Spione in
feinem Golde zu haben, das, wenn drei Perfonen auf
ber Straße zuſammen yplauberten, ganz gewiß wenigſtens
einer darunter fei,. der ihm angehoͤre. Die Mouchardo
waren in verfihiebene Claſſen getheilt, die alle ihre ein«
zeinen Berrichtungen hatten, und in allen Geftaften, .
unter allen Charakteren und mit allen Befhäftigungen
fi unter das Publieum und in den Schoos der Fami⸗
lien einfchlihen. Man Hat Beifpiele, daß Ludwigsritter
21
518
Binfen und Jammern, und luſtig tummelt ſich ber aus-
geiaffenfle, tollſte Troß, ben jemals Leichtſinn, Liederlich⸗
Leit und Verberbniß zuſammengeführt. Hier war der
Bettler gefihert vor jeber Verfolgung, hier befand er
fi) unter den Geinigen und fonnte ohne Scheu die trü⸗
geriſche Maske ablegen, welche er während des Zages
getragen. Kaum eingetreten, ging ber Hinkende gerabe,
der Belähmte tanzte, der Blinde warb fehend, der Zaube
Hörend, die Greiſe ſelbſt wurden jung. Dieſes Volk, fo
elend und fo begünfligt, fo arm und fo reich, fo mädrig
und fo ſchwach, fo furchtſam und fo furdtbar, dieſes
Volt, das man nach Zaufenden zählte, hatte einen Ko-
nig, bem es gehorchte, es hatte feine Befege, feine Ju⸗
ſtiz, feine Moral, ja feine biutigen Hinrichtungen. Und
men denke man fi diefen Schwarm, dieſen Auskehricht
und Abfchaum ber Menſchheit, wie er aus der Raͤuber⸗
Höhle hervorbricht und ſich bei nächtlicher Weile über das
unbewachte Paris ergießt; man denke fi diefes Bild in
einer Zeit, wo die Straßen der Hauptſtadt noch unbe-
feuchtet und alle Anftaiten der Policei noch unentwidelt
und eine ohnmäctige Waffe gegen dieſen gräßlichen Ty⸗
rannen und aufgedrungenen Lehnsheren waren. Mehre
Jahrhunderte Hatten biefe Wunderhöfe in größerer oder
geringerer Ausdehnung und Macht in Paris beftanden.
Zeit, Gewohnheit, Verjährung und Furcht Hatten allınd-
lg ihrem Dafein einen Schein von Recht gegeben; min-
deſtens wagte der parifer Bürger nit, Taut gegen fie
zu Magen und bie Policei anzurufen, aus Beſorgniß,
fein Knecht, feine Magd, irgend einer feiner Angchöri-
gen und Hausgenoffen könnte zu dem großen und ad
tungswertben Bunde gehören. In feinem bevoten, fpief-
bürgerlihen Sinne, im angeborenen Reſpect vor feder
beſtehenden Gewalt, achtete ex bie Conſtitution der Wun⸗
derhöfe, und allerdings konnte nichts geregelter fein als
ihre Verwaltung, nichts prompter ale ihre Juſtiz, und
fo war man gewöhnt, die geswungenen Anlehen, welche
das Heer: der WBunderhöfe aufnahm, fo gut zu den un⸗
sermeiblichen Ausgaben zu zählen als die königlichen
Steuern ober bie Zehnten und Gülten des Feudalherrn.
ber nichts wahrhaft Poetifch - Schönes und Großes Hat
Beitand in biefer profaifchen Well. Eines Tags, da er
mübe war feiner Schloßbauten in Verfailles, mübe feiner
gezierten Gartenhaͤuſer unb Laubengänge, mübe feiner
Moitreffen unb ber niedertraͤchtigen Schmeicheleien und
der Macine’fchen Ziraden ; eines Tage, als das flüchtige
Kriegsglück fich gewendet hatte und die Langeweile des
Alters eingetreten war; eines Tags, da er nichts Kurz⸗
weligeres mehr zu erfinden wußte, fiel e6 dem „großen
Könige" ein, an bie Sicherkeit und Wohlfahrt feiner.
guten Stadt Paris zu denken, unb eine koͤnigliche Dr
donnanz, der milisairifche Gewalt den gehörigen
druck gab, machte dem Meiche bes Wunderhofes ein Ende.
Ein Theil der Wunderhofbewohner wurde in’ das Zucht
Haus, ein anderer auf deu Rabenſtein geſchickt, biefe ins
Hospital, jene Ins Irrenhaus geworfen, bie einen auf
öffentlichem Maerkte ausgepeitfeht, die andern außerhalb
des Weichbildes der Stadt gejagt; und zerfloben mas
fortan alle Pracht und Herrlichkeit der Straunerei.
Auch um biefe edlere bürgerliche Policei und ihre
Drganifasion, bie kein Staat entbehren Tann, ber nicht
mebr in feiner Kindheit ober nicht mehr in Barbarei
verfunten ift, hatte d’Argenfon große Berbienfie, und
wenn er oft als ein niebriges Werkzeug der Eabale unb
Büberei dienen muſtte, fo verfolgge cz auch bie Dicke,
die Düfiggäanger, die Dirnen, kurz alles ſchäbliche Ge⸗
findel mit großem Eifer. Über feine Nachfolger traten
durchgängig in ein zu enges Bündniß mit den hochge⸗
ftellten Perfonen und XZeuten, bie den König belagert
hielten, ben Despotismus und ihr eigenes Sutereffe be-
förderten, und nichts machte Eigenthum und perfönliche
Freiheit fo unficher als eben bie Policei, welche Beides
fihern follte. Einige Policeilieutenantd des ancien re-
gime bezeichneten zwar bie Zeit ihres Dienfles mit nüg-
lichen Maßregeln für bie Berforgung, Sicherheit, Be⸗
quemlichfeit und Gefundheit der Bürger von Paris;
aber dieſe Aufmerkſamkeit für das gemeine Wohl wurde
mehr rud- und ſtoßweiſe als gleich- und planmäßig ge
übt. Wis die Conſtitution der alten franzöfifgen Mon-
archie in Trummer ging, verfchwand auch die alte Po—
liceiverfaffung, ihre mirkfanifte Stüge. Frankreich fiel
mit der erfien Revolution in chaotifche Verwirrung, aber
nach den tollfien Erürnen und Brandungen, als bie
wilden Wogen vor dem Bounaparte'ihen Dreisad ſich
fentten, geftaltete fih mit dem neuen Cenfularfiaat ein
neues Policeiſyſtem, und nach biefem Mufter beſteht bie
ganze Einrichtung, wenngleid bedeutend ermeitert, bie
auf den heutigen Zag. Diefe Policei tft auch jegt noch
vortrefflih. Das Erfte, wesen man fich Hier im taͤgli⸗
chen Leben überzeugt, ift die Vorzüglichkeit ber parifer
Policei, die weit und breit berahmt iſt, und diefen Ruhm
vollkommen verdient, wenn man bie Peoficei bios auf
Das bezieht, was zur Sicherheit und zum Unterhalt des
Sefammt» und Einzellebens gehört. Ich wöchte- Alles
darauf fegen, daß eine kleine Welt, die mit Paris ei-
nerlei Umfang und Volksemenge hat, in biefer Rückſicht
unmöglich befler daran fein fanı. Es kommt mir vor,
daß durch bie fange Gewöhnung der Parifer ein folches
Reben, das man ein policeilidhed ober policeirechtes
nennen könnte, ſich gleichſam zur andern Natur ge
macht bat und nicht mehr amders fein kann. Gr
ſchickt gleich nad der Police, flieht gern fliehenbe
Gauner fefthalten, improvifirt wol auch einen. Pelicei-
biener aller Umtseifer und ohne chen vor Rebend-
gefahr, thut unweigerlich was dem gemeinen Beſten
frommt und bie Policeipraͤfectur verordnet, und unterlaͤße,
ohne fi ein. Verdienſt daraus zu machen, was er Dom
Nachbar nicht leiben würde, äußert fi aber felten gün-
| flig über die Police, welche ihm unentbehrlich, aber nicht
ſehr vepmticlich erſcheint. Vieſe leider immer noch an
den Nachwehen der unangenehmen Erbſchaft alter Zeiten,
bie neuerdings vielfach aufgeräumt, aber noch nicht ſo
bucchgreifenb ausgemärzt worben, baf base Mistrauen,
welches man noch non daher gegen bie Polltei und ihre
Werkzeuge hat, völlig gefunten tft. Allzu große Strenge
bört man. ihr oft genug: vorwerfen; Strenge aber, ernfle
Vollziehung der Befehle ihrer Beamten, ſchnelles Beher-
Bu — — —
in einem Paris und bei der dortigen Menge armer oder
wenigſtens bei jedem Unfalle mittellofer und volllommen
ndfaglofer Menſchen die Mittelſtraße zwiſchen dieſer
Strenge und dem Despotismus zu treffen fein. Nur
gegen Willkür der Behörde und ‚gegen beleibigende An⸗
geiffe ihrer Diener follten feſte Schranfen den Bürger
"cDer VDeſchluß folgt.)
u Zur Geſchichte von Goethes „Wilhelm Meifter”.
Goethe erzählt im „Wilhelmm Meifter” Folgendes: „Nach
einer Pauſe trat ein Bergmann mit einer Bade pervor und
ftellte, indeß die undern eine ernfthafte Melodie fpielten, die
Handlung des Schürfend vor. Es dauerte nicht ange, fo trat
ein Bauer aus der Menge und gab jenem pantomimiſch dro:
end y verftehen, daB er fich von bier wegbegeben folle. Die |
efeufchaft war barüber verwundert und erkannte erft den in
einen Bauer verBleideten Bergmann, als er den Mund aufthat
und in einer Art Mecitativ den andern fihalt, daß er wage
auf'feinem Acker zu hantieren. Der Bauer, der zuerft mit
Schlägen gedroht, ließ ſich nach und nach befänffigen, und fie
Be als gute Freunde voneinander; bejonders aber zog ſich
ee Bergmann auf die honorabelfte Art aus bem Streite.“
Wie bei Bielem, was für bloße Dichtung gelten koͤnnte, hat
Goethe'n Hier ein thüringifhes Borbild gedient — und gewiß
lernte der große Dichter folgendes Bergmannslied kennen, wel-
ches Einfender vor vielen Jahren in der Gegend von Königfee
dramatifch bei einer Dorfkirmeß aufführen ſah.
Erſter Bergmann. |
Gluͤck auf! mein guter Freund,
Was geht Ihr mit der Ruthen,
Ih glaub’ Ihr ſeid vermeint
Gin Bergwerk bier zu muthen;
Wenn id ankommen Tann (d. h. wenn ich zugelaffen
werde),
So geh’ ich felb mit d'ran;
Denn ich feb’ das Bebirge
Für etwas Edles an.
3weiter Bergmann.
Ya, ja, mein lieber Freund,
Ich babe das Bertrauen,
Mi Cuch, wenn gut «6 ſchänt,
Ein Bergumt hier zu bauen,
Das etwas Edles trägt —
"Die Muthung If gelegt;
Ich achte es fuͤr noͤthig,
Daß man alſlhier einſchtoͤgt.
Bauer.
WBas, Teufel!: macht Ihr dua
Df minem ſchionen FZalde,
Es werr mer ahm (eben) a ſuo — (das wär mir
. ‚" eben weht, — ironiſch)
Daß Ihr mer ene Halbe
Df mei Geblete macht!
So wur als haͤtt ihrs Rast;
Ihr Berglent ſid dan Bauern
Of Schuaden nuor bedacht.
Bergmann—
Ihr redt's aus Unverſtand,
Es iſt ja zu beweiſen,
Daß durch des Bergmanns Hand
Gibtes Kupfer, Stahl und Eiſen,
4—
| Bu 519
den iſt Die Seelt einer guten Pelicei, und ſchmes mag |
‚Bold, Silber, Binn und Blei,
Metall und manzserlei,
Dur Arbeit feiner Hände
Gefördert wird’ dabei.
Bauer.
Wir aber neh a ſuo — (nit alfo)
Laßt mir mei Bald met reden;
Wenn eh kaͤ Gifen hua,
Da laf ih. ben zum Schmede,
Der macht mer's guar fo nett,
Meftgabbel und Hemmkett,
Pflugſchuar, Nuathnahl, Hufeiſen,
War nuor vieel nlötdig haͤtt.
Bergmann.
‚ Mein lieber Bauerdömann,
So viel als wir verfpüren,
Iſt es nit wohlgetban,
Mit Euch zu biöputiren,
Denn Shr feid und nicht bald;
Seht, Mage, wo Ihr wollt,
Wir woll'n Euch [hen beweifen,
Was Ihr ausrichten follt.
Bauer.
Macht Ihr dad Loch nuor zu,
Hierher huats kaͤ Geſchecke,
Bahl koͤmmt a Kalb ane Kuh
A Schuaf in's Ongelecke (Ungluͤck).
Bergmann.
Was kuͤmmert und bein Vieh?
Die Odfen, Schaf’ und Küh’ -
Die mußt du laffen hüten,
Deswegen bift du hie.
Bauer.
Ihe Leut' ech ſahs (ſag's) Euch nu
Ihr thut mer rachten Schuaden,
Ich ſchluah, Parole! zu
Laßt Euch zum Guten ruathen.
Bergmann.
Bir tragen Beine GSchen
Stlägf bu! wir find dabei —
@o Gr, iſt zu vermuthen
Da ſteht's zu ſchuͤrfen frei.
Bauer.
Das woar an anner Wort!
Thutt Ihr de Freiheit huaben,
Meinthalb, ba gruabt nor fort.
Id ga meine Steuern und Guaben
Un mel Hefferengad —
Ihr mußt mer halt fert Fald
Oreihunnert Thualer zuahle,
Suſt (font) brauch ih noch Gewalt.
Bergmann.
So viel man Cuch verwuͤſt/
Muß Kuh für die Beſchwerden,
Wie es gebraͤuchlich tft,
Gin Aus zu Shele werben,
Denfelben habt Ihr frei,
Die Erzfuhr' auch babel; x
Yun könnt Ihr felber denken
Obes Sur Schade ſei.
Bauer.
Was ed bdenn abber a Kur
Was thut denn Äner galten,
I nu, dua gatt (gebt) mern Fluss,
Dann weil ech mei Winxi Halten.
Nor aber ſacht (fast) me habel,
St (06) e von Struoh oder eb e von Dem,
Bon Eeinwand ober kLaͤder,
Gb e von Holze ſei.
Bergmann.
Ein Kur it ein Anteil,
Den End von einer Zeche
Bu bauen ſtehet frei,
Run merlet, was I Tprede:
Thut ih ein Anbruch an,
So babt Ihr Antheil dran
Und könnt in wenig Jahren
Wohl werden ein reiher Dann
Bauer.
Ihr Heben, braven Leute,
Ichs braud’s zur boͤchſten Ruoth;
Ihr macht mer ſuo vel Freude,
Dap ih mid ſchon bedenk;
Kommt, giebt met mir in de Schenk,
Eh mid die Zeit thut zwenge,
Das ich mich von Euch lenk.
Bergmann.
. Ei, dafür danken wir,
Es hat ja nichts zu fagen.
Bauer.
3 nu, & Känndhen Bir —
Das koͤnn' wer jua vertragen; _
Bir find ja gute Wreund”,
Der Denker Hol’ die Zeind®’ —
Wer wollen einig Iche
A Schelm ders böfe meint.
Der Abdrud, melden Herr Director Abeken von biefem
Liebe in feinem anmuthigen Büchelden „Ein. Stück aus
Goethe's Leben’ gegeben hat, weicht in ber Lesart bier und
da ab, die gegenwärtige Aufzeichnung indeß trägt eine origi⸗
nellere Farbe.
Literarifche Notizen aus Frankreich.
Sittengemälbde.
Die Zeiten des Friedens wiegen den Menſchen nur gar zu
leicht in einen gefährlichen Schlummer und verloden ihn mit
außelnden Zrugbüdern zu einer verberblihen Verblendung.
eshalb ift es gut, wenn zuweilen eine eindringliche Stimme
ertönt, welche das erfhlaffende Selbſtbewußtſein der Menge
aufrüttelt. Eine folhe Stimme eines Deebigere in der Wüſte
erfchallt in den ‚„Epreuves sociales de France depuis
Louis XIV jusqu’% nos jours”, von 9. Dumesnil. Der Berf.,
der bereits nach vielen Seiten bin literariſch thätig geweſen ift,
eichnet hier ein düfteres Bild der franzöfifchen Zuftande. Die
emälde, welche er vor und aufrollt, find fchrediich und grauen»
vol. Er führt die Erfcheinungen der legten Jahrhunderte an
uns vorüber; aber für ihn ift die Gefchichte nur die Entwicke⸗
lung des Böfen in ber Welt. Daffelbe breiter fi immer mehr
aus, überwuchert Alles und droht die Keime des Guten zu er»
ſticken. Die trübften Ahnungen fteigen beim Anblick diefer un-
heimlichen Schilderungen in uns auf und es bedarf erft einer
Sammlung und Erholung, um diefe nächtlidyen Geftalten zu
verfcheuchen, welche ſich bei der Lecture diefer ſchwarzgehaltenen
Seiten erheben. Nichts von alle Dem was beſieht findet
Gnade, Alles ift dem Untergang und dem Berderben geweiht.
Dabei ift diefer ſtrenge Sittenrichter nicht etwa ein zerfahrener
Schöngeift, der mit dem Weltſchmerz und der Blafirtheit co
quettirt. Sein Misbehagen an den beftebenden Berhaltniffen
geht tiefer und fleht mit einer aufrichtigen und achtungswer⸗
then Sefinnung im Bunde. Man kann auch nicht gerade fa-
en, Daß er unter dem Einfluß einer Yarteileidenfi ſchriebe.
—* bekennt Damesnil fi offen zum Grundfag ren
tät, und er wird auch in der Hegel der Partei, welche disfes
rincip auf ihre gejgrieben bat, beigenäbi; aber nichts»
eſtoweniger zuͤchtigt er die Unfprüce ber Urifkofratie und
Thorheit der royaliftifchen Umtricbe auf das empfindlichfte.
@benfo ficht ed mit feinen religiöfen Anfichten. Bier ftebt er
durchaus auf roͤmiſch i Boden, aber dies haͤlt ihn
nicht ab, die Priefter offen als Theilhaber an ber allgemeinen
Schuld anzuflagen. Kurz, Pein Stand, Bein Rang ſchuͤtt vor
feinen vergifteten Ungriffen und es ift nur unbegreiflih,. wie
ein Mann, der Alles fo ſchwarz und verhaͤngnißvoll ſieht, Die
fchwere Laft bed Lebens zu ertragen im Stande ift.
-
— Gautier's neueſtes Werk.
Der Feuilletonniſt Théophile Gautier ſucht feinen Werken
immer gern eine abſonderliche Faͤrbung zu geben. ſucht
dies dadurch zu erreichen, daß er überall parodoxe Be-
hauptungen in den Vordergrund treten laͤßt und daß er feihp
im Ausdruck vorzugsweife von ben gebräudlichen Formen ab⸗
weicht. Befonders gefällt er fi in der Anwendung veralteter
Redewendungen und in einem Prunk feltener, aber vollflingen-
der Wörter. Man fiebt alfa, daß er im Ganzen mehr em
durchaus äußerlicher Geiſt ift, der nur da wirklich intereffant
wird, wo es fih darum handelt, irgend ein alterthümliches
Gemäuer, eine alte Ruine, bie in einer einfamen Gegend ge:
Ieaenen Trümmer einer roͤmiſchen Wafferleitung u. |. w. zu
befchreiben. Die Schilderung iſt feine eigentliche Stärke. Als
Beleg dafür führen wir nur feine Reifebilder aus Spanien an,
welche er unter dem Zitel „Tra los montes’ vor einigen Jah⸗
ren beraudgegeben bat. Wir erhalten jept wieder ein ähnliches
Berk aus Gautier's Feder, in dem wir freilich Feine grandio-
fen Defihreibungen, aber doch zum Theil gang gefällige Skiz-
zen aus dem Volksleben erhalten. Daffelbe führt den etwas
efuchten Zitel „Zigzags”. Der Verf. erzählt hier meiftens
— * Abenteuer, welche er auf ſeinen Fahrten durch
Belgien, England und Italien erlebt hat. Reben vielem halt⸗
loſen Geplauder wird und hier manche gefaͤllige Bemerkung,
manche unterhaltende Anekdote und anziebende Anficht geboten.
Literariſche Anzeige.
— —— —
Im Berlage von F. XR. Brockhaus in Leipzig iſt erſchienen
—* en Buchhandlungen zu en: richien
Die Ritterbürtigen.
von
Levin Schücking.
Drei Cheile.
Gr. 12. Geh. 4 Thlr. 15 Nor.
Dieſer Roman bildet den erſten bis dritten Band einer
Sammlung unter dem Zitel „Zeit und Bitten”, deren
vierter Band „Eine dunkle That” fih unter der Preffe
befindet.
Bon dem Berfaffer erfchien bereits in demſelben Berlage:
Ein Schloß um Meer. Roman. Zwei Zheile.
Gr. 13. 1843. Beh, 3 Thle.
Verantwortlicher Heraudgeber: Heinrich Brockdans. — Drud und Verlag von J. WM. Brockhang in Reipzig.
— — — —
Blaͤt ter
für
literarifhe Unterhaltung.
11. Rai 1846.
Geſchichte der parifer Policei.
(Beihluß aus Nr. 180.)
Die Aufmerkfamleit der parifer Wohlfahrtspolicei er-
- firedkt ſich Bis ind Meinliche: Zu Allem gibt fie Erlaub-
niß, Alles muß gegen ſchwere Gebühren einregiftrirt, con»
teolirt und revibirt werden, und bei biefer Ausbehnung
der Policeigewalt auf Ausübung von ben unverdädhtig-
fien Bewerben darf man fi nicht vermundern, wenn
man hört, daß bie hiefige Policei verfügt über ein jähr-
liches Budget von 12 Millionen Francs, über eine eir
gene Scharwacht von 2596 Mann Zußvolt und 647
Reiten, über ein Pompierscorps von 830 Mann, über
300 Stadtfoldaten, über ein Gchreibereimefen, welches
Tag und Naht an 300 Angeftellte beſchaͤftigt, und end»
lich über ein beinahe 2000 Mann ſtarkes Perfonal von
Policeicommiſſairen, Friedensoffizieren, Infpectoren und
Agenten jeder Art, die in ihren vorgefchtiebenen Kreiſen
und Bezitten für die Ruhe und Orbnung wachen und
zu jeder Stunde, in jeder Minute und in jeder Secunde
ein feharfes Auge haben auf bie Unmaffe des brotlofen
und faulen und auögeftreiften und ausgekehrten Gefin-
dels, welches in fo einen ſchrecklichen Menſchencloak als
Paris ift zufammenflieft und ben ftchenden Abſchaum
der. ungeheuern Volksmenge abgibt, deſſen Tieberliche,
raͤuberiſche, beftialifche und moͤrderiſche Gelüfte gegen das
Eigenehum, die Ruhe und das Leben anderer Reute in
beftändigem Aufruhr und permanenter Verſchwörung find.
Jede große Stadt if der Lärm- und Tummelplat lofen
Gefindels aller Stufen, und Paris fteht hierin, nad
Kondon, auf ber höchften. Selbſt ber beften und wach-
famften Policei iſt es unmöglich, eine Stabt, wo über
eine Milton Menſchen fih zufammen bewegt in einem
Umfange von wenigen Geviertmeilen, von ſolchem heil«
fofen Geſindel zu reinigen und aus dieſem Menfchen-
dickicht alle Raubthiere rein auszuffopfen. Alles jenes
" Raub und Rumpengefindel geht fo frei mit unter dem
großen. Haufen; es hat feinen Willen zu arbeiten und
die größte Luft zu ſtehlen, und es ift wirklich kaum be-
greifiich, wie mit folhen Beimifhungen und gährenden
Elementen die Bevölkerung fo ruhig und bequem fich
benimmt, und wie wenig man ahnt, wie dünn bie
Kruſte fei, auf welcher man geht und auch mol tanzt,
j und unter welder ein Abgrund gähnt, deſſen Inhalt
nur zuweilen hervorbricht wie an ber Seite des Veſuvs.
So mädtig iſt die Wirkung bes täglichen Lebens, der
Rothwendigkeit und des Bedürfniffes der Ruhe und bes
Verkehrs, fo vortrefflih die Wachſamkeit ber ftäbtie
fhen Policei, deren weitläufiges Neg alle Quartiere von
Paris und alle Ortſchaften des Weichbildes der Haupt
ftadt umfpannt. Der Mechanismus dieſer ununterbro-
Genen policeilihen Wachſamkeit iſt vielleicht der vollkom ·
menfte der Welt und den Hauptzügen nad) folgender«
maßen eingerichtet :
Zedes Arrondiffement von Paris hat feine Policibrigade
von Gtadtfergeanten und Infpectoren, die unter einem Friedens ·
offiziee Reben und den Beruf haben, unausgefegt alle Theile
ihres Bezirks auszufpüren, über die Befolgung der Gefege und
Berordnungen zu Wachen, die rtretungen Policeiverbote
au, Bistato zu nehmen, Bank und Gchlägereien vorzufommen,
ithäter die fie auf der That ertappen fetzunehmen, wo «6
Roth ift zu helfen und die Eirculation fo viel ald möglich un«_
genist im Gange erhalten (mas in einer Stadt, wo jeden
9 von 6 Uhr Morgens bis Mitternacht über 60,000 Yuhr-
werke aller Urt auf dem Pflafter berumrolien, Feine geringe
Mühe verurſachen mag). Ihr Dienft fängt Morgens an und
hört erſt um Mitternacht auf, wo bie Sicherheit ber Stadt
andern Policeidienern und Militairpatrouilen übergeben ‚wird,
welde die Wachpoſten des Bürgermilitairs, der Municipale
garde und Linientruppe ſtellen.
In jedem Wrrondifiement ift em Centralbureau für den
Priedengoffigier, welchem die Stadtfergeanten und Infpectoren
des Bezirks über alles Vorfallende mündlichen oder fihriftlihen
Bericht abftatten, woraus dieſer wieder einen gedrängten Aus«
zug macht, den er zweimal bed Tags, und in kritiſchen Fallen
mod) öfter dem Policeiprafecten einſchickt, bei welchem die Ber
richte der fämmtlichen Weiedensoffiziere zufammenlaufen, und
der auf dieſe Weiſe fogleiy von Allem unterricptet wird und
nie us Haufe gebt, ne den Buftand der Hauptftabt genau
u
en.
Eine ftarke Brigade Stadtſergeanten ift eigens beauftragt,
das Gewirt in den Straßen auseinander zu en die PM
derniſſe bes freien Verkehrs aus dem Wege zu räumen, und
namentlih um die Hallen und Märkte fowie in den Begen«
den, wo das größte Gewimmel ift, Ordnung zu halten.
Bier fogenannte Eentralbrigaden ohne 1} Beftimmung
ſte hen immer für unvorhergefehene Bälle in Vereitfpaft, um
* 7 Wink des Praͤfecten hinzueilen, wo Berſtaͤrkung nö-
ig if.
Die fogenannten „grauen Patrouillen” (eine Art Racht ·
wächter) find die ganze Racht in Bewegung und ziehen rot-
tenmweife Straße auf Errafe ab; fie nehmen vorgefchriebene
Bege, damit alle Stabvtertel zugieich ausgeftöbert werden, und
durchſuchen vorzugsweife bie engen und finftern Straßen, die
\
” 2
\
legenen Quartiere, kurz alle Stellen, wo e& für den ver-
ten Yußgänger nicht geheuer if.
Die nächtlichen Beraubungen, Morbthaten, Einbrüche
und Diebftähle, welche die parifer Zeitungen nut zu häu-
fig melden, baweiſen leiber, daß man mit diefem Pa⸗
tsouißenfeflem. voch nicht erreicht Hat, was. der Palizel-
lieutenant Herault von Vancreſſan beabfichtigte, der, wie
er fi) ausdrüdte, das Pflafter von Paris fo ehrwürbig
machen wollte als eine Saeriſtei.
Die Aufſeher der Hotels garnis müffen täglich die Mude
Machen in den meublirten Häufern, wo man Simmer an Mei:
| vermietbet, und in eigene Liſten, die denfelben Tag nad
—— eetur abgeliefert werden, die Namen, Vornamen,
das Alter, Gefchlecht und Gewerbe Derer ‚eintragen, welche in
bieſen Häufern ein« und ausziehen. Dieſe Liften werden fox
gleich betiſch geordnet und dienen in ſehr vielen Fällan
alt. Leitfaden, um verſchollenen oder anrüchig gewordenen Rei⸗
ſenden wieder auf die Spur zu kommen.
Diefe Arbeit muß ungeheure Umflände machen, ba
bier mehr als A000 folche zum Logiren eingerichtete Häu-
fex. vorhanden find, wo täglich beinahe 2500 “Per-
fonen ab- und zuziehen und im Durchſchnitt 37,000
Menfchen, barunter 6000 Fremde haufen.
Außerdem I die Policei Die Sorge für Zufuhr und Ber:
brauch; die Aufficgt über die Hallen und Mürkte, über Fluß⸗
kaifftaber und Strombenugung, über die 2000 Gas» und die
0 Öfflaternen, welche jede Nacht Winter und Sonumer
unausgefegt brennen, und die 120,000 MRitres (30 Lieue) Ab⸗
abanaͤle, in welche alle Unreinigkeiten gufammenfließen. Sie
—2* die Reinigung der Straßen (eine wahre Herculesarbeit;
denn den Unrath son einer Million Menſchen, von 100, 10
en, MOND Katzen und Hunden, von ebenfo vielen un:
reinlichen Handsierungen,, von Regen und Schnee, aus einem
Augiasftalle von dem Umfange wie Yarid mit ben engen Gaf
fen sum Theil, wo die Sonne nicht Binabbringen Tann, weg⸗
— dies iſt eine Aufgabe, die unbeſchreiblich ſchwer iſt);
Möytigt die Unftalten zur Aufnahme der Krauken, Ernäh-
rung der Nothleidenden, Berminderung der Betiter, Wegſchaf⸗
fung: ſchaͤdlicher Mitglieder der Sefenkgaft, die Spitäler, Die
Sefängniffe, die Zucht⸗ und Unguchthäufer, unvermeidliche Peſt⸗
beulen einer unermeßtichen Sauptfladt, wo alle unbändigen Leis
denfchaften gähren, Fochen und am Ende plagen würden, wenn
der Geſetzgeber nicht weiſe worbeugend hier unb dba fehende
Baden gelafien, in deren Jauche fich die nerwerfenften Lüfte ab»
Fühlen. Im Intereſſe ber Öffentlichen Ehrlichfeit und Befund»
heit hat fie ein wachſames Auge auf den betrügerifchen Kraͤ⸗
mergeift, der folfh Maß und Gewicht gibt und verfaͤlſchte oder
vesdorbene Waaren unfegt. Verkauft ein Mäder Brot vom
angegaugenem Mehl, cn Meinfchen® vesfälldten Wein, ein
Kaufmann verlegenes Auch, ein Spaezereihaͤndler verdorbenes
Gewürz, ein Goldſchmied probewidriges Silbergeräth, ein Met⸗
ger altes Fleiſch u. ſ. w., fo bedarf es nur einer Ungeige bei
Dem Pollceiconmmiflait des Biertels und ex trifft die nöthigen
Berfügungen dagegen. inter ber Aufficht ber Yolicei eben
auch die Deobtendder von Yaris, und die andern Grabfkötten,
Scſachthaͤuſer genannt, wo täglich Hunderte von Opfern ben
yungeri Mögen zu: @unft fallen; bie an mehren Punkten
—28 und bes Kanals angebrachten Anſtalten, um
Eertrunkene oder Selbſtmoͤrder wieder ind Beben zurüdgurufen, .
und bie mehr als 30,U00- Böfewidter, Diebe, Moͤrder, Sara:
cener, entlaflene oder entfprungene Verbrecher, Die fie, wie je=
new Feldherr des Al , alle bei Namen nennen kann und
in ihren Antecedentien Bennt. Es gibt auf der Yoliceipräfestur
oin au mit einer über 100 Zahre —** — Samm⸗
lung aller von te eiſg⸗
a a a ———
4 Diefe Sammlung, welche mit den
2. Fuͤrſt und Proletarier.
leerenftrafe verhängt haben und täglig mit befendern Rotigen
nermehrt werden, Die geeignet find, betreffenden Falls Aufſchiuß
ſelbſt über folche Perfonen zu geben, welche von der Anklage
wegen eined Verbrechens oder Vergehens freigefprocdhen worden.
lims bed alten franzönfchen
arlaments eine der ymfaffendſſten Wefundenfongmirmg bildet;
brt den Mamen: Bes sommiers judielaireg, und enfhält übeg
eine Million NRotizenblätter und Xcten.
In das Fach der Poltcei gehört au die allgemeine An⸗
ftändigkeit. Sie bat die Aufficht über die auf allen Theatern
zu gebenden Stüde, über die Kupſerſtichhanbtungen, über die
öffentlichen Anſchläge und Ankündigungen, über big fittenlofen
Bucherverkaͤufer, über die, Uriniranftalten in allen Stadttheilen
und über die — Unterhofen der Sthaufpielerinnen.
Aus diefen angezogenen Stellen erhellt zur Genüge
die ausgebreitete Macht und Wirkfamkeit der parifer
Policei. Wie fie diefelbe in alter und In neuer Zeit
angewandt, erfahren wir aus vorliegender Geſchichte, bie
von ihrer erften Entftehung bis auf unfere Zage- reicht
(1667 — 1844). Der Verf. hat mit großem Fleiß und
vielen Einfiche gerade Das gefammelt und ansgefucht, bei
dem durchaus dem Leſer keine Langeweile ausbrechen
dann, da er bier von einem Gegenflande zum andern
mit Intereffe fortgezogen und von dem bald. ernfien,
bald muntern Wortrage der Erzaͤhlung eingenommen
wird.” Der Gegenſtand ift mit genägender Vollſtändig⸗
keit abgehandelt, zeich an Notizen und urfundlihen Auf⸗
Härungen. Auch gagen. die Anordnung läßt fi nicht
viel einmenden. Mancher wird indeß fragen, warum bie
ausführlichen Lebensnachrichten über ſaͤmmtliche Policei⸗
lieutenants und Seliceipräfssten von Ludwig XIV. pie
auf Ludwig Philipp I., da diefe Lebensumftände, info-
fern fie nicht den hiſtoriſchen Charakter der gefchilberten
Verfonen beitimmten, nach dem Herkommen fperiellen
Biographien angehüren? Die Schrift enthält maucherlei
Stoff zur Unterhaltung und zum Nachdenken, und ver⸗
dient viel geleſen und überbacht zu werben. 89.
Romanliteratur.
1. Srmin Galeer. Wan 2. Starklof. Zwei heile. Leiptig
D. Wigand. 1846. 8. 3 cIhir. *
Ein Roman aus der Gegenwart
von Theodor Hlckers. Zwei Theile. Leipzig, Klemm.
1546. 8. 2Thir. 15 Nee.
3 Schiefale eines Proietariers, Gin Bolkebuch von Ehren-
reih@ichheiz Leipzig, Ph. Reclam. 1846. 8. 17% Mer
4. Rudovico oder der Sohn eined Mannes von Genie. tt⸗
gart, Hallberger. 1846. 8. 1 TAhlr.
e zu
lechten und Mitt
1
nen uns allgemeine |
pen aufgepußf ſtatt concreter Perfönlichkeiten und individueller
Züge und frifchen Lebenswechfelß begegnen und die fi gewoͤhn⸗
lich damit entfchuldigen, daß es durchaus nicht moͤglich fei, un⸗
%
ihr diefelbe in euern Romanen entweder foll v
fragt, oder dieſelbe gänzlich aus dem Spiele laſſen zu müffen
ſenar Aeis und iten Genflisien din. anderes poetiſches Intewefle
abzugrwinnen. Sein Roman if fein Tandenzroman, aber er
if} defienungenchtet ein Zeitroman, und abgleich er durch und
ein Beitroman if, entbehrt en dennoch nicht des wahr:
haften conereten Lebens, des inwiniduellen Friſche, Der heiterſten
Aoeſie. Searklof fcheint auf jenes Höhe des Lebens zu ſteben
ä
| er Pinſelſtrichen hingeworfenen Beichnungen einen großen
eil eigener Lebenserfahrungen von ſich loslöſe, daB er ſich im
der Entwidelung diefed Romans über die elenden Kämpfe der
Wirklichkeit poetifch zu erheben fuche, daß er Darin über den
eigenen Lebensfampf vol trüber Erfahrungen und fcharfer Beob⸗
achtung den Frieden und bie Verföhnung, melde die Poeſie
gewährt, ſuche und finde. Ia, man merkt es diefem Romane
wamittelbaer an, daß er nicht bloß gefchrieben, ſondern daß er
auch dDurchgelebt und durchgekaͤmpft worben ift, und Darin vers
Hält er fih in einem birecten Gegenfage zu unfern meiften
neuern beutfchen Romanen, in denen entiveder eine ungeordnete
Dhentafie ierlichtert oder eine abſtracte Tendenz manoeuvrirt
und die fi meiſtens alle geradezu unfähig zeigen, die nackte
Wirklichkeit unfers Lebens mit der Wahrheit der Poeſie in groß-
ortiger, kuͤhner Auffaffung zu verbinden. Starklof will in fei-
nem „Urmin Galoor“ weder ein forieliftifched noch ein commu⸗
nigifches Syftem proclamiren und uns eine Syſtemweisheit wer
Der im ſpaßhaften noch in gräßlihen Beifpielen veranſchaulichen;
für ihn ift die Poeſie nidgt mehr die Dienerin irgend eines
außer ihr liegenden Intereſſes, er erhebt fie wieder zu fich fel-
ber, zu ihrem felbfteigenen Weſen. Sie überragt bie vertin⸗
elten Bewegungen, Kaͤmpfe und Zudungen unferer Zeit, aber
L verleugnet diefe Zeit und ihren Boden nicht, ſondern ſucht
vielmehr biefelbe in der Fuͤlle ihrer ganzen Kraft und ihrer
objectinen Ruhe zu charakteriſiren und in einer großartigen Faſ⸗
fung wieder zu gebären. &o ift „Armin Baloor” kein Ten⸗
dengroman, abes ein Beitroman, wie wir augenblidlic Beinen
zeiten befigen, und ber Berf. weiß in bemfelben ein Bild un-
fers beutfchen Lebens nach allen Seiten bin mit einer ſolchen
Kenntniß und Kühnheit zu entwerfen, daß wir wahrhaft ver:
wunbert find über das Nejultat, welches wir durch ihn erhalten.
Denn diefes Reſultat, ihr deutſchen Romanſchreiber, ift
#ein anderes als folgendes: Ihr beiügt eu und dad Yubli-
cum felbft, wenn ihr behauptet, daß es unmöglich fei, unfere
Gegeniwart, fo unflar und fo zerriffen wie fie geworden, zum
Gegenftande einer Fünftlerifchen und wahrhaft poetifgen Be.
Handlung zu erheben. Starklof Fiefert und den Beweis von
Diefer Noͤglichkeit. Nicht an unferer Gegenwart liegt *3 wenn
rrt und ver⸗
laubt. Ihr ſelbſt tragt die Schuld im eurer Lebensunfähig-
it. Ihr lebt nicht, ihre fehreibt nur. Ihr wollt die Gegen:
wart ſchildern und Darftellen ohne daß ihr fie Bennt. In euern
Univerfitätscompendien,, auf euern Bairiſchbierbaͤnken, in euern
Duchlaͤden und Lefeinftituten glaubt ihr Alles erfahren zu Fün-
nen, was ihr zu wiflen braucht, und aus der Ode eurer indi⸗
viduellen Eriftenz heraus glaubt ihr dann die Gegenwart dar»
ellen zu Tonnen oder ihr glaubt, daß was ihr nicht koͤnnt
berhaupt unmögli fei. Deshalb find unfere deutſchen Ne»
mane fo lebensunfähig und fo unwahr ber englifchen und der
franzoͤſifchen Romanliteratur gegenüber. Dem deutſchen Ro:
mankpreiber hat daß Leben in ber Regel fehr wenig gegeben,
er Niet in engen Pferden, ihn trägt Feine Fühne Woge an
fremde Geftats, hinein in fjenmm großartigen Genflirt Des Lebens
und ber Individualitäten, er weißes hochſtens gu einer. anſtaͤndigen
bürgertichen Grifteng gu bringen und von feineng Kohlgarten auf
glaubt er fi dann berufen, einem Volke feine Gegenwart zu ſchil⸗
dern. Natürlich kann nichts dechtes Daraus werben unb wir erhal⸗
tem in unſern Memanen entweder phantaſtiſche Philiſtereien, au
denen ſich nur noch Bamımarbiener und Griſetten amufirer mögen,
ober abftragte Tendenzen, bie -binter dem Dfen von der Lebens
unfaͤhigkeit ausgeheckt worden find. Selbſt unfere beſken Romane
wifien und nichts Anderes zu geben ald einen ſchwachen Schat ⸗
ten, als einen unfihern Abglanz unſers wirklichen Lebens, un⸗
tsrmengt wit unmoglichen Suſtänden, launigen Traͤumereien,
rellen und unklaren Phantafien, in denen fich nur die vorge⸗
te Unfit des Lebens, wie fie ſich in der. Einbildungsfraft
des dereinſamten Dichters entwidelt, geltend macht und Die
aller realen Grundlage, aller Wirklichkeit, aller Wahrheit ent:
bepren. Wenn unfere Romanfchreiber nicht leben, fondern nur
ſtumpffinnig binbrüten ober phantaftifch ſchwaͤrmen oder philo⸗
ſophiſch erperimentiren wollen, fo werben fle auch nicht ſchrei⸗
ben können wie gefchrieben werden muß, um bie Theilnahme,
um bie Befriedigung eines Volkes zu gewinnen. Ie größer
bie Ode und Die Lebendunfähigkeit unſerer beutfchen Romane
im Wlgemeinen ift, um fo größere Theilnahme und Anerken⸗
nung wird aber der Verf des „Armin Galoar“ verdienen, de
er duch fein. neuefted Product den Beweis Liefert, daß bie rich⸗
tige A aflung der Zeit, ihrer Zuftänbe und der fih im ihnen
entwidelnden Individualitäten nicht ein ausfchließliher Vorzu
der franzöfifchen und englifchen Romanliteratur iſt, fondern d
auch deutſche Schriftſteller mit ihnen darin zu westeifern und
wol gar durch die Erhebung der Wirklichkeit in Die Faſſung
voller Poefie zu übertzeffen vermögen, wenn fie eben nur ker -
ben, wirklich leben und die Zuftände erft durchkaͤmpfen wollen
und an ſich herankommen laſſen, bevor fie dieſelben darzuſtellen
gedenken.
Die Babel, welche dem Romane zum Grunde liegt, iſt
„ziemlich einfach gehalten, der Heid deſſeiben ift mehr eine p
Ars
ve als eine active Geſtalt, er wird erft in das rechte dat
eſtellt durch die ihn umgebende Welt, durch die Buftände und
erhältniffe, in denen er fi) bewegt, durch die Perſoͤnlichkei⸗
ten, mit denen er in Berührung kommt. Wir fehen in dem
geben einen Jungen Maler vor und, der unbekannt mit feinen
eburt das Geheimniß derfeiben zu enträthfeln ſucht und von
— und Vermuthungen getrieben in den hoͤchſten Ge⸗
fellſchaftskreiſen den Schlüffel zu finden glaubt. Er bewegt
fi deshalb in einer deutſchen Refidenz unter der haute volee,
in den Eirfein des Hofes und wird es endlih, aber zu fpat
gewahr, daß man nur ein liftig berechnetes Spiel mit ihm ger
triegen. Er iſt eitel, abenteuerluſtig, leichtſinnig. Durch fee
nen Beruf ald Maler, durch feine frühern Bekanntſchaften und
feinen Ubermuth kommt er mit den verfehtedenartigften Geſell⸗
ſchaftsclaſſen in Berührung; er iſt gern dabei, wo es gilt, ei»
nem Breunde beizufichen, einer unverdienten Armuth abzuhel⸗
fen oder auch die Anmaßung zu beftvafen und der Bosheit bie
varve vom Gefichte zu reißen. Jugend und Schoͤnheit gruppi⸗
ren fih um ihn und es fpinnt fih darin eine Menge von Aben-
teuern ab, in denen bie interefianteften Geſtalten hervortau⸗
hen, ſtets feſſeln und uns bie geiftreiche Pinfelfführung bes
Dichters, Die anmuthige Husführung der Gemaͤlde bewundern
laffen. Der Dichter führt uns nadeinander ein in das hohle,
in fig banfrotte und troſtlos gelangweilte Keben unferer deut»
fhen Uriftofratie wie in die Souliſſenwelt des Theaters und
feine Intriguen, in die Fuchſsſchwaͤnzereien, in Die Lügen „
keit und Aufgeblafenheit des GHofgefindes wie in bie ärmlidhe
Wohnung deb bebrängten Mittelftandes. Wir lernen die ge⸗
heimen Yahrten der Geldwucherer, der vornehmſten und der
niedeigften Wegelagerer kennen und es wird ebenſo unerbittlich
von den Gedanken der regierenden Perfonen wie Dev elenbeften,
niedrigfien Gauner jener Schleier weggenoimmen, in dem fie
fich im gewoͤhnlichen Leben verbergen und hinter Ben unfere
'
deutſchen Romanfchriftfteller fo außer felten zu ſchauen wiſſen.
Überait ift ea überall ift mit ben richtigen Karben ge
malt, wenn auch häufig nur flizzirt und nicht bis ins Einzelne
ausgeführt. Der Horizont unferer politifden und forialen Bu«
ftände tritt uns in den Werhältnifien und in ben Perfonen,
welche der Dichter Herbeiführt, fchlagender und treffender ent-
egen als in den gruͤndlichſten Raiſonnements. Gr hat den
ud der uns drüdt verkörpert, er zeigt und unfern Jam⸗
mer, unſeke Roth, wir muͤſſen haffen, wir müflen verachten.
Bon unferer ganzen deutſchen Welt, von oben bis unten, wird
der Vorhang —S— und der Berf. hat die maͤnnliche
Bitterkeit, das Gefuͤhl der Berzweiflung, welches ihn zuweilen
überfommt, durch die Ruhe feiner poetiſchen Kraft, feiner Ob⸗
jectivirung zu mildern gewußt. Wllerdings liebt er mehr die
Skizze als die Ausführung, und das ift zum Theil ein Tadel
für den Roman; aber wie werthuoll find nicht auch geniale
Skizzen! Und Starklof's Skizzen erreichen häufig das Gebiet
des Senialen. Wenn der Dichter, ftatt feine Perfonen redend
einzuführen, ihre Worte häufig in feinem eigenen Namen über
liefert, dann aber wieder ganz und gar die dramatiſche Form
anzunehmen beliebt, fo läßt fi Dagegen zwar Mancherlei ein-
wenden, im Ganzen wird aber dadurch dem Werthe des Ro-
mans als ein wahrhaft praßtifch gedachtes und ausgeführtes
Kunftwert nur [ehr wenig Abbruch gefchehen. Mit gutem Ge⸗
soiffen dürfen wir allen unfern Leſern die Lecture des ,, Armin
Galoor“ empfehlen; Jeder wird darin auf feine Weife Anre⸗
gung und Befriedigung finden. - .
2. „Kürft und Proletarier‘ non HÄickers erreicht allerdings
beiweitem nicht Die Höhe und den Werth der Starklof'ſchen Pro:
duction. Diefer Roman bleibt ganz in dem Gleiſe unferer ge
wöhnlichen deutfchen Romane. Er ift zu fleißig gearbeitet, zu
gut, um ſchlecht genannt werden ge koͤnnen, er ift zu gewöhns
ch, um ſich zu einer ‚befondern Bedeutung erheben zu Fünnen.
Was wir von der Xebensunfähigkeit und Schreibfeligfeit unfes
ver deutſchen Romanfchriftfteller oben gefagt haben, fände hier
wol feine Beftätigung. Olckers hat jedenfalls die Abfiht, uns
die focialen Eonflicte unferer Gegenwart derzuftellen, aber er
hat fie zu wenig durchlebt, als daß es ihm gelingen, ald daß
feine Yroduction unfer innerftes Intereffe in Anfpruch nehmen
könnte. Er muß zu allerlei romantiſchen Situationen feine Zu⸗
flucht nehmen, weil ihm die Wirklichkeit des Lebens keinen
kuͤhnen Scenerienwechfel, einen Situationenreichtbum geboten
bat. Er will leben, indem er fchreibt, anftatt zu fchreiben,
nachdem er gelebt und geprüft hat. Es quillt uns aus frinen
Schilderungen Beine Wirklichfeit, Beine Wahrheit, fondern nur
eine abgeblaßte Romantik entgegen, ein rein äußerliches Ha⸗
Shen und Suchen nad) Spannung, ein vergeblihes Streben
nach freier, voller Bewegung. Der Roman ift eben gemacht
wie unfere meiften deutſchen Romane gemacht werden, fern von
geſchichtlichen Procefien der Zeit, in der Vereinfamung und
Lebensiſolirung eined im Allgemeinen recht hübſchen Talents.
Hickers hat zu wenig die Wirklichkeit unferer focialen CEonflicte
durchgelebt, um fie widerfpiegeln zu konnen, aber er hat aud
zu wenig philoſophiſch, theoretiſch Über diefelben nachgedacht,
um wenigftend duch einen Pühnen Zlug der Abftraction ein
Intereſſe zu erzwingen; er ift mitten in ber Halbheit und Re:
bensunfähigfeit der Romantik ftehen geblieben. Sein Rcman
iſt nichts weniger als ein focialer Roman, er ift eben gut ge
nug für eine ganz müßige Stunde, für die Leihbibliotheken.
Nicht einmal die fubjective Weltanficht des Verf. lernen wir
aus diefem Romane Fennen, wie viel weniger tritt und eine
tünftlerifche und poetifche Objectivirung unferer Lebenszuftände
daraus entgegen. Wie alle Situationen etwas Gefchraubtes,
etwas Gemachtes und Zufammengeleimtes haben, ebenjo begeg⸗
nen uns auch Feine Individualitaten, Feine wirklich vom Leben
und von den Zuſtaͤnden der Zeit getragenen und erfüllten Men-
ſchen. Die Perfonen, welche den Roman zufammenbilden, hat
eben der Dichter blos gemacht, fie Pönnen nicht auf fich felber
pochen; der Roman if
aus und fie find vergefien, fie hinter:
laſſen auch nicht den geringfien Eindrud. Indef wenn wir
die Schwäche des deutichen Romans einmal als ein ziemli
allgemeines Übel gelten laffen, fo ift „Zürft und Yeofetarier“
doch nicht ber fihlechtefte unter diefen romantificenden deutſchen
Romanen. Am ſchwaͤchſten fieht es freilich mit ber focialen
Seite diefeß Romans „aus der Gegenwart” aus. Sie if voll
kommen verfehlt uud entweßer carilırt oder unbedeutend. Wenn
man ein Eombendium über Socialismus und Communimus
gelefen oder aus Stein audgezogen, wenn man etwas von einer
communiftifhen Propaganda gehört und von der Vielrednerei
über das Elend der untern Volksclaſſen erfchüttert worben if,
fo fhreibt man darum noch Feinen forialen Roman. Die ganze
fociale Bewegung oder Richtbewegung in biefem Romane ifk
nicht blos verzerrt und unwahr, fondern auch für die Entwicke⸗
lung deflelben nicht wefentlih und nur eine bloße Modes
beigabe, um den Roman mit der Etiquette „aus ber Gegen-
wart’ entlaſſen zu Tonnen. Er gebe Hin zu den übrigen. Er
ift gelefen und wird vergeffen.
(Der Beſchtuß folgt.)
Hiftarifde Miscelten.
Rach dem Tode des Papftcs Julius HI. wurde (1539)
Marcelus II. zum Papſte erwählt, welcher aber nur 21 Zage
regierte. Er Hatte den Ramen Marcellus, ten er fihon vor
der Erwählung geführt, beibehalten, gegen Die Gewohnheit,
wonach ein neuerwaͤhlter Papſt auch einen nennen ans
zunehmen pflegt. Sarpi („Histor. concil. trident. B. 666)
meint nur, daß diefe Gewohnhett von den Deutichen und zwar
urfprünglich herrühre, weil diefe rauhklingende, den Ohren
der Italiener misfällige Namen haͤtten; dann ud, weil bie
Anderung des Namens habe anzeigen follen, daß damit alle
Neigungen eines Privatmanned abgelegt und dafür das Stre⸗
ben nach Öffentlihem Wohl ergriffen, und daß alc Gedanken
an daB Irdiſche in folhe an das Bimmlifche feien verwandelt
worden. Allein nad Platina’6 Bericht hat die gebachte Ger
wohnheit, welche viel älter, einen andern Grund. Der 701
verftorbene Papſt Sergius I., aus Palermo gebürtig, führte
nämlidy vor feiner Erwählung zum Papſte den Geſchlechts⸗
namen Bocca di porco (Schweinsruͤſſel). Diefed Ramens
jhämte er fi, und nahm dafür, nachdem er Papft geworden,
den Namen Sergius an, woher zuerft die Gewohnheit entftan-
den, daß die neuermählten Päpfte in der Negel ihre Namen
zu verändern pflegten. ' .
—
Im 3. 1518 beauftragte Papſt Leo X. feinen zu Yugd-
burg befindlichen Legaten, den Cardinal Bajetan, mit Luther
eine Unterrebung zu pflegen und zu verjuchen, ihn unter Zu⸗
fiderung von Ehrenftelen und hoher Belohnung zum Widers
tufe zu bewegen. Der Verſuch blieb aber fruchtlos, und der
Cardinal wurde darüber fo entrüfter, daß er harte Worte und,
Schmähungen gegen Luther ausftich, auch fpäter eine weitere
Unterredung mit Luther ablehnte mit den Worten: „Ego nolo
amplius cum hac bestia loqui; habet enim profundos oculos.
et mirabiles speculationes in capite suo.’’ (Opp. Lutb. ed,
Hal, XV, 714). In der Folgezeit wurde Dajetan 6 gegen
Luther bewiefene Härte von dem Papſte Paul. TU. ſchwer ge
tadelt und der entgegengefegte Weg eingejchlagen. Der päpft-
lihe Nuntius Vergerius 59 — in Folge erhaltenen Auftrags
1935 zu Wittenberg eine Unterredung mit Luther und begeg-
nete demfelben mit der größten Leutfeligkeit. Die Vorftellun-
gen und Berheißungen, welche cr Luther gemacht, finden fi
kurz zufammengeftellt bei Sarpi I. c.S. 122—123, und ebenfo
euther's heftige Entgeynung, welche mit der Außerung ſchloß:
er de feiner Xehre fo gewiß, Daß, ehe er fie aufgebe, eher
no der Runtius und der Papſt folher beitreten würben.
“ Berantwortliger Herausgeber: Heinrich Wrocddans. — Drud und Verlag von F. X. Vrockhang in. Leipzig.
r— 1
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Dienſtag,
Über den Begriff der Literatur.
So gäng und gebe auch gegenwärtig unter uns Li⸗
teratur iſt, und ein fo wictiges Moment fie auch im
Leben der Menſchen und Völker bifdet, fo hat man die-
felbe doch noch immer nicht zum Gegenftande einer all-
gemeinen Betrachtung, einer philoſophiſchen Unterſuchung
gemacht. Dieſer Mangel an abſtracter logiſcher Erwaͤ⸗
gung und Beſtimmung Deſſen was Literatur fei iſt bis da⸗
hin nicht ohne den größten, mannichfachſten Nachtheil ge⸗
blieben. Iſt doch ſchon der Begriff bei den meiſten Men⸗
ſchen ſchwankend oder dunkel oder verworren: fie wiffen
gemeinhin gar nicht ſich darüber Rechenſchaft zu geben,
vermechfeln ihn mit andern verwandten oder ähnlichen
griffen. Ja, wo es befonders darauf ankäme ihn
reiht Scharf zu begrenzen, feine einzelnen Merkmale genau
L fennen und zu bezeichnen, z. B. hei Abfaſſung von
hriften welche ſich auf Literatur beziehen, oder bei
Handhabung und Erflärung literarifher Werke, fehlt
meiftentheils, nm nicht zu fagen überall, diefer fichere
Feitftern: man tappt im Finſtern in der Irre umher
und läßt auch die Andern im Irrtum. Manches der-
artige Werke ift oder mird dadurch ganz unklar: es
angeln ja bie ſichern Pfade, auf welchen wir gehen |
möhten; es mangelt daß Licht, mittels deffen wir ung
nad) rechts und linke, vorwärts. und rückwaͤrts orienti-
zen tönnten; es mängeln die beftimmten Ideen, nad)
denen wir Jegliches zu bemeffen ober bemeffen wünfchten.
Aus demſelben Grunde ift bean auch ber Werth, die
Wichtigkeit, der Hohe Nugen ber Literatur noch keines
wegs allfeitig erkannt und nad) Gebühr gewuͤrdigt wor⸗
den. Man findet hin und wieder nur einzelne An« und.
Ausſichten eröffnet. Einen totalen Überblid, eine voll- .
Ständige Auseinandesfegung findet man nirgend. Und
doch, welches Moment wäre jept in der Welt, im Pri⸗
vat=- und öffentlichen LXeben, in der Erziehung ber Ju⸗
‚gend wie ganzer Völker bedeutfamer als dus der Kitera-
tur? Nein! verdient eind gegenwärtig die aufmerkfamfte
Berädfigtigung, die ernftefte Beachtung, fo äft es dieſes.
Und Hänge nicht mit der Anficht hiervon wieder Die
Einſicht in die Regeln zufammen, einestheils wie man
das Feld der Riteratur weiter anzubauen, anderntheils
wie man bie bereitö vorhandene zu .trastiren habe? War⸗
viele ſchlechte Werke? Wal fie keine Idee haben von
igrem Berufe und von der Sache für welche fie arbeiten. "
Und Tann und wird endlih das gemeine Lefen in us
fern Familienkreiſen, was fi bei fo vielen Männern
und Frauen ‚zur Leſeſucht und Leſewuth gefleigert hat,
die gleich einer Dogelgattung nur iumer verihlingen,
nie verbauen wollen, andere ‚geheilt merben, als wenn
die Welt darüber aufgeflärt ift, wie fie denn eigentlich
mit ber Literatur verfahren fell und wie nicht? Weldes
Verhaͤltniß denn eigentlich Hastfinbet zwiſchen Schrift⸗
ſteller und Leſer, und ber Sache nach ſtattfinden follt
Auch dürfte das nicht wenigen Philologen und Päada-
gogen, denen ber Beruf obliegt, mit und vor ber Jugend
Werke der Literatur gu behandeln — ad, wie Viele trei⸗
ben biefe ihre Sache handwerksmaͤßig und ohne tiefe all-
gemeine Anfıht! — von Rutz und Frommen fein, wem
fie Veranlaffung fäuden, über Das ſich aufzuklären, was
fie betreiben. |
Längſt ſchon wäre Hier vonnöthen gewelen ein Sao—
krates, deffen Methode ja bekanntlich darauf auegiug, bei
allen Begenftänden das wirkliche Sein und Weſen der-
felben im Denken unb mittel6 bes Deukens klar ia am
faffen; der danach firebte, die Menſchan diatektifih Kiss
Ati ihrer Begriffe zu prüfen, mad anzuiehten ſalbige
] zum klaren Bewußtſein zu bringen, jedes Ding mit Dam
Verftande zu zerlegen nach allen feinen Theilen und Dies
malen und Gigenfihaften, und danach feinen Werch wm
beſtimmen. Man [che nur — um unfen Leſeen zum
Beweiſe Hierfür etwas Specielles der Art vorzubaiten
auf biefen Punkt umfere Literaturgeſchichten an! Wie ver⸗
ſchiedenartig, aber auch wie mangelhaft, wie hüelend
find daſelbſt gemeinhin bie Definitionen von .Liseraser
und Literaturgefchichtel mern anders ja dergleichen ven
handen find; benn fehe Vielen mengeit fogar biefe Ba⸗
ſis; die Werke ſchweben gleihfam im der Luft, und bie
Rofer derfelben find eben Deswegen "gleichfalls ein Spiel
ſchwankender Lüfte. Betrachten wir etliche! Wachler fagt:
„Die Geſchichte der Literatur foll bie Thatſachen darfirf-
ken, aus welcher Entwidelung und fortfiheritende Kräfte
des Menſchengeſchlechts fich erkennen laſſen.“ Wie vage,
wie wenig treffend! Wie Unweſentliches gebend ſtatt des
Weſentlichen! Piſchen hat folgende Erklaͤrung: „Litera
tur ſtellt die geiſtige Ausbildung eines Volks in feinen
fegriftftellerifchen Dentmälern bar.” Auch diefe Defini-
tion ift fehief und unlogifh. Uberdem gibt er als Gr-
gänzung und zur Bervollftändigung bes een zur
Sefchichte ber deutſchen Nationalliteratur” „Denkmäler
der beutfchen Sprache” heraus. Wie paßt dies Beides
zueinander? Steht benn Beides in ſolchem Verhältniffe,
daß Sprache und Kiteratur zufammenfällt? Und wie ver-
bäfe es fi) mit Gervinus? In deffen „Geſchichte ber
poetifchen Literatur der Deutſchen“ eine totale Leere phi⸗
ioſophiſch » logifcher Begründung: eine leitenden Ideen,
feine Principien, eine Erklärungen. Zum Glüd bat der
felbe fo vielen natürlichen feinen Takt, daß er dennoch
ein treffliches Werk geliefert; allein es trägt aus jenem
Grunde doch den Fehler der Unklarheit und der Un»
durchfichtigkeit, wie der Verf. felbft in der Vorrede zur
zweiten Auflage gefteht. Briedrih von Schlegel bietet in
feinen „Borlefungen über Geſchichte der alten und neuen
Riteratur” mehre trefflihe Bemerkungen; allein etwas
Erfchöpfendes und Beorbnetes findet ſich auch hier nicht.
Nur einzelne Lichtblide, ohne Zufammenhang und ohne
tieferes allfeitiges Eingehen in die Sache. Am meiften
noch dürfte Rinne auf dem rechten Wege fein, hätte er
nur im Übrigen fein Werk lichter und durchſchaulicher
gemacht. Ganz empirifch plump und feicht find unfere
gewöhnlichen griechifchen und roͤmiſchen Literaturgefchich-
ten. Wo ift da etwas zu leſen von philofopbifcher Be⸗
gründung? von einem Maßſtabe der Literatur? von ei⸗
ner Würdigung der betreffenden römifchen oder griechi⸗
hen? von der Weltflellung ber Literatur überhaupt und
diefer beiden fogenannten daffifhen insbefondere? Hier⸗
aus geht zur Benüge hervor: der Gegenftand verdient
befprochen zu werden, namentlih in dieſer Zeitfchrift.
So fei denn der Berfuch gewagt.
Bei den Römern fommt das Wort Literatur bereit® zur
Zeit der Blanzperiode ihrer Sprache vor, aber in andern Be⸗
Deutungen als wir es gebrauchen: es hieß bei ihnen fo viel ale
das Schreiben, bas Malen der Buchftaben (bei Cicero),
fodann bie Kunde des Alphabets (bei Tacitus), endlich
die Srammatit, dies Wort im weitern Sinne genom-
men (bei Quinctilian). Wir verſtehen in allgemeinfter
Bedeutung darunter alle diejenigen geiftigen Schöpfungen
ober Werke der Menfchen, welche durch das doppelte
Medium der Sprache und ber Schrift oder bed Drucks
zur finnlichen Erſcheinung gebracht worden find. In die⸗
fem Sinne hat man z. B. von einer allgemeinen Kunde
ber Literatur oder von einer allgemeinen Riteraturgefchichte
zu fprechen. Weil indeſſen gegenwärtig folcher Werke,
fie mögen nun gefchrieben oder gedruckt fein, bereits eine
zu große Anzahl eriftirt, auch fehr viele derfelben, we⸗
gen ihrer mangelhaften Befchaffenheit oder wegen ihres
—2 — rein wiſſenſchaftlichen Inhalts, keine allgemeine
ückſichtigung finden oder verdienen: ſo hat man den
Begriff der Literatur auf diejenigen menſchlichen Werke
in Sprache und Schrift oder Druck beſchraͤnkt, welche
fih durch ihre Äußere und innere Form ebenſo wol wie
duch ihren Gehalt zur Lecture für Jedermann eignen,
Jeden intereffiren, auf bie fogenannten fhömmiffenfchaft-
fichen ober äfthetifchen Werke. In diefer Bedeutung neh⸗
men wir das Wort nun auch bier und Laffen es ebenfo
wol bie Werke der Poeſie wie der fogenannten fchönen
Proſa begreifen. “ u
Zur Literatur in dem angegebenen Siune bedartf ds
demnach — das ſtellt fih aus jener Definition heraus
— nothwendig folgender vier Stüde: 1) Eines fchöpfe-
rifchen Triebes und einer fchöpferifhen Kraft des menfch-
lichen Geiſtes, wodurch berfelbe im Stande ift, eigene,
feiner Natur angemeffene Schöpfungen zu unternehmen
und hervorzubringen; 2) der Sprache, d. h. ber articulir-
ten Zautfprache, beren fidy ber Menſch als eines nam-
haften Mittels bedienen kann, um jene geifligen Pro⸗
ductionen zur finnlichen Erfcheinung zu bringen; 3) der
Buchſtaben oder überhaupt einer Schriftfprache, um jene
geiftigen, bis daher blos in leicht verhallende Laute und
Töne gefaßten Produckionen auf die Dauer an fefte ficht-
bare Zeichen zu binden, durch welche es möglich iſt, Dies
felben immer wieder zu reproduciren; 4) einer fchönen, gefäl-
ligen, dem jedeömaligen Gegenftande angemeffenen äußern
und innern Form. Das find die unterfcheidenden Merk:
male der Literatur in jenem Sinne überhaupt fowie ei-
nes jeden einzelnen literarifchen Werks der Art.
Hieraus folgt zunähft: Literatur im Allgemeinen
Tonnte nicht eher unter den Menfchen ins Leben treten,
bevor nicht Buchſtaben, nicht fhriftliche Zeichen für die
fprachlihen Laute vorhanden waren. Seit diefer Erfin-
dung und feitbem man in bem Gebrauche folcher Zei-
chen eine gewiffe Kertigfeit erlangt hatte, datirt ſich Li⸗
teratur in ber Gefchichte dee Menſchheit. So auch be
jedem einzelnen Volke: es tritt dann erfi in bie Reihe
Iiterarifcher Nationen, wenn es folche ſichtbare Zeichen
betommen bat oder befigt. Das ift demnach ein Punkt,
auf den man bei Abfaffung jeder Literaturgeſchichte noth-
wendig Rüdficht nehmen, den man jedes Mal einleitenb
wohl beleuchten muß. Nun fehe man aber einmal Au,
wie es in diefer Beziehung mit unfern Literaturgefchich-
ten beſtellt if? Die meiften berühren kaum dieſen fo
wefentlihen Punkt. Zugleich kommt dabei in Betracht
— die Literatur hängt ja zum Theil davon ab —, ob
diefe Zeichen auch und inwiefern und inwieweit ihrem
Zwecke entfprochen haben ober entſprechen? Ob fie die
Laute gehörig und vollkommen barftellen? Ja! verbient
doch felbft das Material, auf welchem die Zeichen ge-
fehrieben werben, Beachtung, weil auf bemfelben die
Dauer ber literarifchen Producte beruht. Daß biechei
die Erfindung, Verbreitung und Vervollkommnung der
Buhdruderkunft ebenfalls ein hoͤchſt richtiges Moment
tft, liegt auf der Hand.
Die Kunft, fprachlihe Werke allein ober Werke der
fhönen Redekünſte zu verfaffen, iſt dagegen älter als
die Erfindung der Buchſtaben⸗ und Zeichenfchriftl. Einen
Homer, einen Offien konnte e8 geben, es konnte Redner
geben, auch ohne daß man zu fchreiben verftand. Ihre
Werke wurden erſt dann Theile oder Glieder ber Kite-
ratur, als fie aufgezeichnet wurden. So hebt die äfthe-
tiſche Literatur der Deutſchen erſt mit Karl dem Großen
an, obgleich ſchon früher deutſche Gefänge im Munde
von Sängern oder des Volks und von Barden exiſtir⸗
teu; ec mar es nämlich, ber fie zuerft aufſchreiben ließ.
Über geiftige Productionen: Gebanten, Gefühle, Phan⸗
tafieſtucke, Bilder der Erinnerung u. f. w. find fo alt als
das Menfchengefchlecht ſelbſt. Jeder Menſch hat von
Natur, bes eine mehr, der andere weniger, das Zalent
geiflig ſich zu. vegen, thätig zu fein, aus feiner urfprüng«
lichen Ruhe, aus feinem Richtsthun herausjutreten, fich
zu Außern, felbfländig etwas zu fchaffen. Es ift das
etwas Angeborenes, etwas, was wir mit den Kräften
in der Natur und mit des Gottheit felbfi gemein ba-
ben. Die legtere ift auch nicht durch eine äußere Noth-
wenbigteit befiimmt worben, die Welt zu ſchaffen, fon-
dern durch einen inneren fchöpferifchen Trieb, und dem⸗
gemäß hat fie diefen Trieb auch allen ihren Schöpfun-
gen, die dazu fähig find, eingehaucht, auch den Men-
chen, dem menfchlihen Geiſte. Von Anbeginn ift biefer
ieb ein Eigenthum unfers Gefchlechte.
(Die Fortfegung folgt.)
— — — — — —
Romanliteratur.
(Beſchlus aus Nr. 131.)
3. „Lubesico oder der Sohn einc Mannes vor Genie” ift,
wenn wie nicht ſehr irren, englifchen Urfprungs, obgleich eine
folche Bezeichnung durchaus nicht angegeben wird. Ein junger
Maler, Namens Alfred, flürzt fi und feine Zamilie in das
renzenlofefte Elend und zwar dadurch, daß. er blindlings auf
Fin Genie trogt und alle praktiſche Lebensumſicht vernadhläffigt-
eine Sattin und fein Sohn fuchen alles Mögliche hervor, um
die Folgen feineß Leichtfinnigen Berſchuldens abzuwenden und
wieder gut zu machen, die Frau näht Handſchuhe, der Sohn,
noch sin zehnjaͤhrines Kind, verkauft feine Fleinen Zeichnungen.
Derüber flirbt der Vater im Elend und gute Menfchen ned:
men fi der verlaffenen Familie an. Die Mutter wird Gou⸗
vernante, der Sohn Pommt bei einem Graveur in die Lehre,
das ift der glückliche Ausgang. Der Berf. will ungefähr Mo:
ral predigen folgendermaßen: Die Genies find Leute ohne Über:
legung, Sparſamkeit; Unbefonnene, Sauſewinde, Rachläffige,
iderſpenſtige, Zerſtreute, Lieberliche. Etwas Genie iſt aller⸗
dings nothwendig, um ed in den Künften weit zu bringen,
aber Einſicht und Beharrlichkeit find meit nothwendiger. Der
Verf. fchreibr für die junge Welt. &o fagt er denn:
„Lernt aus der Geſchichte Ludovico's, daß man in ber Re:
figion und in ber Ergebung die Kraft findet, auch bie ſchwer⸗
fien Proben zu beſtehen und Zroft im Gebete und im vollkom⸗
menen Vertrauen auf die große Güte Gottes. Gntnehmt fer
ner aus ihr, daß Armuth und Unglüd dur Geduld, Arbeit:
famfeit und Sparſamkeit gemildert werden Fönnen, daß uns
mit jedem Tage ein Glüd begegnen kann, ohne daß wir Die
Wege kennen lernen, auf benen ed Ale une gelangt, und daß
“ wenigftend eine gute Aufführung, kindliche Liebe, ein fefter
Glaube und Ausdauer bei der Arbeit früher oder fpäter ihren
Eohn, umd jebenfalle allgemeine Achtung und Wohlwollen finden.”
nd:
„Das traurige Schickſal von Ludovico's genievollem Water
mag euch zur Warnung dienen, euch auf eure Talente oder
euern Geiſt etwas einzubilden, denn fie find nur eine gefähr:
liche Kate für Den, der nicht durch Vernunft und wahre
Yrömmigkeit geleitet wird.’ '
Haben wir hier ſchwaäbiſche oder englifche Moral! Co
wie der Verf. ben kleinen Ludovicc ſchildert, muß er jedenfalls
>.
‚entfernt haben wuͤrde.
ein Knabe fein mit großau Genie für’ bie Malerel bejaht, der
Berf. figt.aber fo tief in dem veraltet « moralifch » egoifttfchen
Beltanfhauungefchtendrian befangen, daß er Alles zu einem
fröhlichen Ende gebracht zu haben glaubt, wenn er das Neine
Malergenie bei cinem Graveur als Behrfing unterbringt; Bein
Seufzer, daß das Genie fo häufig unter dem Dru des Lebens
verfümmert und Daß es immer mehr ein Privilegium des Wohl
ftandes werden wird. Wenn der Verf. durch feine Schrift die
Jugend bilden wiß, fo will er fie Doch nur Heranbilden zur
gedandenlofen Anerkennung der veralteten Lebensformen unb
nicht entwickeln in. Kraft und eigenem Gelbftbewußffein. Die
Babel ift einfach, wie ed Eine Schrift für die Jugend fein muß,
die Pinfelführung ift breit und bebäbig.
4. „Schickſale eine Proletariers“ von Ehrenreih Eichholz.
Der Berf. ſchreibt zwar nicht für Kinder, aber er —8 für
einen Theil des deutfchen Volkes, welcher burch den Drud der
Umftände noch unter Die Kinder gerathen tft, denn es ift ihm
die Naivetät der Kinderjahre verloren gegangen, und von dem
Mannebalter hat er kaum etwas Anderes ald die Roth, als
die Schwere des Geifted und des Gemüths. Die Herauögabe
diefer Schrift ift dem Verf. in Preußen zum „Verbrechen“ ges
macht worden und man hat ihretwegen eine Eriminalunterfus
hung, deren Ausgang noch bevorftcht, über ihn verhängt.
Eichholz, ein berliner Literat, war Mitglied des berliner Hand:
werkervereind und fuchte bildend und belehrend auf dieſes junge
Inftitut zu wirken, duch Vorträge, durch perſoͤnlichen Umgang
und endlich auch durch dieſe Schrift, welche er allerdings als
ein „Volksbuch“ auch für weitere aber ähnliche Kreife beftimmt.
Er ift in Kolge diefer Schrift freiwillig aus dem berliner Hand-
werkervereine außgetreten, weil man ihn fonft wol policeitich
Eine gefunde, kräftige Bolksliteratur will fih in Deutſch⸗
land erft bilden; was man bisher fo häufig dafür ausgegeben
bat, find vielfach elende Wiſche. Seitdem der Begriff der
„Maſſe“ ein theoretiſches und praßtifches Intereffe erregt hat,
will man natürlich auch literariich auf die Maſſe wirken und
fie „zur Selbſtbeſtimmung, zur freien Sittlichkeit” emporbifden.
Das bezweckt auch Eichholz mit feiner Schrift, fie ift ein Ber.
ſuch, die radicalen und ſocialiſtiſchen Principien der Mäfle an
ihren eigenen Buftänden zu veranfchaulicden und zu popularifi= .
ven. Als folder Verſuch hat die Schrift eine Bedeutung, vom
äfthetifchen Geſichtspunkte aus ift fie ohne Werth, felbft ſchlecht
zu nennen. Es fehlt dem Verf. Die Kraft der Individualificun
Die Kunft der Begrenzung, ibm ift die Fünftlerifche Seite un
fetbft die poetifche durchaus gleichgültig, wenn er nur Gelegen⸗
beit findet, feine Tendenzen auszufprechen und feine Abftractios
nen zu veranfhaulichen. Wenn aber Starklof uns in feinem
„Armin Galoor“ durd feine Indivibualifitung, durch ſeine kuͤnſt⸗
lerifche Bemeifterung des Stoffes intereffirt, wenn Olckers uns
gleitpgültig Läßt, weil er weder Perfonen fhaffen noch Ten⸗
denzen entwideln kann, fondern in der Romantik ſtecken bleibt,
fo gewinnt bagegen Eichholz unfer Interefie, weil er, abgefe
pen von allen kuͤnſtleriſchen und poetifhen Schwächen feines
erkes, neue Principien, kuͤhne Tendenzen ins Volk fchleubert.
Er meint es ehrlih, man fieht wie er die Zähne knirſcht und
wie er die Hände ball. Wenn wir den Standpunft unferer
deutſchen Regierungen berücfichtigen, fo dürfen wir uns durch»
auß nicht darüber wundern, wenn fie diefe Schrift für „ges -
faͤhrlich“ und „verbrecherifch ” halten. Sie ift nicht blos ein
Programm ded Nadicalidmus und Socialismus, fie ift auch ge:
radewegs auf die „Maſſe“ berechnet.
Schickſale eines Proletariers! Aber ift Wilhelm, der Herd
diefe® Romans, ein wirklicher Proletarier, zeigt fih an ihm
dad Fleiſch und Blut unfers Proletariats? Mit nichten. Dies
fer Menſch ift Bein wirklicher Menſch, kein Proletarier wie er
leibt und lebt, Eichholz kann nichtd weiter ald uns in dieſem
Wilhelm die Kategorie jener „Freien Sittlichkeit“ Hinzuftellen,
auf die er. nun einmal dogmatifch, wir dürfen beinahe fogen
ſchulmeiſteriſch verfeflen iſt. Eichhoiz ſchmeichelt in feinem Bo
325
Sir
a
in ber
che ‚ für die wi der Entwickeluug
liegen Lebens Übrigens, —— gel ‚ keinen
ben. IR denn mun aber Die „Mafie” wirklich beſſer,
als die hoͤhern Stände as find? Iſt von ige wie fie
ihr als einem — und abgcbundenen
ne Bethätigung der „freien Sittlichkeit zu erwarten?
lauben 06 wicht, wie Eichholz es predigt. IR etwas v
o iſt Alles verderbt, and wicht die Re, Tabea die
astige Um: ung u gangın Le wi von be
ie — Fa eine ſchulmeiſterliche Kategorie wie
die „freie Sittlichkeit“, ein neues Wort für die alte Moral,
ertöft und, ſondern nur sine That, nicht die Brutalität ber
iſolirten Aa ſondern eine allgemeine, menſchheitliche Bewe⸗
gung. Wit find alfo mit Eichholz im Grundſatze nicht einig
und auch nicht in der Ausführung. Wie Eommt er dazu, die
Schickſaie feined Wilhelm die Schickſale eines Proletariers zu
nennen? Beneidenswerther Proletarier, den: wir als Befiger
einer N a organifirten Fabrik und als Reichsſtandsdepu⸗
tirten verlaſſen. Haͤtte Eichholz die Zuſtaͤnde und Seiten des
Proletariats an einem wirklichen Menſchen darſtellen koͤnnen
und wollen, fo hätte dieſer Proletarier zaͤhneknirſchend an dem
graufumen Inftitutionen der Geſellſchaft untergehen müffen,
aber Eichholz muß feiner Sittlichkeitskategorie ja den Sieg ver:
ſchaffen, fie triumphiert, indem jie einen Drden zurückſenden
Bann. Sein Wilhelm geht tur die Prüfungen des Prole⸗
tariats aus der Maſſe bervor, das Proletariat ift für ihn nur
eine Prüfung und nicht ein dauernder Zuftand, er Löft fih von
der Maffe ab, fobald er nur irgend kann. Wir haben alſo kei⸗
nen wirklichen Proletarier vor uns, der im Proletariat gebo⸗
ren wird, im Proletariat lebt und un Proletariat flirbt. Wir
fehen Pein Leben, kein Wleifch und Blut, Peinen individuellen
Seugungsproceß, Tondern nur nadte allgemeine Abftractionen
und Zendenzen. Diefe aber mit großer Kühnbeit und männ:
lichem Muthe. Eichholz iſt ein weit befferer Kritiker der Ges
ſelſchaft — wenn ihm nur nicht daß Dogma ber „freien Sitt-
lichkeit“ ein Beinen fchlüge — als ein Dichter derfelben, ex
Pritifirt namentlich die preußifchen Staats: und Geſellſchafts⸗
yultände mit einer einfchneidenden Schärfe. So heißt ed über
ilitairverhaͤltniſſe:
„Spätere Jahrhunderte werden kaum begreifen, wie dieſe
Gtaaten, welche fi rühmen auf den Höhepunften der Gultur
zu ftehen, Deren Bewohner alle nichts wünfchen als geyenfei-
fig Friede und Freundfchaft, wie dieſe cultivirten Staaten doch
glei Barbaren einander drohen, ſich voreinander fürchten und
ungeheure Kräfte opfern, nur weil ihnen das gegenfeitige Ver⸗
trauen auf Rechtlichkeit fehlt. Das find die Früchte eines
ebenfo Foftfpielinen als ſchlechten Bewerbes, das jie Diplome:
tie nennen.’
Berner:
„Das Militaivgefeg ahndet den Augenblick, wo der Menſch
vergißt, daß er nur Dafchine fein fol. Wer wird es leugnen
wölen, daß In unfern Heeren der unbedingte Gshorfam walten
müffe? Uber wenn dabei immer wiederholt Erſcheinungen her»
vortreten, die mit der ganzen Denk» und Empfindungsweife
der Zeit im fchroffften Gegenſatze ſtehen und unfer fittliches
Gefühl aufs fehneidendfte verlegen, fo muß ed eine ernfte Auf⸗
gabe der Zeit werden, den Heereseinrichtungen eine Geftalt zu
geben, die nicht im Widerfpruche ficht mit unfern Anſchauun⸗
gen von Serehtigfeit und Menſchlichkeit.“
Über die Stellung des Volis zu den Vornehmen heißt es:
„Das Wohlwollen der Vornehmen müflen wir nur mit
Argwohn aufnehnen; felten ift es frei von felbffüchtigen Zwecken.
Und ihre Herablaſſung muß uns ſtets als eine Beſchimpfung
erſcheinen; denn der Menſch kann ſich nicht herablaſſen zum
Menſchen; herablaſſen kann er ſich nur zum Thiere. Erſt
dann dürfen wir das Wohlwollen und die Herablaſſung der
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on für ht und menfhlih dallen, wma fie h⸗
i igkeit
Agrar ton, rm Oel, od
widme Am wenigſten
———— a meinen *
Un einer anbeen Belle:
„Wehr Über ruch, Bornehme und Reiche! MBie viele Opfer
erlisgen euern ſchaͤndlichen Listen! Wie vein, wie edel erſcheint
ihr aͤußerlich, und wie ſchmuzig, wie geman lebts in euerwm
Innern. Ihr feid ſtolz auf euern Adel, eure Geburt, euexn
Reichthum umd blickt veraͤchklich auf das niedere Volk, bebt zu«
rüd vor feiner Berührung, und ihr habt em Recht dazu. Denn
unfere Söhne machtet ihr gu Anechten, unfere Zöchter zu Degen,
unfere Weiber zu Chebrederinnen Der Zeufel, welchem ihre
opfert das Geld, hat Gewalt über bie Gemüther der Men
ſchen. Uber die Zeit kommt, da feine Macht geftürzt wird,
und dann wehe eu, wenn ihr nicht geht und thut Buße und
betet an vor der Tugend, Die ihr fegt Durch eure Thaten
ſchnoͤde hoͤhnt.“
Schon dieſe wenigen Stellen koͤnnen die Art und Weiſe
des Berf. charakteriſtren. Er Hat ſich bemüht, womoͤglich alle.
Hauptungleichheiten und Haupteontrafte unferer Gefellſchaft im
den Bereich feiner Schilderung zu ziehen. BDadur wird fem
„Proletarier“ ein wahrer Tauſendſaſſa. Über die Meidhaftig-
beit des äußern Stoffes iſt gar fein Raum und gar Peine
ur pfochelogifihen inneren Entwichelung. Die Stärke bes Verf.
iegt in den Principien, welche Hinter ihm ftehen, und in ber
Übergeugungsßräftigkeit feiner Raifonnements, feine Schwch
liegt in der Schilderung, in der Indieidualifiuung, auf der puo«
tifigen und Hünftterifchen Seite, forwie in der Sihculle oder in
dem Dogma feiner „feeien Sittlichleit”. 38.
Literarifhe Notiz aus Frankreich.
Franzoͤſiſche Beifklichbeit.
Bor einigen Jahren erſchien In heftweifen Lieferungen eine
Galerie der bebeutendfien franzoͤſiſchen SciRligen, welche ihrer
Außern Form nad durch den glänzenden Erfolg dee „ Galerte
des hommes !llustres par un homme de rien” angeregt zu
fein ſchien. Diefe Sammlung führte den Titel „ Biographie
du clerge contemporain par un solitaire”. Die Lieferunge
welche uns zu Schicht gefommen find, Yandelten vom 5* st
von Paris, Affre, von Olivier, Genoude, Tamennais, Frayffi⸗
noud, Racordaire, Anden, Geramb u. f! w. Die Charakter:
zeihnung war nicht ſonderlich treffend und das Ganze mehr
auf eine Mittheitung einfacher biographiſcher Notizen bereignet.
Gegenwärtig erhalten wir ein Werk, welches ſich eine ähnlidye
Aufgabe geftelt hat. Es rührt von Gudrin ber, der ſich
fhon dur eine Arbeit über die Notabilitäten der franzöfl:
[hen Marine befannt gemacht bat, und ift unter dem Zitel
„Les pretres illustres de la France” erfohienen. Der fran»
zöfifche Klerus ift reich an hervorragenden Männern nach allen
Richtungen bin, und jegt, wo fi in feinem Schoofe fo nach.
haltige, einflußreiche Berwegungen zeigen, bietet ein Werd, wel⸗
ches uns die bedeutendften Wanner diefer Partei vorführt, ein
doppelteß Interefle. 17.
Berantwortlicher Herausgeber: Heinrich Wrodbans. — Drud und Verlag von F. ec. Wrodpaus in Leipzig.
Bl
für
literarifhe Unterhaltung.
Mittwod,
Über den Begriff der Literatur.
(Bortfegung aus Nr. 127.)
Die Sprache, obwol auch fie an fih und von Ra-
tur den Denfchen eigen ift, hat doch, infofeen fie zur
Darftellung, zur finnlihen Erkennung folder geiftiger
Productionen dienen fol, nicht fofort die nöthige Voll-
tommenheit hierzu: den nöthigen Reichthum, bie gehörige
Gewandtheit, die erfoberlihe Schönheit. Das iſi erft
Sache des Gebrauchs, der Zeit,‘ der fortfehreitenden und
fortgefchrittenen Bildung. If indeffen eine folhe Um-
wandlung erfolgt, dann ift auch fein Mittel geeigneter
das Innere des Menfchen auszudrüden als die Sprache,
als der Laut, der Ton, das Wort. Don dem Genius
einer Sprade: von bem lange ihrer Wörter, von ih«
rem Neichthum, ihrer Biegſamkeit, ihrer Bildfamteit,
ihrer Kraft und Milde, ihrer Lieblichkeit und Zartheit
hängt auch zum großen Theil die Beſchaffenheit der Li-
teratur ab, und ich muß deshalb, wenn ich die Entfle-
hung und die Befchaffenheit der Literatur eines Volks
darftellen will, nothwendig auf die Eigenthümlichfeiten
derjenigen Sprache, in welcher diefe Literatur verfaßt iſt,
eingehen und fie durch alle Zeiträume hindurch aufmerk-
fam und forgfältig verfolgen, etwas, was in unfern Li⸗
teraturgefchichten noch bedeutend im Hintergrunde fteht
und, wenn ja, nur feiht und oberflächlich und obenhin
behandelt if. Die Sprache indeß fowie auch die Rid-
tungen und der Reihthum und die ganze Befchaffenheit
einer Literatur hängt von der Nation felbft ab, der diefe
Literatur angehört: von ihren geifligen Anlagen, ihrer
Productivität, ihrer Herkunft, ihren Scidfalen, ihren
Mohnfigen, ihren Nachbarſchaften, ihren Verbindungen
mit, andern Völkern, ihrer Verfaffung, ihren Einrichtun-
gen und meift von dem jedesmaligen Standpunkte ihrer
Tultur; wofern nicht der Schriftfteller ein Mann if,
der feinem Zeitalter vorausgeeilt! In jenem Falle wird
demnach die Ethnographie, die Geographie, die politifhe
Geſchichte, die Geſchichte des Verkehrs, die Culturgeſchichte
eines Volks der Literaturgefchichte vorarbeiten, ihr zur
Bafis dienen müffen. - Auch in diefem Punkte fehlt es
unfern Riteraturgefhichten nody ungemein. In jenem zwei-
ten Falle, den wir oben fegten, ift, ſowie überhaupt bei
jedem einzelnen fiterarifchen Wirken und Schaffen, die
—— Nr. 133,
— 13. Rai 1846.
Herkunft des Schriftftellers, feine Erziehung, feine An-
lagen, feine Schickſale, feine äußern Verhältniſſe von
großem Belang. Hierfür Leiften unfere literargefchicht-
lichen Werke noch das Meifte, manche ſogar zu viel im
Verhältnig zum Übrigen. Es gehört freilich hierzu bie
wenigfte Abftraction und das wenigfte Nachdenken, meift
nur Sammlerfleiß. Und Körner finden ſich immer cher
und leichter ais denkende philofophifche Köpfe.
Die Abfaffang eines fhönen liferarifhen Werte
erfobert zulegt fpeciel jedoch eine äfthetifche Kom. Um
biefe ſchaffen zu koͤnnen, dazu gehört ein. natürlicher fel-
ner Sinn für das Schöne, alfo Anlage und Erfahrung,
Kenntniffe, Urtheil, überhaupt eine gewiſſe Stufe geifti-
ger Cultur, die freilich biß daher mehr empfunden als
feftgeftellt worden, weil noch zu wenig von den Philofo-
phen aufgeklärt ift, worin denn eigentlich das Schöne
befiche. Man hat daher auch noch nirgenb einen gang
fihern Maßſtab gefunden, wie denn eigentlich ein litera-
riſches Werk oder eine Literatur geftaltet fein müffe, um
äftpetifch «fhön genannt zu werden. Es kommt hier zu-
meift und zuvörberft der Gegenftand in Betracht der be-
handelt wird, und die Anzahl und die Befchaffenheit der
Objecte der Literatur ift von fo unendliher Mannichfal-
tigkeit, daß die Sache kaum in allgemeine abſtracte Re-
gen ganz vollftändig gebradht und gefügt werden Tann.
Der Künftler, fagt man, müffe geboren werden. So
iſt es auch mit dem Verfaffer eines Literaturwerks, was
ſchon genannt werden foll. Das heißt aber nichts An-
deres als: die Regeln oder Ideen des Schönen liegen
fo tief im menſchlichen Geifte, daß derfelbe fie mit fei-
nem Verftande bis jetzt nur unvolllommen hat erfaffen
und noch nicht auf allgemeine Geſetze hat bringen Tönnen.
Der jedesmalige Künftler muß ſich daher zumeift bei fei-
nen Werken felbft Regel und Norm fein, fogar bei jer
dem, auch bem Meinften Theil. Das ift Sache bes
Talents, des Genius, und ein literarifches Product, wel ·
ches wahrhaft ſchoͤn oder gar eine ganze Kiteratur, wel»
he äfthetifch ſchoͤn ift, zeugt demnach von befonderer Ber
gabtheit des fehöpfenden Individuums oder des fhöpfe
tifhen Voll. Und fo wird denn auch hierauf bei
Darftellung ber Gefhichte einer Literatur Rüdfiht zu
nehmen und das Volt von Seiten feines Geſchmacks
und feines Kunftfinne und feines Urtheild zu würdigen
fein ſowie ein jeder Gchriftftellee und ein jedes einzelne
literariſche Werk.
Damit hätten wir bie Bebingniffe entdedt, unter
welchen und durch welche allein nur eine fhöne Literatur
untere den Menfchen möglich warb und unter nerfchiebe-
nen Völkern. Denn b
vielen nicht, weil bei vielen Rationen wicht jene Bebing-
niffe vorhanden find. Verſchieden aber ift fie bei den
verfchiedenen Voͤlkern, konnte und mußte es fein und
werben, weil jedes Volk feinen eigenen Charakter, feine
eigenen Talente, feine eigene Denkweiſe, feine eigene
Sprache, feine eigene Eultur hat. Man wird freilich
ans dem Dbigen erfennen, wie eng verwandt die Werke
der Literatur mit den Werken der eigentlichen fchönen
Redekünſte, der Poeſie und ber Beredtſamkeit find: he
fallen, infofern fie alle ſprachliche Kunftproducte find,
zufammen. Nur darin gehen fie auseinander: einmal
daß die literarifchen jene beiden umfaſſen; zweitens daß
manche fprachliche erft fpäter literarifche geworden find;
deittend daß die literarifchen zur mündlichen Darftellung
den fprachlihen wichtigen Vorfhub leiften. Durch den
erftien Punkt bat man den Vortheil, die Werke ber
Poeſie und Profa, die fi doc nie fo genau fiheiden
laſſen, mit einem gemeinfamen Namen belegen zu fön-
nen ; Durch den britten, daß man im Stande ift, den
Werken, die vorgetragen werben follen (3, B. vom, Schau-
foieler Dramen, vom Rebner Neden) vorher die gröft-
mögliche Vollendung zu geben und einzuüben, ſich nicht
braucht dem gefährlichen Verfuche zu überlaffen zu er-
temporiſiren. Wiewol auf ber andern Seite nicht ge-
leugnet werden kann, daß dadurch bisweilen die Kraft
der Erfindung und die Friſche der Darftellung oder, mit
Einem Worte, die Begeifterung gelähmt und behindert
wird. Es wird nämlih zum Vehikel der dem Menſchen
"angeborenen Zrägheit, bei deffen Anmendung die Aus-
bildung. und Kräftigung mancher geiftigen Anlage leidet.
Das ertenaporifirte Reden und Dichten ift feit dem Em-
porkommen der Literatur bedeutend in den Hintergrund
treten; das plaflifche Element bat, fo zu fagen, dag
Vpergewige erhalte: über das productive.
Fragen wir nun nach der eigentlichen, höchſten und
obesften Quelle, woraus bie Literatur entipringt, fo ift
bie. Antwort: der menfchliche Geift in feiner ganzen To⸗
talität, nach und mit allen feinen Fähigkeiten und Kräf-
ten Es Tann bei ihr in Anfprucd genommen werden
und Sommt in Anwendung das intellectuelle Vermögen,
Dex Afihetifhe Sinn, das moraliihe Gefühl, die Phan-
tafie, das Erinngrungsvermögen u. f. na; fie alle haben
mehr oder weniger an jeder literarifchen Production An-
theil; geben entweder ſelbſt den Stoff her, oder, kommt
derſelbe von außen, fo geht er wenigſtens durch ein ober
mehre dieſer geiftigen Kräfte oder durch alle hindurch,
wirb durch diefelbe verarbeitet, gemobdelt, geftaltet, zu-
rechtgelegt u. ſ. w.
Sehen wir auf. die Mannichfaltigkeit des Stoffs, fo
if diefelbe, wie wir fihon oben bemerften, unendlich,
und ebenfo die ber Form, welche ſich nad) jener richtet.
allen findet fie ſich nicht, bei |
es wird für feine große Kunft erachtet,
Alles, die ganze innere und dußere Welt, das Sicht⸗
bare und das Unfichtbare, das Wirkliche und Nichtwirk-
liches kann der Menſch zum Gegenftande feiner litera-
rifhen Thaͤtigkeit mahen. Und um fo mehr ſteht es
ihm frei, zu wählen umb blos gerade Das zu wählen,
was fih durch fein Weſen, durch feine Gigenfchaften,
durch fein Intereffe empfiehlt. Und auf gleiche Weife
kann man.diejenige Art von Form erkiefen und hervor⸗
bringen, welche fi nicht blos für den Gegenftand eignet,
fondern an fih ſchon fi auszeichnet durch Schönheit
und gefällige Anmuth.
Korfchen wir nach den Beranlaffungen zur literari⸗
fhen Production, fo ergibt fich zuerſt theils eine fubjer-
tive theild eine Menge äußerer. Der Menfch hat von
der Gottheit nebft jenem Talente geiftig zu ſchaffen und
aus fich felbft herauszutreten auch einen Trieb, die Luft
dazu. Er will thätig fein, will ſich äußern, fühlt fich
daburd) von innen heraus gedrungen. Und wenn er das
thut und vermag, fo empfindet er eine befondere Befrie-
digung, ein befonderes Genüge. Solches Schaffen und
Hervorbringen und Wirken macht ihm das reinfte, das
fügefte, das edelfte Vergnügen. Darin aber liegt zugleich
bie ftille unverkennbare göttliche Mahnung, daf er fol-
ches auch fol, dag er verpflichtee ift aus fich felbft her⸗
auszutreten und geiftige Schöpfungen ins Leben zu ru:
fen. Dem eigentlihen, echten, genialen Dichter ift es
Bedürfniß zu dichten; dem eigentlichen, echten Hiſtoriker
Dedürfnig zu erzählen; dem rechten echten Philofophen
Bedürfniß zu lehren und aufzuflären; und nicht etwa
blos nachahmend oder Andern uachäffend, auf der Schul:
form Anderer fich erhebend ; fondern je felbftändiger,
je origineller er zu Werke gebt. Und wenn er fa
feine Aufgabe loͤſt, defto rühmlicher für ihn. Denn
die Wege
zu wandeln, die ſchon gebahnt find. Nachahmung
zeugt von Schwäche. |
Mit diefem rein fubjectiven Triebe und diefer rein
fubjectiven Luſt verſchwiſtert fih auch ein reiner allge:
meiner objectiver Zwed. Der Menſch nämlich hegt ver-
möge feines angeborenen Gefelligkeitstriebes Theilnahme
zu feines Gleichen; er wünfcht darum, daß Dasjenige,
was ihm Freude gemacht hat und macht, auch Andern,
feinen Mitmenfchen, Freube bereite; dag Dasjenige, was
feine Bruſt gehoben, fein Inneres veredelt, feinen Geiſt
verflärt hat, denfelben Dienft auch Andern leiften möchte,
Und fo fehnt und müht er fih — «8 findet ja nermöge
der Gleichheit der menfhlichen Natur bei den Menſchen
der Zauber der Wechfelmirkung untereinander flatt —,
Das den andern Menſchen mitzutheilen, was er felbft ge»
dacht, empfunden, erforfcht, geftaltet und gebilder hat.
Er will ſich offenbaren und kann fich offenbaren. Dies
gefchieht im vorliegenden Kalle durch die Sprache und’
durch die Schrift. Allein er fühlt dabei auch, daf es
angemefien der Sache wie feinem Zwecke, angemeffen ſei⸗
ner und feiner Mitmenfchen igenthümlichkeit und folg-
lid nothwendig, fei, diefem Mittel bei ber’ Anwendung
eine paffende, gefällige, die Sache auch ſchon im Au⸗
Ser enspfehlende äufiere Bann zu geben;
Biafert: .
Srundſtein zwar ift des Gehalt,
Doch der Schlufftein die Geſtait;
es erkennt, daß feine Kunfifchöpfung nu
rechtz Weihe erhält, wenn auch der Außenſ
- gafehieht, wenn im gegenwärtigen Zalle auf
teis bei der Anlage, auf natwrgemäße Wei
bindung der Gedanken, auf gewählte Dietior
mus, auf Wohlklang, Onomaiopoeſie u.
wird. Der mit andern Worten: er ſucht
diges Kunftwerk herzuftellem Go treibt ih
zu fein Inneres: dies die Quelle, ber noͤth
des Schönen an literariſchen Werken.
Diefelben-Anfprücge aber, die der Liter:
Beife am fid) felbft macht, madt darum c
blicum an ihn und feine Werte Cs fi
Wahlverwanoͤtſchaft ftatt Darum, daß das P
falls aus Menſchen beficht, mit gleichen
gleichem Empfinden. Und fo geht hieraus
vor, was ein literariſches Kunſiproduet Leif
den Maßſtab man objestiv an ihn zu leg
zu legen hat, ferner welchen Mafftab an
überhaupt und an bie Literatur eines jeder
Ein literariſches Werk foll und muß al
wert im eigentlichen Siane des Worte fe
Aufeen wie im Innern, in der Form wie
halte, im Einzelnen wie im Ganzen muß €
durdrungen und durchwebt fein; in der
ſteuction deffelben muß fih das Walten
Selbft im Menſchen tundgeben ; überall
BDenten, Refletion, ein Schaffen und ein
Fwedmaͤßigkeit und edle Vernünftigkeit erl
Hier ſoll man durchblicken ſehen das Sch
Vpantafie, dort das Forſchen und Sichten
des, hier Reichthum an Kenntniffen, de
Auswahl und eim geſchicktes Gruppiren u
des Iufammengehörenden; hier fol fid ein
fügt für Recht, dort für Tugend, Hier fü
-dort für das Schöne und Zmedmäfige fun
zeigt ſich gar darin das Höchſte und Ede
hen, Sinn für Religion oder Religiofität,
defto weihevoller, befto empfehlender für dat
Dies Geiftige wird nun bemfelben einer
Werth geben, weil es ja eben nicht blos d
des Schriftftellers fondern auch bie Anfe
Xefers oder überhaupt den menſchlichen Ge
Das wird fein geifligfter, fein unmittelbare
- Und damit, d. 5. mit der Befriedigung jene
oder jener Anfoderung, iſt zugleich der r
die beglüdendfte Freude, das feligfte Vergnüy
Kommt denn noch hinzu — was bei ſolch
gerade nicht felten der Fall ift —, daß der
bige im Momente concipirt und gefchaffen
fih von einem Anfluge aus der Höhe ber
kraftigt fühlte, wo er ſich, faſt undewußt
Verhaãltniffe, dem Walten ſeiner geiſtigen
ik unverwüfllich, it unvergängfich, läßt ſich ewig wieber
unb wieber erweden und verfüngen dabuch, daß man
ihr das rein Menfchliche entgegenhält, Rh in ihm zu
fpiegeln, beffelben fich im Innern bewußt zu werden.
Das aber ift die höchfte Potenzirung des menfchli-
hen. Seins und Lebens, wenn ber Geift zum Selbſtbe⸗
wußtfein und zum Genuffe diefes Selbſtbewußtſeins ge-
langt, wenn er ſich veredelt, gehoben, gebildet, vervoll⸗
kommnet fühlt. Vermag nun ein literarifches Product
diefes zu bewerkſtelligen — und es ift foldyes wermögend
um fo mehr, als es zum Mittel die Sprache hat, ein
* Mittel, das fi duch Weichheit, Schmiegfamteit, Ein-
Dringlichkeit vor den meiften übrigen auszeichnet —,
welch hohen Werth hat foldhes! Es ift werth ber hoͤch⸗
fien Ehre; es ift werth der Unfterblichkeit! Wie ein um
ausichöpflicher Born labt es Jeden, der binzutritt und
es koſtet, ohne Unterfchieb der Perfon und bes Gefchlechts,
des Standes und des Volles, der Zeit und des Orte.
Maßlos ift oft der Einfluß eines einzigen Schriftwerks,
eines einzigen Schriftftellers auf Verftandesbildung und
Aufklärung, auf Moralität, Religiofität, Geſchmack, Le-
bendigfeit und ‚Thätigkeit der Phantafie. Man nehme
3. B. die Bibel (die hebräifche Literatur) und in ihr bie
Palmen, die Gnomenwerke, die Parabeln des Neuen
Teftaments, oder die Homer’fchen Epopöen, die Dramen
bes Sophokles! Wie find oft ganze Völker, ganze Zeit-
alter durch ein einziges literarifches Product aufgeweckt,
gekraͤftigt, veredelt, gebeffert worden! Und ein Bud,
enthaltend ſolche Literarifche Werke, eine Bibliothek, be-
ftehend aus ſolchen Schöpfungen, ift gleich einem Mufeum
voll Antiten oder voll Gemälden zu ‚achten: fie haben
benfelben Werth, dieſelbe Nugbarkeit, denfelben Adel.
&o hat denn die Literatur welthiftorifche Wirkſamkeit und
Bedeutfamkeit, welthiftorifchen Werth erhalten. Sie ift
eins der beften und geeignetften Mittel zu erziehen: fie
gibt für eine Nation, für eine Zeit den beften Hebel
ab zur Förderung und Erhaltung der Cultur. Es wäre
wol der Mühe werth, hier ins Einzelne einzugehen unb
nachzuforfchen, welchen Einfluß fie von jeher auf bie
Menfchheit gehabt, auf einzelne Völker, auf einzelne Zeit-
alter. Die griechifche Literatur z. B., welch ein widti-
ger Hebel ift fie geworden und ift es noch zur Bildung
ber Welt! Wir können bier nur nicht auf diefen fpeciel«
len Segenftand eingehen. Aber Das fieht man wol aus
dem eben Beigebrachten: es verdient dieſe menfchliche
Tpätigkeit und die baraus Hervorgegangenen und noch
bhervorgehenden Producte in der Eulturgefchichte der Men-
ſchen eine ganz befondere Berudfichtigung, einen ganz
vornehmlihen Platz. Warum Hat fie den nicht ſchon
gefunden? Warum ifl fie bis daher noch ‚nicht, weber
im Ganzen noch bei einzelnen Völkern, nad) Gebühr ge
würdigt worden ?
Wenn denn die Literatur im Ganzen wie im Ein-
zelnen fo Großes, fo Herrliches zu leiften vermag —
wobei wir den Nugen, daf fie uns zugleih Denkmäler
für die Sprachen und deren Gefchichte liefert, nicht ein-
mal in Anſchlag bringen wellen — fo ifl jeder Schrift-
fteller, der fie wahrhaft bereichert, der fie verfchönt, der
fie anbaut, des Preiſes, der Ehre, der Unfterblichkeit
werth. Mit Recht Hat man ſolchen Männern im Alter⸗
thum wie in ber neueften Zeit Bildfäulen gewidmet,
oder auf anbere Weife ihre Andenken verherrliht. Mit
Recht kann ihr Vaterland auf fie ſtolz fein: fie find bie
Bildnr, die Wohlthäter ihres Wolke, ihrer Zeit, ja oft
der Menfchheit. Und indem fie das geworben find, ver-
berrlichen fie zugleich das Land das fie gebaren, die Na⸗
tion welcher fie angehören, das Zeitalter in dem fie ge-
lebt, ſodaß eim ſolches Land, ein folches Volk, ein folches
Zeitalter mit ihnen unfterblich fortlebt im der Gefchichte
der Welt.
(Die Bortfegung folgt.
Literarifhe Notiz aus England.
Der EChartiftendidter Thomas Eooper.
Bor Augen ift in d. Bl. des Ehartiften Thomas Cooper
und feiner „Prison rhymes”, der Frucht feiner Mufe während
feiner mehrjährigen politifchen Haft, gedacht worden. Es ſcheint
ein ſehr fruchtbaret Dichtergeift in dem Mann zu walten, denn
ex ift bereitö mit einem neuen Geifteserzeugnifle in dem „Ba-
ron Yule feast, a christmas rhyme‘ bervorgetreten, welches
die günftige Meinung von feiner bichterifchen Begabung nur
vermehren muß. Dbwol nad des Dichters eigener befcheidener
Außerung nur dazu beſtimmt, rauhe ungebildete Gemüther zu
ergögen, ift es reich an zarten und erhabenen Schilderungen
und verräth überall einen böhern Genius. Merkwuͤrdigerweiſe
bat fi) der Mann aus dem Volke, ber für deſſen Sache fchon
Verfolgung und Strafe erlitten, den Vorwurf feines Gedichte
aus den boͤchſten Kreifen der Geſellſchaft gewählt. Er ver
theidigt fi in der Dichtung felbft gegen die von beiden @ei-
ten erhobene Beſchuldigung, bier der „‚Zords und Herren”, daß
er, der „rohe Gleichmacher, welcher noch jüngft der Kerkerharfe
Zöne des Zorns über die bevorredhteten Claſſen entlodt, jeht
ihnen in der ritterliden Halle ergögliche Were auffpiele‘. Ex
antwortet, fie möchten nur den Sinn feiner Verſe zu verfichen
ſuchen und ſich die Lehre des fchlichten Barden zu Herzen neh»
men, fie würben finden, baß fie keineswegs fchmeichelhaft für
ihren Stolz fein. Richt weniger vorwurfsvol find die An-
rufe, die er feine Mitbrüder an ihn richten läßt:
Wir ſchelten di um deinen Sang!
Höhnft du wie jener Heid' den Drang,
Die Roth, die uns verbeert.
Mit Feltedluf, mit Tanz und Hymu',
Wo Tag für Tag ded Hungers Grimm
Im Eingeweid' und zehrt!
Vergafe du den heil'gen Schwur
Zu ftreiten für die Armuth nur
Bid zu dem Testen Hauch,
Der Vorderſte gen Zwingherrn Schar,
Stanbhaft und treu In ber Gefayr
Und in der Schlachten Rauch.
Der Dichter antwortet darauf:
Nein, Bruber, nein! noch nimmer kam
Mir aus dem Ginn der tiefe Gram,
Der bitter an euch nagt;
Died Herz erneut bier feinen Eid
G8 führt, fo Tang ed fchlägt, den Streit,
Bis euch die Freiheit tagt! 12.
Verantwortlicher Herausgeber: Heinrihg Brockzkans. — Drud und Verlag von F. X. Wrodpans in Leipzig.
Blätter
für
literarifde Unterhaltung.
Donnerötag,
14. Mai 1846.
Über den Begriff der Literatur.
(Vortfegung aus Ne. 183.)
Die Literatur ift eins der edelften Geſchenke an die
Menſchen. Nehmt der Welt die Literatur, und ihr nehmt
Nihr ihre halbes Ih. Das Höchſte, das Edelſte, was die
‚ Menfchen je gebacht, empfunden, erlitten haben, haben
fie dorthin niedergelegt, ſchon feit Jahrtaufenden nieder-
gelegt und legen es noch fort und fort da nieder. Ein Volk
das eine Literatur befigt, hat daran einen großen Schag,
und das um fo mehr, wenn diefelbe alle die Eigenfchaf-
ten hat, welche ihr zur Zierbe gereichen. Bemeſſen aber
wird eine Literatur einmal nad ihrem Inhalte und ber
Sorm, ob Beides gewählt, edel, hoch, keuſch, züchtig, ideel
ift; zweitens nach ihrem Reichthum, ob bei trefflichem
Inhalte und bei treffliher Form fid, auch eine Menge
literarifcher Werke vorfinden ; drittens nady ihrer Wiel-
feitigteit, ob fie nicht befchräntt geblieben. fei auf wenige
Gattungen; viertend nach ihrer Driginafität, ob die Ver-
faffer der einzelnen Werke nicht blos nachgeahmt fondern
felbftändig gefchaffen haben. |
Hiernad hat man natürlich auch das Wolf zu wür-
digen das eine Literatur befigt. Won nichts läßt fich
beffer auf die Productivität, auf Lebendigkeit, auf gei-
flige Thätigkeit, auf Genialität, auf die Talente, auf ben
Geſchmack, auf ben ganzen Charakter einer Nation
fliegen *) als von feiner Literatur. In feiner Kitera-
tur kann fih ein Volt befonders groß und hehr und
verdient und glänzend zeigen. Das Gemälde einer in
der Weltgefchichte oder in der Politit berühmten Nation
vollendet fich erft dann, wenn die Literatur nicht fehlt,
und felbiges gewinnt nur bann erft feine rechte Schön-
beit, wenn diefe Nation eine tüchtige, eine reiche, viel-
feitige, originelle Literatur aufzumweifen hat. Und dann
bleibt nicht die Achtung der übrigen Welt aus. An ber
Achtung, welche gegenwärtig jede gebildete Nation Eu-
ropas der altgriechifchen oder der jegigen beutfchen zollt,
hat die Literatur diefer beiden einen nicht geringen An-
*) Hierher gehört denn alfo exft — wer follte es denken? —
fene Definition Wachler's von Literatur und Literaturgefchichte. Ein
ganz fecundaired. gar nicht zum eigentliben Wefen der Sache ge:
höriges Merkmal ift mithin zum alleinigen Merkzeihen gemadıt
‚ worden, wie mir fon oben bemerkten.
theil. Welch eine Lüde dagegen in der Ethnographie ei-
nes Volks, wenn ihm bie Literatur fehlt! Und zugleich
weich ein trauriges und übes Keben lebt es, wenn es
fih nicht an eigenen Kunftwerken in der ihm eigenen
Sprache laben und erbauen kann. Wie geht dann fo
leicht die echte Rationalität verloren! Wie bald fchleicht
fi) Dann fo leicht das Fremde ein unb untergräbt und
zerftört Das, mas das Bolt eigentlich fein nannte und
für das theuerſte Gut, für das innerfte Mark feines Le⸗
bens hielt und halten mußte, weil es das Angeborene,
das Ungelebte, das eigentlihe Selbſt deſſelben war.
Solches Volk ift zu vergleichen einem Baume ohne Blü⸗
ten, einem Zage ohne Sonnenfhein, einem Acker ohne
Frucht. Was lebte dagegen ein Volk wie das griechi-
ſche für ein Dafein bei feiner herrlichen Kiteratır! Was
lebt die beutiche Nation gegenwärtig für ein herzliches
Xeben unter gleichen Verhältniffen! So wie fchriftftelleri-
fhe äfthetifche Werke die Blüten des geiftigen Lebens ei⸗
ner Nation find, die von Kraft und Fülle und Friſche
und Lebendigkeit im Innern zeugen, fo finb fie anderer-
feit8 auch die Früchte, an welchen. fi) ununterbrochen
der Geiſt labt und ftärkt und Eräftige und zum Höhern
emporragt und auf der Höhe ber Intelligenz, der Ge⸗
mütbfichteit und eines guten Geſchmacke erhält. Dies
muß bei uns, bei ber neuen Welt, um fo höher in An-
flag gebracht werben, als wir fein feld öffentliches
Kunftieben führen wie der Brieche in der alten Welt
unter feinen taufend von plaftifhen Kunſtwerken. ber
freilich wird nur dann biefes Ziel erreicht werben, wenn
man die Schriftwerke lief, d. dh. ihrem Weſen, ihrem
Zwecke und ihrem Mugen und Werthe gemäß zu hand⸗
haben oder zu lefen verfieht. Über diefen wichtigen Punkt
nur noch einige Worte.
Lefen heißt in der erften niebrigfien Bedeutung bie
fihtbaren fehriftlichen (gedrudten ober gefchriebenen)
Sprachzeichen in hörbare Laute umwandeln; im höhern
Sinne die zufammengehörenden fichtbaren Zeihen in
Sylben und Wörtern ausfprechen, endlich im hoͤchſten
Sinne: in diefen Wörtern und in den Zıfammenfügun-
gen den Einn erkennen, welchen der Berfaffer hinein-
gelegt hat, als er fie fchrieb oder druden ließ. Der Le-
fer verfähre hiernach gerade umgekehrt als ber Schrift.
fteller. Diefer arbeitet und fchafft erſt geiftig und gießt
”
334
dann dieſe geiſtigen Producte in die Sprache und in die
Schrift, macht die unſichtbaren geiſtigen Productionen
zu ſinnlich durch das Geſicht wahrnehmbaren; jener geht
vom Sichtbaren aus und ſucht in und an dem Sicht⸗
baren das Unfichtbare.
Nach der Obigen waren die Litesarifc - üfthetifchen
Werke Kunftprobucte. Als folche müffen fie auch vom
Lefer aufgefaßt und beurtheilt und genofjen werden, d. h.
er muß überall, im Ganzen wie in allen ihren Theilen,
das Walten des vernünftigen menfchtichen Geiftes, der
fie ſchuf und herftellte, zu erkennen bemüht fein. Dies
wird er nun im Stande fein fchon bei und in ber Form
des Kunſtwerkse. Dies ſchon fell cr das Schoͤne in der
Wahl, in dem Klange, in ber Übereinflimmung der Laute
mit der Suche, in der Berbimbung der Wörter zu einem
wohllautenben Ganzen mahtnehmen und fi daran ergögen.
Sodann ſoll er erfaffen und fich entwickeln und erklaͤren
den Gegenftand felbit, die Anlage bes Werks, die Ein⸗
theitung und die Gruppirung der einzelnen Haupt- und
tertheile, die Ausführung im Speciellen wie im Gan⸗
sen, und beurtheilen unb würdigen nach bem rechten und
fihern allgemeinen Maßſtabe bes Schönen und bes Lo⸗
giſchen. Endlich fol er auffteigen zum Berftändnig und
zur Beurtheilung der Sachen felbft, "die das Suſet der
Schriftwerke ausmachen, und darin das Wahrgedachte,
das Ziefempfundene, das Wohlgeordnete erkennen, em⸗
pfinden und herausfühlen und darüber gleichfals, won
möglich, fein Urteil fällen, fie prüfen und meſſen.
Denn jeder Schriftſteller echter Urt will und beabfich-
tigt bei Abfaſſung eines Werks, daß es fo ergriffen mit
dem Beifte und begriffen werde, wie er es ſeibſt be-
griffen Hat*), daß das Weſen und die Eigenfchaften
fe wie er fie ihm gegeben erkaunt und beurtheilt und
gewuͤrbigt, daß der hohe Schwung ben feine Seele bei
der Conteption genommen , die Spentität mit welcher er
geſchaffen, die Mühe die er barauf verwendet, die Zwecke
die er dabei fich geftellt, gewußt, erkannt und auerkannt
werden, daß das Werk benfenigen Eindrud made, den
et ihm glaubt negeben zu haben, daß es durch und durch
verſtanden, gefühtt, nach Gebühr gefchäge werde. Der
Leſer PH fich bermußt werden und einſehen, warum ber
Künftler jegliches und mit weichem Bedacht gethan,
warum berfelbe das Ganze gewählt, jedes kieinere oder
größere Stuͤck fo und fo bearbeitet, ihm dieſe ober jene
Foem, felbft im Kleinſten und Geringften, gegeben, ba-
mit er fehe, von weldem Gefichtepunfte er ausgegangen,
weichen Grundfägen er gefolgt, welches Talent er dabei
‚gezeigt, welche Feinheit des Gefühle, welche Schärfe bes
Geiftes, weichen Geſchmack er dabei angewendet.
(Dee Beſchluß folgt.)
) Edintier fagt in ſeiner Schrift über Beripowen 16. 74: ‚Mur
daB ſichere Erbermen und Erfaſſen, nicht die Bewunberung feines Genins
war ed, maß Beethoven an einem Freunde feſthielt. Und dies iR wol
ein fihered Kennzeichen des echt kuͤnſtleriſchen Senind, deffen erſtes
WBrohrfutg Mh darin unbfpriäht: daß ed erkannt und ganz
ertannt fein will.”
—
Ghorakterzüge und hiſtoriſche Fragmente- aus dem Leben
bes Königs von Preußen, Sriedrih Wilhelm TIL Ge⸗
fammelt nach eigenen Beobachtungen und felbft gemach⸗
ten Erfahrungen von R. F. Eylert. Zweiten Theile
zweite Abtheilung. Magdeburg, Heinrichshofen. 1845.
Gr. 8. 1.35.*) .
Allerdings bedarf es des vollen Maßes von Pietät, welche
ber treffliche Fürft, dem dieſe Blätter gewidmet find, anzu⸗
ſprechen hat, und des ganzen Maßes von Sympathie, auf
welches der Berf. Anfprud Hat, um dieſe Arbeit fortdauernd
genußreih und erfreulih zu finden; denn es nehmen, je
weiter wir in berfelben vorrüden, die Weitſchweifigkeiten,
die Ungebhörigkeiten und die Widerfprüde, welche man diefem
Buche von jeinem erften Erfcheinen ber vorwarf, mehr und
mehr überhand und drängen und oft den Wunſch auf, der ehr⸗
würdige Verf. möchte fein Material lieber einer jüngern und
fräftigern Weder überlaffen und ſich, ftatt der Leiblichen, mit
der geiftigen Autorfchaft Diefes Buches begnügt haben. Sn
der vorliegenden vierten Abtheifung deflelben gefchieht ihm nun
freilich viel Wenſchliches. Er verwwechjelt, wie ihm nachgewie⸗
fen worden ift, nichf nur Ad ‚ Beiten' und Daten mehr
als einmal; es begegnet ihm auch mehr als verzeihlich iſt,
daß er auf einer und berfelben Blattfeite entweder dieſelbe
Sache zwei: und dreimal faſt mit denſelben Worten fagt, oder,
was noch ſchwerer ins Gewicht fällt, daß cr auf derſelben
Seite feines Buches Diefelbe zufammenhängende Sade bejaht
und verneint, oder in einem unlösbaren Widerfprud Affirma⸗
tion und Regation miteinander verbindet. Alle Dieb zu bes
legen oder nachzuweiſen, wie fehr ihn Prächfion und Schärfe
des Gedankens bisweilen verlaften, wäre leicht: allein da es
weder für und noch für unfere Leſer erfreulich ober lehrreich
ift, da ed von andern Seiten ber bereitö genugfam erörtert
und mit nicht verdientem Spotte in Verbindung gebradyt wor:
den ift, fo ziehen wir es vor, die Sache als Bekannt voraus:
zee und, Inden wir uns einer natürlichen Pietät überlaſ
en, dem Berf. lieber zu danken für das vielfach anziehende
Material, dad, gleigviel ob gut oder übel, in dieiem Bande
verarbeitet ift, und für das er diefen Dan? ſchon deshalb ver:
dient, weil er fein Eigenthum zum Gemeingut Aller hinzu:
geben nicht anſtand. Reich an Einzelheiten pfychologiſchen,
biftorifchen und biographifchen Interefies ift auch dieſer Band
wiederum und Die zwei ober brei auffallenden unb ftarken Irr⸗
thümer, welche er enthält, oder die ungehörigen Abſchweifun⸗
en, welche allerdings hier und ba vorkommen, Tünnen unfers
achtens nicht um Bieles den Werth verringern, den er mit
feiner Maffe von neuen, bedeutenden und wilfenswerthen Zü⸗
n aus der Bei tchte überhaupt und aus Dem Reben bes
hochſeligen Königs, der ein ‚Haupttzäger derſelben war, anzu
ſprechen volles Recht hat. Dieb, einem leichtfertigen Tadel
und einer verwerflihen Spottfucht gegenüber, recht ernft und
kraͤftig auszuſprechen, liegt und befonders am Herzen; ja, wir
leugnen wit, baß wir und im Geiſte des deutſchen Volks je-
ner fhonungslofen Kitik fchamen möchten, welche ohne Rüde
ſicht auf Gegenſtand, Verfaſſer und Seit, ohne Prüfung, ob
einige Irrungen und einige Schwadhheiten denn auch wirklich
den Werth einer fo umfaſſenden Urbeit auf nichts zurückfüh⸗
ren Tonnen, in einem einzigen Strom von tadelndem Spott —
„Koß und Meiter” Dabinkhmwemenen möhhten, das Ehrwuͤrdige
laſternd und das Schonungswerthe mit Füßen tretend. Mor
jo leichtfertiger Kritik bewahren mir und gern, am beften
aber glauben wir ihre Ungerechtigkeit dadurch darzuthun, daß
wir einen Theil der neuen und anziehenden in näher be:
zeichnen, mit welden der Berf. die Gefchichte feines Heiden
würdig und anerfennendwerth bereichert hat.
Unter diefen Bruchſtuͤcken — und ſolche hat der Verf. uns
*) Vergl. die feühern Mittheilungen in Ne. 127 und 128 b. Bi.
f. 193 und Nr. 42 f. 1848. D. Rei.
UT ee
überall nur verheißen — nimmt ter Abſchnitt, welcher ben
Aufenthalt der Königefamilie in Tilſit, jene Läuterungs- und
Reinigungsepoche für Botk und Fuͤrſt, enthält, den erften Plag
ein. Hier, befiegt, von der Laſt des Unglücks faſt erdruͤckt,
verlaffen, beinahe einfam und von einem übermüthigen Geg⸗
ner verhoͤhnt, biß in das innerfte Lebensmark hinein verlegt —
hier zeigr fich Friedrich Wilhelm und feine Königin faſt in der
Seftalt. eines tragifchen Heros, menfhlidh am größten, mo
. ralifh am ehrwürdigften, biftorifch am bebdeutendften in
feinem ganzen Leben. Es war ald wenn er fühlte, daß er
diefer buͤßenden Kauterung in feiner Perſon bedurfte, zur Wie
derbelebung eines ‚neuen Staats⸗ und Volksgeiſtes; es war,
als ob er die hohen Abfichten der Weltregierung bei diefem
unfaglichen 2eide, dad über ihn Fam, klar durchſchaute, Dank:
bar würdigte und mit Meflerion hinnahm. Und ın der Zhat,
wie viel verdankte der preußische Staat dieſer fait beifpiellofen
Kataftrophe feines Könige? Bon der Hier beginnenden Re:
generation des innern Staatsbaus wollen wir gar nicht ſpre⸗
hen, allein dies faflen wir gern auf, daß ohne jene uner-
hörte und ſchmachvolle Ernicdrigung in der Perfon feines Ko-
nigs, das preußiiche Volk vermuthlich niemals zu Diefem hoͤch⸗
fen Grade von Sympathie, zu jener aus tiefſter Erbitte⸗
zung bervorgegangenen Kraftäußerung gelangt wäre, welde
im Jahr 1813 zur Wiederherftelung des Staats führte; das
fielen wir gern ins Licht, daß es chne das namenlofe Elend,
ohne die Ernietrigung von 1847 wahrfcheinlich auch den Glanz
und ben fortlebenden Ruhm von 1813 nicht gab und daß,
wenn der Gegner in Zilfit mehr Mäßigung beobachtete als
er that, wahrfheinlich Fein Friede zu Paris gefhloffen wurde.
Die Frucht von Tilſit reifte in ſieben Zahren: in Zilfit klag⸗
ten wir die Vorfehung an, in Paris erfannten wir die in:
nere Rothwendigkeit ihrer Lenkungen.
Die Schilderung, welde der Berf. von der Zuſammen⸗
funft der königlichen Familie mit dem Kailer Napoleon in
Tilſit entwirft, ift zu charaktervoll und anziehend, ald daß
wir nicht auf die Theilnahme unferer Leſer rechnen dürften, in:
dem wir fie im Auszuge wiedergeben. Es haftet ein großes,
lebendiges Interefle an Tiefem lebenvollen Gemälde. Napoleon
hatte diefe Zuſammenkunft gewuͤnſcht, theild um der Belt, die
auf ihm ſtolz, ein Schauſpiel zu geben wie er es liebte;
theild um feinem Ehrgeiz eine volle Befriedigung zu gewähs
ven; theil& aber duch aus Reugierde, die berühmte Königin,
die dee Muf für die fchönfte Frau feiner Zeit ausgab, in ihrer
gedemüthigten Schönheit von Ungefiht zu Ungefiht vor fich
zu ſehen. Seine nächte Umgebung , befonders Talleyrand, ber
Diefe Zuſammenkunft fürchtete, legte allechaud Schwierigkeiten
in den Weg, doch Died gerade reiste den Kaifer und fie kam
zu Stande. Die Königin war willig, fich Diefe Probe demü-
tbigfter Selbfiverleugnung gefallen zu laffen. „Was mich das
oftet”, fchrieb jie bamals, „weiß mein Gott; denn wenn ich
gleih den Mann nicht haffe, fo fehe ich ihn doch als den an,
der den König und fein Land unglüdlih gemadt hat. Beine
Talente bewundere id ober feinen Charakter, der offenbar
Hinterliftig und falfch ift, kann ich nicht lieben. Es wird mir
Ihwer werden — doch das Schwere wird einmal von mir ge
fovert und Opfer zu bringen bin ich gewohnt.” In diefem
&inne, vollfommen einig mit fi, vol ihrer Würde, ging fie
nah Zilfit, um den Kaifer Napoleon zu fehen. Um den
Swang, die Innere Dishbarmonie diefer unnatürkichen Zuſam⸗
menkunft zu verfteden, ließ der Kaifer die Königin in einem
prachtvollen, adtipännigen Staatswagen unter glänzendfter
Begleitung abholen; der König war ernft, gehalten, Die
Königin anmuthig, anfcheinend unbefangen- Befangen und
verlegen aber zeigte fih der Kaifer, ſowol von der Würde fei:
nes Befiegten als von dee Schönheit der Königin. Er ſagte
ihr Verbindliche und Schmeichelhaftes; fie antwortete, in»
dem fie die Unbequemlichkeit der Haustreppe bebauerte und
nad feinem Befinden in dem ſchon unfreundlichen nördlichen
Klinra fragte. Mit der Gerte in der Hand fpielend, antwor-
tete Rapoleon hierauf und fagte aldbann zum König gewen⸗
bet: „Sire, ich bewundere die Größe und Stärke Ihrer Seele
bei jo vielem und fo großem Unglück.“ Der König antwortete
ruhig und fell: „Die Stärke und Ruhe der Seele gibt nur
die Kraft eines guten Gewiſſens.“ Mon diefer Antwort ger
reizt, rief Napoleon übermüthig: „Aber wie konnten Sie es
wagen, mit mir, der ih ſchon mächtigere Nationen befiegt
hatte, Krieg anzufangen?” Der König, wohl fühlent, wie
viel in diefer Frage an Stoff zur Debatte lag, fah ihr feft
und ſcharf an; die Königin aber ergriff gewandt das Wert
und antwortete mit Würde: „Bire, dem Ruhme Friedrich'8
des Großen war es wol erlaubt, über unfere Kräfte uns zu
taͤuſchen. Wir haben und getäuicht: fo war es beſchloſſen.“
Hierauf brach fie Died dornigte Gefpräh ab und gab ihm eine
leichtere Wendung. Man ging zu Zilhe, bei welchem Na:
poleon den Wirth machte. Die Königin ſaß zu feiner Rechten,
der König zur Linken. Ernſt und in ſich geehrt, ſprach Letz
terer wenig, aber treffend und gut. Es war von jugendlichen
Srinnerungen die Rede und der, König braudte das Wort
„Wiege“. Rapoleon lachte auf feine Art und bemerkte: „Wenn
der Junge erwachſen ift,' vergißt er die Wiege und diefe wird
bei Seite geſchafft.“ „Ja“, antwortete der König, „aber die
An: und Abſtammung fann man nicht vergejien. Der gute
Menſch blidt mit Gefühl und Nachdenken auf die Wiege, in
der er gelegen.“ Diejenigen, welde den König in dieſem Aus
genblid ſahen, verfihern, ed habe in Stimme und Ausdrud
bei dieſen Worten ctwas Bezeichnendes gelegen.‘ Unfäbig fich
zu verftellen, war ihm in dieſer Nähe nicht wohl: er übers
ließ die Unterhaltung der Königin, welche fich felbft und die
Sprache mehr in ihrer Gewalt hatte. Dieje, alle politifchen
Seiten geſchickt vermeidend, ſprach ihrer Überzeugung gemäß
mit Achtung und Wohlwollen von der Kaiferin Sofephine.
Napoleon war von folder Anmuth und fo vieler weiblicher
Würde ganz eingenommen und er fagte nachher zu Tallepy⸗
vand: „Ich wußte, ich würde eine fchöne Königin ſehen; aber
ich habe zugleich die intereffantefte Frau gefunden.” So ver
jöhnte ſie felbft den Feind, der ihrer fonft bei jeder Geleyen-
beit geſpottet hatte.
Nah dem unglüdlihen Friedensſchluß ſchrieb Die Königin
Zuife an ihren Vater: „Der Friede ift gefchloffen, aber um
einen ſchmaͤhlichen Preid. Unfere Grenzen werden Eünftig nur
bis zur Elbe gehen. Dennoch tft der König größer als fein
Widerſacher. Nach Eilau hätte er einen vortheilbaftern Frie⸗
den ſchließen koͤnnen; aber da batte cr freimillig mit dem
böfen Princip unterhandeln müffen, .. Preußen wird diefer
fhmählihe Frieden einft Segen bringen. .. Daß ift mein
fefter Glaube.“ Und immer fprach fie ed aus, daß, obwol
fie viel leide, fie Doch Tage habe, mit denen fie zufrieden fei,
denn der König fei herzlicher als je; fie feien ſich nach 14jqͤh⸗
riger Ehe treu geblieben und er trage fein Schickſal mit
Würde. Ihre natürliche Foͤmmigkeit ward in diefer Zeit völlig
zum Charakter.
Weiterhin fehildert der Verf. die Zuſammenkuaft Napo⸗
leon's mit Alerander in fo charakteriftiichen Zügen, daß wie
einige derfelben wiederzugeben gedrungen find. Die Bufame:
menfunft fand in Zitjit flatt. Die Stadt ift von Sud nad
Nord von einer breiten und langen Straße durchfchnitten.
Rapoleon wohnte am nörbliden, Alexander hatte fen Ab—
fteigequartieer am füdlihen Ende, wo es zum Memelſtrom
hinabging. Die glänzenden, unbefiegten ruffifchen Garten
marſchirten am 13. Iuli 1897 Morgens, von Konftantin ge
führt, in dieſe Straße cin und befegten in einfachen Reihen die
Weſtſeite derſelben; ihnen gegenüber ſtellten die franzöfiichen
Barden ſich an ber Dftfeite der Straße auf. Die Megimentör
muſiker foielten abwechſelnd. Steger und Überwundene ſtanden
fi im feierlichen Ernſt ftumm gegenüber. Ploͤtzlich erichien
Kaifer Alerander glanzucl umgeben zu Pferde und ritt bie
Straße hinab zum Kaifer Napoleon. Feierlicher wurbe mei
nie ein Krieg gefchloffen Beide Monarchen kthrten kurz
536
berauf auf demfelben Wege zu Pferde wieder zurüd. Napo⸗
Ieon, im einfachen grünen Rod, langſam und gemeffen, den
Mund von einem eigenen Rächeln umfpielt, ritt an den
Meihen ber feindlihen Barden hin. Ant rechten Plügel an:
gelangt fehlen er fehr verbindlihe und angenehme Außerun:
en über die Truppen zu machen, welche Alerander und Kon»
ntin mit böflihen Verbeugungen erwiderten. Hierauf 308
Rapoleon ein Ordenskreuz auf feiner Weſtentaſche, ließ den
Flügelmann der Garde, einen Riefen, an fein Pferd treten
und überreichte es ihm. @in donnerndes Hurrah ertönte, die
beiden Kaifer reichten fich die Hände und ritten nach dem
Quartier des Kaifers Alerander, wo ein Krübftüd fervirt war.
Nach Beendigung defielben ritt man zufammen zum Memel:
ſtrom hinab, wo Barken bereit lagen. Die Kaifer umarmten
fih mehrmals: Alerander und fein Gefolge beftiegen die praͤch⸗
Kalten Barken und ſtieß vom Ufer ab. Entbloßten Hauptes
biteb Napoleon am Ufer ftehen, bis die Faiferliche Barke die
Mitte ded Stroms erreicht hatte: dann ſchwenkte er zum Ab⸗
ſchied den Hut, beftieg feinen arabifden Schimmel und galop⸗
pirte nach feiner Wohnung zurüd.
Der Schluß des Tages follte der Zugend des edlen
Königs Friedrih Wilhelm eine fhöne Huldigung bringen. Radh:
mittags 3 Uhr war die franzöfifche Garde abgezogen und Feld⸗
feuppen, die wohlbekannte fogenannte Xöffelgarde, hatten ihre
Stelle eingenommen. Die ganze Breite der Straße war von
pele- mele dadinziehenden Truppen erfüllt, die ordnungslos
wie die Ameifen durcheinander dahinftrömten. Sn dieſem
Augenblicke erfchien eine edle, hohe Geftalt zu Pferde, in einem
einfachen grauen Rod, mit bochaufftehendem rothen Kragen,
von einem Reitknecht gefolgt, unter "ihnen. Es war der
König — mitten unter den franzöfiihen Truppen. Ernft,
ruhig und wohlmollenden Ausdruds ritt er langſam dahin;
aber feine Bönigliche Geſtalt übte ihre'ftile Gerwalt auch über
die Gemüther der Fremden. Ein feangöfifther Soldat rief:
„C'est le roi de Prusse.“ ‚Le roi de Prusse — le roi
de Prusse!“ ertönte ed fofort von Mund zu Mund im Gemwühl
und die Scene änderte fi wie auf Zauberwort. Sofort ord⸗
neten fi die Reihen, die Glieder; die Truppen traten ohne
Commando militairifh an, und bildeten ein Spalier, in dem
man, wie der König ftil und feine Triumphes unbewußt
dahinritt, nur den Ausruf hörte: „Voyez le brave; voyez
le vertueux. le malheureux prince!’ Diefe ſchlichte und
vom Zufall herbeigeführte Begebenheit bildete das Gegenftüd
u den Prachtſcenen des Morgens: aber fie war eine ergrei:
Sende Epifode aus diefem „merkwürdigen, welthiftdrifchen
Shaufpiel von Tilſit“. Das Verhalten Friedrih Wilhelm's
in diefen Zagen der Prüfung war folder Art, daß die Um:
gebung Napoleon’s zu der Außerung veranlaßt wurde: Er be:
nimmt fih, al& wäre er der Sieger und wir die Befiegten,
und daß Rapoleon ihn „‚itätifh, wie ein fchledht zugerittenes
Pferd“ nannte „Sie mußten nicht‘, fagt der Verf. „daß es
eine ftille Größe gibt, die mächtiger iſt als das Glüd wenn «6
hebt, und das Unglüd wenn es flürzt. Befiegt in Tilſit
und fiegreich in Paris — der König war und biieb derfelbe:
feine Grundfäge waren ſtaͤrker als die Erfiheinungen der Zeit.“
Diefe Gleichftimmung der Seele war eine der audgezeich:
nesften Eigenfchaften des edlen Königs und fein Geſchick war
es, diefen Gleichmuth oft im Keben zu bewähren. Die fchwerfte
Probe beftand dieſe Beherrfchung feiner felbft bei dem frühen
Verluſt der unvergleichlichen Königin Zuife.
Diefe reine Scele war, wie uns unbeftritten fcheint, von
dem über das Haupt des Königs eingebrochenen Unglüd in
ihren innerften Xebensfeimen geknickt. Schwarze Ahnungen
ängfteten fie, die fie jelbft in ihr Tagebuch fihrieb; eine milde
Shwermuth. die nur ftundenweife wich, batte fih in ihrer
Seele niedergelaften. Sie ſah Berlin wieder, fie freute ſich
an den Liebeszeichen ihrer Getreuen, allein der frühere Kroh-
finn kehrte nicht mehr bei ihr zurüd. Bon der politifhen
Lage des Staats hatte fic eine außerordentlich Flare, beinahe
prophetiſche Unfhauung. Unter Anderm fagte fle: „Der gegen-
wärtige Buftend iſt ein gewaltfamer, duch das Übergewicht
der phyfiſchen, wenn ich auch zugeben will der intellectuellen,
keineswegs aber der moralifchen Kräfte berbeigeführt, und aus
dem Willen und den Wünfchen der Rationen nicht hervorge⸗
gangen. Die Ratur aber behauptet ewig ihre Nedhte . . -
man fühlt es heraus, daB wir noch nicht fertig find... . e&
fommt noch etwas anders ... . aber ad, wir Tonnen darüber
fterben.
Sind diefe Worte wegen ihrer Haren Auffaflung der
Beltverhältniffe im Munde einer rau an ſich merkwürdig, fo
werden fie e8 um fo mehr im Munde einer Königin und zu
einer Zeit, wo geiftreiche Gefchichtöforfcher, wo nner wie
Zohannes Müller, Alles für abgefchloflen, den franzöfifchen
Gewalthaber für unbefieglih und Europa für lange Beit hin
feiner Zuchtruthe übergeben glaubten und felbft Goethe, der
Hellfehende, fein warnendes: Schüttelt nicht an Euern Ketten!
ertönen ließ. So fieht ein Pindlicdyes Gemuͤth, was der Ber-
ftand der Weiſen oft nicht fieht!
Kurze Zeit nach diefer Außerung reifte die Königin nad
Medienburg, um von dort nicht mehr zurückzukehren. Ihre
Freude bei dem Wieberfehen des Vaters, der Großmutter und
der übrigen Ihrigen war unfaglich; allen ein tiefer Zug der
Wehmuth ging dur den Ausdrud diefer Freude bin. Als
bald darauf auch der König anfam, verlangte ihr Gemüth nad
mehr als Worten: fie fprang empor, eilte an ihren Schreibtifh
und wie mit der Abſicht, diefen Moment der Freude für immer
feftzubalten,, ſchrieb fie auf ein Blaͤttchen: „Lieber Barer! Sch
bin heute ſehr glücklich, als Ihre Tochter und als die Frau
des beften Ehemanns. Luiſe. Neuftrelig d. 28. Juni 1810.”
Es waren dies ihre legten geſchriebenen Worte. Die Sconen
ihrer fchnell erfolgenden Auflöfung müffen wir in der warnen,
tiefempfundenen Darftelung des Verf. nachzuiefen dem Lefer
überlaffen.
Der frühe Tod der Königin war ein Abfchnitt im Leben
Kriedrih Wilhelms. Bon nun an wurde er noch fliller und
in fig geßehrter, aber auch noch milder und felbfibeherrfchen:
der als er zupor war. Sobald die Apatbhie, welde Diefem
Schlage folgte, überwunden war, nahm fein Wefen, feit 1806
dee Frömmigkeit zugewendet, den, Eharakter tiefer Religiofität
mehr und mehr an.
Über feinen Berluft fprad er mit Riemandem, aber bie
Sympathie der ganzen ciwilifirten Welt that ihm fiytbar wohl
in feinem Schmerz. Die Erzählung, wie er bei Anfertigung
der Bilder der Königin und ihres Grabmonuments mitwirkte,
ift reih an rührenden Zügen feines edlen, fanften und doch
ſtarken Geiſtes. Es ift feine Idee, dad Marmorbild der Köni«
gin in Charlottenburg ald einer Schlafenden ausgeführt zu ſehen.
(Der Beſchluß folgt. ) .
Literarifche Anzeige.
Soeben erfchien in meinem Verlage und ift dur ale Buch:
bandlungen zu erhalten:
Niccolo Madhimellis
Florentiniſche Geſchichten.
Aus dem Italieniſchen uͤberſetzt
von
Alfred Reumont.
Imei Zheile.
Gr. 12. Geh 3 Thlr.
Eeipzig, im Mai 1846.
$. A. Brockhaus.
Berantwortliger Heraußgeber: Heinrich WBrodpans. — Drud und WBerlag von F. A. Brockhans in Leipzig.
Dat »
“ fen und verfichen ann, indem er fhafft.
Blätter
für
literariid e Unterbalfung..
Freitag,
15. Mai 1846.
(Beſchluß aus Nr. 188.)
Nun ift aber ein Schriftfteller ſich oft felbft nicht
Mar bewußt, warum er Diefes ober Jenes thut: er folgt
nicht felten einem dem menfchlichen Denfvermögen nit
immer zugänglichen und zum Erfaffen möglichen Gefühle,
einer tiefern Begeiſterung, die er felbft oft nicht begrei-
Es find das
die Producte jener Weiheftunden, von denen mir oben
Sprachen. Iſt es nun da dem Verfaſſer felbft oft ſchwer,
ſich Rechenſchaft von dem Walten feines Geiſtes zu ge-
ben, fo ift es natürlich noch viel fihmwerer für den Lefer,
fi zu folcher hohen Höhe emporzuarbeiten oder fo tief
in ſolche Tiefe hinabzufleigen; aber feine Aufgabe ift das
und bleibt es. Um vollftändig das Kunftwerk zu ver-
fiehen — und das fol er eben — muß er jeglichen
Walten des tünftlerifchen Geifte bes Verfaſſers folgen
und bis in die feinften Nuancen nahfpüren. Er muß
fo zu fagen diefelben Pfade auffuchen und wandeln, die
der Schriftficer gefunden hat und gewandelt if, nur
freilih umgetehrt, rudmärts; er muß gewiffermaßen das
fremde Werk zum feinigen machen, das Product förmlich
reproduciren, wie der echte Naturforfcher mit der Natur,
der Kunftkrititer und Darſteller mit dem Kunſtwerk jeg-
licher Art verfährt oder verfahren fol. Ja ſelbſt Das
genügt oft nicht: es bedarf fogar häufig zum völligen
DVerftändniffe eines literarifchen Products einer geiftigen
Verwandtſchaft von Seiten des Lefers mit dem Berfaffer:
derfelben Stimmung, derfelben Grundfäge und Anfichten,
derfelben Elafticität und Tiefe des Geiftes und Gemüthe.
Es paßt hierauf, was Baumſtatk den verflorbenen This
baut in Heidelberg über mufikalifche Aufführungen eben-
fo wahr als treffend gejagt haben läßt: ’
Das Höchfte, zur wahren künftleriichen Darftellung Uner:
laßliche, was Zhibaut von dem Darfteller foderte, war geiftige
Berwandtichaft mit dem Künftler und eine folche Beweglichkeit
und Biegfamleit des Gemüths, daß er dem Künftler in allen
feinen lügen und Windungen ohne Zwang folgen fann. Blos
unter diefer Bedingung und unter beſtaͤndigem Friſchhalten
dieſer Eigenfhaften hielt er es für möglich, daß ein Kunſtwerk
in der Muſik rein fo gegeben werde wie ed im Sinne des
Meiſters lag: alfo ohne daß der Darftellende etwas darin ſucht
oder hineinlegt, was in daflelbe nicht gehört, und ohne daß er
wichtige Momente deifelben unberührt läßt, weil fie ihn felbft
nicht berührt haben. Der Darfteller muß fi ganz dem Wil-
len des Künftlers oder gleihfam des Kunftwerds fuͤgen; «r
muß ganz von demfelben abhängig fein. Allein dieſe Abhänr
gigkeit darf der Darftellende nicht drüdtend empfinden, ſondern
er muß fich in ihr erhoben fühlen, indem er mit dem Künftler
noch einmal reprodueirt. Died ift aber nur möglich, wenn
der Darftellende die Einheit des Mannichfaltigen im suf
werte mit dem Künftler entweder durch unmittelbare Bernun
anſchauung (in welchem Fälle eine echte Seelenverwandtichaft
zwiſchen Beiden eriftirt) oder durch Rachdenken und. Kritik bei
wahrer —— erkannt hat. — — Daher foderte Thi⸗
baut vom Darſtellenden dieſelbe Ruhe und dieſelbe Verſenkung
in ſeine Ideale und Gegenſtaͤnde wie der Kuͤnſtler ſelbſt.
Auch der Schriftſteller iſt Componiſt, und ſein Leſer
ein Dilettant, welcher das literariſche Kunſtwerk ſich ſelbſt
oder Andern vortraͤgt, darſtellt. Folglich muß der Letztere
auf gleiche Weiſe verfahren wie Thibaut von Dem fo-
dert, der ein mufifalifches Stück zu fpielen oder zu fin-
gen hat. Die meiften Lefer aber find gleich jenen Klim-
perern und Stümpern, welche ihrer Aufgabe ſchon ge-
nügt zu haben glauben, wenn fie daß mufttalifche Stud
nur fertig zu fpielen vermögen. Bie follen indefjen,
das ift ihe Ziel, fich mit dem eigentlichen Künſtler, mit
dem Urheber des Werks in ein gleiches Niveau ftellen
oder fich gar über ihn zu erheben fuchen, damit fie nad)
einem beflimmten Maße ihn beurtbeilen, ihn richtig
würdigen.
Nicht immer ift der Schriftfteller im Stande ‚bie:
ganze Fülle feines Herzens den Morten und Buchflaben
anzuvertrauen; die aͤußern Zeichen reichen oft nicht auß,
um das Innengefchaffene völlig barzuftellen; das Außere
bleibt dann hinter der Idee des Künſtlers zurüd: er
kann ed nur annähernd ausdrüden, nur andeuten. In
den Worten liegt in diefem Falle oft ein höherer Sinn
als der erſte Anfchein lehrt und gibt. Dann muß der
Lefer das äußerlich Fehlende hinzufügen, hinzudenten, er⸗
fegen. Offenbar die höchfte Stufe, die er zum Verſtänd⸗
niß eines folhen Werts zu erflimmen hat! Aber zugleich
eine gefährlihe Stufe! Leicht kann man firaudeln und
den Worten mehr unterlegen als der Schriftfieller ge-
fagt hat. Ein Punkt, der befonders bei ber Kecture und
Erklärung der Bibel in Betracht kommt, über den ſchon
viel gefchrieben, viel geftritten worden.
Zur Beurtbeilung, Würdigung bat er e6 freilich dar
um noch nicht gebracht. Dazu gehört, daß er fih über
das Wert ſelbſt mit feinen Ideen, mit feinem Geiſte
ftelle, darüber ſchwebe wie ein Aar und aus ber Höhe
auf baffelbe herabblide und es fo meſſe. Dazu gehören
natürlich alle die „Kategorien, ns welchen irgend ein
ung jegikhee Ceeraikfches Wert
fies, bad bon Ber derſchiedenſten Art fein Bang, zu be⸗
urtheilen ft: das hiſtoriſche nach den Brundfägen der
Hiftoriographie, das ‚poetifhe nach den Grundfägen ber
Poetik, das oratorifche nach den Grundfägen der Rhe⸗
torit u. ſ. w. Es darf mithin dem Lefer nicht an Theo—
rie, nicht an Pükkofopäke, nicht an kritiſchem Scharfſum,
nicht an allgemeiner Bildung fehlen.
Man —* hieraus, wie viel eigemetich day gehbre,
einen Schriftfteller recht und ganz zu verftehen, mit wel⸗
den Anfodetungen, mit welden wierigteiten folches
werbimden fei. Gs iſt darum nothwendig, daß dazu eine
Anleitung gegeben werde fehon in unferk Schnien, felbft
in den niebertt Bolksſchulen, damit dus rechte Leſen, die
rechte Behandlung der Literatur, namentlich ber vater-
laͤndiſchen, erlernt und allgemein werde. Niemand wär
dagu von jeher mehr berufen als die Philologen und die
phiſoſophiſch gebildeten Lehrer. Uber bis vor kurzem
daben fir Häufig durch ihr falſches, durch Ahr oberfläd-
Yiches, trodenes und austrodnendes Behandeln der Au:
toren mehr gefchadet al6- genügt, das Lefen mehr ver-
dotben als veredelt. Erſt in ber neueften Zeit hat man
angefangen einzufehen, was in dieſer Hinficht Fromm,
"aber nur erft hin uͤnd wieder. Allgemein find die gu:
ten Grundfäße noch nidt.
Und was geht durch em foldyes ſchlottriges Kefen ber
Menſchheit für ein herrliches Nictel zur Ausbildung ver-
foren, \belcher herrlichen Genüffe bleibt fie bar und be:
taubt! Mir haben oben geſehen, mad Altes im dieſe
erke gelegt werben kann und auch 'beteit6 gelegt wor—
den if: bie benrtichften Gedanken, die lieblichſten Spiele
der Phantaſie, die zarteften Empfindungen; wir haben
gefehen,, daB fle geſchminkt find Anferfic, wie innerlich
mit einer ſchonen Form. Was bieten ſie alfo für einen
reichen Stoff dar zur Ausbildung des Geſchmatks, zu
Beobachtungen, am Denten, Reflectiren, Combiniren,
Abſtrahiren, Kriflfiren, zur Erwerbung von Kenntniſſen!
Ko zu Schärfung und Bereicherung des intelfectuellen
Vermoͤgens! Über auch zur Erweckung und Berebelung
des Empfindim Suermögens, zur Rröftigung und Be⸗
geiſterung des Willens tft nichts geeigneter als Pefen
zuter Bücher, als rechtes Handhaben der Literatirr.
Senn burth Die Intelligenz wird auch das Herz be
flimmt und gefeitet. Und welchen mantichfaltigen, wel⸗
hen hohen Genuß haben wir davon. Nicht einen ma-
terieffen, nicht Anen erſchlaffenden, nicht ‘einen vorüber:
gehenden, nicht einen ſchädlichen, ſondern einen entf,
der, da geiſtig iſt, Ver da nüsßt, ber da aufweckt, der da
befebt; einen Genuß, der nie veraltet und nie uns an-
efelt, ſondern der da Bleibt umd fo vft er wiederkehrt
immer wieder neu iſt und durch feine Neuheit labt,
Täßter ‘und Tiebficer denn zuvor; Der uns unter leben
Wirhättniffen front und willkommen iſt, ver uns ba
re des Gei⸗
„e :
Unglück vergeffien macht und das Glück erhöht, der uns
die Einſamkeit verfüßt und uns Erholung gewährt von
den Laften der Pflicht und von ben Zerflreuungen ber
Welt. Wenn wir Jefen, find wir nie allein, aud) wenn
wir alleie find; wenn wir defen, fie wir nicht ohne
Thaͤtigkeit und ohne Geauf, au wenn wir geſchaͤfts⸗
oder genußlos ericheinen; wenn wir lefen, find wir nie
ohne Freunde und ohne gleichgeflimmte Seelen, auch wenn
uns Alles verlaffen, Alles uns den Rüden gelehrt hat;
wenn wir lefen, wie wir follen, bilden wir uns, auch
wenn wir bies genießen; durch das Leſen erhalten wir
und jung, auch wenn wir altern, verjüngen wir uns,
au wenn wir ſchon gealtert haben.
Und die Jugend? Für fie gibt es Leine fchönere Pa⸗
laftra bes Beiftes zur Bildung des Verftandes, des Her⸗
zens, des Geſchmacks, der Phantaſie, des Gedächtniſſes
als die Literatur eines gebildeten Volks wie z. DB. die
bes deutfhen. Uberdem lehrt nichts beffer diejenige
Sprache kennen und gebrauchen, in welcher jene gefchrie-
ben ift, nad) ihrem Reichthume, ihrer. Bildfamkeit, ihrer
Ausbildung, ihrer Schönheit, ihrer Fügſamkeit als die
Literatur. Darum ſei ſchon früh, ei recht angeleitet
zum alffeitigen richtigen Lefen.
Bic Rhodus, hic salta, du Erzieher, du Lehrer, und
unterlag nicht, deine dir anvertraute Jugend mit dem
Großartigen des ganzen Gebäudes, mit dem Hehren und
Erhabenen diefes götklichen Geſchenks befannt zu machen,
fie darauf hinzuweiſen, was wir an derfelben für einen
Schag haben, fie hoch und echaben davon denken zu
lehren. Und wenn die Schriftfteller merken werden, daß
man fo von der Literatur denke, daß ihre Werke mit
ſolcher Aufmerkſamkeit und Genauigkeit, mit ſolchem Ur⸗
theile und ſolcher Kunſtkritik geleſen werden, dann wer⸗
den ſie ſchon ſich zuſammennehmen und nicht ſo in die
Weit hineinſchreiben, blos um die Welt zu amuſiren ober
blos um — Geld zu verdienen. Das Publicum erzicht
und verzieht feine Schriftfteller. 9.
Sharckterzgüge und hiſtoriſche Fragmente aus bem Lehen
des Königs von Preußen, Friedrich Wilhelm Ill. Ge-
-fammek von R. $. Eylert. Breiten Theils zweite
Abtheilung.
(Beim sus Rx. 181.)
Dre zweite Abſchnitt dieſes Theus ſtellt
TR e bar. Yu
Rigim. „Grit feit derWeit”, fagte der: Kaiſer, „wo mir daB
Thriſtenthum übe wäh Bigube on ham
Sthöfer in feiner Kraft fuͤhlbar geworden, iſt — ich danke zB
Wort — Frirde in meine Secle gekommen.“ Ar brüllte hicchei
Die Hand. ft ans Hert und Fahr it Made. fort: , D, ich
bin auch nicht auf euumni. Dakin gelauimen: Der Weg dahzin if
be Ampfe gegangen. Aber der Brand won Mos-
Bau hat meine Seele ereutet .-..und der Erloͤſung Europas
verdanke ih meine Srlöfung und Zretmadhma.” Die Rede
Tam auf die Deilige Allianz. „Die Meiften haben eine ganz
ierige Borftellung von diefem Bunde”, jogte der Kaifer lebhaft.
„Es ift damit fo zugegangen. In den Magen von Zügen und
ei drängte fidh bei allen vergeblichen Ainftrengungen, wo
wir uneradhtet der heldenmuͤthigen Zapferkeit unferer Aruppes
tetirieen mußten, Körige und mir Die Überzeugung auf,
daß wit menſchticher Macht niches gethan und Deutſchland
verloren ſei, wenn bie göttliche Vorſchung nicht helfend ein⸗
ſqhoittc. Ernſt und nachdenkend ritten wir, der Künig und ich,
ohne Begleitung nebeneinander und ſprachen nicht. Endlich
unterbrach mein beſter Freund das Stillſchweigen und ſagte:
«Daß muß anders werden: wir gehen nach Oſten und wir
wer und — ne Weiten. run Det aber in *
allein Ehre gebührt, uns vor aller Welt bekennen!»
Das gelobten wir und und reichten uns ehrlich bie Hände.
Es folgten nun die Siege von Kulm, Katzbach, Großbeeren
urd Leipzig, und cid wir din Paris am Biele wauen, brachte
der re Preußen diefs heilige Sache wieder zur Spradhe
und Sailer Franz veseinigte fi gern mit uns. In einer
eruſten Stunde entſtand die erſte Idee des Heiligen Bundes, in
einer ſchoͤnen und dankbaren ward fie ausgeführt. Er ift gar
niht unfer — ex iſt WBotted Werk; alle Srundfäpe, die er
ausfpricht, hat der Erlöfer eingeflößt.” Bierauf ging das
Deſpraͤch auf die Bihelgefellfhaften über, indem der Kaifer be⸗
merkte, man müſſe die Bibel, wie fie iſt, auf jeden Ghriften
wirken loflen, weckend und wohlthätig, ob auch auf Jeden
andere. Als der König von dem Berf. gefrsgt wurde, ob
Dies Befpräch bekannt acmadıt werden dürfe, fagte er: „Iſt
allerdings kein Seheimniß und Bönnte Jeder erfahren. Aber
laffen Sie das Geſpraͤch doch nicht drucken, es möchte dem Kaiſer
nieht recht fein - . . Übrigens haben Sie eine Acquiſition ger
macht — iſt mir lieb. Der Kaiſer if ein vortrefflicher Herr.’
Man hat die vielen Anmerkungen, Biographien und Ehe:
rakteriſtiken bitter getatett, mit welchen der Verf. allerdings
häufig den Lauf feiner Erzählung unterbricht. Manche diefer
Anmerkungen tft jedoch des unzichendften Stoffes voll und den
Erours über Stein, &. 264 — 81, möchten wir ungern in
dieſem Buche miffen. Ein fo reiches und lebenvolles Bild des
innern Wefens des großen Mannes, wie der Verf. uns hier
entfaltet, ift aller Verſuche ungeachtet von ihm noch nicht dar⸗
geftelt ‘werden. Einen merhvürdigen und ſo viel wir vwiflen
woch nicht bekannten Zug aus Stein’d Leben müſſen wir bier
mittheilen. Als Stein aus dem preußifchen Staatsbienft auf
Befehl ſeines MWiderfachers entfernt worden, befand er fi
tthfam puf der Flucht in Berlin. Der Berf., von Welt
alen ‘her genau mit ihm bekannt, beſuchte ihn mit dem Direc:
tor Snethlage- Der große Mann ſaß ruhig da und laß heiter
im Wafhington's Biographie. Er fagte une, daB er bald nad
Drag gehen würde. Es war von den damaligen Ereigniſſen
die Mede. Raſch fprang er auf und holte ein Papier aus dem
Yulte. „Lefen Sie 'mal, rief er und gab und einen Brief.
&r war an ihn von dem Kaifer Napoleon ſelbſt in -Franzöfifcher
Sprache geſchrieben. Der Inhalt war folgender: «Es kann
einem großen Mann nicht zur Unehre gereithen, einem großen
Mann zu fagen, daß er ſich in-ihm geirrt habe. Im dieſem
Fall bifinde ich mich gegen Sie. "Die Eonfiscätion Ihrer Gü:
ter in Raffau will id eulgebm und ſolche -mit den rückſtaͤndigen
Einkuͤnften an Sie zu eben, wenn Ste ſich dafelbft rubig
verhalten und an politiſchen Dingen keinen Theil, weder un:
mitteldaren noch mittelbaren, nehmen wollen.» .. . , Stein warf
diefen Brief gleichgültig auf den Tiſch und hat ihn nie beant-
wertet.” Bon Stein's Berbätmiß zum Könige ‚beißt ed weiter:
„Der König erfannte, ehrte und fügte ihn... . aber feine
Wafchkeit und Hektigleit patte nieht zu der Rilda de Gert
Ging Guide und Die gelsgene Zeit vuhig abwarten und Dh
dahin einhalten und zögern, Jay nicht in der Denkart Stein6,
het ihm mußte Alles biegen oder brechen. Deshalb fumpathie
fiste ev beſſer mit dem idealiſchen Sinne Kaifer Acrauder’6’ u.f.w.
Andere vielfach anzichende Ercurſe Diefer Art, zum Theil jedoch
förmlich in ſehr loſenn Bufammenhange mit feinem Thema, fin
des Kaiſers Alerauder langer Aufenthalt in dem Beinen Kagga-
08, Die Schilderungen Hufeland's, Ribbeck's, die biographiſchen
Skizzen von Heim, Binde, Nuft, Fouqus, Puͤckler, Kaifer Franzi.
Y A., aus welpen mancher neue und intereljante Bug zu ents
lehnen wäre. Box Allem aber ift das Verhaͤltniß des Könige
zu Hardenberg ın eingm lebendigen und farbenreichen Wilde dar:
geſtellt, das wir mit um fo größerer Befriedigung betrachten,
weil nicht verſchwiegen wird, was beide Seelen aneinander
band und was fie, jedoch ſtets nur für Augenblicke, trennte
und ſchied. Die. Verehrung Harbenberg’s für ben erhabenen
Bärften und das Vertrauen des Königs für den eminensen
Geiſt des Minifters erfuhren nie einen Wechſel, wenn au
Beide Monches aneinander anders wuͤnſchten. „Arbeit“, beißt eß
von dem Leptern, „war fein Element, Drdnung feine Regel,
Thaͤtigkeit feine Luſt, Beichtigkeit fein Wefen. Und wie Stein
den Konig für den „Einſichtsvollſten“ unter ihnen Allen er⸗
Härte, „der dies nur fo wenig wifle, wie ein Kind meiß, daß
ed unſchuldig ſei“, fo prisd Hardenberg feinen Herrn ſtetß
laut als den beiten und zuverläffigften aller Menfchen.
Es ift begreiflidy, daß während der Verf. den Künig Fried⸗
rich Wilhelm in allen wefentlichen Bezügen, ald Zürft und
Regent, ale Menſch, Vater und Gatte, ald Freund und Bun»
deſgenoſſe fchäldert, während sr uns fein Verhalten in Könige:
berg und Zifit, in Frankfurt a. M. und Paris, in Verona
und in Teplitz, feine Lebensweiſe in Berlin, Charlottenburg,
Potsdam und Pareg — die legte an rührenden Bügen befon»
ders reich — ausmalt, er doch auf ein befondered Berhältniß
immer wieder mit vorzüglidher Vorliebe und Innigfeit zurüd:
kommt, weil er in diefem den feltenen Fürſten am genaueften
kennen zu lernen ebenfo berufen als befähigt war. Wir mei⸗
nen dad Verhaͤltniß des Königs zur Kirche, zum chriſtlichen
Bekenntniß, zu feinem Beichtvater, dem — * Wie tren,
sedlich, gerade, mild und offen, wie voll tiefer Einficht der
König in diefer Beziehung war, wie ernft und gedankenvoll
Alles, was mit Religion und Kirche zufommenhing, ibn ftets
beihäftigte, endlich wie yraßtifch- fromm dieſer Fuͤrſt war,
das zu zeigen iſt die Abſicht des Verfaſſers an den bedeutungs⸗
vollſten Stellen feines Buchs. In einer Reihe von Geſprächen,
welche er mittheilt und deren Wahrheit gewiß nicht zu bezwei⸗
fein fteht, Anden wir die ſprechendſten Beweife dafür, wie fehr
auch in diefer Wezichumg dem Könige Unrecht geſchah, wenn
man feine religiöfen Anſichten beſchraͤnkt und befangen, ja nel
gar für gefärbt und geteübt durch eine gewiſſe Hinneigung zum
Belotenthum oder zum Katholiciſmus zu achten gewohnt war.
Seine echte Frömmigkeit nicht blos, nein, aud feine volle und
reiche Einficht in Das Weſen des Rirchentbums, ja feine ganze
Sympathie mit dem Berlangen nad fubjectiver Freiheit u
Selbſtbeſtimmung in dieſer Beziehung geht aus allen dieſen
Berhandlungen und Gefprächen deutlich hervor. Rur eins fo:
derte er mit entfchiedener Strenge von ſich wie von Andern:
Sreue gegen fi ſelbſt! Das Schwanken, Wechſeln und Mo:
dein ın feinen Überzeugungen, das unfichere Umbertappen nad) .
den Glaubensobjecten war ihm in det Seele verhaßt, Dies ver⸗
warf er ntfchieden; wie wenig aber proteſtantiſcher Zelotis⸗
mus bei ihm wurzelte, erweift das merkwürdige Geſpraͤch, Das
der Berf. (von &. 383 ab) mittheilt, und in welchom der
Fürft gegen den erften Beiftlihen feiner Kirche den katholiſchen
Kirchengeift fo fihön und finnig in Schug nimmt. ‚Der Aus⸗
druck proteftantifch”, fagte der König u. A., „it mir zuwider.
Wollen wir denn nie zu proteſtiren aufhören ? -Icher ‚proteftirt
und will feine ungewaſchenen Einfälle geltend machen. Day:
über gerathen Zaufende in Zweifel und Keiner weiß mehr
/
⸗
as
woran er if. Die Kirche aber wii uns doch gerabe zur Ge⸗
wißheit, jum Frieden bringen. Der Name Proteftant ift bes
Banntli bios Hifterifh.” Died ſchoͤne Document des durch⸗
aus milden und verföhnenden @Beiftes Friedrich Wilhelm's im
allen Eirchliden Dingen ift gerade heute, in einer Beitwelle,
welche offenbar den Unfrieden und den Selotismus wieder auf
die Oberfläche des Lebens geworfen bat und mit diefem Mis⸗
verftändniß noch nicht fo bald zu enden den Schein nimmt, von
wiefachem Gewichte, von doppelter Bedeutung. Über dieſe
Sinfeittgeeit — und aller religiöfe Gifer, er nenne fidy wie
er wolle, ift @infeitigfeit — war König Friedrich Wilhelm
erhaben. Union und Agende Pi daß er die Kirche mnig
und warm liebte; allein die Kitche des Friedens, der Berföh-
nung, der Verſchmelzung, die gedankenvolle Kirche, weiche die
Segenfäge nicht berausflellt, fondern fie vermittelt. In Tep⸗
ig befuchte der König mit Vorliebe die Predigt eines katholi⸗
ſchen @eiftlichen, der ihn ftetd erbaute und von dem er gegen
den Verfaffer die Kürze feiner Reden rühmte. „Was bie
Kürze der Predigten und ihre Geftalt betrifft”, entgeänete
derfelbe, „fo bat und Luther Larüber eine naive Borfchrift ge:
eben. Sie lautete fo: Zritt frifh auf — thu's Maul auf —
ör' bald auf?” „Charmant“, rief der König, „und Der hat
es doch gewußt!”
Mit diefen muntern Worten wollen wir unfere Anzeige
von diefem Buche fehließen, indem wir dem Berf. für feine
größtentheild nern empfangenen Mittheilungen danken, den
keſer aber darauf binweifen, wie uns in einem dritten und
legten Bande diefer Bragmente, nad dee Vorrede zu dem ge:
genwärtigen, noch eine reiche Rachleſe zu benfelben, nament-
lich aber die Epoche der zweiten Bermahlung Friedrich Wil:
helm's, die Regeneration des Heers, die kirchliche Union und
Anderes von ähnlicher Bedeutung bevorfteht. 19,
Bibliographie.
Militairifche Briefe eines Lebenden an feinen Freund Elaufe
wig im-Diymp. Leipzig, D. Wigand. Gr. 8. I Thlr. 15 Nor.
"Brunner, ©;, Der deutſche Hiob. Regensburg, Manz.
K. 8. 1 Thlr. 7 Nor.
Chlebuß, 3. W. R., Judenthum und Heidentbum im
Verhältniffe zu einander dargeſtellt. Berlin, Enslin. 8. 24 Nor.
Deus, F., Auswahl deutfcher Gedichte des 17., 18. u.
39. Jahrhunderts, nady der Zeitfolge geordnet, mit biographi-
fihen und erllärenden Anmerkungen, nebft Muftern deutfcher
Proſa und Sprachproben der frübern Jahrhunderte. te ver-
befferte Ausgabe. Koblenz, Baͤdeker. Gr. 8. 1 Xhlr. 20 Ngr.
Etlar, C., Der digeuner. Ein Bild von Zütlands Weft
küſte. Aus dem Daͤniſchen überfegt von %. Mayer. Augsb:-
burg, v. Senifh und Stage. Br. I2. 1 Thlr.
Feval, P., Der Sohn des Teufels, deutfch von A. Diez:
Ifter Band. Leipzig, Vereins: Verlagsbuchhundfung.
8. 10 Nor.
Gefprahe aus der Gegenwart Über Staat und Kirche.
Stuttgart, Beer. 8. 1 She. 15 Mor.
Hofmann, v., Die Schlacht von Borodino mit einer
Überficht des Feldzug von 1812. Koblenz, Büdeler. Gr. 8.
1 hir
Koh, U, Der Kaifer und der Rarr, ober dad Zurnier
am Hofe. Großes romantifches Ritterluftfpiel in 4 Aufzügen.
Rain), Wird. 12. 10 Nor.
Die Proftitution in Berlin und ihre Opfer. Nach anıt-
Sichen Quellen und Erfahrungen. In biftorifcher, fittlicher,
mediziniſcher und polizeilicher Beziehung beleuchtet. Berlin,
Hofmann und Comp. Gr. 8. TIhir.
Reichardt, H., Die Gliederung der Philologie. Tü-
bingen, Fucs. Gr. 8. 15 Ngr.
Schaufpiele des Mittelalters. Aus Handfchriften heraus:
gegeben und erflärt von F. I. Mone. Ifter Band. Karls:
Zube, Macklot. Gr. 3. 1 Zhlr. 15 Nor.
" Zeras. Ein Handbuch für deutſche Muswanderer. it
ga BE
nfledelun r ns zum
Aubwanderer in Texas bewirken wollen. it ee Karte von
Texas. te vermehrte Auflage. Bremen, Geisler. &r.8. 20 Stge.
Zagesliteratur.
Die Bibel. ine Rede an das bdeutfche Boll. Magde⸗
burg, Baldenberg und Comp. 8. 4 Rear.
Bresler, JT. H., Dr. Luthers Tod und Begräbnif, von
Augenzeugen gefchilbert, und die vier Zrauerreben, die an Bur
ther's Sarge gehalten find. Danzig, Gerhard. Gr. 8. 10 Nur.
Die iſchten Ehen in der Erzdioͤzeſe Freiburg. Rah
ben Aftenküden dargeſtellt. Zugleich ein Beitrag zur Beleuch⸗
una er yndgſchen Auftände in Baden. Regensburg, Manz.
%. 0. If Rgr.
Guttzeit, F. B., Die Verfaffung des preufifhen Staats
in ihren Grundzügen dargeſtellt. Danzig, Gerhard. 8. 5 Rer.
Zohannfen, J. C. G., Ehriftus if unfer Dleifter. New
jabrspredigt 1846. Ein evangelifchratiomales Zeugniß in den
Wirren der Seit. Kopenhagen, Neigel. 8. 4 Nor.
Zoſeph, 3. €., Wie hat fi der Herr aud am todten
Luther als einen Gott der Lebendigen bewahrt! Predigt über
Matth. 22, 32. Nördlingen, Bed. Br. 8. 2%, Xgr.
Köhler, 2. M. R., Bwölf Predigten, theilweiſe mit Be
ziehung auf die kirchlichen Bewegungen der Gegenwart, nebſt
einem Anhange von Gelegenheitöreben. Reuftadt ad D.,
Bagner. 9. 15 xg
Lampadius, W. A., Luther's Geiſt, ein Geiſt von Gott
und Gedanken und Entſchließungen —ã Chriſten an
Zuther’s Grabe. Zwei geiſtich Meden. agdeburg, Falcken⸗
berg und Comp. Gr. 8. 3 Ror.
Mayer, 3. M., Predigt zum Gedächtniß des Reforma-
tor6 Dr. M. Luther. Rörblingen, Bed. Gr.8. 2%, Rer.
Raumwerd, K., Hauptergebnifie der Landtagsahfchiede in
SHreußen 1841, 1843, 1845. Berlin, Bethge. Gr. 8. 15 .
— — Der Streit zwifchen Regierung und Geiftlichfeit im
Kanton Waadt. Berlin, Bethge. Ler.:8. 3 Rgr.
Diearius, K. J., Was hat das Volk durch Luther ge⸗
wonnen? Predigt. Stolberg, Schlegel. 8. 21, Rgr.
Die Revolution im Waadtlande im Eonflicte mit der Lan
deskirche. Halle, Mühlmann. KL 8. 7% Rar.
Schüler, © F. C., Warum farb Dr. M. Luther nicht
den Märtyrertod? Predigt über Ep. Luc. 18, 3I-—34. Stol⸗
berg, Schlegel. 8. 2% Ror.
Eiliged Sendfchreiben an die geehrten Mitglieder der neu
katholiſchen Kirche in Deutfchland. Magdeburg, Falckenberg
und Somp. Gr. 8. 2%, Rar.
Dffenes Sendfchreiben an Hrn. —* Carl von Wrede
in Betreff der fünf Anträge in der hohen Kammer der Keichs⸗
rätbe am 22. Dez. 1545, von einem Fatbolijcpen Pfarrer der
Diözete Eichftädt. Regensburg, Manz. Gr, 3. 7% Rar.
- Stodmepyer, I, Bann und auf welde Veranlaffungen
iſt das apoſtoliſche Symbolum entitanden und welche Bedeutung
hat dafjelbe für die Kirche überhaupt und insbefondere auch für
unfere Beitt Zürich, Meyer und Zeller. 8. 9 Rer.
Herr Prediger Uhlich und fein Amtseid. Eine Erwiderung
auf die Abhandlung deflelben „Über den Amtseid der Geif-
lichen’. Bon einem Mitgliede der evangelifhen Kirche Magde—
burg, Zaldenberg und Comp. Gr. 8. 7%, Rer.
Bogel, ©. W., Luther, ein guter Kämpfer. Predigt.
Neuftadt a. d. D., Wagner. 8. 3 Rear.
Weftmorland, Srafv., Sendfchreiben an den hochacht⸗
baren Sprecher des Hauſes der Gemeinen über die Anrechte
ber römifchkatholifchen Unterthanen Großbrittaniens, nebft ei-
nem Briefwechfel Des Dapfket Pius VII. mit dem verfiorbenen
König von Reapel und Beilagen. Aus dem Engliſchen über-
fegt von R. Bellfon. Berlin, Wolf: &r. 8. 10 Rer. -
Berantwortlider Derausgeber : Heiurih Wrodhans. — Drud und Verlag von F. MW. Brockhaus in Leipzig.
-
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Sonnabend,
Englifhe Zuftände.
Erſter Artikel.
1. England. Bon I. Benedey. Dre Theile Leipzig,
—E 1845. Gr. 8. 6 Ken. ” ewꝛis
Bern man fagen darf, daß fich die ganze europäiſche
Welt gegenwärtig in einer Krifis befindet, deren Ende
und Refultat noch nirgend abzufehen ift, fo treten die
Symptome diefer europäifchen Kriſis doch nirgend fo
großartig und fo unverfchleiert auf ale eben in Eng»
fand. Deshalb waren von jeher die Blicke aller den⸗
tenden Männer auf jenes wunderbare Infelreich gerich-
tet, deshalb find fie ed um fo mehr in diefem Augen-
bite, wo dort eine Revolution vor fich geht, wie bie
Geſchichte Peine zweite aufzuweifen hat und welche in den
beiden Ländern Europas, welche mit England auf ber-
felben Gukturftufe flehen, ihrer ungewohnten Formen,
ihre® ungeheuern Inhalte wegen die alfgemeinfte Auf:
merkſamkeit in Anfpruch nimmt. Frankreichs und Deutfch-
fonds Blide find unausgefegt auf England gewendet
und miüffen es fein, denn England arbeitet jegt prak⸗
tifcher und durchdringender als fie felbft an den Grund⸗
fragen - der europäifchen Civiliſation, d. h. der europäi-
fhen Zukunft. Demzufolge mehrt fih in Frankreich
wie In Deutfihland eine Riteratur, welche über England
zu orientiren fucht und bie englifchen Zuſtaͤnde als einen
Thermometer für ganz Europa betrachtet, demzufolge
. glauben wir am ficherften und am vortheilhafteften zu
verfahren, wenn wir bei unferer Beſprechung der engli-
ſchen Zuflände ganz direct an diejenigen beiden Werke
anfnüpfen, melche in ber meueften Zeit als die vorzüg-
lichſten fowol in der deutfchen als in ber franzöfiichen
Literatur über England erfchienen find, an die Schrif-
ten von Venedey und Leon Faucher, und wenn wir
hier und da eine Parallele zwiſchen der deutfchen und
der feanzöfifhen Betrachtungsweife der engliſchen Fra⸗
gen verfuchen.
Wir fagen nit zu viel, wern wir das Werd, wel.
ches Benedey der deutfchen Literatur über England ge-
boten bat, das vortrefflichfte und gediegenfle nennen,
was wir über die Zuflände jene® uns vermandten Infel-
volts befigen. Seit Haumer iM viel über England ge»
f&rieben worden, aber nichts Ft mit dem Werke Bene
dey's zu vergleihen. Wir finden in Benedey einen deut⸗
fen Zouriften, der fi) ganz und gar von ber leicht⸗
füßigen Manler des modernen Schriftſt fern
gehaften hat; es iſt viel dorifcher Charakter in feinem
Wefen, viel Gruͤndlichkeit und viel redliche Überzeugung.
Sind unfere Anfichten zuweilen ganz andere als die ſeini⸗
gen, fo fehägen wir doch Immer die Bebiegenheit, mit
der er feine zeugungen vorzubtingen weiß, wir be
wundern die Fülle des Materials, welches er fowel
durch unabläffige Studien als dur unmittelbare Aus
ſchauung zu bewältigen und geſchickt, ſelbſt kunftreich,
namentlich in dem hiſtoriſchen Theile feines Werts, zu
verarbeiten gewußt hat.
Was wir fhon früher in d. Bl., bei Gelegenheit
der Beſprechung feines Werks über Irland, von Bewer
dey's Charakter und von feiner Perfönlichkeit fagten,
önnte hier wiederholt werben, wir weifen jedoch dahin
zurück.) Uber wir waren einftmeilen der Hoffnung ge
worden, Venedey ſtehe am Ende feiner gründlich benutz⸗
ten Odyſſeus⸗Fahrten und es öffne das heimifche That
des Rheines, es öffne die alte Vaterſtadt Köln dem Ber-
bannten für immer bie Thore. Deffenungeachtet fehen
wir Venedey aber wieder, nad) einer Purzen Raſt am
der Bruft des gealterten Vaters, nach einer ängfllid und
nad) Mimuten abgewogenen traulichen Beſprechung mit
alten Freunden, auf die wirren Pfabe des Pfüchtlinge-
lebens hinausgeſtoßen. Venedey fagt, er habe auch
im fremden Lande Freunde und Freundinnen gefunden.
In diefem Bekenntniſſe aber liegt zugleich eine Erlöfung
des Humaniemus den Principien des Nationalismus ge⸗
genüber, welchen Venedey Yuldigt und auf deren Pruͤ⸗
fung fowol feine täglichen Beobachtungen al6 auch feine
biftorifchen Studien hinauszulanfen pflegen. Ja wohl,
das Menfchliche erhebt fi) immer über das Nationale.
Diefe Wahrheit hat Venedey an feinem eigenen Leben
bewährt gefunden. Der Rattonalismus artet allzu oft
in eine Befchräntung und Vertümmerung des Menſch⸗
tichen aus. Deffenungeachtet hat fi in Venebey ein
Hauptintereffe für alle nationalen Entmwidelungen erhal
ten und wir erwähnen dieſes Punktes von vornherein,
9) Bergl. Nr. 122 — 185 und Nr. 239 — 92 d. BL f. 18%.
D. Red.
542
weil er eine bet Hauptpunkte ift, in denen wir uns zu
Venedey im Gegenfage befinden.
Venedey gehört zu ber deutſch⸗ nationalen Partei.
Wir betrachten ihn als eine der tüchtigften Geftalten
im Kreife derfelben. Wäre er duch feine Entfernung
vom Baterlande nicht wider feinen Willen verhindert
worden, die Bewegungen Deutſchlands innerlich mit
durchzumachen und zu verarbeiten, er würbe, wir find
e6 überzeugt, den. Standpunkt, auf welchem er fieht,
binter ſich gelaffen und das Princip des Nationalismus
entfhieben durchbrochen haben. Wenn er im zweiten
Theile des vorliegenden Werts (S. 432 — 433) fagt:
„Mein angeborenes Graufen vor allen. Philofophen und
aller Philoſophie der Schule, meine Befpenfterfurcht vor
philoſophiſchen EncyHopädien erlaubten mir nicht länger
Gnade für Recht ergeben zu laſſen und ich hatte den
Muth, der Dame zu geftehen, daß ich fein Philofoph
fei und gar keine philofophifchen Werke lefe”, und ferner:
„Ich ahnte nicht, wie graufam ich war. «So find Sie
alfo Fein BPhilofoph%n», fagte fie «Bei Leibe nicht. »
«Wol ein Politifert» «So etwas»” u. f. w., ſo muß
diefes Bekenntniß allerdings einen durchaus wunberlichen
Eindrud auf uns machen. Wir fehen daraus, wie fremd,
obwol wir uns nicht darüber wundern, verfchiedene deut⸗
ſche Richtungen für unfern Flüchtling geblieben find.
Die philofophifche Bewegung ift nämlich in Deutſchland
weit über die „Schule und die „Encyklopädie“ hinaus:
gegangen, fie eben ift es, welche in Deutfchland einzig
und allein, ohne von befchräntten Vorausfegungen an«
zufangen, den wahren Grund des Lebens ſucht. Die
philofophifhen Schulmänner find in Deutfchland weit
im Rüdftanbe geblieben. Es gibt unter und Viele, die
Philoſophen find, ohne daß fie fich noch um die „Schule”
oder um bie „philofophifche Encyklopädie“ befümmern.
Aber Venedey erflärt geradewegs, er fei überhaupt kein
Philoſophh. In dem Sinne, wie fie jegt gefaßt wird,
ift fie die MWiffenfchaft aller wahrhaft menfchlichen In⸗
texeffen geworden. Indem Venedey fich als Nichtphilo-
fophen bekennt, würde er alfo auch das allgemein menjch-
liche Intereffe von fi zurudweifen müffen. Das fommt
ihm gewiß nicht in den Sinn. Er fei fein Philofoph,
aber er fei ein Politiker, ſagt er ferner. Die Politik
wie fie ift und wie fie betrieben wirb mag allerdings
* Grund haben, ſich ale den Gegenfag der Philofophie zu
betrachten; wie aber Venedey die wahrhaft vernünftige
Wiffenfchaft der Politit als den Gegenfag ber Philofo-
phie hinftellen fann, das will fih mit unfern Anfichten
und liberzeugungen durchaus nicht vereinbaren laffen.
Eine politifche Wiſſenſchaft, die nicht auf einem allgemein-
vernünftigen, alfo philofophifehem Boden beruht, eine
politifhe MWiffenfchaft, die nicht die vorausfegungslofe
Kritik über ſich anerkennt, fondern von Vorausfegungen
wie 3. B. Nationalitätsunterfdieben, pofitiven Geſchichts⸗
dbogmen u. f. w. ausgeht, wird immer mehr oder min-
der bie Unfreiheit des menfchlihen Gefchlechts begünſti⸗
gen und wenn fie bier und da in befondern, felbft in
den meiften Fällen, da6 Wort für die Freiheit, für das
,
„Volk“ nimmt, fie kann niemals im Stande fein, das
Panier der wahrhaft menfchlihen Freiheit zu erheben,
fie fann über den Bürger nicht zum Menſchen und über
bie Nation nicht zur Menfchheit gelangen.
Noch ein dritter Hauptpunkt ift es, in dem wir gang
anderer Anficht find ale Venedey, nämlich in ber Auf
faffung ber focialen Zuftände und der focialiftifchen Prin⸗
cipien, die er natürlich mit feiner bürgerlichen Politik
nicht in Einklang zu fegen vermag. Das Nähere fagen
wie an der betreffenden Stelle. Wir haben nun, info-
weit wir anderer Anficht find als Venedey, unfere
Unfichten gleich vorangeftellt, um ben Lefern ſowol
bes Venebey’fchen Werks als auch diefes Artikels einen
freiern Überblid zu gewähren. Um fo unbefangener und
ununterbrochener fönnen wir jegt Venedey in der Ent-
widelung und in dem Fortgange feines Werks begleiten.
Das Werk zerfällt in zwei Abtheilungen. Die erfte
Abtheilung entwidelt die gefchichtlihen Zuftände Eng⸗
lands, die zweite befchäftigt fich mit ben gegenwärtigen
Berhältniffen deffelben und bringt die unmittelbaren An-
fhauungen des Verf., wie er ſich bemüht, diefelben mit
feinen hiſtoriſchen Nefultaten in Einklang zu bringen
und auf denfelben zu begründen. Beide Abtheilungen
bilden alfp ein organifches Ganzes.
Die erfte, nämlich) die hiſtoriſche Abtheilung erfcheint
uns ald die Meifterpartie des Venedey'ſchen Werks. Sie
iſt gründlich und Elar zugleich, es find langjährige, mü-
hevolle Studien in derfelben verarbeitet, ohne daß der
Derf. auf deutfche Gelehrtenmanier in ellenlangen Ci.
taten damit prunkte. Es war ihm, wie er felbft fagt,
nicht um die Gelehrſamkeit, fondern um bie Lehre zu
thun und dazu genügten die Thatſachen, wie er fie in
den Gefchichtfchreibern der Ereigniffe, Verhaͤltniſſe, Zu⸗
ftände und Inftitutionen Englands fand. Er brüftet
fih nicht mit der Mühe und der Arbeit, welche ihm
das Auffuchen der Quellen gemacht hat, es ift vor allen
Dingen ein praftifcher Zweck, den er bei der Durchfor⸗
fhung der englifhen Gefchichte im Auge behält: „Die
Lehre in mein Volk niederzulegen, bie ich felbft bei mei-
ner Wanderfahrt durch Englands Gegenwart und Ber-
gangenheit davongetragen habe.” Wie gründlich die
Studien Venedey's geweſen find, das bemeift, obgleich
die Citate fehlen, die ganze Behandlung des hiſtoriſchen
Theild. Venedey ordnet das ſchwierige und verwidelte
Material fo lichtvoll und felbft fo Lünftlerifch, er hat ei⸗
nen fo beflimmten, fihen Blid über Englands Zu⸗
ftände, wie er eben nur durch das allfeitigfte Studium
zu erwerben ift.
Der erfte Theil ift den Zuftänden Altenglands ge-
widmet. Venedey führt uns in die dunkeln Tage der
Briten und der Römer. Das Weſen ber Briten war
im Ganzen das aller Leltifchen Volksſtäͤmme. Lebendig,
vegfam, tapfer, raſch und unbeftändig, dann aber auch
gutmütbig, lebensfroh, genußfuchend, offenherzig, ohne
Hehl und Arg, — das find die Grundzüge der keltiſchen
Art und Weife. Die gefellichaftlihe Culturftufe, auf
ber die Briten ftanden, bevor fie mit ber Eultur Cu⸗
ropas in nähere Berußrung kamen, fehilbert Venedey
in folgender Weife:
Es war die Stufe der reinen Zamilienorganifation. Das
Eigenthum war nicht ein perfönliches, nicht ein Kaften», Volks:
ſtamm⸗ ober Staatseigenthum, fondern gehörte der Familie;
und wer Anſprüche auf baffelbe machen wollte, mußte vorerft
befunden, daß er zu der Familie gehöre, was dann aeg
fein Recht auf feinen Antheil an dem Yamilieneigenthume zu
figern. Richt dem Volle, dem Staate, fondern der Familie
gehörte der Einzelne an und fo zerfplitterte fi) die ganze Be
völferung Britanniend in eine Maffe Heiner und größerer Fa⸗
milienkreife ohne innern feflen Aufammenhang. Was Wunder,
daß die Rieſenmacht Roms, trog aller perfönlihen Zapferkeit
der Briten, auch bier Fam, fah und fiegte?.
Die Herrſchaft Roms lag vier Jahrhunderte auf Bri-
tannien. Die Gefhichte Roms in Britannien ift, mit
Ausnahme der Kämpfe, fo leer als möglich und läßt
obne alle Nachricht über den Zuftand der Bewohner
Britanniens, jedenfalls ftellt fi) aber, nad) Venedey,
als Hauptergebnif der Schlug heraus, daß bie vierhun-
dertjährige Herrſchaft Roms den Briten nicht nur in
Bezug auf ihre Cultur nichts genugt, fondern im Ge:
gentheil die guten und rüſtigen Eigenfchaften des kelti⸗
fhen Stammchararakterd mehr oder minder vernichtet
hat. Die Eulturftufe der Briten war noch fo niedrig,
daß fie die höhere Eivilifation Roms als ein feindliches
- Element zurüdftoßen mußten und diefelbe nicht in ſich
aufnehmen konnten; fie blieben von dem Weſen berfelben
unberührt. Das beweifen die nächften Ereignifje nad) dem
Küdtritte der Römer aus Britannien. Die Sprade
Roms hatte nicht im Volke Zug gefaßt, die Inftitutio-
nen Roms gingen unter und an ihre Stelle trat fafl
unmittelbar das Anfehen der alten Samilienhäupter, die
die Römer entfegt hatten. Die vierhundertjährige Gewohn⸗
heit an die fremde Herrfihaft hatte aber jeden Reſt von
Selbftändigkeit in den Briten befiege. Die leichte Seite
des Feltifchen Weſens hatte volllommen das Übergewicht
erlangt, fogar die alte Tapferkeit war verfchmunden und
als die Zeit der Noth kam, mußten die Briten die Beute
des erften Angriffs werden.
Es erfcheinen die Sachfen. Die erften Abenteurer
tiefen immer ftärkere Züge neuer Auswanderer herbei,
der Widerftand ber Briten kam jegt zu fpät, er dauerte
nur lange genug, um zu einem Bernichtungsfampfe zwi⸗
fchen den alten Bewohnern Britanniens und ben fächfi-
[hen Einwanderern zu führen. Venedey ſchildert vor-
trefflich, wie diefer Vernichtungskampf in allen Verhält⸗
niffen der beiden fämpfenden Parteien lag:
- Die Briten auf dem Flachlande Britanniend hatten den
Sachen gegenüber nichts als ihre Hartnädigkelt, und das ge-
nügte nur, um den Kampf zu verewigen. Was dem Einen
eine Tugend, war dem Andern eine Schwäche, was dem Einen
eine Ehre, war dem Andern eine Schande. Der Ernft des
Germanen ftieß gegen die frifche Lebensluſt des Kelten an, die
ruhige Überlegung war ein Hohn der rafchen Hingebung, die
Ziele vet emüthe ärgerte fih an der frohen Sberflaͤchlich⸗
eit u. f. w.
Das Alles mußte zu einem ewigen Kampfe und
diefer Kampf zur Ausrottung der Briten führen, ſoweit
das Schwert der Sachfen zu bringen vermochte. Die
Folge biefer Ansrottung ber Briten war, daß fi in
England das germanifihe Wefen rein und ohne Beige:
ſchmack verwirklichen konnte. Mit dem Untergange der
Briten in ihrem Kampfe gegen die Sachſen erhielten
diefe volllommen freies Spiel, und fo kam es, daß ger-
manifches Weſen von den Sachſen, fo rein es in Deutfch-
land felbft je beftanden hatte, nach England übergepflanzt
wurde und, unter beffern Verhältniffen wie in Deutfch-
land feibft, fi reiner in England erhielt als in dem
eigenen Mutterlande. ,
Ebenfo gründlich ale klar ift num die Überficht, welche
Venedey von den Gefegen und Inftitutionen der Angel-
ſachſen entwirft. Im ihnen die Grundzüge aller gefell-
ſchaftlichen Verhältniſſe darzuftellen, darin iſt Venedey
Meiſter und es erreicht ihm fo leicht Keiner in dieſem
Punkte. Die volksthuͤmliche und ftaatliche Organifation
ber Sachſen beruhte ebenfalls auf der Familie, die Frei⸗
heit auf der Unangreifbarfeit des Hauſes. Aber bie
Familie fchloß nicht wie bei den Kelten den Kreis ber
gefellfchaftlihen Zuftände, fie war nur Grundlage des
Staats und nicht der Staat ſelbſt. Zehn Familien bil-
beten die unterfte Stufe der volksthümlichen Organifa-
tion, in einer Art Gemeinde unter dem Namen Tithings.
Die zweite Stufe bildeten zehn Tithings, die Hundreds,
auf dieſe folgte eine Art Provinzialabtheilung Scyre,
Shire; diefe zufammen bildeten dann den Staat. Jede
diefer verfchiedenen Abtheilungen hatte ihr eigenes, felbftän-
diges Leben, die Seele der Verbindung war aber die
gemeinfhaftlihe Pflicht, für Ruhe und Ordnung
einzuftehen. Die Mitglieder der Zehnt, Hundert bilden
unter fi eine Art Gericht, das über die Angelegenhei-
ten der Gemeinde entfcheidet. Der Vorfteher der Ge⸗
meinde ift der Alderman. Gewählt wurde der Alder-
man von der Gemeinde. Uber dem Alderman gab es
noch einen andern Beamten, den Gerefa (Graf), in den
Shires den Shiregerefa (Sheriff). Es war mwahrfchein-
lin ein königlicher Beamter. An der Spige der Staats-
verbindung ftand der König Wie ber Alderman der
erfte Bürger der Gemeinde, fo war er der erſte Bür⸗
ger bes Staats. Der Staat beruhte in einer Reihen⸗
folge von Behörden, in der jede ber verfchiedenen Stu-
fen ein über dem andern ftehendes Gericht bildete. Die
ftaatlihe Organifation war eine Art Gerichtsorganifa-
tion. Die Gerichte ordneten Alles, forachen Recht und
diefes Recht wurde Gefeg, allgemeiner Gebrauch. Der
Gedanke der germaniſchen Organifation, fagt Venedey,
berube auf dem thätigen Rechtsbegriffe, auf der Pflicht,
auf der allgemeinen Verantwortung für die Aufrechthal«
tung des öffentlichen Friedens, und fo war es ganz na-
türlih, dag diefer Gedanke in der Verwirklichung der
Staatsthätigkeit zu einer Reihenfolge von Berichten als
der organifchen Verkörperung des Pflichtgedankens führte.
Der König war der Erfte im Staat, aber auch für
ihn gab es ein Wehrgeld (Sühne für einen Getödteten),
zwar das höchfte Wehrgelb, aber doch ein MWehrgelb.
Ein deutlicher Beweis, daß fich die Germanen bei ihren:
Könige etwas Anderes dachten als bie Römer unter ih-
zen Säfaren und bie neuere Zeit unter den abfoluten
Königen. Dem Könige folgte ein Adel, die Thanes
genannt. Ga iſt ſchwer zu fagen, wie weit bie Vor⸗
vechte deffelben gingen. Dem Abel folgte ein Mittel»
and, bie Cearis genapms, fe waren Pächter und Acker⸗
bauer. Aulegt Tamen die Sklaven oder beffer Knechte.
Diefen drei Volktelaſſen entſprachen wahrſcheinlich drei
Claffen von Eigentgum: Thainland, Bondland und Falk-
land. Das erſtere war bed Gigenshum bes Adels, das
zweite ber Befig des freien Ackerbauers, ber baffelpe
von einem Adeligen in Pacht genemmen; weniger klar
iſt es, mas unter Folkland verſtanden wurde, bie Einen
fchreiben es den Gemeinden, bie Andern ben Knechten
zu. Das fähfifche Eigenthum kommt fpäter unter bem
Kamen Sottage, Eigenthum, vor und unterſcheidet ſich
als ſolches fehr fireng von dem normanniſchen Eigen⸗
thum, war frei und ging auf alte Kinder zu gleichen
‚Teilen, ausnahmsweiſe, vieeicht wur bei ben ärmern
Bauern, auf ben jüngften Sohn über.
(Die Yortfegung folgt.)
Rovellen und Bilder
Feberzeichnungen auf ber Reife.
1846. 8,
von 2. Mühlbach. Berlin, Mylius.
3 Thlr.
Ref. hat Peine Sympathie für die Literatur ber Blau:
flrümpfe. Die Fähigkeit für männliches Wirken ſpreche ich
war nicht einem einzelnen Weibe, wol aber dem weiblichen
Befchiechte ab. Jedes Jahrhundert fieht einige Weiber gebor
ren werden, von denen man fagen Fann: ingenio viri, sexu
feminae. Ja wir haben es in dieſem Decennium erlebt, daß ein
Weib wagte zu fihreiben was jedem Manne unmöglid) war; ich
fpreche von Bettina und ihrer Schrift: „Died Buch gehört dem
Könige”. Mag in Bettina viel ercentrifches, phantaftifches
Element fein, zu den heroiſchen Weibern gehört fie. Biel rubi-
ger, Bälter fcheint mir 2. Mühlbach, Madame Theodor Munbdt,
obwol auch fie wie mit feurigen Zungen reden fann; man
lefe nur die Stelle, wo fie über Gefängnißwefen fpricht.
Das vorgenannte Bud ift ein ganz und gar modernes
Preduct; berlinifch: modern möchte ich «8 ame liebften nennen.
In welche Situation, in welche Umgebung der Yutor au
Zommt, überall drängt ſich bad Bewußtſein aus ihm heraus,
er: gehört jener Stadt an, welche auf ihre Intelligenz fo ftolz
ift. Ref. muß geftehen, daß ihm dies fchon oft im höchften
Grade Iäftig, niemald aber weniger unangenehm geworben iſt
als in diefem Buche der Madame Theodor Mundt; man lieſt
weiter man vordringt mit deſto größerm Intereffe weiter.
In ihrem Urtheil fcheint L. Mühlbach faft immer ſcharf und
fiher treffend; fie capitulirt nicht mit ihrem Gegner, fie will
ihn total befiegen; dem Rauch zum Grempel gibt fie durchaus
Beinen Pardon, weil Feine Poeſie in feinen Werken fei: er könne
nur Trinkliederſtatuen machen und feine Bictoriabilber fähen,
mit ihren zufammmengeflemmten. Beinen und dem Palmzweig
auf der Schulter aus wie Rekruten, die das Ererciren lernen
follen. 2. Muͤhlbach's Naturfchilderungen find klar, niemals
verlieren fie fich ins Überfchmwänglidhe und Unbeftimmte; die
Sprache ift überall dem Begenitande augemeſſen, ganz einfach,
ohne Präatenfionen. An charmanten Einfällen ift das Bud
reich; + B. als 2. Mühlbach nach Zerney und in Voltaire's
Simmer fommt, trifft fie dafelbft eine Katze, weldye die Befu:
chenden durch Haus und Garten geleitet: plöglich wird es ihr
zur Gewißhelt, daB das nicht eine gewöhnliche Katze, fondern
Beiteired Bei feis dieſer Sherz IR rocht haͤbſch Dune
der Beit Arzt fein und war au ſelber krank an der Zeit Jrr⸗
tum, und ein großer Schmerzedfchrei ging kreiſchend und un⸗
heilvoll durch die legten Jahre feines Lebens. Jean Jaques
og es vor zu arbeiten, ftatt fi ernähren zu laſſen, und un
fern reifenden Preibeitäfänger Hoffmann von Fallersleben, den
würde er nicht begreifen und vielleicht erröthend flatt feinen
die Augen niebergefhlagen haben. Sean Jaques glich nicht
unfern modernen Freiheitshelden, weder Hoffmann noch Herwegh,
‚ welcher Legtere einft jenen bekannten Beſuch beim König von
Preußen machte und fi) dort unbehoffen, angftvoll und zaghaft
zeigte. Auch Sean Jaques wurde zu einem Könige befchieben,
| ein König wolite nicht allein ihm danken, der Philoſoph follte
aus den Händen Ludwig's auch ein Sahrgeld empfangen. Das
wußte Roufleau, er wußte aber auch, daß er nicht gemacht fel
mit einem Könige zu verkehren, daß er entweder die Freiheit
feinee Rebe bezwingen oder durch die Freiheit feiner Rede ver
fegen würde. Beides wollte er vermeiden, und arm wie er
war, entfagte er dem verheißenen Jahrgelde, nahm Poſtpferde
und verließ Paris ohne dem Könige borgeftellt zu werden; er.
ernäbrte fich damit, daß er jeden Vormittag die miferable Mu⸗
fil der damaligen Mode copirte.’
Zum Schluß fügen wir die nach allem Obigen fat über:
flüfige Bemerbung bei, daß dies Buch Yon 2. Möhlbach allen
Freunden einer geiftreichen, zu Controverien und weiterer Mit-
theilung anregenden Lecture lebhaft empfohlen werden darf,
Literarifhe Anzeige.
Soeben erſcheint neu in meinem Berlage: N
Zörg 4 Ch. &.), Beleuchtung der für dad
23 Sachien beantragten Reform ber Re⸗
dieinalverfaffung. Vorausgeſiellt ift eine Kritik der
Brofchüre des Bataillonsarztes Dr. Neubert in Dresben:
„Darftelung der ärztlichen Bildung ber Militairärzte der
königl. ſaͤchſ. Armee“ betitelt. Gr. 8. Geh. 8 Nor
Im Jahre 1845 erfchien bereits von dem Berfaffer bei mie:
a DT
der en cteifenfdehs
Gr. 8,
Reinsie, im Mai 1846.
4 Nor.
$. 3. Brockhaus.
Verantwortlicher Geraudgeber: Hetnrich Brockdands. — Drud und Berlag von J. A. Brockhans in Leipgis-
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Sonntag,
Engliſche Zuftände.
Erfter Artikel.
(Bortfegung aus Ne. 136.)
Die fächfiichen Inftitutionen, wie Benedey fie ſchil⸗
dert, enthalten den Keim der englifchen Conſtitution in
allen ihren Hauptbeftandtheilen, bie Gemeinde, das Par-
fament, bas Geſchworenengericht, die Oberherrfchaft des
Rechts und Gerichts über Gefeg und Gefeggebung. Es
war aber zu Anfang Sein Segen bei dem Werke der
Eroberung, die Sachfen krankten an den Folgen ber
Eroberung. Sie wurden, wie Venedey fügt, ein „Räu⸗
ber⸗ und Saͤufervolk“, bis zulegt Erfättigung und Er⸗
mattung eintraten. Die Staatsorgamifation wurde im⸗
mer ariflofratifher; der Keim des Ariflofratismus Tag
in der Abtheitung bes Volks nach Claſſen. Das Volt
wurde immer rechtlofer und zurüdgebrängt von der Bahn
des öffentlichen Lebens. Die Sachſen flifteten eine Menge
Heiner Königreiche, die Kolge davon war Zerfplitterung,.
Das führte zu endiofen Kriegen und endlich zu einer
Art Yöderation von fieben Königreichen, die die übrigen
befiegt und verfchlungen hatten. Während bes Kamıpfe
entarteten alle Theile des Volks und alle Inſtitutionen.
Selbſt das Ehriftenthum konnte diefen Lauf der Dinge
“nicht ändern, es murbe im Gegentheil ein neues Ele-
ment der Auflöfung. 0
&o waren bie Sachen reif, die Beute eines neuen
Geoberers zu werden: Es erfchienen bie Dänen und ihre
Macht murbe bald, gegenüber den fich felbft zerfplittern-
ben Sachſen, fo groß, daß fie an die Groberung bes
. ganzen Landes denken konnten. Diefe Eroberung wurbe
zur Zeit Alfred's auf eine Weile durchgeführt, aber Al⸗
fred befiegte fie wieder und fuchte nun die Inflitutionen
ber fähfifhen Vorfahren roieberherzuftellen.. Diefe Er-
neuerung ber altfächftichen Inſtitutionen ficherte die Herr⸗
ſchaft der Sachſen abermals für faft anderthalk Jahr⸗
hundert. Aber die Wiederbelebung des altfächfifchen We⸗
fens konnte den Untergang. wol aufihieben, aber nicht
verhindern, ber Keim der Entartung lag tiefer. Der
Geiſt der einft die Sachſen beherrfcht hatte verließ das
Boll. Die Sachſen haben nur noch zum Morde, nicht
mehr zum: Kriege und zum Gemeinfinne Muth. Die
Höchfte moralifche Verwilderung herrſchte unter den Gro⸗
fen. Die Sachſen unterlagen den Angriffen ber unter
einem Fürften vereinigten Dänen und Rorweger und
bald herrſchte Kanut über alle Sachſen in England.
Aber die Dänen verftanden es nicht neues Leben in
ben faulenden Körper zu bringen, fie -wurben nur. felbft
von ber Anſteckung ergriffen. Ihre Herrfchaft zerfiel wieder.
Die Schlacht bei Haflinge brachte ber Sachfenberrfchaft
den Untergang und dem Rormannenthume ben Sieg.
Benedey fast: „Aber die Zukunft wird uns zeigen, wie
der fächfifhe Kern, durch Unglis und Blend gereinigt,
neue Wurzeln faßte und zulegt abermals bie fchönften !
Feuchte trug.” Es lag in der That in ben untern
Claſſen des fächfifchen Volks noch fehr viel gefunde Na⸗
tur verborgen; ein Beweis davon mag es fein, wie ein
Bauer fi bis zum Throne binauffchwingen und den
Normannen den Sieg ftreitig machen konnte. In den
Sahfenbauern war noch ein unangegriffenes Element
höherer Kraft und beſſern Weſens.
Eine vortrefflihe Schilderung finden wir bei Vene⸗
dey von der Auffaffung der öffentlichen Verhättniffe bei
den Normannen unterworfen. Aus der richtigen Er-
kenntniß berfelben reſultirt die Erkenntniß ber ganjen
englifhen Gefchichte, der englifhen SInftituttionen. Für
ben Frieden haften fie die altgermanifche Gerichtsorgani- .
fation, für den Krieg machten ſich die Feudaleinrich-
tung geltend. Das Feudalſyſtem ift alfo nichts Anderes
als die umgekehrte Anwendung bes Grundgedankens ber
germaniſchen Volksorganifation auf die Zuftände der Er-
oberer in einem eroberten Lande. Die Eroberung fekbft
fand im Namen des Herrfchers flat. Was erobert
murde, wurde vorerft und vor Allem fein Eigenthum,
das er dann wieber unter feine Hauptgenoſſen vertheilte.
Die Normannen, bevor fie in England landeten, waren
auf der Stufe des Feudalrechts angelangt, auf ber ber
alte Begriff einer urfprünglihen Gleichheit zwifchen
Herren und Vaſallen noch nachwirkte, aber auch der
Übergang in ein Dienftuerhältniß, fich ſchon vielfach ver-
wirklicht hatte. Das Nähere muß bei Venedey felbft
nachgefehen werden. Die Sachfen wurden in den erften
Jahren bie ber Eroberung folgten unterjocht, ihre Rechte
verkannt, ihre Ariftofratie und ihre Geiſtlichkeit verach-
tet, das Volt mit dem Schwerte zum Schweigen ge
bracht. „Uber, fagt Venedey und er bat recht, denn
fonft würden fich die folgenden @reignifle der englifchen
Geſchichte nicht erklaͤren laſſen, „das verhinderte nicht,
daß der Baum des ſaͤchſtſchen Voiks und ber fächfifchen
Rechte nicht ausgerottet wurde. Der Sturm mar groß,
die Früchte, fiefen zu Bopen, die te brachen; ber Baum:
und die WBurpeln des Jolks ſaßen zu feſt, um ſo leicht
ausgeriſſen zu werden.”
Die nächte Folge ber Eroberung war die Einfuͤh⸗
rung des normanniſchen Feudalſyſtems in England. Die
ganze Feudalorganifation Englands war die eines Krieg:
heers. Die Zeudalgäter wurden erblich erworben, im
Gegenfage zu den ſaͤchſiſchen Gütern auf Lebensdauer.
bie Stellung der wurde in ben neuen
Zuftänden Englands eine ganz andere Die Sachfen
hatten zwar die Dberherrfhaft des Papſtes zugegeben,
aber fie. dachten fich biefelbe wie bie ihres Fürſten, nicht
als eimen kirchlichen Abſolutismus, fondern als eine
durch die üͤber der Macht des Einzelnen ſtehenden Ge⸗
fege fege geabnei buch das Aufehen und die Rechte des
Gemeinde ſelliſt befchränkte Gemeinſchaft der Kirche, ihr
rer Borfbeber und Anhänger. Die Normannen dagegen
hatten fich mit den füdlichen Völkern an die Alleinherr⸗
fhaft des Papſtes gewöhnt, die Päpfte felbfi hatten bie
Grobeung Englands durch bie Rormannen eingeleitet,
lunterftützt und gebilligt. Wilhelm ber (Eroberer be»
Bämpfte die fächfifche Geiſtlichkeit und erfegte fie durch
Rurmennen ober fonft roͤmiſch geſinnte Prälaten.
Die Geſchichte der. normännifhen Verhältniffe und
die Darſtellung der Wiedergeburt bes fürhfiihen Volks⸗
geiſtes unter denſelben und ſelbſt durch diefelben wird
von Venedey fo coucis, fo Far und vielfad bargeftellt
wie wir fie nirgend gefunden haben. Venedey iſt ein
Meier in der Auffaſſung und Verfolgung alles volks⸗
thinlichen Regungen und Bewegungen Aus bem bürt-
fin Holze zieht er dem Iebendigfien und den erquidend-
fen Saft. Wir citiren bier nur den Schluß jener uns
vergleichlichen Darſtellung:
So. ſehen wir bald nach bes Eroberung die Sachſen ruhi
und unbeachtet in jede Luͤcke einrüden, die die Rormannen o
fen gelaffen hatten. Nur der höhere Adel der Rormannen
Kar ſich —E rein. Die Geiſtlichkeit 1cb fich veranlaßt, ſich
um mit ihm eigenen —
zu
* e der — binauffhmwengen, waren zum Theil
haft wahrſcheinlich arößtent theils Sachſen. Das Vol in Rafie
—8 nachdem die tuͤrme voruͤber waren, feine Fre
heit, ſewol in: den Städten als. auf: dem Lande, in jenen durch
die alten Gebräuche und die Privilegien der Kümige, in beider
Dusch, das Inftitut eines freien Eigenthums, das aufrecht ftehen
blieb. So bereitete ſich die Wiedergeburt ber ſaͤchfiſchen Zrer
heit in einer Zeit vor, in ber noch alle Welt. glauben Eonnte,
der Gig, des Rormannen habe bie Sachfen für immer ver
annen felbft zu thätigen Gehät
u ziehen
kan Dein, - der ae deB dorſchers ohne Mühe in feir
— Shun und Laſſen die feſten Burgen der zukünftigen Frei⸗
Sit Cu die erſte Wiede Uung ſaͤch⸗
ee ER
ſchreibern.
Die Geſtaltungen, welche zur Magna: charta führten,
entwidelt Venebey im Gegenfage zu faft allen Geſchichts⸗
Es ift in den englifchen Geſchichtswerken
berfömmlich, 3. DB. bei Hume, biefen ganzen Kampf
‚und feine Erfolge den Baronen vorzugäweife und ber
Geiſtlichket im zweiten Range zuzuweiſen. Vom Bolke
iſt faſt nie die Nee. Es erklärt ſich das von ſelbſt
durch das äußere Anſehen, das die Barone beſaßen und
noch mehr durch die ariftofratifche Huffaffungsweife, die
in England Mode geworden ift und alle nachfolgenden
Gefchichtfchreiber mehr oder weniger beherrſcht. Bei
Lichte befehen ftellt ſich aber, wie Venedey vortrefflich
nachweiſt, heraus, daß hie Barane hoͤchſtens in zmeite
Linie kommen, während das Volt, die Gemeinfreien und
befonder® die Londaner nicht meniger thatig waren ale
die Barone und fich jedenfalls bei dem Kampfe weit
patriotifcher bewiefen.
Was befonders für die Thätigkeit des Volks bei
der Erringung ber Magna charta ſpricht, ift die Magna
charta felbft. Hoͤren wir Venedey:
"Darüber find alle Seſchichtsforſcher einverfianten, daß die
Magna charta nichts ala eine Erneuerung der Gefege Eduards
des Beichtigerk iſt, Daß fie in den alten Gebräuchen des Lan:
des, in bem Common law fußt. Die Verſchworenen verlang:
ten ausdrücklich die Wiederherftellung der Oder E@dward’t.
Die Barone, die das Wort — und Die Geiſtlichen fetoft,
bie fie lenkten, Hatten fi} aber fo werdg um biefe Geſetze be⸗
kuͤmmert, daß keine einzige Abfrift derfelben aufzufinden war.
Die Gefege aber lebten ald Gebräuche im Volke fort. und die
Stimme des Volks drang durch die Foderungen der Barone
buch. Zulezt fand fi dann eine Abjchrift der Eharte Hein
rich's I., Die wiederum eine Bufantmenftellung der Gefepe -
Goward’s und der Magna charta als Grundlage diente
Dieſe ſelbſt alſo iſt —5 Gefeg, Common law, und das
aflein bekundet, von welder Bebeutung die Wünfche des
Volks in Diefer allgemeinen Dervegung zur Sicherheit der
Rechte waren.
Wenn aber auch diefer hiftorifch organiſche Zufam-
menhang zwiſchen der Magna charta und ben ſächſiſchen
Segen. die Theilnahme bes Volks an ihrer: Erlangung
noch nicht bewieſe, fo wirrbe doch ber Schup, den das
Bolk in ihr finde, dafür fprehen. Es werden immer
die Intereffen aller übrigen Claſſen zurüdgefegt werden;
wenn mur eine Claſſe, nur ein Theil der Ration thätig
if. Durch die Magna charta werden aber Die Inter
effen aller Claffen de englifchen Polls, vom Könige
bis zum Villain herab, gefichert, ſoweit eben bie dama⸗
fige Volks⸗ und Elaffenftellung Intereffen fichern konnte
Venedey fagt:
Wir haben gefehen, wie das f Kar x Bolk nach und nad
wieder zu einer groͤßern thatſaͤchlichen vebeit, zum Selbſtbe⸗
wußtfein feiner Kraft kam, und fo erklaͤrt ſich die borbertfcpenbe
fähfiihe Rechtsanſicht in der Magna charta. von jelhik, fo er»
klaͤrt fi vor Allem, was fonft ein unauflögliches Mäthfel bleis
ben würde, der Schug der Intereffen aller Elaffen des Works
in einem Gefege, bad, m wie 2 oft ed auch als ein Werk des Adels
er —
N 2
ſamen Beſtrebungen —S ſſen der Nation —
Wir theilen bie Rechte, welche bie. Magaa charta
währt, ner wichtigt Poſten engliſcher Volksfreiheit
*
*
‘
+
’ -
Bier nach Venedey mas auffühtlicer mit als · wir ſonft
fein‘ können. ee
Die Magna charta ſichert Die Rechte des König,
des Adels, der Geiſtlichkeit, der gemeinen Freien und
ſelbſt der Unfreien. Sie flellt deu König au die Spige
Der gerichtlichen und Feudalorganiſation bes Landes, fie
befimmt die Feubalabgaben bie er exhätt, und ftellt be⸗
rätd den Grundſat auf, daß die Perfon des Königs,
felbft wenn er. Unrecht gethan habe, heilig und gefchügt
ſei. Im Jutereſſe dee Barone beguenzt fie die Fen⸗
dalrechte und Abgaben, ſchütt gegen Willkür, fichert ger
gen billige Abgaben den Erben die Befigimgen ihrer
Bäter, nimmt das Erbgut gegen die Schuldner und na⸗
mentlich die Juden in Schug. Die Hauptrechte aber,
welche die Charte den Baronen ſichert, beſtehen barin,
dag in Zukunft keine größern. Kriegsabgaben mehr ohne
die Zuſtimmung de6 „WBemeinratbd des. Reichs”, 2. h.
die Ersbifchöfe, WBifchöfe, Earls, Barone und Chieftenants
eingefodert und eingetrieben werden follen und dann, daß
fie den Gerichtsſtand der Barone von neuem orbnet und
ignen das Urtheil ihrer peers verbürgt. In dieſen beis
den Rechten wurde die Zukunft des gungen Adels ge-
Ahert. Die Geiſtlichkeit nahm an den Rechten der
Barone Theil, als Geiftlichteit erlangte fie die Erklärung,
daß die Kirche und die Wahlen zu den Kirchenämtern
frei fein follten,. dagegen geftand fie zu, daß die Geift-
lichen für ihre nicht geifllichen Beftgungen als Laien
betrachtet und nur den nicht geifllichen Gerichten zuer-
theilt werben follten. Am umfaffendften ift die Charte
über die Rechte der Bemeinfreien; fie erhielten dadurch
perfönliche Freiheit, geſichertes Eigenthum, geſicherten
Handel und feſte geſicherte Rechtopffſege. Der einfluß⸗
reichſte Theil der Rechte bezog fih auch Hier auf bie
Rechtspflege. Wie bei der Arilofratie wurde den Freien
dos Recht zugelichert, nur auf Das Urtheil ihrer peers
bin verhaftet zu werden, Dies Urtheil ſelbſt mußte auf
das Zengniß von’ unbefcholtenen Zeugen gegeünbet fein,
das Eingefländniß des Angeklagten genügte mit. Die
Villains felbft wurden in ihrem Eigenthume, in ihren
Geräthfchaften geſchuͤzt. Die Magna cherta ſtellte die
allgemeinen Inftitutiewen des Landes, beſonders die Ge⸗
richtöorganifation, auf einen viel feſtern Fuß, fle wies,
die Königebeamten in ihre Grenze zurück und verbet
den Sheriffe, Conſtables, Coroners oder Bailiffs zu
Berichte zu figen. Sie hefchränkt bie MWaldgefege, ver⸗
bietet ben fremben Sölbnerdienft und führt ſogar ein gemein⸗
fames Mag und Gewicht ein. Mit. Recht fagt Venedey:
. Der Charakter der Magma charta iſt ein doppelter: fie
erkennt den Baronen ein höheres öffentliches Recht — das ſich
felbft zu beſteuern — zu, während fie den Gemeinfreien nur
ivatrechte ſichert. Diefe Bevorzugung ift ein Rachklang der
Eroberung, ift normannifdeasiftefratifih. Neben dieſem ariſto ⸗
Pratifdenormannifihen Beigeſchmacke tritk dann aber das demo⸗
keatifı sfächfifche emeinrecht in Bezug auf alle Privatverhälts
niffe abermals in den Borbergeund. Die Rormannen ſuchten
die Vorrechte, die fie in der Eroberung erlangt hatten, zu
fihern,, die Sachfen, das Boll, legten die feſte Grundlage zu
weitern Fortfchritten, Die der Zukunft vorbehalten waren:
(Die Yortiegung folgt.) f
Cheiian Lubwig Liscw'e Beben nach den Noten bes
großherzoglich mecklenburgiſchen Seheimen und Haupe
Archivs und andern Driginafquellen geſchildert von
G. €. 8. Liſch. Schwerin, Stiller. 1845. Gr. 8,
14 Rgr.
Es ift dem unterzeichneten Kef. ſehr erfreulich geweſen,
zu ben von ihm gemachten Wiktheilungen über Liscow theits
in Privatbriefen, theild öffentlich in Becenfionen, nawentlii
vom Dr. Wienbarg in den hamburger „Literariſchen Blättern‘,
1845 Nr. 7 — 13, vom Geheimen Hofrath Hand in der „Reum
Senatfchen Allgemeinen Literatur-Beitung”, 1845, Rr. 100, und
von einem Necenfenten in ditfen Blättern, 8945, Nr. 231 und
232, Berichtigungen und Ergänzungen zu erhalten. Eine fehre
dankenswerthe Ergänzung zur Biographie dieſes Schriftftellers
enthält auch obige Schrift. Herr Archivar Liſch hatte bereits
theils aus Altern gedruckten Quellen, unter denen die bereit®
von Dr. Wienbarg benugten Nachrichten des Zuſtizraths Dr. ©:
9. Schmidt von Küber m Altona in den „Bchleswig holſtein⸗
fauenburgifäjen Provinzialblättern”, 1821 — 23, den meiften
Werth haben, theild aus den im ſchweriner Staatsarchiv aufe
gefundenen Urkunden eine Biographie Liscow's zum Drud fer«
tig, als er des Ref. zum Zheil ebenfalls auf noch unbekunnten
Dt derubende Monographie über Liscow erhielt, was
eren Liſch veranlaßte, die Nefultate der zuletzt genannten
Dorftellung theild in Anmerkungen zu benusen, theils in Ya:
tenthefen feinen Mittheilungen gehörigen Orts beifügen zu Laffen.
Herr Liſch Bat nad) einigen allgemeinen Bemerkungen uber
vie literariſche Bedeutung Liscow's Vorzüglich dahin geſtrebt,
durch eine fehr forafältige Bufammenftelung und Kriit des
meiften über Likcow's Leben und Schriften befonders in nord⸗
deutſchen Blättern gerftrenten Notizen und dur Benugu
der über Liseow im ſchweriner Archiv aufgefundenen Nachri
ten die Lebensſchickſale deſſelben ins Licht zu fegen. Das
gewiß fehr dankenswerkh, zumal da dadurch über einen X
feiner Wirkſamkeit, nämlih in Dienften des Herzogs Karl
Leopold von Mecklenburg, ein ganz neued Licht verbreitet wor⸗
den iſt. ber was fonft zu einer Biographie. gehört, die Ent:
wickelung des Charakters des zu ſchildernden Mannes und Die
Beurteilung feiner ſchriftſtelleriſchen Wirkfamkeit im Detail, '
ſodaß uns dadurch die ganze Zeit in der er wirkte anfchau⸗
lich werde, fcheint er ebenfo wie bie einer foldhen Aufgabe ent«
ſprechende Darftellung wol abfichtlih unberuͤckñchtigt gelaffen
zu haben: er hat Liscow nicht ale Hiſtotiker betrachten, fon»
dern als gewiſſenhafter Archivar Material für den Hiſtoriker
fammeln wollen und für dieſes Material werden ibm alle. Lite
rarhiſtoriker fehr dankbar fein. Demnach will.Mef. auch nicht
weiter mit ihm vechten, daß er von Liscow fagt: „er fei an
Geiftesreichthum und Klarheit bis auf die neuen Zeiten von
Riemandem übertroffen worden und feine Ausdrucksweiſe erin«
nere in ihrer objechiven Bollendung an Gorthe.” (3) ef,
der Libtow zu fehägen weiß, aber nicht überfihägen will, bes
gnügt fi auf Das hinzuweiſen, was er in feiner —
m eimer auf die vorausgehende Kritik feiner Schriften geſtuͤtz
ten beſtimmten Charakteriſtik darüber gefagt hat.
Herr Liſch gibt zunächſt auf 13 &eiten fehr ausfährtiche
Nachrichten über 'Liscow’E Verwandtſchaft. Bet allee Unerten
nung des Fleißes, mit dem er bier viele zeither unbekannte Xo⸗
tigen zufammengeftefft, möchte doch Mef. fragen, men als
der Bamilte mit allen diefen Rachrichten gedient fein tamet
Was follte aus der Literaturgeſchichte werben, wenn wir uns
in der Weife um die Angehörigen unſerer berüßten Manner
fümmern wollten? Rur einige Berichtigungen will Ref. hier
recht gern annehmen, naͤmlich I) daß Liſscow's Vater und Lis⸗
cow's Bruder (Letzteres hat / ſchon Hand berichtigt) nicht Johann,
fondern Joachim geheißen, doch iſt Ref. zu 2 da in
der Abſchrift des Taufzeugniſſes, das ihm ber wittenberger Po⸗
or Daneel zugeſchickt, beide Johann genannt werden, und
2) daß Liscow’s Bruder, der durch feinen Verkehr mit Hage⸗
deen einiges Intereffe in Anſpruch nimmt, Theologie Audirt
- Kat (if ©. 18). Rißcow's Geburtotag (26. Upril) ift von
wir ſchon in der „Neuen Jengiſchen Allgemeinen Literatursgei-
tung” auß einer authentifhen Duelle berichtigt worden, die Liſch
&. 22 anführt, aber nicht felbft Hat benugen können. ®)
Aus den weitern ſehr forgfältigen Unterfuchungen über
igcow's Jugendbildung hebt Ref. als ihm zeither unbefannt
ine Immatricwlation in Roſtock 1718 hervor. In Jena ift
ex (noch Hand) 1721 aufgenommen worden. Zür Die Zeit van
1734 geben die von Liſch zuerft benugten Papiere des ſchweri⸗
ner Archivs intereſſante Aufihlüffe. In dem erwähnten und
folgenden Jahre war nämlich Liscow ald Wrivatfecretair in
Dienften des ehemals holfein-gottorpiichen Geheimen Mathe von
Clauſenheim bald in Hamburg, bald auf deſſen Bute Koͤrchow
in Medienburg und trat darauf, was zeither gang unbekannt
'gewefen, in die Dienfte des durch feinen Streit mit den Stan:
den und durch feine Bertreibung durch kaiſerliche Erecutiond:
tenppen bekannten Herzogs Karl-Leopold von Schwerin, von
bem er als außerordentiicher Sefandter von Wismar aus nad
Paris gefendet wurde, um die Vermittelung Frankreichs für
des Derzogs Wiederherftellung zu bewirken. Hier hatte der
Berf. eine fchöne Gelegenheit, durch ein lebendiges Beitbild mes
‚nigftens dieſem Theile feiner Biographie ein höheres Interefle
‚zu geben. Bir erhalten aber faft nur Das, was unmittelbar
Kiscom’s diplomatiihe Sendung betrifft, nebſt 23 größtentheils
intereffanten Actenftüden. Allerdings vertrat bier Liscow Das
Interefie eined Fuͤrſten, der eines ebrlichen Mannes Anhäng-
Eichkeit nicht verdiente. Auch mußte er es ſchwer büßen, denn
eben weil er ihm treu diente und nicht zu heucheln verftand,
fiel er in Ungnade und fonnte von feinem Herrn verlafien nur
durch VBorfchüffe einiger Bekannten tie Ruͤckkehr ins Baterland
ermöglichen. Alle fpatern Rerlamationen um Wiebererftattung
des im Dienfte bes Herzogs verausgabten Geldes waren ver:
geblich. Darauf verabfipiedete fi Lißcom im Aprit 1737_von
Hamburg aus durch eine für ihn höchſt ehrenvolle briefliche
Erklärung vom Herzog und wurde bald darauf, wie befannt,
Privatſecretair des Geheimen Raths von Blome in Preg. Dies
And die bedeutendften Ergänzungen zur Biographie Liscow's,
welche wie Lifch's Mittheilungen verdankren.
In der weitern Darſtellung der Rebensverhältnifle Liscom's
in preußiſchen und fächfifchen Dienften bat der Verf. vorzugs⸗
weite die vom Ref. aus dem dresdener Archive gegebenen Auf
Märungen benugt und nur zur Erläuterung feiner Wirkſamkeit
als preußifcher Zeyationsfecretaie no einige Brieffragmente
aus holſteiner Blättern mitgetheilt, welche dem Ref. unzugäng-
lich geblieben waren. Bu
Mit Recht bemerkt Herr Liſch S. 2, daß auch Liscow's
Briefe ganz abgefehen von dem Beitrag, den fie zu feiner Cha:
rakteriftif liefern, an und für fich ſehr beachtenswerth find und
zu feinen Werken gezählt werden müflen. Kurz nad dem
vollendeten Drud feiner Biographie Liscow's erhielt Ref. durch
die Gefälligkeit eines Freundes fehr intereffante Mittheilungen
über Liscom vom Kanzleirath Gramberg in der von G. U.
von Halem in Oldenburg beraudgegebenen Monatſchrift „Reue
Irene”, April» und Sunibeft 1806. Diefe Zeitſchrift muß ganz
verfchollen fein, da diefe Mittheilungen von Riemandem be:
t worden find, der über Liscow geſchrieben hat. Auch Lifch
citirt fie blos bei Angabe des Geburtstags unſers Schriftſtel⸗
lers, bat aber weiter eine Athen davon genommen. Zwar
enthalten auch Gramberg's Mittheilungen viele Unrichtigkei⸗
ten, aber fie geben intereffante Auszüge aus 15 franzoͤſiſchen
Briefen Liscow's an Dagedorn, die fih durch Entfchiedenheit
der Sefinnung wie durch Wis und Gewandtheit des Stils
*) Liscow felbf hat einen für den Didier Hagedorn beflimms
ten ben Briefen be6 jungen Hagedorn brigelegten Auffag mit ben
Worten untergeißnet: Moguntiae, ipso natali meo, VI Kal. Maj,
A, 0. R. 174.
auszeichnen und manche Auffchluͤſſe über Liöcow's Leben und
Treiben in Dresden aus Briefen bes Dresdener edorn am
feinen Bruder in Hamburg. Gramberg bat diefe Briefe aus
Hagedorn's Rachlaß erhalten, welcher bamals im Beſit des
Heraußgebens feiner Schriften; Eſchenburg's, war. Der Schn
defielben, Herr Paſtor Eſchenburg zu Lehndorf und Kreuzkloſter
vor Braunfihrveig, der feines Waters Papiere aufbewahrt, bat
teog der forgfältigfien Rachforſchungen biefe Briefe nicht mehr
auffinden können. Sie find alfo wahrfcheinlich nicht zuruͤckge⸗
fendet worden und vielleicht wie alle fpätern Schriften Liscow's
verloren gegangen. Demnach muß man fi mit jenen Auszü⸗
gen begnügen, die ich bei einer etwanigen zweiten Auflage mei⸗
ner Biographie Liscow's nebſt den andern mir währenddeß
elommenen oder noch zufommenden Er angungen gewiſſen⸗
Bat benugen werde. 8 . Selbig.
giterarifche Notizen aus Frankreich.
Branzöfifches Leſebuch für Franzofen.
Dei der Beurtbeilung einer Blumenleſe Lliterarifcher &r-
zeugnifle wird man bie Brage, ob eine ſolche Ehreftomathie für
Ausländer, welche in das Studium einer fremden Literatur ein-
geführt werden follen, oder für Eingeborene beftimmt ift, fügs
ih nicht unberückfichtigt laſſen dürfen. Der Standpunkt bei
der Beurtheilung muß durch diefe Rückſicht ein weſentlich ver:
biedener werden. &o kann alſo eine ſolche Mufterfammiung
ir den Ausländer von bedeutendem Sntereffe fein, während
fie für die Glieder der Nation, unter deren geiftiger Produc⸗
tion fie eine Auswahl treffen will, ungenügend genannt wer:
den muß. Frankreich hat feine Sammlung diefer Art, welche
auch nur im entfernteften mit Wackernagel's Leſebuche zu ver:
gleichen wäre. Es haftet faft allen di Chreftomathien ein
allzu zaͤhes Feſthalten an Dem an, was einmal als claſñſch eine
gewiffe Sanction erhalten hat. Derfelbe Vorwurf trifft aud
die „Chefs d’oeuvre classiques de la litterature francaise “,
vom Abbe Marcel. Und doch ift diefe Sammlung immer noch
eine der vorzüglichften von denen, weldhe von Franzoſen be:
nugt werder. Der neuefte Band berfelben, welder vor kur⸗
zem erichienen ift, befchäftigt fi mit dem epiſchen und dra⸗
matifhen Genre. Der Berf. bietet nicht immer ganze Stüdke,
und wenn dies einerfeits ein Nachtheil genannt werden muß,
fo verfteht er e6 do, die fehlenden Partien durch ein kurzes
Reſumé und durch einige Andeutungen zufannnenzufaffen. Der
äſthetiſche Standpunkt des Verf. iſt nicht ganz frei von vor:
gefaßten Meinungen und befonders Eleben ibm mande Bor:
urtheile der claffiien Schule an.
Handbuch der Chronologie.
Es fehle der feanzöfifchen Literatur nicht an ſehr umfaf-
fenden Darftellungen über das Gebiet ber Chronologie. Richts⸗
deftoweniger ift das vor kurzem erfchienene „Manuel de chro-
nologie universelle‘ von Sedillot für Freunde hiftorifcher Stu⸗
dien eine ganz beachtenswerthe Babe, indem feit den „Ele-
ments de chronologie” von $. Schoͤll zwar viele umfaflende
Werke, aber doch Tein recht braudbares Handbuch hetausge⸗
Eommen ift. Die vorliegende Schrift nun, obgleich fie die Her
fultate der neuern Forſchungen nicht unberuͤckſichtigt läßt, macht
body Feine Anſprüche auf eine eigentlich gelehrte Geltung, in-
dem fie mehr auf einen weitern Kreis berechnet il. Aus die:
fer Rüdfiht bat fi der Verf. dem man für feine fleißige Zu⸗
fammentragung Dank wiflen muß, der ältern Drtbographie be:
dient, welche nun einmal der Teampöffepen Sprache eingewach⸗
ſen iſt. Er mag nicht ohne einigen Grund gefuͤrchtet haben,
daß er ſeinen Leſern einen ſchlechten Dienſt leiſten wuͤrde, wenn
er Chlodowig ſtatt Clovis u. f. w. ſchreiben wollte, obgleich
diefe Bezeichnungen in fireng wiſſenſchaftlichen Werfen fi
allmälig Geltung verfchaffen. 17.
Berantwortlicher Heraußgeber: Heinvich Beodpant. — Drud und Verlag von J. X. Wrodhans in Leipzig.
Blätter - .
für
literarifhe Unterhaltung.
Montag, |
18. Mai 1846.
Englifhe Zuftände.
Erſter Artikel.
(Jortſeung aus Nr. 187.)
Der nachfte Abſchnitt führt zur Entwidelung des
Parlaments, der Kampf der Föniglichen Allmachtsidee
gegen bie von den Baronen in der Magna charta er-
worbenen Rechte. In einem „Sarlamente”, gehalten zu
London 1258, fuchten die Barone die Macht des Kö-
nigs (Heinrich IH.) für immer zu vernichten. Der Kö-
nig mußte genehmigen, zwölf Barone aus feinem Rathe
und zwölf andere, von den Baronen bes Parlaments
gewählt, zu beflätigen, die in einer Art Parlaments⸗
commiffion die Klagen des Landes vorlegen und ihre
Abhülfe betreiben follten. Das „Mad parlement’ ver-
nichtete die königliche Macht und fepte eine rein ariflo-
tratifhe Dligarchie an ihre Stelle. Die Berfammlung
der Barone felbft wurde zu einer Art Form, zu einer
. Wahlverfammlung, mährend die ganze Macht des ftell-
vertretenden Regierungselements in die Hände von zwölf
hohen Baronen überging. Die Barone fuchten fich
zwar auf das Bolt zu flügen, aber fie vergaßen für
das Volk zu forgen. Hierin lag die Urfache des Stur-
zes der neuen oligarchifchen Herrſchaft. Was die innere
und dufere Weiterentwidelung bed Parlaments betrifft,
fo können wir nur auf Venedey verweifen. Hier das
Refultat feiner Darftellung :
Mit dem Eintritte des dritten Standes in das Parlament
Englands beginnt eine neue fächfifhe Epoche, wenn auch
die normanniſche nod lange nicht abgeichloflen war. Das
ſaͤchfiſche Element war wie eine unterirdifhe Strömung unter
der Oberfläche des bewegten Meeres der Herrfchaft der Kor:
mannen in England durchgezogen; dann und wann konnte man
das Wortbeftehen des ruhigen Flußes beobachten, bis er zulegt
wieder an die Dberfläche trat und bie Bewegung und Rich
tung des ganzen Volkslebens wieder beberrfchte.
Unter Edward I. löften fi die alten Zuftände Eng⸗
lands und das Bedürfniß trieb zu neuen. Venedey ifl
in dem Rechte des unparteiifchen Geſchichtſchreibers,
wenn er diefen König, den man fo oft als den engli»
fhen Suftinian preifen hört, nicht ald Das anerken-
nen will, wozu er gemacht if. Die Gelege, die Ed⸗
ward erließ, waren bie Folge eines durch die vorherr-
ſchenden Verhältniffe, durch hervortretende Nothwendig-
keit unerlaflichh gewordenen Bedürfniſſes und wurden
ſicher meift erlaſſen, ohne daß bie Gefepgeber ahnten,
welche Folgen fie haben würden. Vortrefflich beurtheilt
Venedey das Verhalten Edward's gegen Schottland und
ebenfo richtig ift Die Charakteriſirung der ganzen äußern
Politik diefes Fürſten: j
Edward war der Erſte auf der Bahn der feinen, liftigen
Politik, die nachher nd ra fo oft anzuwenden wußte und
aus der ed fo manchen fiheinbaren Rugen zog, bis zulegt auch
bier die Vergeltung nicht ausblieb.
Der nächſte Abfchnitt ift dem Unterhaufe gewidmet. .
Auch Hier entwidelt Venedey als Demokrat. Die Ver⸗
berbtheit der Ariftofratie begründet bei ihm ben Sieg
bes Dolls, aus dem Zerfall des Normannenthums geht
der Sieg des Sachſenthums hervor. Wenn ber Eine
die Urfache der englifchen Freiheit und der felbftändigen
Nechtsbegründung des Unterhauſes in den Schwächen
einzelner Könige, der Andere in der Macht ftarker Herr-
fer, der Dritte in äußern Kriegen, der. Vierte in an⸗
dern Berhältniffen und Zuftänden fucht, fo fucht Vene⸗
dey diefelbe in dem Weſen des „Volks“. Scharf fon-
dert er Nörmannenthbum und fächfifhes Element. In
fhärfern Strihen ftellt er den Zufall des Adels und
der Geiftlichkeit dar, um fo heller malt er die Beftte-
bungen des Volle. Cr rühmt an ihm den „Geift der
Einfalt” und das „becheidene, unerfchütterliche Wollen”.
Eine Hauptrolle fpielten die Londoner.
Edward IH. ftügte fih in Allem was er that auf
das Parlament. Nah und nach tritt eine gefonderte
"Thätigkeit der Barone und der Gemeinen hervor. Die
Barone beriethen faft ausfchließlich die äußern, die Ge-
meinen dagegen vporherrfchend die innern Angelegenhei-
ten des Staats. Bis unter Edwarb III. waren die Ge
meinen in gewiffer Beziehung vom Oberhaufe abhängig
geweſen. Beide Häufer flimmten wenigftens zufammen
über die Abgaben. Bon dem achtzehnten Sabre ber
Regierung Edward's an flimmen aber beide Häufer, je
des gefondert, über die dem Könige zu genehmigenden
Beifteuern. Und erft von da ab erlangen bie Gemei⸗
nen eine eigene fefle Stellung, bilden fie ſich zu einem
aefchloffenen Unterhaufe heran. Das Petitionsreht war
der Boden, in dem alle audern wuchfen, die fie nad
und nach errangen. Die Gelbbeifteuern wurden die Ge⸗
legenheit, dieſe Rechte zu fobern, den Samen in jenen
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Boden zu legen. Nie gaben fie ihr Gelb ber, ohne
nicht neue Borftellungen für Verbefferungen, neue Bit
ten gegen Misbräuche einzubringen und nad) und nad
diefe felbft als eine Art Bedingung ihrer Beldzugeftänd-
niſſe voramzuftelen. Bas wurde dann die Quelle aller
- Neformen, bie unter Edward ftattfanden.
Hatten unter Edward III. die Gemeinen den Grund-
ftsin zu ihrer Macht gelegt, fo bildeten fie fih nun un-
. ter Richard II. zu einem abgefchloffenen, abgeſonderten
Staatskörper aus. Schon im erſten Jahre feiner Re:
gierung wählten fie zum erften Male einen Sprecher,
um in ihm ein Organ, dem Könige wie dem Oberhaufe
gegenüber, zu erlangen, wodurch bann, wie Venedey
fagt, das Unterhaus als ſolches hergeftellt wurde und
von nun an als felbfländiger Theil des Parlaments er-
fheint. Die Gemeinen erlangten das Bewußtſein ihrer
eigenen Bedeutung, ed kommt fogar vor, daß fid ein
Streben nach ausschließlicher Berchtigung in ihnen gel«
tend macht und daf fie den Lords den Rang ablaufen.
Sie tragen auf eine jährliche MWerfammlung an und ber
ſchwache König ficht ſich gezwungen, ihre Bitten zu ge-
nehmigen; ebenfo fodern fie Rechenſchaft über Die zum
Kriege berilligten Gelder. Nach oben demokratiſch, er-
fiheinen fie nun nad) unten ariftofratifh. Sie vernid)-
ten die vom Könige den an die Scholle gefeffelten Knech-
ten (bond tenants) ausgeftellte Eharte, welche biefelben
zu freien Yürgern machen follte, und bie bond tenants
blieben Knete wie fie es vorher gewefen waren.
Venedey nennt died Creigniß einen „blutigen Mark—
ſtein“ in der Geſchichte Englands, Aber es bat fid
fortgefegt bis in die Gegenwart, es iſt von einer größern
focialen Bedeutung ald Venedey es darftellt. Zwar galt
ed nur noch einen Kampf um politifche Freiheiten, aber
es deutet fih darin fihon jene Abfchliefung der politi-
fchen Inftitutionen des Landes an, welche fich gegenwär-
tig in England den focialen Bebürfniffen gegenüber fo
{hroff geltend macht. Venedey faßt died Ereignif nur
demofratifch, indem er fagt:
Das Geſchick des Standes, der bis jegt Mitrelftand war,
entfchied fi in dem Augenblicke, wo er dad Volk in Maffe
von fi abwies. Diefes Volk flieg trop der Feſſeln nach und
nach m einer höhern Stufe hinauf (gegmwärtig: Chartiäms,
Breletariat)., aber es wurde nicht zur Grundlage der Staats⸗
verhältniffe und hierin — in Verbindung mit dem Eigenthums-
gelege Edward's 1. — liegt die Urfache, daß die Sefaltun en,
die bis jegt auf die naturgemäße Entwidelung einer demokra⸗
tiſchen Organsfation binbeuteten, von mm an wieder eine lange
Beit hindurch Die —— Richtung aunchmen und ſo
der Ariſtokratie erlauben, in ihrem Weſen fortguleben und un:
geſtört ihrem Ziele — ihrem Untergange — guängeben, während
' Die eiten gezwungen waren, die herbe Schale des Bürger:
kriegs bis auf die Neige zu leeren.
BEER inkerefſant ift das allmälige Aufleimen des
emliſchen Handele, Die Entwickelung ber Urmenverhüft
niſſſe, der Gigenthumszuſtaͤnde, bed Heerwefens, der Jagd⸗
gefetzgebang, ndemertlich aber ber Geſetzgebung und ber
Nechtspflege. Wir muͤſſen jedoch auf Venedey verwei⸗
fen. Die politiſchen Zuſtaͤnde Englands ſchienen einer
feſtern Geftaltung entgegenzugehen. Der Staat hatte
oder beſſer feine alte wiedergefunden.
endlich in dem Doppelparlamente eine neue Grundlage
&o wurben die
Fundamente der Grundgefege Englands gelegt, aber che
der Bau aufgeführt und vollendet werben konnte, mußte
erft der Schutt der frübern Werke fertgeräumt werden.
Dies geſchah in dem berühnsten Kampfe ber rothen
und der weißen Rofe. Die alten Familien gingen in
biefem heißen Kampfe zu Grunde. Cs ftanden fi
Parteien ohne Brundfag und Ziel gegenüber. Die
Ariftokratie felbft als Inftitution, fagt Venedey, würde
die Zeit dieſer geiftigen Sündflut nicht überlebt haben,
wenn an die Stelle der alten Familien normannifcher
Art und normannffhen Bluts nicht neue ſaͤchſiſche ge-
treten wären, die mit dem neuen Blute auch eine neue
-Auffaffung und noch mehr ein neues Wefen, Ruhe und
Ernft in die neuen Verhältniſſe binübergetragen hätten.
Sollen wir aber den leitenden Grundgedanken diefet
Epoche ausfprechen, fo zeigt fi in ihr überall der Un-
tergang ber alten Ariftofratie und die Begründung ei⸗
nur ausfchließlichen Bürgerberechtigung des höhern Mit-
telftandes- dem gemeinen Volke gegenüber.
Mir treten jegt in jene Epoche, welche Venedey ale
die Zeit der Mittelftandsherrfhaft und Kirchenreform
bezeichnet, von 1485 — 1547. Allerdings laffen fih die
Zuftände Englands unter den Tudors duch ben Sieg
der Mittelftandsclaffe erklären. Von diefer Königsfami«
lie ringe fi) das englifche Volk zur Selbftändigkeit em⸗
I por, nad ihr zerbricht es die Gewalt feiner Könige,
weil diefe feine Freiheit nicht anerkennen wollen. Hö⸗
ren wir wie Venedey den berifchenden Mittelfiaud cha⸗
rakterifirt :
Er war ernft, ausdauernd, willenöfräftig; der Macht ge:
genüber war er meift nichts weniger als ängftlih, aber be:
fheiden, ja oft denrüthig. Er ging langfam vorwärts wie zu:
ru, wo er auf ſtarken Widerftand ſtieß ftand er ftille, war»
tete befjere Zeiten und Verhaͤltniſſe ab und arbeitete dann, fo:
bald diele eintraten, wieder rüftig vorwärts; «8 fehlte ihm ber
fhöne Enthufiasmud, der die Menſchen zu Halbgoͤttern — aber
auch oft zu Rarren macht; er gab für eine begeifternde Idee
wenig, gar nichts und hielt um fo fefter an jedem thatſaͤchli⸗
den Bortheile.. So bildete ſich nah und nad der englifche
Mittelftand, das ſachſiſche Volkselement, sum Sohn Bull ber
neuern Beit heran.
Der englifhe Mittelfiand berechnete feine Bebüsfuiffe
und forgte ruhig für die Befriedigung derſelben. Gr
gab nichts fin den Schein ber Macht, fondern überließ
diefen gern feinen Stönigen; er hatte nichts gegen den
Glanz des Königthums, nur zu theuer durfte er nicht
erkauft fein. (Eine wohlfeile Regierung war feine erſte
Bedingung, eine geordnete Verwaltung, firenge unb Te-
gelmäffige Rechtöpflege, Schug für Handel und Wan-
dei, das waren die erften Bedingnifle, um feiner Zu⸗
ſtimmung ficher zu fen. So trat der (Charakter des
Mittelftandes in biefer engliſchen Periode hervor. Hein-
rich VH. war ein Mittelſtandskönig und ale folcher weiß
Venedey ihn in feinen Gefegen und Einrichtungen vor-
trefflich zu charakteriſiren. Den Charakter ber Willlür-
berrfchaft dagegen tragen das von ihm eingerichtete Stern⸗
kammergericht Für politifhe Vergehen und bie von ihm
1}
derſuchte Entwähnung des Voiks am.daı
gericht und Geröhnung an eine Ing
pflege. Das Sternkammergericht bed
Adel, der Mittelftand hatte wenig dagegı
der Unterfuhungsproceh berührte ihn wei
benupte die erſte Gelegenheit, um Alles
mung zu bringen, während er für das ı
aushalt” gewähren Tief, der die bist
lepolitit aufgab und ein ben eng
ten und Wünſchen des Mittelfiandes ı
chendes Handels» und Induftrie- @
te.
Einem Wachen des Mittelfiandes be
in dem geringern Antheile an den Arn
* Die Armengefege wurden ſtrenger als
bunden wurden bei Waffer und Brot
und Nächte eingefperrt und Bagabund ır
ex, ob fähig oder unfähig zur Ärbeit, m
zu Haufe blieb. Dennoch nannte ma
den „König. der armen Leute”. Diefell
politit ift auch der Charakter des erften
gierung Heinrich's VII. Hören wir Be
teriftit diefer Periode:
Der kieinliche Eigennug des Mittelftand
fonders in dem Gefichtöpunßte klar, aus ber
das Parlament felbft au betrachten beginnt.
faft nur als ein Mittel, durch das der Kön:
ihm fein Geld abzuprefien. Ic fänger Eein |
wird, defto beffer für den Bürger, und dẽ
lange, fo Hagt das Unterhaus fehr, daß die |
und Auslagen Bofte, während zu Haufe de
Gefhäft ſtocke. Nur die Könige und ihre
nicht einen Augenblick vergeffen zu haben, di
in ihm ruhte, nur ſchlummere.
Sämmtlihe Maßregeln biefer Zeit
ober minder dem Geifte, welchen Benet
Die ganze Gefegfprahe Englands, die
Zeit eine Form fand, ift baflr Beweis,
gefeg wird billiger und bfutig ftrenge. |
telbziefe für gewiffe Städte erlaubt, Ar
Sammlung von Almofen ernannt, dann
herumſtreifende Bettler mit Geißelhieben
und beim dritten Rückfalle mit dem Tod
verſuchte neue Geſehe gegen ben Luxus u
welche ‚man ben Wrbeitsiohn und endli
Zeit lang bie Zleifchpreife firiren weilte.
Velögefege tragen den Charakter mittelbi
lichkeit. Zum erften Male wurde ein Zr
erlaubt, bisher war das Zinfennehmen
Sache der Juden und Fremden.
In ben zweiten Abſchnitt der 9
rich's VII. fällt die Kirchenreform. Bi
Ber hier nur die äußern Greigniffe fieh
dom Schluſſe kommen, daß eine afatifhe Fa
englands Ghikfole ii. Der Ginnetligel
feine ältere Gattin nicht wahr zufagt, gib
Reformation. Die Keuſchheit oder Unkeufg
macht die Zunge der Wage, bie über Gr
foü, fteigen oder finken, und fit Minifter
oder ruft zum Mode Berurtheilee in Den Be
-
[4 588
nien verlangten Freiheit der Gewerke von allen Staaté⸗
faften, Freiheit des Handels nah allen Weltgegenden,
aber fie fuchten und mußten bann biefe Freiheit felbft
im Intereffe von Bevorzugten auszubenten. Die alten
Nefte, die feften Wurzeln der Ariftofratie in ben Le⸗
bensanfichten des englifchen Volle, in ben Eigenthums⸗
gefegen trieben die Verhältniffe der Ariſtokratie zu; bie
neuen Lehren religiöfer Gleichheit, die neuen Zuftände
bürgerlichen. Wohlftandes fürberten die Demokratie. Der
demofratifche Charakter, ſowol in geiftlichen als weltli⸗
hen Anfichten, faßte bei den Puritanern immer mehr
Wurel. "
(Die Sortfegung folgt.)
Literarifhe Notizen aus Frankreich.
Die Quarantalneanſtalten.
Eine Angelegenheit von tiefer, weitausgreifender Wichtig:
keit ift die ob die Öuarantaimeanftalten in ihrer gegen»
Re Die Brage n iboer gegen»
wöärtigen Geſtalt fortbeftehen follen oder ob fie einer gaͤnzlichen
Modification unterworfen werden müflen. Gntgegengefegte An⸗
fihten ftehen ſich hier mit größter Schroffheit gegenüber, fo:
daß von @eiten der Regierung eine vermittelnde Yusgleichung
wol jchwerlich ergriffen werden kann. Wenn man im Allge⸗
meinen die Meinung aller Derer einholen will, welche dem lä⸗
ftigen Zweige diefer Sicherungsmaßregeln unterworfen find, fo
berrfcht darüber nur Eine Stimme. Bon allen Seiten werden
dieſe Anftalten ald ungenügend und brüdend zugleich gefchildert.
Die Wilfenfchaft, von welcher früherhin die Rothivendigfeit des
Duarantainezwanges aufrecht gehalten zu werben pflegte, bat
neuerdings im Ganzen mehr ihre confervative Stellung auf
gegeben. Die Zahl derjenigen Korfcher, welche Die gegenwär:
- tigen Maßregeln in ihrem ganzen Umfange beibehalten wiſſen
wollen, wird immer geringer und die Sefammtanficht geftaltet
fi) immer mehr zu Gunften durchgreifender Reformen. Es
fehlt fogar nit an Stimmen von wirklichem Gewicht, welde
eine unbedingte Aufhebung des Iäftigen Zwanges, unter deffen
Drud die aus dem Drient kommenden Reifenden zu leiden ha»
ben, immer lauter und nachdruckſsvoller fodern. Es muß der
franzöfifhen Regierung nachgerühmt werden, daß fie fchon feit
‚mehren Jahren diefer wichtigen Frage die gebührende Aufmerk⸗
famfeit gewidmet bat, und daß von ihrer Seite Alles gefche:
ben ift, was eine endlihe Enticheidung herbeizuführen im
Stände fein dürfte. Es fehlt Hier freilich nicht an Wider:
ſpruch und Hindernifien mandherlei Art. Belondere Berück⸗
fihtigung und felbft eine gewifle Schonung verdient bie Stel⸗
lung von Marfeille, von wo aus bekanntlich fehr lebhafte Pro-
teflationen gegen jede Anderung im gegenwärtigen Syſtem er:
boben worden find. Die gemeinfame Gntlaffung, welche das
efammte Perſonal der‘ Quarantaine in Marfeille eingereicht
at, ift ein Gegenftand der öffentlihen Befprehung geworben.
Offenbar follte dieſer Schritt eine Manifeftation gegen bie zu
mildern Maßregeln neigende Regierung fein. Dabei flügten
fi aber diefe Sanitätsbehörden, wie durchaus nicht verfannt
werden darf, auf den beiweitem größten Theil der Bevöfkerung
von Marſeille. Die fuͤrchterlichen Ereignifle des Jahres 1720,
wo mit der Peſt das namenlofefte Elend über diefe Stadt her:
einbrach, ftehen noch im graufigen Andenken, fodaß man nicht
gern irgend eine Maßregel fallen laſſen möchte, welche wenn
auch nicht Sicherheit, Doch wenigftend eine theilweife Beruhi⸗
gung zu gewähren vermag. Dazu mifchen ſich Rüdjichten des
materiellen Interefies. Der Quarantainezwang nötbigt eine
Menge von Schiffen, welche fonft in andern Geeplägen bed
füdlihen Frankreichs anlanden würden, im Hafen von Mar:
erfolgreichen
ſeille einzulaufen. Es ift alſo nicht gu verkennen, daß die
Stadt aut ber Aufhebung der beftehenden Beflimmungen einen
bedeutenden Gewinn fahren laffen müßte. Die Regierung. hat
nun, um die ganze Ungelegenheit mit möglichfter Unparteilich»
keit zu erörtern, und um jeder Stimme Gehör zu gewähren,
den ae] des marfeiller Sanitätscollegiums veranlaßt, einen
umfafenden Bericht über den Gtand der Frage zu erftatten.
Zu biefem Zweck bat derſelbe — fein Rame ıfl Segur- Dus
peyron — fih nad dem Drient begeben, um an Drt und
Sielle die nöthigen @rfunbigungen einzuziehen. Obgleich Se⸗
gur ſchon um feiner frühern Verhältniſſe willen keineswegt
den Gegnern der Quarantaine offen beitreten will, ſo hat doch,
wie man ſich überzeugen kann, in Bohr feiner forgfältigen Bes
obachlunger die Anfıht mehr und r Raum gewonnen, daß
Die Sache fo nicht mehr bleiben Bann mie fie jegt ſteht. Der
gZgwang tft zu groß, als daß er auf bie Länge dauern Pönnte.
Wenn der Berichterflatter nun aud nit eine gänzliche Ab⸗
ſchaffung aller Sicherheitsanſtalten in Vorſchlag bringen kann,
fo meint er doch, man Bönne den Zwang, in Marfeille fih
firmlih zu desinficiren, nur auf ſolche Schiffe ausdehnen,
welche aus den Häfen des Orients kommen, wo bie befteben:
den Unftalten Seine genügende Garantie gewähren.
Anfiht nad) kann man den Reiſenden aus Griechenland und
der europaͤiſchen Türkei ohne Gefahr, Anſteckungsſtoff zu vere
breiten, den Zugang im füdlichen Frankreich geitatten. Die
nachhaltigften Maßregeln müflen in Bezug auf Agppten er
riffen werden, weil von dort aus die Gefahr am drohendften
ft. In Bezug auf Kleinafien und namentlich Smyrna müffen
den Reifenden fo lange noch Beſchränkungen auferlegt werden,
bis die Maßregeln, welche man dort zur Eeftitung der Krank»
heit ergriffen bat, ein einigermaßen befricdigendes Nefultat er⸗
geben haben. .
Harifer-Bibliotheken.
Schon zu wiederholten Malen ift der Plan, der großen
Föniglichen Bibliothek einen andern geeignetern Plag anzuwei⸗
fen, in Anregung gebracht. Aber bei einer fo wichtigen, fo
aßregel gibt es fo viel zu erwägen, daß es in
Bezug auf diefe Veränderung imfner noch nicht zu einer ger
wißen Entfcheldung gekommen if. Die verfhiedenen Pläne,
weiche in diefer Beziehung vorgelegt find, weichen zum Theil
fehr voneinander ab; indeilen fiheint ed als würde die Ans
fihg, daß die gegenwärtige Localität beibehalten, aber durch
Dinzuziehung und Ausbau der benadhbarten Gebäude erweir
tert werden müffe, den Sieg davontragen. Diefer Vorſchlag,
welcher von gewichtigen Autoritäten unterſtützt wird, bat in
der That viel für ſich. Ein bedeutender Entſcheidungſsgrund
ift unter ondern auch der, daß die Translocation einer fo um
fangreihen und weitſchichtigen Büchermaſſe, wie in den Räus-
men der Eöniglihen Bibliothek aufgefpeichert Liegt, nicht ohne
anfehnlihe Koften und felbft nur mit Gefahr empfindlidger
Verlufte bewerkftelligt werden kann. Unter den verfchiebenen
- Blugfcheiften, welche bei Erdrterung diefer Angelegenheit her⸗
vorgerufen find, zeichnet ſich vorzüglich folgende Schrift durch
Mannichfaltigkeit des Inhalts fowie durch geiftreiche Zaflung
vortheilhaft auß: „De l’organisation des bibliotheques dans
Paris”, von Leon de Laborde. Der Verf. Hält ſich bier nicht
ftreng an die Frage, welche wir foeben berührt haben, fondern
fpricht, wie ſchon ber Zitel andeutet, von der Einrichtung der
parifer Bibliothefen überhaupt, indem er nur bier und da
und mehr gelegentlich auf die ſchwebende Angelegenheit Bezug
nimmt. Gr theilt dabei ein reiches Material intereffanter Ein-
elheiten über das Bibliothekenweſen im Aügemeinen forvie
über die Gefchichte der einzelnen wiſſenſchaftlichen Inſtitute die⸗
fer Art mit, welche Paris aufzuweifen bat. Es ift dies ein
Thema, welches in Fliterarhiftorifdger fowie in culturgeſchicht ·
licher Beziehung ein vielſeitiges Intereſſe bietet. 1.
Verantwortlicher Herausgeber: Heiuridh VBrockdans. — Druck und Berlag von F. E. Brockdaus in Leipzig.
Blätter
für
fiterarifde Unterhalt
Dienflag,
(Bortfegung aub Rr. 18.)
Wir nahen den Gtürmen deu erften englifgen Re-
volntion. Jabob's VI. von Schotcland Gtellung wird
von Venedey folgendermaßen vortrefflich charabteriſtrt:
Auf: feiner Meife: von Schottland na Lendon, um bort
die Krone —ã—t!t ieh der König einen auf: der That. ex«
griffenen Tafchendieb hängen. So etwas war in Grhottland,
Banz einfach und verftand fi von felbft, in England war e&
en Umfturz aller befichenden Rechtsanfihten. Die vage und
undefthrändte Macht in Schottland, die demüthige Form und
Gpradx des mädhtigen Yarlaments den Königen in Gngland
jegenüber wurden noch darch bie. Auftände Europas itigt.
Frankreich, in Spanien herrſchte die Konigsmacht faſt ohne
anten. Die Anfiht der unbefdränkten Gewalt wurde
eine Modefade. in Guropa und befkätigte ſomit Jakob noch in
feinem. Wahne, daS die Könige auf Erden wie, Bott im Him⸗
mel herrſchen und die Völker fh in Demurh und ſtummem
Sehorfam vor den Ausiprücgen der Könige wie vor denen des
Richters im Himmel beugen müffen-
Wie ſtark das fittliche Gefühl bei Venedey vor-
herrſcht und wie maßgebend es bei feinen Schilderungen
und Eharakteriſtiken tft, zeigt uns namentlich bie fol-
gende Auffaffung Bacon's
Es ift eine der widerlicften Erſcheinungen ber Geſchichte.
Wie viele geofe Männer find nit gefallen, weil fie Meinere
fehen waren? Aber es gibs vielleicht Keinen, der im An ⸗
geßcht feines Sturzes den gemeinen Wuth gehaht hätte, um
die jaltung des Lohne feine Betrugs wie um eine Gnade
zu betteln und dieſe Gnade dadurch zu rechtfertigen, daß er
von-nun an in alle Zukunft als ein fchredendes Beifpiel für
je Zwiſtigkeiten zmifchen Jakob und dem Parla
mente wachſen. Der König löft das Parlament auf
und behilft ſich zwei Jahre ohne ein. ſolches. Die An- "
fiihten des Königs, waren im Wiherfpruch mit denen:
des. mächtigen Mittelftanbes. Das Unserkaus neigte ſich
zu ben Yuritanern und- fo. theilte es den Haß, den ber-
König, diefen. gewibmer hatte, wodurch denn der König
auf die Ariſtekratie und das Oberhaus hingemiefen wurde
Stat der Buͤrgerwilij ſchuf er Soͤldnerheere. Gr. ſtörte
duich feine Verbate den Handel, ohne den Bakrilarion
zu mugen. Den Saßı Jalabe, Rush, ſehta den Kampf.
gm das Parlament font. Gin war der Schüler Buding-
- baw’s; von feinem Bater erhie en hie Laſorüche auf
wabsfsnränkte. Gewalt, vom feine. Lehrer ritterliche Kech⸗
einberufungen deſſelben, duch den Di
veranlaßt. Es entſtehe ein. neues &
dep ensliſchen Grunbgefege, bie Letitj
dieſer „Bietfeift” gehen bie Gemei
der engliſchen Verfaffung ausführlich
nig ſah ſich nach. vergehlihem Straͤu
Petition zu. betätigen, aber mit Hi
deu entdedt wurde
Die Macht des Parlaments. wärhl
der ſchottiſchen Niederlage. des Känig
Anklageaet gegen den König felbft i
gebracht, Grommel betritt die Buͤhn
Königs ftand dem Heere des Parlame
tiger Kampf. Das demokratiihe G
trat fo- dem ariſtokratiſchen unmittelba
Vertheidiger des. Könige nannten ſich
wachsen fi über die Rundköpfe bed
Jene fangen Trinklieder, diefe hetete
Tag bei. Nafeby zerſtörte die legte:
nigẽ. Mit der Gefangennehmung.
die gemäßigten Presbyterianer am gi
der Geift des Independentismus brich
Haufe buch und fo fehen wir bie !
Hinrisptung des Königs befchloffen.
Die Republik und Cromwell. Zw
über diefe Periode ‘der engliſchen Gef
Studien veröffentlicht, wir müffen a
Venedey's Umterfuchungen nichtödeftor
tommen find. Dahlmann unterfucht
Venedey ale Demokrat, Dahlmann
ftaltung der Formen, bei Venedey iſt
halt, der Strom ber neuen Bewegu
feiner Unterfuhungen geweſen. Wir
nen Entwidelungen biefer Periode, de
der zweiten Revolution übergehen und
Geſammtbild über die. bisher geſchild
gewinnen fuchen.
Es fließt die Geſchichte —
ſchichte Englands weiſt von. der ro
ften Revolution einen rein organiſch
Die Auſtolratie fügte. zum. MWitkelffani
ftand bereitet die Herrſchaft der Demokratie vor. Die
Geſchichte Englands ift ein ewiges Ringen, das in ber
zweiten Revolution zu einem feften Schluffe gelangt.
In ber zweiten Revolution erklärte fi die englifche
Nation felb für großjährig, für vollmündig und mann-
bar. Sie überhob den unberufenen Vormund feines.
Amtes und fegte an feine Stelle freiwillig einen Ver⸗
walter, einen durch Gefeg und Inftitutionen feſt begrenz-
ten König. Mit der Flucht Jakob's II. war die Verfaffung
Englands entſchieden. Wilhelm von Dranien berief ei-
nen NRationolconvent. Der Sieg der Whigs wurde
vollftändig durch die Erklärung der Rechte, die das Par-
lament beſchloß und bie der neue König, Wilhelm III,
in dem Gefeg der Rechte — Bill of rights — beftätigte.
Dieſes Gefeg bob das beanfpruchte Mecht des Könige,
die Gefege und deren Vollziehung zu fuspendiren, auf,
es erklärte das ‘commiffarifche Gericht in geifllihen An-
gelegenheiten und alle ähnlichen Commiſſionen und Ge⸗
richte — die Erhebung von Geldern zum Gebrauche
ber Krone ohne parlamentarifche Genehmigung, jede Ver⸗
folgung für die Ausübung des Petitionsrechts und bie
Aushebung und das Halten eines flehenden Heeres im
Frieben — für ungefeglih. Sodann fiherte es ben Bür-
gern (den Proteftanten) das Recht der Waffen, das
Recht der freien Wahl zum Parlamente, das Recht der
Medefreiheit im Parlamente, und beſchloß endlich, daß
feine außerordentlich großen Geldftrafen und überhaupt
keine graufamen und ungebräuchliden Strafen flattfin-
den, daß Geſchworene gehörig eingefchrieben und daß
für Hochverrath nur Freeholder Geſchworene fein. follten.
Bald wurden auch Gefege erlaffen, welche die Richter
für unabfegbar erklärten und dem Könige das Begna-
digungsrecht, wenn dieſe als Staatsverbrecher verurtheilt
waren, nahmen, wodurd die Verantwortlichkeit derfelben
erft durchgreifend hergeftellt wurde. Dies war das Ergeb-
niß der zweiten Revolution. Hören wir nun noch Be
nebdey's Charakteriſtik:
Die Gewalt unterbricht in der Revolution die naturge⸗
maͤße Entwickelung, die or En Beiterbildung, und von da
an ſtockt dann in gewifler Bezi ung bes Wachsthum der Ra-
tion. Das Volt an und für ih, England fchreitet in feinem
innern Leben nach wie vor auf der Bahn fort die es einge:
fhlagen. Der Handel wird immer ausgedehnter, die Induſtrie
immer gewaltiger, aber die Ration bleibt ſtehen, fchreitet zu⸗
rüd, ſchrumpft aus dem Mittelftande, zu dem fie unter ben
Tudors gelangt war, wieder in .eine Ariftefratie zuſammen.
Und Handel und Gewerbe nehmen dann in gewifler Beziehung
u. an dieſer rüdgangigen Bewegung Theil, werden ebenfalls
ariftofrattifh. Die Schiffahrtsacte ift ein erſter Verſuch der
Handelseroberung, dem Yuslande gegenüber. Richt mehr die
natürlihen Bedürfniffe der Handelnden, fondern die Bevorzu:
gung ded Einen wird zum, Princip. &o werben denn aud
Die Eompagnien wieder unter den Stuarts der Reftauration
hergeftellt und vor allen die oftindifche, die von nun an ben
ganzen Handel Indiens in die Hand von ein paar Tugend Be⸗
günftigten, mit Ausſchluß und Übervortheilung aller Nichtbe:
günftigten, liefert. Auch die Induftrie betritt die Bahn ber
ausschließlichen Berechtigung der Protection, doch vorerft nur
verfuchsweife und mit jo fchlechtem Erfolge, daB fie diefelbe
bald wieder verläßt. Am ftrengften aber tritt der Charakter
len Flecken, die Wahl In Gorperationen, die Hochkirche vor
A ſicherten der Wriftoßratie und ihren Unfichten bit
ſchaft über England und gaben der ganzen englifchen Auffaſ⸗
fung eine neue, fefte, aristofratifche Richtung, wodurd die noch
im Boden liegenden Reſte der altnormannifchen, ariftofratifihen
Zuftände, Verhaͤltniſſe und GBefepe wieder neues Leben erhiel⸗
ten und fi durchgreifend geltend madten. So entfkand der
Widerſpruch: Eine freie Sonftitution — in der Hand
einer bevorzugten Claſſe, ein ſelbſtherrſchendes
Staatögrundgefeg und eine durch daſſelbe getra-»
ene Ariſtokratie; — Freiheit und Selbftindig-
eit in den Infitutionen und Abhängigkeit und
Unfreiheit in den Verbältniffen.
Die Macht der englifhen Ariftotratie fcheiterte aber
zum Theil an dem feften Willen Wilhelm's IL, befen-
ders aber an bem Berufe, ber In der Ariftokratie felbft
fhon früher eingetreten war und der durch die Ereig⸗
niffe der zweiten Revolution nur noch mehr vergrößert
wurde. Die Arifloßratie Englands war in zwei Par-
teien gefpalten; Die allgemeing Herrſchſucht trieb fie beibe,
ſich wechfelfeitig all und überall entgegeusuarbeiten, wm
eine der andern die Gewalt zu entwinden. Und biefe
Eiferfucht, dieſes Streben nach Alleinherrfchaft und Al⸗
leinausbeutung war die Urfache, daß die engliſche Staats⸗
verfaſſung felbft den Zuftand der Ariſtokratie überlebte
und zugleich, daß trog des eifernen Willens englifcher
Art diefe Ariftofratie nicht im Stande war, im Innern
das englifche Volt ſelbſt und nad außen bin ganz Eur
ropa mit ihrem Joche zu erdrüden.
Diefer Kampf der Parteien ift es, der nun in ber
Geſchichte Englands überall eine Hauptbebeutung ge
winnt und dem Venedey folgerecht das erfle Drittel des
zweiten Theils zu feiner Darftelung widmet. Die Dar-
ftelung felbft ift ebenfo ausführlich als klar und fo vor-
trefflich gehalten, wie wir in unferer deutſchen Literatur
noch nichts Ahnliches über dieſes wunberbare politifche
Schaufpiel befigen. Tory, Whig, das die Schlagwör⸗
ter, denen wir feit der Revolution in der Geſchichte Eug⸗
lands auf jeder Seite begegnen. Wenn wir auch, was
die Bewegungen und Einzelbegebniffe des großen Par-
teikampfs betrifft, auf das mit ebenfo polttifcher Schärfe
als Fünftlerifcher Darftelungstraft entworfene Gemälde
Venedey's verweifen müffen,. fo halten wir es doch für
allgemein wichtig, gerade jegt, da diefe Parteien zu zer⸗
fallen feinen, das Weſen derfelben nach Venedey zu.
charakteriſiren. Venedey charakterifirt als deutfcher De⸗
mokrat.
Der gemeinſame Boden, in dem beide Parteien wur⸗
zelten, war die Ariſtokratie. Die alten Familien des
Landes bildeten den Kern beider Parteien und keine
ſtand der andern an ariſtokratiſchem Stolze und ariſto⸗
kratiſcher Herrſchſucht nach. Unter dieſer alten Ariſto⸗
kratie aber lag die Schichte des frühern Mittelſtandes,
ber während der Herrſchaft der Tudors die Verbältniffe
Englands lenkte und der jegt, von den beiden Ariſto—
ratenparteien volltommen Ind Gchlepptau genommen,
moralifh in der Anſchauungsweiſe ihrer Führer und
Herrfcher aufgelöft, immer mehr zu einem Elemente der
der Ariſtokratie in den politiſchen Buftänden hervor. Die fau⸗ Ariftofratie wurde. Dieſe -Elaffe des englifchen Volls
a
beſtand Aus ben Landeigenthümern, wehlhabenben Paͤch⸗ keit beider zum Bewußtſein gebracht hätten. Zur Cha⸗
tern und dem reichen Bewohnern der Gtäbte. In fr | raßteriftit Pitt's heißt es:
nen lag im MWefentlichen die nähsende Kraft, der ſchaf _
ı über den engen Begriffen, den einfeitigen Interefien der Par⸗
fende Boden beider Parteien und fomit waren beibe auf
fie angewieſen. Dieſer Boden uber, biefe nährende Kraft
verlangte eine andere Behandlung, je nad) den Lagen.
Die Bebürfniffe der Landbefiger und Pächter waren an-
dere als die der Stadtbewohner; was den Einen zufagte,
wor: ben Anbern oft entgegen. Hieran lag die Urfache,
daß eine Partei es kaum beiden recht machen konnte,
und dies zmang fie bann, fich der einen ober der andern
Adtheilung bes Volks anzufchließen. Die Stuarts hat⸗
ten in den Städten den ernſteſten Widerſtand gefunden.
Deswegen hatten’ fie bie Wreibriefe der Gemeinden zer-
flört; die Tories hatten fheilweife an diefem Werke mit
geholfen, die Whigs ihnen entgegengefirebt. Unter Wil⸗
heim III, betrieben die Whigs Die Wiederherſtellung der Ge⸗
meinderechte. Sie mußten es burdzufegen, daß Ale,
die an der Unterdrüdung der Zreibriefe Theil genom-
men hatten, auf fieben Jahre vom Wahlrechte ausge⸗
fchloffen wurden und ficherten fo auf ebenfo lange ihre
unbefchräntte übermacht in den Städten durch bie Aus-
ſchließung aller Tories. &o wurde das Band zwifchen
den Städten und den Whigs immer fefter geknüpft und
zufegt unauflöslih. Die Whigs murden bie Füh—
zer der Stadtbernohmer, bie Toried die der Landeigen-
thümer. In diefem Verhältniß liegt bie Urbedingung
aller nachfolgenden. Parteien, in die ſich die englifche
Ariſtokratie fpaltete, >.
Der Landbefig iſt in England ariſtokratiſch gefchlof-
fen, daher der confervative Charakter der Toried. In
den. Städten herrſchte der freie Umſchwung ber Han-
deisverhältniffe, der immer neue Kräfte uf Daher
die reformatorifche Nichtung dee Whigs. Der Landadel
hielt ſtreng an ſeiner Religion, hatte nicht Zeit zum
- Grübeln, nicht Gelegenheit zum Philoſophiren und fo
- waren die Tories die feften Stügen der Hochkirche. Die
Städte nährten den freien Geift der Kritik, Die nahe
Berührung rief den Widerfpruch hervor und fo murden
die Whigs zu den gezwungenen Vertheibigern der Dif-
fenters und ‘der Duldung im Allgemeinen. Der fefte,
fitenge, unbewegliche Charakter des Landeigenthums gab
den Zories oft eine Feftigkeit der Grundfäge, die bie
höchfte Achtung verdiente, wenn biefelbe nicht eine nothe
gedrungene Zolge ihrer Stellung wäre. Das unbe-
flimmte, ſchwankende, fich leicht beimegende Weſen ber
Städter erlaubt den Whigs oft eine Grundfaglofigkeit,
die der Verachtung mwerth,. wenn fie. nicht in der Luft
in der fie leben bedingt wäre. Gelb und Land find
in Iegter Entſcheidung die Wrelemente, in denen ſich beide
Parteien bewegen und burch bie fie getrieben werden.
Mit der Geldherrſchaft wuchs die Macht der Whigs.
Aber auch die allgemeine Corruption nahm überhand:
Walpole fagte von Freund und Feind: „Alle biefe Leute
haben ihren Preis.” Bon Walpole und Bolingbrofe
fagt Benedey, daß fie die Macht der politifcgen Parteien
in England vernichtes unb das Geheimniß der Nichtig⸗
Im Volke regte fi nachgerade wieder ein Geiſt, der
tel lag. Diefer Geift erhob William Pitt zum erften Minifter
Englands, gab das Gefchi feines Vaterlandes in feine Hand
und die Rachwelt hat ein Net zu fragen, was er mit der
ihm vexlichenen Macht geichaffen, wie er das ihm anvertraute
Zalent benugt habe.
Kurz und vortrefflich iſt die Darftellung, weiche. |
Benedey von der auswärtigen Politit Englands. ent
wirft, um William Pitt's Stellung darauf begründen
zu koͤnnen. Pitt ift einer der talentvollften und willen-
fräftigften Staatemänner, die England aufzumeifen hat,
Der belebende Athem feines Talents war feine Selbftän-
digkeit gegenüber den Parteien. Er gehörte weder ber
einen noch der andern an unb hierin allein lag bie Ur»
fache feiner Popularität und feiner Macht in England.
Als er erſter Minifter wurde, fagt Venedey, wählte er
feine Gehülfen in beiden Parteien zu gleichen Zheilen.
Es war keine Coalition mit den Parteigrundfägen im
Hintergrunde, fondern eine Auflöfung aller Parteianſich⸗
ten. Zum Beften des Gemeinwohle, vertreten durch
den Dann, ber ſich über die Parteien erhoben hatte. .
Die Gefchichte des Pitt'ſchen Minifteriums und der
Pirt’fchen Oppofition wird von Venedey fehr ausführ- .
lich behandelt, und mit Recht; fie umfaßt eine der ge
haltreichften Perioden der englifchen Geſchichte, es ent-
fcheiden fi in ihr die wichtigften Fragen. Wenn die
englifchen Gefchichtfehreiber die Periode Pitt's häufig
als diefenige betrachten, in ber England feine Handels.
größe begründete, fo fagte dagegen Venedey:
Als 0b diefe noch zu begründen gewefen! Der Friede un⸗
tee Georg J. und IT. hatte den Handel in alle Kanäle des
Volkslebens hHineingeleitet. Der Krieg trieb Ddiefelben wieder
nach Kopf und Herz zurüd und gab dieſen freilich eine ver
doppelte Thaͤtigkeit. Die Staatsſchuld flieg von 54 Mil. auf
146 Mid. Pf. &t., die reichen Eapitaliften wurden unendlid.
Der Krieg beförderte große Handelöfpeculationen, ja erlaubte
nur große, fpeicherte fomit das Geld in den Händen der gro⸗
Ben Kaufleute auf. Die Siege in Oftindien waren mit Be:
raubung der größten Schäge, Ausfaugung der reichten Länder
der Welt verbunden. Und das wurde abermals eine Quelle
des Reichthums für Die, die ald Reiche, als Mitglieder der
Ariftokratie der Bank und der Börfe, zum Raube zugelafien
wurden. Die Seit Pitt’s begründete keineswegs die Handels⸗
größe Englands, die längft begründet war, wol aber bie Rei: .
thumdgröße, bie Geldmacht der bevorzugten Klaffen in Eng⸗
fand, die ohne dies fihon viel zu groß war für bie Freiheit
Englands. j
4
‚(Die Fortſetzung folgt.)
Über Friedrich's des Großen claflifche Studien. Akade⸗
mifche Ginleitungseede von Auguſt Böckh. Vor
getragen in der öffentlichen Sigung ben koͤnigl. prenf.
Akademie der Wiffenfhaften zur Feier des Jahres:
tages Friedrich's des Großen am 29. Januar 1846.
Berlin, Veit und Comp. 1846. Kl. 4. Tr Nor.
&o wie der verftorbene Wilken ſich vor elf Jahren die
ſchoͤne Aufgabe geftellt hatte, Friedrich den Großen in einer
afabemifchen Rede als Geſchichtſchreiber zu betrachten, fo ver»
..
nahmen. wir jegt- einen anerkanntan Mans: vom Fach, einen: | w
—æ ltertpumstenner, der felbfk das Schaͤrbarſte ge:
feife hat, und lefen, wie er mit freiem unbefangenen Urtheil
bie innige Liebe. hervorhebt, von welcher Friedrich für die dafı
fiſchen dien erfünt gewefen iſt. Es find namentlich in un⸗
er Zeit, wo fo Diele den Werth der alterthümlichen Stu:
en verkennen, die Worte des Hrn. Böoͤckh befondereg Beach:
ea werth, und fie werden hoffentlich um ſo weniger nutzlos
verflingen, da man ja jegt Yon mehren @eiten bemüht ift, Da&
Andenken Friedrichs ded Großen mit erneutem Aufſchwunge
‚und im GHanze feiner wahrhaften Geſtalt vor unfere Augen
—— — Nachdem nun ber Redner zuodrberfs an Die
Ude eigung
De Romantifäe und Und Altertpümlihe hegkeı ſteiſt ex dia drei Ge⸗
fihtäpunkte quf, unter welchen ber
Benugte: den rhetoriſch⸗ aͤſthetiſchen, den ueepbi fittlichen,
den Zeſchichtlich-politiſchen mit Einſchluß des militairiſchen.
Bu allen werben. Belege angeführt, wie der König echt alter⸗
thumlich ein. fo großes Gewicht auf die Rhetorik: legte, wie er
in der praktiſchen Philoſophie der Alten gut beiwanbert war,
fi im Siebenjährigen Kriege an den Spruͤchen des Epictetup
und Marcus Aurelius erquidte und das dritte Buch des Lu⸗
cretius fo gern lad. Cicero war: fein großer Zreund, die Bü-
‚ Gar von den Pflichten und von der Ratur beißen m unfterb>
[1
liche Bere; ebenfo hielt er auch vie) von Lucijanus unb Julia⸗
—* von Plato und Ariſtoteles hatte er offenbar nur eine
oberflaͤchliche Kenntniß. Bon den Geſchichtſchreibern des Alter:
ums hat der König fefend und fehreibend den ausgedehnteften
branch gemacht; — half ihm bekanntlich eine Haupt⸗
— gewinnen. Wanz beſonders — und bier im merkwuͤr⸗
digen Gegenſatz zu Napoleon — war er in Sinn unb Darftel:
des Tacitus eingedrungen, weit weniger vermochte er aus
w ranzoͤſiſchen Überfegung den Werth des Thucydides zu er:
Eennen; aber Ifoßrates, Aſchines, Demofthenes waren ihm mohl«
beßannt und aus. ben Neben’ de&
Kernftellen feinen Schriften eingeflochten, deren eine vortreff:
lihe auf S. Il ausfuͤhrlich angegeben iſt. „So ziehen fi”,
fagt ber Redner, „Durch Kriedrich 8 Schriften Anfpielungen und
Beziehungen aus der Mythologie, Geſchichte und Literatur des
—— ſchmückende Leſefrüchte, die heutzutage ſelten in
aͤhnlichen Werken zu finden find, weil ſelten ſolche Studien
gemacht werden.“
Hierauf wird eine kurze Betrachtung dem Studium der
Aten als Mittel des Schulunterrichts gewidmet und über
Friedrich's Eifer in dieſer Beziehung und die bekannte Gabi:
netsorbre von 1779 geiprochen. „Bon diefem Mittel”, urlpeilt
r. — „koͤnnte man ſagen, was Plato von der Mufik und
wmnaſtik geſagt hat, es Br ſchwer eine beffere Erziehung zu
finden ald die von der langen Vorzeit gefundene; aber Manche
von Denen, welche dad Beftehende blos deshalb wollen erhal:
ten wiflen, weil es eben befteht, Fallen gleich zu den Gegnern
des Beftehenden ab, wenn dieſes ihnen nicht zu ihren übrigen
Anfichten und Abſichten zu paſſen ſcheint, oder wenn fie nicht
glauben, ihm eine ihren Planen angemeflene Vichtung geben
zu koͤnnen.“
„Die letzte Deu tung gilt der gefeeliäen Freiheit, die der
König im claſſiſchen Alterthume fand und ehrte, fo in einem
Cato, Brutus, Eremutius Cordus, und der geifligen Freiheit,
als deren eigentliches Feld er das claffifche dltertbum erkannt
hatte. In diefem Sinne Heißt er der eigentliche Begründer
der willenfsofttichen Freiheit: nicht bios weil er der Stifter
oder Wiederherſteller unferer Gefellſchaft if, fondern weil er
diefen Urgrund bes wiflenfchaftlichen Lebens, alfo unfers Lebens,
zum Fr $ und Gefeg des Staats erhob, muß und fein
Gedächtniß Heilig fein. Ich meine nicht, in ihm oder in feiner
Beit ſei diefe Rihtung zuerft entſprungen; er hat. fie nur maͤch⸗
tiger. ergriffen und lebendiger angesegt; übrigens iſt fie fo alt
ak die Wiſſenſchaft ſelbſt, und trat fogar in ben Zeiten, in
exinwert bat, welche Friedrich gegen. al.
önig die ten las und.
tern bat er verſchiedene
—*7 — deuck hatte, nur um.
der 5— ervor.“ Daher hat ed au =
(di arlihe ergleidungen mit dem Könige * und rn
verfaßt t mit Gluͤck eine neue, nämlich die mit Karfer
ir H., dem Hohenſtaufen, der in feiner geiſtigen Bil⸗
dung unb — den: Bong feiner. Gpißbes: u ER
‚ande Kenatnige, in ber. Sor
is und Ge mer durch Gründung. und Ohr von
een, im Kampfe gegen Barbarei und harinaͤcki⸗
eiftergeiß, endlich in "feinem zu Luſt und Scherz aller
du en, raus. geiſtreichen Gemüfke: *—
ſten Ahnlichkeiten mit Fri U, darbietet. Diefe weni
Seiten über den großen Kaiſer erſcheinen um. fo eitgemä
da neuerdings ein —** der Akademiker — in —8*
chen, das Riefenbifd Friedrich's IL mit feinem Meifel zu zer:
ſchlagen gedroht und ihn ats einen von maßlofer Herrfchſücht
getxiebenen Tyrannen und als gewalthaͤtigen, uglifigen Ser:
folger der Kirche darzuſtellen gefucht
Pallense Bemerkungen über das Bechältnig eines bervar-
ragenden Geiftes zu feiner Zeit machen den Schluß der leſens⸗
wertben Rede, die auch in den untergefegten Radweifungen
wichtiger Stellen aub den Werken des Königs eine reiche Aus⸗
ftastung empfangen hat. W.
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MW—-XXV. Daste, Die EIS: Sal emöble uberfe tovon Kannegie-
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tie Ra —— aus tem ne — on 58 ilom Shlr. 6 Nor.
gem ed 5 tas e— 5* von
Bestheus, 1 — Beust edug.
20 Nur. — XXX]. Rx ges Iprüfthe Beni A bericht ——
Zweite Zufloge. 1 Khır. ” *
Müller. WRaut. — — Kr Sn n deut
Bilbungen ron Hoefer. 2 abe. — ana — —
XL
5* gte 3 ie at: —3* ee nuoya.
“ei I-L Fa em. Br nie Zum. 3. able. Io Rer,
Zeipgig, im Mai 1846.
F. A. Brockhaus.
derfent nom
20 Ser.
Berantwortliger Herausgeber: Heinrich Bro@hans; — Druck und Verlag von F. 5. Weodihans in Beipsig.
Blätter
| für |
literarifche Unterhaltung.
Engliſche Zuſtande.
Erfter
(Kortfegung aus Nr. 130.)
Artikel.
Weder auf den Volksgeiſt noch auf bie Inftitutie-
nen, weifi Venedey nach, hatte das Pirt’fche Minifte-
zium den geringften bleibenden Einfluß zum Beflen des
Landes ausgeübt. Nah außen hin hat Pitt die Er-
oberung von neuem belebt, nach innen die Eigenfucht
geſtaͤhlt. Seine Kriegsanleihen vermehrten bie Macht
bed Geldes und diefe die allgemeine Verderbtheit. Wäh-
xend des Kriegs verhinderte England allen auswärtigen
Handel Frankreichs, Spaniens und Hollands und ri
denfelben an fih. Das gab aller Induſtrie und allen
Bewerben eine, größere Thätigkeit. Dieſe ſelbſt führte
zu groͤßern Induſtrie- und Gewerbeeintichtungen ale
England In feinem Normalsuftande gebrauchen konnte.
As diefer Normalzuftand mit dem Frieden wieber ein-
trat, wurde ein Theil diefer Einrichtungen überflüffig,
eine Menge Fabriten und Gewerbe mußten ihre Arbeit
einftellen, was dann alle andern drüdte und viele er-
brüdte. Noth und Elend wurden groß in bem ganen
Gewerbe und Induftrie treibenden Theile des Volkes.
Die Induftrie und Handelsfähigkeit Englands nahm
immer mehr den Charakter der Groberung an. Wir
fchieben die Schuld aber nicht wie Venedey auf das
Pitt'ſche Minifterium, fondern auf den Umſchwung, ber
fi in der Fabrikthätigkeit durch die Einführung der
- Mafchinen geltend machte. Während bes Kriegs hatte
die englifhe Induſtrie faft die ganze Welt mit ihren
Fabrikaten verforgt, faſt den Handel für alle Voͤlker
betrieben. Handel und Induftrie richteten fich halbwegs
nach diefem Maßftabe ein und konnten fich fpäter nicht
mehr in die Grenze des Binnenhandels, mit einem aus-
wärtigen Handel ald untergeorbneter Thaͤtigkeit, hinein⸗
gewöhnen. Der auswärtige Handel wurde, wenn auch
nicht in Maffe, doch als Maßſtab für das Streben und
die Speculation des englifchen Handels bie Hauptfade.
Bortrefflich fagt Venedey:
Das Geld war aus allen Scheilen der Welt in England
aufammengefloffen, aber das verhinderte nicht, daß bie ‚größte
Roth über Gngland kam; im Gegentheil wurden die Urſache
all dieſer Roth, dieſes Elends die übermäßigen Schäge, weil diefe
. felbft in der Urt wie fie: gewonnen wurben den Geift bes
Schwindels über ganı England brachten und überdies das
Gleichgewicht, das bis iegt nur theilweife zwifchen den Ele⸗
menten des englifchen Volkes beftand, volllommen zerftörten,
die Bande, die die einzelnen Iheile des Volkes miteinander ver⸗
einigten, immer mehr auflöften.
Wir übergehen die amerikanifchen Berwidelungen und
bie endliche Loslöfung Amerikas. Pitt wurde in biefer
Epoche, bie in’ einer allgemeinen Unbehaglichkeit, im ei-
ner durchgreifenden Entartung, in dem ameritanifchen
Kampfe und endlich in ber Bewegung einer neuen volks⸗
tbümlichen Partei ihre Grundtöne findet, wieder erſter
Minifter; alle Augen faben auf ihn, er war fo ohn⸗
mächtig wie feine Vorgänger. Ohne einen Gontinental-
?rieg, der erlaubte den Handel der Welt auszubeuten,
der ber Manufactur Englands eine überfhwingende Be⸗
wegung, der Börfe Millionen zu vertheilen gab, war
Pitt bald ohne Macht und Anfehen und England mußte
feine Schwäche in dem Frieden mit Amerika bekennen.
. Die Geldintereffen waren immer mächtiger gewor⸗
ben, fie gingen ihren legten Siegen entgegen, als %or
fie angriff und Pitt (dev Sohn) fie zu feinen Bundes
genoffen machte. In diefem Verhältniffe liegt ihre ge-
genfeitige Schwäche und Kraft. Es ift darüber die Ge⸗
fhichte der India bill bei Venedey zu lefen. or, eine
edle Natur, die in andern Zeiten, unter andern Der-
bältniffen, feinem Volke nur Ehre und Ruhm gebracht
haben würde, war ?ein Geldmenſch, kein Rechner, fon-
der ein Spieler, ein Verſchwender. Das ganze arifto-
kratiſche England lebte und dachte ungefähr wie er, aber
in dem Geldengland war Adam Smith erftanden und
hatte feinen Genoſſen den Staar geflohen. Pitt han--
delte in feinem Geifte und deswegen fonnte ihn, ber
überdies feine Kunſtſtückchen mit allem Pathos und '
Knallpulver der Zafchenkünftler natürlicher Magie vor-
brachte, das ariftofratifche England nicht begreifen.
Die franzöfifche Revolution unterbrach den natur-
gemäßen Entwidelungsgang ber englifchen Zuftände, wie
fie ſich feit der legten englifchen Revolution ausgebildet
hatten. Der Sieg ber demokratiſchen Grundfäge in
Frankreich erfchütterte in England die Land- und Geld⸗
ariftofratie zugleich. Das demokratiſche Element in Eng-
land, wie wenig es auch feſte Wurzeln in dem Moden
der englifhen Zuflände zu fchlagen Im Stande war,
erhielt durch den Sieg ber Grundſäte won 1789 einen
s J
460
.
1
neuen Aufſchwung. Der rein ariſtokratiſche Theil der
Whigs dagegen ſah ein ober fühlte heraus, daß mit
dem Siege der Revolution die Ariſtokratie in England
die hoͤchſte Gefahr laufen müſſe und befämpfte fie des⸗
halb von vorgherein als eine Erbfeindin. Burke wurde
der geiftweiche Bertreter dieſer Anſicht. Die Tories wa-
ren weniger laut und raſch in ihren Kntfchliefungen
und Entfcheidbungen. Sie waren bie Gegner des demo-
Eratifchen Grundſatzes, ber fih in Frankreich durchzu⸗
tämpfen fuchte, aber fie waren faft zwei Sahrhunderte
lang bie Freunde Frankreichs geweſen und konnten fich
nicht gleich in den Gedanken finden, als beffen Feinde
aufzutreten. So ſahen denn Pitt und die Tories und
die Geldintereffen ruhig zu, mährend Burke und bie
Ariftokraten der Whigs fich offenbar gegen For, die de-
mofratifchen Whigs und die englifchen Volksfreunde fich
für die franzöfifche Revolution erklärten.
Die Ariſtokratie Englands — bie fich felbft in eine
Geldherrſchaft aufzulöfen drohte —, die Macht Englands,
die mit dem Berlufte Amerikas den empfindlichften Stoß
erlitten hatte, die fo wenig auf eigenen Füßen fland,
dag Pitt fie durch bie Befeftigung der englifchen See-
bäfen gegen unmittelbaren Angriff fihern zu müffen
glaubte, gingen, wie Venedey fchildert, neugeftärkt aus
dem Kampfe hervor, den Europa gegen bie franzöfifche
Revolution beginnen und bie zur Beflegung Frankreichs
fortfegen konnte.
England gerierh, faft ohne fein Zuthun, jegt in die⸗
felbe Stellung, in die ber ältere Pitt es zu Frankreich
and: zu dem Continente gebracht hatte. Die Continen-
talmächte befämpften Frankreich. Unterdeſſen vernichtete
England den Handel und’ die Seemacht Frankreichs und
beutete die Handelszweige, bie dadurch frei wurden, auß.
‚Ber fi) an Frankreich anſchloß, wurde ein Feind und
„ gab fo England Gelegenheit, nach) und nach auch bie
Schiffahrt, bie Flotten und den Handel aller Seemächte
zmeiten Ranges zu vernichten. | Ä
- Die Eontinentaljperre war eine Reaction, aber
die Sperre war nur theilweife gegen England möglich und,
foweit fie unmöglid war, nur ein Mittel die englifchen
Waaren zu vertheuern, während fie im Gegentheile England
erlaubte, Europa, ja faft die ganze Welt von dem Meere und
feinem ‚Handel fern zu halten.
Venedey charakteriſirt nun die englifche Politik nicht
als eine Politit des; Rechts, fondern als eine Politik des
Nutzens: |
Es fei fern von mir, den Ruhm, den England in diefem
Kampfe erlangte, zu fchmälern. Aber das darf und nicht ver:
hindern, auf den Boden der Berbältniffe zu fehen. Es han⸗
delte jih in England unter Pitt dem Zweiten um biefelben
Interefien wie unter Pitt dem Erſten. Während Europa
fämpfte, vernichtete England vorerft die Flotten und den Han⸗
del Frankreichs, dann den aller See- und Handelsſtaaten zwei⸗
ter Claſſe und fpeicherte fo den Reichthum der ganzen —*
durch feinen ungeftörten Welthandel auf. Das Blut, das auf
dem Eontinente floß, wurde zu Gelbfirömen für England.
Durch den Frieden ficherte ſich England alle Erobe-
rungen bed Kriege, England war die tonangebende
Macht auf dem Wiener Eongrefie.
% 1
Die innern Zuftände ſchildert Venedbey folgender⸗
maßen:
Schon bevor der Koͤnig in Frankreich hingerichtet wurde,
regte ſich die Landariſtokratie Englands und trieb unter dem
Mufe „Kirche und König!” die Demokraten zu paaren. Aber
erft bie Schreckensherrſchaft brach die Kraft der Demokraten
vollkommen. Der ganze Mittelland z0g fi von ihnen zurüd,
nur der Mob blieb übrig; und fobald Pitt es für nothwendig
hielt, konnte er die Refte deſſelben ohne, Gefahr durch feine
Provorationsagenten zum Mittel machen, die legten Vertheidi⸗
ger felbft der gefeglichen Dppofition zum Schweigen zu brin⸗
gen. Bald wurde die Habeas⸗-Corpusacte fuspendirt, es
wurde das Briefgeheimniß vernichtet und bie Volksverſamm⸗
ungen unterfagt. y
So England. in feinem Berhältuiffe zur Revolution.
Die demokratifche Partei hatte in England fein eigenes
Lebenselement in ben Verhältniffen Englands, das Volks⸗
element folite fih) auf anderm Wege als durch eine po=
Iitifche Revolution und Parteiung, mit dem Wachsthume
der Induftrie, des Maſchinenweſens und zugleich bes
Proletariats entmideln. Das politifhe England war
nach dem großen Gontinentalkriege' immer ausfchliepli-
cher, Immer ariftefratifcher geworden. Das Recht ber
Afforiation, das Recht der öffentlichen Verfammiungen
wurde durch Gefege befchränkt , die Überlegenheit der
minifteriellen Partei, die Abwefenheit jeglicher Dppoſi⸗
tion erlaubten der Regierung noch viel weniger zu ge-
hen, als fie für ug fand oͤffentlich in Gefegen zu er-
klären, und mit Recht fchließt Venedey:
Der Sieg Englands auf dem Continente über die fran-
aöfifhe Revolution war ein nod viel offenbarerer &ieg des
Eontinentalabfolutismus über dis englifche Eonftitution.
(Die Sortfegung folgt.) -
Vorleſungen über akademiſches Leben und Studium. Bon
Emil Auguſt von Schaden Warburg, Elwert.
1845. Gr. 8. 1 Thlr. 15 Rear.
Docenten deutſcher Univerfitäten iſt Neuheit zu empfehlen,
um zu gelten — da der Ruf bed Alten ſchon von felbft die
Jugend abfchredt und Jugend nur Junge will —: fie brau-
hen dabei nicht zu ſcheuen ein Unverſtaͤndliches, denn Diefes
erweckt Ringen nach Werftändnißs nicht ein Seltſames, denn
dieſes bewirdt Staunen; ja fogae nicht. Undenfbares, denn es
wird durch Dialektik denkbar, und enthüllt vermöge guter For⸗
meln tiefen Sinn. Befonders in der Philofopbie gilt das
Neueſte ftetd für das Befte, und mit einer Weisheit der Vaͤ⸗
ter Fönnen die Söhne unmöglich ausfommen, wegen ber Zeit-
fortfchritte, Die jegt auf ein Jahrzehnd mitleidig zurückblicken,
wie fonft Jahrhunderte auf Jahrhunderte, nämlich auf die frü-
here Beichränktgeit im Vergleich mit der Gegenwart. Bleiben
nur politifhe Verhältniffe und herkommliche Kirchenlehren un:
angefochten, fo erbauen fi an dem philofophlih Neuen felbft
greife Staatsmänner und Theologen, begünftigen den @ifer,
womit man fpeculative ben außbeutet und verbreitet, bis
etwa diefe durch Bielgebrauch alt und matt werben, oder gar
in ihrer Fortbildung fi anders darftellen als anfangs, was
befanntli dem Syftem Hegel’8 begegnete und ihm viele Bön-
ner entzog. Zwar gibt ed bei dem erften Auftreten neuer Phi⸗
loſophie ftet6 eine Anzahl älterer fchienengefefteter Denker, die
ihr Geleiſe nicht. verlaffen wollen, und feindlih verfahren —
wie denn 3. B. im „Staatslexikon“ von Motte! und Welder
Hegel’fche Philofophie „der fcharffinnigfte Widerfinn, die kunſt
reichſte Abfurdität, welche je die Philofophie ausgeboren”, ges
-
⸗ 539
nennt wind —, allein dies ſchadet Des Merbyritung: d
nicht, «8 werden vielmehr folche Einzelftimmen von dem Tutti
des Freundesorcheſters bald übertönt, und was ben Feinden
unvernünftig daͤuchte, behauptet fi in der Wirklichkeit und
wird dadurch vernünftig. Nur die Beit baut und untergräbt
Bernunft und Unvernunft, bie deswegen angenehm miteinan-
der abwechſeln und in diefem Wechſel entfchiedene Dbjectivität
bewähren.
Nichts iſt ewig auf Erden, und ewig bleibt dieſer Sprud wahr.
Zaͤhrlich wandert bie Jugend zu Niederlagen ded MWiflens,
Döret Philofapdie, das heißt, die Liebe zur Weiſheit. —
Wie, kann Liebe gehört Tin? Ja wohl der gelchrigs Hörer
Duͤnket in Worten fi Hug, und ſchwoͤrt auf die Worte des Meiſters.
Keider verhallt und verfhallt dad Wort. Kant ik ſchon ver
ſchollen,
Sichte und Hegel, und ſelbſt ein doppelſchallender Schelling
» Binden ihr Schallloos. — Alle verkuͤndeten ‚Weisheit, und haben
Glauben verlaugt und gefunden an ewig dauernde Lehren,
- Bu folgen Betrachtungen und Verserinnerungen Bann die
vorliegende Schrift veranlaffen, welche in. geſchicktem Vortrage
des Neuen genug enthält, und gerade „das Bewußtfein eines
folchen Reuen ift es, was der Verf. in der fludirenden Jugend
erzeugen möchte, und bie iſt die Abficht, mit der er dieſe Bor
leſungen ausarbeitete” (Borrede, &. ıv). Sein Syſtem hat er
„zu großem Theile ſchon in feinen frühern Werken entwidelt,
niemals indeß noch, wie er glaubt; fo einfach und zufammen:
faffend wie in der vorliegenden Arbeit. Das Centrum aller
Eriftenz ift ihm der Menſch, der innere ſowol wie der äußere.
Denn beide find im Grunde nur einer. Ihn, den Menfchen,
glaubte und glaubt er noch überall zu finden, wohin er nur
ein Auge wenden mag. Denn felbft Bett ift nur der ewige
ypus (naendsıyua), nach welchem fein Ebenbild (exuv)
Eriftenz gewonnen hat. .. Dies (Princip) ift dur fo viele
Thatſachen und darunter durch fo gewaltige und großartige
eftügt, daß eine einzelne Ausſtellung oder felbft einzelne Aus⸗
Bellungen fo viel wie nichts befagen würden” (Borr.,&. v, vn).
" Ref. verbannt daher alle ſubjectiven Ausftellungen, und will
blos von dem Neuen des Inhalts "in reiner Objectivität Eini⸗
ges mittheilen.
„Es muß die Theologie ebenfo als die Kunft ber Yhile:
fophie bezeichnet werden wie die Medien die Kunft der Ra:
af und die Zurisprudenz die Kunft der Geſchichte
vorſtellt.“
„Es gibt nichts, deſſen Configuration nicht in irgend ei⸗
nem Verhaͤltniß beſchloſſen laͤge, welches an der menſchlichen
Geſtalt ſich vorfindet. Himmel und Erde führen das Gepräge
diefed Siegels, und tragen daher, wenn aud in noch fo rohen
und Eoloffalen Umriflen, an ihrem mächtigen Leib bie Phyfio-
nomie der menſchlichen Geftalt. ... . in (des Menfchen)
Baupt ift ein concentrirter Rumpf, fein Rumpf dagegen ein
ertendirtes verzerrtes Haupt zu nennen.”
„Die Länder um das Mittelländifde Meer ftellen eine
merfwürbige Goncentration bed ganzen Erbbaus, unb umge
kehrt der ganze Erdbau ftellt eine Erpunfion der Gegenden
um dad Mittellandifhe Meer vor.’
„Dem Eoloffalen Bau der Erbe ift daß allgemeine Geſtal⸗
tungsprineip des Menfchen in großen Grundzügen aufgeprägt.”
(Diefe Anfiht wurde ſchon 1328 von ben Herren Keiper und
Klug durchgeführt. und fie unterfchieben dabei auch männliche
und weiblihe Erdgeſtalt; Kleinaſien 3. B. war bie Klitori,
Kaukafien der Mons Veneris u. f. w.)
„Wie deu große Firfternhimmel, fo auch das ganze Pla:
netenfoftem tragen eine tiefe Menfchenähntichkeit an fih, und
diefe Aehnlichkeit druͤckt fih bier, weil unter der Herrſchaft
ser Rotpwendigkeit ſtehend, durch Bahlenverhältnifie der Maſ⸗
en aus.
„Mathematiſche Verhaͤltniſſe ſind nicht abſolute Nothwen⸗
digkeit, fie find keine ewigen Wahrheiten an ſich, bie durchaus
nicht anders gedacht werden dürfen aoch koͤnnen, und daher
der Satz z. B., daß die drei Winkel eines Dreiecks immer
t -
gleich zwei rechten ſind, nur unter ber —— unſerer fo
modificirten Materie eine zwingende Rothwendigkeit.“
„Man Bann unſern Rumpf als den niedrigen Indifferenz⸗
punkt für bie polarifchen Hauptentwidelungen bezeichnen, wel
— oben und unten in die Peripherie unſers Leibes ge⸗
ellt find.’
„Zwiſchen Erdrumpf und Erdhaupt ward jener große ver⸗
innerlichende Heros geboren, dem alle Gewalt im Himmel und
auf Erden gegeben wurde, und beflen Reich nichts weniger
als von diefer Welt iſt. . . Eine Weltgefchichte, welche auf
folchen natürlichen Bafen aufgeführt worden if, und mit fol
ben Hinausbliden und Ahnungen endet, kann eine Weltge⸗
fchichte genannt werden.”
‚Das Germaniſche und infonderheit das Deutſche ift der
Sipfel aller freien Sprachen, welche im Gegenfag zu den an⸗
tikaukaſiſchen Berhältniffen fih mit Indien aus dem Suͤdoſt
nah dem Rordweſt erhoben haben.”
„Der Deutfche Bund ift vielleicht der noch ſchwache Keim,
aus welchem ji der ſtarke Baum eined europäifchen Staaten
kosmopolitismus entwickeln und feinen Schatten uber die ganze
Welt hin verbreiten wird.’
„Die Definition der Philoſophie als einer unmöglichen
Wiſſenſchaft entbehrt alles tiefern Haltes. ... Bezieht ſich
aber die Frage nad) dem Moͤglichen oder Unmoͤglichen auf die
Kategorie des Erkennens, fo wird damit alfobald das Schwer:
mögliche zu einem Shwerbegreiftihen und fomit zu ei»
nem faft Unbegreiflihen. Es wird alfo hierdurch bie
Philofopbie zur Wiflenfchaft des Schwerbegreiflicgen ge
macht, und.ziehen wir hiervon nun ab, was fi an der Rea⸗
litat als das leicht oder leichter Begreifliche ausweiſt, fo kann
und jegt nichts mehr unerklärt und unwahrfcheinlich bleiben,
wenn wir die Philofophie ald die Wiſſenſchaft Deffen de
finiven, was eben an den Dingen das Unbegreif>
lie iſt.“
„Wenn wir die Potofopdie mit vollfommenem Recht als
die Wiffenfchaft der Subftanz befiniren, fo vermögen wir bier
in nichts Anderes als die höchfte Erweiterung und Steige⸗
rung unfers erſten von Philofophie aufgeworfenen Begriffs zu
erkennen. . . . Drei zu bebandelnde Punkte werben fi jo zu⸗
einander verhalten, baß in Dem erften die Frage nach dem Ab»
grunde der Epiftenz, in dem zweiten die Culmunation derfelben
zur Höhe Gottes, und im dritten ihre Entfaltung zur Sonde⸗
rung des vielfältigen Einzelnen, alfo bis zu einem gewiffen Grabe
die Geneſis der Welt Gegenftand der Unterfuchung fein muß.”
„Allmoͤglichkeit ift als eine Eriftenz zu erfaifen, welche in
jedem Angenblid jur Geburt eined unendlihen Etwas hin⸗
deängt, in demfelben Augenblick aber, in welchem fie foldye
Geburt and Tageslicht fördern will, von ihrer Production und
Evolution abſteht — aus der eigenthümlichen Furcht, daß bier»
unter ihr Charakter als Allmöglichkeit leiden möchte . . .
Da die Hemmung, wenn’ fie zur Vollendung kaͤme, das vollen»
dete Princip der Form wäre, die Form aber aus dem Schat⸗
ten der Allmoͤglichkeit Realitäten zu machen hälfe, fo muß
die von Ewigkeit ber fih immer wiederholende
Hemmung endlih zum Formprincip werden.”
„Gott ifb der Raum, denn in ihm leben, weben und find
wir. Gott ift die Zeit, denn er löft an feinem einen Punkte
bie Ewigkeit in eine unendlide Succeffion von Thaten auf.
Bott ift Alles; denn er ift die fich felbft befigende Unendlich»
keit des Allmöglichen. Gott ift Nichts; denn feine —
Scheidung hat ven Ewigkeit her alle Möglichkeiten des All:
möglichen in den koͤniglichen Befig feiner Herrſcherkraft hin⸗
übergeführt.”’
„Zede Production Gottes beginnt mit der Herabfegun
der Allmöglichfeit zu einer Einmöglichkeit und ift deshalb au
fogleih von einer Production ded Oben und Unten begleitet.
Denn da tie Gntftehung des Naumes überhaupt auf princi»
pieller Grundlage erwaͤchſt, fo wird dies bei der Gliederung
des Raumes in noch weit höherm Grade der Fall fein müffen.
Wenn nun aber Gott producirt, fo ift von fol unendlich rei⸗
rn wu
chem Weſen nicht zu erwarten, daß es ein Schlechteres zu zeu⸗
en beabſichtige als es ſelbſt iſt. Ein Beſſeres aber iſt offen.
ar unmöglid. Will es daher überhaupt ein Etwas produci⸗
zen, jo fann feine Abſicht nur in feinem @benbüde ruhen. . . .
ft dem num aber fo, tft das hoͤchſte Wefen Gottes und der
Ebenbildlichkeit in ihrem genetifhen innerlihen erhalten fo
geordnet, daß in beiden ein Unten und Dben ift, die fich beide
voneinander angezogen fühlen, und daher umgekehrt fo inein-
ander ftehen, wie wenn man zwei Becher verkehrt ineinander:
ftürzte, fo hätten wir an keinem aluͤcklichern Orte auf dieſe in»
—3 — Conſtellation geführt werden koͤnnen als bier, wo
wir am Ende des objectiven Inhalts der Philoſophie angekom⸗
men find... . Hierin liegt jenes merkwürdige Urpbänomen
begründet, daß uns in der Wirklichkeit in allen Einheiten
Rumpf und Kopf entgegentritt, daß Diefe beiden ferner umge:
kehrt ineinander hineinragen, und diefe Umkehr an Erde und
Menſch dur eine Kreuzung erkennen laffen, welche fi an
den einzelnen Knotenpunkten als zwei aufeinander flehende
Scheitelwinkel harakterifirt.” “
„Das vorläufige Aufgebot des in ſich felbft wuͤhlenden
Geiſtes: durch den Kampf-der in ihm denkbaren Möglichkeiten
mit ihren gleichfalls vorhandenen innerlihen Widerfprüden zu
irgend einem Refultat über die Begriffe des Seins, des Nichts
und ihrer Bewegungen zu gelangen, das ift der eigentliche In:
halt der analytiſchen Metaphufil. . .. Wenn wir den erften
und geringeren Theil der Metaphyſik als einen Weg vom
Richts zum Sein charakterifiren, fo hindert uns Nichts, als
ihren zweiten Theil nun den Weg vom Sein zu Gott zu be:
zeichnen. Mit ihrer Ankunft bei diefem Ziele endet aber auch
ihre Aufgabe.‘ ‘
„Das Sein ift von Ewigkeit ber vorhandene @riften;,
und feine legte Wurzel allein als ein ewiges Auffteigen eines
im Nichts verborgenen Willens zu bezeichnen, deflen Kraft
aber fi von Ewigkeit her ſchon erfüllt bat... . Ie mehr
das Sein Sein wird, um fo mebr muß es auch die Kraft des
Leeren, vote des Nichts, als ihm völlig unterthänigen Selbſt⸗
befig in fih hinein befommen.”
„Sehen wir uns danach um, was den Einen oder ben
Undern beftimmen mag, fo oder fo von Gott zu denken, fo te:
ducirt ſich die Möglichkeit der veranlaffenden Gründe zufegt
allein auf jenen einzigen: Daß Jeder in dem Maße ſich diefes
höchfte Problem zurecht legt, als er ſich die Intenfität des
Seins zu denken vermag.”
„Ich kann mir Bein Herz zu einem Gotte faffen, dem ge-
enüber ich nicht triumphirend ausrufen Bann: das ift doch
leiſch von meinem Fleiſch, und Bein von meinem Bein.”
„Es erfcheint uns das Wefen der Religion wie eine Luft
der Seele auszumandern, um fih aus der Ziefe eines uner⸗
ſchoͤpflichen Weſens höchfte Sättigung und Erfüllung hernieder
u bolen: ein Hunger, der von der unerfhütterlichen Hoffnung
Begleitet ift, daß die begehrte Speifung nicht verfagt bleibe,
fondern der Gott fi) vielmehr herablaflen werde, wie Die Seele
ausgegangen fei, ihn zu fuchen, fo fih finden zu laſſen, und
mit der rückkehrenden in ihre Wohnung einzumandern und
Dort die Wonne eined Abendmahl zu feiern, das den Buftand
volllommener Befriedigung herbeizuführen geeignet if. Dies
Alles nicht blos figurlich und windig fpirituel gedacht, ſondern
fogar mit örtliher Wahrheit behauptet und angenommen:
das ift der einzige Standpunkt, von welchem aus eine Theo⸗
logie gefhaffen werden ann, die ihren Schüler nicht unbe:
friedigt läßt.’
„Eine von Bott gefchaffene Welt liegt in der Unendlich»
Feit Gottes als in ihrem Ort. Aus der unendlichen Steige
rungsfähigkeit Gottes geht die Ergänzung für den Gedanken
hervor, hufotge beiten die Welt wie in Gott ſchwimmt. Denn
To groß die Eriftenz des Gefchaffenen auch fein mag, für die
Übergipfetung des Gottes in fich ift fie Daffelbe mas für uns
ein Sandkorn. Wollen wir uns daher die Sache finnlich vor:
ftellen, fo Pönnen wir fagen, daß Gott die Welt nach Gut:
ja, daß er dies mit mehr Welten thun könne, wenn e
anders ſolche geſchaffen habe.‘
„Es ift wie eine phyfikaliſche Attractionsluſt höherer Urt
u betrachten, daß die menſchliche Seele aus ſich auszugehen
—* um den hoͤhern Inhalt des Gottheit oder ergänzende
Sottesfubftang in ſich Hereinzubelommen. .. . Daß eine gam
ähnliche Attractionsluſt, welche den Menſchen anftachelt, aus
fi felbft auszugehen und Bott zuzuwandeln, ſich, fobalb der
Menſch geworden if, aud Gottes bemächtigt und dieſen be: |
flimmt, dem Menfchen einwohnen zu wollen und ihn mit der
Subſtanz feines Inhalts zu fpeifen.” |
„Die Bereinigung, welche die Religion zwiſchen Gott und
Menſch bewirkt, ift nicht ein bloß rationel fpiritualiftifcher Ge⸗
danfe, welder einem Richtfein folder Vereinigung faft glei:
kommt, fondern fie ift in Der Weife eine folge, wie fie ein:
tritt, wenn wir Wein dem Waſſer miſchen, oder wie in der
zuft Stickſtoff dem Sauerſtoff verbunden if.”
„Der ewige Gott muß nothwendig das abfolute Dben fein,
oder: Wo Bein höheres Dben zu finden ift, da tft Gott. - - -
Alle religioͤſe Senden; geht von unten nach oben, und es ıft
daher nichts natürlicher als daß die betende Ebenbildlichkeit
auf die Knie fallt, ihre Arme nach oben breitet.“
„Wie fi die AUlmöglichkeit zu der über ihr thronenden
Kraft der Scheidung verhält, ebenfo verhält fih der Menſch
oder das Ebenbild zu Bott... . . Das tiefe innerlicde Wechſel
verhältniß, weiches zwiſchen Gott und der Effentification feiner
Welt, dem Ebenbilde, befteht, liegt fehon vorgebildet in dem
andern von Ewigkeit her beftebenden Wechlelverhältniß zwifchen
der fondernden Kraft und der Allmöglichkeit.’
Diefe Art von Theoſophie wird fchließlih in Berbindung
gefegt mit den Lehren vom Sündenfall, der Incarnation, Er
Iöfung, der Dreieinigkeit, und erinnert an die Theoſophen des
15. und 16. Zahrhunderts,. an Jakob Böhme, der auch neben
Plato „der erwünfchtefte Vorkaͤmpfer auf dem Eroberungszuge
der Bubftanz’’ genannt wird. Leſſing feiner Zeit nannte dieſen
görliger Philofophen einen Schwärmer, der „ohne Wiflenfchaft
und Selehrfamkeit, Durch feinen bloßen Unfinn, Das Haupt ei:
ner Sekte und der Xheofoph Deurfchlands zu werden das
Gluͤck hatte”, und noch Schletermacher meint, „die Überſchä⸗
gun des Unmifiendften unter den Theoſophen des 15. und 16.
abrhunderts, des Jakob Böhme, fei etwas höchſt Unwiſſen⸗
ſchaftliches“ (Nachlaß, Bd. 2, S. 343); aber unfere willen:
Schaftlihen Zeiten — sic transit et redit gloria mundi —
erfennen befice feinen Werth; woraus gu lernen: Pein Phüc:
foph oder Theoſoph folle über Gunſt zu ſehr jich freuen, und
über Ungunft zu fehr fi betrüben. 24.
duͤnken in feiner = Tiefe verfchieben Tinne wie er wolle,
Literarifhe Notiz.
Graf Adam von Gurowski.
Die Identität ded Verfaflerd der „Europaͤiſchen Pentarchie“
mit dem politifchen PYarteigänger Gurowski fcheint gegenmärtig
fo ziemlich feflzuftehen. Das Aufſehen, welches jene vielbefpre:
chene Schrift erregt hat, fteht mit ihrem eigentlichen Werthe
durchaus in Feinem Verbältnig. Sie würde ſchweriich Gegen:
fland fo vieler Erörterungen geworben fein, wenn ihr Erſchei⸗
nen nicht in eine Zeit gefallen wäre, welche für derartige Ma—
nifeftationen eine befondere Empfänglichkeit befaß. Die fpätern
Erzeugnifie des nämlichen Verfaſſers haben fich keines fo glän:
senden Erfolgs zu erfreuen gehabt, ja fie find, fogar zum Theil
ganz ſpurlos vorübergegangen. Am werthlofeften und unbe
deutendften find die Verſuche Gurowski's, fih auf Dem Gebiete
der Zouriften » Literatur einen Namen zu machen. Namentlich
gewährt fein Reiſewerk über Belgien nach feiner Richtung bin
Befriedigung. Ebenſo wenig Gute Fönnen wir von einer
Schrift über die Schweiz fagen, welche vor Burzem bie Preſſe
yerlafien hat. Sie führt den Zitel: ‚Impressions et souve-
nirs. Promenade en Suisse en 1845. . 1.
Berantwortlier Herausgeber: HSeinrich Brokhano. — Drud und Verlag von F. X. Drockhaus in Leipzig.
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Blatter
für
literariſche Unterhaltung.
21. Mai 1846.
Engliſche Zuftände.
Erfter Artikel.
(Bortiegung aus Nr. 14.)
Einer ber intereffanteften und lehrreichſten Theile bes
Venedey'ſchen Werks ift der jegt folgende Abfchnitt, über⸗
ſchrieben „Commonmwealth”. Venedey behandelt darin bie
innere Entwidelung Englands, diefe Entwidelung ift aber
Saum etwas Anderes als die Entwidelung der Geldintereffen.
So ftellt er mit Recht die Gefchichte und die Operationen
der englifchen Bank voran, in denen ſich nach und nad
alle Lebensnerve Englands concentriren. Wenn bie
Landariſtokratie früher ausfchließlich ein unangreifbares Ei-
genthum gehabt hatte, fo erlangte die Geldariſtokratie
jegt ein folches in der Staatsſchuld. Das Grundeigen-
thum war gefeglich gefchügt gegen Verkauf und Be-
flag; die Fonds find es nicht nur geſetzlich, fondern
meiſt auch thatfächlich, wo der Schug bed Geſetzes nicht
ausreichen follte. Die Gelbariftofratie erlangte in ber
Schuld eine Art gefchloffenes, unangreifbares Geld⸗
grundeigenthbum, wie Venedey es nennt umb wie
die Landariſtokratie bisher ein ſolches allein in Grund
und Boden befeffen hatte. Hören wir:
Das Geld wurde der einzige Maßſtab des Glücks. Die
Waare, die Arbeit blieben feine Diener. So oft diefe fliegen,
laubte ſtets ganz England im Berlufte zu fein, weil das Geld
He. Nur dieſes hatte ein Vorrecht tbeuer zu werden. Die
Waare, die Arbeit konnte betteln gehen, das Geld aber mußte
auf Yurpur ruben. So flürzten die Nerhältniffe, die der Krieg
ſchuf, England unabwendbar vorwärts in den Abgrund: des
Gemeinreichthums, der reinen Geldherrſchaft.
Benebey entwidelt nun ausführlich, wie fi Die
Grund» und WBodenverhältniffe gänzlich umgeftalteten.
Dos Land verlor feinen urfprünglichen Begriff von
feſtem Grund und Boden, es wurde beweglicher Natur
duch die Unnatur der eingetretenen Verhältniffe Das
Geld aber wurde zu berfelben Zeit funbist, flocfeft.
Das Grundeigenthum ſchwankte überall, das Geldeigen-
thum nahm eine beftändige Natur an. Der Mittelftand
verſchwand aus dem Aderbau und wer fih nicht in bie
Claſſe der hohen und reichen Pächter großer Güter hin⸗
aufzuſchwingen vermochte, der ſank in bie der Tagelöh-
ner herab. Alle Claſſen in England vermehren ſich
verhaͤltnißmaͤßig, nur der Ackerbauſtand vermindert ſich.
Das Berhältnif der -Aderbauer zu ben übrigen Gtän-
den fant in 20 Jahren (von 1811 —31) von 35,2 auf
28,2 herab. Der Zuwachs aller Familien in berfelben
Zeit war 34 Procent, ber der Handels⸗ und Manufac-
turftände war 27 Procent, der der Aderer nur 7 Pro»
cent. An bie Stelle des Landbauerſtandes trat ein
Stand, ber ein anderes Gewerbe trieb als fein Gelb
wuchern zu laffen.
Am tiefften ſanken die Arbeiter. Sie wurden Bett-
ler, in Maſſe nahmen fie ben Charakter Derjenigen an,
die auf Koften Anderer leben. Sie wurden geiflig ent⸗
artet, moralifch verwildert. Die Armenfteuer hatte frü-
ber nur den Wrbeitsunfähigen geholfen, fie wurde von
neuem bie faft unerlaßliche Unterlage des Lebens unb
ber Derhältniffe jedes Aderbauers.
Das find die Folgen, fagt Venedey, der durch den
Krieg eingetretenen Zuftände. Die Kraft ber Landariſto⸗
kratie wurde in ihren Grundlagen angegriffen und zerflörf,
während die &eldariftokratie neue legte und einen Rie⸗
fenbau auf ihnen aufführte.
Als die Tories and Ruder famen, Eonnten fie nicht
ruhig zufehen, daß ihre Freunde, die Randbauer, den leg-
ten Stoß erhielten. Die Regierung kam zu dem Be⸗
fchluffe, die Einfuhr des Getreides, fo lange das des In-
landes nicht die Summe von 85 Schilling per Quarter:
erſtiegen, vollkommen zu unterfagen. Der Krieg hatte
England von Europa ausgefchloffen. Es kaͤmpfte auf
Leben und Tod, um den Mann zu ftürzen, bex dieſe
harte Vergeltung über England zu verhängen fuchte.
Es kämpfte und fiegte, und am Tage nad feinem Siege
muß es Europa von England ausfchließen, um ben Brot-
preis hoch genug zu halten, auf daß die Landlords im
Stande, die Laften ihrer Güter zu tragen, die Pächter
fie zu zahlen. So bildete fi die neue Richtung ber
Korngefege — Verhinderung der Einfuhr fremden Getrei-
bes —, die legte Stüge der Ranbariftofratie Englands. Die
Geldariſtokratie zog aber dennoch ben beften Theil. Das
Bolt dagegen fchildert Venedey wie folgt: .
Die Aderbauer waren zu Knechten und Bettleen herabge⸗
funten. Die Kabrikarbeiter fahen ihren Arbeitslohn abnehmen
und ihre Arbeit felbft duch Waſchinen und, gerade in eg
deffen,, wohlfeiler und zugleich abflumpfender werben. e
ttelftände, an Bahl ſtets abnehmend, lagen zwifchen Roth
und Elend auf der einen, übergroßem Reichthum und Luxus
auf der andern Seite. Der Schwindel hatte auch fie ergriffen
2
t
und die alten Nube, der einfältige Ernſt, das ftille Stre⸗
ben und an an — Fred X —58* an
dem Elende oder an der Überfülle.
Wie das Elend des Volkes trat auch die abfolutifti-
ſche Richtung der Regierung zunaͤchſt an die Oberfläche
dee Stelmungen bes engliſchen Stactslebens. Hören
ae Venchey:
Der Abfolutitmus, das Regieren von oben herab, anftatt
des Drbnens von unten herauf, der gefeffelte Policeiftaat, an»
ftatt des felbfländigen Bürgerftaats, hörte mit dem Gturze des
Minifteriums, das den Sieg über die franzöfifche Revolution
gefeiert hatte, nicht auf. Die Auffaflung der englifchen EiagtE
männer war in dies Regieren bineingerathen und dies Regie
ren [son war nothiwendig geworben. Ein Bürgerftaat ift nur
mit Bürgern möglich, wo biefe verſchwinden, tritt Die Policei
nothwendig an ihre Stelle. Der Geift der Selbftändigkeit war
aber von den Engländern gewichen. Schon die Revolution
hatte ihn im Mitielſtande erſtickt, die Herrfchaft des Geldes
vernichtete ihn auch in der Ariſtokratie.
it und unter Canning entfland das erfte Frei⸗
handelsminifterium unter ber Leitung Husliffon’d. Das
Geld verlangte den freien Handel und fand, wie Vene⸗
dey treffend nachweift, noch einen Bundeögenofien am
Belle. Die englifhen Staatsmänner, bie nad und
nach das englifhe Schutzzollſyſtem [Hafen halfen, dach⸗
ten von ihrer Höhe herab an das Volk nur ald an den
Mob. Sie fchügten ben Handel, bie Inbuftrie, die Co⸗
Ionien, den Aderbau, aber fie vergaßen die Arbeit. Die
Arbeit, das Volt konnten ungeflört und unbeachtet aus⸗
gefauigt, abgenugt werben und wurden es auf eine grau-
fenhafte Weife. Die nächte Folge mußte nothmendig
fein, ‚daß die ungefhügte Arbeit den Schug der In⸗
duftrie und des Aderbaus, der fih in erhöhten Preifen
fund gab, als eine Verlegung ihrer heiligſten Intereffen
fühlte. Die Arbeit wurde ſchlecht bezahlt und zahlte
boppelt dan jeden Biffen Brot, jeden Schnitt Holz,
jedes Stuck Tuch. Der Ruf nach Hanbelsfreiheit hieß
für fie: Wohlfeiles Brot! und fie flimmte von Herzen
aͤtigkeit gelangen.
—2— ſtießen
ſchen Volksgeiſtes neuerer Zeit upt faſt umwillkürlich
hingewieſen, erhob ſich von Beit zu Beit, wenn
ihm neue ifle ö und fan daun meiſt wieder
ebenfo in ben alten : d zuruͤck. Neue n in
Indien, bie ung der emansipirten Colenien Spaniens
und Portugals gaben einen uorübergehenden Aufſchwung. Die
peaulation, die Di Aus oßt
I ———
des Landes verantwortl
wieder verftopften. Im I. 1820 war wieder allgemeine @bbe
eingetreten und die Roth im ga Lande war fehr groß, um
fo größer als diesmal Fein Men wußte, welchen Verhältnif-
fen die Schuld zuzuſchieben. Früher wurben ber Krieg, bie
Schwankungen der Geldgeſchaͤfte u. f. w. für den Roihſtand
ich gemacht. nn Derastiges ba
ftattgefunden und fo mußten nothwendig die denkenden Poli
ker in fich gehen und nach den allgemeinen Urſachen ragen.
Die Armenfteuer, die Staatsfchuld, das Wetter und der Win
wurden angelagt, aber Niemand wagte an Abbülfe zu denken,
auf bleibende Befferung zu rechnen. .
Der Sieg ber demokatiſchen Brunbfäge in Frank:
reich, die Julirevolution, mußte benfelben auch in Eng⸗
land einen neuen Auffhwung geben. Was bie engli«
ſche te vor alten Bingen derlangte, das war
eine Reform des Parlaments und des Wahlſyſtems. Dies
war zu allen Zeiten die Grundlage ihrer Beftrebungen gewe⸗
fen. Der Sieg der Reform war nichts Anderes als ein Sieg
des Geldes über bie Landbefiger. Bicher hatte jeder Free⸗
man, arm ober reich, das Wahlrecht, wer aber jegt keine
10 Pf. freier Einnahme hatte, mochte er ein Freeman
im Geiſte Altenglands fein, er war ein Rechtlofer im
Geiſte der Reform. Das Geld firgte auf dem Laube
unb wurde trog des Schleier bed größern demokratiſchen
Einfluſſes auch in ben Städten der legte Grunb bes
Wahlrechts. 36 Boroughs verloren durch die Reform
ihr Stimmrecht, 30 verloren ein Mitglied von zmeim,
232 Städte fendeten in Zukunft zwei, 20 ein neues Mit
glied. Das Ergebnig der Neform war: 86 Stimmen
Berluft für die Landbefiger und 64 Stimmen Gewinn
für die Städte So mar die Reform ber größte Schlag,
ben bie Lanbdariſtokratie bis jegt erlitten hatte. Als
deutfcher Demokrat fagt nun aber Venedey von ber
Reform:
Die Ugitatoren en das Volk glauben m wollen,
daß wit der Bier cin neueß Beitallde der — des
Gluͤcks für England erfiehen werde. Und Alles blieb beim
Alten. Das untere Volk fühlte je länger deſto offenbarer, daß
bie Reform ihm nichts genugt, weder feine Rechte, noch feine
Freiheit, noch fein Wohl gefördert hatte. Und hierin lag ber
Grund, daß nad und nad die untern Volksclaſſen ihr Ohr
den Whigs ſchloſſen, daB an die Stelle der frühern Einver⸗
ſtaͤndniß offener Haß trat, der dann entweder von den Dema⸗
gogen der Demokratie oder denen ber alten Landariftokratie,
oft von beiden im Bündniffe ausgebeutet werden Eonnte.
Als das Neformminifkerium Grey, unter dem bie
Kufpebung der Sklaverei und Schut ber Fabriklinder
gegen ben Eigennug ihrer Ausbeuter erwirkt wurde, an
ber irlaͤndiſchen Frage flürgte, Samen bie liberalen Thies,
im Gegenfag zu dem ariftefratifchen Whige, unter Lord
Melbourne zur Regierung. Untes fie fällt eine der
durchgreifendſten Reformen ber neuem Zeit, das wewe
Urmuengefeg. Wir werben fpäter Gelegenheit haben, auf
bie Geſchichte und das Weſen deſſelben einzugehen, büzfen
baffelde Hier alfo füglich übergehen.
Wir treten jept am das Minifterium Peel. Der
dertſche Demekrat bat ein firengeö Urtheil ber biefen
englifchen Staatsmann. Ob Lerb John oder Sir Re
—* ob Mhig ob
flaat. Peel Habe vor der Julirevolutidn ſeinen Mamen
an zwei große bezeijnende Maßregeln gebunden, an die
Peeisacto und an die Peeler Policei. Durch bie erſtere
erhob er die Staateſchuld zu ihrem Nennwerthe, durch
die zweite begründete er für alle Zukunft dad Syſtemn
des Regierungsfhuges an ber Stelle der Gemeindethä-
tigkeit, ber Policeiaufficht anftatt der @elbftegierung.
Sir Robert Peek war einer ber Erſten der einfah, daß
mit der Reform and der alte Toryismus vollkommen
zu Grabe getragen worden; am Tage nachher erklärte
er einfach und unummwunden, es gebe von nun an Beine
Tories mehr, an ihre Stelle feien die Gonfervativen ge:
treten. Peel hatte erleben müffen, fagt Denedey, daß
die Macht der torgiftiihen Conſervativen an ber Gunft
eines Bettfammerfräuleins fcheiterte, und deswegen ſuchte
Sir Robert eine mächtigere Befchügerin als felbft die
Königin, ben ade der öffentlichen Meinung, bes
Geiſtes und ber Intereffen der Zeit. Nach und nad
rang er den Whigs ein Stüd ihrer Waffen nad bem
ambern aus ben Händen, zuiegt gar ihre Hauptflüge,
die einflureichfte Zeitung Englands, die „Times“. End ⸗
ti) fielen die Whigs umd die Conſervativen mit Peel
testen an ihre Stelle. Hören wir Venedey:
Die Lande, die Eolonial», ale durch Abgaben gefhügten
Interefien Tonnten glauben, daß der Sieg der Gonfervatioen
ihrer Sache von neuem eine feite Zukunft Bscm würde. Die
Führer der Eonfervativen fhaten das Ihrige, um in halb und
ganz Maren Phraſen diefe Anficht zu unterhalten, während fie
andere ebenfo vage und ebenfo are Redensarten für alle am
dern mit ben Whlgs unzufriedenen Parteien und Coterien zu
Markte bradhten. Die Pächter, die Landbauer, die Eolonial-
befiger ftimmten wie ein Mann für die Eonfervativen; die
Demokraten, die Rabicalen, die Ehartiften ſchloſſen fih ihnen
faft ebenfo einftimmig an. Der Ruf: „Nieder mit dem neuen |
Armengefeg!"” Mang im Herzen jedes Armen unb jedes Eng:
BE EEE
nidöt6 mehr von ihnen, glaubte nicht mehr von den se
vativen fürden le haben und hörte diefe im 33
ihre heiligften [pe oft genug ausſprechen. Das
Fannte Sir Mobert und wußte, was von ihm zu erwarten.
&o bibete ſich „feine Majorktät, „fein Unterhaus.
Die beiden erften durchgreifenden Maßregeln des neuen
Minifterums waren ein neues Getreibegefeg und eine Ab-
abe auf das Einkommen. Venedey charakteriſirt nun
jobert Peel als den Manu ber Geldintereffen durch die
eingeinen Mafregeln feines Minifteriums. Als Venedey
fein Wert fchrieb, hatte Peel fi noch nicht über bie
Getzreidegefege erklärt, dennoch aber treffen vollfommen
folgen: Worte: vr
ehemalige r Gonjeroater wurde Bid
tex, zum Hohe E zen Zempel der Bögen ber — Zeit.
Die ınft nur kann lehren, ob es ihm gelumgen ift, die
Sn hen:
er fi
‚ber, dab Cr Del mie wahr She und mer Be
wußtfein als feit lange feine Borgänger ein berufener Führer
8 eins iß, auf deffen Be zwei Gehehunderien Find
inende ımengeichen men fr
ſteht: —Ex ‚u
So Haben wir Menden durch bie englifche Seſchichte
bis auf den Punkt ber Gegemwart begleitet. hat
punkte aller ihrer Kräfte fand, wird fo batb nicht vergeffen
werden und lebt im Andenken Derer fort, die fih An den
trefflichen Dichterwerken berfelben, Die unter den Buchftaben
L. B. L. herauslamen, erfreuten. In dem „Tagebuche eines
afrikaniſchen Kreuzers“, das vor kurzem in England erfchienen
it, finden wir folgende Befchreibung eines Beſuchs an ihrem
Grabe: „Ich ergriff die erfte Gelegenheit, um mich for era
au einem he der Begräbnißftele von L. E. L., die bier
nach einem Aufenthalte von nur zwei Monaten und nachdem
fie erfi ein Jahr die Gattin des Gouverneurs von Gap Coaſt
Taſtie M’Lean gewefen war, flarb. ine Beine weiße Mar:
mortafel, unter bie mafliven grauen Steine der Yaflungsmauer,
nad dem Hofe zu, eingemauert, zeigt folgende Infdrift:
Hic jaset sepultum
Omme quod mortale fait
Laetitiae Elisabethae MoLean,
Qusm, egregie ornatam indele,
Muvis unice amalam,
Omniumque amores secum trakentem,
In ipsa actatio fiore,
Moers immatura rapait,
Die Ootebris XV. A. D. MDOCCXXXVIU.
Ad... nen
Quod epoctas viater marmor,
Vanum heu dolorie monumentum,
Conjax mörsns erezit.
Mein erfter Gedanke war der, wie ungereimt diefe Stelle für
en Grab fei, und befonders für das Grab einer Frau und
noch dazu einer Dichterin. Im offenen Hofe der Feſtung, un»
weit der Umfaflungsmauer, ift die fteinerne Zäfelung an ver
fhiedenen Stellen weggenommen und durch Biegeljteine erfegt
worden, Hier liegen mehre britifche Offiziere begraben, die
ale Opfer der tödtlichen Atmofphäre diefer Gegend fielen, und
unter diefen fhläft L. E. L. Ihr Grab zeichnet ſich durch
gehn vothe Biegelfleine aus bie es bedecken. Tag vor Tqg
rennt bie tropiſche Sonne darauf. Tag vor Tag ertönt zur
Stunde der Parade das Getöfe der Militairmufit über ihrem
upte; die Sarnifon marſchirt rechts und links durch den
aum, fchreitet ebenfo gefühllos über die gehn rothen
Biegelfteine als über das andere Getaͤfel. Einem gefallenen
Gouverneur der Feſtung mag ed mwohlanftändig fein, hierher
begraben zu werden und den Schlaf des Zodes zu fchlummern,
wo man die Reveille und den Zapfenftreich hört, und die Tritte
feiner Mitftreiter über ihm widerhallen. Dies ift mit feinem
Berufe im Einklang, Zrompete und Trommel find fein ftetes
Requiem, des Kriegers taplerer Tritt hinterläßt Beine Schmach
für des todten Kämpferd Staub. Uber wer hat ein Recht, auf
die Bruft eines Weibes zu treten? Und was hat L. E. L. mit
Priegerifcher Parade zu —** Und warum ward ſie unter
dieſes ſengende —5 — begraben und nicht in die abgelegene
ttenkuͤhle eines Gartens, wo ſich ſelten nur ein Fußtritt
über das Gras hinwegſtiehlt und vor ihrer Denktafel ſtehen
bleibt? Da würde ihr Herz, während es in Einem Sinne zer:
fiel, aus dem Boden neu belebt in einer Fülle friſcher Blumen
bervorbrechen, wie ihre lebenvolle Phantafie ſie über die Welt
verſtreute. Doch jetzt, jegt wird kein Grün, Fein Raſen je über
ihrem Grabe wachſen. Wenn fi ein Mann je zarterm Ge—
fühle bingeben darf, fo wird es über der Afche einer Frau ges
ſchehen, deren Dichtungen ihn in feiner Jugend ergriffen und
rührten. Was Hrn. M’Lean betrifft, fo wurden über die Ur:
ſache des plöglichen Todes feiner Gattin verfchiedene Gerüchte
verbreitet, von denen einige ihrem eigenen Andenken, andere
bem Beizagen ihres Gatten nachtheilig lauteten. Es fcheint
aber, als ob alle dieſe gleich und durchaus unbegründet gewefen
feien. ‚gier iſt man vollkommen überzeugt, daß ihr Tod nur
ein zufälliger war.”
® es gi gilt d i⸗
egenüberſte te. N und franzäöfi
rankreich.
eudwig Ef
Unpopularitaͤt der Königin.
Die Rationalverfammlung.
Flucht nah Barennes.
Proceß und Hinrichtung.
Regierung des Eonvents.
Rapoleon.
Bertreibung bes Senats.
Militatrifper Despotismuß.
Englant.
Karl 1.
Unpopularität der Königin.
Das lange Parlament.
Flucht auf die Infel Wight.
Proceß und Hinrichtung.
Regierung des Parlaments.
Sromwell.
Vertreibung bed Parlaments.
Militairiſcher Despotismus.
—— Eroewel bei Geite ge⸗ Napoleon bei Seite gebracht.
r
Wicdereinf Karls II. Biedereinfegung Ludwig’ KVIN.
Allgemeine Amneſtie mit Aus⸗ Allgemeine Amneſtie mit Aus:
nahme der Königsmörber. nahme der Königemörder.
Papiftifche Berſchwoͤrungen. Berfhwörungen.
Unpopularität Des Herzogs von Unpopulaeität des Strafen von
o is
Furcht vor den Jeſuiten. Furcht vor den Iefuiten.
Jakob II., des legten Königs | Karl X., des legten Könige
Bruder. Bruber.
Berdait wegen Geburt deB| Berdacht wegen Beburt des Her-
Prätendenten. 98 von Borbdeaur.
0
Einfluß der Sefuiten.
Königliche Drdonnanzen.
Sufamnfentreten der aufgelöften
Kammer.
Blunt und Abdankung des Kö:
n
68.
Bertreibung für ihn und Fa⸗
milie.
Zuflucht nah England.
Des Königs Vetter als naͤchſtet
Berwandter auf den Ihren
gerufen.
78.
Einfluß der Iefuiten.
Königliche Indulgenzen.
Sonvents » Parlament.
Blut und Abdankung des Kö-
nigs. |
Vertreibung für ihn und Fa—⸗
milie.
Zuflucht nah Frankreich.
Des Königs Better als nächfter
Berwandter auf den Thron
gerufen.
Thomas a Bedett.
Ein wichtiger Beitrag zur Gefchichte des großen Kampfes
zwifchen der Kirche und der weltlichen Gewalt im Mittelalter —
‚ein Kampf, der unter veränderten Verhaͤltniſſen heutigen Tags
nad fortdauern wird bis Die letztere felbft fi mehr dem Be
wußtfein der Gegenwart angepaßt. hat — ift vor Furzem in dem
„J.ife and letters of Thomas a Beckett, now first
red from tbe contemporary historians”, von I. U. Giles
(2 Bde.) erfhienen. Der Verf. diefes Werks fucht, geftügt
auf ein wenn auch nicht gerade dem Umfang nach reichhaltiges,
doch rüdfichtlih des Inhalts wichtiged und mannichfaltiges
Material, feinen Helden, gewiß eine der merkfwürbigften Er⸗
feheinungen der Geſchichte, von den Flecken zu reinigen, welche
ber größte Iheil der englifchen Schriftfteller auf fein Leben ge:
worfen. Die Quellen, die benugt worden find, beftehen theils
in bereits gedruckten Urkunden, theild in Handſchriften ſowol
biographifchen als gefchichtlichen Inhalts, Quellen, die der Berf.
freilich mit einer nur aͤſthetiſch und chronologifh ordnenden
und fichtenden Gewandheit benugt, während der innere foge
nannte Caufalnerus, die in den Beweggründen der Dinge und
Menfchen ruhende nothwendige Entwidelung der Begebenheiten
und Charaktere ihm entgangen zu fein fiheint. So ift es ge-
fhehen, daß trog feines Bemühens, den Gegenſtand feiner Dar-
ftelung auf das ihm nad feiner Anficht gebührende Fußgeſtel
in bem Heldenfaal der Borzeit zu ftellen, er in dem zuſammen⸗
getragenen Stoff nur Steine geliefert, mit denen ein GSe—⸗
ſchichtſchreiber mit durchdringenderm und ‚überlegenderm Geift bie
erhöhte Blende für feinen en aufridten Tann. - 12.
' BWesantworkliger Herausgeber: Hoinrich Merddant. — Druck und Berlag von F. X. Mesdhans: in Beipzig.
Blätter. ..
für
literarifhe Unterhaltung.
1
Erſter Artike'l.
(Börtfegung aus Me. 11.)
Nachdem WMenedey die Geſchichte durchforſcht bat,
wirft er: ſich, beſſer ausgerüſtet als mancher Andere, in
bie unmittelbaren Strömungen bes Tages, in bie Be⸗
wegungen der Begenuwart. Davon ‚handelt bie zweite
Sanptobtheilumg feines Werl. Es iſt ihm vergönnt,
auch in dem Scheinbar-Unbedeutenbften feine Beziehung
zum Größten nachzuweiſen: das iſt der werthvolle Er⸗
folg feiner Studien und dadurch erhalten feine englifchen
Skizzen einen ganz andern Werth als andere Touriften⸗
Beobachtungen in ähnlicher Form. Es mag fein, baf
dadurch zumeilen die Unbefangenheit verloren ‚geht, na-
mentlih wo die Borausfegungen in Betracht kommen,
auf denen Venedey's ganze Weltanfchauung baſirt; im.
Ganzen aber find Venebey's Skizzen unendlich treffend,
unendlich lehr⸗ und genußreich. Es beobachtet Fein ober«
flaͤchlicher, launiger Zourift, es beobarhtet ein ernfier
Mann, ein wiffenfehaftlich fireng durchgebildeter, ſittlich
geftählter Demokrat, es fühlt ein treues beutfches Herz.
Benedey’s unmittelbare Anfchauungen fliehen in einer
ganz birecten Beziehung zu feinen hiſtoriſchen Stubien
und Entwidehungen, fie find zwar auch ohne dieſelben
zu genießen und zu verſtehen, allein fie haben erſt da⸗
Such, wie das Gekräufel einer einzelnen Welle durch
den großen Dcean dem fie angehört, ihre wahrhafte Be
deutung. Wir können. des Raumes wegen .aus biefer
zeichen Büdergalerie, welche frhlagend und ſcharf das
englifche Wefen zu charakteriſiren fucht, Peine einzelnen
Gruppen und Gemälde mittheilen, fondern müffen den
Leſer auf das Buch -felbft verweilen. Nicht das „All
tagsleben”‘, aus dem Venedey fo überrafchend wie vor-
tzefflich bie ganze englifhe Natur zu entwideln weiß,
pH uns befdyäftigen, fondern nur da wollen wir an⸗
Inupfen, wo Venedey ein ſchweres Material in die Mage
wirft und wo gefhloffene Bewegungen auf dem. Strome
der englifchen Begenmart erſcheinen. Wir fihließen aber
auch davon neh aus, was in ben Kreis der focialen
Bewegung oder Kritik gehört, um die betreffenden Zu⸗
fände im zweiten Artikel, wo don Faucher Gelegenheit
bietet, auf Venedey zurückzukommen, ausführlicher zu
behandeln, und beſchraͤnlen uns bier auf politiſche, vecht⸗
liche und .ondere:Zuftänbe Englands.
In einem Artikel über Recht und Gericht weiſft
| Benebey darauf Hin, daß fih im Common law, im
Gebrauchſs⸗ und Gewohnheiterechte die Grundlage alles
gefeglihen Rechtes in England befindet. Die Gerichte
fetbft, durch Ihre Urtheile, die als Beifpiele, als präce-
bent für die Zukunft maßgebend werben, ſind bie eriten
und durchgreifendſten Gefeggeber Englands. In zweiter
Linie folgt das gefgrichene Recht, Die Statuten ber Kö-
nige, ‚die bald nur in Folge von Parlamentsaeten Ge⸗
fegeötraft erlangten. Das Statutarrecht iſt unge begrenzt
auf ‚die Ausnahmenerhältniffe, über die es beſtimmt; das
Gemeinrecht "überall thätig, wo keine Starten eine Aus⸗
uahme geihaffen. Das Parlament und der König ha-
ben die Macs, bie gemeinsechtlähen Beſtimmungen zu
ändern, aber biefe Dlacht ſelbſt erkennt die Megel ber
naturwüchfigen altherfämmlichen Rechtsgebräuche als al
ler Gefeggchung vorbergehend an. Es iſt oft ſchwer,
das Gemeinrecht herauszufinden, oft ſind bie Praͤcedents
verwickelt, oft die Maſſe des Materxials faſt unbeſiegbar.
Aber dennoch liegt in dieſem Zuſtande eigentlich der fel⸗
fenfefte Boden ber engliſchen Rechtsverhaͤltniſſe. Der
Gedanke der Nothwendigkeit einer neuen Codification fir
England iſt zwar allgemein anerkannt, Venedey meint
aber, daß fie nur dann wortheilhaft fein werde, meet
bie neusn Gefegbiuher ſich volltommen auf das alte Ge⸗
meintecht gründen. Die Reformen der neuern Zeit aber
laſſen nach ihm faſt das Gegentheil mit Gewißheit vor⸗
ausſagen. Die Gerichtsorganiſation iſt obenſo watur-
wüchſig wie das Gericht ſelbſt. Das Parlament iſt das
hoͤchſte Gericht, es ſteht über dem Könige. Beide Haben
das Begnadigungorecht; Aber der Gnadenatt des König
muß vor Gericht unterſucht umb vertheibägt werben, waͤh⸗
rend der Act der Gnade des Parlaments ohne alle Un⸗
terſuchung der Gerichte rechtekraͤftig uad umaufhaltbar
iſt. Die Richter Englands ſelbſt ſtehen urben dem Kö⸗
nige, Hochverrath ‚begeht wer den einen oder die andern
verlegt. Die KVichter find durch finenge Formen an ein
gerechtes Gericht gebunden, durch weiſe Geſttze fo Frei
in ihrem Urtheile als das Heil des Landes und das
Wohl des Einzelnen es erlauben. Mer Charakter bes
englifchen Strafverfahrens beruht nor’ Allem in dem
Anklageproceffe und in bem Geſchworenengerichte. Der
Bürger richtet den Bürger, der Menfd den Menfchen,
und nicht das Geſetz, die Gelehrſamkeit, foftematifche
Schülerweisheit den Verbrecher gegen die Geſellſchaft.
Die offene Aunklage und nicht die geheime Unterſuchung
tritt ohne Schen dem Verbrecher gegenüber, zwingt ihn
zur Vertheidigung und läßt ihm alle Mittel derfelben.
Das "find die feſten Säulen des englifchen Rechts und
Berichts, und Venedey fegt hinzu:
Der Himmel gebe, daß die Reformen der Leute, die dem,
Goͤtzen des Geldes zuniam, nicht tief genug eingreifen, ihren
en
Boden zu untergra
.. Allerdings tragen die Reformen ben Charakter ber
engliſchen Geldherrſchaft. In früherer Zeit war jeder
freie Bürger Geſchworener, allmaͤlig iſt das Recht und
Pflicht Geſchworener zu fein an einen Geldcenfus ge⸗
bunden worden. Nur mer 18 Bf. St. reines Einkom⸗
men von feinem Lande. oder 20 Pf. St. Pacht hat, end»
Eich mer .ein. Haus bewohnt, das in Middleſſer 30, an-
derswo 230 Bf. St. Abgaben zahlt oder 15. Fenſter hat,
kann Geſchworener werden. Noch bezeichnender ifi die
Hergeftellte Iuftitution einer Specialjurg. Daffelbe Ge⸗
feg Georg's IV. beftinmnte, daß, wer es bezahlen, b. 5.
fire jeben Befchworenen. 1 Pf. St. geben will, das Recht
haben fol, eine Specialfurg zu verlangen, die bannı nur |
ans den höhern Ständen gewählt wird. In der Regel
müſſen fich die armen Lente mit den armen Jurybefugten
begnügen, während die Reichen fich reiche Leute: ausbit-
ten können. Das Auffallendfte aber tft, daß Die veichen
Leute bezahlt werben, für jeden Proceß einen Souverain
bekommen, während die Armen leer ausgehen. Das ift
eine Reform ber allerneueften Zeit.
An einem andern Artikel befpricht Venedey bas
Srundgefeg und bie Verwaltung. Gr weiſt nad, wie
‚in England bie richterliche Gewalt bie erfte, der Stamm
aller andern ift, und die in Folge des Umftandes, daß
das Gemeinrecht als Urquell aller Gefeggebung vorher-
gehend unterftellt wird, daß es der Baum iſt, auf ber
jedes neue Geſet eingepflanzt wird. Die richterliche
Gewalt, im Gemeinrecht und in ben gewöhnlichen Ge⸗
richten für alle bürgerlichen Zuftände, im Parlamente
für die Höhern Staatsfragen, ift die erfte, die durchgrei⸗
fendfte, bie unbefchränttefte, Alles beherrſchende Staats⸗
thätigleit: Englands. Unter: ihr ſteht dann Die gefepge-
bende Macht. Und biefe hat wieder das Recht, in allen
befondern Fällen das Gemeinrecht zu ändern und bie
gerichtliche Gewalt zu bedingen. Ihre Thätigkeit den
Gerichten gegenüber ift nur eine vorübergehende, -nur
"eine engbegrenzte,. ausnahmsweiſe. Mit dem neuen Ge⸗
fege felbft gebt Die neugefchaffene Gewalt wieder in bie
Hände der Gerichte über. Der vollziehenden Gewalt
gegenüber aber ift die gefeggebende ungefähr in der glei⸗
chen Stellung wie bie gerichtliche ihr felbft gegenüber.
Sie ift die Urquelle der gefeggebenden. Die gefeggebende
“ Gewalt, das Parlament, bedingt die Grenzen der Thaͤ⸗
tigkeit der vollziehenden Gewalt, gibt die Grundfäge an,
nad denen fie handeln muß und wird in legter Inſtanz
"begründet, bie
die Stelle der Volksthaͤtigkeit.
einem flehenden Gerichte, das ſtets wacht, ob feine
eſchlüſſe und Befehle fo vollzogen wie es fie erlaffen.
Gemeinrecht und Gerichte find alfo die Wurzeln, Grund⸗
gefeg und Parlament ber Stamm des englifchen Volks⸗
lebens, und die vollziehende Gewalt, in ihres tauſend
Yusflüffen wieder in ber felbfländigen Volksthatigkeit
fie des gewaltigen Baumes. Die Ge
genwart befchränft auch bier, wie Venedey nachweiſt.
Die Einzelveformen deuten alle auf eine größere Madıt,
auf einen überherrfhenden Einfluß der ausübenden Ge-
walt hin. Eine Regierungscommiffion tritt überall an
Die alte Gemeindever-
faffung dat im Gelbe eine neue Grundlage erhalten;
die Meformen im Armenwefen, im Gefängnifwefen und
insbefondere in der Policei überhoben die verfchiebenen
Zweige der Berwaltung nach und nad ihrer Haupt-
thätigkeit und übergaben diefelbe königlihen Commiffte-
nen. Die Mehrzahl der frühern Zweige ber volksthüm⸗
lichen Verwaltung find durch die Reformen ber neuern
Zeit ihred inneren Berufs, ihrer eigenthümlichen Thaͤtig⸗
feit großentheils beraubt worben unb beftehen fomit nur
noch als eine Art Form. Mit ben Reformen im in-
nigften Zufammenhange flieht bie Vermehrung des Hee-
zes in England.
(Der Beſchiuß folgt.)
Die Kaltwaffercuren.
Die Anwendung des Falten Waffers gegen Krankheiten ift
vieleicht fo alt als die Welt. Ein fo allgemein verbreitetes
Element wie das Waſſer, das fi fo unentbehri für den
anzuwenden, lag den Menſchen fehr n
der Medicin Lebt, daß man fidh deſſelben nit allein ſchon
bie Waſſerheilkunde erworben, zum
Theil auf bie Liebe zum Neuen und auf Rahahmungsfucht
Menſchen würden den hoͤchſten und edelſten Befig, Leben und
Gefundheit, nicht opfern für ein leeres Phantom, die Ent:
täufepten würden die Seimme des Tcdes umd dos fall
thufiasmus nieberdrüden, wenn nicht an dee Bade
Bahres wäre. Co viel hat ſich denn auch bereits |
Erfahrung, berausgeftelt, daß Kranke in Kaltwaſſerh
ten wirklich geheilt werden und zwar nicht nur ſoiche
ieichten vorübergehenden Übeln fitten, fondern auch fd
krankte, die durch andere Mittel Beine Heilung erlang
ten, ja es darf uns nit Wunder nehmen, wenn g
unpeilbarften Kranken, an denen die Kunft der Ärzte g
ift, ihre Zuflucht gu der WBafferheilanftalten nehmen,
noch die gerünfchte Hütfe zu finden: ein Umftand, bi
ticherweife Die Aufgabe der lehtern nur noch zu fleige
met ift und uns zu billigen Anfprüdjen an fie verania
Dazu tommt, daß unfere wiſſenſchaftlich · Medicin n
vom Siele der Vollkommenheit entfernt ift, daß fich
fteme und Theorien meift ſchnurſtraks entgenenftehen
Die Meinungen und Ünfichten der Yrzte mannichfalti:
ſprechen. Schon der alte Bippofrates Magt, bie gan
ftehe bei den Laien in einem fehr übeln Rufe und ma
gar nicht, daß es eine Mebicin gebe, indem bie
den Srzte auch in den Fürzeften Krankheiten voneinande
ſchieden denfen, daß Das, was der Eine für das |
halte und gebe, der Undere ſchon für fehr ſchadlich
Und. fo fieht die Sache noch bis auf den heutigen Ta
Vertrauen der Kranken zu den Arzten iſt in der 9
fehr befchränktes und erhalt fich gewöhnlich nur ſo la
die Befferung oder Linderung dauert, die diefe zu €
vermögen; fäumt die gewuͤnſchte Hüffe zu fange, fo |
allmälig das Vertrauen, und wie der ——— e fid
ſchwimmendes Bret anklammert, fo ſehen wir oft die
Digften und gebifbetften Menfchen: ji ben erbärmlichfte
falbern in die Arme werfen, ja felbft dem Aberglaul
nen, um nur womöglich ihrer Qualen auf dem fl
- 108 gu werden. Und wer Tann leugnen, baß zurseiler
bei dem Gebrauche der widerfinnigften Mittel dennoch
Ber kann Icugnen, daß nicht Einer oder der Andere
Bolke, fei es duch Bufall oder Erfahrung, auf Mitt
Diefe oder jene Krankpeitäform gefommen ift, bie felbft
vom wiffenfhaftfihen Standpunkte aus für heilſam
muß? Danke doch die Wiflenfchaft felbft einen groß
ihres Arzneifchaged dem, Voike, und felbft einer unfere
zeidhnetften praftifhen rate, der alte Heim, främte
Geftändniffes nicht, Manches von Schäfern und alten
‚eleent zu haben. Es ziemt fi) baher nicht, vornehm
jeilmethode wie die Wafferheittunde herabzufehen, wei
dem Kopfe eines Bauern entfprungen it. Iſt nur d
gut, fo wird die Sache wol auch gut fein.
Wenn wir nun aber auch die Wirkſamkeit des kal
ſers gegen Krankheiten im Allgemeinen zugeben mi
enteßt doch nothwendig die Frage: In welchen Krank
diefes Mittel anwendbar, unter welchen Umftänden, bei
Gonftitutionen u. f. w.9 Und hier find wir an einem
angelommen, wo wir und unmittelbar an das Borum
fenfchaft wenden müffen, denn hat auch der Einzeln⸗
Priehnig, dutch lang ahrige Beobachtung ſich cine ger
tigkeit in der Anwendung dieſes Mitteld gegen befonder
heitsformen erworben, fo läßt fich doch uͤnmoglich vor
daß er ohne wifienfhaftlihe Bildung alle mög!ichen Kr
formen und ihre verfdiedenartigen Complicationen |
befondern Individualitäten der ſich ihm barbietenden
und die Beziehungen ber mannichfaltigen äußern Eir
ihnen u. f. w. zu Pennen und richtig zu wuͤrdigen t
Ale Das, was der wiſſenſchaftliche Arzt durch Benu
Grfahrungen aller Seiten, Durch Autopfie und Erperimen!
in ungleich kürzerer Zeit fi erwirbt und in foftematifd
als ein Ganzes überkommt, mußte er ſich erſi durch je
Beobachtung erwerben, wenn ja ein ſoiches Erwerbe
Eur Zeit eines Menfchenlebens möglich wäre. 2
— der innern und aͤußern Sinne muß er dabei
Ge doch auch uf niedern Shufen der Gekenntnid und s
gang der Franken Ratur auf mannichfache Weiſe zu Huͤlfe zu
kommen, und es Ban wol nicht begweifelt werden, daß Der⸗
jenige, der die Gefege der gefunden und kranken Ratur wiſſen⸗
x —* ſtudirt und der Erforſchung derſelben fein ganzes Le
ben gewidmet bat, noch himmelweit über dem Afterarzte febt,
dem: die ganze mebicinifche ifienfiheft böhmifche Dörfer find.
Es rc daher von wenig Überlegung, fein Leben und feine
Gefundbeit anfatt dem Arzte dem Quachſalber in, bie Hände
zu geben, während man ſich im Gegentheil wohl hüten würde,
7 in einer Streitſache an einem : n oder Schäfer anfatt
‚an einen Juriſten gu menden, denn. auch angenemmen, Daß ber
Arzt in dem gegebenen Falle die’ Einſicht nicht
„hätte, fo würbe fie Doch wol eher ‚bei ihm ooxauägefegt wer⸗
‚Yen können ald bei dem Quackſalber.
Man glaube ja nicht, daß ſich die Sache mit dem Waſſer⸗
arzte anderẽ verhalte, daß das Waffer eine fo unſchuldige Sache
fei, mit der man feinen Schaden ftiften Fönne, oder daß mon
bei der. Anwendung beffelben alle und jede mediciniſche Kennt»
niffe eutbehren koͤnne. liberhaupt ift noch gar nicht ermittelt,
‚ welchen Antheil bei den Kaltwaſſercuren das Wafler ‚hat und
ob dabei nicht andere Rebeneinflüffe mit in Unfchlag gebtacht
werden mällen. h
"Schon bei den gewöhnlichen Baberuven bat nran Die Reife
nach dem Badeorte, die Entfernung von den häusliden Ge⸗
ſchaͤften, die ruhige Gemütheftimmung, die Bekanntſchaft mit
‚befreundeten Renſchen, die müßige Lebensweife u. f w. mit in
Nechnung gebracht, wie viel mehr muß Died bei der Kaltwaf:
ſercur geſchehen, bei welcher Die Lebensweife manches Menſchen,
.namentliih aus den böhern Ständen, fo ganz verändert und
‚zum. Iheil in ihr Gegentheil verfchrt wird. Man denke fid
3. B. den verwoͤhnten, ‚täglich an einer reichen Tafel ſchwel⸗
genden vornehmen Mann an Prießnig's Tiſche, auf alle rei»
de Genüffe, auf Wein und Bier u. f. w. verzichtend, auf
hwarzes Brot, Milh, Wafler und gefunde Hausmanus koſt
ei 1U Man fehe, wie die vornehme Dame, welche taͤg⸗
bis 10 Uhr im Bette zu liegen gewohnt war, jegt bei Za⸗
gesanbruch ſich erheben und ihre Eur beginnen, wie fie, bie
18* kaum das weiche Sopha verließ, jetzt Anhoͤhen beſteigen
muß und während des ganzen Tages mit ihrer Eur beſchäf⸗
‚tigt iſt. Man rechne dazu den fleten Genuß der freien, fri⸗
dem Bergluft und man wird fich nicht verheblen koͤnnen, daß
ſchon diefe ganz veränderte Lebensweife geeignet fein muß, man:
chem verweichlichten - und durch Genuß und Wohlleben verfüm:
‚merten Kranken wieder zu feiner Gefundheit zu verhelfen.
Aber aud bei der Anwendung des Waflers kommen mehre
Momente in Betracht. Zuerſt feine Wirkung ald Getränk, in
welcher Gigenichaft es Magen und Gebärme ausdehnt, aus⸗
wäſcht, den Inhalt derfelben verflüffigt, den Stoffwechjel be:
ſchleunigt, die Ausfcheidung durch Haut und Nieren vermehrt,
die Blutgefaͤße mit wäflerigen Theilen überfüllt, die Mifchung
des ·Bluts veraͤndert und dadurch wohl Dyscrafien zu befeiti-
‚gen vermag. Als Äußeres Mittel wirkt es zuſammenziehend
‚auf die organifche Faſer und zugleich erregend auf die Haut-,
‚Muskel: und Gefäßnerven.
Es iſt aber nicht einerlei, ob die Einwirkung bes kalten
Waſſers allmälig oder ploͤtzlich geſchieht. In dem legtern Falle
erfolgt die Reaction fchnel und kann in manchen Faͤllen ſowol
auf daß fenfible als auf das irritable Leben von heilfamen Fol:
‚gen fein. Die plögliche Einwirtung des Falten Waſſers kann
-aber au bei mangelnder oder zu mache Reactionskraft zu
heftig fein und durch zu plögliche Herabfiimmung der Nerven»
:Braft, durch gewaltfames Zurückwerfen der Blutmafle von den
:äußern zu den innern Organen und durch ſchnelle Unterdruͤckung
der Abfonderungen leicht nachtheilige Folgen erzeugen, ja bei
geben Sraden dieſer plöglihen Wirkung der Kälte Bann der
: Eingriff in bie verfchiedenen Sphären und die Erſchütterung
des organifdhen Lebens fo heftig werden, daß die jchwerften
ferner zwiſchen der primaizen und Der Nachwirkung bes Ballen
Waſſers unserfcheiden. Auf die letztere bat befonders die in:
tenfive Größe umd Dauer der primaicen Wir fowie bie
Schnelligkeit des Übergangs von der Kälte zur BZaͤrme und
der Unterſchied der beiden aufeinanderfolgenden Temperatur⸗
grade großen Ginfluß. Je fchueller und greller der Wechſel
deu verichiedenen Terperaturgrade, je weiter der Abftand ber:
felben voneinander, defto flärder it die Nachwirkung und um«
gekehrt. So bemerkte Larrey nach der Schlacht hei Eylau, wo
die Iruppen einige Wochen lang -bei flarfer Kälte im Freien
campirten, feine Sronfhäden, ale aber in einer Nacht .das
Zhermometer von — 45° auf + 10° ſtieg, erfroren mehre
Hunderte die Glieder. Endlich kommt bei den Kaltwaffercuren
nach Prießnig's Methode auch noch bie Ersegung einer exceffi⸗
ven Hautausduͤn durch Einhuͤllung der Kranken in wol:
lene Dedien mit darauf folgender Falter Begießung in Betracht,
eine Methode, deren eigentbümlidge Wirkung auf die organi⸗
ſchen Verrichtungen eine- zuſammengeſetzte, theild bie organiſche
Faſer exſchlaffende, theils zufammengiehende, theils bie Haut:
ausdünftung beförkernde, theil& hemmende ift und deren Gin-
fluß auf die Befeitigung verfdhiedener Krankheitsformen bis jegt
wol noch gar nicht hinreichend gewürdigt. werden kann.
(‚Der Beſchluß folgt.)
Literarifge Notiz aus England.
Hobbes ein gläubiger Ehrift.
&o weit die Briten im exfaprungemäßigen ſtaatlichen Le⸗
ben, der ſogenannten praktiſchen Politik, den andern curopätichen
Völkern, namentlih und Deutſchen voraus fein mögen, fo
fteden fie in vielen andern Dingen, die bei dem weiten Spiel:
raum, welchen ihre politifchen Minrichtungen gewähren, nicht
geradezu von dem Fortſchritt auf diefem Gebiet berührt werden,
tief in dem Wulſt der Vorurtheile und äbgetragenen Unfhauun
gen. Dieb macht es auch erflärlich, daß manchmal Dinge dert
zum Vorſchein kommen, worüber felbft wir gutmütbhigen, wohl:
geſchulten und policeilich abgerichteten Deutſchen uns Des Bu-
chens nicht enthalten Bönnen. So ift e& allbefannt, wie bem
philoſophiſchen Rabicalen Sir William Molesworth bei feiner
legten Wahl in einem, der Kirchfpiele Londons, von feinem
gleichfalls Liberalen Mitbewerber auf den Huftings ein ſchwe⸗
ver Vorwurf gemacht wurde, daß er eine Sammlung und fri:
tifche Ausgabe der Werke des Hobbes veranftaltet habe, und
zwar deshalb, weil diefar Philofoph ein Freidenker hinſichtlich
der chriftlicden Meligion geweſen iſt. Uber das tft nicht Alles.
Der arme Hobbes, der fiherlih nicht davon geträumt, hat es
ſich auch gefallen laſſen müffen, daß die Recenfenten jener un-
ter dem Zitel „The english works of Thomas Hobbes of
Malmesbury ” (Il Bde.) und „Thomae Hobbes Malmesbu-
riensis opera philosophica quae latine scripsit omnia” (3 Bde.)
erfchienenen Sammlung, fd Mühe geben, feine chriſtliche Ge:
finnung und Bibelgläubigkeit Daraus zu erweifen. Ein Kriti-
ter des „Athenaeum‘ Läßt ſich dies befonders eifrig angelegen
fein und weiß eine ganze Menge Stellen aus Hobbes —*
ten dergeſtalt zuſammenzuſtellen, daß der bigoteſte Hochkirchen⸗
mann nichts an deſſen Rechtglaͤubigkeit ausfegen koͤnnte. Die
theoſophiſchen Traumereien, denen fi der im Übrigen fo ſcharf⸗
bentende Hobbes wie die meiften ältern Philoſophen, die ihre
Spfteme nicht auf ein inniges Durchdringen der Natur und ib
ver Gefege gründen konnten, bingab und zu derer Begründung
er nach der Sitte und Rothwendigkeit feiner Zeit die Ausſprüche
der Bibel nach feinem Sinne deutete, bat wie es fiheint ihm
u der Ehre verholfen, auf diefe Weife als Bibel» und Ehri
8jläubiger in integrum reftituict d werden. Sogeftalten
Dingen nad) läßt fih wol kaum mit Gewißheit behaupten, daß
die nachweltliche Kritif nicht auch unfern Strauß, Feuerbach
und Bauer von der Anrüchigkeit des Atheismus reinigen fönnte.
Nervenzufälle und felbft der Tod darauf eintreten. Man muß | Der Menſch ift groß!
VBerantwortliher Derausgeber : Geiurich Brockdaus. — Drud und Verlag von F. . Brockhans in Reipzig.
Blätter
für -
kiterarifhe Unterhaltung.
Sonnabend,
23. Mai 1846,
Ä | BEE
Englifhe Zuftände.
Erfter Artikel.
i (Befchluß aus Nr. 142.)
Intereſſe verdient namentlich auch, mas: Venedey über
die kirchlichen Verhaͤltniſſe Englands mittheilt. Vor al
len Dingen tritt ums die engliſche Staatskirche entgegen.
Die Stellung der englifchen Kirche zur deutfchen Refor-
mation ift oben angebeutet worden; von der Reform an
finft die Staatöliche immer mehr als Kirche und. ver-
liert- zulegt allen höhern firchlichen Einfluß: Die Kirche
hörte: zwar nicht auf, fagt Venedey, eine bedeutende Rolle
im Staate zu fpielen, aber diefe war im Wefentlichen
Feine kirchliche mehr, fondern eine flaatliche, eine politi«
ſche, eine policeilihe. Die Kirche wurde vorherrſchend
ein Mittel in der Hand der Ariftofratie, ihre Stellung:
zum Volke zu fihern. Die kirchliche Seite des Stre⸗
dens der anglikaniſchen Geiftlichkeit, die Lehre wurde
die bes demüthigiten Chriftenthums, des Aufgebens ber
Gelbftändigkeit, des Anerkennens des unbedingten Ge
horfams gegen ben Staat und feine Lenker. Es
ift befannt, wie fehr man jegt in Preußen die Blicke
auf die englifhe Staatskirche gerichtet, hat, um fo
wichtiger ift bie Kenntniß derfelben. Außerſt bedeu⸗
tend wurde der Einfluß der Kirche auf die Verhältniffe
Englands durch ihren Reichthum. Sie zog die Zehnten
vom ganzen Rande, die höhern Stellen waren reich be»
foldet, die Capitel noch reicher dotirt. Nach einer Be⸗
rechnung der Madicalen beläuft ſich die SKirchenausgabe
nody jegt auf 9,459,565 Pf, St. jährlich. Diefer Heich-
thum wurbe zu einem Bande, das die Ariftofratie und
die Kirche aufs innigfte umſchlang. Die hohe Ariſto⸗
tratie hatte das Recht des Vorfchlags zu faft allen grö-
Bern und kleinern Pründen: Sie benugte dies Recht,
um ibre jüngern Söhne: zu verforgen, und fo wurden
alle reiche Pfründen an dieſe vergeben. Die Ariflofratie
und die Kirche gingen fo Hand in Hand und fo wurde
eime bie feftefte Stüge der andern. Aber in dieſem
Neichthume der Kirche lag aud der Stein bes Anſtoßes
für fie Diefer Reichthum wurde die Hauptfache. Die
nachgeborenen Söhne der hohen Familien wurden zu
Biſchoͤfen gemacht, oft ohne je vorber irgend ein Prie-
fleramt verwaltet, ja einem Gottesdienſte vorgeftanden
zu haben. Während des Kriegs gegen Frankreich fan-
den eine Menge ber jüngern Söhne im Heere eine An⸗
ſtellung, nad, dem Kriege wurben die Majore, Oberften,
Generale — Biſchoͤfe und Decame, wodurch fie dann fo:
wol vom Kriegsminifter für ihre Offiztersftellen als vom:
Volke für ihr Biſchofsamt bezahle wurden. Zuletzt legte
fih das Parlament ins Mittel und verbot diefe fcanda-
löfe Doppelthätigfeit, von wo an denn bis auf ben heu-
tigen Tag jeber halbföldige Offizier, bevor er feinen
Sold einziehen kann, auf Ehrenwort erffären muß, daß
er nicht Prieſter ſei.
Das Einfommen wurde die Hauptſache, die Geift-
lichkeit vernachläffigte ihre Pflichten, fie dachte nicht an:
die Erziehung bes Volkes, welches entweder ganz vermil-
berte oder fich den Diffenters zuwandte. Die reiche
Kirche wurde die Kirche der Heiden, die Armen muf-
ten fich anderswo hinwenden. Diefe Zuflände nagen
am Marke der englifchen Kirche, feit lange fühlen Re⸗
gierung und Ariſtokratie, daß dieſer fefte Yelsboden un⸗
ter ihren Füßen ſchwindet. Sie fühlten, daß fie ihm
nene Kraft geben müßten, aber fie fuchten diefe Kraft
nit im innern Weſen ber Kirche, ſondern in ihren di
Gern Verhaͤltniſſen. Anftatt die Kirche zu reförmiren,
glaubten fie, daß es genüge neue Kirchen zu bauen:
Bon 1817 — 41 find nicht weniger ald 251 Kirchen
gebaut worden, die 2,001,289: Pf. St. gekoſtet haben.
In der neueften Zeit wurde eine neue große Summe
von 1,500,000 Pf: St. in Epchequerbills als Anleihe
zu demfelben Zwecke vorgefchoffen! Venedey fegt Hinzu:
Seit es den Anhängern der englifchen Kirche endlich Mar
gersorden tft, wie der Unterricht der Diſſenters bie Zahl derfel⸗
ben von Jahr zu Jahr vermiehrte, feit fie die Augen ob der
fie bedroßenden Gefahr geöffnet Haben, wurden dann neben den
Kirhen auch Schulen angelegt und fo eine Bahn betreten,
die vieleicht den vollkommenen Untergang der englifchen Siege
verhindern Fann, doch ift dieß eine Frage der Zukunft. Die
Gegenwart zeigt nur Nüdichritte deu Kirche.
Alsdann charakteriſirt Ventdey den immer mädtiger
um ſich greifenden Pufeygismus: Der Anſtoß dazu ging
von Ieland aut. Man fah dort, weiche Gewalt bie
Geifſtlichkeit über das Volk ausübte und hoffte Ahnliches
"mit ähnlichen Mitteln in England zu erreichen. Man
kam auf den Gedanken, der Kirche durch größtre Feler⸗
lichkeit, groͤßern und eingrelfendern Ernſt und endlich
durch größere Gleichheit in der Kirche wieder bebeuten-
bern Einfluß auf: das Volk zu: verfchaffen. Aber in
x
530
Irland befam dann auch dieſe Bewegung von Anfang
an einen roͤmiſch⸗katholiſchen Beigeſchmack. Man fühlte,
welche Bedeutung den katholiſchen Prieftern ihre apoflo-
liſche Nachfolge gebe und fo hoben denn bie Neuerer
ganz befonders hervor, daß auch bie englifchen Biſchoͤfe
unmittelbar und in untmterbrochener Reihenfolge von
den Apoſteln herſtammen. Es trat eine Verwandtſchaft
zwiſchen den Puſeyiſten und Katholiken ein. In einer
Menge Tractaten entwickelten die Vorkaͤmpfer des Pu-
fegismus, Puſey, Hugh Mac Neil u. U., ihre Anfichten,
bis fie endlich, durch den Wiberfprud gezwungen, in
ihrem neungigften Tractate faft volllommen in das Ge-
biet der römifchen Kirche hineingerathen. In diefem
Tractate erkannten fie halbwegs die Verehrung der Hei⸗
ligen, die Reliquien, das Fegefeuer, die fieben Sacra⸗
mente an und proteſtirten dagegen, daß der Biſchof von
Rom der Antichriſt ſein ſolle. Sie ſtützen ſich nament⸗
lich auf das Tridentiner Concilium. Mit dem neunzig-
ſten Tractate mußte nothwendig ein Bruch zwiſchen den
Puſeyiſten und der Staatskirche eintreten und die An⸗
haͤnger der alten engliſchen Denkart fanden bald Gele—
genheit, Hrn. Puſey um ſeiner Lehren willen ſeines Am⸗
tes als Profeſſor in Oxford zu entfegen. Der Pufeyis-
- muß bildet Feine Sekte, die fih von der Kirche getrennt
hat, fondern eine befondere Lehre in der Kirche felbfl.
Venedey fchließt über denfelben:
Gelingt es den Pufeyiften, am Ende die Oberherrſchaft
zu erringen, fo tritt die englifche Staatskirche unmittelbar ne
ben die römifche, wenn fie fich nicht mit diefer wieder ausföhnt
und in jie übergeht. Iſt der Yufeyismus nicht im Stande,
die Mehrzahl der Borfteher der Kirche auf feine Seite zu
bringen, fo wird er noch lange ein Element der Aufregung,
der Berfplitterung und der Auflöfung bleiben.
Auch in der fchottifchen Kirche findet ein Bruch ftatt.
Das Nähere darüber ift bei Venedey nachzulefen. Wenn
die englifche Kirche die Hochkirche heißt, fo koͤnnte man
im Gegenfage die fchottifche Kirche die niedere heißen;
jene ift eine hoch-ariftoßratifche, dieſe eine rein⸗demokra⸗
tifhe Inſtitution. In der englifhen Episcopalficche iſt
dee Bischof Alles, in der ſchottiſchen Presbyterialkirche
fennt man feine Bifchöfe, während die Gemeinde felbfl
die Seele ded Ganzen wird. Es gibt Keute, die be-
haupten, bie englifche Kirche fehe die kirchlichen Spal-
tungen gern. Die englifche Kirche durch den Pufeyis-
mus, die fchottifche durch die Seceders find gegenwärtig
ohnmächtiger als je, die Regierung ihnen gegenüber um
fo ftärfer. Der Baum fault von innen heraus und bie
Hirten find damit einverftanden; denn ber hohle Baum
erlaubt ihnen, wie Venedey fi ausdrüdt, fich in ihm
gegen Wind und Wetter zu fchügen.
Wir vermiffen in Venedey einen Artikel über bie
Preßzuftände Englands, durch den er doch, wie es die
ausgeiprochene Abficht feines ganzen Werks ift, bie Ge⸗
legenheit erhalten hätte, eine große, wichtige Lehre
vor der deutſchen Nation auszufprechen. Nur folgende
Bemerkung finden wir, die ebenfo gut auf die beutichen
wie auf die englifchen Zuftände paßt:
In dem Lande, wo die Prefle fo bedeutend ift, haben die
Preßſchriftſteller ſehr, ſehr wenig Unfehen. Die Hauptführer
der Preffe find unbelannt und ungenannt; was man kennt und
nennt, wad man an Öffentlichen Orten fieht, find meift die un
term — der Preſſe und dieſe ſind oft nicht mehr werth
als ſie gelten.
dritten Theile feines Werkes beſchaͤftigt Benedey
ſich hauptſaͤchlich mit ſocialen Studien und Anſchauun⸗
gen. Wir werden darüber, in Verbindung mit Lion
Faucher, in einem zweiten Artikel berichten und dadurch
unfere Rundſchau über England und feine Zuftände zu
vervollftändigen fuchen. *) 28.
Die Kaltwaffercuren.
(Beſchluß aus Nr. 142.)
So fehen wir denn, daß diefe von Prießnitz zuerft ange:
wendete Eurmethode fehr werjchiedene Seiten des Organismus
in Anſpruch nimmt und daher unmöglich bei allen Krankheits⸗
formen und bei allen Kranken ohne Unterfchied angewendet
werden Bann und je nach der Verfchiedenheit des Krankheits-
uftande8 und der Individualität dem Einen Leben und Ge
unbheit, dem Undern Xerfchlimmerung und Tod bringen muß.
Alles hängt hier von ftrenger Prüfung und Erwägung aller
Umftände ab, und obſchon auch dem Arzte nicht für alle diefe
Umflände ein untrüglicher Maßftab in die Hände gegeben ift,
fo befähigen ihn doch feine wiſſenſchaftlichen Kenntniffe über
den Drganidmus überhaupt fowie über die verfchiedenen Sy—
ſteme und Organe deſſelben bei verfdhiedenen Individuen mehr
als jeden Andern, in jedem einzelnen Kalle das Rechte zu wäh:
In. Er wird nit ohne hinreichende Prüfung jeden Kranken
ohne Unterſchied die ganze Schule durchmachen Laffen, fondern
er wird ſich in jedem einzelnen Falle fragen: If hier der Ger
nuß des alten Waſſers nöthig und rathfam und in welcher
Auantität? muß diefer Kranke ſchwitzen nnd darauf falt über:
goſſen werden, oder ift Feine Übergießung nothwendig, oder
zwar die Übergießung, aber ohne vorhergehende Schwigen ?
ıft bei jedem Kranken eine und diefelbe Temperatur des Waſ⸗
fer6 gleich nothiwendig® paßt jede Diät für alle Kranke ohne
Unterſchied? ift e8 rathfam, bei allen Kranken das kalte Waf:
fer ohne Unterbrehung fortwirken zu laſſen oder nit? und
hundert andere Fragen mehr.
So fehen wir uns denn in diefer Angelegenheit immer
auf die Wiffenfchaft hingewiefen, und wenn auch der Laie fi
aus der Menge der Fälle, die feiner Beobachtung unterlagen,
gewifle Regeln abftrahirt hat, fo ift damit immer noch nichts
ewonnen für die Behandlung ähnlicher Kalle, fo lange fie die
iſſenſchaft noch nicht zu Geſetzen erhoben hat. Es verhält
fih damit ganz gleih wie mit taufend andern Heilmethoden
und Mitteln, wie fie uns die Gefchichte der Medicin aufbewahrt
hat. Die rohe Anwendung berfelben allein würde uns nit
ihre Wirkſamkeit verbürgen, wenn ihnen nicht die wiſſenſchaft⸗
lihe Kritik die geeignete Stelle im Krankheitsfpfteme angewie⸗
fen hätte. Wie fhwierig aber die Beftimmung des Werthes
einzelner Mittel fei, lehren uns die Hunderte von Mitteln, die
Sadrbunderte lang in der Mebdicin in hohem Werthe fkanden,
jegt aber bei beſſerer Einficht faum mehr dem Namen nach be⸗
Fannt find. Bevor demnach irgend eine Methode oder irgend
ein Mittel nicht durch wiflenfchaftliche Kritit und Erfahrung
aufgenommen und ihm feine wahre Stelle unter den übrigen
eilmitteln angewiefen worden ift, fo lange bleibt es noch zwei⸗
elhaft, ob ihm auch wirklich der Name eines Heilmitteld ge⸗
bübhre oder nicht. Die Beit, wo Einer ein Heilmittel gefun⸗
den zu haben glaubte, wenn er auf die Anwendung eines Mit-
teld bei einem oder dem andern Kranken Linderung oder Hei⸗
3
*) Den zweiten und legten Artikel laffen wir im Julli folgen.
. D. Ned,
511
fung erfolgen ſah, iſt vorbei und ed eurſiren noch eine Menge
a ee Mittel unter dem Belke, die ihren Ruf bem ver
meintlihen Erfolg in einzelnen Fällen verdanken, die indeflen
bei näherer Prüfung als ganz unwirkfam erfcheinen. Die Beob:
achtung eines Einzelnen iſt noch feine Erfahrung, und nur Die:
jenige Erfahrung, die auf wiſſenſchaftlichem Wege gewonnen wird,
ift gu nügen und hat Anfprüche, auf die Nachwelt zu fommen.
Es ift eine ausgemachte Sache, daß ein und derfelbe aͤu⸗
Sere Einfluß nicht gleihe Wirkung auf alle Menſchen äußere
und es bedarf Feiner medicinifchen Kenntniffe, um dazu in ber
Ratur die Belege zu finden. Während‘ der Waſſerarbeiter
Zage lang bis an den Leib im Waſſer fteht, ohne zu erkran⸗
fen, wird ein Anderer ſchon durch eine bloße Ernäffung der
Fuͤße von rheumatifchen Schmerzen befallen; während der Eine
anze Maffen fpirituöfen Getränke binabflürzt, ohne davon af
—* zu werden, wird der Andere ſchon durch den Genuß eines
oder einiger Glaͤſer berauſcht u. f. w- Die Einwirtung des
kalten Waſſers macht von biefem Gefege Feine Ausnahme und
es ift unmöglich, daß der Magen Desjenigen, ber im gewoͤhn⸗
lichen Leben nur wenig Fluͤffigkeit zu ſich zu nehmen gewöhnt
war, diefelben Waſſermaſſen, mit denen man eime Heine Mühle
fpeifen könnte, zu ertragen Bi fein follte als Derienige, dem
vieles Trinken von jeher Bedürfniß war, abgefehen davon, daß
die Aufnahme einer folhen Mafle von Zlüffigkeit nicht u
das ganze Xeben fortgefeht werben und in ber. Bolge dur
plögliches Aufhören wieder nachtheilig werben fann. Ebenſo
ift nicht jede Haut gleich empfänglid gegen die Einwirkung
der Kälte nach vorhergebender Exrhigung. Man wird Dagegen
einwenden, daß der Organismus fi) allmälig an einen ſolchen
plöglichen Temperaturwechſel gewöhnen und daß er dadurch in
der Folge gegen alle äußern Einflüffe von Kälte und Wärme
geftählt werde. Allein läßt ſich eine ſolche Abhärtung für das
ganze Leben fefthalten? Verwiſcht ſich ihr Einfluß nicht wie
der, wenn der Menſch in feine gewohnten Zebensverhältnifie
zuruͤcktritt und allen mit ber Eur in Widerſpruch ftehenden
Einflüffen preisgegeben ift, felbft dann, wenn er jenem Kran
den nadahmen wollte, der, wie man erzählt, um fih der Kälte
nicht zu entwöhnen, bei der Ruͤckkehr von Sräfenberg fih_auf
jeder Poftftation ein Glas kaltes Waſſer oben zwiſchen Kinn
und Cravatte eingoß, ſodaß es in den Stiefeln ſtehen blieb?
Es kann zugegeben werden, daß durch eine fo mächtige
Anregung aller Abjonderungsorgane des Körpers, verbunden
mit einer einfachen naturgemäßen Lebensweiſe, wie fie uns in
den Kaltwaffercuren geboten ift, verjährte KrankHeitsftoffe in
dem Körper beweglich gemacht und Neactionen dagegen in Be
wegung gefegt umd auf Diefe Weiſe Krankheiten befeitigt wer:
den Fönnen, die biß jegt jeber andern ärztlichen Behandlung
widerftanden; allein wer fagt dem ungebilbeten Waſſerarzte,
daß ſolche Krankheitsſtoffe vorhanden find, daß das kalte Waſ⸗
fer das geeignete Mittel ift, fie zu entfernen, daß der Franke
Körper Kraft genug babe gegen ein fo mächfiges Mittel, wie
das kalte Waffer und die mit ihm verbundene Schwigcur ift,
zu reagiren® Man fieht, Hier ift Alles dem Zufall preisgegeben.
Bis jest haben einzelne auffallende Eusen der HPriepnig':
en Methode Farbe und Glanz verliehen, allein ed ift noch
— —— wie ſich die Sahl ber Geheilten zu der der
Ungeheilten und Todten überhaupt verhält. Um fi davon zu
vergewiffern, müßte man feine Beobachtungen auf alle die
Kranken ausdehnen, die bereits die Kaltwafieranftalten verlaf-
fen haben. Rur auf Grund folcher numerifchen Unterſuchun⸗
gen würde ſich ein ficheres Nefultat erheben laffen und erft
daraus würbe ſich ergeben, inwieweit bie Kaltwaſſercuren chro⸗
niſche Übel gruͤndlich und dauernd gu heilen vermögen. Man
müßte ferner die verfchiedenen Kranken nad) ihren Krankheiten
claffificiren, um fo endlich auf fichere Refultate zu fommen, in
welchen Krankheiten ſich diefe Methode vorzüglich als heilfam
bewähre und in welchen nicht. Alles Dies kann aber nur vom
wiſſenſchaftlichen Standpunkte aus gefchehen und es ift deshalb
durchaus erfoderlich, daB die Arzte fich der Sache bemächtigen.
Was fol man aber dazu fagen, wenn Laien ohne alle
wiſſenſchaftliche Bildung Durch einen kurzen oder längern Aufent⸗
halt in Grafenberg und durch bloße Beobachtung der Prieß⸗
nitz ſchen Eurmethode fich befähigt glauben, felbft einer Kalt:
waflerheilanftatt vorftehen und Kranke aller Art behandeln zu
können, und wenn felbft Regierungen ihnen die Direction einer
folden Anftalt geftatten® Einem folchen Laien aber begennen
wir in dem Verfaſſer des folgenden Buches:
Memoiren eines Waflerarzted. Bon Karl Munde. Zwei
Tune. Dresden, Arnold. 1844. Gr. 12. 2 Thlr.
B gr. '
Er, der ſchon mehre Bücher über die Waflerheilfunde ge»
fyrieben und ſich felbft wohlgefällig als eine Celebrität in die⸗
fer Angelegenheit zu betrachten ſcheint, fpricht mit einer ſchein⸗
baren Gelehrfamkeit und einer Salbung von den Wirkungen
des Falten Waſſers und den damit erzielten glüdlichen Euren,
daß man meinen follte, er babe das gefammte Studium der
Medicin ſchon längft hinter fih. So z. B. iſt ihm die Wire
kung der Arzneien faft immer eine kuͤnſtliche Krankheit, fie lö-
fen auf, reizen, ja fie „jertören diejenigen Theile, auf welde
fie vorzugsweife einwirken, und bleiben, namentlich die Me:
tolle, Sabre lang im Körper derborgen fiten, um darin eine
neue küͤnſtliche, ſchmerzhafte und vernichtende Krankheit zu un»
terhalten. Bei den meiften acuten Krankheiten reicht es bin,
fih ins Bett zu legen und von Zeit zu Zeit einen Schluck
Waſſer zu trinken und eine ftrenge Diät zu beobachten, um
fie ohne Gefahr vorübergehen zu laffen. Sind einzelne Theile
befonders afficirt, fo erfegen Umfchläge die bei der Medicin
gewöhnlichen Blutegel und Veflcatorien u.f.w. In der. Ihat,
man flaunt, wie der Verf. zu al dieſer Weisheit fo leichten
Kaufs, theils buch feine Beobachtungen in Gräfenberg, theils
duch feine eigene Waflerpraris gekommen ift, denn daß er ſich,
wie er &. 269 fagt, verfchiedene phuftologifche und pathologir
ſche Werke mit erläuternden Kupfern angefchafft, Monogra⸗
phien über die von ihm zu behandelnden Krankheiten gelefen,
den Umgang mit mehren Ürzten benugt, und fleißig das Mi»
Iitairhospital feines Wohnort befucht habe, ift wol mehr als
ein Meiner Spaziergang in daB Gebiet der Medicin anzufehen,
als daß ed von einem wirklichen Gindringen in fie Zeugniß ab«
legte. Wäre dies nicht fo, fo würden wir ihn nicht durch das
anze Werk immer nur auf der Oberfläche diefer Wiffenfchaft
Endın. Der Standpunkt, den der Verf. als Waflerarzt ein»
nimmt, gebt nicht über den des bloßen Laien hinaus und eben
deshalb Tann und wenig daran liegen, zu vernehmen, wie er
auf diefen Standpunkt gelangt fer, was eigentlich den Stoff
diefer Memoiren bildet. Mit großer Redfeligkeit fchildert er
und feinen Krankheitszuſtand, feine Lebensſchickſale und feine
Neifen nach Gräfenberg, feine Pleinen Neifeabenteuer mit geir
zigen Gräfinnen, unhöflishen Poftillonen u. f. w., Erzählungen,
wie man ſich ſolche wol zur Verſcheuchung der Langweile im
Hoftwagen erzählen läßt, aber nicht einem gebildeten literari⸗
fen Publicum aufzutifhen fi erlauben ſollte. Obſchon ein
enthufiaftifcher Verehrer der Waſſerheilkunde, weiß er doch ar
Priefnig und feiner Methode Manches audzufegen und führt
Facta an, die den Eharafter deſſelben eben nicht in das gün-
ftigfte Licht zu ftellen geeignet find. Es fteht aber noch fehr
in Frage, wer Müger ift: der fchlichte Bauer, ber feine Krane
Ben mit lafonifchen Antworten abfpeift, weil er auf ihre Fra⸗
gen nicht zu antworten weiß, oder der Dr. phil., ber es beffer
zu wiffen meint, obwol er von der Sache ebenfo wenig ver.
ſteht. K. Hohnbaum.
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Berlin, Vereinsbuchhandlung. 8. 5 Rur.-
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Blumbardt. Bolendet und berausgege en von W. Hoff:
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tert. Leipzig, Bambarg: .8. 10 Ror.
derie artein, 1 —* Sein Fri feine —— eine Bi-
egung ber ) . Dr. Reinerding. DI
Stalling &. 8. 3 Rgr. ” “Br
John, G. A., Getreue und ausführlige Nachricht von
D. MR. Luther'6 ſeligem Abſcheiden und chriſilichem Leichenbe⸗
gaͤngniß, nebſt einem Anhange, enthaltend einige feiner legten
Predigten. Magdeburg, Falckenberg und Eomp. &r. 8, 15 .
‚„.— — Deb D. Juftus Jonas und M. Mi. Coelius Be⸗
richt von Lutheri Abfterben, zum erftenmal erſchienen im I.
1546 und jegt aufs Reue herausgegeben. Magdeburg, Falcken⸗
berg und Comp. Er. 8. 21, Kar.
‚.Sungnidel, &., Siehe dein König kommt zu dir! Pre⸗
an aber Matth. 21, L—9. Schmweibnig, Weigmann. 8.
« MOL.
Müller, 3. R., La carte blanohe oder das aufgellärte
Glaubensbekenntniß der Hallefchen drei und dreißiger. Nebft
fehuldiger Begrüßung des Uhlich ſchen Sendſchreibens und der
Wislicenus’fchen Monatsſchrift. Magdeburg, Falckenberg und
Comp. Gr. 8. 5 Rar.
— — Luther, ein Glaubenshelb, der Eprifti großes Ber:
heißungswort erfuͤllte: Joh. 14, 12. „wer an mich glaubt, der
wird die Werke auch thun, die Ich thue, und wird größere,
aan Diele, Shun.“ Predigt. Magdeburg, Falckenberg u. Comp.
8 gr.
Die Ortbodorie in ihrer Auflehnung wider die Freiheit
bes Beiftes überhaupt und den religiöfen Fortſchritt insbefon-
dere. Randgloſſen eines proteftantifhen Laien zu Romberg's
Schriftchen: 1. die neueften Bewegungen, 2. die Spaltung des
chriſtkatholiſchen Vereins zu Bromberg. Danzig, Gerhard,
Gr. 6. 5 Rer.
34 S A aber 5 * EN meiht und wankt nicht.
n igten a em 9. . agbeburg, Falcken
und Gomp. Gr. 8. 10 Rgr. Bheburg, Butiienberg
Schmid, U.M., Ein Wort für Ronge gegen die Angriffe
ded Herrn von Florencourt. Leipzig, D. Klemm. Kl. 8. 6Ngr. .
Sreufich, C., Die badifchen Lichtfreunde in ihrer Feind⸗
an Bea offer un Kirche. auzuf an den „Morgenboten"
und feine Genofien, fo wie an alle evanaelifhe Kirchenalieder.
Karlsruhe, Macklot. Gr. 8. 3 Kar. ſche Kirchengü
Uhlich, Über den Amtseid der Geiſtlichen. Zte Auflage.
Leipzig, D. — 8* 3 Nor.
— — Bericht über die Pfingſtverſammlung der proteftan-
tifhen Freunde in Köthen am ii Mai 134% —
Klemm. 8. 3 RNgr.
Unger, €. S., Der Mißbrauch ber Bahlen, erläutert
burdy die neuerdings gemachten Verſuche, dad bei der Feuer:
Berficherungsbant für Deutichland eingeführte R sweien
r verbächtigen. Mit einem Anhange, enthaltend ein Send:
reiben an Hrn. A. W. Wüftenfeldt in Buͤckeburg. Grfurt,
N ie preufikhe Derfalungsfsage. itt
ie preußif erfaſſungsfrage. Hiftorifch entwidelt und
durch MRüdblide auf den beutfhen Bund beleuchtet. Rebſt
Beurtheilung der neueften über diefen Öegenftan erfchienenen
Schriften. Leipzig, D. Wigand. Gr. 8. 15 Kor.
Wort eined Freundes der Wahrheit über den um „Kir:
chenverbeſſerung“, eigentlich aber um Befreiung vom Glauben
an die lien Heilöwahrheiten duch Geiftliche und Laien
petitionivenden Rationaliömus. Rebſt einem Anhange über
Sinn, Weſen und Wirken bes heiligen Geiſtes. Magdeburg,
Baldenberg und Gomp. Gr. 8. TY, Nor.
Berantwortliher Herausgeber: Heinrid Brockdans. — Druck und Verlag von F. SE. Wrodhans in Leipzig.
u —
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
EEE nn TE -
r
>
Sonntag,
: Die bramatifhe- Kunſt in Stalien.
Die Schaufpieltunft hat in Deutfchland Tine folche
Höhe der Vervollkommnung in Vergleich mit den übri-
gen Nationen Europas erreicht, daß wir, in biefer Schule
erzogen, mit Recht ale urtheilendes Publicum auf bie
Ergebniffe der anbern Länder herabbliden, und reifer an
Erfahrung, geübter im kritiſchen Blicke, und dem erha-
benen Ziele näher, uns erlauben dürfen an den Anbern
das Mangelhafte zu bemerken und zu rügen, das wir
größtentheild wenigſtens überwunden und verbefjert ha-
ben und hoffentlich auch für die Zufunft fern zu ‚halten
wiſſen werden. Wir waren die fpätern Lehrlinge in
einer Kunſt, bie, als erotiiche Pflanze aus ben Regionen
des Eübend zu uns gebracht, durch unfern Fleiß Wur-
zei faßte und ſich allmälig dermaßen akklimatiſirte, daß
‚ wir berechtigt finb eine Zeit zu erwarten, in der fie ale
“einheimifh und unferm Boden angehörig vielleicht in
jene Länder Propfreifer und Ableger liefern könnte, aus
deren Mutterlande fie fiammte und aus bem fie zu und
herüberfam. Noch ift Deutfchland, was feine Cultur
betrifft, im Fortſchreiten begriffen, noch ‚verfpricht bie
Kunft, die fo gaftfreundlih bei uns aufgenommen, fo
tüchtige Mäcenaten fand und in Turzer Zeit in ihrer
vollen entzücdenden Blüte prangte, noch verfpricht fie
länger unter und zu weilen, fich inniger mit und zu ver-
binden und zu verbrüdern und uns fo immer mehr jener
Stufe ber Vollendung zu nähern, auf die wir zu ge-
. Jangen durch unfere beharrlihe Pflege auch vollen An-
fpruch haben. oo.
Wer Deutfchlands Bühnenfoftem und feine dramati-
ſche Wirkſamkeit allein geſehen bat, wer bie verfchieben-
axtigen . Runftleiftungen unfers Theaterweſens beobachtet,
aber immer nur deutſches Theater mit deutſchem Thea⸗
ter verglichen bat, dem fehlt am Ende der rishtige Maß⸗
ſtab und fein an Gebdiegenheit und Kunft gewöhntes
Urtheil wird endlid) despatifch firenge und fodert, blos
um dem menfchlichen Drange eines Stufenganges Gr-
nuge zu leiften, den Superlativ da, wo es, an mehr als
Poſitiv gewöhnt, fhon den Gomparativ fand und ſich
ergögen möchte an der unmittelbar folgenden Stufe ber
Vollendung. Daher bie wiederholten Klagen über ben
Mangel. an FSortſchritten in der, dramatiſchen Kuuft
24. Mat 1846. °
Deutſchlands, die wieherholten Elegien an den Gräbern
der bingegangenen unerfehlichen Matadore ber Schau⸗
fpieltunft, denen dann unmittelbar die Schilderung einer
daflifhen Darftellung lebender Kuͤnſtler, die Befchrei-
bung des mit Recht verdienten ftürmifchen Beifalls, den
ein Schaufpieler oder eine Schaufpielerin geerntet haben,
vorangeht oder folge. Wir verlangen mit vollem Rechte
nach vorwärts zu dringen, wir fühlen die Kraft dazu
in uns, wir ehren das Andenken Jener, die in der Kunſt
Großes - geleiftet und die Dorbilder eines kommenden
Geſchlechts waren, wir brauchen aber darum nicht am
unferer Zußunft zu verzweifeln und dürfen ohne eitel zu
werden uns dennoch geftehen, baf wir viel geleiftet ha⸗
ben und weit vorgedrungen find, und: werben uns biefen
Troſt, der uns ftählen und aneifern fol, dadurch am
klarſten verfchaffen, dag mir auf Andere bliden und be-
merken, wie viel Senen noch zu tun. überbleibt, um un⸗
fern gegenwärtigen Standpunkt zu erreichen. Man muß
außer Deutſchland gewefen fein, und nachdem man eine
Fortfegung ‚bes angenehmen Gefühls, das bie vortreff-
liche Darftellung eines deutſchen Schaufpiel® auf une
bervorbrachte, in ber Altern frangöfifchen Schule empfun-
deu hat, ſich allmaͤlig in das Innere Jtaliens verlieren,
und wenn man ben erſten wiberlichen Einbrud berühm⸗
ter italifher Helden und Heldinnen glüdlich überflan-
ben hat, nad und nach hinabfleigen in bie Ziefen ber
italifchen Komödie, eindringen in bie lichtloſen Ur⸗
pflanzungen ber wilden Dramas, wo das Unkraut in
hoben, mächtigen Halmen über die kaum erfpähbaren
eblern Pflanzen ungehindert wuchert, wo ber fruchtbare
Boden, bedeckt von ben mannichfaltigen Erzeugniffen
einer ergiebigen, fhöpferifchen Kraft, ohne Pflege fich
felbft überlaffen Samen treibt und Wurzel in Wurzel
verfehlungen früppelhaften Miswachs zu Tage fürbert:
bort muß man geweſen fein und beobachtet haben, um
freudig wieder zurückzukehren auf bie heimatlichen Flu⸗
ren Deutſchlands, mo bie regelnde Kraft der Kunſt ihre
Hand freundlich dem ſchoöpferiſchen Geiſte der natürlichen
Gabe bietet, wo beide in voller Harmonie einherfchreiten,
Segen [penden und eine fehöne Zukunft prophezeien. -
Italien ift in den legten Zeiten unferm Baterlande
um Vieles näher gelommen, und da wir nie gefiheut
haben offen und frei zu geflchen,, wie. viel wir jener
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Quelle der Künfte und Wiſſenſchaften verdanken, fo dür-
fen wir mit voller Zuverfiht erwarten, daß man unſer
Urtheil in einem Zweige, dem wir mehr Pflege und
Cultur geſchenkt, gern vernehmen und die Gerechtigkeit
bed Au 6 zu würbigen voiffen werde: Unter allen
Zernpeln, die Stalfen den. Muſen erbaute, waren bie.
Hallen Thalia's doch die am mwenigft befuchten und das
Hrieſterthum diefer Stätte wurde gleich bei feiner Er-
richtung unmwürbigen Händen anvertraut. In Feiner
Zeit gelang e8 ber dramatiſchen Kunſt in Italien dem
Volke jene Liebe abzugewinnen, mit ber ihr bie andern
Kationen und befonders die Deutfchen gleich bei ihrem
hen huldigten unb fe nicht nur ihre Gedeihen er-
wedten und ficherten, ſondern ihr als anerfanntem Lieb⸗
—* den Weg zur Vervollkommnung eröffneten. Es
wäre keine leichte Aufgabe den Grund diefes räthfelhaf-
ten Ereigniſſes zu eroͤrtern. Die mannichfaltigen Pro-
den eines ergiebigen, vielfeitigen nafürlidhen Talents der
Bewohner’ jener Regionen, die ausgezeichneten Leiſtun⸗
gen in jedem Zweige der Künfle und Biffenfchaften,
die allbekannt umd allgemein gefchägt fi) vom Italien
aus in bie übrigen YWänder verbreiteten, erlauben durch⸗
aus nicht die Urſäche dieſes einen vernachläffigten Theils
der Ateratur duch Mangel an Fähigkeit zu erklären,
und die von Unfterblichkeit umſtrahlten Namen eines
Alfieri, Metaftafio, Monti, Silvio Pellico w. X. wären
die treffendften Beweiſe gegen eine ähnliche ungegründete
Beſchuldigung. Aber jene Höhe, welche die dramatiſche
Literatur Italiens durch die Producte jener Großen
erreicht hat, an deren Spige immer der Torberumfrönte
Mfieri prangt, war benmoch einfeitig und manierirt, und
jene Matadore der Wiffenfchaft ftellten ohne es zu
wollen ihren Profelyten das hohe Biel mit allen feinen
ebrechen als unveränderlich feft und wurden eben ba-
durch die Urheber eines ganz auf ihre Art der bildlichen
Darſtellung beſchraͤnkten Urtheils, das, nachdem es Tange
Arre geführte hatte, endlich doch untergehen mußte. Der
Cnthufiodmus, den Alfieri durch feine ſcharf ſchattirten
Eharakterbilder erregt hatte, wurde das Ziel des Stre-
bens —* Nachfolger und Jünger in der Kunſt, und
biefe folgten blind dem Gleiſe feines Triumphwagens,
whne daß ihrem Eifer die Weränderung der Zeiten und
"init Ihnen das Bebürfniß einer Veränderung des Künft-
"Terziels Bar geworden wäre. Die Epoche war bereits
‚eingetreten, in der man, obgleich noch von Begeiſterung
für Alfieri's Werke Hingeriffen, fich dennoch nach mehr
Natürlichkeit fehnte, im Theater durch eine einfach wahre
Darſtellung vergeffen wollte im Theater zu fein, und fich
bie Bemerkung erlaubte, daß jene Geſtalten, die Alfieri's
poetiſches Talent auf die Bühne zattberte, mie in ber
Wirklichkeit beftanden, nie fo gefprochen, ſo gehandelt
Haben können, daß fein Meifterpinfel eine Belt bizarrer
Ideale und nicht
dürfniß der Menge, das ſich inimer deutlicher ausſprach,
‘zu befriedigen, fehritten Golboni's Eharakterbilder und
Scenen’ aus dem Volksleben über die Breter, und wa⸗
"sen, obwol man die alten’ Hefden nicht‘ vergeffen' hatte,
ortraite gemalt habe. Dieſes Be⸗
moi,
body gern gefehen unb mit latıten Zeichen bes Vorzugs
und Beifall anerfannt. Mit Goldeni hatte die drama-
tifche Kunſt in Italien ihren entfcheidenden Wendepunkt
erreicht, und wenn es jenem einflußreichen Geifte ge-
fungen wäre, bas Bolt, dag er au In wußte, vhm
weitere Anfechtung feiner neddiſchen Nebenbuhler in ſei⸗
ner gediegenen Schule zu erziehen, fo hätte Italien ger
wig in kurzer Zeit das Derlorene nachgeholt, das
Mangelhafte zum Claſſiſchen emporgefchwungen und wäre
ohne Zweifel allen Jenen Meifter geworden und voran-
geeilt, in deren Schule es jegt Noch Lehrling ifl.
Venedig, die alte felbftändige Dogenftadt, wo unter
bem Schutze des Flügeitäwen fo manche Agide
Venedig war auch in biefer Epoche der Sammelplag ber
entfeheidenden neugeborenen Kräfte, bie, obwol fie leider
erft in der Abendröthe des ruhmvollen Seins ber Re-
publik aufloderten, dennoch ein bleibendes Licht verbrei-
teten, beffen Glanz, wenngleich getrübt, fortſchimmerte
duch die fomimenden Zeiten und die Morgendaͤmmerung
eines jungen Tages wurde, beffen Strahlen ſich mild
und freundlich über jenes Land ergoffen, deffen Hori⸗
zonte er glorteich entfliegen war. Venedig fah gleich
zeitig Goldoni, Chiari und Gozzi, die theil® durch ihre
gegenfeitige Polemik die Aufmerkfamteit bes’ Publicums
auf fh zogen, deren manntihfaltigem Einwirken auf
ben Gefchmad bes Volks die bramatifhe Mufe ihre
Einfegung und feierliche Weihe verdankte. In Turin
wurde um dieſe Zeit die erfte ftchende Schauſpieler⸗
truppe errichtet und befolbet, ‘in Parma fchrich man
Prämien für gelungene dramatiſche Arbeiten aus, und
die Albergati in Bologna riefen fo manches Wuͤrdige
Ins Leben, das ſich noch lange nad) jener anrea aetas
bes Dramas erhalten hat. Aber eben dieſes pläglicdye
Steigen, diefer unerwartete Enthufiasmus, ber, durch
Goldoni vorzüglich angeregt, ſich fo fehnell entwickelte,
könnte von keiner Dauer fein. Die in Fülle abwech⸗
felnden Leiftungen wirkten durch ben Heiz ber Neuheit
auf das Publicum und die Luft an ſteter Überrafhung
hatte bald bie Oberhand gewonnen über die WWBerth-
ſchäzung des Gediegenen. Die Autoren, Gozzi um
Chiari, verführt von biefer Quelle des Beifalls ver-
ſchwendeten ihre productive Kraft auf Bühnenerfindıim-
gen und abmechfelnde UÜberrafchungen (sorprese teatrali,
wie fie paffend die Kritiker jener Zeit nennen), fadhten
ihre gegenfeitigen Triumphe in der mehr oder weniger
zuſtroͤmenden Menge, und die Theaterelenche jener Tpoche
zeigen nicht ſelten drei nene Stücke an bemſelben Abende
m den verſchiedenen Theatern der Dogenſtadt. Dieſe
Kunft, das Publicum duch Abwechfekung zu feifeln,
verſtand Golboni allein, ohne fich je wie Gozzi und
Chiari, die es aus Nebenbuhlerſchaft thaten, zum ſinn⸗
en —— zu laſſen. Aber lange konnte
e productive Kraft mit ihren Ergebniſſen - wit
in den aͤſthetiſchen Grenzen der vein ——
behaupten. Schon ſing man an bie Muſik und den
Tanz in die dramatiſchen Borflellungen zu mengen, er⸗
:fepte den Manselian Intereffanter Hatibfang durch glan
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575
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ya Diecasagionen, verſchrieb Tänzerinnen und Baufler
aus Frankreich, um jo den Händen und Füßen Das zu
überloffen, was die Köpfe dem Publicum zu bieten
wicht nchr im Stande. waren. Da kamen endlich bie
Barobien und Satiren an die Tagetordnung, bie, durch
Die allexrdings geiſtreiche Akademie der Graneleschi ange-
regt, anfangs durch ihren beißenden Wig bei dem Volke
viel Anklang fanden; Gozzi verwendete feinen natürli-
hen Sarcasmus auf Zauberpoffen und Feenmaͤrchen, in
henen er mit Beifall gegen Goidoni auftrat und die in
Vesfoll gerathene Commedia del’ arte zu verfechten fuchte.
Seine „Tartana”, eine Zeitfhrift, welde im I. 1757
ssichien , ſchoß giftige Pfeile auf Goldoni, den Stamm⸗
halter eines neuen dramatifchen Geſchlechts, und machte
ſich nicht Telten auf beleidigende Art über bie nen
Kompofittonen kuftig. So Heift es am einer Stelle z. B.
Acht alte Komödien holt er herbei,
Die flidt er zufammen und nennt fie dann neu,
während Chiari’s Menelaus in „Trojas Ende” ausruft:
D unvergleichlich Weib, du edle Heldenſeele,
Die ich die meine nenn’ und mir zur Braut erwähle,
Did fol wenn Zroja flürzt ermordet ich erſchau'n?
Dann taff’ ih dir zur Ehr' ein neues Troja bau'n.
Und alles Dies fand Beifall und füllte die Kaffen der
Theaterdirectoren, benen am Ende trog der traurigen
Folgen, die Golboni vorherfah, damals fo wenig daran
lag das Volk zu erziehen und zu bilden als ihnen nod)
beutzutage dieſer Gedanke ſchlafloſe Nächte verurfacht.
Merkwürdig und wahrhaft groß bleibe in jener Cpoche
Goldoni, der (1761) dem Rufe nach Parts gefolgt und
‘dort mit ungetheiltem Beifalle aufgenemmen worden
war. Er fchrieb dort unangefochten und ruhiger als in
feinem Baterlande einige Luftipiele in franzöfifcher Sprache,
die, wie er felbft äußerte, fich einer unverdienten Auf-
nahme zu erfreuen hatten, während er und feine Werke
auch in feiner Abmwefenheit bie Zieljiheibe des Witzes
feiner Gegner waren. Über:
Es ift nun das Geſchick der Großen hier auf Erden, .
Erft wenn fie nicht mehr find von und erkannt zu werben.
und fo pflanzte er unverdroſſen das Samenkorn in die
Muttererde, die es aufnahm und früh oder fpät doch
bie Frucht zu Tage fördern mußte, mit deren er-
ſtem Keime zugleich das Korberreis ihres unfterblichen
Pflanzers emposfproßte. Auch jene Melle bewegter Zeit
ſchwaud endlich „ beinahe gleichzeitig mit der Kraft des
alten Dogenföwen, der diefem unnatürlichen Zxeiben kurz
vor feinem Entfehlummern zngefehen hatte; Gbiari und
Gozzi traten ab von der Bühne des Lebens (1785) und
auch Boldini ſchied (1793), nachdem er als ſechsund⸗
adhtzigiähriger Greis wieder in fein Vaterland zurückge⸗
Behyet umd bei feinem Abſchiede aus dem Leben mit fei-
nen Zeitgenoffen gänzlich verföhnt war. Bald unb
ſpurlos verſchwand im Molke das Andenken Jener, die
einft mit fo vielem Beifolle gegen ihn aufgetreten wa⸗
zen, und er ber Rieſe unter den Pygmaͤen fland einzig
und allein da wie ein Regenbogen über dem Wolken⸗
himmel ftreitender Kräfte, in dem ſich die Strahlen fei-
nes ‚leuchtenden ‚Genius in taufendfarbigen Perlen ſpie
gelten. Während feine Nebenbuhler und Neider in die
Nacht ber Vergeſſenheit gefunten waren, ſtrahlte fein
Nimbus ald Leuchtturm für bie Tühnen Schiffer, die
nad ihm es wagen würden, jenes Meer zu durchfegeln,
deffen Stürme er fiegreich bekämpft und beflen fernes
Geſtade er glüdlich erreicht hatte. Und wirklich, zählte
er nicht wenig Proselyten; aber, den Mücken ähnlich, die
fi im Lichtfirahle baden, ſchwaͤrmten feine Nahahmer
und fonnten fi an den Strahlen des erhabenen Zieles, das
fie vor. Augen haften, das fie aber trog ihrer ſummen⸗
ben Slügelichläge zu erreichen nicht im Stande waren.
Da gelang e6 endlich nad) zahlreichen misglücten Ver—
ſuchen Einem unter den Vielen aus den labyrinthifchen
Bängen, in denen man herumgeirrt war, den Ariadne—⸗
Faden ber richtigen Tendenz zu erhafchen und von ihm
geleitet dem bisher noch fernen Ausgange nahe zu
fommen. J
Camillo Federici, zu Gareſſio im Piemonteſiſchen ge-
boren, verließ in feiner Jugend das väterliche Haus und
ging auf dad Theater, zu dem er fi von einem unmi«
derfichlihem Drange gezogen fühlte. Schon feine erften
Jugendarbeiten, die er ald Schaufpieler für die Truppe
ſchrieb, in der er fpielte, beurfunden den Maren drama-
tiſchen Blick, den fharfen Obfervationsgeift, die es ihm
allein möglich machen konnten, fein hohes Vorbild Gol⸗
boni zu erreichen. Sein Familienname Viaſſolo wurde
won ihm felbft in Camillo Federici verändert und zwar
auf Veranlaffung feines mit vielem Beifalle aufgenom- .
menen Dramas „Camillo e Federico ”, welches das
Yublicum bemog, den bamald noch unbefannten Autor
nah feinem Stufe zu nennen. In der Schuje des be
rühmten Triveri zu Turin bildete er feine nafürlichen
Anlagen vollends aus und ftelte das Ziel feines Lebens
unabänderlih auf die Bühne, die feinem Fleiße und
feinem Talente fo viel des Tüchtigen zu verdanken hat.
Ohne feine glühende Phantafie je an politifche Unter
nehmungen zu verfchmwenden, blieb er auch in den flür-
miſchen Zeiten ber franzöfifhen Revolution feiner Kunft
eu, und mit ihr allein befchäftige Tebte er nach Um⸗
fländen bald in ber einen bald in ber andern Schau-
fpielergefellfchaft und ſchenkte feine Geifteskräfte der ihm
‚fo werth gewordenen dramatifhen Mufe, ohne dem
Schwindel fanatifcher Freibeitsillufion zu unterliegen,
der fo manchen feiner würdigen Zeitgenoffen in den un-
widerftehlichen Wirbel forteif und dem Untergange ent⸗
gegenkreifelte. In kurzer Zeit wurde er durch feine Lei-
ftungen der Liebling des Publicums. Schon hatte das
mals in Italien der Schwarm franzöftfcher LÜberfegungen
fi allmälig eingefchtichen, und geſchwürartig griff biefe
Seuche immer mehr um fi, wenn Federiti duch feine
Lebensbilder nicht wieder ben Geſchmack für Original«
luſtſpiele hervorzurufen im Stande geweien wäre. Die
noch lebenden Freunde des großen Goldoni erfannten in
ihm den edeln Sproͤßling jenes Geſchlechts und unter
ftugten ihn in feinem ehrenvollen Unternehmen: den let⸗
ten Funken aͤſthetiſchen Urtheils aus der Aſche des ver⸗
Ka —_ — — A... [u —
376
dorbenen Geſchmacks zu retten und anzufachen zu neuer
Lebensflamme. Wie Daſen in der Wuͤſte glänzten bie
Erzeugniffe Federici's auf den italienifchen Bühnen und
das in der Epoche der Unfruchtbarkeit und Dürre
ſchmachtende Publicum labte ſich wieder in Tangen er-
uidenden Zügen an dem reichen, Maren, natürlichen
Bom feiner Kunfl. Seine „Falsi galantuomini”, „1
capello parlante”, „L’avviso ai mariti”, „Ujusione e ve-
rita”, „La bugia”, „La sposa di provincia”, „Il ınedico”,
„1 collo torto” wedten durch ihren ftärmifchen Beifall das
fhlummernde Talent fo mandjer andern begabten Büh-
nenkünſtler, feinem Beifpiele, das zur faßlihen Schule
herangediehen war, zu folgen. Greppi, Billi Avelloni,
Albergati und fpater de Roſſi, Giraud und Sograffi
bildeten fih alle in feiner Schule und laffen in ihren
fämmtlichen Leiftungen das Vorbild nicht verfennen, das
ihnen vor der Seele ſchwebte und das fie zu erreichen
firebten. Federici fehrieb in Allem über 70 Probuctio-
nen, von denen nur wenige dem tragifchen Fache ange-
hören, und fein ergiebiges Talent würde ficher noch
mehr geliefert Haben, wenn er nicht bereits 1802 einem
Bruftübel unterlegen wäre, das ſich feit mehren Jahren
fhon auf bindernde Weife fühlbar gemacht hatte. Er
ftarb in Padua, wo er die legte Zeit feines thatenrei-
hen Lebens zugebracht hatte, beweint von feinen Ange-
‚börigen, bie in ihm einen gemüthlichen liebevollen Der:
wandten verloren, betrauert von der Goldoni’fhen Mufe,
die ihm ihre Wiedergeburt verdankt. Seine fterbliche
‚Hülle wurde in ber Kathedrale von Padua eingefegnet
und bafelbft am Friedhofe zur Erbe beflattet. Kein
Monument, Peine Infchrift bezeichnet den Ort, wo ber
Körper jenes Mannes ruht, dem Italiens dramatifche
Kunſt die neue dauernde Wendung verbankte, der fei-
nem Baterlande fo manche angenehme, lehrreiche Stunde
verfchafft hatte, der die geiftige Brücke war, beren küh—⸗
ner Bogen ſich von Goldoni über den Abgrund verdor-
benen Geſchmacks bis auf die neue Schule wölbt. Den
einzigen Beweis von Anerkennung in bleibenden Zeichen
" erlebte er wenige Jahre vor feinem Enbe dur Über:
fendung einer Dentmünze, die, ihm zu Ehren in Pie—
mont geprägt, auf einer Seite das Bruftbild Alfieri's,
“auf der andern fein eigenes trug, und bie den befcheibe-
"nen Mann auch herzlich freute, fo fonderbar und un»
paſſend er auch bie Zufamntenftellung ber beiden Bild⸗
niffe finden mochte,
Durch Xeberici, als Nachfolger Goldoni's, war ber
Weg gebahnt, und die edlere bramatifche Kunft, die nun
fräftigern Fuß gefaßt hatte, fchritt bedaͤchtig vorwärts,
ohne übrigens wieder das hohe Ziel gänzlih aus dem
Auge zu verlieren. Zuweilen noch tauchte aus ber
Menge ein Proſelyt Alfieri's auf und Monti's „Aristo-
demo” und „Caja Gracco‘ *) fammelten noch einmal die
alten Yarteigänger um fi, aber ihr Applaus verhalfte
) In neterer Bett „Medea”, vom Duca di Bentignano, „La
Pie de’ Tolomet’‘, vom Duca di Warenco, u. f. w., die noch heute
‚Ve Slanzrollen ber Schauſpieler aus der alten Schule find.
— — — — — — — nennen
wie das Echo laͤngſtverklungener Töne. Die naticclche
Darſtellung behielt durch ihten gemüthlichen Reiz die
Oberhand, und ber lange, ſegensr Friede, der nach
der blutigen Schlachtepoche feinen Olzweig über Surs-
pas Huren fhwang, begünftigte and in Italien die
Fortfchritte in einer bisher mur eimfeitig gepflegten Kun.
(Der Wefctuß folgt.)
Einige Blätter der Erinnerung. Gefammelt und her⸗
ausgegeben aus dem Nachlaß des Major Friedrich
von Luck. Berlin, 8. Dunder. 1845. 8. 15 Ngr.
Die in diefem kleinen Buche enthaltenen Gedichte find ei:
ner umfangreichen Sammlung entnommen, die der Verf. feinen
Erben zur Verfügung binterlaffen dat. Die Herausgeber fa-
gen, daB fie, in Rückſicht auf die Eigenthuͤmlichkeit diefer
Verſe, weiche in Form und Gtoff großentheild vergangenen Zu⸗
ftänden angehören, nur eine Bleine Anzahl berausgeboben ba:
ben. Aus der Biographie lernen wir $. v. Luck als eine durch⸗
aus achtungswerthe und Liebenswürdige Perfönlichkeit kennen.
Sein Leben war nit bios von großer Dauer, fondern auch
duch Verbindung mit edein Geiftern inhaltsvoll; F. v. Lud
war befreundet mit Adam Müller, A. W. Schlegel, Fouqué,
Chamiſſo und oft in Goethe's Geſellſchaft. In den unglüd:
‚lichften Jahren Preußens ſprach fi feine Baterlandsliebe umd
Unterthbanentreue — fo nennt e8 fein Biograph — am lebbafteften
in Gedichten an die Königin Luife, an die Yrinzfin Wil⸗
beim und an die Fürftin Glife v. Radziwill aus. Die Her⸗
audgeber wollen, und das ift fehr recht, Kir ihren Freund nicht
den Lorber des Dichterd erftreiten s fondern fie beabfidhtigen
nur den Freunden, In deren Beſitz Luc fein beftes Stück fand,
ein willtommenes Andenken zu geben. Diefe Abficht ift zu
ehren und gewiß erreicht; auch die Hoffnung und der
wird fich erfüllen, wel die Vorrede ausfpricht, nämlich Def
durch die Lefung diefer Blätter dem Verf. bier und dort auf
eines fremden Leſerb Wohlwollen gefihert wirb. 25.
Literariſche Anzeige.
In meinem Berlage erfſchien ſoeben und iſt in allen Buchhand⸗
lungen zu erhalten:
Jeſebuch für Volkoſchulen
und die untern Claſſen der Gymnaſien und Real-
ſchulen.
guſammengeſtellt von
U. Wilde.
.8 Geh.
Eine reiche Auswahl des Vortrefflichſten aus den Werken der
beliebteſten Jugendſchriftſteller, bibliſche Gefchichten, Fabein,
Maͤrchen, Erzaͤhlungen, Beſchreibungen aus der Länder» und
Voͤlkerkunde, Parabeln, Idyllen, poetiſche Erzählungen, Legen⸗
den, Lehrauffüge, Briefe und Eipricgwörter, bilden den Inhalt
dieſes Leſebuchs. Scherz und Ernft find bier nebeneinander ge
ſtellt, und wie dafjelbe durch feinen lehrreichen und unterhal⸗
tenden Inhalt den Kindern für ihre ganze ſpätere Lebenszeit
Gold darbietet, fo ift e8 auch von Lehren zu orthographiſchen,
grammatifalifchen und declamatoriſchen Übungen fowie zum %b-
fihreiben und Macherzählen anzuwenden. .
ben aufßerorbentli Drei
be en Sensmitden Deut) wi een [de
n
ulen bedeutend erleichtert werden.
Eeivpzis, im Mai 1846.
PA. Brockhaus.
Berantwortlicher Herandgeber: GBeinrich Wrodtans. — Drud und Berlag von F. ME. Brockbaus In Leipzig.
x
et © —
Blätter
für
Montag,
(Beſchluß aus Nr. 144.)
Betrachten wir alfo nach diefem flüchtigen Blicke, ben
wir der Vergangenheit gefchenkt haben, Italiens gegen-
wärtigen Zufland was Die Dramatifche Kunſt betrifft, uud
wir werben deutlich ertennen, daß in Bezug auf thea-
sealifche Darftellung täglich langſame aber unverfennbare
Hortfchritte gethan werden, und daß befonders was Schau⸗
fpieftunft betrifft Italien in der Iegten Zeit Individuen
aufzuweifen hat, wie es fie früher nie befaß. Noch gibt
es bin und wieber Unkraut auszurotten, das neben den
edeln Pflanzungen gleichſam unzerſtörbar fortgedeiht und
als ein Andenken an die erſte Kindheit der Kunſt ſich
erhalten zu wollen ſcheint; aber der Segen der neuen
Frucht, die ihre Wurzeln immer tiefer ſchlägt und ihre
Halme immer mächtiger emporhebt und verbreitet, fol
- Hoffentlich immer fiegreicher über den Miswachs werden
and, bethaut von der ſtets zunehmenden Liebe des Volks
an ihrem Gedeihen, bie legte Lebenskraft des fchädlichen
Einfluffes zerftören.
Als Buͤhnendichter der Gegenwart, deren Probucti-
vieät und Bühnenkenntniß das Publicum anziehen und
den guten Geſchmack an ber Komödie immer mehr aus-
bilden, find Nota und Bon die Beiden, denen in der
Zahl fo mancher Anderer die erſten Pläge eingeräumt
merden müffen. Nota's Productivität ift — groß⸗
artig, und obwol ſchon vorgerückt in Jahren, erhält ſich
fein Talent noch kraftvoll und ergiebig. Bon, ber in
frühern Zeiten als Schaufpieler und Bühnendichter zu-
gleich wirkte, hat fi feit einigen Jahren zurückgezogen
und die Leitung einer Schaufpielerfhule in Mailand
übernommen, welches Amt er aber aus Mangel an Un-
terflügung wieder niederlegt, um fein leichteres Fort⸗
Zommen durch fein eigenes Spiel zu füuchen, welchem
Biederauftreten ganz Stalien mit Freuden entgegenfieht.
Unter feinen 52 beliebten und gelungenen Luftfpielen
und Charaktergemälden, bie alle ausgefprochen den Ty—
‚pus Goldoni'ſcher Schule an ſich Haben, find fein „Cosi
faceva mio padre”’ und „Ludro e Ludretto ” .bie
vorzüglichſten Erzeugniffe, bie.allein hinreichen würden,
am ihm einen bleibenden Namen bei ber Nachwelt zu
Aber eben durch ben Umstand, daß er Bin.
Die bramatifche Kunft in Italien. |
25. Mai 1846;
zugsweiſe vor den Anbern das Bedürfniß einer brama-
ti
ſchen Schule, und wenn die Ausführung dieſes edeln
Planes ihm als Erſtem auch nicht gelang, fo haben bie
Jahre feines Verfuches doch ſchon viele taugliche Indi-
viduen für das italienifche Theater geliefert und fomit
den Nugen dieſes Unternehmens bewiefen. Minder
gunftig ſtellt fich feit dem Berfchallen der bonnernden
Mufe Alfieri's bie Cultur der Tragödie. Jene unna-
türlihen Ausgeburten einer glühenden Phantaſie abge
rechnet, hat Italien keine Tragödie. Manzoni’s „Adelchi‘
und „Carmagnola‘, die durdy Goethe's Beurtheilung fo
allbefannt in Deutfchland find und bie Tprechende Be⸗
mweife von der Selbfländigfeit des großen Hymnendichters
liefern, fanden aus Mangel an Schaufpielern, die fi
der Aufgabe gewachſen gefühlt hätten, nie eine würbdige
Dorftellung und blieben dem Lefepublicum und feinem
reifern Urtheile überlaffen. 0
Maffei's Überfegungen der Schiller'ſchen Stüde hin⸗
gegen, obwol auch zuweilen auf die Bühne gezerrt, reiz⸗
ten durch die blühende Sprache und kühnen Bilder, bie
ber. vortreffliche Lüberfeger in ihrer ganzen Größe mei-
fterhaft glänzen zu laffen wußte, wurden aber immer zu
lang gefunden und blieben trog ber claflifchen Meta-
morphofe Maffei's zu fehr original und deutſch, um jetzt
fhon ihren verdienten Beifall zu ernten; für fie wird
aber auch in Stalien gewiß die Epoche der Anerkennung
und Würdigung fommen, wie es ſchon die ‚gegenwärtige
Aufnahme unbezmeifelt hoffen läßt.
Was nun endlih die Darftellung und Die eigent-
liche Schaufpieltunft betrifft, fo wird Italiens Fortſchritt
in derſelben immer gefeffelt fein, fo lange es nicht fie-
hende Theater mit befoldeten Schanfpielern bat, die ohne
von'einer Stadt zur andern zu reifen unveränderlich in
einem und deinfelben Orte bleiben. Auf biefe Art allein -
tonnen fih wahre Künftler bilden und das Publicum
wird eben dadurch, daß es bes einfeitigen Spieles ber
Individuen allmälig müde wird, der flrengese Richter
und die Schule des Schaufpielers. Wenn, mie es bis⸗
her noch in ganz Stalien der Gebrauch iſt, eine Schau-
fpielertruppe fich nur durch einige Wochen in einer Stadt
aufhält, dort eine gewiſſe Anzahl Städe gibt. und wie
der weiter zieht, jo iſt es eine leichte Aufgabe, das
Publicum zu befriedigen und Applaus zu ernten, da
verſch Durg 9” | Publicu J
nendichter und Schauſpieler zugleich war, fühlte er vor⸗ die wenige Abwechſelung in den Rollen durxchaus nicht
578
geflattet, die vorzüglichfle Eigenfchaft des Schaufpielers,
feine DVielfeitigkeit zu beurtheilen, während der Mangel
dieſer Eigenfhaft bei einer flehenden Truppe bald an
das Licht tritt und den Flitterglanz des eitlen Künftler-
rubmes gaͤnzlich zerflört. Andererfeits iſt durch dieſes
Nomadenſyſtem den Schauſpielern die Gelegenheit ge-
nommen, andere größere Männer ihres Faches fchen
und von ihnen lernen zu koͤnnen, da fich nie zwei gute
Geſellſchaften gleichzeitig in bderfelben Stadt bliden laf-
fen. @egenmwärtig befleht in gan; Stalien nur die Dra-
matica Compagnia Alberti in Neapel, die feine ſolchen
Wanderungen unternimmt und baher vielleicht auch zu
den beften gehört. Karl Albert von Sarbinien befoldet
die Compagnia Righetti jährlih mit 30,000 France,
die übrigens die Erlaubniß hat ſechs Monate des Fahre
zu reifen. Sie gehört ebenfalls zu den beften und zählt
unter ihren Gliedern die berühmte Robotti, Primadonna,
und den braven Gattinelli jan. Die übrigen Schau:
fpielertruppen ändern mit ihren Inbivibuen auch ihre
Namen, woburd auch noch der Nachtheil entfteht,
dag man nie weiß, was man von ihr zu erwarten habe,
da fie von einem Erfcheinen zum andern oft alle ihre
brauchbaren Sndividuen verloren und, da der Director
ſich erhalten, doch ihren Namen nicht verändert hat.
Die beffern unter ihnen forgen mit Eifer ihre‘ Schau-
fpieler in der neuen vom Publicum fo beifällig aufge⸗
nommenen dramatifchen Schule. zu bilden und mo mög»
ih ganz die veraltete, höchſt drollige Declamation und
Schreierei zu vertilgen, die eben in biefen neugefchulten
Truppen oft höchft fonderbar zugleich mit der neuen auf
bie Breter kommt und fo als Zufammenftellung ber Ge-
enwart und Vergangenheit häufig nicht ohne Intereffe für
&enen ift, der fih zurüdzaubern will in die Zeit der
milden Jugend der Kunft, um ihre Hortfchritte in der
Gegenwart deutlicher zu bemeffen. Gin UÜberbleibfel aus
jener (der Mufe fei es gedankt) allmälig untergehenden
Epoche ift noch die Art, mit ber die untergeorbneten
Geſellſchaften moderne Stüde in Scene fegen und
wie denn eine Kleinigkeit oft charakteriftifch werden kann,
ihre Schwäche zum Beifpiel in den Anfchlagzetteln blof-
geben. So murden im Herbfte des vergangenen Jahre,
fage 1845, im Venedig, der von Goldoni und Federici
geſchulten Stadt, von einer gewiffen Gefellfhaft Gandini
und Prosperi die „Burggrafen” von Victor Hugo, in
das Stalienifche überfegt, als Sonntagsftüd benugt und
ihre Darftellung mit folgenden Worten, bie ich treu
überfege, angelündigt:
Sonntag wird die Compagnie ein
Bühne bearbeitetes Drama von dem berühmten Bictor Hugo
vorzuftellen bie Ehre haben, welches Alles darbietet, was nur
intereffant, myſtiſch und phantaſtiſch genannt werden kann.
Es ruft uns bie längft vergangenen Seiten und bie alten it:
‚ten Germaniens wieder ins Gedächtnis und fpielt in der Epoche
Friedrich's I., genannt Barbaroffa. Auch Die Perfonen, die darin
vorkommen, ſprechen von vergangenen Beiten, benn wie der
Zettel weiter unten zeigt find fie alle Greife. Diefes Drama
in drei Abtheilungen führt den Titel:
. .. Die Qurggeafen. Erſter Theil: Der Ahn von hundert
Jahren. Bweiter Theil: Der Bettler. Dritter Sheil: Die
anz neues für dieſe
unbefannte Höhle und bas verfäleierte Weib oder: Hiob ber
alte Zitane vom Rhein, oder: Wriedri der Große aus dem
Grabe erflanden, oder: Die corficanifhe Sklavin, duͤrſtend
nach Rache in der ſchreckenvolle Höhle des Brudermordes.
Ex ungue leonem! Kann ſolch ein Theaterzettel
nicht als Barometer betrachtet werden, um bie Tiefe zu
meffen, in die man binabfleigt, wenn man einer fo an«
gefündigten Aufführung beimohnt? Arme Kunft, bie
noch mit ähnlichen UÜberbleibjeln zu fämpfen hat und fene
Nuinen erft dem Boden gleich machen muß, bevor fie
an tüchtige neue Bauten denken darf; und armer Victor
Hugo, über den es im „Charivari” hieß:
ugo lorgnant les voutes bleues
Au Seigneur demande tout bas:
Pourquoi les astres ont des quexes
Quand les Burgraves n’en ont pas?
Er hat es ſich wol nie träumen laffen, daß ihnen eine
folche queue zu Theil voerden follte.
Um fo mehr find aber unter folchen Umfländen jeme
beharrlihen Männer zu bewundern, die Kraft ge
nug befigen, frei von den Überreften alter Vorurtheile
ihren Weg zu verfolgen, denen es gelang, in einem und
demfelben wahren Geiſte dee Kunft zu wirken und als
Lehrer in bderfelben Schulen zu errichten, aus denen
täglich neue, hoffnungsvolle Schaufpieler hervorgehen.
So fchled Beftri vor wenigen Jahren, nachdem er
fih nicht nur felbft ganz der neuen Schule zugewendet
und bei feinem großen, vielfeitigen Talente zugleich im
ihr geglänzt, fondern auch viele wadere Männer in
feiner . Schule gebildet hatte; fo erfreuen gegenwärtig
noch durch ihre ausgezeichneten Leiftungen Zenoni und
Taddei in Charafterrollen, die noch junge aber in der
Kunft ſchon vorgerüdte Niftori für das Hochtragiſche
und‘ ihr würdig zur Seite Signora Robotti; aber an
der Spige bes italifhen Dramas, durch feine eigenen
Leiftungen ſowol als durch den erfolgreichen Einfluß auf
die bildende Schule, fteht ohme Zweifel Guſtav Modena,
der einzige eigentlich dramatifch gebildete Bühnenkünſtlet
Italiens, der durch die trefflichen Individuen, die er
herangebildet hat, für die darftellende Kunft Das zu wer
den verfpricht, was Goldoni für die fchriftftellerifche war,
der Wendepunkt, von: bem das Licht auf die nachkom⸗
mende Generation ftrahlen fol. Sein langer Aufent-
halt in Frankreich, England und ber Schweiz haben
ihm, feine natürlichen Gaben abgerechnet, einen freieen
und ſchärfern Blick zu verfhaffen gewußt, um bie Feb-
ler und Mängel feiner vaterlänbifchen dramatifhen Li⸗
teratur und Darftelung auf eine Art zu beurtheilen
und zu verbeffern, wie es vor ihm noch feinem feiner
Kunftgenoffen geftattet war. Er führte, der Erſte,
Shakſpeare's und Schiller’! Werke in gelungenen Pro⸗
ductionen dem Publicum feines Waterlandes vor, und
machte es empfänglich für jene ihnen frembdartigen und
bisher unbefannten Schönheiten der Dramaturgie. Tüch⸗
tig in Anſtandsrollen, ausgezeichnet unb tief in Dar-
ftellung von Charakteren ift er endlich einer ber Weni-
gen, dem es durch fein natürliches Spiel gelingt, dem
Schauſpieler vergeffen zu machen. Sein Ziel ift nice
: war, weiß Meidete und foldhergeftalt die Beſatzun
5
die augenblidtihe Wirkung, fondern eine Darfiellung
mit kritiſchem und Afthetifchem Sinn und feine für Ita-
lien ungewöhnliche Genauigkeit im Goftume ift ebenfalls
ein Beweis von. der fo klar ausgefprochenen Tendenz,
ein einförmiges, claffifches Ganze zu bilden, dort, wo
man bisher nur einzelne Bruchflüde zu fehen gemohnt
war. Mit ihm ſchließen die Kortfchritte in der drama-
tifchen Kunft Staliens in unferer Zeit, er muß als Grenz-
flein zwifchen der Vergangenheit und Zukunft betrachtet
werben, und wenn fein edles, lobenswerthes Streben
nicht wieder aus Mangel an Unterfikgung unterliegen
und die Fackel feines Genius aus Mangel an Nahrung
erlöfchen follte, fo bat Italien volles Recht, von ihm ben
entfcheibenden Impuls zu erwarten, der es in biefem
vernachläffigten Zmeige ber Kunft heben und den übri-
gen Nationen gleichftellen kann. '
Beinrich von Eittrow.
Die Familie Clifford in England.
Die „feſten“ Lords Clifford, deren bunte Erlebniſſe eine
hervorragende Stelle in der engliſchen Geſchichte einnehmen,
ſtammten von den Herzogen der Normandie und nannken ſich
nach ihrer Burg in der Grafſchaft Hereford. Ihre fruͤheſte
romantiſche Beruͤhmtheit ruht auf der Sage von der ſchoͤnen
Roſamunde, ältefter Tochter Roger's von Clifford, des Erften
dieſer Familie, der durch Ererbung der Ländereien und des
Schloſſes Brougham unweit Penrith in Cumberland auch im
Norden maͤchtig wurde. Er vergrößerte das Schloß und ließ
‚über den innern Thorweg die noch heute lesbare doppelfinnige
Inſchrift fegen: „Dies machte Roger.’ Gr fiel in den Krie
gen mit Wales. Sein Sohn und Nachfolger, Robert, heißt
wegen feines hohen Wuchſes und Priegerifchen Deldengeiftes
der größte Mann der Familie Cr war einer der Vormuͤn⸗
der Eduard’ Ill., der ihn zum Großadmiral ernannte. Auch
foht er in Eduard's Kämpfen gegen Schottland und wurde
dafür mit eingezogenen Gütern der Marwell und Douglas be:
lohnt. Doc trug ihm das Seinen Segen. Er wurde ben 24.
Zuni 1314 in der Schlacht von Bannodburn erfchlagen. Man
erzählt, daß Eduard Baliol nad, feiner Entthronung in Schott:
land von Robert ehrenvoll aufgenommen und auf deffen Schläf:
fern Brougham, Appleby und Pendagron ſtattlich bewirthet
worden, fomwie daß der von der Sage und in Jagdgeſchichten
efeierte Hirfchgeweih:Baum im Parke zu Whinfelt jenem Be:
uche feinen Namen verdanke. Die Geweihe des Thiers, wel:
ches der PFönigliche Saft unter dieſem Baume erlegt, waren an
benfelben feftgenagelt worden, erhielten fi) drei Jahrhunderte
lang und fdhienen aus dem Baume hervorgewachfen, bis 1648
das eine und zehn Jahre fpäter das andere muthwillig abge:
brochen und entwendet wurde. Roger, der fünfte Lord, „der
weifefte und tapferfte Clifford”, focht ebenfalls in Eduard’s
Kriegen gegen Frankreich und Schottland und mar der Erfte
feines Stammes, der einen Enkel erlebte. Sein Sohn Thomas
gehörte zu Richard's II. lockern Gefellen, wurde durch Parla-
mentsbeihluß vom Hofe verwiefen, zog mit den Kreuzfahrern
und fiel in der Schlacht mit Hinterlaffung eined Sohnes, wel:
chen ganrid V. verdientermaßen zu feinem Sünftlinge wählte und
der fih mit der einzigen Tochter des berühmten Hotſpur ver»
mählte. In der Blüte feines Alters flarb er in der Belange:
rung von Meur in Frankreich und ruht in der Abtei: Bolton.
Sein Sohn und Erbe, ebenfalls Thomas, that fich in der Schlacht
dei Poitterd hervor und erobertt die fefte Stadt Yonthoife, in:
dem er fi) und die Seinigen, weil Alles’ mit ee bedeckt
überrum-
pelte. Er war ein treuer Anhänger der-Lancafter’jchen Partei
und fiel im Kunpfe der Brofen dei &t.-Albans am 3% Mat
1455, fechtend für den Fuͤrſten, in deffen Dienit feine Familie
Großes geleiftet und ſchmerzlich gelitten. Es ift derfelbe Lord
Clifford, von welchem Shakſpeare im zweiten Theile von
„König Heinrich VI.” den Sohn ausrufen läßt:
— — Wast thou ordained, dear father,
To lose thy youth in pence, and to achieve
The silver livery of advised age;
And in thy revereuce and thy chair days thus
To die in raffian battle 3 ‘
Rur irrte Shakfpeare, dag Clifford „in Frieden feine Zugend
verloren‘. Auch der gräßlihe dem Sohne in den Rund ge
legte Racheentfhluß: .
Henceforth I will not have te do with pity!
bezüchtigt diefen einer Blutgier, von welcher die Geſchichte
nichts weiß und womit Shakſpeare ihn auf Autorität des Chro⸗
nitenfchreibers Leland gebrandmarkt hat, der von ihm fagt, er
babe bei Wakefield fo Bicle erfchlagen, daß er deshalb der Flei⸗
ſcher genannt worden. Wahr if, daß er auf der Verfolgung
en jener Schlacht den jungen Grafen von Ruthland tödtete,
Sohn. des gleichzeitig gefallenen Herzogs von York. Doch recht⸗
fertigt Das Shakſpeare nicht. Ruthland war Fein Kind mehr,
fondern 19 Jahre alt, und als Clifford Tags vor der Schlacht
bei Towton im Ddittingdaler Thale erſchlagen wurde, zählte er
26 Jahre. Weine eingezogenen Güter erhielt der budelige Her:
1 von Glouceſter, fpäter Richard TII, und von feinen zwei
Söhnen fuchte und fand Heinrich, der ältefle, ein fiebenjdhrl:
‚ger Knabe, bei den Thalbewohnern von Eumberland nicht blos
eine Zuflucht, fondern lebte auch 24 Jahre unter ihnen als
Schafhirt und fol 2 den alten Ehalddern durch das Beob-
achten der Sterne ſich aftronomifche Kenntniffe erworben haben.
Wenigſtens find in den Clifford'ſchen Archiven Handſchriften
aus jener Zeit entdet worden, die vom ‚Schäfer -Lord’’ Her»
rühren follen und, wenn das gegründet, Seinen Zweifel_laffen,
baß er neben der Sternkunde auch Aftrologie und Alchymie
getrieben. Nach der pronbefteigung Heinrich's VII. gelangte
er zum Beſit feiner Würden und Güter und beißt in der &e-
fhihte „ein einfacher Mann, der meift auf dem Lande lebte
und nur an den ‚Hof oder nach London Fam, wenn das Parla⸗
ment feine Anweſenheit foderte, dann aber wie ein Huger und
wackerer englifcher Edelmann ſprach und handelte”. Sein Lich:
fingsaufenthalt war Barden Tower, fein Lieblingsumgang mit
ben gelehrten Stiftöherren zu Bolton. In feinem fechzigften
Jahre z0g er an ber Spitze feiner Mannen zur Schlacht bei
Flodden „und bewies bort, daß weder das Alter den kriegeri⸗
ſchen Geift feines Haufes in ihm erkältet noch frietliche Be⸗
fhäftigungen denfelben erftitt hatten”. Beine vier nächflen
Porfahren hatte der Schlachtentod ereilt; von ihm fingt Words:
worth in einem ber ſchoͤnſten lyriſchen Gedichte der englifchen
Sprache: „Bong at the feast of Brougham Castle upon the
restoration of Lord Clifford the Shepherd to the estates
and honours of his ancestors”:
In him the savage virtue of the race,
Revenge and all ferocious thoughts were dead;
Nor did he change, but kept in lofty place
The wisdem which adversity had bred.
Glad were the voles and every eottage hearth,
The Shepherd Lord wes konsured more and more;
And ages after he was laid in earth,
„The good Lord Clifford” was ike name he bore.
Zehn Jahre nach der Schlacht bei Flodden flarb er am
23. April 1523. Seine legten Jahre wurden durch die Laſter
und Thorheiten eines ungehorfamen Sohnes getrübt, der fi
jedoch nachher befierte und als Günftling Heinrich's VIII den
Zitel eined Grafen von Eumberland und von den geplünderten
Kirhengütern unter Anderm die Priorei Bolton erhielt. Sein
Sohn und Erde fol viel Gelehrfamkeit und viel Wiſſen in ber
sah ot me seumlilie Gh mi Cuc mb ter Zed
De Ges Demmei ı VER — zu uber Derım. Cie Idbte
Suurg 6 IN. son Vrankeih. „sun Das“, wie Harley Ge Gurzt zn ferzpr
wage lg. „nem Berchtub bel verin weder u, de Eier wa cm
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@rı im tie Mühe von Lonten Lam”. WS Zeige aufzebeier ' %rzı Derſet Yenbeske ut Heutgemerg”
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Geiummpeit una Bach Furl Inge nah der Berichung eimeh AR fettenen Jahszu.
— 52* yon Ay Klee Daraus 2 |
eine unguliidge * Ein Gsrsturikiiher Zug Genrg s wer Litererifge Rotizen aus Zranfreid.
—— nach Deſiadien —— ————— augier
Cirrra Leone, mei gegen die Helländer wat Der franiüfhe Witicxstmchtäunt wirt ber ine De
ei i x nıdt chen jeher fenberfich ge⸗
(ol Reis auf eigene Roßen. Im Dam merkwürdigen Jahre ber | Euungen m Minen berunmciuh ri *
—— ——⏑ ergiebigere Qæe⸗e Ixzten Sie
vor Eslels ans umd auf feiner Dritten Untsruchmung, 1568, | nien den imgerfertizen Zagesicriitfärllern, meide mie
(dheifte er Jayal in den Azoren nd eroberte 23 Sie im Lei hgrrien Der —
Gdammtwerige von mehr als Diinn Yf. Et. Dog mußte ſch ⏑⏑ Derkelungen de Sr ermerken
es bafüz ſchwer leiten — EBunden, Dunger und Dur De re ie Beœken, weige — bar
er zageich cin Licbling der Römigin Glifaberh wer, die ige 5 ne — — in Bedürfuiß genũg ern
—— * —— Darf 26 nick —* ur perkient eine ilufricte Ken Gheikian, der mad afım
der Meighe feiner Berfahren anzefanzen und nah 2 Jahren | Rihtungen bin Ah als geſchickten Faiſent beihatigt bat, vor
066 der Arme aufhörte. Er ſtarb in London und ruht in ber theichaft herdergeheben gu werden. führt ten Kite:
Gruft de anche Blipton. Mit feiner Zone, Der 7* r— ie ee et les desertes
Br ucn Ongienbs,erieibas große und edle Gefhleit. Das | und behantelt außer der eigentlidy pittoreslen Partie natũrtiqh
# an ihr merfwürtig, daß fie eine Beireibung ihres Lebens | vorzug&weife Lie Ercberungen und die Greßthaten ver Tram)
hinterlaffen bat, vell intereflanter Details in Bezichung „a pißen —— en iR au ia Berarbeitung ber :
" i
32 en —— fe für Fe hir] *7— Di: | man hier und ba durch ein gewiſſes Prunkea mit nationalen
—
i ⸗ i rii ert ne iv, N)
* lieh. Roh * ——— * fd) mi Richard, drit- welchen der Berf. bei feiner Arbeit im Auge hatte, wit in
sem Grafen von Borfet, einem wigigen und geiſtreichen Blanne, Anſchlag bringen. _
aber einem liederlihen Berſchwender. ie gab ihm zwei Zoöch⸗ Die Kath Bralı en ii
ac verben — —— Gegenwärtig im Behg ber Bitet yat fih dur, feine (ehr —— — igen literaris
egemaligen ülifferd (hen @üter in Weſtmereland und Eraven. ſchen Keiflungen ald Kenner des Mittelaltere, beſonders infe-
1624, und mie ſchmerzlich aud Lady Auna von feinen | weit daflelbe betrifft, vortheilhaft befannt gemadt
Bopf, einen frechen Schwoͤrer und eine Memme — „ein ſchla⸗ Rachricht und eine tiefer gehende archäͤologiſche Ausein
ender Beweis’, fagt ihr neuefter und vorzüglichfter Biograph, derfegung voran. Diefe Partien haben aber ſelbſt ein allge:
Bari Golerldge, „daß oft die werthlofeften Männer über die | meines Interefle, indem in denfelben Andeutungen gegeben wer
eften und Mügften Frauen, namentlich über ſolche von gewifs | den zu einer ſtreng wiſſenſchaftlichen Glaffification der Buuüber:
en Jahren, eine unerklaͤrilche Gewalt Haben”. Die Verbin: | refte des Mittelalterd. Das ganze Werk büdet einen wichti⸗
ung wurde für die Gräfin eine Quelle des bitterfien Kum⸗
mers, bis am 83. Ianuar 1650 ber Tod Ihres Gemahls fie | tet’s zufolge, die Kirche zu Royon angehört. Der aus 23 Tas
erloͤſte. Dennoch fpricht fie von ihm, wie eine gute Prau von | fein befichende Atlas, welcher der beutlichern Anſchauung wer
— eſtorbenen Manne ſprechen ſollte, wäre es auch blos zu gen dem Werke beigefügt iſt, bat den Architekten Daniel Ro:
ihrer eigenen Ehre — fie deutet feine Fehler an und verweilt | me zum Verfaſſer. Wir wiſſen nicht, ob dies der nämliche
bei feinen MWorzügen. Bereits durch den frühern Hintritt ib» | Kunfttenner if, welcher ein recht brauchbares Handbuch ber
zes Oheims und deſſen Sohnes waren die Befigungen des Hau: | Archaͤologie geſchrieben hat. 17.
na —
VBerantwortiicher Deraudgeber; Heiurich Mrodband. — Drud und Berlag van J. X. Mrodpans in Reipgig
\
u. __ ‚eine
Bl atter =
für
literari ſche Unterhaltun g.
Levin Schücking.
1. Gedichte von Levin Schücking. Stuttgart, Cette.
1800 3. 1 Spt. ie — aut
3. Die Ritterbürtigen. Roman ven Levin Shüding.
De Theile. Leipzig, Brockhaus. 1846. Gr. 13. 4 Zhir.
gr.
Wir halten die beiden vorliegenden Werke Schücking's
für maßgebend, um aus denfelben nicht allein feine Stel
lung zur Literatur der Gegenwart nachzuweiſen, fondern
auch die Muſe des Dichters in ihrem eigentlichen Weſen
zu erfaffen und würdigen zu lernen. Schücking iſt zwar
en Mann von ganz moderner Bildung, aber bie Fra⸗
gen ber Gegenwart, ber Kampf und das Ringen ber
neuern Ideen ſcheinen erſt dann an ihn Kerangetreten
zu fein, in feine Entwidelung eingefhlagen zu haben,
als er bereits ſchon für fich auf dem Wege ber: eigenen
Ausbildung einen begrenzten Standpunkt, eine abge:
fchloffene Welt errungen zu haben meinte. Sein Weſen
bat den Kampf von unten heraus nicht mitfchlagen bel»
- fen und ſich daher zum Theil auch ganz fpröde der neuen
Entwickelung gegenübergeftellt, da es eine beftimmte Rich-
tung, eine charakteriſtiſche Individualität fchon geworben‘
war; was auf bem Wege einer von Jugend auf dur
moberne Ideen geleiteten Ausbildung leichter erzielt wird,
lebendiger in das Weſen felbft übergeht, hat Schücking
erft auf dem fauern Wege des Gedankens in fich aufgenom-
men, zuu Theil auch mit den Formen, bie von: früher
her bei ihm feſtgeworden waren, zu verſchmelzen gefucht.
Es ift Har, daß auf diefem Wege ein gewiffer Zwie⸗
fpalt mitten in bie früher harmonifche Welt des Poe⸗
ten gefommen ift: die Anſchauungen und Bilber aus
dee erſten Periode kommen mit ihren, jüngern Genofien |
oftmals in Streit und Hader; bald ſtecken biefe fiegreich
ihre Banner auf ben Trümmern von jenen auf, bald auch
und öfters noch ziehen jene mit klingendem Spiele und
Fliegender Fahne an ihren jüngern Brüdern triumphirend
porüber. Es ift mol überflüffig zu bemerken, daß wir
den Poeten perfönlich gar nicht kennen und daß wir un-
fer Urtheil blos aus und nach ben Erzeugniffen feines
Geiſtes gebildet haben, was um fo ungetrübter deshalb
daftehen wird, als es nicht den Schein haben kann, daß
wir über der äußern Grfcheinung der Perſon bas inne
26. Mai 1846.
Weſen in Schatten geftellt und aus fener und zu Rüd«
ſchluͤſſen auf diefes hätten verleiten Laffen. u
Schüding’s überwiegende, ſtark hervorſpringende Rich-
fung neigt ſich ber romantifegen Poeſie zu; in biefer Ci⸗
genfhaft könnte man ihn den Namen Tieck, Uhland,
‚Amim, Brentano, Freiligrath u. A. zugefellen; in man
hen Punkten geht fie fogar über diefe noch hinaus und
fhlägt ihre Wurzeln in einem Boden, der unferm gan⸗
zen Ideenkreiſe, unferer ganzen modernen Bildung fern
und abgelegen ober von derfelben bereits Tängft über⸗
wunden iſt. Mit diefer angeborenen Hauptrichtung wett⸗
eifert und liegt zum Theil im Kampfe die Weltanſchau-
ung ber Gegenwart; aber lebendig ift fie bei ihm noch
nicht geworden, er fteht noch in dem erſten Entwicke⸗
Iungemomente, die Geftalten haben noch Fein Fleiſch, «6
find Teichte flüchtige Schemen, die Einem durch die Hände
ſchlüpfen, Abftsactionen ohne beftimmten Inhalt, Bilder
ohne Farbe. Schüding flieht noch auf der Brüde, bie
aus der Romantik in die freie lebendige Gegenwart
führt, er macht Anfäge, thut Anläufe, die Geftalten am
jenfeitigen Ufer zu erreichen; aber fie huſchen noch luftig
an ihm vorüber, und er wendet ben Bli wieder rück⸗
wärts nach dem Strande, von bem er auß gegangen; Da
ragen die Zinnen einer alten Burg fo fharf unb Ted
in die Wolken hinauf, ba gieft der Abend ein mildes
rofenfarbiges Licht über die Gipfel und Spigbogen Der
Dome, bie Glocke ſchickt fo weich und wehmüthig ihre
Ave Mariatöne zu dem Wanderer hin, der am Ge⸗
ſtade eined Sees wandelt umb bie Riren tief unten im
kryſtallenen Hanfe ihre goldenen Haare ftrählen ſieht;
da fehaut von dem Balcone ein Ritterfräutein in bem
Durghof hinunter, in welchem die Knappen in blanter
Rüftung bie von der Jagd ermübeten Roſſe führen,
und nebenbei lauſcht fie ſchalkhaft den Tönen einee
Minneliedes, das unten aus ber Laube ihr Ritter fingt.
Welche Macht, weiche Pracht! wie Das anzieht und
lodt! Der Poet lebt fo fortwährend in ber Schmwebe;
will er dieſen Traͤumereien drüben laufchen, all die Töne
und Bilder mit ‚ihren verführifchen Lauten, ihren glei»
Senden Farben in feine Seele ungeflört und ungetrübt
aufnehmen, fo mahnen fenfeit wieber‘ bie ernften, ſchwe⸗
ren Klänge, die Glocke der Zeit ſchlaͤgt mit ihrem Rie⸗
fenhammer die Stunbe des Morgens, und ein ganzes
d
Volk ſtimmt freie, muthige, nie gehoͤrte, nie geahnte
Hymnen an. Erſt wenn der Zwieſpalt, der bis jegt
noch das Weſen Schüding’s fheilt, innerlih überwun-
den, wenn bie Einheit eine wirkliche wahrhaftige ge-
worben ift, dann erſt werden auch die Erzeugnäffe feiner
Mufe wahrhaft, fünftlerifchen Werth erhalten, und zwar
Am: fo größern als er ben Begenfag zwifchen alten und
neuen Beten felbft durchgemacht und beide fein Weſen
mit ihren Formen und ihrem Inhalte befruchtet haben,
während den vorzugsweiſe fogenannten modernen
diefe Doppelfeitigkeit zu eigenem Nachtheile abgeht und
auch Diefe wieder zur Einfeitigkeit hindrängt. Wo bie
Urfachen Diefes angegebenen Bildungsganges von Schüding
liegen, das wollen wir nicht enticheiden, da wir hierzu
mit den Ereigniffen feines äußern Lebens vertrauter fein
müßten ald wir es in ber That find; aber jedenfalls
koͤnnen wir mit Gewißheit annehmen, daß bie Exziehung
und der Aufenthalt in einem, katholiſchen Lande viel zur
Grklaͤrung und Rechtfertigung des poetifchen Standpunkte
beitragen wird, Wenn wir einmal eine Hypothefe wagen.
bürften, fo würben wir annehmen, daß Schuͤcking eine
kloͤſterliche Erziehung ober doch wenigſtens eine Bildung
genoffen hat, die von geiftlichen Elementen beherrſcht
wurde; denn nur daraus laͤßt ſich eigentlich feine Ver⸗
fpottung, fein Abfcheu gegen bie Philoſophie erklären,
bie er in dem Gedichte „Die Philoſophen“ betitelt zu
erkennen gibt: denn dies iſt nicht ber Ausdruck, wie ein
portifche® , geftaltungsreiches Gemüth etwa gegen die
NMPhiloſophie als eine reine, abſtracte Wiſſenſchaft an⸗
kampft, ſondern es find die trivialen, abgenutzten Phra⸗
fen, mit denen Finſterlinge dieſe Blüte des menſchlichen
Geiſtes zu verbächtigen fuchen.
Sagt mir nur Eins und ich will glaͤubig ſein:
Wohin des Hundes Seele einſt wird fahren?
Beigt mir nur Eins: ein krankes Käferlein
Seat von eurer hoben Kunft Sch |
Shut mie nur Eins: ein gluckſend Küchlein brütet
Uns al den tauben Eiern, die ihr huͤtet!
Wir glauben im Intereffe der Menfchheit nicht an
bie Unfterblichkeit von Hundefeelen, find auch nit fo
fentimental, am Krankenbette eines Käfer zu weinen,
und möchten gern für ben Poeten der Betrachtung bie-
fe6 Gedichts, das meniger noch als ein taubes Gi ifl,
ums überhoken haben, wenn es nicht mitten im ber
Sammlung guter Gedichte flände und wenn wir es
sicht vorher erſt beifeite haben wollten, ehe wir auf bie
"Gedichte felbft eingingen, damit es nicht als ſtoͤrender
Geiſt fortwährend auftauchte und uns den Eindrud ver-
Runımerte, den Genuß vergälte.
Die Gedichte zerfallen in vier Hauptabtheilungen,
Liebesgedichte, erzählende, vermifchte und Sibylliniſche
Blätter, welche legtere aber blos der Form nad, bem
Poeten angerechnet werben können, ba fie nah ©. T.
Coleridge bearbeitet find. Liebesgedichte und verntifchte
bilden ben verzüglichſten Inhalt des Buchs, ba fie bie
beutlichften Spuren einer eigenthumlichen, charakteriſti⸗
ſchen Individualität tragen, während bie erzäblenben ber
Form nad in dem. Uhland’fchen Balladenflile ſich fort-
.
= L
%
. “
bewegen, und oft weit hinter dem treubersigen, kernhaf⸗
ten, volksthümlichen Ausbrude jenes Sängers zurück⸗
bleiben. So fehr wir auch die erzählenden Gedichte
ben Balladen Uhland's, Schwab's und andern neuern
unterordnen, ebenſo fhellen wir auch die Biebesgebichte und
diele davon, "welche unter den vermifchten ſtehen, nid
allein den erotifchen Riebern ber vorhergehenden Dichter
gleich, fondern manche noch über biefelben. Jene Ge⸗
dichte haben außer ihrer ungemein reinen unb faubern
Form, ihren fchönen Bildern und Gleichniſſen eine große
Ziefe. und Fülle der poetifhen Anſchauung vor jenen
voraus, fie halten die fhöne Mitte zwiſchen den üppig-
küfternen, oft lasciven Liedern Heine's und ben im trodien
nen Reflerionsftile gehaltenen Gebichten fo mancher neuern
Poeten wie eines Diefenbash, Hartmann, Haltaus u. X,
ebenfo wie zwifchen den aus tiefer zerriffener Bruſt her⸗
sorgedrungenen Kiagelauten Lenau's und den heitern,
leichten, durchſichtigen Rhythmen von Uhland. Wenn
man gerade einen Vergleich mit. einem Altern Poeten
zulaffen wollte, fo würde man hier wol .ohne viel fehl
zu gehen in bie mittelalterliche Poeſie zu greifen haben,
etwa nach Walter von der Vogelweide, zugleich Tiefe fich
aus einer folchen Parallele auch nachweifen, wie die mo»
bernen Dichtungen, fo fehr auch die alten wie mittelafter-
lichen Philologen vornehm fie über die Schultern m
fehen, die älteern Poefien an Breite und Ziefe der Em-
pfindung, an Schönheit und Mannichfaltigkeit ber Form,
an Befchmeidigkeit und Eleganz ber Verſe und Rhyth⸗
men übertreffen, wenn fie ihnen zum Theil auch an nai⸗
ver Wahrheit nachſtehen ſollten. Die Poeſie Schüding’s
iſt ein Brunnen in einem grünen Parke: der Strahl
führt melodifh aus ber Quelle in vie heitere, reine
-Quft, Die Sonnenftrahlen gligern in feinen WBaffern, die
flufternd und fehäumend in ein Beden von glatten Mar⸗
mor wieber zurüdfallen, frei und ungehalten, indeß ſchoͤne
Frauen an das Waſſerbecken berantreten und ihre Au⸗
gen meiden an bem Funkeln bes Strahles und ige Ohr
ergögen an dem melobifchen Geplaͤtſcher. Schüding’s
Dichtung trägt faft gar feine oder nur fehr geringe
Spuren von der modernen Gentimentalität ober Zerrif-
fendeit, feine Gefühle und Empfindungen gleiten ruhig
und heiter über bie Wellen des Lebens, und nur hier
und da klagt eine Welle von „trüben Tagen und blei-
hen Wangen”. Es ift ein flilles, feliges Befangenfein,
ein Träumen in Liebe und Ratur, bas Über der Dich⸗
tung Schücking's waltet; die Wellen unb Strudel, wel⸗
che das Leben aufwirft, löfen fih auf und an ben Klip⸗
pen der Zeit fteuert feine Mufe ruhig und fern vorüber.
Als charakteriſtiſch für Schücking heben mir noch her⸗
vor, was zugleich auch den Vergleich mit Walter von
der Vogelweide weiter rechtfertigen mag, daß eine ge⸗
wiſſe Frommigkeit, eine rellgiöfe Stimmung als rotcher
Baden durch die Gedichte fi hinzieht, eine Gotteserge⸗
benheit, die aus dem. abendlich frommen Giödeniäuten
Gegen ruft auf Thaͤler und auf Höhen unb wie Ge⸗
bete die Schlafen feiner Geliebten umſchwebt. Die
Freude an der Geliebten klingt bei Schücking aus im
32418231
m,
m
On
ten nad Groberungen ringt, bie innerhalb feiner ſelbſt auf
den friedlichen Pfaden der ung und Menſchlichkeit gu voll«
bringen find” — gefeflelt hätte, wenn man nur — das Bas
terland an den Schubfohlen mitnehmen Fonnte! Ob unter diefen
Umftänden der Verf. der gegenwärtigen Betrachtungen für
ganz unbefangen und unparteiiſch in feinen Anſichten und Ur⸗
ilen über Rußland und das ruffifhe Bolk gelten koͤnne,
möchte Ref. bezweifeln. Letzterer verkennt übrigens das In»
tereffe durchaus nicht, welches das Streben Rußlands dem Be:
obachter gewährt, und ift auch der Meinung, daß bie Aus:
laͤnder nicht immer mit der erfoterlihen Unbefangenheit die
Buftände Rußlands betrachten, wenngleich es nicht als ein Bor:
wurf gelten Tann, biefe Buftände fowie das ganze politifche
GSyſtem Rußlands, namentlich im Berhältniffe zum Auslande,
richt blos zum flawifchen Polen, mit mistrauiſchen Blicken zu
betrachten, als Patriot und als Kosmopelit. endarum vers
kennt Ref. auch nicht, daß die vorliegende Schrift, intereffante
und lehrreiche Auffchlüfle über Rußland fowie überhaupt
über die flawifihen Bolköftämme enthält, die manche Irrthümer
über diefelben zu berichtigen wol geeignet find.
Die in der neuern Seit ſtaͤrker erwachten nationalen An⸗
tipathien der deutfchen Volkseſtaͤmme gegen die flawifchen, die
u fehr in den Berhaͤltniſſen der ergangendeit und in der
erfchiedenheit der innern Kigenthümlichkeiten beider ihren
Grund haben, werden freilih alle diefe Betrachtungen und
Mittheilungen des Berf. nicht zu befeitigen vermögen, eben
weit fie auber uns, weil fie in der Sache felbft liegen. Bor:
nehmlich macht übrigens Ref. auf alles Das aufmerkfam, was
in der vorliegenden Schrift über die Bitten und Gebräuche
der Slawen, ihren Charakter, ihr gerät liches unb geiftiges
Leben, dabei über ihre Volkslieder bemerkt wird, fowie was
der Verf. weiterhin über die Stellung Rußlands, feine poli-
tifch nationale Entwidelung, feine ſocialen Zuftände, das Sy:
flem feiner Regierung und das Streben der flawiichen Voͤlker
nach Eonfolidirung und Erlangung einer gewiſſen Einheit aus-
fprigt. Dabei verhehlt er die Mängel der ruffiihen Civili⸗
fation (Leibeigenfhaft, Mangel eines lebenskraͤftigen dritten
Standes) durchaus nit, beklagt in Betreff der ruffifchen
Mechtöpflege die große Beftechlichkeit vieler ruffifchen Beamten
fowie den großen Mangel an Landſchulen. Doch rühmt er
den Drang nah Einfiht und Bildung im ruſſiſchen Bolke,
und fucht den Vorwurf, den man ihm in geiftiger Hinſicht zu
3343 gewohnt ſei, daß es mehr das Talent der glücklichen
Rachahmung als eigene, originelle Erfindungsgabe und geniale
Geiſteskraft befige, durch eine nähere Betradytung der ruſſiſchen
Dichter und Profaiften zu befeitigen. Was die politifchen Be⸗
bungen Rußlands nah außen, namentlich nach Süboften
owie zur Bildung eined auch geiftig in ſich zufammenge:
ſchloſſenen, ſlawiſchen Univerfalftaats anlangt, fo vertheidigt
ber Berf. nicht nur dieſe Idee an fi, fondern er hält au
ihre Verwirklichung nicht für unmöglid, und meint fogar, daß
„der Gang ber neuern Geſchichte ihrer einftmaligen Erſchei⸗
nung gleichſam vorgearbeitet” habe, und namentlih Rußland
„duch feine fortdauernden, conjequenten Beftrebungen, feine
außere Staatseinheit auf eine innere, geiftige Verſchmelzung
der durch jene zufammengehaltenen Völferfchaften zu gründen,
ihrer concreten Geftaltung um ein gut Theil näher geruͤckt zu
fein ſcheine. Intereffant ift in dieſer Hinficht die fernerweite
Mittheilung, daß die Hoffnungen, mehr wol noch die Befürd-
tungen, die fih an diefe Idee knuͤpfen, ſchon früher umfichtigen
deutfchen Staatsmännern nicht fremd geweſen feien. Der Verf.
nimmt hierbei auf die Außerungen des öſtreichiſchen Internm-
tiuß bei der Pforte an den Fürften Kaunig nad) dem Ab⸗
ſchluſſe des Friedens von Kainardſche 1774, durch welchen ber
koloſſale Leib des ruſſiſchen Reichs abermald an Umfang ge
wann, Bezug, Außerungen, von denen ſich in unfern Jagen
fo Manches verwirklicht hat, was damals nur Befürchtung,
nur Traum zu fein ſchien, während es auf ber andern Weite
cheint, als ſaͤhen unfere deutſchen Staatsmaͤnner der Begen-
wart mit anbern Nugen — wenn fie nur feben! — und in wm:
befangener Ruhe dem Ullen zu. Daß aud fenft bie fremden
Regierungen - fowie die Voͤlker in engern und in weitern
Kreifen aus der vorliegenden Schrift viel lernen Fünnen, da:
für wollen wir bier nur die wahrhaft geiftvollen Worte des
Kaifers Nikolaus, die er nach feiner Xhronbefleigung an fein
Bolt richtete, bie aber auch an bie erichtet
koͤnnten, berfegen: „Möchten doch bie Familienvaͤter ihre ganze
Aufmerkſamkeit auf die fittliche Bildung ihrer Kinder richten.
Denn eb if wahrhaftig nicht den Zorffchritten der Bildung,
' fondern der Eitelkeit, Die eine Leere des Geiſtes hervorbringt,
und dem Mangel an gründlicher Unterweifung und zu⸗
uſchreiben, daß ſich der jugendlichen Gemuͤther eine. ſolche
echheit des Denkens, eine ſolche naung der Leiden⸗
fhaften und fo verworrene und verderbliche HalbEenntnifle be
mädtigt Haben, die nebft dem Hange gu ertremen Theorien
mit, der Entfittlihung beginnen und mit dem Verderben enbi-
gen.” Goldene, leider nur gar zu. wahre orte! Oder meint
man etwa in Deutſchland, weil der Katfer Nikolaus dieſe
Worte an halbwilde Ruſſen gerichtet Bat, dieſer Lehren da;
heim nicht zu bedürfen? 1.
Literarifihe Notiz aus Frankreich.
Die NReligionspbilofophie Kante.
Die religiöfen Bewegungen in Deutſchland haben aud im
Auslande eine gebührende Berüdfihtigung gefunden. NRatür:
lih Bann es dabei an Miögriffen aller Art nicht feplen. In⸗
deflen wird fi) die Sache ſchon beffer gefalten, wenn diejeni⸗
gen Männer, welche fih für berufen halten, bei der Befpre-
hung diefer Angelegenheiten ein Wort mitzureden, exrft bie
Berpflichtung anerkannt haben, fih mit der wiſſenſchaftlichen
Entwickelung der deutſchen Theologie näher bekannt zu machen.
Es iſt nicht zu verkennen, daß in dieſer Beziehung von Seiten
franzöfifcher Seiehrter ein bedeutender Fortſchritt gemacht if
Die Zahl Derjenigen, welche, wenn auch nicht zu einem tiefen
Erfafien, doch wenigſtens zu einem annaͤhernden Berftänt
niß ber beutfchen Wiſſenſchaft gelangen, wird offenbar immer
größer, und ſchon tauchen hier und da Darftelungen auf,
welche einzelne Momente aus dem Entwickelungsgange derfel:
ben auf eine ziemlich befriedigende Weife behambeln. Eins
diefer Werke, welche als die erſten bedeutenden Berſuche einer
geiftigen Annäherung zwifchen Deutfhland und Frankreich auf
dem Gebiete der philoſophiſchen Theologie bezeichnet erden
Fönnen, ift folgendes: „Expose critique de la philosophie de
la religion de Kant”, von Zimothee Colang. Der Berf. hat
fih bei feiner Darftelung der Kant ſchen Religionsphilofophie
nicht darauf beſchraͤnkt, Diefes Syftem aus feinem Jufammen:
— mit der ganzen Entwickelung der deutſchen ehr
eraußzurefßen. Er gibt vielmehr in einer eigenen philoſophi⸗
ſchen Einleitung die Unfnüpfungspunfte und die Beziehungen
auf das Allgemeine. Im Ganzen iſt die Darftellung ar und
auf die Sache gerichtet. Dies tritt beſonders in der Ausein:
anderfegung des Syſtems felbft hervor. Dieſelbe zerfaͤllt in
drei Abtheilungen: 1) „Les idees religieuses de,la raisen
theorique’'; „Les postulats religieux de la raison prac-
tique’’3 3) „Accommodation au christianisme‘. Diefe Unotd-
nung ift im Ganzen befriedigend, fowie auch bie Entwidelung
felbft im Allgemeinen das Richtige trifft,. obgleich freilich hier
und da über manden einzelnen Punkt eine Discuffion erhoben
werden koͤnnte. Was die philofophlfche Bildung des Werk.
ſelbſt betrifft, fo erfcheint fie im Allgemeinen zwar genügend,
aber doch v man bier und da eine recht geiftige Durch⸗
deingung und eine vertrautere Bekanntſchaft mit den wichtigen
Erfheinungen der neuern beutfhen Wiſſenſchaft. Doch haben
wir, wenn der Berf., Ph Erftlingsarbeit biefe Schrift zu
fein ſcheint, bei einem eifrigen Studium mit Ernſt ausharrt,
von ihm gewiß noch recht viel Gediegened auf dem Felde ber
philofopbifchen Literatur zu ermarten. 17.
Verantwortlider Herausgeber: Heinrich Wrodpans. — Druk und Verlag von F. ME. Drockhaus in Leipzig.
„u vr. ws m ou ⸗
—
Blaͤtter
für
literarifhe Unterhaltung.
Mittwod,
(Yertfegung end Nr. 146.)
Wir wenden uns nun zu dem Romane „Die Ritter
birtign”. Ob es wol Zufall war, daß uns bei ber
Lecture des vorliegenden Romans fortwährend die fehrift-
flellerifche Ihätigkeit der Frau v. Paalzow ins Gedaͤcht⸗
niß kam und uns bei jedem Schritte, den wir der Ent-
widelung entgegengingen, begleitete, ober ob ein gehei-
mer unbemwußter innerer Zufammenhang zwiſchen ben
Werken der Paalzow und den „Ritterbürtigen” Schüding’s
fi ‚norfindet, der uns nothwendig auf diefelbe hinleiten
mußte? Wir behaupten das Letztere. Frau v. Paalzow
hat in ihrem „Wobwie Caſtle“, „St.Noche“ und zum
Theil au in „Xhomas Thyrnau“ die adelige Familie
. zu ihrem Gegenftande gewählt; fie fehildert diefe Fami⸗
fie nicht allein nach dem Außern ihres Erſcheinens und
Lebens, fondern auch nach ihren inneren Beziehungen, ih⸗
ren Verwidelungen ımd Schidfalen, die abelige Familie
ift der Brennpunkt, in bem fich alle Strahlen vereinen
und von dem aus das Licht auf die andern Glaffen ber
menſchlichen Geſellſchaft ſtroͤmt; jedoch hat fie nicht Die Fa⸗
milie in ihrem Gegenfage ober richtiger gefagt in ihrer Unter-
ordnung unter ein allgemeineres Ganze, unter den Coef⸗
ficienten bes Staatslebens gebracht, fie ftellt bie adelige Fa⸗
milie für fih und durch fih hin, etwa wie Lafontaine und
Henriette Danke die bürgerliche Familie zu ihrem Vorwurfe
gewählt haben; bei Schücking dagegen ift das Streben bie-
fer abeligen Familien dem Staate gegenüber und auf dem
Boden des Staats felbft dargeftellt; daher alfo jener Zu-
fammenhang, jene Bergleihungspunkte; Beide, Schücking
unb Frau v. Paalzow, verhalten fich wie zwei Geiten
eines und beffelben Winkels, jedoch mit bem Unterſchiede
der verſchiedenen Auffaffung, die durch bie verfchiedene
Stellung der Schriftfteller in der bürgerlichen Geſellſchaft
und durch die Sympathien und Antipathien derfelben
herbeigeführt worden. Die Familie als folche fleht bei
Kling im Hintergrunde, fie kommt nur infoweit in
Betracht, als fie dem Staatsleben gegenüber ſich geltend
macht, und dann hinwiederum ift es nicht bie Familie,
fenbern eine Bereinigung ber abeligen Familie, der Adels⸗
fand felbft, der mit feinen Anſprüchen und Tendenzen
in das Gtaatsleben eingreift. Wir werden daher nicht
27. Mai 1846.
fehl gehen, wenn wir „Die Ritterbürtigen‘ einen Roman
nennen, obgleich ihn ber Verf. als erſtes Glied einer
mweitern Reihenfolge hinſtellt und fie dem allgemeinen
Titel „Zeiten und Sitten’ unterorbnet. Denn um das
Streben und bie Sitten einer Zeitentwidelung darzu⸗
ftellen, bazu fehlt dem ganzen Romane bie Allgemein-
beit, indem er nur ganz einfeitig bie Tendenzen bes
Adele im modernen Staatsleben binftellt, und auch dies
wiederum nur lüdenhaft; das Streben eines Standes
erhält nur dadurch erft wahre Bebeutung und wahres
Leben, wenn er ben andesn Ständen gegenüberfritt; um
fünftlerifh nun diefen Gegenfag zu behandeln, muß er
nothwendig, wenn er lebendig heraustreten fol, feinen
Gegenfag mit fih führen. Der Gegenfag in beflimm-
ten Formen und Maren Umriffen hebt und begrenzt feine.
andere Seite; die Witterbürtigen durften daher nicht
ohne ihren Begenfag des freien Bürgerthums, ber Be⸗
firebungen der Induftrie und der Preſſe gefchildert wer⸗
den, nur dadurch war es möglich den Roman zu einem
Kunftwerke zu machen, bie Idee wirklich zu ihrem Siege
oder, wenn fie ihrem Gegenfage gegenüber ohnmächtig,
war, zu ihrer Wernichtung zu führen; Cinfeitigfeit in
focialen Theorien, die fi in bie Literatur wirft, Tann
zwar ein gutes Tendenzwerk zum Vorſcheine bringen, aber
nun und nimmermehr einen Roman, der Anſpruch ma-
chen koͤnnte auf den Namen eines Muſterwerks. Das
Beftreben unferer Ritterbürtigen, wie Schüding es felbft
ausdrückt, ginge darauf hinaus, das demokratiſche Ele⸗
ment ber Neuheit nieberzudrüden und ber Volksentwicke⸗
lung Feine Selbftänbigkeit zu laſſen. Dies alfo wäre
zu gleicher Zeit auch die Idee des Romans, die durch
denfelben fi hin entwideln, zum Siege oder zur Ver⸗
nihtung fommen muß; wenn Eins von beiden eintreten
fol, fo muß nothwendig noch eine andere Jdee mit auf
den Kampfplag treten, weil eine für fich feine Entſchei⸗
dung herbeiführen fann. Gehen wir aber ben ganzen
Roman duch, fo tritt uns nirgend ein Träger des be:
mofratifhen Elements ber Neuheit ober ein Repräfen-
tant ber Volksentwidelung entgegen, denn von bem Ge⸗
richtdarzte Pauli, der Bauernfamilie und dem Juden
Koppel kann in biefer Beziehung keine Nebe fein, ba
fie in die eigentliche Entwidelung der Handlung nur
zufällig, nur als beliebige Perfonen eingreifen und über-
® ®
feheinen. Dadurch kommt es nun auf), daß die Ent-
widelung des Romans, die Entfaltung der dee, zu
einem Ende, einem Refultate gelangt. Iſt etwa am
Ende des legten Theilt diefe Idee ber ——
Sud |
das demokratiſche Element ber Keuheit nieberzub
wirkijch geworden ober gefcheitertt Keins Yon Beidem;
die Intriguen ſind blos geſcheitert, die angelegten Fäden
haben ſich verwirrt und find zum Theil abgeriffen, aber
- eine eigentlich künſtleriſche Löfung iſt damit nicht herbei.
geführt, ba die Löfung flatt einer innern nothiwendig
bebingten eine bloße äußere, mechanifche, zufällige if.
Iſt etwa die Grundidee in feiner Hauptverfreterin ber
Sräfın von Auracheim zum Falle gefommen oder fleht
fie als ſolche berechtigt da? Nichts von Dem; fie muf
momentan den äußern Berhältniffen weichen und räumt
das Feld ihren perfönlichen, nicht principiellen Feinden,
deren Beſtrebungen, wie die des Grafen von Schletten-
dorf, zum Theil ganz mit den ihrigen übereinflimmen.
Politiſch betrachtet mag das Streben und die Gefinnung
diefes Grafen wol geiftreich, das vernünftigfte unter den
ganzen Ritterbürtigen fein, aber berechtigt und begrün-.
det in der Entwidelung des modernen Staatslebend und
fire daffelbe ift es nicht, denn es fucht feine Grundlage
in dem Vorrechte eines Standes, im Adel immer bin
noch, und für einen folhen Stand har die heutige phi-
Infophifche Staatstheorie Feine Stelle mehr. Die Anfid-
ten, wie fie Schüding feinem Haupthelden dem Grafen
von Schlettendorf unterbreitet, flehen mit ſich felbft im
Widerſpruche. Er’ fpricht den Gedanken aus, daß die Bil-
dung ber Gegenwart freieftes, conflitutionnelles Staats⸗
bürgerleben verlange, welches die Bureaufratie verfnö-
chert in ihren. Traditionen von Souverainetät und All-
macht zu gewähren vermeigere, daß fie freie Preffe, Aſ⸗
fociationen, Achtung der perfönlichen Sicherheit, vollfte
Slaubensfreiheit verlange, was ebenfalls die nach Will⸗
kuͤr firebende Regierung und Bureaufratie verweigere.
Der Adel fol fih nun dieſer Foderungen bemädhtigen
und fih an bie Spige diefer Bildung fielen. Damit
hänge freilich zufammen, daß ber Adel die Idee aufge-
ben muß, als fei er durch die Geburt beffer ald andere
Leute, und damit ift ex aufgelöft und fällt den drei an⸗
dern Ständen, entweber ber intelligenten ober bürgerlichen
ober bänerifhen Claſſe zu. Nun ift es aber ein Wider⸗
ſyruch, wenn er von ihm verlangt, daß er fid „zu einer
foͤrmlichen Staatögewalt, ber neutralifivenden , jegt
alleinherrfchenden gegenüber, zu einer compacten, gewäl-
tigen Maffe berufen anfehe, die neben und mit der Regie⸗
rung Stügfäule des Staatslebens fei”, Der Gebtrtgabel |
mürbe fo zum Intelligenzadel werben, aber immer Abel
fein und bleiben , ein Stand, der da glaubt Vorrechte
por andern zu haben.
(Der Beſchluß folgt.)
Vielfhreiberei.
Bald werben wir in Verlegenheit gerathen, welches Epi⸗
theton denn eigentlich unferm vielgeftaltigen und proteuserti-
* 58 :
haupt mehr ale Staffage denn als mitwirkende Perfonen er⸗
| eine andere Ableitung, daͤmp
t
. #» \ r
gen Beitalter beizulegen? Rad der Meinung der Einen follte
ed von Rechtswegen das eiferne heißen, obgleich dieſes Cha⸗
rakteriſtikon bereits für einen gefchichtlich abfolvirten Vorlaͤu⸗
fer in Anfpruch genommen, denn. auch Zeiten koͤnnen fih wie
derholen und das irrevocabile tempus ift nicht fo ganz aus⸗
— als man meinen möchte. Allein holt man das pbige
itheton Bon ber materiellen Yußen« und geradezu vom 3
Monfumtiondfeite her, dann könnte man ja unſer Jahrhund
mit ebenſo viel Fug und Recht das baum: ober ſchafwol⸗
lene oder das tabackene, wol aber auch das Thee⸗ und
Kaffee⸗, wo nicht gar das zucker ſüße Jahrhundert nennen.
Gegen letztere Annahme proteſtiren aber wieder die vielen Saͤu⸗
ren, ‘die von Chemiewegen eine fo große Rolle heutzutage in
der Welt fpielen, und in der That fcheint der Chemidmuß bes
Lebens und der Wiffenfchaft fo gewaltig gefäuert, daß ihn alle
Plantagen ber Zuckercolanien nicht zu verfüßen vermögen. Eine
nicht geringe Menge von Stimmfähigen votirt hingegen wieder
für dus Charafteriftilon dampfend, bei welcher Gelegenheit
? ig, freilich nicht —F fernliegt.
Faſt entſchieden ſcheint ſich aber der Sieg auf die Seite jener
Majorität zu neigen’, die ſich für die Bezeichnung papiere⸗
nes Jahrhundert entfchicden, eine Benennung, bie, per idea-
rum 3ssociationem, und zumal auf: „a priori fit denominatio”,
als Regel gilt, einen etwas zweideutigen Rebenbegriff, nämlich
den des Lumpigen, in ſich fehließt. Allerdings ſchwindelt Gi-
nem der Kopf, wenn man an die ungeheuern Maffen von Pa»
pier denkt, die jährlich in die Welt gefchleudert werden und
womit fieh vielleicht fchon die Abgründe und Ziefen des Oceans
ausfuͤllen ließen; allein diefes „Iumpengeborene Weltfüllſel“
fteht doch nicht allein da; es ift noch ein Accefforium zu ber
rüdfichtigen: die Tinte. Wir haben erft neulich Die treffende
Bemerkung gelefen: daß in allen Kriegen der alten barbariſchen
Zeit nicht fo viel Blut vergoffen worden als in unfern Sagen
Zinte. In der That, diefe Worte find weniger. Hyperbel als
ed ſcheint. Allein gegen biefe Auszeichnung hören wir bie
Druderfhwärze proteſtiren, die ſich fchwerlich ihre Gleichberech⸗
tigung wird ftreitig machen laffen wollen. So bliebe uns denn
alfo die Wahl nur zwiſchen zwei Schwärzen übrig; um einer.
von beiden Unzecht zu thun, fcheint es am gerathenflen, unfer
Jahrhundert geradezu das ſchwarze zu nennen.
Indeffen Scherz oder vielmehr Humor bei Seite und mit trocke⸗
nem Ernfte geſprochen: wir leben in einer vielſchreibenden Zeit, je⸗
des federfaͤhige und geübte Individuum ſcheint ein Hundertarm und
Zaufendfinger geworden zu fein. Sollte es noch eine Weile fo
fortgehen, fo wird es bald ebenfo viele Schreibende als Leer
geben und Soft weiß, wie weit es noch kommen wird und zu
welchem Facit es kommen kann, wenn unferer Graphomanie
nitht ein arcanes Untidot, etwa bie berühmte Nieſewurz, zu
ftatten kommt. &o übel es indeflen damit beftellt fein mag
und fo arg es im Laufe ber Beit noch werden dürfte, an der
Natura sanans, die das Heilmittel im eigenen Schooſe trägt
und im rechten Augenblicke zu reagirender Selbſthuͤlfe ei,
dürfen wir denn doch nit verzweifeln. Übrigens gibt fid. au
dem Gebiete deß Schreibens und Schriftitelerns gerade diefelbe
Goneurrenz, diefelbe überhäufte und jich ins Unendliche hinein⸗
potenzirende Production kund, bie auf ben meiften übrigen Fel⸗
dern menfchli Zhätigkeiten vorwaltet und bie, das eigent⸗
liche Bebürfniß beimeitem überragend und fich zu einer kuͤnſt⸗«
lichen Höhe hinaufſchraubend, um ihrer felbfimillen bazufein
und einer gewiſſen treibenden innern Rothwendigfeit zu folgen
fheint. Bon biefem Gefichtspunkte aus angefehen het
der Induſtrialismus unferer Tage, dem wir aud das Schre
ben in feiner profeſſionnellen Erſcheinung fubfuniren, aller
| dings in einem eigenthümlichen Lichte dar und gewinnt gewiße
ſermaßen ein inftinctived Anfehen. Waffen wir die immer mä
tiger und rapider hervorftrömende Schreibfeligfeit unferer Zei
in ihrer genetifhen Entwickelung von einer andern Geite auf,
fo gibt fie ſich als der lange zurüdigebäurnmte, baber enorm an»
geftaute und nun ungeftüm hervorbrechende und Alles über»
mn wm — — P 7 — —— — —*—
—
Autemde Arom Eund, der aber feiner Zeit ſich in ein bafkimm-
te6 Rivean fegen und fefte Ufer juchen wirt. Maplofigkeit in
Allem ift der Charakter unſers Jahrhunderts und war es am
Ende eines jeden andern au, denn ed gibt ja auch eine Maß:
Jofigkeit. ber Indoleng s biefer haben fih aber jene Zeiten Jul:
big emacht, die im Gegenfage zu den unfern ſich der Geiſtes⸗
—*— gefangen gaben. Das aus opiatiſchem Schlummer er:
wachte und Licht um Licht aufſteckende Bewußtfein verlangt nad
innerer hellerer Klarheit, nach immer deutliherm Schauen, je:
den, fliegenden Schatten; jeden noch fo dünnen Rebel möchte
es verfiheuchen, in alle .nor fo perſteckten Winkel Leughtet es
mit feiner Yadel hinein, damit ja das Dunkel nirgend mehr
einen Berftedd oder Halt finde Da gibt es freilich Arbeit
vollauf, und nicht umfonft bat der unfterbliche beutfche Buten-
berg den wunderbaren geifigen Zelegrapben, dieſen blitzſchnel⸗
len Lichtträger erfunden. Mit andern Worten: weldper gebil
dete und nad) innerer reinerer Humaniſirung ringende Menſch
möchte nicht gern fih und der Welt Par, ber letztern und ſei⸗
ner ſelbſt immer bewußter werden wollen? und Tann ex Died |
anders werben als durch ſchrankenloſe Mitthrilung unb bie be:
ſcheidene Erwiderung aller Mitlebenden, die antwortende Welt⸗
fimmet Was dabei vom eiteln Dilettantismus, barer Spe⸗
dietion und induſtrieller Zuchmawerei mit unterläuft, ſcheint
e
zu fein, ift aber immerhin
freilich vom Überfluffe und
beſſer als träges Sichgehenlaflen und dumpfe @elbflverleugs
nung. übrigens ſcheinen wol aud nur und, ald mitten im
chgeſchwollenen und wogenden Strome Schwimmenben, un
ſere Beiten als beifpiellos exceffiv ſchreibſelig — dem Umfange
nach dürften fie allerdings von feiner andern übertroffen wars
den fein —, allein der That nach haben e8 andere Zeitperioden
auch nicht an Schreibeeifer mangeln laſſen. Die auf und über-
gekommenen Rubera und Fragmente berechtigen zu einem Schluffe
auf Das Dagewefene. &o viel wir wiſſen haben bie Griechen,
unfere Lehrer und Meifter, im Schreiben nicht gefeiert, auch
die Römer hatten es nicht gefpart, befonder& in ihren legten
Zeiten. Wieviel mag die Furie ded Kriegs und die Barbarel
der Eroberer nicht vernichtet haben, was byzantinifcher Beift
in Schrift und Wort gefaßt! Wie wenig hat fi von arabı-
ſcher Poeſie und Wiſſenſchaft, einf fo bluhend, zu und geret⸗
tet! If e6 uns endlich unbefannt, wie fruchtbar die Schola-
ſtiker geweſen, dieſe Matadore der Vieljgreiberei®
Laſſen wir nun zum Schluſſe unſerer Betrachtung auch eine
fegriftfteßerifche Autorität über das Schreiben ſprechen. Mon:
taigne in feinem befländig Homogenes combinixenden, ſich haufig
aber ſeltſam durchkreuzenden Gebankengange berührt in dem Capi⸗
tel über „Gitelleit” auch dieſes Thema und fpricht zunaͤchſt
von feiner eigenen PVielfchreiberei. Gr verweift es fich als bie
größte Eitelkeit, fo eitel über die Eitelkeit zu. ſchreiben, und
meint überhaupt einen Weg eingefchlagen E haben, auf dem
er fo lange fortwandeln werbe, als noch Zinte und federn in
der Welt zu haben feien. Da er Eein Begiiter über fein Leben
durch feine Handlungen führen Fönne, jo führe er es durch
feine Grillen. Es feien die Excremente eines alternden Gei⸗
fted, und wann werde ex damit zu Ende fein, eine unaufhoͤr⸗
liche Unruhe und- Abwerhfelung, feiner Gedanken, auf welche
Materie diefe ji auch immer richten mögen, barzuftellen, Da
Diomebes mit dem einzigen Inhalte feiner Grammatik 6000
Bücher anfüllte Y —* koloſſale Vielſchreiberei, die trotz un⸗
ſerer enormen Firfingerigkeit noch nicht ihres Gleichen gefun⸗
1) „Was muß nicht erſt die Geſchwaͤtzigkeit thun“, ſagt
igne weiter, „wenn ſchon das Lallen und das Löſen ber
Bunge bie Welt mit einer fo RR Laft von Büchern er
ſtickte! So viel Worte über blode Worte! O Pythagoras,
warum beſchworſt du nicht diefen Sturm? Man warf in früs
bern Reiten dem Galba vor, daß er fo ganz im Müfliggange
iebe. Er antwortete: «Ein Jeder nö: Rechenſchaft geben
von feinem Handeln, nicht von [einer Muße.» Er irrte fish;
die Obrigkeit beobachtet und beitaft auch den Müßiggänger.
Über es folte den Geſetzen eine gewiffe Zwangskraft gegeben
werben gegen ſchale und unnüge Scheiftiteler ſowol alt genen
Landfabrer und Yaullenger” (Da bütlen die Regierungen
wahrlich viel 34 thun und waͤre died Verfahren die offenbarfte
Vielregiererei. rigens dürften Die Regierungen gut thun, mit
einer heilfamen Beſchraͤnkung des Schreibeüberflüſſes bei fi
felbft anzufangen. Wahrhaftig! wenn der Productivität der
Kanzleien nicht bald Grenzen gelent werden, fo wird man deu
Regiftratusen und er Gebaͤude in Form äguptifcher Ne⸗
fropolen errichten müllen.) „Dadurch würde man mich
ndert Andere aus ben Händen des Volks reißen. er}
cherze wirklich nicht. Das Krigeln und Schmieren kommt mir
ale ein Zeichen eines verberbten Jahrhunderts” vor. Wann
haben wir wol mehr geichrieben als feit e8 bei und fo unruhig
bergeht? Und wann die Römer mehr als da fie am Rande
des Untergangs flanden? Überdies, da Geiftescultur in einem
Staate nicht gerade Cultur der Lebensweisheit ift, fo entſteht
biefer gehgäfine Müßiggang daher, weil fich Zeber mit den
Pflichten feines Berufs nur nebenher abgibt und ſolche lieder⸗
lich treibt. Zur Berderbniß unferer Zeiten trägt ein Jeder non
und das einige bei. Cinige dur Verrath, Anbere durch
Ungerechtigkeit, Religionsveradptung,. Zyrannei, Geiz, Graue
ſamkeit, je nachdem fie mehr oder minder maͤchtig ſind; die
Schwaͤchſten duch Narrendeutungen, Gitelfeit und Müßiggang,
zu benen zu gehören ich die Ehre habe” u. ſ. w. Faſt ſcheint
ed, ald habe Montaigne in diefen Worten die Charakteriſtik
unferer Zeit entworfen, fowie denn überhaupt alle Beiten etwas
Gemeinſames, einen gewiſſen faulen Fleck Yaben, der eine ge=
waltfame Operation nothivendig macht. Um wieder auf Biel
fchreiberei zurüdzufommen, führen wir noch eine andere Stelle
an, wo Montaigne fagt: „Ich wollte, ein Jeder ſchriebe was
er wüßte, und zwar nur fo viel als er davon wüßte; nicht
nur allein in, Bezug auf Laͤnderkunde, fondern in Bezug auf
Alles überhaupt, dean Diefer oder Iener kann eine befondere
Kenntniß oder Erfahrung haben von einem Fluffe, oder von
einem Brunnen, der übrigens nichts mehr weiß al was Je⸗
dermann weiß. Gleichwol wird ex, um feinen Broden an den
Mann zu bringen, über die ganze Naturlehre fchreiben. Aus
diefem Unmefen. entipringen manche und große Unbequemlich⸗
keiten.’ Überdics äußert Montaigne über geiftige Production
no Folgendes: „Da nun aber die Gefchichte voller Beifpiele
von diefer allgemeinen Liche ber Bäter zu ihren Lieblingdfin-
dern ift, fo hat mir gedaͤucht, es fei hier Bein unfchidlicher
Dit, auch einige Züge von ber väterlichen Bärtlichleit gegen
Geiſteſskinder anzubringen. Heliodorus, biefer wadere Biſchof
pe Tricca, wollte lieber feine Würde, feine Ginkünfte, die Er⸗
auung einer, fo ehrwürbigen Prälatur aufgeben, als feine
Tochter („‚Athiopia”, ein Roman) verlieren; eine Tochter, welche
bie zu diefem Tage ſehr artig iſt, dabei aber vielleicht cin we⸗
nig zu ſehr gefhmüdt, ‚gepust und geziert, auch wol von zu
verkiebter Natur für die Tochter eined hoben Geiftlichen und
Prieſters.“ Montaigne führt nun noch das BVeifpiel des Roͤ⸗
mer6 ‚Rabienus an, ber ein Mann von großem Anfehen und
dabei ein vortrefflicher Literator war. Die Widerfacher feiner
freimüthigen, gegen Iyrannei und Gewaltthat eifernden Büs
der wußten es hei der roͤmiſchen Magiſtratur dahin au brine
gen, daß feine Werke zum Feuer verdammt wurden. Das erſte
Deifpiel diefer Art von Strafe, die fpäter in Rom fo gäng
und gäbe wurde. Labienus konnte bdiefen Verluſt nicht extra
gen, ließ ſich nad ber Gruft feiner Ahnen bringen und dort:
Vebendig begraben. „Man würde Mühe haben”, ruft Man⸗
taigne aus, „eine andere beftigere väterliche Neigung als Diefe
aufzuweiſen!“ Gelegentlich dieſes Bücher » Autobafe bem
Caſſius Severus, ein Mann von großer Beredtfamleit und
vertrauter Freund bed Kabienus, man bätte zugleich auch ihn
zum Feuertode verurtheilen follen, denn ex bewahre ben: Inhalt
jener verbrannten Werke in feinem Gedachtniffe. Montaigne
erwähnt nun noch der Verdammung der Seiten bed Are
mutius Gorbus zum Feuertode, weil er darin
Caſſius gelobt, und fuhrt dann no als Beifpiele zärtlicher
en Brutus und °
0
ale hebt haben und vermnäblte ſich mit Leby Eilimer
Brandon, Fit Deinrih’6 VIIL und Tochter Mariens, Witwe
Zudrwig’s XI, von Frankreich, „eine Dame”, wie Hartiey 60
feridge fast, „deren Bebächtaiß hoch verehrt werben muß, da
fie im 16. Jahrhundert es. wagte, ſich mit hem MRanne ihrer
Wahl zu verbinden”. Die Auszeichnung, koͤniglichem Blute
verwandt zu fein, Poftete dem Gemahl einen großen Theil fei-
nes Vermögens. Er erfehte das nach Ellinor's Tode durch
Beſchraͤnkung feiner Ausgaben und durch die Wirthlichkeit ſei⸗
ner zweiten Gemahlin, Tochter des Lords Dacre, die „nie nad
oder in die Nähe von London kam’. Als Leiche aufgebahrt
laubte einer feiner Diener eine Bewegung feines Mundes zu
Demerken. Er wurde ind Bett gebradt, genas zu Präftiger
GSefundheit und farb fünf Tage nach der Verlobung feines eff:
jährigen Sohnes & mit der noch jüngeren Tochter des zwei⸗
ten n von Bedford, Francis Ruffell. Daraus entftand
eine unglückliche Ehe. in darakteriftiicher Jug Georg 6 war
feine Leidenſchaft für Unternehmungen zur Ger. Er machte
beren elf, nach Weftindien, dem fpanifhen Amerika und
Sierra Leone, meift gegen die Spanier und Holländer und
faft ſtets auf eigene Koften. In dem merkwürdigen Jahre ber
Armada zeichnete er ſich wit feinem Schiffe bei dem Gefechte
vor Galaid aus und auf feiner dritten Unternehmung, 198%,
fehleifte er Fayal in den Azoren und eroberte 23 Schiffe im
Gefammtwerthe von mehr als 20,000 Pf. St. Doc mußte
er dafür ſchwer leiden — Wunden, Hunger und Durft. Da
er zugleich ein Liebling der Königin Eliſabeth war, bie ihn
gum Witter des Hofenbandordend und bei allen Turnieren gu
ihrem Kämpen ernannte, darf e6 nicht befremden, daB er als
der Meichfte feiner Vorfahren angefangen und nad 20 Jahren
als der Armfte aufpörte.- Er ftarb in London und ruht in der
Gruft des Schioſſes Skipton. Mit feiner Tochter, der berühm-
ten Lady Anna Glifford, vielleicht eine der außerordentlichften
rauen Englands, erlofch daß große und edle Geſchlecht. Schen Das
ift an ihr merkwuͤrdig, Daß fie eine Beſchreibung ihres Lebens
hinterlaſſen hat,» vol intereffanter Details in Beziehung auf
fie und ihre Familie. Ihr Lehrer war der fprachbewanderte
Dichter Daniel, beffen Streben, ' fie für Dichtkunſt und Did:
ter zu gewinnen, nicht vergebens gewefen fein kann, Da fie ın
Weitminfter : Ubtei Spenfer ein herrliches Denkmal errich⸗
ten ließ. Noch ſehr jung vermählte fie fih mit Richard, drit⸗
gem Grafen von Dorfet, einem wigigen und geiftreichen Manne,
aber einem liederlichen Verſchwender. &ie gab ibm zwei Toͤch⸗
ter, von weichen die Erfigeborene fi dem Grafen von Tha⸗
set verband, deſſen Familie noch gegenwärtig im Beflg der
ehemaligen Clifford'ſchen Güter in Weſtmoreland und Eraven.
Er ftarb 1624, und wie ſchmerzlich auch Lady Anna von feinen
Yusfchweifungen berührt morden fein mag, mit leichter Feder
ſtreift fie darüber hin. Sechs Jahre fpäter, ihn ihrem einund⸗
vierzigften, vermählte fie fih ein zweites Mal mit Philip Her:
‚bert, Grafen von Pembroke und Montgomery. As Witwe
hatte fie den Entſchluß gefaßt, dafern Gott ihr einen zweiten
Gemahl befchieden, Peinen zu nehmen, der Kinder babe, ein
Höfling fer und fluche und ſchwoͤre. Indeß bezeichnet die Ge:
ſchichte den Gewaͤhlten als einen Undankbaren, einen Dumm:
Bopf, einen Frechen Schwörer und eine Memme — „ein ſchla⸗
ender Beweis’, fagt ihr neuefter und vorzüglichfter Biograph,
artley Eoleridge, „Daß oft die werthlofeften Männer über die
beften und kluͤgſten Frauen, namentlich über jolhe von gewiſ⸗
fen Jahren, eine unerklaͤrliche Gewalt haben”. Die Berbin:
dung wurde für die Gräfin eine Quelle des bitterftien Kum⸗
mers, bis am 23. Sanuar 1650 ber Tod ihres Gemahls fie
erlöfte. Dennoch fit fie von ihm, wie eine gute rau von
ihrem geftorbenen Manne ſprechen follte, wäre es auch bloß au
ihrer eigenen Ehre — fie deutet feine Zehler an und vermeilt
bei feinen Borzügen. Bereits durch den frühern Hintritt ih»
ves Oheims und Defien Sohnes waren die Befigungen bed Hau:
es Glifferd in ihrer Hand zufammengefomumem wab der
res Gemahls machte fie zur unbeichränkten Herrin. Sie lebte
von nun an meift auf ihren Schlöffern, that Gutes und forgte
dafür, daß Mit: und Rachwelt es erfuhren. Sie war e
Frau von hohem Geil und ſtarkem Willen und — wußte .
As Sir Joſeph WBillinmfon, Secretair König Karl's U., ihr
das Recht beſtritt, ein Parlamentsmitglied für den Flecken
Appleby zu ernennen, ſchrieb fie zuruuüòkte.
„Ein Uſurpator hat mir getrogt, ein Hof bat mich ver:
nachlaͤfigt, ein Unterthan ſoll mir nicht en
Anna Dorfet Pembroke und Montgomery.”
ie flarb den 22. März 1675 auf dem Schloſſe Broug⸗
ham in dem feltenen Alter von 37 Jahren. u.
Literariſche Notizen aus Frankreich.
Ulgter.
Der franzöfifche Rationalwohlſtand wird durch Die Be:
figungen in Algerien bekanntlich nicht eben fehr fonderlich ge:
fördert. ine defto ergiebigere Quelle aber bieten biefe Eole-
nien den fingerfertigen Zagesfchriftftellern, welche wit dem
Umfidgreifen der franzöfifhen Eroberungen einen immer mehr
fi ausbreitenden Stoff zu Darftelungen aller Art erworben
baben. Unter den populairen Werken, weldge mehr darauf be
rechnet find, eine dem allgemeinen Bedürfniß genügende Kennt:
niß der von den Franzoſen beſetzten Gegenden zu verbreiten,
verdient eine illuftrirte Schrift von Chriſtian, Der nad allen
Richtungen hin fih als geſchickten Faiſeur betbätigt hat, vor:
theilhaft hervorgehoben zu werden. Wie führt den Xitel:
„L’Afrique frangaise, l’empire de Maroc et les desertes
de Sahara.” Das Ganze tft auf 50 Kieferungen berechnet
und behandelt außer der eigentlich pittoresken Partie natürlich
vorzugsweife die Eroberungen und die Großthaten der franz
ſiſchen Zruppen. Die Darftelung und Verarbeitung der
kannten Thatſachen ift im Allgemeinen genügend, und wenn
man bier und da durch ein gewiſſes Prunken mit nationalen
Erinnerungen oder dur einen etwas hohlen Pathos unange-
nehm berührt wird, fo muß man die Abficht und den Zweck,
welchen der Verf. bei feiner Arbeit im Auge hatte, wit in
Anfchlag bringen. .
Die Kathedrale von Royon.
Nitet hat fih durch feine fehr verfchiedenartigen literari-
fchen Leiftungen al& Kenner des Mittelalter, befonders infe-
weit daſſelbe Frankreich betrifft, vortheilhaft befannt gemadt.
Befonders bemerkenswerth find feine Arbeiten, welche der Be:
trachtung mittelalterlicher Dentmale, vorzüglid derer, welche
der Baufunft angehören, gewidmet find. Seine neuefte Schrift
bezicht fich auf das naͤmliche Bebict, weiches es ſchon mehr:
fach angebaut hat. Diefelbe bietet eine fehr forgfaltige Be⸗
fhreibung der Kathedrae von Noyon. Sie führt den
Zitel: „Monographie de l’eglise Notre - dame de Noyon.“
Dem eigentlih beſchreibenden heile gebt eine hiſtoriſche
Rachricht und eine tiefer gehende arcäologifche Außeinan-
deriegung voran. Diele Partien haben aber felbft ein allge
meines Intereile, indem in denfelben Andeutungen gegeben wer:
den zu einer ſtreng wiſſenſchaftlichen Glaffification des Buuüber:
tefte des Mittelalters. Das ganze Werk bildet einen wichti⸗
tigen Beitrag der Übergangdperiode, welcher, der Anficht Bi
tet's zufolge, die Kirche zu Noyon angehört. Der aus 23 Ia
feln beftehende Atlas, welcher der deutlichern Anſchauung we
ven bem Werbe beigefügt ift, bat den Architekten Daniel Xa-
meée zum Verfaſſer. Wir wiſſen nicht, ob dies der nämliche
Kunſtkenner ift, welcher ein recht brauchbare Handbuch ber
Archäologie geſchrieben bat. 17.
Berantwortiicher Heraudgeser: Seiurich Weodhand. —
Drud unb Verlag van F. X. Wrodpans in Leipzig. _
81
literariſche
sevin Schücking.
1 Gißte,om Zetdin Ohäking. Enger, «
2. Die Ritterbürtigen. Koman von Levin Shüd
Drei Zpeile. Leipzig, Brodpaus. 1846. Gr.12. 4
15 Rer.
Bir halten die beiden vorliegenden Werke Schüd
für maßgebend, um aus denfelben nicht allein feine (
lung zue Litesatur der Gegenwart nachzuweiſen, for
auch bie Mufe des Dichters in ihrem eigentlichen V
zu erfaffen und würdigen zu lernen. Schücking tft
ein Mann von gan; moderner Bildung, aber die
gen ber Gegenwart, ber Kampf und das Ringen der
neuern Ideen ſcheinen exft dann am ihn herangetreten
zu fein, in feine Entwidelung eingeſchiagen zu haben,
als er bereitö ſchon für fih auf dem Wege ber: eigenen
Ausbildung einen begrenzten Standpunkt, eine abge
ſchloſſene Welt errungen zu haben meinte. Sein Weſen
bat den Kampf von unten heraus: nicht mitfchlagen hel ·
- fen und fi daher zum Theil auch ganz fpröde der neuen
Eutroitelung gegenübergefiellt, da es eine beftimmte Kich ·
tung, sine. charakteriftifhe Individualität fhon geworden“
war; was auf bem Wege einer von Jugend auf buch
moderne Jdeen geleiteten. Ausbildung leichter erzielt wird,
lebendiger in das Weſen felbft übergeht, hat Schüding
erſt auf dem fauern Wege bes Gedankens in ſich aufgenom ·
men, zum Theil auch mit den Formen, die von früher
% bei ihm fefigeworben waren, zu verſchmelzen gefucht.
ift Mar, dag auf dieſem Wege ein gewiſſer Zwie ·
ſpalt mitten in bie früher harmoniſche Welt des Poe ⸗
ten gefommen ift: die Anſchauungen und Bilder aus
der erfien Periode fommen mit ihren, jüngern Genoſſen
oftmals in Streit und Hader; bald ſtecken dieſe fiegreich
ihr Banner.auf ben Trümmern von jenen auf, bald auch
und öfters noch ziehen jene mit klingendem Spiele und
fliegenber Sahne an ihren jüngern Brüdern triumphirend
vorüber. Es iſt wol überflüffig zu bemerken, daß wir
den Poeten perfönlich gar nicht kennen und daß wir un
fer Ursheil bloß aus und nad; ben Erzeugniffen feines
Geiſtes gebildet ‚haben, was um fo ungetrübter deshalb
daſtehen wird, als es micht ben Sqhein haben Tann, daß
wir über der äußern Erſcheinung der Perfon das innere
nicht geworden, er fteht noch in dem erſten Entwice ⸗
Iungsmomente, die Geftalten haben noch Fein Fleiſch, es
find Teichte flüchtige Schemen, die Einem durch die Hände
ſchlüpfen, Abftsactionen ohne beftimmten Inhalt, Bilder
ohne Farbe. Schücking ſieht noch auf der Brücke, bie
aus der Romantit in bie freie Iebenbige Gegenwart
führt, er macht Anfäge, thut Anläufe, bie Geftalten am
jenfeitigen Ufer zu erreichen; aber fie huſchen noch luftig
an ihm vorüber, und er wendet den Blick wieder rüd-
wärts nach dem Strande, von dem er aus gegangen; ba
ragen bie Sinnen einer alten Burg fo ſcharf und keck
in die Wolken hinauf, da gteßt der Abend ein mildes
roſenfarbiges Licht über die Gipfel und Spigbogen ber
Dome, die Glocke ſchickt fo weich und wehmüthig ihre
Ave Mariatöne zu dem Wanderer hin, ber am Ger,
ſtade eines Sees wandelt und bie Nipen tief unten im
kryſtallenen Haufe ihre goldenen Haare ftrählen ſieht;
da ſchaut von dem Balcone ein Nitterfräufein in den
Burghof hinunter, in welchem die Knappen in blanter
üftung bie von ber Jagd ermübdeten Moſſe führen,
und nebenbei lauſcht fie ſchalkhaft den Tönen eine
Minneliedes, das unten aus ber Laube ihr Ritter fingt.
Welche Macht, welche Pracht! wie Das anzieht und
lot! Der Poet Iebt fo fortwährend in der Schwebe;
will er dieſen Traͤumereien drüben laufchen, all die Töne
und Bilder mit ihren verführifchen Lauten, ihren glein
ßenden Farben in feine Seele ungeflört und .ungetrübt
aufnehmen, fo mahnen jenfeit wieber bie ernften, ſchwe ·
ren, Klänge, die Glocke ber Zeit ſchlägt mit ihrem Bier
fenhammer die Stunde des Morgens, und ein ganzes
d
Volk ſtimmt freie, muthige, nie gehoͤrte, nie geahnte
Hymnen an. Erſt wenn der Zwieſpalt, ber bis jept
noch das Weſen Schüding’s fheilt, innerlich überwun⸗
den, wenn bie Einheit eine wirkliche wahrhaftige ge-
worden ift, dann erſt werben auch ‚die Erzeugnäffe feiner
Mufe wahrhaft künftlerifchen Werth erhalten, und zwar
Am fo größern als er den Begenfag zwifchen alten und
neuen Poeten felbft durchgemacht und beide fein Weſen
mit ihren Formen und ihrem Inhalte befruchtet haben,
mährend ben vorzugsweife fogenannten mebernen Poeten
biefe Doppelfeitigkeit zu eigenem Nachtheile abgeht und
auch dieſe wieder zur Einfeitigkeit hindrängt. Wo bie
Urfüchen diefes angegebenen Bilbungsganges von Schüding
liegen, bas wollen wir nicht entfcheiden, ba wir hierzu
mit den Ereigniffen feine aufern Lebens vertrauter fein
müßten als wir es in ber That find; aber jedenfalle
Tonnen wir mit: Gewißheit annehmen, daf die Erziehung
und der Aufenthalt in einem, fatholifchen Rande viel zur
Grllärung und Rechtfertigung des poetifchen Standpunkte
beitragen wird, Wenn wir einmal eine Hypotheſe wagen
bürften, fo würden wir annehmen, daß Schücking eine
kloͤſterliche Erziehung ober doch wenigſtens eine Bildung
genoffen hat, die von geiftlichen Elementen beherrfcht
wurde; benn nur baraus laͤßt fich eigentlich feine Ver⸗
fpottung, fein Abfcheu gegen bie Philoſophie erklären,
bie er in dem Bebichte „Die Philoſophen“ betitelt zu
erkennen gibt: denn dies iſt nicht ber ‚wie ein
- portifches , geſtaltungsreiches Gemüth etma gegen bie
NPhiloſophie als eine reine, abſtracte Wilfenfchaft an⸗
kaͤmpft, ſondern es find bie trivialen, abgenugten Phra⸗
fen, mit denen Finſterlinge dieſe Blüte des menſchlichen
Geiſtes zus verdaͤchtigen fuchen. V
Sagt mir nur Eins und ich will glaͤubig ſein:
Wohin des Hundes Seele einſt wird fahren?
Beigt mir nur Eins: ein krankes Käferlein
Seit von eurer hohen Kunft Scholaren;
Shut mie nur Eins: ein gludiend Kuͤchlein brütet
Aus al den tauben Eiern, bie ihr huͤtet!
Wir glauben im Intereffe ber Menfchheit nicht an
die Unfterblichfeit von Hundeferlen, find auch nicht fo
fentimental, am Krankenbette eines vo zu weinen,
und möchten gern für ben Poeten der Betrachtung bie-
ſes Gedichts, das weniger noch als ein taubes Ei ifl,
ms überhoben haben, wenn es nicht mitten in ber
Sammlung guter Gedichte fände und wenn wir es
nicht vorher erſt beifeite haben wollten, che wir auf bie
"Gedichte ſelbſt eingingen, bamit es nicht als flörenber
Geift fortwährend auftauchte und une den Eindrud ver-
Bunsmerte, den Genuß vergälite.
Die Gedichte zerfallen in: vier Hauptabtheilungen,
Liebesgedichte, erzählende, vermifchte und Sibylliniſche
Blätter, welche Ieptere aber blos der Form nad, bem
Poeten angerechnet werben können, ba fie nah S. T.
Coleridge bearbeitet find. Liebesgebichte und vermilfchte
bilden den verzäglichften Inhalt des Buchs, ba fie bie
beutlichfien Spuren einer eigenthümlichen, charakteriſti⸗
ſchen Individualität tragen, während bie erzählenben ber
Sorm nach in dem. Uhlanb’schen Ballabenflile ſich fort:
bewegen, und oft weit binter dem treuhersigen, kernhaf⸗
ten, volksthümlichen Ausdrucke jenes Sängers zurück⸗
bleiben. So fehr wir aud bie erzäblenden Gedichte
ben Balladen Uhland's, Schwab's und andern neuern
unterordnen, ebenſo fiellen wir auch bie Biebesgebichte und
Hiele davon, welche unter ben vermifchten ſtehen, nicht
allein ben erotifchen Liedern ber vorhergehenden Dichter
gleich, fondeen manche noch über biefelben. Jene Ge⸗
dichte haben außer ihrer ungemein reinen und faubern
Form, ihren fhönen Bildern und Gleichniffen eine große
Tiefe -und Fülle der poetiihen Anfhauung vor jenen
voraus, fie halten die ſchoͤne Mitte zwiſchen den üppig-
lüfternen, oft laſsciven Liebern Heine's und ben im trade
nen Reflerionsftile gehaltenen Gedichten fo mancher neuern
Poeten wie eines Diefenbash, Hartmann, Haltaus u. U,
ebenfo wie zwifchen den aus tiefer zerriffener Bruft. her⸗
sorgedrungenen Klagelauten Lenau's und ben heitern,
leichten, durchſichtigen Rhythmen von Uhland. Wenn
man gerade einen Vergleich mit. einem Altern Sorten
zulaffen wollte, fo würde man hier wol ‚ohne viel fehl
zu geben in bie mittelalterlihe Poeſie zu greifen haben,
etwa nach Walter von der Vogelweide, zugleich ließe ſich
aus einer ſolchen Parallele auch nachweifen, wie bie mo»
bernen Dichtungen, fo fehr auch die alten wie mittedalter-
lichen Philologen vornehm fie über die Schultern ca
fehen, bie Altern Poeſien an Breite und Ziefe der Em⸗
pfindbung, an Schönheit und Mannichfaltigkeit ber Form,
an Gefchmeidigfeit und Eleganz der Verfe und Rhyth⸗
men übertreffen, wenn fie ihnen zum Theil auch an nai⸗
ver Wahrheit nachſtehen ſollten. Die Poefie Schäding’s
ft ein Brunnen in einem grünen Parke: der Strahl
fährt melodifh ans ber Quelle in die heitere, reine
-Quft, die Sonnenftrahlen gligern in feinen Waſſern, bie
flüfternd und fhäumend in ein Beden von glatten Mar⸗
mor wieder zurüdfallen, frei und ungehalten, indeß ſchoͤne
- Frauen an bad Waſſerbecken herantreten und ihre Au⸗
gen meiden an dem Funkeln des Strahles und ihr Die
ergögen an dem melodifchen Geplaͤtſcher. Schuding’s
Dichtung trägt faft gar feine oder nur fehr geringe
Spuren von ber modernen Gentimentalität oder Zerriſ⸗
fenbeit, feine Gefühle und Empfindungen gleiten
und heiter über bie Wellen des Lebens, und nur hiet
und da Hagt eine Welle von „trüben Tagen und blei⸗
hen Wangen”. Es ift ein flilles, feliges Befangenfein,
ein Traͤumen in Liebe und Ratur, das über der Dich⸗
tung Schüding’s waltet; die Wellen und Strudel, wel⸗
he das Leben aufmwirft, loͤſen fih auf und an ben Klip-
pen ber Zeit fleuert feine Muſe ruhig und fern vorüber.
Ws charakteriftifch für Schüding heben wir noch her-
vor, was zugleich auch den Bergleih mit Walter von
der Vogelweide meiter rechtfertigen mag, daß eine ge-
sother
‚wiffe Froͤmmigkeit, eine religiöfe Stimmung als
Baden durch die Gedichte fich hinzieht, eine Gotteserge⸗
benheit, die aus dem abendlih frommen Glockenläͤuten
Segen ruft auf Thaͤler und auf Höhen unb wie. Ber
bete bie Schläfen feiner Geliebten umſchwebt. Die
Freude an der Gelichten Elingt bei Schucking aus im
‘
ciwene Bicbe, das den Schöpfer aller dirſer Schönheiten
verherrlich€: „‚Befegnet fei, der dich Ins Leben fanbte, ber
dir der Anmuth Schleier und der Hoheit Mantel um
die Schultern flug! Die Geliebte iſt der Engel, ber
dem Poeten die Botſchaft vom Himmel bringt, ein ewig
seiner, ewig ferfcher Quell, wie «6 in dem fehr gelunger
nen ypoetifchen Gedichte „Radte im Park” ausgebrüdt
ft, dem fich das Lieb „Zum 19. September” durch ben
Iuftigen Gang feiner Rhythmen, bie Schönheit feiner
Gedanken würdig anſchließt. Es hebt fo an:
Bir ſehles an frifchem Laube
Bum Kranze für dein Haar,
Womit ich, meine Taube,
Dir feane dieſes Jahr;
Epheu und Blütendolde,
Darauf den duft'gen Thau —
Den wuͤnſch' ich mir, du beide,
Du wunbderfüße Frau!
Bor den Bliden der Geliebten zerftäuben die So
gen‘der Dichterbruft und des Jahrhunderts, die Mär-
chen aus alten Zeiten Mingen iiber in feiner Bruſt,
geſchichtenreich ſteht er als ein vergeſſener Träumer in
der Einſamkeit und bei feiner Liebe für alle die ver- |
gangenen Herrlichteiten kann ee nicht. fo recht eigentlich
auf den Boden bes modernen Lebens gerathen: bie Wap-
penfcheiben feines Burgen laſſen den hellen Strahl ber
Gegenwart nicht ohne Brechung hindurch, und auf glat-
tem Parquet hört er nicht den ſchweren Eifentritt der
Zeit; nur aus der Ferne brauft es zu ihm heran, und
fein Geift ahnet, mas das Geräufch bedeutet, er xafft
fih auf, aber nur auf halbem Wege bleibt ex ficheny
die Zweiheit feiner Natur, diefes Getheiltſein mag zu⸗
weiten felbft bei ihm zum Bewußtſein fommen, und in
einem Liebe „An meinen Lothar” glauben wir die Be⸗
lege dafür zu finden:
Gebroch'ne Pläne wirft du von mir erben,
Berwehte Klänge, halbe Melodien ;
Erfolge, die fhon im Erblühen fterben,
Und, wenn ich fie erfaflen will, entfliehen;
Dir fei ein glüdlichered 2008 befchieben:
Den lud der Halbheit, o den kenne nie!
Dein Leben fei ein ganzer Klang voll Frieden,
Ein voller Zon ber tiefften Harmonie.
Zu ben gelungenften Gedichten der Sanımlung ge-.
hören: „Weftfalen”, „In ber Schweiz“, „Der Rhein‘;
fie fiehen in der Sammlung fafl an bemfelben Punkte,
den wir ihnen in ber Entwidelung des Dichters anmeifen
möchten, an der Grenze von fenem Träumerleben zum
Erwachen, an ber Grenze von ber Remantif zur mo-
dernen Poeſie. In dem Gedichte „Beim Hochamte“
tritt uns diefer Ubergang zum erften Male geftaltenreich
entgegen. Die Trompeten ſchmettern jubelnd und fin-
gend durch den Ehor wie Zonblige aus den Weihraud;-
lüften, des alten Glaubens Majeftät rebet in Hymnen
und Donnerworten die Sprache ber Jahrhunderte, aber
ans feinem Bau fällt Stein auf Stein und die Töne
wecken in der Bruft bes Dichters ein unendliches Wehe,
das fi in den Worten endlich ermutbigend ausſtroͤmt:
Ber hemmt den Geiſt, daß er allmächtig wehe,
Sein Strömen wer, daB es das Starre züchtigte!
Die Gedanken [hart er num als ſchlachtenmuthige Trup⸗
yen um ſich ber, aber es find oftmals bloße Abſtraetio⸗
nen, und der Allem nur im Gegenfage mit dem Glau⸗
ben, den er c(hiſtoriſch unmahr) der Menfchheit Zügel und
ihren Fluch nennt. Im Gedichte „Fahnenwahl” reift
er ſich nun wirklich von feinen vomantifchen Stoffen
los, er fährt aus feinen Träumereien hervor, das Reben,
das in frifhen Klängen an die enge Klauſe klopft,
ei, wie das bröhnt und wettert,
ei, wie's zerflingt am ten!
hat ihn aufgeweckt, er fagt der Klaufe, dem Thurme,
der Waldkapelle Lebewohl, fammt den Wundern und
den alten Melodien; das Rolanbehern des Geiſtes Hingt
lauter als alle die alten Kicchenlieder und Märchen-
Mänge, ber Schild der Freiheit ſchwebt höher, tönt hel⸗
ler als alle die verrofteten Wappenſchilder, und das
Bild bes beutfhen Volks in feinem Streben zur Frei⸗
heit glänzt ſtaͤrker als alle Pracht des alten heiligen roͤ⸗
mifhen Reiche deutſcher Nation.
Run fort mit dieſen Traͤumen,
Ih fühle des Morgens Weh'n,
Der Strom wird flürmen und ſchaͤumen
Und fiegend niedergeh'n.
SH fürz' in fein Wogen und Wallen —
Ein neu belebend Bad!
Aus feiner Flut Rryftallen
Einen Trunk dann auf den Pfad!
Und biermit wollen wir von den Gedichten Abfchied
nehmen, mit dem Wunſche, daß ber Poet „den Kritiker
nicht als Hochverräther feines Reiches anſehe und ihm
nicht ein trockenes Plägchen wie die andern Landesvaͤter
anmeife”, es müßte denn eine fchöne Billa in Weſtfa⸗
ien fein!
(Die Fortfegung folgt.)
Antipathien zwifchen beutfchen und flawifchen Volks⸗
ſtäͤmmen, mit befonderer Beziehung auf Rußland.
Bon Fr. Leizmann. Lemgo, Meyer. 1845.
Gr. 8. "pa Nor.
Daß Antipathien zwifchen deutfchen und ſlawiſchen Volks⸗
ſtaͤmmen vorhanden ſeien, und ein Gegenſatz zwiſchen beiden
ſtattſinde, lehrt nicht nur die Gegenwart, ſondern auch die
Geſchichte und eine nähere Rüdficht auf die Eigenthuͤmlichkei⸗
ten beider nach Abſtammung, Sprache, Sitte und Religion fo
wie bie Beachtung der durch ihre geographiſche Stellung
einander bedingten Urt ihrer fortdauernden, gegenfeitigen «
rungen, und des Teembor eigen, faft außereurspäifcden Cha⸗
rakters der Verfaſſung felbftändiger flawifcher Staaten und
Reiche. Der Berf. der vorliegenden Schrift fucht diefe Anti⸗
en, diefe Gegenſäͤtze nach inneren Gründen und nad aͤu⸗
Thatſachen weiter nachzuweiſen und darzulegen; allein er
offenbar eine zu guoße und zu lebhafte Eympathie für
Mußland, indem er den Bwed Bat, ein reinered, unbefangenes
Urtheil über ruffifche Staats » und Bilbungsguftänbe und über
den Charakter des Slawenthums zu vermitteln, eine Sympa⸗
thie, Die nad) Demjenigen, was er felbft in bem Borworte über
ben mit feinem Aufenthalte in Rußland für ihn verbunden ges
wefenen Reiz bei Betrachtung eines in kraͤftiger Entwickelung
iſſenen Volks ſagt, erklaͤrlich genug iſt. Dabei iſt er
mehre Jahre ruffiſcher Beamter geweſen, und erklaͤrt gerabegu,
ihn jener Reiz vieleicht für immer an Rußland und an
dad ruffifihe Bolt — „das wenigftens in feinem Kerne
in unverborbener Jugend ſteht, das aber ſchon mit allen Kraͤf⸗
2
.
_—-_. — —_ — —
ten nach Eroberungen ringt, bie innerhalb feiner ſelbſt auf
den friedliden Pfaden der Bildung und Menſchlichkeit gu voll»
bringen find — gefeflelt hätte, wenn man nur — das Bas
terland an den Schubfohlen mitnehmen Fönnte! Ob unter diefen
Umftänden der Verf. der gegenwärtigen Betrachtungen für
Eh unbefangen und ıwmparteiifch in feinen Anſichten und Ur
n über Rußland unb das ruffifche Boll gelten Tonne,
möchte Ref. bezweifeln. Legterer verfennt übrigens das In»
tereffe durchaus nicht, welches das Streben Rußlands dem Be:
obachter gewährt, und ift auch ber Meinung, da die Aus:
länder nicht immer mit der erfoderlichen Undefangenpeit die
Buftände Rußlands betrachten, wenngleich ed nicht als ein Vor⸗
wurf gelten kann, diefe Buftände ſowie das ganze politiſche
often Rußlands, namentlich im Verhaͤltniſſe zum Auslande,
nicht blos zum flawifchen Polen, mit mittrautfhen Blicken zu
betrachten, als Patriot und als Kosmopolit. endarum vet»
kennt Ref. auch nicht, daß die vorliegende Schrift intereffante
und lehrreiche Aufſchlüſſe über Rußland fomwie überhaupt
über die flawifihen Volksſtaͤmme enthält, die manche Irrthümer
über diefelben zu berichtigen wol geeignet find.
Die in der neuern Seit ſtärker erwachten nationalen An⸗
tipathien der bdeutfchen Volksftämme gegen die flawifihen, Die
u fehr in den Berhaͤltniſſen der nergangenpeit und in der
erichiedenheit der innern Cigenthümlichkeiten beider ihren
Grund haben, werden freilidh alle dieſe Betrachtungen und
Mittheilungen des Berf. nicht zu befeitigen vermögen, eben
weil fie außer uns, weil fie in der Sache felbft liegen. Bor«
nehmlich macht übrigens Nef. auf alles Das aufmerffam, was
in der vorliegenden Schrift über die Bitten und Gebräuche
der Slawen, ihren Eharakter, ihr gemüt liches und geiftiges
Leben, dabei über ihre Volkslieder bemerkt wird, fowie was
ber Verf. weiterhin über die Stellung Rußlands, feine poli:
tifch : nationale Entwidelung, feine foctalen Zuftände, das Sy:
ſtem feiner Regierung und das Streben der ſlawiſchen Voͤlker
nah Eonfolidirung und @rlangung einer gewiffen Einheit aus-
ſpricht. Dabei verhehlt er die Mängel der ruffiichen Eivili»
fation (Leibeigenfhaft, Mangel eines 'lebenslräftigen dritten
Standes) durchaus nit, beklagt in Betreff der ruffifchen
Rechtspflege Die große Beftechlichkeit vieler ruſſiſchen Beamten
fowie den großen Mangel an Landſchulen. Doch rühmt er
den Drang nad Einſicht und Bildung im ruffifchen Bolke,
und fucht den Bormwurf, den man ihm in geiftiger Hinſicht zu
Fee gewohnt fei, Daß es mehr das Talent der alüdlichen
Rachahmung als eigene, originelle Erfindungsgabe und geniale
Geiſteskraft befige, durch eine nähere Betrachtung der ruffifchen
Dichter und Profalften zu befeitigen. Was die politifchen Be-
ebungen Rußlands nah außen, namentlih nad Süboften
owie zur Bildung eined auch geiftig in fidh zufammenge:
ſchloſſenen, ſlawiſchen Univerfalftaats anlangt, fo vertheidigt
der Berf. nicht nur dieſe Idee an fi, fondern er hält auch
ihre Verwirklichung nicht für unmöglich, und meint fogar, daß
„der Gang der neuern Geſchichte ihrer einftmaligen Erſchei⸗
nung gleichſam vorgearbeitet‘ habe, und namentlid Rußland
„duch feine fortdauernden, conjequenten Beftrebungen, feine
äußere Staatseinheit auf eine innere, geiftige Berfchmelzung
der durch jene zufammengehaltenen Bölkerfchaften zu gründen,
ihrer concreten Geftaltung um ein gut Theil näher gerüdkt zu
fein ſcheine. Intereflant ift in dieſer Hinficht die fernerweite
Mittheilung, daß die Hoffnungen, mehr wol noch die Befürch⸗
tungen, bie fih an dieſe Idee Faüpfen, ſchon früher umfichtigen
deutfchen Staatemännern nicht fremd gewefen feien. Der Verf.
nimmt hierbei auf Die Außerungen des -öftreichifchen Internm-
tiuß bei der Pforte am den Fürften Kaunig nad) dem Ab⸗
fchlufle des Friedens von Kainarbfche 1774, durch welchen der
koloſſale Leib des ruſſiſchen Reichs abermals an Umfang ger
wann, Bezug, Außerungen, - von denen ſich in unfern Sagen
fo Manches verwirklicht hat, was damals nur Befürchtung,
nur Sraum zu fein ſchien, während ed auf der andern @eite
cheint, als fähen unfere deutſchen Staatsmaͤnner der Gegen
wart mit andern Augen — wenn fie nur feben! — und in wm
befangener Ruhe dem Allen zu. Daß auch fonft bie Fremden
Regierungen jowie bie Völker in engern und in weitern
Kreifen aus der vorliegenden Schrift viel lernen Fünnen, Be:
für wollen wir bier nur die wahrhaft geiſtvollen Worte des
Kaiſers Nikolaus, die er nach feiner Thronbeſteigung an E
Bolk richtete, die aber auch an die Deutfchen gerichtet fein
Bönnten, berfegen: ‚Möchten do bie Familienvater ihre ganze
Aufmerfamleit auf die fittliche Bildung ihrer Kinder richten.
Denn es ift wahrhaftig nicht den Fortſchritten der Bildung,
fondern ber Eitelkeit, die eine Leere des Geiſtes bervorbringt,
und dem Mangel an gründlicher Unterweifung und Bucht zu-
ufchreiben, daß ſich der jugendlichen Gemüther eine foldye
echheit des Denkens, eine ſolche naung Der Leiben:
fhaften und fo verworrene und verderbliche Halbkenntnifſe be
mädtigt haben, die nebft dem Hange gu ertremen Theorien
mit der Entfittlihung beginnen und mit dem Berberben enbi:
gen.” Goldene, beider nur gar zu wahre Borte! Dber meint
man etwa in Deutfchland, weil der Kalfer Nikolaus Diele
Worte an halbwilde Ruſſen gerichtet Bat, biefer Lehren da;
beim nicht zu bedürfen? 1.
—
Literarifhe Notiz aus Frankreich.
Die Religionsphiloſophie Kant's.
Die religiöfen Bewegungen in Deutſchland haben auch im
Auslande eine gebührende Berüdfihtigung gefunden. Ratür-
ih kann es dabei an Miögriffen aller Art nicht fehlen. In⸗
deſſen wird ſich die Sache Schon beffer gefkalten, wenn diejeni⸗
gen Männer, welche fih für berufen Palten, bei der Beſpre⸗
hung diefer Ungelegenheiten ein Wort mitzureben, exrft die
Verpflichtung anerfannt haben, ſich mit Der wiſſenſchaftlichen
Entwickelung der deutſchen Theologie näher bekannt zu machen
Es iſt nicht zu verkennen, daß in dieſer Beziehung von Geiter
franzöfifcher Gelehrter ein bedeutender Fortſchritt gemacht if
Die Zahl Derjenigen, welche, wenn auch nicht zu einem tichre
Erfafien, doc wenigftend u einem annähernden Berftin-
niß der deutſchen —A gelangen, wird offenbar immer
größer, und jchon tauchen hier und da Derftclungen auf,
welche einzelne Momente aus dem Entwidelungsgange derfel:
ben auf eine ziemlich befriedigende Weife behandeln. Eins
diefer Werke, welche als Die erffen bedeutenden Berſuche einer
geiftigen Annäherung zwiſchen Deutfchland und Frankreich auf
dem Gebiete der philofophifhen Theologie bezeichnet werden
Fönnen, ift folgendes: „Expose critique de la phtlosophie de
la religion de Kant”, von: Zimothee Colang. Der Berf. hat
fi bei feiner Darftellung der Kantihen Religionsphiloſophie
nicht darauf beſchraͤnkt, dieſes Syſtem aus feinem Zuſammen
Aa mit der ganzen Entwidelung der deutſchen Philofophie
erauszureißen. Er gibt vielmehr in einer eigenen philoſophi
ſchen Einleitung die Anknüpfungspunkte und bie Beziehungen
auf das Allgemeine. Im Ganzen ift die Darftellung Far und
auf die Sache gerichtet. Dies tritt befonderd in der Ausein:
anderfegung bed Syſtems felbft hervor. Dieſelbe zerfaͤllt in
drei Abtheilungen: 1) „Les idées religieuses de, la ralsen
theorique”’; „Les postulats religieux de la raison prac-
tique‘’3 3) „Accommodation au christianisme”‘. Diefe Unort-
nung ift im Ganzen befriedigend, fowie au die Entwickelung
felbft im Allgemeinen das Richtige trifft,. obgleich freilich Hier
und da über manchen einzelnen Punkt eine Discuffion erhoben
werden Fönnte. Was die philofophifche Bildung des Verf.
jelbft betrifft, fo erfcheint fie im Allgemeinen zwar genügend,
aber doch vermißt man hier und da eine recht geiflige Durch
deingung und eine vertrautere Bekanntſchaft mit den wichtigen
Grfdeinungen der neuern beutfchen Wiſſenſchaft. Doc haben
wir, wenn der Berf., deffen Erftlingsarbeit biefe Schrift zu
fein ſcheint, bei einem eifrigen Studium mit Ernſt ausharrt,
von ihm gewiß noch recht viel Gediegenes auf dem Welbe der
hilsfephifhen Literatur zu erwarten. 17.
Verantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brockkans. — Druck und Verlag von FJ. X. Srockhaus in Leipzig.
er
Blätter
für
literarifche Unterhaltung.
27. Mai 1846.
„Sevin Shüding.
(Yortfegung aus Nr. 146.)
Wir wenden une nun zu dem Romane „Die Nitter-
bürtign”. Ob es wol Zufall war, daß uns bei der
Lecture des vorliegenden Romans fortwährend bie fchrift-
flellerifche Thätigkeit der Frau v. Paalzow ins Gedaͤcht⸗
niß kam und uns bei jedem Schritte, den wir der Ent-
widelung entgegengingen, begleitete, ober ob ein gehei⸗
mer unbemußter innerer Zufammenhang zivifchen den
Werken der Paalzow und ben „Ritterbürtigen” Schücking's
fi) vorfindet, der uns nothwendig auf biefelbe hinleiten
mußte? Wir behaupten das Legtere. Frau v. Paalzow
hat in ihrem „Godwie Caſtle“, „St.Noche“ und zum
Theil auch in „Thomas Thyrnau“ die adelige Familie
. zu ihrem Gegenſtande gewählt; fie fchildert diefe Fami⸗
fie nicht allein nach dem Außern ihres Erfcheinens und
Lebens, fondern auch nach ihren innern Beziehungen, ih⸗
ren Verwickelungen und Schidfalen, die abelige Familie
ift der Brennpunkt, in dem fich alle Strahlen vereinen
unb von dem aus bad Licht auf die andern Glaffen ber
menſchlichen Geſellſchaft ſtroͤmt; jedoch bat fie nicht die Fa⸗
milie in ihrem Gegenfage ober richtiger gefagt in ihrer Unter-
ordnung unter ein allgemeineres Ganze, unter den Eoef-
fictenten des Staatslebens gebracht, fie ftellt die adelige Fa⸗
nıilie für fid und. durch fih hin, etwa wie Lafontaine und
Henriette Hanke die bürgerliche Familie zu ihrem Vorwurfe
gewählt haben; bei Schücking dagegen ift das Streben bie-
fer adeligen Familien dem Staate gegenüber und auf dem
Boben des Staats felbft dargeftellt; daher alfo jener Zu-
fommenbang, jene Vergleichungspunkte; Beide, Schüding
und Frau v. Paalgow, verhalten ſich ‘wie zwei Seiten
eines und deffelben Winkels, jedoch mit dem Unterfchiebe
der verfchtedenen Auffaffung, bie durch bie verfchiedene
Stellung der Schriftfieller in der bürgerlichen Gefellfchaft
und durch die Sympathien und Antipathien derfelben
herbeigeführt worden. Die Familie ale folche ficht bei
Schucking im Hintergrunde, fie kommt nur infoweit in
Betracht, als fie dem Staatsleben gegenüber ſich geltend
macht, und dann hinwieberum iſt es nicht bie Familie,
feudern eine Vereinigung ber adeligen Familie, ber Adels⸗
ſtand feibft, der mit feinen Unfprüden und Tendenzen
in das Staatsleben eingreift. Wir werden daher nicht
fehl geben, wenn wir „Die Ritterbürtigen” einen Roman
nennen, obgleich ihn der Verf. als erſtes Glied einer
weitern Reihenfolge Hinftellt und fie dem allgemeinen
Titel „Zeiten und Sitten” unterorbnet. Denn um das
| Streben und die Bitten einer Zeitentwidelung barzu-
ftelen, dazu fehlt dem ganzen Romane bie Allgemein-
beit, indem er nur ganz einfeitig die Tendenzen bes
Adels im modernen Staatsleben hinftellt, und auch dies
wiederum nur lüdenhaft; das Streben eines Standes
erhält nur dadurch erft wahre Bedeutung und wahres
Leben, wenn er ben andesn Ständen gegenübertrift; um
ünftlerifh nun diefen Gegenfag zu behandeln, muß er
nothwenbig, wenn er lebendig heraustreten foll, feinen
Gegenfag mit fih führen. Der Gegenfag in beflimm-
ten Formen und Maren Umriffen hebt und begrenzt feine.
andere Seite; bie Nitterbürtigen burften daber nicht
ohne ihren Gegenfag des freien Bürgerthums, ber Be-
firebungen der Indufteie und der Preffe gefchildert wer-
den, nur dadurch war es möglich den Roman zu einem
Kunftwerke zu machen, die Idee wirklich zu. ihrem Siege
ober, wenn fie ihrem Gegenfage gegenüber ohnmächtig
war, zu Ihrer Vernichtung zu führen; Cinfeitigkeit in
focialen Theorien, bie ſich in bie Literatur wirft, kann
zwar ein gutes Tendenzwerk zum Vorſcheine bringen, aber
nun und nimmermehr einen Roman, ber Anſpruch ma-
hen könnte auf den Namen eines Muſterwerks. Das
Beftreben unferer Ritterbürtigen, wie Schüding es ſelbſt
ausdrüdt, ginge darauf hinaus, das demokratiſche Ele⸗
ment der Neuheit nieberzudrüden und ber Volksentwicke⸗
‚lung keine Selbftändigkeit zu laſſen. Dies alfo wäre
zu gleicher Zeit auch die Idee des Romans, die durch
denfelben fih hin entwideln, zum Siege oder zur Ver⸗
nichtung fommen muß; wenn Eins von beiden einfreten
fol, fo muß nothwendig noch eine andere Idee mit auf
den Rampfplag treten, weil eine für fi) feine Entſchei⸗
dung herbeiführen kann. Sehen wir aber den ganzen
Roman buch, fo tritt uns nirgend ein Träger des de-
mofratifchen Elements ber Neuheit oder ein Repräfen-
tant der Volfsentwidelung entgegen, benn von bem Ge⸗
richtsarzte Pauli, der Bauernfamilie und dem Juden
Koppel kann in biefer Beziehung Feine Rede fein, da
fie in die eigentlihe Entwidelung der Handlung nur
zufällig, nur als beliebige Perfonen eingreifen und über-
2 *
ſcheinen. Dadurch kommt es nun auch, daß die Ent⸗
wickelung des Romans, die Entfaltung der Idee, zu
keinem Ende, keinem Reſultate gelangt. Iſt etwa am
Ende des letzten Gm dDiefe Idee der Ritterbürtigen,.
bas denokratiſche Element der Reuheit nieberzubrüdien,
wirtiſch geworden ober gefcheitertt Keins Yon Beiden;
die Intriguen find blos gefcheitert, die angelegten Käben
haben fi verwirrt und find zum Theil abgeriffen, aber
eine eigentlich fünftlerifche Löfung iſt damit nicht herbei-
geführt, da bie Löfung ſtatt einer innern nothwendig
bedingten eine bloße äußere, mechanifche, zufällige it.
Iſt etwa bie Grundidee in feiner Hauptvertreterin ber
Gräfin von Auracheim zum Falle gefommen oder fleht
fie als ſolche berechtigt da? Nichts von Dem; fie muf
momentan den äußern Verhältniffen weichen und räumt
das Feld ihren perfönlichen, nicht principiellen Feinden,
deren Beftrebungen, wie die des Grafen von Schletten-
dorf, zum Theil ganz mit ben ihrigen übereinflimmen.
Politiſch betrachtet mag das Streben und die Gefinnung
diefes Grafen wol geiftreich, das vernünftigfle unter den
ganzen Ritterbürtigen fein, aber berechtigt und begrün«
det in der Entwidelung des modernen Staatslebens und
für daffelbe ift es nicht, denn es fucht feine Grundlage
in dem Vorrechte eines Standes, im Abel immer hin
oder bänerifhen Claſſe zu. Nun ift es aber ein Wider-
fpruch, wenn er von Ihm verlangt, daß er ſich „zu elner
förmlihen Staatögewalt, der neutraliſirenden, jept
alleinherrfchenden gegenüber, zu einer compacten, gewal⸗
tigen Maffe berufen anfehe, die neben und mit der Regie-
rung Stügfäufe des Staatslebens fei”. Der Gebtirtgadel
würde fo zum Intelligenzadel werden, aber immer Abel
fein und bfeiben, ein Stand, der da glaubt Vorrechte
nor andern zu haben.
(Der Beſchluß folgt.)
Vielfhreiberei.
‚Bald werben wir in Verlegenheit gerathen, welches Epi⸗
theton denn eigentlich unferm vielgeftaltigen und proteusarti-
. 98
haupt mehr ald Staffage denn als mitwirkenbe Werfonen er ·
|} -
gen Beitalter beizulegen® Rad .der Meinung der Einen follte
ed von Rechtöwegen das eiferne heißen, obgleich diefes Eho-
roßteriftifon bereits für einen geſchichtlich abſolvirten Borläu-
fee in Unfpruch genommen, denn auch Seiten koͤnnen ſich wie-
berholen und das irrevocabile tempus ift nicht fo ganz auß-
hmlos als man mehren var Wlein holt man Das pbige
pitheton won der materiellen Yußen« und geradezu von
4 Bonfumtiondfeite der, dann Fönnte han ja unfee Zahrhund
mit ebenfo viel Fug und Recht das baum: oder ſchafwol⸗
lene oder das tabadene, wol aber auh das Thee⸗ und
Kaffees⸗, wo nicht gar Bas zuderfüße Jahrhundert nennen.
legtere Annahme proteflicen aber wieder die vielen Säu⸗
ren, ‘die von Ehemiewegen eine fo große Rolle heutzutage in
der Welt fpielen, und in der That fcheint der Chenüſsmus des
Lebens und der Wiſſenſchaft fo gewaltig gefäuert, daß ihn alle
gen ber Audtercolonien nicht zu vermögen. ine
nicht geringe Menge von Stimmfähigen votirt hingegen wieder
für dus Charakteriſtikon dampfend, bei welcher Gelegenheit
eine andere Ableitung, bämpf ig, freilich nicht fehr fernliegt.
Faſt entichieden fcheint fi aber der Sieg auf die Seite jener
Majorität zu neigen‘, bie fi für die Bezeichnung papiere»
nes Sahrhundert entfchleden, eine Benennung, bie, per iden-
rum associationem, und zumal auch: „a prieri fit denominatio””,
als Regel gilt, einen etwas zweideutigen Mebenbegriff, nämlich
den des lumpigen, in fi) fließt. Allerdings ſchwindelt Ei⸗
nem der Kopf, wenn man an die ungeheuern Maflen von Pa:
pier denkt, die jährlich in die Welt gefchleudert werden und
womit ſich vielleicht fchon die Abgründe und. Ziefen des Dreans
ausfüllen ließen; allein biefes ‚lumpengeborene ullfes
fteht doch nicht allein das es ift noch ein Accefforium zu bee
rüdfihtigen: Die Tinte. Wir haben erft neulich Die treffende
Bemerkung gelefen: daß in allen Kriegen der alten barbarifchen
Zeit nicht fo viel Blut vergoflen worden als im unfern Tagen
Zinte. In der That, diefe Worte find weniger Hyperbel «is
ed ſcheint. Allein gegen dieſe Auszeichnung hören wir bie
Druderfhwärze protefliren, die ſich ſchwerlich ihre Gleichberech⸗
tigung wird ftreitig machen laffen wollen. &o bliebe uns denn
alfo die Wahl nur gwifchen zwei Schwärgen übrig; um keiner
von beiden Unrecht zu thun, ſcheint es am gerathenften, unfer
Jahrhundert gerabeau das ſchwarze gu nenne. .
Indeffen Scherz oder vielmehr Humar bei Seite und mit trocke⸗
nem Ernfte gefprochen: wir leben in einer vieljchreibenden Zeit, je:
des feberfähige und gelibte Individuum ſcheint ein Hundertarm und
Zaufendfinger geworden zu fein. &ollte es noch eine Weile fo
fortgeben, fo wird es bald ebenfo viele Schreibenbe als Pefer
geben.und Gott weiß, wie weit es noch kommen wird und zu
welchem Facit es kommen Pann, wenn unferer Grapbomanie
nicht ein arcaned Antidot, etwa bie berühmte Nieſewurz, zu
ftatten kommt. &o übel es indeffen damit beftellt fein mag
und fo arg es im Laufe der Beit noch werben dürfte, an der
Natura sanans, bie das Heilmittel im eigenen Schooſe tri
und im rechten Augenblide zu reagirender Selbſthülfe gre
dürfen wir denn doch nit verzweifeln. Übrigens gibt
dem Gebiete des Schreibens und Schriftitellerns gerade biefelbe
Goncurrenz, diefelbe überhäufte und jich ins Unendfide hinein⸗
potenzirende Production kund, die auf den meiſten übrigen Fel⸗
dern men er - Ihätigkeiten vorwaltet und die, das eigen
liche Bebürniß beimeitem überragend und fidh zu einer —*
und einer gewiſſen treibenden innern Nothwendigkeit en
ſcheint. Ron diefem Geſichtspunkte aus angefehen —*
der Induſtriali Tage, dem wir auch das Schrei⸗
ben in feiner profeſſionnellen Erſcheinung ſubfumiren, aller
lichen Höhe Hinauffhraubend, um ihrer felbfiwillen 3.
lismus unferer
dings in einem eigenthümlichen Lichte bar und gewinnt gewi
fermaßen ein inftinctives Anfehen. Waffen wir die immer mädh-
tiger und rapider hervorſtroͤmende GSchreibfeligkeit unferer Zeit
in ihrer genetiſchen Entwidkelung von einer andern Geite auf,
fo gibt fie fich als der lange zurüdgebämmte, Daher enorm aus
geftaute und nun ungeflüm erde zechende und Alles über:
MIWYUSAHRESTEIHATAE REMIS EAST HE TRma mu EASA Ems ZuUSUWWZAUNERAJSAR
588
Biebe zu ihren geiffigen Kindern den ſterbend Merfe citicenden
Butanos, den in feinen legten Augenblicken Troſt in feiner Lehre
findenden Epikur an, macht bierauf einige Bemerkungen über
felbft ud citirt dann Wriftoteles, der da fagt: gerade der
ter fei der Künftler, der am allerverlichteften in fein eige
ned Werk verliebt ſei. Montaigne fpricht fi an einem an⸗
dern Drte auch noch über Eommentatoren und Gefegausleger
aus, indeflen fparen wir uns diefe originelle und wirklich Du:
moriftifge Stelle für eine andere Gelegenheit auf, um fie bann
in ihrer ganzen Gigenthümlidgkeit wiederzugeben. Zum Gchluffe
möge bier nur noch eine Mußerung Pr. v. Sengs Kaum fin
ben, die der politiſchen und publiciftifhen Bielfchreiberei gilt.
Er bemerkt nämlich in der Einleitung zu feinen „Betrachtun⸗
gen über die franzöfifche Revolution”: „Es war eine Beit,
"wo es für einen denkenden Mann kaum einen edieen und fü:
Bern Beruf gab als politiſcher Schriftfteller zu fein. Die
Großen wurden durch den Zuwachs an Erkenntniß fanfter und
milder, die Geringern felbfländiger und lenkſamer. Wer die
Tyrannen angrifl, war ein Wohlthäter der Fürften. Jetzt hat
fi das Berhaͤltniß fonderbar geändert. Unfer mit Kenntniflen
aller Art gefättigte® Jahrhundert will über das Hiel —*
fliegen und fängt an des Zügels zu bedürfen. Wir ſchwim⸗
men in einem Ocean von Schriften, defien Grenzen bie Ein:
bildungskraft kaum erreiht. Wäre die Br efeligkeit unfers
Geſchlechts auf dem Wege des Lefend und Schreibens zu fin:
ben, fo müßte fie durchaus nicht mehr zu fuchen fein. Jegt ift
ed offenbar fo weit gekommen, daß es für einen Mann, ber
fih mit allen Fähigkeiten zu einem öffentlichen Wirken audge:
rüftet fühlt, ein ernfthaftes Problem wird, ob er feinen Seit:
genoffen reblicher dient, wenn er fpricht oder wenn er ſchweigt.
Riemand findet fih in diefe Skrupel fo tief verwidelt als Der,
welcher in unfern Tagen über politifche Gegenftände fprechen
wild. Auf keiner Seite — darf ich hinzufegen: etwa die
tbeologifhe ausgenommen? — ift der Geift der Men:
fhen fo übergebtldet und verbildet wie auf biefer.
Denn Frankreich das Beifpiel gibt, wie Fönnte Europa zuruͤck⸗
bleiben! "Wer fi mit einer —8* von Kunſtwoͤrtern ver:
traut gemacht hat, fchreitet mutbhig und unverzagt zu Entwür⸗
fen neuer Regierungsformen. Ratürli Tann es zu einer Seit,
‚wo faft Jedermann Lehrer fein will, nur gar wenig Lernende
geben. Genfur ift der Zweck alles Lefens und ein flüchtiges
Lob der hoͤchſte Lohn, den fih das reichhaltigfte Werk zu ver⸗
fpredhen bat. Wenn Bergänglichkeit das Par Lofungswort
ft, wenn Völker ihre Staatöverfaflungen einführen und ab:
fhaffen wie man ein Gewand anzieht und ablegt, wenn ein
erviger Kampf zwiſchen Werden und Vergehen der allgemeine
Charakter der gefellfchaftlichen Werhältniffe werden foll, wie
Tann Das, was ein Individuum bervorbringt, auf Dauer Rech:
nung machen? Wie ließe es fich begreifen, daB felbft mit dem
Bewußtſein ausgezeichneter Talente einem Sterblichen nod Muth
genug bliebe, um durch Gedanken und Worte den Beifall ei»
ner Ration zu fuchen, bei der feldft Thaten Feine dauernden
Monumente find! einer Ration, die nichts mehr rührt als
was im gegenwärtigen Momente die Sinne ergreift oder den
ermüdeten Geiſt aus dem Schlummer rüttelt? die ihre Lehrer
wie ihre Wohlthaͤter vergißt, die ihre eigenen Gögenbilder nicht
achtet und ihre Lieblinge mit Füßen tritt? Die, welche die
Augen auf daB große Drama richten, nehmen nad und nad
nur Gefühle und Manieren der Helden an. In dem unermeß- -
lichen Schwall fruchtlos verſchriebener Papiere verlieren ſich die
weiſeſten Plane und die genievollſten Ideen wie die Mordan⸗
ſchlaͤge wuͤthender Demagogen und die Fieberraſereien des Ja⸗
kobinerelubs. Dies iſt das gemeinſchaftliche Schickſal der Schrift⸗
ſteller aller Parteien. Der, welcher den Lieblingsweg mitwan-
deit, dem Lieblingstraume fchmeichelt und den Rauſch des Au⸗
genblicks theilt, wird beklaiſcht. Der, welcher die Räder des
geflügelten Wagens hemmen will, wird verhöhnt und beibe
werden vergeſſen“ u. f. w. Hr. dv. Gens wirft fodann einen
befondern Blick auf Frankreich und die Revolution und wenbet
feiner erwirthfchafteten Habe beraubt.
das Obengefagte auf beide ans allein welche gewichtigen 5
beiten en nicht jene Worte, Wahrheiten, die es im AI:
gemeinen find und daher heute noch ebenfo gut als 179
eiten, als fie der Weder des berühmten Yublict
Indeffen ift auch nicht zu leugnen, daß fih fo Nanches wieder
in einem andern auch den Hintergrund der Dinge zeigenben
a te darftellt, wenn man ed mit philoſophiſchem Auge, an:
edt. \ .
Literarifhe Rotizen aus England.
Der fromme Aftrönom.
Die Religion dat bekanntlich fehr oft in die Raturwifien-
ſchaften gepfuſcht. Was fie darin geleiftet ik männiglich be
kannt. Wo nur der forfchende Blick, das mit aller Errungen⸗
ſchaft des Menſchengeiſtes bewaffnete Auge und ber auf das
Einmaleins bafirte Salcul ermitteln und entfcheiden Tann, hat
fie den Glauben, die Einbildung, das Wunder j wollen.
Sie hat Galilei in den Kerker geworfen und dur bare zum
Heuchlerifchen Widerruf gezwungen, weil er feiner Siffenſchaft
und ihren untrüglichen Gefegen mehr Glauben fchenkte als
einem jübifhen Märchen. Und doch ift Heute, nach ſchier
300 Jahren, nachdem Saplace, diefer Ungläubige aller Ungläw
bigen, den alten Märchenhimmel in Gtüde zerſchlagen und bie
Mechanik des Himmels aufgeftellt, nachdem die neuefte Zeit
die dynamiſchen Geſetze diefed Mechanismus zu erforfihen und
zu ergründen begonnen — und doch ift heute das Geſchlecht
jener frommen &terntundigen nicht ausgeftorben , die wie ber
Vater des gr „das Widrige zufammengießen”. Gin Bei
fpiel von diefen Pfeudoriffenfchaftern, von den beuffchen Lande:
leuten zu geſchweigen, bietet der Engländer Thomas Did bar,
der in feinem jüngit erſchienen „Practical astronomer‘ bei:
nahe mehr von Borfehung, Religion und Kirche doeirt als von
Sonne, ide und Sternen. Die Frömmigkeit fpielt darin eiwe
ebenfo maͤchtige Rolle als bie achromatiſchen Wernröhre um
das Roß'ſche Telefkop, unt er weiß feinem aftronomifehen Preunb,
der ein ſolches Fernrohr mit einem fehr ſtarken Objectivglas
für 450 Guineen hergeftellt, nichts Rühmlicheres nachzuſagen ats
daß er auch ein fehr guter Ehrift if. Nun Diejenigen, welche
den Salilei in den Kerker ftedten, thaten fih auch auf ihr
Chriſtenthum viel zu Gute! R
Die Heimat der Robinfone.
Der Wundarzt eines englifchen Walfifchfängers, John
Eoulter, welcher in den Jahren von 19832 — 36 in diefem Be
ruf die füblichen Meere befahren, hat jegt bie Erfahrungen,
welche er auf diefen Fahrten gefammelt, ın einem Werke un:
ter dem Zitel „Adventures in the Pacific” veröffentlicht. Er
bemerft darin, daß in den Annalen des Stillen Deeans das
Schickſal des unter dem Namen Robinfon Erufoe berühmt ge:
wordenen Alerander Selkirk keineswegs ohne Gleichen daftehe;
vielmehr gebe es wol Feind der unzähligen kleinern Eilande,
von denen die Südfee wimmelt, das nicht feinen Robinfon zähle.
Diefe unbewohnten, mit frifhem Wafter und fruchtbarem Bo-
ben verſehenen Infeln befigen zu viel Anziehungstraft für wag⸗
nißkuͤhne Gemüther, als daß von folden, wenn Schiffe dort
anlegen, die Gelegenheit nicht benugt werben follte, um fi
barauf eine einfame Herrfchaft zu den. &o erzählt Coul⸗
ter von einem Irländer, der auf ber Karlsinfel, auf die er we:
gen fchlechter Aufführung ausgefegt wurde, ein unabhängiges
Leben führte und Raubztige nach den benachbarten Eilanden
unternahm, auf deren einem er bei bem Berfuch, fi eine Kb
nigin für fein Königreich zu erbeuten, erfehlagen wurde. @in
anderer Abenteurer diefer Art, Johann Johannſon, ein Schwede,
wor friedficherer Natur, machte fein Befigthum urbar, indem er
Ackerbau und Biehzucht trieb, warb aber zulegt von einer
Bande Seeräuber, die er gaſtlich bei ih aufgenommen, au
12.
Berantwortlier Herausgeber: Heinrich Wroddans. — Drud und Verlag von F. WC. Brockhans in Retpzig.
Blätter
für:
literariſche Unterhaltung.
Donnerstag,
(Beſchluß aus Nr. 147.)
Da wir uns nun zu andern Betrachtungen wen⸗
den, fo wollen wir gleich von vornherein bemerken, def
mit diefem Romane die Entmidelung Schüding’s felbft
weiter gefchritten iſt. Vergleichen wir die „Ritterbürti⸗
gen’ mit feinem „Schloß am Meere”, fo finden wir hier
in der Anlage einen beflimmten Mittelpuntt, um den
fi Alles dreht, nach dem bin fi) Alles bemegt; bie
„Ritterbürtigen‘ haben künſtleriſche Einheit, die Theile
fiehen im wefentlihen Zufammenhange mit dem Gan-
zen, fügen ſich demfelben al& untergeordnete Glieder ein,
während gerade dieſe Einheit am „Schloß am Meere”
vermißt if. Es find dies mehr vereinzelte, zum Theil
fehr gelungene Skizzen, rhapſodiſche Ausführungen, die
äußerlich in Beziehung zueinander gebracht, aber keines⸗
wegs innerlich, organifch verbunden find; bei den „Rit-
terbürtigen‘ dagegen entfaltet ſich die Handlung ruhig
und gemeffen, fchreitet nach dem einen Ziele unabläffig
bin und umfchlieft und fchließt die einzelnen Theile zu
einem wahrhaften Ganzen ohne Rüden, ohne Borans-
fegungen, ohne Sprünge. Daher kommt es auch), daß der
Eindrud, den das Ganze macht, ein größerer ift ale
dort, und daß ber Leſer in fieter Spannung, ohne Er⸗
müdung, bis zu dem Ende hinfchreitet. Wir wollen
hier, um dieſe unfere Behauptungen zu begründen, den
Juhalt feibft reden Taffen.
Die Gräfin Milgunde von Quernheim, eine ftolze,
leidenfchaftlihe Frau, voll von Unabhängigkeitsbeftrebun-
gen, bat in ihrem Kopfe, der ein wahres Brutneft von
Intriguen ift, die Idee lebendig erfaßt und zu ihrer Le⸗
bensaufgabe gemacht, den Adel in bie erften Reihen des
Staatslebens wieder einzufchieben, feinen Einfluß herzu⸗
fiellen und eine gefchloffene ſtarke Macht in ihm ſowol
der Regierung ale dem Volke gegenüber zu fchaffen.
Diefe Gräfin hatte fi mit einem Manne, dem Sobne
eines geadelten Beamten, von Finkenberg, vermählt, weil
fie an ihm einen Gatten gefunden zu haben „glaubte,
dee „muthig in der Gefahr, mit großartigem Überblide
die Berhältniffe der Welt überfhauend, mit al den
Kenntniffen und ber Bildung, welche nur der Geiſt des
Mannes umfaffen kann, ausgerüſtet, einer glühenden
Leidenfchaft fähig, und für fie unter ben Füßen, ein ge-
brochener Sklave, ein Nichts!“ Die Vermählung follte
heimlich gehalten werden, felbft ihr Water erfuhr davon
nichts, weil fie ald Stiftödame ihre Praͤbende nicht ein-
büßen, nicht öffentlich an einen Mann verheivathet fein
wollte, der keine Ahnen und Seinen fliftsfähigen Namen
babe. Die Trauung mwurbe deshalb in einer Dorflicche
von einem jungen Geiftlihen, dem Allgunde die Pfarr-
fiele durch ihren Vater als Patronatsheren hatte über⸗
tragen Iaffen, in Gegenwart des Barond Tonbern und
feine® Jägers, der bald nachher ſtarb, vollzogen. Rach
zwei Jahren erfuhr bie Graͤfin, daß ihr Gemahl früher
Staatsfpion geiwefen war und verfließ ihn. Dieſe Hei⸗
rath war von nun an ber wunde Fleck ber fie ſchmerzte
und den fie um Alles in der Welt der Bergefienheit
anheim zu geben ſuchte. Dem Baron Tondern ver.
ſprach fie als Lohn feiner Verſchwiegenheit die Hab
und Güter ihrer Nichte Theophanie von Blankenaar.
Intriguen und Gemwaltftreiche wurden verfucht, um bie
ſes Berfprechen zu halten, allein vergebens. Theophanie er-
fuhr durch einen Zufall den Plan, flüchtete fich zu einer
entfernten Bauernfamilie; allein aud bier warb ihr
Aufenthalt entdeckt und fie gerietb aufs neue in die
Hände ihrer Berfolgerin, die fie endlih zwang, tregbem
daß fie bereits einem andern Manne, Valerian von
Schlettendorf, ihre Leben und ihre Liche geweiht hatte,
bem Baron Zondern zum Altare zu folgen; allein bost
zerfihnitt ein kräftig ausgefprochenes Rein! Theophaniens
plöglich alle Hoffnungen, Allgundens Heirath mit Finken⸗
berg wurbe bekannt, Valerian erhielt feine Theophanie und
Zondern und die Brafin veiften nad) Italien. Reben dieſem
Hauptfaden unferer Geſchichte laufen unzählige Intri⸗
guen unb feltfame Abenteuer Hin und ber und umfchlin-
gen das Ganze fo innig wie grüner Epheu den ein-
fahen Stamm einer Eiche, beleben und fpannen bie
Entwidelung aufs mannichfachfle, und über dem Gan-
zen ſchwebt der Geiſt Allgundens und ihrer Partei, ber
Ritterbürtigen.
Wir wollen hier uns jeboch nicht verhehlen, daß dem
Roman, fo fehr er auch intereffant, wie man bad ge-
wöhnlich zu nennen pflegt, durch die vielen Intriguen
geworben iſt, doch auch ebenfo fehr von einem hoͤhern
Standpunkte .aus als von dem SBebürfniffe eines ge-
wöhnlichen Leferkreifes betrachtet, diefelben zum Vor⸗
wurfe gemacht werden konnen, und namentlich biejeni-
3 a
gen, welche nicht aus dem Charakter der handelnden
Perſonen, ſondern durch einen unvorhergefehenen Zufall,
durch die fpielende willfürliche Phantafie bes Dichters
hervorgegangen find: denn im freien Gebiete der Kunſt
Y u’Hin Recht, ebenſo weing is im Meike
der Nötun und bes menſchlichen Seiſtes. Nehmen wir
hat Da
zur Probe ben Anfang des Romans.
Ein alter Jude fit am Wege und flößt mit feinem
Stocke die herbftlihen Blätter an, während oben am
Saume des Waldes eine Dame auf ſtolzem Pferde ba-
binreitet. Diefe gewahrt, daß aus dem Dorfe im’ Thal
cin Reiter forengt, verfolgt — foweit iſt Alles noch
ganz romantifch, nun kommt aber ein anderes Element —
von Gersdarmen; fie bietet dem verfolgten Manne, den
fie nicht kennt, für den fich aber ihr Mitleid regt, ihr
Pferd au, ba das fernige ermübet ift, der Fremde be»
ſtegt baffelde und kommt auf bas Schloß Blankenaar,
bes ihn die Dame als ihren Wohmfit bezeichnet hat.
Der Fremde geht; ba es bereite Abend ift, in das
Schloft, kommt auf einen. Balcon, dort reicht ihm eine
Zofe einen Brief, ber aber nicht für ihn iſt wie er
glaubt. Um denfelben lefen zu können, begibt er fich
in den Hof, ein Diener hat eine Doppelleiter auf ben
Boden geftellt, um die Laterne an ber Eingangsthüre
anguzüunben, ber Fremde befteigt bie andere Seite und
lieſt den Brief, der die Intriguen ber Gräfin von
Quernheim mit Theophanie enthält; unterbeffen kommt
ein: Diener, biefer glaubt, der Fremde habe das Pferd
ſeiner Herrin geranbt, fiößt wider die Leiter, fie faͤllt
und der Fremde fehlägt mit bem Kopfe auf die Stufen,
verwundet ſich und wird ohnmädhtig ins Schloß ge-
bracht. Dee Fremde ift Valerian von Gchlettenborf,
bas Schloß gehört Theophanien von Blankenaar.
Die Charakterzeihnung der handelnden Perfonen ift
gelungen und gleichzeitig durchgeführt. Der Eindrud
wird noch -bebeutender werden, wenn Schüding für bie
Folge einiges Augenmert auf bie Einzelheiten richtet,
wodurch die Geftalten in um fo größerer Wahrheit her»
austreten werben. Sehr bezeichnend und charakteriftifch
erſcheint die Stufenleiter, in denen Schuding feine Rit-
terbürtigen darſtellt, von dem geadelten Beamtenfohne
Finkenberg übek den verwöhnten, hochmüthigen Biſcho⸗
ving, den rohen: abenteuerlichen Saſſeneck, den glatten
egoiſtiſchen Tonbern, den eingerofteten Leibenfchaftlichen
Mainhösel bis hinauf zu dem gebildeten, aufgellärten
Schiettndorf. Eins fiel und aber bei der Charakter
zeichnumg Theophaniens auf, dem ebeln, flogen Maͤd⸗
hen, das in dem Geliebten nicht ben Menſchen ſuchte,
wie er ſeinen Verhaͤltniſſen angehörte und wie die Ge⸗
fellfhaft ihn geformt hatte, fondern nur die Seele mit
allem tiefen Gluͤhen einer leidenfchaftlihen Innerlid-
feit, die Seele, wonach bie vereinfamte, unter ewig
frembbleibenden Menſchen erwachſene Theophanie unabläffig
ftrebte, daß diefe Theophanie erft dann ebenfo freundlich und
liebenswuͤrdig lebhaft wird als fie früher falt und abgemef-
- fen gewefen war, „nachdem bee Fremde (Valerian von
Schkeitendorf) durch Nennung feines Namens eine Art
| der katholiſchen Kirche gleichgültig ich erwies
Mo
v
®
“
=
Sewahrſchaft für fih Hatte aufführen Man
dieſe Theophante auf einmal foceremoniel game
ldg es in ihrem Welen, warum bat dem |
bie Kataſtrophe ihrer. Liebesentwickelung hinter
derfept, da fichertih aeft Yodı frage Aytiie
sehen mußte, ' ums dep Lfer auf den Punk |
wo er dieſe Entwidelung für poetiſch wahr hate
Das Stillieben, die Tänblichen einfachen Serha
bem weftfälifhen Bauernhofe bieten ſehr gelume
derungen bar. Es ift ein klarer und hae
bes beginnenden Herbſtes, die Erdgtillen meh
ihren Löchern, bie Hühner fragen füh de &
Babe und einer in der Sonne fich Togernden fi
bie Augen, das Fenſter des Bauernhauſes fi
die Uhr fchläge zehn, ber Kuhhirt holt fein Ha
Gaͤnſe fchnattern, die Schafe blöden und tie
wüde Troß von plebejifhem Vieh hält be ai
gen des vornehmen Heren von Bifchening mi |
gepuberten Peräde und feinen magern Gäu d
göpliche Bilder! Gern geben wir für meh
abenteuerliche Belagerung der alten Bay mi
ganzen Unmwahrfcheinlichkeit und feltfamen I
fügung bin. Die Sprache und ber Stil de
find edel, rund und glatt, nur fielen und nel
wörter, wie agaciren, peroriren, compi
ron als flörend auf, die wir dem MPoeten ka
zu ſchenken gefonnen find. J. Gegce
i
Reformationsgeſchichte von MM
Dzieje Kosciolow wyznania helweckiego w Lite
ber helvetiſchen Eonfeffion in Lithauen.) Bon
Fafzewicz. Zwei Zheile. ofen. Gr. 8.
‚Bei dem allgemeinen Intereffe, das die Fa)
hältniffe in dem rufſiſchen und preußifchen Pol
erregen, werden es ſich wie Ref. hofft, nicht wenig"
fer Blätter gern gefallen laffen, wenn ihr Bid iM
den Auszug aus einem gewiß den allerwenigie *
gängligen neuen polnifchen Werke auf die Boyzwh
hen Kirche geleitet wird. Ref. theilt den Aulıym)
ber mit als das Werk, aus bem er entnommen id, #!
tei dient, fondern mit dem offenbaren Verlangen, ME
Wahrheit fo nahe als möglich zu kommen, abgeaR 4
als von dem mit fehr gründlichen Kenntniffen u
Geſchichte ausgerüfteten Verf. bier viele Date zu je
tiondgefehichte Polens nach handfſchriftlichen Qua P
Male veröffentlicht worben find. .
.Wiele Umftände cerleichterten der Reformation et
in das Herzogthum Lithauen. Der Huffitismus —
den Zeiten Jagiello's heimlich hier erhalten, die © pi
der roͤmiſchen und morgenländifthen Kirche hatten MUT
aufgeregt, die bebeutendern Städte waren von 4J
ſchen Kaufleuten und Handwerkern bewohnt. deha
daß, als daB benachbarte Preußen mit dem Her
und darauf: Liefland fich öffentlich zur Reformalitn
diefelbe auch in Lithauen raſche Fortſchrikte ml Ä
dadurch begünfigt wurden, daß 1544 der polmikir ir
Sigismund Auguſt ald Großherzog von nit Tu |
fam. Wie biefer einerfeitö gegen bie Lehren e pe
andererfeit8 ben Neuerungen in der Religion Mes
und in feinem Gefolge waren nicht wenige ofer
°
.
*
..
RO) hattz up,
einmal Heubeieten Kirchenglaubensſs, wos in Lichaurn Bielen wie
ei Ana bishes geheimgehaltenen Bekenatniſſe gleichtalls hervor
Beſe
ver Bir DATE kai Tun gub
’ in. Zwar erlangte der Biſchof von Bing von neuem
A ai Könige iſsmund T. das Sieht, die Ketzer zu firafen,
elung Ryirhte ein Fönigliches Ediet aus, das unter Auderm einen
. für pair „der von dem Katholiismus abjallen würde, mit dem
j ländlichen tahahfte. des Adels bedrohte. Die Berbote hatten aber um fo ges
auernhefe hin FR Exrfolg, old die Hofprediger bes Ahronerben, Jan Kos:
iſt ein An En und Wawrzyniec Dyslordya, felbft die enangelifche
erb -K dem Bolke öffentlich predigten. Ihnen war bereits als
bſtes, die (ie Wpoftel des Lutherthums der Doctor der Theologie Abra:
Hübner frag i Sulvenfid vorangegangen, rin Lithauer von Geburt, wel
der one In Deuiſchland fludirt hatte und um 1539 in Wilna eine
fer des ur gründete, doc fpäter nad Preußen flüchten mußte.
der Rubkin wer der —— ae or ne a
| " ranken, die biß dahin die Reformation wie in
e Schafe bike tchauen aufgehalten hatten. . Bwar trat berfelbe auch als
jifchem Vich ig mit feinen religiöfen Gefinnungen nicht beftimmter her:
Ham m 5 weil religidfe Beftimmtheit ihm, in früheren Jahren wer
. ne überhaupt fehltez Sigismund Auguſt gewährte ber
ıd ‚ ‚überhaup
fine MP cmation dennoch einen mächtigen Unhalt dur Die eng
m geben mt: ihm verfchwägerte Radziwill'ſche Familie. u
der al: Nikolaus Rabziwill, der Schwarze benannt, von Sigis⸗
heit un Ad Auguſt zum Wojewoden von Wilna und zum Kanzler von
en erhoben, Better der Gemahlin Sigidmund Auguſt's,
rache um ke bara Nadziwill, war damald das Haupt ber gangen Ra:
aft, nur fia will ſchen Familie. Fruͤher ein Bekenner der griechiſchen
„peroriteu⸗
die wir bau
W.
en und bemühte fich nach feiner Ruͤckkehr ins Baterland,
‚beivetifche Bekenntniß, das er 1553 öffentlih annahm,
alle Weiſe zu verbreiten. Seine Würden, feine Reich
mer, feine auögezeichneten Geiftesgaben erhoben ihn alsbald
a Mittelpunkte dex Reformation in Lithauen. An ihn ſchloſ⸗
eu 5 alle evangelifchen Slaubendlehrer an, bei ihm fanden
zefgiät Hug und Dbdady, viele Reformatoren zog er aus Polen
ı heiwediegrD andern Ländern nad Lithauen, andere fandte er in Die
1 in Sihan' Hweiz, um fie, nachdem fie dort ihre theologifche Ausbildung
ie F gatten, in Lithauen als Prediger anzuſtellen. Im 2.
j 3 lie
Iuterrfe, W}, Simon Sacius, Peter Statorius und andern gelchrten Theo⸗
und p F‚gen unternommene Bibelüberfegung abdruden und fchenkte,
Ref. be ichdem ſchon eine Zeit lang auf feinem Schloſſe zu Wilna re
fen, mn & mnirter Gottesbienft flattgefunden hatte, eine ebendafelbft
vi den AM erbaute Kirche der reformirsen Gemeinde.
Batı uf x Durch perfönliche Anhaͤnglichkeit an Radziwill und durch
Ref. thei alamilienbande wurden viele Adelige zur helvetiſchen Gonfeffion
em er carũbergezogen, bie angefehenften Yamilien, die Chodkiewicz,
baren Da apiche, Bamifze, Sisniowjecki, Par gehörten ihr an. Au
5 zu fast riechiſche und katholiſche Geiftliche- fielen in nicht geringer An⸗
laden AEahl von ihrem Glauben ab, und eine Beit lang waren kaum
‚bin me Bes bis ficben katholiſche Geiſtliche in ganz Litauen übrig:
Biere Rur das Landvolk blieb feinem alten Glauben getreu, beſon⸗
d. ers dasjenige, welches dem griechiſchen Bekenntniſſe angehörte,
ner wurde aber häufig von den Herren zur Annahme eines
Dr (eWneuen Bekenntniſſes gezwungen. Die_erflen belvetifhen Ge⸗
er ae meinden entftanden in Btzesc, Wilna, Kled, Riefwierz; in bie
ha Sk Pfen Orten wurden aud die erften calviniſchen Kirchen erbaut.
u a Das Lutherthum fand in Kithauen nur in den Städten
ra bene ; unter den Deutfcyen Eingang. Der Adel verrieth wenig Gym:
le I patbhien für daflelbe, weil es ihm noch zu viel von dem Ka:
in ge p | |
6 u 3° tholitiämus an fich zu haben ſchien, und deshalb hielt er fi
! ige? Veber an ben Caloinismus und Gorinianismus.
£ w# Die katholiſche Geiftlichkeit ließ nicht nad), gegen den neuen
—— geiſtigen Umſchwung zu eifern; doch derſelbe zog immer weitere
Eyprian zu Wilna wagte es ſogar, als einſt der König Bigis:
mund Auguft- vom Fuͤrſten Radziwill beredet worden war, dem
bemühte fi die Seiſtlichkeit den Waffchroung
e, war er auf feinen Reifen für Calvin's Lehre gewonnen |
er in Brzesc die berühmte, auf feine Veranlaſſung
Kreife, fo laut und räftig jene auch auftrat. Der Biſchef
eckviuſchen Gotteddienſt in Milka beizuwehnen unb fühon anf
dem Wege nad) der calvinifchen Kirche fich befand, dem Könige
auf der Straße eritgegenzutreten und dem Pferde deffeiben mit
den Worten in die Zügel zu fallen: „Richt auf diefem Wege.
wanbdelten die Botfahren Ev. Majeſtät zur Kirche, fondern
auf jenem!” Gredentete dabei auf eine nahe Patholifche Kirche
bin, und Der
intritt in
die katholiſche |
ende Monarch ließ ſich zum
r
e bewegen.
Da erlitt der Calvinismus in Lithauen ſchon 1565 den
erften großen Verluſt, Fürft Nikolaus Radziwill ftarb, nachdem
er noch auf dem Gterbebette feinen älteften Sohn dem geläu-
terten Glauben treu zu bleiben ermahnt hatte. Nach ihm
wurde Nikolaus: Radziwil, mit dem Beinamen Rufus, der
Bruder der Königin Barbara und Großhetman von Lithauen,
das Haupt der Bekenner des Calvinismus. Diefer Fürft war
durch einen Betrug, den die Mönche in Czenſtochau vor ſei⸗
nem Augen an einem für befeflen ausgegebenen Landmanne
verübt hatten, zum Abfall vom Katholicismus beivogen worden.
Auch er nahm fi feiner Blaubensgenofien mit Rath und
hat an, und trug nicht wenig zur Ausbreitung ded Calvini-
[hen Belenntniffes bei, was ihm als Wojewoden von Wilna
leicht‘ ausführbar war.
ihm ihre Entflehung.
Biele calvinifche Kirchen verdankten
Einen großen Nachtheil brachten wie der Reformation in
Polen überhaupt jo insbefondere dem Ealvinismus in Lithauen '
die rafche Ausbreitung des Socinianismus und bie dadurch
herbeigeführten Streitigkeiten unter den Alchtkatholiken ſelbfi.
Peter von Goniondz, Blandrat, Lizmanin waren es vornehm⸗
lid, die in Lithauen Sorinus’ Lehre predigten, fie fanden auch
unter den Galviniften viele Anhänger, welche 1564 in Brzezin
und 1565 in Wengrow befondere Synoden hielten.
Die ünter den Evangeliſchen Lithauens damals ausgebro-
henen Parteiungen waren von um fo traurigern Folgen, als
die heftigften Feinde des evangelifchen Bekenntniſſes, die Jeſui⸗
ten, der Reformation in Lithauen faft auf dem Fuße folgten
und damals gerade Eingang im Lande fanden. Auf den Rath
bes Biſchofs von Ermeland und Cardinals Hoſius, der in jes
ner Seit in ganz Europa für eine ber Hauptflügen des Ka⸗
tholicismus angejeden wurde, zog der Bifchof von Wilna, Bas
lerian Protaſzewicz, 1569 die erften Väter der Geſellſchafi Zefu
aus Dlmüg nah Wilna herüber. Diefe gründeten, doch nicht
ohne viele Schwierigkeiten, bie ihnen ſelbſt von Seiten der ka⸗
tholifchen Geifttichleit gemadht wurden, überwinden zu müffen,
..
alsbald ein Eollegium in Wilna, an welchem der berühmte ,
Staniflam Warſzewicki der erfte Rector war, der durch feine
Gelehrſamkeit, Beredtſamkeit und fein einſchmeichelndes Weſen
bald allgemeine Zuneigung gewann und die Schwächen der
Menge klug zu —X Dertand. Durch öffentliche Disputa-
tionen über Glaubensjachen, bei welchen Sefuiten ftatt der vor:
geblih zum Disputiren aufgefoderten evangelifhen Gelehrten
opponirten, bemühten fie ſich zunörderft, bei der Menge eine '
günftige Meinung für fih zu erweden, dann fuchten fie Ein⸗
gang in Die abeligen Familien zu erlangen, bonnerten auf den
Kanzeln gegen die Reformatoren, redeten auf den Märkten,
und an andern öffentlichen Orten zu dem Volke, ftellten alle .
recht in die Augen fallende und auf die Sinne wirkende Ge⸗
4
bräuche beim Gottesdienfte und den Öffentlicden Yufzügen wie
ber ber, und traten überall unverhohlen als Bekehrer zum Ka⸗
tholicismus auf. ,
Einem fo rüftigen, fchlauen, Bein Mittel ſcheuenden Feinde
vermochte die Sandomirer Vereinigung ber polnifchen Lutheraner
und Calviniften, an welcher jedoch die Lithauer nur geringen,
Antheil nahmen, nicht die Wage zu halten, ach wahrte gegen
ihn der in der Warſchauer Conföberation yon 15
12 enthaltene
und zuerft vom Könige Heinrich von Balois beſchworene Pas
ragraph über den Frieden der in Ruͤckſicht auf Religion diffen-
tirenden Parteien. Nicht nur häufige Abfälle von der evan⸗
gelifchen Lehre bewirkt, fondern auch allgemeinen Widerwillen,
ja Haß gegen diefelbe befonders unter dem niedern Volke er»
& 3 A.
weiche nicht aus dem Charakter der handelnden
De — buch einen unvorhergeſehenen Zufall,
durch die fpielende willkürliche Phantafie des Dichters
hervorgegangen find; den im freien Gebiete der Kunfl
hat der Arfall Hin Breit, ebenfe wenid as ine Mehhe
der Natur und bes menſchlichen Seiſtes. Nehmen wir
zur Probe den Anfang des Roman. ———
Ein alter Jude fit am Wege und flößt mit feinem
Stode die herbſtlichen Blätter an, während oben am
Saume des Waldes eine Dame auf flolgem Pferde da-
hinreitet. Diefe gewahrt, dag aus bem Dorfe im’ Thal
ein Meiter ſprengt, verfolgt — fomeit iſt Alles noch
ganz romantifch, num kommt aber ein anderes Element —
von Gensdarmen; fie bietet dem verfolgten Manne, ben
fie nicht kennt, für den fich aber ihr Mitleid regt, ihr
Pferd an, ba das feinige ermübet ift, der Fremde be
fleigt daſſelbe und kommt auf das Schloß Blankenaar,
das ihm die Dame als ihren Wohmſit bezeichnet hat.
Der Fremde geht; ba es bereite Abend iſt, in das
Schloß, kommt auf einen Balcon, dort reicht ihm eine
Zofe einen Brief, der aber nicht für ihn iſt wie er
glaubt. Um denſelben lefen zu Sonnen, begibt er ſich
in: den Hof, ein Diener hat eine Doppelleiter auf den
Boben geftellt, um bie Laterne an ber Eingangsthüre
anguzünben, ber Fremde beſteigt die andere Seite und
lief den Brief, der die Intriguen der Gräfin von
Quernheim mit Theophanie enthält; unterbefien kommt
ein: Diener, biefer glaubt, ber Fremde babe das Pferd
- felner Herrin geranbt, ftößt wider bie Leiter, fie faͤllt
und der Fremde fihläge mit dem Kopfe auf die Stufen,
verwundet fi) und wird ohnmäctig ind Schloß ge⸗
bracht. Der Fremde ift Valerian von Gchlettenborf,
das Schloß gehört Theophanien von Blankenaar.
Die Charakterzeichnung ber handelnden Perfonen ift
gelungen und gleichzeitig durchgeführt. Der Eindrud
wird noch bedeutender werden, . wenn Schüding für bie
Folge einiges: Augenmerf auf die Einzelheiten richtet,
wodurch die Geſtalten in um fo größerer Wahrheit her⸗
austreten werden. Sehr bezeichnend und charakteriſtiſch
erfcheint die Stufenleiter, in denen Schücking feine Rit⸗
terbürtigen davſtelt, von dem geadelten Beamtenſohne
Finkenberg uͤber den verwöhnten, hochmüthigen Biſcho⸗
ving, den rohen abenteuerlichen Saſſeneck den glatten
egoiſtiſchen Tondern, ben eingeroſteten leidenſchaftlichen
Mainhoͤvel bis hinauf zu dem gebildeten, aufgeblärten
Schlettendorf. Eins fiel und aber bei der Charakter.
zeichnung Theophaniens auf, dem edeln, ſtolzen Maͤd⸗
chen, das in dem Geliebten nicht den Menſchen ſuchte,
wie er ſeinen Verhaͤltniſſen angehörte und wie die Ge⸗
ſellſchaft ihn geformt hatte, fondern nur die Seele mit
allem tiefen Beühen einer leibenfhaftligen Innerlic-
feit, Die Seele, wonach bie vereinfamte, unter ewig
frembbleibenden Menfchen erwachfene Theophanie unabläffig
ftrebte, Daß diefe Theophanie erſt Dann ebenſo freundlich und
liebensmürbig lebhaft wird als fie früher kalt und abgemef-
- fen gewefen war, „nachdem bee Fremde (Balerian von
Schheitendorf) durch Nennung feines Namens eine Art
a
*
7 «
*
Gerahrſchaft für ſich hatte aufführen können”. Sollte
fe Theophanie auf einmal foceremontelgeworben fein ober
lag es in ihrem Weſen, warum hat benn ber Dichter
bie Kataftrophe ihrer Richesentwidelung hinter die Scene
Derfegt, da fichertiih @efk Koch manche Nefkidgunig vorper-
schen mußte, und den Lfer auf ben Punkt zu fidien;
wo er dieſe Entwidelung für poetifh wahr halten mußte?
Das Stillleben, die Ländlichen einfachen Verhaͤltniſſe auf
dem weftfälifchen Bauernhofe bieten ſehr gelungene Schil-
deru bar. Es ift ein klarer und heifer Morgen
bes: beginnenden Herbftes, die Erdgtillen muficiren in
ihren Löchern, bie Hühner tragen fih den Sand zum
Bade und einer in ber Sonne ſich logernden Dogge in
die Augen, das Fenſter des Bauernhauſes ficht offen,
die Uhr ſchlägt zehn, der Kuhhirt holt fein Horn, bie
Gaͤnſe fhnattern, Die Schafe blöden und dieſer ganze
wilde Troß von plebejifchem Vieh halt den alten Wa-
gen des vornehmen Herrn von Biſchoping mit feiner
gepuberten Peräde und feinen magern Gäulen auf, Er⸗
göglihe Bilder! Gern geben wir für mehre ſolche die
abenteuerlide Belagerung der alten Burg mit ihrer
ganzen Unwahrfheinlichleit und feltfamen Zufemmen-
fügung bin. Die Sprache und ber Stil des Romans
find edel, rund und glatt, nur fielen uns mehre Fremd⸗
wörter, wie agaciren, peroriren, compact, Per»
ron als flörend auf, die wir dem Poeten keineswegs
zu ſchenken geſonnen ſind. 3. Gegenbaur.
Reformationsgeſchichte von Polen.
Dæieje Kosciotow wyznania helweckiego w Litwie. (Geſchichte
der helvetiſchen Eonfeflion in Lithauen.) Won Joſeph En-
Fafzewicz. Zwei Zheile. Poſen. Gr. 8. 4 hir.
Bei dem allgemeinen Interefle, das die kirchlichen Wer
hältnifle in dem ruffiſchen und preußischen Polen gegenwärtig
erregen, werben es fi, wie Ref. hofft, nicht wenige Leſer bier
fer Blätter gern gefallen laffen, wenn ihr Blick durch folgen»
ben Auszug aus einem gewiß den allerwenigften Leſern zu⸗
aͤnglichen neuen polniſchen Werke auf die Vorzeit der poll:
fen Kirche geleitet wird. Mef. theilt ben Auszug um fo fie
ber mit ald das Werk, aus dem er entnommen ift, feiner Par
tei dient, fondern mit dem offenbaren Berlangen, der biftorifchen
Wahrheit fo nahe als möglich zu kommen, abgefaßt iſt, und
al von dem mit ſehr gründlichen Kenntniffen der polnifchen
Geſchichte ausgerüfteten Verf. hier viele Data zur Weforma-
tionsgeſchichte Polens nach handſchriftlichen Quellen zum erften
Male veröffentlicht worden find. u
Viele Umftände erleichterten der Reformation den Eingang
in das Herzogthum Lithauen. Der Huſſttismus hatte fi auß
den Zeiten Jagiello's heimlich hier erhalten, die Streitigkeiten
ber roͤmiſchen und morgenländifthen Kirche hatten die Gemüther
aufgeregt, die bebeutendern Städte waren von zahlreichen deut»
fden Kaufleuten und Handwerkern bewohnt. Daher Sam es,
vap, als daB benachbarte Preußen mit dem Herzoge Albrecht,
und darauf Liefland fich öffentlich zur Meformation bekannte,
diefelbe auch in Lithauen raſche Fortſchritte machte, die noch
baburch begünftigt wurden, baß 1544 der polnifche Rronpring
Sigismund Auguft als Großherzog von Lithauen nach Wilne
kam. Wie biefer einerſeits gegen die Lehren und Gebraͤuche
der katholiſchen Kirche gleichgültig fich “erwies, fo fchien ex
andererfeitß den Reuerungen in der Religion fich zuzumenden,
und in feinem Gefolge waren nicht "wenige offene r
—.—w— — — — — — — —
he}
..
des refenbeieten Kirthenglaubeens, uud in Lihaurn Bielen mE
ihrem bieher geheim gehalteuen Bekenntniſſe gleichfalls hervor
zutreten Den. Muth gab. an
Vergeblich bemühte jich die Geiſtlichkeit den Auffchwung
zu hemmen. Zwat erlangte der Biſchof von Silna von neuem
vom Könige —— 1. das Recht, die Ketzer zu ſtrafen,
und wirkte ein koͤnigliches Ediet aus, bad unter Unberm einen
Jeden, des von dem Katholitismus abfallen würde, mit dem
B 3 u Adels en Die Serbott * aber Fi in ar
ringern Erfolg, ald die vediger bed Ahronerben, Jan Kos:
minczyk und Wawrzyniec Dyskordya, ſelbſt die evangelijche
Lehre dem Volke öffentlich predigten. Ihnen war bereits als
Mpoftel des Luthertbums der Dostor der Theologie Abra>
ham Gulvenfiß vorangegangem, ‚sin Lithauer von Geburt, wel:
er in Deutfchland ftudirt hatte und um 1530 in Wilna eine
Schule gründete, doch fpäter nad Preußen flüchten mußte.
Mit der Thronbeſteigung Sigismund Auguſt's 1548 fielen
die Schranken, die bis dahin die Reformation wie in Polen fo
in Zithauen aufgehalten hatten. Zwar trat berfelbe auch als
König mit ‚feinen religiöfen Geſimungen nicht beftimmter ber
vor, weil religidfe Beftimmtheit ihm, in frühern Jahren we»
nigftens, überhaupt fehltes Sigismund Auguſt gewährte der
Reformation dermoc einen mächtigen Unhalt durch bie eng
mit ihm verfchwägerte Radziwill'ſche Familie. u
KRikoland Radziwill, der Schwarze benannt, von Bigis-
mund Auguft zum Wojewoden von Wilna und zum Kanzler von
Lithauen erhoben, Better der Gemahlin Sigismund Auguſt's,
Barbara Radziwil, war damals dad Haupt ber ganzen Ra⸗
dzivoill’fchen Familie. Fruͤher ein Bekenner der griedifchen
Kirche, war er auf feinen Reifen für Calvin's Lehre gewonnen .
worden und bemühte ſich nach feiner Rückkehr ins Waterland,
das ‚heivetifche Bekenntniß, das er 1553 öffentlih, annahm,
auf alle Weife zu verbreiten. Seine Würden, feine Reich
thümer, feine ausgezeichneten Geiftesgaben erhoben ihn alsbald
zum Mittelpunkte der Reformation in Lithauen. An ihn ſchloſ⸗
fen alle evangelifchen Glaubenslehrer an, bei ihm fanden
fie Schup und Obdach, viele Reformatoren zog er aus Polen
und andern Ländern nad Lithauen, andere fandte er in Die
Schweiz, um fie, nachdem fie dort ihre theologifhe Ausbildung
erhehten hatten, in Lithauen als Prediger anzuſtellen. Im 23.
1
3 ließ er in Brzesc die berühmte, auf feine Veranlaſſung
von Simon Sacius, Peter Statorius und andern gelehrten Theo:
flogen unternommene Bibelüberfegung abdruden und ſchenkte,
nachdem ſchon eine Zeit lang auf feinem Schloſſe zu Wilna re⸗
formirter Gottesdienſt ftattgefunden hatte, eine ebendafelbft
neuerbaute Kirche der reformirten Gemeinde.
Durch perfönlihe Anhänglichkeit an Radziwill und durch
Zamilienbande wurden viele Adelige zur belvetifchen Gonfefiton
herübergegogen, die angefebenften Familien, die Chobkjewicz,
Sapieha, Bewihe, Wisniowiecki, Pac gehörten ihr an. Auch
griechiſche und katholiſche Geiftliche- fielen in nicht geringer An⸗
I von ihrem Glauben ab, und eine Zeit lang waren faum
jehB bis fieben katholiſche Beiftlihe in ganz Lithauen ubrig-
Kur das Landvolk blieb feinem alten Glauben getreu, befon»
ders dasjenige, welches dem een Bekenntniſſe angehörte,
es wurde aber häufig von den Herren zur Annahme eines
neuen Belenntniffes geziwungen. Die erfien helvetiſchen Ge⸗
meinden entftanden in Brzesc, Wilna, Kled, Rieſwierz; in Die:
fen Drten wurden auch die erften calviniſchen Kirchen erbaut.
Das Lutherthum fand in Lithauen nur in den Städten
unter den Deutfchen Eingang. Der Adel verrieth wenig Sym⸗
pathien für dafielbe, weil es ihm noch zu viel von dem Ka:
tholicismus an fich zu haben ſchien, und deshalb hielt er ſich
lieber an den Eolvinismus und Socinianismus.
Die Pathofifche Geiftlichkeit ließ nicht nach, gegen den neuen
geiftigen Umſchwung zu eiferns Doch derfelbe zog immer weitere
Kreife, fo laut und Fräftig jene aud auftrat. Der Biſchef
Eyprian zu Wilna wagte ed fogar, als einft der König Sigis:
mund Auguft vom Fürften Radziwill beredet worden wat, dem
citvintfchen Gotteddienſt in Wind beiguwehnen und fon auf
t
dem Wege nad) der calvinifchen Kirche fich befand, dem Könige '
auf der Straße eritgegenzutreten und dem Pferde deffeiben mit
den Worten in die Zügel zu fallen: „Richt auf diefem Wege
wandelten die Botfahren Ev. Majeftät zur Kirche, fondern
auf jenem!‘ Grrdentete dabei auf eine nahe kathoiiſche Kirche '
hin, und bes ſchwankende Monarch lie fich zum
intritt in
die Fatholifche Kirche bewegen.
—
Da erlitt der Calvinismus in Lithauen ſchon 1565 den
erſten großen Verluſt, Fuͤrſt Nikolaus Radziwill ſtarb, nachdem
er noch auf dem Sterbebette feinen aͤlteſten Sohn dem gelaͤu⸗
terten Glauben treu zu bleiben ermahnt hatte. Nach ihm
wurde Rikolaus Radziwill, mit dem Beinamen Rufus, der
Bruder der Königin Barbara und Großhetman von Kithauen,
das Haupt der Bekenner ded Calvinismus. Diefer Fürft war
durch einen Betrug, den die Mönche in Czenſtochau vor ſei⸗
nem Augen an einem für befeffen audgegebenen Landmanne
verübt hatten, zum Abfall vom Katholiciömus beivogen worden.
Auch er nahm fi feiner Blaubensgenofien mit Rath und
That an, und trug nicht wenig zur Ausbreitung bed Calvini⸗
[den Bekenntniffes bei, was ihm als Wojewoden von Wilna
leicht ausführbar war. Viele calvinifhe Kirchen verdankten
ihm ihre Entftehung.
8
Einen großen Nachtheil brachten wie der Reformation in
Polen überhaupt fo insbefondere dem Calvinismus in Lithauen '
die rafıhe Ausbreitung des Socinianismus und Die dadurch
herbeigeführten Streitigkeiten unter den Richtkatholiken felbft.
Peter von Goniondz, Blandrat, Lizmanin waren es vornehm-
lich, die in Lithauen Sorinus’ Kehre predigten, fie fanden au
unter den Ealviniften viele Anhänger, welche 1564 in Brzezin
ı und 1565 in Wengrow befondere Synoden hielten.
Die ünter den Evangelifhen Lithauens damals ausgebro-
henen Parteiungen waren von um fo traurigen Kolgen, ald
die heftigften Feinde des evangelifhen Bekenntniſſes, die Jeſui⸗
ten, der Reformation in Lithauen faft auf dem Fuße folgten
und damals gerade Eingang im. Lande fanden. Auf den Rath
des Bifchofs von Ermeland und Cardinals Hoſius, der in jes
ner Zeit in ganz Europa für eine der Hauptflügen des Ka⸗
tholicismus angejeben wurde, 309 der Bifchof von Wilna, Bas
lerian Protaſzewitz, 1569 die Ih
ohne viele Schwierigkeiten, die ihnen ſelbſt von Seiten der ka⸗
tholifchen GeifttichPeit gemacht wurden, überwinden zu müffen,
e n Väter ber Geſellſchaft Iefu
aus Dlmüg nah Wilna herüber. Diefe gründeten, doch nicht
alsbald ein Eolleglum in Wilna, an welchem der berühmte .
Staniflam Warſzewicki der erfte Rector war, der durch feine
Gelehrſamkeit, Beredtfamkeit und fein einfchmeichelndes Weſen
bald allgemeine Zuneigung gewann und die Schwächen der
Menge Flug zu Buben Berkand. Durch öffentlihe Disputa-
tionen über Glaubensjachen, bei welchen Sefuiten ftatt der vor»
geblich zum Disputiren aufgefoderten evangeliſchen Gelehrten
opponirten, bemühten fie fi) zunörberft, bei der Menge eine
günftige Meinung für fich zu erweden, dann fuchten fie Ein» ,
gang in Die adeligen Familien zu erlangen, donnerten auf den
Kanzeln gegen die Reformatoren, redeten auf den Märkten.
und an 'andern öffentlichen Orten zu dem Volke, ſtellten alle
recht in die Augen fallende und auf die Sinne wirkende Ge⸗
bräuche beim Gottesdienfte und den Öffentlichen Hufzügen wie
ber ber, und traten überall unverhohlen als Bekehrer zum Ka⸗
tholicismus auf.
Einem fo rüftigen, fchlauen, Fein Mittel ſcheuenden Feinde
vermochte die Sandomirer Vereinigung ber polnifchen Lutheraner
und Calviniften, an welcher jedoch die Lithauer nur geringen
Antheil nahmen, nicht die Wage zu halten, noch wahrte gegen
ihn der in der Warſchauer Eonföderation yon 1572 enthaltene
und zuerft vom Könige Heinrich von Valois befchworene Pas
ragraph über den Zrieden der in Ruͤckſicht auf Religion Siffens
tirenden Parteien. Richt nur häufige Abfälle von der evan⸗
gelifhen Lehre bewirkt, fondern auch allgemeinen Widerwillen,
ja Haß gegen diefelbe befonder8 unter dem niedern Volke er⸗
zu haben, konnten die Iefuiten mit Mat ats ihr Werl
men.
Die Folgen des jefuitifhen Einfluffes zeigten ſich ſchon
unter der Regierung bed sin Stephan Bathori. Obgleich
derfelbe allen Unordnungen Eräftig zu feuern fuchte, fo über
fielen doch in dem bis dahin fo toleranten Polen die durch Li⸗
thauen gegen Moskau ind Feld ziehenden polnifchen Heerhau⸗
fen die Kirchen der alsbald ausſchließlich „„Diffidenten” genann-
ten Evangeliſchen, ftediten fie in Brand und verübten viele
andere Unbill.
Die folgereichften Siege ber Iefuiten waren, daß Stephan
Bathori die wilnaer Sefuttenfhule zu einer Akademie erhob,
und die Iefuitencollegien zu Polock, Riga, Dorpat, Grobno
gründete, welchem Beiſpiele viele Magnaten folgten; ferner,
daß ed den Sefuiten gelang, bie Söhne des Fuͤrſten Nikolaus
Radziwill des Schwarzen, die Fürften Ehriftoph, Jerzy (Georg),
Albert und Staniflaw Radziwill zum Katholicibmus zu befch-
ren. Sofort vertrieben nun diefelben auß ihren großen Be
figungen Niefwierz, Olyka, Kleck die calviniſchen Geiſtlichen
und führten an allen dieſen Orten katholiſchen Gottesdienſt ein.
Zürft Jerzy Radziwill trat in den geiflichen Stand und warf
fih, zum Cardinal und Bifhof von Wilna erhoben, zum
Haupte der Berfolger der Diffidenten auf. Gleich nad) feiner
gtuͤckkehr aus Rom, wo er die erfte Mefle gelefen hatte, lieh
er mit Gewalt alle als häretifch bezeichneten Bücher aus den
wilnaer Buchhandlungen wegnehmen und vor ber Johannis:
Bicche verbrennen. Yurft Chriſtoph Radziwill, der eine Wall⸗
fahrt nach Serufalem unternahm, fegte, um bie von feinem
Bater veranftaltete Bibelüberfegung auflaufen und dann ver-
brennen zu laflen, die Summe von 5000 Dukaten aus, ebenfo
viel, als fein Vater auf die Herausgabe verwendet hatte. Rur
hin und wieder gelang es dem erwähnten, dem reformirten
Slauben treu ergebenen Fürften Nikolaus Radziwil, Rufus,
feinen den Sefuiten ganz und gar ergebenen Neffen entgegen:
zutreten, ihre Abfichten zu durchkreuzen und feinen Glaubens:
genoflen Su zu gewähren.
Nicht bios aber durch das von da an häufige Verbrennen
bäretifcher Bücher übten die Iefuiten die Genfur aus. Ob⸗
gleich aus ihren Drudereien täglid die unwürdigften und Iü:
genhafteften Schmähfchriften gegen die diſſidentiſchen Gemein⸗
den und deren Prediger erfchienen, jo wollten fie Doch den
Gegnern Vertheidigung nicht geftatten, und al& der Bud:
- drucker Lencicius in Wilna trog des Verbots Ted Biſchofs
akatholifche Bücher zu drucken fortfuhr, ließen ihm die Jeſui⸗
ten durch feinen Diener die Lettern ftehlen, und beſchützten den
Dieb in ihrem Collegium.
As nun Sigismund III. aus tem Haufe Wafa, ein Zög-
ling der Sefuiten, auf den polnifhen Thron fam, da durd:
drang diefe das Gefühl, daß die Zeit des vollfommenen Sieges
für fie gefommen wäre, und es täufchte fie nicht; denn das
einzige Biel ber vierzigjährigen Regierung Sigismund's mar,
die Reformation zu unterdrüden, der, enat, ja dab ganze
Land von den Diffidenten zu reinigen, und nicht an dem Koͤ⸗
nige und feinen Rathgebern lag es, daB Polen Fein Spanien
wurde. Dem Scheine nach brachte Sigismund durch die Yus-
breitung des Katholicismus eine größere Einheit in den polni⸗
jöen Staatsförper, in der That aber ſchwaͤchte er denfelben,
ndem er den Samen des Haffes in die Gemüther warf, noch
mebr, intem er alle moralifhen und materiellen Kräfte der
Kation auf die Einrichtung einer Hierarchie mit Xaufenden
von Köftern unb Laufenden der fchlechteften Schulen hinwandte,
indem er die Frechheit, den Muthwillen, wenn er nur unter
dem Scheine des Eifer um die katholifche Religion auftrat,
frei walten ließ, und fo die unterdrüdten Diffidenten zwang,
fich nach fremder Hüffe umzufehen.
Tuͤchtige, dem Vaterlande nügliche, kenntnißreiche Bürger
zu erziehen, hatten die Jeſuiten ganz und gar nicht die Mb:
fit, ihre ganze Erziehungsweife war nur bafin gerichtet, im
ihren ein frenum hacreticerum zu erlangen. Im
weichem Grade die Jefuitenzöglinge ein ſolches wurden, zeigen
die vielen keiten und Frevel, welche jene bas ganıe
17. Jahrhundert hindurch bis in die Mitte des 18. Jahrham-
derts hinein an den bdiffidentifihen Geiſtlichen, Gemeinden und
deren Gottethaͤuſern verübten.
In einen langwierigen wurde die helvekiſche Ge⸗
meinde in Wilna 1639 verwidelt, als einige OBfieber t
wurden, nach dem Bilde des Erzengels Michael auf der Fram⸗
ziskanerkirche zu Wilma mit Pfellen gefchoffen zu haben. Miele
gang unbegründete Beſchuldigungen kamen hinzu, und der Pre
ceß hatte einen fo übeln Ausgang, daß die Gemeinde durch ein
nah den nod vorhandenen Acten offenbar ungerechtes kö⸗
nigliches Decret das Recht verlor, ihren Gottesdienſt innerhalb
der Mauern von Wilna abzuhalten, daß fie flatt des Gottes
baufes in ber Stadt ſich ein Gebäude außerhalb ber Stadt
auf dem Kirchhofe erbauen mußte, daß alle helvetifchen Schu⸗
len und Hospitäler in Wilna aufgehoben wurden und Die Pre⸗
diger der Gemeinde, Labecki, Zurfli und Hartlieb der über fie
verhängten Todesſtrafe nur durch ihre fchleunige Flucht zum Kur:
fürjten Georg Wilhelm von Brandenburg entgehen fonnten.
Wenn man aus der Folgezeit die genaue Schilderung der
immer ficd wieder erneuernden und immer beftiger werdenden
Berfolgungen der Difftventen lief, vie diefe unter Auguſt IL
das allertraurigfte 2006 zu ertragen haben, wie ihre Kirchen
wrfört, ihre Geiftlichen Häufig Auf das graufamfte ſeibſt zum
de gemartert werben, wie den Diffidenten am Ende alle
Rechte genommen, und fie aus allen Öffentlihen Amtern ent»
fernt werden, wie alle ihre Klagen fowol vor den Königen
wie vor ben Landtagen und den Gerichten Beinen Erfolg dar
ben, wie fie nirgend Gerechtigkeit, ja nicht einmal Erbarmen
finden, fo bewundert man auf ber einen Seite ihren Glau⸗
bensmuth, wie man fie auf der andern Seite entfchuldigt, daß
fie uneingeden? Deſſen daß fie Polen feien fi den eindringen:
den Feinden, wie den Schweden, in die Arme werfen und end-
ih fremde Hülfe zue Wahrung ihrer Gerechtfame aufrufen.
Die Anzahl der Gotteshäufer der Ealviniften, deren es waͤh⸗
vend der Blütezeit der polnifhen Reformation 163 gab, ver:
minderte fih dermaßen, daß ſich unter Auguft IH. nur no
23 calviniſche Gemeinden in Lithauen vorfanden.
Mit dem traurigen Suftande, in dem fich die lithauiſchen
Eaiviniften bei der Ihronbefteigung des letzten polnifchen Kö«
nigs befanden, bricht da& Wert ab. Im zweiten Theile def:
felden findet man die Specialgefhichte der Gemeinden und
dankenswerthe Mittheilungen jur polnifhen Literaturgefchichte
über die Drudereien der Calviniſten in Lithauen, ihre liturgi⸗
[hen Bücher, Bibelüberfegungen u. f. w. au ausführlide
Biographien ihrer Gelehrten, unter Denen Undreas Wolan, der
1610 als Prediger zu Wilna ftarb, und Johann Laficius die
berübmteften waren. 2.
Literarifhe Notiz aus Frankreich.
Boͤlkerrecht.
Einen wichtigen Beitrag zur Literatur der Diplomatie er:
halten wir in einer vor kurzem erſchienenen Schrift, welche
bem Voͤlkerrechte, infoweit ai daſſelbe auf die internationalen
Beziehungen zur Ger bezieht, gemwibmet ifl. Sie führt den
Zitel: „Regles internationales et diplomatic de la mer’, von
Ortolan (2 Bde.). Der Verf. bat fi der juriftifhen Welt
befonder& durch feine gebiegenen Arbeiten über die Befchichte
bed franzoͤſiſchen Rechts auf das vortheilbaftefte befannt ge:
macht, und aud fein neuefles Werk wird feinem geichrten
Rufe keinen Abbruch thun. 7.
Berantwortliger Heraudgeber: Seiurich Brodjans. — Druk und Verlag von F. SE. Mrodpans in Leipzig.
u
— — — — —— — — ——— vi. w”_wr Ur
— Aen Di Tr Te m WU 3 Gr u —
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Freitag,
Haͤnschen von Saintre (Le petit Jehan de
Baintre). Ein Roman aus dem 15. Jahrhundert
von Antoine de la Sale. *)
Der Berfaffer des „Le petit Jean de Saintré verband
die Eigenfchaften eines Pädagogen mit denen eines No-
velliften. Er mar zugleich eins der fonangebenden Mit-
glieder jener Beinen Akademie von luftigen Erzählen, die
auf dem &chloffe von Genappe unter BVorfig Ludwig's XI.
damals noch Dauphin, die bekannten „Cent nouvelles
mouvelles‘ herausgab, und nacheinander Erzieher Jo-
Hannes v. Anjou, Herzog von Kalabrien und Lothringen,
und ber drei Söhne des unglüdtichen Grafen von St.-
Pol, der auf Befehl Ludwig's XI. hingerichtet wurde.
„Le petit Jean“ bifdet gemwiffermaßen den Schlußſtein
feiner literariſchen Thaͤtigkeit. Nachdem er nämlid auf
ber einen Seite Novellen und auf der andern für feine
Schüler belehrende Bücher gefhrieben, morunter das⸗
fenige, welches er „La salade” betitelt (aus dem Grunde,
fügt er, weil in den Salat viele nügliche und angenehme
Kräuter gethan werben) das bemerkensmerthefte ift, ſchrieb
er gegen das Ende feined Lebende um #459 den „Petit
Jean“, melden man als den „Telemagqae” des 15. Jahr⸗
hunderts anſehen kann, indem Geſchichte und Dichtung
faſt gleichen Theil an demfelben haben. Wie Fendton’s
Hab iſt Saintre ein Mufter von Tugend und Berflän-
digkeit, aber fein Mentor ift feine Minerva, noch über-
haupt eine Göttin oder Fee, es ift ganz einfach eine
fhöne Dame bes Hofs, die der Dichter ia dame des
beiles cousines nennt. ber den wahren Namen diefer
Dame bat man feit Brantome viele Bermuthungen auf-
geftelt, ohne zu einem genügenden Reſultate zu kommen.
Wahrfcheinlich if, daß es eine junge Witwe von Stande,
aus Löniglichem Geblüte war. Saintre ſelbſt iſt eine
Hiftorifche Perſon; Froifſart erwähnt feiner als des beſten
und tapferften Ritters von Frankreich. Er mar Sene⸗
hal von Anjou und Maine und kaͤmpfte mit Auszeich⸗
*) Die folgende gebrängte Darfielung ber Geſchichte Saintre's
iR aus ber’ neuen, fehr forgfältigen, von Marie Guichard beforgten
Ausgabe diefed Romans entnommen. Der Roman bilbet eine Cpo⸗
the in der franzöfifhen Literatur und iſt eins vom den wenigen Gr:
zeugniſſen jener Zeit, bie noch heute in größern Zeferkreifen in Frank⸗
reich gelaunt find.
149, —
— N.
29. Mai 1846.
nung in den Kriegen in der Saintonge, ebenfo bei Poi-
tier6, wo er von den Engländern gefangen wurde. Nach
Frankreich zurückgekehrt, bekam er von dem NRegenten
des Königreichs, dem Herzoge von ber Rormandie, ben
Auftrag, die Sefandten Eduard's IM. zu begleiten, unb
fpäter war er einer ber vier Kommiffarien, welche bie
Provinzen Poitou, Saintonge und Angoumois den Eng- '
ländern übergaben.
Obgleich nun Saintri keineswegs ein erbachter No⸗
manheld ift, fo ift doch Sale's Roman weit entfernt
davon eine Biographie oder eine Chronik zu fein. Der
' Verf. verläßt in fehr wefentlihen Punkten ganz und
gar den gefhichtlihen Boden, indem er feinen Helden
Abenteuer beftehen läßt, von benen die &efchichte nicht
nur nichts erwähnt, fondern die auch ber Zeit und dem
Orte nach als erwieſen fingirt erfcheinen, ober aber ihm
Thaten beilegt, die Andern zukommen, wie z. B. Saintre's
Kampf mit den englifhen Rittern bei Boulogne, was
lebhaft an die Memoiren des Marfchalle Boncicant er-
innert. Nirgend aber verläßt der Verf. das Gebiet der
Wahrfcheinlichkeit, und darin unterfcheidet er ſich weſent⸗
lich von allen gleichzeitigen Romanciers. Die Thaten
feines Helden, fo außerordentlich fie find, bleiben immer
ftreng in den Grenzen der Möglichkeit und überall blickt
die unterrichtende Tendenz des Buchs deutlich hindurch,
die nämlich, das Bild eines volllommenen Ritters und
Edelmanns zur Nachahmung aufzuftelen. Man kann
nicht beffer und eindringlicher allen ritterlichen Tugenden
und allen edein Gefühlen überhaupt das Wort reden
ale Saintre’d Dame ed thut. Sie citirt die Bibel und
die Kirchenväter, felbft die Philofophen in ihren einfa-
men Unterhaltungen mit dem fechszehnjährigen Saintre,
ber ihr mit der fehüchternen, mädchenhaften Befcheidenheit
eines ergebenen Schülers zuhört. Um fo überrafchender
ift e8 dann, wenn diefe nämlihe Dame, nachdem alle
ihre Lehren bei Saintrd die befriedigendften Früchte ge-
tragen haben und dieſer als ein Mufter der Ritterlich-
feit mit Ruhm und Ehre bedeckt, zu ihr eilt, um den
Lohn aller feiner Kämpfe und Gefahren aus ihren Hän-
ben zu empfangen, plöglih in eine ganz gemeine weib-
ide Schwachheit verfällt und der Gefchichte ein mehr
als unerwartetes Ende gibt. Man bleibt bei diefer un-
geahnten Entwidelung des Romans ungewiß, ob der
7 e
Berl. den jungen Leuten feiner Zeit daburh wirklich
habe die Lehre geben wollen, ben Weibern gar nicht zu
trauen, oder ob unwillkuͤrlich der kauſtiſche Erzähler der
„Cent nouvelles nouvelles” über den Moraliften den
Sieg davongetragen babe. Jedenfalls iſt es kunſtreich
und geſchikt, daß der Autor die Jugend feines Helden
in dem Traume einer reinen, ibenlen Liebe‘ vorübergehen
und bie Enttäufchung erft dann eintreten läßt, als Saintre
durch mancherlei Erfahrungen bes Lebens geftählt und
geiftig und körperlich im Stande iſt fie mit männlicher
Entfehloffenheit zu ertragen. Außer feinem poetifchen
Werd als anmuthige Erzählung ift das Buch übrigens
eine wahre Fundgrube für den Zorfcher mittelalterlicher
Zuftände. Die Gebräuche des Ritterthums und das
Hofleben find vielleicht, nizgend wit foldher Klarheit,
Einfachheit unb Liefer Überzeugung bie in das gering»
fügigfte Detail dargeſtellt als in biefem Buche; und da⸗
bei in jener anmuthigen, naiven Sprache, wie fie Des⸗
ierd und Montaigne vorfanden, naturkräftig und
aberfträmend, ungeziert und frei von akademiſchem Kapp-
zaun und fchwülftiger Überladenheit. Diefe mannichfalti-
gen Vorzüge machen es erflärlih, wie biefer Roman,
in ber legten Hälfte bes vorigen Jahrhunderts, von
Treſſan in mobernes Franzoͤſiſch überfegt, freilich un-
barmherzig abgekürzt und zugefchnitten, mit großem '
Beifalle aufgenommen wurde. Bor 20 Jahren etwa
wurde „Saintre” auf zwei parifer Theatern als Vau⸗
deville gegeben, nachdem Menard be Et.» Juft das
Sujet durch eine Parodie ins Volk gebracht hatte.
Sonach fehlt unferm Roman nichts, was gewöhnlich
ben Meiſterwerken des Geiſtes begegnete, er erfuhr eine
Falte Nachahmung und eine burledfe Parodie.
Der Roman beginnt damit, und an den Hof Jo—⸗
ann's II. (1350—64) zu führen, wo wir Saintre als
VPagen im Dienfte des Hrn. v. Ponilly finden. Le pe⸗
tit Sean be Saintre ift der gewandtefte und fchönfte
Page, behend im Dienfte, gefällig gegen Damen, zier-
licher und kühner Reiter, fertiger Sänger, in allen rit-
terlihen und gefelligen Spielen geübt, aber unbegreif-
licherweife, bei allen diefen fchönen Cigenfchaften, un-
empfindlich gegen die Reize bes fchönen Geſchlechts.
Unter den vielen fchonen Damen des Hofes, deren
Blicke ber junge Saintre auf fih gezogen, war befon-
ders eine junge Witwe, reich und angefehen, die, obgleich
von zahlreichen Freiern umſchwaͤrmt und felbft von ih-
sen Verwandten ermahnt, beharrlich verweigerte ein neues
Ehebündnig zu knüpfen. Diefe befchlog nun ſich bes
jungen Saintrd anzunehmen. Nachdem fie mehrfad;
vergeblich durch freundliche Anrede feine Schüchternheit
zu befiegen gefucht hatte, fah fie ein, daß fie directer zu
Werke gehen müffe. Die Gelegenheit fand ſich bald.
AS fie eines Tages die Königin zu ihrem Mittagsfchlaf
gebettet hatte und in Begleitung ihrer Damen, Knap⸗
pen und Pagen eine Galerie ducchfchritt, um fi nad
ihren Zimmern zu verfügen, bemerkte fie Saintre, ber
über das Geländer gelehnt dem Ballfpiele im Hofe zu-
fah. Diefer, als er die hohe Frau daher kommen fah,
‚mir voran. Saintre gehorcht, bis an bie
-Dame ihre männlichen Begleiter. : Saintre w
‚auch entfernen, wird aber von ber Dame zurüdgehalten
p94
warf fi) auf die Knie, um ihr Die gebräuchliche Ehren-
bezeigung in firengfler Form zu bezeigen. Sie aber
ſprach: Saintre, Ihe folltet Cuern Dienft beffer verfichen
und einer Dame das fehuldige Beleit geben. Gchreiter
Oprläppden
erröthend, In ihrem Gemache angelangt, eutläßt die
ſich
mit der Bemerkung, daß er nicht zu den Männern ge⸗
böre und fie mit ihm fprecden wolle. Nachdem fie ſich
anf das Fußende ihres Bettes gefept und ihre Damen
auf Truhen Plag genommen, verlangt fie von Saintre
das Ehrenwort, daß er auf ihre Fragen mit Aufrichtig-
feit antworten wolle. Hoͤchlich erfchredit über diefe Ein-
leitung verfpricht er Ales. Darauf hebt fie an: Wie
lange ift es ber, Saintre, daß Ihr die Dame Eures Her⸗
zens nicht ſahet? Als Saintre von einer Dame feines
Herzens reden hörte, erblaßte er, fing an zu zittern,
feine Augen füllten fi mit Thränen und er war un-
fähig ein Wort hervorzubringen. Als ihn nun die am-
been Damen mit freundlichen Worten ermunterten, ſpeach
er enblih: Ich habe keins. Daß Ihr fie nach nit Habs,
glaube ich wohl, erwiberte bie Dame, mer würde ſich
denn auch ſolchem fihüchternen Anaben gleich ergeben;
ich meine diejenige, die Ihr wünfchtet daß fie die Eurige
würde. Baintre widelte trampfhaft die Schnüre feines
Gürtels um feine Zinger, wie ein Maͤdchen das Schin⸗
zenband wenn fie einen. Verweis befommt, und ſchwi
Ihr kommt nicht aus biefem Zimmer heraus, Gain
ſprach die Dame, bevor Ihr mir nicht genügende nt
wort gegeben auf meine Frage. Sprecht, welche Dame
liebt Ihr am meiften? Da antwortete Saintee: Die Dam,
weiche ich am meiften liebe, ift meine Mutter und nad
biefer meine Schwefter Jacqueline. Außer biefen beiden
liebe ich Feine Frau auf ber Welt. D du chryergeffener
Edelmann, fprach die Dame mit fiheinbarem Zorne, be
dis gegen alle Regel der Ritterlichkeit Leine Dame bei-
nes Herzens haft, fo gehe mir aus den Augen. Die
‚Gefellfchafterinnen, weldge wohl merkten, dag es ihrer
Gebieterin mit diefem Befehle nicht Ernſt war, erbaten
für Saintre eine Friſt von zwei Tagen, binnen melder
biefer in ber Angft feines Herzens auch verfprach eime
Wahl zu treffen und biefe feiner Gebieterin mitzutheilen
Nach Ablauf biefer Zeit wußte ex ſich aber ben Augen
der Dame zu eutziehen und erft am vierten Tage kennte
fie feiner wieder habhaft werben. Hier nun, von menu
ins Berhör genommen, fpriht er endlich den Ram
ber Mabeline de Courſy aus, die aber erſt ein zehnläh-
riges Maͤdchen war. Saintré wird ausgelacdht, und bie
Dame muß fi) endlich entfchließen, ibm mit aller mög-
lichen Deutlichleit zu fagen, welche Urt von Dame ex
zu wählen habe: Eine Frau von hoher Geburt und
Anfehen, reich und im Stande ihm auch in ber Welt
von Nugen zu fein. Sie beſcheidet ihn nun öfter zu
fih und beginnt ihr Erziehungswerk mit einer Anlei⸗
tung, wie man bie fieben Todſünden zu fliehen habe,
eine Ermahnung, die bei einem fo fehuldiofen Gemüthe
— — — — — —
—
A ur wu
s
- .-
.. — — — ur — ⸗ — — ww — un — — — —
*
wie dem · Saintroᷣ o faſt überflüffeg und mehr geeignet ſcheint
ihn mit dieſen Sünden dekannt zu machen als ihn da⸗
von fern zu halten. Darauf geht fie mit ihm die Pflich⸗
ten bes Ritters und Edelmanns duch umd kommt fo
gar, unmerklich wieder auf das :Gapitel der Liebe.
Saintré will aber feine ihrer Anſpielungen verftchen,
und fd ficht fie ſich deun genoͤthigt, aus ihrer Lehrerrolle
Herauszutreten und ihm ihr Herz zu eröffnen. Saintre
weiß ihr nichts zu erwidern als daß er ſchwoͤrt ihr tum
zu dienen und ihr in Allem gehorſam zu fein. Die
Ertkenntlichkeit der Dame war nicht geringer als ihre
Liebe. Sie verficht nun den eben nicht reichen Saintre
mit Gelb, um fich neu zu Heiden, und fhreibt ihm zu⸗
gleich fein Eoflume vor. Ein Wams von carmeifinw-
them Damaft, ein paar Scharlachbeinkleider und ein
paar braune mit einer darauf geflidten Devife u. f. w.
War Saintre bisher der anmuthigfte. Page gewefen,
wegen feiner körperlichen Borzüge, fo wurde er nun
and der -elegantefle in feinem Anzuge. Aud) Amter
und Ehren blieben nicht aus. Durch Vermittelung fei-
ner Dame wurde er zum ecuyer tranchant bes Koͤnigs
exnannt und erhielt durch ihre Freigebigkeit die Mittel
zum Ankauf von Pferden und Waffen, da er nunmehr
genöfhige ift, feinerfeite Diener und einen Hausſtand zu
alten.
Charakteriſtiſch ift bier die Unterredung, bie er be-
hufs feiner Ankaͤufe und Gmrichtungen mit einer alten
Schneiderin pflegt, bie wie eine Mutter zu ihm fpricht
umd deren wohlgemeinten, verfländigen Rath, er auch be-
folgt. Einmal auf der erfien Stufe ber Gunſt ange
langt, wird nun Saintréè von feiner Dame inftruirt,
wie ex .fich in berfelben zu befefligen habe, was, meint
fie, bei Hofe feine eigenen Schwierigkeiten habe. As |.
vornehmftes Mittel dazu empfiehlt fie ihm Jedermann
Geſchenke zu machen; felbft der Königin möge er hin
und wieder einen Zelter oder ein Pferd für bie Sänfte
ſchenken, weil bies das befte Mittel gegen den Einfluß
neidifcher Zungen ſei. Es wird unferm Gaintre nicht
ſchwer diefen koſtbaren Rath zu befolgen, da er von
ber wohlwollenden Bebieterin feines Herzens immer zu-
gleich mit bem Rathe auc die Mittel zur Ausführung
befjelben bekommt. Jedoch warnt fie ihn zugleich fehr
verfiändig vor übermäßiger und unbedachter, zweckloſer
Berſchwendung. Diefe, fagt fie, bringt uns Schaden und
Unehre, eine weiſe Freigebigkeit aber gewinnt die Her⸗
zen; fie erhält Die alten Freunde und erwirbt nee, be-
wahrt ben guten Ruf und wendet den Haß in ben
Herzen zur Liebe. Saintre fol aber auch feinen Geift
bilden, feine Dame empfiehlt ihm bie geeignete Lecture.
Reben verſchiedenen römifchen Hiſtorikern wird bier auch
Dares Phrygius genannt, was beweift, daß man im
15. Jahrhundert die im barbariſchen Latein verfaßte an
gebliche Überfegung ber verlorenen „Ilias phrygia” für echt
hielt. Die Nüglichkeit des Studiums iegt der weibliche
Mentor feinem Schüler folgendermaßen an Harz: Wie
her Frühling die Blüte hervortreibt, die Blüte aber bie
Frucht erzeugt und die Frucht den Nugen, fo gibt bad
%
Stadium die Gitten, die Sitten den Ber and, |
Berſtand bringt zu Ehren. n ‚md der
(Die Zortfegung. folgt.)
Das Klofter, weltlich und geiftlih. Meiſt aus ber dl-
tern beutfchen Volks, Wunder s, en , und
Vrzugsweiſe komiſchen Literatur. Zur Guftur- und
Sitten geſchichte in Wort und Bild; Mon 3. Scheible.
Erfter Band: Erfte bis vierte Zelle. — Auch u. d. T.:
Volfsprebiger, Moraliſten und frommer Unfian. Se⸗
baſtian Brandt's Rarrenſchiff mit Geiler's von Kai⸗
ſersberg Predigten darüber und Thomas Murner’
Schelmenzunft , vollftändig nach ben alten Druden
und ihren bildlichen Darfiellungen. Mit vielen Ab
bildungen auf 72 Tafein. Stuttgart, Scheible.
1845. 8. 3 Thir. 15 Ner.
Während die ältere deutſche Fiteratur ich ſeit ni
ven einer. befondern Pflege een deren ie ge
nicht genug gepriefen und bewundert werden Tünnen, war bie
Het von dem Abfterben bes Minnegeſangs bis auf das neue
Wiederaufbluͤhen der Literatur im Ganzen nur wenig beachtet
und wenn man einige wenige Namen abrechnet, die freitih
Lehrbücher fi bald mehr bald weniger — daruͤber
8
inderniflen zu tämpfen hatten; benn wenn au die mei
chriften der Glaffifer der genannten Epoche gedruckt —8
waren fie zum groͤßten Theil doch nur in wenigen Eremplaren
vorhanden und fo fehr über daS ganze deutfche Sand verftreut,
daß gewiß nicht eine einige, felbft wicht die veichfte Biblioth
eine vollfiändige Sammlung diefer Echeiften befi
Wert allerdings Unerkennung. Aber
nt nur von dieſem Geſichtspunkte, und zwar noch dazu nur
in eine leichte Sache
diefen oder jenen Schriftfteller wörtlich abdrucken ” —*
Es iſt nicht
n a gerade Die guten vielfäls
tig nachgedruckt, verändert, ja ganz umgeftaltet wurden. *
r
386
ihm zunädft liegenden Publicum verfländfier wurde, d. h.
das Bu wurde aus einem Dialekte in den andern überfegt.
Öfters begnügte man fi mit Diefer Veränderung nicht; der
Herausgeber erlaubte ſich auch Bufäge, Auslaffungen, überhaupt
Beränderungen jeder Urt, ſodaß die Schrift eine ganz andere
wurde. &o wurde 3. B. „Das Rarrenfhiff” non Gebaftian
Brant noch in demfelben Jahre, da es in Bafel erſchienen war
(1494), in Strasburg nachgedruckt; es ift diefer Drud aber
von der Driginalauegabe fo fehr verfchieben, „daß man es bei:
nahe eine Überarbeitung derfelben heißen koͤnnte; fo groß ift
die Anzahl der Bufäge, fo mannichfaltig find die Weränderungen
ſowol in einzelnen Worten als in Sägen” (Strobel, Ausgabe
des, Rarrenſchiff“, &. 39, wo man uber diefe Abweichungen
das Nähere Iefen ann). Mir würden es Faum für nöthig
galten Auch zu erwähnen, daß es nicht einmal hinlänglich fei,
ei einer neuen Ausgabe den beften Zert zu Grunde zu legen,
fondern daß eine ſolche unbedingt nothwendig auf der Berglei-
&ung aller guten echten Ausgaben beruhen müffe, wenn nicht
felbft namhafte Editoren diefe unerlaßliche Grundlage überfehen
hätten. &o hat 3. B. Strobel's Uusgabe des „Narrenſchiff“
nicht geringe Fehler, die allein daraus zu erklären find, daß er
den erften Wert nicht mit den fpätern Editionen verglichen hat.
Dhne folhe Vergleichung kann ber Herausgeber fchon duch
Drudfehler irre geführt werben; es ift aber ſelbſt bei dem
größten Scharfblide und dem fiherften kritiſchen Takt nicht
möglich, ohne Bergleihung zur Sicherheit zu gelangen, wenn
ganze Wörter oder gar ganze Säge ausgelaffen oder verfegt
find, was fi in Büchern jener Beit fehr Häufig findet. Wir
voollen nur Ein Beifpiel anführen. In Sebaſtian Brant’s
„Narrenſchiff“ heißt e8 am Anfange des Gapiteld „Berad
tung der gfhrifft” (Strobel &. 105) alfo:
Der ift ain narz, ber nit ber gſchrifft
Will glouben, die das Heil antrifft,
Vnd meynet, dad er leben fÖlL,
Als ob ein gott wer noch kein hell,
Verachtend alle predig vnd Ier,
AB ob er nit füh noch hör.
Kem einer von den botten har,
So lieff man hundert mylen bar,
Vnd ob viel Iut fuorend bar ın,
Ob man ouch fhandt bo numen win,
Vnd des glich ander affen fpil.
” Die drei letzten Beilen ftehen offenbar in Beinem Zufam-
menhang mit dem vorhergehenden, es fmd diefelben vollkommen
unverftändli, und man muß ſich billig wundern, daB Strobel
nicht felbft in den Anmerkungen darauf aufmerffam gemacht
at. Wir haben zwar leider die basler Driginalausgabe von
41494 nicht felbft in Landen, wir vermuthen aber, weil Stro⸗
bel's Abdruck fonft richtig und genau ift, daß er auch in diefer
Stelle fein Driginal volllommen genau wiedergegeben hat, und
Daß die Verderbniß des Zertes nicht ihm vorgumerfen iſt.
Hätte er jede andere Ausgabe verglichen, fo hätte er fogleich
feben müflen, woran der Fehler liege, daB nämlich in der bas⸗
ler Edition, die er mit Recht zu Grund gelegt bat, zwei Set:
len ausgelaſſen find. Die basler Ausgabe von 1485 (und mit
ihr die Ausgabe von 1553) hat nämlich alfo:
Kem einer von den botten bar,
So Heff man hundert mylen bar,
Das man von jm hört nume mer,
Was wefenb in ber hellen wer,
nd ob vil Iut fuorend bar in.
Jetzt hat die Stelle Sinn und Bedeutung, und es bleibt Bein
Zweifel übrig, daß diefe zwei Zeilen duch ein Verſehen des
Druders außgelaflen find.
Der Herausgeber des vorliegenden Buchs hat aber nicht
nur die Bergleiung der verfchiedenen Ausgaben unterlaffen,
und bat auch fogar eine unechte Edition abdruden laſſen, fo
daß feine Arbeit in Feiner Weiſe auf wiffenfchaftliche Anerken⸗
I Einzelnen body man
nung machen kann. Gr hat nämii die Ausgabe
von Bafel 1574 bei Sebaſtian iepetri wiedergegeben, De:
ven Sert zwar der der echten und beſſern Ausgaben, aber me-
bermißit 7 na felten auch verborben ift (vergl. Strobel
a. a. O. &. 44).
Auch die „Schelmenzunfft” von Thomas Murner iſt nach
einer ſpaͤtern, wmobernifisten Ausgabe (Frauffurt 1567)
druckt, der ſelbſt nicht die urſpruͤngliche Edition, ſondern die
augsburger von 1513 zu Grunde lag, dieſelbe e Baldau
(Halle 1788) herausgegeben bat. Es ift diefelbe aber unedht,
da in ihr die elfäfifhe Mundart Murner's in die breite augs⸗
burger umgewandelt ift, fobaß fie wol als ein ohne Theilnahme
de Berfafere veranftalteter Nachdruck angefeben werben auf.
Zwar weicht dieſer augsburger Ubdrud nicht weientlich von
dem Driginalterte ab, allein «8 bat ſich ber Deraußgeber im
de Abweichungen erlaubt, die keineswegs
als Berbefferungen erfcheinen.
(Der Veſchlusß folgt.)
Bibliographie.
gr omm, K., Gedichte. Frankfurt a. M., Keßler. Gr. 12.
Brud lieder eines rheini ten.
erste rub re ie et Ma rheiniſchen Poeten. Darmftadt,
Conſcience, H., Graf Hugo von Eraenbove und fein
Freund Abulfaragus. Graäblung. Nach dem Flaͤmiſchen von
®. Wagner. Augsburg, v. Senifh und Stage. 8 18 Rer.
Creuzer’s, F., Deutsche Schriften, neue und ver-
besserte. Zweite Abtheilung. Zur Archäologie oder zur
Geschichte und Erklärung der alten Kunst. Besorgt von
J. Kayser. Darmatadt, Leske. Gr. 8. 2 Thlr. 10 Ngr.
Ellendorf, J. Der Primat der römischen Yapfle. Yu
den Quellen bargeftelt. 2ter Band: Fünftes. Jahrhundert.
Darmfladt, Lebe. Gr. 8. 25 Nor.
Beige der Stadt Wimpfen. Heilbronn, Landhert.
x
gr.
Aus Goethes Anabenzeit 1757—1750, Mittheilungen aus
einem Driginal: Manufeript der Frankfurter Stadtbibliothek.
Erläutert und herausgegeben von H. Weitmann. ran:
furt a. M., Sauerländer. Gr. 16. 16 Nor.
Reden, Freih. F. W. v., Vergleichende Kultur - Sta-
tistik der Grossmächte Europas. Iisten Bandes Iste Liefe-
rung. Berlin, Duncker. Gr. 8. 22%, Ngr.
Zagesliteratur.
Aktenſtuͤcke, betreffend den Dienft- Austritt des Prof. R.
v. Mohl in Tübingen. Zreiburg, Herder... Gr. 8: 121, Xgr.
Bachmann, 3.%., Sebächtnißfeier des Tedes Dr. Mart.
Luther’s. Liturgie und Predigt. Berlin, Moeſer und Kühn.
&.8. 21, Rar.
6Ng j
Maurette, 3. J., Der Papſt und das Evangelium,
oder noch ein Lebewohl an Rom. AIte wohlfeile Auflage. Heil⸗
bronn. Dredsler. 8. 6 Nor.
Die Refultate der Berliner Eonferenz. Leipzig, Maver.
&. 8. 5 Nor. |
&tmon, H., Mein Austritt aus dem preußifchen Staat: _
bienfte. Leipzig, Mittler. Gr. 8. 7Y, Rar.
Verantwortlicher Heraudgeber : Heinrich Wrodjant. — Drud und Verlag von F. M. Drockhaus in Leipzig.
Blatter
für
fiterarifhe Unterhaltung.
Hänschen von Saintre. Bin Roman aus dem
15. Sahrhundert von Antoine de la Sale.
(Bertfegung aus Nr. MB.)
Sieben Zahre hatte Saintrd nunmehr feiner Dame
in Zucht und Ehrbarkeit gedient und diefe ihn mit Be-
yoeifen ihrer Huld. überhäuft. Jetzt fehlen es ihr an der
Zeit, daß Saintre, der ſtark und Eräftig geworden war,
fi durd eine Waffenthat auszeichne Sie ließ ihn
daher eines Abends zu ſich fommen und ſprach zu ihm,
indem fie ihm ein koſtbares Armband übergab, an wel-
-hem ſechs Diamanten, fehs Rubinen und ſechs Perlen
waren: Mein Freund, ich ftede diefes Armband auf
Euern Arm und befehle Euch es von morgen ab ein
ganzes Jahr zu tragen, wenn ſich in biefer Zeit nicht
ein unbefcholtener Ritter findet, der ed Euch zu Roß
oder zu Zuß abnehme. Und ich will, daß ber Kampf
beftehe, erftens aus einem Nennen zu Roß gegeneinan-
der im Harniſch und Kriegsfattel, bis der Eine gehöri-
germaßen feine Lanze gebrochen, d. h. einen Fuß vor
dem Stichblatt der Lanze. Und dem, ber zuerft feine
Lanze gebrochen, foll fein Gegner in Gegenwart ber
Richter einen Diamant geben, zum Werthe von 300
Thalern und darüber, um ihn feiner Dame zu vereh—
ren. Und am folgenden Tage, oder fo es nicht anders
geht am achten Tage, werdet Ihr zu Fuß kämpfen mit
zwei Streitärten, bis einer von euch niedergeworfen wor-
den oder er feine Streitart bat fallen laffen. Und fo
Euer Gegner Euch befiegt, follt Ihr ihm das Armband
geben, befiegt Ihr ihn aber, fo foll er Euch feine Streit-
art überlaffen und Euch feinen Harnifch zu tragen ge-
ben für den ganzen Tag. Bevor Ihr aber von bannen
ziehet, fendet einen Waffenheroid an den Hof des Koͤ—
nigs von Aragonien, dann einen an ben des Könige
von Navarra und ebenfo an die von Kaftilien und Por⸗
tugal, wenn fih an ben erften Höfen Niemand findet,
der Euch zur Löfung Eures Gelübdes helfen möge. Und
nun feld getroft und muthig, ich hoffe, daß die Ehre
Euer fein wirb.
nicht ohne viele Thränen und zaͤrtliche Küffe.
Saintre ſucht nun beim Könige die Erlaubniß nad
auf risterliche Thaten ausziehen zu dürfen. Er erhäft
ſie nice ohne Mühe. Die Damen find troſtlos über
J
Nach dieſen Worten trennten fie ſich
—rte — — — — — — — — — — —— —— — — — —— — — ——— — — ————— —— — ——
feine Abreiſe. Er macht allen noch Geſchenke, wobei
auch künſtliche Blumen vorkommen, welche ‚souriegne
vons de moi genannt werben, alſo ganz; unſer Wergiß⸗
meinnicht, nur daß der deutfche Name noch um einen
Grad befcheidener klingt als der feanzöfifhe, bewirchet
bie ſaͤmmtlichen Ritter des Hofe, nimmt zärtlichen Ab⸗
ſchied von feiner Dame und yieht von bannen. Der
Auszug aus der Stadt ift mit Lebendigkeit geſchildert.
Na dem Mittagsmahl flieg man zu Pferd. Vorauf
ſchickkte Saintrd zwei Fouriere, feine Köche und feinen
Kaplan, vier Trompeter mit den Bannern, dann drei
Herolde; drei Ritter, die ihm als Begleiter folgten wit
neun Edelknappen und ihren Leuten in Saintres Runde
gekleidet; dann kamen feine fünf Padreffe, behangen
mit Teppichen, auf welchen man fen Wappen erbiidte,
und von zwei Fußknechten geführt; dann feine Pauken⸗
ſchläger, auf welche feine vier Streitroffe folgten, wit
Deden von feinem florentinifchen Taffet, gran, grün und
violet, mit großen ſilbernen Buchſtaben umb auf den
Köpfen ſtählerne Auffäge mit ſchoͤnen Straußfebern u. ſ. w.
Auf’ diefen Roſſen ſaßen vier zierliche Pagen mit Feber⸗
baretts. Dann kamen zwei Stallbediente und der Mar-
ſchall. Auf dieſe folgten wiederum Paukenſchlaͤger, be⸗
gleitet von ſaͤmmtlichen ihm das Geleit gebenden Spiel⸗
leuten (menestriers). Hinter dieſen kamen bie poursai-
vants und nach ihnen zunäcdft Die Herelde ber beglei⸗
tenden Ritter, dann die des Königs mit deſſen Wap⸗
penkönigen. Abhängig von den Herolden und ihrem
Capitel afliftivnd. Gin Bannerherr konnte dergleichen
nur mit Genehmigung eines Herolds in feinem Dienſte
haben. Ste trugen Stäbe ohne Schul. Dann kam
ein Trompeterchor gebiidet aus ſaͤmmklichen Trompeten
des Königs und ber Ritter des Hofs, worauf Salntre
felöft erfhien in der Mitte von vier Rittern, von denen
zwei vor und zwei hinter ihm ritten,. und ſchließlich alle
begleitenden Herren, Ritter unb Knappen wie fie Tomn-
ten. Nachdem bies Gefolge ihn wol eine Meile: weit
begleitet hatte, kehrte es um; Balntrd aber bewirchete noch
die ſaͤmmtlichen Spiellente und geb ihnm SO Thaler.
In Avignon angelangt empfängt er von feinem He⸗
rolde Lefignen die Nachricht, daß feine Herausfoderung
an bem Hofe von Barcelona von einem ſtattlichen Nit-
ter Namens Inguerrant de Servillon angenommen wor-
den und die Benchmigung bes Könige erhalten habe.
Saintre Hält nun feinen @inzug in Barcelona in der-
felben Weife wie bei feinem Auszuge aus Parts, nach⸗
bem er von Enguerrant mit anfehnlichenr Gefolge eine
Meile vor der Stadt empfangen worden if. Diefer
wie er Saintrd’s außerordentliche Sugend ſieht, ſchaͤmt
fich faft gegen ihn zu kaͤmpfen; er nimmt ihn in feiner
Wohnung angelommen beifeite und ſpricht: Gaintr:,
mein lieber Waffenbruder, ihr feid ein gar junger Mann
und ih ein alter Ritter, wollt ihr mid meines Ver⸗
ſprechens entbinden, fo will ich Euch meinen Neffen, der
Euers Alters ift, fiellen, um mit ihm, Euerm Gelübde
gemäß, eine Lanze zu brechen. Saintre lehnt befcheiden
das Anerbieten ab, fagend, daß, da es Gott gefallen
habe ihm einen folchen Gegner zu geben, er auch den
Kampf mit bemfelben zu beftehen gebente, fo. ſchwer er
fei und wie er auch für ibn ausfallen möge. Am fol-
genden Tage übergab Baintrd in Gegenwart des Kö⸗
nige und der Königin dem Herrn Enguerrant das Arm-
band, welches dieſer zum Zeichen, daß er den Kampf
angenommen, einen ganzen Tag an einem feibenen und
goldenen Bande am Halfe trug. Zwei volle Wochen
wurden nun den Vergnügungen gewidmet, nach welchen
das Turnier flattfand.
Der Raum geftattet nicht, bier in bie fehr interef-
fanten Ginzelheiten der Vorbereitung und Abhaltung
deffelben einzugehen, obgleich biefe Einzelheiten bas In⸗
‚texeffe oft lebhafter in Anſpruch nehmen als die Haupt⸗
handlung. Nur fo viel darüber: Die Lanzen mußten
13 Fuß lang fein und beim Rennen einen Fuß etwa
über der Unfhäftung gebrochen werben. Es war eine
gewiffe Anzahl Langen, bie gebrochen werden mußten,
vorgefchrieben, bier fünf, welche in elf Rennen von
Saintre gebrochen wurden, während (Enguerrant nur
wier zählte. Diefer verlangte nun, nad, ber dem Befieg-
ten zuftchenden Freiheit, noch eine fogenannte Damen-
Lanze, ber König verbot aber bie Fortfegung des Tur⸗
niers und Saintre wurde zum Sieger ausgerufen. Ebenfo
fiegte er in dem Fußkampfe mit der Streitart. Gein
Gelübde war .gelöft und er konnte, nachdem er von al-
len Herren des Hofe reiche Geſchenke befommen und
diefe erwidert haste, nad Frankreich zurückkehren. Wir
müflen nun ‚mit raſchen Schritten über einen gro-
fen Theil der Geſchichte unfers Helden binweggeben,
um zu dem fehr eigenthüämlichen Schluß des Romans
zu kommen. Obgleich von feiner Dame mit offenen
Armen empfangen und mit Bunftbezeigungen überhäuft,
läßt fie ihm doch nicht fonderlich viel Ruhe, fonbern
veranlaft ihn zu einer Menge von Kämpfen mit frem-
ben Rittern, bie ben Hof des Königs befuchen. Endlich
fodert fie ihn auf, nach Preußen zu ziehen und gegen
die Ungläubigen (der Roman nennt fie Saracenen) zu
kãmpfen. Saintre folgt auch diefem Befehl und kommt
nah mehren Jahren fiegreih und mit Ruhm bebedt
urück und findet feine Dame in unveränderter Liebe
—* ihn glühen. Da fällt es ihm ein, daß er eigentlich
bis jept noch durchaus nicht aus fich felbft gehandelt
bat, fondern nur den Eingebungen jener Frau gefolgt
ſei. Er kommt auf den abenteuerlichen Gebdanken, brei
Sabre lang ein leichtes Goldviſir mit einem Edelſtein
in einem der Augenloͤcher zu tragen und bamit an den
Hof bes Kaifers ziehen. Nur zögernd erhält er bie Ey
laubniß dazu von feine Dame und vom Könige unb
‚sieht von dannen. Beine Dame, die ihn bisher mit fo
vieler Sorgfalt zu volllommener Ritterlichleit erzogen
hatte, mußte durch diefen Act des eigenen Willens wol
zu der Überzeugung gelommen fein, daß feine Erziehung
vollendet fei. Sie erkrankt fcheinbar gleich nach feiner
Abreife und erhält von ber Königin die Erlaubniß, ſich
auf ihre Güter zu begeben. Dort angekommen, fühlt
fie ſich durch den feftlihen Empfang, den ihre Wafallen |
ihr bereiten, fehr bald genefen und getröftet.
ie werden nun von dem Roman in das geiftliche
Leben ber damaligen Zeit eingeführt, freilich nicht zu
befonderer Erbauung. U. de la Sale erzählt hier mit
der größten Naivetät und ohne alle fatirifche Prätenfion
Dinge, bie nahe an die itonifchen Hyperbein Rabelais’
flreifen, wenn er die von Gargantua gegründete Abtei
Thileme befchreibt. Nicht weit von dem Gchloffe be-
fand ſich eine Abtei, die von den Vorfahren der Dame
gegründet worden mar. Der bdermalige Abt war ein
junger Mann von 25 Jahren, Sohn eines reichen Bür-
ger6 und durch beträchtliche Geſchenke feines Waters an
einflußreiche Perfonen des römifchen Hofe zu diefer Würde
ernannt. Er war fchön, groß und von athletifchem Kör-
per, gewandt im Ringen, Springen, Werfen und Ball
ſpiel, ſodaß Niemand, weder Ritter noch Bürger, ihn
in diefen Künften übertroffen hätte; dabei freigebig und
fröhlihen Gemüths, ſodaß er aller Welt Freund war.
Der Verf. bemerkt dabei, daß diefe Fertigkeiten die ge-
wöhnlichen Ubungen der geiftlichen Herren geweſen wä⸗
ven, um ihren Körper in Gefundheit zu erhalten. Wie
der die Nachricht von der Ankunft ber Dame erhält,
läßt er fogleih einen Wagen mit Hirfchziemern, Wild»
fhweinstöpfen, Rippefpeer von Frifhlingen, Hafen, Ka-
ninden, Safanen, Rephühnern, Hühnern, Tauben und ei⸗
nem Faß braunen Wein beladen und alles Das der Dame
als Gefchent anbieten. Diefe Aufmerkfamteit verbunden
mit dem Umftande, daß es gerade Kaftenzeit war und
ber Abt auf Montag, Mittwoch und Freitag eine große
Sündenvergebung ausgefchrieben hatte, veranlaßten bie
Dame dem Abte melden zu laffen, daß fie am andern '
Tage die Meffe in der Abtei hören werde. Diefer traf
fogleih ausgedehnte Vorkehrungen, um feine Rehnsherrin
würdig zu empfangen. Auf der einen Seite holte er
alle Reliquien hervor, die das Klofter in großer Anzahl
befaß und fchmüdte ben Altar mit den fehönften Deden
und Gefäßen; auf ber andern befahl er aus der nahen
Stadt Lachfe, Forellen, Lampreten und andere der vor-
trefflichften Fiſche herbeizufchaffen, die Löftlichften Speifen
zu bereiten und in allen Zimmern bebagliche Feuer an-
zuzünden. Und ale die Dame kam, empfing er fie mit
feiner ganzen untergebenen, Geiftlichkeit an der Thür der
Kirche, mit ritterlicher Galanterie ein Knie vor ihr beu-
IND
‚gend. Nachdem fie die Meffe gehoͤrt und den Altar mit
einer reihen Dede von carmoifinrothem Summer geſchmückt
hatte, wollte fie ſich entfernen; ber Abt aber bat fie,
fi) einen Augenblick zu erholen und in den Saal ein-
zuteten. Hier waren bie Tiſche fehon gededt und da
der Abt die Vorſicht gebraucht hatte, die Thurmuhr um
amderthalb Stunden vorzuftellen, fobaß fie gerade 12
ſchlug, fo fand feine mit der größten Devotion der Ge⸗
bieterin vorgetragene Bitte, ein befcheibenes Faftenmit-
tagsmahl bei ihm anzunehmen, um fo eher Gehör, als
die Die Herrin begleitenden Damen, vermuthlih nicht
unbekannt mit der Art, wie man in der Abtei zu faften
pflegte, die eine durch Winten mit den Augen, bie an-
dere durch einige leichte Stöße mit dem Ellenbogen, die
ſes Gefuh nad, Kräften unterflügten. Nun wurde zu⸗
erſt lauwarmes Roſenwaſſer zum Waſchen ber Hände
herumgereicht, dann ſetzte man ſich zu Tiſch, ſodaß der
Abt der Dame gegenüber ſaß. Es wurden zuerſt ge⸗
roͤſtete in Wein getauchte Brotſchnitte mit weißem Hy⸗
pocras (Waffer und Honig) ſervirt, dann in Zucker ge⸗
badene Zaftenfeigen, worauf die verfchiedenen Gänge
von Gebadtenem und Fifchen u. f. w. mit verfchiedenen
Weinforten folgten. Die lebhafte Unterhaltung des Ab⸗
tes und der Genuß des vortrefflichen Weines begannen
auf die Dame einen flarten Eindrud zu machen, ſodaß,
während der Abe ihr fleißig zutrant und fie ihm Be⸗
fheid that, die Augen (melche die Bogenfhügen bes
Herzens find, ſagt der Verf.) ein fehr bedeutungsvolles
Spiel trieben. Als die Tafel aufgehoben war, zog ſich die
Dame mit ihren Begleiterinnen in andere Föftlic) ger
fhmüdte Gemächer zurüd, um die Mittagsruhe zu bal-
ten. Mit dem Schlage der Besperglode erfchien ber
Abt wieder, um fie zum Imbiß zu führen. Hier zeigt
fi) eine neue Profufien von Speifen und Getränten:
Salate oben an, Schüffen mit Kreffe, Gefäße mit
Weineffig, gebratene und in Zeig gefchlagene Lampreten,
große Solen oder Seezungen mit Traubeneffig und ro-
then Orangen gekocht, Karpfen, Schüffeln mit Krebfen,
Yale in Gallerte, Schüffeln mit allerlei efbaren Körnern
mit weißem, rothem und goldfarbigem Gelee bedeckt,
orten, Talmoufen (aus Käfe, Eier und Butter geba-
den, dreiedig), Mandelcreme reichlich mit Zuder beftreut,
gefochte und rohe Apfel und Birnen, gefchälte und mit
Buder überzogene Mandeln, abgezogene Nußkerne in
Hofenwaffer, Zeigen aus Algarvien und Marfeille, Ro-
finen aus Korinth und viele andere Dinge. Nach die
fem reihlihen Male mußte nun doc, endlich Abfchied
genommen werben, was nicht ohne das Verſprechen der
Dame geſchah, bald und oft wieberzufehren, ba fie der
angefündigten Sündenvergebung im vollften Maße theil-
haftig zu werden gedente, nur möge der Abt die Tafel:
freuden mäßigen, da fie ernftlich zu faſten gedenke. Dar:
über könne fie unbeforgt fein, erwiderte jener, er werde
für jede Schüffel, die fie bei ihm zu berühren geruhen
möchte, eine Abfolution bereit halten.
(Der Beſchluß folgt.)
Das Kiofter, weltlich amd. geiſtlich x. Von J. Scheible,
Erfier Ban.
(Beſchluß aus Nr. 199.)
&o hat denn das Buch ded Hrn. Scheible durchaus kei⸗
nen twifienfchaftlihen Werth. Er bat zwar daſſelbe für das
größere Yublicum beftimnat, dem es am Ende nicht darauf an»
fommt, ob die ihm vorgelegte Ausgabe nach Eritifchen Grund»
fügen bearbeitet ift oder nicht; allein wir halten dafür, daß der
Derausgeber dadurch Feinedwegs ein Recht erhalten bat, bie
wiffenfchaftlichen Unfoderungen gänzlich bei Seite zu fegen, und
daß es Pflicht der Kritik ift, ihm deshalb die wohlverdienten
Borwürfe zu machen, denn es ift fein Zweifel, daB durch dus
Buch des Hrn. Scheible eine beffere, kritiſch behandelte Aus:
gabe ber beiden von ihm mitgetheilten Schriften beinahe zur
Unmöglichkeit geworden ift, das Publicum für ſolche Sachen ift
zu befchränkt, als daß ein Verleger es wagen Könnte, fo bald
eine neue Ausgabe and Licht treten zu Laffen.
Auch hat der Herausgeber nicht das Mindefte zur Exrflä
rung der zwei Dichter beigetragen, fowie die von ihm gege⸗
benen Lebensnachrichten Außerft mager und dürftig ausgefallen
find. In eigene Urtheile laßt er ſich gar nicht ein, fondern be
gnügt ſich damit, Die betreffenden Stellen aus Gervinus ab:
druden zu laflen. So große Hochachtung wir auch vor Ger-
vinus haben, da ihm Das große Berdienft gebührt, die Ge»
fchichte ber deutfchen Literatur zuerft auf eine lebensuolle Weife
und vom Hiftorifchen Standpunkte dargeftellt zu haben; fo iſt
ed und doch unmöglich, ihm in allen Einzelheiten beizupflichten.
Am allerwenigften aber kann uns fein Urtheil über Thomas
Murner ald gerechtfertigt erfcheinen. Schon Bilmar bat in
feinen „Borlefungen über die Befchichte der deutſchen Nationl⸗
literatur” (Marburg 1845) Gervinus’ Ausſpruch beftritten, und
nanz insbefondere darauf aufmerffam gemacht, daB diefer das
Sediht „Bon dem großen Iutherifchen Narren, wie ihn Dr.
Murner befhworen hat’ ganz falfch beurtheilt und den Werth
deſſelben durchaus verbannt habe. ber felbft wenn man nur
feine befanntefien Gedichte mit Aufmerkſamkeit und ohne vor»
gefaßte Meinung lieft, muß man die abfprechenden Urtheile
beinahe aller Literatoren für unbegründet halten. Diefe Sau.
fen ziemlich übereinftimmend dahinaus, daB Murner ein cha-
rakterloſer Menſch newefen, weil er Luther fpäter mit blin⸗
ber Wuth befämpft Habe, was van ihm felbft in frühern Bei-
ten noch härter ausgefprochen worden fei, und zweitens, daß
er in feinen Werten unflätbig, ja unzuͤchtig fei und ihm über
haupt alles edlere Gefühl abgehe. Der erfte von: diefen Bor:
würfen bat fich feit den Tagen Murner's bis auf unfere Beit
fortgeerbt, ohne deshalb begründet zu fein. Daß ihm berfelbe
von den Reformatoren und ihren Freunden gemacht wurde, ift
leicht begreifli, denn Murner war jedenfalls ein gefährlicher
Beind, der die Gegner mit ihren eigenen Waffen belämpfte.
Auch kann von ihrem Standpunkte aus diefer Vorwurf wohl
begründet gewefen fein, ohne daß er auch für uns in feiner
Sefammtheit auf unbedingte Geltung Anſpruch machen koͤnne.
Murner hatte nämlich in feinen frühern Werken die Lafter der
Geifllihen, der hoben wie der niedern, der öffentlichen Verach⸗
tung preißgegeben und wiederholt darauf gedrungen, daß Dies
fem verderblihen Zuftande ein Ende gemacht würbe; er hatte
dabei den Papft und die höchften Würdenträger ebenfo wenig
gefhont als die Mönche und den untergeordneten Klerus.
Allein die Kirche als folhe war von ihm niemals angegriffen
worden, niemals hatte er ihre Lehren auch nur in —* ge⸗
zogen, noch viel weniger ſie bekämpft; er hatte daher durch
ſeine Vorgänge keineswegs dad Recht verloren, dieſe in Schup
zu nehmen, ald man fie von Seiten der Reformatoren befkritt,
ja fie zum Sheil ganz umflürzen wollte. Es war ganz natürs
li, daß die Neformatoren den Grund der Berborbenbeit der
Geiſtlichen in der Kirche und ihren Dogmen felbft fuchten und
fanden, und daß fie daher alle Diejenigen, welche den einen
Punkt zugaben, für verpflichtet hielten, auch in den übrigen
wit ihnen Übereinzuftinmen, daß fie Daher auch Solche, die da⸗
rin von ihnen abwichen,
ſchen hielten, ja halten mußten. Uber wenn ihnen ein ſolches
Urtheil durch Die Seit und ihre Beſtrebungen auch aufgedrun:
‚gen war, fo Eönnen und müflen wir dagegen einen andern,
Feiern Standpunkt einnehmen und uns dahin dußfpr
fi& Murner Peinesiwegs als von feinen frühern Beinungen
abtrünnig gezeigt bat.
Was den zweiten Borwurf betrifft, daß Murner in feinen
GSchriften unfläthig fei, ja daß er fogar in den greulichften Un⸗
yaetigkeiten fi) gefalle, fo ift diefer ebenfalls fehr zu beſchraͤn⸗
Ben. Luvoͤrderft dürfen wir nicht vergeſſen, in welcher Beit
Murner gelebt bat, nicht vergeffen, daß uns Das ſchon als un:
fathig und roh erfcheint, was Damals hoͤchſtens derb und kern⸗
ft war. In allen Werken der damaligen Beit, fowol der
Meformatoren ald ihrer Gegner begegnen wir häufig ‚genug
Yusdrüden, die fich jegt Baum der Ungebildetfte erlauben würde,
ohne daß es uns im mindeften einfällt, hierin innere Hoheit
zu erbiiden. Und warum follte Murner allein biefer Tadel
treffen, der feine Seitgenofien darin keineswegs überbietet ?
So müflen wir auch die Boten beurtheilen, bie in Murner's
Gedichten angetroffen werben; fagte ja felbft Luther, daß er
zu Zeiten gern ein Zötchen reiße. Uber zum großen Theil find
es nicht einmal Boten die Murner fagt. Er bekämpft die
Ausfchweifungen aller Urt, die Damals leider in ben meiften
&tänden gefunden wurden; wollte er fie aber befämpfen, fo
mußte er fie natürlich nennen, und Died thut er denn, zwar
in den derbften und ?räftigften Ausdrüden, aber im Ganzen
genommen doch nicht mit jenem behaglichen Wohlgefallen, das
allein die Boten dharakterifiet.
Man bat ferner dem Thomas Murner alles Talent ab:
fprechen wollen, und ihn höchftens als einen bloßen Nachahmer
von Bebaftian Brant wollen gelten laflen, den er jedoch im
keiner Bezichung erreiche. Wir theilen zwar nicht ganz bie
Anfiht Vilmar's, der da behauptet, Murner fei feinem Bor:
gänger an poetiſcher Lebendigkeit, und zum Theil fogar an
Umfang des Geſichtskreiſes überlegen; aber noch. viel weniger
ſtimmen wir mit Denen überein,‘ welche in ihm nur eineh ges
wöhnlichen Reimer erbliden. Man kann ihm vonverfen, daf
er in feinen Dichtungen oft über alles Maß weitfchweifig fet,
daß er ſich nicht felten wiederhole und es eben dadurch oft den
Anfchein babe, als fei er arm an Gedanken und Erfindungen.
Man kann ihn tadeln (wir fprechen hier aur mit Rüdfiht auf
die „Schelmenzunfft”‘, die „Narrenbeſchwerung“ und die „euch:
mat”, denn die „Badefahrt” und das Gedicht gegen Luther
haben wir uns trog aller Bemühungen bis jegt nicht verfchaf:
fen tönnen), daß die einzelnen Xheile feiner Dichtungen ohne
feften Yan durcheinander geworfen feien und miteinander in
keinem Bufammenhange ftänten, endlich fogar, daß er felbft in
den einzelnen Wbfchnitten willfürlih von einem Gedanken auf
ben andern überfpringe und oft gerade Das ausführe, was
man am wenigften erwarte. Ganz befonders treffen diefe Bor:
würfe fein Gedicht die „&euchmat”, das ohne Zweifel das
ſchwaͤchſte von allen feinen Productionen ift, obgleich es viel-
leicht anfangs am meiften verfpricht. &o wahr und begründet
aber biefe Musfegungen auch find, fo bietet Burner hingegen
roch auch manche Seite, die uns Anerkennuns, ja Achtung
abzwingt.
Er befigt eine feltene Beobachtungsgabe, er kennt bie
Menſchen und die verfchiedenen Stände der Menihen ohne
Biweifel befler als Brant, daher feine Darftellungen auch ein⸗
dringlicher und lebendiger find. Freilich mag fein unftetes Ler
Ben fowie fein Beruf als Franziskanermönch zur Erwerbung
feiner Menſchenkenntniß viel beigetragen haben, allein dad Ta:
ent, feine Beobachtungen wigig und lebendig zu fihildern, hat
ee fi) nicht auch Dadurch erwerben können, es ift ein angebo⸗
renes und feltenes. Seine Schilderungen find befonders dann
vortrefflih, wenn er und die gewöhnlichen Lebensverhältnifle vor
charakterloſe, abtrünnige Men- '
echen, daß
Die Uugen füßet, oder deſſen Fehler, Gebrechen und Laſter ie
beit. Freilich ſtellt er ſich dabei nit auf einen haͤhern Stand
De au Tnüpft er feine Bemerkungen nicht oder nur bö
ten an allgemeine, großartige Ideen, und ebenfo weni
er feinen Gedanken einen erhabenen Ausdruck zu —* en;
aber nichtodeſteweniger find Sedanken und Yusbrud ri
wahr, intereffent, oft kernhaft und tuͤchtig, und ex kann
ebenfo viel Recht auf ben NRamen eines Dichters Unfprucd me
Hm als die nieberländifhen Künfller auf den von Malern.
Auch if die Vorftelung oft von großer dramatiſcher Lebendig⸗
keit, zu der fi Sebafflan Brant nicht erhebt, wie man denn
{m ganzen „Rerrenfchif Feinen einzigen Abſchnitt finden wird,
der 3. B. dem 93. oder B4. der „Mareenbefchwerung”‘ (der ner
ven harn befehen; der narcen bycht) an die Beite gefegt wer-
den könnte. Roc eine Seite, die immer überfehen wurde, if
von Murner zu rühmen. Er ift nicht bios wi, er ift aud
Humorift, nit zwar nach dem Schnitte der Engländer ober
Sean Paul's, aber doch in dem Sinne umd Gelfte des Abra⸗
ham a Santa Klara. Geinen Humor entwickelt er vorzugt⸗
weife an den Stellen, in denen er von ſich ſelbſt fpricht, doch
auch mandye andere zeugt von humoriftiicher Auffaſſung-
Endlich müffen wir, um die Charakteriftit Murner’s zu
vollenden, noch an ihm lobend hervorheben, daß fein Zabel
nicht blos allgemeine Fehler trifft, oder nur die untergeorbue
ten Stände der Geſellſchaft berührt, er hat auch ben damals
gewiß nicht unbebeutenden Muth, felbit die gewaltigften Per:
fönlichfeiten anzugreifen, die hoͤchſten Stände hart zu tabeln.
Papſt und Kaifer, Bifhöf und Fürften werden von ihm nidt
felten derb zurechtgewieſen; er bat die Kühnbeit, in ihrer
Selbſtſucht und ausgeloffenbeit den Urarund alles Berderbeus
zu finden, und fie den beißendften Ausdrücken zu beſſerm
Leben zu ermabhnen. So viel hat fi) Brant nie erlaubt; wenn
er aus auf diefe höhern Stände zu fprechen kommt, mas nit
oft der Fall ift, fo läßt er es doch nur bei leichten Anfpichm-
gen bewenben.
Uber die weitern von Ken. Gcheible gegebenen Stuͤrke
wollen wir uns ganz kurz fallen. Sie beftehen in zwei. Ab:
fchnitten aus Abraham a Santa Clara, denen ein Stuück aus
defien Rachahmers Conlin's „Chriſtlichem Weltweifen” folgt,
hierauf kommt ein Stüc aus Andreas Muscutus' „‚Spielteufet”,
ſodann Auszüge aus Gebaftian Frand’s Schrift „Bon dem La
ſter der Trunkenheit“, die ſich gewiß der feltfamen Gelelſchaſt
fhämen, ein Abſchnitt aus Matthäus Friederichs Buch „Bir
der den Saufteuffel”, zwei (elelhafte) Predigten von Spörer,
eine Faſtnachtspredigt des (pſeudonymen) Doctor Schwarm,
Mittheilungen aus der Predigt eines bamberger Weihbiſchoft,
denen fih Guriefitäten aus Predigten anfchließen, ſodann eine
gereimte Faſtnachtspredigt aus dem 15. Jahrhundert, das Pa
ternofter de6 WBucherers aus Robert von Sorfon'® Kreuzzug⸗
predigt u. ſ. w. Es iſt gewiß dem Herausgeber zu glauben.
wenn er fagt, daß alle diefe Dinge fehr felten feien, allein fie
ätten zum allergrößten Zheil auch ganz unbefannt bleiben
önnen, ohne daß man viel dabei verloren hätte, und dadurch,
daß fie Hr. Scheible bekannt gemacht hat, haben fie ihren ein
zigen Werth, den ber Seltenheit, verloren. 65.
Literarifhe Anzeige.
Bon Y WE. Vrockhaus in Leipzig ift durch alle Buchhand⸗
lungen zu erhalten: j
Gr. 12. Geh. 34 Nor.
Berantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brockzans. — Druck und Berlag von F. WE. Brockhaus in Beipzig.
Blatter
für
literariſche Unterhaltung.
Sonntag,
— Kr. 151, ö
31. Mai 1846.
Händchen von Saintre. Ein Roman aus dem
15. Sahrhundert von Antoine de la Sale.
(Beſchluß aus Nr. 158.)
Des Abts gaftfreie Bewirthung und Liebenswürdig-
keit hatte auf alle Damen ben vortheilhafteften Eindrud
gemacht und man wußte feines Lobes keine Ende. Bei
einem Beſuche des Abts auf dem Gchloffe wurde das
angenüpfte Verhaͤltniß zwifhen ihm unb der Dame
dadurch befiegelt, daß fie ihm einen koſtbaren Ring auf
den Finger ſteckte und ihn zu dem Auserwählten ihres
Herzens ernannte. Bon nun an fahen fi Beide alle
Tage, es wurden SJagbpartien und eftlichkeiten aller
Art angeftellt, die vortreffliche Küche des Abts nicht
wenig in Bewegung gefegt und dabei der Liebe nicht
vergefin. So poetiſch und unfchuldig das Verhaͤltniß
der Dame zu Saintre gewefen war, fo materiel war
ihre Beziehung zu dem Abt. Es dürfte wol: nur der
reizend naiven Sprache jener Zeit vorbehalten fein, die
Details Ihrer derartigen Bergnügungen mit Unbefangen-
heit zu erzählen. Wir befchränfen uns alfo darauf nur
anzudeuten, daß jedes Mal nach dem Mittagseffen ber
Abt die Dame in den weiten Räunen der Abtei ber-
umführte, während einige andere Mönche bie Begleite⸗
rinnen unterhielten, wobei es fi dann wol traf, daß
Die Geſellſchaft auf einige Zeit getrennt wurde und ſich
erft fpäter wieder zufammenfand. Da bringt ein Bote
einen Brief der Königin, welche die Dame an ben Hof
zurückruft. Diefe antwortet ausweichend und fchidt den
Boten fogleich zurüd. Jedoch hat biefer an dem einen
Tage genug gefehen, um Berbacht zu fchöpfen, worin
ihn befonders ber Ring am Finger bes Abts beftätigt.
Er verhehlt bei feiner Rüdkehr der Königin feine Ver-
meuthungen nicht, Doc dieſe gebletet ihm darüber zu
ſchweigen. Gin zweiter Bote bringt biefelbe Nachricht
und nun ſcheint der Königin die Sache außer Zweifel.
Unterdeß kommt Saintee von feinen Zügen fiegreich zu-
räd, wird mit großen Ehren empfangen, erfährt aber
zu feinem Schmerze, daß die Dame feines Herzens ben
Hof verlaffen babe. Er bittet fogleichh um Urlaub, an-
geblih, um feine Mutter zu befuchen, rüftet fein Gefolge
auf das elegantefle aus und macht ſich auf den Weg.
In der Nähe des Schloſſes angekommen, bemerkt er in
der Ferne mehre Damen zu Pferd mit ber Falkenjagd
beihäftigt. Er fprengt dorthin, erkennt feine Geliebte,
foringt vom Pferde und will fie eben begrüßen, als fie
ihn mit harten Worten: fortweift und fich entfernt.
Saintre ift wie verfteinert. Der Abt, welcher ihn mit
feinen Begleitern hatte Tommen fehen und befürchtete, .
ed möchten Verwandte der Dame fein, die wegen bei
Sandals Rache an ihm nehmen wollten, hatte ſich mit
feinen Moͤnchen eiligft entfernt. Wie er aber bemerkt,
daß die Dame dem Ritter den Rüden ehrt, nähert er
fi wieder, begrüßt Saintre und läßt die Dame leiſe
fragen, ob fie Saintrée zu Tiſch zu laden gedenfe; wor⸗
auf diefe fo laut antwortet, daß Saintre es hören ann:
Laßt ihn bleiben, wenn er will, doch zerreißt ihm nicht
bas Kleid, um ihn feflzuhalten, fo e8 ibm beliebt fort⸗
zugehen. GBaintre hält dies Alles für einen böfen Traum.
Er folge fihmeigend der Dame in das Schloß. Bei
Tiſche läßt der Abt feiner fröhlichen Laune auf Koften
bes unglücklichen Nebenbuhlers die Zügel ſchießen. Cr
fpottet der Ritter und ihrer angeblichen Siege in frem-
den Ländern zu Ehren ihrer daheim gebliebenen Damen
und erklärt Alles für Auffchneiderei, mit deutlicher An-
fpielung auf Saintee. Die Dame flimmt ihm in Allem
bei und muntert ihn durch die freundlichften Blicke
und Worte, ja felbft durch deutliche Zeichen auf fortzu-
fahren. Gaintre erkennt nun wol fein Unglüd, antwor⸗
tet aber nur dem Abte auf feine Beleidigung der gan⸗
zen Ritterfchaft: Mein Herr Abt, auf die Worte unfe-
rer gnädigen Herrin habe ich nichts zu erwidern, fie
fann fagen was ihr befiebt; was euch aber betrifft, fo
würde ich euch, wenn ihr ein Mann wäret, den ich zur
Rechenfchaft ziehen könnte, den Beweis geben, daß man
einen Ritter nicht ungeftraft beleidigt wie ihr es gethan.
Der Abt, von Wein und Liebe erhigt und feiner Kör-
perkraft gewiß, erwidert: Wol bin ich kein Kriegsmann,
fondern ein armer Moͤnch, der von Dem lebt, was er
durch Gottes Gnade befigt, allein fo Jemand mir in
Dem, was ich eben gefagt, widerfprechen follte, fo bin
ich bereit, ihm im Ringkampfe Rebe zu ſtehen und hoffe,
obgleidy ich ſchwach bin, im Vertrauen auf meine gute
Sache obzufiegen. Ihr Hört es, Saintre, ſprach nun
bie Dame, und ich erfläre euch für den feigften aller
Nitter, wenn ihr die Herausfoberung nicht annehmet.
Meine Gebieterin, erwiderte Sainted, ihr wißt wol, daß
ich mich nie im Ringen gebt und, daß die Herren Geifl-
lichen Meifter darin find; allein euch zu Liebe will ich
auf den Kampf annehmen, wie ich fo viele um euett-
willen beflanden. Man A ih nun auf einen Wie⸗
enplan, und bier, fagt die Deſchichte, that ber Abt, was
I hm —& St.-Benedict, noch St.⸗Robert, noch
St.Auguſtin oder St.Bernhard gethan hatten, obgleich
es große Prälaten der Kirche geweſen, nämlich er ent⸗
kleidete fich fo weit, daß er nur eine Jade ohne. Armel
und en kurzes Beirkleid, das nur einen Theil feiner
Schenkel bedeckte, anbehielt. Dann äffte er ſpottweiſe
bie bei Ritteripielen gewahnten und Reden
hach, indem er unter Anderm vor der Dame nieder:
iniste und fie bat, ihn dee Gnade feines Geguers zu
empfehlen, worauf er diefem mohlgefällig, durch, einige
gewandte athletifhe Bewegungen, feinen riefigen Körper
zeigte. Der Kampf blieb nicht einen Augenblid zweifel-
haft: der Abt warf den Mitter wiederholt zu Boden
un zwar fo voßfländig, def bie Beine jebesmal vor
ben Kalle höher als fein Kopf waren, und dies Al⸗
les zum großen Gelächter ber Dame unb ihrer Beglei⸗
terin. Saintré's Begleiter fhäumten vor Wuth, ihren
Genoſſen fo verhoͤhnt zu fehen und foberten ihu auf, ſich
auf der Stelle zu värhen; biefer aber werbarg feinen
Schmerz, machte dem Abte ein Kompliment über feine
anferorbentlihe Stärke und nahm Erfriſchungen an alt
ob nichts geſchehen wäre. Unterdeß aber nahmen ber
Prior und einige andere ältere Geiftliche den Abt bei«
feate und machten ihm Berfiellungen über fein unziem-
liches Benehmen gegen einen Mitter, ber fo gut bei
Safe angefchrieben wäre. Der Abt beruhigt fie, indem
er fagt, er werde Alles wieder ins Geleiſe bringen. Er
nähert fi darauf Saintre mit freundlichen Worten,
bittet ihn um Berzeibung und erfucht ihn ein Gefchent
von 3000 Thalern, einen trefflich geſchmückten Maul⸗
eſel und einen Falken anzunehmen. Gaintre lehnt dieſe
Geſchenke mit Freundlichkeit ab, bittet ihn aber, um ihn
zu überzeugen, daß er keinen Groll gegen ihn habe, mit
der Dame am folgenden Tage ein Mittagsmahl in der
benachbarten Stabt, wo Satntre's Begleiter feine Woh⸗
nung heforgt hatten, anzunehmen. Der Abt verſpricht
0 feierlichſt für ſich und die Dame, bie fich zwar erſt
weigezt, endlich aber ben Bitten des Wbtes nachgibt.
Darauf batte Saintre feinen Racheplan gebaut. Er
begibt ſich nun eiligft nach dee Stade, befiehft feinem
Saushofmeifter ein glaͤnzendes Mahl für den folgenden
Zag einzurichten, und erkundigt fich bei dem Wirthe, ob
es wol in der Stadt einen Bürger oder in der Nähe
einen Edelmann gäbe, der von der Größe und Stärke
eines gewiſſen Knappen wäre, ben er ihm bezeichnet,
und dabei eine volllommen gute Wüftung befäße, die er
wel verkaufen wollte. Der Wirth belt einen Bürger
der Stadt, der fünf vollſtaͤndige Ruͤſtungen befigt, und
zwar fo fehöne wie fie isgend ein Edelmann bed Landes
wur aufweiſen kann. Saintreé erficht eine derfefben mit
zwei gan gleichen Gtseitäzten. Alles Died wird in ber
® [3
* ⸗
Io.
Stile in Saintel’s Wohnung gebracht. Um andern
Tage reitet er zur beflimmten Stunde feinen Gäften ent-
gegen, die ein Frühſtück in ber Abtei wieder etwas zum
Spotte geſtimmt hatte. Da die Dame auf feine An-
rede gar nichts erwihert, will. ex fi zu ihren Weggeite
rinnen wegben, aber auch dieſe fagen, wit —**
öge
aller Höffichkeit auf Befehl ihrer Gebieterin, er
nur hinter ihnen herreiten. So kam man in ber Stadt
an. Das Mittagemahl wurde eingenommen und ber
Wein nicht gefhent. Saintre half felbft bei der Be-
diemwug, die Serviette auf der Schulter. Und als nun
die Froͤhlichkeit vollends allen Argwohn verſcheucht hatte,
intre, alt wicher bie Rede auf ben Ringkampf
ſorach
kam: Herr Abt, habt ihr jemals eine Nuͤſtung getragen?
Und auf die Verneinung deffelben fuhr er fort: Es
müßte füch herrlich ausnehmen, einen fo ſtattlichen Mann
gewappnet zu fehen. Wahrlich, fpra die Dame, ic
glaube, daß mancher Ritter fi dann vor ihm verfieden
müßte. Gewiß, ſprach Salneod, Iönnte man nicht leicht
etwas Schäneres fehen. Und auf ein Zeichen nem ihm
bringen Diener einen Tiſch Herein auf welchem bie be
wußte Rüftung in aller Pracht aufgeſtellt ift, aber ohne
Schwert no Streitaxt. Saintré bittet den Abt fie
zum Andenken als ein Geſchenk von ihm anzunehmen,
und diefer, vom Wein und den eumunternden Worten
der Dame in feine Priegerifche Laune verfept, läßt ſich
leicht bewegen biefelbe anzulegen. Saintré läßt die Tb
ſche wegräumen und ſchnallt ihm felbft Ales auf das
feftefte an. Der Abt wird in dem Maße übermüthiger
als er feine ſchon hervorragende Geſtalt moch durch bie
ſtattliche Nuͤſtung erhöht ſieht, und ergießt ſich in ge
vingfchägenden Reben gegen die Ritter, welche bie Dame
fleifig unterflügt. Ihr feht winzig Dagegen aus, Saintet,
ſprach die Dame, fo ein tapferer Ritter ihr aud zu fein
vermeint. Das macht wol au, erwidert diefer, weil
ich nicht bewaffnet bin. Und fogleich befichkt ex, daß
mon feine Rüftung bringe, welche ihm Die Diener in
einem Ru anlegen. Wie die Dame dieſe Eile fieht und
bemerkt, daß fih draußen ber Flur mit Bewaffneten
füllt, welche die Thur befegen, merkt fie, was gefchehen
foH und fagt: Saintre, ich Hoffe ihr werdet nicht fo feig
fein und euch mit einem Abte fchlagen wollen. Gaintre
aber ſprach mit donnernder Stimme: Ich befehle, baf
Rh Niemand von feinem Platze rühre, und wer es thut,
Mann oder Frau, dem fpaite id den Kopf bis an bie
Zähne, fo wahr ich ein Ritter bin. Da fingen bie
Frauen und Mönche an zu meinen und zu heulen und
vermwünfdten die Stunde wo fie dahin gekommen.
Baintrd aber fprach zu der Dame: Möge es euch de
lieben, nun auch Zeuge diefed Kampfes zu fein, ben ic
verſtehe, wie ihr es geflern waret bei dem Rin
Ungeachtet aller Bitten und felbft Drohungen ber Dame
und bes Abts beginnt der Kampf, der nun, da Saintré
in demſelben wohl erfahren ift, mit ber Niederlage bes
Abts endigt, der über eine Bank neben des Dame hin-
flürzt und um Gnade ſchreit. Saintre ift auf dem
Punkt ihm den Todesſtoß zu geben, er befiegt fich aber
ua dat ur %
zieht und jenem. dad Biflt ‚affnes
daß: Gott ber wahre Bichter in wien DB iſt und
daß deine Kraft allen nicht im Stande tft, bich vor
erafe zu ſchuzen. Gedanke ber beleidigeaben und lü⸗
genhaften Reden, die du gegen bie Ritter geführt unk
empfange deine Züchtigung bafür in Gegenwart Derje-
nigen, um deren Schamilafer Liebe willen du die göft-
chen und menſchlichen Gefege verletz haft. Und wie
er dies gefagt, durchſtach er ihm mit feinem Dolche bie
Zunge und beide Baden. Daun wandte ex ſich zu ber
Dame und fagte: Ihr habt um eines fittenlofen Moͤnchs
willen einen Ritter, der euch in Treue und Ergebenheit
gedient, verlaffen und verhöhns; wol hättes ihr eine, ja
die ärgfie Strafe verdient, aber ich gedenke eurer fruhern
Wohlthaten und überlaffe euch eurer eigenen Neue. Diefe
blaue Schaͤrpe aber verdient ihr nicht länger zu tragen,
da blau das Zeichen der Treue iſt, und indem er dies
fagte, riß er ihr die Schärpe ab und ftedte fie au fi.
Dann verlief er das Haus und bie Stabt. Unterdef
war aber auch dem Könige bie lange Abweſenheit der
Dante von feinem Hofe aufgefallen, und als die Köni-
gem ihm geftand, daß fie mehre vergebene Verfuche ge:
macht fie aurüdgurufen, fchidte er ihr einen gemeffenen
Befehl, fogkeich wieder ihre Pflichten bei der Känigin au
übernehmen. Sie mußte nun gehorchen und ihren Abt
der Pflege der Arzte überlaffen. So traf es fich denn,
bag eines Tages die Königin, wie fie im Kreiſe ihrer
Damen, unser welchen auch die Treuloſe auf einer Wieſe
ſaß, Saintre auffodert, von feinen Abenteuern in Deutſch⸗
fand zu erzählen. Diefer ergreift die Gelegenheit, um
feine eigene Gefchichte mit der Dame und dem Abt zu
erzählen, ohne die Namen zu nennen, uud fragt ob die
Dome recht gehandelt. Alles iſt empört über das Be⸗
tragen dee treulofen Frau umd bes pflichtvergeffenen
Abts. Frau von Vendöme meint, man müffe fie auf
einen Efel gebunden mit dem Gelichte nach hinten ge»
kehrt durch die Stadt führen. Eine anbere Dame meint
ſogar, man müffe ihr da® Haupthaar fiheren, fie vom
Gürtel aufwärts entlleidet und mit Honig befchmiert
ber öffentlichen Beſchimpfung und dem Stiche der In⸗
fetten preisgeben u. |. w. Als aber die Königin bie
Dome felbft fragt, mas fie dazu meine, antwortet fie
trocken, es fei fehr unritterlih, einer Dame auf brutale
Weiſe eine Schärpe abzureifen. Da näherte fi) Saintre
und fprach mit lauter Stimme: Gewiß, meine hohe Frau,
und ber Nitter iſt bereit dieſes Unrecht wieder gut zu
machen, indem er ber Dame biefe Schärpe wieder zu⸗
ſtellt. Dies fagend beugte er ein Knie vor ihr und
legte ihr die Schärpe in den Schoos. Die Uberrafchung
aller Anmefenden mar natürlich groß und die Beſchaͤ⸗
mung der Dame, melche fehen mußte, wie ihr Alle ben
Rüden kehrten und ſich von ihre entfernten, nicht zu be⸗
fhreiben. Hier fliegt ber Roman, und der Autor fügt
nur noch hinzu, daß Saintre fih noch in nüglichen und
ehrenvollen Kämpfen für fein Land und den Glauben
vielfach ausgezeichnet und endlich im I. 1368 in der
üfe iphemn cr feine Ya weowinft. Im Doide | tabs Sgen Goprit am. Üpenshuk: Bark: und in: bar.
: Ertenne ‚num Abt, Kirche dafeibft feierlichſt Beigefept. wurde! u) Pe
— —
Die frommen Sklayenhalter in den Ver⸗
einigten Staaten.
Ein ver Iurzem unter dem Xitel „Naxralive of the life
of Frederick Douglas, an American slave, writien hy hier
self” exſchienenes, für die. Kunde Des —S in den
amerikaniſchen Staaten wichtiges Werk, macht mit echt h
England großes Aufſeben. Der Berf., der Sohn einer Neger
fflavin von einem weißen Water im Staate Maryland, wuchs⸗
als Sklave auf, wußte ſich aber, von unwiderſtehlichem Drange
nad Wiſſen getrieben, größtenteils im Geheimen Kenntnif
des Lefens und Schreibens zu verſchaffen, lernte unter verſchiebe
nen Herren an fich ſelbſt alle die furchtbaren Bebrüdungen
und Mishandlungen Eennen, weldhe die Sklavenzüchter des Sü-
dene an ihren unglücklichen farbigen Brüdern ausüben, und -
entfloh, nachbem früher eine misglüdte Flucht ihm die grau⸗
ſamſte Ahndung zugezogen, endlich in die nördlichen Staaten,
wo er bald burch Eräftige Vertheidigung ber Sache feiner ger
Inechteten Brüder als öffentlicher Redner in den Verſamm⸗
lungen ber Abolitioniſten fich auszeishnete. In biefem Yugen-
blick befindet er ſich in Sroßbritannien, wo er Borlefungen
über diefelbe Angelegenheit hält. Seine Erzählung entwirft
ein abſchreckendes Bild der Peſtbeule des Südens ber Bereinig-
ten Staaten und- liefert ziemlich ſchlagende Wiberlegungen ber
hauptungen dv. Raumer't in feinem bekannten Buche über
meriba. In mehr als einer Hinſicht aber bezeichnend und
als warnender Fingerzeig lehrreich if, was Douglas über die⸗
jenigen Sklavenzuͤchter fagt, die ſich durch zeligläfe Froͤmmig⸗
keit außzeihnen. Go warb er im 3. 1832 Eigenthum eines
gewiſſen Thomas Auld, ber den Frommen fpielt und für feine
Graufamkeit gegen feine Sklaven Merhtfertigung und Unter:
Rügungegriinde in der Religion fand.
„Er machte‘, erzählt. Douglas, „die größten Anſprüche
auf Srömmigkeit; fein Haus war ein wahre Bethaus; er bes
tete des Morgens, des Mittags, ded Nachts; er zeichnete ſich
darin bald unter feinen Glaubenegenoffen aus und wurde zu
ihrem Kirchenvorſteher und Prediger. ernannt. Beine Thaͤtig⸗
keit bei religiöfen Wiedergeburten war groß, umd er erprohte
fih als Werkzeug in ber Hand der Kirche durch die Bekeh⸗
rung einer Menge Seelen. Sein Haus war die Herberge al
ler Gerumpiehenden Prediger. Sie fanden viel Bergnügen dar»
an, dort einzußehren, denn waͤhrend der Herr die Sklaven ver
hungern lieh, mäftete er die geiftlichen „
Weder zeligiöfe noch Berfkandesbildung der Ollaven jener
Befigung kam diefer frommen Sippfchaft in den Sinn; nielmehr
widerjegten fie fih aus allen Kräften jeder Berbefferung bes
Zuſtandes der unglüdlihen Weſen. Ws ein innger Mann bie
Reger Sonntag Abends verſammelte, um ihnen aus dem Neuen
| Zeftamente vorzulefen, flürmten bie gotteöfürdgtigen weißen
persen mit Knitteln und andern Waffen dazwifchen und trie⸗
en die Verfammlung auseinander. .
„IH babe gefagt”, fährt Douglas in diefer Beziehung
fort, „daß mein Herr für feine Grauſamkeit in der Religion
Rechtfertigung fand. Als Beifpiel will ich einen von den vie
len Fällen, die dies zu erweiſen dienen, anführen. Ich babe
geſehen, wie er ein junges lahmes Weib binden hieß ımd fie
mit einem ſchweren Ochſenziemer über den nadten Rüden
peitfehte, bid das Blut herunterfloß. Und um dieſe blutige
Handlung zu rechtfertigen, führte er die Schriftftelle an: «Wer
feines Herren Willen weiß und thut ihn nicht, fol doppelte
Streiche leiden!» Nach diefer blutigen Züchtigung ließ ber Un»
menfh das arme Weib in ſolchen ſchrecklichen Buftande vier
bis fünf Stunden gebunden liegen.”
Koch viel fcheußlichere Dinge werden in dem Buche von
| diefem bibelfeften Ziger erzählt. Erſt als Douglas in den
604
Dienft eines eeland dam, der auf Seligioität Beinen
Anſpruch — Kae er menſchlichere Behandlung,
„Ohne anzuftehen”, bemerkt Douglas, „wage ich zu be
upten, daß die Meligiofität im Süden nur den Dedimantel
x die fgeußtichften Verbrechen, eine Rechtfertigung für bie
entfeglichften Barbareien, eine Weihe für den verhaßteften
Trug und einen bunten Schirm, worunter die finfterften
zeulichfien,, abfeheulichften und teuflichften Miſſethaten ber
Setavenbalter den flärffien Schut genießen, abgeben muß.
Sollte ich jemals wieder den Ketten der Sklaverei verfallen,
fo würde ich es für das größte Berderben halten, wenn ich
als Eigentum einem «frommen Heren» anbeinfick. Denn
von allen den vielen Sklavenzüchtern, mit denen ich in Beruͤh⸗
rung gekommen, waren die frommen ſtets die ſchlimmſten; in
ihnen habe ich ſtets die niedrigſten und nichtswuͤrdigſten, die
grauſamſten und ſchurkiſchſten Aller gefunden.” 36.
Bibliographie.
Arndt, 8, Die Gleichniß⸗Reden Iefu Ehrifti. Ifter Theil:
Sechszehn Betrachtungen in der Zrinitatiszeit 1845. Ite Auf:
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Bauer, F. A., Der Patriotidmus der Stadt Kronach im
Wiährigen Kriege, dargeftellt in Drud: und Ehrenreden, nebft
der Driginal Chronik, einigen Gedichten und 4 Stahlſtichen.
Bamberg, Büberlein. Ler.-8. l Ihr. 15 Nor.
Buſche, H. v., Die freie religiöfe Aufklärung, ihre Ger
ſchichte und ihre Häupter. Für denkende Gebildete aller Stände.
Gingeführt durch eine irenifche Abhandlung über die nur durch
hiftorifch und philoſophiſch gründliche Aufklärung mögliche Ver:
einigung zwifchen Wiffen und Slauben, von H.&.&. Paulus.
In zwei Abtheilungen. Darmftadt, Leske. 8, 2 hir. -
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Vorleſung. Gotha, Müller. 8. Ti Nor.
Elvert, ©. d', Die Schweden vor Brünn. in Abfchnitt
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Gefchichtlidhe Fragmente und das ungarifche Staatsleben
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gr.
Der wahre Begenftand der cheiftlihen Gottesverehrung
und die Dreieinigkeitslehre, befreit von den Schwierigkeiten,
von welchen fie bisher umgeben war. Aus dem Gnglifchen.
rapegegeben von T. Müllenfiefen. Elberfeld, Baͤdeker.
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Gruͤn, K., Über Goethe vom menſchlichen Standpunkte.
Darmſtadt, Leske. 8. 1 Ahlr. 10 Nor.
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Kahlert, A., Spfem der Hfthetil. Leipzig, Breitkopf
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Käpplinger, ©, Beſchreibungen über das Weſen der
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anei Theile. 2te Auflage. Heilbronn, Landherr. 8. 1 hir.
Kor. \
* irſten, A., Abhandlungen aus dem Gebiete des Straf⸗
rechts. Leipzig, O. Wigand. Gr. 8. 1 CAhlr.
Koller 2 Die Belagerung von Brünn durch die Schwe⸗
ben {m 3. 1645." Ein Hiftorifcher Verfuh. Brünn. 1845. 8.
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ſtatiſtiſche Radrichten über bie ohttpätigkeitsübung Berlins.
Berlin, Müller. Gr. 8. 2 Thlr. 20 Nor.
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WBerige Memorabifien für beutfäge Staattleute und Zaseiflen.
Frankfurt a. M., Barrentvapp. 8. 12%, War.
Die Ruͤckkehr. Bam Berfeffer der Brick: eines Berfter-
benen. Ifter Theil: Agspten. Berlin, U. Dunder. 8. 2 Zhlr.
7 Ror.
Stade, &., Predigt zur Bebächtnißfeter des en
Todestages Dr. —* Ha — Köhne. 8. ge.
Zagesliteratur.
Ammann, W., Die Kriminal» Prozedur gegen Jakeb
Müller von Gtechenrain, im Kanton Luzern, Mörder bed Groß
rathes Leu von Eberfol, in populärer Darfiellung bearbeitet.
Bürih, Schultheß. 8. 14 Mor,
Briefwechfel zwifchen‘ zwei Proteftanten verfchiedener Re
ligions-Anfichten nebit einigen Beitgemäßen Bemerkungen dazu,
Frankfurt a. M., Keßler. Br. 8. 71, Rear.
Actenmäßige Darftelung und Ausgang des auf Anklage
des Probfted zu &t. Hedwig in Berlin, Herrn Brin
wegen demfelben öffentlich zur Laft gelegten Intoleranzfaͤlle
wider den Geh. Kriegsrath a. D. Heinr. Wild. Loeſt, vor dem
Königl. Kammergericht verhängt geweſenen fißcalifhen Prozeſ⸗
ſes. Rebſt einer durch Yublicität beglaubigten Mittheilung
des Weſentlichſten, was dem gerichtlichen Verfahren vorange
gangen iſt. Darmftabt, Leske. Gr. 8. 15 Rgr.
. $lorencourt, F. d., liegende Blätter über Fragen
der Gegenwart. Rr. 4. Über Bürgerverfammlungen. Leipzig,
D. Wigand. Gr. 8. 3 Nor.
Kämmel, 9. J., Die Unbuldfamkeit und das Ehriften:
tum. Eine Mahnung zum Frieden. Baupen, Schtüffel. Gr. 8.
gr.
Keßler, 3. ©. F., Zum driftlihen Ehrengedaͤchtniſſe
Dr. Mart. Lutber’s, des peutfigen Evangeliften. Predigt.
Frankfurt a. M., Keßler. Gr. 8. 3%, Nor.
Kracht, W., Gedenket an eure Lehrer, die euch dab
Wort Gottes gefagt haben, welcher Ende fchauet an und fol
get ihrem Glauben nah. (Hebr. 13, 7.) Mredigt zum Ge
bächtniß Luthers. Neubrandenburg, Brünslom. 8. 4 —
Melchert, J., Die Reife in Baiern im Jahre 185.
Ein Tagebuch von ſecht Wochen. Altona. Gr. 8. 1 Kyle.
Müller, C. O., Über die Verbrechen gegen die materielle
aid ber Eifenbahnen. Leipzig, B. Tauchnig. Gr. 8.
r.
Nauwerck, K., Der Hausfreund am Feierabend. Ifte Lie
ferung: Nathufius. 3te Auflage. Leipzig, Vereins Berlagk
buchhandlung. Gr. 8. 2%, Nor.
Delders, T., Populäre Gefchichte' der chriftlichen Re
ligiond» Kriege. Leipzig, Hinrichs. Gr. 8. 27 Rer.
Piſchon, F. A., Leitfaden zur Gefchichte der deutfchen
Literatur. Ste vermehrte Auflage. Berlin, Dunder und Hum
blot. ®r. 8. 15 Ror.
Stahl, 9%. 3., Rechtsgutachten über die Beſchwerden
wegen Verlegung verfaflungsmäßiger Rechte der Proteftanten
im Königreiche Bayern, inöbefondere Beleuchtung des Berhält-
niſſes zwifhen dem Staatögrundgefeg und dem Konkordat.
Berlin, Schroeder. Gr. 8. 15 Ror.
Thudichum, ©., Über die Firdhficgen Bewegungen unfe
rer Zeit. Eine Rede. Büdingen. 1845. 8, 5 Nor.
Zrefurt, C., Gedanken über den Reu » Katholiziemms,
peifen Werth und deifen Berechtigung. Karlörube, Braun. 8.
gr.
_ Über bie eidliche Verpflichtung der proteftantifchen GSeiſt
lihen in Sachfen auf die Firchlichen Symbole. Replik auf das
Botum des Hrn. Prof. Dr. Harlef. Leipzig, D. Wigend.
&r. 38. 4 Rer.
Bimmermeonn, R., Barum halten wir feſt an unferer
evangelifchen Kirche? und Was ift die Bibel! Drei preigten
am Reformationdfefte 1845. Darmſtadt, Lesfe. Gr. 8. 5Rer.
Berantwortlicher Herausgeber; Heinrich Weodfans. — Druck unb Verlag von FJ. X. Wrodpans in Leipzig.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
3ur Radridi. |
Bon dieſer Beitfhrift erſcheint taͤglich eine Nummer und der Preid beträgt für den Jahrgang 12 Thlr. Alle
Buchhandlungen in und außer Deutſchland nehmen Beſtellungen barauf an; ebenfo alle Poſtaͤmter, die ſich an bie
Königi. fächſiſche Zeitungsezpedition in Eeipzig wenden. Die Berfendung findet in Wocenlieferungen unb
in Monatsheften ftatt.
. *
Die Kraufefche Philoſophie.
Kssai théorique et historique sur la generation des con-
naissances humaines dans ses rapports avec la morale,.
la politique et la religion; developpement du mémoire
couronne par le jury universitaire insitu6 par le gou-
vernement; par Guillaume Täiberghien. Bwei Bände.
Brüffel 1844.
Die vorliegende Schrift ift die weitere Ausführung
einer Preisſchrift. Die zu löfende Aufgabe beftand in
einer Darftellung der vorzüglichften philofophifhen Sy⸗
fieme über den Urſprung der Ideen und Erkenntniſſe
und in ber Nacmeifung, mie fi an jebes diefer Sy⸗
fieme ein vollfländiges Ganzes moralifcher, politifher und
zeligiöfer Lehren anknüpft. Da fi hierbei zunaͤchſt die
Frage von dem Einfluffe der Philofophie auf Moral,
Religion und Politik überhaupt aufwirft, da ferner die
Beurtheilung der Syſteme doch wieder nur vom Stand⸗
punkte eines Syſtems aus gefhehen kann, fo bat der
Verf. in einer Einleitung jenen praktiſchen Ginfluß der
Philoſophie bewiefen, und dann das Werk felbft in einen
theoretifchen und einen hiftorifchen Abfchnitt getheilt, von
weichen der erftere die von dem Verf. ald ausgemacht
angenommenen Wahrheiten über den Urfprung unferer
Extenntniffe, und der zweite eine Darftelung ber wichti⸗
gem Syſteme, von ber orientalifhen Philofophie bis auf
Krauſe, mit der Nachweifung ihres Einfluffes auf Mo⸗
ral, Politik und Religion enthält. Der Verf. gibt fi
dabei als ein Anhänger der von Ahrens in Brüffel go
gründeten Kraufe'fhen Schule fund, und fo. geroährt und
fein Buch eine vecht erwünfchte Gelegenheit, die lange
noch nicht genug anerfannte Bedeutſamkeit ber Krauſe'⸗
ſchen Phitofophie hier zur Sprache zu bringen.
Das die Kraufefche Lehre nie zu einem fo entſchei⸗
denden Einfluffe und zu fo allgemeiner Unerfennung ge
langen wird als die Kant'ſche oder Hegel'fche Philophie,
ſcheint freilich außer Zweifel zu fein. Die beutfchen
i Philofophen haben Krauſe viel zu lange überfehen und
feiner Lehre durch eine Nichtbeachtung — über welche
es ber Mühe werth if Leonhardi's Vorrede zur Kraufe'-
fhen „Philoſophie der Geſchichte“ zu vergleihen — wie
fie gerade in Deutfchland kaum erflärlih ift, ein Un-
recht gethan, das fie Kraufe nicht leicht verzeihen, fon-
dein zunächft damit zu rechtfertigen geneigt fein’ werden,
daß fie etwas Unbedeutendes überfehen hätten. Und
wenn nun auch in den feltenen Fällen, wo von Kraufe
die Rede geweſen ift, feine Philofophie uns überaus
reich und fruchtbar bezeichnet werden mußte, fo ift doch
gerade jept bie Zeit der Derrfchaft der Sufteme vorbei, '
als herrfchende geiſtige Mächte und Leitflerne treten jegt
in Kunft und Wiffenfchaft feine Individuen mehr auf
und das Treiben in diefen Sphären iſt republikaniſch
geworden. Wir find in der That‘ zu einem Abfchnitte
gelangt, mo wir weniger uns einem Syſteme der Ge⸗
genwart anfchließen ale vielmehr die ganze Errungen-
haft der Vergangenheit zu überfchauen und aus biefem
Ganzen Reſultate zu ziehen geneigt find. In Wiſſen⸗
[haft und Leben find fi) Syſteme und Inſtitutionen,
von welchen ein einzelne® der Vorwelt auf ein Jahr
hundert ausgereiche hätte, im Laufe von Jahrzehnden
fo vafıh gefolgt, daß uns für alles Diefes die Zeit zu
fehlen anfängt. Ein neues Syftem, eine neue Inftitu-
tion würbe nur den Stoff vermehren und nicht ale Ab»
ſchluß, als Anknüpfungspunkt für die Entwidelung der
Zukunft, ſondern nur als eine Zuthat zu dem Mate⸗
rial betrachtet werden, aus welchem das Reſultat erſt
zu ziehen iſt.
Aus dieſem Zuſtande erklaͤrt ſich zunaͤchſt der Eklek⸗
tirismus und feine praktiſche Seite, das systeme con-
servatenr. Couſin fah in der Geſchichte der Wiſſen⸗
fehaft verfchtedene Grundrichtungen, Spiritualismus, Ma⸗
terialismus, Steptiismus und Myſticismus, und kam fo
zu einer combinatorifchen Philoſophie. Diefe bringt es
indeß nur zu aͤußerlichen Zufammenftellungen: jene vier ı
Grundrichtungen find nicht ſcharf und erfchöpfend be»
zeichnet, und der Schluß, fie müßten wol mehr und in
der Natur des Geiſtes begründet fein, mweil fie wären,
aber jede von ihnen einzeln müffe falſch fein, weil ihrer
vier feien, ift fein an biefem Orte gültiger, ſondern nur
ein Wahrſcheinlichkeitsſchluß aus dem gemeinen Leben.
So ift der Eklekticismus fteril geblieben und entbehrt
des Abfchluffee, Die Hiftorifhen Studien liefern nur
Material, alfo nur einen hier als empirifche Unterlage
zu betrachtenden Stoff, und an die Stelle der Philofo⸗
-phie, des in die Überzeugung eindringenden Syſtems,
isitt bie Kenntniß ber Syſteme, die Gelchrſamkeit.
Diefe befchäftige nur den Verſtand und ergreift nicht
zugleich, wie jebe zeit“ und zußunftbildende Lehre muß,
die Empfindung; fie bleibt tobt und klanglos und hat
feine proftifhe Konfequenz. Das fih an ben Eklekti⸗
cismus fchliegende systeme conservateur, in welchen ſich
feine praftifche Seite offenbart, wirb nur abufiv ein
Syſtem genannt, ba ihm Fein Princip, fondern Neigung
und Intereſſe zum Grunde Tiegt und es jede ſich nicht
von felbft machende Entwidelung in dem bloßen Gon-
fersiren bes Gegebenen ausſchließt. In Deutſchland hat
man allerdings die Nothwendigkeit einer Univerfalität
der Wiffenfchaft in einem höhern Sinne aufgefaßt: Her
gel atlärt alle Syſteme für relativ wahr und nur dad
Begel’fche ſoll das abfolut wahre fein.
" Uhiverfalität erreicht fei, können wir nicht näher prüfen;
gewiß iſt aber, daß in feinen praftifhen Couſequenzen
für Geſchichte, Recht und Staat das Hegel’fche Syſtem
eben mit der Gegenwart absricht und über die fernere
Entwidelung, über die Refultate aus der Vergangenheit
Sir die Zufunft ſchweigt. Meichere und inhaltvollere
Behren liegen bier in der Krauſe'ſchen Philoſophie, und
wenngleich wir nicht behaupten mögen, daß diefelbe als
einzelnes Suflem zur Herrfchaft gelangen werde, fo ift
es doch unverkennbar, daß fie fir die Löfung ber jegt
vorliegenden Aufgaben einer Organiſation der zerfirenten
Einzelheiten bie wichtigſten und von Niemanben, ber
ſich mit biefer Aufgabe beichäftigt, ungeſtraſt zu über-
_ Borarbeiten enthält.
Krauſe's Philoſophie zerfällt in einen anatgeifchen
nnd einen fonthetifchen Theil. Der erſte geht von Dem
aus, was einem Sehen unmittelbar gewiß ift, von der
Idee des eigenen Ih. Mer einzelne endliche Geiſt hat
zunaͤchſt ſich ſelbſt zu erkennen, alſsdaun zu erfaſſen, wie
er von den Dingen außer ihm Erbenntniß empfängt, unb
ſich endlich bis zu der Idee der Natur, bes Geiſtes und
Bettes als Rrweſens zu erheben. SE fo endlich Gott als
Urweſen, als Princip alles Seins erkannt, fo erſcheint
mun bas WU als ein großer gottbelebter Orgauikmus
und alle Wiffenfchaften fügen ſich in Die Getteserkennt-
mis als Theil ein. Diefes bildet ben ſynchetiſchen Theil.
Dabei muͤfſan wir gleich von vornherein barasıf
merkſam machen, daß Krauſe, gleich Hegel und Schei⸗
ling, über die Kant'ſche Lehre hinaus zur Erkenntniß
3
Wie weit dieſe
Aufgabe der Abſolutheit und Alles in ſich ſchließenden
des Abſoluten, ber Einheit des Denkens und Seins
fortgefchritten ift, daß fein Syftem an Tiefe und Erha⸗
benheit der Refultate dem Hegel’fchen völlig gleich ſteht,
dabei aber hinſichtlich derjenigen Fragen, welche bei He-
gel dunkel bleiben und Hegel's Syſtem ben Vorwürfen
des Pantheismus und bes Leugnens ber Unſterblichkeit
ausgefept haben, ganz entfchiedene, mit der Lehre des
Chriſtenthums in Einklang ſtehende Refultate gibt. Was
man babei von den Wunderlichkeiten der Kraufe'fchen
Terminologie gefagt hat, widerlegt fih am einfacften
duch das Studium der Schriften Krauſe's. Jede Wif-
ſenſchaft bedarf einer befondern Terminologie und bie
von Kraufe neu gebildeten Ausbrüde find meißtencheils,
wie es nach den Berdienften Krauſe's um die Sprad-
wiffenfhaft zu erwarten ift, fehr glüdlich gebildet. Von
dem gefammten Inhalte feines Syflems aber ift es nick
möglich, in der Kürze eine Überſicht zu geben; es win
daher nur umfere Aufgabe fein können, befonders aus
dem Sogenannten praftifchen XThelle bdeffelben - einzelne
Andeutungen zu liefern. _
In dem analgtifchen Theile finden wir die tiefften
und fharffinnigften Unterſuchungen über das Weſen des
Ih. Won der Idee des Ich gelangen wir durch bie
Idee des Grundes zu ber Erkenntniß Gottes. Die Idee
des Grundes fegt voraus, daß Dasijenige, bei welchem
wir nad einem Grunde fragen, fi) als untergeordneten
Theil zu einem böhern Ganzen verhalte, und menn wir
fo bei allen Eriftenzen nad, einem Grunde fragen, fo
gelangen wir zulegt zu der Idee Gottes. Dieſes Ver⸗
fahren liefert aber noch nicht den Beweis des Dafeins
Gottes, es ift blos ein Anlaß, der uns auf ben Gedan⸗
fen an Bett führt. Wol aber fegt die Idee des Grun⸗
des feibft einen Grund voraus, und dieſer legte Grund
kann nur in einem unendliden und abfoluten Weſen,
in Gott liegen. So ift denn Gott als Grund alles
Defien was tft au ber Grund ber Kenntnif, die wir
von ihm haben, wir kommen Durch Bett ſelbſt zu Bott
und erfaflen ihn, wenn wie uns dieſes Verhälni Mar
machen, durch eine unmittelbare Anſchauung, waͤhrend
Gottes Eriftenz durch Gründe allerdings inſofern unbe
weisbar iſt, ale es über Bert nicht noch ein Hoͤheret
was ald Grund feiner Exiſtenz angefihrt werden Fonnte,
gibt. Fragen wir daher nad) Gründen für das Dafen
Gottes, fo geſchieht dieſes nur, fofeen wir Gott ald ım-
endliches und als abſolutes Befen noch nicht erfamt
und felbft auch bie Idee bes rundes noch nicht erfaßt
haben. Bott ſteht fo als Urweſen über Natur und
Vernunft und dem Vereinweſen beider, der Menſchheit,
und in dieſer Auffaffung bleliben pantbeiffifdde ober dus-
liſtiſche Auſchauungsweiſen ausgeſchloſſen. Namentlich
iſt der Borwurf des Panthekomus nit gegrundet, ben
Kraufe nicht außer Gott gedacht werben, weil nichts als
außer Bott gebacht werben kana. Die Welt iſt m Gott, .
nicht bem Raume nach, fondern wenn Wort die Welt
m Ah enthält, fo wird die Weſenheit der Welt, als
007
nicht die ganze Weſenheit, von der Wefenheit Gottes als
ber ganzen Wefenheit unterſchieden.
er fonthetifche Theil des Krauſe'ſchen Syſtems zer-
fällt in vier Untertheile. Der erſte erörtert, was Gott
an ſich ift, was feine Natur iſt, was feine Attribute
find. Der zweite zeigt, was Bott in fi if; er ent-
Hält die Lehre von ber Welt, bie aus Geift und Natur
beficht, als deren Verein die Dienfchheit erfcheint. Der
dritte Theil erörtert die Verbindung der beiden exften
und zeigt alfo die Beziehungen, die zwiſchen Gott und
Welt flattfinden. Der vierte zeigt endlich dem göttlichen
Organismus in allen menfchlihen Wiffenfchaften und
liefert zu diefen die eigentlichen Grundlagen. Ein Theil
ergängt und erläutert hier den andern, indem das Ganze
ein großer Organismus ift, in welchem fich jeder Theil
auf alle übrigen Theile ſowie auf das Ganze bezieht.
Sn diefem Reichthume beruht cben die Ubfolutheit der
Krauſe'ſchen Philofophie, die der geifligen Thaͤtigkeit noch
immer ein unendlich weites Feld laßt und bie eine und
abfotute Wahrheit als einen unendlihen Organismus
von Wahrheiten auffaßt, deffen Reichthum Feine menfch-
liche Einſicht erfihöpfen kann. In bem vierten Unter-
theile finden fih dann die Confequenzen für Religion, Mo-
zal und Recht. Die Religion gewinnt hier die wahr⸗
Haft univerfele Bedeutung, die ihr zukommt, ohne daß
e6 je zu Pierifterei ober ben Wunderlichkeiten eines fo-
genannten hriftlihen Staatöprincips kͤme. Ihr Wer
fen liegt in ber perfönlichen Einigung ber Menfchen
mit Gott, welche nach dem Verhaͤltniſſe Gottes als Ur-
wefens zur Menfchheit ein leeres Wort, keine Eindil-
dung, heilbebürftiger Seelen, fondern eine einfache Wahr-
heit if. Diefe Gottinnigfeit umfaßt benn die drei Grund»
fähigkeiten des Menfchen, Schauen ober Erkennen, Em-
pfinden und Wollen, welche ohne dieſe Beziehung auf
Gott in allen ihren übrigen Richtungen unvollftändig
und verwahrloft bleiben. Außer dem einzelnen Men-
[chen Hat aber auch jeder Verein in der Menſchheit, der
Ehebund, die Familie, die Gemeinde, das Volk und
enbiie die ganze Mienfchheit den Beruf, biefe Ginheit
mit Sort wirffam zu machen. Die religiöfe Pfitcht bes
Menfchen wird fo zu einer focialen Pflicht für alle Ver⸗
eine, welche Wiffenfchaft, Kunft, Recht und überhaupt
die Theile der Beſtimmung des Menfchen zu pflegen
und zu fördern haben. Die Sittenlehre fügt ſich hier-
nach auf ein abfolutes Princip. Das
jenige, was ein Wefen nach feiner Eigenweſenheit dar⸗
Stellen fell Da Wott das Höchfte, Alles ufoffende We⸗
fen ift, fo if die Weſenheit Gottes das höchſte, eine
Gute. Da das menfhliche Leben nur ein Theil des ei-
nen göttlichen Lebens if, fo hat der Menſch auf end-
liche Weife darzuftellen, was In Gott unendlich ift, und
es entfteht die Anfoderung: Thue dad Gute fchlechthin
als: bes Sure u: & ſol hheh
Beſonders bemerkenswerth if aber bie Krauſe'ſche
Rechtslehre. Das Recht iſt — wie Krauſe conſequent
aus dem bezeichneten Vechaͤltniſſe Gottes zur Welt fol⸗
get — das Banze der Innern und äußern von ber
Freiheit abhängigen WBebingungen, weiche zur Erveichung
ute ift Das: |
ber Vernunftbeftinmung des Menſchen nothwendizg find.
Da ‚jedes lebende Weſen, folgert Kraufe, ein eigenwe⸗
fentliher Organismus ift, fo ift jedes Wefen in feinem
Innern nah ber Grundidee bes RMechts fo beſtimmt,
daß feine Theile ſich wechfelfeitig alle Bedingniffe erfül-
ten, welche zur Erreichung ſeiner Beftimmung nöthig
find. Das Ganze biefer Bedingniffe macht das innere '
Recht aus. So hat der Einzelmenſch, jebe höhere Befell-
fhaft und endlich bie Menſchheit ein inneres und ein .
äuferes Recht: Das innere Recht ber Menfchheit 3. B.
fobert, daß alle Geſellſchaften und alle Einzelmenſchen
in ber Menfchheit alfo fuͤreinander ſelbſtbeſtimmt feien,
daß jedes Glied der Menfchheit feine Beftimmung er-
reihe. Das Äußere Recht ber Menfchheit aber ift das
Ganze der zeitlihen von ber Freiheit abhängigen Be⸗
dingungen, welche Natur, Vernunft und zuhöchft Gott
in ſich wirklich machen, damit die Menfchheit im Wedh-
felleben mit ihnen ihre Beſtimwmung erreihe. Das
Recht ift fo auch die Pflihe des Menfchen und der
Menfchheit, denn das Sittengefep fodert, alles für das
Leben Wefentliche, das Gute, zu thun, und ein folches
Wefentliches, ein folches Gut ift das Recht. So beruht
auch die Beftrebung, das Recht als bleibenden Zuſtand,
als Staat, hinzuftellen, auf der Wefenheit dee Menſch⸗
heit und nicht auf Zweckmaäßigkeitsgründen. Der Staat
iſt nicht die Anſtalt, um das Unrecht zu verhüten, fon-
bern um das Recht berzuftellen. Die Idee des Rechts
ift eine durchaus pofitive. Hieran ſchließt fi die tiefe
Wahrheit, dag mit dem bloßen Gebenlaffen und Verhuͤ⸗
ten nichts geholfen fei, daß vielmehr ein poftiives Thun
für die Leitung im Staat erfobert werde. Der Staat
iſt alſo bleibend, er beruht nicht auf zufälligem Vertrag
und ebenfo wenig beruht das Recht auf MWechfelfeitig-
feit,. denn der Rechtsgrund beſteht an fi) und ewig
und hängt nicht davon ab, ob Ihn Andere anerkennen.
Zugleich iſt das Recht allgemein: es bezieht fich auf
alle phyſiſchen und geiftigen Büter, welche dem Men-
ſchen zur Erreihung feiner Beſtimmung nöthig find. Es
bezieht fih alfo auf Religion, Miffenfchaft, Kunft, Sitt⸗
lichkeit, Induſtrie, Dandel und Production, berührt aber-
alle diefe Sphären nur von einer Geite, fofern es auf
Herftellung der für Ihr Gedeihen nöthigen Bedingungen
ankommt. Diefer Say beftimmt dann das Verhaͤltniß
des Staats als ber für das Recht vorhandenen Sphäre
zu den übrigen für die Erreichung der übrigen Theile der
Vernunftbeſtimmung des Menfchen gebildeten Vereinen.
(Der Beſchluß folgt.)
Das Laternenmännden. Aphorismen über Leben, Kunft
und Natur, von Georg Beckmann. Berlin, Deh⸗
migke. 1845. 8. 174 Nor.
Bücher die Aphorisſsmen enthalten entflehen auf ſehr ver⸗
ſchiedene Art. Hintereinander aufgeſchrieben werden die kuͤrzern
oder laͤngern Säge gewiß nichts dieſes Spruͤngemachen wuͤrde
den Geiſt bald den und ſchnell zerſtoͤren. Oftmals find
ſolche Aphorismen Ertracte auß nicht zu Stande gekommenen
Büchern; oft find fie mit Splittern zu vergleihen, Die heim
überarbeiten eines großen Werkes fich ablbſen; manchmal find
N
olche dicta wahre Kometenkerne: fie bilden ein ſolides Element,
*2* vieles Homogene ſich leicht ſchließt; manchmal freilich
ndet der reflectirende Leſer ſtatt eines Kometenkerns eine taube
z. Es gibt manche Autoren, deren Werke fich vorzugsweiſe
dazu eignen, daß män Aphorismen aus ihnen ſammelt; zum
Erempei die Schriften Hamann's, Hippels und Jean Pauls.
In jener Periode, wo es in Deutihland Mode war, geiſtreich
zu fein, verlangte alle Welt nach ſolchen abgeriflenen Sägen;
man konnte nur fo leicht durch eine Medensart, bie man fallen
ließ, ahnen laflen, was für ein @eift man fei. Wie häufig
haben wir Deutfche, die wir doch von ber Ratur für einen ge
unden Realismus beftimmt find, und durch den ein irre
ühren laffen, und alle Tage gefchieht das no. Auch Goethe
huldigte dem Gefchmad jener Lage durch Mittheilung von
Zagebuchblättchen in feinen Romanen. Jean Paul, wahr:
ſcheinlich weil er fühlte, daß feine Werke zu merkbar aus ein
zelnen Stüden zufammengefept feien, wurde fehr heftig. als er
‘erfuhr, daß Jemand aus feinen Schriften eine Sammlung von
Aphorismen gezogen habe; ber RMenſch, ber das gethan habe,
fagte er, verfahre wie ein Schaf auf der Wieſe, welches alle
Blumenköpfe abfrißt und das Gras ftehen läßt. Die Lecture
von Aphorismen kann eine fehr anregende und den @eift für:
dernde fein; für einen noch zu wedenden Geift find fie gewiß
oftmals ein gutes Bildungsmittel; felbft der gebildete Geiſt,
wenn ihm Gelegenheit zu perſoͤnlicher Mittheilung mangelt,
findet darin einigen Erfag für Anregung durch Geſpraͤch.
Nef. Hat die Bemerkung gemacht, daß feit einiger Zeit
wieder häufiger folche Werkchen wie das vorliegende erfcheinen.,
Das dürfte vieleicht als ein heilfames Gegengewicht gegen bie
gräßlich graffirende oberflädliche Unterhaltungsichriftftellerei und
Unterhaltungslecture angefehen werden. Es ift gar nicht‘ zu
berechnen, welch eine ungeheure Zahl von Menſchen in den
ordinairften Kreis der Lebensanfhauung gebannt bleibt durch
die miferable Lecture, woraus fie täglid Geift und Herz —
fo viel fie davon haben — ernährt, gar nicht zu erwähnen,
daß durch die franzöfifhen Schauer» und Schauderromane der
Blick mancher Menfhen auf Partien des Lebens gelenkt wird,
auf die er felbft wol nie gefallen wäre; ja, daß felbft durch
‚die Lecture diefer modernen feangöfifchen Romane der Wahr:
heitsfinn ſehr oft in Eonflicte geführt wird, aus denen berfelbe
gewöhntich fehr wanfend und ſchwankend hervorgeht. In einer
vergangenen Epoche fahndete man überall auf Werke, die Atheis
muß lehrten; gegen den religiöfen Atheismus kaͤmpft jegt
Niemand mehr, aber man folte dem Atheismus in der Moral,
in der Politik, im bürgerlichen Leben nicht Thor und Thuͤr
öffnen. Jedoch biefer Gegenftand würde uns an diefer Stelle
-zu weit von unferm Hauptzweck abführen.
Der Verf. des vorbenannten kleinen Buches gibt auf der
erftien Seite das hübſche Bild eines Mannes, der eine Laterne
trägt, und darunter fteht folgender Verb, der über die Ten⸗
benz des Büchelhens Aufklärung gibt:
Sch bin zwar nur ein Meiner Geiſt,
Doch trag’ ih mein Laternchen dreift
Und lauf’ in mandes Eckchen bin
Und fage was ih fand darin.
Wie wunderlich die Menſchen find,
Wie wirr fie tappen, dumm und blind!
ie fpielen all' mis bunten Seinen,
Es zum Lachen und zum Weinen.
Das Büchlein bringt euch gute Lehr’,
Doch allzu lang’ behagt nidht mehr; .
D’rum wird fie bier mit Vorbedacht
Nur tropfenweife beigebradt.
Schlag auf dad Buch und lied in Ruh’,
Haſt du genug, mach's wieber zu!
Das Ganze zerfällt in folgende Partien: 1) Die Innen:
welt; 2) Die Geſellſchaft; 3) Liebe und Che; 4) Kunſt; 9) Na»
tur; 6) Scherze und Schwänte.
[2
Wenn nun die Eigenthümlichkeit dieſer Aphorismen ge
nauer charakterifirt werden fol, fo hun wir es in Folgendem.
Die Audfprüce des Verf. haben ihren Urfprung in einem ge
funden Geiſte; was er denkt, ſpricht er mit Entfdyiebenheit aus;
er peut nichts in das Flimmerlicht der Unentfchiedenheits er
ehört nicht zu den im unferer Zagesliteratur fo häufigen Phra⸗
enmachern, denen eine gedrechfelte Nedensart mehr gilt als
ein gefunder Gedanke. Die Borm, in welcher die Gedanken
ausgeſprochen find, iſt regelrecht; fie geftaltet fidh bisweilen zu
einer vollen Symmetrie, doch ohne fteif zu werden. Hin und
wieder wird man einmal durch die Ausdrudsweife an Sean
Paul erinnert; daB feheint aber dem Berf. felbft ganı unbe
wußt zu fein, ein mer Jean Paul'ſcher Manier ift er
nit. Kur felten faßt Hr. Beckmann feine Aphorismen jin
fententiöfe Form, meiftens werden fie als Neflerionen mitge
theilt. Auch bat das Heine Buch den Borzug, daß der Berf.
nicht von einem Schulſyſtem ber Moral, der Politik und der
Religion ausgeht und aus diefem heraus — mas häufig ge
ſchieht — Orakelweisheit fpricht; weil in diefem Buche nur
die Philofophie des gefunden Menfchenverftandes herrſcht, fo
ift daffelbe auch für einen größern Kreis brauchbar. Dazu
kommt nod etwas hoͤchſt Lobenswerthed; nämlidy Der Berf.
geht durchaus nicht darauf aus, weder durch Einmiſchen einer
wohlfeilen und beliebten Sorte Politif noch durch Bufeken von
pfeffeender Frivolität ich Yublicum zu gewinnen. Er ift durch⸗
weg BVertheidiger einer höhern Lebensanficht gegen die niedere
und philifterhaftes niemald macht er einer ordinairen Gefin:
nung oder der Gefinnungslofigkeit Zugeftändniffe; fein Urtheil
ift ſtets gerecht: und fireng gerecht; manchmal, wenn ihm das
Abweichen des Menfchen vom Ideal befonders frappant erfiheint,
fhreibt er fatirifch, und das fteht ihm gut an.
Übrigens find nicht alle Partien des Büchelchens von ylei:
chem Werth; 3. B. der Abfchnitt, welcher „Natur“ uͤberſchrie·
ben ift, fcheint uns an Kuͤnſtlichkeit zu leiden; nichtsdeſtoweni⸗
der findet man auch in diefem wie in allen übrigen Abther
lungen ſcharf treffende Ausſpruche, ih paflender Form voran
tragen. .
Literarifche Anzeige.
Hene Unterhaltungsliteratur.
In meinem Zerlage ift erfchienen und in allen Buchhandlungen
zu erhalten:
Die Schwärmerin.
Brain Zruflürden- Ruglburg.
Erzählung
Gr. 12. Sch. 1 Thlir. 12 Nor.
Wilder aus Schlefien.
In Novellen ‚gefaßt
von
- Walter Leſche.
I. Die Nofe von ber Pzerwa.
Gr. 12. Se. 1 The. 12 Nor.
Eeipzig, im Iuni 1846,
SF. A. Brockhaus.
Wesantwortliher Hernuſsgebder: Heinrich Brockdans. — Druck und Verlag non F. M. Drockhaus in Leipzig.
Blätter
für
Titerarifhe Unterhaltung.
Dienftag,
— Kr, 153, — 2. Juni 1846,
(Beſchluß aus Nr. 152.)
Das Recht ift feinem Begriffe nach für Alle gleich,
dieſe Gleichheit befteht aber doch nur darin, das Ungleiche
ungleich zu behandeln. - Die Individualität hat alfo auch
ihre Recht, und es befteht die Rechtöfoderung, dag inner-
balb der Gleichheit der allgemeinen Menfchenrechte auch
einem Jeden die befondern und eigenthümlichen Beding-
niffe geleiftet werden, nach den grumdwefentlihen Ver⸗
fchiebenheiten in Eigenthümlichkeit zu vollenden. Es ift
daher falfch, daß alle Menfchen fchlechthin identifche Rechte
haben, aber ebenfo falſch ift die Behauptung, daß jeder
Menfh nur fein eigenthümliches Recht habe und ein
allgemein menfchliches Recht nicht zu denken fe. Ebenſo
ift die Freiheit eine Folgerung aus dem Rechte; fie ift
aber nicht Grundlage und Zweck des Rechts, fondern
nur ein Mittel zu feiner Verwirklichung, indem jebem
Einzelnen eine Sphäre offen fein muß, in welcher er feine
Kräfte gebraudt. Auf diefe Weife find Freiheit und
Gleichheit zwei unveräußerlihe Urrechte, jene entfpricht
ber Spontaneität der Bereinzelung, dieſe ber Ganzheit,
Afjimilation und Concentration. Beide einigen fich in
der Affociation zu einem böhern Ganzen. Es gibt
zwei Reihen von Affociationen. Die eine umfaßt das
ganze Leben und bie ganze Perfönlichkeit, Ehe, Familie,
Gemeinde, Volt, Menfhheil. Die andere bezieht fih
auf beflimmte Zwecke, der Neligionsverein, Kunftverein,
die Sphäre für materielle Production, Handel und In⸗
duſtrie, der Verein für Wiffenfchaft und ber Verein für
Recht oder der Staat. Alsdann beftimmt fih im Ein-
zelnen, inwieweit die nach bem Bilde bes Gemeinweſens
«inzurichtende Drganifation dieſer einzelnen Vereine und
Kreife noch unvolllommen ift und auf welche Weiſe der
Staat oder Rechtöverein darauf einzuwirken bat. Die
Spbären ber zweiten Reihe find diejenigen, in welchen
der Menſch hier auf der Erde feine Fähigkeiten zu ent-
wideln bat. Sie find der eigentliche Gegenſtand des
“ganzen forialen Organismus und in ihnen muß nad)
Na
dem Obigen gerade dur Affociation als das Hö-
here von Freiheit und Gleichheit — welchen man bis
jegt auf einfeitige Weife nachgerungen oder fie auf ebenfo
einfeitige Weife befämpft hat — eine Organifation er-
®
reiht werden. So werden bie einzelnen Vereine Dr-
gane bes ganzen focialen Körpers werden und die Ge-
felfchaft wird, wie Plato es foberte, das Urbild bes
ganzen und vollflommenen Menfchen darftellen. In Die
fem Organismus ift der Staat oder bie Rechtsſphaͤre
den übrigen Sphären coordinirt, und da jede Sphäre
wol auf die andere einwirkt, fie aber nicht abfolut be-
berrfcht, fo ift der Staat auch nicht mit der Geſellſchaft
identifch, und feine Tendenz, die übrigen Sphären zu Mit-
teln für feine erclufiven Zwecke zu machen — die alsdann
im Grunde doch nur particulaire Intereffen betreffen wür⸗
ben — ift ebenjo falfh als eine gleiche Tendenz der
Kirche oder der Induftrie fein würde. Es leuchtet alfo
ein, daß der Staat feine exclufiv ».veligiöfe oder wiſſen⸗
ſchaftliche Richtung haben, fondern allen Richtungen die⸗
fer Art den Rechtöfhug gewähren muß; ein Gingreifen
in ihre innere und eigene Entwidelung führt immer zu
Rückſchritten und Verkümmerungen. Yür die VBerfaffung
des Staats gibt Kraufe fehr beachtenswerthe Andeutun-
gen. Wir müffen uns bier auf die Bemerkung befchrän-
fen, daß er weit entfernt ift, wie unfere meiften Politi-
fer und Rechtsphiloſophen, eine einzelte Form als die
‚ abfolut richtige und alle übrigen ale Misbildungen an»
zuſehen. Die Frage von politifhen Formen ift bei
Kraufe überhaupt untergeorbnet, die Hauptſache ift die
Drganifation der Gefellfchaft, in welcher die flaatliche
oder politifche Sphäre nur ein — bis jegt noch fehwer-
lich auf fein richtiges Verhältnig gebrachter — Theil ift.
Bei Kraufe finden wir in der That die Anfoberung
Segel. daß die Kategorien des Denkens auch Die bee
eins fein müßten, und daß die Logik im Grunde mit
der Metaphyſik zufammenftimmen fole, erfüllt. Das
Studium der Krauſe'ſchen Philoſophie zeigt, daß gerabe
die Begründung ber Kategorien eins ihser Hauptver⸗
bienfte ift, ein Verdienſt, aus welchem fich ganz einfach
erklärt, vie die Krauſe'ſche Philofophie in ben einzelnen .
Theilwiffenfchaften, Sprachwiffenfchoft, Sittenlehre u. f.m.,
auf jeden Unbefangenen einen fo unmiderfichlihen Ein»
drud von fchlagender Wahrheit macht. Man wunder
fi bei Hegel, der mit fo ftrenger logiſcher Conſequenz
“verfährt, daß in der Rechtslehre durch den Mechanis-
mus feiner Dialektik Majorate und conftitutionnelle Mon-
archie als abſolut wahre Refultate berausfommen, wäh: .
610
- end ber gefunde Sinn dergleichen Dinge für nichts ab-
folut im Weſen der Gefellfchaft Begründetes, fondern
für Zufällige, eben Iwedmäßiges und Anderliches Hal-
ten muß. Bei Kraufe findet fich eine foldhe Anwendung
der Logit, welche am Ende alles nur Mögliche heraus-
braͤchte, nicht; wielniehr erſcheint das Urbild bez Menſch⸗
beit, das Ziel der Geſchichte, von allen Zufälligkeiten
und nur eben jetzt beſtehenden Eigenthümlichkeiten rein.
Damit tritt dann gegen die jetzt vorhandene Wirklichkeit
auch das Poſtulat des Sollens, welches bei Hegel oͤft
fo bitter verfpottet wird, hervor, und die Kraufe’fche
Rechtslehre iſt nichts weniger ald apologetifh. In bie-
ſem VBerhältniffe Deffen was ift zu Dem was werden
fih aber eben ihr vorzüglichfier Werth.
Sie hält der jegigen Geſellſchaft gleihfam einen Spiegel
vor, um ihre zu zeigen wie fie tft und wie fie fein fol;
fie wird alfo Jedem wilſtommen fein, der nicht abficht-
lich fish täufchen will und Herz genug beftgt, eine blos
apologetifche, nach Wünſchen und Intereſſen eingerichtete
Staatslehre zu verſchmaͤhen.
Ein unbefangener Blick auf die modernen Staaten
zeigt uns als ihren unterſcheidenden Charakter eine un⸗
endliche Zerriſſenheit und Zerfahrenheit als Folge des
herrſchenden Individualismus. Man hat nur Rechte
der Einzelnen die von der Geſammtheit anerkannt wer⸗
den, allein für die Geſammtheit fehlen Rechte und or⸗
ganiſche Anordnungen, ſodaß Niemand zum poſitiven
Handeln für Gemeinzwecke verbunden iſt, und der äu⸗
ßerlich Begünſtigte mit dem Nichtsthun, dem einfachen
Zurüdziehen in die Iſolirung am bequemften ausfommt.
Die Leitung der Gefellfhaft Hat einen dauernden Cha-
ratter der Angfitichkeit und ber Abwehr von Serrüttun-
gen angenommen, ben fie in einem normalen Zuflande,
bem folche Zerrüttungen nicht wirklich drohen, gar nicht
haben könnte. An der Stelle gemeinfamer in fich be-
rechtigter Zwecke herrfchen partitulaire Zwede, und fo
wie in dem modernen Voͤlkerverkehre bie Diplomatie nad)
folhen particulairen Zwecken und Intereffen bie Ränder
zertheilt und ohne Rückſicht auf Nationalität und Volks⸗
intereffen Staatsverbände ohne Halt und voll von Quel⸗
ien bauernder Zerrüttungen gefchaffen hat, fo herrſchen
auch im inneren Leben der Staaten doch nur parficulaire
Intereffen flatt der allgemeinen und finden ihren Schutz
theil im Bünbdniffe mit andern ebenfo particulairen In-
tereffen, theild in dem Zuftande von Verdunkelung, in
den bie modernen Staatslehren durch Vermengung von
Principien und SIntereffen gerathen find.
Man Tehnt fi in dieſem Zuſtande der Jerſplitte⸗
zung nad einem wahrhaft organtfirenden Principe, nach
einem Haltpunkte für den Blick in die Zukunft. Zu
- einem folchen Haltpunkte konnten bie bisherigen Staats-
lehren nicht führen. Die reactionnaiten, blos hiftorifchen
Doctrinen, welche fih in Hrn. v. Haller reſumiren, find
alles vernünftigen Moments zu ledig, um Andern als deren
Intereffen fie ſchmeicheln zuzuſagen. Die rationalifti-
[hen Staatslehren bauen aber bios Mechanismen auf,
die alles Lebens, aller Zukunft entbehren. So iſt auch
die Hegel’fche Staatslehre nur eine neue Zuſammenſtel⸗
lung des alten Stoffe nach neuem Iogifchen Fachwerke,
aber nichts wahrhaft und der Sache nad Neues. Wan
fhreitet daher wie von einem dunkeln Gefühl geleitet
aus diefer Beengung ber Anficht heraus; man fieht,
e6 einescheils nicht ſomol auf den Staat, ber d
nur eine einzelne Sphäwe ber Gefellfchaft ift, als
die Gefellfhaft und deren Organifation ankommt,
anderntheil6 aber, daß der Staat nichts Erfundenes,
nichts durch menfchliche Vernunft Eingerichtetes, fondern
ein lebendiger Organismus ift, deffen Weſen nur aus
der Perfönlichkeit Gottes zu erklären ſteht, fobaf alles
Staatsrecht zufegt in Bott feine Baſis hat. In beiden -
Bichtungen liegen bereits Fortſchritte vor. Der Socia⸗
lismus macht gegen das blos Politiſche, gegen den
Staat, die Geſellſchaft geltend, bleibt aber mit derſelben
Einſeitigkeit, die er vermeiden will, an einer andern
einzelnen Sphäre hängen und meint, daß mit der Dr⸗
ganifatten der Arbeit und ber Induftrie das Ziel er
reicht fei. In der zweiten Richtung, wie fie Stahl und
2eo verfolgen, liegt eine tiefe Wahrheit, aber fie iſt eben
nur angedeutet und ungeachtet der Wahrheit bes Prin⸗
cips werden die Folgerungen einfeitig und falfch. IM
Gottes Wille und Weſen Baſis alles Staatd- oder
vielmehr. Geſellſchaftorechts, fo bleibt bie bisherige An-
fiht, als greife bier menfchlihe Einfiht und Willkin
Pag, freilich ausgefchloffen, und deshalb fteht von bie
fem Standpunkte aus bie rationaliftifche Staatélchte,
die liberale Theorie, die nach menſchlichem Beſſerwiſſen
ändern und ſchaffen will, mit Erfolg zu bekimpfe.
Zunähft bat man indeß dabei ben Standpunkt bes
Glaubens und Empfindens gegen den bed Dentens ein:
genommen und geht nun dazu fort, biefem leytern alles
Recht abzuftreiten. Die negative und kritiſche Seite, die
Bekämpfung der rationaliftifhen Doctrinen ließ fi) da-
mit auch durchführen, nicht aber bie pofitive Seite, we
nun die wahre und dem Wefen Gottes gemäße Organi⸗
fation der Geſellſchaft angegeben werben follte. Deshalb
geräth man bier auf Abwege, man mifcht das Denken
doch wieder ein, aber auf fo verfiedte Weiſe und nur
in folden Nebenpuntten, daß der Vorwurf der Incom
fequenz befeitigt wird, oder findet vom Standpunkte bei
Giaubens aus nun ben Sag, dag der Staat ſelbſt in
feiner fehlechteften empirifhen Form göttlihe Organife-
tion fei und Alles als Frevel angefehen werben mälle,
was die organifche Eontinuität in dem Nebeneinander
und Nacheinander feines Lebens flört. Hierbei fehlt
denn das vernünftige Moment, wodurch erft ausgemacht
werben müßte, was in dem empirisch vorhandenen Staate
wirflih ein Theil dieſes göttlichen Organismus, bdiefer
organifchen Eontinwität, und was Erzeugnig menſchlicher
Willkür, Misbrauch und Böfes fei, indem fich unmög-
lich leugnen laͤßt, dag nach der Endlichkeit und Welt.
beichränftheit der. Dinge auch das Wefenwidrige und
Böfe Hienieden feinen Pag finde Es ift daher ein
leuchtend, daß dieſe Staatstheorien ald Organiſation für
die Zukunft eben niht# angeben, und daß fie fogar fir
611
reactionnaie gelten, weil ſcheinbar bie Organiſation für
die Zukunft nach ihnen darin beſteht, daß Alles beim
Alten bleibt und fogar die alten Misbräuche mit großer
—* aufrecht erhalten werden. Wirklich reaetionnair
ind ſie indeß nach unſerer Anſicht nicht, indem ſie die
menſchliche Willkür und die Einſicht der Einzelnen den
Geſetzen bes goͤttlichen Organismus unterordnen, und
dieſes nicht blos alsdann, wenn ſich ſolche Willkür und
Einſicht bei Unterthanen, ſondern auch wenn ſie ſich bei
den Regierenden über jene Geſetze erheben wollen. Es
iſt nicht undenkbar, daß Der, welcher als Bekaͤmpfer
des rationaliſtiſchen Liberalismus auf der Rechten ſtand,
am Ende wenigſtens in das linke Centrum gerathen
koͤnne. .
Bei diefem Stande ber Krifis in den Anfichten über
Staat und Gefellfchaft wäre ed einer der ſchwerſten Ver⸗
Iufte für die deutſche Wiffenfhaft und folgeweife auch
für" die Entwidelung der Zukunft, wenn die Krauſe'ſchen
Lehren unbeachtet blieben. Die Aufgaben, an denen
man jegt arbeitet, die Erringung einer wirklich organi-
fchen Lehre von der Gefellihaft, die Beſeitigung ber
einfeitigen Vorherrſchaft des potitifhen Elements und
infonderheit die Begründung des Staats als eines göft-
lichen Organismus, des Menfchheitslebens als Theil des
göttlichen Lebens, find in der Kraufe’fchen Philoſophie gelöft.
Streitet man in ber Gegenwart in durchaus zerfplitter-
ter Weife bald für Confervatidn alles Hiftorifchen, er-
wartet man bald alles Heil von politifchen Reformen,
liberalen Inftitutionen, von Modificirung des Eigenthums
und Erbrechts, von Drganifation der Arbeit, von ber
Drdnung bes Verhältniffes zwifchen Kirche und Staat
und Belebung der religiöfen Intereffen oder von Steige⸗
zung ber Blüte der Induftrie und materiellen Intereffen,
fo fieht man von Krauſe's Standpunkte dagegen mit
völliger Klarheit, wie alle dieſe Richtungen in ihrer
Ausſchließlichkeit falſch, übertrieben und zum Theil ver-
dexblic, find. Nur durch das Erfaſſen des Organismus
des gefammten Menfchheltslebens, nur durch bie fte-
tig feftgehaltene Verbindung diefes Organismus mit Gott,
wonach das Ginzelne fein Maß und beftimmtes Geſet
erlangt ift, ift hier Klarheit zu fehaffen. Diefe Klarheit
findet fih in der Krauſe'ſchen Lehre, weiche auf einer
Höhe flieht, wo die völlige —* zwiſchen Glau⸗
ben und Empfindung und Denken und Wiſſen kein lee⸗
res Vorgeben mehr iſt, ſondern die Vernunft wirklich
vom tiefiten Gottesgefühl durchdrungen und der Glaube
wahrhaft vernünftig ifl.
“Uber das Werk Tiberghien's find uns nur noch we⸗
nige Worte vergonnt. Die Auszeichnung, daß es auf
Regierungetoften gebrudt ift, Hat es verdient, und wir
Bönnen ed Jedem, dem es um bie Wiffenfchaft zu thun
ift, fomol in Anfehung des forgfältig gearbeiteten hiſto⸗
rifchen Theils als beſonders hinfichtlich der einfachen und
Haren Darſtellung der Krauſe'ſchen Lehren empfehlen.
Daß man e6 in Rom auf ben Index gefegt hat, iſt ein
Zeichen, wie man fi in Rom zu ben wiffenfchaftlichen
Bortfehritten, welche von Tatholifchen Regierungen befoͤr⸗
dert werden, zu flellen gemeint iſt. Uns bleibt nur noch
zu wünfchen übrig, daß es ein Anlaß werde, in Deutfche.
land der Kraufefhen Philofopie eine Theilnahme zuzu⸗
wenben, wie fie durch bie der höchften Anerfennung wer⸗
then Beftrebungen von Ahrens in Brüffel derfelben im
Auslanbe geworben ift, und in Deutfchland, wo man
etwas wirklich Bedeutungsvolles am wenigften zu über
fehen pflegt, längft hätte werden follen. 35.
Die deutſchen Alpen. Ein Handbuch für Reifende durch
Tirol, Oftreich, Steiermark, Illyrien, Oberbaiern und
den anflogenden Gebiete. Bon Adolf Schaubad,
rei Jena, Frommann. 1845—46. Gr. 8,
4 Thlr. |
Nord» und Gübddeutfchland find wahrlich weit weniger
durch die Ratur als durch das Vorurtheil voneinander gefchier
den. Die Literatur aber hatte bis in bie neuefle Beit dieles
Borurtheil genährt und zu. misgünftigen Zwecken ausgebeutet.
Man bob immer nur Das hervor, worin fi Rord: und Suͤd⸗
beutfche auffallend und ſonderlich voneinander trennen, und
ignorirte abficätlich Alles, worin fie deutſch⸗ wefentlich überein»
im men. Die beiberfeitigen Eigenthümlichkeiten übertricb man
bis ind fchroffite Ertrem und gefiel fih dann in der Mäglichen
Einbildung, Rorb: und Süddeutſchland feien unvereinbare Ge:
Ber So war ed zulegt dahin gefommen, daB man gegen:
eitig nur fpöttif$ oder gar furchtſam nach Süden und Nor⸗
den blickte. Wie nachtheilig Died au in politifcher Hinficht
wirkte, iſt bekannt. Schon wollte der Wahn ſich geltend mar
hen, Nord» und Süddeutſchland müßten ſich felbflandig abger
fondert entwideln.
Diefer verderblihe Wahn ift, Gott fei Dank, in Dampf
aufgegangen, Nord» und Suͤddeutſchland eilen fi mit fürmie
ſcher Sehnſucht in die Arme und halten ſich, wie mit eifernen
Banden, feit umfcplungen. In diefer Umarmung lernen fie im⸗
mer mehr einfehen, daß fie eigentlih gar nicht getrennt wa⸗
ren, und wenden frommz=gläubig auf fih den Spruch an:
„Was Bott vereinigt bat, fol der Menſch nicht trennen.”
Den Rordländer zieht mehr und mehr die uralte Voͤlkerſehn⸗
fucht nad) Süden, und er erkennt freudig, daB ihm dieſer deut⸗
ſche Süden nicht fremd ift, daß es heimatliche Berge find, die
ihn in ihren Wunderkreis ziehen. In der poetifhen Welt Dies
feö Alpenparadieſes wird er ſich erft vollig feines deutſchen Ges
müth5 bewußt und lernt neeibei auch anerdennen, daß im Suͤ⸗
den doch auch noch andere üffe find als Bier, und daß dis
Sonne da nit völlig durch Jefuitenhüte verfinftert iſt. Der
Sübländer empfindet immer mehr Luft, aus feinem Naturtem⸗
pel heraus in Gegenden zu wandern, wo bie Menfchenfraft
um fo reicher erfheinen muß, je ärmer die Ratur if. Er
lernt den Werth Deffen anerdennen, was fich die deutfchen Brü:
der ber Ebene Feſtes und Hohes in ihren Sand gebaut. Er
bemerkt mit Freuden, daß der fübbeutfhe Mutterwig neben.
dem norbdeutfchen Sarkasmus doch Stand zu halten vermag,
dag in diefem Sarkasmus keineswegs dab beutfhe Herz zer⸗
fegt worden ift, und daß die norbdeutfche Grübelei au Man⸗
ches audgegrübelt hat, was das Leben gar jehr zu verfüßen
im Stand if. Kurz wer deutfchen Sinnes und Derzens if,
lernt einfehen, daß er „foweit die deutfche Bunge Flingt” über
au zu Haus umb bei den Seinen ifl, und je weiter er in dem
großen Deutſchland herumkommt, defto freubiger und ftolger
erhebt v 24 Bewußtfein, ein fo großes und reiches Vaͤter⸗
nd au haben.
In biefem Gefühle begrüßen wir daß. vorliegende Bert
als ein in wiflenfchaftlicher und politifcher Hinficht bed meh
Erzeugniß deutſcher Baterlandsliebe. in Sohn des fchönen
Thüringens, wo fi ſuͤd⸗ und nordheutfches Weſen fo wohl:
612
d berühren und einigen, tft in, den deutſchen Apen fo
— wie in der engern Heimat und ſchildert das herrliche
Hochland mit deutſcher Sinnigkeit und Liebe als den wunder
vollen Bottegarten der großen beutichen Heimat. Gewiß iſt
in diefem Wache in neuer Beit Fein Werk erfchienen, welches
in fo hohem Grade und im fehönften Sinne des Worts ein
deutfche® Nationalwerk ift und durch allgemeine Verbreitung
zu werden verdient. Der Luftreifende, der Geognoſt, ber Bo:
taniker, der Archaͤolog, der Hiftoriker, der Etnograph, der Ma⸗
ler, der Dichter, jeder wird in bdiefem Werke reihen Genuß
und reiche Belehrung, alle werden Begeifterung ber deutſchen
Baterlandsliebe finden. ,
Der ler wie der Marſchländer müflen dem wadern
Thüringer für diefes Gefchen? dankbar die Hand drüden. Ein
@übdeutfcher, aus ber geliebten Ulpenbeimat verbannt, bat eb
im hoben deutfchen. Rorden gelefen, und dabei in füßen Heim:
weh gefchwelgt. Sranı Schuſelka.
Notizen.
Englifhe Zuftände im 18. Jahrhundert.
Als Beitrag zur Kenntniß englifcher Zuftände und Sitten
im 18. Jahrhundert, befonder& in der vornehmen Welt, kann
folgendes Bud: „George Selwyn and his contemporaries;
‘ with memoirs and notes’, von John Deneage Jeſſe (4 Bde.,
London 1843 — 44) , betracgtet werden. Man lernt die Geiſt⸗
reihen und Witzigen, die Schönen -und die Staatsmaͤnner je:
ner Zeit und fo manches Andere darin Eennen. Wahrhaft Fo:
miſche Gemälde werden uns bier in Menge ausgeftellt. „Eine
von Selwyn's Eigenheiten”, fagt Iefle, „war die, nicht al-
lein jeden an ihn während feines langen Lebens gerichteten
Brief, fondern auch die unbedeutendften Bettelchen und unwich⸗
tigſten Memoranda aufzubewahren.” Diefer Eigenheit hat der
Lefer das Vergnügen zu verdanken, welches er aus der Lecture
diefer Bände fhöpft. Der größte Theil ihres Inhalts befteht
aus Briefen, welche von Perſonen, die zu jener Zeit, durch
Rang, Wis, Genie und feine Lebensart fi) außzeichneten, an
Selwyn gerichtet wurden. Unabhängig von ihrem allgemeinen
Berbienft als briefliche Eompofitionen glaubt der Herausgeber,
diefelben werden im boden Grade fehagbar und unterhaltend
befunden werden wegen bes Lichte, welches fie auf die Sitten
und Gebräuche der ſchoͤnen Gefellfchaft im legtvergangenen Jahr⸗
undert werfen und weil fie fowol eine trete Chronik der vor-
bergehenden Begebenheiten des Zags darbieten als eine Menge
amufanten Gefchwäges und munterer Anekdoten enthalten. Es
tft ein Buch für die elegante Welt, für die Salons gefchrieben,
wie die „Briefe eines Verſtorbenen“, die zu unferer Seit bei
einer gewiffen Elaffe von Lefern in Deutfchland fo vielen Bei⸗
fall gefunden haben. George Auguftus Selwyn trat in die
Welt mit jedem Bortheil der Geburt und vortbeilhafter Co⸗
nerionen; dazu Fam zu rechter Zeit ein gehörige Bermoͤgen.
Sein Bater, Oberft John Selwyn, von Magon in Glouceſter⸗
fire, wo die Familie zu den angefehenften in der Gegend ge:
hörte, war Adjutant des Herzogs. von Marlborough gewefen,
commanbdirte ein Regiment, faß viele Jahre im Parlament
und befleibete mehre Hofchargen. Gene Mutter, Tochter des
Generale Favrington, war Kammerfrau bei der Königin Ka:
roline, umd genoß viele Anfehen wegen ihrer wigigen und hu⸗
moriftifchen Laune. Da fein Bater ein fchlichter gewöhnlicher
Mann war, fo muß man annehmen, der Sohn habe feinen
witzigen Seift von feiner Mutter geerbt. Selwyn wurde am
Il. Auguft 1719 geboren und erhielt feine erfte gelehrte Bil:
dung zu Eton und ftudirte nachher zu Orford. Nachdem er
kurze Zeit auf der legtgenannten Univerfität zugebracht, ging
. er auf Reifen und machte nach feiner Ruüͤckkehr London. und
Paris zu feinem Lieblingsaufenthalt, wurde Mitglied des Clubs.
und Fam in Verbindung mit Männern von Geift, Witz und
feiner Welt. Bald bekam er auch eine Sinecure, wobei er
nichts weiter zu thun hatte als großen Diners beizuwohnen,
wobei er Gele enheit fand, mit feinem Witz zu glänzen. In
feinem 25. Jahre und nachdem er fidh fchon zu einem vollen»
deten Weltmann gebildet, fiel e8 ihm wieder ein, noch einmal
nach Drforb zu gehen, angebli um feine Studien fortzufegen,
woraus jedoch nichts geworben zu fein ſcheint. Der Vater von
George Selwyn ftarb 1751 und fo Fam Letzterer in feinem 32.
Jahre zur Erbfchaft und konnte dadurch von der Seit an noch
comfortabler und comme il faut leben. Beinen Umgang wählte
er in der feinften und vornehmften Geſellſchaft, in dee er we⸗
gen feines Wiged und feines Humors ſehr willlommen war.
Er war überhaupt weder um mäßig noch ausfchweifend, aber
genoß das Leben als ein Alles Hug berechnender Epikuraer.
it den geiftreichften, angefehenften und bochftehendften Per⸗
fonen feiner Beit ftand er in fleter Berührung. Was dem hier
erwähnten etwas zu corpulenten Buch das meifte Intereffe gibt,
ift daß wir aus demfelben auch feine bedeutendften Beitgenoffen
und ihr Leben und Zreiben kennen lernen. 31.
Ein Brief Luthers.
Dos Weihnachtsprogramm der Albertusslintverfität zu Königs-
berg theilt unter andern auf Luther's Tod bezüglichen Actenſtucken
das Facſimile eines Briefd mit, welchen derfelbe wenige Lage vor
feinem Berfcheiden an feine Gattin fihrieb. Das Driginal befindet
fi in der Wallenrodt’fchen Bibliothef und der Brief lautet:
„Der Ziefgelereten Brawen Katherin utperin meiner gnedigen
Hausfrawen zu Wi erg
Gnad und fried, Liebe Kethe. Wir figen bier und laſſen
ons martern. Und weren wol gern bauon. Uber e8 San noch
nicht fein (als mid duͤnkt) ynn adht tagen. SM. philippo magſtu
fagen, das er feine poſtill corrigire, denn er hat nicht verftan-
den warumb der Herr ym Euangelio, den reihthumb Dornen“
nennet.. Hie ift die fchule da man ſolchs verftehen lernt.”
(Luther war belanntlih nach Eisleben berufen, um die zwi:
fchen den Grafen von Mansfeld entftandenen Handel zu ſchlichten.)
„Aber mir gramwet das allewege, ynn der fihrift, den Dornen
das feuer gedrawet wird, darumb ich befto großer geduld habe,
ob ich mit Gottes hulffe mochte etwas guts ausrichten. Deine
Söhnchen find noch zu Mansfelt. Sonſt haben zu freffen und
fauffen gnug, vnd hätten gute tage, wenn ber verbrießlide
handel thet. Mich dunkt der Teuffel fpotte vunfer, Bott wolt
yhn wider fpotten. Bitte fur ons. Der Bote eilete feer.
Am &. Dorothen tag (6. Febr.) 1546.
" Martinus Luther, D.“
Die beiden andern, in derfelben Univerfitätöfchrift enthal-
tenen Actenftüde find „D. Iuftus Ionas Schreiben an Churf.
Johann Friedrichen, dat. zu Eisleben, Donnerftage nad Ba:
Ientini den 18. Februari 1546” und „Vom Chriſtlichen abſchied
aus dieſem tödtlichen Leben des Ehrwirdigen Herrn D. Mar:
ini Qutheri, bericht dur) D. Zuftum Jonam, M. Michaelem
Gelium, und ander die babei gewefen, kurz zufammen gezogen”.
Genügfamteit.
Friedrich II. Fam als Kronprinz im 3. 1735 nad) Könige:
berg, „da denn bie Zünfte derer Kaufleute fchlüffig wurden,
an Ihro Hoheit ein Memorial zu übergeben, darin felbige ihre
Befchwerden vorftelleten”. Unter den Yamilienpapieren des
Kauf: und Handeldmannes und Wettaffeffors Polikein, welcher
das Memorial verfaßte, hat fi auch die von Dem Kronprinzen
ertheilte Antwort vorgefunden. Sie lautet: „Ich banke —*
die mtr abgeftattete Gratulation, was aber Euer den Handel
betreffendes Suchen anlanget, fo ſehe . vor der Hand fein
Mittel, Euch zu helfen. Ich bin Euer affectionirter Friedrich.”
Man ſollte glauben, eine folde Antwort müßte Peine große
Freude bei den Bittftellern erregt haben; daß aber loyale Ge⸗
nügfamleit damals noch eine Tugend der Aönigkberger gewe-
fen, erfehen wir aus folgender handfchriftlicden Bemerkung des
Polikein: „Mit diefer erhaltenen Antwort waren die Zünfte
höchſt vergnügt, mir aber vor die Verfertigung und Über:
gabe dieſes Memorials fehr obligirt.” 13.
Berantwortlicher Herausgeber Heinrich Brodhans. — Drud und Verlag von F. M. Drockhaus in Leipzig.
Blatt er
«
. für
literariſche Unterhaltung.
3. Juni 1846.
Englifhes Schriftenthum.
I. -Skeiches of the histery of literature and learning in
land from the Norman eonquest to the accession of
Elisabeth, with specimens of the prineipel writers. By
Geo. C. Craik. Bwei Bände. London 1844.
9. Cyclopaedia of English literature, a history, critieal and
biographical of British authors from the earliest to the
present times.. Edited by Rob. Chambers. Zei Bände.
Edinburg 1844. Ä
Es find jegt 70 Jahre verfioffen, feit Warton mit
feiner „Gefchichte der englifhen Dichtung“ hervortrat,
und noch immer iſt biefelbe das einzige umfaffende und
größere Werk, in weichem man fich über das altenglifche
Schriftenthum Raths erholen Tann. - Nicht als wäre
Barton’ Wert von fo hoher Vortrefflichkeit, daß es
eine fo gar ſchwere Aufgabe fein würde, ed zu übertref⸗
fen; Warton fehlte ed weder an Gelehrſamkeit noch an
Geſchmack, aber befio mehr an Gruͤndlichkeit, obwol er
in allen feinen Unterſuchungen ſtets den Schein der-
felden anzunehmen trachtete. Sein Urtheil ift oft Nach
und unbegründet, feine Sprachkenntniß zu gering. Nicht
als wenn feit Warton nicht neue Entbedungen gemacht
worden wären; da ift faft kein noch fo bebeutenber Theil
des altenglifchen Schriftenthums, der feitdem nicht bear:
Beitet und über den dadurch nicht ein neues Licht ver-
breitet worden wäre; viele zu Warton's Zeit noch un-
bekannte, in Bücherfammlungen vergrabene Werke find
feitbem erſt befannt und alles früher Bekannte ifl einer
fhärfern Kritid unterworfen mworben. So ifl denn jegt
Warton's „Geſchichte der englifchen Dichtung” ein Werk,
das man nur mit der äufßerften Vorficht gebrauchen darf;
am nüglichften ift gegenwärtig noch die neue Auflage |
von Dr. Price (1824), in der mwenigftens ein Theil der
neuern Forfhungen nachgetragen if. Die. Zahl derjeni-
gen Werke aber, in denen ſich einzelne Kragen aus der
Gefchichte der englifchen Dichtung behandelt finden,
iſt fo überaus groß geworben, daß ſchon ein bloßer Leit-
faden durch diefelben eine bantenswerthe Arbeit zu nen-
nen wäre.
- In dem zuerfi genannten Buche wird und etwas
Derartiges geboten; es will eine kurze Anſicht alles Deffen
liefern, was die neuern Forſchungen in Bezug auf das
altenglifche Schriftenthum Neues und Wichtiges zu Tage
' erlangen wünfct.
lehrten dienen, indem es Erſterm bie wichtigften Ergeb⸗
niffe der Forſchungen in kurzem Abriſſe bietet und Leg-
term bie Quellen nachweift, aus denen weitere Belch-
rung zu fehöpfen ift; kurz, es will den Engländern ein
Koberftein werden. Bon diefem Gefihtspunfte aus an-
gefehen ift das Buch vortrefflih und ein ebenfo unent-
behrlicher als wohlfeiler Keitfaden für eben, der eine
genauere Kenntnif des alten Englands rückſichtlich fei-
ner vwiffenfchaftlichen und bichterifchen Beftrebungen zu
Schen wir uns etwas näher nad) dem Inhalte de
vorliegenden Buchs um. In ber Einleitung (S. 9—41)
behandelt der Verf. die Zeit vor der Eroberung durch
Normannen. Die angelfähfifhen Schriftwerke werben
bier ebenfo kurz ‚abgethan als bie gleichzeitigen ältern
Werke in itifcher, welfcher und Iateinifcher Sprache;
und dies mit vollem Rechte, denn das angelfächfifche
Schriftenthum ift, wie der Berf. fagt, nur eine unter
der Erde verborgene Wurzel, die mit dem Englifhen in
feiner fichtbaren Verbindung fteht. Gin fühlbarer Zu⸗
fammenhang findet flatt zwifchen der franzöfifchen und
der altenglifhen Dichtung; denn die aͤlteſte Dichtung
- ber Engländer nad) der Eroberung ift mehre Jahrhun-
berte hindurch nur Franzöſiſch, und die neuern Unter:
fuhungen namentlich. der Franzofen haben bewiefen,
daß ein großer Theil der nordfranzöfifchen Dichter bes
12. und 13. Jahrhunderts wirklich Engländer waren
und für englifche Lefer fehrieben. Nicht ganz beiflim-
men können wir dem Verf. in Dem, was er (©. 32)
über die angelfächfifhe Sprache fagt: | |
Was wir das AUngelfächfifche nennen, ſcheint gewähnlich von
dem Wolke, das es ſprach, die englifche Sprache (lingua Anglica)
genannt worden zu fein, ſchon von Beda an, vor deffen Beit
ereits die verfchiedenen Mundarten, welche die Angeln, Sad:
fen und Züten fprachen, als fie zuerſt heruͤberkamen, vollftändig
in wefentlich eine Sprache zufammengefcfmolgen waren, obwol
fie fiher in den verfchiebenen Iheilen bed Landes mit mund:
artlicher Verſchiedenheit nicht nur geſprochen, fondern auch ge:
fchrieben wurde.
Der Derf. hätte beffer jagen follen, Daß die verſchie⸗
denen Mundarten der Angeln, Sachen und Jüten ſchon
wefentlih eine Sprache waren als diefe Stämme her-
überfamen; wären fie dies nicht geweſen, fo würden wir
° gefördert haben; es will dem Gebildeten wie dem Ge | wol noch jegt in den englifhen Munbarten Beweiſe da-
3. B. zwiſchen dem Oberbeutfhen und dem Riederdeut⸗
fchen ſtattfindet, gibt es nirgend eine ſichere Spur. Der
Berf. foheint ferner fagen zu wollen, daß biefe Stämme
ſchon in fo früher Zeit eine Geſammtſprache angenom-
men und die Mundart ber Angehn dazu auserfehen Yät-
ten. Schwerlich dachten die einzelnen Stängme, fo lange
fie fih noch als befondere Stämme fühlten und nicht
zu einem Reiche vereinigt waren, daran, eine Gefammt-
fprache anzunehmen; wenn zu Beda's Zeit von der lin-
gua Anglica die Rebe ift, fo bedeutet dies ſicher nur
die Mundart der Angeln; Beda felbfi war ein NMorth-
umbrier und die Northumbrier find nach der „Sächſi⸗
hen Chronik“ ein Theil der Angeln. Durd das Über-
gewicht, was die Angeln in flaatlicher Berichung erlang-
ten, vermochten fie endlich auch, dem Lande und der
Zandeefprache ihren Namen zu geben, den aher die
Hohländer in Schottland und die Bewohner von Wa⸗
led bis auf den heutigen Zag noch nit durchgängig
anerfannt haben, die immer noch den Namen Sachſen
für die Engländer gebrauchen.
Das Wert felbft theilt der Verf. in vier Bücher,
‚Das erfte umfaßt die Zeit von der Eroberung bie zu
Anfang des 13. Jahrhunderts, dem Zeitpunfte, wo das
Engliſche zu entftehen anfing; das zweite führt ung bie
zu Chaucer; das dritte behambelt die großen Dichter des
14. Jahrhunderts und die erften Anfänge der Profa, und
das vierte ſchließt mit der Mitte des 16. Jahrhunderts ab.
Das erfte Buch hat es ausfchlieglid mit lateinifchen
und franzöfifchen Schriftwerken und mit dem Bildungs-
ftande der Normannen und der Angelfachfen im I1. und
12. Jahrhundert zu thun. Namentlich in legterer Hin-
ſicht ift viel Wichtiges mitgetheilt über den Einfluß ber
arabiſchen Gelchrfamkeit, über ſcholaſtiſche Philoſophie,
über Schulen und Univerfitäten, ben Stand der Wiffen⸗
ſchaften und über das Verhäaͤltniß der lateiniſchen, fran⸗
zöfifchen und angelfähfifchen Sprachen zueinander. Das
Lateinifche ift während bes größern Theile dieſes Zeit-
raums die Schriftſprache, das Franzöfifche die Sprache
des Hofes und ber Vornehmen, das Angelfächfifche be-
ſchraͤnkt ſich allmälig auf die niebern Stände bes ſächfi⸗
fen Volks: es hörte auf Schriftſprache zu fein und
lebte nur in den Volksmundarten fort. Das Wltengli-
ſche ſteht daher zur angelfächfiichen Schriftſprache kaum
in einem nähern Verhältniſſe als die romaniſchen Spra⸗
hen zum kateiniſchen; das Mittelglied bildet hier wie
dort die Volksſprache, bie lingua rustica.
Die ſchriftſtellexiſche Thätigkeit in England während
bes 11, und 12. Jahrhunderté war durchaus nicht un⸗
bedeutend. Es fallen in diefe Zeit die Philofophen John
of Salisbury und Peter von Blois (Petrne Blessencis),
die Berichts, Fa See reihe William pf an
mesbury und Geo of Monmonth, die franzoͤſiſchen
Zeitbũcher von Sr Fr und Benoit unb viele
andere Werke Ahnliher Art. Auch die erften Anfänge
franzöfifcher Romane finden ſich bersit# vor. Die Er⸗
» zeugniffe diefer Zeit, die lateiniſchen wie bie franzöftfchen,
| 014 .
von haben; aber von einer Lautverſchiebung wie fie |
haben auf die fpätere altenglifche Dichtung bedeutend
eingewirft und verdienen daher eine forgfältige Beach⸗
tung von Jedem, ber tiefer in die altenglifche Dichtung
einzudringen wünfcht.
(Die Fortſetzung folgt.)
.
Darftellung des Erzichungswefens im Zuſammenhange
mit der allgemeinen Gulturgefhichte. Von Emil An-
halt. Iena, Mauke. 1845. Gr. 8. 17’ Nor.
Daß die allgemeine Aufmerkſamkeit gegenwärtig in hohem
Grade auf das Erziehungsweſen gerichtet ift, —— on
auf einer befondern Vorllebe der Feitgenoffen für die paͤdage⸗
ifche Wiſſenſchaft ald aus andern Urfachen zu erklären fein.
jenn man einfimald von Rouſſeau begeiftert war, eine Meile
mit Baſedow fhwärmte, ſich weiterhin einer innigen Bemun-
derung Peſtalozzi's hingab und noch vor gehn Jahren pro und
contra Lorinfer papierene Schlachten lieferte, fo war es ein
unmitselbaues padagogifches Intereffe, weiches fih Für dieſe
Erſcheinungen Zund gab und fie in allen : Einzelheiten
ergriffs jegt aber hat das größere Publicum keinen Sinn mehr
für ſolche ſpecielle Dinge, und felbft wenn irgend ein fpeculati-
ver Kopf die abfonderlichfien paͤdagogiſchen Erfindungen machte,
etwa einen mechanifchen Apparat zur Verbreitung moralifher
und religiofer Empfindungen ankündigte oder ein Patent bar
auf naͤhme, Scheling's Dffenbarungsphilofophie Dem gefunden
Berftande zugänglich) zu machen, fo würbe ſich DaB Tagesge⸗
ſpräch doch nur vorubergebend damit befchäftigen; dergleichen
Sachen haben ihre Anziehungskraft verloren, denn es handelt
fi) jezt weit weniger um diefe oder jene technifche Bervol⸗
fommnung der Bildungsmittel als um die Gefinnung, weide
man der heranwachſenden Generation einpflanzen möchte; nit
mehr um die Urt, wie die jugendlichen Köpfe mit allerlä
Kenntniffen zu füllen find, fondern um die Ei begung oe
— des Geiſtes, um die Concentration und Richtung
des Gefühle auf Das, was den Erziehern, freilich in fehr ver»
fyiebenem Sinne, al& be Aufgabe Der Zeit vorſchwebt. Eo
jenen wir die entgegengefegten Parteien, Eiberale und Eervile,
eifrig um Dielen Gegenfland kaͤmpfen; ftatt fh jedoch über
Humanismus, Realismus u. |. w. herumzuzanken, find fie viels
mehr beftrebt, fich der ganzen Sugendbildung zu bemädtigen,
diefelbe ihren Zwecken dienſtbar gu machen, d. b. aus den
nahen folche Mönner zu erziehen, die deseinft für die Freb⸗
beit wirken oder fich Der Knechtſchaft willig fügen werben.
Nur wegen des genauen Zuſammenhangs, in welden die
vorherrſchenden politiiden Intereffen mit dem Erziehungsweſen
etreten find, werden die neuen Einrichtungen in fegterm mit
0 großer Theilnahme beachtet; kaum ergeht baber eine neue
Veroxdnung über Bepranfialten, fo wird fie. im FR ne eiaer
lebhaften Discuffien unterworfen, auf das ſchä zergliebert,
vornehmlich aber ihre politifche Tendenz bloßgelegt. ifpiefe
hierfür in Menge darbieten; wir erinnern nur an
iniſter Salvandy (als Zugeſtändniß an den roͤm⸗
fihen Stuhl) betriebene Ungeſtaltung ded Univerfitätsregges, die
in Dftveich gefchehene Übertragung des Unterrichts an die Je⸗
fuiten, die in Preußen verorbnete (nur wenig ge Ausführung
gelommene) Einführung der converfatorifhen Methode auf den
niverfitäten, die ebendafelbit
tigkeit
65
nahme der weitern Kreiſe findet, ſondern nur infofern als die
uf baffelbe unternommenen Einwirkungen eine politiihe Wich⸗
aben. Wenn fih nun dad öffentliche Urtheil über alle
felche Reuerungen an die Frage hält, ob diefelben dem Port-
ſchritte günftig find oder als Mittel für die Zwecke der Reac⸗
% darf man dem gefunden Sinne ded Volks vers
tion dienen, I
trauen, daß diefe Frage größtentheild richtig von ihm beant:
wortet wird. Will man aber den ſchlichten Menfchenverftand
allein nicht für befähigt crachten, Bier zu richten, verlangt
man wiffenfihaftliche Degründungen, fo Bann die Kritik des
Beftehenden und Werdenden entweder mit dem fogenannten
modernen unmittelbaren Bewußtfein vollbracht werden ober,
Id auf aefchichtliche Forfhung flügend, Dahin traten, die
ergangenheit Mar anzufhauen, ihre Entwickelung zur Gegen
wart zu verfolgen und hieraus das Weſen und die Foderungen
des letztern zu erfaflen. Diefe biftecife Behandlung hat frei:
lih mehr Unbequemlichkeit ald die Dperation des unmittel:
baren Bewußtſeins; dafür hat fie aber auch einen feftern Bo⸗
ten ımd es läßt fi ſchon cher ein brauchbares Gebäude dar:
auf errichten. '
Bon diefer Anficht ausgehend, erfcheint uns bie vorliegende,
mit gediegener Geſchichtskenntniß und pbitofophilisen eifte
serfüßte „„Darftellung des Erziehungswefens im Zuſammenhange
mit der allgemeinen Eulturgefhichte” eirier vorzuͤglichen Beach⸗
tung werth. Klare und ruhige Anſchauung der Berhältniffe
führt bier zu einem fidhern ee über die. Hiftorifchen Ge .
ſtaltungen, und indem der Derf. den pädagogiichen Geift der
verfchiedenen Voͤlker und Zeitalter vorführt, maht er es der
Gegenwart leicht, zu ermitteln, inwieweit ihre Erziehungsten⸗
denzen mit dem orientalifchen, griechiſchen, römijchen oder mit:
telalterlihen Wefen verwandt find. Der Nutzen joldher Er
Eenntniß liegt zu fehr auf der Hand, als daß wir erft noͤthig
hätten, ihn nachzuweifen, und fchon um Diefes Nutzens willen
verdient die Schrift des Hrn. Dr. Anhalt von recht Vielen
gelefen zu werben. |
Der Berf. beginnt mit der Wiege der. Menfchheit, dem
Drient. Hier ift die menſchliche Entwidelung über - eine
wiffe, ſchon vor vielen Jahrhunderten erreichte Stufe nieht Gin
auögefommen ; bie orientaliſche Cultur if trog ihrer Pracht
und ihres Reichthums eine wenn. nicht geifllofe, doch geiftig
unfreie, und ihr Charakter beſteht mehr oder minder darin,
daß das Individuum als ſolches nicht berechtigt iſt, Sich nicht
felbft beftimmen, nicht frei handeln kann. Am ftörffien tritt
dieſer Charakter in Brahmaismus bervor, unter welchem das
Individuum feinm Stand und feine Beſchäftigung nicht fſelbſt
wählt, fondern zu Diefem oder Ienem naturbeftimmt ift und
durch feine Geburt einer Kae angehöst.. Wenden wis ins
von ba zu den Ehinefen, fo finden wir als Gegenſtand ihrer
Verehrung die Zweckmaͤßigkeit und Regelmaͤßigktit in des Ra⸗
tureinrichtung, den Berfland der Natur. Ale der Himmei
if pi bie Geſetzmaͤßigkeit der Natur im Allgemeinen; biefe
muß au
ins Kleinfte beſtinunt und nichts dem Zufalle über
den; bdeöhalb hat der Himmel einen irdiſchen Statthalter und
Berwalter, den Sohn des Himmels, den Kaifer. Der Kater
ift der eigentliche Gott auf Erden, er ordnet die menſchlichen
Einrichtungen und gibt vortreffliche, Alles berüciichtigende Ge
fege, die durch eine GStufenfolge von unzähligen Beamten ge
bandhabt werden, ſodaß nichts geſchehen kann, was nicht vor:
hergeſehen und beftigums waͤre. Dex Kaiſer if bie Vorſehung
jelbft und deshalb ift auch das Vertrauen auf ihn grenzenias.
In der That kann. 48 nizgend eine georbnetsze Bermältung,
eine beſſere Policei geben alß in China. Das Migenthe
des chinefifchen Bewußtſeins iſt, daß es fig nur frei füͤhlt, wo
eB ih innerhalb genau beſti B ifien und
bewegt. Die Individuen ſind nicht beſinnnt in ſich, fie laſſen
ſich Daher zu un beſtimmen. Der
ften in einer Beichäftigung, weiche die genaueſte, Bleinfichfk
Aufmerkſamkeit verlangt, worin er Sch felbft am meiſten äufen
| bed Volle ericheint als Wille und Leit
| ſehr das jüdifche Votk fein Lieblingsvolk iſt, jo ftcht es doch
4 im Einzelnen gehandhabt werden, ed muß les kb
faflen wer |
ineje ift am glüdliche .
lich und in feiner Thaͤtigkeit am puͤnktlichflen De
Darym iind Die Chinefen fo groß im ‚Kleinen und überkse en
die Burepäer in mechanischer Gaſchicklichkeit und feiner Arbeit.
Während die indiſche Anſchauung im Buddhaismus und
im Ghinefenthume zu größerer Abſtraction fortgeführt iſt, ſo
erſcheint in der Zoroaſter'ſchen Lehre bie Einheit und Unenb⸗
lichkeit. der Katurſubſtanz aufgehoben und ihre Macht über das
Individuum in etwas gebrochen. Bier fichen Ach das gute
und dad böfe Yrincip gegenüber; ihr Kampf bewegt die Weit,
aber Drmuzd wird zuleht firgen. Der Menſch iſt in Diefen
Kampf hineingeſtellt, um das Princip Des Lichte, Des Meinen " .
und Guten zu fördern, bem Böfen und Schäblihen Abbruch
u thun. Dad Inbisibuum gewinnt alfo Hier einen objectiven
Zweck und einen formel freien Willen: es fol ſich felbft zum
Buten befiimmen. Agypten ift durch feine natürliche Beſchaf—
fenbeit, als ein enges, ſchlammiges, regelmäßigen Überfihwen-
mungen audgefehtes, von öden Gebirgen und brennenden Wü⸗
ſten begrenztes Flußthal, geeignet, die Raturagfhaumg zu
contentriren. Die Goͤtter werden menſchlicher und perſoͤnlicher
gefaßtz der Menſch weiß ſich in und über ber NRatur, aber
j wicht ihe gegenüber. Der Geift bat noch nicht die Macht fh
durch ſich ſelbſt darzuſtellen, weil er zwar aus der Natur ent
wickelt, aber nicht von ihr erloͤſt if. Im Judenthum erfcheint
bie Gottheit ala das Zenfeit der Natur. Die Ratur ift für
Zehovah nur Schmud, der Himmel fein Ihren, die Erde fer
ner Fuͤße Schemel, oder fie ıft Mittel für feine Bwede. Der
Zweck Jehovah's aber ift das jüdifche Volk; er iſt der Gott
Iſraels und leitet und regiert fein Volk, um 28 einft zu großer
Herrlichkeit und zur Herrſchaft über "die Völker der Erde zu
führen. Das bite Bolt ift demnach das Volk der Hoffnung.
Es iſt an ſich das Volt, das einzige Boll, weil es allen fein
Volksthum als das Abfolute fait, es hat folglich die Wendenz, -
ale andern Volksthümlichkeiten zu negiren. Die Entwidelung
Jehovah's; aber fo
su ihm in Beinem freien Berhältniffe, fondern: im firengm -
Knechtsdienſt.
—Alles Dies zuſammengefaßt liegt es im Charakter der
orientaliſchen Erziehung, daß von einer Ausbildung der Indi⸗
viduen als ſolcher zu geiſtigen Beſtimmtheiten wenig oder gar
nicht die Mebe fein kann. Die Individualität iſt überhaupt no
nicht zur Berechtigung und Unerfennung gefommen. Die Be
fiimmung des Individuums ift eine äußerliche, die ihm eines⸗
theils durch ben Zufall der Bebunt, anderntheils durch Abridge
tung gegeben wird. Die Stabilität der orientaliſchen Cultur
bat darin ifeen Grund, daß das orientaliſche Bewußtſein ſich
ſelbſt an die Matur veräußert hat; und aus ſich ſelbſt if
— freien: Entwirkelung fähig, fo lange diefe Beräußerung
er ‘
Während im Driemt der Geiſt in die RNaturſubſtanz ver»
fenft bleibt, oder ſich hoͤchſtens als das abfiracte Jenſeit ber
Roter erfaßt, erſcheint er im Griechenthum von der Ratur
estöft und fuel, Aber.fo, daB er die lebendige Beziehung auf
* Natur Me 35 nn nd jede he BE
immtheit, j o eit in der eit der anz Um
ter; der Grieche dagegen erfaßt ſchatf und feinſinnig die Ras
turunterfihiede, und erſt bie Beftimmtheit, die abgeſchloſſene
und ausgeprägte Griftenz iſt ihm die Sirklichkeit des Geiſtes
Dei dem Griechen, der ſich Dem macht was er ifl, war
die Erziehung ein wichtiger Seit des öffentlichen Lebens, und
wol ift fie bei feinem andern Voike in gleider Weiſe Gegen⸗
fand ded allgemeinen Intereffe, fo wahrhefte Volksſache ge-
wem. In dem Staate, der die eine Seite des eigen
Lebens, die fireng » fittliche Seſchloſſenheit und das’. Aufzg
der Einzelnen im Staatezwecke vorzüglich vertritt, in Sparta,
war die Erziehung range und allen Sache des Etacts.
Die griechiſche Erziebung, infofern fie bie Herandifdung ber
Individualität zum Zwecke hat, zerfällt bekanntlich in Die mig
fiiche und gymmaſtiſche. Die. Beſtimmung und Bebdeutung des
ſtaltung, feine
616
riechiſchen Bolksgeiſtes beftend darin, die Natürlichkeit zu
Setalten und ya Dergeifigen 3 aber diefe Pre des
Ratürlichen ift Feine abftrarte Regatien, keine Berniptung
deffelben, fie ift vielmehr zunaͤchſt ein liebendes und finniges
‚Eingehen auf daffelbe, die — an der Natur. Die natur⸗
freudige, lebendige Sinnlichkeit iſt es, welche die Anfaͤnge des
griechifchen Lebens wie ein erfriſchender Haud bed anbtedpeft:
den Morgens umweht. Auf Ausbildung eines Bräftig- ſchoͤnen
Körpers dur die Gymnafit wurde ein abfoluter Werth ge-
Segt. Die Kräftigung, die der Körper dur Arbeit und
r“ f erhält, ift Fine zufällige und, weil nicht bevechnete und
beabfichtigte, auch meiflens eine einfeitige. Diefe Einſeitigkeit
* auch — ben, dof die arbeitende Thaͤtigkeit auf einen
Seftimmten äußerlihen Zweck gerichtet if. Indem hingegen
die Gymnaftil die Kräftigung des Leides als eines Ganzen
anfirebt, wird zugleich die Form beifelben alfeitig herausge⸗
Bidet. Hierin liegt zugleich der Übergang zu dem zweiten
Momente ded gynmaſtiſchen Unterrichts. Der Körper foll, fe
wie feine und Formen entfaltet werden, in biefer Ent:
faltung doch als ein Ganges und in barmonifcher Einheit er-
ſcheinen, die entwickelte Fülle der Natürlichkeit foll durch an⸗
mutbige Haltung gemäßigt und beherriht werden. Sing nun
aber die Gymnaſtik kavon aus, im @egenfage zur Arbeit, die
Bewegung um ihrer felbft willen zu üden, Gpiel zu fein, fo
liegt darin, daß fie zur Selbſtbeherrſchung ober bapin führt,
daß man den Körper in feiner Gewalt bat, bie Hindeutung
auf die Zwecke, die außerhalb der Gphäre des Unterrichts lie:
gen. Denn ferner war bie Gymnaſtik vorbereitend fir das
Sehen. Der Körper fol nicht nur deshalb gekraͤftigt und zur
Anmuth und Würde der Haltung gebildet werden, um eine
fchöne und befriedigende Erfheinung dargubieten, er fol auch
. dadurch für die Foderungen des Lebens, d. h. hier der öffent:
lichen Thaͤtigkeit, tüchtig gemacht werden. Den mufifchen Un⸗
terricht kann man zwar im Allgemeinen als den bezeichnen,
welcher fih auf die Seele bezieht, während fich die Gymnaſtik
ben Körper beſchaͤftigt Daß aber der Segenſatz zwiſchen
Leib und Seele ein abftracter und flarrer ift, liegt durchaus
im Wefen bes griechiſchen Beiftes, und fo wird man aud in
Bezug auf die Erziehung an keine gleichgültig nebeneinander
laufende abgefonderte Wusbildung der Seele einer: und des
Leibes andererfeits zu denken haben. Nach Plato foü die Gym⸗
maftit die Seele ermuthigen und fräftigen, ber muflfche Unter:
richt fle Dagegen mildern und fänftigen. Ohne die Gymnaſtik,
meint er, würde die Seele in Weichlichkeit verſinken, ohne den
muſiſchen Unterricht verrohen. Dex erfte Zweck der griechifchen
Erzichung ift, daß der Menſch, dem gemeinen Beburfniß, der
gemeinen Luft enthoben, zu einem edeln &elbftbewußtfein, ei⸗
nem fchönen Stolze gelangt; der zweite, daß er, der vollendete
Menſch, feine —** Aufgabe darin ſieht, Buͤrger zu ſein, daß
er an der Verwirklichung und Geſtaltung ber Idee feines Staats
felbſtthaͤtig und aufopfernd Theil nimmt. u Bu
Im Begenfag des Sriechiſchen ift ber roͤmiſche Geift Fi
naͤchſt praftii, d. h. nicht auf feine eigene Anfhauung in Ge:
ideede Erfaſſung und Darftellung, fondern auf
feine kräftige und wirffame Bethätigung nad außen gerichtet.
Während den Griechen die Schönheit dad Höchſte und nicht
nur die Wufgabe ihrer Kunft, fondern auch ihrer Erziehung
und ihres Staatslebens ift, infofeen das legtere die fyöne Ge⸗
ftaltung der Volksthümlichkeiten bezweckt, ift das roͤmiſche Prin-
ip der Rugen. Dem griechiſchen Weſen iſt bei aller Lebendig⸗
keit eine ruhige Klarheit, dem roͤmiſchen ein raſtloſes unermuͤd⸗
lies Streben eigen. Charakteriſtiſch für Rom ift fein Erobe⸗
rungägeift, fein ſcharfer praktiſcher Verſtand und feine uner⸗
mübdliche Billensenergie. Gegenſtand der hoͤhern Erziehung iſt
die vebnerifche und kriegeriſche Ausbildung; dabei bemaͤchti
fich der Römer der griechifchen Bildung dadurch, daß er ihr
die ihm allgemein veritändliche und verfländige Form gibt; ein
Product hiervon iſt die eigenthuͤmliche roͤmiſche Eleganz und
thums gerichteten roͤmiſchen Geiftes erfcheint Cicero. Spaͤter⸗
bin tritt der gelehrte Charakter der römifchen Bildung immer
mehr hervor und je weiter Die Auflöfung der römiſchen Bil⸗
dung als volksthuͤmlich beftimmter vorfchreitet, um fo mehr
entwickelt ſich ihr innerſtes Weſen: Humanität, die nach Seite
des Wiſſens Bielſeitigkeit, nach Seite der Form Eleganz und nach
Seite der Geſinnung Anerkennung des Menſchlichen als ſolchen iſt
An die Stelle des fich aufloͤſenden und in ſich zerfallenden
Römerthums treten das Chriſtenthum und das Germanenthum
als die beiden Hauptfactoren des Mittelaltere. Das germani-
fhe Beben beginnt Damit, womit das römifche aufhört, mit der
abfoluten Berechtigung der Perfönlichkeit.
In Peiner Zeit hat man fo viel vom chriſtlich⸗ germani-
ſchen Staate geſprochen und doch dürfte eine klare Vorſtellung
von demfelben nicht hinreihend verbreitet fein. Die beiden
Seiten des germanifchen Lebens find da8 Gemeinde» und Be:
leitewefen. Db das Gemeindeweien in feiner Selbftäntigkeit
und mit feinen Garantien für bie Unabhängigkeit der Einzel
nen das Ideal ift, welches die heutigen Lobredner des chriſtlich
germanifhen Staats im Auge haben, laffen wir unerörtert;
fiherlih hat für Viele derfelben Das Geleiteweſen einen höhern
Werth; in ihm iſt eine ausgezeichnete Perfönlicgkeit der Mittel:
punft des „Geſindes“, und die Dienftmannen haben ihre Frei:
heit und ihre Ehre in der freien Hingabe an ihren Führer zu
fuhen. Während ſich alfo im Gemeindewefen der Zrog und
die Unabhängigkeit, fpricht fi im. Geleitethum die Treue und
Innigkeit des beutfhen Gemuͤths aus. Dort macht fich die
Perfonlichkeit in dem Stolze der Selbfländigkeit geltend, bier
ift Die unbedingte Unerfennung des Andern Die eigene 1
digung. Wenn fonach die Hauptelemente des germaniichen Le⸗
bend miteinander in Widerſpruch fteben, fo kommt noch ein
Drittes hinzu, das diefen Widerfpruch je nach den Umflänten
bald hebt, bald verfchärft: die Kirche, deren Haupt und Diener
die wichtigften Traͤger der mittelalterlihen Bildung find. Die
Macht der Kirche im weltlichen oder vielmehr über dem welt:
ligen Staate, ein Minimum von Gemeindewefen, ein Mari:
mum von Geleitetbum, das tft eine Art von chriftlich » germa-
nifhem Staat, wie er in neuefter Zeit von Manchem wieder
erneuert und, mit einer ausreichenden Dofis Chineſenthum ver:
fegt, der Welt zum Gefchen? gegeben werden möchte. Ber
aber den Zweck will, muß auch die Mittel wollen; daher fieht
man auch bin und wieder im Ersiehungswefen die entiprechen:
den Mufter aus dem Mittelalter für die Jetztzeit hervorſuchen,
aͤußerlich zwar etwas modernijirt, innerlich aber für die Zu:
rüdführung des Geleiteweiens und der Kirchenherrfchaft vol
tommen geeignet.
Wir bedauern bei der zweiten Hälfte ded Buchs, die
neuere Belt betreffend, abbrechen zu müflen; namentlich hätten
wir gern noch bed Verf. treffende Bemerkungen über die phi⸗
Lofophifchen und paͤdagogiſchen Hauptperfonen des 18. Jahr⸗
hunderts beſprochen. Doch glauben wir in dem Vorſtehenden
genügend angedeutet zu haben, wie fehr diefe an Belehrung
und Anregung reihe Schrift die Aufmerkfamkeit aller Derer
verdient, welche fich für Gufturgefchichte und Erziehungsweſen
intereffiren. 13.
Literarifche Rotiz aus Franfreid.
Reifewerte.
Die auf das ylänzendfte ausgeftattete —— — von
Boiſſier („Voyagse botanique dans le midi de ’Kspagne”) iſt
vor kurzem mit der 22. RKieferung zum Wbfi gediehen.
Wenngleich bie rein wiffenfchaftliche Salt eine eigentfiche
Beſprechung diefer Exrfheinung in d. BL. unftatthaft macht, fo
wollen wir doch dieſes ebenfo umfaflende als werthvolle Wert
wenigftens im Borübergehen erwähnen. Ben allgemeinem In⸗
tereffe ift Die „Voyage dans l’inde et dans le golfe persigque par
l’Egypte et la mer Rouge’, von Fontanier. Vom erfien Bande
» ab wichtigfter Vertreter des auf Werarbeitung des Kelenen- | haben deutſche Blätter bereits Auszuͤge gegeben. 1.
Werantroortliher Herausgeber: Heinrich Brockdans. — Drud und Verlag von J. . Brockhans in Leipzig.
\
L [|
Blatter
fur
literarifde Un ter haltung.
Donnerdtag,
— Nr. 199. ——
4. Juni 1846.
Engliſches Schriftenthum.
(BSortſegung aus Ne. 154.)
Das zweite Buch bringt die franzöfifche oder viel-
mehr englifch - franzöfifche (anglo -norman) Dichtung ded
13. und 14. Jahrhunderts und die Anfänge englifcher
Dichtung. Der Verf. zeigt fehr richtig das große Uber⸗
gewicht, das das Franzöfıfhe in England gewonnen
hatte, und wie ed namentlicd, ſtaatliche Verhältniffe wa⸗
ren, die die Abfchaffung des Franzöfifchen und die Ein-
führung des Englifchen in Parlament und Gericht, in
Schule und Kirche zu Folge hatten. Doch geht er je-
denfall® zu weit, wenn er (S. 184) fagt:
Das Franzöjifhe war in Higden’s Zeit noch die Sprache,
welche Die Kinder der Vornehmen von der Wiege an lernten,
und die einzige, welche Knaben in der Schule fprechen durf:
ten; die Folge daven war, daß fogar das Landvolk fie allge:
mein verfland und zu gebrauchen ftrebte.
Das Landvolk hat ficher nie mehr als einzelne fran-
zöftfche Wörter .veritanden, wie der Verf. jchon aus dem
Geſetze über die Einführung der englifchen Sprache, das
er (5. 185) mitteilt, hätte erjehen können. In diefem
ift deutlich gefagt, daß dies Gefeg gegeben wurde,
weil ed dem Könige oft von den Geiftlihen, Derzögen, Gras
fen, Baronen und von den Gemeinen gezeigt wird, was für
großes Unglück Manchem in Ddiefem Neiche zuftößt, weil Die
Geſetze, Gewohnheiten nnd Befehle diefes Reichs nicht allge⸗
mein gehalten werden, darum daß fie in der franzoͤſſchen Sprache
geführt, gezeigt und gerichtet werden, welche im genannten
Meiche fehr unbekannt ift, ſodaß das Wolf, das Klage führt
oder beklagt wird, in des Königs Gerichtshof Beine Kenntniß
oder Verftändniß von Dem hat, was ihre Advocaten für oder
gegen fie fprechen.
Wird fo auf einer Seite der Einfluß des Franzöfı-
fchen übertrieben, fo leugnet der Verf. dagegen auf ©. 200
die Einwirkung des Franzöftfchen auf die Geftaltung der
englifhen Sprade in Rüdficht auf Form und Verbin:
dung. Daß diefe Einwirkung nicht eben bedeutend war,
ift wol entfchieden; aber abgefehen von ber Einwirkung
des Franzöfifhen auf die Ausfprache (namentlich hin»
fihtli der Verwandlung der Kehllaute in Zifchlaute),
die gar nicht wegzuleugnen tft, braucht man nur auf
die Stellung des englifchen Zeitworts in Vergleich mit
der Stellung der angelſächſiſchen und deutſchen Zeitwör-
ter binzudeuten, um zu beweifen, daß das Franzoͤſiſche
allerdings ſowol auf die Form der einzelnen Wörter als
auf die Sagverbindung einwirkte.
Bon der Mitte des 13. Zahrhunderts an erhalten
wir bereits einige ziemlich bedeutende Werke in englifcher
Sprache, namentlich Romane, fämmtlich nach dem Fran-
zöftfchen bearbeitet, und Zeitbücher. Won da an mehrt
fih die Zahl der englifchen Schriftfieller wie die ber.
franzöfifehen fi verminderte. Dichterifhen Werth darf
man in den Erftlingserzeugniffen des englifhen Schrif-
tenthums nicht fuchen, felbft ihr Stil ift fehr roh und
fid) in allen diefen Romanen fo ähnlich, dag man, wenn ,
die Sprahformen nicht verfchieden wären, man fie alle
für das Werk eines Verfaſſers halten könnte. Das
erfie bedeutendere Werk ift die fogenannte „Vision of
Pierce Ploughman‘‘ oder wie e8 wol heißen follte, „The
vision‘ of William‘, deſſen Werfaffer wahrfcheinlih ein
Minh William Langland um 1370 war; alfo etwa in
berfelben Zeit, in der Chaucer und Gower zu dichten
begannen. Es befteht aus. 14,696 Halbverfen ohne Reim,
aber mit Anklängen, deren auf eine Rangzeile von 3—6
kommen, alfo ohne Befolgung des alten Geſetzes rück⸗
ſichtlich des Anklangs. Das Versmaß kennt gleich dem
ältern deutſchen nur Hebungen und Senkungen, ohne
die Sylben zu zaͤhlen. Indeſſen findet hinſichtlich der
Zahl der Senkungen und des Vorſchlages kein beſtimm⸗
tes Geſetz ſtatt; der Dichter nimmt ſich beiweitem größere
Freiheiten als in unſerer mittelhochdeutſchen Dichtung
geſtattet ſind.
Langland's Gedicht iſt von hohem Werthe nach In-
halt und Sprache; doch kann es als Dichtwerk in kei⸗
ner Hinſicht einen Vergleich mit Chaucer aushalten, deſ⸗
ſen Anſpruch, der erſte große engliſche Dichter und der
Vater der engliſchen Dichtung zu ſein, ſo ziemlich un⸗
beſtritten iſt. Ihm iſt ein ziemlich langer Abſchnitt des
dritten Buchs (II, O—90) gewidmet, den wir hier etwas
ausführlicher befprechen wollen. .
Herr Craik ift ein eifeender Verehrer Chaucer’3 und
ſpricht fih über feine Dichtergröße in fo bewundernder
und entfchiedener Weiſe aus, dag wol felbft Diejenigen,
welche fehr günflige Meinung von diefem Dichter ha⸗
ben — und zu dieſen wünfcht der Beurtheiler gerechnet
zu werden —, ihm nicht ganz beiftimmen werden.
-
618
Die Dichtung Chaucer's ift in allen weſentlichſten Be:
ziehungen fo grün und friſch al& irgend eine andere in unſe⸗
ter Sprache. Wir haben einige erhabenere Dichtungen, die
mehr das Wefen einer Offenbarung oder einer Stimme aus
einer andern Welt haben: wir haben Beine, in welcher ein uͤp⸗
pigerer und Träftigerer Lebensgeift, ein wahrerer und vollerer
Dichterſinn — *— Er may, in anderm Sinne, Bacen's
Bemerkung beftäligen, daß, was wir gewöhnlich Alterthum
n der That die Jugend der Welt war: feine Dich:
tung foheint einer Zeit anzugehören, wo das Menfchengefhlecht
jünger und freudiger war als jegt. Ohne Zweifel hatte er
darin Vortheil, daB er der erfte große Dichter feines Landes
war. In diefer Stellung fteht cr gewiffermaßen zwifchen je:
dem feiner Nachfolger und der Ratur. Der Vater des Saͤn⸗
gerthums eines Vocks wird nothwendiger:, wenn aud unbe:
wußterweife von Allen, die nah ihm fommen, gleihfam als
ein Theil der Ratur betrachtet, als Einer, deffen Dichtungen
nicht fowol der Widerhall der Natur als ihre eigene lebendige
Stimme ſind und einen ebenfo urfprünglichen und göttlichen
Geiſt als Die Muſik ihrer flieienden Bäche und der in Blät:
tern raufhenden Winde in ſich tragen. Wu fehlt es nicht
an Grünner für folde Abgötterei. Gr allein hat frifchweg
mit der Natur verkehrt und ohne Dolmetfcher, er allein bat
den Glanz ibred Antlige® unverfchleiert gefehen und ihr voll:
kommenes Bild in feinem Herzen aufgefangen, — Chaucer if
der Homer dieſes Landes, nicht nur, weil er ber frübefte feiner
Dieter war, jondern auch, weil er noch einer feiner größten
iR. Die Kamen Gpencer, Shalfpeare und Milton find Die
eingigen in der engliſchen Dichtung, die auf diefelbe Stufe mit
ihm geftellt werben fünmen.
Uber Chauter's Leben find nur wenige Worte ge-
fagt; deſto ausführlicher behandelt ber Verf. den Bers-
bau bei Chaucer, der Beranlaffung zu langem, leider
unnügem Streite gegeben hat; denn die jhärffte Unter-
fuhung, wenn fie fonft unbefangen ift, fann hier nichts
Neues entdecken, und die Meinung, weiche Tyrrwhitt vor
10 Jahren darüber aufftellte, muß alles Wiberſpruchs
ungeachtet noch immer gelten.
Der Unterzeichnete muß geftehen, baß er von einem fo
entſchiedenen Bereunderer Chaucer's die Behauptung nicht
erwartet hätte, die Herr Erait (5.47 fg.) aufftelit, daß
Chaucer nicht nad ber —— Annahme unmit⸗
telbar aus italieniſchen ellen ſchöpfte, fondern nicht
einmal Italieniſch verſtand. Hören wir zuerſt, ans wel⸗
chen Gruͤnden Chaucer's Kenntniß des Italieniſchen ge⸗
leugnet wird. Chaucer ſpreche in ber Erzählung des
Riiters und im „Troius. and Cressida”, die ſich am
nächſten an Boneariio’8 „Teseide” unb „Filostrato
anfchlöffen, nie von Boccaccio (beiläufig gefagt, bat
er Boceaccie’® Ramen nie in feinen iften genannt),
fondern bekenne, die erftere Erzaͤhlung nach „alten Buͤ⸗
chern“, die zweite nad einem lateinifchen Schriftfteller,
den er Lollius nennt, gearbeitet zu haben. Wir wiffen
nicht, wer dieſer Lollius mar und was er fehrieb; aber
darum bürften wir nit annehmen, daß unter Lollins
Boetaecio und unter Lateiniſch Italieniſch zu verftehen fei.
Tyrrwhitt behaupte, daß eine Anzahl Stellen in Ehaucer’s
„Troilus and Cresside’ faft wörtlich übertragen feien, aber
ee müffe zugefichen, daß barin and; &tellen find, weiche
fih in Boecattions „Filostrate“ nicht finden. (BYolglich,
meint wol ber Verfaſſer, hebt fich das) Die bekannte
Stelle in der Ginteltung zu bes Gelehrten Erzählung,
nennen,
wo Chaucer angibt, daß er die Erzaͤhlung von Griſelda
von Petrarca zu Padua gelernt habe, wird fo erläu-
tert, daB ihm Petrarca biefelbe mündlich in lateinifcher
Sprache mitgetheilt habe. Den vierten Grund nimmt
er von Bir Harris Nicolas, dem neueften Lebensbe-
fchreiber
e und franzäfifche Wörter, aber nie itafteni-
fhe. Dies find die Gründe für Chaucer's Nichtkennt⸗
niß des Jtalienifhen. Der Lefer wird mir hoffentlich
die Widerlegung diefer ſchwachen Gründe erlaffen, wenn
ih ihm Beweife für Chaucer's Kenntnif des Ztalieni-
fhen vorbringe. Sir Harris Nicofag und Herr Craik
haben eine gute Anzahl Stellen gar nicht gefannt, wel-
he theils ſchon von Tyrrwhitt, theild von Hippislay u. A.
als dem Italieniſchen entlehnt angeſehen wurden. Da
durch dieſe dem Streit für inimer ein Ende gemacht
werden kann, fo wird man hier wol eine größere Aus-
führlichkeit entſchuldigen.
(Der Beſchlus folgt.)
Preußen in den Jahren 1806 und 1807. Ein Zagebud.
Nebſt einem Anhange verfchiedener, in ben Jahren
1807 — 9 verfaßter politifher Denkfchriften Mainz,
v. Zabern. 1845. Gr.8. 2 Xhlr.
Gin neued Bud, über preußiſche Zuftände während de
Jahre 1806 und 1807 erfcheint leicht als eine Parteiſchrift im
Geiſte der weiland berüchtigten „Feuerbrände‘ und „Löfcheimer”
und wirb befonderd berjenigen Claſſe von Literaten willlen
men fein, die gern auf Preußen Schimpf⸗ und Schmähren
häufen, ohne jich weiter um den eigentlichen Zuſammenhang
der Greigniffe zu kümmern. Wir wollen durchaus nicht das
politifhe Verfahren in jener Unglückszeit entſchuldigen, noch
da den Lobredner machen, wo Die Thatſachen fo laut ſprechen,
aber Unparteilichfeit ift gerade dann nothmendig, wenn die Ber:
klagten ihre Sache nicht mehr felbft führen fönnen. Ein ſolches
Beiſpiel zum Bortheil der fo hart getadelten Preußen find die
neuern Befchreibungen der Schlacht bei Iena in ber zu Ber
lin 1835 getrudten Geſchichte der Kriege zwifchen Frankreich
und Preußen und — wenn man dem preußifchen Offizier vie:
leicht weniger trauen folte — die Schilderung in des wir
tembergifchen Hauptmanns v. Math „Beigichte Rapoleon’s" (1,
247— 352), oder in des braunſchweigiſchen Generals v. Bach⸗
bolg Zagebuche (S. 142), des als theilnehmender Augengeuge
befondere Beachtung verdient. Die vorliegende Schrift nun, die
überdies anonym erfchienen tft, konnten wir aus ben obigen
Gründen nicht ohne eine ſolche Befürchtung zur Hand neh⸗
men, fanden uns aber bald zu unferer Freude eines Bellen
dem verräthe:
fein Tagebuch
— her: Chaucer habe in ſeinen Werken
oft lateini
|
619
Bis und (wie er fagt) ohne Haß und Leidenfchaft bezichtet
bat was er ſah und hörte. Übrigens gehörte Graf Schla⸗
den gu jenem ausgebreiteten Mittelſchlage deutfcher Diploma:
ten, von denen Barnhagen von Enſe einmal gejagt hat, daß
mehr dem Fache untergessonet wären als bad Fach ihnen
und daß fie die audzeichnenden Eigenfchaften ihres Standes et:
was pedantiſch ausubten und beißen. So werden ſelbſt auf
der Fluchtreife in Preußen die Mahlzeiten und andere leibliche
Bedürfniffe nicht vergefien, veichliche Mahlzeiten werden aus
den graͤflich Haugwit ſchen Küchenwagen eingenommen, ein gu:
tes Quartier nach der im bequemen Wagen gemachten Reife
erſcheint als höchk nöthig, fi in einem von Tabacksrauch er:
füllten Zimmer zu befinden oder in Ofterode auf einer Streu
die Nacht zubringen und ſich nur mit einigen Federbetten be»
beifen zu müffen, fiel dem diplomatiſchen Herrn befonders
fchwer, wie fi denn unfer Berf., als er mit der Königin
Luife von Preußen noch Zilfit geben fol, mit ben Man:
gel eines anftändigen Hofcoftume zu entſchuldigen nit An:
and nimmt. Sonſt aber lernen wir den Dipfcmaten als
einen rechtlichen, ehrenwertben Mann von Klugheit und
Bildung Pennen, als einen Mann. von echter Baterlandeliebe
und treuer Ergebenheit gegen den König und dad koͤnig⸗
liche Haus: aber die Kraft und den ernſten Willen, die von
ihm vortrefflih erkannten Kebhler in der Verwaltung und Po:
litik abzuftellen, befigt er nicht und ift auch befcheiden genug,
nicht in der erften Stelle des damaligen preußiſchen Cabinets
glänzen zu wollen.
Schen wir uuf den Inhalt des Zagebuches, fo finden wir
in demfelben vorzugsweile folgende Zuftände berückſichtigt: die
Tage vor und nach der Schlacht bei Jena, Die Reife des Ho:
fes nad) Preußen und bie Flucht bis nach Königsberg und
Memel, die Unterhandlungen mit Rapoleon über den Waffen:
ſtilſtand und die Streitigkeiten im preußiſchen Gabinet zwi:
{chen der Kriegs: und Priedenspartei bis zum Abfchluffe des
Friedens von Zilfit. Die legtern Stüde find die wichtiaſten;
fie enthalten Nachrichten und Aufichlüffe, die man in andern
preußifchen Geſchichtsbuͤchern vergeblich ſucht und find durch
«bie Verfönlichkeit des Grafen Schladen hinlaͤnglich beglaubigt.
Diefer innere Werth halt und denn auch für die mitunter
langweilige Darfellungsart [hadlos, denn tie Gabe, das Er:
won frifh und kraͤftig mitzutheilen, hat der Verf. gerade nicht
bejeflen.
Die Nachrichten über die Schlaht bei Iena, in deren
Nähe ih der am 8. Det. im Hauptquartier eingetreffene
Straf Schladen befand, find zwar nur abgerifien, auch wol
nicht überall gan ‚gerau, aber fie geben doch ein trauriges
Bild Der Ungehsi lichkeit und Pianlofigfeit der Anführer,
welche nah des Verfaſſers Urtheile den Staat an den Rand
des Verderbens gebracht hatten. eine Pluchtreife ging von
Weimar über Eisleben, Halle, Halberſtadt, Zangermünde nad)
Küftrin. „Mit den Gefühlen des höchſten Erſtaunens“, Schreibt
er om 21. Det. in fein Tagebuch, „erfuhr ich die feltfame
KRachricht, daB unfer Staatsminifter und Generallieutenant v.
d. Schuienburg, von Sr. Maj. dem Könige zum Gouverneur
von Berlin ernannt, biefen Poſten ohne Befehl verlaſſen und
feinen Schwiegerfohn, den Fuͤrſten Hapfeltt, als Stellvertre⸗
ter eingefegt habe, daß er Folglich anflatt felbft Ordnung bis
zum legten Augenblicke durch feine Gegenwart zu erhalten, es
vorgezogen habe, die Stadt gerade dann zu verlaflen, wo er
dort ‚am meiſten nügen Eonnte, ja was noch mehr iR und dies
fer Handlung die Krone auffegt, daß er in ber eilung,
nur mit dem Gedanken, die Truppen zu retten, befchäftigt,
vergeflen habe, das Zeughaus auszuleeren, welches vollfländig
in Berlin zurüdgeblieben fein fol. Allmäͤchtiger Gott! was
kann man von ſolchen Menſchen bei den gegenwärtigen hoͤchſt
kritiſchen Umfländen erwarten!” Auf ber weitern Reife ev.
fährt der Berf. die von dem Minifter Haugwitg und Dem Ge⸗
neral Zaſtrow eingeleiteten Unterhandlungen wegen eines Waf⸗
fenſtillſtandes. Er ift empoͤrt über den hochftehenden Ginn
‘
Rapoleon’s, aber ebenfo fehr beklagt er die Feigheit der preu⸗
ßiſchen Unterhändler,, infonderhbeit des Generals Zaſtrow,
und die Verzweiflung Alles aufgeben zu wellen, da doch big
ruſſiſchen Huülfstruppen heranziehen. „Es iſt wahr”, fchreibt
er am 21. Rov. in fein Tagebuch, „Preußens gegenwaͤr⸗
tige Stellung ift hoͤchſt unglüdlih, aber wenn das ickſal
unſern Fall beſchloſſen hat, ſo meine ich, ſollten wir wenig⸗
ſtens mit Würbe fallen, und uns nicht noch mit des Schmach
einer freiwilligen Inechtifhen Unterwürfigkeit bedecken, die doch
unfern Sturz ‚nur verzögern, niemals aber verhindern kann.
Was haben wir übrigend noch zu verlieren? Dagegen bleir
ben uns noch viele Hülfgmittel, wenn wir es nur verftchen,
fie mit Ernſt und Ausdauer zu benugen. Jetzt fehlt uns lei—
der nur ein Eräftiger, mit großen Anfichten begabter Mann,
der im Drange der Umftände fi des Staatsruders bemächti»
* und die Kleinmüthigen zwinge wieder Muth zu faſſen.
er wo ſollen wir dieſen Retter finden?“ Haugwiß konnte,
wie man aus allen Urtheilen bed Verf. ſattfam erficht,
died nicht fein, ebenjo wenig der alte, „ſehr redliche,. aber
nicht ſehr ſcharffinnige“ General Köderig, der bis dahin
des Königs befonderes Vertrauen bejeflen hatte. General
Zaſtrow fei für eine ſolche Stelle durchaus nicht geeignet, er
würde in allen Stüden ter Rachbeter Luccheſini's fein, der
Eabinetsrath Beyme würde nad des Verf. Uußerungen ſehr
gern der einzige von Niemand controlirte Minifter fein. Aber
diefem Stastömanne will er Durchaus nicht wohl und frage
mit wahrer Beftürgung, mit wem denn die fremden Minifter
am pzeußifchen Hofe unterhandeln follten und was überhaupt
die fremden Mächte zu diefer Einrichtung fagen würden (29.
Nov. 1806). Von Rüchel's „Kraft und Geelenftärke” ex:
wartet der Verf. gute Einwirkung auf den König und beklagt
nur, daß er in dienſtlichen Verhältniffen zu heftig ſei. Blu-
cher Dagegen erhält überall Lob und Anerkennung.
Unter folchen Umftünden ift der Freiherr von Gchladen
hoch erfreut, daB Hardenberg's Hinzuziehung zu den miniſte⸗
tiellen Berathungen ben Entſchluß bed Königs beftärkt has,
Beinen Separatfrieden mit Frankreich zu fchließen, daß ber
Einfluß des Generald Baftrow bedeutend ſinkt (U. Febr. und
6. März) und daß felbft der Eabinetsrath Beyme den Mini⸗
fter Hardenberg erfucht babe, die Leitung der auswärtigen
Angelegenheiten zu übernehmen. Er felbft, unfer Verf., ger
noß das befondere Vertrauen des Minifterd und hatte in einer
politiichen Abhandlung dem Könige die Nachtheile eines Fries
dend mit Frankreich auseinandergefegt und dringend gera-
then, der Verbindung mit Rußland treu zu bleiben. Mit
Recht tadelt er daher die unwürdige Erklaͤrung des Miniftera
von Schrötter, daß alle Kornvorräthe Preußens erſchoͤpft waͤ⸗
ren und daß es nicht möglich fei, die ruſſiſchen Truppen im
Rande zu ernähren — ein Benehmen, das zu Schrötter'E Nach⸗
theil an die hochherzige Sprache des Oberpraͤſidenten v. Merckel
erinnert, ber im. Brühjahre 1813 hinlängliche Vorraͤthe ir
Schlefien zu haben verficherte, um die ruſſiſchen Heere zu un»
terhalten, und dadurch einen fo bedeutenden Einfluß auf bie
Fortführung des Krieges übte, wie wir aus Steffens’ Denk⸗
würdigfeiten” (VII, fg-) erfahren haben,
Bis in den April bes Jahres 1307 Hin dauesten Diefe
Cabinetöftreitigkeiten, bie felbft die Ankunft des Kaiſert
Alerander und die von ihm bem Freiherrn von u De
wieſene Auszeichmung nicht zu befeitigen vermochte; es iſt faſt
ekelhaft zu leſen, wie ſich Zaſtrow, Schroͤtter und Voß in Mei-
nen Jatriguen und Hemmniflen abmuͤhen. Endlich meldet das
Tagebuch unter dem 2. Mai 1807, daß die freue Ausdauer
den. Sieg erkaͤmpft habe, daß der Freiherr v. Hardenberg als
Cabinetöminifter die Führung des auswärtigen Departements
übernommen und alles Deflen, was fi) auf die Oberleitung
der Kriegsführung bezieht. Beyme habe fi über diefe Er⸗
nennung mit großer Mäßigung geäußert, aber Zaſtrow, oͤt⸗
ter, Voß und der alte Köderig ſeien ſehr ungehalten.
denberg umgab ſich Hierauf mit Altenfiein, Riebuhr, Schön,
Menfner und Rour, die Geſchaͤfte begannen mit Ginheit und
Kraft behandelt zu werben, die Yatrioten hegten beflere Hoff
nungen auf engliſche Hülfe und oͤſtreichiſche Biverfionen, bis
der Sieg Napoleon’8 bei Friedland am 14. Jun. 1807 die
@inftelung der Weindfeligkeiten durch einen Waffenſtillſtand
berbeiführte, dem in noch nicht vier Wochen der ungludlie
Geiste zu Tilfit folgte. Wir erfahren nun auch bier (25. Juni
807), daB Napoleon ſich weigerte, Harbenbery als bevoll-
maͤchtigten Minifter bei den Priedensunterhandlungen neben
dem General Kaldreuth, der fi gegen Frankreich ſehr ge⸗
fdmeidig zeigte, zuzulaffen, baß der Zreiberr von Schladen
ein tönigliches Schreiben habe an Napoleon bringen follen, um
feine Gefinnung zu ändern, daß aber Kaifer Alerander diefen
Schritt misbilligte. Es fei jegt Die Hauptſache, wichtigere Ge:
währungen zu erhalten, er wolle Alles aufbieten, um den Kö:
nig wieder in den Befig feiner Staaten zu fegen und ihn wie:
der ſtark zu maden, man dürfe daher Rapoleon nicht erbit
ter. Über ſolche ähnliche Außerungen und über des Kaifers
Benehmen während der tiljiter Verhandlungen vertraut der
wadere Patriot feinen edeln Schmerz dem Tagebuche unter
andern in folgenden Worten an: „Der mächtige Autofrat Ruß:
lands fpielt jegt Napoleon gegenüber eine Rolle, Die feiner
Bürde wenig entfpricht: er ſcheint nur mit dem einzigen Ge⸗
banken befchäftigt , ihn Durch &Schmeicheleien zu gewinnen,
nimmt feine Saftmahle an, ohne ſolche wieder zurückzugeben,
und dur die hinterliftigen Täuſchungen diefes außerordentli-
chen Mannes gefeffelt, wird er ein ftummes Werkzeug feiner
Niefenplane und Preußens König ein Opfer diefer Stellung
und feiner eigenen Treue“ (0. Juni IN0.). Die Unterhand:
lungen führte Kaldreuth, diefer „alte Schwätzer“, deſſen Be
tragen ebenfo zweibeutig als albern und abgeſchmackt ift, der
feinen Inſtruetionen und ausdrüdlichen Befehlen des Königs
zuwider handelte und ſtatt fi) mit den wichtigen, ihm anver-
trauten Angelegenheiten zu befchäftigen, ſich mit Berichterftat:
tungen über Lächerlichkeiten beluftigt (25.—28. Juni). Seiner
Abneigung gegen Hardenberg, deſſen Stelle er zu erhalten ge:
dachte, fehretbt der Verf. auch Len endlichen Sturz diefed vors
trefflihenr Mannes zu (4. Juli), den er aber mit bewunde:
zungswürbiger Heiterkeit und Ruhe ertrug. „Was fol man
aber von der Charakterſchwaͤche des Kaijerd Alerander fügen.”
- Der AUbfchluß des Friedens zu Zilfit, dieſes Werkes
der Übermadt und Willfür, den der König Friedrich Wil:
beim IIT., „von Jedermann verlaflen‘‘ unterzeichnen mußte,
macht den Schluß des Tagebuches, deflen Bert, am Ende des
Juli zu einer andern Beitimmung (als Gefandter am ruffi«
fhen Hofe) abgerufen worden war. Die Demüthigungen,
welche die ſchoͤne und tugendhafte Königin Luiſe während der
tilfiter Unterhandlungen zu ertragen batte, regen das fittliche
Gefühl in demfelben Brade auf, wie er ſchon früber Der
ſchmaͤhlichen Verleumdungen gedacht hatte, mit welchen die
Königin in den Napoleon'ſchen Bulletins überhäuft worden
war. Mit firömenden Augen, fchreibt er am 15. Nov. 1816,
wiederholte die erhabene —* jene Ausdrücke der auf Napo⸗
leon's Befehl in Berlin gedruckten Schmäbhfchriften, welche fie
einer Leidenfchaft für den Kaifer Alerander befchuldigten.
Ren’, ruft fie häufig aus, „ift es dieſem boshaften Men:
ſchen nicht genug, dem Könige feine Staaten zu rauben, foll
auch noch die Ehre feiner Gemahlin geopfert werden, indem
er niedrig genug denft, über mich die ſchändlichſten kügen zu
verbreiten!”
Bon den militairifhen Ereigniffen des Feldzugs in Preu:
Ben tit zwar öfters die Rede, aber ohne befondere Anſchaulich⸗
Peit, da der Verf. im Kriegswefen Beine Erfahrung hatte. So
find auch die Nachrichten über die Schlacht bei Eylau und über
die. Belagerung von Danzig nur unvollkommen. Hofgefchichten
ober was etwa Berltgung und Argerniß durch breifte Urtheile
und unbeftimmte Gerüchte verurſachen koͤnnte wird ber Lefer
bier vergeblich fuchen: dazu wär allerdings die Beit zu ernft
und der Berf. ein zu gefegter Mann.
Die im Anhange befindlichen Denkſchriften find mit Aus⸗
nahme der unter Rr. IV von Hr. von Schladen in Peters:
burg im 3. 1809 verfaßt und zeigen die dringende Rothwen:
digkeit einer engen Berbindung zwifchen Rußland, Oftreich und
Preußen, um die Unabhängigkeit Europas gegen Rapoleon zu
berechnen. Man findet in ihnen zivar nicht die feurige Leben:
digkeit eines Stein oder die glänzende Beredtfamkeit eines Gentz,
aber man wird dem Verf. das Zeugniß nicht vorenthalten Fön:
nen, daß er mit unermüdetem Eifer der guten Sache Europas
und ber Ehre feines preußifhen Waterlandes gedient babe.
Literarifbe Notiz aus Frankreich.
Emancipation der Regerfllaven.
Obgleich fon durch einen Beſchluß vom 16. Pluvioſe des
Sahres II der Sklavenftand in allen franzöfifchen Eolonien für
aufgehoben erklärt wurde, fo führten doch nationalölonomifde
und politifhe Rüdfihten, welche die Stimme des rein menfd:
lihen Gefühls erftidten, bald die frühern Berhältniffe wieder
zurüd. Schon am 20. Mai 1302 erklärte der erfte Conful,
daß der’ frühere Zuſtand der Sklaverei wiederhergeſtellt fein
fole. Man kennt die Beichlußnahmen des Wiener Kongreſſes
in Betreff des Negerhandels. Durch ein Geſetz vom 29. Mär;
1315 wurde audy, von Napoleon die Abfchaffung des für bie
Menſchheit jo fhmählichen Handels decretirt. Die Neftauration
beftätigte diefe Beitimmung durch eine Drdonnanz vom 8. Jar.
1817 und durch ein formliches Geſetz vom 15. April 1313.
Ungeachtet diefer Maßregeln wurde doch die Sklaverei immer
— nicht aufgehoben. Man duldete ſie, weil man durch eine
ploͤtzliche Unterdrückung und Abſchaffung den Untergang und
den Verfall der Eolonien berbeisuführen glaubte. Aues mas
nach Der Zulirevolufion in diefer Beziehung geſchah, hatte böd:
jtens die Bedeutung, daß man dadurch die allmälige Aufhebung
anbahnen wollte. Ein einflußreiher Moment in diefer wicht:
gen Frage war die Einſetzung einer Specialcommiſſton, welde
von Seiten der franzöfijgen Negierung den Auftrag erhielt,
die bei Emancipation der Sklaven obmaltenden Rückfichten et
ner forgfältigen Prüfung zu unterwerfen. Der Herzcg von
Broglie, welcher zum Prälidenten diefer Commiſſion ernannt
wurde, bat fi bei ihren Arbeiten Durch feine raftlofe, umſich⸗
tige Thaͤtigkeit bejonders audgezeichnet. Der Bericht, welden
er im Namen der Commiſſion über den Stand der Frage ab:
gefaßt bat, kann eine durchaus mufterhafte und erichöpfende
Arbeit genannt werden. Das Gefeg vom 18. Zuti 1345, durch
welche eine allmälige Emancipation beftimmt und feftgejegt
wird, beruht größtentheils auf den Vorfchlägen und Refultaten
diefe® Berichts. Denjenigen, welche dieſe wichtige Angelegen:
heit genauer kennen zu lernen wünjchen, ift außer dem er:
wähnten Berichte vorzuglich die Lecture folgender beiden Schrif:
ten zu empfehlen: „Esclavage et traite”, von dem vielfab
tbätigen Staatsmanne Agenor de Gasparin, und Die „Consi-
derations sur le systeme colonial“, von Sully: Brunet. An
diefe Werke, welche fich beide für bie Aufhebung der Sklaverei
entfcheiden, reiht fih eine vor kurzem erfhienene Flugſchrift
an, welche den Titel führt: „De lesclavage en general et
de l’emancipation des noirs.” Diefelbe bat einen- verdienten
Priefter, Namens Eaftelli zum Verfaſſer, weldyer in feinen
früheren Berbältniffen an Eifer für die leibliche und geiftige
Rettung der unglüdlichen Sklaven fi einen Lad Caſas zum
Vorbilde genommen zu haben fcheint. Da er durch feine amt:
lihe Stellung zu einen langjährigen Aufenthalte auf den Co
Ionien veranlaßt wurde, fo Bat er Gelegenheit gehabt, an Dt
und Stelle fi von der Dringlichkeit einer durchgreifenden
Reform zu überzeugen. 17.
Berantwortliker Herausgeber: HSeiurich Wrodbans. — Drud und Werlag von F. X. Wrodpans in Leipzig.
.
Blätter
für
literarifde Unterhaltung.
ine ,
Englifhes Schriftenthum.
(Beſchluß aus Nr. 156.)
Über das Verhältniß Chaucer's zu Boccaccio habe
ich auch theilweife ſchon in der Einleitung und den Bor-
berichten zu verſchiedenen Erzählungen in dem erſten
Bande meiner Überfegung von Ehaucer's „Canter-
bury - tales“ ausgeſprochen. Wer Boccaccio's und
Chaucer's Werke etwas genauer vergleicht, wird nicht
leugnen können, daß Chaucer aus Boecaccio ſchoͤpfte;
dennoch will ich hier noch eine Stelle aus Chaucer's
„Verſammlung der Vögel” mittheilen, zugleich mit einer
Stelle aus dem fiebenten Buche von Boccaccio’8 „Teseide‘
umd zwar beide in deutfcher Überfegung, damit auch Der,
welcher entweder das Italieniſche oder das Altenglifche
nicht verftehen follte, eine Vergleichung anſtellen fonne.
Bei Boccaccio heißt die Stelle fo:
- Die Schönheit ſah er dann vorübergehen.
Ganz dicht bei ſich, die frei von Schmud fih wies;
Die Freundlichkeit war neben ihr zu fehen
Und Jede ſich und auch Die andere pried.
Auch fah die Tugend er dicht bei ihr fteben,
Die munter ſich der Freude überließ;
Und auf der andern Seite tolle Flammen
Und Schmeichelei und Hinterlift beifammen.
Und in der Mitt" auf hohen Säulen ftand
Ein Zempel, ganz von Kupfer, und darin
Er jugendliche Mädchen tanzend fand;
CTheils ſchoͤn an ich, theils auch gekleidet in
Ein leichtes gürtellofes Nachtgewand.
Damit allein den Tag fie bringen hin,
“ Und um des Iempeld Sinnen fah er ſchwirren
Sperlinge viel und Tauben hört’ er girren.
Und nahe bei des Tempels Eingang fieht
Mit ſanftem ruh gen Sinn die Einigkeit
Er. ſitzen dort und einen Vorhang zieht
ie vor des Tempels Thür mit Leichtigkeit.
Bei ihr faß die Geduld, ihr Blick verrieth
Demuth; befcheiden war ſi e jederzeit
Und blaß von Angeſicht; und ringsum da
Verſprechen man und Liebeskünſte ſah.
Und in dem Tempel ſtets die Luft durchdrangen
Mit ſtarkem Toſen Seufzer, ganz entflammt.
Bon heißem und fehnfüchtigem Verlangen.
Und died Getöf' entzündet alleſammt
Mit neuen Flammen, die aus Qual entiprangen-
Und jeglicher zu Ihränen war verdammt,
Die eine raube, harte Dam’ erregt;
Die Eiferfuht der Ram’ ift, den fie trägt.
5. Zuni 1846.
Chaucer hat diefe ET har Met Befbuibum in den vr lm in den vier folgen-
ben Stangen nachgeahmt:
Dann fah die Schönheit wohlgeſchmückt ich prangen
Und Jugend voller Scherz und Rederei;
Dummbdreiftigkeit und S meichelei, Berlangen
Und Liebesbotihaft, Lohn und and're drei:
Ihr Name nit von mir genennet fei.
Auf mächtig großen ten ruht
Ein Tempel ganz aus Kupfer, feft und gut-
Und um den Zempel ſah man dann beftandig
Im Zanz begriffen eine Weiberfchar:
Die fhön an fi, die glühend umd Iebendig
Und all im Unterrod! mit lofem Haar
Das war ihr Dienft dafelbft von Jahr zu Jahr.
Und auf dem Tempel ſaßen weiß und zart
Die Tauben, wol zehntauſendfach gepaart.
Und vor dem Tempel ſaß gar ehrbarlich
Der Frieden, einen Vorhang in der Hand.
Daneben wunderbar beſcheidentlich
Ich die Geduld auch daſelbſt ſitzen fand,
Mit blaſſem Antlig auf nem Berg von Sand.
Und neben ihre, aus: und inwendig, waren
Kunft und Verſprechen da mit ihren Scharen.
Und Seufzer heiß wie Feuer dort erflangen,
Daß vom Getöf der Zempel widerhallt.
Geſchwaͤngert waren. fie durch das Verlangen,
Das neue Flamm' erwecket mit Gewalt |
In jedem Herzen; da erfannt’ ich bald:
Der Kunmer, der fie drüdet allefammt,
Der Eiferfucht, der Göttin, war entitammt.
Iſt dies ſchon deutlich genug, ſo haben wir doch
noch andere Stellen, aus denen Chaucer's Bekannt⸗
ſchaft mit den italieniſchen Dichtern noch viel unver⸗
kennbarer hervorgeht. Chaucer erwaͤhnt Dante und
Petrarca mehre Male, und nennt. den Erſten ſtets
„den großen Dichter Italiens”, während‘ er den Letztern
"als „den Lorberdichter, deffen füße Redekunſt ganz Ita⸗
lien mit Poefie verfhönte” bezeichnet, welche Bezeichnun⸗
gen für Beide ganz richtig find. Chaucer hat mehre Stel-
Ien aus Dante's Werken nacgeahmt; die bebeutendfie
ift die „Geſchichte Ugolino's“, nach Dante's Pure: “u
33, ®.13— 75, in des Mönche Erzählung, B. 147 17
1. Ih theile ‚hier wieder beide Stellen mit, die
erfte in Streckfuß' Überfegung.
13. Du * J— ich war Graf Ugolin,
Erzbiſchof Roger er, den ich zerbiſſen.
Run horch, warum ich ſolch ein Nachbar bin.
70.
73.
Ich weinte nit, fo ftarst’ ich pe
Daß er die Freiheit tückiſch mir entriffen
Als er durch Argliſt mein Vertrau'n bethört
Und mich getödtet bat, das wirft du willen.
Bernimm darum, was du noch nicht gehört,
Noch haben kannſt, den Tod voll Graus und Schauer,
Und faß’ es, wie fi noch mein Herz empört.
. Gin engeb Loch in des Verliehes Mauer,
Durch mi benannt vom Hunger, wo gewiß
Man Manchen noch verichließt zu bitt'rer Zrauer —
. Schon wachten wir, die Stunde naht heran, _
Bo man und Speife bracht” und Jeden
Weht ob des Traumes Unglüdsahnung an.
. Berriegeln hört’ ich unter mir den öben
Graunvollen Thurm — und ins Geficht ſah ich
Den Kindern allen, ohn' ein Wort zu reden.
&ie weinten und mein Anfelmuccio agfe:
Du biidft fo, Vater! ach, was haft du? fpridh!
. Doc weint‘ ich nicht und diefen Tag lang fagte
Ich nichts und nichts die Nacht, bis abermal
Des Morgens Licht der Welt im Dften tagte.
. Als in mein jammervoll Verließ fein Strahl
Ein wenig fiel, da fchien ed mir, ich fände
Auf vier Gefichtern mein’s und meine Qual.
Ich biß vor Iammer mich in beide Hände
Und Jene, wähnend, daß ih es aus Gier
Kah Speife thät, erhuben ſich bebende,
. Und ſchrien: Iß uns und minder leiden wir!
Wie wir von dir die arme Hüll’ erhalten,
O fo entlleid’ und Vater au von ihr.
Da ſucht' ich ihrethab mich fill zu Halten.
Stumm blieben wir den Tag, den andern noch,
Und du, o Erde, Eonnteft dich nicht fpalten?
; Ws wir den vierten 2 erreicht, da kroch
Mein Gaddo zu mir hin mit leifem Flehen:
Was bilfft du nicht? mein Vater hilf mir doch!
Dort ftarb er und fo hab’ ich fie gefeh'n ‘
Die du mich fiehft, am fünften, fechöten Zag,
Zegt den, jegt den hinfinken und vergeh'n.
Schon blind tappt’ ich dahin, wo jedes lag,
Rief fie drei Lage feit ihr Bli gebrochen,
Bis Hunger that, was Kummer nicht vermag.
Hören wir nun biefelbe Geſchichte von Ghaucer
erzählen:
Die Schmerzen, die Graf Ugolin empfand,
Die mag vor Jammer keine Bunge fagen.
Ein Thurm ganz in der Raͤh' bei Piſa fand,
Dort war im Shurm in Feſſeln er geichlagen,
Und feine Kinder mit im Ihurme lagen,
Das aͤlteſte war koum fünf Jahre alt.
D Schickſal! graufam traun find beine Plagen!
Solch Käfig ſolcher Bögel Aufenthalt.
Berdammt war im Gefaͤngniß er zu flerben,
Denn Roger, Piſas Bifchof, fich verſchwoͤrt,
Um durch Berleumdung Ienen zu verderben,
Wodurch das Volk ſich gegen ihn empört,
Und in dem Thurm, von welchem ihr gehört
Ihn warf; und Speiſ' und Trank ward ihm gegeben
So wenig, als am Leben nur gehört,
Und auch dies ige war ſchlecht noch eben.
Und eines 8 bat er, als ſchon gekommen
Die Zeit, — das Mahl zu bringen pflegt,
Daß man des Thurmes Thüren fchließt, vernommen.
Doc ob er's hört, Fein Wort darob er fpradh,
Doch fehwer im Herzen der Gedank' ihm lag
Daß ihn der Hunger follte bier verzehren.
D weh! ſprach er, warum fah ich den Zagt
Und Zhränen feine Augen nun befchweren.
Sein jüngfler Cohn, der Baum drei Jahre alt,
Der ſprach zu ibm: Was weint du, Vater? fprich!
Bringt nicht der WBärter uns das Effen bald?
Und Haft Fein Stückchen Brot Bu mehr für mit
Ih kann nicht ſchlafen, weil ich hungerig.
Ah wollte Gott nur, daß ich wäre todt,
Daß Yunger nicht mehr meinen Leib beſchlich!
Mir wäre bein Ding Meber jegt als Brot.
So fchreit das Kind aufb neue jeden Tag
Bis kraftlos in des Vaters Schoos es Liegt,
Sch fterbe, Bater, lebewohl! es ſprach,
Und kuͤſſet ihn, und feine Seel’ entfliegt.
Der Bater fieht es und vom Same befiegt
Beißt er die Zähn’ ein in die Arme beide.
O traurig Güde! weh, ad weh! er fpricht,
Dein falſches Rad ift Schulb an meinem Leibe.
Die Kinder wähnten, daß aus Hunger er
An feinen Armen nagt’ und nicht aus Leiden,
Und fprachen: Vater, thue dies nicht mehr!
O iß das Fleiſch doch lieber von uns Beiden!
Du gabft ed uns, wol’ und davon entkleiden.
D i8 dich fatt; alfo fie zu ihm fagen: .
D’rauf einen Tag und zweie noch fie leiden,
Und dann fie todt in feinem Schoofe lagen.
Zulegt auch ihn daß Leben nech verließ. .
&o kam der mächt'ge Graf von Piſ' ums Leben
Bon großer Höh’ das Slück ihn niederftieß.
Mich däucht genug, was ich davon gegeben.
Sollt' Jemand näher es zu wiſſen fireben,
Der mag Italiens großen Dichter Iefen,
Der Dante hieß: er Tann es wiedergeben
Bon Wort zu Wort fo wie es ift gewefen.
Eine andere aus dem 33. Geſange des ,Paradio”
faft wörtlih überfegte Stelle findet fi) in der zweiten
Erzählung der Nonne, V. 15,504 fg. ber „Canter-
bury-tales”. Daß aber Ehaucer auch Petrarca ge
kannt hat, erhellt hinlaͤnglich aus der Bergleihung dee
102. Sonetts mit „Troilus and Cressida" ®, 400 fe.
Um dem Streit für immer ein Ende zu machen, wollen
wir auch diefe Stellen vollftändig mittheilen. Das &o-
nett Petrarca’s heißt nach meiner eigenen Überfegung :
Iſt Amor nicht, was iſt's, Daß ich ertrage?t
Do ift Amor, wie wird er dann erfunden?
IM gut er? Woher dann die Todeswunden?
Und böjer Wie fo ſuͤß ift jede Plage?
Brenn’ ih freiwillig? Woher Thraͤn' und Klage?
Gezwungen? Kann dur Klag’ ich dann gefunden?
Lebend’'ger Zod, o Zod mit Luft verbunden,
Wie fiegft Du über mid, wenn ich's verſage?
Berſag' ich's nicht, Hab’ ich zur Trau't kein Recht.
Bei ungeflümen Wind auf offnem Meer
ind’ ich im ſchwachen Kahn mich ohne Steuer;
o leicht zu wiſſen, doch fo irrthumsſchwer.
Das was ich will, weiß felber ich nicht reiht,
Im Sommer kalt, im Winter heiß wie Feuer.
Chaucer hat drei fiebenzeilige Stanzen daraus ge
macht:
Iſt Amor nicht, was fühl' ich ſolchen Drang?
Und iſt Amor, was iſt er dann und wer!
IR gut er, woher bin ich dann fo krank?
Und iſt er böfe? Wunderbar ed wär‘,
ram tig
e von mir denno |
Daß größer wird der Durft, je mehr man ne
‘
Und wenn ich brenn’ aus eig'ner Luft und Macht,
Woher entfpringt mein Iammern und mein Klagen?
Was klag' ich, wern das Leid mir Freude macht?
Was geb’ ich vor denn ohne Noth Die Plagen?
Lebend’ger Tod, o Harm fo füß zu tragen,
Wie läßt in mir fo große Kraft ſich ſehen,
Iſt es mit meinem Willen nicht gefchehen ?
Und geb’ ich's zu, fo Mag’ ich ficherlich
Mit Unrecht, fo gefchleubert hin und ber,
Wie ein Kahn ohne Steuer find’ ich mich
Inmitten zweier Wind’ auf off'nem Meer,
Die fich verein’gen wollen nimmermehr.
- Was hat die Wunderkrankheit für Gewalt?
If's heiß, flerb’ ich vor Kalt’, vor Hig’ iſt's kalt.
Die gegebenen Stellen werben wol hinlänglih be:
weiſen, daß Chaucer nicht blos Stalienifch verfiand, ſon⸗
dern daß er auch die Werke von Boccaccio, Dante und
Petrarca kannte und benugte. Auch gibt ed noch eine
gute Anzahl anderer Stellen, aus denen Daffelbe bemie-
fen werden kann.
Wir haben uns bier etwas zu lange yerweilt, um
auch andere Punkte in Craik's Buche befprechen zu koͤn⸗
nm. Wir erhalten im vierten Buch fehr reichhaltige
Angaben über die Gründung und Vergrößerung von
Univerfitäten und Schulen, über die Einführung der
Buchdruderfunft und über den Stand der Wiffenfchaf-
ten im 15. Jahrhundert. Es fehlt nicht an einzelnen
unrihtigen Angaben, nit an Nachläſſigkeitsfehlern (fo
leſen wir II, 191, daß James V., der 1513 bei Flobben
fiel, der Verf. von „Peebles to the Play” und „Christs
Kick on the Green” fei; James V. ift allerdings ber
wahrfcheinliche Verf., aber es war fein Vater James IV.,
der bei Klodden fiel; James V. ward 1512 geboren
und farb 1542); aber im Ganzen genommen wird es
immer ein gutes Bud zu nennen fein und allen Freun⸗
den des altenglifchen Schriftenthums aufs befte empfoh-
Ien werden fünnen. |
Die unter 2 aufgeführte „Cyclopaedia of English
literature von Robert Chambers bat einen andern
Zweck; fie foll ein Buch fein für Jedermann und ift
daher nicht nur in einem anfprechenden und allgemein
verftändlichen Stile gefchrieben, fondern empfiehlt ſich
auch durch hoͤchſt anftändige Ausflattung und fehr mohl-
feilen Preis. Diefes Wert iſt am meiften noch ber
„Encyklopaädie ber deutfchen Nationalliteratur” von D. 2.
B. Wolff ähnlich, nur dag die Schriftfteller nad) der
Zeit und nicht nach ber Buchflabenfolge geordnet find
und daß das englifhe Werk nur felten Spuren fo gro-
ser Nachläffigkeit trägt als man fie bei Wolff faft auf
jeder Seite findet. Chamber’ Buch ift mit Holzfchnit-
ten (Bildniffe der Dichter und andere auf diefelben be-
zügliche ‚Gegenftände darftellend) recht huͤbſch verziert,
ohne übermäßig damit angefüllt zu fein. Wiſſenſchaft⸗
liche Anfprüche darf man an das Werk nicht machen;
in allen übrigen Erwartungen, bie man von bemfelben
hegen kann, wird man ſich nicht getäufcht finden.
Ehuarb Fiebler.
|
Zur polniſchen Literatur.
I. O Magistratach miast polskich. (Über die. Magiftcate in
den polnifchen Städten, insbefondere in der Stadt Krakau.)
Von Karl Mecherzynski. Krakau 1845.
Es iſt dies die erſte Polnisch gefchriebene Gefchichte des
magdeburgifchen Rechts in Polen, treu nad anderen en
Quellen bearbeitet, die dem Verf. in reichlihem Maße 'öffen
ftanden. Da das Werd felbft wenigen Lefern dieſer Blätter
zugänglich fein dürfte, fo wollen wir das allgemein Intereffi-
rende daraus hier zufammenftellen. Schon im 12. Jahrhundert
begannen, wie der Verf. nachweift, die Einwanderungen der
Fremden in Polen. Die Kriege in Deutfchland, die Streitig⸗
beiten zwifchen den deutfchen Fürften, dann die überſchwem⸗
mungen in Flandern zwiſchen 1129 und 1135 führten Deutfche
und Holländer nad) Polen. Daher in Polen von alter&her die
gellänbereien (agri hollandenses). AQuerft werden 1178 in
Schlefien theutonici et gallici homines erwähnt, es waren Ein⸗
geiwanderte aus Franken und Flandern. Bom 13. Jahrhun⸗
dert an begannen darauf häufigere Einwanderungen in die von
den Mongolen verwüfteten Ländereien Polens und Schlefiens,
wo die Eingewanderten nicht nur ein weites Eigenthum, fon-
dern auch zugleich Befreiung von den in Polen gewöhnlichen
Abgaben und Laften gewannen. Diefe Vorrechte und Ausnabe
men von der Jurisdickion der Wojewoden und Eaftellane faßte
man unter dem Namen bes teutonifchen Recht zuſammen.
Einen reellen Unterfchieb zwifchen den deutfchen und den Lan»
deögefegen kannte man damals nicht, im Allgemeinen ftand un-
ter dem jus polonicum wer den Landesobrigkeiten und Ge⸗
richten unterworfen war und an den allgemeinen Laften und
Abgaben theilnehmen mußte. Wer gänzlich oder theilweife von
demfelben befreit war und unter der eigenen ftädtifhen Juris⸗
diction fland, ward nad dem jus teutonicum gerichtet. Daß
polnische Recht felbft war ebenfo wenig gefchrieben wie daß
beutfhe, es waren die consuetudines, die mores majorum,
nach denen Recht gefprodhen wurde, in zweifelhaften Fällen
nahm man zu den Gotteurtheilen feine Zuflucht. Nachdem
fih in Deutſchland das magdeburger, hallefche und Lübeder
Recht herausgebildet hatte, erlangte das deutjche Recht in Folge
der beftändigen Verbindungen der nach Polen eingewanderten
Deutſchen mit ihrem Baterlande und des gänzlichen Mangels
an polnifhen Gefegen und feften ftädtifchen Drönungen Bür-
gerrecht in Polen. Es hieß anfangs jus novi fori, fpäter das
Recht von Schroda, dann magdeburgifches und endlich als jus
terrestre — zum Unterſchiede von dem bloß in den Städten
eitenden magdeburgifchen — kulmiſches Recht. Vom 13. Jahr»
Bundert an kommen Ertheilungen des magdeburgifchen Rechts,
durch welche die Anſiedler von der Landesjurißdiction ausges
nommen wurden und das Recht, ein befonderes Gericht aus
ſich ſelbſt zu bilden, erhielten » häufig vor. Bon dieſem Ge
richte ging die Appellation an die Herren ber Anſiedelungen
und bei fchwierigen und zweifelhaften Fällen nach Halle und
Magdeburg. Man findet nicht, daß polnifche Kürften, Diefe Be:
rufung ausdruͤcklich in den Privilegien verboten hätten. Die
Anfiedler fuchten nachher mehr aus Gewohnheit als aus Roth
die Urtheile der ausländifchen Gerichte na, was fogar Dann
ftattfand, als im Lande ein deutſches Dbergericht eingefept und
die Appellation nah Halle und Magdeburg verboten war.
Rad dem Mufter des magbeburger Gerichts bildeten alfo die
Städte, denen das magdeburgifche Recht ertheilt war, unter
fi ein judicium bannitum, das ebenfalls aus dem Vogte (im
Holnifhen woyt) und den Schöppen befland, oder fie hatten
eigene Magiſtrate. Ausdrücklich wird ihnen dieſes Recht in’
den Locationsprivilegien ertheilt. So heißt es in dem 1257 vom
Könige Boleslaw der Stadt Krakau ertheilten Locationsprivile⸗
gium: „ut quod ad magdeburgensis civitatis jus et formam
fieri solet, advertatur.’” Es bildeten ſonach bie polnifchen
Städte, denen das magdeburgifche Hecht zuertheilt war, Feine
mitten in Polen befindliche Republiten, in welchen unter der
«
Mt. aber das Mut und bie Ihrinen bei Maleriaubes mb
es die mi rühren.” 9
Biblisgraephie.
j Andreas, 3.8., Die sample tes b Hrißtihen ——
furt a. M., * 1845. 12. 573
— 4 E. 3, —— biſtoriſch ſtatiſtiſch⸗
Beſchreibung d eßherze ſdenburg, Burfentpuus
Hr —* —— — und Karte. Birkenfeld.
&. 8. 1 Zhie. 15 Kor.
——— — — ve Bart 3. €. 3. 2., Die Pflanzenwelt ein
hs 2. Serben pe» gegen. Poetiſche Berſuche.
eidel. 15
—2 der deutſchen Aufflären E 18. Zahrhunderts.
% eben von M.v. Geismar. I. Earl Zriedr. Bahrdt.
Ich. Be Eberhard's neue Apelogie des Sokrates. Leip⸗
zig, Bereinsverlagsbuchhandlung. Br. 8. 25 Rar.
Deutſchland und die Deutſchen. Von einem Srargofen.
Deutfh von R. Binder. Leipzig, Themas. 9. 1 Ihr.
Dickens, E., Das Heimden auf dem Heerde. Zeenmär:
en. Stuttgart, Halberger. 8. N. 12 Rgr.
Ende, 4. &, Gaben der Eindlicgen Liebe. Eine Gamm⸗
Ing von Predigten und Reden. Sondershaufen, Eupcl. Gr. 8.
R
Feuerbad‘ 6, 8%, Sammtlihe Werke. Ifter Band: Gr:
Läuterungen und Graängungen un vum Bing des Ebriſtenthums.
geipaig, © . Bigand
ebichte aus dem Berliner Seriwerer: eBerein. Berlin,
Kraufe. 32. 3 Nor.
Geheimniffe von Rom im 19. Jahrhundert. Schattenſei⸗
ten aus dem Volks», Hof» und Kirchenleben, nah Briffäult
bearbeitet vom Verfaſſer der Schrift: „Das Innere der Geſell⸗
a Jelu. fies bis Ites Heft. Leipzig, D. Klemm. Gr. 16.
a ‚E.v., Briefe aus und über Tirol, geschrie-
ben in den Jahren 1843 bis 1845. Kin Beitrag zur nähern
Charakteristik dieses Alpenlandes im Allgemeinen und der
Meeraner Gegend insbesondere. Berlin, Duncker und Hum
blot. Gr. 8. 3 Thir. 15 Ngr.
Deutſches Hausbuch, herausgegeben von 6. Börre
Hi Heft. Münden, Literarifch » artiftifche Anftalt. Gr. r
Becker, J. F. C., Über Sympathie. Kine Vorlesung,
ehalten im wissenschaftlichen Verein zu Berlin am 21. März
fs36. Berlin, Enslin. Gr. 8.
Semier, 3.6, %., Die Tafel. Ehe im Oderwalde und
de Dragonabden in Schlefien. ine Erzählung aus den Zeiten
ai
hi
4
4
Riberle, 3 6, Rem mu den keiten rei
— Die yaaitı Befermstıze in Deutkälent. Mir Deut: Ece J
1 I DR *
Eettinzer, EM, Berezmihhe Khdhtr. Zei Bande
S. —
Sqhabert, ©. ‚Du Cme
uber $- 2. Imäny. —
Be
3, Ne.
Zrendeleuburg, U, Ricbe
Zagesliteretur.
Aus dem Jahre 15°. Zu Luther's und feiner Feit Ge
dachniß. Leiprig, Ahemas Ge. 8. 5 Mar.
Bendiren, Bede au Mart. Luther’ Gedadhtnißfeier, gr-
halten am 3 Febr. 1346 im Altonaex Bürgerverein —8*
gr.
Die Einweihung des neuen Seminargebäudes in Older
burg am 20. Febr. IS46. Mit einigen hiſteriſchen Rotiza
und einer li birten Unfit des Gebaͤudes. Didenburg,
nel, .8. 5 Rar.
liche in der göttliden Offenbarung. Predigt über 3. Boi.
11—14. Berlin, Vereinsbuchhandlung 8 2, Rar.
Zabrcsfeier der Wiedſchen Bibel⸗Geſellſchaft nebft Sänular:
— des Todestkages Luther's. Reuwied, Lichtfers. Gr. V.
Ror
Liebe, F., Blätter ber Erinnerung an die Hauptconvente
der Geiſtlichen der Ephorie Dfiyag in den 3. 1844 und 13%.
Djasg, Dldecop’3 Erben. 1845. Br. 8. 8 Xgr.
as — und die Darüber verbreiteten Bor:
urtheile. ecipiig, D . Bigand. Fr. 8. 5 Nor.
er (8.). Vorträge und Reden, zur Braun:
rigen Geburtstages am 25. Ian. 1846
Berlin, von Joſephine Stablin in Zürich, Rofette
Niederer in Genf, Zinette Homburg in (Emmerich,
Gertrud Flender, Ida Klug, Augufte Schmidt und
A. Diefterweg in Berlin. Berlin, Enslin. Gr. 8. 12 Rar.
Stählin, H. U., Abſchiedspredigt, gehalten am 25. Ion.
1846 im Brünner evangelifchen Beigbaufe A.C. Wien, Bin
mer, Schmidt und Leo. Gr. 8. 8 Rur.
Zreiße, 8.28. E., —S des erſchlagenen Mahl⸗
— Sorg Sbriftion Kreugburg zu Schwarzhaufen. Gotha,
üller
Die Verpflichtung der Lippefchen Prediger is Die im He:
beiberger Katechismus enthaltene Lehre der nad Gottes Bor
teformirten Kirche bei ihrer Aufnahme unter die Landescordi⸗
daten. Behauptet und beueuge von fünf Predigern. Bielefeld,
Velhagen und Klafſing. Gr. 8. 7Y, Nor.
Werantiwortliher Herausgeber: Seiurich Werdhand — Drud und Verlag von V. M. —— — in Leiprig.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Sonnabenh,
6. Juni 1848,
Das europälfhe Rußland.
Reiſe im europäifchen Rußland in den Jahren 1840 und 1841
von 3. 9. Blafins. Zwei Bände. Braunfchweig, Weiter:
. &.8 5 Ahlr.
mann. 1844
Neifeberichte über das europälfche Rußland find keines⸗
wegs zahlreich vorhanden, denn weber Land noch Men-
fen find von der Art, um wefteuropäifche Wander-
Iuflige anziehen zu Tonnen. Sind diefe, weil e8 eben fo
Mode ift, abgeneigt nach Art unferer Väter nach dem
vieldurchforfchten Süden und Welten unſers Welttheils
fih zu wenden und eilen fie nach bem Norden, um für
italienifche Preife und zum Lohne ungemähnlicher Be⸗
ſchwerden ziemlich zweifelhafte Genüffe einzutaufchen, fo
bleibt Sfandinavien ihr Ziel. Don Rußland wendet
die Glaffe gewöhnlicher Touriften mit Scheu fih ab,
und faft ſcheint es, als hätten fie aus der ominöfen
Dhyfiognomie ded grenzbemachenden Doppeladlers abge
nommen, daß man jenfeits über ihre Beſuche nicht ber
ſonders erfreut fein werde. Sie begnügen ſich daher in
der Regel mit Petersburg, fehen höchſtens noch Mos-
kau, ohne jedoch von der geraden Straße abzumeichen,
und meinen dann über das ganze Reich ihr Urtkeil ab-
geben zu können. In das Innere von Rußland kann
den freien. Sremben nur vwiffenfchaftliher Beruf ober
Gefchäftszwed führen. Wer eigentliches Reifevergnügen
ſucht, muß nicht nach Gegenden ſich begeben, die ohne
Reize der Landſchaft und des Klimas in Entfernung
von mandem Hundert von Meilen keinen Wechfel dar⸗
bieten, mo man, ben Fremden nicht gern ficht, biefer
aber auf freie Übung feines Willens verzichten und au
eine Ertragung fi gewöhnen muß, bie mit ben Ge-
nüffen, den Koften und ben Refultaten ber langen Reife
in feinem irgend erträglichen DVerhältniffe ſteht. Kauf
leute und Geihäftsmänner fchreiben keine Reifen. Ge
wöhnliche Touriſten aber, zu welchen man ohne Un-
gerechtigleit zu begeben den Marquis Guftine ganz
ruhig zählen darf, handeln meift ſehr Bekanntes ab,
verfuchen über die zwei Hauptſtaͤdte etwas Piquantes zu
fagen und verbreiten fih dann über die äußerlich wahr-
nehmbare Thätigfeit der heimlichften und verfchwiegen-
ften aller Regierungen, über oberflächlihe Erſcheinun⸗
gen des bürgerlihen Lebens, über bie Art bes Meiſen⸗
und ſein Ungemach und die Leiden des Fremden unter
einer ſchmuzigen Bevoͤlkerung ober gegenüber ber Will⸗
für zahlloſer und ſehr demoralifirter Beamten. Lob
redner über Rußland und feine Bewohner gibt es um
ter diefen Schriftſtellern nur fehr wenige, und fie ge
nießen, wie die Suchen nun einmal fliehen, fehr geringes
Bertrauen. Um fo unverfennbarer fpricht aus ber Mehr.
zahl eine fehr große, theilweiſe fehr erflärliche Bitterkeit,
die den befounenen Leſer endlich auch mistrauifch macht,
wol gar anzuwidern beginnt, ba es auf bie Ränge einem
folchen nicht zufagen Tann, ſich Geſchichten vortragen zu
laffen, durch welche das dunkle oft graufenhafte Bild
gemiffer Zuftände, an deffen allgemeiner Wahrheit Rie-
mand zweifelt, einige Züge mehr empfängt. Wan muf
unter folchen Umftänden es für einen wirklichen Gewinn
achten, daß endlich einmal ein Deutfcher und zwar ein
Naturforfiher — und diefer war der fonft fehr gründliche,
gemäfigte und weitgereifte Kohl nicht. — in bie Provin⸗
zen Rußlands eingedrungen ift, und ba feine Korfchuns
gen angeftellt, wo gewöhnlich Meifende nicht hinkommen
ober eigentlich auch nichts zu ſuchen hahen. Wir mol
len nicht erörtern, inwieweit bie alse Überlieferung im
t Wahrheit begründet fei, welche den Kranzofen bie
Faͤhigkeit zufchreibt, die Erfcheinungen bes gefelligen Le⸗
bene und ber äußern Givilifation befonbers gut aufzu-
faffen, unb von den Englaͤndern behauptet, daß fie be
fonders geeignet find, über politiſche Entwickelung und
Staatseinrichtung anderer Völker ein Urtheil abzugeben
find aber der Meinung, daß beide hinter dem Deutſchen
zurückbleiben, wo «6 darauf ankommt eine Menge ger
wiffenhafter Beobachtungen zu einem geordneten Bam
zen zu verarbeiten und im logiſchen Fortſchreiten den
Zuſammenhang zwiſchen der Natur und den Men
ſchen eines Landes nachzuweiſen. Die auf philoſophi⸗
ſcher Naturforſchung begründete Länder⸗ und Völker⸗
kunde iſt eine auf deutſchem Boden entſtandene Wiſ⸗
ſenſchaft und wird mol noch lange unfer ausſchließliches
Eigenthum bleiben, eben weil fie der Ausdruck unſerer
ganz eigenthümlichen Geiſtesrichtung iſt. Wer ſich ver⸗
ſucht fühlt, in dieſem Ausſpruche ein Zeichen einſeitiger
Selbſtüberſchaͤzung zu erkennen, mag die für ausgezeich⸗
© .
‘
net erflärten Reifebefchreibungen ber Franzoſen und’ Eng⸗
länder durchlaufen und zufehen, wie wenige berfelben
wiffenfhaftlihen Werth, gründliche Verarbeitung und
Schöne der Form miteinander verbinden. Die über-
wiegende Mehrzahl gehört in diejenige Claſſe, für melde
wenn wir nicht ganz irren bie Englaͤnder felbft den
Namen erfunden, in bie Claſſe der ZTouriften » Literatur.
Die gebiegenern find meift mit fo viel vornehmer Be⸗
quemlichleit abgefaßt, daß es dem an Beſſeres ge-
wöhnten deutfchen Leſer ſchwer genug wird, bie ver-
fireuten Beobachtungen auszuziehen und zufammenzu-
ftellen. Zumal bei englifhen Reiſewerken weiß man
oft nicht, ob man verbrießlicher gemacht wird durch bie
liederliche, die Verarbeitung aufhebende Tagebuchform,
durch bie breiten Wiederholungen ober bie fubjertive Urt
der Betrachtung, welche es geftattet fremde Leiflungen
mit Geringfhägung zu ignoriren Wir freuen uns,
Blaſius' Wert über das europäifche Rußland den Le-
fren d. BI. als den geradeften Beweis von der Tüchtig⸗
keit der deutfchen wiffenfchaftlichen Reifebefchreibung em-
pfehlen zu koͤnnen.
Der Finanzminifter Cancrin hielt es für angemeffen,
eine wiſſenſchaftliche Unterfuhung des nördlichen und
mittlern Theiles des europäifchen Rußlands zu veran-
daffen, um Einfiht in die Hälfsmittel zu gewinnen,
welche die Natur dem Gewerbfleiße dauernd darbieten
möchte. Baron U. v. Meyendorff, ein paar wenig ge
kannte Ruffen, Blafius und Graf Keyferling, welcher
den Zoologen durd frühere mit Blaſius gemeinfam aufs
geführte Arbeiten wohl bekannt ift, bildeten die Reife-
gefellfihaft, der eine Zeit lang ber englifhe Geognoſt
Murchiſon ſich anſchloß. Uber Lübel gelangte Blaſius
im Juni 1840 nach Petersburg, eilte aber nach weni⸗
gen Tagen dem Innern zu, um ber unheimlichen Ein-
drücke ledig zu werden, melde die auf Sümpfen er-
bauete Granit » und Marmorfladt mit ihren Wibder-
ſpruͤchen und ihrer Beamtenwelt auf ihn hervorgebracht
hatte. Das Ziel des erften Theils der Reife war Mos⸗
Tau, welches jedoch nicht auf der bekannten geraden
Straße, fondern auf weiten Ummegen erreicht wurde.
So groß nun auch die durchmeſſene Entfernung war,
fo bot fie im Verhältniffe doch nur geringe Wechſel, und
felbft diefe waren von ber Art, dag nur das geübte
Auge des Naturforfchers fie erfaſſen konnte. Der Laie
reift aus der Mark bis an die fiberifche Grenze, ohne
irgend, eine erhebliche Weränderung zu gewahren und
findet daher das innere Rußland unendlich langweilig.
Selbſt der Naturforfcher mag ftellenweife 100 — 200
Meilen in gerader Richtung zurüdlegen, ohne eine Ver:
fhiedenheit in der Bodenbildung, ber Pflanzen- und
Thiermelt zu entbeden. Am Nordrande des Harzge⸗
birgs finden fi auf einer Meile Entfernung mehr geo«
graphifche Wechfel zufammengedrängt als auf dem lan⸗
gen Wege von Odeſſa bis Archangel, und vom Fuße
des Harzes bis auf die Spige des Brodens zeigt bie
Begetation größere Begenfäge als zwiſchen der Grenze
‚ber Steppen und ber Eismeerküſte. Nirgend in Europa
bietet bie Natı eine Bleichförmigkeit und Übereinftim-
mung in ihren Geflalten in fo riefenhaftem Maßftabe
bar als in Rußland. Es ift nämlich für den Norben
charakteriſtiſch, daß Alles, was die Natur barbietet,. in
unüberfehbarer Ausdehnung auftritt, während der Sü-
den reicher an Formen und. ungleich) ärmer an Indivi⸗
duen, dafür aber um fo mannichfaltiger eiſcheint. - Ein
einzelnes Factum mag als Beweis dienen. Das Gou⸗
vernement Wologda von 8160 Duadratmeilen enthält
gegen 30 Millionen Hektaren an Kronwaldungen, alſo
an funfsigmal mehr Waldung als das ganze Königreich
Frankreich, dennoch beftchen biefe Forfte in ber Haupt-
fache nur aus zwei Bäumen, der Zanne und ber Kiefer.
Gleich arm an Arten ift das übrige Pflanzen- und
Thierreich, wenn auch erdrückend durch feine Maffen.
Den kurzen Sommer um den Ladogafee beleben wenige
Arten von Inſekten, aber die wirklich einheimiſchen er⸗
ſcheinen dafür in ſolchen Scharen, daß fie im eigentli⸗
chen Sinne die Luft verfinſtern und dem Reiſenden zur
aäußerſten Plage gereichen. Es iſt als ob die Natur im
‚ Norden duch Armuth an Ideen zu ewigen Wiederho⸗
lungen gezwungen werde. Der Naturforfcher findet fich
durch diefen Mangel an Formen unbefriebigt, während
ihre maffenhaften Wiederholungen auf jeden andern Be-
obachter einen tiefen jedoch nichts weniger als erheitern-
ben Eindrud machen. Uberhaupt gebricht e8 dem euro⸗
päifchen Rußland an landfchaftlichen Reizen. Zwar be
fieht das Land aus verfchiedenen ftufengleichen Erhebun⸗
gen und aus Hochebenen, bie bis 800 Fuß anfkeinm,
allein die Anfleigung gefchieht Tangfam, und Die ges:
gnoſtiſche Bodenbildung läßt tief eingefchnittene, durch
ſchroffe Wände gefchloffene Thäler ebenfo wenig vorfom-
men als fühn hervorragende Felfen; natürlich erfcheint
baher das Land entweder ald endlofe Ebene oder mit
wellenförmiger Oberfläche, immer aber ohne malerifchen
Charakter. Die Wafferfpiegel der großen Seen, des
Ladoga und Onega, und bie breiten Zlüffe bringen al-
fein einigen Wechſel in das einförmige Bild, boch find
fie felbft nicht fon, da ihre Ufer entweder ganz fiach
fihh ausbreiten. und als Sumpfftreifen in das ähnlich
gebildete von Urmäldern bedeckte Feſtland verlaufen oder
wie Sandwälle emporragen. Sind die Geftade hin und
wieder höher und fchroffer, fo beftchen fie dafür aus
Schichten des alten rothen Sandfteins, ber unter allen
Gebirgsarten da mo er vorherrfcht dic wenigſten male-
rifhen Umriffe darbietet. Die Steintohlenformation, die
meiter nach Süden den Sandftein ablöft, ift für die
‚allgemeine Anſicht des Landes von feiner Wirkfamkeit,
indeffen ftcht fie mindeftens in Verbindung mit einem
fruchtbarern Boden und einer gefunden und mehr frif-
tigen Vegetation. Von einem ber höhern Hügel ge
fehen erfcheinen die großen nach ‚Norden abhängigen
Flächen der nördlichen Provinzen in abftoßender Geftalt.
Ein unabfehbarer Wald von düſtern Nadelbäumen be
deckt fie und ſchneidet endlih am Horizont ab, nur da
unterbrochen, wo Seen heil hervortreten oder die Sum—
pfe fi) ausbreiten, die zwar auch in hochflämmigen
Waldungen ben größten Theil des Bodens ausmachen,
jedoch ſtellenweiſe fo ſehr ‚zu eigentlihen Mooren wer-
den, Daß nur niederes Geſtraͤuch auf ihnen fid, erhalten
Tann. Von Menfhen und ihrer Thätigkeit find von
oben her felten die Spuren zu entdeden, denn ihre Nie-
berlaffungen befchränkt die Armuth des Bodens; fie find
zu gering und zu weit verficent und au veränderlich,
um in diefem unfreundlichen Tannenwald fehon aus ber
Ferne bemerfbare Unterbrechungen hervorbringen zu koͤn⸗
nen. Nur die wenigen Städte und diejenigen Dörfer ſtehen
feft, welche entlang ber Landſtraßen auf Befehl begrün-
det worden find. Die feitwärts abliegenden Niederlaf-
fungen werden nicht felten nad) andern Orten verlegt.
Im Norden des europäifchen Rußlands hat fih der
Menſch mit der Natur keineswegs auf völlig feiten Fuß
gefegt, vielmehr ericheint er häufig als ein halber No⸗
mabe, der mit ihr einen ungleihen Kampf und meift
mit geringem Erfolge führt. Sieht man, wie Armuth
des Bodens und Härte des Klimas fi, vereinigen, um
diefe weiten Flächen unbewohnbar zu machen, und wie
die gefammte Thierwelt hier vom periodifhen Wander-
triebe ergriffen nach Ablauf des kurzen Sommers ent-
flieht und im Süden Schug fuhrt, fo mag man wol
den Menfchen bedauern, der den Ziehenden nicht folgen
darf und da aushalten muß, wo wenigftens feine nafür-
liche Stätte nicht iſt.
(Die Kortfegung folgt.)
⸗
ö— — — — — — — — ——
Schopenhauer in ſeiner Wahrheit. Mit einem Anhange
über das abſtracte Recht und die Dialektik des ethi⸗
ſchen und des Rechtsbegriffs von F. Dorguth.
Magdeburg, Heinrichshofen. 1845. Gr. 8. 7N4 Nogr.
Zu den erfreulichen Erſcheinungen der Zeit muß die ge⸗
rechnet werden, daB mehr als ein praktiſcher Geſchaͤftmann
und zum Zheil hochgeftellter Staatsbeamter neben feinen Amts⸗
geſchaͤften ein ernftliches Studium anderer Wiffenfchaften, zu:
mal der Philofophie und der Theologie, betreibt und darin et
was leiftet. Auch von Hrn. Dorguth gilt dies und er freut
fi) ungemein darüber, auf dem von ihm eingefchlagenen Wege
von einem andern Denker eingeholt zu werden, welcher feine
ganze Zeit und Kraft auf den Gegenftand verwendend noch
mehr Betrachtungen anftellen und darauf noch tiefer eingehen
kann als der Dilettant. Hr. Dorguth ift entzüdt über den
Inhalt der Schopenhauer’fchen Schriften; er meint, daß burch
fie endlich das Licht der reinen Wahrheit aufgegangen fei bis
auf einige Beinere Sonnenfleden, die er gewahr worden ift
und die er auch noch auszutilgen ſich berufen findet, weil fie
nicht im Sonnentörper, fondern nur in deſſen Atmofphäre ih:
rn Sig haben.
Da es hier nicht um die Schopenhauer'ſche Philofophie zu
thun iſt 9), fondern nur um die Bemerkungen, Erläuterungen
und Berichtigungen in dem vorliegenden Schriftchen, und diefe
aus dem ganzen zujammenhängenden Syſteme hervorgetrieben
find und darin wurzeln, Bann hier nicht auf eine alljeitige Er⸗
mägumg derfelben eingegangen werden, ohne eine tiefjinnige
philofophiſche Abhandlung zu liefern, die für eine literarifcye
“ Unterhaltung zu fchwerfällig werden würde. Allein einige Be:
trachtungen, zu denen die Beranlaffung dargeboten wird, wer:
*) Vergl. hierüber einen ausführlihen Auffas in Nr. 278— 381
dB. Bl. f. 1886. D. Red.
den ſchon hinreichen, die Lefer mit dem Büchlein bekannt gu
machen, was ja der Zweck unferer Unterbaltungen ift.
„Dem abſolut freien Willen fol ſich nicht gebieten laſſen,
zu wollen, mithin auch nicht dem menfchlihen Willen, ſondern
nur thun oder unterlajfen zu follen. Da ed nun aber abftract
au Fein Sollen, am ' wenigften ein Wollenfollen gebe, fo
dürfe ſich die Philofophie mit der Religion gar nicht kritiſch
befaſſen. Daher ſei der religioͤſe Glaube abſolut.“ Wenn wir
aber nur Begriffe haben koͤnnen nach des Verf. Anſicht von
Dem, was wir durch die Erfahrung haben kennen lernen, ſo
iſt ein abſolut freier Wille, überhaupt alles Abſolute, für uns
ein Ding, wovon wir gar feine Borftellung haben und wovon
wir nur ſchwatzen wie der Blindgeborene von der Farbe Wir
kennen allein den Willen im Menſchen als einen dajeienden,
und wenn wir andern Dingen, 3. B. Gott, der Natur, den
Weſen, einen Willen zuſchreiben, fo übertragen wir nur bie
an uns abgenommene Erkenntniß von diefem auf jene und ver:
menſchlichen fie eben dadurch. Ferner ift eine Freiheit ohne
Geſetz ein Unding, vielmehr befteht alle Freiheit in dem Zus
ftande Des Kraftbefiges, dem eigenen Gejege gemäß thätig gu
fein, darin nicht behindert werden zu Eönnen. Selbftbeftim-
mung des MWillend nad) dem in dem eigenen Weſen Iiegenden
Geſetze ift der Freiheit Natur und eben dieſe Nothwendigkeit
beißt Sollen. Das Wollenfolen genau zu erkennen ift ſonach
die Aufgabe der Ethik wie der Religion, nur aus verfchiede:
nen Beitimmungsgründen, dort als das Gefeg des menfchlichen
Dentvermögens, hier als das Geſetz Gottes. Das Gefe Got⸗
tes aber würde unfere Freiheit aufgeben, wenn 28 mit dem
ethifchen Geſetze in Widerſpruch träte. Überdies Bann Das Ge⸗
jeb Gottes uns nur verbinden, wie jedes äußere Geſetz, durch
jeine Bekanntmachung, und von diefer legtern können wir wie
der nur Kunde haben entweder dadurch, daß wir es in uns
finden, als unferer Denkkraft einwohnend, ihr von Gott aner:
fhaffen ausfindig machen, oder daß es und offenbart, durch
eine Handlung außer uns und offengelegt wird. Ob nun in
dem erflern Falle unfere Erforfhung richtig und ob im leg
tern Falle die Handlung der Offenbarung an ſich wahr, ob
der Bwed einer Offenbarung unzweifelhaft, und ob der Inhalt
getreu, vollſtändig und beftimmt zu unferer Wiffenfchaft durch
die äußere Mittheilung gebracht worden fei, die Alles bedarf.
ber forgfältigften Unterfuhung, Forſchung und Prüfung, da-
mit nicht Aber» und Afterglaube an die Stelle des Glaubens
trete und das Rarbenfpiel des Irrtfums und Wahns für das
reine Xicht der Meligion angenommen werde. Jede pofitive
Religion bedarf deshalb der bifloriihen, grammatifchen und
philofophifchen Kritik, ber legtern darum, weil jede Religion,
welche irgend etwas Unmoralifches vorfchreibt, ſchon darum
wenigftend eine unlautere und unwahre fein muß und wir
Menſchen ihre innere Wahrheit nur an ihrer übereinſtim⸗
mung mit dem Pflichtgebote in uns abnehmen Eönnen. Kein
Staube kann und darf für denkende Wefen ein abfoluter fein;
nur ber gedankenlofe ober einfältige Menſch vermag zu glau⸗
ben ohne zu denken; für denfunfähige oder des —RX
beraubte Weſen exiſtirt keine Religion, weder fuͤr die Thiere
noch für Wahnſinnige. Was wäre denn das: ungedachte reli⸗
Vorfielungen? Alles Religiöfe muß wefentlih ein Ges .
dachtes und al& ein ſolches dem Gefühle Überwieſenes fein; der
umgekehrte Weg verträgt fih nicht mit der Vernunft im Men-
ihen; es heißt gerabezu den Menfchen ihre Vernunft, ihre
ganze Würde abipreden, wenn ihnen auf irgend eine Weife
die Kritik ihrer Religion verfümmert wird. -
„Der Zwedbegriff ift ein rein menfchlicher” fol doch nicht
beißen: er ift eine Erfindung des menfchlichen Denkens und
bat deshalb nur Gültigkeit in diefem und-für diefes? Damit
würde der Verf. ein garftige® Loch in feine Kategorientafel
machen, da der Begriff bes Zwecks einer der unentbehrlichften
in derfelben ift. Eben das iſt das Unterſcheidungsmerkmal des
richtigen und unrichtigen Denkens, daß jenes ausfindet, dieſes
erfindet, indem jenes nur die Vorftelungen ausfindig macht,
=
Wie fu der Denkkraft ſchon legen und ihr von Katur einwol- macht umd nicht Issforummen Tann von Dem, was daS
oder welche aus biefen durch weitere Folgerungen zu er- Bererfuiß Viefer Deganifatten mit 6} bringt, mälhin KR
find, während biefeb auf Borſtelungen gebracht wird, ungetpeiltes und untheibares Ganıe, bes ſich immur (chf
Wozu Die Denftveft den Winiaß auper fh findet uud Fe fibR vb un) weienttih unveränbertig if. Einen (ei
über dieſen Bund Peine ihr genügende Mechenfchaft. geben Inftindt haben bie als Zhiere ebenfalls, aber er
So wahr iR das aus or Hugo gewählte Wert: Rörer, bei ihnen nur ſcht ſch und untergeorinet, weil fie aw
set le beubeur — 22* And ia vie. —— — er Leibe au —— Gerle ce was
die von der a Geelenſpi ehalten inne werben wüffen, die eigentliche iß, der Leil
———22— —— dos — cher m far Gecie nun wohat ————
‚ver ‚ca Traum; e
De Denken, meshaib au Epinsgo mit vollem * Ein Bermögen,
m , a a mit vo e ein en, von dem e v
fogte: Cogitare est summa virtus, was aber fehr ſchlecht über: | und in jeder einzelnen MWiliensihätigfeit ——
fegt fein würde mit: Das Denken iſt der Zugenden größte, Kraft auf verflgisdene Weile beurfuntet, Menſch ie
fondern: Das Denken iſt die hoͤchſte Faͤhigkeit oder bie größte gar die Zertigfeit gewinnen kann, das il von Dem
Kraftentwidtelung der Seele ober des Menfhen. Wir willen wollen, was er thun würde und was er font
aber auch nur von einem Denken, wie es die menfcpliche Seele | wol gewollt hat. Im weitern Sinne verfiehen wir unter dem
treibt, und haben gar Feine Hung von einer andern Urt | Willen alfo das Bermögen der Selbſtbeſtinmmung aus und bei
zu denken, noch weniger von einem abfoluten Denken, das wir | Untrieben. nun koͤnnen entweder die On
nur ahnen können. D en verfidhert uns unfere Bernunft, lichkeit oder durch bie Vernunft der Seele dargeboten werben;
daß Alles, was fie mit i im Falle heißen fie Begierden, und die Fähigkeit de
nicht ſelbſt im Abrede ſtellen Bann.
” Die —*— warnt nirgend vor der Philoſophie, noch ver⸗
Bietet fie deren Beleuchtung der Religiondlehren, oder gibt eine
Scheu oder Furcht davor zu erkennen, fondern fie unterfa
nur Die Einmifhung der Philofopben und ihrer GBrübeleien ın
Die einfach erhabene Echre Jefu. Da Riemand von etwas
fer fann was er nicht Eennt, fo verſteht ſich ganz von
felbft, daß hier nicht von allen Philofophen die Rede fein kann,
ndern nur von denen wie fie Damals und befonders in Ju⸗
a bekannt waren. Wahrlich, wenn diefe das Reich Gottes
auf Die Erde hätten bringen Fönnen, hätte es der dung
des Heilandes nicht bedurft! So weit defien Lehre von ihrer
Schulweisheit abftand, fo wenig waren fie geeignet, jene zu
predigen und innerlid oder äußerlich auszubreiten.. Im &e:
gentheil war es fehr einleuchtend, welche Wirren in die Re:
ligion Jeſu gebracht werden müßten, wenn fie von den Philo:
open jener Zeit nad ihrer üblichen Weiſe behandelt würde.
er find es nit die Spitzfindigkeiten geweſen, womit die
Kirenväter und die Reger unfruchtbare Kämpfe unternommen
Haben, wodurd der Hauptgrund ihres Berderbens gelegt, wo⸗
dur fle dem kindlich kötiehten Menfchenverflande entrüdt und
u einem Zankapfel disputirfüchtigen Aberwitzes gemacht roor-
en iftt Nachdem aber dieſes Gift fo hineingebrungen ift,
“daß eb die ganze Subſtanz durdhdrungen und zu einem bedeu-
tenden heile verändert bat, wie ift ihm jegt anders abzuhel⸗
fen als entweder durch ein ſtaͤrkeres Gegengift oder dur An⸗
regung der eigenen organiſchen atigten bis zu dem Grade,
da ſelbſt alles ihr Fremde oder Entfremdete abſtoͤßt und
ausſcheidet? Darum find die Philoſophen in ihrem Rechte,
wenn fie die eingefchwärzten falfhen Philofopheme zu überwin-
den unternehmen. Mit mehr Ig unb gerader zum Biele aber
eben die Theologen, welche mit Beifeltefegung aller Wenfchen⸗
Fasungen und formulirten ®laubensartifel unter gründlicher
Kritik auszumitteln trachten, was die echte Lehre Jeſu und wie
fle in ihrer ganzen Verbindung folgerecht zu verftehen iſt.
Dies ift der Beruf und die Obliegenheit der echten Theologen ;
do haben fie Fein Privifegium darauf, bürfen alfo auch Nie⸗
mandem wehren, ber felbft Die Bibel lefen und verftehen und
Das beurtheilen kann, was fie als darin enthalten predigen.
Der Bitte ift der menſchliche Inftinet? Mit nichten! Der
Snftinet, wie ſchon das Wort bezeugt, ift der Antrieb der Thaͤ⸗
tigbeit eines Tebenden Weſens, weicher aus feiner
Drganifation hervorgeht, fich deshalb ohne alles Bewußtfein
ammten
erſtern
Willens, ſich dadurch beſti zu laſſen, das Beg
vermögen, wogegen der Wille im letztern Falle feinen Rome
behält, nur in einer engern Bedentumg, zu deren Bezeichnung
er auch der freie Mille genannt wird. Denn frei i
lensbeſtimmung ohne ein Beſtimmendes, ohne Bewegungegrund
vor ſich gehen. Keine Wirkung ohne ae Feine Geiſtes⸗
thätigkeit ohne Überwindung der Herrſchaft der Xrägkeit! Des:
bald ift es wol wahr, daß nichts ſchwerer ift als die Renſchen
nur erſt zum Denken zu bringen. .
(Der Beſchluß folgt.)
— — — — — —
Literariſche Anzeige.
Vollständiges Taschenbuch
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papiere, des Wechsel- und Bankwesens und der Usanzen
aller Länder und Handelsplätze. Nach den Bedürfnissen
der Gegenwart bearbeitet von
Christian und Friedrich Noback.
Achtes Hieft.
(feiersburg — Rio Janeiro.)
Breit 8. Preis eines Heftes 15 Ngr.
Das erste bis siebente Heft sind ebenfalls fortwährend zu
erhalten; der Schluss des Werks ist nach den Versicherungen
der Verfasser bald zu erwarten.
Leipzig, im Juni 1846.
Verantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brockzans. — Drud und Werlag von F. . Wro@deans in Leipzig.
—
Blätter
für
literarifche Unterhaltung.
Sonntag,
Das europäifhe Rußland.
(Zortfegung aus Nr. 157.)
Weiter nah Süden gewinnt das Land an Wohn⸗
Tichteit, denn obgleich noch Ubelfiände genug vorhanden
find, bie eben nur der Rufje erträglich findet, fo ift doch
Ackerbau mit Ausfiht auf Erfolg möglih. Die been-
genden Tannenwälder verfchwinden, welde bis an den
Finnifchen Meerbufen reihend viele Tagereifen hindurch
die einzige Umgebung des Reifenden find und in ihm
faft das Gefühl einer Einferkerung hervorbringen, der zu
entrinnen nicht möglich iſt. Die freundliche und beitere
Kiefer tritt an die Stelle ber finftern Tanne und durch
Beimengung von einzelnen LZaubholzbäumen gewinnen
die MWaldungen entlang ber Zlüffe ein parfähnliches
Anfehen. Zumal tritt aber nun der gefchloffene Bir-
kenurwald auf als eine der eigenthümlichften Erſchei⸗
mungen bes Nordens. Die ſchlanken, blendend weißen
Stämme ftehen fo dicht gedrängt, daß fie in Entfer-
nung von 50 Schritten den Gefichtöfreis abſchließen.
Der 60 Fuß hohe und aftlafe Stamm trägt ganz oben
die luftige, aus lang herabhängenden Aſten gebildete
Krone. Die ununterbrochen raufchenden Efpen geben
dem Birkenwalde, dem fie an vielen Drten beigemengt
find, Beweglichkeit und Leben, und man begreift wol
die Vorliebe des Ruffen für die Birke, bie er um fo
mehr als einen nationalen Baum betrachten barf, ba
. fie einen wahrhaft ungeheuern DBerbreitungsbezirt hat
und im mittlen Rußland bis hinaus in das öftliche
Sibirien unüberfehlihe Waldungen bildet. Ungeachtet
Diefes Reichthums an Walbbäumen fängt man dennoch
an in der Nähe größerer Städte Holzmangel zu fühlen.
Nirgend im Norden wird bie Zerftörung der Forfte fo
rückſichtslos getrieben ale in Rußland, wo der Aderbau
auf bdiefelbe begründet if. Man macht fih die Sache
leicht, zündet eine beliebige Waldſtrecke an, befäet fie im
nädhften Jahre mit Roggen, fährt in der Benutzung
drei Jahre fort und verläßt dann das aus Mangel an
Düngung ganz erfchöpfte Land, ohne für neue Baum⸗
pflanzungen zu forgen. Diefer mwandernde und ver-
wüftende Aderbau ift zwar feit einigen Jahren unter
fagt und durch einen Feberzug ein 25,000 Köpfe flar-
tes Forftdepartement in der Staatsverwaltung erfchaffen
worben, allein beibe Maßregeln können nicht von großer
7. Zuni 1846.
Wirkſamkeit fein. Hoͤchſtens wird durch fie fo viel er⸗
langt werden, baß bie Bewohner ber nördlichen Pro⸗
vinzen dauernde Wohnfige einnehmen und „mehr Ord⸗
nung in ihre Landwirthſchaft bringen. Der Aderbau
fheint nur in ber Nähe der ältern Städte beträchtlichere
Ausdehnung erlangen zu Eönnen. In größern Fernen
nimmt er in bemfelben Verhältniffe ab als die Moͤg⸗
lichkeit der Verwerthung der Bodenerzeugniffe buch Man-
gel an Conſumenten und Berbindungsftraßen beſchränkt
wird. Die Aderfelder find überall mit Zäunen aus
friſch gefällten Baumftämmen umgeben, um bas Vieh
abzuhalten, welches im Walde fich feine Rahrung zu
fuhen gezwungen iſt. In geringer Entfernung von
diefen Niederlaffungen ift Alles wüft und wild, meiftens
fogar mit Wald bedeckt, der theild uralt und hochſtaͤm⸗
mig iſt, theils als nachgewachſener oder auf moorigem
Boden ſtehender ein kruͤppelhaftes Anſehen hat und as:
ein vorzeitig eingetretenes Greiſenthum mahnt. Offene
bewohnte Stellen kommen gewöhnlich nur in ber Nähe:
ber Flüſſe und entlang der auf Befehl angelegten Land⸗
firaßen vor, die zu beiden Seiten mit einem breiten
gelichteten Streifen eingefaßt fein müifen. Was biefer
Theil Rußlands an flaubenartigen Pflanzen und an.
wilden Blumen befigt, kommt allein an ſolchen Orten
vor und auf den Wiefen, welche die Nähe des Men-
[hen bezeichnen. Die Blumen find Kinder der freien
Natur und vertragen auch in Rußland die feuchte Ker⸗
ferluft ber dunkeln Urmälder nicht; fie fehlen wo fie ihr
Recht an Luft, Licht und klaren Himmel nicht geltend
machen fönnen. Ebenſo bejchräntt als der Raum ebenfe
kurz ift auch die Zeit, in welcher ein fröhliches Pflan⸗
zenleben fic, dort zeigen kann. Jedermann kennt bie
Dauer des zuffifhen Winters. Gr liegt fo lange und
fo ſchwer auf der geduldigen Erde, bag im Sommer bie
Natur und der Menſch eilen müffen, ihr vorgeftechtes
Ziel zu erreihen. Daher die ungemein fchnelle Ent-
widelung im fpät eintretenden Frühjahre, daher aber
auch das raſche Durchlaufen der verfchiedenen Perioden,
die erſt bei Reife ber Frucht abfchließend, ſchon unter.
dem beutichen Himmel fünf bis ſechs Monate, in Ruß⸗
land aber oft kaum ebenfo viele Wochen erfodern. Die
verfchiedenen Generationen folgen fi. auf Wirfen und
offenen Drten mit folder. Schnelle, daß zmifgen ben
aufbrechenden Sommerbiumen fi ſchon die Herbfiblu- -
63 -
®
ängen. Die abgemeffene Summe ber Le⸗
men eniporbr
bensträfte ift in wenigen Zagen erichöpft und bie Kräfte
vereinigen fih zur Fruchtbildung, che ber kurze und
froflige Herbft bie friſche Thätigfeit erflidt. Schon um
bie Mitte des Anguft ifk dag einzige Obſt reif, bie Trau⸗
Benkisihe und Wie Vogabeere und gleichzeitig verliert bie
Birke theiftwelfe ihre Blätter, denn fhre Krone erhält
fi) länger grün als ihre untern Aſte. Höchftens drei
Monate tragen die Laubholzwälder ihr freundliches Som-
merkleid. 6 ſcheint als ob die Natur beabfichtigt: Habe
durch ihre immergrünen Nabelhölger dem Bewohner je⸗
ner Gegenden einen Erſatz für die Vergaͤnglichkeit der
gan Begetation zu geben, bie minbeflend auf Den-
jenigen verflimmend einwirkt, der unter milberm Dim-
mel geboren ift. Ungern ſcheibet die Pflanzen» und
Sthierweit won bem kurz zugemeſſenen Leben. Dr Na⸗
turforfiher vermag dert nicht ohne Wehmuch zu beobad)-
sen, wie Die Thiere, ſobald nur ein fonniger Morgen
geoifchen bie grauen das Ende verfündenden Tage des
Anguft faͤllt, Ihre Vorbereitungen auf den langen Win⸗
vefhlaf oder zur Flucht unterbrechen und wie bie milde
Mofe, bie ſchon wit geröthetem Laube und reifen Yrüd)-
ten bafteht, eilig ihre verfpäteten Anospen öffnet und
zum zweiten Male mit zahlreichen Blüten fi bedeckt
aus wolle fie ihre Bebenstraft bis anf den Reft aus-
migen. Allein ale Anftvengungen zur Friſtung bes Le—
dens find vergeblich, denn mit raſchem aber flätem Schritte
naht der Winter und ſchlaͤgt das weite Land im unger
reihliche Feffeln zu einer Zeit, die man in Rorddeutſch⸗
fand als bie freundlichſte und mitbefte des ganzen Jahres
dennt und genießt.
"Der Sommer folcher Länder hat für den Fremden
wenige Neize, obgleich er allein vergelten und erfegen
fol, was ber an den Umgang mit ber Ratur Gewöhnte
elnes achtmonatlichen Winters litt und verlor.
Die Einfamkeit und Gleichfoͤrmigkelt des Landes iſt zu
groß ums befriedigend und erheiternd wirken zu koͤnnen,
vdelmehr entſteht leicht das Gefühl der Berlaffendeit
mb der Bedeutungẽloſigkeit in der Mitte einer Natur,
Die fi vom Menfchen nicht beherrſchen Läßt und ihm
sirgend freundlich und helfend entgegentritt. Ganz be⸗
onders abfpannend wirkt aber die faſt ununterbrochene
geshelllgkeit des hochnordiſchen Sommers. Auf ben
langen meift druͤckend warmen Sag folgt eine ſchwüle
Racıt, aber ein eigentliches Dunkel tritt nicht ein, fon-
dern nme eine Aurzbauernde Dämmerung. Nahe und
ferne Gegenftände find gleich deutlich ſichtbar, nur er⸗
feinen fie wie durch einen leichten Flor. Der Himmel
ſteht im Nordweſten und Norden in ber blendenden
Blut der untergehenden Sonne, bis diefe im Often von
neuem herauffleig._ Einen eigenthümlichen Ginbrud
bringt die Schattenlofigkeit aller Gegenftände unter bie-
fer Beleuchtung hervor. Der ungemohnte Fremde wird
von einer quälenden Unruhe ergriffen, vermag trog gro⸗
fer Ermüdung wicht zum Schlafen zu gelangen‘ umb
gerät aus ber UÜberreizung endlich in eine Apathie,
in weldger er nur zuweilen durch eine unbeftinnmte Gchn-
gorie meined Denkens ift,
ſucht nach Dunkelheit geflört wird. Die erſten norbi-
fen &Sonmernädhte ziehen an durch bie Neuheit bet
großartigen Eindruds, allein fie ermüben, während bas
Uebermaß bes Lichts und der Mangel jener Periobic
welche mit der Steigerhng. unb- Bemsinderung onganil
ſcher Thätigfeiten eng zaſammenhangt, flogen. un deh
Körper wirkt. ”
(De Beſchluß folgt. )
Schepenhauer in feiner Wahrheit ıc. Bon F. Dorguth
+ (Belhluß aus Nr. 157.)
Weil denn die Selbſtbeſtimmung ein Geiſte ü
foweit es fi zu bethätigen aus fh vermag, eine Fer,
jedes Vermögen und jede Kraft aber durch den Gebrauch geübt,
geftärkt oder geſchwaͤcht und vermindert werden kann, und weil
der Menſch mehre Vermögen und Kräfte befikt, aus deren ver
ſchiedenem Berbältniffe ein fehr veränderter Zuftand feiner Seele
und Beihafkengeit ſeines Gemüthe hervorgeheh muß, vament
lih aus dem Berhältniffe der Vernunft und des Willens zur
Einbildungskraft, Sinnlichkeit und Begehrungsvermögen, fe
ift es auch durchaus falſch, zu behaupten, „daß der Menſch,
wie einmal geboren, nicht umgefchaffen werden Forne”. Se:
ner phyfifcden Natur nach allein würde er es nicht Fünnen,
aber fein geiftiges Weſen verſchafft ihm auch dieſe Freiheit.
Dies ja iſt dad unerfchöpflicge Ihema des Zurufes Jeſu: Be
kehret euch oder Pehret um, was Kutbher wnrichtig überfegt bat:
Thut Buße! Biehet den neuen Menſchen an! Werdet wieder zu
frommen Kindern des himmliſchen Baters! Wahrti, fo ihr nidt
wiedergeboren werdet, Eönnt ihr nicht ins Reich Gottes Eommen!
„sh weiß daß ich weiß’ ift ein gang richtiger Sag, mer
her ausjagt: ich wiffe, daß ich des Gegenflundes meind Bi
fen gewiß bin, daß ich Den zureichenden Grund wiffe, weruh
diefe Gewißheit berußt, entweder weil diefer felbſt eine Kate:
ober weil ich Die Folgerichtigkeit des
baranl 8 eten Beweiſes überfehbe. ben bewegen Arum
der Menſch au nur folder Dinge gewiß werben oder gewor-
den fein, welche von ber Be (Sofenpi find, daB er ihren zu⸗
reichenben Grund in ihnen oder In ſich ſelbſt außfinbig maden
kann. Denn im gewöhnlichen Leben auch von Eriahtunge-
gegenftänden behauptet wind, daß darüber Gewißheit befiche,
ift dies nur ein uneigentlicher Yubdrud, indem feine Sinmet-
wahrnebmung und Feine Mittbeilung vollftändige Gewißheit
eben Tann, fondern immer nur einen fo hoben Grab von
hrſcheinlichkeit, daB im praktiſchen Werfehre fie für
heit eiten Tann. Es verhält fi hiermit wie mit dem Ge
auche- der Logarithmen in allen Teilen der mathematifchen
Mengen ‚ wobei das Dafein einer i von der
® Abweichung
Wahrheit gewiß, aber dabei fo unbedeutend iſt, Baf
bletben
nern Seelenſpiegel treten. Denn fo verhält ſich das Bewußt
fein der Seele zu ihrer Thaͤtigkeit wie ein Spiegel, vor wei:
hem Alles vorgeht, was in der Seele vor fich geht um &
aber im Spiegel zu erkennen, dazu ift außer A: nem Zuruͤck
werfungsvermögen noch der Einfall des Lichts erfodertich, wel⸗
bie Seele durch ihre fi Aufficmg und Grfaffung
Deften, was fie befchäftigt, gleichſam wie Durch Reibung, er»
zeugt und jich felbit dadurch erleuchtet und ihren inneren Spie⸗
gel damit beleuchtet. So verhält es fih nun mit dem Selbſt
.
Zi En — ⏑ ⏑ —
*
fe rn en ⏑⏑⏑ ——— — — —
— u vn
681
bewußsfein, mit dem Bewußtfeht zu fein, ober eigentlicher nudh | Davon zu einer neum Borftellung für bie Denkkraft geſchaffea
mit dem Urtheile, daß das Ich rin feiendrd if. Darm ger
rade, meil ſolches ein Urtheil ift, iſt es ein Sehanke und keine
Erfehrung. Das Bewußtfein fliet unmittelbar aus der Vor⸗
fielung Dee Seele von ſich ſeibſt; es wird zwar entwidelt
durch Die Beobachtung des identiſchen Ich in allen mit und, in
demfelben vorgebenden Veränderungen, aber es wird dadurch
nicht erzeugt. Beides darf nicht verwechſelt werben. Denn
der Entſtehung geht nichts vorher, das ut dem Entſtandenen
. durch das Merkmal det Ipentität verbunden wäre: umgekehrt
ſetzt jede Entwickeluug fchon ein Borhandened voraus, das ſich
nach einem in ibm felbft liegenden Schema ausdehnt. Kein
Stein und kein Erdball kann fih bilden ohne einen Kern ober
ohne Anziehungskraft feiner Atome, kein Grazhaim und Fein
Thier kann des Keims ermangeln, aus dem es fi nad dem
in ihm felbft ſchon enthalsenen Typus herausbildet. Auch das
Bewußtfein ift nur der Inbegriff bes Stätigen in dem fort:
währenden Bewußtwerden; ware aber Died Seiende in jenem
nicht wirklich, koͤnnte es fi ja gar nicht bewußt werden, ſich
wicht entwideln. Sich bewußt fein Heißt alſo: die Seele hat
durch ihre eigene Thaͤtigkeit und Die auf biefelbe gewendete
Aufmerkſamkeit fo viel Licht in fich erweckt, daB fie in ihrem
Spiegel fi ſelbſt zunaͤchſt in ihrem unveränderlichen Sein,
wad hiernaͤchſt in ihren Berrichtungen und aufgenommenen Ein:
drücken bat en fönnen. Die Wahrnehmung unter-
ſtellt ſchon das Wahrzunehmende oder Wahrgenommene. Die
Thaͤtigkeit der Gehirnmaſſe (denn fie ift im denkenden Men⸗
ſchen mitnichten ein Brei, ſondern ein organifches Gebilde)
if nicht die das Bewußtſein beroorbringende Urfache oder Kraft,
“fondern ſelbſt ein Erzeugniß der Seeienthätigkeit bei dem Her-
vorbringen der Bewußtwsrdung, wie faft alle Geiftesihätigkeir |
ven auf den Körper einwirden und in ihm gewiſſe Erſcheinun⸗
en bervorbringen. Inwieweit die letztern zugleich jenen als
—R dienen, wiſſen wir noch nicht. |
Eine ebenfo große Berfihiedenheit, die zu oft ganz über«
{eben wird, waltet zwifchen einen abftracten und einem abfira-
birten Begriffe. Sener ift ein folcher, der ame nicht durch bie
Abftrastion der gleichen Merkmale in dem Concereten gebildet
werden Bann, fonbeen den die Seele nur ſchaffen kann aus fich
felbft, indem fie von allem Andern außer ihr abftrahirt und
nur auf ihre eigenen Ürbegriffe (Kategorien) zurüͤckgeht; dieſer
hingegen entfteht aus der Wusfonderung der gleihen Merkmale
in den Vorftelungen des Beſendern. Ohne Abftraction und
ohne Berbindung des Mannichfaltigen zu einer Gefammtheit
läßt fih überal Fein neuer Begriff bildens aber im erſtern
Falle ift die Eigenfchaft der Abftraction bei ber Begrifföbildung
eine materielle Eigenſchaft ber Geiftesthätigkeit dabei, im leg:
teen Falle bios eine formelle. Die abftracten Begriffe finden
iesnach blos im Gebiete des überfinnlichen ſtatt, wogegen ab
rabirte Begriffe ſowol finnliche als überfinnlihde Gegenftände
in fich begreifen, aus der Erfahrung oder Speculation abge»
zogen werden Fünnen: Je nachdem nun der Rechtsbegriff auf
diefem oder jenem. Wege gefunden wird, Bann er ein abftracter
oder abftrahirter fein. In beiden Fällen enthält er in feiner
Natur durchaus nichts, was im Wege ſtehen Fönnte, abgeſe⸗
ben von allen pofitiven Beftimmungen, lediglich durch Ent-
wickelung Spaltung oder Anwendung ihn auf alle denkbaren
Berhältnie und Einrichtungen unter Menſchen zu beziehen
und ihm folhe unterzuorbnen, felbit fogar die rechtswidrigen
zu dem Zwecke, um bas natürliche Unze
Weil das Vorgeftelite immer den Inhalt der Vorftellung
Pa muß, in diefer nur wie eine Abbildung davon abge:
faßt werben Tann (alſo prius), Fönnen hiervon auch alle Bor:
feellungen vom Überfinnlihen nicht ausgenommen fein und bie
Benennung und Gintheilung der Begrife a prieri und a po-
steriori nicht darin ihren Gntfiehungsgrund haben, fenbern
gerade barin, daß bei den exitern die Objecte, die fie in ſich
ifen, bereits vor ihrer Buflandebringung in den Erkennt⸗
ni der Seele vorhanden fein müflen, wogegen daB Object
ber @rfahrungsbegriffe nur erſt vermittels der Begrifsdilsung
t darin bioßzulegen.
wird. Denn ba bie Erfahrung zu jenen Peine Gegen
berbietet, würde ber Verſtand gar keinen Begriff zu Stande
bringen koͤnnen, wenn er nicht fchon in fi Vorſtellungen hätte,
von denen er vermöge Abſtraction ben neuen Begriff erlangte
Dos nun eben ift der Grundfehler des unfterblichen Kant und
die Haupturſache gemwefen, warum feine Yhilofophie nie bat
ſeſten Boben gewinnen Fönnen und baß alle feine Nachfolger
im Gefühle ihres Grundmangels fi gedrungen gefunden has
ben, nad andern Grundprincipien fi umzufehen, daß er bie
Buverläffigkeit der Erkenntniffe durch reine Geifteßthätigkeit in
Abrede ſtellte und biefelbe der finnlichen Erkenntniß zuſchrich,
da es ſich doch gerade umgekehrt a ag Daß kein zuſammen⸗
ſetzendes Urtheil über jene möglich fei, tft ebenfo unerfindlich
und fon deshalb nicht andem, weil jebes anflöfende Urtheil
nur umgekehrt und zunaͤchſt disjunctiv gefaßt werben darf, um
es in ein zufammenfegendes Pategorifche® umzubilden. Ber
Saupfgrund des. ganzen großen Jrrthums aber Liegt in ber
falfchen Borftelung von der Anſchauung beim Denken, welche
weder im Weſen deſſelben einbegriffen noch ihm unentbehrlich
ft, noch ihm Zuverläffigkeit verſchafft. Dennoch ift, weil es
ein großer Mann behauptet bat, diefe Lehre fo vielfach nad
geſprochen worden, daß es keine Meine Aufgabe ift, fih bavon
nicht hinveißen zu laffen, fondern ihr alles ſtes entgegenzu«
teten. Die Anſchauung Pann ſchon darum für Die Wahrheit
der Erfahrungskenntniſſe Peinen Halt geben, weil in Allem,
was die Erfahrung vorführt, nicht das Seiende umd Wirkende
felöft in feiner wejentlihen Beichaffenheit wahrgenommen toird,
fondern alle Vorftelungen davon nur aus den Eindrüden zu⸗
‚ fammengefaßt werden, die fie auf uns gemacht haben, alfo aus
einem ganz individuellen Verhättniffe Hervorgehen, neben wel⸗
chem gar Feine Nothwendigkeit vorhanden if, daB biefelben
Wahrnehmungen unter andern Umftänten und nit andern Sin⸗
nesorganen ſich unabänderlich wiederholen müflen, fodann aber
auch und hauptfächlich darum, weil in allen Erfcheinungen ber
Denn in.
Srfahrungsmweit überhaupt gar Bein Sein beftebt.
der Wirklichkeit waltet nicht bie allergeringfte Dauer irgend
eines Zuftandes, des Beftandes irgend einer Beichaffenbeit,
fondern ein unabläffiges Werden, ein unaufhörlicher Wechſel
von Entſtehen und Vergeben, eine unendliche Mauferung, bie
jedoch für unfere Sinmeswerkzeuge fo unmerklich von ftatten
geht, Daß wir dadurd verleitet werden, dieſes ſtets bewegte
Werden für ein bebarrliches Sein zu nehmen und ben beobadh«
teten Dingen die Beſchaffenheit beizumefien, bie wir an ihnen
wahrgenommen haben und die fihon nicht mehr diefelbe iſt,
wenn aus der Wahrnehmung eine Vorſtellung geworben ift.
Für die Praktik des Lebens verfchlägt auch Died nichts, weil
umwahrnebmbare Zuftände in ihr nicht beachtet gu werben brau⸗
hen. Für die Erkenntniß ber wahren Ratır der Dinge aber
it es von entfcheidender Wichtigkeit.
Menſch aus der Welt mit Gewißheit weiß, tt, daß in ihm
inmitten aller wechfelnden Weränderungen in feinen geiſtigen
und leiblichen Sufländen und aller Dinge um ihn herum sin
Weſen lebe, welches fih immer als ein unb daſſelbe Ich ber
grüßt, ſodaß fügar jede Vorftelung einer Veränderung biefer
Derfönlichfeit ihn anekelt. '
Was die Römer das Recht der Natur nannten, naͤmlich
das jedem lebenden Wefen um feines inbivibuellen Lebens wil⸗
Ien nicht zu verfagende Recht, ift ein ganz anderes Ding als
das Natur» ober Bernunftrecht, von welchem als einer für fich
beftehenden Wiffenfihaft jene flolgen Republifaner und knechti⸗
Gen Unterthanen ihr
ge des reinen natürlichen Rechts unmittelbar unter gleichbe⸗
rechtigeen Bernunfhvefen nur negative Mechte beftehen koͤnnen,
ift eine befannte Sache; aber es folgt daraus nicht, daß nicht
die weitere Verfolgung ber natürlichen Rechtönorfchriften mit-
telbar auch auf pofitive Rechte zukommen koͤnne. Denn wie
bie Moral und das Mecht aus einer Wurzel hervorgehen und
fih nur ennen, daß gewiffe Pflichten ald allgemein
verbindlich, andere nur ats bebingungsweife verbindlich aner⸗
&
In 1
Das Einzige, was ber'
er Kaifer noch wenig wußten. Daß zw.
[4
Sonnt werden, fo fann ua das Nechtöfubjert activ und pafio
niemals aus feiner moraliſchen Natur ausſcheiden und biefelbe
verleugnen. Sobald alfo erkennbar ift, daß der Menſch ver-
möge feiner Ratur nothwendig in Berhältniffen leben muß ober
Doch follte, ohne welche er feinen Beruf als Glied der Wenſch⸗
eit nicht erfüllen würde, fo find eben diefe Berhältniffe und
die daraus für alle Glieder erwachfenden O:bliegenheiten und
Gerechtfame allgemein erfennbar und treten der Sphäre ber
Mechtöwiflenfchaft hinzu. Dahin gehören nun I) diejenigen Zu⸗
fände, wo durch eigenes Verſchulden oder durch verbindliches
Berſprechen der Zuſtand der natürlichen Sleichheit aufgehoben
ift, alfo die ganze Lehre vom Schadenerſatze und ven Vertraͤ⸗
gen; fobann aber 2) das Familien⸗ und das ganze Staatsrecht,
indem die Menfchheit ohne Familie und Staat nicht befichen
Bönnte. Mon gelangt eben dahin noch auf einem andern W
Wie es nicht bich Pategorifche, fondern auch hypothetiſche und
bisjunctive Schlüffe gibt, fo darf auch eine aus der Wernunft
abgeleitete Wiſſenſchaft nicht bloß kategoriſche Säge aufſtellen,
fondern es gehört zu ihrer Vollſtaͤndigkeit, daß fie auch Ichre,
was bedingungsweile oder alsdann zu behaupten ift, wenn von
mehren zuläffigen Bällen nur einer eintritt. Belehrt fie bier-
* über nicht, läßt jie den lernbegierigen Schüler unbefriebigt.
Das lateinifche velle non discitur, das Wollen kann nit
gelernt werben, ift eine - ausgemadhte Sache, weil eben der
Wille in der Kähigfeit der Denkkraft zur Selbſtbeſtimmung
beruht, welche ihr nicht angelernt werden kann, ſondern weſent⸗
lich zu ihrem Selbft gehört, eine Eigenfhaft ihrer Natur aus⸗
macht. “Uber unrichtig überfegt würde es fein, wenn wan da⸗
mit behaupten wollte, au das Was und Wie des Wollens
fei gar Bein Gegenfland der Unterweifung und Gelehrigkeit.
fondern koͤnne ebenfalls nur angeboren fein. Denn zuvörderft
ift Beine Kraft ihrem Maße nach eine in fi beflimmte und be
ändige, fondern jede kann dur) Übung oder Ridptübung und
durch die Urt ihre Gebrauchs oder Misbrauchs erhöht ober
vermindert, zur Geſchicklichkeit und Fertigkeit gebracht oder
zum Ungefchide und. zur Untauglichleit herabgebracht werden.
Es gibt fonach auch für den Willen eine Schule, ein Gymna-
fiun zu feiner Auöbildung.
Weſen nach nichts Anderes als eine Anwendung der Vernunft
ſelbſt. Alles was die Vollkommenheit diefer im Erkennen mehrt,
ſowol in Betreff der Richtigkeit und. Menge des Durchdachten
als der Geläufigkeit und Deutlichkeit des Denkens felbit, das
fteigert auch die VBorzüglichkeit des Willens. Du ed nun eben die
Aufgabe der Wiſſenſchaft ift, durch Die foftematifche Ordnung
des zu Erkennenden fein Erkennen zu regeln und zu erleichtern,
fo kann man aud nicht ableugnen, daß die wiſſenſchaftliche
Bildung, die Aufflärung und Bereicherung der GErfenntniß
eine Borfchule des Willens und deſſen Bervolllommnung von
deren Benugung abhängig iſt. Es kann und fol deshalb ge
lernt werden, wie der Wille ſich erweiſen und worauf er ge
richtet werben muß, um ein menfchenwürdiger, freier, vol:
fommener Wille zu fein oder viehmehr immer mehr zu werden.
Für die Sphäre des Rechts Hat ſolches allerdings nur den ne
. gativen Rugen, baß der freie Menſch dadurch fich dem Zwange
weniger ausfegt, daß er durch Die moralifche Nothwendigkeit
des Sollens nicht fich in die phyſiſche Rothwendigkeit des Müf
fens ſelbſt verfegt. Denn das Recht fragt eben darum, weil
es auf feine äußerlihe Gewährung ausgeht, nicht nach dem
guten Willen dazu, fondern erzwingt diefelbe aud wider Wil⸗
ten. Für die Sphäre ber Moral oder Xugendubung aber, wo
e6 Fein Müffen gibt, iſt die Erkenntniß und Zreubaltung bes
Sollens ald Desjenigen, was eben den Willen aus innerer
Rothwendigkeit der Einſicht alfo beftimmt, Daß er nicht umhin
Tann ed zu wollen, um.nicht bie Wernunft, das beißt fich
felbft zu verleugnen, das Beftimmende und das Leben Regie
rende. Und weil die Moralität des Menfchen nur dadurch uns
ea erhalten wird, daß er überall will was er fol, fo ift
ed für fie, zugleich aber auch für die Unverleglichkeit bed Rechts,
von der hoͤchſten Wichtigkeit, daß die Menſchen einſehen lernen
Verantwortlicher Herausgeber: Heiurich Brodhans.
Hiernaͤchſt iſt der Wille feinem .
und deutlich und vollſtaͤndig wiſſen, was in den Vorkommen⸗
en des Lebens Rechtens iſt, damit fir als Freie ſolches We⸗
en erfüllen, nicht als gezwungene Sklaven. Wehe alfo der
Diſſenſchaft, welche uns das Sollen und das Kennenlernen
deffelben ala ein Hirngefpinnft, als etwas Sinnlofes darzuſtel⸗
len fi abquälen möchte! Denn gelingen fann es ihr nimmer:
mehr, mit welcher dialektiſchen Kunft fie es auch anftellen
möchte, weil diefe Gewebe immer wieder von dem gefunden
Menfihenverftande zerriffen werben.
Es verhält fi) mit ‘der Wiſſenſchaft und infonderheit mit
ber Philoſophie wie mit allen Dingen in der Welt; ihr richti⸗
ger Gebraud fördert, ihr Misbrauch ſchadet, und je ſegens⸗
reicher jener ift, defto verberblicher diefer. Richts bat der Phi⸗
lofopbie, dem Streben nah Wahrheit und Weisheit, fo vid
Eintrag getan als eben die Philoſophen mit ihren kunſtvollen
Syſtemen und bekebig angenommenen Grunbfägen. Denm ans
flatt den regierenden und beberrichenden Grundſatz alles Wil
fens in diefem felbft aufzufuchen und fich deffeiben alſo analy
tifch zu verfichern, iſt irgend ein ‚ der eben dem S
eines neuen Syſtems dazu tauglich erfchien, zum Principe def-
felben aufgeftelit worden, wozu er jedod nicht faugte, weil er
felbft noch auf Feiner feften Unterlage lag und welcher beshalb
bald wieder verworfen worden ift, fobald dies entdeckt wurde.
Um nun diefen Untergang der neuen Schöpfungen moͤglichſt u
hindern, ift mit großer Emfigkeit Danach geftrebt worden, bas
Berftehen und fomit das Beurtheilen und Durchſchauen durch
eine Lünftlihe Sprache und ſchwerfällige Zuſammenſtellungen
in der Ausführung, durch kecke Behauptungen und ſtolze Ab⸗
fertigung der ſich ayfbrängenden Einreden zu erfcgweren und
fi dadurch ein Anfchen zu verfchaffen, das die Blindgläubigen
mit Ehrfurcht und Enthufiasmus erfüllt, wie ſolches ber Blind:
gläubigkeit eigenthuͤmlich iſt. Wenn diefe Art, die Wiſſenſchaft
zu betreiben, ein Verdienſt erwirbt, fo muß eingeftanden wer:
den, daß die beiden jüngften Philofophenfchulen überaus darin
vorgefchritten find, wenn man auch füglich Den Streit über den
Vorrang, wie er geführt wird, ihnen lediglich überlaffen kann.
Niemand kann infenderheit die Genialitaͤt Hegel's verfennen.
Sein größtes Verdienſt iſt, daß er die Ehre der Logif zu ret⸗
ten die Rothivendigkeit eingefeben hat. Aber leider bat er
felbft aus der Logik eine ganz andere Wiffenfgaft gemacht als
die, deren Kenntniß fo 9* noththut, die reine Kenntniß der
Formen des richtigen Denkens. Iſt die Dialektik wieder nicht
die Anleitung zum GSebrauche eben dieſer Kenntniß, fo muß fie
fih zum geſchickteſten Werkzeuge der hiſtik herabwür⸗
digen und iſt dazu um fo geſchickter, je unfaßlicher und will⸗
Fürlicher ihre Formeln find. So ift e8 von jeher gemefen und
fhon Sokrates wußte died. Je freier fih ein Denker von Dem
erhält, was dermalen für Dialektik gilt, defto leichter wird c#
ihm fein, logiſch richtig zu denken und dadurd die Wahrheit
zu finden. 43.
Miscellen.
Sebaſtian Wirdig, Doctor und Profeſſor der Median
zu Roſtock (geft. 1587), hatte ganz beſondere Meinungen; bean
außerdem, Daß er überall Geifter in der Natur anzutreffen
wähnte, glaubte er: daß die Luft im Winter an ciner febre
algida, im Frühling an einer febre intermittente und im
Sommer an einer febre calida continua laborire, wobei ihm
nicht8 feltfamer vorfam al& daß der Patient nach einer fo vie:
fältigen und langwierigen Krankheit Dennoch nicht ftürbe.
Franz Sylvius, Kehrer der Berebtfamleit im Gollege de
Zournay zu Paris in der erften Hälfte des 15. Jahrhunderts,
lt für den Erfinder des Eaftrirens der alten obfcönen Schrift:
eler. Gr gab zuerſt den Martial „erpurgirt” heraus, wel:
hem Beifpiele hernach die Jeſuiten bei ihren Ausgaben von
Slaffitern folgten. 2.
— Driud und Berlag von F. X. Broddans in Reipzig.
EKENZETSEB
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Blätter
für |
Kiterarifhe Unterhaltung.
Montag,
(Beſchlus aus Nr. 158.).
‚Auf der Breite von Moskau ändert fi der Raturcha-
rafter des Landes, mindeftens treten die -Zeichen des
- Übergangs deutlich hervor. Die Tannenwälder verſchwin⸗
den und Laubbaume werben immer häufiger; fie bilden
eine natürliche Region, die aber auch als -Region ber
Waldvernichtung gelten kann, indem gerade hier mit den
Korften von jeher fo fehonungslos umgegangen worden
ift, daß von Moskau nach Süden hin gefchlojfene- Wäl-
der: immer feltener vorkommen, aber an ihrer Stelle
- offene baumlofe Flächen fehon lange vor Erreichung des
eigentlichen Steppenlandes un fo häufiger find. Die
Eiche und mander in Deutfchland gewöhnliche Strauch
deutet auf milderes Klima, und mit dieſer Naturgrenze
ift auch die Völkergrenze gegeben und deutlich wird die
verfchiedene Urt des Aderbaus und die forgfältigere
Benugung des Bodens. In den nörblichern-Gowmerne-
ments wohnen die "Finnen oder mindeftens beſteht ein
anfehnlicher Theil der Benölferung aus Menfchen,- die,
ſichtbar vom finnifchen- Stamme entfprungen, ruffifche
Sprache und Sitten angenommen haben. Die Groß—⸗
rufſen oder: Moskowiter find -in jenen ‘Gegenden nur
Coloniften, die fich- freilich nach und nach der: Herrſchaft
bemädhtigt haben. Jagd und Fiſchfang find die Haupt-
befchäftigungen: der Bewohner jener an Flüffen, Seen
und::Mäldern- reichen Gegenden, wo Dbftbäume nicht
gedeihen, der wenig einträgkiche Aderbau fih auf bie
gelichteten Etreden in der Naͤhe ber Flußthaͤler be»
ſchraͤnkt, der größte Theil des Landes aber unbemohnt
if. Im mittlern Rußland oder von Moskau an iſt
webares Land mit Wald gemiſcht, Hpfel und Birnbäume
kommen da nur eultivirt fort, liefern aber fehr umvoll⸗
fommene Früchte. Der Aderbau iſt bier die Haupt:
befhäftigung der: Bewohner des flachen: Landes und in
. den größern Städten hat fi mannichfaltiger Gewerb⸗
Fleiß entwickelt. Die bichtere Bevölkerung und die offe-
nere Beichaffenheit des Bandes haben hier auf das
Thierreich, welchem weiter nörbfidy die Erde überlaffen
ift, fo eingewirkt, daß die Jagd ale Erwerb fjede-Be-
- deutung verloren hat; nur die großen Flüſſe find fiſch⸗
- reich und ben Anwohnern nützlich. Die dritte und ſüd⸗
— Nr. 159, ——
"Das europäifihe Rußland. u
8. Zyni,1846.
lichſte Region grenzt unmittelbar an das Steppenland.
Sie wird bezeichnet durch wilde Birn- und ⸗Upfelbaͤume,
iſt ohne eigentliche Waldungen, denn Baumvegetation
gedeiht da nur noch in den Sumpfniederungen und in
den: Tiefen dert Flußthaͤler; ihr Klima iſt ſo mild, daß
Melonen und Waſſermelonen im Freien gedeihen md
der Weinfted--angepflanzt werden kann.
Die -Zruht-
barkeit des Bodens ift theilmeife fehr groß, aber ganz
abhängig von der Humusdede,. die bald in ſchmalen
Streifen verläuft, bald weite Flaͤchen bedeckt, und unter
dem Ramen der „fhwarzen Erde” nicht. allein in: Ruf:
land berühmt ift, fondern auch wiffenfchaftliches Inter⸗
eife erregt, indem ihre-Erfcheinung manches: Näthfelhafte -
bat und die Aufmerkſamkeit der Geognoſten verbieht.
Wo fie fehlt - tritt der weiße und im’ Winde fich fort-
bewegende: Flugfand hervor, wo fie aber die. Fahle Ebene
gleichmäßig bededt, da bildet fie den äußerſten Gürtel
ber Steppen und hierdurch das fruchtbarfte: Ackerland
Europas. Ackerbau und Viehzucht find die weſentlichen
Beſchaͤftigungen der Einwohner, die meift dem Stamme
der Kleinruſſen entfproffen find, denn alle andern:Gr-
werbögquellen fallen weg als unbedeutend im Verhaͤltniſſe
zu den erfigenannten. rüber allein von Nomaden durch⸗
-flreift, hat dieſer Theil des europätichen: Rußlands nur
durch die Strenge der Regierung eine feſt angefiedelte ”
"Bevölferung erlangt, die ungern und nach langem Wi⸗
derfireben ihre unftäten Gewohnheiten aufgab. "Am
-außerften &übende dehnt fi das -Steppenland aus,
welches unter und weit beffer gekannt: ift als das duͤſtere
Waldland im Norden von- Moskau und von unferm
Reifenden nur an feiner Grenze berührt wurde. Wirk⸗
fih mag auch ‚nur der Nomade oder der Naturferfher
ſich auf diefen kahlen Ebenen wohlfühlen, die jedoch für
den Letztern wegen ber unglaublichen Gleichfoͤrmigkeit der
Bodenbildung und ber "Thier- und Pflanzenwelt: bald
alles Intereſſe verlieren müffen. Das Innere: des
-Steppengebiets iſt ſtellenweiſe fehr unfruchtbar und -fo
waſſerlos, dag nur ſolche Gewaͤchſe auf ihm gedeihen
können, welche ihre Wurzeln tiefer in den MDoden ein⸗
ſenken.⸗ Auf der ‚weiten, einförmigen und kahlen Flaͤche
liegt die Einſamkeit der Wüſte, die auf den Ungewohn⸗
ten anfangs erhebend einwirkt, bald aber beaͤngſtigt.
Man legt manche Meile zuruck ohne irgend etwas zu
634
Abgeſchiedenheit bieten die verloren daſtehenden und
flundenweit erfennbaren Heerden bie einzige Abwechſe⸗
lung Sie besten aber nicht auf die erfehnte Nähe des
Menſchen, denn allen Unbilden des Wetters ausgefegt
irren fie unter der Obhut einiger Hirten herum und
nähern fi erfi im Winter ben weit verfireuten Dör-
fen. Der Beifende fliegt von rafchen und faft uner-
müdlichen Pferden gezogen viele Meilen fort, ohne am
gerablinigen Horizonte einen Wechſel zu gewahren, und
gewöhnt fi) mit Freuden jebe armfelige Hütte und je:
des mit Kreuzen bepflanzte Hünengrab zu begrüßen, an
welchen die Steppenbemohner Gräber auf uralten Grab-
flätten errichtet haben, denn fie verrathen die Nähe der
* Dörfer, die, unreinlic und unwohnlich genug, unter fol-
chen Umftänden willlommene Raftpläge find. Das Loos
der Steppenbewohner ift nicht beneidenswerth, es wäre
wol fogar wenig beffer als bdasjenige der Bevölke—
rung der mittlern und nörblichen Provinzen, laftete nicht
auf diefen der harte Drud ber Regierung und der
Grundberren, von welchen die kofadifchen Stämme des
Südens wenig empfinden. Das Klima des Landes ift
nicht fhon. Im Surzbauernden Frühling bekleidet ſich
zwar die Steppe mit lebhaften Grün, allein bald ver-
dorrt dieſes unter dem brennenden Sonnenftrahle bes
wolken⸗ und regenlofen Sommers. Der Herbfi bringt
——— Nebel, der Winter aber große Kälte
Schneeſtürme und die Öde nimmt zu, wenn bie
—S ſich feſtgelagert hat. Die Natur und die
Beſchaͤftigungsweiſe der Bewohner find hier fo einfach,
daß aufer der phufifchen jede menfchliche Entwidelung
gehindert fein muß und der gebildete Fremde ſich unter
folden Umgebungen in furzer Zeit nur unglücklich -füh-
Ien kann. Der Eingeborene freilich ift zufrieden, denn
er trägt berwußtios die Feſſeln? welche die Natur bier
für ihn bereitet hat. Gr liebt das Land, obmol es ihm
wenig bietet und in ihm das Leben farblos verftteicht,
ohne Wechfel von Hoffnung und Furt, von Freude
und Leid und ohne Verſchiedenheit zwifchen Vergange⸗
nem und Zukünftigem.
Über Rußland unter andern Gefi chttpunkten als dem
naturhiſtoriſchen zu berichten iſt heutzutage ein Wagniß,
dem ſich der Friedliche nicht gern ausſetzen wird. Wie
vorfichtig der DBerichterftatter auch zu Werke gehe, fo
wird er doch kaum vermeiden können, mit einer oder der
andern Partei in Mishelligkeiten zu gerathen, befonders
in Deutfhland, wo eine new entftandene, umfaͤngliche
und begierig aufgefuchte Literatur dafür forgt, ben aller-
dings erflärlichen voltsthümlichen Widerwillen gegen die
Rufen und ihre Regierung bis zu dem Grabe der Lei⸗
denſchaftlichkeit zu fteigern, unter welchem jedes ruhige
Urtheil aufhört. Auf der andern Seite ftehen bie Ruf-
fen felbft, Die keineswegs jene @leichgültigkeit gegen
fremdes Urtheil befigen, welche, als Folge eines wohlbe-
gründeten Selbſtgefühls, in Europa nur dem fchroffen
riten wirklich beiwohnt. Vielmehr Laffen die Ruffen
fh gern rühmen; ihre Regierung forgt dafür, daß bie-
ſes im Auslande gefchehe, fie bemüht ſich fegar, fo weit
als möglid, ben Tadel zu hindern. Zu — — Felgen
dieſe gamy entgegengeſeyten Beſtrebungen geführt Haben
und wie von beiden Seiten die Wahrheit auf das
fihtölofefte verlegt worden, wie man in Na ra
ten Schriften fogar bie Urtheilskraft der ri eweit, Die
man zu bearbeiten gedachte, verhöhnt hat, iſt
grüßt man mit —* Freude ein Buch, — die
großen Ftagen nah Charakter und Zuſtand des Belki
unter einem andern Geſichtspunkte und zwar dem na-
turhiftorifchen auffaft. Zur richtigen Beurteilung halb⸗
roher Völker ift Kenntniß der natürlichen Beſchaffenheit
ihrer Länder unentbehrlich, denn jene fiehen mit der Ra-
tur nod in geraden Berlehre, find von ihr abhängig und
enthalten daher durch fie ihre Richtung. Zu foldyen An⸗
ſchauungen, bie einſt Herodot leiteten, bie freilich aber
einem Guftine fremd find, muß fi Kenntniß der Hifie-
rifhen Entwidelung und ihrer Störungen gefellen. Im
Staatö» und Volksleben Rußlands fichen widerftreitende
Elemente miteinander im Kampfe, die nur Dem ver:
fländlih und in ihrer ganzen Wichtigkeit abſchätbar
find, der den urfprünglichen in Raturverhältnifien be
gründeten Boltscharakter und feine Umgeftaltungen duch
fremdarsige Einwirkungen der legten zwei Sahrhuskat
getrennt zu betrachten weiß. Der deutfche Reifende hu
fih auf diefen hohen Standpunft geftellt und, mo cd
die Umflände erheifhten, mit ruhigem Ernf und ſicht⸗
barer Billigkeit fein Urtheil über das zuffiiche Bolt ge-
fält. Wir vermögen bier nicht feine Anfihten mitzu-
theilen, indem fie durch auszugsweiſe Behandlung ver-
lieren müßten, konnen aber als allgemeines Refultat an-
führen, daß die Mafle des Volks ihm keineswegs fo
poſitiv demoralifirt erfchienen ift wie fie von Andern oft
genug befchrieben wurde. Nur wo ber breihumbertjährige
Drud befonders ſtark gelaftet hat wie im mittiern Ru
land, ba wird auch ein moralifch verwerfliher Zuſtand
des Volks bemerkliher. Ungeachtet der langen Knecht .
ſchaft bat die Bevölkerung ſich gewiſſe Eigenfchaften er-
halten, die man vielleigt mandem ber wefleuropäifden
Völker wünſchen möchte Es liegt eine Biegſamkeit
im ruffifchen Charakter, die als Urfache mancher Zugen-
genden aber auch mancher Fehler angefehen werden muß,
bier es möglich macht heitern Sinnes die Unbilden eines
überaus rauhen Klimas zu ertragen und mit unerfchöpf-
ter Geduld gegen die feindliche Natur anzukämpfen, bort
aber auch Mangel an freiem Selbftgefühl hervorbringt.
Wenige Nationen Europas würden feit 300 Jahren
das Joch der Leibeigenfchaft fo ohne Charafteränderung
getragen haben wie die ruffifhe. Nachahmungstalent
iſt eine gefährliche Seite ihrer Natur und bringt fie am
erften noch in Gefahr ſchnell vorfchreitender . Verſchlechte⸗
rung. Zür bie große Zahl der laͤndlichen Bevölkerung
Rußlands gibt e6 eine Klippe, welche ihr Gelangen zum
635
GSelbfigefühl und fomit zur Erhebung auf den Stand-
punkt der geachtetften Nationen Europas bedroht. Es
ift die Hierarchie der niedern Beamten, welde fett Pe-
ter fih über das Land ergoffen hat, immer mehr an
Zahl, Einfluß und Verborbenheit zuninmt, ſchwerer als
die Leibeigenfchaft feibft auf Rußland laftet und bie Aus⸗
fiht in die Zukunft verdüſtert. Sie ift fo verwachfen
mit der Staatdeinrihtung, daß ihre Befeitigung an
Unmöglichkeit zu grenzen fcheint und nur in Zolge der
durchgreifendften Umgeftaltung des Ganzen eintreten
fönnte. Gehaßt vom Volke, veradhtet und vermieden
von ben Unabhängigen unter den höhern Claſſen, gilt
fie dennoch der oberftien Gewalt für eine zwar unbe: .
queme aber doc unentbehrlihe Stüge. Ihr ift — und
nicht zu Ehre der oberften Leiter — die Überwachung,
die Beherrfhung und die Erziehung des Volks überwie⸗
fen, und fie verhindert die Ausbildung eines Verhält-
niffes von gegenfeitigem Zutrauen zwifchen dem ruffi-
fhen Volke und dem übrigen Europa. Der bittere
Hab und Ingrimm, bie aus einem großen Theile der
neueren Schriften über Rußland hervorleuchten, find
meiitens nur Folgen der Berührungen mit ben herrfchenden
Gewalten, nicht aber herleitbar aus dem Umgange mit
den gehorchenden Claſſen. Auch über diefe Erfcheinun-
gen, die fi freilich nicht allein von der naturhiftort-
fchen Seite auffaffen laffen, hat fi Blaſius verbreitet
mit ruhiger Mäßigung zwar, aber auch mit ber Dffen-
heit eines Mannes, der fi) durd) einen vorübergehen-
‚den Auftrag nicht gebunden halten konnte, bie eigene
Geſinnung zu verleugnen und. beisutragen zur Verhül-
lung der Wahrheit. 95.
Aus dem Nachlaſſe von Georg Heinrich von Beren-
horft, Berfaffer der „Betrachtungen über die Kriege- -
tunft”. Herausgegeben von E.von Bülow. Erfte Ab-
theilung. Deffau, Aue. 1845. Gr. 8. 1 Thlr. 6 Nar.
Da eigentlich nur drei Aufſaͤtze ) in borliegendem Werkchen
als wirkliche Nachlaßedition erſcheinen, alle übrigen aber ſchon
bei Lebzeiten ihres geiftreichen Verf. in verſchiedenen Zeitfchrif:
ten (namentlih in v. Archenholz' „Minerva“) zur Veröffent:
lihung gekommen find, fo würde auch der Titel einer Samm⸗
lung zerftreuter und nachgelaffener Schriften des Verf. der
„Betrachtungen über die Kriegskunſt“ fi für den Inhalt be:
zeichnender erwiefen haben. Eine folche Austellung ift jedoch
allzu fplitterrichtend als daß fie das Verdienſt des Herausgebers
zu fhmälern vermoͤchte. Ungleich erheblicher erfcheint dagegen
die Frage, ob nicht eine kritiſche und gloffarifhe Wiederaus-
gabe der gefammelten vorzüglichften Berenhorſt'ſchen Schriften
ne blos fupplementarifgen Nachlaßedition vorzuziehen gewe⸗
en wäre. "
Es hat der Herausgeber (8. vı) feines fehr gut gefchrie
benen Vorworts fagar felbft hierauf hingewiefen, indem er uns
folgenden Ausfprud einer militairifchen Rotabilität der Gegen:
wart mittheilt: „Berenhorft ift der claffifchfte Schriftfteller uber
ven Krieg, den wir Deutfchen haben. Ich nenne ihn fo, weil
er nie veralten Tann, wie es allen Übrigen nicht allein ergeben
kann, jondern auch ergehen muß, die ein Syſtem, weiches mehr
*, 1. „Sur Geſchichte der Wetrachtungen über die Kriegbtunft”;
3. „Relation de la bataille de Torgau” und 3. „Militairiſch-poll⸗
tiſche Fragmente.”
in die Einzelheiten eingeht, aufftellen. Berenhorft dagegen
zeigt in Allem, was er über den Krieg und das Soldatenwe⸗
fen im Frieden in Bezug auf den Krieg fagt, immer nur auf
den wahren, ewigen, unwandelbaren Mittelpunkt hin, den Geiſt,
die geiflige Kraft und Regſamkeit, welche die Krieger beleben .
muß, wenn Erfolg ihre Anftrengungen Prönen toll, und
warnt immer vor den Abmdgen, welche zu allen Zeiten die
wahre Kraft eines Kriegsheeres gebrochen haben. Es gibt
daher fein Buch, welches für den jungen Offizier belehrender,
ftärtender, geiſtig fo aufrichtend wäre als Berenhorfi. Ich
würde es für einen wahren Gewinn achten, wenn zu Dem, waß
bis jegt: bekannt ift, noch Das hinzugefügt würde, was Ihnen
aufzufinden gelungen ift; ja vorzugsäweife dann, wenn es bei
diefer Gelegenheit möglid wäre, eine Gefammtausgabe zu ver:
anftalten, welde, ohne im Außern vernachläffigt zu fein, fehr
wohlfeil zu ftehen Täme, damit diefe Schäge möglichft weite
Berbreitung faͤnden.“
Wie wahr und treffend diefes Urtheil ift, Davon kann man
fid am’ beften überzeugen, wenn man z. B. Berenhorſt's „Bes
tradhtungen über die Kriegskunſt“ zur Hand nimmt und es
verfucht, felbft einige auf die militairifchen Zuftände der Gegen⸗
wart Bezug nehmende Marginalien hinzuzufügen. Freilich
noch ungleich erſprießlicher wuͤrden die hieraus abzuleitenden
Lehren und Warnungen ſich erweitern, wenn Berenhorſt jene
1796 angeſtellten Betrachtungen 1846 ſelbſt zur erneuten Aufe
lage zu bringen im Stande fein würde. Aber wenn er noch
unter ben Lebenden weilte, in der ganzen Friſche feines ftarfen
Geiftes, würde er wol wieder folhe Betrachtungen oder nicht
vielmehr bloße Verwünderungen über die Ausartung der Krie:
gerbildung und des kriegeriſchen Geiſtes in der Mitte des 19.
Sahrhunderts veröffentlichen ?
Wenn ed nämlich einen Kenner menfchlicher Vorurtheile
nicht befremden mag, Daß Vorfälle wie z. B. bei Mollwig we⸗
fentlih dazu beigetragen haben, zu einer irrigen Auffaffung
der Feuertaktik zu verleiten und ed veranlaften, im Minutis.
mus d. h. in der Fähigkeit 5 — 62 mal in der Minute zu
feuern und zu laden, den Gipfel der Vollkommenheit zu erbli-
den, fo. wird ed ihm aud bald Mar werben, daß eine ſolche
Zertigkeit nur bei automatenhafter Dreffur des einzelnen Man⸗
ned zu erzielen fland, und dieſe wieder nur bei äußerfler Härte
und Dienftfflaverei herbeizuführen war, und er wird daher
auch allmälig ein richtiges Verftändniß gewinnen, wie ein an
fich keineswegs unvernüunftiges Princip dur eine Kettenreibe
einzelner Übertreibungen auf eine völlig finnlofe Weife auszu⸗
arten vermochte. Dagegen verfuche man aber einmal über den
heutzutage als Sradmeifer aller militairifhen Ausbildung gel:
tenden, zu jener Zeit aber völlig ungeübten und unbekann⸗
ten Parademarſch ähnliche Unterjuchungen anzuftellen. Wel⸗
ches Princip liegt diefem zu Grunde? Doch wol Fein anderes
als daß eine vollendet und von innen heraus ausgebildete
Iruppe in allen ihren Handlungen, alfo auch im Vorbeimarſch
in größeren oder Fleinern Abtheilungen, die ihr inne wohnende
kriegeriſche Haltung zeigen werde. Zieht man aber in Ber
trat, wie ein folcher fchnurgleicher Vorbeimarſch fehr leicht,
ja ungleich ficherer durch eine Abrichtung herbeizuführen ift,
die jede Ausbi dung von innen beraus, ja jede fonftige Ma-
noeuvrirfähigkeit ganzlich bei Seite ftellt, und es mithin geftat-
tet, dieſe Probe der Priegeriichen Tüchtigkeit, auch bei gänzlicher
Untenntniß jeder andern Evolution, mit zugelötheten Zünd-
löchern und feftgenieteten Ladeſtöcken abzuleiften, fo hört jede
weitere Betrachtung um jo mehr auf, weil man fi) vergebens
abmüht zu erforfchen, wo dieſes Gebahren auch nur die Pleinfte
Wurzelfaſer haben möchte, die ed als Ausartung irgend eines
verbiendenden Vorkommniſſes auf irgend einem Kriegsſchau⸗
plage darſtellen Fönnte.
Freilich, hätte Bonaparte flatt mit feinen Grenadieren
auf die Brüde von Lodi loszuflürmen, foldhe vor Debottendorf
im Yarademarfch in Regimentecolonnen vorbeigeführt und dies
fer in der Überzeugung, Truppen von folcher Haltung unmög: .
Wh widerftehen zu Fönnen, Hals über. Kopf den Ruͤckzug an:
‚getreten, hätte Diezzar⸗ Paſcha in St.⸗Jean d’Acre vol ‘Hoc:
vmuth behauptet, daB feine Urnauten, wenn fie nur wollten, ei:
‚mer ebenio guten. Parademarſch alt die Franzofen machen Eönn»
ten, und in der Begeiſterung diefes Glaubens fo hartnäckig
. swwiderflanden, wären vor Allem die Zahnen Friedrich's in ei⸗
.nem: olompiſchen Preidringen um den beften: Parademarſch auf
i:den Yeldern von Jena und Auerſtädt in den Staub gefunden,
‚auf jenen von; Dahiſtatt, Leipzig, Ligny und Bellealliance aber
„wieder erhoben worden, dann, .ja dann allerdings wäre bie
Wache eine ganz andere und dann ganz begreiflid, warum. auch
‚ folche Regiments » und Bataillonsoommandeure, weiche wur das
Wort Yraris im Munde führen, doch nichts Anderes treiben
:al8% Iheorie und??? — Parademarſch!
Denn. fein Ausrücken ohne ihn. Die zu Felddienſtübungen
‚.entfenbeten Dauptleute, was treiben fie? ın irgend einer Ter⸗
rainFalte — Parademarfch, Die Unteroffiziere in allen Gängen
und Winkeln der Cafernenhöfe — Parademarſch. Und all
-Diefest weil teog allen Geſchreis Dagegen faft fümmtlicdhe Bor:
ı gefegte von General bis zum Corporal die Reiftungen : ihrer
Untergebenen nur nach dem Parademarfch zu beurtheilen ge-
. Jeent haben und. nur nad diefen Maßſtabe felbft beurtheilt
„werden. Doch ift nicht unfer Zeitalter ein foldhes der Lüge
. und. Zäufchung: par excellence ? und muß daher nicht eben
deshalb auch der Parademarſch — weil er äußerlich eine Hal»
tung vorfpiegelt die innerlich fehlt — ganz nothwendig eine
. große Geltung finden? Doch genng für Diesmal über die
: Ausartung unferer heutigen Kriegerbildung.
Die Hoffentlich bald erfcheinende zweite Wbtheilung des
. vorliegenden Werkchens und die darin verheißenen Selbſtbe⸗
Benntniffe Berenhorſt's werden Ref. vielleicht Gelegenheit geben,
‚einige ähnliche Betrachtungen: über den kriegeriſchen Geiſt und
über das Kriegerleben in. unjern Zagen zu äußern, und bie
"(Yin und wieder durch policeiliche Obhut gegen Ausartung und
- Behltritte gefchiemte) edelkühne Mittertichkeit des legten mit der
von Berenhorſt fo fehr beflagten vor hundert Jahren vor:
herrſchenden heilloſen Roheit deffelben in Parallele zu ftellen.
Freilich iſt Berenhorft, um Berlinifch zu fprecdhen, vorzugsweife
‚eine negirende Bubjectivität, und ed wird daher das Anpreifen
» feiner Betrachtungsweife nicht allenthalben wohlaefällig ins
Ohr fallen. . Aber Berenhorſt's Regiren erheifcht bei Xichte be:
„fehen doc eigentlich nachts Underes als den kranken Unfinn
ı todtzufchlagen, damit er den gefunden Sinn nicht auffrefle, und
daB ſolite wol am Ende in einem Zeitalter nicht gar zu
ufchwierig fallen, wo felbft der Nitterhelm und des Schnappfad
‚zur: Berftändigung über ihre, Vorzüge zu gelangen vermochten,
und im trauteften Bruderbunde, vereint, Den fteilen Pfad der
Ehre und Tugend wandeln. 10.
BSibliographie.
Birch, C., Ludwig Philipp der Erſte, König Der Fran⸗
zoſen. Darſtellung ſeines Lebens und Wirkens. 2te vermehrte
imd bis auf die neueſte Zeit fortgeführte Auflage. ifte und 2te
Lieferung. Stuttgart, Hallberger. Gr. 8. 12 Rgr.
Denkwürdigkeiten der Lady Efther Stanhope. Erzählt von
ihr felbft in Unterrebungen mit ihrem Arzte; Anecdoten und
Meinungen über die bemerkenswertheften Perfonen ihrer Zeit.
Rad) der 2ten Ausgabe für deutfche Lefer bearbeitet und über:
fegt von Birch. Stuttgart, Halberger. Ki. 8. 1 str.
Serftäder, F., Die Negulatoren in Arkanſas. Aus
dem WBaldieben Amerikas. Drei Bande. Leipzig, Vereinsver⸗
‚sagsbuhhandtung. 8. 5 Thlr.
Hadländer, F. W., Reife in den Drient. 2te verbef:
forte Auflage der Dayuerrotypen. Zwei Bände. . Stuttgart,
ı Krabbe. 8. 27 War.
Pinner, Prospectus der, der Odessaer Gesellschaft
für. Geschichte und Alterthümer gehörenden ältesten hebräi-
gleich ald Stes
schen und rabbinischen Manuscripte. Ein: Beitsag . zur. bi-
blischen Exegese. ' Odessa. 1845. 4. 1 Thir, 15 Ngr.
Pohlmann, U. W., Hiftorifhe Wanderungen duch
Zangermünde. @in Beitrag zur Runde der altmaͤrkiſchen Bor:
eit. Aus archivaliſchen NRächrichten und Urkunden bearbeite.
angermimde,: . 8 1.&tlr.
Prechtler, D.,. König Heinrich von Deutſchland. Hi⸗
ſtoriſches Drama in fünf Acten. Wien, Klang. 8. 20-Rer.
Preusker, K., Über Racherziehung und Rachfchulen, in
Bezug auf die bereitö aus der Schule entlaffene gereiftere Ju:
gend. Wie Ausgabe. (Mit einem Radhtrage verfeben und gu:
Ste ft der Schrift: „Über Iugendbildung gel
tend.) -Reipzig, Hinrichs. Gr. 8. 12%, War.
Reifen-in den Mond, in mehrere Sterne und in bie Gome.
Geſchichte einer Somnambüle in Weilheim an det Teck imfi
nigreiche WBürtemberg. "Ein Buch, in welchem Ulle über das
Jenſeits wichtige Auffchlüfle finden. werden. Gte Auflage. Hei:
beonn, Landherr. 8. 1 hir. 7Y, Roer. '
Silfwerskjöld, T. v., Krönung und Huldiguag Os
car I., Königs von Schweden und Norwegen, und der Kö
nigin Josephine M. M. in Stockholm am 28. Sept. 1341.
Nach amtlichen Nachrichten und eigener Anschauung. Nebst
einem Anhange: Ursprung, Geschichte und Beschreibung
der- schwediseben Ritte n. Mit 15. colerirten Abbildes-
gen. Berlin, Morin. 1845. Gr. 8. 7 Thir. 15 Ngr.
Simon, ©., Allgemeine Aeſthetik. Ein wiſſenſchafthiche
Ueberblick des Schönen überhaupt, und aller bauenden Kumfı
insbefondere , worin zugleich der ſchoͤne Seraͤthſchaftebau za
die Ausſchmückungskunſt zum äfthetifchen Aufſchwunge der Ju:
—5 — * eher ar der Weftbetif einge:
ührt, und in theoretiſch⸗praktiſche Unterfuchungen gehoben wer:
den. Wien. Gr. 8. I Thlr. 6 Rear. un.
Simrock, K., Doctor Johannes Fauft. Yuppenfpielis x
Ss ufgügen: Dergeftelt von 1. Frankfurt a. M., Mei
3 Nur.
8,
Der alte Soldat. Lieder und Gedichte für die Laudach
und Einien: Gruppen zu Krieges: und Friedenszeit. Neuwich,
Lichtfere. 16. 2 Nor.
Tegner, ©, rel. Romanze. Rad dem fſchwediſchen
Driginal und in deffen Versmaaße überfegt von G. Schilling.
Stuttgart, Hallberger. RI. 3. 21 Nor.
Das Urevangelium oder da8 Leben Zefu Ehrifti nach der
gebereinftimmung der vier Evangelien. Barmen, Falkenbetg.
5 gr.
Zagesliteratur.
Bödel, E. G. U, Predigt zur dritten Säcularfeier ds
Jodes Luther's. Dibenburg, Sonnenberg. Gr. 8. 3%, Re.
Brennglas, A., 1845 im Berliner Guckkaſten. Ss:
burg. 8. TI, Nor.
Burger, Abſchiedspredigt. te Auflage. Fürth, Symit.
&r. 8. 2 Nor.
Die Jeſuiten und der Ultramontanismus in der Schweu
von 1798 bis 1345. Aus der „Allgemeinen Gallifchen Riters:
turzeitung’’ befonders abgedrudt und herausgegeben mit einem
Borworte von 3. Gihr. Liekal, Honegger. Gr. 8. 54, Ry-
Kraußold, Gedächtnißpredigt zur MöOjährigen Feier Dt
Todes Dr. M. Luther's. Furth, Schmid. 12. 2 Rgr.
Magerftedt, U., Die zween Jünger Jeſu auf ihres
Wege am Auferfiehungstage. Predigt. Sondershaufen, &
&r. 8. 2 Rgr.
Morning, R., Die pantheiftifche Tendenz des Ghrike
thums. Ein Beitrag zur wiſſenſchaftlichen Beurtheilung dr
neueften kirchlichen Bewegungen. Leipzig, Gebauer. &k- 3.
gr-
Thilo, W., Reden und Gefänge bei Peſtalozzi's Salat:
Berlin, Ext:
pel.
Seburtöfeier im Königliden Seminar zu Erfurt.
lin. Gr. 8. 8 Rgr.
Berantwortliber Herausgeber: Seinurich Wrodhans, — Drud und Verlag von F. X. Drockhaus in Leipzig.
men — —
Dienſtag,
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
9. Juni 1846.
Die preußiſche Verfaſſungsfrage und das nordiſche
| ’ Deindp. Von einem Oſtreicher.
Dritter Artikel.9
Unfer Verf. ftelle fih nun bie Aufgabe, zu bemeifen,
dag für Preußen eine Eonftitution nicht nur unſchaͤdlich,
fondern daß baffelbe ohne Konftitution eben all ben
Übeln und Gefahren ausgefegt fei, die man von einer
Gonftitution befürchten zu müffen glaube. Gehen wir
etwas näher auf fein Raifonnement ein.
Zueft mag bier eine allgemeine Bemerkung über
bie Art und Weife am Plage fein, wie der Verf. ope-
. zirt. Die Gründe, welche der Ertheilung einer Conſti⸗
tution entgegen ftehen, find nämlich doppelter Art. Sie
zerfallen in folche, zu denen man fih offen befennt, mit
benen man öffentlich flreitet, und auf der andern Seite
in ſolche, die man fih laut auszufprechen fcheut. Auf
diefe Tegtern nun nimmt ber Verf. gar keine Rückſicht.
Er berührt fie nicht einmal, geſchweige daß er den Ver⸗
fuch machte fie zu widerlegen. Und doc, find es eben
diefe geheimen, im innerfien Herzen gehegten Motive,
welche ein mweit größeres Gegengewicht in die Wagfchale
legen als alle jene oftenfibeln Gründe, die man wiffent-
fchaftlich aufpugt und meift nur zum Scheine ins Feld
führt, während man im Grunde des Herzens felbft
herzlich wenig an fie glaubt. Mag es fein, daß ber
Verf. zu gutmüthig arglos ift, um diefe Scheingefechte
für Das zu erkennen was fie wirklich find, oder mag
er aus guter Abfiht die geheimen Triebfedern ignoriren,
welche ber Einführung einer Verfaffung in Preußen mit
conſequenter Starrheit entgegenarbeiten, fo tft doch fo
viel gewiß, daß feine gründlichen und beredten Debuctio-
nen durch diefes Sachverhältnig häufig etwas von der
Natur eines Kampfes mit Windmühlen annehmen. Er
ſucht den Feind nicht da auf, wo er mit feiner eigent-
lichen Heeresmacht wirkfich fleht, fondern in einzelnen
vorgefchobenen Stellungen, auf beren Behauptung es
jenem zuletzt felbft wenig ankommt. Es ift fhade um
"den Aufwand fo vieler fchönen Mittel, wodurch felbft
im Kalle des Gelingens doc nur herzlich wenig erreicht
wird. Der Streit verliert offenbar an Intereffe und an
*) Vergl. den erſten und zweiten Artikel in Nr. 80 — 108 und
Kr. 185 —188 bD. BI. D. Red.
dem rechten Ernſte; es ift Fein Kampf auf Leben und
Zob, wie er es doch eigentlich fein follte. Der Verf.
zielt nicht nach der Ferſe des Achilles; er weiß den Geg⸗
nern keine töbtliche, nie verharfchenbe Wunde im inner«
ften Sige des Lebens beizubringen. In den Augen bes
großen Publicums, welches bergleichen gutmüthige Schein-
gefechte liebt, welches aber in feiner feigen Unwahrheit
jedes Dial zufammenfchaudert, fobald man mit harter, rück⸗
ſichtsloſer Hand bie volle Blöße aufdeckt, mag das zu
feinen Gunften fprechen. Uns wäre es lieber gewefen
und wir halten e6 auch für fürberliher, wenn er dem
Feinde ohne weiteres das Meffer- an die Kehle gefegt
bätte, unbefümmert um das böfe Blut was dadurch
aufgeregt wäre.
Nach diefer allgemeinen charakterificenden Bemerkung
wollen wir die Streitfragen, die der Verf. aufmwirft, et-
was näher ins Auge faffen.
Die Feinde des Volksrechts behaupten bekanntlich
immer mit Geng: |
Repräfentative Berfaflungen haben bie -beftändige * |
das Phantom der fogenannten Bolbsfouverainetät, d. h. der all»
gemeinen Willkür an die Stelle der bürgerlichen Ordnung un
Subordination und den Wahn allgemeiner Gleichheit der Rechte,
oder — was um nichts befier iſt — allgemeiner Gleichheit vor
dem Rechte an die Stelle der unvertilgbaren, von Gott felbft
geftifteten Standes: und Rechtsunterſchiede zu fegen-
Gegen biefe Behauptung wendet der Verf. bie
ganze Kraft feiner Dialektik. Er ſucht nachzumeifen,
wie die Würde und bas Unfehen bed monardifchen
Principe, wie Ordnung und Suborbination unter das
Befeg, wie verſchiedene Bliederung der Stände gar wohl
mit einer Verfaſſung vereinbar feien. Als ſchlagendes
Beifpiel für diefe Behauptung führt er England an;
wo neben oder eigentlich über ber lebendigften Berech⸗
tigung des demokratiſchen Elements die Monarchie in
einer Feſtigkeit, Würde und Erhabenheit ſtehe wie in
feinem einzigen der abfoluten Staaten. Und diefe herr-
liche Stellung der britifchen Monarchie flüge fih nicht
auf geheime Policei und geheime Zufliz, nicht auf ſte⸗
hende Heere und auf Senfur, ſondern auf die freimillige
Ergebenheit und Ehrfurcht des Volkes. An dem Bei-
fpiele Englands, meint er, koͤnnten fi unfere Regierun⸗
gen eine fchöne und heilfame Xehre nehmen. Das ift
nun Alles recht fchön und wahr, aber im Grunde ficht
m _ 0. — — m __.
,
Be
. igkeit zu garantirem, der gun⸗
md Beamtenwelt ſich i wir cz
benisuigen Beſchtaͤnkungen untermürfen, wie fie im Eng- : englifhe Berfafiung belimen? Wie wellten Die Beim
land befichen, glaubt er, daß dieſe dadurch auch nur im ; tem ihre Echne neh mit Sicherheit verforgen, mem
minbefien für die Ertheilung einer Berfaffung geneigter | rielleicht die Hälfte ber Stellen einginge? wenn ba} be
geſtinunt werben würden? Wir mwenigfiens find vom queme Undennetättrrincip aufbörte ? Die bed
Etchung der jegigen Königin von England in umfern | lichkeiten hätte der Berf. aus dem Wege räumen fin,
Auge⸗ ift, fo find wir doch verfichert, daß ber | wenn er ben mmüberwintlihen Witenwillen ber Guam
pꝓreufiſche Ronarch fie nicht mit feiner eigenen vertau⸗ einer Repräicentarivverfsffung hätte befigen well.
fihen mödjte, daß ex einen ſolchen Antrag vielmehr mit Der Berf. beklagt fi darüber, daß man Ka me
mitleidigem Lächeln zurüdweifen würde. Der Berf. | gewöhnlich das Beifpiel Britanniens überginge um air
fgeint ſich in die Gefühleweife abfoluter Fürſten nicht | dings auf bie mi
verfegen zu Tönuen. Ihm erfheint die Stelung des | wiche i
. Königs von England fdyön und erhaben; es gibt andere | Wertreib i
Leute, denen dagegen miebrig und veraͤchtlich vor- | ſqhildere, als ch gar Riemanb mehr mir Sicherbeit
tommt. Auch Kari I. von England hielt es bekanntlich | fhlafen legen Tounte, fo müffe man bie im Zrunfreich
mit feiner Ehre nicht verträglich, ein bloßer „Schatten: | vorhandene Gaͤhrung als Das betrachten, was fie fei,
Zönig” zu fein. Und was anders als ein Schattenkönig traurige aber
verfaffung nit im mindeften laidirt werde, wenn er
Die tte befchren wollen. So lange ihm die⸗
fer Beweis nicht gelingt, wirb ihm alles Andere wenig
el
en.
nt was bie preußiſche Beamtenhierarchie betrifft,
vom Minifter His zum Gendarm, glaubt er dieſe Her-
zen dadurch für eine Repräfentativverfaffung zu gewin-
nen, wenn er ihnen nachweift, wie in England die Ebr-
furcht vor dem Geſete zum allerwenigften ebenfo groß fei
wie in Preußen? Auf bie Ehrfurcht vor dem Geſetze kommt
es biefen Herren zum großen Theil wol weniger an als au
die Devotion vor der Perſon. Ein preußifcher Minifter
wird mit Robert Peel ebenfo wenig zu taufchen Luft
haben wie ein preußiſcher Gendarm mit einem engli-
fen Eonflable. Wenn Robert Perl eines ſchönen Mor⸗
zu thun ald dem bemofratifchen Elemente
bie freie, nasurgemäße Ichätigleit zu geftatten. Fe
wenn dieſes nicht gefchehe, fei Gefahr vorhanden, ki
auch in Deutfhland die Volkskraft krankhaft ausam,
und dieſe Krankheit könne allerdings fo ſchlimm werden,
daß die Zerflörung des ganzen Organismus erfolg. |
Aber dem Ausbruche der Krankheit vorbeugen, fach
in politiſcher Hinficht die beſte Heilart. |
(Die Bortfegung folgt.)
®
:
3
H
Fr
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FFRRAREFFTR SER FRETRRFÄSTETRIRTETRERURG
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A
1
r
i
— — — — —
— — — — — —
Literarhiſtoriſches Taſchenbuch. Herausgegeben von R. E.
Prutz. Dritter und vierter Jahrgang. Hanover,
Kius. 1845. Gr. 8. 2 Thlr. 10 Ngr.
Was man ſchon öfter über die poetiſchen Erzeugniffe von
Prut ausgeſprochen bat, daß fie nämlich ſaͤmmtlich, welchen
mehr oder weniger der Vergangenheit angehörigen Stoff fie
auch ergriffen haben mögen, von den Tendenzen und dem Geifte
der Gegenwart befeelt werden, das läßt fi mit demfelben
Rechte auch über feine literarhifterifche Shätigkeit fagen, und
war leidet es bei ihr nicht allein da feine Anwendung, wo fie
Fb ſchafft und eigene Producte liefert, fondern auch we
fie nur — und zuſammenſtellt. Wie ſchon die beiden er⸗
ſten Jahrgaͤnge ſeines „Literarhiſtoriſchen Taſchenbuch“ diefe
unmittelbare Beziehung zu den Beſtrebungen und Bewegungen
der Zeit auf das entſchiedenſte ausdruͤcken und faſt keinen Auf:
ſatz bieten, der nicht wenigſtens mit mannichfachen Hinblicken
auf gegenwärtige Zuſtaͤnde abgefaßt wäre, fo huldigen auch bie
un bier vorliegenden beiden Jahrgänge durchaus derfelben Rich:
tung, und obwol die in denfelben behandelten Themata faft
fämmtlih der Bergangenheit entlehnt find, To ftehen fie doch
u den berrfchenden Zagesfragen in der innigften und nädhften
Beriehung und legen unverkennbar an den Zag, daß ed den
Verfaſſern bei Wahl und Ausführung derfelben Feineswegs
blos darauf ankam, über irgend eine Perfänlichkeit oder Epoche
der Literaturgefchüchte als folche nähern Auffchluß zu geben,
fondern daß es ihm vielmehr darum zu thun war, gewiffe ver:
daͤchtige Beitideen mit dem Paffe und Legitimationsjchein einer
underdädhtigen Vergangenheit in die Welt zu ſchicken. Sogleich
der erfte Auffag des dritten Jahrgangs: „Theodor von Hippel und
feine Lehre vom chriftlihen Staat”, von I. Rupp, urfprünglich
eine in der Deutfchen Gefeltfchaft zu Königsberg gehaltene Nede,
rechtfertigt diefe unfere Behauptung ſchon in feinem Zitel; denn
unmilltürlih werden wir durch denfelben an den von oben
herab beliebten und geltend gemachten „chri en
Staat erinnert, und wenn wir um deswillen von vornherein
die Vermuthung hegen, daß der Auffag nicht ohne Seitenblid
auf diefe neueite Selbfttaufe gefchrieben fei, werden wir uns
bei näherer Kenntnißnahme deſſelben durchaus nicht getäufcht
finden. Bwar drüdt der Verf. deffelben dies nirgend mit
Worten aus, vielmehr hält er fih in feiner ganzen Darfelung
fireng an das Object und weiß jede parabafenartige Rutan-
wendung zu vermeiden; aber trogdem drängt fich uns, indem
wir die Entwidelung der Hippel'ſchen Anſicht Iefen, unabweis⸗
bar eine Reihe von unausgelprochenen, nur zwifchen ben Bei:
fen zu lefenden Gedanken auf, deren fummarifcher Inhalt etwa
fo lautet: „Seht, das ift ein chriftlicher Staat, und wenn
ihre einmal auf diefen Ramen für euern Staat Anſpruch ma⸗
en wollt, fo habt ihr auch diefe von einem an Geift und Er⸗
fahrung reihen Manne vorgezeichneten Bedingungen zu er:
füllen” Die Aufzählung dieſer Yedingangen bildet den ei:
gentlihen Kern der Rede und find ihnen nur eine kurze Bio-
graphie und Charakteriftif Hippel's voraus», fowie Andeutun-
‚gen über die focialen Principien defielben nachgeſchickt. Die
rundlinien der Hippel’fhen Anſicht find nach Rupp's geiſt⸗
und lichtvoller Mitteilung im Auszuge folgende:
Das Chriſtenthum ift über die Erkenntniß der alten Wei⸗
‚ fen Hinausgegangen, indem ed Gott ald Vater darftellt, der
alle Geſchoͤpfe und Menfchen liebt, und indem es eine allge:
meine Bruderliebe unter den Menfchen zu bewirken fucht. Die
beiden Haupt⸗ und Grundbedingungen des chriftlichen Staats
find alfo die: I) Seine Gefehgebung muß wie die görtüge
eine väterliche fein, und 2) ed muß ihr eine weltbürger-
liche Abficht um Grunde liegen. Die erfte diefer Bedingun:
gen zerfälft wiederum in fünf Säge, von denen jeder weiter er:
—* Bird. au — ar lautet: —* er dem
e Pfti er Erziehung ein Recht gibt, die freien Handlungen
der A Ar beftimmen, befiehlt nit, damit gehorcht werde,
fondern weil ed das Befte feiner Familie fo fodert.“ Hierzu
| wird unter Anderm angeführ
üßer: „Die Ülteen geben wahren⸗
ber erften Jahre den Kindern VBorfchriften, obne den Grund
berfelben unzuführens aber fie wenden Alles an, diefe Beit
viel als moͤglich abzufürzen, weil fie wiflen, daß ihre Mühe -
erſt dann von dem rechten Erfolg gekrönt fein wird, wenn bie
Kinder Grand und Zuſammenhang der Borfchriften erkennen.
Dorum darf in einer väterlihen Regierung bei den Gefegen
nie der eigentlihe Grund derfelben weggelaflen, am menigiten
aber durch Hohe Zitel und Gemwaltsandeutung erſezt werden.‘
Der zweite Sag verlangt: „Die Gtrafe des Waters darf
nichts Anderes als die Befferung der Kinder bezwecken; und
eb wird unter Anderm daraus gefolgert, daß alle Diejenigen
Strafen auszufchließen feien, welche beweifen, daß der ‚Staat
die Erziehung der Bürger aufgebe, 3. B. die Landesverweifun
und die Todesſtrafe. Auch das Abkaufen der Strafen —
Geld, koͤrperliche Zuͤchtigung und die Begnadigung werden
demgemaͤß verworfen. Der dritte Sag: „Altern füchen ihre
Kinder mehr durch Vorbild und Beifpiel als durch Anorbnun«
gen zur Erfüllung bes Selrges zu leiten, und darum gründet
ſich die Beobachtung des Gefeges bei den Kindern nicht auf
Furcht cder Gewalt, fondern auf Liebe und Achtung”, wird
unter Anderm durch folgende Stelle erläutert: „Friedrich's
des Großen Muth und Selbſtbeherrſchung, Waͤßigkeit und
Pflichttreue haben mehr gewirkt als feine Geſetzbuͤcher. Fleiß
und Mäßigkeit, fagt er, dies Paar Staatscardinaltugenden, kön⸗
nen durchaus nicht Dur Sefege; fondern müffen durch Bei
ſpiel des Regenten in Umlauf gebracht werben. Denn etwas
dem gemeinen Rann verbieten, wodurch ſich der Megent und
feine Geſellſchaft, es fei nun in Purpur und koͤſtlicher Reins
wand oder im alltäglichen Herrlich und in Freuden Leben, aus»
zeichnet, heiße gefliffentlich die Begierden reizen.” Sum vier»
ten Sage, der ſich über den Zon der Gefege ausipricht, wird
hinzugefügt: „Nach der Lehre des Stifters der chriftlichen Re⸗
ligion waren bie Gebote Gottes Rathfchläge, feine Verbote
vaterliche Warnungen und die Pflichten Eindliche Liebe. So
barf der Ton ber Geſetze in den väterlihen Regierungsformen
nit einen bloßen Gebieter verrathen. Wenn Gefehe unter
Donnern und Bligen, wenn fie im Imperativ gegeben werben,
fo müßten fie, auch wenn fie von den Weifeften käͤmen und
von den Gerechteften im Volke audgeübt würden, ſchon wegen
dieſes Tons anftößig werden. Gin Rath mit Hinwellung_ auf
eine in der Natur der Sache liegende Strafe für den Über
tretungsfall iſt die ſchicklichſte Urt, Menfchen, die frei geboren
find, Gefepe zu geben. Es liegt in der Ratur des Menfchen,
daß er nicht befehlen, fondern nur rathen laſſen will, und
die vätesliche Regierung fpricht ” biefen bel, zu dem ihn
Gott erhob, nicht ab.” Der fünfte Say endli lautet:
„Der Bater überträgt feinen ältern, erfahtenern Kindern das
Amt, auf feine Anordnungen zu Halten, die Übertretung zu oje
den, Streitigkeiten beizulegen. Dies Gejchäft wird aber nicht
ihm zu Gefallen, noch weniger wegen Ehre und Gewinn, fow
dern aus Achtung vor dem Gefeg übernommen”; und wird
von folgenden Erläuterungsfägen begleitet: „Bon den Beam
ten würbe eine väterliche Megierungsform verlangen, daß fie
aufhören, Mafhinen und Lohndiener zu fein. Wenn der Ba
ter den ältern und erfahrenern Mitgliedern feiner Familie ben
Auftrag gibt, ihn in der Regierung bes Hauſes zu unterflügen,
fo thut er ed, weil er weiß, daß fie den Zweck der Megierung
kennen und in ihrem Kreife ber Abficht des Ganzen oft baffer
entfprechen werden als er felbft es Rönnte. Wenn dem Beam-
ten ſelbſt jeder Schritt, den er thun fol, vorgezeichnet werden
muß, ſo erſchwert er Dem, der das Ganze leitet, die Arbeit,
ftatt fie ihm zu erleichtern; und doc, fucht der Vater Erleich⸗
terung, weil er auch den Rindern gegenüber nie vergißt, wie
beſchraͤnkt feine eigene Kraft ifl.” „Endlich ahmt die väter
liche Regierung au darin dem Verfahren des Waters nad,
daß fie es wie dieſer gern flieht, ıwenn das jüngere Kind fi)
nach eigener Wahl zu dem unter den älteren Befchwiftern haͤlt,
zu welchem es das meifte Butrauen bat, mit andern Werten:
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Bürfiengewalt aufzeftelte volitiſche Zheorie fpäterhin bereut
und im Unwilien über bie Anmaßungen und unlaxtern
ten gen
Mehr
tene über Die Fürſten und über die Art und Beife,
wie fie ihre Stellung verfennen und misbrauden, finden fi
nicht leicht irgendwo beifammen. Bon ben verfchiedenften Bei:
ten ber werden fie angegriffen, einmal von Briten ihres Ber:
Hältniffe6 gegen ben Kaifer und das gemeinfame deutſche Ba
terland, ein anbermal von Geiten ihres rend in religio⸗
fen und kirchlihen Dingen; hier von Seiten ihrer Robeit, dort
von Geiten ibrer moralifden Verderbtheit; jegt als Zyrannen
und Despoten gegen das Bolf und dann wieder als zänkiſch,
mistrauifh und unreblig unter fi ſelbſt. Ginige der kürzern
Stellen find &. 170: „Wie viel Aufrihtigkeit, Wahr⸗
, eig eit in folhen Geſchaͤften herrſcht, weiche nad
utachten der Kürften geleitet werden, babe id nur zu
oft erfahren. Scham und Gerechtigkeit find weit weg von den
Bufammenfünften der Zprannen, dafür bringen fie Plconerie,
Schamlofigkeit und Sophiſtik mit.” &. Bis: „Jetzt wächſt bie
—— an den Höfen und dieſe iſt, wie Ariſtoteles ſagt, am
feindfeligften der Wahrheit. Du weißt, wie Pindar geftraft
wurde, weil er Athen mehr gelobt als fein Baterland; wie
werden we die Ayrannen den Zabel des Staats aufnehmen,
wo du wohnſt?“ &. 175: „Die Feigheit, 8wietracht, Treu⸗
Kofigkeit, Pleonerle unferer Zürften ift fo arg, daß man an eine
gemeinfame Wertheidigung des Waterlandes (gegen die Zürken)
gar nit denken kann. Wie Thyeſtes in der Tragoͤdie feinen
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- Biblisgrephie.
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psuckpöshe Exale: iz das Stute te Ghriärtew.
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Dem. Latit &. 12 15 Rı.
Gaillart, ©, Ecla Rirazi Irızatie a fünf I
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Akdeuische Gedichte. ven A Ädr
Tübengen, Fues. Gr. 3. 1 Thir. 2 Nger.
Liack, J. F. M der von dem vermas ki
nigl. und churfursil. sächs Hefmaler und Profeser
C. W. E Dietrich radirten, g und im Hoiz ge-
i V Nebst Ab-
risse ichte des Künstlers. Berka. S. 2 Thir.
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Rüglih, K. S., Bid asf die Heiligen unferer lathoü⸗
(den Kirche. In acht Fretigten. Augedurg, Kellmonn 3
12', Xgr.
castellano, 6 colleccion de antiguss romas-
ces de lo⸗ soles, publicada csa uma istre
duccion y notas por 6. B. Depping. Nueva edicien, cos
las notas de Dom Anfonio Alcald Galiane. 'Teme Il: Ron
de romances, ö romances sacados de las „Rosas“ de Jam
Tiımoneda Escogidos, ordenados, y anoiades por De
Fernando Jose Wolf. Leipsique, Brockhaus. Gr. 12. DNg.
ghmidt, Bühelmine, Gerichte. Düſſeldorf, Budorai.
gr.
IR ——— — aus en Fi Ronellen yeah
er : Die Rofe von der Pzerwa. ipzig, Brochaus.
r. 12. 1 Zple. 12 Ror. ' ne⸗
Uhlich's Predigten, gehalten in der St. Catharinen
Kirche zu Magdeburg im 3. 1846. Iftes Heft, vom I. ®
ventfonntage bis Eſtomihi. Magdeburg, Ereug.- &r.9. De
vollfländige Jahrgang 2 Thlr.
Bogel, E., Raturbilder. Ein Handbuch zur Bela
bes geographiſchen Unterrichts und für Gebildete überhark:
zunächſt als Erklärung zum Schulatlas der neuern
Zte verbefierte und vermehrte Auflage. Leipzig, Hinrich. &.$.
I Ihle. 15 Rar. "
Birth't, I. ©. U, Deutſche Geſchichte. Pte durchaus
verbefierte Auflage in vier Bänden. Iſte und 2fe Licketung
ee Loßgeng Fa Fi Jede Lieferung 6 Rgr.
ig, Kathinka, Herbſtroſen ın Pocfie und Proſa. Main,
Faber. "ar. 8. 1 hir. 10 Fl Poen Proß
Berantwortiiger Herausgeber: Heinrich Brodpans., — Druk und Werlag von F. X. Wrodpeans in Leipzig.
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www
une
Blätter —
für
literariſche Unterhaltung.
ungsfrage und
Öftrei
as nordifche
on einem eicher.
Dritter Artikel.
(Kortfegung aus Nr. 60.)
Wenn nun dies Alles, wie unmiderlegbar geſchicht⸗
“Tiche Thatſachen bewiefen, im Allgemeinen für alle Welt
gelte, warum folle es blos auf Preußen, auf Deutſch⸗
land überhaupt feine Anwendung finden dürfen? Warum
folle gerade in Preußen die Verbindung bes monarchi⸗
ſchen und demokratiſchen Princips zur freithätigen Wed)
felwirtung ftaatsgefährlich und unmöglich fein?
Eine taufenbiährige Gefchichte vielmehr bewieſe, daß
die deutſchen Boͤlker mit Herz und Berfiand dem mon-
archifchen ‚Principe ergeben freien. Diefes wurzle fo feſt
in der Überzeugung und im Gemüthe bes beutfchen
Volks, dag felbfi durch arge despotiſche Ausartungen
feine dauernde und folgenreiche Auflchnung des demo-
kratiſchen Elements hätte beimirft werben fünnen. Dier-
durch fei klar bemwiefen, daß von dem Augenblide an,
wo in ganz Deutfchland die Monarchie durch volkthüm⸗
liche Berfaffung vor despotifcher Ausartung gefichert
werde, auch in ganz Deutfchland jede Spur von dema-
gogifchen Umtrieben verfhwinden würbe; nur durch
bartnädige Misachtung und fortdauernde Knechtung könne
das demokratifhe Element in Deutfchland überhaupt
gegen die Monarchie gefährlich erbittert werben, gegen
wärtig aber, wo boc das Volfselement mehr oder we
niger überall in Deutichland noch Feſſeln trüge, ftehe
dennoch das monarchiſche Princip in feinem Wefen
feft und unangefochten ba; aber es fei gegenwärtig nun
die dringende Aufgabe, diefe fefte Stellung für alle Zu⸗
kunft zu fichern. Dies Tonne man aber durch Entfeffe-
fung des demokratifchen Elements, denn freigegeben werde
es ſich freiwillig der nothwenbigen und gefeglichen Be⸗
fehränkung unterwerfen. Und wenn felbft in Preußen
namentlich in der That eine fo gefährliche Aufregung
des demokratiſchen Elements vorhanden fei, wie bie
Feinde des Volksrechts behaupten, fo läge eben das ein«
zige unfehlbare Mittel, diefe Gefahr zu beſchwoͤren, in
der unverzüglichen Verleihung einer Gonftitution. Denn
mist die conftttutionnelle, fondern bie abfolute Monarchie
habe vor feindfeliger Auflehnung des demokratiſchen Ele-
‚ments zu zittern.
Dies ift ungefähr das Raifonnement des Verf. Wir
müffen geftehen, daß wir boch nur ſehr bedingungsweife mit
bemfelben übereinflimmen koͤnnen. Die Verleihung ei⸗
ner volksrechtlichen Berfaffung für Preußen halten wir
freilich auch für dringendes, unabweisliches Bebürfnif,
aber fo weit geht denn doch unfere Borliebe für Repraͤ⸗
ſenativverfaſſung nicht, daß wir, biefelbe für ein Uni»
verfalmittel gegen jede bürgetliche Unerdnung und Auf⸗
lehnung unter allen Bebingungen hielten. &o mie man
in der Medicin über foldhe Univerfakmittel, durch welche
jeder Krankheitszuſtand ohne alle Inbivibualifirung ges
beilt werden fol, allmälig weg ift, fo follte auch in ber
Politik nicht mehr bie Rede davon fein. KBefondere
follte man nicht vergefien, baf ein Mittel, zur rechten
Zeit angewendet, recht gut den Ausbruch einer Krank⸗
heit hindern kann, während ein werfpäteter Gebrauch
deffelben, nachdem die Krankheit bereits in ein vorge-
ſchrittenes Stadium getreten ift, völlig nuglos fein und
fogar ſchaͤdlich wirken könne. Sind vollends bie Lebens⸗
kraͤfte erſt einmal aufgesehrt, fo hilfe überhaupt Feine
Medicin mehr. Es iſt ein großer Irrthum unſerer
meiſten Liberalen, den auch unſer Verf. zu theilen
ſcheint, wenn ſie alles Ernſtes meinen, daß die Erthei⸗
lung einer Verfaſſung in Preußen hinreiche, um den
äußerft precairen Zuſtand daſelbſt wit einem Male auf
das vortrefflichfte zu ordnen und alle DBeforgniffe zw
eben. In diefer Beziehung paßt das Beifpiel von
noland nicht. Das Bolt hat dort ausgebehnte echte,
aber es hat auch Jahrhunderte hindurch gelernt bie
Pflihten, welche diefe echte vorauöfegen, auszuüben
und zu betbätigen. Es genügt nicht, einem Volle Rechte
verleihen, fondern das Volt muß auch bie moralifche
Befähigung haben, diefe Nechte vernünftig ausüben zu
Tonnen. Iſt Legteres nicht ber Kal, fo artet au
jede Berechtigung auf ber Stelle aus und zwar in um
fo größerem Maße als fie ausgebehnter if. Der Eng⸗
länder befigt hiſtoriſch angeerbte Eharaktereigenfchaften,
die dem Deutfchen überhaupt und dem Preußen insbe⸗
ſondere größtentheil mangeln, ohne welche aber ein ed⸗
les, geregeltes Verfaſſungsleben kaum denkbar iſt. Me-
ben einem ſehr entſchiedenen Egoismus hat ſich im eng⸗
lifchen Charakter zu gleicher Zeit der Gegenpol kraͤftig
ausgebildet, nämlich ein beſonderer, aufrichtiger Gemein⸗
i unb
zu ug fein
befonderes .
De eımer
entihiedenen, recllen Wahrheitslibe umb Offerherzigkeit
Er haft jede umwahre Declamation, jede lügnerifche
Pücafe, fie eruhe num auf abfidnlicher Ummahrheit oder
auf unbewußter Gebfitaufgung Dadurch fommt eime
Alarheit, cine moraliſche Sicherheit, ein Streben nad
feſten Zielen in das Verfaffungsichen, was ohue biefe
erfte aller haften vollig unmöglich if. Gelb
Der Eigenuug tritt dert unverfiedt und ohne Maske
hervor; ſeibſt er iſt „zu ſtolz zur Lüge”. Man weiß
Daher, wie man mit ihm baran ifl, man kann ihm emt-
—— un 1 at mE verfländigen. Ein
aber, was mehr oder weniger aus lauter Phraſen⸗
menfchen beficht, bie ihre eig Zendenyen fi
angemeffenen öffentlichen
zeifer, aus der Lage der Dinge mit Nothwendigkeit her—
Befhlüffe. Das ganze elende, auf phantafti-
fer Eitelkeit und Selbſtſucht beruhende Intriguenfpiel
fowol von Geiten ber Regierungspartei als der Volks⸗
yartei, das Beſtechungẽſyſtem, die Ausbeutung der öf-
fentlihen Mittel fir Privatzwecke, die Gtellenjägerei
u. f. w., wie wir das Alles zu unferm Ekel in Frank⸗
zeich erblicken, es koͤnnte fi) gar leicht aud in Preußen
wiederholen. Es fehlt uns an öffentlicher Moral, und
wo biefe fehlt, da kann Niemand vorherfehen, zu wel⸗
hen ſchlimmen Dingen ein Bolt allmälig verleitet wird,
was mitteld einer freien Verfaſſung die Befugniß hat,
jede mögliche Thorheit und Sünde zu begeben.
Der Engländer befigt ferner Much, Charakter und
bie Fähigkeit, für feine Überzeugung bie nöthigen Opfer
zu bringen. Auch Das ift eine moralifhe Bafıs, ohne
bie fein wahrhaftes Verfaſſungsleben gedacht werden
Tann. Wo wie bei uns politifche Zeigbeit und Cha⸗
rakterloſigkeit bis zum aͤußerſten Grade der Veraͤchtlich⸗
keit eingeriſſen iſt, wo man einen wirklichen politifchen
Charakter bei Tage mit der Laterne ſuchen Tann, ba
laffen ſich die traurigften moralifhen Verwirrungen mit
ziemlicher Gewißheit vorherſehen. Es laͤßt fich gar nicht
berechnen, bis zu welchen Eptravaganzen ein überzeu-
gungsiofes Bolt, mit welchem jeder redegewandte De⸗
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iferifged Taſchenbach Derazigegeben von R. €
Drug Dritter sub vierter Jahrgeng
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rabe ber lyriſche Dichter vom epiſchen, daß er nicht ein :
Hr fondern fein eigenes Innere zur Unfgauung bringe, fr
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müfle fe fE mod Sperre zu werfen und Oilimerter zu fülde
accompli, im Gegenteil trete gerade die hoͤchſte Energie
nere Abſchluß fehlen, der möge bedenken, daß ja aud dee Epr
ker und Dramatiter immer nur einen Meinen Ausſchnitt ai |
dem Glen Sanzen der auch noch unvollendeten Weltgeſchicr
barzuftellen, aber dennoch ihm den Stempel der AUbgeihiche
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heit aufzudrũcken vermöge. So fei aud der Lyriker im Stande,
jede Welle feines flutenden Lebens im Gedichte als eine Welt
für fih aufzufaflen, in welcher fi) das Ufer mit feinen wech⸗
feinden Seflalten, der Bimmel mit feinem Gewoͤlk und feinen
Sternen als fauberer Mikrokoomus .abfpiegle.
Dies etwa iſt der erfte Theil der Einwürfe, welche der
Berf. gegen Bifcher geltend mat. Wir können der Entwide:
tung als folcher fowol von Seiten ihrer Form als von Seiten
ihres Inhalts unfere Anerkennung nicht verſagen; aber ‚das
Hefultat derfelben, fpricht es denn wirklich gegen die Biſcher⸗
ſche — Verlangt denn etwa Viſcher eine totale
Abloͤſung des Objects vom Subjeet? Er bedient ſich ausdruͤck⸗
lich der Limitation „zum größern Theil“, und eine Abloͤſung
zum größern Theil muß doch ohne Frage flattfinden, fofern
überhaupt ein Lebensmoment des dichtenden Subjects ihm zum
Dbjert werden und die wenn auch nur illujorifche Abrundung
und Abgefchloffenheit eined Mikrokosmus erhalten fol. Cine
rein ſubjective Erpectoration, wenn aud noch fo viel poetifche
Elemente enthaltend, iſt noch Fein Gedicht, fondern eine bloße
Lebensäußerung, Fein Kunftwerk, fondern ein Raturproduc, und
Bifcher bat alfo ganz recht, wenn er desgleichen verfificirte
Herzendergießungen zwar als ſolche um ber darin ausgedrüd.
ten Gefinnung und Begeifterung willen hochſchätzt, aber ben:
noch nicht als wirkliche Gedichte anerkennen will. Eine an:
dere Frage ift freilich die, ob denn ein politifches Gedicht, wel-
ches feinen Stoff aus der Gegenwart entlehnt, nothwendig eine
blos fubjective Erpectoration fein muͤſſe. In der Beantwortun
diefer Frage müſſen wir uns durchaus auf die Seite des Berf.
ftellen, denn wir fehen nicht ein, warum nicht ein Moment
unferer dem Staate und dem Baterlande gewidmeten Empfin-
dungen ebenfo gut folle objectivirt und ber fubjectiven Unruhe
entriffen werden koͤnnen als ein Act unferer anderweitigen Ge:
fühle. Zum Abſchluß eines Gefühls ift ja nicht nöthig, daß
auch das Object des Gefühle in fich zum Abſchluß gelangt fet.
Auch wenn die Freiheit außer uns und um uns noch nicht er⸗
zungen ift, kann doch das Freiheitsgefühl, zwar nicht in feiner
Algemeinheit — aber als ſolches ift es überhaupt noch nicht
poetiſch —, aben doch in einer ganz befondern fpecififchen Ge:
ftaltung zum Abfchluß gelangen und alddann auch Object eines
iyriſchen Gedichts werden. Bon diefer Seite alfo ſteht dem
politifhen Dichter gar nichts entgegen, nur bat er leider mit
einer andern Schwierigkeit zu Fämpfen, mit dem peefaithen
Charakter des Stoffe. Zwar ift Bein Stoff der Poefſie ganz
unzugänglich, aber der eine Liegt ihr näher, der andere ferner,
und der politifche Stoff, den der Lyriker aus der Gegenwart
ſchoͤpfen Tann, hat nun einmal die bofe Eigenfchaft, daß er in
feiner Allgemeinheit zu abftract, in feiner Befonderheit aber
zu reatiftiih if. Es gehört daher auch ein hoͤchſt glücklicher
Genius dazu, zwifcgen diefer Scylla und. Eharybdis glücklich
Hindurchzufegeln, was denn auch unfer Verf. felbft zugbt, ins
dem er fagt, es fei augenfcheinlich, daß diejenige Lyrik, welche
die Poftulate in der Zukunft eines Volks in ihren Inhalt auf
nehme, einer Standrede äußerlich ähnlicher werbe als die, welche
es nur mit dem Berbhältniß zu inzelnen zu thun habe, z. B.
die Serenade eines verfchmähten, aber noch hoffenden Liebha-
bers. Um dieſes Zugeftändnifies willen läßt er jedoch feine
Polemik gegen Bifcher noch nicht fallen, fondern fährt fort
die einzelnen Argumente beffelben zu widerlegen ober zu ent»
Tröften. Iſt er auch hierbei nicht immer gleich glücklich und
thut namentlich feinem Gegner infofern einiges Unrecht, als er
die ihm anftößig erfcheinenden Ausſprüche deſſelben zu iſolirt
betrachtet und andern Yußerungen beffelben, welche ſelbſt auf
die zwifchen der fubjectiven Begeifterung und objertiven Beſon⸗
nenheit ded Dichters nothwendig herrfchenbe, aber ebenjo noth:
wendig zu überwindende Untinomie hindeuten, gänzlid unbe:
rückfichtigt laßt, fo dürfte doc diefer ganze polemifche, zur
Einleitung dienende Theil der Abhandlung, befonders infofern
darin eine ebenfo Mar als anziehend gefchriebene Charakteriſtik
der gefammten Lyrif und der ihr zu Gebote flehenden Mittel
enthalten ift, für den größern Theil bes Publicums Teiche von
geherm Interefle fein als die nachfolgende, ine A
etait eingehende Unterfudhung. Zwar ift auch diefe im Gan⸗
en nicht nur mit gründlicher Sachkenntniß und vollkommener
herrſchung des Materials, ſondern auch in gewandter, feiner
und an paſſenden Stellen ſelbſt eine vhetorifch-poetifche Diction
nicht verſchmaͤhender Form — und gewaͤhrt ſowol uͤber
den Begriff ber griechiſchen Tlegie als auch über bie hiſtoriſche
Entwickelung derſelben durch Kallinos, Archilochos, Tyrtaͤos,
Mimnermos, Solon, Xenophanes, Theognis, Phokylides, Eue⸗
nos, Simonides, Ion, Dionyſius, Philiskus, Ariſtoteles und
Krates bis zu ihrer en im alerandrinifchen Beitalter .
eine hoͤchſt dankenswerthe Überficht, welche namentlich an der
Einlage der werthvollſten und berühmteften Elegien oder elegi-
ſchen Fragmente in wohlgelungener Überfegung eine für jeben
Gebildeten intereflante Bugabe erhalten hat; indeß finden fid
doch auch einzelne ziemlich lange Partien in ihr, 3. B. die
hiſtoriſch⸗kritiſche Unterfuhung über die Chronologie des Kali:
nos, welche wenigftens in foldher Ausdehnung und mit Anzie⸗
bung und Berarbeitung an fi) jo minutiöfer und dem allge:
meinen Bewußtfein durchaus fernliegender Notizen und hat
fachen nur dem Ypiiologen von SInterefie fein können und
welche daher im vorliegenden Taſchenbuche, das in feiner gan«
zen biöherigen Ausftattung ſtets nur das allgemein »gebildete
Yublicum vor Augen gehabt hat, beffer unterdrückt worden
wären. Im Übrigen gibt uns der Verf. wie in der Einleitung
fo auch in der eigentlichen Abhandlung mehrmals Beranlaffung,
unfern Blick von dem alten Hellas weg auf unfer neueftes
Deutſchland zu wenden und felbft durchaus objectiv gehaltene
Schilderungen antiker Staatöverhältniffe oder einzelne Stellen
aus ben mitgetheilten Gedichten verfegen uns plöglich wie mit
einem Zauberfchlage, ohne daß es der Berf. gewollt haben mag,
aus dem Gebiete der Vergangenheit in das ber Gegenwart.
Am freiften von derartigen Rebeneffecten, obwol auch nicht
gang fee, halten fi) jedenfalls die beiden Mittheilungen von
A. Wellmann und, was den Leſer befonders wundern wird,
von Hoffmann von Pallersieben. Der Erftere bietet uns einen
Aufjag „Über einige englifche Zrauerfpielditer nach Shak⸗
fpeare”‘, Der ganz in ähnlicher Weile abgefaßt ift wig der im
erften Jahrgange dieſes Taſchenbuchs enthaltene „Über bie
vier älteften ‚fpanifchen Dramatiker”. Wir erhalten darin ei»
nen zwar nicht fehr ausführlichen, aber für das Intereffe des
Stoffs volllommen ausreichenden Bericht über den Gang der
tragifch:dramatifchen Literatur in Gngland von Shakſpeare
biß in die neuere Zeit und eine Burze Charakteriſtik der nen»
nenswertheften Dichter, ja felbft eine Inhaltserzählung mehrer
der berühmteften Stüde. Die Wanderung, die wir mit bem
Berf. machen müflen, hat gerade nichts Zröftliches.. Denn wir
elangen mit jedem Schritte von den romantiſchen Gebirgs-
—* der Poeſie immer tiefer und tiefer hinab in das tiefſte
proſaiſche Flachland. Während Dichter wie Philipp Maffin-
ger, Thomas Otway, Rathanael Lee und Sohn Banks, ja auch
noch Thomas Southern, Nicholas Rowe und William Con»
greve, wenn auch fämmtlich manierirt und nach der einen oder
andern Seite hin ins Ercentriſche ausartend, body immer noch
mehr oder wenige Rachklaͤnge der Shakfpeare fhen Tragik
enthalten, fo verfinten dagegen zufolge der durch Die Locke ſche
Phüofophie und einen abftracten Deismus herbeigeführten Ver⸗
ftändigfeit, zufolge ber uͤberhand nehmenden, den Kunftfinn
verdraͤngenden praftifhen Richtung, —5 des durch Steele,
Shaftet ury, Sohnfon, Addifon verbreiteten Modalismus und
zufolge des Ginflufles der. feanzöfifchen Hofpoefie die folgenden '
Dichter: Ambroſe Philipps, Aaron HIN, Hughes, Abdifon, George
Lillo und Edward Moore immer mehr in die niedere und Klein:
liche Sphäre der Zamiliendramen und Rübrftüde, oder fpreizen
fih auf den flachen Parquets fleifleinener Elafficität oder wald:
federner Tugendhaftigkeit. Nur ein Schotte, Sohn Home, wagte
daneben wieder einen Sprung in die Romantit und machte
damit einen ſolchen Effect, daB während der Aufführung feines
babe bequemen
Bwele bei allen Höfen, damals wie jegt, bebürfe; er habe um
Bein Amt gebettelt, denn:
Des tbut Bein ebles Derye,
Gondern veracht foldy Scherze.
i M auch nit ganz ohne Rebenabfidt gerabe das
Lied „Bom Herrn Vettern“ mitgetheilt, in weichem es unter
Anderm Heißt:
BM du zu Sof befärbert wern,
Schau, daß ya ein Herrn Better!
Du wirft gelehrt, «bl, voller Ehrn,
Ein Krlegemann frei, noch mehr darbei —
Doch kehrn Rod nah dem Wetter!
Bugeftänbdlicher brüdkt feinen Standpunkt innerhalb der Ge⸗
genwart Adolf Bod aus, der uns in einem Brief an den Her:
ausgeber fein Urtheil über Knigge liefert. Der Schriftfkeller”,
ve er unter Anderm im ——— ve Briefes, „bewährt
fich noch als fehr unnüg für Die e des Volks, ber. weiter
nichts vermag als die fittlihen Gebrechen der höhern Stände
mit gelinden Mitteln anzugreifen. Nchtswuͤrdigkeit ber
Menſchen ift überall, wo fie fich findet, mit 3 Zorn zu
?
vernichten. Die hoͤhern Staͤnde wuͤrden aber nicht ſchlecht ſein
koͤnnen, wenn es die untergeordneten nicht auch waͤren, um
jene zu unterflügen. Und der wirkliche Volksfreund hat des-
halb gerade das Volk auf die eigenen Schwächen aufmerkfam
zu maden, hat ihm zu zeigen, wie es annäherungsweife und
allmälig wenigftens je geifkiger, jittlicher und fomit auch äu-
ßerlicher Selbſtaͤndigkeit gelangt. Unzufriedenheit, ein ſehr ver⸗
rufenes Wort! Und dennoch verdanken wir ihr — verſteht
fich, nähft, dem Hunger und ber Liebe — alles Große und
Menſchenwuͤrdige. Geht fie freilich über das Maß der Kräfte,
fo wird fie eine Ihorheit; wet fie dagegen dad Bewußtfein
der Kraft, fo führt die Unzufriedenheit mit dem Alten zur Ent:
“u
h
effrı
:
{
{
Ir
Kr j
Preisertbeilu zur Belohnung für feine älten Chries
und Paradedichtungen mehr als ein Wal der a iſche Kranz
auf das Haupt gebrüdt: Was uns ben Romum dicſes ehrle
e. Der erfie Band hat bereits die Prefle ver
wahrſcheinlich werben die einmal geöffneten Schlew
fen fi) ſobald nicht fliegen. Wahrlih, wenn jegt noch ein
Boileau zu Gericht fäße, fo würde er fücher das Lob des beim
berten Dichters mit vollem Munde pofaunen. Alles ifk fo ce
rett und fo fauber, nirgend wuchern die Gedanken allzu üppig!
aber Bignan mit feinen „Oeuvres postiques” den Rum
des Tags einernten ober fi eine dauernde Stelle im Ianpd
wahrer Dichtergröße erwerben wird, ift eine Trage, deren Be
jahung etwas gewagt fein dürfte.
Katbolifhe Iournaliftik.
Der Katholicismus iſt in der franzöfiihen Sournalil .
nad allen Richtungen bin vertreten. Defienunge rt
bad neuerwachte religiöfe Bewußtfein immer neue Zeitfchrifter
ind Leben, die bald mit aufflanımendem zelotifhen Eifer, bald
im ruhigen boctrinaiven Zone die katholiſche Lehre Prediger.
Unter den neuen Erſcheinungen diefer Art, weiche in der ef
ten Zeit aufgetaucht find, bemerken wir endes Blatt:
„Journal des &crivains catholiques, Echo politique, philose-
— artistique et Httéraire du monde religieux.” U
erguögeber nennt fi Boifte de Richemont. Diefes neue Dr
gan des Katholicismus fkellt fich die Aufgabe, die hervorragen
ben Schriften auf dem Gebiete der Afcetit in weitern Kreien
au verbreiten und einem größern Publicum zugänglich zu mr
hen. In dem Plan und ber Anlage erinnert ed an beb
„Journal des predicateurs”, welches von derfelben Verlagt
Handlung berauögegeben wird. 1.
Berantwortlier Herausgeber: Heinzi Wrodhans. — Drud und Verlag von F. . Brodhans in Leipzig.
Blätter
fir
literarifhe Unterhaltung.
Donnerstag,
Die preußiſche Verfaſſungsfrage ‚und das worbifche
Princip. Von einem Öftreicher.
" Dritter Artikel.—
(Eottfekung aus Mr. 101.)
Ich weiß fehr wohl, was man gegen dieſe trübe An⸗
ficht einwenden wird. - Man wieb ben geſunkenen politi⸗
fihen Charakter der Preußen nicht ableugnen, aber man
wird einwenden, daß die Schuld bavon eben in bem
Mangel an politifcher Freiheit Tiege, an ber politifchen
Sklaverei, die Jahrhunderte lang auf und gelaftet und
auf das Verderbniß unſerer öffentlichen Moralitaͤt hin⸗
gewirkt habe. Man wird ferner gleich unſerm Verf.
behaupten, daß mit ber Urfache auch die Wirkungen
aufhören würben unb daß die edeln Gigenfchaften eines
freien: Volks fich von felbft einftelen würden, fobald
nur erft bie freie. Verfaſſung da ſei. Was ba: Erftere
betrifft, fo bin ich bamit einverſtanden, der Grund un«
ferer politifchen Verderbniß liegt in unferer Geſchichte.
Wir leiden an den Sünden unferer Vorfahren. Alles
in der Welt har feinen natürlichen Grund, Alles iſt
Folge jenes ewigen Proceffes von Urfache und Wirkung,
So auch unfer jegiger Vollscharakter, und fo gering ich
ign in mander Beziehung anfchlage, fo tief ich ihn
‚auch ftelle, fo fällt e6 mir wahrlich nicht ein, alle Schulb
ben Mitlebenden und bee Gegemvart aufzubürben. Aber
was den zweiten Sag betrifft, daß die moralifche Frei⸗
heit ſich von felbft einftellen werde, fobald nur erſt bie
gefegliche vorhanden fei, fo kann ich ihn Koch mir mit
fehr großen Beſchränkungen zugeben. Moraliſche Ge-
brechen, bie chroniſch geworben find, hören’ nicht ploͤtzlich
auf. Sie en Jahrhunderte zu ihrer allmäligen
Entftehung und Entwickelung, fie find‘ organifch, confti-
tutionnel gewarden und fie koͤnnen alſo auch nicht mit
einem Zauberſchlage plöglih aufhören. Es wäre eine
leichte Sathe am die Erziehung bes Menfchengefchlechts,
wenn fi durch ein paar papterene Gefege die moralifche
Geſundheit auf der Stelle wieberherftelite, wenn e#
nur eines Momente bebürfte zur völligen Wiedergeburt
eines Volkes. Ich will zugeben, baß wir Deutfchen noch
nicht mozalifch verloren find, dag die Urkeime eines groß⸗
artigen Charakters nody nicht gänzlich abgeröbtet, daß fie
nech Herr werben Tönnen über das wuchernde Unkraut,
das vorläufig fie verbummpft hat. Aber Das kann ih
11. Süni 1846,
= — —— --
mir nicht verhehlen, daß lange Kaͤnpfe, eine lange
ſchwere Leidensſchule, daß zahlloſe Abirrungen und ver⸗
gebliche Verſuche dazu gehoͤren werden, um die germa⸗
niſche Freihrit endlich wiederherzuſtellen. In dieſer
Beziehung theile ich ganz die Bedenken ber Abfolatiften.
Einen verftändigen Gebrauch ber politiſchen Freiheit kann
Niemand garantiren. Es iſt leicht möglich, daB wir
Exrperimente burchmachen werben aͤhnlich den franjöfl
Then am Enbe bes‘ vorigen Jahrhunderts, leicht mög«
lich, daß eine noch größere chaotifche Auflöfung auf Jahre
und Jahrzehnde bei uns eintritt als bei deni Nachbar:
volfe. Der Berf: felbft gibt zu, daß ein folcher Um
flurz aller bürgerlichen Ordnung alsbann möglich fei,
wenn bie Gonceffionen zu fpät eingeräumt würden. Rum
denn, wer bürgt ihm dafir, daß es nicht ſchon zu fodt
bei uns iftt Was mich betrifft, fo fürchte ich es nicht
nur, fondern ich bin feft bavon überzeugt. Es gab eine
Zeit, wo eine frieblichere Wirbergeburt zur politifchen
Freiheit des deutſchen Volkes und namentlich Preußens
vielleicht moͤglich geweſen. Es war biefes die Zeit, wo
das Volt durch Unglück geldutert zu einem’ hohen mo»
ralifchen Aufſchwunge angeregt worden war, wo wahr⸗
haft große Charaktere an der Spige ftanden, denen es
vielleicht gelungen wäre, ben Stempel ihrer eigenen hohen
fittlichen Reinheit der ganım politiſchen Umgeſtaltung
aufzubrüden; die alle im Aufkeimen begriffenen beffern
moralifchen Elemente mit den Sonnenftraßlen ihres Ge»
nius zum Aufblühen gebracht und um fich verfammelt -.
haben, die alles Unwahre, Verworrene und Selbſtiſche
durch ihr moralifches Anfehen in gehörigen Schranben
gehalten haben würden. Bas war bie Zeit während
der Freiheitsfriege und unmittelbar nach denfelben; da⸗
mals war eine gute Stimmung für gewiffenhafte Staats⸗
arbeit, und damals lebte einer von jenen feltenen Men⸗
hen, den bie Vorſehung in ſchwierigen Zeiten mit jene!
moraliſchen Sicherheit und Klarheit ausrüftet, um feinen
Mitbrübern ale Führer und Leiter zu dienen, das war
der Freiherr von Stein. Aber diefer Augenblick iſt vor»
bei. Seit jenen dreißig Jahren ift unglaublich viel am
moralffch-politifchem Gehalte verloren gegängen und ver⸗
borben worden. Ein Geſchlecht iſt erporgewachſen, weis
ches mit materieller Selbſtſucht, mit cynifher Genau
ſucht, mit doctrinairer Phinſenmacherei und ſittlicher Uns
Harheit recht eigentlich vollgeſtopft und überfättige iſt.
Jede eigene moralifche Überzeugung, jedes Streben nad)
hoͤhern fittlichen Lebensaufgaben, ja jede aufrichtige Selbft-
achtung ift Im Verlaufe diefer unglücfeligen Zeit gebro-
chen und zerflört worden. „Du haſt's erreicht, Dctavio!“
ann man.der Reaction mit Wahrheit zurufen Man
wollte. die felbftändigen Charaktere und Überzeugungen
brechen, um Ruhe vor ihnen zu haben, und es ift in
vollem, vollem Maße gelungen. Aber Vortheil hat man
nicht davon gehabt: Trotz aller dieſer gelungenen Be⸗
firebungen fteht man jegt wieber auf dem Punkte, wo
man fi) genöthigt fieht, die Anker zu kappen und das
Schiff den Stürmen preiszugeben, nur mit dem Unter⸗
fchiede, daß es jept älter und leder geworben ift, daß
die erfahrenen Steuerleute geftorben find und daß eine
Ihwächliche, ungeübte Bemannung an die Stelle ber
rüftigen Matrofen getreten iſt. Die Aufgabe tft ſchwe⸗
rer geworden, denn fie hat ſich aufgefummt an unbe.
wältigtem Stoffe von Jahr zu Jahr und die Mittel
find unzureichender.
Man verftehe mich recht. Ich weiß fehr wohl, da6
es fo wie jet nicht bleiben kann. Ein wirklicher Staat,
der auf gemeinfamer Gefinnung und auf organifcher
Durchwachſung der einzelnen Glieder beruht, exiſtirt in
Preußen eigentlich gar nicht mehr. Es ift nur noch ein
Haufe von Individuen vorhanden, wo Jeder für fi)
fühlt, denkt und handelt. Diefe anorganifche Anhaͤufung
wird blos noch äußerlich zufammengehalten und rein
mechanifch regiert. Ein Jeder ſucht fi) den allgemei-
nen Leiftungen zu entziehen und fieht in den Behörden
nur einen Feind, gegen ben er die Fauſt in der Taſche
macht und über deren fteigende Verlegenheit er ſich freut.
Aller Rechts- und Bemeinfinn, alles ſtaatliche Bewußt⸗
fein hat aufgehört. Diefes unglüdfelige Verhaͤltniß,
welches mit reißender Progreſſion ſich ausgebildet hat,
kann nicht lange mehr beſtehen. Ban muß daran den⸗
ken, wieder wirkliche Staatsbürger zu bilden und zu er⸗
werben, wenn nicht eine totale Auflöſung erfolgen ſoll.
Daß jenes Syſtem ber abfoluten Fürftengewalt und ber
zwangsweifen Bevormundung bed Volkes durch eine bu-
reaukratiſche Beamtenhierarchte zur Wiedererzeugung ei»
nes lebendigen Staatsorganismus abfolut unfähig iſt —
diefe Überzeugung wirb man mir wol zutrauen. Es
gibt gewiß keinen entfchiedenerm Gegner ber gegenmärti«
gen Regierungdzuflände als mih, ih wäre mwahn-
finnig, wenn id das mindefte Heil von einem Syſteme
erwarten follte, welche meiner Anſicht nach den Staat
moralifch aufgelöft hat. Jede Minute, die man länger
darin beharrt, vergrößert bie Gefahr und das Verberben.
Auch ich Fenne nur ein Mittel, um aus Preußen wie-
der einen wirklichen organifchen Staat zu machen: bie
freie Verfaffung und die Mündigfprehung
des Volkes. Es bleibt in diefe Beziehung gar Feine
Wahl übrig. Wo nur ein einziges, leztes Rettungs-
mittel nod) gegeben ift, da muß man dazu greifen, es
entfiche daraus was wolle. Beim Beharten auf dem
jefigen Syſteme iſt ficherer Untergang; bei Ergreifung
einer volksrechtlichen Verfaffun , in⸗
liche es, Aber —8 —*— len ee
liberalen Schriftfteller nicht beiftimmen, wenn fie biefes
einzige Rettungsmittel als ein bequemes und ſchmerzlo⸗
es darfiellen, welches ohne alle fchweren. Krifen die volle
defundheit fogleich wiederherſtellen werde. Nein, wir
koͤnnen uns auf ernfle, fchwere Kämpfe und auf Die
beftigften Erfchütterungen gefaßt machen, wenn wir eine
freie Verfaſſung erhalten. Der Mangel an Gemeinfinn
und an organifchem Staatébewußtſein wirb öffentlich
bervertreten, fobald ihm bie Kreiheit dazu gegeben if.
Das iſt eine Naturnothwendigkeit. Ich fehe nicht ein,
warum man ben Stand ber Dinge, wie er wirklich ift,
nicht offen ausfprechen fol. Ich Liebe diefe Täftigen
Verſchweigungen nicht, Durch bie man ohnehin bie Geg⸗
ner nicht täuſcht. Ihre Befürchtungen werben badurd
night beſchwichtigt, denn ihre innerftes Gewiffen fagt ih⸗
nen, daß fte wur zu begründet find. Nein, man gebe
ihnen Alles zu, was fie von einer freien Verfaffung
fürchten; man gebe ihnen zu, daß das Volk fich zu ben
außerften Ertremen bei dem ungewohnten Gebrauche der
Freiheit verirren könne; man gebe ihnen zu, baf
fo viel aufgehäufter Stoff von Bebürfniffen, die unter
der jepigen Regierung nicht . erledigt und befriedigt find,
gar leicht eine Erplofion erzeugen Zönne, ſobald die
frifhe Luft der Freipeit mit ihm in Berührung tritt
Das fchadet Alles nicht zur Erreichung unfers Zwede;
denn es bleibt ihnen einmal keine audere
Wahl. Wo auf der einen Seite ſicherer Untergang if,
da muß man fi ſchon zu dem legten Rettungswege
entfchließen und wenn noch fo viel Schmerzen und Opfer
fi) dabei vorherfehen liefen, Im Begentheil, es macht
mir Vergnügen, alle dieſe Angfte zu befldtigen. Es iſt
mir eine kleine Genugthuung, die Nemeis jekt auf vie⸗
len Gefichtern zu leſen. Ich weiß, daß fie müffen.
Warum haben fie nicht früher eingelenkt als es ned
Zeit war. Ich bin auf Alles gefaßt und fche mit
Ruhe ben Stürmen entgegen, die da fommen werden;.
mögen fie fi eine gleiche Faſſung zu erwerben fuchen.
Das ift ihre Sache.
Wenn ich übrigens von Verfaffung fpreche als von
dem einzigen Rettungsmittel Preußens, fo meine ich da-
mit eine ‚wirkliche Verfaſſung, die ben Anſprũchen der
neuern Zeit völlig genügt, eine Mare unver
Verfafſung mit unbebingtem Gteuerbewilligungs- uab
Steuerverweigerungsrehte, mit einem freifiuni-
gen Wahlfgfteme, mit vollftändiger Offentlichkeie in al
Ien Zweigen des Staatslebens, mit entfchiebener Preß
freiheit. Nichts Verderblicheres koͤnnte uns bie nädhfk
Zukunft bringen als halbe Zugeftändniffe, durch melde
die Volksmacht einerfeit® angeregt und halb umb hal
Derechtigt wurde m doch auf ber andern Seite wieder
eine genügende Befriedigung ihrer politifchen Wünſche
fände. Das hieße die Leidenfchaften aber erregen
und den Kampf mutbwillig proboriren, ben men zu
vermeiben ſucht; das hieße die Revolution mit Nothwen⸗
digkeit hervorrufen. Man gewänne nit einen einzig
043.
Freund und verftärkte doch die Feinde. Wenn heute
eine folche halbe Berfaffung gegeben mürde, fo wäre
such morgen ber Kampf gegen die Staatögewalt ſchon
im vollen Gange. Diefe halben Zugeftändniffe die man
macht, ohne Vertrauen, umgeben von einer Menge hin⸗
terhältiger Gedanken und Verclaufulirungen, fie find das
Product der Schwäche und werden als folche vom Volke
aufgefaßt. Sie gießen nur Ol ins Feuer; denn mit dem klei⸗
nen Finger begnügt fi das Volk nie, es verlangt ftets
die ganze Hand. Man betrachte alle Revolutionen, bie
zu leidenfchaftlichen Ertremen geführt haben, immer wird
man finden, daß biefe halben Mafregeln und Zugeftänd-
niffe das fchlimmfte Incitament dabei gewefen find.
Die Quadratur des Cirkels ift noch nicht erfunden
und wirb auch nicht erfunden werden. Ebenfo wenig
wird man eine Derfaffung erfinden fönnen, welche die
abfolute Fürftenmacht einerfeite vollftändig confervirt
und anbdererfeits dem Volke auch freie Seibftbeftimmung
zugeſteht. Daß ein folder unvereinbarer Widerfpruc)
unlösbar ift, das Ichrt die einfache Logik. Man zer-
breche fi daher auch nicht den Kopf daran. Mas von
vornherein unmöglich ift, das wird durch alle Berathun-
gen nicht möglich, felbft wenn bie fieben Weifen Grie⸗
chenlande daran Antheil nahmen. Entweder — Ober.
Entweder dem gebildeten Theile des Volkes ſich auf
Discretion in bie Arme geworfen, oder ruhig in dem
alten Syſteme beharrt und abgemartet, bis die Wogen
der Zeit die legten Stügen des morfchen Bebäubes zer-
trummern. Entweder eine richtige Thaͤtigkeit oder gar
Peine. Cine falfche Thaͤtigkeit ift unter allen Umftänden
das Schlimmſte. j
(Der Beſchluß folgt.)
Literachiftorifches Taſchenbuch. Herausgegeben von R. E.
Prutz. Dritter und vierter Jahrgang.
(Bortfegung aus Nr. 161.)
Wenn die bisher befprochenen Auffäge des dritten Jahrgangs
zwar alle in näherer ober entfernterer Beziehung zu Fragen
Der Zeit ftehen, aber doch ihr Thema eigentlich der Bergangen»
beit entnommen haben, fo wurzeln jedoch die beiden Gaben
von 3.9. Jordan und dem Herausgeber durchaus in ber Ge:
genmart ſelbſt. Der Erfte gibt eine hoͤchſt Mare und überficht
iche Darftellung von „Ungarns Literarifhen und nationalen
Beftrebungen”, welche wir Jedem, der etwa über die hiftorifche
Entwidelung, und den neueften Standpunkt der nationalen
Kämpfe, namentlih des Spracdenftreitd in Ungarn noch im
Dunkeln fein folte, a zur Lecture empfehlen.
Welche politifhe Stelung der Verf. darin einnimmt, erhellt
fogleih aus dem Anfange welcher lautet: „Zwei Hauptbeftre:
bungen find es, welche gegenwärtig Europa von einem Ende
u andern bewegen und deren Erreihung der Geiſt unferer
eit als das einzige unumgänglid) nothwendige Mittel zur
Realifirung der großen Swede ber Gefelfhaft, des Staats,
der Menſchheit ü erhaupt anfieht: das Streben nach nationa:
Ier Entwidelung und nach ftaatsbürgerlicher, conftitutionneler
Freiheit. Nicht die franzöfifhe Revolution und deren Reſul⸗
state, nicht die revolutionnairen Propaganden und ihre angeb⸗
Küche Wirkſamkeit haben dieſe Bedürmifje wach gerufen, nein,
Die Stufe der geifligen Eultur, zu der wir uns erhoben, die
Höhe der praktiſchen Kraftentfaltung, die wir erftiegen, haben
.
jene Beflrebungen geweckt, fie haben die begreifliche Wahrheit,
die Dingliche KRothwendigkeit derfelben zur. unmittelbarften Kennt»
niß unters Geifted, zur innerften Anſchauung unferer Seele er»
hoben und dadurch über unfern gefammten Erdtheil einen war:
men, einen befruchtenden Ather ausgegoffen, den wir in vollen
Zügen einfaugen: Die conftitutionnellen und nationalen Beſtre⸗
bungen find ein Gemeingut der europäifchen Welt geworden.”
Im Übrigen glauben wir nichts weiter über diefen Auf:
fag Binzufügen zu dürfen, denn der Verf. hat fich bereits in
Nr. 253— 297 und Nr. 344— 348 d. Bl. f. 1844, fowie in Nr. 146
"und 147 f. 1845 über die ungarifchen Zuftände und die Darüber. ers
ſchienene Literatur felbft fo gründfich und umfaſſend ausgefprochen,
daß Alles, was wir hier mittheilen koͤnnten, doch nur dürftig
dagegen ausfallen würde. Wir gehen daher unmittelbar zur legs
ten Gabe des dritten Jahrgangs zum Beitrage des Herausgebers .
fetbft über, welcher fi „Über bie Unterhaltungsliteratur, ind»
befondere der Deutfhhen” ausfpriht. Wie wir es von ben
Arbeiten des Berf. nicht ander& gewohnt find, fo ift auch dies
fer Auffag in einem fo a eleganten und fchöngegliederten
Stile gefchrieben, DaB es für das Organ eine ordentliche Wohl:
that ik, wenn ihm die Gelegenheit gegeben wird, ihn vorzu⸗
lefen. Auch der Kortjchritt der Gedanken, die Anordnung und
Gruppirung des Inhalts macht ji darin fo leicht und natürs
lich, daß das Ganze einen faft Fünftlerifchen Eindruck macht.
Nicht fo hoch Fönnen wir den Werth des Inhalts anfchlagen.
Bwar theilen wir im Allgemeinen des Verf. Anſicht über die
Unterhaltungsliteratur, aud wir halten fie für einen böchft
wichtigen, der forgfältigften Beachtung werthen Gegenftand,
und beflagen e8 mit ihm, daß die deutfchen Dichter ihren An»
bau bisher allzu fehr vernadhläffigt haben; abet darum fühlen
wir uns doch nicht geneigt, mit ihm diejenigen ihrer Leiftun-
gen, bie für den eigentlichen Kunſtgeſchmack berechnet find, ge:
ringzufchägen, ja ber Unterhaltungsliteratur der Engländer und
Franzoſen gegenüber faft für nichts anzufehlagen. Denn es
wäre doch wahrhaftig traurig um unfere kiteratur beftellt,
wenn der Verf. wirklich recht hätte zu fagen, was gut fei in
der beutfchen Kiteratur, daß, fei langweilig, und dad Kurzweis
tige fei ſchlecht; mas die Äſthetik billige, das degoutire das
Yublicum, und umgekehrt, was dem Yublicum behage, davor
bekreuze ſich die Afthetil. Angenommen, e8 wäre fo und uns
fere „‚guten” Bücher wären wirklich langweilig, bätten wir
dann noch ein Recht, fie „gut“ zu nennen? Die poetifchen
geoonetionen haben ja gar keinen andern Swed als uns den
enuß des Schönen zu bereiten und der Genuß des Schönen
verträgt fih nie und nirgend mit ber Langweiligkeit. ine
Dichtung die und langweilt hat daher ihren Zweck verfehlt,
und was feinen Zweck verfehlt Hat, kann unter Peiner Bedin⸗
gung „gut“ genannt werben. Eins muß der Verf. daher noth⸗
wendig fallen laffen, entweder, daß die Bücher, welche er uns
ter den guten verftanden wiſſen will, gut, oder daß fie
longweilig find. Wir unfererfeits müflen ihre Langweiligkeit
in Abrede fielen. Denn wie in allee Welt hätten die Werke
unferer Dichter, wenn ſie ſchlechthin langweilig wären, nicht
blos in Deutfchland, fondern auch bei fremden Rationen fol»
en Effect machen Bönnen, wie fie denn doch unleugbar ge
macht haben? Iſt cd nur denkbar, daß fi die abfolute Lang:
weiligkeit folchen &ieg erringen Tann? Der Berf. wird alfo
feinen &a& wenigſtens infomweit abändern müffen, daß er nur
fagt, was gut fei in der deutichen Literatur, das fei langwei⸗
lig für das Wolf; und wahrſcheinlich bat er diefes auch nur
fagen wollen, da fein folgender Sag etwa Daſſelbe ausfpricht.
Do koͤnnen wir feiner Behauptung auch in diefer Beſchraͤn⸗
fung noch nicht abfolut Recht geben, und zwar aus verfchies
denen Gründen nit. Allerdings ift es wahr, daß die Werfe
unferer Dichter noch nicht das ganze deutfche Volk durchdrun⸗
gen haben und daß fie vorzugsweife nur der Maſſe der Ger
itdeten bekannt find; aber diefe Maffe iſt in Deutſchland eben
nit ganz fo gering ald der Verf. es darftellt, und am wer.
nigften ift es richtig, daB fie eben nur aus den Literaten be=
‘
DL ILL.
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agasg
In
Al
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ni HN
REM
ang er Berf. beruft ih
eo Aber haben denn nicht gerade beflen „
man überhaupt noch mit Leſen beichä — ge⸗
funden, daß ſie eben eine Flut von Rachah
ſich gezogen haben, welche ganz ausdrücklich für das große
licum berechnet waren? Beine ſpaͤtern Werke freilich ha⸗
mehr oder weniger nur in den eſoteriſchen Kreiſen effectirt,
aber doch find auch in ihnen fo viel volksthümliche, Jedermann
ee Elemente, daß fi mit Leichtigkeit gerade aus Goe⸗
the’$ iften ein claffilhes Volksbuch zufammenftellen ließe.
Würde nicht 3. DB. der ganze Theil des „Fauſt“, welcher das
Berhältniß Fauſt's zu Gretchen behandelt, ahgetöß don den ſchwe⸗
rer zu faflenden Partien, eine dem Volke ebenfo fehr durch
Einfachheit und Faßlichkeit als durch Innigkeit, Wärme und
Wirffamkeit zufagende Lecture abgebent Wie viel wäre aus
„Egmont” wegzufchneiden, um dm dem Bolke mundgerecht zu
machen? Und was ift an „Dermann und Dorothea” Unpopu⸗
laires als der Herameter, defien Verftändniß aber dem Volke
am Ende gar nicht ſchwer beizubringen wäret Umgekehrt beu-
tet der Berf. auf Schiller hin alß auf denjenigen deutſchen
Dichter, der noch am meiften das Volk im Auge gehabt und
daher auch die größe Verbreitung unter demfelben gefunden
babe. Aber wo ift er denn verbreitet? Eben auch nur in
denjenigen @laffen, die fi zu den gebildeten rechnen. Nur
feine „Räuber und „Gabale und Liebe” find in Die tiefern
Regionen gedrungen, dergeftalt, daß fie dort wirklich zu Lectur⸗
* geworden find. Seine übrigen Werke hat man wol
auf den Repofitorien, aber man lieft fje nicht. Selbſt „Zell
ift dem Volke nur von der Bühne aus genießbar. Daß fi
aber Schiller innerhalb der bezeichneten Syſteme ein fo großes
Yublicum gewonnen hat, das für ihn ſchwaͤrmt, das verdankt |
er ganz gewiß nicht denjenigen Eigenfchaften, welche der Verf.
felbft als die wefentlihen des Volksſchriftſtellers bezeichnet hat,
fondern vorzugsweife dem Umftarde, daß er ber ibealiftifchen
Richtung Derer, welche ſich über die große Maſſe zum Stand»
punkt der Erdufivgebilbeten zu erheben wuͤnſchen, am meiften
orſchub leiſtet. Der ſchwaͤrmt man vielleiht für Schiller
aus demfelben Grunde, aus dem man die Romane von Cooper,
Marryat, Boz, Sue u. |. mw. eifriger lieſt als die der deut:
(hen Schriftflelert Etwa, weil er voller ind Leben greift?
Weil er mehr Unterbaltungsftoff liefert? Weil er beffer fpannt
und weniger reflectirtt Gewiß nicht, und es fteht baher wol
feft, daß Schiller von einem Volksſchriftſteller eben nicht mehr
und nicht weniger befigt als die andern deutſchen Schriftfteller
auch. Manche, z. B. Leffing, find ihm darin offenbar überle⸗
gen, und felbft Tieck entfaltet in „Daͤumchen“, „Kortunat”
und vielen feiner Novellen ein Talent dafür, wie ed bei Schil⸗
ler nicht im entfernteften zu entbeden iſt. Auch fonft find
wir nit ganz fo verwaift an Unterhaltungsfhriften von nam⸗
haften Dichtern, wie es der Verf. darftellt. „Peter Schle⸗
mihl“ von Ehamiffo, „Aus dem Leben eines Taugenichts“ von
Eichendorff, mehre Romane und Novellen von W. Aleris, Koe⸗
nig, Mügge, Spindler und Andern Tonnen mit ben englifchen
und franzöfifden Romanen, fowol was ihre Qualificatton zur
bis auf die blutigen Religionskaͤmpfe, in die fi
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und der Unterhaltungsliteratur iſt alſo thatfäclich I
alfo wol zum Theil, wie es in unfern Tagen häufig gefickt,
gegen einen imaginairen Feind mandendrirt. Trotzden haben
wir feinen Auffag mit Bergnügen gelefen, Den er gut geſchrie⸗
fehr viel wahre und treffende Bemerkungen enthält Am
berzigungswertheften ift wol Dus, was er über unfern De
gel an einem Öffentlichen, großartigen Leben fagt, in weiden
fih SchriftReller und Voll begegnen und fih für ein gemen
fames Interefie erwärmen könnten. Das iſt der faule Flech
an dem Alles bei und krankt und fo auch die Piteratur. Wann
wird ed anders werden? Es fcheint, ald würden jegt die Ar
fänge dazu gemacht. Gebe Gott, daß wir mit ewig Anfän-
ger darin bleiben!
(Die Kortfegung folgt.)
Ei
5
r
Fa
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[62
ä,
5
g
25
2
Literarifhe Notiz aus Frankreich.
Geſchichte der Provinz Languedoc.
Die umfangdreiche, maffenhafte Gefchichte von Languede,
welche von den Benedictinern Dom Claude de Bic und Dom
Baifjette angefangen ift, und deren Vollendung unb Überarbei⸗
tung der verdiente A. du Mige übernommen bat, ift von ms
in d. Bl. bereits verfhiedene Male erwähnt. Die vor kurzem
erfchienene 36. Xieferung hat den Schluß des neunten Bande
gebracht. Wie enthält ded Neuen und Brauchbaren vid, wie
auch die vorhergehenden Zheile ein reiches Material intereffan-
ter Einzelheiten bieten. Wir erhalten jegt eine neue Behand»
lung der intereffanten Gefchichte jener Provinz, welche von ir
Anfiedelung griehifher Eoloniften im fübliheg Frankreich a
ein trend,
ergebenes Volk verwidelt fah, ſtets der Schauplap wichtige
Greigniffe gemwefen ift. Diefes neue Werk führt den Zitd:
„Histoire du Languedoc depuis les temps les plus recul#
jus u'à nos jours“, und hat Dominique Magalon zum Bel
äbrend jene größere Geſchichte nur für den gelehrten Fer
fher Werth und Intereffe hat, ift die gegenwärtige Scelt
auf einen weitern Kreis berechnet, dem ed weniger auf der
Neihthum hiſtoriſcher Documente oder die Auffpeicherung ti
einer Rotizen als auf eine gefällige Verarbeitung de ge
mmten Materiald ankommt. 17.
Verantwortlicher Herausgeber: Heinrih Wrodjand. — Drud und Verlag von F. . Drockhans in Leipzig.
|
|
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Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
12. uni 1846.
rincip. Bon einem Oftreicher.
Dritter Artikel.
(Beſchluß aus Nr. 188.)
Wir kommen nun auf einen andern Einwand, wel⸗
Die preußiſhe Verfaſſungsfrage und das nordiſche
| hen bie Gegner einer preußifchen Berfaffung ſehr haufig
machen. Es iſt die Beforgnif für die Staatsein-
heit; und zwar nicht die Gegner bed Volksrechts, fon-
dern felbft ehrenhafte freifinnige Männer behaupten,
Dreußen koͤnne feiner eigenthümlichen Zufammenfegung
und Entftiehungsgefchichte wegen entweder ‚überhaupt nie
oder doch jetzt noch nicht conflitutionnel werden. Noch
find in Preußen, fagt man, zu viele Sonberintereffen
lebendig und vielfach im Wiberfireit. Die politifche
Freiheit würde alfo nur dem propinziellen Eigenfinn
und Eigennug dienen, um fich recht fchroff geltend zu
machen. Staft bes fo dringend nothwendigen allgemein
preufifhen Staatsbewußtſeins würden alte feindfelige
Erinnerungen . erwet unb genäbrt werden. End⸗
Iofe Verwirrung aller WVerhältniffe, Zerfplitterung der
Staatsträfte, Lähmung der oberften Gewalt würde bie
nothivendige Folge fein. In einem ſolchen unfichern
Zuftande aber wäre Preußen nicht im Stande, feine
fchwierige politiſche Stellung zu behaupten und im
Kamen Deutſchlands feine europäifhe Aufgabe zu er-
füllen. Es fei daher unerlaglih nothwendig, daß
fh, bevor an eine preußiſche Eonftitution gedacht
werden koͤnnte, erft bie einzelnen Theile ber Monar-
hie allmaͤlig und fo viel als möglich unvermerkt zufam-
menleben. Die feinbfeligen Erinnerungen der Der-
gangenheit müßten nad) und nach verlöfchen und ver-
löfcht werben, bie noch immer auf ihre Selbftänbigkeit
und feparirte Nationalität pochenden Provinzen müßten
allmälig daran gewöhnt werben, eben nichts als Glieder
eines großen Reichsorganismus zu fein, jede Generation
müßte mehr und mehr dahin gebracht werben, fich durch»
aus nur preufifch zu denken und zu empfinden. Dies
Alles aber, behauptet man, Sonne durchaus nur
durch die abfolute Monarchie bewirkt werden; mer alfo
vor dem Eintritt diefer nothwendigen Lebensbedingungen
eine preufifche Eonftitution verlange, der verlange etwas
Verderbliches, Unmoͤgliches.
Dieſe Einwuͤrfe, die von der Staatseinheit Preu⸗
ßens entnommen find, widerlegt der Verf. auf eine
wahrhaft glänzende und evibente Weile. Wir halten
diefen Abfchnitt feines Werks für den gelungenften von
allen, und doch fragt es fih, ob er die eigentlichen,
ſtarren Bureaufraten überzeugen wird. Es kommt näm-
ih darauf an, was man unter Einheit verfleht, ob eine
mechanifche oder organifche. Die Einheit, welche
unfere Bureaufraten erzielen wollen, fegt eine vollftän-
dige Charakterlofigkeit nicht nur ber einzelnen Provin⸗
zen, fondern auch jeder einzelnen Gemeinde: und jedes
Individuums voraus. Drganifche Einheit des Staats-
lebens ift ihnen etwas völlig Unbegreiflihee. Wenn
fie von Einheit fprechen, fo denken fie nur immer an
den Mechanismus her Verwaltungsmafchin. Gleich⸗
mäßige Beſtimmungen für die hierarchiſch⸗ gegliederten
Behörden, ſodaß Alles genau ausgeführt und controlixt
wird, mad man in dem Centralpuntte Berlin beliebt
und anorbnet, das tft ihre Staatseinheit, eine andere
koönnen fie fich nicht denken. Jedes felbfländige eigen-
thümliche Leben der Gemeinden und Provinzen muß
„vernichtet, jebe Verſchiedenheit nivellirt, jeder innere und
äußere Charakterunterſchied abgetödtet werben, wenn bie
Einheit der Mafchinerie, welche fie Staatseinheit nen-
‚nen, vollftändig durchgeführt werden ſoll. Mir fällt da-
bei immer ein Meines mechanifches Bergwerk ein, wo»
mit ein alter Bergmann auf den Meffen und Märkten
berumzog und welches er uns Kindern zeigte. Sobald
er anfıng zu drehen, ging Alles wie am Schnürden.
Einige Bergleute fingen an zu klopfen, andere fuhren
mit Karren bin und ber, der Hunb flieg auf und ab,
Alles ging nach dem Takte Nur fihade, daß es ein
tobter Mechanismus war und daß das Ganze in, einem
Kaften herumgetragen wurde. Wirkliches Er; murbe
dadurch nicht hervorgebracht. So viel ift aber gewiß,
daß biefe mechanifche Einheit nimmermehr bei einer wirk⸗
lichen Berfaffung beſtehen kann. Darin haben unfere
Bureaufraten völlig vet. Daß aber bei folcher mecha-
niſchen Einheit jede wirkliche lebendige Staatseinheit zu-
legt völlig abftirbt, wie fie denn auch ſchon faft völlig
abgeftorben ift, das bebarf weiter keines Bemeifes. Men-
fen find einmal Feine Mafchinen. Auch ihr Zufam-
menleben laͤßt fi nicht mechanifiren. Es muß auf die
verfgichene Bebürfniffe und verfchichene
einen einigen
bdie einzelnen Provinzen Preußens mit Raturgewalt
einer erganifchen Einheit hinſtreben, daß eine freie * ge⸗
künſtlich und gewaltſam auseinander gehalten wird.
Es iſt nicht zu leugnen, daß in frühen Seiten, wo
gung und Intelligenz gegründete Bereinigung verfchiebe-
ner Stämme eines Volles unter einem Gtaatögefege wit
großen Schwierigkeiten verbunden war, fobaß in ber Re⸗
gel nur eine Äußere mechanifche Gewalt fie zuſammen⸗
wingen tonnte. Diefes Verhaͤltniß hat fih aber jegt völ-
g umgewandelt. Die unbewußte, naturwüchfige Sitten-
und Gefühlsverfähtedenheit Hat in bemfelben Grabe ihre
Madıt verloren als die allgemeine ÜUbereinflimmung der
Ideen, der Bebürfniffe und der Sehnſucht nach Gliede⸗
rung zu einem einigen großen Staatsorganidmus ge-
wachſen fl. Das ürfniß ber Einheit mit einem
roßen Gtaatsorganiemus, der unter einem freien Ge⸗
ege fteht, iſt vielmehr fo groß und unabweislich gewor-
den, daß felbft eine voͤllig verfchiebene Nationalität mit
allen ˖ ihren Antipathien baburdy überwunden wird in
der Einheit, daß jeder tobte Mechanismus entweder im
Lebendigen feheitern oder feinerfeit® den lebendigen Dr-
ganismus zerflören muß; nach welchem Refultat er frei-
li) dann auch felbft zu Grunde geht.
Schen wir aber von biefer mechaniſchen Einheit,
wie fie die Bureaukraten inflinctmäfig zu erreihen fu-
Ken, abs von einer geiftfofen Widerfinnigkeit völlig ab,
und betrachten wir die Frage, ob der preufifche Staat
in feiner jegigen Iufammenfegung aus fo homogenen
Gliedern beſtehe, daß eine volfsrechtliche Verfaſſung
Beiſpiei
‚| mit echt auf das Eiſaß Hin, das feine
conftitutionnellen Berfaffungen
n Frankreich, von Belgien u. f. w.
glcuch übermunben. Def ein gewiffer Charslir
unter[hieb zwifchen Rheinländern, Sachfen und Dim
Ion beſteht, das foll nicht geleugnet werden; aber ‚dick
erfchied ift fo unbedeutend, daß er in Beziehung uf
die ‚Berfaffungsfeage gar nicht der Mebe weh :
Bon einem entgegengefegten Bolksdıred
ee.
.
De |
A
Far
f
nalleie mit Freuden aufopfert, um uur Theil
an einem einigen, großen freien Nechteſtaate
S
5
wird, nur im minbeften bezweifeln kann. Ja, wir
gen es dreift Heraus, die bloße Hoffnung auf di
feffung iſt das einzige Band, was Preußen noch gell
sufammenhält, was die Bewohner der einzelnen Pre
vinzen noch an ben Begriff „Preupn“ feſſelt. Ru
nehme uns biefe Hoffnung entfchieben und befnitn —
wie man Das glüudlicherweife auch beim beſten Bike
nicht Tann — und wir hören auf im Herzen Pape
zu fein. Das Bebürfnif nad einem großen, anigeu
Staate, einig in einer freien Berfoffung, iſt fe grej
daß wir den Namen Preußen, fo thenex er mi and |
mit allen ſeinen hiſtoriſchen Einnerungen ift, ver De
friebigung deffelben unbedingt zum Opfer bri in
den. Ich glaube, daß dieſes die Herzensmeinung is
großen Mehrzahl meiner preufifihen Mitbürger ifi. Ba
uns vor Allem zu Preußen binzicht, die neuen Pen
zen ſowol wie bie alten, das ift fein dunkles Geil
für den Ramen Preußen, es if chen Die Ilberzugmm |
daß wir burch Preußen noch am erſten Die Sitgiebe
eines großen unabhängigen Staats mit freier Berfaf
fung werden können. Man hat fih freilich viel Nik
gegeben, uns diefe Hoffnung, biefe Überzeugung, zu ut
— — — — — — —
.. .. | 0 DE 3 ZÖ , Zu GE Zr ⸗— f
— w- mm wm -
651
men, und bei Vielen iſt es auch gelingen. Biele find
in politiſche Berbitterung, —— und Ver⸗
zweiflung in Beziehung auf Preußen geſtürzt. Aber
der Einſichtigere Hält noch an Preußen feſt, denn er
weiß, daß die Gewalt ber Umflände, daß die geſchicht⸗
fihe Nothmenbigkeit flärker iſt und allmähtiger als ber
ſchwache Wille einzelner Menfhen. Die Hoffnung auf
ein dereinſtiges conflitutionnelles, einiges und ſtarkes
Preußen laͤßt uns das gegenwärtige bureaukratiſch⸗abſo⸗
lwtiſtiſche, zerriſſene, ohnmaͤchtige Preußen überſehen.
Nur ungern enthalten wir uns, des Verf. eigene
Worte den Leſern hier mitzutheilen, womit er auf die
überzeugendfte Weiſe nachweiſt, wie eben ein feindſeliger
Provinzialismus durch das jegige abfolutiftifch -bureau-
kratiſche Regterungsfuften auf alle mögliche Weiſe ger
nährt und gefördert, wie ed diefem nie gelingen werde,
eigennügige, feparatiftifhe Tendenzen zum Schweigen zu
bringen, fondern wie es diefe, die gar nicht in ben Be⸗
dürfniffen und Neigungen begründet find, erſt recht ei⸗
gentlich erzeuge. Leider muß man babei an das Divide
et impera denten. ‚Leider muß man annehmen, wie man in
Berlin keineswegs die getheilten, nach verfchiedenen Sei.
ten bin zerrenden Wünfche, fondern vielmehr die ſich ge-
einigten und mit Macht ausiprechenden Verlangen ber
durch eine conftitutionnelle Verfaffung zur Einheit ver-
ſchmolzenen preußifchen Provinzen fürchtet. Zulegt han⸗
delt es ſich bei allen verfchiebenen Gcheinvormänden
doch nur immer um den einzigen wahren Herzensgrund:
die Aufrechthaltung der abfoluten Fürſtenmacht und ber
bureaufratifchen Beamtenhierardhie.
Wenn ich jedoch von ber bereits vorhandenen Ein-
heit der preußifchen Provinzen in Eultur und Rechts⸗
bebürfniffen, in Sprache und Sitten, in Natienalität
und Patriotismus gefprochen Habe, fo verſteht es ſich
wol von felbft, daß ich eine Provinz ſtillſchweigend als
Ausnahme dabei voraudfege. Diefe Provinz heift —
Polen. Rur mit gepreßtem Herzen fihreibe ich biefes
bedeutungsfchwere Wort nieder. Es ift bedenklich ſich
darüber zu äußern und dennoch muß es gefchehen, wenn
unfere Befprechung nicht an einer wefentlihen Xüde lei»
den ſoll. Aber es läßt fih nicht mit wenigen Worten
abmachen unb wir müflen biefen unglüdfeligen Ver⸗
hältniffen daher einen befondern Artikel widmen. *)
8. von Florenevurt.
Riterochiforifches Zafhenbuch. Herausgegeben von R.
€. Prug. Dritter und vierter Jahrgang.
(Keorffegung aus Nr. 102.)
Im vierten Jahrgange, der den dritten an Mannichfaltig⸗
beit ded Inhalts noc übertrifft, feinem allgemeinen Charakter
nad aber ihm gleich ift, werden uns folgende Auffäge geboten:
I) Beaumarchais“, von 8. U. Mayer. Diefer Auf
fag bildet infofeen ein willkommenes Gegenſtück zu der im
zweiten Jahr ange befindlichen Abhandlung beffelben Verf. über
das franzöflii ebengeftin, ald darin ebenfo auf einen der
*) Der vierte und iette Artikel folgt im Juli.
D. Red.
Anfänge bes Romanticismus hingewieſen wird wie in jener
bie Entftebung des Claſſicismus entwidelt wurde. Der Berf.
deutet diefen Gegenſatz zwifchen feinen beiden Urbeiten f
an und gibt dadurch von vorn herein zu verftehen, von welcher
ite er Beaumarchais vorzugsiweile betrachtet wiflen wid.
Rachdem er im Claffieismus felbft drei Perioden unterfchieden,
die der Bräfomanie, von Ronfard bis Malherbe, die böfifch-
atademifche Periode unter Ludwig XIV., und endlich die philo⸗
fophifche, vorzugsweile duch Voltaire vertreten, bezeichnet er
den Romanticismus als die Emancipation der Poeſie, als die
literarifche Revolution; zu Anftiftern und Borkämpfern derfel-
ben erhebt er Rouffeau, Diderot und Beaumardais. „Wie in
jenen Zeiten feines Beginnens im Keben Alles nach Befreiung
von den Feſſeln des religiöfen und politifhen Dogmas ftrebte,
jo begann auch die Poefie an ihren wunderlichen Schranken zu
rütteln und fchrie nach Luft und Zreiheit. Da kam der Bür-
er von Genf und rief die Menfchen aus der Unnatur in die
atur zurüd mit allem Zauber der Sprache, wie fie nur ein
Mensch befigt, der felbjt an den Brüften der alma mater ge»
legen. Da Sam Diderot, der Sohn der Champagne, heiß
und fprudelnd wie der Wein feiner Heimat, und warf die
Fade in die erftarrte Wiflenfhaft und Lieb Rouffeau’s Ruf
nach der Ratur laut über die Bühne fchallen, ſodaß die gold»
papierenen Kronen der claffiichen Könige zu fallen drohten. Da
kam Beaumarchais, der kluge, raftlofe, tapfer ausbauernde, lu⸗
ftige, wigiprübende Beaumarchais, der Mann des dritten Stan⸗
bed, der im Leben und auf der Bühne (und Beides war für
ihn nur @ins) den Bevorrechteten die Stirn bot; der Figaro,
ber den Almavivas die Braut entreißt; der ‚Held, der, *
niedergeworfen, morgen wieder in Waffen ſteht und auf ſei⸗
nem Schild den Voltaire ſchen Spruch trägt: „Ma vie est un
oombat!“ Nach biefer allgemeinen Charakteriftit gcht der
Verf. zu Mittheilung feiner Lebensverhältniffe über. Hierbei
halt er fich faſt jr lange bei jenem Abenteuer in Madrid auf,
welches den Stoff au Goethe's „Clavigo“ hergegeben hat und
als ſolches ſchon Öfter Gegenſtand der Befprechung geworden
it. Dankbaver find mir Fir die fpecielle Erzählung des be»
rühmten und intereffanten Procefied gegen de la Blache und
Goezmann, der nicht minder wie fein Verfahren gegen den
Beleidiger feiner Schwefter die bürgerliche Energie und Con⸗
fequenz feines Willens an den Tag legt. Diefelbe Geiinnung
wird alsdann auch ald der wefentlihe Inhalt feiner Dichtun⸗
gen nachgewiefen, verwäflert und abgebleiht in feinen Ruͤhr⸗
und Familiendramen, deſto Eörniger und friſcher dagegen in
einen Figaroftüden. Aus diefen gibt der Verf. mehre aud
ur die Gegenwart vecht interefiante Proben, 3. B. folgende
Satire auf die Senfur: „Il s’est &tabli dans Madrid un sys-
teme de libert6 sur la vente des productions, qui s’etend
ıneme & celle de la presse; et, pourvu que je ne parle en
mes 6crits ni de l’autorite, ni du culte, ni de la politique,
ni de la morale, ni des gens en place, ni des corps en cre-
dit, ni de l’opera, ni des autres spectadles, ni de personne,
qui tienne à quelque chose, je puis tant imprimer libre-
ment, sans l’inspection de deux ou trois censeurs‘’, unb Die
prächtige Definition, die er von einem Adeligen gibt, wenn er
fagt, es fei ein Menſch, qui s’est donne la peine de naltre.
Der Berf.
ihre Wirkung gehabt: wann und woher wird diefelbe Wirkung
in Deutihland kommen?“
2) „Die legte" Revolution Polens und die ihr voran
gehende politifchzliterarifche Bewegung”, von Eybulsti. Der
Titel diefer Schrift ift nur richtig, wenn er als Hendiabyrie
gefaßt wird. Bon der Revolution iſt wenigftens nur infofeen
darin die Rede, al& die Schilderung irgend einer literarifchen
Entwidelung ftet8 auch eine Grörterung der politifchen und
focialen Auftände vorausfept. Der Aufſatz entipricht daher
durchaus der Zendenz des Taſchenbuchs und gewährt uns dar⸗
um neben dem literarhiftorifchen ein nicht minder ſtarkes polt-
tiſches Intereffe, weil in der neuen Geſchichte Polens mehr als
fügt hinzu: „Solche Stellen haben in Frankreich
irgendwo jedes Moment des Lebens auf das innigfte mil dem
politifden Regungen verwacdfen, ia man Tann fagen völi
mit ihnen Eins geworden if. Der Bang, den der .
nimmt, ift kurz folgender. Rah einem kurzen Nüdblid auf
frühere Buftände fehildert er zunächft den Einfluß Adam Czar⸗
toryiski’s, fein freundfchaftliches Verhaͤltniß zu Alexander, fein
Berhalten in der Rapoleonifchen Beit, feine Wirkſamkeit auf
dem Wiener Congreſſe und die Bereitelung feiner patristifchen
Plane durch Konftantin. Hierauf Harakterifirt er kurz deſſen
BRegierung, erwähnt mehre dagegen fich bildende politiſche und
fiterarifhe Vereine und Bewegungen, und bleibt fpeciel bei
den legtern ftchen. Ehe er diefe jedoch näher erörtert, wirft
er wieder einen Rückblick auf die literariſchen Zuftände Polens
überhaupt, beſonders feit der erſten Theilung, und deutet bier:
‚ bei namentlih auf die Bortheile Hin, welche die preußifchen
und ruffifhen Provinzen gegenüber dem felbftändig gebliebe⸗
nen Polen und dem öftreichifchen Theile zu genießen hatten.
Am ausführlichften verbreitet er ſich Hierbei über das Schick⸗
fal der Univerfität Wilna, über die Erhebung derfelben zur
oberften Auflfärungsbehörde unter dem @influß von Czarto⸗
ryiski, Kollontay und Czacki, über die realiftifch »praßtifche
Richtung, welche diefelben unter dem Rectorat Bujadecki's nah⸗
men, und endlich über den Umfchwung, der in diefer Hinficht
zu Gunften der moralifchen und fpeculativen Wiſſenſchaften be:
fonderd durch Lelewel herbeigeführt wurde. Hierauf geht er
zur Betrachtung der Poefte über, zeigt, wie Die fogenannten
elaffifhen Dichter aus dem Stanislaus ſchen Zeitalter durchaus
des nationalen Elements entbehren, wie darauf Riemcewicz,
Woronicz und Brodzinffi eine Umgeftaltung vorbereiten und
wie endlich Midiewicz dieſelbe vollendet und an die Gtelle
des todten, fremden Clafficismus die lebendige und volkethuͤm⸗
fie Romantik einführte. Bon Wilna wendet fi) der Berf.
nah Warſchau, weift hier Den hemmenden und despotiſch nie
derdrüdenden Einfluß Schomjawski's, Grabowski's und Ro-
woſilzow's nach und fchließt endlich mit der Mittheilung der:
jentgen gegen Die freie und nationale Geiftesbewegumg gerich-
teten Maßregeln, welche zulegt die Revolution vom 29. Kor.
1830 zur Folge hatten. Ä
3) „Der Begriff der antiken Efegie in freier Hiftorifcher
Entwidelung. Bon W. Hersberg. Bweiter Auffag: Die
Elegie der Wlerandriner.” Diefer zweite Theil ift bedeutend
kuͤrzer gefaßt als der erfte im dritten Jahrgang enthaltene, und
zwar einerfeitö durch Auslaffung der Probeftellen, andererfeits
Durch Unterdrüdung des rein bBifologifihen Details, oder wie
der Verf. fich felbft ausdrüdt, der „philologiſchen Nechenfchafts:
legung“. Die Anwendung bdiefes legten Kürzungsmittels ent
fpricht jedenfalls dem Zwed des „Riterarhiftorifhen Taſchen⸗
buch“ und ift bei Beſprechung Des erften Aufſatzes von uns
feibft gewünfcht worden, dagegen dürfte die Entfernung der
Probeftellen minder gern gefehen werden, beſonders von der
großen Zahl derjenigen Leſer, welchen der befprocdhene Stoff
nicht auf der Stelle gegenwärtig ift und vielleicht Zeit, Fa:
bigkeit oder Gelegenheit mangelt, fih auf eigene Hand mit
demſelben befannt zu maden. Dem Gelchrten ift leicht predi⸗
en, ‚mit dem Blinden aber ſchwer über Karben zu fprechen.
m Übrigen zeugt die Werarbeitung des Stoffs wieder von
gründlihen Studien, richtigem und felbftändigem Urtheil und
geſchmackvoller Darſtellung. Nur die Hiftoriiche Einleitung
ſchmeckt ein wenig nad) dem Schwulft ugd der Gefchraubtheit
Bernhardy’fcher Diction und erwedt fomit in und den Ber:
dacht, daß fih der Verf. von dem in diefem Betracht wenig:
ſtens nit gerade vortheilhaften Einfluß feines Lehrers noch
richt ganz frei gemacht habe. In der Folge kehrt er jedoch
au feiner ihm eigenen, weit einfachern und natürlichern Aus:
drucksweiſe zurüd und zeigt dadurch, daß gerade er eines fol«
chen wiſſenſchaftlich fein folenden Bettlermanteld gar nicht be:
darf. Die Elegiker, welche der Reihe nach befprochen werben,
amoklet, Koll 04, Geatofpenes wnb einige minder wi
” ‚ welche den as zus römifchen Ag bilden. ex
Anſichten weichen nicht elten von den an ab. Daher
muck ausgefkattete Di
tungen bdiefer Art vor Augen haben. Die ebrentlidhen ab
urfprünglihen Balladen und Romanzen dagegen ala unmittd:
bare Ausflüffe der Ur» und Volkspoeſie haben mit der gewaqh
ten Sentimentalität der alerandrinifchen Sagenpoefie gar nichü
gemein, vielmehr tragen fie einen durchaus naiven
und laſſen fih in jeder Beziehung weit treffenber mit den ein:
zelnen, noch nit von Fünftterifiber Hand zuſammengeſchweiß⸗
ten Partien der Homerifchen Gefänge vergleichen.
4) „Johannes von Soeft, der Bängermeifter”, son Hoff:
mann von Fallersleben. Cine fehr kurze und nur für die
Literarhiftorifer interefiante Mittheilung.
(Die Fortſetzung folgt.)
Literarifche Notizen aus Frankreich.
Bur Kunſtgeſchichte.
Unter den verfchiedenen geiftreihen Skizzen und Gheral
terzeihnungen, welche Urfene Houffaye in der „Bevue de Pa-
ris“ gegeben bat, haben wir die biographifchen Portraits der
Maler wie Watteau, Wanloo u. U. immer iſe am⸗
ſprechend gefunden. Es zeigte ſich Hier außer der Fülle kunß⸗
geſchichtlicher Rotizen, welche dem Verf. offendat wuzängliä
find, eine beſondere Geſchicklichkeit in der Charaktexiſtik der
kuͤnſtleriſchen Individualität und Manier jedes einzelnen Ma
lers. Diefe Bleinen, anmuthig gefchriebenen Auffäge verriethen,
daß ihr Verf. einen ganz hervorſtechenden B zur Ye
ber Kunftgefchichte habe. In ber That hat Houffaye jeht ein
Arbeit begonnen, welche ſich auf ein Gebiet diefer Wiſſenſchat
bezieht, auf das ihn fein. Zalent fowie fein Studium verugs
weife angewiefen bat. Wir meinen die Geſchichte der flumlie
diſchen und bolländifchen Malerei. Der erfte Theil der „Bir
toire de la peinture flamande et hollandaise 7, welchet tet
Eurzem von Houſſaye dem Yublicum übergeben ift, kam a
Bürgfehaft dafür dienen, daß der Verf. nicht hinter feine Ic
gabe zurüdbleiben wird.
Das franzöfifhe Staatöwefen.
Ungeachtet der Gentralifation aller Adminiftrationm u
Frankreich oder vielleicht gerade wegen der in derfelben be
gründeten vielfachen Verzweigung ift es fehr ſchwer, ſich m
lares Bild von der Zufammenfegung und dem Sneinande:
T greifen der ganzen frangöfifhen Staatsmaſchine zu made
Ein vor Eurzem erfchienenes Werk bietet für Jeden, der di
Drganifation der verfchiedenen Adminiftrationszweige Fame
lernen will, ein reiches, überfichtlich zufammengefteltes Re
terial. Der Zitel diefer empfehlenswertben Schrift last:
„Traite de la hierarchie administrative ou de Porganisis
et de la comp6tance des diverses autorit6s administratire”,
find Antimahus, Pbitetas, Hermefianar, Hedyle, Wer. Atolus, | von M. A. Trolley. 1.
Berantwortliger Herausgeber: Heinrich Brodhans. — Druck und Verlag von F. SE. Wrodhans in Leipzig.
mn | 0 rn
»
— — — — — — — — -
Blaͤtter
für
literarifhe Unterhaltung.
Sonnabend, .
13. Quni 1846,
Dichterſtimmen.
Ein Dichterparlament von zehn Votirenden hat ſich
wieder auf meinem Tiſche geſammelt. Sie ſtimmen alle
dahin, daß ſie unzufrieden ſind; aber eine Stimmenein⸗
heit iſt darum doch nicht zu erreichen, kaum eine Ma⸗
jorität; denn wenn zwei den britten abvotiren, der etwa
für bairifch Bier flimmt, mo von den beiden andern ber
eine für Champagner, der andere für Ungarmein ſtimmt,
fo ift das eine Majorität ohne Refultat. Unzufrieden
find Alle mit Dem was fie finden‘, die Einen aber mit
Dem wos da geweien ift, die Andern mit Dem was
wird. Sie unter einen, auch nur äfthetifchen, Hut zu
bringen ift ſchwer, ich muß fie daher in Parteien forti«
ren, und finde auf den erften Griff heraus 1) nationale
Unzufriedene, 2) Tocale und liberale Unzufriedene, 3) ſo⸗
ciale Unzufriedene, 4) confeffionnelle uud endlich 5) hof⸗
fende Unzufriedene. Wenn die Eintheilung nicht Stich
hält, fo bedenke man, daß es nur eine allgemeine, vor-
läufige ift. Bei eigener Betrachtung der einzelnen Stim⸗
men mag fi immerhin Manches ändern und mande
Nuance hervortreten.
Zuerft alfo dienationalen Unzufriedenen, d. b. folche,
bie über eine. ſchwere Kranfung ihres Volksgefühls und
Volksrechts zu Plagen haben, Darunter würden fich,
wenn man es fireng nähme, auch die Dichter dee zwei⸗
ten und dritten Partei claffificiren laffen, denn ihr all-
gemeiner Unmuth hat zugleic, einen volfsthiimlichen Grund
und Boben, wie ſich das bei einem Deutſchen von ſelbſt
verfieht. Die beiden Sänger, die und zuerſt begegnen,
find aber fpeciel von dem Unrecht ergriffen, was ihrem
Volk begegnet ift, und im Unmuth darüber haben fie
noch keinen Athen gewonnen, ihre Unzufriebenheit zu
verallgemeinern; es ift nämlich &eibel, der um Lübeck,
und ein ungenannter Dichter, der um Irland Plagt.
1. Ein Ruf von der Zrave. Gebiht von Emanuel Gei⸗
bel. Bmeite Auftage. Lübeck, Usfchenfeldt. 1845. Gr. 8.
* Nr. :
Die Sache iſt nur zu befannt, die Klage klingt noch
heute wider und dürfte noch eine ganze Zeit nachtönen.
Daß die Eifenbahnen in der Welt einen Umſchwung
bervorbringen würden, bat Niemand bezweifelt, einen
Umfchwung,. der allen Verhältniffen und Kreifen bis in
bie entfernteflen Winkel fih mittheilen werde. Alſo
auch auf bie Poeſie mußten fie einwirfen. Karl Bel
bat in feinem erſten Sturm⸗ und Drangfieber ihnen,
einige Rhapfodien entgegengefungen. Daß auf ben an-
dern Seiten auch Elegien fommen würden, ließ fi er-
warten; von ben Freunden des guten Alten, mas durch
den Sturm und Drang nothwendigerweiſe erfchüttert
werben mußte. Das hat merfmürdigerweife fi) aber bald
anders‘ gemacht; die Bewegung ward fo mächtig, daß
fie ihre entfchiedenften Gegner mit ſich fortrig und Die,
welche anfangs Alles gethan fie zu hemmen, feltdem ihre
ganze Kraft anwenden fie noch weiter zu fördern. Wir
fönnten nur Elegien von den Wirthen hören, beren
Safthöfe. nun leer fliehen; aber bie find keine Dichter.
Do die Meinen Städte, an denen der Berkehr nun
vorüberraufcht? Auch daher Feine Dichterfliimmen; ſelbſt
duch Schriftflellerflimmen find fie. felten oder gar nicht
in dem großen Parlamente der öffentlihen Meinung
vertreten. Stumm gehen fie ihrem Scidfal, zu ver-
kümmern, entgegen! Es iſt ein hartes Roos, das fol
man fich nicht ableugnen. Es gibt da viele wenn nicht
gebrochene Herzen, doch gebrochene Glüdsumftände, und
folge Erinnerungen werben untergehen, nicht einmal durch
das Lied befungen. Aber es ift ber Fluch ber Nothwenbig-
keit. Diefes Berdammungsurtheil ift einmal in der Welt⸗
gefchichte gefrhrieben, e8 Eonnte nur verzögert werben, ber
Tod konnte langfamer herankommen, die Eifenbahnen
verſchulden ihn nicht, fie befchleunigen nur Die Krifie,
bie unabwendbar ift.
Die alte Stade Lübeck, welche die Meere beberrichte
und Könige einfepte und abfegte, daß auch diefe jenem
Schickſal erliegen ſolle, ift allerdings ſchmerzlich, ein
Schmerz, der Dichterlaute hervorrufen durfte.
Du zahlſt es ſpaͤt und heim fuͤrwahr,
D Dänemark, mit bitterm Leibe,
Daß einft vor und dein Waldemar .
Erzittert auf Bornhöveds Haide;
Daß er, der kaum noch trunf'nen Muths
Geprunft im Schwarn der Bogenfpanner,
Auf flüht'gem Renner, wund, voll Bluts
Beimfprengte mit verlornem Banner!
klagt Lübels Sohn, ber Dichter Beibel, und wirft bem
Dänen vor, baß er es mit dem Deutſchen nie gut ges
meint: , “
4
BE feb’n unS hei der Dixfer Brand Kianl ich as Fleas eypenihlin
Bu oft ind Uug’ auf biut'gem Yfabe, Die alte Harfe teen
Da wnfrer Bürger Scher ned ſtand, Und auf ihr fpiden, zornigmißb,
Des Reiches Well, am Rordgefkade; Biel wunderfeme EBeiken —
Daß er mit bem Franken ſich ſpaͤter verbünbet, woderch Seiſen, wie jie ber Ströme Benz,
BG am Ham Gi ne umdahe men, mi | Bau
die Lübeder —3 beim Drohnen ber Trommel Kein Zuß mehr ruht. M
zur beutichen Fahne geſtürzt fein. Um biefer dent | Dam wide ber Dichter einen Klaggeſang fingen, bei,
Hanfeftedt noch wie im ber Bäter Zagen burhgläße, Dann folte Nirmand ruhen mehr
ruft ex das deutſche Reich an, dem Zrugen des Feindes Kein Maßen fennt mein Beigen, ’
daͤmmen: t 11 it Shi Speer,
” D wär’ ein Hau Bertrend’s de Born, Und a ee u |
Des Zroubadeurs, in meinen Zeilen, Ich ſpiel die lobie
Daß grellend eines igs Zorn Die ruhet nicht und raſtet nie,
&ie waffneten mit Donnerkeilen! ber
Aber wo ift das beutfhe Reich? Wo find feine Ohren,
feine Augen, feine Naſe? Diefe drei Sinne find freilich
in Srankfurt; aber fie hören, fie fehen, fie riechen nad
andern Dingen als die der wadere Zronbabeur heranf-
beſchwoͤrt. Underwärts haben bie Klagen, denen er den
Hauch feiner Stimme leiht, wibergeflungen — wir
wollen hoffen nicht umfonft. Er ruft:
Doch iſt's umfonft, verweht ein Blatt
Im Wind den Ruf, den wir entfenden:
groß ;
, d wie der Cid,
gu en brich mit deinem Kuhme,
Und deines legten Dichters Lied
Rimm mit hinab als lehte Blume.
Wie verlautet,, hat aber gerade biefe poetiſche Zumm⸗
thung in Lübel felbft den wenigften Anklang gefun-
den. Die gegenwärtigen Lübeder wollen nicht enden,
fie wollen nicht wie der Gib mit ihrem Ruhme zufam-
menbrechen, fie wollen durchaus nicht die legten Lübeder,
und demnach foll auch Geibel nicht ihr letter Dichter
fein. Sie wollen weiter Ichen, fie wollen mit oder ohne
Ruhm aufrechrftehen, kurz fie wollen Handel treiben fo
gut es geht und — auf alle Fälle doch eine Eiſenbahn.
Ste wird ihnen werden, beffen find wir gewiß, auch
ohne dag man in Frankfurt auf ihre Nöte achtete.
tönnte man ihnen dort geben als ein Privilegium
wie Goethe auf feine Werke! Der Geiſt der Gerechtig⸗
Seit wird ſtark in Deutfhland auch ohne Frankfurt und
trop Frankfurt, und er wird der ifolirten durch gewalt⸗
fame Gombination vom Geſammtvaterlande abgeriffenen
Stadt zu vechter Zeit beifpringen, und hoffentlich auch
in einer Zeit, wo es keines Dichters einer nächften Ge⸗
neration bedarf, fondern Geibel felbft wirb noch bem
Freudenruf nach dem Weheruf anflimmen können.
Aber anders fieht es aus, wenn wir:
3. Jriſche Melodien der Gegenwart. Karlörube, und
ng 1865, 8. 10 Ser. de, u
von einem ungenannten Dichter: durchleſen. Iſt's ein
Ire, iſt's ein Deutfcher? Natürlich iſt's ein Deutfcher,
nur ein Deuter kann fi fo für ein fremdes Natio-
nalleiden begeiftern, aber es möchten doch Grundtöne
aus ber grünen Infel den Anklang gegeben haben:
Das grüne Erin, welches die Hanb des Ewigen in bei
Meer gelegt ale das Bild der ewigen Hoffnung, hat di
Shmah, daf der Zraum feiner Hoffnung in ein
Kerker glüht; Dan fipt gefangen. Aber wo an kam
Zage Meeting war, tritt Nachts die Schar der Rdım
Geiſter zufammen, welche die Knechtung ihres af
Stammes befrauern, und? — D’Eonnell fprang af.
Doch die Frage bleibt:
Banı fallt die Kette von dem Laub?
und der Dichter fagt uns, daf nur das eine, mw
Hecht in dem Ginzelnen gefiegt babe. Ein Ham
O' Connell's für die Repeal, ein füßer GSeufzer, m |
fhöuen Irin in der Fremde bdargebradt, ein Eee
bem Native land, das der Dichter vor 20 Jahren ww
laften haben will, und dem er ein Empor, empor! ont
der Ferne zuruft, und eine poctifche Schiderung An-
islande, wo:
Roc raufıhen auf einfamer Hoͤh' ve Erden
2206 tangen hier ie Sifen Iren Baigen
ier die Elfen ihren —
So —** hier gibt's keinen Rondes ſtrehl
Der Strommann ſpielet feine Zauberweiſe,
Der Gluhwurm zündet feine Fackel am;
Und Morgens reden dann die falben Kreiſe
Bom Zanz der Elfen auf dem Plan,
find poetifche Perlen aus dem Deere gefifcht, bie ale
den verfuntenen Schag nicht heben. Wo aber ein Bei
feinen Ruhm, feine Eigenthümlichkeit noch fingen fan, |
wo feine Beifter noch von ber Erinnerung der Bereit
erweckt werben, ift feine Nationalität noch nicht unter
gegangen. Die Irländer fingen noch Lieber (glidwel |
ob diefe Melodien von einem Iren oder Deutſchen it
Sepräge erhielten), die Polen auch, fie Haben eigentih
erſt nach ihrem politifchen Untergange angefangen &
Vaterland durch die Poeſie zu verewigen. tefer ke
fen Aber, auch wo fie Flammen des Zornes ſchach,
kann man nicht den Vorwurf machen, Daß fie befirie
fe. Sie ſchafft Leben.
Bann fällt die Kette von dem Land? Dieſe Fragt,
der Refrain eines der Lieber, wird freilich kein Sail
beantworten. Kein Dichter, wenn auch feine Bien u
nen Schaf hätten wie die Trompeten von SJeriche, ki
ze u m
a. uw
s
wu mn a
vu.
Ma u ae
x”.
| nichts umfonft in ber Welt.
655
Alexander⸗Schwert, das den gorbifchen Knoten löfte, wird
fie zerreißen. Auch das Recht, das Alle anrufen, kann
bier nicht Löfen und heilen. Uns kommt in den Sinn,
was Friedrich v. Raumer einft in feinem Werke über
Engiend von den irkändifchen Verhältniffen fagte. Ale
Engländer, auch die ihm ſonſt befobten und feinen An⸗
fihten im Übrigen beiftimmten, blidten ihn mit Ent-
fegen wie einen Serfinnigen an, ald er für Stlanb eine
preußifche Agrargefeggebung, bäuerliche Eigenthümer flatt
der Vertreibung ausgejegter Pächter als das einzige Lö⸗
fingsmittel der Wirren, als die einzige Heilung fo tie»
fer Wunden foderte. Die Liberaliten fagten: das geht,
niemals, es greift das Cigenthumsreht an. Nur we:
nige Jahre find ſeitdem vergangen, und heute zuft bie
„Times die Vertreterin der Dermögenspartei in Eng-
fand: Nur ein neuer Crommell kann Irland helfen!
Bis zu Cromwell gingen Raumer's Gedanken nicht hin
aus. Was König Dan nit vollbracht, vieleicht fegen
es die galizifhen Schreden ins Werk. Es gefchieht
(Die Fortſedung folgt.)
Literarhiftorifches Taſchenbuch. Herausgegeben von R.
E. Prus. Dritter und vierter Jahrgang.
(Bortfegung aus Nr. 163.)
5) „Die fpanifhen Romanzen”,; von Karl Stahr.
Der erſte Theil des Aufſatzes verbreitet ſich vorzugsweiſe über
das hiſtoriſche Berhältniß der Romanzen zu den zuſammenhaͤn⸗
enden Epen. Dieſe fcheinen der ſprachlichen Form, jene bem
nnern Gehalt und der poetifchen Faſſung nad). älter zu fein.
Der Berf. erklärt ſich entfchieden für das höhere Alter der
Romanzen. „Die Romanzen”, fagt er und beftätigt Damit
Dos, was wir foeben.gegen Hergberg erinnert haben, „find
die älteften Geſchichten und Zuftände des Volkes in ber älteiten
Liederform. Kein poetifches Erzeugniß ſchlechthin kann fi
Dem entziehen, fie zu feinen Vorgaͤngern zu haben. Und wenn
fie nicht die Mg waren, welches dichterifche Product follte
dann wol darauf Anfpruch machen? Ermwägt man ihren epi⸗
{hen Inhalt und den aus der eigenthümlihen Geſchichte ber»
vorgegangenen AJuftand des Volkes, fo muß der Volksgeſang
der erften volksthümlichen Bewegungen und Gntwidelungen
ohne Frage das Erfte fein und alle einzelnen Beweiſe für ihr
Alter wären eigentlich unnüg.” Dennoch unterwirft er wegen
des oben angebeuteten fcheinbaren Widerfpruchs die Sache noch»
mals einer Unterfuhhung und faßt deren Refultat in folgende
Saͤtze zufammen: „ Romanzen ald der ältefte Geſang
wurden, da fie Volksgeſang waren, von der jedesmaligen Sprach⸗
entwidelung berührt. Diefe wirkte umbildend und umformend
auf fie ein, weil die fpäter Lebenden ebenfo wenig die alten
Weifen verlaffen Fonnten als fie natürlich von der andern
Seite auch wieder verfuchten, fie fich gemäß zu machen. So
haben, um einen chemifchen Ausbrud zu gebrauchen, die Ro⸗
manzen alle Sprachniederſchlaͤge mit durchgemacht, bis fie in
der Form,.in der fie aufgegeicänet und femtt der rhapfodifchen
Überlieferung von Mund zu Mund entzogen wurden, ftillftan-
den. Diefe Aufzeithnung fand ftatt in dem «Romancero can-
cionero ge v.“ Demgemäß betrachtet er die Romanzen als
die Grundlage aller fpaniichen Poefie, unterfcheidet aber in ih»
rer Entwickelung drei Stufen: 1) die Ummandfung der Ro⸗
manzen zum Epos (Poema del Cid); 2) die Verarbeitung der
Somanzen zum Nitterromen (Amadis de Gaula); und endlich
3) die naturgemäße Sufammenfaflung zufammengehöriger Ro⸗
manzen zum Romanzencyklus. Unter den Cyklen wird natür-
ih der des Sid am ahöführliäßten befprachen und namentlich
auf eine volftändige Mittbeilung aller Romanzen beffelben,
auch der analogen, gedrungen, da diefe als intereffunte Varia⸗
tionen eines und deflelben Themas zu betrachten feicn. Im
zweiten Theile behandelt der Berf. die Form und den Inhalt
der Romanzen. Die rhythmiſche Form derfelben leitet er über:
zeugend von der Korm römifcher Soldatenlieder ab, die har⸗
monifche Zorm (die Reime und Aſſonanzen) zum Theil eben»
daher, zum Theil von den Mauren. Nudfichtlich des Inhalts
theilt er fie, wie die fpanifchen Literatoren felbft, in vier Elaf:
fen: Ritterromanzen (romances caballerescos), hiſtoriſche Ro⸗
manzen (romances historicos), maurifche Romanzen (romances
morescos), und Romanzen verfchiedenen Inhalts (romances de
varios asuntos). Ausführlidyer erörtert er die Form des In»
halts, die eigentliche innere Structur der Romanzen. Sede
Dichtung zerfällt demnach in zwei Theile, einen ergählenden und
einen bialogifirenden, zuweilen wird nor ein dritter hinzuge⸗
fügt, der wieder erzäblend ifl. Der erite Theil enthält ſtets
irgend eine interefjante, feffelnde Situation, auf derer Ausma⸗
lung große Sorglialt verwendet wird. Der zweite erfcheint
dagegen oft flach und leer, nicht felten aber auch von großer
dramatijcher Lebendigkeit. Der Verf. verfehlt nicht, diefen all⸗
gemeinen Inhalt an vielen Beijpielen nachzumeifen und legt
dabei cinen großen Reichtum des Romanzenftoffs' zur Schau.
Jedoch nur in erzählender Form, wirkliher Proben gibt er
aur eine.
6) „Friedrich Karl von Mofer, der Herr und Diener.
1759, ven Adolf Bock. Diefer Aufſatz ift für den Ge:
ſchmack unferer Zeit unftreitig der ergöglichfte des ganıen Jahr⸗
gangs. Denn bei dem jetzt erwachenden Selbftbewußtfein des
Volles und bei dem in Folge deffelben immer mehr um fich
greifenden Bedürfniß, die Maßregeln der -Kürften und Regie
rungen einer öffentlihden Befprechung und Kritik zu unterwer⸗
fen, muß es nothwendig das größte Interefie gewähren, auch
einmal einen urtheilsfähtgen Mann ded vorigen Jahrhunderts
über die Fürften und Regierungen feiner Beit ſich ausſprechen
zu hören, zumal wenn dieſes zwar nidht vom Standpunfte eis
nes freien gereiften Staatsbewußtieind aus, aber doch mit fo
penetrantem Scharfbli für die Mifere im Einzelnen und in fo
‚derber, ungeſchminkter Meife wie von Mofer in feinem „Herr
und Diener’ geſchieht. Der Verf. des vorliegenden Auffages
wird jich daher jedenfalld bei Vielen großen Dank erwerben,
daß er jene Schrift Moſer's wieder ans Licht gezogen, die we⸗
fentlichften und interefianteften Ideen daraus mitgetheilt und
eine kurze Chazakteriftit des Autors hinzugefügt hat. Zum.
Beleg einige Stellen, z. B. die Mittbeilung von Mofer's
Urtheil über das Soldatenfpiel einiger deutfchen Staaten, das
ſich auf fie von Preußen, auf Preußen von Branfrei vererbt
haben fol. „Bei diefem Soldatenfpiel”, meint Mofer, „wird
die Erlernung aller andern Regentenobliegenheiten außer Acht
gelaſſen und die Urt des militairifhen Befehls geht in das
civile Zeben über, die nur beim Soldaten am rechten Plage
if. Jetzt follen auch Minifter, NRäthe und Unterthanen den
blinden, unbedingten Gehorſam beweifen, der allen vernuͤnfti⸗
gen Widerfpruh ausfchlicht, wie er aber dem Dffizier und
oldaten zugemuthet werden darf, wenn Sturm zu laufen ilt.
Alles fol jegt gefhwind abgemacht werden. Die Arbeit mit
dem Geifte im Minifterium wird nicht unterfchieden von den
eingeübten Bewegungen auf der Parade. Alle, mit denen. der
Megent zu thun bat, betradtet er gewiffermaßen wie Peinde,
denen gegenüber er in feinem Punkte nachgibt, gegen die er
Beinen Befehl zurücdnimmt. Dad Schlimmfte ift aber, fährt
Mofer fort, daß der Militairetat übertrieben wird: die kleinen
Fürften haben für den Schimpf zu viel und für ben Ernft zu
wenig Soldaten. Das Raifonnement der Herren lautet: ohne
Truppen fpielt man Peine große Rolle in der Welt; man kann
an feine Verbindung mit auswärtigen Mächten, an Beine Ber
arößerung denken; ein deutſcher Fürft bat ſich bei Subfidien-
trastaten noch allemal gutgeſtonden, und mande Ränder, ſetzt
Moſer hinzu, Fönnten gar an Seinen Handel denken, wenn fie
nicht die Menſchenaus fuhr Hätten.” Roch piquanter iſt
folgende Stelle: „Ber Hergang auf den Landtagen, diefen bio»
Ben Erebitinftituten der Landesfürften, wie fie ber Ritter Bang
bezeichnet, wird gefdildert ohne Ahnung, daß bie Verfaſſung
diefer Landtage eine andere werben müßte. Die Darftelung
ift aber del genug. Das landesväterliche Herz, beißt es, wird
hier förmlich herumgefchleppt. Rad der Propofition der lan»
desherrlichen Tommiſſarien brach dem theuern Randesvater das
Herz, daß er mit neuen Anfoberungen beſchwerlich fallen möfle,
er, der dann erſt froh fein würde, wenn er alle feine Unter:
thanen reich und glücklich machen könnte. Das Eine tröftet
ihn, daß es ganz unvermeidlide und unter der Leitung ber
Borfehung ftehende Lebensbebürfniffe find, welche ‚ihn nöthigen,
dem‘ Sande mit neuen Anfoderungen befchwerlih zu fallen.
Rach dirfer Eharlatanspredigt, fagt Mofer, geht dann das
Unterhandeln an. Die Landhauptleute, der Erbmarſchall, die
Ausfchüffe von Prälaten, Nitterfchaft und Städten werden Ei⸗
ner nach dem Antern beſprechen, gaſtirt, angefeuert, bedroht,
gewonnen, die Majorität macht endlich ben Schluß und ed wird
abermals ein Wderlaß dur Das ganze Land vorgenommen.
Der Landtagsabfepied ift fo gelehrt wie eine Leichenpredigt;
der Minifter mit feinen Mäktern, Küc: und Kellerbedienten
Tommt im Triumph nach Hefe zurüd; Leben und Wonne brei⸗
tet ſich wieder über Favoritinnen und Favotiten aus; Der Ja:
ger bläft auf die freudige Nachricht von den ncuen Landtags:
geldern noch einmal fo wmuthig ins Horn; die Sängerin, Die
feit dreizehn Monaten nicht bezahlte Sängerin, fteigt fo hoch
wie eine Lerches ber Parforcehundeftal, dem Rentkammern und
Ereditoren fehon den Untergang decretirt hatten, ertönt vom
frohen Geheui, und alle adelige und nichtadelige Müßiggänger
rechnen auf die neu eröffnete Goldgrube. Bon den gethanen
Bewilligungen follte den Zruppen der rüdjtändige Gold ent«
richtet, gewiſſe auf der Erzcution fiehende Landesſchulden foll-
ten davon abgetragen und einige mit großem Vorteil feilge⸗
machte, dem Lande incorporirte Mittergüter bezahlt werben.
Alles Dies ift im Angefichte des Landes mit Hand und Giegel,
auf Wort und Zreue rollgogen worden. Allein daß Gott er:
barm! wie wird der theuerften Zufage geipottet! Die widti-
gen Männer, die fi zu Werkzeugen einer heillofen Beredt⸗
famleit von beiden Seiten gebrauchen laffen, heiſchen und er:
halten querft den Kohn der Ungerechtigkeit. Die Lermine kann
man nicht‘ erwarten; alfo werden die Gelder auf den Eredit
des Randes im voraus anderswo gefucht und erhoben. An⸗
ſtatt die Miliz zu zahlen und den Zruppenetat zu erhalten,
wird dieſer reducirt. Die Greditoren werden, treuberzig ge
macht, ihre vom Lande nun anerkannten Capitale zu yerlän:
gern, und den Junkern, denen die Güter feilgemacht worden,
gibt man etwas auf Abſchlag, einen Dienſt bei Hofe, ihren
Kindern eine Fahne; jie mögen fehen, wenn fie einft Das Übrige
befommen. Das aus dem Leben des Staats abgezogene Geld
erhebt der Landesherr aber durch feine Leute felbft, ihm das
zu verfagen, hieße ihm nicht trauen, fid dem Herrn als Bor»
münder aufwerfen, und daß wäre ein crimen laesao majesta-
tie. Wo wäre der ehrliche Minifter, dem Herrn dad vorzu⸗
ſtellen? Sa, diefe find oftmals die Erften, weldhe den Gewinn
der Ungerechtigkeit dem Herrn zuſchanzen und wo nicht mit
ihm theilen, doch den ftummen Mann vorftellen und als ein⸗
fältige Schlafmügen ein Elend zu Haus befeufzen, welchem zu
- Steuern fie nad Pflicht und Gewiſſen vor Herrn und Land
verbunden waren.” Und folgende: „Klein anfangen und groß
aufhören, wäre auch Fürften nicht ſchimpflich. Allein ein jun:
ger, eitler, unverfländiger Regent will Alles koſtbarer, praͤch⸗
tiger, glänzender haben als feine Vorfahren; die alten Tape:
ten, Spiegel, Silbergeräthe, Kutfchen, ja Häufer und Gärten
find nicht mehr gut genug. Der neue Regent bringt zu den
alten Schulden einen neuen Geſchmack. Anfangs lauter gol:
dene Beiten, Niemand denkt der alten Noth; Alles ift voll
guter Hoffnung: man hält die erften Spieltage zu Gute und
“ tröftet fi mit der Bußunft: allein der ‚Herr gewöhnt fi an
die erbergfe Procht und es fo fo fontgchen, es mag Zommen
wie es wolle. Dder der Regent gelangt erſt in teilern
ven zur Regierung; er den
Zah:
aber wie cin gemeiner Mann.
Die Kammern Magen immer, e8 möchte wol Bieles anters und
beffer fein können; allein die Antwort ift: Es bat ſchon bri
meinem Großvater, Onkel und Water fo geheißen und Hat dad
gutgethan, ich werde es auch noch aushalten. Ich Habe die
alten Shulden nit gemacht, genug daß ich Feine neuen him:
füge, den alten Wuſt habe ich aber nit Luft aufzufchren
So bemohnt der Herr das alte Schloß, er lebt nach feinen
alten Reigungen, es bleiben die alten MRarimen, die alten Be
trüger und die alten Schulden. Ober der Herr. tritt feine Re
gierung an, ohne daß man fagen fönnte, Daß er übel hauſe;
gut iſt es aber auch nicht zu nennen. Er will yanı gewif
eine neue Epoche beginnen, ivenn er mit einem maͤnnlichen &:
ben erfreut wird. Diefer bleibt aus. Gin Zeufel von ir:
ling biäft deshalb ein: Für wen fparen Ew. Durdlaugti
Ew. Durdlaudt fönnten viel befler Ichen. Das Wort zünde
in einem Gemüthe, das noch unklar darüber if, ob es vedt
gut oder recht ſchlimm geben fol. Jetzt aber ift die Bad
entfchieden. Die heimlichen Maitrefien treten nun offen af.
Die Pracht wäcdhft, die Sunfer, die Diener werden verdoppelt.
Die Tafel wird leckerhafter, die Livréen reicher, die Kafkı
lecrer, dad Land ärmer, die Schulden größer.”
Loyale Lefer, weiche den Herrn von Mofer nicht näher kenten
werden geneigt fein, ihn nach ſolchen Proben für einen recht gett
loſen Menfchen zu halten. ber er ift gerade höchſt fronm, Iı
fromm, daß er fogur die Frömmigkeit und Chriſtlichkeit zu
erften Bebingung eines Minifterd macht, wodurch er fi, wie
wir bei einem fpätern Auflage fehen werden, Die yrößm Ber:
würfe von Zeiten eines nach unfern Begriffen auch nod ie
moterirten Zeitgenoſſen zugezegen hat. Am Schluffe des Ark
faged meint der Berf., wir müßten bein Xefen folder Sae
derungen doch im Ganzen froh fein, Vieles, was zu j.nır it
ganz natürlich gefunden wurde, doch ſchon als Mikbraud &
erfannt zu jeben, und wo die Zuftände ähnlich geblichen fem,
diefelben mit ganz andern Waffen befänpfen zu können. ‚In
der That müflen wir anerkennen, daß Vieles feitdem anders
und beffer geworden iſt. Traurig ift es jede, Daß überhaupt
ähnliche Zuftände noch vorkommen Fönnen, und nech frauriger,
daß fie wirfich noch vorkommen. Denn wer, wenn er obige
Schüderung gelefen, muß nicht an einen Meinem, aber ſouve⸗
rainen deutſchen Staat denken, der einem Mofer des 19. Jahr:
hunderts zu einem neuen „Herr und Diener” von allen Baı
ten das reichhaltigfte Material liefern würde? Und wehh
Mittel hat unfer Jahrhundert bis jept dargeboten, jene zerrüt
teten Zuftände nur mit einigem Erfelg zu befampfen?
(Der Delhlup folyt.)
Literarifhe Anzeige.
Soeben ist erschienen und durch alle Buchhandlunge zu
beziehen:
Analekten für Frauenkrankheiten,
oder Sammluug der vorzüglichsten Abhandlungen, Wo
nographien, Preisschriften, Dissertationen und Nutze
des In- und. Auslandes über die Krankheiten ds
Weibes und über die Zustände der Schwanger
und des Wochenbettes. Herausgegeben von einemfe- |
eine praktischer Ärzte. Ä
Sechsten Bandes zweites Heft. Gr. 8. 20 Be.
Der erste bie fünfte Band erschienen in W Heften 1837 — 5;
jedes Heft kostet 20 Ngr.
Leipzig, im Juni 1846.
F. A. Brockhaus.
BWerantwortlidier Heraußgeber: Seinrich Srockdans. — Drud und Werlag von F. Sf, Vrockhans in Leippig.
7
Blätter
für’
literariſchhe Unterhalt
ung.
Sonntag,
Dihterfiimmen.
(Kortfetung aus Nr. 184.)
Wir gehen zu den deutſchen Dialcontenten über.
3. Guerrilaskrieg. Verſprengte Sieber. Belle - Bu, Berlagt-
und Sortimentsbudhandlung. 1845, 16. Nor.
Die Frühlingelüfte, welche in den erſten Liedern ber
wenen Periode haudten, find verweht. Das Blei ber
Zeit hat feinen Druck geübt, nicht auf ben Muth, aber
auf die Phantafie, der Muth ift nur noch Feder, trotzi⸗
ger geworden. Wir finden in dieſen verfprengten Lie-
desn, gemidmet Anaftafins Grün, Georg Herwegh und
Robert Prug, Feine Töne und Gedanken, die. und nicht
ſchon in andern Dichtern begegnet wären ; aber der Dich⸗
ter gibt und’ auf die Frage Rechenſchaft, was noch Immer
Ä Worte follen .
0 man nur Thaten braucht?
. Wozu die taufend Hände
Mit Stift und Federkiel,
Ihr fragt, was. daun dad Ende
Von unferm Singeſpiel?
Ban habe gewarnt: - | Ä
| Der Hirt mit feinem Stabe
Klopft die Lawine wach,
Sie ftürzt, mit ihr der Knabe
. Zum Abgrund mit Gekrach.
Eher als die Gewalthaber feien Steine im Meer zu
rühren; fie: erweiche kein Sang Mit nadtem: Wort
zerfplittere mam nicht, was Gold und Er, erbaut und
mit Berfen und Beredinung nicht das Wert vor taufenb
Fahren. Die Antwort des Dichters Tantet darauf!
Es wird mit einem Schlage
. Die Eiche nicht gefällt,
Man kauft in einem Sage
Die Freiheit nicht der Welt,
Es trifft meiſt dad Verkehrte
Auch ohne und der Aod,
D’rum mögen wir gum Schwerte
Nicht greifen ohne Roth.
Do daß die träge Ruhe
Uns nit in Schlummer lullt,
Daß nicht zur Todtenruhe
Die Wiege der Seduld,
- Daß nicht den’ Geift uns toͤdtet
Der ſchlaffe Grabesduft,
D’rum rufen: Wacht und betet!
Me Tat in alle Buft:
] ganzes Volk zu. verlegen
| Obzihanb behält. Wenn bie politiſche Poeſie gu eine
Behandlung im
foeuen bet. Eins ber beften und Harflen Lieder if das
' vom freien Geift:
Was, helfen bunte Schranken,
Zu trennen Land von Land, ,
r Eönnt doch die Gedanken
icht fangen mit der Hand;
Sie fpringen ohne Gaͤumen
Bon Volk zu Volle Dreil, -— \
Und wecken aus den Traͤumen
Den alten, freien Sch.
Mas helfen euch Gendarmen,
Bas Sperre und Eenfur,
3" greift mit langen Armen
och ſtets ins Blaue nut,
Ihr greift mit groben Sinnen,
Was rauſcht und glänzt und gleißt,
Das Rechte ſteckt tief innen,
"DaB ift der freie Geiſt | on
Es iſt ein bedeutender Schritt weiter von dieſen
Guerrillasliedern zu dem: | J
4. Kom graufen Burgermwißer. Eine Volksprebigt. In Rei
men gehalten von Fuͤrchtegott Leberecht Zugend:
eich, verordnetem Grbauungsftundenhalter. Bern, Jenni
&chn. 1846. 8. 3%, Mir. |
Eine bitterböfe gallichte Ballade mit epigrammati-
ſchen Nadeln, die überall bin flechen, auf ein bekanntes,
trauriges Greigniß der jüngften Geſchichte. Eine Apr
pofition, weiche den ideellen Boden, bie allgemeinere
Tendenz verlaffenb, fi mit Ingeimm auf bie Perfön-
. 4 Uüchkeit wirft. Gie verfehle ihr Ziel möcht, aber aus di
Tees mit bee Poeſſe und. aus mit dem Humor, wo Die
Abſicht, ein befliummtes Individuum und ‚mit ihm ein
über. alle andern Gefühle bie -
Berechtigung in fich bat, über den Dingen, bie. da find
wie ber Raubvogel über ſeiner Beute, ‚unabläffig zu
“| fepweben, fo muß fie doch auch ihre Befähigung zeigen,
| wie bie Lerche auf Mugenbiide wenigf Lüfte
| zu fleigen und wieder zu fpielen mit
ne in Die
ther und Som
nenſchein; fenft HR fie nicht mehe Peeſte. Diefer Dit-
ter ift ein Geier, ber feinen Hirſch fich ausgefucht hat, |’
auf ihn niedergeſtürzt ift und fi fo in ibn verbiffen
den bag er nicht mehr von ihm los, nicht mehr die
üfte gewinnen Tann. Mit Krallen und Schnabel in
feiner Beute wühlend treibt: er mit ige fort ohne Raſt
und Zeit. - '
Das Gedicht ift in der Schweiz gedrudt und hof-
fentlih auch gefchrieben; von Deutfhem iſt wenigftens
nichts mohr darin als die Sprache,
fere Haupteigenfhaft, die man überall in der modernen
Uberalen Boche: vermiffen will, verbirgt ſich bei ‚ben
meiften Dichtern doc oft nur in anderer Geftalt, gleich“
wie der echte Humor die Thränen verbirgt; in biefem |
Gedichte iſt es aber dem nadten Hohn und Ingrimm
völlig gewichen. Sole Ausgeburten bes deſtructiven
Haffes, des zerfegenden Spottes und Hohnes ahne einen
Anſpruch von Pietät, Liebe, Achtung, Ahnung davon,
daß in dem Verworfenſten doch noch ein Funke bes
Goͤttlichen Itegen, find nicht die Producte des beutfchen
Geiſtes, fondern die mit Gewalt hervorgerufenen Gegen-
pole feines innerfien Weſens. Nur wo das Mistrauen
fo regiert, fo gewaltet und gewüthet hat gegen alle freien
Regungen wie es in Deutfchland ber Fall ift, können
fo dur und durch vergiftete Pfeile gefchleubdert werden.
Wir wagen zu behaupten, daß, wenn Deutfchland eine
freie Dreffe je gehabt Hätte, Dichter mie diefer niemals
hätten auftreten können.
Übrigens fei damit nicht gefagt, daß der beftructive
Spott nicht faft übergll wunde Stellen treffe; aber das
Ganze bleibt Caricatur, weil dem Bilde alle Lichtfeiten
fehlen. Seinen Gegenftand hat der Bänkelfänger beffer
flubirt und weiß tiefer die Schäden und Maale im
Fleifche aufzumwühlen als andere Dichter, welche darüber
wegfliegend noch ſchwaͤrzere Schatten auf das Gemälde
ihres Zorns werfen. Auch fehlt es nicht an fehlagenden
und beißenden Epigrammen, weldye eine große Vertraut-
beit mit foldyen Goteriewigen verrathen, bie an Ort und
Stelle fehr befannt, doch felten bis zum Drud ſich ver-
irrten. &o lief man:
Allein bed Königs Mojeftät
Begibt fofort ſich ins Gebet,
Der Allerhoͤchſte in Yerfon
Berfuͤgt fih vor des Höchften Thron.
Dep Furcht des Herren jegt von, der Epree
Wie einft von Rom aus neu erſteh'.
Der Anhalt ift übrigens fo angethan, daß er auch nur
Auszüge zu geben verbietet. Man findet in den Ver⸗
fen auch Reminiscenzen aus einem bekannten burlesken
Btede, welches feiner Zeit in Berlins Straßen von dem
Leierfaftenmännern gefungen warb. Eine Bariation bar-
auf find die beiden Zeilen:
Roc nimmer war ein Preuße frech,
Der Erſte iſt erft diefer Tſchech.
Ein einziges Mal erhebt ſich das Gedicht zu einer wei⸗
teen Unfhauung: -
oder:
Das Gemüth, un⸗
Hält’ Einen wirklich Gott befkeht,
Daß er ein Volk, wei gar die Welt
Bon aller Denfchenfchinderel
Bererbter Zwingherrſchaft befrei',
So bräd’ er nicht mit Ja
er tölpelhaßt durch einen: @to
Das zur Balance: nötg'ge Haupt
Dem plumpen Knechtskoloſſe raubt.
Er fchaffte erſt den Knechtsſinn weg
Aus Herz und Bliedern, der für Dred
Mecht, hr und Freiheit fahren läßt,
Der's werth ift, wie das Joch ihn preßk.
Die Anmweifung zum Schluffe diefer Moral Iautet:
Ein Jeder fei zum: Knecht: zu gut,
Ein Jeder zeige Kraft und Muth,
Sich ſelber zu, beherrſchen: fo
Iſt's gleich vorbei mit Pharao.
Nur ſchade, daß die Geſchichte Dem widerſpricht. Sie
war uͤberall nicht ſehr waͤhlig in ihren Werkzeu gen, wo
ed die Freimachung einer Nation galt. Es waren ſel⸗
ten ober nie die meifen Charaktere, welche vora ufgingen.
Erſt wenn es gefchehen Ft, ruft man fie, um dem Werk
das Siegel aufzubrüden; gemöhniih dann, wenn man
die fchmuzigen Werkzeuge’ beifeite wirft.
(Die Zortfegung folgt.)
eich „108,
Literarhiftorifches Taſchenbuch. Herausgegeben von R.
E. Drug. Dritter und vierter Jahrgang.
ECGGBeſqluß aus Nr. 164.) .
N „Über Goldoni“, von E. Ruth. Längere Befhih
tigung mit einem Gegenflande erwedt leicht eine Vorliche fr
benfelben. Bei dem Verf. Diefes Wuffages feheint Dies nick
der Wall zu fein. So lange er nun auch fchon ber italieni⸗
fen Poche feine Zeit gewidmet bat, man merkt nit, daß er
zu einem minder unbefängenen, von einer rucſichtioſen Aritit
abgebenden Urtheil beſtochen oder überhaupt zu einer günflis
ern Beurtbeilung der italieniſchen Buftände verführt wäre.
ies bewährt fih auch am vorliegenden Gnltemi
wird darin der firengften Kritif unterworfen und das Refultat
derfelben ift für ihn fehr ungünftig. Der Verf. gibt zwar zw,
daß er fh im aͤltniß zu dem traurigen Zuſtande, in
weichem das italienifche Luftfpiel fi befand, und namentlich
im Gegenfag zu feinem erbarmliden Borgänger Chiari, allen
dings um Die Hebung und Belebung “deffelben verbient ge
m babe und manche anerfennungswerthe @igenfhaft: ge
naue und vielfeitige Kenntniß Ber italienifchen Le i
niſſe, raſche Production, gewandte Bur g des Gtof,
gluͤckliche Auffindung und Anwendung einzelner komiſchen Züge
und laͤcherlichen Situationen, und eine leichte Handhabung des
Dialogs befiges eine abfolute und allfeitige Befähigung für bes
Luftfpiel vermag er ihm jedoch wicht einzuräumen, zumal da
fih neben jenen Tugenden auch eine Reihe ganz unleidlicher
Fehler und Auswücfe finde, namentlich eine hoͤchſt nüchtern
und profaifche Anfıhauung des Lebens, die fi) nirgend über
das ganz Gemeine erhebe, nirgend die Spur von einer ho⸗
bern Auffaſſung, von einer Wertiefung in das Ideale bir
laſſe, ferner eine höchft feichte, in ſich felbft jerfallenbe pr
mache, und endlich eine hoͤchſt willkuͤ
ber Charaktere und Situationen und des Hansen von Da md
dort herbeigezogenen Stoffe, durch welche jede Möglichkeit einer
wirklich kuͤnſtleriſchen Wirkung aufgehoben werde. Daher weik
er die Bufammenflelung Goldonis mit Molitre auf das mb
ſchiedenſte zurück, obſchon er auch über biefen nicht eben miß
wiheilt: „Man Bann”, ſo lauten feige eigenen Worte, „nicht
ärger fehlen’. als es die Stalienes gethan haben, indem fie ihr.
ten —— Goldeni einen italieniſchen Moliere nannten.
Beide kammen allerdings barim überein, daß fie nicht die hoͤ⸗
here Dichterweihe De ſich an dem. Ideal über bie
X
ne Wirklichkeit erhebt und niedere Stoffe adelt. Sie fie
en Beide in das alltägliche Leben, das erbaͤrmliche Zreiben ber
Convenienz herab und ließen die Stoffe, die ſie ba. fanden, in
ihrer empirifchen leeren DOberflächlichkeit, ohne ihnen einen bö-
een Bezug zu Der idealen unendlichen Menſchennatur im Gro⸗
—* und "Ganzen zu geben, zu ber fie den Ganon eben nicht
- in fi trugen. Aber dennoch wel ungeheurer Abſtand zwi⸗
fhen Beiden!!! Wie er diefen Abſtand im Einzelnen nachweiſt
und vorzugämeife aus dem örtlichen und zeitlichen Verhaͤltniß
beider Dichten erklärt, iß ſchlagend und überzeugend, doch müf-
fen wir es unſern Leſern zu eigener Lecture uͤberlaſſen. j
8) „Die Fatças des Gil Vicente. Zur Geſchichte der aͤl⸗
teen Ppanifchen Bühne.” Bon M. Rapp. Dieler Auflag bil:
det eine Art von Ergänzung zu dem von U. Wellmann über
die vier älteiten fpanifchen Dramatiker, welchen der dritte
Jahrgang diefes Tafchenbuchs Liefert. Was dort über Gil Bir
cente. im Allgemeinen gefagt ift, wird hier fpeeieller ausgen
führt und namentlidy der Inhalt der verfchiedenen Farças im
Auszuge mitgetheilt. Diefe Auszüge find friſch und lebendig,
laſſen jedoch die Eompofitionen des Dichter noch ziemlich roh
und täppifch erfbeinen, weil natürlich dabei, wie der Berf.
ſelbſt einräumt, von dem eigenthuͤmlichſten Reize der Stüde,
der Kraft der . Situationen, ber Schärfe der Charakteriſtik,
der Energie der Handlung, dem Witz der Rede, dem fluͤchtigen
Salz der Späße und namentlich der Grazie der Verſification
außerordentlich viel verloren gehen niußte. Der Berf. dürfte
daher nicht übelgetban haben, wenn er wenigſtens eine Scene
den Leſern vollftandig mitgetheilt hätte. Wahrfcheinlich hat er
ſich jedoch dies für ein ausführlicheres Werk, dad er über Gil
Bicente zu liefern verfpricht, vorbehalten und wir müffen uns
bis dahin gedulden.
9) „Thomas Abbt“, vom Herausgeber. Wenn der
Verf. dieſes Auffages nıit der Bemerkung anhebt, die Gefchichte
deutfcher Literatur fei reich an Beiſpielen ſolcher Kalente,
welche nad) einem vafchen und glücklichen Anfang durch einen
allzu frühen Zod an ihrer völligen Entwidelung gehindert wor»
ben feien, befonder& zeige ſich died überall da, wo ein neued
geiftiges Princip, eine neue Phaſe der Entwidelung ſich zu
verwirklichen beginne, und wenn er: darauf, nachdem er bei«
fpieföweife auf Flemming, Günther, Lenz, Bürger, Hölto, Ro:
valis und Schiller hingebeutet hat, auch Thomas Abbt als ei⸗
nen jener „früh Berftorbenen‘‘ und „Borläufer einer neuen
und wichtigen: Epoche“ bezeichnet, fo hat cr damit fogleich fein
Sefammturtheil über ihn ausgeſprochen, nämlich, daß er ihn
nicht [ost feiner wirflichen Leiftungen halber, als vielmehr
um feiner dem Wortichritt und der Weiterentwidelung zuge:
thanen Beſtrebungen und Anläufe willen einer Wiedererweckung
für die Gegenwart und befondern Monographie für würdig ges
halten bat. Er fehreibt daher auch keineswegs dem Haupt⸗
werke Abbt's, ſeiner befannten Schrift „Bom Verdienſt“,
das größte Berbienft zu, fondern vielmehr feinen Pleinern Ar:
beiten, und zwar .zunächft feinem Werfen „Vom Tode fürs
Boterland”, infofern er hamit „einen tapfern Schritt aus ber
dumpfen Ubgefchloffenheit der Gelehrtenſtube in die freie, friſche
Luft Der unmiitelbaren Gegenwart‘ Yan fobann. aber ganz
befonders feinen Abhandlungen, die er für bie „Riteraturbriefe”
und für bie „Allgemeine deutſche Bibliothek’’ geliefert, inſofern
es fich durch dieſelben nächſt keſſing als einen der ruͤſtigſten
Kaͤmpfer innerhalb der von Berlin ausgehenden großen Bewe⸗
gung zu Gunſten des geſunden Menſchenverſtandes gegen die
wmnerfſprießlichen Schulſtreitigkeiten Gottſched's und Bodmer's
bethaͤtigt habe. Der Berf. gibt über dieſe Abhaudlungen eine
vollftändige Überficht, fondert Diefelben in hiſtoriſch⸗politiſche,
äfthetifche und eigentlich philofophifcye, und gibt aus den wich⸗
tigern derfelben intereffante Unäzige. Bo: z.B. theilt er aus,
‚einem Briefe an Nicolai folgende Stelle mit: „Sie Fönnen.
niet glauben, wie mig der Herr non Mofer verächtlih vor⸗
kommt, feitdem ich feinen zweiten Theil vermifchter Schriften
geleſen. Willen Sie wol, daß er behauptet, man dürfe nur
recht fromm jein, fo bekomme man auch zu weltlichen Geſchaͤf⸗
ten Berfiand, wenn man ſchen vorher dumm gemwefen... Und
am (Ende meint er, fei es beffer, daß ein ‚Land mit einem
frommen Minifter zu Grunde gebe, ald wenn ed mit einem
irreligiöfen blühbend wäre. Wo will dies Dub Wiſſen Sie,,
warum der Mann fo gegen feine geſunde Vernunft füns
digt? Es fcheint, feine Meitbrüder und Mitichweftern ba.
ben ihm vorgeworfen, daß er ſich mit weltlichen Suchen zer
freue. Run will er es wieder duf Koften des Menſchenver⸗
flanded gutmaden. Und aus einer Kritik der Mofer’fchen
Schrift „Über die Religiofität der. Fürften und was von einer
ſpecifiſchen Chriſtlichkeit derfelben zu halten fei”: „Sch wünfchte
wol, daß fi) diefe Herren, die immer Religion und Zugenb:
unter fih und Jrreligion gegen ihre Zadler im Munde füh-
ren, erflärten, ob die Antonine und Zrajane ihre Völker glüd>
lich oder unglüdlic gemacht haben? Oder fol der Sag, der
fo fruchtbar an Verfolgungen unter einem ſchwachen Prinzen
werden fönnte, «bag ohne chriſtliche Religion und, fobald es
die Gelegenheit erlauben wird, ohne die Drthodorie in dieſer
oder jener Kirche, Niemand‘ ein ehrlicher Mann fein fönnen,
auch dahin gelten, daß ohne chriſtliche Religion Bein guter Res
gent fein köͤnne? Schate, daß die Gefchichte das Gegentheil
bemweift! Noch mehr, diefe Herren werden bald daraus folgern,
daß, wer Tugend und Religion immer im Munde führt, ein
ehrlicher Mann fein müfle- Man wird dem Verf. niemals
leugnen, daß ein Prinz, der nad) dem Geifte des Chriften-
thums denkt und handelt, eine Wohlthat für feine Unterthanen
feis daß geriffe Grundfäge des Heren fehr leicht und auch fehr
ſtark ihren Einfluß auf die Diener äußern; aber es ift faiſch,
daß ein Prinz, der 3. B. auf ein anderes Leben ſich eine Hoffe
nung macht, dagegen alle Lafterthaten für erlaubt halte; kurz,
es iſt falſch, Daß Der, deſſen Herz durch eine göttliche Gnade
in der Zugend nicht geſtärkt ijt, Deswegen feinen Racften, fo
oft er nur kann, übervortheilen werde. Es ann gefchehen,
und ed kann leicht gefchehen, daß er von einer Reidenfchaft zu
einem Unrecht Bingerifien oder durch die Unwiſſenheit zu ciner
Beleidigung feines Nebenmenfhen verführt wird, Wber ift
denn vom Ehriften alle Unwiffenheit entfernt und alle Schwach⸗
heit verbannt? Wenn aber der Staaldmann. zwifchen zweien
Prinzen wählen folte, unter benen der eine andaͤchtig und
ſchwach, der Geiſtlichkeit feines Landes einen großen Theil an
ber Regierung vergönnte;s ber andere ein. Zeind aller geoffen⸗
barten Religion, mit Enthaltfamkeit, Einfiht und Eifer für
das gemeine Beſte felbft regierte, ift es wel ſchwer zu rathen,
welchen er wählen würde; ich fage der Staatsmann, weicher
blos auf das gegenwärtige Wohl ber Geſellſchaft ſieht?“ Und
an einem andern Drte über die Frommen: „Der anmaßliche
Fromme bat noch weniger Anſpruch auf Berftand blos jeiner
Frömmigkeit wegen. Gr befchäftigt fi, wie er fügt, einzig
und allein mit dem Gedanken an feinen Heiland, ihm betet,
ibm fingt er, von ihm fpricht er mit andern auserwählten
Seelen, feine Liebe für diefen Heiland prüft er an fich und An⸗
dern, und jede Kenntniß, jede 'Unterredung, die nicht unmittel»
bar auf diefen Heiland führt, hält er für fündlich ober doch
für höchſt unnüg. Ich fage nichts vom Handeln, weil dies
fehr oft bei Singen, Beten, Seufzen und Reden wegaufallen
pflegt, und hoͤchſtens in Enthaltungen, felten in wahren Aus⸗
übungen zum Beften des Rächften beſteht. Dies ift eine wahre
Beichreibung von Leuten, die boshaft genug find, um gefunde
Bernunft für eine Keindfchaft gegen das Chriſtenthum auszus
geben und einfältig genug, um fich nicht anders beichren au
affen. Es mag einem veralteten gnädigen Fräulein leicht fal⸗
len, ihren Müßiggang auf eine Felde Ark zu verandachteln,
aber wer in den verfchiedenen Ständen des. Lebens der goͤttli⸗
s
” [2
, 68
⸗
chen Beſtimmung noch dienen muß, kann unmdgtich m zu⸗
Re ohne ufkören t im Gedanken haben. Armen ungen
durchfehen und fie beſchleuni beſſer als auf die Blaͤhun⸗
en des Magens und Veraͤnderlichkeit der Laune At zu ge:
„ und eime Anſtalt für Nothleidende treffen ift Gott ange:
nehmer als einem Freunde ober einer Freundin die nod
- zuweilen wiederkommenden Verfuchungen des Jleiſches mit
kommer Bellemmung offenbaren.’ Die Witfberlung gerade
folder Stellen bewährt, was wir oben über Prutz und den
Charakter feines Zafchenduns: im Allgemeinen gefagt haben.
Was in eigener Perſon nicht mehr gt efagt werben darf, laͤßt
man Undere fagen. Uber wie niederfchiagend, daß vor
einem erg undert mehr gefagt werden —* als jegk!
Prut läßt fich, indem "er von einem bald wieber zurück⸗
enommenen Verbot der „Literaturbriefe“ redet, über diefen
Krebsfäritt der Freiheit ſelbſt alfo aus: Dergleichen würde
nun heutzutage vollfommen in ber Demand fein; damals aber
und wierdol die Maßregel bereits nach. fünf Zagen vom Staats»
rath felbft wieder gucke enommen ward, machte fie Das unge:
heuerfte Aufſehen.“ Selbſt Sulzer, deſſen ſchweizeriſche Frei⸗
mũthigkeit in Berlin end zahm geivorden war, rare an
Gleim ganz entfegt („Briefe aus Gleim’6 Nachlaß‘, &. 354):
„aber wo find wir, wenn ein folder Menſch die Kritik hem⸗
men kann?!” Ja wol’ guter Sulzer, wo find wirt! Und
doch muß jener Krebsfihritt als ein Kortfihritt betrachtet wer⸗
den. So lange man die Kette am ſchwachen Arm ſtark wußte,
ließ man fie lang und fehlaff fein, jetzt wo man fie am ſtarken
Arm ſchwach weiß, bäft man fie kurz und ſtraff. Ob das por
litiſchr Das muß die Zeit lehren!
10) Miscellen und Notizen. 1) „Zur Kritik ber Goethes
Schiller ſchen Epigramme von 1796", von 3. Shi:
fer; 2) „Über einige hochdeutſche Überfegungen u Beardei⸗
tungen des Reineke de Vos“, von Julius Jittmann.
Im erſten Aufſatz wird der Verfuch gemacht, jene von Goethe
und Schiller gemeinſchaftlich publicirten Gpigramme beſtimmt
Dem Einen 'oder dem Undern zuzuweifen; im zweiten die Un:
ffht aufgeftellt, daß eine hochdeutſche Bearbeitung des Pa
Fucht nothwendig verungläden müffe und dem entgegen auf
bie un vemäßigkeit einer im nieberdeutfchen Dialekt hinger
Bibliographie.
Allen, ©. ®., Gefhichte des Königreiged Dänemark.
Mit fteter Ruͤcfich auf die innere Entwickelung in Staat und
Bol. Aus dem Dänifchen uͤberſezt. Mit genealogiſchen Ta⸗
bellen und einem Sach: und: Ramenr vegiter vermehrt und mit
einem Vorwort begleitet von R. Bald. 2te, nach der Iten
Yusgabe des Driginals durchgängig verbefferte und vermehrte
Auflage. Kiel, Univerfitäts:Buchhandlung. Gr. 8. 2 Thir.
Gencalogifh »biftorifch-ftatiftifcher Almanach für das Jahr
, 3846. 2öfter oder der neuen a fer Jahrgang. Weimar,
Landes: Induftrie-&omptoir.
Binder, Württembergifche in, "une Medaillen: Kunde.
Ergänzt und herausgegeben von dem Fönigl. Ratilih-topogro,
phifhen Bureau. Stuttgart, Köhler.: Gr. 8. 8 Ihtr. 15 Rear.
Danz, 3. T. 2., Gefchichte des Tridentiniſchen Concils.
Rab der Darftedung eines katholiſchen Gchriftjtellers. Sena,
Maufe. Gr. 8. 1 Thlr. 9 ar
Geſchichte der Kriege in Europa feit dem Sabre 1792, als
Folgen der Staatsveränderung in Frankreich umter Köni ‚zudı
m di is 12ten Theils Ifter Band. Berlin, Mittler. &r.6.
e Ror.
Gladisch, A., Das jalle, Lipr der aegyptischen Py-
raniden und Obelisken, Halle Lippert u. Schmidt. Gr. 8.
Birk, D » Gedichte. 2te vermebrse Auflage. Straßbu
Sreuttel und Bürg. A Ngr. * fg u
i
Lüdemann, G., Uber das Weſen ded yriichtautiidee
Euitus. Eine theel Spelsgige Uneiudung, Sit 418 Ba
‚- Merlecker, Historisch
Dürstelung der allgemeinen Verhältuisse des |
chen. Didenburg GStallin
| Reue verbeſſerte und vermehrte Ausgabe.
und der: hichte des Menscitengeschlechts von deti älte-
sten Zeiten bis auf die Gegenwart in tabeilerischer Ueber
sicht. Darmstadt, Leske, Gr. 4. 2 Thir.
an etelercam „we * Biederfwenisen, Braunſchweig, Wr
* J., Das Bolt. De S
tr.
hauſen, Kies &r. 8 25 utſch von p. ug
—8
nern —88 —** eines fremben vom —
rechtlichen, hiſtoriſchen und pouriſhen Seandpunkte erörtert
Freibueg im Sr. Emmerling. Gr. 8. 15 Rer.
Bogen und Novellen aus —S Seteit Hites Ban
2,
Straube's, E.,
blaͤtter. Rovellen und Erzah fir u
Wien, Stoͤckholzer v. Hirfchfeld. 1345, #6. 8. as. ser
Zafenbuh für Gefchichte und Alterthum in Süddeutkb
land. Herausgegeben von 9. Bdhreiber. ter Jahrgeng
Breiburg, ne a. ht —
auffkirchen⸗Engl ur "& fin, Die Schwaͤrnmerin
Eräptung Leipzig, Brodhaus. Gr. 12. I hir. 12 Rgr.
Völker, K., Winkelried. ein Sauer in fünf Ste
St.Gallen, Huber und Comp. Gr. Y Rot.
Ungarifehe Belfstieder.. Überfegt unb eingeleitet von M.
A. Sreguß. Leipzig, & Wigeand. 12. 20 Nor.
TZagedliteratur.
Arenz, 8, g Roden ins Erwachen. Zeitgedicht. Dem,
Wittmann. &r. 8 m Be
Beleuchtung der Bien Pfipen Motion über Beligiondfreibeit.
wi Donn, Bitimann.
gr.
Dulon, Herr Prediger Palmie, die reformirte Kirche bat
keine Symbole! Ein Wort der ‚Burechtiweiiung. Königäberg,
Bois. Gr. 8. 2 8
Hopf, U, Die deutfchen Auswanderer en der Mobauitn
Küfte. Gharlottenburg, Bauer. 12. 2%, 9
Januarius, Heuer! euer! Bau an Hypotheh
Stänbiger, fowie an alle bei Privat: Fener » Berficherungs : In
ftatten Seſiherten. Potsdam, Horvath. 8. 71% Nat.
Kirchner, K. M., Das Walten Gottes auch in dieſer
ge „Sahresf@inßbetraditung. Frankfurt a. M., Kebler. Gr. 3.
r.
ige der Gegenwart. Biographien ber im Jahre 188
regierenden Souveraine. Bon ben vorzüglichiten
Frankreichs und Deigiend. „Überfegt von 9. Str. RNordhau⸗
fen, en 83 1
er tprofeflantisunge in feiner Parallele mit ber
ardie. Rachtrag u drei Reden über —* der 7
ritter in ſeiner geligidfen und bifteeifchen Bedeutung. Berka,
Wohlgemuth. 3 Ser.
—æ— J. A. K., Kritik zur on a
ber newproteftantifchen und nen⸗katholiſchen Re
eine Kritik der Schrift: „Uhlich und ‚Ronge. Dder die —
proteftantifhen Lichtfreunde.” * ig, Beyer. Er. 8. NE
Die jüdifche Reform. — Allen freiem
gen peut deutſchen Beitungen —* Berlin, Reichardt u. Comp
Ner.
Schrader, G. ı Ber freie Proteſtantismus unb di ⸗
gelifcrprotsftantiflie Mirde. - Aug ei *
tr —* Freunden Ghrifti ans a Apenrade.
r.
Berantwortlicher Herausgeber: Heinrich Srockzdans. — Drud und Verlag von F. ee. Srockhans in Leipzig.
|
|
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Montag,
—— Nr. 166, —
15. Juni 1846,
Dihterfiimmen.
(Bortfegung aus Nr. 166.)
Von ben Malcontenten und Rabicalen gehen wir
zu ben Sommuniften über. Schon der Guerrillakrieger
fpielt in Dies Gebiet auf einem ÖStreifzuge über. Im
Gedicht an Weitling verfichert er und, daß ber rohe
Schleedornknittel das Rappier zertrümmern werbe:
Wir find’s, wir Eommuniften,
VBerbündet und vereint,
Bon Hohen und von Riedern
Ein einig Voll von Brüdern,
Und euch, ihr Heidendpriften,
Der neue, böje Yeind!
Ws Hauptfänger (einige Gedichte von Weitling felbft
find charakteriftifh genug) erfeheint bier H. Püttmann:
9. Sociale Gedichte von H. Püttmann. Belle: Be, Ber:
lags⸗ und Sortimentsbuchhandiung. 1845. 16. 15 Kor.
Trog ber Verfemung baben ſich diefe Gedichte fchon
weit verbreitet, und die Kritik, die fie empfehlen oder
verdammen wollte, kommt au fpät. Wir haben es hier
nicht mit der politifhen Seite de8 Kommunismus zu
thun, nur mit der äfthetifchen, und man muß ihm zu-
geftehen, daß er fih vor der Gefellfchaft zu präfentiren
weiß, in weit anftändigerm Heide als die Geſellſchaft
ihm entgegentritt:
Kicht mehr von Rofendüften laßt uns fingen,
Roch wie die Voͤglein auf den Zweigen fpringen —
Das Menſchenherz allein fei unf’re Liebe,
Der Anfang und dad Ende aller Triebe.
Was Rofenduft! Saht ihr im Blütengarten
Den bleihen Bettler auf Erlöfung warten?
Wie mag euch denn die Rofenglut entzüden,
Must ihre den’ Menſchen alfo welk erblicdken ?
Man kann Püttmann's Poefie auch nicht den Vor⸗
wurf machen, daß fie mit Phrafen und Tiraden ins
Blaue ftreife; er nimmt die Dinge aufs Korn und
teifft, wo er den Pfeil abfehießt, ind Herz hinein. So
der Anruf an bie Soldaten, fo die fchauerlihe Ballade
„ictoriaf | 8 N j ’ \
under, wie fe i
Unter den Araber * m oetheit
Wenn der Eine fich blutig an Dornen reißt,
Dem Undern duftet Die Bofe.
„Das Weberlied, „Die Zabritfinder”. Gin unsrfhäpfli-
ches Thema bietet leider den Communiftendichtern Schlefien
und feine Weber. Es ift eine graummvolle Wahrheit in
diefen Balladen:
Im Zuchthaus lebt fih’s beffer
Als im Gebirge dort, .
Die hung'rigen Sefellen
Schnen fi nimmer fort.
Biel milder find die Buͤttel
As ihre frübern bier.
Und da ſie's Salz verdienen,
Arbeiten fie auch gern.
D'rum fingen fie im Chorus:
it unferm König Heil!
läßt uns hier nicht darben,
Gibt Jeglichem fein Theil —
Wir wollen ihn beloben
Und fleben i ort:
Daß alle urif're Brüber
Einzieh'n an diefen Drt.
Es ift eine reiche Auswahl reicher Lieder, aber ihr In⸗
halt von der Art, daß wir Peine Auszüge geben können.
Wenn ein mit Vernunft begabtes Wefen überhaupt Ber-
bote vertheidigen Tönnte, als ihrem Zweck entiprechend,
fo dürften gerade diefe Gedichte als gefährlich bezeichnet
werden. Aber ihr Sinn, auch ihre Töne dringen doch
hindurch, und ift feine andere pofitive, vom Geiſt gefragene
Kraft da, fie zu bekämpfen, dann braͤchten fie erſt recht
Gefahr. Doc meinen wir, das fei nicht eben zu fürd-
ten. In dem fchönen Gedichte „Rübezahl“ hat ber Berg-
geift einem reichen Fabritanten, der beim Champagner-
glafe eingefchlafen ift, im Traume den Aufftand ber
verhungernden Weber gezeigt, eine Scene voll draſti⸗
fer Kraft. Aber es gefällt feiner Laune, auch das
Gegenſtück zu zeigen. Einer armen Weberfrau, deren
Gatten der Tob von allem Übel erlöft, zeigt er bie Zu-
Funft: ihr Knabe iſt Mann geworden, nicht verhungert
und verfümmert, fonder in flolger Kraft, die Zeiten
find beffer geworden, die Menfchen auch, die Liebe hat
Alle verbunden, Alle find reich, denn Alle find gleich,
der Sohn „des reichen Schinders”, ber ihren nn
verfhmachten Tief, geht Hand in Hand mit ihrem eige-
nen Sohne und bas Kleid des Einen ft nicht fchlechter
ale das des Anbern: |
Verſchwunden war bie Sorge,
° Des ck Qual.
Zugegeben dies 33 Fa Menſchen gleich find,
daß ſie Alle Röde vom felben Tuche tragen, ja fogar,
daß fie Ale‘ beffer geworben: aber wie auch das mög-
lich geworben ifl:
In allen Scheunen glänzte
es Sommers reiche Zrucht,
di bogen fich bie änme
Unter Des. Obßeß t;.
Frohlocken und Entzuͤcken
U Die ganze Welt umſchloß,
| Aus Leinem Menfchenauge
Des Schmerzes Bähre floß —
darüber möchten mir von einem Communiften, der nicht
Dichter if, Rede und Antwort hören.
Sa fei auch Das zugegeben, daß es der kommenden,
vervolllommneten Zeit, die nicht mehr Soldaten zu bezah-
len, Beine Zollarenzen zu bewachen, teine Throne, keine
Dome, keine Kerber mehr zu bauen und zu erhalten
hätte, auch möglich werde, die Schredien der Natur durch
Menfchenlift und Kraft: zu bewältigen, daß fie durch na⸗
türliche Magie das Wetter reguliren unb den Sand⸗
boden im magdeburger Land umfchaffen können, melde
Heilkraft, welchen Troft hat denn das Utopien des Com:
munismus für die andern Leiden der Seele und des
Körpers, die im denkbar glüdfeligften Zuftande des Er-
denlebens immer wieder auftauden! Bas klingt mun-
derfchön:
Die Erde iſt der Himmel,
Wenn Gott auf Erden meilt.
. Und Gott ift nur bie Liebe
Die alles Gluͤck ertheilt;
aber diefe Liebe tröfter nicht einmal fir die Schmer⸗
zen, welche die Liebe im fpeciellen Sinne in alter und
neuer Zeit heroorgebracht hat und hervorbringen wird, was
mon. auch mit aller Vernunft gegen die Werther⸗Thor⸗
heit, geltend mache. So viel Illuſionen wir zerflörem,
fo wachſen dach immer neue Auf, fo lange Gemüth, fo
lange Phantaſie, fo lange Poeſie in den Menschen ift.
Und dag die Poeſie eine Macht ift, die man gelten lafr
fen. und ehren müffe, erkennen die Communiften felbft
an, indem fie. Lieder fingen um zu fingen. Wie tröftet
aber. diefe Liebe, die alles Glück ertheilt, Die, welche an
unbeilbazen, furchtbaren Leiden langfam dem Grabe cut:
gegenficchen? Alle Poeſie der Welt hat noch. kein fo
troſtreiches Wort zu ihnen gefprochen als das: „Kommt
ber zu mir, die ihr trübfelig feid und beladen.” Und
märe auch dad nur eine Sllufion, warum mit Gewalt
fie zerflören, ausrotten wollen, wo man feine neue Il⸗
Infion diefen Leidenden bieten kann! Wenn die Prieſter des
Glaubens fi. vergingen, wenn fie den Gott der Liebe
zu einem, Gott. des Zoxnes im ihrem Egoismus und Fa: |-
natismus umwandelten, wenn fie bie ewigen Dogmen
bes Chriſtenthums vergafen,. die da gebieten: Richtet
nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werbet! und: Laß dich
nicht das. Boſſe überwinden, ſondern überwinde das Böſe
mit Gutem! mern fie vergaßen über andere, Menfchen-
um Himmelreich
fagung das Wort: daß der Wege
viele find —, warum ihre Sünde denn Die entgelten laf-
fen, welche in ber. alten Illufion nach). Troſt fuchen und
ihn. ſiaden? Iſt «8 nicht: fchon em: Zeichen bes Mis-
- 2 t N 2. Y
J .. ’ .
trauens in die eigene Kraft, daß ex zerflören muß um
qu bauen:
Nicht mehr von Gottes Zorne laßt und fingen,
Bon unf'rer Demuth nicht, noch andern Dingen!
Den Menſchen nus laßt heilig uns erheben, -
Rig außer ihm — Fehn and'res Tags Leben.
Welche Armuth bei ſolchem Reichchum vor Vorſtellung
daß die Idee keinen Platz auf Erden findet, wenn fte
nicht andere Ideen borher vernichtet!
eugt eure Knie nicht länger vor
Shteidt ferner nicht —* I —S
Mit euern hellen Stirnen, zarten Seelen!
Wozu. ji) felber nur fo graufam quälen?
Ja es ift Qual, Dies Zittern und dies Beben
Bor a , their y * eben.
a es 1 „ ME oje Ke
Nach) einem Wuͤſtenbild, nicht zu erreichen.
Wer nun aber die finftern Dome liebt, mer die Dual
will, wer eine Wolluft empfindet in dieſem Ziteern, hat
der feinen Plag in euerm neuen Reichert Ihr kaämpft
gegen bie Intoleranten mit Intoleranz! Ihr kämpft ge»
gen Gefpenfter, indem ihr, ein neues Gefpenft aufrflant.
Dog in dem Gommunismus ein, Keim der Zufunf
liegt, der Wurzeln fchlagen und Afte und Zwäige trei⸗
ben wird, wer möchte das beftreiten; nur anders wid
Wuchs, Geſtalt, Farbe, Blüte, Frucht fein als feine
Anhänger wähnen. Es iſt ein mächtiger Seufzet der
Natur, die ſich mit chriſtlichem Aimofenfpenden und frabii-
fen und ftaatlihen Armenſteuern nicht mehr befrich
gen läßt, es ift ein Ringen nach Erlöfung, die erfolg
wird, aber anders als wir ahnen und glauben, eine Er»
löfung, die darin allen andern Erlöfungen gleichen wird,
dag fie in ihrer Erfüllung die Hoffnung ihrer Jünget
täuſcht, die eine Vollendung, ein das AA umfaſſendes
Werk erwarten, und fie wird wieder nat ein größeres
Stückwerk werden‘ gleichmwie alle Religionen, die in der
alten Erde aufwuchfen, oder zu ihr vom Simmel her
niederfliegen, ein fchöner Teppich, groß und reich ‚genug,
fo fiheint es, für das ganze Weltall, mit feinen Sou—
nen, Sternen und feiner Ewigkeit, aber wenn die taufend
Arme daran zerren und ziehen, reicht er nicht einmal aus,
um Die Meine Erde damit zu bededen.
6. Armenfünder » Stimmen. Bwölf Lieber von E. Dronke.
Altenburg, Helbig. 1845. 8. 12 Rgr.
Schon die Zitel diefer zwälf Lieber geben ihren In⸗
halt an: „Das Glück der armen Leute”, „Die neum
Verdammten“, „Das Weib des Webers‘, „Die junge
Mutter”, „Fabrikantentraum⸗, „Die Gefangenen“, Ma⸗
dia alene”:
Sie geben und des. Himmels Toſt,
Sie fpeifen uns mit Gettesbroden,
Derweil wir hungernd ohne Koft,
Derweil wir nackt bei Sturm und Froſt
Im Koth des Erdenelends boden:
Sie figen warm, fie figen weid
In ihres Gluckes Himmelteich, -
Und pred'gen fie die Armuth gleich,
Sie wird Das. Jenſeits niemals: locken.
Alfo ein Nachfolger des Vorigen. Ncht jo keck, nain,
herauofedernd, nicht‘ fo ſpielend, epigrammatiſch; aber,
e- ifi-ein jüngsrer Dishter, aus wahrer. Empfindung ge⸗
boren, elegiſch, beinahe ins Tragiſche übergehend feine
“ Sage, und in ber Ausführung zur höchſten Anſchau⸗
lichkeit geſteigert. Was Alles in die Poeſie muß, und
es finder Bilder, Worte:
Horch, wie fchwer im Takt die Räder ſtampfen,
Wie es raſſelt, praffelt, brandend brauſt,
Lohe die Feuer und bie Eſſen dampfen,
D’rin verflucht der Beiten Damen bau
Und ein Kind ſteht in des Grauſens tte
Roh unſchuldig, in der Jugend Straht,
Bon der Armuth und des Elends Kette
Feftgefchmiebet an des Iammers Qual.
Hingewelkt ift feiner Wangen Nöthe
Und es fiecht der ſchlanke Leib gebüdt,
Seine Augen ſtumm und kalt und biäde,
Seines Herzens junge Luft erftidt.
Einſam ficht es in dem Graus und ſchweigend,
Nur die todte Kindesfeele fchreit,
Eine graͤßlich ſtumme Klage, zeugend
Wider der Geſellſchaft Herrlichkeit!
Da haben wir eine neue Ariftokratie, gegen welche der
“ egmmuniftifhe Dichter mit tiefer Wehmuth zu Kelde
zieht, flatt gegen die Sunfer von Zaubenheim gegen die
Fabrikjunkherren, welche die armen Fabrikarbeiterinnen
verführen. Es ift eine ganz bewußte Dppofttion, eine
bemußte Umkehr ber Angriffewaffen; die gefchlagenen,
alter Feudalſeigneurs gehen ihn nichts mehr an, er läßt
fie ruhen, er wendet fich gegen Die, welche ſich Kiberale
nennen, gegen die in Reihthum prunfende Bourgeoifie:
Sie wollen mit der Freiheit Licht
Die öden Herzen uns entzüden,
Ste mahnen gar der Naht Gezücht N
Und wider ihrer Zwingherr'n Pflicht
Für ihre Freiheit auszurüden.
Doch was uns drüdt und an und nagt,
Und was uns bannt in Sündennadht,
Die Tyrannei der Geldesmacht,
Die will die Freiheit nicht erdrüden.
Welche ägyptifche Finſterniß muß doch um die Throne
der Bewaltigen lagern, daß fie fo wenig ihre Freunde
von ihren Feinden zu unterfcheiden wiffen! Was nicht
in ihren Sram, in dad enge Gewebe ihrer altersmer-
joen Ideen taugt, werfen fie zufammen, und ſchleudern
hre Bannftrahlen gegen Die, von denen fie vor den nächften
Feinden Schutz erwarten dürften, wenn fie es verftän-
den, durch etwas Gelenkſamkeit fie für ſich zu gewinnen.
Quos deus perdere vult —!
Der noch fehr junge Verfaffer diefer communiflifchen
Lieder ift felbft ſchon eine hiſioriſche Perfon geworden.
‚Man weiß eigentlich kaum, um was bie Blitze der
Macht ihn getroffen haben, die ihn von einem Ort zum
andern fehleudertn. Was man angab war fo unbeden-
tend, dag man wirflih nur glauben kann, daß irgend
ein Misverftändnif, ein Misgriff die Sache veranlafte,
und man nachher, um fich nicht bloßzuftellen, nach dem
erſten beften Gegenſtande ‚griff, ber einen ſcheinbaren
Anlaß bot. Auch hat die Vermuthung viel für ſich,
daß er nur der Sündenbock war, den eine Eruption in’
die Luft fchnellte, um doch etwas zu bewegen, nachdem
fie fo große Anſtrengungen gemacht, die aber an einem.
noch größern Widerfiande fcheiterten. Wer diefe Ge⸗
dichte lieſt, die freilih Dielen nicht gefallen werben, be
greift nicht, mas gerade diefen jungen Dichter mit einem
fo tiefen elegiſchen Ernſt, den man fonft doch achtet, fo
befondere fürchten und haſſen lief. Wir wollen ihm
wünſchen, daß er Troſt für ein Misgeſchick, welches er
nicht herausgefodert bat, in fich ſelbſt finde und eine
befriedigende Antwort auf die Stimme der Wüfte, die
im zuruft:
Beltgeiſt, Geift der Natur,
Geiſt des Lebens!
Mein Herz will ſpringen
Und”meine Seele verblutet
Ob dem Grauen und dem Fluch der Erde.
Rede du, ſprich
Daß du nicht verurtheilt haſt
Die wimmelnden Millionen zu Roth und Knechtſchaft,
Daß du nicht geſchaffen haft
Das Leben für den Tod,
Roc die Schönheit zum Elend,
Noch die Unſchuld zur Verderbniß;
Daß Erloͤſung kommen kann,
Kommen wird
Für die wimmelnden Millionen,
Die von Menfchenbrübern Gemordeten,
Schuldlos Verdammten!
Rede du, ſprich
Gib Zroft,
Wider das gellende Hohnlachen des Zweifels
Gib mir Troſt, gib mir Troſt,
Daß mein zitterndes Gerz nicht ende
uchend
In Wahnſinn und Berzweiflung!
Und daß es nicht fei wie es zum Schluß heißt:
Still war der Abend,
Die Stimme des Jünglings verklang
In allen dieſen Gedichten keine Viſion von dem Reiche
der Armen, das da kommen wird, wie es der Vorgaͤn⸗
ger ſchaute; dieſer Dichter ſieht nur das Elend wie es
iſt, hier und da moͤglicherweiſe größer, greller, jchärfer, da
und dort im poetifchen Schleier der Wehmuth gebämpft.
Ein wirklicher Troft leuchtet nirgend hinein.
(Der Befihluß folgt.)
Englifcher focialer Tendenzroman.
Wenn der Verf. des Aufſatzes „Religiöfe Zendenzromane” in
Rr. 105— 109 die Bemerdung macht: „Die praktiſche Natur der
Engländer, hält diefe Ration größtentheild von der Entwides
lung der forialen Intereffen in der Korn des Romans ab“, fo
widerfpriht Dem einigermaßen die Shatfache, daß in der juͤng⸗
ften Zeit auch in England der Gefhmad des Romuanpublicums
fih der * und ganz beſonders den ſocialen In⸗
terefien zugewendet bat. Seine beliebteſten Rovelliften folgen
diefer Richtung — die Bleſſington, die Strickland, die Gore,
die Ihomfon, die Martineau, Lie Zrollope, Horace Smith und
ru
Charles Dickens nicht zu vergeffen. Einen weiten Beweis
dafür gibt die vierte Auflage von
Sir Cosmo Digby; a tale of the Monmouthshire riots. By
James Augustus St.- John. Drei Bände. London 1846.
St.⸗John iſt ein geachteter Rame und feine frühere „‚Gefchichte
der Sitten und Gebraͤuche des alten Griechenland“ diefleit des
Kanals nit ungelannt geblieben. In „Sir Cosmo Digby
behandelt er bie Zufammenrottungen in Monmouthſhire, den
Aufftand in Wales unter Froſt, Williams und Jones, und
Seitungslefer wiſſen, daß für diefe zum ode verurtbeilten,
dann unter koͤniglichem Gnadenſpruch auf Lebenszeit deportir:
ten drei Männer vor Furzem von Tauſenden unterzeichnete Pe:
titionen um gänzlide Freilafiung gebeten haben: ein Beleg,
wie lebhaft die Theilnahme für fie und die Geſchichte jener Er-
eigniffe fich erhalten hat. Dabei gebührt dem Berf. die Aner⸗
Tennung, daß er nicht wie 5. B. die Trollope in ihrem ver:
wandten „Jessie Phillips, a tale of the present day” (3 Bbe.,
London 1843) die neue Romantheorie auf die Spitze geftellt,
fondern die Hauptincidenzpunkte des walifer Pronunciamiento
gegen Schlagbäume und andere Läftigkeiten zu Zrägern einer
Familiengeſchichte gemacht hat. Zu zeigen, wie geſchickt, dus
Auge feſt auf die beabfichtigte Entwickelung der focialen In:
terefien gerichtet, er Beides miteinander verknüpft, würde
eine zu lange Erzählung fodern. Eine Undeutung muß und
kann genügen. Aus jener Reihe von Begebenheiten, welde
unter den Ramen Chartitmus und Nebeklaismus mit dem
Sturme auf Newport ihre Höhe und ihr Ende erreichten, bat
der Berf. die bedeutfamften und feinem Zwecke angemeheniten
ausgehoben, führt in die Berfammlung der Ehartiften bei de:
ren Verbrüderung in Bolton-Court, zu ihrer Zwangswerbung,
in ihr verfchangtes Lager inmitten der Ruinen einer Kirche auf
dem Gipfel des ſchwarzen Berges, in ihre Feldwacht auf der
Heide, in ihre Zufammenfünfte bei Fackelſchein, zu dem Spa»
ber, der fie belaufcht, zu ihren Berathungen, zu ihren Kreuz:
und Quermärfchen, in ihre Kämpfe, zu ihrer Nieberlage, weift
genau nah) — auf Grund der gerichtlichen Verhoͤre — aus
welchen Motiven die Beſchlüſſe gefaßt und wie fie ausgeführt,
von wem und durch welde Mittel die Bewegungen geleitet
und ermöglicht worden find, und hat zu der Rolle des Haupt:
rebellen Ap Hoel actenkundige Lebensmomente benugt. Eine
kurze Scene mag zugleich als Probe dienen.
Der Schauplag ift Pencarn⸗Abbey, ein Schloß in der Nähe
von Newport. Eine Geſellſchaft Damen und Herren ift ver:
fammelt, al8 unter Lärm und Geſchrei ein Haufe beranzieht.
Lord Garteon, der Schloßherr, und feine männlichen Gäfte
eilen in den Hof den Andrängenden entgegen, und @riterer
fragt nach ihrem Begehren. Ein Mann von riefigem Bau
und in einen Mantel gewidelt trat nahe an das Gifengitter
und fagte: „Mein Lord, wir bedürfen Gaftfreundichaft, und
weil der Ruf Sie einen freigebigen und großmüthigen Wirth
nennt, haben wir vor allen Herren der Umgegend Ihnen den
Vorzug gegeben. Wir begehren indeflen nur kurze Raft und
wenige Erfrifhungen, und Männern in unferer Lage werben
Sie Beides ſchwerlich verweigern.” Während cr Das fprad,
drängte eine Zahl wilder, ſchwarzbrauner Geſichter gegen die
Eifenftäbe des Thors, und die leuchtenden Augen, die gefletfch-
ten Zähne und das grimme Lachen zeigten ebenſo viele Kanni⸗
balen. Der große Haufe rudte nad, preffend und floßend.
Jeder wollte Die Herren im Hofe fehen. Alle fluchten, wetter:
ten und fchwentten bie Waffen, muthmaßlich um den Lord zu
ſchneller Einwilligung zu bringen. Das gelang ihnen jedoch
weniger als fie erwarten mochten. Bertrauend auf feine Ber:
theidigungsmittel wie aus perfönlicdem Muthe erwiderte Lord
Carteon: „Wenn Ihe Speife bebürft, fo bleibt wo Ihr feib
und Ihr ſollt zur Genüge erhalten, obſchon ich eined Mangels |
an GBaftfreundfchaft nicht beihulbigt werben Einnte, gäbe ich
foldpergeftalt ausgebrücdten WBünfdgen kein Gehör.” — „Uber,
mein ", entgegnete der Mann im Mantel, „ih habe Ih⸗
nen gefagt, daß wir nicht bios hungerig, fondern auch mübe
find und Ihr Haus hat Raum für uns Alle. Lafien Sie uns
alfo ein. Roch erbitten wir von Ihrer Güte, was wir im
Stande find zu nehmen.” — „Mein guter Freund“, bemerkte
der Lord, „ed wäre möglich, Ihr verrechnetet Eu. Wir find
bewafinet und haben uns vorgefehen. Ich mag aber mit
nit um bie Wette drohen. Was ich wiederhole iſt: Erfri⸗
fhungen follt Ihr haben. Was Euern Einlaß betrifft, fo würbe
ih den, von anderm Grunde abaefehen, ſchon deshalb nicht
erlauben, weil Damen im Haufe find.’ — „Damen®” xief der
Mann. „Run, was find die, daß die Rähe ihrer Mitmenſchen
fie erſchrecken Eönnter Ich bezweifle Ihre Logik niht, mem
Lord. Betrachten Sie diefe Männer. Sind fie nicht genau
von demfelben Thon wie jene Damen? Und fobalb die Maſchine
ftidftebt, werden fie Gtaub wie jene. Ich kann zwiſchen diefen
verfhhiedenen Theilen des Menfchengefchlechts Beinen Unterſchied
erfennen. Bei eB aber, wie Eure Gnaden fagen. Ich fage
blos, wir kommen binein, mit Ihrer Genehmigung, wenn Sie
ſolche ertheilen; wenn nicht, ohne folche.”
Unter den auftretenden Perfonen nimmt Sir Cosmo die
oberfte Stelle ein. Er ift ein Mann, bei welchem „das Geld
der Tugend durch ben dicken Roft weltlicher Geſinnung ſchim⸗
mert”, und der mittel® feines Verftandes feine Umgebung be:
berriht. Vom erften Augenblide feines Erſcheinens an feffelt
er das Intereffe und feffelt e8 bis zum Schluſſe, wo der Befer
freilich ungewiß wird, ob er ihn mehr bewundern oder mehr
verabfcheuen fol. Er verdient Beides. Ihm zunächft fteht ferne
Tochter Ifabella, die Heldin des Romans, erft eine ſchwache
Kante, die den ſtarken Geift bed Waters zur Stüge brauft.
dann in felbfländiger Kraft fein Schirm und Schutz. Ah
alle übrigen Perfonen find im Allgemeinen gut gezeichnt
Die englifche Kritik Hat wiederholt duch ihre glaubwürbigften
Organe das Urtheil abgegeben, daß der Roman einer der ori:
ginelften und anziehendften Zendenzromane ift. 33.
— — — — — — — un — —— — — — —
Literariſche Notiz aus Frankreich.
Ulgerien.
Unter den verfchiedenen, zahlloſen Worfchlägen, welche in
Bezug auf die Eolonijirung der afrikaniſchen Befigungen von
hüben und drüben gemacht find, iſt viel hohles, N Bantaftifiie
Beug. Es ift dies um fo erklärlicher, als von Seiten der Re
gierung felbft in den Maßregeln, welche feit einigen Jahren
ergriffen find, ein fortwährendes Schwanten und der fühlbare
Mangel eines leitenden Grundgebanlens an den Tag gelegt
if. Zu den wenigen Schriften dieſer Art, denen eine wahte
Bedeutung nicht abzufprechen ift, gehört das vor kurzen er:
fhienene „Me&moire au roi sur la colonisation de I’Algerie«
von Abbe Landmann. Wir koͤnnen bier auf die eigentfihen
Entwürfe, welde dem Könige darin vorgelegt werden, nit
näher eingehen und begnügen uns deshark zu bemerken, daß
der Berf., der ſich durch einen fangen Aufenthalt mit der Dre:
tigkeit fehr bekannt gemacht hat, von dem Grundfage ausgeht,
bie Eolonien müßten möglicherweife ſich durchaus aus eigenen
Hülfsquellen erhalten. Ob nun aber feine Borfäläge den Zeit-
punkt, wo Died wirflich gefchehen Tann, herbeisuführen is
Stande find, wagen wir nicht zu entſcheiden. Nur fo viel
fteht feft, daß, wie die Dinge fi biß jegt anlaflen, Algerien
für fange Zeit noch nicht blos ungeheure Summen, fondern
au maßlofe Dpfer an Menfchenieben Eoften werde. m
I.
Berantwortlicher Heraußgeber : Heinrih Brockzaud. — Drud und Verlag von J. X. Brockhans in Leipzig.
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Dienſtag,
——
Dichterſtimmen.
(Beſchluß aus Nr. 166.)
Bir gehen zu den confeffionnellen Zeitfiimmen über.
Da begegnet uns zuerft:
7. Reujahr. Ein Drama oder cin Gedicht, wie.man es will,
von Kart Schäffer. Darmftadt, Dttweiler. 1846. 8.
8. Rgr.
Wenn man zuerft, bei der objectiv gehaltenen Dar»
flelung dieſes Zaftnachtsfpiele, nicht weiß, wo es hinaus
will, fo findet fih das doch bald. Ein reflectirender
Dichter ohne Parteifanatismus, aber feine Reflection
bat ein angenehmes, dichterifche® Gewand gefunden.
Man Tieft das Scherzfpiel mit Vergnügen fort, bie
man auf den Ernſt flößt, ber dem Dichter fehr ernſt iſt.
Es ift der alte Fauſt, den der alte Mephiftophelee im
Puppenſpiel der Zeit auf die Marktſchau umber führt.
Am anmuthig gemüthlichen Versbau hat der Verf. fich
fo in den Goethe bineinftudirt, dag wir auf Augenbfide
uns in ihm wieder zu finden glauben. Zu Anfang
eine vecht Iuftige Schauftellung von Verkäufern:
Der Hegelianer.
Ich bin doch ih. In meiner Majeftät,
Bin ich derfelbe noch ganz offenbar!
Doch ſcheint's, als ob Die arme Welt
Get wieder älter um ein Zahr.
Rationalift.
Welch eine große Menge Licht
Hat wieder fih in diefem Jahr verbreitet!
Man fiebt ed doch ganz offenbar,
Wie viel die Welt ſtets vormwärtsfchreitet.
Dr. Strauß.
Fürwahr! Die Schrift hat noch ein Sahr gehalten!
Ich muß es mit Berwund’rung feh'n!
Doch mehr noch als ein Neues zu dem Alten
Kann ih unmöglich zugefteh’n.
| Drtbhodor.
D frag nur Herr! mit Langmuth und Geduld,
Die unf're Schwachheit nicht zerftöret.
Wie Hat die Suͤndenſchuld der Melt
Sich wieder um ein Jahr vermehret!
"Im Traume der Sylveſternacht erfcheinen aber dann
die bedeutenden Geſtalten: ber heilige Rod, die zwanzig
heiligen Roͤcke. Der Chor ruft:
O heil ger Rod, bitt' du für uns!
16. Juni 1846.
Der heilige Rod ruft:
Und plagen euch Qualen
Der Worheit und Sünde,
&o dürft ihr nur zahlen,
Sch heil’ Re geſchwinde.
Bildemeifter und v. Sybel aber rufen zum heiligen Rod:
Als du lebteſt, da waren wir tobt! Run wollen wir leben;
Und fo ſchneid' ich darum ruhig die Kehle dir ab.
Worauf der heilige Rod:
Es find die Gedanken!
Es iſt nicht geglüdt!
Die Welt ift verdorben!
Run bin ich geftorben!
Einer kommt mit Sxchellenllang:
Was geftern ift gewejen wahr,
Heut’ ins auf 84 anders klar.
Die Sonne ſteht, der Wind der weht.
Die Anſicht über Nacht ſich dreht.
Die Wetterfahn' girrt auf dem Dach,
hin der Wind fährt, fährt fie nach.
Ein Alter und fein Junger möhten auch zum Mod,
aber fingen: | |
Holde Zjar, deine Wellen
Rauſchen durch ein ſchoͤnes Land,
"Und das Land, durch das fie rauſchen,
Ift das Schöne Baierland,
und Mephiftopheles verfihert, e6 wären ihm
zwei gar liebe Jungen
(Es ift ein Vater und ein Sohn).
Ich habe manche Lection
Bol mit dem Alten Ducchgefungen,
Der Junge lernt es nun vom Alten,
&o wird die fhöne Kunft ſtets neu erhalten.
Aber Fauft Hört auf andere Töne. Ihm iſt's als hörte
er einen Klang aus ſchoͤnen Kindertagen, einen Donner-
ton, ber fein Herz im Innerften erzittern made, ein
Geräufeh in den tiefen Bergesklüften:
Wohin niemals der Strahl der Sonne dringt,
(Und wo) geheimnißvoll der Geift des Lebens
Mit jenen finftern Höllenmächten
In angftvoll angefteengtem Kampfe ringt.
Die Schilderung, die er. von ben auffhlagenden Flam⸗
men, den erbebenden Bergen, den zitternden Eichen, den
zerfplitternden Zelfen und dem Eingelögefang dazwiſchen
entwirft, iſt fo poetiſch, daß Mephiſtopheles ihn daran
hubeleien gehalten. Der Beatf. ein aufeiitiget Cꝛreben, |
die Erſcheinung Gregor's zu verſtehen und zu begreifen; aber
i ichn teftantifhen Eifer in Bekanpfu
5,0 au euhahham, rent ei 1 Beamte
lich unproteſtantiſch ıft.
Der Verf. ſtellt bar, wie der erſte öffentliche Schritt des
Moͤnchs Hildebrand — daß er naͤmlich den vom Kaiſer Heinrich |.
ten Leo bewog, ſich nicht eher als Papſt zu
en is er "u Rom oh nah den Fee an —
Zormen in geifilicher MWeife erwählt worden fei — fdon das
Streben nad) Lodtrennung der Hierarchie vom Gtaate, nad
Unabhängigkeit vom Staate beweife: „Das ganze fpäter
mit folcher Gonfequenz entwickelte Syſtem der Hildebrand ſchen
Theokratie ift hier ſchon im Keime enthalten“ (©. 182). Spaͤ⸗
ter kommt des Verf. darauf zurüd und ſucht in pfychologiſcher
Weile darzuthun, daß wie im Mönd Yuguftinus der Refor⸗
motor Luther, wie im General Bonaparte ber KRaifer Napo⸗
leon, fo auch im Mönd) Hüdebrand der Papſt Gregor alarm
mert. Gregor'd Plan in feiner MWollendung wird ( ». 191)
angegeben in folgender Beiſe: „Unbebingtefte und vollftändigfte
Seibſtaͤndigkeit der Kirche, d. h. gaͤnzliche Unabhängigkeit von
jeder weltlichen Macht, volftändigfte Herrfchaft der Kirche
uber den Staat, abfolute Monarchie innerhalb der ganzen
über die Erde ausgebreiteten Kirche, d. h. mit andern Wor⸗
ten abierarchiſche Univerfalmonardien". Um biefen Plan durch:
zuführen, habe Gregor nad drei Beiten hin operiren müffen.
ꝓ„Zuerſt galt ed, innerhalb der Kirche die gefammte Pricefter-
haft zu einer in ſich gefehloffenen, ſich als Eine Körperfhaft
enden Mafie umzugeflalten, in ihr alle weltlichen Intereffen
u ertöbten und nur das Intereſſe der gegliederten Hierarchie j
Delaffen und zu fleigern, zugleich das Bewußtfein der Roth:
wendigfeit einer monarhifhen Form diefer Hier:
archie zu erzeugen. Als zweite Hufgabe wird aufgeftellt, die
Hierarchie politifch frei zu machen. Diefe beiden Aufgaben feien
aber nur die Vorftufen zur dritten: „das frühere Abhängigkeits-
verhältniß, in welchem die Kirche zum Staat ftand, in das
entgegengefegte umzuwandeln, ten Staat nur als Ausfluß der
Kirche hinzuſtellen, die weltlichen Herrſcher als nur vom Bapfte
wit ihrer Macht begnadigt, fo jedoch, daß biefer Papft über
g. von Kaifern und Königen gerade fo verfügen Fünne
wie über Abfegung von Bilhöfen oder ganz untergeordneten
Geiftlihen. „Die Beitrebungen zur Erreichung der erften
Aufgabe concentriren fih in dem Kampfe um das Eölibat;
die der zweiten in dem Kampfe um die Inveftitur; bie ber
beiten in dem Rampfe mit Heinrich IV.“ Mit befonderm
Interefie beſpricht der Berf. die einzelnen Schritte, die Gregor
that zur Demütbigung aller weltlihen Macht, wie Gregor z. 2.
dem Könige Philipp I. von Frankreich erklärte, er werde ihm
auf jede Weife das franzöfifche Reich entreißen, wenn er ihm
Beine Reue zeige. Gregor's eigene Worte lauten (&. 203):
„Die von Bottlofen erfundene geiftlihe Würde müffe
der geiftlihen untergeordnet fein, welche Gottes Allmacht und
Vorſehung zu feinem eigenen Ruhme negründet. Wer follte
nicht wiffen, Daß die Könige und Fürften von ſolchen
ihren Urfprung haben, welde in ihrer Gottlofig-
" Beit duch Anmaßung, Raub, Treuloſigkeit, Mord,
enug durch alle mögliden Verbrechen, während
der Zeufel die Welt regiert, über ihres Gleichen
Die Herrfhaft errungen?” &o fpricht der heilige Water
. gu Rom. Es if ſer zu bezweifeln, ob die wuͤthendſten Jako⸗
biner während der franzoͤſiſchen Revolution ſich ftärker geäußert.
Das Mefultat.dev Erfcheinung Gregor's gibt Ber Verf. in
folgenden Worten an: .
„Hüdebrand Gregor hatte das Papfſtthum de feiner Höhe
erhoben. Er Hatte Könige und Kaifer in den Staub getreten,
Fürften und Boͤlker der Kirche unterthan gemacht, bie Kirche
ſelbſt aber, fie, die ihrer Idee nah die abfolutehe
Republik iſt, zur abfolutefen Monardie umge.
wandelt!” =
Bibliagraphie.
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Bände. Wien, Stoͤckholzer v. Hirfchfeld. 8. 2 Tpkr.
Deutihe Bolksbücher, nach den älteften Wusgaben Berge:
flelt von 8. Simrock. Mit Hol en Ko. 14: Fortu⸗
natus wit feinem Seckel une Binth ütfein. Frankfurt a. R.,
Brönner. 8. 59% Rer.
— — derfelben Ro. 15: Eine fhöne Hifterie von König
Apollonius. Frankfurt a. M., Brönner. 8. 21, Nor.
— — derſelben Ro. 16: Eine leſenswürdige Hifkorie von
Herzog Ernſt in Baiern und Defterreih. Frankfurt a. R.,
Brönner. 8. 3%, Nor.
TZagesliteratur.
Die wichtigſten Uctenftüde zur Geſchichte Der proteflonti:
ſchen Bewegung unferer Tage. Berausgegeben und mit ern
teenden Unmerkungen begteitet von Bruno Theobald, ker:
sig, Mayer. Gr. 8. TY, Nor.
Der Aufenthalt in Lithauen im Jahre 1836 und Ne I:
ten Zage des Szymon Konarsfi. Cine hiſtoriſch begründete
geräblumg. au, Verlags⸗ u. Sortimentäbruchhandiung-
r. 8. r.
- Harms, Vom Glauben an Jeſum Chriſtum, ben Sohn
Gottes, na Joh. 9, 24—38. ine polemifche Predigt. Kid,
Univerſitaͤts⸗Buchhandlung. 1845. 8. 3%, Nor.
Dfter, P. 3., Deutfchlands Zion und die Halb «Luthers:
ner. Oder: die gute Sache der evangelifh -Tufherifchen Kinke
in Preußen, vertheidigt gegen ihre allerneueiten Siderſachet,
die Bertreter des fogenannten „Luthertbums” innerhalb de
Union. Berlin, Wohlgemuth. Er. 8. 22%, .
Schnee zu Ofen! (im Jahre 1845). Cine Stimme Ge:
te8 an unfere Zeit. Won einem Mitgliede Des Ichendigen Br
— ber ganzen Chriſtenheit. Münden, Fran. 12.
> gt. |
Berantwortliger Herausgeber: Seinrich Dro&tans. — Dind und Berlag von GE. X. Brockhans in Reipzig.
m rn — m #9 on Tu een Pr
om
.—_ Zum
—.— wu VL 0 WE 3 U Tu —
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
17. Zuni 1846.
W. Prescott's Geichichte der Eroberung von
Merico.
History of the conquest of Mexico, with a preliminary view
of the ancient Mexican civilisation, and the life of the
eonquestor Hernando Cort&s. By Wüliam Prescott. Drei
Bände. London 1843.
Geſchichte der Eroberung von Merico, mit ciner einleitenden
Beberficht des fruͤhern mericanifhen Bildungszuftandes und
bem Keben des Eroberers Hernando Sorte. Bon William
Drescott. Aus dem Englifchen überfegt. Zwei Bände.
keipgig, Brodhaus. 1845. Er. 8. 6 Thlr.
Es ift dieſes Werk die zweite Frucht ber während
eines Iangjährigen Aufenthalts in Spanien begonnenen
Studien Prescott's in dortigen Archiven und Bibliothe-
ten. Bekennen wir immerhin, daß ber Gegenftand die-
fee Werks wol nicht in dem Grade wie die „History
of Ferdinand and Isabella“ der Individualität bes Verf.
entfprechend gewählt iſt. Ihm ſtehen mehr glückliche An-
fhauungen der Beftaltungen der Politik, Auffaffung der
Poeſie des Lebens, Charakteriftit von eigenthümlichen
Perſoͤnlichkeiten als firenge, fehrittweife fi) bemegenbe
Borichungen zu Gebote, wie fie den Anfang dieſer Er-
zäblungen eröffnen. Wir begegnen in legtern allerdings
derfelben Eleganz wie in den Schilderungen des oben-
genannten Werts, aber nicht derfelben allen Gegenftän-
den fi anbequemenden Gewandtheit ber Darftellung,
nicht ber Fülle von Lebensbildern, die dort den Leſer un⸗
willkuͤrlich umſtrickt. Mit dem hiſtoriſchen Hintergrunde
fehlen der Foloffalen Scenerie der neuen Welt Erinne-
rungen und verwandte Eindrüde, an welde ber Zu⸗
ſchauer die ihm vorübergeführten Bilder anreihen könnte.
Der Mangel eines harmoniſch durchgebildeten Volks⸗ und
Staatslebens in dem transatlantifchen Reiche kann nicht
durch bie Anden und den Zauber der Tropenwelt erfegt
werden. Dort eine bleibende Gonformität, nicht diefer
Wechſel, die fharf ausgeprägte Individualität, der aus
dem Verkehre mit gleichgebifdeten und im gleichen Rin-
gen begriffenen Völkern erwachfende Schwung. Jene
" Erfcheinungen liegen unferer Anfchauung ferner, und ob
fie uns aud ein ebenfo lehrreiches als unterhaltendes
Intereſſe entloden, heimiſch können wir uns nie unter
ihnen fühlen. Andererfeits bricht auch hier die reiche
Romantik, der jugendliche Ungeflum, die Fatholifch » vater
Iändifche Begeifterung des Spaniers burch, ber, während
in der Heimat bie Hand eines firengen Bern Gefege
niederfchrieb, die Übertreter derfelben unerbittlich züchtigte
und die nah allen Richtungen fi tundgebende Frei»
heitsliebe des Volks zähmte und befchnitt, im Lande
jenfeit de Oceans ein freies Felb für überfprubelnden
Thatendrang fuchte und fand.
In diefen Elementen bewegt fi ber Berf. mit un-
nachahmlicher Leichtigkeit und die eben gemachten Bemer-
tungen fonnten nur burch ben Vergleih mit einer Arbeit
. hervorgerufen werben, die von derfelben Hand ausging.
Daß beide Werke fo raſch nach ihrem Grfcheinen im
Deutfhland eingebürgert find, bemeift von neuem, daß
man fein Recht bat, von ber lÜberfegung unzäbliger
feichter Eintagsfchriften Frankreichs auf den Geſchmack
und bad Bedürfniß Deutfchlands zu fehließen. - Was
aber die obengenannte Übertragung ind Deutihe an-
langt, fo genüge die Bemerkung, daß der liberfeger, der⸗
felbe, welchem wir die Verbeutfchung ber „History of Fer-
dinand and Isabella” verdanken, auf befondern Wunſch
bes Verf. feine Arbeit anfertigte.
Welcher unferer Lefer. bat nicht als Knabe beim Le-
fen dee Campe'ſchen „Entdedung von Amerika” die volle,
gefteigerte Spannung im Hoffen oder Beſorgen kennen
gelernt? Mas ihn als Kinb in räume wiegte, was
dann bei dem Eintritt größerer Lebensreife als Spiel
ber Phantafie in den Hintergrund gefchoben wurbe, es
tritt uns bier als Ergebniß ernfter Forſchung und mit
dem Schmelz ber Poeſie, die das Gefchehene nicht um-.
Fleidet, fondern aus ihm ausflrömt, abermals entgegen.
Die von Solis ausgearbeitete „Historia de la con-
quista de Mejico” hat fich allerdings auch weit außerhalb
Spaniens eines großen Kreifes von Lefern zu erfreuen
gehabt. Aber es ift nicht zu verkennen, daß fie an Kri⸗
tif ebenfo arm tft wie an felbfländigen Unterfuchungen,-
und daß die Verbreitung derfelben zum großen Theile
jenem glattpolirten Vortrage des Verf. zugufchreiben,
ben man vielfach als Muſter fpanifcher Profa hingeſtellt
hat. Steht aber Solis in diefer Hinfiht dem mit Gra⸗
zie und in jener Poeſie die bes künſtlichen Schmucks
nicht bedarf fich bewegenden Stile Prescott's nach, fo
hat Legterer überdies feinem Borgänger gegenüber ben
gelehrten Apparat, die Benugung kritiſcher Specialunter-
ſuchungen fpanifcher Forſcher, den großartige überblick,
⸗
6“
die echt Lünftlerifche Vertheilung und Gruppirung des
Stoffes voraus. Ihm war es vorbehalten, fi auf den
reichen handfchriftlihen Nachlaß zu flügen, den Juan
Mufoz und Vargas Ponce aus Urkunden und Quellen
fchriften jeder Ast zufammengetragen und bei ber Real
academia de la historia in Madrid niedergelegt hatten;
er erfreute ſich bei feiner Arbeit der Mittheilungen bes
um die biftorifche Kiteratur feines Vaterlandes fo hoch
verdienten Navarrete; in der neuen unb alten Welt wur⸗
den ihm die Archive erfchloffen.
Der Lefer wird den Worten des Verf. unbedingten
Glauben ſchenken, daß bie einen großen Theil des erften
Bandes ei ende Einleitung, welche fich über ältere
Geſchichte der Mericaner und bie fittliche Bildung, wel⸗
che fie zur Zeit des Zufammentreffens mit Triegsluftigen
&paniern einnahmen, verbreitet, ihm kaum ein geringeres
Studium gefsftet habe als die nachfolgende größere Er⸗
zählung. Er ergeht fich bier auf einem, beſonders feit
der Beröffntlihung ber Forſchungen Humboldt's reich
bebauten, aber wenig ergiebigen Gebiete, das nicht ſowol
ſichere Nefultate ale Stoff zu feharffinnigen Combina-
tionen verheißt. Die meilten und wichtigften jener Mo-
numente, welche bie Mittel zus Einficht in die ältere
mericanifche Gedichte gewährten, wurden während ober
kurz nach der Eroberung vernichtet, und wenn es bet
neueſten Zeit vorbehalten iſt, Tempel und Palaͤſte, Städte
und Grabſtatten, deren Conſtruction von einem durchge⸗
bildeten Sinne für Kunſt und Wiffenfchaft zur Zeit des
Kaiſerthums Zeugniß ablegt, im Dickicht mächtiger Wal⸗
dungen zu entdecken, oder aus dem Schutt der Jahrhun⸗
derte hervorzugraben, ſo gewinnen wir in ihnen doch im⸗
mer nur einzelne Stationen für die Forſchung, ohne daß
der ihnen vorangeguangene Zeitraum dadurch geſchichtlich
erleuchtet würde. Aber übergehen durfte der Verf. dieſe
Erörterungen nicht; zum richtigen Verſtaͤndniſſe der nach⸗
folgenden Erzählungen waren fie unumgänglich exfoderlich.
Prescott beginnt das erſte Buch mit einer Schilde
rung ber geographiſchen Berhältniffe bes mittlern Ame⸗
rida, die in ihrer Gedraͤngtheit und malerifhen Skizzi⸗
zung unwillfürlih au Malte⸗Brun erinnert umd, wie «6
nicht anders fein konnte, zum größern heile auf dem
unvergänglichen Werke Humboldt's beruht. Bann wen»
bet er fi zu der Bevölkerung, ſchildert das aztekiſche
Meich nach feinen Ständen, Gefegen und Finanzen, be-
fpricht ben dortigen Cultus unb die Tempel, ben Stand-
punkt der Wiffenfchaften und Künfte, Landbau, Handel
und häusliche Gebräuche, und fchließt mit einer Überficht
des Wlütelebens umb des allmäligen Sinkens bes Staats.
Abgeſehen von ben zahlreichen dem Zerte beigegebenen
Roten iſt jedem ber Abfchnitte eine Digreffion binzuge-
fügt, in welcher die Quellen erläutert, verglichen, nad
"ihrem Werthe gegeneinander abgewogen werden. Das
zweite Buch umfaßt die Entdedung von Mexico und
führt im Unfange ben Lefer auf ben Beben Spaniens
zur Zeit des Megierungsantritts von Karl I. zuräd, als
ba6 Bolt, im Bollgefühl feiner Jugend unb vom ritter⸗
Uchen Unternehmungsgeifte getrieben, nach Staͤtten au⸗
Eroberun
ßerhalb des DBaterlandes fpähte, um die überfließenbe
Kraft austoben zu laffen. Diefe verhieß die neuentdeckte
Welt. Dahin trieb wen Drang nad Thaten oder Hab-
fucht die Heimat zu eng finden lief. So erfolgte bie
von Cuba, von wo aus hintereinander bie
Züge nad) Yucatan fich erftredten.
Hiermit treten wir in den Bereich der eigentlichen
Aufgabe diefes Werks. Uber die Jugendzeit von Her⸗
nando Cortez, feine Fahrt nach Hispafola unb Cube,
fein ſchwankendes Verhältniß zu Velasquez und feine
erfte felbftändige Unternehmung zur See theilt Der Berf.,
welcher bei dieſem Gegenftande nicht ohne Vorliebe ver-
weilt, manche bisher nicht bekannte Züge mit. Daß bie
intereffanten Dentwürdigkeiten bes Bernal Diaz be Ca-
ſtillo, deren Uberfegung ins Deutfche wir Rehfues ver
danken (2 Bbe., Bonn 1838), hier wie bei den fpätern
Mittheilungen bauptfählih zum Grunde gelegt find,
wird der befondbern Bemerkung kaum bedürfen. Solche
Berichte von Augenzeugen, welche jeden Eindrud friſch
und ungetrübt wiedergeben und jede frembartige Erſchei⸗
nung mericanifchen Lebens im Spiegel europäifcher Be
fittigung abftrahlen laffen, haben einen nie hoch genug
zu veranfchlagenden Werth. Nur durch fie ift die Zu
fammenfegung jener Moſaikbilder möglich, Die der Berf.
fo finnig feinen Leſern entgegenhält.
Bei Gelegenheit der am 19. April 1519 bei Ba
cruz erfolgten Landung von Corte; gibt der Verf. md
ein Mat eine Überficht des damaligen Zuftandes bes ar
fifhen Reihe. Kein Band der Liebe knüpfte bas Bol
an bie Regierung; Willtür, die immer dem nahen Ber
derben als Bote voranfchreitet, vertrat das Recht; Mon⸗
tezuma fühlte fih größer und flärker ald Prieſter denn
als Feldherr und Richter; die Natur ſprach in Wundern
und ber Menfch deutete Diefe auf den bevorſtehenden Un-
tergang bed Reichs. Bei biefer Gelegenheit Heft «6
ebenfo wahr als jhon:
Thus it heppens in those great political cenvalsions
which shake the foundations of society, the mighty evenis
that cast their shadows before them in their coming. Then
it is that the atmosphere is agitated with the low, prophe-
tic murmurs, with which nature, in the mozal as in täe
physical world, announces the march of the hurricane?
When from the shores
And forest-rustling mountains cames a voice,
That, solemn sounding, bids the world prepare!
Und eben jegt erfolgte bie Landung ber unheimlichen
Abenteurer aus bem unbelannten Weſten, bie Grund
legung für die erfte chriftliche Stadt, ber Abſchluß eine
Bündniffes zwifchen ben Fremden und mächtigen, dem
mericanifchen Reiche feindfeligen Stämmen , dann de
Marſch ber Erftern gerade auf die Refidenz Montezumai.
(Der Beſchluß folgt. )
Goethe's Werke. Exrflärungen von Konrad Schwend
Frankfurt a. M., Sauerländer. 1845. B. 224 By.
Es thut wohl, inmitten bes wüflen Partei vis, dei
fi je ana ie ehr um Soethe's Sn —— * uf
eine Wußerung unbefangener und unverkuͤnſtriter Pietät a
- nt.
Er EEE EHRE nu —
er
n. Der Berf. des vorlisguaden Bude: erklärt Sache nicht
ur für den beiweitem größten Dichter der legtern Zeit und.
überhaupt der Deutfchen, fondern auch für den Deutfcheften der
deutſchen Dichter. „Als diefes deutſche Weſen“, fährt er fort
(&. Vi), „erſcheint bei Goethe die Einfachheit und Der _fchlichte
Yusdeud, der prunlenden Phraſen fern bleibt, das Gemüth,
weiches immer marm, felbft fentimental, Do nie der weiner⸗
lichen Schwäche verfaͤllt, fondeen Heiterkeit liebt, ein gewifier
Grad von Derbheit ohne alle Bosheit und allen Reid, ein tref-
fender, behaglücher Witz, ber nicht eitel fpielt und nad Flit⸗
tern haſcht, ein Harer gefunder Verſtand, der fi) durch nichts
beireen läßt, und eme Phantafie, welche kraftvoll und ficher
wirft und nie in das Maßloſe, Nebelige, Berflofiene hinaus⸗
ſehweift in kranker Ausartung.” Und weiterhin heißt es: „Die
Srwedung alles Bollsthümlichen in Poeſie und Kun ver-
dankt Deutfchland Keinem in gleichem Grabe wie Goethe,
der ſtets der Natur getreu in das deutſche Lied bie einfache
Sprache des Gefühls ftatt der breiten Rhetorit ded Gedankens
einführte, ber zuerft wieder Freude an gothiſcher Baukunſt
hervorrief und baburch, daB er wirkliches deutſches Weſen dar:
ſtellte, es wieder zu beſſerm Berwußtfein brachte.“ Um nun
die Hinderniſſe, welche der allgemeinen Ausbreitung dieſer Wir⸗
kungen zum Theil noch immer im Wege ſtehen, auch ſeinerſeits
wegräumen zu belfen, veröffentlicht der Berf. dieſe „Erklä⸗
zungen”. Denn freilih will es "einem großen Theile des Pu⸗
blicums noch immer nicht gelingen, in, Goethe auf: Diefelbe
Weiſe Heimifch zu werden wie man es feit langer Zeit in Schil⸗
ler ift. Und zwar entfpringt dies nicht daraus, daß fein In»
halt uns zu fern ftände, fondern es bat feinen Grund im Ge»
gentheil darin, daß er uns zu nahe liegt. Goethe führt uns
faſt nur innere Schickſale vor, dergleichen in ſich felbft zu er:
fahren die Wenigften Zeit haben ober auf die fie wenigſtens
oom braufenden Strome des Lebens betäubt nicht hinhorchen
“ Binnen. Hieraus ergibt fi fogleich die Aufgabe Deflen, ber
ihn und näher zu rüden wünfht. Er muß ihm dadurd, daß
er und zu einer gewiſſen flilen Einkehr in und felbft veran⸗
Laßt, überhaupt erft eine Stätte zu bereiten und alddann das
Einzelne in ihm, was wir und nicht fogleich aneignen. koͤnnen,
auf geſchickte Weiſe an bie allgemeinften Menſchenſchickſale an⸗
zuknuͤpfen und als ihre wahrfte und tiefſte Darſtellung zu ent⸗
wideln viffen. Hierin aber verſehen es Die meiften Erklaͤrer
Soethe'5 gar fehr. Es ift Mode geworden, bei der Beſpre⸗
Kung Goethe’ immer gleich daB Weſcn des dichterifchen Ge:
nius überhaupt zu erörtern und folhergeftalt Alles in ihm auf
die letzten Principien der Runftphilofophie oder mas man dafür
hält zurüdzuführen. Freilich ift dies Derfaheen bur ihn
felbſt veranlaßt; er laͤßt uns einen Blick in die Okonomie ſei⸗
ned Geiſtes thun, wie er und bei keinem andern Dichter mög:
lich iſt; auch find feine Gedichte Momente feines innern Lebens
in einem Sinne, der ſonſt nicht leicht vorkommt. . Aber mit
folgen Betrachtungen ift Dem, welcher nur vorerft in Goethe's
Werke eingeführt werben fol, nicht gebolfens fie wollen ihn,
um einen oft gebrauchten Gegenfag zu wiederholen, in die tie
fere Erkenntniß einer Sache einführen, die ihm noch nicht ein»
- mal im wahren Sinne bekannt ifl. Statt ihn dazu anzuleiten,
die einfache Unmittelbarkeit der Werke als folder in fich zu
realifiren, wird ihm eine Doctrin über die angeblichen Grund»
elemente derfelben aufgebrungen, weiche ihm die Werke felbft
um fo mehr zuwider maden muß, je mehr er mit gefundem und
frifhem Sinne für Poeſie begabt iſt. Wir find auf dem beften.
Wege, aus der redlichften Abficht von der Welt Goethes Werke
auf eine ganz ähnliche Weiſe zu mishandeln, wie von einer
gelten pbilofopbifchen Schule, Die aber nur zum beflimmten
usdrude gebracht hat, was bereits in vielen Köpfen fpußte,
die antike Tragödie mishandelt worden if. Man denke an. die
„Antigone“, die wenigftend für Mef. durch endloſe Eroͤrterun⸗
gen über ben Gegenfah von Staat und Bamilie, ber in ihr
behandelt fein follte, auf längere Zeit zu einer geſpenſtigen Ab⸗
ftraction abgetödtet war umb erſt durch die ſceniſche Darftellung,
mit der big übertriebene Wichtigthuerei mit dem Stücke ihre
5 aus ſich Telkft arzeugt hatte, zu vallem Beben wie⸗
dererwedt iſt. |
Die Betrachtungsweiſe, welcher Hr. Schwenck Goethe's
Werke unterwirft, iſt eine unbefangene. Micht als ob er
fih nicht am jenen Berfuchen einer ticfern Auffaſſung ges
ſchult und was fie Brauchbares enthalten fich angeeignet hätte.
Die Ummittelbarkeit feines Standpunftes beruht nicht auf ei»
nem Mangel an Sinn für die monnichfaltigen Bermittelungen,
die hier verfucht worden find, fondern fie hat diefe dDurchger
macht und ſich aus ihnen wieberhergeftelt. Aber er begnügs
fih damit, den einfachen Inhalt, den er in den einzelnen Wer⸗
Ten erblidt, ohne polemifche Seitenblicke oder philofophifche Con⸗
ftruction irgend einer Art in finniger Reproduction darzuſtel⸗
len. So beißt es z. B. über „Werther”, &. 20: „«Werther's
Leiden» find als der Vorläufer zu « Bauft» zu betrachten, denn
fie fchildern den Auftand ber Seele, wann fie ohne einen genk-
genden Zweck ihrer Thätigkeit zu finden in fich erkrankt und
dadurch in träumerifche Grübeleien über fi und das Leben
verfällt, von Durſt erfüllt nach einem Etwas, welches ihr
fhmerzlihes Heimweh ftile und mit beflimmter Geftalt und
friihem Odem die ncbeihaft verfchwimmenden und immer wie⸗
derfehrenden Schemen der Träume verfcheuche. Zeiten, mo
das Eirchliche Leben nebſt dem pelitiihen und Bürgerlichen un-
genügend geworden ift, fodaß die Seele vereinfamt, ohne ſich
in genügender und erfreulicher Ihätigkeit nach außen wenden
zu koͤnnen, find, wenn nicht die Geftaltung eines neuen Lebens
die Geifter mächtig aufrüttelt, folder trüben fentimentafen
Stimmung günftig. Gerade ein folder Zuſtand gibt ber Lei⸗
denfchaft der Kiebe, als dem Ginzigen, was unmittelbar mit
gewaltiger Kraft das Herz ergreift, ohne irgendwie von Ver⸗
bältniffen abzubängen, einen um fo bedeutendern Spielraum, _
als dieſe Leidenfchaft voll Begeifterung ift oder vielmehr diefer
angehört und einen idealen Inhalt darbieter, welcher. fonft
überall mangelt.” Freilich koͤnnen wir dem Verf. nicht in al
len Punkten Recht geben. - Vom „Egmont“ behauptet er, die
Idee und der innerſte Gehalt diefes Trauerſpiels fei das Mär:
tyrerthum für die Freiheit. Damit möchte es aber doch eine
ar zweideutige Bewandtniß haben. Wir dürfen hier wenig⸗
ns nicht ohne weitere an die politifihe (republifanifche )
Breibeit denken, zu deren Erkimpfung die Riederlande aller
dings zum Theil durch Egmont's Hinrichtung veranlaßt wor⸗
den find. Die Verfechter einer folchen haben ſich wegen dieſes
Stüdes bei Goethe ganz und gar nicht zu bedanken; er macht
in demfelben fo wenig eine Ausnahme von dem Verhalten, daB
ee gegen das Streben nach berfelben au beobachten pflegt, daß
man ed vielmehr ald das allerdeutlichfte Document deſſelben
betrachten kann. Das politifche Freiheitöftreben der Nieberlän« .
der und feine Außerungen find bei Goethe einerfeits nur die
Veranlafiung zu dem Schickſale Egmont's, andererfeits eine
los zufällige Folge deſſelben; Egmont's eigenes Jntereſſe ober
die leitende Idee feines Handelns ift ed auf Feine Weife. Des
Inhalt des Stud ift nichts Anderes ald ber Zuſammenſtoß
einer böchfk glücklichen Perſoͤnlichkeit, die gewohnt ift, daß ſich
überall Götter und Menfchen vereinigen, um ihren Lebenspfad
mit Blumen zu beftreuen, mit einer Falten unb ihrem magi⸗
ſcher Einfluffe unzugänglichen Realität. Es iſt unrichtig, ben
Herzog Alba, wie der Verf. thut, als einen boshaften Schev⸗
gen der Tyrannei zu betrachten; er ift nichts als einer jener
unerbittlich durchgreifenden Männer der Praxis, bergleichen
Goethe in faft allen feinen Werfen ben idealer geſtimmten &e-
mäthern zur Seite geftellt bat. Die Breiheit, bie Egmont
ſelbſt hochhaͤlt, ift Beine andere, als daß es ihm als geiſtreichem,
hochgeſtelltem, begütertem Manne vergönnt fein möge, fi
ungehindert auszuleben — bie Freiheit der fhönen Individua⸗
lität, die man haufig als Goethe's Pathos bezeichnet und als
Uußerung eine feinen Ariſtokratismus hart getabelt hat. Dee
Traum Egmont's und die Worte, mit welchen er dem Tode
entgegengebt, find Feine Widerlegung biefer Uuffaffung bes
Stud. Es gehbrt eben nur zu Egmont's g hem Zem⸗
perament, daß ihn nicht der Gedanke, durch behagliche Sorg⸗
loſigkeit ſelbſt ine Rep gegangen zu fein, iſch niederſchlaͤgt,
ſondern daß ihm 34 die guten Folgen einfallen, die ſein
Untergang haben kann, daß nämli das Volk dadurch aus
feiner Bird gilkigfeit und Unentfchloffenheit aufgerüttelt wer-
den wird. Und daS er dem Gange des Stückt nach Urfadhe
bat, fo zu denken, damit ift doch auch dem Molke gang und
gar Bein Sompliment gemacht. Wie Tann man heutigen Tages
mit einer Bevdlkerung fompatbifiren, die fi von den Be-
deüdern aus „Haus und Bett" vertreiben läßt und nur erſt
zu ben Waffen greift, da ber Angeiff „einen folgen Bann‘,
einen hoben Adelige, einen Ritter bed goldenen Bließes trifft 3
Die Beit, in welcher bad Stück entftanden ift, verbietet uns,
eine eigentlich politifche Tendenz in demfelben zu ſuchen, aber
weiche paflenbere Wendung hätte Goethe wählen können, wenn
es ibm darauf angefommen wäre, uns das fabula docet auf:
zudraͤngen, daß binter dem Wreiheitsftreben des Wolke im
runde wenig feit Können wir alfo der Anfiht des Berf.
über „Egmont“ nicht beiftimmen, fo find und dagegen die Be⸗
teachtumgen, welche er an die „Sphigenia” knuͤpft, defto will»
fommener gervefen. Sie zeichnen ſich befonderß durch die Um-
ſtaͤndlichkeit aus, mit der fie auf das zarte Verhältniß einge
. ben, in welchem ber König zu der Yriefterin fteht. „Es liegt”,
fagt der Berf. S. 75, „etwas wahrhaft Nührendes darin, eis
nen fo vorzüglihen Mann, dem als Barbaren im Barbaren-
ande, nad unferm eigenen Gefühle, Iphigenia nicht angehören
Bann, weil fie der edlern Menſchheit angehört, eine fo edle
Leidenfchaft vergeblich nähren zu fehen, zu fehen, wie er, ba
feine Söhne erſter Ehe im Kampfe gefallen waren, dem Alter
verlaffen und einfam entgenengeht und feinen Thron verwaifen
fieht. So wie die Herrlichkeit Iphigenia’8 durch ihre Wirkung
auf einen folden Mann arößer erfcheint, als würde ein Süng:
ling davon ergriffen, fo ift auch das Loos des Thoas rühren:
der als e6 das eines Jünglings fein würde, da die Leiden der
Iugend durch bie Zeit und Fülle des Lebend vernarben.” Auch
die moraliſche und äfthetifche Nechtfertigung der Lüge des Py⸗
lades (&. 73) iſt fehr glücdlich zu nennen. Um wenigften ift
ber Berf. mit ber „natürlichen Tochter‘ zufrieden. Wir rathen
Jedem, der ein ernſtes Intereffe an Goethe nimmt, den Tadel,
ben Hr. Schwenck gegen diefes Stüd ausfpricht, im Einzelnen,
zu verfolgen: folte derſelbe auch nicht überall unwiderieglich
fein, ja vielleicht felbft an den allgemeinften Gefichtöpuntt, von
welchem aus der fremdartige Charakter des Stuͤcks erklärt wer:
den muß, vorbeigehen, fo firirt er doch die Frage nach dem
Werthe deffelben auf viel beftimmtere Weiſe ald andere Be:
fpreungen deflelben. 42,
Die Klugheit Der Obrigkeit in Anordnung
des Dierbrauens
it der Name einer Operette, welche im Mai 1705 von den
Schülern der Landesfcyule zu Arnftadt- aufgeführt und in bem
diesjährigen Dfterprogramm des Dortigen Gymnafiums von bem
Director Pabſt theild im Auszuge, theils wörtlich abgedruckt
und mit einigen Erläuterungen verſehen worden iſt. Verfaſſer
des feltfamen Werkleins ift wahrfcheinlich der damalige Rector
Johann Friedrich Treiber; die dazu gehörige Muſik ift nicht
mit- erhalten, was als ein wirklicher Verluſt zu betrachten ift,
- da fie hoͤchſt wahrfcheinlih von dem großen Sobann Sebaftian
Bach herrührte, welcher von 1704— 7 Organiſt in Arnſtadt
war. Es verdient aber die Veröffentlihung diefer auch von
Hoffmann von Fallersleben fchon gelegentlich erwähnten Ope⸗
rette um fo mehr Dank, als fie in mehr als einer Beziehung
von nicht unerheblihem Interefie ift. Zuerſt in fprachlicher Be:
ziehung: es bedienen fi nämlich alle Perfonen niedern Stan:
bes der provinziellen Mundart, und fo haben wir hier eins
der wenigen Beifpiele, wo uns bie Literatur jener Beit mit
ber lebendigen Voiksmundart bekannt macht; der Herausgeber
bat deshalb fehr wohl daran gethan, gerade diefe Auftritte
vollftändig abdruden zu laſſen, welche eine fehr fcharf ausge»
Berantwortlicher Beraudgeber :
prägte Probe ber Mundart niet ohne einige kat.
liege Befonderheiten geben. j
Ein anderes Intereffe iſt das dramatiſch⸗ äfthekifdye, und
bier macht es einen eigenthämlih komiſchen Eindruck, den faR
niedrigen Gegenftand ganz und gar in der fleifen Form ber
italientfchen Bier, wie fie damals an den deutfchen Höfen
berrfchte, behandelt zu jeben) ugleich zeigt ſich Die gelchri-pe
dantifche Manier des alten Gäulcerters in den Eun la:
teinifchen Namen, die er für feine verfchiedenen Perfonen ge
fhöpft Hat, als: Saporius ein —A Hauſticanus ein
Bierſchroͤter, Mendaculus ein Bierrüfer, Bibifempria eine Bier⸗
zaͤpffrin, Mirtonius ein Braumeiſter. Bon einer eigentli
geſchloſſenen Handlung bes Stücks ift nicht die Rede, fondern
ed befteht nur aus a — en Bwiegefpräden berjenigen
Perfonen, welche bei dem ftädtifchen Brauweſen irgendwie be
theiligt find, deſſen Trefflichkeit durch daB ſchließliche Auftreten
eines betrunfenen Bauern praktiſch erläutert wird; das Ganze
endigt mit einer Arie zu Arnſtadts und feines Bieres Lobe
Endtin ift an dieſer Bierpoefie die fittengefchichtliche Geite
nicht zu überfeben: ſchon die Wahl des Stoff, wenn auf
bieeict eine keife Ironie bei derfelben obgewaltet Haben dürfte,
legt demfelben eine Wichtigkeit bei, welche der bairifchen Haupt:
ftabt nicht unwuͤrdig wäre; wer in die Einzelheiten bes Gtoft
eindringen wollte, würbe demfelben noch manche genaue Rad:
richt über die damalige Einrichtung der Brauereien und übe
die befondern Verhältniffe Arnjtadts entnehmen Tonnen. Hier
endlich noch einige Proben. Der Stadtvogt fingt folgendes Re:
citativ :
Geſetzt, wir liefen Hier gany leichte Biere brauen,
So wärde mann jebody viel volle Zapfen ſchauen.
Drämb, wenn durch Voͤllerei ein böfer Fall geſchicht,
So iſt ed gar nicht ftarden Bieren,
Noch au ber Obrigkeit, zu imputiren,
Denn dieſe billigt ja Erin trunden trinden nidt.
BSielmehr beftraffet fie den Mißbrauch Harder Traͤnke,
Und das daher entſtand'ne Wordgezänte.
Ich ſage gar, daß mann in einer Stadt
Das ſtarcke Bier ſehr hoch vounoͤthen hat.
Arie der Bierſchroͤter:
Mi fin zway Schröter ohne Haͤrner.
Dn fin of & genannte Selb
Zum Saffte der gebrouten Kärmer
Bon huher Obrigkeit beſtellt.
Mi moßen droyerlay verroͤchte:
Mi ſchaͤpfen Bier, mi ſchrutens fort;
Bum Ohmen loͤßt me ons verpfloͤchte.
Me dienen troilich da on dort.
Domaͤts noch fall an Boiten faͤhle,
Wenn faͤßig Bier zu ſchaͤpfen oͤs,
Su moßen mi ons fertig haͤhle,
Su ſin die Schaͤpfer ſtaͤts gewoͤß.
Aus der Schlußarie:
Werthes Arnſtadt! deine Belder
Krönet Sott mit Fruchtbarkeit,
Welche bir viel But und Selder -
Bel der ſchoͤnſten Nahrung beut.
Deine fetten Biere prangen,
&o, daß fie in weiter Welt
Den verdienten Ruhm erlangen,
Der zugleih auf big mit faͤllt.
Drümb laß viele Lobgefänge
Deined Dandied Zeugen fein.
Denn Barmhertzigkeit die Mänge
Schencket bir ber Hoͤchſte ein.
‚Der vermehre deinen Segen,
So Eannft du in fliler Ruh
DIE mit fetten Traͤncken pflegen,
Und Iobfingeft Gott bazu. 4.
Heiurih Bro@pand, — Druk und Verlag von F. ME. Brockhaus in Reipzig.
= BB sn —
ww 15 wu DE 12T U DE OB Br
.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Donnerstag,
r. 169, ——
18. Suni 1846.
I ⸗ ⸗
W. Prescott's Geſchichte der Eroberung von
Mexico.
(Beſchluß aus Nr. 68.)
Auch wer den Erzählungen eined Humboldt gefolgt
ift, fühle ih durch die malerifhen Schilderungen hinge⸗
siffen, welche ber Verf. von ber tierra caliente und ber
tierra templada entwirft, wenn er die Spanier, welche
auf Höhen und in Tiefthälern, die fie durchwanderten,
das Zeichen des Kreuzes zurückließen, bas Tafelland hin-
aufgeleitet. Geſtaͤrkt durch bie Einigung mit der Re—
yublit Tiascala, deren politifches Leben und frühere Ger
ſchichte hier einer befondern Erörterung unterzogen wird,
ſcheute Eorteg den Kampf mit der Rieſenmacht der
Gegner nicht und erftritt den Sieg. Da öffnete fi
ihm das Thal von Tenochtitlan, die Blide ruhten auf
Waldungen, Saatfeldern und Blumengärten, und aus
der Mitte des mwogenben Sees erhob fi, von Dunkeln
Porphyrgürteln des Gebirge überragt, "die funkelnde
Kaiferftadt.
In the centre of the great basin were beheld the la-
kes, occupying then a much larger pertion of its surface
than at present; their borders thickly studded with towns
and bamlets, and, in the midst-like some Indian empress
with her coronal of pearls, the fair city of Mexico, with
her white towers and pyramidal temples, reposing, as it
were, on the bosom of the waters; the far-famed „Venice
of the Aztecs“.
Es bedurfte der ganzen Perfönlichkeit des kuͤhnen
Führers, feiner Bitten und Drohungen, um den Muth
der Heinen Schar für das bevorftehende Wagen aufrecht
zu erhalten. In des Kaifers Burgpalaft aber walteten
Zwietracht und vage Unfchlüfligkeit, die Drakel verſtumm⸗
ten, und an ber Hülfe von Menfchen und Göttern ver-
zweifelnd erniedrigte fi der Stolze, die Eindringlinge
perfönlih in feine Reſidenz einzuladen.
Wenn die Spanier jener Zeit ſchon Tlascala mit
bem prächtigen Granada vergleichen, fo hält es ihnen
ſchwer, einen Mafftab für die Schilderung Mericod zu
gewinnen. Breite, gepflafterte Straßen in endlofer Länge
mit feſtgemauerten, zum Theil mit Marmor befleibeten
Häufern, deren flache Dächer den Anblick von faubet
gezierten Blumenbeeten boten; Marktpläge,- dreifach fo
groß wie der zu Salamanca, mit Säutenhallen umgeben,
maͤchtige Tempel, auf deren Kuppe das Heilige euer lo⸗
derte; Bazare, in denen, wie in ber Levante, Waaren
jeder Art, jedoch nie in bunter Miſchung, aufgefihtchtet
lagen ; zahlreiche, bie Straßen durchſchneidende Kanäle,
welche mit Barken bebeckt waren; uͤberall in biefem Ve⸗
nedig der neuen Welt Wohlftand, Reinlichkeit und eine
Dichtgedrängte Bevölkerung.
Und in diefer Fülle feiner Macht, in einer Stabt, bie
über 60,000 Wohnungen zählte, fah fih Montezuma
von bem verwegenen Fremden ergriffen, feiner Freunde
und Schaͤtze beraubt, einem ſchweren Gefangenen gleich
behandelt, endlich gezwungen, ber Krone Spanien ben
Lehnseid zu leiften und die Abhaltung des hriftlichen
Gottesdienftes in den Trocallis zuzugeben.
Unter diefen. Umftänden Eonnte eine allgemeine Sthilb-
erhebung ber aztekifchen Bevölkerung, in Zolge welcher
die Hauptftabt von den Spaniern geräumt werben mußte,
nicht unerwartet fommen. Die Erzählung von den Bier:
aus fich ergebenden Kämpfen bes Meinen chriftlichen Hee⸗
res mit den Städtern und ummeohnenden Stämmen, bet
dreimonatlihen Belagerung und endlichen Unterwerfung
Mericos nimmt das ſechste Buch ausſchließlich ein. Der
Berf. beklagt den Sturz eines Reichs nicht, das fo wer
nig für das Glück feiner Unterthanen gethan hatte; er
iſt der Anſicht, daß die bei den Azteken vorgefundene .
Bildung nicht in ihnen felbft ſich entwidelt habe, ſon⸗
dern ber kümmerliche Abglanz eines untergegangenen
Stammes ſei, über welchen fich die Azteken ausbreiteten;
aber er iſt weit davon entfernt, bie Kampfführung ber
Spanier und die Mittel, deren fie fih zur Erlangung
bes Siegs bebienten, —A zu wollen. Ein gro⸗
Ger Theil ber prächtigen Hauptſtadt war während ber
Belagerung in Trümmer gelegt; jest fah ntan Indianer
mit dem Wiederaufbau von Gaffen und Märkten befchäf-
tigt. Es war das Machtgebot bes, trog ber Initriguen
feiner Widerfacher, von König Karl I. zum Statthalter
über Neufpanien ernannten Cortez, welches fie dazu trieb.
An die Stelle des Haupttempels des aztekiſchen Kriegs⸗
gottes trat die dem heiligen Franciscus geweihte Kathe⸗
drale, der bie zertrümmerten Gögenbilber als Grunblage
dienen mußten; auf dem Hauptmarkte ließ Cortez feinen
Palaſt, das nachmalige Schloß der Vicelönige, auffüh-
loſigk angen zu frin, moraliſch niederſchlaͤgt,
ſondern daß ihm ſogleich die guten Folgen einfallen, die ſein
Untergang haben kann, daß nämlig das Volk dadurch aus
ſeiner ——6 und Unentſchloſſenheit aufgeruͤttelt wer⸗
den wird. daß er dem Gange des Stücks nad Urſache
bat, fo zu denken, damit iſt doch auch dem Wolfe ganz und
gar Bein Sompliment gemacht. Wie kann man heutigen Tages
mit einer Bevölkerung ſympathiſiren, die fih von den Be
drüdern aus „Baus und Bett‘ vertreiben läßt und nur erft
zu ben Waffen greift, da der Ungeiff „einen ſolchen Mann”,
einen hoben Adeligen, einen Ritter des goldenen Bließes trifft?
Die Zeit, in welcher das Stück entflanden ift, verbietet ung,
eine eigentlich politifcye Tendenz in demfelben zu fuchen, aber
welche paflendere Wendung hätte Goethe wählen Eönnen, wenn
ed ibm darauf angefommen wäre, uns das fabula docet auf:
zudrängen, Daß Binter dem Pfreiheitöftreben des Volkes im
Srunde wenig feit Können wir alfo der Unficht des Verf.
über „Egmont‘ nicht beiftimmen, fo find und dagegen die Ber
trachtungen, welche er an die „Iphigenia“ Enüpft, deſto will:
kommener gewefen. Sie zeichnen ſich befonders durch die Um⸗
ſtaͤndlichkeit aus, mit der fie auf das zarte Verhaͤltniß einge:
. ben, in welchem der König zu der Priefterin fieht. „Es liegt”,
fagt der Berf. S. 75, „etwas wahrhaft Nührendes darin, eis
nen fo vorzüglichen Mann, dem als Barbaren im Barbaren-
lande, nach unferm eigenen Gefühle, Iphigenia nicht angehören
Tann, weil fie der edlern Menfchheit angehört, eine fo edle
Leidenfchaft vergeblich nähren zu ſehen, zu ſehen, wie er, ba
feine Söhne erfter Ehe im Rampfe gefallen waren, dem Alter
verlaffen und einfam entgegengebt und feinen Thron vermaifen
fieht. &o wie bie Herrlichkeit Iphigenia’d durch ihre Wirkung
auf einen folhen Mann arößer erfcheint, als würde ein Juͤng⸗
ling davon ergriffen, fo iſt auch das Loos bed Thoas rühren-
der als e6 das eines Juͤnglings fein würde, ba die Leiben der
Jugend durch die Beit und Fülle des Lebens vernarben.” Auch
die moralifhe und äfthetifche Rechtfertigung der Lüge des Py⸗
lades (&. 719) ijt ſehr glüdlih zu nennen. Am wenigften ift
der Verf. mit der „natürlichen Zochter” zufrieden. Wir rathen
Zedem, der ein ernftes Intereffe an Goethe nimmt, den Kabel,
eit (HR. 06 Net
ben Hr. Schwend gegen diefes Stück ausfpricht, im Einzelnen
zu verfolgen; follte derſelbe auch nicht überall unmiderleglich
fein, ja vielleicht Fand an den allgemeinften Gefichtspuntt, von
welchem aus der fremdartige Charakter des Stüds erklärt wer⸗
ben muß, vorbeigehen, fo firirt er doch die Frage nach dem
Werthe deffelben auf viel beftimmtere Weife als andere Be:
fpredungen deffelben. 42,
Die Klugheit der Obrigkeit in Anordnung
des Bierbrauens
ift der Name einer Operette, welche im Mai 1705 von den
Schülern der Landesfchule zu Arnſtadt aufgeführt und in dem
diesjährigen Dfterprogramm des dortigen Gpmnafiums von dem
Director Pabſt theils im Auszuge, theild wörtlich abgedrudt
und mit einigen Erläuterungen verfehen worden ift. Verfaſſer
bed feltfamen Werkleins ift wahrfcheinlich der damalige Nertor
Johann Friedrich Treiber; die dazu gehörige Muſik ift nicht
mit- erhalten, was als ein wirklicher Verluft zu betrachten ift,
- dba fie hoͤchſt wahrfcheinlich von dem großen Johann Sebaftian
Bach herruͤhrte, welcher von 1704— 7 Drganift in Arnſtadt
war. Es verbient aber die Veröffentlichung dieſer auch von
Hoffmann von Fallersleben fchon gelegentlich erwähnten Ope⸗
vette um fo mehr Dank, als fie in mehr als einer Beziehung
von nicht unerheblichen Interefie iſt. Zuerſt in fprachlicher Be:
ziehung: es bebienen fid) nämlich alle Perfonen niedern Stan:
bes der provinziellen Mundart, und fo haben mir hier eins
der wenigen Beifpiele, wo uns die Literatur jener Beit mit
ber lebendigen Voiksmundart befannt macht; der Herauögeber
hat deshalb ſehr wohl daran gethan, gerade Diele Auftritte
volftändig abdruden zu Laffen, welche eine fehr fcharf ausge:
Berantwortlicher Herausgeber:
prägte Probe der thuͤringiſchen Nundart nicht ohne einige Iet-
le Befonderbeiten geben. "
Ein anderes Interefie if das dramatifch » äfthetifche, und
bier macht es einen eigenthuͤmlich komiſchen Eindruck, den fo
niedrigen Gegenftand ganz und gar in ber fteifen Form ber
italtenifchen Dort ‚ wie fie damals an ben beutfchen Höfen
berrfchte, behandelt zu ſehen; zugleich zeigt fich die ne Zu
Dantifche Manier des alten Chulrertors in den kun la⸗
teiniſchen Namen, die er fuͤr ſeine verſchiedenen Perſonen ge⸗
ſchoͤpfti hat, als: Saporius ein Beide, Hauflicanus ein
Bierfhröter, Mendaculus ein Bierrüfer, Bibifempria eine Bier:
zäpffein, Mirtonius ein Braumeifter. Bon einer eigentliden
geſchloſſenen Handlung des Stücks ift nicht die Rede, fondern
es befteht nus aus mannidfaltigen Swiegefpräden Derienigen
Perfonen, welche bei dem ftädtifhen Braumelen irgendwie be-
iligt find, deffen Trefflichkeit Durch daß ſchließli
eines betrunfenen Bauern praktif erläutert wird; Das Ganze
endigt mit einer Arie zu Arnſtadts und feines Biere Lobe.
Endlih ift an diefer Bierpoeſie die fittengefchichtliche Seite
nicht gu überfeben: ſchon die Wahl des Stoffs, wenn aud
vielleicht eine leiſe Ironie bei derfelben obgewaltet haben dürfte,
legt demfelben eine Wichtigkeit bei, welche der bairifhen
ftadt nicht unmürdig wäre; wer in bie Ginzelheiten bes Stoſt
eindringen wollte, würbe demfelben noch manche genaue Rade
richt über die damalige Einrichtung der Brauereien und über
die befondern Berhältniffe Arnftadts entnehmen Fönnen. Hier
endlich noch einige Proben. Der Stadtvogt fingt folgendes Re
citativ :
Geſetzt, wir lieflen Hier gang leichte Biere brauen,
&o würbe mann jebody viel volle Zapfen ſchauen.
Dramb, wenn durch Wöllerei ein böfer Fall gefchieht,
So tft ed gar nit flarden Bieren,
Noch au ber Obrigkeit, zu imputiren,
Denn biefe billigt ja kein trunden trinden nicht.
Dielmehr beftraffet fie den Mißbrauch ſtarcker Tränte,
Unb das daher entfland’ne Mordgezaͤnke.
Ich ſage gar, daß mann in einer Stadt
Das ſtarcke Bier ſehr Hoch vonnoͤthen bat.
Arie ber Bierfchröter:
Mi fin zway Schröter ohne ‚Bärner.
Dn fin of & genanntes Selb
Zum Gaffte der gebronten Kärner
Bon huher Obrigkeit beſtellt.
Mi moßen droyerlay verroͤchte:
Mi ſchaͤpfen Bier, mi ſchrutens fort;
Zum Ohmen loͤßt me ons verpfloͤchte.
Me dienen troilich da on dort.
Domaͤts noch fall an Solten faͤhle,
Wenn faͤßig Bier zu ſchaͤpfen oͤs,
Su moßen mi ons fertig haͤhle,
Su fin die Schöpfer ſtaͤts gewoͤß.
Aus ber Schlußarie:
MWertbed Arnſtadt! deine Zelber
Krönet Gott mit Fruchtbarkeit,
Welche dir viel Qut und Gelder—
Bel der ſchoͤnſten Nahrung beut.
Deine fetten Biere prangen,
So, daß fie in mweiler Welt
Den verdienten Ruhm erlangen,
Der zugleih auf dih mit fält..
Drümb laß viele Lobgefänge
Deines Danded Zeugen fein.
Denn Barmhersigteit bie Mänge
Schencket dir der Hoͤchſte ein.
‚Der vermehre deinen Segen,
So kannſt du in ſtiller Rup
Dich mit fetten Traͤncken pflegen,
Und Iobfingeft Gott dazu. 4.
Beinrich Brokhans. — Drud und Werlas von F. WM. Brockhaus in Leipzig.
81 ätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Donnerdtag,
—_—_ Re, 169, —
18. Juni 1846.
en I ú
Geſchichte der Eroberung von
Mexico.
(Seſchluß and Ar. 1.)
Auch wer den Erzählungen eined Humboldt gefolgt
ift, fühle ih durch die malerifchen Schilderungen binge-
siffen, welche ber Verf. von ber tierra caliente und ber
tierra templada entwirft, wenn er die Spanier, welche
auf Höhen und in Xiefthälern, die fie durchwanderten,
Dad Zeichen des Kreuzes zurüdließen, das Tafelland hin⸗
aufgeleitet. Geſtaͤrkt durch die Einigung mit der Re⸗
pubiit᷑ Tiascala, deren politifches Leben und frühere Ge⸗
Shichte Hier einer befondern Erörterung unterzogen wird,
Siheute Eortez den Kampf mit der Rieſenmacht ber
Begner nicht und erftritt den Sieg. Da öffnete ſich
ahm das Thal von Tenochtitlan, die Blicke ruhten auf
Waldungen, Gaatfeldern und Blumengärten, und aus
Ber Mitte des wogenden Sees erhob ſich, von dunkeln
Porphyrgürteln des Gebirge überragt, "die funkelnde
Kaiferftadt.
In the centre of the great basin were beheld the la-
kes, occupying then a much larger pertion of its surface
than at present; their borders thickly studded with towns
and hamlets, and, in the midst-like some Indian empress
with her coronal of pearls, the fair city of Mexico, with
her white towers and pyramidal temples, reposing, as it
were, on the bosom of the waters; the far-famed „Venice
of the Aztecs“,
Es bedurfte der ganzen Perfönlichkeit des Tühnen
Führers, feiner Bitten und Drohungen, um den Muth
der Beinen Schar für bas bevorftehende Wagen aufrecht
zu erhalten. In des Kaifers Burgpalaft aber walteten
Zwietracht und vage Unfchlüffigkeit, die Orakel verſtumm⸗
ten, und an ber .Hülfe von Menſchen und Göttern ver-
zmweifelnd erniedrigte fi der Stolze, die Eindringlinge
perfönlich in feine Reſidenz einzuladen.
Wenn bie Spanier jener Zeit ſchon Tlascala mit
bem prächtigen Granada vergleichen, fo hält es ihnen
ſchwer, einen Maßſtab für die Schilderung Mexicos zu
gewinnen. Breite, gepflafterte Straßen in endloſer Länge
mit feflgemanerten, zum Theil mit Marmor befleibeten.
Haͤuſern, deren flache Dächer den Anblick von ſauber
gezierten Blumenbeeten boten; Marktplaͤte, breifach fo
W. Prescott's
groß wie der zu Salamanca, mit Saͤulenhallen umgeben,
mädhtige Tempel, auf deren Kuppe das Heilige Fener lo⸗
derte; Bazare, in denen, wie in ber Levante, Waaren
jeder Art, jedoch nie in bunter Miſchung, aufgeſchichtet
lagen ; zahlreiche, bie Straßen durchfchneidende Handle,
weiche mit Barken bedeckt waren; überall in biefem Ve⸗
nedig der neuen Welt Wohiſtand, Reinlichkeit und eine
dichtgedrängte Bevölkerung.
Und in diefer Fülle feiner Macht, in einer Stadt, bie
über 60,000 Wohnungen zählte, ſah ſich Montezuma
von bem verwegenen Fremden ergriffen, feiner Freunde
und Schäge beraubt, einem fchmeren Gefangenen gleich
behandelt, endlich gezwungen, der Krone Spanien ben
Lehnseid zu leiſten und die Abhaltung des chriftlichen
Gottesdienſtes in den Trocallis zuzugeben.
Unter dieſen Umſtaͤnden konnte eine allgemeine Stchilb⸗
erhebung der aztekiſchen Bevölkerung, in Folge welcher
die Hauptſtadt von den Spaniern geräumt werben mußte, '
nicht unerwartet fommen. Die Erzählung von den hler⸗
aus fich ergebenden Kämpfen des Heinen cheiftlichen Her»
res mit den Stäbtern und ummehnenden Stämmen, ber
breimonatlichen Belagerung und endlichen Unterwerfung
Mericos nimmt das fechste Buch ausſchließlich ein. Der
Berf. beklagt den Sturz eines Reichs micht, das fo we⸗
nig für das Glück feiner Unterthanen gethan hatte; «er
ift der Anficht, baß die bei den Azteken vorgefundene .
Bildung nicht in ihnen felbft fich entwidelt habe, fon»
dern ber kuͤmmerliche Abglanz eines untergegangenen
Stammes fei, über welchen fich bie Azteken ausbreiteteny
aber er ift weit davon entfernt, bie amp grung ber
Spanier und die Mittel, deren fie fi zur Erlangung
des Siegs bebienten, rechtfertigen zu wollen. Ein gro-
fer Theil der prächtigen Hauptflabt war während ber
Belagerung in Trümmer gelegt; jest fah man Indianer
mit dem Wiederaufbau von Gaffen und Märkten befchäfr
tigt. Es war das Machtgebot bes, trog ber Intriguen
feiner Widerſacher, von König Karl I. zum Statthalter
über Neufpanien ernannten Cortez, welches fie bazu trieb.
An die Stelle des Haupttempels des aztekifchen Kriegs⸗
gottes trat die dem heiligen Franciscus geweihte Kathe⸗
drale, der bie zertrummerten Gögenbilder als Grunblage
bienen mußten; auf dem Hauptmarkte ließ Corte, feinen
Palaſt, das nachmalige Schloß ber Vicekoͤnige, auffüh-
674
ren; eine Gitadelle verlieh ber chriſtlichen Stadt ben er-
foberlihen Schug. Aber bieibender als durch dieſe Schö-
pfungen follte das Andenken von Cortez durch Die Sorg⸗
falt erhalten werden, die er auf Unfiedelung des Landes
verwandt, durch bie Unwerdroffenheit, mit welcher er fich
für die Belehrung der Indianer durch wahrhaft Fromme
Mriefter bemühte. Ex verftand nicht blos zu ſchlagen, er
war der größern Kunft mächtig, die Wunden des Kriegs
zu heilen und bie bis dahin einander feindlichen Stämme
unter Einer Regierung zu einen. Dennoch entging er
dem Mistrauen des fpanifchen Hofs nicht, ber einen
Juez de residencia mit unbedingter Vollmacht zur Un-
terſuchung aller gegen den Sieger vorgebradhten Anfchul-
bigungen abfandte.
Bei diefer Lage der Dinge beſchloß Cortez, ſich felbft
vor feinem Könige zu rechtfertigen. Knieend legte er
(1529) zu Toledo vor Karl I, von feinem Verfahren
Rechenſchaft ab und murde von biefem zum Marques-
del valle de Oaxaca erhoben. Aber die Wiedereinfegung
in die Regierung von Mexico konnte er nicht erlangen.
Weil er als Lehnsträger von Neufpanien dem Hofe all-
zu mächtig fchien, mußte er fich mit der Ernennung zum
Oberbefehlshaber an der Küfte ber Südfee begnügen.
Im folgenden Jahre erfolgte feine. Rückkehr nah Me-
gico, das er 1540 abermals und für immer mit dem
Mutterlande vertaufhtee Man weiß, baf er im Jahre
darauf dem unfeligen Felbzuge feines Herrn gegen Al⸗
gier beimohnte. Dreiundfechzig Jahre alt, endete er am
3. Dec. 1547 zu Sevilla, mit Dinterlaffung dreier Töch⸗
ter und Eines Sohnes, beffen männliche Linie in ber
dritten Geſchlechtsreihe erlofh. Durch die weibliche Li⸗
nie abet gelangten die Güter bed Congquistador in den
Befig ber Familie des Herzogs von Monteleone, die fich
derfelben noch jegt erfreut. Die Grundzüge der geifti-
gen Richtung von Cortez faßt Prescott (Bd. 3, S. 312)
alfo zufammen:
He was a knight-errant in the literal sense of the
‘ word. Of all the band of adventurous cavalierss, whom
Spain, in the sixteenth century, sent forth on the career
of discovery and conquest, there was none more deeply
filled with the spirit of romantic enterprise than Hernando
Cort&s. Dangers and difficulties, instead of deterring, seo-
med to have a charm in his eyes. They were necessary
to rouse him to a full consciousness of his powers. He
grappled with them at the outset, and, if I may so express
myself, seemed to prefer to take his enterprises by the
most difficult side. He conceived, of the first moment of
his landing in Mexico, the design of its conquest.
Dhne auf den Anhang über den Urfprung ber me-
xicaniſchen Sittigung und beren Ahnlichkeit mit ber ber
alten Welt weiter einzugehen, fchließen wir hiermit ben
Bericht über ein Werk, welches bei dem Reichthume fei-
ned Begenftandes, ber anmuthigen Darftellung und ber
Sründlichkeit mancher einzelnen Forſchung ſchwerlich ei«
ner feiner Leſer unbefriedigt aus der Hand legen wird.
14.
Die beutfche Nationalliteratur feit dem Anfange des 18.
Jahrhunderts, befonders feit Leſſing bis auf die Ge⸗
genwart, hiſtoriſch und aͤſthetiſch⸗kritiſch dargeſtellt von
Joſeph Hillebrand. Erſter und zweiter Ban.
Gotha, 3. und U. Perthes. 1845. Gr. 8. 3 Th.
22 Nür. Ä
Je lebendiger gegenwärtig das Intereffe ift, das ſich in
einem immer größern Kreife der Gebildeten für die Gefchicte
unferer Rationalliteratur Pundgibt, defto erfreulicher muß jeder
Verſuch erfcheinen, dieſes Intereffe durch eine gehaltvolle und
anſprechende Darftellung der wichtigften Erfcheinungen diefer
Entwidelung de befriedigen. Daher erflärt fi der Beifall,
mit welchem Bilmar’s ,Borlefüngen über die Gefchichte unfe
rer Literatur” aufgenommen worden find, die trog des einſeiti⸗
en &Stantpunftes ihres Berfaffers in Sründti keit der Er:
enntniß des Stoffes und in lebenspoller Prägnanz der Dar:
ftelung ſchwerlich übertroffen werden Tünnn. Da aber die
neuere Riteraturgefchichte in dieſem treffliden Buche verhältnif:
mäßig Pürzer behandelt worden ift, fo nahm Ref. das obener:
wähnte Buch freudig und in der Hoffnung zur Hand, daß es
ihn in der fpeciellen Darftelung des interefianteften Theils ber
Deutichen Eiteraturgelhichte ebenfo befriedigen werde wie ihn
die erwähnten Vorlefungen in der allgemeiner gehaltenen Dar
ftelung der gefamınten Literatur befriedigt hatten. Doch le
der ift diefe Hoffnung nicht erfüllt worden. Wir haben es hir
natürlich nicht mit einem unmwiflenden und anmaßenden Dile:
tanten zu thun, wie ſich dergleichen neuerdings mebre, und la
der nicht ohne einigen vorübergehenden Erfolg, an dieſes Ge
biet gewagt haben. Nein dafür bürgt ſchon der Name des ın
der Literatur nicht unbefannten Verf. und das Buch felbft gibt
überall Beugniß davon, daß er fih auf diefem Gebiete über
aufmerffam umgefehen hat. Uber er hat bes auf diefe Wer
mit Fleiß gefammelten Stoffs nicht mächtig werden Fon,
er bat ihn nicht gehörig zu durchdringen, nicht zur entſprechen
den Darftellung zu veproburiren vermocht und ſich demnach,
wahrſcheinlich Durch Worträge verwöhnt, ſehr haͤufig zu einer
breiten Schönrednerei, zu einer verkehrten Bilderjagd und WBort:
bildungsgiererei verleiten Taffen, bie dem Lefer von gefundem
Sinne im günftigften Falle langweilig, oft aber auch wider⸗
wärtig erfcheinen muß. Bei ſolchen Mängeln konnen ih na:
türlih viele gute und treffende Bemerkungen nicht gehörig gel
tend machen und der eigentliche Zweck des Berf., das größere
Yublicum über die wichtigſten Erfcheinungen unferer Literatur
aufzuklären , ift verfehlt worden, was der unterzeichnete Ref.
im Sntereffe der Wahrheit um fo entfchiedener auszufprechen
fi gedrungen fühlt, je mehr dieſes Buch von einigen Referem
ten, die wahrſcheinlich nur darin geblättert haben, hier und da
gepriefen worden ift.
Suchen wir nun biefed Ustheil zunächft an dem erien
Bande bes Buche au begründen, fo finden wir ſchon in dt
Anordnung des Stoffs den gerügten Mangel der —* —
Beherrſchung und lichtvollen Gruppirung des geſammelten Da
terials. Denn während man zeither die Beſtrebungen rined
Wernife, Günther, Brockes als Übergänge aus der convention⸗
nellen Poefie der Schlefier in eine neue Epoche betrachtete,
welche nach der Kritik der Schweizer gegen Gottſched und in
ner Schule in den Productionen der Teipziger und balif
Dichter die erften frifchen Keime entwidelte und zwerft in Klo:
ſtock zu einer eigenthümlichen Geftaltung reifte, wird von um
ferm Berf. zunächft in zwei Büchern gwifchen einer ( vorberr
tenden) zegenerativen Periode von Wernike bis Klopſtoe
und Wieland und einer eigentlih reformatorifchen Epodt
von Leffing bis zur Zeit vor dem Auftreten Goethe's geſchieden,
mit welchem fobann das dritte und legte Bud) des erften Dan
des beginnt, das mit dem Namen „der nationalliterariſchen
Kroftthätigkeit‘ bezeichnet wird. Jedoch gang abgeſehen von
der Willtür, mit welcher der Verf. die obenerwähnten Beiwoͤt⸗
zn. ve u vun — — — eo
675 .\
ter braucht, da das Work „regenerativ‘, wenn ed gegen den
Cprachgebrau von „reformatoriſch? gefchieden werben fol,
iedenfols eine wefentlichere Veränderung bezeichnen muß,
fo fieht man nicht ein, wie Klopftod mit feinem vieljeitigen
und großartigen Wirken gewiſſermaßen in Die Vorhallen des
Tempels unferer neuen Porfie bat verwieſen werden können.
Denn ift auch Klopftod der Gegenwart ziemlich fremd gewor-
den, während Leffing’8 Genius noch vielfach auf uns wirkt, fo
bat doch Kiopftod auf einige Jahrzehnde lang fo umgeftaltend
und neubefruchtend gewirkt, daß wir ihn fo gut mie Leifing in
die Reformationsepoche unferer Literatur ftelen und bie nach⸗
haltigere Wirkfamkeit Leſſing's feinen kritiſchen Beitrebungen
und feiner fpätern daburch gereiften Production zuſchreiben
müffen. Man lefe nur was der Verf. &.209 von Leffing fagt,
um die ihm angewiefene Stellung im Vergleich zu Klopftod zu
rechtfertigen. „Ex fol die Zeit verflanden und ihr genügt, er
fol die nationale Subftanz unfers Volks für die Literatur ero:
bert haben.” Dies gibt Ref. gern zu, aber wer wollte leug⸗
nen, daß auch Klopſtock feiner Zeit genügt und mit feine
chriſtlichen Epos und feinen vaterlänbifhen Dden eigenthümliche
Elemente der Entwidelung unfers Rationalgeiftes zur Geftal-
tung gebracht habe? Ja der Verf. widerfpricht ſich felbft, in:
dem er S. 106 Klopftod's ‚‚Widerfprud gegen die Herrichaft
der franzöfifchen Literaturorthodorie und ihren hohlen conven⸗
tionnellen Formalismus‘ herausbebt und ihn dennoch den eigent«
lichen Neformatoren der deutſchen Poeſie beizuzählen Anftand
nimmt. Wie treffend urtheilt hierüber Gervinus, wenn er in
der „Neuern Literaturgefhichte”, Bd. I, ©. 115 u, 116 fagt:
„Klopſtock faßte alle Richtungen und Beitrebungen ber Zeit
in fi zufammen, er vereinte in jih die Strahlen der damali⸗
en Bildung wie in einem Brennpunkte, fchloß die vergangene
Reit völlig ab und warf ebenfo viele Strahlen nach neuen Rich⸗
tungen für die Folgezeit wieder aus, die bie allerverfhiedenften
Früchte reiften. Mit ihm beginnt daher erft die neue Zeit und
die Wiedergeburt unferer Literatur, und nur ein fo energifcher
und fo beglüdter Seit Eonnte dieſen Wendepunkt herbeiführen.‘
Wie nun in der Eintheilung des Ganzen die Feſtſtellung
willfürlicher Kategorien zu Unficherheit und Unklarheit ber Dar:
ftellung führt, fo Bann dies auch im Ginzelnen vielfach nach—
ewwiefen werden. So follen 3. B. die Dhter der von ihm
ogenannten regenerativen Periode nah zwei Richtungen, einer
tmelsconventionnellen und malerifch » didaktiſchen, charakterifirt
werden, wobei der Schlefier Günther, deſſen entfchieden her⸗
vortretende, freilich nicht immer liebenswürbige Subjectivität
die Schranken ber damaligen Conventionspoefie völlig durch:
brochen hatte, fi auch den „conventionnellen Formaliften”, wie
er fie nennt, zugefellen laſſen muß.
Gehen wir nun auf die Charakteriftil des einzelnen Dich»
ter und ihrer Werbe über, fo vermiffen wir trog vieler guten
Bemerkungen faft überall eine folche Reproduction bes geſamm⸗
ten Materials, welche allein ein ſcharf gezeichnetes und wohl
getroffene® Bild des Dichters möglich macht. Da wird erft in
den einfeitenden Abſchnitten in bebaglicher Breite über die Ei⸗
nthümlidgkeit und Beftrebungen eines Dichters gefprochen,
dar wiederholt ſich Daffelbe in noch breiterer Entwickelung
bei der fpeciellen Charakteriftit des Dichters und wird wiebet
wit vielen Wiederholungen an den einzelnen Werken deflelben
nachgeriefen unb zum Schluß endlich im Weſentlichen noch ein⸗
mal recapitulirt. Daß man daher überall auf Phrafen wie:
„Es ift ſchon oben bemerkt worden” und „mebrerwähnt”' und
„mebrberührt‘‘ ftößt, daB der Verf. etwas nicht berühren will
und doch fehr ausführlich auseinanderfegt (vergl. &.279, 283),
daß er über etwas ſchweigen zu wollen vorgibt was er dennoch
erwähnt (&. 375), ift bei einem ſolchen Verfahren wohl be:
greiflich. |
Ein anderer Übelftand, der in dem ſchon gerügten Man⸗
el an Durchdringung bes Stoffs feinen Srund hat, ift, daß
nfichten und Urtheile berühmter und unberühmter Kunftrichter
überall mit ihren Worten in die Darftellung eingefchoben wer:
: den, woraus oft eine mofalfartige Sqhilderung entſteht, die
wenigſtens dem Ref. nicht behagen kann.
‚.. Berner finden ſich nicht ſelten und zwar manchmat auf
dicht hintereinander folgenden Seiten breit entwickelte Anfichten
und Urtheile, die einander geradezu widerſprechen. Man leſe
nur 3. B. was S. 169 fo. über Geßner geſagt ifl. Statt ei-
ner Öarfen Analyfe feiner Eigenthümlichkeit lefen wir Vieles,
was fait wie Lob klingt und bald darauf den entfchiebenften
Zabel, der alles jene Lob vernichtet, und dann noch einmal, jes
body wieder gehörig befchranktes Lob, ſodaß man nicht recht
weiß wie man baran ift. Ja noch auffälliger tritt das eigen»
thumliche Zalent des Berf., in feinen Charakteriſtiken Lob zu
geben und zu nehmen, fodaß jeder Unentſchiedene etwas für fich
darin finden kann, ©. 388 fa. in der Darftellung der Beſtre⸗
bungen Voß füs deutſche Sprache und Ro mit bervor.
Ein ganzer Sag und zwar der, welcher &. 333 zum Schluſſe
ber fünf Seiten lang ausgebehnten Charakteriftit des Dichters
Claudius zu leſen ift, wird diefe eigenthümliche Manier am
beften anfhaulih machen. „Wenn wir nun”, beißt es da,
„aunferm Wandsbecker Boten die Hand reichen für die vielen
freundlihen Worte, mit denen er und erquidit und womit er,
wie Herder von ihm fagt, die Silberfaiten des Herzens rührt,
wenn wir ihm troß mancher Mängel den Apollinifchen Lorber
nicht abflreiten Dürfen, fo koͤnnen wir Boch ebenfo wenig bie
Meinung Derer theilen, die ihn aus einfeitiger Wahl des Stand»
punfts den Grften unferer Literatur beizugefellen Luft haben,
obmwol wir nichts einzuwenden finden, wenn man ihn wie
Gelzer jüngft mit einem Chriſtbaume vergleichen will, deſſen
taufend Lichter überall Binfheinen, wo für Bindfiche Freude und
berzliche Erinnerung noch eine Stätte iſt.“s) Iſt in folchen
Stellen der Widerfprucd vielleicht nur ſcheinbar, nur eine Folge
der mangelnden Bäbigteit, die einzelnen Merkmale der Eigen»
thümlichkeit eined Dichter in der Darfielung zu einem beuf-
ih ertennbaren Gefammtbilde zu vereinigen, fo tritt doch die⸗
fer Widerſpruch an andern Stellen viel fehroffer hervor, ſodaß
der Berf. geradezu vergefien haben muß, was er kurz vorher
geſagt hat. So läßt er &. 286 Note nad) Goethe’ Wort die
aufftrebende Zugend von Hamann angezogen werden und
ſchreibt ihm &. 237 einen Ton zu, ber „Keinem recht vernehm⸗
lich entgegenktlang und weder die Einen zu beruhigen noch die
Undern anzuziehen vermochte”. Wenn er ©. 201 Herder
mit feinen tbeoto ifchen Beftrebungen ald Gegner der berliner
Philoſophie ebenſo wie der fehuldogmatifchen Orthodoxie hin⸗
ſtellt, ſo weiß man was er will. Was ſoll man aber dazu ſa⸗
en, wenn er auf derſelben Seite in breiter Entwickelung die⸗
—* Satzes Herder den erſten Verkündiger des literariſchen Ge⸗
nialitaͤtsevangeliums wie der bibliſch-prophetiſchen Orthodoxie
der kirchlichen Schuldogmatik gegenuͤber nennt und gleich dar⸗
auf, ohne etwa von einer Umgeſtaltung ſeiner Anfichten in
der Seit zu, reden, erwähnt, daß er in altlutheriſcher
Ereiferung von Bernunft und freiem Denken
nichts habe hören wollen?! Dder wie reimt es ſich, wenn
&. 352 gefagt wird: „Daß die enthufiaftifche BVerftiegenheit des
Göttinger Bundes fi bei Voß in fuperlativer Steigerung ge:
äußert babe, daß fein Enthufiasmus felbfttäufchende Affection
und Zelotismus gewefen fei”, und einige Beilen weiter: „daß
er wie Lefiing flet& gewußt was er that und dem Berftande
den Borfig in feinen Werken und Wirken gegeben babe.’ Do
Ref. bricht hier ab, um endlich noch zu erwähnen, wie troß
der ausgedehnten Breite der Darftellung ober vielleicht gerade
wegen berfelben häufig das MWefentlichfte in der Charakteriſtik
der befprochenen Dichter vermißt wird. So viel z. DB. über
Leſfing's Stellung zur Theologie gefprochen wird, fo bekommt
man doch von Dem was Leffing eigentlih wollte Beinen deut⸗
lichen Begriff. Es mußte herausgehoben werden, baß Leifing
felbft für feine Perſon Fein Bedürfniß einer pofitiven Religion
*) Vergl. ähnliche unbeflimmte Urtheile mit doch und obwol
©. 95 über den Maler Müller und ©. 422 über Heinfe.
676
fühlte, wie ex in WBegug auf „Rathan‘ ausgeſprochen hat, der
ein @taubensbekenntn enthält, wie es immer geweſen if.
n er fih nun gegen die mit ihrer Freifinnigkeit prahlende
Modetheologie feiner Beit zuweilen gewifiermaßen für bie alte
Ortheborte erklärte, fo achab dies theild mit demfelben Ger
Jäfte feiner Britifchen Ratur, mit welchem er fich zu einer an-
dern Beit gegen die Drthodorie wendete, da fein Mahrheits-
ixeben ihm jede mit ber Prätenfion ber Ausſchließtichkeit her⸗
vortretende Richtung bedenklich erfcheinen ließ, theils exrfi
ihm die Bermiihung von Zheolögie und Philofopbie in ber
neuen Dogmatik velatio viel pepige Br * —ES
ologiſche Dogmatik. Sagt er doch ſelbſt in dieſer Beziehu
* Ai : „Richt das unreine Waſſer, was längfi nit
mehr zu brauchen, will ich beibehalten wifien. Ich wii es
aber nicht eher weggegoffen wiffen als bi man weiß, woher
- reines zu nehmen; ih will nur nit, « daß man es ohne Ber
denken weggieße und follte man auch das Kind in Miftjaudge
baden. Und was ift fie anders, unfere neumodifche Theologie
gagen die DOrthoborie, als Mifttauche gegen unzeines Waſſer?
Mit d
er Drtbodorie war man Gott fei Dank ziemlich zu Stande,
man hatte zwifchen ihr und ber Philofophie eine Scheidewand
gezogen, hinter welcher eine jede ihren Weg fortgehen Eonnte,
ohne die andere zu hindern. Aber was thut man nun? Man
reißt diefe Scheidewand nieder und macht uns unter dem Bor«
wande, uns zu vernünftigen Chriſten machen, zu böchft
unvernünftigen Philoſophen.“ Berg. Leffing’s Biographie von
8. ©. Leffing, Bd. I, ©. 350 fg., 302. Intereffant ift es,
hierbei zu bemerken, daß Liscom ſchon im 3. 1739 auf einem
ähnlichen Standpunkte fi bewegte. Vergl. Liscom’s Vorrede
ur Gtreitfchrift gegen Mangel gegen den berliner Propft Rein-
bee in der „Sammlung fatirifcher Schriften”, 1730.
Und ſolchen Mangel fehr mefentlicher Eroͤrterungen findet
der kundige Leſer überall. Cronegk und Brawe, von denen
Legterer 1755 20 Jahre alt den ‚„Brutus”, ein beachtenswer⸗
thes Irauerfpiel in fünffüßigen Jamben fchrieb — das erfte
vollendete Driginafftüd in diefer Form, denn von Elias Schle-
gel befigen wir bloß ein Fragment in diefem Metrum — fehlen
ganz; das größte Berdienft Bürgers, die dem Volksbewußt⸗
fein abhanden gekommene Ballade wieder eingeführt zu haben,
wird nicht gehörig herausgeboben; im Maler Müller, der mit
feinem „Fauſt“ allerdings der Sturm: und Drangperiode an⸗
ehört, durften die Vorklaͤnge der fpätern Romantik („Geno⸗
veva’’) nicht verfannt werben.
Was Ref. bis hierher angeführt bat, bezog fih auf den
Stoff und die Unordnung deffelben und ließ erkennen, daß eine
genügende Einſicht in den Entwidelungsgang unferer Literatur
auß dieſem Buche nicht gewonnen werden kann. Aber auch
in der Darftelung muß neben der ſchon gerügten hoͤchſt ımer-
quicklichen Breite die Metaphernjagd und die Wortdildungs:
ziererei durch Beiſpiele belegt werden. Dies darf durchaus
nicht als etwas Unwefentlihes betrachtet werden, denn ein der:
kehrtes Bild, eine gezierte nichtöfagende Phraſe in ber he
rakteriſtik macht den noch unkundigen Lefer oft ganz confuß
und die Erfenntniß der Eigenthümlichteit des beſprochenen
Dichters oder feines Werks unmöglih. Ref. erwähnt Einiges,
wie es ihm ohne langes Suchen in die Feder kommt. 8. 21:
„die vegeneratorifchen Urftvebungen des 18. Zahrhunderts“;
.178: „Friedrich I. brachte den Urriß in ben @abinetsabfo-
futiemus”; S. 271: „Sofeph ſtellte fih mit feiner reformi:
senden Kraftgenialität ald ein ermunterndes Beiſpiel bed fub-
jectiv-individuellen Zitanismus hin’ (diefer Paſſus erfcheint um
fo verkehrter, da &. 178 Joſeph mit Klopftod parallelifirt und
im Gegenfog zu dem wirklich reformatorifhen Friedrich nur
regenerirend genannt wird); &. 282: „der finnlich:ideale
Ditäyrambenüberflurz der Fruͤhlyrik Schiller 8” und Schubart
„eine der auffallendſten Figuren in der Gattung der abfonder:
lichen Individualitätsoriginalitäten”. (man denkt unwillkuͤrlich
an Ariftophanes' ayeayıdovuyupyoxomätn) S. 325 wird
—* in einer nichtsſagenden Phraſe mit dem von ihm ge⸗
5 ramme fiter
4: „Bürger,
merfeite” der
thode feiner Geburt unfdhuldig war‘ [NB, es gibt Ent
ng . 387 heißt Stel
berg's Geſchichte der seitlichen Religion’ „ein dem enthum
. 401: „Klinger
406: „das Fauſtiſche Loͤwen⸗
Doch genug ber Beiſpiele. Solche geiſtreich fcheinende
Kae mögen fich mol unreife Jünger der Philofophie auf
der Hochſchule gefallen laſſen; aber dem gebildeten Publicm
hätte Herr Hillebrand dergleichen nicht zumuthen ſollen. Das
ift der „geſchmackloſen metaphoriſchen Prunkhaftigkeit“ aͤhnlich
die er im Eingange des Werkes &. 20 in unſerer damaligen
Eprahbildung rügt, und vor einem Nüdfalle in diefelbe möge
ein gefunder Gefhmad unfere Sprache bewahren.
Ref. glaubt die Charakteriſtik des vorliegenden Buchs mit
der gegebenen Analyfe des erftlen Bandes abichließen und der
Lefern ein näheres Singehen auf den zweiten Band erſparre
zu Pönnen, worin ber Verf. Goethe und Schiller beiproder
und &, 278 in der Analyfe des zweiten ee ded „Kart“
einmal fogar eine „alberne“ Weife des Goethe’tchen Ausdrudt
gerügt bat. In feiner endlofen Gefchwäsigfeit hat er feine
Aufgabe nicht, wie er früber gewollt, in zwei Bänden vollen
den Fönnen und ſtellt noch einen dritten Band in Ausfidt, m
bem die Gefhichte„unferer Literatur bis auf die neuefte Jeit
verfolgt werden fol. 8. G. Gelbig.
Literarifhe Anzeige.
Spaniſche Literatur.
Rosa de Romances,
6 Romances sacados de las „Rosas“ de Juan Ti-
moneda, que pueden servir de suplemenw &
todos los Romanceros, asi antiguos como ne
dernos y especialmente al publicado por el seiior
Don @. B. Depping, escogidos, ordenados,
anotados por Don Fernando Jose Wolf. Gr. 2
Geh. 20 Ngr.
Diefes Werk bildet zugleich den britten Zheil bes i
mie eefhienenen” im Sal
Momancero castellano, 6 colleccion de antiguos ro-
mances populares de los Kspaiüoles, publicada con una is
troduecion y notas por &. B. Depping. Nueva edicion, coa
las notas de Don Antonio Alcald- Galiano.
Gr. 12. 4 Tulr.
Eeißnzig, im Juni 1846.
2 8. A. Bırocdhems.
Zwei
Berantwortlicher Heraudgeber: Heinrich Wrodhans. — Drud und Verlag von F. U. Brodhans in Leipzig.
—————— — ——————— a Te
=
m mug. m Sk m ⏑ ⏑⏑ —
⁊
u. u 0... 7
-—,—— gm 3 vm
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Greitag,
Berlin, 16. Sept. 1008.
Hochverehrter Freund!
Schon laͤngſt hätte ich gern von Ihrer freundfchaftlichen
Grlaubniß, Ihnen dann und wann fihreiben zu dürfen und eine
wohlwollende Erinnerung meiner in Ihnen zurüdzurufen, Ge
brauch gemacht, wenn ich nicht gewünfdt hätte, Shnen gleich
Reſultate meiner veränderten Exiſtenz mitzutheilen. Die Bes
ebenheiten der Zeit fiheinen mich jedod eher davon zu ent
ernen als näher je führen, und ih will ſchon lieber ins
Blaue hinein fehreiben. ‘
Mit meiner Dienftlage hoffe ich mehr und mehr zufrieden
zu werden; für den Anfang beſchaͤftigt fie mich natürlich über
und über, da ich Alles von Grund: aud Kennen lernen muß,
um Remedur, die fo nöthig ift, angeben zu fünnen. Die Re:
vifion vieler verworrener Geſchaͤfte hat mich indeg mehr als
ich beforgte und länger von der Hauptſache abgezogen. In
wenigen Wochen bin ich durch, und denfe Dunn die geſammel⸗
ten Materialien zu einem Ganzen zu ordnen. Es iſt aber nd»
tbig, das Dberfte zu unterft zu nebmen und dabei wird es
dann wol heißen muͤſſen: Nachbar, mit Rath.
Meinen Heren Departementschef habe ich erft feit feiner
Zurückkunft von einer Reife nach Schlefien, alfo feit etwa 14
Zagen, näher kennen gelernt, zu meiner völligen Genugthuung.
Er hat gewiß einen hellen Blick, ein gerades Urtheil, viel
Fleiß; vielleicht ift er zu lebhaft auf Koften der praßtifchen
Befonnenheit. Bon feinen Umgebungen muß ich vorzüglid den
Geheimen Finanzrath Bad, einen meiner akademiſchen Freunde,
fhägen. An meinem Freund Uhden tft fehr viel verloren ger
gangen. Es war foeben ini Werk, daß er als Juftitiarius im
Seneraldirectorio angeftellt werben follte. Hr. v. &tein ſchaͤtzte
ihn mit Recht, und da er Hrn. dv. Beyme's unbedingtes Ver⸗
trauen befaß, fo würde er in diefer Zeit Der Gefahr fo Man:
ches ausgeglichen haben. '
Wir gehen wahrfcheinlich vielen Zrübfalen entgegen. Der
Krieg ift unvermeidlich; führen wir ihn jegt nicht, fo haben
wir ihn, unter viel teoftlofern Ausfichten, in Jahr und Ta
vieleicht früher zu beforgen. Zögern wir jetzt nicht, fo a
fih ein eheenbol te Ausgang erwarten; fpäterhin wird der
Staat auf die Degenfpi e gefent. Es laßt ſich vielleicht bes
rechnen, daß der ccif von unferer Seite dem Kaifer von
Frankreich in diefem Augenblic® nicht gelegen kommt. Er muß
bedeutende Armeen in Italien, Holland und Dalmatien unter
halten; auf Sübdeutfhland Tann er fich nicht verlaflen. Den
Zruppen, die er in Deutfchland noch zahlreich genug (doch viel»
leicht weniger als wir glauben) haben mag, fehlt es an Am⸗
munition. &ngland fchließt, wenn es bes Angriffs von Preu-
Sen verfichert ift, ſchwerlich einen Frieden ab, und ber Kaifer
von Rußland läßt feine Truppen, nach aller Bermuthung, mit
19. Suni 1846. |
ben unferigen agiren. Üftxeich, dem die MR t des Kaifers
*4 Die Be wegen" 3 ——— — Nur
von Fran
Spanien, wodurch die Abtretung ber fpanifshen Provinzen bis
an den Ebro an Frankreich oder an den Priedensfürften — ei»
nerlei — verhindert worben) wol zunächſt den Garaus machen
wollte, wie der berüchtigte Artikel im „Yublicift‘ und die Ber
fegung des Friauls ſchließen Iäßt, iſt unter ſolchen Umfländen
ſchwerlich zur Reutralität zu vermögen, obwol Die jetzt uner⸗
wartete Zurüdgabe der Gefangenen, bie Erklärung wegen des
Friauls und andere Dinge darauf berechnet find. f
Bis auf diefen Augenblick iſt unfer Gabinet noch ment
ſchloſſen. Hoͤchſt verberblich ift die itio in partes von Geiten
der Umgebungen des Königs. Die Partel, die den Krieg ums
ter allen Umftänden und von Unterhandlungen mit Bonaparte
nichts wiffen will, geht davon aus, den Gegnern (Haugwitz,
Beyme und Bcmbart) alles Schlimme anzudichten. einey
Bittfchrift, die von den Prinzen des Haufes, einigen Genera⸗
(en und Miniftern unterfchrieben war, hatten fie auf die Ent⸗
fernung diefee Gegner von der Perfon des Königs angetragen.
. Der König ſprach von Meuterei und jagte feine Brüder forort
zur Armee. Was Bann daraus Gutes entftehen? Ich bin völs
lig überzeugt, daß die frieblicher geffigumte Partei a der ich
gar nicht gehöre, da ich den Krieg cher in dieſem Augenblick
al& morgen wünfde) jun Theil aus einer Anwandlung von
Furcht, zum Theil weil fie dem Kaifer von Frankreich bie (frei⸗
lich klar daliegende) Beftialität nicht zutraut, den Weg ber Un«
terhandlungen vorziehen wid. Cine Frage ift 26 aber, ob file
nicht ver —* waͤre, unter den vorliegenden Umſtaͤnden dem
laut erklaͤrten Willen der Nation und der Armee ——
auch wenn ſie fich von der Nothwendigkeit des A nich
überzeugen koͤnnte. Ich follte meinen, es wäre die Antwort
darauf fehr leicht. Man folte überdies das Gemüth bed Kai-
ſers von Frankreich doch wol einmal begriffen haben. Wer
gar ihn zu bannibalifiren gewagt hat (mie wir im vorigen
abre), Fan nur zu feinem Untergange Eallifthenifiren.
Die Königin ift zwar eine erklärte Freundin ber kriegeri⸗
ſchen Partei, gibt aber doch den von Hrn. Grafen Haugwit
ihr vorgetsagenen Gründen Gehör. Der Krieg ift j wahr⸗
ſcheinlich. Bon Knobelsdorf's Sendung iſt noch nichts |
ba. er noch Feinen Kurier gefchicdt hat. Auf dem orbinairen
I Poftwagen foll geſtern eine KRachricht von ihm eingetroffen
fein, die eine Conferenz in Ehartottenburg veranlaßt hat. Bor
naparte bat ihm noch ‚keine Audienz verftattet.
Bon den hiefigen Gelehrten Habe ich, da ich fehr einfaw
lebe, bis jegt wenige geſehen. n. v. Humboldt's Bekannt⸗
ſchaft werde ich morgen bei der Frau v. Berg machen. Einer
Sitzung der Philomathiſchen Geſelſchaft habe ich ohne die min⸗
deſte Ergoͤtzlichkeit oder Erbauung beigewohnt und werde mich
künftig davor fo ſehr Häten wir vor dem „Doctor Luther” im
Schauſpielhauſe. Unfer Werner hat ein trauriges Product 7
Tage gefördert; ich habe nie fo viele Bangweile im Schaufpiel
[4
⁊
gehabt und Doctor Luther als Iffland iſt hoͤchſt abgeſchmackt.
R_____-_
freuen Sie bald ein freundſchaftliches Schreiben Ihren ganz
Diener und Breund Btigemenn
®.
Berlin, 2. Sc. 28.
— Bir warten jene mit Sehnſucht der Dinge, die da
ommen follen. Krieg wird «6, wie
—* ein ſauerer Krieg, ſauer von allen
er :Bäter haben in Glürmen des
a
Bi!
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2
if:
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Zu‘
Stmen da6 Berka
gabe die Baiern, — Dberherr der Maier
eich als Protector der Mheinconföberation dermalen
fi die Yerm_allenfols Earl Tuftig it die Sache
dem Hösfttr ee faubern
* die beiden oͤſtreichi⸗
BBenn ich jett der Koffer Franz wäre, fo
ich den Berfaffer und leger des, Publiciſt“ vor
— — Kriegsgericht ſtellen und ihn in oontamaciamı
zum Jede Berdammen
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Hi
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Indeh det er feinen, Iive® erreiht, die Buchhändler
furdtfam zu maden. Wit Mäühe nur babe ich eins der wer
von „Deutſchland in fei-
ner Geniebrigung”' Kapsieon, der weit
von Schuß if, wird ed wel haben und ohne Furcht vor den
Ordalien debiticen.
36 Gabe See mie Om. Bier Stein über eine ein:
———— Bermögensfteuer delderirt· Ihr trengehorfamufter
Stägemenn.
8.
Memel, 38. Dec. 10.
dochverehrter Freundt
* nicht. Bei G eit Ihrer iftet an €.9.R
dritten Heft der „Br a’ et ih ich für eine Dde, 7
wor fertig, aber nicht vollendet i Br mir zu fehr die
fe und Freiheit des Grmrüthe —53 hoffe ih fie Ih⸗
nen (freili mit Vorbehalt der F in kurzem zu ae
ſchiken. Fur die wit theitung N. Serigen empfangen ©
men —S Ah derfihe Din erbt. @s —* iel
van e e v
Ehre ver, ; Bde eicht auch Troft. 323 fon et⸗
was danach en. Berzagen muß man nicht.
Das —* — die Seite zu Grunde; an den Regierun-
un dem Grm
on dem Einwirken des rn. a dv. Stein in un⸗
feree Otaats no nit viel zu er:
Gr ſelbſt hat neh min —— —2
Inn mu ai Ein care. ah Sala
a Hans 28 ion die Mebe daten, fihon on hier einen Plan
—— su Bei z indeß duͤnkt wid, daß unfer Yie- |.
e Me
keber-
Bon — Be —X iR bein RAin
28 ** wel bei der Bösigin, die für ihre
6 Local bier zu Haben meint,
wid, Mi dr er v. ——A—— verfichert, das Krüger'-
LH 5 4 ein, —— Kepdems
Eee it entgehen), fordern fe be Iren
Mm N we ’
** —ãe ,ù́Ÿ æ f viel Unangenepares dort set empf
tigt bin. Er erflärt ehrlih, wenn man *5 75— —*
calculi und uch und tripli Sad ed darauf nit
; e Kechnung wäre nicht eine Affaire Des Calls,
Ionbern er gen ifgen Umgen
IIEB- der ſchwediſch⸗ Re ein — guter 256 ie
ner Kopf. Mit Riebuhr it wegen feiner üftern
und da ihn das Schickſal Dänemarks gan; verfiunmt hat, me
nig anzufangen. Der Minifter will ihn, wegen hr —*
it teiben, nach Berlin zunäßft und dann nad) Hollan
Bewahren Die ein wohlwollendes Undenfen Ihrem tim:
geborfamften Freund und Diener Stägemana.
4.
Memel, M. Dre. 18.
Hocdverehrter Freund!
Bir vegeticen bier no fort. Die en md
dem Hrn Daru in in ſtocken bis zur Zurüdkkanft des Koi
F ei oleon in Paris, die vielleicht fo bald nicht ——
—— Far der a a u
kei —— glaube, er iſt deshalb gr Sur
lien gegangen, um * em ſeines (der time
Bollsbewegung gegen ſich felbft, wahrfäeintih mit der hf
gen Bergitterung feiner werthen Perſon, in Konftantinopel ver:
anlaßt hat) defto ſchneller zu erhalten.
dansten 9 Hm. v. Printmunn, ba
dt den "Brieg, den © hen über die bie :
Pond ſ. w. iſt unter alle
lecht, fo weit es 3
Unfern neuen Dr anffationsplan , wie ‚Sr. Miniſer .
Stein entworfen, babe ich zwar no nicht gelsfen,
Manches mit ihm darüber geſprochen. richte, a werke
wos in Memel, aber fpwerer in Königsberg, gar nicht in Bet:
fin dur ufüpren fein.
den —— —— ich nicht vid. ©
müßte kein Stein auf dem andern btaben; aber j
die Menfchen vor we u. wie die Pappe ein vornehm und w:
nüg daher ziehen, fo Bott will IR Ad ift eB — a.
a un ‚außlofer. Hein,
bärmlicher Geiſt, fein status in atatu, ſein ——
den — der Givilverwaltung, felbk in die Politif, bad
allein den Staat Bine Un der Eivileinri g, To Re:
ches daran febterbn war, Ks e6 doch n t gelegen. 3%
hoffe Shnen bald die miünbli Berfiperung meiner Dos:
tung und Grgebenheit fagen zu können BStägeman.
(Die Berifegung felgt.)
174
1
"WRonunlittreter.
I. Lebensbilber qus unferer Zeit ven H Blaha. Augsburg,
' mid, 2855. 8. 22%, Rot. » u
Odlen zartfü en Damen find diefe Blätter gewidmet,
weil jeder böbere edanke, fei ed ber Dez Religion, ber Ay:
gend, ber Liebe oder ber wahrhaften Größe, nur in ihren Der:
yon Unregung und Widerhall findet.” Co de die Vorrede.
„Rur großartige Leidenſchaften, außerordentlihe Charaktere hat
der Verf. aneinguberreihen wollen, nur merkwürdige Begeben-
heiten, nicht gewohnliche Ihaten, wollte er miteinander verbin-
den, um das gewöhnliche Thun der. Alltagswelt in den Hinter⸗
d gu fielen:
. Das vorliegende Bändchen enthält eine Novelle in ver:
ſchiedenen Abtheilungen. Skizzenartig find Ereigniſſe und Cha⸗
saltere entwickelt, nur einzelne Beſchreibungen find mit Sorg⸗
folt und Kunft auägefährt. Unter andern bie von Pre La-
chaiſe, Crockford⸗ Club in London, Florenz u. ſ. w.
. 3. Mein Gedankenbuch von Franz Stelzhammer. Regens—
burg, Manz. 1885. 8. 27%, Rgr.
Reber firebt in feiner Weife nach bemfelben allbegehrten
hybchſten Gute, nach Ruhe des Herzens, bie uns mit Dem Pa⸗
radieſe zuglei verloren gegangen; Jeden befält ed ein ul,
wo er wie im Wahnfinn darüber an ben enfigen Beſten des
Himmels rütteln muß — die Veften rüttelt er wol immer, aber
fein eines morſchas Ahnenhäuschen fällt leicht dabei in Schutt
und Trümmer; da fleht er dann im Gräuel der VBerwüftung,
ein großunglüdficher Held des Jammers! Nicht FE gelingt
es und nicht Seder bat den Muth, die Beharrlichkeit und daS
Geſchick, fpäter Die Friedenshütte zu erbauen, unb muß irren
arm und heimatios fein Lebelang.” Im Ringen nad dieſer
bier gebotenen Gedanten ent: :
Kran und aufgehä zu fein und der Verf. legt fie feinen -
innern Zufriedenheit ſcheinen die
teunden vor m
konne ?”" Gin Haud ber Genialitaͤt durchweht dieſes Fin
wenngleich das Genie ſich geoaten etwas barock nach Drigi⸗
walität haſchend äußert. Wir koͤnnen nicht umhin, einige der
erfireuten Gedanken für fi) ſelbſt fprechen zu laſſen, da nur
der Lefer einen Begriff vom Ganzen erhalten Fann.
„Bir guten frommen Menſchen machen Alles unſern Sei
Kesantipoden, den Ihieren, wenn auth nicht gerade nach, doch
voͤllig gleich, und ih muß mid oft recht wundeen, wie wir
durch das Bischen Vernunft und Klümpchen Herz fo viel Er» |
habenes zu ſchaffen, fo viel Ruͤhrendes beruorzubringen im
Stande find. Uber wären nur Die Thiere auch fo eitel wie
wir, und frieben einmal die Heuſchrecken, Ierfiten, Raben
und Gompagnie, Dering und Compagnie, Baͤren und Eom-
pagnie u. f. w. ihte Luft, Land» und Seereiſen auf;
Die Ameiſen, Bienen, Maulwürfe und Biber ihre Bauwifſen⸗
aft in Drud; fammelten die Elefanten ihren Wis; arran-
girten die Affen ein Werk zum Todtlachen (einen wiener Erf:
wacher, berliner Vademecuni), verfaßten eine Mimik für dra⸗
matiſche Dilettanten; gäbe Meifter Pez eine neue Tanzſchule
heraus, componirten bie Froͤſche eine Oper für und bie
Gaͤnſe; ließe der Spatz ferne ings·Geſchichten, der Zauber
und Kater ihre Elegien, der Beiflg ſeine Burſchenlieder, bie
Rachtigall ihre Dithyramben, der Gimpel feine Lehrgebichte,
der Kukuk feine Igrifchen, die Grille ihre Dden erfheinen;
maͤckerte der Bock feine Brkcourt: Lieder; Frähte der Hahn feine
Politica; masdten Droffet und Staarmat eine gedrudte Gol-
lecte ihrer Rhapfodien und Aphorismen; und erfreute und das
eeögeltden mit feinen BRecenfionen, der wachhabende Storch
mit feinen Kachtgedanken; mit feinen Einfamfeiten der Stein⸗
rothel; träten Buchs, Eifter, Meife und Maus freundſchaftlich
pufamımen zur Abfaſſung von Mäybergefchichten und Schm
anekdoten; erzählte der Eſel humoriſtiſch feine Tuͤken u
Bosheiten; verfaßte ein rother Hund den Roman, wie er, der
verkappte
Heb ber Geſchichte, nor Liebe — Dienſt, Schlaf, ja |
t der Frage: „Db einer dem unausbleiblichen
pinefterabend der Lebensjahre ohne große Furcht ae an
Büchlein, |
ı Mfien und Arinben vergeſſen, und endiiih- nach woche
Hiuſchmachten, Sellen und ‚Heulen an das Huldin Himet⸗
yforktein, doch ewbört, nd — zwar am ganzen Leibe hohl umd
—— dam gluͤckfelig in fer Hundeloch zurü 3 ober
aſchte aus der Scockſiſch — bei ich muß oͤren, meine
fromen guten Menſchenbrü
8 ereich iſt die romiſche Kreu X, wenn
man damit bie Alterfiufen Des Menſchen 5 net. Bis ins
fünfte Jahr ift von Kreuz und Leid Prine . Raum aber
{ft dieſes erreicht, und wird bean Rinde dus UMS. Zikekdhen
in die Sand gefpieit, geigen fi auch ſchon Me Oberkkhenkel
bes Kreuzes in dem Zahlbuchſtaben V. Im neunten Jahre,
:wo über des Knaben Bubunft Die erften Debatten verfallen,
tritt es ſchon unabweisbar auf, Doc, ſteht noch das Mitderungt
und Schupzeichen I (IX) Davor, was vielleicht die zaͤrtlich be:
forgte Mutter bedeutet! Allein das Alles if ſpurlos verſchwun⸗
den, wenn ber Knabe im zehnten Jahre ins Gymnafium ab»
reiſt — das Kreuz X ift fertig! Im zwanzigſten Jahre gefellt
fich ausgebildet das zweite Kreuz (XX) dazu — die Liebe; im
dreißigſten das dritte KXX) — daß liebe Hauskreuz! im vier
u n das vierte (XXXX) — das Kinder» und Amtskreuz.
nhigften Jahre endlich if alle Spur davon verſchwum
den — die Leidenfchaften ſchweigen — ber Mann refignirt und
meint, wie er im Zahlbuchſtaben L fo dafteht, kraͤftig und auf:
rot auf breiter Baſis, nun fei’d gewonnen; aber ſieh da! im
ſechrigſten it wieder Tas Kreuz erſchienen (LX), etwa eines
eliebren Angehörigen Unfall oder Zod — Beginn eigener Hin-
igkeit — Amtsundank u. dgl.; und ſo geht es Fi) mehrend
und fleigernd fort Durch das fiebzigfte, achtzigfte (LAX, LXXX),
bis im neungigften dem gebeugten Greiſe plöglich wie durch ein
Wunder die wahre Bedeutung des Kreuzes Mar wird und er
fi glaͤubig und hoffend an daſſelbe anlehnt (KC) und zule
tm bundertfien gänzlich vereinfamt (O) in ſich sufanmmenboidt
und einfinkt.”
„Beinere Ahiere, zartere Pflanzen und empfindfame Men⸗
hen gedeihen nur im Geburtslande, andereowo veibt fie das
Klime und Ba und ee aber
und unumg nochwendige eu iere, fo
Schufte und große Menſchen fommen Werall fort.‘ )
‚Bas doc; die Gewohnheit thut! Einige Bögel, fonft die
a nkanten ber ‚Freiheit, tommen 'jegt nur mehr im Kaͤfi⸗
gen fort.’
„Ber einen fosmben Himmel zerflört, baut fich ſelbſt eine
Sie. Das tft die u ve Gerechtigkeit auf Erden.“
„Hypotheſen find Abenteurer, die ohne Paß anf gut ud
in die Welt auslaufen.”
„Eord Byron hinkte und Napoleon war von Pleiner Dta⸗
tur; was ſich darauf manch hinkender Reimfchmich und kleinets
Junkerchen zu gute thut.“
„Wenn dem Kinde die Düte genommen wird, ſteckt es
gern den ‚eigenen Finger ins . Bir lächeln Über das
einfältige Kınd und vergefien, DaB wir Großen es häufig nicht
Müger machen.”
„u Leben iſt ein Lindiſches Klettern und "
Bein auf —— — und — iſt wol —*
rum gar fo außerordentlich hoch und bünm, damit wir Hänger -
Plettern und uns wonniger ſchaukeln Fönnen.”
Biel Goldkoͤrner enthalten die vorliegenden Blaͤtter; ori:
Teen, befonders wenn er e6 nicht din — 8 —*
euen wenn er es n tereinander li ern
nur von Belt zu Beit einige Seiten, indem er ben Inhalt prüft
und durchdenkt.
3 Sthaftian der Spagiergänger. Rovellen⸗Tyklus von ran
en er Ehe Shell. Regensburg, Manz. 165
. r. Rar.
Weniger Befriedigung fand Ref. bei Lefung diefes zweiten
Werks des Verf. Der Son des : Erzaͤhlers iſt geſchranbt, Die
Erzaͤhlung uͤberladen. Es wird darin nach Wig gehafcht, die
inelle Beleuchtun iſſe, *
here
288 | \
Genialität mit Abſicht geübt. Daß der Uutor Genie und Za⸗
Ient hat, geht auch aus diefem Werke hervor, doch duͤnkt es
km als * fr die Form nicht gefunden, um folddes dem Le:
fer —*5* u machen. Schon bie Widmung bed Buchs
deutet auf den Sf ins Barocke audartenden Inhalt. „Dieſes
Buch widme ich meinem älteflen und treueften Freunde Rie⸗
mand, Nitter keines Drbens, Mitglied Feiner geleheten noch
fonfligen Geſellſchaft u. f. w.“ Der tolle Duſt in ber biogra⸗
—— Skizze zu —— iſt J— Fe Dedi-
cation würdig. Humor und Genialität begegnen ſich oft mit
Unfinn. Bu rühmen fhien uns bie kurze en 5 et wun⸗
derbaren Blick“; fie iſt zwar auch grotesk —— doch
— im Höchften Grabe. —2 „Der Mechaniker“ hat
etifchen Werth, obgleich ebenfalls bei diefer Novelle die Ge⸗
Baftians- Abfhroeifungen oft äußerft Läftig werben. 46.
Bibliographie.
L’ami du peuple. Skizzen aus Marat 8 jsurnatififcgem
Leben. Hamburg, Hoffmann und Campe. 8. 10 Rear.
Bauer, B., Kritik der ev 8* Sefäichte der ey
optifer. 2te Suflage Ifter Fr ter Band. Leipzig, O
gand.
Böttiger, A., üser Kenmergüter und Domainen in
den fächfifchen Landen mit befonderer Beziehung auf das her⸗
rn Haus Sachen: Meiningen. Leipzig, O. Wigand. Br. B.
De tribus impostoribus. Anno MDIIC. Mit einem bi-
bliographisohen Vorwort von E. Weller. Rebft überfegung:
Die drei Betrüger. Bon 9. MR. After. Leipzig, Iurany.
&.8. 15 Ror
Desamy, x, Der Sieg des Sozialismus über den Je⸗
fuitismus, oder die Conflitutionen der Iefuiten und ihre ge⸗
beimen Berhaltungsbefehle verglichen mit einem Entwurf über
die Drganifation der Arbeit. Aus dem Franzöfifchen mit einem
Kahwort von E. Weller. Leipzig, Jurany. 8. 1 Zhlr.
Emiliane, ©. d', Lift und Trug der Priefter und Moͤnche.
Nach der 3, Driginalausgabe von Reuem herausgegeben, ver
beffert und mit einer biftorifchen Einleitung und Anmerkungen
verfehen pon einem Katholiken des 19. Jahrhunderts. Aus dem
1 zeonlhen von 2. Hain. Leipzig, Zurany. 8. A Zplr.
Der Gefaͤngnißprediger. Ein fchwarzes Blatt aus dem
Buche de& Lebens. Aus dem Englifchen von A. un Hmar.
Drei Theile. Leipzig, Kollmann. 3. 3 Ihlr. 24 R
George, L., Die fünf Sinne. Nach den —ã*
——— der Ph ysik und der Physiologie dargestellt
als en lage der Paychelagie. Berlin, Reimer. Gr. 8.
22", Ngr.
Holman’s, James, des Blinden, Reife um die Welt. | 1
Im Uubzuge aus dem Engliſchen von G. R. Bärmann.
Kiel, niverhtäte-Bughantlung 8. 20 Ror..
Kefe ; ſt N 8., yhio 8 an on den götticen it:
telwefen. Zugleich eine Burze Darftellung der Grundzüge des
philonifchen Syſtems. Leipzig, Jurany. Gr. 8. Lzpe. 1 —*—
Klenert, Gedichte. Karlſsruhe, Groos. 8.
Frunmnmacher, F A., Das Chriſtfeſt. Eine Schrift
für das Volk. Ate — Eifen; Baͤdeker. Sr. 12. 22"), Rgr.
Litiz, F., Blicke in die Vergangenheit und Gegenwart
der evangelifchen BreüdersKicche, ihre Verfaſſung und Sefchichte,
a einigen biographifchen Notizen. Leipgig, Kummer. 8.
15
Sier, K,, Die Bildung und Bedeu des Plural in
den semitischen und indogermanischen Sprachen, nebst ei-
ner Einleitung über den Bau der semitischen Verbalstämme.
Mannheim, Bassermann. Gr. 8. 24 Ngr.
Der Nibelunge Not. Das Nibelungen: Lied. Urtert mit
gegenüber ſtehender Überfegung, nebft Ginleitung und Wörter:
buy, herausgegeben von Dr. a Braunfels. Sraxt:
B. Uhl:
Ion N fein Uns
ur aa
furt r Rio —* e Anßalt.
te. Aus dem vn
Leipz Fee en. 16. 2 Ahlr. 1
Veud in dem euengelifgen Eprifentfum. Ci
m evangelifchen Ehriften
ſophiſche Te Sena, Maufe.. &. 8.
Schuſelk Glezd, Polen und Rußland. Ham
burg, Soffmann a Eampe I Shlr. 15 Roar.
— Are F
nden über Ulrich Zwingli's ö ed und
Leben. Schwaz. 1845. 8, gr.
Bolkhardt, C. H., Scherz und
in Zenien, Epigrammen und d en Pleinen a 7
Baͤndchen. Bamberg, Schmidt. r 45. Br. 18.
Volksbuch für das Jahr 1846, mit beſonderer lee
auf die Herzogthuͤmer Schleswig , voiſtein und Lauenburg.
Mit Beiträgen von ıc. ‚Derausgegeben von K.2.Biernapfi
Iter Jahrgang. Altona. 8. Nor.
Willkomm, E., Blige. Rovelen , Sch ngu und
Skizzen. Zwei Bände. Leipzig, Kollmann. 2 Ihle. 2: Re.
Beugniffe aus dem verborgenen Leben; —* Lebens: mb
Glaubenserfahrungen eines Ungenannten, in. Befängen. 2
verb. und verm. Auflage Eſſen, Bäbeler. Sr. 12. BR
ffian ’s
e ve
ei ormiß.
TZagesliteratur.
Bellermann, 8, Schlichte Betrachtungen über dad
a peiftentpum und bie jegigen Slaubensftreitigkeiten. Bern,
Börfiner. Gr. 8. 3 Nor.
Gersdorff, €. v., Über den Begriff und das Bela
der öffentlichen Meinung. Ein Berſuch. Iena. Gr.8. 108%
Harleß, G. C. A., Die Liebe, dad Kennzeichen des
zen ke Lehrers. "predigt. 2te Auflage. Leipzig, Zeubner. &
Br.
Krummader, 5. W., Beit-Predigten. IV. Wir liegen
darnieder. Elberfeld, Haflel. 1845. Gr. 9, 2% Kur.
— — def. V. Wir Fommen wieder auf. Elberfeld, Def:
fl. 18495. Gr. 8 2%, Nur.
Lübecks Eiſenbahnen. Luͤbeck, v. Rohden. 8. 3%, Rgr.
Reineck, K. E., Das athanaſiſche —E
der Paſtor Rupp und das Confiftorium zu Königsberg. x
Sanme. -auß,der evangelifhen Kirche. Berlin, Bethge. Sr
=
Schell, RK, 3., Mein Austritt aus der alten Kine
Frankfurt a. ,‚ Riterarifche Anftalt. Gr. 8. TUR
—— A., Die evangeliſche — * bie
beutfch-Fatholifche Reform. Eine — 53*8 — ⸗theologiſche Parallde
aus ‚Rationalem Sefihtepunfte. Potsdam, Stuhr. Er. 8
Sendfchreiben an Herrn de Gaftellane, Mitglied ver fr
zoͤſiſchen Deputirtenfammer, im Betreff der galtztfehen 323*
tion. Franzoͤſiſch und deutſch. Jena, Luden. Gr. 8. 2 Xgr.
Stügle, I.R., Geiſtlicher Feldzug gegen das Laſter der
en ar in neun Betrachtungen. Augsburg, Kollmann.
gt.
Sudomw, D. E., Dffenes Sendfreiben an Hrn. &®
A. Kraufe auf Beranlaffung feiner Predigt: „Der Meinungs
ftreit über die Perfon Jeſu.“ Magdeburg, Falckenberg u
Comp. Gr. 8. 3 Rgr.
Szeliga, Die Drganifation der Arbeit der Menfchet
und die Kunft der Geſchichtſchreibung Schloſſer's, Gervinen,
Dahlmann's. Charlottenburg, Bauer. Gr. 8. 10 Rgr.
Thieß, ®., Dr. Mart. Luther's Xodtenfeier. Predigt
über Sehr. 13, 7und8. Schleswig, Bruhn. Gr. S. 3%, Kar.
Bon evangelifher Heiligung und evangeliſcher giche Eine
Stimme aus der Gemeine. Dfldenburg, Schulze. 8. LO RK.
Der deutfche Zollverein während der Zube 1834 — 13%.
Berlin. Gr. 8. 10 Rar.
Berantwortlicher Herausgeber: Heineid WBrodjans. — Druck und Verlag von F. X. Brockhaus in Leipzig.
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Sonnabend,
20. Zuni 1846
Briefe des geheimen Staatsraths von Staͤge⸗
mann an ben Kriegsrath Scheffner.
(Hortfehung aus Nr. 1m.)
5.
aha
Berlin, ©. Det. 1880.
&o viele Borwürfe, verehrungswürdigfter Freund, ich mir
auch ſchon gemacht habe, daß ih Ihnen feit meiner Abreife
von Königsberg gar nicht gefchrieben, fo wenig babe ich doch
bei dem vollftändigften Bankrott mit der Zeit es über fie ge
winnen koͤnnen. Tor freundfchaftlider Brief vom 1. d. M.
laͤßt mich indeß einen herzbaften Entſchluß fallen, über alle
citissime auf meinem Xıfch hinweggufehen.
Ale Welt erwartet zunächit die Bekanntmachung eines
———— Es iſt leicht, rg daran zu verfuchen; aber et»
was Gelcheited zu Stande zu bringen, wird man billig von
Niemand erwartm. So lange wir die Kriegscontribution, die
noch 18 Millionen Thaler beträgt, nicht bezahlt haben, iſt an
ein vernünftiges Finanzſyſtem gar nicht zu denken, es fei denn,
daß Napoleon und angemefiene Friſten bewilligt, und nicht mo⸗
natlich eine Million Thaler verlangt.
Hr. v. Schön ift, wider mein Erwarten, von bier wieder
weggegangen. Ich hatte geglaubt, ee würde fih dem Hrn.
Staatskanzler mehr nähern als wol der Fall geweſen fein
muß. Bon dem Detail diefer Sache bin ich gänzfich ununter:
zichtet, wie ich denn, vielleicht weil ich in den currenten Ta⸗
gesgeſchaͤften unterliege, an dem Treiben und Toben des Par:
teien, die und zerreißen und vernichten, nicht den entfernteften
Antheil nehme; daher fand ich bei der Verabſchiedung des
Hrn. v. Altenſtein ganz verwundert, ar meine Freunde mir
verficherten, fie hätten befürchtet, daß ich in der Profeription
fein werde, werw ich freilich gar keinen Brumd ſah.
fere Univerfität fängt ja an zu blühen. te fcheinen
ir Beine Früchte zugutrauen. Es wird Alles von dem politi⸗
ſchen Gang der —— abhängen. Bielleicht kann fie
viel Fir Deutiäland werben, obfdyon meine Hoffnungen
wicht groß find. Kleinliche, ängfkfiche Unfichten u. ſ. w. wer»
den mehr wirken als Rapoleon. Daß Adam Müller nicht an»
ftellt worden iſt, mag, Aum Theil an ihm felbft liegen. Er
t vor der Hand ein Schaft von 1200 Zhalern beim Finanz-
mintfterio, wofür er nech zur Zeit nichts thuts aber es häft
ihn doch bei uns zurüd. Er ift ein „ges vorzügkidher Kopf,
aber er muß noch lernen und geünblicher werben. Sch ſehe
ihn ſehr oft. Sein Freund Heinrich v. Kleiſt redigirt jeht ein
Rbendblaͤttchen, welches fo geleſen wird, Daß vor einigen Ta⸗
Wache noͤthig war, um das andringende Publicum vom
en des Haufe des Werlegers abzuhalten. Diefen Beiz
gibt ihm die Uufnahme der Policeinachrichten, die der Policei⸗
pᷣraͤſident aus Freundfchaft fuppedikirt.
Unter den hierher gerufenen Gelehrten gefaͤllt mir Hr. v.
Goeigny am beftn. Gr iſt ein Schivager Brentano's, des
?
begri
" vergögert wird und
Freundes von Arnim, des ſich mit feinem Freunde bie Wun⸗
derhoͤrner noch nicht abgeftoßen hat, fonft brave Kerle.
— Dana din
en. Geine &t5
en au werden ver⸗
Hrn. Bel:
| fpielen.
fe mi 8 nd | wohlwol⸗
* ae ea Hier Anan u. m und
freuefte Ergebenheit. Stägemann.
6.
Berlin, 18. Mär, aM,
Schon Längft, Horhverehrtefter Fremd und Gönner, Hätte
ich Ihren mir richtig zugeftellten Brief beantwortet, wenn id
nicht gerade jept in einem Meere von Acten begraben wäre,
aus dem ich mich kaum mehr herauszuwinden weiß. Es geht
mir alfo, obwol ich leidlich —— bin, ſchlecht genug. Indeß
will ich Ihnen doch gern erzählen, wa weiß. \
Die Kaffenfachen find mir verhaßt und ich befümmere ;
darum fo wenig als möglih, ba ich kaum erleben werde,
man bie fo fimple Klarheit dasin erlangen wird. Es fcheint,
als wenn Jeder feine Freude daran hat, fie fo viel als nur
möglich zu obfewiren. Seht bietet mir das Eompenfationd-
wefen wieder ein geräumige Feld dar. Die Bergütigung ber
ruffifhen Foderungen babe ich nicht anders einleiten koͤnnen
als geſchehen ift und Gott gedankt, ih nur fo weit ges
fommen bin. Das —— —2ͤ abe aug durchge⸗
kampft, obgleich die Einmiſchung ber ſtaͤndiſchen Geſchichten
nicht nad meinem GSeſchmack iſt und uns Bier einen gewalti⸗
en Verdruß mit den Ständen (fogenannten) macht, die doch
—2* nicht fchlechter fein koͤnnen als hier.
Was ſehr zu bedauern und ganz vom vorigen Riniſterio
bed Innern — 2* — iſt, iſt, daß die Reform des Repraͤſen⸗
tationsweſens nicht früher geſchehen. Ber alte Sauerteig
er gute Wille des Hrn. Staatskanz⸗
Vers nicht überall hinreicht.
Überall Anſtoß m ang allein Schuld, daß & Manches
a
Sie fragen nad am Müler. Ich bin nicht beſonders
“
hit
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namentli eine Brentano's über die Philiſter. Hochverehrter Herr und Freund!
a a a en 3 Daß Sie nad dem ſch i Berluſt,
alle Juden —5 —* und Philiſter meiner großen und aufrichtigen
—*
babe ih aus Ihren Autheil
hen. Jet
nicht entjagt, on ber
hat fi mit Brentano’s Schweſter Bettina (einer Enfelin von Sefeufehafer mit vieler Freude gefe t, da für die
Sephie a Aoche) kürzlich verheirathet. Sie iſt ein verkändiges | ein neues Leben beginnt, ift ch auch in Ihrem Ulter reiht, u
Veſen, ein wenig ſeltſam. vau inen Krieg weiſce⸗ einem neuen Leben zu erwachen; der Geiſt wird ja nicht alt.
eve politifche e durch einen Krieg Bon der neuen altung der Dinge überwältigtem
Rußland und Frankreich ſehr ungänftig verändert werden fon- | Napoleon (wie Hr. —— es gibt) rg freilich für jcht
nen. ber hat wirkli einmal einen herzhaften ) nad) milpt viel gu erwarten, vöwel i
gefaßt; es ift bei ihm aber nur ein Rauſch der bald verfliegt | reau's und Bernadotte's ber Krieg
und feit der vorgeflern Abend erfolgten Rücktunft eines ruffi- | genommen bat, fo auch ünfti
fen Kurier aus Paris re u für befeitigt angenon⸗ vi figen
men werden zu Fönnen. für meine 259 babe in diefem | Subſtituten haben auch
— — ——
ander wei zu einen ein» | leben können · Indeß wird bes der Bölker mi
geiage. Es hilft aber doch nichts. Schweden wird in drei bis | ohne Erfolg bleiben, und bas muß um über Age
vier Jahren Finnland, Livland, Eſthland, Ingermanniond | unnüg vergoflenes Blut. Man erzählt hier, in Yarib fei ei
a m wol a Bein en und das Haus Holſtein ſchwer⸗ Goricatur eribienen, unfere Nrme vorftellend; bie Golbaten
: öw , Gener feropfen
5% wünfde hei, daß eb Shnen maß lange wohl ge | opne Aaeseplen, Die Generale mis Ga und Andere
*
A TIcH |
de a erlag iu | Di Se mn Birken u Base habe 14 Le
7 Schritte und die —— des Kaiſers Alexander waren
Berlin, 16. Mai 1812,
Das emach, das mi
mit Actenſtoͤßen und andern een verfolgt hat, if in diefen | halben Schritte Vork's waren wir abgefallen. Bir wellten
Zogen allgemeiner Trübfal auch wider mich ganz befonders | nur pacikcisen, und ſahen nicht, dab nur Ein Paciscent
losgelafien. Davon zu ſchreiben iſt nicht viel, denn es läßt | war, nämlich wir felbfl. Jett wird die Sache freüid antır
fich nit beſchreiben. Ku ed if gang toll, Geld zu ganzen gem; Dank fei ed vor der Hand Wellington und
wen ausflreuen zu gi und nit eines Pfennigs Herr oreau und Bernadotte.
zu chuldigen daher, mein hochverehrteſter Rapoleon hat unſtreitig feinem Schwiegervater die Gab
und unvergeliher Freund, daß ich mich ſchriftlich erſt jegt | ſchloſſenheit nicht gugetrant, ihm fo raſch den Krieg zu me
Ihrer erinnere hen den Ei & der combinirten
ihm .
befige, mit ber Leier zu fpielen, die feit geraumer Beis ein | feine halbe Macht auf Berlin und bie andere Hälfte a er
Bahın iel für mich geworben if, und Feine Neigung aus | fien wandte. —* eher auf uns if} ganz a a
dem kaftaliſchen Quell zu ſchoͤpfen, Eönnen &ie wol glaubens | aus den Beitungen fehen. Daß ber General Sirard, ber wit
Indeß flvebt der Beift Immer der frühern fdhönen Gewohnheit | der magdeburger Garnifen den Angriff auf Berlin unterfiüger
entgegen, und bie Doffnung, mich vieleicht bald einer Höchft | follte, nicht ganz abgeſchnitten worden ift, hat er nur jenen
|
|
|
Wind zu danken; doch hat er ein Drittel feines Corps ver-
Ioven. Wir Hoffen, daB Davouſt, der im. Mecklenburgiſchen
vorgeruͤckt ift, den Unfern in die Hände fallen werde. -
Der fchlefifhe Angriff ift dem Kaifer zwar ge luͤckt, aber
“ohne weitern Rutzen; er bat nad) Dresden umkehren wmüflen
und wird jept vieleicht in der Gegend von. Freiberg eine Rie⸗
ſenſchlacht wenigftens über den Kriegsſchauplatz des Fünftigen
Ronais entfeheiden. Sehr wichtig find die Unterhandlungen
mit Baiern.
. Die fehwebifche Armee ift fee ſchoͤn; fie begeht aber mis
den Muffen gemeinfchaftlich viel Erceſſe, woran die unendlich
ſchlechte Vorſorge für die Verpflegung Schuld ifl. Die Sehn⸗
fuht,,. die man hier nad den Ruſſen hatte, gleicht nur ber
Sehnſucht fie wieber loszuwerden. Einige Wochen nach ihrer
Ankunft nannte man fie ſchon Trade eſter; jegt heißen fie
Biefter ſchlechtweg. Roc wird der unjelige Benningfen, wahr.
ſcheinlich von feinem Meierowiz begleitet, erwartet. '
Die ofipreußifchen Offiziere haben hier, da fie noch ganz
Bonapastetrunfen find, fein günftige® Borurtheil für Oſtpreu⸗
fen erweckt. Namentlich hat ein ... erfiärt, er würde fi
erft dann gluͤcklich fchägen, wenn er unter Napoleon's Befehlen
kampfen koͤnnte; alle unfere Anfirengungen gegen ihn wären
eine vergebliche Thorheit. Man follte doch meinen, daß Spa⸗
nien viele Meinung fihon gewürdigt habe. Daß es brave Ge
nerale unter uns gibt, denen nur die nöthige @inficht Fehlt,
bat das Pr Hg Dragonerregiment am 22. diefes Mo:
nats mit großem Verluſt erfahren.
Ivernois, deffen perfönliche Bekanntichaft ich in Dresden
gemacht babe, fehreibt fich den Athem aus, um zu beweiſen,
daß Rapoleon an feinen Finanzen zu Grunde gebe. Daran
ift ſchwer zu glauben, fo lange er Herr von Deutkhland bleibt.
Ehen geht der junge Scharnherft als Kurier aus Schle⸗
fin zum Kronprinzen von Schweden mit der Nachricht bier
durch, daß Blücher am 26. d. M. die unter Macdonald, Rey
und Laurifton vereinigte franzöfifche Armee bei Goldberg ge
[lagen babe. Yunfzig Kanonen waren fihon erobert, als
.v. Scharnhorft dad Schlachtfeld verlieh. Der vortrefflichen
ispofitton Gueiſenau's fol diefee Sieg zu danken fein; und
bald werten wir noch mehr erleben. Ich habe noch nie an
Napoleon's Bertilgung gezweifelt, fowie die Rothwendigkeit,
daß er zum Heil der Welt vertilgt werben muß, nicht erſt zu
discutiren ift. "
Den Hrn. v. Stein habe ich nicht, wie man ihn mir
fhliderte, enragirt und eraltirt, vielmehr fehr ruhig und be
fonnen gefunden. - Wollte Gott, daß andere Leute fi) auf den
poetifchen Standpunkt flellen koͤnnten und früher geftellt haͤt⸗
ten, ohne den jet nichts gelingen Bann. Durch feinen Wan»
L an Menſchenkenntniß ward Hr. v. Stein zu oft getaͤuſcht.
n Schön habe ich lange Feinen Brisf. Man fagt, er wolle
nad Gumbinnen zuruͤck, doch halte ich dies unter den jegigen
Umſtaͤnden abgeändert. Schediger hat den Fuß gebrochen und
ift in irgend einem Badeort.
Niebuhr hält ſich in Schlefien, jegt wahrſcheinlich in Prag
auf. Wie hat feine „Römifche Geſchichte“ Sie erbaut? Sie hiefe
wol beffer: Kritifche Unterfuchungen über die roͤmiſche Geſchichte.
Sch muß heute enden und dann nur hinzufügen, daß ich
&ie unter VBerfiherung der treueften Ergebenheit und der al
ten’ Hochachtung um Ihr freundſchaftliches Wohlwollen bitte.
Stägemann. 9
Berlin, 13. Dct. 1818.
fi
& erichtet, .wofelbft, wie wie hoffen, i igen Tagen
—— — a einige . Beh entfleden werden. ſou.
Seltfom genug, iſt es, daß wir hier nicht mit Zuverlaͤſſighen
willen, wo ſich der Kaiſer Rapoleon und die Staͤrke ſeines
Heeres in biefem Uugenbli befindet. Iſt er wirklich, wie es
heißt, in Belgern (auf dem linfen Eibufer, eine Meile ſdlich
von Torgau), fo. möchte ich beinahe vermuthen, daß er fich,
während man ihn von allen ®eiten auf dem linken Elbufer
umſtellt, auf das rechte Elbufer werfen und, indem er zuglei
Berlin bedroht, über Magdeburg ſich einen ſichern Weg na
Weſel bahnen werde. Allerdings ift ev fchlecht zu Pferde, aber
ex ift immer ein großer Feldherr, ber auch zu Fuß fechten kann,
Die Außerung des jungen Hen. v. ... habe ic aus dem
Munde eined ſehr ernſt⸗ und wahrbaften Mannes. Sie ift
auch in dem Geift, der nach der unglüdlihen Schlucht bei Bär:
ſchen und Bautzen unter unfern Dffigieren als Regel herrſchte.
Daß übrigens Hr. v.... ſich ben Kaiſer Napoleon lieber zum
Feldherrn wuͤnſcht als den General vn. B..., ift ihm nicht zu
verübeln. - Das Sprüchwort übrigens: Miele Hunde find bed
Haſen Tod, wird doch wol bei dem Welteroberer Beine Aus⸗
nahme machen. Man ſpricht überall nur mit Bewunderung
don unfern Truppen. Die Tapferkeit wirb fortan in der Ge⸗
fhichte des Epitheton preußifch mit fteigenden Lettern erhalten.
Berlin, 26. Oct. 1818.
‚ Indem ich bad vorige Blatt beichrieben hatte, wurden wir
hier unerwartet olarmirt. Unſer Gouvernement erhielt Nach⸗
richten, daB der Kaifer Rapoleon mit feiner Hauptmacht,
17,000 Mann ftark, den ruffifhen General Gacken, ber bei
Düben ftand, verdrängt habe und bei Wittenberg und Torgau
über bie Eibe gehe. Gewiß war ed, daß ber vor Wittenberg
commandirende General Thümen auf Koswig geworfen und
Zauenzien mit feinen und dem Thümen'ſchen Corps in Eil
märfchen auf Berlin gehe. Wiewol ich felbft die Meinung
atte, daß Rapoleon wol auf Magdeburg zu geben verfuchen
önne, waren mir doch die angegebenen Umftände fehr verdaͤch⸗
tig, und es zeigte fich bafd, daß Zauenzien, verleitet durch eil⸗
fertige und irrige Berichte. Thuͤmen's, jich fehr übereilt habe.
Man Eonnte Peinen Augenblid zweifeln, daß der Angriff auf
Gaden und Tauenzien und der Übergang eines Meinen Corps
über die Elbe nur eine Demonftration fet, die einen Plan auf
dem linken Elbufer verdecken ſolle. Der Kronprinz von Schwer
den und Blücher ließen fih au nicht irre machen, ihren
Marſch auf Leipzig Tortgufeden, und der Schlag ift, wie Sie
jegt wiflen, zum Verderben Rapoleon's gefchehen.
Die große böhmifche Armee fcheint wiederum mehr im Ber»
Luft gewefen zu fein. Unbegreiflich ift es, daß fie die Bereini⸗
gung Augerau's mit dem Kaijer nicht verhindert und daß fie
am 18., wo der Kaifer Rapoleon ſchon Vormittags die Reti⸗
rabe auf Raumburg anfing, diefe Straße fo ſchwach befept hielt.
Wahrfcheinlih ward Rapoleon am 17. ſchon bie dringende Ges
fahr inne und fuchte ihr durch dieſen Rarſch zuvorzukommen.
Jetzt fragt ih: was er nah Frtankreich zurüdbringen
werde? Ich Hoffe, unfere Zruppen werben auf dem Müdzuge
ihn ganz aufreiben. Um 23. fand Blücher in Soͤmerda,
Schwarzenberg in Jena. Die Equipage des Könige von Rea-
gel war erbeutet und ein Theil des kaiſerlichen Areſors. Wenn
doch mit ihm mein Freund der Graf Daru! S00 Kanonen wa»
ren in unfere Gewalt gelommen und über 30,000 Gefangene.
Der König iſt, wie Sie denken können, im höchften Jubel
empfangen worden, obwol fi Einige fragten: was er Hi
_wolle. Beute Morgen traf der gefangene König von
mit feiner Familie hier ein. webt ift ihm gem Aufenthalt
angewieſen. Der König von Wuͤrtemberg hing bis zur Schlacht
von Reipzig noch an Napoleon. Dagegen ift der Bicekö
von Stalien in dem Abfall Baiernd begriffen. Dan fagt, er
erhalte bie Souverainetät Parmak.
Sie fehen, die Politik befihäftigt Hier faſt ausſchließlich.
Es Hat au lange genug auf die Mägel gebrannt. Bum Lefen
Tomme ich faſt gar nicht. Daß meine Gedichte Ihnen einiger
Bergnügen gemacht Haben, geseicht mir zu großem Troft. ch
würde dielleicht, einen groͤßern Werth darauf legen dürfen,
habe ich in Dreiden vor einigen
' ob ſcht⸗
nicht anders flimme,
druckten Schaufpiele lefen.
fonft —— Menſch
(Die Fortſetzung folgt.)
Aus der Provence, Reiſebriefe von Friedrich Lud⸗
wig. Frankfurt a. M., Brönner. 1845. 12, 1 Xhlr.
feine Hoffnung auf den Guſtav⸗Adolf⸗-Verein läßt einem jun:
gen Theologen ganz gut; es iſt angenehm, daß ber Verf. Durch
Aufdrängen dieſer Anſichten niemals läftig fä In diefen
„Keifebriefen” wird manches Wiffenswürkige aus ber Gefdhichte
gubwig, d icht ins uͤb
—— Hide: nur ee 3 die Rich»
es Au
tigkeit drucks iſt das Grunderfoderniß zum guten Stil.
Der Berf. hat gewiß Selbſtkenntniß genug, daß ex fich,
nach Herausgabe dieſer Briefe, nach nicht einen großen
"unmittelbar na
eußgefpradgen wird, näni
ae dem ſuͤdlichen Bi weien
manchem Eefer ſich B.
Litersrifhe Rotizen aus Frankreiqh.
& im.
WBenn- Goufin auch auf Yen Kamen eines wahrhaft fen:
Pr tsreriääen Eeikungen beh khon —2 —*
e N
in Sranfrei zuerſt die Anregung t i Etudien
angen iſt, alle Beachtung. onders san
feine Mentlichen Borträge, bei denen bie Macht feines Wer
und feine ganze gediegene, kernhafte it mitwirkte
Die Räume reichten nit aus, um iejeni aufnch
men, welche ſich — 5 zu den lebhaften, einſchneides
—— Wegier ng mer anflößiger wusbe. *
er u &
druckt noch machten fein Ausein en einen in
Eindruck. Sie erſchienen erft in ei ‚die ma —
ls Riegemde Bi
en fie gefammeit und übe:
(gen zu laſſen. Wenn er num endüh wi
dem Reſte feines Cours and Licht tritt, fo dürfen. wu we
zwar einerfeitö dazu Glücd wünfchen, andererfeits aber if uk
zu verkennen, daß bie Erfcpeinung Diefes „Cours de pkie-
phie moderne‘ — fo lautet der Titel dieſer neuen Publ
tion, weile auf fünf Bände berechnet ift — einen viel gie
Bern Eindruck gemacht haben würde, wenn fie um einige
Zahrzehnde früher gefallen wäre. Wir wollen nit behau⸗
als enthielte dieſe meus Gomaung nigt mandes Geatlorn,
dem auch jetzt noch eine fröhliche Entfaltung vorbehalten iſt,
und als Fönnten burftige Sünger nicht aus diefem Quell, der
ihnen erft fpät eröffnet wird, noch jegt Labıng und Yaregung
fhöpfen; aber fo viel dürfte denn doch wol feſtſtehen, daß
Allgemeinen die jüngere pbllofophifche Schule ſich mehr und
mehr an eine firengere Methodik und an ein wiſfenſchaftſicht
red Erfaſſen der Philofopheme gewöhnt hat als eb von Gone
beobachtet wird. Während man ſich früherhin wit einem ex:
nähernden Berſtaͤndniß der philoſophiſchen e re
will man fie jet in ihrer ungetrübten t ww
frembe Beifäge, fobaß man ohne Goufin zu nahe zu tee
wol behaupten darf, fein Eklekticismus — wie er fh af
in dem vorliegenden Werke abfpiegelt — fei nicht gang mehr
auf der Höhe der Zeit. Damit wollen wir Beineswegs u U
rede ftellen, daß biefer ‚Cours de la philosopkie mederae”
oßne Zweifel mit Beifall und Anerkennung entgegenzemummen
werden wird; nur dürfen wir wol dieſen Erfolg mehr alt ti
nen succes d’estime bezeichnen. -
3
Die Reifen des Herzogs von Vor beaur.
Wir haben neulich in_d. Bl. bereits auf einige Er;
niffe der legitimiſtiſchen Hofpiftoriographie aufmerkſam gemalt,
die in ihrer hohlen Breite an den Stil der ungenie
baren Panegyriker erinnert. Wir. können. zu jemen Angabe
nod ein Werk narhtragen, welches fich diefer Weihrauthelur
ratur anſchließt. Es find dies bie „Bouvenirs des voyagn
de . le duc de Bordeaux ea Italie, en Allemagn «
des dtats de l’Autrighe”, welche vor. kurzen vom Grafen fr
maria in zwei Bänden herausgegeben find. In Demfetben wuh
und nichts Reues, wenig GBenichbares, aber befto nahe leere
kobhudelei in bebaglicher Breite aufgetiſcht. N.
VDerantwortlicher derausgeder Geinzich Brochans. — Drus und Berlag von P. W, Meodfand in Peiyzig.
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Sonntag,
— Rr. 142, —
21. Zuni 1846.
nn
Briefe des geheimen Staatsraths von Stäge-
mann an den Kriegsrath Scheffner.
(Bortfegung aus Nr. 171.)
10.
Berlin, 4. April 188.
Die Unruhe, in ber ich mich biöher befunden babe, um
mich in der möglich Pürgeften Zeit von meinen bisherigen Ar
beiten zu befreien, hochzuverehrender Freund, bat mich bisher
mir felbft e en, und ih bin mit großer Anſtrengung nur
jegt erft —8 geworden, um in den naͤchſten Tagen meine
Keife nach Paris antreten zu koͤnnen, wohin ich nun post fe-
stum komme. Indeß muß ich befennen, daB ih es nit ge
hofft habe, dem Einzuge unferer Armee in Paris beiguwohnen,
weil ich, flatt Andere von dieſem Greigniß überrafcht worden
find, fon im Monat März, alfo Ginen Monat früher, Das:
jenige erwartet habe, was erft im April eingetreten iſt Rur
das Ende der Repoleon’fchen Weltherrichaft hat mich betrogen;
ich dachte doch den legten Met eines Shakſpeare ſchen Trauer⸗
ſpiels zu hen, und es wird der Schluß eines Iffland’fchen
itienftüdis.
Die Hauptfache jedoch ift gefhehen. Die Zerrüttungen
der Welt haben auf kange Zeit ihr Ende erreicht, und die
Segnungen des Friedens werden das taufendfache Elend ver:
güten, das unter und verbreitet worden iſt. Rur einen Frie⸗
den mit Rapoleon habe ich gefürchtet, und man war nahe dar»
an, ihn abzufchließen, wenn nicht die Wolkenhand, die dieſe
Angelegenheit fihtbar geleitet hat, fi) darein gemiſcht hätte.
Wie überzeugt die Berbündeten waren, daß Napoleon von ih>
nen nicht überwältigt, und daß man mit ihm einen Frieden zu
ſchließen gezwungen fein würde, beweifen die auf 20 Iahre ge
ſchloſſenen Allianztractate.
Was weiter aus uns und insbeſondere aus Deutſchland
werden wird, werden wir nun bald erfahren. Bielleiht nehme
ich noch, wenn ich zum Hrn. Staatskanzler komme, einigen
- heil daran. Roc weiß ich nichts; man ift auch, trunken von
dem felbft nicht erwarteten Gluͤck, ſchwerlich ſchon weit darin
etommen. Ich fürchte Manches von der ruſſiſchen Unmaßung.
ben wir doch nicht einmal es dahin bringen koͤnnen, d
wir in den Befig unferd ehemaligen Weftpreußens gefegt wor:
den find, ja nicht einmal dahin, daß man uns bie im ‚Herzog:
thum Warſchau confitcirten Capitalien zur Dispofition freige⸗
eben bat, und.während unfere Soldaten doch bauptjädhlich mit
bas Interefie des ruſſiſchen Reichs ſich die Hälfe brechen,
ieht bie ruffiſche Adminiſtratur im Hexzogthum Warfchau Die
infen von den Gapitalien unferer Offizierwitwenkaſſe ein und
die Witwen unferer Helden müflen darben. Hr. v. Kotzebue
wird ſchwerlich Luft haben, diefe Freundfchaft des Kaiferb
Alexander zur öffentliden Kenntniß zu bringen, fo ſehr ihm
der alte König Zaber gefallen hat. Berabe den Act der hoͤch⸗
ken Ungerechtigkeit des Napoleon alias Rikolaus, diefer. Dieb-
ſtahl unfers Privateigentpums, fegt der gepsiefene Alexander
fort. Ich babe alle Urfache ie fürdten, daß er große Luft
babe, das ganze Herzogthum Warſchau zu ſchmauſen, wiewol
er es fchwerlich verbauen wird. &ollten wir nicht Herren der
Miüttelweichfel werden, die Ruſſen fich vielmehr daran feftfegen,
fo müflen Preußen und Ruſſen, trotz bed zwanziglaͤhrigen
Buͤndniſſes, zuerft und je früher je befier das Schwert gegenein-
ander ziehen. Ban fcheint es nicht glauben zu wellen, aber
ed wird fich zeigen.
Für uns ift jegt das Intereffantere die innere Adminiftre-
tion. Es laßt fidh aber leider ſchwerlich viel Davon erwarten.
Un organifche Geſetze, an .eine Eonftitution Dürfen wir nicht
denken. Der König ift gewiß ganz dagegen. Ebenſo wird er
einer wohlthaͤtigen Finanzadminiſtration durch die Foftbarften
Militaireinriätungen entgegentreten, und body würbe es, ohne
dDiefe, Beine großen Schwierigkeiten finden, das Staatsſchulden⸗
weien zu ordnen. Kann für dieſes nicht angemeflen gewirkt
werden, fo läßt fi gar nicht einfehen, wie dem fo ſehr zer⸗
rütteten Zuftande der Provinzen und Communen in Anfeh
ihres Schuldenwefens und der ungeheuern Verwirrung des
enthums abgeholfen werben fol. Dan .wird durch Iortgehenbe
inquarfierungen und Lieferungen, durch Acte der Wilkür in
der Adminiftration, durch Unregelmäßigkeit in der Geſetzgebung
und durch die andern Übel einer ſchwachen Regierung den Geiſi
der Untertbanen verderben und unfern Nachkommen eine blu:
tigere Zukunft bereiten. Der neue Binangminifter bat gewiß
fehr guten Willen, der aber befchränft wird durch feine per⸗
fönlige Eitelfeit, die ihm feine Inbivitualität an bie Stelle
des Hffentlichen unterfiebt. Ich babe Grund zu glauben, baf
er die Ernennung eines Minifters des Innern bios deshalb
verhindert, um allein zu fleben und von dieſem Minifterium
Manches an fich zu reißen. .
Fur Die Literatur bin ich jegt fo gut als todt; doch ar⸗
beite ich daran, dieſes für mein Gelbft ganz verberbliche Ber:
baltniß aufzulöfen, und ich hoffe, daß es mir gelingen werde.
Von der biemaligen leipziger Büchermeffe ift wol noch nicht
viel zu erwarten. Die Lobrebner Rapoleon’s werden ſich bes
eifern, durch Napoleonicken die Scharte auszuwehen, wie 3 B.
der Schmierer Benturini. Goethe wird ſich über den Fall jei-
nes Helden, der ganz wie ein Kohebue'fcher endet, gewiß ſchwer
ärgern, und feine Verſe Hoffentlid) den Flammen übergeben.
Fichte's früher Tod hat mich fehr erſchreckt. Er bat feine,
Familie in einer hoͤchſt bebrängsen Lage hinterlaſſen. An Neu
bat die Welt noch mehr verloren. Den Einen hat der Gifer
feiner Frau, den Undern zugleich mit feiner Frau (die wenige
age nach ihm ftarb) fein eigener getöbtet. Unfer Sad hat nich
bei feinem Abſchied von bier der Gelehrten treu angenommen.
Dem traurigen Muͤhler hat er den Poften eines Directors ber
bobern Policei in Dresden verfchafft, und den noch traurigern
Scribenten Karl Stein Hat er mit ſich na Aachen genommen,
wo er ihm fchlechte Proclamationen macht
FZougque iſt jetzt in. Berlin. Ich habe auch feiner interef-
fanten Frau Bekanntſchaft gemacht. Sie hat Manches geſchrie⸗
ben. Er felbft fcheint von den Strapatzen bed Feldzugs ‚ganz
. I -
}
. 209
ergeftellt zu fein, hatte aber fehr gelitten unb fi fon nad
er Schlacht von Leipzig zurückgezogen. Der Mann feiner
Freundin, der geborenen v. Imhoff, ber ſchwediſche Feldzeug⸗
meifter v. Helvig, Hält ſich ſchon feit dem vorigen Sommer
hier auf. _ if weil er fih gegen die Wahl des Kronprin-
zen erklaͤrt hat, Außer Acivität, welches die ſchwediſchen Dffi⸗
iere ſehr bedauern, indem fie verſichern, DaB er die ſchwediſche
rtillerie neu geſchaffen habe. Er iſt ein Stralſunder, Der ger
en drei. Thaler Handgeld, als Bimmergefel, in ſchwediſche
Dienfte als Wrtillerift trat und war ſchon in feinem 43. Jahre
Feldzeugmeiſter.
Unſer Schenkendorf hat waͤhrend des Kriegs Einiges fehr
vortrefflich gedichtet, namentlich hat mir fein Lied von dem drei
Grafen gefallen, wiewol es hier für —ãS— Geiſter ein
großes Geandal gegeben hat. Ich habe auch einige „rege
efönge, drucken Saffen, die Sie nächftene erhalten werden. Ste
In größtentheild auf meinen Reifen gemacht, die mir noch
Muße für die Mufen laſſen. Jett habe ich nun die Kriegs⸗
teompete an den Nagel gehangen und werde mir für die Zu⸗
kunft wieder die Ylöte wählen. Uber und gegen Napoleon
werde ich ſchwerlich mehr ein Wort vertieren.
Meine erfte Arbeit bei dem Hrn. Staatskanzler fol fein,
den nichtärwürdigen Kotzebue aus re Fortzufchaffen,
falls es bis zu meiner Ankunft no nicht geſchehen fein follte.
Wenn er fort ik, muß man auch dafür forgen, daß er aus
der Akademie der Wiffenfchaften vertilgt wird, der es Doch die
Höchfte Schande macht, daß der Verf. des „Hahnenkamm“ und
des Rehbock“ zu ihren Mitgliedern gehört. Ich hoffe, Arndt
wird nicht unterlaflen, ihm gehörig zu dienen.
Nachdem ich Ihr letztes freundfchaftliches Schreiben vor
dem Schluß dieſes Brieft noch durdhlefe, freue ich mich unferer
einfimmung wegen ber drei Grafen. Ihr Urtheil war
mir dor einigen Tagen nicht gegenwärtig, als ich diefes und
um erften Mat in unferm „Correſpondenten“ las, den Profeflor
Kühe jegt ſchreibt. —— iſt, wie Fouqué mir fagt,
in Karlsrube. Er hat nit als Soldat angeftellt werden koͤn⸗
nen, wie er gewänfcht. Der Geheimrath Deibrück predigt öf
ter, ob mit Beifall wage ich nicht An urtheilm. Es fcheint
faſt nicht. Ich hoͤre ihn nur zuweilen bei Frau v. Knobloch
vorleſen, und das iſt nicht beſonders zu ruͤhmen. Riebuhr ſtitzt
in Amſterdam wegen unſerer engliſchen @ubfidien. Die Re
eenfion der Heeren ſchen Schrift ift gewiß fehr gründlich; mir
ker find viele Luͤcken in der Schrift aufgeftoßen; aber ich
de fie doch etwas ſehr animos. Wie hat Niebuhr viele
Freunde entzogen, da Heeren, den ich übrigens gar nicht Eenne,
von feinen Freunden fehr geliebt wird.
Werner babe ich viel in Frankfurt gefehen, mit geflickten
guten. Sch Habe vielleicht etwas beigetragen, ihm feine Pen-
n von 1000 Gulden zu fihern. Bufällig wohnte ich mit
dem Fürften Metterni in Einem Haufe und fab ihn daher
dfter. Er hatte Werner mündlich die Fortdauer feiner Penſion
ugefagt und äußerte gegen mich, daß ich bed Hrn. Staats:
Fanalers Conſens auswirken moͤchte. Ich übernahm ed auf
Bte Bebingung, daß der Fürft dagegen au Sean Paul’s Pen»
fion von Bulden genehmige. Er verfprach es und ich
ftimmte den Hrn. Staatskanzler für Beide. Als ich aber bem
Hrn. v. Stein, der dad Großherzogthum Frankfurt abminiftrirt,
wegen ter Ausführung des geraten Beichluffes anging, WW
ec mich mit den Worten an: Was intereffiren Sie ſich do
für ein paar Narren? Unfere Discuffion endigte mit einer
Bertagung der Sache, und ich reifte darüber fort, höre aber
bier, daß Jean Paul feine Penfion fortbezieht, ohne ſich ſelbſt
weiter an Jemand gewendet zu haben. Werner wollte fih
zum Prieſter weihen laffens dazu wirb er wol ben Zauffchein
gebraucht haben. Beine „Weihe der Unkraft“ ift tolles Beug,
und in kleinern Gedichten, die ich ven ihm gelefen, ſcheint al-
ker Geift von ihm gewichen. Dagegen foll er ein Traiterſpiel:
„Die heilige Kunigunde”, gefchrieben haben, das einige Kenner
vühmten. Ich habe nichts davon gelefen.
öfteeichifcen Sau, Ba man
we ;
jr. %
Die ruſfiſche Koiferin hat hier auch fehr gefallen und hir
viele Geſchenke ausgetpeilt. Sie mag wol geiftreicher fein as
unſere Königin, veizender ift fie gewiß nit. Der König ik
feft entfchloflen, nicht wieder zu heirathen. Man forad aber
von einer ——— — Kronprinzen mit der
ſtin Anna. Hier wuͤnſcht mar Ri eine Berbigdung nt
Miſſen wenig’ liebt und
Anmaßungen gern züchtigen möchte. Man ift offenbar unge
gerecht, denn obſchon das Meifte ohne ihr Buthun geſchehen
iſt, fo haben fie doch überall wader gefchlagen.
Daß Napoleon Rikolaus heiße, ft wahrfcheinlich ein Im
thum. Die franzöfifhen Beitungen nehmen ihm auch feinm
Geburtstag, verwechieln ihn aber mit feinem Bruder Sole,
der am 9. Zebr. 1768 geboren ift und vielleicht Joſeph Ki
kolaus heißt.
Ich empiehte mich herzlichſt Ihrem fortdauernden freund:
ſchaftlichen Wohlwollen und wünfde Ihnen mit inniger Se
ebrung noch ein langed und
gelundes Üter, wenn Sie gieh
nicht, wie der Feldmarſchall Möllentorf, den Landflurm em
ciren werden. 1
Stägemanı.
Berlin, 18. April DM
Rad langer Schuld, die ich Ihnen abzutragen habe, w
ehrungswürdiger Freund, mahnt mid endlich Ihr gütixi
Schreiben mit der Einlage an den König, die ich fofort bie
bern werde. Ich Hoffe, der König wird Ihren Wünſchen zit
entgegen fein. Aber er hat für bie Poefie überhaupt kiem
Sinn und hält die Poeten für Phantaften; Die deutfke wo
wechfelt er auch wol mit der beutfchen Tracht, die a sift
leiden mag. Jean Paul bat die Fürften zum Anerkennen us
gen wollen, daß ihr Heil aus Willen und Dichten herrax
gangen fei. Ad, bu grundgütiger Gott! Der König her
in den Jahren 1804 ober 1805 bemfelben Jean Paul me
Präbende zus Beyme hat mir mehrmals ‚ daß w
uber gar Fein Bedenken fei, und jegt ſucht Jean Paul bie Er
füllung diefes koͤniglichen Worte nad), wird aber ofme wer
teres abgewiefen, und bat mit Schiller's Erben und Jaderies
Werner noch Gott danken müflen, daß man ihm bie Penſion
von 1000 Gulden Rheinifch wiederhergeſtelt, die er und dieſe
a a maligen Großherzog von Frankfurt ugefihert erhal
en en.
‚ Man muß aber den Muth nicht ſinken laſſen und wie der
felige Scharnhorft auf fein Shema zurüdfommen: Gotta =
vat lapidem.
An der Biuftiniani’fhen Sammlung haben wir immer &
was gewonnen. Die Sammlung der Gemälde aus der all
deutſchen Schule, die ſich im Beflg der Gebrüber VBoiſerie &
Heidelberg befindet, werden wir nicht erhalten. Die Beifieck
wollen nicht nad Berlin, fondern in Köln fein. Ran ihr
treibt jegt die Sehnſucht nad Köln. Es iſt ein Dbfarmis
neft und id bin ganz und gar bagegen, Die Lininermät deb
Großherzogthums Niederrhein in Köln zu gründen, fett in
dem weil, gwedmäßigern Bonn. Das Misverfkehen der Kualt
und die Meinung, daß Köln diefe Amme der Runf fi, wer
den wir tbeuer bezahlen müflen. Gchentendorf bat in cam
diesjährigen Almanach, deſſen Rame mir entfallen, ein peX
ſehr fchöne Gedichte, auch in Bezug auf Köln und ber I
bau des Doms (da der König bei feiner Durchreiſe ˖durch Kin
fih ſehr dagegen ausgeſprochen) geliefert. Dafür hat de
auch das Minifterium des Innern ihm Beine Ynflum #
Köln, fondern in Magdeburg gegeben, es beißt, weil er a iR
zum Katholiſchen neige, und ein Dom ift in debutg }
er F noch dazu ein proteſtantiſcher. Neben
zeichnen
(dev Berf. der „Seharniſchten Sonette”) aus. Fonque ſqerht
zu viel und fein Freund Franz Horn verdirbt ihn volle.
Ich habe mid fehr überwinden müffen, die letzte Pirfrum
meiner „Kriegögefänge” drucken zu laffen. hat es v
ganz an Zeit und Luft gefehlt, die Weile, beſonders in Rd
unter unfern jungen Dichtern Ubland und Ruf |
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chen, von
baldigſt Nachricht zu geben.
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auf die Metrik, daran zu legen. Line gie Anzahl, die Eon
geeß-Rrieglicder, habe ich auch unterdrüden müffen, da fie hors
e saison find. Daß ih, wie Sie finden werben, zumeilen
das 8 des Genitivs weggemworfen, ift Beine Nachahmung Ican
Paul's in feinem fonft fo aa te „Muſeum“, das fi aber
wegen diefer ‚harten Neuerung ſchlecht leſen läßt. Ich habe
eglaubt, man müffe den Genitiv von Friede, Glaube, Name,
edanfe u. f. w. des Brieden, Glauben u. f. w. decliniren,
koͤnne aber auch des Zrietens, Glaubens u. ſ. w. fügen, wenn
man den Rominativ Zrieden, Glauben u. f. w. gebraugt. Der
Wohlklang muß hier leiten. Mit der hieſigen ſprachforſchenden
Geſellſchaft werde ich in Händel gerathen. oo
In Wien während der neunmonatlien Schwangerſchaft
der Diplomatif habe ich ziemlich viel gedichtet, mehrentheils
erotifche Sachen. Wenn Sie das „Morgenblatt” Icfen, werden
Sie ein Heines Gedicht: „Das Lied von den blauen Augen’
(ich glaube in diefem Jahrgang), vielleicht gefunden haben.
Daß mir Wien vorzüglich gefallen hat, Tann ich nicht
leugnen. Man gemöhnte ſich indeß nur nach und nach an un,
da man fich vor ten preußifchen Pfiffen fürdtete. Die Eon:
greßacte hat aber doch wol gewiefen, daß wir nichts weniger
als pfiffig geweſen find. London hat mid) am meiften über:
raſcht und einen tiefen Eindruck zurüdigelaffen, obwol ich die
Engländer auch in London nicht lieben gelernt habe. Die
Kürze ber Zeit mag ed wol entfdhuldigen. In Paris waren
fie nicht verhaßt, aber verachtet wegen ihres wirklich unan-
fländigen, fordiden Geizes und wegen der unmenföhlichen Prü-
gel in der Armee, wozu auch unfere Landwehrmaͤnner die Kö:
pfe gewaltig fhüttelten. Mit den Franzoſen föhnt man fi
bei ihnen zu Haufe bald aus, aber doch lernt man an ihnen,
was ein Volk nicht fein fol. Es ift kaum zu zweifeln, daß
der Stillſtand, den die Sprache gemacht hat, Die ohne eine
Spur von Poefie fih nur in der Rhetorik bewegt, die Ras
tion auögebörrt hat, foraß fie als Nation nur ein caput
mortuum iſt.
Wir wollen uns aber vor allen Dingen nur um uns felbfl
befümmern, damit es und nicht auch fo gehe. Es fichen und
nod große Stürme bevor. Zunächft kann uns Preußen ein
weifer Staatsrath und eine verftändige Conſtitution retten.
Ich weiß nicht, ob wir nicht noch entfernt find von beiden.
Der Großherzog von Weimar geht mit der Eonftitution voran.
Es werden Repräfentanten: aus freier Wahl des Volks in Eine
Kammer zufammentreten; ein Drittel der Ritterfchaft, zei
Drittel vom Lande und den Städten. Die Rechte der Stande
als eined corpus follen fein: a) Freie Prüfung der Staatsbe⸗
bürfniffe und der Etatsbewilligung der Steuern und aller Fi⸗
nanzmaßregeln in Bezug auf das Bermögen der Staatsbürger
oder bed Landes. b) Mitwirkung bei der Geſetzgebung. Ohne
der Stände Einwilligung kann Fein allgemeines Landesgeſet
erlaffen werden, welches die Kreiheit und das Eigenthum der
Staatsbürger oder die Landesverfaſſung betrifft. c) Berantworb
lichfeit der Staatödiener vor dem Fürften und den Ständen.
Adam Müller der Erfte (denn jett gibt ed noch einen) iſt
jegt. öftweichifcher Generalconſul in Leipziz. Gr wird eine his
ftorifch »politifche Zeitfchrift vedigiren, im deren Vorwort er
Riebuhr, Ancillon und Goͤrres fehr lobt. Er arbeitet auch an
einer Biographie unferd Staatskanzlers. Gentz habe ich zwar
in Paris und Wien gefehen, aber ſelten. Er if cin in jeder
Hinſicht verderbter Menſch. Friedrich Schlegel iſt vermöndht,
Auguſt Wilhelm vereitelt.
Indeß habe ich ſchon zu lange Ihre Geduld ermübdet und
will mich daher nur noch Ihrem wohlwollenden Andenken und
ghrer Freundſchaft angelegentlich empfehlen, mit dem Berfpre
Grfolg des Schreibens an den König Ihnen
Stägemann.
12.
, Berlin, H. Dec. 1816,
Mit ungemeiner Freude babe ich zwar Ihr Freundfchaft-
liches Schreiben erhalten und mit dringender Ansherzlegung
Ihren Bzief an den Zuwften abgegeben, aber ich habe wes
aig Hoffnung eines Eis. a Fürſt felbft wird gern bie
Bade beim Könige vertreten, aber ſchwerlich mit durchgreifen⸗
bem Ernſt, und ber König hat dafür durchaus keinen Sinn.
Die deutſche Sprache und Dichtkunſt find ihm fremde Götter,
wie die katholiſchen Heiligen. Bas Nichtverdennen ift an fi
ſchon verfänglid. Indeß wird es der Sprache nie fehlen, wenn
noch Herzen wie bad Ihre dafür fchlagen und das, hoffe ih
boch wol, wird nicht untergehen. Yreußens Ehre kommt übri
gend nicht in Anſchlag. Wien, Paris, Warſchau, Frankfurt
mögen einmal zeugen !!
‚. ®ilken wird. in einigen Monaten wieder hier fein und mit
biefem werde ich über die Bearbeitung der Handfhriften ſpre⸗
hen. Görres hat fich, heißt ed in den Zeitungen, in Heidel-
berg niedergelaffen. Man par ihm nicht blos feinen Gewinn
vom „Rheiniſchen Mercur”, jondern auch S000 Franken entzogen,
die er ald Studiendircctor in Koblenz hatte. Der Surift Eich
porn hat, nachdem er fi) im Kriege das eiferne Kreuz erwor⸗
n, wegen ſchlechter Bezahlung einen Ruf nach Göttingen an
genommen und verläßt bie —* e Univerfität.
‚ Meine Mufe, nad der Sie freundfhaftlih fragen, ift
Heimgegangen. Ic werde von Arbeiten erdrüdt, die man
Strohdrefchen nennt. Daß Bouque fo viel ſchreibt, iſt zum
Theil nicht gegründet, denn Vieles, fo jetzt erfcheint, iſt alt
und hat früherhin, ehe er einen Ruf hatte, Beinen Verleger ge:
funden. Mir fchreibt er aber bei alledem zu viel. Die „Saͤn⸗
Fe finde ich Höchft langweilig. Hedwig Hat ihr Saiten⸗
piel fchlummern gelegt, feitdem fle zu den Ballprinzeffinnen
gehört, was man doch nicht ändern Fann.
Meine Frau empfiehlt fi mit mir in Ihr fortdauerndes
wohlwollended und freundfchaftlihes Andenken und ich bitte Sie
angelegentlichft, die Verſicherung meiner alten freuen Verehrung
und Anhaͤnglichkeit gütig anzunehmen. Gtägemann.
13.
Berlin, 14, April 1818.
Da ich mir fehmeichle, nicht ganz von Ihnen vergeffen zu
fein, hochverehrteſter Freund, fo erlauben Sie ed mir, daß ich
einmal wieder einige Seilen an Sie richte. Daß Sie no
Theil nehmen an der Welt und Dem, was darin vorgeht, han
ih, da ich weiß, daB Sie noch leben. Mir wird diefe Theil—
nahme fchwerer als Ihnen, obwol, wie ich geftehen muß, aus
eigener Schuld. Indeß ift es freilich auch eine bedenkliche Auf⸗
gabe, die ich mitunter zu löfen habe. Der Verf. des beruͤch⸗
tigten Buchs „Welt und Zeit“ (meit weniger fragmentarifc,
als fein Buch) ſchrieb mir unlängft: er fei auf Alles gefaßt,
nur nicht auf eine vernünftige Behandlung der Sachen. Und
fo fcheint es wirklich. Die großen Begebenheiten unferer Tage
find da am fpurlofeften vorübergegangen, wo fie unvergaͤnglich
hätten einfchneiden follen. Uber ten erbärmlichen Hader der
Schriftgenoffen kann man ſich leicht zufrieden geben; die Kory-
phaͤen der einen Partei find nicht viel beſſer als die der an-
dern. Aber daß da, wo die Befinnungen fein fellten, Eeine
find, erfüllt mit ſchlimmen Ahnungen für die Zukunft. Es
fieht und Manches bevor, was wir noch in Zeiten klug abe
wenden Pönnten, aber die dunkeln Mächte laſſen fih ihre Herr
ſchaft uber die Welt nicht nehmen.
&ie werden diefen Sommer noch den König und ben
Kronprinzen fehen. Der Legte geht zwar ſehr gern auch nad
Rußland mit, zumal um die geliebte Schwefter zu ſehen, doch
ſcheint feine ganze Seele von Italien erfüllt, wo er den Him⸗
mel der Kunit offen glaubt. Bon manchen Patrioten wird
beforgt, daß ihm der Umgang Ancillon's nicht wohlthätig ger
wefen fei. Ich ftehe zu entfernt, um darüber ein Urtheil zu
haben, obwol es nicht zu leugnen, daß Ancillon bei vielen gu
ten Eigenfchaften doch ein franzöflfches Bemüth Hat. Man
erzählt, er habe dem Prinzen eine Berehrung für —& XIV.
beigebracht, fei auch ſchuld, daß er die Werde Friedrich's des
Großen nicht leſe. Doch will ich Dergleichen nicht glauben.
x
Unfere jungen Männer fahren fort für vie Opera:
en zu wirden. Der alte ſelbſt iſt no
raſtiges Mitglied der hieſigen dentſchen Eprachgeſellſchaft,
in der Jahn beſonders thaͤtig if. hat mir einen gan⸗
gen Bogen geſchrieben, was ich in meinen Gedichten nach fel-
nem „‚Unleit” ändern möge. Ich werde es freilich bleiben lafſen,
U da ich andere Sachen Daran zu ändern hätte, wozu mir
nur Ulles, nämlich Luft und Beit fehlt. Im den nächften drei
Wochen will ich noch den Schluß meiner „„Rriegögefänge” druden
laſſen und dann aufhören.
Frau dv. Krübener hat ja aus Königäberg wenig von fich
bören laffen. Hätte fie dort gar feinen Sto „gefunden Die
eitle Frau hat ihrer mittelmäßigen Geiſtesgaben nicht Herr
werden koͤnnen und erliegt nun, wie fonft den leiblichen Aus:
fhweifungen, den Serrüttungen ihrer Phantajie. Da fie mit
aller Gewalt na Berlin bat kommen wollen, dem frühern
Schauplag ihrer Liederlichkeiten, wo doch manche Zeugen, be:
fonder8 Ürzte, ihr entgegengetreten fein würden, fo fcheint es
mit ihrer Belehrung doch wol Ernſt zu fein, woran man al»
lenfalis zweifeln möchte. In Rußland wird fie noch mandes
tolle Zeug beginnen, da der Kaifer fie fehr begünftigt, der,
aus Furcht vor feinen Untertbanen und befonders vor ben
beutfchen Jakobinern, ein Beſchuͤger des Glaubens und ein
Froͤmmling iſt.
Unfern aͤſthetiſchen Katholiken wird bei dem allgemeinen
rohlocken am 31. Dct. v. 3. wol aller Muth vergangen fein,
das proteftuntifhe Volk zur Fahne des Vaticans zurudzufüp:
ren. Ein paar gelchrte magere Krammetövögel, wie Adam
Müller, Schlegel, Schloffer, Werner, find Beine befondern Bif-
fen. Unfere deutſchen Epißfopaliften würden uns vielleicht ganz
von dem Papſt befreien, wenn nur in Branffurt recht tü fige
Männer wären, woran ich jedoch zweifle. Weſſenberg allein
if zu ſchwach, und wir Preußen lieben den Papft noch, ob:
ſchon ich hoffe, daß ein Eoncordat nit zu Stande kom:
men werde.
Was haben Sie denn zu Haller’s „Reftauration” gefagt ?
Er bat im zweiten Theil fein verrüchtes Syſtem confequent ge:
nug durchgeführt und findet hier vornehmen Anhang, befonders
unter den jungen myſtiſchen Ariftofraten. Er weiß Bielerlei,
fol auch an ſich nicht böfe fein, aber in allen feinen Hand:
lungen verkehrt. eine Profeflur bat er niedergelegt, und fo
wie er fonft als Profeſſor es nicht über fünf Auditoren brachte,
fo will auch Niemand von dem Mitgliede des Geheimraths ei⸗
nen Rath hören.
Schenkendorf's Tod bat mi ganz befonders betrübt.
Jouqué ift auch fehr hinfaͤllig. Seine legten Probucte find
nur matt, und vielleicht das nicht einmal. Man gibt ihm
Schuld, daß er fich zu tief mit einer Familie Geift, genannt
Schnapps, einlaffe. Tieck ift dagegen wieder rüftig und will
uns mit feinem Werk über Shakfpeare erfreuen, nachdem er
im Herbft auß London zurüdgelommen. Niebuhr gefällt ſich
in Som gar nicht und Fränkelt immer. Es ift nicht zu boffen,
daß fein Aufenthalt die „Römifche Geſchichte“ fördern werde.
Raumer und
fterer um Baterialien für die „Geſchichte der Hohenſtaufen“,
der andere um altdeutſche Gedichte zu ſammeln, ‚haben durch
iyn den Gebrauch der vaticanifchen Bibliothek nicht erlangen
Tonnen, wol aber durch unfern Conful Bartholdy, ‚ei-devant
Sfraelite, der ihnen durch ben Cardinal Gonſalvi die Erlaub:
niß ſogleich verfchafft hat.
Empfangen Sie mein herzlichſtes Lebewohl und bie Ber-
fiherung der treueften Verehrung, mit der ih mich Ihrem
wohlwollenden und freundfchaftligen Andenken angelegentlihft
empfehle. Stägemann.
(Die Kortfegung folgt.)
Hagen, bie im vorigen Jahr in Rom waren, Gr:
Zur polnifhen Literatur.
1. Kraysacy 1. Polska. Peſen 1845.
Eine hiſtoriſche Skizze, welche die Verbältniffe der preu:
giſchen Kreuzritter zu Polen darftellt und als ein Tommentar
zu ber Foderung des legten pofener Landtags, daß bie Polen
don Preußen gegenwärtig fo möchten behandelt werden wi
einft die —* von den Polen behandelt worden find, am
efehen werden Tann. Der Verf. fagt: „Es war ein politiſchet
Fehler Kaſimir's, daB er im Worner Frieden nicht auf gam
jun beftand und ſich mit dem nachherigen polniſchen Pre
abfinden ließ, es wäre ihm bei dem damaligen Zuſtande
von Deutſchland ein Leichtes gewefen, mit diefer Foderung br:
zudringen, aber fein unfeliger Hang nad) abfoluter Segierung
in Lithauen machte ihn gesen das allgemeine Wohl gleichgültig.”
Darauf heißt es &. 76.: „Die Preußen haben ſich bis pu
Theilung Polens nie über ihr politifches Loos bePlagt (auf
nach den thorner Gräuelfcenen nicht? ), noch Hat Die Rep
Polen in Betreff ihrer fi etwas vorzuwerfen. Die Sektirerei
wurbe zwar Veranlaffung zu einer gewiflen Strenge (!), deq
gab es in Polen Beinen Bauernkrieg, Feinen Bireißigjähriges
Krieg, Peine Bartholomäusnacht, die polnifhen Diflideate
wanderten aus Polen nicht aus, bevölßerten Beine fremden kia
ber, vielmehr wurden die Privilegien und Rechte, bie bei de
Einverleibung von Preußen von Selten Polens garantirt me
ren, in ihrer Zotalität aufrecht erhalten, das Land mit nam
Auflagen nicht gedrüdt, die deutſche Sprache, wo fie 55—
verbreitet war, nicht verboten, ſondern Jedem der freie
derſelben geſtattet.“ Die Schrift ſchließt mit den Beate:
„Der Orden betrog Rom, denn Katholiken bat er in Luke
ner umgewandelt, er betrog den Kaifer, denn er’ hat duis
nit Erweiterung, fondern Beſchraͤnkung feiner Herfhal z
bradt, er betrog den König Sigismund, denn er hat Ya
in ein trauriges Lehnsverhaͤltniß gebracht, er betrog fid; jchk,
denn er hat die Zrucht feiner Arbeiten in die Hand gelegt, die
ihn unterjochte.“
2. Do uprzedzonych wzgiedem konstytucyi daia 3. Maja
1791. Vom GSaftellan Cajetan Sierakowski. Strot⸗
burg in Weſtpteußen 1845.
Eine Bertheidigung der polnifhen Eonfitution vom 3.
Mai 1701, die befonders fcharf gegen das Liberum vete ber
polniſchen Landboten polemifirt: Die Regierung des oft ger
ſchmaͤhten legten polnifchen Königs Stanislaw Auguſt unter
beüdte die eingemurzelte Anarchie, welche den Polen den alten
Ruhm geraubt und fie in den Augen von Eurepa und in ihten
eigenen verächtlich gemacht hatte. Iene Macht inter majestztem
et libertatem , die den Königen ſchrecklich, den Bürgern die
bend, den Städten und Dörfern befhwerlih war und Riemen
dem einen Vortheil brachte, ‚befchränkte er, dann hob er fir
ang auf. Er fammelte einen Staatsfchag und überlieferte ihn
n die Hände der Ration. Das Liberum veto, den Irbegriff
des Unverftandes, hob er auf und heilte das Geſchwür, des den
ganzen Körper lähmte. Gr ordnete eine öffentliche Em
an und ftellte fie unter eine befondere Auffihtsbehärke.
Anregung, durch Beförderung der Kuͤnſte und Wiſſenſchafta
vertrieb er aus Polen die Finfterniß der Vorurtheile unb bei
Aberglaubens und führte ebenfo wie einft ein Auguſtat ki
den Römern ein Augufteifches Zeitalter herbei. Inmitten da
Bien Schwierigkeiten, inmitten des äußern unb innem Be
Us, führte er mit Klugheit, Befonnenheit und Geduld en
3. Mai 17191 eine Staatsverfaflung ein, durch Die, zu feinen
und der Ration Ruhme und zur Bewunderung von ganz
ropa — wenn nur bie Polen felbft gewollt Hätten! — but
Unglüd Polens ein Ende nahm. 9
VBerantwortlicher Herausgeber: Beinrich Brockpans. — Druck und Berlag von F. WE. Brockhaus in Leipzig.
Blatt er
| für
literariſche Unterhaltung.
Montag,
[2
22. Juni 1846.
Briefe ded geheimen Staatsraths von Staͤge⸗
mann an den Kriegsrath Scheffner.
(Bortfegung aus Nr. 172.)
14.
Beriin, 8. Mei 1919.
Schon geraume Zeit, verehrungswürbiger Herr und Freund,
mache ich mir felbft heftige Vorwürfe, daB ich mein Andenken
bet Ihnen nicht längft wieder erneuert Habe. Ihr freundſchaft⸗
liches Schreiben vom 29. v. M. legt mir die Pflicht auf, Ih⸗
nem ohne Auffhub zu antworten. |
So ein geſchworener Widerſacher auch ich diefem verderb⸗
Uchen froͤmmelnden hypokritiſchen Weſen bin und fo fehr ich
wich bereit erfläre, Ihren Plan zu en fo halte ih doch
nicht dafür, daß wir den Zwed erreichen, nicht wegen ber 40
Aetionaire, biefe finden ſich wol, aber wegen ber Kefer. Die
Leute leſen den Montaigne fo wenig als die Bibel. Hier hat
ſchon feit einigen Zahren, ad instar der londonſchen, eine
Zractatengefellfchaft gebildet, die ſich damit abgibt, Beine got:
tesfürkhtige, pietiftifhe, erbärmliche Zractätchen druden zu igß
und uͤberall, wo ſie nur kann, zu vertheilen, z. B. an die
daten, denen fie heimlich in die Patrontaſche geſteckt wer:
den. Nun bilden fi die Thoren ein, daß die Soldaten den
Quark auf der Hauptwache lefm werben! Man glaubt ben
Unfinn nit. Mitglieder fmd unfere Pröpfte und andere gute
Leute, größtentheild redlich, aber ſchwach. Dieſe Partei, bie
nicht ohne Einfluß ift umd felbft beim Könige angefchrieden
ſteht, wird fi) mit dem Montaigne nicht befreunden. Cine
“andere viel zahlreichere befteht auch aus Hypokriten, nur von
feinerer Battung. Das find die Politifch-Religiöfen, die unfere
ganze Jugend um fi verfammeln, Schleiermacher, Arndt, der
größte Theil ber Tnue, Auch fie werden hochmüthig auf den
armen Montaigne hinabiehen. Bann kommen die Myſtiker, die
Raturphilofophen, die Magnetiftrer, die ſchlechten Poeten u. f. w.
die fi in verfchiedene Secten theiken, größtentheils verbrannte
oder ſchwache Köpfe, vielleicht die wenigften KHeuchler (Adam
SHäller ausgenommen), wie werden und diefe Kerle mit dem
Montaigne fegen! Außer diefen Hauptparteien gibt es verſchie⸗
dene andere, Die ebenfo wenig zu gewinnen find. Die Beſſern,
Die unfichtbare Kirche, mie wenig find deren! Ich werbe den
fan mit einigen andern Freunden noch in Überlegung ziehen.
odann ſchreibe ih IHnen weiter; wenn ich nicht wieder drei
Zage dab Bette hätte hüten müflen, was mir alle Frühjahr
begegnet, fo würde ich einige ſchon aufgefucht haben.
Aufrihtig gefagt fühle ich mich zu foichem Unternehmen
in unferer Beit ganz beengt. Es ergibt fi) mehr und mehr,
Daß unfere Regierung mit dem Seitalter in Wiberfprisch geräth.
iedrich der Größe war ein König, jeder Bol ein König (fagt
hakſpeare), weil er einen Kopf größer war als feine Beit,
einen Schritt voraus hatte. Das iſt die rechte WBeifes zu viel
voraus kommt eine Regierung nicht leicht; das Beitalter holt
fie bald ein. Uber ift die Regierung nur Einen Bol hinter
dem Beitalter zurück, fo holt fie es nicht wieder ein und kommt
von wegen bet vis inertiae alle Tage mehr zurüd. Das kann
keine guten Früchte bringen. Und das ift unfere Lage. Das
ofweien (mobei man fich gar feinen Prunk denken darf), bie
plomaten und Deren Angehörige koͤnnen ſich in bie Zeit nicht
finden und Diefe nicht in fie. Sie influiren aber en ihrer
täglichen Rähe die Regierung am meiften. Das ift unſere Lage
im Innern. Die äußere ift ebenfo ungünftig. Überall entwe⸗
der angefeindet oder hintergangen, uns ſchwaͤchend, weil wir
uns im Innern nicht ſtaͤrken, während unfere Hauptgegner —
ſich ſtaͤrken, will ih nicht fagen (denn in Rußland fit es au
nur Schaum und Zünde), aber doch manchen Borfprung ge
winnen. Frankreich färkt jich zufehende und wird, wenn der
König dem een Syften treu bleibt, in eimigen SIahren
furdtbarer dafteben als unter Rapoleon.
Ich muß aber abbrechen, um Ihre Geduld nicht gu ermuͤ⸗
den und werde naͤchſtens in der Hauptfache weiter fchreiben,
bis wohin ich mich Ihrem wohlwollenden Andenken aufs an
gelegentlichſte empfehle. &tägemann.
Schreiben des Kriegsraths Scheffner an den
Großkanzler Beyme .—
So ſehr man fi im 73. Jahre freuen kann, fo ſehr habe
ich mich darüber gefreut, daß Ew. Excellenz Großkanzler ge⸗
worden find, und da ein Beugniß in eigener Sache nicht juri⸗
ftifch gültig zu fein pflegt, fo berufe ich mich deshalb auf den
Kanzler von &.; der nicht ungern auf feine alte Stelle zurüͤck⸗
tritt. Das Bedürfniß eines ſtarken Wannes bei unferm Hofe
ſchuf diefer Ernennung den Beifall aller Unbefangenen, die Ihe
nen eine ununterbrochene Dauer Ihrer Leibe: und Geiſtes⸗
kraͤfte wünfden. — Erlauben &ie aber wohl meiner Offenheit
noch einen Wunſch beizufügen, auf den mich die Misbilligun
bringt, mit der man die Robilitirung des ©. Pr. Brosconiu
gufgenommen und die ich einen Schneller gegen das Edict vom
9. Detober nennen gehört habe. Kaffen Em. Excellenz daher
auch nicht Ihrem Ramen ein „von“ vorfegen. Ich gehöre
wahrhaftig nicht zu den Adelsſtürmern; da aber das suum
cuigue zu den preußifchen Symbolis gehört, fo wäre es doch
teefftih, wenn man dem Bürgerflande Pein Mitglied entzöge,
das ber unparteiiſchen Hochachtung fo würdig geworden, mit
der auch ich bin Em. Ercellenz gehorfamfter Diener Scheffner.
Untwort des Großkanzlers Beyme an den Kriegs:
rath Scheffner.
Berlin, 2 Dec. 1868.
Die Herzliche Theilnahme eines Mannes von Ew. Wohl:
eboren Charakter an meiner Berufung in das Minifterium
ann mir nicht anders als fehr erfreulich fein. Dagegen thut
es mir wehe, daß ſelbſt der Mann, der über den Dienſt ſo
kraftvoll geſchrieben, von mir mehr zu erwarten ſcheint, als,
pn e,
wenn der Dienft des Königs und Baterlande gut * ſein
U, von mir erwartet werden fann und J Jeder bleibe
er Schranken, dieſe aber ſuche er an; auszufüle
len; das ift die Marime, Mi ich befolgen werde. In biefer
8058 wurde ich am meiſten verkannt, weil mein fruͤherer
= Biene Eh ee 5 3. au den gllgemeinen-
u, DB mar Mir Anrchht man Beiſpiet such
dere wirken, dann würden —* a das Bertrauen allein
auf den König —— ſehen, ohne welches für uns
keine Rettun brigene 1 ebene > Moplgeboren unbeforgt,
daß ich ben hr worin ich würde. Ih
liebe diefen Stand ebenfo ſehr ri 7? "meinen Geburtzadel,
wenn ih ven Familie wäre, ſchaͤzen würde. Eben darum aber
beobante 3 dad suum cuigue gegen den Geſchlechtsadel firen-
Ken, die die Ye Be daß lat | ©
nardie geben, ohne angemeffens
Peinsoeki der Adel nicht. ehe Pönne. In wir *
enn
bienen, — Sie ſo,
Driefe von Graf F. 8. von Stolberg an Scheffner.
n ee 34 es —— —
Keane Baum und Sporen zu reiten pflegte, in feinen legten
a
lien u. nd geigen.”
e intereffante Briefe Gtolberg's geben Beweis,
wie —— und liebevoll dieſer Scheffner zugefdan war.
Berlin, B. und 8. Der. 1708.
eh ver
kön en Bei |
ie aus Se.
* — —* frech
lieh und * Konnte i — Ian unbeantwortet liegen laß
fen! Lieber efien Erſcheiaung bie mie ie
erquidite und’ —* deffen —2* mie fo
teuer if, verzeihen &ie mir, daß ich ber —— mid
lich mit 5* au unterhalten, fo lange en — Dos den
i 55 und Bao nun mit Der eder den Daum band
um eigen m Genie. 3 % ame ac, daß ich Su
diefe Art für mein en **83 büßen
—— — fer, —5 ——
en, bürgt mir , ie auch einen
net , Bin mi ern leſen
ußeklicder Mann, der in e It wohnt! Did
egre, und ſchleudert der tourbillon einer Sphäre, welche nicht
—2— e
— dem . Pen neh einen Sa Ich —* in⸗
enden
io geheöte Sämeher ‚„ meine vier Kinder, welche
ten Mutter wegen noch lieber find als durch
ar werde ih ber.
m.
den Geranken, daß ich ihr Water bin, und ein zwangigjäßrige
Schweſterſohn, den ich von Kinspeit an wie einen Sohn lichte,
verfüßen mir mein veroͤdetes Leben.
Lieber Freund, welch ein fonderbared Weſen ift ber = Bil!
* ich in Kraul des beften und. chin habe, zBeibes
war a
mir, va * De hen de anteie Dee:
ealifcher Slückſeitgkeit ar fand im wein
ſchen Kalmeuferei mein Inſelchen, auf welchem mir fo wohl
ward. Sept würden Sie, lieber Dptimift, wenigftend in mer
ner Geele an abren Syſten einige Augenblicke irre werben,
wenn Sie wie Ihr armer im Wirbel einer
* Eriftenz "umbergefrubeit wird! &ie würden, wo **
feine chemali ge Gchnfuct nach träumerifchen Infehfreuden,
od feine 2* nach genoſſener großer Gluͤckſeligkeit *
Und * mitten in dieſem ſeelenzerrüttenden Taumel habe
ich Muth gefaßt, wie ein Schiffer de, bes, nachdem cr au
Befinnung kommt, waghalfig genug tft, aus den Zrummm
feines Schiffs, weldhes weit von er Kü e beruimgetrieben wirt,
Das was nod nicht verſank herbeizubolen. Und bamit nicht
zufrieden baut er aus den Planken Er ein neues Floß, war
eine neue Bahrt. Ja, liebſter Scheffuer, theurer
Mann, dem ich in der großen, —— Stadt zu
und faſt allein meinen Jammer re — Ihr armer Eike:
berg heirathet wieder. für mich auf Gm
nicht mehr; Die, welche ea berlat, art mein in den ham
liſchen Hüttens aber bier, fielen GSie fih vor, Hier! ft ich
ein geift: und herzvolles Mädchen, welches im vollen Bercaun
er mid gie hd —5 des Lebens mit mir Pier
ater von vier Kindern, anzutreten €
A ©: w wer vorigen Herb im Beset, wie —
—
meine Hand und
kaun⸗ anbot.
Dhne ſich irgend Jemand als mir zu entdecken,
mit — — zitternd, erröthend und erblaſend⸗
nen Antr ie har ihre Sameier u und
. ln er
im —X a * die —8 Gophie N
bört, Fri x" ae 4
de Tage vor ihrer Abreife ging ich in eine
jelfchaft, wo aud fie war. vis ohne Mair h
getrieben von einer höheren Ma vielmehr
einer, — acht ging ich talos auf ſe u,
—5* — meine Hand an und nun if fie Braut.
— von feltenem Henn und uen bielem Zerflande,
anfter Weiblichkeit Ihre Briefe haben
8 ennen —* —* im Angange im
pt, \ vielleicht nie vet hätte. Ich keunte mi
Ih grfiche "Shen, liebfter Freund i
Ser einer \obendwi ‚, meine ewig über Alles
ned ehrenden Witw ft meinen arößten \
Ehe aber Ihr Freund i
qmbkeit He nicht .
hnen doch etwas von meiner Gophie erzählen
je
Er
ji
ee
*
ẽ
SE:
”
17.
Sie —x least fie rt in —* 2* bu ig
— war, leben mußte, e, 8
gehe Mathematiker, dem ai 58*
iſſenſchaft auf koͤrperliche Gegenſtaͤnde,
pueril ſcheint, Lagrange, welcher — * bat, nd |
“ex einem meiner Freunde, den auch eh iebt *
n’si jamais connu d’autres ——
dieſer gewann das unbemerkte Madchen * —e *2
er ihrer Ausbildung ſeine erg und ihrem Andenken
ganze en RA F der ale
eue m e weine
erinnert. Die halbe ande, welche ke id ee Dh ij
"mir unvergeßlich Grafen Wie ihn ‚yon: wir, halten Sie’ mir
Undenfen - |
en er en, Bann nichts Cie beivegen, Ihren Wald: |
winkel einmal wieber, zu verlaflent Ich weiß nicht, welde :
Si jehen feſchalten ko aber das
e
an mein Herz dxücken würbel
Ich bitte Wie, fchreiben Sie mir bald wieder. Sie thä⸗
- ten ed gewiß, wenn Sie es ganz wüßten, welchen Werth Ihre
Briefe —* mich haben J. 2. &telberg.
(Des Pajluſ ſolat.)
Die heilige Eliſabeth von Ungarn, Landgraͤfin von Thü⸗
ringen. Bon Katharina Diez. Eſſen, Baͤdeker.
1845. 16. 1 Thlr. 5 Ngr.)
Nicht nur ſtolze Eichen, Palmen und Eedern trägt ber
Varten deutſcher Dichtung. Wie vieled Geftrüpp umwuchert
jene edeln Gewaͤchſe, wie verſchlingen Diſteln und Dornen ſich
oft auf deinem Pfade, daß du unwillig dich abwendeſt oder
doch blutig geritzt weiter ziehſt! Klagen wir Deshalb die Beit,
die uns trägt, ben Mind, ber da weht, bie Wolke, welche vor
Dee Sonne ſteht, die und fonft erwärmte, an, aber zwei⸗
feln wir nicht, das Gute, das Schöne, ber reine Klang bes
beutichen Semüths, fie find noch vorhanden, und wer weiß, ob
nit der Baum hereits geünt, aus bem die Wiege des neuen
Diebterlönigs (feit ber Kltmeifter zu Grabe gegangen, ift das
Bund ohne Heren!) einft erbaut wird. Kommt er aber,
dann finde er fein Volk wach und bereit, ihn nach Gebühr zu
empfangen. Richt überall jollen die Thuͤ ſich verſchlie⸗
Sen, wenn es auch nicht au hoffen ſteht, Daß ſogleich alle Her:
gen ihm den Bol der Verehrung bringen.
Darum Ehre den reinen Semüthern, die dem Beſſern ſchon
fh zuwenden! Sie find wie die Rofe, Die dem be
i
über die heilige Eliſabeth, deſſen wir gedenken een. An
erfofferin in
not
Frauen. und Witwen:
Jufti
haben die Geſch
der Heiligen He Dexan konnte + wollte bie *5*
Beiten und Charaktere und beſonders ber ve
Rn, in welchem fie Das eble Bild und vor Augen
fieät, — inte, Empfindung, Bert. Mit Vorliebe fehifbert
Bräulein Dies das Dichterleben am thüringifchen Hofe. Se ich
von Dfterdingen und Wolfram von Eſchenba
grunde, der alte Klingor weiflagt aus den Sternen don dem
Dereinfligen Ruhm der jungen Eliſabeth, Die noch im fernen
Ungayıı weilt.
Der Melſter ſchwieg. — Im Kreile
Saufht Jeder, ſuͤß beflemmen ;
Dog Hiller Srieden Ieife
War Über alle Herzen halb gelommen;
Des Lebend Eizeit, der Erde Roth und Wehe
Schien fanft hinveg genemmen
8 wie von eines Engels fel’ger Mäpe.
Es ſchlumerten die Bäume
In wunberbesem Lichte,
Es fäufelt duch bie Näume,
— Bergl. eine kurze Mitthellung dieruͤber in Mr.
fteben im Bor:
288 d. Bi.
D. Red.
AS Hängen, fughdhen. baklign. Mntiihte ,
Oerab aus siyem beſſenn, Höhen Ceben,
Und Yaumifche Gefichte »
Sah man im Mondenglanz voruͤberſchwab en⸗
Die feine anmuthige Hand ber Seekenmaletin
biefen Berfen zu erkennen. Im Berlaufe ver Thon aut
lung wech⸗
| fein Ion und Vers, fo oft ein neuer Segenſtand und beionders
‚ı in dem Ausdrud ein
| 2yrifhen, am
fo oft eine neue Empfindung eintritt.
Richt unglüdli
Schilderungen ber & ei in
en Ratur ift Fraͤulein Diez doch offenbar
yer, tiefer Empfindung, alfo dem echt
ichſten. Es wurde nöthig fein, einen
großen Theil des Sedichts hier abzuſchreiben, wenn wir alle
ẽten, innigen, vein empfundenen Gemälde befonders weibli
wände mittheilen wollten, die es enthält. Auf den Namen
eines Epos macht es Beinen Unfpruh. Gern überheben wr
und ber Mühe, an Beifpielen datzutfun, daß es wirklich, a f
ben Ruhm guter Erzählung Beinen Anſpruch machen om.
Wie viel mehr wird man und Dank wifien, wenn wir auf ben
Wohlklang diefer Berfe, den leichtgefundenen Reim, ber hi
nie als eine Feſſel drückt, die ſchwungvolle Abrundung des dich⸗
teriſchen Ausdrucks noch durch einige Beiſpiele hindeüten. S
beginnt ber fiebente Seſang: „Eliſabeth's Hochzeittag”" (S. 39)
Wie moͤcht' ich, daß mein ſchwaches Lied
Sept Heil erklaͤng' wie Lerchenweiſen,
Die durch bie blauen Küfte reifen,
Ein Klang, der dur die Seele zieht;
So warm und innfg, glei dem Strahle
Der Morgenfonne durch die Thale; —
Des ganzen Frühlings Zauberlicht
Moͤcht' Arbmen ih in mein Gedicht,
So himmliſch, wie's mein fhmerzlih Sehnen
Heut Löfet auf in füße Ihränen,
Und mir dad Bild vergang’ner Zeit
Hinmalt in ſtiller Herrlichkeit.
Beim Hochzeitmahle ſingen die erſten Minneſaͤnger (S. 50):
Sie pochen laut en jedes Gerz.
Sie loden fanft der Freude Ihränen,
Sie wecken leid der Liebe Sehnen,
Sie ruͤhren ſtil en jeden Samen.
Wolfram von Eſfchenbach, der Weiter,
Der von dem Heiden Parcival
Das Lied uns fang, deß Benrrigall
Noch jegt erhebet alle Geiſter;
Er fingt ber boden Liebe Preis;
Der Maͤdchen zarte augen blühen,
Der Ritter Heſdenherzen glähen,
Beruhrt vom mähl'gen Klange, heiß.
Und d’rauf der ſtelze Sfterbingen
Beginnt fein Lieb, fo wild, fo mil,
Vom ſtarken Siegfried, von Gbriemblib;
Ein Sturm, dia GSäufdn hoͤrt mans Eingen,
Das Lied vom Rikelungensbert;
Das wie des Rheines friſche Wegen
Durchs ſchoͤne dentſche Land gezogen,
Durch alle Beiten tönet fort. j
Gern unterdrücte nie die Kritik ihre meifen Bweifer, daß
ja anerfanntermaßen Ofterdingen nicht die Ribelungen gefun-
gen und lauſcht dem fchönen Fluß der Werfe. Denn die
ferin glüht vor Bewunderung für bie Blüte des beutichen Boldt:
fanges, die Helden und Minnelieber, wie fir es (&. 59)
(Ab ausfpricht, und fagt dann weiter:
Die Ihran' fühl ich dem Aug’ entgleiten.
Da ih in jene alten Beiten
Mit ſtillom Blick zurüde ſah.
Sn ihre ſinnig⸗ ernſten Spiele,
In ihre Herzen, fromm und geoß,
Die ſtark und rein und feſſellos
Hinſtrebten nach dem einen Biele,
x
Die für des Slaubrat Gimeiögut
In delien linken Flanmen Randen,
Sir Shöndeit und für Liebe brannten,
Und ſtedenten hie das warme Wirt.
Birk dem voriar'nen Paradieſo
legt hinter mie die alle Beit
Su blauer Berne, weit, ad weit!
Blei jener heitern Srühlingöwiefe,
Wo ih ald Kind gefpleit, geträumt,
Das fi die Engel niederneigten,
Die bunte Wunberhlumen reichten,
Bon liäten Htmmelötyau umfäunmt.
Wahrlich, wenn man den falfchen Reim in Randen und
brannten (dergleichen begegnet der Berf. nur felten) aus:
nimmt, eine nad Inhalt und Form vortreffliche ——
Und daß es eben die deutſche Sage iſt, deren volliges Ab⸗
fterben von fo manchem Unberufenen jept in die Welt hinaus⸗
pofaunf wird, für weiche unfere Sängerin glüht, ift der befke
‚Beweis für die Echtheit, das Naturwuͤchſige ihrer Empfindung.
Denn ftelle man fir) wie man wolle, dem Deutfchen lag und
liegt von alter Beit daß Deutfche am nächften. Boll es einft
u der Weltliteratur kommen, die Goethe vorbergefagt, fo
ann ed nur fo gefchehen wie bei einer großen mufifalifchen
Aufführung jedes Inftrument feinen Zon und Charakter bar:
ftelit, wenn jedes Volk fein wahres Eigenthum aufs höchfte
ausbildet und zu dem echt Menfchlichen und Künftlerifchen er:
hebt, nicht aber dur flache Gleichmacherei. So ift Homer
a orale und zugleih der allgemein = menfchlichfte der
ichter.
Der achte Gefang: „Eliſabeth ale Weib‘, beginnt mit
einem vorteefflihen Bilde:
Sahſt du der Roſenknospe Pracht
Erſchlüeßen ſich nad) ſtiller Nacht?
Sie lag ſo lieblich eingehuͤllet,
Mit deichem Duft den Kelch gefuͤllet,
Und jedes Auge, das fie fab,
Wuͤnſcht' leiſe: wär’ die Blume da!
Da koͤmmt der helle Somrenſchein,
Und ſchaut Ihe tief ind Herz hinein,
Unb beut ihr liebend Gruß und Kuß,
Das fie die Blaͤtter Öffnen muß;
Nun flieht fie da in Herrlichkeit,
Und leuchtet, duftet noh’ und weit;
Nun ficht man fie die Krone heben,
Erſchloſſen IR ihr veihes Leben:
So hat der Liebe fromme Luft
Erſchloſſen auch ber Fuͤrſtin Bruſt.
Landgraf Ludwig, Eliſabeth's Gemahl, giebt mit Kaiſer
Friedrich IE. zum heiligen Lande. Da kommt der „Abfchied”:
O dunkle Blum’ im Lebenskranz.
Nur ſchimmernb in der Thraͤne Glanz“
D langes, banges Klagelieb,
Das ewig durch die Herzen zieht:
D Scheiden, Scheiden, bitt’red Scheiben!
Wer hat es doc erdacht, dad Beiden?
Getruͤbet it ver belle Tag,
Der noch fo freundlich vor mir Tag.
.. Mit dieſen Zagen beginnt das Leiden, die Geduld, Ent:
fagung Glifabeth's. Ludwig flirbt in Apulien, Eliſabeth wird
von dem felbftfüchtigen Heinrich Raspe mit den Kindern ver-
floßen. Rudolf Bargula, des Kandgrafen Freund, ein edler
Süngling, Behrt mit der Leiche nach Thuͤringen heim und Hilft
der Landgräfin zu ihrem Rechte. Sie Fehrt zurüc zur Wari⸗
burg, aber gleich darauf entfagt fie der Welt, zieht in eine
Meine Hütte und febt in Armuth und Gehorfam wie eine Bü-
Berin, dem Gebot des rauhen Konrab von Marburg folgend.
Hier tritt und ein Element entgegen, das freilich unferer Beit
aft unbegreiflich ſcheint. Die Verf. hat dieß empfunden und
agt es uns ſchuͤchtern:
Um Grab der Mutter möcht’ ich nur Ihn fingen,
Und meinen Schmerz durch diefed Eich verſohnen.
Und nur dur Demuth wird fie neu verklaͤret;
D betet ai’, ide Ständigen und Frommen,
Ste möge wieder gu der Erbe kommen!
Damit ie zugleih der geiftige Kern diefer ſchönen ke
gende angegeben, dem jedes beflere Gefühl, deſſen Diefe große,
laute Welt doch no mehr im ftillen Bufen trägt, als eb de
draußen oft fcheinen will, mit Freuden entgegentritt. Es if
die Berklaͤrung der reinften Liebe und Gebuld oder Durd Ge
duld, der herrlichfte Beleg zu jenem erhabenen Wort des Chr
ftentygums: „Wer ausbarrt bis ans Ende wird felig werden“
Damit hat die Verf. einen Ion angefthlagen, der — zur Ef:
unferer Bett — nit ungehoͤrt verflingen darf. Wir
den Weltſchmerz, die füßfaure Politik, den Proletarianikums
in der Poefie fih nacheinander verdrängen ſehen: biefer cbenfe
menſchliche als „pöeti e Schmerz, der von Dante bis auf Gere
und Rovalis die edeiften Dichterfeelen durchbebt, wird nit
verklingen, fo lange die Menfchheit im Liefften ihrer Wirk
und zeitlihen Erniedrigung, des Widerftreites im eigenen Be
fen, ſich bewußt bfeibt, für den ed nur eine Loͤſung gibt, du
Wort des EHriftenthums: ‚Freiheit in der Wahrheit und Liebe
Das Gedicht iſt mit einigen fihönen Strophen der Köni:
gin Eliſabeth von Preußen gewidmet.
Die weih’ ich dankend mein Bediät;
Es iſt das Liebſte was ih habe!
Ich ſchrieb's mit meines Derzend Blut,
Ich haucht' hinein mein tiefſtes Sehnen,
Ich taucht' es in des Glaubens Glut,
Und metzt' ed mit der Liebe Thraͤnen.
Diefe VBerfiherung beftätigt daB Ganze. Bedarf «6 neh
weiterer Empfehlung? Doch dürfen win nicht verfchweigen,
daß auch der Verleger durch gutes Papier und durch fdponen,
ſcharfen, geſchmackvollen Drud und Einband diefes Meine Bud
fo recht au Babe und Geſchenk an fromme, zarte Genwüther.
bei paflender Geleg eingerichtet hat, und biefeß wolle
wir demfelben, obgleich es für ihn eigentlich blos Pflicht wer,
weil es leider fo oft in Deutſchland nicht geſchieht, Hiermit
beftens nachgerühmt haben. Ä . Dep.
Literariſche Notiz aus Franfreid.
Beendigung von Bignon’s Kaifergefchidte.
Ein wichtiger Beitrag zur Gefchichte der an einem bu
ten Wechfel der Ereigniſſe fo reihen Kaiferzeit ſteht in ta
peröffentligung des Schluffes von Bignon’s ‚Histoire de
France sous Napolson”, deſſen Erfcheinen als bevorſtehend
ongefündigt wird, zu erwarten. Wie es beißt wurden be
elfte und zwälfte Band, weiche nd über die Beit vom rufe
ſchen Feldzuge bis zum November 1813 erſtrecken, Binnen ku
* die Preſſe verlaſſen. Die Herausgabe der im literariſchen
achlaſſe Bignon's befindlichen Papiere hat Ernouf, de
Schwiegerfohn des Verftorbenen, übernommen. Icbenfalls wirt
fi) aus den Mittheilungen, welche uns geboten werden, wen»
ſchon Feine neue allgemeine Auffaffung, doch eine Berichtigung
und Beleuchtung vieler Einzelheiten ergeben. 11.
Berantwortliher Deraußgeber : Heinrich Wrodidans. — Druck und Verlag von F. U. Brockhaus in Leipig.
— — — — —
Blätter
für
literarifde Unterhaltung.
Dienftag,
Briefe des geheimen Staatsraths von Stäge-
mann an den Kriegsrath Scheffner.
(Beſchlus aus Nr. 178.)
Berlin, 27. Frhr. 17,
— — Ih habe meine Meife nah Sachſen beſchleunigt
und bin feit fünf Zagen mit meiner heimgebolten Sophie wie:
der hier. Jeder Tag, jede Stunde fegne ich diejenige, in wel-
cher mir Gott ind Der; gab, um das ihre zu werben. Sagen
Sie nicht, liebfter Scheffner: sua cuique Deus sit diva cupido.
Dieſes liebe Weib ward mir an fichtbarer Gotteshand zuge
führt, als ich ohne fie auf meinem verödeten Pfade hätte ver⸗
fhmachten müffen. Ich lebe wieder auf, wiewol ich den Rad:
fommer vom Lenz zu unterfcheiden weiß. Die Kinder meiner
Boldfeligen Agnes gedeihen daß es eine Freude ift und meine
Sophie liebt fie berzlih und wird von ihnen geliebt. Meine:
geliebte Schwefter und mein Neffe, ein geliebter, feuriger und
auter Süngling von 2) Jahren, winden auh Blumen um
meine Exiſtenz und machen mir den Übergang zum Nachſom⸗
mer fo angenehm als er für einen Dann fein dann, welcher
fein befieres Selbit, die Wonne feines Lebens, das Leben fei-
ner Wonne begrub. Sanfte Ruhe umfchattet mich wieder und
macht mid) ftillempfänglich für ununterbrochene, zuverfichtliche
Hoffnung des Wiederſehens meiner Cwiggeliebteften. Diefe
Ruhe flimmt mich zum Liederton des Lebens. Yür diefen hatte
mich der hinfchmetternde Gram verftimmt, wiewol ich in Eur«
en Momenten der Flut nach langen Ebben dithyrambifcher
Fonne fähig war. |
Ich wilt lieber diefen balbvollendeten Brief auf die Poſt
fenden als liegen laſſen. Schreiben Sie mir, Herzensfreund!
Sch umarme Sie mit treuer Kiebe. 5 8. Stolberg.
Berlin, 27. April 17%.
— — Iſt denn gar Feine Hoffnung, daß Sie diefen Som:
mer nad Berlin kommen werden? Dder Bünftigen Winter?
Spüter würden Sie mich ſchwerlich bier finden. Daß ich vo:
zigen Sommer nicht verborrte, iſt vieleicht Ihr Werl, Man.
fieht gern den Baum an, welden man, nachdem der dörrende
Dftwind ihn geftürzt hatte, noch zu rechter Zeit wieder auf:
richtete und anband. Einem folchen gleiche ich nun, angebun-
Den, nicht mehr mit flarker Wurzelkraft freudig aufftrebend.
In acht Tagen werde ich mit den Meinigen ein Landhäus⸗
chen an der Spree, dem Thiergarten gegenuber, hinter dem
Moabiterlande, beziehen. Da würde fih am fchönen Strom
und im Schatten gut ſchwatzen lafien, nicht vom Kriege, wel-
her gewiß Sie wie mich betrübt (wiewol meine Friedenshoff-
nungen noch nicht ganz ben Blügel fenken), fondern von fo manchem
quod magis ad nos
Attinet, et nescire malum est,
Meine Sophia, meine Schweſter und mein Reffe würden
oft lebendigen Antheil an unfern Gefprächen nehmen, - oft und
„ır
wandern laſſen hinein in die Tiefe des Geſprächs. In ber
fihnellgeflügelten Wechfelrede würden wir uns vielleicht. man»
chen ernſten Gegenftand leicht wie Federbaͤlle auwerfen, manch⸗
mal daB Webſchiffchen der Ideen und zufchleudern und lächelnd
ernfte Gewebe weben. In der Welt um uns ber fehen wir fo
oft das Gegentheil, jehen wir fo oft den ernſten Wechſelhandel
alltägliher Gedanken und gepriefener Weltweifen Rechenpfen-
nige mit hoöchſteigenem Bild und Überſchrift, doch verborgenen
Midasohr von gefpaltener Klaue in gefpaltene Klaue gereicht,
vom Wiederkäuer dem Afterwiederkäuer vorgekaut werben.
Haben Sie Wizeman’s „Matthäus gelefen? Ich bitte Sie,
leſen Sie es! Mir zu Liebe! Und mir zu Liebe laſſen Sie fich
einige mir ſchwach fcheinende Argumente nicht abfhredien. Ein
ſchwaches Argument it, deucht mich, gar Feind und muß wer
der ind credit no ins debet eingerechnet werden; aber ftarke, _
mir unumftößliche Argumente werden Sie finden. Mir hat das
Büchlein große Freude gemacht. In Lavater's Monatsfchrift
werden Ste auch einige trefflihe Sachen finden. Gehaben Sie
fi wohl und o! fihreiben Sie mir! Ich umarme Sie von
Herzen. F. 2. Stolberg.
Emtendorf m Holftein, 6, April 1788.
Rah langem Stillſchweigen greife ich wieder, zur Feder,
theuerfter Freund, und beſuche Sie im Geifte. Das Herz fagt
mir, daß Ihnen mein Befuch angenehm fein werde und mir t
ee fehr angenehm, nur nicht. fo als Ihre wirklichen Beſuche m
waren, wenn Sie bem in der großen Stadt Verödeten eine
Stunde Ihres Umgangs fchenkten, ihn aufheiterten, flärkten.
Outer Scheffner!
Vorigen Sommer reifte ih auf Urlaub aus Berlin mit
Weib und Kind und fo mit Sad und Pad, wie Einer ber
nicht Luft zur Rückkehr hat. Ich hoffte den Geſandtſchafts⸗
poften an der Spree gegen den am Mittelländifchen Meere zu
vertaufchen und nun ift meine Hoffnung fo eingetroffen, daß
ich fon an den Veſuv und an den Atna unter der myſtiſchen
Formel eines Geſandten an den König beider Bicilien beglaw-
bigt bin. Anfang Auguſts denke ih mit meiner Frau, meinen
fünf Kindern und meiner Schwefter diefe Reife anzutreten.
In der Schweiz und in Italien werde ich, wie Sie denken
Fönnen, mit Weile eilen und wol beinahe 40 — Wochen auf
diefer Reife ins gelobte Land, aber nicht durch Wüften ziehend,
zubringen. Ic babe mich von meiner Jugend an in Eräumen
einer ſolthen Reife gewiegt. Ein Aufenfhalt von einigen Jah⸗
ven in biefen Yaradiefen wird mir noch viel mehr gewähren
als eine flüchtige Reife thun Pönnte, nur wünfchte ich unmittel«
bar an die vultanifchen Majeftäten, nicht durch das flitternde
Medium eines Eöniglichen Hofes acereditirt zu fein. Vielleicht
gelingt e6 mir an den WVaflerfällen von Tivoli oder am Wo⸗
gengeraͤuſch des Joniſchen Meeres, von griechifchen Lüften ange:
weht oder in ad otia nata Parthenope meine Harfe wieder zu
ſtimmen und an Flammen des na den glimmenden Docht
meiner Fackel wieder anzuzünden!
Diefen Winter babe ich mit den Meinigen bier bei Her»
-
Meeunden zugebracht und weine Sephia hat bie Heine %g-
—2* mie —e Mräbgen —— Für meine —*
—— um um
* —* hie bekommen. Er heißt Ricolovius.
pe
und @ie mid) shom tg the quick. Und darum
ee wich ee iebikche Aue. Er Feitert ben twäb
meineß Lebens, damit ich mit fanfterer Sehnſucht den großen
allwieberbringenden Morgen erwarten koͤnne!
Schreiben Sie mir bald wieder, lieber Scheffner. Ich
J. 2. Stolberg.
umarme Sie von ganzem Herzen.
Treusbüttel, V. Yunt Bl.
(In Holſtein, dem Wohnſitz meines Bruders).
Bon Woche zu Werde Habe I die Beantwortung Ihres
Heben Briefes vom 29. April aufgefchoben, aber nicht aus Traͤg⸗
beit, no weniger aus Vergeſſenheit (deren dod Cie nik
nen, wähnend daB Nicolouius mid an Sie erinnert babe),
fondern blos um befto mehr con amore in einer recht guten
Stunde an Sie zu fihreiben. Nun iſt's mir ergangen wie De
nen, welche durch die Todeskrankheit an die verzögerte Buße
erinnert werden. Der letzte Poſttag vor meiner Abreife a |
und ängftet mih. So mancher nothivendige Brief, den
durchaus ſchreiben muß, macht ed mir unmöglich, mit Ihnen
fo zu fchwagen wie ih wollte. Ach ich wollte fo gerne!
Wenn der leichtfinnige —— mit dem Herzen auf⸗
ſchoͤbe, mit welchem ich dieſen Brief verzögert habe, mit dem
Herzen ſpaͤte Buße thaͤte, mit welchem ich heute an Sie ſchreibe,
9 liebſter Scheffner, fo bedürfte er der Buße kaum.
ermorgen gebe ich von hier. In Hamburg werde ih
Bis zum 3. Juli bleiben und won dort mit meiner —* mei⸗
nem aͤlteſten GSohne und Ricoloviuß die Reiſe antreten. Mei
Jacobi in Yenwelfort (nahe bei Duͤſſeldorf) werden wir etwas
verweilen, dann längs der Rheinufer prnauf nach der Schwe
zeifen, wo Ih noch die Traubencur brauchen werde, ehe is
Hannibal's Yußtapfen betreten werbe.
Richt als daͤniſcher Geſandter, fondern als freier Reifen
der werbe ih die Schweiz, Italien, Sicilien befuchen. In an-
derthalb Ichren komme ich wieder und trete die Praͤſidenten⸗
beit in Eutin an, welche ich eben erhalten babe. Insanientis
um sapientiae coasultas errat ift Ihr Breund beſtuumt Yrd-
ſident und Domherr zu fein! werbe in Eutin, einem pe
fihen Drte, leben. Vorlaͤuſig aber, da ich zwar vom Rb-
. nige von Daͤnemark meinen Abſchied erbeten Habe, aber nicht
ven Muttr Ratur, ih willens, ihr Creditiv den Alpen,
dem Behr und bem a zu übesreidhen. Sun cuique Deus
dt diva oupido, Fünnten @ir laͤchelnd fagen und mich für ei-
nen enroy6 extraordinaire der eitlen Neugierde halten, aber
ſtrenge heurtheilen Sie Ihren Freund gewiß ni
Sie ‚ daß ih eine Meifebeichreibung machen fell.
Die Borſtellung der fchönen und großen Gegenſtaͤnde, welche
ib aufmerkſamer vielleicht, 4 mit mehr Intevreſſe als
Geraͤth, welches in deſto nöthiger wird, da bie Karben auf
keiner Palette einzutrodinen und feine Pinfel hart zu werben
en
Bertper als mancher ſchoͤne Pinfel in Meifters Hand if
mis der Bleiftift, mit welchem ein edler Ungenannter die „Hand
zeichnungen nad ber Natur” fluͤchtig, aber werth der Unfterb-
lichkeit, binge .
ec Ib he fr *
ans daͤniſche Poſtamt in Hamburg adreſſute Wei
feeumdlide Erfheinung Fin!
n
: Hfern des ——
von Zirol erſcheinen
Vofern Sie kennen, To -fagen
z ee mein Herz erfreut *8 gerührt dar
Schreiben Sie mir dann und warn, lichfter *7
wir
Jeder von Ihnen wird mir eine
D wenn ih Sie fell a
en Meeres dar
- Wie würde
finden
flürgen Ihr 8. 8. Stolberg.
Aus einem Ahal bei Sorento, 21. Sept. IT.
Im alten Tarent erhielt ich Ihren lieben Brief aus Ebert
al vom 3. Märı. Ich follte mi zwar billig vom Detum
ws a mine en —— cheffner,
man findet ja im Bekenntniß des rd Beruhigung und
win ir denn auch dieſe nicht durch Befhönigung. verderben,
fondern Alles von Ihrer Berzeihung erwarten unb von ber
Sewißheit, daß Sie meinem Bergen dieſes Stillſchweigen nicht
anrechnen werben. Ic Habe manchen meiner Freunde darum
nicht oder fpät gefchrieben, weil ih nicht wußte wie ich's a
fangen ſollte, um ber Fülle des Inhalts etwas abzufchöpfen.
Wenn man eine volle Flaſche vor fih bat, fo freut man fie,
fie mit einem Freunde leeren zu können, und mit einem Faſſe
gewöhnlicher Größe nimmt ein chrlcher Deutfcher, mit Weile
eilend und mit Freunden theilend, e8 auch wol aufs; aber dad
beidelberger Faß gafft man an und wagt ſich nicht an fei
altvaͤteriſche Majeftät und Fülle. Darum wird es aud
ver, in einem Briefe von Stallen und Gicilien zu
Beide Länder, von denen ich fehr viel erwartete, Haben me
Erwartung no fehr übertroffen. Ehe ich Italien ganz mr
er werde ich ein rundes Jahr darin zugebracht baden. %
e alfo alle Jahreszeiten in dieſem Lande des ewigen Yrib
lings und der fehönften Rakur zugebradit. Alle Provinzen ii
ſuͤdlichen Italiens habe ich befucht und bin zu Pferde um gem
Sicillen gereift. Ich war auf dem Veſuv im Yugenblid eine
Erguſſes. Ich vergaß feinen Feuerbach, als ich in der Radt
Beim Feuerſtrom ded Ana fand, weicher fich aus einem feiner
Bulkane wie ein Waſſerfall ergießt, dann fi in Arme Lheiit,
Snfeln bildet und dritthalb —X Meilen weit fortftrömte.
Bon Dtrantos Küfte ſah ich Griechenlands
Gebirge. Die griehifhen Alterthümer in beiben Könige
machten mid th Balt für das alte Neft der WMlın, und um
fangen von den ewigiungen Reizen der tarentinifchen, der At
naiſchen (denn neben feiner Hölle oder vielmehr unter thr Diät
mehr ats cin Eipfium), den Steigen des nördlichen
von Sicilien, bee forentinifchen und iſchiaſiſchen Paradieſe ver
gaß ich gern jede Erinnerung des Alterthums, wiewol ich auh
diefen minder heilige Stunden widmete.
Über don Charakter der Italiener und Sicilier Hört mm
bei und in Deutfchland manches Wahre, welches dur Ber
ſchweigung manches Undern, das au gefagt werden felte,
verleumdenbe Unmwahrheit wird. Ic, habe in allen Gtänden
einige edle und liebenswürbige Männer kennen gelernt, und
mehr als einige ſolche wirb ſchwerlich in irgend einem Bande
ein wildfremder Neifender antreffen. In Puglien, Calabrien
urd Sicilien wird jene herzliche ffeeundfhoft geübt, vwelde
nit allein der hergebrachten @&itte, fondern den Empfindu
gen der Bewohner diefer Länder Ehre macht. Auch die met#
liſche Natur diefer Länder bringt neben den üppigwachfenden
Diften edle hte jeder Art, und wer nur die Beſhwerde
des heißen GSonnenſtrahls, fih nicht verjüngt fühlt unter ihre
lebenerzeugenden Kraft, wer nur Aufmwallungen zum Prexd,
nit auch hohen Geiftesfhwung und Hiebenewürbige Freuden
füde in Stalien inne wird, der ent wahrhaftig nur den Shah
8 ae den Leib, gefchweige dag ihm vom Seiſte etwa
ahnen bürfte.
Seit act Wochen haben wir theils in diefem elfenkilk
am Meexe, theild in der Inſel Iſchia zugebracht. Im Jſcha
lebten wir mit Familien froher, freundlicher Winger. ic wir
feine Laterne können, wenn er nicht in den Gaffen Athens
damit hineingetapſet wire. -
An Lindern, wo der Menſch wicht in ungleichem Kriege
mehr Vertrauen und th :&
räctertes Bauernfind in andern Ländern Fremdlingen gegen
wird.
Daß bie vornehmen Stände (wiewol nicht ohne Ausnahme)
bier weniger taugen mögen als. bei uns, Das glaube ich gern.
Die Entfernung von einer ſolchen Ratur mußte fich ſelbſt deſto
härter ftrafen, je mehr fie muthwillig dem Modeton opferte.
In Iſchia hatten wir den Schmerz, ein Mädchen von fünf
Monaten, welches meine Sophia in Heapel geboren hatte und
ſelbſt fäugte, zu verlieren. . |
Dem Manne, weldyer mit ber Lebendigften Darſtellungs⸗
Braft und der tiefiten Stelenkunde jenen Grafen fchilderte, der
Sterbende und Zodte beobachtete und malen ließ, entging,
wofern mein Gedaͤchtniß mich nicht trügt, ‚eine B ung.
SBahen Sie nie tobte Kinder? Woher, wenn auch Leiben und
Sudungen die liebe Heine Hhyfioguomie während der Krank
heit zerrütteten, woher in der Zodesmine dieſes holdfelige Laͤ⸗
— u mit dem Lächeln verbundene, überkindliche, feier⸗
€
Es erſchallt dem Ohre bes Unmündigen, es erfcheint dem
Blicke des Säuglings eine Kraft jener Welt, che Ohr und
Auge ſich ſchließen. Es hoͤrt oder ſieht einen Boten Desjeni⸗
gen, der die Kinder herzte und ſegnete. O Lieber Scheffner,
unſere Weltweiſen werden das Raͤthſel nicht löfen, das ihnen
ein Säugling und mit todten Lippen vorlegt!
Jetzt verreiſen wir von bier, dann uͤber Rom, Aucona,
Benedig, Wien, Dresden. Schreiben Sie mir bald, adreffiren
"Cie den Brief an das däniſche Poftamt in Hamburg. Ich
umarme Sie von ganzem Herzen. 8 2. Stolberg.
Bneifenau an Scheffner.
Sehr dankbar bin. id Ihmen, mein verehrter Freund, für
die freundlichen Worte, die Sie mir unterm 19. September
efchrieben haben. Die Unſtetigkeit meines zeitherigen Aufent⸗
t6 bat meinen Privatbriefwechſel etwas in Unordnung ge:
acht; daher tollen Sie dieje verfpätete Antwort entſchuldigen.
Söhnen, mein verehrter Freund, der Sie Neftor’s Erfah:
sungen und Weisheit vereinigen, wird e8 nicht, auffallen, da
Die Urbeiten des Wiener Eongrefied fo fehr in die Länge fit
ziehen. Sowie man nicht den guten. Willen hatte, in Paris
ſogleich die wechfelfeitigen Anfprühe auszugleichen, fo mußte
man erwarten, DAB die Raͤnkeſucht Zeit und Gelegenheit finden
würde, fich zu entwickeln. &o aber eilte nur Jeder, feine Trup⸗
pen aus Brankreich zu ziehen, um in Befig Deſſen fich I
feßen, was er ald feine Beute anſah, die Muffen, pol, e
eicher Italien, Die Engländer Belgien. Alles Übrige über
ließ man der Bufunft und Jeder nahm ſich vor, bem Andern
fo viel abzuhandeln als angehen möchte Uns am gehaͤſſig⸗
en zeigt ſich M. und von ihm geht der böfe Geift aus, der
ter und da gegen uns ſpukt. Gin Sauptfehler den man
beging war, daß man zufieß, Daß Frankreich in die deutſchen
Angelegenheiten ſich miſche. Unfer Staatskanzler wiberfpra
Diefem bereitö in Paris als Talleyrand äußerte: Frankreich
würde einen Gefandten zu diefem Ende ſchicken, und fagte ihm,
daß die verbündeten Mächte nicht in die inneren Angelegenhei⸗
tan Frankreichs ſich gewiſcht hätten, folglich dieſes kein Mecht
‚in den deu Ange! i ofen.
—— —** en abe —— — en
I Aändigen Hardenberg ſchen Meinung beis feitbem if man
wieber, vermuthlih duch M. (Talleyrand's Geiftesuerwand-
den) Ranke bavon abgewichen und möge man es nur wid
bereinft bereuen. Die neue franzöfifche Regierung hat nun eb
wos ihren Haushalt kennen gelernt und gefunden, dafi Krieg
off die Füße vorhanden ift, ausgenommen Geſchütz für einen
langen Krieg, während welches indeilen man aus dım Be
ftungsgefhüg Feldgefhüg gießen kann. Ihre Armee mögen fie
leicht auf 8 T0V,UOV alte Soldaten bringen koͤnnen. —
man hinzu die beleidigte Eitelkeit ber eitelſten Ration der Vieit,
die verlorenen Beſitzthuͤmer oder Ausſfichten ihrer Generale, bie
Dunkelheit und Beſchraͤnkung, worin ihre Offiziere leben müf:
fen, die Entwöhnung von Arbeit bei den alten Soldaten, die
Anhaͤnglichkeit eines großen überwiegenden les der Nation
an Rapoleon, fo wird man «8 begreiflid finden, wenn ein
neuer Krieg fehr im Sinne der Mehrheit bes franzöfifchen Volks
ik. Zu einer folden neuen Krife mag leicht unfere übers
ſchwaͤngliche unpolitifhe Sroßmuth uns führen, wenn nit der
Dimmel dem Eongreß ebenfo viel Weisheit. ald den Armeen im
legten Kriege Süd ſchenkt.
Ich höre über den Zuſtand Ihrer Provinz fehr viel Beun-
ruhigendes. Der Wohlſtand des güterbefigenden Adels fei ge
laäͤhmt und fchwer ihm aufzuhelfen. Dies follte mir fehr leid
tpun. Die Provinz bat fh fo patriotiſch und Präftig genom⸗
men, Daß man wunfchen muß, daB der entfeflelte Handel den
ehemaligen Wohlſtand der Provinz wieder aufblühen mache, um
fie für fo große Anſtrengungen zu belohnen. Die preußifchen
Regimenter, Die mit und waren, haben vortrefflich gefochten.
Run, mein verehbrungswürdiger Freund, leben Sie wohl
und möge ed Ihnen gefallen, mir manchmal ein Zeichen dei
Lebens von fi zu geben. Unſern Freund Madeweis und deſ⸗
fen Haus wollen Sie herzlich von mir grüßen, Sie aber mei⸗
ner mit Wohlwollen gebeufen als Ihres Breundes, ber
mit wohl und tief gesendeten Hochachtung ergeben ift.
füge und erhalte Sie und. gebe Ihnen Bufriedenheit und Glück
zum neuen Sabre.
Berlin, 30. Dec 1814,
Der Generallieutenant Gr. v. Gneiſenau.
Neugriechiſche Literatur.
Zum Beften der Univerfitätsbibliothet in Athen if im 3.
1845 der erfte Band eines intereffanten, auf mebre Bände be-
rechneten literarifipen Unternehmens erfchienen. hatte naͤm⸗
lc ein im 3. 1833 in Indien verfkocbener Grieche aus then,
Dimitrios Galanos, ber ih eine lange Reihe von Tahren mit
der Sprache des Sanskrit und mit der mdifchen Philologie be⸗
ſchaͤftigt hatte, in feinem Zeftamente die von ihm handfchrift⸗
li binterlaffenen griechifchen Überfegungen aus dem Sangkrit
der Akademie in Athen vermacht; uub von diefen Überfegungen
ift nun der erfte Band, der fünf einzelne Schriften indiſcher
Weisheit enthält, als Vorläufer unter dem Zitel: „Anuniplou
Talavoo, 'Adnralov, Erdixv usrnugansur Hoddn se,
veröffentlicht worden. Es ift Dies auf Koften des parlufifchen
Griechen in Odeſſa, Joannis Dumas aus Epirus, ber auch bie
von dem gelehsten Griechen Bardalachos hinterlaffene Überfegung
der „Anabafis” und „„KRyropädie” von Xenophon hesausgibt, von
dem Vorſteher der Univerfitätsbiblioihel in Athen, Georg Ty⸗
chaldos, geichehen, der fih in einem Vorworte namentlich auch
über Nüglicgkeit der ſanskritiſchen Studien für Die Griechen aus⸗
foricht. Wenn der Verkauf diejes erften Bandes die erfoderlichen
Mittel an die Hand gibt, follen auch die übrigen, ziemlich
zahleeihen Handſchriften jener indifchen Überfegungen nah und
nach veröffentlicht werben. Des bereits früher kurz erwähn-
ten arhäologifhen Werks: „Antiquitss heilduiques eu reper-
toire d’inseriptions et d’autres antiquites decouvertes depals
Peffranchisseiment de la Gräce”, von U. R. Rangabe (erfter
Band, Athen 3842), gedenken wir bier nachträglich nochmals,
weil nunmehr der erfte Band vollftändig vorliegt. Das ganze
Berk fol eine Überficht ber feit der Befreiung GBeicchentands
entdeckten Alterthümer in
mer im weitern Sinne des Worts — enthalten, zugleich mit
tifchen Anmerkungen des Herausgebers, der feit vielen Jahren
Secretair der archaͤologiſchen Geſellſchaft in Athen, auch feit
einiger Zeit Profeſſor der Archäologie an der Univerfität in
Athen ift und durch feine Stellung dem Werke eine Art von
offieiellem Charakter gibt. Jedenfalls gewährt daſſelbe einen
genügenden Maßftab zur Beurtheilung der antiquarifchen Schaͤte,
die bereitö auß Griechenlands befreitem Boden zu Tage gefoͤr⸗
dert worden find und die no darin verborgen liegen mögen.
Bibliographie.
Bornbaufer, J., Ida von Tockenburg, oder die ſchreck⸗
len Folgen der Eiferfuht. Hiſtoriſch⸗romantiſche Erzählung
aus der legten alte des 12. Jahrhunderts. Schwäb. Hall,
Ir.
Hafpel. 8. 1
Briefe eines Affen an feine en Zum Drud befördert
r.
von **** Hanau, Edler. 8.
Chrzanowski, Uber den Barteigänger rieg, Eine
Skizze. Aus dem Polnifhen. Berlin, Stuhr. 12. 7%, Rgr.
Die Baumwolle und deren Verarbeitung in na-
turhiſtoriſcher, geſchichtlicher, techniſcher und ſtaatswiſſenſchaft⸗
licher Beziehung. Mainz, Evler. 8. 15 Nor. °
Enncmofer, F. 3., Die glüdliche Gemeinde zu Frie
densthal, oder Andeutungen, Durch welche Mittel Friedensthal
es dahin brachte, daß daſelbſt Wohlftand und Zufriedenheit
berrfchte. Mannheim. 1845. Gr. 8. 12 Nor.
'Zur Literatur Johann Fischarts. Reveille matin oder
Wachtfrüauf. Anmanung zu christlicher Kinderzucht. Er-
manung an die Bundbaepstler. Zuerst wieder veröffentlicht
durch A. F. €. Vilmar. Marburg, Elwert. 4. 10 Neger.
Siovanna Maria dalla Eroce und ihre Zeit. Ein Lebens:
gemäne aus dem 17. Jahrhundert. Regensburg, Manz. Gr. 8.
Thlr. 3°%/, Nor.
Höfling, J. W. F., Das Sakrament ver Zaufe nebft
ben andern damit zufammenhängenden Alten der SInitiation.
Dogmatilh, hiſtoriſch, liturgiſch dargeſtellt. Erlangen, Palm.
Gr. 8. 1 Ihe. 5 Nor.
Kung, ©., Die Bergwunder, Neife-Erinnerungen zur Un⸗
| Fer für Jung und Alt. Straßburg, Witwe Revrault.
12. + Nor.
Lebensbeichreibungen und Kriminalprogefle berüchtigter Raͤu⸗
ber und großer Verbrecher ‘älterer Zeit. Rad) Acten und Ar⸗
chiven. Rebft Bemerkungen über das Diebögefindel im Mittel-
alter. Aus dem Franzöflihen von 8. Hain. Iſtes Bändchen.
Leipzig, Kollmann. 8. 15 Nor.
Lorenz, Wilhelmine, Friedrich's II. einzige Liebe. Mor
man. Leipzig, Wienbrad. 8. I hir.
Murr, 3., Caspar Dievian oder der Calvinismus in
Trier im 3. 1550. Ein Beitrag zur Gefchichte der Reforma⸗
tion in Deutfhland. Mainz, Kirchheim, Schott u. Shielmann.
&r. 8. 26 Nur.
Nicolovius, A., Friedrich Leopold Graf zu Stolberg.
Main, Kirchheim, Schott und Thielmann. Gr. 8. 22%, Rgt.
Riegler, G., Chriſtkatholiſche Dogmatif, hiſtoriſch, bi:
bliſch, patriſtiſch, ſymboliſch, polemifch » apologetifch, praktifch
atgefelit: Ifter Sheil. Bamberg, Schmidt. Gr.S. 1Thlr.
gr.
Schwab, G., Gedichte. Ite Auflage. Stuttgart, Cotta.
16. 2 Thlr. U Nor. ,
Jhierſch, F. Allgemeine Äſthetik in akademiſchen Lehr⸗
vortraͤgen. Berlin, Reimer. Gr. 8. 2 Thlr. 73, Rgr.
—— —
echenland — das Wort Atterne |
: SfGabufänigg, A. v., Der moderne
Roman. Zwei Bände. „Heckenaſt. 8 3 Ihe.
Borſchule zur fpeculativen Theologie des poſitiven Ghri-
ſtenthums. In Briefen. Ifte Abtheilung: Die i
rie. Re dermehrte Auflage. Wien, Dallithaufſfer. Or 8.
2 Thir. 13 Nor.
Weber, ®., Spartakus. Tragoͤdie. Wien, Mörike
ner's Witwe und Biandi. Gr. 8. 232%, Rgr.
Wislicenus, E., -Darftellungen. aus der beutfdgen Ge
ſchichte zur Belehrung über deutſche Wollssuflände, wie fie ge
wefen und wie fie geworben. Iſtes Baͤndchen: Der Deutſthen
1ER Geſchichte und Bolkszuftände. Leipzig, D. Wigand. 8
Bfhotke, H., Geſammelte Belksichriften. WMarau, Gau
ander. Gr. 8. 54 Ror.
Tagesliteratur.
Binder, © P., Bwei Reden, gehalten in der Kron⸗
ſtaͤdter evangelifhen Cathedralkirche im Jahre 2845. Kron-
ftabt. 1845. 8. 5 Rar.
Gouard, C. L. Sie fahen Ricmand, denn Sefum allein.
Predigt über Matth. 17, 8. Berlin, Enslin. 8, 2% Br.
8 preußifche Gifenbahnneg mit befonderer Beziehung
auf die öfllichen Provinzen. Vom Amtsrath Livonius m
1 momiscommiflartus Mertens. Berlin, Behr. Gr
gr.
Den, A., Sendireiben an den Hochwürdigſten Herm
Biſchof zu Fulda, bezüglich defien zur Zaftenzeit 1346 alaffe
nen Hirtenbriefs gegen die Kirche der Deutſch⸗Katholiken. Bei
mar, Landes-Induftri»Gomptoir. 12. 5 Nor.
Holdheim, ©, Predigt bei der am 2. April —2
denen Einweihung bes Gotteshauſes der Genoſſenſchaft fir Ke—
form im Iudenthum. Berlin, Behr. Er. 8. 5 Nor.
Lucius, Bortrag über "öffentliches und mündliches Be:
fahren in Criminalſachen, gehalten im Bürgerverein. Braur
ſchweig, Rademadher. Gr. 8. 3%, Rgr.
Müller, M., Chriftliche Gebete und Betrachtungen zu
naͤchſt für bie Deutſch⸗Katholiken. Berlin, Hold. 8. 14 Nor.
Reander, A., Rede bei der akademiſchen Feier des
MWyjaͤhrigen Lodetages Luther's am 18. Febr. 1846. Berün,
Wohlgemuth. Gr. 8. 3 Nor.
‚„ Riegler, &., Iefus der Mefias und der Iudaitmus. Eine
biftorifch » eregetifch = Dogmatifche Abhandlung. Hervorge
duch ein Befchwerde = Schriftlein des Rabbiners Rofenfeld zu
Bamberg an die Ständeverfammbıng in Münden. Bamberz,
Schmidt. Gr. 8. 12Y, Nor.
Schrader, K., Der Üntipietift, oder Bertheidigung bei
vernunftgemäßen Chriſtenthums wider bie pietiftiihen Angrift.
2te verbefferte Auflage. Leipzig, Kollmann. 8. 15 Nor.
Stoſch, 3. 8. W., Rebensbilder, oder: Wohin führt bie
Anwendung der religiöfen Grundſaͤtze der fogenznnten protes
Bantiioen Freunde? Königsberg i. d. N., Windolff u Stieſe
. 42 Apr. n
Strauß, B., Über die Gefangbuchsfache in preufifche
Comben. ae Denfihrift. Bielefeld, Velhagen und Klafzz-
. 8. gr.
Urtheil des kurfürſtlichen Obergerichts zu Marburg in de
Unterſuchungsſache gegen den Prof. Dr. Sylv. Jordan wega
verſuchten Hochverraths. Nebft den Entſcheidungsgründes
Reueſte Auflage. Marburg, Elwert. Gr. $. 15 or.
Bilmar, U. F. ©, Schulreden über Die Fragen de
Beit. Marburg, Eiwert. Gr. 8. 20 Rgr.
Weiß, E., Betrachtungen über Rationalismus und Di:
Tenbarung, Ein Verſuch zur Verſtaͤndigung. Eisleben, Re:
chardt. 8. 15 Nor.
Zittel, Begründung der Motion auf Religiongfreikeit is
der badifhen I. Kammer am 9. Dez. 1845. Darmftabdt, Pabk
Sr. 8. 21, Ror.
Verantwortlicher HRerausgeber: Heinrich Brockkans. — Drud und Verlag Bon F. E. Broddans in Leipgig,
- EEE — — — —
⸗
Blätter
für
literarifche Unterhaltung.
24 Juni 1846.
Es begreift ſich leicht, daß bei der Anzeige und Be⸗
urtheilung dieſes Werkes nicht ſowol der eigentliche In⸗
halt, das heißt die darin mitgetheilten 111 Reden, als
vielmehr nur der Plan deſſelben und die Art der Aus-
führung von Seiten der Redaction geprüft werden kann.
Um bie hier vorgeführten Redner alle zu befprechen, um
die Eigenthümlichkeit ihres Talents zu würbigen, fie un-
tereinander zu vergleichen und gar um quf die von ih-
nen erörterten Gegenftände einzugehen, bazu wäre ein
ganzes Buch zu fchreiben nöthig oder auch wieder eine
ganze Bibliothek. Daher fol hier nur von dem Plane
der Redaction vorzugsweife die Rede fein.
Die politifche Beredtfamfeit oder wenn man lieber
will Sprechfertigkeit hat in Deutfchland feit den legten
15 Jahren unverkennbar einen bebeutenden Aufſchwung
genommen, und es ift mit Grund zu erwarten, daß fie
fih, bei vervielfältigter Gelegenheit, noch höher und rei-
fer entwideln werde. Theils find neue Berfaffungen
eingeführt worden, theils ift in den Ländern, welche
fhon Berfaffungen befaßen, ein Iebendigerer politifcher
Geiſt erwacht; die Provinziallandtage Preußens haben
fi) zu größerer Bedeutung erhoben, und auch außerhalb
der Sphäre der politifchen Anftitutionen, fo eng gezogen
in Deutfchland der Kreis für die freie politifche Bewe⸗
gung des Volkes, fo aͤngſtlich überwacht das Wort if,
bei Seften, Verſammlungen, Efjen, bat fi) das Rebner-
talent geübt und ausgebildet. Auch für die mit der
politifhen nahe verwandte gerichtliche Beredtſamkeit hat
ſich da und dort ein etwas erweitertes Feld aufgethan,
und gar manche nicht politifche. Vereine fowie die Ver⸗
handlungen von Municipalitäten bürfen als Vorſchulen
für die politifche Beredtſamkeit betrachtet werden. Wenn
fomit das Leben felbft die politifche Beredtſamkeit be-
günftigt, übt und fobert, fo fcheint es zeitgemäß, daß
auch die Mittel zur Bildung der Beredtfamkeit verviel«
fältigt werden, daß die Schule fich deren Pflege ange-
legen fein laffe und die Kiteratur ihr Nahrung zuführe.
In diefem Sinne ift nun wol auch theilmeife der Plan
zu dem vorliegenden Werke gefaßt worben, obwol in dem
Profpectus weniger biefer praftifche Zweck! als vielmehr.
der ber Detehzung hervorgehoben ift, wenn gefagt
wird: „Die « Bibliotheko dient zur Belehrung über bie
Tagesintereſſen, indem fie uns zu den Quellen prattifch
politifher Weisheit hinführt; fie gewährt würbige und
ernfle Unterhaltung, indem fie uns bie vollenbetften
Geifteöproducte der für Vaterland und Freiheit, für
Recht und Volksglück glühenden Männer zur Anfchau«
ung bringt; fie bildet endlich auch einen unentbehrlichen
Commentar zu jeder Darftellung ber Zeitgefchichte”; ba-
gegen ift im Vorwort zum erſten Bande auch der ge-
nannte praßtifche Zweck angedeutet, welcher ſich ohnehin
von dem didaktiſchen nicht leicht trennen läßt.
Die nicht genannte Rebaction zählt die vorliegende
„Bibliothek“ zu den hiftorifchen Werfen und bat die Aus⸗
wahl der mitgetheilten Reben „nach ihrem innern Werth
und ihrer Bedeutung für die Intereffen unferer Gegen⸗
wart getroffen, hat jedoch „die Folge der Neben weder
von der Zeit, in welder fie gehalten wurben, noch von
dem Stoffe, den fie behandelten, fireng abhängig ge-
macht”. Bei dem unermeflichen zur Benugung und
Auswahl vorliegenden Material hatte bie Redaction eine
große, aber auch die Wahl und Anordnung erſchwerende
Breiheit; ‚fie mußte ihre Grundſaͤtze mit einer gemiffen,
wenn auch keineswegs unmotivirten Willkür feftftellen;
und fo leicht es auch fein mag, den von ihr befolgten
Srundfägen andere entgegenzufegen, fo erfcheint doch
eine folde Kritik leicht als muͤßig und unfruchtbar,
wenn fie nicht durch eine pofitive Leiftung, durch bie
Durchführung eines andern Plans in einem felbfländi-
gen Werke unterftügt wird. Die Rebaction kann mit
Recht verlangen, zunaͤchſt nach dem von ihr felbft
aufgeftellten Ranon der Auswahl der Reden „nah
ihrem Innern Werth und ihrer Bedeutung für die In-
tereffen unferer Gegenwart” die „Bibliothek“ beurtheilt
zu fehen.
Demnach ift bie Aufgabe der „Bibliothek“, durch die
bier zufammengeftellten Reden gefhichtlih und po-
litiſch zu beichren und aufzuklären. Diefe beiden
Zwecke widerfprechen ſich zwar keineswegs, aber fie gr
len auch nicht zufammen. Ein Hauptmoment ber Ge⸗
fehichte bleibt immer das politifche Leben und Intereffe
und die politifhe Wahrheit kann nie von bem Boden
der gefhichtlihen Wirklichkeit ganz abgelöft werben.
888
Nur die. aligemeinften Säge des Rechts und ber Politik
laffen fih außerhalb des gefhichtlihen Zuſammenhangs
erörtern; alles Goncretere gewinnt nur auf hiſtoriſchem
Boden feine wahre Bedeutung, fein rechtes Licht. Gründ⸗
liche politifche Einſicht und Belehrung wird daher gewiß
nieht durch bloße philefophikhe Dedustion und Demon⸗
ftration erzeugt und mitgetheilt, fondern fie muß durch
lebendige Anſchauung ber Gefchichte vermittelt und be
währt werden; und Mancher, ber eine Abhandlung über
eine politifhe Frage gar nicht oder ohne Nugen und
echtes Verſtaͤndniß läfe, hört oder lieſt mit Begierde
und SIntereffe eine Mede darüber, die durch einen con⸗
exeten Fall, durch einen in das Leben eines Volkes, in
die Zeitgefchichte eingreifenden Streit hervorgerufen, mit
ber Wärme bes Lebens, mit ber gefleigerten Energie bes
Kampfes, vielleicht mit tief erregtem Gefühl ober mit
feuriger Leidenſchaft das Problem behandelt. Juſofern
iſt es ein glücklicher Gedanke, die politiſche Theorie. durch
den geſchichtlichen, praktiſchen Commentar wirklich gehal⸗
tener Reden, bie großentheils eine Wirkung hervorge⸗
bracht, mehr ober minder bedeutende Folgen gehabt ha⸗
ben, zu veranſchaulichen und zu belieben. Diele der
wichtigften Probleme der Politit im meiteflen Sinne
find durch die Heben ber „Bibliothek“ beleuchtet; wir
führen beifpielsweife folgende an: ber VPreßfreiheis
(mehre, von Liebenflein, Sander, Royer-Gollarb u. W.),
über die Grundſaͤtze des conflitutiounellen Staattprin-
cipe, Berantwortlichkeit ber Minifter, den Adel, über
Wahlfreiheit und Wahlgeſetze, Dffentlichleit und Münbd-
licheit des Gerichtsverfahrens, GSriminaljuflig, Religions-
freiheit, Berfaffung und Verwaltung ber Bemeinben,
über Bollserzichung, Volksſchulweſen, Univerfitäten, Bolks⸗
bewa Handelsfreiheit, Zollgefeggebung. Neben bie
fen Gegenſtaͤnden von allgemeinam Intereſſe, Die jedoch
"alle unter beſtimmten gegebenen Verhaͤltniſſen an ver⸗
ſchiedenen Orten zur Sprache Samen, behandeln viele
Reden beſondere Anliegen, Wünfche, Beichwerden, Gin-
zihtungen einzelner beutfcher Bänder, teils fprechen ſich
franzoͤſiſche und englifche und andere Redner und Staat«⸗
männer über politifche Ange iten ihrer Länder aus;
auch find einige Auklage⸗ und Wertheibigungsreben wit
getheilt, Die Sammlung if, wie man aus biefer lücken⸗
haften Inhaltsangabe ſchon ſicht, reichhaltig genugs je⸗
doch vermißt man barin Neben über manche der wich⸗
beutichen Spterefien, namentlih über bas Ver⸗
tniß bes Deusichen Bundes zu ben deutſchen MWerfaf-
fungen. Die Redactien deutet an, bag fie auf man
Hinderniſſe geſtoßen fei, welche zu überwinden
nicht in ihrer Macht geftanden; wir glauben das gern,
aber dann ift fehr zu beklagen, daß nicht ein für Die
unverfümmerte Durchführung des Planes günfliger Ort
oder eine größere Freiheit gewährende Form ber Heraus⸗
abe gemäßlt wurde. Sogar in den mitgetheilten Mer
den felbft mußte, mie es feheint, hin und wieder etwas
ausgelaſſen werben, eine Verſtümmelung, welche ben
fatalfien Eindrud macht, indem fie das —8* bes ſto⸗
rendſten Mietrauens erzeugt. Gin ſolches Unternehmen
hätte vor Allem ſich von der Bevormundung der Genfur
zu befreien ſuchen ſollen.
Bermißt man in dieſer „Bibliothek Reben über manche
wichtige Punkte der deutſchen Politik, ſo wird dieſe Lücke
micht erfegt durch die Reben fremder Redner und Staat
männer. - Einige zwar Yon dieſen behandels oder Gerüf-
‚ren allgemeine politiſche Grumdfäge, 3. B. die von Rd-
bespierre über die Abmeffung bürgerlicher Rechte nad
einem Cenſus, von Barnave über das Recht des Kriegs
und Friedens; aber fehr viele beziehen fi) auf ganz
individuelle biftorifche Werhältniffe, wie 3. B. auf das
Berhaͤltniß Irlands zu England oder auf den Durd-
ſuchungsvertrag: Gegenflände, die allerbings ein großes
Intereffe für die Gegenwart haben, aber weniger fofern
es fih um beflimmte Grundſaͤze als um ben Kampf
von Parteien und um bie Mivalität ber Nationen ban-
dei. Ganz am Plage dagegen ift eine Rede des dltern
Pitt über die Angelegenheiten der amerifanifchen Colo⸗
nien, fofern darin das allgemeine Thema des Mechts
ber Befteuerung erörtert wird, worüber fich Beine deut
fche Rede in der Sammlung finde. Die „Bibliorhel“
befommt duch bie Aufnahme fo verfchiebenartiger Ro
ben zwar ein weniger ausfchlieglich politifches, ein meh
hiſtoriſches Gepräge; aber es will uns bebuͤnken, daß fte
dadurch den Charakter der innern Einheit verliere. Die
dankenswerthen biographiſchen Notizen orientiren zwar
einigermaßen den Leſer, aber doch nicht hinreichend
wenn er nicht zuvor fon mit den gefchichtlichen Ber
hältniffen, unter welchen bie Reden entitanden find, ge
nouer bekannt ift, und Walpole's Rebe zur Bertheidigung
feiner minifteriellen Wirkſamkeit wird heutzutage Wenige
intereflicen. Don For würde fich gewiß eine bedeuten-
bere Rede als die über Verſchwendung in ber Staats-
verwaltung leicht haben finden laſſen; som Grafen Grey
oder Korb John Ruffel, den Borkämpfern der Reform,
wäre wol aud eine Rebe zu erwarten geweſen; und ber
Proceß ber franzöfifhen Minifter ober die Berathung
be6 Geſetzes über bie Pairie hätte unfers (Grachtews
nicht ganz follen übergangen werben, hauptfählich darum
nicht, weil dabei allgemeine politifhe Grundfäge zux
Srörterung kamen. Auch die Mittheilung von Reden
über die Zehr- und Unterrichtsfreiheit, etwa einer von
dem geiftvollen und higigen Brafen Montaiensbert und
einer Ermiberung Guizot's, wäre gewiß paffenb geweſen.
(Die Bortfegung folgt.)
Taſchenbuͤcherſchau für das Jahr 1846.
Dritter und legter Artikel.)
IL hriſtoterpe.
Ref. hat AG tm vorigen Jahre die Mühe gegeben, die
pietiftifche, Bermmft und Wifſſenſchaft ve Ä
dieſes Ylmanachs zu bekaͤmpfen. Dieſes Jahr wisb er dead
bleiben laſſen, einmal weil man fi mit Verächtern des Ber:
ftandes doch niemals verfländigen Tann, noch mehr aber, weil
*) Wergl. den exflen und gweiten Artibel in NRe. 312 25 nad
Re. HI MM b. M. f. 8. 2». Me.
Bu
er zu Der Ginficht gelangt if, daß ſoiche Schriften der Sothe
der Vernunft nicht etwe ſchaden, jonbern im Gegentheil mehr
als alle Demonſtrationen Dageyen ihr nüpen, inſofern naͤmlich
‚alle Diejenigen, welche zwifchen Piettömus und Nationalismus
in der Mitte Stehen, dergleichen Berhöhnungen bed denkenden
Geiftes nicht leſen können, ohne ſich immer teiter von ber
erelufiven Froͤmmigkeit weg und der unkefangenen Bernünftig-
Seit zuzuwenden. ebenfalls wird daher der Sache ber freien
Geifteßentwickelung am beiten gedient fein, warn wir Ri
Ratt aller Feitifchen und polsmifchen Bemerkungen einige Stel»
len charakteriſiren oder wörtlich mittheilen, in welchen der Pie⸗
tismus am kraͤftigſten und wirkjamften pro ara et foco zu
tümpfen meint. Zu diefen gehört vor allen die durch und dur)
geharnifchte Vorrede des Herausgebers A. Knapp. In einem mit
den gewöhnlichen Medendarten verbramten ubensbekenntniß
heißt es unter Anderm: „Wir glauben, daß Diejenigen, welche
den Glauben an Jefum, den Sohn des lebendigen Gottes,
im Sinne der Schrift verachten oder gar befehden, nicht mit
Recht noch mit gutem Gewiſſen em Lehr: oder unmittelbares
Bermaltungsamt in der evangelifchen Kirche befleiden Fönnen,
fonbern, fo lange fie jenen Sinn behalten, theils durch Unter:
laffungs = theils durch Begehungsfünden zu Denjenigen gehö-
- zen, welche die Schrift Erdenverderber nennt und welche von
Gott gerichtet werden. (!) Wir glauben, daB der Sinn und
Wille Chriſti fehr gut aus dem gefchriebenen Worte des Neuen
Teftament zu erkennen jei und daß die Mitglieder der evan-
gelifchen wie der Patholifchen Kirche Fein elenderes Mittel zur
Kicchenverbefierung ermwählen können, ald wem fie ben berma-
gen Beitgeift der Politik und Wechſelphiloſophie, worin auf
der einen Seite der Demofratentrog (Recht fo! wenn fonft nicht,
fhlägt doch wol die Verdächtigung und Denuncirung bei den
achthabern an!), auf der andern der Panatheismus (Auf
wen paßt diefer Name beffer ald auf alle Die, welche den Pan»
Eeismus verwerfen?) fein Haupt erhebt, mit dem Worte
ottes wie Stroh mit Gold vermengen und durch folcherlei
tödtende Bufäge dem Leben unferd ebenfo hochmüthigen als
entneruten (?) Geſchlechts aufzuhelfen fuchen. Wir glauben,
dag es der Kirche wie dem Staat allein wohlgehen koͤnne, wenn
fie fi, wie gleich der erfte Paragraph in ber Urkunde des
aheifigen Bundes» felbft, gewiß aus namhaften und triftigen
Gründen, bekennt, dem koͤniglichen Lebenswort Jeſu Ehrifli
Tindlich und unbedingt unterwerfen und als chriſtliche Inftitute
fh an das Wort Desjenigen balten, der bezeugt hat: Ohne
mich koͤnnt ihr nichts thuns an das Wort Deilen, der. uns von
Gott zur Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligung und Erlöfung ger
macht if. Wir glauben im Hinblick auf das manmichfaltige
Elend der Völker an den bewährten Spruch: «Hier Hilft wer
der Kraut noch Pflafter, fondern dein Wort, Herr, das Alles
— tt.» Wir huldigen ihm, der geſagt hat: «WBahrlih, wahr:
ich, wer Sünde thut, der if der Sünde Knecht. So euch nun
der Sohn frei machet, fo feid ihr recht frei. So ihr an mei:
ner Rede bleibet, fo werdet ihr meine zechten Sünger fein und
die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei ma-
Gen. Denn ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und in
Die Welt gelommen, daß ich die Wahrheit beseugen fol. Wer
aus der Wahrheit ift, der bövet meine Stimme» (Ganz recht,
auch Ballet in feinem „Laienevangelium“ bat tiefe Stimme
gehört!). Wir leben jedoch in einer Seit, worin man nachge⸗
rade Religionen und Kirchen wie Gafinos oder deß etwas zu
arrangiren beginnt und wo das Konigswort Jeſu Chrifti von
Blinben in Abſtreich gegeben wird, fodaß diejenige Partei, die
am wenigften bavon behält und es am wohlfeilten nimmnt, fich
As bie jeweilige Awin des Taget So kann's am
Ende in Religionsfachen noch eine Urt von haitiſcher er⸗
republite geben, wiewol mit dem Unterſchied, daB uns das
liche Wort nie zur Sklaverei des Geiſtes b ‚ fordern blos
von geſedloſen Geiſtern als eine
biefem Betracht auch Die evangeliſche Kirche eine Syrannin ge
nannt wird, was fie ihrem innerſten Princip nach gewiß nice
fell betrachtet, und bad in
ift noch fein kann, fo viel andy im Sinzelnen fon don Men:
fihen dagegen verſtoßm wurde (Bon den Berächtern und Eri-
minelrichtern der Bermmft naht auhR). Da gilt es nach
beſſern, heifen, auf das Princip zurückgehen; em anderer
Grund kann jedoch niamermehr gelegt werden als der ſchon
gelegt iſt, welcher x EHriftus umd fein unvergängliches Wort.
Es ift aber weit Heruntergefommen mit einem fatten, bla
firten Geſchlecht, bei welchem baßjenige Clement, welches Apo⸗
ſtel und Propheten, Heilige und Märtyrer, Kirchenväter und
Reformatoren gezeugt bat, von allerlei modiſch aufgepupten
Renegaten als mythifher Wahn verläftert werden darf, —*
daß die übrige. Chriſtenheit ein freies, ritterliches Gefammt⸗
zeugniß dagegen zu erheben wagte, ein gerechtes, dem Herrn
Er Ehre dienendes Beoanid egen freihe Atheiſten, welche den
iſten ihren Beiligen lau als Koth an den Kopf wer:
fen und fich dadurch mit den edelſten Geiſtern wie mit den .
heiligſten Früchten und Bermaͤchtniſſen aller Jahrtauſende in
ben gemeinften, fihnödeften Widerfpruch fegen, den perfoͤnlichen
Scandal als Hauptwaffe gegen die Anhaͤnger des Evangeliums
gebrauchen, und, während fie für die von ihnen geſchmaͤhten
Kleinodien ber Schrift und die Reugnung eines perfönt
Gottes ($) und Wernichtung des menfchlihen Ich nad dem
Sode (f) zu bieten wiflen, ihren nihiliftifchen Wuft überall alb
unabweislichen Bortfchritt auspofaunen.”
SFriedſamer ift die Biographie Benjamin Gottlieb Kohl:
meifter'6 (eines Miffionard), von &. 9. v. Schubert, und
dabei fd weiſe und gottvertraut, daB barin dem lieben Bott
die Plane feiner Borfehung bis ins Beinfte Detail nachgerech⸗
net werden. Wenn ber kleine Kohlmeiſter ins Waſſer fällt
und doch nicht ertrinkt, fo weiß der Verf. aufs Haar, daß die
Sache blos darum fo gut abgelaufen ift, damit fo und fo viel
Eskimss von- ihm bekehrt werden felten. Warum er aber
bazu überhaupt ind Waffer fallen mußte, barüber erhalten wir
keine Aufklärung. Zum Dank will ich dem Berf. mittheilen,
wie fich eine alte Judenfrau dergleichen Fälle gu erflären pflegte.
Wenn ber liebe Gott, fagte fic, einem armen Schlucker eine
Freude machen will, ohne daß es ihm was Eoftet, dann Täßt
er ihn was verlieren und na einigem vergeblihen Suchen
wider Erwarten wiederfinden.
In der Lebensbefgreibung des feligen Ludwig Hofacker
von U. Knapp wird amter Unberm folgende Steile aus eis .
ner Predigt des Berewigten mitgetbeilt: „Bon Natur find wie '
wicht mehr Kinder Gottes, fondern Kinder des Zorns, "von der
Bünde, vom fatanifhen Element durchzogen. Wenn ein Menf
bleibt wie er ift, wenn in ihm sicht asjenige vorgeht, was
mon Wiedergeburt ‚heißt, fo ift und bleibt er ein Kind des
Borns und —* keinen Antheil an der Seligkeit noch am
Reiche Vottes, ſondern ex iſt ein finfterer Geiſt und muß einſt
dahinfahren mit ber Finfterniß ſeines Herzents in die wig
undurchdringliche Finſterniß, wo Heulen und Bäßneknirfchen iſt.
Ichh weiß wohl, daß dieſes nicht Die Lehre der Neuerer und fal⸗
fen Propheten iſt, denn diefe ſucht die hohmüthigen, leicht:
finnigen Menſchen nur einzuzwaͤngen in falfdye Sicherheit und
fleiſchliche Ruhe, damit fie doch ja nicht zu fich ſelbſt kommen,
no bedenken, was zu ihrem Frieden dient. Man bat deswe⸗
gen in newerer Beit die unerhörte Lehre nufgebradgt, daß alle
Menſchen von ſelbſt Kinder Gottes feien und von Ratur An⸗
e haben an das Deich Gottes, ja fogar, daß gerade die
fe der Hauptvorzug der Lehre Ehrifti fei, daß er alle ken
fügen ohne Unterſchied Ichre, Gott fei ihr Bater und Ar fammt
und fonders feine Kinder. Wein, nein! fo wirb vom Brilende
das Reich tes und das Reich des Teufels nicht miteinan⸗
det vermengt! Ich fühle mich zu der Erklaͤrung gedrungen,
daß dieſes lauter antichriſtliche, verfluchte Lügen find und bes
zeuge viedmehr vor dem Herrn Tofu das gerade eg "“
Aus Den Briefen Hofacker's erfahren wir unter Underm
feine Unfichten über das Boſe in der Welt: „Weib ich nit,
was für eine neue Theologie in **) auffomm. Da —*
tet man 4. B. in allem r bee Herr Yabe ben Napoleon
dies als abgeleitete Folge⸗
ne den heili⸗
Geſchichte
erklaäͤrt und bekannt haben: fo ſollen wir nicht fo plump mit
unferer Bernunft bareinfahren, fondern uns beugen und be
‚ müthigen, und erkennen, daß wir es nicht wiflen. Denn Das
müffet ihr doch zugeben, es ift ein großer Unterſchied zwifchen
den Dingen, die unterm Monde gefcheben. Es gibt Dinge,
die gefchehen fo, daB man gewiß weiß, Bott will fie haben.
gibt aber au inge, die geſchehen fo, daß man gewiß
weiß, der Zeufel will fi. Gtellet einmal bie Berufung des
Kpofteld Paulus mit der Berufung. Napoleon's zufammen, oder
das Mifftonswerd mit einem Eroberungskrieg. Es waltet
darin doch ein himmelweiter Unterfchied und es Tann ficherlich
nicht wohlgethan fein, Alles fofort nad einem philofophifchen
Princip in Einen Keffel zu werfen, und wenn man die Men⸗
erei mit noch fo ſchoͤnen Raifonnements ausſchmuͤckte. Sch
Balte das für einen groben Irrthum.“
Über die Rechtfertigungsichre fpricht ſich Hofacker derge⸗
ſtalt aus: „Seitdem die npabeit eine Sünderin, d. 5. ein
dem Fluche verfollenes Geſchoͤpf in den Augen Gotted gewor⸗
den ift, hat fie nach dem Rathſchluſſe Gottes einen ganz an⸗
dern Weg zur Herrlichkeit al8 die ungefallenen @eifter. Durch
die Geiſter letzter Claſſe fol Gott verherrlidt werden. Sie
find in einem beftändigen Wachsthum ihrer heiligen Ratur
und haben Eeinen Yal zu beweinen. Die gefallene Menfchheit
aber muß, feitdem fie mit dem Opfer des Sohnes Gottes er
kauft ift, gleihfam unter fih wachen, wenn fie wieder etwas
werden ſoll zum Lobe der göttlichen Herrlichkeit; ihre Ubung
befteht vornehmlich in fortwährender Erkenntniß ihres Kalle,
und dieſes dient zur Verherrlichung Chriſti. Wir können jept
nicht mehr in anerfchaffener NRaturkraft von einer Stufe zur
andern fleigen wie die Ungefallenen, diefes tft uns nit un⸗
mittelbar mehr möglich, fondern wir müffen durch das Armen⸗
Er und darin Chriſtum finden, und aus diefem Ge⸗
hl darf die erlöfte Seele nicht mehr heraus, weder in Zeit
noch in Ewigkeit.” Diefer Anſicht gemäß erklärt er weiterhin
diejenige Auffaſſung der Rechtfertigungsichre, welche meint,
daß der Tod Chriſti uns nur infofern redhtfertige, als wir
ſelbſt dadurch in Sinn und Wandel gebeiligt werden, für eine
einfeitige und niedrige, und fdhreibt unter Anderm einem
Freunde, der diefe Anficht theilt: „Es Bann dir nicht geholfen
werden, außer wenn bu deinen dicken, flörrigen Bernunftskopf
etwas beugft und ben Sefus annimmft, der die Gottlofen ge:
recht macht. Und wahrlid, fo mußt du lieber Gottlofer auch
gerecht werben, deine größte Gottlofigkeit aber ift dein Stolz,
daß du eigentlich von Gott Mecht verlangft und Feine völlige
Gnade in Ehrifto Jeſu.“ Doch genug!
Geniegbarer find folgende Gaben: „Das Ende einiger
evangeliſchen Märtyrer unter Maria ber Katholifchen‘, von
Karl Beer, und: „Rettung aus Peſt und Brand. Zwei
Epiſoden aus der Selbftbiograpbie bed Karl Dominik v. Gaſ⸗
fer, Barons von Thurn. Mitgetheilt von Chr. ©. Barth.”
Cie haben eine polemiſche Richtung gegen das
unb Buldigen infofern wenigftend der Freiheit.
der —— ee dazu gehört | —* fe m
wen en € , em mitzutheilen,
unwillkuͤrlich drängt ſich bie Idee auf, daß doch Die hier ge
brandmarkten roͤmiſch⸗katholiſchen Kegergerichte
dammungsurtheile, welche die Frommen über
laͤubigen ausſprechen, wenn nicht in der Wirkung, ſo
7 en Grunde ziemlich Ein und Da elbe find, infofern
ur der anmaßlichen Borausfegung beruhen, im Befige
leinfellgmachenden Glaubens zu fein.
(Die Bortfetung folgt.)
Literarifhe Notizen aus Frankreich.
Kranzöfifhde Miffionnaire.
Die Gefchichte der geiftlichen Miffionen, welge von Frank
reich aus nach den uncivilifirten Gegenden Afiens, Afrikas und
Amerifas unternommen find, bietet einige herrliche WBlätter,
auf denen Thaten der Begeifterung umd Aufopferung verzeide
net find. Auch die Wilenfhaft verdankt jenen muthrola
Männern viel, welde in- ſiegesfroher Zuverfiht Die Unnu
des europäifchen Lebens mit den Leiben, Dühfeligkeiten mb
Fahrniſſen des Wanderlebens vertaufhten. Wir erinnern in
diefer Beziehung nur an Das, was von Geiten Der frank
ſchen SIefuiten zur @rweiterung unferer Kenntniß Chinas ge
ſchehen if. Eine Bufammenftellung aller einzelnen bierauf be
züglichen Notizen, aus der fidh eine einigermaßen volftändig
Geſchichte des Miffionswefend ergeben würde, müßte eine ver
dienftvolle Arbeit genannt werden. Henrion's Werk, weihes
ſich bereits einer deutfchen Übertragung zu erfreuen
bat, genügt ftrengern Anfoderungen durchaus nicht. R
weniger aus wiffenfchaftlichem Intereffe als aus einer per
lotion auf die Moderichtung, welche fich jegt etwas mar dB
früher auf religiöfe Dinge geworfen hat, hervorgegangen. &
mmt und gegenwärtig die Ankündigung ton einer nass
Yublication diefer Urt zu, welche auf einer breitern Grund
lage angelegt if. Der Zitel diefer neuen Erfcheinung lautet:
„Histoire de l’apostolat. Voyages des missionnaires catho-
liques dane toutes les contrees de monde”, von Dally. Die
fe8 Werk ift auf zwölf Bände berechnet, von. denen der erfte
binnen Eurzem die Preffe verlaffen wird. Der ziemlich bebeue
tende Umfang bes ganzen Unternehmens läßt {hen eine gre-
Bere Bollftändigkeit zu als jene obenermähnte Schrift von
Henrion erzielen Eonnte. Es fleht nun nur zu hoffen, Daß der
Berf., ftatt fih in dem breiten, weichlichen Zone zu ergehen,
in dem ſolche Darftelungen abgefaßt zu werden pflegen, mehr
auf eine gebrängte, inhalt Zuſammenfaſſung wirflide
Refultate fehen möge. Nur in dieſem Kalle Eann fein Werl
wahrhaft wiffenfafttigen Werth in Anſpruch nehmen.
Geſchichte eines politifhden Spions.
Die fchöne Literatur verirrt fih immer mehr und mehr
in das Gebiet der Eriminaljuftiz und "der gebeimnißvolen Um:
triebe. Das einzige Gute was dabei zulegt herausſpringen
wird ft, daß die Schriftfteller, weiche diefer Tendenz hulbigen,
ih in Folge ihres gründliden Studiums des WBerbredeni
fünftig gang trefflich zu Policeifpionen qualificigen werden
Diefe für literarifche Intereflen nicht fehr erbauliche Betraf
tung drängt ſich uns bei Gelegenheit eines vor kurzem erfhie
nenen Werts auf, welches — wie ſchon der Zitel verheißt —
die Gefchichte eines politifchen Spions bietet (‚Histoire du
espion politique sous la restaurstion, le consulat et len
pire”). Es ift unbegreiflih, wie ein fo befähigter Schriſ
fteler wie R. Kournier, defien Namen wir in verfchiebenen
Feuilletons mit Vergnügen begegnet find, fi zu foldher Bub
madherei, die offenbar nur aus einer Geldipeculation herser
gegangen ift, hergeben ann. 1.
Berantwortliger Herausgeber: Heinrich Srockpanus. — Drud und Verlag von F. BE. Brockhans in Leipzig.
. — — — — — —
|
I
i
|
Blätter
für
literarifde Unterhaltung.
Donnerstag, — —_ Rr, 176, — 176, — 20. Suni 1846.
daran mit Entrüftung zurüdgemwiefen wird. Se weniger
vom Redner, vom politifchen Medner, welcher nothwen⸗
(Bostfegung aus Ar. 175.) big Partei nehmen muß, verlangt werden ann, baf er
Man kann in diefer „Bibliothek politifcher Reden” eine | mit derfelben Umficht und Unparteitichkeit wie etwa ber
Bbbliother ES Ira Reden aus dem 18. und 19. |
|
Art von zmanglofem Curſus über Politik erbliden, und | philofophifche Gchriftfteller einen Gegenſtand behanble,
Jahrhundert. Sechs Bände.
werm man nad) einer gewiſſen Einheit und Vollſtaͤndig- welcher fein tiefſtes Intereſſe in Anfprudh nimmt, daß
keit ſucht, fo findet man darin noch eher die Hauptfäge | er alle gegen feine Anficht aufzufindenden Gründe felbft
einer politifchen Theorie ausgeführt ale daß die ge- | auffuche, da er weiß, daß kampfluflige Gegner genug
ſchichtlichen Kreigniffe und Entwidelungen fih mit | da find, um fie geltend zu machen, um fo mehr iſt es
einer auch nur annähernden Vollftändigkeit darin ſpie⸗
gelten. Fragt man nach ber politifhen Farbe ber
„Bibliothek“, fo darf man ohne Bebenken antworten, daf
die Auswahl ber Reben im Ganzen im Sinne des ent-
fhiedenen Liberalismus getroffen fei, und man kann
binzufegen, im Sinne von Rotteck und Welder, auf
deren Außerung‘, daß eine foldhe Sammlung von Re-
den ein Bedürfniß der Zeit fei, die Rebaction ſich aus⸗
druͤcklich beruft. Wol ein Viertheil der gefammten Neben
gehört deutfchen Liberalen an; die franzöfifchen find
meift ebenfalls als liberal zu bezeichnen — mehre rüh-
ten aus den Periodeneder erften Revolution her —; ge⸗
gen das liberale Princip tft eigentlih nur die einzige
Rede Pitt's gerichtet, welche auf Fortfegung des Kriegs
gegen das vepublitanifche Frankreich dringt. Schwerlich
wird geleugnet werden können, daß das liberale Princip
in Deutſchland, zumal im conflitutionnellen Deutfchland,
die Mehrzahl der Zalente, der Redner in den Staͤnde⸗
verſammlungen, für ſich habe, und ‚daß diefe ihre Sache
mit weit mehr Zuverfiht und Wärme vertheibdigen als
die Anhänger des entgegengefegten Syſtems; aber es
wäre doch vielleicht angemeffen gewefen, wenn die Re⸗
daction, um allen Schein zu vermeiden, als wolle fie
durch die „Bibliothek nur überreden, die Gegenpartei,
welcher es boch nicht an talentvollen Rednern fehlt, auch
hätte zum Wort fommen laſſen. Statt der drei oder
vier Reben für die Preßfreiheit hätte wol auch eine da-
gegen gegeben werben können, um Gelegenheit zu bieten,
das Gewicht der Gründe für und wider gegeneinander
abzumägen. Bon der das Tiberale Princip befämpfen-
den Partei in Deutſchland iſt nur eine Rede in bie
Sammlung aufgenommen, die bes Fürſten von ‚Öttingen-
Wallerftein über geheime Policei in Baiern, worin .je
doch nicht etwa dies Inſtitut vertheidigt, fondern beffen
Befichen aufs entſchiedenſte wiberfprochen, jeder Gedanke
nothwendig, zum Behuf der politiſchen Belehrung beide
Parteien gegeneinander ſich ausſprechen zu laſſen; bei
den Einſichtsvollen und Urtheilsfähigen wird dann doch
die Wahrheit den Sieg behaupten, einen rühmlichern
Sieg, weil er die Frucht der Prüfung und nicht die
Folge der überredung und Überraſchung iſt. Der Pro⸗
ſpeet ſelbſt ſagt: „In den politiſchen Reden entwickeln fich
die hiſtoriſchen Gegenſätze in dramatiſcher Haltung‘;
aber wo bleibt das Dramatiſche, wenn nicht die Gegen.
fäge aufeinander treffen? Es tft wahr, das antiliberale
Princip hat über manche Punkte der Discuffion entfagt
und flüge fih, flatt auf Gründe, Beredtſamkeit und
Recht, auf die Macht, auf bie angebliche Nothwendig-
keit, auf den factifchen Beſtand; aber es gibt auch Po-
fitionen, welche zwar häufig im Namen bed LKiberalis-
mus in Anfpruch genommen und angegriffen werden,
die jedoch ein im guten Sinne confervativer Staats⸗
mann behaupten bürfte, ‘ohne deshalb illiberal zu fein.
Das Princip bes Liberalismus, welches möglichfte Frei.
beit für das Individuum fobert, begünftige bie bürger-
liche Niederlaffung, die Heirathen, die Gewerbefreiheit,
die Güterzerſtückelung dur Erbtheilung und Freiheit
der Neräußerung; aber Bein Denkender verbirgt fich bie
Misftände, zu welchen biefe Freiheit führt, und man
wird fich befinnen, Denjenigen illiberal zu nennen, ber
Iteber etwas von biefer an, fih fo mwünfchenswerthen
Freiheit aufopfern als jene Übelftände und Gefahren zu
einer drohenden Höhe anwachſen laffen will. Übrigens
vermiffen wir in der „Bihliothel” Neben über bie meiften
der eben genannten wichtigen @egenflände in ber einen
oder andern Richtung, mit Ausnahme von Winter’s
Nede über die Gewerbeordnung und Bemeindebürgerrechte.
Im Ganzen muß lobend anerkannt werden, daß bie
„Bibliothel” eine große Mannichfaltigkeit von Rednern
und von Gegenftänden bringt, und daß fie einen reichen
2
Schatz von Kenntaiffen, Anfichten und Wahrheiten ent-
‚Hält; daß namentlich bie meiften politifchen Ideen, wel⸗
che die Neuzeit bewegen, welche ben politifchen Fortfchritt
bedingen, darin ausbrüdlich oder gelegentlich erörtert
und beleuchtet werben. Wir glauben gen, daß das
Wert ein Bedürfniß befriedigt, wenngleich es ale ein
erſter Verfuch, nah dem eigenen Geftändnif der Re⸗
daction, noch ber nachfichtigen Beurtheilung bebürfen
mag. Wenn fpätere-Unternehmungen — und an fol
chen wird es gewiß nicht fehlen, falls die „Bibliochef”
- fi einen ausgebreiteten. Beifall erringt — fie an Reid-
baltigkeit und vieleicht auch in firengerer Feſthaltung
eines beſtimmten Geſichtspunkts übertreffen, fo gebührt
ihr doch das Lob, Bahn gebrochen zu haben.
Es fei uns geflattet im Intereſſe der Sache noch
einige Bemerkungen hinzuzufügen, welche nicht als Za-
bei gemeint find, fondern nur von Denjenigen erwogen
werden möchten, welche fpäter ein ähnlihes Werk un-
ternehmen. Die Idee, die vortrefflichiten politiſchen,
insbefonbere die parlamentarifhen Redner der Neuzeit
in einem Sprechfaal, in einem Werke zu verfammeln,
und fo gleichfam nicht nur Individuen mit Individuen,
fondern Nation mit Nation mit ben Waffen des Gei-
fies und Wortes kämpfen und weiteifern zu fehen —
ein Kampf, aus welchem am Ende nothwendig bie
Wahrheit und daB Recht als Sieger hervorgehen
‚ werben — , biefe Idee hat gewiß etwas fehr Großarti⸗
ges. Das Mens agitat molem! könnte vielleicht auf feine
fehlagendere Weife veranfchaulicht werden als durch die
Aneinanderreihung von Staaten und Volker beftimmen-
den Reden, welde, aus dem Geifle geboren und feiner
ewigen "Natur theilhaft, noch leben, wenn von ben
Schlachten ber Eroberer jebe Spur verſchwunden iſt.
Aber bald zeigt fich, daß die Ausführung weit, unendlich
weit hinter ber Idee zurücbleiben muß. Iſt auch die Zahl
der in jeder Beziehung großen, ber vollendeten Redner
der Neuzeit nicht groß, fo dürften in einem foldyen red»
. nerifhen Pantheon doch auch diejenigen Redner unb
Staatsmänner nicht fehlen, welche durch ihre Stellung,
ihren Geiſt und Charakter überhaupt wichtig und be
deutend gemorben find, unb fo würde fchon bie erfte
franzöfifche Revolution allein eine nicht zu bemältigende
Menge von Rebnern und Reben liefern. Jedenfalls
_ müßte man fi baber zu eines Auswahl entjchließen.
Aber wie ſchwierig if dieſel Eine einzelne Probe, aus
den Werken eines Schriftftellers oder Redners heraus-
gegriffen, erinnert manchmal beinahe an jenen Mann,
ber einen Stein als Mufler Kinee Hauſes, das er ver-
taufen wollte, vorzeigte. Den wie verfchieden iſt ber
Geſchmack und das Urtheill und wählt man aud eine
befonher6 berühmt gewordene Rede, fo iſt noch ſehr bie
Frage, ob diefe gerade ben Redner am richtigſten charak⸗
teifirt, ob fie, aus dem hiſtoriſchen Zuſammenhang her⸗
ansgeriffen, auf den Lefer einen fo gewaltigen Eindruck
zu maden geeignet ift wie auf bie Girer, ob niche die
augenbiiskliche durch die Verhaͤltniſſe bedingte Stimmung
bed Nedners, fein im Ton unb in Geberden ſich ver-
rathendes Gefühl das Meifte that? Jeder Redner, von
dem ſich eine richtige Anſchauung bilden foH, muß durch
eine größere Anzahl von Reden charakterifirt fein; dam
erſt iſt ein Urtheil möglich über das Wein, den Stil
feiner Besedtfamkeit, über die Conſequenz feiner Aufid-
ten, über den Charakter feine Argumentation, über die
Einfeitigkeit oder Vielfettigteit feines Geiſtes, über bas
Maf feines Ideenreichthums und feine größere ober ge-
ringere Meifterfchaft in der Korm. Wir verlangen, ci
nen bedeutenden politifchen Rebner in mehr als eine
Are der Mede uns. vorgeführt zu fehen, wie er mit
ftaatsmännifhem, philoſophiſchem Geiſte wichtige polis
ſche Maßregeln beantragt und begründet, wie er bat
Syſtem, die Anfichten der Gegner befämpft und wider |
legt, wie er die gegen ihn gerichteten Angriffe zuräd:
weift. Diefer Anfoderung wird nur durch mehre Re
den genügt; und dazu kommt noch, dag die Trefflichkeit
der Form und die Gebiegenheit des Inhalts einer Rek
nicht immer zufammentreffen. Welche Ausdehnung dem
nach eine folhe Sammlung bekommen würbe, ftebt
aus neuern franzöfifgen Geſchichtswerken, Die wiele Rede
aufnehmen, ohne doc, entfernt auf Vollſtändigkeit A⸗⸗
fprud) zu maden; denn dann müßten fie Die zahlreichen
gewaltigen Bände des „Moniteur” großentheils abdraden.
Ungefähr ebenfo verhält es ſich mit dem englifchen Re
nern; und müßten in eine Sammlung der bezeidnter
Art nicht auch manche berebte Spanier, wie ber „gie
liche“ Arguelles, aufgenommen werben? Wbgefchen jr
doch von der Unmöglichkeit wegen ber zu großen Pk
erhebt fich gegen jene Idee noch ein amberes michtigei
Hebenten. Beim Reduer iſt die Sprache, in weider
er fih ausſpricht, etwas ſehr Weſentliches; der ganıe
Charakter ber Beredtſamkeit, wie aud der Peche und
felbft der Philofophie eines Volkes wird dis auf einen
gewiffen Grad von dem Genius feiner Syrache influirt,
und daher tritt uns der Redner nur in feiner Ratie
nalſprache in feiner ganzen Cigemthümlickeit entgegen.
Für die fremder Sprachen Unkundigen find Überfegu-
gen immerhin ein bantenswerther Erſatz; aber in de
erebtfamfeit fo wenig als in der Poefie giht die Übe-
tragung ganz, in allen feiner, aber oft fo bebentfame
und wirtungsuollen Zügen unb aan in allen de
vakteriflifhen Wendungen bes Stils, das Driginel mie.
der. Natürlich kann dies kein Ab rund fein,
bie Reben von Gnglänbern und Franzoſen ins Deutſche
zu überfegen, benn vom weſentlichen Sinne geht bei ei
ner forgfältigen Ubertragung nichts verloren; aber be
denklich fcheint es, folhe überfegte Neben wit vw
[hen Originalreden in einer Sammlung zufammene
ftellen; denn während bie Iagtern in der ganzen Schich
ihres urfprünglichen Gepraͤges gegeben werben taz,
ift bei jenen mindeſtens ber Duft der Sprache ua) W
Ausdruds weggewiſcht, und dadurch kemman fie bei je
— — — —
-
aber würbe freilich wenig Guuſt finden. - Auf dies num
grüunden wir unſere Anficht, daß es gerathener wäre, ſich
bei einer Sammlung von Reden auf die Redner eines
einzigen, des eigenen Volkes, zu beſchränken; und es
ſpricht dafür noch ein weiterer, gewichtigerer Grund.
Während die fremden Redner dadurch gegen bie deut⸗
ſchen in Nachtheil kommen, baf fie in einer, andern als
ihrer eigenen Sprache neben jenen auftreten, ift in an-
berer Beziehung bdiefe Zufammenftellung für die deut⸗
fhen Redner ungünftig, fofern fie Vergleihumgen her⸗
vorruft, welche der Natur der Sache nad) nicht zum
Vortheil ber Legtern ausfallen koͤnnen. Handelte es fich
nur um bie Vorzüge der Form, die von der forgfälti-
gern Übung des Talents abhängen, fo konnte man ſa⸗
gen, die englifhen und franzöfifhen Mufter mögen den
Deutfchen als zur Nacheiferung fpornende Vorbilder die-
nen; aber nicht hierin beſteht der wichtigfte Unterfchied,
Die englifchen und fransöfifchen Redner erfüllt und hebt
das Bewußtfein, im Intereſſe und ald Vertreter großer
Nationen oder doch großer, einflußreicher Parteien diefer
Nationen zu fpreden; fie wiffen oder fie hoffen, daß
ihre Reden bedeutende Folgen haben werden, daß widh-
‚tige Veränderungen im Syſtem oder im Perfonal bet
- Verwaltung, große Mafregein der Gefepgebung, Ent⸗
ſcheidungen über Krieg umd Frieden fi daran Tnüpfen,
oder wenn auch nicht gerade die Beredtſamkeit ſolche
Wirkungen hervorbringt, wenn auch ber Wille und die
Stimmen der Parteien fid) von den glänzendften Ful⸗
gurationen des rhetorifchen Genies und Talents felten
beftimmen laffen, fo wirft doch immer der Redner auf
die öffentliche Meinung, er verherrfiht den Sieg ober
verbreitet felbft auf die Niederlage einen tröftenden Glanz ;
bei jenen Völkern find die ausgezeichnetfien Redner meiſt
auch praktiſche Staatemänner, Miniften oder Candida⸗
ten für Minifterien. In Deutfchland ift Died ganz an⸗
ders. In den Heinen conflitutionnellen Staaten fieht
hinter ben politifchen Rednern ber Gtändenerfammlun-
gen nicht eine Nation, fondern nur das Volt des eins
einen Landes, und nur ein verhältnigmäßig kleiner
il der gefammten deutfchen Nation begleitet in ein-
zelnen Fällen die Verhandlungen der Gtändeverfamm-
lungen mit regerm Intereffie. Wol kommen in biefen
hochwichtige, die ganze Nation betreffende Angelegenhei-
ten bin und wieder zur Sprache, aber ohne alle Aus⸗
fit auf einen wirklichen Erfolg; einzeine Männer, um
ihrem politifhen Gewiſſen, ihrer nationalen Pflicht Ge⸗
nüge zu thun, wagen es, die Sache der beutfchen Na⸗
tion zu führen; aber wie groß auch ihr Zalent, mie
tief ihr Gefühl und ihre Vaterlandsliebe, wie unwider⸗
ſprechlich ihre Argumentationen feien: — es fehlt der
Glaube an die Dlöglichkeit eines Sieges, welcher im
England und Frankreich eine an Zahl noch fo ſchwache
Dppofition nie ganz werläft. Gine Sprache, wie fie ſich
im englifchen oder franzöftfegen Parlament wel darf bö-
ren laffen, würde ſich in einer Beinen deutfchen Stände.
verfammlung, im Munde eines Minifterd wie eines
Oppoſitionsmannes, oft wahrhaft lächerlich ausmehmen.
.
*
8 708
Ernſt, Gründlichkeit, tiefes Intereffe an ber Sache,
Nachdruck und Gediegenheit der Sprache find natürlich
immer und überall am Platz, mag ed ſich um die An-
gelegenheiten einer mächtigen Nation oder eines Heinen
Laͤndchens handeln, die Grundfäge des Rechts und ber
politifhen Wahrheit find diefelben für die leinften wie
für die größten Staaten, und ihre Verlegung mag in
jenen benfelben Eifer des Widerflandes hervorrufen wie
in diefen; aber es gibt einen gewiffen Stil und Formen
der großen, ber prächtigen Beredtfamkeit, wenn wir
fo fagen dürfen, welche in ber Regel nur ben Verhand⸗
lungen der wichtigften, umfaffendften Fragen vorbehal⸗
ten bleiben follte, wie fie der Natur der Sache nach bei
kleinen Staaten feltener vorkommen, während in den
Parlamenten großer Völker auch den an ſich gering-
fügigern Gegenftänden leicht eine Beziehung zu den
böchften Fragen und Intereſſen gegeben werden ann.
Das Syſtem ber Zölle oder der Handelsfreiheit iſt aller-
dings auch für Deutfihland, nicht blos für England von
vitaler Wichtigkeit; aber natürlich wird der Nebner über
biefe Themata im englifhen Parlament ganz anders
von der Bedeutung feiner Aufgabe durchdrungen, wenn
von einer Abflimmung Wohl ober Wehe, Größe ober
Sinken feiner Ration, nady feiner Überzeugung, abhängt,
als in einer deutfchen Kammer, deren Beſchluß oft gar
feine, oft nur die Bedeutung eines Rathes hat und in
welcher die Nation, deren Geſammtintereſſe allerbings
die Verhandlung betreffen mag, nur zum zwanzigſten
oder dreißigſten Theile vertreten if. Ä
(Der Beſchluß folgt.)
Rn d ⸗
Taſchenbuͤcherſchau für das Jahr 1846.
Dritter und legter Artikel.
( Bortfegung aus Nr. 175.)
Unter den Gedichten iſt mandes gute, das vernünftigfte
von allen ift jedenfald „Ber Kampf der Gegenwart“, von
Ullmann. Darin heißt es unter Anderm:
Ber Iöf ben Kampf? Sins wir nit Alle Streiter
Und Keiner Nichter in dem harten Strauß;
Der Weltgang nur lenkt die Entwick lung weiter
Und führt fie endlich gur Entſcheidung aus.
Doch lapt mich jent ſchon mein prophetiſch Schauen
Seneigtem Sinn in ſchlictem Wort vertrauen!
Sie merden nicht, ob fie auch raſend toben,
Den ew'gen Geiſt entfegen feined Khromd;-
Er fhaut, ein Herrſcher, ruhig groß, von oben,
Und lächelt ihres Wohnfiund, ihres Hahns;
Und wie ex hereſcht, fo werben ſich erhalten
Des Glaubens und der Drbnung Hochgewalten.
Doch auch nad Frecheit iſt nit audzurotten
Der tiefe Trieb in reiner Menſchenbruſt;
Zur mögt fie ſchmaͤhen, mögt der Armen ſpotten;
Sie bleibt ein ut, fie bleibt der Edlen Luft;
Es kann nit fehlen, fie durchbricht die Vanden,
Die dunkle Mächte um die Erde wanden.
Ein freier Blaube und ein glaͤubig Streben
Nah Freiheit, die, von hoͤh'rem Geiſt entfedht,
Zuerſt im Innerſten befseit bad Leben,
Und dans auch frei von Außern Feſſeln macht:
Das wollte Luther feinen Deutichen bringen,
Dan wird der deutfihe Geiſt entgegenringen.
⁊
— — W
— -—
ei
Und zum Schluß:
Ya, Glaube, Breidell werben ein ſich finden,
Sind fie im Weſen rinig doc von jel
Und wenn fie fi durchdringen und verbinden,
Dann weicht der Menſchheit leztes tieffied Weh;
Nicht frei von Bett kann fie dad Heil erwerben,
Mur frei in Bott kann leben fie und ſterben.
Wie aber hat ſich der Herausgeber entfliehen können, biefer
vermittelnden Unficht fein Taſchenbuch zu dffnen, da er doch in
der Vorrede fagt, er glaube daß jedes aukelſyſtem in dies
fer Beziehung ein laodlcaͤiſches, rhachitiſches Übel fei, und da
befonders Diejenigen, die alle Partien fo fänftiglich zu nivel-
liren fuchten, zu den flachften Schlimmbeſſerern ber Kirche
gehörten ?
Defto entſchiedener bat fich der Philofophen- und Juden
vertilger Wolfgang Menzel ausgebrüdt in einer Epiftel,
worin die Kinder der Zeit um Bein Haarbreit beffer wegkom⸗
men als die Korinther in den Epifteln Pauli. Als Probe nur
einige Berfe:
...Schlaue Sperulanten ſetzen wieder ber
Discreditirten Firma Gottes «eine andere
Entgegen, eine neue Goncursenz eröffnend mit
Jgabritaten der Hölle. Gine unermuͤdliche
Und reiche Induftrie der Unterwelt vermißt fi ſchon
Den Himmel zu verdrängen von dem tunten Markt der Welt.
Dort predigt man den Heiden noch dab Evangelium,
Doch nur, um Dpium abzufegen unb für ſchweres Geld
Die Leiber zu vergiften, deren Seelen man erlöfl.
Dier in dem alten Land der Ghriften wird im Gegentheil
Des Svangeliumd Verhoͤhnung Belriebbcapital,
Das reihe Zinſen dem beſchnitt'nen und unbeſchnitt nen
Judenthum einträgt. Iebe rechte Neigung wird erſpaͤht u. ſ. w.
Durch dieſe Epiſtel hat ſich, wie der Leſer bemerkt haben wird,
Hr. Menzel noch von einer andern Seite verewigt, nämlich al8
Erfinder eines neuen Versmaßes. Da ihm daffelbe fo leicht
Keiner nachmachen möchte, weil das rhythmiſche und harmoni⸗
ſche Sefen, das ihm zum Grunde liegt, fürs erfle noch ein
ehem ift, fo ſchlagen wir vor, es in ber Metrik ausdrüd«
lich als „Menzelsfteophe” aufzuführen.
12. Chriſtbaum.
Durchaus auf frommem Grund und Boden fteht auch der
„Shriftbaum‘‘, doch trägt er einen minder fanatifchen und bier-
archifchen Charakter und erweckt daher auch bei den Weltkin⸗
dern eher eine freundliche Stimmung für fih. Nur bie erfte
Erzählung: „Wilhelm Kind’, von Wildenhahn, dürfte in ih⸗
nen große Beforgniffe rege machen. Wenn naͤmlich diefe Ge⸗
fchichte den’ Barbieren in die Hände fallen folte und es iſt
denfelben nur einigermaßen daran gelegen felig zu werden, ober,
was noch mehr fagen will, einen reihen Better aus Indien
zu beerben, fo laufen Alle, die bisher am GSonntag Morgen
von diefen Sabbathsentheiligern bedient find, Gefahr, künftig-
hin am Zage des Herin ungeſchorenen Angeſichts zu bleiben
“und fo felbft zu Sabbathöentheiligern zu werden. Bon äfthe:
tifcher Seite betrachtet verdient nur eine Gabe genannt zu
werden „Das hölzerne Haus in Genua”, von 8. Stöber.
(Die Bortfegung folgt.)
Bibliographie.
Alberts, Deutfche Bolksfagen und Märchen der Vorzeit.
Aus alten Urkunden. Ifter Band. 23ſte Auflage. Berlin,
Bir Pfeiffer, Eherlatte, uirich Bwingll's Tod. Hr
boritgee Sraueripiet in 9 Aufzuͤgen. Schwaͤb. Hall, Hafpd,
Bleffington, Graͤfin, Die Freunde. Moman. Uns
dem Englilhen von * Franz. 8wei Bände. Leipzig, Ber:
ger- r
Shalybäus, M., Entwurf eines Softems der Wii
fenfchaftslehre. Kl Odwent &.8. 2 She. 10 ut
Düd, J. Geſchichte des Kronfkädter Symnaftums. Rebß
bem SHonterusfchen Reformationsbüchlein und einigen Briefen
aus der Reformations Zeit, als Bugabe. Kronftadt, Remeth
1845. &r.8. 28 Rer.
Ernſt, ©, Der Yatriot. Cine ſchweizeriſche Erzählung
i . Frankfurt a. M., Baur
aus dem Jahre 1830. Zwei Theile
—FR idihi Des deutſchen Volkes S
elsſthal, ©.,
Hat, Hafpel. 8. 1Ihbir. 2 r. agenfhag. Bam.
®
5 ine Iſtes und 2tes Bändchen. Baden, Zehnder. Br. IE
a gr.
Griepenkerl, W. R., Der Kunftgenius Der beutihen
— bed, Ieten Sarnen: in Kr geſchichtlich orga
niſchen ung. Vorleſungen. er Theil. Leipzig, Hin
riche 8. 1 Ahlr. Fi Sur. am = einzig, 9
eeringen, G. Des Amtmanns Pfegling- Hifkorikke
Rovelle aus den Beiten des echten —*—* Krieges, Ins
Dante seipaig, die Kl. 8. I Ihle. 15 Rear.
eller, ©. 3., Dichtungen. Ifter u. 2ter Band. Bi
burg. 1845. 8. A 24 ig r we
‚ Koefter, 9., Ulrich von Hutten. Ein. hiſtoriſches Ira
fpiel. Breslau, Graf, Barth u. Comp. 12.: 22%, Rar.
Rotteck's, K.v., Allgemeine Geſchichte, im Auszuge fir
das deutſche Volk, mit befonderer Berüdfichtigung Der deutfäe
und der Kulturgefchichte. Rach der Originalausgabe in 9 Be
den herausgegeben. Ifte—Gte Lieferung. Braunſchweig, Br
ftermann. Gr. 8. a 3 Nor.
Schmidt, 8. €. G., Kursgefaßte Lebensbefchreibunges
merkmrbiger evangelifcher Miffionare. Rebſt riner tabellari⸗
[hen Überfiht bed gegenwärtigen Beſtandes der edangeliſchen
Miffiondgelellfehaften und des gefammten evangeliſchen Mifftens:
ehe. Neue Folge. Iſtes Bändchen. Leipg, Dinticht. 8.
er. — —
Tagesliteratur.
Bericht über den zu Oldenburg errichteten Berein zur Be
—A der Volksbildung. Oldenburg, Schulze. Gr. 3.
ı Rer.
Choke, 3., Liebet euch! Laienepiftel an die confefkonek
len Parteien und derm Führer in Deutfchland. Aftes Heft.
Sudenburg- Magdeburg, Paetz und Comp. Br. 3. 10 Rır.
Hagen, A. H.v., Die Reform der Advokatur in Deutid-
land und insbefondere im den altpreußifchen Provinzen. Leip⸗
zig, Mayer. Gr. 8. 1 Ahlr.
Chriſtian Holgwart der Mörder feiner Gattin und ſei⸗
ner fünf Kinder, ald Menfch, Denker und Dichter. Bruhtüde
aus feinem Tagebuche und vollftändiger Bericht der zu Suten-
burg: Magdeburg in der Nacht vom 28-29. Dechr. 1345 ven
übten ſechsfachen Mordthat und Morbbrennerei. Braunſchweiz
Rademacher. 8. 711, Ror.
‚_.Yübner, 8. D., ie Banken. Rah den neueſten Re
tiftifchen Notizen und Berichten bearbeitet. Leipzig, Schaͤfer.
Ler.:8. 232%, Nor.
Bell, F. €. WB. K., Bwei Feſtreden, mit Müdfict af
beingende Beitforderungen an bie Diener der Kirche über Sp
* 1—7 und Marc. 2, 22. Friedberg, Bindernagel. Gr.
&acco 1845. ee 1 Thlr 19 r.
— — derſ. 2ter Band e Auflage. Berlin, Sacco. orträge, gehalten bei ber Peſtalozzi⸗Feier am 12. Jcazar
1845. 8, 1Ihlr. 1846 in Bafel. Bafel, Schweighaufer. * 8 11 Rgr.
Verantwortliger Seraudgebes: Heinrich Wrodjans. — Drud und Verlag von F. X. Brockhaus in Leipzig.
Blätter
für |
literariſche Unterhaltung.
ahrhundert. Sechs Bände.
VDeſchlu aus Ne. 178.)
Diefe Verfchiedenheif ber politifchen Berhältniffe fcheint
und, unter den jegigen Verhaͤltniſſen wenigfiens, noth⸗
wendig einen großen Unterfihieb im Charakter der peli-
tifchen Beredtſamkeit der Deutfchen und ber Franzofen
und Engländer zu bedingen, und während wir wol zu⸗
geben mögen, daß dieſe beiden Nationen es darin um
ein Bebeutenbes weiter gebracht haben al wir, Hlauben
wir dwch behanpten zu dürfen, daß ein noch fo glüdit«
ches Betteifern deutfcher Redner mit denen des Aus
lands im hohen, großen, pompöfen Stil der Beredtſam⸗
keit unter den jepigen Verhaͤltnifſen kaum als wuͤnſchens⸗
werth, vielmehr als ein Abweg zu betrachten wäre. Die
Beredtfamkeit, deren Früchte theterifche Kunftwerke ober
Kunſtſtücke find, gehört, möchten wir fagen, zum Lupus
ber politifhen Bildung. Wie jeder andere fo hat auch
diefer Lupus, der unter gewiffen Umfländen mit Noth-
wendigkeit eintritt, feine Berechtigung, feinen Nutzen,
fein Schönes und Edles, fofern er der reinen ‚ erheben-
ben, berebeinden, idealen Kunſt mehr oder weniger fich
nähert; er hat aber auch fein Schaͤdliches und Werberbs
les, ſofern er vom Nothwendigen, Nüglichen und Wohl-
thäfigen leicht den Blick ablenft und an die Gtelle der
Sediegenheit und Wahrheit den reizenden und blenden—
ben Schein fe. Wo bie Entwidelung der politifchen
Bildung diefen Luxus Herbeigeführt und zu eines gewiß
fen Rothwendigkeit gemacht bat, mag man fig ber red⸗
merifhen Talente und Genies freuen und ihnen bie ver-
diente Bewunderung zollen; man mag bie Schoͤnhelt
und Kraft ber Form ehren, auch wo man vom Inhalt
nicht überzeugt wird; aber man follte fich hüten, Ber
redneriſchen Form und Schoͤnheit einen zu hohen
beizulegen, und noch mehr, den Luxus ber polltiſchen
Bildung da einzuführen und mit ihm anzufangen, wo
er noch nicht durch den natürlichen Gang ber Dinge
zur Nothwendigkeit geworben if. Kant fagg n der
„Kritik der Ürtheilskrafe" cin beherzigenswerthes Bart!
Wer bei Marer Cinficht in die Sachen die Sprache nad)
ihrem Reichthum und Reinigkeit in feiner Gewalt bat, ünd
bei einer fruchfbaren, zur Darftellung feiner Ideen tüchtigen
Einbildungsfraft tcbhaften DHerzensantheil am währen Guten
BSBibliothek pofitifier Reben aus dem 18. und 19,
26. Zuni 1846.
nimmt, ift der vir bonus dieendi peritus, ber Brebnet ohne
w
Kunſt aber voll Rachdruck wie ihn Ticero haben
Derſelbe unterſcheidet die Beredtheit oder Wohlreden⸗
beit als die Fähigkeit, ſich richtig geordnet und gut aus-
udrüden, von ber Rednerkunft, die er als „eine Kunfl,
ha der Schwächen ber Menfchen zu feinen Abfichten zu
edienen, gar keiner Achtung würdig” erklärt und von
ihr ſagt: „fie erhob fih sur, ſowol in Athen als in
Rom, zur höhften Stufe zu einer Zeit, da det Staat
feinem Verderben zueilte und wahte patriotifhe Den:
fungsatt etlofhen war.” Die Grenze zwiſchen beiden
iſt freilich ſchwer zu ziehen, aber baf ein Unterfchied bes
fieht, erkennt oder fühlt Jeder. Zür uns Deutfde nun
ift es gewiß bie nächte und wichtigfte Aufgabe, nicht
fowol uns zu politifchen Rebnern im Sinne von gewal-
tigen Rebelünftiern zu fleigern, welche den Binfel der
politifhen Entwickelung eines Volkes bilden, als vielmehr
um bie Gtundlagen bes politifchen Willens und Cha-
tafter8 uns zu bemühen, und in der Beredtfamkeit nur
nad) ber Fertigkeit des fliegenden, fachgemäßen, bündigen
Ausdruds unferer Gedanken und Anfichten zu ſtreben.
„Es trägt Verftand und rechter Sinn mit wenig Kunft
ſich felbft vor”, fagt Goethe, und gewiß mit Hecht; nut
muß man anerkennen, daß der einfache, tichtige, Mare
und bündige Vortrag unferer Gedanken, ber und Deut:
[hen oft ſchwer wird, nicht auch fhon zum Luxus und
Überfluß gehört, fondern eine unerlagliche Pflicht und
Nothwendigkeit if. Gute Sprecher thun Deutfchland
mehr noch als glänzende Redner; und wenn wir nicht
irren, fängt man aud) in England an, ben Glanz und
die Kunft ber Nebner geringer zu fchägen als früher.
England hat nach ziemlich allgemeiner Anficht zu Ende
bes vorigen und zu Anfange diefes Zahrhunderts feine
größten politifchen Redner gehabt, und zur Zeit ber
Kämpfe zwifchen einem Pitt und For und Burke Brängte
men ſich ind Parlament wie ins Theater mit ebenfo
viel äfthetifchem als politifchem Intereffe; in neuern Zei-
ten haben Minifterien ohne Redner erften Ranges, aber
aus einfihtsvollen, wohlmeinenden Männern und guten
Sprechern beſtehend, fi gu behanpten vermocht und bie
Ratten hat fig wohl dabei befunden. Abgeſehen da-
von, daß die großen Reden doch in den feitenfien Fal⸗
fen auf die Entſcheibung efner Berfanemfung Einflaf
in welcher Beziehung ihnen oft eine bebeutende und heil⸗
fame Wirkſamkeit zukommen mag, haben fie auch den
Nachtheil, daß verhältnigmäßig nur Wenige zum Worte
fommen, während bei: der, in kurzen Vorträgen und
Außerungen geführten Debatte Mancher fäne Meinung
ausfprechen kann, der zu einer Rede nicht bad Salent
und den Muth hätte.
Wer dies zugibt, wird ſich darüber nicht grämen,
daß die deutfchen politiſchen Redner, welche in der vor-
liegenden „Bibliothek“ auftreten, hinter den englifhen und
franzöfifhen im Ganzen wol zurüdftchen, mährend fie
doch theilmeife in den wefentlichften en mit ihnen die
Vergleichung aushalten koͤnnen. Die „Bibliothek bringt
zwei Reden aus Würtemberg, vor ber Zeit der Verfaſ⸗
fung vom Grafen von Walde und vom Freiherrn von
Cotta gehalten, und feine aus den legten 30 Jahren.
Dies hat ohne Zweifel feinen Grund darin, daß in ber
Stänbeverfammlung dieſes Landes weniger fürmliche Re⸗
den gehalten werden als anderdwo, und die eigentliche
Debatte überwiegt, wobei die politifche Intelligenz und
Energie der von andern mol gleich fteht, und ebenfo das
Refultat — oder die Erfolglofigkeit, wie man will. In
der badifhen Ständeverfanimlung herrſcht die Gewohn⸗
beit der größern Reden, was zum Theil erklärt, daß ih⸗
zen Mitgliedern beinahe der vierte Theil der bier ge-
fammelten Reden angehört. Es ift jedoch zu bemerken,
dag mehre der bedeutendften und umfangreichften dieſer
Reden den Charakter von Commiſſionsberichten tragen,
wie 3. B. Mittermaier’s Vortrag über Verfaffung und
Derwaltung ber Gemeinden, Rotted’s über Dandelsfrei-
heit, Winter’ über das babifche Adelsedict, mithin
fireng genommen mehr unter die Claſſe der politifchen
Abhandlung als der eigentlihen Nebe fallen. Dem
Zwecke der politifchen Belehrung und Aufklärung ent
fpreden dieſe gehaltvollen Vorträge vortrefflih, mäh-
vend fie nicht ebenfo geeignet find, eine genaue Vorſtel⸗
lung von dem Stande der politifchen Beredtſamkeit in
Deutfchland zu geben. Indeffen, wie ſchon gefagt, bie
Förderung einer gründlichen politifchen Bildung und
Einfiht ift für uns Deutfche ein weſentlicheres Bebürf-
niß als die Steigerung der Beredtſamkeit — dieſe er-
wächſt, fo weit es nöthig iſt, aus jener von felbft —
und in dieſem Sinne hauptfächlic wünfchen wir, daß
die „Bibliothek“ recht gute Früchte trage, daß fie den
Sinn für gediegene, ſachgemäße Beredtfamkeit im
Begenfag zur politifhen Declamation Täutere und Träf-
fige. 33.
Taſchenbuͤcherſchau fuͤr das Jahr 1846.
Dritter und legter Artikel.
(Bertfegung aus Rx. 316.)
13. Iris.
ne BE Eee Name Zee
te . „Die —2* Bon einentlicher Geſchichte iſt wieder
» 306:
üben und mebr für bas große Publicum berechnet find, lehr wenig darin zu finden.
darin. Faſt Alles Schilderung, le
Detailmalerei, wiewol mehr als ſonſt in erzählender Form
Aber auch hier wieder derſelbe eigenthuͤmliche Keiz, der uns
wie mit einer Zauberformel ſo lange in des Fe magige
Kreife bannt, bis er uns felbft mit dem legten Punktum wieder
freigibt. Was ums eigentlich dabei feſſelt, iſt ſchwer zu fagen.
Nur fo Hl —— daß jene n Ki Zuſtande dA
Raivetät befindliche Kuͤnſtlesironie welche ifre Schöpfang
KR
obwol ganz in ihr aufgebend, für nichts achtet, welde die
feinften Bemerkungen und tieffien Beobachtungen nur fo ge
legentlih aus dem Urmel fehüttelt, welche ſich auch um den Be
fer nicht fonderlih Fümmert, fondern nach eigener Laune und
egeneo Belieben ihren Weg weitergeht, ein
|
age
oft gebacht, aber da in meine Ab; efchtedenheit" Feine andern
ci Blätter, die ih mi
Zriumphe fie inzwiſchen eingeesntet haben konnten. So kan
ed au, daß ihr Bild nach und nach immer mehr bei mir em
bleichte und ich oft wochenlang an die zwei Madden nidt
dachte, mit denen id einmal gereik bin und die mir mit #
rem Spiele fo viel Freude gemacht haben, außer wenn ich feibk
etwa meine Geige zur Hand nahm und in meiner grüne
Stube, wo ich allein war und nur die Kupferfliche die ich ge—
erbt Hatte um mid) herumbingen, an einfamen Abenden und
bis tief in Die Nacht Hinein, wenn alle meine Knechte ib
Maͤgde fchon fchliefen, mir etwas vorgeigte, ba dachte id a
fie und dachte mit Schmerzen an fie, wo fie denn bie use
greifliden Zöne hernehmen, die unbefchreiblichen, die fle da
Menfhen vorfpielen und die in meinen Saiten gar nit xt
handen find, ich mochte mit ihnen thun was ich wollte, w
ich ließ mir Doch die aerbeften kommen welde in Europa x
baben find, und meine Beige gehörte unter die melde weni
haben die ihre leihen find. Wenn dann bat monatli
Quartett zu Stande Fam, zu welchem wir vier Beitungshalter
ufammenreiften, der Herr Dedant zu Blmenau, der Hert
—*2 zu Alshag, der Schulmeiſter in weinen Dorfe und
ich, und wenn wir zuerſt eins von Haydn autführten, Tanz
auf Mozart übergingen und mit Beethoven den Schu med-
ten, den wir uns mandmal aud wiederholen mußten, und
wenn fie dann zufrieden waren und fagten, daß bie Kirchen
mufif in Blumenau und in Stromberg lange nicht fo präns
fei und daß es überhaupt nicht gar viele Quartette im Launde
eben dürfte, die fi mit und meſſen Fünnten, wo mon nämli
gewiſſenhaft umginge, fo viele Proben machte, ſich Beise
Bebhntelnote fchenkte, jede Kleinigkeit rügte, immer wieder vom
Anfang anfinge und nicht raftete, bis man Alles ohne Fehler
berfpielen koͤnnte, darum es aber dann auch eine Preute fi,
fo etwas zu hören und bie Meiſter im Grabe zufrieden ſein
Tönnten, daß ihre Sachen nicht gefegändet würben; wenn ft
bied fagten, dann dachte ich exft recht an die Milanelis,
war ob daß fie bei unferer Muſik nit zugegen waren und
lieg meine KRunftfeeunde fagen was fie wollten. Rad folden
Abenden brachte ich fie dann eine ganze Woche nicht aus dem
Sinne und ed war ein Süd, da} unfere monatlichen Dun
tette endlich zu bafbjährigen zufammenfhrumpften und auf
ba nicht immer abgepalten wurden, außer wir fchrieben un
Ginladungsbriefe und beflimmten uns ausdrücklich endlich doqh
-| wieder einen Zag, an dem wir wieder einmal muficiren wol:
ten. &o war ed mit mir und fo lebte ich die Zeit dakim.”
mit melder 8 figkeit, mit welchen behaͤbigen Vhlegms
mit welcher ſcheinbaren Nichtachtung des Objects unb Werzift
leiftung auf Effect ift dies Alles mitgetheilt; und dennoch am
um wie viel tiefen und Iebendigern Eindruck macht es als ale
kühendften Enthuflesmus abgefaßten Pfalmodien, die we
im
ollwöchentlich über biefen und jenen Birtuoſen in ben Beitm
un 0 Mm 7 G He — —— — — TE me — — Gm —
— —,
—
707
n Iefen? Und wie jene Bhilderung iſt eigentlich Alles bei
tifter, wenigſtens alles Das, was I eigenthümliches, ihm
befonderd an gehoͤriges Sepraͤge trägt. Hinter dem Scheine
ringer Mittel bedeutende Wirkungen, in einigen wie beiläufig
Bingeoorfenen Bügen ein reicher und tiefer Sinn und im fehein-
ar breiten, minutiöfen Beſchreibungen ein reges Leben und
großartige Eharaktere. Uber fo fehr wir geneigt find, Dieß
anzuerfennen und fo oft wir ung ſchon über Pi Zalent lo:
bend ausgefprochen haben, Fönnen wir uns, dod nicht verheh⸗
len, daß die Art und Weiſe feiner Production auch ihre bes
denklichen Seiten bat, beſonders wenn der Beifall, den ee ſchon
im reihen Maße zu ernten beginnt, minder Befähigte zur
Nachahmung reizen follte. Faſt alle feine Probucte find nam:
lich, wie er fie richtig felbft bezeichnet bat, noch Peine eigent⸗
lichen Kunftwerke, fondern nur Übungen und Studien dazu.
Aber Stubien, die mit fo feiner Beobachtungsgabe der Natur
abgelaufcht, mit fo viel Genialität im Geifte umgebildet und
mit fo viel Geſchick und Zalent ausgeführt find, daß fie in ein⸗
einen Partien bedeutendere Kunſtwerke übertreffen. Darin
iegt etwas fehr Verführiſches. Es kann leicht den Sinn
anz und gar vom Ganzen ablenken und den alfo ſchaffenden
eih leicht in die ierthümliche Meinung bineinreden, als babe
er eben mit dem Ginzelnen ſchon genug gethan, als bedürfe
es hoͤchſtens einiger fühnen Züge und einer genialen Schluß.
wendung, um dem Einzelnen wenigftend einen Schein von To⸗
talität aufzubrüden. In der Mufit haben wir bereits etwas
Ähnliches erlebt. Indem die jungen Eomponiften vorzugsweife
darauf ausgingen, ihre Wirtuofität im Einzelnen zu zeigen,
erfplitterten fie ihre Kräfte an glänzenden Ererciceg und bril⸗
anten Etuden, verfäumten daruber, größere Werde und pro:
portional gegliederte Zondichtungen ſchaffen zu lernen, und bie
Kunft ging mittlerweile ziemlid leer aus. Wie leicht kann
fh nun in der Boefie Daffelbe ereignen, zumal ba bereits Die
Stifterfchen Arbeiten mit jenen Etuden und Exereices nicht
blos den Ramen, fondern auch ben leichten, nadjläjfigen Wurf
im Ganzen, die Virtubfität in ber Ausführung des Einzelnen
und noch manche Andere gemein haben. Daher Fönnen wir
dem talentvollen Dichter nur rathen, fo bald als möglich zur
eigentlichen KRunftihöpfung überzulenten, zu welder er, wie
fi) aus einzelnen Dichtungen, 3. B. aus „Brigitta, fchließen
läßt, unverkennbar berufen ift.
Unter den übrigen Erzählungen der „Iris ift die bedeu⸗
tendfte und unterhaltendfte „Prinz Gonti”’ von Walter
Zefche, eine hiftorifche Rovelle, die zwar wie Alles, was wir
no von Teſche gelefen haben, ein wenig langfam fortfchreitet,
Dafür aber durch lebendige Schilderungen intereffanter Perfön-
ichkeiten vom Hofe Ludwig's XIV. und ihre durchaus noble
Haltung entihädigt. Dagegen ift „Die Coquette ober das
fürftlide Zodtengewölbe zu W— ſt“, von Wilh. Meinhold,
eine ziemlich gewöhnliche Schaudergeſchichte, in des dic Berau⸗
bung einer Zodtengruft und die Beitrafung bafür durch eine
gemeine Coquette den Hauptinhalt bildet. Ludwig Nein hat
Denfelben Stoff, fo viel ich mich erinnere, viel glüdlicher bes
anbelt. Auch eine Rovelle von Theodor Stamm und ein
ärchen vom Herausgeber Johann Grafen Mailaͤth find
von untergeordnetem Werthe; empfehlenswerther die „Wahre
nach Edinburg” aus den Papieren eines verabfchiedeten Lan-
zenknechts und „Das Mädchen von Sanct⸗Giorgio“, von
Betty Paoly, worin erzählt -wird, wie die Dogensvon Be:
nedig zu der Sitte gelangt find, ih mit dem Meere zu ver:
mäbhlen. Unter den Gedichten verdient „Die Haremsroſe“, von
J. &. Seidl, hervorgehoben zu werben. Es bat wenigftens
den Borzug, daß ed nicht nach dem gewöhnlichen Balladen
fehmitt zugefänitten iR. Ä
14. Rarrenalmanach.
Kein Schriftfteller tritt vielleicht in feinen Productionen
die Gefege der Kunft fo frivol mit Füßen und fchlägt den
äfthpetifchen Regeln fo höhnif ein Schnippchen als Ottinger,
man bei jedem Andern bie
| fhlagen würde; aber bei ihm achtet man es nicht, weil er doch
und dennoch iſt fein Wimanad immer als. eine ergüpliche
und willkommene Lecture Begrüßt und felbft von Denen 9 ri
aufgenommen, welche fonft die Verachtung der Kunftgefege nicht
fo gutwillig hinzunehmen pflegen. Der Grund hiervon tft
leicht zu ermeſſen. Ottinger nimmt im Bereiche der Kunft
etwa diefelbe Stellung ein wie ein Aventurier in der Befehl
haft. Auch dieſer erlaubt fi alles Mögliche, was gegen
Sitte, Anitand und hergebrachte Drbnung ift und worüber.
Hände über dem Kopfe zufammen>
bei allebem eine intereffante Erſcheinung ift und Vieles zu er»
zählen weiß was man fonft nicht alle Tage zu hören bekommt,
ja man findet feine Berftöße fogar genial und liebenswürdig,
weil fie mit folder Kedheit und &icherheit gemacht werden,
baß Jeder meint, er verlaffe den gewohnten Weg nicht aus
Unkenntniß und Unvermögen, fondern vielmehr aus höherer
Einſicht und im Befig einer mächtiger wirkenden Kraft. Auch
in den beiden Erzählungen des vorliegenden Jahrganges des
„Rarrenalmanach“ entfaltet der Verf. wieder fo viel Reich⸗
thum interefjanten Stoff und beftechende Nonchalance in Hand»
abung ber Borm, daß man ihm von Seite zu Seite willig
Igt und ohne Scrupel ein buntgewürfeltes Amufement als
Surrogat für einen wirklichen Kunftgenuß binnimmt. Die
erfte der beiden Erzählungen portraitirt und diesmal einen
Rarren von Profeffion, nämlich den Hofnarren Sr. Majeftät
des Königs Friedrich Wilhelm I. ven Preußen, Jakob Paul
von Grundling, das Stichblatt des Witges und den Spielball
der roheſten Späße und empörendfien Mishandlungen nicht
nur für_den König, fondern für ale intriganten ihm feind»
feligen Hofſchranzen. So fehen wir unter Anderm dieſen ar:
men Grundling, der trog jeiner Gelehrſamkeit freilich ein höchſt
ungebildeter, feiger, dem Trunk ergebener und ſich felbit weg⸗
werfender Narr, aber doch von Herzen nicht boͤsartig und in
manchem Betracht ehrenwerther als ſeine Peiniger war, wie
man ihn im Tabackscollegium ei betrunten macht, wie
man ihn in diefem Zuftande verführt, in ein mit Kienruß ge»
fültes Horn zu blafen und ſich dadurch zum leibhaftigen Mob- .
ven zu machen, ihn dann zur Zhür bHinauswirft-unb der Ges
fahr der Goſſen und dem Spott ber Rachtwäcter preisgibt;
ferner wie man ihn, der gar nicht tanzen konnte, zwingt, vor
siner großen Geſellſchaft ein Menuet mit einem Bären zu
tanzen; ferner wie man ihn, ebenfalls im trunkenen Zuftande,
in eine Sänfte padt, in welcher ihm mitten auf dem Wege
der Boden unter den Füßen zuſammenbricht, fodaß er. da die
Zröger auf fein Rufen nicht hören "dürfen, im raſcheſten Zrabe
durch Dünn und Did mitlaufen muß, bis man endlich die
Sänfte in einer Pfüge ſtehen und ihn fo lange in berfelben
campiren läßt, bis er von der Patrouille ald ein Betrunkener
in die Wade traneportirt wird; ferner wie man ihn, ald er
in Folge hiervon in Schweiß und fchwerem Fieber liegt, durch
einen vermeintlichen Badelgug aus dem Bette auf die Straße
lot, blos um ihm in einem geheimnißvollen Briefe eine auf
ihn gemachte GSrabfchrift zufommen zu laſſen, des Inhalte:
Bewund’re Lefer nicht, was und Me Yabel fagt,
Dat dort bein Lucian ein Menſch zum Gfel worden,
Daß fih ein Jupiter zum Stier und Ochſen madt,
Und daß Ulyſſes Koch tritt in der Schweine Orden:
Dier muß ein großer Dann in biefer Gruft verweſen,
Der Efel, Ochs und Schwein zu gleiher Zeit gewefen.
ner, wie mam ihn kurz nad feiner Genefung zwingt, wie
st V. bei Lebgeiten fi in einen Sarg zu legen und dadurch
Gelegenheit zu einem mit allerhand rohen Späßen ausgeftat-
teten Reichenbegängniß feiner eigenen Perfon zu geben; Ferner
wie man ihn in ein Zimmer fperrt und duch zwei Löcher
Schwärmer und Froͤſche auf ihm abſchleßt, dadurch feine Pe⸗
rüde in Brand ſett umb hierauf ihn wieder durch dicke W
—— aus einer Fenerſprige bis aufs Hemde durchnaͤßt;
ex wie man ihn durch falfehe Briefe einrebet, daß die Koͤ⸗
708
nigin Sophia Dorothea in ihn vetllebt
wur ung folgenden Gebichts begeift
D Sophia Dorotdea,
Meines Herzens Panacea,
End’ und Anfang aller Wonne,
Keuſcher Mond und bolde Sonne,
D Sophia Dorothea
Meine Rahel, meine Lea,
Sieben volle Jahr' ſchon werde,
Sieben volle Jaht' ſchon ſterbe
Seh für dich, o Königin!
D Sophia Dorothea,
Meines Herzens Cpopda.
Traute Wurzel meiner Freuden,
Sundamentum meiner Leiden,
D Sophia Dorothea
Deiner Schmerzen Panacea,
Tod und Leben will ich wagen,
Um, o Kön’gin, die zu fegen,
D Sophia Dorsten,
Juno, Bernd und Aſtraͤa,
Döre meiner Liebe Ficken,
Laß mi fo nicht von bir gehen,
D Sophia Dorothea,
Holde Rymphe Amalthea
Stille meiner Blech’ Geluͤſte,
Reich’ den Nektar deiner Brüfte
Deinen Säugling Jupiter!
Berner wie man ihn veranlaßt, diefed Gedicht einer in die Kö-
aigin verffeideten Dame zu überreichen und darauf baffelde
tem König hinterbringt, der demzufolge Grundling drei Bor
dien auf der Hausvogtei ſitzen läßt, ihn hierauf zum Tode ver
artheilt, mit verbundenen Augen vermeintlich nah Spandau
zus Hinrichtung transporticen und fo lange vie ganze Aodes⸗
angft ausſtehen läßt, bis ihm endlich im Tabackscollegium die
Binde von den Augen genommen und ihm das Ganze als ein
bloßer Scherz erflärt wird; und endlich wie man ihn von ſechs
Grenadieren an Stricken befefligen, von ber Brüde in den
Schloßgraben werfen und ihn mit halbem Leibe eine lange
Weite unter dem Life im Waſſer zappeln läßt. Wenn wir
dies Ulles lefen ynd nehmen ed als bloße Dichtung Hin, fo
verfehlt zwar die Ergötzlichkeit und Komik, die einmal in der
Erſcheinung des Unfinns und des Widerfinns liegt, auch bier
ihre Wirkung nicht und wir müſſen über die eine oder die
andere Situation herzlich lachen; denken wir aber daran, daß
Diefer Dichtung eine Wahrheit zum Grunde liegt, daß ed wir
je end in den höchften Sphären der Geſellſchaft fo bat Kir
sehen Tonnen, dann fchlägt unfere komiſche Luſt in ein fehr
ernſtes Gefühl um und wie müffen es der Eintwidelung bes
Volksbewußtſeins Dank willen, daß wenigftens fo etwas in un:
ſerer Beit nicht mehr möglich ?
Die zweite Babe: „Sophie Arnould“, dab Gittengemälde
einer parifer Sängerin und ihrer fieben Liebhaber, kann fid
mit vorftehendem weder an ftofflidem noch an formellen Ins
tereffe meſſen. Dennoch bietet auch fie der piquanten Stenen
und Gharakterzüge genug umb ift namentlid wieder reich an
folden Stellen, worin der Berf. das Guriohitätencabinet feines
Gedaͤchtniſſes auskramt.
Bu dieſen beiden Hauptgaben der Berf. noch eine
Pereze dritte: „Pa — tſchou — ly“, eine handgreifliche Satire auf
den Heine ſchen „Kaiſer von China“ Hinzu, die wir als ein
ziemlich wohlfeiles und im Ganzen verunglüdtes Product ber
zeichnen muͤſſen.
15. Taſchenbuch für JIager und Naturfreunde.
Da fich der vorliegende diefes weiland „por
—— ff ner —— ——— — — Yagd ber
und sum Theil auf Grfahrung gearündete Berichte
dürfte er leicht au in andern Krei Y
der Zpat
ih feinen cyniſchen er wit
verleugnen kann, geſchrieben if. Borzugsweife verbreitet ſich
darin Reftor Esq. uber Degrüßungkreremonic und andere hun®
liche Gebräuche, und gibt namentlig über die Bitte Der Hunde,
Mauern, Pfähle und vorzüglih Edfteine mit Der hoͤchſte
Zugen E berieden und anzufeuchten, fehr überrafchenbe Uıf
lüfſe. Da naͤmlich das Laut: und Gehörorgan bei den
en nur mangelhaft ausgebildet fei, fo habe die Ratur auf ar
dere WBeife * geſorgt, daß ſie —* Gedanken und Gefühl
einander mittbeilen Bännten. Jeder Gedanke unb Gemüt
—5 naͤmlich, den fie hätten, veraͤndere augenblicklich die
fchaffenheit der in der Blafe befindlichen Fluͤſſigkeit und cheil⸗e
ihr einen fpecifiichen Geruch mit, welder den Gedanken fh
eine Hundenafe vollftändig verftändlih austrüde. Run fen
ale Hunde große Freunde der Öffentlichkeit, und wie die Re
Sr buch Affihen und Placate, fo fuchten auch fie dus
riftliche Darftelung ihre Anfichten ins Yublicum zu bre
gen, indem Jeder, der feinen Mitbürgern etwas zu fagen habe,
Diefed gegen eine Mauer oder einen Eckſtein forige us de
durch die andern Hunde veranlaffe, es & tefen und feine Ru:
nung Dazuzufegen. So verträten Die Eckſteine, indem fe Ge
legenheit zu einem öffentlihen Austaufhe der Ideen gäbe
unter den Hunden ganz die Stelle der Sournale und fr hi
ten infofern vor diefen fogar den Borzug, daß fie als eig
Genfor nur den Regen zu fürchten hätten, weshalb denn u
biefeer auf die Hunde einen fo höchſt deprimirenden Einderd
mühe. Auch über die unmittelbare oder mündlide Unterhal⸗
tung macht Reftor Mittheilungen. So fchildert er z. S. fen
Benehmen bei der Begegnung eined fremden Hundes ebenſo
originel als naturgetreu. Doc Eönnen wir hier der cyniſchen
Literatur unmöglich einen noch weitern Raum gönnen.
(Die Fortſetzung folgt.)
und Sofrath”‘, muß no geant werden, da fie
e
Literarifhe Anzeige.
Im Berlage von SB. WE. Wrodbaus in Leipzig ift erſchie
nen und in alen Buchhandlungen zu :
Bolks-Biblisthek.
Eirster und zweiter Band.
Gr. 8 Geh.
ST. Joachim Nette lBeck, Bürger zu Kolberg. Eine
Lebensbeſchreibung von ihm ſelbſt aufgezeichnet, und ker
ausgegehen von 4 Ch, C. Haken. Mit Rettelbesd⸗
Bildniß und einem Plane der Gegend um Kolbe.
Zweite Auflage 1845. 1 Thlr.
II. Der alte Beim, Leben und Wirken Graf
Ludwig Heim's, koͤnigl. preußifchen Geheimen - Racks
und Doctors der Arzneiwiſſenſchaft. Aus Ginterlaffenen
Briefen und Tagebuͤchern herausgegeben von G. M.
Kessler. Zweite, mit Zufägen vermehrte Auflage
Mit Heim’s Bildniß. 1846. 1 Tihkr.
Berantwortlicher Herausgeber: Heiurich Wroddans. — Drud und Verlag von F. X. Drockhans ia Reipsig.
Blätter
für
literarifde Unterhaltung.
affe
Unfelm von Ganterbury. Dargeftelit von F. A.
gel⸗
Erſter Theil: Das Leben Anſelm's. Leipzig,
mann. 1843. Gr. 8. 2 Thlr. 7 Rgr.
Das Leben ausgezeichneter Maͤnner gibt ſtets ein Bild
ihrer Zeit, in welcher ſie geglaͤnzt oder gelitten, beliebt
oder verhaßt geweſen, und indem man von ihnen erfährt,
erfährt man. zugleich von Ihren Umgebungen, auf welche
fie bedeutfam einwirften. Rur ein zurüdgezogenes Da⸗
fein menfchlicher Gewoͤhnlichkeit, vielleicht das glücklichſte
für fie felbft, entzieht fi den Berührungen Öffentlicher
Verhältniffe im Kreife der Familie, einer ruhmlofen Be⸗
fchäffigung, und iſt in feiner durch geringen Wechfel un-
terbrochenen Stille ungefähr zu allen Zeiten ähnlich.
Anfelm nun ift feiner der Geringften in feinem Jahr⸗
hundert für Kirchenhiftorie, er ift in Beziehung auf
Frömmigkeit ein Helliger, in Beziehung auf die Kirche
ein tapferer Vertheibiger ihrer Anfprüche, und für bie
dpgmatifche Theologie ein zweiter Auguflinus, wie man
ihn genannt; ja fein ontologifher Beweis für das Da-
fein Gottes fteht noch fegt feit Carteſius mit der neue
ſten Philofophie in Verbindung. Nach diefen drei Sei-
ten, der religiöfen, tirchlich -politifchen und ber wiffen-
ſchaftlichen, fehildert ihn der Verf., und vorliegender Theil
enthalt die beiden erften, mit größerer Vollftändigkeit ale
einige Vorgänger (Brand und Möhler) den Begenftand
behandelt, und zugleich nicht Eritifch ratfonnirend, fondern
objectiv, wie man ſich auszndrüden pflegt, d. h. ſelbſt⸗
genüugfam nach eigenthümlicher Erfcheinung, durch welche
gewiß zu fobende Weife das Mittelalter neuerdings in
einem günftigeen Lichte ſich darflellt als früher, und
warme Freunde unter ben Hiſtorikern gefunden hat.
Kein geringes unter den Jahrhunderten ift dasjenige
Anſelm's (geb. 1033, geft. 1109). Es fah den normän-
nifhen Eroberer Wilhelm, Papft Gregor VIE. und an
feinem Rande den erflen Kreuzzug. Weltliche Gewalt
und geiftlihe Macht zeigen the angeborenes Weſen, und
beide flürzen auf den ungläubigen Orient für abenblän-
diſche Herrſchaft und abendländifche Gottesverehrung. An-
felm war Mond, war Erzbiſchof, in beiderlei Charakter
mit dem Geifte des Jahrhunderts einftimmig, und nad,
diefem Doppelbilbe entfaltet ſich feine Lebensgeſchichte.
Das Moͤnchthum ift allerdinge aus dem Beſtreben
zur Darftellung einer Gemeinſchaft der Heiligen hervor⸗
Sonnabend, _— Mr. 178,
Kloſterleben entfchieben.
gegangen, mas bie Kirche fein ſollte, aber durch Verfall
ber Kicchenzucht nicht blieb; der Verf. nennt baher bie
Klöfter die „wahren Gemeinen, bie Kirche in bee Kirche“,
wir möchten fie kieber nennen: „Seminarien der Hellig⸗
feit.” Denn mit der gewöhnlichen chriftlichen Geſinnung
war ein lebhafter Eifer nicht mehr befriebige, ber reine
Himmel des Krommen fonnte nur gewonnen werben
bucch Entfagung ber Welt, und was Einzelne ale Ein-
fiedler durch Fluche aus der menfchlihen Geſellſchaft er-
reichten, konnte auch in gemeinfamer Abgeſchiedenheit
Mebren zu Theil werden, wofür eine Orbensregel und
ſtrenger Gehorſam fi eigneten. Irdiſchem Genuß und
ben Freuden des Lebens zu entfagen ift nicht leicht, ſich
in biefer Geſinnung zu erhalten ebenfalls ſchwer, eine
fortwährende Mortification des weltlihen Hanges daher
empfehlungswerth, und wie weit es barin mit’ gefleiger-
ter Gelbftpeinigung Ranche braten, ift aus Kloſter⸗
geſchichten befannt; auf jeden Fall wird Jemand, der
fh dazu entſchließt, andern Menſchen überlegen, unb
wenn biefe ein Berdienſt in folcher Stärke erblidien, ver⸗
ehren fie den Starken, über das Irdiſche Siegenden. IR
diefe Staͤrke begleitet von irgend einer geifligen Bildung,
von Meditation und theologifcher Speculation, äußert fie
ſich in kräftiger Ermahnung zu gottgefälligen Leben, im
©trafprebigten gegen welttiche Sünden, in Verheißungen
der göttlichen Gnade durch Fürbitten und kirchliche Ge⸗
bräude, fo wird das große Gewicht des Kloſterlebens
auf ein demfelben zugemandtes chriftfiches Zeitalter ſehr
erklärbar. Nichts wirkt gewaltiger auf den Menſchen
als ein Nichtmenfehliches; als fremd, als außerordentlich,
liegt es entfernt vom menfchlichen Gefichtskreiſe, tft wun⸗
berbar, übermenſchlich, heilig.
Nur ftrenge Kloͤſter, wie das zu Clugny, konnten
fih entfchiedenen Einſtuſſes erfreuen, Bifchöfe, Kalfer
und Könige, felbft Paͤpſte bebienten fich bes Rathes ber
Abte. Ein ſolches war Bec in der Normandie; fein
Stifter Herluin entfagte bem Ritterthum und Blanze bes
Hofes, ‘verwandte feine Güter auf den Ban beffelben.
Lanfranc lehrte dort unter Zulauf von Schülern unb
Anfelm ward fen Nachfolger. Diefen hatte eigene ſchon
früh gefühlte und fpäter wiedererwedte Neigung fammt
einem Ausſpruche des Erzbiſchofs von Rouen für das
&r übte batd als Prior bie
| 1 0.
J
: t
Aufficht, Leitung der Studien, bisciplinifche Infpection
und eigentliche Seelforge, mit befonderer Aufmerkfamteit
auf die jüngern bildfamen Bewohner bes Kloſters. We⸗
niger firafend, als liebevoll ermahnend, gewann er fi
bie Gemüther. Die Heilige Schrift und die Kirchenvaͤter
wurden gelefen, Anfelm erklärte umb vertiefte fich zugleich’
in Speculationen. Zum Abte emporgeftiegen erhielt: er
die äußere Verwaltung bes Kloſters, mußte oft nach
England, wo Befigungen lagen, hinüberfchiffen, wo felbft
der König Wilhelm, „fonft ein furchtbarer Herr’, leut⸗
felig gegen ihn war, und Verbindung mit den höchſten
kirchlichen Bewalten ſich anknüpfte. Es wird von ihm
gerübme, er fei „reich au gutem Math” gewefen, daher
er dann eine Menge von Briefen zu fchreiben hatte.
Am bäufigften wird geifllicher Math, begehrt. Eine vor-
nehme Dame wollte ihrem Manne nicht geftatten, fich
wegen eines Gelubdes ins Kloſter zu begeben. Anfelm
führt ihr zu Gemüthe, daß fie feine Seele lieben müffe,
und nur dann ihn in Wahrheit liebe, daß keine zeitlichen
Bortheile dabei in Betracht kämen u.f. w. Er ſtellt bei
jeber Gelegenheit das Moͤnchthum hoch; „ſei Eins mit
Gott und den Menfchen, fofern fie von Gott nicht ab-
weichen, und du fängft ſchon an, mit Bott und all-
heilig zu regieren”, ruft er einem Klausner zu, der ihn
um Belehrung gebeten. Die Sammlung ber Briefe iſt
groß, und begreiflich kommen darin die mannichfachften
Gegenftände zur Sprache.
In feiner Paftoralthätigkeit liebte Anfelm Gleichniß⸗
reden; bie meiften find ethifchen Inhalts im Zufammen-
bange mit dem religiöfen. Das menfchliche Herz 3. 3.
wird mit einer Mühle verglichen, die immerfort umläuft,
und weiche ihr Herr einem Knechte übergab, darauf fein:
Getreide zu mahlen, der Knecht felbft aber foll feinen
- Unterhalt davon gewinnen. Diefem Kuechte nun ftellt
ein Zeind nach, der, fo oft er den Mühlftein leer findet,
Sand darauf freut oder ihn mit Pech befudelt. Wacht
alfo der Knecht nicht, fo läuft er Gefahr au verhungern
und von dem Herrn der Mühle beftraft zu werden.
Diefer Mühle gleicht das menfchliche Herz, denn auch
biefes läuft befländig um, weil es immerfort denkt.
Gottes Wille ift, daß es ſolche Gedanken nur denkt, die
er felbft ihm eingibt. Der Weizen find bie tiefen und
reinen Gedanken, in denen es ſich mit Bott felbft be-
ſchaͤftigt; die Gerſte die Eräftigen Gntfchlüffe, wodurch
ed fi) Tugend aneignet; der Hafer die Kämpfe, wo⸗
durch es Fehler auf Fehler ablegt. Solches Alles foll
der Menſch denken, um Speife für das ewige Leben zu
erwerben. Der Teufel aber ftellt ihm immerdar nach,
und findet er das Herz leer von guten Gedanken, fo er-
füllt ex «8 fogleich mit böfen. In einem andern Gleich⸗
niß wird das Meich Gottes mit einer Burg verglichen,
bie mitten in einer weiten Ebene von einem Dorfe um-
geben wird, deffen Bewohner fih im Nothfall in bie
Burg flüchten können; die Burg felbft hat in fich einen
uneinnehmbaren Thurm. Diefer Thurm ift das Himmel-
weich felbft, die Ebene die Welt, die Burg das Moͤnch⸗
thum, das fie umgebende Dorf die gemeine Chriftenheit.
Durchs Kiofter alfo zum Himmel, lautet ber Sinn bes
Gleichniſſes. In feinen Meditationen (Andachten) ober
Betrachtungen finden bie verfchiedenften religiöfen Zuftände
ihren Ausdrud und fie find nicht blos in der katholiſchen
Kirche erbauli gebraucht worden, fondern haben auch
ber proteantifchen Froͤmmigkeit Nahrungsfoff gelisferk.
Die Meditationen Johann Gerhard's (geſt. 1837): find
oft aus den Anfelmifchen gefchöpft, und neuerdings bar
Galle fie (in feinen „Beiftlihen Stimmen aus dem Mit-
telalter⸗) für aſcetiſche Zwecke benupt. Chriſtliche Erbau-
ung, wenn ſie keine Polemik einmiſcht, bleibt ſich wol
in den Jahrhunderten gleich.
Seit Anſelm zum, Erzhiſchof von Canterbury ernannt
wurde (1093), geräth er in die politifchen Verhältniſſe
zwifhen Kirche und Staat, welche einen Hauptinhalt
der Befchichte des Mittelalters bilden, und von ihm aus
in unfere Zeiten hineinreichen. Je nachdem man Par⸗
tei nimmt, pflegt über Recht und Unrecht in dem Streite
beider Gewalten entſchieden zu werben. Im vorigen Jahr⸗
hundert fielen. Die meiften Stimmen zu Gunften bes
Staats, befonders nach proteftantifcher Anficht; in un-
ferm gegenwärtigen findet die Kirche mehr Kiebe, ſelbſt
bei Denen, welche den Papft nicht anerfennen, weil ein
gewiffes Kirchengefühl — wie bei dem Verf. der Bio
graphie Anſelm's — die Abneigung gegen römifche Dier-
archie mäßige. Was die Menfchen drückt, fuchen fie
durch deffen Gegentheil zu entfernen, Froſt duch Hige,
Dürre duch Plagregen, und Napoleon hat in Deutfch-
land dem Papft mehr Freunde gewonnen ale fich felbfl.
Die hriftliche Kirche ift ihrem Urfprunge nah nicht —
wie in Judäa und Arabien — mit dem Staate ver-
wachſen, fondern bildete fih im Nömerreih aus einzel»
nen Gemeinden und deren Slaubenszufammenhange — ei
nem geiftigen, unſinnlichen; Chrifti Reich war nit von
biefer Welt, e8 war ein ewiges, fein zeitliche. Der
Staat, welcher Sinnlihes und Sichtbares ordnet, brauchte
deshalb vom Chriſtenthum keine Beeinträchtigung zu
fürdten — es gab bem Kaifer was des Kaifers iſt —,
allein das mit dem Staate verwachfene Deidenthum litt
Gefahr, Zempel und Opferaltäre wurden vernachläffigt,
daher DVerfolgungen, und unter dem nicht graufamen
Trajan zwang Plinius. die Chriften, bem Bildniß bes
Kaifers mit Weihrauch und Wein göttliche Ehre zu er-
weifen. Außerdem hatte die Gemeinſchaft ber Chriften
fih „ihre eigene Verfaffung gegeben, und verbreitete ſich
als ein wohlgegliedertes Gemeindefoftem durch den gan«
zen römifchen Staat”, fodaß diefer, der anfangs die jü-
difche Sekte verachtete, auf die neue „Hetärie” aufmert-
fam werben mußte. Zu SKonftantin’s Zeiten war bas
Heidenthum nicht mehr zu retten, und es war vielleicht
ebenfo viel Politit als Frömmigkeit bes Kaifers, wenn
er bie chriftlihe Kirche aus einer gebrüdten zur berr-
fihenden erhob. j
Nicht undenkbar wäre bei diefer Veränderung, daf
fortan jebe der .beiden Gemeinfchaften das Ihrige beforgte,
der Staat das zeitlihe und irbifche Wohl, die Kirche
das ewige himmlifche; allein Konflantin felbft ward durch
|_
a1
die Taufe Chrift, ſonach der Kirche angehörig, wie diefe
feiner Regierung, und ſowol den chriſtlichen Kaifern als
allen Beamten und Verwaltungszweigen des Reiche galt
als Gewiſſensſache, die Einrichtung der Kirche nit zu
flören und ihre Maßregeln für gute Sitte und Zucht zu
unterflügen. Das führte zu ber vom Verf. angedeuteten
Einheit von Kirche und Staat im Orient, in welcher
„die Kirchze fih an den Staat verlor und ber Staat
an die Kirche“. Im Abendlande bildeten. fi mit der
Voͤlkerwanderung und den einzelnen Reichen zunächft
Landeskirchen, bie in dem Bifhof von Rom gemeinſchaft⸗
lichen Mittelpunkt ber Verwaltung fanden. Durch den
Neichthum des Grundbeſitzes, welchen die Kirche haupt⸗
ſaͤchlich den Königen verdankte, trat fie in ein ähnliches
Berhältnig wie Bafallen und Minifterialen; bie Geift-
fichen erlangten mit ber Zeit Reihöftandfchaft, erwarben
fogar Landeshoheit. Da die Ernennung der Biſchöfe
zugleich Einfegung in die Güter und Rechte des biſchöf⸗
lichen Amtes war, fo erhielt fie den Charakter einer Be⸗
fehnung (Inveftitur),. und man unterfchied wenig zwi⸗
Shen den Gütern und dem Amte, der Biſchof mußte
den Lehnseid fehwören und den König ausdrücklich als
feinen Seren anerfennen. Solche Abhängigkeit im Welt.
lichen konnte ſich aber nicht auf das Geiſtliche ber Kirche
erſtrecken, vielmehr blieb diefe in Abficht des ewigen
Heile der Gläubigen für Könige wie für Knechte die
entfcheidende Autorität, und das chriſtliche Sewiffen
durfte ſich von derfelben nicht losfagen. Geiftliches Be⸗
wußtfein diefes Nechtes fuchte daffelbe auch in weltliche
Nerhältniffe zu übertragen ; meltlihe Begehrniß wollte
mit Unabhängigkeit fehalten und walten, ohne von geift-
licher Einmifchung gehindert zu fein. Daher die fort
Dauernden Kämpfe bes Geiftlihen und Weltlichen, ber
Streit über Inveftitur, das Trachten nach Freiheit ber
Kicche als eines Staats im Staate, das Behaupten der
Unabhängigkeit des Regenten als Selbſtherrſcher über alle
Stände des Reichs ohne Ausnahme.
(Der Beſchluß folgt.)
Taſchenbuͤcherſchau für dad Jahr 1846.
Dritter und letzter Artikel.
(Zortfegung aus Nr. 171.)
16. Biellieb hen.
17. Des Bettlers Babe.
18. Sonnenblumen.
Diefe drei Taſchenbuͤcher haben Das miteinander gemein,
Daß fie nur Producte von ihren Herausgebern enthalten, daß
fie ſich durdaus auf Novellen und biungen befchränten
und daB fie daher ſich ſchon eine Reihe von Jahren hindurch
in ihrem Werth und Charakter ziemlich alehogeblichen find.
Die Novellen Bernd von Guſeck's im „Vielliebchen“ find
immer wieder die leicht entworfenen, gewandt gefchriebenen
und vorzugsweife für die Unterhaltung nobler Damen berech⸗
neten Bearbeitungen irgend einer intereffanten, mehr oder min⸗
der mit Romantik verfegten geſchichtlichen Epifodes die Srzaͤh⸗
Bungen Wilhelm Müller 6 in „Ded Bettlers Gabe” im
meer wieder die düftern, fataliftifchen, felbft im Humor mehr
web: als wohlthuenden Rachtftüde, hervorgeholt aus irgend ei⸗
wem dunfeln, vergeflenen oder entlegenen Winkel ber gen
on 2
weit oder des Gemuͤthlebens; und endlich die Geſchichten Ada⸗
mi's in den „Sonnenblumen“ ſtets wieder die auf Effeet aus:
ehenden, mit geſchaͤftlicher Routine raſch hingeurbeiteten Nach⸗
iſdungen franzoͤſiſcher Erzählungen, in der Regel dem fotia«
len Xeben ber Gegenwart entlehnt oder hervorgeſucht aus ben:
Arhiven der Criminaljuſtiz. So haben wir auch über die
Jahrgänge von 1846 nichts Neues zu fagen. Wer an ihren‘
Borgängern Geſchmack gefunden, wird auch biefe nicht unbe
feiedigt aus der Hand legen. Hoͤhern Anfoderungen freilich
als denen, wie man fie an die Unterhaltuimgsliterastur zu mas
hen pflegt, genügen fle alle drei nicht, doch haben die Verf.
der beiden erſten unverkennbar daB Beſtreben, ſich zu einer:
Fünftlerifchen Auffaffung und Darftelung der Objecte zu heben,
und erweden ſchon dadurch Achtung und Anerkennung für fich.
. 19. Thalia.
WW. Das Meilden.
21. Der Freund des fhönen Gefhlehts:
Wenn ein Almanach ein Bud ift, deſſen Keiftungen fo bes
ſchaffen find, daß überall man Ach! zu fehreien hat, dann dürfte
nicht leicht Jemand den obengenannten Brei wiener Taſchen⸗
büdern das Recht auf biefen Namen ftreitig machen. Denn
unter den mindeſtens ſechs bis fieben Dugend Novellen, Er:
zählungen, Märchen, Sagen, Kegenden, Gedichten u. f. w. ha⸗
ben wir auch nicht eine Piece gefunden, deren man ſich wirk:
lich erfreuen koͤnnte, vielmehr haben uns die meiften fogleich
von vornherein fo angelangweilt und angeekelt, daß wir nicht
im Stande gewefen find, mehr als einige Beite davon zu genie-
fen und uns ſchon mit Diefer den Appetit für ähnliche Koſt
auf lange Zeit verdorben haben. Möglich ift, daß fih unter
den Schüffeln, die wir im legten Stadium gekoftet haben, eine
ober die andere befindet, die ein bungeriger Magen beffer ge:
würbigt haben würde als ein überfülters an einem Märchen
von Karl Spindler „Der Rir in der Fremde“ in ber
„Thalia“ haben wir fogar felbft die beſſere Kochkunſt heraus:
geſchmeckt, unfere Schuld ift es aber nicht, wenn wir fein Dr:
gan mehr dafür gehabt haben, fondern einzig die des redigi:
venden Haushofmeifterd, dem jeder Koch und Keller gut genug
geduͤnkt bat. Nun mögen jich die beſſern unter den fchlechtern
mit dem Sprüdhwort tröften: Witgegangen, mitgehangen!
Rachdem wir diefen Urtikel der diesjährigen Taſchenbuͤcher⸗
ſchau bereits befchloffen, find uns noch drei &pätlinge zuge-
fommen, nämlich:
73. Taſchenbuch zur Verbreitung geographiſcher
Kenntniffe.
3. Charitas.
24. Berliner Taſchenbuch.
benen wir bier noch einige Beilen fchenfen müffen.
Das erfte derfelben, von Johann Gottfried Gom-
mer herausgegeben, von bem uns bereitd der 24. Jahrgang
vorliegt, ift den Freunden ber Länder: und Voͤlkerkunde Kon
feit lange eine willfommene Gabe, indem es ihnen alljäpriid
eine gebrängte Überficht der neueften Reifen und Entdeckungen
und außerdem ſtets noch einige — Auszuͤge aus inter⸗
eſſanten Reiſebeſchreibungen und ſonſtigen geographiſchen Wer:
ken bietet. Die allgemeine Überficht erſtreckt ſich Di
Betreff Afrikas zunaͤchſt über die beiden durch Mehemed Ali
veranlaßten Nilerpeditionen in den Jahren 1840 und 1841,
an denen fih unter Andern namentlich der preußiſche Reiſende
Dr. Berne betbeiligte, und über die Reifen Arcangelo 8, Krapf's,
Jehenne's, Arnaud Abbadie's, Sallinier's, Lepfius’ und Am-
pere's, fämmtlih im öftlichen Afrika, namentlich in Ägypten,
Nubien, Abyffinien, im Lande der Gallas und Karen; ferner
über die dur Eroberung Wlgeriens berbeigeführten Entdeckun⸗
gen in den Gaharagegenden durch Marey, Coretta und Re
nou, Fournel und &ubtils über die englifchen Rigererpeditionen
unter Berroft, über Duncan’s Verſuch, die Konggebirge zu
ch diesmal in
I
bereiten und endlich üben deu Mefuc Des großen Ges Marewi
— Tat a Tr BEE 0
en wir e
—* Malcolmſon 9 er Wen an der Sühlüfte Urabienss
ans den Mittheilungen Gamıpbei's über Medina, aus verſchie⸗
in der Abegaud deß
bie Dundgferigungen perfl
ferner üben die
Hufe Karun au )
flänseme Zohmer und Seflen von Dr. Bode; über die Meifen
deb Ruſſen Mhanitew nach Bokhare, der lingam Iermep und
Beanig nah dem eurehäiſchen und afiotiihen Mußland, von
indendorfs nach Sibirien und ber Englaͤnder Youngs und
Ehriftopher nach den Malediveninfeln. Riht minder ——
find die Ercerpte über Amerika und Auſtralien und beziehen
fich vorzugsweiſe auf die neueften englifchen Rordpolerpebitio-
nen, auf den intellectuellen Charakter des Eskimos, auf bie
Gegenden des Miffffippi und das Dregongebiet, auf die Be⸗
fahrung des fübamerikanifchen Fluſſes Araguay dur Eaftel-
nau und auf die Reife Schomburgk's nah dem briktiſchen
Guyana. Gperielle Mittheilungen find im vorliegenden Jahr:
gange fünf enthalten: 1) Grinnerungen an Rußland, nad
Slafius; MFeatherſtonhaugh's Reife durch die Sklavenſtaa⸗
ten der angloamerikaniſchen Union; Die Miſſionen in Ober⸗
californien, nach Duflot de Mofras; 4) Das Gebiet Dre
. gen, nach Demfelbens 9) Der Taditi⸗Archipel, nach Bin⸗
cendon⸗Dumoulin und Deögraz, von welchem die erfie beiweitem
die umfengreichfte und unterhaltendfte ift.
Das zweite der obengenannten Zafchenbücher ift auch die:
ſes Zahr feinem bairifhen Charakter treu geblieben. Unter
den vaterländifhen Gaben deſſelben find vor allen brei Ge⸗
dichte des Könige Ludwig zu nennen, 3. B. „Meer und
Simmel”:
Ewig groß,
Endelos
Iſt das Meer,
Nahen ſeine Wellen,
Sinken hin und ſchwellen;
Es tft leer.
GSehnend ſchweift,
Forſchend greift
Unſer Blick
In die Himmelsgründen,
Wird darin nichtd finden,
Sinkt zuräd.
Es iſt leer,
Wie umber ,
Mögen fpäh'n .
In die Wogen tauden
Strahlen unfrer Augen,
Doch nichts ſeh'n.
Kehrt zuruͤck.
Himmel, Meer,
Beide leer;
Doch des Lebens Fülle
Birgt, bie ode Hülle,
Seelengluͤck. |
Außerdem liefert es noch Berichte von Seuffert, Kranz
von Kobell, Badhauſer, Kernau und Goßmann, um
tee denen bed von Yranz von Kobell Fegeriih gen if,
nach der Schilderung einer Andacht in Band: Peter im
Haufe zu doretto folgendermaßen zu ſchließen:
An fand bei bämmernder Nacht im Mald,
Dein bat Heine Slocke, kein Chor gehallt,
Bin Wogel nur fang fein einfach Lieb,
WS 606 Abendroth vom Himmel filed.
Es war eins flile, warme Rat,
De kam ber Mond, fieh'! weilte Pracht!
Und wie das zitternde Silberlicht
Durch dab dunkle Laub der Bäume bricht,
Und gleich, als Hätte ed Mh bewegt,
Ss fih'4 In den leichten Blaͤttern geregt,
Usb manches, gewendet vom leifen Woh’n,
Ließ fern bie fhimmernben Sterne ſeh'n,
Die freunden Sterne! o weite Welt,
Wie weit von Ihrem Slanz erhellt,
Bir weit um die Meinen Menſchen gebaut,
Mie wenig in ihrer Größe geſcheut!
Wol bad’ ich des Doms in Rom gebacht,
Doch feſtlicher war die nächtliche Pracht,
Und ihre Wunder zum Herzen mein
Wie Heilige Lieber zogen fie ein,
Und tiefer bewegt war mein GermAth,
Als Ya ich im Daus von Lerettc Eniet.
Yan Erzählungen erhalten wir drei: „Der Praͤſident von Por»
tugal” (1840), von Karl Weihfelbaumer; „Der Scharf:
richter und fen Sohn oder Tilly in Rothenburg”, von Georg
Scheurlin, ımd „Veilchen“, von Amalie Krafft. Die exfle
derfeiben ift jedenfalls die bedeutendfte und zeichnet ſich aamentii
durch einen geiftreichen, piquanten,, hier und ba jedoch faft allzu
fein zugefpigten und auf Schrauben gefteliten Dialog aus.
(Der Beſchluß folgt.)
Literarifhe Rotizen aus Frankreich.
Hiftorifher Atlas von Frankreich.
Die allmälige Geftaltung der Territorialverhältnifſe Frank
reichs tritt gemöhntih in den allgemeinen Gefchichtsbarſtellun⸗
gen bei dee Maſſe des Materials in dem Maße zurüd, daf es
ſchwer fällt, eine klare Anfhauung, ein beutlihes Bild ven der
Urt und Weife, wie das gegenwärtige Frankreich fh geftalict
hat, zu gewinnen. Rur dann wird man erft im Stande fein,
fi) eine genügende Vorftellung von diefen Berbaltniflen zu mas
hen, wenn man erft im Beſit befriedigender hiſtoriſch geogta⸗
phiſcher Karten ift, welche denfelben eine feeciele Berükkki-
Yeuy widmen. Die bisherigen Arbeiten dieſer Art entiprechen
frengern kritiſchen Anfoderungen im Allgemeinen nur weni
Gegenwärtig erhalten wir einen Atlas, in weldem die
angedeuteten Werhäftniffe auf eine Mare, anſchauliche Weife
dargelegt werden. Der Zitel deffelben lautet: ‚Atlas histo-
rique et geographique de la France, pr&sentant dass une
s6rie de quatorze cartes les changements successifs de la
monarchie aux principales &poques. Grave sur acier sous
la direetion de um. Cleusolles et Abadie.’
Geſchichte der provencalifhen Literatur.
Als der gelehrte Fauriel vor mehren Jahren durd feine
Kränklichkeit genöthigt wurde, feine geiſtreichen Borlefungen zu
unterbrechen und endlich ganz aufhören zu laflen, erwarteten
feine zahlreichen Berehrer, er werde nun wenigſtens einen Shell
beufelben im Druck erſcheinen Laflen. Diele Borausiehung fchien
um fo gegründeter als feüberhin bereits einige Bruchſtück⸗
daraus you der „Bevun de Paris“ mitgetheilt waren und som
daher nermutben Fonnte, daß wol das Ganze in ziemlidg abge
rumdeter Ausführung bereits vorläge. Erſt kuͤrzlich ſind wır,
nachdem der tüchtige Forſcher ſelbſt bereits feit einiger Beit ber
gelehrten Welt durch dem od entzogen tft, mit Demjeniges
heile dieſer Vorleſungen beſchenkt, welcher ſich auf die Ge
ſchichte der —— Literatur bezieht („Histoire de ia
&sie provengale‘). Diefed Wert umfaßt drei Bände und
n des Beachtung aller Derer, welche fih mit ben Gtubiumm
dee zomantiden Literaturen hefafien, nidpf dringend g Car
pfohlen werben. ri
BDerantwortlicher Herausgeber: Deinrich Brockzaus. — Diuk und Werlag von F. ex. Brockhans in Beipzig.
Blatter
für
literarifche Unterhaltung.
(Befhluß aus Nr. 176.)
Die Waffen in diefem Kampfe find ungleih. Der
Kirche fehle weltliche Gewalt, und ſobald das Schwert
gezogen wird, muß fie unterliegen. Allein ihr Daſein
und Regiment ift eine göttliche Einfegung, jede Belei⸗
digung ihres Anfehens eine Beleidigung Gottes. Was
Gott beleidige, muß fie am beften wiſſen, fie ift daher
ihr eigener Richter. Iſt fie auch abhängig von dem
Staat durch weltliche Befigungen, fo ift doch ihr Beſitz
gefeglich wie jeber andere, und ungerechter Raub deſſel⸗
ben muß der ewigen Seligfeit verluftig machen, was fie
estlären und ben Thäter von ihrer Gemeinfchaft aus⸗
ſchließen darf. Gleichwie das geiftige ewige Reich höher
ift als das leibliche zeitliche, fo überragt auch, die Ho⸗
heit der Kirche diejenige des Staats, und eine Beein-
trächtigung berfelben ift Auflehnung gegen die hödite
Majeftät der Erbe. Obgleich fie die Wahrheit ihrer
Glaubensſätze nicht dem Gewiſſen ber Einzelnen über:
Iäßt, fondern dieſelben mit Anfprud auf Ergebung feft-
ſtellt, fo fodert fie doch gegen Einwirkung einer fremden
nicht aus ihr felbft hervorgegangen Überzeugung Gewiſ⸗
fensfreiheit‘, und laͤßt fich nichts Unangemeffenes auf-
drängen. Gegen diefe eroberte Herrfchaft des geiftigen
Gebiets der Menfchheit ift eine Staatögewalt bei ent-
fiehendem Streite ſtets im Nachtheil, zumal wenn das
Haupt der Kirche wie der Papft außer Landes, und
ein Sieg läßt fich nur gewinnen durch offenbare Gewalt⸗
thätigfeit, duch gänzliche Losfagung von ber Kirchen-
gemeinfchaft, nicht nach dem Hecht innerhalb berfelben.
Nuchloſigkeit alfo der weltlichen Macht feiert Siege über
die geiftlihe, denn eine Zosfagung von ber leptern iſt
entfehiedenfte Ruchlofigkeit, und nur aus Furcht vor: groͤ⸗
Serm Schaden ift manchmal den Ruchloſen Nachgiebig-
Zeit und fcheinbarer Vortheil vom Kirchenregiment zu
Theil werden, gemäß dem heidnifchen Spruch: „Dat ve-
nam corvis, vexat censura columbas’; der in angewen⸗
deter Überfegung lautet: |
Die Raben läßt man frei, die Täubchen fängt man ein;
Dann hat das Kirchenreich ein weltliches Gedeih'n.
Geſchichtlicher Verlauf if. nun folgenber. Selten. eut-
ſchließen fich die Parteien zum ſchaͤrfften Gegenfag und
— — — — — — —
— — — — — — — — — —— — —
28. Juni 1846.
zum haͤrteſten Gebrauch ihrer Waffen, außer wenn die
Umftände es ausmehmend begünftigen oder ein ftolzer
Muth wie Gregor’s VII. alle Folgen gering achtet; vor
dem 36. Jahrhundert wagt Feine weltliche Macht ernfl-
liche Losſagung von der Kirchengemeinfchaft; gewöhnlich
fuchen beide Zheile ſich Vortheil abzugewinnen, was
manchmal gelingt und zu neuen Beftrebungen auffobert.
Beldbebürfniffe find meiftens Urfache von Nachgiebigkeit
wie von Härte der Regenten, jener um Beiſteuern zu
erhalten, biefer wenn freundlihe Anſuchen abgelehnt
werben. Materielle Intereffen find Urfache der Wider-
feglichkeie und des Gehorſams der Geiſtlichkeit, jener
wenn Güter gefodert, biefer wenn Vermehrung derfelben
in Ausſicht geftellt wird. Erkrankten bie Könige, fo
flieg das Anfehen ber Kirche, wurden fie gefund, fo fan
es in fein früheres Map. König Wilhelm IL. wollte
ungern das erledigte Erzbiächum Canterbury fehnell wie⸗
der befegen, fondern lieber felbft vor der Hand Erzbifchof
fein, am wenigſten aber Anfelm wählen. Er wird krank,
beichtet dieſem in der Nähe fi, befindenden Dann, und
ernennt ihn zum Erzbifchof. Sobald der König gerefen,
kehrt feine frühere Sinnesart zurüd, und es folgen arge
Händel. Der Biograph erzählt diefelben nah einem
kirchlichen Bewußtſein — es gibt bekanntlich der Be⸗
wußtfein viele — etwas firchenfeltig, indem der Erz⸗
bifhof als Kämpfer für die gerechte Sache der Kirchen-
freiheit bargefiellt wird, ohne die Anfprüche des Welt-
lichen auf Weitliches ganz zu würdigen, wiewol &imo-
nie und anderweitige Willkür nicht in Schug genommen
werben koͤnnen.
Der König nämlich widerrief ein in der Krankheit
erlaffenes Gnabenedict, Tief erlaffene Schulden mit Grau⸗
ſamkeit eintreiben, und niebergefchlagene Proceſſe wieder:
aufnehmen. Unter feinem Vorfahren, dem Eroberer,
ftanden die Bifchöfe, als geifttiche Lehnstraͤger, unter der
weltlichen Macht, eine Verbindung mit Rom warb nur
mit Bewilligung des Königs geflattet, was um fo leich-
ter gelang, da Papft und Gegenpapft miteinander ſtrit⸗
ten, ja Wilhelm IH. erklärte es für ein Vorrecht ber Kö-
mige von England, einen Papſt anzuerkennen oder nicht.
Unfelm wollte nur unter drei Bedingungen das Erzbis-
thum übernehmen, daß ber Kirche von Canterbury alle
Länbereten wiedergegeben würben, welche fie früher be⸗
214
feffen, daß der König in Allem, was Religion betrifft,
feinem Rath, als Seelforger vertraue, und daß. Anfelm
dem Bapfte Urban II. Gehorſam leiften dürfe. Wilhelm
gab gute DVerfprehungen und Anfelm übernahm das
Amt. Bald entſtand Zerwürfniß über ein bei neuer Be⸗
lehnung gebräuchliches Geſchenk. Anſelm verſtand ſich
zu 500 Pf. St., dem geldverlegenen Könige ſchien dies
zu wenig, er wies die Summe zurück und Anſelm ſchenkte
ſie den Armen, ohne auf Andringen eine größere Gabe
zu gewähren. Wilhelm unternahm nun einen Kriegs⸗
zug ohne den Segen des Erzbifchofs und hatte Unglüd.
Anfelm fuchte Anhalt in Rom, wollte dahin reifen, um
die Beftätigung feiner Würde, das Yallium, zu empfan-
gen. Der König unterfagt es ihm und erflärt es für
Bruch der Lehnstreue.
Reichstag. Diefer wird verfansmelt, Die Bifchöfe wollen
nicht entfcheiden, rathen zur Unterwürfigfeit. Anſelm
beruft fich auf den Apoſtel Petrus und die Würde ſei⸗
nes Nachfolgers, die Bifchöfe verlaffen ihn, "er bleibt al-
lein in der Kirche. Der König läßt ihm erklären, er
werde ihm als Hochverräther den Proceß machen, wenn
er nicht dem Papft entfage. Anſelm beharrt und bie
Biichöfe wiffen fi) nicht zu rathen. Der König will
ihm Ring und Stab nehmen, und ihn aus dem Lande
jagen. Damit waren die weltlihen Großen unzufrieden.
Sie. wollen nit ihrem Primas die Kirchengemeinfchaft
auflagen, wozu die Bifchöfe fi) verflanden. Anſelm
erfucht um einen Geleitsbrief nad dem nächften Hafen,
um das Reich zu verlaffen. Dies will wieder ber Kö-
nig nicht, aus Scheu vor dem Argerniß. Alſo wird ein
Waffenſtillſtand gefchloffen und ferner unterhanbdelt. Bor
Ablauf deffelden anerkennt der König Papft Urban 11.
Anfelm will dennoch den Papſt perfönlich. fprechen, und
ertrogt die Reife, fein Erzbistum wird mit Beſchlag
belegt.
Auf der Reife findet er Freunde, in Rom empfängt
ihn der Papft mit großer Gunft und halt ein Goncil
wider den König, befiehlt diefem in einem Schreiben, den
Erzbiſchof binnen eines Termine wieder einzufegen, das
Concil verbietet überhaupt, daß Geiſtliche Lehnsleute von
Laien werden. Bor Ablauf des Termins ftarben Papft
und König. Heinrich I., des Legtern Nachfolger, läßt ſich
ſchnell vom Bifchofe Morig frönen, und gelobt Abſtel⸗
lung der Misbräuche, Anfelm kommt auf feine Ginla-
dung nad England zurück, vermähle ihn und tritt im
Streit mit weltlichen Großen auf feine Seite. In Ber-
handlung über die Inveftitur ift er für ben Papſt. Da⸗
‚durch wird ein zweites Epil herbeigeführt, und die fromme
Königin, welche Anſelm liebte, und mit ihm Briefe
wechfelte, fucht ihn zur Nachgiebigkeit zu bewegen. Ver⸗
gebens, der Papft ercommumnicirt bie Rathgeber des Kö⸗
nige. Dies war Unfelm zu wenig, und er beichließt
den König felbft zu ercommuniciren, dieſer erfährt es,
fürdtet für feine Herrfchaft, und bat mit Anfelm in der
Normandie eine Zuſammenkunft. Sie werben nicht ei⸗
nig und wollen den Papſt entſcheiden laſſen. Diefer be»
willigt dem Könige nicht Die Inveftitur, aber doch einen
Hierüber fobert Jener einen.
Lehnseid, und Anſelm gehorfamt, kommt unter großem
Jubel wieder nad England, bie Königin bereitet ihm
allenthalben Quartier, und begrüßt Ihn aller Orten zu⸗
. So kann man fagen, fchreibt der Biograph, An-
felm babe die Freiheit der Kirche erſtritten. Inzmwifchen
wird auch bemerkt, er babe. gegen ben Papft die Selb⸗
ftändigkeit der Landeskirche und feine Primatialgewalt
aufrecht erhalten.
Ref. fuchte feinen Leſern in gebrängter Überficht die
Bedeutung des Moͤnchthums und der Berhältniffe von
geiftficher und weltliher Macht im Jahrhundert Un-
ſelm's nebft deſſen eigenem Charakter vorzuführen, zumal
in unfern Zeiten Ahnlichkeiten fih finden. Wach ber
Ruchloſigkeit franzöfifcher Revolution gewährt fromme
Gefinnung den Klöftern einigen Beifall; das alte Schwe⸗
ben und Schwanten zwifchen Kirche und Staat komme
wieder, und bie zu Boden gebrüdte unterworfene erfiht
Siege. Unfer Biograpb, ber zu Bonn lebt, hat unfkrei-
tig Gelegenheit, die Beichaffenheit und Wirkungen einer
Anfelmifhen Freiheit der Kirche ganz in der N
wahrzunehmen. 24.
Taſchenbuͤcherſchau für das Jahr 1846
Dritter und legter Artikel.
GBeſchlußs aus Nr. 178.)
Weit bedeutender und überhaupt zu ten werthoolliten Ga⸗
ben der Almanadliteratur gehörig ift der Inhalt des „Ber⸗
liner Taſchenbuch“. Wir begegnen bier zuerft einem Bei-
trage von Barnhagen von Enfe: „Boltaire in Frankfurt
am Main 1753”, worin die Verhaftung des genannten Did:
tere in der befagten Neicheftadt durch den preußiſchen Reitben-
ten von Rreitag auf Befehl Friedrich's des Großen gemäß den
im Pönigliden Geheimen Archiv über jenen Borgang aufbe:
wahrten Acten ihrem ganzen Verlaufe nad ausführlich erzählt
und mit ben theild von Voltaire felbft theils von feinem Se
cretair hierüber veröffentlichten Mittheilungen zu unbefangener
Bergleihung zufammengeftelt wird. Diet Zufammenftelüung
ift um fo dankenswerther, als biefes zu feiner Zeit fo viel
Eclat machende und noch jest intereflante Ereigniß dem Yu-
biicum bisher nur von einer Seite befannt geworden ift, in-
dem Friedrich dev Große es verichmäht bat, den entftellenden
und übertreibenden Berichten von Seiten Boltaire'6 durch ir
gend eine öffentlihe Erklärung zu begegnen. Wenn daher
alles bis jegt darüber Veröffentligte nur zu Gunſten Boltaire's
ſprach und des Königs Verfahren als hart und willfürlich, das
feiner, Bevollmächtigten aber als niedrig und lächerlich erfchei⸗
nen ließ, fo empfangen wir hier zum erſten Mal eine artenmd-
Bige Dorftellung im umgekehrten Sinne und gewinnen daraus
die Überzeugung, daß dad gegen Voltaire beobachtete Berfah-
ren zwar nicht ohne arten e geblieben, aber keineswegs zu
jener Ungerechtigkeit und Grauſamkeit ausgeartet iR, „weiche
Boltaire und feine Freunde darin haben finden wollen, ja daß
der Dichter das Meifte von Dem, was wirklich geſchehen, durch
fein undankbares und rüdfichtslofes Betragen gegen feinen eif:
rigften Freund und Gönner, fowie durd fein arglifliges und
ſchalkiſches Benehmen gegen die Erecutoren des koͤniglichen
Billens felbft verfchuldet und faft gefliffentlich herbeigeführt
bat. Bon allen den Intriguen und lofen Gtreichen, die
er ben Mefidenten Freitag und beflen Beiftand, den Ho
Schmid, in Werlegenheit zu fegen und zu härtern Maßregeln
‚zu reizen ſuche, wollen wir bier nur des einen gebenfen, ben
er in Some —— wohn man A ae
nogenen zurüdgeführt ‚ gut führung
bringt und den fein —2 llini ſelbſt folgendermaßen er⸗
Ikır
zählt: „Ses yeux s#tinselaient de fureur et se levaient de
temps en temps vers les miens, comme pour les interroger.
Tout à coup, appercevant une porte entriouverte, il 8’y
röcipite et sort. Miadame Schmid compose une escouads
e courtaude de boutique et de trois servantes, se met &
leur t#te et coust apres le fugiüf «Ne puis-je donc,
»’scria-t-il, pourvoir aux besoins de la nature?» On le
lui permet; on se range en cercle autour de lui, on le ra-
mene apres cette operation.” Weiterhin bringt Eollini noch
folgenden Umftand nach: „Tandis qu'il 6tait dans la cour de
Schmid, occupe à satisfaire aux besoins de la nature, on
vint m’appeller et me dire d’aller le secourir. Je sors, je
le trouve dans un ooin de la eour, entours de personnes
qui l’observaient de crainte qu’il ne prit la fuite, et je le
vois courbe, se mettant les doigts dans la bouche et fai-'
sant des eflorts pour vomir. Je m’6crie, eflrayd: Vous
trouvexr-vous donc mal? il me regarde, des larmies sor-
taient de ses yeux; il me dit a voix basse: fingo.. Ängo..
(je fais semblant). Ces mots me rassurerent; je fis sem-
biant de croire qu’il n’etait pas bien, et je lui donnai le
bras pour rentrer dans le comptain’” Dann heißt es wei-
ter: „En rentrant dans le comptoir, Schmid, qui se croit
offense personnellement, lui crie: «Malheureux! vous serez
traite sans pitie et sans menagement,» et la valetaille re-
commence ses criailleries. Voltaire, hors de -lui, s’dlance
une seconde fois dans la cour; on le ramäne une seconde
fois.“ Da fi) nun zu derartigen Redereien aud) wirklich bös⸗
willige Anfeindungen und Verdächtigung gefellten, jo war es
natürlich, daß feine Gegner auch ihrerfeits alle ihnen zu Ge
bote ftehenden Mittel zu ihrer Sicherftelung aufbieten muß
ten und fich genöthigt fahen, Wege einzufchlagen, an die fie
fonft nicht gedacht haben würden. Freilich trägt auch bern
erfönlichkeit wieder einen großen Theil der Schuld: denn of»
enbar dürfte es einem Beifte von der Boltaire'fchen Beweg⸗
lichkeit ganz unmöglich geweſen fein, den fteifen preußiichen
Zöpfen gegenüber den franzöfifhen Schalt gänzlich zu verleug-
nen. Diefer Gontraft ftellt fi) während des ganzen Conflicts
ſehr ergöglich heraus und gibt der actenmäßigen Darjtellung
diefer Angelegenheit ein faft dramatiſches Gepräge, fodaß wir
den Auffag auch ald Unterhaltungsmittel empfehlen fönnen.
Der zweite Auffag: „Die Zukunft der deutfhen Bühne”,
von Melhior Meyr, greift die vor einiger Zeit fehr leb⸗
haft erörterte Streitfrage wieder auf, ob von der Wiederbele:
bung und Aufführung daffiiher Stüde bed Alterthums und
fremder Nationen für die deutfche Bühne Heil und Segen zu
erwarten fei oder nicht, und fchließt fich entfchieden derjenigen
Fraction an, welche bdiefe Brage bejaht hat. Die Gründe,
welche er für dieſe Unficht beibringt, find wenn nit neu
doch wohl entwidelt und laufen im Allgemeinen auf den zuerft
von Goethe ausgeſprochenen Gedanken hinaus, daß Deutfch
Iand berufen zu Fin heine, eine Weltliteratur zu begründen.
Au wir find im Ganzen nicht gegen bie Darftellung, antiker
und fremder Meifterwerke und hegen überhaupt die Überzeu⸗
gung, daß jede Beit erft dadurch zum Zortfchritte reif wird,
wenn fie die Errungenfchaft früherer Zeiten in ſich zum leben»
digen Bewußtfein und zur ungefchmälerten Anerkennung bringt.
Nur darf, was die Vergangenheit probucirt Dir nicht als ein
ewig unantaftbares und normgebendes Ideal fir alle Bommende
Beiten gelten follen; vielmehr muß der Gegenwart dad Recht
eingeräumt werden, über bie Reiftungen ber Vorzeit hinaußzu:
eben und ſich frei ihrem eigenen Zriebe gemäß zu entwideln,
elbft wenn die anfängliden Refultate diefer Entwidelung noch
nicht den Stempel einer gleihen Nollendung an fich tragen
follten. In diefer Dinficht ift von Jenen, welche die altclafft-
fhen Dramen zur Aufführung gebracht haben, mehrfach ge
fehlt worden. Sie drüdten mit der Hervorziehung ded Alten
zugleid eine Geringfchägung des Neuen aus, die Kräfte, welche
den Zobten gewidmet wurden, wurben den Lebendigen entzos
gen, und fo Tonnte es nicht fehlen, daß ſich Die jungen, fire
benden Talente dadurch verfüngt fühlten. mb gereizt wurden,
mit gleicher Einfeitigfeit Dppefition dagegen zu maden. Rad
unferer Anficht muͤſſen aber gerade die Productionen der Ges
genwart ben eigentlichen Kern und Hauptbeſtandtheil Der Mer
pertoires bilden und die Darfiellung antiker und fremder Stuͤcke
muß nur auf Koften derjenigen Stüde gefcheben, welche, wie
ber Verf. dieſes Auffages felbft zugeſteht, der zweideutigen Nei⸗
gung und dem ungebülbeten Geſchmack des gewöhnlichen Thea⸗
terpublicums zu Liebe immer wieder und wieder gegeben wer:
den, troßdem daß fie ſich weder vor dem Forum der Kunſt
noch der Sittlichkeit wechtfertigen laffen. Auch die Einrichtung
von Theaterſchulen, weiche der Berf. weiterhin empfiehlt, dürfte
nicht fo ſicher als er glaubt zum erwünfcten Ziele führen,
fo lange man nicht die bramatifche Poeſie der lebenden Dich»
ter felbjt, welche doch jedenfalls als die eigentliche Seele des
Theaterweiens betrachtet werden muß, in ein günftigeres Der:
bältnig zum Theater ſtellt. Denn mit welchen in den meiften
Ballen unüberwindlichen Schwierigkeiten hat bis jegt noch im⸗
mer der dramatifche Dichter zu fämpfen, wenn er ein Wert
von fih auf die Bühne zu bringen wuͤnſcht, wobei es nament:
lich völlig gleichgültig ift, eb das Stüc poetiichen Werth hat
oder nicht. Zwar pflegt man einzuwenden, die meiften Stüde
der jungen Dichter feien nicht bühnengerecht, fie effectuirten
nicht, ihre Berfafler müßten erſt die theatraliihen Verhältniffe
näher fludiren. Das iſt zum großen Theil wahr; aber ift
denn der Bühneneffect das Einzige, was zu berüdfichtigen ift?
Sind nicht zunächft die reinpoetiſchen Elemente darin in Bes
tracht zu ziehen? Und wenn diefe Hoffnungen erwecken oder
gar ſchon etwas Anerkennungswerthes leiften, ift es dann bil
(ig, den jungen Dichter ohne weiteres zurucdzumweifen? Wo
und wie ſoll derfelbe überhaupt die theatralifchen Verhältnifie
Bennen gelernt haben? Und wo und wie fol er Gelegenheit
finden, die Lücken, um berenwillen man ihn zurüdweift, aus
zufüllen, wenn ihm gerade von den Bühnendirectionen jede
Gelegenheit abgejchnitten wird? Kann man auf dem Trocknen
fchwimmen lernen? Wielleicht aber meint man, ed genüge für
diefen Zweck, das Theater fleißig zu befudhen und diejenigen
Stüde zu fludiren, die fih von dieſer Seite befonderd aus⸗
zeichnen. Aber da ift man in großem Irrtum. Der Dichter
muß die Erfahrung an ſich felbft, an feinem eigenen Stüde
machen. Man weile daher feine erſte Arbeit, felbft wenn fie
in theatralifcher Beziehung Manches zu wünfden übrig läßt,
nicht von vornherein fo fihnöde zurüd; man bringe fie viel-
mehr, vorausgejept daß fie nur Enft defien würdig ift, viel
leicht mit Zilgung der offenften Berftöße auf die Bühne,
man laſſe ihn felbit einftudiren und ftehe ihm dabei nur lei»
tend zur Seite: da wird er lernen, da wird er einfehben wo
es fehlt, wo es zu viel ift, was wirkt, was ergreift, was be:
Iuftigt, was darſtellbar, was echt dramatiih iſt. Und was
noch mehr ift: er wird dadurch in feinem Innerften gehoben
werden, ed wird Glaflicität und draftifches Leben in ihn kom⸗
men, die Welt und die Weltgefchichte wirb ihm in anderm
Lichte erfcheinen, fie wird zur großen Bühne für ihn werden,
voll von Charakteren, Porblungen und Scenen für die Heine
Bühne, die jegt feine Melt geworden if. Ganz von felbft,
ohne Bares Bewußtfein, ohne beftimmten Willen wird er ſchon
bei feiner zweiten Schöpfung eine Maſſe von Fehlern vermeis
den, die nur die nothwendigen Folgen feiner ungünitigen Stel⸗
lung zum Xheater waren, die er aber nicht ablegen kann, fo
lange die Verhältniffe diefelben bleiben. Wielleicht wirft man
bier die Frage ein: was denn zu derartigen Stuͤcken das Pu⸗
blicum fagen werde und wie bie Theaterkaſſe dabei zurechtkom⸗
men Fönne? Dagegen erheben wir die andere Frage, ob man
benn dieſe Rüdficht bei der Fofkfpieligen und dem großen Pu⸗
blicum ziemlich gleichgültigen . Infcenefegung der „claffifchen”
Stüde genommen habe und ob man nicht der Förderung ber
lebenden unb flerbenden Poefie mindeftens diefelben Qpfer sul
dig fei, die. man jich nicht fcheue für die Wiederbelebung der
todten und begrabenen zu bringen, zumal da die Dpfer, welche
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1238
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equemligkeit immer wieder und wieder aufgetiſcht
Und fo viel iſt ſchon jegt nicht in Ubrede zu fielen,
fih unter den im Druck erſchienenen Dramen nicht
ige finden, welche auch von der Bühne herab ihre Wir-
haben würden und welche trogdem von ben Thea⸗
terdirectionen zsurädigewiefen oder mindeſtens unberüdiichtigt
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einzuhauchen.
Die dritte Babe des Taſchenbucht iſt eine Rovelle von
Ay. Mügge „Zwei Ehen”. Cie bewegt ſich auf dem focia-
len Gebiete und behandelt die Gonflicte des Herzens mit den
Intereffen der Welt und ift infofern ein paffendes Seitenſtück
u einer ältern Rovelle Mügge's, die er geradezu „Herz und
elt“ betitelt hat. Die vorliegende Arbeit ift nicht ohne Län⸗
gen und verliert fih bier und da in Partien und Scenerien,
wie fie ſchon oft gefchildert fmd; auch die Charaktere find nicht
erade neu und entfalten fich nicht reich und lebendig genug.
ennoch macht fie wie alle Mügge ſchen Probuctionen, die wir
noch gelefen haben, im Ganzen einen mwohlthuenden, in einzel:
nen Stellen felbft tiefen und ergreifenden Eindruck, befonders
ba, wo ed der Berf. mit Darftellung der innern Kämpfe und
pſychiſchen Segenfäge zu thun hat. Unter den Perfonlichkeiten
ıft jedenfalld die des Prof. Sydow die originelfte, befonder®
in der Scene, in welcher er dem Freiherrn von Polenz auf bie
trodenfte Weiſe von der Welt zu verftchen gibt, daß er ein
Schwachkopf fei und daß er ſich den Appetit nad der reichen
Aurelie müfle vergeben laffen. „Es ift ein Gericht”, fagt er
ihm, „das Kömig Midas nicht vertragen Fonnte; ein Schau:
gericht, Bold, deoch ein gemwöhnliher Magen geht daran zu
Grunde. Überhaupt aber, fuhr er Lächelnd fort, laſſen Sie es
fi geſagt fein, König Midas’ Gefchichte hat viel Warnendes
für Ste. Rehen Sie zum Bacchus, daß er Sie vom ungenießba-
ven Golde rette und nehmen Sie lieber an, was er Ihnen jonft
bieten mag. „Herr Profeffor, fügte Polenz mit hoͤflichem Spott,
nehmen Sie meine ewige Dankbarkeit für Ihren guten Rath;
ih bedaure nur, daß meine Seit mir nicht erlaubt, mehr davon
hören zu koͤnnen. Das paßt fich vortrefflich, erwiederte der
alte Herr mit der größten @leichgültigkeit, ich wüßte auch
nicht, was ih Ihnen fonft noch rathen ſollte. Er nahm Hut
-und Stock ımd hielt dem Freiherrn feine Dofe hin. Nehmen
Sie eine Briefe, fagte er, das kühlt das Blut und ſchaͤrft das
Rachdenken. Run weiß ich Loch, «erwiederte diefer das Zu:
mutben ablehnend und rachſüchtig geftimmt, woher alle Ihre
tiefen Sedanken ftammen. Der alte Herr grinzte ihn an.
Und Sie, fagte er, Sie fchnupfen nie, das flieht man; es
ft Jammer und Schade.” 48,
Siblisgrephie.
Bolzano, B., Dr. Vinc. Jullus Edier v. Krombhols
nach seinem Leben und Wirken. Prag, Haase Söhne,
Gr. 4. 18 Neger.
Hanke, Henriette, Gifeiebe. Noman. Zwei Bänke,
Hannover, Hahn. Br. 12. 3 Zhir. 3 Rar.
tien chriſtlicher Weisheit. Aus Bendion’s religiäfen
em, gefammeit von U. Gebauer. Stuttgart, GR.
&r. 16. 13 Rgr.
Phillips, G., Ueber das Studium der Geschichte,
insbesondere in ihrem Verhältnisse zu der Rechtswissenschaft.
Mänchen. 4. 7 Ner.
Realis, Mänke und Gchwänke der heimatlihen Borzeit,
Hiſtoriſche Rovelien, GEhronifblätter, Dris« und Wamilienfogen,
ee Graf und Scherz. Wien, Pfautſch und Gem.
Sqhlegel's, U. W. v., ſaͤmmtliche Berke, beranige
oe von €. Böding. Iter Band. — U u. d. Z.: Poetiſqe
berfegungen und Regbildungen nebſt Erläuterungen und üb
bandiungen. Äfter Theil. Leipzig, Weidmann. 8. I Wir
_— ter Band. — U. u.d.%.: Borlefungen übe
deamatifche Kunft und Literatur. Ste Ausgabe. After Veil
eeipnig, Weidmann. 8 I Thir.
Hödler, F., Die Chemie als geiftig bildende: Moment
für den Unterricht in Gpmnafien. Eine Rede. Braumſchweig,
Bieweg und Sohn. Gr. 8. 5 Kor.
Siedenburg, ©. D., Dr. Martin Luthers Lehen ww
Birken. Ubendunterhaltungen einer Familie. Ein Bud fir
bie Jugend und das Boll. Didenburg, Schulze. 12. WR
Stimmen evangelifcher Wahrheit aus der Brüdergemeinde,
Auswahl aus Binzendorf'8 und Albertini's Schriften von 1.
Gebauer. Stuttgart, Caſt. Br. 16. 14 War.
Wolff, O. L. B., Hausschatz englischer Possie. Aus
wahl aus den Werken der bedeutendsten englischen Dich
ter seit Chaucer bis zur Gegenwart, in chronelogischer Ort-
nung, begleitet von biographischen und literarischen Eis-
leitungen. Zugleich Handbuch der englischen Poesie und
ihrer Geschichte. Leipzig, Vereinsverlagsbuchbandlung.
Lex.-8. 1 Thlr.
Zagedliteratur.
Bretſchneider, K. G., Über die jegigen Seweg
in der evangeliſchen Kirche Deutſchlands. —** Pin
derung des Friedens. Leipzig, Ph. Reclam Gr. 8. 10 Rar.
Eichler, 3. &., Die Pflichten gegen König und Bater-
land, die Unterfcheidungsiehren ber evangelikgen Kirche usb
eine kurze Überſicht der chriſtlichen Kirchengefchichte, für den
Schul: und Eonfirmationsunterricht zufammengeftellt. te Auf
lage. Glogau, Sünther. 1815. 8. 2%, Kar.
Harleß, ©. ©. A., Die wahre Freiheit. Predigt am
Sonntage Subilate den 3. Mai 1546 in der Univerfitätsfi
Bu gapis über 1. Petri 2, II-17. Leipzig, Hinrichs. Gr.
| r
gr.
Das 1100jährige Iubilum der Begründung des Bisthumd
Eichſtaͤdt, gefeiert im September 1845, nebſt den während if
felben in der Kathebrale gehaltenen Predigten. Reuburga 2,
Breiter. Sr. 3. 20 Nor.
Nitſchke, A. E., Was ift von den Beftrebumgar der (e
genannten Lichtfreunde zu halten? Ein Wort an das yratt-
ftantifhe Voll. Bunzlau, an. 8 3 Kar.
Die DOffentlichkeit der Stadtverordneten = Berfammlunger
vor dem V. Provinzial-£andtage der Mark Brandenburg. Ber
lin, Kraufe 8. 5 Rur.
Dettingen» Wallerftein, Fürftt. v., Rede gelegen:
lid) der Beratungen über die Anträge des Herrn Fürften voe
Srede Betreff der Quarten und Ktöfter. Muͤnchen, Fran
.2 r.
Poland, F., Die Hinderniſſe einer wirkſamen Etref
vechtöpflege, beſenders im Königreihe Sachſen. Gin mifer
ſchaftlicher Verſuch. Leipzig, Hinrichs. Gr. 8. A Nor.
Berantwortlicher Herausgeber: Beinrich Brockdaus. — Drud und Verlag von F. €. Brockhans in Leipzig.
Blätter
- für
literarifhe Unterhaltung.
29. uni 1846.
Braunfchweigs fchöne Literatur in den Jahren 1745
— 18500, die Epoche ded Morgenroths ber deut:
ſchen fhönen Literatur. Zum bundertjährigen Stif⸗
tumgöfefte des Collegii Carolini, von Karl ©.
WB. Shiller.. Wolfenbüttel, Holle. 1845
&r. 8. 1 Thlr.
Die Gefchichte bes 18. Jahrhunderts in Deutſchland
ft von vorzüglicher Wichtigkeit, um die des 19. zu ver-
fiehen. So groß die Zahl der Werke ift, welche die
Darftellung des 18. Jahrhunderts zum Gegenflande ha⸗
ben, fo fehlt doch noch immer vielen und großen Par»
tien das rechte Licht. Nehmen wir nur bie „weite
Dälfte bes vergangenen Jahrhunderts: welch wichtige
Fragen wurden damals nidyt blos in Schriften und Ger
genfchriften, fondern gleich im Leben felbft, in ber Pra⸗
gie, durchgefochten. Auf dem Webiete der Religion, ber |
Kirche, der Philgfophie, der Politik, der Pädagogik, ber
fchönen Literatur, überall erſchienen die kraͤftigſten Ge⸗
senfäge, überall Anfänge zu neuen Mefultaten und neuen
Zuftänden. Diefe neuen Zuftände begannen fich zu ge-
ſtalten nicht blos in dem Bürgerſtande, fondern auch im
ber Republik der Gelehrten, nicht blos im Volk, ſondern
anıh auf Thronen — man denke nur an Friedrich dem
Großen und an Joſeph II, die Beide ein großes Heer
von Nachtretern umter den Heinen Fürſten hatten —,
nicht blos in öffentlihem Kampf, fondern auch. m heim⸗
licher Rüſtung, namentlith der Jefuiten, der Ilumina⸗
ten und felbft dee Freimauver. Ein organifcher Zuſam⸗
menbang aller diefer einzeinen Momente ober Partien
-ift nod in feinem biftorifchen Werke pragmatiſch darge-
flelle; man findet Hier und dort höchftens Rinenmente da⸗
von ober Vorarbeiten dazu. Sofern folhe Morarbeiten
eine notbwendige Grundlegung find, nerdienen diefelben,
fobald fie ſorgfältig und mit Einſicht ansgeführt find,
Anmerkenung. Das. vorliegende Buch ift mehr als
bloße Vorarbeit. Der Def. führt ‚einer heil ber
Geſchichte des vergangenen Jahrhunderts mit Ge-
wauigkeit und Geſchick aus. Er bet sin tüchtiget
Zalent für fie Darſtellung im feinem Bude mani«
feſtirt. Es iſt ihm Ernſt mit feinen Begenflande; er
hat Studten gemacht; feine Angaben find durchweg
wohl begrundet; Der Gegenſtand gilt ihm mehr als eine
abexäiche Boum, weile von vielen derzeitigen Schriftſtel
lem für Weſen ausgegeben wird. Unſer Verf. ver⸗
ſchmaͤht es, durch einen ſogenannten intereſſanten Vortrag
Unkundige oder Zerſtreuungsbedürftige zu unterhalten;
unterhalten will er überall gar nicht; aber von gelehr⸗
tem Wuſt iſt in feinem Werk ebenſo wenig zu finden
wie von biendendem Raifonnement und Hypotheſen⸗
macherei — ein Befchäft, wodurch in. den legten Jahren
nicht Wenige fich einen Namen zu machen verſucht ha⸗
ben. Wie gefagt, unfer Verf. wollte nicht zur Unter -
haltung und zum Zeitvertreib fchreiben; fein Gegenſtand
ift dazu viel zu wichtig; aber er fihrieb fo, daß nicht
blos bie Literatur und Gefchichtsfumdigen, fondern daß
jeder gebildete Deutſche es wagen darf, Dies Buch im
die Hand zu nehmen, und es wird ihm einen Zuwachs
an Bildung gewähren.
Der Berf. hat nun fein Werk in folgender Welfe
angelegt. Der erfte Abfchnitt führt in einer Einleitung,
beren Material ganz gefchickt zufammengebrängt ift, den
Lefer durch bie deutſche Literatur von Luthers Zeit bis
auf die Gründung der fogenannsen „Bremer Beiträge”,
atſo bis auf den Zeitpunkt, wo bie in Braunſchweig
lebenden Literaten theils kritiſirend, theils producirend,
theils anregend, theils verbreitend, cheils erſindend, theil®
reproducirend und überfegend auftreten. Im zweiten
Abſchnitt werden dann Braunfchmeige literariſche Rota⸗
bilitäten aus dem Zeitraum von 1745 — 1000 vorge⸗
führt. Diefer Theil iſt der umfangreichfle des ganzen
Buche, er beginnt Seite 25 umd endet Seite 195. Bier
führt der Berf. alle die deutſchen Autoren, Dichter, Puͤ⸗
bagogen, Philoſophen, Zhenlogen vor, die von Braun⸗
fhweig aus ſich ein Berbienft um beutfcye Literatur er- -
werben haben; nämlich Jerufalem, Gärtner, Zachariä,
Ebert, Konrad Arnold Schmid, Eſchenburg, Leſſing,
Leifewing, Mauvillon, Stüve, Campe. Von jedem ber
Genannten gibt der Verf. nicht etwa gufällige, fondern
allemal charakteriſtiſche ‚Bebensnachrichten .uub welſt ei⸗
nem Jeden feine Stellung zur Literatur, Wiſſenſchaft,
Kun und Leben nah. In diefen Nusführungen ler⸗
wen wir ben Desf. überall als einen Mann kennen, ber
nicht in einem Philoſophiſchen Syſtem gefangen fügt, ſon⸗
dern ber ſelbſt ficht und ſelbſtändig urtheilt; er hat einen
gefunden Takt für das Richtige; das Abſprechen, das
Hin» und Her⸗ und Her⸗ und Hinraiſonniren mancher
18
Literaten, dieſes jämmerliche Drefchen leeren Strohs,
ſcheint dem Verf. verabfhenungsmürdig zu fein. Selbſt
wer mit der Literaturgefchichte näher vertraut ift, wird
ohne Zweifel mit diefem Abſchnitt manche Lüde feiner
Kenntniffe ausfüllen können; Manches, mas als Notiz
aus einem Handbuche ſich Ins andere hinüberſchlich, er-
fheint hier in feinem reellen Zufammenhange. Selbft
Bouterwet und Gervinus haben in ihren umfang-
reihen Werfen den Theil der deutfchen Kiteraturge-
fhichte, den ber Verf. bearbeitet bat, kaum ange-
deutet, gefchrweige benn die Lineamente zu ber von
ihm gegebenen Ausführung mitgetheilt. In Diefer
Ruͤckſicht ſchon fteht fein Buch weit über dem Prug'-
(hen vom Hainbunde, weil dies Iegtere nichts ale
eine Ausführung zu Gervinus' Andeutungen ift; unfer
Verf. har alfo auch noch den Vorzug, daß er etwas
Neues thut und gibt.
Mit Recht eröffnet der Verf. die Reihefolge braun-
ſchweigiſcher Notabilitäten mit Jerufalem, dem Va⸗
ter des jungen Serufalem, ber fi in Weslar erſchoß,
ein Greigniß, von welchem Goethe den Stoff zu „Wer—⸗
ther's Leiden” nahm. In Deutfchland wird Jerufalem’s
Verdienft gewöhnlich nur auf das eines guten Kanzel:
rebners befchräntt; feine befanntefte Schrift heißt: „Be
trachtungen über die vornehmften Wahrheiten der chrift-
lihen Religion.” Allein Serufalem war nicht nur ein
guter, er war ein großer Kanzelredner, und wenn auch
Mosheim mehr Schwung hatte, fo übertrifft ihn Jeru-
falem durch Reichthum der Gedanken und Ziefe ber
Philoſophie. Jerufalem war für bie Literatur Deutſch⸗
lands von wefentlicher Bedeutung; obwol nicht ohne
Sympatbien für hollänbifche und englifche Gelchrfam-
keit, war er doch durch ımb durch deutſch. In einer
Schrift „Über deutfche Sprache und Riteratur” (Berlin
1781) verfuchte er es, das Buch Friedrich's des Großen
„Sur la Hitterature allemande 1780” zu widerlegen;
Gervinus hat den Werth dieſer Defenfion viel zu ge-
ring angefchlagen. Noch mehr, Ierufalem drang überall
darauf, daß die Mutterfprache ber wichtigfte Gegenfland
bes Unterrichts werde; er behauptete, nicht das mate⸗
rielle Wiffen, fondern der Geiſt fei es ber lebendig
made, und daß, weil die Schönheit die Krone‘ der
ganzen materiehen Welt und das Endziel der Wahrheit
und Sittlichkeit fei, vorzugsweife durch Belebung des
Schönheitsfinnes auf die wahrhaft harmoniſche Ausbil⸗
dung zu wirken fe. Hier beginnt der Zuſammenhang
Jerufalem’s mit ber von Gottſched's Schule ſich abfon-
dernden und freier werdenden bdeutfchen Literatur ober
vielmehr mit dem Geiſte derfelben, ben Gärtner unb
bie Mitarbeiter an den „Bremer Beiträgen” zu weden
und zu verbreiten fuchten. SJerufalem bat einen ganz
unglaublichen Einfluß auf Deutſchlands Bildung dadurch
ausgeubt, daß er den Herzog Karl von Braunfchweig
bewog, das Collegium Carolinum zu fliften, eine Schule,
worin die Grundſitze der neuen Bildung unter die Glaffe
ber @efellfchaft verbreitet wurden, welchen Intelligenz
zu aller Zeit ein Bebürfnif war.
Zu den duch Jerufalem nad Braunfchmweig berufe-
nen und um bie Literatur verbienten Diännern gehört
sunähft Gärtner, der Freund von Bellert, Rabener und
I. U. Cramer. Diefe Alle riffen ſich von Gottfcheb les
und bildeten in Leipzig einen Verein, duxch den ein
beffere Schule in der Literatur begründet wurde. Die
fee Verein vegte zu Productionen an; fogar Klopftod
publicirte Die erften Theile bes „Meſſias“ in den von
ihnen herausgegebenen „Bremer Beiträgen”. Gärtner
machte fich in feinen Poeften ſchon frei vor der alter:
thamlich fleifen Manier feiner Vorgänger (namentlich
feine dramatifhen Verſuche verdienen dies Lob); aber er
hatte doch nicht geiftige Energie genug, um ſich fo_frei
zu bewegen wie bald nah ihm Leffing wagte Ubri-
gend wurbe Gärtner, wie auch der Verf. anmerkt, darch
feine geiftreiche Kritik für die ſich entwidelnde Seriode
ein kräftiger Hebel.
Auch Zachari ä, der bekannte Verf. des, Remommiſten“
bes „Schnupftuch“ und aͤhnlicher Sachen, war Lehrer
am Earolinum. Als Poet kam er nicht weit über Boi-
leau und Pope, feine Vorbilder, hinaus; aber feine
Schilderungen haben doch den Vorzug großer Natur
treue. Kleine dramatifhe Sachen Zachariä's wurden
von ber Ackermann'ſchen Geſellſchaft dargeſtellt; wichti⸗
ger war es, daß Zachariä Linguet's, Spaniſches Thea⸗
ter” und Milton's„Verlorenes Paradies” überfepte.
Ein noch größere® Verdienſt erwarb fi um bie
Verbreitung englifcher Poefit in Deutfchland Ebert,
gleichfalls Profeffor am Garolinum; er überfegte ben
Young, und welchen Einfluß diefer Dichter nament⸗
lich auf Klopftod ausübte ift bekannt. In ähnlicher
Weiſe wie Ebert, aber in größerer Ausdehnung wirkte
Efhenburg. Bor diefer Zeit war Shaffpeare nur höchſt
unvolllommen ins Deutfche überfegt; Eidyenburg lieferte
die erfte beffere Überfegung, ein Verdienſt, was Ghie
gel, der doc, auf feinen Schultern fteßt, durchaus nicht
binlänglich anerkannt Hat. Auch für das Studium ber
alten Poeſie war Eſchenburg thätig; feine Lehrbücher
der alten Literatur find felbft jegt noch Hier und ber
in Gebrauch.
Auch Leffing widmet unfer Verf. einen Abſchnitt,
eine höchſt geiftreiche Partie des Buchs, worin na
gewiefen wird, bag ber Gulminationspuntt von Ef
ſing's Thaͤtigkeit in die Zeit des braunſchweiger Wafent-
halte fallt; in hoͤchſt intereffanten Ausführungen wirb
mitgetheilt, in welcher Weiſe Leſſing's dasmaliges Ber:
hältniß, feine Freunde, bie Bibliothek, die Einſamkeit,
Einfluß auf feine Werke gewann. Übrigens ift der Bar.
Weltbürger genug, um 2efling ganz in feiner welthiſte
riſchen Bebentung zu faffen.
Nicht am Collegium Carolinam angeftellt war ber m
Braunfchweig lebende Johann Anton Lkeifewig, übe
deſſen Perfönlichkeit und Wirkſamkeit Manches milge
theilt wird, mas bisher wicht allgemein bekannt war
Leifewig war perfönlich befreundet mit Wieland, Geethe,
Herder, Getter, Leſſing und Lichtenberg; Leffing ſcheich
die Autorſchaft des „Julius von Tarent“ anfangs Ge
719
the zu und freute fich nach entdecktem Irrthume, daß
in Deutſchland nur zwei ganz ausgezeichnete Köpfe waͤ⸗
ren, nämlich Goethe und Leifemig. Schiller mußte in
feiner Jugend den „Zulius von Tarent“ auswendig.
(Der Beſchluß folgt.)
Die Berfaffung der Kirche der Zukunft. Praktiſche Er»
läuterungen zu dem Briefmechfel über die beutfche
Kiche, das Episfopat und Zerufalem. Mit Vorwort
und vollftändigem Briefwechfel herausgegeben von
Chriffian Karl Joſias Bunfen. Hamburg,
Agentur bes Rauhen Haufes. 1845. 8. 2 Thlr.
In Berantaffung ber von Abeken herausgegebenen Schrift:
„Das evangelifhe Bisſsthum in Jeruſalem“, hatte der Verf. im
3. 1843 einen Briefwechſel ‚mit dem britifhen Minifter Glad⸗
flone geführt, in welchem er feine Anfichten über das Epiöco»
pat ſtizzirte. Diefen Briefwechſel hatte der Verf. bei feiner
Amweſenheit in Deutfchland im vorigen Jahre Freunden mit-
getheilt und auf deren Auffodern fodann als Handſchrift für
—— drucken laſſen. Dadurch wurden einzelne Sätze in
eitſchriften verbreitet, aber nach des Verf. Meinung in un:
richtigem Verſtändniſſe. So ſah er fi veranlaßt, feine Ge:
danfen in dem vorliegenden Buche audzubauen. Daffelbe fol
die „praßtifche Kirchenverbefferung” umfaffen und „alle Gelehr⸗
famPeit bei Seite gelegt, einfah, aus wefentlich zugeftandenen
Srundfägen und aus den Bebürfniffen der Gegenwart heraus
die verftandige und praftifche Grundlage darlegen, die der Verf.
für fein Bekenntniß in ſich vorgefunden”. |
Das Wert beginnt mit einer Einleitung: „Das chriftliche
Prieſterthum, der Staat und ber Pirdhliche Beruf der Gegen:
wart.’
„Ale vorchriſtlichen Religionen hatten ein Priefterthum,
weil Priefter und priefterliche Opfer. Diefe waren entweder
Sinnbilder der felig gefühlten Verbindung mit dem Göttlichen
( Dankopfer) oder Anerbietungen für die wegen der Sünden
erzürnte Gottheit (Sühnopfer). Das wahre Opfer wurde aber
nie vollbracht; die Lücke zwifchen der Gottheit und tem Men:
fhen nie gefüllt. Der Streit zwifchen dem unbeugfamen Sit⸗
tengefetge, welches vollkommene Heiligkeit fodert, und dem wirk⸗
lichen Thun und Leben, welches dem Gewiſſen Unvolllommen:
heit und Abfall zeigt, blieb ungefchlichtet, underfühnt. Chri⸗
ftus loͤſte dieſen unfeligen Streit. Gr vollbradhte das große
Berföhnopfer der Menſchheit vermitteld feiner perfönlichen
Hingabe. Diefe ift das wahre Opfer und wird als von der
Bernunft gefoderte ewige That und Selbftentäußerung Gottes
Durch das Gefühl der perfönlich-fittlichen Werantwortlichfeit im
Glauben ununterbrodhen zum Reiche Gottes hin fortgefegt.
Daraus entipringt dad allgemeine Prieſterthum, weil ein Jeder
fih felbft feine Perſon, fein Inneres oder fein ganzes Leben,
wie Chriftus felbft, zum Dpfer bringt, bingibt. Das wahre
Dankopfer wurde der durch GBottesdienft und Leben, im Geifte
und in der Wahrheit dargeftellte unmittelbare Verkehr des
Menfchen mit Gott, die Bethätigung des allgemeinen Prieſter⸗
thums. Es ift Par, daß jene große fittlihe Idee
zu ihrer vollen, naturgemäßen und gefunden Ent:
wicdelung ein hriftiihes Volk und einen Kriftlis»
hen Staat fodert, obwol fie in ihrem Keime nur
Der hriftlihen Kamilie bedarf und unter Reronen
erftarten kann. Die Reformation machte folche Heraus»
ftellung des allgemeinen Prieſterthums in einem weltgeſchichtlich
gebildeten Bolfe und Staate möglich, aber damit nicht wirk⸗
Lil. Die folgenten Jahrhunderte erzeugten bie bürgerliche
Freihcit; dieſe iſt aber nicht geſichert und kann nicht wohlthaä⸗
tig wirken ohne daB das freie Volk ein lebendig chriſtliches iſt.
Daher iſt eine freie Kirchenverfaſſung ein kritiſches Moment
der Gegenwart. Jegtt oder nie ift die Beit, daß die Biegiezun:
gen und Volker ſich aufflären über das Chriſtenthum, fiber bie
Bedeutung der Kirche und ihrer Verfaffung. Namentlich iſt
für die evangelifche Landeskirche Preußens der weltgeſchichtliche
Beitpunft gelommen, welchen das Chriſtenthum im Allgemei—
nen, die Reformation insbefondere mögli macht: die Daritel«
lung einer freien, nationalen, durch und durch volksthuͤmlichen
Gemeinde, welche fi als Theil der allgemeinen Kirche Chriſti
erkennt, darſtellt, fortpflanzt, erhält und regiert.“
‚ Diefes find bie Ideen bes Berf. Zu der criftlichen haben
wir nichts hinzuzuſetzen. Nur die Vorſtellungen von Menfch»
beit, Bamilie, Bolt und Staat und bürgerlicher Freiheit, deren
Inhalt überall das Chriſtenthum fein fol, werben, wie fie der
Berf. gegeben, einer nähern Beleuchtung bedürfen. Wenn der
Berf. fagt, dur das Chriftenthum fei die Herſtellung der
Menſchheit möglich gemacht, und zwar einer ſoichen; die über
dem Rationalen ftänte, fo wollen wir diefen Ausſpruch vor:
läufig nur wegen feines Zufammenhangs mit den übrigen Be:
hauptungen des Verf. prüfen. Er hängt aber mit der ganzen
Bolge nicht zufammen, denn derſelbe fagt weiter: es fer Mar,
daß die chriftliche Idee eines Volkes zu ihrer Entwickelung be
dürfe, wenn fie glei in ihrem Keime nur der Familie
bedürfe. Run aber ift eben die Familie das Einfache der Bors
ftellung einer allgemeinen Menfchheit; beide Begriffe find ab-
ſtracte, während Volk und Staat das Befondere, Concrete find.
Wenn alfo der Keim der chriſtlichen Idee in der Familie wur:
zeln und in die Menfchheit hineinwachfen fol, fo ift damit zu:
gleich die Aufhebung des tiefer liegenden Begriffs des Volkes
und Staats gegeben und der Ber) kann fo nicht fagen: es
fei Elar, daß ein Volk nöthig fei. Diefe Klarheit ergibt fi
aber, wenn man die Menfchheit richtig als ein gegenmwärtiges
Bolt anfhaut. Die Welt ift die Anhaufung des Dielen, des
Raums; Lie Menfchheit Die Potenzirung ded Ginen, der Zeit,
und dieſes Eine ift das Volk, d. 5. aber das gegenwärtige
Volk ber Geſchichte. Das war einft zu einer gewiſſſen Zeit das
griechifche, welches Daher ein Recht hatte, Alles außer fih für
Barbaren anzufeben, das ift jetzt das germanifche; jenes daB
heidniſche, dieſes das chriſtliche; daher ift die gegenwärtige Fa⸗
milie die Hriftlihe und infofern Bann auch der chriſtliche Keim
in der Familie wurzeln, aber eben nur in der germanifchen.
Alles außerhalb des Germaniſchen wird nun und nimmermehr
zum Chriftlihen werden, und wenn Miffionen und Bisthümer
an allen Enden der Erde errichtet werden; denn germanifch
und KHriftlih find Eins. Von diefer Einheit hätte der Verf.
ein Recht, zu Deutfchland und zu Preußen zu kommen als Un»
terabtheilungen des Einen; fonft begreift man in der That
nicht, wie der Ausbau der evangelifchen Landeskirche den Chis
nefen oder Tuͤrken zugute kommen fol, bie von folder be:
fondern Wirklichkeit nicht einmal den Ramen kennen. Wenn
nun aber endlich der Verf. fagt: die bürgerliche Freiheit fei
das Außere der kirchlichen, und diefe bürgerliche Freiheit fei
überhaupt vorhanden, alfo aud in Preußen vorhanden, deffen
Volk ja eben auch innerlich frei, lebendig chriftlich verfaßt wer⸗
den fol, fo erregt das fofort ſchon den Verdacht, daß die
vorliegende Kirchenverfaffung die Ergänzung der ariftofra-
tiſchen Staatsverfaflung ded Hrn. von Bülow-Eummerom ift.
Beide Schriftfteller übrigens fallen fchon, was gelegentlidh be»
merkt werden mag, in der Schluß: Pointe zufammen, alles
Heil in Staat und Kirche vom gegenwärtigen Könige von
Preußen zu erwarten. |
Wir wollen feben, ob der Verlauf des Werkes diefen Ber
dacht benehmen oder feinen Sinn als Inhalt des Buchs bethä-
tigen wird.
Übergehen wir im Folgenden alle die Ausführungen des
Berf., daß Bein Volk die Menfchheit fei, indem wir eben der
Meinung find, daß gerade Ein Bolt die Menfchheit ift; man
Fann wol fagen: Fein Sinnenſyſtem ift die Welt; aber dad ge⸗
hört Alles nicht wefentlich zum Buches Laflen wir uns vielmehr
durch folche Fernfichten von dem befondern Wege zur Berfaf«
fung nicht ablenken, fo finden wir alsbald folgenden Sag, ber
uns den Sinn d n wie mit einem ſtreifenden Blige ber
vorangebeuteten Ahnung zu erhellen ſcheint. &s heißt: „Es
ip hiernach auch Mar, daß uns die bürgerliche und kirchliche
erfaffung des te, alfo Stände und Synoden, zwei
verfchiedene Ströme des Einen nationalen Lebens fein müflen, de
zen Einigkeit am beiten gefihert wird durch ihre volltändige
Betrenntheit. Eine evangelifche Kirchenverfafſung ift und hier
nad nichts als die andere Seite der Berfaifung für bie
evangelifchen Chriſten. Kein Volk iſt politifch frei ohne eine
nationale Kirchenverfaffung für die Befennec des Evangeliums.”
Es Fünnte den Anſchein haben, als wenn der Berf. unter den⸗
enigen Ständen, welche er den Gpnoden parallelifirt, repraͤ⸗
ntative oder conftitutive verftanden hatte, wie fie das germa-
nifhe Bolt anfeeeht Indeſſen an andern Gtellen wird bie
Korm der Berfaffung bes Staats der Kirche gegenüber auss
druͤcklich für gleichgültig erflärt, und ber Berf. ſchreibt vor»
ugsweife für Preußen und gebraucht bei dem Capitel bed Ber
ältniffes der von ihm conftituirten preußiſchen Nationalkicche
gegen den Staat ebenfalls die Ausdrude: Stände und Syno⸗
den. Es wird alfo nicht weit von der Wahrheit fein, zu ver
mutbhen , bei diefem allgemeinen Ausdrucke „Stände“ habe der
Verf. die von Hrn. don Buͤlow⸗Cummerow richtig interpretirte
Nepräfentation der ariftofratifhen &lemente bed Staat ver:
. fanden. Diefe Vermuthung wird faft zur Evidenz erhoben,
wenn wir fehen, wie der Verf. die Ehe das Vorbild des Staats
nennt und in dieſem theils die Darftellung des fittlichen Leben?
ber Drenfchheit verwirklicht werden, theild derfelbe im Berein
mit der Kirche ein Keimblatt des wahren chriftlichen Staats
oder des Reiches Gottes fein fol; ñttliches aber und ariftoßra-
tiſches Princip find Eins. Wir übergeben bier wiederum den
Streit über bie policeilihe Anmaßung der deutfchen Staaten,
über die Sittlichkeit des Volkes zu wagen, und über die Zwecke
Des Staats überhaupt; der Verf. felbft fagt: er wolle in Feine
literarifche Klopffechterei verwickelt werden; wir gehen lediglich
ben Weg zur Verfaffung der Kirche geradeaus fort, vergeflen
aber das Refultat diefer Station nicht: die Synoden der Kirche
werden ariftofratiihen Ständen eines die Sittlichfeit produci⸗
renden Staats parallelifirt.
Nachdem der Verf. in Zügen, die tiefſtes Eindringen in
das Wefen der Formen zeigen, die beftehenden der Kirche, bie
Eonfiftorialverfaflung, den anglicanifhen Episfopalismus, ben
genfer, holländifchsfchottifchen Preöbyterianismus, den Indepen:
dentismus, die, amerikaniſche Verfaſſung beurtpeilt und deren
Schiefheiten, Überfülle oder Trodenheiten nachgewieſen hat,
kommt er zu den „Grundſatzen der Herſtellung einer vollſtän⸗
bigen evangelifhen Kirchenverfaffung”. Hier ift nun zuvor
folgender Gedanke hervorzuheben, der fo zu fagen die Seele
des ganzen Buchs if: „Die Gemeinde entftehbt durch
das Amt des Worts; das Amt bedingt daß Dafein der Ge⸗
meinde und dieſes Dafein bedingt die Entwicklung ded Reiches
Gottes.“ Wo der Verf. dieſes hinftellt, fagt er unmittelbar
Daneben: „Ahnlich verhält ed fi im Gebiete des Staats hin⸗
fichtlih Des Gegenfageß von Volt und Regierung.” Das heißt
alfo die Negierung ift die Seele des Volkes, und wenn aud
firdhliches und weltliche Amt an und in dem Volke fein fol:
Im, wie der Berf. fagt, fo kann doch diefes nichtd Anderes
beißen nach dem ausgelagten Berhältnifie, als wenn der Künft:
ler an und in feinem Werke If, er bedingt da& Dafein deſſel⸗
ben und diefes Dafein wieder die Grfcheinung des Reiches der
Schönheit. Das Reich Gottes ift dad dritte und zwar daß
fütliche Reich, und wenn der Staat diefed auch fein foll, wos
rin unterfcheidet ſich Bürgerliches und kirchliches Volk? Iſt bie
bürgerliche Freiheit, die man die politiſche nennt, nicht bloß
ein Schein? Der Verf. fagt ed ſelbſt bl, und wenn dann
bie Regierung dad Volk zu demfelben Ende zu leiten bat wie
dad kirchliche Amt, wenn durch die Regierung daB Volk ent
fteht, wo bleibt dann bie gange Vergangenheit, wo bleiben die
Begenwärtigen Nefultate der Befchichtet Alles verfchwindet
‚rung anbahnen wird. Das ift die unvermeidliche
vor der Bußunft, die die befte Leitung der preußi 42*
equen,
Man laſſe fi durch den Pomp ber Worte nicht blenden. Dat
allgemeine Prieſterthum tft das goldene aubilb und bie
Zehnsinfignie, welche das Amt der Gemeinde für fefkliche Zage
umbängt; für den Werktag if fein Schmetterlingsglanz zu
zart; will die Gemeinde davon Gebrauch machen und feibk
gehen, fo zerbricht e8 unter folden rauhen Plebejerhänden,
as ariftofratifche Element der Gemeinde ift e8, der Fir.
lie Adel, Veie: dem gläubigen Bolke das Hetl verkündet,
e6 regiert und hilft; auch der weltliche Adel ift an und in dem
Volke; mit foldem „Un’ und „Im“ ift nicht gefagt. So wie
Im Staate dem regierten Volke das Bewußtfein feiner leeren
perſonlichen Eriften; übrig bleibt, das, fo lange Jemand eben
lebt, demfelben wol nicht wirb genommen werben Eönnen, fo
in ber Kirche das der perfönlicden Nerantwortlichleit, der leeren
fhematifhen Gewiflensfreiheit, welche umter folgen Umftänden
eher eine ſchreckliche Laſt als eine Ehre iſt. In fehr idealen,
fehr zarten und ſehr erclufiven Zuftänden find ſolche zen
gen und Poraudfegungen eine Wahrheit: die gemeine Wirklich⸗
it aber verlangt Genügung ihres derben, na iheit und
Selbftändigkeit ftrebenden Willens. Das Volk fagt: Ich bin
da, und weil ich bin, fo will ih auch Das was ich fein wil.
Das Volk ift die Zeit und das Amt iſt ein Individuum; me
ift nun der Erzeuger? oder wer fol nun regieren? Bir fir
nen babei nicht unerwähnt laffen, daß der abgegangen Mini
fter von Arnim bekanntlich anftatt das Volk und deſſen Dryane
zu bören, von feinen Präfidenten den Volksgeiſt wie einen
Schaum von ber Dberfläche wollte abfihöpfen und fi überre
hen laſſen; daß ift eine Weife, wie das Wolf durch Die Regierung
entitehen kann; das Alles find Zeichen eines gewiffen Syftemd.
Aber die von dem Verf. aufgeftelten Amter in der Ge:
meinde find dreifah: das Dirtenamt ober das Amt der Seel⸗
forger, das Amt der Regierer -und das beiden zur Seite ſte⸗
bende Amt der Helfer. Der Berf. kommt noch einmal jurad
auf die geiſtliche Oberherrlichkeit der Gemeinde. Wir wollen
nur kurz an bie Oberherrlichkeit des franzöfifchen Bolkes zu ge
wiflen Seiten erinnern; dem Namen nach ift Alles möglid und
klingt Alles auch fehr fchön. Es ift auch ein bloßer Rame;
denn der Verf. vertheidigt fi) vor dem Vorwurfe des Predi⸗
gens der Bolköfouverainetät und reducirt endlich Die Dberhert-
lichkeit auf die ausftromende Gewiffensfreiheit der Einzelnen,
d. 5. auf das logiſche Schema A ift gleich A oder wie die Arith⸗
metifer fih ausdruden: O==(), womit man eben Richts be
zeichnet.
(Der Beſchluß folgt.)
Literarifbe Notiz.
Revolutionsgeſchichte.
So groß auch die Zahl der auf die franzoͤſiſche Revelutien
bezüglichen Geſchichtswerke ſcheint, fo iſt doch an folden Dar
ftelungen, weldye die vorhandene Kiteratur mit einiger Boll
fländigfeit und mit kritifher Sichtung verarbeiten, in Krank:
reih durchaus noch Fein Überfluß. Was man aber hier vor
Allem vermißt, ift Mäßigung und Porteilofigkeit, Eigenſchaſ
ten, welche den franzöflichen Hiſtorikern nur Selten beigelegt
werden Fönnen. Ginigermaßen hervorgehoben zu werden ver
dient die Nevolutionsgefchichte, welche von IH. Burette un
Ulyſſe Ladet gemeinfchaftlich herausgegeben wird. Zreilich ſehl
diefem Werke, das auf acht Bände berechnet iſt, die Karhır
pracht und der einfchmeichelnde Stil der Thiers'ſchen Dark
lung oder die pointenreiche, ſchlagende Fellung Mignet't, abe
dafür beweift e8 auf jebem Blatte, daß eb aus einem forgi
tigen und umfaffenden Quellenftudium Bervorgegangen if, ab
die Verarbeitung der gefammelten Materialien ift anflanliz
und gemeflen. fi
Brerantwortiliger Yeraubgeber : Heiurich Boo Epans. — Deut unb Berlag von F. SE, Wrockhausg in Leipzig.
*
>
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Dienftag,
— Nr. 181. — N
30. Juni 1846.
Braunſchweigs ſchoͤne Literatur in den Jahren 1745
a — 18500. Bon Karl G. W. Schiller.
(Beſchluß aus Nr. 188.)
Hoͤchſt intereffant iſt die Partie bes Buche, in wel⸗
cher unfer Verf. über Mauvillon ſpricht, diefen Freund
bes freigeiftigen Unzer und bes gewaltigen Mirabeau.
Der Lefer findet in dieſem Abſchnitt eine gründliche
Beurtheilung Mauvillon's, feiner philofophifchen, religid-
fen und Hiftorifchen Schriften. Auf bie fehöne Literatur
Deutfchlands wirkte Mauvillon dadurch, daß er die erfte
Überfegung des „Rafenden Roland” von Ariofto (Lemgo
1777 — 78) lieferte. Die Mufit der Sprache, die
Stätte des Versbaus wirkte auf die poetifchen Probuctio>
nen ber damaligen Dichter; durch Mauvillon murbe
Heinfe zur Überfegung ded Taſſo und des Arioſto
angeregt, Arbeiten, die auf bie eigenen Dichtungen
Heinſe's von großem Einfluß maren.
Reef. fügt hier noch die Bemerkung an, baß bie
Nachrichten über Mauvillon's Xeben und Wirkſamkeit
fi) noch bedeutend vervolftändigen ließen, wenn beffen
freimaurerifche Thaͤtigkeit näher erörtert würde; nament-
lich in fein Verhältnig zu Mirabeau und zum Herzog
Karl Wilhelm Ferdinand von Braunſchweig müßte da-
durch. mehr Licht zu bringen fein. Referent ift überall
ber Anfiht, daß eine Gefchichte der Freimaurerei über
die Zuflände und das Leben bes 18. Jahrhunderts Vie⸗
les aufbellen würde; felbft wenn Semand den Beweis
führte, daß bie Freimaurerei ber Gegenwart mancher
Drten in Deutfchland jest ganz inhaltlos ift, fo wäre
Damit keineswegs bie Behauptung gerechtfertigt, daß fie
es auch damals geweſen fei.
über Joachim Heinrih Campe urtheilt der Verf.
- mit Umficht und ohne Parteilichkeitz er lobt das Gute,
aber verſchweigt auch die zweideutigen Xhatfachen aus
Campe's Keben nicht. Kin politifcher Charakter war
Campe durchaus nicht; er pries die Freiheitstendenzen
von 1789 und doch fland er mit bem Herzoge von
Braunfhmweig auf dem freundfchaftlichften Fuße; ja,
als Jeroͤme König von Weftfalen und alfo auch Fürft
von Braunfchweig wurde, begrüßte er auch ben mit
Begeifterung in einem Gedichte. in Dichter war
Campe übrigens durchaus nicht; feine ganze vealiftifche
Richtung widerſtrebte ber Poefie.
Auch in Religions.
angelegenheiten kam er über das Begriffämäßige nicht
hinaus; wie er in allen Gebieten des Lebens das phi-
lifterhafte Nüglichkeitsprincip vorwalten ließ, fo verlangte
er auch von den Predigern vor Allem, baf fie halb Land-
wirtbe und halb Arzte fein follten. Was feine Pada⸗
gogik betrifft, fo war er darin keineswegs originel; er
folgte immer nur Vorgängern. Selbft in feiner Jugend⸗
fhriftftellerei ift er häufig matt; Peſtalozzi hatte weit
mehr Talent dazu; Campe wird gar zu leicht kindiſch,
wenn er einfach, natürlich und Tindlih fein will, und
ed war ein Grundirrthum, daß er fo Vieles für Kinder
zurichten wollfe, was entweber gar nicht für Kinder ge-
hört oder doch nicht in dem Umfange wie er es nahm;
ſchrieb er doch fogar eine „Moral für Kinder”, aber auch
wieder nach einem fremden und zwar franzöfifhen Mu-
fier. Lichtenberg hatte ganz recht, wenn er bamals
auffoderte, man folle doch nun auch endlich einmal eine
Hebammenkunft fir Kinder fchreiben. Allein ungeachtet
aller diefer Vorwürfe, die wir Campe mit Recht ge
macht haben, ja noch mehr, ungeachtet aus feiner
Schule alle jene Leute, bie nur nah Nutzen und
Nugbarkeit fragen, hervorgegangen find, fo bat er boch
auh im Einzelnen mandes Gute gewirkt; er hatte
recht, wenn er behauptete, daß ein Quentchen gefunden
Menfchenverftandes mehr werth fei als ein Pfund Ge-
Ichrfamfeit; er hatte recht, wenn er verlangte, daß bie” -
deutſche Sprache fo viel wie möglich zu ihrer urfprüng-
lichen Reinheit zurückgeführt werde, eine Anſicht, deren
forcirte Confequenzen ihn freilich oftmals laͤcherlich wer⸗
ben ließen; übrigens haben feine perfünlichen Bemühungen
und feine vielen päbdagogifchen Schriften für bie Her»
ausbildung bes eigentlich beutfehen Elements in Deutfch-
land viel gewirkt, und damit möchte die Verbindungs⸗
linie angedeutet fein, bie von Campe auf die fhöne Li-
teratur in Deutfchland hinleitet. Wenn Ref. im Obi⸗
gen auch etmas fehärfer über Campe geurtheilt bat ale
der Verf., fo flimmt er dennoch im Weſentlichen mit
ihm überein. Ä Ä
Nun folgt der dritte Abfchnitt, worin bewieſen wirb,
daß die Literaturepoche Braunſchweigs von 1745 an bie
Morgenröthe ber ſchoͤnen Literatur in Deutſchland ſei.
Natürlih kann bie nur behauptet werben von ben
nächften 30 Jahren nah 1745, alſo von 1745 — 755
722 |
denn von dem leptgenannten Zeitpuntte an ſchließen fich
alle Iiterarifchen Bewegungen Deutfchlands, der Schweiz
und Dänemarks aufs engfte an den weimarifchen Kreis.
Unfer Verf. hat in biefem Abſchnitt eine ſchwere Auf⸗
gabe zu loͤſen; gar viele Städte zeichneten ſich damals
durch Theilnahme an ber Literatur aus: Hamburg mit
feinem Brodes, Hagedorn, Liscow, Leipzig mit feiner
Gottſched'ſchen Schule, Halberftadt mit Gleim und def-
fen Kreife, Münfter mit ber Fürftin Galligin, Darm-
fladt, wo die Landgräfin Karoline für deutſche Literatur
fo Vieles that — alle diefe Namen find doc von Be-
deutung und nehmen Theil an dem Ruhme, den aud
Braunſchweig beanfprudt; ja, noch mehr, wer könnte
vergeffen haben, was im legten Theil jener bezeichneten
Epoche von Berlin und Königsberg aus duch Nicolai,
Mendelsfohn, Lefiing, Hamann gefchehen ift? Unfer Verf.
entledigt ſich feiner Aufgabe mit Umficht und Geſchick;
er will den Einfluß der Braunfchweiger nicht über-
fhägen; aber fo viel ift gewiß, die in Braunfchweig
Iebenden Literaten waren Vorgänger der großen Deut»
chen Genies, die nach ihnen fich voller entfalten; es ift
ein bedeutendes Verdienſt, daß Gärtner, Zachariä, Ebert,
Mauvillon, Efchendburg u. U. auf die ſpaniſche, italieni-
fche, vorzüglich aber, daß fie auf die englifhe Literatur
hingewiefen haben. Bit der Einführung bes Shakſpeare
wurde die ganze Despotie bes franzöfifchen Ungeſchmacks
vernichtet; auch ber Kormalismus Gottſched's wurde ba-
durch zerftört. Endlich ift noch in Obacht zu nehmen,
daß die weimarifche Literaturepoche ganz nahe mit ber
. braunfchweigifchen zufammenhängt. Nämlich die Her
zogin Amalie von Weimar, die Freundin Wieland's, bie
Schügerin Goethe's, war bie Tochter des braunfchmweiger
Herzogs Karl und die Schülerin Jerufalem’s; fie nahm
von Braunfchmweig die Liebe zur Literatur mit nad, Wei
mar und errichtete dafelbft einen Mufentempel in höherm
Stil als der in ihrer Vaterfiadt war.
Hierauf gibt der Verf. in einem Anhange noch
eine Überfiht des Regentenhauſes Braunfchweig - Wol⸗
fenbüttel in Beziehung feiner Verdienfte um Kunſt und
Wiſſenſchaft. Diefer Abſchnitt ift eine hoͤchſt werth⸗
volle Zugabe. Schon vor Heinrich's bes Löwen Zeit
begimmt der Verf.; er erzählt bie Werdienfte biefes Für⸗
ften um Baukunſt, Srescomalerei, Slasmalerei, Holzſchnitz⸗
kunſt und Metallarbeiten auf. Der Herzog Julius von
Braunfchweig, welcher 1528 geboren und 1589 geftor-
ben ift, errichtete die Univerfität Helmftäbt und begün»
fligte die in der Geſchichte der proteflantifchen Dogma-
tie vorkommenden Profeſſoren Heßhuß, Jakob Andres,
Ehyträns und Martin Chemnig; er fliftete und erwei⸗
terte auch die wolfenbüttier Bibliothek und kaufte eine
große Zahl werthvoller Manufcripte. Der Sohn dieſes
Herzogs ift der in der allgemeinen Literaturgeſchichte
vorfommende Heinrich Julius, Mehre feiner Schriften
find auf der wolfenbüttler Bibliothek zu finden; nicht
ohne Werth find feine Reden. Im I. 1605 gründete
er in Braunfchweig ein Hoftheater, das erfte in Deutfch-
land, und dichtete zwei Dramen; das erſte ift eine „Co-
moedia” von Glementio Kabislan, Satrapen von Wan- .
tus; das andere ift eine „ Tragica comoedia ”, welcher
die Gefchichte von der Sufanna zu Grunde liegt; beibe
Werke publicirte er unter bem Namen Hilbaldeha, das
fol bedeuten Henricus Julius Brunsvigae ac Lunebargae
dux edidit hunc actum (1593 — 94), Ebenſo bekannt
aus der allgemeinen Kiteraturgefhichte ift Herzog Anton
Ulrich, geboren 1633, geftorben 1714. Gr war al
Kirchenliederdichter und Romanfchriftfteller fruchtbar. Gr
ift Verfaffer der römifchen „Octavia, jenes weitläufigen
Romans, worin er Die ganze römifche Gefchichte vom
Kaifer Claudius bis zum Kaifer Vespafianus, alfo vom
3. 41 biß zum 9. 79 nah Chr. Geb., erzählt; aufer
dem kommt in dem Buche mancherlei Modernes ver,
3. B. die Gefchichte der Prinzeffin von Ahlden, der Ge⸗
mahlin Georg’s J., Königs von England. Herzog An-
ton Ulrich richtete in Braunfchweig auch eine italieniſche
Oper ein und erweiterte die Kunftfammlungen in Salz⸗
dahlum. Vom Herzoge Karl, dem Etifter bes Karl
nums, dem Befchüger von Serufalem, iſt fchon obs
gefprohen. Sein Sohn, ber Herzog Karl Wilhelm
Gerdinand, war nicht nur mit den braunfchiweiger Lite
raten befreundet, fondern er ftand auch theils in perfün-
licher, theils in brieflicher Verbindung mit Windelmam,
Hamilton, Lefling, mit Mirabeau, Helvetius, d’Alcmbert
und Voltaire, mit Menbdelsfohn, Garve und Pütter.
Weiter als bis auf den legtgenannten Herzog führt um
fer Derf. diefe Darftellung nicht herunter; auch Bona⸗
parte empfahl dem Hiſtoriker d’eviter la proximite du
temps.
Nah Allem, mas Ref. über dies Buch mitgetheilt
bat, ift er überzeugt, daß bie Leſer diefer Relation
angereist fein werden, das Werk felbft zur Hand zu
nehmen. Jedem gebildeten Deutfchen, dem Literatur
fundigen fogar, wirb die Lecture dieſes Bus eripuirf-
lich fein. 25.
Die Verfaſſung ber Kirche der Zukunft ꝛc. Bon Chri-
" ftian Karl Iofias Bunfen.
(Belhiub aus Nr. 180.)
Der Verf. beginnt nun fpeciel preußüle Buftande zu be
ſchreiben. Imfofern das germanifhe Volk das chriftliche if,
wird die Volksſchule eine Stüge der Kirche fein. Aber Sir
zeigt ſich gerade die Falſchheit des Satzes: bie Gemeinde ent-
jteht durch das Wort des Amts. Das Ehriftentgum if cin
Leben, fagt der Werf. mehrfach ſelbſt, und ift bad ein Ari
liches Leben der Schule, wenn die Jugend biblüde Hiſterie
und biblifhe Sprüche auswendig lernt? Der WWerf. muß dir
ſes für richtig halten, denn fo wird thatſächlich in der preis
{chen Bolksfeuke im Chriſtenthume unterrichtet und ber Bef.
erwähnt nicht mit einem Worte ber Untauglichkeit folder Re
thode. Dieſes Lernen und Wiſſen iſt aber das Refultat de
Amtes des Schulworts; und mas iſt das Refultat des Kanze
worts? Das Gefühl des Empfänglichen, weiches son dem
Sturme der gemeinen Wirklichkeit verweht wird und nur Des
ein perfönliches Gut bleibt, der äußerlich glndlich genug in
das Gluͤck feiner Gefühle fi innerlich bewahren zu kaum.
Der Wille, der das gemeine Bolf nach vorwärts treibt, eb
fteht nur aus ber Gewohnheit an Thaten. Alſo im chriflühen
— —— — — — — u — —
| 123
Thun ift ſchon die Jugend des chriftlichen Volkes gu unterrich⸗
ten; dieſes Thun ift aber für die Jugend die Arbeit, diefe Be⸗
dingung des chriftlichen Lebens, welche von dem Borialismus
in betannter Weiſe verzerrt wird; darauf folgt, bie Übung in
Werken der riftlihen Liebe für das Weib, in Werfen ber
chriſtlichen Freiheit für den Mann, welche Übung die Grund«
lage der Confirmation für das Ehriftenthum iſt. Wir haben
hier Diefes nicht weiter auszuführen, glauben aber darauf hin»
gewiefen zu haben, wie das eigene äußerliche Ihun das Volk
zum innern Willen führen werde und daß das Amt des Wor⸗
te8 nur das fei, in ber äußerlihen Ihatübung die Jugend zu
unterrichten, in der Predigt den ſelbſtgebildeten Willen
in der Schwebe des göttlihen Bemwußtfeind zu erhalten, db. h.
daß der Einzelne wife, er wirke felbftäandig mit an dem beili»
gen, unzertrennlichen, irdiſchen Gewande unfers Herten und
Heilandes, an ber Kirche Ehrifti, die vom lauten Klange des
Willens erfüllt wird. Das kirchliche Amt ift ebenfo gut der
Diener des Volles und nicht der Regent, wie allbefannt Frie⸗
deich der Große die Fürften die erften Diener des Volkes ge»
nannt hat. Der göttlihe Wille des Volkes, der eigene, frei
angebildete ift das gefchichtlich Legitimirte Souveraine.
Der Bifchof aber und der Episkopalismus des Verf., wie
er ſelbſt näher auseinanderfegt, ift folgender. „Der Bifchof
ſoll veht aus dem Ddergen der Gemeinde hervorgehen. Yürft
und Gemeinde müffen aber naturgemäß zur Wahl und Ernen>
nung des Bifchofs mitwirken, fodaß der Fürft entweder die
firchlie Ernennung aus vorgefchlagenen Candidaten oder die
unbedingte Betätigung und Verwerfung babe.’ Sollen wir
hier nochmals an die Oberherrlichkeit der Gemeinde erinnern,
jene glänzend ausgefhmüdte Wand, vor welder bie han:
beinden Perfonen ihre Rollen ſpielen? Die Verfaſſung der
„felbftändigen, fich felbft verwaltenden (db. h. getrennt von ber
unmittelbaren Einmiſchung des weltlichen Regiments) Kirche
der Zukunft“ beruht aber wefentlich auf dem bifchöflihen Spren⸗
el, der „Mittelfphäre‘, alfo dem ftrablenden Centrum der
rts⸗ und Landgemeinde. Die Hauptpunkte der Verfaſſung
find vom Verf. felbft in Folgendem zufammengeftellt:
I) Die kirchliche Oberherrlichkeit ift bei der vollen Kirchen»
gemeinde in Gefeßgebung und Regierung. 2) Die volle Kir:
hengemeinde ftellt fih nad unten als Drtögemeinde dar, nad
oben als Randesgemeinde. Zwiſchen beiden Sphären liegt die
der unabhängigen Kirche des Firchlichen Kreifed oder Spren⸗
geld, mit dem Bifchofe und Kirchenrathe in der Mitte. 3) Die
Berwaltung ift allenthalben in den Händen von Vorſtaͤnden,
an deren pipe immer ein Geiftticher ſteht. &o hat der Ge—
ir a den Pfarrer, der Kirchenrath den Biſchof, der
Landeskirchenrath den Metropolitan⸗Biſchof an der Spitze. Go⸗
wol das Amt des Wortes als das Amt der Verwaltung hat
neben fi das Amt der Helfet oder Diafonen, nie ale Xitel,
immer für eine organifche Thaͤtigkeit un und in ber Gemeinde.
4) Jeder Borftand hat einen Kreis von perfönlicden und koͤr⸗
perfchaftlihen Pflichten, für welche er allein verantwortlich tft.
&o die Drtsgemeinden für die Wahl der Geiftlichen oder ber
Ortspfarrer ‚für die Einjegnung fo der Bifchof für die Ein»
fegung eines Predigers in das Amt; fo die Landedgemeinde für
ihre Beſchluͤſſe. Diefen Gewiſſenspflichten entfprechen Gewiſ⸗
ſensrechte; Alles nach dem oberften Grundfage aller evangeli-
Then Berfaffung, dem allgemeinen Prieſterthum, d. h. der per»
ſoͤnlichen fittliden Verantwortlichkeit des Ginzelnen. 5) Das
perfönliche Sewiffensrecht darf ebenfo wenig unterdrüdt werden
als das koͤrperſchaftliche. 6) Die Firchliche Bermaltung ift "ganz
in kirchlichen Händen. 7) Die Patronatörechte des Staats
find gleich den Patronatsrechten der Privatperfonen zu betrach⸗
ten. Gie dürfen nie das Berufungsrecht der Gemeinde ganz
vernichten. 8) Bei den Schullehrern wirken Staat und Kirche
zufammen. 9 Die Regierung hat als ſolche das Recht der all-
emeinen policeilihen Beauffihfigung und die Ernennung der
bern Werwaltungsbeamten, d. h. des Bifchof und feiner
weltlichen Raͤthe; jedoch muß fie dieſelben aus Männern der
Gemeinden nehmen, Ülteften und Abgeordneten. Den Metro
politanBifchof wählt der König aus den Biſchöfen des Meichs,
den Landeskirchenrath aus den Kirchenräthen. 10) Weber die
Regierung kann der Kirche noch eine geiſtliche Kirchenverſamim⸗
lung dem Volke und dem Zürften kirchliche Sagungen auflegen
oder das Beftehende jenfeit ber Befugniſſe der Landeögemeinde
ändern. Wie alle Befchlüffe der Landesgemeinde, fo bedürfen
auch bie ber Reichögemeinde ber Föniglichen Beftätigung: aus
ßerdem aber kann eine Reichsgemeinde ſich nicht ohne koͤnig⸗
liche Berufung verſammeln und die Laien haben in ihr ein une
bedingtes Veto.
Wo bleibt nun die Repräfentation, die Mitregierung der
Oberherrlichkeit? Eichhorn fagt in den „Grundfägen des Kir
enrehts‘’, Bd.2, &. 61
nad welchem die höhern gen Amter zur Mitwirkung
berufen, hat einen hierarchiſchen Charakter, welcher dem
Weſen der evangelifchen Kirche entgegen ift, und macht übers
dies eine ſolche Verſammlung zahlreicher als für ihre Gefchäfte
nuglih fein kann, ohne daß dies Durch die Grundlage eines
Repraͤſentativſyſtems geboten wäre.” Des Verf. Kirche beruht
"aber nicht blos auf der Mitwirkung, fondern auf der Allein-
wirdung der höhern geiftlihen Amter; wir wollen ja nicht ver⸗
geflen: Die Gemeinde entfteht erſt durch dad Amt; und was
ift hierarchiſch in der Kirche? gewiß doch ariftofratifch im Staate.
Das Ariftofratifche aber widerſpricht der Zeit, ja fagen wir
geradezu dem Ghriftlihen. Es wird alfo die Verfaſſung ber -
Kiche des Verf. nie das Leben haben. Einzelnes ift höchft trefs
fend und ſehr ſchoͤn gefagt; das Ganze ſchwebt aber erhaben
über dem Volke, in einer &phäre, wohin dieſes nicht will.
Die GSelbftihätigkeit und Selbſtregierung des Volkes tritt
nach dem Berf. in den Faͤllen ein, die das gemeine Recht
erlaubte Selbfthülfe nennt, wenn die Geiſtlichkeit abfällt, wie
der Berf. fagt. Die Freiheit der Kirche der Zukunft iſt dem⸗
nad nicht die des Inhalts, fondern der Form, von zufälligen,
todten und äußern Banden, nicht von der innern Regierung.
Die Gemeinde ift frei nicht in fich, nicht in ihrem Willen, fon»
bern als eine Außerli frei regierende, nach Eirchlichen,
nicht nach weltlichen Formen.
Sehr ſchön ift, was der Verf. von dem Amte der Diako⸗
nie, von „dem Amte der Kiebe, vorzugömeife dem Amte der
Kirche der Zukunft” fagt, und hat diefes vorzüglich vieles Lob
erfahren. ber, erlaube man uns zu fagen, die dhriftliche Kirche,
d. h. eben das chriſtliche Leben, iſt nicht blos das der weib-
lichen Liebe, ſondern auch der maͤnnlichen Freiheit. Es wird
alſo auch eine Diakonie dieſer geben müflen, wenn überhaupt.
Wir tragen ein anderes Bild eines Fräftig baherfchreitenden
chriſtlichen Lebens, welches die chriſtliche Kirche ift, im Herzen,
ein Bild, defien freies Wehen und defien Geburtswehen wir
Alle ebenfo empfinden als dad „Seufzen der Creatur und den
immer entfegliher ſich enthüllenden Sammer der Menfchheit‘.
Es ift nicht allein der Gott ber Liebe, den das nad Freiheit
firebende Volt im Staate anbeten wills die Wahrheit für das
Volk, d. h. eben die Fülle der Zeit ift die Freiheit. Den Wor⸗
ten nad) fagt e8 der Verf. au: „Das Höchfte aber ift der
Geiſt, der in Liebe und Freiheit handelt.” Uber leider es ift
die Preiheit des regierenden Amts, die der Berf. will; wir
wollen die Freiheit ded regierenden Volkes auch in der Kirche.
Auch wir verkennen nicht die große geſchichtliche Bedeutung ei»
ned gemeindlichen Epißfopats, aber nur eben ald Diener
des Inhalts der Kirche, und dieſer Iuhalt ift das Volk, die
beftimmte Yülle einer beftimmten Seit, das Herz, in welchem
Chriſtus der bewegende Schlag ift, mag auch der oder jener
einzelne Tropfen krank fein.
Bon dem @inzelnen heben wir befonders hervor die An»
ficht von der Ehe und der Sonfirmation. Daß ein Zwang zu
Beidem nicht ftattfinden müßte, bat der Verf. richti bemerkt.
Bon ber Ehe ift dies ein Längftzefühltes Beduͤrfniß gewefen.
Gewiſſe neuere Vorfaͤlle haben ed nur um fo dringender ge»
macht. Inwiefern aber auch die Eonfirmation in der Wat
: „Ein Syften der Bufammenfegung, .
%
724 " .
nur zu ſehr bereits eine bürgerliche Form geworden iſt, if bier
nicht der Drt weitläufiger auszuführen
Sum Schluffe macht der Verf. auf bie Zeichen des neuen
Lebens in der Kirche aufmerffam, die Bereine ber Liebe ber»
vorhebend. Run aber die Vereine der Freiheit? In dem Er-
gebniffe dee unterſuchung fagt der Verf: Es ift damit auch
ewiefen, daß die von einem jeden vereinten Volke anzuftrebende
Kirchengemeinfhaft alle in der politifchen Natur des Men⸗
fhen und in der Idee der Kirche begründeten Elemente bes
kirchlichen Lebend in fi zu vereinigen fuchen follte, damit fie
ein moͤglichſt wenig unvollfommenes Bild der göttlich befreiten
Menſchheit darſtelle und ein lebendiges fidhtbares Glied am
unflhtbaren Leibe ihres Herrn werde.” Ja, in ber That, bie
riftliche Kiche ift eine politifhes die conftitutionnelle Thaͤtig⸗
keit ift eine kirchliche. Die germanifche Zeit iſt die Sriftie-
eönftitutionnelles; und das ift die fichtbare, beſchraͤnkt freie Form
des unficgtbaren unendlich freien Gottes.
Dem Werbe angehängt find: das Original bed Briefwech⸗
felß; Auszüge aus den Verhandlungen der rheinifhen Provin-
zialfynode von 1844, und Notizen über die in Deutfchland
— 28 Anſtalten der eiebesdiakonie.
J. Marquuarb.
Bibliographie.
Altaroche, M., Reformation und Revolution. Eine hi⸗
ftorifche Parabel. Aus dem grangöfifgen von E. Weller.
Bredlau, Schulz. Ki. 8. 10 Ror.
Bajazzo und feine Juxe. Anekdoten zum Laden. 2te
Auflage. Bien, Sammer. 16. 9 Rgr
ftihen. Ifte Rieferung. Leipzig, &. Wigand. Ler.:3. 5 Rgr.
Bründer, 4, „geist "Köln, Renard. 12. 15 Rear.
Conſcience, 9, Das Wunberjahe (1566). Hiftorifches
Semäte zus h dem 16. FJahrhundert. Stuttgart, Hallberger.
Kl. B.
gr.
Diderot, Grundgefeg der Nakür. Brebft einer Bugabe
von E. M. Arndt. Leipzig, Weidmanıt. 2 Ihe.
Feuchtersleben, E—. Freih. v., Zur Diökerie der Seele.
Ate vermehrte Auflage. Wien, Gero. 12. 20 Rar.
Féval, P., Die Liebe in Paris. . Nach Tem Tranzöfihen
. Driginal. Drei Bändihen. Stuttgart, Hallberger. KI.8. 3 Th
Goldſchmidt, Über das Platideutſche, —F ein rohen
Hemmniß jeder Bildung. Oldenburg, Schule. Er. 3. 3%, Nr.
Hoffmeifter, K. Schillers Xeben für den eier Kreis
einer Lefer. Ergänzt und berau usgegehen vo von er Bieboff.
fter Theil. Stuttgart, Becher. 6.
Sanßen, 9, Subenlieber. Dldenburg, —* . 20Rgr.
Kaftner, A ‚ Einiges über Sagen, namentlich Schle⸗
ſiens, und mebeſonder⸗ de ungerchum Neiſſe und des Ge
ſenkes. Reiſſe. 1845. 4.
Kehrein, Scenen aus HN Nibelungenlied zum ge-
brauch bei dem unterricht in der mittelbochdeutschen sprache
mit anmerkungen und wörterbuch versehen. Wiesbaden,
- Ritter. Gr. 8. 20 Ngr.
Lasaulx, E. v., Ueber das Studium der griechischen
und römischen Alterthümer. München. 4. 5 Ngr.
Rebensfchicfale bes ehemaligen Hannoverſchen Hufaren ©.
2... Von ihm felbft in der Strafanftalt zu Vechta nie
dergefchrieben. Ein Buch. für das Boll. ausgegeben von
R. Hoyer. Didendburg, Schule. 12. 71, Nor
* Linderer, R., Humoresken. Berlin, Sittenfeld. A. 8.
r
Minutoli, C. v., Notiz über einige in dem Reseneg
gerschen. Garten zu Birgelstein, in der Vorstadt Stein von
Salzburg, ausgegrabene römische Alterthämer. Berlin, Asher
und Comp. * 4. 1 Thir. 10 Neger.
Porhat, 3. J., Winkelried, Drama in 5 Alten, me:
triſch ins Deutfche übertragen don 8. Neßler, nebft Halb:
Br.
Bechſtein, 2., Deutiches Märchenbud). Mit 10 Stahl:
[uter ters en von dem Streit zu Sempach. Genf, Keßmam.
———— ri 8* 2% ‚ Ktebfe und berartigeh Un:
eziefer adenipie Deaburg » Magdebur
u —* a ae * m * ei —
ras, der nat. raphi ti nat ei
und mit MRüdficht auf Auswanderer beſchrieben von in
transatlantifchen Neifenden. Mit einer Karte von Vexas. Ifte
Lieferun . Klaustgal, Schweiger. 12. I1Y, Rear.
Bilder, %. T. Uefthetil oder Wiſſenſchaft des Schönen.
Sum Gebraude für Borlefungen. Ifter Theil: Die Metaphyſik
bei ehönm. Reutlingen, Maͤckens. Gr. Ler.:8. 2 Wir.
gr
Zagesliteratur.
Aufgaben der Seit, befprochen von F. Y. tes Heft
Bredlau, Schulz. KL. 8. 6 Nur.
Bangold, I.R. v., Die evident und nothwendig wahre
Religion, närmtich die Religion der Gofteinigkeit Des Wkenfihen,
oder die Übereinftimmung bes menfchliden Willens mit dem
göttlichen. Ein freifinniges offenes Glaubensbekenntniß, pu⸗
gleih ein Verſuch, den verfchiedenen religiöfen Reformbehre
bungen der Gegenwart eine gemeinfame Rihtung anzubahnen.
Winterthur, Literarifches Gomptoir. 8. 12 Rgr.
Greith, ©., Der heilige Gallus, der Apoſtel Wleman-
niens und feine Blaubensichre gegenüber den Deutfchlirdlern
und ihren Irrthümern. Predigt. St.» Gallen, Scheitlin um
Bollikofer. u Gr. 8. 2 Nor.
Kirft, I. E. B., Worte der Erinnerung zur 300jäkri-
gen — des Tobestages Dr. M. Luther's. Eiſenberg, Schoͤnt
en, J. G., Das Verfahren der Stadtverordneten
zu Halle. Leipzig, Zriefe. &r. 8. 4 Rgr.
Maßl, &., Die Aufgabe des Pfarrers in unferen Tagen.
Antrittöpredigt. gu aflau, Ambrofi. 8. 2 Nor.
Sc 8 ft, J. y Bande, Theiner, Czerski in Rawicz. Poſen,
er
—* Fk dem Stunde der Schriftftellen Ev. 3oß. 4, 14.
gebalten, im im Babeort Saison am 27. Zuli 186. Kronftoit,
8. 4 Nor.
rückt auf die religiöfen und Birchlichen — det
Jahres 1845. Grimma, Verlagscomptoir. 8.
Ruperti, Die religiöfen Bewegungen der — *
Charlottenburg, Bauer. Gr. 8. 10 Rgr.
Schreiber, H., Deutfch:Katholifches. Die Dr. Hirſcher ſche
Beleuchtung der Motion des Abgeorbneten Zittel in der 2. Kam
mer ber badifchen Kandftände, bürgerliche Gleichftellung ber
Deutih:Katholiten betreffend, negenfeitig beleuchtet. Preiburg
im Br., Emmerling. 12. 1 Ror.
Schroeter, E., Drei Vorträge, gehalten vor ber Ber-
fammlung der Deutfh- Katholiken in Worms. Worms, Rahke.
Sr. 8. 3%, Rgr.
Schüler, €. F., Das Bild des en Sheiften in reli⸗
giöfen Streitigkeiten. gen uber Joh. 8, 46— 59, Stol⸗
berg a. H., Schlegel.
Zhiel, H., Der Inhalt —* —— Den
hentenden —* :Katholiten gewidmet. Deffau, Neubürger.
r. 8.
Berpandlungen ber franzoͤſiſchen Deputirtenkammer am 2
und 3. Mai 1845, die Sefuiten betreffend. Rede von Thiert.
Fech en Frangöfifchen. St.⸗Gallen, Huber und Comp. 13.
Bo farth, 3 8. J., Die Reformation der evanzeie
ſchen de des 19. — 25 vom Standpunkte des Chr:
ſtenthums, der Geſchichte, des Rechts, der Moral und Pol
tik etc. nebſt Vorfhlägen zu einer auf der Baſis der Maprket
und des Nechts p erzielenden Vermittelung deſſen, was dab
Heil der Kirche fordert. Rudolſtadt, Renovanz. 12, 8 Kr.
Berantwortlicher Heraudgeber: Heinrich Mrodpans. — Drud und Verlag von F. U, MWrodpans. in Seipzig.
*
⁊*
‘
| 1846.
Literarifher Anzeiger.
”
A 1.
—— — — — — — — — 6— — — —— — — — ———
i iterarifche Anzeiger wird den bei F. €. Brockhaus in Seiptis erſcheinenden Zeitſchriften „Miätter für literariſche
——— a ne beigelegt oder beigeheftet, und betragen die Infertionsgebühren für die Beile oder deren Raum 2%, Nor.
nm nm — —
Neuigkeiten und Fortsetzungen,
verſendet von
J. NX. Vrockhaus in Eeipzig
im Jahre 1845.
MR IV. October, Novpember, December.
(Mr. 1, die Berſendungen von Sanuar, Bebruar und März
enthaltend, befindet fih in Nr. XIV des Eiterarifhen Anzeigerd vom
J. 198; Nr. II, die Verfendungen von April, Mat und Juni,
m Nr. XVI; Ne. I, die Verfendungen von Juli, Auguft und
September, in Ne. XXIL)
79. Werist vom Sabre 1845 an die Mitglieder
ber Deutſchen Geſenſchaft A, Erforſchung va⸗
terlaͤndiſcher Sprache und Alterthümer. Heraus⸗
egeben von K. .E Gr. 8. 12 Rgr.
u Berichte für die Zahre Ah; — 44 haben denfelben Serie,
76. Eonverfations-Leriton. — Augemeine beutiche
Real⸗Eneyklopaͤdie für bie gebildeten Stände, —
Neunte, verbefierte und fehr vermehrte Driginalauflage.
BVolftändig in 15 Bänden oder 120 Heften." Fuͤnfundſech⸗
zigſtes bis fiebzigftes Heft. Gr. 8. Jedes Heft 5 Nor.
Diefe neunte Zuflgee — in 15 Bänden oder 120 Deften zu dem
Dreife von 5 Ror. € in ber Ausgabe auf Mafhinen:
2 ter; der N toftet Ei. W Ngr., auf Schreibpapier
r.
. auf Belinpapier 3x
— — — — Reue Ausgabe In 240 fie
E ferungen. Erſte bis zehnte Lieferung. Gr. 8. Jede Liefe⸗
rung 2%, Nor.
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Etlas zum TonverfationsEexikon. — Non:
geansiise Encytiopäbie ber Wiſſenſchaften und
unfte., — 500 in Stahl geftochene Blätter in Quart
mit Darftellungen aus fämmtlichen Raturmwifienfchaften, aus
der Geographie, der Völkerkunde des Alterthums, bes Mittel-
alters und der Gegenwart, dem Kriegs» und Seewefen, der
Denkmale der Baukunſt aller Seiten und Voͤlker, der Reli
gion und Mythologie des claſſiſchen und nichtelaffifhen Al⸗
terthums, der zeichnenden und bildenden Künfte, der all⸗
emeinen Zechnologie ıc. Rebſt einem erläuternden Text.
tworfen und herausgegeben von J. G. He. Bol:
ftandig in 120 Lieferungen. Dreiunddreißigſte bis vier-
zigfte Lieferung. Jede Lieferung 6 Rear.
79. Augemeine Encykispäbie ber Wiſſenfſchaften
und Künfke, in alphabetifher Folge von genannten Schrift:
ftelleen bearbeitet und herausgegeben von I. &. Erf
und Z. © Gruber Mit Kupfern und Karten.
&r. 4. Cart. Pränumerationspreis für den Theil
auf Drudpap. 3 Thlr. 25 Ngr., auf Belinpap. 5 Ihlr., auf
ertrafeinem Belinpap. im größten Quartformat mit breiten
Stegen (Prachteremplare) 15 Thlr.
Srhe Gection_ (A—G), .
aOfRer Ahell. (Fas--Ferchard., Virausgegeben von I. , Gruber
Für
sen: I Iner Theil a ⸗
» . gewähre ii die in eeusen . Esem:
24 Nor.
84. Ben
80. görs (3: 6. &.), Welche Reform ber Me⸗
bieinalverfaffung Sachfens fordern bie Guma⸗
nität und der jeßige Stanbpunft ber Arzuei⸗
wiltentnefe? Gr. 8. Geh. A Nor. _
81. Die katholiſch⸗ theotonife Serutcät an ber
Uninerfität Breslau, eh. 6 Nor.
82. Koethe (FB. X.), Die in Kirchen⸗
melodien Hbergetragen. Gr. 12. Geh. 24 Rgr.
83. —— —, Zur Tobtenfeler Dr. M.
Kutber’s am 18. Februar 1846, Gr. 12. Geh.
(©. ©. H.),_ Seſchichte der. evangeli-
fden rche feit ber Reformation. Ein Familien⸗
uch zur Belebung bed evangelifchen Geiſtes. Zwei Baͤnde
in Tepe Heften. Drittes Heft (Schluß des erften Bandes).
Sr. 8. Jedes Heft 9 Nor.
Der zweite Band, ebenfalls aus drei Heften befichend, ift unter der Preſſe.
85. Der neue Pitaval. Eine Sammlung der intereffan-
teften Eriminalgefchichten aller Länder aus älterer und neues
rer Beit. —— von 3 E. Higig und W.
ring (RB. Miezis). Achter Xheil. Gr. 12. Geh.
Ir.
Der erfte Theil keſtet 1 Thlr. 24 Rgr., der zweite bis fledente Theil
jeder 2 Thlr.
86. Stickel (J. @), Handbuch zur morgen-
ländischen Münzkunde., Erstes Heft. — A. u.
d. T.: Das Grossherzoglich Orientalische Münzcabinet zu
Jena, beschrieben und erläutert. Erstes Heft: Omajjaden-
und Abbasiden-Münzen, Mit einer lithographirten Tafel.
Gr. 4 2 Thlr,
Berzeihniffe
im Preiſe bedeutend berabgefegten Merken
aus dem Berlage von
F. A. Brockhaus in feipjig,
wovon bad eine die ſchonwiſſenſchaftlichen und hiſto⸗
riſchen, das andere die wiſſenſchaftlichen Werke enthält,
werden duch alle Buchhandlungen gratis ausgegeben.
77 Diefe Berzeichniffe enthalten faft alle Werke von allgemei-
nerm Interefie, die bis zum Jahre 1342 in obigem Berlage
erfchienen find. Die Preisherabfegungen gelten nur für ein
Jahr, vom 1. Ian. bis 31. Dec. 1846. Bei einer Auswahl
von 10 Thlr. wird noch ein Rabatt von 10%, bewilligt. E>
almen
Für Leseeirkel und Privatgesellschaften,
Auch im Sabre 1846 erfcheinen in unſerm Verlage:
1) Minerva. in Journal biftorifchen und
‚politifchen Inhaltd. Bon Dr. Fr. Bran.
2) Miscellen aus der neueften ausländifchen
Literatur. Bon Demfelben.
Jeng, im December 1845.
. Bran’ihe Buchhandlung.
Meneſte Werke der Verfasserin von „Schloss Gern“ (Tre von Büringsfel).
Im Berlage von J. Heben Kern in Wredlan find ſoeben erihienen:
Ya von Würingsfeld's (Berfafferin von „Schloß Boczyn“)
Byrouꝰs Frauen. Hedwig.
Ein Band in 8. Belinpapier. Geh. 1 Thlr. 7, Ser. Novelle. 8. Welinpapier. Geh. 15 Ger.
Ein elegantes Feſtgeſchenk. Eine der lieblichften ihrer Novellen.
Kerner: Ida von Müringsteld’s Schriften, In 7 Bänden.
(Enthaltend: Schloß Goczyn — Marie — Haraldsburg — Hugo in 2 Theilen — Magdalene iz
2 heilen.) Alle 7 Bände zum billigen Preis von 5 Thlr.
Sn diefer eleganten Ausgabe der Schriften werben dem gebildeten Yublicum Vie beften frühern Werke der talentuollen Scrift
ftelerin gegeben. .
Schloß Bacıyn. Eieder meiner R
8. Beli i 1845 91
Aus den Papieren einer Dame von Stande. , . npapier. . Seh. 23%, Sur.
% —
2te Auflage. Briefe eines Halbjahrs vom Blaͤtterknospen bis zum Blälter
1865. 8. Geh. 1 Ahlr. 10 Ser. follen. 1843, &r. 8. Eart. 23 Zhlr.
Eine Runftreife und ihre Folgen.
Lebensbild aus einer Kleinen Stadt. 8. Geh. I Thlr.
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Marburg ift erfihienen und in allen Buchhandlungen Ban —— 291 Bogen. Gr. 8. Broſch. 1 Sk
zu haben: ‚ | Hüter, Dr. C. C. (erd. Professor der Geburtskälfe zu Marbap),
Bangerow, Dr. A. X. 9. (Hofrath zu Heidelberg), Leit: Der einfache Mutterkuchen der Zwillinge. Mit 3 Ethe-
faden für Pandekten⸗Vorleſungen. Erfter Band: AN: graphirten Abbildungen. 7 Bogen. Gr.4. Brosch. WSer.,
gemeine Lehren. S. g. Familienrecht. Dingliche Rechte. oder I Fl. I2 Kr.
Dritte Auflage. Gr. 8. 53% Bogen. 3 Thlr. 15 Spgr., | Erklärendes Frembwörterbuch, ober Handbuch der in
oder 6 $L. 18 Ar. . der beutfchen Schrift» und Umgangsſprache oder weni:
— £eitfaden für Pandeiten - Bor: gr gebräuchlichen, aus andern Sprachen entiehnten Wörter,
lefungen. Smweiter Band: Das Erbrecht. Dritte Auf: usdrüde und Redensarten, nebft ihrer Betonung und Aut⸗
lage. Gr. 8. 39 Bogen. 2 Zhlr. 227, Sgr., oder 4 Fl. 57 Kr. fpradhe von Dr. 3. Hoffa. 27%, Bogen. Gr. 8. Bro
— £eätfeden für Panbelten - Bor: I Ihle., oder I FL 45 Kr.
. Dritter Band: Die Obligationen. Erfte und
zweite Lieferung. Sr. 8. Broſch. 1 Ihr. 15 Sgr.,
“ie Kun t ve Lieferung wird demnaͤchſt erſcheinen.) ii andwirthschaftliche Worheitung.
Wäßel, Dr. I. (ob. Yerieoe dab ci. Rehtk zu Durban, | Derausgegeben von MBilliem Esbe Dit in
vilxechtliche Erörterungen: . > Lege
1 Über die Ratur des Pandrechts. 10 Bogen. Gr. 8, Beiblatt: Gemeinnütziges Mnterhaltungsblatt für
Brof. 15 &or., ober 54 Kr. IHRERFERREN Stadt und Land.
IL über die Berpfändung für nicht vollgüultige Obligatio⸗ —.
am 12 Bogen. r. 8. Broſch. 20 Sgr., oder Sechster Jahrgang 1845. 4 3 Rear.
Id. Über jara in re und beren Berpfändung. 9 Bogen.
Gr. 8. Brofg. 15 &ar., oder Leipzig, bei F. A Brockhaus.
IV. Streitfragen aus Novelle 118. 18% Bogen. Gr. 8. —
Thir., oder 1 . 48 Wöchentlich erſcheint 1 Bogen. Infertionsgebühren hi
Br ® @ . .
gm: : die gefpaltene Zeile 2 Nor. Beilagen werben für
V. Über die Wirkung der Klagenverjährung. 5" Bogen. h
Gr. 8. Broſch. 15 Syr., oder 54 fr. ’ Zaufend mit . hir. berechnet.
Bilmar, Dr. WE. F. ©. (Bpmnaflalbirecter zu Marburg)
Borlefungen über die Gefchichte der beutfihen Rationallitera, December. Rr. 49 — 52.
"3 Ihlr. 15 Sgr., Anhalt: Verſuche mit der Suanobüngung. — Beantwer:
tur. 42%, Bogen. Gr. 8. Broſch.
oder 4 —* Ic ſo tung der Anfrage in Nr. 43 d. BL — Die Befchaffung nrur
— — — - Deutsche Alterthümer in He- | Getreivearten. — Barum fol in einigen Gegenden Ahüringend
Hand als einkleidung der evangelischen Geschichte. Bei- | die Fruchtwechſelwirthſchaft nicht betrieben werden koͤnnen —
träge zur erklärung des altsächsischen Heliand und zur | Über einige mineralifhe Düngemittel. — Beantwortung der
innern Geschichte des christentums in Deutschland, 9%, Bo- | Anfrage in Rr. 37 d. Bl. — Die Gerfte ohne Hülfen. — Eu
gen. 4. Brosch. 15 Sgr., oder 54 Kr. Feldzug gegen den Kalt als Düngemittel. — Weder Ader
DMebm, Dr. FJ. (Profeſſor zu Marburg), Handbuch der Ge= | pflug if für eine gegebene Hrtlichkeit und Bodenbefiheffeuhet
1aidte Deinen, Def, Bmier e) Be N De | Yardın an den Pnummmblumen. Berfudhe wit der Gas
en un tammtafeln. Gr. 8. Broſch. r., oder en an den umenbä .—_
g F W Kr. ſch 9 düngung. — Eanbwirthſchaftliche —
Beſſiſches Hiftorienbüchlein. Bweite vermehrte Hierzu Gemeinnutziges Unterpaltuungsb
Bu Slage. e Bogen. Gr. 12. Brofh. 5 Sgr., ober | Stadt und Eand, e B_3
— — — —
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Fr. Notter und ©, Pfizer, Neue Gabinetsausgabe
mit 15 vorzüglichen Titelbilbern in Stahlftih. 1.—69.
Bändchen. 16. Geh. 2 Sgr., oder 6 Kr. das Bändchen.
Alle 23 Wochen folgen 3—4 Bändchen, fobaß im
Sanuar 1846 diefe Ausgabe voltftändig geliefert fein wird.
5.9. R. Roames’ Romane, in deutſchen Über-
—8 — Je— von Fr. Notter und
©, Pfizer. 1. -142. Bandchen. 16. Sch. 3% Sgr.,
oder 12 Kr. das Bändchen.
Monatlich erfcheinen etwa 3 Baͤndchen. . Bis Tünftigen
Sommer werden bie noch übrigen vorhandenen Romane aus:
gegeben fein, fodaß dann dieſe Ausgabe Die einzige vollftän>
dige und die billigfte Sammlung ber Sames’fchen Romane
bilden wird. '
Shaffpeare’8 Schaufpiele Neu überfegt, mit
Einleitungen und Erläuterungen von Adelb. Keller
und Mor, Rapp: 1.—30. Bändchen. 16. Geh.
3% Sgr., oder 12, Kr. das Bändchen. .
In diefer newen Übertragung, über welche bie geachtet⸗
ſten Zeitſchriften übereinftimmend hoͤchſt günſtig fich ausgeſpro⸗
hhen, werden die 37 anerkannten Schauſpiele in 37 Bändchen
in Schillertafchenformat gegeben. Bis Fünftige Dftern wird
Diefelbe vollftändig vorliegen.
alter Scott?’s fünmtlihe Romane Aus dem
Englifchen. Neue Cabinetsausgabe. 1.—59. Bänd-
chen. 16. Geh. 2 Sgr., oder 6 Kr. das Bändihen.
. Monatlich folgen 4—6 Bändchen, ſodaß im Jahre 1846
die Scott'ſchen Romane vollftändbig ausgegeben fein werben.
Jeder Roman und jebes Scaufpiel aus vorftehen-
den Sammlungen wirb zum g
einzeln abgegeben:
Bu erhalten in allen Buchhandlungen Deutichlands, der
öftreihifhen Monarchie und bes Auslands.
In allen guten Buchhandlungen tft zu erhalten:
Die vollftaͤndigſte Raturgeſchichte von Hofr.
2—— en des u Naturaliencabinets
in Dresden, jept 1105 Abbildungen auf 150 Kupfer⸗
tafeln und 62 Bogen Tert in 15 Monatölieferungen
a 25 Ngr., iluminirte Schulausgabe 1 Thlr. 10 Ngr.,
Velin-Groß⸗Quart 1 Thlr. 20 Ngr. Ladenpreis.
fort Wird wie bisher im neuen Jahre punktlich monatli
v
gt t und in raſcher Folge vollendet. Als das einzige
Kaͤndige Werk der Art hat es ſich Kennern durd ſich
felbft empfohlen. Anatomie und Tert au apart.
In meinem Verlage ist soeben erschienen:
Eden, A. O., Neues englisches Lesebuch, wel-
chem die Grundsätze der Aussprache nach Smart's
Walker Remodelled u.s. w. vorangehen. Mit durch-
gehender Bezeichnung der Aussprache und einem
vollständigen Wörterbuche. Für Schulen und zum
Privatgebrauche, Bevorwortet von Dr. J. G. Flügel,
Consul der Vereinigten Staaten von Nordamerika
zu Leipzig. 8. 1 Thlr.
Schon aus diesem ist zu ersehen, dass der Verfasser
seinen eigenen Weg verfolgt und ausser dem Walker’schen
‚System auch die feinere Smart'sche Ausbildung der Walker’
den Preiſe au |
schen Aussprache angewendet hat. Dass dies nicht ohne
Erfolg geschehen sein muss, ergibt sich wol am besten da-
durch, dass Herr Consul Dr. Flügel in Leipzig sich bewogen
gefunden hat, es einzuführen.
Im Übrigen verweise ich auf das Buch selbst und auf
des Verfassers Vorrede, da dasselbe in allen Buchband-
lungen zur Einsicht vorliegt, und erlaube mir nur noch die
Bemerkung, wie alle Buchhandlungen im Stande sind, an
Schulanstalten bei Abnahme von Partien er-
höhten Rabatt zu gewähren.
Hamburg, im December 1845.
Johann August Meissner.
Meufler, Ludwig Ritier von, Die Go-
lazberge in der Tschitscherei.
Ein Beitrag zur botanischen Erdkunde. Mit einer
“ Karte. 4. Geh. 20 Ngr.
Die gemüthliche Art der Abfaffung in dem befchreibenden
Theil und das originelle Syſtem, welches ber Herr Berfafler
in der Pflanzenterminologie durchzuführen gefucht, geben diefer
Heinen Schrift ein eigentbümliches Interefie und bürfte fie
einem jeden Freunde ber Botanik, inöbefondere aber ben ges
Iehrten Korfchern willkommen fein, zumal das öftreichifch - illy⸗
rifche Küftenland bei der fo fehr erleichterten Communication
mehr und mehr in den Bereich der botanifchen Ercurfionen bin»
eingezogen wird.
Trieft, im December 1845. -
9. F. Favarger.
In der Weidmann'ſchen Buchhandlung in Leipzig ift focben
erfchienen und durch alle Buchhandlungen zu beziehen:
| A. W. von Schlegel’s
fämmtlihe Werke.
Herausgegeben
von
Eduard BSöding
Erfter Band, enthaltend
den erften Theil der Poetifchen Werke,
Das Ganze wird in I1—12 Bänden erfcheinen, von
denen jeder geheftet 1 Thlr. koſtet.
Durch alle Buch» und Kunſthandlungen ift von mir zu beziehen
das Bilbniß von
JAROB GRIMM.
Geftochen von M. Voigt,
Gr. 4. 10 Nor.
In meinem Verlage erfhienen ferner nachſtehende Bildniffe
und es find davon fortwährend gute Abbrüde für 10 Mer.
verhalten: uber. Baggefen. Böttiger. Calderon.
anova. GSornelius. Danneder. Karl Förfter.
Jakob Bla. Goethe. Hamann. Victor Hugo.
Aerander v. Humboldt. umermann. Kesciusg >
Gerhard v. Kügelgen. amartine- Karl Friedrich
Eeffing. Felix Menbeilsfohn- Bartholdy. Weyer:
Beer. Wilhelm Müller. Deplenfpläger. Sean Paul
Beichric Richter. Schil. Johanna Schopenhauer.
Gchulze. RB. Shwanthaler. Scott. Tegnoͤr.
Boten. ‚Ludwig Zieh, Uhland. Jedlitz.
elter.
Eeipzig, im Januar 1846.
4 A. Drochhaus.
— — nn
Für Sefecichel und Freunde der franzöfifchen
Siteratur.
Bei dem jetzigen Jahreswechsel nehmen wir Veran-
lassung auf die in unserm Verlage unter dem Titel:
LECHO.
Journal des gen» da Monde.
Jährlich 104 Nummern in Mleinfolio und gespaltenen
Columnen.
Preis 5 Thlr. 10 Ngr.
erscheinende framzösische Zeitschrift aufmerksam zu
machen, welche den Lesecirkela, wie allen Freunden
der französischen Literatur gewiss willkommen sein wird.
Während die ausgezeichneisten Novellen der
Feuilletens der französischen Journalliteratur wieder- |
gegeben werden; Alles Erwähnung findet, was im
Gebiete des Theaters und der Kunst ın der französi-
schen Haupt®tadt Aufsehen erregt; die Tagesereignisse
in pikenter Darstellung nicht übergangen werden;
mancherlei Bilder aus dem französischen Volksleben
sowol durch die Eigenthümlichkeit desselben ale den
Reiz der Darstellung fesseln; die kleinen satirischen
Journale Vieles beisteuern, was die Freunde einer
komischen Auffassung auch ernsterer Dinge ergötzt;
die französischen Tribunale der Schauplatz der Ver-
handlungen tragischer Fälle voll dramatischen Interesses,
ebenso wie komischer Verwickelungen mit ernsterer
Lösung sind: — werden die Freunde einer ernstern
Lecture gern bei Dem verweilen, was das Echo als
ein Journal des gens du monde auf dem Gebiete
der Politik, der neuern Gesohichte etc. in an-
sprechender Form seinen Lesern bringt.
Probeblätter sind auf Verlangen durch jede
Buchhandlung zu beziehen.
Leipzig, im Januar 1846.
Brockhaus d Avenarius.
Für Braumüller & @eidel, Buchhändler in Wien,
wird in allen Buchhandlungen bes In: und Auslandes_ Prä⸗
numeration auf ben Zahraang 1926 ber Oſter⸗
reichiſchen militairiſchen Zeitfärift mit 13 Ft.
C.⸗Me. angenommen. Um bie nämlichen Preife find
die Sahryänge 1843, 1844 und 1845, dagegen die frühern
Zahrgange 1811 — 13, neue Auflage, zufammen in vier Banden
im berabgefenten Preife von > Pl. G.-M. und ebenfo je:
der der ältern Jahrgänge von 1818 bis einfchlichtih 1842, in
fo weit diefelben noch vorhanden find, um 5 31. C.⸗M. zu
erhalten.
Soeben ift erſchienen:
j Das Dre Heft der
“ Desterreichischen militatrischen Zeitschrift 1845. |
Inhalt biefes Heftes:
I. Journal des Bombardements der Stadt Lille im Jahre 1702.
Mit einem Plane. — II. Biographifche Skizze des E. k. Feid⸗
marjchall-gieutenants Emmerich Freih. von Batonyi. — III. Die.
Gefechte um Zroyes vom 19.— 25. Februar 1814. — IV. Sce⸗
nen aus ‘der Geſchichte des k. k. Hufarenregiments Szekler
Sr. 1 in den Feldzuͤgen 1703-08, Giro bffeilun . 1) kin
übergang bei Selz am 13. October 1793. 2 Befcht de Rap⸗
penau om 16. Dctober 1793. 3) Treffen bei Drufenheim und
Hagenau am 18. October 1793. — V. Literatur. — VL Reue
Militnicveränderungen. — VII. Der Feldzug des Königs Fer:
binand MIT. von Ungarn und Böhmen 1634 in Deutichiend,
In einer Reihe gJeicpeitiger Schreiben. Nr. 22 — 24,
Bei Moyer & Zeier in Züri i ienen und
allen Buchhandlungen zu. haben: rein a
Handbuch
J der proſaifchen
Aationalliteratur der Bentfchen
von Gottſched bis auf die neuefte Zeit.
Mit Commentar.
Bon
Dr. Heinrich Kurz.
In drei Bänden.
Erſter Band.
Subfetiptienspreis für den Band 1 Thlr. 17Y, Nor,
oder 2 Fl. 45 Kr.
Das poetiſche Handbuch deffelben Herrn Herausgebers
ift mit fo großem Beifall aufgenommen worden, daß auch bife
gang gleihmäßig eingerichtete und mit dem nämlicdhen Fleije
ausgearbeitet: Fortfegung des Werks fih manche Freunde as
Bei Hinrichs in Leipzig wurde eben verfandt:
Reue Jahrbücher der Gefchichte und Politik,
Begründet von. K. H. 2. Polis, in Verbi⸗
dung mit 66 Gelehrten ꝛc. herausgegeben vom Prof.
Friedrich Bülau. 1846. Januar. (12 Mo
natöhefte 6 Thlr.) 2 ..
7” Weber reacttonnairen, noch deftruckiven Tendenzen
huldigend, druͤckt dieſes feit 1823 erfcheinende Sournal die
Meinung Derer aus, welche eine redliche Gintwidelung immer: _
balb der beſtehenden Drdnungen fuchen, und dabei die Wirk
lichkeit zur Grundlage und die Wiffenfchaft zur Fuͤhrerin neh
men. Sein Inhalt ift von dauerndem Werthe.
VRBABLR,
Taschenbuch auf das Jahr 1846.
Reue Folge. Achter Rabrgang.
Mit dem Bildniffe Fakob Grimm's.
8. Auf feinem Belinpapier. leg. cart. 23 Ihr.
Aubalt: I. Uranie. Novelle von BE. von Stembers. —
U. Der Schein trügt. Erzählung von F. Dingelfſtedt. — UL Sie
arned Mäyhen. Erzählung von der Berfafferin von Ieang um
Clementine. — IV. Die Sängerin. Novelle von IE, Martel. —
V. Streäftinge. Dorfnovelle von Serthold Muerchad.
Von frühern Jahrgängen der Urania find nur ned
einzelne Eremplare von 1851, 1834— 33 vorräthig, die im
berangefegten Preiſe zu 15 Ngr. der Jahrgang abgelafien
werben. Die Jahrgänge der Neuen Folge often I hir. 19 Nor.
bis 2 Thlr.
F. A. Brockhaus.
Eeipzig, im Januar 1846.
Druck und Verlag von F. X. DNrockhaus in Leipzig.
- giterariider Anzeiger
| 1846.
Dieſer Literari ec wird den bei 9. WE. Bestens in Seipzig erfcheinenden Beitihriften „‚MWiätter
fer arijde Une «. Heigelegt ober beigeheftet, und befragen bie —ãe für di Beile ober deren Raum 2% Nor.
Auterhaltuug“
Ertlärung.
Erſt kuͤrzlich bin id aufmerkſam gemacht worden auf den
Bericht über die von wir eraußgegrbene „gebensbefchreibung
Auguſt Matthiä’s”, der a n Rr. 323 der Blätter für literarifi
Unt ng für 1845 befindet. Derfelbe ift im Allgemeinen jehr
wohlmeinenD und anertennend, enthält aber gegen das Ende ein
paar Bemerkungen, bie eine Erläuterung fchon deshalb nöthig ma⸗
hen, weil e8 nicht anders fommen Tann, als daß fie in dem Leſer
eine unrichtige Anficht über das genannte Buch erzeugen. Der
Berf. bebauert die polemiſche Faͤrbung, die den Leer in meh»
ren Theilen ber ft nicht an m berüßre, und führt
als Beifpiel diefer Faͤrbung bie Rügen an, die dem Berf.
einer früher, erfchienenen biographifhen Skizze wegen einiger
unwahren erungen über meinen verftorbenen Bater zu
if geworden finds; auch fei von mir die Unmwahrheit jener
ungen nicht bewiefen, fern nur eine gegentheilige An:
bt aufgeftellt. Ich muß hierzu bemerken, daß jene Brügen
1a auf drei Eurge Anmerkungen (©. 170, 172, I 8)
efchränfen, die Darftelung felbft aber nichtd von Dem, was
man unter Polemik verfteht, enthält — höchftend habe ich in
dem Abſchnitt über Ratthiaͤrs Gelchrtenthätigkeit hier und da
einen übermürhigen Kritiker bekämpft — daß ich ferner dem
fonftigen Werth der befagten Skizze vollfommen anerkannt und
dieß theild durch vielfahe Benuhung berfelben, theils felbft
durch wörtlihe, Wiederholung ganzer Stellen beiviefen babe;
daß aber jene Hußerungen — es find eben brei — nit nur
in MWiderforuch ftehen mit der Erfahrung, d. h. mit Matthiä's
amtlicher und pädagogiicher Thätigkeit, ſondern auch theils
aus deflen eigenen Morten, theild aus feinem in der Bio»
grapbie gefchilderten Grundcharakter ald unwahr fih ergeben;
denn
„hat man bed Menſchen Kern erſt unterfucht, R
fo weiß man au fein Wollen und fein Danbeln.”
JE IL Ä |
für Litenarifihe -
Ferner läßt es ber Berf. dahin geftellt fein, ob ich in ben
Mittheilungen über Matthiaͤ's legte Lebensjahre das Richtige
getroffen, und ob die Urt, wie Matthiä ſelbſt jene keebens⸗
periode aufgefaßt, der Wahrheit durchaus entſpreche. Es
war aber in jenen Mittheilungen ein Verfehlen des Biipligen
und eine falfcge, überhaupt verfciebene Auffaflung der dama-
ligen Berhältniffe geradezu unmöglid; denn in dem ganzen
ſchnitt, der Matthiaͤ's legte Jahre fchildert, habe id) nur
unwiderlegliche und großentheild fogar offentundige That⸗
ſach en angeführt, aud meinen Bater faſt nur Thatſaͤchli⸗
ch es berichten, nur hier und da feine gemütlichen Zuſtaͤnde
beſchreiben laſſen; bie —e— tft rein objectiv; ein
fub ectives Urtheil ift gar nicht abgegeben; höchftens Fann man -
als Beifpiele der Tegtern Art die Stellen betrachten, wo bie
auch in der Vorrede gegebene Andeutung wiederholt ift, daß
es bei manchem, was meinen Vater damals ſchmerzlich berührte,
auf Kränkung gewiß nicht abgefehen gewefen fei. Wegen der
Kürze, die m jenem Abfchnitte herrſcht, verweiſe ich auf die
Borrede, ©. VI.
Schr wünfchte ih, der Verf. des hier beſprochenen Auf:
fages hätte fid) genannt. Dann wäre man auch nicht im er»
ften Augenblide auf bie gewiß ungegsündete Bermuthung
kommen, daß derfelbe identiſch fei mit dem Verf. der erwähn:
ten biographiſchen Skizze. Richts führt mehr zu WBeilläufig-
keiten, Berwidelungen und Misverflänbnifien als biefe leidige
Heimlichkeit. Inzwiſchen foll und bie Anonymität bes Berf.
nicht hindern, bemfelben hiermit zu danken, daß er unſer Bud
durch feinen im Ganzen fo günftigen Bericht emp und
dadurch mittelbar den Bwed defielben, die Gründung einer für das
altenburger Gymnafium beftimmten Matthiä’fchen Stiftung, bes
fördert hat,
Bueblinburg.
[3
Konstantin Matthiä.
Im Verlage von Y. WE. Vrockhaus in Leipzig erſcheinen für 1846 nachſtehende
Beitungen um Ionrnale
und werben Beftellungen barauf bei allen Buchhandlungen, Poftämtern und Zeitungserpebitionen angenommen.
2)
Deutſche Allgemeine Zeitung.
Verantwortliche Redactlon: Profeſſor F.
Täglich eine Nummer. Hoch 4. Praͤnumerationspreis viert
Bälen.
eljährlih 2 Thlr.
Wird Abends für den folgenden Tag ausgegeben und liefert in ben Beilagen ausführlich Die wichtigften Berhanblungen bed
gegenwärtigen Rand
Anzeigen aller Art finden in der Deutfchen emeinen
aum einer
betragen für den
Gen tags.
eitung eine weite Verbreitung. Die Infertionsgebühren
reifpaltigen Beile 2 Nor.
2) Neue Jenaische Allgemeine Literaturzeitung.
Im. Anftrage der Universität zu Jena redigirt vom Geh. Hofrath Prof. Dr. F, Mand, als Geschäftsführer;
Kirchenrath Prof. Dr. #. Mi. E. Schwirz, Hof- und Justizrath Prof. Dr. A. L. V. Miichelsen,
Geh. Hofrath Prof. Dr. ID. &. Kieser, Prof. Dr. I. Sell, als Specialredactoren.
| | Fünfter Jahrgang. 312 Nummern. Gr. 4. 12 Thlr. .
Diefe Beitung erfcheint wöchentlich in ſechs Blättern, fie kann aber auch in Monatsheften bezogen werben. Anzeigen wetden
mit 1%, Nor. für den Raum einer gefpaftenen Beile, befondere Beilagen mit 1 Thir. 15 Rgr. berechnet.
3) Leipziger Repertorium der deutschen uhd ausländischep Lieratar;
Unter MitWirking der Unitersiiät Leipzig herausgegeßen vol Oberbibllothäkar Dr. E. ©. Gefsdorf.
52 Nummer. 67. 8. 12 Tilr.
Es erſcheint wöchentlich eine Kammer von 2.3 Bogm. Dem Bepertorium if ein
eye Anzeiger NEE
Wen ne werenZ in dat 2 Nav far Wir Brise Met deren Mn Berklpitt, .
deigegeben Medi —* N Pin me on sep e Vazcigen u. Bergl
A) Blätter für literarische Wnterhaltung.
Herausgeber: Yeintich ———
Taͤglich eine Nummer. Gr. 4. 12 Thir.
Die Zeitſchrift wird woͤchentlich ausgegeben, kann aber au in Wonatöbeften dezogen werben.
5) ESI®.
Encyklopaͤdiſche Zeitſchrift, vorzůglich für Naturgeſchichte, vergleichende Anatomie und Phyfiologie von om |
12 Hefte. ME Kupfern. Gr. 4. 8 Thir.
Bu den Ieptgenamnten beiden Beitfchriften erſcheint ein
Literariſcher Anzeiger,
fd* literariſche Ankuͤndi n aller Urt en Kar die geſpaltene Beile oder deren Raum werden 9, t. beein,
Gegen Bern tung von —2 werden dergl. din Slättern Für liter e —ã—mù — und gege⸗
Berguͤtung von Fe le. 15 Ror der ns beigelegt oder beigeheftet.
6) Kandwirthschaftliche Wort ——
Mntei Mitwirkung einet Geſelkſchaft iſcher Rand», Haus⸗ und ang — en von on Dilliem ihr.
Mit einem Beiblatt: emeiknägiges Unterpaltungsblatt
„Biebente Jahrgang. 62 Nummern. 4. > —*
en ä νν ν
N Deutſches Volksblatt.
Eine Monatſchrift für das Volk und feine Freunde.
Herausgegeben vom Pfarrer Dr. Mob, Be.
Gr. 8. Preid des fe 1. 3 Bam 24
Das Deutie BWollshiatt ent inonatlich, in H Bremse den Raum einer Beik
2°, Nor; Sonde Belage Beben dee en gegen Bergätung vor e Bergäting vom ny das en beigelegt.
1 Zu Pas Yennig- Magain
Belchrang und Hinterhaltung.
Neue Folge. Vierter Jahrgang. 52 Nummern. Dit vielm Abbildungen. Schmal gr. 4. 93 Site.
In das tennis ia is werden Unzeigen aller Art aufgenommen und Bir Maum ei alte eile wird mit 4
* —— Belagen werben gegen — ** vom 9% Eh. "eat Ins —E * u
Im BVerlage von Arockhaus & Kpenneins in Leipzig erſcheint: |
LiEcho. Jourmal des gens du monde. |
Nouvelle Serie. Deuxitme Année. Hoch-4. 104 Nummern, Preis des Jahrgangs 5 Thir. Ngr.
06 Boho ericheint vom Jahre 1845 an an in erwpeitertem Umfarige wo zwei Nummern und bietet eine kt
Ben und Inteveflanteften * der ——ù — de Km ai ate werden mit 1 Nor. für AT
net und elondere Anzeigen gegen Bergütung von I Zhle. beigelegt.
Auuſtririe eitung für dit Tugend:
mrfer Bitwirkung der beiikbteften Sez eudſchriſtfleller
Robert
n
Heller.
Erster Ahrgang. 52 Nummern. Mit vielen Abbildungen. Sehmal ge. 4.
Hreis des Jahrgangs 2 Thlr., ein Quartal 15 New,
eu int eine Nummer von 1 Bogen. Inſertions
ige ie Bellagen erden F das
Von
Oullkabaud's, Fules, Benkumälerder
Bankunst aller Zeiten und Län-
der. Nach Zeichnungen der vorzüglichsten Künst- |
ler gestochen von Lemaitre, Bury, Olivier und
Andtra, mit erkiuterndem Text von de Cuumont,
Kugler, Langloi Liner, L, Lokder Gi.
. er 3 09; Be r) ⸗
—* de Prangey; Raoul-Rochette, L. Vau-
doyer ete. Für Deutschland herausgegeben unter
Mitwirkung von Dr. Franz Kugler (Prof. der
könig). Akademie der Künste in Berlin), herausgegeben
von Ludwig Lohde (Architekt end Lehrer am
königl, Gewerbeinstitut in Berlin). 900 Lieferungeti
in Grossgsart. 400 Stahlstiche und mindestens
100 Bogen Text. Preis eiser Lieferung, deren
monatlich zwei erscheinen, bei un
des ganzen Werks, 15 Ngr. (12 gGr.)
find jept 74 Eieferungen in den Händen ber verehrlichen
Subferibenten, und fehreitet diefes umfafjende, für bie Cultur⸗
gefehichte der Bolker wie für bie Geſchichte der Kunſt gleich
wichtige Werk in regelmäßiger Folge feiner Vollendung ent
en.
us Probelieferungen find in allen Bud. und Kunfkhandlungen
einzuſehen |
Geamburg, im December 1845.
Zeh. Hug. Meißner.
Soeben ist bei den Unterseichtieien erichienen und in allen
Buchlandiutikeu zu haben:
Zeichnungen
on
ausgeführten iw Verschledeien welpen der Industrie
angewandien
Maschinen, Werkzeugen und Apparate
neuerer Gonstractien. Ä
Gesammelt und mit erklärendem Texte bearbeitet
von
3 HM. Kronauer,
Lehrer am der Gewerbschule in .
Fünfte bis zehnte Lieferung:
Obiges in einer der besten lithograpkäschen Anstalten
ausgeführte Work eins mit ‚eiclinetan.. technischen
Kenntnissen, mit mehren mechanis Werkstätten in Ver-
bindung stehenden Manges unterscheidet sich von der fran-
sösischeh und deuteschen Ausgäbe von Armengauds in-
en»ter Abnahme
Sorben it Wenfänbig
voliſtaͤndig um
ebüßiwen für den Raum einer gefpaltenen Belle 9 Kgr.; befondere
dufshd mit 1 Abe: —* 0
Suobeunmmern find durch ale Buchhandlungen und Pofämter zu erhalten.
dustrisiler Zuitschrift in folgenden Punkten: 1) Es ent.
hält nur die besten und neuesten Maschinen and Werk-
zeuge, lässt dass Mittelmässige weg und verbessert die in
Atmengaud'’s Werk vorkommenden F ; 2) die entiehnten
‘Zeichnungen sind durchaus umgearbeitet, und — was
von weseatlichem Vortheil ist — in grösserm Masstabe
ausgeführt; 3) ea enthält eine Menge in dem ändern Werke
nicht mitgetheilter. neuer Maschinen; 4) der erste Band
' enthält 50 Tafeln, jenes nur 40; 5)
noch ist der Preis
um 4 Thir. büliger, es kostet nämlich bloss 8 Thlr. 8 Ngr.,
Meyer & Zeller in Zürich.
KH” Zum Beten
ex
Peftaleszi- Stiftung!
Peſtalozzis Portrait,
oder 15 FL
gemalt von Schöner, lithographirt von G. Moch.
Ladenpreis 1 Thlr.
(Heffel, bei Theodor Fiſcher.)
iſt durch alle Buchhandlungen des In» mb Auslaubeß zu be
ziehen. |
| Das Bild ift nach dem beften Original mit einem Facfi⸗
mile verfehen und vortrefli in Beihnung und Ausſtattung
ausgeführt. |
erfchienen und durch alle Wu
Ad chhand·
lungen von uns zu b
Vorleſnugen
ſlawiſche Kteratur und Buftände,
Wehalten im College de France in Den Jahren 184044
Gchem Mickieieien.
Deutſche, mit einer Vorrede bes Berfaſſers verfchene
oe
8
Bierter Sieh. alc)
&. 12. Sch. 1 Thlr. 5 Ngr.
geihloffen; fie werden Wen von
De bie Der in neucher heit verffgten Migtung de
Diepters einge Zheilnahme fihenken.
mit diefem Bande ift die deutſche Ausgabe ber Vorleſun
x *
Reipzig, im Januar 1846
Zu Prochhaus & Avenarlus.
\
Ausgewählte Bibliothek
der
GStaffifer des Auslaudes.
Mit biographifch · literariſchen Einleitungen.
Gr. 12. Geh.
Siervon fin im Jahre 1845 neu erſchienen:
EB EI Dengng
Kaunegiefer.
XLIL XLI. 8.2 zederite), Au Dalekar ⸗
lien. us dem Schwediſchen. Bwei Theiie. 0 u
XLIN—LIIL Sue ( Su en ee u
dem Branzöfifgen. Eif
Die feüher erſchienenen Bände find unter befondern Titeln einzeln
. zu erhalten:
Weipsig, im Januar 1848,
EN. Brockhaus.
Gür Benumüller & Geibel, Buchhändler in ie,
wirb in allen de6 Sn» und Wuslandes
numeration auf ben Yabrgan, * — %
zeißifgen wilita iriſchen —
angensmmen.
Soeben ift erfhienen:
Das aore Heft der ,
©esterreichischen militairischen Zeitschrift 1845
Inhalt diefes Heftes:
I. Die Gefechte um Zroyes vom 19.25. Februar 1814,
(Schluß.) — U. Über Zruppenübungen im Frieden zur einfti-
en Kriegführung. — III. Über Schonung der. Streitkraft. —
Der Bug ins Küftenlend und nad Yftrien im Sommer
18ig‘ (Schuß) — V. Verſuch über die Ausdauer der E. k
— hfen. — VI Friegeſtenen. I) Gefecht bei Limoneſt
m 20. März 1814. 2) Einfihliefung von Strasburg am
ER Zuti 1815. 3) Sefecht mit der ausgefal faenen Befagung
Srrasburgs am 9. Zufi 1815. 4) Berluf — ‚Be iiments
era Huſaren in ben Weld; —— j ) Ge:
Den SIE SEE
a am juni fl
ippenweyer und Menden am 4. Zuli 1780. 8)
yuen im am 2. Rovember 1788. — VH. Riteratur. — uk
te Bilitairveränderungen. — IX. Der Ay des Kir
Pr Betdinand IIT. ven Ungasn und Böhmen in Deutfie
land, in einer Reihe gleichzeitiger Schreiben; Ar. 25— 27.
‚Preisherabsetzung.
SER, Dr. Miſſ., Über bedingte Zrabi-
tionen. Zugleich ald Revifion der Lehre von
den Wirkungen der Bedingungen im
meinen. Cine tiviliftifche Erörterung. 8. .
1 Thlr. 15 Ngr., ober 2 Il. 42 Kr. Herab⸗
gefegter Preis a ‚oder 1 Fl. 27 &.
ch-rechtliche
Auf he et der —— durch
Concursus duarum causaruın Iucrativum. Eine
clviliſtiſche Erörterung. Nach den Quellen ber
arbeitet. 8. 26 Ngr., oder 1 FL. 30 Kr.
‚Herabgefegter Preis 12'/, Ngr., oder 45 Kr.
Meyer & Zeller in Züri,
BeiWandenhockt & Mupreiht in {ri erſchienen
und durch alle Bu fungen zu
Bettberg, F. W., Kirchengeſchichte —2 —
Srten 3 andes britte Sieferung. ©. 8.
zweite a aa ak ee Band Bee
Gtephen, S., Über das Verhältnis bes Hatur-
rechts zur Ethik und zum pofitiven Recht. Gr. 8.
175 Nur. (14 gr.)
Wolff, ©. W., Reätsfälle zum Gebraug bei
en Borlefungen und zum Privarftubium. Gr. 8.
t.
Allgemeines
Wücher-Texikon a.
Bon
Wilhelm Heinfins.
Neunter Band, welcher die von 1835 bis Cude 1841
erſchienenen Bücher und die Berichtigungen früherer Et ⸗
ſcheinungen enthält.
Herausgegeben von
Otto August Schul.
&rfte bis fiebente Lieferung, Bogen 1-10.
(A—Leuchs.)
Geh. Jede Lieferung auf Druckpap. 25 Rer,
auf Schreibpap. I Thlr. 6 Ngr.
Di Bände bes „, Bücher · Lerikon
von FR ie —— —
——————
Ian. DE od F te Band, melde — van Tas Eat
Fi ea Freie br. iz xx.
Keiprig, im Januar 1846.
$. A. Brockhaus.
Gr. 4.
Deut und Werlag von F. W. Brodpans in Leipzig.
Literarifbher Anzeiger.
1846.
Diefer Siterarifge vengeiger wirb ben bei $.
Unterhaltung‘
3%. II.
ſch Blätter tür literariſche
®. Brodjans in Meipgig
d 6° beigelegt ober Geigcheften, und betragen —ã——— ——— oder deren Raum 2 Ror.
Bericht
über die im Saufe ded Jahres 1845
Fa Brockhaus in Leipzig
erſchienenen neuen Werke und —
1. „Annlekten für Frauenkrankheiten, oder
der vorzüglichsten Abhandlungen, Monogra-
Fr 'reisschriften, Dissertationen und Notizen des
h- und Auslandes über die Krankheiten des Weibes und
über die Zustände der Schwangerschaft und des Wochen-
bettes. Hera ben von einem Verein praktischer
Ärzte, Erster bis fünfter Band und sechsten Bandes er-
stes Heft. Gr.8. 1837—45. Jedes Heft 20 Ngr.
PR a dis fünfte Band, jeder in ‚4 Heften 11897— 45), foften
in
2. KT ee), Saint: des Urfprungs und
elung bes franzöfifchen Wolfes, ober
Bi tellung in vornehmften Ideen und Fakten, von denen
die franzöfifhe Ratiorfalität vorbereitet worden und unter
deren Einfluffe fie fig ausgebitbet hat. Grfter und zweiter
Band. St. Seber Band 3 Thlr. 15 Nor.
Der dritte und re Band 5 tee Preffe.
3. Beibtel (8: . Bunaben, 8. Geh. 1 Kir.
—, Der Kauf der ee. Dramas
* ae Gedicht in fünf Aten. 8. Geh. 16 Ror.
5. Bericht vom hre 1845 an die 'slieber
Serlanbifger @prade und Mitertähmer, Sean | |
. ut
gegeben von m. eier . 8. Zðeb. 12 Ror.
Die Berichie von 1835 ⸗4 haben —
6. a ER ver. —— des
. jraphil literariſchen Mm.
&ifter bis —— — &. 12. 184 FT
Seh. 33 Zpir. 1 _ .. IL
ne er, — * Akt
De — 5*8
eber: B. ET Saprgang 3845. Tagůch eine
——— Hann aber aud in Donatsheten beyogen
Por 1 allen für Literarifäe Unterbeitung und der
lit⸗ % nr di ute
9 Mat
rechnet
tung nu
den Blättern far, ——— — Auge —
ad von 1 Ahr. der IfIE beigelegt oder beigehette
. Brandt (“ ®. . von), Die ——
Hannis des Gehers. Gr. 8. Geh. fr. 10 Rgr.
9. Bremer ($reberite), Stre Siebe.
Aus dem agwebifggen. Dritte verbeflerte —X Gr. 12.
0er 10 Ror.
———— Die Töchter des
ib Erzählung einer Gouvernante. Aus dem
ten, Vierte verbefferte Auflage. Gr. 12, 2, Si
—————— {u Baletarli en. us
"rem Schwediſchen. Bmei Shell ©. 12. Geh. 20 Rot.
ie well jabe iften von reberite
befteht auß 13 —X und loſiet 4 ae Nor., je geil 10 Hu
Linzeln find zu erhalten:
1, 1. Die Eachvaru. IN. Die Töchter des Präfdenten.
m V. Kine. Vi.VI Das Hans. VIH. Die Familie $. IX. Rlei
iere Ergäpluugen. Ex Bereit —* driede XI. XI. @in Tages
Da. Ki. XIV u ©
13. —— Ein Organ ſaͤmmtlicher deutſcher Vereine
für Volkzbildung und ihre Freunde. ‚Herausgegeben von
Pfarrer Dr. R. was Erfter Jahrgang. Gr. 8. Zaͤhrlich
vier Hefte. gr.
ft
Fon; Hs —3 — Shaun —
14. Gonverfatinns:Bezifon. — Augemeine deutſche
Beal:Ene: äbie für die gebildeten Stände. —
Neunte, verbeflerte und fehr vermehrte Beiginala
Pre Bänden oder 120 Saft Fa
Se A FR (4 — Milchzucker.)
edes
‚Diefe neunte — *5 in 15 &änden oder 120 au dem
Vreife von 5 Nr. für.das Heft in der Kutgabe auf Marc Krater
ver ir. 1 1 ir.,
En Te pt 10 Man, af Sare tbpäää ⁊ Ahir., af
Ylle® b 11 bad Wer bi N
fen — Pers: get u Bis efen Drels
HShe * AA num ——
— —— — abe in AMd eie⸗
—— ne bis sehnte —— — — . Jede Liefe⸗
Syſtematiſcher Bit⸗
* Atlas 43 — — * Kenia 7
99 e aDie Der enſchaf⸗
ten ae kann fie. — in Stahl geftochene Blätter
in Quart mit Darhel „500 aus ſaͤmmtlichen Raturwiffen-
fchaften, aus der Geographie, der Völkerkunde des Alter
thums, bes Mittelalters und ber Gegenwart, dem Kriegs:
und Geewefen, der Denkmale der Baukunft aller Beiten und
Boͤlker, der Religion und Mythologie des daffihen unb
nichtelaffiſchen Altertbums, der zeichnenden bildenden
Künfte, der allgemeinen Zechnologie c. Nebft einem erläu:
ternden Zert. Gntworfen und beraußgegeben von 9. ©.
ed. Bollftändig in 120 Llefetungen. Grfte bis vierzigfte
ieferung. Gr. 4. 1844 — 45. Jede Lieferung 6 Nor.
17. Dante Klighieri’s profaifge Schriften
mit Husnahme ber Vita nuova, Üherfegt con 8 ® Kanne:
sieher. Bwei Theile. Gr. 12. Seh.
t Defen zwei Xhellen find Dantc’s Schriften . wur
Zusgeh in bem enfebın © Berlage erſdienen und die — Theile ein ein
unter folgenden teln zu beilähen
e ‚Sems berfept und erfläz£ von
gie $ ur ii Zufia & Xx Seitee ni
ente’s Binit, den Planen der Hölte egefeuerd und erabie
2% eine & Karte von Ober: u BRittete Srälken. ®r.
Bir
Die zu ef em Werke gehörigen Kupferbeilagen werben befonders en
16 Rer. exlaffen.
€ te. Überfept und erflärt von K. 2. Kannegieber
d.K. Witte. Zweite, vermehrte und verbefferte Xuflage. Zwei
wene ‚Be eden. beten unb —* tert von K. Förſter. Gr. 12.
gt.
18. Deinhardfiein A 2), Künftler - Dramen.
&r. Sch. 23 Ihr.
m — ten nit Rebrun.
Lußfpiel in fünf Acten. @r. 12. Ge le Ror.
%. Dieffenbach (I. F. operative
2⸗
Freter Band (6 —8 Gr. 8 184.
a m nalr. d d wird in kei Yale den Preis
an unter der Preffe und wir! nem e den
3. Ranbwirtäfgaftlihe Dorfzeitung, Herausgegeben
uner Mitwirkung einer — va Land, Haus:
d Korfiwirthe von William Möbe. it einem
Beiblatte: Bemeinnägt es Unten, le für
Gtebt u Sr
eng Rummern.
4. —* 3 **
ei m —— eſp alten *3 55*5*
. u. dal. werden gegen eine Vergütung von %, ehir. r das Zaufend
Bergemeine GncyPispädie der Wiſſenſchaften
ünfte, in alphabetifher Folge von genannten Pr
Peüen bearbeitet und Herausgegeben von 8: © 19
nd 9. ©. Bruder. SRH. und Karten. Gr
Eat eänumerationd reis den gel auf Druck⸗
yapier 3 Ihlr. 35 Rer., —— Ihlr.
und a RE ——* von J. G. Gruber. alſter
rail Act —— Herausgegeben von X. 6 Hoffmann.
—5 Gurken (0 EZ, Prraubssgeben von M. H. E. Meher.
den Seren, ienBed , auch einer ..
23. Eneyklopädie der medieinischen Wissen-
„ methodisch bearbeitet ven einem Verein
Ärsten, redigirt von Dr. Misser: E
*2** un 478 T The
l. ——— — anni mit beses-
—3* *
dere; Bordch rü tigu si hen Anatomie Ra
Von
u Exikeiegle uf Tun
m. ie melineineng Dingnauin sat Bemiegn op
Feel errungen
ae von A. Meser. Ber 2 This. don —*
erl na aus fat enden Zbtheilun en beſte deren
—— a ’ - Anatom Phys beruhen, Deven je da Iche da
Chemie und —— ; Geschichte der Medich; Päthologl e na sche
Semiotik und Diagnos ostik; Pathologische Anatomie; —— weil;
—ã — Chirurgie; Aklurgie; Gynäkologie; Kinderkrankheites
2. Ikonegraphische Encyklopädie, oder bik
liche Darstellung aller tände der Medici, Chirurgie
und Geburtshülfe. Unter Mitwirkung der Herren: Hefratı
und Leibarzt Prof. Dr. u. Amsmsom in Dresden; Prof.
Dr. B in Berlin; Leibarzt Dr. Gros
heiten in Berlin; Geh. -Rath Prof. Dr.
in Berlin; Geh.-Rath Prof. Dr. i
Geh.-Rath Prof. Dr. Frästedi in Berlin, —2*
berausgegeben von Dr. F. Jak. Behrend. Indie
Abtheilung. — A. u. d. T Ikonsgraph. phische Bar-
stellung derBeinbrüche
Unter Mitwirkung des Hra, Geh- Medicinalratie
Dr. Kluge besorgt und herausgegeben von Dr. F. Ja.
Behreud. Enthaltend 40 Tafeln ausser dem Texte.
Grossfolioc. 1845. In Carton. 8 Thlr.
Die erfie Abtheilung, die 1839 erfhien, fühet dea Kitel:
"schof’Wautkrankheiten. "If daran —
tischem Texte. Unter Mitwirkung des mal Geh. - Rath Pret Dr.
Beast beso and I Berausgegehen vo von 25 M. Jah
28 Bogen Test. ech
Ka
"2 td —— fen den fü
eide eilungen ammengenommen werben TEL
I Ahiz. erlaſſen s
%. Sedichte eine Sfterveichers. We. 1% 64
2 Ryr. "
W. Geneal Tafeln sur Maatenge
schichte der germanischen und alawk
nn ae. statistischen Eialeitung, \ "r
einer 298 N 0)
Mr. Bertei. Quer 8. Geh. I Thir. 10 Ner.
1. Beäte (9), Kügemeine Pitagegit, S vi
25, Günchury ‚ Studien umzr speociellee
Pathologie. ee Band. _. u. d. T.: Die m
thologische Gewebelehre. Huster Band: Die —
—
agerung in den Geweben des mnneniklichen Kia
Ne lithographirten —* Gr. 8. Ge& IL
2. Gabun: Hahn — Bein), en
Berge. Zweite vermehrte Auflage. Biwvei “NR
a 3 Thir. 15 Nor.
Bon ber —— iR in demſelben Verlage erſchlenen:
Ken Sa *8 1 hie. ER,
es I Pr 8 IS —1 —
”. Riblie hisches Handbuch der *
PER, ähnlicher wie die Literatur der piolo *5
m Zweige der Meretur 8 Plane nen bearheitgt und Wan
LE 5* AR ner
(4 — in 9 Xbtheilsmpen,
’9 Qunbbuh
4 KR.
am —— herebarlept AR AU a
Fu er and. gefßricbene Aber
j —— Zeitſchri bergefteiten idealifieten
— werden. ” —— Panne ecmäßisten 7
eh.
16 Ner Medicin, rg 16 1 Nor. — *8 Natız - „und
Gumerbeimäe. 1928. } Thir. 10 N
wissenschaften. 1827. 1 Thix. — ermischte, Schrißen. — 8 Ner.
— Schöne Künste. (28 Thlr. eines ‚R
6 ), Hligem Bäder: Re
ER ( abetifihes —ãA— —F von 1700 &
Und * durch ne und Literatur Damit verwandten
2inbern gebrutt ıvorden find. Meunter Band, 10
die von 1835 gr ‚Ende 1841 erfhienenen Bücher und
—— nen DER erer —— en. enthält. — 3 —
von c. Ad: wi. bid fiebent a
— Gr. 4. 18436. eh Efrumg a am
papier * Roc, ‚auf —— 1 1 mn. 6
B
—— rt e N 3 Fr
Bis
- Hnpeine ——* zu ale ji sn Bat gu be haben. Der ade
eramdge n Ri Her 198 bis Gnde
* 75 Bißer ent Kit,” Boftet Auf Drug Drudpapter 10 Fhlr. 15 rer. “ auf
—— Dh en e), MWelche Meform Der Me:
nd 6
BES
Bi Weyer 4 eier in Bihrich ift focben erfüienen und
allen Buchhandlengen zu haben
Gefginte
* d
kt > haufen“ n er; Schuch,
8. 33 32 5. 16.SchiE.
lauben dieſes echt hi * — —
Sei Braumüller & Geibel, Buchhändler in Wien,
und in allen Buchhanbfungen des In⸗ und Auslandes wird
Yränumerstion auf den Yahrgung 1846 der
©rsterreichischen militairischen Britschrift
mit 12 PL. 6.+M. angensmmen. e
Bon dem Jah 184% ifk das elfte Heft c⸗
t
ſch turn. Dure 2 —— ne Se Bher bie ng
Der Paß von R
—* A —* Dr Feldzug 1104 in Ioolim. . Bioei-
—— Din ein ana Sup.
er eu a gegen Trup⸗
Be &.9uf einer gms 3. En — ber —
ufarenregimen erzog Ferdinan
VB. Bereinfachung ber im v ten Seo e Öftrzeichifgen
Padung 8 Infanteriften im All Fon 5 B pe
A eined Infanteri im emeinen, obne ug au
irgend eine Armee. (Mit einer Abbildung.) —- YIT. Reuefte
Militairveränderungen.
In der eiade ichen Buchhandlung in Merſeburg ift fo:
Shafipeares Macheth -
erläutert und gewürdigt von
Kobert Seinrich Hiscke,
GConrector und Profeflör am on zu Merſeburg.
Der Berfafler hat ent ac
er er verfucht, Freunde ber Porſte, weichen
in vnſaſſendenn Runffiublen bie Muße gebricht, dom Stand.
ens fordern bie
sand der — |
gr
33. epößi : ‚geil ah (ir Rue
(dichte, * Sean je Er ogie.
gegeben von Diem u
ar ie (Bürid.) or. *
⸗ eultat
re
35. Kerſten (6. MW.), Der Kreuz: und ds
nandsbrunnen in Marienbad. Bon neuem chemiſch
unterfuht. Sr. 12. Sch. 15 Rer.
Ba Ran), Cola jr Rbenzi. Zrauerfpiel.
&
37. —— * Die en in Kirchen⸗
melobi S fernen. Seh. 3:
— re —*
ae am 18, Februar 1846, Gr. 12. Geh.
39. ‚Renı (8.), Sorrefpondens des Ralfers Karl V.
em koͤnigl ehe und ber Bibliothäque de Bourgo
* —ã herausge Gele: und ameiter Band. Mit
uthographirten — &r.8. 1844 — 45. Jeder Band
und Ipte ma IR unter der Prefft.
(Der Beſqlus folgt.)
er der ne etik aus in das Verſtaͤndniß einer der
ßten —x choͤpfungen baten Dabei Mi per
ergliedernde Betrachtun t die kriti
ix a unse Bergung e’fchen iz
des zu er * Machuip- Sage und zu ber ider am Be Be
7 alle Buchhandlungen iſt zu beziehen:
Geſchichle der Geſangenſchaft
Napoleon's auf St.Helena.
General Mlonthaion,
dem Gefährten des Kailers in ber Verbannung und deſſen Teſta⸗
ments vollſtrecker.
Aut dem Franzoͤſiſchen. Bier Baͤnde. 8, Geh.
Bon dieſem Berke, welches die intereffante ek
* Geſchichte der neuern Zeit verſpricht, i —* Si er
erſchienen; bie Korkfegung wird
| re ung Boftet el Ru. mb das ganze u in
vier Bänden wird nur auf etwa 3 Apr. zu ftchen fommen.
Bor dem frauzoͤſiſchen Original unter dem Titel:
Histeire de la Captivite de Ste-
Helene
par ie General Montholon
6 die gi eis 3% Mor.) ausgege⸗
je pe Sg Runge win an —* B —X und
etwa & hir. koſten.
Reipaie, | 5, Buhwuor 18486.
Bronhans & Avcnarm⸗
Im Berlage der unterzeichneten Buchhandlung erſcheint für 1846:
Illuſtrirte
Zeitung für die AZugend.
. Herausgegeben
unter Mitwirtung der belichteften Zugenafdriftftelldr
von .
Bobert Geller.
Wöchentlich eine Nummer von einem. Bogen in ſchmal
1 gr. 4
Mit vielen Abbildungen.
Preis des Jahrgangs Ahle.; ein Quartal 15 Agr.;
ein einzelnes Heft 6 Ngr.
d durch alle B d⸗
mier zu ealten.
Benige Worte genügen, ben Plan der „Iüufteirten Bei,
tung für die Jugend” bei ihrem erſten Auftreten vollftändig
u bezeichnen. Auf das geiflige Bebürfniß und die Auffaffungs-
äbigkeit der reifern Jugend fei fie berechnet; gleichmäßig be»
rühfihtige ihr Text⸗ und Bilderinhalt Belchrung wie Unterhal-
tung. Unfere naͤchſte Aufgabe ift, damit eine site Zeitung
zu geben, alfo unfern Lefern alle wichtigern Intereffen der Ta—
gesgelhiäte raſch und fortlaufend vorüberzuführen. Jewoͤchent⸗
iche Auffäpe follen darum aus den Ereignifien und Perſon⸗
unferer Gegenwart auswählen und in geeigneter
Form zur Anfchauung bringen, was davon dem jugendlichen
Willen nothiwendig und erſprießlich erfheint. Vorzüglich aber
werden unfere Darftellungen Deutfchlands öffentlichem Leben
gelten; denn mit der Kenntniß des Waterlandes wird bie
Liebe zu ihm gefördert. Allein nicht einzig die Schilderung
folgenreiher Thatſachen, beachtenswerther Einrichtungen und
hervorragender Anftalten wird uns befchäftigen, auch kurze Nach:
sichten aus den Kreifen des Kunftlebens und ber Geſellſchaft
follen fuchen das Bild der Gegenwart zu vervollfländigen. So⸗
mit werden alfo jene Reuigkeiten ebenfalls berührt werben,
welche den reichſten Stoff der Unterhaltung und Befpredung
im Zamiliencirkel ergeben.
Doch der Zweck unfers Blattes ift mit den genannten
Mittheilungen. noch keineswegs eerpönft. Auch ausführlichere
oder andeutende Auffäge über Charaktere und Epochen ber
Seſchichte, beſonders des Baterlandes, abwechfelnd mit Ratur-
Bölfer: und Känderfhilderungen, in einzelne Abſchnitte ver
theilt oder zu Weifebefchreibungen vereint, werben die Kennt-
nißfreife une jugendlichen Leſer zu erweitern ſuchen. Klei⸗
nere Erzählungen moralifchen Anhalt, zu lebendiger An⸗
ſchauung an bie Beifpiele und Vorgänge unferer Gegenwart
berfnüpkt, fireben außerdem dem Ziele der Charakterentwicke⸗
—3 und Veredelung des jugendlichen Gemuͤthes entgegen;
Gedichte, Märchen und Sagen werben daneben poetifih an:
regend einwirken, Aufgaben im leichten Schach⸗ und Bretfpiel,
das NRäthfel und die Eharabe, mit ihrem modifhen Bruder, dem
Rebus, Borfchläge zu neuen Sugendfpielen u. f. w., follen der
fröhlichen Unterhaltung des erblühenden Geiftes dienen. Gnpdlid
werden noch von Zeit zu Zeit Auszüge und Mittheilungen von
empfehlungswerthen Jugendfchriften unfere Lefer auf das Neue
und Befte in dieſem Literaturfache binweifen.
Für Verfolgung diefer mannichfadhen Ziele haben uns die
beliebteften Jugendſchriftſteller ihre unterflügende Mitwirkung
augefagt.. &o Dürfen wir denn bei der großen Sorgfalt, mit
welcher die Redaction des Blatted nach dem angedeuteten Plane
verfahren, bei den reichen Mitteln und der vollen Aufmerkſam⸗
SE Probenummern
ungen und Bo
Druck und Verlag von F. E. Brockhanus if Leipzig.
— —
-
Bett, N biſdli Ausſtattun
a u —
mie er
lid) empfohlen glauben. va
Reiygig, im Februar 1846.
Broähaus & Avenatiu
Soeben ift bei den Unterzeichnet i i
iſt en von —ã und in allen Bug
Die Lehre vom Menfchen
die Anthropologie.
Handbuch für Gebildete aller Stände
von
Dr . ® ®&. Rindemenn,
Profeſſor ber —8 und Gulturgeſchichte an der hähern Sc.
anſtalt in Solothurn.
8. 34 Bogen. Broſch. Preis 2 Thlr. -20 Nor.
(2 Ahlr. 16 g@r.), oder 4 Fl. 48 Ar.
Wir glauben dieſes Werk nicht beffer empfehlen zu Komme
als mit den Worten Dien’s (in Ya De vn. * 39):
„Der Berfafler greift die Sache offenbar von einer»neuen Geite
en, und ift auögerüftet mit einer großen Mannichfaltigfeit ven
Kenntniflen, welche zu einer fo umfaffenden und wichtigen Bif
ſenſchaft nöthig find. Überdies hat der Werfaffer diefe Bchren
fo gewandt und fdarffinnig zufammengeftellt, daß fie wel isı
Stande find, die von ihm aufgeftellte Wiflenfchaft zu begründen”
Rod Anführung des wichtigen Inhalts fagt endlich Die:
‚Man fieht hieraus, wie ungemein vollftändig dieſes Werk md
wie wohl es geordnet ift. Sicherlich wird e& bie
keit eines jeden denkenden Menfchen auf fich ziehen, befonderd
der Philoſophen und Pädagogen.
ftände, welche Die Pfychologie betreffen, gibt neue Ynfichten
und neue Verfahrungsarten bei der Behandlung der geifligen
Anlagen und Gemuͤthszuſtaͤnde.
Meyer $ Zeller un Jurih.
Soeben ift erſchienen und in allen Buchhandlungen vorräthig: :
Nreanus, oder tägliche, für ebermen
faßliche Uberficht Ale Himm elserſchei⸗
. nungen im Rahre 1846, für die Iwede da
beobachtenden Aftronomen, befonders aber auch für
die Bebürfniffe aller Freunde des geflirnten Himmel,
— von Ge. Schubert und 8 v. Rothkith
und herausgegeben von Dr. P. . E. », 80
Jawski. Gr. 8. Geh. 28 Thlr. -
In meinem Verlage ift ſoeben erfhienen und durch alle Bude
handlungen zu beziehen:
Genevion von Conlouse.
Hiſtoriſche Novelle .
von
Reopold Gecchefer.
Gr. 19. Geh. 1 Thir. 15 Near.
Eeipzig, im Februar 1846.
F. A. Brockhaus.
. #
Es berührt alle@egen |
|
Profpectus.
In unterzeichnetem Verlag erfcheint für 1846
Pädagogiſche Henne.
Gentralorgan
für philoſophiſche, hiftorifche und praktifche Hans-, Schul- und
Sorialpädagsgik überhaupt und für das Sffentliche Unterrichts-
wefen in Deutſchland (gelehrte und Bürger Symuafien,
Elementar- und Volksſchulen, Hoch · und
Fachſchulen) insbefondere.
Herausgegeben
von
Educationsrath Dr. Mager.
Siebenter Jahrgang. Baud XI, XIII, XIV.
Der Jahrgang von 80 Bogen gr. 8. erfcheint in 10 Heften, wovon
Doppelhefte. Preis 7 Thlr. oder 12 fl.
Das Sanuarheft wird am 27. December verfandt.
Inferate für das jedem Hefte beigegebene Iutelligenzblatt berechnen
ir pr. Zeile mit 1 gGr. oder 4 fr. Beilagen mit Thlr. 1. 15 Ngr.
der fl. 2. 24 fr.
Wir fügen diefem Proſpectus Zweierlei hinzu: 1) einen Auszug aus
em zwifchen dem Herrn Heraudgeber und dem Berleger abgefchloffenen
Bertrage; 2) das Borwort zum neuen Jahrgange.
Zürich, im Desember 1845.
Fr. Schultheß.
„Blätter für litera riſche
te oder deren Raum 2 Rgr.
[845
eipzig
gen.
km Gebiete der Meil-
mehren praktischen
MH. Blumenthal, I.
ir Gr.8. Geh. 1 Tulr.
für Belchen und Unter:
ı Jahrga ng: 92 Rum:
vielen Ab ilbungen. Schmat
Sig * ind toften Jufammens
Dreifs am
hi Se de Su ehnte abe
Der Neuen
fe gt find folgende Schriften mit
der. Bünf Bände. Früher
f. Einzelne Jahrgänge
N Bände. Fruͤher 6 Thlr.
Band. Früher 2 Thlr. Jetgt
in une 2 Tolr.
wden & neünbigung Art
"oder deren gum —*
gegen Verg dinß von Y Thlr
ander aus älterer und neue
Sammlung der intereflan>
= ®b. 8 ig unb
Thlr.
ber zweite bis achte jeder 2 Allr.
ys Hrishna Misrk
ke instruxit Mae. Brook-
Kirk enthaltend, erfhlen 1895
ält die Saolim und wird zu dem
außgege
5 —*8 Berlage:
utrs und
Ber K an.tha Ss — des
yeh. 1835,
—— den „Soma-
Di fun B
auch ch. Sans-
her Werke mie lateini-
schl 841. 20 —
Son Kader = Bhatta
Yersetst, Zwei Theile. re 1%
x
—
>
Im Berlage der unterzeichneten |
SIruf
Beitung für
. Herauß]
— —
Wöchentlich eine Nummere
3* gr.
Mit vielen 72
Preis des Jahrgangs 2 Th
ein einzelnes
b |
ER Pangen und Yopkn
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zu geben, alfo unfern Xefern al
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iche Auffäge follen darum aus
u unferer Gegenwart
Form zur Anſchauung bringen
Wiffen nothwendig und eripriel
werden unfere Darftellungen 1
gelten; denn mit der Kenntı
Liebe zu ihm gefördert. Allei
folgenreiher Thatſachen, beach
hervorragender Anſtalten wird uı
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follen fuchen das Bild der Gege
mit werden alfo jene Reuigkei
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oder andeutende Auffäge über |
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theilt oder zu Reifebefchreibung
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perknüpft, fireben außerdem d
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das Räthfel und die Charade, mi
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fröhlichen Unterhaltung des erbl
werden noch von Zeit zu Zeit 2
empfehlungswerthen Zugendfchri
und Befte in diefem Literaturfa
Für Verfolgung diefer mar
beliebteften Jugendſchriftſteller
— So dürfen wir dem
welcher die Redaction des Bl
verfahren, bei den reichen F
A. | |
Auszug ans dem Berlagscontract.
$. 2. Herr Schultheß verſendet die Revue nicht in alte, foren
in neue Rechnung. |
$. 3. Herr Schultheß verfendet gratis an die Meitarbeiter can
Abdrud ihrer Artikel, an die Verleger angereigter Schriften einen Mind
der Recenfion.
$.4, c. Nach dem Drud des Decemberhefts, nachdem Herr Mayr
bie Honorarberechnung für die Herren Mitarbeiter gemacht hat, felı
Herr Schultheß über ven Beirag der jedem Mitarbeiter des Jahres
fommenden Summe Promeffen oder Anweifungen auf feine Commijir
zu Leipzig, Frankfurt am Main und Stuttgart aus, die zur Oftermek
des naͤchſten Jahres zahlbar find. *
empfangen wänfchen, wirb es ber Herr Herausgeber zumitieln uud ih ben Beirag vom
” Mitarbeitern, bie im Laufe des Jahres das Honorar für ihre Beiträge m
Verleger erſtatten laſſen.
B.
Vorwort zum Ianuarbefte 1846.
Die Päpagogifche Revue, die mit diefem Heft ihren fiebenten Jahr⸗
zang eröffnet, iſt in den Stand gefekt, flatt der bisherigen 72— 75
Bogen nunmehr 80 Bogen zu liefern, was dem Herausgeber geftattet,
ben urfprünglichen Plan etwas weniger Tüdenhaft auszuführen, als es
bisher, weil der gegebene Raum nie ausreichen weilte, hat gefchehen
müffen. Der Herausgeber glaubte im Interefie der Zeitfchrift und im
Sinne ver Leer zu handeln, wenn er, bei der gegebenen Möglichkeit,
entweder die Bogenzahl zu vermehren und den bisherigen Preis beftehen
zu laſſen, oder den Preis des neuen Jahrgangs um etwa 1 fl. zu ver
mindern und die bisherige Bogenzahl beizubehalten, fich für das Erfte
entfchied. Es wird von der Theilnahme des Publicums abhangen, ob
nach einem Jahre oder zweien Die Bogenzahl weiter vermehrt werben
kann; vorläufig Bat ber Herausgeber nicht weiter gehen zu dürfen ges
glaubt, da er die Marime hat, feinen Verlegern auch nicht einmal das
Riſico eines Dpfers zugumuthen.
Wie den bisherigen Lefern befannt, haben wir mit dem vorigen
Sahrgang angefangen, anftatt wie in den frühern Jahren Abhandlungen
und Kritifen über Gegenftände des hoͤhern und des niedern Unterrichtes
pele -mele zu bringen, für das, was über das Elementar- und Volks⸗
fchulmwefen und was daran hängt, zu fagen war, eine eigene Abtheilung
— die zweite — zu machen und für diefe 12 Bogen zu verwenden.
Die Bermehrung der Bogenzahl des neuen Jahrganges geftattet und,
für die paͤdagogiſchen Mittheilungen über die Hochs und Bachfchufen
jetzt das Gleiche zu thun und diefer — dritten — Abtheilung jährlich
8 — 10 Bogen zu referviren. Man darf nur den dem erften Bande (1840)
als Vorrede dienenden Profpertus und den Inhalt ver früheren Bände
anfehen, um fich zu überzeugen, daß diefe äußere Veränderung feine ins
nere ift. In jedem der bisherigen Bände ift neben dem Oymnaflal- und
Realfchulweien auch das Elementar- und Bolfafchulwelen, fo wie das
Univerfitäts- und Fachſchulweſen berüdfichtigt worden; indem von nun
——— _
„Blätter für Literarifihe
845
Ingen.
m Gebiete der Heil-
ehren praktischen Ärzten
IH. Blumenthal, #,
Gr.8. Geh. l Thlr.
für Belehrun und Unter:
Sabrgang. 1845. 52 Run
bieten * Ab idungen. cc
rabgeſe
im lr., bir — bis I
Deiner — toten —
ie 10
gr. Der Reuen
}
N find folgende Schriften mit
ber. Fünf Bände. Früher
. Einzelne Jahrgänge
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Band. Früher 2 Thlr. Jetzt
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8. 1835, 8 Neger
Firchensammlang des Boma-
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her Werke mit lateini-
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an brei Abtheilungen befichen (beren erſte, weil fie nicht nur das Gm
naſial⸗ und Realſchulweſen, fondern zugleich die Paͤdagogik als Wie
ſchaft und Kunft überhaupt behandelt, den größten Umfang, nänff:
58— 60 Bogen hat), wird für den Lefer die Ueberficht erleichten
während freilich der Herausgeber fich fein Redactionsgeſchäft erfhwet
hat. Denn es iſt natürlich leichter, eine gewiffe Bogenzahl mit cine
Iefenswerthen paͤdagogiſchen Inhalte zu füllen, wenn es genügt, dej
diefer Inhalt überhaupt paͤdagogiſcher Ratur fei, als wenn zugleich ie
flimmt if, wie viele Bogen biefem, wie viele einem zweiten, wie sik
einem dritten Gegenftande gewidmet fein follen. Daß für bie Giäk
der drei Abiheilungen das angenommene Berhältnig im Allgemeinen da
richtige fein wird, hoffen wir. °
Hier hätte nun ein in dem Profpectus der Reutlinger „Mitteichuk‘
über die Pädagogifche Revue geaͤußertes Bedenlen ben KHerausghe
vieleicht bevenflich machen follen. „Wir brauchen nicht erft darauf af
merkſam zu machen” — hieß es in jenem Profpertus —, „daß bie ik
dehnung einer Schußgeltung über das ganze Unterrichtögebiet von de |
Vollsſchule bis zur Hochſchule ihr Beſtehen von vornherein unficher made
muß, weil fie einestheils auf ein zu ungleichartiges Publicum berrfed
iſt, anderntheils von ber Rebaction eine Umſicht fordert, die bei da
wenigften zu finden fein möchte.“
Auf das Bedenken in Betreff des Befichens und ber i
ſchon GBd. X, ©. 336) ein Wörtchen erwiebert, fehen —e—
dem Bedenlen in Betreff des zu „ungleichartigen Publicums“ vethaͤlt
Welchen Publicum nun die Pädagogifche Revue zu dienen befkmmt
AR, wurde im Profpectus ©. III — V gefagt. Es hieß dort:
„Im Allgemeinen wird fie ihre Lefer unter den Lehrern und Dis
toren der Gymnaſien, höhern Bürger (Real) ſchulen und Seminare,
Schulräthen, folhen Theologen, die Schulen inſpiciten müſſen, endid
unter Hiftorifern, Pbilofophen und Staatsmännern zu fuchen haka,
—* Wan Be ſelbſt verſteht, daß fie vor Allem das Bebürfalf be
igen ihrer Leſer, welche praftifche Schulmänner berüdicheigen
und zu befriebigen hat. 2 ms au bt
„Run laſſen ſich aber unter den Lehrern und Dixectorm der Ge
Per und Realfcjulen fo wie der Seminare deutlich drei Speed unkr
n
v
„Einige wenige find Pädagogen im großen Styl, Männer, die das
gefammte Erziehungs- und Unterrichtöwefen aller Zeiten und aller Länder
in moͤglichſter Ausdehnung und Volftändigfeit Tennen zu Iernen trachten.
„Andere find entweber nicht fähig oder doch nicht geneigt, über den
Kreis ihrer perfönlichen Thätigfeit Hinauszubliden: ver fogenannte Hu-
manift Fümmert ſich nicht um den fogenannten Realiften und vice versa;
was ber Elementarpäbagog treibt, begehren beide nicht zu erfahren. Die
Ultras diefer Species bemühen ſich nicht einmal, bie Schule, der fie an
gehören ( Gelehrten⸗ oder Realfchule oder Seminar), als ein Ganzes von
Bildungsanftalt aufzufaffen, fie haben nur ihr Lehrfach im Auge: was
geht den Lehrer des Griechiſchen auch der mathematifche Unterricht feiner
Schüler an?
„Es liegt in der Natur der Sache, dag es unmöglich if, für bie
padagogiſchen Univerfaliften ein Journal zu gründen. Die Bäda-
gogifhe Revue wünſcht fi die Männer dieſer wenig zahlreichen
Kategorie zwar zu Lefern, Fann aber ihre Bebürfniffe nur unvolllommen
befriedigen.”
nWollen es die päpagogifchen Barticulariften einmal mit uns
verfuchen, fo wird es und eine Ehre fein.
„Gewidmet iſt näher die Padagogifche Revue einer dritten Spe⸗
cies von Pädagogen, ſolchen Gymnaflals, Realſchul- und Seminaw
Ichrern und Dirertoren (daneben Schulräthen, Infpectoren u. f. w.),
welche zwar, wie billig, zuvorderſt ihre eigene Lection zu bebenfen bes
müht find, damit es wohl in ihrer Schule oder Elafle ftehe, die aber
zugleich inſoweit hiſtoriſch, philofophifch und pädagogiſch gebildet find,
um ihr befonderes Thun ald Moment im großen Ganzen des Unterrichte«
weſens zu willen, und fomit wünfchen, ſowohl über diefes Ganze ſelbſt,
als über ihr eigenes Wirken als Theil des Ganzen ſtets unterrichtet zu
* Gin wirtlich aniverſales Journal der Pädagogik müßte jährlich 800 — 350 Bogen
Ueſern können, und dann wäre es mod; immer bie päbagogiichen Gperials Journale und
die Provinzials und Localblätter nicht überfläffg machen. Daß eine ſolche Zeltſchriſt in
Dentfcland unmöglich if, beruht auf einem der vielen witiöfen Girfel, im denen wir
uns drehen. Weil nämlich die meißen Lehrer zu arm find, können fie fein Journal halten,
wozu kommt, daß das Bebärfuiß eines allgemeinen Journals vorläufig fein allgemeines
iſt. Und weil Journale, um wohlfeil fein zw können, mehrere tanfend Mbonnenten haben
müfen, fo find padagogiſche Ionrnale in Deutfcgland gezwungen, thener zu fein.
in für Belehrung und Unter«
Zaprgang. 1845. 52 Rum
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dag Räthfel und die Charade
Rebus,
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fein. Dieſe Männer find zwar Philologen, Hiſtoriler, Mathematik,
Naturforfcher u. f. w. und Lehrer einer diefer Wiflenfchaften; Inden |
aber an Schulen, nicht auf Aademien, Ichren, find fie vor Un)
Schulmänner und haben als ſolche paͤdagogiſche Bebürfniffe
Diefe paͤdagogiſchen Bedürfniſſe dieſer Männer fammtlih mia
einer geeigneteren Weiſe zu befriedigen, als es bisher gefchehen, diej ĩ
die Beftimmung der Paͤdago giſchen Revue. Zugleich ſtellt fie fh
Aufgabe, die zu Mler Schaden feit Jahren unterbrochene Verbin
zwifchen Norddeutſchland, Süpbeutfchland und der Schweiz wiceder ke
fielen zu helfen, wie fie denn aud) den Beftrebungen, Arbeiten wo
Mittheilungen der verſchiedenen Vereine von Schulmännern ein bei
williges Organ fein will.“
Man flieht, die Lefer, auf welche die Revue von Anfang an gerefn
bat, find in fo weit gleichartig, daß fie (mit wenigen YAusnahen)
Pädagogen von Beruf find. Die Gleihartigfeit geht aber noch nee,
denn die Majoritit diefer Lefer übt ihren Beruf an gefehrten und Bine
Gymnaſien und an Schullehrerfeminaren, und wenn es ber Am
gelungen ift, auch bei einer Elite von Glementar- und Volloſchullehren
und einer Anzahl von afademifchen Lehrern Eingang zw finden, fo je
das die urfprünglichen Rebactionsmarimen im Wefentlichen fo wan
verändern loͤnnen als der Umftand, daß fie in mehreren nichteutieen
Ländern ebenfalls eine Anzahl von Lefern gefunden Bat: wenn aud) Ida
einziger Elementar / ober Bolköfchullehrer, Fein einziger Univerfitätsprofefe
unfre Zeitfehrift Täfe, fo würden wir dennoch fowohl das Volls, ald
das Hochſchulweſen in den Kreis unfrer Befpredjung zu vchen und fir
verpflichtet Halten,
Wir muthen natürlich nicht jedem Lehrer an. höhern Lchranfii ı
au, daß er die Paͤdagogik (über beren Inhalt und Umfang ber ak
Artifel dieſes Heftes ein Wort fagt) zu feiner Wiſſenſchaft make;
wenn er fie fo weit fennt, als es fein Beruf fordert, fo thut mW
Seine und fein Billiger wird ihn tadeln, falls er feine freie Zeit Ice f
der Wiſſenſchaft widmet, bie er zu lehren hat, als der Wiſcichaſt
welche unter Anderem auch das Lehren lehrt. Es iſt gar nick nothig
daß jeber Paͤdagog zugleich Pädagogifer fei. Run gibt es beanntid
Journale für Philologie und Pädagogif, andre für Mathemaiit w
Paͤdagogik, andre für Theologie und Paͤdagogik, und welcher Lehm a
VIE
Wefen findet, was er als Schulmann braucht, für den wäre es offen-
barer Lurus, noch ein Journal zu leſen, das ausſchließlich der Paͤdagogik
gewidmet iſt. Eben fo würbe berjenige Gymnaſial⸗, Real: oder Volker
ſchullehrer, der zwar ein lediglich pädagogifches Journal, aber ein ſolches
leſen wollte, das nur Eine Gattung von Schulen im Auge hat, bei
ber Revue nicht feine Rechnung finden. Es denfen aber befannilich
nicht Alle gleid, und die Pädagogifche Revue fegt bei ihren an gelehrten
ind Bürger » Oymnafien wirkenden Lefern voraus, daß fie nicht nur
äber den Drt, woher ihnen ihre Schüler fommen, fondern
auch über den Ort, wohin diefelben gehen, fortwährend in
Kenntniß bleiben wollen.
Es dauert vieleicht noch eine Weile, bis die Maffe der an ges
lehtten und Bürger-Gymnafien wirkenden Lehrer einfehen wird, daß es
nicht nur von ihrer Pflicht, fondern von ber allerordinärften Klugheit
geboten if, fih um die Elementarſchulen und die Technik der beffern
Elementarlehrer ein wenig zu befümmern. Daß die Lehrer folcher Gym
naſien und Realſchulen, deren untere Elaflen viele Schüler haben, die
eigentlich in die Volksfchule gehören, nicht weniger die Lehrer folcher
Gymnaſien und Realfchulen, die ihre Schüler ſchon mit acht Jahren
aufnehmen, dazu eine directe Aufforderung haben, liegt auf offener Hand;
aber auch die Lehrer unterer und mittlerer Claſſen berjenigen gelehrten
und Bürger⸗Gymnaſien, welche ihre Schüler erft mit zehn Jahren, nach
abfolvirter Elementarſchule, aufnehmen, müflen die zwei erflen Jahre hin—
durch ganz elementarifch unterrichten und in ben nächften zwei Jahren
die Künfte der Elementarbivaftif noch oft zu Hülfe nehmen, wenn fie
ſich, ihre Schüler und das Publicum befriedigen wollen. * Ein feche«
* Im $. 8 des Grlaffes des k. pr. Unterrichtsminiſteriums vom 24. Oxtober 1837
hleß es alfo:
Mehrere ſachverſtaͤndige Stimmen änßern, daß bie verlehrte Methode, im welcher
die Lehrgegenſtaͤnde nicht felten noch behandelt werben, die wunde Stelle der Gymmaſien
ſel ..... Aber zugleich erhebt ſich gegen einen Theil dieſer Männer die Anklage, daß,
während das Clementarſchulweſen im den legten Jahrzehuden im Hinficht anf Didaktik
und Methodik ungemein verbefiert und ein Staub von Lehrern gebildet worden, bie
wegen ihrer paͤdagogiſchen Gewandtheit und wegen Ihres Geſchickse, große Mafien zw
befeben , in ihrem Kreiſe ſich als Meier zeigen, fehr viele und beſonders die jüngeren
Gymunaflalichrer das Studium der Päbagogik wicht gehörig beachten, die ſchwere Kuuſi
des Untertichtens vermachläffigen, die erfreulichen Fortſchritte, welche bie Elementarſchule
in biefer Beziehung gemacht Hat, entweder gar nicht Fennen ober doch micht beuußen,
„Blätter für Literarifife
ile ober deren Raum 2%, Ror.
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Leipzig
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lem Gebiete der Heil-
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welche den seiften Stoff
im Zamiliencirkel ergeben.
Dod der 8weck unfen
Mitteilungen noch Feineim
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jahriger Erfolg hat gezeigt, daß der Herausgeber mit biefer Anſicht nick
allein fteht, und darum wollen wir, und wäre es nur der Opmmafinlichem
wegen, bie Abtheilung für das Elementar» und Volksſchulweſen beibe
halten. Für die Lefer, welche, fei es als Lehrer oder Aufſeher, mit bien
Schulen direct zu ihun haben, folte fie freilich größer fein.
Wenn fich manche Lehrer der gelehrten und Bürger-Oymnafien mm
und ſich gerade den wichtigen Thell ihres Berufs... nicht gebührend amgelegen fir
laſſen. Ehen diefen Lehrern wird zum Borwurfe gemacht, baf fie im werlchrie
Methode ans falſcher Grändlictelt ihre Echäler mit einer erbrücenden Maße matrriche
Wifene überhäufen , daß Re Im Urbrrfdägung des ihnen angemiefenen Lehrfaden fi |
Berfältniß zu dem Gefammtziweite, dem es al anergeorduetes Mittel dienen foh, cu
den Augen fepen; daß ihnen endlich, iudem fie die Lehrweife der Umiverfltätsprofefon
nachahmen, im ihrem Bortrage die belebende Friſche aud Begfamfeit, fo wie das Seſcu
abgehe, ſich dem jugendlichen Gelſte anzufchließen. .. . Nicht weniger wird befazpe,
daß der Crfolg ihres Unterrichts, wie es bei einer fo verkehrten Methode mid ade
fein könne, wenig befriedigend ſei, und befonders in bem alten Sprachen, im ber dratider
Sprache und in ber Geſchichte zu dem großen Anſtreugungen, welche fie feibR main ı
und and) ihren Schülern zumntgen, in Seinem Verhältnifie ſtehe; daß fie aber in grie
Gelbfverblendung den Grund hiervom ganz und gar micht in fi felb..., fern
Tebiglich im der geiftigen Gtumpfgeit, Gleichgältigfeit und Gtarrheit ihrer Sqhüier faden,
mub beßfalb auch nicht mide werben, über bie Gehlaffheit, den Mufleif mb bie Repunge
lofigkeit derſelben Beſchwerde zw führen“ m. ſ. w.
Dieß gefiel mir 1837 wohl und als ich Ende 1836 mit dem fel. Spillele, Dir
Diefterweg und (wenn ich nicht Irre) auch dem Concipienten diefes Miniferial: Grip
den damals entworfenen Plan zur Paͤdagogiſchen Revne (die 1837 beginmen follte, das
branbenburgifche Ober »Präflblum verfagte aber in Folge der damaligen Mominifrationde
morimen bie Conceſſion) befprach, ba emihtelt dieſer Plam einige zidt weniger arte
Stellen. Jetzt gefällt mir ver Grlag viel weniger:
Fürs Erfe nämlich trifft er aur die premßifchen Gymmafallehrer, vie, weiß
mich die lebten find. Das Hebel IR fein preufifches, fondern ein beutiäen mad 44
es außer Preußen vielfach ärger gefunden. |
z2
Fürs Zweite mar es ungerecht, befomders bie jüngeren Gymuai
Aufpruch zu uchmen. Wenn man erſt zwanzig Jahre Schule gehalten Hat, fo
man natutlich eime Rontlae, bie vom den gröbfen Behlern, bie mam im ben erſen
begieng, frei iR,
Vürs Dritte war es ungerecht, ernten zw wollen, wo man wicht gefiel
Bär die Elementarlehter Hat man Geminare gegründet und einige biefer Geminsre
Birtwofen in ber Unterrichtöfunf zu Directoren mnb Lehrern gehabt; was aber bat
die preußiſche Gtantsfhulverwaltung für die päbagogifche Bildmmg ber Eferr
gelehrten und Bürger: Oymnaflen getfan? Bar Nichts ober doch faR gar Rihts, tem
die phllologifchen Seminare und das naturhiſtoriſche Seminar in Bomm fünnen era
wenig allein Schulmäuner bilden, als naturwiſſenſchaſtliche Studien, wenn nichts Ander⸗
dazu onımt, Merzte bilden loͤnuen.
Hi
44;
ıx
angern davon überzeugen laflen, daß eine genauere Kenntniß bes Elemen-
tarfehulwefens für fie fehr münfchenswerth und für Diejenigen unter ihnen,
velche in unteren und mittleren Claſſen Ichren, unerläßlich if, fo koſtet
s weniger Mühe, die Herren davon zu überzeugen, baß fie, befonders
venn fie in oberen Claffen unterrichten, mit den Hoch⸗ und Bachichulen
n Rapport fein und bleiben müflen. Die Facultäten und Fachſchulen
sieten der Betrachtung nun fo viele Seiten dar, daß es Fein Wunder
väre, wenn mancher Schulmann an benfelben gerade diejenige Seite nicht
ände, von welcher her die Paͤdagogik die Hoch⸗ und Fachſchulen
jetrachtet, und ber Herausgeber gefteht gern, baf er für feine Perfon
erſt feit ein paar Jahren den Gefichtspunft für bie pädagogifche Betrach⸗
hing der Hoch⸗ und Fachſchulen aufgefunden hat.
Der Lehrer (um nur von dieſem zu reden) inteteffirt fich, infofern
er als Gelehrter ſich an den Sortfchritten irgend einer Wiflenfchaft .
betheiligt, für das, was von den Profefforen der Hoch- und Fachſchulen
litterarifch und in ihren Vorträgen für diefe Wiffenfchaften geſchieht, fo
wie für bie. perfönlichen Verhaͤltniſſe der hervorragenden unter biefen
Männern. Obgleich wir es nun den philologifchen, hiſtoriſchen, philoſo⸗
phifchen, mathematifchen, naturwifienfchaftlichen und andern Zeitfchriften,
d wie ben allgemeinen Literatur» und ben politifjen Zeitungen über»
laffen müffen, diefes Intereffe zu befrievigen, fo werden wir doch wie
disher fo fortan. eine Auswahl folder Univerfisätänachrichten bringen,
von denen anzunehmen. ift, daß fie vielen unfrer Lefer willfommen find.
Ein nicht ganz geringer Theil viefer Lefer befteht aber aus Franzoſen,
Engländern, Schweden, Ruffen, Ungarn, Stalienern, Spaniern und
Rordamerifanern, die auf Mittheilung gerade dieſer Nachrichten einen
Werth fegen.
Diefes Intereffe iſt jedoch nicht das paͤdagogiſche; der Schulmann
als Paͤdagog ift bei den Hoch“ und Fachſchulen noch in einer ganz
andern MWeife intereffirt.
Zuerft fragen wir, was die Hochfchulen für die Bildung der
Lehrer tun.
Natüurlich muß für dieſelbe Zweierlei gefchehen: einerfeits müflen
viefelben in philologifchen, Hiftorifchen, philoſophiſchen, mathematifchen,
phyſilaliſchen, naturhiftorifchen u. f. w. Vorträgen und Seminaren Ge
legenheit haben, ſich für irgend ein Lehrfach auszubilden, andrerſeits
"lem Gebiete der Heil-
Ex praktischen Ärzten
hmm. Gr.8. Geh. —
pi für Belehrung und Unter
& Jahrgang. . 52 Rum:
+ vielen Abbülbungen. Sömat
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t., ‚der fedßbte DI Jehnte
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Under, Fünf Bände.
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Länder aus Älterer und neues
‚Sep. 15 Zpir. 24 Mar.
Yu, ber zweite bI6 aıte jeder 2 &plr.
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Mit vielen
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Er ungen und Pofb
Berige Worte genügen,
tung für Die Jugend” bei i
u einen. Auf das geifti
äbigteit der veifern Jugend
rüdfichtige ihr Zert- und Bil
tung. Unfere nächfte Aufgabe
zu geben, alfo unfern Leſern
esgeſchichte raſch und forklay
iche Aufläge follen darum @ æ
unferer ®egenwi °
Form zur Anſchauung brinz
Wiſſen nothwendig und erif
werden unſere Darftellungel
gelten; denn mit ber Ke
Liebe zu ihm gefördert. A
folgenveiher Thatſachen, bi
hervorragender Unftalten wir,
richten aus den Kreifen Dei
follen fuchen das Bild der @
mit werden alfo jene Reui
welche den reichften Stoff
im Familiencirkel ergeben.
Doch der Bwe unfen
Mittheilungen noch keinesw
oder andeutende Yuffäge üb
Geſchichte, befonderd des _
Bölfer- und Kanderfi ilde
theilt oder zu Reiſebeſchreil
nißkreiſe allın jugendliche:
nere Erzählungen morali
fhauung an die Beifpiele
verknüpft, ſtreben außerden
lung und Veredelung des
Gebichte, Märchen und €
regend einwirken, Aufgaben
das Rätbfel und Die Eharade
Rebus, Borfchläge zu neuer
fröhlichen Unterhaltung des
werden noch von Zeit zu 3
empfehlungswerthen Jugend
und Befte in diefem Literat
Kür Verfolgung diefer
beliebteften Iugendfchriftftel „unten
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welcher die Redaction
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müfien ſie fich in padagogiſchen Vorträgen und Seminaren zu Sehrem
und Erziehern überhaupt ausbilden können.
Die Univerfitäten werben fomit erlauben, daß wir ihnen in Zufunft
noch etwas häufiger als bisher durch die Benfter fhauen und namentlich
auch und nach der Unterrichtöpraris in den philologiihen und andern
Seminaren umfehen. *
Um zur zweiten Frage zu kommen, fo wiffen wir zwar recht gut,
daß die Pädagogik mit der Politif unter andern Aehnlichkeiten auch
die bat, daß bei herannahenver Mündigkeit der Völker und der Indivi⸗
duen dort des Regierens, hier bes Erziehend weniger werden und dad
Sprichwort che governa meglio, chi men governa zur Anwenbung
fommen muß. Hoch» und Fachſchulen, vorausgefept daß dieſe letzters
aufhören, halbe Kinder aufzunehmen, find viel mehr Unterrichts⸗ als
Erziehungsanftalten und ihr Unterricht ift größtentheild Fein paͤdagogiſcher
(ſchulmaͤßiger, erziehender) mehr. Nichts deſto weniger koöͤnnen wir und
nicht entfchließen , bisheriger päbagogifcher Obfervanz gemäß, unſte
Zöglinge nur bis zur Schwelle der Hochs oder Fachſchule zu begleiten
und dort umzukehren; wir müffen vielmehr eine zweite Stage an bie
Hoch⸗ und Fachſchulen richten, und zwar eine Doppelftage. inerfeits
fragen wir: was thut Ihr, damit, die Euch anvertrauten jungen Leute
auch Etwas lernen fonnen, was thut Ihr namentlich für Diejenigen
Gegenfände, welche von vielen ber jungen Leute, die nicht ihr Fach
aus ihnen machen, zu ihrer allgemeinen Bilvung (wie man es nennt)
pflegen flubirt zu werben, wie tragt Ihr 3. 3. für Studirende verſchie⸗
dener Facultaͤten Gefchichte und Philoſophie vor? Andrerfeits fragen wor:
- was thut Ihr, damit der Charakter der Euch anvertrauten Sünglinge
fich in gebührenver Freiheit und zugleich in Zucht und Ehren entwideln
faun? wie fteht e8 um das Leben auf Hoch- und Fachſchulen?
Jede dieſer zwei (oder drei Bragen) löst fich in drei fpeciellere
ragen auf: 1) Was gefchieht? 2) Ift das, was geſchieht, auch dad
Rechte und Heilfame? 3) Könnte nicht Beſſeres gefchehen?
Wir haben fomit fortan drei Abtheilungen, die erfte von 58 —60,
bie zweite von 42, die britte von 8 — 10 Bogen. Die erfle Abtheilung
* Bon den Schullehrerfeminaren haudeln wir in der zweiten Abteilung ber Revme,
wenn auch der Begriff der Sache fle in die britte verweist.
- x
bildet ven erften und zweiten, die zweite und dritte den dritten Band des
‚Sahrganges. Die innere DOrganifation (1. Abhandlungen, II. Beurthei⸗
lungen und Anzeigen, IH. Zeitung) bleibt biefefbe.
Die bisher befolgten Revactionsmarimen irgendivie zu ändern, hat
fich Feine Beranlaffung ergeben. Der Herausgeber wird nach wie vor,
am nur Diefes Eine zu erwähnen, feine Stellung als Redactor und Mit-
arbeiter der Revue forgfältig aus einander halten, und feinem 1840 ge
gebenen Werjprechen, al8 Herausgeber nie die Anfichten geltend zu
machen, die er ald Autor und Mitarbeiter vertritt, die Debatten vielmehr
burchaus unpartelifch zu leiten, fchon darum treu bieiben, weil Dig
Revue es wohl zum Theil dieſem freien Sinne des Herausgebers ver-
danft, daß vorzügliche Männer, vie in vielen und weientlichen Stüden
des Herausgebers Anfichten nicht heilen, fie mit ihren Beiträgen be-
ehrt haben und damit fortfahren. Auf. dieſe Weile kann man allerbinge
unſerer Zeitfchrift „Die Richtung” abfprechen, weil verjchienene Richtungen,
in welchen bie gegenwärtige Paͤdagogik ſich bewegt, in ihr vertreten find.
Die Revue follte aber nun einmal eine Zeitfchrift fein, von dem Zuftande
der Pädagogik in unferer Zeit Zeugniß ablegen, und durfte fi) darum
feiner Anſicht, die in unferer Zeit wahrhaft wirft, verfchließen; fie bat
ein Gentralorgan werden wollen, nicht dad Organ einer Schule, Partei,
Clique, auch nicht derjenigen des Herausgebers, wenn biefer das Talent oder
die Neigung hätte, eine folche zufammen zu bringen; ald Centralorgan aber
bat fie nur das Ereentrifche von fich abzuhalten, z. B. die neueften Anläufe
zu einer arheiftifchen Pädagogik, und als Zettfchrift dasjenige, was ent
fehieden nicht mehr an ber Zeit ift und noch weniger eine Zukunft hat,
3. B. Humanismus und Realismus in ihrer nunmehr veralteten Gefalt.
Was Dagegen, alt oder neu, Fräftig genug ift, einen beveutenden Theil
der heutigen Schulmärnner auf feine Seite zu bringen, 3. B. das abfos
Iutiftifcheradicale pädagogifche Territorialfyftem, nach welchem der Staat
der allgemeine Schulherr it, oder die fpecififch- „chriftliche" Paͤdagogik
— Fatholifch- „iefwitifche" oder: proteftantifch- „pietiftifche” —, dem räumt
der Herausgeber gern einen Theil feines Blattes ein und erbittet ſich
von den Anhängern diefer Richtungen nur die Erlaubniß, in feinen
eigenen Auffägen eine entgegengefegte Richtung einzufchlagen und ihnen
nach Kräften mit allen Mitteln, bie Philofophie, Gefchichte und Erfah
rung an die Hand geben, entgegen zu treten.
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eile oder deren Raum 2%, Rgr. -
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Da der Herausgeber eben fo wenig Veranlaffung hat, feine ME |
tung als Mitarbeiter ber Revue, als feine Rebactiongmarimen zu in |
dern, fo genügt es, in Betreff dieſer Richtung auf die bisherigen Bänke,
oder aud) nur auf die Generalbeichte, welche ven Jahrgang 1843 a
öffnete, zu verweilen. Er weiß, daß er fich mit feinen Anſichten der
malen nod) in ber Minorität befindet, weiß aber auch, daß dieſe Wi
norität von Jahr zu Jahr gewachſen if, und hegt die Hoffnung, fe
werde noch mehr wachen, wenn Argumenten nur Argumente entgegen
gefegt werben. Die Richtung des Herausgebers hier in ber Kürze bav
zulegen, iſt nicht wohl möglich, fie zu vertheidigen, darum unndthig. Kur
über Zweierlei ſcheint eine Erläuterung angemeffen.
Die Einen begreifen wohl, daß man in fogenannten theoretifchen
Fragen — etwa in ber Frage, ob man das Griechiſche mit der home |
riſchen oder mit der attifchen Sprache beginnen folle — unparteiiſch fein |
önne, fie begreifen aber des Herausgebers Unpartellicjfeit in fogenams
ten praftifchen Fragen, wie deren oben zwei erwähnt find, nicht, m |
fo weniger, als fie wiffen, daß berfelbe für feine Perfon auf mande
dieſer Fragen eine fehr entfhievene Antwort in Bereitfchaft hat. Dieſen
Leuten weiß id) nichts zu erwiedern, da man wohl eine Anficht, nick
aber eine Gefinnung begreiflich machen Fann. Ich bin eben in andern
Weife liberal als die guten Leute, die ſich in Deutfchland und Franke
reich fo nennen. Tolerant gegen diejenigen zu fein, die felber tolerant
find, das iſt Feine Kunft, aber auch die Intoleranten zu toleriren, fo
lange man durch fie in feinem — nicht eingebilveten, fondern twirflichen
— Rechte gefränft wird, das iſt der echte Liberalismus, von dem unfere
„Liberalen“ bis dato wenig zu wiflen fcheinen, Die politiichen wie bie
religiöfen, die fogenannten Lichtfeeunde. Der jefuitenfreundliche Exie
hungstath des Cantons Luyern hat vor ein paar Jahren feinen Unko
gebenen das Halten der Pädagogifchen Revue verboten und in Hr
Hengftenberg’8 Evangelifcher Kicchenzeitung habe id) einmal zufällig Etwes
über den „berüchtigten Dr. Mager” gelefen*; wie genau id) aber ah
das Fatholifche wie das proteftantifche Pfaffenthum kenne, und wie at
= 1839, wenn ich mit irre. Sch hatte mir das Mipfellen der Kirdpengeitung da
durch zugezogen, daß Ich zu dem Befchluffe des wanbtländifgen Greßen Mashes, wererä
ber confession de fol helvätiquo ihre @efegesfraft gencmmen wurde, derh einige
Urtikel im Nouvelliste Vaudois follte beigetragen haben.
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Sieben ber im Catechismus romanus ober in ben lutheriſchen und ver
'ormirten Befenntnißfchriften nievergelegte Glaube nicht mein Glaube if:
o hindert mich das nicht, gegen bie Sefuiten der Eultur und bie Aufs
laͤrungsmaͤnner für die römifchen Jeſuiten und die fogenannien Finſter⸗
inge Partei zu nehmen, fo oft und fo lange diefen dasjenige ftreitig ge⸗
macht wird, worauf ich felber für mich Anfprud) mahe: das ge-
meine Recht. Das aber wird ihnen heutzutage verweigert, und hätten
anfre „Liberalen* und „Lichtfreunde” die Macht, fo würden fle biefelbe
ganz auf die nämliche ſündhafte Weile mißbrauchen, mit welcher ihre
Begner fie in früheren Zeiten mißbraucht haben, und vielleicht würbe
ber Fanatismus der Regation noch fürchterlicher fein, ald der Fanaties
mus bes Pofitiven je geweſen if. Der Herausgeber der Revue Hält
bie Schulen der geiftlichen Orden, mo fle beftchen, für eine Calamität
Cobgleich er mehrere ſehr würbige Lehrer unter den DOrbensgeiftlichen
feunt; man benfe nur an ben hochverbienten Franciscaner P. Girard in
Breiburg); er wird, fo lange er lebt, die fpecififch „chriftliche" Pädagogik
befämpfen, - welche lutherifche, reformirte, überhaupt Eonfefllonsfchulen
verlangt und die Geſehe der Paͤdagogik aus irgend einer Dogmatik
ſchöpft; er wird aber mit noch viel größerem Eifer diejenigen — Regie
rungen, Parteien und Individuen — befämpfen, welche eine Anzahl
von Menſchen, die für ihre Kinder eine folche geiftliche oder confeffionelle
Ertziehung organifiren wollen, hindern, ihres Glaubens zu Ieben. Der Rhei⸗
niſche Beobachter hat vor Kurzem berichtet, daß ber ald eins der Häupter
der Aufflärungspartei befannte Breslauer Profeflor David Schul,
der zugleich lange Jahre Mitglied des Confiftoriums war, aus dem er
jept entLaffen if, als Conſiſtorialrath zu den Maßregeln eifrig mitgewirkt
habe, durch welche ven am Lutherthum fefthaftenden Schlefiern, die man
durch einquartierte Soldaten zur Union zu befehren fuchte, fo großes
Leid zugefügt worben if. (Befanntlicd find viele von ihnen theils nach
Amerika, theils nach Aufralien ausgewandert.) Ich geftche es ehrlich,
meinem Gefühle ift der erſte befte ſpaniſche Inquifitor, und Hätte er hun⸗
dert verbrannte Ketzer und Juden auf feinem Gewiffen, nicht fo wider
wärtig als diefer rationaliftifche Profeffor ver Theologie. Der fpanifche
Inquiſitor hat wenigfens feinen Glauben zur Entſchuldigung, der pros
teftantifch-rationaliftifche Theolog aber, der gegen arme Bauern und Leine
weber, die nun elhimal von ber neuen Mode in der Religion nichts
m „Blätter für literarifipe
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1845
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wiffen, fordern bei ber alten lutheriſchen Lehre bleiben wollen, Si—
benszwang übt, der hat gar Feine Entfchulbigung und verbient bie Bu
achtung jever freien Seele. Und das that der aufgeflärte Mann für
jährlich 200 Thaler, denn fo viel fol ihm feine Eonfikorialrathefdke
eingebracht haben. — O homines, ad servitutem paratos!
Ich habe Hrn. Profeſſor Schul genannt, weil ich eim Beifpid
brauchte — eine befondere Malice gegen biefen Mann, von dem ich mie
eine Zeile gelefen, ven ich nie gefehen, wird Niemand bei mir fuchen. 34
füge Hinzu, daß Hr. Schulz feiner Partei beffer gefällt als mir, we
denn bie Breslauer Stadtverordneten ihm haben ihr Ehrenbürgereht
ſchenlen wollen und die Studenten ihm jährlich einen Fackelzug bringen,
wozu in neuefer "Zeit noch Adreſſen, Deputationen und Chrenpofak
Tommen. Man flieht, daß es wicht unfere Abficht if, den Ruhe des
Genannten zu verffeinern. Hr. Schulz hat fo viele Leute für fich, daj
ex ſich leicht darüber tröften kann, den Schreiber biefer Zeilen nicht une
diefen Bielen zu wien.
Die Andern halten dafür, daß die Pädagogifche Revue mit Manchen
was fie zur Berbefferung des Unterrichtsweſens vorgefchlagen hat, leichten
durchdringen würde, wenn ber Herausgeber in feinen eigenen Arie
fi) mehr Auf die unverfänglihen fcholaftifchen Interna befchränfen uw,
wle die Verfammlung in Meißen, Politif und Religion unberührt laffen
wollte. Wie richtig nun biefe Männer auch fehen, von denen mehren
nicht eigentlich des Herausgeberd Anfichten, fondern nur die Aeußerung
derſelben mißbilligen, und wie Mar ber Herausgeber der Revue auch eins
fieht, daß feine Art, die Pädagogik zu behandeln, bei ven benticyen
BPreßverhältniffen viel Mißliches hat: fo kann er ſich doch wacht ent:
fließen, von der mit gutem Bebacht eingefchlagenen Richtung auch mr
einen Finger breit abzuweichen. Wenn ich auch der Religion und Periti
aus dem Wege gehen wollte, ich Fönnte es nicht, und daran ift thals
die Natur der Sache, theils die Unnatur unferer fholaflifchen Zufäzk
ſchuld. Ich nehme das Lepte zuerft vor. Man öffne Prof. v. Mehls
„Polizeiwiſſenſchaft nach den Grundfägen des Rechtsſtaats“; das pmite
Bud) diefer Schrift, die eine Theorie enthält, der die Praxis feR aller
heutigen Staaten zu Grunde liegt, handelt „von der Sorge bes Staates
für die geiftige Perfönlichkeit der Staatsbürger" (Bd. 1. S. 401 — 619 |
und lehrt im zweiten Capitel, wie bie „Verftandesbildung“ Durch Untr
xzV
richtsanftalten von Polizei wegen „geförbert” werden fol.* Folglich Bin
ich, ſobald ich die Einrichtung der Schulen und das Schulregiment be-
rühre, im Gebiete der Politift — was Niemand mehr beflagt und ver-
wünfcht als ich felber, da ih für meine Berfon, fo wie ich.nie den
Buß in eine Kirche feße, deren Diener Staatsdiener find (es fei denn
in Angelegenheiten des etat civil), auch nicht geiwilligt bin, mich
oder meine Angehörigen von der PBollzei „bilden“ zu laſſen. Sepen
wir aber, unfere beutfchen Staaten emancipirten bie Schule, wie
fie früher oder fpäter vie bisherigen Staatsfirchen. werben frei laffen
müffen, würde der Paͤdagogiker alsdann ſich von der Politik fern halten
fönnen? Eben fo wenig, als er die Religion je unberührt laflen kann,
wenn er nicht etwa zu ben großen Männern der „neueften Richtung”
gehört, welche decretirt haben, daß es feinen Gott mehr geben fol. Die
Grenze zwifchen Paͤdagogik und Politif wäre verlegt, Das wäre Alles;
die beiden Gebiete berührten fich aber nach wie vor und müßten auf
einander Rüdficht nehmen und Verbindungen unterhalten. Der Staat
als Inhaber ver forialen Macht hat wie Pflichten fo auch Rechte gegen
Kirche und Schule, und eben fo hat die Schule Rechte und Pflichten
gegen Kirche und Staat, und es tft Sache ver Pädagogik, au fagen,
worin diefe Rechte und Pflichten beftehen. Staat und Kirche find zwei
fittliche Mächte, mit denen man ſich nicht dadurch aus einander feßt, daß
man ſie ignorirt und Nichts mit ihnen zu fchaffen haben zu wollen .er-
Härt — der Menfch Fönnte eben fo gut mit Luft und Waffer Nichts
mehr zu fchaffen haben wollen. Subalterne paͤdagogiſche Zeitfchriften
* Während biefer Bogen gefebt wurde, Haben bie Beitungen bie überrafchende
Nachricht gebracht, daß Hr. von Mohl von feiner Profeſſur abberufen und von
feiner Regierung angewiefen worben if, als Regierungsraih nach Ulm zu geben, fo wie
daß ber fo wider feinen Willen Berfegte es vorgezogen hat, feine Entlaſſung ans dem
wöürtembergifchen Staatsdienſte zu nehmen.
SH hatte im Oktober: und Novemberhefte (Bd. XI, S. 408) für eines ber nachſteü
Hefte eine Kritit auch der Mohl'ſchen Anficht verſprochen, konnte aber damals noch nicht
ahnen, daß die Greigniſſe mir mein Gefchäft fo erleichtern würden.
Es ſcheint, die deutfchen Regierungen wollen nieiner Theorie vom Schulregiment
zu Hülfe kommen. So gab ich mir im Aprilhefte 1843 (Bo. VI, ©. 321 — 336) die
Mühe, Hrn. Wander's Schrift „bie Volkoſchule als Staatsauſtalt“ zu widerlegen. Wie
gut unn meine Argumente auch geweſen fein mögen, bie feltherigen Ereignifie waren
noch) beſſere, und ich Hätte wenigftens fo viel gewonnen, daß man mich meiner Auficht
wegen nicht mehr für einen Dummkopf halten darf.
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eile oder deren Raum 2%, Ngr.
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mögen bie Paͤdagogik als eine aparte Technil behandeln, bie in einigen
Handgriffen der Schufmeifterei aufgeht: bie Paͤdagogiſche Revue Hat biefen
Heinen Dienſt nie für unwichtig gehalten und wird ihn nie aus dem
Auge verlieren, aber fie mag fich nicht auf denfelben beſchraͤnken. Lehre,
denen ber Sinn oder das Verſtaͤndniß für bie Paͤdagogik, wie fie hier
gefaßt ift, abgeht, müflen eben Zeitfchriften Iefen, die ihnen mehr zu
fagen. Eines ſchidt fich nicht für Ale.
Schließlich bleibt ein Wort, das in der Vorrede des X. Bandes
(S. VI) gefagt wurde, zu berichtigen. Der Herausgeber hatte, als er
den Berlag der Revue ver Caf’fchen Buchhandlung in Stuttgart entzog
für den Vorzug, den er der Verlagshandlung zu Belle-Bue bei Gen
Ranz gab, keinen andern Grund als die Rüdficht, daß auf diefe Weik
feine Zeitfchrift fortfahren werbe, unter der Eenfur eines beutfchen Bundes
foates zu erfcheinen. Run Tiegt aber Belle-Vue, wenn auch der Befter
in Conſtanz wohnt, vor dem Thore der Stadt auf thurgauifchem Ge
biete, und ber babifche Eenfor in Conftanz hat, als das erfte Heft ihn
zur Eenfur vorgelegt wurde, fidy nicht veranlaßt gefehen, ben Wunſch
des Berlegers zu erfüllen. Der Herausgeber hatte ald Angehöriger eines
deutfchen Staates das Seinige gethan, um den in Deutjchland geltenden
Gefegen gehorfam zu fein; weiter zu gehen und fich etwa in Karlsruhe
zu beſchweren, hielt er nicht für ſchicklich und fo ift der Jahrgang 1845
eenfurfrei erſchienen. Begreiflicherweife iſt es fr den Herausgeber be
quemer, das Journal an feinem Wohnorte brusen zu laffen und fo er
Elärt es fih, daß es für 1846 in den Verlag der Schultheß ſchen Buch⸗
handlung in Zürich übergegangen iſt, durch bie Cober durch Meyer und
Zeller) ich mir Hinfort Zufendungen für die Revue erbitte.
Die HH. Mitarbeiter wollen verzeihen, daß ihre Beiträge manch⸗
mal erft nach Monaten zum Drude kommen Können; das Publicum aber
mag dieſem Umſtande entuehmen, daß auch diefem fiebenten Jahrgange
ber Pädagogifchen Revue die Mittel gefichert find, billigen Anſprüchen
zu genügen.
‚Züri, ven 5. December 1845.
Dr. MAGER. |
Reformation Gerste
Geſſchichte
bes
Evangelifchen Proteftantismus
Deutſchland
für
denkende und pruͤfende Chriſten
Dr. Ehr. Gotthold Nendecker.
unſer Glaube ſei rein wie Gold
und ſtark wie der Tod.
Ammon.
2 Theile in gr. 8. 94 Bogen. — Preis 3 Thlr.
Leipzig
Verlag von 8 3. Köhler
Jan denkende und pruͤfende Chriſt, jeder gebildete Deutſche, dem
er rellgloͤſe Glaube und das Birchliche Leben eine Sache von hoͤchſter
Bedeutung, — eine Lebensfrage Ift, richtet mit dem febendigften Ins
ereffe feinen Blick auf die veligiös-kicchlichen Bewegungen, welche ſich
egt in der evangelifchsproteftantifchen und hierarchiſch⸗roͤmiſchen Kirche
lleich ſtark erhoben haben, Nur die Kenntnig des Geiſtes und bes
Befens des evangelifchen Proteftantismus, fo wie deſſen ganze von
eher bis auf den heutigen Tag erfolgte Hiftorifche Entwidelung
!ann ein feſtes Urtheit, die Beruhigung und Zuverfiht gewähren, bie
eder Gebildete und Werftändige bei den veligiöfen Wirren ber Zeit
{in 8 Abtpeilungen). Gr. 12. 1885—45. 6 Thlr. 1
. oo. %
jeile ober deren Raum 2%, Rgr.
ki ten „Blätter für Literarifihe
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s dem Gebiete der Heil-
nit mehren praktischen Ärzten
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Mitter Sahrgang. 1845. 52 Rum ⸗
Mit vielen Abbildungen. Schmal
= aus der Katha_ Sarlt "Sägara des
ĩ deutsch. Gr. 6. 185. B'Ngr.
Die Mürchensammlung des Bema-
ſucht. Ein Lehrbuch, welches die Geſchichte des evangeliſchen Pro
flantiemuß gerade in Deutfchland, im gtmeffenes und treueſter Dar:
flellung gibt, ift darum gewiß für jeden gebildeten Deutfcen,
für jeden denkenden und prüfenden Chriften ber evangelifch-proteften:
ilſchen, wie der roͤmiſchen und der chrift:catholifhen Gonfeffion, der dr
Bewegungen der Zeit recht verfiehen und einen feflen Standpme
ewinnen will, ein deingeudes Behögfnig. Mac gab. e6 bisher kin
Srfatare des evangelifchen Proteſtantismus von und für Deurfd-
land. Der Verfaffer des oben bezeichneten Werkes, ſchon laͤngſt be
kannt durch tiefe hiſtoriſche Studien, ja felbft durd die Befanntms
hung neuer hierher gehöriger Gefchichtsquellen, konnte ein Werk lin
fern, da6 Niefes Vebhrfniß beftlediget. Ueber hey Plan bes Weun
he « & * Warcedg daß eg jehen geblpeten, henkeuten und mh
en Chriften
„in verftändlicher Darftellung uͤber Entftehung, Entwidelung, Aut
breitung und wefentlichen Gehalt der evangeliſch⸗proteſtantiſcha
Kirche, mit Beziehung auf den roͤmiſch⸗kirchlichen Lehrbegriff unser
richten, daß es zeigen fol, wie und mit welchem Erfolge bie +
mifch:hierarhifäye Reochen ihn ſtats enggegentnat, mit welden Mi:
teln die evangelifcy-proteftantifche Kirche fie befämpfte; weiche Ex
ſchiedenheit, Feftigkeit und Treye unfere Väter in dem m
tungenen Glauben bewährt, mit welcher evangelifhen Btandif:
tigkeit fie, des Glaubens wegen, Bedrückungen, Verfolgungen, ſcui
den Tod erdulber, mis welcher Befonnenheit und chriſilichen Des:
weife fie anderwärts die priefterlihen Verſuche abgemwiefen haba, |
die fie in den Schoos des Romanismus zurüdführen wollten; we |
der Geift der göttlichen Wahrheit, der in ber ev.=proteft. Kirk |
hertſcht, auch jene Gefpeinungen, die in ihm ſelbſt aus einfeitigen |
theologifhen und philofophifhen Richtungen, aus Schwärmerei ode |
Seeigeiteet hervorgingen, mit Nachdruck als Auswücfe und wilde
Schoͤßlinge bekämpfte und uͤberwand z melden Standpunkt ir
evangelifhe Proteſtantismus als Denkart und Kirche unter dem
Einduffe der fortgefchrittenen Wiffenfhaft und Philofophie nah
und nad eingenommen hat; weichen fegensreihen Einflug der
evangel. Droteltantiemus aber auch auf das fuatliche, geifkiae und
fociale Leben übte, der fo tief in alle Werhältniffe eingrift, dag
er felbft auf die deutſcheroͤmiſche Kirche, — foviel die auch bie |
ultramontane Reaction unferer Zeit, den hiſtoriſchen Xharfachen
zum Trotze, abläugnet, — zum Velten. einmirtte. Aus dem Gi
fteebrud, den Roms. Prisfleskindhe mit. Haͤrte ausübte, ging in m
ferer Zeit die große Erfheinur- — —n "
Jahrhundert poiltiſch gehindert noch
der That nur das Reſultat der
evangel, Proteftantismus if, — bie
in Deutfhland. Denfelben Geiftest
im evangel, Proteftantismus; jener
wichtigen Erfheinung in ber
Rantifhen Sreunden, das T
Erfheinungen finden im 2. Theile ei
gewiß wärdige Darftellung,
In welcher erfreulichen Weife der Verf. feine Aufgabe gelöft hat,
arhber ſprechen die hödft günftigen Beurcheilumgen in fehr geachte⸗
n literarifchen Beitfhriften, wie: Berliner Literar. Ztg. 1845,
to... 395 Leipzig. Repertor. 1845. Heft 26. ©. 515 ff;
:heolog. Riteraturbi. zur Rfehehjtg. 1845. Mo. 22 u, 235
jiedermann’s Monatsfhrift ©. 451 f.z MRubelbarh umb
zuerike's Beitfchrift f. d. gefammete Lucher. Theologie. 1844. Heft ö
‚viele A. Die Berliner Lit. Bty. fagt a. a. D.: „Vorlie⸗
endes Werk if die Frucht langjähriger, anhaltender Unterfuchungen
nd gruͤndlicher Quellenftudten. Die politifhen und die kirchlichen
femehte erfreuen filh, wie nicht weniger bie wiſſenſchaftlichen gleicher
herudfihtigung.” Ueber bie außete Entwickelung des evängel.
‚roteftantiömus heißt 86: „Hier iſt dem Verf. vornehmlich wegen
ir Sorgfalt zu danken, mit der bie Verbreitung des Protes
antismus in ben einzelen beutfhen Staaten nahges
leſen wird; bisher war das in feinem Werke det Art fo ausführ-
ch zuſammengeſiellt. Manches Tteffliche und Beherzigenswerihe
ndet ſich auch in dem „Bildung bes evangel. Proteftantismus zur
Nice” Üiberfchriebenen Capitel: beſonders was über die Bedeutung
nd die Hiftorifche Wichtigkeit der Predigt allem liturgifhen Fors
ven und Formelwerk gegenüber gefagt wird.” Ueber die innere
Intwidelung heißt es: „Hiet laͤßt ftch der Verf. auf eine Polemik
sgen die unterfheidenden Doamen der catholifhen
kirche ein, und hier wicd der Nicht: Cheologe befonders Fehr viel
3eleheung finden. — Die Darftellung ift durchgehende ein
ach, der Stoff uͤberſichtlich geordnet, der Gang Mar und beftimmt.”
In Biedermann’s Monatsfhrift heißt es: „Der duch
ndere hiſtoriſche Arbeiten ſchon rähmlichft bekannte Verf. wird feir
en Zweck nicht verfehlen; fein theologifcher Standpunct ift der allein
echte, baſitt auf dem echt evangelifhen Princip der freieften For-
Hung und auf dem $undament der Schnft, feine Darſtellung iſt
usgezeichnet durch hiſiorifche Treue nicht minder, al buch Iebend»
ollen Pragmatismus und flete Berhdfihtigung der kirchlichen Gegen⸗
dartz fein Urtheil iſt unparteiifch, auf Thatfahen fußend, vom chrifts
hen Sinne zeugend, feine Sprache endiich Mar und wuͤrdevoll.“
In gleicher Weife ſprechen fi die anderen angeführten kritiſchen
Zlätter aus. Selbft polirifhe Blätter haben auf die trefflihe Ars
eit des Verfaſſers aufmerkſam gemacht, wie 3. B. die Weferzeis
ung im Sonntagsdlatt vom 19. Jan. 1845, die Boffifhe Zei—
ung in Berlin v. 13. Debr. 1BuL, bie das Wert „als ein ern—
tes, wuͤrdiges, durch den edelften Geift der Auffaffung und Darſtel⸗
ung getragenes” bezeichnet, und ſich ausdruͤcklich vorbehalten hat,
aflelbe noch ausführlicher zu befprechen.
Solche Urtheile fachverftändiger Männer weiſen auf bie Wichs
igkeit und treffliche Wearbeitung des oben, bezeichneten Werkes hin
ind nehmen für daffelbe die Aufmerkfamkeit' des Publitums bei den
jegenwaͤrtigen ichlichen Bewegungen gewiß in Anſpruch. Uebrigens
mpfiehlt e6 ſich noch durch einen hoͤchſt billigen Preis (der Bogen
I Sr.) und eine fehr fplendide Ausftattung. Seine Reichhattigkeit
thelt aus folgender Inhaltsangabe: .
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(in 8 btheilungen). Sr. 1% 184. 6 Thir "be |
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riſten „Siãtter für Iiterariffe
1845
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b dem Geblete der Heil-
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von A. Blumenthal, I.
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außgegeben.
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5Rgr. Einzelne Sabine
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je Beile oder deren Raum 2%, Kor.“
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Leipzig
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Erſter Theil
Erſter Abſchnitt.
Ueber den evangeliſchen Proteſtantilomus uͤberhaupt und bie Sedia
gungen zu feiner Entwidelung und Fortbildung, bis zum Eintriv
bei formation,
Erſtes Capitel; MWefen und Bebeutung bed evangelifgen Proteflantis
"mus; hohe Wichtigkeit der Gelcichte deffelben.
Zweites Gapitel: Glemente jur Gntwidelung bes evangelifden Pru
teftantismus in Deutfchlands firdlid:politifhen Verhättniffen.
Drittes Gapitel: lemente zur Entwidelung bes evangelifcdhen Prote
ftantismus in den religids-Eirhlidyen Verhättniffen Deuiſchiands.
a) Römildskichhliche Auftände, J
b) en I der römischen Kirche nad) evangelifcj-proteftanti |
en Ineipien. u
Biertes Gapitel: Giemente zur Gntwidelung bes evangelifhen Pre '
teffantismus in ben wiflenfchaftlidhen Zuftänden Deutichlande,
a) Durch Scholaftit und Myſtik.
b) Durqh bie claffifche Eiteratur. - h
©) Durch voltsthümliche Schriften. '
Zweiter Abſchnitt.
Geſchichte des enangelifchen Proteftantismus in Deutfdyland im fein '
äußeren Entwidelung und Verbreitung, wie in feiner Anfeimdum
und Bekaͤmpfung durch die römifche Kirche; 1517—1618,
Erftes Gapitel: Gang ber Reformation in Deutfchland bis zum Im
brudye des bteiigjährigen Krieges; 1517—1618.
Bw is Sapı H si: Bildung des evangelijchen Proteftantismus in Dentfä
nd zur Kirche,
Drittes Gapitel: Verbreitung der evangeliſch⸗proteſtantiſchen Kicche
in Deutfhland.
Ehur⸗ und Herzogthum Sachſen. Hennebergiſche, Reufifche, Schwarz:
burgifche, Anhaltiſche Herrſchafien. — Erzſift Magdeburg; kai:
ferlihes Stift Queblinburg. ,
Sölefien ; Chur» und Neumark Brandenburg; Pommern, n
Medienburg; Holftein ; die Hanfeftäbte, |
‚Hannover mit Braunfchweig Wolfenbüttel.
Fürftentpümer Lüneburg, Galenberg, Göttingen, Braunſoͤrweia
Wolfenbüttel und bie dazu gehörigen Diftricte von Hildesheim, Statt
und Stift Hildesheim; — Goslar; Fürftentyum Grubenhagen un
ber Harz; Stadt und Bisthum Osnabräd; Werden; Fü
Send; Grafſchaften Hoya, Bentheim und Diepholz; Du
erftadt,
Weftphalen, Lippe und Rheinpreußen (— Mark, Ravensberg, Ei
a Egnpreuſen — But— w Em
Walde, Landgrafenthum Heſſen (Churheſſen und Sroßherzegthen
Heſſen; Raflau), Frankfurt.
Die Pfalz — Baden; Straßburg.
Schweiz. “
Würtemberg. .
Batreutp und Anſpach; Bamberg; Würzburg; Kuͤrnberg.
Deſterreich.
Ungarn.
Boͤhmen und Maͤhren.
Biertes Gapitel: Jeußere hierarchiſche Reaction gegen bie Entwidelung
und Verbreitung ber ebangeliſch⸗proteſtantiſchen Kirche in Deutſchland.
Buͤrgerliche Bebrüdung; Unterrebung und Beft ; Inquiſition;
Hinrichtungen; Mencheimord. — Jeſuiten; ihre Privilegien, Ver⸗
faffung und Moral, B
‚ Dritter Abſchnitt.
Geſchichte des evangelifhen Proteftantismus in Deutfchland in feiner
inneren Entwidelung und Vertheidigung gegen bie roͤmiſch⸗kirchliche
Reaction; 1517—1618,
Erftes Gapitel: Ausbrud der evangelifch-proteftantifhen Kirche im
hre und Glauben, Gultus und Berfaffung, — gegenüber ben Beftim»
mungen bes Tridentiniſchen Goncils.
Lehre und Slaube, Gultus und Berfaffung im Algemeinen; Lehre und
Glaube insbefondere, mit den Mißhelligkeiten und Gtreitigkeiten im
Iuneren bes roͤmiſchen Kirchenglaubens. — Gultus. — Berfafs
fung. — Aberglaube in ber evangel,sproteft. und römifchen Kirche,
Zweites Sapitel: Kämpfe unb Hauptſtreitigkelten im Inneren bes
evangelifchen Proteftantisemus ; — fpmbolifche Bücher.
Moftifch-theofophifche Richtung und Scmwärmerei; Micbertäufer, Hof-
manniften, Davibiften, Familiften, Schwenkfeld, Paracelfus, Weigel,
Böhm. — Beligiösspraktifdye Richtung; Arnd, Joh. Val, Andrei. —
Breigeifterei; Naturalismus; Theob. er, Geibel u. A.; Antis
triniterismus. Socinianer. — KBucfaben-Orthoborie. Luther und
Erasmus; Garlftadt, Krypto-Galvinismus, Antinomismus, Dejoris-
mus, Dfiendrismus, Siancarismus, Gynergismus, Flacianismus.
Befultate, Goncorbienformel und bie ſymdoliſchen Bäder überhaupt ;
Miderſpruch gegen fie; Ofiander. “
Drittes Gapitel: Mömidspriefterliche eactionen und evangeliſch⸗
B proteftantifche Gegenfäge im Inneren der Kirche.
Im Algemeinen. — Im hiftorifcer und hifterifdebogmatifdher Bes
siehung: Die Magbeburgifchen Genturien; Annalen des Baronius;
Sleidan und deffen Gegner. Ghemnig’s6 Sramen des Trid. Eoncils.
— In juridifher Beziehung: Aeußerungen auf Reihstagen. — Die
Schrift: „Von Freiftellung mancheriei Religion 20.” — Das Tri⸗
dentinifhe Goncil. und bie Zheilnahme der Proteftanten an demfels
ben; Schluß des Concils: Verzeichniß der verbotenen Schriften: zds
miſcher Catechismus; Breviarium; Beftätigungsbulle ; Profes
— Unionsverfude: Erasmus und beffen Schrift: „Bon der
wür! Eintracht der Kirche”; Religiondgefpräche zu2
(1580), Hagenau und Worms (1540; 1541), zw Kegens
3. 15%1 und 1546, zu Worms im I. 1557. fuch zu ein
awifchen der griechiſch⸗ catholifchen und evangelifchproteftani
Deutfchlands. Neue Unionsvorfhläge nad dem Gcdhluffe |
dentiniſchen Goncils durch Georg Gaflander und Geor
(1565 u. 1566). Spaͤtere erfolglofe Religionsgefpräche.
Biertes Sapitel: Ginfluß des evangeliſchen Proteftantiemus
faatliche, geiftige und fociale Leben.
Sweiter Theil
Erfter Abſchnitt.
Seſchlchte des evangelifchen Proteftantismus in politifchsti
Entwidelung vom Ausbrudhe dee, Deifigiährigen Krieges |
Erftes Gapitel: Geißt Be ange en Proteftantiomus In S
Kirche, Gegenfag der roͤmiſch- hierarchiſchen Kirche in dieſem 3ı
überhaupt,
" ausgegeben ve REEL. "EIEEn
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eitſchriften „Btätter für literariſch⸗
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Bweites Gapitel: Mer dreitigſ Krteg und bie Kaatsrechtfiäie Im
aakanang ver sfammten evangeliih-proteftantiichen Kirche durch den
ep en,
Der Kalfer und das eich; Friedrich V.; Die Eige und bie Sefuiten;
der Runtius Garaffa. Böhmen, Deutihland, Pfalz. Tiuy u. Ba
ienſtein. Bicelien. Friede 1629 und das Beftitutionsevict. De
Kaifer und der Papft; influß Frankreichs und der jefuitiichen Kräfte,
Suflav Abolpp in Deutidland: ‚ager Friede. erdinand in
@eltere Briedensverfuche und der päpfti. Legat Fabio Ghigi. Te
phälticher Friede päpflt. Didet ſpruch. ZBuftände und Folgen,
Drittes Gapitel: Yolitiih-kirhlige Zuſtaͤnde Deutfilands von ber
Zeit des Seſtphaͤliſchen Friedens bis zum allgemeineren Eintritte da
Auftiärungsperiode (Mitte des 18. Jahrhunderts).
Allgemeine Bemerkungen, Alerander VII. Leopoid I.; Eheiniſche
Bund. Srangöfiiher Krieg in Deutichland; bie Jeſuiten. Die neunt
Spur. Rysmwicer Staufel. Ghurfurſt Auguſt Uebermacht bes weis
ii i
gel.
8 XI. und Zofepd 1. .
eſchwerden ber CToangeliſchen, Rey
falten. Rom und bie beutfcen fürften. Seuedict KiV. Das
Khereſia und ber Erbfolgekrieg. Friebrich der &ropt; Noͤhriger Krız.
Biertes Gapitet: Politiſch- kirchtiche Zuſtaͤnde Dertſchlands wäh
der Auf igeperlode bis auf unfere Tage.
rich I. und Ik Friedrichs iI. oder des Großen ftaatsphilof. Is
ten. Adleranz. Die rom. Hierarchie. MWenebict MIV. und ie
deutfchen Reichöftände. Giemens XIlI.; Garbinat Gorregiani. Fr
brenius. Gtemens XIV. Pieracchifde Angriffe; bie Zefuiten, ihr
Aufgebung und deren Folgen. Pius VI. Kaifer Zofeph II. und das
Vrieſterthuta; die deutſchen Ganoniften. Emfer Punctation. Kaifer
Franz. Die franzdf. Kriege durch die Mewolution. Rapoleon und
das Goncorbat sit Pius Vil. Rheinbund. Aufldſung des deutſchen
Reiches. Yarifer Friedeng deutſcher Bund. Wiener Gongrefäck,
ber Bundestag und die deutſch⸗catholiſche Kirche. Die Reaction uzt
die newere Oppeſition bes Hierarchenthums.
Zweiter Abſchnitt.
Det äußere Kampf zroifhen dem römifchen Hierarchenthum und dem
evangeilſchen Proteftantismus, in ber Mitte jenes und dieſes felbft.
Erſtes Gapitel: Character bes äußeren Kampfes zwiſchen dern römis
pen Prieſterthum und dem evangelifchen Proteftaatiemus. Profely
tenmadgerei unb Apoflafie.
Der evangel. Protefantismus gegenüber der roͤmiſchen Hierarchie
Profetgtenmadperei und Apoftafle unter edangel.:proteftantifdien Far
fen und anderen Ständen durch Heberrebung und Beftehung. Grüne
der Apoftafie. Roͤmiſche Apoſtaten. Erklarungen von protekant-
ſchen und römifhen Apeftaten,
Bweites Gapitel! Anwendung ber Sewatt gegen bie evangelifc-prete:
ſtantiſche Kirche von Seiten ber römifchen Hierarchie in beutfchen Eänderz.
Gelinde und firenge Mittei, Hinridytungen, Meuchelmord. (Gange
fchsproteftantifcher Gegenjag; das Gimuitaneum; Beldwrrken.
Yäpfliihe Fiuchbulle. KWertreibung der Salzburger. Auswanderung
der Zillerfhater. WBebrüdungen in Ungarn. Bluttage in Thorn.
Bebrädungen in Schleſien. Die Hierarchie in Preußen und Ead
fen, am ine, in der Pfalz und in Baiern.
Drittes Bapitei: Die Iefuiten, jefuitifhen Berefne und Sontordate,
— gegenüber die Guſtav⸗Adolph⸗Stiftung.
Wiederherkellung der Iafaiten; jefuitifige Barsine. ftlihe Gon-
—E Baiern und Preußen. Grhebung des Bri töums ges
gen Preußen. Oberrheinifche Kirdenproying; andere Goncorbate,
8ehren für den &taot. - Die Gußan-AbolphBtiftung und ihre
or in.
Sieriẽi hi et: Aeußerer Kampf des beutfchrömifcen Hierarchen ⸗
thumß gegen freiere Regungen in ber eigenen Bitte; — zwiſchen ben
Lutheranern und —e W und der freieren geiſti·
m Richtung im evangelii 0 mu
—e— —8 des Prieſterthums gegen freiers gRegungen in
Baiern und oaderwärts. Pebronius; Iſenbiedl, Michrk, Sailer,
Weflenberg, Hermes und befien Anhänger; Monge, — Aeuferer
Kampf zwikhen Reformirten und Qutherannen, Orthaboren und Pies
tiften, Die Drtpoborie, Philoſophie und furiere Micktung.
Dritter Abfhnitt.
Die innere Entwidelung des evangelifchen Proteftantismus durch die
Philoſophle und MWiffenfhaft in Deutſchlond.
Grfes Gapitel: Der evangeliſche Proteantismus im Munde mit ber
Philoſophie und Wiflenfhaft bis in bie Mitte des 18. Jahrhanderts,
nad bem Ginfluffe auf den Glauben und bas Schen ber und
des Staates.
Kheologie. Pfaff. Dogma und Bibeluͤberſetung. Moral und Gas
fuißit. Profan« und Kischengefehichte, Annold, Wodhelm.
wiffenfcaften; Bekter. — Univerfitäten; Gpradgefeilfaft:
en. Kirchlicher Gottesbienft, Predigt und Kirchentied; Gerhard;
Gellert. Grbauungsfgriften.
Kirchenbaße. Fefb und Feiertage. Das Lirchenrecht. Spiscopal⸗,
Zerzitorial» und Gollegialfgftem. — Das Gtaatsieben, Leibnig. Zur “
Rizpflege, Spee u. A. Gociales Leben.
weites Gapitel: Die Philofopgien und Wiſſenſchaften im ewangelis
ſchen Protefantismus Deutſchlauda feit der Mitte des 18. Jahrhunderts
. HN 24 anfee Bin. — Die phitofophifcen Bewegungen in der deutfch ·
zömifcen Kirche,
Zreibenderei und Ratureliemus; Suntfen, Fragmentiſten, Wuͤnſch,
Bahrdt. Meaction, Kant und deſſen Schule; ice. Jacobi,
Ochieiesmacer. Gcheling. Hegel, Strauß, Yrerbadı, Baum. —
eis Aue deutſch roͤmiſche Kirche; Sailer, Weflenberg. @ärres,
er. ed.
Drittes Gapitel: Cntwidelung des Dogmas, ber Kirche, ber Schule
und des gaiftigen Sebens im Siaate überhaupt durch den Einfluß der
Philoſophien und Wiffenihaften im evangelildien Proteftantisinus.
‚Dogmatifdre Entwidelung, Ginisitungswiflenidaft. Semier; Bas
tionaliamus gegenüber der Kircheniehre; Griesbady ; Gupernaturaliss
mus, biblifher Nationalismus, Moval; Kirchengeſchichte und ans
dere Wißſenſchaften. Univerfitäten; gelehrte Gefelfhaften. Schui⸗
weſen; &oufleau; Philanthropiften; Rochow; Peftalogzi. — Gultus;
Predigt; Kircenliebz Firchlide Mufit und Kunft. Kircengebräude ;
erminderung und Weriegung ber deſttage. Merfuch zur Umgeftals
tung der Kirchenverfaffung nach ber englifhen Episcopalficde. Kits
Sentecht; Presbyterials und Gpnobalverfaffung, Ginfing auf das
taatöleben.
Biertes Gapitel: Einfluß der durch dem evangelifchen Proteftantismus
bewirften geifligen Gntwidelung auf die beuticerömifcke Kische (Pror
. tehentiaundd {m Romantemus), Aitciäteeftung Deranktläe Ge
yandiung des eltertes; e
gaenwirtung. Dogmatiemus. Vereine zur X Richtung. (res
augen ei
«in 8 Abteilungen). Gr. 5. 6 Khir
jeiger.
J itſchriften „Wlätter für ilterariſche
ir bie Beile ober deren Raum 2%, Rar.
ed 1845
ı Leipzig
Hegungen.
aus dem Gebiete der Heil-
In mit mehren praktischen Ärzten
ben von II. Blumenthal, a
mwestammm. Gr.B. Geh. 1 Thir.
Magazin für Belehrung und Unter»
Deiter Saprgang. 1885. 52 Rum:
3 Mit vielen Abbildungen. Schmal
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Derabgefegt find folgende Schriften mit
für Kinder. Bünf Bände. Früher
r. 15Rgr. Einzelne Jahrgänge
. Drei Bände. Beüher 6 Wir.
». Ein Band. Früher 2 Thlr. Jegt
Wengenonmen un 2 Xhir.
' den BEnPündigungen algs Xrt
erben big ——
en ü. dgl. gegen Wergütung von Y, Shir-
al. ine Sammlung der intereffan-
ten aller Ränder aus älterer und neues
ben von Zul. EB. Higig und
B Hlezis). er bis achter
2-85. Sep. 15 Ihe. 24 Nor.
‚Te. 2ANgr., ber zweite Did adıte jeder 2 Mr.
anı aya Krishna Misrä
‚schollisque instruxit Hm. Brook-
Im Berlage der untergeichnetemg
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das Räthfel und die Eharabe
Mebus, Vorfgläge zu neuer
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BE KT. Yarkı Die Kill 5 te, Die deu
—E8 —— 8 —8 Soncit. tier
Vierter Abſchnitt.
Die Kämpfe und Bewegungen im Innern bes evangeliſchen Prete
ſtantismus Deutſchlande mit dm De Verſuchen zur Ausgleichung oder
Erſtet Sa a: Die Bewegungen im ‚gamgelifcen —— —
Deutſchlande durch den Begenfag der Myſtik und Schwaͤrmerei, des Pie
tismus ( Oerruhuterthum) und ber flarsen Orthodoxie zur freieren Rid-
tung bis in bie Mitte des 18. Jahrhunderts.
iyftit, Scnwärmerei und Drthoborie. Myſtiſche Schwärmer, Dre
big, Kuhlmann, Sichtel, Peterfen. ReusInfpirirte ıc. 2c. Pietik-
mus; ner, Geparanii fe Richtung bes Pietismus, Dppoftior
und Berföhnung ber Drthodorie mit bem Pietismus,
tum; Gegenfag und Werföhnung mit ber Orthoborie. un
Gemeinde » Berfaffung des Derrnhuterthums. Webentung für be
evangel. Proteftantismus; — Gegenfag der freieren Richtung. .
Zweites Sapiteli Die Bewegungen im evangelifhen Proteftantisum
Deutſchlandas durch ben Gegenſat ber firengen Drthodorie und des m
Pr Pietismus zur freieren Richtung von ber Mitte des 18. Jap
hunderte bis auf unfere Tage, — Apologetit; Miffions- und Bibelgo
[&paften.
Drthoborie —* myft. Pietis mus im Bee jag jus Isle Riten
überhaupt. Aufklärungsfuht und frei Eiteratur iz
Deutfhland. Mouffeau. Nicolai und — — Rothanter”,
bie Eiteraturbriefe, die Allgem, deutſche Bibliothet. — Die —
- Eiteratur; Lehrgedihht und Satpre. — Kiopkods Meffiade.
fing, Wieland, Böthe, Schiller. — Die neuefle Freigeifterei A
p {atethen-Werein, das junge Beutfchland und das Salenevangelium,
. Gegenfag zur Freigeiſterei Dura die fymbotifche gircenlebee und mp
ſtiſche — Die neue Orthoborxie und ber bibl. Bationalie
mus. ‚Drtgodorie und myſtiſcher Pietismus ıc. Hamann, Lavater,
ng-Stilling, Staudius. Bomanificende Richtung. WBulgärer mb
bislifcher BRationalismus. Reue Erhebung und Ausartung der Or⸗
thoborie und des es myniiden P en — — die protekerti⸗
fen Brei ‚pologetit. Wtfionsfade temismus und
im ee Proteftantismus; ie ifnchen
Dessen Gapie: Di Die Unioneverfuche in dem evangellſchen Yrotekas-
us
Ueber die Un: X zwiſchen —S— und mb evangeliihen
Yrotehantismus überhaupt. Union
—* awiſe ber —— — und ecaieten im —X Jahrhun ·
sen und eigen Kirye in Xp Folgen der Unterhanblungen.
Reue Berſuche von —e— Gele ;-Gefpräh gu Gaffel. Berfude
Fr Berlin. Gpinola, Leibmig, Deolanus, —X — König Frick
B von Preußen. Unionsverfude im 18. Jahrfundert mit der
— Spiscopalkicde. Neue Verſuche zwiſchen Lutheranern u
Reformicten; bie — Kirche. (along Union zwi:
fihen ber zeformirten und lutheriſchen Kirche im 9. Zabrpundet,
Gegenfag der Drthoborie, Agenbenftreit und Gectivere, De
deutſch⸗catholiſche und ev,»proteftantifche Kirche,
Obiges Werk ift in allen Buchhandlungen zu haben,
Keiprig, 15, Novbr, 1845,
8. 3. Köhler
x
Eiterariſcher Anzei
ger.
18346. M IV. |
- gi . . ” .
iefer Literarifche Anzeiger wird ben bei FJ. ®E. Brockhaus in Eeiptig ericheinenden Beitfchriften „Blätter für Iiterarifide
——— ed an beigelegt oder beigeheftet, und betragen die Infertionsgebühren für bie Beile oder deren Raum 2, Rer.
mamma ————
Bericht
über die im Laufe des Jahres 1845
bei
SER. Brockhaus in Leipzig
erfchienenen neuen Werte und Fortſetzungen.
(Beſchluß aus Re. II.) | Du
40. Eine Kebensfrage. Roman von der Berfaflerin der | 48. Mittheillungen aus dem Gebiete der Meil-
„&lementine” und „Senuy”. gwei Theile. Gr. 12. Geh.
3 Thlr. 15 Nor.
Ben der Berfafferin erſchien in demfelben Verlage:
emeutine, Sr. 12. 1842. Sch. 1 Zhlr. -
Ser. Zwei Theile. Gr. 12. 1833. Geh. 3 hl, 15 Nor.
4. Reng (€. ©. 6.), Geſchichte ber evange:
liſchen Kirche feit Der Meformation. Gin Fami⸗
lienbuch zur Belebung des evangelifchen Geiftes. Zwei Bände
in ſechs Heften. Erſter Band. Gr. 8.. 2 —8
42. Ee walb's (.) geſammelte Schriften. In
einer Auswahl. Zwölf Bande. Erſte bis dritte Lieferung,
oder erfter bis neunfer Band. Gr. 12. 1844—45. Geh.
Sede Lieferung 3 Thlr.
Die legte Lieferung (Band 10— 12) ift unter der Preſſe.
43. Neue Jenaische Allgemeine Literatur-
Teeitung. Im Auftrage der Universität zu Jena redi-
girt von Geh. Hofrath Prof. Dr. F. Hand, und Geh.
irchenrath Prof. Dr. M. A. Mase, Hof- und Justiz-
rath Prof. Dr. 4, L. I. Michelsen, Geh. Hof-
rath Prof. Dr. D. &. Mieser, Prof. Dr. HM. Bnell,
. als Specialredactoren. Jahrgang 1845. 312 Nummern.
Gr. 4. 12 Thlr.:
Zird Freitags ausgegeben, kann aber auch in Monatsheften bezogen
werben. >
Anzeigen merden mit 1Y, Met. für den Raum einer gefpaltenen Zeile
und befondere Beilagen u. dal. mit 1 Thlr. 15 Nur. berechnet.
44. Röbe (William), Sefhichte der Eanbwirth⸗
{Haft im altenburgifhen Ofierlande. Nach den
beften Quellen bearbeitet. Gr. 8. Geh. 1 Zfir. ‘
Dieſer Schrift wurde bei Gelegenheit ber Berfammlung deutfcher Land:
und Yorftreicthe zu Altenburg von dem Preidrihter Collegium ein Preid von
50 Bulaten zugeiproden.
Bon bem Berfaffer erſchien bereits in demfelben Verlage:
Die altenuburgiſche dwirthſchaft in ihrem gegenwärtigen
nf rer tere tigung ihrer Nebenzwei nd ber
ai re Srfeparhung bargefteit. tan 8 1833. 1 She. 15 Rar. j
Ratnrgen ichte für Raudwirthe, Gärtner uud Techniker.
Mit DW lithographirten und iHumintrten Tafeln. @r. 8. 1842. 2 Thlr.
45. Löße (J.), Lateinisches Elementarbuch.
Gr. 8. Geh. 12 Ngr.
46. Malfatti von Monteregio (Johann),
Studien über Anarchie und Hierarchie des
Wissens. Mit besonderer Rücksicht auf die Medicin.
Mit zwei lithographirten Tafeln. Gr. 8. Geh. 1 Tblr.
41. Mendels ſohn's (Mofes) gefammelte Schrif⸗
. ten. Nach ben Driginaldruden und aus Handfihriften her:
ausgegeben von &. B. Mendels ſohn. Sieben Bände
(in 8 Abtheilungen). Gr. 12. 1843 —45. 6 Thir.
+
kunde. Im Verein mit mehren praktischen Ärzten
Moskaus herausgegeben von E Blumenthal, I.
Anke und &. Levestamm. Gr.8. Geh. I Thir.
49. Das Pennig : Magazin für Belehrung und Unter:
haltung. Neue Folge. Dritter Sabrgang. 1845. 52 Num-
mern. Ks 56. Mit vielen Abbildungen. Schmal
r. 4. r.
ee AA und monatlidy außgegeben.
Der erfte bis zehnte Jahrgang des Se enigeBRa ayind often zufammens
senommen ftatt 19 Shlr. 15 or. im derabgelepten reifs mu
10 Xhle.g der erfte bis fünfte Jahrgang 5 Thlr., der k te Bis zehnte Am
gang 5 hir. ; ein eine gehrsänge ober 1 Abir! 10 Rer. Der Neuen e
erfier Jahrgang ( 1843 ) koftet 2 Thlr. ‚
Ebenfalls im Preife herabgeſetzt find folgende Schriften mit
vielen Abbildungen: .
Drennig: Magazin für Kinder. Fünf Bände. Früher
—8— Jetzt 2 Ihr. 15 Ngr. Einzelne Jahrgänge
12 .
Sonntags Magazin. Drei Bände. Fruͤher 6 Mlr.
e r.
———— Ein Band. Früher 2 Ihlr. Jetzt
r
— *8— Bände zuſammengenommen une 2 Tholr.
In daß Drennin: Dagasin werden Cutändigungen aller Art
enbere elle 2 dat argen Beratung vor a Ra
für das Zaufend beigelegt,> is .
50. Der neue Pitaval. Eine Sammlung der intereffan-
teſten Criminalgeſchichten aller Laͤnder aus aͤlterer und neue⸗
rer Seit. Herausgegeben von Zul. @b. Hitzig und
B. Haring — EAlexis). Erſter bis achter
Theil. Gr. 12. 1842 — 45. Geh. 15 Thlr. 24 Nor.
Der erfte Theil koſtet 1 Xhlr. 24 Rgr., ber zweite bis achte jeder 2 Ar.
51. Prabodha Chandrodaya Krishna Misrk
haus. Gr. 8. Geh. 2 Thir. 15 Ngr.
Das erfte Heft diefes Wertö, den Sanskrittext enthaltend, erſchlen 1885
und koftet 1 Thlx.z das ameite Heft enthält die Gcholien und wird zu dem
Dreife von 1 hir. 15 Ngr. aud einzeln audgegeben.‘
Ben dem Herausgeber erfhienen früher in demfelben Verlage:
Gründung der Stadt Pataliputra und Geschlohte
der Upakosa. Fragmente aus der Kathä Sarit Sägara des
Soma a. Sanskrit und deutsch. Gr. 8. 1835. 8 NEr.
Hathä Sarit Sagara. Die Märchensaimmlung des Mome-
deva Bhatte aus Kaschmir. Erstes bis fünftes Buch. Sans-
krit und deutsch herausgegeben. Gr. 8.
er den Druck sansk
Die Märchensammlung des Somadeva Bhatta aus
Kaschmir. Aus dem Sanskrit übersetzt, Zwei Theile. Gr. 12.
184. 1 Tblr. 18 Ngr.
!
jeder untegeänetem ; —*
a r —
28 a ö Vierter Abſchnitt.
Die Kaͤm d Bewe tm Innern des evangeliſchen Prete
‚Beitung für " Rantismus nen, ben Derfuchen zur ung oder
“Hera, Union.
" « 6 Sapitel: Die Bewegu Ä eliſe teftantismn
unter Mitwirkung der bu, eu lande Dura) ven Denenlanher Myfif und Ghmirnereh bei Pr
. tismus ( Oerrahuterthum) und ber ſtarren Orthodoxie zur freieren Rid-
ober: tung bis in die Mitte des 18. Iahrhnnderts.
*
nm, fen. —8— . 26.
Woͤchentlich eine B ER Gpener. ’ Seporatiftiſche Richtung des Pietismus, Oppoftica
und Ver ſohnung ber Dethoborie mit, dem Pietismus. real
Mit vielen thum; — und Werföhnung mit der Aare. en
F Gemeinde » Verfaſſung des Herrnhuterthume. Bedeutung für ber
reis des Jahrgangs 2 evangel, Proteftantismus; — Gegenfag der freieren Richtung. .
° ein eirgelm: Zweites Gapitels Die Bewegungen im evangelifden Proteftantismm
_— rd ben Begenfan, hr firengen Detgonorie and bee me |
fifhen us zur frsieren Richtung von ber Mitte ET
Er Probenummern 3 hunderte bis auf unfere Zage. — Xpologetit; Miffions» umd Mibege |
jungen und Pofb feifgeft e
Wenige Worte F
Fe ers näcjfte Aufgabe
zu geben, alfo unfern Leſern
esgeſchigte vo un Teen
—** — Gegenw⸗
Doch der a ‚unfen .
Mittheilungen noch keinesw
——
efonderd de B ,
Bilkee aid Yanserräilde
N theilt oder zu Weifebefcpreit
nißfreife unferer jugendlicher
nere Crzählungen morali _
ſchauung an die Beifpiele
verknüpft, fteeben außerbe
lung und Berebelung des
en.
Drthoborie u. myſt. Pietismus im Gegenfag zur freieren Rictum
überhaupt. Märungsfuht und Beelbentere. Die Literatur ia
Deutſchiand. ouffeau. Nicolai und fein „Gebalbus Rothanter”,
bie Eiteraturbriefe, die Allgem. deutſche Bibliorhel. — Die poetilde
+ Literatur; Tehrgebiht und Gatyre, — Kiopfods Meifiade. ri;
, Wieland, Böthe, Schiller. — Wie neuefte Kreigeifterei ; der
Ppilalethen-Berein, das junge Beutfchland und das Laienevangelium.
. fag zur Breigeifterei buch die ſymboliſche Kircheniehre unb my⸗
ſtiſche Philofophie. Die neue —E und ber bibl. Bationalik
mus. Drthi je und myſtiſcher Pietismus 2c. Hamann, Lavater,
Jung-Gtüling, Glaubius. Bomanificende Bichtung. Wulgärer und
biblifger Rationalismus. Neue Erhebung und Ansartırhg der Dr
joborie und des myſtiſchen Pietismus. enſad die protekantis
Breunde, — Apologetit, Mifionsfade im Remenismue an
is mus; Bibelgefellfdaften,
im evangel. Proteftanti
Drittes Sapitel: Die Unionsverfuche in dem evangelifdien Yroteflan-
tiemus Deutfclande.
Ueber die Unionsverfudhe zwifchen dem Romanismas und evangelifäen
Yrotekantismus überhaupt. Unionsverfu wit der
Kirche, zwiſchen den Eutheranern und Beformicrten im 17. Zabrhun
dert. Seſproͤch zu Leipzig. „Duräus. Galist und bie fpmcretäfiicden
3: unb römliden Rise In Eher. Aolgen de Latezhanstungn
sen und röm! in R 'n ber Unter!
Neue Berfuce von roͤmiſcher Geite; te su Gaflel. Berk
in Berlin. Gpinola, Leibnis, Weolanus, Bofluet. — König Frirk
rich von Preußen. Unionsverfude im 18. Jahrhundert mit de
engliſchen Tpiscopalkirche. Reue Verſuche zwiſchen Eutheranern zu
Reformicten ; bie roͤmiſche Kirche. Unionsgefellfchaften. sion gei:
ſchen der zeformirten und lutheriſchen Kirche im 19. Jahrhundert.
Gegenfag der Drthoborie, Agendenftreit und Sectirerei. — Die
deutſchecatholiſche und ev.»proteflantifche Kirche,
Dbiged Werk ift in allen Buchhandlungen zu haben.
Keiprig, 15, Novbr. 1845,
te, Märden und €
gegend kr fanden 8. 3, Köhler
das Räthfel und die Eharade
Mebus, Vorfchläge zu neuer
Feähfihen Interhaltuna he&
x
Eiterariſcher Anze
138346. M IV.
—Ort, ——— — — —
Dieſer Literarifche Anzeiger wird den bei @. €. Brockhaus in Eeiptig erfcheinenden Beitfchriften „Blätter für literariſche
Auterhaltung‘ und „is beigelegt ober beigeheftet, und betragen bie Infertionsgebühren für die Beile ober deren Raum 2, Rgr.
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Bericht
über die im Laufe des Jahres 1845
bei
FR Brockhaus in Leipzig
erſchienenen neuen Werke und Fortſetzungen.
(Beſchluß. aus Kr. IM.)
40. Eine Rebensfrage. Roman von der Berfaflerin der
„Slementine” und „Senay”. wei Theile. Gr. 12. Geh.
3 Thlr. 15 Nor.
Ben ber Derfaffsrin erſchien in bemfelben Verlage:
r. 12. 184%. Sch. 1%
Elementine. Ir ”
Senup. 3wei Theile. Gr. 12. 1843. Geh, 3 Ihlg, 15 Nor.
4. Reng (€. ©. H.),_ Geſchichte der evange:
Kfchen Kirche feit Der Reformation. Gin, Fami⸗
lienbuch zur Belebung des evangelifchen Geiftes. Zwei Bände
in fech8 Heften. Erfter Band. Gr. 8.. 2 Dig
42. Kewalb’s (%.) gefammelte Schriften. In
einer Auswahl. Zwölf Bande. Erfte bis dritte Lieferung,
oder erfter bis neunter Band. Gr. 12. 1844— 45. Geh.
Sede Lieferung 3 Thlr.
Die lepte Lieferung (Band 10— 12) iſt unter der Prefie.
43. Weue Jenaische Allgemeine Literatur-
Deitung. Im Auftrage der Universität zu Jena redi-
girt von Geh. Hofrath Prof. Dr. F. Mand, und Geh.
Kirchenrath Prof. Dr. M. A. Mase, Hof- und Justiz-
rath Prof. Dr. 4. L. JS. Michelsen, Geh. Hof-
rath Prof. Dr. D. &. Hiieser, Prof. Dr. H. Buell,
. als Specialredactoren. Jahrgang 1845. 312 Nummern,
Gr. 4. Thlr. -
Zird Freitags ausgegeben, kann aber cuch in Monatsheften beigaen
werben.
An eigen merden mit 1', Rot. für den Raum einer gefpaltenen Zeile
und befondere Beilagen u. dgl. mit 1 Thlr. 15 Nor. berechnet.
44. Köbe (Billiam), Seſchichte ber Eandwirth⸗
{Haft im altenburgifhen Ofterlande. Nach den
beften Quellen bearbeitet. Gr. 8. Geh. 1 Zhir. '
Diefee Schrift wurde bei Selegenheit ber Verſammlung deutſcher Lande
und Forftmicthe zu Altenburg von dem Preisrihter : Goleglum ein Preis von
5 Bukaten zugeſprochen.
* dem Verſaſſer erſchien bereits in demſelben Verlage:
e [3
Be A mh henmärrhegn
agrarifgen Sefepgedung dargefteüt. Gr. 8. 1843. 1 hir. 15 Nar.
Ma ef&iäte für Raudwirtbe, Gärtner und Techniker.
Dit DM litbographirten und tluminirten Xafeln. Gr. 8. 1842. 2 Xhlr.
45. Lößbe (J.), Lateinisches Elementarbuch.
Gr. 8. Geh. 12 Ngr.
46. Malfatii von Monteregio (Johann),
Studien über Anarchie und Hierarchie des
Wissens. Mit besonderer Rücksicht auf die Medicin.
Mit zwei lithographirten Tafeln. Gr. 8. Geh. 1 Thlr.
47. Mendels ſohn's (Mofes) gefammelte Schrif:
ten. Rad ben Driginaldruden und aus Handſchriften her:
außgegeben von &. B. Mendels ſohn. Sieben Bände
(in 8 Abtheilungen). Gr. 12. 1843—45. 6 Thlr.
4
48. Mittheilungen aus dem Gebiete der Heil-
kunde. Im Verein mit mehren praktischen
Moskaus herausgegeben von E Blumenthal, I.
Anke und &. stamm. Gr. Geh. 1 Thlr.
49. Das Pfennig : Magazin für Belehrung unb Unter:
Haltung. Reue Bote. Dritter Sebrgang. 815. 52 Num⸗
mern. De 96. Mit vielen Abbildungen. Schmal
r. 4. r.
—8 Aa und monatlich außgegeben.
Der erſte bi6 zehnte Jahrgang des — koſten zufammens
Thlr. 15 r. esten Preiſe nur
hir., der ſechtte Bid a Iie
„„Ebenfals im Preife herabgeſetzt find folgende Schriften mit
vielen Abbildungen:
Drennig: Magazin für Kinder. Fünf Bände. Früher
auge Jetzt 2 Thlr. IH Rgr. Einzelne Jahrgänge
gr.
Sonntage Magazin. Drei Bände. Früͤher 6 Wlr.
r
Se st .
Mational Magazin. Ein Band: Früher 2 Thlr. Jetzt
r.
—E Bände aufamnengenonmnen nur 2 — x
⸗ dv Ur Art
aufgenommen ale bi ee Belle ober ar Ren nern en r.
berẽchnet, beſondere zeigen u. dal. gegen Vergütung von . Thlr.
fur das Aaufend beigelegt. , . '
50. Der neue Pitaval. Eine Sammlung der intereffan-
teſten Eriminalgefchichten aller Länder aus Alterer und neue
rer Seit. Heraudgegeben von Zul. &b. Sipis und
BB. Häring (WB. Miezis). Erſter bis achter
Theil. Gr. 12. 1842 — 45. Geh. 15 Thlr. 24 Rgr.
Der erfte Iheil koſtet 1 Xhlr. 24 Rgr., der zmeite bis achte jeder 2 Ahlr.
51. Prabodha Chandrodaya Hrishna Misrk
Comoedia. Edidit scholiisque instruxit Min. Brock-
haus. Gr.8. Geh. 2 Thir. 15 Ngr. '
Das erfte Heft dieſes Werkö, den Sanskeittert enthaltend, erſchien 1835
und foftet 1 Thlr.5 das wweite Heft enthält die Schollen und wird zu dem
Preiſe ven 1 hir. 15 Ngr. aud einzeln ausgegeben.‘
Bon dem Herausgeber erſchienen früßer in demfelben Verlage:
Gründung der Stadt Pataliputra und G6teschlohte
der Upakosa. Fragmente aus der Kathä Sarit Sägara des
So eva. Sanskrit und deutsch. Gr. 8. 1835. 8 Ngr.
Hathä Sarit Sagara. Die Märchensammlung des Bowe-
devas Bhatte aus Kaschmir. Erstes bis fünftes Buch. Sans-
krit und deutsch herausgegeben. Gr. 8. 1839. 8 Thlr.
Über den Druck sanskritischer Werke mit lateini-
schen Buchstaben. Ein Vorschlag. Gr. 8. 1841. 20 Ngr.
Die Märchensammlung des Somadeva Bhatta aus
Kaschmir. Aus dem Sanskrit übersetzt, Zwei Theile. Gr. 12.
184, 1 Tüblr. 18 Ngr.
iger.
52. Wresentt (Milliem Henry), Geſchichte
er ... eo A ———
t übern me iſchen n ndes ım
dem Leben des Eroberers Dernando Corte. Aus dem
Englifchen überfept. Zwei Bände. Mit zwei lithographirten
Tafeln. Er. 8 Sch. 6 per. .
Gbendafeidft erſchlen dereits durch denſelben Überfeper :
Me v
ae rn Tee Ra ° den.
33. Augemeine Preßzeitung. Herausgegeben von Dr.
SEID. Berger. Jahrgang 1845. Januar bis Juni.
&r. 4. 2 Zhlr. 20 Ror.
54. Rau (Heribert), Kaifer und Mare. Hifto
riler Roman. Drei Theile. Br. 12. Geh. 5 Thlr.
>. Raumer (B. von), Die Bereinigten Staaten
son Morbamerifa. Bei Theile. Dit einer Karte
der Vereinigten Staaten. Gr. 12. Geh. 5 The.
X Jahre 189 len ebendafel N; . Rad che Yuft
srdameridas . eigenen Anſchauungen in
den Sabren —X 1835 — 1836 bargeftcht von Sulin 8.
wei Bände. Mit 1 Karte und. 13 lithograp teten. afeln. Sr. 8,
De 6 Ahle. b
56. Leipziger Repertorlum der deutschen
und ausländischen Literatur. Unter Mitwir-
kung der Universität Leipzig herausgegeben von Hofrath
und Oberbibliothekar Dr. E. dhf. Gersdorf. Jahr-
1845. 52 Hefte. Gr. 8. 12 Thlr.
Int in möchentliden ‚Heften von 2, —3 Bogen und wird Arektags
ausgegeben.
Mei St M rin
Dieſer Zenſchrift
engeiger,
Hterarifde Anzel u art befimmt, Deigegeben d Xntindig
—— ‘werden für die Zelte oder deren Kaum mit? Nor. berechnen,
befondere Anzeigen u. dgl. gegen Vergütung von 1 Thlr. 15 Nor. beigelegt.
57. Röfing (Sohannee), Pas Eriminaige-
sicht zu Bremen vor den Richterfluhl der öffentlichen
Meinung gegogen. &r. 8. Geh. gr.
Zum Beten der Bamilie des Profeffors Zordan.
Bon dem Verfafler —55 — 1983 dafeldft :
u WBremens gemeinen Mann. &r. 8. Beh. 3 ar.
58. Ross (L.), Inscriptiones graecae inedi-
tae. Fasc. 1-1. Gr. 4. 1834—45. Geb. 5 Thlr. 10 Ner.
I. Igsceriptiones Arcadicae, Laconicae, Argivae, Coriatbiae, Me-
icae, Phocicae. 1831. 1 Thir. 10 Ner.
apides insularam Andri, Ji, Teni, Syri, Amorgi, Myconi,
Pari, natgpaiscae , Nysyrli, Teli, Coi, Calymnae, Luri, Patmi,
Sami, Lesbi, Thesae, A et Peparethi. 1842. 2 Thir.
III. Lapides Insularum Meli, Therae, Cast, Carpathi, Rhodi, Sy-
73 ‚Chalces, Calymnae, Col, Astypalaeae, Amorgi, Ji. j
99 Schopen hauer (Hbele), Anna. Ein Roman
aus der naͤchſten Bergangenheit.- Zwei Theile. Cr. 12.
Gch. 3 Zhir.
Bon der ® ri ien im 1844 dafeldfi. :
—* N) ae — "eh. 23 Ber.
©. si MW. G.), Dre des *
—— Gehen a Ed ‚Yan
einer @infeitung. Gr. 8. Geh. 1 hir. id Nor.
61. Stamm (z588.), Be. &. 12. Geh.
1 Ahlr. 10 Nor.
62. Bitohel (I. &.), Handbuch zur morgen-
Mändischen Münskunde. Erstes Heft. — A. u.
d. T.: Das Grossherzoglich Orientalische Münszoabinet zu
- Jena, beschrieben und erläutert, Erstes Heft: Omajjaden-
und Abbasiden- Münzen. Mit einer lithographirten Ta-
fell. Gr. 4. 2 Thir. 0,
63. Struve (A. von), Handbuch der Pbreno:
Logie. Mit ſechs ithopreg irten Tafeln und Textabbil⸗
ungen &. 8. Beh. 2 Zhle. 8 Nor.
64. e (Eugen), er ewige Ab . Aus a
Km. Eif Theile. 8. 1844— 45. Beh. 3 Ahlr. T0Mgr.
5 * zart & FR —* dae änge (1890-39
‚sehn. P
toftet * an 8 en * m mi n ix; ve € 1 Nr fe Er Sn 3
der eeſte bis fünfte ang 5 Thlr., der fi bis gzehnte Jahrgang
BT EL a
66. Vollständiges Taschenbuch der Münz«,
Maass- und Gewichts- Verhältnisse, der
Staatspapiere, des Wechsel- und Bank-
wesens und der Usanzen aller Länder und
Handelsplätze. Nach den Bedürfnissen der Gega-
wart bearbeitet von Ob. Nobesek und P. Wobach,
Erstes bis siebentes Heft, ( Aachen— Petersburg.) ‚Breit9,
1841 —45, Jedes Heft 15 Ner.
Die Fortpfian-
67. Thienemann (F. A. L.),
zungsgeschichte der gesammten Vögel
nach dem gegenwärtigen Standpunkte der
s mit Abbildung der bekannten Rier,
Wissenseha
Mit 100 colorirten Tafeln. "In zehn Heften. Erstes
Kein (Strausse und Hiühnerarten.) Gr. 4. In Carton.
r.
68. Das Land Aſrol umb Der Syrolerkrieg yon
2809. — A.u. d. T.: Geſchichte NRubreas Sofer’s,
Sandwirtbs aus Pafſeyr, Mberanführers der
Tyroler im Kriege von 1809, Durchgehends aus
Driginalyapieren, auß den militairifchen DOperationsplanen
fowie aus den Papieren des Freiherrn von Hormayr, Hofer's,
Spekbader'ssc.ıc. Zweite, durchaus umgearbeitete und ſehr
en 2 magr. Erfter und zweiter Theil. Gr. 8. Ge
r. r.
60. Urania. ſchenbuch auf das Jahr 1846. Reue Folge.
aanter —— dem Bildniſſe Jakob Srinm’s. 8
eg. cart. % -
Sm feübern Jahrg —8 der Urania find nur noch einzeine @yempler
h
von 1831, 1834—Ihevorräthig, die im beradgefegten Preife zu 15er.
der. rga Egeloffen werden. Di ä d
u ee en Die Sabtgänge der Seuen Orig: Den
Die in » | Iteuen Wi 73
NR. * u . Hran abet un löniffe werden in beſon⸗
70. Benedey( ak.), England. Drei Theile. &r.13.
Geh. 5 Thlr. IU Nor.
Im Jahre 1844 erfchlen von dem Verſaffer ebendafcibk:
Frlaud. Zmei Theile. Sch, 4 Mir.
71. Wolks - Bibliothek. Erſter Band: Joachiu
Mettelbe, Bürger zu Kolberg. Eine -Lebensbe
ſchreibung von ihm ſelbſt aufgezeichnet, und herausgegeben
von S. B. aten. hit Nettelbeks Bin und
einem Plane ber yegend von Kolderg. Zweite Auflage.
r. 8. Ir
Ruttetbed?s Ledensbeihreltung, die in erfter Nuflage 3 Thir. Iufete,
wird hier bei befſerer Auöftattung dem Publicam für 1 Xhlr. gebeten, um
biefed anerfannt gute Buch auch ben meniger Bemitteiten zugänsiiib za
machen.
72. Deutſches Bolksablatt. Eine Monatfchrift für dei
Herausgegeben von Pfarrer Dr.
Volk und ſeine Freunde.
Erſter Jahrgang. 1845. 12 Hefte
RB. Paas.
eig X ein Heft von I Bogen. Die Lat le
x d N. i ä
tragen ie vn dum einer Zeile 3%, Nor, Mn fonbere Cıllazın warn ix
jedes Tauſend mit %, Thlr. dereinet.
73. Wangen (SR. B.), Aunfiwerke und An
Ier in Deutfdlant. er und zweiter heil. K.12.
1843 — 45. 3 Thlr.
Der erfte Theil führt den befondern Zitel:
Auuftwerte und Käüuftler im Gragpbirge nud iu Zeauden-.
1 hie. 15 Bor.
4 Dee zweite Thell fuͤhrt den —*33— Titel
nu Pe und Aüufiler in Baleru, Schwaben, Safel.
— ber Mpeiupfalg. | Abi. 15 Kar. A
Si 3 Kupfern. &r. 8. Geh. .
Diefe „Deutſche Marchen nu Wagen lien als Yortfepung wa
des Herausgebers
Dricderläudffihe Gagen. Mit einem Kupfer. Or. 8. Beh. 3 Ti.
betrarhtet werden, die 1843 In demfelben Verlage erfihlenen find.
- 79. Deutſche AUgemeine Zeitung.
. | Serantwertliche
Redaction: Profeſſor F. Bilam. Sahrgang 1845. Rüg:
lich mit Einſchuuß der Sonn⸗ und. Feſttage eine Nummer
j Aa l ee 4. Yränumeratiönspreis vierteljährlich
2
Verzeichnisse
von
hir. . Ä anren j2 . Ä
ae en en Merenkere Inseln warten, | im Preiſe bedeutend herabgefehten Werben
Mer beigelegt.
dem Verlage von Franz Mölbete in Karlsruhe
ift it Berlagsreit An 2 & Biodhaus in Leipzig —*
gegangen: j
Le Sage’s historisch-genealogisch-
geographischer Atlas, Aus dem Fran-
zösischen ins Deutsche übertragen und vermehrt von
Alx. von Dusch -und J. E selein. Gr. Royalfolio.
Herahgesetzter r
Cart.
(Kann auch in 8 Lieferungen a 1 hir. bezogen werben.)
aus dem Verlage von
$. A. Brockhaus in Ceipzig,
wovon das eine die ſchönwiſſenſchaftlichen und hiſto—
riſchen, das andere die wiffenfhaftlihen Werke enthäft,
werben durch alle Buchhandlungen gratis auögegeben.
3° Diefe Verzeichniffe enthalten faft alle Werke von allgemei-
nerm SIntereffe, die bis zum Jahre 1842 in obigem Verlage
erichienen find. Die Preisberabfegungen gelten nur ein Sabr,
vom 1. Zanuar bis SI. December 1346. Bei einer Auswahl
von 10 Thlr. wird noch ein Rabatt von 10%, bewilligt. “Es
Zutber-
Eine | |
Stif
durch die
uther-Wibel,
tung
”
Was wir wollen,
"Stauben und Dümmfein, Dulden und Schweigen war in
der langen Nacht der Mittelzeit das Loos der Bölter. Died
2008 zu verewigen war das gemeinfame Streben von Königen
und Pfaffen, von HAHN und Religion. So btieb ed, bis
wu kam, und nad) ihm Luther und Calvin. Gin leuch⸗
tended Dreigeftien fliegen jie herauf in die Finfterniß, und. die
Kirhenzefoemation warb das Morgenrotb der beſſern
Menzeit. - . .
uther that das Meifte. Er riß die verfchloflene Bi⸗
Bel von ihrer Kette, und aufgefchlagen reichte er fie feinem
Bolke. „Mehmt Hin‘ — das find feine eigenen Worte —,
„nehmt Hin bie Bibel, das Such ber Wahrheit,
Das Mrot bes Mebens!” Cr hätte hinzufügen können:
„und das Brot der Freiheit!” Wahrheit und Freiheit Enüpft
eis Band zufammen; ein Band eifern, unzerbrechlich, ewig.
Es gibt Wahrheiten, welche, wenn fie des Menfchen Geift
einmal aufgefaßt bat, Leine Macht der Welt ihn wieder ent:
reißen ann. Die Wahrheiten des Ehrienthums find
ſoliche. Sie machen die Rundreife um die Welt und wurzeln
in jeder Bone, unter allem Volke. Sie leuchten wie eine Kerze,
die angezündet ift an Beiden Enden; denn fie lehren nicht
Kat Menfchen feine Pllichten, fie lehren ihm auch feine
echte.
Dieſer Dualismus in der Lehre des Evangeliums war von
jeher Denen ein Anſtoß, welche vermeinten, den Völkern ſei
die Erkenntniß ihrer Pflichten genug. Achtzehn Jahrhunderte
eugen von dem Bemühen, das eine Ende des evangeliſchen
oppellihts auszuloͤſchen ober unter den Scheffel zu ftellen.
Wa hat es geholfen? Die Freiheit im Evangelium ift zu
allen Zeiten von begabten Menfchen verftanden worden; fie
hatte allezeit eine unfichtbare Kirche. Diele ke bat feine
Zempel, Feine Soden, Leine Thuͤrme; ihre Apoftel, Jünger
und. Lehrer predigen indeß überall, und ihre Belenner und
Anhänger zählen jeht nad) Millionen. Wer will in unferer
Zeit für die Freiheit im Evangelium Feſſeln ſchmieden? Wer
in Banden fehlagen die Freiheit der Gewiflen?! Nur Die
foerden ed wagen, welchen der Herr in feinem Zorne die Sinne
verhüllt hat; fie, die nicht fehen das Strömen der Seit; die
nit fühlen das Woher und Wohin des Windes; die fein Brau: .
fen nicht hören und den Brand nicht riechen, welcher die Bal⸗
fen und Stügen eined morfchen Baues verzehrt. Die Stummen
werden es wagen, welche Feinen Laut haben im Chore, mit
welhem die Gegenwart die Zukunft begrüßt. Und audy fie,
mit den umnachteten ®innen, wagten es nicht, wären nicht
fie, die fo lange getäufcht haben, felbft in ärgfter Taͤuſchung
befangen, wären fie nicht verſtrickt in ihrem eigenen Zauber,
mit dem fie fo lange die Geifter zu bannen tradhteten.
Heute feiert die Gewifſensfreiheit ein ſeltenes Subelfeft.
Es ift Buther’s 300jähriger Sterbetag, der Zag feines
Heimgangs zu Dem, welcher in jedem wahrhaft groß und
ut wirkenden Menfchen feinen Apoftel auf Erden anerfennt.
Behntaufend Thuͤrme preifen heute ven Mann Gottes mit ihren
Glockenzungen, ımd am Gewölbe des Himmels hallt wiber das
bunderttaufendftimmige „ine Tele Burg it unfer
Spott!" Auf taufend und aber taufend Kanzeln werden
heute Euthers Wollen und Wirken Ehrenfäulen des
Worts errichtet und gedacht aller Dinge, in denen er groß ge:
wefen und herrlich! Meflen wir aber der Thaten Große nad
bem Segen, den fie verbreiten, dann bleibt die eine doch die
allergrößte: , .
| Seine Bibelübersetzung.
Man hat berechnet, daß Luther's Bibel gedeudt worden
ift in mehr als 240 Millionen Eremplaren. er aber berech⸗
net die Summe von Dem, was durch Fe die Menfchen an Tu⸗
end, Beruhigung, Zroft und Gtüdjeligkeit gewonnen haben?
Cr a iner das Weltmeer in Tropfen aus oder wägte
die Geſtirne. .
Durch feine beutfche Bibel feiert Luthers Wirken
alle Tage bei Millionen ein Auferfichungsfeft, und in Diefems
Sinne find wir felbft feit 15 Jahren bemüht gewefen, etwas
beizutragen zu Luther's Verherrlichung. Ka ſorgfaͤltiger
Wiederherſtellung des Lutherifchen Bibeltertes, der im Laufe
von drei Iahrhunderten durch unberufene Verbeſſerungsſucht
fo vielfache Berunftaltungen erlitten Hatte, und durch eine
zuweilen prachtvolle, immer aber ſchoͤne Gewandung haben
wir nicht nur Luthers Bibel in die Familienkreiſe der Shen
und Bornehmen zurückgeführt, fondern auch den ärmern Claſſen
durch wohlfeile Ausgaben mit paffenden Aliberſchmuck das
Buch werther gemacht, in welchem ber Eprift die Quelle des
Lichts und des Troſtes, die Erkenntniß von Pflichten und Rech⸗
ten nie vergebens ſucht. Wir haben in den 45 Jahren über
300,000 Lutherbibeln in alle Länder diesfeit und fenfeit bes
Meered verbreitet, wo deutfdhe Zungen reden und das Segens⸗
wert der Reformation Wurzel ſchlug. Mit einiger Genugthuung
blickt auch der Handlanger auf den flolgen Bau hin, zu dem
er Steine getragen; aber mit Ehrfurcht und Demuth betrach⸗
tet er den Meifter, ohne welchen der Bau gar nicht da märe.
So bliden auch) wir zu dem Gerechten empor, an deflen Sterbe:
bett heute Millionen Chriften im Geifte wallen, im Geifte ſei⸗
nen Segen empfangen.
Indem wir gerabe Beste‘ den Borfas veröffentlichen die
Euther⸗Bibel in ciner Reihe von würdig, zweckmaͤßig und
den verfchiedenen Arten des Gebrauchs angemeffenen Ausgaben
von neuem in Einmalhunberttaufend Exemplaren
u druden und überall bin zu verbreiten, wo das Licht der
keformation in beutfhe Herzen hineinleudhtet, beabfichtigen
wir eine finnige Mitfeier von Luther's Zodestag, und indem
wir einem Jeden, der fich bei unferm Unternehmen betbeiligt,
das nach dem beften Gemälde Cranach's vortrefflich geftochene
Bilbniß Ruther’s — das treuefte und zugleich geiſtvollſte
aller vorhandenen — mit der Unterfchrift:
„ine fefte Burg ift unfer Gott!“
(3um 48. Februar 4846.)
als Erinnerungszeichen des heutigen Jubelfeftes fpenden,
glauben wir jedem Freunde und Anhänger des Gottesmannes
und feiner Lehre eine Freude zu bereiten.
SCußerbem erhält Ieder, der durch feine Theilnahme
unfer Unternehmen und feinen Zweck fördert, unfere bekannte,
fhöne Darftelung vom „SCbenbmant bes Herrn“, nad
der großartigen Eompofition des Leonardo da Vinci’ von
Meifterhand auf Stahl ausgeführt, zu einem Wandſchmuck, an dem
fi das Auge des Ehriften ergögen und feine Seele erheben mag.
Eine dritte Erinnerungsgabe ift für Die größte und pracht⸗
vollſte unferer Luther: Bibeln, welde im eigentlihen Sinn
eine Ehren: Ausgabe genannt werden darf, beftimmt — Au:
tber in feiner Zelle auf ber Wartburg bei ber
Bibelüberſetzung befchäftigt. — Seder Bibelfreumd wird
gewiß mit dem höchften Interefje den Ort betrachten (es iſt ein gang
getreues Bild Der Lutherzelle, wie fie noch jeßt zu ſehen iſt),
von dem fo Großes ausging und fi) Segen ohne Maß verbreitete.
Aber auch ein Denkmal Höberer Art, ein Denk⸗
mal ganz im Euthergeiſfte fol Der bauen helfen, der ſich
unjerm Beginnen anſchließt.
Bon je zehntauſend Bibeln nämlich, welche wir
von den heute angezeigten Ausgaben abfegen werden, beſtimmen
wir die Summe von
Eintausend Thalern
zu einer: Ehrenfliftung des großen Bibelüberfegers, welche
wir in feinem Heimatland, in unferm Thuͤringen, in feinem
Stammorte MÖHBA,- als
Luthers Nettungshaus
für verwahrlofte Kinder
errichten wollen. — Dort, wo wohlerhalten das Häuschen noch
fteht, das Luther’s Altern bewohnten; dort, wo buch einen
Berein wackerer Männer, der eben’ zufammengetreten ift, dem
Meformator ein ehernes Standbild errichtet werden foll; dort,
wo die nächften Angehörigen Luther's noch in vielen Zweigen
blühen und Luther's Name und Züge noch zur Stunde in
mehren Bamilien zu finden find, dort fol ein würbiges
Denkmal nach Luthers Sinn nicht mehr vergebens gefucht |
werden. Wir fprechen die aus mit der Zuverſicht, melche
jedem rechten Borfage zu einen menfchenfreundlichen Zweck
innewohnt, und in dem feften Glauben, das proteftantifche
Deutfchland werde nicht fäumen, beizutragen, dieſen Willen
zur großartigen That zu geftalten.
Subsoriptionsbedingungen.
Unjere Prachtausgaben
echten Xuther - Bibel
erſcheinen vom 31. März diefed Jahres an in Fünf Editioner
unter folgenden Ziteln:
1. Die Perlbibel,
' bie Fleinfte Ausgabe in Schillerformat,
geſchmuͤckt mit 2% der ſchoͤnſten Stahlſtiche, in 46 woͤchentliche
Lieferungen jede Lieferung zu 4 Nor. oder 4& Kr. Rhein.
2. Elegante Schulbibel,
als die wohlfeilſte Ausgabe,
in Octav, mit 3% guten Stahlftihen und einer Karte von Ye:
Laftına, in 32 woͤchentlich n Tefenungen, jede zu 2 Rgr., ode
7 Kr. Rhein.
3 Die Katbenbibel.
(Das paflendfte Confirmationsgefchent.)
Ihr Format ift Royalsetas. Schöner, fcharfer, deutliche
Drud auf das befte Velinpapier. Wir machen zwei Ausgaben.
Mr. 1 mit 16 Stahlftihen in 46 Kieferungen, jede zu 5 Kor,
ober 48 Kr. Rhein. Mr. ® mit 36 Stahlflihen und eimm
Karte von Paläftina, in 46 Lieferungen, jede zu 8 Ngr., ober
Kr. Rhein.
28 Kr
4. Deutſche Haus - und Samilienbibel,
mit größerer Schrift, in zwei Ausgaben auf Schweizerpapier
und engl. Belin, Bormat Colombieroctav. Die Ausgabe Mr. 1
mit 2%, die Mr. ® mit 60 Stahlſtichen und mit Karten von
Palaftina, über die Reifen Iefu ıc. Beide in -48 Lieferungen;
jede Lieferung Mr. 1 zu 6 Ngr., oder 24 Kr. Rhein.; Ste, 9
zu 42 Rgr., oder 42 Kr. Rhein.
9. Luther's Subiläumbibel,
Prachtdruck mit großer Schrift auf Patentvelin in Folio und
illuſtrirt mit 40 vortrefflichen Folio-Stahlſtichen von den be:
rühmteften Meiftern. In 40 Lieferungen, jede zu 42 Nor,
oder 42 Kr. Rhein.
Unterzeichner und Subferibentenfammier erhalten
bei Berlellungen von mindeftens gehn Eremplaren ein elftes
gratis. Borausbezahlung wird nicht verlangt.
Als PRÄMIEN
fol überdies jeder Subferibent einer der obigen Bibelautgaben
folgende Eoftbare Kunftblätter in Stahhlſtich erhalten:
I.
Das wahre Rildniß Dr. Martin Suthers,
nah Lucas Cranach, in Folio;
II.
Das Abendmahl des Seren,
nah Leonardo da Vinci, in Großfolio;
und für die Ausgabe Nr.5 (die Iubilaumbibel) Haben wir das
Prachttableau
Luther auf der Wartburgzelle,
als er die Bibelübersetzung schrieb,
als Dritte Erinnerungs: Prömie beftimmt.
Dan Tann bei jeder Buchhandlung in Deutfchland und m
Auslande beftellen. u
Hilbburghauſen, am 48. Februar 4846.
Das Bibliographifche Inftitut.
Drud und Verlag von F. FE. Brockhaus in Reipzig.
— -- . ww. —.— ww
Vor
Literariſcher Anzeiger.
1846.
Diefer ———
MV.
sodthans in Meingig erſcheinenden Zeitſcheiſten „Mitätten Ofen 75.
re Signege ode begaheih, wab betragen bie —— —— für Dia Beiße ober deren on Fi Rer.
Gaweherifge Blätter
Im Berlage von — — ca if erſchunen Erziehung und Unterricht.
Die Ritterbürtigen.
Gr. 12. Geh. 4 Khle. 15 Nor.
Dieſer Moman bildet den erſten bis dritten Band einer Samm⸗
lung unter dem Site „Zeit und Gittem“, deren vierter
Band „Bine bundie * 6 unter dee Preffe befindet.
Bon dem Werfafler erſchien bereits in bemfelben Merlage:
Meer. Roman. Zwei Theile.
em
Gr. 12. 1843. Geh, 3 Thlr.
Bei Meyer & —33 — für das Zahr
Zukunft der Kirche
rebigirt von
Profeffor Dr. A. Ebrad _
unter Mitwirfung von andern weizeriſchen und aus⸗
waͤrtigen Theologen.
Zweiter Jahrgang.
Sährlih 26 33 Se Quartbogen ober Nummern.
Ahlr oder ⸗ ., ober 3 1. 36 Kr.
irdenbintt
e bie
reformirte Schweiz.
derau igeben
Profeffor Dr. FY R. Pagenbach
unter Mitwirkung mehrer anderer ſchweizeriſchen Theo⸗
logen und Geiſtlichen.
Imtiter Jahrgang.
Jaͤhrlich 26 ganze Quartbogen oder Nummern.
Preis 1 Thir. 20 Ngr., oder 3 Fl.
Er Die yortrefflihe Hal ber beiden #6 ⸗
en und dafuͤr, rn nicht bloß in vo for
. bern vorzüglich, was bie erftere allgemeine Beitfehrit
betrifft, auch im Yuslande verbientermaßen einen immer
größern 2ejerkreis finde? werben. ven
4
Jahrlich W ganze Quartbogen ober Rummern.
Preia 1 Ze. 20 Nar., ober 3 Fl.
neue, einzig⸗ pltgumsine @ihuibia dena
I: 5 Dee — LH al um fo der a auch Aus:
*33 Rn als es Ach allen polltiſchen
un eg und A bios der haus»
lien b — eis ung wivwet. Das in ben
ber an den — e, —ææãS
een &e ber gsi, zeigt ſich vorzüglich
en Ge
Soeben tft in unferm Verlage erfchtenen:
Kirehengefehichte Deutichlands
von
Dr. Sr. W. Reitberg.
1. Band: die Mömerzeit und bie Geſchichte ber auſtraſſſch⸗
fraͤnkiſchen Kirche bie zum Tode Karl's des Großen ent-
din 3 Thlr.
Bor We, a
erfolgen wird, füllt eine pe —A ünſerer up Bei
value aus. Bährend die. Geſchichte fo vieler anderer Zweige
des deutſchen Volk Uebens, bes Rechts, der Verfaſſung, der Por»
Ber bes germanif: — Goͤtterglaubens ſchon ihre Dar⸗
war das kirchliche Leben ober das Ber⸗
des deutſchen "Boltes sum EChriſtenthum bisher noch nie
einer —— Bei under en. Bei dem lebhaften Intereſſe ber
Gegenwart für fi agen Be * renee durchaus
ben letten —— —— chte der Kirche ——
lands aus Nehmen Gelehrten keinor
weiten —ã— Gent bebärfen.
Bandenhoel 8: Ruprecht.
Dusch alle Muchhanblungen ift von mie zu beziehen:
Die Pſalmen
in Kirchenmelodien übergeträgen
P. A. x oethe.
Br. 13. Sch. 24 Nr.
Der Inhalt ſowol als bi Au
ee
@eipgig, im März 1846.
F. A. Brockhaus.
auch im paͤdagogi⸗
. dorkiegende, das
‘
des 'Thrombus, mikroskopisch untersucht. —
und Physiologie. N
Wochen if bei den Unterzeichneten erfchienen und in allen 2
a v
| Peſtalozzi⸗
Eeben und nfidten
einem worigeirenen Ausmge
Tümmtitchen von Vellalopi berrübrenden Schriften
zur Feier von beffen
Bundertfiem Geburtstage.
von
siftoffel
Rector am ex Wesieköfiäule in Cchöftienb.
— Naturwissssschsfien. Kur, Bei
Flora der Juraformation WA: Br
Al
Cicero, De ia; ed. Seyfert. —
Ciceronis orationes; ed. Halm, Vel. IL. Pars I et mM
— Demosthenis opera; ed. Voemel.: Pars IL — The cas
sical Museum. Vol. IL — Orstores Attici; rece, Beiter «
Smith,
ography and Myihology. Vol.I. —
ten 2, Bd. — des Mlittelalters. Jak. Grimm,
Gedichte des "Mittelalters auf König Friedrich L — Du
alte Passional; herausg. von Hahn. — Geschichte, de
Ciroourt, Histoire des Mores Mudejares et dee Krieges
‚ Cheix de plus da
—— de la —— frangaise. Vol. L Partie LC
arnkönig, Französische Staats- und Rechtsgeschichte.
l. rn ee und Völkerkunde. v. Arnim, Reise
nach Neapel, Sicilien, Malta und Sardinien im Jahre 1844
— v. Baer und v. Helmersen, Beiträge zur Kenntnis des
russischen Reichs. 7. und 8. Bdchn. — Carus, England
und Schottland im Jahre 1844. — de Lockmaria, Bouvesnirı
des voyages de Msgr. lo duc de Bourdeaux,. Tom. Is
— Schaubach, Die deutschen Alpen. 2. Th,
ZLeipeig, im März 1846.
halten,
wegen allzu großer MWeitiäufi n
oft wirktid faft umgeniehbar nd, fo dürfte ein Merk wie bas
au
FE. 4. Brockhaus.
Bei BSaudenhoeck & Rubrecht in Göttingen ift erſchienen
Eolumba, Eh, Seid ftark in bem Herrn und in
ber Macht feiner Staͤrke! Gin Wort an das beutfce
Volk und an die deutfchen Fürften. Er. 8. TARgr.
Quart wird keinen Autzug von letztgenanntem Buche
** u bis hoͤchſtens
90 Bogen bere net. Jede Lieferung von 8 Bogen Foftet bloß
Ror., oder .
Ehe der naͤchſten Lieferungen werben 2 Abbildungen bei»
egeben: 1) von dem neu zu errichtenden Monumente auf bem
abe Peſtalozzi's, mit Anficht der Umgegend; 2) von der
Peftalozziftiftung, genannt „Reuhof". > (6 gr.)
Meyer & Zellen Regel Dr. &, &,, Engliſche €
ss in Zürig mnaften und Realfihulen. ————
—— — ®r. 8. 19% Nor. (10 x)
* fi e
—— fehe: Abt var und "Deof Bie
feler. 2. Jahrgang. 1. Heft. 1.4. Heft. 2 Zhle.
Im Berlage von F. ER. Brockhaus in t ie⸗
nen und ® allen Buchhandlungen —— erh
Bolks-Biblisthek.
Erster und zweiter Band.
Gr. 8. Geh.
I. Joachim Nettel beck, Bürger zu Kolberg. Eine
Lebensbeſchreibung von ihm feibft aufgezeichnet, und ber
ausgegeben von — Ch. €. Haken. Mit vᷣtettelbee
Bildniß und einem Plane der Gegend um Kolberg.
Sweite Wuflage. 1846. 1
IE. Der alte Geim, Leben und Wirken Ernſt Bub:
wig Heim's, koͤnigl. prehfifchen Geheimen ⸗ Nachs und
Doctors der Arzneiwiffenfchaft. Aus hinte affenen Brie
fen und Tagebüchern herausgegeben. von &. W. Kessler.
weite, mit Zufägen vermehrte Auflage. Mit Dein’
Mertens, Zur Physiologie der Anatomie. Bildnif. 1846. 1 The.
Drud und Verlag von F. SE. Wroddans in Beipyig.
TE nn
Leipziger Repertorkum
der deutschen und ausländischen Literatur.
Herausgegeben von E, 6, Gersdorf.
1845. Gr. 8. 12 Thlr. )
ne”
Wöchentlich erscheint eine Nummer von 2—3 Bogen. In-
sertionsgebühren in dem dieser Zeitschrift beige ebe-
nen „Bibliegraphischen Anzeiger“ für den Raum einer Zeile
2 Nan; Beilagen werden mit I Thir. 15 Ner. bereshnet.
Inhalt: Theiogae. Christliche Glaubenstöne. -— He-
un: — —— * kermenentica. 7 Vinet *
lie Darle igiöser Überzeugungen. —
Hu ohke, Über das Recht des Nexum und das alte rämische
Schuldrecht. — a Vangerow, De furto concepto ex lege XH
Kabularum. — und Chirurgie, d’Alnoncourt,
Die Gebirnefieotionen der Kinder in der Destitiouisperiode,
— 9. Autenrieth, Gerichtlich-medicinische Aufsätze md
Gutachten. — Friedberg, Diagnostik der Kindnrkraikheitem,
— Lietseu, Lehrbuch der apenichlen Therapie. — Sitnogo-
witz, Das Kindbettfieber. — Zunicky, Die Metamerphose
Anatomie
: ICE |
Fi —x838—
„
Br \c
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ZI EB em mm —
oe — m — |. m Crow 10 — BU 7 Br Sr
NEUIGREITEN DES JAHRES 1845
aus dem Verlage von
ALEXAN DER DUN CKER,
KÖNIGL. HOFBUCHHÄNDLER,
18 BARLIM
Bartbold, F. W., Die geſchichtlichen Perfünlichkeiten in Jacob Ceſanovas Memoiren. Beiträge zur
Geſchichte des 18ten Jahrhunderts. 2 Bände. 8. geh. . . . ... 3 Thlr.
Baueher, F., Methode ver Reitkunſt nach neuen Grundfägen. Dit 12 Abbib. BteAufl. 97.8. geh. 1Thlr.n.
Blätter, einige, der Erinnerung. Gefammelt und heraugegeben aus dem Neqhlaß des Majors Frie⸗
derich von Luck. 8. geh. . x... 202.4 Thle.n.
Bericht über die im höchsten Auftrage bewirkte Untersuchung e einiger Theile des Mesqui-
tolandes. Mit 2 Karten und 3 Abbildungen. gr.8. geh. . . . . ..... 3 Thir.n.
Garus, Dr. C. G., England und Schottland im Jahre 1844. 2 Theile. 8. geh. . . 33 Thlr.
Dielig, Th., Geographifch = fonchroniftifche Ueberſicht der Weltgefchichte. Die Aufl. mund sch. Thlr. n.
Düriugsfeld, Ida von, Graf Chala. 8. Sehr eleg. ad. . ... .... 1 Thlr.
Geibel, E., Gedichte. Mte Auflage. 8. Sehr leg. ab. » > 2 2 2 27hlr.
, eleg. geb. mit Goldſchnitt:. 23 Ahle.
— ‚ Sie Auflage. 8. Sehr eleg. eh. > > 2 2 rennen 2 Thlr.
‚ eleg. geb. mit Goldſchnittt. 21 Thlr.
Sahn⸗GHahn, Ida Gräfin, Sigismund Forfter. Die Auflage. 8 eh. ».... 2 Thlr.
‚ Zwei Grauen. 2 Theile 8 Sehr eg. oh. > 2 2 3 3 Th.
Sartuann von ber Aue, Iwein mit dem Löwen. Ueberſehi und erläutert von Wolff Grafen von
Baudiſſin. 8 eleg. geh. . . 2.0. 14 Thlr.
Summen für Kinder. "an dem ailihn von Zhenia von Gumpert Illuſtrirt von L. Rich⸗
ter. 8. geh.. ... Thlr.m.
Eoen, Dr. Albert o., Die Riesenthiere der Urwelt Mir 8 Tafeln Abbildungen. gr.8. geh. 1 Thlr.
Mendelsfohn, Joseph, Ueber Zettelbanken, mit besondrer Hinsicht auf eine preulsische
Landesbank. Nebst Auszügen aus den Statuten und Reglements der österreichischen,
bayerischen, französischen und englischen Bank. gr.8. geh. . . 2.4 Thlr.
Menzel, E. O., Die Remontirung der preußifchen Armee in ihrer hiftorifchen Entwicelung und iebigen
Geftaltung 20. Mit höherer Genehmigung und Benutzung amtlicher Quellen. gr.8. geb. 2 Thlr.
Narhel, Catherine, exercices de me&moire. Seconde Partie, destinee particulierement à la
jeunesse 12. seh. . . . 2 2 oo rn... 0. 4 Thlrn.
‚ feine Ausgabe. carton. . » . 2 2 22 en... $ Thlrn.
‚ compl. carton. . . . ... .. . 1 Thlr.n.
Bemberg, M. M., de paralysi respiratoria. gr. A. geh, en 0 i Tblr.
Sermens eheisis de l’Eglise frangaise refugiee de Berlin. Premiere Partie, gr.8. geh. 1 Thir.
Seydelmann's Leben und Wirken. Mit Benugung und Beröffentlihung des handſchriftlichen Nachlaſ⸗,
ſes und der Briefe deſſelben, vargeftellt von H. Ih. Rötfcher. gr.8. eleg. geb. . Thlr.
Stephen, George, Zufälle beim Pferdekauf, nach ver Sten Auflage des Engliſchen Originals bearbeitet
von F. v. R., Preußiſchem Cavallerie⸗Offizier. 12. geh.... . Thlr. m.
Wedell, B. ven, Historisch-geographischer Hand-Atlas in 36 Karten nebst erläuterndem Text,
mit einem Vorwort von F. A. Pischon. In 6 Lieferungen. Top. quer Folio. In Umschlag
geheftet. 4te Lieferung. . . . 0. 23 Tar.n.
Rimmermann. M.. Geſchichte nea hrannenh -nreuh &s-nted Bo mahlfeile Ausaabe ar.R.aeh. 1! Fhlr.n.
IM JARIRE 1844 SIND NEU EIRSCHILENEN:
Charisi, des, Erste Makamen aus dem Tachkemoni oder Divan. Nach einem authentischen '
Manuscript aus dem Jahr 1281 herausgegeben, vocalisirt, interpungirt wand ins Deutsche
übertragen, wie auch sprachlich und sachlich erläutert und mit einer umfassenden Einlei-
tung versehen von Dr. S. J. Kaempf. Text und Uebertragung. Lex.8. geh. . 15 Thlr.
Eichendorff, 3. Freiherr von, Die Wiederherftellung des Schloffes der deutſchen Ordensritter zu
Marienburg. Mit einem Grundriß ter alten Marienburg. gr.8. geh. . . 1 Thlr. m.
Geibel, Emannel, Gerichte. Bte ſtark vermehrte Auflage. 8. edles. oh. -». » .» . . 18 Thlr.
, leg. geb. mit Golofhnit. . . . . en 3 Thlr.
Das Portrait des Dichters. Nach der Natur gemalt von eouif e eigier auf Stein gezeichnt
von B. Schertle. oliv... . . . .... toren
Germanie, Gräfin, Der Heine Don Duirote Eryähfung Für bie Saga nad dem Sranzöft ifchen. |
Mit A Bildern von Th. Hofemann. 8. geb... . . . 8: Then
Germanie, Gräfin, Robinfons Enkelin. Nach dem Franzöſi 2 von helia— von Gumpert Mit
. 6 Bildern. gr.8. In verziertem Umfchlage arh. . . . . .. 1 Thlen.
, ſehr gefehmadvoll gebunden. . . . . 4 Th n.
Sumpert, Thekla v., Die Babereife der Tante. Ein Bud) für Finder. 8, In color Umſchl. geb. 3 Thlr.
Gumpert, Thekla v., Mein erſtes weißes Haar. Mit einem colorirten Titelkupfer. 8. geh. & Thlr.
Sahn:Sabn, Ida Gräfin, Aus der Grfellfchaft. Geſammi— Ausgabe der Romane. 8 Bde. Schiller.
format. geb. Pränumerationd-Preis . . . . 8 Thle.n.
Ilda Schönholm, 14 Thlr. — Der Rechte. 2 Sfr, — Grafin Jauſtine. 2 Thie — uiriꝶ. 2 Be. |
34 Thlr. — Sigismund Forſter. 14 The. — Cecil, 2 Bve. 4 The. !
Sabn:Hahn, Ida Gräfin, Orientalifche Briefe. 3 Bände. 8. Elsa. ae.» -» . . 64 Ahle.
Kinderfreund, der neue, Herausgegeben von H. Kletke. Zweiter Band. Mit 10 Zeichnungen von
2. Richter und vielen Vignetten. Ler.8. In 5 Lieferungen . . . .. da I Trn |
‚ compl. fauber cart. 23 Thlr.n. — Daffelbe eleg. geb. und mit colorirten Kupfern m Tyx. n.
Auch unter dem Titel: |
Kinderſchatz, deutſcher, compl. geb. 23 Thlr.n. — Daffelbe compl. in engl. Einband. 2% Thlr.n. |
Köhnhorn, K., Geographie Alt-Griechenlands, zum Gebrauche auf Gymmaſien. gr.8. geh. 4 Thlr.n.
Mülimen, der Grafen, Familien-Geschichte und Genealogie. Lex.8. eleg. geh. 1 Thr.
Neumont, Alfred, Die poetiſche Literatur der Jtaliener im 19ten Sahrhundert. gr.8. geh. U |
Beumeont, Alfred, Thorwaldsen. Eine Gedächtnifsrede. gr.8. geh. . a Th. 5
Skepsgardh, Otto von, Drei Borreden, Rofen und Golem⸗Tieck. Eine tragi- -tomifche Geſchichte mit \
einer Kritit von Friedrich Rüdert 2 Theile in 3 Abtbeilungen. 8 geb. . . . 23 TM. i
Theorie, die, des Dr. Lift, vom Sabrifftaate und ihre gefchichtl. u. flatiftifchen Stüpen. 8. geh. File 1
| Warburg, &. von, Tas Waldhorn. Eine Sammlung von Dagdlirdern und Gedichten. 8. In > ⸗
| ziertem Umſchlag geb. . . . 0. 18 Ahle. |
Wedell, BR. vom, Historisch - _goographischer Hand- Adas in 36 Karten nebst erläuterndem Text,
mit einem Vorwort von F. A. Pischon. In 6 ieferungen. ep quer Folio. In Umschlag
geheftet. 3te Lieferung. . . . . . . 35 Thlr.n. |
Werner, Ferdinand, Die Galvanoplastik i in ihrer technischen. Anwendung. Mit 12 Kupfer- |
tafeln. (St. Petersburg.) Lex.8. geh. . . . . . . . .2Thl.n.n. |
White, Charles, Häusliches Leben und Sitten ber Titrten. Nach dem Engiiſchen bearbeitet Heraus-
gegeben von Alfred Reumont. 2 Bände mit 1'Plan und 1 Karte. 8. geh. . Ad Thle.
ANZEIGE.
In der Buchhandlung von Emil Baensch in Magdeburg ist so eben erschienen, sowie ia allen
soliden Buchhandlungen Deutschlands und des Auslandes vorräthig und zu haben:
Des 5%" und 6% Bandes oder III. Jahrgangs #Y“* Heft der
ZEFISCHRIFT FÜR ERDKUNDE,
als vergleichende Wissenschaft, mit Aufnahme ihrer Elemente aus der
Naturwissenschaft, Geschichte, Statistik u. 8. W.
für Gelehrte und Gebildete, insbesondere für Lehrer.
In Verbindung
mit den Herren I. &. Kohl und Th. Freiherrn von Liechtenstern u. m. a. Gelehrten
herausgegeben von
JOHANN GOTTFRIED LÜDDE,
Doctor der Philosophie, ord. Mitglied der Kaiserl. Leopoldiniseh-Carolinischen Akademie der Naturforscher zu Breslau,
aussw. Mitgl. der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, corresp, Mitgl. der geograph, Gesellschaft zu Frankfurt a, M. etc.
Ueber diese »Zeitschrift für Erdkunde« haben sich die „Heidelberger Jahrbücher,« die »Literarische
Zeitung ‚« die » Allgemeine Schul- Zeitung ,« das »Bulletin de la Societ€ de Geographie à Paris« und ähn-
liche kritische Blätter, sowie in Privatschreiben der wirkl. Geh. Rath Herr Alex. von Humboldt, der
Herr Prof. Dr. Nees von Esenbeck, Vicomte de Santarem, Geh. Reg. Rath Prof, Dr. Schubert,
Direct. Dr. Vogel u, a. m. mit ungetheiltem Lobe wad mit Beifall ausgesprochen.
Ich mache daher auf diese, auch der Unterstützung eines Königl. Preuss. Hohen Ministeriums
sich erfreuende, Zeitschrift das gebildete und gelehrte Publicum, insbesondere die Herren Lehrer, aus
mehreren Rücksichten aufmerksam: sie ist nämlich in Eigenschaft einer Zeitschrift dieser Gattung die ein-
zige Vertreterin der jetzt immer mehr, an Interesse gewinnenden Wissenschaft der Erdkunde im ganzen
Deutschland ; nur ausgezeichnete Gelehrte und Männer des Faches zählt sie zu Mitarbeitern, und in unserem
Lande wird sie gewiss mit desto grösserer Theilnahme gelesen werden, als sie consequent der neuen Schule,
welche, namentlich durch C. Ritter, in Deutschland wurzelt, huldigt und mit einem durchdringenden Geiste
und einer eigenthümlichen Würze die Gegenstände der Erdkunde zu behandeln weiss,
Inhalt des ersten Heftes:
(Abhandlungen) A. de Balbi, des Kaiserthum Oesterreich in seinen Finanzen und Forischritten, — P. Ley-
sert de vera Geogr. methodo. Diss. — (Bücherschau,) Kiülb’'s Länder- und Völkerkunde, von Dr. J. G@. Lüdde. —
Vivien de Saint-Martin’s Hist, des decouvertes etc. von Dr. J. @. Lüdde. — (Chronik.) Gelehrte Gesellschafen. —
Zeitschriften. — Nekrolog.
Inhalt des zweiten Heftes:
(Abhaudlungen.) A. de Balbi, das Kaiserthum Oesterreich in seinen Finanzen und Fortschritten (Schluss.) — Prof.
Dr. Reuter. Je weniger oder mehr die Hoch- und Tiefländer, Hoch- und Tiefebenen mittelst Gebirgs- und Stufenländer
abwechseln, desto mehr oder weniger sind alle geograph. Elemente (Culturarten) entwickelt. — (Bücherschau.) F. H. von
Kittlitz, 34 Vegetationsansichten von Küstenländern und Inseln des stillen Oceans, aufgenommen etc. auf der Entdeckungs-
reise etc. von Dr. J. @. Lüdde. (Nebst 1 lithogr. Abbildung.) — Dr. F. Kruse's Necrolivonica oder Alterthümer Liv-,
Esth- und Curlands etc, etc. von Dr. Prof. Fedor Possart. — Die diesjährige deutsche Literatur geographischer Compen-
dien, von Dr. J. @. Lüdde und Th. Freiherr von Liechtenstern. — 1. Atlanten und Landkarten. von T%. Freiherr
von Liechtenstern. — (Chronik.) Gelehrte Gesellschaften. ‚Zeitschriften.
Inhalt des dritten Heftes:
(Abhandlungen.) Prof. Dr. Reuter: Je weniger oder mehr die Hoch- und Tiefländer etc. (Fortsetzung.) —
Serres, Bemerkungen über die Anwendung der Photographie auf das Studium der Menschen-Ragen. — W. L. de
Sturler: Bemerkungen, betreffend die verschiedenen asiatischen Völkerschaften, welche in dem indischen Archipel ete.
Handel treiben etc. — Statistische Notizen über die Bevölkerung der Städte etc. im Königreich der Niederlande. (Mit-
getheilt vom Prof, Dr. Fedor Possart.) — (Bücherschau.) Die diesjährige deutsche Literatur gegographischer Com-
pendien. von Dr. J. G. Lüdde und Th. Fretherr- von Liechtenstern. (Fortsetzung.) — II. Bücher. von Dr. J. G.
Lüdde. — Dr. E. Kapp’s philosophische oder vergleichende allgemeine Erdkunde von Dr. J. @. Lüdde. — (Chronik.)
Gelehrte Gesellschaften. — Zeitschriften.
Ausserdem kommen nächstens zur Beurtheilung und Anzeige unter Andern:
von Humboldt’s Kosmos. — von Liechtenstern: die neuesten Ansichten von der Erdkunde, in ihrer Anwendung
auf den Schulunterricht etc. — Dr. Possart: die russischen Ostseeprovinzen. — Dr. Possart: Wegweiser in Peters-
burg. — Blom’s Norwegen. — v. Orlich’s Reise in Ostindien. — Tischendorf’s Reise in den Orient. — Tschudt’s Peru etc.
Um die Zugänglichkeit recht allgemein zu machen, hat sich die Verlagshandlung entschlossen, diesen
und die folgenden Jahrgänge (jeder Jahrgang 2 Bände in 12 Heften) auf den sehr geringen Subscriptionspreis
von 5 Thlr. 10 Sgr. zu beschränken.
Die Bände 1— 4 sind in nur wenigen Exemplaren noch vorhanden.
Subscriptionen werden zu einer raschen Beförderung von allen Buchhandlungen entgegengenommen.
Kiterarifger Anzeiger.
. “1846. MV.
Ba SEAT IR EEE FE
Enserttonen
allen Yxt werben in uahlichenke im Verlage vo %. Brodbautin Leipzig für 1846 erſcheinende Zeit-
ſchriften und nzeigeblätter aufgenommen:
»
Deutſche Allgemeine Zeitung,
Bon derfekben
betragen für eine ———
erfcheknt täglich, mir Einfcheaß deu Sonn⸗ und — — eine Auuucer. Die Ieycwvere ren
—* oder * Raum 3 Ner. Befondere Beilagen, Anzeigen m. dg —8* der
en TC lignmeinen beigelegk
Zeitung nicht
> — — Anzeiger.
Derſelbe erſcheint in ber Regel woͤchentlich einmal und wird mit den Lieferungen ber Blätter für Fiter
ariſche
Uuterbaltung ſowie ud mit den Monotöheften der BES von Däge ausgaggben. Fäar bie gefpaltene
Zeile ehe deren m werden am Snfertiousgebühren 2’. Nor. berechnet, und befonbene Anzeigen gegen eine
d ei altung, d 6 ab ei
nm * 8 15 Rgr. —— = DURR ober gegen ein
3) Bibfiographlscher Anzeiger,
Wird mit dem Eeipziger Wepertorium für beutfihe und anslänhtf tteratue von Beub-
dorf en Serterote in Demfelben werben in Zeile ober deren —8* ec 2 Nor, rede "An
zeigen w. dol. mit & Zhle. 65 Te. berechnet,
4) Neue Jenalsche Allgemeine Literatur» Zeitung.
Die Zeitung erfcheint wöchentlich und werben Auzeigen ur die gefpaftene Zekfe oder deren Raum mir 1" Wer,
befonbere Beilagen, Antifritifen u. u. dgl. mit | mit I Thple. 15 Nor. berechnet.
3) Diennig · Magazin.
Dası Pfennig: erscheint machantl e N 18
Seedengiigen be DE bald oe br Ryan in I oa an Ele ee Vode
Anzeigen gegen eine Vergütung von Yı Thlr. für das Tauſend —
6) Sandwirthschaftliche Dorhjertung
Diefelbe erfcheint wöchentlich einmal nebft einem damit verbunbenen NuterBaf shYatt Gtebt
und Send, Ankundigungen werden Nie gefgaltene Zeile oder deren Raum mit 2. Dr. bern befondere
Beilagen derſelben gegen eine Gebühr vom u Zip. für dot Taufend Beigelgga x
n Dentſches Voltsblatt.
Don demſelben erſcheint monatkich eine Rummer vow 3 Bogen,
Be Si Nor, Befonbere Belag werden mit werden mt Yale len fün, * a * u. Ku
> Conversations-Lexikon. Ne Nounte Auflage, : -
Auf den Umfihlägen 2 — hefte mertes: Anzeigen u, b uickt, und
‚000 Gremplaren für ben Ko Dh ac —— = a aun
— — — — — —— — — — — — —
Im Werlage yon Brochhaus⸗ S Vvegsariuo in Leipzig erfheinen: «u
9) - WBeho, .
Wöchentlich werden zwei Rummern ausgegeben. Anfündigungen in demſelben werden für bie Zeile oder berm
Raum mit 1 Rgr. berechnet, Befondere Anzeigen u.
gl. gegen eine Vergütung von 1 Thlr. beigelegt.
10) Alluſtrirte Zeitung für die Jugend. |
Diefelbe erfcheint feit dem 1. Januar 1846 und wird in wöchentlichen Rummern ausgegeben. Ankündi gen
werden für ben Raum einer gefpaltenen Zeile mit en befondere Bellagen u. dgl. mit Yı Thlr. für das Taufend
x erechnet.
In meinem Verlage ift erfchienen und durd alle Buchhandlungen
zu begieben:
Luther's Leben.
Erfte Abtbeilung:
Suther von feiner Geburt bis zum Ablafftreite.
| (1483— 1517.)
nn Bon
Karl Bürgens,
\ Erster Band.
Sr. 8 Geh. 2 Thlr. 15 Ngr.
Der Wunſch des Verfaſſers dieſes Werkes geht dahin, mög-
lichſt vielen Dentenden ein deutliches und wahres, den-Bedürf-
niffen und Roderungen der Gegenwart genügendes Bild von
Luther zu geben. Die zu’ löfende Aufgabe befteht vornämli
in der Nachweiſung, wie Luther ganz mit feiner Zeit fi bil:
dete, mit ihr Tdurde was er geworden ift, mit ihr that was
er gethan, feft in ihr ftehen bleibend fie weiter führte, ihre
Richtungen in fi aufnahm, durchbildete, zur Neife brachte und
. eben dadurch neue Wege bahnte, fodaß er hafteht als Vertreter
und Werkzeug des Gebots der Verbältniffe, des Wollens der
Bernunft feines Beitalters, fofern es auf ihn und er auf die
Beitgenoffen eingewirft hat.
Eeipzig, im Aprü 1846. = j
3 A. Brockhaus.
oͤſterreichiſche militairiſche Zeitfchrift,
Für Braumüller & Seidel, Buchhändler in Wien, wird in
allen ——— des In: und Auslands mit 12 %1. C.M.
Praͤnumeration auf ben Zahrgang 1826 der
Oesterreichiſchen militairifchen Beitfhrift
Angenommen.
Bon diefem Jahrgang 1828 if} focben das erfie Keft
Fr enthält folgende Auffäge:
1. Die italienifhen Alpen. — II. Gedanken über die jetzi⸗
gen Leiftungen ber Eavalerie, fowol in Bezug auf die einzel-
nen Reiter ale auch in Beftimmung .der Reiterei überhaupt
mit ihrem Gefchüg. Mit einem Plane — II. Die Belage-
rung don Hüningen 1813 und 1844. Mit einem Plane. —
IV. Kriegöfcenen. Das Wirken des k. k. zweiten Armeecorps
in den Gefechten bei Rninig und Arbefau am 17. und 18.
September 1813. — V. NReyefte Militaisveranderungen.
Ebenſo Bann man durch alle — — und Buch⸗ 1
Bandiungen bed In: und Auslands Die’
Pa) BEE A
bern. Jahrgaͤnge
von 1811 — 45 erbalten. j . da
| Leipziger Büäoher- Auction.
Soeben ift erfihienen und dur alle Bud und Tentiquarii
bantlungen zu beziehen:
Berzeichniß der von Herrn Dr. A. &, Ar
delbach in Deutſchland zurücgelaffenen un
von Herten Paftor 9. Birzel in Leipzig hinke:
fienen
. Bibliotheken,
| namentlich ausgezeichnet in den Fächern der Patrifik,
Dogmatik, Eregefe, Aſthetik, Liturgit, Kirchen: um
Profangefhichte, Philologie zc. ıc., welche nebſt mehren
andern Sammlungen werthvoller
Bücher aus allen Wiſſenſchaften
am 3N. April 1846
gegen baare Zahlung gu era Öffentlich verfleigert werden
8 duen,
Ich erlaube mir alle Gelehrte und Literaturfreunde auf.diefen
reichhaltigen beinahe 25,000 Bände umfaſſenden Kataldg auf:
merkſam zu machen und empfehle mich zu geneigten Aufträgen,
die id prompt und — beſorgen werde.
Eeipzig, am 20. Maͤrz 1846.
ET. ©. Weigel, Buchhändler.
In meinem Verlage ift focben erſchienen und durch alle Buch
banblungen gu erhalten:
Geſammelte Schriften
Cudwig Kellfiab.
Dreizehnter und vierzehnter, ober
Reue Folge erfier und zweiter Munk.
Gr. 12. Geh. 2 Thlr.
Dieſe zwei Bände enthalten in einer neuen A e des Ber
faffers Roman „Algier und Paris im Jahre 1880“. Die
-Bolge, Band I—12 der Geſammtausgabe,
1843—44 in vier Lieferungen zu 3 Ahlr. und enthält: 1
Dritte Auflage. — Sagen und romantifche Erzählungen. —
Kunftnovellen. — Novellen. — Auswahl aus der Reiſebllder
- | galerie. — Bermifcktes. — VBermifchte Schriften. — Drame
galerie Bermif Bunt \
e. — Gedichte.
eipuis, im April 1846.
nz * — $. A. Brodhans.
[| 270 SEE o 2, nm Erg
ion F. E. Brodhans in iſt durch alle Bud:
von 8. x —— vu Selen
Heinrich Peſtalozzi.
e aus dem Bilde ſeines Lebens und Wirkens nad)
elbſtzeugniſſen, Anſchauungen und Mittheilungen
von
R. JZuſtus Blochmaun.
mit Peftalozzi's Biſouiß und vier lithographirten- Quſein.
Sr. 8. Geh. 16 Ner.
des Ertrag diefer Schrift it für das
lon.@tift —ã—— b di ie
Zu
er Ein
Soeben ift erfihienen und in allen Buchhandlungen vorräthig:
Der Antipierift
oder
Vertheidigung des vernunftgemäßen Chri⸗
ſtenthums wider die pietiſtiſchen Angriffe.
Dem deutfchen Volke gewidmet
Dr. Karl Schrader.
Leipzig, Chr. €. Kollmann. Geh. Thlr.
Heue medicinifche Beitfchrift.
"In meinem Verlage erscheint soeben und iet in allen Buch-
handlungen zu haben:
in Verbindung mit A. Andreä, J: Bussemaker,
D’Aremberg, L. Choulant, I. Damerow, F.
Z. Ermerins. L. H. Friedländer, C. H. Fuchs,
H. Hüser, J. ©. F. Hurless, J. F. C. Hecker,
C. F. Heusinger, F. Jalm, J. M. Leupold, D.
Mansfeld. K. J. H. Marx, Meyer- Ahrens, H.
E. Quitzmann, J. Rosenbaum, K. E. C. Schnei-
der, ®. Seidenschnur, E. C. J. v. Siebold, J. r.
Soniheimer, L. Spengler, J. H. Vullers, F. W.
Wüstenfeld u. A.
berausgegeben von.
Dr. A. W. E. Th. Henschel.
Ersten Bandes erstes Heft.
Inhalt: |) Janus, mythologisch sich selbst bevorwor-
tend. Vom Herausgeber. 2) Hrabanus Magnentius Maurus.
Von Dr. L. Spengler in Eltville. 3) Macrizi’s Beschreibung
der Hospitäler in el-Cahira. Aus den arabischen Handschrif-
ten zu Gotha und Wien, übersetzt vom Prof. Dr. Wüsten-
feld in Göttingen. 4) Die Salernitanische Handschrift, cha-
__ xakterisirt vom Herausgeber. 5) Hippokrates und Artaxerxes.
Ein kritischer Versuch vom Prof. Dr. B. E. :Chr.: Schnei-
der in Breslau. 6) Über die Spuren einer Kenntniss des
Scharlachs bei den Ärzten des 10. — 15. Jahrhunderts. Vem
Prof. Dr. H. Hüser in Jena. 7) Albertus Magnus in seiner
Bedeutung für die Naturwissenschaften historisch und biblio-
raphisch dargestellt vom Hofrath und Prof. Dr. Choulant.
5) Ein Beitrag zur Geschichte des englischen Schweisses
von Dr. Otto Seidenschnur in Dresden. 9) Petrarca’s Ur-
{heil über die Medicin und die Ärzte seiner Zeit. Vom
Herausgeber.
Gr.8. 14’) Bogen. Eleg. brosch. Preis I Thlr. 7)4 Sgr.
Der „Janus“, dessen Plan und Zweck in dem durch
jede Buchbandlung zu erhaltenden Prospectus näher bezeich-
net ist, soll jährlich in 3—4 Heften zu je 10— 14 Bo-
gen erscheinen in Preise von 2'/, Sgr. pro Druckbogen.
Für den gediegenen wissenschaftlichen Inhalt sprechen
die klangvollen Namen des Herrn Herausgebers und der
Herren Mitarbeiter, und so möge dies neue Unternehmen
dem grossen ärztlichen Publicum, den öffentlichen Bibliothe-
ken, den auf Bestrebungen der Zeit ein Auge habenden
medicinischen Zeitschriften und Journalen zur freundlichen
Theilnahme und gütigen Beachtung bestens empfohlen sein.
Manuscripte und zur Recension gewünschte medicinisch-
historische Werke oder Abhandlungen werden unter der
Adresse:
„Für die Bedactien des Ja w
an die Buchhandlung des Unterzeichneten franco oder durch
Buchhändler - Einschluss erbeten. -
Breslau, im März 1846.
Eduard Trewendt.
Soeben ift bei den Unterzeichneten erfchienen und in allen Buch»
bandlungen zu haben:
Escher, Gottfried von, Eufgaben- Sammlung
über die gewöhnlichen Brüche, zum Ge
brauch für Real: und Secundarfchulen. 8. 5 Ner.,
oder 16 fir... _
— — Befnltate ber Zutgeben Somminng
über die gewöhnlichen Brüche, 8. 6 Ngr.,
oder 20 Kr.
— — Hufgaben: Sammlung über Die De
eitmalbruche, zum Gebrauch für Real: und Se-
cundarfehulen. 67% Nar., oder 24 Fr
efultate ber Hufgaben- Sammlung
über die Deeimalbrüche. 6Ngr., oder 20. Kr. .
Meyer & Zeiler in Zurich.
In meinem Berlage ift erfchienen und durch alle Buchhand⸗
lungen zu beziehen:
Zweite Anfprade
an die deulſche Nation
über die kirchlichen Wirren, ihre Ermäßigung und
möglichen Ausgang
vo
n .
H. €. Freiherr von Gagern.
8. Geh. 15 Nor.
Reipgig, im April 1816.
*80 J. A. BSrockhaus.
an . 8. mans in Beine ie Dundh aife und
Wladyslaw und Diffepli.
Eine ticherteffifche Grzählung
3. 9. Sievers.
Gr. 12. Geh. 20 Nor.
@oeben ift bei den Unterzeichusten erfihienen und in allen
Buchhandlungen zu haben:
Dietpebifher Leitfaden
m gründlichen
Unterricht in der Raturgeichichte
R 4. Eichelberg.
Dritter Theil: „Dinerelogie
weite umgeszbeitete uub vermehrte Tuflage
8. 10 Ngr., oder 40. Kr.
As haͤchſt icheh und wohlfeiles Supplement zu biafem
ausgezeichne überall mit Beifall aufgenommenen natur⸗
geſchichtlichen Wehugistel glauben wir auch den non
irkslehrer Menzel in Berbindung mit Herrn Eichelberg
efhihteallen Herren Lehrern ſehr empfehlen zu follen. Der:
fie erftheint in Lieferungen von 12 Zofeln mit Zert zu dem
eifpieiok billigen Preiſe von Mod 3 Nor., oder 18 Kr. Ber
reits iſt die Lieferung, welche die Mineralogie enthält, und
zwel Lieferungen Thierkunde erſchienen.
Meyer & Zeller in Zürich
.
In rn mn —* —— in Bent vB ie um er⸗
Schulz (Pr. Heinrich Wilhelm),
Über die Nathwenbigfeit. eines
neuen Sateriegebäudes
königliche Crmäldefammdung
zu Dreöben.
a 5. Geh. 4 Ren
Yı Mari Govait’s Betlag in Wien ift erſchlenen:
Sahrbüder
Der Kiteratur,
Hunberizmätfier Band
1849.
October. November. December.
Juhalt bes bundertswölften Bandes.
Art. J. Eine Reife nad) Rome, von Dr. Ignaz Ieitteles.
Nebſt einer biograp n Skizze deſſelben von Auguſt Le⸗
wald. Siegen und — 1 u. Act. IT. Correspondenz
des Kaisers Karl V. Aus dem königlichen Archiv und der
Bibliotheque de Bourgogne zu Brüssel mätgetheilt von Dr.
Karl Lans, Erster und zweiter Band. rn 1814—45.
(Schluß.) — Art. II. Gechszehn Dftindien — ** Geſchichts⸗
| Alien * von 1840 -44.
errn Be⸗
e Methodiſchen Handatlas zur Ratur—
Bet
Neißwecke. — ich WW won Rai Egon@be
ländige Husgahe in —*5 — ——— Aut —
mehrter Auflage. Stuttgart und Zübingen 1845. — Urt. V. Der
ichten von der V
beligen —* Reichs erſtes und: 258 Bu Ele —*
und ſeine Seit. Bon Kopp. R 4 1845. rt VL Me
in ben Drisnt. Mon Son —ã f. ie
— 1846. — Art. VI. an Butler's Hubibrat.
aftek Heldevgedicht. Zum vol
im ee ne frei —X un ‚neu Berg
mentar ausgeftattet von Joſua —
Urt. VII Warfeiuten, ein en in
urg 145. —
‚Breaite * e. Stuttgart und Tü⸗
chen Adels, ur⸗
— deutſ
lich —8 von ——* bis auf die *
Dr. & Du Keil
}
von Benti
ton &tıe
au I 8, ”
Anbelt des Arzeige⸗ Slattes Re. CXI.
Über den ausgezeichneten Wedailleur AN: AB, d. i Yr-
tenio Abondie, des auf AMreich iſchen vom %
1 d Bee Dlungen. Ein Mitrag zu
om Joſ. Vargnann. Ik
—— Studien auf meiner wiſ⸗
ofeſſor Dr. Bin *8
—Aã m ae 9. ————
Eeſeeirkel, Eeihbibliotheken,
und alle Freunde au &gegeidnetes Osten artligger ki⸗
teratur machen wir auf di N
Neue billige Tafbenausgabe
der treffliden S Ele des „großen Unbekannten“, bie
De zum erſten ammelt und mit dem Roman des Bm
aflers, in großem r# format und (pöner Wusftattung, er
feinen unter dem
Charles —— —
Berfaſſers des kegifimen, des Virey, der Lebensbilder aus ber
weftlichen Hemifphäre ꝛc.
gefammelte weh
In 13 Bänden oder 38 wid bi Sammlung te
enbe eiften des berühmten A— Britter F
age m : Der Begitimme und bie R
Der ee Bine) und bie cifefraten, 3 Bde. Morton —* rn
, 2 Bde., und Lebensbilder aus der wehtigen de
8 de — Während in ber Iften und 2ten
13 Bände Fi» Zpir. oder 32 Ft. 12 Mr. qetofnt ar in *
neuen Ausgabe der Subferofionsprsis r Biefer erung uur
5 Sgr., oder 15 Str,
duch welchen höchſt billigen Yreis nun ermöglicht —
dieſe noch viel zu wenig bekannten, lebenefriſchen, echt weite
nalen Schriften erſt vet einbringen in den Kern ber ta
und die verdiente antgebehntefte ie ha finden in allen
Ländern deutſcher Zunge. — Die dſte Bitexung iR
ausgegeben , vorräthig, und — eröffnet in allen
Buchhandlungen Deutichlands und des Auslands.
Bei %, Brodbaus in Leipzig erſchien foeben und if
® buch alle Buchhandlungen zu alten:
Alberti (3. G.), Der Stand der Arzte
in Preußen. Ein hiſtoriſch-kritiſchet —
mit Beziehung auf die bevorſtehende Reform dd
preußifchen Redicinalweſens &. 12. Sch. 28 Res.
Drud uub Verlag von F. X. Brockhaus in Leipzig.
4.
Literarifher Anzeiger.
1846. X VH. 5
Diefer Literariſche Ungeiger wirb ben bei 9. XR. Weadiyans in Beipgig erfcheinenden ZSeitſchriften
„Miättes Min Ltenauifige
Suterpaltung” und „RE beigelegt ober beigebeftet, und betragen die Infertionsgebühren für die Beile oder deren Raum 2% Ror
Berlagdunternebmungen für 1846
F. A. Brockhaus in Leipiig, Ä
Die mit ® bezeichneten Artikel werben beflimmt im Laufe des Jahres fertig; von ben uͤbrigen IR die Erſcheinung ungewifier.
I. An Zeitfchriften erfcheint für 1846:
eji. Deutſche allgemeine Zeitung. Verantwortliche Rebartion:
Profeſſor F. Bülau. Jahrgang 1846: Zäglih mit Ein-
ſchluß der Sonn und Feſttage eine Nummer von 1 Bogen.
Hoch 4. Pränumerationspreis vierteljährlih 2 Thlr.
Bird Abends für ben folgenden Tag ausgegeben. —— —
ren für den Raum einer dreiſpaltigen Zeile 2 Nor. Beſondere Anzeigen
En den Mellagen I et bie Deutfhe Allgemeine Zeitung
riet die Werhand ungen des gegenwärtigen Kanten —XR
2. Blätter für liter e Unterhaltung. Herausgeber:
. Bro : nt en Erg Täglich eine Nummer.
r. 4. Tr.
. Wird Yrıitags auögegeben, kann aber au In Monatsheften bezogen
werden.
*3. Iſis. Encyklopaͤdiſche Beitfchrift, ei für Ratur⸗
geichichte, vergleichende Anatomie und Phyſiologie. Heraus:
egeben von Den. Jahrgang 1846. 12 Hefte.
(Birie.) &r. 4. 8 Ihlr.
Zu ben unter Rr. 2 und 3 genannten Zeitſchtiften erſchelnt ein
giterarifher Anzeiger,
er Uterariſche Antindigungen aller Axt Beftimmt. Fur bie gefpaltene
eile oder deren Raum werden 24 Rer. bereibnet.
Gegen Vergütung von 3 Thlru. werben befendere Anzeigen u, dal. ten
Blättern für Tirerarifde Unterhaltung, ED gesen ergüs
tung von I NXhle. 15 Rer. der Zfis deigelegt ober beigcheftet.
e4. Landwirthſchaftliche Dorfzeitung. Herausgegeben unter
Mitwirkung einer —S Land», Haus= und
orfhoirthe von William Löbe. Mit einem Beiblatte:
nnügiges Unterbaltungsblattfür Stadtund Land.
aubrgang 1346. 52 Nummern. 4. Preis des Jahrgangs
r.
Wird wöcentild Freitags In 1 Bogen ausgegeben.
Infertionegebuͤdren für den Raum einer —XS Zelle? rar Be:
fondere tgen u. dgl, werden gegen eine Bergütung von %, Xhle. für
das —X beigelegt.
Senaſache Allgemeine Literatur- Zeitung.
Im Auftrage der Universität zu Jena redigirt von Geh,
Hofrath Prof. Dr. F. Hand, als Geschäftsführer; Kir-
chenratb Prof. Dr. J. XE. Behwarz, Geh. Justizrath
Prof. Dr. A. L. L Mücheisen, Geh. Hofrath Prof. Dr.
Di. G. Kieser, Prof. Dr. X „ als Specialredacto-
ren. Jahrgang 1846. 312 Nummern, Gr. 4. 12 Thir.
n Aatıb Freitags ausgegeben, Bann aber au in Wonatsheften bezogen
r
Anzeigen werben mit 15 Rgr. für ben
und beſondere Beilagen u dgl. mi 1 rer Mi en Belle
°. Das Pfennig Magazin —e—— Unterpaltung.
it Aupfern.
Neue Folge. Bierter Rummern.
- Monatlid erfcheint ein Heft vo
Re. 157-208, Mit vielen Abbildungen. Schmal gr. 4.
r.
B
natsheften zu 5 Nor. bezegen
Der erſte Bis zehnte Sahreeng Des Pfennilg⸗Magaztn open
jufammengenommen flatt 19 Xbir. 15 Nr. im Herabgefepten Preife
nur 10 Ahir.; der erfte bis fünfte Jahrgang 5 Xble., der te bi
ehnt: —— 5. Ahlr., einzelne Jahrgange 1 hir. 10 Rot, Der
er bis dritter — of
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nnig: Magazin für Kinder.
u; Eh. Fa) age, 15 Nor.
gr.
- Leßiere vier Bände zufammengmonmen nur DB EU _
—F et ennig⸗ Ar in werden &nfünbigungen aller Art aufs
aum werben 4 Nor.
Angeigen u. dgl. gegen Vergütung von %, ne.
e7.
ländiscohen Literatur; Unter Mitwirkung der Uni-
versität Leipzig herausgegeben von Hofratli und Ober-
bibHiothekar Dr. E. Ghf. Gersdorf. Jahrgang 1846,
52 Hefte. Gr. 8. 12 Tblr.
Grfegeint in wörhentlihen Heften von 2% —3 Bogen und wirb Sreis
tags ausgegeben. - ‚
loſer Zeitfaprift iſt ein ,
' Bibliographifher Anzeiger,
für litereriſche Anzeigen aller Art beftimmt, beigegeden und Autänbigens
gen in demtelben werben für bie Zeile oder deren Raum mit 2 Mar. bes
zehhnet, befondere Anzeigen u. del. gegen Wergätung von 1 Ahle. IHR
beigelent.
“3. Deutfches Volksblatt. Cine Monatſchrift für das Wolf
und feine Freunde. Herausgegeben von Pfarrer Dr. Mb,
Haas. Zweiter Jahrgang. 1840. 12 Gefte. Gr. 8. ZU Rgr.
n [4 nöge een
IL) den Raum einer Zeile 2'/, 5 ‚b
fd Air u Aanfend mit % ER —* vr mare *
HB. An Fortfchungen erfcheint:
*9, Analekten für Frauenkrankheiten, oder Samm-
lung der vorzüglichsten Abhandlungen, Monographien,
Preisschriften, Dissertationen und Notizen des In- und
Auslandes über die Krankheiten des Weibes und über
die Zustände der Schwangerschaft und des Wochenbeites,
Herausgegeben von einem Vereine praktischer Ärzte.
Sechsten Bandes zweites Heft und Kolgende. Gr. 8.
Jedes Heft 20 Ngar. '
ok eifte bis fünfte Can, jeder in & Heften 0837 — 85), Soken 13 Thlr.
(li und monatf eben, Baum aber an in Mes -
wöcentlih und monstlld ausgeg 3 ud in
der deutschen und aus- “
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0. Die Lastspiele
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widelung franzi Bolkes, ober Darfteli
wichtig! rn EA und Fakten, von benen bie fran; hf de
— vorbereitet worden und, unter deren Einfluffe
fie A ausgebiibet hat. In drei Bänden. Dritter Band.
Gene —* — Men (1844_45) Boften jeder Alt. 15 Mer.
*13. a vom Jahre 1846 an bie Mitglieder ber Deuts
Kirn gu Grforf jung Daterländifier © en und
mer in Bohr jerausgegeben yon KR.
©, Gr e dem 1835—45 haben glelden Preis,
“13. Eu ee ber Grafiter bed Mublanbes.
Mit Bengraphifige literariſchen Ginteitungen, Bierundfunf ·
zigſter nd und folgende. Gr. 12.
Ne fälenenen Mände Nefer Gammiung And unter er Alteln
inyeln su erhalten:
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derbefferte und ſehr vermepe © Driginal · Auflage.
ſtaͤndig in_15 Bänden enge Sage —
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abet werte werden Sn Ban;
mie. Reunte Auflage. Reue Aus:
an 2 a Lieferung und folgende.
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tahl —E Blätter in
Quart mit Darftellungen aus fämmttigen ——
aus der Geographie, ber Voͤlkerkunde des Alterthums, dei
Mittelalters und ber Gegenwart, bem Kriegs» unb See⸗
wefen, der Denkmale der Baukunſt aller Zeiten und Wölker,
der Religion und Mythologie des clafftichen und nichtelaffifchen
*
lterthuins der zeichnenden und bildenden Künfte, der allge:
meinen Zedpnologie sc. -Rebft einem erläuternden Zert. Ent ⸗
worfen “un! von I. ©. Het. Bollftändig |
in 120 Bieferungen. ierzigfte Sieferung und folgende.
*17. Dielikabach (3.7. ‚ne Operative Ohirargia,
In zwei Tan re siebentes Heft und
Er 8. Geh, . Jedes Heft I Thlr.
nd,
ft 16 (1843), Boftet 6
8, En t 6 Ahle,
Therapie; 'd Semlotik;
iafsche Chemie dnd'ehn F en
Pathologische Anatomie; Materianneätcae I hen der Be
ie: Aklereie;, Gyakkologle; Kinderkrankhchen;
1 Handbuch der
Kr: Handbuch der en Per ghlschen Anatomie, mit
und Stadien a Von
® THE: Die meäicinlsche —
— Erforschui
Innern Kr
— Lehre
und der Bedeutung —— *
beiten desMenschen, Bearbeitet von A. Moser.
eio meine Eneyflopädte der Wiffenfi 3
Kuͤnſte in aiphabetiſcher Folge von mann
Bearbeitet und herausgegeben von J. Erſch Fr ©.
Mit Kupfern und Karten. "Sr. 4. Cart.
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Bmeite Gecti 0 Ei A
wann. Sarenmanigte, 2 eure ne, on And. OL Heft
Dritte@ect u6gegeben von IR t. Nele Meier
Ginundapernigier Xbeil und —5*
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— Erster Band: Die *
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erzeichniß * von 1700 bis zu &nde 184
', welche in Deutſchland und in den
Pr und Siteratur damit verwandten Rändern
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worden find. Reunter Band, weicher bie „von 1 bi
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ver Erfcheinungen en! von. $ 1
Im Lieferungen zu 10 Bogen. ae —5 — und Felgen
he Jede aitferung auf Drudy. BRgr., auf Säreie
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einzelne Bänı | Preike ie ee E33
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Buihı — weite Band (184445) füften Ber an *
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ie eangeifoen Geiſtes. In a Bänden. Bweiter Band,
ober. — eft und folgende. 8.
Wand (Heft 1-8) erfäten 1845 und fofzt 27 Btgr.
(Die Bortfegung folgt.)
. 4
| evangelifden Kirche
uam EBTNEmTEOCHERS NERSD
gierungsrath, und A.
Gaben. hod Sei Meher & Zeuer in und
| len flhen Budbanblungen zu haben:
Deutfh- Katholiken.
Eine Erwieberung anf die neuefle Schrift des Herrn
| . ©. Gervinus.
Von
Dr. D. Scheukel,
Stadtpfarrer in Schaffhauſen.
8. Broſch. 15 Ngr., oder 51 Kr.
Die Knechtsgeſtalt
d
Roth und Hülfe,
Heinrich Xhiele, V. D. M.
edangel. Prediger bei der Fönigl. preuß. Gefandtfchaft in Rom.
8. Brofh. 27 Ngr., oder 1 Fl. 30 Kr.
7 Bir erlauben uns, Geiſtliche und Laien ber ka⸗
tholiſchen wie der proteftantifhen Kirche auf obige, beis
den fehr intereffanten Schriften der dem?chriſtlichen Publicum
wohlbefannten Verfaffer angelegentlich aufmerkfam zu machen.
Bei Gebr. Reichenbach in Leipzig erfhien:
Deutfches Anwaltbud).
Ein Handbuch zur auswärtigen Procefführung in allen
% @, .Buddens, Re⸗
nbdens, Gerichtsdirector.
32 Bogen. Lex. 8. 2 Thlr.
walter in Deutſchland von
deutſchen Landen nebſt de fämmtlicher Sad |
1845,
Medieinische Phaenomenologie-
Ein Handbuch für die ärztliche Praxis von Dr. R.
Eättner. Zweite vermehrte Auflage. 3%, Thlr.
Soeben erſchien in meinem Verlage und ift durch alle Buch⸗
handfungen zu beziehen:
Die natürliche Theologie
- des
Raymundus von Sabunde.
Ein Beitrag zur Dogmengefchichte des 15. Jahrhunderts
i von
David Matzke. |
7 Bogen. Gr. 8. Brofchirt. Preis 15 Sgr.
Eine der intereffanteften Erfcheinungen bed lebens⸗ und
bevegungsvollen Jahrhunderts vor der Reformation bringt biefe
Schrift zum erfen Male zur Unfhauung; dem Katholiken
bietet fie eine Darftelung ber Dogmen feiner Kirche und einen
überragenden Berfuh, fie naturgemäß zu begründen; der
stefkamt findet in dieſem Verſuch das Bingen des menfch-
gen Geiſtes die Gegenftände des Kriftlihen Glaubens in
proteftantirche Geiftlichkeit, |
rem Bexhältwiß zu den einigen Ohefegen-und Mebärfaiffen feines
| Wefens zu erkennen. ı
So ift's als hätte Raymunbus im 15. Sahrhundert,
wenn auch in feiner Weife und für das Bebürfniß feinerdeit,
fi) die Aufgabe unferer Tage geftellt.
Breslau, im April 1846,
“ Eduard Trewendt.
Bibliotheca Koppiana.
Bir bitten die Herren Intereffenten ihre DBeftel-
lungen aus unferm allgemein verfandten Katalog
der von Wr. Sr. Kopp, dem Paläographen,
hinterlaffenen höchft bedeutenden Bibliothek uns
gefälligft bald, wenn thunlic zur directen Poft,
franco einfenden zu:wollen. Diein unferm da⸗
mit gleichzeitig emittirten antiquarifchen Kataloge,
Nr. 1, verzeichneten werthvollen Bücher aus allen
Fächern, befonders auch aus der Naturwiſſen⸗
fchaft, wurden fogleich abgegeben.
. Mannheim, im April 1846.
Schwan Goetz'ſche Hofbuchhandlung. .
Bi 6. Meftler & Melle in Hamburg ift erfchienen
und in allen Buchhandlungen zu haben:.
Berfuh einer Beantwortung der Frage: Wie
ſoll die Strauß'ſche Anfiht vom Chriftenthum
aufgefaßt und widerlegt werden? Von Dr. &,
C. Th. Frauncke. Geh. Preis ’, Zhle.
Soeben ift erfchienen und aan alle Buchhandlungen zu bes
ziehen:
Geſchichte der Auflöſung
er
Jefniten⸗Tongregationen
in Sranfreid) J
im Jahre 1845.
Nach den beſten Materialien und unter Benugung hand⸗
fhriftlicher Quellen
bearbeitet von
Ludwig Hahn.
Gr. 8.. Geh. 1 Thlr. 10 Nor.
Die ausführliche Darftellung eines Streites, in weldhem einer»
feits die Politif einer Partei, deren Wuͤnſche und Unterneh»
mungen im Grunde überall, in Deutfchland wie in Frankreich
diefelben find, andererfeits die religiöfe Gefeggebung und Pos
litik eines der widhtigften Länder zu beleuchten ift, Tann nicht
: verfehlen, die Aufmerkſamkeit Aller in Anſpruch zu nehmen,
welche den großen ragen der Gegenwart eine ernfte Aufmerk⸗
famkeit fehenten. |
Reipgig, im April 1846. ’
Irochhaus & Avenarius.
Mel ben Unterzeichneden erſcheinen Für das Safe: 1048:
Schweizeriſch⸗ Seiiſchriſt
Gartenban.
erausgegeben von Dr. &
re und ee des ‚ulanifgen 2. Bess, Zuͤrich,
Eduard Segel ‚ Obergärtner.
RBierter Yahrgang.
Swälf Nummern. Mit — 1 $1. 45 Kr., oder
Fonrserifde serifche Peitfgprift
Randwirthiheft.
Drgan bed Vereines
Landwirthſchaft und Bartenban — Zürich.
Herausgegeben von Gbnard NRegel.
Zwoͤlf Rummern. 1 Fl., ober 18 Nor.
Beide obigen Blätter jufammengenommen £often
Bios 2 Fl., ober 1 Ahlx. 6 Nor.
Meyer & Zeller in Zurich.
An meinem Berlage ift erſchienen:
Die Epochen
der Geſchichte der Menfchheit.
Eine hiſtoriſch⸗ phitoſophiſche Stizze
Dr. C. 8. Apelt,
außerorbontlicher Profeſſor zu Jeno.
Smeiter Band. 29 Bogen. Gr. 8. Preis 2 Thlr.
(Eine ſehr günftige Beurtheilung diefes Werks erſchien bereits
In Wigand'ẽ Vierteljahrſchrift „Die Epigonen‘, 1846, Bd. 1.
SOffentliche Reden
von
Wilhetm Ernst Weber,
Vorſteher der Selchrtenfehule zu Bremen.
Zweites Bändchen. 296 Seiten. 8. Preis 227, Ser.
Senna, im März 1846. €. Gochhaufen.
In allen Buchhandlungen fft zu haben:
Hapoleon
dargeftellt
nad) den beſten Audim
von *e, 1ife Lieferung.
Dritte Auflage mit 24 neuen Stahlſtichen.
BVelftändig in 23 Lieferungen a /s Thlt.
Leipzig, Chr. E. Kollmann.
ex
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re und tree riesen
| ie
Burisdictionsnormen.
dentſchen und —* chen Provinzen
mit Ein Wo -
k. k. Militeirgrenge
tbeoretifh und beateifg bearbeitet
Set5 Sofeph Rowotny,
Doctor uud Ditglieb ber prager Jariſten⸗F
Swei Bände
Surtftensaruität.
Gr. 8. Wien "re. — 4 Thlr. 30 Nr
Dar re ſteiſa ellung
der allgemeinen
Berzebenngöftener
t. k. öftreiäifien Erbiänbern.
Jos. I. Tryeschtik,
Rehnungbs:Dfficialen der T. E. Kameralbezirke⸗
Gr. 8. Win 1846. Geh. 2
(2 Thlr. 8 gGr.)
James Romane
in deuffchen Überfragungen herausg. von Fr. Nett
und Gustar Bir. 16. Stuttgart Bert
Sch. à 37% Sgr., ober 12 Sr. d
Bon diefer Ausgabe, ber einzigen, in —* —
liche, von James vorhandene Romane aufgenommen werden,
bie ſaͤmmtlich noch im Laufe dieſes Jahrs vollfländig erſcheinen,
und bie zugleich die bil ligſte von allen deutſchen Uusz
ift, Mind feit Anfang voriger Jahrs die Bändehen 117 — 153
erfihienen, folgende Romane enthaltend:
De: Räuber, Branflin Pi 6 Bdchn. 2% Ger.
Agincourt. —
tion —* oder die > enhrüher. 5 Bode
eine aite Tanfenden oder Die Tage Beinris IT.
De * —— ur Boän. 22), &or.
Stiefmutter. 1.— 4. Bodn. 15 Sgr.
—* een wird au einzeln abgegeben
. Br Be ya in
allen Buchhandlungen Deutfchlande und bed Kasianbl.
Im Verlage von F. R. Brockhaus in Leip
erſchienen und durch alle Buchhandlungen zu
MRöben (8. G.),
Der ſouveraine chriſtliche Staat, das Ende
unſerer Zeitwirren.
Gr. 8. Geh. 1 Thlr. 15 Ngr.
iß jeder
—*
Druck und Verlag von F. X. Wrodpaus in Leipzig.
[4
i iterariſcher Anzeiger,
1846.
3 VII.
ö— — — — — —— ——— —— — —— — 77I;I;IIäIä;X
Dieſer Biterartihe Anzeiger wird den bei WE. Arockbaus in Meipzis erfjenenben Beitfchriften „Wtätter für literaviſch⸗
unterhaltung” unb ne beigelegt £ ober beigepeftet, u und betragen bie : Jofertionsgeh ühren für bie Beile ober beren Raum 2% Rat.
über bie
Berlagsunternebmungen für 1846
SAN. Brockhaus in Leipig,
Die mit * Begelläneten Artikel erden befilmumt im Saufe des Jahres fertig; von den übrigen If bie Erſcheinung ungewiffer.
(Hortfegung aus Kr.
L. An Fortſetzungen erſcheint ferner:
225. Lewalb's ( A.) gefammelfe aritten. Im einer Aus
. Frag — ee: oder zehnter
[and
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Bänden, a a ap Met Bhaareitunde. Da wer!
Des exfte und zweite Heft (1862) koſten 1 Ahle,
“TI. Der neue Pitabal. Cine Sammlung der intereffante-
Ben Ariminzalgeſchichten aller Ränder 34 erer und neuerer
CB. eräuße sachen von —E Eb. ig und BB. Press
gr ee Thell a 1 * 24 * der —— ah Aheil *
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2. Pomer (L.), Handkuch der ntholonie ad
In zwel Bänden, Zweiter Band, Gr, 19. Geh.
Bar Dand: „Arte Rrantheiten“ (1085), —
—2** ——— Bi), Das V
erhältnigsen. Zweite, z
— mgsarbeiae Auflage in drei Theilen, Dritter weite, gu
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a Bet er — Die Kot und orten der
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oft und folgende. Gr. 4.
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ates Heft jaden- bbasiden- Münzen. Mit 1 Hihographir-
Raumer. Reue Fo er Saprgang. Gr. 1
dhrsingen (IEAp--30) um —* —8 bren Pure gie
re 10 denen a — Di Kae sang
et i6 ante & Rebrash A ein 18 un
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Wechsel- und Bankwesens und ’der Usanzen aller Länder
und Mandeleplätss.
wart bearbe von * Naback u
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Daß erſte his ſiebente Heft (184145) Boffen 3 Ahle, 16
‚ Veteria et Novi —— * ipae
fongmenke qup zupersun 17 ana go
nitate * * F — Iatrucz cum lossario
nA ernmuphtioa Iingnae gafhicas conjun une runt
dnhelentz et J.
u, 0, de —8 Bapdes
zweite Abtheilung, eine Grammatik der gothischen Sprache
enthaltend. * j * Su 55* —53 pa fer
an gr ee
Kr np — 35 —X n
Ha le. * Ft ee 5 WXAir. ala ‚uf
37.4 & auf das Jahr 1007. Reue Felge.
* —— an ———— Bübniffe- 8.
vie, von sl, Seller ne Hrani die im And nur ned ei —* 357
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fichente Ind a Rsds und 1846) jeder ? Ahle. “
Thoileonemann
(F. A. L.), Die Fortpflanzung
geschichte nach dem gegen-
wärtigen Standpunkte der Wi mit Abbildusg
der bekannten Mit 100 enlorirten > Tafeln. In gehn
Heften. Zweiles en Kt m und folgende
j Dee und Höhnererten) Gr 1845 und kofter
-
Gerauargeben u * Ger. |
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don Bedürfnissen der Gegen-
ti
*%. Das Band UL und
— A.u. d. J.:
aus Paſſeyr, Oberanfuͤhrers der Tyroler im Kriege von
1809. Durchgehends aus Driginalpapieren, aus den militai⸗
riſchen Dperationsplanen, ſowie aus den Papieren bes Frei⸗
beren von Hormayr, Hofer’s, Speckbacher's, ıc. ıc. Zw eite,
und ber Tyrolerkrieg won
durchaus umigearbeitete und fehr vermehrte Auflage. Drit-
‚tes Seil d — koſten 4 Thlr. 12m
er erſte und zweite Theil ( ) ko Thlre. 12 Rer.
°40. Wangen (GE. %.), Kunſtwerke u
Deutſchland. Dritter Theil und folgende. @r. 12. A
auß i e ZTheil, auch unter dem beſondern Titel: „Kun at und
m Gragedirge und in Pe am, oft ale rn
re nit hell, unter dem Xitel: „„Runftwerte
aanet *. * dem Elſeß und“ er —ãE a * N
felden
Bo m Berfaffer erfhien auc bafeld
Aber vie —* ng, weine der Beitunp, ber © Binkeuere 7 Molerei
16, Wi — 1 im —A——— — Ben zu a 12. wre
II Un neuen Yuflagen und Neuigkeiten erfcheint:
+41. Abberti Jul. &f.), Der Stand ber Aerzte in
Preußen. Ein Hiftowmich »Pritifcher Berfuch, mit Be iehung
auf die bevorfichende Refom D Dis preußifchen Mebi
—8 Sr. 8 32 3 25 eir
Reue und Erza ungen
jugendliche Beferinnen. Gr. 16. Och. 2IR 4
len Beraten Berfafferin erfbienen Ei aber 1964
Bärgen „und Grzähtungen für jugendlige Seferinien. Gr. 16. Geh.
43. Blsämene (8. Juſtus), Henri P i. eü e
aus dem Milde feines Lebens und PA and.
zeugniffen, — en und Rittheilungen. Mit Sehr
Te Bildniß und 4 Tithographirten Tafeln. &r. 8. Geh.
44, Bremer ( Frederike), Die Familie 9. Aus dem
einmevifihen. Bmweite verbefferte Auflage. Gr. 12. Geh.
gr
a a een une Ted DA BR aber el
VE. find zu erhalten:
Die Ra ben. — „al Die Töchter des Präſidenten. —
—8 — —. Xi. us. — VII. Die Yamilte —5 —
IX. Kieinere mist. — 8*⸗ treit und Iriede. — Ein
Aagebudy. In Dalekarlien.
su. WBriete Joſeph's II. Dritte verm age: Seit‘
emäß eingeleitet und erklärt von —* uf &r. 12.
46. Denkınkler der Kunst des Mlittelalters in süd.
Uchen Italien. Gezeichnet von Anton Hellmann, Sa-
verio Cavallari u. A. Herausgegeben und erklärt von
HM W. Schulz. 150—1% Tafeln in Folio, mit dem
erläuternden Text in Quart.
ou Manuel ‚Texigue au Diplomate et du
Ge
Consul. Par F. 8 7
48, hi ern ın (DR. CH herr von), Sweite An-
deutfche ie —* die Eirdißen esirven,
mäßigung und — * Ausgang. Gr. 12. Geh.
— an w Deut e Fa — an melde ſich
DIE en demfelben PR A) len beit eher ba⸗
fe
BE zes 100, Gel, 1 2 Mit 4 veaktither Anwendung auf unfere Zeit.
Gr.
wei ite er Yrieden. —* t .— Xu b. %.: Mein gneheil
a e "pol Bein, "ne hd Gr. 8. —8 Geh. Thlr.
49. Grässe & @. mad.) Wörterbuch der ge-
sammten My logio aller bekannten Völker
der. Erde, nach den —— — uellen bearbéitet, mit
den wichtigsten Beweisstellen und mit Uebersichten der
wichtigsten Religionssysteme versehen. In Heften. Gr.8.
*50. Bihliographisches Handbuch der philosophi-
schen Liter@tur der Deutschen seit der Mitte des
18. Jahrhunderts bis auf die neueste Zeit. Nach J. 8.
Ersch in systematischer Ordnung bearbeitet und mit
Andteas Hofer's, —ã
205
den nöthigen Registern versehen von Dr. .Ch. Ant.
Geissier. Dri Zar age. Gr. 8. “
— elben Beriage ee er hen Literater der
— Dest-
lt Ser Mitte den 18, ———A — Nach 3, 8. Ersch
bearbeitet von Ch. Ant. Gelssier. Dritte Aufiage. 1885.
Beife werben auch bie andern Zeige ber Literatu
Erſchis Inte bearbeitet und bis
Fl a ut di Gange mich Ka be neuen al De neuste de je —
wait di a F en de ti gute} —* ale,
won — mit Sina er HP ge —
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— er Philosop hie und : und Bei 1922. 16 Ner ne
erspradens, a* —— —
18%, 1 Thulr. 10 Nr — ã— und deren Hülfewinsenschehn
1877. ud Zar. m _ ıy ermischte Schriften. 1837. 8 Ngr. — Schöa: Kin
51. Selbauen. (8. 8. , Der Protefautimud in feiner
ichtlichen en , Begründung, um d Fortbildung.
1 Fi Bänden. Sehe Ban 8. — 2 Zhlr.
*52. Jäger Gef. N.), Gerlenpeiltunbe, q eräge auf pie
chologiſche Grundſaͤtze. Ein Hanbbud für Sfohologen, te,
Serilager u und Richter. Smweite verbefferte Auflage. Gr.8.
Zhlr.
53, Weber die klein
Zeher (8. €), er ———
an ejenber Sagdliebhaber. Brick, ver
—— 35 —* Gr. 8.
"ans
Mit Kupfern.
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achſen 4 —I for cr fir bes Bine
Faffıng. Borausgeſtellt ift eine Te der Wrofegüre bes
Bataillonsarztes Dr. Reubert in Dresben: „Darftellung ber
aͤrztlichen Bildung ber Far ai der koͤnigl. fühfihen
Armee * betitelt. Gr. 8 Kor.
abre 1845 erfäten —X von be Berfaffer
—8 N TR der Mebleinalverfa ung Sachſens fordern bir enität
“55, r- ürgens (ey 2 —*— De, Beben, Gehe Both & Kar
er's
Luther von feiner Geburt bis zum Ablaßſtreite as oh.
drei Bänden. Erſter Band. Gr.8. Geh. 2 * 15 Ror.
56. Kratzuann Leistungen der neuors
(E.), Die
-F rankreich nach Theorie und Praxis
dargestellt. F —* Gr. 8. Geh. un
..
*57. Roebel —— — in Umeifi
Sr rer Sand —— &. 3.
Ausführungen.
58. var avelli (Miceolo bi Bernarhe bei), Florentini
chichten. Aus dem Italieni ienifiben. ee dor
4 Neumont. Bwei Theile. Gr. 1
9. Mandl (L.), Handhuch der
tomio, angewendet nuf die Physiologie und Pathelsgie-
Nebst einer Einleitung über den Gebrauch des Mikro pe.
Deutsche, nach dem französischen Original vom Fr
besorgte, mit vielen Zusätzen versehene Ausgbe. Zwä
Bände. Mit 10 Kupfertafeln. Gr. 8.
*60. Massalo J. V. Logerithmisch-trigpuone-
trische —— — Ein sur Horizontal- rojection
gemessener Längen auf schiefen Ebenen, sowie vorzugs-
° weise zum Gebrauch bei nivellistischen Arbeiten und beim
Markscheiden unentbehrliches Handbuch für Greometer,
Ingenieure, Markacheider, Wasserbau- und Chaussee»
beamte. Gr.
*61, —— ($ a 8 Die Fabrikgerichte tn Br-
“02. Mohr (®. €. €), Vaiate
Neueſte und nenere nn u
Aiterarifche Erfcheinungen
. . durch
C. A. Schweischke und Sohn in Halle,
fowie durch alle übrigen Buchhaudlungen Deutfehlauds,
zu beziehen. ”
| Theologie, befonders3 Mroteftantifche Freunde und Wislicenus
u betreffend. |
- Bwei Bffentliche Zeugniſſe aus Halle für ein ver: | Die Neligion Yen Ehriſti und das Ehri
i ſteutbum.
nunftglaͤubiges Chriſtenthum und den Paſtor Wislicenus. Don Grävell, Verf. der Schrift: „Proteſtantismus
Altenburg, Helbig. 3 Sur. ° und Kicchenglaube von einem Laien.” Halle, Schwetſchke
Enthält die Werwenduugdfchriften - Reumärktifcher und Sohn. 2% Thlr. 15 Ser. ,
Kirchenmitglieder und ber Stadtverorbneten» Ber- Der Berfaffer ift der Geheime Juſtiz⸗Rath Grävell in
fammlung zu Halle an das Ober - Prafidium ber Pro» Lübben, welcher ſchon früher, namentlich durch feine
ving Sachen für Wislicenus. — Schrift: De: Menſch, „einen literari Gen A rün⸗
— erde y e —2
Die evangelifche Kirchenzeitung und ihr Treiben, DE ee hen fe a Mir
Bon Dr. C. äfhie (he, ev. Pred. zu Döffel bei Wet: cher Rede fprechen oder fhreiben,, welche verfbasnden wird:
tin. Leipzig, Kirchner. 5-Sgr. | und wer Jemanden verftehen wi, muß bie Begriffe von
den Morten kennen in denen AR ihm geredet wird. Died
Die peoteftantifchen Freunde. Eine Selbftfritit.| fee hen u —— — Gitee
Sendfohreiben an Uhlih, von Dr. C. Zſchieſche, ev. “ noffen feine Lehre nur in volköthümlicher Sprachweife kund⸗
Pred. zu Döffel beiWettin. Altenburg, Delbig. 16 Sur. —2 um ik far richtigen a dr m, mas und Denon '
Der Berfaffer gehört dem Hallifchen Kreife der pros Ir der Zeit un n dem Aiome ermitte eutung DET Borte
: re In, worin fie ges
seftantifchen Sreunde an und hat na namentlich aud - raucht wurden. Wer mit vorgefaßten 5 * en oc (er
bei den wiffenfchaftlichen Berfammlungen diefed Krei-
fes befonder& betheilige. —A VBorſtellungen dem unterlegt, was er dar⸗
aus Ph bringen fol, muß notpwenbigerweife
— - em Selefenen falfcye ung geben. Um e,v
Ghriftus in der Kirche: tobt, erfichend und eritan: allen menfehlichen Zufägen un ntftellungen bare, Fehre
ben. Drei Predigten aus der Gegenwart. Bon X. vet nefentlice m ber tg esrift rg Wippe
T. Wislicenus; Pred. zu Bedra bei Merfeburg. a0 een it A A Be An A ARE II
Eeipie, Rich. 10 Chr. ae ee San — en
‚Der Berfafler if ein leiblicyer und geiftiger Bruder welches der volksthümliche Sinn der ſprachgebräuchlichen
des Pfarrers Wislicenus na. geifiger . Worte und Redensarten zur en et nung eu
- nn grmit baſchatti Ns Ma Keee Bil, en *
Bekeuntnifſſe eines Freigewordenen, mit beſonderer ee ee ee GE Bude ae
Beyiehung auf Kampfe's Beantwortung der. Uplich’Tchen —* no on Cände, Cünbeneriab, Busse, Gtauß,
Belenneniffe. Won B. M. Gieſe, Prediger in Atens- zu verſtehen iſt nach der Adbruchöweife ber Zeit: umd
nefta bet Herzberg. Altenburg, Helbig. 16 Ser. yes — — end R denn 9903 von ſelbſt
Bon ars | Leimü— ie eberzeugung, daß die Tautere und unver»
tige Bekennfnig eines mod vor Kurzem oiibensen |“. fügt, Ccbre Sefu sim nbegei Det erhadenfen um
—* wo jest vernunftglaäubigen Predigers in der Leudjtenden nd * * göttli ——
ruhigen dðxorina Saclſa. 3 en u un entfernt * en * Unver⸗
Was beißt deun das eigentlich: Zefus Chriftus ift DR Che IR Vie Mrliglon Des Sidts, ver Bieke end
—— a in einer Landgemeinde gehalten *8 5 Daran Pr mau, eefennen, „wer die
einer Baterſtadt Wittenberg als freied Bekenntniß EBEN „Unger D° andes find, DAP, Te Tieve MULEL
vorgelegt von B. M. Giefe, Paſtor I Atensneſta x 3 Eben mp Ts Dr "nit und a hehe
Herzberg. Halle Schwerfhke und Sohn. 21, Ser. Dies die Ausführung diefea Werkes.” ' .
%
Schuttſchrift für Guftav Abelab Fiisiteenes,
Pfarrer an ber Reumarkisliche zu Halle, gegen bie
Anfdjuldigung ber Abweihung vor der Lehrbafis ber
evgngslifchen Kirche und von ber, kirchlichen Ordnung,
durch feinen ermählten, Wertheidiger, den Kammer: Ge:
eichte:Affeffor G. Eberty. Altenburg, Helbig. 1% Sur.
Bon Ken Wichtigkeit als die officielle Vertheidi⸗
gungsicheift für Wislicenuns.
Ss
Chriftliched Andachtsbuch für denkende Verehrer
Jeſu. Bon Dr. 8. ©. Bretſchneider. In drei
Theilen. Mit dem Bilde und Zacfimile des Verfaſſers
in Stahlflih. Halle, Schwetſchke und Sohn. '
auf Maſch.⸗Velinp. 3 Thlr. S2I/, Ser.
auf Löwen: Velinp. 4 Thlr. 15 Ser.
# nicht bloß. zu häuslicher Erbauung beftimmt.
e darin enthaltenen Abhandlungen eignen ſich
ebenfo gu kirchlichen Vorträgen, wie fie auch
einer deutſch⸗katholiſchen Gemeinde bereits
.B.-i
* dieſer
Weiſe benutzt werden.
Portrait von Dr. Karl Gottlieb Bretſchneider,
Dberconfiftorialdirector, Generalfuperintendent u. Ober:
pfarrer zu Gotha, Comthur des Herzogl. Sächſ. Erne:
flin. Hausordens. Mit Facſimile. In Stahlſtich. Auf
hinef. Papier. Halle, Schwetſchke u. Sohn. 12'/, Ser.
Au ihren Früchten follt ihe fie erfennen! — An⸗
mertungen zu einer Erklärung bes Hrn. Prof. Dr.
Hengftenberg in Berlin gegen die proteftantifchen Freunde
in dem Vorwort zu feiner evangel. Kirchenzeitung 1845
Mr. 50.6. Von Uhlich. Leipzig, Kirchner. 2/, Ser.
m
—
Der Pfarrer Baſtav Adolpyh Wislicenus. und Die
Bedeutung feiner Belenntniffe und rlebniffe für die
Sefanimtheit. Eine Zufhrift an bie Preteftanten von
Dr. & ©. Piper. 48* Schwetſchke und Sohn.
gr.
Diefe Schrift I i | ichtigkei
ale dab Obers@enfur@erigtie Bee Diele
bedeutungsvolle Stellen volländig zum Drude ver
ftattet bat.
Encyclopädie der theologischen Wis-
seuschaften. Von K. Rosenkranz,-ord. Prof. der
Philos. an der Univ. zu Königsberg. 2e gänzl.
umgearb, Auflage. . Halle, Schwetschke u. Sohn.
4 Tulr. 25 Sgr. .
2 | Die religidfe Glaubenslehre nach der Beraunft un
Offenbarung für denkende Lefer dargeftelt von Dr.
8. ©. Bretſchneider. Je verb. u. verm. Auflage.
Halle, Schwetſchke und Sohn. 1 Thlir. 26'/, Ser.
Nationales Jeugniſe von Ehrifte und für Chriftum.
Eine Predigt Über die Frage: Wie dünkt Euch um
Chriſto? Weß Sohn iſt er? Bon Lauter, Prediger
in Wanbersieben bei Erfurt. Dale, Schwetſchke und
Sohn. Sgr.
Die fumbolifchen Schriften der Tutherifchen Kirche;
die hauptſächlichſten volfländig, bie übrigen in Eurzer
| Darſtellung. Halle, Schwerfhle u. Sohn. E Sar.
Dentfch : Katboliten betreffend.
Für bie Deutſch⸗Katholiken. Ein Botum vou| Trug: Mom⸗ und » Zefniten. Ein Gedenkblatt für
r.8. ©. Bretſchneider, Oberconfiftorialdirector und
Generalfuperintendent; Comthur erſter Klaſſe des Der:
zogl. Sächf. Dausordene. Jena, Frommann. 5 Sgr.
- Scmeidemüller: Lied. Mit ſechs Begleitſtücken.
Bon Dr. G. Schwetſchke. Dritter, mit einer Com:
pofition des Schneidemüller: Liedes für vier Männeye
flimmen vermehrter Abdrud. Halle, Schwetſchke und
Sohn. Bil, Sur.
römifch= und deutſch⸗-katholiſche Chriften.
Hinrichs. —
Halle, Schwetſchke u. Sohn. 15 Se.
Die deutich: Fathulifchen Deputirten in Sole. Ein
.Gedenkblatt an die Feler vom 27. Mär; 1845, den
zum Leipziger Concil entfandten deutſch-katholiſchen
Deputirten zu Ehren in Halle veranfkaltet. Nebſt der
Halliſchen Adreffe an ſämmtliche freie katholiſche Ger
meinden und Katholiten Deutſchlands. Dale, Schwetſchke
und Sohn. #/, Ser.
— — — — — —— — ——— ———————
Trier: Nouge: Schneibemühl. Ein fliegendes Blatt vom Profeſſor Hinrich 8. de Aufl.
g Halle, Schwerfchle und Sohn. RL, Sur. ..
„ee
politik. Staatswirthſchaft. Inripeudenz.
Sinrichs Politiſche Vorleſungen. — Unſer Zeit: | Lehrbuch des gemeinen deutſchen Eriminalrechts
alter und wie es geworden, nach ſeinen polit., kirchl.
u. wiſſenſchaftl. Zuſtänden, mit beſond. Bezuge auf
Deutſchland und namentlich Preußen. In öffentl. Vor⸗
trägen an d. Univerfität zu Halle dargeſtellt von H. F.
W. Hinrichs. 8% Bände. Halle, Schwetſchke und
Sohn. 3 Thlr. WO Ser. |
Die Lehre von der Volkswirthſchaft in ihren all-
gemeinen Bedingungen u. in ihrer befonderen Entwidelung,
* oder wiffenfchaftl. Darftelung der bürger!. Gefellfchaft als
Wirehfhaftsfpftem. Ein Haͤndbuch für die Freunde biefer
Wiſſenſchaft u. für Staatsmänner. Von Dr. 3. F. ©.
Eifelen, Profeffor der Staatswiſſenſchaften. Halle,
Schwetfhke und Sohn. 2 Thlr. 15 Ser.
BSiurichs Ferienfchriften. Pfingſten 1844. Die
Preußiſche Petitionsfrage nad provinzialftändifhem und
conftitutionelem Gefihtepunfte. Bon Dr. H. F. W.
Hinrichs. Halle, Schwetſchke und Sohn. 15 Sgr.
SHSinrichs' Ferienſchriften. Oſtern 1845. Die
deutſche Verfaſſungsfrage. Darſtellung und Kritik der
Carlsbader Verhandlungen über die Interpretation bes
Artikel 13 der Bundesacte. Vom Profeſſor Hinrichs./
Ebendaſ. 15 Sgr.
mit Rückficht auf ältere und neuere Landesrechte. Von
Dr. A. W. Heffter. Ze forgfält. revid. und verb.
Aufl. Halle, Schwetſchke u. Sohn. 2 Thlr. 10 Sur.
Dr. €. $. Wüuhlenbruch's (weiland. Geh. Juſtizrathes, Rit-
ters-2c. u. ordentlichen Profeſſors der Rechte zu Göttingen)
Lehrbuch des. Pandecten:Rehts, nah ber Do-
ctrina Pandectarum deutſch bearbeitet. Ae verb. Aufl.
von Dr. O. C. v. Madat (iett Profeffor der Rechte an _
der Univerf. Kiel. 3 Theile. Halle, Schwetfchle und .
Sohn. 4 Thlir.
Geschichte des deutschen Strafrechts. .
Von Dr. W. E. Wilda, Professor in Breslau. 1rBand
A. u. d. T.: Das Strafrecht der Germanen. Halle,’
Schwetschke uud Sohn. 4 Thlr. 15 Sgr.
Archiv des Criminalrehts. Nene Folge Bier
ausgegeben von den Profefioren Abegg, Birnbaum,
Heffter, Depp, Mittermaier, v. Wächter,
Zachariä. Jahrgang 1845. 4 Hefte Halle,
Schwetſchke und Sohn. & Heft 15 Sgr.
Wird fortgeieht.)
(Das Archiv des Gcim. R. erſcheint feit d. J. 1798. Der
Ankauf volftänd. Eremplare wird durch möglichft billige Be⸗
dingungen erleichtert.) u
Philologie, Literar⸗Hiſtorie, Waftoral:Literatur uud Pädagogik.
Allgemeine Literatur- Zeitung. Herausgegeben von
denProfessoreuBurmeister, Duncker, Friediänder,
Grubor, Meier, Niemeyer, Pott, Rödiger, Weg-
scheider. Jahrgang 1846. Halle, Schwetschke u. Sohn.
12 Thir,
Lehrbuch der NReligionsgeſchichte und Mythologie
der vorzüglichſten Völker des Alterthums. Nach der Anordn.
K. Otfr. Müller's. Für Lehrer, Studirende u. die oberſten
Klaſſen der Gymnaſien. Bon Dr. K. Eckermann, A eo:
d. philoſ. Fakultät d. Univerf. Göttingen. 2 Bände. Halle,
Schwetichte und Sohn. 1 Thlr. 25 Spar.
‚Deffelben Werkes Ir Bd. Le Abtheil. Ebendaf. 1% Sgr.
Hiellenische. Alterthumskunde aus dem Gesichts-
punkte des Staats. Von W. Wachsmuth, Dr., Professor
Rüter u. s. w. 2e umgearb. u. verm. Ausg. 2 Bünde,
Halle, Schwetschke und Sohn, 8 Thir,
Grundriß der Geſchichte des Schriftentbums der.
Griechen und Römer und der Romaniſchen und Germanifchen
Bölker von 3. Fuchs. Halle, Schwetſchke und Cohn.
1 Thir. 15 Sgr.
\
der Griechen und Römer und der Romanifchen ımd Germani⸗
Kurzer Abriß der Gefchichte des Schriftenthums
. [hen Bölter von X. Fuchs. Chenduf. 5 Sgr.
Bie Demen von Attika und ihre Vertheillung un-
ter*die Phylen. Nach Inschriften von L. Ross. Herausg.
und mit Aumerk. begleitet von M. H. E. Meier. Halle,
Schwetschke und Sohn. 2 Thir, Ä
Griechiſche Grammatik für Schulen u. Studirende,
Bon Dr. Mehlhorn, Prorect. am Sumnaf. zu Natibor.
16 Lieferung. M. 2 un, & Halle, Schwetfchte u. Sohn.
gr.
Suidae Lexicon, gracece et latine, ad fdem op
timorum librorum exsctum port Th, Gaisfordum,. receu-
suit et Annotätione critica instruxit 6. Bernhardy. Tomi I.
fasc. 1— 7. Tomi Il. farc. 1 — 7. Halae, Bchwetschke
et fill. 27 Thir. 25 Sgr.
Grammatit der Italtenifchen Sprache von Dr.
2. 8. Blanc, Dompred. u. Prof. Halle, Schwetſchke und
Sohn. 3 Ahle. 10 Bor.
Der Preupifche legale evangelifche Pfarrer. Eine
ſachlich⸗ geordn. , auszugsmäfl. Darſtell. u. Radweil gültiger
Seſetze, Berordn. u. Borfchriften üb. d. paftorellen Amtspflich⸗
ten und Verbindlichk. B und Gerechtfame und anders
weit. amtl. Berhältn. der Preuß. evangel. Civil» u. Militair
Pfärrgeiftlihen. Zum zweiten Male ergänzt u. berichtigt her⸗
ausg. von 8. G. Woche, evangelifhem Paftor zu Steinkirch.
Jule, Schwetichte mu Sohn, 36/, Sgr.
gniſſe
toff zu ſtyli en Bchnngen in be .E and dem Reben eines
< = A —5 — JIa * ichen gene S ur - eiß, al vet Geh. Reaier.
ndeutungen von D. G. Herzog. Se verb. Und Karl verm- Hath. 1r Band. 2e verm.u. verb. e, Chwetihls
Auflage. Galle, RAN und Sohn. 1 Ahlr. und Sohn. 10 Sg
, a ehrt —8 fie ein k — ——
ethoden-Lehse für ein ein o
Der Breußifche tenafe evaugelifche Volksſchullehrer, ſchulen unf. Beit. &bendaf. 26'/,
if. De NE Radgmef: bieher erfipumenee anncch pulsiger | Deffelben Merkeb Ic Band. X. u. D. Z.: Dat veitten fünfte
Gelege, Beroran. und: Borfchriften über die Schul - Amtöver- ‚peuptpid bes kleinen, Katı ismus von Dr. M.
ättu., Amtspflichten u. Berbindlihk., Befignife u. Gerecht⸗ uther praktiſch beark, Tor für Volkeſchullehrer. GEbend.
ame u. anderweit. Angelegenh. der Bolls- Schu ehrer u. Kirs
Gpenbebienten. (Givil u. kkär.) Zum dee Male berich» Deifelben Werkes 4 Ban A. u. d. J. Saeber die Beſchrän⸗
tigt m. ‚eepänst derantg. von K. G. Bode, evangel. Paſtor tung des Unterricgts in den Boltöfähulen ü
zu GSteinkirch. Halle, Schweiihte und ohn. 15 Gar. u. den deutfchen Sprachunterricht insbefond.: Eben). 1 Zyle.
Naturwiſſenſchaften, Technik und Lanbwirtbfchaft.
Techniſches Sülfs: uud Bandbuc für Gewwerbtrei: | Die Versteinerungen des Steinkohlengebirgs
88 28 Dr. Schadeber Mit in d. Text gedruckten von Wettin u. Löbejün im Saalkreise, bildlich ren |
nitten. ale, Schwetfihte u. Sohn. 1 Thlr. 15 & . bearbeitet von Dr. E. F. Germar, ÖOberhergrath,
Solfe hi So u # fessor in Halle. (Mit deutschem und lateinischem dem,
1s bis ds Heft Mit 1% Taf. Abbild. Halle, Schvreischke
ESuyſtemati de Euchflopädie und —— der und Sohn. à Heft 2 Thir.
tu t D
a oeefhle u Gohn, 1 Khlr 19 Gar 7
Versuch zur Darlegung des gegenwärtigen Stan-
des der Winseuschaft in Bezug auf die Lehre von der
Hodegetiſche Auleitung zum naturwiffenfchaftlichen Urzeugung. Von J. A. Hein. Halle, Schwetschke und
Studium auf Univerfitäten. Bon Dr. G. Suckow, Profeffor Sohn. 26'/, Ser.
u. f. w. Halle, Schwetichle und Sohn. 7% Sar. /
=
Der abrene Eaubwirt , weicher Tbesrie mit
Der a angebende Pachter. Ein Sandbuch für Ras gras ar verbindet —A— meiner — —
a A unge | Siemehna. BebR Defeibe m übe Wrace on en en |
mi e n eſe
—X "md Sonn. ne I Ser. j —* . ommiffer. Halle, Schwetfchten. Cohn. 15 Gyr |
Geographie, Geſchichte, Philoſophie und Vermiſchte Schriften.
Dr. E. G. Blancꝰs Sandbuch bed Wiſſenswürdigſten Die allgemeine Htätetit für Gebitdete. Wien |
—X nen. von Dr, 15 en ah ıman Bewohner. (ga tlich bearbeitet von Dr. 6. 8. Ideler, roter der
e Auflage er r W. mann
Tafela erläuternder — Ausgabe in — Seften. Sale, itin u. ſ. w. Pole, Schwetſchke 3 Sohn. 2 Afle,
Schwetfchte und Sohn. & Heft 7
Erinnerungsblätter an bie Sgiagt bei Lei
Atias zu Biane's Handbuch des Wissenswäürdig- 2 Vorträge, gehalten von Br. 8. 6. Iacob, Prof. a
sten u. 5, w.. Bearbeitet von W. Walter (25 sauber eolor. | - Landesfchule Pforte. Halle, Schwetfchle and Soy. 5 —*
Karten). Neuer Abdruck, 4 Lieferungen. Halle, Schwetschke
und Sohn. à Lief. 15 Ser. Ideen zu einer Neform ber chriftlichen Kir ;
mit befonderer Beziehung auf die neueften —— Bet
Dodegetifches Sandbucd der Geographie zum Schufs | ' nie Gin Wort zur Beher ersigung an alle Verehrer
gebraud bearb. von 5. ©. Selten. 18 Bdhn. Für Schü- lichen Gottesdienftes von ©. auenburg. Halle,
u. d. T undlage beim Unterr. FA d. —* und Sohn. 3°/, Sgr.
17. verb. u. verm. Aufl., in Verbind. mit d. neuen Walter;
[hen Schulatlas zu ei Bo, Halle, Schwetfchke u. Sohn. Sefhichte der Maturpbtiofogbie yon 55* von
Werkes 23 VBdchen Lebrer. A. u. d. J.: neber erulam bis auf unfere Zeit, von Dr. a 5
n Gebrauch der kehrhülfsmittel ehrer. Unterer. in d. Sri feffor der P — e2r Theil. a eher.
34 de vesm.,größtentheilö umgeazb, Kufl. Kantifchen AR ee Schwerſchte
Beffelben Wertes 36 Bochn. fi, Gehser and Schüler. X.u.
ab d
Paumfennimig HH: on & —— ae A Byzantiuiſche Blatt von . Sgwetibie. Halle,
verb. u. verm. bend. 15 gr. wetfi |
—Xã
Nügelieder der Zronbadvnns n Bein Nom und die —— Original und beutfche
Meberfegung won. Dr. Eduard inckmeier. Halle; Schwetſchke u. Sohn. 10 Gyr.
TEE ante Bu Budyrudexei, -
En
® Liter
1846. MIX. -
ariſcher Anze
iger.
Verzeichniss der Borlesungen,
an der Töniglich bairiſchen Frie drich Alexanders⸗
Uninerfität zu Erlangen
im Sommer - Semefter 1846 gehalten werben follen.
Theologiſche Faeultãt.
Dr. Kaiſer: Übungen des exegetiſchen Seminariums der
alt» und neuteſtamentlichen Abtheilung, bibliſche Archäologie,
die Salomoniſchen Spruchgorten Apologetik des Chriſtenthums.
— Dr. Engelhardt: Übungen des kirchenhiſtoriſchen Semi⸗
nars, Kirchengeſchichte — Dr. Höfling: Übungen des ho⸗
miletifchen Patechetifchen Seminariums, Liturgid oder Theorie
des chriſtlichen Cultus. — Dr. Ihomafius: Dogmatik, die
Dicta probantia, Gefchichte des Birchlichen Lehrbegriffs, Collo-
quium über Symbolit. — Dr, Hofmann: biblifch-theologifche
Uebungen, neuefte Erfcheinungen auf theologifchem Gebiete, theo-
logifhe Ethik, Brief Pauli an die Römer. — Dr. von Am:
mon: Symbolit und Polemik, Übungen im Paftoralinftitute.
Unter der Auffiht und Reitung des koͤniglichen Ephorus
werden die angeftellten vier Nepetenten wiflenichaftliche Repe⸗
titerien und Converfatorien in Tateinifher Sprache für die
Theologie Studirenden in vier Jahrescurſen halten.
Zuriſtiſche Facultůt.
Dr. Bucher: Pandektenrecht, Converſatorium. — Dr.
Schmidtlein: Differenzen des gemeinen und bairiſchen Eri-
minalrechts, Theorie des Eriminalprocefles. — Dr. Schelling:
Philoſophie des Rechts, europäiſches Völkerrecht, Theorie ber
ſummariſchen Proceſſe mit Einſchluß des Concursproceſſes, Con⸗
verſatorium über ordentlichen Civilproceß. — Dr. von Scheurl:
Inſtitutionen des roͤmiſchen Rechts, gemeines Kirchenrecht, Be:
ſonderheiten des bairiſchen Kirchenrechts. — Dr, Gengler:
deutſche Staats- und Rechtsgeſchichte mit beſonderer Ruͤckſicht
auf Baiern, Vertheidigungskunſt im Strafproceſſe, ausgewählte
Lehren des im Königreih Baicen ausſchließlich der Pfalz gel:
tenden Privatrechts. — Dr. Drbolff: Encyklopädie und Me⸗
thodologie der Rechtswiſſenſchaft, römifches Erbrecht, das vierte
Bud von Gajus’ Inftitutionen.
Medieiniſche Sacultät,
Dr. Fleiſchmann: allgemeine menſchliche Anatomie, allge:
meine und befondere Phyfiologie des Menfchen, Eraminatorium
&ber anatomische und phyfiologriche Gegenftände. — Dr. Koch: all»
Be me ee er Dulkur ber ame. —Dr.
eu : Anthropologie, Pfychologie und Hygieine, Pſychia⸗
trie. — Dr, Rofhirt: geburtshulfliche Klinit, Geburtskunde. —
Dr. Heyfelder: Akiurgie, Augendeillunde, chirurgiſche Kli⸗
nit᷑, cursus operationum chir. — Dr. Canſſtatt: gerichtliche
Medicin, ſpecielle Pathologie und Therapie, mediciniſche Klinik
und Poliklinik. — Dr. Trott: Torikologie, Receptirkunft. —
Dr. Bill: vergleichende Anatomie, Veterinar:Medicin, zoolo⸗
gifche Demonftrationen, aligemeine und fpecielle Myſioiogie in
Berbindung mit zootomifchen und mikroffopifchen Übungen. —
Dr. Fleiſchmann: Angiologie und Neurologie, Phyſiologie
der Sinnedorgane. — Dr. Ried: Knochenkrankheiten, Cur:
fuß der Augenoperationen an Thieraugen, Anleitung zum Ge
brauch bed Oſteotoms, gerichtlich» medicinifche® Prakticum. —
Dr. Bintrich: allgemeine pathologifche Anatomie in Berbin:
dung mit mikroſkopiſchen Unterfuchungen und Demonftrationen
an Präparaten und Leihen, Semiotik am Krantenbette, Ca-
suisticum medicum als NRepetitorium über fperielle Pathologie
und Therapie. ⸗
Philoſophiſche Faeultat.
Dr. Kaftner: Encyklopadiſche Überfiht der gefammten
Raturwiſſenſchaft und Meteorologie, Erperimentalphyfiß, analy⸗
tifche Chemie mit befonderer Rüdfiht auf phyſiologiſche Che,
mie, Verein für Phyſik und Chemie. — Dr. Böttiger: Ge
fhichte der franzoͤfiſchen Revolution, allgemeine Gefchichte, Ge:
ſchichte und Statiftif des Königreiche Baiern.— Pr. Döderlein:
Gymnafialpäbagogif, Sympofium des Plato, vergleichende Syn-
tar der griechiſchen und Lateinifchen Sprache. — Dr. von Rau»
mer: Mineralogie, Pädagogik. — Dr. von Staudt: Ele
mentarmathematif, Aftronomie. — Dr. Fiſcher: allgemeine
Geſchichte der Philofophie, philofophifche Entwickelung der Bil-
dungsgeſchichte des deutſchen Geiftes von der Reformation bis
auf die neuefte Seit. — Dr. Dredsler: das Buch Hiob,
Sanskrit, arabifhe oder ſyriſche Sprache. — Dr. Naͤgels⸗
bad+ Eicero’8 Somnium Scipionis, Demofthened’ pro corona,
höhere Kritik der Horazifchen DOden. — Dr. Weinlig: Ra
tionaföfonomie, Policei, Organifation ber Policei- und Ber:
waltungsbehörden. — Dr. Fabri: über Dampfmafdinen und
ihre Anwendung, Encyklopaͤdie der Kameralwifienfchaften, Tech⸗
nologie verbunden mit Ereurfionen, Rationalölonomie. — Dr.
Winterling: Afthetit, Lafontaine's Fabeln, englifche und
italienifhe Sprache. — Dr. Martius: Experimental Yhar-
macie, Anweiſung die metallifchen Gifte in gerichtlich medici⸗
nifchen Fällen nachzuweifen, Eraminatorium. — Dr.von Scha⸗
den: Raturphilofophie, Religionsphilofophie, Theorie und Ge:
fhichte der bildenden Künfte. — Dr. Heyder: Ethik, Ge:
Ihichte der neueften Philofophie feit Kant mit befonderer Be:
rudfihtigung ber Schelling’jchen und Hegel’fchen Lehre, Grund:
probleme des philofophifhen Wiſſens uyd ihre Löfung. — Dr.
von Raumer: Gefchichte des deutfchen Volks von den Alte»
ften Zeiten bis auf dad Jahr 1830, Altnordifd.— Dr. Schnik:
lein: Charakteriſtik der natürlichen Pflanzenfamilien und ihrer
in der Medicin, Zechnologie und Lantwirtbfchaft angewendeten
Arten, praktiſche Anleitung zur Unterfuhung und, Beflimmung
der Pflanzen mit Ereurfionen-
Die Tanzkunſt lehrt Hübſch, die Fechtlunft und Schwimm⸗
kunſt Quehl.
Die Univerſitaͤtsbibliothek iſt jeden Tag (mit Ausnahme
des Sonnabends) von 1—2 Uhr, das Leſezimmer in denſel⸗
ben Stunden und Montags und. Mittwochs von I— 3 Uhr,
das Naturalien⸗ und Kunfteabinet Mittwochs und Sonnabends
oon 1—2 Uhr geöffnet. »
Soeben erfhien in der Muslandt’fhen Buchhandlung (Sonis
Garde) in Merfeburg und ift in allen Buchhandlungen vor⸗
» rätbig: \
Vorſchlag zu einem Deukmale Beltalozzi’s mit
Rückſicht auf deffen GSrundfäge Ko Eriehung und
des Unterricht von Dr. Christoph Weiss, königl.
preuß. Geh. Regierungsrath a. D.
Gr. 8. Geh. Ys Thlr.
Beriht
über Die
Verlagdunternebmungen für 1846
F. A. Brockhaus in Leipjig,
Die wit * bezeichneten Artikel werben befimmt im Laufe bed Mares fertig; won den äbrigen iſt die Erſcheinung ungewifler.
(Beſchluß
TI. An neuen Auflagen und Neuigkeiten erſcheint ferner:
%03. Naumann (K. F:), Bandbuch der Goognosie.
Zwei Bände, it a Tafeln und mehren in den Text
eingedruckten Holzschnitten. Gr. 8, Geh.
Bon bemfelben Verfafſer — — bereits dafelhf:
Leisr&uch der reine
m und angovrendton r retail o hie. ZweiBände,
Mit 9 — Gr. B. er
*64, Riane (8. S). — N Hriftlichen Kirchen⸗
Kuh ei Eine — 8wei Theile. Gr. 12. Geh.
3 tr 10 Nor.
+66. Move Sn einer Auswahl über:
fa der Italiener.
fent von U. Keller, Drei Theile Gr. 12. Geh.
+07. Rormaun’3 (B.) gefommelte Schriften. Derausge:
geben von Alf. Reumont. Bwei Bänve. Gr. 12. u
8. &. von), Borlefungen über bie alte
+68. Raumer
Serathte. Bweite verbefferte Auflage. Zwei Theile.
r. 12.
+59. Boouell manuel et de tralt&s, conven-
dons et autres actes —— sur lesquela sont
&tablis les relations et les rapports existant aujourd’hui
entre les divers Etats souverains du globe, depuis —
1760 jusqu’a 16 oque getuelie Par le Baron Ch. de
Martons et le do Onsay. Cinque volumes.
.Gr. 8 Geh,
— 5 — erſte und zweite Theil find im Drud vollendet und koſten 4 Xbir.
rn sh. de Martens erfhien ferner in bemfelben
Berla
Geiie Apiomstigue. 2 vols. Gr.8. 1852 4 Thir. 1
Cause —* du droit des gene. ? vola. Gr. 8. 2% 4 Thir.
Nouvelle s cases cdlöbrea du droit des gens. 2 vols. 1843. 5 Thir.
m Ba. (2), Befemmeite Cäeiften. Reu 8
Dr na en und to et Hr
Balge Peer —4 und
See entdält: 1812. Ar tte Auflage. — Gage u und Lin e
ungen. —
F %. — Bemmifätet. — Bermifäte a emeatifär Verke. —
°71. Möben.(Y. 9.), Der fonverine „site Dtaat, Diem,
15 Rear.
"das Erde unferer Beitwirren.
‚N. Hosa ‚de Bomamoes, 6 Bomancen sacados de Ins
„Beaas“ de Juan Timoneda, que pneden servir de suple-
menta, 4 todos los Romanceros, asi antiguos como mo-
dernos y espesialmente al ublicado por el seüor Don
@. B. Depping, encogidon, ord or enados, y anotadce or Don
r Jones Geh. gr.
Dieſes Bet | dilbet zugleich den Net et des im am 1844 bei
nk erſchienen
Bomancero Castellano , 6 colleceion de antiguos romances spalares
or
de oe In publicada con una introduccion y Dotia
20; Nasa edicion, con las notas de Don Antomio
aliano. Zwei Tbeile. Gr. 12. 4 Thir. 15 Ner.
„73. Boss ds, che
tomie. Geh.
71. Säma-Veda. Die Hymnen des Säma-Veda, im Ori-
ginal, mit der Aocentuation der Handschriften, heraus-
gegeben, ins Deutsche übersetzt, mit kritischen und
aus Re
VIII.)
exegetischen Anmerkungen, die Varianten des Rig-Veda
ynd Mittheilungen aus den Commentaren des Bäjankt-
‘ schärja zum Rig-Veda und des Mehtdhara zum Jadschur-
Veda enthaltend, begleitet und mit einem Glossar ver-
sehen von Phar. . Gr.8B. Geh,
b
uber Der eyylaehen Borken uam eenlin
prachstemm, Gr. 8.
275. Schefer %.): —*X m Zonlsufe, Hiſtoriſche
Rovelle
76. 8636 RD) e e der adhfen. Ia
der Urfprache mit a eh er Sage und einem
anfiquarifhen Gloſſar. Zzweit⸗ verbefferte .uflage: Gr 8.
Von der erſten Auftoge dieſes Werkes,
ten. (1832), And noch Grempları zu dem 2 prefe von 2 Ahı
.*77, Schnitzer (A.), Pa
und
der Geisteskrankbelten. Zwei Bände. Gr. 8.
NE SIE Pe a
Bande. Gr- 8 6Thr. A Schniser wi 3. Weil Ton
+8. Schucking Esoin) Seiten und Sitten. Erſter bis
vierter Theil. 13, Seh.
9. Auch un unter Belendern FR Dei
& Theile, 4 4 Thlr. 15 Rar. .
r en el BEE ———
B8Il. es 9. W., Neber die Motäwenbigkeit eines
senen Galeiegebäibes für bie koni liche Gemaͤldeſamm⸗
lung in Dresden. Gr. 8. Geh. gr.
82. Soriptores rei hörbariae omnintı gentiam inde a
rerum Doll arm Initiie ad nostra neque tempora. Ca-
*öa. Sievers (3. * ag law umb Diffepli. Ein
ereffifche —— Gr. velai Sch. WM Ror.
(8), nn in Die Düferential- und 3
Bi DR —— erſ In frü er PR
*85. Opedier Briefe eines beutichen Stünfllerd a Ie-
x Aus 8 nachgeiaſſenen Papieren von Erwin &prdirr.
wei Theile. Gr. 12. Seh. 3 Ahr. 15 Re.
86. Die ſymboliſchen Bücher der reformirten Kirche über:
fest hi den —** * Anmerkungen —*
oa von E. &f.
iefe Gemmlung wich im Acubern any —2* de, in
fe Ki EB, lnltungen —— en von * 5.
287. an auftirgen —2* (Gräfin), Die Schwärmeru.
Roman. | Ihr. 2 Ror.
*38.. Teſche (Halte), ilder aus Sl
gefaßt. Erſtes Bändchen unb folgende. @ r. 82. SH. .
Bereit a ee Ze. von Der Prem“
eintionoo Osmodins de kopo | Falx de Vor
# ‚ con su vida y notas cri escogidas y 0r-
Münch-Bellinghausen
denadas D. Eligo Biron de
yD. —— osb Wolf. Gr. 12. Geh
90. Wolle: Mibli — Bweiter Band: Der alte Heim.
Leben und Birken —E Ludwig Heim's, koͤnigl. preußiſchen
Seheimen⸗ Raths und Doctors der Arzneiwiſſenſchaft. Aus
terlaffenen Briefen und Tagebüchern he egeben von
Fu aweitt, mie Bufigen vermehrte Auflage.
Mit ’s Bien 8. 1%
325 I Band —* Wolfs- Dido et (1845) enthält:
t et reibung von
ettelbed, anct, im —— i son ar 8,2 ven
— ———
ir ®
en. ebech Boltoſchulen und bie
—*8 —— der * fr Realfhulen Gr. 8.
|
een (
At Hr re ———
vn F. A.
——ã— erſcheinen aud die Ginfüprnng in Saulen
— — —ü ⏑—
„ Ts
er —* alle Buchhandlungen iſt der Verlags: Katalog.
Drochaus in Leipzig, durch einen dritten Nachtrag
bis um Schlufle bes abet em * fortgefuͤhrt, gratis zu gi
Buchs wird Dei dem Umfange | für
Segen ehe nsiiiien Druds) als ante |
Verzeichnisse
im Preife bedeutend” berabgefepten Werfen
aus dem Verl age don
Ja en in a
iemen . Is
wabl vor it: iytr. de uch ein Rabatt bon 10% RE
Im Verlage von Brockhaus & Avenarius in Leipzig werden im Laufe des Jahres 1846
folgende Werke erscheinen:
*ı. Anna dell’ Instituto di corrispondenza archeologica.
Vol. XVL 1844.) In-8. — Bulletino dell’ Instituto di
eorrispondenza archeologica pel' anno 1844. In-8. —
Monumenti inediti dell" Instituto di corrispondenza
“ archeologica pel’ anno 1844. Folio. ‚Koma. Pränumera-
‚tions Frein ieses Jahrgangs 14 Thl
s artiſtiſch und —— et volen ESqriften des Inftituts
ws Hr Wen a et 18 € m an < ellelert werben. —— Jahr hr
und tunen Komplet — g RT
gang 1843 wird .nod von 14 hir. gegeben.
*2. K’Echo. Joursal d Au monde. Nouvelle serie.
Deuxlöue : annde. 1846 4 Nr. ‚Klein-Fol. Preis des '
Do 5 ah ke Keen
—48 — ber AH
— von 6 ee
en
een ern bed „Sehrsungs 1846 ftehen auf 8 als
Tobe hätter } u Dienfe
—— werden mit N t. Hr! We ai berechnet, und befondere Anzeigen
8 g von
23. vidteee Zeitung für hie Ju gend. Herausgegeben
unter Mitwirkung ber beliebteften Jugendſchriftſteller von
Mobert Heller. Woͤchentlich eine Rummer von einem Bo⸗
ga in ſchmal gr gr .4. Mit vielen Abbildungen. Preis des
Zahrgange 2 2 u .; ein Quartal 15 Nor.; ein einzelnes
onatshe
innen m durch alle Buchhandlungen und Poftämter zu
nferate werben mit 2 Rgr. bie Zelle. berechnet und befonbere Anzeigen
gegen Vergütung von 1 *8* rt. far bas Tauſend beigelegt.
*4. Beaumont (Madame Leprince de), Le
des enfants, revu et augment6 de nouveaux contes
var Madame - Foa. 8. Geh. 25 Ngr.
e neue forgfältig ausgeftaitete Ausgabe piefer —— ds
he "und unfern gegemmärtig ten
ende aan if, darf
a N aus rl ce Ex
„se Hr e —* HR ag von Eitem bes Yublicums reänen.
Bien p -germanica, oder Verzeich⸗
er der fowot in älterer ald in neuerer Beit, insbefondere
aber vom Zahre AB) an, in Deutſchland erſchienenen dem
Geſammtgebiete der deutſchen Sprachwiſſenſchaft angehören:
ben a: Mit einem volftändigen Materienregifter.
*6. Bibliothek ber meneken auslaudiſchen Literatur in
Uederfegungen. Sefichte Boiitit „und Infereffen der
Begenwart, Reifen, Romane’) Gr. 12.
an
Rapoleon’s auf &t * en on et —
Gugen bad Windeltind,
Sues mi art
es —* ein Pie — en"
°7.
1.
Bibliothöque choisie de la Httörature francaisze.
8. nie glinpap- Geh, Yuömahl ’
I b -
(im in en Üiteratur älterer, neuerer ————
Sn, Indiana. Edition autorisde par Lauteur. 1 vol. 20 Ner. —
Moliere, Oeuvres choisies. 2 vols. 1 Thir. 15 Nger.
PH der Prefie befinden fi die Werke von an, Mentbolon und
„Durg N gleichmäßige Ausftattung fliehen ſich an die Bibliothtque chol-
ans, La Dame de Monsorsau , und Leprince de Beaumont,
sin des enfants. Gorreetheit, elegante Xusftattung und —X Dis
maden | diefe Ausgaben allen Sreunden der franzöftfegen Literatur empfeßs
lensw
. Le Canclonero de Juan Alfonso de Baena. Collec-
don d’anciens troubadours espagnols inedits, publide par
‚ professeur de litterature €tras-
Francisque
F re & la facults des lettres a Bordeaux. Avec un glessaire. -
aeux vo) vols. Gr. 12. Geh.
Dumas (Alezandre), La Dame de Monsoroau,
— VeVI B. Geh. 1 Thir.
Mit die en Bänden " ale intereffente Roman geſchloſſen. Die erften
4 Bände (1849) foften 2 ‘5 äi er Muth der
ie kn He
Dabn ( (Budwig), ,
Ken onen
Materialien und * —5 one»
I hie. 10
Bad in 8. Geh.
*1]. Aanbt Er Sealieiie Sprachlehre nad Berganis
”12..
13,
Syſtem.
(B. rote de *88 allemande à roccl⸗
sup6rieure des Freres a Prassy), und fran«-
zösische Gespräche, mit französischer und deutscher
Interlinear-Uebersetzung, zum Gebrauche beider Natis-
nen. 8. Geh. 12 Ner
ta, in kritischer ‚ vollständiger Ueber-
setzung von Theodor Goldstäcker. Vier Theile, jeder
aus vier Bänden bestehend. Gr. 4. Velinpapier. Geh,
Tue seiptionepreis einer Lieferung von W — 2 The.
mit Drudpzob
"am este,
53 5— X ——————
ne Bier rer er e. er: Geh. 15 N
an Kuh Bet eHung diefe6 berühmten Gebichts erſchien 6 3X .
Pac Baelenio, „ Berpiattige 72 1 aus ud Bitehaueng und Preußens
RE, iebenfo 3* en als
onmen.
d Wallenrod.
A * * RT a über wie Ale tu ratur und Auffänt
dam), ungen über flaw eratur und Zuffünde.
& ie ft Con
rd ne = as —*— —S —ãæe—, — ‚Bier Pd
Der exfte Theit in zw
Fi eafai In gel Aothellungen dei) 2 ai 0. et I
. W Air, der —8 — x )1Xhlr.5Rer.
>
. 215, Mirza U
Mohammed Ihrahim. Grammatik der le-
benden persischen Sprache. Aus dem Englischen übersetzt
und mit und mit Anmerkungen | begleitet von Prof. Dr. H. L Pilei-
*16, Montholen General), Histobre de la chptiwith
de Ste. — Voll. In-8. Geh. 1 Tilr. Ser.
17 —, GSeöldte der Gefangenfi
Napoleon's auf Gt. ee "Aus dem rennt nf
J —E — Bänden. — —— ge ar. —** *
Lexikon ——— — fden & Kaiſerſtaates. (In einer al
gen Reihenfolge.) — amtlichen Quellen und den
beſten vaterlaͤndiſchen Hilfswerken, von einer Geſellſchaft
er? en — EM hi De uns fol»
n r e
10 Sue (Bi { —
ou
Memoires d’un on de dam chambre. 8. Geh. ’
+ ‚ Martin das Findelkind, oder Me
moiren eines Kammerbienerk, Aus dem Franzoͤſiſchen.
8. Geh.
“91. Bvensk Bokshandels-Katalog utgiven är 1845.
1. Abthelung. A—L. (Stocktoim) Gr. 8. Geh
Thir.
*22. Thiers (A.), Histoire de la r&övolution fran-
galse. — édition en six vos. Tome I. 8.
Geh. I Thir. -
Zu gefälliger Beachtung!
Ein bedeutendes Lager von Werken der ausländischen
Literatur, namentlich der französischen, englischen und ita-
Ulenischen, sowie die vielseitigsten Verbindungen mit dem
Auslande setzen uns in den Stand, alle uns ertheilten Auf-
träge zu den billigsten Preisen mit "möglichster Schnelligkeit
auszuführen; wir empfehlen uns daher Allen, die Bedarf
davon haben, und sind stets bereit, nähere Auskunft über
unsere Bedingungen u. 8. w. zu ertheilen.
Eine regelmässige Übersicht der wichtigsten Erschei-
nungen der französischen Literatur gewährt unser
Bulletin biblio: yraphique de la libralrie frangalse,
welches mit 1846 seinen neunten Jahrgang beginnt; alle
zwei Monat erscheint eine Nummer, und ist dasselbe durch
jede gute Buchhandlung gratis von uns zu erhalten.
Berner machen wir auf folgende Kataloge aufmerffam, welche
wir im vorigen Zabre ausgaben, und die durch alle Buchhand⸗
lungen gratis zu erhalten find:
—5— einer Sammlung älterer und neuerer Werke in
Bere ſiſcher, en ala ec. Sprache, welche zu bebeutend ber:
89 yten Greifen von und zu beziehen find. (Nr. 3, Zuli
Fa d’ourrages de littörature, beaux-arte, grande
ourragen & figures etc. & un rabais considerabie. (Juin
184
Ballcıln de la librairie frangaine. Année 1846.
u Freunden anslandifner KRiteratur können diefe Wer:
geihnifte, als au ‚guten Werken fehr reichhaltig. mit Bedht
j I foblen werden
Soeben erſchien und iſt von Wilhelmn Schrei in Leipzig
durch alle Buchhandlungen zu beziehen:
Allgemeine historische Taschenbibliothek
für Jedermann.
(146ftes Heft.) Sechsundzwanzigſter Theil:
Geſchichte Irlands,
Bon W. A. Lindau.
Fortgefept von . B. C. Braudes.
Zweites Bändchen. 8. Preis 16 Ngr.
& b d bei & Zeller
eben fin — ‚Se mi nen | und durch alle
Naturgeſchichte
Bögel
bearbeitet von
Vrofeſſor Dr. 9. 8. Gchinuz.
Mit Abbidungen
6 ber Natur und den vorzü en naturwifienfchaftlidgen
Werken garage don "
I. Aull, Lithograph.
Neueſte vermehrte und ganz amgeardeitete Auflage.
K. Folio. Die Lieferung mit 6 pragend eolorirten
Tafeln nebſt Tept à 2 2 Sle., ‚ oder 3 Fl. 36 Kr.
Monographien
säu eihiere
bearbeitet x .
Drofeffor Dr. 9. R *dm,.
Bit Abbildungen
na der Natur und den borzüglichften naturgefeichtlichen Werkes
gezeichnet von
J. Kull, Lithograph.
Neunte und —* ſieferung.
Kl. Folio. Die Lieferung a2 Fl. 18 Kr, ode
1 Ahlr. 75 Nor.
EI” Wir dürfen obige beiden Werke, von denen ben
ders das erfiere, die Matwrgefchichte Der Mögel, m
“| des popufairen und unterhaltenden Zertes willen nicht ob Gr
Iehrten, fondern allen Freunden der Raturgefchichte als ein
wirkliches Prachtwerk empfohlen werben ann, wel ogne U
beicheidenheit an die fhönften und gründlichften uaturwifen-
ſchaftlichen Werke des Auslandes anreiben.
Soeben erhien im Berlage von Ebuarb Trewendt in
Breslau und ift in allen Buchhandlungen zu haben:
Dr. Johann Hess
der ſchlefiſche Reformator,
dargeſtellt von
Karl Adolf Julius Kolde,
evangeliſcher Pfarrer zu Friedland ia Oberſchlefie
mit dem Bildniß dee Dr. Johann Fef
Gr. 8. 8% Bogen. leg. broſch. Preis 3 Sur.
Das Intereffe für die Reformations » Gefgeäyte des 16.
Jahrhunderts ift durch die Firhlichen Bewegungen der Gegen
wart von neuem fehr angeregt worden. Der Gegenftand des
vorftehenden Buches nimmt darum nicht bloß bie Theilnahme
der Proteftanten aller Orten, fonbern auch der Ehriften
andern Bekenntniſſes vielleicht jetzt mehr als feit langer
Beit in Anfprud.
Bur dritten Säcularfeier bes Todestages ku:
ther’s wirb inebefonbere ben Schlefiern eine Erinnerung a
den Reformator im Baterlande, den treuen Schüler und *
liebten Freund von jenem Haupte der Reformation fehr em
regend fein.
. Druck und Verlag von F. X. Brockhans in Leipzig.
N
1
—
I
EEE ER ——
Ziterariſcher Anzeiger.
1846. EX.
Verlags- und Eommipfionsartikel
von
Brockhaus & Avenarius,
1846. M 2. Januar bis März.
Elche. Jourmel des gens du monde. Nouvelle serie.
Deuxigme annde. 1846. Nr. 1—75. Klein-Folio. Preis
des Jahrgangs 5 Thir. I0 Ner.
.: Eine erweiterte Fortsetzung des Eche de la litterature fran-
gelse, von dem vier Jahrgänge in gr. 8. erschien n sind, weiche ein
oswahl des Besten aus der gesaunnien französischen Journalistik der
letzten Jalıre bilden. Um den Äbennenten aufdas Kiohe in seiner neuen
Gestait auch die Anschaffung der ersten Serie zu erleichtern, werden
e vier Jahrgänge fürden sohr ermässigten Preis von6Thlr.
Fertatt 21 Thir. 10 Ngr.) erlassen.
Die ersten Nummern des Jahrgangs 1846 stehen auf Verlangen als
‚Probeblätter su Diensten. ,
Inserate werden mit 1 Ngr. für die Zeile berechnet, besondere An-
zeigen gegen Vergütung von 1 Thir, beigelegt.
Hlustrirte Zeitung für die Jugend. Heraus-
gegeben unter Mitwirkung der beliebtesten Jugendschrift-
—8 von Bebert Heller. Nr. 1—13 Wöchent-
lich eine Nummer von’ einem Bogen in schmal gr. 4. Mit
‚vielen Abbildungen. Preis des Jahrgangs 2 Phlr.; ein
Quartal 15 Ngr.; ein einzelnes Monatsheft 6 Ngr.
„„Tobenummern sind durch alle Buchhandlungen und Postämter su
crfRa
Insersta werden mit ? Nar. die Zeile berechnet, besondere An-
zeigen gegen Vergütung von 1 Thir. tür das Tausend heigelegt.
Beaumont (Madame Leprince' de), Le Magasin des
enfants, revu et augment& de nouveaux contes par Ma-
dame Eugenie Fon. 8. Geh. 25 Ngr.
Eine neue sorgfältig ausgestattete Ausgabe dieser bekannten Jagend-
ft, )
Soırie unserer Ausdrucksweise nicht Ansichten
darf gewiss auf eine günstige Aufsahme von Seiten des Publicums
rechnen, .
Bisliothäque choisie de ia litterature frangaise:
Moll&re, Oeuvres choisies. T. I. In-8. Velinpapier.
Geh. 25 Ngr. (Preis beider Bände I Thlr. 15 Ngr.)
Diese Sammlung wird eine Auswahl der vorzöglichern Werke d
französischen Literatur <erer, neuerer und —— Zeit enthalten.
Cortectheit, elegante Aussta und billiger Preis machen diese Aus-
allen Freunden der französischen Literatur empfehlenswerth.
Dumas (Alexandre), La Dame de Monsoreau. To-
mes Vet VJ. 8. Geh. 1 Thlr.
Mit diesen Bänden ist. dieser Interessante Roman geschiossen. Die
ersten 4 Bände (1845) kosten 2 Thir.
, Hahn (Ludwig) Geschichte der Auflösung der Jesuiten-
Congr v 5 1385. |
en Eollonen in — im Jahre Mach den
| rien and unter Benutzung handschriftlicher
Quellen. Gr. 8. Geh, 1 Thlr. 10. Nar. “
Montholon (Gengral), Histoire de la oaptivits de Ste.-
Helöne. T. I Livra. 1—9, Avec le masuue de P’Empe-
reur d’apres Antomarchi. In-8. Geh.
Preis der Lieferung 3%, Ner, .
Mit dieser neunten iafezang Ist der erste Band der französischen Aus-
* lies
ms, weich
= F ao verößentli eht is enihält, was von diesem Werke
Ed
Montholen (General), Geschichte der Gefangenschaft
Napoleon’s auf Bt.-Helena. Bd.1. Lief.1— 10. (Schluss.)
Mit er Todtenmaske des Kaisers nach Antomarchi.
eh.
Preis der Lieferung 3°/, Ner.
Der erste Band unserer deutschen Ausgabe enthält ausser der voll-
tändigen Geschichtserzählung Alles, was die französische Ausgabe
|
ıbis jetzt veröffentlichte, mit einigen der englischen A
ten . Erweite o
umfassen, welche sich
usgabe entiehn-
Ein zweiter Band wird jene Mittheil
in der englischen Au
Da nun die französische Ausgabe manche wichtige Documente ent-
hält, weiche in der englischen fehlen, so wird unsere Ausgabe Alles
vereinen und dad reichhaltiger werden als es die französische
oder englische Ist.
Das ganze Werk wird in unserer Ausgabe in zwei Bänden gegeben.
Baffelsperger (Franz) , Allgemeines geographisches
lexikon des Ööstreichischen Kaiserstaates. (In. einer al-
phabetischen Reihenfolge.) Nach amtlichen Quellen und
den besten vaterländischen Hilfswerken, von einer Ge-
sellschaft Geographen und Postmänner, 16. und 17. Heft.
(Wien.) Gr. 8. Geh. Preis des Heftes ® Negr.
Cracovie et ses environs. Description historique, géogra-
phigue et pittoresque de cette ville et de ses contrees.
Uustree de plusieurs plans et lithographies. In-16, Cra-
covie. 3 Pilr.
Des Aflemands. Par un Frangais. In-8. Paris, 1 Thir.
10 Ner
Histoire parlementaire de la revolution frangaise. — Histoi
de l’assembl&e constituante, préXedée d’une histoire in |
ges des Frangais depuis l’etablissement de la nationalite
saise jusqu’en 1799; par Buches. ?2me ddit., re-
vue et entierement remanide par l’auteur en collaboration
avecMM. J. Bastide, Bois-le-Comte et A. Ott. T.I-—UI.
In-12. Paris. Preis des Bandes 1 Thlr. 5 Ngr.
Mohammed Ebn-Omar Ei-Tounsy. Voyage au
Darfour. Traduit de Parabe par le Dr. Perren; publie
par. lea soins de M. Jomard, Avec carte et planches,
, Paris. 4 Thlr.
Czacki, Dziela zebrane i wydane prsez Hr. Edäwarda
Baczynskiego T. III. 4. Pozaas.
Preis des ganzen Werks in drei Bänden 12 Thir.
Powstanie T. Kosciuszki 2 pism autentycznych sekretnych
dotad drukiem nieog:oszonych wydaue. +16, Poznas.
15 Ngr.
Stowe x podwizceniu. Przez Seweryna &. 16. Pomak
gr.
go opowia-
Wieczory pad lipa czyli historya narodu polskie
Orzegorza z pod Baclawie, 8. Poz-
dana przez
nah, 25 Ngr.
Svensk Bokhandels-Katalog uigiven är 1845.
I. Abtheilung. A—L. Gr. 8. (Stockholm.) Geh. I Thlr.
‘
be, aber nicht in ‚der französischen finden. :
Allgemeine Euchklopaͤdie
der Wiſſenſchaften und Kuͤnſte
bearbeitet und herausgegeben von
RS: S. Erſch und J. G. Gruber.
Mit Aupfern und Garten.
Dee Pränumerationspreis beträgt für jeden Theil
im der Wusgabe auf Drudpapier 3 Thlr. 23 Ner., auf
Velinpapier 5 Thlr.
KR, Beüßern Gubferisenten auf die Pffgemeine En-
er * die, welchen eine Aeiße von Theilen fehlt, ſo⸗
*F ‚ bie als Abonneuten neu eintreten wollen,
werben bie den Ankauf ee nbften Bedingungen zu-
geſichert.
Im Jahre 1845 find neu erſchienen:
Geſte Section (A—G). Herausgegeben von J. G. Gru:
ber. Alfter und 42fter Theil.
Zweite Section (H—.N). Serausgegeben von X. 8. Hoff:
Beitte Section 38 —— — von M. H.E
TOT Meier. Wfler Theil. nn
G—m GWWG —
Dieſe Theile enthalten u. A. folgende wichtige Artikel:
Erſte Section: Fabrik von Eiselen; Faoultät (numeri»
fhe) von Sohncke; Färderne von Schubert; Falco und Felis
von Burmeister; Walk (Johannes) von Döring; Walknerei von
Pfeil; Falklandainseln von Pöppig; Fall von Hankel ; Fallsucht
von Rosendbaum; Familiengüter und Familienrecht von Dieck;
Familienwesen von Bosse; Fanatismus und Fechtkunst von
Scheidier; Fatum, Faustrecht und Frehmgericht von Waähterz .
Farbe (mathematifh, phyſikaliſch und aͤſthetiſch) von Hankel
und v. Quandt; Farbestoff von Steinberg; Farnese von Gruber F
Fasten und Feiertage von Fink; Fascia von Thelle; Faust
(Sage von) von Sommer; La Fayette von Stramberg; Feen
‚ von Riekter; Fehrbellin (Schlacht bei) von Heymann; Feld
(miltairif$) von Niemann; Feldmessen (mit einer Xafel)
von Hoyer. |
Zweite Section: Irland von Lappenberg; Irre und
Irrenanstalten von Zeiler; Irritation von Österlen ; Isaak (bibli»
ſche und — Verſonen) von Hofinann, Röee und Kalb;
Isabella (Königinnen) von Röse, Wachter und Genersich;
Isatis Tinctoria von Kurrer; Isäus von Weissenborn; Isenburg
von Landau; Isere von Klähn; Isis von Matthiae, Sckirlits,
Meyer und Pöppig; Ismail (Regenten und Gelehrte) von Flügel
und Benicken.
Dritte Section: Peutinger von Eckermann; La Peyrouse
von Fischer; Pfändung und Pfandrecht von Pfotenhauer;
Pfänner und Pfännerschaft von Martins; Pfaffenrecht von
» Wislicenus; Pfahlbürger von Löher; Pfalz (Beograpbie und.
Geſchichte) und Pfalzgraf von Fischer und Wachter; fanne
(mit gwei Zafeln) von Baeks; Pfeffel von Döring; Pferde-
sucht von Löde; Pfingsten von Dietrich.
Beipgig, im Bei Lö4G. F. U: Brockhaus.
Bei F. Ei, Nestier & Melle in Hamburg ist erschienen und
in allen Buchhandlungen zu haben:
‘Über die Bectification der Peripherie des
Kreises. Von Dr: N. Nawrotz 1. Gr. 8. |
Geh. Preis !® Thir.
| Seetenheilkunde
in alphabetifcher Folge von genannten Schriftftellern.
In meinem Verlage iſt neu rſchienen:
geſtützt auf pfychologiihe Srundſatze
Soeben find bei den Unterzeichneten erſchienen und durch ale
foliden Buchhandiungen zır beziehen:
— Bei, Kirhengefhichte in Blogro
»
phien. . Bandes 4. Abth.: Chryſoſtomus, Oihn
pas, Leo, Gregor der Große. 8. Beofch. 2 Tolr.
> Ngr., oder 3 Fl. 54 Kr.
Feshlich, A. @,, Über den Kirchengefang der
Proteftanten im Allgemeinen und im Befonten
über die Sangchöre, die Sefangaufführungen und
den Gefangunferricht in der Volksſchule. Broſqh
624 Ngr., oder 24 Kr.
Range, 3.%., Worte der Abkehr gegen Dr. fr.
a en Ein trag zu ben 3er
andlungen über. Die theologi agen ber Zeit.
8 Broſch. 21 Nor: 08
eier, Smman., Wann und auf weiche
Veranlaſſungen ift das apoflolifhe Symholsm
entſtanden und welche Bedeutung bat daffelbe für
die Kirche überhaupt und insbefondere auch für
unfere Zeit? 9 Noar., oder 30 Kr.
enber, Dr. W. D., Der Sonnta das Zhea⸗
ter und das Sonntagstheater. Eine hifloriſche Dar⸗
ſtellung. 12 Ngr., oder 42. Kr.
überfegt von I. Schmid. 9 Ngr., oder 30 Kı.
wingli, Gulbzeich, Wer ürſache gebe zum
Se wer bie wahren Aufrührer fee, und wie
man zu chrifllicher Einigkeit und Frieden gelangen
möge. Dber: Zeitgemäße Auswahl aus de
formafors praktifchen Schriften. 10. Boch. 12 Fr.
VBandlin, J. B., Fabeln und Lirder. ME IM
Portrait des Dichters. 8. Broſch. 21 Star.
Eunel, Chr. RI., Gedichte. 8. Broſch. 21 Re.
Sihärer, Dr. Em., Beiträge. zus Erkenntniß des
eſens der. Philsfophie. : 12 Rgr., oder 42 Ar.
Wolf, Mud., Johannes Geßner, ber Freund
und Zeitgenoffe von Haller und Linnf. . Nach) fi
nem Leben und Wirken bargeftelt. Seßur's
Portrait. 9 Ngr., ober 36 Kr.
Meyer & Zeller in Züri.
fl .
Ein
Vantönd für vſochologen, Hrzte, Seelſorger und Ridter
‚Ba. vente. ches F, A: uraaliknme & Leipaige.
Recueil manuel ot pratiäue de traitös, oonven-
tions et autres actes diplomatiques sur lesquels
sont ötahlis. Ies relations: et les-rapports gxigfant
aujourd’hui entre les divers états souverains du
globe, depuis T’annde 1760 jusqu'à Pépoque
actuelle. Par le Baron Ch. de Martens
et le Baron Fierd. de Cussy.
Tome premier et second.
"Gr. Iı-8. Broch. 4 Thlr. 16 Ngr.
Ourreges- j Mr. de Martens ai, se trouvent; che
de A. Breckhaus u Leipig
Güde - 9% vols, u in-8, 1835:
4 Thir. 15 Ngr. \L
Güuses oöl&bres du droit des 2 vols.
Gr. in-8. 1827. 4 Thlr. 15 Ngr.
VAUSES - edläbres du droit des gens.
2 vols. Gr. in-8 1843. 5 Thlr. 10 Ngr.
Reueſter Roman
Gräfin Ida Sahn-Sabn
Clelia Conti. |
8. Eleg. geh. 3 The.
| Alfred Reument,
Dichtergräber.
Ravenna, Aryun, Eeriuioo.
8. Eleg. geh. Thlr.
Ernite Stunden.
Andachtsbuch für Frauen
von
einer Frau.
8. Geh. fh Thlr.
Sum Beten bes Clifabeth- Kinder - Hofpitals,
Alexauber Ouuder,
koͤnigl. Hofbuchbandler in Berlin.
Durch alle-Buchhandiungen iſt zu besiehen:
Adocbhine, Reue Märden und Erzaͤh⸗
Inngen für jagendliche Zeferianen, ©t.16.
Geh. 24 Ngr.
Bon ber Verfaſſerin exſchienen im Jahre 1844 ebendafelbft:
Maͤrchen und —— für jugendliche
en.
Gr. 16. Geh. 24 Nee,
Beinais, im Mai 1846.
— —28 A. Broahaus.
1 &ochen erſchien · in elaem B
layage
——
Redaction der Landwirthſ
—— —
uns iſt durch alle Buch⸗
bandlungen zu. beziehen: .
Beſchreibung - und Abbildungen zweier in den
Gypsbruͤchen des Seveckenberges bei Quedlinburg
ausgegrabenen coloffaten Rhinocerosfchäbel
Dr. Eh. &. Sichel. .
Mit 1 Tafel Abbildungen, Ä
Me: 4. Geh. 12. Ser:
Werfesurg, im Mai 1886.
Rouis Barde.
Eulandt ſche —E — |
Soeben iſt bei den Unterzeichneten erſchienen und durch alle
bouden Buchhandlungen gu. beziehen:
Vroun Heichen Sünen.
dus der ‚Favennenschlacht ausgehoben
Aadwig Eitmäller.
8.': Brosch, - Preis 23 Ngr.
Meyer & Zeller in Zürich. |
Tandwirthschaftliche Dorfjeitung.
Herausgegeben von William· Dobe. Diit einem:
Beiblast: Gemeinnütziges Ainterhaltungsblatt für
R Stadt und fand. .
Siebenter Jahrgang 1846. 4. 20 Nor.
Leipzig,.bei F. A. Brockhaus.
We entlich er | * ertionsſgebuͤhren
die ee 9 Fe —— been ae I‘
end m {7 Thlr. net,
- peil, Nr. 14— 17.
nbalt: Über die nothwendige R thahme auf Friction bei
2 ven ung ‚bee Ackergeraͤthe — Über — mit Rück
ſicht au "die Forſtwiſſenſchaft. Erſter Artikel. — Die Hima⸗
Rachtrag zur Beantwortung ber Anfrage in
„Wie iſt eine bäuerliche Befigung, die bei
einer Specialfeparation vieles eles Dpteake Aderland erbeten ba.
ſchnell emporzubringen.? es Tein ficheres Dit
a ure u vertreiben? — Shut der —— gegen fen
wefelfäure ° Fit a ech Futterd — Er⸗
dar zu 837 in ——. BL:
Pr ag aus
einer — — — * Demi on Me u dem Auflage
| in St ‚Über bbſt des Futters. G
er — der Herbftgeitofe ae autumnale),
— Die Selbfterht bes Futters. — Bitte in Betreff der
ihen Dorfzeitung. — Eaub⸗
MReuig en u. f. w.
Hierzu Gemenmüg —* ———— für
De — — — — Tg —
In allen Buchhandlungen iſt zu haben: j In Berioge von Gonaed Veemende ii Werden IR erffienen
Was haben wir Proteftanten zu thun, um und in allen Budpanblungen zu haben:
Ber broteftantifhen Kir, Kir de, nad dem N Frans Pauer
organge ihrer er, @i un eine egner.
nd endlichen Si * affen? —
Dauer u Ph — * Bier kritifch⸗ rtitel.
e90 ange . ven
b. deu. ou. 1 u. Weof. a — ya Jena. Theodor
Jena, Schreiber. eis, Kollmann in Comm.) | . AR bin n Cu fämmtliäen u jur Leh,
Geh. 12 Ger. Dh —— gar nichts zu fagen.
S EEE | cn Dönm 06 Dune
Erhebung waAETOE | She 1,06 Ben May m Sup. 2) On me
im ar Girner verräth
.2 fünftigen —— n A von vorkä 6 —8 on eheimften Geda nz Ba .
aufe 8 cr (in Bonathch ufig geheimft an Beine Baum 4) Die Ohnmnaq
Conversations-Xexikon.
Neunte, verbeflerte und ſehr vermehrte Originalauflage.
vollſtündig in 15 Vünden.
Diefe neue Auflage, welche den Inhalt aller fruͤhern Auflagen und Supplemente des
Eonverfations- Lexikon in fih aufgenommen hat, wird auögegeben :
1) in 180 Beften, bon denen monatlich 2 erfcheinen, zu dem reife von
5 Nor. Erſtchienen: 76 Hefte J me
2) bandweiſe ber Band auf Druckpap. 1 Thlr. 10 Rgr. reibpap. 2%
Velinpap. 3 Thlr. — we van. 2Thit.
In einer neuen Ausgabe
3) in 240 Wodenlieferungen, zu dem Preife von 27, Ngr. Erſchienen:
27 Lieferungen.
war Subferibentenfannnler erhalten in jeder Ausgabe auf
12 Exemplare 1 Breieremplar.
| An: alle Auflagen und Nachbildungen des Converſations⸗Lexikon ſchließt fid an:
Systemalischer Bilder - Allas.
- Yollftänsig 500. Blatt in QGuart, in. 120 Kieferungeh,
| zu dem Preiſe von 6 Nar,. -
| Erfchtenen: 48 Lieferungen. Blatt 1— 200.
Eeipzig, im Mai 1846. . 4. A. Srockhaus.
Druck und Berlag von F. X. Brockhaus in Leipzig.
— 575 —5— —— 757
⏑ )V ⏑
Siterariſcher Anzeiger.
1846. XI.
-n EPrEr um Ze ul" GE ze
J
F. A.
Brockhaus in Zeipzig
im Jahre 1846.
MM 1 Jannar, Febrnar und? Män.
1. Deutſche SCiigemeine Zeitung. Berantwortlide Me:
daction ar 2 en u. — 1845. Tag⸗
ih mit Einſchluß der Sonn⸗ und Feſttage eine Rummer-
- son 1 Bogen. Hoch 4. Pränumerationspreiß viertejährlich
Ihlr.
Wird Abends für ben folgenden
für den Raum AA veeifpatrisen Er Rt,
nicht beigelegt.
A en
3. Blätter für literarifige Unterhaltung. (Heraus⸗
geber: SH. Brockhaus.) Jahrgang 1846. Bäglich
_ eine Kummer. Gr. 4. 32 Thlr.
. . no Freitags ausgegeben, tann aber auch in Monatsheften bezogen
erden.
3. Ss. Encyklopaͤdiſche Beitfchrift, vorzüglih für Natur⸗
te , —— Anatomie und Phyſiologie. Her⸗
ausgegeben von Sken. Jahrgang 1846. 12 Hefte.
Mit Kupfern. (Bürih.) Gr. 4. 8 hir.
Zu den unter Rr. 2 und 3 genannten Zeitfhriften erſcheint ein
Eiterariſcher WEngeiger,
Heite oder deren Kaum merken Zi Bigr, Derrmer. 007 die Gefealtene
Genen, Vergütung von 3 Thlın. werden befondere amnbelgen u, bel.
' de lattern Itter Un al und n u
von Nie Sr enter oder Bigchiiet, ng
4, Mandwirtäfegattiidge Dor fzeitung. Gerausgegeben
unter Mitwirkung einer Geſellſchaft praktiſcher Land», Haus⸗
und Borftwirthe von Silliam L:öbe. Mit einem Bei:
blatte: Gemeinnügiges Unterhaltungeblatt für
Stadt und « Sahrgang 1846. 52 Nummern.
4. Preis des Jahrgangs ZU Nor.
Ser tirtn Bet. .Etem, Sieg, Sorten
En en u. dgl. werden gegen eine Bergüurung von %, Thir. für dad
end beigelegt, .
5. Neue Jenalsche Allgemeine Literatur
Zeitung. Im Auftrage der Universität zu Jena redigirt
von Geh. Hofrath Prof. Dr. F. Mand, als Geschäfts-
führer ; Kirchenrath Prof. Dr. I. . E. Schwurs,.
Bof- und Justizrath Pr of. Dr. A. L. I Miche sen,
Geh. Hofrath Prof. Dr. DE. &@. Kieser, Prof. Dr.
I. » als Specialredacteren. Juhrgmmg 1846.
332 Nusimern. Gr. 4, 12 Thlr
. ed Brritagd ausgegeben, Tann aber auch in Monatöheften bezogen
Anzeigen werben mit 1'/, Rar. !
und Befdnde 4 at. für den Raum einer afpaltenen Belle
ve Beilogen u. dgl. mit 1 Thir. 15 gr. berecnet.
-
. [4
10. SChailppine, Rene Maͤrchen und
6. Das nnig- Magazin für Belehrung und
ut eltung. Neue Folge. Bierter Jahr ang. 1846,
52 Rummern. . 157— 208. Mit vielen Abbilbungen.
Schmal gr. 4. 2 Thlr.
Deren er Sabean 21 fm 3 Boften zufammens
genoammen fe 19 Nr. 1 Mer. im exadgefenten fe mu 10XHdr 5
erfte bis Fünfte Jahrgang 5 Xhlr., der fedhöte bis zgeante Sahrgang
5 Ahle. ; einzelne Sabrgänge aber 1 hir. 10 Kor. Der Neun Fig
* in dritter Yahraang —— —
enfalls im Preife herabgefetzt ind folgende Schriften mit vielen
Dfeunig
Abbildungen:
B ⸗ Braun für Kinder. Fuͤnf Bände.
Brüher 5 Thlr. Jetzt 2 Ahle. 35 Nor. Einzelne
PETE a Drei Bände. Früher 6 Lplr.
YnnTags - Magazin, Drei Bünde. Früher
Jetzt —2 * |
Notionn!: Magazin. Ein Band. Früher 7 Thir.
Jetzt W Nor.
EI” Eeptere vier Bände zufammengenommen une 2 Xchie. x
das nkũn t
Bonner. Ke achtene Belt ober be Nm werten Her.
ngeigen u. bgl. gegen Berguͤtung von 4, Thir.
echnet, 5 enbere
für das eigelegt.
7. Lefpzige riım der deutschen und
rBe
ausländischen Literatur. Unter ———
der Universität Leipzig herausgegeben von Hofrath un
Oberbibliothekar Dr. =. @hf. Gdersdorf. Jabr-
gang 1846. 52 Hefte. Gr. 8. 13 Thlr. "
Grfdetntin wöchentlichen Heften von 2, —3 Bogen und mich Jreltegs
— Zeitſert tft ein
Ku Ginlisgrapsifser Eugeiger.
ter: in der Krt er , \
ee
beſondere Anzeigen u. dgl. gegen Vergütung von 1%hlr. 15 Kr. biigelegt.
8, Deutfhes MWollsblatt. Kine Monatichrift für das
Volk und feine Freunde. Herausgegeben von Pfarrer Dr.
Mb. Gans. Bweiter Sahrgang. 1846. 12 Hefte.
* ne En & 2 Bi büßeen
onatli⸗ t ein Heft um 5 Segen. Sdaitipnigh
b A Ä
— —
9. Hiberti (Jul. BR), Det Staud ber Sr
in Preu Ein biftorifch-Eritifcher Berfuch, mit De
iehung auf die bevorftehende Reform des preußifchen Dies
ieinalweiens. Gr. 8. Geh. 24 Rear. j
Besäblungen
für jugendliche Leferinnen. ®r. 6, Geh: 24 Rar.
EB
Sr. 16. Geh 2 Ror. an | '
⸗
b.), ß bh
J —
Baͤnden. Dritter Band. Gr.
- . Der erſte und weite Bad (184 — * koſten * 3 Thlt. 15 Nor.
das ganze Wert ſomit 11 Ahle.
12. Ausgewahlte Bibliothek ber Glaffiter bes ine:
Iaubes. Mit Rh :literarifhen Einleitungen. Bier:
sa fsigfer und fünfundfunfzigfter Band. Gr. 12. Geh.
Die erſchienenen Bände diefee Sammlung find unter befondern Xiteln
einzeln zu erhalten:
LH. VBremer, Die Nachdarn. Bilerte Zuflage. DO Ror.— MU. e.
mis. Ignez de Gafzo, überfept von Wittid. 20 Nr. IV. Daut
Das neue Leben, überfept von Börfter. 20 Rgr. — V. 8
Teehter des Präidenten. Vierte. Le Xufloge, 1 10 iur: — X vu. een.
a. Zmeite u emer, Dad Haus.
Bierte zur e. 20 . Brom mer. ur Samtıe H. 10 Nur.
— XI. he, br@giten, 0 St Hichte der Manon 8escaut, überfept von
Bülon. 8 Mer. ante, Lyriſche Gedichte, lberfept und
ertiäxt von Kannegieper und Witte.
Zweite Auflage. 2 Ahlr.
12 Regr. — XIV. Jäaſſoni, Der geraubte Eimer, überfept von Krip.
1 Ihlr. 9 Ngr. — AV. Dremer, Kleinere Erzählungen. 10 Rear.
— XVI Bremer, Street und Friede. Dritte Auflage. IN Rgr.
— XVii. Belte m Di: entiabe, überfept von Schröder. 1 bir.
— Avul. "ER. @ eufpiele, & überfegt von Gidel. 1 Adlr.
"6 Nor. — X ae), Gedichte, Überfept von Kanne:
gieher. 20 serie, Das Drelameron, SKY.
von Witte äweite Auflage. 2 Bi 5 Ngr. —
Yus dem —X überfept son H lom. x, — — XXVIL
XXVIII. —— —* —83— von Brod⸗
haus. 1Xhlr. 18 War. ir Ein Tagebuch. 2UNgr.
— AKEL XXX. Kae, Ennide Seridte, Üdcriept von Hörfter.
Zweite Auflage. 1 Zhlr. 1 — XXXIII. Ditopadefa. Aus dem
Sanskrit überfept, von M len —* — . XXXV. ndife
Sedi —J— n deutſchen Ra pilbunyen von Hoefer. 2 Xhle. —
er Deren, chaufpiele, überfegt von Martin. sr.
— 8 Dante, Prolai he Schriften, „uberjept von Kanne⸗
Inießer. 2 E72 — XLI. XL. Dreme arlien. 20 Ri %
— XLIH—LIH. Gue, Der Fer Jude. 3 Ihlr. 10 Nor. —LIV.
Basic, , Blorentinifhe Geſchichten, uberfegt von Reumo r t.
13. Bioämann (8. Julius), Heinri ger“
33. Züge aus dem Bilde feines. Leben und nd
a Seiofzeugniffen ‚ anfhauungen und Mittheilungen.
mi u 6 Bon und 4 lithographirten Zafeln.
Ge Ror.
Et Baker Fan 1 ven wen vn vi
14, Bremer (Breberite), Die Yamilie G. Aus
‚ Ibem en: wilden. Bweite verbeflerte Auflage. Gr. 8.
gr
ebolikäudine fünnige Xusgabe ber
Recht ans 14 heilen und koſtet
Na find zu erhalten:
er Schriften von Breberite Bremer bes
4 Ahle. 20 Ngr. jeder Iheil 10 Nr.
—* "ie Ye RT ENTE, zu
15. Meiste eines Deutfchen ——⸗ ans *5*
Aus den nacgelafenen | Papieren von Erwin Spedter aus
:Somburg. Zwei heile. Gr. 12, Geh. 3Thlr. 15 Nor.
Von dem Bruder Erwin Gpedter’s, Otto Speckter, erſchien in dem⸗
fetben Verlage:
—5 Medienugen zum geftisfelten Kater, 4. 1844. In
16. Gouberfations -Regiton — emeine deutſche
Steal-Encykiopäbie für bie g eten Stänbe.
— Reunte, verbefierte und (che vermehrte Driginalaufe
- Tage. Vollſtaͤndig in 15 Bänden ober 120 n. @inund»
Degiaße bis fün undñebzigſtes Heft. Gr. Jedes Heft
vn neunte Xuflage — in 15 Bänden ober 120 Heften zu dem
Preife von 5 Nur. „fie ba Heft in der — auf Maſchinenpa⸗
plet; der kofſtet ae. 10 Rer.. auf Schreibpapier 2Xhlr.,
; af Belinsenie 3 Thlr.
lägen der einzelnen Hefte werden Ent
NEER —A usb ber Dem ein: Benin mie
2
11. Teen Neunteipflage. Meue
pa
19.
Ex,
21.
24.
—*
Gr. 8. Jede —“ 23 * ia dyranzige
er
deratlas sum Converfſ —— *
uf". al de —— per Merigahen
une. — 500 in I geftochene Blaͤtter in
Quest mit Darftellungen * ae Roturwifien-
haften, aus der Geographie, ber Völkerkunde des Aiter⸗
tbums, des Mittelalters und ber Gegenwart, dem m Kriege:
und Seeweſen, ber Dentmale der Baukunft aller Zeiten
und Boͤlker, der Religion und Mythologie bes ——
und nichtelaſſiſchen Alterthums, der zeihnenden und bilden⸗
den Künſte, ber allgemeinen Technelogie ıc. Rebſt einem
erläuternden Text. Entworfen und herausgegeben von
@®. Hed. Vollftändig in 120 Lieferungen. Fa
vierzigfie bis fechöundvierzigfte Lieferung. Gr. 4. Jede Lie⸗
ferung 6 Ror.
Se 68. €. E., Sreiberr non),
zweit lin ade au bie dentſche Ration über
Wirren, ihre Ermätigu
möglichen Wusgang. &. 8 8. Ge. ur Ras. *
Des Verfa
—————— — — rt —ãS— *
an EN „dife
Btanffurt a. „weite
Bon enfeiben ——— erſchien bertits früher daſelbſt:
itie des 8 rergeatt· grit it prakeifäer Anwendung auf unfer
Kr
3. &r. 8. 1880. Sch. 1%
gpete te pari er Bein. 5 weiähelle.— X. u. d. T.: Mein
ed X y
Sch. ’ Es 18 1 peikie Sn theilungen. Gr. & 154
haufen (8. X.), O
er Yrsteflantismuns
ti
dans (einer sefaie war ** Eutfiehung, Begrũu⸗
bilde In.drei Banden. Erſter
Be a 2a. ae
Jager (Jof. =). gesendeiftunde, g
Den ke © 7 —— Mister. —**
, e, Seelforger un
befierte Muflage, &r. 8 Ger. 2 El. Bweite un
Bons 8 (3. Ep. o.), Beleuchtung ber Für das
eich Sachſen beantragten. Reform Ber
alverfaffung. Vorausgeſtellt if eine Kritik
* —E des atailombarztee Dr. Reubert in Dre»
ben: „Darftellung ber ärztlichen Bing der Militairärzte
ber koniglich ſächfiſchen Armee” bett ®r. 8, 6%.
gr.
Am Jahre 1046 bereits von den Berfeffer ——
—— 8* —— der bee Bereichen
Jürgens 4*. Erſte Wthei⸗
Euthers Reben.
lung: Luther von feiner Geburt bis zum AUblaßfiveite. 1483
17. In drei Bänden. Erſter Band. Er. 8. Ge.
2 Thlr. 15 Ror:
Rewald’s (X.) gefammelte Gipriften. I
einer Auswahl. In zwölf Bänden. Vierte Lieferung, ode
zehnter bis zwälfter Band. Er. 12. Geh. 3 Zplr.
Die erfie bis dritte —— 1-9) unter dm Titel:An
Leben. nenuter Tdeil (EHEN: deſten
9 Thlr., jede Lieferung 5 Ahle
3. Machtavelli (Micsate bi Nermarbe
Dei), —— e Seſchichten. Aus dem Ita:
le See von Alf. Neumont. Bei Theile. Gr. 12.
26. Me “er EA.), ODie erichte in
24— $: 8. Geh. 20 Nor. .
. 27. My hr 8 E.), Gebichte. Gr. 12. Geh. 24 Ror.
28. Ninfa. Eine Novelle. Bwei Theile. Gr. 12. Geh
3 he. 10 Nor.
iſt. Behu
29. Hosuell mammel ot pratigghe
tiehs et autres actes diplomatiques sur lesquels sont
&tablis les relations et les rapports existant aujourd’huj
entre les divers Etats souverains du giobe, depuis l’an-
nee 1760 jusqu’& P’öpoque actuelle. Par je Baron Oh.
de Martens et le Baron F, de Cussy. En
dinque volumes. Tomes premier et second. Gr. 8
Geh. 4 Thir. 16 Ner. In denſelben Merle
Von Eh. de Martens erſchlen ferner in demſelben :
Guide diplomatique. ?vols Gr. 8. 1882. 4 Thir. 15 Ngr.
Causes oeltbres du Arelt des goms. ? vols. Gr. 8.
1827. 4 Thir. 15 Ner.
Neurvelles anuses odlöhres du droit des gems. ?vols.
» 183. 5 Titr. 10 Ner.
2 Meliſtab (Rı)r Gefammelte Schriften. Drei:
zehnter und vierzehnter oder Reue Folge erſter und weiter
Band. Gr. 18. Geh. 2 Abe. —
nde enthalten in einer neuen Aufloge des Werſaſſers
ee ee au Haris im Jabre 1830.°
Die ef dub erfhten in zwölf Bänden 1819-44 und foflet 12 Ihr. ;
di en :
1612. Dritte Auflage. — Gegen und romautifhhe Erzãhiuu⸗
en. — Kuuftne elen. — eiten, Auswab der
— .— ns i te +
Se —— *
31. Möben (VR. H.), Der ſonseraine chriftliche
Staat, das e untferer Zeitwirren. Gr. 8.
Seh. 1 hir. 15 Rar.
2. Shefer (Rp.), Bendrisn von Qoulouſe.
Hifkorifche Novelle. Gr. 12. Geh. 1 * 15 Nor.
3. ũ ck i Ee vin Die Nitterbürtigen.
a abe. 312. Sch. A Zhle. 15 Kar.
. bildet zugleidy den erſten bis dritten Band einer Saum⸗
ee en Xitel —7 — — lesen: "deren vierter Band
Eine bnmfle Mpat-; Nid unter dee Prefie befindet.
Bon dem Verfaſſer erſchien bereits ebendaſelbſt:
* oB am Meer. Roman. Zwei Theile. Gr. 12. 1843. Geh.
3 Ir. .
4. Gchulz (6 W.), Über bie Nothwendigkeit
eines neuen SBaleriegebäubes Tür bie 7 nig-
83 DBemälbefammiung au Dresden. Br. B.
Geh. gr.
”
de traitös, omren- ı 3. Siosors A
— —
⸗⸗
), Wladgstauu uub Diffepli,
Eine tfcherf blung. Gr. 12. Geh. gr.”
36. Roſts⸗Dibliothek. — Zweiter Band: Ber alte
eim. Leben und Wirken Ernft Ludwig Heim's, koͤnig⸗
ch preußifhen Geheimen: Raths und Doctors der en
mit
wiſſenſchaft. Aus Hinterlafienen Briefen und Xagebü
herausgegeben von &. RS. Keller. Zweite, mi
Bufägen vermebrte Auflage Mit Heim’s Bildniß. Gr. 8.
. Der erfie Wand dieſer Voles⸗ Bidliothek (1845) enthält:
Mettelde, Bürger m Ketderg. Eine Lebensbeſchrei⸗
hm ſelbſt zpanet und herausgegeben von B. Eb.
aPen. Mit Netteldbed’s Bildniß und einem Plane der limgegenb
von Kolberg. Zweite Auflage. Gr. 8 Geh. 1 Ahle.
en
37. Wiln de ( F. XIB.), Æeſebuch für Wolksichulen
und bie untern Claſſen ber Symngaſien und
Nealſchulen. Gr. 3. Geh. 16 Nor.
ee Breit diefes Befehuche wird_bei Dem mfauge
8 kottomif De als
tin Hu ae X ara)
erleichter
Joachim
bung von i
Pe
iger erſcheinen uud Die Einführung in —2
Werzeihniffe
im reife bedeutend herabgeſetzten Werken
aus dem Berlage von
F. A. Brockhaus in Leipjig,
wovon das eine die IR LIE und hiſto⸗
rifchen, das andere die wiſſenſchaftlichen Werke enthält,
werben dur alle Buchhandlungen gratis ausgegeben.
I Diefe Berzeihniffe enthalten. faft alle Werke von all»
gemeinerm Intereſſe, die bi8 zum Jahre 1842 in obigem Ber:
lage erfchienen find. Die Preisherabfegungen gelten nur für
ein Jahr, vom’ 1. San. bis 31. Dec. 1346. Bei einer Aus⸗
wahl von 10 Zhlr. wird noch ein Rabatt von IU%Y, bersilligt. “De
Biblifche
Bilder und Gedichte
Schule und Haus.
eransgegeben von
@, r. Meyer,
Erſte Lieferung. Großfolio. In Thondrud, Jede Lieferung
zu 6 Bildern und 6 Textblaͤttern. Preis 2 Thlr.
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’ jefed auch mit Hinficht auf den für Batball
wie — — amilien und len he
r andern ähnlichen Sammlungen die befondere Ei⸗
ent dei, daß, um eine möglihft wahre Vorftellung des
ibliſchen Lebens zu geben, das geichichtliche Element fo viel
imme ER auch mit dem Iagbfchaftlichen verbunden
des biölihen enfchauungsuntersichts in
Scqhulen laſſen ſich die 33* leicht und wohlfeil auf Carton
aufziehen und durch Firnih vor Schaden bewahren. Billige
Beurtheiler, welche wiflen, we hoch fonft ſchon einzelne
Blätter von gleiher Größe im Kunftgandel tarirt werden, wer:
den den Preis nie finden. Der Xert wird nach vielfeitig
geäußertem Wunſche ei den fünftigen Zieferungen auf kleinerm
vum Handgebrauch bequemerm. Formate gedruckt, in welchem
geliefert wird. Fuͤr den angerechneten Mehrwerth des urſpruͤng⸗
i
Wir glaub daſſelb ol zur Bergisrung von
ee ein @duiacbr ich beftens empfehlen zu Re
Sad M erſchi
Die Rückkehr,
| des Verfaſſers
& der Briefe eines Berftorbenen
1 Karte.
5 8. Eleg. geh. 2% Thlr. "
Verlag von Sflegander Bunder, k. Hofbuhhändler E
’ in Berlig. u
J Grfter Theil: Aghpten. Mit Abbildungen und f
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Sn unterzeichneten Berlage iſt ſoeben vefgienen 1) vurcqh alle
Buchhandlungen gu bezichen
Briefe aus und über Tirol.
Ein Beitrag zur nähern Charakteristik dieses Alpen-
Nudes im Allgemeinen und des Meraner Gegend
insbesondere
voB I. von von Hartwig.
Mit Ansichten von Schloss Tirol und vom Schlerngebirge,
4 meteorolegischen Tabellen.
Gr. 8 8. 43 Bogen. Geh. 3% Tblr. -
Dies Wert, während eined dreijährigen Aufenthalts in Tirol
entftanden, wird jedem Freunde der Wiſſenſchaft und des Baters
Iandes, fowie allen Beilenden, namentlich ſolchen, die, wie ber
Berfaffer, der Gefundheit und Geholung wegen das ſchoͤne
Klima Guͤdtirols auffechen, ein willkommenes fein.
Duncker & Humblot in Berlin.
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12 b & Zeller ien
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Seinrih veaioni.
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Sehen und Wirken
einfach und ka erzählt für das Bolk,
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Sir een dem ra Geste de.
Zweite *
(Erste Auflage 20,000 Eremyları.)
Broſch. 5 Mer, oder 18 Ar.
Soeben ift erfchienen und I yaten guten Buchhandlungen zu
Die Somöopathie.
Dorftellung ihres wahren Befens und Widerlegung
‚ der gewoͤhnlid gegen erhobenen Einmwärfe.
— —
Na} dem Englifchen Beanbeitet von Dr. verm. Sram. |
Mebdft eitter Burrete und Anmerkungen
Medicinalrath Dr. € Biapf.
Leipzig, Kollmann. Geh. 15 Nee. ( Sgr.)
Seihbiblistheken und SLeferirkeln
empfehlen wie bie in unferm Berlage erſcheinende Zeitſchrift·
Nene —— —88
cactent Dr.
J „gaiefes niabegeindee Sournal, das in jeder Hinſicht ent:
fSicden dem Portichritt buldiat, ſucht ein trrues Abbild Wer
neusften deutichen und ausländifchen Biteratur dar ubieken
und hat bereits in vielen Kreifen freundliche Anerkennung
funden. Mehre ber vorzüglicften Schriftſteller find als “
arbeiter gewonnen.
enthaͤlt an mannichfoltiger zus
wohl: Novellen und Erza tungen, Reiſeſkizzen; —
Ben beruͤhmter Beitgeno en; wichtige Entdeckungen und.
—* und ein ſehr r ereon, viq |
*—— c. mittheilt. Durch |
werben —* Leſer von dem neueſten
—* en unkyufänten und Borkommmiſſen fortmäpren i
Kernen ce York Der jaͤhrliche Wbonnementäpreis beträgt “
—— ‚im Gin Mei 1946,
RB. Beruharde’ihe Buchhandlung. |
un
Bei @. Rummen in Bebynig, erfäeint fit Anfang Die
Botanifches Ceutralblatt für Deutſchland,
ausgegeben von Dr. £. Rabenhorst. Dec A
Jahrgangs 2 Thir. 20 M |
Sa 14 Tage e —eæ eine Runms. tut Yen ausfül |
tofpec ee dur e Bu |
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on dem Ba & ehe * eragehamanq X
hlaubs en⸗Flore m
and: er 1844. 3 Zhlr. 10 Rgr.
Derfelben ten Bandes Ifte Wbtheilung: Lienen. 1
„ D Nor: (ten Bandes 2te Abteilung iſt im Deut)
Flora Lustatien, oder Verzeichniß und Befreiung u
in der Ober- und Nieberlaufig wild wachfenden und bie
fig cultivirten Pflangen. . ſter vand, Phanerogamemn
Derſelben 2ter Ban: —* —8 Able. 22%, Rz.
Dopulaize praktiſche Botanik, ober Anieitay,
die in Deutfchland wild mwachfenden und gezogenen Ge |
wächfe kennen zu lernen, nebft Überfiht bes Gewaͤtcht.
reihe nach feiner organogenetifihen Entwidelung. 1843,
Ahle. 27 Nor.
In meinem Verlage erschien soeben und ist dureh alle Buch.
handlungen zu beifietken:
Lindemann, E., Laieiisches Lesevad
für die beiden untern Classen der Gymnasios.
8 6 Ner. |
Min, im Apr 1816.
nr G A. Bogker.
Die Unterneh haben ſich zur ghrnaaebe folgender
Schrift veranlaſt g
Über die Verhaͤltniſſe der Buchhandlung F. 2.
Drodhans in Leipzig zu Herin Hofsaty Dr.
P. Eckermann in Weimar in Beziehung auf
Bert „Geſpraͤche mit Goethe in den Adten
Jahren feines Lebens". (Aus der Keten *
ſammengeſtellt und als Manuſcript dedruckt.)
Sollte es für Jemand von beſonderm Aetereſſe feim, biefe|
Schrift zu befigen, fo wird ihm biefefbe, fo weit der Vor
zath an Eremplaren reicht, gern aberlaffen werben, wenn
er ſich im Wege * Bud i6 an bie Buchhaudinug
A. Brockhaus wendet. |
Reipsig, im Mai "186. |
Friedrich Brockhaus. |
Deud uud SBerlag von — er. Se⸗erer⸗ ta Leipzig.
BEI HS ==
ER ei MR MR A