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Full text of "Blätter für literarische Unterhaltung"

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Blätter für literarische Unterhaltung. 


Vahrgang 19846, 


Erfter Band. 


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Blätter 
für 


Kahbrgang 1846. 


literarische Unterhaltung. 


Erster Band. 
Sanuar bi Qunt, 


(Enthaltend: Nr. 1— 181, Literariſche Anzeiger Nr. I — XL) 





8. A. — 
1846. 








, W22 








LIPRARY 


HARVARD \ 
UNIVERSITY 





— 


Blätter 


fhr 


literariſche Unterhaltung. 





Donnerdtag, 







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Vo biefer Zeitſchrift erſcheint tägli eine Munmer und der Preid betragt für den Jahrgang 12 
Buchen 


le in unb außer Deu 
Königl. {& 





achricht. 


a Seit nd „uehinen Deftellnngen era en ee alle Bofamter, bie 
e ungsezpebition e wenden. e Berfendung findet in 
rise 3 garen in Satöpeften ftatt. 


1. Sanuar 1846. ' 


— — nn — — un 


fr. Alle 
an die 
ochenlieferungen und 





Seydelmann und die deutſche Schauſpielkunſt. 


Über Seydelmann hat das kritiſche Deutſchland in 
Zeitſchriften, Brofhüren und Büchern eine ganze Kite: 
ratur anfzuweifen. Sein ˖ Tod, für Alle überrafchend 
früh, ward nur erſt recht Veranlaffung, fi über ben 
großen Schaufpieler auszufprechen, an den die Dichter 
ihre Hoffnungen tnüupften, auf den Pbilofophen zum 
Beleg ihrer aͤſthetiſchen Ariome binwiefen, deſſen Er- 
fcheinen auf jeder Bühne Deutfchlands ein ungewöhn⸗ 
liches Feſt geweſen war. Hier und da hatten fehr laute 
Stimmen fogar eine Wiedergeburt des beutfchen Thea⸗ 
terd von ihm verkündet. Ich gehöre in Sachen drama- 
tifcher Kunft fehr leicht zu den Hingeriffenen und bin 
einer rückſichtsloſen freudigen Hingabe an Stoff -und 
Form, an Inhalt und Darftellung germ eingeftändig. 
Dei alledem wolite e8 mir fcheinen, als rechneten mid) 
die Leute Seydelmann gegenüber zu den Nüchternen, 
obſchon ich mir felbft bewußt war, feine ganze Bedeut⸗ 
famkeit und Größe. zu erfennen. Indem ich hier über 
Rotſcher's ausführliches Buch und über eine Fleinere 
Schrift von Georg Knispel Rede ftehe*), fei mir felbft 
geftattet, meine Erinnerungen an Seydelmann zufammen- 
zufaffen. Den Manen des großen Mimen, der nach dem 
tiefften Abgrunde der einfachen und nadten, aber durch⸗ 
dringenden Wahrheit rang, weiß ich für meinen Theil 
kein beffered Opfer zu bringen, ale wenn ich aus zwei 
verfchiedenen Lebensepochen, wo ich ihn im Zufammen- 


*) 1. Seybelmann’s Leben und Wirken, nebft einer bramaturgts 
fra Abhandlung über den Künfller, mit Benugung und Veroͤffent⸗ 
Tichung des handſchriftlichen Nachlaſſes und der Briefe deffelben dar: 
geftelt von Heinrich Theodor Rötfher. Berlin, A. Dunder. 
1985. Gr. 8. 23 Sir. 

2. GSrinnerungen auß Berlin am Karl Seybelmann vom Spaͤt⸗ 
berbfie 1842, und Gin Memorandum für bie Reform des deutſchen 
Bühnenweiend, von Georg Knispel. Darmitabt, Ledte. 1845. 
8 mM Roer. 


hang beobachten Eonnte, die Eindrüude feines Spiels mir 
zurüdtufe und in mir feftftelfe. 

Es war vor zehn Jahren in Berlin, im Frühjahr 
1835, als ich Seydelmann bei feinem dortigen Gaftfpiel 
zum erften Male in einer Reihe von Rollen ſah. Eine 
Betrachtung über ihn an jene Epoche anknüpfen heißt 
ihm nicht zunahetreten, denn fein Gaftfpiel in Berlin 
war ber Glanzpunkt feines Ruhms. Ein angehender 
BVierziger, war er damals auf ber Höhe feiner Entwide- 
lung, durchaus in fich ferfig, und zugleich noch im gan- 
zen Vollgefühl feiner Kraft. Er war den Auffoderun- 
gen, in Berlin zu fpielen, fehr Tange ausgewichen. Er 
tannte den Dre nicht bloß, wie er fih ausdrüdte, ale 
„ein Weſpenneſt der Kritik“, fondern auch als den Schau- 
plag der größten Meifter in deuffcher Kunft. Er fürch⸗ 
tete fich nicht blos vor ber Kritik der dortigen Tages⸗ 
blätter — obfhon er an Drt und Stelle geftand, fie fei 
wol im Stande zu Tode zu ftechen, denn fie ſei fehr auf- 
bringlich dort, werde einem in die Vorſtube geworfen, 
bringe allmälig um allen Humor; und mas ift der 
Künftler ohne Humor * — Seydelmann fürchtete ſich bei- 
weiten mehr und vielleicht Tediglich vor den Schatten 
der großen Geifter von ehedem, die noch in den Gedan- 
fen ber Leute umgingen. inige lebten in den Erinne⸗ 
rungen an Sffland, der Mehrzahl ftand noch frifh und 
leuchtend Ludwig Devrient's geniale Geſtalt vor dem 
Auge des Beiftes, Alle wurden noch warm bewegt, ge- 
dachten fie, wie zu gleicher Zeit mit ihm bie beiden 
Wolff, Beſchord und Lemm die claffifhen Gebilde 
der dichterifhen Heroen in einem feltenen Gefammtfpiel 
vorgeführt. Indeſſen waren die Schatten der großen 
Todten doch ſchon blaß geworben; bie Raupach'ſche 
Epoche Tag dazwiſchen. Es fei fern von mir, den dra⸗ 
matifhen Verſtand in Raupach nicht Hoch genug an⸗ 
flagen zu wollen. Die ftarfe Kraft in „Iſidor und 
Olga“ kann Niemand leugnen; in einer Gattung des 


+ 


Luftfpiels, die zur fatirifhen Poſſe neigt, und im hiftori- 
chen Genreftüd, wie „Vor hundert Jahren”, hat er eine 
theatralifche Birtuofität entwidelt, die leiber oft genug 
dem echten Dichter fehle. Aber diefe Virtuofität verführte 
ihn. bei dem Mangel ber höhern dichteriſchen Haltung 
auf dem Boden der geſchithtlichen Tragẽdie zu einer 
fabritmäßtgen Schnellfchreiberei, die und im Zeitraum ei- 
niger Jahre den ganzen Cyklus ber Hohenftaufen ⸗ Helden 
durch die Schablone ſchlug. Er hatte die berliner Bühne 
faft amtlich in Beſchlag genommen, und wie er ſchrieb 
fo fpielte man. An der Erelinger und einigen andern 
ktaftvollen Naturen fanb er tüchtige Traͤger für feine 
Stoffe; aber der Typus feiner Schöpfungen ging allmä- 
fig auf die Darfteller über. Seine hiftorifhen Zragi- 
dien waren nicht ohne fcharffinnige Dialektik abfiracter 
Begenfäge erdacht und entworfen, aber ohne dichteriſches 
Leben, ohne Individuelle Wahrheit und Wirklichkelt aus- 
geführt. Den hiftorifchen Charakter verwifchte fein flie- 
Sender Jambus, der Schwung ber Phantafie wurde xhe- 
torifche Hohlheit, Nednerfünfte erjegten das Feuer der 
wahrhaften Empfindung, und der Furor der tragifhen 
Leibenſchaft verpuffte fi in Declamationen. Die alte 
Kichtung -des Iffland’fchen Zeitalters mit ihrer Wahr- 
haftigkeit, der aͤſthetiſche Schwung eines idealen Bor- 
trage wie ihn und bie beiden Wolff aus der Goethe'⸗ 
fhen Schule vorgeführt, der wetterleuchtende Humor ei- 
ner bämonifchen Romantik wie fie in Ludwig Devrient 
ihren Vertreter gehabt — alle biefe verfchiedenen Weifen 
Dramatifcher Kunft, wofern fie ſich auf der berliner Bühne 
hätten fortpflanzen laffen, wurden in der Raupach'ſchen 
Epoche auf ein mittleres Maß herabgedrückt, bei wel- 

em fich die rhetorifche Routine geltend machte. Die 
theatralifchen Künfte verbrängten die dramatifche Kumfl, 
der Schein bie Wahrheit, der Flitter das echte Gold. 
Die Bildung von Berlin fing überhaupt damals an fi) 
der Bühne zu entwöhnen. inzelne Phänomene wie die 
Sontag braten auf kurze Zeit einen Schwindel in 
die Maſſe; aber ſolche auffladernde Dige bewies um fo 
mehr die fehlende dauerhafte Wärme. Die Bildung von 
Berlin trieb damals Philoſophie; das politifche Antereffe 
war feit ber Julirevolution wach geworden, drehte ſich 
aber noch nicht um heimiſche Dinge. Und während bie 


" . Dentenden das Theater gründlich verachteten, kam die 


Theilnahme der eleganten Welt keineswegs dem Schau- 
fpiel zugute. Spontini beherrfchte mit feinem Pomy bie 
Dper, und das glänzende Ballet, die Liebhaberei de da: 
maligen Hof, war recht eigentlich im Stande, am Thea⸗ 
ten den Reſt von geiltiger Bedeutſamkeit abzutödten. 

In diefer Beit der Ebbe im deutfhen Schaufpiel 
kam Seydelmann nah Berlin. War der Moment gün- 
flig, infofern fein Nebenbubler die Eroberung des Publi- 
cums fireitig machte, fo. war die Aufgabe, die Gleich⸗ 
gültigfeit gegen das herabgebrüdte Schaufpiel zu durch⸗ 
brechen, nit gering. Dazu kam, daß die Schrift von 
Lewald, die Geydelmann mit. Lob überfchüttete und ihn 
als den MWertreter einer neuen Epoche verkündete, ihm 
zufällig nach Berlin vorausging. Die Kriſis was da⸗ 


durch nicht wenig gefleigert und das Yublicum der nord- 
deutſchen Hauptſtadt empfing den auswärts Gefeierten 
ftumm und nit dem Argwohn, ob die Kritik nicht blo⸗ 
Bes Schaumgold um fein Haupt geheftet. Die Bildung 
Berlins ift ein Ergeugniß der Kritik, mithin hat bie 
bortige Kritik vor allen das Recht, auf eigenen Füßen 
ftehen zu wollen, und ber Sig einer Kritik der Kriit iſt 
Berlin. Bei alledem und um fo mehr mar gleich ber 
erfte Abend, an welhem Karl Seydelmann ale Carlos 
im „Clavigo“ auftrat, ein entfchiebener Sieg, ein Triumph 
im großen Stil. Das wurde, wie faft immer Theater: 
erfolge, aus der befondern Stimmung im Publicum noch 
mehr erklärlich als durch Seydelmann’s Spiel. Dies 
war nicht darauf berechnet, im Kluge hinzureißen. Er 
kannte fehr wohl die Momente, wo bie volle Schlagkraft 


‚ber Kımfl wie em Naturereignig wirkt, aber er eröffnete 


fehr vorfichtig die Schleufen ber Gemüͤthswelt, denn feine 
Mittel waren nicht darauf geftellt, Erplofionen des Ge- 
fühle zu erregen. Er eroberte feiner Natur nach Tang- 
fam, aber gründlid); cr feffelte unausgefegt, und indem 
er eine ganze Reihe feiner Geftalten, feft und ſicher in 
fid) gefugt, mit der ganzen eifernen Confequenz feines 
Weſens hintereinander vorführte, flieg die imnıerfort 
in Spannung gehaltene Hochachtung vor feinem &piel 
endlich zu einer Bewunderung, deren lauter Ausbruch 
um fo flärfer wurde, je ſicherer der Grund dazu gelegt 
war. Seydelmann verfegte Berlin in eine feit fange 
dort nicht gefannte Bewegung. Diefe Aufregung flieg 
faft zum Taumel, weil man ihre Möglichkeit auf den 
Bretern, wo deutfihes Schaufpiel von Oper und Ballet 
überfhüttet war, nicht geahnt hatte. Selbſt die Ber 
ſonnenen nahmen Theil am Aufruhr der Geifter, meil 
er diesmal nicht einem gütigen Zufall von Reiz und Zu» 
gend, nicht dem launenhaften Verein glücklicher Natur- 
begabung, fondern dem Erzengnif langjähriger Stubien, 
dem’ Ergebniß des Dentenden, nicht ber fpielerifchen 
Kunft zugute Fam. Aus den beabfichtigten zehn Gaſt⸗ 
rollen wurde cine Reihe von 24. Und Geydelmann 
führte lauter Geftalten vor, die in der Werkftatt feines. 
Geiſtes zwanzig Jahre gebraucht hatten um fertig zu fein. 
Es war ihm nit im Traume gegeben; er hatte fogar 
Mühe, an einigen feiner Meifterwerfe in der Charakter» 
malerei, falls ihm augenbfidlich nicht alle feine Krafte 
zu Gebote flanden, die Schmweißtropfen der Arbeit fort 
zuwiſchen. Ein Blütenfrühling war ihm meder als Menſch 
noch als Künftler gegönnt gewefen; er hatte feine Früchte 
ducch einen naßkalten Sommer durchziehen müffen, man- 
che diefer Früchte fahen auf Augenblide wie überwintert 
aus. Aber eine goldene Herbftfonne, duͤnkt mich, ward 
ihm volauf zu Theil; wie denn für ben bentenden 
Schaffer und Künftler, der das Selb der Überlieferungen 
gründlich durchpflügt, fehr oft erſt das fpätere Mannes- 
alter eine Zeit ift, wo er beim Ginfammeln der Früchte 
den verfagten Frühling nachzufeieen ſcheint. Es war 
bei Seydelmann nur fehicfalsfchwer, daß fein Herbſt fo 


kurze Dauer hatte. 
(Die Vortfegung folgt.) 


Flaͤmiſchee Stillleben in drei kleinen Erzählungen von 
Heinrich Conſcience. Aus dem Flamifchen über⸗ 
fegt von Melchior Diepenbrod. Mit Holz 
Schnitten. Regensburg, Puftet. 1845. Gr.8. 20 Nor. 


Was wir bis vor einiger Beit noch für ummöglich gehal- 
ten, das ließben uns bie legten Donate erichen. Die Borkaͤm⸗ 
pfer der anders aufs fehroffiie einander gegenüberftchenden 
Parteien in Deutſchland waren body einig, ganz und vollfom- 
men einig da, we es die flämifche Bewegung galt, und in ber 
hat, fie konnten nicht anders, denn aller Politik fern, hielt 
jiih bie Bewegung gleich fern von Allem, was ihr einen pfäff- 
fchen Unfttich hätte geben können. ‚Die Strebniſſe der Pla: 
mingen”, fagt Hoͤfken fehr richtig *), „find dem Kern nad) 
freifinnig im volksthümlichen, zum heil im deutſch⸗liberalen 
Sinne; fie wollen von feinem politiihen Einfluß der Geiſtlich⸗ 
feit als folder hören, fo gern fie fonft deren Bemühmgen um 
dung, Schule und Kirche fehen. Die Rämifch-nationale 

Partei fteht dem umverjöhnlichen Gegenfag zwifchen ſtrengkirch⸗ 
licher Orthodorie und Höhnendem Voltairismus völlig fern; fie 
wädhft, wirft und lebs auf einem andern Felde als dem ab⸗ 
firacten; fie hat ihre Wurzeln im eigenen wirklichen Boden; 
. indem aber ihre Gtreebniffe vorzüglich auf Volksbildung und 
wahre Yufflärung gerichtet find, wirkt fie aud) am nachhaltig: 
jten gegen Fanatismus auf der einen wie gegen Boltairifche 
Aufklärerei auf der andern Seite.” So gibt auch Huber **) 
zu: „Auf dem gegenwärtigen Stadium diefer nationalen Be 
wegung aber theilt ſich ganz don felbft diefer Literatur und 
Deren aetiven und paffiven Traͤgern, den Literaten und ihrem 
immer zunehmenden Yublicum, noch mehr aber dem Kreiſe per: 
fönlicher Beziehungen, der fich befonderd unter der Jugend 
bifdet, eine gewifle ſittliche und religiöfe Haltung mit, wie ie 
als Gegenjag der do fi gibt, die man (mit Recht oder 
Unrecht) als charakteriſtiſch franzoͤſiſche fühlt, der Frivolität im 
weiteften Sinne” Er weiß jedoh auch: „Nimmt die katho⸗ 
liſche Reaction in ihrer aſcetiſchen Strenge fon jet pofitiven 
Anſtoß an der poctijch:gemüthlichen, äfthetifchen und gelegent: 
lich fentimentalen Freiheit jener Literatur, oder fürchtet fie, daß 
deren wiſſenſchaftlichen Selüften, beſonders wenn fie in deut: 
ſchem Sinn und auf deutſchem Gebiet Befriedigung fuchen fol: 
ten, die Sathotifche Orthodoxie durch proteftantifche und philo⸗ 
fopbifche Ketzerei gefährben Pönnte, genug, es liegen ſchon ſehr 
. harte Eenfuren gegen feheinbar ganz umnverfängliche Dinge vor, 
und eime gewiſſe Spannung, Wenigitend von jener Seite, ift 
unverfennbar.” 

&o auch ift es in der That. Wir koͤnnen ed nicht leug: 
nen, daß die ultramontane Partei, die ihrer Stüge auf Frank⸗ 
reich durch defien neuefte Literatur und vor Allem den „Ewigen 
Juden’ beraubt, in der een Partei eine Stüge zu finden 
meinte und darum fie und ihre Hinneigung zu Deutfchland 
(weiches, obaleich proteftantifh im Ganzen, doch im ben Rhein: 
landen noch eine arge uliramontanc Ede has) begünftigte, ſich 
ale Mühe gibt, dieſe Stüge zu Eräftigen, doch im Ganzen 
fommt fie nicht weit damit. Mag auch Crrevifie Novellen in 
iprem Sinne ſchreiben, mag der Studentenverein der löwener 
Hochſchule Alles für Re aufbieten ‚ mag Gent fich jedes Worte 
enthalten, welches ihr audy nur im entfernteften Sinne anftö: 
Fig fein Fönnte, Antwerpen, auf dem unfere ganze Hoffnun 
ruht, ift zu friſch, als daß fie durchdringen künnie. Freili 
ind die Feindfeligkeiten von da aus nur felten offene, aber die 
bis jegt nur leiſen werben bald in offenen Kampf ausbrechen. 
So ſtieß fi 3. B. die Geiſtlichkeit fehr daran, als vor kurzem das 
„Zarleerbond‘‘ eine vita Diepenbrod's nebft einigen Auszügen 
aus defien Schriften brachte. So wird fie fi) noch unendlich 
mehr daran geftoßen haben, als fpäter der Hirtenbrief des 


) „Belgien in feinen Verhältniffen zu Zrantrei und Deutfch- 
land“, ©. 3, 
m „Jans⸗⸗, He XV, ©. 156 und 162, 


v⸗ 


wahrhaft hochwuͤrdigen Fürft⸗ Biſchofs von Breslau in flämiſher 
Uberſetzung dort —2*88 iſt. 

Dieſe ruhige aber feſte Haltung der flaͤmiſchen Literaten 
wollte indeß gewiſſen Leuten bei uns nicht gefallen; weil fie 
flämifche Beter vor den Marien» und Ghriftusbildern fanden, 
weil fie in den Buchhandlungen der ulteamontanen Yartei diE 
„Memoires autographes de la sainte vierge” und Nhnliches 
ausgelegt jahen, darum meinten fie, DaB Flamlands Literatur 
dem Zejuitismus Dienftbar fei, und fie fchimpften, Rohrſpatzen 
glei, auf dieſe und ihre Träger. Andere kamen und fanden 
Sympathien, warme Sympathien für Deutfchland, doch ſtatt 
fi) deren aus vollem Herzen zu freuen, faben fie darin nur 
ein Reſultat geheimer preußiſcher Einwirkung, und da die 
Bläminge nicht über Preußen und das zerftüdelte Deutfchland 
Ihimpfen wollten, ſchimpften die Herren über die Flaͤminge. 
Diefe aber, die ſich, nochmals gefagt, fern halten von aller 
Politik, haben ja feinen Grund, fi über uns zu beklagen; 
jie denken: Machet ihr eure politiichen Sachen felbft ab, und 
freuen fi nur an dem Geifte, der unfere Wiffenfchaft, unfeve 
giteratur durchweht. Warum follten fie alio ſchimpfen? 

Doppelt willkommen denn war es uns, die Reihen Derer, 
welche Flamland und feine Beitrebungen erkennen und zu 
ſchaͤzen wiflen, jenen unberufenen Schreiern gegenüber, um &» 
nen fo allgemein geachteten Namen wie der Melchior Diepen⸗ 
brock's iſt gemehrt zu fehen. Nicht mit gleicher Freude Eön- 
nen wir übrigens fein Buch begrüßen. Gewiß war Niemand 
der Conſcience würdiger in Deutichland hätte einführen fön- 
nen als Diepenbrod, doch wir fahen es nicht gern, daB juft 
die drei kleinen Novellen es waren, welche den flaͤmiſchen Dich⸗ 
ter zuerft vor das deutſche Yublicum brachten. Sie haben, 
dies wird Riemand leugnen Sonnen, manches Schöne, manches 
recht Charakteriftiihe, eine hoͤchſt ehrenwerthe Gefinnung ofs 
fenbart fih in ihnen; doch fie find für ein Yublicum geſchric⸗ 
ben, welches von dem beutichen himmelweit verfchieden ift, wel⸗ 
des noch in den erſten Unfängen der Bilbung ſteckt. Ihre 
faſt allzu große Einfachheit dürfte in Deutfchland weniger zus 
fagen und dadurch Vorurtheile gegen Conſcience wecken. Wäre, 
was uns feit fo lange fchon von fo verfchiedenen Seiten vers 
fprochen wurde, ded Dichters größerer Roman „Der Loͤwe von 
Blantern’ früher erfchienen, dann hätte man dem Grfcheinen 
jener Beinen Rovellen ruhiger zufehen können; fo aber dürften 
fie cher ſchaden als nugen. Als Beiträge zur Kenntniß des 
flämifchen Volkſlebens übrigens find fic immerhin fchägene- 
wert) und in diefer Beziehung können wir ihre Lecture Jedem 
empfehlen, der ſich für flaͤmiſche Zuftände intereſſirt. 

In der erſten „Sista von Roofemucl”, gneißelt Gonfeicnce 
die Brangoferäfferei, welche felbft bis in die Bürgerclaffe durch⸗ 
drang, feit lange dort aber ihren Höhepunkt erreichte und nun 
in bdemfelben Maße abnimmt, in welchem fie einft wuchs. 
Siska's Vater ift ein ehrfamer Specereihändler „nad dem al 
ten Schlage“, der nichts von den „franichen Windmakers“ wiſ⸗ 
fen will; die Mutter läßt ſich cher beftehen und befonders, 
als fie den Rachbar feinen Laden & la francaise aufftugen und 
defim haͤßliche Tochter in hübſchen Kleidern umgeben von &i- 
ner Menge von Stugern an dem glänzenden Ladenfenfter pran⸗ 

en fiebt. Sie will, daß Siska au fo werde und zu dem 
Ende das Mädchen in ein franzöfifche® Penſionnat ftedden ; der 
Bater ſtemmt fi) Dagegen, der Hausarzt, ein alter Hausfreund, 
raͤth ab; doch fie ſetzt es Durch. Siska wird in dem Penfionnate 
gaͤnzlich verdorben; als fie daraus ruͤckkehrt, ſchaͤmt fie fi, 
mit der Mutter über bie Straße zu gehen; die gute Wite muß 
ihre flaͤmiſche Spigenhaube mit einem Hute, die alte Rantilla 
(Baile) mit einem Shawl vertauſchen; Der Laden muß ganz. 
umgeändert werden; alle die alten Söpfe und Kaften, an denen 
tanjend Erinnerungen des Baters klebten, fliegen auf die 
Straße und bunt angeftrichene, theilweife vergoldete nehmen 
ihren Platz ein. Das gebt dem Alten zu fehr zu Herzen; es 
flieht, wie der Nachbar Schuſter durch feine Kinder verfpottet, 
vergöhnt, gänzlich ruiniert wurde, wie er als Bettler umirrt, 


während feine Tochter der Unzucht fröhnt, und er fieht Daſſelbe 
für fi und Siska voraus; durob bricht ihm das Herz, er er 
krankt und liegt am Tode. Da tritt der Hausarzt eines Mor: 
ens plöglich vor Siska, reißt fie mit fih zu des Baters Sterbe- 
er und donnert ihr zu: Das ift dein Werl! Crfchüttert 
fleht fie den Bater um Verzeihung und erlangt fie; der Alte ftirbt 
ruhig; Siska bleibt der Mutter von nun an eine treue Tochter. 

„Wie man Maler wird” ift ein Stück Lebensgeſchichte 
des Profeſſors Franz Dujardin, ihm gewidmet und von ihm 
idufteirt. Ein Sohn blutarmer Htern follte Dujardin Maurer: 
gefelle werden, doch feine Sroßmutter und feine Mutter, welche 
ihn ſtets mit Maͤnnchenmachen befchäftigt fahen, brachten es 
dahin, daß cr auf die antwerpener Akademie kam, an der er 
gegenwärtig noch wirkt. Höchft gelungen ift die Scene, wie 
die beiden Frauen Fraͤnzchen der Direction der Akademie vor: 
ftelen und Großmutter ftolz dem Director Wappers ein „Porz 
trait“ zeigt, welches Fraͤnzchen von ihr gemacht. 

„Was eine Mutter leiden kann“ laſen wir ſchon einmal 
in den „Grenzboten“; es ift, gleich den beiden andern Erzäh: 
lungen, dem antwerpener Volksleben entnommen. 

Sowol der Inhalt wie die trefflihft ausgeführten Illu⸗ 
fteationen eignen das Buch durchaus zu einem Gefchent für 
ai zeifere Jugend ; ein paffenderes Geſchenk möchte fich feiten 

nden. 36. 


— 


Literariſche Notizen aus Frankreich. 


Die Religion in-den Bereinigten Staaten. 

Durch eine fleißige Überjegung von 2. Burnier ift vor 
kurzem dad Werk eines ameritanijchen Geiftlihen Robert Baird 
über die religiöfen Verhaͤltniſſe in den Vereinigten Staaten in der 
franzöfifhen Literatur eingebürgert. Daſſelbe gibt einen genügen- 
den Überblick über die Art und Weiſe, wie fi) im Laufe der Jahre 
diefe wichtigen Angelegenheiten in den Wereinigten Staaten 
geftaltet haben. Man fieht, bier fpricht ein Dann von Fach, 
der mit Sachkenntniß ausgeruftet ift und dem Notizen und 
Angaben zu Gebote ftehen, wie fie für Undere faum zugänglich 
find. Baird behandelt die Geſchichte der religiofen Drganifation 
von dem Zage an, wo (am 22. Dec. 1522) bie erften Puri- 
taner, welche um ihres Glaubens willen ſich nach Amerifa 
hinüber fiedelten, im Hafen des Cap Cod einliefen. Wir 
Eönnen hier in dad Detail der ftatiftifchen Angaben, welche für 
und von wefentlidem Intereffe gewefen find, nicht näher ein- 
gehen und müflen uns deshalb, um nur einen ſchwachen Begriff 
von der gewaltigen Entroidelung zu geben, welche die religiöfen 
Angelegenheiten in den Bereinigten Staaten genommen haben, 
begnügen, bier anzuführen, daß im 3. 1775 vor der Zrennung 
in Birginien 1440 Geiftliche und 1940 Kirchen waren, während 
jegt allein in den evangelifchen Kirchengemeinden 13,335 Prediger 
und 26,200 Religionshäaufer gezählt werben. 


Bur Gefhihte des Sturzes der Jefuiten. 

Wie mancher unter den Bertheidigern der Iefuiten und 
der übertriebenen Anfprüche, welche feit einiger Zeit der Klerus 
in Frankreich erhebt, tritt wie ein Wolf im Schafskleide auf. 
Mit füßlächelndem Munde, mit der befcheidenften Miene son 
der Welt ftellen fich diefe Herren dem gutmüthigen Yublieum 
vor. Keiner von ihnen will ja den Ruͤckſchritt, Beinem Fam 
es in den Sinn, einzugreifen in die Speichen des Schickſals⸗ 
rades. Sie alle wollen ja nur die allgemeine Wohlfahrt, die 

emeinfame Freiheit, welche fie nur im Voruͤbergehen aud für 
ihre lieben Yreunde die Iefuiten in Anfpruch nehmen. Rur 
zuweilen macht fi dann aber auch mitten durch Diefe einfcgmei- 
heinde Rede vol Sanftmuth und Keutfeligfeit ein Ausbruch 
des verbaltenen Borne Luft. Dann erfcheinen fie in ihrer 
ganzen Geftalt; jie laffen dann die Unfprüche, welche fie im 
Schilde führen, unverhült bindurdbliden. Gin ähnliches 
Schaufpiel bat fih uns bei der Lecture folgender Flugſchrift 
geboten: ,‚Kesai historique de la destruction des ordres 


religieux en France au dix-huilitme siöcle ”, von M. Prat. 
Wenn man bie Borrede Tieft, welche von fi önflingenden 
Phrafen der Freiheit, des Fortſchritts, der Meform u. f. w. 
überträuft, fo läßt ‚man ſich fhwerli den Gedanken beikom⸗ 
men, daß man ed hier mit einem unverhohlenen, felbft leiden- 
ſchaftlichen Bertheidiger des Iefuitenordens zu thun bat. As 
folder tritt uns aber in ber That ber Berfafler in feinem Werke 
ſelbſt, welches zur Einleitung der Farbe wie der Zendenz nad 
im grellen Gegenfage ſteht, mit großer Beſtimmtheit entgegen. 
Seiner Meinung nad ift den Sefuiten das bimmelfchreiendfe 
Unrecht geſchehen, und der Grund zu ihrem Sturze ift nicht 


“ in ber eigenen Verwerflichkeit und in den zahliefen Übergriffen, 


welche fie fi) nad allen Richtungen bin zu Schulden kommen 
ließen, fonbern vielmehr in einer Reihe zu ihrem Nachtheil 
ongezettelter Intriguen zu ſuchen. In den Augen Prat's fteht 
diefer Orden in makelloſer Reinheit da und es drängt ihn, diefe 
Wahrheit offen und unumwunden Bund zu aeben. Wir haben 
ben Raum bier nicht, Die Haltilofigkeit des ganzen Gebäudes, 
welches er mühfam aus falfchen Worausfegungen, Irugfchlüffen 
und bintenden Hypotheſen zuſammengezimmert hat, umſtaͤndlich 
nachzuweiſen. Übrigens wird ſchon jeder Leſer felbft fühlen, 
wie alle diefe lügnerifhen Unnahmen vor der allmädhtigen 
Gewalt der gefhichtlihen Wahrheit in Truͤmmer finken. 





Das Kriegdwefen der Araber. 

Tas Militairwefen der Araber ift ſchon mehrfach ber 
Gegenftand gelehrter Unterfuchungen gewefen. Deffenungcachtet 
bleibt doch auf dieſem Gebiete der Kriegsgeſchichte noch viel 
zu erforfchen und zu ‚ermitteln. &o bat fi) denn, veranlaßt 
dur) die Ungewißheit, weiche noch auf einigen wefentlichen 
Punkten ſchwebt, der Urtileriecapitain Yave, ein tüchtiger 
Militair, der bereits feit längerer Zeit an einer umfaffenden 
Geſchichte der Artillerie arbeitet, in Gemeinichaft mit dem be 
kannten Drientaliften Reinaud an das Studium der arabifchen 
Quellen gemadt. ‚Die Frucht der vereinten Arbeiten ift eine 
Geſchichte des Kriegsweſens ber Araber, welche vor kurzem 
der DOffentlichfeit übergeben if. Es kommen barin einige 
Punkte von algemeinerm Intereffe zur Sprache. So gebt 
unter Anderm aus den angeftellten Unterfuchungen deutlich ber- 
vor, daß es die Ehinefen find, denen die Erfindung des Yulvers 
beigelegt werben muß. Don ihnen entlehnten e6 die Araber 
und Griechen, welche indeflen noch nicht im Stande waren, 
die eigentliche Bedeutung und Wirkung beffelben zu erfaflen. 
So viel fcheint fih mit Beſtimmtheit zu ergeben, daß es dem 
Abendlande vorbehalten war, die Anwendung dieſer gewaltigen 
Kraft zu entbedien. ıT 


— —— 





Literariſche Anzeige. 
In allen Buchhandlungen iſt zu erhalten: 
Zur 


CTodtenfeier Dr. M. Juther's 
am 18. Februar 1846. 


Herausgegeben von 


Dr. $. . Koethe. 
Gr. 12. Geh. 24 Nor. 

Inhalt: Luther's letzte Lebenstage und fein Zeftament. — 
euther's Tod und Begräbniß, nach Berichten der Augen« 
zeugen. — „Dr. Bugenhagen's Leihenprebigt und Meland: 
thon’8 Gedaͤchtnißrede. — Nachrichten von der Keier des 
18. Yebruar 1646 und 1746. — Zwei Vorreden zu Ruther’s 
Todtenfeier im Jahre 1846. 

Eeipzig, im Januar 1846. 


3. 3. Brockhaus. 


VBerantwortliher Heraußgeber: Heiurih Brockzaus. — Drud und Werlag von F. X. Drockhans in Leipzig. 


* 


||| 


Blatter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Freitag, 


Seydelmann und die deutſche Schaufpieltunft. 
(Bortfehung aus Nr. 1.) 


Seydelmann’s Schaufpielmeife warden Berlinern etwas 
durchaus Neues. Hier war nicht die bligartig wirkende 
Willfür des romantifchen Devrient, auch nicht der Hauch 
der Idealiſtik, den der claffifhe Zögling Goethe's über 
feine Geftaltungen zu breiten wußte; mit Wolff hatte 
Seydelmann hoͤchſtens die ruhige Conſequenz in Feſthal⸗ 
tung der Figuren, die Stärke der Reflexion und bie 
Ruhe langſamer Zurüftung gemein. Ergebniß tiefer an- 
haltender Studien war die Kunſt Beiber, das rückte fie 
in einer Beriehung, die hinter den Couliſſen lag, anein- 
ander; ihre Richtung, ihre Zielpunkte auf den Bretern 
waren fehr verfchieden. Seydelmann war fo originel, 
daß er jede Reminifcenz zurüdbrängte. Er führte ganz 
neue Kräfte ins Feld, war ganz nur er ſelbſt, voll, groß, 
in fi) felbft nur gefügt, aus rückſichtsloſem innern Be 
dürfniß erwachſen. An ihm machten wir in Berlin, wo 
die Philofophie das Theaterintereſſe befeitigt zu haben 
fhien, eine ganz neue Entdedung, die Entdedung, daß 
es eine Schaufpielfunft gebe, die durch ihren eigenen Geiſt, 
durch ihre eigene Kraft eriftire, fich felbft Zweck fei. Und 
diefe Kunft ſtellte fih, ganz unabhängig von der dichte- 
riſchen Schöpfung des Tages, Zielpuntte, die deutlich 
verriethen, daß fie felbft einen bedeutenden Aufwand wif- 
ſenſchaftlicher Speculation zu ihrer Verfügung hatten. 
Iffland, erinnerte man fi von Seiten der Altern Thea⸗ 
terfreunde, Hatte auch Eoflume und Zeitalter für feine 
Figuren ſtudirt; Graf Brühl, wußte man, ließ Archive 
und Ruͤſtkammern burchftöbern, um die Pappenheimer im 
„Wallenftein” gefchichtlih treu auftreten zu laffen; in 
der Oper, im Ballet gab man Volksfeſte und National- 
aufzüge mit einer Opulenz, die zugleich charatteriftifch 
zu fein den Anfpruch machte. Seydelmann mochte mit 
dem bittern Scharffinn, der ihm eigen war, wo er &e- 
brechen und Eitelteiten auf feinem Felde fand, allen der- 
gleichen bis Auferlichen Apparat befächeln. Freilich ftu- 
dirte auch er Coſtume und Zeitmode; was in die Er- 
ſcheinung fiel, konnte ja nicht in Misachtung liegen Taf- 
fen wer eine Geftalt aus innen heraus‘ zur Erfceheinung 
beingen wollte. Aber er gab mehr als bloße hiftorifche 


ö— — Nr. 2. — 





2. Januar 1846. 





— —— 


ohne frommen, gläubigen Augurdienſt, nicht ohne pfy- 
chologifche Erkenntniß des innern Weſens moͤglich. Sey- 
delmann war auf der deutfchen Breterwelt im tiefften 
Sinne des MWorts ein Hiftoriograph und ein Geſchichts⸗ 
male. Wie er Karl XII, Ludwig XI., Cromwell hin- 
ftelfte, nicht blos in Maske und als Erfcheinung, fon- 
dern lebendig aus einem Rahmen tretend, der von ir- 
gend einem alten Meifter erfien Ranges, fei e6 Tiziam, 
fei es Rembrandt, herzurühren ſchien: dieſe Art und 
Weife einer lebendigen Malerei, die die Geftalten in 
Scene fegte und zur Action brachte, war in der beut- 
fhen Schaufpieltunft durchaus noch unerhört gewefen. 
Und zu diefer Kunft gefchichtlicher Charafterzeichnung ge- 
ſellte ſich Seydelmann's Gabe, den Rationalgeift in der 
Perfönlichkeit zu verkörpern. Man erinnere fih feines 
Riccaut, feines Vatel; wie duch und durch in jedem 
ZoU franzoſiſch war dort die frivofe, hier die infipide und 
naive BVerlorenheit der Creatur. Sein Sffip gab die 
Beftialität des ruffifchen Leibeigenen, in deſſen Seele 
felbft die zartere Regung die Schanbmale der Knute nit - 
verleugnet und mit lallender Zunge fie verräth. Bein 
Marinelli war Hofmann gewordener italienifcher Bandit; 
fein Mohr im „Fiesco“ erfchten mit den wilden Sprün: 
gen der afrikanifchen Tigerkatze. An allen dieſen Ge- 
ftaften hatten ſich ſchon hundert Darfteller als National- 
maler verfucht, weil hier die befondere Aufgabe fhon in 
der Charakteriftit der Figuren liegt. Allein es hatte noch 
Niemand die Wahrheit bis zum Erſchrecken getroffen. 
Diefe furchtbare Gewalt, die in gewiffen andern @eftal- 
ten bis zum Entfegen frieb, übte Seydelmann’s Kunft 
über un®, 

Dies war bie eine Kraft in feinem Spiel. Sie war 
nicht denkbar ohne die vorangegangene zwanzigjährige 
Arbeit eines eifernen Fleißes, nicht denkbar ohne bie 
Dual der Nachtwachen und jene bange Sorge, die bei 
großen, keck hingefegten Zielen oft um bie entſprechenden 
Mittel zum Zweck verlegen iſt. Aber fie beftand doch 
nicht blo8 aus mühfam Erworbenem. Das Gefühl der 
Unzulänglichfeit angeborener Mittel, die Verzweiflung 
über Hinderniffe, die ihm die Natur in den Weg gelegt, 
und zugleich die große Gewiffenhaftigkeit feiner feltenen 
Energie trieben ihn zu Übungen, wie fie in ber That 


Richtigkeiten, er gab Hiftorifche Wahrheiten, und die find ; nur Demoſthenes fich auferlegte, um am Ufer bei dent 


allerdings nicht ohne Innere Schau der Eingeweide, nicht 


raufchenden Lärm der Woge mit Kiefelfleinen im Munde 


ein urfprünglich fehlerhaftes und zähes Organ geſchmei⸗ 


dig und dienſtbar zu machen. Aber jene Seydelmann'⸗ 
fhe Kraft in der Charakterzeihnung lag ebenfo wol in 
einer tiefen Naturanlage begründet, in der angeborenen 
Faͤhigkeit, das. Wein des Menſchen bis in fein verbor⸗ 
genftes, feinfted Gedder zu verfolgen, es ans flinen ge- 
heimften Zönen zu erlaufhen. Man fucht die Natur des 
Dichters und Künftlers immer zu oft blos in der fpie- 
leriſchen Phantaſie, in der Fähigkeit der Erfindung, die 
wie über Nacht fommt. Sie befteht, wo fie fi vollguf 
entwidelt, ebenfo ſehr in der angeborenen Gabe, ben 
Menſchen zu verftehen. Die fogenannte Menfchentennt- 
niß iſt eine nad) außen gerichtete Empfänglichkeit; der 
Künftler muß nichs blos die Menfchen fennen, fondern 
auch den Menfchen, er muf die Gattung am Einzelnen 
verfichen und den Einzelnen in der Werkftatt feines Wer- 
dens belaufchen können. Hierin lag Seydelmann's tieffte 
Begabung und fie warb bei emfigem Eifer feines for- 
fhenden Zriebes zu einer Virtuoſitaͤt, die nicht blos den 
Einzelnen in der Erſcheinung raſch wie ein Buch zum 
Durchblaͤttern in die Hand nahm, jondern auch das Ge⸗ 
fchleht in feinem Zufammenhang mit Gott und Natur 
durchſchaute. Dier ift die Größe von Seydelmann's Ta> 
lent nad). der einen Seite hin zu fuchen. 

Die andere Kraft in der Kunft feiner Darftellung, 
eng mit jener zufammenhängend, war der Drang, un- 
ter allen Umſtaͤnden wahr zu fein, fo wahr nie die Na- 
tur, die uns in ihrer ſchlichten Einfachheit oft rührt, 
ebenfo oft aber mit ihrer nadten Blöße uns erfchredt, 
mit ihren Schreden uns betäubt. Einfache, durchdrin⸗ 
gende, unerbittliche Wahrheit bezmedkte fein Spiel, Wol 
weiß ich, dag die Schönheit im Grunde nichts Anderes 
will und nichts Anderes ift als Wahrheit. Beide find, 
wo ein guter Genius fie behütet, Eins, treten im Kunſt⸗ 
gebäude nicht anders ald Hand in Hand auf. Aber die 
Schönheit will die Wahrheit der Natur nicht in ihren 
Anomalien, fondern in ihrer Negel, in ihrem Zuſam⸗ 
menhang mit dem Göttlihen; die Schönheit will bie 
Wahrheit des Einzelnen in feiner Harmonie mit dem 
Banıen. „ Sie berechtigt das Böſe nicht, in einer dämo- 
nifchen Übergewalt aufzutreten, in der das Univerfum 
fih aus den Fugen hebt. Seydelmann ſchlug die Macht 
der. Schönheit, weil er in feinem Sinnen und Brüten 
fih nicht von ihrem Genius bevorzugt fühlte, nicht, hoch 
genug an, um fich. innerhalb ihrer Schranken feine leg- 
ten Ziele zu fteden. Er ging über fie hinaus, er wollte 
mehr geben als Schönheit; und freilich war fie auf dem 
Gebiet der dramatifhen Kunft zu feiner Zeit zu einer 
ſchwächlichen, in fich glücklichen Convenienz herabgebrüdt. 
Die dichterifche Production Flennte, die Darftellung af- 
fectirte. Beide gingen entweber auf Stelzen obeg wa- 
ren gemein; der Ausdrud der Schönheit war Phantaſie 
geworben. Es gibt Kunftepodgen, es gibt Künfllematu- 
ren, die über den Bereich der Schönheit hinausgehen 
müffen wie Michel Angelo. Was. über den Begriff der 
Schönheit hinausgeht, kann Größe fein. Und das Groß⸗ 
artige, das Ungeheure war für Seybelmann Ziel der 


Charakteriftit in feinen bebeutendften Geſtalten, nament- 
lich in feinem Mephiftopheles. Ge war nicht Eigenfinn 


von ihm, nicht zufällig falfche Auffaffung, daß er dem - 


Teufel des Volksbuchs in die Goethe'ſche Dichtung her⸗ 
einſchleppte; es war die f&biehlähe Gonfequeng feiner 


Dichtung und Methode. Mephiſto war jedoch in Diefen ' 


ganzen Glorie des Satans eine feiner fpätern Leiſtun⸗ 


gen. Er gab die Rolle damals nicht in Berlin und 


ich feldft fah fie von ihm erft einige Jahre nachher, als 
ih von neuem einen Cyklus feiner Geftalten an mir 
vorübergehen ließ und die Überzeugung gewann, Seybel- 
mann müſſe cbenfo ſehr mie in entgegengefegter Weiſe 
Ludwig Devrient für eine geniale Ausnahme, nicht für 
einen Prototyp in deutfcher Schaufpielkunft gelten. In 
Berlin, bei dem großen Tumult der Aufregung, fühlte 
ih nur mit Allen glei ſtark die Wirkungen der unge- 
ſchminkten Wahrheit feines Spiele. Wir unterfuchten 
nicht, ob bei der Macht, die ex übte, die Schauſpielkunſt, 
wie fie follte, nur die Trägerin der Poeſie war oder um- 
abhängig von dieſer ihre Glorie feierte. Wir fürmten 
das Parterre, das lange verfhmähte, und überwanden 
felbft den Widerwillen gegen Stüde wie „Die Moyali- 
fien”, die und wie eine ungefuchte Parodie auf ihr 
Thema erfhienen. Seydelmann hatte fich in feiner gei⸗ 
fligen Bildung vom Mark der größten Dichtungen ge- 
nährt, aber feine Birtuofität als Schaufpieler war faſt 
noch größer, wenn er die fümmerliche oder flüchtige Ar- 
beit von heute mit der ganzen Fülle feines Scharffinae 
ergänzte und mitten in einem büsftigen Ganzen eine 
hiſtoriſch und pfochologifch geordnete, fefte und felbftän- 
dige Geftalt gab. Sein Erommel war ein folches cher- 
nes Gebilde, das ſich ale Schöpfung feiner felbft, nicht 
auf dem Boden des Raupach'ſchen Stücks getragen 
fühlte. So waren feine Geflalten immer wie in fi 
geſchloſſene Naturnothwendigkeiten, die in ihm felbft wur⸗ 
zeiten. Er ſchien mir weit mehr der legte ber großen 
Virtuoſen der Schaufpieltunft als der Vertreter einer 
neuen Richtung, bei ber es darauf ankommt, die Poeſie 
zu ihrem Rechte zu- bringen. Daß biefe feine Stellung 
zur Production ihm felbft unbewußt war, hebt Die Rich⸗ 
tigkeit meiner Behauptung nicht auf. 

Seydelmann war in Berlin plöglich dev Mittelpunkt 
der. geifligen Tagesintereſſen geworben. Die Anhaͤnger 
der alten Schule, die Ifflaubianer, waren erſt recht voll 
feines Ruhmes; fie fanden in ihm, mas- fie laͤngſt ver- 
mißt hatten, Realität, Wahrheit, wie fie. auf dem Felde 
der Malerei von den Nieberländen nicht flraffer und 
ſchlagender gegeben wurde. Die claſſiſchen Idealiſten 
waren überraſcht, die Romantiker betäubt, die Philoſo⸗ 
phifchen, die Mehrzahl unter den dentenden Köpfen der 
Bildung, fahen in Seydelmann den Wertreter ihrer Xpis- 
me, der in der einzelnen Erfcheinung. ben Gedanken ver⸗ 
törpere, im. Individuellen nur das Allgemeine binftelle. 
Wo in Seydelmann's Spiel bei aller Größe feiner Kunſt 
phyfifche Mängel zum Durchbruch kommen, da hieß «6 
in der philoſophiſchen Kritit, der Geiſt habe in ihm bie 
Ratur überwunden, ev habe fie. wider ihren Willen in 


feinem Dienfl.. Daß nur die ungeſuchte Harmonie von 
Gelft und Ratur wie das Gedicht fo auch bie vollendete 
etik nicht gern 
eingeräumt. Eduard Gans ſchrieb damals die geiſt⸗ 
und ſchwungvollen Aufjäge über Seydelmann. Er eröff- 
nete daxin bei Gelegenheit des „Kaufmann kon Venedig” 


Darfiekung liefese, bat bie Degel’fihe Aſth 


zuerft jene Parallele zwifchen Lubwig Dewrient und Sc 
deiwann, eime Parallele, bie fich fpäter oft genug zum 
Argerniß des großen Schauſpielers fortfegte und in das 
unnügerweife feftgehaltene Dilemma zwiſchen Genie und 
Talent, zwifchen Inſpiration uud Verſtandescalcul aus: 

Devrient's Leiftungen wurden als CEingebungen 
des Genies, Seybelmann’s Spiel lediglich als Ergebniß 
des DVerftandes genommen, Inftinct und Intelligenz ale 
unzugängliche Begenfäge feftgehalten. Gans hatte zuerft 
am die DVerfihiedenheit erläutert, ob der Dar⸗ 
fleller in dieſer Relle den Juden oder das allgemeine 
Judenthum repräfentire. Mich dünkt, Seybelmann habe 
fo wenig wie Devrient in ber Gharakterrolfe des Shak⸗ 
ſpeare ſchen Stud irgend an Darftellung und Gattungs⸗ 
begriffe gedacht. Ihre verfchiedene Auffaſſung des Shy⸗ 


lock lag in der verſchiedenen Art, wie ſie ſich überhaupt 


entwickelten und wie ſie im Werk des Dichters ihre 
Stellung ſuchten. 

Mit jener Debatte war Seydelmann in Berlin na⸗ 
turalifiet. Wir zählten ihn zu beu Unferigen, wir dad; 


ten nicht daran, daß er anderswo, zumeiſt durch fic) 


ſelbſt, dann aber auf einem Boden, der ihm feine Ent: 
wickelung nicht erfchwerte, geworden war was er war. 
Eine fchöpferifche Literatur unterftügte ihn nicht und fo 
hatte dort der große Schanfpieler nur das philofophifche 
Ratfonnement, an das er fich lehnte, um geiftig auszu« 
ruhen und geiftig fortzuleben. „Das Publicum““ fehreibt 
er in jener Zeit aus Berlin, „ſcheint es hier jeit lange 
verlernt gehabt zu haben, von einem foliden Schaufpieler 
Notiz zu nehmen.“ Es wurde ihm Lob und Ehre in 


einer Weiſe zu Theil, daß in der That fein Selibſtbe⸗ 


wußtfein eine plögliche Vollmacht über fi und fein 
Wirken erhielt. Und das gefchieht mir, ſchrieb er, an 
einem Orte, der mich nur mit Efjig, nicht mit Wein zu 
bedienen gedachte, in dem geflicchteten Berlin. „Mit 
mir iſt Gott!” ruft er ſchließlich mit der Froͤmmigkeit 
des echten naiven Künftlers; „dafür bin aber auch ich 
nur fein Seihöpf bis zum legten Athemzuge voll Danf- 
barkeit und Demuth.” Die Epoche feines berliner Gaſt⸗ 
ſpiels, davon abgefehen, daß fie feinen allgemein deut- 
ſchen Ruf begrimdete ober vielmehr flüffig machte, hatte 
für den tiefen Ernſt des gewiffenhaften Seydelmann 
Meenfalls das Gute, daß er fi feitbem ficherer fühlte, 
fine Natur, die immer mit fich ſelbſt befchäftigt, 
immer in tiefer Arbeit mit fich felbft begriffen blieb, 
nach augen hin ergiebiger machte. In Brief und Wort 
hat er feitbem die oft feltene Schlagkraft feines energi⸗ 
ſchen Geiſtes, den ‚nicht felten ficher zutreffenden Inſtinct 
feiner Eraficht- reichlicher entfaltet. Bei alledem ſchrieb 
er im April 1835 aus Berlin, er fei mit einer Menge 
ausgezeichneter Männer dort bekannt geworden, deren 


7 


Lob ihn endlich wol gar eitel machen koͤnne; „aber ich 
habe”, fügt er hinzu, „ein unbegrenztes Mistrauen ge⸗ 
gen mich in mir, und immer ſchmecke ich Wein und 
Waſſer, Waſſer! Es kommt feine Ruhe in mein We- 
fen und von der unendlichen Wohlgefälligkeit, mit der 
ſich Tauſende meiner Collegen beantligen, ſehe ich nichts 
in meinem Spiegel, nichts!“ So tief war die gewiffen». 
hafte, die unausgefepte Arbeit mit fich ſelbſt, fo ehrlich 
biefer Arbeiter im Weinberge feiner Kunſt. 


(Die Fortfegung folgt.) 


— mn — — — — 


Italieniſche Poeſie. 

Poesie edite ed inedite di Luigi Carrer. Benedig 1845, 
Die bilderreiche, liebliche Phantafie dieſes Dichters, d 
erjte Arbeiten, die vor mehren Jahren erihienen Far on 
Ihönflen Hoffnungen berechtigten, hat eine Ausnahme von der 
großen Regel gemacht, die wir leider nur zu oft wahr und 
erprcbt finden: daß die grauen Haare ihre Fable Derbftfarbe 
oft den Geifteökräften mittheilen, daß der ſchaffende Genius 
trog feiner Unfterblichfeit der Zeit unterliegt und mit dem As 
ten ermattet und well. Dieje achte rei vermehrte Auf 
lage von Carrer's ſaͤmmtlichen Gedichten ſtellt ung die eriten Zu: 
gendarbeiten neben die reifern Leiftungen feines fpätern Alters 
und erfreut dadurch, daß jie den Vergleich geftattet, mit dem 
angenehmen Gefühle, dieſe legtern Schöpfungen keineswegs är: 
mer an Phantaſie, aber tiefer in der Art der Empfindung, ge 
tegelter in der Darftelung zu finden. Den ſprechendſten BSe⸗ 
weis liefern hiervon feine neuen Sonette, jeine Dden und 
Sdglien, von denen befonberd die letztern durch bie einfach 
ſchoͤne und gedankenreiche Sprache zu den beften keiftungen 
italieniſcher Poefic gerechnet werden Fönnen. Fern von den 
ermüdenden, immer und immer wiederholten puttiotifchen @es 
finnangen, Die in den meiften italienifchen Dichtern bald in 
pulkaniſchen Ausbrüchen toben und der glühenden Lava aͤhn⸗ 
lich den Leſer zu verſchuͤtten drohen, bald in empfindfamen 
überjüßen melancholiihen Accorden durch ihr ewiges Wieder 
kehren langweilen und ermatten, ift hier des Dichters Zendenz 
wahr und allgemein, [pricht von Jedem und zu Auen, unb 
findet Anklang durch das von ihm ſelbſt aufgeftellte Ariom der 
Wahrheit: Daß alle Herzen nur Cine Sprache fprechen, wie 
alle Menfcyen nur Eine Mimik haben. Seine Balladen, des 
nen er die erflen Xorberzweige feines Kranzes verdankt, zeich— 
nen fih durch Leichtigfeit des Versbaus und durch die blu⸗ 
menreiche Sprache aud, deren Reiz er nie verfchwendet, ſon⸗ 
dern mit dem richtigſten Gefühle zweckmaͤßig und wirkungs⸗ 
reich zu vertheilen weiß. Im „Sultano“ gibt es Strophen, 
die allein ſchon hinreichend wären, für fein Dichtertalent zu 
bürgen, zu beweifen, wie jehr er (wenn er fich nicht nachlaͤſſig 
gehen laͤßt) Meifter der Melodie feiner Sprache ſei und den 
zarten gemüthlichen Gedanken in harmoniſche Zöne zu Heiden 

verſteht. Die erite Strophe 3. B. 
Sigaor di cente popoli 
Di centa belle speso 
Tusto che il Taure germina 
BE accoglie il Caspio oudaso, 
Tutto € vasyallo a te. 


Die naͤchſten, wo er nad kurzer Beſchreibung der byzantinis 
(hen Raturfchönheiten übergeht und jingt: 
Al mite raggio danzano 
Le vergini su’ ori 
B il pescator di Tracia 
Castande antiebi amori 
Tofla le rcti iu mar. 


Eseci, «o lieve veorrere 
Ami ie plaecld’ omde 
Sibilan pint eo sallei 
Sulle beato sponde 
E geme ruusiguol. 


Barum aber überfieht cin fo poetiſch klares Auge in einer 
neuen Ausgabe dad Mangelhafte, das ſich mit eingefchlichen; 
warum haben wir nie Auflagen vom Autor reichlich vermindert, 
ftatt „vermehrt“, und warum erfpart man dem Leſer nicht den 
unangenehmen Eindrud der Mittelmäßigkeit, wenn fein Gau: 
men fi) an die beften Lederbiffen gewöhnt hat? So ift au 
dies Buch wieder zu groß, und hätte der Dichter feiner Va⸗ 
terliebe ftrengere Grenzen gefegt und einige feiner misrathenen 
Sprößlinge nicht anerfannt, fo wäre feine Familie immer noch 
zahlreich genug geblieben, um auch der Fruchtbarkeit des Ba: 
ters Ehre zu machen. Aber Stellen wie in „Stradella‘, wo 
ed zwei Mal heißt: 

Un pugnale? Udite? obime! 

Müserere! EB il morto chi &? 
taffen, nachdem man fie gelefen, nur das Echo des Worts 
„miserere” zurüd. 

Weniger gelungen und gleichfam Carrer's Zeugekraft nicht 
ungebörig find die „Apologhi’, die als cretifhe Pflanzen fi 
durchaus nicht dem einheimifhen Boden und Klima feines Ta: 
lenté anpaflen wollen. Diefe „Apologhi”, welchen Titel der 
Autor felbft in einer Note zu rechtfertigen und zu erklären 
ſich verbunden glaubte, bilden eine Sammlung ven Epigram⸗ 
men und Kabeln, die jenet weichen Sprache, die ihm fo ganz 
eigen ift, füglich entbehren müflen, Pflanzen aud dem nordi⸗ 
fhen Klima des Witzes, der Satire, denen die ſcharfe Luft 
des Sarkasmus unentbehrlich iſt, um ihr Fortkommen zu fichern, 
während ihnen der poetiſche Hauch des weichen Gemüths nur 
kaͤrglich zu wachfen geftattet, ihre Blüte verfrüppelt und ihre 
Frucht erftickt. Diefe Ader der feherzhaften Poefie (die Parodie 
auf den-Zod der Malibran ausgenommen) ſollte Earrer in feinen 
weichen, ergiebigen Dichterminen nicht weiter verfolgen. Iſt 
es denn unentbehrlich, daß man aus den Blättern Der Rofe* 
auch Senf prefien Fönne, um fi) an ihrem Dufte zu ergögen 
und fie die Königin der Blumen zu nennen? Der am Born 
des Lebens ſich erquicken will, fchlürft aus der kryſtallenen Flut, 
die dem Feiſen entiprudelt, aus der goͤtterklaren Poefie, und 
fühlt fich belebt und geftärkt, er wird es fich nie wuͤnſchen, Daß 
die Duelle ihm Mineralwaffer reiche, dad nur der Kranke fucht. 

Das ganze Buch it 473 Seiten ftark, wäre aber nod) 
viel Präftiger, wenn ed deren einige weniger zählte. 

Heiurich Ritteow. 





Eine Bittfhrift Sean Paul’s. 


Zept, da ein allgemeineres Interefie an den Werken un: 
ſers Jean Paul von neuem zu erwachen fheint, ba feine un: 
gedruckten nachgelaſſenen Schriften, feine „legten Werke” und 
Briefe von allen Seiten auftauchen und dem raritätenfüdfigen 
Lefepublicum wie ein Deffert nach dem eigentlihen Jean Paul: 
Eſſen dargereicht werden, jept dürfte die Mittheilung eines 
merfiwürdigen Richter’fchen Bittichreibene zeitgemäß und zur 
Bervoliftändigung des Bildes ſeibſt nothwendig fein. Es be 
findet ſich in den ruffifhen „Memoiren des kaiſerlich ruffiichen 
Generals v. Danilewseky“, und ift meines Wiſſens außerdem 
noch nirgend abgedruckt. N 

Während des Wiener Congreſſes, erzählt der General, 
wurde Kaifer Alerander von Bittihriften aller Art förmlich 
überfäet; eine der intereffanteften Darunter rührte von dem be: 
rühmten deutfchen Dichter Iean Paul her, welcher um Die 
Ruͤckgabe einer ihm entzogenen Penſion nachſuchte. Die „Klaue 





des Lowen“ iſt darin nicht zu verkennen. Das Schreiben lau: 


. tet wörtlich folgendermaßen: 


„Bitten in der erhabenen Zeit, da Ew. kaiſerliche Maier 
ſtaͤt der Schiedsrichter Europas find, wie Becher. ne 
defielben, und Sie aud Dem Scubgeißk des Sieges der Schup- 
geift des Friedens werden, tritt Feines Anliegen vor Ih: 
ven Zhron. Doc wie dem Geifte nichts zu groß, if der ' 
Güte nichts w Fein.‘ 

 nÜber 25 Jahre Hatte ih für die Mufen und die Philo- 
logie gearbeitet, als mir ein einziger deutfcher Fuͤrſt, der vor⸗ 
malige Großherzog von Frankfurt, im I. 1808 eine jährliche 
Penfton von 1900 Gulden bemilligte, um den Armgedorenen 
zu unterftügen, deſſen Körper blos von feinem Gelfte lebte.” 

„Rah der fiegreichen Belegung des Großherzogthums 
wurde mir von 1814 die Fortfegung der Yenfion vom Senc: 
ralgouvernement verweigert bis auf höhere Entfcheidung.” 

‚ „Berden bie hohen Verbündeten, welche für deutſche Frei: 

beit und deutſche Wiflenfhaft zugleich gefampft, die Fürftliche 
Unterftügung eines Schriftſtellers zurückzunehmen gebieten, wel: 
her zu einer Zeit für europäiiche Freiheit gefchrieben, wo er 
feine eigene einem Davouſt bloßſtellte? Ich wende mich bier 
an das Herz Alexander's, da die wohlwollende Vorſehung ge: 
rade im Sabrhunderte des Egoismus die Menfchenliche auf den 
bödhften Thron Europas gefegt. Ich wende mid, hier an fei- 
nen Gcift, der Geifter beichüßt, und welder, da er Bein ande: 
red großes Rei mehr zu vergrößern bat als das größte, 
grenzenlofe, Dad der Wiftenfchaft, dem Norden auch geiftlängfte 
Zage zu den geographifchen geben will.’ 
, „Möge der Herrſcher, deſſen Scepter dem Magnete ähn: 
lich ift, welcher zugleich licbend anzieht und lehrend die Ge: 
genden bes Himmels zeigt, die Kühnheit Der Hoffnungen ver- 
zeihen, zu welcher er Individuen wie Länder erhebt. Genießen 
Ew. Majeſtät lange die einzige dauerhafte Univerfalmonardjie, 
die der Liebe, nachdem Sie die haffende und gehaßte geftürzt, 
und fange weine die Freude vor Ihnen und crft fpät Die 
Trauer um Sie. 

Welhen Erfolg diefes Geſuch gehabt Hat, wird in den 
Memoiren nicht gefagt; gewiß aber wird man noch jegt Dies 
Schreiben als ein ſchwer nachzuahmendes Mufter einer Bitt: 
fhrift mit großer Theilnahme leſen. Daß es auf jeden Fall 
einen ungewöhnlichen Eindrud gemacht hat und nit mit den 
übrigen in den großen Papierkorb der Bergeffenheit geworfen 
wurde, dafür fpricht Der Umftand, dag ein Mann aus der na: 
ben Umgebung des Kaiferd und von dem bekannten Charakter 
ded Generald daflelbe der Aufnahme in feine Memoiren ge: 
würdigt bat. 44. 


— — — — — — — ·— — — — — — 


Literarifhe Notiz. 


Gine Schrift über die irifhe Repeal. 
Wer für die iriſche Repeal, für die Frage wegen Auf: 
bebung der Union mit England fich interefiirt und entweder 
nicht Beit oder Feine Gelegenheit Hat, das darüber zerſtreut 
Liegende und die diesfalls fortwährend in Irland gehaltenen 
Reden, wie die engliſchen Blätter fie mittheilen und erörtern 
zu lejen und gu prüfen, der findet wol Alles, was in Betre 
jener Frage pro und contra gefagt werben Bann, in den 4 
Abhandlungen zufammengeftelt, welche in Folge der von der 
Affociation ausgeſchriebenen Preife an Diefelbe eingegangen umd 
für preiswürdig erfannt worden find, fämmtliche Abhandlungen 
aber in Einem Bande unter dem Xitel: „Essays on the 
Repeal of the Union, to which the Association prizes were 
awarded. With a supplemental essay, recommended by 
the judges. Printed and published for the loyal Repeal 
association of Ireland by James Dufiy” (Dublin 15). 


Verantwortliber Deraudgeber: Heinrich Brockkans. — Drul und Verlag von F. E. Brockhaus in Seipsig. 





D 
4 


Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Sonnabenb, 





Seydelmann und die beutfehe Schauſpielkunſt. 


(Bortfegung aus Nr. 2.) 


Deri Jahre fpäter, im Herbſt 1838 — Geybelmann 
war inzwifchen Ritglied der berliner Bühne geworben —, 
ſah ich ihn in 16 Rollen hintereinander auf dem Teip- 
ziger Theater und hatte, fern ven aller jener Debatte, 
die fich doch immer ſchließlich in Abftraction verflüchtigt, 
volle Muße, mid, ben Ginbrüden des Geybeimann’fchen 
Spiels ruckſichtslos hinzugeben. Ich will bier, um meine 
bedingte Bewunderung des großen Mimen zu motiviren, 
das Geſtaͤndniß machen, daß ih in ber Schaufpielfunft 
überwiegend viel auf den Vortrag der Rede gebe, das 
Wort mit feinem Bon und Accent mir wichtiger iſt als 
Maste und Charakterifivung in Geftalt und Erſcheinung. 
Im Worte legt ber Dichter feinen Inhalt nieder, und 
mer das Wort zu feinem Rechte bringt, macht weſent⸗ 
lich die Dichtung geitend. Bas Herzgewinnende, bat 
Semüthbezwingende, und alle dauernde Wirkung auf 
ben Geift geht vom Ton des Wortes ans, geht firher 
und tief durch das Dhr im die geheime Seele des Hö⸗ 
vrd. Wir find mehr gewohnt das Pablieum bie Zu- 
fhauer zu nennen; Ich halte die Wirkungen, bie fich in 
der Maske und der bilblichen Charakterzeichnung bedin⸗ 
gen, wicht für die geiftigften noch für die bauerndfien. 
Beydelmann mußte in diefen Wirkungen nachholen was 
ihm im Bortrage nicht ganz erreichbar war. Bein Or⸗ 
gan war nicht von der Art, daß es mit feinem natürlichen 
zen die Herzen traf, bie Geiſter durchwaͤrmte. Cr 
tonnte im bloßen Vortrag ber Mede den Affert nicht 
fleigern, fobaß es mir immer ſchmerzlich war, wenn ihn 
Die Leute dennoch zur Derlamation in Contertſ 
drängten und misbraudten. Es wor ihm nicht fo leicht 
geworden, duch Die natürliche Begabung ſchon zu erobern. 
Hat ihn das auf die andere Seite ber Schauſpielkunſt 
gedrängt, zum großen Eharakterzeichner gemacht, fo ge- 
ſeehe man fi) das ein und weife die Unterfuchung nicht 
ab, wo feine Größe zu fuchen war. Cs ift felbft wor- 
gekommen, daß bramatifche Autoren, meil fein Geiſt fie 
entweder ſchwindeln machte ober ihnen für ihre Stücke 
nöthig fehl, ihn zwingen wollten, Helden und gar Lieb- 
baber zu machen. Er mußte in Berlin einen Colombo 
Wieden un bad Pathos heroiſcher Naturen warb in fei- 
wem Vortrag eutweder lahm ober af. Wäre es ihm 


⁊ 


Alen' 


—_ —- 


vergönnt geweien, als Wallenftein, Macheth, Rear ebenſo 
wie in biabolifeyen Geſtalten zu glänzen, er würde mlt 
diefem Kern ber Hochtragäbie vielleicht für die Feſtftel⸗ 
lung bes böhern Dramas in Deutſchland mehr gewirkt 
haben. Vielleicht haͤtten ihn dieſe Geſtalten mit ihrer 
Idealitaͤt auch zurückgerufen, wenn ihn ein damoniſches 
Gelüft dazu drängte, in gründficher Ausmalerei ber ma⸗ 
tertellen uud nadten Wahrheit ein Außerſtes zu liefern. 
Dies war bei Darfiellung derjenigen Figuren der Fall, 
auf die er ſelbſt das größte Gewichte Iegte, da er mit 
ihnen in feiner Art nicht blos etroas Bewunderswerthet, 
fondern das Außerfie feiner Eigenthümlichkeit Leiftete, das 
Endyiel feiner Richtung aufdeckte. Ich nenne zuwönberft 
feinen Franz Moor. Die „Räuber waren damals neh 
in Berlin verbotene Waare; Geydelmann that fich auf 
ber Gaſtreiſe gleichſam etwas zugute, im Frang eine 
Ausgeburt der Hölle zur Exrfcheinung zu bringen. Denn 
barum fcheint es fich freilich bei dieſer Seftalt zu ham 


dein, die Hölle zu verkörpern ohne einen Teufel zu lie⸗ 


fern. Diefe Verwahrlofung ber Creatur, die Verwor⸗ 
fenheit, aus Zufall und Mbficht, Blödfinn und bemuf- 
sem SKigel zufammengemürfelt, will immer noch. ein 
menschliches Gehaͤuſe Haben. Seydelmann gab gleich 
beim erſten Auftreten einen geiſtigen und leiblichen Kre⸗ 
tin, einen ſchlaff hingeworfenen Foͤtus, in dem ſich aber 
ſchon der ganze Miſſethäter regte Died Rachtſtück 
menfalicher Seele mit Kienfadelbelachtung war wie 
mer irgend eine feiner Reiflungen ein Triumph der Sey⸗ 
beimann’fchen Malerei & la Hoͤllen⸗Breughel. Es war 
desſhalb ein abfolutes Meiſterſtuck, weil ber Sinn des 


Gebichts nichts Anderes will als Iosgelaffene, wenn au 


in wenfchliher Form erfihienene Hölle. Geybelmann, 
fat immer fihon in der erflen Erfheinung fertig mit 
feimem Gharakterbilde, war bei der weitern Entwickelung 
diefer Figur überaus reich an feharfjinwigen Motiven, 
geiftvolen Modulationen, kecken Einfüllen. In der Scene, 
wo Amalie ihn- entlarvt, nachdem ihr Kranz mitgetheilt, 
Karl babe ihn befihworen, die Geliebte nicht zu verlaf- 
fen — er kniet noch vor ihr, das Gefühl ber Extap- 
pung ſeines heuchleriihen Plans Hält ihn wie gebeo- 
chen und doch gleichgültig am Boden feft; nur eine Yet 
Berlegenheit, fo ſchnell überraſcht zu fen, malt ſich in 
feinem verhunzten Geſichte — ; da, halb aus Zerſtreut⸗ 
heit, halb aus ohnmächtigem Ingrimm, zerpflüdt Sey⸗ 


“.. 


" 10° 


delmann, um diefe gemifchte Stimmung zu verſinnli⸗ 
hen, eine Roſe, die fih langſam unter feinen zerrenden 
Zingern in ihre Theile auflöft und zu Boden blättert. 
Der Moment war von wunderbarer Wirkung. Ebenſo 
new unterflügt erfhien die Scene mit Amalie im Gar- 
ten. Segdelmann ‚gab fie halb betrunken. Er. fingirte, 
Franz käme vom Mahle; und nun tritt feine ruchloſe 
und doch nur fpielerifche Zudringlichkeit, Die Feigheit der 
ohnmächtigen Wolluſt und die ſchnelle Entwaffnung, vie 
er fih über ipee Hingebung täufcht, in bie richtige Be- 
feuchtung und in einen Zufammenhang, den uns ein 
Kenner menschlicher Ziefe in all ihrer geifligen und mo- 
ralifhen Schwachheit eröffnet. Natürlih war es bie 
Scene in der Naht mit Daniel, wo Senbelmann alle 
Schreden. aufzubieten wußte, bie Gemälde auf feinem 
@ipfel zu. vollenden. Aber die Erzählung. bed Traums 
tieß gerade. fühlen, daß fein Drgan nit Schritt hielt 
mit. feiner Geberdenſprache. Wenn Ludwig Devrient 
die Schauer ber Nacht und malte, fühlten wir uns faft 
mitleidig bewegt für den Verbrecher, den ja fchon bie 
Strafe der Furien erreicht. Seydelmann gab nicht. diefe 
Rückkehr zum Menfchlichen, er lenkte nicht ein zu menſch⸗ 
licher Möglichkeit, er gab ſtarr und feit die ganze kalte 
Hölle. Er hatte den Charakter an ben Abgrumb ge- 
drängt, wo alle Darftellung aufhört, und fand fi 
nicht wieber darin zurecht, daß felbft diefe ercentrifche 
Dichtung keinen abfoluten Satan hinftellen konnte. Sey⸗ 
delmann gefiel ſich in zerftörenden Wirkungen, er liebte 
es, zu fhreden, zu geifeln; ein guter Genius ſchien 
dieſen großartigen Charaktermaler nicht immer zu behü- 
ten, ihn nicht ſtill und unbemerkt auf. den Punkt zu 
führen, wo auch das Ungeheure fich wieder in die Li⸗ 
nien der Schönheit zurüdfindet. - 

Über feinen Shylod ift viel geftritten worben. Ob 
er mit feiner Darftellung nicht noch etwas Anderes als 
die Figur des Shakſpeare'ſchen Stücks habe geben, ob 
er nicht vielmehr den allgemeinen Begriff des Juden⸗ 
thbums habe zur Erfiheinung bringen wollen, hätte füg- 
lich niemals ein Gegenftand ber Unterfuchung fein fol- 
Ion. Mehr zu geben als das Gedicht fobert ift im ber 
fondern Falle, bei Shaffpeare, nicht gut möglich, und 
heißt in allen Fällen dem Schaufpieler unabhängige und 
felbftändige Leiftungen geflatten, die über die Dichtung 
hinausgehen oder außer ihr liegen. Allgemeine Gat- 
tungsbegriffe verkörpern zu wollen, iſt einem wahrhaften 
Künſtler nie eingefallen, weil diefe Aufgabe eine un- 
fünftlerifche if. Wer fie ihm ftellt oder fie ihm unter- 
breitet, bat vom Weſen bes fchöpferifchen wie des dar- 
ftellenden Talents eine falfhe Grundidee. Rötſcher fagt 
in feinem. verdienftlihen Buche fehr viel. Wahres und 
Gutes über den Zufammenhang des Künftlers mit dem 
Geift feines Zeitalters. Er weift das an Fled, Schrö- 
der, Sffland und Devrient nach, aber er fucht Seydel⸗ 
mann's Bebeutfamkeit auf einem Punkte, mo fie für 
den Künſtler niemals zu finden if. Die Hegel’iche 
Aſthetik fpiele zu viel mit dem Aufheben des Einzelnen 
an bie Allgemeinheit und mit dem Zurückgehen bes All⸗ 


gemeinen in bie Einzelheit. Der Dichter verkörpert 
Ideen, weil er lebendige Welten ſchafft. Auch er will 
mit dem Einzelnen nichts Allgemeines beweifen. Der 
Schaufpieler aber hat keine andere Aufgabe, als bie Ge⸗ 
falten bes Dichters zur Erfcheinung zu bringen. Reicht 


‚fein Genius weiter, durchdringt er die ganze Dichtung, 


fo fei er das orbnende und befeelende Talent des Regif- 
feurs, der die Dichtung ale Ganzes ins Leben treten 
laͤßt. Rur in Epochen, wo die Schaufpielfunft die Pro- 
buction an Geift und Gehalt überflügelt, kommt jene 
dazu, ſich felbftändige Aufgaben zu ftellen. Diefe felb- 
ftändigen Aufgaben find fo fehr als Ausartungen zu 
nehmen, wie ſich in ber Muſik das Virtuoſenthum über 
die Compoſitionen hervordrängt. Bei einer Geftalt von 
Shaffpeare kann es aber für ben Darfteller nur darauf 
ankommen, ben Sinn des Dichters zu erfchöpfen. Sey- 
delmann gab vom Shylod eine Seite bie in diefem liegt, 
aber er drängte damit die ganze Geftalt aus dem Rah- 
men des Gemäldes. Die Haltung, die die Figur im 
Sinne des Dichters hat, fehien ihm zu wenig materiell, 
zu luftig und mythiſch. Er fürchtete, den Geiſt der 
Rolle zu verflüchtigen, wenn er nicht ihren Körper in 
ganz niederländifcher Wirklichkeit fefthielt. Freilich hat 
diefer Shylod im Gedicht faft etwas Mythiſches. Schon 
dag biefe Geftalt die Schranken des Luftfpiels durch⸗ 
bricht und Miene macht, in das Nachtgebiet der Tragö⸗ 
bie zu fchreiten, gibt ihr das Schwantende. Ihm, der 
fein „heilig Volk“ rächen will, iſt es Ernſt damit, dem 
Eöniglichen Kaufmann ein Pfund Fleiſch feines Leibes 
zu entziehen. Die Kataſtrophe vor Gericht entwidelt 
den feltfamen Handel alles Ernftes vor unfern Augen, 
aber das gemegte Meffer ſchreckt uns nicht, das Urtbeil 
fhwebt zwar am Haarfeil über dem Haupt des werthen 
Antonio, aber wir fühlen zuverfihtlih, dag eben dies 
Haarfeil dem Dichter nicht zerreißt, obfchon er in fei- 
nem Übernrutbe Komifches und Zragifches fo wunder⸗ 
fam ineinanderfchlingt. Entfchieden tragifch gefärbt muß 
diefer Shylock für ſich felbft in der Darfiellung gehalten 
werden, denn in feiner Empörung gegen Drud und 
Knechtſchaft ift er der. Märtyrer feines Volle. Wenn 
ihn aber vor Gericht ber wigige Spruch bes gelehrten 
Doctors wie eine Ironie bes Schickſals überliftet, wan- 
beit uns ein Hauch von Rührung für ihn an. Bei 
aller Majeſtät des Zorns, bei allem Fanatismus des 
Judenthums gab Ludwig Devrient den Shylod in einer 
gewiffen Haft und. Zerflreutheit. Der Entſchluß, vom 
verhaßten Chriften ein Stück feines Leibes ſtatt der Zah⸗ 
fung zu nehmen, kam uns in Devrient's Spiel wie ber 
Einfall eines baroden Humoriften vor. Seine Gier 
nach dem chriftlichen Pfund Fleiſch entfprang aus hu⸗ 
moriftifch toller Laune, nicht aus einem forgfältig eriwe- 
genen Plan. So hielt Deorient die Figur und fe iſt 


| fie vom Dichter gemeint. In Seydelmann's Shylod 
: war ber gemeine Geldjude mit foldyer Schlagkraft der 


Wahrheit ausgearbeitet, als wäre die Figur erſt eben 


| aus den Knoblauchhaufen des Rialto hervorgekrochen. 
: Und biefer Knecht des Mammon erwuchs vor und zu 


einem Niefen, weil feine Frechheit auf fein gutes Recht 
pochen durfte. Der Ausbruch feines Zorns jagte Schreden 
ein, er fehien der blöde Teufel zu fein, der im Stande 
war das Fleiſch aus Iebendigem Leibe herauszuſchneiden, 
und wie ihn ber chriftliche. Wig überliftete, verfiel Sey- 
delmann rettungslos dem Hohn der Berfpottung, wo 
Ludwig Devrient und rührte. Diefer ſtand mit den 
Worten: „Er haft mein heilig Voll!” auf dem Gipfel 
feines tragifchen Spiels; Seydelmann feierte feine Tri⸗ 
umphe bei der Ausmalerei des Moments: „Ich wolle, 
meine Tochter läge im Sarge todt zu meinen Yüßen 
und hätte die Sumwelen in ihren Ohren!’ Wer wollte 
leugnen, daß Smbelmann ein fo frappantes, affectvolles 
Bild in feiner Darſtellung gab wie uns je in Farben 
Rembrandt es liefern konnte? Allein die legte Entſchei⸗ 
dung über den Werth, der Keiflung des Schauſpielers 
wird mit der Frage erledigt, was und wie die Dichtung 
fie fodert. Es blieb mir ein Zweifel, wen der Preis 
zuerfannt werden müffe, will man diefe beiden Darfteller 
Ghylod’s gegeneinander wägen. Es kann gleichgültig 
fein, ſich ſchließlich darüber vereinigen zu wollen; aber 
es iſt, fo lange man deutfhe Scaufpieltunft pflegen 
will, von Belang, zu willen, wo die Vorbilder zu fu: 
chen feien. 
(Die Zortfekung folgt.) 





Dichter-Nachlaß. 

1. Gottfried Auguſt Bürger's letztes Manuſcript. 
Supplement pu Bürgers fänmmtlihen ‚Werfen. Leipzig, 
Klemm. 1846. 8. 5 Ror. 

2. Der verwundete Bräutigam. Bon Jakob Michael Rein: 
hold Lenz. Im Manufeript aufgefunden und herausge⸗ 
geben von 8. 2. Blum. Berlin, Dunder und Humblot. 

845. 8. 15 Rgr. 


gen literarifchen Bewegungen an, welche die berannahende Ge: 


1 


ber deutſchen Dichtung kann er fo. wenig als Lenz gezählt 
werden; was fie aber zur Anbabnung des höchften Zieles mit» 
gewirkt haben, darf um fo weniger vergefien werben, je theu« 
ver Beide ihr Werk erfaufen und „eropfern” mußten. 

‚ Die in neuefter Zeit auf das lebhafteſte erwachte Neigung, 
die Geftalten vaterländifher Dichter biographiſch umd litera- 
riſch zu immer Plarerer Anfchauung w bringen, hat ſich jegt 
faft greihgeitig den beiden genannten Dichtern zugewandt und 
von dem Einen eine feiner fpäteften fehriftlichen Außerungen, von 
dem Undern einen dichterifchen Erftlingsverfuch veröffentlicht. 

Was Buͤrger's „letztes Manufeript” betrifft, fo wird es 
die — des Dichters wenig befriedigen, mehr Intereſſe 
aber für Die haben, die nah dem Menfhen Bürger fragen. 
Es enthält duffelbe namlich einen vom 29. November 1791 
datirten Brief an feine dritte Gattin, das „Schwabenmäbdhen‘“, 
und gewährt einen ſehr hellen Einblid in diefen trübften heil 
von Buͤrger's vielgetrübtem Leben. Weſentlich Neues enthält 
ed nicht, denn wes Geiftesfind jenes Schwabenmaͤdchen war, 
erinnern ſich die Zeugen ihrer Irrfahrten durch Deutfchland, 
welche bis tief in Died Jahrhundert gedauert haben, recht wohl. 
Ehe wird ed bier und da überrafchen, mit welcher Sorgſamkeit 
fih Bürger in diefer Klagefchrift häuslicher und öfonomifcher 
Angelegenheiten annimmt; er hatte freilich eine harte Schule 
durchgemacht. Wreunde actenmäßiger Bolftändigkeit werten 
um ungenannten Herausgeber für feine Beröffentlihung Dank 
wiffen. 

Etwas mehr literarifches Interefie hat das don Lenz in 
einem Alter von 16 Zahren verfaßte Drama „Der ver- 
wundete Bräutigam”; es ift Died eigentlih ein Gelcgenheits: 
gedicht, deſſen Beranlafiung der Herausgeber in feiner Einlei- 
tung angibt: ein Baron von Igelftröm war kurz vor feiner 
beabfihtigten Verheirathung von einem deutichen Rammerbie- 
ner, weil er ihn cinmal mit dem Stocke gezüchtigt, gefährlich 
verwundet worden; als nun nad) feiner glüdlicden Herſtellung 
die vertagte Hochzeit vor fi ging, ließ Renz dieſes Zeftfpiel 
aufführen, welches eine ganz einfache dramatifirte Darftellung 
des erzählten Vorfalls enthält und mit einem verfificirten 
Gluͤckwunſch gewöhnlichen Schlages endigt. Bon allen Eigen- 
thümtlichleiten, die den fpätern Leiftungen des Dichters eine 
garız befondere Stellung anweifen, beitgt dieſes Drama rein 
gar nichts ald die Kunft eines leichten und gewandten Dia: 
loge. Die That jened Kammerdieners erfährt durchaus Feine 
Spur von Entfhuldigung, ja ger Feine eingehende pſychologi⸗ 
ſche Begründung; das dem geborenen Deutſchen das rufffi 
Yrügelregiment unerträglich fein mußte, wird nicht berührt; 
und dies ift um fo auffallender, da der Herausgeber ausdrüd: 
lich anführt, daß die öffentlihe Stimme fofort entfchieden für 
den Kammerdiener Partei nahm, welcher Igelftröm nur eine 
fühllofe Reheit entgegenfegte. Wir befigen alfo an dieſer Ju⸗ 
gendbarbeit von Lenz durchaus nur ein Gelegenheitsgebicht des 
gewöhnlich Schlages, weldes von ber reichen Begabung 
feines Berfaffers nur die alleraußerlichfte, die der leichten und 
gewandten Darftellung verräth. Mit größerer Sorgfalt find, 
wahrſcheinlich in Berudfihtigung des Feſtes, zu beilen Ber: 
berrlihung da6 Wert dienen follte, nur die Scenen audge- 
führt, in welchen die Zärtlichkeit des Brautpaars vorgeführt 
wird; diefer Stoff mit der Abwechſelung, den gefahrbrohende, 
dann boffnungsreichere, endlich neu beglüdte Situationen dar: 
bieten, iſt geſchickt auögebeutet, der Ton, der darin berrfcht, 
aber durchaus fein eigenthümlilder , fondern durchaus der des 
weinerlichen Luftfpiels, wie er bis auf Leffing, ja noch in Lefr 
ſing's „Mib Sara Sampfon’ die deutfche Schaubühne be: 
berrfchte. Das Kehrreichfte an dem ganzen Drama dürfte alfo 
fein, daß es einen Maßftab für die überaus rafche und merk⸗ 
würdige Entwidelung abgibt. welche zwiſchen demfelben und 
Lenz’ fpätern, unter dem Einfluſſe des ftraßburger Kreife ent: 
ftandenen Dichtungen liegt. 

Richt mit Stillſchweigen darf die ausführliche Einleitung 
übergangen werden, welche der Herausgeber dem Büchlein vor⸗ 


12 


ger hat; fie ift von Überichdaung ded Mannes, mit dem fie 


vaitligt mia gang frei und rechnet mehr auf Das was 
en in fi trug als anf Dus was er wirklich geleiftet; den⸗ 
aber enthält fie über ihn ſelbſt und über fein Verhältniß 

an Goethe —5 — wahre und gute Wort. Ich führe Daraus 
Sin Bort Goethes an, welches, meines‘ Wiffens bisher unde⸗ 
kannt, einer ernften Beachtung wol werth ift und.von bem 
Heraußgeber mit Necht gegen Tieck und Gervinus geltend ge 
macht wirb: „Sch erinnere mi, von einem Freunde, welder 
viel mit Goethe verkehrte, gehört zu haben, daß fie einft in 
uter Stunde auf die Werther 'ſche Periode zu fprechen kamen. 
—* Verlauf des Och raͤchs fragte ie reund den großen Did: 
ter, wie es ihm 8 ich — ſei, 8 ſolcher Brauſezeit 
plöglih auf die draͤngendſten Amtsgeſchäfte zu werfen. Das 
wilde Zeuer, war die Antwort, würde mir ja das Hirn ver: 


fen haben, wenn ich nicht in grengenlofer Arbeit und Ihä-. 


tigfeit ein Gegengewicht gefunden hätte.” 

"Shlichid fei noch bemerkt, daß das Schriftchen don Dor: 
pat ausgeht und fomit als ein Seugniß deutichen Geiſtes aus 
jenen som Slawenthum bebrängten Gegenden einer ferumd- 
lihen Aufnahme doppelt werth ift. 





Bibliographie. 


Burns, R., Lieder und Balladen. Übertragen von 9. 
3. Heintze. te Ausgabe. Mit dem Bildniß und einem fur: 
3en Lebensabriß des Dichters neoft Seläuternden Anmerkungen. 
Braunfchiveig, Weſtermann. Gr, 12. 1Ahlr. ER 
Sonfcience, H., Familien : Bin Überfeßt. von 2. 
Manch. Stuttgart, Hallderger. 1845. RL. 8, 10 Nur. 
Dumas, X, Don Artagnan, oder zwanzig Sabre nad): 


er. Deutſch von FJ. W. Bruckbräu. Iſter und 2ter Theil. 


lugsburg, v. Jeniſch u. Stage. 1845. Gr. 12. Ablr. 0 Rgr. 

— Die Dame von Monſoreau. Hiftorifeh » roman» 

tiſches Gittengemäfbe. Deutfh von F. W. Brudbräu. Ifter 

und 2ter Zheil. Ye ‚» Zenifch u. Stage. 1849. 
Gr. 12. 1 Thlr. 10 

Freiligrath, F. Gedichte. Ste, um einige aͤltere Ge 
dichte vermehrte Auflage. Mit dem Bitzniß des Derfaffers in 
Stahlſtich. Stuttgart, Cotta. 1845. 8. 2 Zhlr. 7, Rear. 

Herder, K. W., Die Gelege und Zeroronungen, welche 
das Volksſchulweſen im Pag rzogthum Sachfen : Weimat : Ei: 
ſenach betreffen und ngch in * ſind, ſachlich geordnet. Jena, 
Frommann. 1845. 8. Rat. 

Berliner Kalender für 846. >öfter Fahrgang DM 
fieben Stablitihen. Berlin, Reimarus. Thir 

Illuſtrirter Kalender für 1846. — der Erei KR Te, 
Beftrebungen und Fortſchritte im Bölferleben und im Gebiete 
der Wiffenfhaften, Künfte und Gewerbe. Leipzig, Weber. 
Hohihmal 4. 2) Nor. 

Kletke, 9, Album beutfcher, Diäter 2te Auflage. 
Berlin, Schroeder. I Thlr. 2 

Kleudgen, ® .Freih. v., Din ungen, Ife, weltliche 
Abtheilung. Fifenach ‚ Kühn. 1845. Nor. 

Kloif, M., Pädagogifche —8 —* ee hung, den 
Turnunterricht als einen weſentlichen Theil des allgemeintn Er: 
iehuns und J unrnihreweſene zu behandeln. Zeitz, Schiefer⸗ 

ecker. Gr. a 

Leder, % 3., Arthur D’Eeary’s Wanderungen und Be 
achtungen, in vielen Rändern. Aus dem Engliſchen gerſezt 
von C. Richard. Drei Bände. Aachen, Mayer. 

4 Thir. 15 Rgr. 

Moshamer, J. A., Die Erde und ihre Bewohner. Das 
Viffenswürdigfte aus der Ratuttunde und dem Menfchenleben 
in gemeinfaßlihen Abhandlungen nad dem on 
Stande der Wiſſenſchaft. Wien, Pichler. 

Dforio, J., Die Herrlichkeit des ——— oder: 
der Sieg des Chriftenthums über Sünde und Tod. Aus dem 





Bateinifgen Kr t von J B. Mayer Regensburg, Meng 
1% em eusopäifder Literatur. Merfeburg, Nulandt. Gr. 8. 
ven Fiintus ber Züngfte, Die greife ins Dlkue, illuſtrirt 


Söhannot. Beipzt ' Lord ter. »8. Ir. 10 , 
Poulett Samıton, @., Retfech —— ne 


+ Sircaffien und Rußland. Fre nach dem Gnglifchen vom 3 


Gerſtaͤcker. Zwei 
nold. 1845. 8. 2 Thir 

Quehl, R., —* — Babereife, Skizzen aͤhlungen 
und Bei ie „Yeti, Sumpredt. 8. 1 Shte, Eridblung 

eiſeabenteuer des Sapitoin vg Mh —* dem Yrangbs 
when: horn, ir ae By Ror. m 

og e er deutſchen Lyr Roſtock 
Stiller. 5% Fir. a 5 16 9 
Rückblicke auf ae 7 Benkege. Was dat U 
für Oesterreich Was that Oesterreich für Ungern® 
Jahre 1526 bis zum bandtage IBII. Wien, Kaulfuss Wwe, 
Prandei u. Comp. 1845. Gr. 8. 1 Ner. 

Sand, &., Der Müller von Angibault. Übertragen von 
x Banner v. Bennberg, Sechs Bändchen. Gtuttgart, 

en ge .8 2 TIhlr. 

aeffner, W., Geſchichte der ee md, Frank 
reiches. After Band, Bis auf Pugo o Capet. Fran kfurt a. R., 
Sauerländer. —8 Thlr. 20 Nor. 

Schlegel's, A. W. v., — WBerke. Heraus: 
gegeben von E. Böding. Ifter Band. A. u. d. T.: 4. @. 
v. Schlegel’8 poetische Werke. Herausgegeben von E. Boͤckin 
Ite ſehr vermehrte Ausgabe. After Theil. Iſtes bis 3tes Bug, 
Bermifchte Seite, LXieder, Romanzen und Sonette. Leipzig, 
Weidmann. 8. 1 Thir. 

Schneider, Pr , Die chriſtlichen Sänger des 19. Jahr⸗ 
hundertd. Auswahl w Beten und Schöniten aus dem Ge⸗ 
biete der vein= riftlichen Poeſie unferer Zeit, als Morgen: 
und. Abendopfer für häuslihe Erbauung auf alle Tage im 
ur Iftes Heft. Bafel, Schneider. 1845. Or. Rer.:8. 


FE ige Seelenluſt. Geiftliche Lieder und Sprüche von F. 
Speer, U. Silefius und Rovalis. Ausgewählt und ber: 
ausgegeben von A. Gebauer. Stuttgart, Caſt. 1845, 
Gt. 16. TY, Nor. 

Senden, ©. H. van, Geschichte der Apologetik, oder 
küstorisch - pragmatische Darstellung der Vertheidigung vor 
Bibel und Offenbarung, von den frühesten Zeiten bis auf 
unsere Tage. Uebergetzt von P. W. Quack und R. Bix- 
ler Zwei Theile. Stuttgart, Haliberger. 8. 4 Thir. 

gr. 

Shelley's, P. B., Dichtungen, deutſch ven F. Pröf- 
ſel, mit dem Reben des "Bihters und dem mennille deſſelben. 

Königsberger Taſchenbuch. ——— don 2. Wa⸗ 
Lesrode. Mit Beiträgen von Erelinger, Freundt, 9. 
Jung, Zachmann, 3. Jacoby, €. v. Lengerke, Weis: 
ler, Wolff und bem Herausgeber. Königsberg, Voigt. 
8 1 2%. 15 Near. 

Wehrhan, D. F., Dresden. Ein Gedicht in 24 Ge 
fängen. Mit angehängten hifterifchen und topographifchen, zus 
gleich als Eicerone für Stadt und Umgegend dienenden Erlau: 
terungen. Dresden. 1845. Gr. 8 I Ahlr. 

Weiske, 3., Yraktifche Unterfucpungen auf dem Gebiete 
des einheimifchen Rechts. Iftes Bie fdegte Luiher auf 
den Todesfall für Weib und Kind, in Berbindung mit einer 
aihrechktichen Abhandlung. Leipzig, ». Wigand. 1845. Er. 6. 

Nor 

Binzendorf, Graf: v., Geiftlide Gebichte, gefammelt 
und gefichtet von U. Knapp. Mit einer Leben und des 
Berfaftert Bildnif. Stuttgart, Cotta. 1845. ” 2 4. 
2 Ihlr. 74 Nor. * 


He in einem Bande. Üresden, Ar: 


Verantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brotians. — Drud und Verlog von F. X. Drockhans in Seisie, 


Blätter 


für 


literarifche Unterhaltung. 





&onntag, 





fhe Beftalt nur in einigen Momenten, wo die moderne 
Maske fälle und die Tücke des Ungeheuers ducchbricht. 
Seydelmann fpielte die Rolle zweimal in Leipzig unter 
einem Jubel der Zufauer, ber fih durch den granbio- 
fen Schauder, ben er einflößte, nur fleigerte, fanatifirte, 
Wer wollte leugnen, daß Seydelmann's Reifung an und 
für fih etwas Großartiges, etwas Bewunderungswürdi⸗ 
ges war? Gleich fein erſtes Erfcheinen verbreitete das 
Gefühl, Hier fei ein daͤmoniſches Weſen foeben erſt ge 
nöthigt in ein menſchliches Gehäufe zu fahren. Sey⸗ 
delmann ſchien gleihfam ganz frifch weg aus den Ele⸗ 
mentarfloffen heraus leibhafter Teufel und wider Willen 
Perfon geworden, um das Princip des Boͤſen zu ver- 
treten. Daher dad Dehnen, Sträuben und Reden ber 
Glieder, - bie noch ungewohnt find, fih in menfchliche 
Form zu fügen. Diele Hände ſchienen in ihren Bewe⸗ 
gungen ben Kigel zu verraten, lieber ale Krallen agi- 
zen zu wollen; biefer Hals mit feinem Streden märe 
gern aus dem Rumpf weiter binausgewachfen ; der Mund 
flieg einen beffemmenden Hauch von fih, als fei dem 
Geiſt des Böfen in der menſchlichen Huͤlle fehr wider 
wärtig zu Sinne. Die Amofphäre, in welcher ein leib- 
hafter Teufel athmet, war duch die Zauberei genialer 
Maske und Mimif uns die Geſtalt gebreitet. Im Vor⸗ 
trage des Flohliedes hörte man die zifchenden, fprühen- 
den Töne der Hölle. Man begriff es, daß Gretchen ſchwül 
zu Muthe wird, wenn fie auch nur das Zimmer betritt 
das der Unheimliche ſoeben verlaften; aber man begriff 
mt, wie Fauſt mit dem ebeln Drang im großen der. 
zen ſich mit der Hölle in fo abſchreckender Geſtalt ver- 
binden Tonnte. Die Begegnung mit ben alten Weibern, 
dee Hexe und Martha, ließ vermuthen, daß Seybel- 
mann’d Satan auf dem Blocksberg feine eigentlichen 
Triumphe feiern mußte. Mephifto fol aber über Men- 
ſchen Triumphe feiern und bier bleiben die Triumphe 
shne die ſchlauen Künfte civiler Bildung fraglich. Auf 


4. Banuar 1846. 








jene Blocksbergsſcene berief immer Seydelmann, wein 
er feine Auffaſſung des Goethe'ſchen Teufels vertheibi⸗ 
gen mußte. Aber jene Scene liegt außerhalb des bar- 
ftellbaren Stũckes. Sobald das große Pos mit feinen 
weiläufigen Anbauten ein Buͤhnendrama fein follte, ſo⸗ 
bald es mit Befeitigung der metaphyſiſch⸗ doetrinairen 
Ausläufe und Ausweitungen auf die dramatifche Kata- 
firophe des Teufels mit Kauft und Bretchen zurückge⸗ 
führt werben mußte, fonnten auch bie theils ind Claſſi⸗ 
Ihe, thells in mittelalterliche Romantik ſich verliexenden 
Gonfequenzen ber Charaktere und Ideen keinen Raum 


behaupten. Wie fi Mephiftepheles in ber Walpurgis- 


nacht geberdet, ifl fo wenig dramatiſch zuläſſig und bar- 
ftellbar als feine befliale Hantirung in ber Scene bes 
zweiten Fauſttheilt, we er durch die Engel ad absurdum 
geführt, „die Rackers ganz appetitlih finder”. Das 
Gedicht has Partien, bie es zu einer Art „Goͤttlicher Ko⸗ 
möbie" ausweiten und dieſe Ausdehnung gewinnt auch 
die Geſtalt Deſſen, ber das Böfe vertritt. Drangen wir 
das Gedicht auf den urfprünglihen Kern der plaſtiſchen 
Gruppe jener wenigen Menfchenfiguren zurück — und 
nur auf diefe Weife wird 8 darſtellbar —, fo muß ſich 
auch Mephifiopheles auf die Rolle befcränten, bie ihm 
unter Menſchen menfchenmöglih if. Und in dieſem 
Felde ift er der baronifirte Teufel eined modernen Zeit 
alters, ein civilifieter Satan, ein fatanifcher Cavalier, 
der Shmeichelt und gefällig if. Das ift er unter Men- 
fhen, bis er als vollftändiger Höllengeift in der Scene 


berausbricht, wo Goethe plöglich Profa gebraucht. Mer 


pbiftopheles ift ſogar voll Reſpeet vor Bott Water, wenn 
er dem Fauſt verſichert: Doc glaube mir, dies Ganze iſt 


nur für ihn gemacht, er weidet fih im ewigen lanzel- 


Er kann fih dem alten Herrn im Himmel fogar wohl⸗ 
gefällig machen und gilt im Vorſaal der ewigen Woh⸗ 
nungen für einen närzifchen Kauz. Der Humerift im 
Goethe'ſchen Teufel barf nicht untergehen. Der Prolog 
im Simmel fällt freilich au aus dem dramatifchen 
Kern des Gedichtés heraus, allein ex zeigt, wie ber Teu⸗ 
fel nad) der entgegengefegsen Beite fih bil. Gott Das 
ter iſt fogar ber — ber Menſch in ſeinem dunf- 
len Drange, der Menfch im Umgang mit dem Teufel, 
werhe fich des rechten Weges wol bewußt bleiben. Im Ver⸗ 
kehre mit Menſchen — darauf befchräntt fich das bar- 


_ m n._ — 


14 - 


ftelbare Stud — ift Mephiſtopheles mie bie Erdenwelt 
zwiſchen Himmel und Hölle in der Schwebe, muß alfo 
dem Menſchen eine angemefjene Erſcheinung fein. Sey⸗ 
delmann befland darauf, ganz Teufel fein zu wollen. 
Dann hätte er freilih mit Hörnern und Schweif er- 


ſcheinen müffen. Goethe's Teufel und der Teufel über: . 


haupt if leider wiel feiner. Es liegt fehr tief im inne 
der Dichtung, daß ber Geiſt des Böfen dem Menfchen 
in allen feinen Entwidelungen, im Hange zur Zinfter- 
nig und im Streben nad Licht, ganz getreu zur Seite 
flieht und mit ihm Schritt Hält. 
Nötfcher. hat das Verbienft, in feinem umfangreichen 
Buche gleihfam ein Seydelmann - Album zufammenge- 
ſtellt und redigirt zu haben. Gr unterbricht feine Le⸗ 
bensgefchichte des Mannes und feine Betrachtung über 
deffen Kunft mit Briefen des großen Schaufpielers, die 
ihm zahfreih von vielen Seiten beigefteuert wurben. 
Wir finden darunter furze Zeit vor feinem Tode cin 
briefliches Geſtändniß Seybelmann’s, das Teine Natur 
zu bezeichnen ſcheint. Er fpricht von feinem legten Kieb- 
lingswunſch, den ago wieder zu fpielen. Er hatte 
dieſe Rolle wie auch Richard IM. ſchon in einer frühern 
Epoche gegeben; das elende Rollenmonopol machte ihm 
den Richard in Berlin ftreitig, obfehon er in der Zei: 


nung biefer Geftalt das Außerordentliche leiſten mußte. 


Zum ago rüftete er fi im Stillen mit eier drän- 
genden Luft und Liebe. „Woher nur”, fehreibt er, „mein 
immer wacher Appetit, die Nachtfeite unferer Natur an 
Licht zu führen! Können Ste mir das zum Abſchied 
fagen? Bitte, thun Sie es!” Er fährt dann fort in 
der Aufßerung, wie er mannichfach und auf den entidhie- 
denften Feldern das inwendige Gehäufe der menfchlichen 
Greatur zur Erfcheinung zu bringen bemüht, mit den 
Narren närrifch, mit den Ehetichen grundehrlich, in jebes 
Alter, jede Farbe, jede Maske verliebt gewefen; aber nur 
wenn e8 dem böfen Princip galt, offen oder verfappt, dann 
habe er jede Kraft des Lebens in fih wach gefühlt, fein 
ganzes Wefen fich doppelt zufammengefaßt, um der Welt 
die vechte Larve zu zeigen. Diefen Hang zum Dämoni- 
ſchen theilte er vielleicht mit manchem Charafterzeichner 
in feiner Kunft, er theilt ihn mit Ludwig Devrient; 
es fragt fi nur, ob Seybelmann den geheimen In⸗ 
flinct, der den Genius innerhalb der Kreiſe der Schön- 
heit hält und behütet, mit biefem quälenden Drange 
nad) ſchlagender Wahrheit und Wirklichkeit nicht. in fich 
übertäubte. Wo er Hiftorifche Charakterbilder ſchuf, war 
der Geiſt der Gefchichte, ber ihn ganz befeelte, der 
fiyerfte Regulater. Crommell und bie ganze Reihe folcher 
Ziguren find nie vollendeter bingeftellt. Aber we «6 bie 
freiere Schöpfung von Geftalten wie Mephiftopheles 
galt, ließ ihm jener milde Geift der Poeſie im Stich, 
der den Dichter auch im tragifchen Umfturz zur Verſoöh— 
nung führt. Geftalten wie Nathan, die von Haufe aus 
im milden Lichte der Verſöhnung gehalten find, liegen 
außer dem Eonflicte; er hielt fie ganz in mufterhafter 
Einfachheit; der quaͤlende Reiz, bie dunkeln Gemalten 
über Licht und Liebe triumphiren zu laſſen, Tonnte ihn 


hier nicht befchleichen. Ich weiß nicht, hatte die fchroffe 
Beltanfhauung, bie fih in Seydelmann's brieflichen 
Belenntuiffen mit der ganzen Schwere eines hart ge 
prüften, wenn auch ſtark gewaffneten Geiftes ausfpricht, 
vielleicht Doch von Haufe aus einen krankhaften Anflug? Wie 
dem auch fei, bie Größe feiner Eigenthümlichkeit bleibt unbe⸗ 
ftreitbar. Aber man laffe fie als folhe, al8 Ausnahme 
gelten, und wo ed darauf andommt, auf eine Fortpflan- 
zung der Kunft zu denken, da ftele man um fo firen- 
ger das Gefeg bin, daß ber Schaufpieler niemals aus 
dem Rahmen des Gedicht trete, ſich nie eine andere 
Aufgabe zu ftellen habe als die ihm der Dichter liefert. 
Die Aufgabe die dem Darfteller zukommt ordnet ihn 
dem Gedichte unter; anders bewahrt er fi) nicht ben 
Inſtinct, der ihn fiher führe. Man lerne diefe einfache 
Wahrheit von dem genialften, fcharffinnigften, raftlofeften 
Arbeiter auf dem Felde der darfiellenden Kunft! 

Ein raftlofer Arbeiter war er wie niemals vor ihm, 
wie gleichzeitig mit ihm nicht Einer. Roͤtſcher's Buch 
dedt- uns den ganzen Proceß feiner hartnädigen Ent: 
widelung auf. Es mar eine Laufbahn voller Hinder- 
niffe, Die Seydelmann durchwanberte, um zu feiner Doll: 
endung, zur Meifterfchaft in feiner Weife emporzuklim⸗ 
men. Jedes Hinderniß aber befeuerte nur feinen Muth, . 
wigigte feine erfinderiſche Kunft, flählte feine ftarke Lang⸗ 
muth. Uberblidt man bie ganze Reihe äußerer und in- 
nerer Mishelligfeiten, die ihn geftört, gekreuzt, gedemü⸗ 
thigt und doch nur immer von neuem zum Wettlauf 
angefpornt, fo findet man die Stone des Gelingens 
theuer und ehrlich erfauft, in den Triumphen, die er 
errang, nur einen gerechten, nicht übermäßigen Lohn fel- 
tener Tugenden bes Geiſtes und des Herzens. Beine 
tiefe Gewiffenhaftigkeit zwingt zur Bewunderung, fieht 
man, wie er fich, weil ihn Mutter Natur äußerlich nicht 
bevorzugt hatte, nur mit eifernem Fleiß unter ber Hefe 
der Genoffen aus der fihmuzigen Welt Kleiner Winkel⸗ 
bühnen heraufarbeitete. Was ihn innerlich bevorzugte, 
war freilich auch felbft bei WVerfagung äußerer Mittel 
eine freie Gunft der Natur; diefer glühende Drang zur 
Kunft, dieſe unerbittliche Willenskraft, diefer felfenftarke 
Muth, auch wenn er in Stunden ber Schwäche oft 
genug verzagte. Es hat ihn Fein Erfolg, mit dem doch 
immer, auch die Laune des Zufalls ihr Spiel treibt, je 
zum UÜbermuth verleiten fönnen, weil er wußte, für wel: 
hen Preis er fih die Meifterfchaft erfauft, die ihm 
endlid die Welt cinftimmig zuerkannte. Wie dornen- 
voll die Nofe, die er endlich blühend in der Hand hielt, 
wußte Niemand fo gut wie er. De heißer fein Eifer, 
je unabläffiger feine Studien, weil die Zunge ihn nicht 
gehorchte, fein Organ ihm von Natur nicht fügfam war, 
defto mehr lebte er fortwährend in ciner aufgeregten 
Stimmung, und je nervöfer aufgeregt er Zeit feines Le- 
bens war, befto ſchwerer faßte ihn die Miftre des Mis- 
geſchicks, deſto peinlicher erlag er oft ber drüdendften 
Noth. In einem Theaterroman aus unfern Tagen findet 
man einen Regiffeur portraitixt, der Mittags Gäfte bei 
ſich fieht umd fi die Löffeln dazu vom Nachbar borgt, 


— — — — 
“= 





weil aber der gute Freund feibft fpeifen will, feine Tiſch⸗ 
zeit verſchieben und die Gaͤſte durch Erfindung irgend 
eines Spaßes vertröften muß. Das follte Seydelmann 
fein, ich weiß nicht ob aus feiner Zaffeler oder darmfläd- 
ter Periode. Georg Kniepel theilt in feinem Buͤchelchen 
einige Briefe Seydelmann's mit, die in fehreienden, ob- 
wol fargen Worten den Jammer ſchildern, fih und feine 
Familie auspfänten zu laffen. Die fharfe Lauge ſei⸗ 
ned Unmuths gegen die Welt fleigerte fich fpäter zur 
geiftvollen Satire, hatte aber doch wol an Unbill folcher 
Art ſich reichlich genähre. Laſſen wir diefe Züge bei⸗ 
ſeite, die der Lump mit dem Genie zu theilen pflegt; 
folgen wir in ſeiner künſtleriſchen Entwickelung dem 
Misgeſchick das hier zu überwinden war. Uns wird 
bier zuglelch die Freude am Anblick eines großartigen 
Menfchen zu Theil. 

(Die Bortfegung folgt.) 





Zagesliteratur. 


In Rr. 353 d. Bl. f. 1345 habe ich bereits von einigen Schrif- 
ten gefprodgen, weiche den römifhen Katholicismus in 
feiner reinen Geftalt vorzuführen und dadurch ‚vor den gegen 
ihn erhobenen Vorwürfen zu rechtfertigen geſucht haben. Ich 
erfannte an, daß fich der Katholicismus fo reinigen, fo recht⸗ 
fertigen. tafje, bemerkte aber zugleich, daß er durch eine folde 
Rechtfertigung zugleich reformirt werde. Man muß, um den 
Katholicismus rein zu erbeten, ihn nicht blos vom Jejuitis: 
mus, fondern aud vom YPapismus reinigen. Kinige foeben 
erſchienene Schriften bringen mich noch einmal auf dieſen Ge⸗ 
genftand zurüd. 

Schon bei einer andern Gelegenheit (in#r. 279 d. Bl. f. 1845) 
äußerte ich, daß der ſtärkſte Grund, der fich für Rom anfüb: 
ren laſſe, die göttliche Heilsordnung fei, welche fi im Papſt⸗ 
thum offenbaren fol. Aber ich fegte hinzu, diefer Grund müßte 
ſich für die reformatorifhen Beftrebungen vindieiren laſſen. 
Jeder Ehrift muß annehmen, daß Gott ein ewige Verhaͤltniß 
zur Menſchheit habe, welches noch über den Act der bloßen 
Schöpfung hinauſsgehe; er muß annehmen, daß der Schöpfer 
den Menſchen nicht der Natur preisgegeben, fondern ihn 
aus der Macht der Natur zu erretten befdhloffen habe. Es ift 
Diefer Gedanke das Yrincip des Ehriftentbums, ihn aufgeben 
heißt Das Chriſtenthum aufgeben. Man kann diefen Gedanken 
aber entweder fo auffaflen, daß Gott, um die Menſchheit aus 
der Macht der Ratur (dev Sünde und des Todes) zu erlöfen, 
Menſch geworben fet in Ehrifte, oder daß Gott das Menſchen⸗ 
gefchlecht in Ehrifto zum Acte der Selbfibefreiung babe kom: 
men laften, alfo der Menih in Chriſto Gott geworden fei. 
Das Chriſtenthum bat beide Borſtellungen gerechtfertigt, und 
es ift eine Einfeitigfeit, an der einen im Begenfage gegen die 
andere feſtzuhalten. Diefe Borftelungen find aber ſowol ei: 
ner rationaliftifchen als einer myſtiſchen Auffaſſung fähig, ge 
genwärtig handelt e8 fich um die erftere, denn alle Parteıen 
der Gegenwart fcheinen darüber einig, daß es mit einem ge: 
fühloollen Berfenten in das Myfterium ber Erlöfung nicht ge: 
them if; ſelbſt die zur myftifchen Auffaffung geneigtern laffen 
fi wenigſtens zu einer rationaliftifchen Rechtfertigung bes 
Myfteriums herbei, um es vor der cinfeitigen rationaliftifchen 
Auffaflung und gegen den Atheismus zu vertheidigen. Weiter 
aber ſchließt der Gedanke einer ewigen Heildordnung in ſich 
bie Borftellung, daB ſchon vor Ehriftus ein gewiſſes Bewußt: 
fein der Menſchheit ven Bott und ſich felbft vorhanden gewe⸗ 
fen fein muß, weldes durch Chriſtus Beftätigung und Erfuͤl⸗ 
lung erlangte, und daß nad Chriſtus dieſes Bewußtfein in der 
Menfchheit fich Iebendig erwiefen haben muß. Ramentlich diefe 


15 


legtere Vorſtellung wird gleichfalle Durch die. Heilige Schrift 

vollfommen gerechtfertigt, infofern Chriſtus in feiner Gemeinde 

und bei ihr zu bleiben, und ihr im heiligen Beift einen Samm⸗ 
ler, Regierer nnd Mehrer zu fenben verſprochen hat. Diefe 

Gruppe religiöfer Borftellungen nun finb es namentlich, welche 

von den Roͤmiſch⸗Katholiſchen gegen die alten und jungen Pro» 

teſtanten geltend gemacht wird. Wie dies gefchieht, wollen 
wir an folgenden Schriften fehen: 

I. Was ift die Bibel! Symboliſche Briefe für die Gläubir 
gen aller Eonfeffionen von A. Eberhard. Münden, Li⸗ 
terarifch : artiftifche Anftatt. 1845. 8. 22%, Nor. 

2. Schrift und Kirche oder ob auf die fogenannte vernünftige 
Erklärung der Heiligen Schrift, ohne Tradition und Hierarchie, 
eine allgemeine chriſtliche Kirche gegründet werden önne. 
Deantimortel von C. G. Eifner. Leipzig, Zadowig. 1845, 

. gr. 

Die erfte diefer Schriften ift in einem durchaus würdigen 
Zone gefchrieben, der Geiſt chriftlicher Kiebe und Duldung ift 
in ihr angenommen und feftgehatten, ohne in jene widertoärtige 
Manier eined hochmüthigen Bedauerns der Ketzer auszuarten, 
weiche leider fo häufig von römifchen Pricftern angenommen 
wird, wenn fie nicht vorziehen, den Zon des Fanatismus oder 
bes höhnenden Ingrimms anzuflimmen.. Das Bud ift in 
Briefen an einen SProteftanten gefchrichen, welchen der Berf. 
von der Unhaltbarkeit des Princips des Proteftantismus zu 
überzeugen fucht. Die Proteftanten, meint der Verf., erkennen 
in Glaubensſachen Peine andere Autorität als die Bibel, und 
er ſucht zu beweijen, daß die Bibel nicht die ganze „Lehrſumme“ 
Chriſti, ja nicht einmal alle Fundamentalartikel enthalte, daß 
die Annahme, die Bibel fei Regel und Rorm des Glaubens, 
dem ganzen Wefen der Kirche widerfpreche, daß dich au gar 
nicht Zweck der Bibel fei und daß Dem auch das Zeugniß der 
Sefchichte widerſpreche. Die römifche Kirche nimmt neben der 
Bibel bekanntlich die Tradition ald Glaubenenorn an, und 
außerdem noch die Sagungen der Concilien und der Päpfte, 
in denen fi) Die Wirkſamkeit dcs heiligen Geiftes geäußert 
haben und noch fortwährend äußern fol. Sie geht dabei von 
der, befonders beftimmt in der unter Nr. 2 angeführten Schrift aus» 
gefprochenen Borftellung aus, daß Ehriftus einen gewiffen In» 
begriff von Lehren den Apoſteln mitgetheilt Habe, welche dieſe 
Xehren dann weiter zunaͤchſt an die Priefter mitgetheilt hätten, 
in denen ſich diefelben nun unverfälfcht fortgepflanzt hätten, von 


denen bdiefer Schas göttlicher Weisheit verwaltet und den Laien 


nach dem Grade ihrer pfänglichkeit und Wuͤrdigkeit mit: 
getheilt worden fei. Eine Erweiterung diefer Lehrfumme fol durch 
die vom heiligen Geifte eingegebenen Beflimmungen der Con: 
cilien und der Päpfte gefchehen fein. Der Berf. thut zunaͤchſt 
dem Proteftantismus ein hiſtoriſch nachweisbares Unrecht, wenn 
er ihn einzig auf die Bibel als Glaubensnorm fidy befchränten, 
die Tradition und die Wirffamkeit des heiligen Geiſtes gaͤnz⸗ 
lich negiren laßt. Es ift eine bekannte Thatſache, daß bie 
gunze Reformation nichts als eine Prüfung, Peineswegs aber 
eine abfiracte Verwerfung der nad) der Zradition aus den 
Soncilien: und päpftliden Befchlüffen hervorgegangenen ka⸗ 
tholifchen Kirchentehre ift. Die Reformatoren hatten nur die 
Bemerkung gemacht, daß mit der Autorität des heiligen Geiftes 
und der Tradition unfaglidyer Misbrauch getrieben worden fei, 
und deswegen gingen fie an eine Prüfung und Sichtung der 
Kirchenlehre ein und nahmen von derfelben nur Dasjenige an, 
was durch die Heilige Schrift fih rechtfertigen ließ. In ihren 
fymbolifchen Schriften ſtellten dann die a anten Dasjenige 
zufammen, was jie als dic wahrhaft auf einer heiligen Tradi⸗ 
tion und einer Wirkung des heiligen Geiftes beruhende Kirchen: 
lehre bekannten. Daß Net der Proteftanten zu dieſer Prü⸗ 
fung nach der Heiligen Schrift fügt ficy auf die beiden uns 
widerlegliden Säge: 1) die geoffenbarte Wahrheit kann nicht 
mit fich felbft im Widerſpruche ftehen, daher ınüffen alle die: 
jenigen Lehren der römischen Kirche als unkatholiſch ver- 
worfen werden, welche mit der Heiligen Schrift im Wider: 


von der „Lehrfumme des | nz falſche 
feftgehalten. Das Chriſtenthum ift urfprünglih eine Thatſache, 
die Ihatfache eines Chriſtus ſelbſt, keineswegs eine Lehrſumme. 
Diefe Ihatfache ift der Urquell der Lehre, aber nicht biefe 
ſelbſt. Als Thatſache Hat ſich auch das Chriſtenthum urfprüng- 
lich allein ausgebreitet, daher iſt immer nur von einem Über- 
wältigen durch den Glauben, nie von einem allmäligen Be⸗ 
kehren dis Rede. Eberhard bat dies ganz ristig in Dem an: 
gedeutet, was er von der Gnade fagt und von ber Lehr: und 
Denkfreiheit. Man kann nicht in einigen Stücken Chrift fein, 
in andern nicht, man ift es in allen oder in feinem. ber er 
macht davon eine falfche Anwendung, indem er überficht, daß 
eben durch dieſe Alleinwirkfamkeit der Gnade die Denk⸗ und 
Lehrfreiheit nicht wie cr behauptet unmöglich gemacht, fonbern 
vielmehr volllommen gerechtfertigt wird.: Der Menib kann 
aus Gnaden Chriſt, Heiliger, d. h. Menfch von gebeiligker Be: 
finaung fein, auf welder Stufe der Gebankenbildung er fich 
auch befinden mag. Das eben it die Günde des Papismus, 
daß fie die Herrſchaft der Religien über die Herzen gu einer 
Herrfchaft der Kirche über den Verftand umgewandelt a, daß 
fie aus der Thatſache des Ehrift eine „Lehrſumme“ acht 
bat, daß fie zum Schiboleth der Chriſtlichkeit nicht die Heilig: 
feit der Sefinnung, fondern bie Normalität des Dogmenwiſſens 


gemacht hat. 
(Der Beſchluß folgt.) 





Literarifche Notizen aus Frankreich. 


Zur Kenntniß der franzöfifgen Stiliſtik. 

Wenn auch jest der usus tyrannus in ber franzoͤſiſchen 
Sprache noch eine bedeutende Rolle fpielt, fo ift e8 doch, wenn 
man im PVergleih auf die Sprache des großen Jahrhunderts 
von Ludwig XIV. den gegenwärtigen Stil betrachtet, nicht zu 
leugnen, daß man fih von ben willlürlidhen Launen und 


unbegrimbeie 
—2 —* 





eleganten, zierlichen Wendungen anzueignen, fo macht ſich iekt 
das Bebürfniß —— Beſtimmungen —* 
Foderungen ber frangäfifi Sprache und die feinen Seſetze 
der Stiliſtik auf eine tiefere Weife gu erfafſen und in ihrem 
eigentlihen Zuſammenhange zu ergründen. öffnet fich bier 
unfern Bliden ein weites Feld, auf dem noch viel zu thun 
übrig bleibt. Wir haben vor Purzem ein ausführligeres Werk 
erhalten, welches zum heil biefe neue Richtung anbahnt. 
Daſſelbe if unter dem Zitel ‚‚Bemarques sur ia iangue fran- 
gaise au IYieme siöcle sur le style et Ia compositien Ktt#raire” 
vom bekannten Peuilletoniften Francis Wey in zwei Bänden 
herausgegeben. Wir erhalten hier einen Schag feiner Beobach⸗ 
tungen und geiftreiher Bemerfungen und bedauern nur, daß 
ed der Verf. verihmäht hat, flatt immer allein fih an das 
Gingelne zu haften eek nadt und var ftig —* wenn 
man nicht mit dem gemeinen in Zuſamme fest, 
tandpunft einer philoſophiſchen Grammatik anzu⸗ 

ſtreben. Dadurch haͤtte er feinem Werke einen noch größern 
Gehalt’ verleihen konnen. Deſſenungeachtet wollen wir nicht in 
Abrede ftellen, daß feine Mittheilungen auch in ihrer gegen- 
wärtigen, etwas allzu fragmentariſchen Beftalt immerhin viel 
belehrende Andeutungen und mannichfache Anregung getvähren. 


Charakter der fpanifhen Dichtkunſt. 

Der Franzoſe Adolphe de Puibusque entwirft in feiner 
„Histoire compar&e des litteratures espugnole et francaise‘ 
(2 Bde.) folgendes charakteriſtiſche MED der fpanifchen Poefie 
in ben Beifen ihrer Blüte in frühern Sahrhunderten: „Sie 
dankt ihre Überlegenheit zum guten Theil einze tm Wefentlichen 
örtlichen Urfache; fie war von hoher Geburt und befaß den 
Adel des Schwerts fowol wie des reinen Gebluͤts. So weit 
bad Auge zurüdreiht,. bid wo die Gefchichte fi ins Dunkel 
verliert, erbliden wir einen Stamm kriegeriſchen und gebilde⸗ 
ten Adels im Herzen ber Halbinfel. «UÜe unfere Gefege und 
alte unfere geſchichtlichen Jahrbücher» — fagen die Spanier — 
awurden in Verſen aufgezeichnet! und nicht von Münden, fon- 
dern von Rittern.» Und wer waren benn nach Allem die Don’ 
Juan Manuel, die Lopez be Ayala, die Buzman, die 
Alvaros de Luna, Meanriaue, Billene, Santillana, Die wir 
die erſten ruhmreichen Gchöpfungen des Bolfägenius ihren 
—8 haben uͤberliefern ſehen? Sie gehoͤrten alle dem 
Hochadel an; alle haben in den andalufifchen Kreuzzugen den 
ererbten Geburtschren neue hinzugefügt. Nach ihnen und trog 
bes dann und wann ins Übermaß aubartenden WBetteifers eines 
aufgellärtern Zeitalters vervielfältigte der Baum der Dicht: 
kunſt feine Iweige, ohne daß ihr Stammbaum eine Beränderung 
erlitt; wenn Hier und bort der Glanz der Abkunſt ihren Sprofien 
fehlte, fo haufte fie Auszeichnungen anderer Art auf biefe; es 
find Seine Geringern ald Generale, Prälaten, Belandbte uns 
Vicekoͤnige. Einige fügen ben Muhmthaten bes Schlachtfeldes 
den Ruf des Misgeſchicks hinzuz Andern verleihen wunber: 
bare Wbenteuer, beifpielloge Zollkühnheit und ungewöhnliche 
Drangfale ein romantifches Intereſſez und mit Wißbegier ſucht 
der Geift das Raͤthſel jener unerllärlichen Lebensgeſchichten zu 
löfen, welche unter dem Zelte beginnen und in der Kiofterzelle 
endigen. Erhabenheit, Wechſelfaͤle des Schickſals, Überſpan⸗ 
nung, alles was Staunen, Theilnahme, unnennbaren Reiz 
hervorruft, begegnet uns bei jedem Schritt durch dieſe Gemaͤlde 
—5 wo jedes Bild ein verſchiedenes eigenthümliches wie 
athmet. . 


Berantwortliber Herausgeber: KHeinrich Wrodtans. — Drud und Berlag von F. X. Brockhans in Leipzig. 








Blatter 


für 


Unterbaltu 


literariice 





Montag, 


5. Januar 1846. 





(Eorifegung aus Nr. 4.) 


Seybelmann fpielte in Breslau, in Olmütz als jun⸗ 
ger Menſch natürlich Liebhaberrolien. Durch lyriſchen 
Schwung, durch gefällige Schmeichelei des Vortrags und 
der Erſcheinung konnte auch der Züngling Seydelmann 
nicht einnehmen, auch nicht dur Kraft, die ſich nad 
außen wirft, erobern. Er war zart gebaut und feine 
Mittel waren doch fo hart und ſtoͤrriſch. Die Natur: 
kraft war verfügt und die Srazien ſchienen ausgeblieben. 
Und er fühlte dennod von früh auf, daß er zur Kunft 
Beruf habe; eine innere Stimme fagte es ihm in ftillen 
Stunden, und dem Ruf des Gewiſſens folgte ex jeder 
Zeit feines Lebens. Sein Beift hatte, ich möchte fagen, 
eine unüberwindliche moralifche Zahigfeit in der Aus- 
dauer. Er Eonnte duch allzu frühen Beifall nicht ver- 
wöhnt fein; bie verfagte Gunft hatte nur das Gute, 
ihn Beine Arbeit fcheuen zu Taffen. Da er durch rheto⸗ 
rifche Declamation zu wirken nicht die Mittel hatte, in 
aufbraufenden Zugendfeuer nicht gefallen, in der ab» 
firacten Idealitaͤt des gutgemeinten ſtuͤrmiſchen Aufruhrs 
Der Rebensgeifter fich nicht verpuffen konnte, fo mußte 
er tiefer graben, um Schäge zu finden. Seine Kunft 
richtete ih nah innen. Innere Menfchenfcheun ward 
ihm beſchieden; aus ihr holte er fich die Waffen herauf, 
mit denen er wirken follte und die er langſam fich ſelbſt 
erft ſchmiedete. Seine Menſchenkunde war zu beiden 
Theilen gleich fehr angeborenes Zalent und erworbene, 
aus .eifrigen Studien gewonnene Intelligenz. Immer 
auf ſich verwieſen, mit ſich felbft befchäftige, führte er 
ſchon frühzeltig mitten im Schwarm: Tuftiger Colfegen ein 
einfames Leben; er galt für einen Grübler und Mifan- 
threpen, feine angefirengten Studien nahm man ledig- 
lich als bloße Yushülfe für angeborene Schwäche. Ge- 
dantenleie Handwerkernaturen halten es Bebanterie, 
wenn er mit forgfäftiger, zierlicher Handſchrift jede fei- 
ner Rollen felbft fi; abſchrieb. Er war von dem Nugen 
überzeugt, fich auf diefe Weiſe langſam, ficher und Wort 
fie Wort mit dem Part bekannt zu marken. Während 
er die Worte nieberfihrieb, hatte feine Speculation Muße, 
allen befondern ſprachlichen Wendungen und Nuancen 
nachzugehen. Er behielt diefe Methode, das Studium 


feiner Rolle zu eröffnen, ein für alle Mal bei, unbe: 
fümmert gegen das Wchfelguden der Faullenzer, die ſich 
in ihrer Unwiffenheit auf ihr Naturell und auf die 
Gunſt bes Zufalls ftügten. Es konnte aber mol nicht 
fehlen, daß der lauernde Spott übermüthiger, gewiffen- 
lofer oder ſchwachkoͤpfiger Collegen jede Schwäche an 
ihm erlauert, und nicht felten mochte ihn der Zorn über- 
meiftern, wenn höhnifcher Leichtſinn feine Manisren cari- 
firte und dem Gelächter preisgad. Sein Zorn konnte 
in Berſerkerwuth ausarten. Gegen einen Sonffleur 
babe ich ihn hinter den Gonliffen im Zwieſpalte in eine 
Tobſucht ausarten fehen, bei deren Anblick die Umſtehen⸗ 
den erbebten. Jener Unglückliche hat ihm bei einer 
wichtigen Rolle die Worte verdreht. Seydbelmann's 
Aufregung gli einen losbrechenden Orkan, der Allee 
nieberwirft. Da Gewiffenhaftigfeit die Neligion feines 
Herzens war, fegte er auch feinen höchften Stolz darein, 
auf dem Forum der Welt gewiffenhaft zu fiheinen. 
Schelſucht und kleinlicher Neid haben an feiner ehrli- 
hen Seele viel und unabläffig genage. Aus Nötfcher's 
Buch ergeben ſich Züge diefer Art in Menge. Doc 
finde ic, nicht den legten Fall angedeutet, der ihm nicht 
lange Zeit vor feinem Tode in Berlin, als er ſchon lei⸗ 
dend und phyſiſch hinfällig war, auf das ſchmerzlichſte 
ergriff. Es war, glaube ih, in einer Vorſtellung des 
„Tell“, wo zwei Mitfpielende ihn in feinem Monolog 
buch Plaudern, leifes Zifcheln und hamiſches Wigeln 
ftörten. Vor Wurh darüber ımd in dem Argwohn, 66 
ſei gefliffentlich gefchehen, war er, nachbem ber Vorhang 
gefallen, kaum feiner Sprache, viel weniger der rechten 
Morte gegen bie Störer mächtig. Cr nahm fich den 
einen zur Zielfeheibe feiner fchriftlichen Vorwürfe, die 


mit allem beißenden Wig den Beleidiger geißelten. Die- 


fer Brief war in Ausdrüden verfaßt, die den Empfän- 
ger, aller Pietät gegen den Meifter bar und Iedig, zu 
dem ruhigen Entſchluß brachten, gerichtliche Klage bar- 
über einzuleiten. Der Jünger, ber Anfänger fühlte ſich 
neben dem Altmeifter lediglich als koͤniglicher Hofſchau⸗ 
fpieler. Das Gericht mußte in der Injurierfache gegen 
Seydelmann entfheidben und er warb zur Haft verur- 
theilt, die er auch in ber Hausvogtei abfaf. Er mochte, 
zur Befonnenheit gefommen, über die Ironie dee Schid- 


ſals Lächeln, daß ber Schüler den Alten überliften Fönnte. 


n8. i 


18 


Aber der Ball mochte ihm doch bis zulegt fein altes 
Verhängnig beftätigen, ber einen Erbaͤrmlichkeit des 
Lebens erliegen zu müffen. In ber Impietät gegen 
ihn hatte er die Nichtachtung aller collegialifhen Em⸗ 
pfindung, die ruchlofe Bleichgültigkeit gegen bie Kunft 
rügen wollen. Jener jüngere Schaufpieler an der ber— 
liner Hofbühne trat feitdem mitunter im Rollenfach 
Seybelmann’s auf. 

War diefe Reizbarkeit in feinem Alter fo fieberhaft 
ftart, fo mochte fie in frühern Jahren, wo er ſich weni- 
ger ficher fühlte, fih nicht felten mit Verzweiflung paa- 
ren. Seydelmann mar lange Zeit in der Irre mit ſich 
ſelbſt. Er wußte früh, daß er zum Schaufpieler gebo- 
ren fei, aber er konnte, felbft als er die Hinderniffe fei- 
nes Organs zu überwinden gelernt, lange nicht das 
rechte Fach finden. Bon Olmüg aus, wo er Bühne 
und Publicum beherrfchte und der anerfannt Erſte war, 
überlieferte er fid) auf Treu und Glauben an den dama- 
ligen Xeiter des Theaters zu Prag, Hrn. v. Holbein. 
Diefer Brief ift in feiner originellen Gutmüthigkeit zu 
eigenthümlich, um ihn nicht hier einzufügen. Er ſchrieb: 

Ich fpiele in einem Fleiſchſcharren, allein jo viel id von 
Zhnen weiß, ftoßen Sie fih nicht daran und Zalent bejiegt bei 
Ihnen alle Vorurtheite. Ich glaube, ih babe Zalent, allein 
ich weiß nicht wo ed hinaus will. Ich glaube, Sie würden 
es bald fehen und ihm Treunbli Den Weg zeigen. Engagiren 
Sie mic), wofür und für was Sie immer wollen. Ich ergebe 
mid Ihnen unbebingf. Wenn Sie mid nit fo ftellen fon: 
nen, daß ich brauchbar bin, fo ift es nichts mit dem Theater 
und ic) muß einen andern Weg einfchlagen. Ich habe Bildung, 
Fleiß und ein dankbares Herz. Wagen Sie ed mit mir. 

Holbein wagte es mit dem Sonderling; auf eine 
Sonderlingsnatur ſchien allerdings diefe Gutartigkeit zu 
deuten. Die Entgegnung ded bamaligen prager Direc- 
tors verdient nicht minder als eine Seltenheit in den 
Thenterannalen aufbewahrt zu werden. Unter den zahl: 
Iofen Sonberbarkeiten diefer Annalen gebührt der harm- 
Iofen Offenheit immer der Vorzug, für eine befondere 
Seltenheit zu gelten. Holbein ſchrieb an den fiebenund- 
zwanzigjährigen Mimen, deffien Namen ihm bis dahin 
noch unbefannt gewefen, in ‚folgender, Weife zurüd: 

Ein fo gebildeter Mann wie Sie mir ſcheinen ift. hoffent- 
ih auch von dem eiteln Wahne gewöhnlicher Afterkünftler frei. 
Ifi dies der Ball und Ihr Jalent entweder jest fchon bedeu: 
tend, oder eine höhere Ausbildung verfprechend, fo finden Sie 
in mir den rechten Dann zur Eröffnung einer angemeflenen 
Laufbahn. Paart fich dies Talent mit redlichem Gemüt, fo werde 
ich mid) auch mit Vergnügen ald Ihren Freund bewähren. 

Es war im 3. 1820, als Seybelmann in Prag auf- 
trat, wo fi fofort feine Richtung und fein Fach feft- 
ftellte. Holbein erkannte in ihm den Charafterbarfteller 
und muthete ihm zu feinen nicht geringen Erſchrecken 
glei die Mole des großen Preußenkönigs in Toͤpfer's 
„Tagesbefehl” zu. Es erwedt eigene Betrachtungen, daß 
der ehemalige Wiceoberfeuerwerfer aus Glag, der fortge⸗ 
laufene Kanonier den alten Frigen fpielen mußte, und 
mit diefer Darftellung der alten Majeftät von Preußen 
feiner „Laufbahn die entfcheidende Wendung gab. Ed- 
hof und Seydelmann hatten, gleichviel ob jener gezwun⸗ 


gen, dieſer freinillig, in der preußifchen Soldateska ihre 
erfte Haltung bekommen, hatten aber Beide alsbald Kehrt 


gemacht, um den Paradedegen mit dem tragifchen Dolch, 


ben wenn aud) firengen, doch zu ihrer Zeit friedlichen 
Paradedienſt mit dem alle Zeit kriegeriſchen Dienft dee 
Mufen zu vertaufchen. Kür Seydelmann zumal gab es 
täglich neue Feldzüge, jeder Sieg mußte ſchwer errungen 
werden, feiner fdhien dauernde Geltung zu haben. Hol« 
bein hatte das Verdienſt, den Charakteriftiter im Keime 
erfannt zu haben; des Sklave Sirus in ben „Brüdern“ 
von Terenz war die zweite Nolle, die cr ihm zumies. 
Bas dem Talent fo noth thut, Zuverficht zu fich felbft, 
dies erweckte Holbein in Seydelmann; noch wenige Jahre 
zuvor hatte ein breslauer Dramaturg dem jungen Mi- 
men auf bie Schulter gefopft und ihm gutmüthig lä- 
chelnd gefagt: „Nein, lieber Freund, das Komöbiefpielen 
folltet Ihr fein laſſen!“ Seydelmann war darüber in ei- 
nen Strom von Thränen ausgebrochen, und der erfchro- 
dene Rathgeber, der diefe Inbrunft, dieſe Leidenfchaft zur 
Kunft nicht ahnen Fonnte, hatte verlegen fein rafches 
Wort zurüdgenommen. Die Einfiht in den Abftand 
zwifchen hohen Zwecken und beengten Mitteln hielt jeder 
Zeit bei Seydelmann Schritt mit feiner Leidenſchaft für 
die Bühne. Das Bewußtſein ſchwerer Arbeit zum Siege 
gab ihm die tiefe Befcheidenheit, die ihn unter den Ge— 
noffen faft einzig hinftell. In den zwanziger Jahren 
getraute er ſich nicht, die Burg in Wien neben ben 
Veteranen zu betreten. In den Dreifigern noch hatte 
er vor Berlin und den Manen der großen Tobten dort 
lange Zeit eine heilige Scheu. So viel Intelligenz und 
fo viel naive Beſcheidenheit, fo viel Geift und fo viel 
Demuth des Herzens waren felten beifammen. 


(Der Beſchluß folgt. ) 





Tagesliteratur. 
(Beſchluß aus Ne. 4.) 


‚Der Schrift von Eberhard jieht man es an, daß der Verf. 
wirklich von Dem, was er fagt, überzeugt ift und darum wen» 
det er auch die Sprache ruhiger Überlegung und der Beredtjam- 
Feit einer in fich fihern Begeifterung an, welche den Gegner 
nicht Hinter das Licht au führen ſucht, fondern in das Licht. 
Ganz anders verhält ed fi mit der Schrift von Eifner, welche 
ih in den ertravaganteften Vorftelungen bewegt, in denen 
die Anfichten des Romanismus bis zu einem Mythus potenzirt 
find, welcher von ber römifchen Kirchenlehre felbjt nicht gerecht: 
fertigt wird, fondern der mit der größten Willkürlichkeit erfun- 
den ift, um dieſe Kirchenlehre zu vechtfertigen. Dadurch bes 
fommt die Schrift den Anſtrich der widerwärtigfien Perfidie. 
Die Marime des Berf. ift, den Gegnern, den Rationaliften 
von vornherein die ‚größten Conceſſionen zu machen, fodaß es 
den Anfchein bat, ale wäre die Kirchenlehre ganz dem Ratio⸗ 
nalismus preiögegeben, dann aber Durch einen gelehrt aufs 
gepugten Mythus den Rationalismus durch fich felbft zur ſtar⸗ 
ren römifchen Nechtgläubigkeit überzuführen. Der Verf. bat 
eine Art von Ironie, welche fo ſcharf gefchliffen ift, daB ihre 
Schneide ſich umbeugt, ftatt zu Ichneiden. Man lefe Worte 
wie jdie folgenden: „Das ift eben das Schöne in unfern Zei⸗ 
ten, daß Jeder die Heilige Schrift nicht nur erklären kann wie 
er will, fondern auch durch Reden und Schreiben fo viel Pre⸗ 


felgten machen und neue Kirchen fliften kann als er. vermag. 
Und wir koͤnnen die Laien nicht genug auffodern, von dieſem 
Rechte vollen Gebrauch zu machen, denn nur auf diefe Weife 
tönnen alle freifinnigen Ideen, die bisher in der Heiligen 
Schrift noch verhüllt und unbenugt gelegen haben, ins Leben 
treten. Und man laſſe die Menſchen nur fortgehen in ihren 
Grflärungen und ftöre fie nicht immer wieder durch Miniſte⸗ 
rialvererdnungen: — wenn fie auch) jeßt noch nicht einig find, 
jo werden fie fhon einig werden —; und ftedblind müßte man 
fein, wenn man nit fon im voraus den allgemeinen Tag 
des Lichts und der Freiheit, der- daraus hervorgehen wird, 
feben Eönnte u. f. w.“ Dies nun fol Ironie fein und der 
Berf. Fampft fo für feine Kirche auf die heimtuͤckiſchſte Weife, in: 
tem er feinen Gegnern ein Bein zu ftellen judht. Der My: 
thus aber, welchen er erzählt, ijt Burz Diefer: Der Menſch war 
mit dem vollfländigften Wiſſen von Gott gefchaffen, verlor dies 
ſes Willen aber durch den Sündenfall. Indeß erhielt jich im 
auserwählten Bolfe Gottes, den Juden, ein höheres Wiſſen 
von Gott, war namentlih bei Abraham in eminenter Weife 
vorhanden, wurde im Allgemeinen von der Priefterkafte aller 
Bölker bejeffen und von derfilben in Bilder und Geſchichten 
eingelleidet und dem Volke unter diefer Form mitgetheilt. 
Ehriftus that nichts ald daß er diefe alte Weisheit in ein 
neues zeitgemäßed Gewand ftedte. Das geheime Wiffen theilte 
er wieder der von ihm gejtifteten Prieſterkaſte mit und dieje 
verwaltet noch gegenwärtig dieſes Geheimniß, welches erft der 
Schlüſſel zur Heiligen Schrift ift, ohne welchen Schlüflel die 
2aien in dieſer nur finnloje Gefchichte und widerfprechende Be: 
Hauptungen fehen muflen. Nur die Priefter find im Stande, 
Sinn und Berftand durch die ihnen mitgetheilte Zradition hinein: 
zubringen, die Prieſterſchaft ift daher zur Hierarchie berechtigt, 
von Gott felbft zur Herrfchaft als Verwalter jeines Geheimnifles 
eingefegt, muß aber dem Wefen Gottes gemäß eine monar- 
chiſche Verfaſſung haben und ıft fo überhaupt die Vertreterin 
des menardifchen Principe. Dabei raumt der Berf. von vorn» 
herein ein, daß der menſchliche Geift allerdings befähigt fei, 
Das Göttliche zu erdennen, nimmt aber dieſe Erfenntniß, den 
Grund feines Mythus, als Privateigenthum der Priefterbafte in 
Anfprud. Wer die neuere Wiffenichaft und ihre Ergebnifie 
kennt, durchſchaut leicht dad Gemenge von Wahrheit und Lüge, 
welches der Verf. hier zufammengebraut hat. Es würde mid) 
zu weit führen, wollte ich bier eine Scheidung des Wahren 
som Falſchen unternehmen, und ich bemerfe daher nur: 1) daß 
der Verf. mit feiner Geſchichte felbft dem Principe der römifchen 
Kirche entgegentritt, nach welchem Chriſtus viel mehr als ein 
bloßer zeitgemäßer Reformator des frommen Prieftertrugs ift, 
und .2) Daß ed eine Unwahrheit ift, wenn er die Hierarchie 
ter Eatholifhen Kirche ald eine weſentlich monarchiſche bezeich⸗ 
net, da e8 eine bekannte Hiftoriiche Thatſache ift, daß es erſt 
der durch Jahrhunderte fortgefegten Lift der Päpfte gelungen 
ift, Die urfprünglid durchaus demokratiſche Form der Hier 
archie (einer priefterlichen Gemeinde) in die Ariftoßratie der 
Eoncilien und endlih in die Despotie des Papismus um- 
zumandeln. 


Eine pepulaire Darftelung der Entwidelung diefer hierar⸗ 
chiſchen Despotie enthalt folgendes Wert: 


3. Dos Papftthum und die veformatorifchen Beſtrebungen in 
der chriſtlichen Kirche von ihrem Uranfange bis auf Ronge 
und Ezersfi. Ein an? für Proteftanten und Katho⸗ 
liken, welchen es um einen hellern Blick in ihre Kirche und 
Kirchentehre zu thun iſt. Bon %. &. Nagel. Halber⸗ 
ſtadt, Rindequift und Schönrod. 1846. 8. 7, Ner. 
In mehren bisher befpeochenen Schriften, namentlich in 

der Schugfchrift Riffel's für die Iefuiten, iſt die alte Küge 

wieder aufgewärmt worden, daß das Princih bes Proteſtantis⸗ 
mus das Princip der politifhen Revolution fei. Diefer Vor: 
wurf ift ein fo boshafter und gefährlicher, daB er trog feiner 
evidenten Richtigkeit für Jeden, der die Geſchichte und den 


19 


Proteftantiömus kennt, doch, fo oft er wieder erneuert wird, 
au Wiederum widerlegt werden muß. Dies gefchieht in der 
Broſchuͤre: 

4. Bertheidigung des Proteſtantismus gegen die politiſche 
Verdaͤchtigung von Seiten des Ultramontanismus nad) ih⸗ 
ren beiderſeitigen Principien und der Geſchichte durchgefuͤhrt. 
Bon R. Haas. Gießen, Heyer. 1845. Gr. 8. 27, Nor. 

Der Verf. führt feine Widerlegung von Seiten der Prin⸗ 

cipien des Proteflantismus und römijhen Katholicismus und 

an der Hand der Gefchichte, und wirft den Vorwurf auf den 

Romanismus zurüd. Die Vertheidigung fann nicht für die 

Wiffenichaftlichgebildeten beftimmt fein, da für dieje der ganze 

Streit längft entfchieden ift, Daher hätte der Verf. fich einer . 

populairen Darftellung befleißigen ſollen. Wie wir Proteftan- 

ten in diefem Jahre ein Gedächtnißfeft Luther's feiern werden, 
fo baben die NRömijchs Katholiichen die Säcularfeier des Tri— 
dentiner Concils im vorigen Jahre begangen, weldes am 

13. Der. 1545 eröffnet, am 4. Dec. 1563 gefchloffen wurde. 

Zu diefer Feier ift durch folgende Schrift eingeladen worden: 

5. Die katholiſche Glaubensregel, oder getreue Überfegung der 
Sufammenftellung aller Glaubensregeln bes Concilium von 
Zrient mit einigen Erklaͤrungen als Zugabe für den ka⸗ 
tholifhen Hirten und feine Heerde. Bon U. Eberharb. 
Regensburg, Puſtet. 1845. 12. 10 Rar. 

In der oben unter Rr. I angeführten Schrift fagt berfelbe 

römifhe Geiftlihe in Bezug auf das von den Proteftanten ge: 

feierte Neformationsfeft: „Feſte der Verſohnung kannten wol 
unfere Bäter fchon ; aber Feſte der Zwietracht im eigenen Haufe 
fannten jie nicht.” Und jegt fodert er ſelbſt zu einer Feſtfeier 
tes Zridentiner Concils auf, diefed Concils, welches unter dem 
despotiichen Einfluffe des Papftes Lie Kirchenfpaltung entfchied, 
gegen welche fich die Proteftanten immer gefträubt hatten, wel« 
ches die Verfluchung der Proteftanten fanctionirte, welches die 

Glaubenslehren der Kirche in das unmwürdige Gewand einer lan« 

gen Reihe von Bannflüchen brachte, wie auch das vorliegende 

Buch beweift. Wenn wir Proteftanten das Reformationsfeſt 

feiern, fo begehen wir ein Feſt der Freude über unfere Be: 

freiung aus den Feſſeln des Papismus, aber ſtets zugleich ein ’ 

Beft der Zrauer über die Kirchenfpaltung, welche nit dur 

die Meformatoren, fondern durch die bartnadige Meigerung 

der Päpfte, eine Audfcheidung der Irrthümer und Misbraͤuche 
aus Der Kirchenlehre gefchehen zu lafien, herbeigeführt wurde, 

Die Roͤmiſchen dagegen betrachten dad Tridentiner Concil als 

ein Siegesfeft der Kirche über verfluchte Keper. Sie haben 

ung verflucht und verfluchen und noch Ir, wir haben feine 

Fluchbulle, die wir am Heformationsfefte feierlich verläfen, wir 

haben fie nie verfluht, ihnen nie die Berufung und Befaͤhi⸗ 

gung zur Seligkeit abgefprohen. Das Jubiläum ded Zriden- 
tiner Concils wird fein, was unſer Reformationsfeſt nie war: 
ein Feſt der Zwietracht im deutichen Vaterhaufe. Durch das 
bier vorliegende Buch laſſe fi übrigens Niemand täufchen, als 
enthalte daffelbe die Summe der ganzen römifchen Kirchenlehre. 

Dies ift keineswegs der Kal; viele der gemeingefährlichften 

Lehren find in ihm nur verſteckt angedeutet oder ganz über: 

gangen. &o findet man in ihm 3. DB. nichts von den gehaͤſß⸗ 

gen Sagungen über die gemuifchten Chen, welche nichtödeftower 
niger, wie alle Welt weiß, volle Gültigkeit bei den Papiſten 


haben. Oswald Marbach. 





Das „Foreign quarterly review“ über deutſche 
Zuſtände. 

Eine der gediegenſten engliſchen kritiſchen Beitfchriften, das 
„Foreign quarterly review”, fpricht fi) bei Gelegenheit der 
Beurtheilung der von Welder veröffentlichten Klüber’fchen 
„Wichtigen Urkunden für den Rechtszuſtand der beutfchen Na⸗ 
tion” über unfere Auftänte in Deutfchland, namentlih in 
Preußen, und deren mögliche Entwidelung in einer Weife aus, 


bie zwar bei unfern Preßzuſtaͤnden nit ganz wiederzugeben, 
aber jedenfalls intereffant genug ift, um davon Rotiz zu neh: 


men. Es wird zuerft dad Urtheil Laing's, „welches bereits | 


durch die Vanderbibliotheken jedem Engländer, der leſen Bann, 
befannt it”, angeführt, „daß ed Feine Ration in der Welt 
gibt, welche im Berhältniß zu ihrer außerordentlich entwickel⸗ 
sen Intelligenz fo wenig wirkliche Selbſtregung befipt als die 
beutfehe””. Durch diefe außerordentliche und der ernfteften Auf: 
ſamkeit würdige Erfcheinung wird die fi jetzt ‚in Deutſch⸗ 
land allenthalben Pundgebende Bewegung der Geifter zu er: 
klaͤren gefucht. Die Politik Preußens habe zuerft ihrem Volke 
eine wahrhafte höhere „Dampferziehung‘' gegeben, alle geiſti⸗ 
en Gaben ihrer akademiſchen Jugend in allen Faͤchern des 
—RB und der Speculation in Bewegung geſett und 
ſpaͤter, obwol vergeblich, alle Mittel ausgeſonnen, um die Kraft, 
die fie ſelbſt hervorgerufen, zu hemmen und den Athem, der 
fie ſelbſt belebt, zu erftiden. Died Berfahren müffe für den 
Engländer ein vollkommenes Raͤthfel fein. Mit der einen Hand 
febe man das Banner der vollägemäßen Aufklärung und ber 
peoteftantifchen Unabhängigkeit entfaltet, in der andern zeige 
ſich das Cenſorthum und bie Policei. „Können Feigen von 
den Difteln fommen? Kann füß und bitter aus Einem Bunde 
fließen?’ Sicherlich nicht. Gin hoher Grad allgemeiner Auf: 
Märung und die Genfur der Preſſe Fünnten nimmer nebenein: 
ander beftehen, besbalb dürfe man nicht flaunen, wenn man 
gegenwärtig beide nicht im Einklang und Bufammenwirken in 
Deutfihland erblide, fondern im Kampfe auf Tod und Leben 
und in gegenjeitiger Anklage. Cie eriftirten, wie bie Hochkirche 
und der Batholifhe Glaube in Irland, indem fie nur den Be⸗ 
weis ihrer Unverträglichkeit lieferten. - ' 


Berftändige Männer”, heißt es weiter, „ſahen dies vom 
Anfang an; aber einige kurzſichtige und flache Leute (fools), 
weiche den Schlund des feucrfpeienden Bergs für den Augen: 
blick verfchloffen und feinen Qualm mehr ſahen, mwiegten fi 
von ba an in den Wahn, daß die gährenden Elemente fi be 
ſchwichtigt und daß in Grmangelung ber Luft das Feuer aus— 
gegangen. Eitier Wahn! Der menſchliche Geiſt erzeugt, glei 
den unterirdiſchen chemifchen Stoffen, den Sauerftoff aus fi 
ſelbſt; und nun hören wir ftatt des Friedens und der Verföh: 
nung, welche die Genfur und die Karldbader Beſchlüſſe von 
18319 hätten in Deutfchland einführen follen, nichts als ein 
mistönigeß Concert des geheimen Grolls und lautes Auflachen, 
Srinfen, Hohn, Berwünfhungen und fchredliche Weiſſagungen. 
&ind diefe Dinge die Vorboten eined Erdbebens, die Anftalten 

einem Ausbruch, die warnenden Klänge einer drohenden 

lofion® oder ift es nur das Toben eines angefchmiedeten 
Irrfinnigen, die Krampfoerzerrungen eines galvanifirten Leich⸗ 
name? das ficberhafte Umhergreifen eines fterbenden Deliriums I 
Dies legte ift die Anficht Fürſt Metternich'E und Derer, die 
an ihm glauben; aber wenn Pradt recht hatte, als er fagte: 
daß die Welt fortan nur durch ein Syſtem ber Hab Un: 
terrichts, durch Lehrer, nicht Durch Gebieter beherrſcht werden 
ann; wenn Tocqueville den Plan der Vorſehung richtig 
errieth, daß die Demokratie überal im Fortſchritt begriffen 
und, zwar geleitet, aber nicht bezwungen werden könne — 
dann müffen wir den gegenwärtigen Zuſtand Deutfchlants als 
ſehr verhaͤngnißvoll hen und nicht ohne große Beforgniß 
dem Ausgang entgegenfehen.” ' 

Die Fortdauer der feltfamen Erfcheinung, welche dem Eng: 
länder Beranlaflung zu diefen Betrachtungen gegeben, zwingt 
und, fein weitered Urtheil über Zuftände und Perfonen tm 
Deutfchland zu verſchweigen, das Urtheil insbefondere, welches, 
nach feiner Anfiht, jeder Mann in Gngland, ob Whig ober 
Zory, über „die Männer in Frankfurt“ ausfpricht, obwol es 
wol wenig Denkende und Unabhängige in Deutſchland geben 
wird, Die nicht gleicher Anficht find. . 


Literarifhe Notizen aus England. 


Aus und über Zrianb. 

Unter Denen, die in der neuern engliſchen Literatur vor: 
zugdweife als Zeichner iriſchen Lebens und Charakters aufge⸗ 
steten find, ragen vier hervor, deren jeder fidh feine eigene 
Sphäre genäht bat. Maxwell die wilden Ertravaganzen des 
iriſchen Soldaten und Fuchsjägers, Lover den reihen Humor 
der Iren im Allgemeinen, Garleton die Gebräuche, Gewohn⸗ 
heiten und Gefinnungen de irikchen Landvolks Miftreh Hall 
das beimatliche Leben Irlands. Lentere bat vieleicht das 
Meifte über Irland geſchrieben, ſtets aus reinem, w lichen 
Herzen und mit voller Kenntniß eines Boiks defien Tugenden 
fein eigen und deſſen Lafter Durch zugefügtes Unrecht und Anter- 
drückung ihm aufgezwungen worden find. Die Vegeeht von 
Miſtreß Hall's Schilderungen iſt in der Form Meiner eſchichten 
erſchienen, alle charakteriftiſch und leſenswerth, aber feine einen 
ſo hohen Rang anſtrebend und einnehmend wie im jängfter Ro⸗ 
man: „The whiteboy. A story of Ireland in 1822” (2 Bpe., 
London 1845). Zweck deffelben ir offenbar Darlegung der Man: 
gelhaftigkeit in dem moralifchen und politifchen Zuftande Srlants 
und der verberblichen Folgen des bisher beobachteten Syſtems, es 
durd) Bibel und Bayonnet zu regmeriren. In gewiß wahren aber 
ſchmerzlichen Zügen ſtellt die Verf. ein Gemälde auf von den un: 
eilsfchwerenRetaftaten eines gefellfchaftlichen Wefens, in welchem 
die obern Claſſen durch Meligion, Eitten, Gebräude und 
Gefühle ben niedern entgegenftehen umd es zwiſchen Beiden 
Bein anderes Band gibt als Interefie auf der einen und Furcht 
auf der andern Seite. Died und hundert andere Urſachen 
jenes unſeligen Zwieſpalts, der feit lange Irlands Unglück ift, 
hat die Verf. furchtlos und beredt auscinandergeſetzt. Sie bat 
es mittels einer Erzählung gethan, deren S auplatz in den 
romantiſch⸗ſchönen Theilen des füdlichen Irlands und deren 
Zeit, obſchon fie nur 23 Jahre zurück liegt, doch ganz geeignet 
iſt, die widerſtreitenden Elemente hervorzuheben, aus welchen 
damals die fo gefährlichen, aufrührifchen, unter dem Namen 
Whiteboys binreihend bekannt gewordenen Verbrüderungen 
entftanden, die nur dazu dienten, Das unglüdfiche Rand nod 
unglüdlier zu machen. Auch die Erzählung an ſich ift in 
hohem Grade anziehend und jede Perfon fcheint eine zu fein, 
die wirklich gelebt hat. So insbefondere Mat, ein alter, halb 
verrücter, fchägefuchender Schulmeifter; Murtough, der treue, 
aber rohe Miihbruder des Häuptlings Lawrence Macarthy, 
und Richards, ein vollendeter Böfervicht, weil ein vollendeter 
Heuchler, Hoffentlich ein überall und aud in Irland feltener 
Ausiwurf des Menſchengeſchlechts. Werner fehlt es nicht an 
fräftigen, echt dramatifhen Scenen. So die Mitternacht - 
Zufammenkünfte der Verbrüderten, die Berfammlungen auf 
den Bergen, das Zreiben und Leben der Führer und der Ge: 
führten. Ob Wiſtreß Hall ihre Abſicht erreichen wird, bie in 
England bier und da noch regen Vorurtheile wider Irland 
mwenigftens gu mindern und die hier und da ebenfo gewiß wachen 
Sompathien für bie Schwefterinfel zu einer That zu erheben, 
dürfte freilich zweifelhaft fein. Aber mehr als ein Scherflein 
bat fie zu der Erreichung beigefteuert. 


Die Infel Madeira 

In Übereinftimmung mit dem beffeen Theile der engliſchen 
Kritik verdient Empfehlung: „The ocean flower. A poem. 
Preceded by an historical and descriptivre account of the 
Island of Madeira”, von T. M. Hugbes (London 1845). 
Driginelle und echt poetifche Gedanken, dichteriſche Sprache, 
tiefe ã—n des Lebens und der buͤrgerlichen Geſeilſchaft 
und tadelfreie Verfification dürften jedem Fremde der Boefie 
dad Büchelchen lieb 
Beichreibung von 
diefe ſchoͤne Infel. 





maden. Nebenbei gilt die zugegebene 
Madeira für den beften „Fuͤhrer“ var 


Verantwortlicher Herausgeber: Keinrich Wrodpand. — Druck und Beslag von F. SE, Drockhans in Beipzig. 





BTäatter 


für 


literarifde Unterhaltung. 





Dienſtag, 


6. Januar 1846. 





Seydelmann und die deutſche Schaufpielkunft. 
( Beſchlus aud Mr. 5.) 


Auf Seybelmann’s prager Epoche folgte die kaſſeler, die 
darmftäbter, die fluttgarter. Überall exoberte er ſich lang⸗ 
fam aber gründlich die Hochachtung des Publicums, über- 
ad jeboch fehlen er in ſchwachen Nebenſtunden der Ka⸗ 
bale zu erliegen, fowie fein Körper fchon früh den an- 
geftrengten Studien zu erliegen begann. Gr mußte oft 
paufiren, Bäder gebrauchen ; feine äußern Berhältniffe 
verfielen nicht felten der Häglichften Nothdurft. ein 
alfer Art arbeitete unausgeſetzt an feiner reisbaren Seele; 
fein Gemüth vergrub fih ſchon früh in fich felbft, fein 
heller Werftand, fharf genug um die Dinge an ihren 
Edfeiten zu faffen, umflorte fih immer mehr mit dem 
Nebelfchleier melancholifcher Laune. Wenn er in feinen 
Briefen jene Stäbte fehildert, fo überläuft es uns faft 
als hätte er an ungeheuerlihen Einfällen, an gefpenffi- 
chen Schredniffen die er ſich vormalt fein Wohlgefallen. 
Diefen Schrediniffen der eigenen Einbildung erfag er fo 
früh. Sein Leben zerftörte fi, feine Balle dehnte ſich 
allzu weit aus, fein Herz batte ben Fehler, daß es zu 
groß war. Er hatte in den kegten fünf Jahren feines 
Lebens Momente, wo er ſchwermüthig bis zur Todes- 
fehnfuht war. As am 17. März 1843 ein Nerven- 
Schlag fein ſchweres Leiden beendete, fand man feine or- 
ganifchen Fehler auf. 

In Stuttgart war Seydbelmann hintereinander neun 
Jahre gewefen. Jedenfalls haben fi dort die Grunb- 
elemente feines Spiel® am fefteften zufammengefügt. 
Nicht dag er bort feinen Geftalten, wie man fi aus- 
gedrüdt hat, die objectivfte Fertigkeit gab; an biefer felb- 
ftändigen Objectivität feiner Aufgaben und Leiftungen 
famen ohnedies Übergriffe zum Vorſchein, wie ich fie 
oben vom Standpunkt der Dichtung aus rügte. Bein 
Eifer war in Stuttgart, fo feheint es, am blühendften, 
feine Arbeit jeder Zeit friſch, feine Phantafie ließ fi) 
noch nit von ber Schwerkraft feiner grübelnden For⸗ 
fung überwältigen. Er war dort auch als Regiffeur 
thätig.. Man weiß von feinem gerechten Eifer gegen bas 
Rollenmonopel; man erzählt fi, er habe, obſchon ver- 
gebens, auf eine zwiefache Lefeprobe gebrungen, weil es 
nöthig fei, daß die Schaufpieler, bevor fie an das Er⸗ 


lernen ber Rollen gingen, dieſe zum gemeinfchaftlichen 
Derftäntmi des Stücks erfi noeh im Emfemble felbft 
läfen, nachdem der Regiſſeur ihnen das Stud fumma- 
rifch mitgetheilt. Geydelmann’s angeblichen Vorſchlag, 
die Literatur folle dem Gchaufpieler das Gerippe zu 
Stüden liefern, das biefer dann felbft ausführen könne, 
hat man fpäter für Zabel erklärt. Ebenſo hat man von 
feinem Plane, fih zum Director einer herumreiſenden 
Geſellſchaft, die mit nicht umfangsreichem, aber feſtem 
und durchgebildetem Repertoire verfchiedenen Städten in 
Deutfchland immer etwas Neues bliebe, nachträglich nichts 
wiſſen wollen. Es ift zu bebauern, daß fo viel Kennt⸗ 
niß und Einfiht nicht dauernder und umfänglicher der 
Leitung einer großen Bühne zugute fam, daß man ihn 
in Berlin nur eben als Schaufpieler, der feinen Part 
befam, zu verwenden wußte. Seine Intelligenz reichte 
weiter. Er fühlte, daß dem Schaufpielmefen große Re⸗ 
formen noth thun, foll bie Kunft ber Darftellung nicht 
eine Mythe von ehedem werden. Er fühlte fehr lebhaft 
mit Eduard Devrient, ber in feiner Schrift über Thea⸗ 
terfchulen fich zuerft öffentlich über dies Thema aus 
fprad, daß „inmitten ber emfigen Sorgfalt für alle 
Stände, der Schaufpieler allein es ift der wild auf- 
wächſt“. Man richtet dabei natürlich auf Wien und 
Berlin feine Blicke, ob es möglich fe, dort Inftitute zu 
gründen, bie die Pflanzfchule eines guten Stils würden. 
Wo die Sorge für das Schaufpiel wie in Wien fo 
rege ift, daß ein ganzes volles Theater. lediglich darauf 
verwendet wird, da bringen die verfchiedenen Talente bei 
unausgefegtem Zufammenfpiel vielleicht noch lange einen 
Gleichtakt und Harmonie heraus. In Berlin fpielt man 
feit ange in allen Stilarten und Manieren bunt durch⸗ 
einander. Zheaterfchulen können Samen für die Zukunft 
ftreuen; fie können die große Heerde der Rekruten orga⸗ 
niſiren. Aber die Bühnen felbft bedürfen einer Drga- 
nifation, nicht Küſtner'ſcher Theatergeſetze, fondern der 
äftpetifchen Leitung eines Regiffeurs, der felbft kunſtge⸗ 
recht und literaturfähig if. Man fchien in Berlin el 
nen ſolchen in Seybelmann leider nicht zu fehen. Und 
fo blieb er auch dort Darauf befchräntt, für feine Perſon 
au ſpielen. Große Einzelheiten aber thun dem deutſchen 
Schaufpiel jegt weniger noth als tüchtige Enfembles. 
Seydelmann blieb immer wieder von allen Seiten 


darauf gedrängt, Schaufpieler zu fein. Auch fland bie 
Werkſtatt, die er dazu in Bewegung fegte, nie ſtill 
Staunenswerth ift die Zahl feiner Verſuche, das Stu- 
dium fo verfchiedener Rollen, dem er fich mit gleicher 
Frendigkeit unterwarf. Eine Aufjekkhnung feines Rollen⸗ 
wechſels fegt in Erſtaunen. Im „Wallenftein‘ Fpielte er 
—ã in verſchiedenen Epochen den Ottavio, Butt⸗ 
ler, Gordon; im „Tell“: Attinghauſen, Geßler, Stauf⸗ 
facher; in „Kabale und Liebe”: Kalb, Wurm, Miller, 
Dräfident; im „Fiesco*: Verrina, Mohrz im „König 
Johann“: den König und fpäter den Hubert; in „Dienft- 
pflicht“: Baruch, nachher Dallner; in den „Spielern”: 
Bieutenant Stern, nachher Poſert. Mit dem Wallenftein 
trug er fi lange in Gedanken herum. Mir ift es be 
greiflich, warum er nicht dazu Fam, ihn zu fpielen. Er 
Tonnte der idealen Haltung dieſer Geftalt nicht genug 
baare blanke Wirklichkeit, wie er fie brauchte und gab, 
Abgereinnen. Den Lear verfuchte.er mehrmals, ſtand 
aber davon ab, weil feine Mittel nicht dazu ausreichten, 
das Höchfte darin zu leiſten. Hamlet hat er in frühe. 
rer Zeit einige Male gefpielt, ihn aber fallen laſſen. 
Richard IM. und Jago konnte er im fpätern Tagen nicht 
wieder vornehmen. Zu feinem großen Schmerz ; denn 
Arbeit war feine Luft, Fleiß fein Stolz, Beſcheidenheit 
feine Zierde; das Gefühl des Gewichts feiner Aufgabe 
gfich bei ihm einer refigiöfen Scheu und Ehrfurcht. Hier 
iſt die Stelle, wo er — unſterblich iſt. Und je leicht. 
fertiger Literarifgerfeite für den Thespiskarren gearbeitet 
wird, befto bemundernswürbiger mußte ein Schaufpieler 
fein, deffen Gewiſſenhaftigkeit ihresgleichen fucht. 
F. Guftav Kühne, 





Statiſtiſches Jahrbuch für 1845. Herausgegeben von 
Karl Auguſt Müller. Leipzig, Hinrichs. 1845. 
Gr. 8. 1 Thlr. 20 Ngr. 


Die Bedeutung und Wichtigkeit ſtatiſtiſcher Überfichten 
und Zabellen wurde wol zu Peiner Zeit allgemeiner anerkannt 
als jest. Sind fir auf) ek Biele, die nichts damit anzufan⸗ 
gen wiſſen, nichts oder wenig mehr als trockene und unfrucht⸗ 
bare Anhäufungen von Sahlen ; dem Kundigen und Denkenden, 
der die Zahlen zu würdigen verfteht, gewähren fie das lebhaf⸗ 
tefte Intereffe. Aber auch wirklichen praktiſchen Rugen ge: 
währen fie in zahlloſen Fällen, und mit Recht fagt der Verf. 
‘in der Borrede des vorliegenden Buchs: „Ohne eine immer 
weitere Berbreitimg allgemeiner fatiftifher Kenntniffe werden 
unfere Beftrebungen in Bezug auf Urproduction, Gewerbe, 
Handel, Verkehr nie zu wahrhaft 


r 
ren, ohne fie wird unfer fo Berti erwachter 


Quellen ſtatiſtiſcher —— aͤußerſt fparfam fließen, weil 


das die Preſſe ber einzelnen Länder fortwährend zur Kenntnig 
des Yublicums bringt, fo bedeutend, daß bie Drdnung, Si: . 
tung, Verarbeitung defielben eine ungemein ſchwierige Aufgabe 
ift. Sich derfelben zu widmen, iſt jedenfalls ein verdienftliches 
Werl, Weil aber dev Werth flatiftifher Ausweiſe für das 
geattitge Leben nroßentheil von der Schnelligkeit abhängt, 
welcher biefelben zu allgemeiner Kenntniß gelangen, fa 
ſcheint es uns -eine ſehr gluͤckliche Idee, im einer jährlich ers- 
ſcheinenden fuftematifch geordneten Sammlung das im Laufe 
eines Jahres zufammengelommene ftatiftifche Material oder 
wenigftens bie Quinteflenz deſſelben zu vereinigen. Sie ift es, 
weiche das vorliegende „Gtatiftifche Jahrbuch” ins Leben ge: 
rufen hat, das zugleich ein fortgehendes Supplement der „AR: 
gemeinen vergl en Handelö» und Gewerbs⸗Geographie und 
Statiſtik“ des Freiherrn von Reden bilden foll, welches letztere 
Bert den Entſchluß des , feine Autifki Sem 
lungen, zu veröffentlihen, überhaupt erft zur Reife gebracht 
hat. Ubrigens bezeichnet derfelbe die Ma e, welche er fi 
geftellt, naher dahin: „ine klare, umfaffende und möglichft 
vollftändige Anſchauung der Eulturverhältnifie der Gegenwart, 
namentlih in ben deutſchen Bundesitaaten und in den außer« 
deutfihen Ländern Dftreichs umd Preußens, durch eine georbnete 
Mittheilung der neueften flatiftifchen Ausweiſe zu vermitteln.” 
Segen die Axt felbft, wie der einſichtsvolle Verf. zu Werke 
gegangen, laͤßt fi im Ullgemeinen nichts Erhebliches einwen⸗ 
den. Rur in einem Punkte ift Mef. nicht ganz mit ihm ein⸗ 
verftanden, nämlich darin, daß bei den aus Zeitfchriften ent: 
nommenen Angaben die Quellen in der Regel nicht genannt find. 
Der Herausgeber motivirt zwar Died von feinem anfänglichen 
Entfchluffe abweichende Werfahren damit, daß feiner Anficht 
nad eine blos allgemeine Ungabe, z. B. „Aügemeine Beitung‘', 
„Times“ u. ſ. w., völlig zwecklos gewefen, eine ganz fpecielle 
dagegen als eine unnöthige Pedanterie erfchienen wäre; doch 
will und das Eine fo wenig wie das Andere einleuchten. 
Eine allgemeine Angabe würde jedenfalld dem Zwecke genügt 
haben, in vielen Faͤllen ein Urtheil über die größere oder ge 
ringere Zupsrläffigfeit und Slaubwürbigbeit der mitgeteilten 
Rachrichten zu geftatten, vorausgefept, daß die genannte Duelle 
die urfprüngliche wäre, und infoer würde fie von nicht ge⸗ 
ringem Werthe gewefen fein; aber auch eine fpecielle Angabe 
um Behuf einer genauen Eontrole der Richtigkeit dürfte man- 
em Lefer in einzelnen Fällen wünfchenswerth fein. Amtliche 
Veröffentlihungen und Monographien, aus denen etwas ent 
nommen wurde, find im Werte genannt; außerdem in der Vor: 
rede diejenigen Beitjchriften, welche vorzugsweife benugt wur⸗ 
den, unter ihnen vor allen das „Journal des öftreichifchen 
Lloyd”, „die erfte Handelszeitung der Melt”, als biejenige, 
welche ben reichhaltigften ımd intereffanteften Gtoff dargeboten 
babe und für die erſte Hälfte des B Sauptquelle gewe⸗ 
en fei. 
ns Buch ift in zwölf Hauptabfchnitte getheilt, welche wir 
nachftcehend namhaft machen und tabei nad MWefinden einige 
Demerbumgen und nähere Ungaben Bes Inhalts anknüpfen. 
I. Lanbwirthfhaft (8. 3— 21). Deutfchland, mit 
Ausnahme ſtreichs, erzeugt jaͤhrlich 38 Mill. Scheffel Beten, 
125 Min. Scheffel Roggen, 43 Mil. Scheffel Gerfte, 122 Mil. 
Sceffel Hafer und die Produckion überfteigt den Bedarf nur 
um refp. 6, 6, 1 und 6 Mill. Scheffel. Den gefanumten jahr: 
lichen Ertrag bed Weinbaus in Europa fihlägt man au 
91 Mil. preußifche Eimer an, wozu Frankreich 40, Hſtre 
ftreich (und Preußen 


33Y,, Spanien 84, Deutfchland ohne 

4Y,, Italien, Siculien und Griechenland 2%,, Portugal I, 
die Schweiz Y% MIR. Eimer liefen. Die gefummte Well 
ausfuhr der verfähiebenen Länder betrug im nitt der 
Jahre 1837-40 68,444,370 Pfund, im Deutfchen erein wird 
die Ausfuhr von ber Einfuhr feit mehren Jahren um ein 
Bedeutende (1843 um 17,771 Eentner) übertroffen. Die Zuder: 
ausfuhr aus den Grgeugungsländern wurde für 1843 auf 
19,683,452 Centner, die eeproduction auf 459,000 Erut- 


“ 


, die Kaffereinfuhr auf 154,550 Tonnen, bie Theeautfuhr 
> China auf 410, 000 Centner berechnet. Die Theeconfum⸗ 
tion iſt in Deutſchland noch Jr unbedeutend ; der Zollverein 
übrte 1843 nicht mehr als 3703 Bentner ein und gab davon 
Geniner wieder ab; England führte 1844 gegen 370,000 
Gentner, Frankreich 1842 231,880 Ku. ober 4, Zollcent⸗ 
ner (1851 nur 87,067 Kil.) ein. 
DU. Berg: und Hüttenwefen (8. 21-34). Die Ei- 
fenproduction beträgt gegenwärfig in den Zollvereinäftaaten 
etwa 3% Mil. Gentner, in DOftreih 3%, Mill. Eentner, in 
England und Schottland (446 Hohöfen) 30, in Frankreich 7, 
in Nußland 4, in Belgien 2 Mill, in Schweden 1,800,000 Cent⸗ 
ner; die Gefummtproduction Europas laßt fih auf 52 Mil. 
Gentner annehmen. Un Steinkohlen gewinnt England jähr> 
us im Durchſchnitt etwa 570 Mil. Eentner, Frankreich (1842) 
73 Mill. Boficentner, Belgien 1343 (in 421 Werken) etwa 
4 Mil. Zonnen, Preußen 1843 über 14 Mill. Zonnen, Oftreich 
1841 gegen 5 Mill. Gentner. Die Salzproduction Europas 
wisd auf 44%, Mill. Centner berechnet und übertrifft den Be: 
darf um faſt 10 Mill. Centner; obenan ſteht in jener -wieder 
Großbritannien mit 8%, Mill. Eentner, dann folgen Frankreich 
mut 6,369,000, Spanien mit 6 Mi, Portugal mit faſt 5 Mill, 
Hſtreich mit 4%, Mill. Rußland und Polen mit mehr als 
4%, Mill., Preußen und die übrigen SBollvereinäftaaten mit 
3% Mill. beide Sicilien mit 3 Mill. Centner u. f. w. 

IH. Scewerbfleiß (8. 34 — 51). Hier werden zuerft 
Angaben über die gefammte Induftrie Sachſens und Dftreichs 
mitgetheitt; in erfterm Lande wird der Erzeugungswerth auf 
37,695,000, das Anlage» und Betriebscapital auf 42,640,000 
Ihlr., die Arbeiterzahl auf 192,510 berechnet s in leyzterm Staate 
der Geldwerth der in den größern Fabrikszweigen erzeugten 
Induſtrieproducte auf 503,418,000 Ef. E.:M., wozu ber 
Bert der Erzeugniffe der Meinern Fabriken und Gewerbe mit 
A ,509,000 Gid. kommt, und wovon der relativ größte Betrag, 
namlich refp. 110% und 31’ Mid. Std. auf Böhmen, naͤchſtdem 
809'/, und 33%, Mill auf die Lombarbei fallen. Dann folgen 
Ungaben über einzeine Hauptinduftriezweige, namentlich Die 
Pinnen-, Schafwollen» und Baummwellenmanufactur. Ende 
5843 ſtellte ſich die Zahl der eriftirenden Peintpindein für 
Flahömafchinenfpinnerer auf circa 3,703,000, wovon nur 203,000 
auf das europäifche Feſtland Famen. Binnen ſechs Jahren hat 
der Deutfche Zollverein durch verminderte Ausfuhr und ver: 
mebrte Einfuhr von Gefpinnften und Geweben aus Flache 
und Hanf mehr als 214 Procent verloren; mit Rieſenſchritten 
ſcheint der gänzliche Berfall bes deutfchen Einnengewebes heran: 
qunahen. Auch von der Baummollenmanufacur find zwei 

rittel in britiſchen Händen; man rechnet, daß Ende 1844 
23,875,0W Bpindeln im Gange waren und barunter nicht 
mad als 14 Mid. in Großbritannien, außerdem 3%, Mil. 
in Frankreich, 2, Mid. in Nordamerifa, 1, Mil. in 
Dftreih u. f. w. Den Geſammwerth der ausgeführten engli- 
ſchen Baummollenfabrikate fügt man für 1844 auf 18,823,402 
Hf. St. Die geſammten englifchen Fabriken (mit 450,000 Ar: 
beitern) führen jährlich für II Mill. PE. St. Waaren aus. 

IV. Handel (&.51—13). Im Deutſchen Zollverein be 
trug im —— aus den Jahren 1837—41 die jährliche 
Einfuhr 165,763,337," die Ausfuhr 168,496,934 Thlr., wobei 
auf zollfreie Gegenftände nit Ruͤckſicht genommen ifl. Die 
bebeutendften Häfen des Zollvereins find Danzig und Stettin; 
der erfte Hafen und Handelöplag des Continents aber. ift 

immer Samburg, wo im 3. 1848 die Geſammteinfuhr 
171,0%0,000 Beo., die Geſammtausfuhr inländifcher Pro: 
Duche und Induftriserzeugniffe I05Y, Mill. Mark Beo. betrug. 
Bon erſterer Iommen mehr als i Drittet (168,816,800 ift 
jedenfalls ein Druckfehler) auf Artikel, unter denen Baum: 
wolle und Baumwollenwaaren obenanftehen; von Icgtern find 
mehr als die Hälfte rehe Ptoduete. Bremen, das im Befit 
des größten Theild des beutfhen Handels mit Amerika ift, be: 
sechnet feine Einfuhr wie feine Ausfuhr für 1840 auf etwa 













26 Mil. Mark Mco., wovon über bie Hälfte auf den Handel 
mit Nordamerika und faſt ein Viertel auf den Handet mit 
Euba kommen. Etwa ebenfo groß ift Lũbecks Einfuhr, die im 
3. 1844 dm Werth von 33,814,690 Mark Crt. erreichte. 
Ausführlihes wird über Oſtreichs Handel mitgetheift, befon- 
ders intereffant aber iſt eine vergleichende Bufammenftellung 
bed Verkehrs von Frankteich, dem Zollverein und Oftreich (d. 
h. dem allgemeinen öftreichifhen Bollgebiefe) mit- dem Aus» 
lande im J. 1842. Hiernach betrug: 
der Geſammtverkehr 
in Frankreich 734,000,000 Std. Conv.⸗M. 
im Zollverein 776,500,000 = a 


in OÖſtreich 362,700,000 
der geſammte Zollertrag 
in Frankreich 54,393, 000 Std. Conv.⸗M. 
im Zollverein 33,702,000 = : 
in Oſtreich 15,971,00 - : 


der Werth der eingeführten und verzollten Waaren 

in Frankreich 298,460,000 SI. Eonp.:M. 

im Zollverein 373,000,000 - s 

in Oftreig 106,859,000 : 
ſodaß bie Mefultate der Vergleihung für Oftreich nicht eben 
günftig find. Im J. 1843 betrug die Einfuhr in das allge- 
meine Öftreichifche Zollgebiet zu Lande über 64, zur See über 
47, zufammen über 117 Mill. Gld., die Ausfuhr zu Lande 84Y/,, 
zur See über 19°/,, zufammen über 104 Mil. Old. Eine an- 
dere intereßante Ueberſicht betrifft eine Vergleihung des Hans 
dels von England, Frankreich und den Vereinigten Staaten. 
Im jährlihen Durchſchnitt aus den Sahren 1837 —42 betrug 


| die Einfuhr 

in Frankreich 4001, Mitt. Gld. Eonv.:M. 

in England 624%, =: : « 

in ben Vereinigten Staaten 268 a 
die Ausfuhr 
in Frankreich 3821, Mil. Cd. Conv.:M. 

in England 10%, =: : s 

in den Bereinigten Staaten 251, + = ⸗ 


Belgiens auswärtiger Handel belief ſich in dem günſtigſten 
Sabre 1343 an Ein» und Ausfuhr aufammen auf 516%, Mil. 
Francs, faft ein Viertel des Betrags des franzöfiihen Ein» 
und Ausfuhrhandele. Für Rußland betrug der Werth der 
audgeführten Waaren im J. 1343 über 821), der der einge 
führten über 75 Mill. Silberrubel, im S. 1842 aber jener 
über 85'/,, diefer über 842/, Mid. Silberrubel. 


V. Schiffahrt (8. 131—153). Die Handelöflotten der 
europäifchen Staaten laſſen fi geaennirtig auf mehr als 
87,000 Fahrzeuge von zufammen 6'/, Mill. Sonnen bereihnen. 
Davon kommen auf Großbritannien 23,253 Schiffe von faft 
3 Mil. Tonnen, auf Frankreich 13,656 Schiffe von noch nicht 
600,000 Zonnen, auf Schweten und Norwegen 9,450 Schiffe 
von 471,772 Zonnen, auf Holland 1,195 Schiffe von 275,084 
Sonnen, auf beide &icilien 9,174 Schiffe von 213,198 Ton⸗ 
nen u. f. w., auf Preußen 1,339 Schiffe von 114,656 Laft 
oder [oft IW,0UU Tonnen, auf Dfteeih 2,397 Seeſchiffe von 
208,591 Tonnen. Die Zahl der Handelsbampfichilfe wird für 
die einzelnen Staaten und das 3. 1843 a) berech: 
net: England 1146 (worunter 897 Secdampijci e), Wozu 
noch 104 Kriegsbampfböte kommen, Frankreich 24, außerdem 
105 Kriegsdampfer, ſtreich 54, Rußland 48, Deutfchland ohne 
eig 140, Holland 60, Schweden 58, Schweiz 16, Italien 
16, Spanien und Portugal I6, Dänemark 12, Türkei und 
Griechenland 8, Belgien 5, Ionien 2, ae Tammen 2085 
Schiffe von 178,000 Pferdefräften und 120, Sonnen gibe. 
Nordamerika befigt oder befaß im gedachten Jahre 111200, 
Auftralien 17, Brafilien 10, Merico 6, Agypten 6. Die Ge 
fammtzahl aller auf ber ganzen Erde gegenwärtig vorhandenen 
Dampff iffe dürfte 3300 erreichen. 

VI. Eifenbahnwefen (©. 153 — 164). Hier dienten 
als Hauptquellen die „Stuttgarter Eifenbahnzeitung” und die 


— —— — —— — — nn —- 


24 


„Deutſche Allgemeine Zeitung“. Bu wuͤnſchen waͤre, daß bei 
den der erſtern entnommenen Daten eine Umrechnung der 
Gulden in Thaler ſtattgefunden haͤtte, was freilich einigerma⸗ 
Ben mühſam, aber hinfichtlich der dritten mitgetheilten Tabelle, 
welche Anlagekoſten und Bruttoeinnahme der einzelnen deut⸗ 
ſchen Bahnen enthält, dann nicht einmal noͤthig geweſen wäre, 
wenn der Berf. die in der „‚Deutfchen Allgemeinen Zeitung” 
und dem „Polytechnifchen Gentralblatt” enthaltenen fehr zus 
verläffigen Tabellen benugt hätte. Angaben über das Poſt⸗ 
wefen vermißt man ungern. 

„ VIE Staatdleben im Allgemeinen (8. 165194). 
Die bier mitgetheilten Rachrichten betreffen lediglich die Be⸗ 
völferungsverhältniffe. Der Verf. bekennt ſich bei diefer Ge⸗ 
legenbeit zu ber Unfiht von Malthus: „Daß die Zahl ber 
Bevölkerung in keinem Staate über die Grenze hinausgehen 
Fönne, welche durch die Möglichkeit ihrer Ernährung vorgezeich- 
net ſei.“ Die numerifhen Angaben über die „fur England 
fo wichtige” Peerſchaft gehören nicht in dieſen Abſchnitt, wo 
fie fchmwerlich Jemand fuchen wird; daß der Pairie ihr Platz 
zwiſchen den Dienftboten und Irren angewieſen ift, ift ein 
böchft feltfames Spiel des Zufalls. 

VII. Innere Berwaltung (&. 194—201). Unter 
diefer Rubrik follen gelegentlih alle diejenigen Ausweife mit: 
getheilt werden, welche die Regierung des Staats im engern 
Sinne betreffen; für diesmal begnügt fih der Verf. damit, 
dad Armen» und dad Sparkaſſenweſen als zwei in ber gegen- 
waͤrtigen Seit befonders ‚wichtige und intereffante Gegenftände 
ind Auge zu faflen. Was er darüber mittheilt, ift jedoch ziemlich 
dürftig und betrifft größtentheilß außerdeutfche Länder. Wenn 
der Verf. den Umftand, daß es, überaus ſchwer ift, eine auch 
nur einigermaßen vollftändige Überficht des gegenwärtigen Bu: 
jtandes des Armenwefend in Deutfchland zu entwerfen, als 
ein großes Glück und als einen Beweis betrachtet, daß es bei 
und zwar. Armuth genug, jedoch noch feinen eigentlichen Pau⸗ 
perismus im Ganzen und Großen gebe, fo mäffen wir offen 
geftehen, die Nichtigkeit diefer Argumentation nicht recht ein: 
ſehen zu Fönnen. ' 

IX. Rechtspflege (3. 201— 222). . Das hier Mitge- 
theilte. betrifft vorzugöweife das Gefängnißwefen und bie Straf: 
rechtöpflege, und zwar in Preußen, Baiern, Würtemberg, 
Großhritannien und Irland, Frankreich und den Niederlanden. 

x. Staatshaushalt (&. 222—269). In der Einlei: 
fung — welche, wie bei jedem Abfchnitte, ſich auf geiftreiche 
und anfprechende Weife über allgemeine Gefichtöpuntte ver: 


breitet — fpricht fich der Verf. mit Entfchiedenheit gegen das’ 


Syftem der Schupzölle aus. Sm inzelnen behandelt er bie 
Finanzen von Preußen, Baiern, Sachſen, Würtemberg, Braun- 
— England, Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Daͤ⸗ 
nemark, Schweden, Spanien, Griechenland, den Bereinigten 
Staaten und ſogar vom — chineſiſchen Reiche. 

XI. Kriegsweſen (S. M0—279). In der Einleitung 
nimmt der Verf. das Halten flebender Heere und die Eriftenz 
eines eigentlihen Kriegerftandes bei derjenigen Eulturftufe, 
welche die europäifhen Staaten gegenwärtig einnehmen, aus 
Gründen, die wenig Einwendungen zulaffen dürften, in Schug, 
obfchon er geftehen muß, daß Die von den deutfchen Staaten 
allein feit der Wicderherftellung des Friedens für das Kriegs: 
wein aufgemendeten Koften fi auf mindeftens 2000 Mill. 
Thlr. belaufen, fpricht fi aber dahin aus, daß das feiner 
Vollendung zueilende deutfche Eifenbahnneg die Bertheidigungs: 
Eraft des deutfchen Vaterlandes mehr als alle andern dahin 
zielenden Ginrichtungen, insbefondere mehr al& der Bau neuer 
Bundesfeftungen erhöhen dürfte, eine Anficht, in welcher wir ihm 
vollfommen beiftimmen. Die einzelnen Angaben befreffen haupt: 
fächlih den Deutfhen Bund und Frankreich. 

XII. Der legte Abſchnitt (&. 230307) iſt den Bere 
hältniffen der Schule und Kirche gewidmet. Hier fehlt 
eine Statiſtik her Univerfitäten nichts aber befcemden muß, 
daß der Verf. fih von Erlangen und Roſtock Feine fperiellen 


Verantwortlicher Herausgeber: Heinrih Brockhans. 


Ausweife zu verfhaffen gewußt Hat, was nicht eben fehr ſchwe 
geweſen wäre. Ye elegenheit der —8 PN — 
Verzeichniß aller Jeſuitengenerale ſeit Loyola mitgetheilt, das in 
einem ſtatiſtiſchen Jahrbuche nicht ganz am rechten Drte ſein 
duͤrfte, ſo intereſſant es at vielen Lefern des Buchs fein wird. 

Schließlich mag wieberpolt werden, baß der Herausgeber 
bes vorliegenden Jahrbuchs mit demfAben ben Freunden der 
Statiftit ein fehr werthvolles Geſchenk gemacht Hat, defien 
jährliche Wiederholung ihnen in hohem Grade willfommen 

. 66, 


fein wird. . 





Literarifhe Notiz. 


Bur Gefdihte der Bulgata. 

An einem kryſtallhellen Rovembertage, wie er in diefer 
Regenzeit in Rom felten ift, fuhr ic) mit einem deutſchen 
Freunde auf der neuen Bia Präneftina gen Labicum. Wir 
wollten den links von ber modernen Straße liegenden in 
der Gefchichte des alten Latiums fo berühmt gewordenen See 
Regillus in feinem dermaligen Buftande fowie feine Umgebuns 
gen näher geologifh unterfuhen und der Aufgrabung eines 
ürzlih entdeckten antiken Grabmals unweit Bagarolo Geimog: 
nen. Unfere Arbeit war abgetban und wir gingen alsbald 
nach dem über ben Zrümmern eines villenreichen Cäfareolums 
des Eaiferlihen Roms erbauten Bagarolo. Ic erinnerte mid, 
dag in dieſem Städtchen dad wegen einer gründlichen und 
durchgaͤngigen Verbeſſerung der verderbten Bulgata-Überfegum 
der Bibel verfammelte Schlußconcil von dem Oberhirten ve 
katholiſchen Kirche gehalten war, au oft gehört zu haben, 
daß der Eonciliumfaal ald modernes Sanctuarium odne befon: 
dere Erlaubniß feines Eigenthümers, des in Rom lebenden 
Fürften Rospiglioft, Riemandem zu betreten geftattet fei. Die 
Freundlichkeit des Euftos des Baronatpafaftes machte jedoch 
diesmal eine Ausnahme, und ich lernte ein Lapidarmonument 
Eennen, welches fuͤr die Gefchichte jener benfwürdigen Arbeit 
von Intereſſe ift. Daffelbe wurde weder je vollftändig noch 
treu bekannt gemadt. Der regierende Bapft fchrich es bes» 
halb nad) der Ausfage des Guftoden, als er zum legten Male 
in Bagarolo war, zu feinem Privatgebrauche felbft ab. Die 
auf einer großen, der nörblichen almand eingemauerten 
Marmottafel eingegrabene Infchrift lautet alfo: 

Gregerius XIV. P. M. 
De Incorrupta Sucrorum Bibliorum puritate sollicitus 
Textum Vulgatae Editionis 
Sedente predecessore suo Sisto V. 
Tyspis Vaticanis indiligenter exeussum 
A pluribus quae irrepserant mendis expurgari' 
Pristino nitori restitui curavit 
Delectiv in hune scopum 
Atque Zagarolum missis clarissimis viris 
Bartholomaeo Miranda, Andrea Salvener, 
Antonio Agellio, Roberto Bellarmino, Joanne de Valverde, 
Lelio Lando, Petro Morino et Angelo Rocca, 
Additis etiam doetrina non minus quam diguitate 
Eminentissimis Cardinalibus 
Marco Antonio Columna et Guillelno Alano, 
Qui Pontlficiae obseguentes voluntati 
Anno MDEXXXXI ! 
Communibus collatis animadversianibus et notis 
Opus Iusigne 
Et Catholicse Religioni maxime salutare 
Assiduo sedulogue XIX dierum labore 
His ipsis in aedibus perfeoeruut. 
Ne tantae ıei notitia alignando periret, 
Clemens Dominicus Rospigliosius 
Clomentis IX. P. ©. M. 
Ex fratre pronepou Zagarolentiam Dax 
Monumentum posuit 
Anuo Selstis MDOCXXIL. 80. 


— Drud und Verlag von FJ. EX. Brockhaus in Retpzig. 








Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Mittwod, 


ng — 


Arnold Ruge und ſein neueſter Standpunkt. 


Es kann gegenwaͤrtig nicht mehr in Abrede geſtellt 
werden, daß bie „Halleſchen“, fpäter „Deutfhen Jahr⸗ 
bũcher“, welche 1338 — 42 erfchierien, in der beutfchen 
Journaliſtik Epoche gemacht haben. Das entfchiedene 
Felthalten eines beftinmten Principe, die Tebendige und 
gründliche Betheiligung an allen wichtigen Fragen der 
Wiffenfhaft und des Lebens, die offene und gewandte 
Bekämpfung aller jenem Principe und feinen Gonfequen- 
zen feindlichen Beftrebungen waren Gigenfchaften, welche 
diefer Zeitfchrift auch von ihren entfchiedenften Gegnern 
zugeftanden werben mußten. Ging auch die dee zu 
dieſer Zeitfchrift von dem für die Wiffenfchaft zu früh 
verftorbenen Echtermeyer aus, welcher fie durch die Cha- 
rafteriftit der Univerfität Halle auf eine glänzende Weife 
eröffnete und eine Zeit lang mit geiftvollen Beiträgen 
unterftüste, fo war es doch der kräftigere Ruge, der bie 
Streitmittel fammelte und zufammenhielt und der Zeit- 
fchrift vorzugsmeife das Gepräge feines gewandten Gei⸗ 
ſtes aufdrückte. Mit fleigendem Intereſſe nahm ein 
immer größerer Theil des intelligenten Yublicums an 
dem frifhen und Iebendigen Kampfe Antheil; man 
freute ſich über den glänzenden Sieg, der hier über bie 
Reackionnaires und Finfterlinge in allen Gebieten des 
Wiffene und Lebens erfochten wurde. Dies ift ein 
Berdienfl, das Ruge Niemand abiprechen wird; er hat 
fi) dadurch einen Namen in unferer Eulturentwidelung 
erworben, den auch die Nachwelt dankbar anerkennen 
wird. Als er nun aber bie Confequenzen feines Prin- 
cips ohne alle Rüdfiht auf die Eigenthümlichkeit und 
Berürfniffe des Menfchen, ohne Beachtung feiner natur- 
gemäßen Entmwidelung immer weiter verfolgte, als er 
mit einem oft brutalen Terrorismus feine und feiner 
Genoſſen Anſichten Allen aufbrängen wollte, als die Träf- 
tige Sprache ber Zeitfchrift immer roher, immer ver- 
Segender wurbe, da wenbeten fich viele von Denen, die 
ihn liebgewonnen, wenn auch mit von ihm, doch von 
feinen Anfichten ab. Nicht von ihm mendeten fie fich 
ab, denn fie mußten die fittlihe Strenge feines Charak⸗ 
ters, die Ehrlichkeit feiner Gefinnung achten; nur viele 
feiner Anfıchten und die Form, in der er fie ausſprach, 
wurden ihnen widerwärtig. Da erfihien das Programm 


m Nr. 7. nn 


7. Sanuar 1846. 


Tr tn a nr 





— —— — — t — — 
nn 


| zum SJahrgange 1843. Es wäre gut gewefen, wenn 


man ber Zeitfehrift nach diefem Programme ihren Fort- 
gang gelaffen hätte Die wiflenfchaftliche Discuſſion 
über folche Probleme, wie fie das Programm aufftellte, 
folte überhaupt nie durch policeiliche Maßregeln der 
Staatögewalt gehindert werben. Denn das Zugefländ- 
niß folcher Berechtigung gibt der Staatsgewalt bie 
Mittel, jeden Fortfchritt zu hemmen und alle Freiheit 
zu vernichten. Aber in dem erwähnten Falle murbe 
nicht einmal ber Zweck erreicht, den man beabfichtigte. 
Die der Staatsgewalt deftructiv und gefährlich fcheinen- 
ben Ideen der von ber Zeitfehrift vertretenen Bewegung 
wirkten, infoweit fie zur Exiſtenz berechtigt waren, in 
ber Breite und Tiefe immer vegfamer fort; diejenigen 
Anfihten aber, welche feine nachhaltigen Wirkungen 
äußern konnten, wurden aus Oppofitionsgeift und aus 
Sympathie für den Märtyrer feiner Überzeugung länger 
feftgehalten ale es ohnebem der Fall geweſen wäre. 
Die „Jahrbücher” hatten ihre Miffion erfüllt: fie würden 
bie Theilnahme des Publicums fehr bald verloren ha- 


ben, ba fie nad jenem Programm ein Ideal praktiſch 


machen wollten, welches niemals realifirt werden Eann. 
Und fo kam es denn, baf die von Ruge herausgegebenen 
„Anekdota“, welche die im legten Sahrgange der Zeit- 
fohrift von der Genfur geſtrichenen YAuffäge enthielten, 
mit Ausnahme des für die Geſchichte unferer Prefvers 
hältniffe intereffanten Auffagee über die Schwierigkeiten, 
mit denen die Redaction zu kämpfen gehabt hatte, faft 
gar keine Beachtung fanden. Nur etwas war erreicht Durch 
jene Maßregeln, was aber in der That nicht hoch an⸗ 
zufchlagen war. Die Philiſter, welche fich zeither um 
die „Zahrbücher nicht bekümmert hatten, fhimpften nun 
auf einmal’ beredt auf fie und den Redacteur und fuch- 
ten fi durch ihre loyalen Geſinnungen geltend zu ma⸗ 
chen, und die Egoiſten zogen ſich von ihm zurück, um 
nicht mit ihm verketzert zu werden und traten wol gar 
jetzt, wo er ſchweigen mußte, mit feiger Entſchloſſenheit 
gegen ihn auf. Daß bie ehrenwertben Männer, welche 
von Haus aus oder fpäter aus Überzeugung gegen Ruge 
und feine Anfichten principiel Oppofition machten, von 
jenem charakterloſen Gefindel wohl zu unterſcheiden 
find, verfteht fih von felbfl. Sie kommen aber hier 
gar nicht in Betracht, weil bie erwähnte Maßregel 


der Staatsgewalt auf ihr Urtheil Beinen Einfluß haben 
Tonnte. 

Es ift ganz natürlich, daß Auge, ber fi als ein 
Opfer der damals überall hervortretenden Reaction be 
trachten mußte, verbittert wurde, zumal ba feine Appel- 
lation an die zweite Kammer vergeblich gemefen war, 
indem biefe ihre Sympathien für fiberale Princhpien ihrer 
Angft vor ber Verbreitung pantheiftifcher Grundfäge und 
ihrem juriftifhen Bewußtfein zum Opfer gebracht hatte. 
Ruge verzweifelte an feinem Baterlande, welches er inniglich 
geliebt hatte, und fchalt und befchimpfte es gegen feine 
Zreunde, was ihm durch die bei ihm jegt ganz feftfigende 

e erleichtert wusde, daß Patriotismus eine Schranke 
fei, von der man fich losmachen müffe, um zum wahren 
Humanismus zu gelangen. Defto mehr erhob er jegt 
Frankreich. Diefes Land fei allein fähig, die Kreiheit und 
den Humanismus zu gewinzen, nach dem er firebe. 
Und fo machte ex ſich auf nach Frankreich mit ber fan- 
guinifchen Hoffnung, daß die Franzoſen begeiftert für 
die neue Philoſophie, die er predigen wolle, den neuen 
Staat ohne Kirche, ohne Militair, ohne Pobel u. f. w. 
fofort realifiven würden. Doc die Yrangofen wollten 
davon nichts wiſſen und konnten davon nichte verfichen: 
für das erfle Heft der neuen Zeitfchrift, welche für jene 
Zwecke gefchrieben wurde, hatte trog der Anſtrengung 
des Redacteurs Sein Beitrag von einem Franzoſen ge: 
wonnen werben können. Sie blieb in Frankreich ganz 
unbeachtet und in Deutfchland erregte fie unter Denen, 
die fih für Ruge intereſſſrten, das innigfte Bedauern 
Darüber, daß ex als Redacteur zum: Theil fo ganz in⸗ 
haltleeres und ſelbſt ekelhaft gemeines Gewaͤſch in Profa 
und Verſen vertreten konnte. Auch hier erzeugte das 
firenge Verbot ber Einführung dieſer Zeitſchrift in Deutſch⸗ 
fand ben Mythus, daß dieſe Maßregel die Anerkennung 
jener Zeitſchrift in Deutſchland unmöglich gemacht habe. 
In der That aber konnte Ruge froh fein, daß die In⸗ 
dignation über dieſes erfie Zeugniß feiner Wirkſamkeit 
in ber Fremde auf einen kleinen Kreis beſchraänkt blieb. 
Die Zeitfchrift mußte eingehen aus Mangel an Theil- 
nahme unter den Fran und Deutfchen. Denn hätte 
ſie Intereſſe erregen konnen, fo würde fie ſich doch trog 
allen Privativmaßregeln fo gut wie jedes anbereswerbotene 
Buch den Weg nad Deutſchland gebahnt haben. Sagt 
es doch felbft in feiner neueflen Schrift, daß er nur von graf 
focialiftifchen Schriftftellern weitere Beiträge Hätte bekommen 
können, und von diefen wollte er natürlich nichts wiflen. 

Diejenigen nun, welche, wie des unterzeichnete Ref., 
nicht zu ben Anhängern ber Ruge ſchen Philoſophie ge- 
hörten, aber ihn als einen tüchtigen Charakter achten 
und feine frühern Verdienfte würdigen gelemt hatten, 
bofften, es werde, wenn auch feinen philofophifchen und 
politiſchen Anſichten im Allgemeinen treubleibend, im 
Frankreich über die Franzoſen enttäufcht werden, von 
der Geringfchägung feines Landsleute zurisdfemmen und 
mit milderm und befonnenem Geiſte die unter ſolchen 
Berhältniffen gewonnenen Gindrüde zur mannichfachen 
Belehrung und zur Verfländigung mit bem Publicum ver⸗ 


öffentlichen. In biefer Hoffnung nam Ref. freudig Ruge's 
neuefte Schrift vor, muß aber offen geftehen, daß er in fei- 
ner Erwartung getäufcht worden if. Denn wenn ſich 
auch in dieſem Buche, wie ſich von Auge erwarten laͤßt, 
geiftreihe und treffende Bemerkungen und einige recht 
hübfche Genrebilder finden, wenn auch die Form meiftend 
anziehend genannt werben kann, fo ift doch ber Inhalt 
größtentheil® eine breite Auseinanderfegung der befann- 
ten Anfihten über die Probleme des Programms des 9. 
1843; was aber über franzöfifche Zuftände mitgetheilt 
wird, ift fo einfeitig aufgefaßt und mit einer fo blinden 
Vorliebe für jenes Wolf dargeftellt, daß man daraus 
nicht viel lernen kann. Mef. fürchtet, daß dieſes Bud 
vorgefjen werden wird, ehe es bekannt geworden. Und 
fo ſcheint es fat, als ob Ruge feine Miſſion bereits er- 
füllt habe und für die Gegenwart weiter keine Bedeu⸗ 
tung gewinnen konne. 

Nach diefen allgemeinen Bemerkungen werden wenige 
an Ruge's neueſtes Auftreten angelnüpfte Bemerkungen 
genügen, das oben ausgefprochene Urtheil zu begründen. 

Er bringt uns Mitteilungen aus einem Tage 
buche, welche bie Eindrüde von ber erfien Reife ent- 
halten, die Ruge allein unternahm, um das Terrain in 
Paris zu recognofiren. Waͤre Nuge in den oben cr- 
wähnten Beziehungen anders geworben, fo mußte in 
dieſen Aufzeihnungen, wenn e wirflih vor laͤngerer 
Zeit gefchrieben worden find, Manches mobificirt und 
gemildert werden. Dies ift aber nicht der Fall. So 
heißt es gleich im zweiten Abfchnitt: 

Ale Völker verjüngen fi durch innere Kämpfe, nur das 
unferige wird immer Aauter, immer ſchwachkoͤpfiger, immer 
engherziger! 

Und im dritten Abſchnitt über Nürnberg: 

Ic liebe weder unfere rohen Vorfahren noch den Nachlaß 
ihrer Roheit. R vereinigt alle Delicatefien unfers 
wüften Alterthums; und ich wäre gleich gegangen wie ich 
bommen bin, mit zugebrücdten Augen; aber ich finde in dielen 
Ruinen einen einfamen Menfchen, der mich ungemein intereffict. 

Und nun folgt eine weitläufige Auseinanderfegung 
der Verbienfte diefes einfamen Menfchen, des Dr. Pollie 
(des befannten Daumer), dem noch eine geoße Zukunft 
prophezeit wird. So werden wie bis zum achten Ab⸗ 
ſchnitt duch Franken und Köln nah Paris geführt, 
Hier finden fich einige nette Benrebilder: fonft aber faft 
nichts als hoͤchſt fubjective Ginfeitigkeiten, Übertreibun- 
gen und — Grobbeiten. 

Nun iſt Ruge m Paris. Cr ſchwelgt beim Aublick 
ber Stadt, deren Anblick ihn mehr exrhebe als Rom 
und Wien; denn da verleite Einem Alles der Gedanke, 
dag da nur „Efel” wohnten. Bier in Paris allein 
fönnten die Siege und Niederlagen ber Menfchheit ent 
fhieden werden, hier würbe, wenn die deutſche Philofo- 
phie anerkannt worden, die militairifche und religiöfe 
Moheit zerflört und die Kreiheit gewonnen worden. Das 
ift ungefähr das Thema, welches im achten Abſchnitt 
weitläufig erörtert wird, worin es unter Anderm beißt: 
„daß feit Athen und Rom die Gefchichte der Menſchen 
eine Gefchichte ihrer Abfurditaͤten gemorben und hie 








wieber humaniſirte Weltbewegung erſt mit der franzoͤſi⸗ 
ſchen Revolution beginne.” Bei folher Roheit der An⸗ 
fiht ift eine Verſtaͤndigung nicht möglich, eine Belch- 
rung nicht zu erwarten! Die nächften Mbfchnitte 9—14 
enthalten manche intexeffante Beyrerfungen über die So⸗ 
daliften und Communiften, mit denen Ruge in Paris 
verkehrte. Gabe, Dezamy, Flora Triſtan und Gonfide- 
raut werben uns bier vorgeführt. Freilich muß man 
auch bier das Intereffante aus der fehr weitſchweifigen 
Darfiellung der Unterredungen, welche weitläufig mitge- 
teilt werden, und ben Meflesionen darüber berauslefen. 
Gine gedrängtere Charakteriflit würbe Allen willlommen 
gewefen fein, die ſich über biefe wichtigen Probleme un« 
ferer Zeit zu belehren wünfchen. Ruge flimmte befannt- 
ih fchon, ehe er nah Paris Fam, mit den Socialiften 
und Sommuniften nicht überein. Das genauere Stu⸗ 
dium ihrer Theorien hat ihn in feines Anſichten beftärkt. 
Er ſagt 3. B. fehr treffend: 

Wären alle Menſchen paffionirt oder fpectfifch befähigt und 
ließe fich diefe fchlummernde Kraft überall mit Sicherheit in 
Bewegung fegen, fo wäre der Fourierismus laͤngſt realifirt. 
kieße fi der Egoismus und die Eigenthümlichkeit der beſon⸗ 
dern Raturen befeitigen, fo fände dem Gommunismus nur 
noch die Ratur mit ihrer Ausdehnung und Ortöverfchiedenheit 
entgegen. 

"ie welcher praktiſchen Einſicht urtheilt hier Auge 
mit einer praktiſchen Einſicht, die wir ihm in Beurthei⸗ 
kung feiner eigenen philofophifhen und politifchen Be⸗ 
firebungen wünfchen möchten! Und Daſſelbe fällt Einem 
ein, wenn man fpäter, wo er diefes Thema wieder 
aufgenommen bat, liefl: 

Ich glaube niht an die Sprünge, in denen bie 
wefentlihen Stufen des politifhen Lebens über» 
gangen und alle Pramiffen der Gegenwart igno: 
tirt werden fönnen. 


(Der Berdgus folgt. ) 





Amerikana. 
Erſter Artikel. 


it Vorwort von 
Dresden, Arnold. 1844. 


I. Streif: und ei durch die Bereinigten Staaten Nord⸗ 


amerifad von erftäder. 
T. Bromme. Zwei Bände. 
&r. 12. 


Bon Wilhelm Griffon. Hamburg, 
Perthes⸗Beſſer und Mauke. 1844. Gr. 8. 2 Zhlr. 
Friedrich v. Raumer's Werk führt und durch das Rieſen⸗ 
reich der neuen Melt, indem ber Hiſtoriker, in einem Sturm⸗ 
fihritt die Entfernungen durchmeſſend, doch mit feinem viel 
geprüften Auge Feine Erſcheinung überficht. Uber er fickt, 
wie er ſelbſt gefagt, über die Unebenheiten, Riſſe und Unan» 
nehmlicpkeiten des Tages und ber Begemmart hinweg, auf bie 
großen Züge feiner ihte und Entwichelung, die wie Al⸗ 
penfirnen am Himmel glänzen bleiben, auch wenn Dänunerung 
und Dünfte bie übrige Landſchaft ſchon in Dunkel eingehüllt 
Uber Diefe Unebenheiten und Riſſe verlangen ebenfalls 
ihr Recht; auch fie gehören dazu, um ein Gemälde vollſtaͤndig 
P würdigen Un wigigen, ſarkaſtiſchen und aigrirten Reife: 
efreibern unter Englaͤndern, Franzoſen und Deutfchen fehlt 


66 bekanntlich nicht, welche nichts als Unannehmlichkeiten em: 
pfanden und ihre Galle in Zorn und Satire loßließen, um 
nichts als ein Rachtgemälte von Amerika zu liefen. Dan 
wundert fi oft, wenn man fie ducchgelefen, wie es mögli 
daß bei folder innern Demoralifation ein Volk, ein Land no 
beftehen koöͤnne. Daß dem nicht fo ift, oder vielmehr, daß um» 
ter dem üppigen ſchwellenden Fleifh ein gefunder Körperbau 
ift, mit einem tüchtigen Organismus, der nur anders athmet, 
ſchwitzt und verdaut als die Staaten: und Volkskörper des al: 
ten Europa, lehrt uns, wer ed nicht ſchon weiß, das Raumer'⸗ 
fihe Verf. Uber es ift gut, wenn immer zu auch andere un- 
parteiiſche Beobachter ihre Beobachtungen im Kleinen mitthei- 
len, um die Sache mehr und mehr von allen Seiten zu be- 
traten. Wenn Amerika die Hoffnung der Deutſchen noch für 
lange Zeiten bleiben fol, Eönnen nicht genug Reifende ihre 
Grlebniffe mittheiten. Wohlverftanden nit Zouriften, welche 
nur reiften, faben, rochen und hörten, um zu fihreiben, fon: 
dern foldhe, welche dahin gingen, in daß Xand der Hoffnung, 
fih ernftlih, wenn auch in befchränkten Kreifen, umſahen und 
befriedigt oder enttäufcht zurüdkehrten. So gering der Kreis 
ihrer Wahrnehmung fei, wie beſchraͤnkt auch das Urtheilsver⸗ 
mögen, von diefem Standpuntte aus bat die Mittheilung im: 
mer einen Werth. Sie Liefert uns das Material, aus dem 
wir nun allmälig felbft ein vollftändig genügendes Bild ent: 
werfen mögen. Nach den Bildern der Zrollope, denen Mar: 
ryat's, Boz' und der vieler Andern, Bonnten wir es nicht. Trotz 
der mehren oder mindern Wahrheit ihrer Auffaffung blieb es 
eine Caricaturwahrheit, ebenfo entfernt von der wahren Wahr: 
heit als die Anpreifung der Auswanderungscomnüiffton Wir 
behaupten nicht, daß die uns bier vorliegenden Bücher die rich: 
tige Mitte, die wahre Wahrheit enthalten, aber es find fehr 
(di are Beiträge, um diefe Kenntniß zu erlangen, denn ihre 
Verfaffer ftudirten das amerikaniſche Leben durch Sabre und 
im Schweiß ihres Angefichts; fe faben, hörten, empfanden 
mit deutfhen Organen, und ihr Urtheil ift das faßliche bes 
gefunden Menfchenverftandes, wie e8 unferer Nation zugetheilt 
ward. Mas jie nach harten Prüfungen gut fanden, wird gut 
kin was fie nad fo vielfach getäufhten Hoffnungen ſchlecht 
anden, dürfte auch für Andere ſich als untauglich ermeifen. 
Doch fie felbft find wieder in ihren Standpunkten weit von: 
einander getrennt, ja fie gingen von ganz verſchiedenen Aus: 
ſichten an ihr Werk, fie ergänzen fich deshalb in ihren Erfah: 
rungen, und wo fie zufammen fHimmen, dürfte man die Wahr: 
beit als ermittelt annehmen, von der wir oben fpradgen. 
Hm. F. Serftäder's Buch tft ein ganz eigenthümliches. 
Ein Leer Bann es durchblättern, beifeite werfen und fagen: 
Wozu wurde es geſchrieben! Und er hat recht. Ein anderer 
kann es durchlefen mit fleigendem Vergnügen, und am Ende 
fagen: Ich las noch Bein Buch, weldes mich fo wie diefes in 
die neue Melt eingeführt hat, ich bedaure, Daß es nicht noch 
weiter gebt. Und cr bat auch recht. Mit gleicher Ingenuity 
(wir haben noch Bein Wort dafür, welches ganz Daflelbe aus 
drückte) iſt wol noch Bein Deusfcher in die neue Welt gegogen 
und hat ſich mit gleicher Harm⸗ und Iwedlofigkit dort ums» 
etrieben; und wenn es der Kal war, hat keiner mit folder 
* ſich gehen laſſen, zu beſchreiben, wie er ſich gehen 
ieß. Aus den zwei Millionen Deutſchen, wie fein Vorredner 
agt, oder den fünf Millionen unferer Randöleute, Die Raumer 
eits angeficdelt fein Laßt, hat fich Eeiner mit fo viel Lebens- 
poefie, ohne Anſpruͤche auf Poefie, dort umbergetrieben, und 
bat uns dabei als Frucht diefes früchtelofen Lebens fo viele 
Einblide in das Vagabundenleben der Backwoodsmen geſchenkt. 
Mit Recht ſagt fein Borrebner, dag die Perſonlichkeit und Auf⸗ 
ungögabe bed Verf. feinen Erlebniſſen einen fo eigenthüm⸗ 
en Reiz gegeben, daß man unwillkuͤrlich fortgeriften wird, 
mit ihm Lebt, wandert, leidet und unvermerkt fo in die Sitten 
der Bevölßerung eingeführt wird, daß man darauf und daran 
ift, zu glauben, Alles ſelbſt mit erlebt und felbft mit empfun- 
den zu Baben. Liebe zur Freihtit und Unabhängigkeit, d. 5 





zu der, welche, wenn nicht Raturverehrung und fittliche Kraft 
zum Grunde liegen, zum. Bagabundenleben führte, trieb ihn 
aus Europa in die neue Welt. Er treibt fi umber, von 
Reuyork, an den nördlichen Seen, bis durch alle weitlichen 
Miffiffippiftaaten nach Luiſiana und Reuorleane, ftreifend und 
jagend, ein deutfcher Zrapper, im vollſten amerifanifchen Binne, 
und bisweilen nicht viel von den Indianern verfchieden, mit 
Denen oder der vollfommenen Einſamkeit er wochenlang allein 
umgeht. Mit Büchfe, Jagdtafche und der nothdürftigften Klei- 
dung wagt er fi in die Urwaͤlder, Prairien und Wildniffe, 
drängt fich durch das Dickicht der Wälder, durch Moräfte, über 
Flüffe und Felsſpalten, immer nur auf den Genuß aus — ſich 


den Unterhalt für den Tag, boͤchſtens für Morgen zu erwer: 
ben. Seine Ausdauer ift bewundernswürdig, im Glüd wie |. 


im Unglüd: wenn er tagelang unter feinem felbft gezimmerten 
Gerüfte Fauernd, auf welchem oben cin verraͤtheriſches Wacht: 
feuer brennt, den angelodten Dirfchen uuflauert und oft wo⸗ 
chenlang vergebens; wenn er, von Allem entblößt, regneriſche 
Naͤchte unter feiner zerriffenen Dede im Freien fehläft, von 
Kälte und Hunger flarrend, ohne Zroft, ohne Ausficht für den 
folgenden Zag; wenn er völlig zerriffen, der Racktheit ent- 
gegenfchend — denn von den europäiichen Kleidungsftüsten iſt 
eine Spur übrig — darauf audgeht, fih ein neues Kleid zu 
fhaffen. Er kauft es nicht, er webt, er firidit es nicht; er 
muß e8 ſchießen. Auch das ift nicht fo leicht gethan. Es koſtet Wo⸗ 
hen bis er fo viel Hirfche erlegt hat, um aus ihren Kellen 
ein Hemde zu erhalten. Auch die Präparation koſtet neue 
Wochen, daB Serben, Raͤuchern, Kochen, Einfalzen, bis es zum 
Zufchneiden und Nähen kommt. Unwillkuͤrlich kommt und im: 
mer der Spruch in den Sinn: Wie viele Arbeit um ein Lei: 
chentuch! Und dazu gar Beinen Gedanken als an bad Nächte! 
Woher der Muth, fragen wir und? Wenn er in die Bären» 
hoͤhlen Priecht, dem angefchoflenen arimmigen Ihiere dad Mef: 
fer in die Weichen fticht, den Freund neben fi vor den Lagen 
des Bären zerriffen, ihn, die Hunde in bie Luft gefchleudert 
fieht, fich feldft verwundet fühlt, wenn er allein, in der ge: 
— Wüfte, in die hinterwaͤldleriſchen Schlaͤgereien und 
Rordfcenen fich ftürzt, ed ift nicht diefer Muth, der uns be: 
fremdet, aber der moralifde Muth, der Zuftand, die Erinne- 
rungen der Bildung hinter ih, fo auf die Dauer in Entbeh: 
zungen fhwelgend, fih weiter und weiter in daB Nichtsthun 
hineinzuftürgen und allen Lockungen eines geordneten Lebens, 
einer Niederlaffung, die ihm oft angeboten wird, zu wider: 
ftehen. Daß der Verf. nicht jeden Zag feine Erlebniffe nieder: 
ſchrieb, verfteht ſich von felbft, daß er aber bei diefem entbeh: 
renden Leben allüberall noch im Stande war, dann und wann 
die Feder zu ergreifen, um Notizen zu machen, ift bemerkens⸗ 
wertb genug. Seine Reflerionen find natürlich erft fpäter 
aufnotirt, Doch entſprechen fie in ihrer Natürlichkeit den Situa⸗ 
tionen, in denen er fih befand. Merkwürbdiger tft noch, daß 
man, trog der Monotonie der Erlebniffe, tropßdem daß er 
durchaus nicht auf Spannung ausgeht, doch mit gefpanntem 
SIntereffe von Seite zu Seite lief. Das gilt befonderd von 
feinen Schidfalen in den Dzarfgebirgen und am Miffiffippi. 
Der Verf. ift indeß weit davon entfernt, durch fein Beiſpiel 
feine Landsleute zue Nachfolge aufmuntern zu wollen, Der 
Landmann dort Bann, fagt er, bei harter Arbeit, fehneller ein 
Eigentbum erwerben ald im alten Europa, er entbehrt dafür 
ober auch Alles, woran fein Herz in der Heimat hing, und 
nit Alle find ſtarken Herzend genug diefe Entbehrungen zu 
ertragen. Der Jagdliebhaber aber, dem alle diefe Fata fo in: 
tereflant vorfämen, daB er aucd nach Weften ziehen und Glei- 
ches erteben möchte, folle bedenken, daß dieſe Entbehrungen und 
Beichwerden zwar recht fchön in der Erinnerung, in der wirf: 
chen Eriftenz aber nichts weniger als romantiſch wären. 
brigens nehme die Jagd in den Vereinigten Staaten reißend 
ab, da ein wahrer Bertilgungsfrieg gegen Hirfche und Bären 
geführt werde; vielleicht chen in In? Sahren werde man kei: 
nen Hirfch finden, und um die Fährte eines Bären zu finden, 





erde man nech früher biß in bie Mody Mountains zu fleigen 
en. ' 
(Der Beſchluß folgt.) 


s 





Literarifhe Notizen aus Frankreich. 
‚ Berpältniß der Polen zu Frankreich. 

Die Polen haben es fi Tange Zeit hindurch zur großen 
Ehre angerechnet, daß man fie die Franzoſen des Nordens 
— It Sie haben in diefer Bezeichnung eine ſchmeichel⸗ 

afte Beſtaͤtigung davon gefeben, daß ihre Sitten ſich durch 


Feinheit und Gewandtheit vor denen ihrer Nachbarn aus 


eichnen. Ob es aber wirklich ihnen zum Ruhme gereicht, daß 
he fi) zu blinden Affen der Franzoſen gemacht Haben, laſſen 
wir fuͤglich dahingeſtellt. Nur fo viel ſteht feſt, daß in dieſer 
Leichtigkeit, mit der fie ſich Du eigenen Rationalität entäußern 
Eonnten, zugleich Der Keim ihres eigenen Verderbens und ihres 
politifhen Todes lag. Wir finden dieſe Anficht auf eine geift- 
veihe Weiſe und mit einer Menge einzelner pofitiver Rach- 
weifungen und Belege in folgender Flugſchrift durchgeführt: 
„Metamorphoge des Polonais en Frangais du Nord ou ia 
decadence de la Pologne“ von Brot Graeniama: Potock, 
welche vor Euszem zu Bruͤſſel erfchienen ift. Der Bart. zeigt 
bier ben ſtets jleigenden Einfluß Frankreichs auf die poinifchen 


Berhaͤltniſſe, ber mit dem Wugenblide beginnt, wo Marie von 


Revers ald Gemahlin von Ladislam Sigismund (1045) ihren 
Einzug in Warſchau hält. Bon dieſer Zeit an gewinnen fran- 
zönfche Sitte, franzöfifhe Moden und franzöfifche Sprache 
immer mehr und mehr die Oberhand." Ratürlich werden durch 
diefe fremden Elemente, welche allmälig alle Kreife ber 
Gefelfchaft durchdringen, die Keime der eigenen Rationalität 
beeinträchtigt und erſtickt, bis endlich die Polen thörtkht genug 
find, ihre ganze Eriftenz mit dem Schickſal Frankreichs aufe 
engfte zu verfmüpfen. Der Verf. verräth. in feiner Darftellun 
zuweilen eine fo große Bitterfeit und Schärfe, -daß man fat 
auf den Gedanken kommt, es fei dies ein fatirijches Zeitbild, 
welches entworfen wäre, um den Polen ihre eigene Nichtigkeit 
vor Augen zu fiellen. 


Neligiöfe Dihtungen. 

Die ſüßſchwärmeriſchen „Meditations religieuses’’ von La- 
martine klingen in den meiften franzöfifchen religiöfen Dichtungen, 
mit denen wir feit einiger Zeit förmlich uͤberſchwemmt werden, nur 
allzu deutlih dur. Der Schwan von Mäcon, wie Herr La⸗ 
martine von feinen Berehrern wol benamjet wird, zieht auf 
dem See der franzöfifchen Poefie lange Furchen nach fi, und 
faft alle elegifhen Dichter der Gegenwart fchwimmen in feinem 
Gefolge. Unter den zahllofen poetifhen Productionen, welche 
zu jeder Jahreszeit auf dad unachtſame Publicum — es ift ja 
mit ganz andern Dingen als mit Verſen befchäftigt! — her: 
niederregnen, wollen wir nur die „Poésies religieuses” des 
jungen Dichters Alfred Meitheurat hervorheben. Freilich ſteht 
derfelbe gleichfalls unter dem Cinflufie der Lamartine’fchen 
Mufe; aber wenn er auch im Allgemeinen den Zon anftimmt, 
der ſich durch die „Méditations hindurchzieht, fo geht ihm 
doch wenigftens ein gewilfer dichterifcher — nicht ab. In 
der Form bleibt freilich noch Manches zu feilen und zu beſſern; 
aber dies iſt ja auch gerade die ſchwache Seite feines bewun— 
derten Borbildes, bei dem die zarteften, veinften Gedanken oft im 
ſchmuzigen, nachläffigen, zerrifienen Gewande auftreten. Bei 
Lamartine entichädigt indeflen der tiefere Gehalt, die Drigina- 
lität der Gedanken, die Unmittelbarkeit des Bildes für dieſe 
äußern Flecken und Makel. Aber feine Nachtreter dürfen fich 
ähnliche Nachläffigkeiten nicht erlauben. An ihnen ift es, fich 
das wirkliche Gute, was an ihrem Meifter ift, zu eigen zu 
machen, es felbftändig und geiftig zu verarbeiten, und die Feb: 
ler, über die man beim Borbilde geneigter ift hinwegzuſchen, 
durch forgfältigere Geftaltung der Gedanken zu vermeiden. 

17. 


Verantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brockkaus. — TDrud und Verlag von F. X. Srockhans in Leipzig. 
—— — — — — 


Pa 





Blätter 


für 


literarifde Unterhaltung. 





Donnerötag, 


— N. 8. 


8. Januar 1846, 





Arnold Ruge und fein neueſter Standpunkt. 
(Beiäluf aus Nr. 7.) 


Im funfjehnten Abſchnitte finden wir die befannte 
Geſchichte der angeblichen Verſuche ber alliance intel- 
lectuelle mit Frankteich durch die projectirte Zeitfchrift 


> ausführlicher mitgetheilt. Das Journal „Vorwärts“, von 


dem fih Ruge fehr bald zurüdzog, wird dabei mit 
Recht fireng gerichtet. Bei diefer Gelegenheit ift 
Ruge mit Heine in nähern Verkehr gelommen. Er 
fagt von ihm: 

Unter den Deutihen in Paris pi ‚Heine zu den ta 
Ientooliften. Gr hat einen fihern Takt für das befreiende Ele⸗ 
lement einer philoſophiſchen Richtung, ohne eben ein tieferes Stu⸗ 
dium dataus zu machen. Profaife kann er deshalb ı ⸗ . 
balsig, wirten, in feinen Poefien dagegen ift er nad B 
der freifte Deutfche (). Allerdings vergreift ı ı 
und wieder, weil er von Feſſeln befreien will, die ı . 
nicht abgeworfen werden koͤnnen. Keine Zorm 1 0 
braucht nöthiger die Feinheit und Decenz als die ül B 
Satire; man verzeiht ihr jeben Übermuth, wenn fie ih... —.. —..: 
— ausübt, und wendet fih gegen fie, ſobald fie die Form 
verlegt. 

Das find größtentheild ganz treffende Worte: nur 
fehlt Hier und noch mehr an einer fpdtern Stelle, 
wo bie Mpologie Heine's noch weiter geht und feine 
Prätenfion, ein Ariftophanes zu fein, als berechtigt an« 
erkannt wird, die Angabe Deffen, was Deine vor Allem 
abgeht, mas jede nachhaltige Wirkfamkeit unmöglich 
macht; es fehlt ihm alle Gefinnung, alle Liebe, und ein 
ſolcher Menſch darf ſich nicht mit Ariſtophanes verglei- 
chen. Hier hat ſich Ruge, der wahrlich an fo liederli- 
cher Geſinnung keine Freude findet, von dem gewandten 
Geiſte und von den politiſchen Witen Heine's wider 
fein beſſeres Gefühl einnehmen laſſen. 

In den darauf folgenden Abſchnitten bis mit 21 wer: 
den Lamennais, Louis Blanc, Victor Schölcher, Ledru ⸗ 
Rollin und die demokratiſche Partei, die uͤberall wirkfa- 
men Gelüfte und Beſtrebungen der Reaction und ein⸗ 
zelne Beriehungen des Jugend» und Volkslebens be 

rohen. Hierin findet ſich vieles Intereffante, aber es 
würde noch weit intereffanter fein, wenn es weniger 
ſubjectiv/ weniger einfeitig von und für den eigenthäm- 
lien Standpunkt des Beobachter aufgefaßt und.dar- 
geſtellt wäre. Auch das Ustheil Blanc’s über einen Auf · 





ſat Ruge's, das er felbft mittheilt und ſich zu Herzen 
genommen zu haben verfichert: C’est trop serieux et 
infiniment long, fann auf mande diefer Mittheilungen 
angewendet werben. Seltſam ift es, daß Ruge an al« 
len den religiöfen Bedürfniffen ber Franzoſen, an „all 
dem nationalen und religiöfen Nebelmefen der vorgerüd- 
tefien Männer“, an allen ben piquanten @elüften und 
Erfolgen der Reaction in Paris fo wenig Anftoß nimmt. 
Aber was thut es, daß ihnen „die logifche Arbeit der Be- 
feeiung” fehlt, die ben Deutfchen zugeftanden wird, was 
thut es, daß’ „der ganze franzöfiiche Geiſt noch in den 
Feſſeln des Patriotismus und Katholicismus” ift, wie 
Ruge felbft zugefteht, es verſteht ſich von felbft, dag fie 
par excellence liebenswürbig find, daß fie allein fähig find, 
ſobald fie die Reſultate jener logiſchen Befreiung werben 
angenommen haben, bie ganze Welt zu befreien. Ja 
felbft der trogige Freiheitsſinn der dienenden Sur das 
muthwillige Selbftgefühl der Schüler wird mit Seiten- 
biiden auf den angeblich in Deutfehland herrſchenden 
Stlavenſinn in Haus und Schule gepriefen, und bie 
ſchamloſen Orgien der großen Oper follen nur noch eine 
abſichtliche Traveſtirung der Maskerade fein, keine Be- 
tuftigungen mehr, an denen man noch wirklich Antheil 
nimmt. Bei folher Einfeitigeit der Auffaffung, bei 
dem Streben, die Deutfchen überall zu verkleinern, de 
nen fogar zugemuthet wird, ihre ganze Geſchichte zu 
negiren, wird man verſtimmt und kann an manden 
Schilderungen aus bem parifer Volksleben, mo es 
ſich wirklich von der liebenswürbigften Seite zeigt, faum 
Freude finden. 

Im legten der oben zufammengefaßten Abſchnitte 
kommt Ruge noch einmal auf bie focialiftifchen Beftre- 
dungen in Paris zurüc und Eritifirt fehr fharf den fa- 
natifchen Communismus ber Deutfchen In der Schweiz. 
Diefe Kritik fehliege er mit den ſchönen Worten, bie 
Ref. gern hier anführt, um die Philiſter ſchamroth zu 
machen, die Ruge in ihrer Teidenfchaftlihen Bornirtheit 
eommuniftifche Tendenzen untergefhoben haben: 

Die freie Liebe (wie fie jene Cemmuniften wollen) bat 
nichts erlebt und nie geliebt. Liebe bindet, ſchon der 
Bit des Auges nüpft die geiftigen Ketten, und vollends der 
Kuß macht leibeigen. Was id nur habe, um es wegzuwerfen, 
wen ich nicht mit ganzer Seele angehöre, das lieb’ ich nicht. 
Die einzige Freiheit der Liebe, von Ge die Rede fein Bann, iſt 





‘ 


* 
i en ineinander; ein Gegenſatz gegen die @he i 
Kent. a eltern der Bra HR dem — N 
Liebe beweift nichts, wenigftens nicht mehr als die Thatſache, 
daß die Liebe als Ehe und nur ald Ehe wirklich und wahr« 
Haft eriftirt. . 

- Die Befhreibung ber Fahrt in bie Touraine (Ab⸗ 
ſchnitt 22) iſt jedenfalls eine der anzleheundſten Partien 
des Buche. Hier find frifche Eindrüde aus der Natur 
und dem Menfchenleben anmuthig wiedergegeben und 
man wirb wenig durch rohe Außerungen geflört, wie 
wo Der, welcher ein altes Raubneft, d. b. eine fehon 
gelegene Ruine wiederherſtellt, ein Näuber von In—⸗ 
ſtinct und Liebhaberei genannt wird, Ref. könnte 
bier Vieles hervorheben, was fehr hübſch if. Als auf 
der Loire ein edler JAger dariiber wüthend wurde, und 
mit der Flinte drohte, daß man, ald er das Dampfboot 
verlaffen, feinen Hund ins Waſſer gefloßen, der ihm 


ruͤſtig nachgeſchwommen war, rief ein Matrofe: „Ce: 


bougre d'aristocrate, il estime mieux son chien. qu’un 
chretien.“ Nuge bemerkt dabei: „Halb dachte er im 
Stile der Revolution, halb in bem der Vendee, auf bie 
wir zufteuerten. . 


Doch in der guten Stimmung kann man nicht lange 
bleiben. In den beiden folgenden Abſchnitten, worin 
die Rückkehr nad Paris und die bort gemachten wei- 
tern Erfahrungen befchrieben werben, finden fich wieder 
die früher erwähnten Berkebrtbeiten in Menge. . Da 
heißt es von der franzöfifchen Sprache: 

Die Sprache der freiften und humanſten Sterblichen, bie 
einzige, die jegt für unfere innigften Herzenswuͤnſche mit Rad 
drud laut wird, dieſe Sprache, der Schrecken unferer Feinde, 
wenn fie ihren Ton erhebt, fie fpricht Jedem zu Herzen, der es 
empfindet, daß die deutſche Zunge despotifirt, gefnebelt und 
entehrt, daß ihr Born ehnmädhtig, ihre ——— ein Kin⸗ 
derſpott, ihre Weisheit die Rede eines Gefangenen, und ihr 
einziger Nachdruck die Willensmeinung unferer Kerfermeis 
fter if. ®) 

Oder bie Frage: 

War ürzt jetzt eine ſolche Flut von niederträchtigen 
Literaten in as che Bett of —2 Preſſe? Bei er 
Drud die Gedanken vertilgt und die wenigen Denker, die ſich 
gerettet, es verfaumt haben, den Grazien zu epfern. 

Weiterhin wundert er fich, | 
daß bie rohſten Raturfnollen, wie das teutonifche Gefchlecht 
von Anno „frifih, frei, fröhlich, Fromm” als Göhterbilder in 
die deutfche Ruhmeshalle Fommen, 
und macht ſich über bie ſchleswig⸗ holfteinifchen ſchwarz⸗ 
rothgoldenen Brubergefühle in Würzburg Iuflig. 

Intereflant find einige Bemerkungen in ben legten 
Abſchnitten. Zudwig Philipp fol einen unterirdifchen 
Gong aus ben Zuilerien nah den Champs diiftes 
haben machen leſſen, um: fich nöthigenfalls in bie Forts 
zu retten. Sehr betrübend iſt, was Muge von ber be 
kannten Ausweiſungégeſchichte erzählt. Während ber 
Fähftfche Gefandte, der natürliche Vertreter feiner Lands⸗ 
leute, im haͤrteſten Winter nicht einmal einen längern 


So fol Jacoby's Sckift: „Das koͤnigliche Wort Friedrich 
Wipelm’s IV.” in der franzößfdien Überfegung durch bie Gigenthüm: 
lichkeit ber Sprache an Schärfe und Nachdruck gewonnen haben. 





ſächſiſcher Gelehrter, 
“univerfität beglaubigte, von feiner 


Aufſchub der zu vollftredenden Entfernung von Paris 
erringen konnte, gelang es dem confervativen Deputir- 
ten Hunoldſtein, fogleih die Rüdnahme der ganzen 
Maßregel zu erwirken. Ref. erinnert ſich dabei, welche 
Freude es den Franzeſen machte, daß ein bekannter 
der ſich als Profeffor der Landeß 
Geſandſchaft nicht 
einmal die gewoͤhnliche Bürgſchaft zum Leihen von Bü- 
ern der parifer Bibliothek erhalten fonnte, weil er fi 
fein befonderes Empfehlungsfchreiben vom fächfifchen 
Dinifterium des Auswärtigen hatte geben Taffen! 

Bei dem Abfchiebe von Paris deutet Ruge auf 
die jegige veliglöfe und politiſche Bewegung in Deutſch⸗ 
land Hin und ſpricht darüber milder und anerken⸗ 
nender als man erwarten ſollte. Er findet ſogar, daß 
ſich die franzöſiſche Wirklichkeit und deutſche Möglich: 
keit immer näher rüden, je tiefer bie Emancipation 
nah unten greife — ein Urtheil, welches nad an- 
bern Bemerkungen über die Unfähigkeit ber Deutfchen 
zur. Freiheit auffallen muß, aber zu der Hoffnung be- 
rechtigt, daß bie Schule in Paris für ihn doch nicht 
ganz verloren gewefen fei. n 

Noch weiterhin gibt er unter der Uberfchrift „Unſere 
legten zehn Jahre”, zunächft mit einer Zufchrift an einen 
Sranzofen, welcher die Devife aufftellt: „Pour delivrer 
ia France, il faut la -dechristianiser”, die Memoiren 
der deutfhen Philofophie unferer Zeit, wie fie Ruge 
mit erlebt bat. Sie find klar und gut geſchrieben, ent- 
halten aber nicht viel Neues. inzeine Bemerkungen 
ſind auch bier treffend, das Ganze aber iſt fir Den, 
welcher nicht auf Ruge's Standpunkt nk nicht recht 
genießbar. Auch hier wird die deutfche Geſchichte vollig 


‚negirt; „mit dem Scheitern ber Bauernkriege babe der 


deutſche Proteſtantismus feinen thatkräftigen Herzſchlag 
verloren, ſeitdem ſeien alle Menſchen zu Moͤnchen in 
ber Gemeinde ber Heiligen, zu Spießbuͤrgern im Leben 
und zu Theologen in ber Wiffenfchaft geworden, das 
proteflantifche Deutſchland mit alten feinen Inſtitutionen 
fei ein Machwerk der Theologen." Strauß, Brum 
Bauer und Feuerbach werden fritifirt, wie @iner ben 
Andern glänzend vernichtet habe, aber ſeltfam ift doch, 
daß die Wirkungen ber Beſtrebungen dieſer Männer 
immer ſchwaͤcher wurden. Strauß erregte viel Intereffe, 
weniger Bauer und noch weniger Feuerbach. Run frei- 
lich der Grund Tiegt in ber philofophifchen Roheit der 
dummen Deutfchen! Aber Feuerbach ift auch ſchon über- 
holt. Stirner in feinem Buche: „Der Einzige und fein 
Eigenthum“ nennt Feuerbach einen Pfaffen, da er im- 
mer noch einen Bögen, bie Liebe zum Menſchen, pre- 
bige, dieſe Meligion müffe durch Egoismus vernichtet 
werden u. f. w. Ruge beſpricht biefe Stirner'ſche Kri⸗ 
tit. C'est infiniment long! Hierauf folgen Briefe 
und Jourmalauffäge, bie zum Theil fihon bekannt 
find. Den meiften Werth haben bie bekannten Auf. 
füge über Echtermeyer aus der „Manheimer Abend- 
zeitung” und an einen leinziger Patrioten, gefchrieben in 
Paris am 18. Det. 1844. Ref. Hatte fie ſchon früher 


31 


geleſen und ſich daraus Illuſienen gemacht, bie leider 
nach der Lection des Buchs geſchwunden find. An 
einigen Stellen ber andern oben erwähnten Xuffäge 
wird Fichte's nationale Befchränktheit in feinen „Reben 
an die deutfche Nation” und Gervinus’ Fleiß, mit bem 
er „die gräulichen Jahrhunderte ber deutſchen Poeſie 
abgefeſſen haben“, bejammert, er wird dabei „ber ehr- 
wirbige padex poeseos teutonicae’ genannt! Auch 
freut ſich Ruge über Heine's liebenswürdige Vermenſch⸗ 
lchung der kiffhaͤuſer Schnurre und möchte ganz Alt⸗ 
deutfhland auf diefe Weiſe humaniſiren. 

Doch Ref. tft müde geworben und überläßt die Kris 
tit der naͤchſtfolgenden Abhandlung „Der Patriotis⸗ 
mus’ den Lefern. Diefe Abhandlung foll gut fein, we- 
ſtens ward fie in einer kurzen Anzeige bes Ruge'fchen 
Buchs in der „Manheimer Abendzeitung“, die keine Lob⸗ 
hudelei war, befonders hervorgehoben. Den Schluß ma- 
chen zwei Auffäge von Cormenin, von melden der über 
Thiers intereffant iſt. 

Als ein Curioſum erwähnt Ref. noch „en Stück 
Revolution”, einen Operntext „Spartaceus“, ben Ruge 
gemacht hat. Sollte er einen Komponiften finden und 
etwa in Paris aufgeführt werden, fo müffen fi) dort 
die von Spartacus an die Germanen gerichteten Worte 
fehr gut machen: 

Du ſollſt auf ein Jahrtauſend Hin 
Für jede Knechtſchaft fechten, 
Und nie den faulen Sklavenfinn 
Erheben zu dem Rechten! 
Bon Pfaffen und von Herr'n gebeugt 
Sn Schmach verendet, wie gezeugt, 
Solift du zulegt der Sklaven Sklave fein, — 
Dies Roos iſt dein! — 


Das tt — Patriotisnus!! K. ©. Belbig. 





Amerikana. 
Erſter Artikel. 
Beſchluß aus Nr. T. J 


. Er fand nit was er fuchtes redlich arbeitend, Den 
Garne. EB iR enmmithigemd ya Tefen, mie ein gebihetee 
ältniffe. en igend zu Tefen, wie ein 9 
Deutfher, ein Offizier und Edelmann, trog ber eifrigſten Sorg⸗ 
fott, nirgend m 
Stelle findet, wo er feinen Kräften, feiner Bildung, feinem 
Stande gemaß wirken, wo er durch feine Kenntniffe und Thä⸗ 
Kateit nur Brot erhalten kann. Er laͤßt nichts unverſucht, 

fein Schieffal bewahrt aufs neue die oft ausgefpredhene 
Erfahrung, daß, welcher Europäer in Amerika fortfommen 
will, es nur durch völlige Veränderung feines Berufs Bann. 
Er verfucht den Handel zu treiben; die Ehrkichkeit des Deut 
figen kommt gegen bie —— Schlauheit nicht auf. Er 
muß den Berciter, Kunſtreiter, Billetteur beim Theater, ben 
Kellner ſpielen. Aber auch in allen dieſen Poſten laͤchelt ihm nicht 
das Sluck. Endlich wird er texraniſcher Bürger und Lond⸗ 
eigenthümer, wodurch? Die Ironie ſeines Schickfals will den 
Erfahrungsſatz vollſtaͤndig machen. Er erhielt Barger⸗ und 


em unermeßlichen Lande einen Platz, eine | aß 





Befitzrecht, weil ex zur Zeit des mericmifchen Einfalls ‚mit den 
Undern aus Texas entfloben war. Die Art wie es geſchch 
und unter ben obroaltenden Umftänben thut feiner Ehre als 
Mann und Militair durchaus keinen Eintrag.‘ Er konnte un: 
ter diefen verwilderten Banden Beinen Ordnungsfinn hervor⸗ 
bringen, und wurde vom Strome mitgeriffen, wo es eine Thor? 
heit gewefen wäre, zurüdzubleiden und für eine Sache fi 
zum Vertheidiger aufzubrängen welche nicht die feine war. Xber 
das fataliſtiſche Factum bleibt doch beftehen, daß es ihm wo 
er es verdiente. nirgend geang und wo er es nicht verdiente 
word ihm im Proceß durch doocatengefchi@figkeit ein Recht 
zugeftanden, auf welches er in unferm Sinn keinen Anſpruch hatte. 

Wie ihın felbit, iſt es vielen Deutſchen ergangen; man 
braucht in dem Buche nur zu blättern, um ſich davon zu über- 
zeugen. Geiftlihe trifft er als Arzte, Arzte als Advocaten, 
und wer fpielt nit in dem fehtenreichen Lande die Rolle von 
Geiftlihen! Und wie viele Deutfche, welche in dem gelobten 
Lande der Fuͤlle an allem Stoffe und des Mangels an Han: 
den für die ihrigen Beine Beſchäftigung finden, nicht einmal 
ald Zagelöhner! Das war neu. In Reuyork, in Reuorleans 
und in @incinnati ‚und Saint: Rowiß laufen Deutfhe umber 
ohne eine Anftelung zu finden, und es ift nicht immer ihre 
Schuld, verfihert der Berf. Es ſpricht für feinen Charakter, 
daß er, aller diefer Zaufehungen ungeachtet, nirgend in Bitter: 
keit verfällt, daß er, bei allen harten Xeiden, die er erbuldet, 
ed nie das Land und Volk entgelten läßt, fondern bei allen 


gerechten Rügen auch das Lobenswerthe heraushebt. Mehr 
als einer von den berüchtigten Humbugs, die fid) die Ameri- 


faner unter fi und mehr noch gegen Fremde zu Schulden 
kommen laflen, vernichtet feine - Hoffnungen und bringt ihn 
dem Bettelftabe nahe, er klagt über die Demoralifation des 
Volks, aber er verdammt es nicht unbedingt um besmillen. 
Wenn ein hochgeachteter General Wrede’ Schn um ben Kohn 
für ſchwer verdiente Abfchreiberarbeiten bringt, weil es ihm 
gelungen juriftiich zu beweifen, daß nicht er, fondern fein Sc: 
cretair dieſe Arbeiten beftellt habe, fo will er ſelbſt darin noch 
feine unbedingte Riedertraͤchtigkeit gewahren; er fieht nur ei: 
nen Kigel der Schlauheit, eine falſche Sitte, die ſich gewiß 
mit der fleigenden Eivilifation beffern werde. Die Sitte müffe 
erft die Amerikaner lehren, daß die Rechtlichkeit, auch bei eige⸗ 
rem Schaden, höher im Werthe ftebe als das Vergnügen, ei: 
nen Dummkopf geprellt zu haben. Möge er auf rechtem Wege 
fein; wir aber wollen wünfchen, daß unfere deutſchen Lande: 
leute, weiche binüberwandern, nit biefen langen Weg zur 
echten Sitte einfchlagen, fondern lieber bei dem kuͤrzern ver: 
harren möchten, d. 5. bei der Sitte, welche im Princip wenig: 
ftend noch bei und gilt. 

Das Bud), enthält viel vehrreiches, um fo werthvoller, 
weil es fümmtlih aus der eigenen. Anſchauung geſchoͤpft ift 
ohne Zuthat von Phantejie, Voreingenommenheit und mit ge: 
ringet Untermifhung von Neflerion. Wo diefe eintritt, bat 
fie einen guten, gefunden Grund. Aber es enthält auch man- 


ches Intereſſante und trefflihe Naturfchilderungen, z. DB. die 


des Mifffiippi. Einzelne Epifoden find durch Die großarfige 
Raturwahrheit ergreifend, wie bie Geſchichte bed Trappers Hugh 
. Auch der Stil, ber fich nicht über das Gewöhnliche er⸗ 
hebt, wird doch zuweilen fchlagend und kraͤftig. So heißt «6 
von dem raftiofen Ziehen (‚‚moven‘) der Amerikaner: „Es ift 
tief in der Natur dieſer Waldmenſchen begründet; ein fonder- 
barer Tricb, ber feine Erklärung nur in dem grenzenlofen 
Unabhängigfeittfinne der Amerikaner findet. Die meiſten Die- 
fer Mover möchten am liebſten ganz allein auf der weiten 
—* nt — oe Bohrungen in der Nähe der 
ihrigen n, fo bält fie weder die Erinnerung an eine 
—* verlebte Zeit noch die Ausficht eines faſt immer ent: 
henden großen pecuniairen Verluſtes auf. Um jeden Preis 
n Be ihre Befipungen los, und ſuchen entlegenere, oͤdere 
Dildniſſe auf, um fidh eine neue Heimat zu gründen, die fie 
vielleicht im wenig Jahren abermals verlaffen, um — allein 


in.” Der Berf. if, wie uns der Vorredner jagt, wieber 
* —— 4 zwar nach Texas zurüdgekehrt, in Dienften 
der Deutfchen Eolonifationsgefellfchaft. Er wünfcht bem deut: 
fdhen Mutterlande bald neue Biber blühendber Gefundpeit und 
reichen Wohlſtandes der Tochtercolonie in Texas entwerfen zu 
koͤnnen. ae ber Einleitung wenn nicht bald, 
dereinft zur Wahrheit werben. 
doch Das ir Werd ift ein gutgefchriebenes Buch, welches 
alle die Themata, die in den andern ‚beiden enthalten find, 
foftematifch und zu ziemlicher Anſchaulichteit verarbeitet dar- 
ftelt. Man konnte Bier und da der Meinung fein, daß es 
auch wol von einem geſchickten Europäer componirt wäre, ber 
andere richtige und gute Quellen gut verarbeitet bat, wenn 
der Verf. it aufs heiligfte verficherte, daB aud) er aus eigener 
Anfhauung und Prüfung ge öpft habe. Belehrend für ben 
Bebildeten ift auch diefes Werk, belehrender ſogar, ba es um: 
faffender ift als die oben genannten, und voll guter Winke für 
den Auswanderer; aber Die Friſche des felbft und eben erft 
@riebten geht ihm ab, freilich weil es ats eine Tehriftftcherifche 
Arbeit von anderer Tendenz auch ganz andere Anſpruͤche macht. 
Der Verf. will feine deutfchen Landsleute von den goldenen 
räumen, denen ſich noch immer viele hingeben, enttäufchen 
und ihnen, um fie in den Kern der Sadıe einzuführen, die ven 
Weiſung geben, was fie zu thun und was fie zu erwarten 
ben, wenn fie zur Auswanderung ſich entſchließen. Die trau: 
rigfte Weifung betrifft bie, Daß der Verf. auch die glücklichern 
Deutfchen, welche in Amerikas Waͤldern Das gefunden, was 
fie fuchten, ſtill ſeufzend gefunden haben will und mit dem 
nicht zurüdzudrängenden Wunſ e, daß ‚fie wieder im der Hei: 
mat wären. Die nicht fo glüdlichen hätten lieber Alles auf 
egeben, waß fie noch hatten, um nur freie Rückkehr auf einem 
Schiffe zu erlangen. Das Heimweh tft eine gemuͤthliche Ei⸗ 
genſchaft, und daß der Deutiche gemüthlich ift, bat ihm iR 
Niemand abgeftritten. Daß der Deutfche mit feinem Gemüt 
unter den humbuggifirenden Paltherzigen Yankees fih unbehag⸗ 
lich finde, ift eine Sache, die ſich auch von felbft verfteht; ob 
aber jener Wunfch unter den fünf Millionen Deutſchen der all: 
gemeine fei, laflen wir bahingeftelit, und ſchwerlich wirb ihn 
auch der Berf. unbedingt zu bejahen wagen. Geben wir uns 
vielmehr der fr in, daß bie Deutfchen, immer ſelbſt⸗ 
bewußter durch ihre Phalangen werdend, ihre Heimat aud in 
der Fremde finden werben. Der Anſichtskreis des Verf. wird 
fih aus folgendem Epitheton entnehmen laffen, was er feinen 
KRatbichlüffen an Diejenigen voranfchidt, welche durchaus ent- 
ſchloſſen find, die alte Welt mit der neuen zu vertaufchen und 
nur der eigenen Erfahrung folgen wollen; er nennt Amerifa 
„das Land der Eontrafte, dad Land mit prachtvollen Ratur: 
fhönheiten und weiten Sümpfen und Moräften, das Land der 
giftigen Schlangen, ber im reichten Farbenjchmudl prangenden 
Vögel ohne Gefang, bunteſter Blumen ohne Duft, das Land 
der großfinnigften Snftitutionen und ber engberzigften ‚Men: 
en, das 2and, wo heben ber unbeichräntten Freiheit das 
— der Sklaverei, neben dem graſſfeſten Bigotismus ber 
größte Indifferontismus wohnt, das Land, weiches zu gleicher 
Zeit einem Waſhington und einem Arnold das Dafein gab”. 
In den tiefer eingehenden Betrachtungen über die Rechts⸗ 
religiöfen, kirchlichen und militairiſchen Suftände wird das 
Stiffon’iche Werk ein guter Begleiter des Raumer'fchen fein, 
und wo dieſes die allgemeinern Standpunkte verfolgt, dem Lefer in 
manchem werthuollen denen u Sälfe —eã jr) iR 
an ologifchen treffenden Bemerkunge , J 
aus Zi een Kenntniß des Landes und Volks gefchöpft 
werden Tonnen. Dem heutigen Amerikaner will ber Verf. 
durchaus den felbftaufopfernden Patriotismus abſprechen, wel: 
cher die Heroen der Revolution hervorbradite. Wie will er 
aber das fo beftimmt wiſſen? Treten aͤhnliche Kriſen wieder 
ein, und erwecken nicht ſolche Kriſen außerordentliche Kraft. 
Und zeigte ſie ſich nicht theilweiſe wenigſtens im Jahre 1812% 
In vielen Nefultaten ftimmt der Verf. mit den beiden andern 


Berantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brockhaus. — 


Schriſtſtellern überein. Bei Gelegenheit der ewigen Wander⸗ 
luſt fagt er: „Es iſt wahr, fo parabor es auch Bingen mag, 
des Amerikaner hat wol ein Vaterland, aber er hat keine Hei⸗ 
mat, und er hat diefe nicht, weil ihm der Heimatsſinn ab- 
geht. Er iſt raſch in Entfchlüffen, in plöglichen Umwandlun⸗ 
gen.” So grenzt die ploͤtliche Verwandlung einer dem Brannt⸗ 
weintrunk ergebenen Bevoͤlkerung in durchaus nüchterne Leute, 
welche mit bem Branntwein auch dem Wein und Bier entfagt 
haben, an ein Wunder. Die Bolköftimme war fo mächtig, daß 
alle Leidenſchaften, alle Intereffen dagegen nicht auffamen; 
aber der Verf. lebt der Beforgniß, daß die Enthaltfamkeits- 
[Inbe nur eine Mobdefache fei. Wie er den Wankelmuth der 
merifaner kenne, beforgt er, daß der Einthufiasmus für die 
Nuͤchternheit fi) nur jo lange auf der bisherigen Höhe erhal: 
ten werde ald der Reiz der Neuheit dafür jtreitet. Sobald 
der Rimbus der poputaricat ihr entzogen, werde die Teempe- 
rance, das Geſchoͤpf leidenfchaftlicher Aufgeregtbeit, mit allem 
Guten, was fie gewirkt, der Vergeſſenheit wieder anheimfällen. 
Als Anhang einige unterrichtende Nachrichten über die grau: 
fam foftematifchen Bernicgtungsproceffe der Indianer, befonders 
über die der Seminolen in Florida. Der Berf., wie er ein 
entfchiedener Sklavenfeind (bei aller richtigen Würdigung der 
verkehrten, heftigen Maßregeln der Abolitioniften), ift auch ge: 
gen die Anficht, Daß bie rothen Menſchen nicht durch humanes 
und zweckmaͤßiges Verfahren für Gefittung und europäiiche Cul⸗ 
tur zu gewinnen gewefen wären. Nun ift es zu jpät! *) 7. 


Bibliographie. 

Koofen, J. H., Der Streit des Naturgeſetzes mit dem 
Bwedbegriffe in den phyfiſchen und Hiftorifchen Wiflenfchaften. 
Eine Einleitung in dad Studium der Philofophie. Königs: 
berg, Zag und Koch. 1845. Gr. 8. 1 hir. 10 Nor. 

Kutſcheit, J. V., Gedichte. Berlin, Grobe. 16. 1 hir. 

Mündh, M. C., Biographien ausgezeichneter um bie 
Menfchheit verdienter Pädagogen. 2te Auflage. Augsburg, 
Schloſſer. 1845. GEr. 8. 71, Nor. ' 

Kaumann, W., Paulus. Die erften Siege des Chri⸗ 
ſtenthums, in Bildern aus der Apoftelgefchichte. Mit 21 in 
den Xert gedruckten Abbildungen. Leipzig, Teubner. Kl. 8. 
1 Thlr. 
Plinius Der Züngfte, Die kleinen Leiden des menſch⸗ 
fichen Lebens. Illuſtrirt von I. I. Grandville. 2te, neu be: 
arbeitete und vermehrte Auflage. Leipzig, Lord, Gr.8. 3 Ihr. 


Nor. 

hie ing, L., Gedichte. Stuttgart, Cotta. 8. 1 Xhlr. 

Seibemann, J. K- Beiträge zur Reformationtgef@iäte. 
Iftes Heft: Die Reformationszeit ın Sachfen von 151/—1539. 
Fit Urkunden. Dresden, R. und W. Kori. Gr. 8. I Thlr. 

Rgr. | 

Spruchbud für das das deutſche Volf. Stuttgart, Hal» 
berger. Gr. 16. 15 Kor. 

uſchner, 8, Das Brevier der heiligen Rofalie. Blätter 
aus dem Leben eines Phantaſten. 2te verbeflerte und vermehrte 
Ausgabe. Neubaldensieben, Eau: 12, 25 Ror. 

Breslauer Volkskalender für 1846. Herausgegeben von 
2. Se iger und 3. Stein. Breslau, Schuhmann. 1845. 
8. 12% Nor. 

Saͤchſiſcher Volkskalender für 1346. Heraußgegeben von 
9. Steffens. Leipzig, Hartmann, 1845. 8. 12%, Nor. 

Katholiſcher Volkskalender für 1846. Herausgegeben von 
J. A. M. Brühl. Gter Jahrgang. Neuß, Schwann. 1845. 
Gr. 12. 10 Nor. un . 

Bidmann, G., Das Corpus-Juris für den Bürger 
und Landmann. Ein Volksbuch zur Minderung der Prozeſſe 
und für tüchtige Selbſtbeurtheilung ber Rechtsverhaͤltniſſe. Hild⸗ 
burghauſen, Bibliographiſches Inſtitut. 1845. Lerx.“S. 20 Nor. 


*) Einen zweiten Ariikel laſſen wir im Februar folgen. D. Red.. 


Druck und Verlag von F. E. Wroddans in Leipzig. 


Blätter | 


für 


literariſche Unterhaltung. 


Freitag, 


— 1.9 





9. Januar 1846. 





Anenonen aus bem Tagebuche eines alten Pilgers- 
manned. Zwei Bande. Jena, Frommann. 1845, 
&. 8. 4 Thlr. 


Bir glauben keineswegs die literarifche Maskenfrei⸗ 
heit zu beeinträchtigen oder einem angenommenen Geheim- 
niffe mit Aufdringlichkeit zuzufegen, wenn wir als den 
Berf. dieſes Buchs den Freiheren v. Hormayr unfern 
Lefern verrathen. Bei vielen berfelben, die eine folche 
Wahrnehmung nicht gleich anf den erften zehn Seiten 
machen follten, kann dies dem Buche nur zur günftigen 
Empfehlung dienen; wir an unferm Theile verfpüren 
aber den weſentlichen Wortheil, mit einer realen Perſoͤn⸗ 
lichkeit verkehren zu können und zwar mit einer folchen, 
die in Feinem Falle den unbebeutenden beigezählt werben 
darf. Denn auch hier trägt und vereint diefe Perfön- 
fichteit wie in frühern ähnlihen Werken die Lebens: 
bilder, Die wir anſchauen, während die Namenlofigkeit 
des Verfaſſers bei Büchern diefer Art unfere Theilnahme 
oft viel weniger in Anſpruch nimmt als die Sache felbft 
es verbient. Und fo finden wir denn auch in diefen 
„Anemonen”, deren Düfte freilich nicht immer füß und 
lieblich, fondern gar nicht felten übel und giftig find, 

die Beleſenheit und maffenhafte Auffpeicherung von 
Thatfachen wieder, die wir in andern Hormayr'ſchen 
Werten bewundern, ferner die befondere Fertigkeit, bei 
dem Einen und Hundertften dad Andere und Faufendfte 
herbeizuziehen und in hHiftorifhen Stoffen wahrhaft zu 
wählen, nebft einer Reihe anderer, bekannter Norzüge 
diefes Geſchichtsforſchers. In feiner Geſchichtſchreibung 
aber bedauern wir wiederholt den Mangel an Gleich— 
mößigkeit; es begegnet uns auch hier, daß feine Wen- 
dungen und Sprünge trog ber überrafhenden Verknü⸗ 
pfungen und berben oft überaus glücklichen Schlagmöt- 
ter em umbehagliches Erflaunen rege Halten ; endlich 
gibt die Abmechfelung herabgefominener Geſellſchaftsaus⸗ 
drücke und aus ber guten Sprache verbannter Wörter 
mit feierlichen, ja ſchwülſtigen Wendungen dem Ganzen 
etwas Buntes und Verwirrendes, ſodaß man fi) nad 
Beendigung eines Abfchnitts kaum des Gelefenen mit 
einiger Klarheit zu erinnern weiß und faft an das be- 
kannte Goethe'ſche Wort vom Mühlrade denken muß. 
Aus ſolchen Urſachen genieft man am unbefangenften 


in Hormayr's hiftorifchen Täfchenbüchern den überreichen 
Stoff gefhichtlihen Reihthums, in den „Lebensbildern“ 
dagegen wie in den „Anemonen” fürchtet man ſich in 
biefem dichten Walde des üppigften Wachsthums zu ver- 
lieren. Überdies ift der Verf. hier nicht blos Erzähler 
oder Sanımler, fondern auch in vielen wichtigen Dingen 
theilnchmend und mithandelnd gewefen, woher es denn 
auch für die heimiſchen Angelegenheiten nicht an aus— 
drudsvollen, bittern Rüdbliden fehlt, die in verſchiede⸗ 
nen Kreifen einen offenen oder verftedten Zabel gegen 
ihn hervorgerufen haben. 

Das Urtheil eines Mannes, der während eines lan- 
gen Lebens in fo bedeutenden Amtsverhältniſſen gelebt 
hat, und dem dur eine befondere gluͤckliche Fügung 
Dinge von ber hoͤchſten Wichtigkeit, die fonft als großes 
Geheimniß bewahrt zu werden pflegen, von den anger 
fehenften Männern feiner Zeit mitgetheilt worben find, 


verdient jedenfalls eine vorzügliche Beachtung. Aber ed - 


thut dieſer fo ſchaͤtzenswerthen Eigenfchaft öfters Ein⸗ 
trag, daß Hr. v. Hormayr beſonders gern nur Grau in 
Grau malt, daß er jeden böfen Tadel aufgreift, daß et 
mit jäher Kraft und zerfchmekternder Ironie fih an 
Perſonen und Sachen anhängt und daß er gar zu oft 
da Schlechtigkeit und Hinterlift wahrnimmt, mo andere 
begabte und aufrichtige Schriftfteler nur erlaubte poli- 
tifche Verknüpfungen oder Berechnungen entdedt haben. 
Es mag ein Verfahren wie das feinige politiih kühn 
fein, ja e8 mag nad) Umftänden groß erfcheinen, von 
hochgeftellten Zeitgenoffen Nachtheiliges zu fagen ober 
über Verflorbene die firenge Wahrheit auszufprehen, 
vorausgefeht daß dies immer mit einem heiligen Ernſte 
und ohne Leidenfchaftlichkeit gefchehe. Unfer alter Pil- 
gersmann aber ift als geharnifchter Krieger aufgetreten, 
feine Schläge fallen hageldicht auf die Rüſtungen ber 
Gegner, und fein Bud, ift, ganz ohne fein. Wollen, in 
nicht wenigen Stellen zu einer Parteifchrift geworden. 
Denn die Tendenzen, welche unfere Zeit liebt, werben 
fi) durch manche Schlechtigkeiten der Fürften und DBe- 
amten unter einer folchen Autorität gefchmeichelt fühlen, 
die Unzufriedenheit mit bem Beſtehenden wird nur neue 
Nahrung erhalten und anftatt baf die wichtige Lehre, 
dag die Gefchichte ung vor allen Dingen billig machen 
fol, aus den „Anemonen’ Förderung ober Betätigung 





— — er 


34 


erhalten ſollte, dienen dieſelben einer Anzahl ihrer Leſer 
nur zur ſchadenfrohen Unterhaltung. 

Es gilt dies namentlich von des Verf. Urtheilen über 
Oſtreich, feine Fürften, feine Staatsmänner, Feldherren 
und feine allgemeinen Zuſtände. Nun find wir zwar 
weit enffernt Hrn. v. Hormayr in die Gemeinfchaft folcher 
‚Literaten ftellen zu wollen, die feit einigen Jahren nicht 
genug Schlimmes und Nachtheiliged von Oſtreichs Re— 
gierung haben fagen können und deren einer fich neuer- 
dings bis zu den Zoten und Gemeinheiten in den „Me: 
moiren aus der öflreichifchen Gaferne” hat erniedrigen 
tonnen; jedoch müffen wir fehr bezweifeln, daß von ir⸗ 
gend einem europäiſchen Staate ein ſolches Regifter po- 
litiſcher Sünden aufgeftellt ift als es unſer Verf. in 
dem vorliegenden Buche von allen Seiten her zufammen- 
‚getragen hat. In der langen Reihe der Habsburgifchen 
Fürften finden Karl V. und Sofeph I. noch bie meifte 
Anerkennung, und von den jeptlebenden die Erzherzöge 
Karl und Johann; Karl VI. erhält nur wegen feiner 
fitelichen Reinheit Lob, Maria Thereſia, zwar eine herr⸗ 
liche Frau und große Kaiferin, wird aber doch bezüch— 
tigt, zuerft die Integrität von Polen angegriffen zu ha— 
ben, wie denn die Habsburger überhaupt ftet3 „eine 
MWafferfchen vor gefeglicher Freiheit” gehabt hätten 
(1, 290), namentlidy Franz I., „der erbittertfie Wider— 
ſacher aller Eonftitutionen und der entfchiedenfte Ver— 
theidiger des Abfolutismus”. Unter ben Staatsmännern 
und Zeldherren DOftreichs erfcheint keiner in einem fo 
glänzenden Lichte ald Prinz Eugen von Savoyen, er 
ift der eigentliche Held des Verf. „dies Kapuzinerlein 
des Lagers, fo geheißen vom braunen Kittel und von 
dem Nafe und die Brufffraufe und die Weſtentaſchen 
erfüllenden fpanifchen Taback, das Männlein mit den 
zwei fteifen Locken, dem zarten Teint, dem langen Ge- 
fihte und der langen Pferdenafe, und dennoch der er- 
muthigende Gebieter der Soldaten und ber enfmuthi- 
gende Sebieter der Frauen, mit den zauberifchen Frauen- 
augen und ber unaufhörlichen, gleichwol duch Mannes- 
kraft und fürftlichen Anftand impofanten Beweglichkeit” 
(I, 375). Die Züchtigkeit der Minifter Trautmanne- 
dorf, Kaunig und Metternich wird in das verdiente Licht 
geftellt, fo auch der Feldherren Laudon, Schwarzenberg 
und Rothkirch, aber Thugut, Königsad, Daun und 
viele Andere empfangen feharfen Tadel. Wirb doch fo- 
gar (II, 198) der Sieg der Öftreicher bei Kollin nicht 
ihrer Tapferkeit, fondern „dem Blindefuhfpiele des Zu: 
falls” zugefchrieben! Bedenkt man nun hierbei, mit wel» 
chem lauten Lobe Oſtreichs Kaiferhaus und Land früher vom 
Hrn. v. Hormayr im „Oftreihifhen Plutarh”, in der 
„Geſchichte von Wien” und in andern Schriften geprie- 
fen ift, fo muß Die jegige Bitterkeit die Xefer ebenfo be- 
fremden als fie diefelben bereits in feinem Werke über 
Andreas Hofer neuerdings überrafcht hat. Der Verf. 
gehört doch nad) Geburt, Bildung und Erziehung dem 
öftreihifhen Staate an, mögen nun die Verhältniffe, 
unter denen oder durch welche gemöthigt er dies Land 
mit Baiern vertaufcht hat, gewefen fein welche fie mwol- 


len. Nun foll aber, um ein edles Wort Niebuhr's (Le⸗ 
bensnachrichten“, 111, 13) anzuführen: es mit der Pietät 
gegen das Vaterland fein wie mit den Familienbanden, 
fein Denih von Gefühl wird die Schande der Seini- 
gen aufbeden oder befpötteln, ja fein Rand foll ihm fo 
lieb fein, daß er felbft gegen Die, welche den Staat 
verwalten, nicht fpoften und Iäftern mag, aud) wenn fie . 
es verkehrt machen. Unfer Verf. hat diefen auffallenden 
Widerfireit wol felbft gefühlt und nachdem er baher 
(Hl, 15) den harten Ausfpruc, gewagt, daß ſich bis auf 
diefe Stunde Niemand an ein ehrliches, geiftvolles Ab- 
bild der öftreihifchen Zuftände gewagt hätte, ohne in 
den Vorwurf leidenfchaftlicher Gehäffigkeit oder hündi- 
ſcher Lobhudelei zu verfallen, erörtert er gleich darauf 
(li, 32 — 42) feine frühere Stellung als öftreichifcher 
Geſchichtſchreiber. Er appellirt bier gleichfam de se 
ipso olim male informato ad se nunc melius informa- 
tum, er tadelt fich felbft wegen feiner damaligen findli- 
hen, ja Tindifchen Freude an Habsburgs „leoniniſchen“ 
Edeithaten, und verfihert, erſt in dem Kaufe feines 
en Lebens die Wahrheit eingefehen und erfannt zu 
aben. 

Ein ſolches offenes Geftändniß ehrt allerdings einen 
Mann von des Berf. fchriftfiellerifcher Bedeutſamkeit. 
Aber wir müffen offen geftehen, daß uns berfelbe in 
feiner Inhaltsanzeige der „Hiſtoriſchen Tafchenbücher“, 
die fih in dem Jahrgange 1846 befindet, weit gerechter 
und ehrmürdiger erfchienen if. Diefer Auffag ift mit 
dem vorliegenden faft gleichzeitig über ganz verwandte 
Gegenftände gefchrieben, aber ohne alle Bitterkeit, ohne 
Haß, nur mit dem edein Selbfigefühle des um fein 
Land verdienten Mannes. Hatte man nun früher man- 
hen Lobſpruch öftreichifcher Zuftinde parteiifch gefunden, 
fo mag es dagegen jest dem unbefangenen Leſer, ber 
in dem vorliegenden Buche faft Alles in der buntelften 
Beleuchtung findet und alle politifhen Sympathien und 
Abneigungen gegen DOftreich benugt fieht, nicht verdacht 
werden, wenn er manchen Zweifel an der Glaubwürdig- 
keit verbrauchter Anekdoten ober als neu "aufgeführter 
Thatſachen bei fich auflommen läßt. Wir redmen dahin 
3. B. jene Unterrebungen des Kaifers Franz I. mit fei- 
nem Leibarzt Stifft, der fid über des Kaifers gute Con⸗ 
ftitution erfreute, worauf der Legtere haflig antwortete: 
„Stifft, dies Wort laffen Sie mich nicht hören. Eine 
dauerhafte Natur, fagen Sie, oder in Gottesnamen eine 
gute Complerion, aber es gibt gar keine gute Eonftitu- 
tion. Ich Habe Feine Konftitution und ich werde nie 
eine haben.” (I, 60.) Ober wenn von Maria Thereſia 
erzählt wird, daß fie den Grafen Aspremont, der den 
Bauern zugerufen hatte, fie follten den Enkel des Ra- 
koczy nicht im Kothe erftiden laffen, darüber hart ange- 
laffen habe: „Ich verlange gewiß nicht, daß Er im Ko- 
the erftidten foll, aber die Poffen mit dem Rakoczy laffe 
Er bleiben, fonft laffe ih Ihn einfperren.” (I, 178.) 
Bei folhen und ähnlihen Geſchichtchen fällt une immer 
des ehrlihen Maſcov Wort in der Vorrede zu feiner 
„Geſchichte der Deutfchen” bei, daß keine Historici ver- 


35 


düchtiger wären ale bie, weiche mit großem Vertrauen | von dem übrigen Deutfihland (I, 307) entftanden iſt, 


was in der Fürften Cabinet fürgegangen fei erzählen. 
Wenigftens könnten, wo folche bedeutende Perfönlichkei- 
ten auf den Schauplag der Dffentlichkeit gezogen wer⸗ 
den, die Xefer mit einigem Rechte eine Nachweifung ber 


Quellen oder fonftiger mündlicher Überlieferungen von 


dem Verf. verlangen, damit fie wiffen, wiefern man 
ihm glauben und er feine Sache vertreten kann. Denn 
nicht alle Briefe und Reben tragen eine fo innere Wahr- 


heit in fi) als die Briefe Gneifenau’s in ben „Lebens- 


bildern aus den Befreiungskriegen“. 

Was aber Oſtreich und fein Kaiferhaus an Lob und 
Ehre in dem vorliegenden Buche eingebüßt hat, das ift 
von Hrn. v. Hormayr mit vollfier Hand auf das Kö— 
nigreich Baiern, dem er feit 1828 angehört, und auf 
die Wittelsbachifche Dynaſtie übergetragen worden, wie 
es fhon in feinem faft gleichzeitig erfchienenen Buche 
über den tiroler Krieg wahrgenommen worden ift. Die 
Zapferkeit der Baiern in Ungarn gegen die Zürfen, in 
Oſtreich, Tirol und Rußland wird bei jeder Gelegenheit 
gefeiert, ihre Baterlandsliebe erhält die größten Xob- 
ſprüche, „der legte Baier vergift Hunger und Kummer, 
wenn von Baiernd Ruhm und Größe die Rede ift, wenn 
es darum gilt, daß Baiern Wittelsbachiſch bleibe für 
immer“ (11, 199). Ihre fehlechte Behandlung durch Na- 
poleon, deifen „Heinliher Neid und undankbare Abnei- 
gung gegen Baiern“ ihn alle feine Verpflichtungen ver- 
geffen liegen, wird in den ſtaͤrkſten Ausdrücken beklagt. 
An miehr ald einer Stelle wird ausgeführt und felbft 
mit den Worten des „erhabenen, Föniglihen Sängers” 
(I, 149), wie Baiern die ihm dargebotene Gelegenheit 
zur Vergrößerung nicht hat ergreifen können, wie es in 
Deutſchlands Staatsverein nicht die ihm beftimmte Rolle 
einzunehmen vermochte, da es doch ‚vor allen Andern 
zum Mark und Kern eines verjüngten Deutſchlands be- 
ſtimmt zu fein fihien (1, 303), und wie es fo ganz 
anders in der Welt geworben fein würde, wenn nad 
Karl's VI. von Oſtreich Tode die wohlbegründeten An- 
fprüche Baierns die Kaiferkrone auf das Haupt eines 
Wittelsbachers gefegt hätten ober wenn fihon früher 
durch Maria Thereſia's Wermählung mit dem bairi⸗ 
fhen Kurprinzen, nachmaligem Saifer Karl Albrecht, 
das alte große SKarolingifche Baiern bis tief an die 
Etſch, an die Leit, March und bis an die. adriatifchen 
Küften wieberhergeftellt worden wäre. Die Ausfüh- 
zung dieſer patriotifchen Phantaſie (U, 130 fg.) bei un- 
ſerm Verf. ift in ber That Iefenswerth. Dagegen wird 
nun Oſtreichs Haus und Regierung überall des Haffes 
und der Undankbarkeit gegen Baiern befchulbigt, fehon 
von den Zeiten bed Dreißigjährigen Krieges her, wo 
Baierns „unerfchütterte gänzliche Selbftvergeffenheit und 

eroifche Aufopferung, feinen natürlichen Nebenbuhler und 
iderſacher zu erhalten und zu retten” nicht müde 
wurde, dafür aber in allen Lebensfragen, allüberall vor- 
angeſtellt, überall im Stiche gelaffen und myflificirt wor: 
den ift (IT, 146 u. a. D.), woher benn in fpäterer Zeit 
jene „ungerechte und politifhe” Abfonderung Baierns 


welche freilich auch dies Land längere Zeit hindurch ge- 
gegen feine Stammgenoffen verbiendete. Bei Diefer Bor- 
liebe für bairiſche Zuftände kann es auch nicht befrem- 
den, wenn Lilly, „ber herrliche Murrkopf“ (1, 251), ale 
ein befcheibener, mäßiger und firenger Mann gegenüber 
der Habſucht und Verſchwendung Wallenftein’s gefchil- 
dert und mit Verweifung auf quellenmäßige Korfchungen 
ausgefprochen ift, daß Magdeburgs Zerflörung durchaus 
nicht feine Abficht gewefen, indem fie vielmehr feinen 
nächften Kriegszmeden ebenfo nachtheilig geworden fei 
al8 der Untergang Moskaus für Napoleon (II, 282 fg., 
vergl. mit der „Gefchichte Andr. Hofer’8”, IT, 114). XTrog 
folder und ähnlicher Parteilichkeiten kann aber Hr. v. 
Hormayr nicht umhin, fhärfften Tadel über Karl Theo- 
dor's von Baiern „heillofe Maitreffen- und Baftarden- 
wirthſchaft“ (1, 189) und vor allen über das Treiben 
der Sefuiten, deren abgefagter Feind er überhaupt if, 
in Baiern an mehren Stellen auszufprechen und mit 
glaubwürdigen XThatfachen zu belegen, wie 5. B 
Th. 1, ©. 304—318. So gern wir nun dies Leßtere 
anerkennen, fo begreifen wir doch nicht auf der andern 
Seite, weshalb gerade er, ein fo beredter Herold deut- 
fher Einigkeit und Verträglichkeit, die Gefchichten zweier 
benachbarten Ränder, deren Einwohner ohnehin feit Jahr⸗ 
hunderten ſich oft genug angefeindet haben, mit offen- 
barer Herabfegung des einen und ungemeffenem Lobe 
des andern vorgetragen hat. Oder meint er dadurch 
mitzuwirken, daß fi Oftreicher und Baiern als Völker 
deſſelben Stammes betrachten werden? Das kann we—⸗ 
nigſtens eine Anekdote nicht bemweifen, die der Verf. aus 
der Regierungszeit Karl's VI. erzählt, als bairifche Hülfs- 
truppen in den Türkenkrieg zogen und in Wien ſich 
nicht wollten auf der Donau einfhiffen laffen. Da 
wollte der wiener Pöbel an dem Mundwerke, an ber 
gut katholiſchen Religion und an gegenfeitigen Heirathen 
ertannt haben, daß Baiern und Oftreicher Brüder mä- 
ren und daß fie auf nichts fjehnlicher Hofften als auf 
eine Bereinigung beider Länder unter einem, Herrn 
(II, 132). Wir bezweifeln aber, daß eine folche UÜberein- 
flimmung ber Anſichten, felbft wenn jenes Gefchichtchen 
wahr fein follte, damals geherrfcht habe, und meinen, 
dag noch heutigen Tage die Baiern ebenfo ungern 
Oftreicher werden möchten als die Oſtreicher fi dem 
batrifhen Herrfcherflamme unterwerfen würden. Und 
felbft in der vom Verf. gefchilderten Zeit waren doch 
wol Außerungen des Volks als „lieber bairifch ſterben 
als ins Kaifers Unfug verderben‘ (l, 188) aus den 
Fahren ſchweren Drudes unter der öftreihifchen Herrfchaft 
im Spanifchen Erbfolgekrige noch nicht gänzlich vergeffen 
ober einer durchaus veränderten Stimmung gewichen. 
(Die Lortſetzung folgt.) 


Theodor von Kobbe. Ein Denfftein von Adolf Stahr. 
Didendurg, Schulz. 1845. Ler.-8. 11’, Nor. 
Der Rame, der auf diefem Denkſteine ftebt, ift Vielen be⸗ 

kannt, Bielen werth, nicht Wenigen unvergeflih. Kobbe war 





’ ein Mann der Gelchrfomdeit, er wor Tein „Kerl im 
nat wie Leffing ſagt; er bick das Menfchfein für Das 

oͤchſte. Das Leben felbft mit feinem unendlichen Inhalte war 

m das Wichtigfte; alle Wiſſenſchaft, Kunft und Poeſie ſtellte 
er in den Dienft des Lebend. Kobbe gehörte nicht gu den 
Biveliinenfchen, die bei Allen was fie fagen, thun und unter: 
nehmen eine ‚binterhaltige Geſinnung 3 er gehörte nit 
der die große Slafie Derer, bie mit fogenannten Freunden eine 
Aſſecuranz zu gegenfeitigem Lob und Indiehöheheben bilden; 
ee gehörte nicht in die große Claſſe Derjenigen, die jedes Ins 
divſduum, das ihnen vorkommt, glei darauf anfehen und 
darauf anfaffen, wozu fie es einmal benugen koönnen; Sobbe 
war ein gang unbefangener, natürlicher Menſch. Diefe Unbe⸗ 
fangenheit wirkte in hohem Grade vortheilhaft auf feine humo⸗ 
eiftifchen Darftelungen; Kobbe fah das Leben überall in feiner 
Roturlage, in feiner Naturfarbe, in feinem Raturzufammen- 
bange; er gudte nie durch die Brille der Partei. Und fo 
wahr er das Leben erfaßte, fo fehnell und Leicht that er es. 
&o find denn auch feine fchriftftelerifhen Productionen alle 
nicht mühfam gearbeitet, fondern leicht zuſammengewebt; Kunft: 
werte bat er nicht geliefert: in der Haft des Schaffens ließ 
er einen eben vollendeten en Guß mit allen feinen Maͤn⸗ 
gein unpolirt ftehen. Dem Zeitgeſchmack Yat er nie Eoneeifio: 
nen gemacht; alle feine Freunde müſſen willen, wie lebhaft er 
wurde, wenn er in feiner bilberreichen Redeweiſe fagte: „er 
wolle feine Schriften nicht mit Politik düngen, er wolle nicht 
mit Boten mergeln.” 

Sollte diefes Blatt Iemandem zu Gefiht kommen, der 
Kobbe's Schriften nicht Eennt, der lefe doch feine „Reiſeſkizzen 
aus Belgien und Zranktreich”, feine ‚„Humoriftifchen Neifebil- 
der”, feine „Briefe über Helgoland’ u. f. w., und er wird fih 
durch die Natürlichkeit der Darftelung, durch den Hauch von 
Jugendlichkeit, Friſche und Lebenskräftigkeit, der über alle feine 
Arbeiten audgegoffen ift, gewiß angeſprochen fühlen. Noch 
Eins erwähne ih, was hoͤchſt wichtig ift: Kobbe blieb in fei- 
nen Schriften jtets dem Wahlfpruch treu, den er als Motto 
feinen „Humoriſtiſchen Blättern” vorangeftellt hatte: nil bonum, 
nisi quod bonestum, d. h. die Grenze der Ehrbarkeit über: 
jchreitet Robbe nie, in das clair-obscur des Zweideutigen ver- 
laufen fih feine Darftelungen niemals. 

Hr. Dr. Stahr hat ein gutgetroffenes Bild auf den Denk: 
flein gezeichnet. Kobbe elite fich niemals befler oder voll 
fommener dar als er war, der Schein galt ihm nichts; ebenfo 
it auch Hr. Stahr unparteiifch; einen Panegyrikus fchreibt 
er nicht, und das ift gut. Alle Freunde und Bekannte Kobbe’s 
werden wünfden, daß demnaͤchſt eine vollſtändige Biographie 
bed Berftorbenen erfcheine. 2. 





Literarifhe Notizen aus England. 


Die Epifteln des heiligen Ignatius. 

Bekanntlich erließ der Biſchof von Antiochien St.» Igna 
tius auf feinem Wege nah Rom, wo er den Tod der Mär: 
torer fterben follte, an mehre chriftliche Gemeinden Schreiben, 
die biß auf unfere Zeiten gelangt find, deren Echtheit aber in 
dieſer Geſtalt vielfach beftritten worden ifl. Beſonders wichtig 
ift diefer Streit geworden, weil die Anhänger der Episcopal: 
kirche aus diefen Bricfen Beweife für ſich fchöpften- Im J. 
1495 wurden drei er Epifteln in lateinifcher Sprache ver: 
öffentlicht, und drei Jahre fpäter deren noch acht. Im 2. 
1957 drudte Paceus aus einem Manufeript in ber Bibliothek 
zu Augsburg zwölf in griechifcher Sprache abgefaßte Epifteln, 
und 1559 gab Geftner diefelben zwölf Briefe nad) einem am 
dern Manufeript heraus, ohne daß er, wie es fejeint, bie frü- 
here Ausgabe kannte. Damals erhob ch ſchon zwiſchen Cal⸗ 
vin auf einer und Bararius und Halloix auf der andern Geite 
der Streit über ihre Echtheit, webei fi nad und nad bie 


Verantwortlicher Herausgeber: Heineich Brockhaus. 


Annchme herausſtellte, daß, obwol ein Theil davon wahrſchein⸗ 
lich echt, doch ſehr viel untergeſchoben ſei. In der ſpaͤtern Beit 
gab man ſich nun alle Mühe, das Echte von dem Untergeſchobe⸗ 
nen zu fondern; dabei gab man bie Hoffnung nicht auf, daB 
die urfprängliche Abfaffung diefer @pifteln in ſyriſcher Spra- 
Se ſich noch einmal finden werde, da Ebed Iefu, Metropoli⸗ 
tan von Soba, m feinem Katalog ſyriſcher Werke, der von 
Abraham Ecchellenſfis 1653 herausgegeben wurde, einer fi 
Ausgabe Erwähnung thut. Bon mehren Seiten, namentli 
von Dr. Fell, wurden deshalb lange Rachforſchungen in den 
Klöftern des Morgenlandes angeſtellt, ohne daß fie zum Ziele 
führten. Im J. 1839 kauften die Vorſteher des Beitifhen Mu: 
feum die Manufcripte an, welche Hr. Rich bei feinem Aufent⸗ 
halte in Bagdad ſich verſ hatte, und eins diefer Manu: 
feripte enthielt benn ein Bruchſtück bed Märtyrerthums des 
heiligen Ignatius nebft feiner Epiftel an die Römer. Ein ans 
derer Forſcher auf diefem Welde, der enalifche Geiſtliche Wil: 
Ham Zureton, hoffte Das vollftändige Werk zu finden, da Affe⸗ 
manni in der Borrebe zu feiner „Bibliotheca orientalis” mel- 
bet, er ‚babe von dem Klofter gu Nitria eine fehr alte Hand» 
ſchrift, welcde die Thaten ded heiligen Ignatius und anderer 
Blutzeugen umfaßte, erhalten und in der Bibliothek des Ba: 
tican niedergelegt. Die Anfragen, welche deshalb in Rom 
geſchahen, wurden dahin beantwortet, daß fich nichts dergleichen 
dort vorfinde. Endlich gelangte Tattam bei feiner Reife in 
Auppten 1833 — 39 in dem genannten Kloſter in den Befig 
mehrer ſyriſchen Handfchriften, und unter ihnen fand Eureton 
eine uralte und darin nedft andern feltenen Urkunden mehre 
Musgüige aus ten Epifteln des Heiligen Ignatius. Bereit 
1843 legte Zattam eine Sammlung Diefer wichtigen Manu: 
feripte in das Britifhe Mufeum nieder und Qureton hat jegt 
unter dem Zitel: „Ancient Syriac version of the epistles 
of St,-Ignatius”, drei diefer Epifteln, nämlih die an St.⸗ 
Polycarp, an die Ephefer und bie Römer, in fprifchem Urtert 
mit englifcher Überfegung zur Seite Herausgegeben und denfel- 
ben am Schluß die griechiſche Recenfion der Medichifchen Hand: 
ſchrift ſowie Moten beigefügt, welche jene heile der griechi⸗ 
ſchen Überfegung hervorheben, die zu einer fpatern Zeit einge: 
Tchaltet worden find. Zugleich hat der Heraudgeber verſprochen, 
dag er aus den fraglichen Manuferipten noch andere Abhand⸗ 
lungen von großer Wichtigkeit veröffentlichen werbe. 


Unwiffenbheit des Landvolks in Portugal. 

Der englifhe Reifende W. H. ©. Kingfton erzählt in fer- 
nen „Lusitanian sketches of the pen and pendl’' (2 Bde.) 
unter andern Bügen von der Unmwiflenheit Des porkugiefifhen 
Lauduolfs, daß man ihn im Innern des Landes überall nad 
der „Flugmaſchine“ gefragt habe, vermöge welcher die Leute 
durch die Luft fliegen koͤnnten; noch mehr fei man neugierig 
gewefen, wie es mit den eifernen Dampfbooten ftehe. In den 
Flugmafchinen babe den Leuten nichts Unwahrſcheinliches gelegen, 
da „die Vögel ja auch fliegen koͤnnten“; aber die Kunft, Eifen 
ſchwimmen zu maden, das fei ihnen unbegreiflich geblieben s 
fie hätten ſtets gefragt, ob denn dergleihen Schiffe nicht zu 
Boden ſaͤnken? 12. 





Literarifhe Anzeige. 


Bei F. A. Brockhaus in Leipzig ift neu erfchienen und 
in allen Buchhandlungen zu erhalten: 


Die 


Katholifch-theologifche Facultät 


an der 
Univerfität zu Breslau. 
Gr. 8. Geh. 6 Near. 
Drud und Berlag von F. 8. Brockpaus in Leipyig. 











Blatter 


für 


literarifde Unterbaltung. 





Sonnabend, 


10. Jannar 1846, 





(Bortfegung aus Wr. 9.) 

Dos wären nun Die allgemeinen Bemerkungen, zu 
denen bie Lecture ber „Unemonen” uns Beranlaffung 
gegeben bat. Wir wollen fegt verfishen, den überreichen 
Inhalt des Buche wenigſtens ben Hauptſachen nach dar⸗ 
zulegen, obſchon man meiſtens vergeblich ſich nad licht⸗ 
vollen Überblicken und Zuſammenfaſſungen der Begeben⸗ 


heiten umſieht. In den „Lebensbildern“ boten bie dem 
zweiten Bande beigefügten egifter doch einige, wenn 
auch nur fpärliche Hüffe, in den „Anemonen” vermiffen 
wir auch dieſe gewiß nicht verwerfliche Rückſicht auf bie 
Bequemlichkeit der Lefer, bie in noch höherm Grade De- 
nen zugute kommt, welche bie vielfachen Einzelheiten auf 
ein beflimmtes praktiſches Ziel hinführen und ihr Lob 
ober ihren Zabel nicht blos von gemiffen Umftänden ober 
Richtungen, welde dem. Berf. gerade zufagen oder zu- 
wider find, beflimmen lafſen. ' 

Der alte Bilgersmann erhlelt zu Trident am 11. März 
1835 _die Nachricht von dem Ableben bes Kaiſers Franz I. 
von Oſtreich, und fein unerfchöpfliches Gedaͤchtniß führt 
ihm gleich eine Reihe Hiftorifcher Thatſachen zu, die ſich 
ebenfalls am 11. Mär, ereignet haben. Diefe geben 
Anlaß zur Srörterung der von „dem Pfäfflein Talley⸗ 
rand dem Congreßwalfiſch zn Wim vorgeworfene Legi- 
timitätstonne” und über das fait accompli der modernen 
Politit, Alles in ſehr ſarcaſtiſcher Weiſe Denn das 
Refultat der Bemerkungen über die Regentenhäufer in 
Oſtreich, Spanien, Holland, England, Portngal, Schwe⸗ 
den und Dänemark Tduft mehr ober weniger auf nichts 
Anderes heraus als daß alle Throne Europas von ben Nadh- 
tommen fchlauer Eroberer oder glücklicher Baftardföhne 
eingenommen find. Dazwiſchen ziehen ſich Betrachtun- 
gen über das Saliſche Gefeg in Spanien, über abgefegte 
Fürften, wie über den Herzog Karl don Braunfchweig, über 
anfcheinend illegitime oder nicht ebenbürtige Heirathen, 
über conflitutiounele Berfaffungen, und eine hiſtoriſch⸗ 
ftaatsrechtliche Erörterung fiber blinde Kürften (&. 50 fg.) 
zur Beſtätigung des Satzes, daß das geſammte chriſtliche 
Europa Sein Beifpiel eines Fürſten kenne, welcher blind 
deu Thron beiliegen Hätte. Bei Gelegenheit der conftitu- 
tionnellen Berfaffungen weiß der Verf. wieder auf Oft- 


ſelbſtzemachten Berfchwörungen und der Undank. oo. 
Wenn das erloſchene Habsburgiſche Kaiſergeſchlecht, 
leſen wir weiter, die Dynaſtie der Unwahrſcheinlichkeiten 
heißt, fo gilt bied einmal in dem Sinne, daß in dem 
von feinen Geſchicken duerchlaufenen halben Jahrtauſend 
felten das den gewöhnlichiten Berechnungen zufagende 
Vahrſcheinliche, vielmehr bas Unwaheſcheinlichſte einge- 
troffen fei, andererfeits, daß ein fehtenes Glücksſpiel bier 
fem Daufe vergönnt, in ber öffentlichen Meinung, bie 
es ale ſolche mit eiferner Gewalt, oft mit beharrlichen 
Hinderliſt wiederzutreten verſucht Hat, das Unwaheſchein⸗ 
liche als wahrfcheintic, niederzulegen und das Falſche, 
als traditionnelle Glaubenswahrheit, einer unmwilligen,- aber 
gleichwol irre gewordenen Nachwelt zu überliefeen. Als 
Belege zu diefen mit mehr als hiftorifcher Streuge Yin- 
geflellten Sägen wird unter Underm bie Fehde Rudolf 
von Habsburg mit Ditofar von Böhmen angeführt, fer- 
ner ber Entfag von Wien durch Sobieski, ber dociſache 
Zuſammenfluß von Kronen auf das Haupt Yhikipp's, 
des Sohnes Marimilian’s I., der fogar mit bitterer An- 
fpielung auf feinen Namen „bes legten Rittere‘ ber 
„Ritter der Unmwahrfcheinlichkeiten” heißt, die Ermwerbun- 
gen während Friedrich's IV. und Rudolf's IV. flud- 
würdiger Regierungen. Außerdem ift in mehren Beifpie- 
fen bier und ganz befondess und mit fichelicher Unfreund- 
lichkeit (II, 118 — 429) gezeigt, daß die Gefahr des 
Erlöfchens diefes Haufes, wie unter Mar I, Ferdinand D. 
und Leopold I. doc, ſtets zu neuen Ausbreitungen ge 
fügrt habe. Nechnet man nun hierzu die mehrfach aus⸗ 
gefprachene Anficht, daB von Aibrecht bis auf Map J. 
die Habsburger in mmaufhörfihen Kämpfen gegen dem 
Geiſt der Zeit fich verbiutet hätten, lieft man bie mit 
einer Maſſe von Einzelheiten ausgeflattete Beichreibung 
der ungerechten Eingriffe Habsburgs in bie Verfaſſungen 
von Ungarn, Böhmen und Tirol (mas in beiben Bin 
den eigentlich der härtefte Vorwurf gegen bie oͤſtreichi⸗ 
Ihe Regierung iff), vergleicht man endfih damit bie 
fostdauernde Gegenüberfiellung ber Häufer . Habsburg 
umb Habäburg-Borhringen, obwel von dem Legteen auch 





Nachtheiliges genug gefagt ift, fo kann man fi der 
Fear nr —* daß der Verf. der „Unemonen” 
es eigentlich beflage, daß die Vorfehung gerade in die⸗ 
fer Weiſe über dem Kaiſerhauſe gewaltet habe. Einzelne 
Lobpreifungen, wie die der fittlihen und häuslichen Tu⸗ 
genden der Frauen im Habsburgifchen Haufe, vermögen 
nichts gegen bie Keindlichkeit der Gefinnung, mit welcher 
ale Wunden des Haufes aufgededt werden. Und doch 
gibt es nicht leicht ein ehrwũrdigeres Amt ale das ift, 
welches die Vorſehung dem oͤſtreichiſchen Kaiferthun im 
Kreife der europäifhen Staaten aufgetragen hat, wie 
unfer Verf. felbft in voller Ubereinſtimmung mit einem 
gefühlvollen Kenner der vaterländifchen Gefchichte erſt 
jegt in feinem „Hiftorifchen Zafchenbuche” (Jahrgang 1846, 
©. 15) behauptet hat. Es gibt aber auch nicht Leicht 
einen bewunderungswürdigern Beweis für die befondere 
Obhut der Vorfehung und für die höhere Lenkung 
menſchlicher Schickſale ald den Augenblid, wo Karl VI. 
ftarb. Der alte Mannsftamm bes Fürften, mit welchem 
und durch welchen der öftreichifhe Staatenbunb groß 
geworden war und zu welchem ſich feine Länder gleich- 
fam durch eine Wahlverwandtichaft immer wieder hin⸗ 
gezogen gefühlt hatten, fo oft fie das Verhaͤngniß von- 
einander riß, war erlofhen. Da ward in Maria The⸗ 
zefia eine rau auf den Thron geftellt, die nur deshalb 
ein Weib zu fein fehien, um alle die ruhmvollen Eigen- 
fhaften ihrer Ahnen, die fi in ber fpröden, männlichen 
Natur zum Theil nicht gegenfeitig ausgleichen wollten, 
mit verföhnender weiblicher Huld in fih zu vereinen 
und unter eine blühende Nachkommenſchaft reichlich zu 
verbreiten. Damit aber die Habsburgifhe Eigenthüm- 
lichkeit ſich ungetrübt erhalte, wählte die Vorfehung der 
Zürftin einen Gemahl in Franz von Lothringen, der aus 
einem Urftamme mit ihrem Geſchlechte entfproffen war, 
und durch wechfelfeitige Neigung (mir möchten gern bier 
die Worte unfers Berf. in Bb. II, S. 133, anführen), 
ohne politiſche Berechnung warb einer Dynaftie ber herr⸗ 
lichſten Söhne und Töchter das Dafein gegeben. 
(Die Zortſetzung folgt.) 








— nn 





Ein Herenprocef. 


Die wahre Weisheit, die Entdeckung und Ausrottung alt 
vererbien Truges und Unverftandes ift ſtets vom Volke ausge: 
gangen, d. h. von den Leuten mit gefundem Menfchenverftande 
und geradem Herzen, denen der Wuft eingelernten und ein- 
gefpulten Willens nie die Sinne umnebelt und die Gefühle 
verhärtet; aller Widerftand gegen Licht und Aufklaͤrung dage⸗ 

en bat unter ben Hochgelahrten jebwelcher Zeit, wo ein fol: 

v Kampf fih entwidelt, ſtets die nachhaltigften Stügen ge: 
funden, wie er fi zum Gelingen feiner Plane ftets an die 
dumpfſte Roheit allen geiftigen Poͤbels gewandt hat. Dies ift 
die große Wahrheit, weldge die Gefchichte auf jedem ihrer Blät- 
ter von der graueften Vorzeit bis herab auf unfere Zage in 
taufend Beilpielen lehrt. Die Gefchichte der Hexenproceſſe, 
einer der größten Schandflede, die an dem Gebächtnif von 
Beitaltern haften, die noch nit gar fern hinter uns liegen, 
redet biefer Wahrheit das unmwiderfprechlichfte Beugniß. ir 
wünfden uns Süd, daB biefer graufame Irrthum übertwun- 
ben, daß ber fange blutige Schatten, den derfelbe über ganze 


Jahrhunderte geworfen, wie der Rebel vor der Sonne fpurles 
verſchwunden iſt. Und doch fpuft der unheimliche Geiſt, der 
jene Scheuslichkeiten erzeugt, der Tauſende und wieder Tau⸗ 
fende zu den gräßlichfien Martern, zu den furchtbarſten Todes⸗ 
qualen verdammt bat, indem er ſich in den Mantel des Glau⸗ 
bens und der Religion hüllte, auch noch bis zu diefer Stunde 
unter ben gefitteten Nationen umher; die Sehnſucht nach dem 
Weſen und den Geftaltungen des Mittelalters müßte in ihrer 
legten Entwidelung wieber zu feiner verfolgungsfüchtigen Giau⸗ 
bensdemuth und feiner graufamen Andachtöfülle hinführen. Je⸗ 
nen Teufelsbeſchwoͤrern und Zeufelaustreibern in Belgien und 
Zuremburg, denen vielleicht nur der weltlihe Arm mangelt, 
um angezünbete Holsftöße und ähnliche Koltern an die Stelle 
der mildern Mittel des Erorcismus zu fegen, jenes Vorkom⸗ 
men von angeblich Beſeſſenen und ihre Heilung durch Pfäffen: 
trug, jenes Erzaͤhlen und Wiedererzählen von dem „Herein⸗ 
rggen der Geifterwelt” mit allen Anhaͤngſeln finfterer daͤmoni⸗ 
her Gewalten in die unferige: was find biefe fo häufigen Er⸗ 
fheinungen denn Anderes als Seien der Hinneigung zu ei— 
ner Inbrunft des Aberglaubene, der einft in zahllofen Autosdafe 
bie legte Stufe wollüftiger —— gefunden? Jeder 
neue Beitrag, der die geſchichtlichen Kolgen dieſes Aberglau⸗ 
bens in feiner aͤußerſten Gonſequenz in volles Licht ſtellt, muß 
deshalb als ein Schu» und Heilmittel wider die gefährliche 
Seuche betrachtet werden, die ihr Gift in neuerer Zeit wieder 
ftärfer als je ausbreitet. Als ein folder wichtiger Beitrag ift 
aber das auf Koften der Cheltham society in England durch 
James Eroßley herausgegebene und mit Einleitung und Roten 
verfehene Wert „Potts discovery of witches in the county 
of Lancashire. Reprinted from the original edition of 1613” 
anzufeben. In feiner Einleitung macht der Herausgeber dar⸗ 
auf aufmerkfam, daß die gelehrteften, angefebenften Männer 

jener und felbft fpäterer Zeit an das Herenwefen geglaubt ha» 
ben, fo Bacon, Raleigh, Selden, Eubworth, Dr. Henry More, 
ja Hobbes und Boyle Während nun Männer von foldyer 
Auszeichnung und Gelehrſamkeit diefem finnverwirrenden und 
entmenſchlichenden Aberglauben huldigten, gehörten Diejenigen, 
welche fich demfelben kuͤhn entgegenfkellten und die ſich dadurch 
mebr oder minder heftigen Unfeindungen, Berdächtigungen, 
Berfolgungen, dem wütbendften Haß der Pöbelmeinung aus» 
festen, größtentheils Claſſen an, die in gejellfchaftlicher Stel 
lung einen untergeordneten Bang einnahmen; es waren mei» 
ftentheilß Leute ohne Stand, Rang, Amt, ja felbft ohne Wif 
ſenſchaft; einfache Männer, die dad Herz auf dem rechten Flecke 
trugen und die mit klarem ungetrübtem Auge die Dinge far 
ben wie fie waren. Ber erfte diefer Männer, welche in Eng- 
land — wo uͤberdies die Herenverfolgung erft fpäter und beiwei- 
tem nicht in dem Maße wie auf dem Feftlande, und namentlich 
in Deutfchland, um fich gegriffen hatte — dagegen auftraten, Re: 
ginald Scott, war ein Landedelmann, der Ackerwirthſchaft trieb 
und befonders als Hopfenbauer in Ruf fland. Er begann mit 
feinem im 3. 1534 herausgegebenen ‚‚Discoverie of witch- 
craft”” den Kampf gegen den abfcheulichen Wberglauben und 
die dadurch häufig gewordenen Rechtsmorde. In marliger, 
derber Sprache und mit sreflenem Spotte verfolgte er diefen 
fhändlihen Brauch. Ihm folgte brei Menſchenalter fpäter 
Sir Robert Fülmer, ein ale Sonderling und ercentrifcher Kopf 
berüchtigter Baronet, deſſen unmittelbare Erfolge befonders 
dadurch erlangt wurden, daß er fih mit feiner gegen jene 
Abfcheulichkeiten gerichteten Schrift „„Advertisement to the ju- 
rymen of England touching witches’ geradezu an das Volk, 
an Diejenigen wandte, welche über Angeklagte biefer Urt zu 
Gericht faßen. Ein kleiner verwachfener Schriftfteller oder 
Advocat, Wagſtaffe, der die Sache mit folcher perfönlicher Lei⸗ 
benfchaft angriff, daß er darüber in Irrfinn verfiel und def» 
fen Rame ſchier ver een ift, war der Dritte, der Verfaſſer 
endlih der im J. 1677 veröffentlichten Schrift „The dis- 
playing of supposed witchcraft”, Webfter, ein Naturforſcher 
und Alchimiſt, 








— ein dunkler Ehrenmann 

Der über die Natur und ihre heilige Kreife 

An Reblichleit, jedoch auf feine Weiſe 

Mit grillenhafter Mühe faın — 
der Vierte jener Männer in England, deren Ramen ald Be 
fümpfer des unfchulbmordenden Borurtheild auf unfere Tage 
gelommen find. Ihnen fehloffen fi) zahllofe Andere an, Die 
in Schrift und Wort die Sünde ihrer Bett, den Trug und die 
Lüge in der blutigen Geftalt, die fie Damals trug, befehdeten; 
noch. weit obſcurere Leute als die genannten Bier, Menfchen 
wie Die, welche heutzutage der anmaßende geiftige Bettelftolz, 
der feine Dentunfähigkeit und Denkfeindſchaft prunfend zur 
Schau trägt, welche heute das unwiffende Junkerthum, die 
verbauerte Dummheit und ber ftupide Geldfad mil dem Na: 
men „Sribler” zu ſchaͤnden meinen, wenn fie e8 wagen, an 
andere gleichfalls von Jahrhunderten zu Sahrhunderten fort: 
geerbte Irrthuͤmer das Richtſcheid des uwerfaͤlſchten gefunden 
Menſchenverſtandes, der Wahrheit und des Rechtsbewußtſeins 
unſers Jahrhunderts zu legen. Vergeſſen find jene Ramen, 
carent quia vate suo, ungekannt find jene Federn, die den 
heitigften Interefien der Menfchheit in einem Kampfe gedient, 
wie er nie geredhter und wenn man will chriftlicder, d. h. mehr 
im Geifte des wahren Ehriftentyums geführt worden; aber 
ignen, den im Dunkel ber Dergefienkeit Begrabenen, den Leu 
ten aus dem Volke und mit dem Volle ift es zu danken, daß 
das fcheusliche Brandmal, welches religiöfer Fanatismus auf 
jene finftern Zeiten gedruͤckt, ſich nicht auf unfere Tage fort« 
gepflanzt: ihnen iſt es zu danken, daß der von den Gewalti- 
gen und Gelchrteften und &ebildetften folcher Beitalter genaͤhrte 
und gepflegte Aberglaube erfchüttert und umgeftoßen wurde 
in der Meinung ded Volks, daß er dem gerechten Verdam 
mungsurtbheil der Nachwelt, unferer Zeit anheimfiel. Ehre die 
fer vergeflenen Ramen jenen Pharifüern und Schriftgelehrten 
gegenüber, die, pochend auf Macht und Autorität, Alles, was 
durch beide in ihren Kräften ftand, anwandten, dieſes Vorur⸗ 
theil aufrechtzuerhalten ! 

Das obengenannte nach mehr denn 200 Jahren aufs 
neue herausgegebene Wert enthält die Geſchichte eines ſolchen 
Proceſſes im 3. A612, deſſen Nefultat die Hinrichtung von 
zehn Menfchen war. Über die Richtigkeit der darin enthalte» 
nen Thatſachen, welche einen tiefen Blick in die MWerirrungen 
der Menfchennatur zu werfen vergönnen, Fann wol Fein Zwei⸗ 
fel beftehen, da der Berf. der Schrift, Pott, Schreiber des 
Gerichtöhofs, vor dem die Sache geführt wurde, diefelbe auf 
aus drücklichen Befehl der beiden Richter, welche bei dem Ge⸗ 
richte den Borfig geführt, abfaßte, auch vor der Veröffent⸗ 
lichung einer diefer Diener der Gerechtigkeit die Schrift noch 
einer genauen Durchſicht unterwarf, damit, wie Pott fih aus: 
drückt, „nichts als Thatſachen aufgenommen würden”. Rad 
Diefem läßt fi annehmen, daß die erwähnten Richter ihr Ber 
fahren in diefer Sache ſich zu großer Ehre vechneten und dur 
die weitere Beröffentlihung deijelben fih bei den damaligen 
Machthabern in Gunft fegen wollten, waß dadurch noch wahr: 
ſcheinlicher wird, baß dieſes Urtheil des Gerichtshofes das erfte 
Zodesurtheil in England wegen Hexerei zur Folge hatte, in» 
dem man das von Jakob I. erlaſſene Geſetz darauf anwandte, 
welcher Stuart befanntlich ein großer Freund bes Dämonen» 
glaubens war und felbft, ein in theologifchen Sachen grund» 
gelehrter Herr, darüber gejchrieben hatte. Natürlich mußten 
Richter, die durch Ausſagen, welche ſie von den Angeklagten 
erlangt hatten, die theoretiſchen Behauptungen und die theo⸗ 
logifche Weisheit ihres koͤniglichen Gebieters durch Thatſachen 
beftätigten, feiner fuͤrſtlichen Gunſt empfohlen werben. 

Bon den sen Berurtheilten gehörten neun einer der ent 
Kegenften und unfruchtbarften Gegenden in Kancafhire, dem unter 
den Ramen Pendie Forſt bekannten Bezirke an, deſſen Schrecken 
au jener Beit zwei alte achtzigjaͤhrige Weiber, berüchtigt unter 
dem Ramen DId Demdike und Did Ehattor, waren. Alles 
Döfe, was in der fernen und nahen Umgegenb @inzeinen 


wiverfuhr, alle Erktankungen und der Vod von Menſchen und 
Bieh wurde dieſen beiden Wefen und ihren Verſprechungen 
und BZaubermitteln zur Laft gelegt. Auch rühmten Beide, bie 
lange in toͤdtlicher Feindſchaft geftanden, fich felbft ihrer Zau⸗ 
berfraft und waren fo nach und nach, wie dies zu gehen pflegt, 
aus Betrügern zu Selbſtbetrogenen geworden, welche die Voll⸗ 
ſtrekung ihrer Hexenſprüche und Belhwörungsformeln dem 
vertrauten Umgange mit einem Geifte aus dem Abgrunde ber 
Finſterniß zufchrieben und in jeder Kage und jedem Hunde den⸗ 
felben zu erbliden vermeinten. Die Gerüchte hinfichtli mehrer 
von diefen Perfonen durch Hererei vollbrachten Mis und Morb> 
tbaten Samen einem Richter mit Namen Roger Rowell in Read 
zu Ohren, der am 2. April 1612, beide Weiber mit ihren Toͤch⸗ 
tern Alifon Davis und Anne Redfern in Haft feben ließ, um 
fie fpäter vor Gericht zu flellen. In Folge diefer Verhaftung 
verfammelten ji die Kinder und Anverwandten der außerfches 
nen Dpfer am Charfreitage in einem abgelegenen einzefftchen- 
den Gebäude, Malking Tower, um bie Schritte zu berathen, 
die zur Bertheidigung der Angeklagten zu thun wären. Es 
verbreitete ſich das Gerücht, man habe dort befchlofien, den 
Gefängnißvogt von Lancafter Eaftle, wo die gefänglih Einge⸗ 
zogenen verwahrt wurden, zu: morden und das Schloß in die 
Luft zu ſprengen; Grunde genug für ben eifrigen Michter, 
noch weitere Berhaftungen in der Verwandtfchaft der Angeklag⸗ 
ten vorzunehmen, indem er eine Gutsbeſitzerin, mit der er ſeit 
laͤngerer Zeit in Grenzſtreit lag, Alice Nutter mit Namen, 
noch eine Tochter und einen Enkel der Old Demdike, Eliſabeth 
und Jakob Davis, eine gewiſſe Katharina Hewitt und noch 
eine Menge anderer Perſonen einziehen ließ. Der Hauptbelas 
ftungszeuge binfihtli der in Malking Tower vorgenommenen 
„ſchwarzen Künfte” war ein Kind von neun Jahren, die 
Tochter der Eliſabeth Davis und Enkelin der DId Demdike auf 
deren Ausfagen bin ihre nächften Anverwandten, Mutter, Groß⸗ 
mutter, Bruder und Schwefter, zum ode verurtheilt werden 
follten. Zwar betannten ſich diefe im Kerker zu den ihnen ſchulb⸗ 
gegebenen Verbrechen, aber es geht mit ziemlicher Wahrſchein⸗ 
lichkeit aus dem ganzen Verfahren hervor, daß man ihnen das 
Geſtaͤndniß wenn nicht durch wirkliche Foltern, doch durch 
Mittel ausgepreßt, die auf Daſſelbe hinausliefen. Die Andern, 
welche auf die Ausſage dieſes Kindes zum Tode verurtheilt 
wurden, nämlich Anne Nedfern, Alice Rutter, Katharina Her 
witt, Sohn und Sohanna Bulcock (die Leptern Mutter und 
Sohn), behaupteten bis zum lebten Augenblick ftandhaft ihre 
Unfhuld. Die Großmutter, mit ihrem Familiennamen Etiſa⸗ 
betb Southeres, hatte ausgefagt, daß fie vor 20 Jahren, 
als fie vom Betteln nach Haufe gegangen, an einem Brunnen 
einem Geiſt oder Beufel in Geftalt eines Jungen begegnet, befs 
fen Meidung zur Hälfte ſchwarz, zur Hälfte braun geweien 
fei und ber ihr verfprochden Babe, fie folle Alles haben, was 
fie fodere, wenn fie ihm ihre Seele übergeben wolle. Um 
feinen Ramen gefragt, habe ex ſich Zipp genannt und fie ſei 
beftodhen durch das Verſprechen auf den Vertrag eingegangen. 
Im Laufe der nächften Fünf oder ſechs Jahre fei ihr befagter 
Zeufel zu wiederholten Malen bei Tagesanbruch erjchienen und 
babe fie gefragt, was fie verlange oder gethan haben wolle. 
Ihre (Befäbrtin Did Ehattor, oder mit ihrem Familiennamen 
Anna Whittle, hatte bei dem Verhoͤre im Gefängniß ausgefagt, 
die Undere babe fie zum Paet mit dem Teufel überredet. As 
ihe der Lehtere darauf in menfchlicher Geftalt erſchienen fei, 
babe fie eingewilligt, ihm ihre Seele zu übergeben, der böfe 
@eift aber die Bedingung geſtellt, fie müfle ihm einen Theil 
ihred Körpers barbieten, um daran zu faugen; zuerſt habe fie 
fih geweigert und gefragt, welchen Theil er zu dieſem Smedke 
begehre. Als er entgegnet, eine Stelle an ihrer rechten Geite, 
dicht unter den Rippen und zugleih ihr „Gold, Sitber und 
weltlichen Reichthum, fo viel fie wünfche” veriprochen, habe fie 
eingewilligts aber fein Berfprechen babe er fchlecht erfüllt, 
Denn nur dann und wann habe fie ein Beldftud von ihm er» 
balten und wenn er einmal ihnen eine Unterhaltung gegeben, 


eien fie, obwol fie gegeffen hätten, keineswegs fatt bavem 
——— Dem Enkel der alten Demdike hatte man durch 
—* en und Verſprechungen folgende Ausſagen ausgeyreßt. 
Seine Großmutter habe ihn vor zwei Jahren in die Kirche 

chickt, um zum Abendmahl zu gehen, ihm aber befohlen, das 
sim vom er dargereichte Brot nicht zu effen, ſondern es 
mit fish zu nehmen und es demjenigen Ding auszuliefern, das 
ihm auf feinem Heimweg begegnen würde. Uber troß dieſes 
Befehls habe er das Brot gegeſſen. Als er mm ſich auf den 
Heimweg gemacht, ſei ihm etwa 40 RAuthen vom ber Kirche 
ein Ding in Geflalt eines ofen begegnet, der ihn angefpro- 
den und ihn gefragt babe, er nach dem Auftrage feiner 
Großmutter bad Brot mitbringe; barauf habe er fich jedoch 
bedreust und der Hafe fei auß feinem Geſicht verſchwunden. 
Bier Jage fpäter aber fei ihm in der Naͤhe der Kirche ein 
Ding in Geflalt eines braunen Hundes erſchienen, ber ihm 
feine Seele abgefobert und ihm verfprochen habe, daß er dann 
. Rache nehmen fünne, an wem er wolle; allein auch darauf 
habe er entgegnet, feine Seele gehöre nicht ihm, fondern\ feis 
nem Erlöfer Jeſus Shriftus; was jedoch ihm gehöre, das wolle 
er ihm geben. Werner fagte diefer Angeklagte aus, er babe 
mit feiner Großmutter zufammen aus Lehm ein Bild geformt 
und durch Behexung defielben einen gewiſſen Townley getöbtet; 
ein Gleiches habe er fpäter mit einem andern feiner perſon⸗ 
lichen Feinde getban. Die bereitd erwähnte neunjährige' Beu- 
gin Hatte ausgeſagt, fie habe ihre Großmutter und Mutter 
fowie ihren Bruder mit Hunden und Pferden fprechen fehen, 
auch gehört, wie fie Anfchläge zum Verderben gewiffer Nach⸗ 

barn verabrebet; auch habe fie Andere der Angeklagten im 
Malking Tower erblidt, als man dort die Befchlüfle gegen Las 
Sancafter Eaftle und deffen Vogt gefaßt. 

Auf diefe Ausfagen hin wurden benn zehn Berfonen zum 
Strange verurtbeilt; eb noch die Hinrichtung ftaftfand, war die 
alte Dembile im Kerker geftorben. Die beiden Richter, welchen man 
bie Unterfuchung und den Ausgang berfelben dankte, ruͤhmten 
ſich laut ihres Eifers und ihres Werkes und teugen, damit ihr 
Ruhm ja der Nachwelt nicht verloren gehe, dem Gerichtsſchrei⸗ 
ber die Darftellung dieſes Proceſſes auf, So forgfam derfelbe 
auch in Bolführung biefes Auftrags geweſen ift, fo große Lob: 
ſpruͤche er auch diefen „ehrenwerthen“ Michtern, dem Hrn. 
Hoger Rommel of Read und dem Hrn. Nikolas Bomifker, 
fvendet, indem er am Schluffe in die Worte ausbricht: 
„Gott gebe uns die lange und gebeihliche Fortdauer biefer eh⸗ 
renwerthen und verehrungswürbigen Richter, unter deren Re: 
gierung wir in diefen nördlichen Gegenden leben!“ trotz ih⸗ 
rer gerühmten ‚großen Verdienfte um das Land’ Hrn die Nach⸗ 
weit, an die fie mit jener, Darftellung des Procefies Berufung 
eingelegt, eben auf diefe Überlieferung geftüst, ihre Namen zu 
denen jener Dummkoͤpfe oder Riederträhhtigen geworfen, bie 
aus Verblendung ober niedrigen Beweggründen bem Borur- 
theile und Uberglauben ihres ZBeitalters ihre Hand gellchen. 
Statt des Ruhms, den fie fuchten und erwarteten, haftet ewige 
Schande an ihren Namen! ‚So fol es jedem Gauch ergehen!” 
Ein Menfchenalter fpäter fand auf die Ausfage eines Jungen von 
10 — 11 Jahren in derfeiben Gegend wieder eine Herenverfol- 
gung flatt, weiche zwar gleichfalls zu einem Zodesurtheil im Wege 
der Gerichte führte, aber hauptfächlich durch die Bemühungen je» 
nes obenerwähnten Webfter, der Durch die Preſſe den Abergkauben 
und die Bethörung der richterlichen Behörden auf bas ſchaͤrfſte 
geißelte, nicht zur Vollſtreckung kam, indem ber König, welcher 
die Berurtbeilten in feinem Beifein ärztlich unterſuchen und von 
aufgektärten Leuten verhören Ließ, fie begnabigte. 

‚ Die Erzählung biefes zweiten Balls, obwol nicht we⸗ 
niger intereffant wie der gefchilderte, und ein ebenfo trif⸗ 
iger Beleg zu der oben ausgeſprochenen Anficht, mag 
hier unterbleiben. Nur einer in Bezug zu dieſer Sache 
ſtehenden, ziemlich allgemein verbreiteten Annahme, welcher 
auch der Herausgeber jener Schrift huldigt, ſoll hier noch 
gedacht werden. Es iſt dieſe, daß den Geſtaͤndniſſen, bie fo 


Verantwortlicher Herausgeber: Heiuri Brockhans. 


gebildet war, daß kraft des ſchoͤpferi 


häufig in ſolchen Proceſſen abgelogt werben find, beinahe uͤberall 
Selbſtbetrug zu Grunde —— die —— ſelbſt 
an ihren Umgang mit den Maͤchten ber Winfterniß und die 
aus folhem Umgange und dem Buͤndniß mit dem Böfen ber: 
geleitete Zaubergewalt geglaubt haben. Mef. erinnert fid, vor 
einigen Jahren in einem fübbeutfgen Sournale, weiches Ati 
ſterſpuk und Zeufeleten der Urt * behandeln licht und „Daͤ⸗ 
monengläubigteit verräth, Die Darſtellung eines SHerenpesceh 
fed in Baiern ober Mürtemberg aus dem vorigen Jahrhundert 
gefunden zu haben, wo biefe Unnahme zu ber Andeutung aus: 
en Borſtellungsvermoͤ⸗ 
gend die böfen Gedanken und Borfäge entarteter Raturen ſich 
u Wirklichkeiten umfegen und ſonach alle Yusfagen ihre voll 
mmene Richtigkeit gehabt Haben koͤnnen: — eine Anficht, bie 
ficherlich allen daͤmonologiſchen Iräumern, welche die „Schat⸗ 
tenfeite”’ der Ratur t an bee Hand ber Erfahrung unb 
ber erperimentivenden Wiſſenſchaft, fonbern der Einbildungs- 
kraft gu ergründen trachten, plaufibel erſcheint. Wenn man 
nun auch zugeben muß, daß Störungen der natürlichen mb 
vegelmäßigen Thaͤtigkeiten des intellectuellen Organismus, wie 
„ſixe Ideen“ es find, zum Theil die Erklaͤrung ſolcher abge⸗ 
legten Geſtaͤndniſſe darreichen, ſo wird man dech nicht fehlgrei⸗ 
fen, wenn man annimmt, daß in jenen gewaltthätigen und ſin⸗ 
fern Seitaltern, wo man nicht die mindeſte Ahnung von, nicht 
die mindefte Achtung vor dem Adel und der Würde der Na- 
fur des Menfchen Hatte, die leiblihen und moralifchen Mar⸗ 
tern, die man zur Erpreffung des Geftändniffes anmendete, 
das Meifte zu den Seldſta en beigetragen baben mögen. 
Dort, wo die Geftalt des Gerichtsverfahrens dem Richter foldhe 
Mittel der Erpreflung des Geſtaͤndniſſes am unbefchränfteften 
in die Hand legte, in ben Ländern bed geheimen Proceſſes, 
namentlih in Deutfchland, haben ſich die Hexenproceſſe am 
weiteften verbreitet und find vergleichen Schuldbekenntniſſe im 
zahllofer Menge vorgefommen; bier hat man bis tief in vori⸗ 
ges Jahrhundert hinein noch Deren verdammt und verbrannt; 
in England ift diefe Schierlingspflanze ber Juſtiz nur exoti⸗ 
fches Gewaͤchs geblieben und bald mit Stumpf und Stiel aus: 
gerodet worden. 26. 


Literarifhe Rotizen. 


Zur Reifeliteratur. 


Aus den umfaflenden Reiſewerken von Alcide b’Drbigny, 
in denen eine Fülle tieffinniger Beoachtungen niedergelegt ift, 
und bie zugleich ein feltenes Darftelungstalent verrafhen, ers 
halten wir gegenwärtig in folgender Schrift: „Fragmente 
d’un voyage au centre de FAmerique meridionale”, einen 
zweckmaͤßigen Auszug. Der Herausgeber bat in angemeffener 
Ausmahl ſolche Partien ausgehoben, in denen fich dem Freunde 
pittoreöter Anfichten und Demjenigen, welcher Gefallen findet 
an dem finnigen Zreiben ber Ratur, eine reiche Lefe bietet. 
Indeflen ift das Ganze fo angelegt, daß man außer ber Unter⸗ 
haltung auch Belehrung aus ber Lecture des Werks fchöpfen 
fann. Durch diefe Veröffentlichung find alfo die umfaflenden 
Forfchungen des gelehrten Meifenden, welche in ihrer ausführ- 
lichen Darftelung fehr Boftipielig find, auch einem großen 
Yublicum zum Theil wenisftens zugänglich gemacht. 17. 


Eine Beitfhrift gurh und für das fohöne 


In Philadelphia erfcheint jet unter dem Titel „The 
American woman” eine Beitfchrift, die nicht blos ausfchließlich 
für das weibliche Gefchlecht beftimmt ift, ſondern die auch wur 
von Frauen und Mädchen redigirt, herausgegeben, gefegt, gee 
brudt und verlegt wird. Die amerikanifchen Freiſtaaten ges 
währen, wie es hiernach fcheint, ben praktiſchen Verſuchen 
der Weiberemansipation günftigen Boden. 12. 


— Drud und Verlag von F. X. Brockhaus in Leipzig. 











Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Sonntag, 


— Ar. 11. ö— 


11. Januar 1846. 





Anemonen aus dem Tagebuche eines alten Pilgers- 
manned. Zwei Bänbe. 
(Bortfegung aus Nr. 10.) 

In dem nun folgenden Abſchnitte über felbfigemachte 
Verſchwoͤrungen und Hochverrathsanklagen wird beiläufig 
Wallenſtein's Hinopferung und Schaffgotſch' Verurthei⸗ 
lung dem öſtreichiſchen Hofe zur Laſt gelegt, aber der 
Hauptinhalt iſt die „ſataniſche“ Politik des öſtreichiſchen 
Hofs gegen Ungarn unter Ferdinand II. und Leopold 1. 
Aus der Regierungszeit des Erſtern wird (S. 116 fg.) 
das Protokoll einer Staatsrathifigung mitgetheilt. Es 
ſei die einzige Weisheit, um jeden Preis die Tiefen zu 
taufen und fie von Bethlen⸗Gabor und von den Un- 
garn abmendig zu machen; die legtern „Beftien” müffe 
man auf alle Weife reizen, ihren Haß auf bed Kai- 
ſers Statthalter lenken, die Alles aufbieten follten, 
um die Ungarn zum Aufftande gegen die flrengen Gu⸗ 
bernatoren zu bringen. Hierauf würden biefe den „er: 
wünſchten Anlaß“ haben, ohne alles Urtheil und Recht 
die unmenſchlichſten Strafen gegen die Hochverräther zu 
verhängen. Möge dann auch der Bürgerkrieg das Land 
veröden, man fünne es mit zahmen, willenfofen Aus- 
Ländern bevölfern. In diefer Weiſe find die abfcheulic)- 
ſten Thaten gegen Hohe und Niedere geübt; Infamirung, 
‚Eonfiscation, Handbabhauen, Reifen mit glühenden Zan- 
gen u. dgl. waren an der Tagesordnung. Schlimmer 
noch ging es nad dem Verf. unter Leopold 1. zu; die 
Anſchließung an die Türken, um zur Bezwingung Un- 
garns freie Hände zu haben, blieb die Achfe der fpanifch- 
jefuitifchen Politif, und das Habsburgifche Hausmittel 
war, alle drei Wochen eine neue Verſchwörung bervor- 
zurufen. Daher gefchah es, daß. Nadasdz, Zriny, Wei: 
felenyi u. A. in ſolche Händel verwidelt wurden und 
daß der Aufſtand des Toföly entitand, und daß, wie 
der Verf. auf ©. 169 fagt, „fechemal in einem Jahr⸗ 
hundert die ungarifhe Nation kraft der Andreanifchen 
Nefidenzclaufel ihren Königen NRechenfchaft abfoderte für 
gebrochene Eide, mit Füßen getretene Gefege, für biutige 
Gewaltthaten, nämlich in der Infurrection des Botskei, 
bes Bethlen, des ältern Rakoczy, in der Wefleleny- 
Sriny’fchen, in der Toͤkoly ſchen Verſchwoͤrung, in jener 
des legten Rakoczy.“ Uber alle diefe finden fich furcht- 
bare Einzelheiten aufgezeichnet, das biutigfte Blatt aber 


ift das des Schreckensgerichts zu Eperies (im Mär 
und April 1687), wo ber kaiſerliche Oberbefehlshaber 
Caraffa nad, glaubwürdiger Aufzeichnung fih mit Wei- 
bern beluftigte, mit Würfeln fpielte und mit den Opfern 
feiner Wuth um ein Löfegeld fchacherte, während Andere 
mit Wachslichtern unter den Armhöhlen gebrannt wur- 
den, Andern fpige feuerglühende Nägel unter die Nägel 
der Füße und glühender Draht in den After und in 
die Harnröhre geftoßen murde. Unermeflihe Summen 
wurden erpreßt und mit dem bitterften Hohn jede Ver: 
wendung zurüdgewiefen; er (Caraffa) zeigte ein Hand⸗ 
bilfet vor, daß er keine Rüdficht auf Empfehlungen und 
Gnabenbriefe nehmen, fondern auf das große Ziel raft- 
los und ohne Schonung fortarbeiten follte (S. 137 — 140). 


Bei fo haarfträubenden Unnenfchlichkeiten wäre eine 
genauere Angabe der Quellen nach unferm Dafürhalten 
eine nothwendige Zugabe gemwefen, wie gern wir aud) 
Hrn. v. Hormayr glauben, daß die Überrefte der unga⸗ 
rifhen Freiheit und Nationalität zwei klugen Frauen, 
der Gräfin Althane, der Geliebten Kaifer Karl's VI, 
und der fchönen Eleonore Strattmann - Bathiany,, der 
Freundin Eugen’s von Savoyen, zu verbanfen gemwefen 
find (&. 156 fg.). | | 

Die Erwähnung Karl's VI. führt den Berf. auf 
feine Tochter Maria Therefia und auf das fogenannte 
Ferdinandifche Teftament, deffen Verbeſſerung oder gut: 
gemeinte Verfälfhung der „männlichen Erben‘ in „ebe- 
liche” zu Gunſten bes wiener Hofs er, nah ber Ber- 
fiherung einiger in Gabinetsgeheimniffen mohlbefannten 
Männer, dem nachmaligen Minifter Bartenflein und 
dem großen Abte zu Gottweih, Gottfried Beſſel, zu- 
fehreibe (1, 162 u. 314). Da nun ferner Maria The—⸗ 
refia nach erfolgter Eroberung ihrer Erbſtaaten in Prag 
ein ſtrenges Gericht der Werbannung über viele ange- 
fehene Böhmen hielt, die dem Kaifer Karl Albrecht ge- 
huldigt hatten, ohne Beachtung ber prager Kapitulation 
vom 236. Dec. 1742, und ber Thatfache, daß ſich gegen 
fie kein böhmifcher Arm erhoben hatte, fo ftellt der Verf. 
auch diefe Begebenheit in die Reihe felbfigemachter Ver⸗ 


ſchwoͤrungen und fucht den Grund in Maria Thereſia's 


Empfindlichkeit gegen Baiern, die bei jedem Anlaß auf- 

zuckte. Späterhin grämte fie ſich ſehr über ähnliche 

Eingriffe, die verbefferte Auflage des Zerdinandifchen 
/ 





42 


Teſtaments ſchien ihr „ein Kranz glühender Kohlen” zu 
fein, fie hätte gern Alles gethan, um ihr vermeintliches 
Unrecht gegen Baiern gut zu machen (S. 187). Aber 
darüber wird man fich eines nicht geringen Erflaunens 
kaum erwehren können, daß es (&. 178 u, II, 9) von 
derfelben großen und guten Kaiferin beißt, he habe zwar 
bei der polnifchen Theilung gern den Schein retten, aber 
doch die Früchte des Unrechts geniegen wollen, es fei 
alfo in ihrem Handeln „eine gute Portion jefuitifcher 
Mentalrefervation und Heuchelei”’ geweſen. Sonſt gäbe 
es nicht leicht eine „grandiöfere Grabſchrift“ der „erha- 
benen Frau” als ihre Worte an den Fürften Kaunig: 
„in diefee Sach, wo nit allein. bas offenbare Recht him⸗ 
melſchreyet wider Uns, fondern auch alle Billigkeit und 
die gefunde Vernunft wider Uns ift, much befhennen, 
Daß zeifledens nit fo beängftiget mich befunden und mid 
fehen zu laffen ſchaͤme.“ Nun war aber Hr. v. Hor⸗ 
mayr der Erſte, der jene Worte in der Kaunig'fihen 
Ahnentafel im zweiten Jahrgange der neuen Folge fei- 
nes „Hiftortfchen Taſchenbuch“ (&. 26) befannt machte 
umd, fo viel wir uns entfinnen, ohne alle Verbächtigung 
der Kaiferin. Wozu alfo jegt ein ſolcher Zufag? 
Die bereitd oben angeführten Beriehungen eichs zu 
Boiern veranlaffen den Verf. zur Wiederholung aller 
der Unbilden, die das legtere Land von Oſtreich zu lei- 
den gehabt Hat, woran fih dann — man weiß nicht 
recht wie — eine feitenlange bittere Kritik der reaction: 
nairen Parteiverſuche in unfern Zagen anreiht und der 
empörte Unwille über die Dabsburgifchen Kürften laut wird, 
Die auf ein „präbeflinirtes, göftliches Hecht” in ihren 
Ländern getrogt hätten, ohne doch ein ſolches zu beitgen, 
wie 3. B. gegen Nubelf I., Albrecht I. und Friedrich 
den Schönen. Am Schiuffe (8. 201) fleht wieber ein- 
mal die Bemerhimg „ber geſchichtlichen Treue, die nicht 
Haß, nicht Liebe duldet, gemäß”, dag hier nur von ben 
alten Habtburgern, nicht vom Haufe Lothringen, deffen 
Geift ein ganz verfchiedener fei, geredet werde. Der 
Berf. bleibt fi) aber bier nicht ganz freu; denn auch 
der Lothringer Franz MH. wird von ihm in ſtarken Aus- 
drüden der Neigung zum Abſolutismus und ber Nicht- 
achtung nationeller Rechte beſchuldigt und die Gentrali- 
ſatidnen Maria Thereſia's ſowie der Gorperalliberalis⸗ 
mus Joſeph's II. find mehr als einmal hart angegriffen 
worden, wennſchon auf ben Leptern (I, 357) bie Worte 
des rõmiſchen Dichters: „Qnem fata terris tantum osten- 
derunt”, angewendet werden. Aber ſolcher Widerfprüche 
finden ſich manche in diefen Bänden. 

Als das dritte charakteriftifche Merkmal des Habe- 
burgiſchen Haufes hatte unfer Verf. den Undank ge- 
nannt. Das Buttler'ſche Wort in Schillers ,‚Wallen- 
flein‘ „Dank vom Haus Oftreich” empfängt hier einen 
ausfühelihen Kommentar. Der riefige Held Andreas 
Baumlichher, Hans Liechtenflein, der gewallige Hofmei- 
fter, der Marſchall Katzianer, Wallenftein, Leopold's 1. 
Minifier Loblowig, der Tiroler Doctor Wilh. Wiener, 
werben als traurige Dpfer des Habsburgiſchen Undauks 
aufgeführt. Wie Eugen von Savoeyen genedt, belauert, 


beargmohnt wurde, wie Laudon fich wie der Bunft des 
Hofs zu erfreuen hatte, gleich dem „waſſerdichten Hof- 
ſchranzen“ Leopold Daun, wie meber er noch &chwar- 
zenberg und Smieten ein Denkmal von der Anerfen- 
nung ihrer Kürften erhalten haben, und’ wie Andr. Ho- 
fer’6 Gebeine von drei jungen Fägeroffizieven ausgegra- 
ben und in Innsbrud, faft gegen den Willen des Kriegs- 
rathspraͤſidenten, beflattet worden find — das wird in 
fharfen Umriffen und mit bittern Worten, die aber 
meiftene durch bie Thatſachen gerechtfertigt worden. 
find, der Habsburgifch - Tothringifchen Dynaftie vorgehal- 
ten (1, 202—232). 


(Die Fortfegung folgt. ) 


—— m 





Die Pfalmen. In Kirchenmelodten übergetragen von 
Sriedrih Auguft Koethe. Leipzig, Brockhaus. 
1845. Gr. 12. 24 Nor. 


Unter den poetifchen Schriften des alten Bundes, hat feit 
der Reformation Feine fo viele Gommentatoren und Überfeger 
gefunden als jene von David, Affaph und andern Mitgliedern 
der Davidifchen Kapelle gedichteten 150 Hymnen, die unter 
bem Namen „Der Pfalter” in unfern Kanon eingereiht und 
beim Jehovahdienſt in Jeruſalems prachtvollem Zempel von 
einem wobhlgeübten Sängerchor erecufirt wurden. Der Grund 
dieſer öfteren Bearbeitung ift wol Bein anderer als daß fie von 
jeher jedes religiöfe Gemüth mit unwiderſtehlicher Bauberfraft 
umfpannen und an fich zogen, und weil dad afcetifche Moment 
in ihnen das vorherrſchende iſt. Erkannten und fühlten Das 
die Belenner und Söhne der evangelifch-tutherifchen Kirche, 
außer Luther ſelbſt Paul Gerhard, Cornelius Becker, es 
wald und Andere, jo hat die evangelifch-reformirte Kirche ih» 
nen einen noch hohern Werth Hinfichtlich ihrer erbauenden 
Kraft beigelegt. Theodor Beza war der Erfte, ber, diefe Kraft 
erdennend und gebraudend, im 3. 1552 mit einer metrifchen 
Überfegung hervortrat, und dieſes Unternehmen fand in dem 
benachbarten Frankreich fo viel Anklang unter den dortigen 
Chriſten heivetifcher Eonfeffion, daß man fie fofort in fange: 
ſiſche Reime brot, ihnen entiprschende Melodien unterlegte 
und fie beim Gottesdienfte an Sonn: und Feſttagen fang.. 
Der ſprachkundige und feinfühlende Lefer wird freilich finden, 
daß fich diefe althebräifhen Hymnen in der der Poeſie überall 
abholden franzöfifchen Sprache gar wunderlich ausnehmen. 
Welch einen Eindruck mat auf uns die Überfegung des 130. 
Pſalms, von dem wir hier nur die drei Strophen feines erha⸗ 
benften Inhalts berfegen wollen: | 

Grand Dieu! tu voie ce que je suis, 
Ce que je veux, ce que je puis, 
Que je soie ausis ou debout, 

Tes yeus me decowvreut parteut, 

Et tu penötres ma pensee, 

Meme avant quiolle soit tracde! 


Sie entlleidet das galliſche Gonverfationsidiom die morgen: 
landiſche Erhabenheit alles Reizes, wenn es bem Phantafiefluge 
David's in folgenden Verſen nachſtrebt: 
Quand l’surore m’anrait preis 
Ses niles, sa rapidite, 
Et que j’iraie, eu fendant Vair, 
Aus borde opposes de la mer, 
Ta mein, s’il te plait de l’etendre, 
Viemdra m’y poursuivre et m’y preudre. 
Si je dis ia wait, pour le molus, 
Me cschant aus yeuxs des tömeoine, 








De son embre me couvrirs, 

La nuit ındme m’selsirere, 

Car l’ombre la plus Waebreuse 
Est, povar tbi, claire et Jumineuse. 

Wir wagen nit & entjcheiden, ob aus dem Schoofe der 
franzöfifchereformirten Kirche Die Hfalmen als Lieder zu kirchlicher 
Erbauung in die deutfchreformirte Kirche übergingen ; aber fo 
viel ſteht fe, daß man hier das vorherzfchende afcetiiche Mo 
ment nicht vertannte und daß fihen vor der bekannten Lob» 
waſſer'ſchen Überfegung ein Oberfecretair zu Anſpach, Johann 
Clauß, 1540 eine poetifche Bearbeitung des Pſalters erfcheinen 
ließ, die freilich jegt vergeffen und antiquirt if. Die lange 
in kirchlichem Gebrauche gebliebene Ambroſius Lobmwaffer'fche 
rhythmifirte und gereimte Bearbeitung wurde im 18. Zahr: 
hundert durch eine namhafte Anzahl gefchmadvollerer Bearbei: 
ter in Schatten geftellt und faft verdrängt. Zu diefen gehören 
Ernft Lange, M. Johann Jakob Epreng, Daniel Wolleb, Io: 
han Adam Lehmus, Johann Georg Ruths, Chriſtian Fried 
rih Fiſcher, Dr. Johann Andr. Gramer, Ichann Kaspar La: 
vater, Ludwig Müller, Friedrich Schützinger, Wilhelm Lau, 
Samuel Ludwig Majewsky, Zollitofer und Andere. Wir ge: 
ben eine Probe aus dieſer Zeit und ſtellen diefelben Strophen 
des obenangeführten 139. Pſalms in einer Bearbeitung von 
Spreng, nur von einem fpätern Gefangbuch-Redacteur verbeffert, 
zur Vergleichung hierher: 

Du prüfeft Alles, Herr, in mir; 
Mein Herz liegt aufgededt vor die ! 
Dein Xuge fiehet, wie ih ruh', 
Und wenn ich auffteh’, weißeft tu; 
Wohin ih die Gedanken lenke, 
Verſtehſt du, ch’ ich fie gedenfe. 
3a, trbgen mid, zum fernſten Ort 
Der Morgenröthe Flügel fort. 
Bis zu des letten Meeres Stran®, 
Wär’ Ih aud) da in deiner Hand, 
Sie wärbe, wie fie will, mich führen, 
und beine HRaechte mich veaieren. 
Spraͤch' ich: Verbirg mi Finfternif! 
Auch die macht dir kein Hinderniß: 
So dunkel auch bie Racht fein mag: 
So leuchtet fie dir wie ber Tag, 
Das Zinfl’re kann deir Blick aufklaͤren, 
In Strahlen ſchwarze Schatten kehren. 

Bis auf heute iſt man nicht müde geworben, diefe herrlichen 
Lieder metriſch und gereimt zu paraphraficen, und wir erwaͤh⸗ 
nen hjer nur, da uns die in dieſem Jahre erſchienene Ziller'- 
ſche erfegung ſaͤmmtlicher Pſalmen nicht vorliegt, der von 
Amalie Wittmüg erſchienenen, au in d. Bl. beiprodenen 
„Befänge aus dem Alten Teſtamente“, wo die Verf. die oben 
in deuticher und franzöffcher Bearbeitung dargeftellten Verſe 
aus dem 139. Pſalm alſo, etwas ſchwach, wiedergibt: 

Herr, Herr, bu erforfcheit mid, 
Kenneft mich, wie Ih ed meine, 
Ob ich leb' in deiner Liebe, 

Dder nur zu leben fcheine. 

Bliebe ih am fernfien Diem’, 
Naͤhm' der Morgenröthe Flügel — 
Deine Rechte hielte mic, 

Führt’ mi über Thal und Hügel. 
Spraͤche ib zur Finſterniß, 

Mich zu bergen und zu decken — 
Nacht muß lichtdoll fein um mich, 
Kann das ew'ge Theil nicht ſchrecken. 

Wir haben diefe Zrilogiefhier hingeſtellt, um den keſer und 
uns felbft in den Stand zu fegen, durch eine Vergleichung mit 
ige den Werth oder, Unwerth der vorliegenden Koethe ſchen 
Bearbeitung der Pfalmen kennen zu lernen und beurtheilen gu 


[4 
48 


koͤnnen, aber auch zugleich wm zu zeigen, daß diefer wuͤrdige 
Pe De ben men 3 * eis braucht, wenn ee 
eine Arbeit mit ben bier angeführten ern Ki n auf 
diefem Felde vergleicht. S. 135 Iefen wir: „Der — 
Mel.: Auf, auf, mein Hera, und du mein ganzer Sinn ꝛc.“ 


Herr, du erforfcheft mih und Eenneft mid! 
Sch fig’ und ſtehe auf, fo fiehft bu mid; 
Du merkſt von fern fhon Allee, was ich denke, 
Du bift um mid, wohin den Schritt ich lenke! 


Du fhauft all’ meine Weg'; es ſchwebt ten Wort 
Auf meiner Zunge, Herr! Du weißt's fofort! 
Vorwaͤrts und ruͤdwaͤrts Haft du mich umgeben, 

Und hältft die Hand fletd über meinem Leben. - 


Solch Wiſſen fteht in wunderbarem Licht, 
Steht mir zu Hoch und ich begreif’ es nicht. 
Wehin foll id vor deinem Antlig gehen, 
um wohin flieh'n vor deines Geiſtes Wehen? 

Fuͤhr' ich gen Himmel, To biſt du mir nad’; 
Stieg’ ih zur Hölle, fo bift du auch da; 
Wollt’ id im Flug’ der Morgenroͤth' enteilen, 
Und an bed Meeres fernftem Strande meilen, 

Auch da wuͤrd' ich von deiner Hand geführt, 
Bon deiner Rechten überall beruͤhrt! 

Spraͤch' ih: Mid möge Finſlerniß umgeben! 
Ev muß mi Licht ſelbſt in der Nacht umſchweben! 

Nicht finfter ift vor dir die Finfterniß; 

Die Nacht Hl Tagshell', Licht die Finſterniß! 
Du haft der Nieren Urfprung ſelbſt geleitet, 
Im Mutterliibe kuͤnſtlich mich bereitet. 


Ich danke vir, daß du mich munberber 
Gemacht; ja, was du ſchufſt iſt wunderbar! 
Herr, bad erkenn' ih wohl! Du fahft mein Leben, 
Da mir ed im MWerborg’nen ward gegeben. 


Ja, meined Lebens erfter Keim ſchon lag 
Bor deinen Xugen Ear, und jeder Tag 
Bar auf dein Buch gefchrieben, der entfliehen 
Erft follt’, und den Erin Auge noch gefehen! 
Wie koͤſtlich find mir, Bott, fie allzumal 
Deine Gedanken! Ihrer weldye Zahl! 
Wie Sand am Meere! Wer iſt, der fie zähle? 
Erwach' ich, iſt bei dir noch meine Seele. 


Bergleichen wir nun dieſes Spectmen, von welchem wir blos 
die drei legten Strophen ausgelaffen haben, mit den drei obi- 
gen Proben, fo muß fih uns zunaͤchſt die Bemerkung aufdrän- 
gen, dab dem würdigen Berf. an Treue fein früherer Bear- 
beiter gleichkommt. Man wird diefe höchftens da vermiffen, wo 
die gewählte Form unüberwindliche Schwicrigfeiten entgegen: 
ftelite; Geiſt und Grundton jedes Pfalms tft gersiffenhaft wie» 
dergegeden ; nirgend ift ein wefentlicher Gedanke weggefallen 
oder ein durch Reimnoth erzeugtes Flickwort eingeſchoben wor: 
den. Freilich müflen wie bedauern, daß der geſchickte Der: 
deutfher bei der Wahl der Kirchenmelodien darauf verzichten 
mußte, den Parallelismus der Glieder, der bekanntlich das ei⸗ 
gentlich Poetiſche in den Liedern der Hebräer außmadht, überall 
durchblicken zu laſſen. Das vermiffen wir aber bei frühern 
Bearbeitern auch und noch mehr als bier. Weggelaflen find 
allerdings hier und da einige Verſe, aber es find folche, die 
unfer —* — Gefuͤhl beleidigen, weil David in ihnen den 
ganzen Donner ſeiner Drohungen, Verwünſchungen und rach⸗ 
füchtigen Schmaͤhungen über feine und Jehovah's Feinde rollen 
läßt; ja einige Pfalmen ei Geiſtes finb mit richtigem” Takt 
ganz mweggelaflen. Die reformirte Kirche hielt alle Pſalmen 
ohne Ausſsnahme für den cvangelifchen Gottesdienſt geeignet 
und alle 150 Pfalmen wurden friſchweg für den Kirchengeſang 
mundrecht gemacht; gebt das aber wol an? Man denfe nur 
an die materielle Fülle des 119. Pſalms, aus welchem zwan⸗ 


zig GShoräle gebildet werden Eonnten! Was müßte das für 
ein wal werden! Man wird dabei an Bürgers Wort: 
„Da wäre zu beforgen, ich fang: biß übermorgen‘, erinnert. 
Die franzöfifch » und deutfchreformirte Kirche ließ den Pfulmen 


neue und befonders componirte Melodien unterlegen; unfer 


Berf. hat es vorgezogen, fie nad befannten Choralmelodien 
aus dem reichen ag der evangelifchen Kirchenmuſik zu fors 
men: gewiß ein nicht Teichte8 Unternehmen, und wir wundern 
uns höchlich, daß ed nur drei Pfalmen, nämlich der 19., 90. 
und 89. find, für die fih Seine paffenden Ehoralmelodien auf: 
finden Tießen und die alfo auf ihren Zonfeger warten. Wol 
aber verdient ed vor Allem der in der Übertragung wohlge⸗ 
Tungene W. Pfalm, daB ihm eine feinem erhabenen Inhalte 
angemefiene Melodie untergelegt werde. Waffen wir nun die 
hier gewählten Ehoralmelodien felbft ins Auge, fo hätten wir 
allerdings die veralteten Melodien: Mein Salomo, dein freund: 
liches Negieren ıc., Liebſter Emanuel, Herzog ıc., Ihe Seelen 
ſinkt, ja finfet Bin zc., mit ihren zuweilen wunderlidgen Ton: 
Beine weggewünfdht; wer ſich aber die Mühe geben will, 
ur die Pfalmen pafiende Singweifen aus unfern Choralbüchern 
auszuſuchen, der wird bald die Damit verknüpften Schwierig: 
Peiten erkennen und dem Umbildner billige Nachſicht zu Theil 
werden laflen. Die Theologen und geiftlihen Behörden, die 
neue Geſangbücher zeitgemäß zu kirchlichem Gebrauch bearbei- 
ten wollen, werden bier auf eine reiche Fundgrube ftoßen, nicht 
minder viele Homileten, die in dem bei ihrer Gemeinde einge: 
führten Geſangbuche Pein für ihr gewähltes Predigtthema paf- 
fendes Lieb finden Fönnen, werden bier oft aus der Verlegen: 
beit, geriffen werden, wenn auch ihr Zert dem PYſalmbuch nicht 
entnommen ift. Auch was den Wortfinn betrifft, find wir 
auf Beine Fehler geftoßen. Luther bat Bein Buch unfers Ka: 
non faft richtiger üuberfegt ald cben die Pſalmen, weshalb ſich 
der Verf. auch ganz an ihn gehalten bat und den Schwall 
elebrter Eregeten bei Seite liegen ließ. Er verfichert im 
Bormorte, daß von der Menge moderner Überfegungen, Gloſſa⸗ 
rien und Commentare ihm Beine und einer vorgelegen haben 
als die von Tholuck und de Wette. Luther war ihm Alles, 
und mit Recht. Noch verdient diefe Verwandlung der Pfal- 
men in Kirchenlieder in einer andern Hinficht unfere Beach: 
fung und Bewunderung. Der Berf., befannt als firchenhifto: 
rifher Schriftfteller, hat unfers Wiſſens ald Dichter fich nie ber: 
vorgethban und lebt überdies in Ten Jahren, von denen wir 
überhaupt fagen, fie gefallen uns rıcht, und wo Lie Luft des 
Lebens zu berbftlih und kältend weht, als daß in ihr Blüten 
der Poeſie gedeihen Pönnten, die nun einmal jugendliche und 
Lenzeswärme verlangen; in diefen Berfen und Lietern aber 
fühlen wir Beinen Pältenden Anhauch, noch bemerken wir eine 
Selähnitheit des Flügeld der Degeifterung, und es fcheint, der 
Geift Aſſaph's und David's habe die finkende Kraft unterftügt 
und dem betagten Sänger das Arom der Begeifterung auf 
die Lippen gegoflen. Und das bewundern wir. Wie fo vieles 
Gute im Leben der Menſchen, ift auch diefe Bearbeitung durch 
Dos entitanden, was man gewöhnlich Zufall nennt. Der Verf. 
war weit entfernt, den ganzen Pfalter nach einem durchdach⸗ 
ten Plane au bearbeiten, wie er hier vorliegt. Es reiste ihn 
der ſchoͤne 324. Pfalm, denfelben nah einem befannten Kir: 
henliede in unfere Sprache umzufegen, und weil dies gelang, 
fo Eehrte er mit erneuter Liebe immer wieder zu jener Arbeit 
zurüd, bis endlich das Ganze wohlgerundet und gemefien da: 
jtand. Richt ohne Rührung wird man endlich die Dedication 
an ded Hrn. Verf. Bruder, den Superintendenten Koethe zu 
Aıtdöbern, lefen. Er thut da einen Blid in die Vergangen⸗ 
heit, in dad Vaterhaus, auf den Gefchwiiterfreis und in das 
Paradies der Durch brave Altern beglüdten Kindheit, und 
wenn wir und die Innigkeit jener Worte and Herz wehen laf: 
fen, jo fallt und das Wort bes Pfalmiften ein, welches der 
Bearbeiter Pfalm 133, 3. 1, alfo wiedergibt: 
Sieh, wie lieblich iſt's und fein, 
Daß in Lieb’ hienieden 


Brüder wohnen, berzentrein 
Und in füßen Frieben. 


Summa: Wir haben hier einen Überfeger von Beruf, über 
ben die Gewalt der Jahre Beinen Einfluß zu üben ſcheint, der 
dad Gute mit dem Schönen zu miſchen verſteht und deſſen 
Alter nicht ohne das dulce lenimen des geiſtlichen —8 
ſpiels iſt. Er hat edeln Samen geſtreut und fich dadurch 
wurdig gemacht, in die Reihen Derer geſtellt zu werben, von 
welchen ed am Schluffe des 126. Pſalnis heißt: - 

Sie geh'n in Wehmuth weinend bin, 
Und tragen edeln Samen, 

Dann ſhau'n fie koͤſtlichen Gewinn 
Und preiſen ſeinen Namen. 


54. 





Literariſche Notizen aus Frankreich. 


eudwig Philipp's Leben. 

Eine ſo ruhige, unparteiſche Darſtellung vom vielbeweg⸗ 
ten Leben Ludwig Philipp's, wie wir fie in Birch's bekanntem 
Werke befigen, hat Die franzöfifche Kiteratur nicht aufzumeifen. 
So viele Schriften auch dieſes ergiebige Thema behandeln, fo 
tragen ihre Verf. doch zu fihtbar die Farbe der Partei, wel: 
der fie angehören, als daß man von ihnen eine Leidenfchaftlofe 
Beurtheilung erwarten koͤnnte. Entweder verwerfen oder ver: 
urtheilen fie Alles, was Ludwig Philipp gethan hat, feine Re: 
Biene ma gen, feine Srundfäge, feinen Charakter, oder 
ie kennen in dem übertriebenen Robe, bas fie ihm ſpenden, Eein 
Maß und kein Ziel. Jetzt erhalten wir nun ein neues Merk, 
welches einer umftändlihen Erzählung dieſes wechfelvollen Fü: 
niglihen Lebens gewidmet iſt. Es erfcheint u. d. F. „Histoire 
de Louis Philippe”, von Amadée Boudin und Felirx Mouttet- 
So viel man nad den erften Lieferungen, welche uns allein bis 
jegt zu Gefiht gekommen find, urtheilen Bann, ftreben die Berf. 
nad) einer gewiſſen Parteilofigkeit, obgleich fie fih im Allgemeinen 
mehr auf Seite der Bewunderer zu fchlagen ſcheinen. Ob fie 
auf diefem Wege nicht zu weit gehen werden muß die Kort: 
Tegung ausweifen. Indeſſen wollen wir gleid) von vornherein 
erklären, daß wir daß ganze Werk zu den Erſcheinungen zäh: 
len dürfen, bei denen der eigentliche Zert gegen die Kunſt⸗ 
beigaben in den Schatten tritt. Die Hauptfache bilden die 
Kupfer und Anſichten, zu deren Anfertigung Maler von euro: 
päifhem Kufe wie Horace Vernet, Belange, Zony Zohan: 
not u. 9. gewonnen find. So wird denn das Werk, welches 
auf etwa 100 Lieferungen berechnet ift, felbft wenn die litera- 
rifhe Ausführung vor einer böhern hiſtoriſchen Kritik nicht 
Eric hält, Doch immerhin wenigſtens ein artiftifches Intereffe 
teten. 


Handbuch der Nationalöfonomie. 


Im Allgemeinen gehen die franzöfiihen Rationalöfonomen 
zu fehr von individuellen VBorausfegungen aus. in Jeder 
modelt fi fein Syſtem auf die eigene Fauſt. Es verfteht fi 
von ſelbſt, daß der Wiſſenſchaft dadurch nur ein fehr unbedeu: 
tender Gewinn erfprießt. Es fehlt der franzöfifhen Literatur 
an einer Baren, bündigen Sufammenftellung ber wohlbegrün- 
beten Kehren, welchen ald den gewonnenen Refultaten der Wif: 
fenfhaft allgemeine Geltung beigelegt werden fann. in fol- 
ches Werk, wie wir es ſchon längft vermißt haben, erhalten 
wir gegenwärtig u. d. &. „El&ments de l’&conomie politique“, 
von Joh. Garnier. Daffelbe bildet einen Inbegriff Deffen, was 
fi in einer Menge von Schriften nationalötonomifchen In- 
halts an wirklich pofitiven Lehren auffinden laͤßt Es ift dies 
eine fleißige, anſpruchsloſe Arbeit, welche von allen Denen, 
welchen daran liegt, einen Überblick über den gegenmwärti- 
gen Stand der Wiſſenſchaft zu gewinnen, mit Bortheil benugt 
werden Wird. 17. 


Berantwortliher Herausgeber: BSeinrich Wrodhans. — Druck und Verlag von FJ. E. Brockhaus in Reipzig. 








Blätter" 


fur 


literariſche Unterhaltung. 


— — — — — — — — — —— — — — — —. 


Montag, 


— Nr.1?. — 


12. Januar 1846. 





Anemonen aus dem Tagebuche eines alten Pilgers⸗ 
mannes. Zwei Bände. 
(Beſchlusß aus Nr. 11.) 


Indem wir das bisher Niedergeſchriebene überleſen, 
bemerken wir, daß eine ähnliche Anzeige und Durch⸗ 
muſterung ber einzelnen Blätter dieſer fo üppig wuchern⸗ 
den. „Auemonen” weit über den und gegönmten Raum 
hinausgehen würde. Die hauptfächlichften Gefichtspunfte 
des gelehrten Verf. find jedoch binlänglich bezeichnet, ſo⸗ 
dag wir uns auf einzelne Stade zur Ergänzung und 
Beleuchtung des bereits Mitgetheilten beſchraͤnken fönnen. 

Wenden wir uns alfo noch einmal zu ben allgemei- 
nen öftreichifchen Zuftänden zurüd, fo haben wir zubör- 
berft das fortgefegte Beſtreben unfers Verf. anzumerken, 
bie „genealogifch-publiciftifche Fiction einer Identitaͤt ber 
beiden Häufer Habsburg und Lothringen‘ zu zernichten. 
Hier wird Napoleon's hochfahrender Verſuch im I. 1809 
erwähnt (IT, 25), dann Leibnißz' berühmtes Gutachten 
mit Anmerkungen verfehen und feine Bemweisführung 
beftätigt, daß die Vaudemont und alle Totbringifchen 
Linien von Buife, Eiboeuf, Lambesc u. U. zu den sept 
princes étrangers Frankreichs gerechnet worden find, zu⸗ 
legt noch erwähnt, daß in England echte Habsburger 
von dem 1408 in ber Schweiz erlofchenen Zweige in 
Läuffenburg leben, nämlich die. Fielding, Grafen von 
Denbigh und Desmond, für deren Anfprüche fih Man⸗ 
bes fagen ließe, und dag Kaifer Franz I. von einer 
„Betterfchaft” mit dem Haufe Kothringen habe durchaus 
nichts wiffen wollen (MH, 97— 116). ine zweite fie- 
bende Rubrik bilden die Bebrüdungen der Länder Un- 
garn und Böhmen, das Spielen ber Habsburger mit 
Ciden, die Eingriffe in die. Verfaffung beiber Länder 
und die völligfte Rivellirung. Die Habsburger, fagt 
der Berf., hatten mit ebenfo viel Klugheit ale Glück in 
diefen Ländern den Katholicismus vorangeftellt für das 
Untertreten jedes gefchichtlichen Rechtszuſtandes. Wie fie 
fich aber in dem fo erzkatholiſchen Tirol doch diefe Über⸗ 
macht zu verfchaffen gewußt Hatten, zeige der Verf. in 
einer befondern Abhandlung (1, 270— 286), wo dann 
auch bie von ihm oft gelefene Bemerkung wieberholt 
wird, daß Tirol eigentlich gar nicht in ein Lanb gehöre, 
fondern daß ber ver Friede im J. 1809 mit wenigen 


Ausnahmen nur wieder zufammengeftellt habe, was nad 
Natur, Sprade, Sitte und Hifterie zufammen gehöre. 
Damals blieb befanntlich das noͤrdliche Tirol bairiſch. 
Zum dritten unterliegen bie Plane Karls V. zu. einer 
Habsburgifchen Univerfalmonarchie fcharfem Tadel und 
das Verdienſt deffelben Haufes, eine Vormauer gegen 
die Türken und der Schug für Europas Civiliſation ge- 
weſen zu fein, wird gänzlich in Abrede geftellt. Ungarn 
ift durch deutſche Fäufte und durch deutfches Geld be- 
freit worden, unter Rudolf I1., unter den Ferdinanden 


und fonft rettete nur die Verweichlichung des Seratl, die 


Stupidität bes mehrmals erkauften BDivan und der 
„Mann Gottes, das unmittelbare Werkzeug der Vor⸗ 
fehung“, der Prinz Eugen, da6 übrige: Europa vor ber 
osmanifchen Barbarei. Dagegen bezeugt Hr. v. Hor⸗ 
mayr, daß Oftreih „mit Recht und mit Ruhm gegen 
bie. tevolutionnatre Hydra und gegen die Weltmonar- 
hie des Soldatenkaiſers Napoleon ritterlich“ gelämpft 
babe und daß deffen Haß gegen alle alten Dynaſtien in 
dem „treuen und muthigen Dftreich die größte Indigna⸗ 
tion und die aufrichtigfie Begeifterung für fein Negen- 
tenhaus‘ gewedt hätte. Es ift in der That wohlthuend, 
in foihen Stellen (HH, 20—26, 32) auch zinmal Worte 
der Anerkennung und des Lobes bei unferm Verf. zu 
lefen, und manche neue Thatfache, wie über die Schlacht 
bei Afpern, auf den Schauplag ber Offentlichkeit gezo⸗ 
gen zu ſehen. Dazwiſchen aber treten freilich (und das 
wäre ein vierter Punkt) um. fo greller die Abfchnitte 
hervor, in denen ber Verf. den Geiſtesdruck ſchildert, 
der feit Sahrhunderten auf den Ländern des Haufes 
Habsburg, mit geringer Ausnahme in der Zofephinifchen 
Zeit, gelegen hat. Denn ed wären förmliche Befehle 
zur Gefchichteverfätfhung ergangen (Il, 14), es tönne 
alfo auch in Oftreich keine parteilofe Gefchichte und Feine 
Dentwürdigkeiten einzelner Männer geben, felbft die „Oſt⸗ 
reichifche militairifche Zeitfehrift” habe unter ben Feſſeln 
eimer „ber perfönlichen Rüdfichten fröhnenden” Genfur 
leiden müffen (I, 66 — 84); Männer wie Schneller 
und Mailath hätten die Wahrheit nicht fagen wollen, 
auch gegen Buchholz und Lichnowsky iſt Vieles eingu- 
wenden, obſchon fie doch der „alltäglichften Lobhudelei 
weniger dienfleigen‘ gemwefen wären. So tabeinben Ur- 


| teilen liege ſich manche Ermäßigung entgegenftellen, 


46 


- wenn hierzu der Raum geftattet wäre. Was ber Verf. 
über bie öftreichiche Cenfur in den Tumult der Tages⸗ 


welt hineingefehrieben hat, ſcheint auf perfönlichen Et- 


fahrungen zu beruhen. Wir haben aber einen Theil 
diefer Geſchichten (IM, 57 — 63) ſchon in Hormayr's 
„Hiſtoriſchem Taſchenbuche“ für 1845 gelefen — wie 
denn der Verf. ſolche häkeliche Dinge gern zwei- oder 
dreimal bruden laßt — und ſchon damals beklagt, daß 
Männer wie Eollin, Zedlig, Auersperg u. U. den „Na⸗ 
deiftichen der Policei” fo preißgegeben werden fonnten, 
deren Unwiſſenheit in biefen Fällen meiſtens fchlimmer 
war als ihre Willtür. Den erftern Vorwurf habe mari 
den Jeſuiten nicht. machen fönnen, deren bewunderunge- 
würdige Confequenz in Oſtreich den nachtheiligflen Ein- 
Auf auf Selbfidenten und Erfinden geübt hat, wenn- 
gleich fie auch bedeutende Gegner, wie den Fürſten Lob» 
kowitz unter Leopold J., von Zeit zu Zeit gehabt haben 
(1, 296 — 303). Durch fie. befonder6 wurde aud die 
Unduldfamfeit bee Megierung gegen die Akatholiken und 
Diffidenten, die nad, des. Verf. Urtheile -ein fo böfer 
Fleck in der Geſchichte der Habsburgiſchen Dynaſtie ifl, 
anferordentlich befördert, die Bauernaufflände genährt 
und die Auswanderung der evangelifihen Salzburger 
beroorgerufen (I, 321 — 347). 

Unter der Gefhichten einzelner Negenten iſt vor- 
zugsmelfe die Zeit Karl’s VI. und die Herrfhaft Maria 
Thereſia's mit veichen Erörterungen ausgeflattet und aud) 
Die Sittengeſchichte in einer Reihe anziehender Schilde⸗ 
rungen bedacht worden. Karl Vi. mar bei manden 
ſchoͤnen und liebenswürbigen Eigenfchaften, unter die na- 
mentlich bie Reinheit feines Privatiebens und feine Liebe 
Tür Kunft und Wiffenfgaft gehören, nicht frei von ber 
Eroberungsfucht feiner Familie umd von dem Beftreben, 
die öffentliche Meinung, die ſich unter ihm zuerft als 
eine Macht zu‘ zeigen anfing, nieberzuhalten. Ben Na- 
tur wohlmollend und mild verließ ihn doch nie die ſpa⸗ 
niſche Grandezza; Niemand hat ihn lachen fehen und 
Verftöße gegen die Etiquette ober die Nichtachtung feiner 
kaiſerlichen Perfon wurden fiseng ‚geahndet. Diervon zwei 
Beifpiele. Einen jungen Urfenbeck hatte auf einer Win⸗ 
terjagd, des Kaifers Blicken leider zu erreichbar, eine, wenn 
auch nicht fatatiftifche, doch fatale Naturnothwendigkeit er- 
eilt. Der erzürnte Kaifer verbot ihm für immer fich am 
Hofe zu zeigen. Ber Legte aus dem Hanfe Rottal hatte 
fich ‘bei eimer großen Treibjagd zu ſehr mit eimer niedli⸗ 
chen Treiberin herumgetrieben und bem unvermuthet her- 
anfprengenden Kaifer auf dieſer allerdings gegen Thiere 
und RMothwild gerichteten Jagd . den unerwarteten An- 
blick eines Thieres mit zwei Rüden gegeben.  Rottal 
Sam dafür in Arreft und dann ale Platzlieutenant auf 
fieben Jahre an die turkifche Grenze, die Dirne erhielt 
eine Anzahl NRuthenftreihe (1, 292). Weiter wird es 
belebt, daß Die Herenproceffe unter ihm nie aufgelom- 
men find; die Sicherheit der Landſtraßen nahm zu, die 
Juſtiz war fireng, namentlich gegen Niedere; Vornehme 
wurden nur in Hochverrathsfaällen mit der Folter, fonft 
durch Eimfperrung oder mit Geldbußen beftvaft, doc 


wird auch (1, 294) ein firenges Blutgericht gegen’ die 
abelige Familie Straſoldo erwähnt. Sonſt herrſchte 
freilich) noch große Wildheit der Sitten, die fich auch in 
ber Verfolgung ber Juben zeigt, ungeheurer Zunftftolz 
und unaufhörlihe Hinneigung zum Fauſtrecht und zur 
Selbfthülfe, wie die (I, 346—356) aus ben Zeiten ver . 


Karl VI. und aus feiner eigenen Regierung beigebrach⸗ 


ten Belege zur Genüge darthun. Wir führen hier nur 
einen an. Einem ungarifchen Juden, ber einem Chriften- 
mädchen Gewalt angetan hatte, wurde das Glied, wo⸗ 
mit er gefündigt, in ein mit Pech und Schwefel erfüll: 
tes Gefäß eingefpundet und felbiges in langſames Feuer 
gefegt, ihm aber, ald gnädige Milderung, ein: jcharfes 
Dieffer dabei gelegt, damit er im Wahnfinn der Qua 
len fi das Glied abfchneiden und alsdann frank und 
frei herumlaufen möge (1548). 

Nah Karl's Tode beſtieg feine Tochter Maria The- 
tefia den Thron, „im redlichen Glauben auf ihr gutes 
Recht, im Gefühl ihrer Geiftes- und Herzenskraft, im 
Vertrauen auf bie mit den europaͤiſchen Mächten nad 
fhmweren Berluften und Demüthigungen zu Stande ge- 
brachten Verträge”. Sie war, um des Verf. Worte zu 
brauden, die klügſte, nachhaltigfte, herrlichſte Despoten- 
feete, fie duldete gar keine, nicht geiftliche, nicht weltliche 
Mittelmacht, ihre Verfaffungsveränderungen in Ungarn, 
Böhmen, Siebenbürgen und andern Erbftaaten gefchehen 
ohne Geraͤuſch, ohne Härte, fo gleichzeitig mit der ſtei⸗ 
genden kirchlichen ſtaats- und privatrechtlichen Aufklaͤ⸗ 
rung der Völker, dag gar Leine rechte Furcht aufkam, 


wohin biefe Veränderungen, die nichts unberührt ließen, 


führen follten (11, 206). Diefer Grundgedanfe des 
Verf. wird mit vielen Einzelheiten belegt; deren Auf⸗ 
zählung ‘wir uns jedoch verfagen müffen. Ebenſo kön⸗ 


‚nen wir auch nur mit .einem Worte auf die frifihe, le⸗ 


bendige Erzählung der Begebenheiten des erften fchiefi- 
{hen Kriegs hindeuten (IE, 165 — 190), die fowie bie 
Beſchreibung der Schlacht bei Zontenay (Il, 202 fg.) . 
neue Beweife für Hrn. v. Hormayr’d ausgezeichnetes 
Zalent zu ſolchen Darftelungen find. Den häuslichen 
Eigenſchaften der Kaiferin Maria Therefia weiht er, wie 
zu erwarten fland, feine große Verehrung. Ihre innige 
Liebe zu dem ihr nicht immer treuen GBemahle, „ihrem 
zärtlichften Freunde, ihrem liebften Gefährten und ihrer 
wahren Lebensfreude” (mie fie fi) nach feinem Tode aus- 
brüdte), ihre unverrũckte Theilnahme für das Wohl ih- 
rer entfernten Zöchter, ihre milden Worte gegen bie 
Gräfin Auersperg, bie legte Neigung ihres Gemahls 
(„Wir haben naͤmlich fehr viel verloren, meine Liebe’), ihr 
herzliches Troſtſchreiben an die Graͤfin Haugmwig nad) dem 
Tode des einfichtsvollen Miniftere Haugwitz (I, 236 fe.) 
— alles Dies und manches Andere find ſchoͤn duftende 
Blüten in dem Stanze biefer „Unenonen“. Wie 
großartig und rührend war die Art, durch die das wie- 
ner Publicum von ber Geburt des Erbprinzen Franz 
die Kunde erhielt. Es war am 10. Febr. 1768, ale 
um 7 Uhr Abende der Eilbote aus Florenz mit der 
frohen Kunde ins Cabinet Therefia's trat. Sie arbeitete 





4 


m Staatsgeſchäften. Lebhaft, wie fie noch immer mar, 
fprang die Kaiferin auf, flürzte unaufhaltfam durch die 
vermunderte Antichambre, durch alle Vorzimmer, über 
die weiten Gänge ins Theater in ber Burg, in bie 
Kaiferloge, riß athemlos deren Fenſter auf und fchrie 
in freudigem, überlauten Wienerdialekt ins Publicum 
— „Der Leopold hat' an Bueb'n! und grad zum 

indband auf meinen Hochzeitstag — ber iſt galant.“ 
(I, 240.) 

Wir können jedoch dem Verf. nicht weiter in die 
Mamichfaltigkeit feiner Gegenftände nachfolgen. Daher 
gedenfen wir nur noch der Charakteriſtiken mehrer öft- 
reihifchen Yeldherren und Staatsmänner, der tapfern 
Grafen Starhemberg, der Minifter Haugwig, Barten⸗ 
fiein, Uhlefeld, Siegendorf, Choteck und bes Kürften 
Kaunig, von denen befonbers bie legtere, am Schluffe 
des zweiten Bandes, von meifterhafter Vollendung ifl. 
Bei Bartenftein erfahren wir unter Anderm, daß cr der 
fiarrjinnigfte Widerfacher Preußens jederzeit gewejen und 
Kari's VI. Schritte bei Friedrich Wilhelm 1. zur Be- 
gnadigung feines Kronprinzen Friedrich zu bintertreiben 
ſich ale Mühe gegeben habe, wobei uns zugleich (I, 386 fg.) 
ein ungedrudter Brief des genannten Königs an Karl VI. 
und einer des Legtern an Eugen von Savoyen mitge⸗ 
theilt werden. Der König erklärt bier, daß fein ‚Sohn 
feine Begnadigung lediglich den Worflellungen des Kai- 
ferd zu verdanken habe und baf fein Kronprinz daraus 
abnehmen möge, wie fehr er ihm und dem Erzhaufe 
Dfireih verpflidtet fe. Es dürfen diefe Beweisflüde 
sicht unbekannt bleiben, da fie mit der Annahme bei 
Preuß (‚„‚Sriebrich’E 11. Jugend und Thronbefteigung”, 
©. 105) nicht übereinftinnmen. In anderer Beziehung 
verdient die gemealogifhe Nachweifung angemerkt zu 
werben, daß Friedrich V. von ber Pfalz und feine Ge⸗ 
mahlin Elifabeth ‘die unmittelbaren Ahnen des einen 
Kaiferhaufes Oftreich-Lothringen find, alfo auch die Ab: 
nen von Toscana, Modena, Neapel, von der unſchuldi⸗ 
gen Königin Iſabella von Spanien, der lange verfolgten 
Maria da Gloria von Portugal, die Ahnen des fran- 
zöfifchen,. dänifchen, britanifchen, preufifchen Königsſtam⸗ 
mes und durch legteres auch des kommenden ruffifchen 
Zarengeſchlechts (II, 134—140). Wie bemanbdert aber 
der Verf. in allen Lebensverhäftniffen feiner Zeitgenoffen 
ift, zeigen Die Racrichten über ben Abenteurer Karl 
Friedrich Kobielsky, deffen Ramen bier dic meiſten Lefer 
zuerft erfahren und der von ber zweiten Theilung Po⸗ 
tens an bis zur Dermählung Marla Luife's eine fehr 
einflugreiche Rolle in Oftreich gefnielt bat (I, 84—95). 
Daß Hm. v. Hormayr in ſolchen Dingen mitunter auch 
etwas Menfchliches begegnet, darf uns wicht vermunbern. 
So weißer z. B. ganz beſtimmt (II, 92), daß der eng- 


liſche Unterhändler Lord Bathurſt von des franzöfifchen- 


Poliseiminifters Savary Schergen im Branbdenburgifchen 
eingeholt und in einen märlifchen See geftürzt fei, wor⸗ 
über fich doch Barnhagen von Enfe, der in feinen 
„Denkwürdigkeiten“ (il, 240 — 343) die ausführlichfte 
Erzählung diefes räthfelhaften Vorgangs gegeben hat, 


weit vorfichtiger aueſpricht. An einer andern Stelle 
(il, 246) folgt der Berf. ber traditionnellen Darftellung, 
daß die Königin von Polen am 10. Sept. 1756 durch 
preußifche Grenadiere von der Thür des dresdner Ar⸗ 
chivs „weggezogen“ fei, worüber doch bie genaue, durch 
firenge Zeugniſſe fefigeflellte Ergählung bes Profeffors 
Preuß in den berliner „Jahrbüchern für wiffenfchaftliche 
Kritik“ (1841, Ne. 60) ihn eines Beſſern Hätte belehren 
können. 
Wichtiger bürfte aber die Ausftellung fein, daß manche 
ber hier mitgetheilten Züge, Urtheile und Betrahtungen 
ſich ſchon, wenn auch nicht wörtlich, in andern Hormayr'⸗ 
ihen Werten, namentlich in den. hiftorifchen Taſchen⸗ 
büchern, vorfinden. Run mag das immerhin einige 


‚Entfehuldigung darin finden, daß des Verf. Seele von 


eben diefen Dingen fo vol ift, daß er fie, wie fie ihm 
Tag und Stunde zugebradht haben, nieberzufchreiben 
pflegte, frei und behaglich den Lebensberührungen fol- 
gend. Aber die Wiederholung derſeilben Begenflände, 
und faft mit denfelben Worten, in den „Anemonen“ 
hätte doch bei forgfamer Durchficht des Manuſcripts 
vermieden werden müffen. So werden bed bairifchen 
Feldmarſchalls Seckendorff und bes öftreichifchen Mini⸗ 
fterd Loblowig Verhaftungen an zmei verfchiedbenen Or⸗ 
ten (I, 73 u. 199; I, 211 u. 294) erzählt, und Ahn- 
liches wird ber aufmerffame Lefer auf mehren Blättern 
wahrzunehmen Gelegenheit haben. 

Ein Hormayr’fches Buch ohne Urkunden und unge- 
druckte Briefe würde feinen Verf. verleugnen. Und fo 
find auch bier in einem Anhange zum zweiten Bande 
einige Briefe Torftenfon’s und Tilly's nebft der langen, 
grumblichen Apologie der Stände sub utraque im Kö⸗ 
nigreih Böhmen vom 3. 1619, aus den verborgenen 
Kammern des Verf., an das Licht gezogen worden. Er 
muß in der That einen unerfchöpfliden Reichtum in 
folchen unbekannt gebliebenen Actenſtücken und Staate- 
ſchriften befigen, denn überall wirft er, um mit: @oethe 
zu fprechen, feine Kuchen in das Meer, ohne fie bie 
jest fo genoffen zu fehen, wie es die uneigennügige Ab⸗ 
ficht des Geber erwarten koͤnnte. | 


— — 


Nachſchrift. 

Nach Niederſchreibung des obigen Artikels habe ich 
zu bemerken Gelegenheit gehabt, daß das in den „Ane⸗ 
monen“, Bd. I, S. 388, mitgetheilte „Dankfogungs- 
ſchreiben Friedrich Wilhelm's I. von Preußen an Kaifer 
Karl VI.” Schon in dem „‚Zeben des Feldmarſchalls Secken⸗ 
dorff”, Ih. 4, S. 238 fg., abgebrudt flieht. Weniger 
befannt, fchrieb mir ein: in diefen Angelegenheiten fehr 
wohl bewanderter Mann, ift der Brief bes Kaiferd an 
den Prinzen Eugen („Anemonen“, I, &. 380), der aber 
jedenfalls nur der Refler von dem Briefe bes Kaiſers 
fein kann. Friedrich Wilhelm aber, fegt berfelbe hinzu, 
fchrieb aus Höflichkeit, wie in folhen Fällen ftets. ge- 
fchieht, mehr ald wahr war. Das eigentliche Sachver⸗ 
hältniß aber und die zuverläffigfien Nachrichten ergeben 





48 


ſich aus ber von mir bereits augeführten Schrift über 
„Friedrich's 11. Jugend und Thronbefteigung” von Preuß. 
20. 


Serbien, feine eurspäifchen Beziehungen und die erien- 
talifhe Zrage, von 2. von Szafraniec Bys— 
trzowski. Aus dem Franzöfifhen. Leipzig, Tho⸗ 
mas. 1845. 8. 1 Thlr 


Es ift unleugbar, daß das Eräftige Erwachen des Gefühls 
für Unabhängigkeit und Rationalität bei den verſchiedenen 
Bölfern ber großen flawifchen Familie auch ein neues Element 
der Kraft und Macht in die politifche Welt bringen werde; 
aber es kommt nur darauf an, wie und von weicher @eite 
und zu welden Zwecken biefeß Element benugt oder etwa ge: 
misbraucht wird. In dieſer Hinfiht haben die unter den fla⸗ 
wifhen Boͤlkerſchaften der europäifhen Türkei feit längerer 
ober fürzerer Zeit ftattfindenden Bewegungen, deren Zweck nur 
eine fefte Geftaltung ihrer politifchen uffnde auf der Grund: 
lage nationaler Selbftändigfeit ift und fein kann, allerdings 
auch ihre beftimmeen und unverdennbaren Beziehungen zu Eu: 
ropa, und fie bilden in gewiſſer Hinſicht auch den Mittelpunkt 
der orientalifhen Frage. Der Berf. der vorliegenden Schrift 
Dat fih in’ derfelben nur auf Serbien beichranft, und mit 

echt, denn eben in Serbien hat jene Bewegung, jenes Eraf: 
tige Erwachen des Gefühle für Rationalität Non ein beftimm- 
tes Biel erreicht und eine gewifle Zukunft fich erflritten. Es 
verlohnt fich daher wol der Mühe, in der Gefchichte den frü- 
bern Beftrebungen der ſerbiſchen Nationalität, ihrer Erhebung 
und ihrem Ruhme, ihrem Kalle und ihrem Unglüde nachzufor⸗ 
fhen, die AUnftrengungen hervorzuheben, welche die Serbier 
baben machen müflen, um fi vom fremten Joche zu befreien, 
die Mittel bemerklich zu machen, welche fie angewenbet, und 
die Erfolge darzuftellen, welche fie in ihrem Europa nicht ge: 
nügend befannten und doch fo ruhmreichen Kampfe errungen 
haben. Cs verlohnt fih diefer Mühe für Europa und für die 
andern ſlawiſchen Völkerfchaften der Zürkeis aber es ift auch 


unabweisbare Pflicht, die Lehren der Geſchichte für fie alle 


in Betreff der Wahl Derer, denen fie für Gegenwart und 
Bufunft ihre Geſchicke vertrauen, eindringlih und nachdrück⸗ 
ti ihnen vorzuhalten, damit fie nicht, was namentlich bei der 
in dem flamifchen Charakter liegenden Sorglofigkeit und Läſſig⸗ 
keit fo fehr zu befürchten ift, um ihre Nationalität und ihre 
politifche Selbftänbigkeit, die ſie erfireben, betrogen werben. 
Serbien ift den Intriguen folcher falfhen Freunde, ſolcher egoi: 
ſtiſchen Vermittler zum beklagenswerthen Dpfer gefallen. Ser: 
bien felbft und die übrigen Slawen der Zürkei fowie andere 
Voͤlker mögen fih demnach für Die Zukunft bieraus eine be: 
fondere Lehre nehmen und fie beachten, nach dem alten bewähr: 
ten Worte des Römers: Timeo Danaos et dona ferentes! 
Die vorliegende Schrift gibt in allen jenen Beziehungen ge: 
nügenden Auffchluß und unterdrüde auch die Lehren und War: 
nungen nit, die dic Gefchihte Serbimd aus der neueften 
Zeit laut und vernehmlich verkündet. Sie fprechen auch zu 
@uropa, vornehmlich aber zu feinen Staatömännern an den 
Ufern der Donau, Themſe und Seine, und haben dies fchon 
laͤngſt gethan; allein fie find blind oder laffen ih von Sire- 
nenflimmen in füße Träume einlullen, in denen ihnen die ge: 
täufhten Völker das hehe Glück Europas in lieblichen Bildern 
der Zufunft vorführen. In Serbien haben wir in den letzten 
Jahren ein ſolches Stüd im Kleinen aufführen ſehen; jeden: 
falls iſt es nicht das legte, aber hoffentlich auch nicht ‚der letzte 
Act dieſes vaterländifchen Dramas. Natürlich verbreitet fich 
die vorliegende Darftchung befonders ausführlih über die Ich: 
ten Kämpfe der Serbier unter Ezerni Georg und Mitof 618 
tur neueften Berwidelung ; aber der traurige Ausgang der 


Kämpfe ſelbſt breitet einen daſtern Schleier über bie, beiden: 
müthigen Unftrengungen der Serbier, die um den Preis der« 
felben betrogen worden find. Der Darftellung gebricht es im 
Ganzen an einer gewiffen Einfachheit und Klarheit, mag das 
nun an ber Überfegung ober an dem franzöflfhen Driginal 
hiegen, ober bie Schuld des verwideiten Gegenftandes felbft 
fein; daß aber hier (&. 32) in diefem Zufammenhange des 
unglüdliden Rhigas gedacht wird, der ein Grieche war und 
ein Borläufer der Unabhängigkeit Griechenlands geworden ift, 
dagegen unmittelbar mit der Erhebung der Slawen in ber 
Zürkei nichts zu thun hat, hätte von dem Überfeger befeitigt 
erkung. . 


werden follen, wenn auch nur in einer Anm 





Literarifhe Notizen aus England. 
Ein chartiſtiſcher Dichter. 

Es ift eine eigenthümliche Erſcheinung, daß der Chartis: 
mus in England in dem Schoofe der untern oder arbeitenden 
Claſſen ſelbſt eine ungewöhnlich große Menge begabter Geifter 
aufgerufen, welche dur Dichtergaben die gewaltigen Drgane 
der Wünſche und Bedürfniffe geworden jind, die in diefen 
Schriften fi regen, ein Beweis, wie urfprünglich, durchaus 
nit von außen bineingetragen ſolche Wünfhe und Bedürf: 
niffe darin find. Wir wollen bier nur an Elliot, Robert 
Ricoll, John Prince u. X. erinnern. Unter den in der legten 
Zeit vielgenannten Männern diefer Art gehört 3. Cooper, 
welcher beſonders durch fein „Purgatory of suicides’’ großes 
Auffehen gemacht. Sein neueſtes Werk unter dem Zitel 
„Wise saws and modern instances’ ift zwar Bein epifches 
Gedicht wie Lad genannte, fondern eine Reihe von Lebens- 
bildern, in der Art wie die in Deutfchland fo fehr in Ruf 
gekommenen Dorfgeſchichten und dem Ähnliches; aber fie be: 
weifen auf6 neue das hervorragende Talent ded Mannes, wenn 
auch die überall hervorleuchtende Parteirihtung in politifcher 
oder geſellſchaftlicher Hinficht denfelben eine gewiffe Eintoͤnigkeit 
verleiht. Bekanntlich Dduldete ihr Verf. im Gefängnif feine 
thätige Theilnahme an den frühern ungefegliden Bewegungen 
feiner Partei. Muße und Studien während diefer Haft jcheinen 
fein Urtheil gereift zu haben, denn Die immer wiederfehrende 
Mora feiner Erzählungen ift dieſe, daß bei noch fo entfchiedener 
Sefinnung man für das Handeln die Seit und ihre Strömung 


‚nicht außer Acht laſſen, Vorurtheile glimpflich behandeln und 


mit Befonnenheit vorgehen müffe. 


Eine Schrift über das Gefängnißwefen. 

Die Sefängnißkunde, welche bei den Humanitätöbeftrebungen 
der neueren Zeit eine bejondere Wilfenfchaft zu werben verfpricht 
und bereitö eine ziemlich umfangreiche Literatur zäbhft, hat in 
dem Werke „Prisons and prisoners”‘, von I. Adfhead, einen 
neuen fhägbaren Beitrag erhalten. Der Verf. ift ein Verthei⸗ 
diger des „Trennungsſyſtems“, welches er gegen den Dichter 
Charles Dickens und die „Times“ lebhaft und mit ftarken 
Ausfällen auf die Genannten, die er der Unkenntniß zeiht, in 
Schus nimmt. : Seine Meinung unterftügt er mit den in bem 
Sefängniß zu Pentonville gemachten Erfahrungen, wo diefes 
Syftem eingeführt worden iſt. Er hebt beſonders hervor, daß 
dad „Trennungsſyſtem“ nicht mit dem „ Einfamkeitsfyftem ” 
verwechfelt werden dürfe; denn Laß erftere trenne den Berbre- 
cher bloß vom Umgange und der Geſellſchaft der andern Ber: 
brecher, waͤhrend es nicht nur für feine leibliche Gefundheit, 
feine geiftige Ausbildung und fittliche Verbefierung die größte 
Sorgfalt trage, fondern auch vermeide, ihn ununterbrochen 
feinen eigenen Gedanken zu überlafien, indem er täglich von 
mehren dazu angewiefenen Perfonen, welche zu obenangege- 
benen Sweden feine Beflerung und Bildung zu fürdern beru: 
fen find, Beſuche erhalte. 12. 


Verantwortlicher Heraußgeber: Heinrich Brodpaus. — Drud und Berlag von F. &. Vrockhans in Leipzig. 





⸗ 


— — — 


Blätter 


für 


literariſche Unterhaltun g. 





Dienſtag, 


18. Januar 1846: 


FF I 


Franz Dingelſtedt. 
Gerichte von Franz Dingelſtedt. Stuttgart, Cotta. 1845. 
8 2 TIhlr. 0 u 


Der Wind blies fhon duch die Stoppelfelder und 
die Scharen der Vogel fammelten fih auf den Dächern, 
um nad, dem wärmern, lindern Süden zu pilgern. Um 
dieſelbe Zeit, e& war im October 1844, brach auch Franz 
Dingelftedt in Fulda fein Dichterzeit ab, um feine Wan⸗ 
derſchaft zu beginnen. Zwei Dinge ließ er uns zurüd, 
die wie zwei nicht flügge gewordene Kinder klagend ihn 
umflatterten und deren Flügel zu ſchwach waren, um 
die Fahrt nach den fernen Ländern mitzumachen. Das 
eine war fo recht eigentlich ein Ding, res, hülflos, troft- 
los, rechtlos fteuernd auf den feichten Fluten des deut- 
ſchen Journafismus, e8 war die Wochenfchrift „Salon“. 
Kaum war fie ein halbes Jahr unter harten ſchweren 
Dranpfalen der Genfur alt geworden, als ihr hoffnungs⸗ 
voller Bater, um im Leichenftile zu reden, dahinſchied, 
und fein Kind vereinfamt, verweift zurüdließ. Doc, auch 
fterbend forgte der Water noch für feinen Schügling, 
freilich fo gut als in ber Eile und Haft es fi machen 
fieß. Ich hielt mich zu berfelben Zeit bei meiner Mut: 
ter im Hanauifchen auf, die Mahnungen Dingelſtedt's 
tamen immer dringender, doch ja vor feiner Abreife mich 


in Fulda einzuftellen. Sch kam; da Tagen fchon bie Ki⸗ 


fin und Kaften wild durcheinander und an ber Thür 
ftand der Wanderfiad. Während die Dedel zugefchla- 
gen wurden, inmitten biefes erhabenen Getöfes und herz. 
ergteifenden Donners, während die Staubwolten dicht 
und ſchwarz vom Boden, von ben Kiften und Wänden 
auf und, um une ihren fchügenden Mantel ausbreiteten, 
inmitten aller biefer Feftlichkeitn — Sie fehen, ich be: 
fleifige mich eines beffern Stils al8 die preußifche Staats- 
zeitung — wälzte der fcheidende Medacteur bie ſchwere 
Laſt auf meine jungen Schultern, Briefe wurden ge 
fchrieben, Manuferipte durchgefehen und übergeben, und 
als dee Hammer den legten Schlag auf die große Kifte 
gethan hatte, die -einftweilen als unnüger Ballaft für den 
leichten Wanderer in Fulda zurückblieb, war auch ber 


‚wichtige Moment vorüber und wir fahen uns ganz nüch- 


tern an, ale das Getöfe, nämlich des Hammers, ſchwieg, 
das Volt, nämlich der Schloffer, fi verlaufen hatte. 


Dies war die. cine Sache, und als wieber ein Jahr zu 
Nuhe ging, fo lag das Kind, unfer vielgeliebter Sa⸗ 
fon. II., todt und flumm vor uns, inbef wir Väter an 
feinem Grabe fi zankten, wer am meiften das Kind 
geliebt oder verwöhnt habe, oder ob es durch einen un- 
abwendbaren Schlag des Geſchicks hätte fallen müffen. 
Die andere Sache war fo recht eigentlich Feine res, 
fintemal wir ale Germanen und Theiſten ein anderes 
Princip ruͤckſichtlich der Frauen denn als die alten Grie⸗ 
hen haben; aber auch diefed Ding war fehr traurig 
und Hat gewiß mehr fchlaflofe Nächte denn unfer ſchei— 
dender Poet in trüben Rüderinnerungen zugebracht; 
doch gehört dies eigentlich nicht hierher, ich weiß auch 
nicht, ob die Schwefter daſſelbe Ende wie ihr Geſchicks⸗ 
bruder gehabt hat. | 
Dingelftedt ſchied, es war fein freudiges Scheiben, 
etwa wie ein Schmetterling aus ber Puppe berausflat- 
tert, er fchied, weil fein raftlofer Geift inflinctartig ihn 
einer andern Zukunft in bie Arme trieb unb flachelte. 
Es Tag eine gewifle Zuverſicht, ein erfreuendes Selbft- 
vertrauen in feinem Gehen, das alle die ängftlihen Be⸗ 
denklichkeiten, bie theils philifterhafte Engherzigkeit, theils 
auch zarte Beforgniß liebevoller Herzen ihm entgegen- 
bielt, überwand und, um fein Geſchick zu erfüllen, wie 
mit Siegerfchritten über fte hinwegging. Es war eine 
finftere Nacht, der Regen praffelte auf unfern Schirm, 
umter welchem ich Dingelfledt zur Poft geleitete. Der 
Wagen kam, durch die fchlechte Witterung aufgehalten, 
beinahe drei Stunden fpäter als bie Zeit zur Abfahrt 
beſtimmt war. Dingelſtedt war fehr traurig, ber Ge⸗ 
banke an feine Zukunft brachte trübe Bilder in feine 
Seele, während wir zufammen in. ber Fühlen Poſtſtube 
auf den Wagen harrten, ber Wein vermochte nicht bie 
ängftlihe Spannung zu. vertreiben, ba endlich Fang das 
Poſthorn fo wehmüthig und verlaffen durch bie dunkle 
regnerifche Nacht, daß wir erfhroden von unſern Sigen 
auffuhren; der Würfel war geworfen, mir reichten uns 
die Hände; zwei verfihlafene Gefichter mit ſtummem 
Murten nahmen den neuen Unbekannten in ihre Mitte 
und der Wagen raffelte weiter. nn 
Nahe vier Jahre find feit jenem Abende verfloffen, 
und wenn bier und dba von den Stationen feiner Wan⸗ 
berfhaft ein Blatt zu uns hermehte, fo folgten wir gern 














5 


feiner weitern Entwidelung mit freundlihem Blicke. Li⸗ 
terarifch hat Dingelftebt feit jener Zeit außer ben Be⸗ 
richten für die „Allgemeine Zeitung” wenig von fich hö- 
ven laffen; die Sammlung der „Zriedlihen Novellen” 
war zum größten Theil aus bereits bekannten Erzählun- 
gen"zufanmensefegt und enthielt nur wenig Neues, was 
während "Mine? Wanderfkhaft entflgnden wa. Unter den 
—2* Anzeigen und Recenſionen derſelben war ge⸗ 
wiß bie von H. Koenig in d. Bl. nicht allein die rich 
tigfte und aufrichtigſte, fondern gerade Deswegen auch 
die fhärffte, weil er den Freund zu gediegenen Pro⸗ 
ductionen hinzuleiten fucdt, die er in ber Haft jenes 
Manderlebens übereilte, weil er ihn an fein Talent er- 


innert, das ihn gewiß bei ruhigen tiefer durchdachten 


Kunftwerten nicht verlaffen wird. Wir griffen deshalb 
um ſo begleriger nach der Sammlung der neuen Ge- 
dichte bei Cotta, ale durch die Reifen und durch die 
wechfelnde Lage der Verhäftniffe Dingelftedt gewiß An- 
zegung genug erhalten hat, fein Talent zu entwideln, 
zu fördern. u 
Ich möchte Dingelſtedt's Dichten mit dem Spiegel 
eines Sees vergleichen; rings Haft bu reizende Baum- 
geuppen, feifes, füßes Flüſtern in den Wipfeln der Bäu- 
me, Blumen, die ihre Blütenkelche tief wie zum Kuffe 
hinunter auf ben klaren Spiegel neigen. Ein Blatt, das 
ein leichter Wind vom Baume ſchüttelt, bewegt die Flut, 
ihre Wellen freifen und hallen in einem Gedichte zu bir 
herauf; der Weft, der die Blumen am Geſtade ſchüttelt 
und fie auf die Flut drüdt, bringt Schwingungen auf 
ihr hervor und du haft ein Gedicht; der Soman, der 
feine Bahnen durch die Fluten zieht, vegt die Wellen 
auf und fie Mingen in einem Liebe wieder; bie Mücke, 
die im Strahle der Abendſonne über die Fläche hin⸗ 
gaudelt und mit den Teichten Züßen die Blut bewegt, 
ſchafft ein Gedicht; die Erde, die vom Ufer ſich ab- 
brödelt, der Froſch, der in lauen Sommerabenden hin⸗ 
unter ſpringt, der Sturm, ber bie Wellen aufreizt, Al⸗ 
les find Vetanlaſſungen, daß bie Dichterivelle ſchwingt, 
dag die Dichterquelle fprubelt. Dadurch entfteht Freilich 
in der Production Dingelſtedt's eine Leichtigkeit, aber 
oftmals auch eine Fluͤchtigkeit, die den Eindruck ſchwaͤcht, 
weit die Anregungen nicht aus der Tiefe fondern nur von 
det bewegten Oberfläche kamen. Verſtehe man übrigens 
diefen Vergleich nicht falſch und glaube etwa, daß bie 
Lieder Dingelſiebt's nur in äußern Anregungen und An- 
reisungen ihre Veranlaffung fanden; der See hat auch 
feine Perlen, feine goldenen Fiſche, die in ber Tiefe lagern; 
wenn fo eine Perle fich losreißt von dem Grunde; fo ein 
Fiſchchen aus der Tiefe heran feine Schwingungen nad 
der Oberfläche fortfegt, ba haben wir Gedichte, die nicht 
ſowol an Schönheit ber Form als auch an innerm Fern- 
haften Gehalte kuhn den beſten der neuern Lyrik zur 
Seite ftchen konnen. Dingelftedt hat ein bewegliches reiz⸗ 
bares Herz, aus dem feine Lieber. flrömen, dieſe Beweg⸗ 
lichkeit und Reizbarkeit iſt oft aber in folhem Grabe 
gefteigert, daß feine Production an Unruhe und. Überrei 
leidet; feine "den Eindrücken allegeit geöffnete Bru 


nimmt daher oft Stoffe auf, die fichtlicdy die Farben ei- 
ner nur oberflächli bewegten Empfindung wiberfpiegeln. 
Dingelſtedt's Lyrik ift durch und durch individuell; bie 
Eindrüde dringen oftmals nicht bis zum ibeellen Ich 
hindurch, fondern bleiben in der reinen individuellen An- 
fhauung bes Dichters verfunten, aus welcher fie dann 
zum Liede kryſtalliſiren; friſch, lebendig find jene Lieder 
freilich beinahe alle, weil die concrete Perſoͤnlichkeit bes 
Dichters felbft eine folche ift, aber jene Durchſichtigkeit, 
jenes geiftige den Stoff beherrfchende und überwältigende 
Element geht dadurch auch oft verloren. Wufgabe der 
lyriſchen Kunft ift und bleibt e6 immer, das Individuum 
abzuklären in einem Allgemeinen, in feinem Ideale; das 
Ideal ift und bleibt der große weite Hintergrund, ber 
tiefe Schadht aus dem die Kieder hervortönen. Bei die- 
fer individuellen Richtung Dingelſtedt's kommt es baher 
auch oft vor, daß die Leibenfchaft unmittelbar auf feine 
Production einwirkt und dieſer zu perſoͤnlich gefpannte 
Formen verleiht, während die Lyrik doc, eigentlich nicht 
dur) die Leidenfhaft unmittelbar ſich bewegen laffen 
darf, fondern von ihr nur .indirecte Einwirkungen em⸗ 
pfängt. Es kommt ferner daher ganz aus demfelben 
Grunde, daß die Individualität Dingelſtedt's den Stoff 
weit überragt und ben Gedichten bie perfünliche Färbung 
zu ſtark aufträgt. 

Ein charakteriftifcher Zug der Gedichte Dingelftedt's 
ift es, daß buch fie hin eine leife leichte Wehmut 
weht, die bei den gelungenen uns wie Heimweh na 
verlorener Liebe, nach verlornem Waterlande, wie ein 
fernes trübes Todtengeläute entgegen Elingen, bei fehr 
vielen aber In eine zu große MWeichlichkeit und verſchwom⸗ 
mene Sentimentalität ſich verwifcht haben. Gutzkow er- 
wähnt in einer Recenſion der ältern Gedichte ſchon die⸗ 
fen Punkt, freilich fobend, wenn er fi ausdrüdt: „Wer 
biefen Sänger ber Liebe und Treue, dieſe jegt felten ge= ' 
wordenen Ausnahmen eined Dichters (fol dies in Wahr- 
heit oder in Dichtung für Dingelftedt gelten?), der noch 
mit frommer Hingebung fhwärmt und fich in der rüh- 
vendften Sentimentalität babet, noch nicht kannte, hat 
jegt — —“; ber Igrifche Dichter gibt uns freilich fein 
inneres abgeläuteferes Leben, und nun ift es freilich 
wahr, bag dad‘ Gemüth Digngelſtedt's fortwährend in 
Unruhe und Unfrieden mit fich felbft ift, daß er raſtlos 
und unermüdlich ſich abquält und abhärmt; aber wenn 
wir in der Kunft eine folche Zerworfenheit mit fich felbft, 
eine folche Haltlofigkeit in ſich felbft uns entgegentreten 
fehen, fo fragen wir nach ihrer Urfache, nah dem Rechte 
ihrer Eriffenz. Verſtimmung und Traum, deren Grund 
man nicht Fennt, fühle man nicht mit, der Eindrud geht 
für uns verloren, fie laſſen fogar ein peinliches Gefühl 
in und erftehen, wenn wir zulegt als Urgrund aller die⸗ 
fer Klagelieder teinen andern, zu entdedien vermögen ale 
die flüchtige Laune, denn Launen find ebenfo wenig Poe⸗ 
fie ale Willkur Freiheit ifl. Die zum Sprüchwort ge 
wordene Zerriffenheit, die Europamüdigfeit hat, wenn 
fie nicht aus eitler Laune, aus Nachaffectirung des eng⸗ 
liſchen Spleen oder aus innerer geiſtiger Ermattung her⸗ 


vorgeht, ihre poetifhe Rechtfertigung; wir fühlen den 
Schmerz felbft tief mit, der in dem Herzen eines Dich⸗ 
tere oder Schriftftellers glüht, wenn er ſieht, wie alle 
die Früchte, die ex für fein Vaterland, für bie politifche 
Selbſtandigkeit und Freiheit jenes Volks aufblühen gemacht, 
vermelten, oder als täube, faule Krüchte zur Erbe abfallen, 
wenn er. vergeblich danach ſtrebt, den Schutt ber Ver: 
gangenheit, welcher das junge Herz ber Gegenwart zu: 
fammenfhnürt, hinwegzuräumen oder wenn er in poeti⸗ 
fcher Haft und Eile den Wagen herankeuchen fieht, in- 
deß er auf dem Iuftigen Schiffe der Gedanken weit, 
weit vorangeeilt if. Einen folhen Schmerz vermögen 
wir zu verfichen, weil wir ihn felbft mit empfinden, 
weil die Stimmung Wahrheit, poetifche, Wahrheit ift, 
und weil wir Alle an demfelben Joche ziehen. Jene 
fürftlich - Pückter’fche Europamüdigkeit, die aus Überrei« 
zung und Abſpannung, aus bem feltenen Gelüfte nad) 
neuen gefuchten Genüſſen hervorgeht, iſt eine krankhafte, 
unpoetifche, rein materielle und darum nun und nimmer 
Gegenfland der Igrifchen Poeſie. Perſoͤnlich werben wir 
auch mit Dingelfledt gern feine Empfindung theilen, mit 
ihm klagen, da er fein Leben in eigener Selbfizerflei- 
ſchung fich zerreißt, fich -vergällt; wir finden den Grund 
in phyſiſchem Ban, in der Entwidelung feines Körpers, 
in BVerhältniffen, die wir nicht kennen, die freilich per- 
fünfich betrubend und zu beflagen find, weil fie krank⸗ 
hafte Symptome an fid) tragen, aber da fie auch nur 
in dieſer individuellen Beftimmtheit vorfommen, fo fehlt 
ihnen das allgemeine Intereffe; er felbft führt in ben 
Sonetten einen Grund feines Schmerzens an: 
Ich Habe nie ein wirklich Gluͤck gefunden, 

Wie oft es Feinde mir auch neiden mochten: 

In jedem Kranz, vom Schickſal mir geflochten 

Fuͤhl' ich die Dornen nur, die mich vermunden. 
Wahr mag eine ſolche Stimmung fein, aber fie ift ohne 
tiefere Bedeutung, ohne ideale Beziehung. Das ift über- 
haupt der Vorwurf, deu man vorzugsmeife Dingelftebt 
machen ann, daß er jede Stimmung, wie fie die wech⸗ 
ſelnde, ſchwellende Flut des Lebens in feinem Herzen er: 
regt, zum Gedichte ausftrömen läßt, ohne vorher ihre 
Abklärung, ihren Duchbrud zum Ideale zu erwarten. 
Die: Form liegt immer fo zur Seite, die Sprache ift 
bereit, feinen Empfindungen ein Kleid zu bereiten, bar- 
um mangelt feinen Productionen die nöthige Ruhe und 
Klarheit und fein Tchönes Talent zerreibt fi in momen- 
tanen Stimmungen, Verſtimmungen, flatt fih zu fam- 
meln zu ideellen Werfen ber Kunft. 

(Die Fortſetzung folgt.) 


Eine englifhe Stimme über Schloffer und 
Deutſchland. 


Bei Beſprechung der von David Daviſon beſorgten eng⸗ 
liſchen Überfegung von es fee „Geſchichte des 18. Jahr⸗ 
hunderts“ außert fich ein edinburger Sournal folgendermaßen: 
„Schloffer fpmpathifiet mit dem Volke, , Deshalb eignet er ſich 
zum Hiſtoriographen des 18. Jahrhunderts. Das heißt, er 
eignet fi infoweit Wille und Kraft reichen. Denn es if 
mehr als zweifelhaft, ob ex feinem Gegenftande vollfommen ge: 


51 


wachſen. Bisweilen koͤnnen wir in ihm nur den Compilator 
ſehen und das ganz beſonders, wo er auf die Geſchichte Groß⸗ 
britanniens und unſere Staatsmaͤnner kommt. Mit dem Ma 
terial mag er vertraut fein; mit dem darin wehenden Geifte 
iſt er es nicht. Nun wahrhaftig, wir gehören nicht zu den 
Freunden der englifchen Oligarchie. Wr haflen fie aus Her⸗ 
jensgrunde. Haͤtten wir aber ihre Gefchichte zu fehreiben, würs 
en wir und verpflichtet achten, gerecht gegen fie zu fein. Es 
gibt zwei Arten, über Menſchen und über Greigniffe zu ſpre⸗ 
hen, eine philofephifcye und eine gemeine. Legtere hat Schlof⸗ 
fer am beften zugefagt. Ihm gilt daß engliſche Volk ftets nur 
ale John Bull, und jeder Staatömann, von welcher Partei er 
fei, als der Inbegriff gröbfter Selbſtſucht. Das ift fhon in Bes 
zug auf die menſchliche Natur ebenfo unrichtig ale thörichk. 
Selbftfucht liegt im Charakter jedes Menfchen, wird aber bei 
Einem von beffern Eigenſchaften fo gemäßigt, bei Andern von 
der Leidenfchaft fo beherrſcht, bei Dritten von der Liebe zum 
Ruhme ſo verfluͤchtigt, DaB fie felten in ihrer rohen Urgeftalt 
auftritt. Das bat Schloffer nicht gewußt oder überfehen, und 
daß ift der Grund, warum er bei Darlegung der Handlungen 
unferer Staatsmänner eine Bande didhäufiger, materiell ge 
finnter Schufte im Auge gehabt zu haben fcheint, wie er deren 
vermuthlih in Deutſchland kennen gelernt bat. Eine felbft- 
füchtige englifche Ariftokratie ift ein weſentlich unferichiebenes 
Geſchoͤpf von dem ſklaviſchen Speichellecker, der ne f feines 
Gleichen fi in der Kreisbahn eines beutfhen Duobezhofes bes 
wegt. In dem Engländer ftedt eine Hoheit und eine Kraft 
der Intelligenz, von welcher der Deutfche Feine Ahnung hat. 
Folglich auch Schloffer nit. Und deshalb ift er ſtets auf 
falfcher Fährte, wenn er einen unferer Staatsmänner fhildern 
wid. Juſt wie er auch im Dunkeln tappt, wenn er das Ei⸗ 
enthümliche unferer Conftitution abſchaͤzt. Im Allgemeinen 
—*— den Englaͤndern Sinn und Geſchmack fuͤr politiſche Faxen, 
und es iſt daher ebenſo einfältig, den Proceß des Warren 
Haſtings für eine ſolche zu bezeichnen, als für ausgemacht hin⸗ 
zuftellen, daß unfere Herrſchaft in Indien fi) durch nichts 
außzeichne ald durch Ungerechtigkeit und Dedpotismus. Wo 
Schloffer von der Sefchichte anderer Völker handelt, fühlt er 
fi weniger verſucht, die Wahrheit zu binterziehen, denn es 
gibt keinen Staat auf Erden, ber in Deutfchland mehr benei« 
det wird als England. Daß wir in Politik, Philofophie, Li⸗ 
teratur, Handel und Botmäßigkeit die erften Preife davonges 
tragen, ift ſelbſt für die Untertanen des winzigften deutfchen 
Hofs ein inftinetmäßiger Grund, uns zu verabfcheuen. Rußs 
land, Polen oder Schweten behagt ihnen befier. Die Motive, 
aus welchen dort gehandelt wird, find den Deutfchen verftänd: 
licher, denn fo lange fie felbft Sklaven bleiben, werden und 


koͤnnen fie die Gefühle eines freien Volkes nicht verſtehen, nit 


würdigen.” 





Bibliographie. 


Ackermann, ©. A., Syftematifche Zufammenftelung ber 
im Konigreich Sachſen beftehenden frommen und milden Stif⸗ 
tungen, wohlthaͤtigen Anſtalten und gemeinnügigen Vereine. 
Iſtes Heft. zeipiig, Zeubner. 1845. Gr. 8. 15 Rgr. 
bum zur Erinnerung an die Anwesenheit 1.1. M.M. 
des Kaisers und der Kaiserin von Österreich in Triest im 
Herbste 1844. Mit 17 lithographirten Ansichten in Ton- 
druck und erläuferndem Texte herausgegeben von J. Papsch 
und Comp. Triest, Favarger. 1845. Fol. Schwarz 8 Thir. 
27 Ngr., colorirt 17 'Thir. 24 Ngr. 

Altgelt, H., Gefchichte der Grafen und Herren von 
Moers. Düffelborf, Bötticher. 1845. Gr.8. 1 Hr. 5 Nor. 

Altmann, $., Lieder auß der Kerne. Iſtes Baͤndchen: 
Epiſches. Berlin, Hayn. 1845. Gr. 12. 15 Nor. 

Bauerkeller’s Handatlas der emeinen Erdkunde, 
der Länder- und Staatenkunde, zum Gebrauch beim me- 
thodischen Unterricht und Selbstudium, sowie für Freunde 


” 


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der anschaulichen und vergleichenden Erdkunde überhaupt 
in 80 Karten nebst einem Abrisse der allgemeinen Erdkunde 
und der physischen Beschreibung der 
tischen Übersichten und topographischen Registern. Bear 
beitet von L. Ewald. Istes und ?tes Heft. 
2 Bogen Text in Fol, nebst 3 Bogen Text in 4. Darm- 
stadt, Bauerkeller’s Präganstalt 25 Ngr. 


erwachte Thaͤtigkeit für Die Vermehrung und Pe ber 


Potsdam, Stuhr. 
1845. Gr. 8. . 
Berhüflte Bilder. Gefammelt im deutfchen Disterhaine 


r. 
fterreichifcher Bürger-Kalender für das Jahr 1846. Ifter 
Jahrgang. Wien, Pichler. 1845. Gr. 8. 25 Nor. _ 

Byron, Erfter Sefang des Childe Harold. Freie Über: 

Top in Reimen von C. D. Ansbach, Dollfuß. 1345, 12 
2 Nor. 

Curtius, G., Die Sprachvergleichung in ihrem Ver- 
hältniss zur classischen Philologie dargestellt. Berlin, Bes- 
ser. Gr. 8. 10 Ngr. 

Dalberg, Maria Feodora Freifrau v., Aus der Zeit 
1649 His 1680. Hiftoriiher Roman. 8wei Theile. Krank: 
furt a. M., Sauerländer.‘ 1845. 12, 1 Thlr. 25 Rer. 

Etlar, ©, Des Lebens Conflict. Roman. Aus dem 
Dänishen überfeg von 8. Mayer. 
und Stage. 1845. Gr. 12. I Shle. TY, Nar. . 

Evangeliſches. Aus Joh. Mich. Sailer’s religiöfen Schrif: 
ten für evangelifhe Chriften. Ausgewählt und herausgegeben 
von U. Gebauer. Stuttgart, Eaft. 18415. Gr. 16. ZU Ngr. 

Faucher, 8%, England in jeinen focialer und commer⸗ 
cielen Inftitutionen. Aus dem Franzöfiihen von 3. Seybt. 
wei Bände. LKeipzig, Lord. Gr. 8. 4 Thlr. 

erlach, D. v., Über den religiöfen Zuftend der angli: 
canifchen Kirche in ihren verfchiedenen Bliederungen im Jahre 
1942. Amtliher Bericht, Sr. Ercellenz dem Sın, Minifter 
der geiftlichen Angelegenheiten erſtattet. Potsdam, Stuhr. 
1845. Gr. 8. 221, Nor. ' 

Gotthelf, J., Der Geldstag, oder: Die Wirtbfchaft 
nad der neuen Mode. Solothurn, Ient und Safmann. 

r 


Guericke, H. E. F., Handbuch der Kirchengeſchichte. 
Gte vermehrte und verbeſſerte, zum Theil umgearbeitete Auflage 
(in drei Bänden). Ifter Band: Altere Kirchengeſchichte. Leipzig, 
Sebauer.. Gr. 8. Preis des Iften und 2ten Bandes 3 Thlr. 


12 Rgr. 
Hadländer, 8. W., Wachtftubenabenteuer. Stuttgart, 
Krabbe. 1845. 8. 10 Nor. 


Händen, E., Die Bühne oder die dramatifche Kunft. 
Berlin, Schröder. 1845. Gr. 8. 7% Ngr. 

Harfenton, ©. R., Zuleika. Ein Geelengemälde in 
vier Schilderungen. Frei nach Byron's „Braut in Abybos” 
dargeftellt. Stendal, Franzen und Groſſe. #845. 8. 224, Nor. 

Hugo, B., Lyriihe Gedichte. Deutfh von F. Freilig⸗ 
rath. Franffurta. M., Sauerländer. 1845. 8. 1 Thlr. 10 Ngr. 

Das Zudenthum in Ofterreich und die böhmifchen Unruhen. 
veipzig Engelmann. 1845. Gr. 12. 20 Nr. 

‚Julius, N. H., Finglanda Müstergefängniss in Pen- 
tonville, in seiner Bauart, Einrichtung und Verwaltung; 
abgebildet und beschrieben. Aus den Berichten des Majors 
Jebb (Oberbauaufsehers der britischen Gefängnisse) und 
des Pentonville’schen Verwaltungsrathes. Berlin, Enslin. 
Gr. 8. 3 Thir. 10 Ngr. 

Krummacher, F. A., Über die Krankenheilungen Zefu. 
Eine Borlefung. Aus feinem Rachlaffe herausgegeben von ſei⸗ 
nen Söhnen Fr. Wilh. und Emil Witlh. Elberfeld, Haffel. 
1895. Gr. 8. 5 Nor. 


rdoberfläche, sta- 
4 Karten und. 


Augsburg, dv. Jeniſch 


gabe. Stuttgart, Eotta. 


Iſtes Bändchen: Deutfche Sagen. Darmftadt, Songhaus. 1845. 
8. 10 Rgr. 


v. Minutoli, Militaisifche Erinnerungen aus des Ber- 


mp. 1845 
Zhlr. 7% Nor. 

Schulze, A. M., Heimathskunde für die Bewohner des 
Herzogtums Gotha. Ifter Band: & egraphie des Herzog⸗ 
thums Gotha. Gotha, Glaͤſer. 1845. 8. 25 Nor. 

Siefert, O., Akragas und sein Gebiet. Hin Beitrag 
zur Geographie und Geschichte Siciliens. Hamburg, Nestier 
und Melle. 1845. Gr. 4. I Thlr. 

Sinclair, Catharine, Leonore und Mathilde, ober 
moderne Bildung. rei nad dem Englifhen von Xouife 
Marcezoll. Drei Bände. Leipzig, Gebhardt und Reisland. 
er dichte. M ab n 

töber, U., Gedichte. Miniaturausgabe. Hanover, Hahn. 
1845. 16. 1 Ihe. 10 Ngr. - gabe. Henover, Hab 
Struve, ©. v., Politiſche Briefe. Manheim, Benshei- 
Kt. 8. 1 Thlr. 11%, Nor. 
Norddeutſche Thalia. Taſchenbuch für Freunde des Thea⸗ 
ters auf das Jahr 1846. Herausgegeben von K. F. Ott⸗ 
mann. Danzig, Bertling. 1845. 8. 1 Thir. 10 Rgr. 

Taparelli, A., Verſuch eines auf Erfahrung begruͤn⸗ 
deten Raturrechts. Aus dem Ztalieniſchen überfegt von F. 
Schöttl und C.Rinecker. Zwei Baͤnde. Regensburg, Manz, 
1845. Gr. 8. 3 Thlr. 2U Rer. 

Über feäweizerifche Auswanderungen. Berichte der ſchwei⸗ 
zerifchen Gonfular: Agenten in Europa, Nord-Afrika und bei- 
ten Amerika, mit Anmerkungen der von der fehweizerifchen ge: 
meinnügigen Gefeufat niebergefetten Auswanderimgs : Som: 
miffion. Glarus. 45. 8.8. 12, Nor. 

Uhland, L., Gedichte. Neuefte Auflage. Miniaturaus: 
1845. 16. 2 Zhle. 221%, Nor. 

Bolger, 8. F., Handbuch der Geographie. Ifter Theil. 
oe far vermehrte Auflage. Hanover, Hahn. Gr. 8. 1 Thlr. 

rt... 


Br. 

Volkmar, 2, Religions: Prozeß des Prediger Schulz 
zu Gielsdorf, genannt Bopfichulz, eines Lichtfreundes des 18. Jahr⸗ 
hundetts z maͤßig dargeſtellt. Leipzig, Reclam jun. 8. 

r. gr. 

Deutſche Volksbücher nah den aͤlteſten Ausgaben her⸗ 
geſtellt von K Simrod. Mit Holzſchnitten. IX. Die Hai⸗ 
monskinder. Frankfurt a. M., Brönner. 1845. 8. 10 Ror. 

Derfelben No. X. Kaifer Friedrih Barbaroffa.. Frank: 
furt a. M, Brönner. 1869. 8. 2 Nor. 

Weill, A., Staatsentwürfe über Preußen und Deutfch- 
land. Darmftadt, Kette. 1845. Ki. 8. 1 Ihle. 5 Nor. 

Whewell, W., Über die Grundfäge der englifchen Uni: 
verjitätsbildung, nebft allgemeinen Bemerkungen über das Stu: 
dium der Mathematif. Nach der 2ten Originalausgabe deutfch 
bearbeitet von 2. H. Schnufe. Braunfdweig, Meyer sen. 


mer. 


Ya Rar. 
Walff, P., Die Drusen und ihre Vorläufer. Leipzig, 
Vogel. 1845. Gr. 8, 2 Thir 


Zajotti; P., Die literarische Bildung der Jugend. 
Aus dem Italienischen, mit einem Lebensabriss und Aus: 
zügen aus des Verfassers früheren Schriften von H. Stieg- 
its. Triest, Favarger. 1845. Lex.-8. 1 Thir. 10 Ner. 


Berantwortlicher Heraudgeber: Heinrich Brockbans. — Druck und Verlag von F. X. Drockhaus in Reipzig. 


u Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 


— — — — — — — 


Mittwoch, 


14. Januar 1846. 





Franz Dingelſtedt.“ 
( Zortſetung aus Nr. 13.) 


Wäre etwa gar dieſe melancholiſche Stimmung Din- 


gelſtedt's hervorgegangen aus gefränktem Selbftgefühle, 
aus Mangel an Erfolg? Wir glauben hier nur einfach 
auf die Entwidelung Dingelſtedt's hinzuweiſen, um das 


Gegentheil fofort zu erkennen. In wie wenig Jahren. 


und mit welchen Leiftungen erlangte Dingelftebt einen 
Ramen, der ihn: bald den frühen Schriftftellern zur 
Seite feste? Wenn mitunter freilih der Erfolg nament- 
lich in novelliftifchem Zelde und in dem Verſuch zum 
Drama, dem „Geſpenſt der Ehre‘, der nicht war, welchen 
ber Verf. fi davon verſprach, fo wird er nun bei ru- 
higem Blute weniger die Schuld dem Publicum beilegen 
als vielmehr den Grund in der Production felbft fuchen 
und fih wol damit tröften, daß andere Dichter und 


Schriftfteller bei größerm und gleichem Talente länger |' 


mit der Begründung ihres Namens zu ringen hatten. 
Wir hielten die Lage Dingelſtedt's als Schnimeifter 
zwar nicht für eine fehr erquidliche, wir verftanden fei- 
nen Schmerz, wenn er fid) mit einem Schmetterlinge 
verglih, der vom Nadelfchaft durchftochen unwillig im 
Inſektenkaſten zude, wenn er am alten Strange vor- 
wärtd feuchte und feine Quarta für feinen Mufentem« 
pel hielt; aber trog alledem müffen wir auch jest aner- 
kennen, daß die Stellung der modernen Schriftfieller eine 
andere als die der alten Griechen und des Mittelalters 
if. “Die Zeit ift ernfter, ftrenger geworden, der moderne 
Staat ift nit fo vom Kunftprincip durchdrungen, daß 
er die andern Anfoderungen an feine Bürger vergäße; 
die Kunft iſt für die naͤchſte Gegenwart der Entwide- 
lung des Staatlebens untergeordnet; für uns freilich 
wehe, daß wir Enkel find, aber menn wir biefen liber- 
gang felbft als einen nothwendigen, vernünftigen begrei- 
fen, werden wir auch biefen Stand ruhiger und klarer 
zu behaupten und weiter fortzubilden verſtehen. Biel- 
leicht daß fpäter, wenn die alten Formen vollftändig zer- 
brochen find, wenn das deutfche Volt auf dem Wege 
zur Freiheit und Selbftändigfeit eine Nation wieder ge- 
worden ifl, wenn bie Aufklärung nicht blos nad ber 
Höhe fondern auch nach der Breite und Tiefe des Volks 
Hin ihre Strahlen gefandt hat, wenn über den getrenn- 


& 


i ten Bauen und entfrembeten Stämmen das Bewußtſein 


eines ſtarken Volksthums wieder erwacht, daß fpäter 
dann auch die materielle äußere Stellung der Kunft eine 
andere, velfere jelbftänbigere wird, denn daß die Kunft 
felbft aufleben, neugeftaltend zu neuern höhern Principien 
dadurch hingebracht wird, fteht nicht in Zweifel zu ziehen. 
Dingelftebt drüdt biefe Gedanken und den Zweck un⸗ 
ſerer Sendung in feinem „Troſt“ überfchriebenen Ge⸗ 
dichte klar aus: 
Jedweder Zeit wird ihre eig'ne Sendung, 

Sie kann nicht d'rüber, kann nicht d'runter ſchreiten, 

Die unf're Heißt nun einmal nicht Bollendung, 

Sie heißt: Berftoren, Kämpfen, Vorbereiten. 


Die Liebeslieber, deren ein großer Theil die vorlie- 
gende Sammlung füllt, müffen ſchon um deswillen viel 
Intereffe bieten, als gewiß fein neuer Schriftfteller im 
Leben felbft fo viel Anregung und Bewegung bazu ge 
funden, als gewiß kein neuer Dichter fo viel Studien 
im praßtifchen Xeben dazu gemacht hat als gerade Franz 
Dingelftebt. Wir wollen mit dem Poeten nicht darüber 
rechten, dag er durd die Beweglichkeit feiner Empfin- 
dungen und Reizbarkeit feines Herzens, vielleicht auch 


durch den göttlichen Keichtfinn der Jugend ſich zu Schrit« 


ten verleiten ließ, die für das Leben Anderer eben nicht 
fehr erfprießlich waren, daß er Liebe erweden und an- 
regen für bie einzige Beſtimmung bes Lebens anfah, 
und daß feine Eitelfeit ihn zu ungerechten Schriften 
verleitete, oder daß er felbft in Taͤuſchung befangen auch 
Andere täufchte. Seine Lieder haben dadurch an Man- 
nichfaltigkeit, Bewegtheit, Lebendigkeit gewonnen; was 


"der Dichter perfönlich dabei gewonnen, wellen wir frei- 


ih nicht beftimmen. Seine Liebeslieder atymen -afle 
eine Friſche, tragen alle eine fo lebendige Farbe, baf 
man oft gern auf den ſchönen fließenden Wellen der 
Formen und Verſe über Untiefen der Empfindung und 
Sanbbänfe der Geſinnung fi hinwegtragen läßt. Seine 
erften Lieder dieſer Gattung, wenn wir fie mit ben ſpaͤ⸗ 
tern vergleichen, flehen diefen zwar an Mannichfaltigkeit 
nad, aber dennody müſſen wir ihnen unbedingt den Bor- 


“ 64 


zug geben. Sie übertreffen dieſe nicht nur an Reinheit 
und Zartheit der Empfindung, ſondern auch an Schoͤn⸗ 
heit der Formen und des Gedankens; kein Bild das 
dich verletzte, kein Gefühl das verſtimmte, es weht über 


denſelben und durch dieſelben ein reiner keuſcher Hauch, 
und aus denſelben blickt uns ein ſeelenvolles Auge an, 
das, auch wenn e8 in Thraͤnen ſchwimmt, immer noch 


fhön und anziehend ift. Es find reine unbefledte Opfer 
auf den Altar der Liebe. Statt der vielen Beifpiele, 
die wir hierher fegen könnten, wollen wir blos an das 
eine erinnern: . Ä 
Bon den Sternen will id, lernen, 

Die am Winterkimmel fteh’n, 

Die im Nahen und im Fernen 

Friedlich umeinander gehn; 

Mie fie kommen, wie fie Ereifen, 

Nie getrennt und nie veveint, 

Wie fo ganz in ew'gen Gleifen 

HU ihr Sein befangen fiheint. 

Daß ich fo di lieben lernte _ 

Friedlich nah umd friedlich fern, 

Du Geliebte, du Entfernte 

Meines Lebens jchöner Stern! 

Jeder Sinn nach dir gerichtet, 

Jeder Blick in dich verfentt, 

Alles Herz von dir gelichtet, 

Aller Zauf durch die gelenkt. 


Mit den fehönen „Scheidewegen“, die man dem be: 
rühmten „Fare thee well” Byron's, woraus auch der 


Dichter fein Motto gewählt hat, kühn zur Seite fegen | 


Tann, feheint auf der Wanderfhaft eine eigene Zeit für 
den Poeten angebrochen zu fein, Selbſtbewußt ſcheint 
er ein neues Element feinen Liedern beigefellt zu haben, 
das Stement der finnlichen Leidenſchaft; aber damit ift 
auch alle Reinheit, aller Duft der alten Lieder verwiſcht 
und zerſtreut; es find nicht mehr Die blauen Düfte des 
Morgens, die über der frifchen Landſchaft ſchweben, es 
find die Kohlendämpfe und Staubwolken, die über ben 
Häufern und Paläften einer großen verderbten Stadt 
anporwirbein. Die Sinnlichkeit frifch, ungeflüm mie fie 
in- Heinfe’s „Ardinghello“ uns entgegentritt, die Sinn- 
lichkeit, die mit griechiſchem Auge den Körper feiner 
Schönheit wegen liebt und ihn genießt, alfo nur noch 


ein ideelles Allgemeines zu Seiten hat, befigt namentlich 


einer pietiftifch - gleifnerifchen Muckerei gegenuber ihre 
poetifche. Berechtigung, aber auch fie muß in den Schran- 
Sen bleiben: denn in der Kunft folk nie ber Leib, die 
Korm den Geift, fein Wefen überwältigen und erbrüden. 
Aber nehmen wir den Cyklus von Gedichten, welchen 
Dingelſtedt „Roman überfchrieben hat und ben er. ein 
Roſenblatt mit Duft und Farbe nennt, fo werben wir 
gang andere Beziehungen finden. Auf einem engliſchen 
Rout liegt ein müder Mann, ber Dichter, in einer 
Niſche, ed draͤngt ſich ein braunes Weib aus den Golo- 


nien zu ihm, an ihn, 


War fie das Boͤglein ober ich, 
Sie oder ih die Klapperfchlange. 


Sie tanzen, das Weib bebt in ber Hand bes Dichters 


wie eine Taube unter dem Vampyr; ihr Mann, ein 





Schatten, heißt fie gebieterifch mit nad) Haufe gehen. 
Beide, der Dichter und die braune Frau waren ohne 
Kraft und Zreude und weil zum Streben zu träge, fo 
Hammern fich Beide zum Zeitvertreibe aneinander an und 

Als ich allein mit ihr nad Haufe fuhr .... 

Ein Schleier über jene Frühllngénacht. 
So treibt ſich das Verhaͤltniß weiter, da taucht in dem 
fünften Liede, das beiläufig gefagt recht ſchön ift, bie 
Erinnerung an die erfte Liebe in dem Poeten auf, ber 
oftmals in dem Wagen ihrer harrt, bis endlich: 

Den Zritt herab! Mit einem Sage 

Mir an den Hals die Zigerkage! 

Den Mantel fort! Mit füßem Zwange, 

Mir um den Leib die Königsfchlange. 
Nun glaubt auch der Poet das Räthfel der Liebe ge- 
funden zu haben: | 

Nimm das Ding nicht höher und richt tiefer 

Als es werth if. Ja doch, brich die Blume, 

Aber Plebe nicht wie ein -Ungeieher 

In des Kelchs geſprengtem Beiligthume ! 
Wir wollen diefen Roman nicht weiter verfolgen, wir 


leiſten gern‘ Werzicht, den Poeten „früh Morgens zu fe- 
: hen, wenn er mit wankendem Knie aus dem Hinterpfört- 
: hen von feiner Bayadere flieht”, und werfen gern einen 


Schleier über folhe Wirklichkeit; aber folche beſteckte 

Phantaſie, die als Lyrik ſich uns aufbringen will; Tann 

nicht befriedigen, nicht erquicken, beraufthen: nur wie der 

ſchädliche Dunft einer Kohlenpfanne. 
(Die Fortfesung folgt.) 


— — — nn — — — — — —— 


—— — — — 


Belgien ſeit feiner Revolution. Von Ignaz Ku— 
randa. Leipzig, Herbig. 18416. Gr. 8. 2 Thlr. 
15 Nor. 

Es ift gewiß ein merkwuͤrdiges Greigniß zu nennen, daß 
ein öftreihifher Schriftfteller aus freiem Antrieb von Wien 
auf den altöflreihifcyen beigifchen Boden eilte und den fihönen 
Gedanken faßte und in Vollzug feßte, Belgien, diefes in e 
der traurigſten Greignifle und unglüdlichiten politiſchen a 
ler von Deutfchland getrennte Land, durch literarifchen Der: 
Eehr mit dem alten Mutterreihe in geiſtige Verbindung zu 
bringen. Ignaz Kuranda that dies im 3. 1841 dur „Die 
Grenzboten“, welche von. Bruffel aus ihre hoffnungsreiche Bahn 
nach Deutſchland einfchlugen und von dem deutſchen Motte mit 
bruͤderlicher Herzlichkeit begraßt wurden. Leider theilte die 
Politif nicht. diefe ‚Gefinnung. des deutſchen Volks und be- 
handelte die belgiſchen Grenzboten al misliebig gefehene 
Ausländer. Kuranda fagt hierüber am Schluffe feines gehalt: 
vollen Buchs Folgendes: „Bermittelungsverfuche zwifchen Bel⸗ 
gim und Deutfchland ftiegen wol fchon in mancher deutſchen 
Bruſt auf, wenn fie Die freie Luft Diefer gefegneten Maas- 
und Scheldelande eine Zeit lang einhauchte. Auch der Wer: 
faffer dieſes Buchs träumte einft einen folden Traum. Mit 
Begeiſterung füllte ihn der Gedanke, wie viele ſchöne und ge: 
wichtige Refultate ein Sournal zu Tage fördern Aönnte, das 
zwiſchen Deutſchland und Belgien das Geſchaͤft eines Dolmet: 
ſchers, eines Botſchaftsträgers gegenfeitiger Ideen übernähme. 
Diefer Gedanke fand in Belgien vielfache Theilnahme, mehre 
Freunde fihloffen fi an und fo trat zu Brüffe im 3. 1841 
die Titerarifch-politifche Wochenſchrift «Die Grenzboten» ins 
Leben. Trotz der Schwierigkeiten, mit welchen ein deutſches 


. Blatt auf ausländifhem Boten zu Sümpfen hat (ſogar an ei- 


ner beutfchen Buchdruckerei gebrach es und es mußten eigens 


ur oe un Eu ——— — 


56 


dentſche Lettern aus Frankſurt, drutſche Seger aus Aachen und 
Köln verſchrieben werden), hatten « Die Grenzhoten » ſich dennoch 


bereits nach den erſten ſechs Monaten ſo durchgearbeitet und 


ſo viel Anklang gefunden, daß ihr Beſtehen geſichert war, da 
machte Preußen ploͤtlich mit verdoppelter Strenge von dem 


Bundesgeſege gegen ausländifche Blätter Gebrauch. Der Poft: 
debit der «&renzboten» wmurde auf das fchärffie verboten. Der 


Weg nad) Deutichland ward ihnen abgeichnitten nnd fie muß: 
ten bucdhftäblich über Die Grenze geben und in Leipzig ein Aſyl 
ſuchen, wo fie, loögeriffen von ihrem urfprünglidden Boden 
und Wirfungstreis, allmälig dad belgiſche Element gufgeben 
mußten. Aber, ein fchlechter Mann, der eine Idee, die er für 

ut und fruchtbar erkannt, bei dem erſten Hinderniß fahren 
Tepe Bas in der Form einer periodiſchen Schrift ihm verei: 
telt wurde, bat der Verf. diesmal in der Form eines Buchs 


verſucht.“ 


Dieſes Buch nun träge durch Fülle und Mannichfal⸗ 
tigkeit des Otoffs, durch Klarheit der Auffaſſung und Leid: 
tigkeit der Darſtellung im vollſten lobenswerthen Sinn den 
jour naliſtiſchen Charakter an ſich; wie denn überhaupt das 
öffentliche Urtheil laͤngſt entſchieden hat, daß Kuvanda ciner 
der gewandteſten und gluͤcklichſten Journaliſten iſt die Deutſch⸗ 
land Bisher beſeſſen- Daß er die en Buftande als Einer 
fchidert, der large Zeit die freie Luft Der gefegneten Maas: 
und Scheldelande geathmet, und daher haufig für Belgien eine 
rößere Begeiſterung an- den Zag legt als für Deutfchland, 
donn man ihm eben der befondern Verhaͤltniſſe wegen. nicht 
fehr übelnehmen. Deffenungcachtet laͤßt Kuranda der Würde 
des deutſchen Elements in Belgien völliges Recht widerfahren. 
Ein befonderes Interefje gewinnt das Buch durch die vielen 
Beziehungen zu Dftreih. Bei den Rüdbliden auf die Zeit 
der öftreichifchen Herrſchaft in Belgien äußert die Vorliebe des 
Berf. für Belgien einen etwas zu Sarken Einfluß, welcher der 
Beurtheilung des Verhaltens und Verfahrens der Belgier ge: 
gen Joſeph H. die durchgreifende Beftimmtheit und gerechte 
Strenge nimmt. Auch bätten die Firdlichen und religiöfen 
Bexhaͤltniſſe Belgiens, die den Genuß der freien beigiichen 
Luft gar fehr verbittern, entfchiedener yetadelt werden müflen. 
Alein Kuranda war bei Berfaffung feines Buchs noch ganz 
dem urfprünglichen Gedanken der „Grenzboten“ getreu und 
vermied es Daher, eine der verderblichften Differenzen gwifchen 
Belgien und Deutichland aufzudecken. 
' Bor dem Erſcheinen diefes Buchs war bereits jene ma: 
terielle Berbindung Belgiens und Deutichlande ins Leben ge: 
treten, welcher geiſtig den erften Weg gebahnt zu haben eben: 
falls ein Verdienſt der „Grenzboten” if. Da nun in Folge 
jene® glädlichen Greigniffes Belgien viel häufiger von Deut: 
ſchen befucht wird, fo bat Kuranda’s Werl auch als Reife: 
Handbuch einen entichiedenen Werth, indem es mit wahrhaft 
bewundernswertber Bietfeitigfeit das ſchoͤne Belgien mit allen 
feinen Eigenthüntichkeiten, Kunftfhägen, Erinnerungen und Le⸗ 
:bensgenüffen ſchildert. sl. 


Die Beamtenberrfchaft In Rußland und Frankreich. 
Der Berf. des im franzöfifcher Sprache erfdhienenen Werks 
„Voyage autour de la Chambre des döputes. Par un Stave”, 
Felt als Warnungstafel für Diejenigen, weiche, um den in 
Frankreich ſich allenthalben Tundgebenden ungeftlümen Andrang 
zu Staatsämtern zu hemmen, zu Mitteln rathen, die den Auf: 
ſchwung und den edeln Ehrgeiz ver Geiſter hemmen müſſen, 
en Vergleich der ruffiihen Beamtenhierarchie mit den 
Bewegungen des. öffentlichen Lebens in Frankreich auf, eine 
Warnung, die man fih auch ar manchen Orten bdiebfeit des 
Mheins, die noch nicht ruffif find, geſagt fein laſſen könnte. 
„Nirgend“, bemerkt dieſer Slawe, „wird das Anciennetätsprincip 
in der Beamtenwelt firenger aufrecht erhalten” als in Rußland. 





Der Staat if. in. 14 Ciaſſen getheilt; jeder nicht leibeigene 


Unterthan muß feine Laufbahn durch verfchiedene Stufen diefer 
Hierarchie maden ; und dies in dem Volksgeiſt eingeraurzelte, 
vom Souverain gezwungene aufrecht erhaltene Syftem ift die 
einzige Bürgichaft, welde Das Land gegen den Despotismus 
befigt.*) IH erinnere mich, daB bei der Krönung des Kaifers 
Rikolaus zu Warfhau diefer Monarch dem Großfürften Kon: 
ftantin, feinem Bruder, welcher zu feinem Sunften dem Throne 
entfagt, ſich verbindlich erzeigen wollte und Deffen Sohn zum 
Capitain zu befördern wünfcte. Der Legtere war jedoch in 
feinem Rang der fechöte der Ancienmetät nach und der Kaiſer 
{ah fih deshalb und um die andern fünf nicht zu verlegen, 
gezwungen, ulle ſechs zu Gapitainen zu ernennen. . Wäre dies 
nicht geichehen, fo würden alle ihren Abjchied genommen ha⸗ 
ben. Um irgend eine Yunft zu erweiſen ift der Kaifer genö- 
tigt, zu Kunftgriffen und verichlagenen Auskunftsmitteln feine 
Zuflucht zu nehmen, indem er beftändig die Rangftufen der 
bevorrechteten Körperfchaften ‚vermehrt und Auszeichnungen 
ſchafft, die Eeinen innern Zweck haben als der Begehrlichkeit 
Diefer Beamten genugzuthun, deren wachſende Anzahl mit ih: 
rem Recht der Unciennetät feine Gewalt in die engſten Gren- 
zen bannt. Darum kann, fo ſeltſam es klingen may, der Aus 
tofrat in dem Perfonal feiner Armee, des großen Gegenſtan⸗ 
des feiner Sorgfalt und feines Ehrgeizes, nicht dergleichen Ber- 
änderungen vornehmen wie fie in Frankreich durch jeden 
Kriegsminifter, den verantwortlichen Diener einer conftitution« 
nellen Regierung, ‚bewirkt werden. Marſchall Soult führt in 
einem Jahre mehr Reformen ein, gibt mehr Refehlshaberſtellen 
weg, nimmt mehr Beförderungen vor, und theilt mehr Beloh⸗ 
nungen aus ald Nikolaus in zehn. Einen General oder Ober: 
ften in Rußland feiner Stelle entfesen ift dort ein Ereigniß, 
welches die öffentliche Meinung weit tiefer aufregt als in 
Frankreich eine Auflöfung der Kammern. Deshalb find auch 
dergleihen Vorfälle äußerft felten. Aus dieſen Gründen würde 
denn au ein rufifcher Souverain, der Reformen vornehmen 
wollte, in der Glafje der Beamten —. welche ein Volk im 


Volke bildet — die unbefiegbaren Dinderniffe feiner Entwürfe 


finden. Kaiſer Alerander, welcher feinem Lande freifinnigere 
und mehr im Ginklang mit denen: anderer Staaten Europas 
ftehende Einrichtungen ſchenken wollte, begegnete aus dieſer 
Urfarhe einem Widerftand, der ihn auf feine fittigenden Abfich- 
ten zu verzichten zwang. Wie oft haben wir im Gegentheil 
in Frankreich gefehen, daß Männer plöglih aus der Menge . 
empertauchen und mit einem gefvaltigen Anlauf zu den 54— 


ſten von einem Burger erreichbaren Ehrenſtellen ſich empor⸗ 


ſchwingen! Es darf Jemandem nur gelingen, die allgemeine 
Aufmerkſamkeit auf ſich zu ziehen, fei es durch dic Weröffent: 
lichung eined Buchs, oder bie Aufſtellung eines Grundfages, 
oder einer Iheorie, oder irgend einer Idee, geeignet von der öf- 
fentlihen Meinung günftig aufgenommen zu werden — und 
ale Pforten des Staats öffnen fi) auf eimmal vor ihm. Über: 
au fieht er fi aufgenommen, überall feiner Rede Gehör ge⸗ 
ſchenkt. Durd feinen Verſtand allein, Durch fein eigenes Ver⸗ 
dient wird er ein Mitglied jener allgewaltigen Ariftofratie bes 
Geiſtes, weldyes die einzige ift die in diefem Lande als geſetz⸗ 


lich anerdunnt oder geashtet wird. Man Eennt jene Dligarden 


nur zu wohl: erhabene Geifter, berühmte Schriftficher,. be . 
wunderte Redner, Preunde oder Feinde der regierenden Ge: 
walt, denen endlich die Regierung bie beſten Plaͤtze anbietet, 
ſchon zufrieden, wenn fie dieſelben anzunehmen ſich herablaſſen, 
auch wenn fie in ihrer Oppofition verbarren. Und wäre es in der 
That vernünftig, Daß ein Eunier, ein Royer» Eollard, ein Arago, 
nachdem fie durch ihre Arbeiten ihrem Lande Ehre gemacht, 
fih Eramen unterwerfen und die Stufenleiter der verfhiebenen 
— — — \ 


*) iiber bie ‚Mittel, deren fi dann und wann jene „Vuͤrg⸗ 
ſchaft⸗ zu bedienen gezwungen fieht, gibt ber. befannte Nußfprud ei: 
ned ruffifchen Großen gegen ben Grafen Münfter Aufihluß, den 


Hormayr in feinen ‚‚Lebendbildern” exzählt. „La Russie”’, meinte 


der Sarmat, „ed'est une autocratie temperee par l'ausassinat.’” 





56 


Umter durchlaufen follten, um endlich in den Staatsrath zu 


gelangen? Jene Ariſtokratie der Einſicht if das Palladium der 
Freiheiten und ber Gefittung dieſes Landes. Sie bildet weder 
eine abfonderliche Elaffe noch eine Ständelafte im Staat, bat 
weder erbliche noch übertragbare Rechte noch andere Borrechte 
— und kann im ſchlimmſten Kalle nur durch irgend welche 1d- 
cherliche Anfprüche oder Begehren für den Augenblid gefähr: 
tich werden. Ihre Mitglieder find die Günftlinge der öffent: 
lien Meinung, für ihre Zeit; preoviforifche Heine Khalifen, 
deren Herrfchaft mit dem Geſchmack und den Launen des Publicums 
wechfelt, die ſich nezwungen fehen, unabläffig dahin zu trach⸗ 
ten, ſich auf der Höhe zu erhalten, zu der fie gelangt find, 
und die nicht felten ihren Ruf überleben und traurige Bei: 
fpiele der Unbeſtaͤndigkeit menſchlicher Dinge gewähren. Gebt 


alſo diefer thatendurftigen Ariſtokratie Raum! Klagt fo laut 


ihr wollt die Raubſucht Einiger, die Richtswürdigkeit, die 
Betrügerei ‚und die Eharlatanerie Anderer an; ermahnt das 
Land, fireng über Alle zu wachen; aber nimmer raubt der 
Macht des Geiſtes die Ausficht, beftändig in den Rang curer 
öffentlichen Beamten fi eindrängen zu können. Sollte je die 
Derwaltung Frankreichs in fymmetrifhe Rahmen eingezwängt 
werden, die eine vorgefchricbene Dofis von Kenntniß und Er: 
foßrung verlangten, follte je Zeit und Alter binlänglich crad: 
tet werden, um zu feinen Ehrenftellen zu führen, dann würde 
der Geift des Landes den Gebrauch feiner Schwingen verlieren, 
die ihn oft weit über feine Grenzen binaußtragen und die 


weder menſchliche Vorausſicht noch Berechnung ihm, verleihen. 
kann.“ 26. 





giterorifhe Notizen aus Franfrcid. 

‚Dramen, welde fib nit zur Aufführung eignen. 

- Die erhabenen Geftalten, welche in der Reformation auf 
der Bühne der deutfihen Geſchichte auftreten, find von franzö- 
fifhen Dichtern ſchon haufig zum Gegenſtande dramatifcher Be: 
handlung gemacht. Ein neuer Verſuch diefer Art wird uns 
in folgendem Drama’ „La r6forme en Allemagne”, von Auguft 
Robert, geboten, welches ſchon ſeines unangemefienen Umfangs 


wegen — es enthält mehr ald 300 Seiten — ſchwerlich zur’ 


Aufführung geeignet und felbft nicht einmal darauf berechnet 
zu fein fcheint. Außerdem würde der Darftelung auf den Bre: 
tern auch noch die allzu große Zahl der Nebenperfonen entgegen: 


treten. Der Dichter bat gern eine reiht ind Einzelne gehende 


Charakteriſtik der damaligen Zeit entroerfen wollen; dieſes Stre⸗ 
ben ift im Allgemeinen wol anzuerkennen, aber er geht darin 
zu weit. Um der Xocalfarbe willen gefällt er -fich in einer 
Ausmalung ded Details, welche nothiwendig hemmend wirken 
muß und Die der ganzen Darftellung einen ungemein fehleppen: 
den Bang gibt. Außerdem ift dad Gemälde, welches er vor 
unfern Blicken aufrollen will, zu weit, zu umfaffend, als daß 
es einet abgerundeten freien künſtleriſchen Geftaltung entgegen 
Fame. So wollen ſchon die Wiedertäufer in den eigentlichen 
Rahmen nicht recht paffen, und es hätte einer befondern Ge: 
ſchicklichkeit bedurft, um die Figuren, welche in den hierauf 
bezüglihen Partien auftreten, uns nicht als ungebörige Bei⸗ 
perfonen erfheinen zu laſſen. Ebenfo wenig geeignet, von der 
Bühne herab auf die Menge zu wirken, feheint uns auch fol 
gendes Drama, welches den fonderbaren Zitel führt: „Cati- 
lina romantique”, von E. Guichard. Wir glaubten, als wir 
zuerft den Titel ns wir würden es bier mit einem fatiri: 
fihen Zeitbilde zu thun haben. Dieje Vorftellung drängte ſich 
und in Grinnerung an den „Romantifchen Odipus” von Platen 
auf. Aber ein näheres Eingehen zeigte, daß wir und in die 
fer Vorausſetzung getäufcht hatten. Der romantifhe Eatilina 
gibt uns ein Stüd, in dem einige moderne Ideen im alten 
Sewande auftreten, und wo römischen Figuren Tendenzen der 
Gegenwart untergelegt werden. Wie die ganze Sache eigent- 
id zufammenhängt, ließe ſich ſchwer fagen; ebenfo wenig als 


der Grund, weshalb. der Dichter feine Sdeen, welde etwa 
eines chriſtlichen Hamlet würdig wären, gerade in biefer 
Form verkörpert bat. Vielleicht ift uns bei einer. flüchtigen 
Lecture der tiefere Sinn, welcher dem Ganzen zu Grunde 
liegt, entgangen; aber fo wie es und vorkommt, ift dieſe Dich- 
tung in ihrer planloſen Anlage eine poetiſche Misgeburt der 
Zeit. Damit wollen wir das Talent, das fi Hier und ba in 
einzelnen Bligen Luft mat, keineswegs zu gering anfchlagen,. 


-wenn wir auch der Dichtung felbft feinen hohen Gehalt beife: 


gen können. Es ſcheint und ein fonderbares Bufammentreffen, 


daß fi bier zwei Dramen begegnen, welche offenbar auf: die 


Lecture und nicht zut Aufführung angelegt find. In Frank⸗ 
reich. find derartige Erfcheinungen bis jept feltene Ausnahmen 
geblieben, während in Deutfchland viele dramatiſche Dichter 
den gerechten Vorwurf, ihre Stücke eigneten fih nicht zur 
Aufführung, fih zum Ruhme angerechnet haben. Dies tft 
eine feltfame Berfennung der eigentlichen Bedeutung ber dra⸗ 
matifchen Form, die ihre Berechtigung eben nur in der Auf: 


führung findet. Ein Genre wie das der dramatifchen Stüde 


von Grabbe, die zum Theil recht abfihtlih die Foderungen 
der Bühnenwirkung verlegen und fomit den unwandelbaren 
Srundgefegen des Dramas felbft Hohn fprechen, ift lange Zeit 
in Branfreih eine Unmöglichkeit geweſen; follte es etwa jegt 
bei der größeren Berbreitung der deutfchen Poeſie in Frankreich 
auch in der franzöfifher Literatur eingebürgert werden? Wir 
nehmen Anftand, von Diefen beiden Erfcheinungen einen Schluß 
zu ziehen. Der Sinn der Franzoſen ift zu fehr auf das Pos 
fitive gerichtet, ihr Talent und ihre Neigung für die faßliche, 
abgerundete Darftellung ift zu bervorftehend, als daß fie an 
jenen nebeihaften Geftalten, wie fie in unſern dramatiſchen 
Werken, welche „nicht zur Aufführung beftimmt’ find, umher: 
ſpuken; auf dic Dauer Behagen empfinden könnten. 


Jacquemont's Reifen in Indien. 

Die Briefe Jacquemont's aus Indien find die anmuthig- 
ften Senrebilder und wirkliche Muſterſtücke ihrer Art. Der 
zu früh verftorbene Reiſende fehildert hier feine perfönlichen 
Erlebniffe mit einem Reiz. und ciner Feinheit der Zeichnung, 
dag man feine Freude Daran hat, Vielleicht werden grämliche 
Gelehrte, welche fih nicht durch den Zauber der Darftellung 
beftechen laflen, wirklich pofltive Angaben, naturhiftorifche No⸗ 
tigen und dergleichen Thatſachen vermiſſen und den Berf. der 
Oberflaͤchlichkeit zeihen; aber es waren Died ja auch nur ver⸗ 
traute Mittheilungen an feine Freunde, welche nad feinem 
Zode gefammelt und zu feinem Andenken von Freundeshand 
beransgegeben find. So iſt es nafürlich, daß er nur Das 
fhildert, was in den Kreis feiner täglihen Erlebniffe fällt, 
und die eigentlihen wiſſenſchaftlichen Unterfuchungen feinen 
fpätern Werfen überläßt. Diefe Zufammenftellung feiner For: 
fchungen nun, die er, wenn er ins geliebte Vaterland zurüd: 
gekehrt fein wurde — und er farb ja auch nur wenige Wo⸗ 
chen bevor ſich dieſer Wunſch verwirklichen konnte! —, veran: 
ftalten wollte, liegt‘ nun der Dffentlichkeit als abgefchloffenes 
Ganzes vor. Die franzöfiiche Regierung, weldhe ihm ſchon 
die Mittel für feine ausgedehnte Reife gewährte, bat auch die 
nöthigen Maßregeln getroffen, daß auch bie Keifebeobachtungen 
und Aufzeichnungen wiſſenſchaftlichen Inhalts, weiche ſich im 
Nachlaſſe des Berftorbenen: befanden, der gelehrten Welt nicht 
verloren fein folten. Sechs ſtarke Bände mit 30. Kupfer 
tafeln liegen vor uns. Diefed Werk: „Voyage dans Il’Inde 
par Victor Jacguemunt, publie par otdre du gouvernement 
frangais sous les auspices de M. Guizot”, bildet einen Schat 
für Die gelehrten Kleinhändler, welche ſich ſchon beeilen wer⸗ 
den, die maflenhaften Goldbarren, welche darin aufgefpeichert 
find, in Meinen Münzen zu verausgaben. Dabei ift aber an» 
zuerfennen, daß die Herausgeber — ed find mehre Profefioren 
des Jardin des plantes — den richtigen Zaft gehabt haben, 
den Reiz der Unmittelbarkeit, welcher Allem was aus Jacque⸗ 
mont's Feder floß anbaftete, nit zu verwifchen. 17. 


Berantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brockdans. — Druck und Werlag von F. U, Brockhaus in Leipzig. 





Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 


Donnerdtag, 





Franz 
(Zortfegung aus Mr. M.) 


Man könnte freilih zur Vertheidigung dieſes Ro⸗ 
mans, wie ed auch bereits geſchehen ift*), einwenden, es 
ſei eine längſt abgethane Sache, an das Leben und ſeine 
Erſcheinungen den Maßſtab einer abſtracten Moral zu 
legen, ebenfo wie es unftatthaft fei, die Erzeugniffe der 
Poeſie und Literatur nad) ererbten Regeln einer beftimm- 
ten Aſthetik zu beurtheilen. Wir geben in einem gemif- 
fen Sinne diefe Behauptung zu, denn Moral und Aeſthe⸗ 
tit in ihrem Erſcheinen find wiederum felbft nur ab- 
Hängig und bedingt durch die Zeit, in welcher fie fi 
herausbilden; fie fliehen ebenfo wie jede andere Blüte 
ber geſchichtlichen Entwickelung unter dem relativen Coef⸗ 
frienten der einzelnen Zeitalter, angepaßt ihrem Charak⸗ 
ter und ihrer individuellen Sendung. Bon biefem Stand⸗ 
punfte aus würden alfo beide Gegenflände, Moral und 
Aſthetik, in Einzelheiten fi zerfplittern, in individuelle 
Erſcheinungen auseinanderfallen, wenn nicht durch fie 
Hin ebenſo wie durch die ganze Geſchichte der Menſch⸗ 
heit ein unabänderliches in und durch fich bedingte Ge⸗ 
jeg ſich zöge; bie einzelnen Erſcheinungen gewinnen da- 
Durch einen gemeinfamen Boden und auf folhem Halt 
und wahren Werth; fie find als folche ebenfo bereshtigt 
wie bie verfchiedenen Syfteme der Philofophie, denn fie 
find die jedesmal möglichen oder vielmehr nothmendigen 
Glieder eined gemeinfamen Ganzen; fie find Keime, 
Bfätter und Blüten eines und deffelben Stammes. So 
wird alfo doch fortwährend und für alle Zeiten ein Ge- 
feg für Sitte und Schönheit gelten, das alle die verein- 
ziten Erfcheinungen je nad) ihrer Stufe ſtaͤrker oder ge- 
ringer durchdringt und das um fo wahrer und richtiger 
fein wird, als es der Stufe des reinmenfchlichen, 
d. b. des vernünftigen Menfchengeiftes fi nähert. Ver⸗ 
laßt es diefen allgemeinen Boden, fo ift daffelbe ber 
ganz individuellen Beſtimmung anheimgefallen, die Ein- 
zelheit erhebt ihre Anfichten zu einem Allgemeinen, fe 
tritt fo in Gegenfag mit jenem; das Gebiet des Freien 
Bernünftigen ft verlaffen, die Willkür tritt an. die Stelle 
der Freiheit, das Vergängliche maft fi die Rechte des 


a) Wigand’6 „Biertefinhrfrikt”, U, Bd. 4: 


Ewigen an: Ob nun bie Perfonen und Situationen 
des Dingeiſtedt'ſchen Romans juft ein „freies Men⸗ 
ſchenleben“ beurfunden, wie die Recenſion ber „Viertel⸗ 
jahrfchrift” dies annimmt, und ob fie ein fehönes Men- 
fchenteben darftellen, möchten wir in Frage ziehen. Frei 
ift ſolches Leben freilich inſofern, als es die beftehenden 
Schranken der Sitte überfpringt; wenn nun diefe Sitte 
ober das Gefeg diefer Sitte gegen das allgemein Menfch- 
liche gehalten ein nichtiges ift, fo wäre das Werſchreiten 
derfelben der Act einer freien, menfchlichen Handlung 
gegen urmatürlichen Imang und ale ſolches eine freie 
fhöne Handlung. Nun hat aber das Gattungsleben 
feine vernünftige Form nur in der Ehe, die Ehe iſt das 
Geſetz der Liebe, wer das Gefep bricht, Handelt nicht frei, 
fondern wiltürlih, darum kann die Handlung diefes 
Romans fein wahres freies Leben beurfunden. Diet 
menn das Wberfpringen diefer Sitte der Ausflug wäre 
einer ſtarken, Alles niederreißenden Leidenſchaft, fo könnte 
man fie eine poetifche Handlung nennen ; aber frei 
wäre fie darum doch nicht, denn die Leidenfchaft fchlägt 
die Freiheit in den Bann, in der Keidenfhaft fegt das 
Individuum fi und feinen Inhalt an bie Stelle der 
Allgemeinheit. Aber bei bem vorliegenden Roman auch 
das nicht einmal, die Leidenfhaft hat die Perfonen nicht 
zufammengeführt, träg waren beide, nur zum Zeitver⸗ 
treib klammern fie fih aneinander, fie lieben ſich wie 
Kinder ihr Spielzeug, und ſolche kindiſche Liebe iſt Feine 
Leidenfchaft, keine Poeſie! 

Das „Proſtitution“ überfchriebene Gedicht mit dem 
Motto: „Qui sine peccato est vestrum, primus in il- . 
lam lapidem mittat!“ würden wir übergehen, wenn 
nicht noch andere Beziehungen dabei zu Tage kämen. 
Selbſt der Genius der Sprache hat fi) von dieſem Ge- 
dichte abgewendet, um fich nicht durch folchen unreinen, 
unkeuſchen, unpoetifchen Inhalt befleden zu laffen. Wel⸗ 
he Berfe, womit das Gedicht anbebt! meint man nicht 
ben Qualm einer Schenke zu athmen, wenn man hört: 

Souft leben, Fu Beſcheid! Richt einen Tropfen mehr! 

@i was, du darfit nicht fort, da Fommen Würfel her 
Und Grog und Porter und Eigarren. 
Du halt ihn doch! Laßt mi! Rur eine Pinte Ale! 
Nein! — Geh’ zum Teufel denn! Pfui über das Kameelt 
Schmeißt ihn zum Sempel 'nauß, den Narren! 
Der Narr geht, eine liederliche Dirne tritt ihn on, er 


a  "- 


fhleudert fie aufs Pflafter, dba plötzlich kommt ihm die 
Reue, cr kehrt um zu ihr, nimmt fie mit fi, die mit 
dem „erbfahlen Gefichte, den harten alten Zügen, dem 
erftarrten Auge”, und „in ihrem Kämmerlein fchwelgten 
und ſchliefen fie, ein Elend in das andere kam“. Wir 
würden nicht im biefes Kämmerlein geblidt haben, von 
welchen weinend verhüllten Antliges die Poefie und 
Keufchheit ſich hinwegwandten, wenn nicht für uns nod) 
ein anderer Anhaltspunkt fich böte, der dem Dichter 
felbft uns näher oder wenn man will, ferner brächte. Der 
Mann aus der Schenke, für den der Dichter einftehen 
muß, ruft aus; 
D unglückſelig Weib! Sie bietet zum Genuß 
. get den entweihten Xeib, ihr Lächeln, ihren Kuß 
erfauft fie an den Erften Beften. 
Ich — — buhle mit dem Geiſt! o unglüdfeliger Mann! 
Das Göttliche in mir biet' ich dem Pobel an, 
Bon feinem Abhub mich zu mäften. 
Welche Anfhauungen und Bilder! Ein Dichter, der fein 
Bolt ale Pobel anfıeht, der für den Poͤbel dichtet, der 
fih von ihm mäften läßt! o nehmet Steine, tragt ſie 
herbei und verfchließt wie die Mutter des Paufaniad den 
Zempel, weil euer Sohn zum Satrapen an der heiligen 
Achtung vor feinem Volke geworden ifi!!! Wenn in 
ſolchen Productionen Fortſchritt und Kampf eines beut- 
fchen Dichterlebens fich ausfpricht, dann wollen wir in 
der That den Kortfchritt beklagen, der und einen talent⸗ 
vollen Dichter geraubt hat. Es ift dies Gedicht nicht 
in augenblidlicher Haft, in momentanem Unmuthe un- 
widerruflich hinausgefchleubert, es fteht in einer, wie die 
Anzeige Cotta's fi) ausdrückt, „vollftändigen kritiſch ger 
orbneten und küͤnſtleriſch geftalteten Igrifhen Sammlung”, 
alfo mit Überlegung und Plan dahin geftellt und alſo 
aller Zurechnung fähig,. aller Veranwortung fällig! 
Hieran wollen wir noch die Betrachtung über ein 
Gedicht, das der „Heimat“ angehört und unter den 
„Dämmerftunden” fteht, anreihen. Schon Prug bat in 
einem Gedichte feiner Sammlung bei Otto Wigand 
auf den Inhalt diefes Liedes Rüdfidht genommen, wenn 
er fang: 
Euch bat die Mufe jammert ihr gelogen, 
Ein Reſſushemd ift euch die Poeſie — 
Ein Schleier mir, den in dem Drang der Wogen 
Mir Leukotheens Götterhand verlieh. 
Dingelſtedt vermwünfcht die ſchwarze Stunde, wo ihm das 
erfte Lied im Herzen aufgefeimt ift, er nennt jene Stim- 
mung einen giftigen Rauſch, der zum Spotte ber Welt, 
zur Dornenkrone führe, die Poeſie ift ihm ein Neffus- 
hemd, das durch Schweiß und Blut feft an dem ge- 
begten Leibe klebt. Wir wollen gern zugeben, daß die 
Kunft wie jede geiftige Entwidelung die Seele beengt 
und drängt, fo lange fie in ihrem Werden begriffen ift, 
aber diefer Drang, diefe Unruhe ſelbſt ift wieder etwas 
Hohes, denn das geiftige Leben und bie geiflige Thätig- 
feit werben nur burch jene Unruhe erzeugt, getrieben; es 
ift der Trieb, der die Knospen bes Geiſtes fpaltet und 
das Leben ift die Unruhe felbft, jenes fi Auflafen in 
Gegenfäge und Wiebergeftalten zur Ginheit und fo fort 


bis zu feinem Ende. Der Dichter, dem die Stunden 


' der Poefie nicht feine fehönften, Heiligften Lebensftunden 


einläuten, der eine Marter und Qual bie gefegneten 
Augenblide der Production fchilt, fchlägt wie ein unar- 
figeg Kind die Mutter die es hegt, pflegt und licht, 
zerfleifcht bie Hand bie es fegnet. u 


(Der Beſchluß folgt.) 


— ne — ne gi — — — 
— — — — — — — — 


Tagesliteratur. 


* 3m Folgenden werde ich eine gedraͤngte überſicht der 
neueften Schriften für und wider den Deutſch-Ka— 
tholiciämus geben. Man wird daraus beim Beginn eines 
neuen inhaltſchweren Jahres den Stand einer der wichtigften 
Angelegenheiten der Gegenwart überfehen: ihre ‚Hoffnungen 
und ihre Stärke, ihre Schwierigkeiten und ihre Schwäche, ihre 
Leiftungen und ihre Aufgabe. 


Bon dem gewichtigften Vorfämpfer der deutſch-katholiſchen 
Gemeinſchaft liegen mir folgende Schriften ver: 


I. Katbolifche Dichtungen von Johannes Ronge. Deflau, 
Keubürger. 1845. 8. 7%, Nur. 

2. Rede gehalten am 23. Sept. 1845 in der Münfter fire 
zu Um von Sohannes Ronge. Ulm, Nübling. 1840. 
8.21% Rer. 

3. Neue und doch alte Feinde. 
Deffau, Neubürger. 1845. 8 

Daß Ronge diefe Gedichte hat drucken laffen, ift ein gro- 

Ger Misgriff; feine Freunde hätten ihn Davon abhalten follen; 

fie find wirklich fehr ſchlecht. Von Poeſie Feine Spur, von 

Gedanken ein einziger, dreihuntertjähriger: der Sturz des Pa» 

pismus, und dieler viel matter al8 er hunderttauſend Mal 

ausyefprochen worden, als ihn Ronge felbft in Proſa ausge⸗ 
an bat. Die in Ronge mehr fehen ald den erſten zu- 
alligen kleinen Schneeball, der berabrollend vom Berge ber 
ierarchie eine Lawine gebildet hat, die ihn einen Luther des 
9. Jahrhunderts nennen, mögen diefe Gedichte zur Hand neh: 
men, um ihn fennen zu lernen. Ronge felbft follte befcheide- 
ner fein, die Frömmigkeit follte ihn befcheibenee machen, ober 
die Beſcheidenheit frömmer; anbetend follte er bekennen, daß 

Gott maͤchtig ift im Schwachen, daß er jich eines geringen 

Werkzeugs bedient, um ein großes Werk zu verrichten. Eine 

Heine Probe Ronge'ſcher Poefie wird mein Urtheil rechtfertigen 

bei Denen, die einigen Geſchmack befigen: 

Einft ald Chriſtus die Apoftel fandte, 
Aller Welt zu biingen Heileswort; 
Al der Geift in Feuerzungen brannte, 
Lehrt' er Sprachen fie für jeden Det; 
Und der Sprachen Kraft fie überfonnte, 
\ Weil nicht jedes Volk hebräifh konnte. 

In der Rede zu Ulms ift Ronge mehr an feinem Plage. Gr 

deutet bier feine Hoffnung an, daß eine Bereinigung Des Prote- 

ftantismus mit dem Deutſch⸗Katholicismus gefchehen werde. Als 
das Princip des Deutſch⸗Katholicismus und der Vereinigung 
des Proteflantismus mit ihm bezeichnet er die Rächftenliebe. 

Er deutet auch an, baß ed darauf ankomme, „vollkommen zu 

werden wie der Water im Himmel vollfommen iſt“. über 

die Anwendung, die er von diefem tieffinnigen, für unfere Zeit 
unendlich bedeutungsvollen Spruche macht, ift fo Peinlich, daß 
alle Wirkung deſiren für den reformatoriſchen Zweck verlo⸗ 
ven geht. Er folgert daraus nichts als daß die Ältern ihre 

Kinder nicht Lehrern anvertrauen follten, welche „unter dem 

Drude einer Hierarchie ſchmachten“. Unrecht hat Ronge, wenn 

er die Bedürftigkeit des Proteftantismus nach feiner Reforma- 

tion aus dem Umftande ableitet, daß man innerhalb des Pro⸗ 


Bon Johannes Ronge. 
3 Ror. 





teſtantismus ein ftarres Feſthalten an allem Dogmatismus ver- 
lange. Die Partei, welde dies Verlangen beat, ift in ber 
peoteftantifchen Kirche eine an Zahl geringe und nur ſcheinbar 
mächtige Partei, nämlich nur mächtig durch Die geiftige Ohn: 
macht ihrer zahlreichften Gegner, Derjenigen, zu welchen auch 
Ronge zählen würde, deren Ohnmacht auch Ronge theilen 
würde, wenn er nicht al& Papift, fondern als Lutheraner ge⸗ 
boren und erzogen wäre. Es hat ſich fchon gezeigt und wirb 
fi immer mehr zeigen, daß der Kern des Proteftantismus mit 
einer der beiden ihm ganz Außerlichen Parteien etwas zu ſchaf⸗ 
fen bat, welche fich genenfeitig weiß zu machen beftrebt find, 
daß fie Die eigentlichen Proteftanten, die andern aber Abtrün⸗ 
nige von der Sache des Proteftantismus feien. 

Innerhalb der noch fo jungen deutſch⸗katholiſchen Kirche 
felbft hat ſich fchon derfelbe Gegenſatz geltend gemacht, welcher 
leider beweift, wie unmöglich es fei, in Sachen der Erkenntniß 
das Gleichgewicht zu halten, wenn man ed nicht für nöthig 
hält, die Erkenntniß in der Ziefe des Gegenſtandes zu fuchen, 
fondern fich begnügt, an der Oberfläche defielben hinzuftreifen. 
Sn feiner foeben erwähnten Predigt ſchließt Ronge mit den 
tiefbeteutungsvollen Worten: „die neue Reformation fet nicht 
gekommen zu löjen, fondern zu erfüllen.” Aber yon diefem 
verheißenen Erfüllen ift bis jegt noch blutwenig in Erfüllung 
gegangen, und auch dem von ihm bekannten Principe der Näch: 
ftenliebe, das doch in Religionsſachen als Duldung ſich geftalten 
muß, wird Ronge in feiner unter Nr. 3 erwähnten Schrift untreu, 
indem er hier nicht nur wider die ſchon berührte ftrenggläubige 
Richtung im Proteflantismus, fondern auch wider feinen Mits 
tämpfer Czerski auftritt, weil Diefer fi für das augäburgifche 
Glaubensbekenntniß und witer die „Bernunftanbeter” erflärt 
hat. Hier fpricht er die Ausſchließung Czerski'ß von der Ne: 
formation aus. Das ift unflug und jedenfall ungerecht, weil 
bis jegt mit Ausfchluß der fehr anerfennungswerthen, aber daß 
Weſen der Religion nicht berührenden äußern Kirchenverfaf: 
fung von den Deutidy:Katholifchen überhaupt noch gar nichts 
hefcheben ift, als daß fie dem Papſte abgefagt haben. Dierin 
fol gar fein Vorwurf liegen: es bat füglih überhaupt noch 
gar nichts weiter gefchehen koͤnnen; aber es ift fehr ungerecht, 

is jegt irgend einen von Denen, die Rom abgefagt haben, 
von Der jungen Kirchengemeinſchaft auszufchließen, da gar nichts 
vorhanden ik, auf Grund deflen eine ſolche Ausſchließung ge: 
ſchehen Eann, da vielmehr in der erwähnten Kirchenverfaflung 
Die einzelnen Gemeinden und die Individuen ausdrüdlich in 
Glaubensfachen ganz frei entlaffen worden find. Diefer Zwie⸗ 
fpalt in der jungen Kirchengemeinfchaft zwifhen Altgläubigen 
und Rationaliften ift übrigens der Beweis, wie wenig berech⸗ 
tigt die Deuti:Katholiten zu einer Reformation der proteftan: 
tifhen Kirche berufen find, wie fie nicht auf der Höhe ber 
Reformation ftehen, fondern noch ganz im allererften Anfange 
derfelben, wie fie alles Mögliche zu thun haben, um nur erft 
u Zutber hinzukommen, ebe fie daran denken dürfen, über ihn 
Vinauszufommen. Die Reformation des 19. Jahrhunderts fo» 
dert weder Altgläubige noch Rationaliften, fondern Gläubige, 
welche die ewige Wahrheit der Offenbarung in Ehriftus und 
durch Ehriftus zeitgemäß geiftig, nicht mehr bloß in einfeiti- 
gen finnlihen Borftellungen zu faflen vermögen, ber Abfall 
von Rom ift ein großes Zeichen der Zeit, auch der nahenden 
Reformation, aber noch lange nicht dieſe felbft, fo wenig wie 
der von Schutt gereinigte Bauplag der Anfang des neuen 
Bauwerks if. Es ift nur die Möglichkeit dieſes Anfangs. 
Perſonlich gegen Ronge ift folgende Schrift gerichtet: 


4. Offenes Sendichreiben an Johannes Ronge, zeitigen Volks: 
reftaurateur ıc. in Breslau Bon R. ®. 
nowsky, katholifchem Lehrer. Breslau. 1845. 8. 2 Nor. 
Man muß foldhe Schriften lefen, um fi, wenn man fonft 

‚geneigt wäre, wider Ronge zu fein, fogleich wieder mit ihm 
zu verföhnen, ihn zu preifen, fein Exrfeinen zu fegnen. Da 
duftet Einem der Augiasftall, welchen Ronge aufzuräumen un⸗ 


Ramſcha⸗ 


ternommen, friſch entgegen, ba ſieht man, daß Ronge der Mann 
ift für feinen Beruf. Solche Geiftesarmfeligkeit, vermiſcht mit 
dem wiberlichften Dünkel, zu befämpfen, dazu gehört ein Mann 
bes nüchternen, ehrlichen Berftandes wie Ronge ifl. Und fo 
jehr wir Proteflanten die Reformation durch Monge bis jept 
depreciren müflen, fo fehr müflen wir wünfchen, daß dieſem 
fein rüftig fortgefegte® Reformationswerk innerhalb des Roma» 
nismus gelinge; denn hier ift es allerdings nur Zeit zum Lö: 
fen, zum Aufräumen, zum Entlceren, bevor an das Ürfüllen 
gegangen werden kann. 

Zur Prüfung der geiftigen Perfönlichkeit Czerski's geben 
folgende Schriften Gelegenheit: 
5. Sendſchreiben an alle chriftlich »apoftolifch » Batholifchen Ge⸗ 

meinden von Joh. Czerski. Landsberg a. d. W. Bolger 

und Klein. 1845. 8. 3 Rpr. 


6. Sendſchreiben an alle chrift:Fathofifchen Gemeinden des ape- 
ftofifhen Slaubensbefenntniffes von Joh. Czerski und 
Anſelm Bernhardt. Xhorn, Lambeck. 1345. 8. 2%, Mer. 
Drei Predigten gehalten vor der chriftlichzapoftelifch-Fatho- 
lifhen Gemeinde in Schwerfenz von Joh. Czerski. Her: 
ausgegeben mit Erlaubniß des Reformators und cingeleitet 
duch Aphorismen über die Reformation von einem Laien. 
Poſen, Eohn. 13845. 8. 5 Nor. 

Czerski fchließt fid enger an die Bibel an; er fucht wer 
niger durch Berftandesgründe zu wirken ald durch daß ein- 
fache Bibelwort. In feiner unter Rr. 5 genannten Schrift 
erklärt er, um alle Irrungeh zu vermeiden, daß er Ehriftus 
ald Bott anerkenne, und fügt fich dabei auf diejenigen Bibel: 
ftelen, in denen Chriſtus als Sohn Gottes bezeugt wird. Es 
aft bekannt genug, daß ſich dieſe Stellen auch gegen die Gott- 
beit Ehrifti anführen laffen. Es hätte daher des Beweifes 
bedurft, daß fie für diefelbe Zeugniß ablegen. Berner legt er 
fein Glaubensbekenntniß ab: das apoftoliiche, und endlich ver: 
wirft er ald eine zu enge Bezeichnung den Ramen der deutfch- 
katholiſchen Kirche, und empfichlt dagegen den einer chriftfich- 
apoftolifch = Fatholifhen. Die große Frage Czerski gegenüber 
ift: 0b fi allein auf den Grund des ſeligmachenden Glau- 
bens an das einfache Bibelwert eine Reformation der Kirche 
grimden läßt? ob die Kirche der Zukunft allein auf den Bo- 
den der Heiligen Schrift gegründet werden Fann? Bom 
Standpunkte der Neligiofität muß diefe Frage darum verneint 
werden, weil Ebhriftus ausdrüdlich den einen den Kon 
Beift verheißen bat, weil die Schrift felbft Zeugniß dafür ab» 
legt, daß nicht durch ein gefchriebened Wort, fondern dur 
die Wirffamkeit des Heiligen Geiftes die erfte Kirche zu Stande 
gekommen ift. Dad Neue Zeftament ift nicht wie das Mofai: 
{he Geſetz der religiöfen Gemeinfchaft vorausgegangen, fon» 
dern es ift erſt in Folge diefer Gemeinichaft entftanden. Fer⸗ 
ner: die Wirkſamkeit des heiligen Geiſtes ift nicht an eine 
beftimmte Zeit, etwa an die ber Apoftel und zum Zwecke der 
Abfaffung des Neuen Zeftament befhränkt, ſondern fie ift 
verheißen für alle Ewigfeit. Alfo nicht auf dem Grunde bes 
Worte, ſondern auf dem des heiligen Geiftes ruht die Kirche 
immerdar, und fo hat auch das Wort, als ein lauteres Zeug⸗ 
niß diefes heiligen Geiftes, nach den Bebenntnißfchriften der 
Proteftanten wol die Bebeutung eines Prüffteins der Kir⸗ 
chenlehre, welche auf die Autorität bed Heiligen Geiftes ſich 
ebenfalls gründet, aber keinesweas fol in ihm die Wirkſam⸗ 
keit des heiligen Geiftes erfchöpft und abgefchlofien fein. Rod 
mehr aber läßt fi vom Standpunkte der Philofophie zur 
Verneinung ber oben aufgeworfenen Frage fagen. Man darf 
nur daran denken, um was fich die religtöfen Zerwürfniſſe der 
Gegenwart drepen, um einzufehen, daB eine wahre Ginigung 
der Parteien, eine rechte katholiſche Kirche der Zukunft einzig 
und allein durch ein geiſtvolles Eingehen auf die Lehre der 
Schrift und der Kirche zu Stande kommen Bann, bei welchem 
es fich nicht mehr blos wie bei der erften Heformation darum 
handelt, ob die Kirchenlehre mit der Schriftlehre übereinftimmt, 


-} 
. 





. 
. 
% 


fordern um den Rarhmeis, daß die ÜMereinftimmende Gchrift: 
und Kirchenlehre wahrhaftig ein Seugniß des heiligen Geiſtet, 
eine rechte Offenbarung Gottes fi. Das Herr: Herefagen 
ut es ebenfo wenig wie das Ignoriren, fondern darin bat 
Ronge ganz recht: die Erfüllung thut es, die Erfüllung der 
Verdeißung, daß der Geift Seugmiß ablegt von ihm felbſt, ein 
Bekenntniß, aber auch in der Erkenntniß, daB wahrhaftig 
— von Nazareth der Chriſt, d. h. der menſchgewordene 
ott ſei. 

Nr. 6 enthält bie Beröoffentlichung derjenigen Urkunden, 
burch welche firh die Worftcher der neuen Gemeinden zu Schnei⸗ 
demühl und Xhorn für Meligionsverwandte der auf bem 
Grunde der Augsburgifchen Eomfeffion ruhenden evangelifchen 
Kirche bekennen, indem fie mit den wefentlichiten_ Stüdlen der 
Augsburgifchen Eonfeffion überemftimmten, im Übrigen aber 
ihr eigenes Bekenntniß ſich vorbehielten, und der Bittfchrift 
an den König von Preußen, durch welche fie Anerkennung — 
als eine geduldete Sekte augsburgijcher Eonfeflionsverwandter 
ſuchen. Es ift hierbei anzuerkennen, daß Czerski und die ihm 
Steichgefinnten wenigſtens das Ziel richtig erfarmt haben, zu 
welchem ihre Reformation führen muß, zum Anfchluß als Secte 
an den Proteftantismus, von welchem fie fi, wie fie indirect 
ſelbſt bekennen, nur in unmefentlichen Stücken unterfcheiden. 
Sie fühlen nicht die Kraft und haben nicht den Muth einer Res 
formation, der Reformation des 19. Jahrhunderts. Daß die 
fer Ausgang ein Mäglicher ift, DaB er der Bezeichnung chriſt⸗ 
katholiſcher Kirche cbenfo wenig, ja noch viel weniger als der 
deutſch⸗katholiſcher Kirche entſpricht, Liegt auf der Hand. Die 
Bittftelfer mollen Prieden und Ruhe, darum fuchen fie Aner: 


Tennung; eine Reformation will Beiftesfampf und ſucht nicht | 


Anerkennung, fondern Bekenntniß. Sie bekehrt, aber fie pe⸗ 

tirt nicht. 

Die Predigten Czerskis (Nr. T) haben cine gewille Ge: 
fühlewärme vor der Ronge'ſchen Predigt voraus, enthalten 
manches ſchoͤne Bibelmort, aber nody weniger Kraft und noch 
weniger Gedanken, keine Ahnung und Peine freudige Auverficht 
einer Kirche der Zukunft, wie das bei Ronge zu finden ift. 

In dem 
8. Cireulare des Hohen Beneraladminiftrators der (Erzdiöcefe 

Poſen in Betreff des Apoftaten Gaerdfi. Warienburg, 
Dormann. 1845. 8. 8 Hf. 

IR der „große Kicchenbann” gegen Czerski ausgeſprochen. 
Her wird ihm befonders „erheuchelte Beicheidenheit und fihein- 
bare Religiofität” in feinem frühern Leben zum Vorwurf ge: 
macht, aber es liegt auf Der Hand, daß feine Beſcheidenheit 
der romiſchen Kirchenbehoͤrde erft jegt als erheuchelt, feine Me: 
figiofität ats ſcheinbar erfiheint, wo er fi von Rom loszu- 
reißen gewagt hat. Biel nachtheiliger als diefer Bannfluch 
werden Czerski diejenigen Bormwürfe fein, welche ihm in fol» 
gender Schrift gemacht werden: 

9. Dffenes Sendfchreiben an Seine Hochwürden ben Herrn 
Pfarrer Ezersfi in Schneidemühl ıc. von Christianus Sin- 
cerus II. Glogau, Flemming. 1345. 8. 21%, Nor. 

Es iſt dies eine Kritik feines Nr. 6 angezeigten Send» 
fchreibend und einer fpätern in Betreff deffelben gegebenen 
Öffentlichen Erklärung. Die Charakterſchwäche, Inconfequenz 
Gzersti's werden ſchonungslos, aber mit überzeugender Folge⸗ 
richtigkeit — und überdies die Unhaltbarkeit des von 
ihm sum Schi 
un der Gottheit Chriſti dargethan. Die Schrift rührt von 
einem evangelifhen Geiftlihen ber, der mit einer tüchtigen 
theologiſchen Bildung eine große Theilnahme für die Bewe⸗ 
gung in der römifhen Kirche verbindet. 

Beiläufig erwähne id) zweier von einem begeifterten Pa⸗ 
piſten gegen Führer der deutfch-Fathoftfchen Bewegung erlaſſenen 
Schriftchen, welche übrigens nichts als leere Dediumationen 
enthalten: 


oleth der Ehriftlichfeit gemachten Glaubensfages - 


10. Sendſchreiben an ben katholifchen er e. 
Bon G. U. Wolff. Zweite een, n⸗ 
tyer. 1844. @. 2 Nor. 

11. Ein Wort an Kerbler und Eichhorn. Bon G.%. Wolff. 
Breslau, Suͤnther. 1845. 8. 1%, Bar. 


Bon des Verf. Logik nur eine Heine Probe: „ntweber 
eibt es gar keine (wahre) Religion, oder nur Eine, die Möe 
Mi 


ifche, Seine (vom ) iftete Kirche, od 
nur ine, line PR aim — 


hofft der Hr. Wolff die Abtruͤnnigen in den Schoos der 
—2* ——— — führen, ' ” 
(Dee Beſchluß folgt.) ' 


— — nn — —— 





Literarifhe Rotizen. 


eiterariſche Skandalfachtin England und Frank 
reich. 

Die Beſprechung von Balzac's „Les petits manéges 
d’une femme vertueuse” gibt dem „Foreign qua 
review" Beranlaffung, fi über die verfchiedene Weile auszu- 
fprechen, wie ſich die Küftelei am öffentlichen Argerniß in Frank: 
reich und England Fund gibt. Es kann ſich dabei nicht bet 
Bemerkung enthalten, daß, fo empfindlich Die guten moralifchen 
Mütter in England gegen die Unzüchtigfeiten der franzöfifchen 
Novellen fi zeigten, ſie cbenfo blind für die Unzüchtigkeiten 
gu Haufe ſeien. Es fei freilich richtig, daß in englifhen Ro: 
manen Zrivolitäten nit fo haufig vorfämen, weil das eng: 
liſche Publicum dergleichen nicht dulde; auch träfe man darın 
nur felten auf fo „warm gemalte Scenen’ und &tellen, me 
jo rückſichtslos Berhältniffe dargeftelt würden als in den 
meisten franzöfifhen fchöngeiftigen Werfen; das franzöfiiche 
Yublicum jei in diefen Dingen eben viel larer. Aber die eng: 
liſche Skandalſucht zeige fih auf andere Weife, wovon die „um: 
fittlihen Franzoſen““ oft gar nichts wüßten. @in Flecken der 
englifchen Literatur auf diefem Gebiete fei vor Allem die ſcham⸗ 
loſe Periönlichkeit, welche fo vielen „piquanten“ Romanen 
als Würze dienen muͤſſe. Man folle.nur an „Cheveley“, „The 
bubble family’, „Coningsby” und „Anti-Coningsby‘' denfen 
mit ihrem fchamlofen Lächerlichmachen und ihrer offenen Bos⸗ 
heit, worin der Schleier, welcher Die „gemeinten“ Perfonen 
von den „genannten“ trennen, jo durchfichtig fei, DaB Jeder 
bindurchfehen konne. Es reihe jetzt Hin, der Freund cine 
Mannes zu fein, der von feiner Frau geichieden ift, um diefe, 
wern fie Schriftftellerin, zu veranlaffen, Die Fehler und Schwächen 
jenes Freundes mit allen ihr zu Gebote ftehenden Gaben des 
Spottes und der Zerrbilderei ind Übertricbene und auf die 
gehäfligite Weife auszumalen, und er habe kein Mittel der 
Erwiderung, feinicht im Stande zu widerlegen, weil er eben 
in ber Schilderung nicht genannt fei. Mit einem Wort bie 
Engländer follten fi, was Sfandalfucht betrifft, an ihre eigene 
Rafe greifen und dem Übel Einhalt zu thun fich bemühen. Wahr: 
ſcheinlich pia desideria! 





Blut: und Sräuelliteratur in Amerika. 


Auch die Amerikaner fcheinen fih an der ®uc - Litera- 
tur zu begeiftern. Wie gewöhnlich füllt die Fruchtbarkeit 
in biefer Pinfiht in die Domaine des imitatorum pecus. 
So hat ein gewifler ©. Lippord in Pennfylvanien unter dem 
Titel „The quaker city, or the monks of Monk Hal‘ 
eine Erzählung erfiheinen laffen, die er einen „Roman des 
Lebens, der Myfterien und des Verbrechens in Philadelphia 
nennt, und der feinem eigenen Eingeſtaͤndniß nad „ Abſcheu⸗ 
lichkeiten zu entjieglih um geglaubt zu werden” behandelt. 
Der Schiuz und Abſchaum der Gefellicyaft Bilden den Stoff 
dieſes Machwerks. 12 


Verantwortlicher Herausgeber: Heiuri Brockdans. — Druck und Verlag von F. X. Drockhans in Leipzig. 


Blätter 


für | | 
literariſche Unterhaltung. 





Freitag, 


— Kr 16. — 16. Ianuar 1846, 





granz Dingelftedt. 
(Beſchluß aus Nr. 15.) 


Beam wir uns nım zu den politiſchen Gebichten 
Dingelſtedt's wender, bie in biefer neuen Sammlung 
enthalten fmd, fo fönnen wir nicht umbin, einen Rüd- 
bil auf ihre Vorgänger, die Nachtwächterlieder zu 
werfen, nad deren Erſcheinen er als vielbefprochener 
Poet feine Wanderfchaft antrat und als viel getabelter, 
viel angefeindeter Hofrat wieder nach Deutfehland zu- 
rückkehrte. Wir glauben, Beides mit Unrecht. Als Din- 
gelſtedt fchied, hielt man ihn für einen politifhen Mär- 
tyrex. Mer die Geſchichte feines Bruce mit Helfen kennt, 
wird ſich vom Gegentheil bald überzeugen, er nahm ben 
Wanderftab felbft, der ihm nicht geboten wurde, man zögerte 
fogar längere Zeit, bis endlich fein entfchiedener Wille 
die Sache vollendete; er nahm den Wanderfiab aus rein 
perfönlihen Bekimmungen, fein Neftchen war dem Sang⸗ 
yogel zu eng geworden, ed war, was wir gern eimaͤu⸗ 
men wollen, ein poetifcher Inſtinct, ber ihn binaus- 
flachelte, der ihn zu felbfländigerm, freierm Wirken fort: 
trieb. Ob bie Stellung, zu ber er ſchied, als Mitredac- 
teur der „Allgemeinen Zeitung” im Dienfte Cotta's, eine 
feeiere, beflere war, laffen wir dahingefiellt fein, ſie 
ſcheint dem Poeten nicht fehr behagt zu haben; ba er 
den Wanderftab bald wieder ergriff und durch Belgien, 
Tranfreih, England, Oſtreich nach Schwaben zurüd- 
kehrte. Gerade dieſe Reife, die er im Incereſſe Cotta's 
unternahm, brachte ihn wieder zu der Anfiht, eine fe- 
ftere Stellung, ein geficherter eigener Herd fei ver Al⸗ 
lem erfoderlih, um den Geift zu neum Werken zu fam- 
mein. Was man damals über Dingelftedt fabelte, wie 
ſehr man ihn als einen Abtrünnigen betrachtete, das ift 
Alles grund - und haltlos Hinausgefchrieben werben. Es 
legt nicht eine einzige That vor, nach welcher man ihn 
nur anlagen, geſchweige denn verurtheilen koͤnnte. Aber 
fein Schweigen, dies verhaͤngnißvolle Schweigen! mag 
er es nun benugt haben, um fich zu neuen Werken zu 
fammeln, mag er felbft von feiner Hapreife fi Erho- 
Iung vergönnt und in feinem Hafen ausgerußt haben, 
immerhin laßt fih kein Vorwurf daraus begründen ; 
im Gegentheil fprechen viele Gedichte ber vorliegenden 
Sammlung, die er doch gewiß, nenn ex ein Abtrünni⸗ 
ges wire, jegt unterdrückt haͤtte. Wir find üdrigene 


: Seinen Augenblick darüber in Zweifel, daß der Erfolg, 


den die Nachtwächterlieder hervorbrachten, mehr be⸗ 


dingt war durch die mwigigen, fpigigen politiſch⸗-Vlocalen 


„Belegenheitögedichte”, in denen Dingelftebt buxch feine 
epigrammatifche Anlage verbunden mit der Gewandtheit 
feiner Sprache, ſtets das rechte Wort an feinen Platz 
zu flellen, gewiß mehr geleiftet wie Hoffmann von Fal- 
lersleben, als durch die Anzahl anderer, allgemeiner Lie- 
ber, bie beiweitem ſchoͤner und tiefer empfunden und 
künſtleriſcher reproducirt waren. Denn jene erflern wer⸗ 
ben für die fpätere Zeit doch nur inſoweit Intereſſe dar⸗ 
bieten, als man fie als ein geiſtreiches politiſches Feuil⸗ 
leton der Zeit betrachtet und fie mehr dem publiciftifchen 
ale dem poetifhen Fache beigeſellt. Den „Liedern 
des Nachtwächters‘ Liegt nicht eine beflimmte Idee zu. 
Grunde, die in den verfchiedenen einzelnen Gedichten 
wieder zu erkennen wäre, e8 find fehr oft nur leicht an⸗ 
einander gereihte Bilder, die man fchon ihrer Farbe, 
d. 5. ihrer Sprache nad) als getrennte erfennt. Man⸗ 
nichfach ift die Sammlung dadurch geworden, und fo 
prächtig die größte Anzahl der Lieder auch ift, in ihrer 
Sefammtheit werden fie doc, nie ein geſchloſſenes Kunſt⸗ 
wer bilden. Was aber diefen Liedern insgefammt ei« 
nen großen Vorzug vor andern, namentlidy ben neuern 
Liedern Heine's gibt, ift der Umftand, daß er nie von ber 
nuglofen, ungerechten Ironie gegen fein Volt Gebrauch 
macht; er weiß zwar den beflügelten Gefchoffen feiner 
Satire ein hohes edles Ziel zu geben, aber er bat da⸗ 
bei das Intereſſe feines Volks im Auge, indem er die 
Blide deſſelben nach dem Ziele felbft lenkt; er begrüßt 
ed nicht wie Heine ald „einen großen Lümmel, den deut⸗ 
fhen Janhagel“, und ſtimmt dadurch nicht. mit ein in 
die unfruchtbaren Micheliaden, die eher Dazu geeignef 
find, allen Sinn abzuftumpfen als anzureizen. Ein 
Kind kann man durch Ironie nicht groß ziehen, man 
macht es flörrifch und ftodig, aber einen n, ſchon 
feiner Würde bewußt, fann man durch Satire aus der 
Traͤgheit zur entfchloffenen That anfpornen. | 
Aus der frühern Sammlung find in die neue über- 
gegangen „Die Stimmen der Mufe”, Klänge und Lie⸗ 
der aus Heffen, unftreitig die beflen vollendetſten Ge⸗ 
dichte ihrer Form nach; jedes Wort fteht Hier an feiner 


Stelle, jeber Ausdruck bejeichnet gerade Das, was er 
bezeichnen foll, und dabei ift Alles leicht und fiteßend 5 





zugleich athmen fie eine Geradheit der Gefinnung, einen 
Freimuth des Gedankens, der nicht allein über manche 
Epochen der beffifhen Vergangenheit das Nichtbeil ei» 
ner ſchneidenden Satire führt, fondern auch was bie Ge- 
genwart diefes Landes bewegte, lebhaft und friſch auf- 
faßte, bald ermuthigend, träftigend, bald Tlagend und 
zürnend, je nachdem die Wagfchale ſchwankte, ſich bob 
und ſenkte. Sehr fchön und rührend ſchildert Dingel- 
ſtedt feine Sehnfuht nach dem Lande, in welchem bie 
berbe Wiege feines Ruhms fland”: 

Immerdar von Ruͤckkehr träum' ich, von verwehrtem Wie⸗ 


erfeben, 
Wie verpflanzter Banme Wurzeln ftetd zum alten Boden 


chen, 
‚ Wie des Schiffes Herz, der Eompaß, meter nach Nor⸗ 
en wei 
Wenn auch füdlih weh'n die Winde, wie N Bel’ auch 
. treibt und Freifl. 
Wahr ift ferner die Schilderung, wo er die Stellung, 
die er feinem SHeimatlande gegenuber früher einnahm, 
bezeichnet : 
Wenn du ftritteft, Hab’ ich treulich allzeit nicht mit Dir 
geftritten ? 
- Was du litteft, hab’ ich’ immer nicht noch mehr gelitten? 
Deiner Schmach mein Herz als Echo, beine Bei als Troſt 
mein xted, 
Von dem Morgen, da ich ankam, bis zur Nacht, in ber 
| | ih fchied ! 
Wodurch aber Dingelftedt nicht allein die Sympathien 
der andern deutfchen Staaten, fondern vorzugsmeife die 
des Heffenlandes berührte, war das, Dfterwort im Schloß. 
hofe zu Marburg”. Als Ausflug der Gefühle des Did: 
ters ift es nicht allein rüdfichtlich feiner edeln poetifchen 
Haltung, fondern auch feines guten Willens wegen fehr 
zu loben, da das Schidfal des darin gefeierten Mannes 
eng mit der Gefchichte des heffifchen Volks, mit der Ent- 
fiehung und Begründung der heffifchen Verfaſſung zu- 
fammenhängt. Politiſch aber betrachtet wird es uns eine 
Seite darbieten, worüber wir zwar mit dem Poeten nicht 
hadern wollen, bie wir aber auch nicht allein Jordan's 
wegen, fondern der Verfaſſung felbft willen herausheben 
müffen. Der Schluß des Gedichte ift an ben Regenten 
gerichtet, und ift ein Geſuch, ein „beredtes Fürwort“ 
um Gnade. War und ift Sordan ſchuldig, ſchuldig der 
Verſchwörung gegen fein eigenes Vaterland, fo war er 
dem Gefege verfallen und allem und jeglichem Acte der 
Gnade entzogen; ift er aber unfchuldig, dann iſt ein 
Gnadengefuch um fo vermwerflicher, man hat nicht nöthig, 
um gerechted Necht zu bitten, fondern es wird verlangt 
und muß gewährt werden. Nach dem jegigen Stande 
der Sache ift die Anficht von Jordan's Unſchuld im 
deutſchen Volke allgemein angenommen, wie fie damals 
ſchon in der Bruft jedes vernünftig denfenden Bürgers 
Mar gefchrieben fland; darum glauben wir, würde es 
der Sefinnung Dingelſtedt's angemeffener gewefen fein, 
um Recht, unaufgehaltenes, freies, zu bitten.*) Der Poet 
von Gefinnung durfte nicht fo leicht an dem Charakter 


*) Jordan's Freiſprechung war dem Verf. dieſes Aufſatzes noch 
nit bekannt. D. Red. 


aufeinander geſchlagen. 


Jordan's irre werden und ſich zu dem Ausſpruche ver⸗ 
leitet ſehen: „Der Strom, der nicht überſprudelt, waͤre 
ja der Jordan nicht!“ abgeſehen davon, daß der Wort⸗ 
klang den Dichter zu einem unpaſſenden Bilde verleitet 
bat, denn der Jordan, der.in das Todte Meer ſich er⸗ 
gießt, ift ein ftiller, ftodender Fluß zwifchen fumpfigen 
Ufern: „D Ironie des Lebens! Menſch und Fluß!” 
Zum Schluffe noch ein Wort für den Poeten: Es 
war eine edle mannhafte Sitte der alten Homerifchen 
Helden, daß fie friedlich fehieden, die Rüſtungen taufch- 
ten, nachdem fie in offenem Kampfe ihre Kraft verfuche 
batten, und bie Hände ſich drüdten, die vorher wader 
J. Gegenbaur. 








Tagesliteratur. 
(Beſchlus aus Nr. 16.) 

Die Deutſch⸗Katholiken haben mit ihren Geiſtlichen wenig 
Glück. Die folgenden kleinen Schriftchen enthalten eine in 
mehrfacher Beziehung ſkandaloͤſe Geſchichte, welche ſchon hin⸗ 
laͤnglich durch Zeitungen bekannt iſt: 

12. Die Ausweiſung der beiden Söoͤglinge Zul. Rudolph und 

Rud. Dowiat aus dem bijhöflichen Clerikal-Seminar zu 

Pelplin. Eine actenmäßige Darſtellung. Marienburg, 

Dormann. 1845. 8. I Nor. 

13. Sur Würdigung zweicr Pamphlete gegen den apoftolifch- 
Patholifhen Pfarrer Joh. Czerski in Schneidemühl und 
gegen die Diakonen der apoftolifchFatholifhen Gemeinde 
zu Danzig Zul. Rudolph und Rud. Dowiat von gr Ger⸗ 
3% EL Fünfte Auflage. Danzig, Gerhard. 1845. 8. 

s Rar. 

14. Meine Converfion. Bon R. Dowiat, Diakon der ka⸗ 
tholifchen Gemeinden von Danzig ꝛc. Danzig, Gerhard. 
1845. 8. 1% Nor. 


Die Schrift von Gerhard beit, geftübt auf Documente, 
die Umtriebe der römifchen Partei auf, durch welche fie Czerski 
zu verdächtigen gefucht hat, und fucht auch das in der Schrift 
Nr. 12 gegen Domwiat und Rudolph Vorgebrachte (fie follen in 
Folge ffandalöfer Aufführung aus dem Seminar auögefchloffen 
worden fein) als Verleumdung darzuthun. Daß Rudolph ein 
äufßerft ſchwacher Menſch, ein hin und her ſchwankendes Rohr 
fei, hat fich feit Diefer feiner ertheidigung durch Gerhard das 
durch erwiefen, daB er wieder förmlich in ben Schoos der ro⸗ 
mifchen Kirche zurüdgekehrt ift. Diefe aber bat ſich dadurch 
ihren Triumph verleidet, daß fie ihn zuvor felbft an den Pran⸗ 
gr geftelt hat. Dowiat fpriht in Nr. 14 für fi felbft. 

ie Manier, in welcher Dowiat bier auftritt, hat fehr wenig 
Anfprechendes, Würdiges. , Er beginnt: „Ich würbe diefe Bei- 
len nicht fchreiben, wenn ich nicht römifcherfeit6 provocirt wäre. 
Aber der Romanismus attaquirt mid indiscret. Schade! die 
alte, vielerfahrene Schöne Hat ihr noble8 Wefen fo fehr ver: 
geffen, daß fie nicht mit Anftand zu fallen verfteht. Alſo der 
Romanismus ift indiseret gegen mic Er produeirt eine « amt- 
liche Widerlegung», er gibt Protokolle, die Rudolph und ic 
unterzeichnet haben follen, curricula vitae, die ich gefchrieben 
baben foll; es iſt gut: der Romanismus ift indiscret gegen 
mid.” Eine folche Sprache ift nicht apoftolifch; vielleicht liegt 
es auch nur an mir, ich finde fie widerwärtig; und überdies 
fagt Dowiat das Gegentheil von Dem, was er fagen will. Er 
will fagen, die Römlinge hätten ihn verleumdet und verlogen, 
und er fagt, Rom ſei indideret. Indiscret aber ijt, wer ihm 
gefchenfted Bertrauen miöbraucht, ein anvertrautes Geheimniß 
ausfhwagt. Sagt alfo Domwiat, die Mittheilungen aus feinem 
frühern eben feien indiscret, fo gibt er fie als richtig zu. 
Dowiat ſoll übrigens ein feuriger Geift fein, fol kraͤftig zur 
Ausbreitung der jungen Gemeinschaft gewirkt haben, und dar⸗ 





über läßt. ſich feine ungeſchickte und unſchickliche Vertheidigung 

vergeffen- 

Kein deutſch⸗katholiſcher Apoſtel hat vieleicht der jungen 
Gemeinfchaft jo viel Schaden gethan als Julian Chownitz, 
nicht durch feinen Abfall von derfelben fondern durch feinen 
frühern Anſchluß an diefelbe. Er felbft legt Beugniß von fidh 
ab in der Schrift: 

15. Meine Ausföhnung mit der Kirche. Zugleih ein Aufruf 
an „meine frühere Gemeinde” — die „Deutſch⸗Katholiken“ 
in Ulm. Bon Iulian Ehownig (Joſeph Chowa— 
nes). Mainz, Kirchheim, Schott und Ihielmann. 1849. 

I. 24 Nor. \ 

Shownig führt fein ganzes Leben in einer gedrängten 
Skizze vor, in welcher er fidy nicht geſchont hat: er bekennt 
feinen Leichtfinn, feine Berirrungen, feine Lafter. Run nteint 
er zum Ernfte des Lebens gekommen zu fein, durch den Deutfch- 
Katholicismus zum römifchen Katholicismus und damit zur 
Wahrheit und zum Frieden. Die Schonungslofigfeit, mit wel 
cher Chownitz ſich felbft behandelt, läßt annehmen, daß es ihm 
wirklich Ernft fei. Kein edler Menſch wird diefe Selbſtbe⸗ 
Benntniffe benugen, um auf Chomwnig einen Stein zu werfen. 
Aber er bat fih zur Rückkehr entfchloffen, weit cr zu ſchwach 
war zum Portfchritt. Und fo wird es Allen geben, welche 
nichts hinzubringen zum Deutſch⸗Katholicismus als den Leicht: 
finn, der mit aller Erkenntniß fertig zu fein wähnt, che er 
auch nur einmal die Bitterkeit des Denkens gekoftet hat. Die 
Religion läßt in Feiner Geſtalt mit ſich fpotten, es waltet eine 
unfichtbare Macht in ihr, die den Menichen packt wider Wil- 
len und ihn dahin flellt, wo er hingehoͤrt. Es ift eine ernite 
Prüfung der Geifter. Gar Biele gebehrden fi, als ob fie 
Kinder der Zukunft wären und find doch Kinder Der Vergan⸗ 
genheit, als ob fie Helden der Freiheit wären und find doch 
nur eines knechtiſchen Geiſtes vol. Allen Diefen wird es be» 

gegnen, daß fie durch den Deutfch-Katholicismus erft recht un» 

terthan werden der Hierarchie, der fie fich zu entziehen gedach⸗ 
ten. Das wiflen die Plugen Yapiften und darum freuen fie 
fi über die Bewegungen der Zeit, denn fie begen daß thoͤ⸗ 
richte Vertrauen, die Menfchen alle hätten einen knechtiſchen 

Seiſt, der wol eine Beit lang in frechem Übermuthe nach den 

Früchten der Freiheit fih geläften laffe, je frecher er fih aber 

gebare, deſto fchneller zum Bewußtfein feiner Ohnmacht ge- 

lange und dann willig das Zoch auf ſich nehme, welches Rom 


für ihn bereit halt. D6weald Maͤrbach. 


Bibliographie. 
- Die Upoftel des Jung : Katholiziömus in Kreuznach. Don 
einem Laien. Koblenz, Blum. 1545. 12. 5 Rue. 
Arndt, Z., Ih bin nicht gekommen, Frieden zu fenden, 


ondern das Schwerdt. Predigt. Berlin, Wohlgemuth. 1845. 


2%, Rur. 

Bernoulli, E., Einige evangelifhe Zeugniſſe. Baſel, 
Schneider. 1845. 8. A1Y, Ror. 

Fliegende Blätter aus dem Tagebuche eines Heſſiſchen 
Geiſtlichen, betreffend die gegenwärtigen Spaltungen und Kämpfe 
innerhalb der Seifiiden Kirhe Deutfchlande. Darmftadt, 
hl. . 3%, Nor. . 

.. Börfh, F., Wie der Herr jederzeit bei Stürmen, welde 
über feine Kirche Fommen, ſich verhält. Predigt. Speyer, 
Reidhardt. 1845. Gr. 8. 2%, Nor. 

Unbefangene Darftelung des innern Gangs und Zuſam⸗ 
menhangs der Reipziger Auguftereigniffe. Bon einem Augen⸗ 
zeugen. Bremen, Deyfe. 1845. Gr. 8. 2% Nor. 

Erbkam, H., Beleuchtung der Erklärung vom 15. Auguft. 
Berlin, Debmigke. 1845. Gr. 8. 10 Rgr. 

Das Familienfideikommiß. Eine Denkſchrift zum mecklen⸗ 
—2 Landtag 1845. Roſtock, Stiller. 1845. Gr. 8. 

a Nur. . 


Beide, &., Die nöthige Reform der —— oder 
der phyſiſche und geiſtige Untergang der Jugend, erbeigeführt 
durch Die gewöhnliche Volks., insbefondere Volksſchulerziehung 
und die natürlihen Mittel zu einer allfeitigen Volksentwicke 
lung. Wolfenbüttel, Holle. Gr. 8. 15 Kor. 

Georg, 2., Sendſchreiben von Joh. Gottfr. v. Herber 
an alle biedere Deutiche. Darmſtadt, Dieht. 1845. Gr. 8. Nor. 
‚. 7, Unteriedifche und überirdifche Sendfchreiben an die 
liebe Chriftenheit. Darmftadt, Diehl. 1845. Gr. 8. 5 Nor. 

Glaube und Wahrheit in der Andacht der proteftantifchen 
Kirche, vom Berfaffer der Momente der Andacht für Pros 
teftanten. Iena, Frommann. 1845. 12. 12 Rar. 

Das Glaubensbekenntniß der franzoͤſiſchen reformirten Kirche. 
Bur Beier ber am 2U. October 1635 zu Berlin gegründeten fran« 
Höfen ——X den aͤlteſten Urkunden herausgegeben und 
in eutſche uͤbertragen von P. Henry. Berlin, Amelang. 
1845. Gr. 8. 5 Par. F ven “ 

Dr. Großmann und die erfte Kammer in ‘der 12ten Sitzung 
un 10. October 1845. Gedicht. Zeig, Webel. 1845. ©r. 8. 

ar. 

Hartmann’d, P. C., Feſtrede vom Leben des Geiftes. 
Berdeuticht mit Beigaben von E. Freih.v. Feuchtersieben. 
Wien, Gerold. Y% Ror. 

Herzfeld, Die religiöfe Reform, befprochen in einer 
Predigt in der neuen Synagoge zu Nordhauſen. Rordhaujen, 
Schmidt. 1845. Kl. 8. 2% Nor. 

Hutten, U. v., Zür deutiche Freiheit! Alte Kraftworte 
an Fürften und Boll. Aus feiner Conquestio von 15%) neu 
Berbeurfiht von C. A. Peſcheck. Baugen, Schtüffel. 1845. 

r. 


Joly, B., Die Jeſuitenfreſſer, nebſt Wanderpaß und 
Signalement des ewigen Juden von Eug. Sue. Aus dem 
Franzoͤſiſchen. Regensburg, Manz. 1545. Kl. 8. 22%, Nor. 
Kammel, H. J., Das Unterrichtsweſen der Reformirten 
in Frankreich während der Verfolgung des vorigen Jahrhun⸗ 
derts. Bautzen, Schlüſſel. 1845. 8. 6 Nor. 

Kooſen, J. H., Über akademiſche Lehrmethode mit Be⸗ 
zugnahme auf konverſatoriſchen Unterricht. Koͤnigsberg, Tag 
und Koch. 1845. Gr. 8. 5 Nor. 

Kühn, 3., Das Wefen, Walten und Wirken der Lüge. 
Predigt in ber Fatholifhen Pfarrficche zu Gleiwig. Gleimwig, 
Zandeberger. 1845. 8. 1Y, Rar. 

Eaun, $., Die Macht des ortes, An die Zeitgenoffen 
im Jahre 1845. (Gedicht.) Dresden, R.und W. Kori. 1845. 
K. 8. 3 Rgr. 

‚ Rutteroth, H., Rußland und die Sefuiten von 1772 
bis 1820. Nach meift ungedruckten Urkunden. Überſetzt von 
Bird. Stuttgart, Hallberger. 3. 15 Nor. 

Meinerghagen, G., Die religiöfe Bedeutung der bibli⸗ 
ſchen Wunder, mit befonderer Beziehung auf die in neuefter 
Seit Dagegen erhobenen Einwürfe. Bremen, Heyfe. 1945. 
Gr. 8. 5 Nor. 

Prokop, U, Die Wuchertheuerung und landwirthſchaft⸗ 
on Bereine in Teutſchland. Leipzig, D. Wigand. Gr. 8. 
gr. 

Richter, A. F., Meine Rückkehr zur Mutterkirche. Eine 
zeitgemaͤße Rechtfertigungsſchrift. Regensburg, Manz. 1845. 
Br. 8. 1.Xhlr TY, Nar. 

Rodbertus-Jagetzow, Die Preußifche Geldfrijis. An- 
cam, Diege. 1845. Gr. 8. 12 Neger. 

Roferey, H., Rede am Tage der Jubelfeier Caspar 
Marimilian 8, Bifhofs von Münfter, den 6. September 1845. 
Münfter, Deitere. 1845. Gr. 8. 21, Nor. 

Ein ernfter Ruf an die Chriftenheit. Dem Schweizer- 
solle Berge von eimem feiner Bürger. Züri, Hanke. 1849. 

. a Rer. 

Nuft, 3., Der Herr ift der evangelifchen Kirche Ruhm 
3” gofnung Predigt. Speyer, Neidhard. 1845. Gr. 8. 

ı gr. . 





64 


Sachtleben, Vorſchläge, bie beabfichtigte Yenfionsanftalt 
fire eremitirte Prediger und eine Lebensverſicherung unter Pre 
bigern betreffend. Quedlinburg, Baſſe. 1845. &r.8. 3%, nt 

Thiele, U. F., Offenes Sendſchreiben an die zweite Ger 
nerals Berfammlung ‚der deutfchen Vereine gegen dad Brannt- 
weintrinken. Berlin. 1815. 3 2,8% 

Das neue Theater⸗Reglement des 
v. Käftner für die Königl. Hofbühne in Berlin. Ein Grab: 


eläute für die dramatifche Kunft und deren Zünger. Kritiſch 


eleuchtet in juriſtiſcher, artifbifcher und polizeilicher Beziehung 
——— praktiſchen Juriſten. Berlin, Hofmann und Comp. 
1845. Gr. 8. 5 Nor. . . 

Die Beeweigerung der Lübeck⸗Buͤchener Cifenbahn. I. ber 
allgemeine und voͤlkerrechtliche Geſichtspunkt. BI. Der bundes« 
zehtliche Geſfichtspunkt. IM. der Gefihtöpunkt der Konigl. 
@ifenbahn »- Gommiffien zu Copenhagen. Anhang: Erlaß der 
Königl. Dänemarlifchen Regierung vom & Auguft 1845. Luͤbeck, 
v. Hobden. 1845. 8. 3%, Rear. 

Binet, U, Die Mitfchuldigen -an der Kreuzigung des 
Grlöfers. Zwei Reden über Hebr. VI, 6. Aus dem Kran 
gerien überfegt von J. Schmid. Zürich, Hanke. 1845. Gr. 8. 

Ja Rgr. 


—* kommt ed, daß in unferen Tagen das Abendmahl 
weniger als ſonſt geachtet und benuzt wird? Gin Sendſchrei⸗ 
ben an Alle, weldge diefes Sakrament zu verwalten haben, 
von einem proteftantifchen Geiftlichen Sachſens. Dresden, R. 
und W. Kori. 1845. ©r. 8. 3 Nor. 


— — — --- — — — —— — — — — — — — a. 
-— 


Literarifhe Notizen aus Franfreid. 
Genoude's vermifhte Schriften. 

In d. Bl. ift wol fihon der phantaftifh: Legitinift Ges 
noude, welcher die ultramontanen Beitrebungen und Ideen mit 
radical:liberalen Elementen in Einflang zu bringen verfteht, 
erwähnt worden. Erſt jüngft noch haben wir felbjt mit ein 
paar Worten feine Anmaßung, fih zum Geſchichtſchreiber 
Frankreichs aufzumwerfen, wozu ihm nicht mehr als Alles fehlt, 
gebührendermaßen gewürdigt: Deffenungeachtet laſſen wir es 
unbeftritten, daB Genoude ein Mann von Zalent und von jel: 
tener literarifcher Rührigkeit ift. Es zeigt ſich dies wieder in 
einer Sammlung feiner vermifchten Schriften, von der uns 
erft zwei Bände zu Geficht gefommen find. Wir wiffen nicht, 
ob er die Aufgeblafenheit hat, Alles, was aus feiner ſchreib⸗ 
feligen Feder gefloffen ift, in diefer Sammlung vereinigen zu 
wollen — da wäre fein Ende abzufehben; denn feine Frucht: 
barkeit ift wirklich unglaublich —; aber boffentli wird er ein: 
fehen, daß feine Journalpolemik, der er fih mit maßlofem Eifer 
vorzüglich in der „Gazette de France”, feinem Organe, hingibt, 
dann vollends unftatthaft und unerfprießlich ift, wenn ihr noch 
das A-propos fehlt. Die beiden Bände, welche vor und lie: 
gen, enthalten unter Anderm „Reflexions sur quelques questions 

olitiques”. Man begreift nicht recht, wie der Verf. dazu ge: 
Eommen ift, Diefe Aufjäge, welche offenbar die Spuren davon 
an der Stirn tragen, daß fie eine Jugendarbeit find, bier 
dem Drude noch einmal zu übergeben. In der That ift dies 
eine Reihe von Betrachtungen, welche bereits im 3. 1814 er: 
fhienen find. Vergeblich forfht man nad) dem Werthe und 
der Bedeutung, die man ihnen unterlegen koͤnnte. Es find 
lofe, abgeriffene Reflerlonen über Zuftände, welche jegt, wo 
man fie ſchon mehr in ihrem eigentlichen Zufammenhange über: 
ſchauen Fann, in einem ganz andern Lichte crfcheinen, fodaß 
Phraſen und Stihmwörter von ehemals nicht mehr recht paſſen 
wollen. Bielleiht Hat der Herausgeber eben diefen oberfläch⸗ 
lichen Raifonnements deshalb einen Plag in feiner neuen Samm⸗ 
fung angewiefen, weil er gemeint bat, daß die maßlofen gei⸗ 
fernden Befchuldigungen, welche hier gegen das Phantom der 





Fol: Intendanten 


Philoſephie erheben werben, au jeigt wieder einiges ZIebt« 
interefle bieten Eönnten. In diefem Punkte wenigftend iſt Ge⸗ 
noude fich confequent geblieben. Intereffanter find die Gelbſt⸗ 
betenntniffe, welche der Verf. in feiner „Histoire d’une ame”, 
die ſchon früher im vereinzelten Journalartikeln zu lefen war. 
niedergelegt bat. Dan kann fih aus diefen Blättern: einem 
Begriff machen von der Gährung, in der fi Das Gemüth bei. 
frommen Schriftftellers befindet, welcher die Lofungsworte des 
Klerus auf feine Fahne gefchrieben hat, und der es doch mit 
feiner Stellung für vereinbar hält, der äußerften Linken brü- 
derlich die Hand zu reichen. 


Über die Bölkerfihaften Algeriens, 

Bern auch im Allgemeinen der Gewinn, welchen die Fran⸗ 
zofen aus ihren Eroberungen in Afrika ziehen mögen, und be 
Bortheil, ben fie dadurch errungen haben, nicht eben fehr hoch 
anzuſchlagen ift, fo. bat ſich doch offenbar die Wiſſenſchaft Stud 
zu wünfchen zu ben Bereicherungen, welche ihr aus der Ber 
ſitznahme Wigeriens durch die franzoͤſiſche Regierung erwachtfen 
find. Die größte Ausbeute kann man ſich aus einem umfaflen- 
den Werke verfprechen, welches, aus dem Zuſanmenwirken 
verfchiedener tuͤchtiger Gelehrter hervorgegangen, im Erſcheinen 
begriffen iſt. Es iſt dies die Frucht der Arbeiten jener wiſſen⸗ 
ſchaftlichen Commiſſion, welche mit der ſorgfaͤltigſten Unter 
ſuchung der Naturverhaͤltniſſe von Algerien von Seiten der 
Regierung beauftragt wurde. Auf dieſe wichtige Erſcheinung 
kommen wir fpäterhin noch einmal ausführlicher zurüd. Ges 
genwärtig wollen wir in ben Spalten d. Bi. auf ein Werf 
aufmerfjam machen, welches als Borläufer umfaflender For⸗ 
ſchungen, aber auch ebenfo fehr fehon als felbftändige Arbeit 
und um feineß eigenen Inhalts willen afle Beachtung verdient. 
Der Litel diefer Schrift, welche Pascal Duprat zum Verf. hat, 
lautet: „Easai historique sur les races anciennes et modernes 
de l’Afrique septentrionale.” Der Verf., der fi in Algerien 
felbft den gründlichen und forgfältigften Forſchungen hingege 
ben bat, beabfichtigt eine ausführliche Geſchichte jener Voͤlker⸗ 
fhaften, die er jegt mehr in ihren ethnographiſchen Umriſſen 
vor uns zeichnet. Die gediegene Abhandlung, welche wir ge 
genwärtig aus feiner Feder vor uns liegen haben, erweckt 
dieſes größere Werk ein günfliges Vorurtheil. 


Berlioz über Inftrumentation, 
Wenn man von H. Berliog nichtd weiter wüßte alß die 


. Außerung, daß er gewilfe Stellen im „Requiem“ von Mozart 


zu ſchwach inftrumentirt findet, fo würde man nicht eben eine 
vortheilhafte Meinung ven feinen mufitalifchen. Kenntniffen ger 
winnen. Über in der That legen feine eigenen @ompofttionen 
Zeugniffe ab von einer wirklichen Begabung, von lebendigen 
Ideen und von einer gewiſſen Originalität in der Durchfuͤh⸗ 
rung. Die kritiſchen Auffäße, welche er im „Journal des d6- 
bats’‘ über bedeutende muſikaliſche Erfcheinungen liefert, geben 
einen Maßftab für fein Fünftlerifches Verftändniß, deffen gan 
zen Umfang und Gehalt man indeffen erft aus feinem großen 
Werke über Inftrumentation, das man vor kurzem angefangen 
bat auch ind Deutſche zu überfegen, erfehen Bann. Dieſes 
„Traite de l’instrumentation” enthält den Kern feiner muſt⸗ 
kaliſchen Aniihten, welche er ſich durch eifriges Studium der 
Meifter, durch eine langjährige Beſchäͤftigung mit der Theorie 
und durch feine eigenen Compofitionen erworben hat. Wenn 
ed auch frühere Ähnliche Werbe nicht unbrauhbar macht — 
man wird fogar gut thun, mandye Partien mit frühern Dar: 
ftelungen zu vergleichen, von denen Berlioz zumeilen aus einer 
gewiffen Sucht nad) dem Driyinellen abweicht —, fo ftebt es 
Doch feft, daß der Mufifer vom Fach fowie der wirklich fireb- 
fame Dilettant bier einen reihen Schag feiner Beobachtungen 
und eine Menge anregender Gedanken: finden wird. 17. 


Berantwortlicher Heraudgeber: Heinrich Wroddaut — Drud und Verlag von F. SE. Brockhans in Beipzig. 





Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 


Sonnabend, 


Gefchichte der deutfchen und niederlandifchen Malerei. 
Eine öffentliche Vorlefung an der königlichen Zrieb- 
rich - Wilhelms - Univerfität zu Berlin, gehalten von 

. ©. Hotho. Erfter und zweiter Band. Ber- 

lin, Simion. 1842 —43. 8. 3 Thlr. 

Die Darflelung der im Zitel genannten Geſchichte 
beginnt im zweiten Bande. Derfelbe charakterifirt die 
verfhiedenen Schulen und Stadien der beutfchen und nie- 
berländifchen Mulerei von der Mitte des 14. bis in die 
erften Jahrzehnde des 16. Jahrhunderts, ſodaß den An- 
fang die ältefibefannte Kunftweife chriftlicher Maler in 
Köln und Weftfalen, Oberdeutichlanb und Kranken, dann 
BDtüte, Wandlung und Auflöfung ber flandrifhen Schule 
die Mitte, darauf die Verſchmelzung flandrifcher Einflüffe 
mit altern Gehabungen und neuem Streben in Rieber- 
und in Oberbeutfchland das Ende macht. Es ift dem- 
nach die Gefhichte der Malerei in den Niederlanden bie 
zu Anton Claeſſens (blühte 1498) und Ieronymus Bofch 
(blühte zwifchen 1450 und 1500), in Riederdeutſchland bis 


zu den vweftfälifchen Meiftern Jarenus, den Dunwegge 


und der Schule von Calcar, in Oberbeutfchland bis zu 
Martin Schaffner, Hans Holbein d. X. und M. Wohl- 
gemuth geführt. So mären denn die großen Bewegun⸗ 
gen des 16., die mächtigen und umfangreichen Erfchei- 
nungen des 17. Jahrhunderts dem verfprochenen dritten 
Bande vorbehalten, welcher, wenn die Ausführung in 
gleichem Verhaͤltniſſe bleibt, beträchtlich wird anfchmwel- 
fen müuffen. 

Fragt man bei dem bisher Behandelten nach bee 
Berf. eigener Vertrautheit mit dem Gegenſtande, ſo läßt 
fh daß. er das Gebiet in mehren Richtungen ſelbſt 
durchgearbeiter nicht verkennen. Beine Kritik der in 
Frage kommenden Werke oder Meifter weicht daher öfter 
von den Anfichten feiner Vorgänger ab. So führt er 
(11, 96) Einfprache gegen die Borausfegung einer Mit- 
hilfe des Gerard van ber Maire am genter Altarblatt 
der Brüder ‚, und fieht an den beiden in der ber- 
liner Galerie dem Gerard zugefchriebenen Bildern einen 
merklichen Zufammenhang mit diefed Meifterd Altartafel 
zu St.-Bavo in Gent. Auch die Verbindung, in die 
Paſſavant eine Anzahl Gemälde mit den Namen bes 
Rogier van Brügge gebracht, fchränkt er ein; indem er 
(11,100) den die Mabonna malenden Lukas zwar der 


— Nr. 17. 


17. Zanuar 1846. 


unmittelbaren Eyck'ſchen Schule, aber einem von jenem 
Lehrer Hemling’s verjchiedenen Meifter (11,120), die ber- 
liner Anbetung des neugeborenen Kindes einem nur 
ſchülerhaften Nachahmer des Hemling, die mündyener An⸗ 
betung der Könige aber (II, 121) einem zwifchen Rogier 
und Hemling mitten inne ftehenden Meifter zutheilen will. 
Als wahrſcheinlich von Rogier herrührend betrachtet er 
dagegen (Il, 104) zu Löwen das Abendmahl in Et.- Per 
ter, zu Brügge die Marter des heiligen Hippolyt in ber 
Salvatorkirche, welchen er (11, 108) den Verrath des Ju⸗ 
das in der münchener Galerie als ein Mittelglied anreiht 
zwifchen den genannten und vier von Waagen dem Ro- 
gier beigelegten Bildern. Diefe nämlich mag der Verf. 
gern dem Rogier laffen, wofern fie als legte Entwide- 
lungefpige des Meiftere gelten. Cine Kreuzigung bes 
berliner Mufeums, dort ein frühere Wert des Mabuſe 
genannt, nimmt er (I, 113 fg.) für Albert van Duwater 
in Anſpruch; während er die Klage über Chrifli Leid" 
nam im Belvedere zu Wien, die Paffavant diefem hol⸗ 
ländiihen Maler gibt, als originales Bild eines ber 
ausgezeichneten Schuler aus Hemling’s Richtung bezeich- 
net (11,116). Daß man die Zafeln vom Reliquienkaften 
von St.Omer dem Hemling zufchreibt, nennt er (II, 118) 
groß Unrecht, da. fie, gediegener, urfprünglicher, einfacher, 
auf einen felbftändigen Nebenbuhler, der wol auch Ro⸗ 
gier’s Schüler gemefen, zurüddeuten. Das Portrait der 
Aders’ihen Sammlung ift ihm zweifelhaft, wie auch das 
von Waagen befchriebene NReifealtärchen, wofern es mehr 
ale entfernte Ahnlichkeit mit dem berliner Bild (Geburt 
mit Sibyllen⸗Verkündigung und Anbetung ber Könige) 
habe, da bies keineswegs von. Hemling herrühre (11,128). 
Entſchieden aber Hemling’s Werk fei das Jüngfte Gericht 
zu Danzig, wie der Verf. ausführlich zu begründen fucht. 
Sonft theilt er ihm außer den beglaubigten Gemälben 
zu Brügge und der Anbetung mit Chriftoph und Johan- 
nes zu München die Madonna der Aders'ſchen Samm⸗ 
lung, jegt im Beſitze des Dichters Rogers, zu (11,148 fg.), 
welche legtere Waagen geneigter war dem Ian van Eyck 
ſelbſt beizumeffen. Auch die Freuden und Schmerzen ber 
Maria zu München läßt er dem Hemling (11,153), nicht 
aber von den brügger Bildern die Grablegung, die Ver⸗ 
mählung ber Katharina, ben großen Chriftoph und bie 
Taufe, für deren Abfonderung er Gründe anführt. er - 


—W 


"ner nimmt ex (II, 161) dem Jeronymus Boſch jenes ber- 
liner Bild, welches Paradies, Kal, Engelfturz, Gericht 
und Hölle vorftellt, weil darin, bei vielem Fremdartigen, 
der Winfel bed Lukas Kranach unverkennbar fei, ſodaß 
es eine frühe Nachbildung des Legtern nach einem Haupt: 
werte des DBofch fein möge. Din Tod der Maria zu 
Köln, wie den zu München, die allerdings wol fälfchlich 
dem Schoreel gegeben werben, weift der Verf. (IT, 169) 
der kölniſchen Schule des 16. Jahrhunderts zu. Won 
zwei zu Danzig befindlichen Kirchenbildern findet er das 
eine (II, 111 fg.) dem Dierid Stuerbout nahe verwandt, 
das andere (nach innern und äußern Gründen, 1, 187) 
der Schule von Calcar zugehörig. 

Solche eigene Urtheile ſowie öftere Berückſichtigung 
der Farbentechnik, Zeichnungs⸗ und Anordnungsbefonder- 
heiten, und mande ausführliche Schilderung bemweifen 
zunächſt, daß ber Verf. fi) mit den Leiftungen der flan- 
driſchen Schule und der benachbarten deutſchen lebendig 
befaßt bat; bei den oberdeutfchen iſt er mehr von An- 
dern abhängig. Das Recht der beſtimmten Fritifchen 
Sprüche ift freilich da wenigſtens abzumägen fehmierig, 
mo es fi darum handelt, blos literarifch befannten Na⸗ 
men, wie Rogier van Brügge und Albert van Dumater, 
für welche äußerlich beglaubigte Bilder vermift werben, 
heftimmte Werke zu = oder abzufprechen. Indeſſen ftellt 
der Berf. die Inductionen, bie ihn leiten, deutlich hin. 
Bei Nogier hält er, ausgehend von den Zeugniffen, die 
ihn als eimen ber vorzüglichſten Schüler des Jan van 
Eyck und als den Kehrer des Hemling bezeichnen, den 
Begriff eines Meifters feft, der ben Übergang von jenem 
zu bdiefem in Technik und Sinnesweiſe darftelle, und 
wählt für ihn Werke aus, die neben der Selbftändig- 
Seit, wie man fie von bem Förderer einer Kunftrichtung 
erwartet, ven Charakter von Vorftufen fowol für Hem⸗ 
ling's Leiftungen als für andere bliden Laffen, melde 
bei großer Verwanbdtfchaft mit Hemling's Gemälden do 
von ihnen fich unterfcheiden. Wie Rogier's, erhält auch 
Hemling’s Auffoffung dureh ſolche Sichtung eime fefter 
abgegrenzte Beflimmtheit, wenn anders die neuvertheil- 
ten Werke ſich entfchieden genug mach den Eigenkhaften, 
wie ber MWerf. fie fihildert, wirklich unterfcheiden. In 
dem Maße als dieſe Beflätigung, die nur Angefichte 
der Wilder im Dft und Welt zu ſchöpfen ift, nicht ab- 
seht, wird dem Verf. das Verdienſt zukommen, die Ab- 
ſtufungen der flandrifihen Schule genauer als feine Vor⸗ 
gänger charakteriſirt zu haben. In Kugler's „Handbuch“ 
z. B. kann es dem Leſer auffallen, daß bei der allge 
meinen Charakteriſtik Hemling's der eigenthümlich ſtrenge 
Sinn, worin dieſer Meiſter die Eyckſſche Weiſe gefaßt, 
die -mindere Lieblichkeit feiner ernſten Geſichter, weniger 
zierliche Schlankheit der Geftalten, geringere Weichheit 


der Bewegung hervorgehoben, und dann doch bei Schil⸗ 


derung der einzelnen Werke nicht dieſe Prädicate, ſon⸗ 
den wiederholt die entgegengefegten: „‚höchfter Liebreiz”, 
„milder Charakter”, „vorzüglich fchöne Beftalten”, „freie 
Bewegung”, „zeurtkräftige Ausführung”, „wunderbare An- 
mirth warb Licbenswürbigkeit” bemerkt werben. Und die⸗ 


fer Widerfpruh konnte fih damit Löfen, daß bei jener . 
algemeinen Charakteriftit auch Werke, wie bie Tafeln 
aus St.⸗Omer, das Abendmahl zu Löwen, die Hippo- 
Igt:Marter zu Brügge und andere berüdfichtigt find, 
während bei den befondern Schilderungen die Eindrücke 
der anmuthigern, belebteen Gemälde vorwalten. Indem 
nun Hotho jene andern Bilder ausfcheidet, gewinnt fein 
Begriff Hemling's wenigftend größere Runbung und 
Einftimmigfeit, wennſchon die Möglichkeit divergiren- 
der Richtungen eines Künftlers im Allgemeinen nicht zu 
leugnen ſteht, und nur die genauefte Unterfuchung der 
Werke über das Recht ber Fritifchen Sonderung entfchei- 
den kann. 

Stufenfolge und Abzweigung der Malerkunftblüte 
des 35. Jahrhunderts nehmen fi alfo bei dem Verf. 
gefonderter- und folgerichtiger aus. Was dagegen ben 
Hauptoerlauf in der Entwidelung der Schulen und ihre 
tharafteriftifchen Unterfchiede gegeneinander betrifft, finden 
fi) bei den Verf. wefentlich diefelben Anfichten mie bei 
feinen Vorgängern. Nur hat feine Darftellung ein, fo 
viel ich fehe, eigenthümliches Verdienſt in der Rüdfich- 
rung diefer verfehiedenen Schulcharaktere auf ihre legten 
Stunde. Ihm ergibt fi die Grundform der malerifchen 
Anfhauung jedes Volkskreiſes aus der Stellung, die in 
demfelben das weltliche Bewußtſein zum religiöfen und 
fichhlichen hat. Mit Recht. Denn in jener Periode hatte 
ja die Malerei fast ausſchließlich religiöfe Beſtimmung. 
Der Sinn aber, in welchem die heiligen Gegenftände 
fidy der Phantafie darftellen, wird nothwendig von ben 
Graden und Weiten des Abftandes und ber Vereinba- 
zung abhängen, die nach Sitte und Empfindung der 
Vorſtellenden zwifchen ihnen und ihrem Himmel, ihrem 
befondern und dem ewigen Leben obmwalten. Dabei 
kommt es keineswegs bios auf die Meligiofität als fel- 
de, die Demuth vor Bott, das Heiligungsbebürfnig und ' 
VBerföhnungsvertzauen, fondern ebenfo fehr darauf an, 
was der weitlihe Sinn den Slaubensvorftellungen ent- 
gegenbringt und weiche Geftalt das irdifche Leben hat, 
bas in den heiligen Bildern den Erſatz feiner Mängel, 
ben Contraſt feines vermerflichen, die Verklaͤrung feines 
amnehmbaren Theiles erbliden will. Nun kann aber 
aller gegebener Stoff und Zug der Frömmigkeit fowie 
alle fonflige Bildung der Sinnlichkeit und bes Verftan- 
bes, Macht und Bier des Lebens, immer nur infoweit 
Mittel der Pünftlerifchen Darftellung werden, ale es im 
Sig und Brennpunkt menfhlicher Schöpfung, im Seltft- 
gefühle, bie individuelle Einheit eines freiumfaffenden, 
gefammelten und befeelten Blickes findet. Und fo wird 
in ber That das im Volkezuſtande begründete Selbſtge⸗ 
fühl, wie es beziehungsweiſe fein weltliche® und hetliges 
Leben zufammenhält, das erfte und legte Maßgebende für 
die Bilderſchoͤpfung fein. 

In diefer Hinſicht macht nım ber Verf. (II, 8) für 
die kirchliche Malerei der Deutfchen im Mittelalter auf 
den Unterfhieb geiftlicher und weltlicher Stäbte aufmerk 
fan. In ben geiſtlichen Stäbten, wo die Kirchenhaͤupter 
zugleich weltliche Herren find, eben darum aber theils 


dem geiftlichen. 

Wie fie im Leben Bifchof und weltlichen Deren in unmit: 
telbarer Einheit vor ſich fehen, ſich felbft aber, bei voller An: 
erfennung feiner doppelfen Macht, ihm gegenüber ebenfo felb- 
Händig und berechtigt empfinden, fo geben fie nun auch kuͤnſt⸗ 
leriſch den Geſtalten ihrer Mitbürger in religiöfen Charafteren 
und Situationen (oder den Firchlich: typifchen Geftalten, in de: 
ren Ausdruck fie die Gefinnung der Gemeinde fpiegeln), nicht 
ven Ausdrud der Schuld und Buße, der tiefen Verſenkung 
und Heiligung , fondern der unbefangenen Ruhe und glüd: 
lichen Sicherheit. 

In den königlihen Städten hingegen fällt der Kampf 
gegen geiftliche Herren, mit ibm aber auch jene bezie- 
hungsweiſe Steihftellung fort. Bier flreiten nur welt: 
fihe Stände untereinander, und die Kirche, viel weniger 
betheiligt in den Handeln, bleibt mehr nur geiftliche 
Macht, eim wirkliches Bottesreih. In der Kunft zeigt 
ſich dann ebenfalls dieſe Sonderung des Weltlihen und 
Geiftlihen. Eie hält Beides auseinander, ftellt das Welt: 
fihe treuer in feiner Eigenthümlichkeit und Mannich- 
faltigkeit, da8 Geiftige und Himmlifche, als deffen An- 
deres, feierliher und firenger bar; und fie bedarf, je 
mehr diefer Gegenfag, um deffen Vermittelung ed doch 
eigentlich fich handelt, in ihr heraustritt, eines um fo 
beftimmtern Ausdruds der Vereinbarung und Weihe, 
alfo auf Seiten ihrer weltlihen Geſtalten der Unter- 
werfung und Andacht. Hieraus erffärt es fih dem Verf., 
dag in der erften heitern Blüte deutfcher Malerei die 
bifhöflichen Städte den Vorrang haben, fpäter aber ge- 
rade in den weltlihen ber Ausdruck (nicht nur einer rei⸗ 
ern Natürlichkeit und ſchärfern Charakteriftit, fondern) 
einer firengern Andacht erfirebt und erreicht wird. Jene 
erfiere Stufe ftellt im erzbifchöflichen Köln und dem 
weitfälifhen Bisthum, die folgende in den flandrifchen 
Städten ſich dar. Schwerer möchte es zu beweifen fein, 
merm der Berf. hinzufegt, daß die oberdeutſche Schule 
(in der fich diefe unterfchiedene Bedeutung geiftlicher und 
weltlicher Städte für die Malerei nicht behauptet) ihren 
egenthümlichen Standpunkt erft auf nieberländifchen An- 
ſtoß zu finden gemußt. Einflüſſe der Niederländer auf 
die Oberdeutfchen find wol unleugbar; aber ruhen auf 
ihnen die Charaktere der bedeutenden unter den ober- 
deutfhen Meiſtern ? 


Es iſt daher der Abriß, den der Verf. von Kölns 
Lage und Geſchichte, befonders von der Entwidelung 
und den Stufen ber Bürgerfreiheit gibt (11, 8— 11), 
allerdings dienlich zum tiefen Verfländniß der dort im 
14. und bis im bie Mitte des 85. Jahrhunderts blühen- 
den Malerei, ihres unbefangen freudigen, fromm befeel- 
ten, feſtlich befriedigten Charakters. Und da die weft 
fältfche Schule derfelben Periode .der koͤlner nahe ver- 
wande erfcheint, ift auch die Nachweifung ihrer ähnlichen 
Grundlagen in den Städtezuftänden am Plag (Il, 12 — 
15, vgl. 174 fg.), desdleichen bei der flandrifchen Schule, 


67 


mit dem Machtfireben der Patrizier, theild mit dem de: deren Auffaffung, nach dem Verf., ausgehend von der 
mokratiſchen Beift der Zünfte zu kämpfen ober fih zu , Befchiedenheit Gottes und des im Meltichen fchon be- 
vertragen haben, fühlt der Künfkler wie der Bürger feſtigten Menſchen, ſich die tiefere Wiedervereinigung 
überhaupt fein weltliches Leben auf einem Boden mit durch erhabene Ruhe und Feierlichkeit der heiligen, 





gefammelte Ehrfurcht und Andacht der weltlichen Ge- 
falten zu ihrer Hauptaufgabe macht, iſt bie Schilderung 
der allgemeinen Zuftände von Werth. Die Gründe, die 
bier dem materiellen Leben größern-Neichthum und Glanz, 
bem Verkehr einen weitern Horizont, ber Einbildung eine 
buntere Weide, ber Tchatkraft größere Aufgaben und 
Mittel gegeben, werden (IT, 44 fg.) durchgegangen, und 
es wird gezeigt, wie das bier von Haus aus meltliche, 
unter burgundifcher Herrlichkeit politifch bedeutend geftat- 
tete Regiment, ber gegenüberftehenden geiftlichen Macht 
eine höhere und reinere Beftimmtheit lieg, den Hingang 
sur Kirche, da fie eine äußere Herrfchaft Hier nicht war, 
defto mehr zur innern Sache der ganzen Seelc und bei 
bem erhöhten Bemußtfein weltliher Fülle und Befonder- 
heit zu einem gefühlten, ausgefprochenen, feierlichen Acte 
machte. Was der Verf. ald gegeben und bewegt in der 
Volksart und Lage, der Geſchichte und dem zeitlichen 
Flor der Städte aufgezeigt hat, begründet, indem es im 
Brennpunkt einer Phantafie, die harmonifche Befriedi- 
gung anftrebt, gefammelt wird, die wefentlichen Kunft- 
charaktere der Eyck'ſchen Schule. 
(Die Fortſetzung folgt.) 





Karl Johann und die Schweden. Hiſtoriſche Skizzen 
von M. I. von Erufenfioipe. Zwei Theile. 
Aus dem Schwedifhen. Berlin, Morin. 1845. 
8. 2 The. 10 Nor. 


‚ Der ruhmwuͤrdige Schwedenkönig hat wenige Jahre nad 
feinem Tode ebenfo wenig als Wallenftein, Friedrich IL, Ra- 
voleon und andere berühmte Männer feinem Schickſale ent: 
gehen Fönnen, einer aufgepugten Romantik zu verfallen. Denn 
etwas Anderes ald ein mit allerhand gefdichtlihen und un: 
geſchichtlichen Notizen verbrämter Roman iſt das vorliegende 
Buch nicht, das fih als eine traurige Parodie auf Geijer's aus- 
gegeifpnete Denkſchrift auf Karl XIV. Johann zu erkennen gibt. 

n dieſer iſt die biedere, patriotifche Gefinnung des ſchwedi⸗ 
ſchen Geſchichtſchreibers überall fichtbar, bei Hrn. von Grufen: 
ftolpe aber dürfte man vergebens nad Spuren vaterländifchen 
Weſens fuchen; man erdennt nur, wie in beffen andern Roma: 
nen und Schriften, den unruhigen Liberalen, dem nun einmal 
in der heutigen Welt nichts recht ift. Sein Buch ift ein bun- 
tes Gemifch von Monofogen, fortlaufenden Erzählungen, Dia: 
logen in Zeßler 6 oder Schlenkert's Geſchmack, und allerhand 
bäfelichen Hofgefchichten und Anekdoten, die dann durch die 
unter dem Zert befindlihen Worte „Died iſt hiſtoriſch“ für 
gläubige Lefer zur unumftößlichden Wahrheit geflcmpelt jein jol- 

n. Auch fonft finden fich allerhand Gitate aus neuern Me: 
moiren, aber gerade aus den unzuverläffigften und unbedeu: 
tendften. Über des Krenpringen von Schweden Kriegsthaten 
in Deutſchland geht der Verf. — bier mit Recht — ziemlich 
rafch hinweg und vermeidet auch hier nicht Unrichtigkeiten. Die 
Erzählungen feines Auftretens und Benehmens in Schweden, 
die Schilderungen feiner Zurcht vor den Anhängern des ab: 
geſezten Königs, feiner Pinanıfpeculationen, feines Verkehrs 
mit Männern wie Engeitröm, Wetterftedt, Toll, Lindgren, Rü- 
diger, Maclean, Armfelt und Andere, alle diefe Dinge find fo oft 
entftelt und zum gewoͤhnlichſten Moman geworden, daß wir 
und weder mit ihrer Belobung noch mit ihrer Widerfegung 


abzugeben bewogen fühlen. Denn zur erftern ift Beine Beran⸗ 
taffung und bie legtere würden wir vergeben& bei dem großen 
lefenten Haufen, für welches Hr. von rufenftolpe fein Bud 
eichrieben hat, verfucgen. Nur ein foldyer kann an den Ge: 
ichtihen, wie und was Karl Johann zu eſſen und zu trinken 
pflegte und wie er die Bereitung des Punſch in Schweden ver: 
vollfommnet hat, Gefallen finden oder fi) vorſchwatzen laſſen, 
daß Karl Zohann ſtets zwei oder drei Dukaten für den Kammer: 
Diener, der ihm den Bart abnahm, hingelegt Habe, damit der 
Barbier gegen jede Anwandlung, das Meſſer als Mordwerk⸗ 
zeug zu gebrauchen, unempfänglid fein möge (I, mfg). Aus 
welhen Quellen: aber der Verf. feine Nachrichten uber das 
zärtliche Verhältniß zwifchen Karl Johann und dem Fräulein 
Mariane Koetull gefhöpft habe, möchten wir wol willen, da fol» 
her Neigungen weder Freunde noch Feinde des Königs von 
Schweden jemals Erwähnung gethan haben. Befagtes Frauen: 
zimmer war übrigens zugleich ber Liebling des alten Königs 
Kari XI. und man wird nicht ohne einigen Ekel die Scene 
(11, 182) leſen koͤnnen, wo der abgelebte Monarch die Wan: 
gen des ſchoͤnen Zräuleins freihelt und ihr dabei aus feiner 
langen Pfeife eine Rauchwolke in das Geficht blaͤſt. Eine 
echt tuͤrkiſche Situation! oo 
Die Überfepung lieft fih gut, fodaß ed wol für die Rou⸗ 
finierd in den Xeihbibliothefen cine ganz leibliche Speife fein 
wird; aber auch nur für folche. 20. 





Literariſche Notizen aus Frankreich. 


Studien über die engliſchen Zuſtände. 

“As fich Léon Faucher von dem rauhen Felde der Tages⸗ 
polemit᷑ zuruͤckzog, beklagte man allgemein den Ruͤcktritt dieſes 
ehrenwerthen, kenntnißvollen, begabten Mannes, welcher ſich 
auf dem Gebiete der Journaliſtik einen ehrenvollen Plag erftrit- 
ten hatte. Seitdem cr nun um verſchiedener Urſachen willen 
von der Redaction de „Courrier francais’ ‚abgegangen iſt, 
hat er ſich ernſtern publiciſtiſchen Studien gewidmet, von denen 
ein Theil in der „Revue des deux mondes“ niedergelegt- ift. 
Um feiner politifhen Überzeugung durch die Anſchauung frem: 
der Zuftände und Berhältniffe eine breitere Baſis zu geben, 
bat Faucher ſich nun längere Zeit in England aufgehalten. 
Die veife Zrucht diefer Betrachtungen ift ein publiciſtiſches 
Werk von bedeutendem Gehalte, welches vor kurzem u. d. J. 
Etudes sur !’Angleterre” (2 Bde.) aus feiner Feder erſchie⸗ 
nen iſt. Wir haben es bier nicht mit einem jener leichtfertigen 
Erzeugniffe der modernen Touriſtenliteratur zu thun, Die ſich 
niemals von der Oberfläche zu einer tiefern Auffaffung verirren. 
Das reiche Material, welches und bier geboten wird, ift wohl 

efichtet, den Beobachtungen, welche uns mitgetheilt werben, 
Et es nicht an einer fihern Begründung, und die Form iſ 
wuͤrdevoll und einem fo ernſten Thema angemeſſen. Der Berf. 
verfchmäht den eiteln Prunk unnügen. Raifonnements, indem 
er es vorzieht, Thatſachen und Zahlen fprechen zu laffen. Nie⸗ 
mand glaube aber deshalb, ed handle fich hier um einen trode: 
nen ftatiftifhen Bericht. Der Verf. hat es trefflich verftanden, 
den reihen Stoff, den er während feines Aufenthalts in Eng: 
fand mit unermüdlicher Thätigkeit gefammelt hat, zu einer 
äußerft intereffanten Darftelung zu verarbeiten. Beſonders 
werthvoll find die Mittheilungen, welche er über den Zuftand 
und die Verhältniffe der armen Volksclaſſen in England mad. 
Man fieht in der Art und Weiſe, wie er diefes Thema behan- 
delt, daß es ihm nit darum zu fhun war, auf wohlfeile 
Weife die ganze Litanei von Berwünfchungen, welche andere 
tiberale franzöfifche Yubliciften England gegenüber zur Hand 
haben, loszulaffen. Seine Darftelung ift in biefen Partien 
zum Theil wol ergreifend, aber nie läßt er ſich übertreibungen 
und Entftellungen zu Schulden fommen, von denen felbft mande 
deutſche Neifcberihte aus England nicht freizuſprechen ſind. 
Von nicht geringer Wichtigkeit ſind auch die Schilderungen, 


welche er von der engliſchen Wriftofratic, dieſem den engliſchen 
Verhältniffen fo eigenthümlichen Inftitute, entwirft, und Die 
Betrachtungen und Erörterungen, welche er an fie anknüpft. *) 


Die wiederaufgewärmte Memoirenfabrifation. 
Das Feuilleton verfchlingt ungeheure Maffen von literari- 
ſchen Productionen. Die Tagesſchriftſteller, welche fich dieſem 
gefräßigen Ungeheuer verſchrieben haben, find deshalb genöthigt, 
Ah nah neuen Duellen umzufehen, damit fie dem Bebürfniß, 
welches durch die Formatvergrößerung der Zournale im fteten 
Wachen begriffen ift, genügen koͤnnen. Auch die regfamfte 
Hhantafie ermattet unter diefer fortwährenden Production. Da 
bietet fi) nun plöglich die während der Neflauration fo ber 
liebte Memoirenfabrikation als ein bequemes Auskunftsmittel 
für die bedrängten Feuilletoniften, und gleich ftürzen ſich diefe 
ftetö fertigen Federhelden auf ihre leichtzuerwerbende Beute. 
Der Bibliophile Jacob ift zwar nicht der Erfinder diefer Zwit- 
tergattung, welche zwifchen dem Romance und der Geſchicht⸗ 
chreibung ſteht; aber er wird, wenn es auf die Maffe ans 
ommt, feinen Mitbewerbern gewiß die Concurrenz flreitig 
machen. Bir erhalten jegt von ihm ſolche Denkwürdigkeiten, 
welche angeblich aus den Papieren eines Hofmanns herrühren. 
Sie führen den Titel: ‚„Memoires secrets de G. T. B, duc 
de Roquelaure, precedes d’un essai sur les m&moires histo- 
riques’', von P. L. Jacob (2 Bde). Diefe Schrift zeigt recht 
eigentlich die Dürftigkeit und Nichtigkeit diefes ganzen Genre, 
das auch nicht Die geringfte literarifche Berechtigung hat. Die 
Scenen, welche uns bier geboten werden — fie find aus den 
gerröhnlichen Romaningredienzien: Kiebeshändel und andere tolle 
Streiche, zufammengebraut —, find zu cinem fo lofen Zuſam⸗ 
menhange verbunden, daß felbft unverwöhnte Lejer, die eben 
Beine hohen Anfoderungen an eine kuͤnſtleriſche Production ftel- 
len, nothwendigerweije eine gewiſſe Xeere empfinden. Dabei 
fühlt man, fo fehr ſich der Verf. auch befleißigt, dieſe Gemälde 
einer vaffinirten Verderbtheit bis ins Detail außguführen, doch 
überall die innere Unmwahrheit und den Mangel wahrer Ori⸗ 
ginalitat. P. Lacroix — dies ift bekanntlich der wahre Name 
des Bibliophilen — hat wirkliches Talent, mandye feiner Ros 
mane enthalten jowol in Bezug auf Erfindung als Darftellung 
vortrefflihe Partien; aber er produeirt viel zu ſchnell und da⸗ 
ber viel zu flüchtig als daß feine Compofitionen wirkliche 
Kunftwerde. werden könnten. Ia, man muß mit Bedauern bes 
merden, wie er feine fchönen Anlagen, je mebr ex fich bei feinen 
Productionen vom Gewinne leiten läßt, auf die Dauer immer 
mehr verflacht und verzettelt. 17. 





*) Faucher's Werk ift bereits ind Deutfche überfept worden und 
wir fommen noch darauf zuräd. D. Reb. 


Literarifhe Anzeige. 


Neu erscheint in meinem Verlage und ist durch alle Buch- 
handiungen zu beziehen: 


Genealogische Tafeln 


zur Staatengeschichte der germanischen und slawi- 
schen Völker im 19. Jahrhundert, 


nebst einer genealogisch -stotistischen Kinleitung, 
von 


.. F. M. Oertel. 
Quer 8 Geb. 1 Thir. 10 Ngr. 

Diese Genealogischen Tafeln dürften sich durch sorg- 
fältige Bearbeitung und zweckmässige typographische Ein- 
richtung für den Handgebrauch ganz besonders empfehlen. 

Leipzig, in Januar 1846. 


IF. A. Brockhaus. 


Verantwortlicher Deraußgeter: Heinrich Brodpaus, — Drud und Verlag von F. X. Brodpans in Leipzig. 


Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Sonntag, 





Geſchichte der deutſchen und niederländifchen Malerei ıc. 
Bon H. ©. Hotho. Erſter und zweiter Band. 


(Jortſequng aus Nr. 17.) 


Diefes Berdienft des Berf. würde heller hervortreten, 
wenn ihm bas Allgemeine und Befondere ineinander zu 
arbeiten (mas der wahre Stil einer Geſchichte Ift) beffer 
gelungen wäre. Er hat bie beiden Theile zu abgefondert, 
theitweife zerfallend behandelt. Erſt erzählt er die poli- 
eifche GBefchichte von Köln und Weſtfalen, dann charaf- 
terifirt er Kölns Malerfchule, wie fie in ihrer Blütezeit 
war, dann geht er zurüd auf die älteftbefannten Spu- 
zen und Notizen beutfcher Malerei — magere Erwaͤhnun⸗ 
gen, und Werke, die weit voneinander zerfiremt, wo nicht 
unerheblih, doch von jener vorher gefchilberten und in 
der vorausgeſchickten politiſchen Geſchichte begründeten 
Fölnifchen Malerkunſt noch ſehr entfernt find —, und dann 
erſt kommt er durch eine weftfälifche Vorſtufe bei ber 
letztern an. Es wäre doch natürlicher geweien, das Al⸗ 
tere und minder Entmwidelte, ftatt es zwiſchen die Ur- 
fadyen und die allgemeine Charakteriftit des höher Ent⸗ 
wickelten einerfeit und die nähere Darftellung des letz⸗ 
tern andererfeitd hineinzuſchieben, beibem fo in der Er- 
zählung wie es in der Gefchichte mar vorhergehen unb 
das wirklich Zufammengehörige unzerteennt in einer bün- 
digern Faſſung erfcheinen zu laffen. Auch die Behand- 
iung ber flandrifhen Schule, ohne Zweifel der bedeu⸗ 
tendſte Zheil des Buchs, hätte viel gewinnen fönnen, 
wenn ber Verf. mit mehr biftorifcher Kunft die alige- 
meine Schilderung und Beurtheilung, flatt fie in aus⸗ 
führlicher Geſchloſſenheit vorauszufhiden, mit den No- 
tigen und Kritiken von den einzelnen Malern und Bil- 
dern verwoben hätte. Das DBefondere würde dann min- 
der breit, ducch friſche Verſchwiſterung mit feinem Sinn 
und Geiſte tiefer, und, um e8 in feinem Begriff zu er- 
balten, nidgt fo viel Wiederholung des vorher öfter Ge⸗ 
fagten nöthig geworben fein. | 

In dem folgeriden Abfchnitt über die jüngere Schule 
von Köln und Weilfalen und bie von Galcar zieht bies 
zerlegende Berfahren wicht folhe Breite nach fich, weil 
bier des Materials viel weniger iſt; und ba dies Ma- 
terial wegen innerer Ungleichartigkeit verfdyiebenen Ge⸗ 
fichtspunkten heimfälkt, iſt es bier vielmehr zweckmaͤßig, 


18. Januar 1846. 


a nn nn 








daß ber Verf. die allgemeine Bezeichnung ‚ber Ummand- 
lung und ihrer theild zufammen- theils auseinander 
geheriden Richtungen voranſtellt. Am wenigſten aber 
will in den legten Stücken biefed Bandes, die den ſchwä—⸗ 
bifhen Malern des 15. Jahrhunderts und von ben 
Nürnbergern zunächft dem Wohlgemuth gelten, die Be⸗ 
gründung und Beurtheilung in ein ebenmäßiges Verhaͤlt⸗ 
niß wit der Ausführung des Einzelnen fommen. Nach 
der Erzählung, wie in den fehrwäblfchen Städten Bür⸗ 
gerfelbftändigkeit, Gewerbsbetrieb, meitgehender Handel 
heraufgeblüht, bemerkt der Verf., die Oberdeutfihen bät- 
ten hiernach ſchon früher eine ber flandrifchen verwandte 
Kunftrihtung entwideln können, „wenn ihre Gabe zur 
Malerei mächtiger und umfangreicher gewefen wäre”. 
Hieraus könnte man folgern, daß auch die obige Herlei- 
tung der flandrifhen Malerei aus den Stäbtezuftänden 
nicht erfchöpfend und ihre eigentliche Urfache doch eben 
eine befondere Gabe der Klamänder zur Malerei geweſen 
ſei. Da aber der Begriff einer ſolchen Gabe in der 
That nichts Anderes ifl als die abftract formelle Voraus⸗ 
fegung der pofitiven Urfachen, durch welche die Anfchau- 
ung eines Volks frei, in fi) gefchloffen mb in beſtimmter 
Welfe malerifh wird, fo ift die Berufung auf folche 
Babe noch neben angezeigten pofitiven Gründen eigent- 
fich nur das Geſtändniß, daß man bie fegtern noch zu 
abftraet, noch nicht in ber vollen gefchichtlichen Ausbil- 
bung gefaßt habe, welche die Bilder der Kunft als ihre 
eigenen Blüten an fih trägt. Der Berf. famı mit je 
ner Huferung diefen Mangel für feine Entftehungserfid- 
zung der flamändifchen Malerei einzugeftehen fcheinen, 
wenn er in Schwaben die gleichartigen Gründe ohne das 
gleichartige Mefultat anerkennt. Aber was er dort zur 
Erklärung anführte, waren in ber That bie wefentlihen 
Gründe. . Nur würde daß fie bie Erklärung ericgöpfen 
erſt dann ganz emleucten, wenn fie ins Beſtimmtere 
ihrer hiſtoriſchen Ausgeſtaltung, im bie Anſchaulichkeit der 
Sittenzüge und Lebensbilder verfolgt wären." Die Gei⸗ 
ſtigkeit jedes Zeitalters Hat zu ihrer Totalhaͤlfte die Sinn - 
lichkeit deſſelben. Und das muß ebenfalls von Seiten der 
legtern durchſchaut werden, wenn man feine fiunliche 
Idealvorftellung, die Malerkunft, in ihrer Beftimmtheit 
will entſtehen ſehen. Die Tracht und Gehabung des 
handelnden und gefelligen Lebens in den Momenten, wo⸗ 


70 


rin ſich am meiſten die Anſprüche und Formen des allge⸗ 
meinen Selbſtgefühls an den Tag ſtellen, ſind natürlich für 
den Widerſchein des letztern im Malerwerk die allgemei⸗ 
nern Mittel; und der ſtandesmäßige Antheil des Ma⸗ 
lers am anerkannten Selbſtgefühl, ſeine Bildung nicht 
nur für den Gedanken Deſſen, worein jetzt der Werth ber 
Geſellſchaft gefegt wird, ſondern auch für den geſelligen 
Ausdruck deſſelben, die Breite und Höhe feiner Mitbe- 
theiligung und Mitberechtigung an den wärmfien Span- 


nungen und Genüffen ‚des Zeitgeiftes bildet nothmenbig 


die nähere Vermittelung. Blickt man auf diefe VBer- 
mittelungen ber Malerfhöpfung, fo wird bei Verglei⸗ 
ung des ſchwaͤbiſchen Städtelebens mit dem flandrifchen 
der Unterfchied in den ähnlichen Bedingungen deutlich 
genug, um die ungleiche Entwidelung der Malerei ohne 
die Annahme eines ungleihen Maßes apriorifcher Gabe 
natürlich zu finden. Die vorausgefegte Gleichartigkeit 
der Verhältniffe ift zu abftract. Allerdings macht es ſich 
der Verf. felbft zur Aufgabe, ebenſo fehr ihre Ungleid)- 
heit an das Licht zu rüden, aber fo, daß neue Wider 
fprüche entftchen. Er fagt (II, 201): 

Die flandriſchen Städte bleiben nicht ganz von dem Ein- 
Auß ihrer romanischen Nachbarn frei. Kampf ift im Politi- 


fchen ihr eigentliches Element, und die Bermittelung kommt - 


mehr in Korm nothiwendiger Unterwerfung der einen oder ber 
andern Seite als durch jene Einigung zu Stande, zu welcher 
beide freier zufammengehen, weil die Harmonie urfprünglidh in 
ihnen liegt. Zugleich ift bei den Eyck felbft eine gewiſſe rit- 
terliche Zierlichkeit und fürftliche Vornehmheit in vielen Geſtal⸗ 
"ten kaum zu verkennen. Man merkt, daß Johann van Eyd 
Philipp dem Guten zur Seite fand. Der Yauptzug aber 
bleibt immer die religiöfe Ruhe und Firchlich » Patholifche Heili⸗ 
gung. Bon diefen Werken aus gibt ed keinen Übergang zu 
proteftantifher Sinnesweife. 

Dagegen weift er bei den OÖberdeutfchen bie frühen 
Keime der legten nad; dann im Politifchen die Liebe 
für das Stätige, die ſich mit der Freiheit in das Gleiche 
fegt. Aus jenen Keimen und Richtungen erklärt er an 
der fchwäbifchen Malerei die felbfigewiffern, im Böfen 
auffäffigern, im Guten mit Gott vertrautern Charaktere, 
aus diefer politifchen Ordnung die Milde und Freund⸗ 
lichkeit im Ausbrud, ähnlich der Fölnifchen und weftfäli- 
fen, zugleich aber aus der in Schwaberr erweiterten 
Dppofition gegen die ganze römifche Kirchengewalt das 
tiefere Gemüth und den durchgebildeten Ausbrud von 
fefter Kraft in Bildniffen, fomol ber anmuthigen und 
würdigen als der gemeinen und rohen Urt. Bei ihnen 
entfpringt, nach dem Verf., jene harmonifche Sicherheit 


des Stils, die bei den Kölnern wahrzunehmen war, zu⸗ 


gleich mit der reihern Bildnifwahrheit, zu der den leg- 
teen erft die Slamänder helfen mußten, aus der heimi- 
fhen Quelle, aus ihrem Städteleben felbft, kraft dem 
ungetrüßtern Einklang und der freien Ausbildung -deffel- 
ben, fodaß fie Beibes, jene harmonifche Charakterficherheit 
und biefe veichere Befonderbeit, fchneller und felbftändi- 
ger vereinigen. 
Nach alle Dem follte man billig von ber ſchwäbiſch 
Malerei eine reichere und reifere Vollendung als bei je- 
nen andern Schulen erwarten. Kommt man nun aber 


an das Beſondere, fo beftätigt fi dieſes keineswegs. 
Wie hoch man den Martin Schön ftellt, vollendeter in 
feiner Art als die Eyd in ihrer kann er nit heißen. 
In Wahrheit und Ebenmaß der Geftaltenbildung ſteht 
er nad ded Verf. eigenem Gefländniß (II, 213) unter 
ihnen. Am wenigften entfpricht jener obigen Voraus⸗ 
verfiherung, daß die fchwäbifhen Maler tiefe Bildnip- 
wahrheit mit barmonifcher Sicherheit und freier DOffen- 
heit des Charakters felbftändiger als die Riederbeutfchen 
vereinigt hätten, das bei Schön fo ſtark hervortretende 
phantaftifhe (Element. Der Verf. will es zwar nicht 
fo genannt wiſſen. Er fagt (II, 212): 

In feinen heraufgeputzten Henkern, feinen muthwillig flet- 
fhenden Knaben und geißelnden Knechten beweift Martin Schön 
erade am vollften ein naturtveues Studium. Er fteigert nur 
Bäufig die beobachteten Züge mit nachhelfender Energie. Die 
verſtaͤrkte Misbildung der rüuffelartigen Mäuler, die bodisartis 
gen Köpfe und Enöchernen Körper fol deutlicher noch die in» 
nere und äußere Berkehrtheit darthun. Wie ihn felbft jedoch 
der Sieg des Wahren innerlich froh macht, fcheint auch eini« 
gen feiner Figuren faft die eigene Häßlichkeit lächerlich und 
die eigene Bosheit Fein Ichter Ernſt. Giftigen Haß zeigen 
nur wenige, und faft Einer nur fchaut jedesmal drein als 
wäre er der Böfe felbft. 


Nun, was der Verf. hier fehildert, ift Das, was die 
ganze Welt „phantaftifch” nennt. Carikirte, ihren eige- 
nen Ausdrud aufhebende Figuren. find keine Charakter⸗ 
bilder, fondern Masten, in welchen das Subjective (die 
Froheit' des Malers, nad) dem Verf.) nicht zur objecti- 
ven Wahrheit durchgebildet ift, fondern die Intention 
der Phantafie einfeitig überwiegt. Ein folches Uberwiegen 
ift es, was der Name bes Phantaftifchen bezeichnet. Und 
tritt diefes innerhalb von Darftellungen auf, welche bie 
pofitivften Gegenftände der Volksbegeiſterung umfaflen, 
und ftellt fich in denfelben unmittelbar neben höchſt ernft- 
haft gemeinten Geftalten, fo dient es zum deutlichen Be⸗ 
weife, daß im Zeitgeifte noch etwas Unverbautes ift, daß 
die Bildungselemente beffelben jenen ungetrübten Ein- 
Hang und jene Selbftändigkeit noch nicht erreicht haben, 
bie der Verf. als das Auszeichnenbe gerade ber ſchwaͤbi⸗ 
fhen Schule nannte. 

Die Schüler des Martin findet er felbft nur in 
Rückſchritten begriffen. Bon der ulmer Schule theilt ex 
dem M. Schaffner, durch welchen ihr Typus zum End- 
ziel geführt wird (11, 225), eine geboppelte Richtung zu, 
einmal auf unmittelbar der Natur entlehnte Phyfiogno⸗ 
mien von berber fihwäbifcher Art, ohne Beſeelung durch 
den Ausdrud tieferer Empfindung, dann auf eble, ſchwung⸗ 
volle Formen, die er auch oft erreicht, fo doch, daß fi 
diefe geboppelte Richtung „nicht vollftändig verſchmelzen 
will”. Auch hier alfo bleibt „zwifchen ber reichern Par- 
ticularität der Charaktere und dem Ausdrucke freier Of⸗ 
fenheit in Anmuth und Würde” doch „ein trennenber 
Unterfhied übrig”, wovon der Berf. (II, 203) gerade 
bas Gegentheil aus allgemeinern Gründen behauptet hat. 
Man wird die verheißene felbftändige Vereinigung jener 
Elemente ebenfo wenig in Holbein’s des Altern Art nach 
folgender Charakteriftit finden können (11, 234): 

Kein oberdeutfcher Meifter hat den Gegenſatz offener An⸗ 





71 


und ertremer Haßüchteit ſchaͤrfet Yervorgehoben. Do‘ 


ie ign Holbein ohne gründliche Durcarbeitung nur auf die 


9. Bei den Riederdeutfchen erfcheint 

als brutale Roheit, die duch Äußere 

. Erft Martin Schön bringt die in- 

feine Geftaiten tun, ift ihr eigener 

hrem ganzen Charakter und Selbſt. 

der oben angeführten frühern Stelle 

von den ſich felbft verlachenden Figuren Schoͤn's, welchen es 

mit ihrer Bosheit Fein Iehter Exrnft if.) Hans Holbein folgt 

einer andern Auffaffung. Der Menfc, wie fündlid er fei, 

ſcheint bei ihm nicht eigentlich felbft böfer er ift nur vom 

Böfen befeffen. Es ift eine fremde Gewalt, die ihn willenlos 

fortreißt. „Der fchlaue Fürft der Welt ſchiebt die armfelige 

Treatur vor, um durch fie zu handeln. So kommen denn auch 

die wibrigen, Bormen bei veligiöfer Andacht nocd einmal zum 

Borfcein. ſir follen von der äußern Disharmonie auf kei- 

nen Misfang des Innern fließen. Ob ſchoͤn oder nicht, der 
Menſch kann doch rechtſchaffen und andaͤchtig fein. 

Dieſe Erklaͤrungen heben einander auf. Sind Fa⸗ 
ſchingemummereien Urſprung und Vorbild der Holbein'- 
ſchen Misgeſtalten, fo find fie nicht ernſtlich als Befef- 
fene aufzufaffen ; denn hinter der Faſchingsmaske ftedt 
der Luftige, gute Bruder, hinter der Verzerrung des Ber 
feffenen der böfe Feind. Dort ift die Haͤßlichkeit Aus- 
drud des Muthroillens, hier der Übermältigung, beidemal 
wird Accent, wiewol der entgegengefegte, auf fie gelegt, 
und fo ift es wieber ein ganz verſchiedenes Dritte, wenn 
fie nun „nody einmal”, diesmal aber zum Gontraft mit 
einer — da doch ter Maler das Innere einzig im Au» 
fern zeigen kann — ſchlechthin vorausgeſehten innern 
Harmonie zum Vorſchein kommt, in dem Sinne, daß 
aud der Misgebildete andächtig und rechtſchaffen fein 
Tonne. Da ift die Häßlichkeit indifferent, die dort fo- 
miſch ober tragifch betont war. Gefegt, ber Verf. Eonnte 
Holbein’s Earicaturen diefe disparaten Abfichten anfehen, 
fo durfte er fie nicht eine „Gefammtrihtung” nennen, 
wie im gleich Folgenden: 

eiber geht ihm für diefe Gefammtrichtung dad unermüd · 
liche Er A & — 1 nd engern Kreife 
von Phofiognamien, die er nur ftüdweile aus der Ratur 
Schöpft, und dann häufig bizarr und phantaftif zufammenfügt, 
ohne ben Bwiefpalt von Inhalt und Borm dur tiefen Aus: 
duck zu vergüten ober zu löfen. 

So weift denn der Verf. weber in Colmar noch in 





Um noch Augsburg an ber ſchwaͤbiſchen Malerei den 
durchgebiideten Ausbrud von fefter Kraft, der aus der 
erweiterten Oppofition gegen die roͤmiſche Kirchengewalt 
fliegen — und die Verfhmelzung engerer Charafteriftit 
mit harmonifcher Form, die aus dem Innern Einklang 
des Stäbtelebens folgen follte —, genügend nad, öfter 
vielmehr das Gegentheil. Und hält man feft, daß eine 
befriedigende Vermittelung zwiſchen proſaiſcher Bildniß · 
wahrheit ober ſchroffer Charakteriſtik einerfeits und ibea- 
ler Schönheit andererfeitd in biefer Schule im Ganzen, 
und noch mehr in einzelnen Meiftern wirklich vermißt 
wird: fo fällt noch weiter die einfeitige Faſſung auf, in 
der fie der Verf. zur fränkiſchen Schule in Verhältnig 
bringt, nur um den Fortſchritt im Begriff zu behaupten. 
Er fagt von den nürnberger Malern aus der zweiten 
Hälfte des 15. Jahrhunderts (11, 246): 

Ihre Aufgabe ift einfach: Das auszubilden, was Martin 
Schön, die ulmer Schule und Holbein unerledigt laffen. Das 
Anmuthige und Liebliche wie die innere Harmonie Präftiger 
Eharaktere gelangen den Weiftern im Elſaß und in Schwa⸗ 
ben in hohem Grade. Doch um deswillen eben mildern fie 
gan alles Strenge oder nehmen es gar nicht auf. Das hö- 
ere Ziel aber liegt nicht in dem bloßen Vermeiden. Seibſt 
das Scharfe muß fi die Darftelung, wenn et nöthig wird, 
einverleiben, um es in echter Mäßigung in Fluß und Ein- 
Hang zu bringen. J 

Nun iſt alſo auf einmal wieder der Stil jener Schule 
nur anmuthig und iieblich, das Strenge und Scharfe hat 
fie nur gemildert oder gemieden. Und doch hieß es ſchon 
bei Martin Schön (11, 210 fg.): „Solche Anfhauung 
fheut am menigften die Darftellung härtere Extreme * 
— ‚mit geiftoollem Auge lebt er ſich in die Raturaus- 
ſchweifungen menfchliher Structur und Phyfiognomien 
ein.” „Selbft Dürer kaum verfieht es, wie er, die 
Nachtfeite in wirklichen Individuen zu veranfchaulichen.” 
Dann von dem ulmer Zeitblom (Il, 222): „In feiner 
Jugend mit ſcharfem Blick ftreng, ja herbe felbft auf 
Harakteriftifche Form und @eberde hingewandt” u. f. w., 
und von feinem nörblinger Bilde: „Die Gefihtsbilbung 
in dem Volt und den Knechten ift ungemilbert haͤßlich, 
doch höchſt individuell.“ Wenn fih nun fpäter feine 
„Schärfe ber Charakeriftit mehr und mehr mildert”, war 
fie doch fein fehlendes, kein unerledigtes Moment in der 
fhwäbifhen Schule, wie ja aud bei Schaffner die un- 
mittelbar natürlichen, derbſchwaͤbiſchen Phyfiognomien in 
hiſtoriſchen Bildern nicht der Anmurh und Milde-halber 
gewaͤhlt fein konnten, und endlich Holbein der Altere, nach 
dem Berf.: „den Gegenfag offener Anmuth und ‚ertre- 
mer Häßlicgkeit, wenn auch ohne gründliche Durcharbei · 
tung, auf die Spige getrieben.” 

(Die Bortfegung folgt.) 





Romanliteratur. 

1. Die legten Tudors auf dem Xhrone von England. Ge 
ſchichtlicher Roman von Wilhelmine Softmann. Erfter 
und zweiter Band. Braunfchteig, ©. ©. . Meyer sen. 
1845. 8. 4 Zr. 

Das vorliegende Werk möchte wol cher als geſchichtlicher 

Romon romantifiste Geſchichte genannt werben; das Roman« 


.i 





72 


e bleibt Zuthat und bie Wichte wird mehr in ihtem 
—*ãſ als in ihrer ee heit, doch if fie in der 
üpr verliehenen Form recht anfpreddend und genießbar; bie 
hiſtoriſchen Geftalten treten vor den Refer, wie er fie feit ſei⸗ 
ner Jugend fich gedacht hat. Das Streben, die Geſchichte zu 
berichtigen, welches jegt alle Hiſtoriker befeelt, Hegt der Verf. 
fetn, doch hat fie mit vielem Talent das Bekannte wieder auf 
gefaͤrbt und das Zodte befebt. 

Bor und liegen zwei Bände, jeder in zwei Theilen. Der 
erfte Theil des erſten Bandes enthält „Die Beige Maid von 
Kent“ und beginnt mit Heinrich's VIII. Ehefcheidung von Ka⸗ 

arina und feiner Bermählung mit Anna Boleyn. Das Mäd- 
von Kent ift eine Prophetin, weiche durch Prieſterraͤnke 
in den Zuftend der Eraltation verfegt den König tadelt wer 
gen der gebrochenen Ehe und der neuen Verbindung mit einer 
Keperin flucht. Der zweite Theil des erften Bandes gibt und 
das Bild der heitern, fhonen Anna Boleyn in ihrem Über: 
muth und in ihrer VBergnügungsluft, welche fie zum Schaffot 
führt. Vorher fahen wir Wolfey’s Intriguen, feinen Sturz 
und feinen Tod; zu Anna's Hinrichtung führt er den entſchei⸗ 
denden Streich durch fein Bermächtniß an den König, welches 
in ihrem Briefwechſel mit ihrem erften Geliebten befteht. 

Ein anderer Theil zeigt und des Königd Heinrich VIE. 
Hof. Begebenheiten häufen jih auf Begebenheiten. Marie, 
die Tochter Katharina's, folgte der Mutter in die Berban: 
nung; Anna Boleyn binterläßt Elifabeth ; beide Zöchter wer⸗ 
den für illegitim erfärt. Heinrich vermäblt ſich ſogleich nach 
Anna's Tode. mit Johanna Seymour und verliert fie bald durch 
den Zod; fie hinterlich den neugeborenen Prinzen Eduard. 
Sept folgt die Vermählung mit der ungeliebten Anna von 
Kleve. Der König läßt ſich von ihr Icheiden, um Katharina 
Heward zu heirathen. Während dieſer häuslichen und Fami⸗ 
lienwirren fpielen die religiöfen Angelegenheiten im Lande eine 
große Rolle und die Verf. weiß den Kampf der Parteien, die 
despotifchen und inconfequenten Gingriffe des Königs, feine 
Grauſamkeiten fowie feine wechfelnden Unfihten und Launen 
ſehr lebendig an dem Lefer vorüberzuführen. Der König ftirbt, 
und Eduard IV. befteigt den Zhron, cin Kind von 13 
Jahren. Abermald fehen wir Intriguen, die der Vormund⸗ 
ſchaft nämlich; in Folge diefer Seymour's und Somerſet's 
Hinrichtung. Dann wird Maria's und Elifabeth 6 Entwide: 
lung gefchildert; dad Interefie des Leſers wendet ſich Letzterer 
zu, deren Kinderleben ſchon bie fpätere Geiftesüberlegenbeit 
verheißt. Der vierte Theil bringt und bi6 zu Eduard’ IV. 
%od. Der dritte Band, aus dem fünften und fechöten Theile 
beftehend, ift uns verheißen, Doch noch nicht übergeben worden. 
Weit entfernt, von dem Lefen der vier Theile ermübet zu fein, 
verlangt und nach den folgenden, welche „Eliſabeth's erfte 
Liebe’ und den „Prätendenten“ enthalten fellen; die Ge: 
fchichte befchäftigt unter ſolch romantiſcher Beleuchtung ebenfo 


Teicht al8 angenehm. Die Epifode des Mädchens von Kent 


erfchien uns indeß zu lang, zu ableitendb von dem Faden ter 
geſchichtlichen Begebenheiten; auch fie erwartet ihr Ende mit 
dem legten Theil. Der junge Fig Patrik, welcher im erften 
Theil als Page der Königin Katharina in die Dienfte der 
Anna Bolepn überfritt, Spielgefährte Eliſabeth's und fpäter 
Eduard's, fodann deffen Breund wird, erhielt vom fterbenden 
König Heinriy VIII. den Auftrag, das Mädchen von Kent, 
welches feine Verfolgung in die weite Welt getrieben bat, wie: 
der aufzufinden. Zu diefem Zweck begibt er ſich auf Reifen. 
Er ift mit großer Vorliebe von ber Verf. aukgeftattet, ein lie: 
bensiwürdiger Menfch und Gofcavalier, welcher eine Feine Rei: 
ng zur Prinzeſſin Elifabeth verräth und immer zur rechten 
it kommt, um zu fihügen und zu zetten. -Wir koͤnnen das 
Buch in jeder Hinfiht empfehlen. 
2. Don Manuel Godoi. Ein Roman. Drei Theile. Leipzi 
. 188. 8. Zhlr. 25 Ryr. u er 
Der Berf. bat fi nicht genannt und wir vermuthen aus 


Veſcheidenheit, welche gewöhnlich das Attribut des Verdienſtes 
iſt. Der Held iſt Don Manuel Godoi, welcher ſich vom ar⸗ 
men Edelmann durch die Liebe der Königin Iſabella von . 
nien und durch die Gunft ihres Gemahls zu den hoͤchſten Eh⸗ 
renſtellen bis zur Würde eines Herzogs von Alcudia empor: 
chwang. Seine Memoiren, die er ſelbſt am Abend feine Er: 
end nieberfchrieb, beginnen 1792 da, mo der vorliegende Re 
man fehließt, nachdem bie Heldin Iofephine, feine ihm heimlich 
angetraute Gemahlin, am langfamen Gift der ciferfüchtigen K- 
Min geftorben ift und feinem Herzen eine ſchmerzliche Wunde 
efhlagen bat. Der Hof Karl’s IV., deſſen Verhaͤltniß zur 

yonen coquetten Gemahlin, welche feine Gleichguͤltiakeit im 
@iferfucht umgewandelt hatte, bildet ein intereffantes Hi 
ſches Gemälde, wozu bie zableeihen Schilderungen fpanifcher 
Sitten und Gebräuche jener Beit einen paſſenden Hintergrund 
abgeben. Ber Roman fegt fleißige Studien zu diefem Hinter 
grund voraus, Do ift er Fein Kunſtwerk, nicht gehörig eins 
gerahmt und leidet an einer Überfülle von Perfonen, die ei- 
gentli zum Berlaufe der Gefchichte nicht nöthig find und oft 
an ben Bilderkaſten erinnern, der ein Wild auf das andere 
folgen läßt ohne gehörigen Bufammenhang; doch find alle Cha⸗ 
raktere mit Sorgralt behandelt und ihre Handlungsweiſen ger 
börig motivirt, ihre Gefühle in allen Schattirungen gefchil- 
dert. Die Mannichfaltigkeit der agirenden Perfonen könnte 
füglich als eine Ruſterkarte der ſpaniſchen Rationalerfcheis 
nungen jener Zeit gelten und ift eins der Verdienſte des 
vorliegenden Werke. 


3. Phantafiebilder eined Blinden. 
8. 1 Zr. 10 Nor. 

Es iſt ein großes Unglüd, an den Augen zu leiden und 
den gewohnten Beihäftigungen entrüdt gu werden; es ift aber 
auch ein großes Unglüd, wenn man die Erheiterungen feiner 
dunkeln Stunden für geeignet hält, dem Yublicum vorgelegt 
ie werden, und auf diefem Punkt biind bleibt, felbft wenn das 
eibliche Auge wiederbergeftelt ift. Die Erzählungen oder viel- 
mehr Skizzen find kurz, unbedeutend und ch trivial. Wie eb 
alten Männern zu geben pflegt, blieb auch dem 6Yjährigen 
Blinden von der Liebe nur die Erinnerung an den matertel: 
len Genuß zurüd, während das euer der Leidenfchaft ver- 
loͤſcht iſt. Die an den Gefchäftsftil gewöhnte Feder war nicht 
mehr tauglich zum Dienft der Romantik und ed wäre zu wün- 
ſchen, wenn bie 16 Gefchichten des umfangreihen Bande 
nicht im Drud erſchienen wären. 46. 


Berlin, Worin. 1845. 





netdorte. 


‚ Auf der Lömwenburg bei Kaffel lag vor ber weſtfaͤliſchen 
Zeit eine Invalidencompagnie ald Befagung. Ray Gtiftung 
des Koͤnigreichs Weftfalen begnügte man ſich bamit, dieſe un: 
ſchaͤdlichen Krieger eine neue Uniform an umd einen neuen 
Eid ablegen zu laſſen; ſonſt blieben fie in ungeftörter Vergeſ⸗ 
fenheit. Als der Kurfürft Wilhelm I. im November 1813 feine 
Erblande wieder in Befig genommen hatte, wurden nebft allem 
Andern auch fofort die herfömmlichen täglichen Spazierfahrten 
nah Withelmbhöhe und der Lowenburg, wo man fich beeift 
hatte, die alten kurheſſiſchen Uniformen nebft Zöpfen und an 
term Zubehör bervorzufuchen, wiederbergeftelt. Gleich bei 
der erften derfelben trat der bejahrte Unteroffizier nach dem 
frühern Herfommen an ben Schlag des turfürftlichen Wagens 
umd meldete: „Habe Ew. Königl. Hoheit unterthänigft zu ver: 
melden, daß feit Höcftdero (egtem Hierfein nichts Neues vor⸗ 
gefallen.” Bon 1806 — 1813 nichts Neues! Und fol folche 
Meldung dem Kurfürften unter Ullem, was er bei feiner Heim- 
* ſehen und hören mußte, fo ziemlich am beſten acer 

aben. . 


Berantwortliher Herausgeber: Heinrich Wrodpaus. — Drud und Verlag von J. X. Brodyans in Leipzig. 
nn 


Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Montag, 


nn nn nn en en en. 


Gefchichte der deutfchen und nieberländifchen Malerei ıc. 
Bon H. ©. Hotho. Erſter und zweiter Band. 
(Kortfegung aus Nr. 18.) 


In der That kann die Aufnahme des Strengen, 


Scharfen oder wie man ben einfeitig gefchloffenen Aus⸗ 
druck in fraͤnkiſchen Bildern nennt, als etwas Neues 
nicht bezeichnet werden. Etwas Anderes wäre ed, wenn 
es fih ihnen bergeftalt einverleibe fände, „um es in 
echter Mäßigung in Fluß und Einklang zu bringen”; 
denn Das war ed, was der ſchwäbiſchen Schule nicht 
genug gelingen wollte. Solche Ausgleihung aber zeigt 
uns der Verf. zunächft bei Wohlgemuth auch nicht 
auf (II, 253 fg): | 

Schroffes befümmert ihn wenig; er fieht auf verfländliche 

tüchtige VBezeihnung mehr ald auf Freundlichkeit; felbft das 
Srelle in Korm und Ausdrud gibt ihm feinen Anftoß. Er 
fommt den Eyd und ihren Schulern in feiner Durdbildung 
der Form und Farbe nicht nahe. In Charakteriſtik, Geberden 
und Stellungen bleibt er oft unbehülflicher, in reichhaltigen 
Motiven aus dem wirklichen Leben bandfefter. Der zarte Ge: 
ſchmack, der aus der Grazie der Seele fließt, feheint ihm ab» 
zugeben. Kinder und jugendliche Geftalten werden bei ihm 
leicht in den nadten Theilen durch fteife Edigfeit haͤßlich. 
Überhaupt fteht er im Studium des menfchlichen Körpers und 
ristiger Beichnung hinter den Niederländern faft ebenfo weit 
zurück als er in klarer Schönheit und Tebendiger Abrundung 
bewegter Gruppen von Martin Schön übertroffen wird. 

Und id) fürchte, felbft bei Dürer, überhaupt in ber Blüte 
der fränfifhen Schule im Anfang bes 16. Jahrhunderts 
wirb eine flüffige Verbindung der Charakteriſtik zu har⸗ 
monifcher Geſammtſchoͤnheit als erftrebtes und behauptetes 
Moment diefes Malerkreiſes ſich nicht darthun laffen. 

Geben wir auf der andern Seite zu, daß im Gan⸗ 
zen in der ſchwäbiſchen Schule mehr Streben nad ge- 
rundeten Charakteren und anmuthigen Formen, in ber 
fräntifhen mehr nach feharfbegrenztem, ſtarkem Ausdrud 

zu bemerken ſei, fo foderte doch im jener das nebenein- 
teetende theils profaifche theils bizarre Element feine hi⸗ 
floriihe Begründung, und konnte in der legtern die ähn- 
liche Erſcheinung nicht ale Fortfihritt zu Dem, was bie 
erftere übrig gelaffen, erklärt werden. Der Verf. ver 
knüpft die ſchwäbiſche und Fränkifche Schule unter dem 
Begriffe einer dem Übergange zum Proteflantismus ent- 
fprechenden Zunahme des perſoͤnlich felbfigewiffen Ver⸗ 
flandes und weltlihen Ernſtes. Ruhte in der rheini- 


RER Nr. 19, — ⸗ 


— 


19. Sanuar 1846. 


[hen Schule bie einfah heitere Harmonie auf dem 
Gleichgewichte des Weltlichen und Geiftlihen, in der 
flandrifchen die duch eine blühende Beſonderung er- 
goffene erhabene und feierlich anmuthige Einheit auf ber 
fatholifchen Unterwerfung einer bewußten Weltlichkeit 
unter bie geiftlihe Macht und Herrlichkeit, fo fegen bie 
ſchwaͤbiſchen Schulen im feimenden Proteflantismus an 
die Stelle diefer Einheit aus gebotener Ehrfurcht und 
Andacht (II, 250) 

die Anmuth innerer Harmonie und die felbftgerifie Befrie: 
digung, und mehr noch bilden die Meifter von Nürnberg 
diejenige Schule, aus der unmittelbar Dürer entfpringt, ein 
Genius, der Reformation enger verwandt als irgend ein ander 
rer von allen bisherigen Malern. Der Zortfchritt zu Dürer 
hin muß jegt ſchon an ihnen fihtbar werden. Selbſt in der 
Rahbildung flandrifcher Phyfiognomien und Seelenſprache ver: 
fhwindet daß eigentliche Kirchliche. Alles wird menſchlich⸗ ſelb⸗ 
ſtaͤndiger und weltliher. Das ftumme Sinren des ganzen Ge⸗ 
müth& verwandelt ſich zum klaren Nachdenken, das innig ver: 
fhloffene Gemüth zum redenden Berftande, und wenn aud 
eine noch fchärfere Hoheit hindurchwaltet, fo iſt es doch Mehr 
ein obrigkeitlicher Ernft, und ihm gegenüber eine bürgerliche 
und häusliche Ehrfurcht. 

Diefe Abflufung, die eine im Allgemeinen richtige 
Unterfheidung begründet, hebt an berfelben in Betreff 
ber oberbeutfchen Malerei nur die pofitive Seite hervor 
und läßt die negative, die, wie gezeigt, am Beſondern 
zum Vorſchein kommt, unerklärt. Warum fieht, wenn 
man auf das Malerifche im engern Sinne fieht, auf 


Einheit und Klarheit des Lichts, Anmuth der Gründung, 


Reichthum und Verſchmelzung der Töne, Einigkeit der 
gemüthlihen Stimmung, die oberbeutfhe Malerei im 
Ganzen hinter ber flandrifchen zurüd? Warum macht 
fih in ihr das Trockene, das Häßliche, das Barocke brei- 
ter und fchroffer als in ber legtern geltend? Auch Diele 
andere Seite konnte der Verf., obmwol er ed nicht aus- 
gefprochen bat, in Verbindung denken mit ber Entwide- 
lung proteftantifcher Geſinnung in Oberdeutfchland. Die 
felbe fegt eine größere Nüchternheit der Sinnesart vor⸗ 
aus. Müchternheit erträgt nebeneinander die Gegenfäge 
der Erfahrung unter ſich und 'gegen Foderungen bes Ge⸗ 
müths, ohne fie im Feuer der legtern zu überfehen ober 
zu verichmelzen. Ihre Anfchauung ift fomit trodener, 
profaifcher, ungleihmäßiger im Ganzen. Daher das grö- 
fere Recht, das die fehmäbifche Malerei dem Abfonder- 
lichen und Häßlichen einräumt. Die Wiberfprüche ber 


Anſchauung wirken dann zurüd auf Gemüth und Em- 
pfindung, deren Streben nad) Befriedigung und Abſchluß 
unterbrochen wird. Zunaͤchſt macht ſich darum dies Stre⸗ 
ben felbft für fich bemerklich, weil es gereizt bleibt ohne 
endliche Erſchoͤpfuag. Daher bie fihtbare Bemühung 
der fhwäbifcgen Malerei um ammuthige Rundung idea» 
Ver Geftalten. Weil aber in ber nüchternen Grundftim- 
mung bdiefe Harmonie nicht vollendet ift, fällt nothwen⸗ 
dig ein Theil der thätigen Empfindung in die Unbefrie- 
Digung, ein Theil der Phantafie in bie Lücken unge- 
fchloffener Anfhanung, ein Theil der Stimmung in die 
Verſtimmung, und erzeugt dad Wibderlihe, das Will- 
ürlichgebildete und Verbildete. Diefer Außerung, obwol 
Geftändniß der Unbefriedigung, wohnt eine untergeord- 
nete Befriedigung bei, weil doch das Gemüth, indem bas 
innerlich Störende von ber Thätigkeit erfaßt und in Vor- 
flellung herausgefegt wird, Erleichterung findet. Dies 
Wohlgefallen, dem Hervorbringen bes Willkürlichen und 
Misbildeten beigemifcht, prägt es zum Phantaftifhen; 
wie es bei den ſchwaͤbiſchen Malern fich wiederholt auf- 
hut. Es tritt neben das anmuthig Gerundete und ficht 
mit ihm in fhroffem Gegenfag. Alſo nicht blos „bie An- 
muth innerer Harmonie” und „Die ſelbſtgewiſſe Befriedi⸗ 
gung“, wie fie theilweiſe in Compoſitionen und Bidnif- 
figuren fehwäbifher Mater ſich ausſpricht, fondern aud) 
die ungefchloffene Befriedigung, auch die unharmoniſche 
Selbſtgewißheit und ein Gefallen am Anmuthlofen, am 
Widerfprechenden hätte ber Verf. aus feiner Theſe her- 
keiten follen. 
Warum num aber find die Oberdeutſchen nüchterner 
und, wie wir fahen, gerabe darum auch wieder phanta- 
flifcher als die Slamänder? Der Grund muß voltsthüm- 
lich wie die Erſcheinung fein; er muß in ihrem Staͤdte⸗ 
leben liegen. Auch an diefer politiſchen Grundlage hätte 
der Berf., im ihrer Vergleichung mit ber flandbrifchen, 
von dem „ungetrübtern Einklang des Städtelebens” eben- 
falls die Begenfeite hervorheben follen, das gelaffenere 
Mebeneinanderbeftehen des Ungleihen. Sieht man auf 
den politifhen Buftand in meiterm Umfange, fo teitt 
gleich der Gegenfag hervor, daß bie Eyck'ſche Kunft in 
Flanderns mächtigfter und giänzendfier Epoche, bie 
ſchwaͤbiſche Malerei in der Zeit ſchon entfchiebener Ab⸗ 
ſchwachung des Reiches auflam. Dort war bie politifche 
Geſammtmacht, das burgundifhe Rech, in voller Blüte 
und Pracht, nach außen wachfend und zu den Tühnften 
Anfprühen erhoben, nad, innen als zufammenhaltendes 
Regiment ftärker denn vorher und nachher. Hier war 
des Kaiſers Anfehen tief gefunten, die Reichtmacht im 
Zerfall. Ließ auch diefer Zerfall in manchem Betracht 
gerade den Städten Raum ur felbfländigern Entwide- 
kung , fo tonnte doch dem Bürger das größere Ganze, 
dem er fid noch angehörig mußte, weder Ehrfurcht noch 
‚Bertrauen genug einflöfen, um bedeutend auf fein Selbſt⸗ 
gefühl zurückzuwirken. Der flandrifche Bürger konnte 
ſtolz fein fowol anf den Wiberhalt feiner Stadt gegen 
den burgunbifchen Herzog, ale auch ‚auf deffen mahrhaft 
koͤnigliche Macht und Herrlichteit. Ex fah fie mit Au⸗ 


m — — — — 
— — — — — — — — — — — — — — — —— — — —— 


74 


gen in ihrer gewaltigen Thaͤtigkeit, die ihn ſelbſt doch 
night drücken burfte, in ihrer prachtvollen Entfaltung, 
von welcher ex felbft ein fhmuder Theil war, und in 
ben glänzenden Feſten, die er mitgenoß. Der beutfche 
Bürger fah ſeinen Kaifer bazumal felten ober gar nicht, 
und während er ebenfe felten feine Macht ober Hülfe 
empfand, konnte er etwa hören, wie er in Böhmen ober 
Ungarn von feinen Unterthanen mishandelt worden oder 
in Haft gebracht fei. Das Selbſtgefühl des Flamanders 
hatte aljo einen weitern, reichern, vollern Kreis. Konnte 
nun ſchon der Schwabe in feinen ftädtifgen Grenzen 
und Rechten fi ficher und ſtark fühlen, fo war bies 
doch auch in dieſem Bebiete bei dem Flamaͤnder in grö- 
ferm Umfang und feit länger und in höherm Grabe 
ber Fall, ſodaß er bie flädtifche Freiheit ſchwunghafter 
als jener übte und empfand. Was den politifhen Hori- 
zone des ſchwäbiſchen Bürgers in jener Zeit und in ei- 
ner etwas feitern Geftalt ale ber Reichsverband zeigte 
ermeitern Eonnte, war ber Schwaͤbiſche Bund. Derfelbe 
war jedoch, als die Malerei in dieſen Städten fich ent- 
faltete, etwas Neues von ungemiffer Dauer, hatte zudem 
zum weſentlichen Intereſſe die Rothwehr nad) aufen, 
konnte auch, weil bier Städte zufammenflanden mit Prä- 
laten, Grafen und Rittern wider eben folche, nicht: fo 
einfach das politifhe Selbftbemußtfein der Bürger heben. 
Auch er wandte fi wie die andern über das Weich⸗ 
bild hiausreichenden Aufgaben der Städte vornehmlich 
in dem Sinne an die Klugheit der Bürgerfhaft, ba 
fie mit den mechfelnden Zuftänden und Fehden ber fie 
umgebenden Eleinern und größern Mächte möglichft vor- 
theilhaft fi abzufinden wife. Kurz, alles Yolitifche, 
was als gemeinfame Schwungfeber und Bildungsform 
bürgerlicher Thatkraft die allgemeine Geibftanfchauung 
heben und erfüllen mag, ftellt ſich bei den Oberdeutfchen 
jener Zeit theild befhränkter theils zerlaffener und un» 
beftändiger al& bei ben Flamaͤndern dar. Gleich einge» 
wurzelt zum mindeften in ihren Freiheiten, gleich kampf⸗ 
geübt zum mindefien, hatten die flandrifchen Bürger⸗ 
fehaften eine fefter gedrungene und ficherer überfchauliche 
Stellung zu ihrer Obermacht und ihren Nebenmächten, 
und bei aller Gelegenheit und Luft zu Kämpfen und 
Händeln auch bebeutendere Mittel in einer fo viel Hö- 
hern Blüte ihrer Zuſtände. Denn wie hoch man Ge- 
wert und Handel, Reichthum und Luxus ber fchmäbi- 
ſchen Städte im 15. Jahrhundert anfıhlage, fo koͤnnen fie 
es doch in alledem den flandrifchen beimeitem nicht gleich 
thun. Da war Seehandel mit größern Märkten, ſichern 
Wegen, ba regte fi in den gebrängten Bevoͤlkerungen 
großer Städte die mannichfaltigfte, kunſtreiche Induſtrie, 
dba waren einzelne Zünfte flark genug, gegen Fürften 
und Könige zu Triegen, umd verbreitete Reichthum umd 
Draht fi dergeftalt, daß ſchon im 13. Jahrhundert Die 
Königin von Frankreich beim Unblid der Bürgersfrauen 
zu Brügge ausrief: „Ich glaubte hier die eingige Könt- 
gin zu fein, und hier erhlide ich deren 600.” Der 
Handel und Wohlftand oberdeutſcher Staͤdte kounte bei 
aller Thaͤtigkeit und: Umſicht, beeinträchtigt ‚wie er war, 


L 
Schahungen, bie mit den Zerwürfniſſen der Reichs | dern Awecke gegen aber miteinander zu verfolgen, ſon⸗ 


derh 

machte ſich erneuerten, im jener frühern Zeit auch durch 
Erpreſſungen der Landvoͤgte, nach deren Entmächtigung 
durch das langwaͤhrende Fauſtrecht und die Wegelage⸗ 
zungen der Ritter vom Stegreif, ſich nicht fo ungeftört 
und flolz entfalten. In gleichem Verhaͤltniß warb Um⸗ 
fang und Erfolg ber innerlich fehr tüchtigen Gewerb⸗ 
thätigkeit ermäßigt. Ebenſo oft als dem Flamaͤnder That⸗ 
Iuft, Benuß und froher Ubermuth, war dem obesbeut- 
ſchen Stadter wechſelnde Sorge, Verzicht und Langmuth 
nahe gelegt, und fo mußte ſich bei ihm eine größere Rich- 
ternheit und Profa der gefammten Weltanficht bilden. 

Berfolgt man diefe Unterfchiede weiter in ihren Ein- 
flüffen auf Sinnlichkeit und Empfindungsbildung , fo 
wird man fich nicht wundern, daß der höhere und fteti- 
ger entwidelte Glanz des flanbrifchen Lebens auch in 
der Malerei als tiefere, feiner individualiſirte Zarbe, ale 
vollere und reinere Harmonie wiederkehrt. Gleichwie ber 
Flamaͤnder ungetbeilter durch Betrübung und forgliches 
Abſehen fi feinem Tag, feinem Augenblid bingeben 
Tonnte, fo ift durchfihnittlich in ben flandriſchen Gemäl⸗ 
den eine lichter, reiner und durchgänger ausgeführte Ge- 
genwart als in den fhwäbifchen. Und aud) die Stim- 
mung von Ehrfurcht und Demuth, die fie befeelt, ruht 
auf den glücklichern Zuftänden des Flamänders. Je mehr 
fich mit überwiegendem Behagen in That und Genuß 
fein Berftand und feine Leidenfhaft in reicher Wirklich⸗ 
keit erichöpfen konnte, um fo mehr ftellte dem geiftigen 
Bebürfniffe, welches in allen Lebensgenüffen unerfchöpft 
bleibt, fi fein Geheimniß als ein überirdifches, unbe: 
greifliches, fein Heiliges als ein ſchlechthin Erhabenes, 
allen Reichthum und Berftand ber Welt wunderbar Über: 
greifendes gegenüber. War daher die gebietende Pracht, 
die mofteriöfe Feierlichkeit und kniebeugende Andacht bes 
katholiſchen Cultus in Zlandern das natürliche Comple⸗ 
ment bed kecken und üppigen Lebens; und war es eben- 
fo natürlich diefer nationale Charakter der Frömmigkeit, 
in welchen die Maler ihre kirchlichen Aufgaben und hei⸗ 
ligen Gegenftände fasten, fo lieferte ihnen dazu die ei- 
genfte Erfahrung und Bildung Form und Gefühl. Denn 
für ben fichtbaren Seelenausbrud, für anmuthigen Exnft 
ber Geberden und Mienen war ihnen ber &inn gebil- 
det durch ihren Antheil an einer bedentendern und fei- 
nern Geſellſchaft. 

Das Mittelreich zwifchen dem Gehalt. und Ernſt des 
wirklichen Lebens und feiner idealen Wiedergeburt in ber 
darftellenden Kunft ift überall bie feftlihe und frei ge- 
viegende Geſellſchaft. Im wirklichen Leben unter Ge- 
ſchaft und Kampf, Bedürfniß und Abfindung iſt bie 
Erſcheinung von Gehalt und Seele verfehlungen in den 
Verlauf der Triebe unb Zwecke, fie tritt dem Betheilig⸗ 
ten nicht für fich, fondern unter weitergreifenden und ab- 
leitenden Beziehungen entgegen, fobaß einer praktifch ale 
ein Charakter unter Charaktern fih recht gut bewegen 
kann, ohne eine Babe ober Kunft der Charakteriſtik als 
folcher zu erlangen. In der feſtlichen Geſellſchaft aber 
kommen die Menſchen zufammen, nicht um ihre befon- 


bein um der Anſchauung einer allgemeinen Bedeutung, 
bie fie vereinigt, in Zuſammentritt und Betrachtung zu 
genießen. Da fühlt ſich Jeder als von Allen gefchen, 
betrachtet Alle als auftretend zum Anfehen für ihn, ſich 
wit Alen als ein fehenswürdige® Ganze. So ift das 
Feſt nicht nur eine Schule des Anftandes und feierlichen 
Auftritts, fondern auch ber freien Betrachtung ausge- 
brüdter Wüurde und bedeutenber Anmuth. In den klei— 
nern Heften einer ſich erholenden Gefelligkeit ift zwar der 
Grundgedanke ber Bereinigung unbeftimmter und unbe- 
beutender; indem aber auch, bier fi) Menfch dem Men- 
fhen ohne befondern Zweck, nur zum Behuf des mög- 
lichſt gegenfeitigen Wohlgefallens vorzuftellen bat, ift im 
Kleinen die Aufmerkſamkeit defto größer und fchleichen 
ih im freien Spielraum bie zartern Zriebe perfönlichen 
Austaufches und die feinern Abfichten einer vorfichtig aus- 
holenden oder ftill durchſchauenden Menſchenkenntniß ein. 
Hier lernt man Befihter verftehen, auf Mienen Taufchen, 
einer Gruppe ihre Stimmung, einem Kreife die Neigun- . 
gen und Gedanken abſehen. Es ift daher wichtig für 
barftellende Künftler, inwieweit in ihrem Bolt und Zeit- 
alter feftliche Sitte entfaltet, wie gebildet die freie Ge⸗ 
felligkeit fei, und in welchem Grade fie felbft ihrem 
Stande nach daran Theil haben. Wir für unfern Zweck 
brauchen nicht einmal zu fragen, ob in Flandern bie 
Kirchen- und Volksfeſte nicht mannichfacher, feierlicher 
und glängender gewefen als in den oberbeutfchen Städ- 
ten, ob nicht dort eine geſchmuͤcktere und zierlichere Ge- 
felligkeit geblüht. Es genügt fchon, die höhere Stellung 
ber Maler, verglichen mit den fchwäbifchen und fränti- 
fhen, hervorzuheben. Der Hof, an welchem die Brüder 
van Ey „lieb und werth und in großen Ehren” wa⸗ 
ven, war nicht nur der praͤchtigſte und glanzvollfte, auch 
ber gebildetfie und feinfte feiner Zeit. Wenn ber ge 
terte Stifter bed Ordens zum goldenen Vließe inmitten 
feiner herrlichen Nitterfchaft den Johann van Eyck „ſei⸗ 
ner Kunft und feines großen Verſtandes wegen” zum ge- 
beimen Rath; erhoben und „allezeit gern in feiner Ge- 
felfchaft” Hatte, fo mußte diefer genährt von Anſchau⸗ 
ungen bedeutender Erfcheinung, feierlicher Sittigkeit und 
Anmuth, und felbft von einer Feinheit der Bildung und 
Empfindung für das Außere fein, wie gewiß kein Mei- 
fler von Ulm oder Nördlingen in feinem befcheidenen und 
beſchraͤnkten Kreife fein und werben konnte. In welder 
Sigenfhaft Hemling Karl dem Kühnen folgte, und ob 
ihn fpäter der junge Philipp felbft nach Spanien mif- 
genommen,. wiffen wir freilich nicht, wol aber, daß in 
diefer Zeit flandrifche Meifter für Fürſten und Könige 
in Portugal und Schottland, Florenz und Spanien mal- 
ten, und auch wenn fie für bie heimifchen Städte, wie 
Hughe van der Goes, Feſte ordneten und Jubeldecora- 
tionen malten, anfehnliher fanden als wir irgend von 
einem der ältern ſchwaͤbiſchen Maler vorausfegen bürfen. 
Diefe mußten ihrer ganzen Lage nad) mehr fplefbürger- 
lich leben und fühlen, und darum mochte leicht ohne 
ihre Schuld den würdigftien und zarteften Intentionen 


jantafle ſich eine gewiſſe Plumpheit in den Gr- 
Fa und Härte in ber Zufammenftelung beimi- 
ſchen. Ihr Sinn wie ihr Horizont mar zumeiſt ber 
eines ſchlichten Handwerksmannes. Auch von Eeiten bie- 
fer gegebenen Befchräntung hätte daher der Verf. „die 
nähere Vereinigung der oberdeutſchen Kunft mit dem 
fädtifhen Handwerk” betrachten und nicht bios in Rüd- 
fit ihrer Verbindung mit Goldſchmiedekunſt und Bücher- 
drud und Berührung mit Formſchnitt und Kupferſtich 
erwähnen follen (II, 204). 

(Die Bortfegung folgt.) 


Kiterarifche Notizen aus Frankreich. 


Franzoͤſiſche Kritiken über deutſche Dichter. 

Wir haben ſo lange in Bezug auf unſere wiſſenſchaftlichen 
und runſtier ſchen Befteebungen die Anerkennung de6 Muslan- 
des entbehrt, daß es felbft fpottfüchtige Eiferer natürlich finden 
werden, wenn wir uns jegt vol Freude über die Zuftimmung, 
welcher wir uns immer mehr von Seiten unferer Nachbarn zu 
erfreuen haben, vom liebiichen Weihrauche betäuben laſſen. 
8 thut uns ja fo wohl, baf die Branzojen, deren Außerungen 
und Beftimmungen für uns lange Zeit tonangebend waren, 
nicht mehr für nöthig halten, die Frage aufzuwerfen: ob ben 
Deutſchen überhaupt aud wol Geift beizulegen wäre? .... 
Bergnügt reiben wir uns die Hände, daß es felbft die einfluß: 
reichern franzöfifchen und englitgen Blätter, nicht mehr ver- 
fmähen, in ihren Spalten die hervorragendften Erfcheinungen 
umferer iteratur zu berüdfihtigen. Bol tiefer Ergebenheit 
und mit innigem Dankgefühle erfennen wir e8, Daß fi) felbft 
bebeutenbere franzöfifche Schriftfteller zur ausführlihern Be 
forechung unferer literariſchen Zuftände herablaffen. Doch laſſen 
wir lieber den Ton ber Satire fallen, und bezeichnen wir es 
einfach als einen Fortſchritt der franzöfifchen Kritit, daß fie 
almälig anfängt einzufehen, daß auch jenfeit des Rheinftroms 
Reute wohnen, welche felbit von der „großen Nation” beachtet 
zu werden verdienen. Bei ben lächerlichen Worurtheilen, in 
denen vor kurzem noch die Franzoſen in Beziehung auf unfere 
gXiteratur befangen waren, dft es in der Thal anerfennungs: 
werth, daß allmälig wenigftens ſich ein annäherndcs Verftänd: 
niß und eine etwas unparteiifchere Auffalung zu bilden beginnen. 
Bon alle Denen, welche in letzter Zeit dazu beigetragen haben, 
ihre Landsleute über unfere poctifche Literatur aufzuklären, ver 
dient beſonders &t.:Rene Taillandier genannt zu werden, den 
wir unfererfeitd wahrlich nicht durch Aufftechen und Hervor 
heben Bleiner Ungenauigkeiten und Irrthumer und durch un 
Wwürdige Berdächtigungen, als ftehe er unter den Einflüfterungen 
einer Coterie von parifer Deutſchen, hätten ‚berabjegen follen. 
Bas feine Kenntniß unferer Literatur betrifft, fo iſt er wahr: 
lich mehr in derfelben bewandert als jene KHalbdeutfchen, 
jene aufgeblafenen Worthelden, auf die man allem Anſcheine 
nach anfpielen mil. Grft fein Muflag in ber „Revue 
des deux mondes“, welcher der Gräfin Hahn: Hahn gewidmet 
ift, beweift wieder, mie geläufig ihm unfere literarifchen Ver⸗ 
Hältniffe find und mit welcher Vorliebe er ſich in diefelben ein- 
Rudirt hat. Er würdigt die Leiftungen diefer fhreiblu- 
fligen Dame, auf ebenfo unparteiiſche als geiſtreiche Weiſe. 
Beactenswerth ift aud in Bezug auf deutſche Literatur ein 
Auffag, welden die „Revue independante” über Platen aus 
der Feder von Daniel Stern gebracht hat. 





Über die nordamerifanifhen Wilden. 
Wir haben vor etwa drei Jahren ein Werk in engliſcher 
Sprache erhalten, in bem ein Amerikaner, Eatlin, von feinen 





Wanderungen in den Mäldern des fernen Seſtens und ven 
feinem langjäprigen Aufenthalte unter den wider Indianern 
auf das anmuthigfte erzählte. it feiner Feder und mit dem 
Sriffel, den er ebenfo gut zu führen werfteht, wußte er uns 
jene fonderbaren @eftalten, mit denen wir in Eooper'ihen 
Romanen und äpnlihen Darftellungen bereits eine flürhtige 
Bekanntſchaft gemacht haben, vorzugaubern. Aber damit 
nicht gieieen, batte er aud) ein Tsemtiges Mufeum von fe 
fen, Werkjeugen, Kleidungeftüden und ähnlichen Gegenftän- 
dem, deren fi) diefe Wilden bedienen, gebildet, um dadurch 
die Bocalfarbe der Gegenden, bie feinem en lieb geworden 
waren, aufs genauefte und treuefte tieberzugeben. Dieſe 
Sammlung gewährt in der That ein ungemeines Interefle, 
und wir glauben wol annehmen zu Eönnen, daß der Sammler 
durch die Einnahmen, welde er in London namentlich gehabt 
rn“ maßen entichäbigt fein wird für die betradptlichen 
he feine Beife und befonders feine Gammlung er- 
n. Wir wollen bier jegt ein Merk, weldes fh 
nit den Sitten und Gebräuden der nordamerifanir 
a befhäftigt, erwähnen, ohne daß e6 uns deshalb 
1 F fäme, daffelbe mit dem Eindrucke zu vergleichen, 
melden bie Eatlin’fhje Schrift auf jeden 2efer mit unfeptbarer 
Wirkung gemacht hat. Daffelbe führt den Zitel: „Moeurs, 
coutumes et veligions des sauvages americains, Extrait du 
Laßiteau” (nicht Lofiteau wie auf dem Zitelblatte fteht), von 
%. ©. (2 Be) Wie man fieht, haben wir es hier mit 
einem Auszuge aus einem größern Werke zu thun. Wenn alfo, 
wie gefagt, dieſe Erſcheinung dem oben ermähnten Werke auch 
nicht zur Seite geftelt werden fann, und wenn ihm namehts 
lid) jener Reiz einer eigenthuͤmlichen Raivetät abgeht, die wie 
ein zauberhafter Duft über dem ganzen Katlin'fchen Bude 
ſchwebt, fo wollen wir nihtedeftomeniger gern Pas Zeugniß 
geben, daß in den beiden vorliegenden Bänden mandjer inters 
effante ug und viele brauchbare Rotizen mitgetpeilt werden. 


1 
I 
{ 
| 


Geſchichte der hinefifhen Philofophie. 

„Das geheimnißvolle Zreiben des unermeßlihen Mittelreichs 
wird uns durch die Bemühungen engliſcher / franzöfifher und 
deutſcher Gelehrter almälig immer mehr erfe toflen. Shen 
haben wir über einzelne Xpeile iprer Wilfenfchaft ſichere Kennt» 
niß gewonnen, und bei der zogen Ihätigkeit, welche fih auf 
dem Gebiete der orientalifpen Studien entfaltet, ftchen täglich 
neue, wichtige Auffclüffe zu erwarten. Im Allgemeinen wird 
es mit den dinefiihen Studien indeffen wol ebenfo ergeben 
als mit den übertriebenen Borftellungen, welche man ſich vor 
längerer Zeit von dem Werthe der Sansfrititeratur machte. 
Man, glaubte damals, in Indien wäre der Schlüffel für alle 
Seheimniffe ber Wiſſenſchaft zu finden, und man verfprach ſich 
goldene Berge von ber nähern Kenntniß diefer reihen Litera= 
tur. @benfo wird aud in Beau auf China mandes günftige 
Vorurteil ſchwinden müffen. So erkennt man fdyon jegt, daß 
man der inefifcen Philofoppie, in der, wie man lange glaubte, 
die Quelle der ungetrübteften Weisheit fließen müßte, einen 
Berth und eine Bedeutung beigelegt hat, bie fid bei näherer 
Beleuchtung nicht ais fticphaltig erweifen. Deffenungeachtet müfe 
fen wir es für eine Bereiherung der Wiffenfchaft halten, daß 
Yauthier, ein tüchtiger &inologe, fi) der Arbeit unterzogen 
hat, eine überfichtlihe Geſchichte dieſes Zweiges der dinefifhen 
Wiſſenſchaft Ju green. Seine vor kurzem erſchienene Schrift 
ift das Ergebniß tüchtiger Studien, bei denen e# zum größten 
Theil an genügenden Borarbeiten fehlte und die deshalb ftet6 
u igrer eigentlichen Quelle zurüdkgeleitet werben mußten. Der 

erf, gruppirt Den Stoff, welden er vor uns audbreitet, in 
drei Epogpen. Die erfte entpält den Uefprung der Ppilofophie 
in Epina, den er auf Fobi Hinaufleitet; der zweite Zeitraum 
bat e6 mit Lao»tfe und Eon-fustfe zu thun, und ber dritte 
endtid, fließt fi an Ifhushi und feine zahlreichen Radfol 


ger an. 





Verantwortlicher Deraubgeber: Heineih Weoddant. — 


Druf und Verlag von $. ©. Wro@pans in Leipiig. 


Blatter 


für 


literarifde Unterhaltung. 





Dienflag, 


— N. 20, — 


20. Zanuar 1846, 





ichte der deutfchen und nieberländifchen Malerei ıc. 
Be Von 9. G. Hotho. Zwei Bände. 
(Fortſetung aus Rr. 18.) 

Wie der tüchtige Ernft und die naive Zraulichkeit, 
fo ſtammt denn auch das Undeholfene, Schroffe und Un- 
fieblihe nun ferner bei der fränkifchen Malerei desglei⸗ 

n aus dem härtern Boden und gröbern Korn des 
Handwerkslebens. Nicht weil die Schwaben das Harte 
unerledigt gelaffen, machte Wohlgemuth edige Geftalten, 
fondern weil er zunächft um fi deren mehr als weiche 
hatte, und weil Zucht und Mühwaltung feines Lebens 
ihm einen zärtfihen Sinn nicht angebildet Hatten. An 
dem Überfhuß des Trokenen und Spröben bei den Nürn- 
bergen im Vergleich mit den ſchwaͤbiſchen Malern mag 


aud die fandige und kahle Naturumgebung ihren An- - 


theil haben. Die Schwaben hatten mehr Grün, mehr 
Wein, auch, mas der Verf. nicht überfehen hat, mehr 
poetifche Trabition (11, 246). Über die nürnbergifche Ver⸗ 
faffung nad) ihrer Rückwirkung auf Denkart und Sitte 
des Bürgers gibt er einen trefflichen Überblid (11, 239 — 
243). Er bemerkt dann (IT, 246), daß hier der enge Ver⸗ 
ein der Kunft mit dem Handwerk um fo unabweislicher 
gewefen, je mehr die Zünfte in ihrer Beſchraͤnkung zu- 
gleich ihre ungefchmälerte Ehre gefunden, daß hier Ge⸗ 
merkt, Kleinhandel, Fabrikation auch innerhalb ber An- 
khauung vor Allem den aufmertenden und ftreng unter 
Iheidenden Verſtand entwideln muften, zumal das Ge- 
deihen des Ganzen flatt auf dem Segen ber Natur, auf 
hartnädigem Fleiß und klugem Erwerb beruhte. Dann 
habe das Handwerk auf die technifche Ausführung noch 
infofern gewirkt, als die Malerei, von ber Verbindung 
mit dem Formſchnitt her, die ſchwarzen Umtiffe und bie 
überwiegende Richtung auf charakteriftifche Form bewahrte, 
und der mercantilifchen Betriebſamkeit gemäß das flüch- 
tige Antufchen wol weniger behufs gefteigerter Wirkung 
ald wegen des äußern Vortheils einer fchnellern Beendi- 
gung anwandte. Endlich babe diefe Handwerfgmäßige 
Stellung der Kunft neben dem koſtbaren Vorrecht reichs⸗ 
ftädtifcher Freiheit auch den Nachtheil gehabt, daß bei 
den Zünften, je weniger felbftändig fie in das Regiment 
eingriffen, das ihre Stadt mit den höhern Intereffen des 
Neichs in Verbindung fegte, der. Sinn um fo bürgerlich 


befchränfter nur auf das Raͤchſte gerichtet geweſen, da. 


ohnehin bie befreiende Phantafıe zurüdlgehalten war vom 
praftifhen Haus. und Gewerköverftand. „Kommt bier- 
zu in dem eigenen Leben noch eine unbehülfliche Edig- 
feit, bei der wol das Tüchtige einkehrt, aber die Grazien 
ausbleiben, fo läuft die Kunft nur zu leicht Gefahr 
profaifch zu werben.” Ich habe hier blos zu bemerken, 
daß dieſe unbehülfliche Eckigkeit nicht noch hinzukommt, 
fondern in diefem engbegrenzten Horizont, dieſem kurzge⸗ 
meſſenen Bedürfnißdienft, diefer begünftigten Verſtandes⸗ 
einfeitigkeit, in der gebundenen Erfahrung und bung 
bes Handwerkers bereitd gegeben und befeftigt if. Der 
Berf. fage (II, 249): 

Die Anmuth wird von der nürnberger Schule nicht aus 
formeller Ungeübtheit mit fchärfern Affecten und Formen ver- 
taufcht. Der Grund liegt tiefer. Un fletiger Harmonie und 
innerm Frieden in weltlichen und religiöfen Zuftänden, woraus 
jene offene Milde entfpringen könnte, gebricht es nit. Die 
Zünfte aber, ftatt zu herrſchen, werben —* Der leben⸗ 
dige Einklang des Ganzen bleibt für fie nur ein Werk frem⸗ 
der Thaͤtigkeit, die mit Praftigem Ernſte über ihnen fteht und 
fie von oben her leitet. Je oligarchiſcher die Verfaffung ift, 
um fo durchgreifender wird die Macht der Regierung Allen 
fühlbar. Die Stände find noch weiter geſchieden als ander 
wärts, boch Patrizier wie Handwerker, Großhändler wie Krä- 
mer, Alle find gleihmäßig überwacht und durch die gemein- 
fame Ordnung geregelt ; ja die Dbrigfeit, um folche Verfaffung 
im Gang zu erhalten, muß feſt auch gegen ſich felbft fein. 
Diefe Strenge der allgemeinen und perfönlithen Bucht wie je 
nes Gefühl einer überragenden Herrſchaft, dee Alle geborchen, 
werden das Band der ähnlichen Anſchauung zwifchen den Ma: 
lern in Nürnberg und in Flandern. Mit dem großen Unter: 
ſchied aber, daß ed andere Gebiete find, in welchen diefe Bor: 
ftelungen ſich hauptfächlih gneltend machen. In Nürnberg 
prägt fi im weltlichen ſtaͤdtiſchen Leben das Verhältniß aus, 
das die Brüder van Eyck von der Religion her zum Ausgangs⸗ 
punkt nehmen. In Rürnberg geht die äußere Strenge der 
Formen aus der innern hervor — Trockenheit und Härte find 
größer — der Kortfchritt zum Geifte der Reformation wird 
fihtbar — daB eigentlich Kirchliche verſchwindet — das Sinnen 
wird Bares Nachdenken, redender Berftand, die Hobeit mehr 
obrigkeitlich, die Ehrfurcht mehr bürgerlich und hauslih. _ 

Sehr gut! Uber auch bier ift bie pofitive Wirkung 
zu einfeitig hervorgehoben. Aus dem Geifte nothwendi- 
ger Unterordnung, willigee Zucht, gemohnter Strenge be- 
greift man auch in der Kunft das Tiberwiegen bes Cha- 
rakters über die Anmurh, bes verfiändig Wahren über 
das Schöne, des richtig Bedingten über das Freiblühende, 
nicht aber das Vorkommen des Unmwahren, bes Verkum⸗ 





78 


merten, des Rohen. Es ift nicht Schärfe der Charak⸗ 
teriftit, wenn Wohlgemuth Stellungen verzeichnet, nicht 
Strenge der Auffaffung, wenn er nadte Formen ver- 
fehlt, nicht proteflantifcher Verſtand, wenn er Kinder zu 
dürftig bildet, nicht Gefühl einer Alle vegelnben Drdnung, 
wenn er das Volt als einen pleichgültigen Haufen dar⸗ 
ftellt. Schlechthin durfte alfo der Verf. die formelle Un- 
geübtheit nicht feugnen. Aber begreiflich ift es, daß ein 
Künftler,, der den Lehrjungendrud und die Knotigkeit 
des Gefellenlebens durchzumachen und als Meifter num 
feine Jungen und Gefellen zu züchten, für Zins und 
Kaffe und Erhaltung der Kunden vollauf zu forgen, we⸗ 
nig Zeit aber und wenig Gelegenheit zu fseier Bildung 
und freien Genüffen hat, begreiflich, daß ein Solcher für 
manche Misllänge der Vorftellung abgehärtet, mit man- 
chem verfürzten Ausdrucke begnügt, nicht geſchmeidig zu 
jeder Bewegung, zu harmonifhem Erguß der Phantafie 
nicht beflügelt, und hier und da von einem einfeitigen 
Griffe befriedigt und erheitert iſt. Wol aber kann in 
einem folhen Stand und Leben ſich WBillensfeftigkeit, 
männliche Gebuld, biedere Tüchtigkeit ausbilden. Dieſe 
Charaktere finde ih in Wohlgemuth's ernſten Geſtalten. 
Daß er dagegen ein „fo tiefes Nachdenken“ in fie ge⸗ 
legt, „als gelte es, das Unverträglichfte doc im Geiſt zu 
bezwingen” (11, 254); daß fein auferſtandener Chriſtus 
(I, 256) „über dies Wunder der Auferſtehung nach⸗ 
denke, bis es ihm klar wie der Zuſammenhang anderer 
Weltverhäftniffe vorliegt”, das daͤucht mir dem wackern, 
rechtgläubigen Meifter eine zu modern -philofophifche In⸗ 
tention untergelegt und ſtimmt aud nicht wohl mit bes 
Berf. allgemeiner Anfiht vom nürnberger Künitlerver- 
ftande, „der fi) bie Gegenfäge ungelöft auseinander 

it“ (U, 247). Auch feine Anmuth hatte Died einge: 
ränkte, befcheidene Leben, die Anmuth guter Gefinnung, 
ehebarer Sitte und treuer Genügfamkeit, fliller Froͤmmig⸗ 
feit und häuslichen Behagens. Von alle Dem finden ſich 
Widerfcheine bei Wohlgemuth. Nur die Anmuth, bie 
ein umfaffender Schwung, eine zarte Durchführung har- 
monifcher Stimmung ins Ganze ergieft, fobert ein freier 
gewiegtes Bemäth, eine freier gebildete Sinnlichkeit. Sol- 
her Schwung des Gemüͤths iſt nicht zu verlangen von 
Meiftern, denen man Contracte fchreibt gleich dem bes 
ſchwabacher Rathpflegers mit Wohlgemuth, den der Verf. 
(IL, 352) anführt, ober die wie Dürer wenn fie eine 
Tafel en um ein Trinkgeld für ihre Frau bitten 
müffen. Solche feingebildete Sinnlichkeit entbehren Ma⸗ 
ler, bie wie der letztgenannte große Mann ſelbſt am 
Sonntag mit ihren Kunſtgenoſſen ſich ‚bei nüchternem 
Magen sr mit Reifen und Meſſen ergoͤzen. Und nicht 
allein den rein malerifchen, auch dem Charakterausdruck 
beeintrachtigt Manches, mas natürlih im Geleite des 
Hanbmerksichens geht. Das meine Woehlgefallen an ber 
eigenen Erſcheinung, das Kugler in dem frühern ber 
Alkgemalten Biloniffe Ourer's wie in Dürer's Briefen 
am Pirheimer bemerlt, zeigt Mich an mander fange 
meinten Figur fraͤntiſcher Gemalde in Beflait zeit ge 
Aelenmäßig bornirter Geibfägefälligteit. Und Hans Wal- 


bung Grün fielle fich ſelbſt in feine Hiftorifchen Bilder 
hinein mit dem reinften Ausdrud von Handwerksbur⸗ 
fhenrenommage. Auch durch folhe Züge geben uns bie 
oberbeutfchen Bilder den Nefler ihres Entſtehungskreiſes 
und flellen fih als aufrichtige Kinder ihres Zeitalters 
und ihrer Heimat dar. Sie find in diefem Sinne mie 
ſich felbft einig und erfegen uns was ihnen an fünft- 
leriſchem Intereffe abgeht durch das hiſtoriſche und 
fittengefchichtliche. 

Mit diefen Erinnerungen ging ic weder auf den 
Tadel der oberbeutfchen Malerei noch auf ben der all- 
gemeinen Methode des Verf. aus. ch wollte nur be- 
merklich machen, baf er mit ihr noc mehr in die Wirk⸗ 
lichkeit der Begriffe, in die Sinnlichkeit der Bildungs- 
bezirke, deren malexifche Anfchauung er erklären weilte, 
hätte binabfleigen follen. Die allgemeinen Säge hätten 
dadurch ebenfo viel an Konfequenz als die beftimmten 
Kunfterfcheinungen an anfchaulicher Gründung gewonnen. 
Denn genauere Sittenfehilderung der Zeit führt von felbf 
in die Malerbilder und diefe zurud in jene. 

(Der Beſchluß folgt.) 


— nn — 


Königsberger Taſchenbuch. Herausgegeben von Lud⸗ 
wig Walesrobe. Mit Beiträgen von Erelin- 
ger, Freundt, Alerander Jung, Jachmann, 
Johann Jacoby, Eäfar von Lengerte, Wedhs- 
ler, Wolff und dem Herausgeber. Königsberg, 
Voigt. 1846. 8. 1 The. 15 Near. 


„Es unterliegt großer Schwierigkeit, von dem Umfange 
und der Bedeutung der liberalen Partei, welche gegen die 
Mitte des vorigen Sahrhunderts in Deutfchland a han: 
eine richtige Borftelung zu gewirmen. Das zur Beurtheilung 
dieſes Gegenſtandes noch vorhandene Material iſt durchaus 
unzulaͤnglich, und das Mangelnde läßt ſich auf dem Wege der 
Conjectur um fo weniger eriegen, als die gewaltige Umgeftals 
tung aller Verhältniffe uns dur eine ſolche Kluft von der 
frühern Seit getrennt bat, daß wir im gegenwärtigen Jahre 
1046 faft ebenfo weit von 1846 entfernt liegen als vom Mit⸗ 
telalter ; unfere jegigen Zuftände und @inrichtungen haben gar 
nichts Analoges mit denen aus der cerften Hälfte des 19. Jahr⸗ 
bundert# und nur die in jener na Periode erfchiene: 
nen Schriften vermöchten einigen Anhalt für unfere Darftel- 
fung zu geben. Wie man aber weiß, war es eine Hauptauf: 
gabe der damals noch beſtehenden Genfur, den Aberqlismus 
unnachſichtlich niederzuhalten und deſſen erungen von ‚allen 
misliebigen Beftandtheilen zu fäubern; was den Genforen mo: 
mentan entging, wurde nadtränlid vernichtet, und wenn auch 
die Ausrottungen anfangs nur unvolllommen gelangen, fo er: 
reichten doch bald Die Verwalter der Preßpolicei, vermöge ber 
dem Menſchen inwohnenden Perfertibilität, einen une 
Grad der Allwiffenheit, var ex es ſchlechterdings keine 
verborgenen Dinge mehr gab, Das Volkchen der Schriftſtel⸗ 
ler und Buchhändler war am Ende fo volftändig uͤberwacht, 
daß fie trog aller angewandten kift nicht mehr über die Schnur 
Hauen Bonnten; ſchon über dem Embryo des Gedankens ſ 
das Domolieöfgimert in der Form eines Bolafialen ——— 
ſelbſt die noch im ag nee Buchſtabenwelt 
wurde mit dem Stethoſkop erforſcht und vor der Geburt er⸗ 
ſtickt, wenn ſich irgend ein bedenkliches Atom in derſelben ah⸗ 
nen ließ. Die unter einer mildern Cenſur unbändig 
bene Peefie, namentlich aus den Jahren 184048, hatte zu 
exiſtiren aufgelöst; was ſich von ihren Prodyctionen noch im 





einem Buchladen vorfand, wurde confiscirt und auf den 
Mofchinenpapierfabriten erbarmungslos eingeſtampft; in den 
lichen Bibliotheken Hielt man firenge Rachfuhungen, den 
indern der «guten Prefie» wurde der Policeiftempel uf die 
Stirn gebrüdt, Ungeftempeltes aber Ei verpönt;s Privat: 
leute, die einzelne Schriften der Art befaßen, warfen fie frei⸗ 
willig ins euer, um ſich nicht ernfte Ungelegenheiten auf den 
Hals zu ziehen. Somit bat fi nur fehr wenig von fer libe: 
ralen Literatur jener Zeit erhalten können, und auch die We: 
nige ift nicht fehr geeignet, die biftorifhe Erkenntniß feftzu: 
ftellen, da es in zu fchroffem Widerſpruch mit einem andern 
wichtigen Material jteht, nämlich mit den officiellen Berichten, 
deren Benugung uns nad dem jegt allenthalben geltenden 
Principe der DOffentlichfeit aufs bereitwilligfte aus. den (vor⸗ 
mal8 geheimen) Archiven überfaffen worden ift. Größere Wi: 
derſpruͤche kann man ſich kaum denken. Während auf der et 


nen Seite die Foberungen des Liberalismus als durchaus recht 


und billig dargeftellt werden, erfcheinen fie auf der andern als 
frevelhafte Angriffe gegen dad Beftehende; während dies « Be: 
ftehende» von der einen Partei als innerlid) faul und näd- 
ftend zufammenbrechend gefildert wird, rühmt die andere 
deifen Eräftigen Körper, dem man durch dhriftlich-germanifche 
Nahrung und ritterfichromantiihe Bekleidung eine ewige 
Dauer verbürgen Pönne. Betheuert man links, daß der Kibe- 
ralismus in Politif und Religion Die ganze gebildete Volks— 
maſſe ergriffen habe, ſo verſichert man rechts, daß nur eine 
geringe Anzahl böswilliger Menſchen durch die Lockſpeiſe der 
Freiheit die angeſtammte Loyalität und Frommigkeit zu ver⸗ 
giften ſuche; behaupten die Verfaſſer liberaler Schriften, daß 
fie die Sache des Fortſchritts nur auf geſetzlicher Bahn ver: 
fetten, fo wird uns vom Gegenpart aufs umftändlichfte ge 
zeigt, daß jene Schreiber ſich in offenbarer Auflehnung gegen 
die von Gott eingefegte Dbrigkeit befunden haben, und in der 
That find noch einige gerichtliche Strafurtel vorhanden, welche 
mit ungemeiner juriflifcher Gelehrſamkeit deduciren, daß mehre 
der gedachten Fortſchrittsmaͤnner nichts Geringered als Keftung 
oder Zuchthaus verdient, weil fie Die a ak verfpottet 
und bie Unterthanen zum Mibvergnügen aufgeregt haben. 
Aber auch diefen richterlihen Ausfprudhen kann die Befchicht: 
forfchung nicht als zuverläffigen Yührern durd das Dunkel 
jener Zeit vertrauen, da fie häufig über eine und diefelbe Sache 
gar zu entgegengefegt lauten, in erfter Inſtanz einen Menfchen 
als Hochverräther faft aufs Nad flechten und in zweiter ihn 
vollig freifprehen. Wer Fann unter diefen Umftänden genau 
ermitteln, was es mit dem deutfchen Liberaligmus jener längft 
verflofienen Tage eigentlich gemwefen iſt?“ 
So ungefähr dürfte fih ein gewiſſenhafter Hiftorifer im 
3. 1946 ausbrüden. Gern verfegen wir uns auf feinen, zwar 
von Zweifeln umgebenen, aber doc nicht von den Leidenfchaf: 
ten Der Gegenwart erjhütterten und umnebelien Standpunkt 
— und lafjen ihn weiter reden. Um feiner Aufgabe zu gen 
gen, muflert er zunaͤchſt die wenigen liberalen Schriften, welche 
ein günfliger Zufall aus dem Sifbruge der Zeit gerettet 
pat. Unter anderm kommt er, auf das „Königsberger Taſchen⸗ 
uch”, was ihn zu folgenden Yußerungen veranlaßt: 
„Wir fanden in einem geheimen Policeiregifter, daß ber 
mmte oftpreufiiche Liberalismus lediglich aus 13 Scri⸗ 
beftehe; dieſem entgegen wurde in mehren Zei n 
gas dem I. 1342 behauptet, daß gang Morbbeutfchland, bejon: 
ders aber Dftpreußen, nur von liberalen Renſchen bewohnt 
fet und man dergleichen zu Tauſenden täglich in Städten und 
Dörfern m Eönne. Doch das ifl wieder einer von den 
unlosbaten Widerfprücen, über die wir ſchon oben geklagt 
haben. Angenommen, DaB die Zahl 13 richtig fei, fo ge 
zeicht es und zu nicht Heiner Berube, faft den ganzen open. 
iſchen Fo: | nn si r A 3 ch einen — 
xger re in: unſe riſchen Mepe gefangen zu haben. 
Unfer Gang, befichenb aus einem a Zafpenbuche, 
iſ um fo wichtiger, je ſparſamer bie Zuellen aus jemer Beit 





39 


Dee und je voflftändiger bier die Liberale Armee einer gro⸗ 
en Provinz auf Einem lee beifammen ſteht. Jedenfatis 
verdient das alte Buch eine nähere Betrachtung.“ 

„Zwei Beiträge — der eine von Jachmann, ber andere 
von Wales rode — beichäftigen fid mit bem Proletariat, da» 
mals eine furchtbare Geißel der Boller, jept, gottlob, kaum 
dem Ramen nach befannt. Walesrode erklärt (in einem Briefe 
an eine Dame und indem er fi wegen ein Hein wenig Pe⸗ 
banterie entfchuldigt), das Wort Proletariat komme aus dem 
gateinifchen: ber und bedeute einen Menfchen, der auf Gottes 
Welt nichts weiter beſitzt als Kinder (proles). Dann führt ex 
weiter aus, wie eben das Elend des Proleturiers in den Kin⸗ 
dern befteht, die alle Zage effen wollen und denen er nichts 
geben Tann, die nebenbei im, Winter zerriffene Lumpen tragen 
und ebenfo wenig wie ihre Altern ein leidliches Obdach haben. 
Diefe Kinder wachlen wiederum zu noch Mäglichern Proletariern 

eran, zu deren Aufhülfe die reichen und vornehmen Leute, 
infofern es fich nicht blo8 um fchöne Redensarten, fondern um 
Mittheilung von ihrem Überflufie handelt, Beine befondere Luft 
verfpüren, fobaß auf einen gütlihen Vergleich bier nicht mit 
Wahrſcheinlichkeit zu bauen ift. Werner erzählt und Walesrode 
von einem Könige, der, umgeben von feinem glänzenden Hof 
ftaate, am Gründonnerstage in feinem Refidenzfchloffe zwölf 
armen Greifen die Füße wäfcht, um, wie in den übrigen chriſt⸗ 
lichen Zugenden, auch in der Demuth dem Herren und Heiland 
nicht nachzuſtehen. Nach erfolgter Abwaſchung händigt der 
erhabene Monarch jedem diefer Greiſe noch einiges Geld ein 
und fept ihnen höchſt eigenhändig Spinat mit Eiern vor, wäh: 
rend die Geiſtlichkeit, unterflügt von den Hofopernfängern, die 
Benedictionen anftimmt und abwechfelnd Zrompetengefchmetter 
ertönt. Wie diefe Fußwaͤſche mit dem Proletariat zuſammen⸗ 
hängt, haben wir nicht einfehen Fönnen; vor 100 Sahren 
mag man wol die Beziehungen verftanden haben. Der Verf. 
des andern Auffages uber denfelben Gegenftand ftellt den üp- 
pigen Reihthum mit der troftiofen Armuth in einem Beinen 
Genrebilde zufammen ; bier wiflen wir noch weniger, wa6 Daß 
mit dem Proletariat zu fchaffen hat, da die gefhilderte No 
mehr tie Frucht befondern Unglüdls und der Liederlichkeit i 
als das Sympton einer alfgemeinen forialen Krankheit. Beide 
Pitcen haben uns über das Wroletariat Eeinen genügenden 
Auffchluß gegeben, und auch aus andern gleichpeitigen Schrife 
ten gebt hervor, daß man damals über die Sache noch nir- 
gend recht ind Klare gefommen war.’ 

„Ein Beitrag von C. M. Wolff ift überfihrieben «Der 
Staat. Bruchſtück aus einer größern rechtöphilofophifchen Ar⸗ 
beit.» In der That muß man über die geringe politifche 
Bildung der damaligen Beit lächeln, wenn man fieht, wie die 
allerpiquanteften, ſich von ſelbſt verftehenden Dinge erft burch 
rechtsphiloſophiſche Arbeiten begreiflich gemach! werden muf- 
ten. Man leſe nur folgende Saͤtze, über die ſchon unfere 
Elementarfigüler hinaus find, in welche aber damals, wie eB 
fheint, nur die Gelehrten einige Einficht befaßen. ” 

„Der Staat, als die verkörperte Idee der Volksfreiheit, 
als Staatölörper, ift, trog feiner Einheit, nicht ein einfaches, 
fondern ein aus den verfchiedenartigften Beftandtbeilen zufam- 
mengefegted organifches Ganze. Als ſolches fondert er fi in 
befondere Kreife, welche wie Die Seen Spfteme im 
menſchlichen Körper ineinander eingreifen und das allgsmeine 
Leben erhalten. Die Privatperfon, die Familie, die weltlichen 
und geiftlihen Gemeinten find wie die Glieder bes Körpers, 
felbftandige Sndivibualitäten, aber als einem beftimmten Gan⸗ 
zen angehörig von diefem zufammengehalten und deshalb ihm 
und dem Allgemeinen untergeordnet, weil fie ihr Beſtehen nur 
in Diefem zen haben. &p wenig indeſſen die einzelnen 
Glieder des Staats fih zum Allgemeinen erheben dürfen, ohne 
dieſes und damit fich felbft zu zeritören, ebenfo wenig darf der 
Stost etwas Anderes fein tollen als das allumfaflende All⸗ 
gruele, in welchem alle Glieder Zreiheit und Leben haben. 

daxf nicht wo etwa Privatperfon, oder Yamilie, oder ir- 





end eine Eorporation, ober eine bios weltlide Gemeinde oder 
rche fein wollen. Denn auch dadurch würde er in einen 
Erankhaften Auftand gerathen, das bevorzugte Glied würde in 
Üppigfeit von der Kraft der übrigen (Blieber zehren und ba 
duch nicht nur diefe entnerven, ſondern auch jelbft feine ei» 
enthümliche Kraft verlieren. Rur dad Leben des Befondern 


m Allgemeinen und des Allgemeinen im Beſondern ift ber ge⸗ 


funde und wahrhafte Zuftand des Staats. Der Staat in die 
fer feiner hoͤchſten Ausbildung enthält alle Berfaflungsformen 
nebeneinander, ift aber zugleich die über diefelben hinausge⸗ 
hende und dieſelben in FE aufhebende höhere Form. Die Ba: 
milie ift das patriarchalifche, Die Gemeinden find das republi> 
kaniſche Element, die flädtifchen find mehr demoßratifcher, die 
ländlichen mehr ariſtokratiſcher Natur, und alle diefe Elemente 
nehmen ſich wiederum zur Einheit zufammen in der allgemei- 
nen Berfaffung des Staats, in der ftändifchen Monarchie. In 
dem Monarchen finden wir dad patriardyalifche, und in den 
Ständen das republilanifche und ariftofratifche Element wie 
der. Die Stände bilden die DBermittelung zwifchen der Re 
gierung und dem Volke und bewahren jene vor Willkür, bie- 
ſes vor dem Abfall von derfelben () und der Auflöfung des 
Staats.» ’ 

„Mit ſolchen Auseinanderfegungen mußte man fich befaſſen, 


um das Weſen ded Staats zu erläutern! Übrigens war Wolff 


Bein unbelefener Bann, wie allerlei @itate aus Friedrich II., 
Rouffeau, Hegel und Undern zeigen. ine von ihm angeführte 
Stelle aus Spinoza gibt Aufihluß über die Erfcheinung, daß 
damald fo viele verkehrte Urtheile über politifche Dinge unter 
den Leuten gang und gäbe waren.” 
„«Daß das gemeine Volko, fagt Spinoza, «Beine Wahrheit 
und Bein Urtheil befigt, ift fein Wunder, wenn die wichtigften 
Angelegenheiten der Regierung in Heimlichkeit vor ihm ver: 
handelt werden und ed nur aus dem Wenigen, was man ihm 
nicht verheimlihen Tann, feine Muthmaßungen zieht. Denn 
das Urtheil zurüdzubalten ift eine feltene Zugend. Zu wollen 
alfo, daß man Alles vor den Bürgern geheim verhandle und 
Daß fie doch Feine verkehrten Urtheile darüber fällen, daß 
fie nicht Alles falſch auslegen, ift die höchfte Thorheit. Denn 
wenn das gemeine Volk ſich mäßigen, über wenig bekannte 
Dinge fein Urtheil zurüdhalten oder aus dem Wenigen, was 
es erfahren, richtig über Die Dinge urtheilen Pönnte, verdiente 
es in der That eher zu regieren ald regiert zu werden.» '' 
„Und wirklich müflen wir in dem Rufe nach Offentlichkeit, 
welcher vor 100 Jahren immer lauter erfhallte und end: 
lih auch bei den Schwerhörigften durchdrang, den Anfang der 
unüberfehbaren, feitdem ins Leben getretenen Berbeflerungen 
erkennen und zugeftehen, daß wir wahrſcheinlich noch jegt auf 
derfelben niedern Stufe wie unfere Urgroßväter ftehen wuͤr⸗ 
den, wenn der Grundfag der Dffentlichfeit im Staatsleben 
nicht über die Heimlichkeit und Gcheimthuerei obgefiegt hätte.” 
„Ein Verſuch, allgemein intereffirende Gegenftände öffent: 
ih au verhandeln, wurde ſchon im 3. 1845 von mehren Kö: 
nigßbergern gemacht; fie begründeten eine Bürgergefellichaft, 
verfammelten ſich in berfelben wöchentlich einmal und hielten 
Reden über verfchicdene Ihemata. Ob nun die Themata oder 
Die Redner oder Beide der Regierung midfielen, können wir 
nicht beftimmt angeben ; kurz die Bürgergefellihaft wurde ei- 
ned Abends policeilich geſchloſſen. Einige Reliquien aus Die: 
fem Bereine find uns durch das «Königsberger Tafıhenbuch » 


überliefert worden. Dahin gehört eine recht anfprechende Be⸗ 


trachtung über die Städteordnung von Leopold Freundt, 
ferner ein ideenreicher Bortrag über «Die Bürgerverfanmlungen 
in Deutfchland und ihre Ankläger» von Alerander Jung, 
‚und eine mit Rürmifgem Beifall aufgenommene Mitteilung aus 
‚einem im 3. 1795 erfchienenen Buche. Diefer legtere Vortrag 
wurde nicht mehr in ber bereit8 aufgehobenen Bürgergefell: 
haft gehalten, fondern vor einer Volksverſammlung zu Bött: 
chershoͤfchen, einem koͤnigsberger Luftorte. Weil nun die Regie: 
rung in bdiefen Verfammlungen nur eine Fortſetzung der ver» 


botenen Bürgergefellfchaft erblickte, fo fand fie ed für gut, das 
Öffentlihe Reden im Böttchershöfhen bei namhafter Gelb: 
oder Gefängnißftrafe zu verbieten. Gegen einige Ungehorfame 
wurden tie Strafen augenblicklich vollſtreckt. Unter biefen 
war au Dr. Iacoby, ber ſich hierauf an das koͤnigsberger 
Obergericht mit der Bitte wandte, ihm «gegen die zur Unter: 
drüdung der NRedefreiheit angeordneten Mäßregeln der Policei 
den Schug der Geſetze angedeiben zu laflen». Run aber be 
flimmte eine Berordnung vom 11. —F 1842: «daß Beſchwer⸗ 
den über Policeiverfügungen jeder Art, auch wenn fie die Ge⸗ 
fegmäßigkeit berjelben betreffen, nicht zur Gognition ber 
Berichte gehören», und die Richter verweigerten daher ben 
erbetenen Rechtsſchut. «Diefe Entfcheidung iR wichtig!» ſagt 
Dr. Jacoby. «Bon zwei Fällen einer: Entweder hat der Rich⸗ 
ter dad Geſetz vom 11. Mai 1842 falfch ausgelegt, dann if 
eine autbhentiihe Erklärung nöthigs oder er hat den Sinn des 
Beienet richtig aufgefaßt, dann find Eigenthum und Freiheit 
ber Bürger ſchutzlos der Policeiwillfür preisgegeben.» Schon 
in feiner Eingabe an das Dbergericht (auch dieſes Actenftüd 
ift in dem « Königsberger Zajchenbucye» enthalten) hatte Dr. Ja⸗ 
coby das Gefährliche des Geſetzes vom 11. Mai 1842 hervor: 
gehoben, indem er fagte: «Am allerwenigften ann dieſes Ge⸗ 
feg auf firafrehtliche Falle Bezug haben. Denn ftände es 
den Regierungen frei, Criminalverbrechen, welche das Gefeg 
mit mehrjähriger Feſtungsſtrafe bedroht (3. B. Zheilnahme an 
verbotenen Verbindungen, Hochverrath, Diebftahl, Mord), vor 
ihr Forum zu ziehen, um den Befchuldigten mit geringerer, 
aber fiherer Strafe zu belegen; ftande es ihnen frei, durch 
das bloße Wort Erecutionsmaßregel nach Belieben den Rechts» 
weg abzufchneiden, fo wäre die gefammte richterlihe Gewalt 
in ihre Hände gelegt, der Schug aller Gefege illuforifch ge- 
macht, die Freiheit und das Eigenthum aller Bürger der 
fhrankenlofen Willkür preiögegeben. Anſtatt einer Wohlthat 
würde bie Policeigewalt au diefe Weife cine furchtbare Gei- 
Bel der Staatsbürger werden; pie würde unter dem weiten 
Rubro des koͤniglichen Interefie felbft folhe Handlungen vers 
bieten und fofort beahnden dürfen, die ihrer Natur nad gar 
nicht und jedenfall nur mit Kraͤnkung der Menſchenwürde 
unterfagt werden Eönnen. »“ 
(Der Beſchluß folgt.) 


— — — —h — — — — — — — — 





— — ——— — — 


Literarifhe Notiz aus Frankreich. 


Zouriftenliteratur. 

Unter den ſchriftſtellernden Blauftrümpfen Frankreichs zeich⸗ 
net fih Mad. Amable Taftu ihrem Zalente fowie ihrer ganzen 
Richtung nah, die nur dem Edlen, Schönen und Wahren zu- 
gewendet ift, äußerſt vortheilhaft aus. Ihre Inrifchen Erzeug- 
niffe haben bereits allfeitige Anerkennung gefunden, und ite 
wird jegt mit Necht zu den beliebteften, gefühloollften Dichtern 
des neuern Frankreich gezählt. Aber auch nad andern Geis 
ten bin ift fie in literariſcher Hinficht thätig geivefen. In leg 
ter Zeit bat fie felbft eine nicht unbrauchbare Darftellung der 
deutfchen Literatur geliefert, welche zwar Feine tiefere Auffaf- 
fung bietet, aber doch immerhin dem gewöhnlichen Bebürfniffe 

enügen mag. Beſonders anſprechend waren indeffen die Dar- 
Bellungen und Schilderungen, welche fie von verfchiedenen Ge⸗ 
genden Frankreichs einigen literarifchen Zeitfchriften mittheilte. 
Sie zeigt fi hier als eine gewandte Zeichnerin mit der Feder. 
Bir erhalten jegt von ihr ein größeres Wer? diefer Art, in 
dem wahrfcheinlih ein Theil diefer frühern Fragmente vereinigef 
ift. Daffelbe führt den Zitel „Voyage en France”. @ine 
feine, lebendige Auffaffung und eine leichte, gefällige, zum 
Theil felbft elegante Darftelung weifen diefem Werke einen 
ehrenwerthen a: unter ähnlichen Erfcheinungen an. Bon 
der fait allzu fruchtbaren Neifeliteratur erwähnen wir endlich 
noch folgende Schrift: „Souvenirs d’un touriste‘‘, von Brand, 
in der man alle Borzüge, welche wir foeben von Mad. Amable 
Taſtu hervorgehoben Haben , gleichfalls vereinigt findet. 17. 


Verantwortlicher Heraudgeber: Heinrich Wrodpans. — Druck und Berlag von J. X. Wroddans in Seipzig. 


Blätter 


für 


literarifdbe Unterhaltung. 





Mittwoch, 


21. Januar 1846. 





Geſchichte der deutfchen und niederländifchen Malerei ıc. 
Von H. &. Hotho. Eifter und zweiter Band. 
(Beſchluß aus Nr. 20.) 

Bom erftien Bande habe ich noch gar nicht gefpro- 
chen, weil ihn der Verf. meiner Meinung nad beffer 
ganz mweggelaffen oder anders verwendet hätte. Ich fehe 
in ihm ein Aggregat von Wuffägen, die zu einer fo or- 
dentlihen und ausführlichen Gefchichte der deutfchen und 
niederländifhen Malerei, wie fie ber zweite Band an⸗ 
fängt, nicht gehören. Wer fi in diefer unterrichten will, 
verlangt nicht eine Gontroveröpredigt gegen bie düſſel⸗ 
dorfer und einen Panegyritus für die neue franzöftfche 
Schule. Damit hebt Hr. Hotho an und trägt babei 
mit vielem Pathos als perfönlicye Uberzeugung vor, was 
bereits in verfchiedbenen Kreifen der berliner Gefellfchaft 
verbreitetes Urtheil war und fohwerlich auf den Katheder, 
gewiß nicht zu der angekündigten Befchichte, allenfalls einige 
Sahre früher in ein Zagesblatt gehörte. Dann folgt eine 
Aſthetik der Sculptur, hierauf der Malerei, hierauf der 
Epik, Lyrik uud Dramatik, die als Grundformen in den 
brei bildenden Künften an dieſen durchgegangen werden. 
Das ift auch niche Gefchichte, fondern Theorie, und wäre 
fie neuer und grünblicher als fie ift, fo bliebe es gleich 
unpafiend, die Erzählung vom Verlaufe nur einer Kunft 
bei nur zwei verwandten Völfern mit einem abftracten 
Lehrgebäude aller Künfte einzuleiten. Aber noch nicht 
genug. Es wird weiter im Allgemeinen geredet von der 
Religion ale Ausgangspunkt der Kunft, von der Natio- 
nalität als näherer Form, von den einzelnen Meiftern, 
die — mer .bätte das gedacht! — erft die Individuali⸗ 
tät des Kunſtwerks vollenden, und dann in abstracto 
von den Malerfchulen. Da der Verf. felbft fühlt, daß 
er eigentlich nur ben leeren Schematismus Deffen gibt, 
was er in der Anordnung und Darftellung ber Gefchichte 
bewähren follte, fucht ex feine Allgemeinheiten oft durch 
wortreihe YWufzählung von Unterbegriffen beftimmter, oft 
duch breit ausgeführte WBeifpiele beliebter zu machen. 
Dadurch entfiehen viele Tange und vollgeflopfte Perioden, 
die gleichwol das Kunſtſtück, außerhalb der Sache felbft 
ſachlich zu reden, nicht vollbringen Fönnen. 
Hierauf heißt es in der neunten Borlefung (I, 159): 
„Wir wollen uns endlih, um die vorausgefchidten Be⸗ 
merkungen anzumenden, näher nad) dem hiftorifchen Wer 


a?’ 


lauf der deutſchen und ber nieberländifchen Malerei um- 
ſehen.“ Diefes nähere Umfehen beftcht aber zuwörberft 
in einer generellen Charakteriftit des byzantinifchen Ty⸗ 
pus, dann in einer Erörterung der tunfthiftorifchen Me⸗ 
thode, angekündigt als „Blid auf die hiftorifhe Ent⸗ 
widelung”, worauf man durch eine Erwähnung der Voͤl⸗ 
ferwanderung hindurch wieder an den altchriftlichen Ty⸗ 
pus in Rom und Byzanz kommt und wirklich einen kur⸗ 
zen Uberblid über die Miniaturmalerei von Konftantin 
dem Großen bis ins 12. Jahrhundert erhält. Es fol die 
zweite Hauptperiode chriftlicher Malerei vom 13. bis ins 
18. Jahrhundert folgen. Wir fahren aber wieberum 
ind Allgemeine über ChHriftlichkeit der Malerei, über Ka⸗ 
tholicismus, über Proteftantismus, kunſtgemaͤßere Wirk⸗ 
lichkeit, Kloſter und Orden mit bedingtem Einfluß auf 
die Kunft, Ritterthum als nicht das belebende Princip 
ber bildenden Kunft, und nun über italienifche Malerei 
in Bezug auf Klofterleben und Ritterthum, kürzer von 
der niederländifchen und beutfchen in demfelben Bezug; 
und abermals im Allgemeinen von den Bedingungen für 
den neuen Anlauf der Malerei nad Seiten ber Reli- 
gion, der Wirklichkeit, der Technik durch die Städte, ih⸗ 
ven Reichthum, ihre Lehranftalten. Näher nun, aber, 
verfteht fich, immer noch im Allgemeinen von den Vor⸗ 
tbeilen des Stäbtelebene für die Kunſt: Vorzug der zünf- 
tigen Form für die Unterrichtöweife; als Beifpiel bie 
Anbdeutung bes Schuienfortfchritts von Giotto und Tad⸗ 
beo Gaddi bis auf Gerard Dow, das Aufnehmen italie- 
nifcher Weiſe bei hen Niederländern, der Eklektieismus 


der Caracci, die freie Durchbildung des Rubens. 


„Diefem Begrenzen, Sondern, Ausſchließen kommt 
nun ſowol das mittelalterliche Stäbteleben ale auch, die 
Reformation zugute.” Die ſtets mächtigern Städte in 
ihrer charattervollen Gefchloffenheit befähigen und noͤthi⸗ 
gen die Malerei zu gleicher Particularität und Energie; 
als WBeifpiel: Florenz, Siena, Piſa, die Städte des 
obern Tiberthale, Rom, Neapel, Genua, die Lombardei 
und Romagna, Bologna, Venedig, und wieber kürzer 
und ganz im Allgemeinen, daß ed ebenfo in Deutfchland, 
Brabant, Flandern und Holland geweien. Als zmeite 
Gunſt des Stäbtelebens: die poetifche Frifche der ınmgeben- 
den Wirklichkeit, generell, wie immer, 1) in Rückficht 
der Individuen, mit einer Epiſode über die andern Be⸗ 


dingungen in unferer Zeit; 2) des Coſtume, mit Epifode 
über die malerifhe Coftumefoderung und die wirkliche 
Tracht unferer Zeit, auch über Bilderrahmen und ben 
Vortheil der Rococoform, die Eoftumefreiheiten des Vero⸗ 


nefe, Correggio, Rubens; über das Mrofaifche des Co: 


ftume nad) Heinfe und Hegel, endlich von her Form der 
miftelalterlihen Trachten, „ohne irgend ins Einzelne ein- 
zugehen“, nur nad Hauptunterfchieden; 3) die Architek⸗ 
tur, mit Epifode über die Anficht von Paris vom Père 
Lachaise und im Innern. Und nun no einmal im All: 
gemeinen vom Unterfchied individueller Schulen als Pro- 
duct ber mittelalterlichen Städteverhältniffe; vom Be⸗ 
f der Schulen, dem Werth originaler Mei- 
fter, dem verfchieden bebingten Anſchluß; dem Schulen- 
weg. des Wafael, dem andern bes Rubens; JZurücktreten 
der Ortlichkeit, Bortreten des Genius, raſches Empor- 
biühen der Holländer des 17. Jahrhunderts von dem 
Landſchafter Blechen und ben jegigen franzöfifchen Ma⸗ 
en. (Das alſo iſt ber Unterfchie® mittelalteriger 
Schulen.) 

Machdemn: nun breit erörtert ift, inwiefern die hollän- 
diſchen Meiſter eine Schule bildeten oder nicht, heißt es 
wieber: „Es wirb aber endlich Zeit, alle diefe Worerör« 
terungen abzufchliegen. Ich will deshalb — nur kurz 
noch, den allgemeinen Verlauf andeuten, in welchem ſich 
umfere. Periode entwidelt!” Allgemein, ja! Kurz, wie 
man's nimmt; denn wir muͤſſen noch ſechs Borlefungen, 
noch 120 Selten durchmachen, ehe die verheißene Ge⸗ 
ſchichte dieſer Periode, naͤmlich mit dem zweiten Bande 
beginnt, Zumächft erhalten mir einen allerdings blos ra⸗ 
piden UÜberblick über die geſammte Geſchichte der neu: 
enzopäifchen Malerei. Dann aber, um nämlich bie deut» 
fe unterſcheiden zu können, eine Charaktexiſtik der. ita⸗ 
Wenifchen Malerei, und nun auch einen UÜberbiid über 
ihre Geſchichte mach brei Epochen, zwei von je brei Stu: 
fen, Die zwei Vorlefungen füllen, unb einer dritten, bie 
ber. Verf. „ſpaͤter erſt den hollaͤnbiſchen Meiftern des 17. 
AYabehunbderts fornie vor Allem Rubens und feiner Schule 
gegenuͤberzuſetzen verfpricht. Darauf folgt dann „in all- 
gemeinern Umriſſen bie Charakteriſtik der beutfchen und 
niederlaͤnd iſchen Meiſter“; fie folgt aber zunächft auch 
nahe, ſondern erſt nach Theſen über Nachahmuug ober 
Rchtnachahmung der Untite, Gegenſatz des Paftifchen 
und Maleriſchen, Größe ber jegigen franzöfifgen Mei⸗ 
fler, die mit Rembrandt, Everdingen, Nuisdael, Tizian 
und des Spaniern mwetteifern unb fie faft befiegen. (Der 
Berf. treibt durch diefen ganzem erfien Band feinen Gö⸗ 
gandienf mit den modernen Franzoſen.) Doch alles Das 
wird mit dem Sage verknüpft, daß die Deutfchen, we⸗ 
nigften® die Niederlaͤnder, in der Malerei eigentlih ma⸗ 
Begifcher. feier als die Italiener; und: es folgt num wirk⸗ 
lich eine allgemeine Charakteriſtik im Unterfchiebe von 
ben Leytern, die tzeffende Hauptpunkte enthält. Nur 
greift der Verf. auch bier mehrfach Dem vor, was er 
in der · Geſchichte felbfk doch wiederholen muß, und was 
bier um blos einzuleiten zu breit, um mehr zu fein zu 
allgemein if. Am maßlofeften ift biefe Breite iu Dem 


Abfchnitt über die holändifhe Malerei, ihre Landfchaf- 
ten, Gentebilder, Stillleben, wo trog alles Ruͤckgehens 
auf das Elementarifche, alles Aufwands von Kategorien 
und Specialitäten doch keineswegs erichöpfend und be- 
flimmt genug gezeigt iſt, warin nun die Peeſie und 
Schönheit folder Landſchaft oder ſolches Stillichens ber 
gründet fei. In allen diefen halbgeſchichtlichen Capiteln 
ift außerordentlich viel Wiederholung des bereits Gefag- 
ten ſowol über objective Grundlagen als über formelle 
Mittel der Kunft, meift in dem Tone, als gelte es, 
überall verfannte Wahrheiten einzufchärfen, während es 
in der That fo große Geheimniffe nicht find und Das, 
mas dem Berf. eigen bleibt, nicht felten nur bie Uber 
treibung iſt. Nach diefem Haufen von inleitungen, 
Diarriben und Recapitulationen fpricht der Verf. noch» 
mals über das Nothmendige und das Misliche feiner 
Behandlungsmeife, gibt einen flüchtigen Überblid über 
die Locale der beutfch - nieberländifchen Malerei vom 13. 
bis. 18. Jahrhundert und ihre Schulenfolge, und ver- 
gleicht dann abermals in Bezug auf ben Kunftberuf und 
die Fähigkeit zur Malerei Romanen und Germanen, ſo⸗ 
dag er in dieſer Ruͤckſicht die Staliener noch einmal, 
dann die Spanier und Franzofen charakterifirt, darauf 
die Engländer und endlid, wieder die Holländer, für de» 
ven Vorzug in ber Malerei er binweift auf ihre Volks⸗ 
und Religlonsverfaffung, Thaͤtigkeit nach aufen, Sitte 
im Innern, auf die pragmatifche Beſchaffenheit ber Lan⸗ 
beönatur und endlich die malerifche nach dem bekannten 
Sage, daß weite Ebenen und waſſernahe Landichaften 
der Entwidelung. des Colorits befonderd günftig. Mit 
der Ausführung biefer Theis kommen die Vorerörterun- 
gen und ber erſte Band zu Ende. Es ift weder eine 
ſtrenge philoſophiſche noch eine zweckmaͤßige biftorifche 
Methode darin; und man bedarf deffen nicht, um al 
das Lehrreihe und Intereffante, mas ber wirklich ge⸗ 
fchichtliche zweite Band enthält, vollkommen zu ver- 
ſtehen. x. SE 


Königsberger Taſchenbuch. Herausgegeben von Ludwig 
Walesrode. 
( Beſchluß aus Nr. 20.) 


„Bwei andere Beiträge geben merkwürdige Nachrichten über 
das damalige Eenfurwefen. In einer Tonigäberger Buchhand⸗ 
lung waren «Materialien zur Regierungsgeſchichte Friedrich 
Bilyelm’s IV.» herauſsgekommen. dritte Derfelben 
paflirte anfanglich die Genfur, wurde aber dennoch bei feinem 
Erſcheinen confiscirt und der Staatsanwalt trug bei dem Ober: 
cenfurgericht auf Beftätigung der Gonfiscation an. 8war ent: 
Kann diefe Materialien nur nackte Thatfachen ohne alle Rai: 
onnements3 gleichwol fand der Staatsanwalt, daß die Bro⸗ 
ſchuͤre nicht nur eine feindfelige Tendenz habe, fondern auch, 
daß den mitgetheilten Matſachen theils Durch die Ausdrucks⸗ 
weife, theild durch Die Gruppierung und theild durch die typi- 
fche Hervorhebung einzelner Wörter ein Colorit verliehen fei, 
durch welches diefe Watſachen entftellt und in ein anderes, 
immer aber für die Regierung gebäffiges Licht geftellt werden. 
Er erflärt die Schrift Daher für gemeingefährlick und dringt 
auf deren Vernichtung. Crelinger, der Anwalt des Buchhänd- 
lers, ſucht dieſe Anklage zu widerlegen. Er will ſich nicht ges 


83 


rade über die allzu fcharfe, dem Gebiete des Berflandes ange: 
börige Auffaffung des Anklägers befehweren, mag aber doch 
nicht in Abrete ftellen, daß eine vielleicht der Stellung des 
Staatsanwalt nothiwendig angehörige, mindeftene in hohem 
Grade vorurtheildvolle Anfıht auß der ganzen Denunciation 
hervorleuchte. Der Staatsanwalt hatte ſich befonders darüber 
befgwert, daß die Materialien neben einzelnem Wichtigern der 
Hauptfahe nach nur ſolche Dinge regiftriet hätten, denen eine 
geſchichtliche Wichtigkeit nicht beigumeffen fei, wie 3. DB. eine 
—— des Kriegsminiſteriums, betreffend die anzuordnende 
Steichförmigkeit im Zragen. der Badenbärte bei Offizieren, 
Unteroffizieren und &oldaten, ferner die (Ernennung eineß 
Lieutenantd a. D. zum Hofjagdjunfer, eine berüchtigte Ange: 
legenheit. eines Iebensluftigen Genfors in Köln, die Einfuͤh⸗ 
rung ded Fruͤhgottesdienſtes für Droſchkenkutſcher u. ſ. w.“ 

„In Betreff der gebälfigen Darfiellung, welche der Staats- 
anwalt in einzelnen Stellen der Materialien findet, fagt der 
Bertheidiger: «Der Staatsanwalt gibt ſich nicht einmal die 
Mühe anzudeuten, worin denn das ar der Ausdrucks⸗ 
weife liege, da das Neferat doch eben einfach referivend if. 
Enthält daſſelbe wirklich etwad, was eben nicht zur Freudig⸗ 
Zeit ftimmen mag, fo mag es die Schuld des Dargeftellten, 
nit der Darftellung fein; und id) kann die Vermuthung nicht 
abweifen, daß der Staatsanwalt, aufgeregt durch den Inhalt 
des Gegebenen, aus Mangel von genauer Prüfung der Ge: 
neſis der empfangenen @indrüde, der fchuldlofen Form zur 
Loft legt, was allein dem Wefen der Sache zuzurechnen ift.» ” 

„Rah einigen einen Bemerkungen über die ſtiliſtiſche 
Fertigkeit, logiſche Schärfe, Ungenauigkeit und adie höchſt fluͤch⸗ 
tige und ungeordnete Zufammenftelung» des Staatsanwalts, 
deſſen Anklage ftellenweife «faft an die Grenze ftseift, wo das 
Ernfte und Würdige, welches allein vor einem Gerichtöhofe 
gelten follte, aufhört», und deſſen wegen der typiſchen Aus: 
zeichnung erhobene Vorwürfe «jedenfalls des nöthigen Maßes 

und der Umficht entbehren», ftellte der Defenfor fchließlich den 
Antrag auf Freigebung der Schrift, wurde jetoch von dem 
DObercenfurgericht abgewiefen, da die VBertheidigung nicht ge 
eignet erfien, den Borwurf der Gemeingefährlichkeit der « Ma⸗ 
terialien zur Regierungsgefähichte» zu befeitigen.’’ 

„Das Taſchenbuch enthält außerdem noch ein Eurlofum, in 
welchem jih das Inftitut der Eenfur als eine der räthjelhafte: 
ften Erfigeinungen der europäifchen Culturgeſchichte darſtellt. 
Dr. Zacoby überfandte dem LKocalcenfor eine Stelle aus Cor: 
menin's «Buch der Redner» mit der Bitte um die Drud» 
erlaubnif. Der Auffeg fängt an: «Wenn die im Ramen der 
Geſellſchaft mit der Einfegung der Richter beauftragte Regie» 
zung einen Bürget zu dielem erhabenen Amte beruft» u. f. w. 
Der Cenfor verlangte vor Ertheilung des Imprimatur zuvor 
eine nähere Angabe der Quelle, und nachdem dieſe erfolgt war, 
deeretirte er wörtlih wie folgt: 

„« Wenn ftatt der Unfangsworte «wenn die Regierung» 
gefagt wird «wenn eine Regierung», fo wird dad Imprima⸗ 
tur hierdurch ertheilt. Der Ausdruck «die Regierung» müßte 
nach dem Drte des Inferats, einer biefigen Zeitung, auch auf 
unfere bezogen werden. Eine ſolche Deutung würde aber das 
Inferot als dem Artikel 4 der enfurinftruction zuwiderlau⸗ 
fend darftellen und zur Verſagung der Druderlaubniß zwin⸗ 

gen. Da das Buch, aus welchem der. obige Aufſatz entnom- 
men, einen durch das Nachdruddgefeg geichügten Autor hat, 
fo Fann diefes dem Abdrud nicht entgegenftchen.» Man weiß 
nit, was man höher anflaunen fol, des Cenſors fcharffinnige 
Deutung des Artikels A, oder die Weisheit, mit welcher er 
das Nachdrucsgeſetz auf den vorliegenden Fall nicht anwendet.” 

„Auch die theologifhen Zwiſtigkeiten find im Taſchenbuche 
mit berührt worden. Es lebte vor hundert Jahren in Könige: 
berg ein evangeliſcher Geiftlicher, Namens Rupp, ein geiftvol- 
ler Schriftſteller und vorzüglicher Kanzelredner. Er fagte fi 
von einigen veralteten Beftimmungen der Kirchenlchre los und 
dien dabei die Mehrzahl der aufgellärten Menſchen auf fei- 


ner Seite au haben. Wie aber die Sachen damals flanden, 
fonnte ed ihm auch nit an Feinden fehlen; unter Andern 
trat ein Pfarrer Weiß auf und fuchte zu beweifen, dag Rupp 
ein Irrlehrer ſei, der abgefegt werden muͤſſe. Als Gegner des 
Pfarrers Weiß erhob eh . U. Wechsler, unftreitig der 
Ihärffte Dialektifer unter den zehn Männern, welde Auffäge 
für das Taſchenbuch geliefert Haben. Da fein durchdringender 
Berftand fehr wohl die Gefahr erkannte, mit der damaligen 
Geiſtlichkeit fih in Streit er fo muß man den Muth, 
mit welchem er e6 that, um fo höher anfchlagen. Wir glau: 
ben etwas zur Charakteriftif jener Zeit beizutragen, wenn wir 
den Anfang feiner «Bedenken über die Antithefen des Pfar⸗ 
rers Dr. Weiß gegen Rupp: Bom reiten chriftlichen Glau⸗ 
ben» bier mittheilen: ” 

„«Mit der Geiftlichfeit m Prieden zu Ieben, war eine 
Marime unferer Alten, die ſich auch heute noch ein Ieder, dem 
feine Ruhe am Herzen liegt, immer zur Richtſchnur nehmen 
muß. Denn e6 ift fchon überhaupt nicht‘ gerathen, den Zorn 
eines Andern ohne Roth zu erregen, und wäre es auch in der 
gerechteiten Sache, weil man doch nicht wiſſen fann, ob der 
Zorn nicht in nadhtheiligen Haß ausfchlagen und auf die Ge 
legenheit lauern wird, fih an Dem Feinde gründlich zu rächen. 
Indeſſen jind die Menfchen im Ganzen verföhnlid, und da fie 
fih im Durchſchnitt auch der Mangelbaftigkeit ihrer Beſtre⸗ 
bungen bewußt find, fo pflegt wol, wenn ihr erftes Auflodern 
über einen unerwartceteten Widerftand verraucht ift, die Ein- 
ficht ihres eigenen Unrechts die Glut des Herzens allmälig zu 
fühlen, und was der Einſicht nicht gelingt, vollendet zulegt die 
Zerftreuung des Lebens. Mit der Geiſtlichkeit ift es anders. 
Sie ift die Verfündigerin der ewigen Wahrheit, die Vertreter 
rin der unendlichen Liebe, und wer einmal das Unglüd hat, 
fie in diefer ihrer Eigenfchaft, d. 5. als Geiſtlichkeit zu krän⸗ 
en, der hat gleichſam den heiligen Geift gekraͤnkt, für deſſen 
Verkoͤrperung fie fi anficht, und das ift bekanntlich eine 
&ünde, die weder in diefem noch in jenem Leben jemald Ver⸗ 
gebung finden kann. Preilih bat man in der Anwendung 
dDiefem Sage eine Ausdehnung gegeben, die ihn für die allge 
meine Rube bedenklich macht; denn obſchon es unter den An⸗ 
gelegenheiten der Geiftlihen auch ſolche gibt, die weder mit 


der unendlichen Liebe noch mit der ewigen Wahrheit im ente 


fernteften in Verbindung ftehen, fo nehmen fie doch nad einer 
gewiſſen communicatio idiomatum für den irdifchen Theil ih: 
ver Angelegenheiten diefelbe Unantaftbarkeit in Anſpruch, Die 
ihren himmlifyen gebührt, und kaͤmpfen ſtets mit dem heili- 
gen Haß, ale wäre es ein Kampf pro aris, wenn fie auch 
noch fo augenſcheinlich einzig und allein pro focis kaͤmpfen. 
Vielleicht war ed eben diefe Crfaprung... die Kerdinand I. zu 
jener berühmten Außerung trieb, er würde, wenn ihm zugleich 
ein Sefuit und ein Engel entgegenfämen, fi zuerft vor dem 
Sefuiten beugen ; denn der Kaifer wußte wahrfcheinlich, daß die 
Engel des Himmels verzeihen können, aber die Jefuiten nie.» ’ 
„Wenn nun Wechẽler, trog feiner innigften Überzeugung 
von der Räthlichleit diefer goldenen Regel, dennoch in einen 
thbeologifhen Kampf fi mifchte und unter die Streitkolben . 
der Drthodorie wagte, fo geſchah es durch ein unüberwindli- 
ches Gefühl, das ihm Mitleid oder Scham, oder fogar Entrü⸗ 
ftung zu fein ſchien. Er wußte, daß fein Gegner, der Pfar⸗ 
ver Weiß, mit dem Krebs eines Glaubens gepanzert wur, an 
defien fteinerner Undurchdringlichkeit auch die fchärfiten Pfeile 
der Logik kraft- und erfolglos niederfallen; gleichwol unter» 
nabm er den Strauß. Rupp hatte keinen Gewinn davon, 
denn bald darauf wurde er wegen feined Mangels an Recht 
gläubigkeit von feinem kirchlichen Amte feierlich abgeſetzt.“ 
„Außer der ernft gehaltenen Profa finden wir in dem Ta⸗ 
ſchenbuche auch mehre fchalkhafte Lieder, die wir als cine 
brauchbare Ergänzung zu den Sittenfchilderungen der damali⸗ 
gen Seit willfommen heißen. Der Dichter heißt Cäfar von 
Lengerke. Wie feltfam die Geſellſchaften zufammengefeht wa⸗ 
ten, in denen ſich unfere Borältern Mühe gaben, vergnügt zu 


84 


fein, erfehen wir aus dem Gedichte «Meine Soirden. Manche 
arin vorgeführte Perfonen, wie z. B. der Junker, der Hof 
rath, die mudernde Alte, der Kirchenintendant, haben für uns 
etwas Myſtiſches und würde es ſchwer halten, ber Iegtwelt 
einen Haren Begriff von diefen verfchollenen Figuren beizu- 
bringen; fo viel feyeint aber gewiß, daß fie vor 100 Jap: 
ren wichtige und einflußreiche Beitandtheile der menfchlichen 
Geſellſchaft ausgemacht haben. Bon ihrer Entbehrlichkeit bat 
ſich erſt eine fpätere Generation überzeugt.‘ 
Meine Soiree. 
Die Säfte find geladen, 
Die Kerzen ſtrahlen ſchon, 
Nobleſſe — hohe Gnaden — 
Grwartet mein Salon. 


Der Langbaar kommt zu Gafte, 
Der ſchmaͤchtig, wie gehenkt, 
Langfing'rig jede Taſte 
Mir am Glavier zerſprengt. 

Auch wird ein Dichter kommen, 
Bon Weltſchmerz wie befeelt, 
Dem’d aber — fireng genommen, — 
Am bearen Geld nur fehlt. 

Der Diime, der im Stillen, 
Gin Roscius ſich duͤnkt, 

Weil er, ein Held im Bruͤllen, 
Sich auswaltirt und ſchminkt! 


Ein Jude, Freund der Kuͤnſte, 
Ganz liberal gefimmt, 
Der aber zum Gewinnfte, 
Bon hundert — funfzig nimmt. 


Billlommene Erſcheinung! 
Der Hofrath, Herr von Whiſt! 
Der niemald eigner Meinung 
Und d’rum en rogue iſt! 

Der Junker, den „auf Ehre!” 
Sein Roßverftand empfiehlt. 
Der Cenſor, deſſen Schere 
Mir die Gedanken ſtiehlt. 

Ich lud ben Diplomaten; 
Er ward — d'rob flolz er blidt — 
Zum Beil der beutfhen Staaten 
Nah Buͤckeburg geſchickt. 

Den Staatsmann — mir zum Glücke! — 
Der feine Zeit erkennt, 
Und einen Schritt zurüde 
Noch keinen Rüdfchritt nennt. 


Dazu viel Subalterne 
Mit langem Ordensband, 
Daß man fie aud ber Zerne 
Schon als loyal erkannt. 
Den Kirhenintendenten, 
So feift und duͤnkelvoll, 
Zwar Null nur an Zalenten, 
Doch Pfaffe — jeder Boll. 
Mich wird ein Fuchs erfreuen, 
Der in dem Kampf der Welt 
Sich über die Parteien, 
Nicht in und außer flellt. 
Die Alte, die da mudert, 
Und doch nicht chriſtlich⸗mild 
Ihr Urtheil überzudert, 
Wenn’s ihren Näcften gilt. 
As Biel für Amor's Köcher 
Auch junger Gaͤnschen viel, 


Berantwortliher Herausgeber: Heinrich Wroddans. 


Bewaͤhrt mit Euld und Faͤcher 
Und loſem Augenſpiel. 


Als Ale fie erſchienen, 
— Dem Herzen theuer mir — 
Da hab' ich hinter ihnen 
Leif“ zugebrüdt die Thür. 


Ein Kreuz dab’ ich gefchlagen 
Den Gäften binterbrein, 
Und lief fie fläfternd fragen? 
Wo mag der Wirth nur fein? 

Denn als bie legte Schleppe 
Gerauſcht in den Salon, 
Floh auf der Hintertreppe 
Aufathmend ich bavon. 

Mit einem noch Bekannten 
Wollt' ich alleine ſein, 
Und aß beim Reſtauranten 
Daher mit mir allein. 


„Bar unſere hiſtoriſche Aufgabe hatte die Auffindung des 
« Königsberger Taſchenbuchy einen erheblichen Werth ; der Ein- 
drud, welchen es im Einzelnen und Ganzen auf uns gemacht 
bat, befefligt uns in der Anficht, dag Dftpreußen in jener 
merkwürdigen Übergangöperiode von vorzüglicher Bedeutung 
gewefen iſt. Auch glauben wir und nicht zu irren, wenn wir 
Diejenigen, welche hier ald Bertreter politifher und religiöfer 
Freiheit aufgetreten find, für geiftesfrifche und gefinnungstüch« 
tige Männer halten, deren Worte und Thaten nicht unwefent- 
Lich zur Reugeftaltung der Dinge beigetragen haben.” 13. 


Bibliographie. 
Anſprachen an Chriſtenherzen aus Dr. Heine. Müller’s 


geiftlihen Erquidftunden. Zwickau. 1845. 8. 3 Nor. 
‚ Chowaneg, 3. (Iulian Ehownig), ‚Dferreig und 
feine Gegner. Mainz, Kunze. Gr. 8. I Thlr. 3 Nor. 


‚„. Särfhen, E., Amalafuintha die Gothenkönigin. Hiſto⸗ 
riſche Teauerfpiel in fünf Aufzügen. Würzburg, Stabel. 1845. 
. 15 Rer. 


Graͤtz, H., Gnoſticismus und Judenthum. Krotofchin, 
Monaſch und Sohn. Gr. 8. 22, Nor. 

Hellas und Rom. Vorhalle des klaſſiſchen Alterthums. 
te Abtheilung (die Proſaiſten des helleniſchen Alterthums in 
einer organiſchen Auswahl aus ihren Meiſterwerken). Rach 
den beften vorhandenen Übertragungen herausgegeben und mit 
fortlaufenden biographifchen und Literärgefchichtligen Erläute: 
zungen begleitet von 8. F. Borberg. Ifte und 2te Liefes 
rung. Stuttgart, Göpel. 8. 1 Zhlr. 

Holbein, F. v., Der Verräther. Luftfpiel in einem 
Acte. 2te Auflage. Wien, Walishauffer. 1845. Gr. 8. ES Nur. 

Neitroy, 3., Der Zerriffene. Poſſe mit Gefang in drei 
Acten. Wien, Wallishaufler. 1845. 8. 15 Nor. 

Roth, R., Zur Literatur und Geschichte des Weda. 
Drei Abhandlungen. Stuttgart, Liesching und Comp. Gr. 8. 

rF. 

Schönſtein, G., Das Privat» und Haustheater. Iftes 
Bändchen: Das unterbrochene Duell. — Der Bürgermeifter. 
Wien, Wallishauffer. 1845. 12. 8 Nor. 

Theokrit's elftes Idyll, als Probe einer Verdeutschung 
seiner sämmtlichen Idylien, nebst Behandlung zweier Stel- 
len des ISten Idylis im Vorworte. Von E. Kaercher. Karls- 
ruhe, Braun. 8. 5 Ngr. 

Vincas, H., Vergleichende Darftelung evangeliſcher 
Grundwahrheiten und reiner Verſtandeslehren über fie. Olden⸗ 
burg, Schulze. 1845. 8. 20 Nor. 

— — Schullehrer-Seminarien und Volksſchulen. Older⸗ 
burg, Schulze. 8. 25 Nor. 


— Drud und Verlag von F. X. Brockhans in Reipzig. 


Blätter 
für 


literarifhe Unterhaltung. 





Gefchichte des deutſchen Journalismus. Zum erſten 
Mole vollſtaͤndig aus den Quellen gearbeitet von 


R. € Prug. Erſter Theil. Hanover, Kius. 
1845. &r. 8. 2 Zhlr. 20 Ngr Henoder, 

Nicht blos die Juriſten unſerer Tage theilen ſich in 
eine hiſtoriſche und in eine philoſophiſche Schule, und nicht 
blos die Theologen der Gegenwart ſtreiten um ben hi⸗ 
fiorifhen Ehriftus und den fpeculativen Chriſtus; nein, 
auf dem Gebiete jeder Wiffenfchaft, die nicht ihrem We⸗ 
fen nach rein empirifcher Befchaffenheit ift, haben fich 
die gefchichtliche Betrachtungsweiſe und die philofophifche 
oft fehr ſubjective Auffaffung fcharf gefondert und geben 
das Feldgefchrei ab für fchroff und feindlicd, einander ge- 
genüberftehenbe Parteien. Und dies ift das Hauptgebre- 
&en, an dem die Wiſſenſchaft der Gegenwart frank liegt. 
Immerhin mag es für den in ber Gefühlswelt leben⸗ 
den Dichter ein wahres Wort fein: 

Partei! Partei! Wer follte fie nicht nehmen, 
Die no die Mutter aller Siege war. 
Immerhin mag der Mann, welcher zu öffentlihem Wol- 
Ien und Handeln berufen ift, Partei nehmen müffen: 
die Wiffenfhaft Hat eine andere Stellung und Aufgabe; 
ihr Zweck ift die möglichft parteilofe Erforſchung und 
Darftellung der Wahrheit, die fich feiner Abneigung und 
feiner Zuneigung untererbnen kann und barf. Leider 
macht es die Verwirrung unferer Tage nöthig, ausdrück⸗ 
lich hinzuzuſetzen, daß ich unter „parteilofer Wiffenfchaft” 
keineswegs jene tobte, flarre Gelehrſamkeit verftcehe, Die 
fo viel Schönes und Großes erftidt und erdrüdt hat; 
daß ich vielmehr bei allen Verirrungen ber heutigen wif- 
fenfchaftlihen Thaͤtigkeit ben größten Kortfchritt darin er- 
kenne, daß fie dem Leben der Völker und der Einzelnen 
‚nicht mehr fern ſtehen will, daß fie fich einerfeite dur 
die geiftigen Bedürfniffe der Menjchheit ihre Bahnen 
vorzeichnen laͤßt, andererfeit® eine fihere Grundlage her- 
zuftellen bemüht ift, auf der wahres Völkerrecht aufge- 
baut werden kann; Leptered aber wird eben nur dann 
möglich werden, wenn ihr Streben einzig und ausfchließ- 
lich auf die Wahrheit, auf die reine Wahrheit, auf 
nichts als die Wahrheit gerichtet iſt, wenn fie fi zn 
diefem Zwecke jeder geiftigen Kraft bedient, wenn fi 
alfo namentlich die beiden Anfchauungsmelfen, durch wel- 
che der menfchliche Geiſt Alles und Jedes erkennt, bie 


gefhichtliche und die philofophifche, nicht gegenfeitig aus⸗ 
fhließen, fondern fich vielmehr auf das engfle aneinan- 
berfchließen und gegenfeitig durchdringen. 

Diefe allgemeinen Betrachtungen fcheinen mir zu dem 
Werke, deſſen Beſprechung bier folgen foll, in einer dop- 
pelten Beziehung zu ſtehen, einmal zu feinem Inhalte, 
fodann zu feinem Verfaſſer. Was zunächft den Regtern 
betrifft, fo ift e6 bekannt genug, bag Prug ſich mit al⸗ 
lee Kraft und vollem Eifer einer Partei angefihloffen 
hat, der es wiederholt zum Vorwurf gemacht worden 
ift, daß fie jeder rein wiſſenſchaftlichen Erkenntniß fremb, 
ja feindlich gegenüberftehe ; daß fie namentlich bem ges 
ſchichtlich Gewordenen fein Recht abfpreche und bie Welt 
mit einer plöglichen Umgeftaltung bedrohe, die von rein 
abftracten, inhaltslofen Theorien oder gar Phantaſien 
ausgehe, daß alfo zwifchen dem Beftehenden und bem 
von dieſer Partei Gefoderten Leine Brüde vorhanden 
fei, daß fie nur auf dem Wege gemaltfamer Ummälzung 
das vielgepiefene Ziel erreichen könne. Und es bürfte 
allerdings fehmer halten, diefe Vorwürfe von jener Par⸗ 
tei ganz und unbedingt abzuwaͤlzen: um fo höher aber 
ift es anzufchlagen, um fo freubdiger anzuerbennen, wenn 
aus der Mitte diefer Partei ein Mann, der jedenfalls 
unter ihren Angehörigen eine der geiftig bebeutendfien 
Stellen einnimmt, hervortritt und durch ein bedeutendes 
Merk zeigt, daß er weder wiffenfchaftlicher Thätigkeit 
überhaupt noch ber firengften Forfchung und gefkhicht- 
lichen Erkenntniß feindlich gefinnt ift. Und biefe Stel⸗ 
lung bat Prutz durch feine „&efchichte des deutſchen 
Journalismus” zwar nicht zuerft, aber am entfchieben- 
fien eingenommen. 

Zuerft in feinem „Göttinger Dichterbund” (Eeipzig 
1841) hat fi Prug als einen gründlichen Kenner und 
geiftwollen Darfteller ber deutfchen Literaturgefchichte be- 
währt; ein ferneres nicht geringes Verdienſt erwarb fi 
derfelbe durdy Gründung und eigene Theilnahme an dem 
„Riterachiftorifchen Taſchenbuch“ feit 18435 jest liegt 
der lange erwartete erfle Theil eines Werks vor, wel- 
ches für einen fehr wichtigen Literaturzweig Epoche ma- 
hen muf. Zwar verleugnet Prug auch hier feine Dent- 
und Ginnesmeife nicht im entfernteften und Tonnte bies 
als ein Ehrenmann, vie er fi) immer gezeigt hat, nicht; 
aber er fpricht feine Anfichten aus auf dem Grunde ber 


86 


ſorgfaͤltigſten und fleißigſten Forſchungen, die ihm in glei⸗ 
chem Umfange nicht leicht Jemand nachthun dürfte; er 
legt eine Treue und Gewiſſenhaftigkeit, eine Unbefangen⸗ 
heit des Urtheils, eine Gediegenheit geſchichtlicher Kennt⸗ 
niß und geſchichtlichen Urtheils an den Tag, er verbin⸗ 
det die rein objective Darſtellung ſo geſchickt mit der 
Darlegung geiſtiger Entwickelungen, daß ſein Buch auf 
jeden Unbefangenen, welcher Partei er im Übrigen auch 
angehören möge, nur den günftigften Eindruck machen 
kann. Es ift eine der nicht zahlreichen neuern Werke, 
welche in hohem Grabe geeignet find, den oben erwähn- 
ten Zwieſpalt zwifchen gefchichtlicher und philofophifcher 
ober. fubjectiver Betrachtungsweife vwiffenfchaftlicher Ge⸗ 
genftände zu einigen, und daß diefes Merk gerade von 
jener Seite ausgegangen ift, weldher Prug nach wie vor 
angehört, kann das Verdienſt deffelben, die Zreude da- 
ran nur erhöhen. 

Hat fo ohne Zweifel des Verf. Perfönlichkeit den 
Werth feiner Arbeit merklich gefördert und gehoben, fo 
ift auch der Stoff derfelben an ſich ein ebenfo wich: 
tiger als anziehender. Scyon 1828 rechnete A. Balbi in 
der „Revue encyclopedique” auf Deutfchland gegen 700 
Beitfchriften, und jegt dürften fich diefelben wol wenig- 
ſtens verboppelt haben. Unzählige Menfchen befriedigen 
ihre Literarifchen Bedürfniſſe ausfchließlich durch Zeit- 
ſchriften. Es gibt keine Sphäre geiftiger oder mechani- 
fcher Zhätigkeit von der abftracteften Speculation bis 
zum legten Handwerk, die es nicht für nöthig hielte, ihr 
eigenes „Organ“ zu haben. So läßt fi) die Maffe po- 
fitiver Kenntniffe, noch weit mehr die Maffe geiftiger 
Anregungen gar nicht berechnen, die durch die moderne 
Journaliſtik unter den Völkern bis tief in die unterſten 
Schichten ber Gefellfhaft verbreitet werden. Wer alfo 
feinen Blid nur irgend über das augenblidlichfte, äußere 
Sntereffe zu erheben vermag, dem muß die Frage nach 
Entſtehung und Beranbildung diefer Tagesmacht fich von 
felbft aufdrängen, ihre. Beantwortung muß wenigftens 
feine Neugierde reizen; und das ift die allerniedrigite 
Betrachtungsweiſe. Die thatfächlich vorhandene Macht 
ber Tagespreſſe hat aber auch auf der einen Seite die 
überfäwänglichfien Hoffnungen, auf ber andern Seite 
nicht geringere Beforgniffe rege gemacht; einerfeitd naͤm⸗ 
lid glaubt man in ihr das unfehlbarfte Mittel zur fitt- 
lichen, politifchen und, foweit als nöthig, wiffenfchaft- 
lihen Beranbildung der Volksmaſſen zu erfennen und 
erhoffe von ihre namentlich die Fräftigfte Beihülfe zu 
fiherer Erreihung aller demokratifchen Gelüfte unferer 
Zeit; andererfeits fürchtet man, daß diefe nicht wegzu- 
leugnende Macht jede andere Gewalt vertilgen und. be- 
wältigen, fich felbft anı Ende zur wahren Beherrfcherin 
der Staaten und Völker aufwerfen werde. So ift es ge- 
fommen, dag man jegt bei dem Verlangen nach Preß- 
freiheit immer nur zunäcdhft die Tagespreffe im Auge 
bat, daß zwifchen derfelben und den Staatsgewalten ein 
bartnädiger Kampf von beiden Seiten mit verfchiedenen, 
nicht immer mit den ehrlichften Waffen geführt wird. 
Eine Löfung diefes Streits — einer Löfung aber und 


nicht eine Niederlage auf ber einen oder der andern Seite 
bedürfen wir — wird erft dann möglich werben, wenn 
man das Wohin? der Zeitfehriften aus ihrem Woher ? 
zu erklären und vorauszufehen verftcht, wenn auch auf 


diefem Gebiete die Gefchichte erkannt, aber nicht nur er- 


kannt, fondern auch als LXehrerin der Gegenwart aner- 
kannt worden if. So gefellt ſich alfo zu der rein wif- 
fenfchaftlichen, literarhiftorifchen Bedeutung, die der @e- 
fhichte des Journalismus beiwohnt, noch die andere 
Seite der politifhen Wichtigkeit, die in unfern Tagen 
mehr ale je hervortritt. Es gefellt fi aber auch noch 
eine dritte Nüdfiht Hinzu: man mag auch noch fo ent: 
fchiebener Freund des Journalismus fein, das kann man 
nicht in Abrede ftellen, daß er noch lange Das nicht ift, 
was er fein kann und fol; und zwar darf er-das nicht 
allein äußern Hemmniffen zur Laſt legen, fondern hat 
alle Urfache, feiner eigenen Verfchuldungen zu ‚gedenken. 
Schon vor mehr ald 20 Jahren fprah ſich Carus in 
dem Taſchenbuch „Minerva über das Unwefen der Zeit- 
ſchriften und Unterhaltungsblätter aus, und was bort zu- 
nächft den unendlich verfumpften belletriftifchen Theil der 
Tagespreffe traf, das gilt vielfach aud) noch von ber 
heutigen im weiteften Umfange, die oft nicht Zagespreffe, 
fondern höchftene nur Eintagspreffe zu heißen verdient. 
Gerade der Journalismus ift feinem ganzen Wefen nady 
fo vielen Abirrungen und Zehlgriffen ausgefegt, daß feine 
Leitung ganz vorzugsmweije gefinnungstüchtigen und gründ⸗ 
lich gebildeten Männern anvertraut fein müßte, und in 
welchem Widerfpruch ſteht hiermit die Wirklichkeit! Die 
deutfchen Zeitfchriften laffen ſich wahrlic, zählen, deren 
Redaction ſowol den Willen als das Wermögen bethäti- 
gen, ihrer Aufgabe nachzutommen; mehr ale einmal ift 
es dageweſen, daß Leute, die nicht im Stande waren 
ſich ihr Brot anders zu verdienen, flugs ein Sournal 
grümbeten und redigirten; und welche fhmählichen Be- 
weife des niebrigften Miethlingsthums find noch in aller- 
neuefter Zeit mit der frechften Stirn von den Betreffen- 
den felbft ans Licht gebracht worden! So fteht es mit 
den Nedactionen, und nicht anders mit den Mitarbei- 
tern, wovon ſich namentlich bei fo mandem Minfeljour- 
nale wunderlihe Dinge erzählen ließen. Auch hier kann 
es fein befferes Mittel zur Heilung der vorhandenen 
Übel, zu gedeihlicher Fortentwickelung geben als Selbft- 
ertenntniß, und wie follte die Tagespreſſe zu diefer bef- 
fer gelangen ale dadurch, daß fie ihre Herkunft, ihr 
Wachsthum und ihre Entwidelung kennen lernt, daß fie 
aus ihrer eigenen Geſchichte erficht, welches ihre Auf- 
gabe fei, wo, wie und wodurch dieſe bisher verfehlt, 
wo, wie und wodurd fie wenigſtens annäherungsmeife 
erfüllt worden? 

Wenn man einer Geſchichte des Zournalismus diefe 
dreifache Wichtigkeit für die Kiteraturgefchichte, für das 
Staatsleben und für die Zukunft des Journalismus 
felbft nicht abfprechen fann, fo wird man auch von die- 
fer Darftellung derfelben eben Das behaupten können, 
was Prug von dem Journalismus treffend nachgewieſen 
bat: daß er weder in feiner Entfiehung noch in feiner 


8 


.weitern Entwickelung ein Werk der Willfür, fondern un- 
willkürlich als der für gewiffe Zeiten und Umftände ent: 
fprechendfte Ausdrud entflanden und immer nur in voll- 
fier Ubereinflimmung mit der Zeit und deren Eigen⸗ 
thümlichkeiten fortgewachfen fei. Ganz ebenfo mie das 
Refermationgzeitalter den Journalismus felbft, mußte 
unfer Zeitalter, wenn es nicht eine fehr bedeutende Auf: 
gabe überfehen wollte, eine Geſchichte des Journalismus 
bervorbringen, und wir haben alle Urſache, dem Schick⸗ 
fat zu danken, daß bie Löfung diefer Aufgabe fo ganz 
in die rechte Hand gefallen if. Möge nun auch die 
Theilnahme der Lefer die rechte fein und fo reiche Be— 
Iehrung, wie fie dies Buch bietet, nicht verloren gehen. 

Gehen wir zu einer nähern Betrachtung des Gebo- 
tenen über, fo finden wir bald, daß, wie nothmwendiger- 
weife jedes literaturgefchichtliche Merk, fo auch diefes fei- 
nem Inhalte nad in zwei Haupttheile zerfällt: in eine 
rein referirenbe Darftelung des realen Stoffe und in 
eine zufammenhängende Entwidelung, welche theils bie 
Urfachen, welche der Bildung jenes realen Stoffs vor: 
ausgingen, theils die Folgen, die fi für das geiftige 
Gefammtleben des Volks daraus ergaben, darlegt. Ob 
diefe beiden Daupttheile firenger voneinander gefondert 
werden müffen oder mehr ineinander gearbeitet werden 
tönnen, ‚das hängt von der Beichaffenheit des jedesmal 
vorliegenden Stoffs ab; auch in dem vorliegenden Werke 
konnte in diefer Beziehung nicht durchweg die gleiche 
Berfahrungsweife eingehalten werben; doc, ift überall die 
Bemühung erfihtlih, mit welcher der Verf. auch den 
rein referivenden Abfchnitten ein allgemeineres Interefje 
zu geben gejucht und gegeben bat. So läßt fich Hoffen, 
Daß ſelbſt Lefer, die fonft nur eine leichte anregende Un- 
terhaltung fuchen, es nicht verfchmähen werben, ihre Auf: 
merkſamkeit auc den firenger gehaltenen Theilen des 
Buchs zuzuwenden, die nebenbei manche unterhaltende 
Einzelheit und Seltſamkeit darbieten. 


(Der Beſchluß folgt.) 





Gegen Rom. 


Seit den trügeriſch geiömiebeten Decretalen Ifidor’d und 
ber Schenkungsurkunde Konſtantin's, „dieſen beiden magifchen 
Pfeilern der geiftlichen und weltlichen Einherrſchaft der Papfte”, 
wie fie fehon. Gibbon treffend genannt; feit mehr denn einem 
Sabrtaufende ift, wenn Fein anderer getreuer Edardt da war, 
die Völker und die Menfchheit zu warnen vor dem Weſen her 
römifhen Hierarchie, der Trug⸗ und Lügengeift derfelben auf 
gedeckt, gegelgeit und gefläupf worden von dem Spotte der Dicht: 
ſt. Die Spottgedichte, die Stachelreime wider den päpftlichen 
Stuhl, feinen Wandel und feine Herrfchaft, gegen die darauf wal: 
enden Srundfäge und Gewohnheiten reichen bis in die früheften 
Sahrhunderte feiner eigenen Zeitrechnung hinauf, fie werden fort» 
" dauern, bit ſich der Fluch erfüllt, den ein neuerer Dichter der Le 
bendigen gegen ein übertündhtes Grab geſchleudert. Schon ein 
Iateinifder Epigrammatiker des 10. Sabehunberts, der das 
von ben —*8 ausgeſonnene, oder dem Cultus vorchriſtlicher, 
gutheidniſcher Religionen entlehnte Märchen vom Fegfeuer oder 
der Vorhoͤlle lächerlich zu machen ſucht, indem er einen Mann, 
der im Parabied gewefen, in burlesker Sprache Alles erzählen 
läßt, was er dort gefehen, ertheilt dem Papft in dem paradie: 


iifhen Hausregiment das Amt eines Küchenmeiiters zu. Gin 
anderer lateinifcher Poet, der etwa ein Sahrhundert ſpäter, 
entweder zu Ende des 11. oder am Anfange des 12. fchrieb, 
fagt gerade heraus, Rom bete wie die alten Heiden den 
Mammon an und verfchlinge in feiner unerfättlicden &ier Die 
Schäge und Reichthümer aller ber Länder, welche die Oberherr⸗ 
ſchaft des päapftlihen Stuhls anertennen. Der Dichter fingt: 

Gens Romanorum subdola 

Antiqua colit idola! 


Ornatas vestes Graeciae, 
Ebur cum gemmis Indiae, 
Deliciosa Franciae, 
Argentom, aurum Angliae, 
Lac et batyrum Flandriae, 
Mulas, mulos Burgundiae, 
Roma deglutit penitus 
Digua perire funditus. 


Quaecunque volo facio: 
Ego nuptas decipio; 

Ego corrumpo virgines; 
Edomo cunctos homines! 





Rom treibt verfhlagen und gefdeit 
Den Gößendienft der alten Zeit! 


Koftbar Gekleid aus Griechenland, 

Kleinode viel von Jadiens Stran), 

Die Schaͤtze Frankreichs; Silber, Gold 

Aus Englands reihem Schacht geholt; 

Die Milh und Butter von Brabant, 

Das Maulthier aus Burgunderland: 

Rom im gefräß'gen Schlunde birgt, 

Verdient hard, daß es d'ran erwürgt. 


Rom ſpricht, was ih will, thu' ih auch: 
Weiber verführ'n, das iit mein Brauch; 
Den Jurgfern raub' ich ihren Kranz, 
Die Menſchheit aber knecht' ich ganz! 


Die Spottdichter diefer Urt liebten es dabei oft, Bibelftellen 
in einer Weife zu parodiren, die ihnen in fpäterer Zeit, wo 
die wachſende Aufklaͤrung die päpfllide Macht ernſtlich be: 
drohte, wahrfheinlid den Scheiterhaufen eingetragen hätte, 
Im 12. Jahrhundert war es cin ftehender Wie im Bolfe, 
daß der Papſt Marcus den Evanyeliften mit einer Markt Sil⸗ 
ber verwechlelt habe. In Bezug auf dieſes Bonmot jener Zeit, 
vielleicht wol auch die Quelle deifelben, erſchien Tolgendg Paro⸗ 
die eines Bibeltertes: „Der Anfang des heiligen Evangeliums 
in Bezug auf eine Mark Silber. In dieſer Zeit fprach der 
Papft zu ben Römern: Wann der Sohn des Manſchen kom: 
men folte zum Sige unferer Majeftät, fo fagt ibm alsbald: 
«&reund, warum kommſt dDuf» Und wann er nicht abläßt, 
anzuklopfen, ohne daß er euch etwas darreicht, fo werft ihn 
hinaus in die Außerfte Yinfterniß. Und es geſchah, daß ein 
gewiſſer armer Schreiber kam zum Hofe unferd Herrn, des 
Papftes, und fehrie laut und ſprach: «Erbarmt euch meiner, 
0 ihr Pförtner des Papſtes, denn die Hand der Dürftigkeit 
liegt ſchwer auf mir und ich bin arm und elend, darum Ache 
ih zu euch, daß ihr mir beiftehet in meiner Noth und mei: 
ner Schmadh.» Da fie aber Solche hörten, wurden fie ent: 
rüftet im Geiſt und fpraden: «Freund, deine Duͤrftigkeit 
bleibe bei dir zu deinem Verderben; weiche von und Satanas, 
denn du bift nicht weife in der Weisheit des Geldes! Wahr: 
lich, wahrlich, ich fage dir, du ſollſt nicht eingeben zu den 
Freuden deines Herren, du habeft denn den letzten Heller her: 
ausgegeben.» Und der Arme ging hinweg und verkaufte ſei⸗ 
nen Mantel und feinen Rod und Alles, fo er hatte und gab 
das Geld den Cardinälen und den Pförtnern, und fie ſprachen: 
«Was ift dies unter unferer fo Vielen?» Und fie warfen ihn 
hinaus zus Thür. Und als er draußen ftand, weinte er bit: 
terlih und war ohne Troſt. Und darauf fam an den Hof 








ein gewiſſer reicher Schreiber aufgebläht und keuchend und 
en ber verrätherifcherweife Mord begangen. Und bie: 
fer Mann gab zuerft dem Pförtner, dann dem Kämmerling 
und zum Dritten den Cardindlen; aber fie dachten bei fidh, 
daß fie trachten follten mehr j erhalten. Da aber unfer 
Here, der Papſt, vernahm, dab feine Gardindie und Diener 
viele Saben empfangen hatten von dem @chreiber, erkrankte 
er bis zum ode. Darauf aber fandte ihm ber reihe Mann 
Arznei von Silber und Gold, und ſiehe da, von ſtundan ward 
er gefund. Darauf rief unfer Herr, der Papft, feine Cardi⸗ 
näle und Diener vor ſich und ſprach zu ihnen: «Brüber, hü: 
tet euch, daß man euch nicht verführe mit leeren Morten; 
denn ich habe euch ein Beifpicl gegeben, auf daß ihr nehmt, 
wie ich auch genommen babe!n’' 
Diefes ergögliche Beifpiel der Angriffe, welche in ben 
früheften Seiten von dem roͤmiſchen Klerus felbft gegen die 
Berderbtheit bed Hauptes der Ghriftenheit und ber ganzen 
Grundlage ded Papſtthums ausgingen, firbet fich mit vielem an: 
dern Stoffe der Urt in einer von Edelestand du Meris in Pa: 
ris berausgegebenen Sammlung der lateinifhen Poeſie Des 
früheften Mittelalters. Darin ße auch als Parodie der Meſſe 
eine „Missa de potatoribos“ enthalten, die mit ben Worten be: 
innt: „Initium sancti Evangelium secundum Lupum Fett 
ucam). Fraus (ſtatt laus) tibi Bacche etc.’ 26. 





Literariſche Notizen aus Frankreich. 


Stellung und Berhältniffe der Juden in 
Frankreich. 

Die Anhänger und Vertheidiger ber Emancipation der Zu: 
den pflegen fich gewöhnlich auf Frankreich zu berufen, wo bie 
factifchen Berhältniffe unmiderleglih darthun follen, daß die 
Sfraeliten unter günftigeen Umftanden bie ſchroffen Eigenthüm: 
lichkeiten, welche uns abftoßen fünnen, leicht abzuftreifen im 
Stande find. Es dürfte deshalb nicht undngemeſſen fein, Die: 
jenigen, welche dieſe wichtige Frage einer gründlichern Bes 
—8 unterwerfen wollen, auf ein vor kurzem erſchienenes 
Buch zu verweilen, in dem die Verhaͤltniſſe der Juden in 
Frankreich ausführlich befprochen werden. Der Zitel beffelben 
lautet „Des juifs en France” und Berf. ift Zheophile Hallez, 
Advocat am koͤniglichen Appellationdhofe zu Paris. Obgleich 
der Verf. keineswegs zu den modernen Berehrern des Juden: 
thums gehört und er felbft in feiner Darftellung zum Theil 
eine gewiſſe Schärfe durchblicken läßt, fo fann man ihm doch 
den Vorwurf der Yarteilichkeit nicht machen. Nichts will er 
weniger als fie um ihrer Religion willen verfolgt willen; aber 
er verlangt mit defto größerer Strenge, daB fie vor Allem gufe 
Franzoſen fein follen, alfo daß fie nicht innerhalb des großen 
Ganzen noch eine Befonderheit bilden follen. ine af Be: 
Iefenbeit entwidelt er in dem biftorifhen Theile feiner Arbeit, 
in dem er die Gefchichte des Zudenthums in Frankreich von 
den Merovingern bis zur Revolution ven 1789 behandelt. Al: 
lerdings lagen bier bereits gediegene Specialwerke, 3.8. Dep: 
ping's Reißige Schrift über die Juden im Mittelalter und einige 
andere Monographien, vor. Diejenige Abrheilung, in welcher 
Hallez mehr feine eigenen Anfichten entfaltet, geht von der 
Idee aus, daß die vollftändige Emancipation, wie fie in ber 
Revolution gegeben und feftgeftellt wurde, eine offenbare Über: 
eilung gewefen if. Er wünfdte, die Conftituirende Berfamm: 
lung —* att ſich von den Declamationen des Abbe Gre⸗ 
goire, ded Sieyes und Mirabeau's leiten zu laflen, auch eini⸗ 
ges Gewicht auf die Argumentationen vom Abbe Maury und 
Reubel gelegt. Er meint nämlich, die Juden wären zur Zeit 
noch nicht reif geweſen für eine völlige Gleichſetzung mit den 
übrigen Staatöburgern, es hätte die Kluft, welche zwifchen ib: 
nen ımd dem überwiegenden chriſtlichen Zheile der Bevölke— 
zung beftand, erft allmälig ausgefüllt werben müflen, ftatt mit 
einem Sage über die, beftehenden Verhaͤltniſſe hinwegzuſpringen. 


Natürlich Bann man nie daran denken, die Rechte, welche 
den Juden jegt nun einmal zuerkannt find, wieder aufzupeben 
und den früheren beflagenswertben Buftand zurüdzuführen. 
Dies wäre ein Werk der Unmöglichkeit, aber der Bert. meint, 
e8 müffe doch nun Alles gethan werden, um fle für den Stand 
punkt, ben fie jegt nun einmal einne ‚ volllonmen heran⸗ 
zubilden. Die Rathſchlage, welche er in diefer Beziehung er⸗ 
theilt, find nicht eben alle Leicht in Ausführung I bringen, 
und es möchte nicht an Ausſetzungen fehlen, welche ſich da⸗ 
egen erheben ließen; aber man muß ihm {m Allgemeinen dad 

eugniß geben, daB er es wenigftend tedlich gemeint hat. IM 


Sammlung der WMilitairgefege. 

Während die Assemblde nationale ihre Sitzungen hielt; 
machte ji das Bebürfniß geltend, die verfchiedenen Beftim- 
mungen und EA Berfügungen, weldhe auf das Land⸗ 
und Secheer Bezug haben, zu einem Gefegbuche zu vereinigen. 
Der Wechfel der Ereigniffe, die im mächtigen Umſchwunge ſich 
drängten, ließ den Gedanken zu einem foldhen oder, der 
von einigen Rednern in Anregung gebracht war, wieder fallen. 
Auch während des Kaiferreihd tauchte der Plan zu einem 
Werke, wie ed die Assembl6e nationale beabfichtigt hatte, wie⸗ 
der auf. Aber auch diefes Mal gedieh er nicht zur Reife, und 
die Commiffion, welche Rapoleon mit diefee Arbeit beauftragt 
batte, Bam nicht einmal zur Abfaffung eines vollftändigen Ent⸗ 
wurfs. Der Herzog von Orléans, den ein früher Tod dahin 
gerafft bat, wollte die Idee, welche ſchon zweimal nach ihrer 
Verkörperung gerungen hatte, wieder aufnehmen. Bu diefem 
8wecke gab er einem als tüchtigen Rechtögelehrten befannten 
Schriftfteller, Durat:Lafalle, den Auftrag, einen ſolchen überficht- 
lichen Eoder für das gefammte Kriegsweſen ausguarbeiten. Ob⸗ 

leich derfelbe nun mit großem Eifer und wahrer Hingebung für 
eine Sache an die Arbeit ging, fo erlebte der Herzog von 
Drleans doc die Vollendung derjelben nicht mehr. Sie erfcheine 
jegt nun endlich u. d. T. „Droit et legislation des armées 
de terre et de mer”. Das ganze Werd — im Manuſcript 
find die zehn Bände, aus denen es beftchen wird, bereits been» 
digt — iſt gegenwärtig bis zum fechsten Theile gediehen. Der 
Herausgeber hat fi nicht nur das Verdienſt einer fleißigen, 
forgfältigen Sufammenftelung erworben, fondern feinem Werke 
dadurch einen noch höheren Werth zu verleihen gefucht, daß er 
in feinen Einleitungen und Anmerkungen die nöthigen Erflä- 
rungen und @rörterungen gibt. So wird hier das NRöthige 
aus dem Bölkerrecht beigebracht, und diejenigen Nechtöbegriffe, 
welche dem Militair geläufig fein müffen, werden in kurzen 
aber durchaus genügenden Andeutungen entwidelt. 


Geſchichte des Reprafentativfyftems. 

So vielfache Verſuche au ſchon gemacht find, um den 
Urfprung und die Entwidelung Des Repräfentativfoftems in 
Frankreich ins Licht zu ftellen, 2 bleibt Doch in der Geſchichte 
ber Etats - generaux immer nod manche dunkle Partie. 
Die Akademie der politifchen und moralifchen Miffenfchaften, 
welche über bedeutende Geldmittel zu verfügen bat, fah fich 
dadurch veranlaßt, eine Preisaufgabe auszufchreiben, der zu⸗ 
folge eine genauere, aus der Quelle getchöpfte Darftelung 
biefer Gefchichte nebft den hierauf bezüglichen hiſtoriſchen und 
pelitifhen Entwidelungen verlangt wurde. Unter den verſchie⸗ 
denen Bewerbern hat Rathery den Sieg davongetragen. Statt 
aber fiegesfroh feine gekroͤnte Preisfchrift ungefäumt der Df: 
fentfichfeit zu übergeben, hat er es vorgezogen, diefe Abhand- 
lung zuvor noch einmal einer ſtrengen ichtung und Überar- 
beitung zu unterwerfen. Gegenwärtig wird fie und nun u. d. 
X. „Histoire des Etats- generaux” geboten. Es ift dies eine 
fleißige, recht brauchbare Arbeit, deren Verf. bedeutende hiſto⸗ 
rifche Kenntniffe verräth und die reich ift an feinen und geift- 
reichen Gombinationen. hr 


Verantwortlicher Herausgeber: Seinrich Wrodjans. — Drud und Verlag von F. ME. Brockhaus In Reipzig. 





Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 


Freitag, 





23. Januar 1846. 





Geſchichte des deutſchen Journalismus. Zum erſten 
Male vollſtändig aus den Quellen gearbeitet von 
R. E. Prutz. Erſter Theil. 

(Beſchluß aus Nr. 32.) 


Das Buch wird eröffnet durch eine Einleitung, wel⸗ 
he fih zunachft über „Entflehung und Zweck bes vor- 
liegenden Werks” ausipricht; es ift Hier ausführlich die 
Bedeutung, ja Nothwendigkeit nachgewiefen, die daffelbe, 
wie ich ſchon oben andeutete, in bdreifacher Hinficht für 
fih in Anſpruch nehmen kann. Hier, wo Prug fchließ- 
lich auch Einiges über feine perſönliche Stellung zu ber 
gewählten Aufgabe befpricht, finden wir fogleich den 
fiherften Beleg für das dem Werk oben im Allgemeinen 
gezollte Lob: namentlich wirb Jeden, der fich an bes 
Berf. Stellung zu den politifhen Bewegungen der Ge- 
genwart erinnert, Das lebhaft interefiiren, was er über 
Die politifhe Seite feines Unternehmens fagt; es wird 
aber auch Jeben überzeugen, daß Prug menigftens auf 
ben Boden der Gefchichtswiffenfchaft durchaus Beine über- 
triebenen Foderungen mitbringt ; daß er namentlich von 
jener unmiffenfchaftlichen Thorheit durchaus frei ift, an 
vergangene Zeiten den Maßſtab der Gegenwart zu legen. 
Eher dürfte der Vorwurf laut werden, daß Prutz dem 
Fournalismus im Vergleiche mit der gefanmten übrigen 
Literatur, ja wol auf deren Unkoften eine allzu hohe Be⸗ 
deutſamkeit beilege. Manche dahin Iautende Aeußerung 
wirb man gewiß der gewiffenhaften Vertiefung in den 
Gegenſtand feiner Arbeit und der fichtlichen, ihr gewid⸗ 
meten Liebe gern zugute halten, aber es ift auch nicht 
zu überfehen, dag Prug wiederholt ausdrücklich darauf 
hinweift, daß er einem Aufgehen ber übrigen Literatur 
in Sournale durchaus das Wort nicht rede, daß er durch 
feine Darftellung nur dazu Beiträgen will, bem Journa⸗ 
lismus die rechte, feiner und der Zeit würdige Stellung 
und Haltung anzumeifen, und das wird fi nun einmal 
nicht wegleugnen laſſen, daß, wenn überhaupt die Lite- 
ratur auch auf das öffentliche Lesen der Staaten und 
WVolker einwirten fol und barf, dies die Aufgabe des 
Journalismus und nicht dickleibiger publiciflifcher Ab⸗ 
bandlungen ifl. Wenn biefe Einwirkung bisher noch nicht 
überall die wünfchensmwerthe geweſen ift und ed auch wol 
vor der Hand nicht werden wirb, fo Fann man menig- 


ſtens nicht behaupten, daß fie durch irgend mufterhafte 


Sournale misleitet oder aufgehalten fei. 


Es folgt ſodann eine „Geſchichte und Kritik der Vor⸗ 
arbeiten” (S. 22 — 59). Mancher Lefer dürfte fih vor 
ber Trockenheit dieſes Abfchnitts fürchten und geneigt 
fein, ihn zu überfchlagen, unb in der That wird er das 
Hauptintereffe nur für den Kiterarhiftoriter von Fach 
haben; für diefen aber bat die fehr vollftändige und ge- 
naue Unterfuchung auch den fehr bedeutenden Werth, daß 
fie ihm für jede ähnliche Arbeit eine Menge unerfprieß- 
licher Nachforfchungen erfparen kann. Aber auch andern 
Leſern möchte ich rathen, diefem Abfchnitt ihre Aufmerk- 
famteit zuzumwenden, denn theil6 kann man nur aus ihm 
den Umfang ber von Prug übernommenen Arbeit ganz 
ertennen, theil® wird auch er dazu dienen die Bedeutung 
des Journalismus für die deutfche Kiteratur in ein kla⸗ 
res Licht zu fegen und namentlich darthun, daß die all⸗ 
gemeine Theilnahme an demfelben nicht blos ein Zeichen 
unferer Zeit ift; zugleich aber kann derfelbe als Mufter 
einer bei aller Gediegenheit doch höchft lesbaren Behand- 
lung derartiger Stoffe dienen. 

Die Einleitung wird endlich befchloffen durch einen 
dritten Abſchnitt: „Eintheilung des Stoffe”; eine der⸗ 
artige Überficht über den geſammten Stoffreichthum bes 
Werts war um fo nöthiger, je weniger eine Kenntniß 
deffelben irgend vorausgefegt werden kann, je ſchwieriger 
es alfo ohne einen ſolchen Wegweiſer fein würde, fi 
in dem Ganzen zurechtzufinden. Zugleich aber ergibt 
fi) daraus mit überrafchender Klarheit die Überzeugung, 
in weldem innigen Zufammenhange ber bdeutfche Jour⸗ 
nalismus feit feinem erften Beginn mit der gefammeten 
vaterländifchen Kiteratur ſteht, ſodaß er durchaus nirgend 
als ein willkürlich aufgefchoffenes Gewaͤchs erfcheint, ſon⸗ 
bern in fletigem organifchen Zufammenbange mit bem 


-literarifhen Gefammtleben ber Nation bald neue Ent- 


widelungen vorbereitet, balb neu errungene Bildungs» 
ftufen zum Gemeingut des ganzen Volle erhebt. Es 
zerfällt aber hiernach das ar Werk in drei Bü- 
her. Das erfte umfaßt die Zeit vom Reformationszeit⸗ 
alter bis auf Klopſtock und behandelt in drei Gapiteln 
die Anfänge des deutfchen Zeitungsmwefens bis 1682, die 
Zeit der gelehrten Zeitfchriften bis 1713, und die ber 
moralifhen Wochenfchriften bis 1742, wobei es fi von 





4 


felbft verfteht, daß die angegebenen Jahreszahlen nur ale 
‚ungefähre Haltepunkte gelten können. Das zweite Buch 
reiht von Klopſtock bis auf Kant und die franzöftfche 
evolution; feine drei Gapitel kann man am kuͤrzeſten 
bezeichnen duch bie Herrſchaft des Klopſtock'ſchen, die 
des Leſſing'ſchen Geiftes und dfe der Sturm⸗ und Drang- 
periobe. Das beitte Buch endlich bis 1844 zerfällt wie- 
der in drei Kapitel, deren beide erftern mit den Jahren 
1813 und 1830 abfchliegen. Auf die ausführlich ge- 
gebene Begründung diefer Eintheilung, fofern ihre jr 
tigkeit nicht fogleih ins Auge fpringt, Fann ich hier nicht 
näher eingehen; follte fie aber auch hier und da auf den 
erften Blick etwas gekünſtelt erfcheinen, fo wirb eine 
nähere Betrachtung doch ſtets zeigen, daß ihr ein ſehr 
eingehendes Verſtaͤndniß der deutſchen Literaturgefchichte 
zu Grunde ‚liegt. 


Der vorliegende erfle Theil des Werks enthält nur 


die beiden erften Eapitel des erften Buchs, alfo etwa 
anderthalb Zahrhunderte; diefer Umſtand koͤnnte bei bem 
je fpäter defto mehr wachfenden Stoffe einige Beſorgniß 
wegen der baldigen Vollendung des Ganzen innerhalb 
mäßigen Umfangs erweden, wenn nicht außer ber Ein- 
leitung mancherlei Vorfragen und allgemeine Erörterun- 
gen hier hätten erledigt werden müffen, bie den fpätern 
Teilen zugute kommen werden. Das freilich ift gleich 
zuzugeben: Bibliographen werden in diefem Werke ihre 
Rechnung nicht finden; denn auf unbebingte Bollftän- 
digkeit des vorhandenen Stoffe konnte und wollte Prug 
ebenfo wenig eingehen als etwa ber Geſchichtſchreiber 
dem Genealogen ein Genüge thun Tann. 

Ebenſo wenig kann ich hier den ganzen Inhalt des 
vorliegenden Theile weder vollfländig darlegen noch be 
urtheilen, fondern muß mich auf eine flüchtige Uberſchau 
beffelben beſchraͤnken. 

Prutz fegt gewiß mit Recht das Welen des Jour⸗ 
naliemus barein, daß er feinen Inhalt einer allgemein 
zugänglichen Öffentlichkeit übergibt ; dieſe Offentlichkeit 
aber ſetzt einerfeits das Bedürfniß berfelben bei den 
Völkern und Individuen, andererſeits die zur Ausführ- 
barkeit nöthigen Mittel voraus; da nun jenes fubjective 
Bedürfnig erft mit der Meformation, die objective Aus- 
führbarkeit aber erft durch die Buchdruderkunft und eine 
geregelte Poſtverbindung eintreten konnte, fo ergibt fich 
von felbft, daß alle fogenannten Journale der ovientali- 
fen und claſſiſchen Völker unter den Titerarhiftorifchen 
Begriff des Journalismus nicht fallen konnen, diefer 
vielmehr erft im 16. Jahrhundert und vorzugsweiſe in 
Deutſchland feinen Anfang nehmen Tann. Zumädft 


wandte fi die journaliſtiſche Thaͤtigkeit dem augenfäl- 
Vigften Stoffe, bebeutenden Greigniffen des Gtaaten- 


und Wölkerlebens zu, ift alfo von Anfang an politifihen 
Den ‚ jedoch fo, daß fie eben nur todten Stoff der 

ffentlichkeit überliefert; hierher gehören die fogenannten 
„Relationen des 16. und 17. Jahrhunderts, von denen 
Drug mehre bisher unbekannte genan befchreibt; mehr 
jeboch als auf die einzelnen erhaltenen Erfcheinungen 
deſer Art geht er auf die Kreife ein, über welche fie 


ſich als Ausdruck der öffentlichen Theilnahme verbreite- 
ten. Da wo zu dieſen rein ſtofflichen Mitiheilungen das 
ſubjective Intereſſe des Darſtellers hinzutritt, d. h. wo 
die Relation in Flugſchrift, Spott- oder Lobſchrift, meiſt 
In poetiſcher Form, uͤbergeht, mußte ſich Prutz feiner 
Aufgabe gemaͤß mit kurzen Andeutungen begnügen, da 
derartige Schriften dem eigentlichen Journalismus nicht 
mehr beizuzaͤhlen find. 

Der erſte wefentliche Fortſchritt in der Entwidelung 
des Journalismus ift das regelmäßige periodifche Er— 
feinen der dahin gehörigen Schriften, welches ben äl- 
tern Relationen durchaus abgeht. Die von Prug an- 
geftellten Unterfuchungen weifen auch für dieſen Fort⸗ 
fhritt eine durchaus allmälige, aus der Natur der Sache 
beroorgehende Entftehung nah. Nur als ein Auswuchs 
biefer Richtung können bie (&. 200 fg.) erwähnten 
Schriften erwähnt werben, welche bie Ereigniffe eines 
ganzen Jahres in dicleibigen Bänden zufammenfaßten, 
alfo gewiffermaßen nur einmal des Jahres erfcheinende 
Zeitungen waren; das befanntefte biefer Werke ift das 
„Theatrum europaeum‘. Unerwähnt bat Prug an ber 
erwähnten Stelle gelaffen, daß man derartige Werke fo- 
gar durch romanartige Einfleidungen fhmadhaft zu ma- 
hen fuchte, wie namentli Werner Happel, welchen 
Prug ebenfalls (5. 330 und 383) erwähnt, auf die acht⸗ 
ziger Jahre des 17. Jahrhunderts „fogenannte Eurspäf- 
[he Gefchichteremane, mworinnen man die fürnehmften 
Schichten, von Wundern, Krieg, Eftatsfachen, Gluͤck— 
und Unglüdsfällen, und was fonften merfwürdiges in 
Europa und angrängenden Ländern in diefem Jahr pafe 
firt, in feiner Ordnung zu vernehmen hat” m. f. w. er- 
fheinen lieg. Ubrigens begleitet Prutz in biefem Capitel 
den politifhen Journalismus gleich bis gegen bie Mitte 
bes vorigen Jahrhunderts herab, und dürfte darin der 
dreizehnte Abſchnitt, die berliner Zeitungen aus der er⸗ 
ften Zeit Friedrichs II. behandelnd, durch naheliegende 
Beziehungen ein befonderes Intereffe erregen. . 

Das zweite Capitel handelt von dem literarifchen 
Journalismus in dem bezeichneten Zeitraum: bier find 
die erften Anfänge außerhalb Deutfchlands, namentlich 
in den „Journal des Scavans” zu finden, welchem des⸗ 
halb auch ein eigener Abfchnitt gewibmet if. Die erfte 
bedeutende Erfcheinung diefer Art find in Deutfchland 
feit 1682 die Teipziger „Acta eruditorum”, der durchaus 
unvolksthümliche Ausdruck jener geiftlofen Gelehrſamkeit, 
die ſo lange wie ein Alp auf dem deutſchen Geiſte lag. 
Die Reaction blieb nicht lange aus: einerſeits wurde ſie 
von den Pietiſten geübt, deren treffliche Würdigung 
(S. 64) nicht zu uͤberſehen iſt; noch allſeitiger und 
freier zu derſelben Zeit von Thomaſius, deffen Thaͤtig⸗ 
keit Prutz mit großer Waͤrme ausführlich ſchildert. Der 
Reſt des Theils, d. h. etwa die legten SO Seiten, er⸗ 
fheint etwas zerfplittert, da bier eine bedeutende An⸗ 
zahl einzelner nach Ort, Zeit und geiftiger Richtung 
verſchiedener Journale zu verzeichnen und kurz zu cha⸗ 
rafterifiren waren, wobei ein Zufammenfaffen nicht mög- 
lih war. 


Wenn ih num nochmals ausſpreche, daß ich von 
dem Inhalte des hefprochenen Werks nur das Wenigſte 
— berühren konnte, fo wird ber Schluß auf ben 

eichthum befjelben nahe genmg liegen. Don ber gro» 
fen Sorgfalt der Arbeit wirb eigene Anficht am leichte. 
flen überzeugen und dem Werke auch das herfümm- 
liche Lob „deutfchen Fleißes“ nicht entziehen können, der 
um fo mwohlthuender da erfcheint, wo er wie bier mit 


friſcher, lebensvoller Dearftellung verbunden iſt. So bleibt 


denn nur der fchließliche Wunſch übrig, daß bie weitern 
Theile recht bald erfcheinen und das ganze Werk bie ver- 
diente Beachtung finden möge. 2. U. Paſſow. 





Neugriehifhe Kiteratur. 


Aus dem Sabre 1841 ift uns erft Fürzlich eine in Athen 
erfchienene interefjante Schrift des Griechen M. Renieris „bı- 
100oy 4a ıns lorople,‘ (Philoſophie der Geſchichte) zugelom: 
men. Der Berf., der in dem Vorworte die unter den Grie⸗ 
hen und namentlich unter der griechifhen Jugend berrichende 
Bernadhläffigung ded Studiums der Geſchichte fehr beklagt, 
hat ed mit diefer Schrift befonderd darauf abgefehen, indem 
er auf die hohen Schönheiten diefer Wiſſenſchaft hinweiſt, das 
Snterefie der griechifchen Jugend für diefes Studium zu weden 
und anzuregen. Die Sarik ift offenbar die Frucht erniten 
Rachdenkens und eigener Forſchungen des Berf., wenngleich er 
fi) damit an die Unterfuhungen Anderer über diefen Gegen: 
ftand, 3. B. Deutfcher, Franzoſen u. f. w., anlehnt. Ein wah: 
red Wort übrigend, das feine Bedeutung aud bereits in der 
Wirklichkeit geltend zu machen begonnen bot, fpricht der Verf. 
bier in dem Borworte auß, wenn er fagt, daß die beiden 

uptquellen, durch welche bie europäifche Eivilifation über 
Sriechenland und dadurch über das gefammte Morgenland ſich 

verbreite, bie Preſſe und bie Univerfität in Athen feien.. Um fo 
mehr muß freilich auch hier die eritere ihres hohen Berufs im⸗ 
mer eingeben? fein und die legtere namentlich ſtets fo geftellt 
werben, daß fie diefe großen Bwede erfüllen Sonne. 

Über diefe Zwecke bat fidy ganz Fürzlich der Profeflor der 
Geſchichte an der Dtto-Univerfität, Dianuffis, in emem Schrift: 
den „Ilepl navenıaınılaw Ev yersı, zei Idıanıkpng aspl 100 
"Odwrslov nayenıaınulov” (Über Univerfitäten im Allgemeinen, 
beſonders über bie Dtto-Univerfität) ausgefprochen. Er gibt 
darin zunädit gefchichtliche Andeutungen über die Entſtehung 
und den Fortgang der Univerfitäten, über ihr Weſen und bie 
Einrichtungen auf denfelben, vornehmlich auf den proteflanti- 
ſchen Univerfitäten Deutſchlands, und wendet fi dann zur 
Univerfität in Athen mit feinen Wuͤnſchen für die äußere und 
innere Belang derfelben. 

Bon G. Papabopulod, Lehrer der allgemeinen Gedichte an 
dem & um und der Geſchichte der bildenden Künfte an der 
polytechnifchen Schule in Athen, iſt die bei der jährlichen Prüfung 
und Ausftellung in legterer im Sommer 1845 gehaltene Rede über 
das griechifche Polytechnion („„-Zoyor sol Tov Fllyrızou molu- 
zay»sior‘‘) im Drud erfchienen. Sie tft infofern von einem be» 
ſendern Interefle, als fie fich nicht blos über den gegenwärtigen 

Buftand der golptechnifihen Schule, die Bahl der Schuler (im letz⸗ 
ten Jahre 635) und den Lehrplan an bexfelben, fondern zugleich 
über den Zuſtand der Künfte und die Geſchichte der Kunft- 
fertigkeiten in Griechenland feit dem Fall des alten Griechen» 
Sands verbreitet. Denn allerdings if jenes Polytechnion, was 
auch ſchon der Name eigentlich fagt, mehr eine Kunſtſchule 
als eine Gewerbſchule, welches letztere die polytechniſchen Schu: 
len in Europa zu fein und zu bedeuten pflegen. 
Bon bem e, Ghieurgen und Geburtöpelfer Ucheläbis 
in Athen erfchien um 3. 1844 eine Beine Schrift: „Meor ı@w dv 
5 Eiiedı vnnıaxzav voauy" (Bon den Kinterfranfheiten in 


Griechenland), die fi hauptſächlich auf bie dort im Sommer 
hereichende gefährliche Diarchoe der Kinder befihränkt. Der Verf. 
berfelben tft in Deutfchland gebildet und feine Schrift zeugt 
von guter Bekanntſchaft mit der neuern deutſchen ärztliähen 
Literatur. 

Aus dem 3. 1842 müffen wir bier noch des uns nun 
volftändig zugelommenen erften Bandes der „Antiquitds hel- 
l&niques, ou r&pertoire d’inscriptions et d’autres anti 
tes decouvertes depuis l’affranchissement de la Grece”, von 
A. R. Rangabe*), gedenken. Das Werk enthält Gedrucktes und 
Ungedrudtes an Infchriften u. ſ. w., mit einem fortlaufenden 
Eommentar, mehre Kupfertafeln und eine Einleitung über die 
Geſchichte der Aufgrabungen und Ausgrabungen von Alter 
thümern in Griechenland feit dem Freiheitsäkampfe. Dem 
Berf., der Minifterialrath im Minifterium des Innern unb 
Secretair der Archaͤologiſchen Gefelichaft in Athen, auch feit 
einiger Zeit Profeflor det Archäclogie an der DttosUniverfität 
tft, flanden zum wenigften reiche äußere Mittel zu Gebote. 

Auf dem Gebiete der neugriehifhen Dichtkunſt find uns 
wieder einige Erzeugniſſe der ebenfo fruchtbaren als fpigigen 
Feder des bekannten Alerander Sutſos zugefommen. 8war 
gebört das eine „HI neraßoin 1175 Tolıns Tenut Bolov’' (Die 
Ummälzung des 3. Septembers; Athen 1844) nicht aus: 
fchließlih der Poefie an, fondern enthalt auch viel hiſtoriſch⸗ 
politiſches Raifonnement über jene Ummwälzung, ihre Urſachen 
und ihre Folgen, fowie Biographifches über die Männer bes 
Tags; es muß aber doch der Hauptfache nad als Diptung, 
und zwar nicht bloß wegen der, einen Theil des Ganzen bildenden 
Dichtungen gelten. Es hat die Vorzüge aber auch die Män- 
gel früherer Gedichte des Aler. Sutfoß: reiche Phantaſie, ſpru⸗ 
deinden Wig, der nur gar zu fehr mit dem Gifte der Satire 
zerſetzt iſt, Lebhaftigkeit des Gefuͤhls, glänzende Sprache, Un» 
muth, Leichtigkeit und Mannichfaltigkeit der Formen; aber 
Altes ift mehr ober weniger nur ber Ausbrud der Leidenfchaft 
und der fubjertinen Anfchauungsweife des Dichters, felbft da, 
wo die Baterlandöliebe der Lebenspuls feiner Dichtung iſt; 
und ein ungezähmter Freiheitsdrang, ein ungebändigtes Selbſt⸗ 
bewußefein, deffen oft nur gar zu Feder Ausdruck darin herrfcht, 
ohne die Dbjectivität des prüfenden Berftandes, ohne die Teine 
Klarheit des Gemüths, flört den dichteriſchen Genuß in den 
Poeſien des Aler. Sutfos. 

Dos Nämliche gilt auch von dem neueften Producte Def: 
felben: „Zurvpa nowın. Kirontoorıoö 1845 Erors’' (Erſte 
Satire. Spiegel des Jahres 1845. then 1845), daB eine 
Satire auf die tpolitifden Intriguen in Griechenland, inner: 
halb und außerhalb des Congreffes, eine leidenſchaftliche Dia⸗ 
tribe gegen die Factionsmaͤnner Griechenlands, ohne Schonung 


der Yerjonen, aber ſelbſt nicht ohne Parteilichfeit und Befan⸗ 


enheit ift. 

g N ohlihuender ihrer Virkung nach und vielverheißend für 
den noch jungen Dichter find die zum Theil ſchon vor einigen 
Sahren entflandenen, jegt unter dem Titel „A nor 
Zunrevarg": (Die erften Eingebungen) gefammelten Poefien 
des Griechen Chriſtos Anaftaftadis (Konftantinopel 1844). 
Der Berf., aus Konftantinopel felbft gebürtig, ſtudirt gegen- 
wärtig auf ber Univerfität in Athen, und fingt bier mit innigem 
Gefühl und Heiliger Begeifterung von Liebe und Preundichaft, 
von Zugend und Vaterland, nicht ohne Anmuth und Gewandt⸗ 
beit in Sprache und Rhythmus. f 








Biblisgrapbie. 
Arentsfhildt, 2. v., Gedichte. Miniaturausgabe. Ha⸗ 

nover, Hahn. 1845. 16. 1 Thlr. 10 Rgr. 
Babrius, Wubeln, in beutfpen Choliamben von U. F. 

Ribbed. Berlin, Ionat. 8. y Ror- 


*) Bu beziehen durch G. Wigand in Leipzig. 


Bed, 8, Seife. de, ber ei Ausgabe Ste Auf 
lage. Berlin, Voß. 1 Ahlr. A 

— — Lieder vom armen Dann Hit einem Vorwort 
an das 33* Rothſchild. Leipzig, Hermann. 8. 1 hir. 20 Rgr. 

Beffer, 8. B., Der Riffionar und fein Kohn oder die 
chte des Evangeliums in ber Südſee. Nah G. Prit» 
Een s gleihnamiger Schrift bearbeitet. Mit einem Anbange: 
Die Franzoſen die Jeſuiten in der Südfee. Halle, Mühl: 
mann. gr. 
Boucher, A., Dramatiſche und romantiſche Geſchichte 
der Jeſuiten von der Gründung des Ordens bis auf unfere 
Tage. Nach dem Dt —— Bwei Bande. Tuͤbingen, 
Dfiander. Gr. 8. 

Bremer, reden, Die Familie 9. Aus dem Schwer: 
bifepen. 2te verbefierte Auflage. Leipzig, Brodhaus. Gr. 12. 
U Xgr. 

rtomme, J., donengemälbe. Raturgefhichte und Vol⸗ 
kerkunde voüſtandig in Wort und Bild. Stuttgart, Schmidt 
und Spring. Qu. 7, Bol. 6 Ihlr. 

Cornelia. Taſchenbuch für deutfche rauen auf das Jahr 
1846. Begründet von A. Sgreiber, fortgefegt von W. 
Teſche. Ilſter en Beige © er) Sahrgang. Darmftatt, 
Lange. Gr. 16. 

Döllinger, 3., ie Refnematie, ihre innere Entwide- 
lung und ihre Wirkungen im Umfange des Rutherifchen Be⸗ 
Zentpiſſes. Iſter Band. Regensburg. Manz. Gr. 8. 1Thlr. 

r 

Döring g, H., Weihnachtsbüchlein. Dichtungen und Le 
genden zur Beier Des Chriftfefte. Leipzig, Renger. 16. 25 Nor. 

Eichhoff, N. ©, Kurze —— Mit einem 
Vor⸗ und Nachworte genen, von 
furt a. M., Keßler. 9. 

Elliſ fen, A., Berfud ner — der europaͤiſchen 
Poeſie. Iſter Band: Poeſie der Kantabrer, Kelten, Kymren 
und Griechen. Leipzig, O. Wigand. Gr.8. 2 Thlr. 20 Ner. 

Die deutfche Flagge. (Gedichte) Ein Album heraus: 
gegeben von E. Boas. Reipzig, Schred. . 2 Xhlr. 

Bonton, ., Rußland in Klein» Afien, oder Feldzug bes 
Generals Pabiewitſch in den Jahren 1828 und 1829. Aus dem 
Branzöfifchen uͤberſetzt. Berlin, Mittler. Gr. 8. 1CThlr. 15 Ngr. 

Gedenkblaͤtter an Goethe. Mit neun Abbildungen und 
einem Facſimile ber vanf eift Goethe's. Frankfurt a. 
Keßler. Gr. Smp- 24 

Geibel, E MP og Gedichte. Fte neu vermehrte 
Auflage. Lübec; aſchenfeidt 8. 17% Rgr 

Allgemeines evangeliſches Geſang⸗ und Gebetbuh zum 
Kirchen: und Pausgebraug. Bambur, 3, Agentur des Rauhen 
Haufes. Gr. 12. 1 Thlr. 10 Nor. 

Gottf alt, N., Nobespierre. Drama in fünf Aufzu- 
gen. Neifle, Burdhardt. 1845. Gr. 8. 25 Nar 

Gro — F. G. A., Grundzuͤge des ir htes der 
een und Coangelifchen. Dreslau, Aderholz. 1845. Sr. 8. 

Sro8:Hoffinger, 4. 3., Fürft Metternich und das 
öfterreichifche Staats: ⸗Syſtem. Sin Gutachten. Ifter Band. 
Leipzig, Reclam jun. 8. Thl 

Hagenbach, K. R., ei. Zwei Bändchen. Bafel, 
Schweighauſer. 8. 2 Tblr. N 

Heiſing, A., — — nicht durch Tilly zerftört. 
Guſtav —* in Deutfilanb. Zwei hiftorifche Abhandlungen. 
Berlin, Eyfienhardt. Gr. 8. 20 Nor 

Delfert, J., Handbuch des Kirchenrechte aus den ge: 
meinen und öfterreichifchen Quellen sufammengefke TH. Ifter 
we 2te unverändert Auflage. Prag. 1845. Gr. 8. 4 The. 


KH erloßfohn, E., Arabella oder Geheimnifie gines Hof: 
theaters. Rome: Brei Bände. Leipzig, Melzer. 3 Ihe. 
Herz, M. 3, Die Ehe der Chriften. Rad, oem Ur 
fprunge, ihrer hoben Bedeutung und Wefenheit, nach ihrer 


Berantwortliger Herausgeber: Seinrich Brockhans. 


iaboff Frank⸗ 


Zuͤrde Ya Heiligkeit. Gtuttgart, Be und Fraͤnkel. 1845. 
4 88 


an ehfemen, F. M., Deutſch⸗ ſnige Gone Gonette, drank⸗ 


a Literarifche Anftalt. 1345 
‚2. €. 2., Die mofaifhen Opfer, ans here finn- 

bitbtichen und vorbildlichen Bedeutung. Gin Beitrag zur 
tigen Würdigung ber igraelitifcgen Gottesverehrung in überer 
Beit. Warſchau. 1845. , Nor 

Jean Paul, Zitan. te usaake. Ifter und 2ter Band. 
Berlin, Reimer. 8. 3 Thlr. 

Kannegießer, G. L., Telemachos und Naufikaa. Epi⸗ 
ye⸗ Fedigtr in neun Gefängen. Nürnberg, Bauer und Raspe. 

Gr. 16. 

Kubler, N Die Grundlehren der Vaewixthdoſt Zwei 
Theile. Bien, Braumüller und Seidel. Gr. 8. 4 Thlr. 

Loßberg, v., Briefe in bie Heimath gefchrieben wäh 
rend des Feldzugs 1812 in Rußland. Gin Beitrag zur Ge: 
fchichte. diefes Feldzugs. Kaflel. 1844. Gr. 8. 1Thir. 15 Rgr. 

Mendelsſohn, J., Eine Ecke Deutſchlands. Reiſe⸗ 
ſilhouetten, Oldenburger Bilder, Charaktere und Zuſtaͤnde. Ol⸗ 
denburg, Stalling. 1845. Gr. 12. Ngr 

Müllen off, K., Sagen, —* und rieder der Her⸗ 
RVB ex Sol ein, und Lauenburg. Kiel, Schwers. 

Gr. 8. Ir. Kar. 

Reich, G., Die Eiufer chung bes Herrn ald Heils⸗That⸗ 

fache mit befonderer Kückſicht auf Schleiermacher. Eine 


hi 
’ Ab oe Erörterung. Darmftadt, Lesfe. 1815. 
Gr. 8. 15 


I Ihlr. 
Kr Ir Entftehung. Erlangen, Blaeſing. 1845. Gr. 4 


ert, F., Ral und Damajanti. Eine indiſche Ge⸗ 
ſchichte. Ste verbefferte Auflage. Frankfurt a. M., Sauer: 
länder. 1845. 16. 1 Zhir. IV Nar. 
Sallet, $. v., Sämmtliche Schriften. 2ter Band: Ge: 
fammelte Berichte. 2te verbeflerte Auflage. Breslau, Schulz. 
1 Zhlr. 10 Ror 
Deefeisen äter Banb: Eontrafte und SParadoren. Eine 
Novelle. Breslau, Schulz. 1345. 16. 1 Thlr. 10 Nor. 
Sanio, F. D., Rechtshiſtoriſche Abhantlungen und Stu: 
dien. Iften Bandes ft wotheitung. Königsberg, Gebr. Born» 
träger. 1845. Gr. 8. 27 Nor 
Scharff von Säarffenkein, H., Das leute Opfer 
Robespierre 8. Zrauerfpiel in drei Aufzügen. Frankfurt a. M. 


188. 20 Nor. 


Shey er, S. B., Das pfychologiſche Soſtem des Mai- 
monibes. Gine inleitungsfrift zu been More Nebuchim. 
Rach den Quellen bearbeitet. Frankfurt a. M., Keßler. 1845. 
Gr. 8. 20 Nur. 

Schlegel’s, F. v., fümmtlide Werke. 2te Drigimalaus: 
gabe. Pa und 2er Band. Wien, Klang. Gr.8. a 1 Thlr. 

Schneidawind, 8. 3. az Ma Kaifer Iofeph's IT. 
Hamburg, Berendfohn. 8 TUR 

Siebenhaar, 8. D., grebigten über Luther's Leben. 
geipiß, Thomas. Gr. 8. TR Rgr. 

Stelzhamer, F., Proſa. Iter Band: Rovellen. Re: 
gensburg, Manz. 18 345. 1 Thlr. 7%, Nor. 

Bincas, H., Syſteme der Philofophie und ihre Religio- 
nen nad) objeckiver und fubjectiver Raturbetradhtung. Dlden- 
burg, Stalling. 8. 10 Rear. 

Wagner, R., Zannhäufer und der Sängerkrieg auf Bart: 
burg. Große Eemantife Dp Oper in drei Acten. (Xert.) Dres: 
den. weh Pr i — d Poefie. H den fü 

eihnachtsgabe in * a und Poeſie. Herausgegeben für 
Fubeza ve don gdriſtuichen Freunden. Baſel, Schneider. 1845. 


FRE bn, C. 4, Der Friedensbote. Eine Neu⸗ 
jahrsgabe fuͤr chriſtliche Freunde auf das Yahr 1846. Leipzig, 
Gebhardt und Reisland. 8. 1 Chlr. 10 Nor. - 


— Drud und Verlag von F. E. Drockhaus in Beipie. 








Blätter 


fir 


literarifche Unterhaltung. 





Sonnabend, 


— NUM — 


24. Januar 1846, 





Literarifhe Zindlinge. 

Ihre ſehr verfchiedenartige Subſtanz. — U. W. v. Schlegel. — 
Goethe. — Deutfche Theater. — Tiedge. — Gonettenumfug. — 
GSundenbekenntniß. 

Die periodiſche Literatur, dieſes luftige Blaͤtterweſen, 
wird ihrer ganzen Eigenthümlichkeit nach im Laufe der 
Jahre weit eher als jede andere Literatur — verzettelt. 
So gerieth mir erſt vor kurzem einer ihrer unzaͤhligen 
ſtab⸗, namen- und heimatlos herum vagirenden Zettel 


in die Hände. Er frappirte mid um fo mächtiger, weil 


fein Inhalt in unfern Zagen offenbar ein ungleich grö⸗ 
ßeres Intereffe haben mußte als vor etwa 20 Jahren, 
der Zeit ungefähr, bie den darauf befindfihen Auffag 
ind Xeben gerufen haben mag und über den ich mir 
deshalb die befondere Darlegung meiner Meinung vor« 
behalte. 

Dabei bin ich indeffen auf die Idee gerathen, daß 
es im Allgemeinen kein überflüfliges Zreiben fein würde, 
mit manden vom Zeitſtrome unferm Gefichtöfeife be- 
reits entführten Blättern und Auffägen eine Revifion 
zu veranftalten. Recht Vieles darunter, feit langen Jah⸗ 
ten Vergeſſenes, würde fi gewiß unferm weitern Nach⸗ 
denfen von neuem gleichfam aufbringen. Ebenſo Vieles, 
das in der Periode feines Entſtehens für die unleug- 
barſte Wahrheit gegolten, koͤnnte nur noch ale die voll- 
kommenſte Unwahrheit erfcheinen. Der weſentliche In⸗ 
halt des meiſten ſeit Gutenberg's folgenreicher Erfin⸗ 
dung nach und nach aufgehäuften Druckpapiers würde 
zwiſchen Wahrheit und Unwahrheit in der Mitte ſchwe⸗ 
ben, weil der Zeitſtrom, der es herbeiführte, Alles mit 
feiner Farbe zu tingiren pflegt und oft das reine weiße 
Licht, welches feine Wellen uns vorzufplegeln fuchten, in 
einer parteilofen Zukunft für nichts weiter ale ein Irr⸗ 
licht geachtet werden muß, Bei einer ſolchen Revifion 
fommt es zundcft darauf an, die gründlich zu erfor- 
ſchende Farbe der Gegenwart von den einem möglichft 
unabhängigen Urtheile zu unterwerfenden Objecten abzu- 
ziehen und zu Würdigung der vergangenen Zeit auf ei» 
nen vor dem Einfluffe ihrer Gigenthümlichkeit geficherten 
Standpunkt zu gelangen. Auf diefem Wege würde dem 
gewaltigen Vorrathe von mehr ober weniger zu halt- 
baren Gebanfen geordneten Drudbuchftaben eine fo Ichr- 
reihe als angenehme literarifche Blumenlefe abgewon⸗ 


nen werden, fogar wenn bie Sammler bei der Wohl 
nicht foftematifch zu Werke gingen, fondern nur das ger ' 
legentlich Vorgefundene ergriffen und ausſtellten. Aber 
auch abgefehen von der gemeiniglich unvermerkt aus dis 
ner in die andere überfließenden Farbe der Zeit der ſo⸗ 
genannten Zeitfchriften, gehört noch eine fortdauernde, 
große Veränderlichfeit zu ihren weſentlichen Eigenfchaf- 
ten, die einerfeits von dem Vorſchreiten der allgemeinen, 
andererfeit6 von den oft gar wunberlihen Wenbungen 
der individuellen Bildung einzelner Mitarbeiter an ihr 
nen, duch Gefinnung und Umftänbe, fich berfchreibt. 
Das in ſolche Blumenleſen Aufzunehmende brauchte 
nicht immer von Bedeutung zu fein. Auch das Bering- 
fügigfte würde Anlaß geben, dem Wichtigen, bem 
Sammler durch Erfahrung, Beobachtung u. f. w. zuge 
führt, zur Folie zu dienen. Se bunter und contrafliren- 
ber die Gegenſtaͤnde durcheinander liefen, deſto unterhal⸗ 
tender würden fie, eben vermöge des Wechſels und ber 
Mannichfaltigkeit, fi erweifen. Seitgemäße belehrende 
Einſchaltungen und Blide auf die Gegenwart, wo eb 
ſich thun laͤßt, könnten dem Intereſſe des Leſers nur zur 
Befoͤrderung gereichen. Sollten auch die meiſten der 
dargebotenen Dinge ſchon zu ſehr durchgeſprochen ſein, 
um den Reiz der Neuheit zu behaupten, fo würden fie 
doch oft, in. Folge der eigenthümlichen Anfchauung des 
Sammlers, die Aufmerkfamkeit in Anſpruch nehmen. 
Möchten die nachfolgenden Blätter als ein Proͤbchen 
der Urt, wie ich mir dergleichen Sammlungen denke, 
nicht unfreundliche Aufnahme finden: Möchten Begab- 
tere als der unterzeichnete Autor ſolches Sammelns und 
Zufammmenftellens von Buchftaben - Findblingen fich umter- 
ziehen! Meines Erachtens würde das Unternehmen fei- 
nen Zwed jederzeit am vollftänbigften erreichen, je mehr 
dabei der Bang der Kiterarifchen Converſation fi Den⸗ 
jenigen an Leben und Mannichfaltigkeit zum Muſter 
nähme, der in den Kreifen ber gebildeten Geſellſchaft 
immer zu Haufe iſt, ober wenigftens fein follte. 
Vorläufig noch die Bemerkung: Die periodifche Li⸗ 
teratur empfängt, ſchon ihrer Natur nach, mehr als jede 
anbere die unreifen Früchte des Augenblicks, die oft for 
gar Dem der fie ihr lieferte bald darauf als vermwerf- 
lich und ungereimt erfcheinen. Daher wird das Feſtge⸗ 
haltenwerden folcher Früchte durch die Drudbuchftaben 


9 


häufig zum bitterften Ankläger der Inconſequenz auch 
Derjenigen, bie keineswegs wegen Wanbelbarkeit der Ge⸗ 
finnung dem weitverbreiteten Wetterfahnengefchlechte bei- 
zuzäblen find. Sammlungen diefer Urt würden deshalb 
künftig ein Fingerzeig für jeden Gcheiftflellee werben, 
die momentanen Ausbrüche der Verfiimmung der Dru- 
ckerpreſſe vorzuenthalten, damit die voreilige Weröffent- 
lihung nicht fpäter ein falfches Zeugniß gegen ihn felbft 
und feinen Sinn für Wahrheit und Recht ablege. Am 
meiften ſteht die Wanbelbarkeit der fchriftftellerifchen Mei⸗ 
nung in ben Gährungsperioden ber Literatur zu befor- 
gen, wie 3. B. die Epoche des Aufgangs der romanti- 
ſchen Poefie in Deutfchland war. 

Im Allgemeinen würde aber gerade dieſe Epoche 
durch die zum Theil gar muntern, feuerwerksartig auf- 
fprühenden Geiftesausmwüchfe in gebundener und unge 
bundener Rebe, welche allein das für den Fortfchritt der 
Biffenfüof fo überaus wichtige „Athenäum” der Gebrü- 
ver A. W. und F. Schlegel, und die fpäter unter dem 
Titel „Kynofarges” erfchienene Bernhard’fche Zeitfchrift 
enthält, eine reiche Fundgrube für dergleihen Samm- 
lungen gewähren. Leider bin ich fruchtlos bemüht gewe⸗ 
fen, diefer beiden merkwürdigen Journale habhaft zu 
werden; doch entfinne ich mich noch mancher darin in 
Sonettenform ausgefprochenen Meinungen und unter An- 
derm eines Sonetts von U. WB. v. Schlegel, gegen die 
unzulängliche Würdigung von Goeth's Alles meit über- 
ragendem Dichtergeifte gerichtet. Es begann alfo: 

Bewundert nur die feingefihnigten Gößen, 

Und laßt als Lehrer, Kührer, Freund und Goethen, 

Euch wird nad feines Geiſtes ARorgenrötpen 

Apollo's gold'ner Tag nicht mit ergößen. 

Das zweite Quartett diefes Sonetts iſt meinem Ge⸗ 
dächtniffe nicht mehr vollftändig gegenwärtig. Die bei« 
den Zerzetten deffelben aber lauten: 

Die Goethen nicht erfennen, find nur Gothen, 

Die Blöden biendet jede neue Blüte, 

Und, Zodte felbft, begraben fie Die Todten; 

Uns fandte Goethe, Dich, der Sötter Süte, 

Befreundet mit der Welt durch folhen Boten, 

Böttli von Namen, Blick, Geftalt, Gemüthe! 
Wenigſtens fpricht diefes Gedicht für U. W. Schlegel's 
wahrhafte Begeifterung von ber Größe des unergründ- 
lihen Dichterheros, wie unverkennbar auch die Bloͤßen 
fein mögen, welche die darin vorkommenden Spracdjfpie- 
lereien, und befonderd die Schlußzeile, dem Wige dar⸗ 
bieten. Die „Illuſtrirte Zeitung” vom 26. Juli vorigen 
Jahres hat eine fehr gründliche und geiftoolle Notiz über 
das literarifche Leben diefes großen Krititers und Sprach⸗ 
forſchers mitgetheilt. Ubrigens ift das bei dieſer Gele⸗ 
genheit angeführte Spottgebicht defielben auf G. Merkel, 
eine höchſt charakteriftifche Merkwuͤrdigkeit, fo unvollftän- 
dig und zum Theil finnentftellend vwiebergegeben , daß 
ein berichtigender Abdrud davon gerade in biefem Auf: 
fage an feiner Stelle fein wird: 

Als Knecht Haft für die Knechte du gefchrieben, 

As Samojede für die Samojeden *), 


*) Dieb bezieht fih auf Merkel's Buch über die Betten. 


[4 


Gern moͤchteſt du Vernunft und Freiheit reden, 
Doc ift dein eig'ner Geiſt leibeigen blieben. 
Aus Ländern fort, in Städten umgetrieben, 
Quousque tandem wirft du dich entblöden, 
In Kneipen, Elubs, Mercuren®) deine ſchnoͤden, 
Unwürd’gen Derkelwürbigkeiten üben ? 
Dir gt reiheit, frank und frei zu klatſchen, 
Die Eharitt **) fie ſelbſt noch auszumärkeln, 
Genie, in Henning’s Genius ***) dich zu betten, 
Kamft Du nur darum von den fernen Letten, 
Im Dred der Menſchheit überall zu patfchen? 
Rückkehr' ins Baterland T), um da zu ferkeln. 
Sournale, fürchtet Merkeln! 
Merklich zeigt er verkleinernde Ratur, 
Schon ward Mercur duch ihn zum Merkel nur. 
Es würde fi faum die Möglichkeit erklären laſſen, 
bag aus ber Feder U. W. Schlegel’s, eines Mannes 
von ber feinften, wiffenfchaftlichen und Weltbildung, ein 
fo aller Urbanität entfrembetes Gedicht habe hervorgehen 
Tonnen, gäbe Kogebue's zunaͤchſt gegen die Brüder Schle- 
gel gerichtete äußerft plumpe Poſſe „Der byperboräi- 
ſche Eſel“ nicht Auffhluß darüber, Mit Unrecht fagt 
Sean Paul irgendwo von den in Schiller's ,Mufen- 
almanad auf das Jahr 1797” fiehenden Zenien, fie 
hätten uns Alle grob gemacht. Eine Grobheit, wie fie 
in ihnen vorfommt, war ſchon in den frühern Kämpfen 
zwifchen Leffing und deſſen Gegnern zu Hauſe. Allein 
bie genannte, theils auf nicht verflandene, theild auf ab- 
fichtlich verbrehte Ausſprüche der damals neuen literari- 
(hen Schule hauptſächlich bafırte, Poſſe enthielt Invec- 
tiven, bei deren Erwiderung der gefellfchaftlihe Anftand 
von felbft in DVergeffenheit gerieth. Merkel, ber wahr- 
ſcheinlich noch lebende Liefländer, ber damals zugleich 
mit Schlegel und Kogebue fih in Berlin aufhielt, ein 
Mann von gefelliger Bildung, zog ſich diefe Behandlung 
durch feine öffentliche Affociation mit Kogebue zu Be- 
tämpfung und mo möglich Laͤcherlichmachung ber neuen 
Schule zu, zu welchem Zwecke dieſe zwei Verbündeten 
bauptfächlich das Journal „Der Freimüthige” gegründet 
hatten. Übrigens war es Merkel felbft, der das nur in 
Abfchriften zu Berlin circulirende Gedicht, als Beweis 
eines Mangels an Bildung feines Verfaffers, durch den 
Drud veröffentlichte. Ein zweites von Schlegel auf ihn 
darum, weil er in einem damals von ihm herausge⸗ 
gebenen kritifhen Journale Zerzinen, wogegen dieſes 
loszog, Zriolette genannt haben follte, gefertigte® Ge⸗ 
dicht, in Zriolettform, war auch in keinem fo abftoßenden 
Tone abgefaßt. Es hieß: 
Mit einem Beinen Triolett 
Bil ich dir, Heiner Merkel dienen; 
Vermengſt du mächtige Terzinen 
Mit einem Pleinen Zriolett? 
Ei, ei, bei folden Kammermienen! 
Einft wies ich ſchon dir das Sonett; 


) Der „Deutfhe Mercur”, von Wieland heraudgegeben. 
»*) Merkel hatte über bie berliner Charite gefchrieben. 
») Der „Genius der Beit”, ein damals vielgelefened freimüthi- 
ges Journal. 
+) „Ruͤckkehr ind Vaterland“ Heißt der Titel eines Buchs 
von Merkel. 





Mit einem Meinen Triolett 
Bit ich dir Heiner Merkel dienen. 
Deſto unbändiger brach dagegen Schlegel's Heftigkeit in 
nachfolgenbem, „Abſchied“ überfchriebenen Gedichte gegen 
Kogebue los, welches in der 1800 erfhienenen „Ehren- 
pforte und Triumphbogen für den Theaterpräfidenten v. 
Kogebue” mit vorkommt: 
Den Bahrdt”), den du geſchoren, 
Wirft man in deinen Bart. 
Dich ſcheren, wär’ verloren, 
Wie Waſchen an dem Mohren, 
Denn ewig fteh'n die Ohren 
Dir lang und rauh behaart; 
Das liegt in deiner Art. 
O wär’ft du nie geboren! 
Wie zauft man dir den Bart! 
Du wollteft Efel bohren 
Doch wirft du überbohrt; 
Das find die Hyperboren, 
Die ſich's zur Luft erkoren, 
Die Häupter anzubohren, 
Die, fo wie deines bohrt, 
Mit Lorbern fih umflort. 
D wär'ſt du nie geboren! 
Wie wirft du überbohrt! 

Doch wenden wir uns zurüd zu Schlegel's Sonett 
über Goethe und zu ben an bemfelben zu machenden 
Ausftelungen. Gerade der darin unverfennbaren Leiden» 
haft des Verf. und dem heiligen Zorne, mit dem er 
und die Koryphaͤen ber romantifchen Dichtkunſt über- 
haupt, für das Übergewicht des Dichters bes. „Kauft“ 
über alle lebende Priefter Apoll's und der Mufen in 
Deutfhland und Europa, ihre Stimme erhoben, ver- 
danken wir die allgemeine Anerkennung von Goethes 
höherer Eigenthümlichkeit. Namentlich hat A. W. Schle- 
gel duch feinn Scharflinn in Beurtheilung mehrer 
Werke diefes univerfellen Niefengeiftes fich einen ewi⸗ 
sen Ruhm erworben. Allerdings ließ es die fpätere 
Zeit an fruchtiofen Verſuchen, Goethe’ Größe zu bena- 
gen, nicht fehlen. Befonders wollte man e6 dem herr- 
lichen Meifter verargen, daß er verfehmähte aus feiner 
lichten Himmelsſphaͤre herabzufteigen, um den beabfichtig- 
ten irdifchen Staatsummwälzungen als gemeine Hand⸗ 
langer zu dienen. Als ob dergleichen nieberes Treiben 
mit dem hohen Berufe Desjenigen vereinbar gewefen 
wäre, aus bdeffen unfterblihen Werken das welterleuch- 
tende Licht zum allgemeinen Vorwärts auf der Bahn 
verftändigen Fortfchreitens allenthalben funkelt? Iſt doch 
die VBerblendung fo meit gegangen, um Goethe, dem fee 
lenvollſten allee Dichter, die Seele, die Thellnahme an 
dem Geſchicke der Mitlebenden, abzufpreden, ja, ihn 
bed Verleugnens einer alle Schickſale abwiegenden Vor⸗ 
fehung zu befhuldigen! Kann aber wol irgend Einer 
inniger durchdrungen fein von ihrem Walten ale Der, 
welcher auf Gretchen's Frage: „Blaubft du an Gott?“ 
feinem Fauft folgende Antwort in den Mund legte: 

Wer darf ihn nennen? 
Und wer bedennen: 


) Wie bekannt war Kopebue Werfaffet der berächtigten Schrift 
„Bahrbt mit ber eifernen Gtim’. 


95 


Ich glaub’ ihn. 

Wer empfinden, 

Und fich unterwinden 

Bu fagen: Ich glaub’ ihn nicht? 

Der Allumfafler, 

Der Ullerhalter, 

Faßt und erhält er nicht 

Dich, mich, jich felbft? 

Wölbt fih der Himmel nit da droben ? 
Liegt die Erde nicht hier unten feſt? 
Und fteigen freundlich blickend 

Ewige Sterne nicht herauf? 

Schau’ ich nicht Aug' in Auge Dir, 
Und drängt nicht Alles 

Rah Haupt und Herzen dir, 

Und webt in ewigem Geheimniß 
Unfichtbar fihtbar neben dir? 

Erfüll’ davon dein Herz, fo ge es ift, 
Und wenn du ganz in dem Gefühle ſelig bift, 
Kenn’ es dann, wie du willft, 

Kenn’ es Süd! Herz! Liebe! Gott! 
Ich babe Feinen Namen 

Dafür! Gefühl iſt Alles; 

Rame ift Schall und Rauch, 

Umnebelnd Himmelsglut. 


Diefe Stelle ift wol von einer fo unermeßlichen 
Tiefe, dag man, auch abgefehen von dem Beweiſe, zu 
dem fie bier zunächft dienen fol, fie überall, wo fie fich 
und vergegenwärtigt, als zu einem unendlichen Stoffe 
bes Nachdenkens willfommen heißt. Überhaupt gibt es 
niche leicht in den Werken irgend eines Dichters fo viele 
zum weitern Zorfchen immer von neuem auffobernde 
Stelien als in den Werken Goethe. Manche darunter 
behandeln in wenig Worten einen &egenftand, worüber 
weitläufige Bücher fich fchreiben liefen (und alfo auch ge- 
wiß großentheild ſchon gefchrieben find), fo erfchöpfend, 
daß etwas Wefentliches kaum hinzuzufügen fein würde. 
Beifpielsweife deute ich hier nur auf den Bere: 

Eines ſchickt ſich nicht für Alle, 
- Sehe Seder, wie er's treibe, 
Sehe Seber, wo er bleibe, 
Und wer fteht, daß er nicht falle! 

Konnte über Das, was man unter der Benennung 
„Lebensphilofophie” zu verfiehen pflegt, wol ein vollftän- 
bigerer Sommentar gegeben werben? Und biefen oft un- 
erfhöpflichen Stellen in Goethes Werken gleicht das 
Weſen des Unfterblihen. Je inniger man fih in den 
weiten Umfang feiner geiftigen Kräfte verfenkt, deſto 
größer ſteht er auch vor uns, deſto fupider erfcheint ber 
Bandalismus, deffen Heroftratifhe Natur ſich vor kurzem 
noch an feinem neuen Standbilde zu Frankfurt geltend 
zu machen verfuchte! Trügt mich mein Gedaͤchtniß nicht 
ganz, ‚fo gab es in dem früher erwähnten Schlegel’fchen . 
„Athenäum“, oder deſſen Fortfegung durch Bernhardi, 
unter Anderm mehre fcherzhafte Sonette auf damalige li- 
terarifche Berühmtheiten. Eins derfelben auf Iffland, 
befonders als dramatifhen Schriftfteller, worin diefer re⸗ 
dend eingeführt wird, ift mir noch zum Theil gegen- 
wärtig. Es begann: 

Ich lege jährlich viel dramat ſche Eier, 
Zu zuͤcht'gen ſtreng der Zeiten böfe Sitten, 


Verſchwendung, Lurus wird von mir beftritten, 

Denn Alles ift jept übermäßig theuer. 
Das diefem erften Quartett folgende zweite aber ſchloß: 

Und dies ift ewig meine alte Leier. 

Welch eine Zahl mannichfacher, Iehrreicher und un- 
terhaltender Bemerkungen liefen fih oft an bergleichen 
Findlinge aus der Vergangenheit auch dann knüpfen, 
wenn bdiefe an fih den Wieberabdrud mitunter nicht 
verdienen follten * Das Bernhard'ſche Gedicht ſprach auf 
einmal das Mangelhafte und Ginfeitige ber Sffland’- 
fhen dramatifchen Dichtungen offen aus, was der den- 
kende Theil des Publicums bei den flürmifchen Hul⸗ 
digungen, welche ihnen die Menge barbot, bis dahin 
nur unter vier Augen geäußert hatte. Auch die leptere 
kam allmälig von der Bewunderung ber meinerlichen 
Monotonie der Häuslichkeiten Iffland's zurück, um zu 
deffen fehriftftellerifchem Nebenbuhler, Kogebue, völlig über- 
zugehen, der ihm ſchon zuvor Abbruch gethan und durch 
die Zuthat blenbenden Witzes und Aufftellung piquanterer 
Garicaturen das Familienelend für die Bühne um Die 
les kurzweiliger zu appretiven verſtand. Zugleich kam 
Schiller's zuvor meiſtens nur tauben Ohren gepredigtes 
Wort, daß dem deutſchen Theater „das große giganti⸗ 
fhe Schidfal, das den Menfchen erhebt, wenn es den 
Drenfchen zermalmt”, verloren gegangen fei und die der 
malen die Bühne beherrſchenden Helden „filberne Löffel 
einftedten und den Pranger und mehr wagten” nun⸗ 
mehr in vollen Umlauf. 

(Die Sortfegung folgt.) 





Riterarifche Notizen aus Frankreich. 


Napoleon’d Entwurf zu einer Conftitution. 

Der Krititer Suftave Chaudey, der ſich vor kurzem in 
feiner ‚„Appreciation historique, litt&raire et politique de 
/’Histoire de dix ans de L. Blanc” als ein fo gewaltiger 
Splitterrichter gezeigt hatte, entwidelt in einem Artitel bes 
Sournals „La presse‘ die Rapoleonifchen Ideen über Eonfti- 
tution und conſtitutionnelles Weſen. Er fpendet dabei Thiers 
vorzüglich das Lob, die Anfıchten Napoleon's trefflich aufgefaßt 
und bargeftellt zu haben. Bei diefer Gelegenheit macht Chaudey 
einige Mittheilungen aus einem Entwurfe zu einer Conftitu⸗ 
tion, wie fie Napoleon beabfichtigte. Diefer Plan ift, fo viel 
wir wiffen, in weitern Kreifen noch nicht befannt geworben. 
Wie der Meferent bemerkt, läuft das Ganze auf einen thöridy 
ten Verfuch, die Ideen Montesquieu's mit Roufleau’fchen Ele: 
menten zu verfchmelzen, hinaus, und wie er verfichert, erfcheint 
die politifche Büdung Rapoleon's in dieſem Verſuch einiger 
maßen mangelhaft. Eine klare Borftelung gewtunt man in- 
deſſen aus den Mittheilungen, welche Chaudey macht, nicht, 
und wie müflen deshalb die Beröffentlihung bes Conſtitutions⸗ 
entwurfs felbft abwarten, ehe wir uns ein Urtheil über den 
Werth und die Bedeutung beffelben erlauben koͤnnen. Diefelbe 
wird uns in der „Histoire de la captivits de Sainte-He&läne 
par le général Montholon in Ausſicht geftelt, welche binnen 
einiger Beit im Zeuilleton der „Presse’ erfcheinen wird. 


Überfegung von Müllers „Handbuch der 
Phyfiologie”. 
Unter den beutfchen Gelehrten, deren Ramen vorzugsweife 
im Auslande einen guten Klang haben, verdient befonder& Io» 


| Mit 1 lithographirten Tafel. 


„Hantbuche der Phyfiologie’ unternommen find, verdient be» 
fonders die von A. 3. 2. Inurdan hervorgehoben zu werden. 
Sie hat durch zahlreiche Aufäpe und Grgänzungen einen faft 
felbftändigen Werth. Der Derausgeber konnte von der vierten 
Ausgabe des Driginald nur einige Lieferungen benugen, und 
er jah fi deshalb genötigt, um feiner Arbeit die möglichfte 
Bollftändigkeit zu geben, Die neuern Forſchungen, welche zum 
Theil in eigenen rien, zum Xheil in den gelehrten 47 
ſchriften Deutſchlands, Englands und Frankreichs niedergelegt 
find, überall gehörigen Orts nachzutragen. Dies bat er mit 
reblihem Eifer und mit kritiſcher Sichtung gethan, und fo 
kann feine Bearbeitung für Frankreich als eine Urt von Re 
pertorium der neueften Refultgte betrachtet werben. 


Zur Geſchichte von Lyon. 

Wir haben vor kurzem erft noch dem Lefer einige Werke 
het, welche fi) die inhaltreiche Geſchichte von Lyon zur 
Aufgabe geftellt hatten. Begenwärtig koͤnnen wir diefen Er: 
fheinungen auf einmal drei neue Werke wieder anreihen, welche 
ſämmtlich der Erzählung der Schickſale derfelben Stadt gewib- 
met find. Eins darunter, mehr bibliographiſcher Ratur, ger 
währt einen Blick über die reiche Literatur, welche fi auf 
diefes intereffante Thema bezieht. Der Zitel deffelben lautet 
„Bibliographie historique de la ville de Lyon pendant la 
rövolution frangaise”, von Gonon. Diefe fieben Bogen ftarke 
Broſchuͤre bietet eine Überficht über 605 verfchiebenen Werke, 
weiche Hier in fürzerer oder ausführlicher Beſprechung beleuch⸗ 
tet werden. Diefelben erſtrecken ſich indeflen nur biß auf das 
3. 1791, und die Aufzählung würde noch ungleich reicher aus⸗ 
gefallen fein, wenn der Verf. bei Diefem Beitpunfte nicht ftehen 
geblieben wäre. @ine andere umfaflende Schrift, in der wir 
eine ruhige, gründliche und lesbare Darftellung der neuern 
Geſchichte von Lyon erhalten, ift folgendes Werk: ‚Histoire 
de Lyon depuis la r6rolution”, von I. Morin, von dem 
kuͤrzlich der erfte Band erfchienen iſt. Endlich hat auch Eug. 
Babvier von feiner „Histoire de Lyon’, welche die Ereignifle 
dieſer Stabt von ihrer Gründung bis auf bie Gegenwart ber 
handelt, eine zweckmaͤßige, wohlfeile Ausgabe (Edition popu- 
laire) herauszugeben angefangen. 7 





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wird in vier Heften, die der Verfasser innerhalb zwei 
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Verantwortlicher Herausgeber: Seiurich Brockzaus. — Drud und Berlag von F. SE. Brockhans in Leipzig. 


Blätter 


für 


literarifde Unterhaltung. 


Sonntag, 





25. Sanuar 1846. 





Literarifhe Zindlinge. 
(Bortfegung aus Ar. 3.) | 


Nachdem die Romantiker fchon fchriftlih und münb- 
lich das neuere Bühnenwefen theoretifh ‚zu bekämpfen 
getrachtet, begannen fie auch praktiſche Angriffe auf daſ⸗ 
felbe zu wagen. Dem dem Altgriechifchen nachgebildeten 
Trauerfpiele „Jon“ von A. W. Schlegel, durch Kenner 
und Gönner hocherhoben, fehlte es bei den erften Auf⸗ 
führungen nicht an Bewunderern. Aber der raufchende 
Beifall ging bald in Grabesftille über. Es konnte ſich 
auf keinem Repertoire erhalten. Ein Verſuch in der 
romantifchen Tragödie von dem Bruder bes Verfaſſers, 
Friedrich Schlegel: „Alarcos“, wollte das Theaterpubli- 
cum fo wenig anfprechen, daß der ähnliche Verſuch, den 
bald barauf Wilhelm v. Schüg mit feinen „Lacrymas“ 
gemacht hatte, wenn ich nicht irre, nirgend Zulaß auf 
die verhängnißvollen Breter fand. 
fache hatten gleihes Schickſal. Zuletzt übte Kogebue 
eine Zeit lang faft das Alleinherrfcherrecht auf ber 
Bühne aus. Erſt ald er das Opfer eines Fanatikers 
geworben, erſt da fah man ein, welchen Berluft denn 
doch das ganz verfallene deutfche Theater an dem geifl- 
reihen Manne erlitten unb daß berfelbe ihm, befondere 
auch wegen feiner ungemeinen Fruchtbarkeit, für den 
Moment ganz unerfeglich fein werde. Allerdings gab 
ed noch eine Menge Namen, wie Steigentefh, Col» 
lin, Obhlenfchläger, Grillparzer, Werner, Müllner, Rau: 
pach, Houmald, Uchtrig, Schenk, Deinhardftein, Holbein, 
Holtei, Caftelli, Weißenthurn, Bauernfeld, Halm, Töpfer, 
Albini, Blum, Schall, Birch Pfeiffer u. A., die noch lange 
nad) Kogebue’s Ermordung, gleichzeitig und nacheinander, 
im Schaufpielhaufe Anerkennung, ja zum heil auge 
zeichnete Verehrung fanden. Allein ihre Träger ftarben 
ab oder entzogen ber Bühne ihre Thätigkeit, mitunter 
weil die Mehrheit der Theaterbefuchenden, immer tadel- 
fürchtiger geworden, zulegt gar nicht mehr zu wiſſen 
fhien, was vom Schau=, Luft- und Zrauerfpiele billi- 
germeife zu verlangen und nicht zu verlangen fe. Die 
Productivität der für die Bühne fähig und thätig gewe⸗ 
fenen Schriftfteller nahm daher, beſonders als zulegt auch 
Raupah, der in einer an bdramatifcher Schöpferkraft 
nothleidenden, Zeit durch Trauer⸗ und Luftfpiele Fein 


Mehre ähnliche Ver⸗ 


geringes Verdienft um das ſchauluſtige Publicum fi er- 
worben hatte, ſich ebenfalls nad) und nach zurückzog, in 
BVerhältniß zu der Menge der nad Reuerm raſtlos ver⸗ 
langenden Zufchauer immer merklicher ab, ſodaß die Büh- 
nenvorftänbe fich mehr als je zuvor genöthige fahen, nach 
dbramatifcher Waare ins Yusland betteln zu gehen, von 
woher ſich die Üheaterfreunde das eigentliche Kehricht 
noch weit eher gefallen ließen al& ben zuweilen doch um 
Bieles beffern inländifhen Zuwachs. Neben ber fort 
dauernd auf der deutſchen Bühne an Terrain gewinnen- 
den Oper und der hauptfächlicd durch den jovialen Ne⸗ 
firog und einige andere Wiener in Ruf gebrachten fo- 
genannten Localpofje mit Mufit, fand, wie fich endlich 
Har berauöftellte, außer der dem Auslande abgebettelten 
dramatifchen Dutzendwaare das zwifchen Luft und Trauer, 
Sreuden » und Leibenthränen im Auge anftändig bin- 
fhlendernde neue deutfehe Familienglück und Unglüd 
noch immer die leidlichfte Aufnahme, befonders dann, 
wenn bie DVerfaffer darin die den größtentheil® verab⸗ 
fchiedeten Iffland'ſchen Stüden eigen gewefenen un⸗ 
fruchtbaren Rängen vermieden, die Thräne ihres tyranni- 
ſchen Abſolutismus beraubt, der verfchwenderifchen Groß⸗ 
muth einen vernünftigen Vormund beftellt, der Liebe 
ihre fentimentalen Ubergriffe in die unbeiligen Hallen 
des Ehebruchs abgewöhnt, den Iururiöfen Kaflenbeamten 
gehörigen Reſpeet vor dem Zuchthaufe eingeflößt, oder 
fonft überhaupt die binfällige menfchliche Tugend in die 
Zwangsjacke einer plaufibeln Moral zu preflen gemußt 
hatten. Offenbar gehört noch jegt Frau Birch-Pfeiffer zu 
Denjenigen, deren Stüde vermöge folcher und ähnlicher 
Borzüge fih in der Regel eines recht günftigen Er- 
folgs erfreuen. 

Jedoch unter allen für das deutihe Drama aufge- 
fproßten Talenten wird nun ſchon feit einer Reihe von 
Sahren einem einzigen ein fo nahhaltiges Willlom- 
men für feine Schau- und Luftfpiele zugerufen als ber 
Prinzeffin Amalie von Sachfen. Und nicht etwa in 
Sachſen allein, wo man das Wohlgefallen an ihren 
Dramen ihrer alle Herzen gewinnenden eben Perſoͤn⸗ 
lichkeit zunächſt zufchreiben koͤnnte! Obſchon anderwärts 
nad) ber dermaligen Stimmung gerade bie hohe Stel- 
lung einer Dichterin cher im Stande wäre, dem Ige 
ihrer Werke den Weg zu erfihweren, ald demfelben Bahn 


zu machen, fieht man dod auf allen Bühnen Deutfc- 
lands jedem neuen dramatifhen Erzeugniſſe dieſer Prin- 
zeffin mit Verlangen entgegen. Durch die höchſte Sit- 
tenteinheit und ben zarteften Takt in eine höhere Sphäre 
vor den meiften Schauſpielen der Gegenwart Binaufge- 
ruͤckt, vereinen fie auch alles an Iffland's Dramen mit 
Reh gefchägt Geweſene. Die feingebildete, gefunde 
Natur verfieht ihren gehaltvollen Dialog mit einem Le⸗ 
ben, welches bie fteifen Schlagworte und andere, felbft 
in ben beften Sffiand’fchen Probucten vorfommende Gri⸗ 
maffen und Berlünftelungen biefen entziehen. Einen be⸗ 
fondern Reiz gewährt den Stüden biefer Verfafferin die 
in der Regel ungemein glückliche Auffindung und Auf- 
faffung eines willtommenen Stoffe und beffen Durch— 
führung auf bem einfachften Wege. Unter allen jegigen 
jchriftſtelleriſchen Bühnenfähigkeiten gibt es nicht eine von 
foicher Dauer und fo allgemeiner Anerkennung. Die 


leptere wird keinem deutihen Schaufpielbichter neuerlichſt 


in foldem Grabe zu Theil als dem geiftvollen Gutzkow, 
“ dem überbies das große Verbienft nachzurühmen ift, dem 
ganz in Verfall gerathenen Weſen des eigentlihen 
Auftfpiels eine neue Seele eingehaucht zu haben. Sein 
„Urbild des Tartuffe“ ftellt dem Berfaffer ein hellleuch⸗ 


tended Zeugniß dafür aus, Bekanntlich haben neuerlich, | 


neben ihm, mehre jugendliche Kräfte fich ebenfalls nicht 
mie ungänfligem Erfolg im eigentlichen Luſtſpiele 
verfucht. Möchten fie nicht mübe werben auf der ſchoͤ⸗ 
nen Sahn in einer Zeit, ber gerade ein Übermaf des 
trefflichften Stoffe für das Feld des Komifchen zuge- 


Uen iſt. 

—* für die Tragödie iſt in den letzten Jahren bie 
dichteriſche Thaͤtigkeit nicht erfolglos geweien, und es 
kann bei der fortbauernden Concurrenz nach fo erhabe⸗ 
nem Ziele ein recht erfreufiches Refultat kaum ausblei- 
bed. Zum Theil wird die duch unfern Tieck der deut. 
fen Bühne gewonnene „Untigone” des Sophokles ge- 
wiß wmefentlich beitragen, das Trauerſpiel von der fub- 
alternen hänslerifchen Richtung wieder ab» und es auf 
feinen vormaligen großartigen Standpumft zurkdzubrin- 
gen. Daß der neuerdings mit der „Untigone” gemachte 
Berfuh viel zeitgemäßer geweſen als einer, welcher einft 
unter Goethe's Leitung im erften Decennium des jetzi⸗ 
gen Jahrhunderts auf den Bühnen zu Weimar und 
Lauchftädt, ebenfalls mit dieſem griechiſchen Meiſterwerke, 
gewagt wurde, ergibt ſich daraus, daß zu jener Zeit die 
Sache keine Folge hatte. Zwar blieb die damalige Auf: 
führung des claſſiſchen Kunſtwerks auf beiden Theatern 
deineswegs ohne Succeß, allein es war nur ein succes 
d’estime, der kaum eingefreten auch wieder erlofch, wäh. 
renb in der legten Zeit die „Antigone” nicht nur auf 
mehren der .bebeutendften deutichen Bühnen ein Hei⸗ 
matsrecht fi erwarb, fonbern fogar mit lud bis an 
die Ufer der Seine und der Themſe verpflanzt wurde. 
Beinahe gleiche Gunſt wiberfuhr der Darftellung von 
Shakſpeare's Sommernachtstraum“. Dffenbar ift bie 

Belanntwerdung des Publicums mit diefem groͤß⸗ 
ten Buchnendichter der geſammten neuern Zeit die Ver⸗ 


anlaffung zu Aufführung auch anderer "Stüde bes un- 
ſterblichen Briten gewefen, welche bisher noch nie auf 
der Bühne Zutritt erhalten hatten. 

Bei der fichtbaren Zunahme ber Empfänglichkeit für 
die Größe Shakſpeare's und die ber griechiſchen Tra⸗ 
gödie zu Brunde liegenden Elemente des wahrhaften 
Zrauerfpiels, wird unfehlbar auch in den künftigen Scho- 
pfungen unferer Zragödiendichter der Sinn für die hohe 
Würde des Trauerſpiels immer Harer und lebenbiger 
hervortreten. Ä 


Auf ähnlihe Art wie an das Bernhard'ſche Sonett, 
beffen immer beffer von den Theaterfreunden begriffener 
und approbirter Inhalt zulegt den Fall der fogenannten 
dramatifchen „Iffländereien” bewirkt Hat, fügte ſich hier 
eine kurze Befchichte des neuern theatralifchen Zuftandes 
wie ‚von felbfi an, und in gleicher Art würden aus ei- 
ner Menge anderer Zeitblätter-Findlinge fich zuweilen gar 
wichtige Bemerkungen ganz ungefucht an die Hand ge- 
ben. Aber auch ohne alle Bemerkungen und Fingerzeige 
find fehr viele ſolche Findlinge des bloßen Wiederab- 
druds, wenn benfelben fonft ein eigenthümliches Intereffe 
beimohnt, ſchon darum nicht unwerth, weil fie außerdem 
ganz verloren gehen könnten. So füllt mir im Augen- 
blide ein kleiner, fehwerlich je wieder an das Tageslicht 
gefommener Scherz ein, welchen vor langer Zeit die 
„Zeitung für die elegante Welt" mitbrachte. Er betraf 
den geehrten Dichter der „Urania”. „An Minna“ über: 
fchrieben, wat er folgendes Inhalte: ' 

Mag immerhin die Lerch’ in Lüften trillern, 
Mit Schillern, | 
Die Nachtigall ihr Lied der Kiebe Flöten, 
Mit Goethen, 
. Du liebft mich doch, ich finge Dir ein Liedchen 
Bon Ziedgen.. 

Als Verfaffer nannte man mir damals einen Philo⸗ 
logen, Namens Boldmeier, von dem ih, taͤuſcht mich 
mein Gedaͤchtniß nicht, bald darauf hörte, daß er noch 
ſehr jung geftorben fei. Das Versen, obfchon alfer- 
dings ungerecht gegen den Sänger der „Urania“, fehil- 
dert die Genügſamkeit der Liebe zu drolig, als daß man 


anſtehen follte, es ind Leben zurückzurufen, zumal da 


Tiedge geftorben und deſſen zahlreiche Verehrer durch 
diefe kleine Neckerei eher in ihrer Vorliebe für ben Dich⸗ 
ter ſich beſtaͤrkt fühlen werden, als ſolche ihm deshalb 
entziehen ſollten. Uberhaupt. find wol aͤhnliche Scherze, 
auch wenn man ſelbſt der Zielpunkt iſt und ſie nicht 

ſchwerer ins Gewicht fallen, am beſten leicht hinzuneh - 
men. Indem ich das Verslein ohne alle daran weiter 
geknupfte Betrachtung vorzulegen dachte, führt mir plötz⸗ 
lich bie Erinnerung ein Unglück wieber vor das Auge, 
welches mir felbit mit dem im Umgange recht angeneh- 
men Tiedge begegnete und bas feiner Seltfamkeit wegen 
die Mittgeilung vielleicht entſchuldigt. Es war fchon 
während meines Aufenthalts in Berlin, in den erfien 
Jahren biefes Jahrhunderts, daß ich das Vergnügen 
batte, den Dichter der „Urania” kennen zu lernen. Bon 
Wesel, dem Verf. des Trauerſpiels „Jeanne d'Arc“, wel⸗ 





ches zwar der ſchon feſton Fuß auf der Bühne behaup⸗ 
tenden Schiller'ſchen „Jungfrau von Orleans“ den Rang 
nicht flreitig zu machen vermochte, aber doch Wegtel's 
Werth als Dichter zu erfennen gab, war kurz ver mei- 
ner Abreife von Dresden eine Satire auf LTiedge's 
„rania”, unter dem Titel eines Anhangs zu. :diefer her- 
ausgetommen, deren Inhalt mir von einem Freunde mit- 
getheilt worden. In einer berliner Abendgefelfchaft, an 
welcher Ziedge ebenfalls Theil nahm, erregte der Name 
Urania, der in meiner Nähe erſcholl, meine Wißbegier 
um fo mehr, da mie dabei fogleich dieſe Satire einfiel. 
Ich näherte mich baher der im Gelpräcd darüber be- 
griffenen Gruppe. Die einzelnen nod über den Gegen- 
Rand gewechjelten Worte, die ich vernahm, machten mir 
zwar die Sache nicht Mar, brachten mid aber doch zu 
der Vermuthung, daß die folche Befprechenden die fati- 
riſche Schrift nicht gelefen hätten. Ich gab daher zu 
ertennen, daß mir von ihr gefagt worden, für einen 
Ruf aber wie der, dem Ziebge fich bereits erworben, 
durch ſolche Angriffe keine Gefahr zu beforgen flehe.*) 
Doch wie erftaunte ich über das Staunen, das meine 
Außerung erregte. In kurzem erhellte es indeß, daß 
Wegtel's Satire noch keinem der Anweſenden befannt 
gemwefen und bie neuefte Auflage von Tiedge's „Urania“ 
ihrem Gefprähe zu Grunde gelegen. Während. unferer 
Erplicationen ‚hierüber hatte fich inzwiſchen der Zuhörer: 
kreis unvermierft vermehrt, unter Anderm durch Ziedge 
feibft, der, wie ſich ergab, jept ebenfalls fo das erſte 
Wort von der neuen Schrift erfuhr und feine offenbare 
Empfindlichfeit über das Ereigniß vergebene mit einem 
Bitten Lächeln zu verfleiden ſuchte. Ob ih fpäter in 
Berlin wieder mit Tiedge zufammengelommen bin, weiß 
ich nicht mehr. Wol aber ſaß ich einige Jahre darauf 
auf einer Reife von Dresden nad, Leipzig, zu Meißen, 
im Gaſthofe zur Sonne, bei Tifche, ale mehte andere 
Reiſende bort ebenfalls anfamen, um Mittag zu machen. 
Man bedurfte namlich damals zur Reiſe von Dresden 
nach Xeipaig, die neuerlich in wenig mehr als drei Stun⸗ 
den Zeit auf der Eiſenbahn zurückgelegt wird, bisweilen, 





Y Bei bieſer Gelegenheit glaube ich jedoch Hier beiläufig eines 
chrenvoſten Zeugnifſes gedenken zu muͤſſen, welches dem verflorbenen 


Wetel (der wit mit dem benſelben Ramen führenden, fehon früe 


ber im MBahnfinn untergegangenen Verf. des Romans ‚Hermann 
und Ulrike zu verwechſeln ift) von bem ber deutſchen Literatur, 
leiser, dur einen viel zu frühen Tod entriffenen Immerniann aus⸗ 
geftellt worden. In Nr. 144 der „Abendzeitung““ vom’ 17T. Iuni 101 


ſagt nämlich der dutch mehre hoͤchſt ſchaͤbbare biographiſche Notigen 


empfohlene 8. Bunt, daB Immermann dem verewigten Wedel eis 
new ſehr bedeutenden Rang als Dichter zuerkannt und namentlich 
uber deſſen „Jeanne d’Krc” fich alſo auſsgeſprochen habe: „Er ſtelle 
fie ohne Bedenken in mancher Beziehung hoͤher als die Schillers 
fe, und nit nur ber feſtgehaltenen geſchichtlichen Wahrheit, ſon⸗ 
dern bier und da ſeibſt der poetifden Schönheit und Sharakterzeich⸗ 
nung balber, die in ihrer .Kedipeit wahrhaft Shakſpeariſch genannt 
werben könne. Es fei ſtets ein Lieblingsgedanke von ihm, Immer⸗ 
mann, gewefen, bad Gtäd auf die büffeldorfer Bühne zu bringen, 


- © hätten Inm nur die Schaufrielee dazu gefehlt; daß es größere 


Bühnen nicht unternommen, namentlich bie berliner, gehöre zu ben 
theatralifhen Miſeren!“ 


und zwar fogar mit Ertrapoſt, wie ich aus eigener Gr- 
führung weiß, drei volle Tage und hatte mehre Mitsags- 
tifche und Nachtlager unterwegs zu — erleiben, koͤnnte 
man fagen, denn auch der Comfort in ben Bafthöfen 
an einer fo frequenten Straße wie die zwiſchen Dres- 
ben und Leipzig war zur damaligen Zeit noch nicht er- 

ben. Bon den in Meißen neuangefommenen Reifen- 
den trat da plögfich der eine, ein ſchon bejahrter Mann, 
zu mir, mich beim Namen nennend und fragend, ob ich 
ihn nicht mehr kenne? Vermöge meiner Kurzfichtigkeit 
erkannte ich's auch wirklich nicht fogleich, dag es Tiedge 
war, welcher darüber befremdet ſchien. Diefe Kurzfich⸗ 
fichtigkeit hätte uns Beiden ein paar Jahre darauf viel- 
feicht den Hals gekoftet, wenn der Rahme dem faft Blin- 
den nicht zur Seite geftanden hätte. Indem angenehmen 
Haufe meinee nun ſchon lange verewigten lieben Freundes, 


"des Dichters Mahlmann zu Leipzig, zufällig mit Tiedge 


zufammengetroffen, überrafchte uns unter traulichen Ge⸗ 
fprächen beim Nachtmahle die Mitternacht. Deſto un« 
freundlicher empfing Tiedge und mich bei unferer nach⸗ 
berigen Heimkehr ein mit diden Wolken überladener 
Himmel. Die wahrhaft ägnptifhe Finſterniß zwiſchen 
dem. Haufe in ber Vorſtadt, das wir verlaffen hatten, 
und dem Stadtthore, unferm nähften Zielpuntte, machte, 
dag wir anfangs laut auflachten, nur allzu bald aber 


durch Baumſtämme und Edfteine, die uns ihr unficht- 


bares Dafein recht nachdrücklich einprägten, die gute 
Laune völlig einbüßten. Ich hatte meinem Leidensgenof- 
fen, der damals ſchon feinem fpäter ganz in Werfall ge- 
rathenden Fußwerke wenig vertrauen konnte, auf dem 
durch Beine einzige Rampe erhellten Pfade meinen Arm 
geboten. Kaum aber kam jept die Laterne einer Fuß⸗ 
gängerin an uns vorüber, als Ziedge auch feinen Arm 


mit einem Ausrufe des Schredens, mir haftigft wieder 


entriß. Bei dem Lichtfcheine bemerkte er nämlich, was 
mir allem Bermuthen nah ganz entgangen fein würde, 
dag wir geradezu auf den offen vor uns liegenden tie 
fen Stabtgraben losfteuerten und bis zum Dinabftürzen 
nur noch zwei Schritte übrig gehabt hatten. 

( Der Beſchluß folgt.) 


nn 


Komanliteratur. 


1. Michael de Ruyter. Bilder aus Hollande Marine von 
: Heinrid Smidt. Bier Bände Berlin, Simion. 

1346. 8. 4 Ahlr. 15 Ror. | 

Michael de Ruyter wird uns als Meiner muthwilliger Geis 
[erjunge auf den eriten Seiten des Werks bekannt, imd das 
erfte Eapitel erzählt uns feinen Übergang zur Marine, wäh: 
rend das legte Tapitel uns den Tod ded Michael Andrianfon 
de Ruyter, Lieutenant:Abmiral:General von Holland und Welt: 
frießland, Ritter des goldenen Bließes und St.Michael⸗Ordens, 
in Folge einer vor Catanea empfangenen Wunde mittheilt. 
Sein Sarg warb mit Herzogshut und Bergogsmanttel ge: 
ſchmuͤckt, welche Würde der Vicefönig von Sicilien dem leben: 
den de Ruyter zugedacht hatte. Er war gevabe MM Sabre alt, 
Die zahlreichen, zwifchen diefen zwei Capiteln liegenden Blät- 
ter unterhalten und von ben Lebensthaten und Gefinnun- 


gen bed Geemannd. Zapferkeit, Muth, Umfiht in der Schlacht. 


100 


Treue gegen Yreund und Feind, Rechtlichkeit in @Gefchäften, 
Beſcheibenheit und Frömmigkeit im Leben waren die Eigen⸗ 
fhaften welche ihn zierten, während feiner fdhnellen Ca 
vom Seemann eines reichen Kaufmanns zum Plottencapitain 
und Befehlöhaber eines Dreimafters im Dienfte ter Generals 
ftaaten der vereinigten Niederlande, ſowol als Contreadmiral 
über die Flotte wie au als Commandeur der Flotte, als 
Biceadmiral von Holland und Prietland u. f. w. Sowol im 
Schlachtgewuͤhl als im Stillleben, fowel im Kriegsgetümmel 
und in politifhen Wirren al& in feinen Liebesverhaͤltniſſen er: 
Scheint er und als das Ideal eines Ehrenmanned, eines Hel⸗ 
den, und zahlreiche Anekdoten, Berichte, Geſpraͤche zeigen ihn 
dem Lefer als wahren Ehriften, guten Pamilienvater, rechtli⸗ 
hen Bürger: ein erfreuliches Bild, fowol für den Pfychologen 
ald für den am bunten Wechjel der Ereignifle ſich Erfreuen: 
den. Als ftörend erfchienen dem Ref. manche Scenen, welde 
nicht auf de Ruyter's Leben Bezug hatten, doch verfühnt da» 
mit die hiſtoriſche Faͤrbung, welche die Größe von Hollands 
Marine und deren Verhaͤltniß zu andern Ländern und Mari« 
nen mit wahrhaftem patriotifhen Stolz verherrlicht. Michael 
de Ruyter wird oft zur Nebenperfon in dieſer Verherrlichung ; 
er bleibt immer der Umgebung würdig, wie Die Umgebun 
feiner würdig bleibt. Das vorliegende Werk gehört eientlich 
nicht zur Nomanliteratur, es hat Anſpruch in eine ernftere 
Rubrik aufgenommen zu werden, wenn auch der Autor felbft 
befcheidenerweife diefen Anſpruch nicht macht. 


2. Emmerih von Toͤckely. Romantifches Gemälde aus ber 
Geſchichte Ungarns in der legten Hälfte des 17. Jahrhun⸗ 
dertd, von Karl von Damig. Drei Theile Leipzig, 
Krappe. 1846. 8. 4 Zhlr. 


Emmerih Graf von Zödely wird von der Geſchichte ale 
der Befreier feines Paterlandes Ungarn von fremder Unter 
drüdung bezeichnet. Schon jein Vater, Stephan von Toͤckely, 
ftand an der Spige der Misvergnügten, welche fi) den Ber: 
folgungen der Proteftanten widerfegten; er fiel während der 
Belagerung feined Schloffes und fein funfzehnjähriger Sohn 
Emmerich floh zu Georg Ragozy, dem Zurften von Sieben: 
bürgen, weldyer im gleichen Interefie die Ungarn mit Trup⸗ 
pen unterftügte, deren Führung er Emmerich anvertraute, 
Der Friede von Linz verfchaffte den Ungam die Glaubensfrei⸗ 
heit und die ihnen entriffenen Kirchen wieder, und Emmerich's 
Tapferkeit half nun den Baiferlihen Waffen 1664 den glorrei: 
hen Sieg bei St.:Gotthardt über die Zurken erfämpfen. Die 
den Kaifer Lecpold I. leitenden Jeſuiten fuchten inde bald 
wieder den Ungarn die bewilligten Freiheiten zu entreißen ; 
diefe erhoben fih von neuem und Graf Emmerich von Toͤckely 
ward von ihnen zum Oberfeldherrn erwählt. Als folder ſchwur 
er, fein Vaterland von der deutfchen Herrſchaft zu befreien und 
drang mit feinem Heere fogar bid nach Mähren vor. Leopold1. 
fuchte nothgedrungen nachzugeben, allein Zödelg beharrte in 
feinem Widerftande und begab fi in den Schug des Sultans 
Mohammed IV., welcher ihn zum König von Ungarn ernannte, 
wodurd ein neuer Krieg mit der Pforte ausbrach. Als die 
Zürten nach der unglüdlichen Belagerung Wiens im 3. 1683 
gänzlich gefchlagen wurden, ſetzte Zödely den Krieg gegen ben 
Kaiſer, wiewol mit nicht günftigem Erfolge, fort und ward, 
von feinen Anhängern verlaflen, von der Pforte zum Fürften 
von Siebenbürgen ernannt. Auch hier vertrieben, begab er 
fih nad dem 1699 zwiſchen bem Kaifer und der Pforte ge: 
ſchloſſenen Frieden von Karlowitz auf türkijches Gebiet und 
endigte 1705 auf einem Landgute bei Nikodemien fein thatenreiches 
Leben. Dieſes ift Toͤckely's Leben, welches der Verf. in ein ro: 
mantifched Gewand gekleidet ober vielmehr verkleidet hat, in: 
dem er zahlreiche Liebesgefchichten, fowol die des Helden als 
die feiner Freunde, hineinflocht und biefe ziemlich breit erzählte. 
Zödely'd Charakter tritt indeß immer gleichbedeutend unter 
den verfchiedenen Helden und Abenteurern hervor, und wir 
verdanken diefer Bearbeitung der Geſchichte eine farben» und 


+‘ 


wechfelveiche Lecture voN regen Lebens und der etwas wilden 
Romantik jener Zeit. 


3. Die Stieftochter. @ine Samiliengefejiäte von 3. Satori. 
Swei Aheile. Danzig, Gerhard. 1845. 8. 2 Ahlr. 
DM Ror. 

An dem vorliegenden Roman ift nichts zu tabeln, nichts 
zu loben, es ift eine mit allen Umfländen erzählte Familien» 
geſchichte. Der Erbe eines bedeutenden Vermogens beirathet 
nad dem legten Willen feines Vaters ein armes Mädchen, 
läßt fi aber durch die Verführung der großen Welt, durch 
böfes Beiſpiel und Schmeichelei verlocken, die höhern Kreife 
ber Geſellſchaft aufzufucgen, denen er zuletzt durch Auffindung 
Kenne alten gräflihen Ramens auch wirklich angehört. Seine 

rau fühlt ih den Anfprüchen der großen Welt nicht gewach⸗ 
fen, fie_flirbt nad) langem Sram und er vermählt ſich mit ei» 
ner _gefall» und prunffühtigen Gräfin, welche mit ihm den 
größten Theil des Vermögens durchbringt. Nach feinem Tode 
wird ſeine Tochter Eliſabeth Geſellſchaftsdame bei einer alten 

Marquife, fie verlobt ſich mit einem armen Maler, den ihr Va⸗ 

ter früher unterftügt hat. Die Marquife vermacht ihr 100,000 

Brand und der arme Maler wird als reicher Kord Morton 

erkannt und im Befig feiner zahlreichen Güter eingefegt. Ende 

gut, Alles gut. Dieſe Geſchichte ift ziemlich breit erzählt, doch 
unterhaltend, wenn der Lejer Feine allzu großen Anfprühe an 

Driginalität und Genialität ſtellt. 46. 





Notiz. 


Die Buddhiftenmönde in Ehina. 

In der Afiatifhen Geſellſchaft in London ward jüngft eine 
Mittheilung des britifhen Conſuls I. Lay in Amoy verlefen, 
weiche außer der Überjegung der früher vielermähnten Felſen⸗ 
infhrift von Ku⸗Lang-Su (die fih nad diefer Mittheilung 
als völlig neuern Urſprungs erweift) eine Übertragung des 
Diplome enthält, welches die Obern eined buddhiftifchen Klofters 
einem ihrer Conventualen ausgeftellt. Diefe Urkunde ift befon« 
ders als ein Beweis der von der Faiferlichen Regierung dem 
Buddhismus gewährten Gunft von Interelfe, wahrend man 
mehr ald einmal jene in Verdacht hatte, diefer Religion abge⸗ 
neigt zu fein, da fie von den Schülern des Kon-fu⸗tſe als 
Fegerifch und abergläubifch betrachtet wurde. Dieſes Diplom 
nun erwähnt die Beweife der Gunft und Bevorzugung, welche 
die Klöfter dieſer Sekte vom 7. Jahrhundert der chriftlichen 
Zeitrehnung bis auf den heutigen Zag von ber chineſi⸗ 
[hen Regierung erfahren. Hauptfächli wird darunter die 
Errichtung von Altären, an denen das Gelübde der Enthalt- 
ſamkeit abgelegt wird, und bie Lieferung der zu ihrer Verwal⸗ 
tung nöthigen Dinge aufgeführt; ebenfo die Berorbnungen ber 
Semeindebehörden, den Anhängern des Buddha Feine Hinder- 
niffe in ben Weg zu legen, wenn diefelben, um fi in den 
Lehren der Beichaulichkeit zu unterrichten, Reifen unternehmen. 
Eine Berordnung dieſer Art Fam ſchon im Id. Jahrhundert 
vor. Das Diplom wird als eine Art Paß fowie als eine 
Beicyeinigung betrachtet, daß der Inhaber das Gelübde der 
Gnthaltfamkeit abgelegt. Die von Hrn. Lay übertragene Ur= 
Eunde diefer Art war einem Monch ertheilt worden, der als 
ein Mann von Beobachtungsgabe und Gelehrſamkeit gefchildert 
wird und der von ‚den britijchen Behörden beauftragt wurde, 
Bücher und anderweitige allgemeine Aufichlüffe über feine Reli- 
gion zu fammeln. Er ijt Official des Tefih-Luy» Klofters, 
welches auf dem Abhange des herrlichen Berges in den Mauern 
von Fo-Kſchau liegt, von wo man die Ausfiht auf eine weite 
und prächtige Landſchaft genießt. Kiofter und umgebende 
Sartenanlagen wurden mit Einwilligung der Möndye und der 
angefehenen Einwohnerfgaft von Fo-Tſchau dem britifchen 
Conſulate dafelbft zur Verfügung geftellt. 12, 


Berantwortlicher Heraußgeber: Heinrich Brockzaus. — Drud und Berlag von F. M. Brockhaus in Leipzig. 


Blatter 


| für 


literarifde Unterhaltung. 


Montag, 





Literarifhe Findlinge. 
( Beſchuß aus Nr. 5.) 


Während Tiedge's nachherigen Aufenfhalts in Dres- 
den fand immer ein freundliches Verhaͤltniß zwifchen 
ihm und mir flatt. Eines Tags aber auf feinem Zim- 
mer, wo wir verfchlebenes Kiterarifches befprochen hatten, 
begann ex nach kurzem Innehalten: „Sie waren ber 
Erſte, ber die Nachricht von Wetzel's Ausfall gegen 
meine «Urania» zu Berlin in Umlauf bradıte.” Die Le 
Tee wiffen bereits, wie ed damit zuging. Es war mir 
nicht die mindefte böfe Abficht, oder auch nur ein Murb- 
ville gegen den hochgeachteten Diann in ben Sinn ge 
kommen, als bei jener berliner Soirde die Nachricht 
von jener Satire mir entfchlüpfte. Die Art, wie Tiedge 
mich bei dieſen Worten firitte, würde mir noch weher 
gethan haben, wenn mein Bemußtfein mich nicht von 
aller Schuld losgeſprochen hätte. Meine freundliche Ger 
finnung gegen ibn erhielt ſich indeffen nad wie vor. 
Sch zweifle fogar, daß ber Vorfall Urſache an der Ber- 
minderung meiner Befuche bei ihm gemwefen. Seine 
Füße verfagten ihm inzwifchen bald ‚nachher faft allen 
Dienft dergeftalt, daß er fih in einem Stuhle mit Rä- 
Dern durch einen Diener Nachmittags oft bie nad) der 
etwa eine Diertelftunde weit von feiner Wohnung am 
Elbufer gelegenen Schiffmühle fahren zu laffen pflegte, 
um im bafigen Sarten den Kaffee einzunehmen. 

Dort, wo ich zumeilen das Bad im Eibftrome be- 
nugte, führte mich einmal der Zufall wieder mit ihm 
zufammen. Auf die Vorwürfe die er mir machte, baf 
ich ihn recht lange nicht befucht habe, Löfte ic, in den 
nähften Tagen, mein ihm gegebenes Wort, den unter- 
terlaffenen Beſuch nachzuholen. Beim Fortgehen von 
ihm, nach ziemlich langer, freundlicher Unterhaltung auf 
feinem Zimmer fragte er noch zulegt nach Neuigkeiten. 
Es wäre beffer gewefen, wenn ich bei meinem Kopf- 
fchütteln geblieben wäre, das ich ihm darauf zur Ant- 
wort gab. &o aber fiel mir ein, daß ich eben in der 
Arnold'ſchen Buchhandlung einen neuen Mufenalmanad 
gefauft und noch in ber Taſche hatte. Er bat mid 
um beffen künftige Sommunication auf einige Tage, wenn 
ich ihn würde gelefen haben. Da er fehr begierig auf 
ben Inhalt des Buchs ſchien, fo ruhte ich nicht cher, 


26. Januar 1846, 





: bis er ſolches zurückbehielt, um ſich der Leeture ſogleich 


unterziehen zu Fönnen. 

Wie erſchrak ih aber, als eine Woche fpäter, ine 
ih den Muſenalmanach noch nicht zurüd erhaften, mir 
zu Obren fam, daß er eine oder mehre witzige Angriffe 
von A. W. Schlegel auf Tiedge felbft enthalte. Ich er- 
ſchrak um fo mehr, da ich mich erinnerte, Kegterm gefagt 
zu haben, daß einzig bie in dem Almanach befindlichen 
Gedichte von Schlegel, von dem lange nichts Derartiges 
erfehienen war, mich zum Kaufe beffelben veranlaft hät- 
ten. In meinen fegt eben zur Herausgabe ſich vorbereis 
tenden „Crinnerungen und Betrachtungen, auf einem 
langen Lebenswege gefammelt” denke ich bei Gelegenheit 
der Erwähnung der legten Zeit aus Tiedge's Keben auf 
diefe Geſchichte zurückzukommen. 

Seit jener für mich wahrhaften Schreckensnachricht 
konnte ich, bei aller Schuldloſigkeit, es nicht über mich 
gewinnen, Tiedge wieder zu. beſuchen, ober auch nur den 
Almanach, den ich nicht zurüd! befam, von ihm münblic 
oder ſchriftlich zu reclamicen. Am dritten Orte no 
einmal, ebenfalls durch Zufall, nachher mit ibm aufam- 
mengetroffen, habe ich übrigens deſſen Frermdlichkeit ge 
gen mich nicht. vermindert gefunden. Als Tiedge geſtor⸗ 
ben war, ift in feiner Wohnung nach diefem Almanache 
fruchtlos gefucht worden. Da mir kein anderes Erem- 
plar davon je au Geſicht gefommen, fo weiß ich bis 
biefe Stunde noch nicht, worin die Satire auf ben Vor⸗ 
florbenen beffanden, ja nicht einmal, ob wirklich eine 
folche in dem Büchlein vorfommt: Das aber wird mam, 
nach dem hier Mitgekheilten, eingeſtehen, daß der Zufall 
eine vecht infricate Rolle zwifchen Tiedge und mir über» 
nommen hat. 

Nachher wurde mir von mehren mit dem Berflorbe- 
nen genau bekannt gewefenen Perfonen verfichert, baf 
Tiedge häufig den ihn befuchenden Freunden, befonders 
Damen, Bücher diefer Art zum Andenken geſchenkt habe, 
worunter fich zuweilen auch folche befunden, von denen 
er in Folge feines ihm ſehr treulofen Gebächtniffes ver- 
geffen, daß fie nicht fein Eigenthum waren. Wahrlich, 
dem Bufalle würde in ber Intrigue der hoͤchſte Preis 
zuzuerkennen fein, hätte er Tiedge's Gedächtniß zu einer 
ſolchen Perfidie forciren Tonnen, daß ihm auch der In⸗ 
halt jenes Almanachs ganz entfallen'und er im Stande 





102 


gewefen wäre, denjelben mit der Satire auf feine eigene 
Derfon irgend einer Dame, zu freundlicher Erinnerung 
an ihn, zu verehrten. 

Aber zu meinem Thema zurüd. Überrafchen doch bie 
Wiederabdrüde vor Jahren ſchon durch öffentliche Blät- 
ter bekannt gewordener Auffäge nicht felten den Verf. 
felbft, wenn fie zufällig ihm wieder zu Geſicht kommen. 
Erft vor kurzem ging es mir fo beim Durcblättern 
mehrer ältern Jahrgänge der „Zeitung für die elegante 
Welt”. Statt einer fruchtlos gefuchten Abhandlung, die 
ich hinein geliefert, begegnete meinem Auge in der Num⸗ 
mer vom 13. Mai 1807 ein Sonett, aus Anlaß ber von 
Goethe auch in Sonettenform ausgefprochenen Beſorg⸗ 
niß, daß er, der gern aus ganzem Holze ſchneide, doch 
wei durch die Schwierigkeiten folcher Form genöthigt 
fein würde, zuweilen zu leimen, ein damals von mir 
gefercigten Sonett, deſſen id) mid kaum noch erinnerte. 


8 hieß: 
An Goethe. 
Sagtäglic kommt das deutfche Reimgefindel 
it einem Schwarm Sonette in die Wochen, 
Die, aller Dichtung Geift zu unterjochen, 
Erbaͤrmlich fehreien aus der grauen Windel. 
Ihr armen Würmlein, eure meiften Findel⸗ 
Gebäude bat die Zeit ſchon abgebrochen, 
Dos Urtheil, dad der Meifter jest geiprochen, 
Bertreibt euch vollends nun den Lebensfhwindel. 
Do, hoher Sänger, laß die feine Wendung 
Des Witzes nicht dein eig'nes Schaffen flören, 
Und Hilf der Sprache ferner ruͤhmlich ſtreiten; 

Dein Beifpiel geb’ auch diefer Form Vollendung, 

Bei dir und andern Meiftern Bann ich's fchwören, 
Auch das Sonett entzüdt aus deutſchen Saiten. 

Die Kleinigkeit hat ſchwerlich ein Verdienſt, ald daß 
fie mir ganz aus ber Seele gefloffen war, weil ich in- 
nig wünfchte, gerade er, Goethe, möchte der unvergleich⸗ 
lich fhönen Form feine überwiegende Schöpferkraft nicht 
entziehen. Dabei geftehe ich reumüthig ein, daß meine 
Berurtheilung der damaligen Sonettfabritanten eine un- 
. gebührlihe Anmaßung war, da ich felbft zu dieſem 
„Reimgeſindel“ gehörte. Mehre, theild in früherer Zeit 
gebrudte, theils noch nie veröffentlichte Sonette koͤnnten 
das bezeugen. Zmeier davon glaube ich fogar jegt noch 
‚erwähnen zu müffen, obfchon biefe mir gewiß am wenig- 
ſten zur Ehre gereichen. 

. Wenn es auf dem Gebiete der Wirklichkeit felbft 

dem von ben fefteften Grundfägen Ausgehenden nicht ge- 
lingt, feine Anfichten zu einer folchen Stabilität zu brin- 
gen, um mit gutem Gewiſſen von jeder fagen zu dür⸗ 
fen, diefe werbe ich bis an bas Ende meines Kebens be- 
YHaupten, fo ift das noch viel weniger im Weiche ber 
Einbildungskraft ber Fall. In diefem hängen oft un- 
fere Urtheile von BVerhältniffen und Stimmungen ab, 
bie den folgenden Moment nicht überbauern und daher 
folchen Urtheilen alle Bedeutung entziehen. Deshalb 
rieth ich auch zur möglichften Vorſicht bei Veröffent⸗ 
lichung der Urtheile in den Zeitblättern, damit ber Ver⸗ 
öffentlicher nicht in der Folge, bei veränderter Meinung, 


vielleicht im vollfommenften Widerfpruche mit ſich felbft 
erfcheine. Das eigene Beifpiel erinnert mich foeben, daß 
diefer Rath unzureichend ift und daß bei Probuctionen 
folcher Art es fogar bedenklich wird, ihnen den gering- 
fien Umlauf in der Handfchrift zu geftatten. Vor lan⸗ 
gen Jahren fand einmal ich weiß. nicht mehr in wel- 
chem öffentlichen Blatte cin gegen das an geadhteten 


Dichterwerken verfuchte Parodiren oder Zravefliren ge- - 


richteter Auffag. 

Welche Parodie dazu Weranlaffung gegeben, ift mir 
entfallen, auch find alle nähern Umftände mir nicht we- 
niger fremd geworben. Nur Das ſchwebt noch recht le⸗ 
benbig vor meinem Geifte, daß mir die große Einfeitig- 
feit bes Auffages, der folche Parodien als Verbrechen 
gegen die Poeſie behandelte, außerft misfallen hatte. 
Für unmahr hielt ih, daß bie Schönheit einer hohen 
Dichtung an dem Wigtze geiftvoller Traveftirungen wo 
nicht ihren Untergang, doc, bie unbilligfte Beeinträchti- 
gung finden follte. Gerade das Gegentheil, meinte ich; 
die wigige Parodie fei vielmehr der befte Probirftein ei- 
nes fchönen Gedichts. Nicht Tange zuvor waren mir 
zwei Parodien vorgefommen, beide von bemfelben Dich- 
ter, ber Nöller hieß. Sie bezogen fihb auf Schillers 
„Lied an die Freude” und auf Schillers „Glocke“ 
Die erfte ließ fih nicht mislungen nennen, es gab 
aber einen Paffus barin, weldhen der Spötter ber 
Stelle gegenüber wagte, mo der große Schiller dem 
„Beifte über den Sternen” die alle Herzen hocherhe⸗ 
bende Huldigung barbringt, einen Paſſus, beffen wi⸗ 
derwärtige Gemeinheit das ganze Scherggedicht in Schat- 
ten ftellt und entkräftet. Deſto gelungener fand ich da⸗ 
gegen Röller’8 unter dem Titel „Der Kaffee” gegebene 
heitere Parodie auf die „Glode” durchgeführt. Aber 
bei allem Zreffenden und Xrefflihen derfelben war fie 
doch ganz außer Stande, dem hocherhabenen und ge- 
müthvollen Klange von Schiller's „Glocke“ auch nur 
den mindeften Eintrag zu thun. Jenes einfeitige Urtheil 
in dem Auffage gegen die Parodien beabfichtigte, wenn 
ich nicht irre, die Profeription der ganzen Gattung fol- 
her Scherze. Daß es von der Schriftftellerin Karoline 
Pichler, einem damaligen Lieblinge des Tefenden Publi- 
cums, berrübrte, konnte meinem Verdruſſe über die von 
mir als ungerecht betrachtete An- und Abficht der Ver⸗ 
fafferin keine Schranken fegen, unb fo entftanden benn 
bald nacheinander zwei Sonette, wovon das eine haupt» 
fählih, das andere ganz allein, gegen diefe Schriftftel- 
lerin feine Richtung nahm. Ich kannte damals nur erft 
einige und gerade nicht bie ausgezeichnetern ihrer zahl- 
reihen Schriften. Dem Wunfche der DVeröffentlihung 
diefer beiden Schere, worauf einige meiner nähern 
Freunde antrugen, mich widerfegend, glaubte id) doch 
beren Verlangen nad Abſchriften um fo weniger zurüd- 
weifen zu bürfen, da fie mir ihr Wort darauf gaben, 
keinen weitern Gebrauch von meinen Scherzreimereien 
zu machen oder machen zu laſſen. Solches ift aud 
fiher nicht gefchehen. Allein diefe Freunde find feitdem 
von der Erde geſchieden, und ich Habe nicht erfahren 





. 


108 


können, in weflen Hand die mit meinem ſchriftftel⸗ 
kerifchen Namen unterzeichneten Blätter fi) nunmehr 
befinden, wenn fie überhaupt noch eriftiren. 

An ſich würde folches ganz gleichgültig fein. Doc 
bei dem jegigen Pruritus, felbft das bedeutungslofefte 
Gefchreibfel eines nur irgendwie öffentlich Bekanntgewor⸗ 
denen nach deſſen Tode durch bie Druderpreffe unter 
die Leute zu bringen, tönnten wol auch jene Sonette 
noch künftig in einem Zeitungsblatte erfcheinen und mir, 
dem dann fchon Verſchiedenen, zum Vorwurfe gemacht 
werben. 

Mich vor einem folchen noch bei meinem Leben mög- 
lichſt zu verwahren, bleibt mir nichtd übrig, als unter 
Mitteilung dieſer Sonette öffentlih zu erklären, daß 
die Verftimmung, welche die trübe Duelle derfelben ges 
weien, längft vertrodnete und ich, feit meiner genauern 
Bekanntfchaft mit mehren Werfen ber unlängft verewig- 
ten Karoline Pichler, der Anficht des gebildeten Publi⸗ 
cums von ihrem Werthe als Schriftftellerin völlig bei⸗ 
getreten bin, audy jene Scherze um fo mehr al® eine 
Berfündigung an ihre betrachte, da, allgemeiner Verſiche⸗ 
zung nad), ihre ganze Perfünlichkeit die Verehrung aller 
mit ihr aud nur einigermaßen in Berührung Gekom⸗ 
mener ſich zu erwerben wußte. Das erfte diefer So— 
nette, in dem ich übrigens mic) felbft nicht verfchonte, 
war folgendes Inhalte: 

Guter Rath. 
Gold'ne Moral für Mielen und für Zöffeln, 
Rei’ ihnen, Autor, bin in Silberfchalen, 
Und Pann dein Geift das Silber nicht bezahlen, 
So thu's in blechernen, verzinnten Köffeln. 
Dein Talglicht birg nie thörig unter Scheffeln, 
Berklären laß es der Entfagung Qualen, 
Dann magft du auch mit etwas dünnem, Fahlen 
Berftand’ ein Fabelchen zufammenpfeffeln. 
Bum Pindus wähle dir den naͤchſten Hügel, 
Bon ihm herab der Leute Herz zu rühren, 
Wie Lafontein’ und Nochlig, Laun und Müchler; 
Und daß auch deiner ee Flügel i 
Der Rüchternheit dich niemals frech entführen, 
Sei deine Mufe ſtets Karline Pichler. 
Bom zweiten dieſer Sonette bietet mir, wie ich leider 
foeben wahrnehme, mein Gebähtnig nur den Anfang 
dar. Es war überfchrieben: „Karoline Pichler, geborene 
v. Greiner‘, und begann alfo: * 
Fuͤrwahr, ich koͤnnte mit dem Himmel hadern, 
Daß er mich in den Weiberrock verſtoßen, 
Berfagte man der Menſchheit ohne Hoſen 
Den Dienft in der Schriftftellerei Geſchwadern. 

Wenn ich mich aber auch ſonach für den Yugenblid 
nur auf Mittheilung dieſes Quartetts befchränften muß, 
fo behalte ih mir doc, auf den nicht gar, unwahrſchein⸗ 
lichen Fall, dag meine Memorie ein andermal weniger 
zurüdhaltend fein oder ſich das Sonett nod) unter mei- 
nen Papieren auffinden follte, ausbrüdlich vor, folches 
baldmoͤglichſt vollſtaͤndig nachzubringen. Nicht etwa als 
bildete ich mir ein, das Publicum koͤnne durch dieſe 
Vervollſtaͤndigung etwas gewinnen; vielmehr weil ſich mir 
fie ſelbſt ſchuldig zu fein glaube. Iſt es ſchon in den mei⸗ 


. 


ften Fallen keineswegs gewiſſenhaft, ſchriftliche Auffäge 
eines Verftorbenen, welche diefer nicht erweislich der Ver⸗ 
Öffentlichung nach feinem Tode beftimmte, der Druderpreffe 
zu übergeben, fo wird oft die Gewiffenlofigkeit eines der⸗ 
gleihen Verfahrens durch willkürliche Abänderung folcher 
Auffäge noch um Vieles gefleigert. Dennoch gefchieht diefe 
Abänderung allzu oft, zum Theil aus dem Grunde, um 
wo möglich dem unrechtmäßigermeife Publicisten eine pi⸗ 
fantere Würze zu verleihen. Gleiche Interpolationen 
müßten mir aber um fo unerwünfchter erfcheinen, je auf- 
richtiger mein Geſtaͤndniß geweſen ift, daß der achtungs- 
werthen Schriftftellerin unrecht von mir gefchehen fei. 
Friedbrich Raum. 





Das Weib in Italien und in den Ver: 


einigten Staaten. 


Der Umeritaner 3. T. Headley in feinem Reiſewerk 
„Letters from Italy‘ hält den Italienerinnen feinen fdrönen 
Landömänninnen gegenüber eine feurige Kobrede. Es gebe fein 
Land in der Welt, bemerkt er, wo dem Weib mehr Chrerbie- 
tung erwiefen werde und wo man ihm mehr feinen eigenen 
Weg zu gehen geftatte ald in den Vereinigten Staaten; aber 
niegend auch erfcheine es jo undankbar für die Stellung und 
die Macht, die man ihm einräume. „Seid ihre niemals”, 
fragt er, „auf der Hauptftraße in Neuyork, wenn der Omnibus 
vol war, in vollem Regenguß wieder ausgefliegen, um einer 
Dame euren Plag zu überlaffen, die ihn ohne Zögern und mit 
einer Gteihgültigkeit in ihrem Wejen annahm, als betrachte 
fie dies als die geringfügigfte Sache von der Welt! Wie 
alt und herzlos ihr «Thank ye», wenn fie überhaupt dankte! 
Dickens macht biefelbe Bemerkung in Bezug auf die tages 
coaches, ebenfo Hamilton. Nun erzeigt einer italienifchen 
Dame eine ſolche Gefälligkeit, und ihr werdet Durch das füßefte 
Lächeln belohnt werden, das je aus menſchlichem Auge ftrablte. 
Sch huldige nicht dem Grundſatze, daß man ſtets für feine 
guten Handlungen einen Lohn empfangen müfle; aber wenn 
meine freundlichften Dienftleiftungen als Fremder fo aufgenom:- 
men werden, als argwohne man faft, fie feien ungebübrliche 
Buvorkommenheiten, dann Tann man nad) meinem Gefühl 
wenig Luft zur Höflichbeit haben. Das «Grazie Signore» und 
das Laͤcheln, womit eine Italienerin die gewöhnlichfte Höflich- 
Beit belohnt, würde das niedrigfie Weib in den Augen bes 
Fremden ſchoͤn erfcheinen laffen. Die Stalienerinnen werben 
auch leichter belebt, bis fie Alles um fich heiter gemacht haben; 
fie ermüden nie durch daſſelbe eintönige Ausfehen, fondern 
bilden Ton und Blick nad dem Gedanfengange, fei er nun 
traurig oder froͤhlich; und endlich find fie auch aller Foörmlich⸗ 
Beiten bar und voll des forgfamften Mitgefühl. Ich werde 
nie eine der erften Bekanntfchaften, Die ich in Italien machte, 
vergefien. Ih war eines Abends bei dem Marquis v. — in 
Unterhaltung mit einigen Herren begriffen, ald der Wirth auf 
mich mit den Worten zutrat: «Kommen Sie, ih will &ie 
einer ſchoͤnen Dame vorttelen.» Es war in der That das 


ſchoͤnſte Weib das ich in Italien noch gefehen. Ich entfchuls 


digte mich, indem ich äußerte, ich fei nicht genug im Stalieni« 
fhen bewandert, um mit einem fo berzlicen Geſchoͤpfe das 
Geſpraͤch fortzufegen, «denn», fügte ich Hinzu, «in dieſem 
alle muß man fehr gewandt im Sprechen fein und ein Schnitzer 
wäre eine Marter.n «Bah, bah», antwortete die Schöne, 
«kommen Sie nur», und mit dieſen Worten ergriff fie mich 
bei ber Schulter und nöthigte mich, ihr zur Seite mich nieder: 
ulafien, indem fie ausrief «Run foreden Sie!» Wenn fie 
—*— ſo verlegen geweſen waͤre als ich es war, ſo haͤtte ich 
nicht wiedergutzumachende Fehler begangen; aber das Gut⸗ 


möthige, womit fie ded Marquis Vorſtellung aufgenommen, 
ſtellte ſchnell mein Setöftvertrauen her und eine halbe Stunde 
lang radbrechte ich Italieniſch, ohne daß fie fih aud nur ein» 
mal veranlaßt gefehen hätte, durch Wort oder Blick r ver: 
rathen, daß ich es nicht, wie es fich gehöre, ſpreche. Diefelbe 
Naivetaͤt findet man allenthalben. Wenn man einem fchönen 
Bauermäbchen begegnet und grüßt fie, fo zeigt fie, ſtatt es für 
eine Beleidigung zu nehmen, eine perlenweiße Reihe Bähne 
und lacht in der beften Laune darüber. Die Italienerin befipt 
noch einen andern Reiz, ber den Geſchoͤpfen ber warmen 
Himmelftriche eigenthuͤmlich ift, fie fühlt Hefe als die Weiber 
Der Bältern Bene und ift weniger im Stande ihre Sefühle 
zu verbergen. Das dunkle Auge flammt Liebe und Haß in 
dem Augenblicke, wo fie gefühlt werden, und in feinem inner 
lichen und Teidenfchaftlichen Blick Liegt eine Bercdtfamteit, die 
tiefer eindringt als irgend eine Sprache. Ihr Weſen ift ganz 
Leidenfchaft, was ihren Bewegungen, ihren Blicken und Wor⸗ 
ten einen dichteriſchen Ausdrud verleiht. Es hat ihr Land 
um Land des Gefangs, fie felbft zu einem Gegenftand ber 
Fheitnahme durch die ganze Welt gemacht. Schöne Augen und 
Augenbrauen findet man bier häufiger ald in Nordamerika. 
Die Braue iſt vor Allem herrlich, nicht nur wegen ihrer Regel: 
maͤßigkeit, fondern wegen der feltfamen Beweglichkeit. Sie 
Bann ganz für fi) lachen und ber herrlichgeformte Bogen ver 
Zündigt im voraus die geiftreichen Dinge, melde ihre Zunge 
auszufprechen im Begriff fteht. Und dann ift ihr Lächeln fo 
füß! Die Itolienerin weiß wie man ladyen muß und ebenfalls 
wie man einhergehen muß, was eine amerikaniſche Dame nicht 
verfiebt. Die Amerikanerin Hat cinen befieen Gang alß die 
GEngländerin, bie wie ein Grenadier einher ſchreitet, aber ihr 
Gang ift immer noch ſchlecht. Ihre Bervegungen ermangeln 
der ünmuth, der Leichtigkeit und Ratürlichkeit.” 

Sehr beherzigenswerth nicht nur für amerikaniſche und eng: 
liſche Damen ift was der Amerikaner an einer andern Stelle 
über die Tracht des weiblichen Geſchlechts bemerkt: „Es if 
erftaunlich, daß unfere Damen ber iächerlichen Anſicht huldi⸗ 

en, eine ſchlanke Taille fei und müſſe per necessitä ſchon 
ein. Run, viele SItalienerinnen würden vor Berdruß 
weinen, wenn fie eine Zaille befäßen, die unfere Damen 
nur durch langwierige und fchmerzlicge Kunftmittel zu erlangen 
fischen. Ic habe den Grund diefer Verfchiedenheit in dem Um⸗ 
ftande zu finden geglaubt, daß bie Italienerinwen ihre herrli⸗ 
chen Standbilder fortwährend als Mufter vor fich feben und 
deshalb ſich Mühe geben, ſich nach ihnen zu bilden ; während unfere 
Modedamen Leine andern Modelle kennen als die ausgeſtopf⸗ 
ten Puppen in den Läden ber franzöfifdgen Mebehändlerinnen. 
Wenn ein Künftler es wagen wollte, eine Statue in ber Ge⸗ 
ſtalt zu meifeln, welche bei uns als die Boßlendung harmoni⸗ 
ſcher Terhältniffe des weiblichen Körpers betrachtet zu werben 
figeint, man würde ihn durch Soest zur Stadt hinaus: 
treiben. Es ift ein ſtehender Vorwurf den Geſchmack un: 
ſerer Weiber durch die ganze Welt, daß fie durch die That be 
baupten, eine franzöfifche Yugmacherin verftehe es beſſer als 
die Ratur, wie jie ihren Körper bilden follen. C'est tout 
comme chez nous! RB. 





Riterarifhe Notizen. 


Eine neue englifhe Rovelte. 

Ein Rater, der feinen Sohn in bie literarifche Verfamm- 
tung einführt, ift wenigftens Beine alltägliche Erfcheinung und 
bad der Fall mit „The foster-brother, a tale of the war 
ofChiozza. Edited by Leigh Hunt’ (3 Bde., London 1945). 
Edited heißt bier nicht ſowol herausgegeben als bevorwortet, 
bevorwortet von dem rühmfichft bekannten Leigh Hunt, Vater 
des Verf. vom «Fooster-brother», Ihornton Hunt. Das Vorwort 
enthält des Waters Urtheil über bie Leiftung des GSohns, bie 


ebliche Dei vorg 
ielleicht i 


Zuftandb des Unterrihtöwefend in Italien. 

Mayini, der gewöhnlih als das Haupt und der eiyent: 
liche Bertreter der Giovine Italia genannt wird, ift auch auf 
dem Gebiete der Literatur fehr rühriger Ratur. Sein bedeu- 
tendes Spracdhtalent leiftet ihm ame trefflihe Dienfle. Mit 
gleicher Xeichtigkeit bewegt er fi in engliſcher und frangöfifcher 
wie in italienifcher Sprache, und uk in ber deutſchen Lite 
ratur ift er, mie mancher trefflihe Aufſatz, den er für irgend 
eine der engliſchen Reviews gefchrieben bat, beweift, wohl 
bewandert. Gegenwärtig bringt die „Revue independante” 
einen intereflanten Auffag aus feiner Feder. Derfelbe tft der 
Beleuchtung des Öffentlichen Schulwefene im öſtreichiſchen Ita- 
lien gewidmet. Indem mir auf dieſe leidenſchaftliche Darftel: 
lung aufmerffam machen, find wir keineswegs geneigt, ber 
Meinung ded Berf. etwa durchweg beizupflicgten, oder feine 
Gonfequenzen unbedingt zu unterfihreiben. Man erkennt viel: 
mehr gleih beim erften Blide, daB der Werf. zu fehr unter 
dem Einfluſſe feiner leidenfchaftlihen Wbneigung gegen bie 
öftreichifche Regierung ſteht, ald daB man von ihm eine ruhige 
Erörterung erwarten koͤnnte. Dffenbar bat er die Karben zu 
düfter gewählt, und obgleich wol Manches von Dem, was er 
anführt, der Begründung nicht ermangeln mag, fo ſchlaͤgt er 
HH an vielen andern Stellen ohne Zweifel weit über dae Diet 

maus, . 





Bibliographie. 
Erinnerung an Ludw. van Beethoven und die Feier 
der Enthüllung seines Monumentes zu Bonn am 10,— 12. 


August 1845. Bonn, Pleimes. 1845. Gr. 8. 15 Ngr. 
Siebenzig geiftliche Lieder. Nebſt dem augdburgifchen 
Glaubensbekenntniß. Dönabrüd, Rackhorſt. 185. RI. & 


74 Nur. 

Rouffeau, 3. 3., Über den Einfluß der fhönen Künfte 
auf das Wohl bed Staated. Aus. dem Franzoͤſiſchen von I. 
Choke. Sudenburg: Magdeburg, Pack und Comp. Gr. 8. 


10 Ror. 

Thomas Morud und fein berühmtes Werk Utopie. Aus 
dem Englifchen überfegt. Mit bio» und bibliographiſcher Gin» 
leitung herausgegeben von E. M. Dettinger. Leipzig, 
Reclam jun. 8. 22% Rgr. 


Berantwortlicher Heraudgeber: Heinrich Wrodpand. — Druck und Verlag von F. X. Wrodhans in Leipzig. 





- Blätter 


für 


literarifbe Unterhaltung. 


Dienftag, 





mn nn nn — nn rn en ee nn 


Die europäifhen Staaten nah ihren innern und 
äußern politifchen DVerhältniffen, von Bülow: 
Summerom. Altona, Hammerih. 1845. Gr. 8. 


Wo nur ber Mann die Zeit hernimmt, das Alles 
aufammenzufehreiben, was von ihm feit vier Jahren er- 
fehienen ift! Do was kümmert uns das? Wir haben 
nur danach zu fragen, was er niebergefchrieben und 
wie es uns behagt hat. Dies unfern Lefern mitzuthei- 
len ift unfere Aufgabe; den Vorwurf ber angezeigten 
Schrift aber gibt, der Verf. felbft dahin an: fie ſolle 
dem Lefer eine Uberſicht der gegenwärtigen politifchen 
Stellung ber europdifchen Staaten nebeneinander gewaͤh⸗ 
ren und, um bied zu koͤnnen, auf die frühern Zuſtaͤnde 
und auf diejenigen Begebenheiten zurüdgehen, aus wel 
chen fi) ber jegige Stand der Politit in Europa ent- 
widelt bat. Dann werde zu einer Schilderung der in- 
nern Berhältniffe ber großen europäifchen Völker in Be⸗ 
zug auf Verfaffung, Religion, Rechtszuſtand, Bildungs- 
grad und materielle Wohlfahrt übergegangen, woraus 
ſich nit allein ergeben werde, welche Ungleichheit in 
der geiftigen, religiöfen und materiellen Entwidelung der 
Bölkter beftehe, fondern auch wie verfchieden die Rich⸗ 
tung fe, welche die einzelnen Regierungen verfolgen unb 
wie ihre Intereffen einander gegenuͤberftehen. Das Re⸗ 
fultat hiervon werde fich dahin ergeben, daß das jegt 
verfolgte politifche Syſtem eine Bürgfchaft weder für 
den europdifchen Frieden noch für die Eriftenz der min⸗ 
der mädtigen Voͤlker leiſte, daß es vielmehr zur Siche⸗ 
rung ber beiligften Intereſſen der Nationen einer andern 
Unterlage bedürfe. Durch welche Mittel und Wege 
dieſe zu gewinnen fei unb welche Umgeftaltungen Dies 
m den innern und dußern Zufländen ber Staaten Eu- 
ropas vorausfege, welche Befigveränderungen und welche 
Bündniffe dazu nöthig fiheinen, damit werde die Schrift 
ſchließen. 

Wie in einer guten Duverture einer Oper alle ein⸗ 
zelnen Beſtandtheile derfelben in ihren Grundgedanken 
angegeben und zu einem Ganzen verbunden fein müffen, 
bat hier der Berf. die Summe feiner Ausführung über: 
fichtlich zufammengeftellt, und dadurch ficher die Wißbe⸗ 
gierde feiner Lefer angeregt, wie nun alles Dies einzeln 
bucchgeführt worden fein möge, indem jede einzelne An 


27. Januar 1846, 





deutung ein gewichtige® Thema aufftellt. Wenn nım 
Berfelbe dabei noch verfichert, daß er Feinen Vorwurf 
darüber von feinen Lefern beforge, mit Freimüthigkeit 
über die beftehenden Verhältniffe geurtheilt zu haben, da 
nur die Wahrheit allein zur richtigen Erkenntniß ber 
obwaltenden Mängel und ber Abhülfsmittel führe, fo 
wird man ihn um fo lieber hören, da man mit ihm 
gern zugeben wird, daß die Wahrheit oft unangenehm be⸗ 
rührt, daß wir jedoch in Zeiten leben, wo bie Kenntniß der 
wahren Lage der Dinge nicht mehr zu unterdrücken iſt, 
wo das durch Schmeichelei verwoͤhnte Gehör ſich daran 
gewöhnen muß, auch entgegengefegte Stimmen zu ver- 
nehmen, wo bie moralifhe Macht eine Stärke gemon- 
nen bat, welche von ber phufifchen vergeblich befämpft 
wird. Sicher wird man es dem politifchen &Schriftfteller 
nicht zum Vorwurfe machen, wenn er die Fürften Eu- 
ropas auf die Nothwendigkeit hinweiſt, die Zeit zu be 
greifen und im @eifte der Zeit bie Völker zu regieren. 
Denn bie Zeiten find bahin, wo ſich durch Cabinetsordres 
der Lauf der Entwidelung hemmen lief. Nur die Für- 
ften, welche die Zeit verftehen, ſich mit freiem Geiſte 
über die Sagen ber Vorzeit und über die mit der Mut 
termilch empfangenen Vorurtheile erheben, und die Ein- 
fiht und den Muth haben, fi an die Spige der geifti- 
gen Macht der Entwidelung zu ftellen, auf ihre gebüh- 
rende Stelle, nur bie werden bie Zukunft beherrfihen, 
wenigſtens fi) in derfelben einen ehrenhaften Namen 
fihern, da diejenigen bald vergeffen fein werben, über 
die die Zeit hinwegrollen wird. 

Gern 'wirb man ferner vernehmen, daß dem Perf. 
ber religiöfe, eigentlicher noch der moralifche Geſichts- 
punkt von der höchften Bebeutung ifl. 

ine Ahnung davon, daß man bei der Politif bie reli- 
töfe Anſicht fefthalten muͤſſe, bat die in Paris gegründete 
Fgenannte Heilige Allianz gezeigt, weiche jedoch, da de mehr 
aus dem Gemüthe als aus der Auffaflung bed höhern Geiſtes 
des Ehriftentbums hervorging, nichts weiter werben konnte als 
ein Wortlaut, der ebenfo fchnell wieder zerftoben ift alß er im⸗ 
provifiet ward. Leider find wir noch weit entfernt von der 
Beit, wo zwifchen den Fürften und ihren Völkern und zwifchen 
den Sriflhen Völkern unter fi ein beiliger Bund geſchloſſen 
werben Tann. Roc hat ber echte Beilt des Chriſtenthums die 
Völker viel zu wenig durchdrungen, um in ihren Geſinnungen 
eine Macht auszubilden, die die Eigenlicbe auf den Thronen 
und die Selbſtſucht der Einzelnen im Bolke zu bändigen ver: 


x 106 


moͤchte. Roch fehlt der Diplomatie die Berechtigkeitsliebe und 
fo manchen Regierungen die Achtung vor der vechtmäßigen 
Freiheit der Mitmenfchen, um ein Berdict über Die auszufpre: 
den, welche diefelbe zu verlegen ſich beigehen laſſen. Rod 
werben in der Politik die Vorfchriften der Moral und der Re: 
ligion nicht als ihre Führerin und Richterin anerkannt, fon« 
bern fie werden nur zu oft als eine Magd behandelt, deren 
man ſich bedient, um arge Zwecke zu erreichen. 


Unverfennbar inzwifchen bleibt jedoch der Einfluß, 


den bie Forfchung nach Wahrheit auf die geiftige Ent- 
widelung des Zeitalter und auf die Eulturverhältniffe 
ber Völker gehabt hat. Ihr danken wir eine größere 
Klarheit der Anſchauungen von Welt, den Menfchen 
und ihren Verhältniffen, helleres Kicht in der Moral und 
dem Bernunftrechte, dem Staats- und Voͤlkerrechte, den 
Staatswiſſenſchaften und befonders in der Politik. 

Ganz befonders hat fie fid) zur Vertreterin des Rechtszu⸗ 
ftandes der Völker gemacht, und dur ihre Bermittelung bat 
die Geifteöfreiheit auch der bürgerlichen Freiheit die Hand ge: 
reiht. Wie fie dem Mberglauben ein Grab bereitet hat, wird 
ihr auch der Unglaube nicht wiberftehen können. Die Folgen 
dieſer geiftigen Entwidelung find ganz befonders in praßtijcher 
Beziehung ald unermeßlih zu bezeichnen, indem dadurch die 
Voͤlker von den Feſſeln befreit werden, welche früher ihre 
Wohlfahrt Heinmten. Zwar ift e8 hierbei in manchen Ländern 
u den biutigften Kataftrophen gefommen, aber nur da, wo 
—* der geiſtliche und weltliche Despotismus einerſeits und 
die daraus hervorgegangene Entſittlichung und Entartung des 
Volks ſich gewaltſam begegneten und eine ploͤtzliche Ummälzung 
des unertraͤglich gewordenen Zuſtands herbeifuührten. 

Möge man dies wohl beachten! Es iſt von größter 
Wichtigkeit. 

So haben wir denn hiermit den Verf. felbft ankün⸗ 
digen laffen, was und wie er es den Leſern zu bieten 
beabfichtigt. Jetzt wollen wir zufehen, wie er feine eigene 
Aufgabe gelöft Hat. Daß foldhes durch eine aneinander 
bängende Reihe von Betrachtungen gefchehen fei, folgt 
ſchon aus der Ankündigung. Wir glauben unferm Be» 
rufe Genüge zu leiften, wenn wir die Überfchriften da- 
von und das Ergebniß berfelben anführen. 

1. „@egenwärtiger Stand ber europäifchen Politik.” 
Bei einem Gemälde, das durch den innigen Zufammen- 
hang aller feiner Theile erft den Abdrud der Idee mit 
allem Snbegriffe und Zubehör liefern und bewerfflelligen 
kann, welche dadurch bargeftellt werben fol, ift ein Aus⸗ 
zug, woburd) eine anfchauliche Worftellung von Dem, 
was geleiftee worden ift, gefchaffen würde, etwas Un- 
mögliche. Man muß entweder eine vollfländige Be⸗ 
ſchreibung davon machen, oder nur die hervorſtechenden 
Partien herausheben, oder endlih nur dem Eindrude 
Worte geben, den das Ganze ober einzelne Züge in 
demfelben hervorgebracht haben. Das Erſtere verbietet 
fhon der Raum, mehr noch der Gehalt des Werks, 
welches werth ift, durchaus felbft und ganz gelefen zu 
werben, und worauf unfere Leſer aufmerkfam zu ma- 
hen binreihen wird, wenn wir ihnen die gewichtigften 
Morimen und Anfichten berichten, von denen ber Verf. 
bei feinen Betrachtungen ausgegangen, ober auf melde 
er dadurch gefommen ift, fo viel möglich mit feinen 
eigenen Worten: 


Am 15. Rov. 1818 gaben die fünf Großmaͤchte, die fi 
die Befugniß beigelegt haben, daß oberfle Tribunal der —X 
in Europa auszumaden, ein Programm heraus, worin fie er⸗ 
Härten: „Daß die Grundfäge des Voͤlkerrechts die einzige Nicht 
ſchnur ihrer Staatskunſt fein follen.” Dur dieſe Erklärung 
haben fie fih zu der Theorie bekannt, die fon ein Plato und 
ein Kant in ihren Werken zum ewigen Frieden aufftellten, 
und mit ihrer überwiegenden Macht die Bürgfchaft für Hecht, 
a ut Bolkswohlfahrt übernommen. 

llerdings ift diefe noch darum eine fehr mangel- 
hafte, weil die Erklärung weder biejenigen Säge bes 
Voͤlkerrechts angibt, welche zur Richtſchnur dienen follen, 
noch für deren unverbrüdjlihe Beobachtung eine Real- 
fiıherheit ftellt, fondern Alles auf dem perfönlichen Feſt⸗ 
halten am Vorſatze beruht, beffen eigene Ausleger die 
fi) Verpflichtenden allein find. Nichtsdeſtoweniger ift 
fhon durch die Anerfennung der Allgemeinverbindlichkeit 
ber Nechtöherrfchaft ungemein viel gewonnen und jene 
Erflärung von hohem Belange, weil damit ausgefpro- 
hen worden ift, daß das Recht über der Politik walte, 
das Unrecht durch diefe nicht gerechtfertigt werben mag; 
weil ferner jedes Land hiernach fi) auf das Recht be- 
rufen kann und es dadurch zur Crörterung und zum 
Austrage gebracht werben muß; endlich weil die Aner- 
fennung des WBölkerrechts die Anerkennung der obern 
Geltung des Bernunftrechts auch im Privat- und im 
Staatsrehte von felbft mit ſich führt, indem das Vol⸗ 
Ferrecht weiter: keine Grundlage hat als eben das Ver⸗ 
nunftrecht mit den durch diefes gebilligten pofitiven Be⸗ 
fliimmungen in Verträgen und bes Herkommens. 

(Die Kortfegung folgt.) 


Ziterarifhe Briefe aus der Schweiz. 
I. 


December 1845. 


Den Weg über Leichen, ben Fuß dur Blut haben enb- 
ih die Zefuiten erreicht, was fie feit lange angeftrebt, ihre 
Reſidenz auch an einem fihweizerifchen Vororte zu nehmen. 
Am Wlerheiligentage (1. Rovember) wurden ihnen in Luzern 
das Priefterfeminar *) und die Pfarrfiliale feierlich übergeben. 
Am 14. September 1844 war der Vertrag mit der Gefell- 
haft Iefu unterzeichnet und hierauf ihre Berufung nad man⸗ 
nichfachen Umtrieben von Seiten ihrer Partei verfaffungs: 
widrig buriogefent worden. Welche Ungefeglichkeiten, welche 
despotifchen Gewaltſtreiche und Ungerechtigkeiten, welcher Jam⸗ 
mer und welches Elend liegen zwifchen diefem 14. Septem- 
ber 1844 und diefem I. November 1845! Ein viergehnmonat- 
liher Kampf liegt dazwifchen, ein Kampf, der dem vom Pa- 
natismus noch nicht angeſteckten Theile des Volks zweimal die 
Waffen in die Hand drüdte. Denn wie ohnmächtig die belob⸗ 
ten_„‚geiftlidien Waffen‘ den Iefuiten gegenüber find, das 
wußte man nicht erft feit geftern. Uber beide Male wurden, 
theilweife wenigftens durch eigene Schuld, die Iefuitengegner 
befiegt. Auch kam durch das cinfeitige Feſthalten eines gro- 
Ben Scheiss der Santone an dem Princip der Eantonalfouve- 
rainetät Bein Zagfagungsbefchluß gegen die Jeſuiten zu Stande. 
Hierdurch wurde in Luzern ein Regiment befefligt, daß in ei⸗ 
nem Sreiftaate, das im 19. Jahrhundert ans Fabelhafte grenzt. 


*, Nah einem Öffentlihen Blatt follen, als bie Sefuiten ein⸗ 
zogen, viele Stubenten audgezogen fein und bie Lehranftalt acht 
Schuͤler weniger wie das legte Jahr zählen. Es wäre bied ein 
Beweis, daß der VWolksgeiſt unter der gebildetern Claſſe noch nit 
völlig unterjocht if. 








197 


Bar nach dem exften verunglüdten Aufſtand gegen dieſes Re: 

iment der Zuftand des Cantons Luzern ein trauriger, wie un: 
felig mußte er fi erft nad dem midlungenen zweiten Auf 
ſtande geftalten! In das duftere Bild, das von nun an ber 
Santon Luzern darbot, in dies. finftere Land bes Aberglaubens 
und des Fanatismus, in dieſe Nacht der Rechts- und Geſetz⸗ 
Iofigkeit el plöglich ein heller Sonnenblick, die Befreiuung 
Steiger's, um defien Haupt fi eine Maͤrtyrerkrone gelegt 
hatte. Der Subel darüber drang über die Bauen der Schweiz 
hinaus, und noch war er nicht verftummt, ald die verhängniß- 
volle Ermordung Leu's von Eberfol, der hauptſaͤchlich die Be⸗ 
rufung der Jeſuiten durchgefegt Hatte und ein fehr einflußrei- 
ches Haupt ihrer Partei war, gleich einem neuen Fluche auf 
dem ımglüdlihen Canton laſtet. ine „Mordceomplotsver: 
dächtigung” im Großen ift feitdem am der Tagesordnung. 
gahlreiche Verhaftungen und Auslieferungsbegehren an andere 
Gantone wegen Solcher, die bei dem Morde betheiligt fein 
follen, kommen noch täglih vor. 

Man mußte durkhaus für den nun zum Heiligen geftem: 
pelten Leu, ſchon um den auf ihm baftenden Verdacht eines 
Selbftmordes abzuwenden, einen Mörder haben, den man auch 
in der Perfon eines gewiffen 3. Müller zu entdedien wußte. 
Er ſollte von der liberalen Partei beftocden worden fein; man 
brachte ihn, wer weiß durch welche Mittel, zu ausführlichen 
Geftändniffen, durch die die Sache noch keineswegs aufgePlärt 
ift und vielleicht niemals völlig aufgeflärt werden kann. So 
ift z. DB. ſchwer zu glauben, daß. Jemand mit einer Schuß: 
wunde wie die Leu’d noch „Sefus Maria!’ rufen konnte, wie 
doch die actenmäßige Angabe lautet; und was dergleichen Wi⸗ 
derfprüche mehr find. Wie wenig überhaupt bei Eriminalun: 
terfuhungen auf erpreßte Geftändnifle zu geben ift, erhellt auß 
folgendem Beifpiel. Man hatte in einer in Luzern, vor etli⸗ 

hen 20 Sahren, geführten —— wegen Ermordung 
des Schultheißen Keller eine ſich zufällig in der Gegend um⸗ 
hertreibende Bande von Vagabunden verhaftet und in fammt: 
liche Landſtreicher und Landftreicherinnen das Geſtändniß des 
Mordes und des Wiſſens um den Mord hineins und wicder 
Berausinquirirt. Da Unförmlichkeiten in der Procedur entdeckt 
wurden, fo hatte die Tagſatzung eine eidgenöffifhe Commiffion 
niedergefeßt zur Unterſuchung der Unterfuhung; und da ent⸗ 
deckte man, daß auch nicht ein einziges der gemadten Ge: 
ſtaͤndniſſe richtig geweſen iſt. Diefe berüchtigte Proceßgefchichte 
wurbe öffentlich befannt durch eine in Aarau erſchienene Schrift: 
„Geſchichtliche Darftelung und Prüfung der über die denun- 
arte Ermordung des Herren Schultheiß Keller von Luzern ver: 
führten Griminalprocedur” (2 Bde., 1826). 

Die Geftändnifie des Leuenmoͤrders“ boten ber jetzigen 
Megierung Luzernd einen willlommenen, wenn auch fehr nich 
tigen Grund zur Verhaftung des Großraths Kafımir Pfyffer, 
eines ausgezeichneten, ſtreng rechtlichen, aber liberalen Mannes, 
on defien Betheiligung bei dem Morde Leu's nur feine Feinde 
ſich den Anfchein gaben zu glauben, um den geiftig hochbegab⸗ 
ten, ihnen misfälligen Gegner drei Wochen lang gleich einem 
Berbrecher im Sefängnif zu halten. Gin Seitenftüd dazu 
bietet das erfahren gegen die beiden bei dem legten Frei⸗ 
ſcharenzug betheiligt gewelenen Deutfchen, &. Bein und Daff⸗ 
ner, die nach einer halbjährigen Gefangenfchaft nächtlichermweife 

fortgeihleppt wurden, um auf einem ungeheuern Umwege, den 
fie zum Theil gefeflelt machen mußten, endlih in ihre Heimat 

gelangen. Dad Gefuch der Iuzerner Regierung an die Ge» 
Fondten der Rachbarftaaten, die Betreffenden vom Gebiete der 
Schweiz fern zu halten, unterftügte der Vorort, ald durchaus 
unangemeflen, nicht. 

n Luzern hatten fi dur die Zuger Gonferenz die 
Peinen Gantone Wallis und Freiburg enger angefchloffen. 
Wenn man aud) bis jept die Verhandlungen biefer Conferenz 
nicht genau Eennt, fo laͤßt ſich doch mit Beftimmtheit anneh⸗ 
men, baß es fich dabei um die Wiederherftellung der Klöfter 
und die Maßregeln handelte, den Canton St.⸗Gallen dem Ul⸗ 


tramontanismus zu unterwerfen. Die Conferenz kam durch 
den bekannten, fruber liberal gefinnten Baumgartner, jegt das 
Hauptwerkzeug der ultramontanen Partei in St.Gallen, zu 
Stande. Die beiden Yarteien des Cantons St.:@allen im 


Großen Rathe find fi numeriſch ganz gleich (74 gegen 74) 


und es hängen daher die wichkigften Bragen dieſes Cantons 
vom blinden Zufall des Looſes ab, das ihm denn auch den 
Apoſtaten Baumgartner als Landammann zumarf. *) Unter 
dieſen Umftänden war ed vorauszufehen, daB &t.-Gallen end: 
lid ein Bistum und dadurch der Ultramontanismus eine fe: 
ftere und gefährlichere Pofition in der Schweiz erhalten würde. 

Die Aufregung unter der Satholifhen Bevölkerung des 
Aargaus wird fortwährend, wol auch auf Anlaß der Zuger 
Gonferenz, bald durch dieſes bald durch jenes Mittel unter: 
halten. &o bat man fogar unlängft von Luzern aus einen 
Emiffair ins Aargau geſchickt zur Bildung eined Anti-Ronge- 
vereind, um hierdurch die feeifinnige Behörde ald Begünftiger 
der deutſch-katholiſchen Bewegung bei dem römifch-fatholifchen 
Volke zu verbachtigen, während trog der Behauptung des 
„Rheiniſchen Beobachter”, diefe Bewegung made fich bereits 
im Yargau geltend, Dies bis jegt durchaus nicht der Fall ift. 
Um ji gegen die beftändigen Machinationen und ingriffe 
des Ultramontanismus einigermaßen in Sicherheit zu fehen, 
Fr ber Große Rath des Aargaus befchloffen, wie dies ſchon 

über in Bern geihab, alle Zöglinge des Jeſuitenordens von 
den Staatöprüfungen auszufchließen und ihnen fomit die Be: 
fühigung zu Staatsamtern und Lehrerftellen zu entziehen. 

Die fogenannte confervative Partei im Canton Zürich, die 
wie gewöhnlich den Affen des Ultramontanismus machte, ver: 
anftaltete nach dem Beifpiele der oben erwähnten. Zuger Eon» 
ferenz eine ähnliche in Züri, deren Zweck fein follte, wenn 
er auch nicht offen außgefprocdhen wurde, unter dem Ramen 
einer Der föhnung der Parteien die ultramontanen Intereffen 
zu fördern. er im Schoofe der Verſammlung felbft, die 
wenig befucht war, erhoben ſich Stimmen gegen die Vorfchläge 
ihrer Häupter. Auf biefe Art miöglüdte das Manoeuvre gänz 
lid, wie ed denn überhaupt den Anfchein bat, daß die conſer⸗ 
vative Partei nichtd conferviren wird als ihre Ohnmacht. 

Betrachten wir nach diejem kurzen Überblid die Wirkun⸗ 
gen, welche diefe Ereigniffe auf die Preſſe äußerten. Die Lite: 
ratur, diefer Widerhall des Lebens, wird in einem Lande, wo 
die Politif das Hauptintereffe in Unfpruch nimmt, fi auch 
vorzugsmeife damit befchäftigen. 

In einem frühern Schreiben wurde mitgetheilt **), wie der 
unfelige Freiſcharenzug ſich in der Literatur abgefpiegelt hatte. 
Es konnte nicht fehlen, daß ein fo wichtiges Ereigniß noch 
längere Zeit die Aufmerkſamkeit in Anſpruch nehmen mußte, 
und & find denn auch fpäter noch mehre Brofchüren über die⸗ 
fen Gegenſtand ˖ erjchienen, worunter 
I. Zweiter Bericht de8 Hauptmann Ulrich Ochſenbein über 

den Kampf der luzerniſchen Flüchtlinge und ihrer Freunde 

am 31. März und 1. April 1845. 
zur Befprechung Anlaß gibt. 

Bei jedem gefchichtlihen Ereigniß bedarf es erit längerer 
Zeit, ehe ſich ein richtiges und unparteiifches Urtheil darüber 
bildet. So fprechen die jegt erfcheinenden Schriften, wenn 
auch noch hier und da einige Sagen im Umlauf find, von der 
myſtiſchen Ankunft eines Kurier vor Luzern im entfcheiden: 
den Augenblicke, von Berbandlungen mit Iuzernifhen Macht: 
habern und dergleichen, den DObercommandanten Dchfenbein von 


*) Wie noch immer im Ganton Zürich die Liberalen „Strauße” 
(Anhänger von Strauß) genannt werden, fo heißen jest in St.⸗Gal⸗ 
len bie Sreifinnigen „Breifhärler”. Wie fehr ed aber noth thäte, 
daß gerade in biefem Ganton die Schar ber Freien größer wäre, 
zeigt die Wahl Baumgartner’d zum Lanbammann. 

*.) Vergl. die Mittdeilungen in Nr. 118, 119 u. 217 d. Bl. 
f. 1885, D. Red. 





*i 


108 


dem Verdacht des Werraths frei. rlich, e6 bedurfte auch 
gar Feines Berraths zum Mislingen eines in fo vielen Haupt: 
fachen verfehlt angelegten Unternehmens. Diefer „Zweite Be 


richt‘, der den Eindrud der gg A macht, wenn er 


auch auf Vollſtaͤndigkeit Beinen Anſpruch machen Bann, geht 
befonders vom militairifhen Standpunkte aus. Große der 
rainkenntniſſe geigt der mitgetheilte Drganifations: und Ope⸗ 
rationöplan, der, wie ein öffentliches Blatt verfichert, nicht erft 
fpäter zur eigenen Mechtfertigung Ochſenbein's gefchrieben 
wurde, fondern ſchon zu Anfang Februar 1845 einer Offiziers⸗ 
verfemmlung in Dlten vorgelefen worden war. Dem Entivurf 
diefes Plans fol Dchfenbein daB Dbercommando zu danken ge 
habt haben. Die Zahl der Freiſcharen, die das Ferag auf 
15,000 hatte anfchwellen laſſen, gibt der Bericht auf 3409 an. 
Sn einem andern Schriftchen: „Rotigen und Kritiden, den letz⸗ 
ten Freiſcharenzug betreffend‘‘, wird behauptet, daß diefe Zahl, 
und fie wird da auf angegeben, zu gering gewefen fei, 
„um eine Regierung zu flürgen, die durch acht Bataillone regu⸗ 
lairer Zruppen, einen Landflturm von mehren Zaufend Mann und 
beträchtlichen Buzua aus den Beinen Cantonen gehalten wurde 
und allen Bortheil der Pofition für ſich gehabt hatte”. Allein 
es ergibt ſich aus dem Berichte Dehfenbein’s, Daß die erwähnte 
Peine Zahl zur Ausführung des Plans bingereicht hätte, wenn 
fie ſich nicht feibft bis zur Spurlofigkeit verkleinert hätte durch 
Auseinanderlaufen, worauf freilich der Luzerner Regierung das 
Siegen fo leicht als möglich gemacht worden war. Aufs neue 
beftätigt e6 fi) indeß, daß der Angrifföplan der Freifcharen we⸗ 
niger fehlecht war wie der Vertheidigungeplan des Generals 
Sonnenberg. Auch will jegt Ochjenbein im Befig eines Plans 
fein, „wie der Canton und die Stadt Luzern wirkſam verthei- 
digt werden Bönnten; da es aber noch nit ausgemacht fei, 
ob nicht vielleicht früher oder fpäter neue Unternehmungen in 
dDiefer oder jener Form flattfänden, fo will der Verf. feine Ge⸗ 
danken über dieſen Punkt noch nicht der OffentlichFeit übergeben”. 

Das vorhin erwähnte Schriftchen: „Rotizen und Krititen”, 
das von einem I. Glur, einem Arzte herrührt, der den Frei: 
fharenzug mitgemacht, wäre nicht nennenswerth, wenn nicht 
auch hierin Sonnenberg vom Berdachte eines großen Gene 
rals und Dchfenbein von dem eines Berräthers freigefprochen 
würde, und wenn nicht der Verf. fein Thema in populairer 
Sprache hoͤchſt naiv und wider feinen Willen komiſch behan- 
delte. Er vergleicht: 3. B. den Freiſcharenzug mit Rapoleon’s 
Feldzug nach Rußland, indem er ihn „ein in vielen Stüden 
treffendes, wiewol ſchwaches Nachbild“ davon nennt und zählt 
die Urfachen des Mislingens jene Bugs an ben Fingern ber. 
Obenan fteht der ſchon oft erwähnte, durch ſchlechte Einrich- 
tungen des Commiſſariats hberbeigeführte Mangel an Lebens- 
mitteln. Auf der einen Geite Hunger, Durft und Ermat⸗ 
tung! „Wie grell ficht Dagegen hiervon ab, wenn man bedenkt, 
daß ganze Wagen voll Proviant, Kleifh, Brot, Bein, Schnaps, 
Wuͤrſte, Butter, fogar eine ganze Kifte voll fhöner Lebkuchen 
(ein bafelee Backwerk) mitgeführt ward”, was Alles dem 
Feinde in die Hände fiel! (S. 5.) Der gute Doctor bezeichnet 
als weitern Grund des Mislingend den Mangel einer „feuri⸗ 
gen vaterländifchen Anrede‘ bei Eröffnung des Zug, als Er⸗ 
mahnung zur Standhaftigkeit und Ausdauer im Kampfe. „Ra⸗ 
poleon und Friedrich der Große thaten daffelbe immer bei 
ähnlichen Gelegenheiten mit gutem Erfolg.” Am Rebehalten 
fehlt es fonft freilich bei uns in der Schweiz felten. Aber 
ſchwerlich würde in diefem Fall die „feurigſte“ Rede ben lin⸗ 
ten Flügel gehalten haben, von dem der Berf. felbft — daß 
in feiner „Furcht und übereilten Flucht das ganze Geheimniß 
des übeln Ausgangs des Zugs beftand”. Doc der Doctor 
weiß fich zu tröften. Gr meint, wenn die Sache gelungen 
wäre, fo hätte fie vielleicht größere Übel zur Bolge gehabt als 
die Berufung der Jeſuiten. „Indeß“, Fährt er fort, „ift der 
Vortheil bier dennoch auf Seite Defien, der ſcheinbar verlor; 


wir baden geffegt, dee Sieg ift unfer!” Und nod einen wei | 
teen Troſt hat er bei der Hand: „Der ganze 2 ang fchet 
am beften, wie man es im Kriege nicht malen fol.” 

(Bie Bortfegung folgt.) | 





Biblisgraphie. 


Beckmann, M., Wilhelm von Lecce. Trauerſpiel 
fünf Bar rt Beinders. 1845. 12. 15 ia ze 
aba, H., Lebensbilder aus unferer Bei 
Schmid. KL 8. 2, r. ſerer Belt. Tugebarg, 
Neuer Bothe aus Mähren. Ein Haus:, Stadt: und Land⸗ 
mannd= Kalender für alle Provinzen des öfterreichifhen Ge⸗ 
fammtreihes auf das Jahr 1846. SOfter Jahrgang. Mit ei- 
nem rapide und eingedruckten Holzfchnitten. Brünn, Gaſtl. 
. , Ror. 


‚ Braun, 3. F., Die Bedeutung ber lateiniſchen Schul 

mit befonderer Beziehung auf die Gegenwart und ipre Brief 

niffe. Stuttgart, Schmidt und. Spring. Gr. 8. 7%, War. | 

‚Brennglas, A., Komiſcher Volkskalender für 

Er vielen Holzſchnitten. Hamburg, Verlagscomptoir. 8, 
r. 


8 
Fioraventi, Guſtav Moraldino der edle Banditenfohn. 
Drei Xheile. te verbefierte Auflage. Breslau, Kühn. 1845. 
&r. 16. 1 Thir. 15 Rgr. 
Blir, A., Bilder aus den Kriegszeiten Tirols. Geſchicht⸗ 
de und poetiſche Erzählungen. Innsbruck, Wagner. 12. 
2 r 


gr. 

‚Gerber, R., Abdel: Kader und der Ehriftentnabe. Eine 

—— für Das Volk. Ulm, Heerbrandt und Thämel. 8. 
2 gt. | 

— LEeſchichte von Algier und feiner Eroberung durch 

bie Franzofen. Ulm, aheerbrandt und Ihämel. 8. 3%, Rgr. 
‚ Kitfh, K. W., Moderne Streifzüge in Poefie und Profa. 

Leipzig, Klemm. 8. 1 Thlr. 15 Nor. 

Lang, K. 9. v., Die Liebichaften des Sefuiten Jacob 
Marell Fe dem Kateinifchen. te Auflage. Jena. 1845. 

.. gr. 

Leben und Wirken des Wiguläus Zaverius Aloyfius Freih. 
v. Kreittmayr, Ehurbayerifchen geh. Staatskanzlers und Ober: 
ften »£ehnprobftes. Mit dem Standbilde deffelben. Münden, 
Franz. »1845. Gr. 8. 7% Nor. 

Lebensgefchichte von Martin Boas, Prediger der Gerech⸗ 
tigfeit, die vor Gott gt Auszug aus feiner Selbftbiographie. 
Bafel, Bahnmaier. ' 15 Nur. . 

Leonhard, K. C. v., Taſchenbuch für Freunde der Geo- 
logie, in allgemein faßlicher Weile bearbeitet. Ifter Sahrgang. 
Mit einem Stahlftih, einer Lithographie und mehreren Zwi⸗ 
Ihenrüden. Stuttgart, Schweizerbart. 1845. 8. 1 Thir. 

r. 


9 

eöſchke, K. J., Erzählungen auß der Geſchichte alter 
und neuer Beit, mit befonderer Berüdfichtigung Deutfchlands 
und der criftlihen Kirche. Zur Erweckung des Sinnes für 
Geſchichte. Breslau, Graf, Barth und Comp. Gr. 8. 124%, Nor. 

Löwenftein, R., Kindergärten. Gedichte. Rach Beiche 
nungen von M. Kretſchmer. Berlin, Zrautwein. 8. 1 Thlr. 

Kachtfeiten der Berliner Geſellſchaft. Sociale Lebensbil: 
der der neueften Zeit. Iſtes bie dtes Bändchen. Berlin, Hoff 
mann und Comp. 1845. Gr. 16. 1 Thlr. 

Delders, T., Zürft und Proletarier. Ein Roman aus 
ber gegenwart. Zwei Bande. Leipzig, Klemm. 8. 2 Zhfr. 

b r. 

Illuſtrirter Schweizers Kalender für das Jahr 1846, Iſter 
Jahrgang. Solothurn. 4. 10 Ner. 

Dramatifched Vergißmeinniht auf das Jahr 1845, aus 
den Gärten des Auslandes nach Deutfihland verpflanzt von 
ZH. Hell. 23ſtes Bändchen. Dreiden, Arnold. 12. I Zhlr. 





Verantwortlicher Herausgeber: Heinrih Wrodpans. — Drud und Verlag von F. X. DBrockhans in Reipgig. | 





Blatter 


für 


literariſche Unterhaltung. 


Mittwoch, 





28. Januar 1846. 


a 








Die europäifhen Staaten nach ihren innen und 
äußern politifchen Verhältniffen, von Bülow: 
Cummerow. 

(VSortſetuag aus Rr. 33.) 

Wenn man nun bie Erhaltung eines langen Frie- 
dens ſchon als einen gefegneten Erfolg davon anfehen 
kann, 
fo muß ſich den um ihr Schickſal bekümmerten Bölkern die 
wichtige Frage aufdrängen: Kann die gegenwärtige Überein: 
ſtimmung der fünf Großmächte eine feite Garantie für die Zu- 
kunft gewähren und ift der bisherige Friedenszuſtand die Folge 
des unerfchütterlihen Willens derfelben, oder verdanken wir 
ihn mehr zufälligen Umftänden ? 

Die Löfung eben diefer Frage ift mithin die nächfte 
Aufgabe der Unterfuhung in bdiefem Abfchnitte. Eine 
uverläffige Gewährleiftung für die Kortdauer eines Zu⸗ 

andes ift nur in ber Einhelligkeit des wohlveritandenen 

Intereſſes Derer zu finden, von beren Entſchließungen 

er abhängt, wogegen eine bloße Erklärung oder woͤrt⸗ 

liche Berficherung der Ubereinflimmung außerdem wenige 

Sicherheit gibt, weil eben die Veränderungen ber Per⸗ 

fonlichkeiten und ebenfo der Anfihten nach den Umftän- 

den fie benimmt. Nachdem ber Verf. nun die Tages⸗ 
geſchichte feit dem Wiener Congreſſe burchgegangen 
und die hauptſächlichſten Ereigniffe und Werhältniffe, 
worüber es zu Verhandlungen gekommen ift ſowie das 

Benehmen der Mächte dabei beleuchtet hat, kommt er 

zu dem Ergebniffe, daß ein fefter und dauerhafter politi- 

ſcher Zuftand in Europa keineswegs begründet, fondern 
die glückliche Erhaltung des Friedens vorzüglih nur dem 

Zufammentreffen fo mancherlei zufälliger Umftände zuzu- 

ſchreiben fei, und daß ein von allen Mächten befolgtes 

durchgreifendes Syſtem fich überall nicht kundgebe. Die 
wichtigſten Punkte ber Veruneinigung und widerftreiten- 
der Intereſſen, foweit deren Vertagung möglich gewefen 
ift, find alle nicht erledigt, fondern nur auf gelegenere 

Zeit verfhoben worden; fie müffen alfo über kurz oder 

lang zur Entſcheidung kommen. Man kann füglich 

binzufegen, daß auch diejenigen Dinge, welche zu irgend 
einer Erledigung gebracht werden mußten, weil fie nicht 

im gährenden Zuftande belaffen werden Eonnten, nicht 

im übereinftimmenden Intereffe aller Mächte gefchlichtet 

worden find, fondern nur nad) dem bdrängenden Bebürf: 

niffe der zunächft betheiligten, fodaß fie dadurch nicht 


ſchließlich abgethan find, vielmehr nur mehr Zunder an- 
gehäuft worden ift, gar fehr empfaͤnglich, durch hinein⸗ 
geworfene Funken entzündet zu werben. 

Überall aber zeigt es ſich, daß es ſowol an einem welt⸗ 
und ſtaatsweiſen Grundprincipe ber Handlungsweife als an 
dem gehörigen Muthe gefehlt hat, ſich dadurch leiten zu laſſen 
und es zur Geltung zu bringen. 

, Hiermit würde ber { erfchrift dieſes Abſchnitts Ge⸗ 
nüge gethan ſein; allein derſelbe enthaͤlt noch mehr als 
jene beſagt, denn er umfaßt zugleich die Vorbereitung 
des allerletztn. Um nämlich ſich darüber Rechenſchaft 
zu geben, worauf die Bewahrung des Friedens in 
Europa hauptfächlih beruhe und worauf es dabei an- 
ommt, 
muß man fich eine moͤglichſt zulaͤngliche Überficht der voneinan⸗ 
der abweichenden fachlichen und perfönlihen Werbältniffe der 
größern Bolkeftämme und ihrer Beberrfcher zu verfchaffen trach⸗ 
ten, um daraus zu entnehmen, was für die Wohlfahrt jener 
gefchehen koͤnne und müfle. 

Der erfte und wichtigfte Punkt hierbei ift der Ver⸗ 
faffungszuftand. 

Man darf jih darüber nicht täuſchen; der Streit über die 
Berfaffungsfrage, der feit SO Sahren die Gemüther fo fehr be 
wegt, betrifft die Herrſchaft der NRechtöficherheit oder der Will 
für. Willkuͤrherrſchaft oder Abſolutismus werden nicht felten, 
aber ganz zur Ungebühr mit Hoheit oder Souverainetät ver⸗ 


wedhlelt. 

Ja Solches gefchieht oft abfichtlih, um unter dem 
Dedmantel diefer jene zu erhalten oder zu befefligen. 
Aber ein Despot regiert nicht Staatsbürger, fondern 
gebietet über verftand- und vwoillenlofe Wefen in Allem 
was den Staat angeht, alfo in ftaatliher Beziehung 
über Zeine Menfchen. Ein ſich felbft, feine Beftimmung 
und feinen Beruf erfennender Menfh kann fi nicht 
entbrechen, feine Einfiht und feinen individuellen Willen 
einem ®emeinwillen zu unterwerfen, in welchem bie 
Vernunft, fo viel unter Dienfhen möglich, waltet und 
ſich fund gibt; aber er Tann nie, der Willfür zu gehor- 
hen, eine Obliegenheit erkennen, weil er ſich eben ba- 
durch zum Sklaven macht. Nur in ber Zeit ber rohe- 
fien Unwiffenheit konnte von einem Rechte der Stlave- 
rei die Mede fein. 

Da das Wort „Willkürherrſchaft oder Autokratie“ in 
ber öffentlihen Meinung aller gebildeten Voͤlker bereits ver- 
dammt ift.und hiernach nur verworfen werden kann, bat bie 
Schmeichelei es mit einem andern Ramen zu vertaufhen ge⸗ 
fucht, mit dem „des göttlichen Rechts”. 


110 


Fragen wir aber nach den Urkunden feiner Einfegung, 
fo muß die Wahrhaftigkeit eingeflehen, daß dieſe weder 
in der Offenbarung noch in der Natur irgendwo aufzu⸗ 
finden find. Denn in ber Natur ift Alles an feſte Ge⸗ 
fege gebunden, nirgend auch nur eine Spur von Willkür; 
aus Gott aber, dem ewig unabänderlihen Selbftgefege, Bann 
eins Offenbarung des Gegentheild hervorgehen. Herrſchaft 
des Seſetzes und Willkür fchließen einander völlig aus. Die 
Gnade Gottes hat jedem Menfchen feine Stellung in der Welt 
angewiefen, und ed kann Niemandem ein vorzügliherer ober 
ausfchlieflicher Anſpruch auf biefe Gnade angeboren fein. Wem 
fie eine höhere Stufe in der bürgerlichen Gejellfchaft zugeteilt 
bat, thut wohl, ſich daran allezeit zu erinnern, um ihr nicht 
zuwider zu handeln, fondern feinen Beruf zu erfüllen; aber 
dfefe Deniuth ift Bein Mechtetitel, fo wenig als die Benennung 
Knecht der Knechte Gottes die Befugniß zur dreifachen Krone 


enthält. 


Der in der Zeit ſich ausgebildete Verfaſſungszuſtand 
der europäifchen Reiche wird einzeln geſchichtlich vom 
Berf. kurz entwidelt, und zeigt als übereinflimmende 
Erſcheinung, daß überall die Leibeigenſchaft erſt im 
Mittelalter in den Zeiten der finſterſten Unwiſſenheit 
und Roheit und der über alles Recht herrſchenden Ei⸗ 
genmacht entſtanden iſt; daß neben ihr der Erbadel auf- 
getommen und fi über den freien Bürgerftand empar- 
gefhwungen Hat; daß ferner nur Diejenigen Stände, 
welche fih in der Lage befanden, die Macht und bie 
Abſichten der Fürften zu unterflügen oder zu behindern, 
politifhe Bedeutung behielten ober erhielten; daß biefe 
Stände vermöge des fich in ihnen ausbildenden SKaften- 
geiftes nur ihre Sonderintereſſen hegten, und beshalb fi 
nicht nur untereinander möglichft Abbruch zu thun, fon- 
dern auch bie Fürftenmacht ſich botmäßig zu machen 
trachteten, wobei die Förderung des Gemeinwohls un- 
moͤglich fiel; daß eben darum die Fürften nicht anflchen 
konnten, fih und das Land von ſolchem Joche zu be- 


freien, und daf dies durchgängig gelungen ift, menn- 


ſchon nicht immer durch Töbliche Mittel. Die Erwer⸗ 
bung der Landeshoheit und fpäter ber Souverainetät 
ift fonach der gefchichtliche Durchgang geweſen zum Un- 
tergange der zertheilten und felbftfüchtigen Ständeherr- 
ſchaft und befonders zur Brechung der der Staatsgewalt 
widerfirebenden Vaſallenmacht, damit ein über das ge⸗ 
fanımte Bolt fi erftreddiender Rechtszuftand und eine 
Staatsverwaltung möglid) würde, welche bas Wohl al- 
lee Einzelnen gleihmäßig in der Geſammheit ſich zum 
Ziele ſtecken kann. In dem Grabe, als die alte Stände- 
theilung und Verfaffung fih zu erhalten vermocht hat, 
find bie Regierungen ohnmächtig und die Völker im 
Wachsthume ihres phufifhen und moralifhen Zuflandes 
zurüdgeblieben. Polen, Ungarn, und Schweden liefern 
den Beleg dazu. Allein diefe Übergangsperiode in des 
Ausbildung bes Wölterzuflandes barf nit ald etwas 
Dauerhaftes, nicht als das Ziel ber Ausbildung ange- 
fehen, nicht der Abfolutismus und die Alleinherrfchaft 
als die Frucht der GEntwidelung vor ihrer Reife ge 
brachen, ſondern ber faure Saft muß erft füß gekocht 
werden. Denn Herrſchaft drückt überall ein Ver⸗ 
haltniß amd, dem bie Moral und das Recht mr für 


Einrichtungen Geltung geftattet, die vermöge ihrer Ver⸗ 
nunftmäßigteit ihnen keinen Eintrag thun koͤnnen, nie- 
mals in Betreff der Untergebung von Menſchen unter 
Menfchen, von denen keiner untrüglich ift, vielmehr durch 
feinen Unverftand oder verkehrten Willen auch bie ihm 
Gehorchenden zur Vernunftverleugnung nöthiges wärde. 
Ein unvernünftiger Menſch hat weder Rechte noch Pflich⸗ 
ten; ebenfo fann eine vernunftwidrige Staatseinrichtung 
oder Verfaffung Feine vechtmäßige fein. Menfhen und 
Bölker konnen und follen wol regiert, aber durchaus 
nicht beherrfcht werden. Diefen gewaltigen Unterſchied 


zur allfeitigen Erkennung und Anerkennung zu bringen 


und Die Einrichtungen fo zu treffen, daß Diefes vermie- 
den, Jenes dadurch erreicht wird, Das ift eben der Vor⸗ 
wurf und bie Beichäfttgung der Zeit in’ der wir leben. 
Je vollkändiger und allfeitiger dies eingefehen und be- 
herzigt wird, deflo friedlicher und heilfamer wird fie ſich 
geftalten, wie. umgefehrt es ganz unmöglich ift, daß 
Krämpfe und Zudungen ausbleiben. 

Es erwächſt aus diefer Betrachtung unausbleiblich 
die Frage: . 

IR nicht eine folche Regierungsform ausfindig zu machen, 
in weldger die unvertennbaren Vortheile des Alleinregierens 
bewahrt und die ebenfo offenbaren Kachtheile der Alleinherr⸗ 
ſchaft vermieden werben, durch welche alfo, mit andern Wor⸗ 
ten, alle Willkür möglichft ausgefchloflen, Hingegen das Wal: 
ven der Vernunft zur allgemeinen Wohlfahrt aufgefchloffen 
wir 

Für alle Länder ift die Löfung diefer Frage von ber 
höchſten Wichtigkeit, aber für keine mehr als für Preu- 
en und Oſtreich. Für dieſe iſt es eine Lebensfrage; 
dies nicht blos darum, weil ſie thatſächlich in die Kriſis 
fon eingetreten find, bevor noch die fchägenden Heil- 
mittel erfannt und bereitet find, vornehmlich aber darum, 
weit die Kortdauer ihres Lebensbeftandes von der Eräf- 
tigen Genefung von bem Fieber abhängt, das fie jest 
fühlbar fchitttelt. 

Völker, die in der Entwidelung bereits vorgefcheitten und 
durch Diefe zum Bewußtfein ihrer Stellung gelommen find, 
formen nicht in der Unmündigkeit erhalten werden, folglich 
nicht ohne Theilnahme an der Regierung und ohne dazu ge- 
ſchickte Drgane, mithin nicht ohne Berfaflungseinrichtungen ver⸗ 
waltet werden, wenn man fie nicht entweder zur Thiecheit er- 
niebrigen und nicht blos ihre Menſchenwuͤrde, fondern auch, 
wie die Griechen und Römer, die Türken, Ruſſen, Italiener 
und Spanier es gezeigt haben, ihre menſchlichen Kraftvorzüge 
jerftören, oder aber in ihnen felbjt die Beforgniß foldher Berau- 
ung, die Reizung zum Widerftande und das Beſtreben an- 
fachen will, abyumätbigen, was ihnen wider Recht und Billig- 
keit verfagt wird. Bevor alſo im Herzen von Europa ein 
folder Rechtszuſtand nicht bergeftellt iſt, Liegt es außer aller 
Berehnung, wohin das Zögern oder Weigern führen werde, 
und bie Rube duropoe bat Feinen fichern Boden. 

So wie der Verf. auf dem Wege hiftorifcher Be⸗ 
trachtung dies Urtheil gefunden hat, fährt er nım welter 
fort flatiftifh abzumägen, wie ber gegenwärtige innere 
und aͤußere Stand der Verhältniffe der bebeutfamen Län- 
der befhaffen ift, und wie weit fie befonber& in ber ge- 
ſellſchaftlichen Ausbildung vorgefchritten find, um bier- 
aus das Maß ihrer morafifhen und phyſiſchen Kräfte 
wie das Gewicht ber Beſorgniſſe oder Hoffnungen ab- 





11 


zunchmen, welche ſich daraus für die Ruhe Europas 
eben 


ergeben. 

Das Syſtem des Bleichgewichte, dem noch die Politik 
allgeraein buldigt, haftet befonders an dem Umfange bes 
Staatsgebiets derjenigen Mächte, welche das Bleichge- 
wicht halten follen, und ift deshalb vor Allem ängftlich 
dahinter her, jeden Territorialzuwachs möglichft zu hin⸗ 
dern, ben Beligftand aber zu erhalten. Indeſſen ift dies 
von vornherein ein arger Irrthum, ba bie Zugabe eines 
Landestheild ebenfo wol eine Schwähung als Stär- 


kung der zur Verfügung fiehenden Macht fein kann. 


Weder in dem Umfange noch überhaupt in den mate- 
rielen Mitteln der Länder beruht die Macht der Staa⸗ 
ten, fonbern es fließen darauf noch viele andere Ver⸗ 
hältmiffe und Kräfte ein, die ſich ganz außer der Gon- 
teole und Einwirkung der auswärtigen Mächte befinden. 
Zudem bildet der Umfang und bie Bevölkerung eines 
Landes felbft nur einen geringern Beftandtheil feiner 
materiellen Macht; die Fruchtbarkeit des Bodens, die 
Gewerbihätigkeit und . Handelsbetriebfamkfeit feiner Be⸗ 
wohner, der Sapitalvorrath und die Ordnung in Staats⸗ 
haushalte wiegen noch ſchwerer. Höher noch fiehen ein 
zwedimäßiger Verwaltungsorganismus, innige Vereinba⸗ 
rung aller Staatskraͤfte, leichte Benugung ber zu Ge⸗ 
bote ftehenden Mittel, Einverftändniß zwifchen Regie 
ung und Volt, Gemeingeift und Vaterlandsliebe, gei- 
flige Überlegenheit in der Einfiht und Willenskraft. 
Dos Wihhtigfte von Allem ift, daß im Falle irgend ei- 
nes Rampfes das gemeinfame Intereffe der Geſammt⸗ 
heit durch ein kerniges Volt und eine mit ihm eng ver- 
bundene weife Regierung vertheibigt werde. 

Dabingegen ift es ein Vorurtheil, daß die Allein⸗ 
herrfchaft vermöge der Vereinigung aller Kräfte bie 
größte Stärke verfchaffe. Die Widerlegung führen China, 
Tibet, die Türkei, Rußland. Sie ift nur dann mäd- 
tig, wenn fie es verfteht, dem frei erhaltenen Willen 
der Einzelnen eine Richtung auf ein gemeinfchaftliches 
Ziel zu geben; aber fie verfintt in dem Grade in Ohn⸗ 
macht, als die Freiheit der Bürger durch fie unterjocht 
wird. Wie fi überhaupt freie Kraftentwidelung ober 
Arbeit zu erzmungener verhält, fo die Reifung eines 
Volks von Staatsbürgern zu der fchmeigend-unterthäniger 
Landeseinwohner. (Die Fortfegung folgt.) 


Riterarifche Briefe aus der Schweiz. 


(Beortfegung aus Mr. 27.) 
In eimer Blaren, würdigen Sprache ift folgende Schrift 


abgefoßt: | 
2. Das rote Büchlein oder ber Freiſcharenzug und das Schick 


fal der Gefangenen in Luzern im März; und Upril 1845. 
Dargeſtellt nach zuverläffigen Ouellen und Berichten von 
Yugengengen. Bern 1845. 

Bu d Quelien, aus denen der Berf. fehöpfte, gehört 
unter andern die in d. BL. ſchon früher beſprochene Schrift: 
‚Die ſchweizeriſche Jefuitenfrage in ihrer ſtaats⸗ und voͤlker⸗ 
rechtlichen er 

n er 


* (Tübingen 1845). 
Bo it an iſt der Utramontanismuds, obwol 
jedem geiftigen Fortſchritte der Voͤlker abhold, doch felbft fort: 


jo mandger braven Familie an!’ 


eſchritten, da wo es ihm möglich war, in der Ausbehnung 
einer geiftlihen Macht. In einem Lande wol tritt dies au⸗ 
genfälliger hervor wie in der Schweiz, und wieder in feinen 
nton mehr wie in Luzern. Der Verf. der genannten 
Schrift weißt diefes Schritt für Schritt nad. Und welch ein 
Gemälde rollt fi da vor unfern Augen auf, von dem erften 
wichtigen Siege des ultramontanen Klerus im 3, 1833 durch 
Berwerfung des Entwurfs einer verbefferten Bundesverfaffun 
in Luzern bis zu feinem vollftändigen Siege im Herbft 1844, 
den er in der Sefuitenberufung feierte! Wäre jene Bundes⸗ 
revifion damals erfolgt, deren Anregung unter Andern au 
von einem der ausgezeichnetften liberalen &taatömänner Lu: 
zernd auögegangen war, viel Zerwürfniß und Hader, viel Roth 
und Elend wäre vielleicht der Schweiz erfpart worden! 

‚ Die Bundesrevifion für einmal befeitigt, hatte der Klerus 
freien Spielraum; Doch wurde nie plöglich gehandelt, fondern 
nach und nad) der Grund gelegt, auf dem das Sefuitengebäude 
fpäter aufgeführt wurde. Aber che es daſtand auf den Bes 
ſchraͤnkungen der Prepfreiheit und des Vereinsrechts, auf den 
Hemmungen im Erziehungswefen und dem Soſteme der Ver: 
daͤchtigung, auf dem Fanatismus eined großen Theils bes 
Volke und auf einer Berfaffungsverlegung,, da proteftirte ein 
anderer heil des bewaffneten Volks vergeblih dagegen, wie 
fon oben angedeutet wurde. 

Bei der Erzählung des erften Freiſcharenzugs in der ger 
nannten Schrift entfegt man ſich über den unbegreiflichen 
Leichtfinn, momit er begonnen wurde. Haben feine Leiter die 
ungeheure Berantwortiichkeit nicht eingefehen, die ſie durch ein 
fo wenig vorbereitete Unternehmen auf fih luden? Den ei» 
nen Zag wurde es befchloffen und den andern fchon fehritt 
man zur Ausführung! Dennoch befam man, bei der Rath⸗ 
lofigfeit der luzerner Regierung, den Sieg in die Hand, ließ 
ihn aber fahren, weil ein kräftiges Sufammenwirfen, ein mu: 
thiger Entfchluß fehlte! Vier Monate darauf, ausgefüllt mit 
Gewaltftreihen und Berfolgungen der fi ſchrecklich rächenden, 
fo leichten Kaufs davon gekommenen Regierung, erhob fich eine 
größere Maffe: die zahlreichen Iuzernifchen Flüchtlinge, unter: 
ftügt von ihren Freunden aus mehren Nahbarcantonen. Sie 
erhoben ſich nach größerer Überlegung, mit größerer Zuver⸗ 
fiht, um in größerm Maßftabe baflelbe Spiel wieder zu vers 
lieren! Wieder hatte die Regierung gegittert, ihre Lage war 
weit fehwieriger wie am 8. Dec. 1844; wieder hatten bie 
Freifcharen den Sieg in der Hand, und wieder, im Allgemei» 
nen aus ähnlichen Urfachen wie früher, ließen fie ihn fallen! 

Sieben Monate find feitdem verfloffen, und doch, wenn 
man die ausführlichen Berichte dieſes Ereigniſſes, wie fie die 
vorliegende Schrift gibt, die von Peinem Freunde der Tuzerner 
Regierung herrührt, wieder an fi) vorübergehen läßt, behält 
neben dem Bewundern des Muthes und der Ausdauer einzel: 
ner Abteilungen der Freifcharen und neben dem Abfcheu vor 
den Greueln, an wehrlofen Gefangenen von Seiten der Sie 
ger verübt, neben dem Zorne über Die Roheit diefer Rache: 
ausbrüche dennoch der Unmuth die Oberhand, der Unmuth über - 
ſelbſtverſchuldetes grenzenlofed Unheil, das hätte abgewendet 
werden Tonnen! 

Die Veranlaffung zu dieſen nicht geſetzlichen Freiſcharen⸗ 
kaͤmpfen ift freilich anderwärts zu fuchen als in dem „Treiben 
des Rabicalidmus”, wie der fogenannte Conſervatismus, der 
mit dem Romanismus auf freundlichem Fuße fteht, immer noch 
glauben machen will. Sie ift zu fuchen in ben eigenen Rei: 
ben der Ultramontanen, die, eine immer enger geſchloſſene Pha⸗ 
lanx bildend, ihren einmal begonnenen Weg in der Schweiz 
fortfegen. Wird fich diefe Phalanr brechen an dem Damme, den 
ihr Deutfchland in feiner jegigen DOppofition gegen Rom ſett? 

Der Berf. der erwähnten Schrift ftellt am Schluß eine 
Rechnung auf, wonach die Berufung der Sefuiten nad Luzern 
bis jegt baare zwei Millionen gef: (et hat. „Und wer”, ruft 
er aus, „fchlägt die 400 geopferten Menfchenieben, den Ruin 


112 


Nah den Vorgängen und Thatſachen, die wir foeben er 
wähnt, nimmt fi ein anderes Schriftchen: 

3. Der Jeſuitismus treu gefhilbert don einem unbefangenen 
Proteftanten Züriche. Zweite vermehrte Auflage. Zurich. 
1845. Gr. 8. 5 Nor. 

fonderbar genug aus. Gin in Züri bekannter Kryptokatho⸗ 

lik und Jeſuit hat es zwar für nöthig gefunden, Öffentlich zu 

erflären, Daß er nicht der Berf. genannter Schrift ſei; dies 
halt uns indeß nicht ab, zu behaupten, daß, wenn nicht gerade 

Diefer, fo doch ein Anderer dieſes Gelichters der Bert. fein 

muß. Die Maske des „unbefangenen Proteftanten” figt zu 

ſchlecht, als daß fie nicht Leicht, fchon einiger Kleinigkeiten we: 
gen, zu durchſchauen wäre. So heißt es 3. B. in dem jefui« 
tengeſchichtlichen Abrig, den er gibt: „Ignaz Loyola, Alters: 
genoffe der Reformaroren, war nicht Bauersfohn wie der Au: 

uftinermönd, er war der Sohn eines Manned, der zum hoͤch⸗ 

Ren Adel Spaniens gehörte”, und dergleihen mehr. Am auf« 
fallendften aber ift es, daß er im Namen des Princips der Gei: 
fteßfreiheit gegen die Sntoleranz in Beziehung auf die Jeſuiten 
eifert und ihre Gegner in einem Athem „fchreibfelige Idioten, 
Bedlamiten, politifhe Marktſchreier, geiſtliche Zeleten“ u. f. w. 
ſchimpft, die „Hienlofe Käfterungen’’ gegen fie ausftießen. Wenn 
der Verf. von den Proteftanten fagt, daß fie als folche ihr eige- 
ned Urtheil nicht für untrüglich halten Dürfen, fo erinnert es 
an Das, was vor zwei Jahren bei Gelegenheit einer Discuf: 
fion im Wallis über das Verbot des Gottesdienſtes der dor: 
tigen Proteftanten zur Sprache Fam. 
davon Die Rede war, daß der Ausübung des katholiſchen Eul- 
tus in den proteftantifchen Gantonen Fein Hinderniß in ben 
Weg gelegt würde: da der Proteftantißmus Beinen Anſpruch 
darauf mache, die alleinfeligmachende Kirche zu fein, fo habe 
er auch deshalb nicht nöthig, fich der Ausübung anderer Eul- 
ten zu widerfegen. Wenn der Proteftantißmus, weil er Pro: 
teftantismuß iſt, fein eigenes Urtheil nicht für untrüglich hal» 
ten foll, fo muß er nogh viel weniger das des flabilen Katho: 
licismus dafür gelten laffen. Died mag der verfappte „un: 
befangene Proteftant‘ fühlen, denn er holt fih Succurs und 
bringt ein ganzes Schock der den Jeſuiten günftigen Urtheile 
in allen Sprachen herbei. Unter den deutſchen Schriftftelleen 
läßt er befonders Menzel als Verfechter der Sefuiten hervor: 
glänzen. Auch werden mehre ihnen günftige Urtheile von un: 
genannten Schriftftelern angeführt, was immerhin verdächtig 
if. Welch ſchoͤne Gegenrechnung ließe fihd da aufftelen, und 
wenn man dann die günftigen von den ungünftigen Urtbeilen 
abzöge, welche fhone Summe bliebe da von den legtern! 

Unter die Verdienſte, welche fih die Sefuiten um Die 
Menichheit erworben, wird &. 9 auch gerechnet, daß fie es 
waren, „die zuerft mit rühmlichem Beifpiele in dem edlen Be: 
fireben den Sklavenhandel abzufchaffen vorangegangen”, und 
doch machen fie, trog aller ihrer gerüuhmten Verdienſte um die 
Wiſſenſchaft, Die Menfchen, die in ihren Kreis treten, zu Skla⸗ 
ven durch die unbedingte Unterwerfung unter den Willen ei« 
ned Einzelnen, was ja das Fundament ihres gefährlihen Dr: 
dens iſt. Gegen einen andern ihrer Hauptgrundfäge, ber ih» 
nen vielfach vorgeworfen wird, daß der Zweck die Mittel bei: 
lige, weiß ber Berf. nichts Anderes zu fagen als daß den er: 
ſten Chriſten der Vorwurf, als banbelten fie nad diefem Lehr: 
fag, von den Pharifäern, Sudducaern und Heiden gemacht wor: 
den fei; Daß die „modernen Heiden, Strauß, Bauer, Ruge, 
Feuerbach und andere ſolche Kraftgenies“ diefen Grundfag ber 
folgten, daß ihm Luther und Zwingli nicht abhold gemefen, 
dag der Deutſche Bundestag ihn bei Dem „Zungen Deutichland” 
entdedit babe und daß vor Allem der fchweizerijche Rationalis: 
mus nach ihm handle. 

Rachdem der Verf. den Borwurf der Herrſchſucht und 
ben des Einmifchens in bie poliit von Seiten der Sefuiten 
als dem Hauptzwed der Stiftung entgegen durch mehre Ei» 
tate widerlegt zu haben glaubt, Führt er noch an, was ber 











— —— — — 


Es hieß naͤmlich, als 


mainzer Biſchof Kaiſer im J. 1839 in ber heſſen⸗darmſtaͤdti⸗ 
ſchen Kammer ſagte: „Die Jeſuiten ſollen hier und da in 
Spanien, Portugal und Frankreich herrſchſüchtig geweſen fein 
und fi ihrem Berufe zuwider in weltliche Staats und poli- 
tifhe Händel gemifet haben. Ie nun, berrfhen ift füß und 
wer eö kann, Ichlägt ed gewöhnlich nicht aus.“ Und das fell 
auch ein Beweis fein, wi; die Iefuiten nicht herrfchfüchtig find. 

Eine neue Anſicht wird binfichtlich der franzoͤſiſchen Ke⸗ 
volution entwickelt. Sie fol nicht entitanden fein dur das 
Herabſetzen des größern Theils der franzöfifchen Nation, nicht 
durch Die Anmaßungen eines außfcgweifenden Adels, eines über: 
müthigen Klerus, nicht durch die Verſchwendungen eines gü- 
gerufen Hofs, fie fol entftanden fein durch die Aufhebung des 

efuitenordens, die das Werk der Leidenſchaft und der Hab⸗ 
fucht gewefen fein fell. 

Einen ftarfen Eontraft zu diefer von plumpen Lobeserhe⸗ 
bungen und Recdhtfertigungen der Iefuiten überfließenden Bro⸗ 
fchure, zu Diefen Unfchulde - und Wemuthözeugnifien, bie ihnen 
darin ausgeftellt jind, bildet Das folgende Schriftchen: 

4. Geheime Berbaltungsbefehle der Sefuiten. Belle-Bue, Ber: 
lags⸗ und Sortimentsbudhhandlung. 1845. 8. 5 Nur. 

Nach der Borrede fol diefe merfwürdige Urkunde aus ei- 
nem in Befchlag genommenen SIefuitencolleg flammer, im vo: 
rigen Sahrhundert in Baiern gedrudt worden fein‘ und hier 
die forgfältige Übertragung des Iateinifihen Urtertes folgen. 
Der vorhin abgehandelte „unbefangene Broteftant” nennt die 
„Monita secreta” eine Sauptquelle der Läfterungen ber Se- 
fuitenfeinde, und wirft dem Profeſſor Jordan in Marburg vor, 
fie hauptfächlich bei feinem berüchtigten Pasquill „Die Sefuiten 
und der Jeſuitismus“ (1839) benutzt zu haben. Für die Echt: 
heit diefer Urkunde fpricht deren Inhalt, ber mit Allem, was 
man von den Gruntfägen und der Wirkfamkeit des Sefuiten- 
ordens weiß, übereinftimmt. Es wird in dieſen Verhaltungs⸗ 
befehlen Anmeifung ertheilt in der Heuchelei, der Kalfchheit, 
dem Betrug, der Lift gegenüber den Fürften, den geiftlichen 
Drden und andern Claſſen der Geſellſchaft. So handeln 5.8. 
einige Gapitel nur davon, wie man Witwen gewinnen foll, 
um über ihr Vermögen verfügen gu koͤnnen. Bier au eine 
Probe von der lächerlichen Sophiſtik, die fih darin findet: 
„Die Unfern dürfen nur in reichen Städten Collegien grün: 
den, denn ber Zweck unferer Geſellſchaft ift, Ehriftus dem 
Herrn nachzuahmen (!), der fi vorzugsweife in Serufalem 
aufhielt und an Bleinen Orten durdhreifte.” 

Die Verlagshandlung ftellte den Preis dieſes Heftchens nur 
auf 18 Kreuzer, um ihm eine recht weite Verbreitung zu fiihern. 

(Der Beſchlußs folgt.) 


— — — — — — — — — 


Notiz. 
Die böhmiſchen Harfenmädchen Zigeunerinnen. 
Der englifhe Neifende in Deutfchland, welcher dem 
‚„Athenaeum‘ Berichte liefert, aus benen in diefen Blättern 
Mehres mitgetbeilt wurbe, ſchreibt neuerlich, er babe ſich ge: 
— in einem neuern engliſchen Reiſewerk einen Schnitzer zu 
nden, den man nur einem oberflächlichen Franzoſen zu gute 
balten würde. Diefer Zourift habe nämlich mit eben der Rai: 
vetät, womit jener Franzoſe fid) gewundert habe, einen böhmi- 
fhen Grafen, den man ihm vorgeftelt, „blond“ zu finden, 
bie Böhmen (Bohemians) mit den Zigeunern (Gipsies) für 
gleichbedeutend gehalten, indem er bemerkt, die Augen der 
böhmifchen Harfenmädchen hätten nicht den dem Bigeunerftamme 
eigenthbümlichen Schnitt der Augen. Sein Landsmann bedeu⸗ 
tet ihm nun, daß dieſe Möchter des Erzgebirges zum größten 
heil nit nur nicht dem Sigeunerftamme, fondern nicht ein- 
mal dem flawifchen oder czechiſchen angehören, fondern Deutſch⸗ 
böhmen und ebenfo gut germanifchen Urfprungs find als die 
Bewohner Schandaus, wo er diefe Künftlerinnen zum erften- 
mal erblidte. 12. 


Verantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brodfands. — Druck und Berlag von F. X. Brockhans in Leipzig. 


BIlä tter 


für 


literarifde Unterhaltung. 





Donnerdtag, 


29. Januar 1846, 





Die europäiſchen Staaten nach ihren innern und 


äußern politifhen Werhäftniffen, von Bülow- 
Cummerow. 
(Bortfegung aus Nr. 38.) 


Ein anderer hoͤchſt gefährlicher Misverſtand Hat fich 

in den Gebrauch bed Worts confervativ eingefchlichen, 
indem man es „erhaltend” überfegt, wo es „feſthaltend“ 
heißen follte. Wie es bie höchite Inconſequenz ift, im 
Schlechten confequent zu fein, fo ift die künſtliche oder 
gewaltfame Feſthaltung Defien, was an fich oder feiner 
Würdigung nah unhaltbar ift, durchaus deftructiv. „Nur 
dann iſt ein Verfahren confervativ, wenn es auf bie Bewah⸗ 
zung Deffen gerichtetift, was zu beftehen werth iſt.“ Wendet 
man dies auf die fihtbaren Beftrebungen ber Politik mancher 
Gegenden an, fann man nicht in Abrede flellen, baf es 
entweder nur die liebgemonnene Gewohnheit ift, oder Die 
Ungewißheit und Furcht vor den nicht vorausgefehenen 
Folgen der Anderungen, was allein fie vermögen konnte, 
in Beharrlichkeit das untauglich gewordene Alte zu be 
gen und zu pflegen und nicht mit der Zeit fortzugehen, 
fo ernſt fte mahnt und fo drohend fie warnt. 

Doch gibt es im Leben der Völker Momente, bie, ver 
füumt, nie wiederlehren. Sie zu erkennen, fie richtig und 
mit Kraft zu erfaflen, fte für das Gemeinwohl auszubeuten, 
Das macht die Männer, bie in der Geſchichte die Bedeutung 


erfangen. 

Prachtvolle Gebäude und herrliche Schaufpiele. fehafe 
fen feinen fernen Ruhm; aber die Begründer von Ein- 
richtungen, durch welche die Denkungsart und die Ge- 
finnung ber Bölfer umgefihaffen und dauernde Zuftände 
in den Laͤndern eingeführt worden find, leben im ehren- 
vollen Andenken der Nachkommen durch Jahrtauſende. 
Nerfepolis liegt in Trümmern, aber nod wirft Zoroa- 
fer; Rom hat die Könige verjagt, aber Romulus und 
Numa Haben nie aufgehört fein Stolz zu fein. 

Ein dritte Taufhung entdedt fich leicht darin, daß 
die meiſten Fürſten ſich überreden, in ber Ariſtokratie 
und Bureaufratie Stügen ihres Anſehens gegenüber dem 
Volke zu haben, da doch beide felbftfüchtig das fürſtliche 
Anſehen zum Schuge ihrer abgefonderten Stellung ge 
brauchen und bemfelben gerade fo viel entziehen als fie 
bewirken, daß zu ihren Bunften bavon verwendet ‚wird. 

Es tfaſt unbeg daß es beiden noch fo haͤ 
geimgt, Di für X eher nd —— — mai, 


und ber Rechte der Krone auszugeben, ba es fih vielmehr nun 
darum handelt, bie Krone in einer, zwar unbemerkten, aber 
darum nicht unbemerfbaren Abhängigkeit von fi) zw erhalten 
und ſolche ebenfo zu mehren. 
Kriftotratie und Bureaufratie können nur ale Mit 
tel zum gemeinen Beften einen Pag im Staatsorga⸗ 
nismus einnehmen; fie müffen alfo lediglich für das 
Wohl des Volks beftchen, aber niemals in eine Lall 
ober ein Schmarogergebilde für baffelbe ausarten. Yafl 
unerflärlich ift e6, daß es Fürften und Megierungen geben 
ann, welche ihre ungeheure Abhängigkeit und Beſchraͤn⸗ 
fung durd) diefelben gar nicht gewahrt werben, noch weniger 
ed unternehmen, fi) davon loszumachen. Es kann nm 
Trägheit oder Befangenheit im Gebrauche des Geſichts 
fein, nicht zu fehen, was ſich felbft ‚fo fichtbar macht, 
oder Unbeholfenheit und Unkunde in der Wahl und Be 
nugung ber Mittel, es zu beffern. Daher kommt es wal, 
bag felbft an Orten, wo fonft großer Scharffinn und 
Klugheit gezeigt wird, Alles hübſch beim Alten bleibt; 
felbft wenn es vorausfichtlich ift, daß folches unhaltbar 


iſt, freut man ſich hoͤchlichft, wenn es nur noch ein 


Weilhen dauert, und flüge und fückt fo lang es Ir. 
gend geht. | 

Die Erfahrungen der Geſchichte und der Zeit gehen unbe» 
achtet vorüber; anftatt das untauglich Gewordene aufzuloͤſen 
und umzuwandeln, bemübt man fl, es zu kryſtalliſiren3 anfkott 
das Verdorbene auszurotten, klammert man fich daran fe 
und läßt fi davon anftedlen; ja das ganze Syftem der Politik 
berubt auf einer Berblendung. Im Bude bes großen Schick 
ſals der Menfchheit ſteht eine fortfigreitende Entwickelung 
unwiderruflich eingetragen; wo ſolche aufgehalten wird, koͤnnen 
am Ende gewaltfame Umwaͤlzungen nicht ausbleiben. Dieſen 
guoorzufommen, bad heiſcht die Politit. Die Zeiten find vors 
über, in denen man die Völker durch dipfomatifche Kunſtſtücke 
lenkte und die Welt blendete. Die Kraft der Staaten liegt 
nicht mehr in den ftebenden Heeren, fondern in ber tmitigen 
Bereinigung des Bolks mit feinem Regenten durch einen ange 
meffenen Organismus bes Staats. Je länger eine Regie⸗ 
rung in ihrer unklugen Stabilität und Paſſivität verharrt, 
defto mehr Löft fie die Bande des Staatöverbandes. Wenn ber 
Repröfentant dieſes Syſtems es noch überleben follte, ſicher 
tiberiebt es ihm nicht lange. Deffen bloße Eriſtenz iſt ein Be: 
weis von Schwäche ober doch des Gefuͤhls derſelben. 

Für Deutfhland ift der Wortfchritt in allen Hinſich⸗ 
ten fo unumgänglich nöthig, daß jeder Rückſchritt gera- 
dezu dem Untergange entgegenführt. Darum kann Oſt⸗ 
sei wol ein treuer Verbuͤndeter des übrigen Deutſch⸗ 


114 


lands wegen feiner flabilen Regierungsmeife fein, aber 
nicht zu deſſen politifcher Geſtaltung und Ausbildung 
mitwirken. Der Zollverband, zur Wahrung ber gewerb- 
lichen und Handelsintereſſen von Deutfchland, war da- 
ber eine durchaus nothwenbige Werbündung neben bem 
Bundestage und hoffentlich nur ber Vorläufer gleicher 
Einigung auch wegen der höhern volksthümlichen und 
geiftigen Intereſſen. Denn von der innigern PVereinba- 
zung aller beutihen Volksſtämme zu gleicher Nationali- 
tät, deren Erhaltung und Hochhaltung, hängt allein 
Deutſchlands Unverleglichkeit, Sicherheit und innere und 
äußere Ruhe ab. Niemand wagt ed mehr, dies zu be— 
flreiten; man gefleht es feierlichft ein; allein Worte 
thun es nicht, fondern es muß dazu gethan werden, daß 
die Verfiherungen eine Erfahrung werden. Preußen ſteht 
mit dem übrigen Deutfchland wie beim Bollverbande 
fo in allem Übrigen nicht nur auf gleicher Linie, fon- 
dern follte ihm fogar, weil e8 ber Eräftigfte Staat ift, 
in aller Selbftentwidelung vorangehen. . Preußen und 
Deutfchland können nur beifammen ftehen und fallen, 
weshalb jede Eiferfüchtelei auf Preußen in ganz Deutfh- 
land eine Albernheit if. Bedarf aber Deutſchland mit 
Preußen noch einer einigendern Organifation, um fo 
mächtig gegen Franfreih und Rußland dazuftehen, daß 
nicht einmal eine Drohung, geſchweige denn ein Angriff 
ihnen einfallen fan, fo liegt es Mar am Zage, daß 
Preußen zunaͤchſt einer dem Geifte eines aufgeflärten 
Staatsrehts und achtbaren Bürgerthums entfprechenden 
Staatsverfaffung und einer baburch geregelten Regierung 
nicht entbehren mag, welche Durch ben Einfluß der Lau⸗ 
nen, Liebhabereien, Vorurtheile, Selbfttäufchungen und 
Verblendungen, Läfligkeit im Regierungsberufe und Hin- 
gebung an den Einfluß Anderer, wie ber Eitelkeit, bes 
Eigenſinns oder ber Übertreibung der Regenten, nicht 
aus ihrem regelmäßigen Gleiſe herausgebracht werden kann. 
Wenn heutzutage ein Minifter oder anderer Beamter 
irgend eine Borftellung damit von der Hand zu weifen 
fih herausnimmt, daß ber Redner oder Verfaffer in der 
Staatsverwaltung nicht hoch genug ftehe, um bie Sache 
zu verftehen und darüber ein Urtheil zu haben, erregt 
felhe Anmaßung nit einmal mehr MWerbruß, fondern 
nur Lachen und Bemitleibung. Denn feitbem die Staats- 
wiſſenſchaften zur Wiffenfhaft geworden find, find fie 
als folhe auch allgemein zugänglich und Jedem ver- 


fländlich geworden, der fie mit Verſtand betreibt. Es 


Tann mithin Niemandem ein X für ein U gemacht 
werben. 
Daß in Preußen bie dringendften Vorftellungen um 
die Fortentwidelung der Berfaffung vom Königreiche 
Dreußen und den Rheinlanden ausgegangen find, liegt 
in ber Natur ber Sache und e6 gereicht ihnen zur Ehre, 
daß fie ohne Scheu mit offenem Muthe über ein Lan- 
beöbebürfnig zu ihrem Könige ſich ausgefprochen haben. 
Es mürde ein fehr falſcher Schluß fein, deshalb ihre 
Unbänglichleit und Bertrauen in Zweifel zu ſtellen. Beide 
Provinzen find Grenzländer, die, wenn der Staat ohne orga⸗ 
nie Zuſammenhang bleibt und nicht feine ganze Kraftent: 
wickelung erhält, zunaͤchſt der Gefahr ausgeſetzt find, ange: 


griffen und im ſchlimmſten Zalle von der Monarchie getrennt 
zu werden. Sie haben beöhalb das allergrößte Interefle dabei, 
daß die Monarchie in ungeſchwaͤchter Kraft baftehe, daß bie 
verfchiedenen Landedtheile organifh zu einem Ganzen verbunden 
werden, und daß bie größte Einigkeit zwifchen dem Volke und 
feinem Fürſten beſtehe, da man nur die Jahre A806 und 1813 
u vergleichen braucht, um gleich zu wiſſen, was es heißt, da 
eide einträchtig find, und welch ein Unterfhieb zwiſchen feiden- 
dem Gehorfam und freithätiger Mitwirkung ftattfindet. Was fo 
nahe liegt, follte in Berlin nicht überfehen werden koͤnnen und 
ed dort ganz unmöglich fallen, in dem eifrigen Beftreben diefer 
beiden großen Landestheile etwas Anderes finden zu wollen 
als einen vedenden Beweis ihrer Treue und Vateriandsliebe, 
wie ihrer politifchen Verſtaͤndigkeit und Berufsergebenheit. 

Es ift aber wahrhaft läderlih, welchen Schrecken und 
Angft das einzige Wort „Berfaffung” manchen Maͤnnern ein- 
flößt, die noch an der Unverbaulichkeit der Haller'ſchen Lehren 
leiden und fie nit verwinden koͤnnen. Daffelbe bebeutet indef: 
fen nichts weiter als das georbnete und durch die Schrift 
außer Anfechtung geftellte Rechtsverhältnig zwifchen dem Regie: 
renden mit feinen Gehülfen und den Regierten, beftimmt, um 
die Formen der Unterjceidung ber Regierungshandlungen von 
den Privatunteruehmungen ber Regierenben zu fondern und zu 
unterfeheiden und ber Gicherheit und Freiheit der Perfonen 
und des Eigenthums jede Gewährleiftung zn verfchaffen, auch 
dafür, daB ſolche der Staatsgewalt nicht weiter verfallen als 
eben die Staatönothdurft erfodert. Der Berfaflung gegenüber 
fteht die Anarchie und die Tyrannei, dem gefeglihen Buftande 
der gejeglofe und der Gewalt preißgegebene; und doch wird 
der Ruf nad einer Verfaffung als ein Angriff auf die Rechte 
der Krone behandelt, während fie allein im Stande ift, diefelbe 
Dauerhaft zu fhügen! 

Oder wäre ein Recht der Willkür ein gefröntes 
Necht, oder ihre Ausübung eine Befugniß zu ihrer 
Duldung ? | 5 

Je länger gerechten Reclamationen Gehör verweigert wird, 
je dringender müflen diefelben werden und je bitterer die Em: 
pfindung ob ihrer Verſagung. Eben died Gefühl. muß dann 
die Wirkung erzeugen, daß die Unfoderungen in dem. Grade 
gefteigert werden als daraus baB größere Bebürfniß der Ge- 
währleiftung ſich fühlbar mat. 

Bis jetzt noch kann die Regierung feft auf den gefunden 
und guten Sinn des Volks bauen. Unverantwortlich find Die 
Beftrebungen, folchen zu verbachtigen. Beftände er nicht, wäre 
wahrlich ſchon Alles verloren. Ber König ſelbſt kann unmög» 
lich miskennen, daß er in feiner innigften Einheit mit feinem 
Volke allein feinen Ruhm und feine Macht finden und ſich be 
wahren fann. | oo. Ä 
(Die Bortfegung folgt.) 





Literariſche Briefe aus. der Schweiz. | 
1. 


( Befchinb aus Nr. 28.) 
Der Berf. der 
d. Briefe aus der Schweiz über diefelbe. Won einem Freunde 
ber Eidgenoffen und ihrer Freiheit. Erſte Reihe. Belle: 
Due, Verlags: und Sortimentsbuchhandlung. 1845. Gr. 
8. 10 Ror. ' 
klaͤrt feinen deutſchen Freund über die ſchweizeriſchen Buftände 
auf, wobei fih neben einer tüchtigen Sefinnung und einem 
guten Willen viel fchwülftige Phrafenmacherei Andet, Wir 
chweizer follen unfern Rationalftolz haben fo gut wie andere 
Nationen au, aber den Mund fo gar zu vol zu nehmen, 
das fteht uns, befonders in neuefter Zeit, nicht gut an. Wenn 
fid der Verf. darin gefällt, Seiten lang ſehr blumenreich aus⸗ 
zumalen, wo ber echte Schweiger zu fuchen und zu finden ift, 
und bei diefer Gelegenheit au ausruft: „Komm mit mir an 





115 


eins ber vaterlaͤndiſchen Feſte, ſieh wie Die Becher Freifen, wie 
Zreiheit und. Baterland ihre Zubel (?) feiern, wie die Berg: 
daͤche fi einen zu Einem gewaltigen Strome, ber. ausmündet 
in den See der eidgenöffiihen Liebe” fo erinnert Died unwill: 
fürlih an die Reden, die bei diefen. vaterländifchen Feſten oft 
glei reißenden Bagen geb die aber Riemanden zum dans 
dein Hinreißen. . 95 führt der Brieffleller fort: „Der 
Schweizer ‚fühlt ſich nie glüdlicder, nie würdiger, nie arößer 


als wenn er gemeinfam mit feinen Brüdern eins feiner Bun. 


deöfefte feiern kann: alle Gefühle gehen auf in der Einen 
warmen Bruder» und Baterfandsliebe, im. Hechgefühle einer 
Schweizernation!” 

Ja, bas iſt diefer beliebte wohlfeile Feſt⸗ und Zoaften- 
enthuftasmus! Nach gethaner Arbeit ift gut feiern, Laßt ſich's 
„wuͤrdig und groß” fühlen, aber nicht wie bei dem letzten eid⸗ 

enöfhfhen Feſte, dem Freiſchießen in Baſel, nachdem man 
—5* — ſeine Brüder am Trient (im Wallis) hatte ſchlach⸗ 
ten laſſen! | 

Der Berf. gibt zuerft eine geſchichtliche Darlegung der 
Schweizerverhältniffe, wobei er mit dem 14. Jahrhundert bes 
ginnt und auf 56 Seiten bei dem 3. 1845 anlommt, wo er 
ausruft: „Habe ih auch nur etwas von dem alten Wuſt der 
Berleumbdung. weggeräumt, mit dem fchwarze (?) Sefinnungs: 
Iofigkeit das ſchöne Land (die Schweiz). umgürtet, ich fühle 
mid glüdlicher als Herakles nach dem Säubern des Augias⸗ 
falls!” Ob fh ſchon Semand eine Borftelung von diefem 
Herculiſchen Stüde gemaht hatt Das ift wol nur einem 
Sohn des frällereichen Hirtenlandes möglid. 

Zn dem Briefe über die confelfionnellen Zerwuüͤrfniſſe in 
der Schweiz meint der Verf, daß zur Aufhebung der Klöfter 
im Aargau der wichtige Moment, das 3. 1330, verpaßt wor 
den feii. Im 3. 1841, wo die Reaction wieder bedeutende 
Hortichritte gemacht hätte, fei dieſe Aufhebung nicht zeitgemäß, 
alfo unpolitifch gemefen. Bu einer Bundesreform in dem 
Sinne, daß die Aufhebung der Klöfter zu Peiner Zeit hätte 
Widerfpruch erregen können, dazu war das 3. 1830, dieſes 
Sahr des Erwachens, der rechte Beitpunft. Aber damals wa⸗ 
ren vorerft einzelne Cantone zu fehr damit befchäftigt, im ei⸗ 
genen Haufe Drdnung zu fehaffen, ald daß an das Wohl des 
Sefammtvaterlandes hätte gedacht werden können. Beine Re 
generation hat es noch zu erwarten. 

Der Berf. führt einen redlichen Breund des Katholicismus 
redend ein. „Wir müffen Alles anwenden”, läßt er ihn fagen, 
„um das innere Pirchlich-gläubige zeligiöfe Leben unferer Ka: 
tholiten gegenüber einer indifferenten laren Moral, einem ri 
gorofen, eißfalten Rationalismus zu retten’; und antwortet 
unter Anderm hierauf: „Laffe man dem Volke feinen Glauben, 
feine liebedolle Kindlicykeit, fein leifes Flüftern” u. ſ. w. Bas 
iſt das, leifes Flüſtern? beim Ableiern des Rofenkranzes viel- 
leicht, bei feinen lateiniſchen Gebeten? die konnen wahrhaftig 
dem armen Volke einen Troſt gewähren! Es muß ihm et⸗ 
was Anderes geboten werden, ihm, das bis jegt — um dieſes 
Mal einverftanden mit demBerf. zu.reden — „in feinem klei⸗ 
nen zerrifienen, zerfnitterten Leben keine Sabbathtage des Gei⸗ 
ſtes hat, das Leine Geſchichte Pennt an der es ſich erheben, 
teine Philofophie in die es fich verfenden, Beine Kunft an der 

ed ſich erquicken kann!“ Wir flimmen weiter dem Berf. von 

zen bei, daB es ein Unfinn iſt, dem Wolfe die Freiheit ge 

en zu wollen, indem man ihm die Neligion nimmt. ber 
eine wahre Steligion befteht nicht in einem füßlichen, ver- 
fchroommenen Gefühlsieben, „in leifem Ylüftern‘‘, fie muß, fi 


ihrer klar bewußt, ftärkend und tröftend ſich nad, innen, Praf | 


tigenb und handelnd fi nach außen bewährend, Hand in 
Dand mit ber Freiheit gehen! 

. Wenn man die neuere Gefchichte der Schweiz ins Auge 
feßt, fo muß man mit dem Verf. einfeben, daß fie an dem 
Bund von 1815, einem Werke des Wiener Congreſſes, Beinen 
Präftigen Bund Hat, daß fie „ein Häuflein Miniaturrepubfißen 
bildet” und „keine einige ſtarke Schweiz‘. Alle Bemühungen 


zur Reviſion und Megenerafion biefed Bundes find bis jegt 
und zum Theil an den Machinationen des Ultramontanismus 
gefheitert. Der Grund hiervon liegt darin, daß bei den wich. 
tigften öffentlihen ragen jede Stimme eines der Meinen, meift 
vom Klerus beherrjchten Cantone gleih viel gilt wie die 
Stimme der 10-30 Mal flärker bevölferten großen Cantone; 
dag alfo die Macht des Ultramontanidmus bei einer Bundes» 
teform, wonad die Mehrheit der Bevölkerung das Übergewicht 
erhielte, gebrochen würde. Gin weiterer Grund, daß die hier⸗ 
auf gielenden Bemühungen fcheiterten, Liegt in der Eiferfucht 
der Heinen auf ihr Urſchweizerthum pochenden Gantone gegen 
bie größern, deren Übergewicht fie, als ihnen zu nahe tretend, 
nicht wollen gelten laflen. Dazu kommt der Keligionspaß ge 
en die zeformirten Gantone, worüber der Verf. fagt: „Die 
innern Cantone ſehen in den Völkern der äußern nicht den 
Schweizer, den Eidgenoffen, fondern a priori den Reformirten, 
ben Keger; dad Voik hat Feine Schuld hieran: es ift einfältig, 
brap, bieder, feine Hetzer und Zreiber find ſchuld, Die Zöglinge 
und Jünger einer Inqutfition, die Laufende von Mitchriſten 
dem Schaffot überliefert.” 

.Dieſer Haß würde fich zwar durch eine Bundesreform wie 
die eben angedeutete im Anfange cher fleigern als mindern, 
aber er würde doch ohnmaͤchtig und unfcädlich gemacht duch 
eine tüchtige Bundeögewalt, die, wie der Verf. ſehr gut fagt, 
„die ſcheinbare Gleichheit der verfhiedenen Stände (Gans 
tone) aufheben, dafür.aber die reale in der gleichen freiheit 
Auer geben würde”. Seiner Unfiht nah Hätte fich bei 
ber Antijefuitenbewegung eine der mächligern Regierungen an 
die Spitze feten und die Initiative ergreifen follen. Alsvann 
wäre „in Fürzefter Beit die Sache zu Ende geführt, Luzern 
ſich felbft wiedergegeben, der Jeſuitismus unterdrüdt und daß 
Mittel geboten worden, eine Bundesreform durchzuführen. 
Man fage mir nicht, ed hätte einen Religionskrieg abgeſetzt; 
wenn ihr noch ein Jahrhundert zuwartet, wenn ihr bie Jeſui⸗ 
ten jich fein behaglich einniften laflet im Kerzen des Landes, 
eine Reform des Bundes wird immer ben Katholiten ald et⸗ 
was hoͤchſt Religionsgefährliches vorgeipenftert (ein. ganz gutes 
neued Wort!) werden.” Der Verf. hat vergefien, Daß bet der 
Antijefuitenbewegung auch die fremde Intervention habe genug 
„vorgeſpenſtert“ wurde, wodurch ſich die größern Gantone abs 
halten ließen energifch zu handeln. 

Bei Erwähnung der Thatſache, daB das liberale Princip 
im Canton Zuͤrich die Oberhand gewonnen, ift noch etwas zu 
berichtigen. Es Heißt da S. 61, daß Bluntſchli fich mit 
„Freuden“ aus der Regierung aurüdgezogen habe. Uber die 
Rachrichten über den Seelenzuftand des bei der Buͤrgermei⸗ 
fterwahl Durchgefallenen und über feinen Abtritt Iauteten feis 
ner Beit ganz andere. Segen die Behauptung des Berf., da 
Bluntfchli „ein Mann von ausgezeichnetem Geifte, rin ſcha 
finniger Dender” fei, was er ſich wol von Iefuiten und Je⸗ 
fuitenfeeunden einreden ließ, in deren Mund jebes Lob eine 
Verleumdung ift, gegen biefe Behauptung hat ſich der „gebil⸗ 
dete Staatsmann‘ grümdlih genug ſelbſt vertheidigt durch 
feine „‚Pfochologifchen Studien über Staat und Kirche” (1844). 


Eine andere Stimme für die Bundesreviſion in der 
Schweiz läßt fih vernehmen in einem in zwanglofen Heften 
erfcheinenden Schriftchen, das den Zitel führt: 

6. Fliegende Blätter vom Bodenfe. 1845. Nr. I u. 2. 
Belle⸗Vuer, Verlags» und Sortimentsbuchhandlung. 1845. 
Sr. 8. 3%, Rar. 

Es heißt darin über den erwähnten Gegenftand, daß je 
der wohlmeinende und einfidhtsnolle Schweizer von der Anficht 
durchdrungen fei, daß, fo lange der Bund von 1815 fortbeftehe, 
kein Heil und keine Rettung von den der Schweiz unaus⸗ 
weihbar drohenden Gefahren zu finden ſeiz daß aber dennoch 
die Schweizer ſich in ohnmaͤchtiger Unterwürfigfeit vor dem 
Bögen biefer aufgezwungenen Bundesverfaſſung Frümmten und 
ed nicht wagten — aus Furt vor dem Gefpenfte einer frem⸗ 





116 


Yen Einmiſchung — ihre Angelegenheiten nad) befter Einfſicht 
ordnen. 

” Aber nad Lamartine's Anficht Hätte die Schweiz von 

franzöftfher Seite Feine hindernde Einmifgung au erwarten, 

fondern eher eine ſchuͤgende gegen die anderer Mächte, wort, 

‚ wie er beweift, Frankreich ebenfo wol das Recht habe als dies 

auch in feinem eigenen Intereffe liegen würde. , 

Wenn au für jetzt noch Peine Ausfiht für eine Bun⸗ 
desreform vorhanden ift, fo wird der Tod Lubwig Philipp's, 
der jedenfalls Europa in eine Eritifche Lage verfegen und ben 
Scoßmähten mit fi felbft je thun geben wird, auch für bie 
Schweiz den rechten Zeitpunkt herbeiführen, durch eine Präftige 
Bundesreform fich felbft zu retten vor einer drohenden Anar- 
die, vor ihrem eigenen Untergange. Auf diefen Zeitpunkt war: 
ter denn audy die einfichtsvollen Staatsmaͤnner und Politiker 
der Schweiz, denn ein günftigerer koͤnnte nicht leicht wieder 
eintreten. 

Der Deutſch⸗Katholicismus hat ſich bis jegt in der ſchwei⸗ 
erifchen Literatur wenig bemerklich gemacht. Die Schweiz 
dat zuerſt noch gar viel vor ihrer eigenen Xhür zu fegen, 

e fie Etwas, das nicht aus ihr felbft hervorgegangen, ber: 
einlaffen kann. Nur ein Blatt, das in Bafel⸗Land, dem klei⸗ 
nen Laͤrmceanton, erſcheint, die „Vaterlaͤndiſche Zeitung“, oͤff⸗ 
nete ihre Spalten der Beſprechung über die neukatholiſche Be⸗ 
wegung. Im katholiſchen Canton Zug fanden vor einiger Zeit 
Berfolgungen ftatt wegen des Verdachts der Berbreitung 
Ronge ſcher Schriften. 

Bei ihrer Reiſe nach Süddeutſchland traten Ronge und 
Dowiat, vom badiſchen Boden verdraͤngt, im Thurgau auf, 
‚unter großem Zudrang ber Bevölkerung ber Umgegend, bie 
den Reformatoren mit großer Aufmerkfamteit und großem Bei 
fa zubörten. Übrigens dürfte die deutfch:Fatholifche Bewe- 
gung erft im Zufammenhange mit politifhen Greigniffen und 
mie dee Gründung eined neuen eidgenöfiiichen Bundes weit 
verbreiteten Eingang in der Schweiz finden. Und diefe Er» 
eigniffe Bönnen nicht ausbleiben. Die Geſchichte fteht nicht 
ft und wenn es aud) einzelne Hemmungen auf Dem Wege 
zum Licht, zur Wahrheit und Freiheit gibt, die Völker verlie 
zen jetzt nicht mehr ihr Biel aus dem Auge, fie halten es feit, 
fie fehreiten vor! 5. 


Literarifihe Notizen aus Frankreich. 


Sur Geſchichte der Seele. 

Das wunderbar phantaftiiche Zreiben, wie es fih im 
Traumleben und in einem gefteigerten Grade noch im trunke⸗ 
nen Zuftande entfaltet, ift ein Problem, welches die Wiflen- 
fehaft niemals völlig zu löfen im Stande fein würde. Es han: 
delt fih bier um ben unerklaͤrlichen Bufammenhang zwiſchen 
Leib und Seele, und es fteht zu erwarten, daß bad geiflige 
Band, welches zwifchen beiden Factoren befteht, wol für im- 
mer dem Secirmeſſer menſchlichen Verſtandes entihlüpfen wird. 
Immerhin müflen wir aber alle auf wirklich wiſſenſchaftlichen 
Grundlagen beruhenden Beiträge zur Kenntniß der krankhaften 
oder überreizten Sceelenzuftände mit Dank annehmen. Wir er: 
halten in einer vor kurzem erfihienenen Schrift einige wichtige 
Beobachtungen diefer Art, welche fi auf den fonderbaren be: 
rauſchten Zuſtand beziehen, in den fi die Drientalen durch 
den Genuß des Hafchifch zu fegen pflegen. Diefe intereffante 
und inhaltöreihe Monographie, in der zugleich auch wichtige 
Punkte der Geiſteskrankheiten erörtert werden, führt den Zitel: 
„Du hachisch et de l’alienation mentale, «tudes pay- 
chologiques”, von Moreau. Hoaſchiſch ift ein ſehr ftarker 
©rtract, welcher aus einer dem Hanfe fehr ähnlichen Pflanze 
(Cannabis indica) gewonnen wird. Der Genuß defielben wir 
eigenthümlich beraufchend. Derjenige, welcher fih in dieſer 
fonderbaren Trunkenheit befindet, glaubt die wunberbarften 
Bilder vor feinen Augen vorübergleiten zu ſehen, die himm⸗ 


Hope Mufit berührt fein Ohr und es M ihm, als wäre er 
völig den irdifchen Berhältniffen entrüdt. Die finnlichen Ein- 
drüde, welche in Menge ihn eindrängen, verwirren fi. 
Er hört die Farben und fieht die Zonfiguren. Der Berf., Arzt 
bes Hofpitald von Bicktre, ber fi) längere Beit ini Drient 
aufgehalten hat, ift im Eifer für die Wiffenfchaft fo weit ge- 
gangen, daß er Verfuche über die Wirkung des Haſchiſch an 
rich felbft angeftelt hat. Beine Schilderungen verdienen des⸗ 
halb allen Glauben. 


Blängende Berhältniffe der franzöfifhen Thea” 
terdichter. 

Die leidige Frage in Bezug auf die Zantieme bei Buͤh⸗ 
nenvorſtellungen, die bis jegt weder für die Autoren und Com⸗ 
poniften noch für das Theaterpublicum ein erkleckliches Reful⸗ 
tat ergeben haben mag, bat in neuefter Seit die Aufmerkfam« 
keit wieder auf die franzöfifchen Theaterzuſtaͤnde gelenkt. Nicht 
ohne eine leife Anmwandlung von Reid fieht man, wie hier die 
Berhältniffe fih ganz anders geftaltet haben. Die glänzenden 
Einnahmen, deren ſich die franzoͤſiſchen Dichter und Mu 
um Theil erfreuen, waren Schuld daran, daß unfere deutſchen 

utoren, als von einigen Bühnen Vorfchläge in Betreff der 
Zantitme gemacht wurden, ſich gleich goldene Berge verfpra- 
den. Diet fhönen Hoffnungen haben ſich nicht verwirklicht, 
und nun iſt die Entrüftung gegen die Bühnenvorflände, gegen 
das Yublicum, kurz gegen ale Welt im Lager der fchönen Ki: 
teratur groß. Vielleicht wird ein Peiner Beitrag zur Kennt» 
niß der ungebeuern Progreffion, in der fig für die franzoͤſiſchen 
Autoren die Dividenden vermehrt haben, nicht ohne Jntereſſe 
fein. Beaumarchais erhielt laut Rechnungsbuch des Theätre 
francais für fein „Mariage de Figaro‘, zu deſſen Vorſtellun⸗ 
en fich ganz Paris drängte, nur 6114 Franıs 9 Sous. Das 
iftorifche Luftfpiel „Pinto brachte feinem Verf. Ripomucene 
Kemercier, 6210 Fr. Raynouard, der befannte Linguift, hatte 
für feine „Templiers’ bereit8 eine @innahme von 22,275 Fe. 
Der „Sylla’ von Jouy warf dem Dichter die anfehnliche Summe 
von 26,260 Br. ab. Aber alle biefe Güte wurden vom Er⸗ 
folge der „Ecole des vieillards” noch überboten. Diefed Stück 
verſchaffte dem Dichter Eafimir Delavigne eine Einnahme von 
36,822 Wr. Gegen folhe Summen fiheint dad Honorar unfes 
rer Theaterdichter ein Almofen, welches man cinem Krüppel, 


der am Wege fit, in den Hut wirft. 


Erinnerungen an die Kaiferzeit. 

Der Lefer hat wol einige jener alten Eifenfreffer kennen 
gelernt, die in ſtolzer Müderinnerung eined verblihenen Ruh⸗ 
mes mit felbftgefältiger Schwagbaftigfeit von den Zeiten reden, 
wo fie noch im Dienfte der Großen Armee ftanden. Sie wiflen 
fo Vieles zu berichten, und wenn man auch einige gelinde 
Zweifel gegen ihre Glaubhaftigkeit nicht unterdrücken kann, fo 
täßt man fie, um ber heitern Unterhaltung willen, gern ge» 
wahren und rechnet ihnen ihre &elbfibefpieglung nicht zum 
Rachtheil an. Diefer Art von Menſchen gleicht Marco be 
Saint Hilaire, der aus dem unverfiechlichen Schahe von Anek⸗ 
boten aus der Kaiferzeit immer Reues aufzutiihen weiß. Die 
Zahl feiner Werbe, welche auf die NRationaleitelleit der Fran⸗ 
zofen berechnet find, die gern von ihren eigenen Grofithaten 
fich berichten laffen, ift Legion. Die Art und Weife und im 
Grunde auch der Stoff bleiben immer bdiefelben. Der Verf. 
fährt fort, aus feinem unerſchoͤpflichen Farbentopf die allbe 
kannten Geftalten mit fabrifartiger Fertigkeit zu zeichnen. Ver⸗ 
gebt würde ber Hiftoriker hier wahrhaft Neues oder Brauche 

res fuchen; denn Alles iſt bier ja nur auf den unverwoͤhn⸗ 
ten Magen und den unerfättliden Heißhunger des großen 
Publicums berechnet. Das neuefte Product feiner raftiofen Fe⸗ 
der trägt ganz das Gepraͤge feiner frübern Leiftungen dieſer 
Art und unterfcheidet ſich von denſelben eigentlich nur durch 
den Xitel, der alfo lautet: „Elistoire anecdotique, politique 
et miülitaire de la garde imperiale”’ (30 Lief.). 17. 


Verantwortlier Deraudgeber: Heinrich Brockdans. — Drud und Berlag von F. X. Brockhaus in Leipzig. 


Blätter 








fir 


literarifhe Unterhaltung. 





Zreitag, 








Die europäifhen Staaten nah ihren inriern und 
außern politifchen WVerhältnifin, von Bülow: 
&ummerow. Ä 

( Bertfekung aus Nr. 20.) 

Darin eben befteht der mefentliche Unterfchieb ber 
vormaligen Landſtaͤnde, daß jeder berfelben feine eigenen 
politifchen Gerechtfame befaß, bewahrte, vertheidigte und 
zu mehren ftrebte, hiermit aber fowol untereinander als 
ber Regierung gegenüber in einem ſich mannichfach durch» 
freuzenden unb beſchränkenden Rechtsverhältniffe ftand, 
bahingegen die neuen Stände durchaus nichts weiter 
find als die gemeinfamen Stellvertreter des Volks zum 
verfaffungsmäßig gemeinfamen Betriebe der Staatsange- 
tegenheiten, weshalb denn auch jebe Trennung derfelben 
in verfchiedene Kammern oder Gollegien diefe Einheit 
nur wieder aufheben und zerftören, mithin mit dem 

Zwecke felbft in Widerſpruch treten würde. Das ge 

fanmte Bolt als eine politifche Einheit kann auch nur 

in einem einzigen Organe feine Stellvertretung finden 
und fih ausfprechen, bei deſſen Zufammenfegung alle 

Beftandtheile berudfichtigt fein müſſen, worauf Rüdficht 

zu nehmen ifl. Es würde aber auf unrichtige Stellung 

der Regierung und Volksvertretung binauslaufen und 
hiermit Verwirrung und Schwächung ber Kraft verur- 
fachen, wenn ber legtern irgend eine Theilnahme an ber 
ber erſtern ausſchließlich zuſtehenden Landeshoheit und 
allen darin begriffenen Rechten eingeräumt oder gar eine 

Zertheilung derſelben beabſichtigt würde. Der ganze 

Beruf der Staͤnde ſoll und darf nicht weiter gehen als 

1) auf bie Heilighaltung der Geſetze überhaupt, inſon⸗ 

derheit aber der durch die Verfaſſung beſtimmten For⸗ 

men der Regierungshandlungen und ber treulichen Ad- 
tung der aufgeftellten Gemwährleiftungen für die Sicher- 
beit und Freiheit der Bürger und ihres Gigenthums, 
zu halten, bergeftalt, daß hierin ohne Zuftimmung der 
Stände nicht das Mindefte geändert noch außer Kraft 
gefegt werden, auch durch fürftliche Nacbfiht und Gnade 
eine Übertretung unftrafbar gemacht werben kann; fer- 
ner 2) daß kein Gefeg eingeführt werben kann, bevor 
nicht das Land darüber in allen feinen Beſtimmungen 
mit feiner Nothdurft, feinen Wünfchen, feinen Gutac- 
ten und Einwendungen in öffentlicher Berathung ver- 
nemmen worben ift, was ſich ebenfo auf alle auszu- 





fegreibenden Leiflungen und felbft auf die Reglements 
für die Behandlung aller öffentlichen Angelegenheiten 
erſtreckt, ohne jedoch dadurch die Gefeggebung zu binden 
ober ſich darin einzumifchen; nicht minder 3) daß burd) 
fie zur amtlihen Kenntniß der Regierung Alles gebracht 
werde, was als ein Bebürfniß oder eine Beſchwerde 
von ben Ständen anerkannt und wofür Abhülfe durch 
fie begehrt wird; endlih daß 4) bie ganze Staatsver- 
waltung ihnen nit nur von felbft —288— von 
ihrer Geſchaͤftsführung ablege, ſondern fie auch dieſelbe 
in Dem controliren, woruͤber ihnen nichts berichtet wird, 
ſodaß ihnen auf Verlangen über jede Staatsangelegen⸗ 
heit Auskunft und Nachweis gegeben werden muß, und 
auf ihren Antrag Dasjenige, was ſie für unverantwortlich 
erachten und als ſolches anklagen, zur Entſcheidung des 
Staatsgerichtshofs geſtellt wird. | 

Dies Leptere ift unftreitig das Wichtigfte, aber auch 
eben Das, weshalb fo viele Minifter und hohe Beamte 
fi) fo gewaltig dagegen flemmen. Denn es verhindert 
nicht nur, daß der Regent durch unrichtige und lücken⸗ 
bafte Berichte getäufcht werden kann, was jegt fo un- 
gemein leicht ift, und daß bie Beobachtung der Geſetze 
weder umgangen noch nachgefehen werben Tann, fonberm 
es verfcheucht auch mit einem Male alle Berheimlichun- 
gen in der Betreibung ber öffentlihen Verwaltungsan⸗ 
gelegenheiten, ftellt die gefammten Beamten bes Landes 
unter die Controls ber öffentlihen Beauflihtigung und 
zerflört die Eigenmaht und Xyrannei in ber Bureau- 
Pratie, worüber fo laute Klagen gehört werden. Der 
Regent aber bleibt in feiner vollen Souverainetät unbe- 
einträchtigt und dieje durchaus unverfehrt. 

Zu ben großen Irrthümern der newern Zeit gehört 
auch die Gegeneinanderftellung ber hiſtoriſchen und phi⸗ 
loſophiſchen Anfihten, als wenn irgend etwas darin, 
daß es gefchehen ift, eine Berechtigung erlangen koͤnnte, 
daß es auch ferner ober wieder gefchehen müffe, ober 
als wenn irgend etwas, was geſchehen ift, Dadurch un- 
gefchehen gemacht werden koͤnnte, daß es nicht fo ge- 
ſchah wie es hätte fein follen. Die Politik und die Ge- 
feggebung bedürfen ber Gefchichte und der Philofophie 
gleich fehr zu ihrer Thätigkeit; bie erſtere, weil nichts 
in die Luft geftellt werden, fondern feine fefte Stelle 
nur auf einem Boden ‚finden kann, den irgend eine 


118 


Bergangenheit fihon eingenommen bat, von deren Be⸗ 
ſchaffenheit es abhängt, ob das Neue dort Play finden 
und ihn behaupten fann oder welches von beiden ihn 
räumen muß; die andere aber eben darum, um banad) 
bie. Befchaffenheit des Beftehenden zu beurtheilen und 
zu befiimmen, ob und welcher Abänderung und Verbeſ⸗ 
ferung es bebürftig ifl. Denn das Schlechte hat nie 
einen Anfpruch auf Erhaltung, das Beffere aber einen 
foihen auf feine Einführung nur dann, wenn. diefe ohne 
Unrecht und nad den Umfländen ausführbar iſt, meil 
zum Unftatthaften keine Verpflichtung vorhanden fein kann. 
Hiernach ſcheint denn Preußen berufen dazu, auf dem 
Grunde feiner Bergen enbeit und des Beſtehenden, und ger 
wigigt durch bie fabrungen anderer Voͤlker, mittels einer 
zubigen Reform eine Verfaflung zu erlangen, welche auf der 
einen Seite der Monarchie ihre ganze Kraft bewahrt und auf 
der andern Seite die wirklichen Bedürfniffe des Volks befrie⸗ 
digt. Eine folhe darf in keinem Stüde eine Nachahmung 
fremder Modelle werden, fondern fie muß aus dem Boden des 
Baterlandes und dem eigenthümlichen Geifte feines Volks er: 


wachſen und gefihichtlihe Srundlagen haben, ohne veraltete 
Formen erhalten oder nachäffen zu wollen. 


Nirgend ift das Nachahmen bedenklicher und geführ- 
licher, weil in jebem Lande und in jeder Zeit die Der- 
hältniffe verſchieden find, bei einer fo allgemeinen orga- 
nifchen Geftaltung aber alles Einzelne eingreift, aber auch 
darum, weil die Staatöverfaffungsmiflenfchaft zur Zeit 
ber Entftehung der vorhandenen Conſtitutionen ſich noch 
ganz in der Kindheit befand und die Erfahrung diefel- 
ben als fehr unzufriebenftellende Verſuche gezeigt hat. 

Die ftändifhe Monarchie, auf perfönliche Freiheit und ei: 
nen geficherten Nechtözuftand gegründet, verbindet alle Anfode: 
rungen und ift die Erfüllung des Kampfs der Beit. Preußen 
Tann feine Stellung und europälfche Bedeutung nur durch die 
Erneentration aller feiner Kräfte, der geiftigen wie ber phyſi⸗ 
Shen en Zur jene ift Die Monarchie Grundbebingung ; 
die Kraft aber beruht vor Allem in einem kernhaften Volke; 
aber nur ein freies Volk fann ein kerniges fein und bleiben. 

Preußen bat alles Material zu feiner Wohlfahrt und Größe 
wie wenig andere Reiches es befindet fih in einem nicht zu 
verkennenden Gährungsprocefie und an einem bedeutungevollen 
Scheidewege. Die Wahl follte nicht zweifelhaft fein. Der 
eine Weg ift der der Blinden und führt in eine düftere Zu: 
Eunft, überläßt dem Zufalle das Schickſal des Baterlandes und 
mit ihm Deutichlande. Der andere Weg führt zum Frieden 
und zum Heile; ihn an der Hand ber Staatsffugheit mit fe: 
ſtem Schritte zu wandeln, ift die Aufgabe, die der hohe Lenker 
der Schickſale einem Fürften geftellt hat, audgerüftet mit allen 
Saben, feine große Beftimmung zu erfüllen. 

Mit Recht hat der Verf. bei Deutfchland und 
Preußen fih länger verweilt als bei allen andern Laͤn⸗ 
bern, weil bie Macht berfelben bei Einigkeit und inne- 
rer Ruhe hinreicht, auf dem Feſtlande von Europa je- 
ben Kampf zu verhindern und den Frieden zu fichern. 
Nur ein Seekrieg, hauptſächlich durch außereuropäifche 
Intereffen angefacht, bliebe noch in Ausfiht. Anders 
aber fteht die Sache, wenn Preußen und Deutſchland 
eine gaiise Stellung einnehmen. Dann ift das Gewicht 
der Macht von Frankreich und England von Belang. 
Gegen jeden Angriffsktrieg ift Frankreich gefichert Durch 
feine Größe und durch die Tapferkeit der. Nation; aber 
außerdem ft es ſchwach durch die Zerriffenheit der Par- 





.” 


teiungen, durch bie Gewalt des herrſchenden Egoismus 
and buch die Eitelkeit und Unbeftändigkeit bes Volks, 
wodurch es fih allen andern Völkern entfremdet hat 
und ohne Buündniß allein fteht. 
Klugheit Hat fein jegiger König es im Friedenszuſtande 
‚zu erhalten verflanden. 


Mit ausgezeichneter 


Dod das genügt nicht, da er 
12 Jahre alt ift, darauf zu rechnen, daß dies ferner ge⸗ 
lingen werde. 


 . Rußland, fo ungeheuer feine Ausdehnung ift, und 


fo wenig verwundbar feine Wildniß, darf doch eben des⸗ 
halb, wegen feiner innern Verwaltung und der geringen 
Zahl eigentliher Staatsbürger, und wegen bed Krebs⸗ 
fhadens, den es durch die Einverleibung Polens fich 
zugezogen hat, nad) außen für jept Beine Beſorgniſſe er- 
regen. Damit ift indeffen die Gefahr nicht uͤberwun⸗ 
ben, momit bie Zukunft vermöge feiner argliftigen Po⸗ 
litik bedroht. 

Das Eräftigfte und mächtigfte Volk mit der fefteften 
Regierung enthält Großbritannien, deſſen infulare Lage 
es jedoch außer Anfechtung des Feftlandes ſtellt. Allein 
feine Bandelsintereffen können bedrohlihe Reibungen 
verurfachen. Inzwiſchen hat die fortgefchrittene Einficht 
der Politik dort fehon die Richtung zu geben angefan- 
gen, daß bie Fleinliche Selbftfuht und Gewalt, womit 
es bisher ſich zu monopolifiren geftrebt hat, feinem Ab⸗ 
fage felbfi nachtheilig werde und daß es benfelben am 
beften durch freie Dandelsconcurrenz ficher ftelle. Gebt 
es auf diefer Grundlage fort, fo eröffnen ſich fchöne 
Ausfihten für den Verkehr und für die Aufrechthaltung 
bes Friedens. 

Denn bisher bat ji das ganze Syſtem der europäifchen 
Politik durchgängig fowol im Allgemeinen als insbefondere in 
der des Handels als eine felbftfüchtige und feindliche, als eine 
Art verſteckten Kriegszuftanded erwielen, während im Inter: 
effe der Völker von einigem Bildungsgrade bdiefelbe friedlich. 
fein folte. Der Cine ſuchte den Andern zu bevortheilen, ihm 
bie Gelegenheiten des Berdienftes zu entziehen, feinen Verkehr 
zu beengen. Wenn die Völker ihren wahren Bortheil erfen- 
nen, muß an deflen Stelle cin aufrichtiger Induftriewetteifer 
treten, indem der den meiften, aber auch wohlverdienten Bor» 
theil bezieht, der am wohlfeilften bie befte Waare liefert. . 
Nur ein die erft aufleimende Induftrie noch fchügender Ein» 
gangszoll oder Ausführprämien koͤnnen dabei fortbeftehen; 
Ausſchließungsmaßregeln gar nicht weiter. Wenn daher au) Eng- 
land die Macht befigt, den. Handel anberer Länder zu unterbrüden, 
wird bie Luft Dazu in ihm in dem Grade geringer werden, als 
die Aufflärung zunimmt und es belehrt, wie es feinem wah⸗ 
ren Interefie Dadurch nicht nur direct fchabe, fondern auch da⸗ 
mit alle Seemaͤchte am Ende zu einer Eoalition nöthigen 
würde, um die Univerfalfeeherrfhaft zu brechen, wie Europa 
zufammengetreten ift, um bie Wlleinberrfchaft Napoleon's zu 
überwinden. 

Gerade die Gemeinfamkeit und Wechfelfeitigkeit ber 
Vortheile des freien Handels ftelt England auf den 
Punkt, fich immer mehr aufrichtig mit allen Regierun- 
gen zu befreunden, die ihm dazu die Hand bieten, fich 
hingegen von denjenigen abzumenden, bie fie ihm verfa- 
gen. Aus diefem Geſichtspunkte erfcheinen Deutfchland 
mit Preußen und England als von der Natur Alliirte, 
und fie werden es immer mehr auch werben, je weniger 


119 


Peinliche Eiferſucht, Misgunft und Eigennug die Maren | 


Ginfihten einer richtigen Hanbelspolitit trüben werben. 
11. „Welthiſtoriſcher Beruf der Völker.” Es ift 
wol ſehr ſchwierig, hierüber. ohne alle Einmiſchung ber 
Phantaſie umb vorgefaßter Meinungen etwas Beftimm- 
tes und unverkennbar Richtiges anzugeben. Auch möchte 
es faum genügen, nur’ einfeitig aus diefem oder jenem 
Standpunfte die Anfiht zu wählen, fondern es muß 
sch nach allen Seiten hin umgefhaut, und daher in 
allen den wefentlichen Richtungen, welche der Beruf der 
-Bölker verfolgen kann und zu verfolgen hat, das fie 
Unterſcheidende und fie Sondernde oder Verbindende zur 
Anfhauung gebracht werden, wogegen Alles, was die 
GSelbfterhaltung und die innere Ausbildung jedes Volks 
angeht, mit Recht hier übergangen wird, weil fie hierin 
einander gleichfiehen, was denn auch der Verf. gethan 
bat. Um nun den eigenthümlichen Beruf jedes Volks 
zu ermefien, ift fein geographifcher Standpunkt in ber 
Melt unftreitig von ber größten Bedeutung, jedoch nicht 
der allein in Betrachtung fommende, weil der Menfch 
nicht blos im Naume, fondern aud in ber Zeit lebt, 
und weil feiner Berufung ein willfürlicher Anfang in 
irgend einer beliebigen Zeitepoche vorgefchrieben, fondern 
derfelbe nur aus dem Urfprunge, der Geſchichte und ber 
entwidelten Nationalität eines jeden Volks abgenommen 
werden kann. Infofern nun ber Verf. Tedigli Die 
Ortlichkeit der dermaligen Heimat der Völker zur Grund» 
Tage feiner Betrachtung genommen und diefe nur auf 
eine von allen ben Aufgaben gerichtet hat, die das 
Bolksieben in ſich faßt, konnte dieſer Abfchnitt weder 
erfchöpfenb noch ausreichend werden. Sein angenommie- 
ner Standpunkt ift ein fehr hoher, ja der höchfte, immer 
aber doch nur ein einfeitiger. Wohin aber der Verf. 
jedoch feinen Blick gerichtet hat, da hat er klar gefehen. 
Das Höchfte im Menfchenleben ber Einzelnen wie der 
Bölker ift das religiöfe Element, und diefes bat ber 
Berf. Hauptfächlich ind Auge gefaßt. Europas Geſchichte 
und Zuftand bekundet für Daffelbe ihm zufolge den Be⸗ 
ruf, nicht bios mit der Erhaltung und Bewahrung des 
Chriftenthums, fondern auch mit deffen Verbreitung über 
ben ganzen Erbball betraut zu fein. Rußland infonder- 
beit, mit einem Fuße in Europa mit dem andern in 
Afien ftehend, aber nur mit jenem fußen konnend, würbe 
fhon darum feinen Beruf offenbar verfennen, wenn «8 
beabfichtigte, in Europa weiter vorzudringen, da es viel- 
mehr feine Aufgabe ift, felbft durch europäifche Gultur 
ſich erſt innerlich au heben, fie mit dem aftatifchen Sinne 
zu verfchmelzen und fie foldhergeftalt materiell und fpiri- 
tuell nad) Nord - und Mittelafien zu übertragen, damit 
Diefe ungeheuern Streden von gejitteten Menfchen er- 
füllt werden zur Ehre ihres Schöpfere. Deutfchland 
mit Oftreih und Preußen haben durch ihre Stellung 
die doppelte Beſtimmung, nicht nur bie Erhaltung des 
Friedens in Europa zu vermitteln, fondern auch bie 
Grenzwacht gegen das Eindringen des Sarmaten- und 
Slawenthums in die germanifhen Auen zu behaupten, 
wozu Schweden nnd Ungarn durch ihre Flankenſtellung 
mitwirfen, vorzüglich aber bie Golonifirung ber Donan- 


und Balkanlaͤnder durch deutſche Auswanderer ins Auge 
zu faffen iſt. Frankreich hat fein Ziel durch die Be: 
fegung Nordafrikas zu verfolgen begonnen, auf daf von 
hieraus dieſer Welttheil in die Reihe gefitteter Ränder 
übergehe, wie Spanien und Portugal, nachdem fie fich 
erft felbft beruhigt und erholt haben werben, die Mittel 
befigen, benfelben Welttheil von den Oſt- und WWeft- 
küſten aus zu colonifiren. In Südamerika haben fie 
ihre Aufgabe fo fchlecht erfüllt, daß fie darob nicht blos 
biefe ihre Colonien, fondern fich felbft großentheils ver- 
loren haben. Dahingegen hat England für den euro- 
päifchen Zweck nicht nur die ausgebehntefte Thaͤtigkeit 
in Weftindien, Nordamerifa, Südafien und Auftralien, 
fondern auch das meifte Geſchick mit dem beften Er- 
folge entwidelt, weil e8 am meiften die Rechte und 
Rotionalität der Eingeborenen geachtet und ihnen die 
Bekehrung nicht aufgezwungen, fondern nur nahe ge- 
bracht hat; und es wird auf dieſe Weife als der acht⸗ 
barfte Diener der Humanität und ber fie fchirmenden 
Vorfehung verehrt werden müffen, je mehr es felbft bie 
Achtung derfelben aufrecht erhält. Italien und die Tür- 
kei, von dem höchften politifchen Glanze zu völliger Unbe- 
beutendheit herabgeftiegen, fcheinen dermalen feine andere 
Beflimmung zu haben denn als Warnungsfäulen daran 
zu mahnen, wohin die Uneinigfeit und Zerriffenheit ber 
Stammgenoffen und weltliher und geiftlicher Despotis- 
mus die Völker bringt und wie ſchwer die Enkel büßen 
müffen was bie leichtfinnigen Voraͤltern verfchulbet 
haben. Möge zunächft die Schweiz fi) daran ein Bei- 
fpiel nehmen und erftarfen! Aber auch Deutichland, das 
Land ber Germanen, die Rom unter ihre Füße traten, 
als fie noch freie Völker unter ihren Fürſten waren, 
aber vergeblich fich deffen zu bemächtigen ihr Blut durch 
Jahrhunderte verfprigten, als Durch das Lehnweſen und 
die Hoͤrigkeit das Buͤrgerthum aufgelöft worden war. 
(Der Beſchluß folgt.) 


Die franzöfifchen Invaſionen in Oſtreich und bie Fran⸗ 
zofen in Wien in ben Jahren 1805 und 1809. Nach 
den beften Quellen bearbeitet von Karl Auguft 
Schimmer Wien, Dirnböd. 1846. 12. I Zhlr. 


Das ift ein Bud voll treuer, ehrenwerther Gefinnung, 
wie fie dem öftreichifchen Unterthan fo wohl anfteht. In einer 
einfachen, fchlichten Darftellung, die aber überall den Augen» 
zeugen der denkwürdigen Begebenheiten Wiens zeigt, find und 
die Schickſale der Stadt 1805 und 1809 erzählt und eine 
Menge von Einzelheiten aufbewahrt, die in dem Gedaͤchtniſſe 
der gegenwärtigen und der kuͤnftigen Generation erhalten zu 
werden verdienen. Denn der &emeinfinn der Bürger Wiens 
forvie ihre Zreue und Anhaͤnglichkeit an den Kaiſer Franz, 
von dem der alte Pilgerdmann in den „Anemonen“ nicht 
Schlimmes genug neuerdings anzuführen wußte, zeigt fih hier 
in dem fhönften Lite. Auch die Urtheile über die Franzoſen 
find gemäßigt und wir vermiffen nur noch genauere Angaben, 
ald 3. 8. auf &. 121, 122 über die Requifitionen der Fran⸗ 
zofen und überhaupt über den Schaden, den ihre Anweſenheit 
dem Wohlftande Wiend zugefügt hat. Auch folhe Dinge dür: 
fen um der Rachwelt willen nicht vergeflen werden und cha⸗ 
rakteriſiren die Laft, welche allen beftegten Ländern von der 
Habfucht und Beuteluft der Napoleon'ſchen Franzoſen aufge 
bürdet worden ifl. Unter den zahlreichen Armeeberichten, 





120 


Prockamationen und andern Wetenftüdden haben wir mit befen- 
derer Freude die vortrefflichen Wehrmannslieder von Heinrich 
von Collin wiedergefunden, die aus unfern deutfchen Lefebü- 
dern und Gevichtfammlungen für Schulen mit großem Un» 
rechte ganz, verſchwunden zu fein ſcheinen. Faſt ganz neu wa- 
ren md die Kriege: und WBehrmannälieber ven Gafselli, Die 
ebenfalls Dem Jahre 1809 angehören und in denen Viele diefem 
beliebten Dichter auf einem ganz andern Felde, namlid auf 
dem der Vaterlandöliebe und der Waffenehre, mit Vergnügen 
begegnen werden. Colin und Eaftelli waren nad der Weiſe 
der Napoleon'ſchen Kriegführung für dieſe Lieber foͤrmlich ger 
ädytet und mit der Stellung vor ein Kriegsgericht bedroht, 
wenn man ihrer habhaft werben Eönnte. U, 


Notizen aus Italien. 


Ein Ketzerrichter über Paul Garpi. 

Die Societa poligrafica itallana, welche ihren Sig im 
Florenz hat, gibt in neuerer Beit eine Sammlung alter für 
Geſchichte und Literatur wichtiger Werke unter dem Zitel „Opus- 
coli inediti o rari di classici o approvati scrittori’ heraus, wo⸗ 
von der erfte Band bereits erfihienen iſt. Es iſt dies ein fehr ver- 
Dienftlihes Wer, da in Italien, namentlich in Florenz, eine 
unglaublie Menge, Peiner hiſtoriſcher Bruchftüde und kurze 


Chroniken u. f. w. in den Familienpapieren und Archiven der 
angefehenen alten Üdelögefchlechter aufbewahrt werden, die ihre 


Abfaſſung jener Zeit verdanken, wo in den Meinen italienifchen 
Staaten noch reger Gemeinfinn herrſchte und Alles was Kopf, 
Herz oder Hand befaß an den oͤffentlichen Ungelegenheiten leb⸗ 


Baft Theil nehm. Die Klöfter und ftädtifchen Bücherfanmlun: - 


gen enthalten ſolchen Stoff noch weit mehr, deſſen Veröffent- 
lihung noch manche unerwartete Aufſchlüſſe über die Gefchichte 


Der wichtigſte Beftandtheil des erften Bandes diefer Sammlung 
ift jedenfalls ein Bruchſtück des zweiten Theils von Marco 
Koscarint'E Werk über die venetianifche Literatur, wovon be: 


kanntlich nur der erfte Theil veröffentlicht wurde. Ein weiterer 


werthuoller Beitrag find die am Schluffe der Sammlung be: 


findlihen 25 größtentheild bisher noc nicht veröffentlichten : 
Briefe berühmter italienifder Schriftfteller, darunter Päpfte - 
und Eardinäle. Die merbwürdigfte dieſer Briefſchaften ift ein 


Schreiben des Sardinald Domenico Yafflonei an den eben er: 


wähnten Marco Foscarini.”) Diefer Eardinal bekleidete in der , 
erften Hälfte des vorigen Jahrhunderts unter den Päpften Ele: . 
mend XI. und XII. mehre wichtige ftaatSmännifche Amter und, 


war als einer der gelebrteften Leute feines Vaterlandes bekannt. 
Das Schreiben ift vom 3. 1753, 
Berf. datirt und enthält dad Urtheil deffelben über eine ge: 
fhichtlich weit bedeutendere Größe als der&ächreiber und Em: 
pfänger dieſes Brief waren — über Paul Sarpi. Der Brief 
handelt zumeift von der damals eben erſchienenen Literaturge: 
fihichte Foscarini’6, wobei er fi denn über den italienifchen 
Reformator alfo auslaßt: „Was Sie in Ihrer Geſchichte von 
Bra Paolo gefagt haben iſt wenig im Vergleich zu Dem, wyr: 
auf Sie Häufig hingewiefen. Wenn ich aber Ihren Rang und 
Ihre Stellung in Betracht ziehe, fo muß ich annehmen, daB 

Sie ſich vieleicht ſelbſt nicht fo frei gefühlt haben, Alles zu 
“jagen, was gefagt werden mußte. Jene zu Genf gedruckten 
und aus Verona datirten Briefe Deffelben find vollkommen echt 
und beglaubigt, wie ich foldhes bis zur mathematifchen Gewiß: 
heit in einigen Zagen zu erweilen mir getraue, fofern Gott 
mir das Leben ſchenkt. Des fchurkifchen Frater Abficht — ob⸗ 
wol man es ihm laffen muß, daß er im höchften Grad gelchrt 
“war iſt feine andere gewefen, als den Calvinismus in Be: 
nedig einzuführen, und darauf zwedite jede Zeile ab, die er 


ſchrieb. Und dies ift eine andere Wahrheit, welche nicht nur: 


*) Vergl. dieruͤber eine audführlihe Mittheilung von Alfred 
Reumont in Nr. 239 d. BI. f. 1845. D. Red. 


— — 


der appeniniſchen Halbinſel im Mittelalter zu verſprechen fcheint. | Liturgie aller Zeiten in und mit 


dem TI xebendjahre feines . 


Verantwortlicher Herausgeber: Beiurich Wesdhent, — 


von wir bewieſen, ſondern augenſcheinlicher demonftrirt werden 
ſoll als irgend ein Lehrſatz des Cuklid. Ihe großer Dheim, Ber 
baftian Foscarini, hat mir oft erklaͤrt, daß, wenn ih den Be 
nat über diefen Gegenftand haranguirt, des Eifer der Senato⸗ 
sen bewirkt Haben: würde , daß man bed Mouchs Gebeine 
wieder außsgefharrt und aufdem Marcuspiage ver» 
brannt hättel Was ich fage find weder Bermuthungen, 
noch bloße Schlußfolgerungen, noch Deutelungen von gewiffen 
Stellen, fondern verbürgte und unmwiderlegliche Thatſachen. Ich 
war Katholik, ehe ich römifcher Priefter wurde und ſpreche des» 
halb nicht aus Borurtheil (!?). Schenkt mir Gott das Lehen, 
fo ſolen Sie fehen durch Beweiſe, daß ich felbft weniger aus⸗ 
ſpreche als wol weiß.” Der Prölat, dem die Natur noch 
nad biefem Gchreiben acht ganzer Lebensjahre fchenkte, ſcheint 
ua Allem die Erfüllung feines Verfprechens ſchuldig geblieben 
zu ‚fein. . 


Geſchichte der Liturgie aller Zeiten. 

Die während der legten zwei Decennien viel wiederholten 
Berfuche der Parteien des Augsburger Belenntniffes, den li⸗ 
turgifchen Theil des Eultus in feiner Urfprünglichfeit wieder 
zu erfchaffen, gefchaben durchaus in dem Sinne eines GSlau⸗ 
bensſyſtems, dad die Perfectibilität des formellen Ceremoniels 
nicht nur nicht ausfchließt, ſondern fogar gebietet. Auf katho⸗ 
lifcher Seite konnte dergleichen nicht vorfommen, da die Meffe 
mit ihren überreichen Yunctionen als ein Fertiges, nicht wie 
dort als ein Werdendes in der fichtbaren Kirche für die un⸗ 
fihtbare gilt. Doch aber war man auch hier thätig, die got⸗ 
tesdienfilihen Agende von Zufälligkeiten und Zeitlichkeiten zu 
befreien und in ihrer Wefenheit au beftimmen. Zu dem Ende 
bat man in Rom nicht ohne Auffoderung von oben und unter 
Mitwirkung der Fähigften angefangen, eine Gefchichte der 
ihren noch vorhandenen 
Dentmalen (,Storia della liturgia ecclesiastica dimostrata 
coi monumenti di ogni tempo’, Rom 1845) zu publici« 
ren, ein Werk, das Beitend feiner archäologiſchen, ge 
ſchichtlichen, eregetifchen, dogmatiſchen und artiftifchen Beftand- 
theile aller Aufmerkſamkeit auch des ausländifchen Yublicums 
werth iſt. Seine uns vorliegenden Anfänge verfprechen eine 
Arbeit, die in fieben bändereihen &ectionen ihr Geſammt⸗ 
material geben will. Die erfte behandelt im Allgemeinen bie 
fihtbare Ecclefia von ihrem Urfprunge in den SKatalomben an 
bie zu den Seiten Purz vor und nad) Konftantin, die rein grie⸗ 
chiſche, byzantinifche, normännifche, lateinifche, gothiſche und 
Iombardifche des 14. Jahrhunderte in ihren Entwidkelungen bi 
auf die neueften Beiten. Die zweite die den Altar und beflen Ar» 
chitektur bedingende liturgifche Gefchichte, den Modus des Got⸗ 
tesdienftes im Morgen: und Abenblande zu allen Zeiten; cbenfo 
gibt fie eine höchft intereffante Befchreibung aller bei den Func⸗ 
tionen gebrauchten Gefäße, Drnamente u. f. w. mit Driginal- 
abbifdungen. Die britte gibt die Hierarchie in ihrer Kleidu 
bad Mitual ber Krönung der alten sömilchen Bifchofe und ſpa⸗ 
tern Paͤpſte und ihrer Erwählung, die der Kaijer fowie Die 
der Eardinäle, Preöbyter der griechiſchen und lateiniſchen Kirche. 
Die vierte Abtheilung befpricht den Chor, die Ambonen, die 
Sancelli, die Sandelaber für die Paſſahkerze und was fonft 
innerhalb der xuxildes fi findet. Die fünfte das Senato⸗ 
rium, Matroneum und der Narter mit den verfchiedenen Stu⸗ 
fen ber Pönitenten und dem Ceremoniel der öffentlichen Wie⸗ 
derverföhnung. Die ſechste und fiebente Handelt von dem Atrium, 
dem Baptifterium , den Portiten, dem Beftibulum, den Shür- 
men, Glocken u. ſ. w. Der Zert bes Werks ift, nach feinem 
Beginne zu urtheilen, eine fehr gediegene Arbeit; aber daS 
Schägbarfte darin find die überaus originaltreuen Abbildun⸗ 
gen in Kupferſtich von den fehr zahlreichen den Zert erläutern 
den und verftändigenden Monumenten. Diefe kamen vorzüglich 
aus bem chriftlihen Muſeum der vaticanifchen Bibliothek, der 
reichſten Schatzkammer diefer Kunftwerke, aus Venedig, Ravenna, 
Palermo und den bedeutendftien Muſten Europas. 80. 


Deud und Berlag Ho S BR, Brockhaus⸗ in Reipsie. 





Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 


Sonnabend, 





Die europäifchen Staaten nach ihren innern und 
äußern politifchen Werhältniffen, von Bülow» 
Gummerow. 

(Beſchias aus Nr. 3.) 
N. „Grundzüge eines neuen, bem Intereſſe ber 

Bölker entfprechenden, feften politifhen Syſtems von 
Europa.” Wenn irgendwie ein Feld dargeboten iſt zu 
Chimaͤren und Ruftplänen, fo ift es das biefes Abfchnitte. 
Wie indeffen der Verf. in feinem ganzen Werke mit ei 
ner die höchſte Anerkennung verdienenden Befonnen- 
heit, Ruhe und Geradheit ſich überall ausgefprochen hat, 
fo auch hier; und er gelangt zu unmiderleglichen, wenig- 
ftens überaus gefälligen, Schluffägen, weil er von feften 
Tyhatſachen und unumftößlihen Maärimen ausgeht. Er 
mistennt auf feine Weiſe die Schwierigkeit ber Aus: 
führung feiner Vorſchlaͤge, aber er erweift deren Zweck⸗ 
mößigfeit und Angemeffenheit, gibt bie bau Anrihen 
den Mittel an, und zeigt folchergeftalt bie Möglichkeit 
wie die DVortrefflichkeit des Plans. Ebenſo wenig fällt 
ihm ein, daß derfelbe Hals über Kopf zu unternehmen 
fi, fondern er ſelbſt fpricht das Eile mit Weile! 
aus und bringt ed in Anwendung, aber fo, daß Feine 
Zeit unthätig verloren geht, fondern zu ben nöthigen 
Borbereitungen benugt wird. Sehr mahr iſt, daß 
die Idee immer der Ausführung vorausgehen müſſe 
und es deshalb unerlaßfich fei, ſich mit jener vertraut 
und fie klar zu machen. Dies allein will er, fie 
anregen, fie in Ausficht ftellen und zeigen worauf es 
dabei ankommt. ’ 

Ein fiherer, dauerhafter und im fih gerwährleifteter 
Friedenszuftand muß auf ber Anerkennung des Grund⸗ 
fages beruhen, daß die Entwickelung der Wohlfahrt der 
Völker die erfte Anfoderung aller Politik ift, und daß 
diefe nur dann zur Ruhe kommen können, wenn fie ben 
Zuftand unbehinderter Förderung bderfelben erlangt ha⸗ 
ben. Ein gefichertee Rechtszuſtand und ein freundliches 
Hebeneinonderleben der Völker tft alfo nicht eher mög- 
lich, bevor es nicht dahin gebracht ift, baß keinem von 
ihnen unentbehrlihe Bedingungen und Mittel zur Aus- 
bildung und Berbefferung feines Zuftandes vorenthalten 
werben, und daß es ebenfo wenig von ber Gefahr be- 
droht wird, duch auswärtige Übermacht in feinem in- 
nern Frieden geftört zu werben. Dies Letztere iſt barum 


31. Zanuar 1846. 





von fo hoher Wichtigkeit, weil außerdem Ber gemältige 
Drud des gegerimärtigen Zuflandes tnunterbrochener 
Rüſtung nicht aufhören kann, und das Mark ber Laͤn⸗ 
der, wobei nicht blos das Geld, ſondern Mehr noch die 
der Arbeit entzogene Menfchenkraft in Anfchlag zu brin- 
gen ift, auf die Erhaltung ber fiehenden Heere verwen» 
det werben muß, das dadurch der Ernährung ber In⸗ 
duftrie, der Erziehung, den Künften und Wiffenfchaften 
und allen den gemeinnügigen Anlagen und Anftalten 
entzogen wird, ohne welche das Gemeinwohl nicht ge« 
deihen kann. Der jegige Zuftand ift in der Wahrheit 
fein Friede, fondern nur ein Waffenſtillſtand, eine auf 
den Krieg vorbereitete Rüſtung, welcher fchlimmer iſt 
wie ein offener Krieg, der nie ‚fo lange dauern und 


nicht in ber Summe fo viel Toften kann als biefer ver- 


deckte Krieg, hingegen Das, mas er koſtet, durch feine 
Erfhütterungen und Aufrüttelung des Geiftesfchlummere 
wieder wett macht. ebenfalls ift es beffer, einen un- 
vermeidlichen Krieg muthig zu beginnen, fobald man 
zum Angriffe gewappnet iſt, als zaghaft bie Zeit abzu- 
warten, die dem Gegner günftig däucht ihn anzufan- 
gen. Überdies find Bündniſſe dazu behülflih, auch 
ohne Krieg oder in bdemfelben mit größerm Nachdrude 
Das abzunöthigen, was durch denfelben bezweckt werben 
ſoll; und ſolche Bündniſſe können nicht entflchen, mo 
der Zweck fein eigennügiger, ſondern ein gemeinjamer 
ift, dafern nicht die Mitbetheiligten gegen ihr eigenes 
Intereffe blind und taub find oder an der Aufrichtigkeit 
des Antrags zu zweifeln Deranlaffung Baben. 
Sedenfalls ift es eine fehr paffive Rolle für bie 
fämmtlichen europäifchen Staaten, ftets auf alle Faͤlle 
gerüftet zu fein, bie Benutzung diefes koftfpieligen Zu“ 
ftandes aber dem Geſchicke zu überlaffen, und nicht felbft 
zu wiſſen noch ſich darüber Nechenfchaft zu geben, zu 
welchem Zwecke ſolches gefchieht und wie berfelbe. da- 
durch verfolgt werden fol. Wenigſtens iſt dies ſicher 
feine Gtaatsweisheit ober Staatsklugheit, fondern In⸗ 
dolenz und Sorglofigkeit. Ausgemacht ziemt folche nicht 
Dem, der auf der Hochwacht fleht und der es unter- 
laͤßt, felbftändig und vorausfichtlih abzuwenden oder 
vorgubereiten, was auf fein fünftiges Schickſal von ent- 
feidendem Einfluffe fein muß. Einen muthwilligen 
Krieg zu unternehmen iſt ein großes Verbrechen, einen 


‘ 


122 


nothwendigen nicht zu rechter Zeit zu beginnen, iſt 
Schwäche bes Berflandes oder bed Muthes. 

Nur ein veiflich überlegtes, aber auch dann unver- 
rückt im Auge behaltenes und unabläffig verfolgtes Sy⸗ 
ftem, wobei bie perfünlihen Neigungen, Beziehungen und 
Intereffen ber Fürften und ihrer Familien außer Anſat 
bleiben, und lebiglih nur das Wohl und Heil der Böl- 
fer beftimmend ift, kann die Politit der Schwankungen, 
Zufälligkeiten und Verkehrtheiten überheben, in die fie 
unabläffig verfällt, fo lange fie nicht lange vorherſieht 
was fie fol, und nicht will was fie muß, um ihre Ob- 
Tiegenheit zu erfüllen. Es muß ebenfo, wie es bes 
Volks Wahlfpruch bleiben fol: „Kür König und Vater⸗ 
land!“ der Wahlſpruch der Fürften und ihrer Negierun- 
gen fein: „Alles fürs Volk und Vaterland.” 

Dies find die vom Verf. mit Verftand, Umfiht und 
Maͤßigung weiter ausgeführten Grundzüge, was nicht 
felten auf originelle Weife geſchieht. Nur ein Veifpiel 

iervon: 

’ Wenn man auf die beiden deutſchen Großmächte blidt, fo 
Yäßt fi) das Band Preußens und Öftreichs bildlich fehr paflend 
mit dem Bande der Ehe vergleihen. Sie machen zufammen 
mit dem übrigen Deutfchland ein Haus, eine große Familie 
aus, in welchem auch die majorenn gewordenen Mitglieder woh⸗ 
nen geblieben find. In diefer Ehe ift Preußen die Stelle des 
Mannes und Dftreich die der Frau zugefallen; allein es gebt 
in diefem Haufe wie in fo vielen andern, wo die Frau durch 
befiändige Negationen die Ahatkraft des Mannes lähmt und 
ihn durch Eiferfucht quält, ihm dabei ihre zärtliche Liebe ver: 
fihernd. 1 





Georg Cuvier ein Deutfoer. 


Wol ift Deutfchland mannichfaltig von Gott begabt und 
geſchmuͤckt mit Schönheit und Schägen der Natur und Kunſt. 
Wol ift es überreih an Männern jedes Standes, hervorra⸗ 
gend als Staatsmänner, ald Krieger, als Künftler, ald Ge⸗ 
“ Tehrte, von deren Überfluffe es oft und vielfältig gefpendet hat 
an die übrigen Reiche und Länder Europas. Wenn man aber 
wie wir im fernen Amerika erlebte, daB in Folge Lünftlicher 
Berihiebung und Berftelung geſchichtlicher Wahrheit, insbes 
fondere in der Franzoſen allverbreiteter Sprache, ein deutſcher 
Held wie Karl der Große fo feft für einen Franzoſen gehal- 
ten wird, daß unfere Außerung, er fei ein Deutfcher, ein all 
gemeines, ungläubiges, nur mit Mühe unterbrüdktes Lächeln 
erregte; wenn man wahrnimmt, dag, um nur von unfern gro- 
ben Raturkundigen zu reden, Männer wie Nikolaus Koper⸗ 
nit, wie Lambert, wie Euler, vom Fremdling kaum noch zu 
uns mitgezählt werden; daß nur durch den redhtzeitigen Ruf 
eines großen beutfehen Königshaufes Alerander von Humboldt 
und wieder eriwdrben und gefihert ward, und jest in deutfcher 
Sprache feinem reihen Wirken durch den „Kodmoß” die Krone 
auffegen Tonntes wenn man endlich erwägt, daß in der von 
einem andern edein deutfhen Könige eröffneten deutfchen Rub- 
meshalle der Name und dad Bild Georg Cuvier's annodh ver- 
mißt wird; — dann ift es hohe Beit, Diefen großen beutfihen 
. Mann, den Gründer vergleichender Raturbefchreibung, für uns 

gurüdaufobern. Darum bießen wir felbft auf die Gefahr Hin, 

eim Unblide der überſchrift dieſes Auffabeß ein dem oben: 
gedachten Lächeln der Amerikaner ähnliche auf der Lippe bes 
Lefers ſchweben zu fehen, ein Werk mehrfach willkommen, das 
die wenig gefannte, wo nicht Fünftlicy vertufchte deutſche Ju⸗ 
gend und Bildung Georg Euvier’d aus dem lautern Quell 
feiner eigenen Bebenntniffe und Briefe an einen der wenigen 


trefflichen noch Lebenden Benoffen ins hellſte und unwiderleg⸗ 
lichſte Licht ſtellt. *) 

Georg Euvier erblidte das Licht der Welt laut eigener 
Bezeugung am 24. Auguft des durch den Vorübergang ber 
Venus vor der Sonne wie durch die Geburt Bonaparte's, 
Wellington’s und vieler anderer ausgezeichneter Männer denk 
würdigen Jahres 1169 in Mömpelgard, der Hauptſtadt bes 
gleihnemigen überrheinifchen, feit Jahrhunderten vom würs 
tembergifchen Fürftenhaufe befeffenen, dem deutſchen Reiche an- 
gehörigen Fuͤrſtenthums. Von dort aus bezog er die von dem 
hochbegabten Herzog Karl in Stuttgart eröffnete, fo viele 
herrliche Köpfe in fich fchließende und ausbildende Karlsaka⸗ 
demie, von denen ſich fpäterhin Frankreich außer Cuvier auch 
noch andere ausgezeichnete Männer, wie Graf Reinhardt, bef« 
fen Leben und Briefwechfel mit Goethe wir noch immer feh- 
nend erwarten, Georg Kerner und Undere mehr angeeigret 
und zu feinem Ruhme benugt bat. Bon Stuttgart aus, wo 
ſich Cuvier's Scharfblik alsbald der Naturforfhung zugewen⸗ 
det und in einem von ihm mit Pfaff und andern noch Leben» 
den geftifteten naturhiftorifchen Vereine zur gemeinfchaftlichen 
Eultur der Raturgefchichte in ihrem ganzen Umfange durch 
Anlegung don Sammlungen, Ausarbeitung von Aufſaͤtzen und 
wechlelfeitige Mittheilungen der gemachten Beobachtungen aus⸗ 

ebildet, und ſchoͤne leider verloren gegangene Arbeiten ver: 
aßt hatte, ging er im 3. 1783 als Hauslehrer eines prote⸗ 
ftantifhen Grafenhauſes nach der in ihren Ratur- und Kunſt⸗ 
erzeugniflen wie in ihren Bewohnern deutliche Spuren der 
germanifhen Bevölferung an ſich tragenden Rormanbie. 

„In der Rormandie entwidelte er fich”, fagt der wackere, 
jet auf der dänifhen Corvette Galathea naturforfchend die 
Welt umfegelnde Behn, „in der Stille unter dem Gewitter 
der Revolution zum größten lebenden Raturforfcher. Wie er 
das aber biß 1195, wo er in Paris auftrat, warb, was in 
diefer für jeden Mann wichtigften Lebensperiode (vom 1926. 
Zahre) feinen innern Menſchen beiwegte und erfchütterte, was 
fein Leid und feine Freude war, was Alles er unterdrüdite, 
das konnte wenigftens Fein Franzoſe wiflen, feine Blicke war 
ren nach Deutſchland gerichtet, dort lebten feine Freunde, die 
Theilnehmer feiner Studien. Daß Euvier in feiner fpätern 
Stellung feine deutſche Bildung überaus wichtig war, ift be 
Pannt, aber daß er in dem Grade Deutfch war, wie es dieſe 
Deutfch gefchriebenen Briefe ergeben, war, meine ih, bisher 
unbefannt. Bwar betrachtet er fi nicht ald einen Deutichen 
und Würtemberger, aber ebenfo wenig ficht er fi als einen 
Franzoſen an, ja es fheint ihn anfangs ein faft nationaler 
Gegenſatz hoͤchſt unangenehm berührt zu haben. Nach und 
nad, namentlich bei den erften ruhmvollen Phafen ver Revo: 
Iution, fängt er mehr und mehr an fi) als Franzoſe zu füh- 
len, «unfer König» fagt er, wenn er den König von Frank 
reich meint; bier nimmt er noch mit vollem Herzen Theil, er 
konn als ein für Frankreich durd die Revolution Gewonnener 
betrachtet werden. Später freilich tritt feine politifhe Mei: 
nung mit dem Übermaße demofratifcher Tyrannei in den 
ſchreiendſten Widerſpruch, er fühlt fih Höchft unglücklich und 
hätte gern Frankreich verlaffen ; felbft nach Rußland zu gehen, 
wie ihm angeboten wurde, halt ihn nichts Anderes ab als 
feine ſchwächliche Befundheit und die Furcht vor dem Klima.” 


&o erklaͤrt er in feinem nicht bloß politiſchen Urtbeile 
über Frankreich: „Dennoch haben die Wiffenfchaften äußerft 
wenige würdige Priefter in Frankreich (zu denen er insbefon- 
dere die beiden Juſſieu zählt) und ihre Armuth ift für Jeder⸗ 
mann um fo ſchmerzlicher, da man fich ihres ehemaligen Blüte: 
ftandes noch erinnert.” Er nährte lange mit Borliebe den 


*), Georg Cuvier's Briefe an C. H. Pfaff In den Iab: 
ten 178892, naturhiftorifchen,, politiſchen und literarifhen Inhalte. 
Nebſt einer biographifhen Notiz über G. Euvier von C. 9. Pfaff. 
Deraubgegeben von WB. %. ©: Behn. Kiel, Shwerd. 1816. 
Gr. 8. 2 Thlr. 20 Nor. 





123 


Gedanken, mit feinem Söglinge nah Würtemberg zu kommen 
und dort, deffen Studien leitend, bei feinen Freunden zu le 
ben. Denfelben ungern fahren Taffend freut er fi edelmü⸗ 
thig der trefflihen Befegung der naturgefchichtlichen Lehrſtuͤhle 
der Karlsakademie durch Store und Kielmeyer, nur ausru: 
Tend: „Es ärgert mich doch ein bischen, indem es mir faft alle 
Hcffnungen benimmt, mich in Deutichland, wo ich doch alle 
meine Freunde habe, zu firiren.” 

Ja felbft elf Jahre fpäter, als ihn Pfaff ſchon im parifer 
Hflanzengarten, von reihen Sammlungen umgeben, ald das 
Haupt einer jungen franzöfifhen Naturforfcherfchule wicderfin: 
det und fieben Monate dort mit ihm Tebt, äußert Diefer: „Eu: 
vier war damals (1801) gleichſam noch ein halber Deutſcher; 
wenngleih er die Leichtigkeit in der Deutfchen Unterhaltung 
verloren hatte, fo liebte er doch die deutſche Unterhaltung mit 
mir.“ Nach und nach änderte fi dies, insbefondere unter 
dem mit gemwaltigem Griffe auch Cuvier an den Siegedwagen 
feines Ruhmes fehmiedenden und ibn zum willigen Diener je» 
der in Frankreich gebietenden Macht, erft feiner felbft, dann 
der Reftauration umgießenden Rapolcon, ſodaß Pfaff ihn 1829 
in Paris wieder aufluchend ausrufen muß: „Der vor 30 Jah: 
ren noch großentheild deutfchrgemüthliche Euvier war nun ganz 
Franzoſe geworden.” 

Erklaͤrt fi nun aus dem eben Mitgetbeilten Cuvier's 
allmälig von der Abneigung zur völligen Hingabe ſich umkeh⸗ 
rende Empfindung gegen Frankreich als in dem jezeitigen dor: 
tigen Stande durch ihn neuerftandener Wiſſenſchaft begründet, 
fo liegt hierin auch feine damit im umgekehrten Verhältniſſe 
ſtehende Anhaͤnglichkeit an Deutfchland gegeben, auf deffen Bo- 
den der Mann ftand, wurzelte, der, wenngleich verſchmaͤhend 
bis auf eine Heine, wenige Bogen ſtarke Gelegenheitörebe *), 
fäyriftftellerifch zu wirken, dennoch gleich den Weltweifen des 
Alterthums duch Lehre und duch feine Schüler umgeftaltend 
und belebend auf die Naturkunde und Naturanfchauung für 
alle Zeiten gewirkt und fie aus einer Sammlung, vereinzelter 
Thatſachen zu einem einzigen organifchen Ganzen umgefchaffen 

bat. Diefer Mann, den wir bereits genannt haben, war Kiel: 
meyer, der noch immer zu wenig gefannte, und nur mit ihm und 
durch ihn laßt ſich Der geiftesverwandte Euvier begreifen und 
verſtehen, wie diefer felbft es auch großartig ſtets anerfannt hat. 

Das BVerhältniß Kielmeyer's und des vier Jahre jüngern 
Cuvier, welches uns erft jüngft durch Martius in einer treff⸗ 
lichen, Pfaff's Darftellung ergänzenden, am 28. März; 1345 
in der münchner Afademie der Wiffenfchaften gehaltenen Rede **) 
Mar und anichaulich geworden ift, liefert den wahren Schlüffel 
zur Entfaltungsgeſchichte echter Naturanfhauung in Deutfch- 
land und Frankreich. In Beziehung bierauf jagt Martius 

mit Met: „Es unterliegt Beinem Zweifel, daß die Grundidee, 
welche damals (auf der Karlsakademie) den Geiſt Kielmeyer’s 
bewegte, Entwidelung der organifchen Typen und Kräfte auf 
dem Wege der Bergleihung und Induction, zu feinem wahr: 
ften Eigentum gehörte, Uber er fland nicht vereinzelt auf 
diefer Bahn. Parrot, Euvier und Kielmeyer bildeten auf der 
Karlsakademie ein wifjenfchaftliches Kleeblatt, und die ähn» 
lihe GSeiftesrichtung, welche die drei Freunde verband, fand in 
der Thaͤtigkeit Kielmeyer’d am früheften einen lebendigen Aus: 
druck. An einem Rrühlingsabende des Jahres 1786, am Tage, 
ehe Kielmeyer aus der Anſtalt fchied, die Cuvier zwei Jahre 
ter verlaffen follte, wuren Kielmeyer, Yarrot und Cuvier 
im Garten der Akademie beifammen. Da fchnitten fie die An- 
fangsbuchftaben ihrer Namen mit den Worten Amicitia juncti, 





”) ‚Über bie Werhättniffe der organifhen Kräfte untereinander 
in der Reihe der verſchiedenen Organifationen,, die Geſetze und Fol: 
gem dieſer Verhättniffe. Cine Rede, den 11. Februar 1793 am Ge: 
burtötage bed Herzogs Karl gehalten von G. F. Kielmeyer“ 
(Zübingen 1799). 

**) Abgedruckt in den „Muͤnchner Gelehrten Anzeigen” für 1845, 
Spalte 853 — 80. 


sorte disjuncti in einen Baum, und dur das e Leben 
haben fie an diefer Iugendfreundfchaft wie an einer Meiher 
tigen Auffaffung der Wiffenfchaft feſtgehalten.“ 
‚ ‚Diefe gleihartige Anfchauungsweife Kielmeyer’s und Eu 
viers wie die Erhärtung und Anwendung derfelben durdh 
Beobachtungen überbauerte ihr Beifammenfein in Stuttgart. 
Neben einem noch ungedrudten, wir hoffen unverlorenen Briefe 
wechfel beider Männer war es vorzugsweiſe gif, der die 
Verbindung zwifchen ihnen unterhielt, ald der Eine in Stutt⸗ 
gart rubig fortlebte und bei der damaligen Unbehüfflich"eit der 
erbindungsmittel erjt fpäter zum Anblidde des Meers und 
feiner Geſchoͤpfe in ihrer Wafferwelt gelangte, während der 
Andere in der Normandie fammelte, beobadptete und freudig 
davon mittheilte. Zum reichen Zaufche dafür empfing er dann 
hen ein halbes Jahr nach feiner Ankunft daſelbſt, mit Be 
arbeitung eines neuen Plans zur allgemeinen Raturgefchichte 
befchäftigt, duch Pfaff Kielmeyer's noch immer nur hand» 
Ihriftiih umlaufende Hefte von ihm gehaltener Vorleſungen, 
und ward dabei dennch nicht müde, unabläffig mehr zu fo 
dern und zu fchreiben: „Gib der Literatur mehr Platz in dei 
nen Briefen, nicht bloße Naturgefchichte intereffirt mich. 
Glaubſt du denn, ‚ich wäre den übrigen Wiflenfchaften abges 
ſtorben? Vergiß der Phyſik und Chemie nicht, Du weißt, daß 
mir biefe ebenjo lieb find als die eigentliche Naturgefchichte, 
weil fie ihre beiden Hauptftügen find.” 

Alſo vorbereitet, gleih reich an einer unendlichen Zahl 
erfahrener, durch den ihrer Erfpahung vorangegangenen Ges 
danken zu Beobachtungen erhobener Thatſachen wie an fchö« 
pferifchen Ideen des deutfchen Vaterlandes und des dortigen 
Sreundelreijed betrat Cuvier Paris im rechten Augenblide. 
Allenfals mit einziger Ausnahme der Sternkunde das ganze 
Neih der Raturwilfenfchaften überfchauend und beberrfchend, 
begann er in der ſich damals erft wieder aus dem Umwäl- 
zungstaumel befinnenden und zurechtfindenden Weltſtadt Paris 
die neue Laufbahn, erhoben und gehalten durch den mächtigen 
Arm des genialen Zeldheren und Staatsmannes, der fi da⸗ 
mals gern noch den einfachen Namen eines Mitglieds des 
durch ihn erft recht gegründeten Rationalinftituts beilegte, 
deffen Sigungen er häufig beimohnte und fie ebenfo wie bie 
der Rechtskundigen zur Entwerfung neuer Gefegbücer für 
Frankreich und einen großen Theil Europas buch die Blige 
feines Römergeiftes belebte. 

Damals war ed, wo Euvier beim Zufammenftrömen der 
Befchöpfe beider Welten, der naflen wie der trodenen, aus al» 
len Zonen des Erdkreiſes, aus der vorfündflutigen Urzeit wie 
aus der jegigen, ſich vorzugsmeife ihrer Unterfuchung bingab 
und feine großen Werke der vergleichenden Bergliederung und 
Thierkunde wie über die verfteinerten Knochen der Urwelt all- 
mälig aufbaute und damit auf lange Zeit hinaus die Grenz⸗ 
fäulen des erweiterten Gebiets der Raturgefchichte abfteckte. 

„Alles vereinigte ſich“, wie Martius bemerkt, „um Eus 
vier die Mittel zu einer gewaltigen Reform der Zoologie und 
vergleichenden Anatomie in die Hand zu geben, während fein 
Jugendfreund einfam und ohne jene äußern Hülfsmittel in en- 
gern Kreifen blieb. Doc war Diefer berufen, die Früchte je⸗ 
ner Forſchungen aus der Ferne mit zu reifen, fie mit zu ge⸗ 
nießen und fir) durch den Anblick der Gefege in der wunder 
baren Architektonik des Zhierleibes zu erquiden, die er feiner: 
feitö auf dem Wege der Induckion erkannt, wenngleich nicht 
mit derfelben Fuͤlle objectiver Forſchungen geprüft hatte.’ 

So ward Euvier, deſſen Ruf ſchon einige Monate nad. 
feiner Ankunft in Paris im I. 1799 dem der berühmteften 
Raturkundigen glich 9), nicht nur beftändiger Schriftführer der 
Akademie der Wiffenfchaften, fondern auch der Derfteller der 


*) „Analyse raisonnde des travaux de Georges Cuvier, pre- 
cedeu de son eloge historique par P. Flourens'" (Paris 1841), wo 
eö heißt: „Quelques mois apr&s son arrivee a Paris, en 17%, sa 
reputation egelait deja celle des plus clöbres naturalistes.‘ 


124 


Raturkunde für Frankreich, das beſtimmt ſcheint zur kreiben⸗ 
den Kraft im edelſten geiſtigen Wettſtreite der Voͤlker. Cr 
ward der Geſetzgeber eines Hauptgebiets der Raturwiſſenſchaf⸗ 
ten für die Welt. Gluͤcklich, wenn er, ſtatt ſich allmaͤlig in 
die Irrgaͤnge bes Staatd zu vertiefen, Das bebaupter hätte 
Wovon Martius fo ſchoͤn fagt: „Kür die Wiffenfchaft, fo toeit 
je im Einzelnen lebt und wirkt, gibt es nur einen Traͤger, 
er des Ruhmes würdig wäre, dies ift der Charakter.” Darin 
über fieht er im der Neuzeit einzig da, daß er neunzehnjährig 
Bereits im Befige des Anerkannten in allen Fächern der Ra; 
turwiſſenſchaften, durch fein vielfeitige® Beobachtungs⸗ und 
Darftelungstalent in Rede, Schrift und Seichnung Alles dem 
Bwecke, fie weiter zu führen, bienftbar macht, daß er alsbald 
erfennt und ausfpricht, daB die Syſteme nur Mittel, nicht 
Zweck find und daß ed darauf ankomme, die Menfchheit die 
Sprache der Natur reden zu machen. 

Bon biefem brennenden, nicht zehrenden, fondern um» 
fgmelzenden und läuternden Wiffenseifer geben nun diefe eben 
ans ich getretenen Briefe Cuvier's an Pfaff die treuefte 
Kunde. Gie find es, die wir gleih den unverganglichen Zu: 
gendbriefen Johannes Muͤller's an Bonftetten und den Lebens⸗ 
nachrichten über B. ©. Niebuhr vorzugsmweife unferer ſtudiren⸗ 
ben Jugend zu Vorbildern und Leitſternen empfehlen möchten, 
daß fie Ehrfurcht vor der Wiffenfhaft und ihrem treuen uns 
abläffigen Dienfte ferne und, die durch den Zeitgeift gefeierte, 
behagliche oberflächliche Glaͤtte verſchmaͤhend, fich tief verſenken 
möge in die Schachten der Weisheit und Erfahrung der Bor: 
zeit und der Gegenwart, eingeden? des fchönen Spruchs des 
auch ſchon entfchlafenen Friedrich Schlegel: 

Nicht den Schwaͤcheren wähle zum Freund dir, um weichlich zu ruhen: 
Sondern wer gleih dir an Geift Eräftig dich regt und ergänzt. 

Bücher verfchlingend, wie Cato ber Strenge, bei naͤchtlicher Lampe, 
Draͤng' der Jahrhunderte Dart mädtig zufammen in bir. 

Wie nah dem Golde im Schacht unermuͤdlich ber Grabende fuchet, 
Grabe bu tief in dad Bud, bis du gefunden ben Kern. 

Jegliches werde zur Kunft dir, gebildeter, was du berühreſt: 
Wem dad Kleinfte zu Hein, dem tft aud Großes zu groß. 

Ya, au das Werk, dad theuer erfaufte, es bleibe bir koͤſtlich: 
Aber fo fehr bu es Liebft, gib Ihm du felber den Tod. en 


Literarifche Notizen aus Frankreich. 


2 Rußland. 

Wir haben ſchon bemerkt, dag Rußland nun ganz beftimmt 
das Modethema der franzöfifhen Publiciften und Tagesſchrift⸗ 
fteler geworden ift. Die fonderbaren Verhältniſſe diefed un- 
geheuern Landes bieten für die leichtiertigen Federn dieſer Hel⸗ 
den einen ſo ergiebigen Stoff; es iſt ſo bequem, die obligaten 
Schlagwörter und Phraſen an den Wann zu bringen, welche, 
fo oft man von Rußland fprechen will, gleich fertig und mit 
ftereotgper Unwandelbarkeit zur Hand find! Gegenwärtig nun 
erhalten wir ein Werk, dem vielleicht an und für fi fein 
höherer Werth und Beine tiefere Bedeutung beizumeffen iſt als 
vielen ähnlichen Erjcheinungen auf dem üpppig muchernden 
Felde der Brofchürenliteratur. Aber diefe jüngite Production 
erhält durch den Ramen und die eigenthümlichen Verhältniffe 
ihres Verf. ein ungewöhnliches Intereffe. Diefe Schrift, welche 
— um es glei von vornherein zu bezeihnen — im rufen: 
feindlihen Sinne gefchrieben ift, rührt aus der Weder des be- 
fannten Ruffen Swan Golowin her und führt den Titel: „La 
Russie sous Nicolas 1." Es ift dies eine Erſcheinung, welche 
um der Stellung ihres Verf. willen vielfach befprochen werden 
wird und die auf ein bedeutendes Aufſehen, ja fogar auf eine 
Art von Skandal berechnet ſcheint. Golowin trat, nachbem er 
fi) bereit8 längere Beit in Frankreich aufgehalten hatte, mit 
einem Franzoͤſiſch gefchriebenen Buche nationalöfonomifhen In: 
halte auf, in dem zwar im Ganzen nichts Verfängliches zu 
wittern war, ba8 aber doch nee in Rußland, 
wo man überhaupt den längern Aufenthalt der Großen im 


Auslande bekanntlich mit ſchelem Auge fieht, einen unangen 

men Eindrud gemacht Haben muß. MWenigftens ging dem Verf. 
beffelben au derfelben Zeit, als Dolgoruci um einer viel pi: 
quantern Schrift willen veranlaßt wurde, nad Rußland zurück 
ukehren, die Auffoderung zu, feinem Aufenthalte auf franzoͤſi⸗ 
(dem Blden ein Ziel zu fegen. Golowin wor nicht gewillt 
tiefer Bumuthung Folge zu leiften. Statt nach feiner Heima 
zurückzukehren begab er fich nach den pyrenaͤiſchen Bädern. 
Run fritt er plöglich mit einer Schrift hervor, melde, im ge 
reizten None gefchrieben, eine formfiche Mänifeftation gegen 
Rußland genannt werden kann. Berhandlungen fehr dellcater 
Natur feinen von Seiten des ruffiihen Minifteriums mit ihm 
gepflogen zu fein, um ihn zur Rüdfehr zu vermögen. Die 


Mittheilungen, welche ber Verf. macht, geftatten zum Theil 
einen Bli in das Getriebe der ruflifchen Politi. Im Allyes 


meinen aber fteht zu bebauern, daß der Verf. ftatt es bei po⸗ 
fitiven, fchlagenden Angaben, die dem Statiftifer und Publi⸗ 
ciften von befonberm Werthe fein müßten, bewenden zu laffen, 
fi lieber in allgemeinen phrafenhaften Declamationen gefällt. 
Es ift ein gar bequemes Ding, den Mund zeit vol zu neh» 
men und zu verbäctigen, aber bewiefen wird Damit nur fehr 
wenig. Wenn fih doch alle Diejenigen, welche ſich berufen 
glauben, über Rußland zu fchreiben, von dem loͤblichen Grund» 
fage leiten ließen: Facta loquuntur! ®) 


Coufin über die Carteſianiſche Philofopbie. 

Mit unermüdlicher Thätigkeit beutet Victor Couſin die 
Duellen auß, aus denen ſich einige Bereicherungen zur Kennts 
niß der franzöfifhen Philoſophie fchöpfen laſſen. Man mei 
daß er befonderd die Zeit, welhe man als den Wendepunft 
der neuern Philofophie bezeichnen Fann, zum Gegenftande fei: 
ner Studien gemadit bat. Wichtige Documente jind in Bezug 
auf diefen Zeitraum von ihm bereits and Licht gefördert. Aber 
die literariſchen Hülfsmittel, welche ihm zu Gebote ftehen, ſchei⸗ 
nen immer noch unerſchoͤpflich. So erhalten wir auch jetzt wies 
der eine Schrift von ihm, die abermals interefiante Bruch» 
ftüde, auf die bis jept noch Fein kundiger Zorfcher geftoßen 
war, enthält. Sie führt den Zitel: „Fragments de philoso- 
phie Cartesienne." Man bat es aljo bier audfchlichlich mit 
der Cartefianifchen Philofophie zu thun, zu teren Beleudtung 
der Berf. intereffante Beiträge liefert. Die eigentlihen Ent⸗ 
widelungen, welche Couſin gibt, kommen an Bedeutung den 
biftorifchen Notizen und den Documenten nicht gleich, welche 
er bier aus dem Staube der Archive hervorgezogen hat. Man 
Fann ſich einen Begriff von der Mannichfaltigkeit des Inhalts 
machen, wenn wir hier die Titel der verfchiedenen Aufläge, 
welche in vorliegendem Buche vereinigt find, näher bezeichnen: 
J) „Vanini ou la philosophie avant Descartes; 2) Procès ver- 
bal d’une seance d’une soriet& Cart@sienne qui s’etait for- 
mee & Paris dans la seconde moiti6 du dix-septieme siecle; 
3) Le cardinal de Retz Cartesien; 4) Roberval philosophez 
5) Correspondance de Malebranche et de Mairan; 6) Cer- 
respondance inedite de Malebranche et de Leibnitz; 7) Rap- 
ports du Cart&sianisme et du Spinocisme.‘ 


Bibliothek geiftliher Neben. 

Wir haben in d. BI. bereitd eine Sammlung katholiſcher 
Kanzelrebner erwähnt, welche von dem nad allen Seiten bin 
thätigen AbbE Migne auf einer fehr breiten Bafis angelegt 
ift. Bon diefem Werte nun — es führt den Titel „Collec- 
tion intögrale et universelle des orateurs sacre&s” — ijt 
gegenwärtig ein neuer, der 17. Band erſchienen. Derfelbe 
umfoßt die fämmtlichen Werde von Maboul, von Mastaron 
und Lachambre; ausgewählte Reden von Nicolas von Drjon 
und den erften Theil der fammtlichen Werke Richard's. Die 
Hanze Sammlung ift auf 50 — 60 Bände berechnet. 17. 


+) Wir kommen naͤchſtens außführliher auf Golowin's Schrift 
zuruͤck. D. Red. 


Berantwortlicher Herausgeber: Seinrich Brockdauns. — Druck und Werlag von SB. X. Srockhans in Leipzig. 


— — 


Blaͤtter 


für . 


literarifhe Unterhaltung. 





Sonntag, . 


1. Februar 1846. 


m—r —— —— — —— — — —— — —— —— —— — — — — — — — — — 


3ur Nachricht. 


Bon dieſer Zeitſchrift erſcheint taͤglich eine Nummer und der Preis beträgt für den Jahrgang 12 Thlr. Alle 

Buchhandlungen in und außer Deutfchland nehmen Beftellungen darauf an; ebenfo alle Poftämter, die fih an bie 

Königl. ſächſiſche Zeitungsezrpebition in Reipsig wenden. Die Berfendung findet in Wochenlieferungen und 
in Monatsheften ftatt. 





Juſtus Möfer. 


Zuſtus Möfer’s ſaͤmmtliche Were. Neu geordnet und aus 
dem Rachlaffe deſſelben gemehrt durch B. N. Ubeten. Behn 
Bünde. Berlin, Ricolai. 1843. Gr. 12. 8 Zhir. 10 Ngr. 


Juſtus Möſer's Werke liegen in einer neuen, forg- 
fältigen und geſchmackvollen Ausgabe dem Yublicum vor, 
und dieſe danfenswerthe neue Ausgabe ift wieber ein 
Zeihen ber Iebhaften Anerkennung, welche der aus- 
gezeichnete Dann, der gediegene deutfche Schriftftel- 
ler befonderd auch in den neueften Zeiten in Deutſch⸗ 
Sand gefunden hat. Allerdings haben ihn die genauern 
Kenner und Kiebhaber deutfcher Gefchichte und deutfchen 
Rechts, deutfcher Sitte und Eigenthümlichkeit, deutfcher 
Entwickelung und Literatur nie vergeffen, und bie ein- 
ſichtsvollſten Männer verfchiedener Fächer haben immer 
wieder auf ihn als einen der Zrefflichften der Nation 
Hingewiefen ; ganz befonders aber in ben Iegten Jahren 
ift fein Andenken von einer Menge von Stimmen wie- 
der aufgefrifht und durch die vollgültigften Zeugniffe 
für die Gebiegenheit feiner Gefinnungen und Leiflungen 
verherrlicht worden. Nicolai und Goethe, feine Zeitge- 
noffen, in der Literatur vielfach feindlich gegeneinander 
fiebend , find einig in der Iebhafteften Anerkennung 
Möfer's, und das zufammenftimmende Lob dieſer fonft 
ſo divergirenden Geifter mag gleichfam als eine Borbe- 
deutung gelten für die Verehrung und Bemunberung, 
welche fpäter von den verfchiedenften Richtungen und 
Parteien des Lebens und der Kiteratur ber in gleichem 
Maße dem VBerfaffer der, Patriotiſchen Phantaſien“ gezollt 
ward. Alle ſchienen es wünſchenswerth zu finden, an 
ihn anzuknüpfen, ſich durch feine Autorität zu ſtaärken, 
oder ſich zu freuen, in einer von der Gegenwart durch 
große Ereigniſſe und Veraͤnderungen getrennten Zeit auf 
einen Mann hinzuweiſen, an welchen ſich ruͤhmliche Be- 
firebungen für die Ehre und die Wohlfahrt Deutfch- 


lands in verfchiedenem Sinne auf eine empfehlende Weiſe 


anfchließen dürfen. Johannes von Müller und Spittler 
haben fih auf das rühmendfte über Möfer ausge 
fprochen; Schloffer und Gervinus haben feine Bedeutung 
für die Gefchichte und bie Literatur anerkannt; C. Th. 
Welder und B. R. Abeken haben ihn in ausführlichern 
Abhandlungen genauer charakterifirt; Stüve und Varn⸗ 
hagen und wie viele Andere haben von biefer unb von 
jener Seite her den Charakter und die Wirkſamkeit des 
Mannes in politifhen und literarifchen Zeitfchriften oder 
fonft bei den mannichfachften Gelegenheiten beleuchter, 
und vor noch nicht vielen Jahren ift in feiner dankbaren 
Vaterſtadt fein Denkmal eingeweiht worden. Bei fo 
vielen Zengniffen über Möfer's Werth und Tugenden 
aus dem Munde der befähigtfien, fachfundigften Richter 
ift e6 wol ſchwer, ungefucht etwas Neues über den aus- 
gezeichneten Mann und feine Werke zu fagen; und wenn 
wir diefe neue Ausgabe den Leſern d. BI. anzeigen und " 
empfehlen, fönnen wir uns nicht fchmeicheln, die Eigen- 
thümlichteit und das Verdienſt Möſer's in ein neues 
Licht zu fielen, fomwie wir auch wiffen, daß er deifen 
durchans nicht bedarf. So entbehrlich jeboch für Mö- 
fer’8 bleibende Ehre und Anerkennung weitere Empfeb: 
lungen feiner Schriften fein mögen, dürfte ed doch zu 
Nug und Frommen des deutfchen Publicums und fo 
Gott will des deutfchen Volks fein, wenn bei pafjenden 
Gelegenheiten immer wieder an den 'trefflichen echt deut⸗ 
fhen Mann erinnert, wenn feine Lehren, Grundfäge und 
Sefinnungen im Andenken der Nation erneuert und auf 
gefrifeht werden, und die Kritit, wenn fie auch barauf 
verzichten muß, durch irgend einen Reiz der Neuheit zu 
vergnügen, ben weder unrühmlichen noch unnügen Be⸗ 
ruf erfüllt, den feftgegründeten und mit genügenben fref- 
fenden Infchriften gezierten Denkftein eines unfterblichen 
Mannes vom Moofe des Vergeffens zu reinigen, und zu 


wachen, daß er nicht durch die überfchmänglichen Lob⸗ 


rebner und Verherrlicher des ephemeren, oft fehr zwei⸗ 
deutigen Verdienſtes, durch die Anbeter von plöglic auf 
den Schild gehobenen aber hohlen Größen ber ihm ge- 
bührenden Aufmerkfamkeit und Achtung beraubt und mit 


der Zeit wol gar verruͤckt und in den Schatten geſtellt 


werde. In diefem Sinne feien uns hier einige Betrach⸗ 
tungen über Yuftus Möfer geftattet, welche weder auf 
Neuheit noch auf eine erfchöpfende, fuftematifche oder 
künſtleriſche Analyfe feines fchriftftellerifchen Charakters, 
feines Genius, Anſpruch machen. 

Das Zuftus Möfer befonders auch in neuefien Zei- 
ten in Deutfchland fo warm anerkannt und geehrt wird, 
kann man in mehrfacher Dinficht erfreulich finden; erſt⸗ 
lich als Beweis, daß unfere häufig unmäßig nach dem 
Neuen haſchende und mit einer bedauerlichen Übertrei- 
bung und Beſtochenheit des Urtheils das Neue vergät- 
ternde Zeit doch auch einmal einem ältern deutfchen 
Schriftfteller die ihm gebührende Ehre erweift, und von 
der nagsineuen Weisheit, welche dem deutfihen Volke fo 
oft im Gewande der überfchwänglichiien Phrafen, des 
teidenfchaftlichften Pathos oder der abftrufeften philofo- 
phiſchen Schulausbrüde geboten wird, ſich doch auch ein- 
mal mit Neigung und Vertrauen, wie ed den Anfchein 
bat, dem ſchlichten aber tüchtigen Menfchenveritand eines 
deutfchen Schriftſtellers zumenbet, ber 100 Jahre älter 
ift als mancher auf der Höhe der Zeit zu ſtehen glau- 
bende, die Welt und bie Gefchichte meifternde und die 
Maͤthſel und Geheimniffe des Schickſals deutende Autor 
der Gegenwart. Ja, erfveulich ift es, daß unfere Män- 
ner fo ernftlih mahnen, die Werbe eines Autors zu eh⸗ 
ven und zu benügen, ben eine vorwärts flürmende und 
gar leicht der Oberflächlichkeit anheimfallende Jugend 
zur gar zu geneigt fein bütfte, zum alten Eiſen zu 
sehmen und zu verwerfen! Nur ſehr wenige deutſche 
Scheiftfteller find es, die, früher als er geboren, noch 
jest den Deutſchen durch bie Form ebenfo wie durch ben 
Inhalt ihrer Schriften zufagend und angenehm wären; 
aut etwa ber brei Jahre vor Möfer geborene Winde- 
mann hat einen claffifchen Stil in höherm Sinne, wäh- 
send ein Rabener und Gellert doch dem heutigen Ge- 
ſchmack wegen einer gewiſſen fehmerfälligen Breite wiber- 
fichen. Während aber Windelmann vermöge der von 
ihm behandelten Gegenflände nur eine Lecture für 
verhältnigmäßig Wenige bleibt, eignen fi Möſer's 
Schriften durch ihren Inhalt zu einer Lecture für das 
Bolt in einem ziemlich umfaffenden Sinne, und fo ver- 
dient er auch in biefer Hinſicht als nahezu erfler volßs- 
Shümlicher deutfcher Proſaiſt der neuern Literaturgeriobe 
den Namen eines Patriarchen, den ihm Goethe fo tref- 
fend gegeben hat. Das Jahrzehnd nach feinem Geburts: 
jahr hat allerdings ſchon mehre ber ausgezeichnetften 
deutichen Profaiften hervorgebracht, aber der Erſte bleibt 
er doc, wenigfiens in einer gewiffen Sphäre, und wir 
wünſchen jebenfals dem deutſchen Volk Glück dazu, daß 
es einen Autor in lebendigem Andenken hält und noch 
jeht mit Genuß und Mugen lieſt, der vor ungefähr 106 
Jahren zu fehreiben anfing; es gehört doch einigermaßen 


zum bel, zum neuabeligen und glänzenden Beſtand einer 
Literatur, Ahnen aufzumeifen zu haben. 

Erfreulich ſcheint uns ferner das Intereffe, welches 
Möſer's Schriften auch jegt noch oder wieder erwarten, - 
als ein Zeichen der noch nicht entwurzelten, wenn auch 
vielfach angefochtenen und bedrohten Pietät gegen ver- 
bienftvolle Männer einer frühern Zeit. In Folge der 
großen politifchen, ſocialen und intellectuellen Revolutio- 
nen, welche Europa feit einer Reihe von Jahrzehnden 
unftreitig durchgemacht hat, und durch welche Vieles 
eine andere Geftalt gewonnen, wähnen gar Manche 
gleihfam in einer neuen Welt” zu ftchen, auf einer neuen 
Erde und unter einem neuen Dimmel, ſodaß man füg- 
lih von vorn anfangen, und alle Überlieferungen einer 
etwas entlegenern Zeit als gänzlich veralteten, unbrauch⸗ 
baren und hemmenden Ballaft wegwerfen dürfe, ja müffe, 
um mit ganz freiem, vorurtheilslofem Sinne vorwärts 
zu ftreben. Politiker, Afthetiter, Philofophen fehen nicht 
felten mit grenzenlofer Selbftgefälligkeit und Verachtung 
auf ihre ſechs, acht oder mehr Jahrzehnde ältern Vor⸗ 
sänger herab, von melchen fie nichts lernen zu glauben 
tönnen als wie man ed nicht machen müffe, welche fie 
aber in der Regel geringfchägen ohne fie nur zu ken⸗ 
nen. Bedeutendes ift gewiß auf allen diefen und andern 
Gebieten in neuern Zeiten geleiftet worden, unb man 
darf ſich der Vorzüge des jüngern Gefchlechts gegenüber 
einem frühern wol freuen; aber laͤcherlich iſt es, wenn 
das Pochen auf die Kortfchritte der Neuzeit großentheils 
auf der Unkenntniß des DBeliges und den Reiftungen ei- 
ner frühern Zeit beruht, und unwürdig ift es, wenn ben 
frühern Borarbeitern und Bahnbrechern, auf deren Schul- 
tesn die Jüngern ſich glücklich emperarbeiteten, ſtatt au⸗ 
erdennender, gerührter Dankbarkeit, nur höhniſche Ver⸗ 
achtung geboten wird. Und doch iſt wahrlich oft die 
halbgeahnte, dämmernd erfhaute, aber burd rechtes 
Nachdenken errungene und erzeugte Wahrheit und Ein⸗ 
fiht mehr werth, weit fruchtbarer und wirkſamer als 
die zur vollen Klarheit ausgebildete, aber von Anden - 
überfemmene und nur etwa in der äußern Geſtalt eini⸗ 
germaßen veränderte Theorie, auf beren Befig fih Man⸗ 
her große Stücke einbildet und auf ben’ mühfamen 
Wühler früherer Zeiten Jächelnd herabſchaut. Die Im- 
pietät ift die Frucht des Mangels an Einjiht in den 
Werth und die Verbienfte Anderer und ber dünkelhaf⸗ 
ten Überfchägung der eigenen Verbienfte und ber eigenen 
Kraft, verbunden mit natürlicher Selbftfucht und Man⸗ 
gel an Liebe; und die Bedingungen und Berhältuiffe 
unferer Zeit find, man wird es nicht leugnen Tönnen, 
in hohem Grade der Pietät hinderlich, der Impietät da- 
gegen fürberlih. Die Pietät ift für den nicht ganz gut 
gearteten und gegogenen Geiſt unbequem, die Impietät 
fhmeichelt feinen unedlern Neigungen und Gelüften; unb 
unter dem Schein der vorurtheilslofen Gererhtigkeit, der 
Unabhängigkeit und Gelbftändigfeit treibt nur gar gu 
oft die forglofe Gitelfeit, die unmiffende Gleichgüftigkeit 
und die Unbankbarkeit ihr Spiel. Mir wollen nicht 
verweilen bei fo manchen Erſcheinungen einer faſt ‚bis 


zum Syftem und zum Glauben erhobenen Jupietaͤt auf 
den verſchiebenſten Lebensgebieten; mir wollen nur mit 
Freude hinweiſen auf die Doch auch nicht überall erlo⸗ 
ſchene Pietaͤt, welche fih namentlich in der lebhaften 
Anerkennung Möſer's kund gibt. Die Anſichten die⸗ 
ſes Mannes würden den Anhängern ber verſchiedenen 
Richtungen und Parteien mol Gelegenheit zu Angriffen 
und zur Bekämpfung geben; ſtatt deſſen fehen wir, daf 


vielmehr Alle, ober bad) die Meiften, fi in feinem Lobe, | 


in des Feier feines Andenkens vereinigen, und das Wohl⸗ 


wollen, welches ihn felbft außszeichnete, diefelbe Stim⸗ 
| das leibliche Behngen und bie moralifche Geſundheit und 
Endlich bürfen wir auch diefe Zeitflimmung für Mö- 


mung gegen ihn felbft in einer fpätern Zeit ermedt. 


fer willlommen heißen als eine nicht unwichtige Bürg- 
ſchaft für das Wachsthum eimes echt vaterlaͤndiſchen Siu⸗ 
nes, neben fo manchen Richtungen in der Literatur und 


im eben, die man vom beutfchen Stanbpunft aus nicht 


umbin kann als unfelige Verirrungen zu beklagen. Denn 
der Vertreter bes echt deutſchen, vaterländifchen Sinnes 
ift und bleibt der Verfaſſer der „Patriotifhen Phantafien”, 
und Riemand wird aus dem gediegenen Ganzen feiner 
Eigenthämlichkeit ald Menſch und Scriftfleller dies Haupt: 
element, den Kern feines Wefens, auszufcheiden und weg⸗ 
zulaffen den Verfuch machen. Alle feine Eigenfchaften 
und Vorzüge werden durch dieſes Band zufammengehal- 
ten und erhalten daher ihre Kraft, ihren Ion. Die 
Entwidelung der künftigen Geſchicke Deutſchlands liegt 
in einer für jedes Auge undurchdringlichen Dänmerung, 
und bie kühnſte Hoffnung und Phantaſie ſtößt auf 
Schwierigfeiten, die dem unverzagteften Muth nieberzu- 
fhlagen geeignet find; kein noch ſo mohlmeinender Po⸗ 
Itifer der Gegenwart ift im Stand, eine auch nur eis 
nen mäßigen Theil ber aufgeflärten, ernſten Freunde des 
Baterlandes, des Rechts und der Freiheit befriedigende 
Ausfiht zu eröffnen; um befto wichtiger muß es erfchei- 
men, wenn recht viele beutfche Geiſter einem anne der 
Bergangenheit mit Liebe, Verehrung und Vertrauen ſich 
einmüthig zuwenden, unb an feinen geift = und lebens- 
vollen Schriften wenigftens die deutſche Geſinnung er- 
frifchen und ftärken, und in diefer fich einigermaßen ein- 
ander nähern und befreunden, wenngleih fie über poli- 
tifhe Syſteme und Grumdfäge auch in feiner Schule ſich 
nicht einigen werden, ‚und er, der woch wmter ganz an⸗ 
dern Berhältniffen Deutfchlands Tebte, wirkte und fchrieb, 
und, fo gut er die geführlichen Mieftände im Ganzen 
und Großen erfannte, und gelegentlich mit großer Schärfe 
anbeutete, doch in feinen Wunſchen und Borfchlägen fich 
Hauptfählich auf das in einem Heinern Kreife Erreich- 
bare defchränfte, ebenfo wenig ſich einfallen ließ, über das 
Schickſal, die politiſche Entwickelung Deutihlande Pro⸗ 
phezeiungen auszuſprechen als, im Ernſt, ein Univerſal⸗ 
heilmittel für die Krankheiten des Vaterlandes anzugeben. 
Nicht Möſer's Auffaſſung der beſtehenden politiſchen 
Berhältniffe im Großen und im Kleinen, auch nicht feine 
Anfichten über die Art und den Grad ber etwa nöthi- 
gen und wünſchenswerthen, oder durch bie Natur ber 


Dinge felbft herbeizuführenden Veränderungen und Ver⸗ 





beffesungen find es, bie wir als wohlthaͤtiges | 

mittel für eine echt deutſche Geſinnung in einem weite 
Sreife der Dentenden und Wohlmeinenden betrachten; 
über dirs Alles können und werben die jegigen Refer ſei⸗ 
ner Schriften fehr getheilter Meinung fein; aber aneigr 
nen koͤnnten und follten fie ſich von ihm bie anfrichtige, 
warme, herzliche Liebe zum Volke, die Achtung vor der 
Ehre und den echten aller rechtmäßig beftchenben 
Stände und Claſſen deffelben, vor allen irgend vernünfr 
tigen, auf einen gefunden Grunde beruhenden Gitten, 
Brauchen und Gewohnheiten, die Tichevelle Sorge für 


Zufriedenheit aller Volksangehörigen, verbunden mit ei⸗ 
nem fitlishen Ernſt, weicher Pflichten und Rechte ſtreng 
aneinander bindet; die Selbftverleugnung, womit er, nicht 
ben. eigenen Abſtractionen, Lieblingegrundfägen ober Gril⸗ 
len ſich hingebend, vielmehr ganz in bie Bebürfniffe und 
Lebensgewohnheiten von Einzelnen und Gemeinheiten fich 
bineinlebt, und nicht als Wohlthat aufbrängt, was den 
Empfängern al eine Laft erfebiene, aber auch bie Ber 
harrlichkeit, womit er der Trägheit und dem Unverſtand, 
der übeln Sitte und dem verkehrten Wollen immer wie 
der, in verfchiedenfter Form, ernft und fpottend feine 
Warnungen und Belehrungen zuruft und bald mit hei- 
terfter Laune, bald mit berzergreifender Kraft veran- 
ſchaulicht; Die fchöng, ruhige Milde, womit er unvermeib- 
liche Übel, nicht zu heilende Misſtände auffagt und ih⸗ 
nen die befte Seite abzugewinnen fucht, fo weit fie ſich 
nicht dureh Klugheit lindern und ermäßigen laffen; ben 
großen Uberblick, mit welchem er auch das ſcheinbar 
Kleine und Geringfügige auf das Würdigſte und Größte 
zu beziehen, es dadurch zu heben und zu abeln, der Be 
achtung und ber Thätigkeit zu empfehlen weiß, und das 
betriotiftge Erglühen für deutſche Ehre, deutſche Größe, 
rt und Kunſt, das fi durch alle feine Auffäge fo 
wohlthuend und anfprechend, bald beſchämend, bald ber 
geifternd hindurchzieht. In Wahrheit, ber Familien- 
vater und bie Hausmutter, der Bauer, der Bürger und 
Handwerker, der Kaufmann, ber Gelehrte, der Beamte, 
der Staatsmann und der Regent — Alle können aus 
Möfer's Schriften über ihre Pflichten und über ihre 
Ehre, über ihre Bebeutung fir das Ganze des Baten- 
tandes, tiber die Folgen ihres Eifers ober ihrer Sorg 
Tofigteit gegenüber dem Gemeinwefen, über den Segen 
bes Datriotismus, den Schaden und Schimpf des Egoie- 
mus ſich beicheen, unb Alle können zugleih, wenn fie 
dafür empfänglich find, die lebhafteſten Antriebe zu ei 
nem gemeinnügigen, patelofifchen, zu einem wahrbaft 
deutfchen Sinn und Wirken fchöpfen. 
Der firebfamen beutfchen Jugend insbejondere koͤnn⸗ 
ten Möfer'd Schriften ausnehmend zu flatten kommen; 
fie haben in ihrer koͤrnigen Friſche etwas bem jugend- 
lichen Geifte ungemein Zufagendes — Herder und Gor- 
the, als Zänglinge, hatten ihre größte Freude daran —, 
und zugleich wirken fie auf das Träftigfte einem leeren und 
oberflächlichen Enthuſiasmus entgegen, und bereichern ben 
Geiſt mit einer Fülle von lebendigen und wirklichen An- 


—— - —— — — 


128 


Ahamungen , von anziehenden und bedeutenden Verhalt⸗ 
ziffen, über welche die Gefchichte gewöhnlich gleihgülti- 
ger hinmweggehen muß. Gewiß ift es daher ein wohl- 
begründeter Wunſch, es möchten die Schriften Möfer’s, 
namentlich die „Patriotiſchen Phantafien”, wie fie eine 
Sammlung von Auffägen in WBocdenblättern für das 
Bolt find, fo aud) wieder theils als Ganzes, theils als 
einzelne Stüde oder in Auswahl des für beflimmte 
Kreife von Lefern Paffenden unter dem Bolt, unter der 
Nation fich verbreiten unb diejenigen Gefinnungen naͤh⸗ 
ren und befeftigen, aus welchen fie bei ihrem originellen 
Berfaffer hervorgegangen find; es möge nicht bei ber 
Anerkennung Einzelner bleiben, fondern das beutfche 
Bolt möge fi) den Inhalt, das Mark von Möfer’s 
Schriften aneignen, und bei feinen Beftrebungen zu Be 
gründung einer fehönen und gefiherten Zukunft fein 
Auge auf diefen weifen Deuter der Vergangenheit rich 
ten, und fein Ohr dem treuen Rathgeber leihen, der es 
gewiß vor vielen Misgriffen und UÜbereilungen warnen, 
es Umficht, praktiſchen Blick, tüchtiges und beharrliches 
Handeln lehren kann. 
(Die Fortſetzung folgt.) 


— — 


Literariſche Notizen aus Frankreich. 


Zur Kenntniß des Provinziallebens. 

Das bunte, mannichfaltige Provinzialleben in Frankreich, 
welches man ſchon durch den eiſigen Druck einer künftlichen 
Sentralifation erſtickt und unterdruͤckt waͤhnte, bietet für bie 
fegriftftellerifche fowie für. Die Lünftlerifhe Darftelung eine 
reiche Ausbeute. Man wird um fo mehr Darauf bingemwiefen, 
als feit einiger Zeit gerade in der Abgefchloffenheit der Pro» 
vinzen fih ein eigenthümliches, zukunftſchwangeres Leben zu 
segen begonnen hat. Mit Aufmerkfamteit müflen wir deshalb 
diefe Darftellungen verfolgen, unter denen ſich überdies ganz 
beachtenswerthe Erfcheinungen bieten. &o haben wir vor kur: 
zem erft einige Lieferungen eines ygrößern Werks zu Geſicht 
befommen, welches der Bergangenheit eines intereflanten Thei⸗ 
les von Frankreich gewidmet ift. Wir meinen folgendes Kupfer: 
wert: „L’ancienne Auvergne et le Velay.“ Der Herausgeber, 
Ad. Michel, hat Leine Mühe und Peine Koften gefpart, um 
demfelben einen hoͤhern voiffenfchaftlihen und Fünftlerifchen 
Werth zu verleihen, und es ſteht zu erwarten, daß die bemit: 
teltern Bewohner feiner Provinz ihm feine beträchtlichen Opfer 
entgelten werben. Das Ganze ift im großartigen Maßſtabe 
angelegt, indem ed auf drei Koliobände Zert und einen flarken 
Band mit Kupfertafeln und andern Seichnungen berechnet ift. 
Der äußern Erſcheinung nah, welche durchaus glänzend zu 
nennen ift, fchließt ſich dieſe Publication an ein ähnliches Werk 
an, welches früherhin von dem zu früh geftorbenen Ach. Allier 
unter dem Zitel „L’aneien Bourbonnais‘ unternommen war. 
Der Text zerfällt nach naturgemäßer Anorbnung in zwei Ab: 
theilungen, von Denen die eine dem Studium der bijtorijchen 
Greigniffe, die andere mehr der Localgefchichte gewidmet: ift. 
Was die erftere Abtheilung betrifft, fo gruppirt fi der 
ganze Stoff in fünf Zeiträume. Died find bie celtifche, bie 
gallosrömifche, die barbarifche, die feudale und die neue Zeit. 





Sammlung malaiifher Seegeſete. 
Bei dem regen Intereffe für orientalifhe ©tudien, wel: 
ches fich feit einiger Beit in Frankreich zeigt, Tann ed nicht 
fehlen, daß fi der europätfchen Wiſſenſchaft noch neue Aus: 


fißten, noch gang unbebaute Weider bieten werben. Ku diefen 
jängften @rwerbungen, welche die Linguiftit auf dem weiten 
Gebiete oͤſtlicher Sprachen gemacht hat, rechnen wir bie ma 
laiiſche Sprache, die in ihrer ganzen Wichtigkeit erft feit eini⸗ 
ger Beit erfaßt worden iſt. Es gibt allerdings einige nicht 
unbebeutende Vorarbeiten; aber fo tüchtig und beadhtenswerth 
dieſelben auch fein mögen, fo ift der vielverzweigte Sprach⸗ 
amm ber Malaien doch immer ein reichhaltiger Schat pi 
prachvergleichende Forſchungen, deſſen ganze Tiefe noch 
laͤngſt nicht erſchoͤpft fein wird. Unter den jüngern Gelehrten, 
welche fi der Pflege dieſes Idioms gewidmet haben, das vor 
kurzem Saum einige vereinzelte Vertreter zählte, verdient be- 
ſonders der ver einigen Jahren als Profeflor des Malaiiſchen 
angeftellte Dulaurier hervorgehoben zu werden. Er hat bereits 
in mehren literarifchen Arbeiten Zeugniß von feinem Eifer und 
feinen gediegenen Kenntniffen abgelegt. Gegenwärtig erhalten 
wir von ihm ein Wert, welches auch außerhalb des Kreifes 
linguiftifcher Studien Beachtung finden wird. Ss ift dies eine 
mit Überfegung verjehene Sammlung der Seegefege der Ma⸗ 
Laien, die bier zum erften Male mit einiger VBollftändigkeit zu- 
fammengeftclit erfcheinen. Zwar hatte der bekannte Naffles 
fhon einen ähnlichen Verſuch gemacht, der indeffen nod Au: 
Berft ungenügend ausfiel. Dulaurier hat in feiner Sammlung 
außer dem Goder der Bugis, der bereits früher einmal von 
ben Gngländern in Sinapur im Originalterte gedruckt war, 
die Seegefege von Malakka und Mafaffar vereinigt, von denen 
einige biß ins 12. Jahrhundert hinaufreichen und dem Rauti- 
ker wie dem Ethnographen vielfachen Stoff zu Betrachtungen 
ieten. 


Die adminiftrativen Verhältniſſe in Frankreich. 

Die höhere Adminiftration in Frankreich ift fo eigenthüm- 

lich organifirt, es herrſchen in Betreff derfelben in Deutfchland 
fo wefentliche Irrthümer, daB man das Erfcheinen eines Werks, 
welches geeignet ift, auf diefe inneren Zuftände einiges Licht zu 
werfen, mit &reude begrüßen muß. Man kann dies um fe 


| mehr, als der Name bed Berf. jhon eine Garantie für Die 


Gediegenheit des Inhalts und für die Stufe fowie die Würde 
der Faſſung abgibt. Diefe wichtige und intereffante Schrift 
rührt von dem bekannten Yubliciften Vivien ber und führt den 
Zitel „Etudes administratives”. Ein Theil der Auffäpe, welche 
in vorliegendem Werbe vereinigt werden, ift bereits in ber 
„Revue des deux mondes”, zu deren thätigften Mitarbeitern 
Vivien gehört, erjchienen. Wenn aud im Allgemeinen der 
Verf. zu einer einigermaßen optimiftifhen Anfchauungsweife hin: 
neigt, fo find wir gewiß weit entfern: ihm dies zum Vorwurf 
zu maden. 17. 





Literarifhe Anzeige. 


Neu ift bei mir erfhienen und durch alle Buchhandlungen 
zu erhalten: 


Allgemeine 


Pädagogik. 
In drei, Büchern. 


Dr. 8. Gräfe. 
Zwei Theile. 
Gr. 8, 4 Thlr. 


Erſtes Bud: Entwidelung und Bildung; weite Bud: 
rziehung; drittes Buch: —R * 


Eeipzig, im Januar 1846. 
F. A. Brockhaus. 


Verantwortlicher Herausgeber: Heinrich Wrodjans. — Druck und Verlag von F. WE. Drockhans in Leipzig. 


Blätter 


für 


literarifdhe Unterhaltung. 





a — ——— "nm. 


Sutus Möfer. 
(Bertfekang «us Nr. 3.) 

Seht Diöfer fehrich und wirkte — er ift jetzt ein hal⸗ 
bes Jahrhandert todt! — bat Deusfihland ohne Zweifel 
in vielen Stüden, namentlich auch in feinem politifchen 
und focaten Zuftande, Fortſchritte gemacht, bie tm Gin- 
zelnen wieber von manden Rachtheilen und Ubelftänden 
begleitet fein mögen, im Ganzen aber von ihnen gewiß 
nieht aufgewogen werben. So fft, wm nur einige Punkte 
anzudeuten, bie Getheiltheit Beutfchlands in eine Unzahl 
von Herrichaften mit all den daraus. erwachſenden Uebel⸗ 
Ränden in der Berwaltung, in der Rechtspflege, in den 
Grenverhälnifien, im Verkehr, auf ein viel geringeres 
Maß zurückgefüͤhrt, es ift in den genannten Beziehungen 
eine gewiſſe Ordnang, Gleichförmigkeit oder feibft Ein⸗ 
heit bewirkt worden; die Tortur und bie Leibeigenfchaft 
find fo ziemlich überall aufgehoben, die brüdenden und 
andere Staffen hemmenden Vorrechte des Adels find be- 
Phräntt, der Übermuth und die Gemwaltthätigkeit der Be⸗ 
anıten und der Soldaten gebrochen worben u. f. w.; 
eine öffentlihe Meinung, kann man fagen, barf fich doc 
eher bilden und ausſprechen, und das eigentliche Volt 
wird mehr beachtet und gezählt als vor 50 oder TO 
Jahren in Deutfchland der Fall war: aber fo viele tüchtige, 
gelehrte, unerfchrodene und freifunige Schriftfteller, Pu⸗ 
bficiften, Vertreter und Morkämpfer der Zreiheit und der 
Rechte des deutſchen Volks wir befigen, einen Mö⸗ 
fer haben wir body zur Zeit nicht, und wir können wol 
auch, wie die Verhältniffe find, Seinen mehr haben. Cr 
iſt eine Erſcheinung, in weicher fi die Eigenthümlich⸗ 
keit feiner Zeit und der beutfchen polittfhen Berhältntffe 
auf eine ganz einzige Weiſe ausgeprägt hat, fo jedoch, 
dag die intellectuelle und fittliche Trefflichkeit des Man- 
nes auch aus fonderbaren Berwidelungen und verwar- 
renen Verhäftniffen noch einigen Bortheil zu ziehen 
mußte, fowie fie das Fördernde der Zeitlage aufs befte 
benugte, während doc zugleih Möfer mit der ihm ei- 
genen Umſicht und Mäßigung feine Kräfte nicht vergeu- 
bete ducch Ankaͤnpfen gegen unüberwinbliche Schranken 
und Hemmniffe, und große Ubel, deren Heilung aber in 
einer Weiſe abzufehen, und durch girtliche Mittel auch 
gar nicht zu verfuchen war, nur gelegentlih mit einem 
bitteen Seufzer oder einem mehmüthigen Scherz anbeutete. 


— — — — — — 





zu unmöglich und undenkbar. 

Ein höherer Beamter — und Möfer bekleidete im 
Hodflift Osnabrück einen höchſt einflußreichen Poſten, 
ja er war gewiſſermaßen die Seele der Verwaltung —, 
der nicht für die Salons und Boudoirs, mit für das 
Theater, ſondern ganz anfpruchsios für ben niedern Be 
amten, den Bürger und Bauer, den Kaufmann unb 
den Handwerker ein ſchlichtes Wochenblatt fchriebe, und 
zwar nicht etwa bios, um Regierungsmaßregeln füß ein⸗ 
zugeben und zu empfehlen, nicht um dem Bolte unse 
dingte Unterwerfung umter bie höhere Weisheit und Aus» 
torität der Macht zu prebigen, und ihm mit fophiftifsher 
Gewandtheit dad Belieben der Gewalthabenden ats ein- 
jigen Weg zu feiner Wohlfahrt zu rühmen — nein! 
um das Doll zum Selbfiprüfen und Selbfidenten zu 
ermahnen und zu erziehen, um es über feine Rechte und 
Intereffen ebenfo wol wie über feine Pflichten aufzuklä⸗ 
ren, es auf Misbräuche in der Verwaltung oder Rechts⸗ 
pflege aufmerkfam zu machen, Selbfigefühl und Gemein⸗ 
finn in ihm zu erweden und feinen Bid für die Auf- 
faffung der heimatlichen und: dann der varerfändsfchen 
Verhaͤltniſſe überhaupt zu flärfen und zu erweitern, wäre 
unter den jegigen Umftänden unmöglich. Ginmal, we 
find bewtzutage noch die höhern Regierungsbeamten und 
Staatsmänner, die, unter Büchern und in gelehrten 
Schulen aufgewachfen, und ihre Zelt zmifchen den Ac⸗ 
ten, den Sigungefälen und den gefelligen Salons thei— 
lend, es nicht unter ihrer Würde hielten, ober doch nicht 
Zeit und Gelegenheit fänden, fi in das Leben, die Ge⸗ 
wohnheiten, die Sitten, bie Bebürfniffe des Wolle, des 
Bürgers und Bauers, recht hineinzwverfegen, fih NKennt- 
niffe vom Zuftand des Volle aus unmittelbarer, vielfel- 
tiger Anfhauung und Erfahrung ftatt aus dürren Be- 
richten und trockenen Zahlen und ftatiftifchen Tabellen 
zu fhöpfen, mit allen Claſſen der Staatdangehörigen 
menfchlicy zu fühlen; die das Talent hätten, ben Ton 
und das Herz des Volks zu treffen, ohne deshalb ihre 
eigene Perfönlichkeit und Würde zu verleugnen, ohne 
ſich zum Schaufpieler zu erniebrigen; und die: Ausdauer‘ 
und Umſicht, und Kiebe zur Sache genug befäßen, um 
lange Jahre hindurch in dieſem Beruf eines forgfamen, 
treuen Erzieher des Volks nicht zu ermüben? Wo wäre 


. 130 


heutzutage die Regierung zu treffen, die, wie wohlmei⸗ 
nend und liberal zu fein fie ſich rühmen möchte, nicht 
Anftoß daran nähme, wenn ein höherer Beamter in fol- 
cher Weife fi mit dem Volk gemein machte, gleichfam 


ohne die Amtsuniform und Amtsmiene fih unter daf- |- 


felbe als harmloſer Menſch mifchte, die nicht mistrauiſch 
würde, ja mit Verboten, Drohungen und Entfegungen 
ſich einftellte, wenn er ſich beigehen Tiefe, Regierungs- 
maßregeln vor dem Molke einer firengern Prüfung zu 
unterwerfen *), wol gar ganz oder theilweife zu mid- 
billigen, ober durch Belehrung des Volks über feine 
Rechte und Intereffen, fofern dieſe nicht mit denen der 
Negierung zufammenfallen, diefer Iegtern Schwierigkeiten 
au bereiten? Aber undenkbar wäre in jegiger Zeit ein 
folcher Schriftftellee wie Möfer auch deswegen, weil bei 
dem fchroffen fich Gegenüberftehen ber politifchen Par- 
teien und Anfichten, bei dem 'weitverbreiteten Mistrauen, 
das ſich mehr und mehr der Gemüther bemaͤchtigt hat, 


ein in Moͤſer's Geift und Art, mit treuer, mwohlmolien- | 


der Theilmahme für das Volt fchreibender und wirfen- 
der, aber dabei doch im engflen Vertrauen und Dienft 
der Regierung ftehender, und daneben noch mit der Ver⸗ 
theidigung der Intereffen eines bevorzugten Standes (ber 
Nittetfhaft) beauftragter Mann unfehlbar dem Wolke 
von Anhängern einer erfremen Meinung verdächtigt, Der 
Zweideutigkeit und Achſelträgerei befchuldigt, als ver 
kaufter Miethling und doppelzüngiger Sophift verfchrien 
werden müßte? Nur in einer im Ganzen noch fo harm⸗ 
loſen, friedlichen und vielfach naiven Zeit,. bei einer fol- 
hen Meeresſtille der Geiſter und des politifchen Lebens, 
wie fie nach dem Siebenjährigen Krieg in Deutichland 
waltete, konnte eine fo verwidelte und belicate Stellung 
wie die Möfer’s als hoher Negierungsbeamter und zu- 
gleih als Volksſchriftſteller von einem höchſt einfichte- 
vollen und gewandten und dabei ebrenhaften und ved- 
lichen Manne behauptet werden ; fie hatte etwas Patri⸗ 
archalifches, was bei einer flraffern Spannung der Gei- 
ſter, bei entwideltern, ſchärfer feftgefegten Berhältniffen, 
bei einem bewußtern Gegenfage der Meinungen, der 
Intereſſen und Parteien nothwendig wegfallen muß; unb 
ein Dann von Möfer's Gaben und Befinnung müßte 
heutzutage auf eine ganz andere Weiſe ſich geltend ma» 
hen, er müßte, ftatt als wohlmeinender und einfluß- 
reicher Vermittler verfchiedene Intereſſen zu verfühnen 
und fich den Dank von Regierung, Privilegirten und Bolt 
durch eine ruhige, . unangefochtene aber allerdings uner- 
müdete Thätigkeit zu erwerben *), fich feine Wirkſamkeit 


*) Welche heutige Regierung wuͤrde eine ſolche Empfehlung der 
Lotterie, wie fie Möfer beim Anfang der o8nabrudifchen Lotterie 
gab, geduldet haben? Der Verf. wäre als unehrerbietiger Spötter 
behandelt worden! 

») Möfer ſchreibt: „Mein Amtöjubiläum ift fehr felerlih began⸗ 
gen worben, und id kann mit Wahrheit fagen, daß mid) in ben 50 
Sahren Vieles erfreut, wenig betrübt, nichts gefräntt habe, unge: 
achtet ich in fehr befondern Verhäftniffen flehe, indem ich Herren unb 
Ständen zugleich diene, für diefe die Beſchwerden, für Jene bie darauf 
zu ertheilenden Nefolutionen angebe et sic vice versa. Aber was kann 
man nit, wenn man ein langjähriged Vertrauen für fi hat.” 








— — — en — —— — — — — — — — — 
— ———n- 
— — — 


erkãmpfen, er müßte feine Partei nach beſter Uberzeugung 
wählen, und ben Beifall, die Liebe und Berehrung ei- 
nes Theils ber Nation mit der Ungunft und Feindfeligkeit 
eines andern bezahlen. 

Möfer war — wenn wir nun zu einer kurzen Be 
leuchtung feines Charakters als Menſch und. als Schrift- 
fteller übergehen — Politiker feinem innerften Mefen 
nach, Das heißt, er faßte Alles vom Geſichtspunkte des 
Staatslebens auf; das gemeine Befte, das Vaterland, 
das Volk, die öffentlichen Rechtsverhältniffe waren ihm 
das Höchfte, der Maßſtab dem er Alles unterwarf. Hier- 
in tritt auch feine Originalität, bie Kraft und das Ge⸗ 
präge feines felbfländigen Geiſtes am unvertennbarfien 
hervor, daß er im feiner Zeit, wo die Politik eben ale ' 
Mangel der Regenten und ihrer Diplomaten und Mäthe 
galt, und außerdem nur einige Profefforen an den Hoch⸗ 
iulen fie vorteugen, fie als eine Sache des Bürgers 
ale Solcher, als Intereffe des Volke, als eine Pflicht 
und als ein wirkliches Lebenselement mit dem Geift und 
mit dem Gemüth zugleich erfaßte, und die Theilnahme 
daran allgemein, das Intereſſe Ichendiger und perfön- 
licher zu machen fuchte und wußte. Allerdings begün⸗ 
ftigten ihn hierbei feine perfönlihen Verhältniſſe, ſofern 
er felbft eine. politiſche Rolle zu fpielen hatte, in innern 
und äußern Zandesangelegenheiten, und mehrfach den Un- 
terhändler und Diplomaten machen mußte; aber denjeni⸗ 
gen politischen Geift, welchen feine Schriften athmen, 
wäre feine amtliche Stellung cher zu erfliden ale zu 
werden geeignet geweſen. Da er aber einmal in ihm 
lebendig. war, fand er ohne Zweifel in feiner Stellung 
viele Gelegenheit, ihn durch leichter zugängliche Erfab- 
rungen und Senntniffe immer weiter auszubilden, und 
fi) eine auf Erfahrung und weiten Überblid gegründete 
Einfiht zu verfchaffen, welche leicht dem fcharfiinnigften 
und innerlich (ebendigften Gelehrten fehlt. 

| (Die Bortfegung folgt.) 


Dante Alighie ri's profaifche Schriften mit Ausnahme 
der Vita nuova. Überfegt von 8. 8. Kannegiefer. 
Imei Theile. Reipzig, Brodhaus. 1845. Gr. 12. 
2 Thlr. 


Dante's Meinere Schriften, die noch vor etwa zwanzig 
Sahren der Mehrzahl unter den Bewunberern ber „Göttlichen 
Komödie” Baum mehr als dem Namen nah bekannt waren, 
ziehen in immer weitern Kreifen die Aufmerkjamleit der Freunde 
jenes Gedichte auf fich, deffen richtiges Verftändni an unzaͤh⸗ 
ligen Stellen nur aus ihnen gefchöpft werden kann. Bier 
Gefammtausgaben dieſer Opere minori find feit 1830 in Ita⸗ 
lien erfchienen, von denen die eine (6 Bdchn., Florenz 1834—40) 
allein, die zweite (2 Bde., Florenz 1830 — 40) zum größern 
Theil von dem fleißigen Biete. Fraticelli beforgt if. Die 
deitte (Neapel 1839 — Al), ein unverfhämter Rachdruck 
der erften, zeichnet fih nur durch unzählige Druckfehler ans. 
Die vierte und vollftändigfte endlich, von Aleſſandro Zorri (Li⸗ 
vorno 1843), iſt noch lange nicht vollendet. *) 

Dad „Neue Leben” allein hat Carrer (Venedig 1840) 
herausgegeben, Überfegungen derfelben Jugendfchrift lieferten 


*) Vergl. hierüber Nr. 241 d. Bl. f. 1983, D. Red. 


151 


2 


ins Zrangöfifihe ein Ungenannter („L’suteur des diverses f6e- 
ind Yaris 1843), Brizeur (?) und Delécluze ($), und ins 
Deutiche der zu früh verflorpene treffliche Karl Forſter (Leip- 
ig 1841). Geine engliſche Überfegung ber in demfelben Buͤch⸗ 
lein und im „Comvito‘ enthaltenen Gedichte aber hat Charles 
Syell einer neuen Durdficht unterworfen und verbunden mit 
einer „The antipapal spirit of Dante Alighieri” überfchries 
benen Abhandlung (Eondon 1842) herausgegeben. Diefe durch 
den bejabrten Gaetano Polidori (London 1844) alsbald ins 
Italieniſche überfegte, von fehr vieler Einficht zeugende Schrift 

wer zu befprechen wird ich hoffentlich bald Gelegenheit 

en. Die Iyrifchen Gedichte Dante's drudte Giovanni or: 
naro (Rom 1845) nad meiner Ausgabe vom Jahre 1826 
(Reipzig) ab und fügte, ohne von meinem neuen Gommentar 
(Leipzig 1842) Kunde zu haben, einen völlig ungenügenden 
Auszug aus jenen vor mehr als 19 Jahren erfhienenen An⸗ 
merfungen bei. Eigene Schriften über Dante's Monarchie” 
haben wir von dem .Marchefe Azzolino (Baftia 1839) und von 
Karl Hegel (Roſtock 1842) erhalten. 

Kun bietet Hr. Director Kannegießer, deſſen Überfegung 
der „Söttlicden Komödie‘ fchon in der vierten Ausgabe erſchienen 
it (Reipzig 1843) und dem auch von den liberfegungen der 
„Ryrifchen Gedichte“ (Leipzig 1342) die große Mehrzahl angehört, 
uns auch die übrigen kleinern Schriften des Dichters, ſodaß 
wir in Berbindung mit der örfter'fhen Arbeit jegt Dante's 
fänmtlihe Werke in dem 4., 12, 13., 23.— 2., 39. u. 4. 
Bande ber „Ausgewählten Bibliothek der Claffiter des Auslan: 
des’ verdeutfcht vor uns liegen fehen. Es enthalten nämlich 
die beiden vorliegenden Bändchen das „Gaſtmahl“, die „Mo: 
narchie“, das Werk „Über die italienifche Volksſprache““ und 
die „Briefe. Warum der Hr. Überfeger uns Die neuerdings 
von Torri wieder abgedructe Heine Schrift über Die Elemente 
des Waſſers und der Erde vorenthalten, ſpricht er zwar nicht 
aus, doc läßt fich nicht leugnen, daß, wenn ſchon die darın 
befprochene Frage: ob dad Meer irgendwo höher fei als bie 
Erde? uns defremdlich vorkommt, ‚die ganz ſcholaſtiſche Form 
ber Grörterung auf den Leſer entfchieden zurüdftoßend wirkt. 

Eine Überfegung diefer Schriften kann dazu dienen, fie in 
dreifacder Art zugänglicher zu machen; zumächft für Diejenigen, 
welche die, trog zahlreicher italienifher Ausgaben, in Deutic» 
lanb doch immer noch feltenen Driginale nicht zu erlangen wiſ⸗ 
fen. Sodann für Diejenigen, denen bie lateinifche oder italie- 
nifde Sprache der Urſchrift nicht geläufig ift. Endlich für 
Ale, denen die große Schwierigkeit des Gebantenganges und 
des Ausdrucks der meiften diefer Schriften Zweifel über die 
Bedeutung einzelner Stellen gelafien hat. Den beiden Erſten 
dient alddann die Überfegung ald Surrogat des Driginals, dem 
gegtern aber als Hülfsmittel zum befiern Berftändniß. 

Gerade der nd aber, welcher in diefer legten Bezie⸗ 
hung eine getreue und zugleich einfihtige Verdeutſchung fo 
Fr g wünfchenswerth macht, ftellt einer folgen große, oft 
aſt unüberfleigliche Hindernifle entgegen. Richt allein ift die 

rache diefer Schriften im italienifcgen Text eine alterthüm- 
he im Rateinifchen eine barbarifche, in beiden Fällen alfo eine 
dem heutigen Gebrauch entfrembete, nicht allein pflegt der Aus⸗ 
druck ein ebenfo prägnanter zu fein als in ber „Söttlichen Kor 
modie“, fondern entweder gehören die erörterten Fragen felbft 
abſtratter Speculation an, oder die Borm der Erörterung ift 
Och wenigſtens der Scholaftil des fpätern Mittelalters ent: 
Iepnt. Eine fernere Schwierigkeit, deren auch Hr. Kannegie⸗ 
Ber in der Borrede gedendt, bietet ber in unfern Ausgaben 
theilweiſe erheblich entftelte Zert bar, und dieſe Fehler zu be» 
richtigen darf wieder nur Der hoffen, dem es gelungen ıft fi 
die Denk⸗ und Redeweiſe des Schriftftellere anzueignen. 

Zu diefen Schwierigkeiten, welche Form und Inhalt des 
Driginals bieten, treten für den Überſetzer neue hinzu, welche 
aus der Befchaffenheit derjenigen Sprache hervorgehen in 
welche er. überträgt. Wer ih an Dergleichen nur irgend ver« 
ſucht hat, wird erfahren haben, wie ungewöhnt unfere Sprache 


ift, den Gedanden in der Form fcholaftifcher Syllogismen fort- 

fhreiten zu laſſen. Fuͤr Ausbrude, die den mittelalterlidhen 
Ariſtotelikern feſtſtehende technifche geworden waren, fuchen wir 
vergebens nach einem verfprechenden Wort; die Begriffe felbft, 
die dadurch bezeichnet werden follten, find meiftens aus ber 
heutigen Philofophie entfhwunden. Wie follen wir z. B., um 
nur das Nächftliegende zu erwähnen, intellectus possibilis, 
contingentia, quiditas, parseitas, potentia, actus und fo man» 
des Ühnliche im Deutichen entfprechend wiedergeben? Cs 
bleibt dem Überfeger in der That Fein anderer Ausweg, als 


dieſes feſt abgefchloffene und nicht allzu umfangreiche Gebäude 


ſcholaſtiſcher Kunftausdrüde im voraus volftandig zu über: 
Ihauen, und nachdem er ein genaues Berftändniß jedes einzel: 
nen gewonnen bat, ſich für möglichft entſprechende deutſche 
Worte zu beftimmen, die er alsdann mit voller Gonfequenz an 
die Stelle jener lateinifhen oder italienischen fegt ſo oft er' 
ihnen begegnet. 

Dürfen wir nun auch die Fähigkeit, fo erhebliche Schwie: 
rigkeiten zu befiegen, vorzugsweife bei einem Wanne vorause 
fegen, der feit länger ald einem Menfchenalter ſich mit Dante's 
alumfafiendem Gedichte befhäftigt bat, fo konnen wir bei aller 
Anerkennung, welche fo Icbenswerthem Fleiße gebührt, dennoch 
die Aufgabe auch durch Lie vorliegende Arbeit nicht in dem 
Maße für gelöft Halten, als wir e6 zu den angedeuteten Zwecken 
wünfcpen möchten, und ed möge babingeftelt bleiben, ob dar» 
aus deren Unlösbarkeit ſchlechthin gefolgert werden müſſe. 

Um beifpielsweife nachzuweiſen, was neben dem Guten, 
das fie bietet, Hrn. Kannegießer’8 Überfegung im Einzelnen 
noch vermiſſen läßt, follen ftatt des „Convito’, welches die größten, 
und ftatt des ,,‚Vulgare eloquium“ und der „Briefe, welche gerin- 
gere Schwierigkeiten bieten, und für welche letztern vorhandene 
Vorarbeiten hier zum Theil wörtliche Aufnahme gefunden, einige 
Stellen des erften Buchs der „Monarchie befprochen werden, 
welche Schrift in Unfehung der Schwierigkeit obngefähr die 
Mitte zwifchen jenen andern hält. Wird fich Dabei ergeben, daß 
der Überfeger den Sinn feines Driginald mehrfach nicht richtig 
aufgefaßt und wiedergegeben babe, fo wird einem aufmerkſa⸗ 
men Lefer zugleih an dieſen Beifpielen die Schwierigkeit der 
Arbeit ſelbſt binlänglich erhellen. 

Im 15. Capitel des erſten Buchs (nach der Zaͤhlung des 
Marfilius Ficinus; leider hat Hr. Kannegießer keine Capitel⸗ 
zahlen angegeben, obgleich Dante ſelbſt z. B. S. 12 danach 
abtheilt) heißt es im Driginal: „Nihil igitur agit, nisi tale 
existens, quale patiens fieri debet. Propter quod philoso- 
phus, in iis quae de simpliciter ente: «Omne» inquit «quod 
reducitur de potentia in actum, reducitur per tale existens 
actu.»” Das heißt paraphrafirt: „Kein Ding vermag auf 
ein anderes einzuwirken, wenn ed nicht felbft diejenige Eigen: 
ſchaft Hat, welche es diefem letztern, dem leidenden Objecte, 
mittheilen fol. Deshalb fagt Wriftoteles in feiner Metaphyſik 
(IX, 8): aAlles, was von dem Buftande der Fähigkeit zu ei» 
ner Eigenfchaft, zu der Wirklichkeit diefer Eigenichaft geführt 
wied, wird dies durch ein Anderes, welches diefelbe der Wirk 
lichkeit nach fchon befigt.»”’ Statt deffen überfegt Hr. Kanne⸗ 
gießer &. 20: „Gar nicht handelt alfo nur Das, was unter 
der Bedingung vorhanden ift, daß es leidend zum Dafein ge 
langen muß. Deswegen fagt der Philoſoph in feiner Schrift 
über das an ſich Dafeiende: « Alles, was mit Gewalt zum Da- 
fein gebracht wird, daB wird es nur durch Etwas, das han⸗ 
beind vorhanden iſt.,“ Abgeſehen nun davon, daß der Herr 
Überfeger offenbar den auch aus der „Böttlichen Komödie” (4. B. 
Paradıes, XXIX, 34) Hinlänglich befannten Gegenfag von po- 
tentia (wofür cr „Gewalt“ fegt) und actus völlig verfannt 
bat, darf billig bezweifelt werden, ob er irgend mit den von 
{hm gebrauchten Worten einen Maren Gedanken verbunden habe. 

Leichter verftändlich ift folgender Satz des 14. Eapitels, 
in welchen Dante wie im ganzen erften Buche die Aufgabe 
verfolgt, theoretifch die Nothwendigkeit der Univerfalmonardhie 
zu beweifen: „Genus humanum solum imperante monarcha 


183 


ind, et non alterius gratia est. Tunc enim sölum politiae 
‚ diriguntur obliquae, democratise scilicet, öligerchiae atque 
tyrannides, quae in servitutem cogunt genus humenum, ut 
atet discurrent! per omhes; et politizant regen, aristoers- 
til, quos optiniates vocant, et populi libertatis zelatores.” 
Das heißt: „Nur unter der Oberhetrlichkeit eined Welthetr⸗ 
ſchers iſt das Menſchengeſchlecht um fein ſelbſt, nicht aber um 
nderet willen. Denn nur dürch eine foldye erben die ver» 
hrten are gerade gemadjt, nämlich daB Bolls⸗ 
tegiment, die Herr Bett Weniger und die Gewaltherrſchaft ei» 
nes Einzelnen, welche, wie bet Umbli über alte ſolche Se⸗ 
meinweſen ergibt, das menſchliche Geſchlecht in Knechtſchaft 
waängen; nur unter ihr regieren nach wahrer Staatsweitheit 
te Könige, die Xriftofraten, welche man den Adel nennt, und 
die für Freiheit begeifterten Volker.“ Bei Hrn. Kannegießer 
widerfpricht diefe Stelle (S. 19) der Aufgabe und dem In⸗ 
halte des ganzen Buchs: „Das menfchliche Geſchlecht iſt einzig 
unter einem Monarchen feih felbft wegen und nicht eines An: 


dern wegen da. Denn dann allein werben Staaten 


. falf verwaltet, ich meine bie Demokratien, Oligarchien 
und Lyranncien, weil fie die Menfchen zu Sklaven madyen, wie 


ein aligemeiner Überblick lehrt; und rechte Staatöper:- 
walter find die Könige, die Ariſtokraten, die man 
Optimaten nennt, und die Verfechter der Bolfsfreiheit.” 

Roc leichter waren mol folgende Misverftändniffe zu 
vermeiden. Im 10. Kapitel fagt "Dante: „Vera enim ratto 
unios in solo illo (sc. Deo) est, propter quod scriptum est: 
«Audi Israel, Dominus tuus unus est.x” Zu deutſche „Denn 
das eigentliche Weſen der Einheit ift nur in Gott, weshalb 
(5. Mof. 6, 4) gefchrieben ſteht: «Höre Iſrael, der Herr un: 
fer Gott ift ein einiger Gott.» Hr. Kannegießer überfept 
Dagegen 8. 12: „Denn wahr ift dab Berhältniß des Einen 
im Sunzen, weshalb es heißt: «Höre, Ifrael»’’ u. |. w. Am 
Schluffe des erften Buchs wirft Dante dem von Stürmen um: 
hergeworfenen vielhaͤuptigen Menfchengefchledgte vor, es kranke 
an dem einen und andern Berftande (dem fpeculativen und 
dem praktiſchen) und nicht minder in feinen Begierden, und 
fügt algdann hinzu: „Rationibus irrefragabilibus intellectum 
superiorem non curas, nec experientiae vulta saperiorem; 
sed nec affectum dulcedine divinae suasionis’': „Du Unter: 
läffeft es, den fpeculativen Berftand durch unmwiderfegliche Ber: 
nunftfchlüffe, und den praktiſchen durdy das ar der Erfah⸗ 
rung au heilen. Nicht einmal deinen. Begierden laͤſſeſt du bie 
Suͤßigkeit der göttlichen Darum zur Arznei gereichen.” 
Biernlih umgekehrt lautet diefer Sag bei Hrn. Ranneyießer 
S. 26: „Trotz unmiderteglichee Gründe achteft du nicht auf 
Die böhere, trotz des Antliges der Erfahrung nicht auf dic mie 
dere Einficht, aber auch nicht anf den Zrieb trog der Süßig⸗ 
Peit der göttlichen Anmahnung.” Eben biefer, den Gcholafti- 
fern fo geläufige Gegenſatz zwiſchen intellectus speculativus 
und practicus in ihrer combintrten Thätigkelt zum Spllogis⸗ 
mus dient dem Autor an einer andern Stelle (Cap. 16) zum 
Gleichniß für das Verhaͤltniß zwiſchen dem Univerfalmonarchen 
und den einzelnen Fuͤrſten. Dieſe ſollen von jenem die Grund⸗ 
principien empfangen, nach denen das Menſchengeſchlecht zu 
regieren iſt, um ſie demnaͤchſt, je nach den verſchiedenen Sit⸗ 
ten und Bebürfnilfen des einzelnen Volks, zu verwirklichen. 
Ebenfo, fagt Dante, empfängt der praktiſche Verftand zur Bil⸗ 
dung eines Schluffes, der die Handelsweiſe beftimmen fol, ben 
Vorberſatz (die propositio major, 3. B. es iſt Pflicht, den 
Bedürftigen zu helfen) von dem fpeculativen Berftande; er 
felbſt aber reiht darunter die befondere Wahrnehmung (als 
pröpositio minor, 3. B. X. ift bedürftig), welche ausſchließlich 
feinem Gebiete angehört, und fihließt daraus im Befondern, 
um die Handelöweife danach zu beftimmen (3. B. ed iſt Pflicht 
dem 9. zu helfen). Im Sriginal kautet dieſer Sag: „Quam 
quidem regulam sive legem, particulares principes ab eo 
(imönarcha) recipere debent: tamquam intelleetus practicus 
ad conelusionem operativam recipit majorem propesitionem 


forſchenden 


ab intellectun speculativo, et sub illa particddaren, qquee 
proprie sud cat, assümit et partionlariter ad fatiohem 
coneludit.” Bei Hrn. Kannegießer dagegen ©. 23,23: „Bier 
66 Leitmaß oder Geſetz mähen vie befondern Herrſcher von 

R ſowie etwa der handelnde Berſtand zum wir: 
kungsfaͤhlgen Scluffe ben ſtarkern Vorſatz von dem 
serftande emipfärigt, und unter ihm den befon» 
bern, der fein eigen If, aufnimmt und einzeln zur Wirk» 
famkeit den Schluß made.” 

‚ Das Verzeichniß ſolcher Stellen, in denen ber Sinn bed 
Driginais unrichtig aufgefaßt ift, ließe fi ohne Mühe was 
ohne die Grenzen des erften Buchs der „Mönarchie”, am 
dem die obigen entlehnt wurden, jr überfchreiten, beträchtlich 
vermehren, beſonders wenn auch die Bälle mit aufgeführt wer: 
den follten, wo das Midveritandmiß durch eine falfıhe Lesart 
hervorgerufen wurde, wie z. B. S. 15, 9. 15, wo sive ſtatt 
sine gelefen ift. Statt deffen fo aber vielmehr flichtieh 
nochmals entſchuldigend auf die Schwierigkeit des Unterneh: 
mens aufmerffam gemacht werden, für welches Vorarbeiten in 
fo geringem WMabe vorhanden find. Gewiß aber iR zu be- 
dauern, daß das eine Bülfsmittel, welches wir für die Mo⸗ 
narchie” Befisen und welches ſich in Hrn. Kannegicher's Hän- 
den befand, von ihm unbeachtet geblieben zu fen fcheint: es 
ift dies die im Ganzen ebenfo treue als mit Einfiht gearbei- 
tete itälienifche Überfegung des Marfikius Ficinus, welde im 
der von unferm Überfeger, der Vorrede zu Folge, zum Grunde 
gelegten Fraticelli' ſchen Ausgabe dem lateiniſchen Terte gegen: 
uͤberſteht. Kati Witte. 





Literariſche Notizen aus England. 


Anthologie aus deutſchen Dichtern im Engliſchen. 

Unter dem Titel: „German anthology. A series ef 
translations from lie most popular german poets“, vom 
James Clarence Mangan, ift in zwei Bänden eine Mufterfamm- 
lung aus deutſchen Dichtern in engliſcher Sprache erſchienen, 
nachdem die einzelnen Stücke in einer langen Reihe von Jahren 
nach und nad) im „Dublin university magazine’ veröffentixcht 
worden waren. Obwol Herr Mangan in feiner Vorrede bes 
bauptet, Daß feine Übertragungen „treu nach dem Geiſte, 
wenn au nicht nach dem Buchſtaben der Originale” verfaßt 
find, fo zeigt fich bier oft das Enechtiihite Kleben am Buch» 
ftaben, bort bie ärgften Verftöße gegen den Sinn, und bie 
komiſchſte Verballhorniſirung der Gedanken unferer vatcrfändifchen 
Dichter. Richtig bemerkt ein englifcher Kritiker, indem er die 
Übertragung von Freiligrath's „Wüftenkönig ift der Loͤwe“ 
buch Heren Mangan anführt, diefe Art der Umdichtung „heiße 
nicht feines Gold mit Gold überziehen, fondern es mit Kupfer 
belegen; nicht die Lilie weiß malen, ſondern fie mit rothem 
Ocker beftatfchen ”. 


Raturwijfenfhaft und Bibelglaube. 

Bon dem Berf. des Werks ,,Vestiges of creation”, 
welches im autoritätd- und bibelgläubigen Enyland. fo großes 
Auffehen gemadt, und eine wahre Flut von Gegenfihriften 
hervorgerufen hat, fol in kurzem cine neue, feine Anfichten 
roeiter ausführende Schrift unter dem Zitel „The harmeny 
of the visible creation” erſcheinen. Die Zeitungen haben 
das wegen feiner confervativen Sefinnungen bekannte Mitglied 
des Unterhaufes Sir Richard Vvvyan als Verf. genannt, Wehe 
her Behauptung jedoeh von anderer Seite widerfprochen wird. 
Unter den legten Gegenſchriften, die zumeift von Beiftlichen 
verfaßt find, verdienen erwähnt zu werden: „Creation by the 
immediate ageney of God, as opposed to creation by 
naturel laws; being a refutation of the work entitled: 
a Vestiges ote.»’ ven &. M. Mafon, und „A brief exami- 
nation of the nebulous hypothesis, with strietures en a 
work entitied « Vestiges ete.n”, von I. Wallis. 12. 


Verantwortlicher Herausgeber: Geinzih Brodjans. — Drud und Verlag von F. . Srockhaus in Beipzig. 


Blätter 


für 


literarifbhe Unterhaltung. 





Dienftag, 


AT Kr, 34. —— 


3. Februar 1846. 





Juſtus Moͤſer. 
(dortſedung aus Nr. 233.) 

Möfer war ein politifch gefinnter Mann, aber er 
war ein politifcher Theoretiker und Syſtematiker; mit 
einer lebhaften Auffaffung für bürgerliche und ftaatliche 
Verhältniffe urſprünglich begabt, welche durch feine Stu- 
dien noch gefchärft werben mochte, nahm er wie es 
fheint die Verfaffung feiner Vaterſtadt Osnabrück und 
dann die Verhältniffe des ganzen damaligen Hodftifts, 
reih an eigenthümlichen Einrichtungen, an Anomalien 
fogar, und an alten Erinnerungen uud Denkmalen, zu: 
erft in fi) auf, befruchtetete diefe Eindrüde und Erfab- 
rungen durch fcharfinniges Nachdenken und Gombiniren, 
und erweiterfe dann immer mehr den Kreis feines poli« 
tifchen Intereffes und Wiffens durch Forſchung und Lec⸗ 
ture, durch Anfhanungen und Reifen. In einer für 
Deutfchland politifch wenig erfreufihen Zeit trieb er aus 
Neigung und Liebe politifhe Studien in einem durch— 
aus mwohlthätigen, fürdernden, gemeinnügigen und huma⸗ 
nen Sisme, gleich entfernt von dem berzlofen Staats- 
mann, der Glück und Leben von Taufenden nicht ach— 
tet, und von dem gelehrten Pebanten, der die Menfchen 
nicht kennt, für welche er politifche Syſteme erbauen 
will; der Menſch war und blieb der Gegenſtand feiner 
Forſchungen und Beitrebungen, aber der Menſch ale 
„politifches Weſen“ ober „Thier“, wie ihn Ariftotelee 
nennt. Der politifhe Zuftand, das gefellige und flaat- 
liche Zufammenleben galt Möfer nicht als etwas, das 
um natürlichen Zuftand des Menfchen erft hinterher da- 
zukomme, als etwas Zufälliges, von bem man leicht ab- 
fehen könne, fondern, im Gegenfag mit diefer in Deutſch⸗ 
land freilich herkoͤmmlichen und damals befonders herr- 
ſchenden Anfchauungsweife, faßte er das politifche, das 
bürgerliche und ftaatliche Leben als die Grundlage und 
Wurzel des Einzellebens, als das Natürliche und Noth- 
wendige, von welchem ſich Ioszureißen vielmehr als eine 
Krankheit und Schwäche, als Schuld und als Ubergang 
zum Tode betrachtet werben müffe. Aber mit ſcharfem 
Auge findet aud Möfer politifche Zwecke und Gründe, 
Spuren und Dentmale politifcher Einrichtungen, wo ber 
gleichgültigere Beobachter nur das Walten bes Ungefähre 
oder individueller Neigungen und natürlicher Triebe er- 
bliden würde. Den Werth und bie Bildung der Na- 


tionen beurtheilt er nad, ihrer politifchen Verfaffung, von 
welcher er annimmt und barthut, daß fie nothwendig 
auf alle Kebensverhältniffe maßgebend eingewirkt,, alle 
Geſetze, Sitten, Gebräuche, körperliche und geiftige Ubun- 
gen und Fertigkeiten, Künfte und Wiffenfchaften mitbe- 
ftimmt habe. 

Schr ſchön und energifch fpricht fi diefe Anfchau- 
ungsweiſe Möſer's aus in dem Fragment, welches den 
Titel führt: „Über die Ruinen der deutfchen Kunft“, und 
das, wie wol Niemand erwarten würbe, von ber politi- 
fhen Berfaffung der alten Deutfchen handelt. Ganz 
harakteriftifch heißt es dort: 

Man gibt fi jegt viele Mühe um die Kunftwerke der 
Alten, und fucht alle ıhre Ruinen auf, um den großen Geiſt 
jener Werke nicht ganz zu verlieren. Uber das Gebiet der 
Kunft erftredt fi weiter ald auf das Gebiet jener ſichtbaren 
Gegenftande, und . . . wir müflen auch andern Unternehmun: 
gen des menfchlichen Geiftes und Pleißes, wenn fie auch gleich 
nur in der Grfindung einer großen und een Wahrheit 
befteben follten, nachfpüren, und folchen den gehörigen Rang 
unter den Kunftwerken einräumen. Sch rechne dahin bejonbers 
die großen Anftalten der alten Deutfchen, woburd fie fi in 
ihren politifchen Bertaffungen bei Freiheit und —— zu 
erhalten gewußt haben. So weit die wahre Glückſeligkeit ei- 
ner freien Ration über alle Arten der bildenden Künfte erha- 
ben ift, fo weit muß man ein Volk, welches allen feinen Kunfl: 
fleiß auf die erftern verwendet, demjenigen vorziehen, das blos 
einige Maler und Bildhauer Yezogen, oder einige gefchidte 
Sänger und Taͤnzer aufzumeifen hat. Rur der Despot, der 
in der Abwürdigung der ihm gehorchenden Menſchen jeinen 
Vortheil fucht, wird bie legtern allein mit feinem Beifall Prö: 
nen; der edle Mann hingegen, der den Werth der Berdienfte 
nah der Größe bes Erfolgs für das gemeine Befte abmiegt, 
wird ‚beiden Gerechtigkeit widerfahren laſſen. 

Dann fährt er fort, die Aufmerkſamkeit, welche bie 
Nömer den Deutfchen vor allen Nationen gewidmet, fei. 
ber fhmeichelhaftefte Beweis diefes Verdienſtes der deut- 
fhen Einrichtungen und Sitten. 

Die Nuinen, welche uns davon übrig geblieben find, zeu⸗ 
gen von der größten Anftrengung des menſchlichen Berftandes, 
und von einem Gebäude, das in allen feinen Zheilen nad dem 
höchften Ideal aufgeführt worden. Es verlohnt ſich daher wol 
der Mühe, bie Gefchichte diefer Kunſt, wodurch unfere Bor: 
fahren, bie Freiheit und Eigenthum uber Alles fchägten, eine 
Rationalvereinigung mit der mindeften Aufopferung ihrer na⸗ 
türlichen Rechte gu errichten wußten, zu erforfchen. Unflreitig 
war die Arbeit der legtern bemundernswürdiger ald jene Blei: 
nen Bemühungen einiger wohlunterwiefener Meifter; und die 
Pleinen ftädtifchen Republiten der Griechen waren gewiß nur 


134 


Puppenwerke gegen die nordiſchen Staaten, worin Millionen 
Menſchen jene großen Mechte ungeftört genoſſen. Den Geift 
der Freiheit und die Kunfl, das **— gegen alle Ein⸗ 
griffe der Obermacht und der Herrſchſucht —* zu be⸗ 
wahren, haben wir den Sachſen zu danken. 

Ebendaſelbſt ſagt er: 

Keine Ration kam einen Anſpruch auf Kunſt machen, 
weiche ihre Kinder der Natur überlaͤßt, und ſich nicht ſorgfaͤl⸗ 
tig bemüht, den jungen @eelen diejenige Bildung. zu geben, 
welche das hoͤchſte allgemeine Beſte erfodert. 

Wie trifft hier der ſchlichte Möfer mit feinem tüch⸗ 
tigen Menfchenverftand zufammen mit dem philofophi- 
[hen und peetifhen Paten! In ganz ähnlichem Sinne 
ift der Auffag gefchrieben: „Der hohe Stil der Kunft 
unter den Beutfchen”, wo das Fauſtrecht in ein günfti- 
gered Licht geftellt wird, gegenüber von dem heutigen 
Kriegsrecht: 

Jeder Kenner muß das Fauſtrecht des 12. und 13. Jahr⸗ 
hunderts als ein Kunſtwerk des hoͤchſten Stils bewundern; und 
unſere Nation, die anfangs keine Staͤdte duldete, und hernach 
das bürgerliche Leben. mit eben dem Auge anſah, womit wir 
jegt ein flämifches Stillieben betrachten, ſollte billig dieſe 
große Periode ftudiren, und das Genie und den Geiſt kennen 
lernen, welche nicht in Stein und Marmor, fondern am Men: 
ſchen ſelbſt arbeitete, und ſowol feine Empfindungen als feine 
Stärke auf eine Art veredelte, wovon wir und jept faum Be⸗ 
griffe machen Bönnen. 

Damit verwandt ift ein Auffag über die Rational 
erziehung der alten Deutfchen, von welcher gerühmt wird, 
daß alle Wiſſenſchaften und alle Künfte lediglich auf ben 
Krieg gingen, und wovon es weiter heißt: 

Dies Alles fegt eine Erziehung von ganz anderer Art 
voraus als man fich insgemein von Barbaren einbildet. 

Kurz, die dem Zwecke des allgemeinen Beften, der 
Züchtigkeit, der Ehre und der Freiheit Aller am beften 
zufagende: politiſche Verfaſſung ift für Möfer das Wert: 
mal und der Mapftab der höchſten, echteften Bildung 
und Geſittung. Mit diefer Anficht ſtand er freilich in 
feiner Zeit ziemlich einfam, zumal da er auch parabore 
Behauptungen nicht ſcheute; aber um fo mehr bezeugt 
fie die kraftvolle Selbftändigkeit feiner Ratur, Die nun 
einmal die ihr gemäße Anfchauungsweife feſthielt und 
mit ebenfo viel Talent, Kunft und Scharfſinn als mit 
Gifer, Fleiß und Wärme: verfoßgte und: ausbilbete. Und 
wie fruchtbar ift fie, an ſich ſchon rühmlich, bei Möfer 
geworden! wie anziehend und Iehrreich beleuchtet er von 
diefem Standpunkt aus alle Kebensverhäftniffe, Einrich⸗ 
tungen, Beſtrebungen! Aufs Detail einzugehen verbietet 


uns der Raum; nur dem Bedenken wollen wir kurz 


begegnen, das man die vorzugsweiſe politiſche 
Betrachtungsweiſe und Beurtheilung aller Lebenszuſtände 
erheben könnte: ob dadurch nicht die rein menſchliche, 
die fettliche und aͤſthetiſche Betrachtungsweife beeinträdh- 
tigt werdet Mir dürfen, was Möfer berrifft, keck 
mit Nein! antworten. Gr führt den politifhen Maß⸗ 
ſtab nie mit eines ſolchen Einfeitigkeit und Abffraction, 
daß er über dem politifchen Menfchen den natürlichen 
vegäße; er weiß zu gut, was zum- ganzen, unverküm⸗ 
merten Menfchen gehört, als daß er pofitifchen Syfte- 
men, Grillen und Hypothefen den natürlichen Menfchen 


mit feinen verfchiebenen Bebürfniffen, Trieben, Reigun- 
gen, Anlagen, Leidenfchaften aufgeopfert, ihn in ein 
peinliches Joh gezwungen hätte, wie etwa ein Lykurg 
feine Spartaner; er hatte bie Geſchichte, allerdings haupt⸗ 
fählih vom politiſchen Gefihtspunft ausgehend, zu 
geündlih und aufmerffam ftudirt, ale daß et ein fo zu 
fagen auf fih ſelbſt gegründetes- politifches Sy⸗ 
ſtem für möglich und wünſchenswerth gehalten hätte. 
Wenn die politifche Verfaſſung die Unabhängigkeit, die 
Ehre, die Freiheit und bie Größe eines Volks bezweckt, 
und dieſer Zwed allerdings in gewiffem Sinne ber 
höchſte heißen mag, fo wußte doch Möfer mol, daß, den 
Foderungen und der Anlage der menfchlicdhen Natur 
nach, daneben auch nicht weniger für die Glückſeligkeit, 
für das Behagen, ben Genuß und die Freiheit der Ein- 
zelnen geforgt, daß dabei jeder rechtmäßige Trieb, der 
finnliche fo gut mie der fittliche, befriedigt, daß jede An- 
lage gepflegt und ausgebildet werden muß. Möfer war 
daher gar nicht gemeint, häusliches und Familienleben, 
Religion, Poefie, Kunft und Wiffenfchaft, Lebensgenuß 
und Humanität irgend ber politifhen Verfaſſung auf 
zuopfern, fondern im Gegentheil wollte er in al Diefem 
Stügen berfelben finden, Alles mit ihrem Geifte durch⸗ 
dringen; aber freilich trug er in Gollifionsfällen fein 
Bedenken im Intereſſe des politifhen Geiftes bie An⸗ 
foberungen, welche jenen Elementen bes Lebens einen 
nach feiner Anfiht unverhältnigmäßigen Einfluß und 
Wirkungskreis gewinnen wollten, zurüdzuweifen, zu be» 
ſchränken und unter den Maßſtab der politifhen Zu⸗ 
träglichkeit zu beugen. Ohne die fittlihe und gemüth- 
liche Bebentung der Ehe, die Süfigkeit und Heiligkeit 
fowie den Segen bes Zamilienfebens und trauten Haͤus⸗ 
lichkeit zu verkennen, betrachtet er doch meift die Ehe 
von dem für den Staat allerdings fehr wichtigen Ge⸗ 
ſichtspunkt der Kindererzgeugung unb will die Erziehung 
mehr als gewöhnlich geſchah und geſchieht durch die 
Rückſicht auf das öffentlihe Wohl geleitet eifn; in 
biefem Sinne fchrieb er auch den Auffag: „Die Er- 
ziehung der Kinder mag wol ſtlaviſch fein!” So ein 
großer Freund der echten Gelehrſamkeit und felbft ein 
tüchtiger Gelehrter, fo ein. gefhmadvoller Kenner des. 
Schönen in ber Literatur und. Zunft, des Wahren und 
Tiefen in ber Wiſſenſchaft und aufrichtiger Förderer 
der Humanität er war: fo zeigte er fish doch als ei- 
nen entfchiedenen Feind aller ſchwachherzigen und weich⸗ 
müthigen Empfindfamkeit und Senfimentalität, aller ein- 
feitigen Philanthropie namentlich Derjenigen, welche über 
dem Abftractum Menſch den Bürger vergaß und ver- 
fürzte, aller überfhwängliden Schwärmerei und entner- 
venden Lüftelei in der Kunft und Literatur, alles My⸗ 
ſtiſchnebelhaften in der Wiſſenſchaft, und aller, bes feſten 
Bodens der Erfahrung, des Leibe der Anſchauung und 
der Wirklichkeit entbehrenden und prioriſchen Conſtructio⸗ 
nen und Abftractionen und im Gebiete bes politifchen 
Lebens. Manche fcheinbare und wirkliche Härten und 
Daradorien in Möſer's Anfichten erklären fih aus die- 
fer Gefinnung, werden jeboch meift durch fogleich oder 





185, 


bei andern Gelegenheiten beigefügte Einſchraͤnkungen wie- 
der gemildert. Die höhere politifche Rüdficht oder Noth- 
wenbigkeit überwiegt bei ihm nicht felten die Anfoderun- 
gem eines auf dem erfien Anſchein humanern, aber aller 
dinge in der Wirklichkeit bem allgemeinen Wohl oft nicht zu- 
teäglichern Ratur- oder Vernunftrechts. So ift er z. B. 
der Theilung des Grundeigenthums unter die Kinder 
ober bie Erben nicht hold, und redet der Erhaltung der 


ganzen Hofgüter auf Koſten ſelbſt der jüngern (oder 


auch der ältern) Geſchwiſter aus politiſchen und national⸗ 
ötonomifhen Gründen eifrig das Wort. Das Befig- 
thum ſoll nicht zu ſehr vertheilt und zerflüdelt, aber 
auch die Bevölkerung ohne Grundbeſitz nicht zu fehr 
vermehrt werden; daher find die Heirathen nice allzu 
freigebig zu geftatten, und wenn auch das Beifpiel der 
Chineſen, welche jährlich; Hunderttaufende von Kindern 
ausfegen und von Hundes und Scmeinen freffen laſ⸗ 
fen, von der Humanität eines Möfer unmöglich gebilligt 
und zur Nachahmung empfohlen werden kann, fo feheut 
er doch in den „Patriotifchen Phantafien” nicht zurüd vor 
der Behauptung, die er einer jungen Matrone in den 
Mund legt: 

Alſo ſollte man die Ginimpfung ber Blattern ganz ver: 
bieten! 

“ Bo will es endlich hinaus, wenn das fo fortgeht ? wenn 
die Brut, die jetzt erhalten: if, ſich mit gleichem Gifer 
vermehrt umd nichts davon abgefhlachiet wird! Die weile 
Borfehung hat die Blattern gewiß nicht umfonft in die Welt 
geichiät .... fie follen swohrfcheinlich Dazu dienen, einer Überla- 
Dung der fublunarifcgen Welt vorzubeugen; dieſem großen Winke 
ſollte man folgen ... Gefchieht dies nicht, fo beklage ich die 
armen Erbherten des künftigen Jahrhunderts ... Ich halte es 
mit den natürliden Blattern, die fo fein aufräumen und auf 
jedem Hofe gerade ein Pärchen übrig laflen, was ſich fein fatt 
effen und dem lieben Gott recht viele Engel liefern Tann. Ich 
breche bier ab, um Peine Thorheit zu fagen. 

Einigen Ernft birgt hier die humoriftifch » ironifche 
Einkteidung gewiß. Auf eine fehr fcharflinnige Weiſe 
fpeicht er ſich für die Verpflichtung der Obrigfeit gegen- 
über von der Gefellichaft aus, bie Todesſtrafen nicht ab⸗ 
zuſchaffen; er will die Kirchenbuße fo ganz nicht. aufge- 
hoben wiffen; er tft dagegen‘, daß uneheliche Kinder ben 
ehelichen. gleichgeſtellt werben: 

Der alte Grundfag, daß man den äußerfien Schimpf auf 
die Hurerei fegen müfle, um die Ehen au. befördern, ift weit 
dauerhafter (al6 der durchaus falſche und unzureichende der 
neuern, daß man die Hurerei minder ſchimpflich machen müfle, 
um den Spann zu. —8 und nach den feinſten philo⸗ 

iſchen Grundſaͤtzen angelegt. 

N zehn de Awanyig Sahren ift in manden Länbern 
für die Huren und ihre Kinder mehr gefcheben als in taufend 
Jahren für alle Ehegemahlinnen, Chegattinnen und Ehegenoſ⸗ 
ſinnen. Jeder Philoſoph, fobalb er nur gekonnt, hat ſich gleich 
2* die en Fre! und ihre utte on alkı 
Schan eien. oß ſind unſtreitig die eggruͤnde 
dazu —*8 Ratur, Menſchheit und Örenfipentiebe "haben 
laut zum. Bobe feicher Anſtalten geſprochen. Allein im Grunde 
ib es doch die unpolitifhe Philoſophie unſers Jahrhunderts, 
welche hier ihre Macht zeigt. Es iſt wiederum die neumodi- 
ſche Menſchenliebe, —8 ſich auf Koſten der Buͤrgerliebe er⸗ 
hebt. Die Frage ift nicht fo ſchlechterdings von der Stimme 
der Ratur und von den Rechten ber —*28 wenn es auf 


bürgerliche Rechte ankommt, zu entſcheiden. 


Die Beweisführung geht von dem Satze aus, daß 


die Ehe ein mit manden Beſchwerden verbumbener, aber’ 
beehalb auch um fo mehr mit Ehre zu begabender 


Stand feiz es dürfen dem eheloſen Leben nicht gleiche 


Wohlthaten wie dem ehelichen verlichen werben. Auch 


ift Möfer gegen eine Toleranz, die fo weit geht, daß 
Sektirern, Juden, Atheiften u. X. gleiche Rechte und 
bürgerliche Ehren mit den Bekennern der Staatsreligion 
eingeräumt würden, und zwar, wie er ausdrüdlich er- 
Elärt, nicht weil er ihre Überzeugungen verdammt, fon- 
dern aus policeilichen ober politifhen Gründen. Üüber⸗ 
haupt betrachtet er auch die Religion, fo warm und 
nahdrüdli er nicht felten ihre fittlihen Segnungen 
und ihre gemüthliche Bedeutung für den Einzelnen an- 
erfennt, die chriftliche Meligion mit begeifterten Worten 
preift, und ihre Wirkungen auf ben einfachen Men- 
hen, den von Hagelſchlag und Waſſersnoth betroffenen 
Landmann, den Kranken, den Unglüdlihen und Ster- 
benden bemundernd rühmt, vorzugsmeife vom politifshen 
Geſichtspunkt — er nennt fie die Politik Gottes in fei- 
nem Reiche — und widerlegt das Glaubensbekenntniß bes 
ſavoyiſchen Vicars von Rouffeau von dem Grundfag aus, 
daß eine pofitive Religion zur Beherrfchung und Orb- 
nung eined® Staats und Volks unentbehrlich, und die 
Hriftliche Religion durch die Perfon ihres Stifters fo- 
wie buch ihren Inhalt die ehrwürdigfte, für den fittli- 
hen und verfländigen Menfchen befriedigendfte ſowie 
die den politifhen Bebürfniffen zufagendfte fei. Auch 
die Dertheidigung Luther’ und ber Meformation gegen 
Voltaire in einem äußerſt feinen, wigigen und fehlagen- 
den franzöfifchen Brief hält fi, bei der Anerkennung 
ber göttlichen Berufung des Reformators, vorzugsmweife 
an politifhe Geſichtspunkte, wie z. B. die Aufhebung 
der Kiöfter und des Gölibats in den proteftantifchen 
Ländern. So huldigte Möfer durchaus mehr der antif- 
politifhen als der modern⸗philanthropiſchen und philoſo⸗ 
phifhen Geſinnung, und ſprach fi nachdrücklich aus 
gegen „den jegigen Hang zu allgemeinen Gefegen und 
Verordnungen“, als „der gemeinen Freiheit gefährlich”. 
Die Principien feiner politifchen Verfaffung find nicht 
die modernen: Freiheit und Gleichheit aller im Staate 
Lebenden, fonbern: Heiligkeit und Unverleglichkeit der 
zunäͤchſt und hauptſächlich auf Grundeigentfum, dann 
aber auch auf andern Beſitz fowie auf gefchloffene 
Standfchaft gegründeten Rechte und Ehren der eigent- 
lichen, der Vollbürger, und Vertheilung der Pflichten 
und Laften nach dem Verhäftnif der Rechte und Ehren. 
Die Gleichheit der Menſchen im Staate konnte Diöfer 
fo wenig als eine vernünftige Foberung anerkennen ale 


er fie in ihrer natürlichen Begabung fand, und fie ſchien 


ihm nur mit Verletung geheiligter Rechte einerfeits 
unb mit Aufhebung der fefteften Zundamente der Si⸗ 
cherheit des Staats andererſeits oberflählih unb zum 
Schein ausführbar; und freilich erleidet. der Grundfag 
ber Gleichheit in der Wirklichkeit und Praxis immer 
ſolche Beſchraͤnkungen und Modificationen, daß man 
große Mühe bat, ihn in feinen munderlichen Verkleidun⸗ 


136 


en noch zu erkennen. Ahnlich verhält es ſich mit dem 

griffe frei und Freiheit. Möfer war geneigt, bei dem 
Abſtractum Freiheit an Vogelfreiheit zu denken. In 
der Erzählung „Der arme Freie“ fucht er zu veran- 
fchaufichen, was es eigentlih um die bloße, nadte Frei⸗ 
heit und den Gnthufiasmus bafür fe. Die wahre, 
werthvolle Kreiheit, die nicht vielmehr etwas Negatives 
bezeichnet, fegt Möfer in das auf einem Grundbeſit 
oder Gewerbe berubende volle Bürgerrecht und die Stan- 
beöschre, und lächelt über die „Freien“, die trog ihrer 
Freiheit Dienfte zu nehmen genöthigt find, um nicht zu 
darben und Hunger zu fterben; er fpottet über bie 
Enthuſiaſten, welche mit einem Worte, einem leeren Be⸗ 
griff alle Verhaͤltniſſe umſtoßen möchten. Gr fhreibt: 

Eine bequeme Philofophie unterftügte die Folgerungen 
aus allgemeinen Grundfägen befier ald diejenigen, welche nicht 
ohne Gelehrſamkeit und Einfiht gemacht werden konnten; und 
die, Menfipenlicbe warb... eine Zugend, gleih der Bür: 
erliebe. 
So viel Treffendes indeſſen Moöfer hierüber äußert, 
bat er doch wol einigermaßen verfannt, welcher wahre 
Gewinn aus der Anerkennung bes Grundfages der Frei- 
beit gezogen werben, wie er zum großen Bortheil der 
Gefeggebung, der Rechtspflege und der Humanität ge: 
deihen kann, wenn man damit nicht übereilt Alles ebnen 
und alle Bande und Verpflichtungen auflöfen will, wol 
aber den im Borzug und Vortheil Stehenden, welche 
allzu geneigt find, ihr ntereffe mit dem des Staats 
zu ibentificiten, durch Beachtung der natürlichen Rechte 
der Übrigen Schranken fegt. 
(Die Fortfegung folgt.) 


Ein Tag aus der böhmifchen Geſchichte. Leipzig, Gru- 
now. 1845. 16. 15 Ngr. 


Es enthält, dies Büchlein einen Abdrud des auch ſchon 


font bekannten Berichts, den der reformirte Pfarrer Joh. 


Rofacius in Prag über die legten Stunden der vornehmen 
Böhmen aufgefegt hat, die in Folge der Wiedereinnahme Prags 
auf Befehl Ferdinand's II. am 21. Juni 1618 als Nebellen 
hingerichtet worden find. Mofacius war in den legten Stun- 
den ihr geiftliher Beiftand und ſchildert in einfacher, ergrei: 
fender Weife ihre Frommigkeit und ihr Vertrauen auf ihr gu: 
tes Recht, demgemäß fie gehandelt hätten. Die voraudgefehte 
Einleitung des Herausgebers enthält nur das Befanntefte aus 
leicht zuganglichen Büchern. 20. 


Literarifhe Notizen aus Zranfreid. 


Sur ältern franzöfifhen Poefie. 

Auf dem Gebiete der altfranzöfifchen Literatur, das ben 
Beangofen zum heil wenigftens erft durch die Beachtung und 
Anerkennung, die e8 im Audlande gefunden hat, lieb und theuer 

eworden ri wird feit einiger Zeit eim bewunderungswürbiger 
&ifer entfaltet. Selbſt die fpeciellften Punkte werden hier ins 
Auge gefaßt und zum Theil in felbftändigen Abhandlungen er: 
läutert. Was nun aber gar das Material felbft betrifft, auf 
das ſich dieſe Studien ftugen müflen, fo ift daſſelbe in fort⸗ 
währendem Steigen begriffen. Immer neue Beröffentlichungen 
treten ans Licht und ed fcheint faft, als ob die Quellen, aus 


denen man ſo reichlich ſchoͤpft, unergründli wären. Unter 
den verſchiedenen Monographien, welche die legte Seit uns in 
Bezug auf die ältere franzöffihe Poeſie gebracht hat, verdient 
folgendes fleißige Werk, veranftaltel von einem vo und 
bemittelten Freunde der Wiſſenſchaften, befonders hervorgeho⸗ 
ben zu werben: „Oeuvres complötes du roi René, avec une 
biographie et des notices par le comte de (uaträbarbes”, 
(2 Bde.). Der Dichter, um den es fi hier handelt, ift Re⸗ 
natus Graf von Unjou und Provence. Derſelbe war 1400 
geboren und wurde durch feine Berheirathung mit Sfabella 
von Lothringen, einer Tochter Karl's II. von Frankreich, Her- 
zog von Lothringen. Spaͤterhin vermählte er ſich mit Johan⸗ 
na U. von Neapel und erhielt dadurch den Königstitel. Diefer 
Renatus nun, der ein eifriger Befoͤrderer aller kuͤnſtleriſchen 
Beftrebungen war, machte ſich felbft dur feine eigenen poe⸗ 
tiſchen Leiftungen bekannt. Wenn unter den zahlreichen Ge⸗ 
dichten, welche aus feiner Weder geflofien find, aud mancher 
liebliche Klang ſich ne fo ift doch der eigentliche Kunft- 
werth feiner Erzeugnijfe im Allgemeinen nicht allzu hoch an: 
zuſchlagen. Deſſenungeachtet verdient die Bufammenftellung und 
Herausgabe derfelben alle Beachtung. Es ift Dies eine fehr 
dantenswerthe Arbeit, aus der ſich manche intereflante philole- 
giſche Beziehungen und vielfaches Licht über die Zuftände der 
damaligen Zeit gewinnen laffen. Die vom Herausgeber hinzu: 
gefügten Abhandlungen und Erläuterungen enthalten zahlreiche 
Unfnüpfungspunfte für gelehrte Unterfuchungen und zeigen, 
daß ihr Berf. in der ältern franzöfifchen Literatur wohl bewan⸗ 
dert ift. Allerdings fand er ſchon einige Vorarbeiten in früher 
erfähienenen Schriften, welche das Leben des Renatus — frei: 
li mehr von einem andern GefichtEpunfte aus — behandelten. 
Dahin rechnen wir die ausführliche Monographie vom Vicomte 
de Billeneuve:Bargemont „Histoire de René d’Anjou” (3 Bbde., 
1825), und eine frühere kürzere Darftelung aus ber Feder 
von Boiffon de La Salle. Der Werth der Publication von 
Quatrebarbes wird noch crhöht durch die Zhreigen Kupfer 
und Skizzen, durch die der Künftler Hawke die interefianten 
Malereien der Driginalhandfchriften vergegenwärtigt und darſtellt. 


Geſchichte des Communismus. 

Zu den Schriftſtellern, welche ſich durch ihre communiſti⸗ 
ſchen Lehren beſonders bemerklich machen und die man am häu⸗ 
figſten unter den Verfechtern dieſer Sache antrifft, gehört 8. 
Billegardelle. Er bat den berüchtigten „Code de nature 
von Morelly, den man lange Zeit auf Rechnung Diderot's 
fehte, neu herausgegeben und die nicht minder bekannte „Ci- 
vitas solis” Campanella’6 ins Franzöjifche überfegt. Als eifri- 
ger Verehrer Bourier’6 zeigt er fi in feinem „Accorde des 
interets des associationa”, einem Werke welches man zum 
nähern Berftändniß dieſes Syftems nicht wohl entbehren kann. 
Gegenwärtig erhalten wir aus -feiner Feder ein neues Werk, 
betitelt „Histoire des idees sociales avant la revolution fran- 
caise”. Der Verf. ſucht bier eigentlih in ausführlicher Ent: 
wicklung nachzumeifen, daß die communiftifchen Ideen, in denen 
Einige die verruchtefte Neucrung der Gegenwart ſehen, bis 
ind böchfte Alterthum binaufreichen. Um dies in aller Ausführ: 
lichkeit darzuthun, bat er überall umfaflende Auszüge aus den 
Schriftftellern, welche ihm wenigftens in einzelnen Partien in 
die Lehre des Communismus himüberzufpielen ſcheinen, beige: 
bracht. Dadurch ift fein Buch eine ganz intereffante Samm⸗ 
lung von Belegftellen geworden, aus der man fehen kann, wie 
die Ideen, welche jegt in verfihiebener Geftalt, bald offener, 
bald verftedtter hervorbrechen, ſchon Tange in Gährung begrif: 
fen gewefen find. Es verfieht fi) übrigens von ferbft, daß 
der Verf. in der Aufſuchung folder Be iehungen offenbar zu 
weit geht und daß er zuweilen wol auch da eine Annäherung 
an die communiftifchen Srundfäge fieht, wo man durch nichts 
auch nur im entfernteften daran erinnert wird. 17. 


Berantwortlier Herausgeber: Heinrich Brockzans. — Drud und Verlag von F. M. WBrodbans in Leipzig. 


Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 


Mittwoch, 


— Nr. 35. 


4. Februar 1846. 





Juſtus Moͤſer. 
(Fortfetung aus Nr. 3.) 


Gegenüber von den damals aufkommenden beſonders 
franzoſiſchen Staatsphiloſophen und den Grundſaͤtzen der 
Nevolution war Möſer hiſtoriſcher, poſitiver und conſer⸗ 
vativer Politiker, wie aus dem Bisherigen deutlich erhellt. 
Wollte man ſich jedoch wundern, daß er deſſenungeachtet 
noch in neueſter Zeit fo ausgezeichnete Gunſt und Ver—⸗ 
ehrung in Deutfchland auch bei den Freifinnigen genießt, 
fo vergeffe man nicht, daß er, der Gegner einer tumul- 
tuarifchen Umkehrung des Beſtehenden durch philofophi« 
ſche Begriffe, dabei der unerfchütterliche Feind aller Will⸗ 
tür und Freund des Rechts, des germanifchen und deut⸗ 
fen Rechts war, das er aus feinen Entftellungen und 
Misdeutungen wieder in feiner Reinheit und hohen Ver⸗ 
münftigkeit herzuftellen mit glücklichem Eifer firebte. Ein 
muthiger, aber dabei befonnener Vorkämpfer des Zort- 
fehritts, des Rechts, der Freiheit in Deutfchland war er, 
und nur der Schwung und Flug ber franzöfifhen Re⸗ 
volutionsideen ließ ihn als einen hinter der Zeit Zurüd- 
bleibenden erfcheinen. Zurüdgehend auf altdeutfche Ein- 
richtungen, und auf das flammverwandte englifche Volt 
fi) berufend, verlangte er, daß Niemand Steuern und 
Laften tragen folle, die er nicht felbft verwilligt, und 
daß Denen, die feine Vertretung haben, auch Feine 
Steuern auferlegt werben follten. Er verlangte die Ab- 
fhaffung der Zortur, die in ältern Zeiten gegen Skla⸗ 
ven und Unfreie verhängt worden, und in nothwendiger 
Berbindung damit Einführung von Geſchworenengerich- 
ten nach altem Brauche, wo Jeder durch feine Ebenge- 
noffen gerichtet worben fei. 

&a ſcheint mir in dem Falle, daß man zur (unbedenfii- 
den) Abſchaffung der Zortur fchreiten will, ſchlechterdings no⸗ 
tig zu fein, dahin wieder zurüdgufehren, wo alle Bölfer vor 
Einfuͤhrung der Zortur gewefen ind, nämlich auf das Urtheil 
von zwölf Geſchworenen, die den Verbrecher und feinen Berthei- 
biger fowie die Beweiſe, welde für und wider ihn zeugen, 
ſelbſt hören und ſehen und ihn danach der That ſchuldig er- 
kennen ober losſprechen. 

Überhaupt foderte Möfer die größte Ordnung, 
Schnelligkeit und Unparteilichkeit in der Rechtspflege, 
und verlangte, daß Jeder, auch der Höchfte, der Fürft, 
an das förmliche Recht gebunden fein folle und fich 
nicht auf feine Überzeugung vom wirklihen Recht beru: 


fen dürfe. Nachdrücklich eifert er gegen Cabinetsiuftiz. 
Gine fo hohe Meinung er von bem Beruf und ben 
Pflichten der Fürften bat, fo weit ift er von der Vor⸗ 
ftellung einer ungemeffenen Willfiirgewalt derfelben, wie 
man fie fihon aus dem Sage von der göttlichen Ein⸗ 
jfegung berfelben hat ableiten wollen, entfernt, und der 
abgefagtefte Feind alles Despotismus, werbe er geübt 
von wen er wolle. So fihreibt er: 

Man Eönnte die Könige Leibeigene der Krone nennen, 
wenn ed nicht die Klugheit erfoderte, einen Mann, der Die 
Niedrigen gegen „die Hohen und Mächtigen fchügen fol, und 
den Erftere Deswegen mit den ſchwerſten Koften unterhalten, 
fo hoch als möglich und zunähft an den Thron (Gottes au 
c 


n. 

Er felbft aber mit feinem Maren unb nüchternen, von 
allem Myſticismus und aller Romantik entfernten Ver⸗ 
ftande, ließ fih nie durch den Nimbus der Majeftät 
blenden. Gr fchreibt: 

Die Weisheit grenzt fo nahe an die Willfür, baß man 
unmittelbar von der einen zur andern übergehen fann; und 
wo Weisheit und Macht in einer Hand find, da ift des Herrn 
Wille natürliherweife allezeit die Weisheit felbft. 

Im Ganzen war er den beftehenden Ginrichtungen 
im Staate, der Präfumtion nach, günftig, fofern er fie 
ale Hiftorifch gewordene und der Vermuthung nad auf 
einem vernünftigen und rechtlichen Grunde berubend be- 
trachtete; er war ſcharfſichtig und glüdlich, ſolche Ent- 
fiehungsarten nachzuweifen und manche als unvernünftig 
und barbarifch verfchriene Sitte und Einrichtung zu 
rechtfertigen; er war nicht allzu bereit, die fchnellfertige 
Meinung der Neuen über die Einfiht der Alten und 
über das beftehende Herkommen zu fegen, und nur dem 
entfhiedenen Misbrauch und ber offenbar fchädlichen 
Einrichtung trat er, aber dann auch mit nachhaltiger 
Kraft, entgegen. Ob Möfer nicht vieleicht etwas zu 
bedenklich in der Anrathung von Neformen gewefen, 
müffen wir unerörtert laffen; aber berühren müffen wir 
einen Punkt, bei welhem Manche an ihm irregemorden 


find: die Leibeigenſchaft. Man hat zur Genüge nad- 


gewiefen *), daß er feiner wahren Herzensmeinung nad) 
Dagegen gewefen, und wir wollen bier nur eine Stelle 
anführen die dafür zeugt. Jean le Grand, in ber Er- 
zählung „Der arme Freie”, meint, nachdem ein ein- 


*) Stamentlich aus feinem Briefwechſel mit Nicolai. 


— — — 


138 » 


ſichtsvoller und wohlwollender Butöherr bie Leibeigen- 
{haft in einem mildern Lichte dargeftellt: 

Es wäre doch beffer, wenn die Leibeigenen das Land, was 
fie für Undere bauten, gegen einen gewiflen feſtſtehenden Sins 
erblich unterhätten, indem fie alddann ohne Zuchtruthe fleißig, 
und, als fede Menſchen, ebler und glädlisger fein würben. 

Und hierauf läßt Möfer den Gutsheren autworten: 

Diefer Meinung bin ih auch; aber dieſe Beränberung 
laͤßt — meinem Gute nicht ſo leicht vornehmen wie Sie 

denken. 
ner Allerdings aber hat Möfer fonft in vielen Auffägen 
die Reibeigenfchaft und Hörigkeit weniger bekämpft und 
beklagt, ais gegen Verdammung und Klagen theild durch 
hiſtoriſche Deductien, theils durch Darſtellung des gar 
nicht fo harten, unerträglihen und unwürdigen Zuſtan⸗ 
des der Reibeigenen und mancher nicht unwichtiger Vor⸗ 
teile ihrer Lage wenigſtens in manden Gegenden und 
narsentlich in Osnabrid, vertheibigt. Er zeigt, daß der 
Name ſchlimmer fei als die Sache; daß bie Leibeigen- 
ſchaft haufig Folge eines Vertrags und eine Wohlthat 
für den Leibeigenen geweſen, daß dieſer dadurch nicht 
ſchutz⸗ und rechtlos geworden ſei, fondern vielmehr an 
feinem Herrn einen Beſchüter und Vertreter gefunden 
habe; daß faft jeber Keibeigene feinen Zuſtand der nack⸗ 
tem Freiheit vorziehen würbe u. ſ. w. Hiermit behaup⸗ 
tete der gelehrte Hiſtoriker und der gründliche Kenner 
wirflicher Zuftände gegen vage Declamatiouen fein Recht; 
zum Theil durfte und konnte er aber auch bie Gutsher⸗ 
ven von Osnabrück durch entſchiedene Bekaͤmpfung der 
Leibeigenſchaft nicht gegen fich erbittern, und er mußte 
fi) beſtreben, den Keibeigenen einen Buftand, aus ‚dem 
er fie nicht fofort befreien Tonnte, im mõglichſt milden 
Licht darzuſtellen, um ſie nicht unzufrieden zu machen. 
Die haͤufigen und vielfachen Misbräuche jedoch, und das 
Entwuͤrdigende der Leibeigenſchaft bei Willkür von der 
einen und Brutalität von der andern Seite, Tonnte er 
ſich nicht verhehlen, und daß er immer wieder von dem 
verfchiedenften Seiten her auf ben Gegenfland zurüd- 
fommt, beweift, wie fehr er ihm am Herzen gelegen. Moͤfer 
hät aber wirklich nad Kräften zuerft zum Schut und 
zur Mikderung des Buftendes der Leibeigenen gewirkt, 
und dann Entwürfe zu ihrer Freilafſfung, zu ihrer Ber- 
wanblung in freie @igenthümer gemacht, wie bied auch 
‚feinem politischen Syſtem ganz gemäß war. Dem das 
Ideal feiner politifchen Verfaffimg, das er bei den alten 
Deutfchen realiftet fand, war die ſtaatliche Verbindung 
und Genoffenfhaft freier, wohfbegüterter, auf ihrem Bute 
figender Landeigenthümer, zum Schutz und zur Verthei⸗ 
digung ihres Befigthums und des Gemeinweſens zu ben 
Waffen verpflichtet, dem Heerbann folgend, mit gleichen 
Rechten begabt, nur dem Gerichte von Genoſſen unter: 
worfen, keme Steuer leiftenb als die fie felbft verwilligt 
hatten. Daß bei den entwideltern und verwideltern 
Verhättniffen dies Ideal nicht wieder zu erreichen mar, 
da neben ben Aderbauern und —— die Fa 
werker, die Kaufleute, die gele ofeffionen aufge⸗ 
Zommen waren und fie an Zahl, Einfluß und Bedeu⸗ 
tung wol übertrafen, fah Möfer freilich ein, und es ift 


beshalb nur Scherz, wenn er als Mittel zur Wieder⸗ 
erweckung des deutfhen Nationalgeifles vorfchlägt: 

Alle Könige und Fürſten gar abzuſchaffen, den Adel aus 
dem Lande zu jagen, Städte und Feſtungen niebergureißen, 
alles Geld ind Meer zu werfen, alle Gelehrte nad Lappland 
zu joiden und fünf Dead ler Deutſchen an die Bhuns 
zu fnüpfen, damit der Übrige Theil einzeln bei Kurtsffeln und 
Gerftenbier ruhig auf der Baͤrenhaut hiegen koͤnne. 

Aber fein ernftes Beftreben mußte doch bei feinen 
Anfichten immer bahin gerichtet fein, den Stand der 
freien und größern Landbefiger möglihft zu vermehren 
und zu heben. Denn bie Lanbeigenthümer und bie 
Bauern blieben ihm doch immer der eigentliche Kern 
bes Bolks umd überall bricht feine rührende Liebe für 
fie hervor. Es ift Möfer’E Ehre und Verdienſt, daß 
er in feiner Zeit die wahre beutfche Nation in ihren 
fonft fo gering gefchägten kernhaften Beitandtheilen, in 
Bürgern und Bauern, bie er freilich gehoben wilfen 
wollte, fand; daß er fich nicht ſcheute, gegen den cben- 
falls nicht unfreifinnigen 8. F. v. Mofer, in der Beur- 
theilung feiner Schrift „Bon bem deutfchen National- 
geifte”’, zu fagen: 

Es ift fon lange ber Fehler unferer-deutichen Gefchicht- 
fehreiber und Yubliciften geweſen, daß fie in Deutfchland nichts 

‚Herren mb Diener erbliden. Ein Theil eignet Alles 
dem böchften Oberhaupte zu, der andere fchreibt und ftreitet 
für die Diener, und über diefen Bank denkt kein Menſch daran, 
daß Beides, der Herr und der Diener, eigentlich nur die Zhür: 
wärter der Nation, keineswegs aber die wahren Beftandtbeile 
derfelben feien... Sollte er um Hofe und unter Gelehrten ben 
Rotionalgeift aufgefunden haben?... Am Hofe lebt nicht der 
Patriot, nicht der Mann ber zur Ration gehört, fonbern der 
gebungene Gelehrte, der fi ſchmiegende Bediente, und bas 
ehameieon, das allegeit die Farbe annimmt, die ihm unterge: 
egt wird. 

Mol mußte er auch die Bebeutung und bie Rechte 
ber böhern, der privilegirten Stände zu würbigen, und 
es lag nicht in feiner Art und in feinem Charafter, ir⸗ 
gend einen Beflandtheil eines gegliederten Ganzen 
misachten und zu verwerfen unb das gefchichtlih Ge⸗ 
wordene mit reformirenden oder revolutionnairen Macht» 
fprüchen über den Haufen zu ftoßen; aber darum ver: 
wechfelte er body nimmermehr die durch eine unfelige 
Verwirrung der Verbhältniffe, durch Entartung des Gei- 
fies im Reiche, durch Auflifung bes wahren Banbes 
ber Einheit, durch Losreißung der Blieder vom Haupte 
und durch Ufurpasionen aller Mächtigern nach oben 
und nad) unten gefchaffene officielle Nation, die Für- 
ften und Herren, die Geiftlihen und Beamten, mit der 
wahren, aber freilich unterdrückten und heruntergekomme⸗ 
nen, eines großen Theils ihrer Rechte und ihrer Ehren 
beraubten deutſchen Nation, die allerdings Feine ſichtbare 
Einheit, eine Bertretung und Stimme, tein Gemein⸗ 
beroußtfein mehr hatte, — für die nur wenige Männer 
ein Herz hatten! Aber für Möfer, der fie in feinen 
geſchichtlichen Forſchungen in ben Zeiten ihrer Größe und 
Kraft, ihrer politiſchen Herrlichkeit erfchaut hatte, fir 
ihn lebte fie auch jegt noch im Zuftaud ihrer Erniedri⸗ 
gung und Bergeffenheit; er empfand ſchmerzlich ihre 
Verwahrlofung duch ihre eigenen Zürften und Negie- 





Tg 


139 


zungen, ihre Misachtung bei Fremden, die Unbilden, bie 
fie ekdulden mußte, die Hemmungen, bie man ihrem 
geiftigen, bürgerlidhen und nationaloͤkonomiſchen Auf- 
ſchwung entgegenfegte, die Mishandlungen, womit man 
ihr Rechts» und Ehrgefühl abflumpfte und ertödtete; 
aber er erhob auch hoffend, fpornend, begeifternd wie 
Magend, ſtrafend und fiheltend, oder in wehmüthigem 
Scherz feine Stimme für fie und an fie, an ihre alte 
Größe, an bie noch übrigen Reſte und Denkmale von 
Rechten und Freiheit, an ihre Hülfsquellen, an ihren 
Geiſt und Charakter fie mahnend. Er vertheidigte mit 
männlicher Kraft und mit tiefer Einſicht deutſche Rechte, 
Sitten, Herkommen, er nahm deutfche Sprache und Li- 
teratur in einer vortsefflichen Schrift gegen ben großen 
König Friedrih II, den Lobrebner der Franzoſen, in 
Schuß; er wies hin auf Hebung ber Gewerbe, des Han⸗ 
dels, der Marine nad) dem Beifpiel der Engländer; er 
foderte, daß durch eine wahrhaft vernünftige und natio- 
nale, dem wirklichen Bedüurfniß gemüße, ben handelnden 
und den fpeculicenden Menfchen unterfcheidende Erzie⸗ 
hung in der Seele der Deutfchen Selbftändigfeit, Unab- 
hängigkeit, Thatkraft gewedt und nicht alle lebhaftern 
und größern Gefühle eingefchläfert, daß die Knaben und 
Jünglinge zu tüchtigen Männern, nicht zu gechrigen 
und fihmiegfamen Bedienten und Maſchinen gebildet 
würden. Um den Charakter, die gefammte Natur ber 
Nation nicht zu befchneiden und gu unterbrüden, ver- 
langte er, daß man bie phyſiſche Kraft auch auf ange- 
meſſene Weife, in vollsmäßigen Tänzen und 2uftbarkei- 
ten ſich ergehen und üben laffe, ba man dem Zwei⸗ 
fampf, flatt ihn mit Strafen zu bedrohen, eine andere 
Geſtalt gebe; ex wollte die natürlichen Neigungen und 
Leidenfchaften benugt, aber nicht unterbrüdt wiſſen, und 
trug auf Derftellung der alten Gedenreden und Narren» 
fefte an, in der richtigen Erkenntniß, daß das Volk auch 
feinen Humor üben und auslaffen müffe, daß Lachen 
und Raune den Sitten und dem Glück einer Nation 
zırträglich feien. Denn nicht durch Schulmeiflern und 
Megieren, durch Policei und Griminaljufliz hoffte er das 
Wolk zu heben, fondern durch Weckung und Leitung der 
in ihm felbft Tiegenden, aber fo häufig durch Tyrannei 
und Pedbanterei unterbradten Kräfte. Niemand verſtand 
beſſer al6 er, was dem Volke noth thut und gemäß if, 
und welche Anlagen in ihm ruhen, was es zu leiſten 
vermag — ohne daß er es doch ibealifirte —, denn er 
fühlte fich lebendig in es hinein, in feine Arbeiten, feine 
Senüffe, feine Entbehrungen, Wünfche, Bebrängniffe, in 
ſeine Sitten und feinen Glauben, und fein echt volks⸗ 
thümlicdhes Gemuͤth führte ihn hierbei fo ficher als es 
bei Andern die forgfältigfte Beobachtung und die geflif- 
fentlichfte Herablaffung nicht vermag. " 
Lob und Bewunderung würden die Geſinnungen und 
Anfichten des echt volksthümlichen Mannes, des flanb- 
haften Berfechters des deutfchen Rechts und der deut- 
ſchen Ehre ſchon an ſich verdienen, wenn auch nicht Die 
ausgezeichneten Berbienfte des Schriftſtellers fih dazu 
gefellten. Nun aber nimmt er auch als gelchrter Ge⸗ 


ſchichtſchreiber und als treffliher Stiliſt und Proſaiker 
eine ausgezeichnete Stelle ein. Den Gelehrten laſſen 
auch fon feine an den mannicfaltigften Kenntmiffen 
aus allen Gebieten des Wiffens und Lebens, befonbers 
an gefhichtlihen Notizen und Zügen fo reichen Pleinern 
Auffäge erkennen; als forfchenden Gelehrten hatte ex 
fih namentlich in der lateinifchen Abhandiung über 
bie populaire und die muftifche Religion der alten Deut- 
ſchen ausgewieſen, wo er ebenſo feine Bekanntfchaft 
mit ber alten und mit der neuern Literatur als auch 
feine Bielfeitigkeit, feine Empfänglikeit für alle Cie 
mente bes nationalen und geifligen Lebens, feine Kunft, 
entgegengefegte Anſichten durch tieferes Eindringen in 
bie Sache zu vermitteln, und ſeinen Eifer, ſeine Begeiſte⸗ 
rung für die Ehre der deutſchen Ahnen beurkundet. Er 
verſohnt die anſcheinend widerſprechenden Angaben Gö- 
ſar's und Tacitus' über die Religion der alten Deuts 
[hen duch die Annahme eines vollsmäßigen und eines 
ben Prieſtern vorbehaltenen Glaubens, was er durch 
viele Argumente und Analogien unterflügt. Sein ge- 
lehrtes Hauptwerk aber ift feine „Dsnabrüdifche Ge 
ſchichte“, Die er zwar nicht ganz vollendete, bie aber 
auch fo von einem Schloffer ein ,unfterbliches Werk“ 
genannt wird, und das „darum nicht weniger bedeutend 
iſt, obgleich es nicht die Arbeit eines Mannes ift, der 
des ganzen eigentlich hiſtoriſchen Stoffe Meifter "war, 
denn es enthält eine in der That philofophifche Ge⸗ 
ſchichte, ohne alle jene Abftractionen und Phantaſte⸗ 
reien, bie man gewöhnli mit diefem Namen zu bele- 
gen pflegt”. Am glüdlichiten, urtheilt dieſer gewiß 
competente Richter, ſei Möfer darin, geweien, ben 
Grund und Zufammenhang des Lebens und ber Sitten, 
ber Einrichtungen, Gebraͤuche, bes Herkommens und ber 
häuslichen Berhättniffe, alfo Weſen und Princip jeber 
Volksgeſchichte zu entwickein. Er fei viel glücklicher, 
wenn er aus dem in Weſtfalen mehr als in andern 
Provinzen unter dem Landvolk fortbauernden alt 

lichen Leben, den Gefegen, bem Herfommen, aus ben 
ibm täglih im Gefchäfte vorkommenden Urkunden, wor⸗ 
auf diefe beruhen, eine Gefchichte bervorlodt als wenn 
er Chroniken und Geſchichtbücher befrage. Ban ber 
früher als die Geſchichte felbft nur bogenweife veröffent- 
lichten Einleitung in die „Dsnabrüdifche Geſchichte“ fagt 
Schloffer, es fei eigentlich eine Ginleitung in die ganze 
deutſche Befchichte, eine Anweiſung, dieſe fruchtbar zu 
behandeln und habe ein ganz neues Licht über das We⸗ 
fen Hiftorifcher Gelehrſamkeit verbreitet. Der Charakter 
von Möfer’6 Geſchichte haͤngt aufs engfle zufammen mit 
feinen politifchen, volksthumlichen Geſinnungen, vermöge 
deren ihm das Volk felbft, und nicht bie Regenten und 
die Bornehmen, bie Hauptfache if. Wir führen nur 
ein paar Worte aus feiner eigenen Vorrede an: 

Ich habe mich vorzügli Die Geſchichte unferer Rechte, 
Sitten und Gewohnheiten entwideln bemüht und die Bes 
gebenbeiten ziemlich nach diefer Abſicht geordnet. 

| ler ift, daB id den Anfang zum Schreiben auf 
Neifen, während des Ichten Kriegs gemacht, und mir erfi jede 
Sache nach ihrer Möglichkeit vorgeſtellt und folche hernach zu 


. 140 


Haufe vielleicht nicht mit genugfamer Unparteifichkeit gegen 
Die Beweiſe geprüft habe. Daher Bann Einiges einen fchein- 
baren Hang nach der Hypotheſe behalten haben. Indeſſen 
glaube ich doch dadurch Manches auf eine neue Urt gewandt 
und viele hiftorifche Wahrheiten möglicher und wahrſcheinlicher 
erzählt zu haben als Andere, welche entweder mit Sammeln 
ben Anfang machen und dann mit ermüdetem @eifte die Feder 
anfehen, oder nur blos ein ſchlechtes Gebaͤude verbeflern. 

Die Sefchichte von Deutfchland hat meines Ermeflens .eine 
ganz neue Wendung zu hoffen, wenn wir die gemeinen Land» 
eigenthbümer ald die wahren Beftandtheile der Ration durch 
alle ihre Veränderungen verfolgen, aus ihnen den Körper bil» 
den und die großen und Meinen Bedienten dieſer Ration als 
böfe oder gute Zufälle des Körpers betrachten. Wir koͤnnen 
fodann diefer Geſchichte nicht allein Die Einheit, den Gang und 
die Macht der Epopoe geben, worin die Zerritorialhoheit oder 
der Despotismus zulegt die Stelle einer glüdlichen oder un: 

Tüdlihen Auflöfung vertritt, fondern auch den Urfprung, den 
Sortgang und das unterjchiedfihe Verhaͤltniß des Nationaf- 
charakters unter allen Beränderungen mit weit mehrer Orb: 
nung und Deutlichkeit entwideln, als wenn wir blos das Le: 
ben und die Bemühungen der Ärzte befchreiben, ohne des Pran: 
Ben Körpers zu gedenken. Den Einfluß, welchen Gefege und 
Gewohnheiten, Tugenden und Fehler der Regenten, falſche oder 
gute Maßregein, Handel, Geld, Städte, Dienft, Abel, Spra⸗ 
chen, Meinungen, Kriege und Berbindungen auf jenen Körper 
und auf deſſen Ehre und Eigenthum gehabt; die Wendungen, 
welche die gefeggebente Macht oder die Staatseinrichtung über: 
haupt bei diefen Einflüffen von Zeit zu Zeit genommen ; Die 
Art, wie ſich Menihen, Rechte und Begriffe allmälig danach 
gebildet, Die wunderbaren Engen und Krümmungen, wodurch 
der menfchliche Hang Die Zerritorialhoheit emporgetrieben; und 
die glüdliche Mäßigung, welche das Chriftentbum, das Deut: 
fche Herz und eine der Kreiheit günftige Sittenlehre gewirkt 
bat, würde ſich, wie ich glaube, folchergeftalt in ein vollkomme⸗ 
nes fortgehendes Gemälde bringen laſſen und diefem eine folche 
Füllung geben, daß der Hiſtorienmaler alle überflüffige Grup- 
pen entbehren koͤnnte. | 

Weiter wollen wir uns auf die „Dsnabrüdifche Ge- 
fhichte” nicht einlaffen; fie ift Sache des ernften Stu- 
diums mehr als der leichten Lecture, in Paragraphen 
gefhrieben und mit einer Menge von Citaten belegt und 
mit Urkunden ausgerüftet. (Der britte Theil ift von Dr. 
Stüve vervollftändigt und herausgegeben.) Der gewöhn- 
liche Leſer, der nicht tiefer in die rechtsgeſchichtlichen 
Berhältniffe einzubringen Luft oder Beruf bat, wird fich 
von dem gründlichen Werke nicht angezogen fühlen; aber 
die oben angeführten eigenen Worte Möſer's zeigen doch 
zur Genüge, dab er auch an bie Gefchichtfehreibung 
nicht nur politifche und gelehrte, fondern felbft fünftleri- 
ſche Anfprüche machte, und daß ein Ideal davon in fei- 
ner Seele lebte, bem er, bei reichlichern Vorarbeiten von 
Andern, vielleicht nahe gefommen wäre. Wie lebendig 
ift die Anfchauungsweife des Mannes, der bei der ſtreng⸗ 
ften Feſthaltung an der Geſchichte des wahren Körpers 
der Nation, ungerührt von dem Prunke der Könige, 
von der Größe ber Feldherren u. f. w., dennoch die deut⸗ 
ſche Geſchichte als eine Epopäe aufftellt! Die Kraft und 
Gewandtheit des Stils, die kunſtreiche Anorbnung des 
Stoffe, der Nerv der Rede, die Prägnanz der Aus- 
brüde verleugnet ſich auch in dieſem ernften und gelehr- 
ten Werke nicht; in noch reicherm Maß aber beurkunde- 
ten füh, und in einem weit größern Kreiſe gewannen 


dieſe Eigenſchaften Anerkennung in den „Patriotiſchen 
Phantaſien“. 
(Die Fortſetzung folgt.) 


— — — 





Ziterariſche Notizen aus Frankreich. 


Memoiren»Literatur. 


‚ Jedermann befaßt fih jegt mit der Abfaſſung feiner Me⸗ 
moiren. Es ift kein Leben fo unbedeutend, fo nichtöfagenn, 
daß es nit in Be ug auf die Nachwelt feine. Rechte wollte 
geltend machen. Daß bei diefer Manier, feine Denkwuͤrdigkei⸗ 
ten aufzufegen, unendlich viel leeres Stroh gedroſchen wird, 
brauchen wir gar nicht zu erwähnen. Was er ein SIntereffe 
kann es für unbetheiligte Lefer gewähren, wenn uns in Bezug 
auf einen Mann, deſſen Leben im flachen Bett der Alltäglich: 
beit Dahingefloffen ift, berichtet wird, wie er ein Weib nahm, 
lebte und farb? Selbſt die romanhaften Verbrämungen, mit 
denen diefe Erinnerungen meiftens ausgefhmüdt find, haben 
längft ihr Intereffe verloren. Bei diefem Überdruffe an Me⸗ 
moiren, deren Fabrikation ich einmal wieder durch die Maſſe 
von Material, welches Tag für Tag bie ungeheuern Spalten 
der Journale verfehlingen, einen neuen Aufſchwung genommen, 
mögen auch wol manche Erfcheinungen diefer Art, welche ihres 
Inhalte wegen einige Beobachtung verdienen, unbemerkt vor- 
übergehen. Es ſcheint uns deshalb nothiwendig, daß wir von 
Beit zu Zeit unfere Lefer auf ſolche beſſern Erzeugniffe der Me: 
moirensRiteratur aufmerffam machen. Wir wollen biesmal 
auf ein Werk hindeuten, welches erft binnen einiger Zeit er: 
feinen wird, von dem uns aber ein vielgelefenes Journal be: 
reitd einige intereffante Fragmente gebracht hat. Es find dies 
die „Souvenirs d’un stönographe”’, welche den älteften ber be: 

laubigten Gefchwindfchreiber, Ramens Breton, zum Berfaffer 
Baben. Die Bruchſtücke, welche bis jegt in ber „Gazette des 
tribunaux” mitgetheilt find, laſſen intereffante Auffchlüffe aus 
dem Gerichtöwejen bes ancien regime und aus den yarlamen= 
tarifhen Verhandlungen der Revolutionsgeit erwarten. 


Politiſche Verhältniffe Spaniens. 

Die Legitimitätöfrage in Spanien ift dur den Theater: 
ftreih der Abdanfung des Don Carlos aufs neue in Anregung 
gekommen. Die Publiciften find dadurch wieder in den Stand 
geſetzt, die Schärfe ihrer Feder und die Gelehrſamkeit, welche 
ihnen zu Gebote fteht, zu erproben. In der That find auch 
bereits mehre Flugſchriften polemifchen Charakters hinüber und 
berüber erfchienen. So weit wir Gelegenheit gehabt haben 
von denfelben Kenntniß zu nehmen, verdient Darunter indeffen 
nur eine einzige daß wir bei ihr einen Augenblick verweilen. 
Diefelbe führt den Titel „De la legitimitE monarchique et 
nationale de la reine Isabelle d’Espagne‘, von M .P. de F. 
—* Dieſe Schrift verleugnet ihren Charakter nicht; ſie 
iſt im Sinne der Anhaͤnger des gegenwaͤrtigen Syſtems ge⸗ 
ſchrieben. Der Verf. entwickelt mit Klarheit und Gewandtheit 
die Säge, welche zur Begründung dieſes Princips bereits don 
andern Publiciſten angeführt find. enn wir fo auch nicht 
Vieles, was in politifcher oder de Beziehung neu wäre, 
erfahren, fo muß man dem Verf. vorliegender Schrift doch das 
Beugniß ausftelen, daß er feine Gründe in großer Überficht: 
lichkeit entwickelte, und baß er, fo weit dies überhaupt bei po: 
littfchen Discuffionen, bei denen jebe Partei auf ihrem Rechte 
und ihren Anfichten beharrt, möglich ift, die Angelegenheit ei⸗ 
nigermaßen zur Erledigung bringt. Freilich werden bie Barli- 
ftifhen Federn, welche fih an die fruchtlofe Arbeit machen, 
diefe Beweisführung zu entkräften, die eigentlich fchlagen: 
ih Argumente mit diplomatifher Gewandtheit zu umgeben 
wiſſen. 


Berantwortlier Herausgeber: Heinrich Brockdauns. — Druck und Verlag von F. M. Brockhans in Leipzig. 





Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Donnerötag, -- 





Zufluss Möfer. 
(Bortfegung aus Rs. 35.) . 


Das Wenige, was wir über dies vielgerühmte Werk 
bier fagen wollen, fnüpfen wir an das Ustheil Goethe's 


über ‚den „herrlichen Juſtus Möfer“, den „unvergleich⸗ 


lichen Mann“ an*): .- 

An diefen Beinen Auflägen, welche fämmtlih in Einem 
Sinne verfaßt, ein wahrhaft Ganzes ausmachen, ift die innigfle 
Kenntniß des bürgerliden Weſens im höchften Grabe merk: 
würdig und rühmenswerth. 

Nachdem er bie behandelten pelitifchen Gegenflände 
bezeichnet, fährt: er fort: 

Durchaus läßt der Verfaſſer die grünblichfte Einficht in 
die beſonderſten Umftände fehen.: Seine Vorſchlaͤge, fein Rath, 
nicht -ift "aus der Luft gegriffen, und doch fo oft nicht aus: 
führbar,:deswegen er au «die Sammlung ‚rpateioifeht Phan⸗ 
taſien“ genannt, obgleich Alles ſich darin an das Wirkliche und 
Mögliche Kit. Auch auf das Familienweſen wendet ev vor: 
üglich feinen Blick. Als Begenftände [einer eenften und fcherz- 
ba en Betrachtungen finden wir bie Veränderung der Sitten 
und Gewohnheiten, der Kleidungen, der Diät, bes häuslichen 
Lebens, der Erziehung. Man müßte eben Alles, was in ber 
bürgerligen und ſittlichen Welt vorgeht, rubriciven, wenn mar 
die Gegenſtände erfchöpfen wollte die er behandelt. Und biefe 
Behandlung ift bewunderungswuürdig. Gin vollfommener Ge- 

äftsmann ſpricht zum Volk in EBocenblättern ..., keines⸗ 


‚weg ‚aber lehrhaft, fondern in den mannichfaltigften Formen, 


die man poetifch nennen koͤnnte und die gewiß im beften Sinne 
für rhetorifch gelten müflen. Immer ift er über feinen Ge⸗ 
enftand erhaben und weiß und eine heitere Unficht des Ern⸗ 
been zu geben; bald hinter diefer, bald binter jener Maske 
verſteckt, bald in eigener Perſon fprechend, immer voll» 
andig. und erfchöpfend, dabei immer froh, mehr oder minder 
ironiſch, durchaus tüchtig, rechtſchaffen, wohlmeinend, ja manch⸗ 
mal derb und haftig, und dieſes Alles fo abgemeſſen, daß man 
ugleich den Geift, den Verſtand, bie Leichtigkeit, Gewandtheit, 
en Seigmad und Charakter des Schriftftellers bewundern muß, 
Dam vergleicht er ihn mit Franklin und fährt fort: 
„Ein folder Mann imponirte uns unendlich und hatte den 
größten Einfluß auf eine Jugend, die auch etwas Füchtiges 
wollte, und im Begriff fland es zu erfaffen. In die Foͤrmen 
feines Vortrags glaubten wir uns wol auch finden zu Pönnen; 
aber wer durfte hoffen, fich eines fo reichen Gehalts zu bemaͤch⸗ 
tigen, und bie widerfpenftigen Gegenflände mit fo viel Freiheit 
zu behandeln? _ 


) Bur.26, ©. 239 fo.; Audgabe von 189. . 


Dies ausführlicher mitgetheilte Urtheil Goethe's fcheint 
uns fehr bedeutfam nicht blos als treffliche Charakteriſt⸗ 
zung von Möfer’s Eigenthümlichkeit, fondern aud) darum, 
weil Goethe ben Verf. ber „Patriotiſchen Phartafien“- 
unverlennbar aus innigſtem Herzen verehrt, ihn litera⸗ 
riſch und aͤſthetiſch ungemein Hochftellt und ihn ale ein 


‚ begeifterndes Mufter und Vorbild für feine eigenen Be- 


firebungen betrachtet. In dieſem rühmenden Zeugniß, 


diefer Bewunderung liegt. etwas für beide Männer fehr - 


Bedeutfames. und Bezeichnendes. Manchem dürfte es 
überrafchend und befremdend fein, daß der Dichter des 


„Werther, des „Taſſo“, der „Iphigenia”, des „Kauft“, 


der koͤſtlichen Lieder und Balladen ein fo großes Wohl: 
gefallen finden . konnte an ben von Möfer behandelten 


politifhen, bürgeslichen, fittlihen und oͤkonomiſchen Ge⸗ 


genftänden, dag ihm Dergleichen nicht profatfch, nüchtern, 
uninfereffant, Pleinlich und peinlich erfihien. "Aber was 


ein genaueres Stubium von Goethe auch fonft lehrt, 
wird durch dies Urtheil über Möfer nur beftätigt: Goe-, 
the hatte neben dem idealen, poetifchen Sinn und Trieb, 
und als Unterlage deffelben, einen außerordentlih prat- ⸗ 


tifhen Sinn; bad wirkliche, das gemwöhnfiche Leben 


mit feinen Bedingungen und Geſetzen, feine 


ausprägende Charakter der Familien, die verſchiedenen 


DOrganifationen der Gemeinmwefen, bie Ofonomie Im Gro⸗ 


5. Februar 1846, _ 


* 


annich⸗ 
faltigkeit, die Eigenthuͤmlichkeit und der verſchieden ſich 


⸗ 
IN 


fen und im Seinen, ‚die Leiftuingen unb das Jufäm- 


menmirfen der Gewerbe, des Handel, ber verſchiedenen 


"Berufsarten, — das Alles intereffirte ihn nicht wenig, 


wie man ſich befonders auch aus feinen „Wanbderjähren” 
zur Genüge überzeugen kann. Und ebenfo hatte er für 
das Nationale, für das eigenthümlich Deutſche in grö- 
fern und fleinern Verhältniſſen, in der Kamilte, dem 
Bemeinwefen, im Staat eine große Empfänglichfeit und 
Neigung, wie feine Romane, fein „Hermann und Doro⸗ 
thea”, fein „Gög”, auch fein „Kauft“ beweifen. Daher 
hatte er auch an Voß’ „Luiſe“ eine große Freude. Nur: 
durfte ihm dies Alles nicht in kleinlicher, ängftliher Ge- 
ftalt, mit philifterhaftem, Beinftädtifhem Sinn, mit 
widrigem Dünkel ober herzbrechender Sentimentalität 
entgegentreten, fonft ftieß e6 es ihn ab und zog ſich fei- 
nen Spott zu. In der gefunden, tüchtigen, Träftigen, 
freien und großen Art aber, wie Möfer das Alles 





142 


faßte und behandelte, fagte es ihm feinem aan 
| en Cha- 
rafter nad) fehr wohl zu, und es behagte —* der 


ſo gefaͤllig ausbreitende Reichthum von wirkli 
wirklichen Le⸗ 

benseinfichten und Erfahrungen, dies Heimiförn in 

der Yıt, in den Sitten, in dem Herzen ber Nation, 


diefe mit großem Verſtand und um affend 
| Verf er Weltkennt⸗ 
niß gepaarte Semüthlichfeit und her lee nie becle. 


mirende und nie fanatifche Patriotismus. D 
n . Das Inter- 
effe an den Gegenſtaͤnden ließ ihn auch über die Yun 
jo günftig urtheilen, daß er fie im beften Sinne rheto⸗ 
riſch findet, ja faft poetifch nennen möchte, Indeffen 
— gerade mit dieſem hoͤchſten Lobſpruch, den 
F 9% ganz zu ertheilen wagt, die Grenze vo ö: 
s ſchriftſtelleriſchen Eigenſchaften angedeutet: 3 
im g?ortreffliher, ein bewundernswürdiger Profai- 
fer in ’ Hebanbe ber Freiheit, womit er feinen 
ta, et ne, ein ausgezeichneter Künfkier 
Gegenftand . "iffreicher als durch und duch verfländ. 
uns en, — ber eigentlich Poetiſche und 
ficher ri ehlt ihm als produci 
n ucirendem 
Sn CIE Bf und it dm 
Sinn dafür mangelt. *) Zum Diysst Im höhern Sinn 
war er von ber Rat 5 angeiegi, ünd er empfand 
Be von Rh JÜRR, was er Im dem Muffe übe 


m. 


die deutfche Sprache und Literatur ſchmerzlich kla⸗ 
gend ſagt: 
Große Empfindungen koönnen allein von geoßen Begeben- 
heiten entſtehen; die Gefahr macht Helden. Es müffen große 
Schwierigkeiten zu überwinden fein, wo große Empfindungen 
und Unternehmungen aus unferer Seele emporfchießen follen ; 
und diefe Überwindung muß der Ehre, der Liebe, der Rache 
und andern großen Leidenſchaften durchaus nothwendig fein, 
oder der Seit hebt fi nicht aus feinem gewöhnlichen Stande, 
die Seele umfaßt Feine große Sphäre und der Menſch bleibt 
das ordinaire Gefchöpf, was wir täglich fehen und nad) unjern 
gemeinen Regeln zu ſehen wuͤnſchen. Dergleichen große Gele⸗ 
genheiten, wo Schwierigkeiten zu überfteigen find, finden ſich 
aber bei und Deutfchen nicht. Der Staat geht unter der Wade 
stehender Heere mafchinenmäßig feinen Gang; wir fuchen bie 
Ehre faft blos im Dienfte oder in der Gelehrfamkeit und nicht 
in Erreichung des höchften Zwecks von beiden; unfere Schönen 
ftimmen leichter zu ordentlichen als beroifhen Empfindungen. 
Wenn wir aber je wenig große Begebenheiten haben, als mit 
der gehörigen Lebhaftigkeit empfinden, wie wollten wir denn 
zu ber Höhe der Gedanken und des Ausdrucks gelangen, welche 
andere Nationen auszeichnet? Kann die fehlaffe Seele eben Das 
was die hochgefpannte wirken? Im Allgemeinen geredet wirb 
Bein Deutfcyer das wahre feine Gefühl des Italieners, Peiner 
die edle Liebe des Spaniers, keiner die Begeifterung für Frei⸗ 
heit und Eigenthbum eines Engländers mit feinem Ausdrud 
verbinden; Peiner wird in Allem fo wahr empfinden, denken 
barren, ſchwärmen oder rafen als die Nationen, weldye durch 
wirfliche Umftände genöthigt find, ihre höchfte Empfindung ber: 
vorzupreffen und außzudrüden; und ohne Wahrheit ift keine 
vollkommene Größe, fo wenig in der Mufit als in der Male: 
sei und in andern ſchoͤnen Wiſſenſchaften. 


(Der Beſchluß folgt.) 


) Ungefähr dad Gleiche durfte aucb von dem von Goethe fo 
hoch geftellten Merck gelten. 


Der Einzige und fein Eigenthum. Don M 
Leipzig, DO. Wigand. 1845. Gr. 8. 2 Fe Nee. 


Das vorliegende Buch bat ein ei umli i 
genthumliches 
En Es Hat die Aufmerffamfeit der reg eat 
An en, mn niſt ea „einer Seite ebenfo fehr als 
, acht und befpottet, 
andern als confequent und als teffinnien anerkannt och 
das Syſtem, die Schule und ift doch ein Ieptes 


Theil Gegner aller Philofophie, für die Entwidelungsproceffe 
nicht zu leugnen, daß auch Stirner iber de 

ht: , 10 weit er 
Eonfeguenzen feıner Schule hinausgeht, ihr —S 
mit Leib und Leben angehoͤrt und eben nur in feiner Stellung 
zu ihr feine richtige Bedeutung findet. &tirner, der fich be: 
müht, Alles aufzulöfen und aus allem „Spuf”, auß allen Ab» 
f actionen auf ein bloßes, vereinzelter &ein zurückzukehren, ift 
ennoch nichtE Anderes als Xheil, als Moment in einer Abe 
ffraction, nämlich der Abftraction des Jungbegelianismus. Gr 
efampft gewiſſermaßen die ganze Welt, aber er befämpft we- 
niger die Welt als folche, fondern mehr nur bie Borftellun« 
gen, welche ſich der Junghegelianismus von der Welt gemacht, 
die Confequenzen, welche er auß ihr gezogen bat, und wie fein 
Anfangspunft der Sunghegelianismus tft, fo ift fein Ausgangb- 
punkt eben auch nichts Anderes als ein Kampf gegen bie Con⸗ 


fequengen ded Hegelianismus. Er bleibt alfo immer, fo viel . 


er auch von feinem „Ich“ vedet, welches „fi um nichts fchert‘‘ 
und jede allgemeine Idee ald einen, „Spuk“, als ein „Gefpenft” 
verhöhnt, ein Product ber Abftractionen, welche die Hegel'ſche 
Philofophie gewonnen hat. Sein „Ich ift fehon demzufolge 
nicht das rechte, unabhängige Ich „das Einzige‘, denn es fegt 
Durchgangspunkte nothwendig voraus, es ruht auf einer Welt, 
in der die Abftractionen, die „Gefpenfter” herrſchen. Wie 
fommt der „Einzige dazu, ein dickes Buch über das „Ich“ 
zu ſchreiben? Wäre er ganz erfüllt von feiner Ginzigleit, er 
würde in dieſer Einzigfeit leben und nicht von ihr fchreiben. 
Wie er aber ift, lebt er in Allem, was auf einer allgemeinen 
Idee beruht, im Staate, in der Geſellſchaft, in der Ehe u. f. w. 
und ſchreibt von feiner Einzigkeit, ohne fie wirklich machen 
zu koͤnnen oder auch nur zu wollen. Denn er bört auf „ein: 
zig” zu fein nicht blos durch fein Leben, fondern auch durch 
fein Schreiben, indem er die Einzigkeit, alfo eine neue Abftrac- 
tion, bildet, indem er an die Stelle der allgemeinen Ideen 
den: Egoismus, eben auch nichtd Anderes als eine Abftraction, 
zu fegen gedenkt. Wollte Stirner confequent fein in feinem 
Standpunkte, er mußte in cinem rein vegetativen Dafein be⸗ 
fangen bleiben. Am allerwenigften aber könnte er in einer 
vollendeten „Einzigkeit“ ein Buch über „Der Einzige und 
fein Eigenthum“ fchreiben und Wbftractionen befämpfen, um 
eine neue Abftrartion zu befommen, die fo brutal wird, daß fie 
ohne allen geiftigen Inhalt beſtehen will. 

Stirner's Buch ift für die Gefchichte der Hegel’fchen Schul- 
‚philofophie von Peiner geringen Bedeutung. Nirgend fpiegelt 
fich die Auflöfung des Hegelthums in feiner ſchulmaͤßigen Korm 
beffer und beutlicher al& bier. Die Dialektik hat fih in ihren 
Durchgangspunkten vollkommen erfhöpft. Sie hat durch Feuer⸗ 
bach das Jenſeits geſtuͤrzt, fie bekämpft durch Bauer die ein: 
zelnen Disciplinen der Theologie, ohne aber ſelbſt noch vom 
theologiſchen Standpunkte frei werden zu koͤnnen. In Stirner 
wendet ſie ſich nun gar gegen Das, was ſie bisher als ihr 
„Weſen“ angenommen hat, gegen den „Geiſt“ ſelbſt. Sie ge 
langt in Stirner zu einer Verſpottung und Verachtung des 
Geiſtes. Weiter Tann eine Schulphilofophie aber nicht kom⸗ 
men als zur Verachtung des „Geiſtes“, mit dem de fo lange 
Hokuspokus getrieben, den fie fo lange in „zierliche fpamifi 


143 


Stiefel" eingefhnürt hat. Wenn fie das Meich des Geiftes, 
welches fie lange Beit zu beherrſchen fih Mühe gab, gar felbft 


old einen „Spuk“, als einen ‚„Sparren” bekennt, dann hat 


fie zu gleicher Zeit ſich felbft vernichtet. Der Eifer, mit dem 
fie fih an die Bernichtung des Geifte® macht, nachdem fie 
glaubt alles Übrige geftürzt zu haben, Bann aber für Den, dem 
Der Geift noch etwas Anderes als ein „Sparren” ift, nur als 
der Parorysmus eined Sterbenden erfcheinen. In der That, 
mit der Schulphilofophie iſt es aus. Ihre Dialektik, ihre 
Kunftftüde find vollkommen erfhöpft. Es ift in ihrem Bau 
Bein weiterer Fortfchritt möglid. Sie muß zu Grunde gehen, 
ihr Kreis ift vollendet. Aber es ift eine Anmaßung der Schul: 
pbilofophie, zu glauben, daß weil fie fierben muß auch der 
Geiſt überhaupt, den fie fo lange gefchulmeiftert, fterben mülfe, 
und es ift ein Grundirrtbum bei Stirner, die Auflöfung der 
Hegel'ſchen Schulphilofophie mit der Auflöfung des Geijtes zu 
identifietren und zu behaupten, weil die Confequenzen einer 
Schulphiloſophie unhaltbar wären, fei der. Geift feibt unhalt⸗ 

r, „Spuk“, „Unſinn“, „Sparren“, „Sefpenft”. Die Philo⸗ 
ſophie Ber Griechen ſtarb in Spitzfindigkeiten, der „Geiſt“ lebte 
fort; die Scholaſtik des Mittelalters ſtarb in Spitzfindigkeiten 
und der „Geiſt“ Iebte fort; Die Hegel'ſche Philoſophie bat fich 
ebenfalls in einer übertriebenen und übertreibenden Dialektik 
außgelebt, aber der „Geiſt“ wird damit nicht zu Ende gekom⸗ 
men fein, in ihm liegt das Abfolute. Als ob der „Geifl” nur 
in den Kategorien einer Schulphilofophie zu finden wäre! Stir- 
ner entdeckt den Geiſt erft durch das Hegelthum, innerhalb der 
Hegel'ſchen Philofophie, er empfindet erft fein allgemein menfd- 
liches Walten. Indem er nun den Geift nicht anders Fennt 
als in ſchulphiloſophiſcher Drefiur, glaubt er ihn überhaupt 
mit der Schulphilofophie ftürzen zu Fünnen. Aber ein folcher 
Standpunkt it viel zu eng, als daß er da noch irgend eine 
Wahrheit in fih enthalten koͤnnte, wo es weit über ſchulphi⸗ 
loſophiſche Bragen hinausgeht. Dem lebendigen Walten und 
Weben des „Geiftes”’ gegenüber ift das Stirner'ſche Buch 
nichts als eine „Schrulle”, nichts als der Exceß einer ſterben⸗ 
den Schulphilofophie. 

Der Grundgedanke, auf den fih alle, zum Theil fehr geift- 
reih ausgeführten Demonftrationen und Anfchauungen Stir: 
ner's zurüdführen laffen, ift die Behauptung eines bloßen in: 
dDividuellen Dafeins, dem Denden gegenüber, welches fogleich 
zur Allgemeinheit, zur organifchen Verbindung des Menſchen 
untereinander führen muß. Er beginnt fogleich: 

„Was ſoll nicht Alles Meine Sache fein! Bor Allem die 
gute Sade, dann die Sache Gottes, die Sache der Menfchheit, 
der Wahrheit, der Freiheit, der Humanität, der Gerechtigkeit; 
ferner die Sache meines Volks, meines Fürften, meines Va⸗ 
teriandes, endli gar die Sache des Beifted und taufend an⸗ 
dere Sahen. Rur meine Sache foll niemald meine Sache 
ſein. Pfui über den ae der nur an ſich denkt.” 

„Ich hab’ meine Sache auf Nichts geſtelit!“ ruft Stirner 
in philofophifcher Frivolität aus und in der That bat er feine 
Sache auf ein Nichts geftellt, indem er fie auf ein atomifti- 
ſches, aller allgemein:geiftigen Bewegung entfrembeted Dafein 
Felt. Was vertheidigt er Anderes als die Brutalität? Aber 
er ift felbft noch viel zu fehr vom „Sparren“ befeflen, als daß 
er in feiner Apologie des Brutalen, in ber Auflöfung des gan: 
zen Weltorganismus in lauter brutale Einzelwefen, die nichts 
von Aſſocialion wiffen wollen, fondern blos auf ſich verharren 
und einer den andern frefien, fobald der eine bem andern zu nahe 
kommt, confequent werben Fönnte. Denn anftatt eine Apologie 
Seiner zu fchreiben, feines ganz befondern Stirner'ſchen Ichs, 
dann anſtatt fih um Niemand anders als um fih, Mar Stir 
ner, den einzigen „Einzigen‘ zu befümmern, befümmert er fi 
um das „Ich“, welches er fo zu einer allgemeinen Abftraction 
erhebt, um die „Einzigkeit”, eben auch eine Abftraction, die er 
aber nur fchaffen Tonnte, weil es ihm noch nicht möglich ge- 
worden, vom ‚„Sparren des Geiſtes Frei zu werden, und in 
daß brutale, von ihm vielfach gepriefene Dafein zu verfinken. 


Er, der vor Allem frei fein will, vom „Geifte”, vom „Men- 
fen‘, macht fein befondere® Ich glei von vornherein von 
dem Ih, von ber geiftigen Einheit aller befondern Iche, ab- 
haͤngig, und indem er ſo von vornherein alle Abſtractionen, 
alle Allgemeinheiten auflöfen will, bleibt er ſelbſt einer Ab: 
ftraction unterthan. Indem er den Geift befämpfen will, muß 
er ſich felbft ald vom Geifte „beſeſſen“ beweifen. Wie Bauer 
die Theologie theologiich bekämpft, fo kann Freund Stirner 
den Geift eben aud nur geiftig befampfen. Der Froſch im 
Sumpfe befämpft den Geift befjer als Stirner, denn er Eüm: 
mert fih nicht um ihn. Stirner's geifliger Kampf gegen den 
Geiſt heißt von vornherein die Inconfequenz des eigenen Stand⸗ 
punftes zugeben, jo richtig auch bie Eonfequenzen fein mögen, 
bie aus der. erften Inconfequenz gezogen werden. Wie gefagt, 
Stirner's Kampf gegen den Geift beruht auf einer „Schrulle” 
und bat nur Intereffe für den Auflöfungsproceß, in welchem 
fi die Hegel'ſche Philofophie gegenwärtig befindet. 

Der Menfh ift dem Menſchen das höchſte Wefen, fagt 
Feuerbach. Der Menſch ift nun erft gefunden, fagt Bruns 
Bauer. Indem Beide den menſchlichen Geiſt als den böchften 
und das Höchſte anerkennen, indem fie an der Befreiung def: 
jelben von allem „Unmenfchlicyen” oder „bermenſchlichen“ arz 
beiten, ihn aber gelten laffen und ihm einen Eultus verfchaf: 
fen wollen, ſtellt ſich fogleich, ihren Principien gegenüber, die 
Berfihiedenheit des Stirner'ſchen Standpunkts heraus, welcher 
ebenfo wenig den Geift ald den Battungsmenfchen anerkennen 
will — wir fagen will, denn er kann in Wahrheit nicht von 
den Abftractionen loskommen — und Alles auf den „Egoiften‘ 
zurüdbringt. Befchäftigen wir und nun aber einmal mit dem 
‚meuen Bunde” Freund Stirner's, mit dem „Einzigen”, mit 
dem „Egoiften‘ und fehen wir zu, wie er feinen neuen Eul- 
tus zu entwideln bemüht ift. 

Zuerft fucht Stirner in „einem Menfchenleben’ die Wahr- 
heit ſeines Standpunktes nachzuweifen. Won dem Augenblide 
an, jagt er, wo der Menfch das Kicht der Welt erblickt, fucht 
er aus ihrem Wirrwarr, in welchem auch cr mit allen Ans 
dern bunt durcheinander herumgemwürfelt wird, ſich herauszu⸗ 
finden und fi zu gewinnen. Aber die Entftehungsgefchichte 
des Menfchen und feine hülflofe Jugend predigen in der That 
weniger den Egoismus, die Einzelheit aller Menfchen, als die 
Verbrüderung Aller mit Allen. Vom anthropologifchen Stand» 
punkte betrachtet wird ein ſolches bloßes „Daſein“ wie Stir- 
ner ed will ein wahrbafter Unfinn. Aber diefen Standpunkt 
übergeht Stirner vollkommen, wo er „ein Menschenleben‘ ent: 
widelt. Sonft redet er fo viel davon, daB der „Leib auf 
Koften des „Geiſtes“ beeinträchtigt werde. Ein Kind bat 
nichts von der „Einzigkeit““, es gebt volllommen auf am Bus 
fen der Mutter, alfe im Zufammienfein mit einem Andern und 
im Bebürniß nad biefem Undern, ed lebt nicht durch fein 
„Ich“, feine „Einzigkeit“, fondern nur durch die Mutter, durch 
die Familie, weldye ed deckt und umfängt. Iſt die Eriftenz 
im Mutterfchoofe die erfte Stufe des menfchlihen Dafeins, a 
ift die Briftenz in der Familie die zweite, die erfle Stufe weicht 
der zweiten ald einer höhern u. f. w., indem der Menſch „ſich 
zu gewinnen” jucht. Aber er gewinnt ſich, wie Stirner meint, 
keineswegs im entſchiedenen Gegenſatze zu allen übrigen gleich 
berechtigten Eriftenzen, fondern nur daburch, daß er über ben 
Standpunkt des vegetativen Dafeins weg und „hinter bie 
Dinge” kommt, daß er fich nicht als „Einzigen”, fondern als 
organifchen Theil im Ganzen erkennen lernt und ſich als fol- 
her im Ganzen bewegt. Stirner entwidelt dad Menſchen 
leben“ weber pfſychologiſch noch anthropologiſch, auf beide Art 
würde er einfehen müflen, wie falfh feine Vorausjegung der 
„Einzigkeit” iſt. Er begnügt ſich, das „Menſchenleben“ unter 
der Lupe gewiffer theologifcher und fehulphilofophifcher Ab⸗ 
fteactionen zu betrachten und da hält es denn in ber That 
nicht ſchwer, diefen Abftractionen gegenüber die Ratur hervor: 
zubeben, aber diefe Ratur wird nicht in ihren Grundbeziehun- 
gen geprüft, fondern fogleich wieder in eine neue Abftraction 


144. 


„Ich“, „Egoismus, „@igenheit” verwandelt und alfo in ih- 
tem-wahren Wefen burchaus unberüdfichtigt gelaffen. Da haf 
die „Schrulle” unfers Einzigen Raum und Gelegenheit genug, 
fi ein Menjchenleben nad) der unmöglihen Borausfegung der 
„Sinzigkeit” zurechtzumachen und Hirzuftellen. Gtirner macht 
fi das Alter des Jünglings zu jener Lebensperiode, wo der 
„Geiſt“ die größte Gewalt ausübt. Umgekehrt aber Bönnte 
man ebenfo gut fagen, daß der Iüngling am meiften dom 
Egaismus bejeffen wird, denn der Jüngling ift noch nicht über 
ſein. Ich binausgefommen, er hat fih noch nit als Theil er 
Faunt,, ihm find die ‚Fugen bes Weltgebäubes noch fremd, er 


fiebt Alles nur in Begug auf fi, er will Alles fein, er will 


Alles Finnen, bie erſte Liebe if gewöhnlich eine rein egoiſtiſche, 
man diebt -fich felbft nur in bem gelichten Gegenſtande und 


firebt nach Selbftbefriedigung. Pſychologiſch und Anthropolo: 
jedenfalls richtiger - 


giſch ift dieſe Charakteriſtik des Iunglin 
als die, welche Stirner gibt und wonach fi) „der Juͤngling 
an den allgemeinen Geiſt verlieren fo“. ..: Endlidy findet der 
Mann nach Stirner den „leibhaftigen Geift’. Was ift denn 
dag für ein Geiſt? Hören wir Stirner: 

„Erft dann, wenn man fich leibhaftig liebgewonnen und 
an fih wie man leibt und lebt eine Luft Bat — fo aber fin: 
det ſich's im reifen Alter, beim Manne — erft dann bat mar 
ein perfönliches oder egoiftifches Interefie nicht etwa nur Un- 
fer& Geiftes, fondern totaler Befriedigung, Brfriedigung des 
ganzen Kerls, ein eigennügiges Interefie. Der Mann macht 
fich mehr zum Mittelpunkt ald der Züngling, der für Anderes, 
3.8. Gott, Vaterland und Dergleichen «[chwäarmtn. 
zeigt cine zweite Selbftfindung. Der Juͤngling fand fi als 


Seift und verlor fih wieder an den allgemeinen Geift, den. 


volldommenen, heiligen Geiſt, den Menſchen, die Menfch- 


ui f Burz alle Ideale; ber Mann findet fi als leibhaftigen 
eift. * 


Alſo das Mannesalter wäre die rechte Zeit für den Egois⸗ 
mus? Erweiſt fi das nun in RBaprheit fo? Stellt fi der 


Mann als „Einziger Allen gegenüber, erBlärt er Allem mas 


außer feinem „Ich“ den Krieg? Betrachten wir doch einmal 
den. Kreid des Mannes. -Schon durch feine Stellung ald Far 
miliendvater, welche er meiftens einnimmt, wird feiner Neigun 
zur: „Einzigkeit“ ganz entfihieden widerfprochen und feine Zu 
am ‚Zufommenfein auögebrüdt. 


der Sefellfchaft. Steht ex ihnen gegenüber „einzig“ da, macht 
er ihnen gegenüber fi wirfiih zum Mittelpunkt, anerkennt 
er nicht vielmehr eine große, allgemeine, ‚tragende Idee, und 
ſtellt er fih nicht, indem er -für den rechten Ausdruck derfel- 
ben:thätig wird, jeder „Einzigkeit” gegenüber, fühlt er nicht 
als fchaffender, thätiger Theil in einem Sangen feine Freude 
und -feinen Beruf? Allerdings iſt er zu einen Bewußtſein, zu 
einer Beftimmtheit über fein „Ich“ gefontmen und er verlangt 
bie Anerkennung dieſes Ichs im Ganzen unb Rechte dafür, 
den Schug der Geſetze, ftaatsbürgerliche Freiheit, gefellfchaft: 
lihe Stellung u. ſ. w., aber eben indem er dieſes verlangt, 
läßt. fich in ihm der Feind jeder auöfchließenden Einzigkeit er: 
ennen. 
bricht, wie in den Concurrenzverhaͤltniſſen der Gegenwart, wo 
der Krieg des „Einzigen“ gegen den andern „Einzigen“ be: 
ginnt, da ift Bein natürlicher, fendern ein durchaus unnatürli: 
her und. verderbter Boden, und er wird im Durchbruch einer 
großen Idee, welche fich der „Concurrenz“ gegenüber als „Aſ—⸗ 
fociation’‘ erkennen läßt, feine Auflöfung erhalten. Wenn Stir: 
ner alfo behauptet, daß der Mann der rechte Egoift fei, daß 
er „fein perjonliched Intereffe über Alles fehe”, jo muß Dem 
entfchieden widerfprochen werden. Der rechte Mann wird fich 


immer der leitenden Ideen bewußt fein und ihnen nöthigenfaus 


zu opfern wiflen, der orbinaire Egoift aber wird ſelbſt aus In: 
ſtinct dieſe leitenden Ideen anerkennen und fich vergebens ger 
gen fie ſtraͤuben, er wird z. B. an feine Familie denken. Ein 


Der Mann 


Ebenſo und neh mehr durch 
feine: praßtifche Bethätigung an den ragen des Staats und- 


Wo aber der Egoismus au nur zum Theil hervor: 


Stirner ſcher Egoismus 
bar, er ift «ben nichts 
„Schrulle“. 

Was wäre nun ein Menſchenleben“ nad, Stirner'ſcher 


ale allgemein if vollkommen undenk⸗ 
Anderes als eine ſchulphiloſophiſche 


4 


Maniert Ein Inhaltdiofes, gleichgültiges Dafein, ein Sufland ., 


ohne alle Entwidelung, denn biefe befommt Bad einzelne Les 
ben nur durch die Durchkreuzung anderer Eriftenzen und nicht 
im Buftande einer troftfofen „Einzigkeit“, eine brutale Exiſtenz, 
der alles Gemeinfame feindlih, der alles Menſchliche jenfeitig, 
der alle Vernunft Wieberphantafie fein würbe. onderbar. 
Die Apologie einer folchen Brutalität entwidelt fih aus einer 
Philoſophie, welche den „Geiſt“ in den Retorten ihrer Dialef- 
tie und „ Metapbyfil fuperfein deſtillirte; ein folder Zuſtand 


fann einen Bertheidiger finden in einer Zeit, wo bie tiefen . 


Brüche der Gegenwart und ein Bli in die Zukunft mehr als 


deutlich beweifen, daß nur in einer Bereinigung, welche den 


Egoismus fo weit als moͤglich ausſchließt, Heil und Huͤlfe er⸗ 
wartet werden kann. 
(Der Beſchluß folgt.) 


Literarifhe Notiz aus Frankreich. 


Gavarni's gefammelte Werke. 
Wer hätte fich nicht Thon an ben herrlihen Skizzen Ga: 


varni's ergoͤtzt, und wer freute fich nicht, Daß es diefem fruchtbaren 
uswahl diefer geiftreihen, witzi⸗ 


Künftler endtich gefällt, eine 


FA Zeichnimgen nach dem Leben zuſammenzuſtellen? Gavarni 


at fi einen Ramen gemacht, welcher vor allen populair ge: . 


worden ift. Und in der hat hat er den Ruhm, den er fi 
mit "feinem frifhen Griffel binnen wenigen Jahren verfhafft 


bat, ‘wohl erworben. Niemals ift e8 einem Beichner im glei: _ 
Her Brade als ihm gelungen, die fluͤchtigen Geftalten bes burn» . 


ten Lebens aufzufaflen und wiederzugeben. Alle feine Bei 
a und er fit fruchtbar wie felten ein Künftler — ſpruͤ⸗ 
en’ 


Died ift ein unleugbares Zeichen feiner Genialität. 
Dieſelbe bewährt fi nun aber ebenfo auch in der Ausführung 
bis ins Peinfte Detail. Uber jede der Figuren, welche er ins 


Leben ruft, iſt eine eigenthümliche eat ausgekhüttet, die. 


felbft da, wo er feinen Griffel in Galle getaucht bat, verföh: 
nend wirft. Der „Charivari“, zu beffen thätigften Mitarbei: 
tern Gavarni gehört, verdankt’ demfelben eine Galerie der hei⸗ 
terften Lebensbilder. Wir erinnern an die Genreftüde, welche 
unter die Rubril „Les Lorettes’’ gehören und an einige Rum: 
mern feiner ‚„‚Enfants terribles”. Außerdem ift der unerſchoͤpf⸗ 
liche Künftler aber auch nach allen Richtungen hin thatig. Rur 


felten erfcheint ein illuftrirtes Werk, zu dem er nicht wenig 


ſtens etwas beigefteuert hätte. So prangt fein Rame unter 
den vorzügliäftien Mitarbeitern der ‚Gramde 
„Diable A Paris’ und vieler andern ähnlichen Unternehmungen. 


Savarni hat fich bei ß vielen Werken MR a —* u 
eiſtreichen 


einmal ſelbſt mit Beſtimmtheit weiß, wohin ſeine 


Blätter zerſtreut find, und daß er feinen ganzen Reichthum 


nicht emmal vollftändig überfchauen Fann. Einen Theil Deifen, 


was ihm gerade zur Hand ift, vereinigt er gegenwärtig in feinen 


„Oeuvres choisies”. Wir wollen nicht gerade behaupten, daß 


er in diefe Sammlung nur das Beſte von feinen Productionen 
aufnimmt: denn es würde bier fehwer halten, einen Unterfdieb 
zu machen. Gewiß wird Jeder, der naher bekannt ift mit fei: 
nen Leiftungen, irgend eine Skizze, die ihm lieb und werth ge: 
worden ift, vermiffen, und wenn das Werk zum Abfchluß ge: 
fommen fein wird, fo wirb man gewiß von allen Seiten den 
lebhaften Wunfch äußern, e8 möge dem geiftreihen Beihner 
noch nicht gefallen, feinen Griffel bei Seite zu legen. 17. 


Verantwortlicher Herausgeber: Heinrih Brockzaus. — Drud und Verlag von F. E. Brockhaus in Leipzig.‘ 


- 
. 


und Leben. Mit wunderbarer Schärfe weiß er die 

Erſcheinungen der geſellſchaftlichen Verhältnifie zu erfaflen,, und. .. 

wenn er nun eine ſolche Geftalt vor uns binzeichnet, fo wird 

‘ fie unter feiner Feder fogleiih zum Typus einer ganzen Gat- 
- fung. 


ville”, des . 





TA D„g Tee —— — — — 


Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 


Freitag, 


— — — — — — — —— — 


6. Februar 1846. 





Juſtus Mö fer. 
(Beſchluß aus Nr. 36.) 


Möfer machte auch felbft nicht Anfprüche auf den 
Namen eines Dichters, obgleich er hin und wieber 
einen Vers machte und in feiner Jugend ein Trauer: 
friel „Arminius’” gedichtet hatte, fondern erklärte ſich 
hoͤchſt befcheiden für .einen Laien im Orden ber fchönen 
Geifter. Seine Beſtimmung, fehreibt er, habe ihm nicht 
zugelaffen, die Probejahre auszuhalten, welche zur Auf- 
nahme in irgend eine gelehrte oder fchöne Gefellfchaft 
erfobert werden. ber er hatte viel Gefhmad an und 
in der Poeſie; er”las die altdeutfchen Dichter und hatte 
eine Sammlung und Herausgabe berfelben im Sinne; 
er fammelte Volkslieder in Weftfalen, pries die in den 
ſchottiſchen Gebirgen nad, lebendig erhaltenen alten Bal- 
laden, und wünfcdte von einem Bürger die alten Volks⸗ 
erzählungen bearbeitet. Kür das Poetifche in der Sprache 
befaß er den feinften Sinn; er beklagte, daß das Deut- 
fee, indem es eine Buchfprache geworben, fo arm fe: 

Aber daß ift der Fehler aller Buchfprachen und am mei» 
ften der franzöfiichen, bie wiederum fo fehr gereinigt, verfei- 
nert ift, daB man kaum ein mächtiges, rohes oder fohnurriges 
Bild darin ausdrüden ann, ohne wider ihren Wohlftand zu 
fündigen. Die engliſche Sprache ift die einzige, die, wie bie 
Nation, nichts ſcheut, jondern Alles anpreift und gewiß nicht 
aus einer gar zu firengen Keuſchheit fhwindfüchtig geworden 
iſt; fie ift aber auch die einzige Volksſprache, die in Europa 
gefchrieben wird, und ein auf den Thron erhobener Provinzial: 
dialekt, der auf feinem eigenen fetten Boden fleht, nicht aber, 
wie unfere Buchfpradhe, auf der Tenne dörrt. 

Er rühmt Leffing’s Derdienft, der Provinzialmen- 
dungen und Wörter, wo ed bie Bedürfniffe erfoderten, 
auf die glüdlichfte Weiſe nationalifirte, 
ſodaß wir nunmehr wol hoffen dürfen, bald eine Sprache zu 
haben, worein ale Muthiwilligkeiten und Üffereien, deren ſich 
der Menſch zum Ausdruc feiner Empfindungen und Leiden» 
Schaften bedient, dargeftellt werben können. Doch ich will dar: 
auf nicht wetten, daB nicht Viele, denen es ſchwer fat in 
deutfcher Luft zu athmen, die franzöfifche der deutſchen immer 
vorziehen werben. 

Möfer felbft muß als Bereicherer und Reiniger der 
beutfchen Sprache geehrt werden, in welcher er manchen 
Ausdrud Ted und glücklich gewagt hat, und er ift in 
einzelnen Ausdrüden und Prädicaten oft wirklich poe- 
tif, er verfinnlicht aufs überrafchendfte und treffendfie 


einen Gedanken, er ftellt uns mitten in eine lebendige 
Anfchauung hinein und fommt der fchärfften, bündigften 
Logit mit einem wirkfamen Aufflug und Schlage der 
CEinbildungsfraft zu Hülfe. Die Reinheit, mit welcher 
er Deutfch ſchreibt, ift um fo Höher anzufchlagen, als 
er nah franzöfifhen Muftern feinen Stil gebildet, 
Marivaur und St.- Evremont eifrig ſtudirt, und fpäter 
mit der englifhen, fo reihen und in’ ihren Dichtern, 
namentlich Shaffpeare und Pope, ihm befonders zufa- 
genden Literatur ſich vertraut gemacht hafte; aber bie 
deutfche Natur, das deutfche Herz drang durch, und er 
ahmte den Franzofen nur bie Correctheit und Zierlich⸗ 
feit, ben fommetrifchen und gefälligen Satzbau, den 
Engländern die gedanfenfchwere, fernige Kürze nad, 
ohne feine Sprache zu einem Gemenge von Ansländi- 
fhem zu machen. Offenbar hat Möfer auf Compoſi⸗ 
tion und Stil große Aufmerkſamkeit und Kunft vermen- 
bet, fo leicht feine Auffäge bingeworfen fcheinen; aber 
er wartete auch immer bie günftige Stimmung ab und 
lieg ſolche Arbeiten fogleich liegen, wenn die rechte 
Stimmung verflogen war. Daher die nie fehlende Fri⸗ 
fhe und Ungeswungenheit in den „Patriotiſchen Phanta- 
fien”, die immer zuftrömende Gedankenfülle, die reizende 
Beweglichkeit, welche Eigenfchaften, verbunden mit dem 


beftändigen Wechfel der Form und der hoͤchſt angemeffe- 


nen, wenn auch nicht im böhern Sinne poetifhen Er- 
findung, den angenehmen Eindrud auf ben Leſer ber 
vorbringen und nothwendig eine hohe Meinung von dem 
Seift des Verf. erwecken müffen. Man könnte bedauern, 
bag Möfer nicht einer eigentlichen Kunftform, etwa 
der Komödie, fi) zumandte; aber vermuthlich kannte er 
doch feine Kräfte felbft genau genug, um in der Wahl 
der ihnen gemäßen Form nicht fehlzugreifen; und es ift 
immer beffer, wenn das Geleiftete einen unbenugten 
Überfhuß von Kraft verräch, als wenn der Verſuch ei- 
nen Mangel, eine Unzulänglichkeit entdeden läßt. „Har⸗ 
letin’8 Heimat”, aus Möfer's Jugend, iſt eine ganz 
artige Poffe und enthält ziemlich viel Wig, iſt aber zu 
Hein, um einen Mafftab zu geben, mas Möfer in grö- 
fer angelegten Stüden hätte leiften Tonnen. Diefe 
Poſſe ift ein Nachtrag zu feinem Auffag über das Gro⸗ 
test: Romifche, worin er fehr treffende Gedanken über bie 
Literatur und das Theater ausfpricht, und namentlich 


- 


146 


das Komifche gegen die Einwendungen eines übertrieben 
firengen und zarten Geſchmacks ſowie gegen bie engher- 
zigen Moraliften und Nüglichfeitemänner vertheidigt. 
Die Komödie, die Poffe fol nicht fomol auf eine luſtige 
Weife belehren und beffern, als vielmehr den Men- 
fhen aufbeitern, ihn lachen machen und ihm fo eine -ge- 
funde phyſiſche und moralifche Bewegung verfchaffen. 
Veberhaupt erhebt ſich Möfer in feinen äfthetifchen An- 
fihten über und gegen alles Pedantiſche, Engherzige, 
Kleinliche; er redet der freien, tüchtigen Natur, dem 
Charakteriftifchen und Mannichfaltigen gegenüber bem 
Verkünftelten und Conventionnellen das Wort, befondere 
aber dringt er nachdrücklich auf den nationalen Eharaf- 
ter der Kunft und Literatur. Er fehreibt: 


Meiner Meinung nach müffen wir durchaus mehr aus 
uns ſelbſt und aus unferm Boden zieben als wir bisher ge 
than haben, und die Kunft unferer Nachbarn hoͤchſtens nur 
infoweit nugen als fie zur Verbeſſerung unferer eigenthüme 
lihen Süter und ihrer Eultur dient. Zwar konnen wir auf 
diefe Weife leicht auf Irrwege gerathen. Denn indem wir 
tief in uns zurüdgehen, und was wir alfo empfinden aus 
drüden, verlaffen wir einen Pfad, welchen auch ſchon Meifter 
vor uns geebnet haben, und gerathen leicht auf Berhältniffe, 
die wir hernach mit der Rednung nicht bezwingen fünnen; 
oder wir folgen, wie Goethe in „Werther's Leiden‘, bloß der 
erhöhten Empfindung und opfern die logiſche Wahrheit der 
äfthetifchen auf- 
Erze zu Tage, und es werden fi dann auch Philoſophen un: 
ter uns finden, welche fie prüfen, läutern und zu großen Wer: 
ten verarbeiten werden. 


Über englifhen und franzöfifhen Geſchmack fagt 
fer : 


Bergleihen Ste einen englifchen und franzöfiichen Garten. 
In jenem finden Ste, eben wie in Shakſpeare's Stüden, Tem: 
pel, Grotten, Chaufleen, Didichte, Riefenfteine, Grabhügel, 
Ruinen, Kelfenhöhlen, Wälder, Wiefen, Dorfichaften und un: 
endliche Mannichfaltigkeiten, wie in Gottes Schöpfung durch⸗ 
einander vermifcht; in Diefem hingegen ſchoͤne gerade Gaͤnge, 
gefchorene Hecken, herrliche fchöne Obſtbaͤume, paarweiſe geord⸗ 
net und kuͤnſtlich gebogen, Blumenbeete wie Blumen geſtaltet, 
Lufthäufer im feinſten Geſchmack — und das Alles iſt fo re 
gelmäßig geordnet, daß man beim Auf- und Niedergehen fo: 
gleich alle Eintheilungen mit wenigen Linien abzeichnen Tann 
und mit jedem Schritte auf die Einheit jtößt, welche dieſe we⸗ 
nigen Schönheiten zu einem Ganzen vereinigt. Welcher von 
diefen beiden Wegen follte nun aber wol der befte fein? ber 
Weg zur Einförmigkeit und Armuth in der Kunft, welcher uns 
ber Conventionswohlftand, der verfeinerte Gefhmad und der 
fogenannte gute Ton zeigen? oder der Weg zur Mannichfal⸗ 
tigfeit, den uns der allmadhtige Schöpfer eröffnet? Ich denke 
immer der legtere, obgleich er zur Verwilderung führen kann. 
Der Weg zur Mannichfaltigkeit ift der wahre Weg zur Größe 
und wir werden nothwendig einmal zur mannichfaltigen Ratur 
wieder zurückkehren, aus Diefer von neuem fchöpfen und eine 
größere Menge vom Raturalien als biöher zu vereinigen fü 
hen müflen. 

In derſelben Abhandlung nimmt fih Möfer bes 
„Bög von Berlichingen‘, weichen bekanntlich Friedrich II. 
fo geringfchägig behandelt hatte, gegen dem großen Kö⸗ 
nig, in welchem er boch den echt deutſchen Kopf und 
das echt deutſche Herz, deutſche Kraft und Dauer findet 
wid den er, als ein Deutſcher, bebauert, in feinen Schrif⸗ 
ten und deren VBerzierungen hinter einem Boltwire zu 


Allein wir bringen doch damit eigene edle: 


erbliden, „da er boch auch in deutſcher Art und Kunfl 
unfer Aller Meifter fein konnte”, nachdrücklich an und 
fagt: 

Schön und groß Zönnen unfere Producte werden, wenn 
wir auf den Gründen fortbauen, welche Klopſtock, Goethe, 
Bürger gelegt haben. Ihr Zweck ift die Bereblung einheimis 
ſcher Probucte; und diefer perbient den bankbarften Beifall der 
Nation. Goethes Abficht in feinem „Gög von Berlichingen ” 
war gewiß, uns eine Sammlung von Gemälden aus dem Ra= 
tionalleben unferer Vorfahren zu geben und uns zu zeigen, 
was wir hätten und was wir koͤnnten, wenn wir einmal der 
artigen Kammerjungfern und der wigigen Bedienten auf ber 
franzöfifch : deutfchen Bühne müde wären und, wie billig, Ver- 
änderung fuchten. 


Dertraut mit der fihönen Literatur der Franzofen, 
der Italiener, der Engländer, wie ed fcheint auch ber 
Spanier, fowie mit der Entwidelung der deutfchen Poeſie 
und Kunft, fodag ihm ein einfichtsvolles Urtheil zuſtand 
wie nur Wenigen feiner Zeitgenoffen, unb es ſcheinen 
konnte, ald lebe er ganz in diefen Studien, ordnete doch 
ber überwiegend praktiſche Mann, ber thätige Patriot 
auch dieſe wichtigen und edeln Interefjen ohne Bedenken 
der politifchen Ehre und Größe der Nation unter, und 
ihägte Literatur, Poeſie und Kunft nur, fofern fie zur 
Hebung des Volle im Ganzen und Großen beitrugen, 
fofern fie damit im Einklang fanden und von nationa- 
lem Aufſchwung zeugten. Alles Einfeitige, Erkünftelte, 
Überfeinerte war feiner wohlorganifirtten Seele fremd 
und abftoßend, und ein hochgefteigerter „Lurus der Seele’ 
war dem Manne von „wohlgemogenen Neigungen” ebenfo 
zumwiber als dem einfihtsvollen Haushalter und treffli= 
hen Wirth ein Wohlſtand und das Glück der Kami- 
lien zerrüttender Luxus in leiblichen und äußern Din- 
gen, den er mit fo ergöglicher Laune häufig in feinen 
„Patriotiſchen Phantafien” geißelt. Ein Mann ohne Vor- 
liebe für das Ideale, Phantaſtiſche und Geniale, aber 
orginel in feinem ganzen Weſen und Charaftergepräge, 
echt deutfch von Geift und Herzen, befonnen, verftändig 
und vom reinften Wohlwollen befeelt, ift Möfer ein 
Schriftfteller, auf ben bie Deutfchen immer ſtolz fein 
dürfen, und ber, ohne je das deal einer Partei gewe⸗ 
fen zu fein, immer eine Zierde der Nation bleiben wird. 
Möge er Nachfolger in feinem Sinne, von feiner Ein- 
ficht, Kraft und Vaterlandsliebe Haben! Befonders möch⸗ 
ten wir dies für die Kiteratur der Zeitungen wünfchen. 
Die journaliftifche und periodifche Kiteratur Hat in Deutſch⸗ 
land feit Möfer’s Zeiten einen ungemeinen Aufſchwung 
genommen, mas Umfang und Verbreitung betrifft, und auch 
in Beziehung auf den Inhalt — wie viel Geift, Wig, 
Salz, Kunft und Glanz des Stils, Feuer und au 
Kenntniſſe und würdige Beſtrebungen finden fih in den 
vielen Blättesn, welche unfer Vaterland jept Tag für 
Tag hervorbringt: aber wie ſchwer dürfte es doch Halten, 
aus der ungeheuern Maſſe folche gebiegene Werke zu 
fammeln, ſolche Bücher, nicht bloß von augenblicklichem 
Blanz, fondern von bleibendem Werthe, wie es Möfer's 
„Patriotiſche Phantafien ” oder die auf ähnliche Art 
entftanbenen, freilich in einem gan, aubern Geiſt ge⸗ 


147 


fehriebenen, aber in ihrer Art menigftens ebenfo claſſi⸗ 
fen „Briefe des Junius“ find! 33. 





Der Einzige und fein Eigenthum. Bon Mar Stirner. 
(Beſchluß aus Nr. 36.) 


Indem Stirner nun, nad der Betrachtung des Menfchen- 
lebens, am die „„Beltgefchichte”, an „die Wenfchen alter und neuer 
Zeit“ feinen Maßſtab legen will, zeigt fi) neben der Unhalt⸗ 
barkeit feines Standpunkts auch die Dürftigkeit beffelben. 
Benn Feuerbach fagt, daß den Alten die Welt eine Wahrheit 
gewefen fer, fo fegt Stirmer hinzu: „hinter deren Unwahrheit 
fie zu Sommer ſuchten“ und deren Unwahrheit bervortrat mit 
dem Todestage der alten Welt. Alsdann die Epoche der 
„Reuen”, das Refultat von der Miefenarbeit der Alten, daß 
der Menſch ſich als beziehungs⸗ und weltlofes Weſen, als 
Geift weiß. Statt ber Periode des „Lebens“ die Periode des 
„Denkens“. Diefe Auffafiung der menfchliden Entwickelung 
ift nicht neu und in ihren Grundpunkten jedenfalls begründet, 
aber diefe Entwidelung ift von einem fo großen Inhalte und 
fo mannichfachen Ausftattungen erfüllt, daß es ſeltſam erfchei: 
nen muß, wenn Stirner gleust, den bisherigen Lauf der Welt: 
geſchichte mit folgenden Worten abmachen zu koͤnnen: 

„Die Weltgefchichte, deren Geftaltung eigentlich ganz dem 
kaukaſiſchen Menſchenſtamm angehört, Icheint bis jegt zwei 
kaukafiſche Weltalter durchlaufen zu haben, in deren erflem wir 
unfere angeborene Negerhaftigkeit aus: und abzuarbeiten 
hatten, roorauf im zweiten die Mongolenhaftigkteit (dad 
Chineſenthum) folgte, dem gleichfalls endlih ein Ende mit 
Schreden gemacht werden muß. Die Negerhaftigkeit ftellt dar 
das Alterthum, die Zeit der Abhängigkeit von den Dingen 
(vom Hahnenfraß, Vögelflug, vom Nieſen, vom Donner und 
Blig, vom Raufchen heiliger Bäume u. |. w.); die Mongolen» 
haftigfeit die Zeit der Abhangigteit von Gedanken, die chriſt⸗ 
liche, Der Zukunft find die Worte vorbehalten: Ih bin Eig— 
u ber Dinge und ih bin Eigner der Welt bed 

eiftes.’ 

Die Zukunft fol alfo dem gedankenloſen Dafein Ieerer 
Sch - Atome gehören, der Organismus des menschlichen Lebens, 
an dem die Weltgefchichte in ewigen Mühen gearbeitet bat, 
fol in Iauter einzelne Punkte zerfallen, all unfere Betriebfam: 
keit war nur Ameifenthätigkeit und Flohſprung, Iongleurfünfte 
auf dem unbeweglichen Seile des Objectiven, Frohndienſt unter 
der Herrſchaft des Unveränderlihen oder „Emigen”. Diefes 
Ewige aber ift bei Stirner nicht blos ein theologiſches Jen: 
feits, fondern aud das menfchlihe Denken ift für ihn eine 
wnerträglide Ewigkeit, er empört ſich, nachdem Bauer und 
Feuerbach fi gegen „Gott“ empört haben, auch gegen die 
Autonomie des Menfchengeiftes, gegen die Menfchheit, in de: 
ren ideeller Auffaffung er ein neues unerreichbares Jenſeits 
fieht. Er will eben nur ein Sein in feiner ganzen Brutalität. 
Diefer Brutalität der vereinzelten Ich⸗Atome fol die Zukunft 
gehören, wie die Bergangenheit und zum heil auch die Ge: 
genwart noch dem „Geiſte“, dem „Gedanken“ gehört. Stirner 
iR confequent auf dem Wege ber Negation weitergegangen und 
Fonrte man feine Grundprincipien als richtig anerfennen, fo 
würde ſich gegen die Sonfequenzen, welche er aus ihnen zieht, 
Taum etwas vorbringen laffen. 

Sein Grundgedanke ift die Verachtung des Beiftes, des 
Gedantene, die eepauptung, daß der Geift, der Gedanke etwas 
Unmenſchlichet fei. Aber Stirner’s Confequenz ift, wie ſchon 
oben „gest, nit fo weit gegangen, daß er den Geiſt, den 
Gebe gänzlich von fi gewiefen, vielmehr ſucht er ben 
Gelft, den Gedanken mit Geiſt, mit Gedanken zu befümpfen 
wid an die Stelle der Abſtraetion Menſchheit, Freiheit u. f. w., 
die doch einen Ichendigen Inhatt haben, fegt er eine neue W⸗ 
fraction, die der Ichheit, der Einzigkeit. So —ãA der 
Einzige ſelbſt. Er hat ſelbſt nicht ohne Geiſt, ohne Abſtraction 


ſein koͤnnen. Der Horizont, den er aber gewinnen moͤchte, iſt 
der Horizont des Chaos. Wie über ſtarre Ich⸗Atome jede 
keitende Idee und überhaupt die ganze Geſchichte verloren ger 
ben mußte, jo mußte ebenfalld über die verfommenen, verkrüp: 
pelten Menfchenkörper, die keinem Ideale entfprachen, die Kunft, 
welche anf biefem „Ideale“, dem „Geiſte“ beruht, verloren ger 
ben und wir kaͤmen mit Der „Geiflofigkeit" wohin anders als 
zur Verthierung, zu lauter ſich gegenfeitig abfloßenden, ber» 
einzelten Thierweſen? Wer erinnert fi bier nicht an die 
Berirrungen des großen Rouſſeau, die, fo geiftvoll fie au 
burchgeführt waren, doch immer Verirrungen bfieben! 

‚„ Stiener Hat eine durchaus falſche, nämlich eine materialis 
ſtiſche Anſicht vom Geifte. Er will ihn faflen, ex will ihn 
pacden und weil er das nicht kann, ift er ihm ein „Spuk“, ein 
„Geſpenſt“ . „Haſt du fchon einen Geiſt gefehen”, fragt er 
materialiftifh. Weil er ihn nicht gefehen bat, weil er nicht 
ganz Geift, weil er nit der Menſch werden kann, will er 
nichts vom Geifte, nichtd von der Menfchheit wiffen, alle Ideen 
zu einem „Jenſeits“ machen und alles Leben auf ein bioßes 
Dafein mit perfönlichem Vortheil zurüdbringen. Gr wird alfo 
nichts weiter wollen ald Scarfiinn. Denn das ift genug für 
ben perfönlichen Vortheil und er wird fih zu Feiner andern 
Aufgabe Hingezogen fühlen. Er müßte, da er nun einmal 
nicht auf die Thierſtufe zurüdkehren kann, wenigftens auf bie 
Stufe ter alten Welt zurüditreten, welche aber nur Scharffinn 
an den Dingen übte und bie reiche Welt des Geiftes, wie fie 
mit dem Chriſtenthum fi auffchloß, nicht kannte. Aber in- 
dem er feinen Egoismus nit an den Dingen übt, fondern 
fein ganzes Buch den Beweis liefert, wie fehr er bemüht iſt, 
mit feinem Egoismus über die Dinge binauszulommen, aner- 
kennt er jelbft das „Weſen“, den „Geiſt“, der hinter den Din⸗ 

en ftebt. Es läuft bei ihm nur auf ein Wortgefecht hinaus. 

enn ber Eine das Weſen des Menſchen in den Geiſt ſetzt, 
fo ſetzt Stirner es materialiſtiſch in den „Egoismus“. Aber 
damit iſt nicht das Weſen vernichtet, ed bleibt vollkommen. 
ie es unmögli wird, der Menſch zu fein, fo ift es unmö 
li, der Egoift zu fein. Der Egoismus bleibt alfo ebenfo fe 
ein „Spuk“ wie die „Menſchheit“, und wenn der Eine vom 
Geiſte „beſeſſen“ ift, fo ift Stirner eben au nur vom Egois⸗ 
mus „befeflen”. Es ift im MWefentlihen gar nichts geändert 
er ift in einer „firen Idee” befangen. ‚Der Geiſt ift 
etwas Underes als Ich. But. Aber wir feben hinzu: Das 
„Ich“ iſt auch wieder etwas Anderes als Mar Stirner. Das 
„Ich““ bleibt immer etwas Geiftiges, es kann den Geiſt, die 
Abftrackion nicht los werden und fo recht egoiſtiſch ift alfo nur 
die Unvernunft, der Klog, der Stein, das Vieh, es bebaust 
„geiſtlos“ in fich felbft und hat nichts Underes als fein bru⸗ 
tales Dafein. Stirner muß die Menfchen unvernünftig ma» 
hen, um fie von ber „Bifion“, von dem „Sparren“ des Geis 
ſtes zu befreien. . 
Feuerbach ift von dem Übermenſchlichen auf das Menſch⸗ 
liche, auf das Weſen des Menſchen zurückgekehrt. Wenn man 
die ſpeculative Philoſophie nur umlehre, fagt er, d. h. immer 
das Prädicat zum Subject und fo das Subject zum Object 
und Princip mache, fo bekomme man die gute blanke Wahr: 
heit. Stirner gebt nun weiter. Nom Standpunkte feiner 
„Einzigkeit” aus erfeheint ihm ſelbſt das „Weſen des Men: 
ſchen“ als etwas Übermenfcliches, Unmöglihed. Wan ver 
liere durch die Umwandlung bes Präbicat® ins Qubjert aller: 
dings den &ott, ber auf diefem Standpunkte Subject ift, aber 
man taufche dafür die andere Seite des religiöfen Standpunk⸗ 
tes, den fittlichen, ein. Run beißt es: Das Sdttliche ift Das 
wahrhaft Menſchliche. Uber ift der Gott aud) aus feinem 
Himmel vertrieben und feiner „Transſcendenz“ beraubt, fo iſt 
er darum, nach Stirner, doch noch keineswegs befiegt, wenn 
er dabei nur in die Menſchenkraft gejagt und mit unvertiigba⸗ 
rer ISumamnenz beſchenkt wird. 
Dos „Weſen des Menſchen“, welches Feuerbach fegt, iſt 
und bleibt für unſern Stirner ein unmenſchliches. „Ein Un⸗ 





148 


menfih ift Derienige, welcher dem Begriffe «Menfch», dem 
«Sattungsmenfhen» nicht entiprit.” „Die Herrſchaft des 


Geiſtes, des Gedankens ift Hierarchie.” Mit dem Aufgeben des 


überirdifchen Gottes wäre nichts gethan, denn „als ob nicht 
die Herrſchaft der Sittlichkeit auch eine vollkommene Herrfchaft 
der Heiligen, eine «Hierarchie» fein würde.” Freilich ift die 
Sittlichkeit der „Kritiſchen“ eine ganz andere ald Die der 
„ Bürgerlichen”, aber „fie bat am Ende nur die Reinheit bes 
Hrincips voraus‘, das, aus feiner Verunreinigung mit dem Re⸗ 
ligiöfen befreit, in feiner geläuterten Beftimmtheit als „Menſch⸗ 
lichkeit” zur Allgewalt gelommen iſt. Aber der „Einzige“ will 
nichts von dieſer „Menfchlichkeit”’ willen, weiche ebenfowol 
Bauer als Feuerbach an die Spige ihres Syſtems ftellen, er 
fieht darin nichts als einen neuen „jenfeitigen Gott”, eine „Un⸗ 
menſchlichkeit“/. ine richtige Conſequenz feiner einmal ange⸗ 
nommenen und vorauögefegten „Einzigkeit”. Aber der „Ein: 
zige“ wird ebenfo weit hinter dem Begriffe der „Einzigkeit“ 
zurüdbleiben als der Menſch hinter dem Begriffe des Men: 
ſchen, und ein „Jenſeits“ ſteht alfo über ihn, wie und wohin 
er fih auch wende. 

Stirner legt den Mafftab der „Einzigfeit‘ im Verlaufe 
feines Buchs an alle tiefen Bewegungen und leitenden Ideen, 
d. h. er bemüht fi, diefelben Durch daß „Ich“ aufzulöfen und 
an die Stelle der Herrfchaft der Begriffe die Herrfchaft der 
geift: und gedankenloſen, vereinzelten Eriftenzen zu fegen. Mit 
feiner „Einzigkeit“ fucht er den Staat, das Recht u. f. w. zu 
ftürzen, feine „Einzigkeit“ ftellt fi) den Affociationsbemühun: 
gen gegenüber, er predigt Auge um Auge, Zahn um Zahn, 

ewalt um Gewalt: 

„Die Weltgefchichte ift mit uns graufam umgegangen und 
der Geiſt bat eine allmälige Gewalt errungen. Du wirft 
meine elenden Schuhe achten, die deinen nadten Fuß fhügen 
fönnten, mein Salz, wodurch deine Kartoffeln genießbar wer: 
den und meine Prunfcarroffe, deren Befig dir alle Roth auf 
einmal abnähme: du darfft nicht danach langen. Bon alle 
Dem und unzähligem Andern fol der Menfch die Selbftändig> 
keit anerkennen, es fol ihm für ungreifbar und unnabbar gel: 
ten, fol ihm entzogen fein. Er muß es achten, reſpectiren, 
wehe ihm, wenn er begehrend feine Finger auöftredt: wir nen» 
nen da6 «lange Finger machen». Wie fo bettelhaft wenig ift 
uns verblieben, ja wie fo gar nichts. Alles ift entrüdt wor: 
den, an Nichts dürfen wir uns wagen, wenn ed und nicht ge: 
geben wird. Wir leben nur noch von der Gnade des Gebers. 
Nicht eine Nadel darfft du aufheben, es fei denn, du babeft 
dir die Erlaubniß geholt, daß du es dürfefl. Und geholt von 
wem? Bom Refpecte. NRur wenn er fie dir überläßt als Ei⸗ 
gentbum, nur wenn du fie als Eigenthum vefpectiren kannſt, 
nur dann pe du fie nehmen. Und wieterum folft du kei⸗ 
nen Gedanken faflen, Beine Sylbe fprechen, Beine Handlung be: 
gehren, die ihre Gewähr allein in dir hätte, flatt fie von der 
Sittlichfeit, oder der Vernunft, oder der Menſchlichkeit zu em» 
pfangen. Glüdliche Unbefangenheit des begehrlichen Menfchen, 
wie unbarmberzig bat man dih an dem Altare der Befangen: 
heit zu ſchlachten geſucht!“ 

Zu diefem Ausfpruch muß allerdings der „Einzige“ Tom: 
men, indem er fi) die „Hierarchie des Geiftes’‘, den „Spuk 
und die „Sparren” betrachtet und indem er das Weſen zum 
Sein in Widerſpruch fegt. Das Sein Stirner’s, wie er eb 
verlangt, ift ein Sein ohne das Weſen des Seins, dadurch 
wird es unmöglih, dadurch wird fein Grundprincip eine 
„Schrulle“. Stirner will von jedem Inhalte des Seins ab: 
firahiren und zwar von allem Inhalt, denn Alles ift Inhalt 
des Seins. Da bleibt ihm ganz natürlich nichts weiter ald 


‚ein bloßes Dafein übrig. Stirner verachtet das Weſen, aber 


was mein Wefen ift, ift au mein Sein, das Sein ift die 
Hofition des Weſens. Stirner will, indem er Sein und We⸗ 
jen trennt, eben nur auf den althegelihen Widerſpruch von 


Denten und Sein zurüd, und bas Sein, welches er predigt, 


die „Einzigkeit” ſteht ebenfo ſehr im Widerfpruche mit dem 
wirklichen Sein als das Sein, womit die „Phaͤnomenologie“ be: 
innt und welches in der „Logik“ aufgeftelt worden iſt. Er ift, 
2 weit er auch über die Schule binausgegangen ſcheint, doch 
ganz und gar innerhalb der Schule geblieben. 


Übrigens Fann man ed nicht verkennen, daß das vorlie 


gende Werd noch eine andere Bedeutung bat als eine bios 
ſchulphiloſophiſche. Es fpricht ein großes Geheimniß aus, das 
größte Geheimniß unferer Tage. Es predigt den Egoismus 
mit einer Offenheit und Ehrlichkeit, wie er ſich fonft nody nir⸗ 
gend hervorgewagt hat. Der Egoismus, wie er unfer ganzes 
Leben durchdringt, hat feine befondern Bwede immer hinter 
eine „gute Sache”, „Recht“, „Breiheit”, „Vaterland“ u. f. w. 
verborgen, Stirner wirft diefe Larve weg und zeigt ihn offen, 
er zeigt ihn in feiner ganzen Nadtheit, er macht einen Cultus 
aus ihm. Über gerade die ordinairen Egoiften fcheinen ji 
am meiften au entfegen über die Kedheit, mit der &tirner 
ihre ſtillen Wünfche ausfpricht und aus ihren Anfichten feine 
Confequenzen zieht; fie flelen „die gute Sache”, die „Sittlich⸗ 
keit“ u. ſ. w. voran und verfchreien ben einfamen Propheten 
Stirner. - Dad Stirner den Egoismus aufgededit hat, daß 
kann nicht anders als gebilligt werden, aber daß er diefen 
Egoisſmus, fo weit der feinige auch von dem ordinairen unter⸗ 
fhieden fein mag, zum Eultus machen will, daß ift und bleibt 
eine Berirrung. 28. 





Literarifhe Rotizen aus England. 


Reliquien in Irland. 

Die irifche Atertpumdgefellichaft hat ein altes Manufeript 
„The book of obits and martyrology of the Holy Trinity, com- 
monly called Christ Church” (Dublin) herausgegeben , worin 
unter Anderm die in diefer Kathedrale aufbewahrten Reliquien 
befchrieben find, die es gewiß mit dem Rode zu Trier aufneh⸗ 
men Tonnen. Diefe Reliquien beftehen naͤmlich: 1) in einem 
„Srucifir und Bildniß unfers Herren Jeſus, von dem berichtet 
wird, daß es zweimal wunderbarerweife geſprochen bat‘; 
2) dem Stab Jeſus, den ein Engel dem heiligen Patrick, dem 
Schugheiligen Irlands, fchenkte; 3) einem tragbaren marmore- 
nen Altare, auf welchen ein Ausfagiger wunderbarerweife von 
England nad Irland gefhwommen Fam; 4) dem Gürtel der 


Zungfrau Maria und einem Theil ihrer Milch; 5) einem Dorn aus 


der Dornenkrone des Herrn nebft Scheinen des heiligen Petrus 
und des heiligen Andreas; endlich 6) einem Stüd von den Mo» 
ſaiſchen Sefegtafeln; einem Zheil der Windeln, in denen Ehri- 
ftus S Kind gewidelt wurde, ſowie cinem Stud von Laza= 
rus' Grab. 


Der Zefuitismus. 

Die Überfegung der Duller’fchen Schrift über die Jeſuiten 
ins Englifche: ‚The Jesuits as they were and are”, von einem 
gewiflen 3. &. Car mit einer Vorrede von Sir C. Eardley 
Smith, veranlaßt bad „„Athenaeum’ zu der Bemerfung, der Ge⸗ 
genftand fei trog Alles, was darüber gefchrieben worden, noch 
intereffant genug: in dem Beſtehen dieſes Drbens liege ein 
praktiſch wichtiger Grundjag verborgen, deſſen Loͤſung no 
nicht von dem Weltfhidfal dargeboten worden fei. Der Bor: 
ſchlag aber, auf Seiten des Proteftantismus eine ähnliche Ein- 
richtung im Geifte des legtern zu Schaffen, fei abgeihmadt, weil 
eine folche dem Geifte des Proteſtantismus felbft zumwiderlaufe 
und zu deſſen Beiftand unnöthig fei. Uber ed gebe. freilich 
Geifter, die in die Freiheit und die Vernunft Fein Vertrauen 
fegten und der Ratur felbft duch Fünftliche Mittel zu Hülfe 
fommen wollten in Faͤllen, wo legtere den Fortfchritt eher 
hemmten als ihn dem gewünfchten Ziele entgegenführten. 


Verantwortlicher Herausgeber: Seinrich Wrodhans., — Drud unb Verlag von F. X. Srockhaus in Keipzig. 





Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Sonnabend, 





I. Maria Thereſia und ihre geit. 
she Hefte, Wiehbaben, Beyerle. 1843 — 4. Gr. 16, 


. r. 
2. Kaiſer 4 II. und feine Zeit. Bon Karl Ramshorn. 
Zehn Lieferungen. Leipzig, Ph. Reclam. 1844. Ler.:8. 

2 Thlr. 15 Nor 


gr. „ 

3. Erzherzog Karl von Dftreih. Geſchildert von Eduard 
Duller. Erſte bis achte Lieferung. Wien, Kaulfuß 
Bite, Prandel und Comp. 1844-45. Ler. «8. 2Ahir. 

U Nor. 

4. Böhmen. Geſchichte des Landes und feines Volks von ber 
früheften bis auf die neuefle Beit, von I. P. Jordan 
Mit Stahlſtichen. Erſter und zweiter Band. Leipzig, 
Naumburg. 1844—45. Gr. 16. 2 The. 22%, Rar. 

5. Handbuch der Befchichte des Herzogthams Kärnten. Won 
Sottlieb Freiherrn von Ankershofen mb Heinrich 
Hermann. Erſte Abtheilung, erſtes und zweites‘ Heft. 
Zweite btheilung, erftes umd zweites Heft. Kt rt, 


2eon. 1842 —44. Br. 8. 2 Zhle. 9%, xgr. 
6. Geſchichte des öſtreichiſchen Kaiſerſtaates. Nah Quellen und 


| fungen Bargefteit von Leopold 
Haßler. Wien, Mang 1842. Br. 8. 2 %2Hlr. 10 Ror. 


den älteften bis auf die neweflen Zeiten. Ben Ignaz 
Ze dtel. Leipzig, F. Fleiſcher. 1844. Gr. 8. 1 Thlr. 
te 


8. . des Entſtehens, des Wachtthums und der Größe 
der oͤſtreichiſchen Monarchie. Bon Johann Sporſchil. 
Se, bie ee Kieferung. Leipgig, Renger. 184349. 

r. r. 


Die „Annalen der öſtreichiſchen Literatur“, eine Zeit⸗ 
ſchrift, welche fich vor etwa 40 Jahren die unbankbare 
Mühe gab, das auf dem vaterländifhen Parnaß empor- 
wudernde Unkraut auszureißen und es nebenbei, über 
nahm, „alte literarifche Producte, bie feit Dem Anfange 
des neuen Jahrhunderts in den öftreihifchen Staaten in 
allen Wiffenfchaften und Sprachen erſchienen find, nicht 
nur anguzeigen, fondern auch zu prüfen und das Re⸗ 
ſultat ihrer Prüfung bem Publicum vorzulegen”, fehen 
ſich gembthigt'zu geftehen, daß man über die ältefte Ge⸗ 
ſchichte Oſtreichs, in deutfcher Sprache und für das große 
Publicum leider kein lesbareres und befferes Werk babe 
als „Anton’s Edlen von Geuſau's, des heil. römifchen 
Heichs Ritters, Wieneriſchen Mäglfieats Beamten, Ge: 
ſchichte Oftreih® von der älteften bis auf gegenwärtige 
Seiten” (Wien 1800-—1), und fist bet: 

Daß Dftreich eine fo ausführli 


Son Eduard Duller. 


e, richtige und lehrreicht 


7. Kebruar 1846. 








Landesgefhichte, als viele deutfihe Staaten bereits haben, je⸗ 
mald befomme, ift mehr zu wuͤnſchen als zu hoffen. Ein gu: 
ter Anfang dazu ward zwar durch die berühmten Ubte von 
@öttweih, Gottfried Beſſel und Magnus Klein, gemacht, aber 
biefe Männer ftarben zu früh. Richt einmal Das, was Mag: 
nus Klein bereits außgearbeitet hatte, ward vollftändig ge⸗ 
druckt. Das binterlaffene Manufeript fol verfchwunden fern, 
ohne daß man weiß wohin, und obne daB man ſich Mühe ge: 
geben zu haben fcheint, es wieder ausfindig zu machen unb 
zum Drude befördern... Seitdem zeigt ſich Beine Yusjicht, 
baß ein fo wichtiges und nügliches Unternehmen fortgefegt wer: 
den würde. Ein Privatgelehrter iſt einzeln der Arbeit nicht 
gewachſen, und audy nicht im Stande, fih alle nöthbigen Quel⸗ 
len anzuſchaffen; eine Geſellſchaft der Wiffenichaften aber zur 
Bearbeitung der vaterlaͤndiſchen Geſchichte ift bisher in Äſtreich 
nicht zu Stande gekommen, und wenige Vorſteher der öffent- 
lihen Bibliothefen haben Sinn für die Sammlung der Quel⸗ 
len ber öftreihifchen Geſchichte. Wan wird in allen wieneri⸗ 
ſchen Bibliotheken zufammengenommen ſchwerlich zwei Drittheile 
der Schriften finden, deren Benutzäng bei Verfafſung einer 
grünbliden und lehrreichen Landesgeſchichte nothwendig i 
Möchte doch einer der reichen öftreichifchen Cavaliers, bie Ge 
genug zu den Eoftbarften Sammlungen pon Steinen, Gemäls 
den, Münzen u. f. mw. verwenden, den Einfall haben, eine 
Sernmlung aller zur vaterlänbifchen Geſchichte gehörigen Schrif« 
ten zu beranftelten und zum öffentlichen Gebraudhe zu beftim- 
men. Das ſchoͤne Beilpiel, das die Grafen Offolinsli und 
Szecſeny (Szechenyit) mit ihren Sammlungen, Iener für bie 
polnische, Diefer für die ungarifche Geſchichte geben, möge für 
die oͤſtreichiſche nicht unnachgeahmt bleiben. .... Bel einer 
fortwährenden Gleichguͤttigkeit gegen die Quellen der oͤſtreichi⸗ 
ſchen Seihichte wird und muß diefe immer dunkel, zweifelhaſt, 
mit Unrictigfeiten überladen, unvelftändig, Fur; in ihrer 
Kindheit bleiben. . | 
eufau’s elende, von Plagiaten wimmelnde Compi⸗ 
fation ift ſeitdem verfchollen, aber die Klagen, welche an 
die Anzeige feines Buchs geknüpft wurden, koͤnnten in 
der Hauptfache noch immer ausgefprochen werden, ohne 
dag man daburch den Vorwurf der Übertreibung auf 
fih lade. Eine Gefellfhaft der Wiffenfchaften, die, fo 
zweifelhaft auch ber Nugen fein mag, den foldhe Körper 
(haften in anbern Ländern jetzt noch fiften, bei zweck⸗ 
mäßiger Einrichtung in Oſtreich gewiß nur wohlthätig 
wirken würde, ift dort noch immer nicht zu Stande ges 
fommen, ungeachtet fie von LKeibnig bis Hammer man- 
hen gewichtigen Fürſprecher fand; von einen Unterneh 
men vie es Perg für das gefammte Deutfchland aus- 
führt, ift im Kaiſerſtaate noch immer nicht die Rede, 
unb von einem „Cavalier“ der mehr ‚Sinn! für Ges, 
ſchichtsquellen als für die „noblen Paffionen” hätte, iſt 


150 


im Baterlande Khevenhüller's auch noch nichts bekannt. 
Ja, es hat fih zu biefen Übelſtänden noch manches 


Schlimmere gefellt, und das Ergebniß ift, daß von al⸗ 


len deutſchen Staaten von einiger Bedeutung Oftreich 
allein noch eine den Foderungen der Zeit entſprechende 
Geſchichte entbehrt. Wer follte fie ſchreiben, mo folte 
fie gefhrieben werden ? Sprechen wir es aus, daß das 
in Oſtreich ſelbſt geradezu unausführbar iſt. Nicht weil 
es an den Gaben fehlt, ohne welche die Löfung einer 
folhen Aufgabe gelingen kann — die Namen Kurz, 
Chmel, Mudar, Hormayı, Palacki, Mailath, Lich: 
nowski, denen fi manche von nicht minder gutem 
Klange anreihen liefen, Teiften dafür Bürgſchaft —, 
fondern weil man noch nicht gelernt hat, ber Vergan⸗ 
genheit kuhn ind Angeſicht zu ſchauen. Man gefällt ſich 
in Täufchungen, die das Licht ber Forſchung nicht ver« 
tragen wärbden; insbefondere glaubt man dynaftifche In: 
tereffen zu fördern, indem man zwifchen bem habsburgi⸗ 
ſchen und lothringiſchen Herrſcherſtamme einen bis zur 
Identität geſteigerten Zuſammenhang annimmt, der in 
der Wirklichkeit nie beſtand, und das Thun der Spröf- 
linge Franz I. mit jenen der Nachkommen Rudolf's 1. 
durch eine Art folidbarifcher Verantwortlichkeit verfettet. 


Dies führt zu jener Hiftorifchen Schönfärberei, die alle | 


wächen in. den fogenannten Ahnen des tegierenden 
Sales” mit gefchäftiger Loyalität überpinfelt , dadurch 
aber die Geſchichte, ſtatt zu einer Lehrerin der Wahr⸗ 
heit für die kommenden Geſchlechter, zur Fabel macht, 
die zu nichts weiter taugt als in ben Schulen aus⸗ 
wendig gelernt und im. Leben vergeffen zu werden, 
Es ift uns unmöglich, ein einziges in Oſtreich felbft er- 
ſchienenes Werk zu nennen, auf melches biefer übelver- 
ſtandene Patriotiemus nicht feinen verderblichen Einfluß 
geübt haͤtte. Wir ſprechen hier noch gar nicht von der 
Cenſur; denn die Cenſur kann woi Wahrheiten unter- 
drücken, fie kann jedoch, ſelbſt wie fie in OÖſtreich ge- 
handhabt wird, nicht zwingen Lügen zu verbreiten. 

Wie ſoll ferner oͤſtreichiſche Geſchichte geſchrieben wer⸗ 
den? Es gibt eine deutſche, franzöſiſche, ruſſiſche Ge⸗ 
ſchichte, weil es ein -beutfches, feanzöfifches, ruſſiſches 
Volk gibt: in dieſem Sinne alſo kann von einer oͤſt⸗ 
reichiſchen Geſchichte nicht die Rede ſein. Und da wir 
die Aufzaͤhlung einer Reihe von Regenten und Deſſen 


was ihnen zu thun und verordnen beliebt hat, nicht Ge⸗ 


ſchichte nennen, fo kann eine öftreichifche Geſchichte nur 
bie Aufgabe haben / eine Darſtellung der Entwickelung 
des deutſchen, ſlawiſchen, magyariſchen und italieniſchen 
Volksſtamms auf dem Gebiete zu geben, das im Laufe 


der Zeiten in ben öftreichifchen Kaiſerſtaat zuſammen⸗ 


geihmolzen ifl. Andere Schilderungen mögen auf ben 
Titel von Geſchichte der Familie Habsburg und Lothrin- 
gen Anſpruch machen, einen höhern Werth aber können 
wir ihnen nicht zugeftehen. 

Ein Muſter jener officielen Gefchichtfehreiberei, die 
Alles vortrefflich findet. was und meil es ein Habsbur- 
ger gethan Hat, ift das Wert Nr. 6. Hier beginnen 
die Entftellungen ſchon bei Thatfachen, von denen man 


glauben follte, daß fie doch wol 
ber Willkür orakelnder Sophiſtik 
3. B. heißt es: 

Inzwiſchen hatten fi) in der Schweiz aro Gefahren zu: 
fammenge gen, und der Ba —e Be Veen d Ag 
dad unbefangene Gemüth 'erfchüttert "und mit Trauer erfüllt. 
Ohne Ruͤckſicht auf althergebrachtes und auf geſchriebenes Recht, 
auf Geſetze und Friedensfchlüffe, ftrebten die Eidgenoffen ganz 
offen danach, in den helvetiſchen Landen jede, aud die billigſte 
Abhängigkeit zu verfügen. Die Herren ergrimmten über den 
fteigenden Zroß und den fortfehreitenden Abfall ihrer Unter 
1 ne welche der ftet6 bereite Schug der Schweizer ermu- 
ehigte. Oſtreich zumal konnte mit Recht Die Eidgenoffen wie: 
berholten Friedensbruches zeihen. Mehre feiner Landf 
und Stäbte waren zur Abtrünnigkeit verleitet, ja mit offener 
Gewalt genommen, viele Burgen der Edein oder der Amtleute 
gebrochen, verfchiedene Bollftätten gerftört, befonders von Luzern 
großer Frevel begangen morben. Yıs defien fein Ende war, 
griff Herzog Leopold zu den Waffen. 

Die Ermordung Geßler's durch . Wilhelm Tel und 
deſſen Pfeilſchuß werden ohne Weiteres für Sagen er- 
Härt, „Die eines jeden Hiftorifchen Grundes entbehren“, 
und der Verf. zergliedert den Mythus mit einer Sicher 
heit, wie wenn er bei ber Genefis beffelben in eigener 
Perfon zugegen gewefen wäre. Gr fagt:: 

Diefe Erzählung entftand offenbar aus ber Sage von ei- 
nem gemwiflen Wilhelm Zeh und einem Grafen von Seedorf, 
der Herr eines Theiles von Uri war und im 12. Sahrhundert 
lebte, aus ber Fabel vom Könige Harald und dem Schuͤtzen 
Tholko, und endlich aus dem Streben, die Entſtehung der 
ſchweizeriſchen Eidgenoſſenſchaft, gleich dem Entftichen Roms, 
in ein vomanenhaftes Gewand zu hüllen. Die Sage gab dem 
Ramen, die Fabel den Stoff, und Eitelkeit verbunden mit Rei» 
gung Geltfamen brachte die Sache in Umlauf. 

. 80 läßt Hr. Haßler die Güter der „Laufenburg. 
Kyburg'ſchen Linie” nach bem Erlöfchen (1415) „wieder 
an bie habsburgiſche Hauptlinie‘ zurüdfallen. Der legte 
Sprößling jener Linie aber, Graf Ego von Kyburg, hatte 
fhon Alles, was er in ben helvetifchen Landen befaß, an 
bie Berner abgetreten, als er auf die Güter feiner Ge⸗ 
mablin nad Frankreich zog, wo er fpurlos verfchollen ift. 
Bir Hätten diefe Verwechfelung ungerügt gelaffen, und 
würden auch nicht erwähnt haben, daß Dr. Hafler ben 
Großvater Rubolf’s von Habsburg, den Grafen Ulrich 
von Kyburg, der Schwager des legten Herzogs von Zäh- 
ringen war, irrthümlich einen Ablömmling biefer Her- 
doge nennt, mern ſolche Verflöße, die nicht bie einzigen 
ihrer Urt find, nicht in einem Werke vorkaͤmen, deſſen 
Verfaſſer im Staate nur das Patrimonialgut einer By⸗ 
naſtie ſieht, deren Genealogie alſo in ihren geringſten 
Einzelheiten für ihn nothwendigermeife von befonderer 
Wichtigkeit fein muß. Naiv klingt: 

Dieſe Verbindung (mit der Tochter Galeazzo Maria’s 
Sforza von Mailand) gab dem Kaifer (Marimilian I.) Gele- 
genheit, Eräftig in die Angelegenheiten Italiens eingugreifen, - 
wo unter harten Kämpfen der Srund zu dem Syſtem des po= 
litiſchen Gleichgewichts gelegt ward, das auf der anerkannten 
Rechtmaͤßigkeit des Befiged und auf der Guͤltigkeit der abge⸗ 
ſchloſſenen Verträge beruhte, und, freilich unter manchen we⸗ 
ſentlichen Veraͤnderungen, fortdauerte bis zur Zeit ber franzoͤſi⸗ 
ſchen Revolution — 
und den Geiſt dieſes Geſchichtſchreibers bezeichnet, was 

agt: 


laͤngſt feſtgeſtellt, und 
entrückt ſeien. S. 112 


er ©. 482 fü 


151 


Ebene Froͤnnigkeit und eigenes Rachdenken überzeugle 
den Kaiſer (Franz), Daß die ſtrenge Aufrechthaltung der Reli 
gion in feinen Stasten das vorzüglichfte Beduͤrfniß fei, daher 
war es fein Wille, daß alle Heiligthümer der Neligion, und 
daß ſelbſt ihr fernfter Schein von ber profanen Berühr 

weltlicher Gewalt unangetaftet blieben. Er kannte die trauri⸗ 
gen Folgen, welche in andern Staaten die dem Blauben feind» 


üch entgegentretende Mobephitofophie hervorbrachte, und. ver 


abſcheute diefelbe als das gefährlichfte Übel. 
Vielleicht ift auch die Furcht vor dieſer Mobephifo- 
ſephie Urfache, dag im vorliegenden Buche Cultur⸗ und 
Literaturgefchichte gar nicht berührt find. Hr. Hafler 
iſt Nachfolger Schneller's. Dies faun man in der That 
gemäßigten Fortſchritt nennen! 
(Der Beſchluß folgt: ) 





— 


Quellenſammlung der badifſchen Landesgeſchichte im Auf⸗ 
trage der Regierung herausgegeben von F. J. Mone. 
Erſter Band, erſte Lieferung (Bogen 1-30). Karle- 
ruhe, Macklot. 1845. Gr. 8. Preis des vollftän- 
digen Werks 5 Thlr. 


Wenn wir mit gerechtem Stolze wahrnehmen, wie in den 
letzten zwei Jahrzehnden bie verfihiebenften Landſchaften uns 
ſers gemeinfamen Waterlandes mehr oder minder glücklich, 
immer aber rühmlich, in Veröffentlichung der Quellen zur 
Kunde ihrer Borzeit miteinander gewetteifert haben, fo durfte 
ed wol beftemden, wie ein Volk, das wir ſtets als Bor: 
kämpfer unferer Ratien zu betrachten gewohnt waren, aus 
defien Mitte unfere größten Geſchlechter hervorgingen, ein 
Land,.das die Schatzkammer unferer theuerften Erinnerungen 
iſt, deſſen Seſchichte uns Die erften Sugendträume des beutfchen 
Bolks offenbart, fo lange diefen loͤblichen Beftrebungen fchein- 
bar theilnahmlos zufchauen konnte; deſto freudiger aber müflen 
wir das Erfcheinen eines nah Plan und Ausführung fo voll 
dommenen Werkes begrüßen, welches, mit den gleichzeitig in 
dem ſchwaͤbiſchen Nachbarlande and Richt tretenden ‚„„Monumen- 
ta’ ich ergänzend, dazu befkimmt -ift, jene empfindliche 
Lücke in der Reihe unjerer Quellenfammlu auszufüllen. 

Die Aufgabe, wie fie dem Verf. des fraglichen Quellen» 
wer?s vorlag, hatte fürwahr ihre ganz eigenthümlichen, zu⸗ 
naͤchſt in dem Zerritorium, auf welches fich daſſelbe erſtreckt, be⸗ 
rünbeten Schwierigkeiten. Das Großherzogthum Baden um: 
chließt nicht die Söhne Eines Volksſtamms, ift auch nicht un 
ter der fchaffenden Hand Eines Regentenſtamms allmälig em⸗ 
porgewachſen, fordern erft in Folge neuerer Zeitereigniffe aus 
den verfchiedenartigften Beftandtheilen Fünftlich zufammengefügt ; 
die Pfalz. der Kern des deutſchen Frankenlandes, das fraͤnkiſch⸗ 
allemannifche Alt⸗BVaden, der theild allemannifche, theils ſchwaͤ⸗ 
biſche Süden: welche Mannichfaltigkeit des innern Lebens und 
der Geſchichte deuticher Stämme bieten jie nicht, aber wie ſchwie⸗ 
rig iſt es auch, bier immer das gehörige Maß und Biel zu 
halten und über den alten Bölßergrenzen nicht die neuern 
politiſchen Schranten außer Acht zu la Der Berf. hat 

ier, jo weit aus ben vorliegenden Proben geurtheilt werden 

ann, vollfommen bie richtige Grenzlinie getroffen und das 
Wert möglihft auf feine territoriale Grundlage beichränkt, ohne 
barum dem allgemeinen Interefie, welches daſſelbe bei den 
Freunden deutiher Geſchichtsforſchung nothwendig finden muß, 
au nahe zu treten. 

Unbererfeits aber hat er, was wir ganz ‚befonbers an: 
erkennen müfjen, vüdfichtli der Wahl des Materiald und 
der Behandlung deflelben feinen Plan weit über die von ben 
Herausgebern anderer Quellenfammlungen bisher beobachtete 
Grenze dehnt: - - 

Die erfte Hauptabtheilung bilden die GSeſchichtsbuͤcher: 








% 


und zwar werben darunter. sicht nur Chroniken, wit 

von Heiligen: Legenden und Annalen, zu Denen auch Bent 

und Tagebücher zu reinen find, fondern auch die für Feſt⸗ 

ſtellung hiſtoriſcher Daten oft ſo wichtigen gien, wie 

nicht minder hiſtoriſche Gedichte begriffen, an weichen das res 

mantifhe Schwabenland fo veich iſtz auch werden hier zum er» 
‚Mais die vielen in alten Codices zerſtreuten hiftorifchen 
tigen, welche fonft von dem Forſcher leicht überfehen werben 


oder ganz verloren gehen, hier zu einer Sammlung fortlaufens 


ber Annales variorum vereinigt. 

 , Die zweite Abtheilung, die der Briefbüdher, umfaßt zus 
vorberft altere Urkunden, deren Die. Archive bed babdifchen Laͤn⸗ 
des, trog ber Thaͤtigkeit der manheimer Akademiker und ber 
fleißigen St.-Blafianer, noch viele theild Mangelhaft, theils 
noch gar nicht gedrucdte — wir erinnern nur an die urkunds 
lichen Schäge der bis jegt gänzlich unberührt und unverfehrt 
gebliebenen alten Kloft we von Salem und Derrenalb — 
enthält. Hieran ſchließt fh eine Sammlung bdiplomatifcher 
und hiftorifher Briefe, eine Rubrik, welche bisher wenig 
berudfichtigt worden iftz denn die Epistolae Petri de Vineis, 
Innocentii Ill. papae, Rudolphi 1 regis blieben lange ohne 
Rachfolge und erſt die neuere Geſchichtsforſchung, befonders 
aber das Beilpiel der Franzofen, bat das Beduͤrfniß fühlbar 
emacht, auh ſolche Quellen (als 3. B. der von Rommel 

rausgegebene „Briefwechfel Heinrich 8 LV. mit Heſſen“, die 
„Correspondence de la maison d’Orange-Nassau‘ von Groen 
van Prinfterer, der „Briefwechfel Landgraf Philipp's bes Groß⸗ 
müthigen” von Duller, Die „Correſpondenz des Kaiſers Karl V.’ 
von Lanz) zur Öffentlihen Kenntniß zu btingen. Auch für 
diefe Rubrik ift des intereflanten Stoffs viel vorhanden, be 
fonderd wenn auswärtige Archive (die in Münden aufbewahrs 
ten Eorrefpondenzen des pfälzifchen Haufes, die in Paris be 
findlicden Eorrefpondengen über die Kriege am Rhein u. a. m.) 
Dabei benugt werben. 

Die dritte Hauptabtheilung, Nehtsbüdher, enthält 
Zandrechte und alte Statutarrechte, infomweit fie nicht bereits 
gedrudt find, Haudgefege und Kamilienitatute Der Häufer Ba⸗ 
den und Pfalz, Stadtrechte und Weisthuͤmer, auf deren Wich⸗ 
tigkeit erft in neuerer Beit bie Aufmerkfamkeit gelenkt worden 
it und für welche das großherzogliche Generallandesarchiv eine 
reiche Ausbeute zu geben verfpricht. 

In die legte oder ftatiftifche Abtheilung endlich, welche mit 
dem allgemeinen Ausdrude Grundbüder umfaßt werden: 
tann, gehören: Codices traditionum, deren biftorifcher Werth 
in jüngflee Zeit durch die. trefflichen Arbeiten eines Wigand, 
Zeuß und Dronke recht einleudytend geworben ift; ferner Sal⸗ 
bücher fpäterer Zeit, Zins⸗ und Gültbücher, Inventarien wich 
tigee Perſonen und Drte (3. B. über Burgen, Kirchen: und 
Domſchaͤtze), Schagungsregifter und alte Budgets u. f. m. 

Um eine ſolche Waffe von Materialien zu fammeln, Dazu 
gehörte ein uangiäpriges eifriges Forſchen und eine ausgebehnte 
literarifche Verbindung mit dem Auslande, namentli au 
mit auswärtigen Köftern, in welche fo manche einheimifche 
Schäge zur Zeit der Säcularifation geflüchtet wurden; um fie 
zu bearbeiten bedurfte es einer umfafienden Gelehrſamkeit, 
wie fie der Berf. in frühern Werten erprobt hats zu ihrer 
Herausgabe enblid war eine feltene Ausdauer erfoderlih, eine 
anregende Mufmunterung von oben herab und eine materielle 
Unterftügung, wie fie die badifche Regierung mit wahrhafter 
eiberalitaͤt bewilligt hat. — 

Was die Behandlung des Stoffs anlangt, fo gewaͤrtigen 
wir, daß der Werf. fi darüber in der dem erflen Bande 
beigufügenden @inleitung ausführlich ausfprechen, darin au 
zugleich, neben einer Eharakteriſtik der mittelafterlichen Hiſto⸗ 
—55 — im Allgemeinen, eine literariſche Überſicht der tHeils 
gedruckten, theils ungebrudten Werke älterer badiſcher Hiſto⸗ 
riker liefern und feine verdienſtvollen Vorgaͤnger, einen I» 
perz, Heer, Gerbert, Reugart, Schöpflin, Lamey, nad) ihren 
Werken ſowol ald aus ihrer vertraulichen Eorrefpondenz getreu 


werde: indeflen gibt uns. ſchon bie vorliegende Probe 
1.» B. ©. 83) ein —* von ber Urt und Weiſe ber Wer 
handlung. Bor Allem: fpringt, was bie beutfchen Quellen an: 
langt, die Mannichfaltigkeit Dev Schrift in die Augen, 
der Berf. mit feltener Genauigkeit bie verſchiedenen Spt 
idiome audgeichnet, ſodaß bad Merk zuglei für den © 
forfiyer nugbar gemacht wird, ein Borzug, welchen wenige der 
kisherigen Duelienfammlungen — und Beine in foldem Grade — 
mit demfelben theilen. Der Zert ber fihen gebruckten 
Quellen findet ſich durchgehends mittels befferer Handfchriften 
berichtigt, von denjenigen Stuͤcken aber, welche in gangbaren 
Werken weſentlich ri ‚abgedrudt find — wie z. B. das Le⸗ 
ben bed heiligen Meinrat — und für Das betreffende Land 
Beine größere Bedeutung haben, werben, ber Raumerfparniß 
heiber, nur die Varianten mitgetheilt. Über bie kritiſchen 
Hülfsmittel des Berf. fowie über Alles, was zur Wuürdi⸗ 
gung, zum Berfländniß und zur WBenugung dee Quellen fo 
wol. im Allgemeinen als im Einzelnen nochwendig fiheint, fin- 
det der Lefer theild in der jedem Stücke vorangeſchickten Ein- 
leitung, theils in den zablreihen Roten — welche legtern auch 
viele. ungebrudte Bemerkungen früherer Gelehrten, eines van 
der Meer, Schmibtfed, Reugart u. A. m. einverleibt find — 
hinlaͤngliche Auskunft. 
Die vorliegende erſte Lieferung nun beginnt mit dem di 
teten Eulturdentmale, dem Leben des heiligen Fridolin (zu 
Anfang bes 6. Jahrhunderts), des Stifters des Frauenkloſters 
Büdingen; darauf folgt eine nach mehren Handfchriften verbef: 
ferte Ausgabe der ald Quelle für die Vorgeſchichte des Haufes 
Habsburg denkwürdigen beiden Biographien des Heiligen Trud⸗ 
part (geſt. um 643), des Gtifters des nad ihm benannten 
Klofterd im Schwarzwald. Berner erfcheint bier zum erften 
Male daB Leben des heiligen Pirminius, welcher ald Gründer 
der altberuhmten Abtei Reichenau (im 3. 724) die Leuchte des 
ChriftenthHums am Bodenſee aufitedte und fo dem früher in je 
ner Gegend, zu Conftanz, begründeten, aber nur kuͤmmerlich 
vegetivenden Bisthum neue Nahrung gab; dann bas Leben des 


(in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts) von dem Kiofter' 


Rheinau aus fagenfpendenden heiligen Findan, welcher bereits 
der zweiten Reihe ber nach dem Wefllande ausgehenden iriſchen 
BHaubensboten angehört. Ein ganz befonders vaterländifches 
Snterefie gewährt endlich das bisher unbefannte, nad einem 
verioren gegangenen Driginal des 11. Jahrhunderts ins Deutfche 
überfepte Leben des Grafen Eberhard III. von Nellenburg, des 
Gründers des Klofters zu Schaffhauſen. 

Un diefe Heiligenskegenden, welche den wißbegierigen For: 
feger nicht minder befriedigen als die frommen Gemüther, für 
die fie verfaßt find, reihen ſich die Chroniken, unter weichen 
ſowol ihres Alters ald ihres Umfangs und ihrer Bedeutſamkeit 
wegen‘ die bed Klofters Petershaufen mit Recht obenan ftebt. 
Sie wurde, wie der gelehrte Herausgeber in der Ginleitung 
darthut, in der erften Hälfte des 12. Zahrhunderts, zu einer 
Zeit, wo bie Geſchichtſchreibung am Bodenſee eifrig gepflegt 
mard, von einem Neffen des Abtes Gabino begonnen, und 
zwar nicht in der annaliftifchen Form des „Hermanaus con- 
traotus” und feiner Fortſetzer, ſondern nad dem Muſter der 
&t. = Galler und der verlorenen fchaffhaufer Kloſterchronik. 
Wie diefe, ſollte fie auch, nach Vorausſchickung einer, dieſer 
Claſſe von Geſchichtswerken eigenthuͤmlichen Einleitung, zu- 
a nus die Gefchichte des (im I. 976 begründeten) Kiofters 
enthalten, da inbefien bie Klöfter am Bodenfee, als Durch⸗ 
gangspunkte nach Italien, häufig von Fremden beſucht wur: 
den — mie allein ſchon das merkwürdige Calendarium von 


Beihenau darthut, in welchem fo viele Pilger ihre Ramen 


verewigten — und einen lebhaften Verkehr mit dem Auslande 
unterhielten, fo kann der Geſchichtſchreiber ſich nicht enthalten, 
au vice ihm ferner liegende Ereigniſſe, befonders aus den 
reifen Beiten Heinrich's IV., mitzutheilen, wodurch fein 

eine Hauptquelle für -die Geſchichte feiner Seit wird. 


| weicher diefe den Leiftungen der groß 


Bon dem 3. 1156: an, als tie weit die Arbelt des Urhebers 
veicht, bis 1164 wurde die Ehsonif nacheinander von zwei an⸗ 
dern Verf. fort ‚ mit Iegterm Zeitpunkte aber wurde fie 
wegen der im Klo eingetretenet Sertwürfniffe gaͤnzlich ab» 
—— 5 Anden A ee 1248 nur einige 
u ingt. e t jum erſten Male 
nach der — wodurch der nach einer fehlerhaften Abſchrift 
gedruckte Uſſermann ſche Jert weſentlich berichtigt wird. 

Eine werthvolle Babe iſt noch Die zwar weniger umfang ⸗ 
aber deſto inhaltreichere Salmansweiler Chronik (d. a. 1124 
1210), welche ſelbſt noch den gelehrten &t.-Blafieen unbe 
Fannt war, fowie die für die ältere Gefchichte des Haufes 
Baden fo merkwürdige Ehronit des Kloſters Lichtenthal und 
die von bem Herausgeber in frühern Beiten abgeſchriebene 
und fomit — da inzwifgen das Driginaf verloren gegan⸗ 
gen — vom Untergange gerettete Sensheimer Chronik. Bei 
Anbli der dem „Codex minor Spirensis” entnommenen da= 
tenreichen Ehronit der Bifhöfe von Speyer konnte Ref. ven 
Wunſch nicht unterbrüden, daß es dem Herausgeber gefallen 
möge, in einem ber nädften Bände die in jenem „Lodex‘ 
eutheltenen, für den Forſcher deutfsher Geſchichte fo wichtigen 
Urkunden, foweit es irgend mit feinem Plane vereinbar ift, 
mitzutheilen und auch das treffliche „Necrologium Spirense”, 
wennfhon e8 zum Theil überrheinifhhe Namen enthält, zu ver« 
öffentlichen, da ſchwerlich fobald eine fo geeignete, chrenvolle 
Stelle wie in biefer Sammlung jtch für baffelbe finden bürfte. 

Den Beſchluß der vorliegenden erften Lieferung machen 
die obenerwähnten „Annales verioram‘. 

Was die äußere Außftattung diefed mur in 240 Grempla⸗ 
ven erfcheinenden Werks betrifft, fo iſt noch befonders amzuer⸗ 
kennen, daß dabei nicht nur ein feiner Gewwichtigleit an e& 
Bormat, fondern auch eine beutlidhe, dem angeficengten Yuge 
bed Gelehrten wohlthuende für biefen Zweck eigens gegeſſene 
Schrift und ein treffliched Papier gewählt wurde. 

Diefe äußern Borzüge mit den hervosgehobenen innen 
zufammengenommen wiſſen wir nicht, ob wir dem Hrn. Berf., 

en Benedictiner an die 
Seite zu ſtellende Urbeit unternahm, oder der Regierung, bie 
fie ind Leben rief und fo bereitwillig dafür forgte, daß fie im 
einer eines ſolchen Rationalwerks würdigen Geſtait ericheinen. 
fonne, zu größem Dante verpflichtet find. 83. 





Literarifhe Anzeige. 
Preisherabsetzungen. 


Nachſtehende als Supplemente jü allen Auflagen des Con⸗ 
verſations Eezikon zu betracbiende Werke find zu Berap- 
gefegten Preiſen duch ale Buchhandlungen zu beziehen: 


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Berabgefetßzter Peeis 5 Shir 
Eeipzig, im Januar 1846. 
F. A. Brockhaus, 





Berantwortlicher Herausgeber: Beiurich SDrockpans. — Dructk und Berlag von F. er. Brockhanus in Leipzig. 
—— 


Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Sonntag, 


Pr, 39, m 8. Februar 1846. 





Oſtreichiſche Gefhichten. 
(Beſchluß aus Nr. 38.) 

Obwol das Werk Nr. 7, welches ein Mitglieb bes 
höhern Beamtenftanbes zum DBerfaffer hat, vor ber Ka- 
theberweisheit des Hrn. Profeffors der gräger Univerfität 
in jeder Beziehung den Vorzug verbient, fo müfjen wir 
uns doch begnügen, es im Allgemeinen als eine gut ge- 
Iungene überſichtliche Darftellung der politifchen Befchichte 
bes öftreichifchen Kaiſerſtaates zu empfehlen, um zur 
„Geſchichte des Entfichens, bes Wachsthums und der 
Größe der äftreichifhen Monarchie” von Johann Spor⸗ 
ſchil überzugehen, deren Titel uns unwillkürlich an 
Gibbon und an Amilian Janitſch', Geſchichte der Ent- 
ſtehung und des Wachsthums der oͤſtreichiſchen Monar⸗ 
die von den aͤlteſten bis auf dieſe Zeiten” (Bien 1805) 
erinnert bat. Inwiefern fi die Ahnlichkeit zmifchen 
den Iegtgenannten Buche und dem bes Hrn. Sporſchil 
auf mehr ale den bloßen Titel erſtreckt, vermögen wir, 
da uns jenes nicht zur Hand iſt, nicht anzugeben; von 


Gibbon's Geiſt jedoch, dafür können wir bürgen, iſt in 


biefem teine Spur zu entbeden. Der Berf. hat es paſ⸗ 
fender gefunden, aus dem Arfenale bes Meitaurators ber 
Staatswiflenihaften, Karl Ludwig von Haller’s, einige 
halbverroſtete Waffen zu bergen, um damit den con- 
trat social und was daran hängt zu befämpfn, und 
beichrs uns in der Einleitung über ben Vorzug des „hi⸗ 
ftorifc gewordenen und fi) fortbildenden Staats’, wir 
wiffen nicht, vor weichem andern, da wir feinen kennen 
der fir und fertig aus den Wolken heruntergefallen wäre, 
und felbft Frankreich und ben Vereinigten Staaten, die⸗ 
fe warnenden Beifpielen von der Berberbtheit der Theo⸗ 
rie des Urvertrags, ein „biftorifehes Werden nnd. Sich⸗ 
fortbilden“ kaum abzufprechen if. Redensarten wie: 
„Auch nur mit einem einzigen Verbrechen würde bie 
wimſchenswertheſte Umwandlung viel zu theuer erfauft” 
(Hr. Sporſchil verfuche einmal dieſes Ariom auf die 
Einführung des Chriftenthums anzuwenden). „Sene 
Lehre unferer Tage, welche der Staatsgewalt zuruft, 
dem Volke einen immer größern Antheil an ihr zu ge 
währen, weil fie felbft dadurch feftern Beſtand gewinnen 
würbe, bildet das zerfegende Element der Staaten” (in 
diefem Sage fcheint ber Eifer gegen das „zerfegende Ele⸗ 
ment der Staaten” Hrn. Sporſchil's Stil irregeleitet zu 


haben). „Es wurde das Geſchlecht der Habsburger, 
Zucht und Ehre ſtets heilig haltend, eine preovidentia di- 
vina für Deutfchland, für Europa, für die Welt” (mir 
verweifen bier auf Das, was wir oben von hiſtoriſcher 
Schönfärberei und übelverftandenem Patriotismus fagten). 
Diefe und ähnliche Redensarten werden, wir fürchten «#6, 
niht im Stande fein, die Welt von ben alleinfelig- 
machenden Eigenfchaften jenes Syſtems zu überzeugen, 
deffen DVerkörperung Hr. Sporſchil in ber öftreichifchen 
Monarchie aufzufinden fo glücklich gewefen ifl. 

Maria Therefia, Joſeph, und Erzherzog Karl — bie 
drei populairften Geftalten des öftreichifehen Herrſcher⸗ 
hauſes — in ihrem Leben und Wirken zu ſchildern, dieſe 
Aufgabe haben fich die Verf. der unter Nr: 1 — 3 an⸗ 
gezeigten Schriften gefegt. Über die fromme Kaiferin 
und ihren Enkel, den Delden von Afpern, find die Mei- 
nungen wol einig, und bei Exfterer kann es ſich nur 
darum handeln, den vorhandenen reichen Stoff zu fid)- 
ten und in ein bie Volksüberlieferungen möglichfi treu 
bewahrendes Charakterbild abzurunden; bei Legtern aber, 
den Antheil, welchen er an ben großen Begebenheiten 
dee Zeit genommen, in das angemeſſene Kicht zu ftellen. 
Beiweitem ſchwieriger iſt es dagegen, den rechten Stand⸗ 
punkt zu gewinnen, von dem Joſeph 11. betrachtet mer- 
den muß; denn an ihm haben fich ſchon bie werfchieden- 
ften Geifter verfucht, ohne daß es ihnen gelang, den 
Schlüffel zu feinem Weſen zu finden. Wir erinnern nur 
an die Auffeffung Brougham's, ber in Joſeph blos ei- 
nen brutal zufahrenden Despoten, einen talentlofen Nach⸗ 
äffer Friedrichs IT. fiehe, während Paganel *) fein — 
theil uͤber des Kaiſers Streben in folgenden, freilich 
was die Gegenwart betrifft zu optimiſtiſchen Worten 
zufammenfaßt: A 

n unfern Tagen lebt eich von denfelden Ideen, wel⸗ 
che Fi von ih ieh, ganz * — Sin: ducchdrungen, 
genießt es ein gluͤckliches Gedeihen im Schatten feiner Refor: 
men. Gin Staatsmann, dem Riemand lange Erfahrung und 
hohes Anfehen abftreiten kann, hat gejagt, daß Zofeph, indem 
er diefen heilfamen Keim dem Körper der Monarchie eingeimpft, 
ihn auf lange Zeit vor allen Revolutionen bewahrt hat. 








) „Geſchichte Joſeph's U., Kaiferd von Deutfhland, von Ga⸗ 
mille Paganel. Aus dem Branzöfifhen von Friedrich Köhs 


ler“ (Leipzig IBM). 


154 


In Öftreich felbft hat die öffentliche Meinung ihren 
Ausdrud in den fhönen Strophen gefunden, mit dem 
der „Wiener Poet“ „Sein Bild’ begrüßt: 

Ein Despot bift du gewefen! Doc cin folder wie der Tag, 
Deften Sonne Nacht und Rebel neben ſich nicht dulden mag, 
Der zu dunkeln Diebesfchlüften die verhaßte Leuchte trägt, 
Und mit gold’ner Hand ans Fenſter langtt Schlaͤfer raſtlos 

ägt- 

Ein Despot bift du gewefen! Doch fürwahr, ein ſolcher blos 
Wie der Lenz, der Schnee und Kälte treibt zur Flucht er- 

barmungslos; 
Der den aͤrgſten Griesgram luſtig mit dem Deliften hau 


eiprengt, 
Und mit feinen Feftesfrängen felbft den aͤrmſten Strauch be 


ng. 

Das dankbare Volt hat ihm feine Fehler und Schwä- 
chen längſt verziehen und erinnert fich blos, daß er es 
von feinen Drängern befreien wollte. 

- Hr. Dr. Ramshorn hat nun, wenngleich er feinem 
Gegenftande Leine neue Seite abgemonnen, was er viel» 
leicht auch nicht beabfichtigte, die vorhandenen gedrudten 
Duellen fleißig benugt und das Ergebnig in fließender 
Nede dargeſtellt. Das Nämliche läßt fih von Duller’s 
Arbeiten fagen, und wir können bier nur den Wunſch 
beifügen, unfere Landsleute möchten, ftatt fi) durch Die 
in inländifchen Überſetzungsfabriken mundgerecht gemach⸗ 
ten Erzeugniſſe ausländifher Romanfabriten den Ge- 
ſchmack zu verderben, Büchern wie den vorliegenden rege 
Theilnahme fohenten, und dadurch zu neuen Strebungen 
auf diefem in Oftreich verftändigen Anbaus noch fo fehr 
bebürftigen Gebiete ermuntern. 

Bon ben beiden fi) mit der Geſchichte einzelner öfl« 
reihifcher Provinzen befchäftigenden Werken, die wir 
unter Nr. 4 und 5 zufammengeftellt haben, wendet ſich 
das eine, Jordan's „Geſchichte Böhmens“, an ein Publi- 
cum, das bem Eindringen in bie Tiefen gelehrter For- 
fhungen, felbft wenn ihm dabei ein Palatin als Führer 
zu Gebote fteht, die- weniger mühfame Aneignung ihrer 
Ausbeute vorzieht, zu der ed auf den Wegen, die es täg- 
ich zu betreten pflegt, gelangen kann. Das „Handbuch 
der Sefchichte Kärntens“ hingegen ift mit allen Zutha- 
ten gefhmüdt, ja überladen — wir bedauern, bei einer 
fo wahrhaft verbienftvollen Arbeit diefes Beiwort brau- 
hen zu müffen —, auf denen das Auge des Kennerd 


wohlgefällig ruht, während fie der Menge entweber ehr- 


erbietige Scheu. einflößen, oder zu fpöttifhem Lächeln 
Deranlaffung geben. Es zerfällt in zwei Abtheilungen, 
von denen die eine, bie „Befchichte des Herzogthums 
Kärnten bis zur Vereinigung mit den öftreichifchen Für⸗ 
fienthümern” enthaltend, den Kreiheren von Antershofen 
zum Verf. bat, die andere aber, welche die Gefchichte 
des Landes bis auf unfere Tage fortführt, vom Conſi⸗ 
ftorialfanzler des Bisthums Gurk, Heinrich Hermann, 
bearbeitet if. Günftig für das ganze Werk ſtimmt 
ſchon die Pietät, mit der Ankershofen in der Widmung 
und Vorrede feiner verewigten Lehrer und Gönner, 
der nah St.⸗Paul in Kärnten überfiedelten vorma- 
ligen Mitglieder der berühmten Benedictiner-Congregation 
von St.-Blafien im Schwarzwalde, Trudpert Neugart 


‚Theil wirb. 


und Ambros Eichhorn, zmeier um die Geſchichte ihrer 
neuen Heimat hochverdienten Männer, gebenft, und die 
Befcheidenheit, mit welcher er feine eigenen Leiftungen 
der Nachficht feiner Landsleute empfiehlt. Die Vorrede 
felbft Liefert einen fehr beachtenswerthen. Beitrag zur Cul⸗ 
turgefchichte Oftreiche, indem fie über die literarifche Thä⸗ 
tigfeit diefer eingewanderten Benedictiner und ihrer Mit- 
brüder ausführliche Nachrichten gibt, und es ift erfreu- 
ih, aus ihr zu erfehen, was das dem Werke beigefügte 
Subferibentenverzeichniß beftätigt, daß in einer vom Mit- 
telpunfte der Monarchie fo weit entlegenen Provinz wif- 
fenfchaftlichen Beftrebungen fo wirffame Förderung zu 
Das Unternehmen der Herren von Ankers⸗ 
hofen und Hermann ift nad) jahrelangen Vorarbeiten be- 
gonnen worden und auf die würbigfte Weiſe ins Leben 
getreten. Jede Seite bes Buchs legt von der Emfigfeit 
Zeugnig ab, mit der Alles gefammelt ward, was auf den 
Gegenftand deffelben auch nur den entfernteften Bezug 
hatte, und wir glauben nicht, daß den Verfaffern in der 
Geſchichte ihrer Heimat irgend etwas von Belang ent- 
gangen ift. Diefe Emſigkeit hat jedoch zu einem Übel⸗ 
ftande geführt, der fih in der erften Abtheilung auf ftö- 
rende Weife geltend macht, und bei einem Handbuche 
doppelt auffällt. Wir meinen bie Uberladung mit An- 
merkungen aller Art, Quellenftellen, Erläuterungen u. f.w., 
die fo weit getrieben ift, daß in den zwei erften Heften 
die am Schluffe beigefügten Roten, zu denen noch unter 
dem Xerte fortlaufende kommen, nicht weniger als 152 
Seiten einnehmen, während ber Text felbft nur 143 um⸗ 
faßt, Gefchichtsforfcher, die zum erften Male vor das 
größere Publicum treten,. haben ohne Zweifel die Ver- 
pflihtung, ihre Sachkenntniß duch Berufung auf die 
Duellen zu. beurfunben; dabei müffen fie jedoch, wenn 
fie fi nicht die Rüge zuziehen wollen, daß fie den Stoff 
zu bewältigen unvermögend gewefen, bas Neue vom Be⸗ 
kannten, das Wefentliche von den Nebendingen zu fon- 
bern und überall das rechte Maß zu sreffen wiſſen. Sie 
dürfen Das, was in ben Hintergrund gehört, nicht mit 
übertriebener Genauigkeit ausmalen, und brauchen das 
Geräth, deſſen fie ſich bei der Arbeit bedient, nicht vor 
aller Welt auszuftellen, um zu bemweifen, daß fie in ihrer 
Kunft Meifter find. Hätte Hr. von Antershofen ben 
Plan zu feinem Werke überhaupt weniger weitläufig an- 
gelegt — was foll 3. B. in einem „Handbuche ber Ge- 
ſchichte Kärntens’ eine bie ind Einzelfte gehende Be⸗ 
fhreibung bes byzantinifchen Hofes und Verwaltungs⸗ 
fofteme auf 20 Seiten Text mit.24 Seiten Anmertun- 
gen? —, fo würde es ihm auch, davon find wir über- 
zeugt, nicht ſchwer gefallen fein, bie Erzählung zu ben 
Beweisftellen in ein richtiges Verhaͤltniß zu bringen. 
Zum Schluffe möge uns noch verftattet fein, hier aus» 
zufprechen, was und und gewiß Viele, denen die Ehre ihres 
Baterlandes am Herzen liegt, fehon lange ſchwer gedrückt 
bat. Vor 27 Jahren äußerten fi die wiener „Sahr« 
bücher der Literatur“: Ä 
Um wie viel werden wir nicht dem hoben Biele einer 
pragmatifchen Staatsgeſchichte des oͤſtreichiſchen Kaiſerthums 





\ 155 


näher gekommen fein, wenn die Hiftorifihe Kritik, in Heraus: 

abe und Benugung ber Quellen, in Bufammenftellung ber 
Paterialien einzelner ftändifchen, geiftlichen und wiſſenſchaft⸗ 
lichen Körper, Städte, Comitate u. ſ. w. von 1318 — 33 in 
eben der Stufenfolge fortrüdt, wie es (vorzüglih unter Be: 
günftigung einer liberalern Cenſur und unter dem Bortritte 
Der vaterländifchen Iournaliftif) von 1303 — 13 unleugbar ge 
ſchehen ift? 

Wie wenig wir nun diefem Ziele, über dem ein hö⸗ 
beres ragt, näher gekommen find, wurde im Laufe die- 
fer Beſprechung anzubeuten verſucht. Mer trägt bie 
Schuld? Andere Regierungen verwenden jährlich be- 
trächtlihe Summen auf die Förderung würdiger Be 
firebungen im Fache ber Gefchichte: bie Franzöfifche 3. 2. 
ſchickt Gelehrte auf Reifen, läßt Urkunden fammeln, be- 
dentende Werke veröffentlihen, unterhält ein Ecole des 
chartes u. f. w. Was thut die öftreichifche, die, ganz ei⸗ 
gentlich den Staat vertritt? Die Ernennung eines Aus⸗ 
länders, über den man das mildefte Urtheil fällt, wenn 
man fagt, daß er einem Ertreme angehört, zum Hof: 
hiftoriographen zeigt klar genug, welchen Werth fie die⸗ 
fen Dingen beilegt. Sie geftattet auf dem Gebiete der- 
felben nicht einmal den freien Spielraum, der fogar an 
ber Newa zugeftanden wird, und wir zweifeln, daß es 
einem öftreichifhen Gefchichtfchreiber erlaubt würde, Fer: 
dinand einen Jeſuitenknecht zu nennen, wie ein Ruffe 
Iwan einen Tyrannen nennen darf. Diefen hemmenden 
Einfluffen gegenüber hat der Einzelne, hat die Journa⸗ 
liſtit allerdings einen ſchweren Stand ; aber dennod) 
bleibt ihnen Boden genug, auf bem fie fi behaupten 
und allmälig ihre Wirkfamkeit ausdehnen fönnen. Was 
hindert 53. B. die an geiftigen und materiellen Mitteln 
fo reichen öftreihifchen Stifter: St.- Florian, Melk, 
Kremsmünfter, Göttweih u. f. w. an ber Spige, ge 
meinſchaftlich eine Zeitfchrift für Geſchichtsforſchung zu 


gründen, großartige Quellenſammlungen zu veranftalten. 


u. f. w.? In ihrer Mitte find alle Kräfte dazu vorhan- 
den, und wenn bie Nachfolger der Beſſel und Klein, 
ber Dep und Hanthaler mit uneigennügiger Hingebung 
in die Zußftapfen. .diefer ehrwürdigen Männer treten, 
dazın werden, hoffen wir, vielleicht auch die Nachfolger 
der Sinzendorf, der Eugen und Kaunig ihre Aufgabe 
beſſer begreifen. U. 


Die Geheimniſſe ber Inquifition von B. von Foͤréal. 
Aus dem Franzöfifchen von E. Meyer. Acht Theile. 
Leipzig, D. Wigand. 1845. 8. 2 Thlr. 20 Nor. 


In der MuyfterienLiteratur find merfwürdige Misgeburten 
zu Zage gekommen; mehre derfelben find mit Eugen Sue's 
Geiſt ungefähr ebenfo nahe verwandt wie das Borftenthier mit 
dem Löwen. Der fihaudervolle Inquifitor Peter Arbues, das 
Höchft beffagenswerthe Mädchen Dolores und der Moͤnch Iofe 
(eigentlih ein Frauenzimmer) find Hauptperfonen des vorlie⸗ 
genden Bude. Peter Arbues hatte fich fuͤchtig betrunfen und 
ftand ungefähr um 10 Uhr Morgens auf. „Gr war tobten- 

leich. Mit der von det Unmäßigkeit berrührenden Aufregung 
vereinigten fi noch die Qualen einer unerwiderten Leiden: 
ſchaft, und ber ftile Grimm gegen bie Agenten feiner Ber: 
bredgen. Beſonders regte Enriquez feinen Groll im höchften 
Grade an; die ungeftüme Leidenfchaft des Inquifitord für Do⸗ 


lores fteigerte fih nur durch die Hinderniffe, die feine Plane 
vereitelt hatten. Die gelblihe Bläffe von Peter Arbues 
mifchte fih bier und da mit bläulichen Flecken; fein großes, 
dunfelblaues, ftrahlendes und tiefes Auge wurde wild wie daß 
des Tigers, und fein Erampfhaft zujammengezogenes Geficht 
erhielt den Ausdrud einer entfeplihen Wildheit.” Manda- 
miento, dad Oberhaupt Der Banbditen, tritt ein. „Er blieb 
mit bededtem Haupte vor dem Inquifitor ftehen. Diefer un» 
bantige Menſch hatte eine fo übertriebene und twunderliche 
Borftellung von der Bebeutung feiner Stellung, baß er glaubte, 
vor feined Gleichen zu ſtehen. Enriguez winkte Mandamiento, 
fein Haupt zu entblößen, der Meiſter antwortete mit einem 
Blick der Beradjtung. Der Inquifitor lächelte” u.f.mw. Man» 
bamiento erhält den Auftrag, Dolores herbeizuſchaffen; er ver: 
fpricht e8 auf Spigbubenparole und tritt ab. ‚‚Diefer wunder: 
bare Menſch ging mit ftolz erhobenem Kopfe und zuverficht- 
lihem Blicke hinaus. Er hatte eine hohe Idee von feiner 
Wichtigkeit, und Diefe durch fein ganzes ercentrifche® Dafein, 
und durch die fhon von Natur ftolze und poetilhe Haltung 
des fpanijchen Geiſtes noch gefteigerte Thorheit drüdte allen 
Geberten, allen Bewegungen Mandamiento’s etwas Feierliches 
und Doch Ungebundened auf, was der Gedanke (eigentlich der 
Pinfel) nicht wiedergeben kann.“ Gleich darauf läßt fich der 
edle, poetifche und feierliche C'auner von dem Moͤnch Zofe be« 
ſtechen und Dolores ift vorläufig gerettet. Auch moral:theo« 
logiſcher Sermon fommt mit vor. Arbues unterhält fi mik 
feinem Familiar. „Was fie fagten, wiſſen wir nicht, aber ge: 
wiß mußte die Hölle bei diefem vertrauten Gefpräche, bei die« 
fen ſchmuzigen und frechen Mittheilungen lächeln, die fich diefe 
beiden entfeglihen Menſchen machten; und wenn ‚Gott fi 
nicht erzürnte, bierbei eingemifcht zu werden, fo gefchah das 
nur, weil feine Güte unendlich iſt und weil er die Böfen auf 
Erden duldet, nicht um die Guten zu läutern, wie man gefagt 
bat, fondern weil er Bater ift und ein Vater felbft für feine 
verworfenften Kinder ftetd Rachficht behält.” Der Mönch Joſé 
bat fih zum Schluß in ein Mädchen verwandelt und den In⸗ 
quifitor Arbues ermordet: Dafür wird fie, Die nun Paula 
heißt, nach fpanifher Sitte gerädert, d. h. die Blieder werden 
br vom Denker mit einer eifernen Keule zerfchlagen. Die Bes 
ſchreibung ihrer Qualen ift ſchauerlich ſchön; wer fidh daran 
weiben will, muß das Buch Faufen. Gelegentli bat Zofe eine 
furchtbare Bifion , in welcher ihm allerlei dummes und fades 
Zeug vor die Sinne tritt; unter Anderm erfcheint ihm der Ins 
quifitoe ‚unter der Geflalt eines Tigers mit den Pfoten und 
dem Schnabel eines jungen Gänschens“. Gerade fo ift un’ 


der Roman ded Hrn. v. Fereal erfchienen. 


So viel über den dichterifchen Werth des Buck; fein 
wifienfchaftlächer dDocumentirt fi) durch zahlreiche Anmerkungen 
über dad innere Getriebe der ſpaniſchen Inquifition. Hier 
empfängt man die gründlichften Auffchluffe und gegen den ge: 
lehrten und fcharffinnigen Feréal iſt felbft Llorente nur ein 
unmwiflender Schwachkopf. 13. 





Literarifhe Notizen aus England. 

Eine Sage von den Ufern des Faspifhen Meeret. 

@in vor kurzem erfchienened englifches Meifewert: ‚„Sker- 
ches on the shores of the Caspian, descriptive and picto- 
rial’‘, von W. R. Holmes, widmet den Sagen und Legenden 
der um den Kaspifee und am Elbrus wohnenden zahlreichen 
Völkerſtaͤmme befondere Aufmerkſamkeit. Diele diefer zahlrei» 
hen Sagen und Märchen verratben eine innige Berwandtfchaft 
mit denen der germanifchen und celtifhen Völkerflämme, an: 
dere gehören dem Morgenlande eigenthümlich an. Darunter 
wird folgende aus dem Orte Semnun mitgetheilt, der, wie bie 
Sage meldet, von Sem und Ham, den beiden ältern Söhnen 
Noah's — in der Sprache der dortigen Stämme Sin und 
Kam genannt — in der Nachbarſchaft einer von den Gebern 
oder Feueranbetern bewohnten Stadt angelegt worben war. 


156 


Diefer Ort wurde durch einen Bad mit Daſſer verfehen, der 
von der Stadt ber Gebern herunterlam; welche Letztere eines 
Tages das Waſſer abgruben und auf diefe Weife das Fort: 
beſtehen jenes Wohnfiges der beiden Noahiden bedrohten. Des: 
alb wallfahrteten bieje nach Dſchedſchin, fo hieß die dortige 
ebernftadt, und flehten die dortigen Häuptlinge an, ben 
Bach wieder in fein altes Rinnfal zu leiten. Zuerſt ward bie 
Bitte abgefchlagen; ober endlich vereinbarte man ſich ‚dahin, 
daß gegen Erlegung einer Summe von 1000 Tomans das 
Waſſer fo lange nah Semnun abgelaffen werden follte, als 
der Kopf einer Fliege, den man abriß und in ein Waſſer⸗ 
hecken warf, Leben behalten würde. Als dies gefcheben, muß: 
ten bie Gebern zu ihrer höchften Verwunderung fehen, daß 
13 Tage lang der Kopf der liege fortlebte, welches Wunder 
fie dergeftalt gegen Sin und Lam aufbrachte, daB fie einen 
bewaffneten Haufen nad) Semnun fendeten, um die frommen 
Männer gefangen zu nehmen. Mittlerweile war dieſer An: 
flag den Leptern zu Ohren gekommen und fie ergriffen die 
t. Im erften Drt, wo fie kurze Raft hielten, zu Shach⸗ 
direon, baten fie die. Einwohner, ren Berfolgern den Weg 
Her zu zeigen, auf dem fie ihre Flucht fortfegten. Kurz dar« 
auf trafen die Gebern ein und fragten, in welcher Richtung 
bie Beiden geflohen fein. Die Ortöbewohner - bezeichneten 
zwar nicht mit Worten den von den Flüͤchtigen eingefchlagenen 
Weg, verriethen ihn aber dadurch, daß fie den Kopf über bie 
Schulter gewendet mit den Augen dic Richtung der Flucht 
verriethen; und feit diefer Zeit werden alle Nachkommen mit 
einem alfo verrenften Hals und Kopf in diefem Dorfe geboren. 
: Der nächſte Ort, welchen die Verfolgten berührten, hieß 
Schahdirvan und deflen Einwohnern trugen fie in gleicher 
Weife auf, ihre Flucht zu verheimlichen. Auch diefe handelten 
verrätherifh, indem fie den nachfegenden Bebern dur Vor: 
firedden des Kinnd den ee, auf welchem die gotteßfürchtigen 
Erzvaͤter ihre Flucht bewerkftelligt, andeuteten. Gin fürchter 
licher Donnerfchlag kündigte den Zorn Gottes darob an, und 
bie Verräther ſahen fich und ihre Nachkommen mit ähnlichem 
Fluch wie die Bewohner Schahdirvans getroffen, indem ihnen 
das weit vorgeſtreckte Kinn erblidy blieb. Nachdem die Ge: 
been ihre Verfolgung noch lange fortgefegt, erreichten fie die⸗ 
ſelben am Buße eines ſteilen Hügels, von wo fie in eine klein 
Ebene hinabfloben, auf. der fi vor den erſtaunten Blicken 
der Verfolger ‚die Erde aufthat und ihre auderfehenen Opfer 
in dev Höhlung verfchmanden, die ſich wieder über ihnen fchloß. 
Da es Abend geworden, fa errichteten die Gebern einen Stein⸗ 
haufen an der Stelle und beſchloſſen früb am Morgen, bie 
Erde aufzugraben und fih fo der Entfommenen zu bemoͤchtigen. 
aber als fie früh erwachten, fanden fie die ganze Ebene mit 
eV Steinhaufen bedeckt, fobaß alle Bemühungen, den von 
nen aufgefchichteten ausfindig zu machen, fruchtlos blieben, 
und fie unverrichteter Sache nah Dſchedſchin zuruͤckkehren muß: 
ten. Jetzt fieht eine Beine Mofchee an bes Stelle, wo Sin 
und Lam verfunten fein follen; es ift ein berühmter Wallfahrts⸗ 
ort für die Bevölkerung in der Umgegend; auch zeigt man an 
dem fleilen Hügel in der Nähe noch die Spuren, welche die 
Bebern mit den Hufen ihrer Roffe bei ber Verfolgung hinter: 
laffen haben. 


Die Behandlung der Strafgefangenen in den 
Befängniffen. 

‚Die Überzeugung, daß bie durchſchnittliche Einrichtung des 
Sefängnißwefens, insbefondere die Behandlung der Verbrecher 
in ben gefitteten Staaten nicht mehr im Einklang ftehe mit 
der Bildung bes Zeitalters und der Stufe feiner Befittung 
drängt ſich allenthalben auf. Nicht ange mehr wirb man einer 
durchgreifenden Umgeftaltung deſſelben fich entziehen koͤnnen. 
Bisher haben alle Reformen, obwol von den beften Abfichten 
eingegeben und von glüdlichen Erfolgen begleitet, ſich mehr auf 
die Form beſchraͤnkt; den Geift und die Grundfäge hat man 
nicht ändern wollen. Aber auch dazu wird man über kurz 


ober lang fich entfchließen müflen. Leider find bis jegt großen⸗ 
theils biete Reformen nur von kirchlichen Eiferern betrieben 
worden, die außer menfchheitlihen Zwecken noch befondere re: 
ligiöfe verfolgten. Unter den neuern Werken, welche die noth⸗ 
wendigen Reformen in Behandlung der Strafgefangenen und 
die dadurch zu erzielende Beflerung berfelben erörtern, ift au 
erwähnen: „Benevolente in punishment; or, transportation 
mode reformatory. Obwol ber Hauptzwed des Buchs bar: 
auf hinausgeht, die Beſſerung der Sträflinge in ben englifchen 
Strafeolonien zu erwirken, fo enthält e8 doch auch viele rich⸗ 
tige Bemerkungen über die Art und Weife, die Strafeinrichtun« 


gen für Verbrecher mit ihrem einzigen vernünftigen Zwecke und 


der Beflerung der Letztern in Einklang zu feben. Die Grund» 
fäge, daß ſelbſt die größten Verbrecher emipfänglih find für 
liebreiche Behandlung, fähig der Dankbarkeit, dag man ihnen 
beweifen müfle, Zugend liege in ihrem eigenen Interefle, daß 
man eine wahre Theilnahme, keine Palte, amtliche zur Schau 
getragene, fondern eine aufrichtige, herzliche ihnen widmen 
müffe, daB man endlich eine Belohnung ihred guten Betragens 
ihnen: vorzubalten habe: dieſe Grundfage finden an dem Verf. 
einen warmen Bertheidiger. Ganz mit diefen Anfichten ftimmt, 
wie man aus dem jüngft erſchienenen Werke einer Rordameri- 
kanerin, „Letters from Newyork”, von Maria Child, erſieht, 
die öffentliche Meinung in einem großen Theile der Vereinigten 
Staaten, welche. in diefer Hinſicht in Wahrheit die „neue 
Welt‘ vertreten, überein. Der Borfteher des. Auffihteam- 
tes über das Sing: Sing Sefängniß, Edmonds, Außert in 
feinem letzten Bericht: er fege in das Syften des a 
weiches fo lange in der. Weit gegolten, nicht den mindeften 
Werth; jenes Spftem, die Str elangenen durch martervolle 
Behandlung zu Dem anzubalten, wad man gute Drbnun 
nenne, und das darin beftehe, nie auf etwas Beſſeres als au 
das entwürdigende Gefühl der Furcht fih zu berufen. 
babe in feiner Erfahrung genug gefeben, um fih zu überzeus 
en, daß, wie entartet — e Verbrecher auch waren, ſie noch 
erzen beſaßen, die durch Milde gerührt, Gewiſſen, die durch 
Berufung an ben Verſtand erweckt wurden und Die Die GSehn⸗ 
ſucht nad einem beſſern Lebenswandel in ſich trugen, welche 
oft nur der freundlichen und zufprechenden Stimme der Xheil« 
"nahme und Hoffnung bedurften, um zur dauernden Befferung 
fih zu ftählen. In Folge diefer Überzeugung ift in dem ge- 
nannten Gefängniß der Brundfag angenammen, fo feltm als 
möglich zu ftrafen und, mo immer ſich eine Sehnſucht nach Beſ⸗ 
ferung Fund gibt, Muth und Hoffnung einzufpsechen. Die Er⸗ 
—* dieſes Syſtems ſollen uͤber alle Erwartung guͤnſtis gus— 
allen. 





Bibliographie 
Album des literarifchen Vereins in Rürnberg für 1846, 
Rürnberg, Bauer und Maspe. Gr. 8. WU Nas. 
Fabeln vom Verfaffer des Glockenbuben. Rurnberg, Bauer 
un Seffe c —* iſter Theil. Berlin, Logier. 
effe, © A., Gedichte. Ifter Theil. Berlin ier. 
u RB u E res 


Huſchke, 9. €., Über das Recht des Nexam und bas 
alte römifche Schuldrecht. ine rechtshiftorifche Unterfuchung. 
Leipzig, Gebauer. Gr. 8. 1 Thlr. 18 Nor. 

Lamping, E., Erinnerungen aus Algerien. ?te Auf 
Oldenburg, Schulze. 8. 1 Thlr. 7%, Ner. 
önnih, W. B., Dr. Martin Luther. Ifte Lieferung. 

Nürnberg, Korn. Gr. 16. 5 Nor. 

Rettberg, R. v., Nürnberger Briefe. Hanover, Hel⸗ 

wing. Gr. 12. 1 Zhlr. 20 Rat. . 

Schönke, K. A., Das Weihnachtefeft in Erzählungen 
und Gedichten. Pofen, Cohn. 12. 10 Nor. 
Die Löchterjchufe. In drei Erzählungen nach dem Fran» 

göffggen geon I. 9. Silbert. Wien, Waliähauffer. 1845. 

. 25.Ngr.: | 


« 


lage. 


ı 





Berantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brockkaus. — Drud und Verlag von F. Ec. Brockhaus in Reipzig. 


Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Aus dem Wanderbuche eines verabſchiedeten Kan ' 


knechts. Vier Theile. Als Manufeript gedru 
Wien 1844. | 

Wenn die Lanztnechte ihrer Zeit Wanderbüdher ge- 
füchrt hätten, fo wüßten wir mandjerkei wo nicht Wichti- 
ges, doch Eharakteriftifches und gewiß Insereffantes über 
die Sittenzuſtände einer Zeit, die uns hiſtoriſch zwar 
ziemlich deutlich ift, für die dem Dichter und Novelli- 
| aber, wenn er dad Kleinleben fihilbern will, das 
Material fehr dürftig und zerfireut unter anderm Wuſt 
oder Wichtigerm zugewachſen iſt. Die Lanzknechte ſelbſt 
Jürg’s von Frundsberg führten keine Tagebücher, aber 
auch unter den heutigen bürfte es noch eine Seltenheit 
fein, ohne daß man um deshalb zu klagen hätte. Was 
unfer Soldat von dem Zelt-, Feld⸗ und Lagerleben be- 
richten fönnte, wiſſen wir aus taufend andern Quellen. 
Mit dem „verabfchiedeten Lanzknecht“ hat es eine andere 
Bewandtniß. Faſt, feinen abenteuerlichen Zügen nad) zu 
ſchließen, koͤnnte man ihn, mit etwas verändertem Co⸗ 
ſtume, in jene Zeit des freiwilligen, wandernden und um- 
fehweifenden Soldatenthums verfegen. Gr kaämpft in 
Algier gegen die Beduinen, er fiht. in Frankreich für 
feine Meinung (wenn auch nicht geradezu mit der Lanze), 
er garnifonirt in Italien, Wien, er flreift durch Ungarn 
und Galizien, und ift ein echter Lanzenknecht im alten 
Sinne (wenn auch ohne Sold) unter den Karlifien in 
Biscaja. Überall fieht und erlebt er viel, urtheilt auch 
über die Dinge mit. einer gewiffen Sicherheit, doch nicht 
mit fanatifcher Vorliebe, und was er davon bed Gin- 
tragens in fein Zagebuch für. werth gehalten, iſt ein 
ſchaͤzbarer Beitrag zu unferer anderweitigen Kenntnif ber 
Länder, Verhältniffe, Parteien, Völker und Individuen. 

Der Ranztnecht, welcher fo viel von feinen Zügen 
Buch fo vieler Herren Länder zurüdgebradht Hat, 
Daß er dies Wanderbuch auf eigene Koften für feine 
Freunde bat bruden laffen können, ifi, wie Fama 
fagt, eine ariftofratifhe Notabilität, welche in vielen 
Ländern, wo fie fi) gezeigt, eines ehrenwerthen Rufe 
genießt. Ein Gavalier, im beften Sinne bes Worte, 
ſucht er in altritterlicher Urt Abenteuer auf, mo fie fi 
gerade am lockendſten für ihn darbieten und mo feine 
Sarteianficht nothbürftig vertreten if. Er. fchlägt fich, 
oft Mann gegen Mann, ſcheut Leine Gefahr, fonbern 


fucht fie auf; muthig im Felde, ift er noch muthiger, 
auch offen zu bekennen, wo er fich gefürchtet hat, feibft 


auf die Gefahr bin Lächerlich zu erfcheinen. Das be- 
währt den Muth, den vorzugsweife der Deutfche hat; 
den Romanen und, ich glaube, auch ben Slawen iſt die 
Eigenfchaft fremd, fich felbft zu perfifliren oder gar dem . 
Gelächter preiszugeben, wie unfer Lanzknecht mit fe 
liebenswürdiger Offenheit thut, als er uns feine Flucht 
in geftredtem Galopp vor fünf berittenen Juden erzählt, 
und daß er vor Geiftern nicht immer ganz feft ifl. Wo 
er ericheint, ift er vortrefflich ausgeftattet, an Pferden, 
Kleivungsftüden und Waffen; er ift fogleih in der hoͤ⸗ 
bern Gefellfichaft eingeführt, deren Komfort und anımı- 
thige Seiten er wohl zu fchägen weiß. Diefe Genüffe, 
weder die geiftigen noch die materiellen, koͤnnen ihn aber 
nicht fo feſſeln, daß er fie nicht jeden Augenblid im 
Stich zu laffen bereit ift, mo Ehre und Pflicht rufen, 
oder ein gefährliches Abenteuer zu beftehen iſt. Er ifi 
Ariſtokrat, nicht von Geburt allein, fondern auch von 
Gefinnung, er huldigt den Legitimitätsbegriffen; aber wir 
haben ed darum mit ‚deinem verrofteten Verehrer des 
ci-devant Regime zu tbun, ber jede Falte und jede Trod⸗ 
del der alten befchädigten Vorhänge des Allerheiligſten 
im Feubaliemus erhalten wiffen wollte. Zwar ift er 
mit dem Gedanken noch nicht in die neue Zeit einge 
drungen und fern bavon, die Nothwendigkeit der Fode⸗ 
rungen anzuerkennen, welche immer verbreiteter, immer 
mächtiger hervortreten, aber er bat zu viel unter allen 
Parteien, Nationen und VBerhäftniffen gelebt, um nicht 
inne geworden zu fein, daß man diefen Foderungen ge- 
genüber nicht mehr ben hochmüthigen Ton von. ehedem 
anftimmen darf, daß die tiefen Klüfte Brüden fobern, 
die Leine Partei ohne eigenen Nachtheil zerftören foll. 
Während er die bevorzugten Stände als eine Nothwen⸗ 
digkeit vertheibigt, weil fie nach jedem Umſchwung ber 
Dinge immer wieder, wenn auch in veränderter Geftalt, 
zum Borfchein kommen, während er ‚feine Vorliebe für 
ben Adel nirgend verbirgt, gefteht er doch, daß ihm, 
was wir die bürgerlichen Naturgefühle nennen möchten, 
über allen Glanz Wis, Comfort und die befriedigfe con- 
ventionnelle Eitelkeit in den Salons gehen. Ihm ift moh- 
ler in Paris bei dem Incognitoleben vier Treppen hoch 
in ber Rue de Laharpe, im Umgange mit einer finni« 





158 


gen, feinen und herzlichen Griſette, bei den ländlichen 
Partien mit ihr auf den grünen Wieſen von Saint- 
Germain, als in den diplomatifchen Salons, wo fürft: 
ficher Glanz über illufire Perfonen fich verbreitet, und 
der halb in Paris erzogene deutſche Fuürſt in feinem Ele⸗ 
mente wäre. Roc wohler aber wird ihm, wenn er in 
feinen vaterländifchen Gauen auf die Alpen fleigt, und 
unter den Schneefirnen mit bem fteirifchen Wildfehügen 
die Hand fehüttelt, von feiner Liebe und feinem Haß 
mit ihm plaubert, von feinem Brot und feiner Milk 
it, nächte erſchrickt vor feiner zumeilen mit Menſchenblut 
gefärbten Hand, aber mit Schreden zurüddentt, daß 
eine Stunde unterhalb dem Berge die Eifenbahn aus 
ber wilden Gotteönatur ihn wieder in ein, zwei, drei 
Seunden nach der’ Hauptſtadt zurückzaubert, aus ber 
Zuft der Eisſirnen, aus dem Sonnenlicht, das fie ver⸗ 
geldet, in die parfumirten, von hundert Girandolen ſtrah⸗ 
{enden Ballfäle. 

Sin deutſcher Lanzknecht ift es, der unter ber Ro- 
yeit der Soldateska, ber Grauſamkeit des Bürgerkrieges 
amd des Buſchkrieges unter Barbaren, unter der Dia- 
firtheit der diplomatiſchen Welt fein Gemüt), ein war- 
med Herz, eine feine Beobachtungsgabe, und mehr als 
alles Das, einen Charakter fich bewahrt bat. Gr kennt 
viele Menſchen und Völker, auch, und bejonders, Die 
Frauen, denen er mit ritterlicher Zumeigung ergeben ifl, 
von Serien er aber auch mit füblicher Unbefangenheit ben 
Zoll der Gunſt fobert, ihn gern hinnimmt und es gern 
und offen gefteht, unbelinmmert um bie nordbeutfchen 


Gittengefege. Er dennt auch noch mehr, bie Geſchichte 


feines Baterlandes, dem er mit confervativer Liebe er- 


- geben if. Die Revolutionen, die Bürgerkriege, in der 


wen er doch lebt, verabſcheut er wie ihre Quellen, ohne 
doch unbedingt den Stab über die Geifter zu brechen, 
welche fie bervorriefen aus edelm Drange. Er reflectirt 
gern über die Wege und Irrwege, durch die ber Menſch 
fein Süd auf Erden erfixebt, er ift religiös und hat 
feine finnige und finnliche Freude an dem alten Eathe- 
liſchen Gotteedienſt; er wirft aber auch gelegentliche 
Bude in die Zukunft der Volker und Stanten, wobei 
mancher Lichtfunke aufgeht. 
feine Bekannten buch Geburt, Erziehung; aber ebenſo 
genau kennt und ſchübert er das Voll, er wirft ſogar 
neue Lichter auf manche oft beleuchtete Seiten des pari- 
fer, des franzoͤſiſchen Volkelebens. Die Gamins unb 
GSriſetten, ben parifer Duvrier, die Helden der Straße, 
den ehrbaren nud gemäßigten Epicier, fogar bie reiche 
Bonrgeoifie führt er uns in kurzen, fehlagenben Skizzen 
vor, Durch welche die Kenntniß noch erweitert wirb, bie 
wir aus Paul de Kock fchöpfen. Aber etwas kennt er 
nicht, das Medium zwifchen biefen Ertremen, ben Bonds, 
aus welchem bie Bewegungen ber Zeit hervorgingen, dem 
Stand der Intelligen. Er kennt bie Legitimifien und 
Mepublilaner, die Chonans und Jakobiner, auch bie 
Julihelden in ihrer moderirten Friſur, auch bie Geld⸗ 


maͤchte, die ſich anſcheinend der Herrſchaft bemaͤchtigt ha⸗ 


ben, aber die ftHl werdende, weit hinausſchaffende Doctrin, 


Die Auserwaͤhlten ſind 





der intelligente Mittelſtand ſcheint dem Lanzknechte bei 
allen ſeinen Streifzügen unbekannt geblieben zu ſein. 

Das wirkt denn auch auf ſeinen Charakter als 
Schriftfteller zurüd. Er iſt kein Mann des Studiums, 
fein Stu ift Bein erlernten. Er fchreibt wie er dentt 
und fühlt, wo Stoff und Bedankte ſich begegnen, vor 
trefflih. Wo das nicht ift, ſchwankt er zmifchen zwei 
Ertremen. Hier ift der Stil zu voll und breit in Dar- 
ftelungen, über die ein gelernter Schriftfteller leicht hin⸗ 
wegginge; doch das iſt nur ber feltene Fall, der Berf. 
tiebt eigentlich die Kürze. Auf der andern Seite will 
er künſtlich fchreiben, verfällt aber in die Krankheit an- 
derer Schriftfeller aus der Dautevolde, die wir die flilt- 
ftifhe Eavalierperfpective nennen möchten, und von ber 
die fehreibenden Gavaliere keinen Begriff Haben, wie wi- 
derwärtig, ja gemein fie unferm aͤſthetiſchen Gefühle 
flingt. Diefes wigig fein follende Genengfel von Fetzen, 
Lumpen, Phraſen, Franzöfifh und Deutſch, bie in der 
intimern Salenumterhaltung noch für geiftreich gelten 
mögen, für und Undere wie wahres Gebraͤu bes linge- 
ſchmacks, der Art, dag wir ſelbſt auf dem Theater nicht 
mehr darüber Sachen fönnen, find fo kraͤftig und fdhla- 
gend bei Gelegenheit der Pückler'ſchen Schriften vom 
Immermann abgefertigt worden, daß wir nicht begreifen, 
wie noch ein Cavalier damit ich bei der Lefewelt inft- 
nniren zu können vermeint. Iſt boch auch in einer h6⸗ 
bern Sphäre der Sean Paul'ſche geſchraubte Stil un⸗ 
ter den Deutfchen gänzlich abgethan. ben wie das 
Gezwickte und Gefchraubte einer Bergangenheit angehört, - 
fo alle? Bombaftige, auch wo der Gedanke fich hebt; 
und doch glaubt unfer Lanzknecht, wenn er in Gedanken 
ſich ergeht, welche die Darfielung eines Factums ein⸗ 
leiten follen, einen ſolchen Stelzenanfag nehnen zu me 
fen, wofür ihm NRiemand dankt. Doc, wie gejagt, dies 
find nur Auswüchfe, Früchte mühfeligen Studiums, wel⸗ 
ches er ſich felbft Hätte erlaffen tönnen. Wo der in⸗ 
sereffante Stoff ihn ganz ergreift, voo der Gedanke ein⸗ 
fach und natürlich von felbft kommt, fchreibt er auch 
einfach und reißt die Leſer mit fich fort; ja im einzelnen 
Darftelungen iſt ber Stil, bie wieneriſchen Iiotismen 
abgerechnet, meifterhafk. | 

Der Shauplag fliegt Hin und her, wie in einer Ka⸗ 
terna magica wechſeln bie Bilder; aber das fei fein Ta⸗ 
dei, man folgt dem Berf. gern in feinen Sprüngen. Es 
ſcheint wirklich ein Tagebuch geweſen zu fein, was aber 
ſehr ſtark geweſen fein muß. Beim Überleſen bat ber 
Lanzknecht geſtrichen, und viel geſtrichen, entweder was 
im nicht mehr gefiel, ober was er fin das Pubfcum 
nicht geeignet hielt; fo find denn oft, ganze Geiten hin⸗ 
durch, nur thapfobifche Brocken geblieben, Darunter aber, 
neben Spreu, zumellen toflbare Perlen. Hinwieberun 
Hat er, als er an ben Drud bachte, nachträglich einzelne 
Skizzen, die Ihm befonders gefielen, zu großen Bildern 
ausgearbeitet und aus einzelnen Zügen volffiänbige No⸗ 
vellen gemadt. Ob alles Das wirklich ericht ift, be⸗ 
zweifeln wir. Das ſchadet aber nichts, die Srundzuge 
find wahr, und bie Rovellen in ber Mehrzahl intereffant. 


— — — — — — —— —— ——— — — —— ç eç e c— — — — — —— — — 


Bahin rechnen wir Die Nevelle von ber hüibſchen Keine 
Ianderin, bie fo höchſt einfache, aber vortreffliche unga⸗ 
tifche Erzählung „Haburek“, in weicher uns bie Step⸗ 
yen Ungarns mit ihrer Poeſie und Barbarei und ihre 
wilden, freien Raͤuber mit ungemeiner Lebendigkeit ins 
Ange treten. Manche hoͤchſt gewöhnliche Garnifonsanel- 
bote, manches Wifchimafchi, mas füglic; hätte fortbleiben 
Können, ift freilich unter diefen Papierfchnigelt mit zum 
Abdruck gekommen. Unter ben Freunden des Lanzknechts 
wird es auch feine dankbaren Lefer finden. Dafür ent- 
ſchaͤdigen uns felche koͤrnige Bilder wie bie vom Duell 
in Marfeille, dem eine humoriſtiſche pariſer Duellge- 
fhichte zur Ausgleihung für den grauenhaften Eindrud, 
weichen jenes Bilb hervorgerufen, beigefügt ifl. In bei- 
den zeigt fich die intenfive Stärke des Verf., den fran- 
zoͤſiſchen Nationalcharakter zu fhildern. Irren wir nicht, 
ſo laſen wir ſchon ſeiner —* in den öffentlichen Blaͤt⸗ 
tern von jenem franzöfıifhen Seemann, ber mit uner- 
bittliher Graufamkeit als Duellant die Unbil an ben 
Liberalen räcte, weiche in der erſten RNevolutionszeit 
durch die Jakobiner ihm zugefügt worden. Es iſt das 
Bild einer Gemüthsverhärtung, die das Haar zu Berge 
fleigen madıt, um fo gräßlicher, als dabei die Religion 
mitfpielen muß and ſolchen Verfechter von Thron und 
Altar vor ſich ſelbſt gerechtfertigt erfcheinen läßt. Unſer 
legitimiſtiſcher Lanzknecht Tann, feiner politifchen Incli⸗ 
nationen ungeachtet, das beutfche Gemüth Doch nicht ver- 
leugnen; auch er ſchaudert trog des Frühſtücks, das er 
mit ihm einnehmen muß, über den kaltherzigen Mörder, 
der mit völliger Seelenruhe ben bluftriefenden Degen 
abwifcht, und zwiſchen den Zähnen murmelt: „Das war 
nun ber fiebzehnte.” Der junge, hübfche, harmloſe Menſch 
hatte ihm nichts gethan als daß er das Julikreuz trug 
und eine Freiheitshymne gefungen. Eine Seelenmefie 
läßt er für feine Opfer lefen, aber nicht ſowol feiner 
Seele wegen, als, um feinem Freund, dem Abbe, einige 
Francs zu verdienen zu geben. In diefem Bilbe iſt 
gewiß nichts erfunden, es iſt der chenalereste Altfranzoſe, 
wit politiſchem Grimm und füdfranzöfifher Grauſamkeit 
ausgeftattet. Wenn aber Viele, ihm ähnlich, unter ber 
Reftaurationsperiode im mittäglichen Frankreich fo gegen 
die Liberalen und Reformirten gewüchet haben, darf 
man fih da wundern, daß auf der andern Seite bie 
Wuth auch zu Erceffen gefteigert wurde? Nur über die 
Mäfigung ber Juliſieger dasf man fih wundern. Der 
Lanzknecht macht fih in feinem zweiten Duellbilde dar⸗ 
über Iuflig. Der Sergeantmajor der Nationafgarbe, fein 
Rival bei der hübſchen Schaufpielerin, wird zum Hüh- 
netaugenoperateur, den feine Nachbarn zum Offizier ge- 
wählt, feiner — gemäßigten Sefinnungen wegen. Welche 
Intereffanten Züge, welche lehrreichen Beobachtungen da⸗ 
gegen über den franzoͤſiſchen Charakter in Bezug auf 
das Ehrgefühl. Auch einen Julihelden, ber fih rühm 
zwei Gardiſten erfchoffen zu haben, ohrfeigt ein Gardiſt, 
ſchlaͤgt ſich wit ihm und erſticht ihn. Iſt's ein Legiti- 
miſt? Nichte davon, er ift nicht Noyalift, nicht Republi⸗ 
Taner, nicht Senftitutionneller, er ift von Religion und 


Farbe nichts als Gardiſt, gleichoiel ob Gouſulargarbdiſt, 
kaiſerlicher oder koniglicher Gardiſt, aber als ſolcher kann 
er es nicht ertragen, daß ein Ladendiener ſich ruͤhmen 
darf, einen Gardiſten erſchoſſen zu haben. Von dieſem 
feltfamen Ehrgefühl unter den Soldaten führt der Lanz⸗ 
knecht mehre charakteriſtiſche Züge am. Jener öfteeicht- 
ſche Huſar bei Roßbach, der ſich vom preußiſchen erbit⸗ 
ten ließ: „Bruder Deutſcher, laß mich erſt den Franzoſen 
tobt machen”, hat body noch eine nationale Bedeutung; 
aber ber esprit de corps bat fi in ‚ben Kriegen oft 
weit merkwärdiger manifeflirt. Feindliche Hufaren auf 
den Worpoften zufammen trinken zu fehen ift nichts Un- 
gemöhnfiches; aber daß fie, als Hufaren, Partei nehmen 
gegen andere Zruppencorps, aus Kaftengeift Freund und 
Feind zufammen, das iſt ein Ding, welches dem Pſy⸗ 
chologen Manches zu rathen aufgibt und’ dem Philan- 
thropen und Kosmopoliten: ein Stein fein bürfte, in fei- 
nen Weg geworfen. Der Lanzknecht bat noch eine an» 
bere Gigenfchaft der Franzoſen entbedt. Es ift die Luft, 
ber Kigel, im Pulverdampf mitzufmallen, der weit hef- 
tiger und unwiderſtehlicher auf fie wirft als pofitifcher 
Haß und religiöfer Fanatismus. Es trieb In den Juli⸗ 
tagen Viele ins Getümmel, bie, gar feine politifche Mei⸗ 
nung hatten, aber fie mußten mit barauf los. Ein jun⸗ 
ger Mann ſchoß fehr ungeſchickt mit feiner guten Flinte 
auf die Soldaten. Da entreift ihm ein ehemaliger Na- 
poleonifcher Soldat das Gewehr, legt an, zielt, und ber 
Anführer dev Gavalerie flürzt vom Pferde. Der Grau⸗ 
kopf gibt dem jungen Mann bie Flinte zurüd: „So, 
mein Herr, muß man zielen, übrigens kümmert mich bie 
Sache nicht und ih bin auch nicht von Ihrer Partei.’ 
Er Hatte nur einen Probefhuf gethan. In London 
trifft der Lanzknecht einen alten Chouan, bem es wohl 
geht, der ſich aber doch überreden laͤßt, wieder zu einem 
vorbereiteten Aufftande überzufchiffen. Weshalb? Cr ift 
nicht Regitimift, nicht Fanatiker für Thron und Witar, 
Nepublik und Conſtitution find ihm gleichgültige Dinge 
geworben, aber er hat wieder Luſt einmal auf bie Blauen 
zu ſchießen. Das find Züge, bie ein Volt davakterifi- 
zen, und die nicht jeder Lanzknecht aufgreift. Ahnliche 
Züge liefert er aus Spanien. Im meuchelmörberifchen 
Zweikampf ift der Geliebte zmeier Mädchen erflochen 
worden. &ie ſchwoͤren blutige, ewige Rache. Da er 
ſcheint der @scribano mit den &erichtödienern, aber von 
den hundert Zeugen bed Kampfes will Niemand etwas 
Beſtimmtes gefehen haben, Niemand wiffen, wohin bes 
Mörder entfliehen if. Auch — beide Maͤdchen nid. 
Auf die Frage des vermunderten Fremden erwidern fie 
mit Entrüftung: „Haltet ihr un für fo verworfene Per⸗ 
fonen, den Mörder dem Gericht anzugeben? Er wird 
feine Strafe empfangen, aber pfui, wer die Gerichte 
darum amsiefe!” 


(Der Beſchluß folgt.) 





— — .... 


160 


Aus der Kanzlei in Oſtreich. Leipzig, Grunow. 1045. | 
193. 10 Rgr. 


Seit einigen Jahren, ungefähr ſeitdem die liberale Par⸗ | 
tei in Deutfchland zur Überzeugung gelangt zu fein glaubte, 
daß die dermalige Regierung in Preußen Die auf fie gefegten 
Hoffnungen nicht erfüllen werde, und feitbem man bemerkte, 
daß die öftreichifhe dem Kortfchritte in ber Wermehrung ber 
materiellen Güter der Geſellſchaft nach den Anſichten der Ge» 

enwart nicht abhold blieb, ja fogar für eine großartige Dar: 
ellung von Gifenbahnen bedeutende Koften verausgabte, be 
handelt die Preffe die Möglichkeiten eined Fortſchritts jenes 
ifolirten Staatenfpftems auch in den Foderungen bed Geiſtes 
auf eine lebhafte und andauernde Weile. Es find befonders 
zwei Punkte, welche hervorgehoben werden: Erhebung des Un: 
terrichtS und der Beamten. Es ift darüber in Sournalen, 
geitfchriften, Neifebefchreibungen eine Mafle von allgemeinen 
Hathichlägen, gegeben, nicht minder von Flugſchriften erichie 
nen. Aus Öftkeich felbft erwähnen wir bejonders das Geſuch 
der Schriftiteller um Minderung ded Preßzwangs. 

Der Ort aber, wo jene Rathſchläge und die Form, in 
welcher fie erfchienen, läßt zum voraus fließen, daß eine um: 
faffende Behandlung der Frage nicht wol gegeben worden. Es 
iſt eine Modefaches die Redactoren fehen dergleichen Artikel 
fehr gern, und mit wenigen Stichworten ift fehr bald ein 
recht bübfcher gemacht. Es ift zudem ein reichhaltiges Feld; 
man darf nur mit der Hand darüber binftreifen, um die Abs 
ren abaufchlagen. 

Die Leichtigkeit dieſes Verfahrens, die Gewißheit, daß der 
Mode gefällig zu fein ein Buchhändler wol ſich finden werde, 
mußte begreiflicherweife viele Inlander, die in den Berhältnif: 
fen leben, anreizen, davon etwas zu fchreiben. Etwanige Bor: 
gefegte erfahren ja nicht; man hat es ganz bequem, nad) wie 
vor fi im Stillen an der Brühe zu fättigen, die man öffent- 
lich für das fürchterlichite Gebein ausfchreit. Bon dem Ehren: 
punkte, unter folchen Umftänden frei heraus zu treten, willen 
folche Reute nichts. Dadurch erhält aber einestheils unfere 
politifhe Literatur einen maßlofen Zuwachs von trivialen 
Klatfch-Flugfchriften, wie fie ihn bereits in den Correſpondenz⸗ 
artikeln der Tagesſchriften in einem ungebeuern, bei Feinem 
Volke der Erde bemerkbarern Grade täglich und ſtuͤndlich auf 
fi) eindringen ſieht; anderntheild wird der Geſchmack des Yubli- 
cums durchaus verdorben, und endlid derjenigen Schriftftel: 
lern ihre Weg erfchwert, durch welchen fie aud die politifche 
Freiheit der Nation auf das Wiſſen und das demfelben ent: 
fpringende Gefühl begründen wollen; und unglüdlicherweife: 
die Zagesfchriften, welche auf diefem Wege anfcheinend vor: 
waͤrts ftreben, find in den traurigften Haͤnden. 

Diefe einleitenden Betrachtungen follen dazu dienen, bar: 
auf hinzumeifen,, daß ber vorliegende Bericht auß der Kanzlei 
nichts Beſſeres ift als etwas von jenen anonpmen Klatfihereien, 
die nur ein einziges gewiffes reelles Refultat haben. j 

Der Berf. tifcht nichts weiter als die alten Klagen über 
den Unterricht und die Schlechtigkeit des Beamtenweſens auf, 
mit Gefchichten verbrämt, die den Gaumen reizen, alfo ihren 
Leſerkreis finden werden. 

Daß der Verf. wirklich nicht nur in der Kanzlei ift, ſon⸗ 





dern auch durch feine literarifche Production darın geblieben 


ift, beweilen die Kleider feiner Gedanken, fein Stil. Er ift 
durchgängig Tozufagen anklebend und nur triehend; 3. B.: 
„Denn es ijt denn doch lächerlih, wenn ein Kreiscommiflair 
Klagen mit Dem von ſich weifet, daß er u. f. w.“, oder: „Wie 
wiberfinnig muß es einem Unbefangenen doch fheinen, wenn er 
bört, daß bei einer und derfelben Behörde zwifchen dem Ein: 
zelnen über Recht oder Pflicht der Übernahme einer Arbeit 
felbft ſchon heftig geftritten wird, wo der Referent U fagt: 
die Sache gehört nicht mir zu, fondern dem B, diefer halt 
entgegen eine Abhandlung u. f. w.“ Es könnten noch 


mehr fo Proben gegeben werben, wenn man nur wüßte 
ob ed auch Nutzen brädhte. 

Den Inhalt näher anlangend, fo hat fi der Berf. ſelbſt 
nicht enthalten koͤnnen mehrfach anzuerfennen, daß die Re⸗ 
form vorfchreitet, wenn auch langfam. Er fagt felbft, daB 
manches Beraltete efchafft worden, und boch hat er 
mebrfach auch über dieſes Bergangene luſtig gemacht, Ift das 
Liebe zur Sache, oder zum Vaterlande? Oh, warn wird man 
Fi endlich anfangen einzufehen, daß 38 für die Freiheit die 
Liebe Das fchaffende Element ift; das Gefühl, weiches von dem 
Willen, dem immerlien Holen bes Beſondern oder Falſchen, 
welche uns wehe thut, nach der Idee fehnfüchtig ſchaut, und 
das Gtehende in eine fließende Melodie der Seit zu —— 
ſtrebt. Das freie, große und ſchoͤne Leben iſt lediglich eir 
Entaͤußerung, ein Fortſchwingen des Gemüths, welches feinen 
Ton vom Himmel hat. 

Dieſe Principien waren einſt anerkannt in Deutſchland, 
als Schiller, Herder, Klopſtock die Sänger der Humanität und 
der deutfehen Freiheit und Größe waren. Jetzt, den Kryſtall 
zerbrochen, liebt man es fich mit den Scherben ter Pug: und 
Modeſucht und der blinden Neugierde zu behängen, und, wie 
wir fchon bemerkt, die e& beſſern wollen, fahren mit einem 
plumpen Yrügel darein, den fie ein ariftoßratifches Ritterſchwert 
— oder werfen aus der Ferne mit officiellen Schleudern 

inüber. 

Die vorliegende Schrift hat uns nur zu dieſen flüchtigen 
Bemerkungen über einen Auswuchs unferer politiſchen Litera⸗ 
tur Veranlaffung geben koͤnnen, weil fie leider die Krankheit 
vermehrt und nach ihr noch unzählige Diefelbe gleichfalls ver: 
mebren werden; im Übrigen ift fie ganı werthlos. 


3. Marauarb. 





Literarifhe Notizen. 


Ein weibliher Rouffeau. 


Die befannte Schriftftellerin Mrs. Loudon hat eine Er: 
ziehungsfchrift herausgegeben: „The light of mental science, 
‘being on essay on moral training”, die ven dem fehr ge⸗ 
funden Srundfage ausgeht, daß die Gefege der Natur un- 
fehlbar find und daß ſich die Kenntniß und Beobachtung ber: 
felben für die Erziehung, aͤußerſt wohlthätig und nüglich erwei⸗ 
fen muß. ine ihrer Außerungen, daß „Unwiffenheit aufhört 
kein Vergehen zu fein, wenn Zeit und Gelegenheit Kenntnifie 
zu Handen des Einzelweſens geftelt haben”, enthält eine 
Berurtheilung für das ganze lichticheue und daͤmmerungsfüch⸗ 
tige Eulengeliglecht auf Burgen und in Kloftermauern, Daß, 
zu träge oder J neidiſch von den zu Gebote ſtehenden Mitteln 
der Wiſſenſchaft und Bildung Gebrauch zu machen, Alles auf: 
bietet, dieſe Schäge der Menge vorzuenthalten. 


Die Weisheit Guicciardini's. 

Diefer berühmte italienifche Gefchichtfchreiber bemerkt ir: 
gendwo: „Ein Fürjt, ber zur Verſchwendung geneigt ift, wird 
ohne Zweifel mehr geliebt als einer, dem man Geiz vorwirft: 
aber es follte gerade das Gegentheil flattfinden. Denn ein ver- 
ſchwenderiſcher Fürft ficht ib zu Erprefiungen und gewaltthä⸗ 
tigen Handlungen in Bezug oe Eigenthums Anderer veran: 
laßt, während der Fniderige Machthaber Niemanden beraubt; 
auch find Derer, welche von den Unterdrüdungsgelüften eines 
Verſchwenders betroffen werden, weit mehr an Anzahl als 
bie aus feiner Freigebigkeit Rugen ziehen. Nach meiner An⸗ 
ficht ift Deshalb zu folgern, daß, da die Hoffnung eine größere 
Gewalt über die Menfchen ausubt als die Furcht, die Anzahl 
Derer, weldhe Wohlthaten von ihm zu erlangen hoffen, größer 
fein wird als Die Anzahl Derer, die durch ihn bedruckt zu wer 
den fürchten.” 12. 


Verantwortlicher Herausgeber: Seinrich Brodpand. — Drud und Verlag von F. X. Wrodhans in Leipzig, 





Blätter 


für 


literarifbe Unterhaltung. 


Dienftag, 


m — 


Aus dem Wanderbuche 'eined verabfchiedeten Lanz» 
knechts. Vier heile. 

(Beſchluß aus Nr. 4.) i 

Die beiden Hauptftüde diefes Wanderbuchs find die 
Abſchnitte über den Feldzug in Algier und den in den 
Amascoas unter den Farliftifhen Banden. Der Legi- 
timift Tann in Algier natürlih nur unter dem Erobe⸗ 
rungsheer der Bourbonen dienen. Er landet, ale das 
franzöfifche Heer noch vor der Stadt campirt. Über bie 
Eroberung Algiers erfahren wir wenig, und das eigent- 
lich Intereffante diefes Abfchnitts ift nur der erfte Ritt, 
die Promenade nad Belida unter Bourmont und ber 
unglückliche Rüdzug nah Algier. Hier ift aber Alles 
Leben, Plaſtik, Anfchaulichkeit, Wahrheit. Wir lernen 
was der Krieg mit den Bebuinen ifl. Wie der Orient 
immer berfelbe bleibt, bat fich auch in den 15 Jahren 
in ber Kriegführung wenig geändert, außer, daß die 
Franzofen klüger und vorfichtiger, und die Araber und 
Kabylen unter Abd⸗el⸗Kader geſchickter operirende Sol⸗ 
daten geworden find. An Grauſamkeiten, an Gefähr⸗ 
lichkeit und Liften ift es heute wie damals. Mann friegt 
gegen Mann, nicht der Br fondern der Berfchla- 
gendfie fiegt. Wer aus dem Zuge zurüdbleibt ift ver- 
loren. Der Lanzknecht findet greulich verflümmelte Lei⸗ 
ber, Unglüdliche, die fich verfpätet, an Bäumen hängend, 
die Köpfe zwifchen ihren Beinen, ein Weib darunter mit 
aufgefchligtem Buche. Ihm felbft droht ein ähnliches 
Schickſal. Wir zittern im Lefen für ihn, als bei der 
Flucht vor den Kabylen der Bauchriemen unter feinem 
Dferde reift und der Sattel zu ſchwanken anfängt. Nie 
mand will mit ihm halten und den Sattel wieder be- 
feftigen! Dafür fehen wir auch Scenen furchtbarer Ber- 
geltung:: einen gefangenen Araber mit-den Armen an 
den Schweif eines Chaffeurpferdes gebunden. Im An- 
fang läuft der Unglückliche mit, endlich läßt er fich, fei- 
nem Schickſal ſich ergebend, mit fortfchleifen, fodaß der 
Chaſſeur feibft gerührt wird und den Offizier fragt, ob 
er mit der Lanze die Qualen des Armen enden bürfe. 
Der Offizier übernimmt es, und zerfchmettert mit feiner 
Piſtole, an das Ohr des Befangenen gelegt, den Kopf 
deſſelben. Denfelben Offizier fieht der Lanzknecht fpä- 
ter in einem parifer Salon, wie die Rofenfinger einer 


A Nr. 41, ö 





10. Februar 1846. 


— — — 


Ebene Metidja mit dem Hirn des Arabers beſprutt ſah! 
Auch hier reihe Züge aus dem franzöfifhen National⸗ 
charakter. Der Lanztnecht ftille die Wuth eines ergrimm- 
ten Sergeanten, der feinen Gefangenen ermorden will, 
indem er feine Rationaleitelkeit anftachelt: ein Krieger 
ber Civiliſation darf fih nicht auf eine Stufe ftellen 
mit einem Gefchöpfe, das dem XThiere nahe fleht, an ei- 
ner Beſtie darf ein Soldat des 37. Regiments keine 
Rache nehmen! Und der Krieger der Eivilifation ges 
horcht. Dann die Rückkehr zu Schiff, die Nachricht von 
der Julirevolution auf dem Waffer, die der Verände⸗ 
rung zujauchzende Bemannung, und ber loyale Com- 
mandeur, deffen Herz felbft aufjubelt beim Anblid der 
drei Farben, dennoch aber, ſich felbft bezwingend, die Li- 
lienflagge wehen läßt, bis er officielle Befehle von der 
neuen Regierung erhalten habe. 

Nah Spanien, in das Heer, des Don Carlos, treibt 
den Lanzknecht geftändlich der Überdruß an der Fülle von 
Unthätigfeit und Frieden. Wir mögen meinen, daß es 
noch andere Motive gewefen, die er jegt zu verfchweigen 
für dienlih findet. Er bat nicht gefunden, was er er- 
wartete. Dies gefteht er zwar nicht ein, es ift aber 
deutlich zwiſchen den Zeilen zu lefen. Zwar fehlt es 
nicht an tönenden Worten und pradtvollen Schilderun- 
gen von der Iöyalen Hingebung diefer getreuen Käm⸗ 
pfer für Thron und Altar, wie fie ihr Alles der Idee 
opfern für bie fie fechten, wie herrlich, toloffal alle 
diefe Männer find, die Eguia, Maroto, Merino, Ga- 
brera, Balmafeda u. f. w., aber den Worten und Scil- 
derungen merft man an, baf gerade diefer Auffag erft 
lange nachher gefchrieben ift, nachdem der Verf. unter 
ihnen gelebt hat. Auch der König (Don Carlos) und 
feine fchöne, herrliche Gemahlin (die Prinzeffin von Beira) 
werben mit einigen (dem fpanifchen Hofftil abgelernten) 
Floskeln belobt; damit aber hat es fein Bewenden. Man 
fann ſich bed Gedankens nicht erwehren, daß fie nur ge⸗ 
fhrieben find, weil möglicherweife das gedrudte Buch 
diefen hohen Herrfchaften in die Hände fallen Fönnte. 
Märe der Verf. wirflih von Don Carlos’ Löniglicher 
Derfönlichkeit bezaubert worden, hätte er fich anders dar⸗ 
über ausgelaffen. Er, ift zu gefunden Sinnes, um fich 
von einer politifchen Überzeugung zu folder Unmahrbeit 


fhönen Dame in der Hand fpielen, welche er auf der | Hinreißen zu laffen. Überhaupt ift der biplomatifche Cha⸗ 


rakter gerade biefes Abſchnitts auch in anderer Bezie⸗ 
hung augenfälig. Zür Ref. entfpringt aus der Dar- 
Stellung allerdings auch ein fehr Bares Bild, weldes 
aber in feinen Effecten Dem, welches der Verf. in fei- 
nen Worten liefert, ſchnurſtracks entgegen ift: eine Sache, 
die Beinen Anhang im Lande ſelbſt hat, vertreten durch 
eine fürflliche Perföntichkeit, die ihr nur ſchadet, unter: 
ftügt durch zügellofe Banden, die zufolge des fpanifchen 
Charakters und der zerrütteten DBerhältniffe überall ge: 
gen die gefegliche Ordnung dort auftreten, durch einige 
‚ Bühne, talentvolle, tapfere Chefs gehalten, mehr noch 
durch Beldunterflügungen aus der Fremde, und accom⸗ 
pagnirt dur eine Zahl vornehmer, zum Theil illuſtrer 
Aventuriers, welche aus Fouqué und Walter Scott die 
Regitimitätäbegriffe erlernt haben und begierig find in 
der ritterlihen Treue einige Studien zu machen, von 
den eingeborenen Spaniern aber dafür gehaßt und ver- 
achtet werden, weil diefe praktiſch genug find zu wiſſen, 
dag es fich hier um ganz andere Dinge handelt ale den 
Kampf um ein Princip. Zufällig kennt Ref. einige die- 
fer Legitimitätshelden aus dem farliftifchen Deere, und 
Tann verfichern, daß ihm die pathetifchen Epitheta, wel- 
che der Lanzknecht ihnen gibt, manchmal ein kleines 2ä- 
dein entlodten. Diefe Palatine der Regitimität mußten 
fo ziemlich Alle, was fie dort fuchten, und hätte‘ Die 
legtere keine uneigennügigern Ritter, fo flände «6 mit 
ihr in Europa ſchlimmer als es fchon der Kal ift. 
Aber in den Zeilen bes Lanzknechts ift auf diefer Seite 
Alles herrlich, edel, talentvoll, groß; inbegriffen den Ba- 
ron dos Balles, deffen Muth und anderweitigen Talen⸗ 
ten wir alle Gerechtigkeit widerfahren laffen wollen, bef- 
fen joviale Perſoönlichkeit indeß weder ben: Begriffen von 
einem Roland und Cid noch benen eines Diplomaten 
in unferm Sinne entfpriht. Weil es auf der andern 
Seite faul ausfah, was gern eingeräumt fei, erfcheint 
die dieffeitige Fäulniß darum nit als Friſche. Der 
Erfolg hat es gelehrt. Nur eim gefundes Element war 
bier, das Volt der Basken, welches durch trogige Be⸗ 
ſchraͤnktheit der einfeitigen Anfichten drüben in feinem 
Heiligthum verdienter Selbftändigkeit und Freiheit an- 
gegriffen, gezwungen war, feine Sache mit ber des Prä- 
tendenten zu vereinigen. Was der Lanzknecht über bie 
Basten ſagt ift Wahrheit; wir folgen ihm gern, und 
hätten lieber noch mehr von ihm gehört. Übrigens 
ift auch diefer Abfchnitt in den Details reich an In- 
texeffe und lehrreichen Mittheilungen. Die Unmenfd- 
lichkeit dieſes Bürgerkriegs, wie er von beiden Seiten 
geführt wird, ift echt fpanifh. Mord um Mord, Grau⸗ 
ſamkeit um Grauſamkeit; eine Partei gibt der andern 
nah. Maroto, der altblütigfte aller Menſchenſchlaͤchter; 
feine Zähne beim Mittagstiſch ftochernd, läßt er auf ei- 
nen Wink mit der Hand fufiliren. Wo noch die Erde 
vom Blute raucht, wo faum ber Leichnam eingefcharrt 
worden, tanzen Soldaten und Mädchen. Am unglüd- 
lichſten die Neutralen, befonders die Ortsobrigkeiten; 
von den Karliften werben fie erfchoffen wenn fie Chri⸗ 
ſtinos, von ben Chriftinos wenn fie Karliften beherbergt 


haben. Wie noch Jemand dort fi zu einer Obrigkeit 
bergab! Der Lanzknecht ift plöglih aus Spanien eklip⸗ 
firt, ehe 08 losgegangen. Warum, fagt er uns nicht. 
Gewiß nicht aus Furcht. Wir meinen, meil er bei feinem 
gefunden, deutſchen, vernünftigen Charakter Das erkannt 
bat, was auszuſprechen Rüdfichten ihm verbieten. 

Unfer Maß ift gemeffen und es ift vol. &onft fprä- 
hen wir fo gern noch von Bielem, 3. B. von feiner 
geiftreihen Anficht über den Staat Preußen, wo man, 
zulegt von Allem, auch ein Volk erfchaffen; auch wür- 
den wir ihm Antwort geben auf feine Frage: weshalb 
die deutſche Spießbürgerlichkeit noch immer mit XTheil- 
nahme den Iffland’fchen Meifterftuden zufieht, wo die 
vornehmen Leute immer Schufte, bie Niedern Tugend⸗ 
beiden find, da doch, nad des Verf. Anficht „diefe Be⸗ 
drängniffe ber Bourgesifie längft befeitigt waren”. (War- 
um fieht man in Berlin und anderwärts die „Antigone” 
mit wahrhafter Theilnahme und tiefer Rührung, da es 
doch feiner Schwefter jest mehr vermehrt ift, ihren Bru⸗ 
der zu begraben?) Doc, wir müffen ſchließen, und ſchließ⸗ 
lich fagen wir, daß es, obwol wir nicht überall mit ihm 
einverftanden find, mit Achtung für den Verf. gefchicht. 
Eine Savalierperfpective ift es, aber keine aus einer fri⸗ 
volen Höhe. Es fließt Blut in ihm, das wir für unfer 
Blut erfennen mögen. 7. 





Ein Stud aus Goethe'8 Leben, zum Verſtändniß ein« 
zeiner Werke deffelden. Bon B. R. Abeken. Ber- 
lin, Nicolai. 1845. 8. 15 Ngr. 


Indem wir died Büchlein eines alten geliebten Freundes 
und literarifhen Mitbruders in geiftigen Tugenderinnerungen 
zue Hand nehmen, daffelbe, vielleicht allzu Tpät, aber mit im⸗ 
mer warmem Herzensantheile freundlichen Leſern zu empfehlen, 
bewegen und die Schauer der Vergangenheit aus jenen heili⸗ 
gen Eichen, über die Goethe das Friedenswort rief: 


Spüreft du 

Kaum einen Hauch; 

Die Bögelein ſchweigen im Walde. 
Warte nur, balde 

Ruheſt du auch. 


Wol ruht er nun ſchon ſchier anderthalb Decennien, was 
der große Römer Tacitus ald einen „mächtigen Zeitraum fer» 
lihen Dafeins” bezeichnet, neben feinem fürftliden Lebens: 
genoffen, ben er unter jenen nämliden Wipfeln mit dem Liede 

egrüßte, deflen finnige Erläuterung den Hauptgegenfland Dies 
ſes Büchleins bildet. Es ift das Deburtötagsgerißt auf — 
zog Karl Auguſt, überfchrieben „Iimenau am 3. Sept. 1784 
Wie viel geliebte Schatten fteigen auf in der Betrachtung Def: 
fen, der noch die Abendröthe jener unvergleichbaren und uner- 
meßbaren Weltzeit gefehen, wo Diefe erhabenen &eftalten als 
frifchblühende, jünglingshafte Männer fi gegenüber fländen, 
Karl Auguft fein 26. Jahr foeben, Goethe fein 34. um fünf 
Zage zuvor abfchließend! Blicken wir in das Waldesgrün, in 
das Wipfelfäufeln, in das Zannendidiht, laufhen in den mun⸗ 
tern Vogelgefang jenes in dem befagten Gedichte gefeierten Ta⸗ 
ges hinein; und wenden uns dann aus diefer poetiichen Gamera 
obſcura zurüd in die Iegtwelt und das (Betümmel des Tages 
— 0 Himmel! welche fchneidende Bugluft weht dann die dort 


— —— — — — 








163 


im Mufenhoine, an dem Sonnenſtrahl jugendfriſcher Dichters 
begeifterung, am melodifhen Geräufche der Wafferfälle gelabte 
und gebähete Bruft an! Die Poeſie iſt aus den Menfchen 
heraus in die Zeit, in die Gefchäfte, in die Ereigniffe gezogen: 
aber eine Poeſie der Zeit, des geiftigen Drängens und Gaͤh⸗ 
rend, des Emportreibens und Abrundend der Lebendformen 
läͤßt fih in Peiner Fünftlerifch zufammenhaltenden und einen 
ruhigen, finnvollen, frohherzigen Betrachtungsgenuß vermit- 
telnden Rahmen faflen ; man ift felbft nur gährendes, treiben: 
des, nad Geftaltung ringendes Element; dad Haupt und der 
Geiſt ift vol gunder, voller Brennftoff, voller Plane: aber 
das Herz bleibt leer und fehnt fidh vergeblich nach einer ftillen 
Stunde, die alten, liebevollen, goldenen Erinnerungen einch 
beglüdtern Geſchlechts, einer genügfamern Epoche, eines be 
fchranftern, aber vom Zauber ded Schönen wonnefelig durch⸗ 
leuchteten Zuftandes wieder zu beleben. Es war eine monardjifche 
Zeit, eine Seit großgegliederter, eindrucksvoller, plaſtiſch vor 
Die Scele tretender Perfönlichkeiten; man ftgunte hinan, aber 
man fühlte fich erquidt und erhoben an dem Glanze und Werthe 
fo vieler Majeſtät; ed waren Eharaftere, Peine bloßen Figu⸗ 
ranten, Peine Rummern, Feine gleichgültigen Zeichen, die nach 
Willkür die nächfte befte mathematifche Größe in der ungeheuern 
Abrechnung des Sol und Habens der focialen Realitäten be: 
deuten müflen! D cd mag ein großer Moment fein in bem 
wir Ichen, aber ein herzerfreuender, gemüthucher Moment 
ift es nicht. Das Große fleigt und nicht mehr in ber edlen 
Menfhengeitalt aus himmliſchen Höhen hernieder; es ericheint 
in Ziffern, in Berhältniffen, in Maſchinen. Es ift die Demo: 
kratie der Weltentwidielung, das Zeitalter des NRadicalismus, 
wir leiden Beine Individualitäten mehr, wir nivelliren die Er: 
habenheiten, damit im großartigen Republifanertroge des Ge: 
fammtfortf—hritts Ale frei, aber auch Ale gleich werben. 
Zürnt mir nicht: auch in meiner Bruft ift der Pansruf er- 
Pungen, der im Walde Arfia verkündete: „Der Sieg ift euer!" 
auch ich freue mich des neuen, flolgen, fämpfenden Lebens, ich 
kaͤmpfe mit, ih bin bereit zu fallen, ich bin ein Sohn meined 
Bolfes und will Peinen Ruhm als zu ihm u ftehen, ihm zu 
eignen mit Allem, was in mir bebt und glüht, feiner Sache 
und Fahne anzugehören, der übel angefehenen, verleumdeten, 
verhaßten Sache und Fahne: — aber mit Ehrfurdt und Weh⸗ 
muth denke id) jener noch unerjchütterten und ftillberechtigten 
Zage des geiftigen Ariftofratismus, ber Welt voll Geniusfterne, 
die nicht für Götterlieblinge, nicht für Auserwählte, nit für 
Menihen aus anderm Zeige zu halten auch dem Kühnften ein 
Frevel gedünft hätte. Sie Ütafen einen heiligen, gottgelieb: 
ten Schlaf: die Gegenwart hätte nicht Zeit, de zu verehren, 
und der Waffenlärm von Generationen, die ihnen fremd waͤ⸗ 
ren, mürde den Frieden ihrer mufenumgebenen Rähe ftören. 
Für unfere Zeit ift von Goethe beinahe nur ber „Fauſt“ 
noch lebenswarm und homogen, und ihn verſteht ſie mitten aus 
feinen Ziefen heraus, weil er ihr eigenftes Wefen und Stre⸗ 
ben in einem anticipirten Prophetengefihte vorhält, er ift ein 
Mevolutionsftüd, und fie ift eine Revolutionszeit, obſchon wir 
ſehr gut wiflen, daß fie nicht wie Fauſt aus einem gelehr⸗ 
ten — den Himmel ſtuͤrmt, auch der entſchiedenen über⸗ 
zeugung leben, daB fie fich dieſen Himmel durchkaͤmpfend er: 
obern wird und ihn nicht ald don gratuit des „ewig Weib. 
lien” dabın zu nehmen gebenft. Darum bedarf vielleicht der 
„Fauſt“ am wenigften eines Eommentars und defto eher jene 
geruhigen, götterhaft gelaffenen, im &Schoofe der reinen Schön: 
beit —— Geſtaltungen, welche für die ältern Freunde 
der Goethe'ſchen Muſe deſto ſeelenvollere Beziehungen haben, 
je mehr fie ihnen das Bild einer idealiſch geſtimmten Menſchen⸗ 
welt im milden Lichtglanze heiterer Vollendung wiberftrahlen 
und fie an Zeiten gemahnen, wo die Elemente der Geſellſchaft 
kraͤftiger zufammengehalten und gezügelt, aber auch freiftn iger 
gewürdigt und väterlicher gepflegt waren. Hr. Prof. Ab 
befigt vor Vielen grade jenen Bartfinn, der dazu erfodert wird, 
Fair eine ideale Welt in ihrer poetifchen Baubergewalt auf das 


Gemuͤth wirken zu laffen und den Empfindungen, welche bei 
dergleichen innigen und finnigen Compofiticnen ded Dichters 
Scele beiwegen mußten, einen gleichſtimmigen Widerflang zu 
leihen. Wenn ihn daher der große Vortheil, im Strahlenlichte 
des weimarifhen Mufenherdes fchöne und erhebende Jahre 
burchlebt zu haben (er fland bekanntlich zu derfelben Epoche 
in Schiller's Haufe der Erziehung defien beider Söhne vor, 
ald der nun jo unerwartet dahingeſchiedene Riemer zu gleicher 
Beitimmung bei Dem einzigen Sohne Goethe'd berufen wurde), 
vorzüglich befähigt, einem feitdem in ganz andern Stadien der 
geſellſchaftlichen Entwidelung eingefchrittenen Zeitalter fich als 
Dolmetſch jener dichterifhen Zage darzuftellen, fo fleigert nicht 
un Weniges die Anſprüche auf ſolchen Beruf jeine lebenswarme 
Gefühligkeit, die in die leifern Wurzeln und Berfädmungen 
eined poetifhen Zufammenhanges mit Glüd einzubringen ge: 
fhaffen ift. Hr. Abeken hat dieſe holde Gabe in jo mancher 
literarifchen Mittheilung, namentlich auch d. BL, fo erfreulich 
bethätigt, daB wir ihn nur auffodern möchten, uns feine rei: 
hen und vielfeitigen Studien in diefem Felde einmal in einem 
Ganzen zu geben und dazu die Ergänzungen und Zwiſchen⸗ 
glieder zu fügen, welche ihm ficher aus den gehaltvollen Vor: 
räthen feines Pultes zu Bebote ftehen. Das fragliche Gedicht 
„Ilmenau am 3. September 17853 läßt er ganz eigentlich 
vor uns entfliehen. Der Dichter entwirft vor unjern Augen 
ein üunvergleichliches Nachtftüd jenes genialifhen Wald: und 
Zigeunerlebers, dem fi) die üppig frohe, in Jugendfraft über: 
muthige, aber gleichwol den Ernft eines hohen Berufs zu einer 
edeln Kolie ihres geſelligen Taumels habende Gefellfchaft des 
jungen Herzogs auf ihren Reifen und Jagdpartien durch das 
ganze Laͤndchen überlich, und das in jenen Shakfpeare ſchen 
Scenen im Ardennerwalde aus „Wie ed audy gefällt” das tref: 
fendfte Gleichniß nicht nur der wirklichen Lage, fondern auch 
dem poetiihen Adel des Gedankens nad, findet. Es ift ge 
wiß, daß bei diefen Abenteuerfcherzen mancher mehr als ercen« 
triſche Einfall ausgeführt, beſonders in galanten Rencontres 
manches nicht allzu fittlihe Beifpiel gegeben worden: allein 
gleichwol dürfte faum der ſtrengſte Richter gefellfchaftlicher Zu⸗ 
ftäande den Stab brechen wollen über eine folche Urt, den Re- 
gierungsberuf gleichfam unter den Schwänfen einer Faſtnachts⸗ 
maskerade zu ererciren. Der Bortheil, Daß dem lebensluftigen, 
dabei aber durchaus vom reinften Eifer Gutes zu thun, und 
feinen Beruf als Landesherr in einem von dem Vorbilde des 
großen Dheims in Sansfouci elektrifirten Sinne zu erfüllen, 
tief und wahrhaft beſeelten Fuͤrſten bei ſolcher Lebensart nichts 
entgehen konnte, daß cr den ungeftörteften Verkehr mit den 
Unterthanen unmittelbar unterhielt, daß ihm ber verftedktefte 
Fleck feines Gebiets wie fein Arbeitszimmer befannt war, trug 
unfhägbar viel Dazu bei, daß Karl Auguft ein felbftändiges 
Urtheil in feinen landesväterlichen Gefchäften und Sorgen ebenfo 
fehr als das Erfte und Weſentlichſte anfah, wie er es Zeit 
feines Lebens geltend zu machen gewußt bat. Nur gohr in 
diefes großartige und erhaben geftimmte Fürftengemüth damals 
freilich noch mandyes wilde Element hinein, das einen Schlag» 
fhatten auch in die Betrachtung des Dichterd wirft: wie jedoch 
Letzterer dieſes humoriftifhe Waldieben, die im Ziefen brau- 
fende und pochende Zrübe, und die Entbindung der erfreulichen, 
lebenverfüßenden, boffnungsreichen Segensträfte aus dem noch 
obmwaltenden Gaͤhrungs⸗ und Läuterungsprocefie zu einem herr⸗ 
lichen Prognoftiton für ein ganzes fruchtbares, ein Land und 
Volk beglüdendes Menfchenleben dermaßen verarbeitet, daß er 
Died Gedicht feinem Fürften als Geburtstagsglüdiwunfc über: 
reichen konnte — dazu gehörte allerdings nicht blos ein Geiſt 
fünftlerifher ECompofition, wie er nur in Goethe war, fondern 
au ein Großfinn im Feiernden und Gefeierten zugleich, der 
eben abermals nur dies Gedicht zu einem Denkmale des felten: . 
ſten und idealifchften Bundes menſchlicher Seelenhoheit erhebt, 
den die Nachwelt mehr bewundern als feines Gleichen wird 
aufzeigen Eönnen. 


Für dei dem Schauplap der Berhältniffe fernerftehenden 


+ 


164 


Leſer waren zunähft die im Gedichte Iebendig treu bingeftell- 
ten Perfönlichkeiten ein Rätbfel. „Die markige Geftalt aus 
altem Heldenftämme” war der Dberjägermeifter Freiherr v. Stein 
auf Kocberg, wie die meiften Glieder diefer hochberühmten, 
weitverzweigten und echt altritterlihen Familie eine kernhaft 
biedere, deutfchkräftige, dabei Humoriftifche Ratur, dem fenti- 
mentalen Glemente der weimarifchen Geſellſchaft dur drolligen 
Win und gefunden Geiit einer praßtifhen Unfiht zu einem 
wünfchenswerthen Gegengewichte dDienend. Der „ekſtatiſch faul” 
feine Glieder dehnende und „ein monotones Lied” vom Tanze 
der bimmlifchen Sphären „mit großer Inbrunft” Singende ift 
Knebel, ein Charakter, in welchem der Streit eines nur fehr 
mäßig productiven Talents mit den Unfoderungen feines durch 
Geſchmack und fo ausgezeichneten Umgang geläuterten Urtheild 
jenes unrubige Misbebagen hervorbrachte, das wir an foldhen 
dilettantifhen Seiftern kennen, das ihm die eigentliche Freude 
an feinen Beftrebungen immer zuerft felbit verdarb, und ihn 
frühzeitig zu jener halb misgeftimmten, halb neutralen Stel 
fung bewegte, die wir ihn in diefem glänzenden Geifterbunde 
nah den Briefmechfeln, die und vorliegen, einnehmen fehen. 
Sn dem am Eingange ber Hütte, darin der fürftliche Jung: 
ling fhlummert, Wache haltenden Dritten hat nun Goethe fein 
eigenes Individuum in Maren Strihen gezeichnet und uns bie 
hohen Gedanken, die ihn bei der Sendung, welde er ſich mit 
feiner Berufung nah Weimar vom Himmel aufgetragen offen: 
bar anfah, befeelten, in einem feurigen, begeifternden Sinne 
anſchaulich gemacht. Faflen wir in das Auge, welche gläd: 
lihe und folgenreihe Refultate, wie fie uns jegt thatfächlich 

egeben find, diefe Sendung gehabt, und wie durchaus glüd: 
if fein Aushurren in Verfolgung des unverrüdt vorſchweben⸗ 
den Zield den hohen Geiſt geleitet hat, fo werden wir faum 
umbin fünnen, an ein ahnungsvoll Vorſchauendes und ein 
ſelbſtbewußt Naturnothwendiges in den außerordentlihen Men: 
fchen, wie deren einer Goethe wahrlich nicht blos als Dichter, 
fondern gerade auch ald Menſch und als Glied einer morali: 
fhen Weltorbnung war, zu glauben, und felbft dieſes Provi⸗ 
dentielle und Nerhängnißvolle in feiner geſellſchaftlichen Stel: 
lung muß uns treiben, in des Berf. liebvolle Bemerkungen 
einzuftimmen, daß eine folche Sendung und ein ſolches Aus: 
barren in derfelben ohne ein religiöfes Moment in diefem Ge: 
müthe gar nicht zu vollbringen war, wie denn auf daß gläu: 
bige Gefühl ausdrüdiich bingedeutet wird, welches ſich in fol: 
genden tiefen geilen vom 3. Auguft 1776 ausfpricht: 


Das Shidfal. 

Was weiß ib, was mir bier gefädt, 
In diefer engen, Beinen Welt 
Mit Leifem Zauberband mid, bält! 
Mein Karl und id; vergeflen bier, 
Wie feltfam und ein tiefed Schickſal leitet; 
Und, ad ih fuͤhl's, im Stillen werden wir 
Zu neuen Stenen vorbereitet. 
Du haft un® lieb, du gabft und das Gefuͤhl, 
Daß ohne did wir nur vergebens finnen, 
Durch Ungeduld und glaubenleer Gewuͤhl 
Voreilig bir niemald was abgewinnen. 
Du haft fur und dad rechte Maß getroffen, 
In reine Dumpfheit uns gehüllt, 
Daß wir, von Lebenskraft erfüllt, 
In holder Yegenwart der lieben Zukunft Hoffen. 


Bemerkungen über Goethe's „Italieniſche Reife‘, gefchrie: 
ben im 3. 1830, in weldyen aufs intereffantefte erörtert wird, 
wie diefe Reife gerade das Naturwüchjige, den Sinn für Ras 
tur und die Kraft,- unmittelbar als Natur fi Dichterifch zu 
äußern, ald welche Goethes eigentlichftes Wefen bildeten, an 
der Anfchauung des Griechenthums zur höchften Potenz und 
Klarheit fteigerte, befchließen dies lefenswerthe und anmuth: 


Ziterarifhe Notizen aus Frankreich. 
Saint: Marc Girardin. 

Von allen Schriftftellern, welche fi an der Siſyphus⸗ 
Arbeit der Journalpolemik betheiligen, verfteht Feiner fo treff- 
lich die Feder zu führen als Gaint-Marc Girardin. Diefer 
Mann wäre vielleicht berufen gewefen, in wifienfchaftlicher 
Beziehung etwas Tüchtigeres und Gediegeneres zu leiften, aber 
er bat es vorgezogen, fi dem glänzenden Elende der Sour: 
naliftif mit Leib und Seele zu verfchreiben. Niemals wird Ei- 
nem der Sinn und bie Bedeutung des Goethe'ſchen Spruchs 
„Mit Worten läßt fih trefflich ftreiten” fo Mar als bei ihm. 
Ja, Worte und noch dazu fchönklingende, wohlgedrechfelte Phra⸗ 
fen ftellen fidh bei ihm ſtets zur rechten Zeit ein. .Was Iommt 
es ihm auf den Inhalt, auf die Gefinnung an; fein Gewiſſen 
ift weit und feine Feder wohl gefpigt. Seine elaftifche Ge⸗ 
ſchmeidigkeit leiht fi jeder Sache und nimmt jede Farbe an. 
Mit leihten, gefälligen Wendungen übertuͤncht er vie allzu 
grellen Übergänge und mit der unfchuldigften Miene von der 
Belt vertheidigt er heute, was er geflern noch verwarf. Die- 
ſes fortwährende Plaͤnkeln, diefes nedifche Spiel frivoler Wen⸗ 
dungen und diefe Zaktik, deren unerfchöpflihe Kriegsliften ihm 
im reichlichen Maße zu Gebote fliehen, konnten den edlen Ar: 
mand Garrel, der am liebften mit offenem Vifier focht, vor 
Wuth ganz außer fi bringen. Seine derbe, gerade Natur 
ftand mit dem parteiifchen Charakter Saint: Marc Girardin’s 
im fchroffen Gegenfag. Auch auf dem Gebiete der Literatur 
ift derfelbe eigentlih nur ein Plänkler und Parteigänger; auch 
hier treibt er fein leichtfertiges, aber hoͤchſt dankbares und 
einträgliches Spiel mit Worten. Niemals faßt er eine litera- 
rifhe Frage, welche er behandeln will, tiefer und in ihrem 
eigentlichen Weſen: immer fehweift er an der fchillernden Ober- 
flache und er trägt Fein anderes Verlangen, wenn er ſich nur 
an die Außenfeite der Dinge halten Fann, die feiner gefälligen 
Feder Stoff genug liefert. Ein ziemlich abgerundetes Bilb 
feiner ganzen literarifchen Perfönlicheit, eine Plare Anfchauung 
von feinem ganzen Treiben und von feiner Art und Weife kann 
man aus folgender Sammcelfchrift erwerben, welche eine Zu⸗ 
fammenftellung feiner Bleinen literarifchen Auffäge bietet und 
den Zitel.führt „Essais de litterature et de morale‘ (2 Bde.). 
&o viele Punkte werden bier in Anregung gebracht, aber kei— 
ner wird ganz erörtert; fo viele Zöne klingen hier an, aber 
Ecinem geichieht fein volles Recht; Alles iſt fragmentarifch, 
unbefriedigend für Den, der tiefer zu dringen begehrt; aber 
zugleih auch Alles gefällig, einfchmeichelnd für Jeden, der 
fi) beftechen läßt vom Zauber füßer Worte. 


Der Rehtsgelchrte Berriat Saint: Prir. 

Die Rechtsfacultät in Paris bat durch den Tod des Pro: 
feſſors Iacques Berriat Saint:Prir einen Berluft erlitten, wel: 
her fi fo leicht nit wird erſetzen laſſen. Er gehörte zu den 
gelehrteften Rechtölehrern und feine Iiterarifche Thätigkeit er- 
ſtreckte ſich nad verſchiedenen Richtungen hin. So war eine 
feiner erften fchriftftellerifchen Productionen eine hiftorifche Stu⸗ 
die über Jeanne d'Arc. Bu feinen wichtigften juriftifchen Wer⸗ 
ten gehört feine „Histoire du droit romain”, an die ſich eine 
„Histoire de Cujas“ anreiht. Obgleich der Verftorbene fi im 
Allgemeinen mehr mit vechtshiftortichen Forſchungen befaßte, fo 
bat er doch auch auf dem Felde der Theorie Bemerkenswerihes 
geleiftet. Dahin rechnen wir feinen „Cours de procedure ci- 
vile et de droit criminel”, ein Werk, welches aus feinen Vor⸗ 
lefungen hervorgegangen if. Seine Vorliebe für biftorifche 
Studien veranlaßte ihn auch wol, ſolche Themata zu behan⸗ 
dein, welche außerhalb des Kreifes feiner eigentlichen Wiffen- 
Ihaft Tagen. So bearbeitete er eine recht brauchbare „Histoire 
de l’ancienne universit& de Grenoble”. Unter feinen Heinen 
Abhandlungen antiquarifchen und literarhiftorifchen Inhalts er- 
wähnen wir endlich feine ‚‚Remarques sur les anciens jeax 

17. 


volle Büdhlein. W. E. Weber. des mysteres”. 
Berantwortliher Derauögeber: Heinri WBrodhans. — Drud und Verlag von F. EM. Wrodpans in Leipzig. 


den find an- fie herangetreten. 


J u rn — 


Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 


— — 


Mittwoch, 


ö— Nr. 42. ö7 


11. Februar 1846. 





Die ſociale Frage. 

I. Die naturgemaͤße Bolkswirthſchaft gegenüber dem Mono: 
poliengeifte und dem Eommunfömus. Bon Karl Arnd. 
Hanau, König. 1845. Gr. 8. 2 Ahlr. 

2. Ueber die innern geſellſchaftlichen Berhältniffe unſerer Zeit. 
Mit befonderer Rüdfiht auf Schweden: Bon E. G. Bei: 
fer. Aus dem Schwedifhen von U. W. Dieterid. 
Stodholm, Bagge. 1845. Gr. 8. 25 Nor. 

3. Geld und Geiſt. Verſuch einer Sichtung und Erlöfung 
der arbeitenden Volkskraft. Bon Heinrih Bettziech 
(Beta). Berlin, Hayn. 1845. Gr. 8 1 Zhir. 

4. Die Armuthsnoth in ihrer wahren Entftehung und fichern 
Belämpfung. Bon Heinrih Moll. Solingen, Amber: 
ger. 1845. 12. 74 Rear. 

9. Die Lage der arbeitenden Claſſe in England. Nach eige: 
ner Anfchauung und authentifhen Quellen von Friedrich 
Engel. Reipziz, D. Wigand. 1845. Gr. 8. 2 Thlr. 


Die Urfachen der Armuth, des Elends und des Ver- 
brechens aufzufinden, ‚die Mittel zu fuchen und anzu- 
menden, welche bie Ubelftände unfers focialen Lebens 
gründlich und auf die Dauer befeitigen können, das ift 
eine Frage, von ber unſere Gegenwart mehr als von 
jeder andern befchäftigt wird. Praktiker und Theoreti⸗ 
ter, Philoſophen und Arbeiter, Regierungen und Privat- 
perfonen, eigens bafür gebildete Vereine und Gemein- 
Reſultate, wie man de- 
ren bedarf, hat man noch nirgend erzielt, fehlgefchlagene 
Verſuche, ftürmifhe Hoffnungen und. neue Syfteme, das 
ift bis jegt noch Alles, was bisher aus der Bearbeitung 


und Wendung biefer inhaltsfchweren Frage hervorgegan- 


gen. In einem Zeitranme von zehn Jahren haben wir 
verfehiedene „Theorien der Armuth” erhalten, und wäh. 
rend. man fi) an Unterfuchungen über die Armuth ab- 
mühte, ging fie felbft immer weiter. Das ift nicht an- 
ders. Am J. 1835 wurde von der Akademie der Wif- 


fenſchaften zu Erfurt die Preisfrage gaeftellt: ob bie 


Klage über zunehmende Verarmung und Nahrungslofig- 
keit gegründet feit — würde jept, zehn Jahre fpdter, 
wol nod) irgend Jemand fo fragen? Die Beantwortung 
jener Preisfrage veranlaßte verfhiedene Schriften, in de⸗ 
nen eine ‚„„Xheorie der Armuth“ verfucht wurde. In 
Frankreich Hatte die Armuth fhon ein anderes Feld ale 
das theoretifche erobert, in England war man zu derfel- 
ben Zeit mit eines Reform: der Armenpflege befchäftigt 


ı und ſchon deshalb genöthigt, umfaffende Unterfuchungen | 


über den factifchen Beitand der Armuth anzuftellen. 
Die Unterfuchungen haben zu verfchiedenen Reſulta⸗ 
ten geführt, es haben fi aus ihnen heraus Parteien 
gebildet, die fih ftreng gegenüber ftehen. Die einen 
haben es verfucht, dadurch hinter das Weſen und 
den Grund der Armuth zu kommen, die Berar- 
mungsurfadhen von einer Menge Berarmungsfälle, bie 
ihnen vorgefommen, dutzendweiſe herauszufuchen, dieſes 
fo gefundene Dugend mit einem zweiten binzuraifonnir- 
ten Dugend zu vermehren und endlich die ganze Summe 
nach gewiffen Eintheilungsgründen zu claſſificiren. Da 
kam ed denn häufig vor, daß gegen jede befondere Ur- 
fache ein befonderes Mittel empfohlen wurde, bag man 
glaubte, ein organifches Keiden unferer ganzen Gefellfchaft 
rein äußerlich curiven zu tönnen, die befchränkteften An⸗ 
fihten vorbrachte und confequent zu nichts Anderm als 
zu unenbdlicher Verwirrung und Zerfplitterung kommen 
fonnte. Dabei nannte man ſich aber gern praftifch und 
fah mit unendlicher Verachtung auf Diejenigen hin, 
welche das Wefen und die Natur der Armuth tiefer 
auffaßten und mehr ober minder den Zuftand und bie 
Grundlagen ber ganzen Gefellfhaft in den Kreis ihrer 
Kritit zogen. Einem concreten Übel ein concretes Mit- 
tel entgegenzufegen, das war hier der Wahlfpruch und 
das ewige Gerede. Während man was man that und 
wie man verfuhr „praftifh” nannte und rühmte, be- 
wies man recht eigentlich das „Unpraktifche” dieſes Ver⸗ 
fahrens, denn mit allen ſogenannten praftifchen Be⸗ 
mühungen konnte nirgend geholfen, konnte nirgenb 
der giftige Quell geflopft werben, woraus unaufhörlich 
bad Elend und das Verderbniß in die Geſellſchaft 
fliegt. Die neue englifche Armengefeggebung wurde der 
großartigfte und der fchlagendfte Beweis von. dem Unzu- 
reichenden und von der Berfehltheit dieſes „praktiſchen“ 
Standpunkts, welcher beffenungeachtet noch immer nicht 
wenige Bekenner unter uns findet, und ‚namentlich ba, 
wo man zu bequem ift, um ber Natur des Menfchen 
und feinen Beziehungen zu ben materiellen Gütern auf 
den Grund zu gehen, als aud da, wo man fürchtet, 
durch ein allgemeines Eindringen in die große Frage 
ber Gegenwart .den fo lange behaupteten privilegirten 
Doden zu verlieren und Confequenzen anerkennen zu 


166 


müffen, welche der Egoismus fürchtete und welche er 
allerdings zu fürchten hat, denn fie fönnen zu nichts 
Anderm als zur Auflöfung jedes Privilegiums führen. 

Unter Denen, welche die Dürftigkeit und Unhaltbar- 


keit dieſes „praktiſchen“ Standpunkts, diefer gedanken⸗ 


loſen Bettelvogtsbehaupkung Tinfahen und ſich genoͤthigt 
fanden, eihe tiefere Grundurſache aufzuſuchen, laſſen ſich 
aber wiederum einige ſtrenge Verſchiedenheiten nachwei⸗ 
ſen. Die Einen naͤmlich betrachten die Armuth als ein 
nothwendiges Übel, die Andern dagegen ſehen in ihr ein 
Übel, weiches von der Geſellſchaft verſchulbet iſt, welcheb 
bekämpft werden muß und beſeitigt werden kann. Man 
fſicht, weilte ungeheure Differenz, welches Auseinander⸗ 
gehen nach ganz verfchiedenen Polen hin und wie durd)- 


aus nothwendig es ift, ſich über Diefen Punkt -eine fefte 


‚Übergengung zu bilden, um in der Armuthsftage nut 
einigermaßen ein Wort haben, mie viel mehr gar die 
vicheigen Mittel finden zu konnen! 


betrachten, pflegen in ber permanenten Übervölferung bie 
Urfache der Armuth anzugeben, und biefe finde nicht 


66 in den dicht bewohnten civififirten Ländern, fondern : 
zbenfo gut in den ſparſam bevölferten Jagogebieten der 


Indianer Nordamerikas ſtatt. Zu biefer Anficht befen- 
wen ſich bie ſämmtlichen WBhig - Liberalen Englands; 


Malthus war brkanntlich ber Exfte, welcher fie aufſtellte. 
Malthus ſprach das maſſenhafte Berfiimmern ber Menſch⸗ 


heit aus. An ihrer praktiſchen Bedeutung muß diefe 


Unfiht zur Härte, ja zur Graufamkeit gegen bie Armen 
führen, wie fie es denn auch in England geshan, wo 
fie Beinen geringen Einfluß awf die Reform ber Armen⸗ 


gefege übte, wo ſie den Haß der arbeitenden Klaffen 
and den Bormurf einer barbartfchen Geſinnung auf fi 
geladen bat. Bei dem philanthropiſchen Charakter, der 
ſich vielfach bei uns in Deutſchland, wenn auch Häufig 


eitten von der Vorſehung angeordneten Grundſtand der 


Gefellſchaft, deſſen krankhaftem Überwuchern nur durch 


Beſchraänkung der perſönlichen Freiheit der 


untetn Claſſen, namentlich auch durch ſtrengere 
Sucht über die Almoſenenipfaͤnger, entgegenzuwirken fei. 
Mährend dieſer Stanbpunkt in MRalthus feine Philoſo⸗ 
— Malthus' Verdienſte um die Wiſſenſchaft 


phie hat 
der Populationiſtik werden ſtets bedeutend bleiben und 
auch von feinen Gegnern anerkannt merken — tritt er 


bei Godefroi ohne höhere Berechtigung in feiner ganzen : 


Beutalität hervor. Der Reiche wiegt füch im Beſitz auf 
beim keuchenden Rücken des befiglofen Armen, das fol, 
nach Godefroi, ber Wille der ‚Vorfrhung“, das die na- 


surgemäße Organifation der Menfchheit fen. War fer 


wer „poaftifche” Standpunkt als Bettelvogtsſtandpunkt 





! 


zu bezeichnen, fo ift diefes der rohe Belbmenfchenftand- 
punkt. Der bloße Geldmenſch betrachtet ſich als — 
natus consumere fruges, die Maffe ift nur dafür da, 
fih feinetwegen zu mühen und zu darben. Wenn biefe 
Anfiht nun auch nur wenige theoretifhe Anhänger un- 
ter uns findet, fo kann man doch nicht umhin zu be- 
merken, daß fte Im praktiſchen Leben gäng und gäbe ift, 
und wir Eönnen es täglich fehen, wie der Reichthum 
die mühfamen Ermerbniffe der Armuth dahinnimmt, 
ale ob er dazu von der „Vorſehung“ berufen fei, als 
eb es gar nicht anders fein und werden könne. Dieſer 
Indifferentismus des Reichthums höhnt die Armuth 
ebenfo fehr, wern auch großentheils unbewußt, wie jene 
„Theorie der Armut” ihre höhern Berechtigungen gerade- 
wegs leugnet und. die Armen ale Sklaven, als „Grund⸗ 
ftand der Gefellfchaft” betrachtet. ine ſchöne Gefell- 
fhaft das, in der Die Freiheit Weniger Durch Die Sklaverei 


„.. ] und das Verderbniß ber Maffen erworben werden müßte 
Die, welche die Armuth ale ein nofhmwendiges bel 


und die über einen folgen Zuſtand, wie er allerdings 
factiſch eriftirt, nicht Hinaustonmen könnte. ine fähöne 
Errungenfchaft viefjahrtaufendiährigen Kampfes! Nach 
dieſer „Theorie“ hört ber Menſch auf ein freies, fittli- 
ches Wefen zu fein und er finte zum Naturptoducte 
herunter, auf eine entgeifiete Stufe, wo bie rohe Ge- 
walt der Stävfe zur Berechtigung über alle ſchwaͤchern 
Weſen wird. . Sie lügt aber die Gefchichte an, denn 
alle Privilegien, deren. Hertſchaft fich in unferer Geſell⸗ 
ſchaft geltend macht, beruhen wicht, wie fie behauptet, 
auf einem urſprunglichen, der geſchichtlichen Nachfor⸗ 
Hung entgehenden Verhaͤltniſſe oder Taffen fi auf 
Stammunterfchiebe zuridführen, fondern find gefchicht- 
lich nachweisbar immer nur and Uſurputienen hervor⸗ 
gegangen. | 

Eine zweite Anſicht betrachtet die Armuth als von 


I der Geſellſchaft verſchuldet, abs nick in der Natur bes 
nicht geſund und Hräftig, ſondern nur weiblich geltend ' 
marht, fand diefes Syſtem, worin die Empfehlumg ber 
Gnthaltfambeit und fpäter Ehen und gar bes Coͤllbats 
einſeitig vorherrſcht, unter uns eben nicht allzu viele - 
Becher, am haͤrteſten iſt diefe Anſicht von Godefroi 
Theorie der. Armuth⸗ (Hamburg 1835) geltend gemacht 
worden. Er betrachtet den „Stand der Armen’ als: 


Menihen begrandet, alfo als Tem urſprüngliches Ben 
haltniß. Es liegt ihr denmach ob zu unterfuchen, wo⸗ 
durch und inwiefern bie Armuth von ber Gefellſchaft 
verſchuldet worden fei und je nach dem Ergebniſſe ihrer 
Unterfuchungen Mittel zut Abhülfe in Vorſchtag zu 
bringen und amzuwenden. Hier bildet ſich denn wieder⸗ 
um eine große Differenz. Daß die Armuth von ber 
Geſellſchaft verfchuldet worden, daruͤber ſtreiten fie nicht, 
aber dad Wodurch macht Die, welche im Vorderſape 
einig ſind, zu entſchiedenen Gegnern. Im Allgemeinen 
machen Beide einen ſtrengen Unterſchied zwiſchen der 

frühern Geſtalt der Armuth and derjenigen, welche fie 
in der Neuzeit angenommen Yat, nur aber wollen die 
Einen ben Grund unferer ,‚Maffenverarmung” bes fo- 
genannten Paupsrismus darin finden, daß die fruͤhern 
Schranken niedergeriffen worden find., daß Die Cwilifa⸗ 
tion zu weit gegangen iſt und ſich zu frei entwickelt 
bat, fie fehen die Urfache der großen einer- 
feit6 in Inſtitutienen wie die ker Gewerbefreiheit mit 
ihren anhängenden Ermeiterumgen leichter Verehelichung, 
andrrerſeits aber in ber religiöſen Mufklärung und der 
aus ihr erfolgten „‚geifiigen Anarchir“. Die Delemer 


J 


dieſes Sendpunkts laffen Häufig die frühere Armuch 
us ein unwermwidliches Ubel gelten and weten darin mit 
dem Gobefroifchen Standpunkte zufammen, aber Tie fu⸗ 
den die Beſchraͤnkung der —— Armuth, des 
Hauperismus, in einer moguichſt ſtreugen Reſtauration 
der frühern bürgerlichen und geiſtigen Zuſtände zu em⸗ 
pfehlen und möglih zu machen. Dies iſt der Stand⸗ 
punkt umferer politifchen und theologiſchen Reſtaurateure, 
er bat ſich in jüngfter Zeit ganz befonders. in Preußen 
hervorgethan und feine Angriffe waren dann vorzüglich 
gegen Die liberalen Inſtitutionen biefed Staats gerichtet. 
Ihn machte 3. DB. der Landrath v. Sparre geltend. 
Diefe Anficht will die Gefellfihaft in Formen zurück⸗ 
zwängen, aus denen fie fih lange herausgelebt hat, und 
bie Proceſſe ber Neuzeit find ihr vollkommen unverfländ- 
Sch geblieben. Dem Induſtrialismus und der freien 


Concurrenz ſtellt fie ein geſchloſſenes mittelalterliche Ge: | 


werbsiwefen gegenüber, und die großen Schäden, melde 
im Berlaufe des modernen Entwidelungsganges herbor- 


getreten find, glaube fie nicht anders ausrotten zu kön⸗ 
nen als daß fie überhaupt jeden Entwidelungsgang un- | 


mögfih macht und die chinefifchen Mauern, welche ber 


Strom ber Zeit mächtig durchbrochen, überall wieder fo: | 
wel politiſch als kirchlich neu zu errichten fuht. Die 


Geſchichte geht aber niemals rückwaͤrts, fonderh immer 


vorwärts, Formen, die einmal eufterben find, können | 


nicht wieder lebendig werben. Das Ideal eines mittel- 
alterlihen Gewerbſsweſens fleht im enffchiedenen Wiber- 


ſpruch zu der großen inbufttiellen Bewegung der Gegen⸗ 
wart, es iſt eine volllommene Unmoͤglichkeit gemorben, : 


und am allerwenigften fann auf dem Wege das Privi⸗ 


fegiums, der Berdummung und Berbumpfung der Pan: - 


perismus befeitigt werben. 

Die Andern, welche cbenfalld die Armuth als von 
Der Geſellſchaft verfchulbet betrachten, fehen im Begen- 
far zu den pelitifchen und Urchlichen Reſtaurateurs 
Darin das beſte Mittel, ihrer Uberwucherung entgegen- 


zuwirten, daß die begonnene geiſtige und bürgerlithe 
Freiheit vollendet wisd. Dies if der Stanbuunft unſe⸗ 
wer Liberalen, fe wollen „bios bie individuelle Freiheit 
und Aufllärung Thirgen und eenmiseen und bie zufam- 


menhaltende, 'die Freiheit allerbings erſt vollendende Ge⸗ 
meinſchaft im Okonomiſchen und Geiſtigen ſich allmälig 
mb ſiuckweiſe eben aus ber ſich erweiternden Freiheit 
enmwickein :taffen ”. 
Softemmaiheret” wie von allen Reflaurationsgebamfen, 


Haben fie ihr Augenmerk ganz beſonders auf bie Aus⸗ 
bauung der Volksſchule, der Kommunicafiond- und Tre- 
ditanftalten wie zugleich auf möglichfte Selbſtverwaltung 
Darin fell nach ih⸗ 
nen bie befte Wehr gegen den Pauperismus gefunden ' 
werben, babin ſtreben und dafür fihreiben fie. Einige 
umter ihmen find Aber diefen fiheraten Standpunkt fhon 


in Gemeinde und Staat gerichtet. 


hinausgegangen, indem ſie fih dem Grundgedanken des 


Socialismus dadurch näherten, daß fie die Gewerbefrei⸗ 
Gemeilnweſen⸗ übergeben laſſen 
und die n„geiſtige Anarchie“ der vreligibdſen Aufklärung 


heit in ein „induflcidiies 


‚Ebenfo entfernt won „fociafilifcher 


bush eine neue „rein humaniſtiſche“ Rellgien be⸗ 
wältigen moͤchten; bie Mehrzahl jedoch glaubt nur am 
eine mittelbare Minderung der Armuth und ſucht, ba 
fie den Grundurſachen der Armuth nicht recht beikom⸗ 
men kann, fi mit den fecundaisen und gefelligen Ge⸗ 
legenheitenrfachen der Armuth zu befchäftigen md durch 
Spat- und Pramienkaſſen, durch eine verbeſſerte Ar 
menpflege u. |. w. zu wirfen. 

Eine ſolche Behandlung der Armuth war im Burd- 
ſchnitt ber Zwed der vor einem Jahre vielfach beſproche⸗ 
nen Dereine für das Wohl ber arbeitenden Claſſen, 
obgleich ſich auch refkanrationsfüchtige und foriakifiifche 
Gedanken in ihnen geltend zu machen fuchten. Sie 
nannten bie heutige Armuth ganz beflimmt ein „Reſul- 
tat unferer focialen Zuflänbe”, und wenn auch zum Theil 
von ben Vereinen das Heil erwartet warde, fo 
man doch vielfach — und das war das Tiberale Mo- 
ment — bie gründliche Hülfe vom Staate unb feinen 
Beranflaltungen erwarten zu müffen. Seitdem ift bie 
Bereinsbildung eben durch den Staat wieder zum Still⸗ 
flande gebracht, es fragt ſich aber, ob, ohne diefe aͤußere 
Hemmung, ber Liberalismus in den Vereinen wol fe- 
nen großen Zwed, von dem er fo viel redete, Hätte 
ermöglichen konnen? 

( Die Sortfegung folgt.) 





Romanliteratur. 


I. Die Blume von Aiſchach. Drei Bände. Berlin, Buch⸗ 
bandfung des Lefecabinett. 1845. 8. 5 Ihlr. 
ef. begann die drei vorliegenden Bände mit einem Seu 
gr: fo ngreih! — und anonym! dachte ev. Im ieh 
er Zeit nennt fich Doch ein Jeder gern ber etwas Ordentliches 
hreibt; und Seder meint etwas Ordentliches fihreiben zu koͤn⸗ 
nen. Ref. las die drei Bande mit immer ſteigendem Intereſſe; 
eine mächtige Phantafie hat Hier die Feder geführt, ein großes 
Talent ben Yaden gefthiungen ; der unbelannte Autor bekundet 
ich als ein zur Autorfihaft Berufener. Die Blume von Niſchach 
iſt eine fhöne deutfche Grafen, Mima; fie mohat auf einer wi 
ten Burg in ben deutſchen Alpen und iſt bie eingige verzogene 
Erbin "res Stiefvarers, eined Reichsgrafen, welcher Fünf 
werden will, und dieſes mittels der Verbindung feiner Tochter 
mit einem bein deutſchen Fürſten Rudolf von der Gnade 
bes dei Kaiſers zu ‚erreichen hofft. Der junge Fürſt Au 
doif huldigt Alma aus Gonvenienz, ren gluht ein junge 
M v. Efterdingen, von einer 
herabgelommenen adeligen Familie und ihr Zugendgeſpiele, wal⸗ 





haupimann bekannt iſt; dieſer trachtet Silvio nach dem Reben 
md Alma liebt den Werfolgten, durch feinen glüͤhenden Liebes⸗ 
biit gewonnen. Dusch Banditenhand faͤllt der Fuͤrſt Delin 


due Torre, der jüngese Bruder erhält Güter und Autel unb - 


heiratet Alma. Der Fürft Rudolf wicht um ihre anſpruchs⸗ 
lofe Eoufine Maria, und der verfipmähte, oft verhoͤhnte Edard 
wendet ſich nad Statien, wo man thn als berüßmten Maler 
vwieberfieht, mit einer reichen Lady, die er von Mäubern ge: 
rettet hat und welche ihre reicht. In Meapel ficht 
sr Die bleiche ungluͤcktiche Alma wieder und fühlt daß er feine 
erfie Liebe nicht vergeſſen hat. Alma iſt unglüdli an bes 
leidenſchaftlichen Mannes Seite, welcher fein Vermögen ver- 
fpielt und jeder Axt von Ausſchweifung fh hingibt. Endlich 


168 


i i d wid 
Bemnftm yefhleden fin. Da die Sind 


in den verfchiedenen Geftalten, als Gift, Sunger und Henker: 


ta und ihn zum @rben ihres großen Vermoͤgens eingefegt 
t. Un dem Zlüßchen Aiſchach, zn i 
Geburtöftätte, wird fie getraut. Diefes ift nur bad Gerippe, 
ed find nur die einzelnen Punkte der Erzählung, welche eine 
Menge der mannichfaltigften Gruppen aumimmt und durch⸗ 
ieht. Die Raturfchilderung und deren poetifhe Auffaffung 
abet uns gleihfam von einem Gedicht zum andern. Der Con⸗ 
traft der deutfchen Scenen mit den italienifchen, des deutfchen 
Bolls mit dem von Reapel, der deutfchen Leidenfchaftlichkeit, 
welche Eckard repräfentirt, mit der italienifhen in Silvio; die 
Sorgfalt, womit Rebenperfonen ausftaffirt find; die alte Gift: 
brauerin in einem Walde Deutfchlands, ihr Gegenftüd im 
Schloß Due Torres die deutfche Oberhofmeifterin, die intri- 
gante italienifche Herzogin, der ehrgeizige, eitle Reichögraf, 
Die falfche, witige Freundin Agathe, Die verfchiedenen Freunde: — 
Alles ift in feinen Einzelheiten vollendet, um ein vollendetes 
Ganze zu bilden. Hätten wir etwas an dem vorliegenden Wert 
auszufegen, fo wäre es der allzu große Reichthum an Reflerio: 
nen, an Pbantafie, an Figuren; der Lefer wird überwältigt 
von einer Fülle Gedanken und Befchreibungen. Wir hoffen, 
daß der Verf. ſich nennt, und uns bald wieder Ähnliches wie 
das vorliegende Werk zu leſen gibt. 


2. Graf Ehala. Bon Ida von Düringsfelb. 
A. Dunder. 1845. 8. 1 Ile. 


Der vorliegende Roman befchäftigt den Xefer mit einem 
großen Raͤthſel des Lebens, ohne daflelbe zu löfen: „Barum 
Männer, welche kalten Herzens find, fo viel Anziehendes für 
Stauen haben, fo oft heiß geliebt werden und die Gelegenheit 
finden, fo mandes Glück zu zerflören?” Graf Ehala ift ein 
folder Mann; in einer Meinen Garniſon ftchend, hat er fi 
der Frau eines Rameraden in einem freundfchaftlichen Verhaͤlt⸗ 
niffe genäbert; fie iſt eine fugendhafte Frau, unnahbar, weil 
"fie ihren Dann und ihre Pflichten liebt. Der Graf flört ih: 
‘ren Seelenfrieden; er beweift ihr, daß fie nicht glücklich, nicht 
befriedigt if. Ein ſchoͤnes unfchuldiges Mädchen kommt nad 
der Pleinen Stadt, fie ift mit einem Freund Ehala’s in der 
Stille verlobt; als derfelbe auf einige Zeit trank wird, nähert 
fih Chala ihe mit dem abfichtlicy magnetifirenden Blick, mit 
den Klagen des Alleinſtehens, Richtgeliebtfeind, wodurch er 
ſchon Bertha, die Frau eines andern Zreundes, an ſich gefet- 
tet hat. Alix, das ſchoͤne Mädchen, liebt ihn bald leidenſchaft⸗ 
lich; als er deſſen gewiß ift, halt er um fie an. Hierbei ent: 
dedt Bertha, daß fie auch liebt, und die Kämpfe eines pflicht- 
getreuen, edlen Herzens gegen dieſe Leidenfchaft find mit mei: 
fterhafter Bartheit angedeutet. Während des Brautftandes ent: 
det Alix indeß, dag fie nicht geliebt ift, daß Bertha dem 
Grafen theurer ift als fie, nicht feinem Herzen, fondern feiner 
"Sinnenmwelt näher ftebt; das junge Mädchen weiß das nicht fo 
ganz zu unterfheiden, doch folgt fie dem ahnenden Gefühle, 
und trog ihrer tiefen Leidenfchaft für Chala bricht fie Das Ber: 
hältniß mit ihm ab. Ghala verläßt nun die Sarnifon, wo 
zwei Frauen um ihn weinen. Ein Brief von ihm erftärt Bertha 


Berlin, 


feine Liebes das Berhältniß der beiden Frauen, welche dieſelbe 
Liebe befeelt, if ſehr zart angebeutet, fie ſich mit 
wenig Worten, und das Gefühl wird ein Band zwiſchen ihuen- 
In Diefen beiden Frauen ift_ bie Liebe bewußtlos, beide haben 
fein Urtheil über Ehala, fie folgen einem Dunkeln Gefühl; eine 
dritte Frau, Untonie, welche Chala nicht liebt, durchſchaut 
und charafterifirt ihn, fie verhilft dem Lefer zu der Unficht, 
welche er haben fol über feinen Charakter. Die Erzählung 
hat Beine äußere Bewegung, Alles ereignet fich innerhalb ber 
Gemüther, es iſt ein ganz piychologifcges Gemälde vol tiefer 
Wahrheiten, für melde man indeß Seine Worte findet; man 
muß fie in allen ihren Schattirungen ahnen. Nachdem Chala 
von ber Braut verabichiedet worden, verläßt er die Garnifon. 
Er fucht den Freund auf, welcher Wir einft liebte, ex gefteht 
igm fein Unrecht und bittet es ihm ab. Der junge Mann 
verzeiht und Tehrt zu Alir zurück. Mitteid feffelt ihn an Alix 
wieder aufs neue — fie iſt unglücklich in ihrer Liebe zu 
Ehala —, doch nimmt fie die Dargebotene Hand ans fie ftirbt 
nach der Zrauung, „Die Liebe zu Chala töbtet fie, um nicht 
die Berührung des Gemahls ji ertragen”. Ein bitterer Brief 
des Legtern an Chala übergibt diefen der Reue; man ficht ihn 
noch einmal flüchtig auf Wlirens Grab. Bertha findet ſich 
wieder in das Leben und ihre Pflichten; fie erzicht ihr Kind 
in häuslicher Einſamkeit; die Grinnerung, baß fie geliebt war 
von dem herz: und gemüthlofen Ehala, beglüdt fie. Das Un: 
begreifliche tritt und aud der @rzählung ebenfo fragend ent 
gegen wie aus dem Leben, deshalb ift es auch ein treues Le⸗ 
benebild und macht ganz den Eindruck eines folden. Chala 
ift eine Erfcheinung des 19. Jahrhunderts ; in feiner Glaubens: 
und Hoffnungslofigkeit, in feinem Loßgeriffenfein von Vorur⸗ 
theilen und bergebrachten Unfichten, in feiner Gleichgültigkeit 
für Leben :und Menfchen, oder in feiner egoiftifchen Eitelkeit. 
Die Detaild der Erzählung find äußerft forgfältig gezeichnet, 
der Ratur abgelauſcht, mit zarter Poefie untermoben; ein poe= 
tiſcher Hauch hat daB Ganze überzogen. Dan ahnt immer 
die Tiefen des Lebens, doch fieht man fie nicht, fie find mit 
Blumen überwachen. | 
3. Wildfeuer. Rovellen von Bernd von Guſeck. Zwei Theile. 
Berlin, v. Puttkammer. 1815. 8. 3 Thlr. | 

„Die Brautkrone“, „Dunkle Wege”, „Das Kind der Vi⸗ 
per“ und „Strasburgs Fall’ heißen die vier Novellen, welche 
in den zwei heilen enthalten find. Sie gehören Feines 
wegd zum gewoͤhnlichen Rovellenfchlan, find reih an Wer⸗ 
widelungen und Ereigniffen, zeugen von Erfindungs: und Dar⸗ 
ftelungögabe des Autors, welcher das Politive in der Grzäh: 
lung mit dem Farbenſchmelz einer poetifhen Anfchauung aus: 
zuftatten weiß. Die erfte Rovelle „Die Brautkrone” — **— 
ſich an die Geſchichte Heinrich's VII. von England an; "der 
Name ift nicht fo glüdlich gewählt wie die Geſchichte erzähle 
if. Die biftorifchen Charaktere find treu gefchichtlich gezeich- 
net und bilden einen paffenden Hintergrund für das Kiebes- 
paar, befonders für die etwas frogige und heftige deutfche 
Ehriftine, welche des Königs LKiebesanträge abweift und felbft 
dem Feuertode trogt, von dem das plögliche Sterben des Tyran⸗ 
nen fie erlöf: Auch die übrigen Rovellen jind fpannend u 
ereignißreich, den Leſer feffelnd und unterhaltend. . Mb. 


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Bon F. A. Srockhaus in Leipzig ift buch alle Buch⸗ 
bandlungen zu beziehen: 


Wladyslaw und Diſſepli. 


Eine tſcherkeſſiſche Erzählung 
von 


J. H. Sievers. 
Gr. 12. Geh. 20 Nee: 


Verantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brockzans. — Drud und Verlag von F. SE. Wrodhans in Reipyie- 





Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





‚Donnerstag, 


a Kr. 43, 


12. Februar 1846. 








Die fociale Frage. 
( Bortfegung aus Nr. 48.) 

Die gemäßigten Liberalen ermarteten mehr vom 
Staate und, als dem Hauptorgane deffelben, mehr von 
ber Beihülfe der Regierung ale von den Vereinen, die 
. Witraliberalen glaubten durch die Vereine eine felbftän- 
dige Kraft, ein Stück self-government, zu erzielen, 
welches ſich in die beftehenden Staatsverhälnifle „ein- 
wurzeln” und unumgaͤnglich mächtig werden follte. Die 
Erften find durch das Einfchreiten der Regierung in 
ihrem Grundſatze gefehlagen morden, die Zweiten nur in 
ihrem Erfolg: Aber auch ihr Erfolg hätte ohne bie 
Regierungshemmnifle kein ihren Worten, ihren Boraus- 
fagungen und Programmen entfprechender fein Tonnen, 
da fie fih nit im Stande zeigten, die Lage der Be- 
ſellſchaft gründlich zu unterfuchen, die Grundquellen ber 
Armuth zu erforfhen, da fie ihre Mittel vergriffen und 
überfchägten und meinten, daß die große Frage durch 
eine Art neuen Verwaltungsſyſtems erledigt werden fünne. 
Der Liberaliemus muß an der Armiuthöfrage feine Un- 
fähigkeit beweifen, er kannte den Boden nicht, auf wel- 
chem er fich bewegen wollte, er wird ihn nicht kennen 
lernen, ba er die Verhältniffe und Refultate der Ar⸗ 
mutb immer nur „ſtückweiſe“ anfieht. Er kennt das 
Problem nicht, defien Röfung es gilt, die Entwide- 
Iung des Principe der freien Goncurrens ift ihm nie 


deutlich geworden, da er es immer nur ökonomiſch oder- 


politifch, aber nie forial betrachtet. Die Entwidelung 
diefes Principe aufhalten wollen, das konnte der Libe- 
ralismus nicht, das würde höchftens die Gefepgebung 
können, aber auch biefe würbe, wenn fie fich eine ſolche 
Aufgabe ſtellte, nur mit der größten Borficht zu Werke 
gehen dürfen, da ein feſtgewurzeltes Princip in feiner 
Entwickelung ftören nichts Anderes als Revolutionen 
herbeiführen heißt. Da nun ber Liberalismus das Prin- 
cip ber freien Concurrenz weder hemmen noch ftürzen 
kann, fo bleibt ihm, mie er es denn auch thut, nichts 
Anderes übrig als dieſes Princip als Vorausfegung an- 
zumehmen und unter diefer Vorausfegung wirken zu 
wollen. Da nun eben die Concurrenz es ift, welche bie 
Noth der arbeitenden Claſſen hervorruft, fo muß er bie 
Grundurſache dieſer Roth auf ſich beftehen laſſen und 
doch will er gegen dieſe Roth wirken! Da iſt die Un⸗ 


fähigkeit, die Inconfequenz biefes Standpunkte deutlich, 
gegeben, ‚der Liberalismus kann weber das Princip ber 
feeten Concurrenz aufheben, noch kann er Arbeit, wenn 
fie nie vorhanden ift, fchaffen, noch kann er neue 
Märkte erobern, noch kann er die Confumtion erwei-- 
ten, um die Arbeit zu erweitern, noch kann er bie 
Conjuncturen beherrfchen, welche einen Fabrikszweig läh- 
men, er fann weiter nichts als ſich auf feinen guten 
Willen berufen, feine Jüufionen fortfpinnen, bei einer 
„tüdweifen” Wirkung verharren und erflären, baf er 
„blos die individuelle Freiheit und Aufklärung fchügen 
unb erweitern” wolle. Das ift aber, der großen Frage 
gegenüber, an die er ftch bei uns gemacht hatte, fo gut 
wie gar nichts! 

In Frankreich, mo die Entwidelung des Principe 
ber freien Concurrenz fi am freieften und reinften durch⸗ 
gefept hat, ift der Liberalismus fchon feit lange von fol- 
hen Illuſionen in Bezug auf „Das Wohl der arbeiten- 
den Claſſen“ zurüdgefommen, er hat eingefehen, daß es 
weder feine Sache noch fein Intereffe ift, der Xr- 
muthefrage bis auf den Grund zu gehen, und nur des⸗ 
halb erfcheint, worauf Heß im erften Hefte feines „Ge⸗ 
ſellſchaftsſpiegel“ (S. 2) aufmerkfam macht, im Berhält- 
niffe zum franzöfifhen Proletariat und zur deutfchen 
Bourgeoifie Dasjenige, was die befigende Glaffe in 
Frankreich zur Hebung ber gefellfchaftlicden Noth vor= 
fhlägt, geringfügig.‘ Die Parteien haben fih in Frank⸗ 
reich fchärfer firirt, die Stellungen und Intereffen find 
weit beflinmter auseinander gegangen als in Deutfch- 
land, wo Jeder, fo lange e8 nur irgendwie geht, den 
Anfchein von Philanthropie und Humanismus zu wah⸗ 
ren furht. Der franzöfifche Liberalismus hat fein Hehl 
daraus, daß er fich gegen die Bebürfniffe und Stre⸗ 
bungen der arbeitenden Elaffe feindfelig verhält — im 
Gegenfag zu ihm nehmen ſich Legitimiften berfelben an:. 
Graf Dubouchage in der Pairsfammer, Berryer im 
Proceß der Zimmerleute —; der franzöfifhe Kiberalis- 
mus bat ganz andere Dinge zu treiben und zu thun 
als die Zuftände der Arbeiter zu unterfuchen und ihrer 
Berbefferung eine aufrichtige Sympathie zu ſchenken. 
So hat fi denn in Frankreich, im Gegenfage zum’ 
Liberalismus und überhaupt zu jeder politifchen Partei, 
jene Bewegung ausgebildet, welche man allgemein als 





170 


„Sommunismus” bezeichnet und die allmälig aud nad) 
Deutfchland ihre Ableger und Apoſtel hineinfendet. 
Zaffen wir fürs erfle ihre hiſtoriſche Entwickelung 
ins Auge. Obgleich neuere Schriftfteller die Erſchei⸗ 
nung des Sommunismus bi6 auf den Bauernkrieg und 
auf De Reformation zusüdfichren wollen, fo wird doch 
gewoͤhnlich Baboeuf (unter dem Directorium) als erfler 
Gründer des Communismus bezeichnet. Er flellte als 
Zweck feiner Bemühungen, als Bafıs feiner Lehre das 
Glück Aller, le bonheur commun, auf, und Daher, 
fowie von der Gütergemeinfchaft, der Communaute des 
biens, flammt der Name des Communismus. Geine 
Idee war ſchön und poetiſch, aber von praktiſcher Seite 
blieb ſie roh, ſie war nur ein Anfang, aber von inhalts⸗ 
ſchwerer Bedeutung unter dem rein politiſchen Wendun⸗ 
gen der framzoͤſiſchen Revolution. Die Revolution näm⸗ 
lich hatte die wichtigſten Fragen des Volks und der 
Menſchheit nur ſehr oberflaͤchlich behandelt, fie hatte den 
Srundbefig in andere Hände gebracht, fie hatte die Zer⸗ 
ſtückelung des Bodens begünftigt, fie hatte die Beſitzun⸗ 
gen des Adels, ber Geiſtlichkeit, der Emigrirten im die 
Hände des Mittelclaffen gegeben, — das Loos bes Volks, 
das Loos der arbeitenden Elaffen war uwveraͤndert Daf- 
felbe geblieben, gegen den Pauperisnus, diefen Krebs⸗ 
Schaden des modernen Geſellſchaft, wurde Fein Mittel 
gefunden. Und doch mar dieſe Frage bie wichtigfie, von 
ihr wurde die ungeheure Mejorität der franzöfifchen Be⸗ 
völferung ganz direct berührt. Ob eine momarchifche, 
ob eine republitanifige, ob eine conftitutionnelle Regie⸗ 
zungsform, am Ende ift doch nur der Staat ein geord⸗ 
neter, wo es feine Nothleidenden, keine unfreimilligen 
Arbeitötofen gibt. Und doch haben rein politiſche Fra⸗ 
gen bie europäifche Welt ganze 50 Jahre hindurch be- 
ſchaͤftigt, an ben Zuſtand der Maffe, an die Bedürfniffe 
der Arbeiter bachte Niemand. Die ungeheure Entwide- 
Iung der Medyanit, welche unfer Jahrhundert auszeid- 
net, brachte die Nothwendigkeit einer Löfung diefer Frage 
immer näher und näher. Die Mafchinen, ber Dampf, 
die Eifenbahnen begannen ihre Wirkung, entwidelten 
ihre ungeheuern Kräfte und jeder diefer modernen Gi⸗ 
aanten machte die Menſchen und ihre Handarbeit wenn 
nicht gerade zu nichte, doch zu fehr untergeordneten In⸗ 
firumenten. Jede neue Erfindung im Gebiet des Ma- 
fhinenwefens mußte viele Taufende von Arbeitern brot- 
los machen und das SProletariat, mit ihm des Paupe⸗ 
rismus, fliegen und rediten fi in erfchrediender Pro⸗ 
greffion, während die Eifenbabnen alle Zwifchenpuntte 
und kleinern Bläge vernichteten und nur im Gentrum 
und an den äuferfien Auslauföpuntten die Arbeit, bie 
Bevölkerung, den Reichtum und die Production con» 
centristen. Der Arbeiter war durch die Mafchinen nun 
feibft zu einer Mafchine geworden, der Mechanismus, 
dem er preiögegeben, ließ ibn in Indolenz und Thier- 
thum verfinken; aber buch die Mafchinen war ed num 
auch nothwendig geworden, fo viel und fo mohlfeil als 
möglih zu produciten, für die Productmaſſen inumer 
neue Märkte zu finden und das Princip der Concur⸗ 


ren; ebenfo wol im Großen wie im Kleinen, ebenfo wel 
zwiſchen Völkern wie zwiſchen Privatperfonen geltend zu 
machen. Das ungeheuer raſch entwidelte und ange 
ſchwollene Proletariat bildet für biefe induſtrielle Riefen- 
bewegung, nicht® Andere® als die mechaniſche Triebkraftz 
aller Drum derfeiben faͤllt auf baffelbe zuruͤck, ohne daß 
es einen conftanten Vortheil von derfelben ziehen könnte. 
Deshalb weil diefe Maffe nichts zu verlieren bat, weil 
der Drud aller befichenden Einrichtungen daffelbe im- 
mer mehr erbittern muß, ift fie der gefährlichfte Feind, 
befonders in England und Frankreich, des Staats und 
iberhaupt der ganzen Gefellichaft wie fie einmal ift 
geworben. Die Regi n haben allmälig Die Gefahr 
erfannt, welche von diefer Seite droht, aber Angft, Un- 
hlüffigkeit oder auch wirkliche Ohnmacht hielten fie bis⸗ 
ber ab entfcheidende Schritte zu thun. In Frankreich 
z. DB. vereinigte die Regierung fich feit der Julirevolu⸗ 
tion immer mehr mit den Jutereſſen ber Beurgesifie, 
bie Maſſe des Volks wurde immer mehr nur ale das. 
Geld betrachtet, auf dem man operizte, es kam wenig 
darauf an, wie viele Keichen die Speculation und der 
Induftrialismns erfoderten. Das Loos der Maffen war 
alfo durch die politifche Entwidelung ber Gegenwart 
nur verfchlecgtert worden, die Revolution hatte nur bie 
Macht des Adels gebrochen, um ein neues Privilegium, 
das Privilegium bed Vermögens, au die Spige der Jeit 
zu fielen. Bor der Revolution waren es 80,000 ade 
lige Familien, welche den größten Theil der ländlichen . 
Bevolkerung in Drud und Abhängigkeit erhielten, jege, 
nachdem fie den privilegirten Grundbefig vernichtete, find 
e6 200,000 begüterte Kamilien, in deren Bänden Die 
Macht concentzirt if. Millionen liegen darunter! In 
feuhefter Zeit Sklave, im Mittelalter hörig, wer die 
Maſſe auch elend gewefen, aber damals empfand fie 
nicht die Stacheln biefes Blende, ſondern betrachtete es 
als eine natürliche Folge der gättlichen und menſchlichen 
Weltordnung; nachdem aber die Philofophie des 18. Jahr⸗ 
hunderts, der Proteſtantismus, die Revolution die Frei⸗ 
heitsidee, den Begriff allgemeiner Menſchenwürde Ichen- 
dig gemadt hatten, mußte der Trieb nach Berbefferung 
ihres Loofes in der Mafle immer mächtiger werben, und 
gegen den hartherzigen Drud von oben mußte fi ein 
grimmiger Widerftaud von unten geltend machen. Der 
neue Zuftand der Dinge mußte audy eine neue Organi-⸗ 
fation der Arbeit nothwendig machen, benn die alte 
reichte nicht länger aus, das Pulver hatte bie Bogen⸗ 
fhügen, ber Bücherdruck die Gopiflen verbrängt, bas 
Maſchinenweſen hatte die Handarbeit niedergedrückt, eine 
neue Combination für Lohn und Arbeit war immer 
deinglicher geworben, das fprach aus dem ganzen Zu⸗ 
ftande der Welt. Die Geifter bemächtigten fidy diefer 
Trage und fo jahen wir dam, nie von St.Simoniſten, 
Fourieriſten, Communiften, Oweniften u. f. m. Then 
rien auf Theorien aufgeflsllt wurden, ohne daß man in 
der Praxis zu irgend etwas Anderm gelommen war als 
zu ber Beflätigung: der Zuſtand ber Gefellfchaft fei ein 
unmatürlicher, Millionen Menfchen befänden ſich zum 


121 


VBertheü Weniger in einem Iuflende, auf deſſen Ab⸗ 
änderung mit allen möglichen Kräften Bedacht genom⸗ 
men werben müffe. 

Das „allgemeine Glück der. ganzen Menſchheit“, 
diefe ſchoͤne Idee gewann viele Herzen und begeifterte 
vieie fire fich im poetiſcher Allgemeinheit, aber im Wie? 
lag der gordiſche Knoten, deffen Röfung unmöglich 
bfied. In dem Wie? diefer Anderung wichen alle Sy— 
ffeme voneinander ab; ja, die meiften kamen nur zu 
(önen Phantaſien anftatt zu einer praktiſchen Bethaͤ⸗ 
tigumg. Der Geiſt ber Revolution von 1788 hatte in 
den meiften Ländern die Zünfte und Eorporationen ver- 
nichtet, der Handwerker fand nun ganz iſolirt, feine 
Arbeitskraft konnte fih unmöglich gegen die Macht bes 
Capitais und des Mafchinenwefens wehren; neue Aſſo⸗ 
dafionen zu bilden verbietet in den meiften Ländern bas 
Geſetz. So wuchs denn, mährend die Theorien beifeite 
gingen, der Pauperismud immer gewaltiger und die 
Regierungen fuchten Palliatiomittel anzuwenden. In 
Gngland firhte man fid) mit der Armentare zu helfen, 
in Frankreich wurden auf Keften des Budgets ungeheure 
öffentliche Bauten und Arbeiten ausgeführt, in Deutfch- 
land fuchte man Hülfövereine zu organifizen, aber — 
was. half das Alles? Ahnliche Mittel hatte man ſchon 
in Ägypten und Babylon angewendet! In England ge- 
nügte die Armentare nicht, in Frankreich werden bie 
Bauten bald vollendet fein, in Deutſchland fcheiterten 
die Hülfsvereine ebenfo wol an der Angftlichkeit der Re- 
gierungen als an ihrer innern Unfähigkeit, in ben vorge⸗ 

iebenen Grenzen bie große Frage zu köfen, mit der 
fie ſich befchäftigen. Der Induſtriallömus breitefe fich 
immer mehr aus, dad Proletariat vermehrte fi immer 
fort, das Miet ſteht ungelöft vor der erſchreckten und 
beunruhigten Geſellſchaft. Die Löfung aller auf bie 
Regelung ber Arbeit bezughabenden Kragen ift immer 
weiter hinausgefchoben worden, ber alte Zuftand ver- 
barrte fortwährend; und der jüngfie Ardeitsſtillſtand der 
parifer Zimmergefellen hat recht auf die Schwierigkeiten 
Der Frage des Arbeitslohns aufmerkfam gemacht: Ne 
gierung, Kammern, Policei, Municipaliät und Zribunale 
wußten Zeinen Ausweg zu finden! 

Das praktifche Wie? blieb ungelöfl. Unb eben weil 
man dem Kommunismus keine Prapis geben tonnte, 
machte man ihn zu einer Religion. Go ifl ev in den 
azbeitenden Clafſen Frankreichs wirklich zu einer Art 
von Religion geivorben, diefe Religion Hat eine Hoff- 
nung gegeben, aber fie hat den reellen Zufland nicht im 
geringften erfeichtert. Stellen wir ums nun den Feind 
recht deutlich vor Augen, an deffen Bekämpfung man 
ſich ebenſo wol in ber Theorie als in der Praxis bisher 
fo vergeblich abgemüht Bat. Erſt dan kann das Miet 
Peitifirt werden. - 

Zuerft muß hier ein beftimmter Unterſchied zwiſchen 
Armuth und SPeoletariat gemacht werden, um die große 
Frage, deren Löfung es gilt, rein zu erhalten und fie 
nicht mit mehr ober minber verwandten Stoffen und 
Erſcheinungen zu vermifchen. Zwiſchen Armuth im ge- 


möhnlichen Sieme umd zwifchen Proletariat eyiftirt ein 
weſentlicher Unterſchied. Der Arme iſt dadurch aum, 
daß er entweder nicht‘ arbeiten kann oder nicht arbeiten 
will, der Proletasier dagegen kann arbeiten, auch will 
er arbeiten, aber es fehlen ihm die Mittel oder die Ge⸗ 
legenheit, fein Können und Wollen geltend zu machen. 
Dies halte man feſt, bier iſt der weientliche Differeng- 
punft zwifchen Armuth und Proletariat. Arme het 
e& immer gegeben, aber die Erſcheinung, daß weder Ar- 
beiteluft noch Arbeitsfähigkeit fi) zur Genüge der Erir 
ſtenz verwerthen tiefen, dieſe Erfcheinung gehört der 
modernen Zeit an. Wir Haben die Entfichung des 
Kommunismus oben auf die franzöfifede Resolution zurück⸗ 
geführt, gleichzeitig beginnt biefe Erfiheinung. Nachdem 
von der Revolution alle Eorporationen, alle beſtimmt 
geſchloſſenen Kreife aufgelöft waren, ftellte fie ben Grund⸗ 
fag auf: Jeder kann unternehneen was er will. Da 
durch wurde dem Thaͤtigkeitstriebe ein ganz ungeheures 
Ted geöffnet, es fegten ſich Kräfte in Bewegung die 
früher gebannt geweien waren, es kamen Capitalien in 
Umlauf die früher Brad, gelegen hatten, die Induſtrie 
nahm eimen rafıhen Aufſchwung; aber natürlid Tann 
nur dann Jemand etwas unternehmen was er will, 
wenn er zur Ausführung feines Plans auch bie geiſti⸗ 
gen und materiellen Mittel bat. Die Concurrenz war 
eröffnet, das Wettrennen wurde ungeheuer. Concurriren 
durfte Jeder, wenn er die Mittel dazu hatte, aber worin 
befanden diefe Mittel? Im Bapital! Kür Den, ber 
fen Capital aufweifen konnte, gab es auch feine Eon- 
currenz, er war von vornherein vom Weltlaufe ansge- 
ſchloſſen. Alſo hatte der Wahlfpruh: Ein Icher kann 
Alles unternehmen, feine arritre pensde, feine bedeutenden 
Schranken. Das Princip der freien Concurrenz läuft 
alfo auf nichte Anderes als auf bie Herrfchaft des Capi⸗ 
tals hinaus, und die Welt ſcheidet fih nun wieber in. 
die Capitaliften, die Ritter, und bie Capitallofen, den 
Troß, die Sklaven. Die Eapitaliften verwenden bie 
Arbeitskräfte der Gapitallofen für ihren egoiftifchen , 
Zwed, der Troß ift an ben Ritter gebunden. Unter 
den Rittern wird gelämpft auf Leben und Tod, jeber 
ſucht Sieger zu fein und dem Mitbewerber den Rang 
abzulaufen. Das Ziel aber, nach dem jeder firebt, ift 
nicht anders als durch TWohlfellheie zu gewinten, unb 
diefe wieder ift nicht anders als durch Herabfegung der 
Productionstoften zu erreichen. Der Arbeitslohn wird 
herabgefegt ober die Zahl ber Arbeiter wirb vermindert, 
denn Maſchinen gewähren das Mittel, benfelben Zweck 
durch fie weit ſchneller und billiger al6 durch An- 
wendung menfchlicher Kräfte zu erreichen, Der Indu⸗ 
ſtrialismus mit all feinen Schreden und Kämpfen brüde 
zulegt immer auf die Maffe der capitallofen Arbeits⸗ 
fräfte, derjenigen beren einziges Kapital die Arbeit ifl. 
Der Induſtrialismus kann ferner nicht bei einer natürlichen 
Production, die durch die Konfumtion in Schranken 
gehalten wird, fichen bleiben, er producirt um zu pro⸗ 
duciren, er zuft eine Menge Induſtriezweige hervor, bie 
nicht durch eine naturgemäße Entwidelung, fondern nur 





172. 


unter dem Ginfluffe zufälliger Umflände entſtanden find. 
Fallen fie, verfiegen ſie, ſtockt die Production, treten 
fchlechte Gonjuncturen ein: Jeder da oben fucht ſich zu 
retten, ber ganze Drud Fällt auf die capitallofe, arbei- 
tende Maffe, deren Eriftenz an die Schwankungen des 
Induſtrialismus gebunden ift. Die Confumenten müf- 
fen das für fie ganz gleichgültigeBeftehen einiger Probucen- 
ten mit Tribut erfaufen oder, fallen die künftlichen In⸗ 
duftriegweige, fo verlieren die auf biefelbe angewieſenen 
Arbeiter ihre Eriflenz, ihr Brot. Pür die Legtern wird 
ein folder Fall um fo verberbenbringenber, als dies bis 
ins Kleinſte geltend gemachte Princip der Arbeitsthei- 
tung ihnen nicht fo leicht den Übergang von einer Be⸗ 
fhäftigung zur andern geftatte. Auf diefen Zuftänden 
beruht die Natur bes Proletariats, aus ihnen reſultirt 
es in feiner ganzen Fruchtbarkeit und Entfeglichkeit; lo⸗ 
cale, fecundaire Zuftände konnen es noch fleigern, aber 
bie Natur des Proletariats beruht auf dem Principe 
der freien Eoncurrenz ober, was Daffelde fagt, auf der 
heutzutage geltend gemachten Plutokratie. Die Concur- 
ren; ift der Krieg Aller gegen Alle und dieſer Krieg, 
weicher fo viele Leichen macht, befchräntt ſich nicht auf 
die Grenzen eines Landes, fondern bie einzelnen Natio- 
nen concurriren ebenfall$ untereinander und bier ge- 
ſchieht Daffelbe, was im Einzelnen ftattfinde. Da man 
an die Kabrikation die Wohlfahrt der Länder und Böl- 
fer gefnüpft bat, fo fucht man fie fo weit ale möglich 
auszudehnen, für bie eigene Production viele fremde 
Märkte zu gewinnen, die fremde fo viel als möglich 
aus dem eigenen Lande zu verdrängen, und fo kann 
denn auch nur bier durch die Macht eines größern Capi⸗ 
tals eine Nation auf Koften der andern den Sieg er- 
ringen; das liegt im Wefen des Induſtrialismus. 
(Die Sortfegung folgt.) 


Die Schlacht von Hohenfriedberg oder Striegau am 4. 
Juni 1745. Gin Beitrag zur Gefchichte des zweiten 
fchlefifhen Kriege, Mit neun Beilagen und zwei Pla⸗ 
nen. Bon Leo Freiherrn von Lützo w. Potsdam, 
Riegel. 1845. Gr. 8. 1 The. 10 Nor. 


Der tapfere preußiſche Cavalerieoffizier, ber Generallieu⸗ 
tenant v. Luͤtzow, der nicht minder als fein Bruder, welcher in 
dem Befreiungskriege der Sabre 1813—14 das bekannte Freicorps 
führte, in jenen Kämpfen fi auf das Ruhmmürdigfte ausge: 
zeichnet, ift vor der Ausgabe des vorliegenden Werks bereits 
geftorben. Er batte bafjelbe indeß nah dem Manuferipte 
durchgefehen und Alles, was wir erhalten, iſt von feiner Hand, 
—e— Zuſatz. Das Werk ſelbſt iſt eine ſchaͤtzbare, mit 
Klarheit und Einfachheit abgefaßte Schlachtſchreibung und durch 
genaue Schlachtplaͤne und Terrainaufnahmen verſinnlicht, fo: 
daß wir uns ein recht vollſtaͤndiges Bild dieſes wichtigen Sie⸗ 
ges entwerfen koͤnnen. Ein ſolches aber verdiente eine Schlacht, 
in der. fi) das hohe Talent Friedrich's II., ein Treffen zu ord⸗ 
nen und zu leiten, und die ausgezeichnete Tapferkeit ſeiner 
Truppen in dem hellſten Lichte gezeigt haben. Den Gang ber: 
felben koͤnnen wir jedoch hier nit verfolgen: die Oftreicher 
und Sachſen ließen es keineswegs an Tapferkeit fehlen, aber 
man fieht auf das Deutlichfte, wie ihre DOberanführer, Prinz 
Karl von Lothringen und Herzog Sohann Adolf von Weißen: 


fels, den ſtrategiſchen Künften Friedrich's nit gewäachfen wa: 
ven und wie bie einmal eingeriffene Unordnung und Berwir: 
rung ihre Truppen gegen Die mit ungemeiner Kaſchheit vor- 
dringenden Preußen nicht länger Stand halten ließ. Unter 
biefen zeichnete ſich befonders bes Dragonerreniment Baireuth 
aus, weldyes 19 feindliche Bataillone über den Haufen warf, 
vernihtete,, größtentheils gefangen nahm und ihre Kanonen 
und Fahnen eroberte. Diefe glänzende Waffenthat ift von 
S. 76 — 84 mit forgfältiger Kritik aller Angaben und mit 
richtiger Abwägung des Maßes von Lob und Ehre, das den 
Generalen Schwerin, Schmettau und Gesler zukam, befchrieben 
worden, und auch der Tapferkeit der Gemeinen, die Briebrich IL 
in feinem Schlachtberichte und in feinen hiſtoriſchen Werken fo 
dankbar erhoben bat, die gebührende Erwähnung ermiefen. 
Werfen wir nun überhaupt einen Blick auf diefe Schlacht unt 
ihre Beſchreibung, fo wird man in der neuern Kriegsgefchichte 
felten Beitpiele Enden, wo ben Operationen der Feinde, mit 
folder Überlegung entgegengewirkt ift, wo fie mit ſoicher Über- 
legung durchkreuzt und endlich Durch einen entfcheidenden Schlag 
fo zernichtet find, als es den Operationen des Prinzen Karl 
von Lothringen in der erften Hälfte des Feldzugẽ des Jahres 
1745 dur das Benehmen des Königs und dur dic Schlacht 
bei Hohenfriedberg widerfahren ift. 

Bei Ubfaffung der vorliegenden Schrift bat Hr. v. Lüge 
alle ihm zu Gebote ftehenden gebrudten Hülfsmittel mit m⸗ 
ſicht benutzt, nicht bloß die preußifchen Armeeberichte und die 
zerftreuten Einzelheiten in verfdhiedenen Werken preußifcher 
Offiziere, fondern auch, fo viel als ihm möglich war, bie öft- 
reichiſchen und fächftifchen Kriegsnachrichten zu Rathe gezogen. 
Eine bis dahin unbenugte Quelle bot ihm das fogenannte 
Schöppenbud, cine Chronik des auf dem Schlachtfelde liegen- 
den Dorfes Pilgramshain aus den Jahren 1694— 1763, muth⸗ 
maßlih aus der Feder eined Geiſtlichen oder Schullehrers. 
Man fiebt auch hieraus wieder, wie gut fich felbft nad einem 
fo langen Beitraume die Chroniken der Städte und Dörfer be 
währen, und follte noch jetzt alles Ernſtes auf deren Anferti- 
gung oder Fortführung Bedacht nehmen. Namentlich wird 
died auch in Bezug auf die Ortlichkeiten für künftige Ge- 
ſchichtsforſcher von Wichtigkeit fein, weil die Anlage von Ei⸗ 
jenbahnen die bisherigen Straßen und Wege fo bedeutend ab⸗ 
ändert und ganze Gegenden dadurch eine durchaus veränderte 
Geftalt empfangen. 20. 


Bibliographie. 


Bahmann :» Korbett, 3., Zahme Lieder. Offenbach. 
1845. Gr. 16. 10 Nor. 

Bibliothef ausgewählter Memoiren des 18. und 19. Jahr- 
hunderte. Mit gefchichtlichen Zineitungen und Anmerkungen. 
heraußgegeben von I. E. Pipitz und &. Fink. Iter Band: 
Mid. Dginski's Denkwürdigkeiten über Polen, das Land und 
feine Bewohner. Mit einer Einleitung: Polnifd > zuffil e 
Wahlvermandtfchaften vom Sinus der Polen in Moskau (1600) 
bis zum Einzug der NRuffen in Warſchau (1831). Belle-Bue, 
Zerlage und Sortimentsbuchhandlung. 1845. 8. 1 Thir. 

Ror- 
Bredler, ©. H., Die Gefchichte der deutſchen Reforma: 
tion. Dem deutfhen Volke nad den Urkunden und Schriften 
der Reformatoren und ihrer Gegner wahr und klar dargeftellt. 
Ifte® und 2tes Heft. Danzig, Gerhard. 12. A 5 Nor. 

Difteli, M., Schweizerifcher Bilderkalender für das Jahr 
1846. Solothurn. 4. 5 Nor. 

Leo, G. E., Stimmen aus der Kirche. Eine Reihe bibli- 
[her Betrachtungen. Dresden, Naumann. 1845. Gr. 8. 15 Xgr. 
Banotti, 3. R. v., Genealogifhe Tabellen über Die 
verfchiedenen Zweige der Yamilien von Montfort und von Wer⸗ 
renberg. Belle⸗Vue bei Eonftanz, Verlags: und Sortiments» 
Buchhandlung. 1845. Gr. 8. 15 Rgr. . 





Berantwortlicher Herausgeber: Heinrich Srodyans. — Drud und Berlag von F. X. Brockhaus in Leipzig. 





Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 


Freitag, 








Die ſociale Frage. 
(Fortfegung aus Nr. 48.) 

Haben wir uns das Princip deutlich gemacht, wel⸗ 
ches die Welt beherrſcht und drück, fo können wir auch 
nach feiner Macht auf die Macht und Möglichkeit ber 
Mittel fließen, durch weldhe man das Proletariat zu 
mildern oder gar aufzuheben ſucht. Daß noch Fein Rar 
Dicalmittel gegen den Pauperismus gefunden, - das kann 


Sein Vorwurf fein, aber Das wird zum Vorwurf, wenn | 


man glaubt, mit Verkennung der mobernen Armuthb- 
urfachen radical ‚wirken zu fünnen. Wir tönnen den 
großen Conflict nicht löfen, in den die Welt, in den bie 
GSefellſchaft allmaͤlig Himeingetrieben ift, uns bleibt nichts 
Anderes als vorzubereiten und die große That ber Ber 
schichte zu uͤberlaſſen. Deshalb iſt es auch für den 
Communismus der allergeringfte Vorwurf, daß er nicht 
„praktiſch⸗ wirke, nein, praktiſch im gewöhnlichen Sinne 
kann er nicht fein, weil er ein Princip bekämpft, wel- 
ches er nicht ausrotten kann, fo lange der gefchichtliche 
Proceß es nicht in feinen Gonfequenzen zerfchmettert. 
Der Communismus kann nichts Anderes thun als bie 
Welt kritificen, als die ganze Unzulänglichkeit der befte- 
henden Zuftände nachweifen. Wo er prafktifch werben 
wollte, gab er fih immer auf, wo er Religion wurde 
und ein communiftifhhes Gebäude dogmatiſch conftruirte, 
wie vielfach in Stantreih, da wurbe und wird er ab- 
geſchmackt. Damit wollen wir nicht gefagt haben, daß 
es dem wachſenden Pauperismus gegenüber genug fel, 
die Hände in den Schoos zu legen, und bie befann- 
ten Schlagwörter: „Abſchaffung des Geldes, Güterge- 
meinfehaft, Organifation ber Arbeit, abfolute @leid- 
heit”, auszuftoßen und fich in einer blinden Ideologie 
feſtzurennen; im Gegentbeil, der Communismus kann 
eben darin feine höhere Praxis beweiſen, daß er, in fle- 
ter Berichung auf das Princip, welches er befämpft, 
mit kriſcher Schärfe die alten Hüllen löſt, welche die 
Geſellſchaft beengen und dem Wachöthume der neuen 
Fruchtknoten behüflich ift, weile fich anfegen wollen. 
So kann er 3. DB. dadurch, dag er im Innern den 
Zrieb ber Affeciation feigert und nach außen die Eolo- 
nifation begünffigt, eine Art von Praxis bemeifen und 
dadurch zeigen, daß er fi ebenfo weit von phantafti- 
ſcher Träumerei wie von abftracter Syftemmacherei fern 


halten und ben Beben des Lebens fuchen wole. Aber 
wir leugnen es nicht, daß diefer höhere praktiſche Trieb, 
welcher allein, fo lange das Princip der Conturrenz die 
europäifche Welt beherrfcht, noch zu etwas nügen und 
überhaupt fördern kann, nur eine Seltenheit unter ben 
Sommuniften if. Wir wäßten nur Weitling zu nen⸗ 
nen, ber in feinen „Garantien“ den Berſuch wagte den 
Communismus zu organifiren, aber er that weiter nichts 
als daß er von allen potitifchen und religiöfen Syſtemen 
Lappen entfehnte, und die Unausführbarkeit feines Ver⸗ 
fuchs wurde (3. B. die Idee der Arbeitäftunden felbft 
von feinen Anhängern) anerkannt. Die meiften Com⸗ 
muniften find entweder Peſſimiſten ober Ideologen umd 
weder diefe noch jene können dem mächtig gefchloffenen 
Princip, welches ihnen entgegenfieht, die Zähne zerbre⸗ 
Ken, noch überhaupt die innere Entwidelung des Com⸗ 
mmismus fördern. Che ber Communismus bie Witt 
organifiren kann, wird er fich erſt ſelbſt zu organifiren 
haben, und wenn diefes bis jegt noch nicht gefehehen, 
fondern noch Vieles im Dunkeln fehwebt, fo muß aller- 
dings dagegen bedacht werben, daß diefe Bewegung nod) 
viel zu neu iſt als daß man fchon eine vollfländige Kry⸗ 
ſtallifation von ihre mit Recht erwarten koͤnnte. Der 
Kommunismus, wie er in Deutfchland, namentlich in 
dee ‚„„Zrierfchen Zeitung” und im ‚Befellfchaftsfptegel ” 
erfcheint, hat aber an Klarheit und Umficht Vieles vor 
ber gleihen Bewegung in Frankreich voraus, und fa 
möchte es fcheinen, daß auch in diefer Angelegenheit un 
fer Daterland einft berufen fein wird ein entfcheibendes 
Botum abzugeben. Die communiftifche Bewegung in 
Deutſchland ift weder peſſimiſtiſch noch ibeologifch-religiöe, 
fie conftruirt micht, fie prüft fidh vielmehr an ber Kritik 
der gefellichaftlichen Verhältniffe wie bie „Trierſche Zei⸗ 
tung“, ober fie fammelt den factifchen Beſtand derſelben 
wie der „@efellfchaftöfpiegel”, fie radotirt nicht wie Blanc, 
fie träumt nicht wie abet, und könnte man ihr einen 
Vorwurf machen, fo wäre ed der, noch allzu häufig nach 
der philofophifchen Schule zu ſchmecken! 

Wir haben in den obigen Andeutungen es verfucht, 
die verfchiedenen „Theorien der Armuth“, welche ſich ge 
genmwärtig geltend machen, kurz darzuftellen und wir 
glaubten keine zweckmaͤßigere Einleitung zur Beſptechung 
der an die Spige dieſes Artikels geftellten Schriften ge⸗ 


174 


ben zu können. Diefe Belprehung wird uns Veran⸗ 
laſſung werden, theil® auf die allgemeinen Punkte zu⸗ 
ruckzukommen, theils und in eine Eroͤrterung von Ein⸗ 
zelfragen, die zur Hauptfrage in directer Beziehung fe- 
ben und von allgemeiner Wichtigkeit find, einzulaffen. 





Mr. 1. Arnd, „Die naturgemäße Volkswirth⸗ 
haft”. Es ift fo viel und fo verfchiedenartig mit 
dem Volke und ben Völkern gewirthſchaftet worden, die 
Nationatötonomie hat fi) in fo enge Geſichtskreiſe ver- 
foren, dag man wohl fagen dürfte, eine naturgemäße 
Volkswirthſchaft, wahrhaft gegründet auf das Wohl des 
VBolks, könne nur durch die Auflöfung aller beſtehenden 
Volkswirthſchaft erzielt werden. Wir werden bald fe- 
ben, was unfer Verf. unter „naturgemäßer” Volkswirth⸗ 
fchaft verſteht und ihm nachzuweiſen ſuchen, daß er fein 
Syftem eben auf dem unnatürlichen Grunde begründet 
hat. Vorerſt aber dürfte es nothwendig ſein, in beſon⸗ 
derer Rückſicht auf bie „Volkswirthſchaft“ ſich die Auf- 
gabe der Gegenwart und der Zukunft duch einen Blick 
in die volkswirthſchaftliche Wergangenheit zu vergegen- 
märtigen. 

An der erften Periode des germanifchen Europas 
herrſchte eine Wiffenfchaft, welche Brüggemann (‚Der 
deutfche Zoliverband und das Schutzſyſtem“, S. 109) 
als ypatrimoniale Antheilswirthfchaft bezeichnet. Hier 
war das ganze Vermögen des Volks, fein Belig und 
fein Erwerb, in Antheile vertheilt und gefhügt mit 
Bannrechten. Das Lehnswefen, das Zunftweien, das 
Hoͤrigkeitsweſen, die Servitute ordneten die Geſellſchaft. 
Aber in den Städten, wo fich der Handel fammelte, 
mußte ſich bald eine andere Anficht von dem Rechte und 
von dem Weſen ber Okonomie entwideln, und mit dem 
Fortfchritte der europäifchen Gultur begann die zweite 
Periode der „commerciellen &elbwirtbfchaft”. In Ita- 
lien wurde fie geboren, mit der Neformation, mit der 
Entdeckung der Seewege nad Amerita und Oſtindien, 
überhaupt mit der höhern Entwidelung der Völker brach 
fie entfchieden durch. Die Nationen, welche unmittelbar 
bei den großen Weltbemegungen thätig waren, erwarben 
ſich dadurch auch eine öfonomifche Kraft, mit der fie DIE 
‘ andern mehr und mehr überflügelten. Bon ihnen aus 
bemächtigte ſich die neue Geldwirthſchaft allınalig aller 
mit ‚ihnen verkehrenden Nationen, und dadurch murben 
denn immer mehr die alten Abhängigkeits - und An⸗ 
theilsverhältniffe gebrochen und größere Bildung verbrei- 
tet, größerer Reichthum gewonnen. Mit biefer commer- 
ciellen Geldwirthſchaft, mit dem einerfeitd gefteigerten 
Reichthume bemerken wir andererfeits aber auch, mie ſich 
bei allen Nationen die Armuth vermehrt und ſich dar- 
aus der Pauperismus, das Maffenelend entwidelt. Die 
Hauptſache diefer in befchleunigter Zunahme begriffenen 
Krankheit ift oben nachgewiefen worden. Was ift nun 
die volkswirthſchaftliche Aufgabe der Gegenwart? Sie 
liege in den Geburtswehen einer dritten Periode, das 
wird Jedem Mar. Aber was wird das Princip diefer 
neuen Periode fein? Brüggemann glaubt Die neue Per 


riode als die einer „nationalen“ oder „focialen Geld⸗ 
wirthfchaft” bezeichnen zu konnen. Wir wiffen nicht 
vet, was er unter diefer „foeialen Geldwirthſchaft“ 
verfieht, um fo weniger, da er meint, fie fönne auch 
„nationale Geldwirtbfchaft” genannt werden. National 
und focial iſt uns ein bedeutender Unterfchieb und ver 
der focialen Auffaffung ber wirthſchaftlichen Verhältniffe 
fehen wir alle nationalen Abgrenzungen verfihieden. So⸗ 
cial ift allerdings die Aufgabe der Gegenwart und eben 
indem fie diefe verfolgt, ift es ihr darum zu thun, die 
alten nationalöfonomifhen Begriffe aufzulöfen und ein 
neues Princip, das Princip der Affocdation, an ihre 
Spitze zu fielen. 

Der Liberalismus in der Volkswirthſchaft hat es 
zum Princip der freien Coneurrenz gebracht; diefe trägt 
allgemach Früchte, welche mit den erſten Bebingungen 
der menfchlihen Würde und Freiheit in einen directen 
Widerfpruch gerathen. Die Volkswirthſchaft mit dem 


Princip der freien Concurrenz wahrt und fügt nicht 


das Iutereffe des Volks, fondern der Mittelclaſſe, welche 
nad) oben einen politifchen Liberalismus geltend macht, 
nad) unten dagegen in Rüdficht auf die Maſſe bes 
Volks immer ausfchließender wird. Ihre Baſis ift das 
Kapital und die Ausfchließtichkeit des Kapital. Die 
alte Geſellſchaft beruhte auf dem Rechte des Stärken, 
die moderne hat bie Arbeit befreit, aber in ihren Folgen 
zur Unfreiheit des Arbeiter geführt. Es ift der Pri- 
vatbefig, weldhen bie Gegenwart auf die Spige ge- 
trieben hat und in der Concurrenz den Kampf um ven 
Privatbefitz. Die Macht des Privateigentgums hat: mit 
dem britten Stande ihren Anfang genommen, benn auch 
in dem völligften Eigenthumsrechte des Feudalismus wa⸗ 
ven Befchränktungen bamit verbunden, welche man jegt 
nicht mehr anerkennt. Geijer fagt; 

Ein abfolutes Privateigentypum war im Weubalipfteme 
wenn aud nicht unbefannt, Doch durchaus nicht das herrichende. 
Das Eigenthum war von allen Seiten mit einem Retze von 
perföntichen Berhältniffen umfponnen, welche alles Sachredht 
in ein perfönliches Recht verwanbelten und zu gleicher Zeit 
das Band zwiſchen Befiger und Eigenthum zu einem gegen: 
feitigen, in der That felbft moralifhen Bunde machten. i 
erbliches, unveräußerliches an perſoͤnliche Verpflichtungen ge⸗ 
gen den Staat geknuͤpftes Eigenthum beſaß einen edlern Werth 
als das bloße Privateigenthum. 

Die Macht bes reinen Privateigenthums, theorerifch ver- 
theidigt in dem durch die Juriften wiederbelebten römifchen 
Rechte, wurde erft durch Die moderne Gefellfchaft befreit und 
in ihr, welche ihren Ausbrud im Bürgerthum findet, eben 
dur) das Bürgerthum ſowol zur Bafıs des Staats, ber 
Geſetzgebung ale auch der Volkswirthfchaft erhoben. Alle 
Volkswirthſchaft, wie wir fie bis jegt haben, geht von ber 
Macht des PrivateigenthHums aus und ftellt diefes direct 
an.die Spige.. So der Gründer der modernen Volks⸗ 
wirthichaft, Adam Smith, welcher den Nationalreichthum 
als bloße Summe ber in einer Nation zu irgend einer 
Zeit fi verbindenden Privatreichthümer betrachtet. 
Schon der Graf Kauberbale bekämpfte biefen Sag unb 
ftellte die Theorie Adam Smith's als bie Herrfchaft ei- 





175 


nes „dedorganifizenden Individualismus“ bar, er dringt 
Darauf, daß neben dem einfeitigen Streben nah Dis 
membration ber Gefellfhaft das andere ebenfo wefent- 
lihe nad Conföderation nicht überfehen werde. Zwar 
leidet er dabei an einer Vorliebe für vomantifch- feuda- 
Liftifhe Hebensarten. In neuerer Zeit hat man ben 
Adam Smith’fhen Begriff vom Nationalreihthum bes 
richtigt, z. B. Adanı Müller, man hat gefagt, der Reich: 


thbum wie bie Okonomie fowol der Privaten ale ber 


Derfonen befteht durchaus „nicht allein in einer Anhäu- 
fung von brauchbaren Sachen”, bie bald verzehrt und 
verfhmwunden wären ober ungebraucht daliegend werth⸗ 
108 blieben, vielmehr allein in jener veprobuctiven Kraft 
ber Wirthichaft, aus welcher die Sachen nicht nur mit- 
wis der Production hervorgehen, fondern in welche fie 
auch mittels einer wohlgeordneten Confumtion fo zurück⸗ 
ehren, daß fie, indem fie verbraucht werden, nicht ver- 
ſchwinden, fondern nur ihren Grund befruchfen und be: 
reichern, um reichlicher wieder hervorzugehen; allein mit 
der Berichtigung einiger allgemeinen: volkswirthſchaftlichen 
Begriffe ft die Hauptvorausfegung keineswegs umge: 
flogen worden, und der Privatbefig in feiner Ausſchließ⸗ 
Jichkeit und Concurrenzfreiheit ift immer -die Grundlage 
der Volkswirthſchaft geblieben. Eben dadurch ift fie in 
Widerfpruch zur Freiheit überhaupt getreten, denn im 
Weſen der Freiheit liegt die Allgemeinheit. Nur dann 
Tann eine wahre Freiheit ſich bilden, wenn chen Alle frei 
find. Diefe Allgemeinheit wirb aber von der bisherigen 
Volkswirthſchaft dadurch ausgefchloffen, daß fie den Beftg 
ganz wieder wie in ber Alteften germanifchen Zeit zur 
Bedingung der Freiheit gemacht hat. Allerdings kann 
eine innige Beziehung zwiſchen Freiheit und Befig nicht 
geleugnet werden, aber die Freiheit ift der bedingenbe 
Grund, der Befig ift die Folge der Freiheit und ihre 
Erfüllung. Diefes Verhältniß ift vom Staate ſowol 
wie von ber Volkswirthſchaft umgekehrt worden: bie 
Subftanz ift Accidenz, die Accidenz aber ift Subftanz 
geworden. 

Da nun aber der Befig feiner Natur nach beſchränkt 
ift, fo muß er auch, fobald er zur Bedingung der Frei- 
beit gemacht wird, nothwenbigerweife zu einer Befchrän- 
tung und Abfchliefung der Freiheit führen, fobalb er 
in feiner befchränkten Natur erſcheint und einen abge- 
ſchloſſenen Charafter annimmt. Die Zahl Derjenigen, 
die zur Freiheit berechtigt find, vermehrt fih, nicht fo 
der Beſitz. Man ift fo welt gegangen ald man konnte, 
man hat die Theilung des Beſitzes anerkannt unb bie 
weitefte Concurrenz eingeführt, aber nie bie Bebingung 
des Befiges fallen laffen. So verftopft fih die Duelle 
der Freiheit, die Bedingung ber Freiheit wird zur Un- 
freiheit und die Volkswirthſchaft, wenn fie von der al- 
ten Vorausſetzung nicht abgehen kann, ift in Wiber- 
ſpruch zu Dem, was bie Zeit will und was fie muß, 
immer mehr geratben. 


(Die Yortfegung folgt.) 


Bübniffe der deutſchen Könige und Kaifer von Karl 
dem Großen bis Franz 11. nach Siegeln an Urkun⸗ 
ben, Münzen, Grabmälern, Dentmälern und Origi⸗ 
nalbifdniffen gezeichnet von Heinrich Schneider; 
nebft charakteriftifchen Lebensbefchreibungen berfelben 
von Friedrich Kohlrauſch. Zweites bie ſechstes 
Heft. Gotha, F. u. U. Perthes. 1844 — 45. Ler.-B. 

2 Thlr. 15 Ner. > 


Seit wir das erfte Heft des genannten Werks in Rr. 129 
d. Bl. f. 1314 anzeigten, find ald Zortfesung fünf andere er« 
fhienen, von denen das britte und vierte und die Reihe ber 
Hohenſtaufen bis zum Erlöjchen des großen Kaiferhaufes vor: 
führt, das legte mit Heinrich von Luxemburg fließt. Biel 
feiht ift der Gang des Werks Diefem oder jenem Leſer zu 
langfam vorgefommen, aber mit vollem Rechte kann hier das 
Wort angewendet werden: Gut Ding will Weile haben. Denn 
gewiß, ein guted Ding ift bier von den Verlegern unternom» 
men, von dem Künftler und dem Biographen ausgeführt. 
Richt erhalten wir bier von den Königen und Kaifern Deutichs 
lands Bilder in der Phantafie des Kuͤnſtlers entfprungen, wie 
eine eigenthümliche Anſicht oder Vorliebe dieſelben erzeugt 
batte, fondern auf gleichzeitige Monumente gegründete, in wel- 
hen demnach die Spuren ber Wirklichkeit und Echtheit fo 
weit verfolgt find, ald diefes bei fo weit von uns gelegenen 
Begenftänden nur irgend mögli if. Siegel an Urkunden, 
Münzen, Grab: und Denkmäler jind bier, benugt, und wenn 
diefe auch Feine volle Gewißheit über das Außere des Mannes 
geben, den fie darftellen, fo wird man, lie doch immer jenen 
Phantafiebildern vorziehen, wie uns ja gleichzeitige Müngen 
mit den Bildniffen ausgezeichneter Männer, auch unvollkom⸗ 
men, lieber find als Die aus einer fpätern Zeit herrührenden 
Abbildungen verfelben. Den vorliegenden fiehbt man es auf 
den erften Blick an, daß ed dem Künftler um Zreue zu thun 
wars er hätte leicht durch Fünftlerifche Ausführung etwas Ge: 
fälligered geben Sönnen, aber die Wahrheit hätte gewiß darum« 
ter gelitten. Indeß enthält das legte Heft doch einige Bild- 
niffe, in denen der Künftler nach größerer Gefälligkeit geftrebt 
bat, ohne der Treue Abbruch zu thun. 

Wie nun diefe Bildnifje, indem fie die Kraft und Deutſch⸗ 
beit jener Fuͤrſten ahnen laſſen, dem Deutfchen eine dankens⸗ 
wertbe Gabe find, fo laͤßt ſich dies in reiherm Maße von den 
Lebensbeſchreibungen fagen, mit denen Hr. Kohltauſch diefel- 
ben begleitet bat. Wir fprechen fogleih aus, welchen Kreis 
von Leſern er ſich befonders gedacht haben mag, für welche fie 
vorzugsweife geeignet find. Der Gefchichtöforfcher wird zu den. 
Quellen geben; bem gebildeten, der Geichichte nicht fremden 
Manne werden diefe Könige und Kaiſer aus dem Verlaufe der 
Geſchichte, aus den Veränderungen, die vorzüglich durch fie in 
ihr vorgegangen find, bekannt fein, wierwel auch diefer die 
Reihe der in jenen Zeiten vorzugsweife wirkenden, auf fie E@in- - 
Fluß übenden Männer gern nacheinander verfolgen und in Ge⸗ 
fammtheit überfehen wird. Aber den größten Reiz werden 
diefe Biographien für deutſche Jünglinge haben, der eigentliche 
Segen diefer Lecture wird für fie fein. 

Der Unterricht auf unfern hoͤhern Schulen bringt e8 mit 
fih, daß der reifende Knabe, der Züngling vor allen mit den 
großen Charakteren bes Altertbums bekannt wird. Dies ift 
ein großer Gewinn. Aber in dem deutſchen Süunglinge fol 
früh auch Vaterlandsliebe erzeugt werden, ihm geziemt ed, die 
großen Männer Eennen zu lernen, die fein Vaterland gehoben, 
Heziert und ehrwürdig gemacht haben, er fol lernen ſich ih- 
ver würdig zu machen, er fol die Gefchichte feines Vater⸗ 
lands lernen, und wer weiß nit, daß Biographien großer 
Männer im jugendlihen Alter die vornehmften Punkte find, 
an die ſich am leichteften und ficherften die ganze Breite, der 
Schalt der Geſchichte anknüpft! 

&o bat der deutfche Juͤngling in den großen Fürften fei- 


176 


nes Bots ein Begenbild und ein Gegengewicht zu jenen Gr 
Gen des Alterthums. Wenn ein Golon, ein Numa, ein Alexan⸗ 
der und Eöfar ihn I fo erfennt ex, daß fein Deutſch⸗ 
land nicht minder große Männer hatte an feinem Karl, feinem 
Heinrich und Dtto, an den Hohnflaufen; feine Liebe und Ber 

eifterung wird nicht Durch ein fremdes Volk aufgezchrt wer» 
en, er wird fi das Große um fo Fieber aneignen, da er fa: 
gen darf: Diefe Männer gehören uns an. 

Sole Betrachtungen find öfter angeftelit worden und 
die Zeit liegt nicht weit hinter uns, wo dies mit befonderm 
RNachdruck geſchah. Wir gedenten der Beit, die den Freiheits⸗ 
kriegen unmittelbar vorausging und der auf diefe zunachft fol⸗ 

enden. Aber leider litt diefe Zeit auch an dem Übel, das 
ee einem rüdfichtslofen Enthuſiasmus fo leicht zugeſellt. Man 
ging bilderftürmerifch zu Werke und vergaß, daB man einen 
geliebten Gegenftand nicht dadurch ehrt, daß man alles Andere 
neben ihm herabfept, fendern dadurch, daß man ihm die ge: 
bührende Stelle anweift, wo auch Anderer Glanz den feinigen 
nicht uͤberſtrahlt. Wie dieſer Teutonismus in das demagogiſche 
Treiben eingriff und daſſelbe förderte, wie verderblich er auf 
die deutfche Jugend wirkte, ift befannt. Ganz anders als Die 
Wortführer jener Zeit verfährt Hr. Kohlrauſch. Er läßt das 
Große einfach in feiner Natürlichkeit auf den Leſer wirken, 
verdeckt die Schattenfeite nicht, Laßt die Charaktere der Könige 
und Kaifer fih in ihrem Handeln entfalten, und wenn er felbft 
einmal vortritt, iſt es der verftändige Lehrer, der durch viel 
fältige, im Leben und in dem einflußreichen Amte, das ex be: 
Pleidet, gefammelte Erfahrung zu lehren befähigt iſt. Liebe, 
Gerechtigkeit und Maß find die Eigenfchaften des Biographen, 
die ſich überall kundgeben. Befonders die legte Tugend, unfe: 
rer Beit vor allen nöthig, und ach, fo felten! zeigt fih hier in 
ihrem Lichte, und fie that noth, wenn mit Gerechtigkeit von 
den eben jeßt fo oft über das Maß gepriefenen und verdamm⸗ 
ten Hohenftaufen oder von den großen Paͤpſten geredet wer: 
den follte. 

Denken wir und einen andern Kreid, für den das Bud 
geeignet ſcheint, fo find es die deutfchen Frauen. Sie koͤnnen 
ſich nicht in ein tiefere Studium der Gefchichte einlaffen, fie 
werden vor Allem von dem biographifchen Theile derfelben an- 
gezogen, fie haben von Ratur Empfängfichkeit für das Große 
und Edle im Marme. Und bier begegnen ihnen auch Hohe 
Mufter ihres Geſchlechts, deren Eigenthuͤmlichkeit und Gefchichte 
verftändig, awedtmäßig in die Geſchichte der Männer, und mit 
Liebe, eingeflochten iſt. Da haben fie des aroßen Karl's Hit: 
degard, Heinrich's Mathilde, Otto's Edgitha und Adelheid, 
Heinrich's III. Agnes und fo manche andere erhabene Frau. 
Belche Nation hätte eine ähnliche Reihe aufzumeifen? umd 
welche deutfche Mutter wird nicht mit Freuden die Ehrfurdt, 
ven der fie durchdrungen ift, in die Herzen ihrer Zöchter und 
Soͤhne einzuflößen fügen! 

Es find Biographien, die bier gegeben werden. Aber 
man denke nicht, daß fie vereinzelt aus der Geſchichte des 
Volks heraußgerifien iind. Dies wäre nicht möglich, und hier 
ift die gleichzeitige Geſchichte fo gefchidt in ihren Hauptmo- 
menten ın die Biographien verflochten worden, überall finden 
wir dieſe Momente mafjenweis fo gut vertheilt, daB man über: 
fichtlih das Ganze erhält, indem vorzugsweife das Einzelne 
hervorgehoben ift. Wie mander große Mann neben Denen, 
von denen hauptſaͤchlich gehantelt wird, auftritt, wie Die 
Quellen, auch die neuerdings Durch den Fleiß der Forfcher zu 
Zage geförderten, benugt find, das ift bei Gelegenheit ber An⸗ 
zeige des erſten Hefts gefagt worden. Wir bemerfen zum 
Schluß, daB die fünf folgenden in Peiner Hinficht jenem nad: 
ftehen, daß überall gleicher leid, gleiche Xiebe und Genauig- 
Peit fih fundgibt Und fo wünfchen wir dem mürdigen Berf. 
Mufe, um das fehöne Werk vollenden zu koͤnnen, das in feiner 
Fortfegung zwar nicht eine Reihe fo großer und hervorleuch 
tender Charaktere, fo erfreuliche &reignilfe behandeln, aber 
doch reich an Belehrung fein und zeigen wird, wie Deutfch- 


lant nach und nad die Geſtalt gewann, in der wir es . 
wärtig erblidien. Pr 





Literarifhe Notizen aus Eranfrei. 


Ein vor kurzem verftorbener Theaterdichter. 


Indem wir die vor kutzem erfchienenen „Oeuvres de La- 
ville de Mirmont” (4 Be) u Hand nehmen, koͤnnen wir 
die literarifche Thaͤtigkeit eines Chrenmannes überblidten. Seine 
beamatifchen Grüde haben viel zur Unterhaltung des Yubli- 
cums beigetragen, und wenn fein Rame jept nicht mehr fo bes - 
kannt ift als er es zu fein verdiente, fo ift dies weniger dem 
Gehalte feiner Leiftungen ald dem Umftande beizumeffen, daß. 
er das Klimpern, welches nun einmal, wie ſchon das Spruͤch 
wort fagt, zum Handwerk gehört, nicht verfionden hat. Be⸗ 
föpeidenpeit und das Bewußtſein redlichen Strebens hielt ihn 
‚um bie Gunft ber journaliflifhen Machthaber zu buhlen, 
von deren Ausfpruche allein der ephemerc, papierene Nachruhm 
abhängt. Laville war am 7. Aprit 1783 zu Verſailles geboren. 
Er ehörte zu einer angefehenen Zamilie, und eine glänzende 
gaufdahn wäre ihm erſchloſſen gewefen, wenn nicht der Sturm 
der Revolution auch feine Kartenhaufer über den Haufen ge 
worfen hätte. Indefien verfchafften ihm feine Talente und Kennt- 
niffe in der Folge doch eine angemeffene Stellung im Staats⸗ 
dienfte. Nachdem er einige Zeit dem Minifterium der auswaͤr⸗ 
tigen Angelegenheiten attachirt gewefen war, erhielt er einen 
einflußreichen Poſten im Minifterium des Innern, der ihn ber 
ſonders mit Raine in nähere Berührung brachte. Diefer ange- 
— Staatsmann, welcher die Befähigung Laville's erkannt 
atte, ſchenkte ihm fein volles Vertrauen und übertrug ihm 
wichtige Gefchäfte. Dadurch wurde er indeffen nicht abgehal⸗ 
ten, eifrig im Dienfte Der Mufen zu arbeiten, welche ihn ſchon 
von früh an gefefielt hatten. Rachdem er anfangs bei feinen 
eigenen poetifchen Productionen der Mode der Zeit geopfert 
und fi) befonders in dem damals beliebten Genre der Heroide 
verfucht hatte, wandte er fi in der Kolge mehr der Bühne 
Bi Hier gelang es ihm zum heil glänzende Triumphe zu 
eiern. 


Griechiſche Colonien in Sicilien. 


Auf der Philologenverfammlung zu Dresden fam das Ber» 
haͤltniß des griechifchen zum romanifchen Element, wie es ſich 
in Italien und vorzüglid) in Sicilien herausftellt, zur Sprache. 
Intereffante Notizen wurden vom Director Schulz in Betreff 
der langen Dauer der griechiſchen Sprache in Sicilien gegeben. 
Wir werden an diefe Erörterungen Durch Dad Erfcheinen einer 
Schrift erinnert, welche die griehifhen Niederlaſſungen auf 
diefer Infel fehr erfchöpfend behandelt. Es ift dies eine Ars 
beit, welche von der Akademie der moralifchen und politifchen 
Wiſſenſchaften gekrönt iſt. Sie führt den Zitel: „Recherches 
sur les 6tablissements des Grecs en Sicile, jusqu’a la re- 
duction de cette fle en province romaine”, von Wladimir 
Brunet de Presle. Obgleich die Alterthuͤmer, deren Sicilien 
eine reiche gute bietet, in verfchtedenen Büchern und zum 
Theil mit einem großen Aufwande von Gelehrſamkeit befchrie- 
ben find, forfehlte ed doch gerade noch an einem Werke, wel: 
es die für die ältefte Geſchichte Siciliens fo wichtigen grie⸗ 
chiſchen Eolonien näher beleuchtete. Cine folde Darftelung 
wird und in vorliegendem Werke geboten. Dem Verf. gebührt 
das Lob, daß er die Mefultate der neuern Forſchungen auf eine 
befriedigende Weife verarbeitet hat. Wie viel feit einem Jahr⸗ 
hunderte für die Kenntniß der altern Geſchichte dieſer Inſel 
gefchehen ift, ficht man recht Deutlich, wenn man biefe „Recher- 
ches’ mit der Gejchichte Siciliend von Burigny vergleicht. 
Diefe Schrift, welche ihrer Seit ganz brauchbar war, gegen 


‚ die neuern Unterfuchungen gehalten aber recht dürftig genannt 


werden muß, erfchien im 3. 1745. 


Berantwortliger Herausgeber: Heinrich Brockzans. — Drud und Verlag von F. E. Brockßaus in Leipzig. 


Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Sonnabend, 





Die fociale Frage. 
(Bortfegung aus Nr. 4.) 

Der Berf. des vorliegenden Werks befchäftigt fich 
keineswegs mit der Weiſe und ben Mitteln, Die 
Volkswirthſchaft aus der Collifion, in welche fie auf 
ihrem bisherigen Gange kommen mußte, zu befreien 
und ihr ein neues Princip unterzulegen, er fpricht 
eben nur noch einmal das Princip aus, welches fi 
fhon lange in ihr geltend gemacht bat und befien 
Entwidelung immer weiter vorfchreitet, um in feinen 
Confequenzen zufammenzubrechen, nämlih das Princip 
der freien Goncurrenz. Das Capital wird ihm zur 
Hauptfahe. Man höre ihn felbft: 

Da in civilifirten Staaten nur mittels des Befitzes von 
Bermögen die meiften Zwecke der Menſchen erreicht werden 
Tönnen, fo geht das Streben aller thatenluftigen Perſonen auf 
den Erwerb und auf die Vermehrung von Eigenthum; denn 
je mehr Eigenthum eine Perſon befigt, über eine defto größere 
Mafie menſchlicher Kräfte kann fie gebieten; deshalb fagt mar. 
mit Recht: Reichthum ift Macht. 

Ferner. werden wir fehen, daß in civififirten neuen Län: 
dern die Erzeugung neuer materieller Mittel nur mitteld ber 
Anwendung eines Vorraths bereits erzeugter materieller Gü- 
ter — nur mittel der Früchte früherer Arbeiten — mittels 
Sapitalen — ftattfinden fann. 

Bevor ein neued Erzeugniß verwertbet werden kann, Fir 
fen tie dazu erfoderlihen Materialien angefauft, — ed mu 
den mit deffen Hervorbringung beichäftigten Arbeitern ihr täg: 
licher Lohn verabreicht — es müflen die erfoderlihen Wer 
zeüge und Maſchinen angeichafft worden fein. 

Es beruht daher der Betrieb der Landwirthichaft und ber 
Gewerbe auf Capitalbeſitz; cbenfo ift es beim Handel; da ſich 
der Handelömann die weiter zu verfaufenden Waaren nur mit: 
tels Sapitalbefig verfchaffen kann; — nur nad Maßgabe des 
Gapitalbefiged koͤnnen daher Lanbwirtbfchaft, Gewerbe und 
Handel emporbfühen und fich ausbreiten. 


Nun wird ed zwar Niemand leugnen, daß im 
eivilifirten Staaten die meiften Zwede ber 
Menſchen nur dur den Beſiß von Vermögen 
erreicht werden können und daß eben beshalb bie 
Maſſe der Menfchen biefe Zwecke nicht erreicht, aber 
rechten darf man mit dem Verf., wenn er auf biefen 
Zuftand eine „naturgemäße Bollswicchfchaft” begrün- 
den will. Bat er weiter nichts wollen als ein Gompen- 
dium für bie Beſitzenden ſchreiben — und es fiheint 
zumeilen fo —, um ihnen für ihre Macht einen theore- 
tifhen Anſtrich zu geben, fo hätte er biefes Interefſe 


offen ausfprechen und fich nicht fiellen follen, als fei es 
ihm um eine „naturgemäße” Volkéwirthſchaft au thun. 
Ber wie der Verf. den wmörberifchen Krieg der Con⸗ 
currenz naturgemäß findet, wer das beflehende Verhaͤlt⸗ 
niß der Arbeit zum Gapitale „naturgemäß” nennt, dem 
müffen wir in einer Zeit, welche ein neues Princip ge⸗ 
biert, fo ziemlich alle volkswirthſchaftliche Befähigung 
und eine richtige Beurtheifung aller dahin einfchlagen- 
den Zuflände. abfprechen. Ohne daß es uns nothwen- 
dig ſcheint, ihm in die Ausbreitung jener Zuſtaͤnde zu 
folgen, welche er auf Capital und Concurrenz begrün- 
det, wellen wir doch ben Stod feiner Brundfäge inß 
Auge faffen, um fo mehr, ba der Verf. eigentlich nur 
dem Intereſſe und dem Gedanken unferer liberalen 


Bourgesifie Worte verleiht. Der Verf. will nachmeir . 


fen, daß 
die ewige Weisheit als hauptjächlicyes Mittel zur Ver⸗ 
wirffichung en —5— —— auf die —5** 
der wirthſchaftlichen Verhaͤltniſſe der menſchlichen Gefellſchaft — 
der Concurrenz der menfchlichen Kräfte bedient; — daß es zu 
den wirthſchaftlichen Fortſchritten, im Entwickelungsgange die⸗ 
ſer Gefellſchaft, weiter nichts bedarf als der Befreiung dieſer 
Concurrenz von den ihr angelegten Feſſeln; — daß alle dieſe 
Feſſeln nur von jenem von der menſchlichen Selbſtſucht aus⸗ 
ehenden Monopoliengeiſte herrühren, welcher ſchon im Alter 
thbume die SHaverei und in neuerer Beit die Privilegien, Ma 
jorate, Mauthen und Korngefege einführte. 

Für die „ewige Weisheit” war bie Coneurrenz der 
menfchlichen Kräfte eben nichts ale die freie Entwide- 
fung aller Kräfte, eine Gleichberechtigung aller Kräfte 
zum Leben, zur Arbeit, ein harmonifches Sneinandergrei- 
fen; was ift aber die gegenwärtige Eoncurrenzwirthichaft? 
Ein Krieg Aller gegen Alle, ein Kampf auf Tod und 
Leben, ein Triumph‘ Weniger auf Koſten ber Mafte. 
Der Verf. verfucht es dieſe Goncurrenz mit ber Can 
currenz der menfhlichen Kräfte zu identifieizen und fet- 
ner Lieblingeidee badurd ein geoffenbartee Dafein zu 
nerfchaffen; aber der Unterfchieb zwifchen des natürlichen 
Goncurtenz und bderienigen, welche uns beherrſcht und 
welche der Verf. predigt, muß Jedem einleuchten. Wie 
kann die moderne Concurrenz noch auf ben Namen 
Concurrenz menfhlicher Kräfte einen Auſpruch mar 
hen, ba das Kapital ige Beherrſcher iſt! Der Verf. 
will nicht die ganz freie Goncurrenz ber menſchlichen 
Kräfte, ohne Borausfegung von Capital, Beſitz, Eigen- 
thum — bamit wären wir ganz einverflanden —, er 


— — 


178 


will die Goncurrenz auf der Vorausfegung des Capi— 
tals, welche die Maſſe der menfchlichen Kräfte erniedrigt, 
geltend machen und auf dieſe Goncurrenz, welche wir 
ſchon oben als den Quell des Pauperismus nachgewie⸗ 
fen haben und deren praftifche Folgen wir noch deutli- 
her bei ber Beurtheilung des Engels’ihen Buchs bar- 
fielen werden, feine „naturgemäße Volkswirthſchaft“ be- 
gründen. Mit einer freien Concurrenz der menfd- 
Iihen Kräfte ftchen die Grundjäge des Verf. in ci- 
nem directen Widerfpruche, fie geflatten nichts Anderes 
ale die Concurrenz des Vermögens. 

Für den Standpunkt des Verf. iſt es fehr bezeich- 
nend, daß er in feiner „naturgemäßen Volkswirthſchaft“ 
über die Arbeit, über ihre fittlihe Natur, über ihre 
„naturgemäße” Foderung und Berechtigung gar nichte 
zu fagen hat, fondern eben nur von ihrem „ötonomifchen 
Effecte“ (5. 22) redet. Er gefteht zwar, daß die Ar— 
beit „in mancher unferer Fabriken nicht fehr verfchieden 
ift von den Verrichtungen unvernünftiger Thiere“, aber 
er läßt diefe Entwürdigung ber Arbeit volllommen auf 
fi beruhen und kommt auf die Theilung der Arbeiten 
zu reden. Die Darftellung und die Entwidelung die 
ſer Arbeitstheilung iſt fehr klar gehalten, aber über Die 
Folgen diefer ins Unendliche gehenden Arbeitstheifung 
im gegenwärtigen Gefellfchaftszuftande weiß der Verf. 
nicht® zu fagen. Er führt zwar die Urfachen des über- 
safhenden Erfolge an, welche durch die allfeitige Thei- 
fung der Arbeit hervorgebracht werden, aber nicht die 
Übel, welche fie für den vereinzelten Arbeiter mit füch 
bringt. Der DVerf., weldher überall die. Concurrenz pre: 
digt, hätte doch an der Theilung der Arbeit fehen fön- 
nen, daß es eben der Affociationsgeift ift, welcher die 
großen Erfolge bezweckt, denn was ift die Theilung an- 
der6 als das Zufammenmwirken Aller für einen Zweck? 
Aber unter den gegenwärtigen Zuftänden ift burch bie 
Herrfchaft des Kapitals und der Concurrenz das natur: 
 gemäße Verhältniß diefes Zuſammenwirkens vernichtet 
worden, der Arbeiter erfreut fich nicht der Theilung der 
Arbeit, fondern er leidet unter ihr, nur dem Gapitaliften 
fommt fie zugute, der Arbeiter wird durch fie in eine 
willenlofe Mafıhine verwandelt, bie einfeitige Ausbildung 
einer Heinen mechanifchen Fähigkeit zerflört feinen menfch- 
lihen, ſowol feinen phyſiſchen als pfochifchen Organie- 
mus, und den großen Refultaten, zu denen die Arbeits- 
theilung auf. allen Gebieten des Lebens führt, fleht er 
elend und ifolirt gegenüber. Das Princip der Affocia- 
tion mill eben nur die Theilung der Arbeit auf ihre 
naturgemäße Baſis zurüdbringen, welche durch ben 
Egoismus und die Concurrenz vernichtet werben, aber 
davon weiß der Verf. nicht nur nichts zu fagen, fondern 
er fiellt fi) dazu gerabewegs in einen directen Wider⸗ 
ſpruch. Seine Arbeitsrheilung foll die Willfür der Con- 
currenz beberrfchen. Höre man ihn felbft: 

Werfen wir einen Blick in Wen täglichen Verkehr, in die 
— der Güter, der Beſchaͤftigungen und Berufsarten 

t 


der menfchlichen Geſellſchaft, fo werden wir bald feben, daß 
alles Dieſes Die Regelmäßigkeit feines Ganges und die NRatur⸗ 


gemäßheit feiner Anorbnung nur all-in der Concurrenz der 
menſchlichen Kräfte verdankt. 


" Wir haben gefehen, daß dem Verf. die Concurrenz 
der menfchlihen Kräfte gleichbedeutend ift mit der mo- 
bernen Woncurrenz, welche auf der Borausfegung bes 
Capitals beruft. Ferner: 

Der Lefer wird leicht entnehmen, weile Meinung wir 
von den Syſtemen eines &t.: Simon, Zourier und Owen und 
von der in unferer Beit fo oft empfohlenen Organifation der 
Arbeit hegen; — diefe Organifation fegt die beiden Dauptlräfte, 
auf welchen die wirthfchaftliche Drdnung der menſchlichen Ge⸗ 
felfchaft beruht, außer Wirkfamkeit, um fie durch kuͤnſtliche 
Anſtalten zu erſetzen, durch welche dieſelben Bwede. unmoͤg 
erreicht werden koͤnnen; — es ift dies das ſelbſtändige Stre⸗ 
ben nach Gewinn und Genuß, angeregt vom Sporn des Mett: 
eiferd; es ift dies die gerechtefte, von der Concurrenʒ vollzogene, 
Bertheilung der Gemwinnfte, nad) dem genau abgewogenen Maße 
der eiftung. 

Der Mangel an der erftern muß zur Sorglofigkeit und 
Saulheit, und der Mangel der letztern muß zur Ungerechtigkeit 
und hiermit zu Neibungen — zur Empörung und zur Auf⸗ 
löfung des ganzen Organismus führen! 

Da haben wir die „Meinung“ des Verf. in nuce! 
Er „meint” chen nichts Anderes ale was wir taufend» 
fach hören, als was tauſendfach vorgebracht und taufend- 
fach widerlegt worden ift. Zuvoͤrderſt möchten wir dem 
Berf. bemerken, dag man noch gar fein „Communift ” 
zu fein braucht, um eine Drganifation der Arbeit zus 
wollen. Eine Organifation der Arbeit ift noch feine 
Organifation der ganzen Geſellſchaft. Diefe Iegtere 
fann man bekämpfen, ohne daß man deshalb auch ſchon 
die erſtere beſtreiten müßte. St.Simon, Fourier, Owen 
entſprechen wahrhaftig nicht unſern Anſichten, aber das 
Princip, die Bewegung, welche ſich in ihnen durcharbei- 
tet, iſt auch die unſerige und ſie ſteht mit dem Princip 
des Verf. in einem fo directen Widerſpruch, daß es ſich 
kaum noch der Mühe verlohnt auf feine Meinung ’ 
gründlich zu antworten. Die neue Theorie fept die 
Hauptkräfte, auf denen die wirthſchaftliche Ordnung be= 
ruht: 1) das felbftändige Streben nach Gewinn und Ge- 
nuß, 2) die gerechtefte, von ber Concurrenz vollzogene 
Vertheilung der Gewinnſte, außer Wirkung, fagt ber 
Verf. Schen wir uns diefe Behauptung einmal näher 
an! Das Streben nad) Genuß ſetzt Die neue Theorie 
gewiß nicht außer Wirkung, im Gegentheil fie dehnt 
dieſes Streben aus, fie vermenfchlicht es und fodert, daß 
Alle genießen, daß nicht Einzelne zum Genuffe privilegire 
nd auf Koften der darbenden Maffe. Aber auch das 
felbftändige Streben nach Genuß fegt fie nicht außer 
Wirkung, denn fie verlangt, daß jeder fich bes Werthes, 
der Würde. feiner Arbeit bewußt werde, daß er eben 
duch, feine Arbeit felbftändig nach Genuß ſtrebe, wie er 
dieſes bei ber von der Concurrenz der Eapitalien beherrfchten 
Arbeitstheilung unmöglich kann. Das Bedenien, bag 
Faulheit — Sorgloſigkeit allerdings. — die. Folge fein 
würde, hängt mit den blinden Gedanken zufanımen, 
welche man fich gewöhnlich von einer Organifation der 
Arbeit macht und wird durch das zweckloſe, phantaftifche 
Conſtruiren frangöfifcher Communiſten gefördert. Gei 





179 


der Verf. überzeugt, daß eine Organifation ber Arbeit 
noch fein Eden hervorbringen wird, wo Mil und Ho— 
nig fließt und der Menſch weiter nichts zu thun hat 
als fpazieren zu gehen, fondern daß es auch dann noch 
immer heißen wird: Im Schweiße deines Angefichts ſollſt 
du dein Brot effen, nur mit dem Unterfchiede, daß der 
Schweiß dann wirklich das Brot und die Arbeit den 
wirklichen, ungefihmälerten Lohn bringen muß. Die 
zweite „Dauptkraft”, „bie gerechtefte, von der Concur⸗ 
ren, vollzogene Vertheilung der Gewinnfte, nach dem 
genau abgewogenen Mafe der Leiftung”, wird allerdings 
von dem neuen Zuftande der Dinge aufgchoben werden 
müffen,, denn die Gerechtigkeit der Concurrenz iſt nichte 
Anderes als das Privilegium der Einzelnen und das 
Elend der Maffen. Die Entwidelung des Concurrenz⸗ 
principe, welche wir oben gegeben haben, beweift zur 
Genüge, daß die „gerechtefte Bertheilung der Concurrenz 
nad dem genau abgewogenen Mafe der Leiftung‘‘ die 
furdhtbarfte Ungerechtigkeit ift, daß fie, ganz abflrahirend 
von dem wahren Werthe der Arbeit, die Einzelnen 
ebenfo unverhälmigmäßig begünftigt wie fie die Leiftun- 
gen der Maffe nicht nad ihren Werthe, fondern nad) 
rein äußern VBerhältniffen, Überproduction, Handelskriſis 
u. f. w. unbarmherzig fchmälert. Wir empfehlen dem 
Berf. die Lecture des Engels’fchen Buchs oder wenigſtens 
der Auszüge, welche wir unten geben werden, um feine 
„Meinung“ zu berichtigen, doch er ift ja felbft in Eng- 
land gewefen und bat felbft dort, wo die Concurrenz 
ale ihre Folgen ſchamlos enthüllt, nichts lernen fonnen! 
Don der Einführung der neuen Theorie erwartet er 
„Reibungen, Empörung, Auflöfung des ganzen Drga- 
niemus”! Wie wenig muß er die wirklichen Zuftände 
bes Lebens kennen, wenn er von einem Princip Das er- 
wartet, was fein eigenes Princip alle Tage hervorbringt 
und immer mehr droht hervorzubringen. Ein Blid in 
den täglichen Verkehr wird Jedem beweifen, daß ein 
Soncurrengverhältnig zu den heftigften „NReibungen” An- 
laß gibt und aus den beften Freunden plöglich die bit- 
terften Feinde macht, ein Blick aber auf die fociale Lage 
der Welt zeigt Jedem, daß die Concurrenzherrſchaft zur 
Empörung führt und immer mehr an der Auflöfung 
des ganzen gefellfchaftlichen Organismus arbeitet. Was 
ift die Urfache ber Arbeiterempörungen in England? 
Was hat feibft den Weberaufftand in Schlefien herbei. 
geführte? Wo anders als in der Herrſchaft des Kapitals 
und der Concurrenz ift die Urfache folcher Zuftände zu 
fuhen? Die nene Theorie will eben diefes unnatürliche 
Verhaältniß fehlichten und der Gefellfhaft den Frieden 
und mit dem Frieden die volle Luft des Lebens und der 
Arbeit wiedergeben und da fürchtet der Verf., daß fie 
einen Zuftand, Reibungen, Empörung, Auflöfung bes 
ganzen Organismus herbeiführen möchte, den fein eige- 
nes Princip ſchon lange herbeigeführt und durch den 
Die Maſſe der Menſchen unmenfchlich vernichtet wird. 
Das ift jedenfalls ein merkwürdiger Irrthum! 
Betrachten wir jept die Anfichten des Verf. über 
den Arbeitslohn, diefen Punkt, welcher in neuefter 


a nn — —— — — — — — — rn — — — —— —— —— — — — 


Zeit eine fo große Aufmerkſamkeit auf ſich gezogen. 
Wir müffen ihn bier felbft reden laffen: Ä 

Zunaͤchſt beitimmt fi zwar die Größe des Arbeitslohn 
durch das Berhältniß des Bedarfs an Arbeitern zu deren vor: 
bandenen Menge. Da jedoch duch das übergroße Fortpflahs 
zungsvermögen Die Menge beinahe allenthalben ihre Grenze 
nur in dem Mangel an Subfiftenzmitteln findet, fo beftimmen 
diefe legtern die Größe des Tagelohns. 

Unter den Subfiftenzmitteln haben wir zu verftchen: den 
Aufwand für Nahrung, Kleidung und Wohnung, welchen, 
nach ber beftehenden Sitte jedes Landes, der gemeine Arbeis 
ter daſelbſt zu machen gewohnt ift. ' 

Steigt fein Lohn in Folge vermehrten Begehrs nach Ar- 
beitern cder fält der Preis der Lebensmittel auf einige Zeit 
herunter, fo fieht er fi) in den Stand gefegt, eine Familie zu 
ftiften; — in feinen Kindern vermehrt fi) dadurdy dic Zahl 
der Arbeiter, — fällt hierauf der Lohn wicder herab, fo fehen 
fih wieder wenigere Arbeiter zur Stiftung von Familien in 
den Stand geſetzt, es vermindert fich der Nachwuchs und for 
mit der Borrath an Arbeitern. 

‚ So bildet der Zagelohn den natürlichen Regulator für 
die Beftimmung Der Menge der Arbeiter und hiermit auch 
der Benölferung der Länder. 

Der Erfahrung gemäß findet bei einem Tagelohne, wels 
dyer doppelt fo viel beträgt als der Preis der Nahrungsmittel 
für einen Dienjchen, einige Menfchenvermehrung ftatt; — ber 
trägt er dagegen nur ein und ein balbmal diefen Preis, dann 
tritt Berminderung ein. 

Die Randesfitte regelt jene Qubfiftenzmittel auf die man» 
nichfaltigfte Weife. In dem Lande, wo der gemeine Arbeiter 
geößtentheild von Kartoffeln und Waffer lebt, im Sommer 
Beine. Schuhe und Strümpfe trägt und fih an Sonntagen in 
ganz grobe Stoffe kleidet, ift der Preis feiner Subfiftenzmittel 
Heiner als. da, wo er täglich Bleifchipeifen und Wein oder Bier 
genießt, wo er immer Schuhe und Strümpfe trägt u. f. w. 

Diejenigen, welche Übervölferung und Dürftigkeit der un⸗ 
tern Arbeitsclaſſe ald unvermeidlihe Thatſache vorausfegen und 
hieraus unverfuldete Armuth und Elend folgern, verwechſeln 
die Wirkung mit der Urſache; — denn ihr eigener Mangel an 
Ehrgefühl bei der leichtfinnigen Stiftung von Ehen und ber 
Kindererzeugung, und ihre Anfpruchslofigkeit in Beziehung auf 
ihre KLebensbedürfniffe find ed, was ibre Anzahl übermäßig 
vermehrt, — und diefe übermäßige einge! drückt den Tage⸗ 
lohn herab und dieſe ſelbſtverſchuldete Niedrigkeit ihres Lohns 
verſagt ihnen die Lebensgenuͤſſe der Wohlhabendern und er: 
haͤlt ſie fortwaͤhrend in Armuth. 


Als Reſultat dieſer Anſichten erhalten wir nun Folgendes: 


So ſehr wir auch das in den untern Volksclaſſen häufig 
vorfommende Elend beklagen müflen, fo Pönnen wir es doch 
nur als ein Telbftverfhulpetee anſehen; — denn alle organi: 
ſchen Gebilde bringen ein Übermaß neuer Zeugungen hervor — 
diefes Übermaß muß immer aus Mangel an Subfiftenzmitteln 
frühzeitig zu Grunde gehen; erhebt fi der Menſch nicht durch 
feine Bernunft über die übrigen Gattungen der Raturgebilde; — 
fegt er ebenfo wenig wie fie feiner Beugungsfähigkeit Schran⸗ 
ten, fo muß er auch das Schidfal diefer bewußt: und ver» 
nunftlofen Gebilde theilen; — er fegt fi mit feinen Kindern 
der Befahr aus, wegen Mangels an Bubfiftenzmitteln fruͤhzei⸗ 
tig zu Grunde zu geben. 

Die Erfcheinung kann keineswegs Durch eine andere Verthei⸗ 
lung des Zefiges oder des Einfommend — wie die Communi⸗ 
ften träumen — eine wefentlihe Anderung erleiden, denn fie 
ft ganz unabhängig von der zeitigen Theilung der vorhande- 
nen Qubfiftenzmittel, fie gründet ſich nur allein auf das Ber: 
haͤltniß, welches zwiſchen der Summe diefer Subiftengmittel 
und der Anzahl der von ihr zu erhaltenden Menfchen beſteht; — 
läßt diefe Menfchenzahl ihrem Beugungsvermögen freien Lauf, 
fo findet eine folge Vermehrung derfelben ftatt, daß jene vor» 


180 


handenen ober erzielburen Gubfiftenzmittel zu ihrer Ernaͤh⸗ 
rung nicht ausreichen können; es muß daher die obenbezeich⸗ 
nete Erſcheinung nothwendig eintreten, jene Bertheilung mag 
in der einen oder in der andern Weiſe ftattgefunden haben. 
Die einzige Beränderung, welche eine andere Bertheilung des Zu: 
ſammenkommens zur Folge haben würde, fann nur darin beftehen, 
daß das einbrechende Elend andere Perfonen treffen würde. 


(Die Yortfegung folgt.) 


— — — — — — — — — 





Rheiniſches Jahrbuch mit Beiträgen von A. W. von 


Schlegel, G. Pfarrius, E. Bauernfeld, K. 
Gutzkow, Varnhagen von Enſe, K. Simrod, 
Anaſtaſius Grün u. U. m. Herausgegeben von 
Levin Schücking. Erfter Jahrgang. Köln, Kohnen. 
1846. Ler.:8, 4 Thlr. 


Das „Rheiniſche Jahrbuch”, das von Freiligrath, Mage: 
rath und Simrock für 1840 und 1841 ausging, aber nur Diefe 
zwei Zahrgänge alt wurde, bat ſich nad vierjähriger Unter: 
brechung dur eine neue Verlagshandlung in prachtvoller Ge: 
ſtalt erneuert. Diefe großartige typographiſche Ausftattung 
koſtete freilich nur einen Gntfchluß der Verlagshandlung; aber 
ed gehörte Stud für den neuen Derausgeber dazu, in der fur: 
zen Frift vom Sommerentſchluß des Verlegers bis zur Herbft: 
eriheinung des Buchs wenigftens doch fo gute Beiträge zu 

ewinnen, als in der prachtvollen Ausftattung erfcheinen. Ein 
eweis, wie viel Freunde der yeachtete Kevin Schüding be: 
fit! Freilich wird unter diefen Umftänden auch manches eben 
Fertige, für den Zweck nicht befonderd Zubereitete mit dar: 
eboten. Namentlich erfcheint von eigentlich rheinländifchem 
eben nur fehr wenig. Wir erhalten deutſche Spenden, die 
fih blos am Rhein zufammengefunden Haben. Doch, wenn 
fon, wie bekannt geworben, die bloße Auswahl aus den ein: 
geſchickten Beiträgen eine, felbft auf Nebendinge und Beiläu: 
Peiten gerichtete Angftlichfeit und Rückſicht des Herausgebers 
r rheinländifhe Werfiimmungen erfoderte, wie viel bedenk⸗ 
Gicher würde es geweſen fein, aus diefem verftimmten Leben 
ſelbſt mehr oder das Meifte zu fchöpfen, ohne Saiten zu be: 
rühren, die dad Rheinland jegt nicht vertragen kann! Ja, ed 
ift betrübend wahrzunehmen, wie dies klare, heitere, kräftige 
Bolt aus politiſcher Verdroſſenheit kirchlich eifert und roͤmiſch 
empfindlich iſt; wie es, anſtatt der neuen deutſchen Bewegung 
anzugehoͤren, ſich an die alten Übelftände anlehnt, die jene Be: 
wegung bervorgerufen haben; wie ihm zu feinen Demonftea- 
tionen die Männer und die Mittel gut genug find, die den 
Widerwillen des gebildeten Deutfchlands erregen. Der Kampf 
ift ruͤhmlich, den fie für echt deutfche Intereffen führen, nicht 
aber defien römifcher Ruͤckenhalt. Gewiß würden fie auch mit 
der Flut der neuen Überzeugungen politifch beffer fahren als mit 
der Ebbe des Mittelalters. 

Doch wir haben nicht das Rheinland zu Pritifiren, fondern 
das „Rheiniſche Jahrbuch”. In der Vorhalle deffelben fteht bas 
fauber ausgeführte Bildnig Auguſt Wilhelm v. Schlegel’s, 
Stich von Gonzenbach. Gemalt fcheint ed in Schlegel’ noch 
nit ganz welker Zeit, wiewol ſchon mit dem großen Stern 
auf der Bruft, von dem er felbft Seite 15 fagt: 

Wie man mit Wölfen heult, pruuf’ ich vor eitlen Leuten. 
Diefe Beſcheidenheit geht Übrigend aus den „Reliquien“, die 
aus feiner Verlaffenfhaft mitgetheilt find, nicht immer hervor. 
Köftlich ift das Eingangsſonett, dag er zu einer Schelle feines 
eigenen Werthes und Verdienftes gegoflen und polirt hat. Daran 
ſchließt fih das folgende Sprüdlein nepl Exvrov. Es ift wahr, 
wie Schlegel artig fein konnte, hat er vor feinem feligen Ende 
dem bieibenden Geflecht die Mühe erfpart, ihm ein Zarator 
feiner Berdienfte und ein vollbadiger Kobredner feines Werths 
u fen. Es erkennt ihn, wie er felber im Sonett fagt — 
eim Namen Auguſt Wilhelm Schlegel! 

Schlegel war ein Formengeift, begabt zerftreuten Gedanken: 








gehalt um: und zufammenzufcgmelzen, in verfchiebenen Spra⸗ 
hen fidh meifterlih auszubrüden. Auch unter biefen „ Keii. 
quien’ finden wir Gedichte, correct und glatt in antiken und 
modernen Formen. Das Piquante, Witzige, Launige herrſcht 
dor. „Der Prophet des hingften Zages’’ iſt fehr ergöglic. 
Weniger erquicklich find die kleinen Gpöttereien über Keine 
Nebendinge in Goethe's und Schiller's Briefwechfel, das ver: 
ſtohlene Rupfen an Schiller's Lorbern und die Sticheleien 
auf Goethe. Auch die hier und da hervorſtechende Luͤſternheit 
und Sinnlichkeit weiter Phantafie erweckt ungünftige Erinne 
rung; da man nicht weiß, aus welcher Zeit diefe Verschen find, 
ob vor» oder nachehelich erzeugt. Die Iepte „Reliquie”, der Brief 
an eine Dame, worin Gchlegel fi über fein Verhältniß zu 
den religiöfen Bekenntniſſen ausfpridgt, gewährt auch feinen 
erhebenden Gchluß. Über diefen diplomatifchen Begenftand bat 
er ſich Franzoͤſiſch — in bewußter Eleganz — audgedrüdt. Ganz 
intereſſant ht er über die Neigung feiner Seit und feiner 
Freunde, zur alten Kirche zurückzukehren. Für fi) felbft aber 
findet er endlich das Refultat, daß er verfchiedene Berfuche 
gemacht, an manches Thor angeflopft babe. „Zumweilen”, fagt 
er, „ſuchte ich mich zu überreden, daß ich des chriftlichen Blau: 
bens fei: dann aber ſah ich ein, daß es eine Taͤuſchung war. 
Ein lebendiger Glaube muß doch wol fo ftark fei, daB man 
fid) durchaus nicht von ihm losmachen fann. Gin willfürlicher, 
erfünftelter Glaube dient zu nichts. So babe ich mich denn 
entſchloſſen, wahr gegen mich felbft zu fein. Ich laſſe mein 
Denken frei walten, und ergebe mich darein, welche Zweifel 
und VBerneinungen dabei herauskommen. Ich halte mich an die 
urfprüngliche, eingeborene, allgemeine Religion. Daß ift der 
Schluß meiner Irrfahrten des Ulyſſes, das ift mein Ithaka!“ 

Rheinifches Keben bringt zunaͤchſt G. Bfarrius in Brud: 
ftüden aus Denkwürdigkeiten über „Das Ende des Haufes 
Dhaun”. Gin Leibarzt der legten Rheingräfin von Dhaun fol 
diefe Memoiren Hinterlaffen und Pfarrius will nur den vorlie- 

enden Ausſchnitt gemacht und binfihtlih der Diction nachge⸗ 
Bolfen haben. Jedenfalls Hat das mitgetheilte Bruchftüd ein 
novellenartiges Anſehen, malt ſehr anfchaulich die wildroman: 
tiſche Scenerie zwiſchen den malerifchen Vorhügeln des Huns: 
ruͤck und refen durch feine Einblide in das Leben der Fami⸗ 
lie und der Zeit um die Mitte des vorigen Sahrhunderts. Die 
Erzählung hätte poetiſch potenzirt werdenflönnen, wenn man, 
von der angeblich wirklichen Gefchichte ein wenig abgehend, die 
manchmal doc etwas zu fehr von außen kommenden Ereigniffe 
mehr von innen heraus entwidelt und die Kataſtrophe näher 
an die franzöfifhe Revolution gerüdt hätte. Die Zerftörung 
der Burg wäre dann nit als ein zufälliges Anhängfel, fon- 
dern als verhängnißvoller Ausgang erfchienen, wenn die Ka: 
milie von Grumbach, die gu Ausführung ihres Feevelhahen 
Erwerbs der Dhaun' ſchen Beſitzung fih franzoͤſiſcher Glüds- 
ritter bedient hatte, durch glühlich erfundenen innern Zufam: 
menhang an franzöfifche Revolutionnaire den ungerechten Befig 
wieder verloren hätte. 

„Die Reichsverſammlung ber Thiere“ gibt eine ironifche 
Abfpiegelung deutſch⸗ conftitutionnellen Staatelebens im Ihier- 
reiche. Das leichtgehaltene Drama. zeigt, wie man, von der 
Idee der allgemeinen Gleichheit ausgehend, doch bei der alten 
Sewaltherrfchaft ber Befigenden und Mächtigen wieder anlangt. 
Es fehlt Dem Scherze nicht an guten Einfällen, unerwarteten Sen: 
dungen und verftändlichen Seitenhieben. Man glaubt in mehr als 
einem deutſchen Ländchen zu fein, wenn der Herold verfündigt: 

Der Reichstag iſt auß, 
Seht Ale na Haus! 
Das Budget ift votirt, 
Sept wird weiter regirt. 
WBohlweislich hat der Poet feinen dichterifchen Reichsſtag nich 
in berfelben Stunde der Eröffnung vertagt; ſonſt Hätte er 
nit einmal Raum zu feinen bezuglichen Scherzen gehabt, 
fondern nur eine kurze Poſſe gebracht. 
(Der Beſchluß folgt.) 


Berantwortlicer Heraußgeber : Heinzi Brockdans. — Druck und Verlag von F. M. Wrodpans in Leipzig. 


Blatter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Sonntag, 


15. Februar 1846. 





Die fociele Frage. 
(Kortfesung aus Nr. 3.) 


Nach dem Verf. würde die Höhe des Zagelohne in 
einem richtigen Verhaͤltniß zum Preiſe der Lebensmittel 
ſtehen, dieſes ift aber durchaus nicht der Kal. Tau⸗ 


ſendfache Veifpiele fießen fih aus englifhen, aus fran- 


zoͤſiſchen, aus deutſchen Fabrikdiſtricten beibringen, wo 
ed dem Arbeiter unmöglich wird, bei der angeſtrengteſten 
Arbeit feine nothwendigſten Bebürfniffe zu befriedigen. 
Ein richtiges Verhaͤltniß zwiſchen dem SPreife der Le- 
bensbedürfniffe und dem Lohne der Arbeit wäre fchon 
eine Art Organifation der Arbeit, aber diefe wird ummöglich 
gemadyt von der Concurrenz, welche mit ihren entfernten 
Zweden die Arbeit beherrſcht. Zwar wird die Concurrenz 
den von ihr befchäftigken Arbeiter nicht geradewegs verhun- 
gern laſſen, da fie ihn gebraucht, aber fie wird ihn, des 
billigen Preifee wegen, womit fie auftreten kann, dem 
Dunger, dem Elend, der Entblöfung fo nahe bringen 
müffen als möglih. Dies ift überall der Fall, wo fie 
herrſcht. Der Arbeitslohn ſteht in Peinem natürlichen 
Berhältniffe zu den phnfifhen, zu den geiftigen, zu ben 


“allgemein menfhlichen Bedürfniffen des Arbeiters, ber 


von der Concurrenz willkuͤrlich gefeste bin- und ber- 
ſchwankende Arbeitslohn entmenfchlidtt den Arbeiter. 
Aber, faat der Verf., die Arbeiter find ſelbſt ſchuld an 
Der Niedrigkeit des Lohns, je mehr Arbeiter, defto niebri- 
ger ber Lohn! Warum befriedigen fie ihre gefchlechtlichen 
Bedürfniffe, warum heirathen fie, warum vermehren fie 
die Zahl der Arbeiter durch ihre Rindererjengung! Nach: 
dem der Berf. den Wrbeiter zu einem Paria, zu einer 
von der Concurrenz willenlos getrichenen Maſchine ber- 
abgefegt hat, verlangt er noch von ihm einen Yet freier, 
menſchlicher Selbfibeftimmung, eine freie Beherrſchung 
feiner Lage! Das iſt etwas zu viel. Nachdem dem Ar- 
beiter alle menfchlichen Genüſſe unmöglicdy geworden, ift 
fein einziger der natürliche, der thierifche geblieben. Was 
fümmert es. ihn, welche hoffnungsloſen Geſchoͤpfe er in 
die Welt fegt, mit welchen elenden Greaturen er die fia- 
tiftifchen Zabellen des Staatsmanns bevölkert? Ihm, 
bem ifolirten, iſt e8 gleich, was nach ihm fommt, feln 
Eiend kann durch ein paar Kinder nicht vergrößert wer⸗ 
den, was fümmert ihn das Ganze, der Zuftand der Be 
felfhaft, da die Geſellſchaft ihm feindlich iſte Das 


* 


Elend braucht die Übervölkerung nicht zu fürchten, nur 
der befigenden Geſellſchaft wird fie —— und ihr 
zu Liebe ſoll dee Arbeiter auch noch feinem Ichten Ge⸗ 
nuß entſagen? Die Foderung, welche der Verf. an die 
Arbeiter ſtellt, iſt ebenſo unbarmherzig als unnatürlich. 
So lange die Welt ſich auf die Familie gründet, muß 
Jeder das Recht haben, fi eine Familie zu fehaffen, 
oder auch fie wird das Privifegium des Capitals, des 
Vermoͤgens. Und ift es wirklich blos der Arbeiterftand 
dem die elenden Gefchöpfe unferer Populationstabelten 
ihre Eriftenz verdanken? Iſt es wicht ebenfe häufig bie 
privilegirte Gefellfchaft, der das Weib, die Tochter des 
Arbeiterd ein Spiel ihrer Lüfte wird, die auf diefe Art 
taufende elender Weſen erzeugt, fie unter die Arbeiter 
ſtößt und dadurch die Zahl berfelben vermehrt, den Kohn 
berfelben vermindert? Kann der Verf. dies leugnen? 
Wer verfchuldet dieſe, eben die allerelendefte,; Übervöl⸗ 
kerung? Aber wir geben es auch durchaus nicht zu, 
bag der jegige Gefellfchaftszuftand ſich auf ein richtige® 
Verhaͤltniß zmifchen der Sunme der Subfiftenzmittel 
und der Anzahl der von ihr zu erhaltenden Menfchen 
begründet, da fih Die Probuctionstraft der Erde bis ins 
Unendliche fleigern. ließ, da Erfindungen jeder Art die 
Befriedigung der Bebürfniffe immer mehr erleichtern, da 
noch ungeheure Sheile der Erde brach und unbenupt 
baliegen und dem Menfchengefchlechte angewieſen werden 
fönnen: — es ift eben nur der privilegirte Befig der Ein- 
zelnen anf. Koften der Menge, es ift die Herrſchaft der 
Concurrenz, des Geldes, welche bisher die Fortentwicke⸗ 
lung der Menſchheit ausgebeuter haben, ohne der Menge 
ihre menfchlichen Rechte zu gewähren, und es gibt am 
dere Mittel die Gefellfchaft aus ihrem unnatürlichen Zu» 
ande zu erlöfen als jenes unnatürliche, in deffen Nicht- 
anmwenbung ber Verf: den Urfprung des „felbftverfchulbe- 
ten‘ Elends der untern Volksclaſſen fieht. Geibft ohne 
ſchon die Geſellſchaft vadical aus ihren Fugen zu reißen 
tonnen ſolche Mittel angewendet werden, wir meinen 
nämlich nach innen die Affociation, nach außen bie 
Colonifation. | 

Die Regelung des Arbeitslohns iſt eine der wichtig⸗ 
ften ragen, ‚weiche die Gegenwart kennt. Und der 
Berf. thut ebenfo unrecht als er unpolitifh Handelt, 
wenn er fie mit ein paar national öfonomifchen Wen⸗ 


182 


dungen abmachen zu koͤnnen glaubt und ben beftchenden 
Zuftand gar ale „naturgemäß betrachtet. Die Trage 
der Regelung des Arbeitslohne ift die eigentliche Schlag- 
ader des Kommunismus; wollen unfere Kiberalen ben 
Sommunismus feiner Baſis berauben, fo können fie 
nichts Klügered thun als dieſe Frage zu der ihrigen 
machen. In Ihr findet ber Communismus feine pratti- 
ſche Kraft, nur durch fie hat er fo großen Anhang, fo 
bedeutende Sympathien in den untern Molfsclaffen ge- 
funden! Wenn man dem Arbeiter fagt: Jetzt beſtimmt 
das Capital den Lohn deiner Arbeit, die Capitale wol⸗ 
len fo hohe Intereffen ziehen als möglich, es fol aber 
dein Arbeitslohn im Verhaͤltniß zu deinen Bedürfniffen 
fiehen und zum Gewinne, den die Arbeit abmwirft — 
fo begreift er das leicht und ift ſchnell damit inveeitun- 
den. Unſere Arbeiter denken wahrlich nicht an bie Auf« 
Yebung des Eigenthums, an bie Wbfchaffung des Gel: 
des m. ſ. w., es iſt ihre gegenwärtige Lage, die fie be⸗ 
ſchäftigt, es iſt eine. billige Megelung des Arbeitslohns, 
die fie wollen. Ihnen da fagen, wis der Verf. that: 


Idhr verſchuldet eure Lage felbft, warum zeugt ihr Kin⸗ 


der? Das iſt nicht bios ungereiht, es ift auch im höchſten 
Grade untiug! Kann man die Arbeitslohnsfrage löſen, 
gelingt es der. nächften Zufunft, den Verdienſt der ar- 
beitenden Claſſe mit ihren Bedürfniffen in Einklang zu 
bringen, dann ift etwas (Großes gethan und der commu⸗ 
niſtiſchen Bewegung ein ſtarker Damm entgegengeſetzt 
werden. Es ſcheint aber, ald ob weber unfere Staats⸗ 
männer noch unfer liberales Bürgerthum die Bedeu⸗ 
kung dieſer Frage einfehen wollen! Wir feben das an 
dem Verf. Ä 

Was die Bertheilung des Bermögensbefiges 
betrifft, fo geſteht ber Berf., dag es ebenſo wol im Jn⸗ 
bereffe der naturgemäßen Entwidelung der menſchlichen 
Gefeillſchaft wie in jenem der Humauität und der gefep- 
Sehen Drbnung zu wänfcen fei, daß die Zahl der Gi⸗ 
genthuunsiofen auf das kleinſte Maß zurückgeführt. und 
baf der Bermögensbefig möglichſt gleich vertheift werde; 
uber — fege er hinzu — wollen wir uns nicht von 
utopiſchen Luftfchlöffern verführen laſſen, fo müflen wir 
uns dahin beichränten, das wir inmitten unferer gefell- 
fchaftlichen Verhältniffe nur alle jene tirfachen der Ei. 
genttumsichgteit und der Ungleichheit im Vermögens: 
befige zu entfernen trachten, welche nicht in den Natur: 
gefegen der Volkswirthfchaft begrändet, fonbern vom 
Wionopoliengeifte herrühten. | 

Über die Vertheilung des Grundbefiges fagt ber 
Derf. im nıfprangliden Zuflande bringe Geber fein 
Unrecht wie auf feine Eriſtenz fo auch auf den Mitge- 
und der Früchte im die Welt, weiche die allgemeine 
Kinelle desfeiben — die gemeinfchaftlidhe Grundflaͤche — 
Jedem zu ſpenden bat; fobald indeß alle Grundfläche in 
ben ausfchließlichen Befig beſtimmter Perfonen und Cor⸗ 
posationen übergegangen ift, verliert ein Theil ber Ge⸗ 
ſellſchaftsmitglieder — blos durch den Zufall der Geburt 
und in Bolge ber bürgerlichen Geſetze — jenes allge 
mei Anrecht auf die Bafıs feines Exiſtenz. Es ik 


diefes ein in dem Entwidelungsgange’ der menfchlichen 
Geſellſchaft begrüundetes Übel, welches Übel nur ba- 
durch auf das Meinfte Maß befchräntt werden fann, 
daß jedem folchen Benachtheiligten die möglichfte Leich⸗ 
tigkeit verfchafft werde, fih duch Kleif und Sparfam« 
teit einen, wenn auch nur kleinen, Antheil an jenem 
angeflamimten allgemeinen ®rundbefig zu erwerben. 

Für die Vertheilung des Wermögensbefiges ift dem 
Verf. das Concurrenzprincip in den Naturgefegen der 
Volkswirthſchaft begründet, daffelbe macht ſich denn auch 
bei der Frage der Gütervertheilung geltend. und führt 
darin zur Auflöfung des Güterfchluffee, des Erſtgeburts⸗ 
rechts u. ſ. w, zur Dismembration. Allein der Verf: 
täufcht fih, wenn er dadurch die Beſitzfrage gelöft zu 
haben glaubt. Der Befig bleibt immer; gefchloffen, er 
ift ausgedehnter geworden,. aber feine Natur blieb die- 
felbe, er blieb immer ein Monopol der befiglofen Menge 
gegenüber. Ihr iſt damit durchaus nicht geholfen,. dag _ 
jegt Mehre befigen was fonft Einer befaf, fie hat da⸗ 
bush nur miehre Herren befowmen. Die natürliche 
Berechtigung eines Jeden ift durchaus nicht anerkannt, 
die Frage ift durchaus diefelbe geblieben und in dem 
Kampfe gegen alle Monopolien nach oben, um nad un« 
ten das Monopol um fo ftärfer. feflzuftellen, wird fie 
nie ihre „naturgemäße” Lofung finden. Ä 
In dem Kampfe gegen alle Dlonepolien nad oben 
ſucht der Verf, feinen Beruf, und zu diefem Kampfeo 
hat er nit. ohne Klarheit und Scharffinn alles volks⸗ 
wirthfchaftlihe Material in Bewegung gefegt und ſyſte⸗ 
matiſch gegliedert. Er ſteht, wie man fieht, auf dem 
Standpunfte des Liberalismus. Wir können und wol—⸗ 
len ihn nice in allen feinen Operationen gegen Dem 
„Monppoliengeift” begleiten und es wäre auch unnütz, 
nachdem wir nachgewieſen haben, wie ſich der Verf. zu 
der großen ſocialen Frage, zu der Stellung und zu der 
Berechtigung der arbeitenden Claſſe verhaͤt. Was küm⸗ 
mert uns ſein Kampf gegen den Güterſchluß, gegen die 
indirecten Steuern, gegen den Zunftzwang, gegen das 
Prohibitivfgftem und die Schuggölle! Wir haben gefchen, 
was hinter dem Kampfe gegen die Monopolien ficht: — 
nichts. als ein neues Monopol. Immer das Monopol 
des Capitals, immer das Monopol, zu welchem die an 
Befig, an Capital gebundene Concurrenz führt. Dar⸗ 
auf hat der Verf. feine „naturgemäße Volkswirthſchaft“ 
begründet und er hat das Verdienſt, Mar und heftimmt 
ausgefpzochen zu haben, was die Geſellſchaft beherrfcht, 
und fein vorliegendes Bud, das Reſultat eines langen 
Lebens, iſt als eine Art von Bibel zu betrachten, worin 
Kapital und Belig ihre Berkerrlihung finden. Zum 
Schluß wollen wir als Außerft charakteriſtiſch fir den 
Standpunkt des Verf. noch folgende Stelle anführen 
(©. 363): Ä wu | | 
Es ift zwar fehr wünfchenswerth, Daß der Kabrifant, Gü- 
terbefiger und Pächter feine Arbeiter mit theilnehmender Liebe 
beyandele umd ihnen in vorlummenden Verlegenheiten beiftehe 
daB zwiſchen beiden Theilen ein vertrauemvelles Berhattni 
weites allein unter einen imfländen kann verlangt. werben, 
daß Der Fabrikant u. ſ. w. eimen hoͤhern Lohn zahle als ihn 


- 183 


das — zeifhen Angebot und Begebr beftinmm und 
der in Kraft ſtehende Vertrag feſtſetzt. Jeder Aufſtand von 
Arbeitern zum Behufe der Lohnſteigerung — durch weidye an⸗ 
dere Arbeiter genöthigt werden, auch ihre Werkſtaͤtten zu ver: 
faffen oder durch weichen gar Maſchinen und Fabrikanlagen 
zerſtoört werden — kann nur von diefem Geſichtspunkte betrach⸗ 
tet werden, denn es ſtehen jedem Arbeiter jederzeit zwei frieb- 
liche Wege offen: — fühlt er fidg nämlich in feinem Vertrags: 
verhältniife verlegt, fo fihreite er zur Klage vor Gericht; — 
erfcheint ihm der in der einen Werfftätte gewährte Lohn zu niedrig, 
fo ſuche er einen höhern Lohn in einer andern Werffdätte zu 
erhalten. . 

Muß man fih doch wundern über bie Freiheit, 
weiche dem Arbeiter geblieben iſt! welchen Schug ihm 
die Geſellſchaft gewaͤhrt, um von-feiner Arbeit leben zu 
tönnen! 

(Die Rortlegung folgt in der nädften Lieferung, Wr. 47.) 





— — — — — — — 2 — — — — — — 


Rheinifches Jahrbuch. Herausgegeben won Levin 


Schücking. Erſter Jahrgang. 
(Beſchluß aus Nr. 45.) 


„Über Iheaterfchulen” liefert Karl Gutzkow ein Gefpräd. 
Des Theater beichaftigt jeht den rafliofen Wann auch von Die: 
fer aus Berlin angeregten Beite. Zmei Schaufpicler beſprechen 
fih auf einem Spaziergang über diefe Frage, einer für Die 
fchulmäßige Ausbildung der Kuͤnſtler ſchwaͤrmend, der andere 
barüber fpottent. Auf diefem Wege bringt Gutzkow die Be: 
denten getgen ein folches Inflitut und die etwanige Einrichtung 
deſſelben frädmweife zur Sprache, geiſtreich, treffene, wiewol 
nicht erihöpfend und mit jener Befcheidenheit, die diefe Frage 
nicht intereflanter machen will als fie unter ben jegigen Ta— 


gesfragen if. | ı 
Barnhagen von Enfe als geborener Mbeinländer pen 
det ein neues Stüd feiner „„Denktwürdigkeiten”, zwei Abſchnitte, 


die ſich an bie Abtheilung „Wien 1"09", Bd. 5, &. IB, der 
zweiten Auflage jener Memoiren anſchließen. Die Scene eroͤff⸗ 
net fich in Ungarn mitten in einem müßigen und läfligen 2a: 
gerieben, über welchem die dumpfe Stimmung ver eincem- zu 
erwartenden Friedensſchluſſe laſtet. Die Eifrigen hegen noch 
eine Hoffnung für Wiederaufnahme des Kampfes. Allein „das 
ganze Heer, welches im Auguft und &eptember mit bewun 
dernswürdiger Anftrengung fi) wieder ſtark und ſchlagfertig 
aufgeftellt Hatte, ſank im October auf die Hälfte feines Be⸗ 
5 zuruck, und die Angabe, daß OHM Kranke gezählt 
wurden, war ein Dauptgtund, den Frieden nm jeden Preis 
„sig, die Wiederaufnahme des Kampfes für ganz unmöglich 
erachten”. Im zweiten Abfchnitte werden wir nah Wien 

in die, auf Den Abzug der Franzoſen noch etwas verworrenen, 
fünell aber ſich wieder echt wienerifch ordnenden Auftände ein: 
£.- Wir wandern mit dem Sebhaft ih umtreibenden jun: 
Dflizier Barnhagen in verfchiedene Kreife der höhern Ger 
—* ſowie des befreundeten Verkehrs. Es iſt cine ſtille 
aber nicht unbedeutende Zeit, in die uns Barnhagen fo be: 
haglich ſetzt, fo umſtaͤndlich orientiert, und durch leiſe Finger: 
zeige aufmerkfam macht. Man kennt Varnhagen's Darftellungs- 
weiſe. Sie weicht darin durchaus vom Stil der meiſten Juͤn⸗ 
gr ab, daß fie ihre Begenftände nit erfaßt, um individuelle 
immungen, yerfönliche Befangenheiten, Launen und geif: 
veiche Sprünge daran auszulaflen, fondern daß fie auf die ob: 
jective Wahrheit und auf eigenthuͤmliche Eharafterifirung der 
Perfonen und Dinge ausgeht. Sich felbft macht es Barnhagen 


nicht fo bequem als feinen Leſern. Bande feiner Gaben müf: 


fen freilich mit feiner und voraus nicht eingenommener Zunge 

‚werden. Wie mander Profeſſor tadelt einen feltfamen 
sder gefuchten Ausdruck, ohne wahrzunehmen, dag er mehr ft 
als corrert, naͤmlich — begeichnend. Wie treffend und kurz iſt 


3. B. ©. 183 der Unterſchied der Wiener von den -Morbbeut- 
ſchen hinſichtlich literarifcher Bebürfniffe, wenigſtens zu dama- 
kiger Zeit, begeichnet! „Blieb und eine gewiſſe norddeutſche 
Bildung, wie fie literariſch überliefert wird, für uns ſelber 
ein unentbehrliches Element, fo erließen mir daſſelbe doch 
gern den Andern, wo das Licht ohnehin nur ale Biendung 
binftreifte.” Barnhagen wird mandmal dur; den Gontar 
geiftreich, wo der Stoff nicht funfenhattig ift. Er befigt die 
Kunft, auch ganz gewöhnliche Lebensereigniffe fo geſchmackvoll 
und begeichnend mitzutheilen, daß man wähnt Ungerwöhnlichem 
entgegen getragen zu werden. Mödhten fich Hierin einmal fo 
manche unſerer jungen Haͤhne verfuchen, Die fo gern ihre es 
dern gegen einen Mann fträuben, der fi) doch in feinem Kreiſe 
nicht abſchließt, ſondern ſo warm wie irgend Einer allen Stroͤ⸗ 
mungen der Literatur folgt. 

Die Gedichte nehmen einen verhaͤltnißmaͤßig Meinern Raum 
ein: „Dietleib und Walther, deutſche Heldenſage““, von Kart 
Simrod, ift launig und in altdeutſchem Zon und Stoff neu: 
bezũglich; drei Gedichte von Unaftafius Grün, darunter ein 
ſpaßhaftes über die befannte Anekdote vom Kaiſer Xeopold, dem 
ed in jein öftreihifches Maul geregnet, jind — was die Form 
betrifft — cin wenig ſchwerfaͤllig in ihrem ungegliederten Bang; 
von Annette Drofte:Hülshoff zwei Gedichte — in der 
befannten markig anmuthigen Weiſe der ausgezeichneten Dich 
terin. Undere, weniger befannte Lyriker ſuchen hier, zum 
Theil mit recht artigen Spenden, des Keferd fernere Gunft. 

Wir haben nod) der ärtiftifihen Zugaben zu gedenfen. Diefe 
werden, an fich betrachtet, den ungetbeilteften Beifall finden, 
während ihr Erſcheinen an diefem Plage bereits Misbiligung 
erfahren hat. Gin rheinifches Taſchenduch, fagt man, und 
bringe, mit Übergehung der büffeldorfer, der Frankfurter Ma» 
terfhulen, Zeichnungen ausländiicher Künftler, zur Illuſtrirung 
eines nicht deutſchen literariſchen Products fremdgefchichtlicgen 
Inhalts! Referent will ſelbſt deutfchyen, und namenilich rhei: 
niſch⸗ deutichen Eifer genug haben, um vornherein diefen Ta— 
dei mehr gelten zu taffen ald Das, was die Berlayshandlung 
zu ihrer Entſchuldigung anführen mag, daß fie nämlich etwas 
an fi Ausgezeichneted und, damit die Erfcheinung des Jahr: 
buchs nicht verzögert werde, etwas ſchon Fertiged genommen 
habe. Es jind Zeichnungen des befannten und berühmten bel- 
giſchen Malers de Keyſer zu einem ihm gewidmeten Werke feis 
ned Freundes Felix Boyaerts, einer ‚Lord Strafford” betitel: 
ten Epijode der erften englifchen Revolufion. „Herrliche, von 


H. Brown meifterhaft in Holz gefchnittene Eompofitionen, wo- 


mit de Keyſer die Phantafiegebilde feines Freundes individua⸗ 
liſirt und mit jener Freiheit, Energie und Charakterifirung, 
mit jener Leichtigkeit, Annuth und Wahrheit der Gruppirung, 
die wir längft an ihm Pennen und bewundern gelernt haben, 
in die Sphäre ſianlicher Anfchauung hereinzaubert.“ 

Der erite Jahrgang diefes Unternehmens bat einen glän- 
zenden und großartigen Anlauf gethban. Möge der Werfuch bie 
verdiente Theilnahme des Publicums finden, Damit ſich das 
Jahrbuch mit den folgenden Jahrgängen immer mehr zu einem 
rheiniſch⸗ deutſchen Erzeugniß unferer Yiteratur, Kunft und grefie 
individualifire. - 21. 

Bibliographie. 

Briefe des Hans Michel aus Oberſteier an feinm Göb, 
den Senfenfchmied in der Deb über Steiermart und Grag. 
Iſtes bis Ite8 Bändchen. Jedes mit einem colorirten Bilde, 

rap, Dirnböd. 1845. 8. à 6 Nor. 

Agnes Fran. Eine Lebensſkizze. Mit dem Bildniß 
der Dichterin. Breslau, Hirt. Br. 8. 10 Nor. 

Gardinenpredigten. Aus dem Englifchen von F. Gerſt⸗ 
äder. Reipzig, DO. Wigand. 8. I Zhlr. 

Die Gesetze des preussischen Staats im systematischen 
Auszuge, herausgegeben von €. -F. Kbert. Ister Band: Das 





184 \ 


allgemeine Landrecht. Istes bis Stes Heft. Berlin, Rei- 
chardt und Comp. Gr. 8. Preis für 10 Hefte I Thir. 20 Ner. 

Bueride, 9. €. F., Allgemeine chrifttiche Symbolik. 
te, zum Theil ungearbeitete Wuflage. Leipzig, Köhler. Gr. ®. 
3 Ihr. 

Diele, R. H., Shakſpeare's Macbeth, erläutert und 
gewürdigt. Merfeburg, Rulandt. Gr. 8. 22%, Ror. 

Iridion in Rom. Nach dem Polnifchen bearbeitet. Ber: 
lin, Hermes. Gr. 8. 1 Thir. 

Zacobi, ©, &. J., Über Descartes' Leben und feine 
Methode die Vernunft richtig zu leiten und die Wahrheit im 
den Wifienfchaften zu fuchen. Eine Borlefung. Berlin, Adolf 
und Eomp. Gr. 8. TY, Ngr. 

Lewald, U, Rufiülhe Geſchichten. Zwei Theile. Ha: 
nover, Kiuß. Gr. 12. 3 Chlr. 

LiskKovius, K. F. 8S., Physiologie der menschlichen 
Stimme für Ärzte und Nichtärzte. Leipzig, Barth. Gr.8. 


21 rn... 

Beurer, M., Luthers legte Kebenstage, Zod und Be: 
gräbnif. Aus den Quellen erzählt. Dresden, Raumann. 8. 
3 Rgr 


Niederer's, I., Briefe von I707— IE) an Ken 
Freund Tobler. ‚Herausgegeben von feiner Witwe Rofſette 
Nicderer. Genf, Keßmann. 1815. Gr. 8. 1 The. 15 Ror. 

Scholz, C. G., Aligemeine Weltgeichichte. Ifter Band: 
Alte Gefchichte bis auf Auguſtus. Iftes Heit. Kangenfalie, Schul⸗ 
Buchhandlung des Thuͤringer Lehrervereins. 1345. Gr. 8. 5 Kar. 
Starklof, 8., Armin Galoor. Zwei Theile. Leipzig, 
O. Wigand. 8. 3 Thlr. 

Sue, E., Mathilde. Memoiren einer jungen Frau. Aus 
dem dranzoſiſchen Ifter bis Iter Band. Nordhauſen, Fürſt. 
1845. 8 à 7 Rgr 


Süß, M. V., Beiträge zur Geſchichte der Typographie 
und des Buchhandels im vormaligen Erzſtifte nun Herzogthume 
Salzburg. Salzburg, Duyle. 1845. 8. 15 Nor. 

Tetzner, Th., Gewöhnliche Wahrheiten in ungewöhn⸗ 
lichem Gewande. Kleine Aufſätze paͤdagogiſchen Inhalte. Kan: 
genſalza, Tetzner. 1815. 12, 3% Near. 

Titllier, A. v., Geſchichte der Eidgenoſſenſchaft während 
der Herrſchaft der Vermittlungsakte. Wen ihrer Einführung 
un Frühjahr 18063 bis zu ihrer Aufloſung in den fepten Tagen 
des Jahres 1813. After Band. Zurich, Schultheß. 13-45. 
Sr. 8. 2 Thlr. 

Über Gewiffensfreiheit. Briefe eine? alten Idioten an einen 
olten Waffenbruder. Dresden, Naumann. 12. 23 Rer. 

Vetter, ©. K., Gerichte. Dimüg. 189. 8. 15 Ror. 

Vogel, $, Die alten Chreniken oder Denkwürdigkeiten 
der Stadt und Lantfchaft Zürich von Den alteften Zeiten bie 
1820 neu bearbeitet. Ifte Lieferung. Zuͤrich, Schultheß. 18145. 
&r. 8. 15 Near. | 

Wegweiſer durch die Literatur ber Deutjchen. Ein Hand: 
buch für Laien. Herausgegeben von &. Schwab und K. 
Klüpfel. Leipzig, Maver. Gr. 8. 1 She. 15 Nor. 


Zagesliterstur. 


Anhalt, E., Aus Weimars Rovembertagen. Sechs Ge: 
dichte. Iena, Yrommann. 1845. 12. 2 Rar. 

Kritifche Beleuchtung ber rheinifhen Gemeinde : Orbnung 
und der Frage: Iſt die Annahme der revidirten Städteordnung 
für die Rheinprovinz erſprießlich? Nebft einer Hiftorifchen Ein: 
leitung. Don einem rheinischen Vermaltungsbeumten. Leipzig, 
D. Wigand. 1815. Gr. 8. 7% Near. 

Bernhard, &., Die fieben Grobeshügel in Leipzig. Ge: 
dicht in Bezug auf die Worfälle in Leipzig vom 12.— 19. Au: 
guft 1845. Keipzig, Rhein. 1815. Gr. 8. 21, Nor. 

Braun, 3. F., Die Bedeutung ber lateinifhen Schule, 
mit befonderer Beziehung auf die Gegenwart und ihre Bebürf: 
niffe. Stuttgart, Schmidt und Spring. Br. 8. 7, Rur. 


— - un — 


Berantwortliher Herausgeber: Heinrich Wreodhaus. — Drud und Verlag von F. ME. Brockban⸗ in Beipsig. 
— —— 


Döderlein, L. Feſtrede bei dem 100jahrigen Stiftungs: 

feft der Königl. Studienanftalt zu en am 1. Sur las, 

49. . /ı Nor: 

weriner @ifenbabn in ihrem nerhältnig u 

Fectenberg und feinen Seeſtaͤdten. Luͤbeck, Afchenfeldt. I h3 
e 


Unterfrügung. Breslau, Aderholz. 1845. 8. 
rummader, F ‚ Seid 


etroft! 
häusliche Bebrängte, am Erndtedanktefte. Giberfeid, 1. 
1845. Sr. 8, Au gar. Ben eier, Saite 


Brüunslow. v Nor 
Raumer, F. v., Einleitungsworte zur öffentlichen Sigung 
der Akademie der Wiffenfhaften am 16. October 1815. Ste 
Auflage. Berlin, Buhhantlung des Yefecabinets. 1845. B. 
4 


gr. . . 

Schatter, &. ©., Wir lieb und werth uns unfere pro» 
teftantifch = evangelifche Kirche beim Hinblick auf Die deutſch⸗ 
katholiſche Gemeinfhaft werde. Predigt. Neuſtadt a. d. D., 
Wagner. 18 3. 3 Nor. " 
Schraber, 3. 9. 2., Worte der Liebe und des Ernſtes 
an die Glieder der evangelifhen Kirche umter ben Bewe en 
und Kämpfen ber Zeit. Zwei Predigten. Frankfurt a. M., 
Sauerländer.. 18435. Gr. 8. 3%, Nor. 

Stier, R., Daß und wozu wir auch an den biblifchen 
Heiligen Tadel finden dürfen und ſollen. Predigt über Hiob 
14, 14—15. Barmen, Langewieſche. 1845. Gr. 16. 27, —* 

Tholuck, A., Wie ſelig der Menſch if, der Chriſtum 
zum Heilande bat. Predigt zu Stockholm am IH. Sonntage 
nach Zrinitatis 1344. Stodholm, Fritze. 1845. 8. 3%, Nur. 

Bein, 3., Nante als Politiker. 2te Auftage. Gruͤn⸗ 
berg, Leonfohn. 1843. 8. 5 Mor. 

Wuͤnſche der hohen Staatöregierung und ber hohen Staͤnde⸗ 
verfammlung bed Königreihe Sachſen ebrerbietigfl vorgelegt 
ven einer Anzahl ſaͤchſiſchet Volksſchullehrer. Grimma, Bers 
lagscomptoir. 145. 8. 6 Nor. 

Actenmaͤßige Darftclung der gegen den Symnaflal: Ober: 
iehrer Aug. Witt in Königsberg geführten fiscalifchen Unter 
fuhung. Leipzig, Hartmann. 1845. 8. 1 Zple. 
an so in eger, & —8* , — — Beier des Geburtstages Br. 

dj. des König Friedri ilhelm !V. Hafberftadt, Fran 
1845. Gr. * Mar balberſtadt, Frant 

Mühlenfels, L. v., Berichtigung einiger mich betref⸗ 
fenden Angaben in der Schrift des Herrn — 
v. Kamptz „Prüfung der grellen Irrthümer des Stadtgerichts 
raths Simon“. Berlin, Reimer. 1845. Gr. 8. 3 Ser. 

Pöhlandt, 8. W., Der Zuruf der Eonftitution an ihr 
Volt. . Predigt über Ev. Matth. 6, 24—31. Wtenburg, Del: 
big. 1345. 8. 3 Mr. 

Sendfchreiben eines Nabbiners an die Rabbiner-Berfamme 
tung, zu Sranffust a. M. Herausgegeben und ins Deutfche 
überfegt von K—ım. Frankfurt a. M. 1845. Gr.8. 10 Ngr. 

Verordnung über die Anwendung der Kriegsartifel und 
inöbefondere der darin vorgefchriebenen Militaͤrſtrafen. Grün« 
berg, Leupfohn.. 1845. Gr. 8. 3 Kor. 

Wagner, 8.2. B., Roms Wirken überkaupt und be 
fonders in Deutichland. Mit befonderer Rückſicht auf die neuefte 
von dem Hrn. Geh. Staatsrath Dr. v. Linde erfchienene Schrift 
Denen gewürdigt. Darmftadt, Beste. 1845. Gr. 8. 
. T. 





Blätter 


für 


literarifbe Unterhaltung. 


— — — 


Montag, 


ee Nr. 47, ee 


16. Februar 1846. 





Die fociale Frage. 
(Wertfegung aus Nr. 4.) 

Nr. 2. Geier, „Über die innern gefellfchaftlichen 
Derhäftniffe unferer Zeit”. Daß man in Gchweben 
den Blick mannichfah auf die Natur ber innern ge- 
fellfchaftlichen Zuſtaͤnde richtet, ift ſchon in den Ver⸗ 
haͤltniſſen dieſes Landes begründet. Schweden ift ein 
armed Land, die Adelsregierung hat dort eine arme, 
. elende bäuerlihe Bevölkerung gefchaffen, die Induſtrie 
ber Städte bleibt immer fpärlich und dürftig und doch 
iſt in Schweden eigentlich nur Armuth, wenigftens Fein 
ausgebildeter Pauperismus. Wenn der Kampf, welcher 
Schweden bewegt, auf den erften Augenblid rein poli- 
tifch oder gar noch als ftändifch erfcheint, fo entwickeln 
Ah doch auch ſchon in ihm mehr foriale Momente und 
der weiterfehenbe Geſchichtſchreiber ift vollkommen berech- 
tigt fie ins Auge zu faffen und ihre allgemeine Bedeu⸗ 
tung nachzumweifen. In Schweden fämpft gegenwärtig 
die Mittelclaffe als neue Gefellihaftsmacht, aber auch 
unter ihr regt fih eine neue Schicht, und fchon in dem 
erſten Konftitutionsausfchuffe war von ben Anfprüchen 
der Unrepräfentirten als von einem „fünften” Stande 
die Nede. Man meinte freilich unter diefem fünften 
Stande ebenfo wol die unrepräfentirte Mittelclaffe ale 
das umrepräfentirte Volt und war fich über bie focialen 
Gegenſaͤtze keineswegs Far. Geijer firirt die Gegenfäge 
zwifchen Mittelclaffe und Volk, indem er nachmeift, wie 
mit der Acceptation der Mittelclaffe und ihrer politifchen 
Diſtinction die Herrfchaft des Vermögens beginnen werbe. 
Er meint, man könne die Mittelclaffe zwar in ihrer 
neugewonnenen Bedeutung anerkennen, aber man müffe 
ihre Anſprüche, ausfchliefend das Volk zu repräfentiren, 
zurüdweifen. Dies hieße, fagt er, eine ſchon fertige 
neue Gefellichaftebildung anerkennen und zugleich einer 
mehr umfafienden Plag machen. 


Es Liefert diefe Auffaffung den Beweis, daß der 


große Geſchichtſchreiber Schwedens fein Auge nicht fo 
der focialen Weltbewegung verjchloffen bat wie wir es 
mannichfach an unfern erfien bdeutfchen Hiſtorikern⸗ zu 
rügen haben, mag feine Auffaffung felbft auch immerhin 
noch fo begrenzt und befangen fein wie wir es nachwei⸗ 
fen wollen. Er bat den Punkt auf ben es ankommt 
erkannt, mag er fih nun immer als monarchifch gefinnt 


Erkenntniß 


beweiſen und von der Zukunft noch ein allzu großes 
Heil von einer religiöſen Entwickelung erwarten. Seine 
Anſichten über die Macht der Concurrenz und die Herr⸗ 
ſchaft des Vermögens, ebenſo über das abfolute Privat⸗ 
eigenthumsrecht, welches die neue Zeit erſt geſchaffen hat, 
ſind beſtimmt und entſchieden. 
Der Durchbruch des Perſönlichkeitsprincips 
gilt ihm als die große innere Urſache, aus der ſich alle 
unerhörten Veränderungen ber Neuzeit herleiten laſſen. 
Die Declaration der Menſchenrechte in der franzöfifchen 
Revolution war ein foldher mächtiger Durchbruch des 
Derfönlichkeitsprincipe. Allein wir müffen fogleich das 
religiöfe Princip Geijer's an die Spige ftellen, um ba- 
nad) feine ganze Weltanfhauung zu begreifen. Er fagt: 
Das Berhältniß der Menfchen zueinander wird im Inner 
ften von ihrem gemeinſchaftlichen Verhaͤltniſſe zu Gott beftimmt. 
Religion, ſogt man, iſt die Erkenntniß Gottes. Allein Peine 
ann rein gegeben oder einzig von außen mitgetheilt 
werden. Die edelften Gaben find die, welche man nicht als 
bloße Geſchenke empfangen ann, fondern fi zugleich felbftän- 
dig aneignen muß. Die Wahrheit ift vor Allem eine Gabe 
biefer göttlihen Art. Sie Tann nicht verfchenkt werden. Dar- 
aus folgt, daß das Wefen, welchem Gott ben hoben Vorzug 
feiner Erkenntniß mitgetbeilt hat, auch von ihm mit der 
fetbftändigen Fähigkeit ausgeftattet fein müſſe, die dazu erfo- 
dert wird, und Daß von ber GEntwidelung dieſer Faͤhigkeit 
ebenfalls die Weife Bott zu begreifen abbänge- Hat nun diefe 
Fähigfeit von Bott felbft das Gefeg ihrer Entwidelung erbal- 
ten, fo bat er auch von biefer Entwidelung die Befchaffenbeit 
feiner eigenen Erkenntniß abhängig gemadt. Er bat es ge- 
than, weil er nur mit einſichtsvoller, freiwilliger Unterwürfig- 
Beit verehrt werden will. Das ift feine Ehre, das iſt das Biel 
feiner Schöpfung. - 
Eine mitgetheilte Seldftändigfeit, fagten wir, fei 
die Bedingung für die Erkenntniß Gottes. Schon ald mitge- 
tbeilt erhebt diefe Selbftändigkeit den Menfchen über die Ra- 
tur und ift aus derfelben nicht erflärbar. Gr muß diefe Er- 
Härung zugleich in fich felbft und obenüber fich ſelbſt fuchen. 
Alles Höhere aber ift dem Riedern unbegreiflih, wenn es ſich 
nicht felbft mittheilt. So iſt es gegangen mit dem abfoluten 
Wunder, der eigentlihen Offenbarung, in welcher fich Gott, 
der ebenfalls über der Vernunft ift, zu dem Menfchen herab: 
gelaffen hat. Daß Bott das von ihm gefchaffene freie Weſen, 
in deſſen Macht ed alfo ebenfalls ftand von ihm abzufallen, fo 
fehr liebt, daB er dem dadurch in das Irdiſche verſunkenen 
Menfchen feinen Sohn, des Menſchen Bruder, fandte, um durch 
den größten aller Liebesbemweife dad Herz der Menfchen zu be: 
wegen, " zu ihm zu bekehren: das iſt Gottes Barmherzigkeit, 
die höher iſt denn alle Bernunft. Die Liebe iſt über der Vernunft. 


Es kommt bier nicht darauf an, bas Innere dieſer 
chriſtlichen Myſtik genau zu prüfen und fie im Einzel⸗ 
nen zu widerlegen, nur die Anſchauung Geijer's fol ſich 
- durch jene Worte firiven. Gr ift fern von aller Autonomie 
: des Geiſtes und in feiner Auffaſſung unferer geſellſchaft⸗ 
lichen Verhaͤltniſſe tritt das chriflliche Element entfühie- 
den hervor. Für ihn ift das Chriſtenthum nicht blos 
die Religion der Vergangenheit, fondern auch bie heil- 
bringende der Zukunft. Nicht genug, daß das Chriften- 
thum zuerſt ben menfchlichen Perfönlichkeitsbegriff in bie 
Belt gebracht hat, die „mitgetheilte Perfönlichkeitsidee 
bes Chriſtenthums“ foll auch die Diffonanzen der Ge- 
genwart ımb der Zukunft verfühnen. In diefer myſti⸗ 
fhen Anſchauung liegt Geijer's Poeſie, aber auch feine 
Schwäche und feine Unklarheit. Er fieht Die Welt wan⸗ 
Ten, aber er hält Symbole feit und will mit ihnen die 
Welt noch einmal erloͤſen. Geifer knüpft die Rettung 
der Welt an den Himmel, bie Freiheit der Perfon an 
die Mittheilumg von oben, bei uns aber in Deutſchland, 
wo der philofophifhe Proceß alle diefe JUufionen ver- 
[lungen und aufgerieben hat, wird eine ſolche perfön- 
üche Freiheit nicht anders als perfünliche Unfreiheit be⸗ 
teachtet werden koͤnnen. Und wie bas Ehriftentgum, ale 
es in den Inflirufionen des Staats und der Kirche feine 
Möftigfte und großartigfie Ausbildung fand, ganze Stände 
der Unfreiheit preisgab, fo zweifeln wir auch, daß er im 
Stande fein wird, mit feinen alten Symbolen die Ge- 
feufhaft aus dem Zuflande der Unfreipeit und Be⸗ 
drückung zu befreien, zu dem fie eben unter der Ent- 
wickelung des Chriftentbums gelangte. Das Chriften- 
thum ift, nach unferer Anficht, eine entſchieden pofitive 
Religion. Seine pofitiven Sagungen find eben das 
fpecififch Chriſtliche. Der comfequentefte und vollkom⸗ 
menfte Ausdruck bes‘ Chriſtenthums war die Hierarchie 
des Mittelaltere. Laͤßt man alles Pofitivchrifttiche, eben 
das Specifiihchriftliche fallen und ſtellt dafür das Phan- 
tasma einer „hriftlihen Kiebe”, einer fogenannten „Brü⸗ 
derreligiom” auf, To mag man Alles haben was man 
will, aber man bat eben kein Chriftenthum. Nichte ift 
einfeitiger und ſchwaͤchlicher als wenn Diejenigen, welche 
fi) die nene Weltgeftaltung angelegen fein laſſen, eine 
Berbindung zwifchen ihrem Princip und dem Princip 
des Chriſtenthums ſuchen. Diefes ift Häufig bei den 
Communiften in Frankreich ber Kal, aber auch in 
Deutichland kommt es vielfäh vor Man rebet da 
von der chriftlichen Kiebe, von dem „Urchriſtenthume“, 
von ber Gütergemeinſchaft der erften Ehriften und von 
Bott weiß für welden Illuſionen und beraufiht fich in 
himmliſch⸗irdiſcher Seligkeit. Ein „Urchriſtenthum“, weit 
genug um Alles hineinzulegen, zu reguliren, iſt unmög- 
lich, die Geſchichte lenkt in Leine alten Bahnen zurüd 
und wenn man von ber Gütergemeinfhaft der erften 
ChHriften jegt ein fo großes Aufheben macht, fo vergeffen 
unfere fociafen Phantaften ganz und gar, daß fie rein 
aus der Nothwendigkeit ded äußern Druds und durd)- 
ans nicht aus einem gefchloffenen Princip hervorging. 
Wenn Das focialiftifch ift, daß ſich das Chriftenthum 


über bie privatrechtlichen Verhaͤltniſſe binausgefegt und 
dafür chriſtliche Zuflände gefchaffen hat, fo mag man 
das Chriſtenthum focialiftifch nennen; wenn aber bie 
Auflöfung der privatrechtlihen Verhältniffe zum Weſen 
des praktiſchen Sorialismus gehört, fo find auch fchon 
bie erften Anfänge des Chriſtenchums in einem ganz 
entfchiedenen Widerfpruche mit Dem, was wir Soclalis- 
mus nennen, denn fie laſſen alle privatrechtlichen Fra- 
gen ganz auf ſich beruhen, gehen darüber hinaus und 
‚befriedigen fi in einer abftracten Bruberliebe, in Gott, 
bei Ehriftus, im Himmel, während die Welt immer 
mehr gefnechtet wird und das Privatrecht fih immer 
härter geftaltet: So wird denn auch nun mit einem 
„Urchriftenthume und mit dem Princip der chriftlichen 
Liebe der Welt nicht geholfen werben können. Wir ge- 
brauchen ben menſchlichen Ernſt. Zwiſchen dem Prin⸗ 
cip der chriſtlichen Liebe und dem Princip des ent⸗ 
ſchloſſenen Socialismus liegt eine ungeheure Auft, zwi⸗ 
ſchen ihnen iſt keine Verbindung möglich. Die chriſt⸗ 
liche Liebe kann das Jenſeits nicht aufgeben, der So⸗ 
cialismus hat allen feinen Ernſt auf das MDieffeits ge- 
richtet; die chriſtliche Liebe fchaut die jemfeitige Gleichheit 
an, der Socialismus bekämpft die Dieffeitige Ungleich- 
heit, ber chriftlichen Liebe ift daB Eigentum werthlos, 
denn ihr Eigenthum ift Chriflus und fie verabfchent 
das Jagen nad irbifhem Gute; der Socialismus be⸗ 
tämpft das Princip des Privateigentbums, weil er Je⸗ 
den zum Genuffe irbifcher Güter bereihtigt nennt u. ſ. w. 
Beijer nun ſteht auf dem Standpunkte der chriſtlichen 
Riebe und es iſt nach ihm ber Glaube, bie Liebe, die 
Hoffnung, welche verföhnend in allem Menſchlichen wir- 
ten follen! 

Das Perfönlichkeitsprindp, wie e8 in der franzoͤſi⸗ 
fhen Revolution durchbrach, kritifirt Geijer nun folgen- 
bermaßen: 


irklichkeit, fo falt im Gegentheil die natürliche Ungleich⸗ 
heit in die Augen. Man findet auch durch die Se 


\ 


Erenzen für bie Erwerbung vos gäbe als bie, 
welche für Alle gelten und in tiefer Hürficht aus dem gleichen 
Rechte Allee folgen. Dies ift die geheiſchte Gleichheit ber 
Beit vor dem Gelehe. Sie hat fih gegen alle alten verjährten 
Seſchraͤnkungen dDiefed allgemeimen Rechts gewandt. Meilen 
fie ſich am beatlichhien bewußt, ift, daß fte dem Verdienſte Die 
Bahn des Wetteifeens nach allen Richtungen hin eröffnet Habe. 

Alfo fire Seijer iſt die gleiche Berechtigung aller 
Menſchen nur ein Poftulat, welches im Einzelnen bes 
wiefen werben muß! Mit diefem Maßgßſtab Eritifirt er 
die Declaration der Menschenrechte! Den richtigen Punkt 
Der Kritik hat er vollkommen verfehlt, nämlich den, daß 
Die franzöfifhe Revolution nur politiſch frei und gleich 
machen wollte und die fociale Ungleichheit beftehen ließ, 
Daß fie über die Form den Inhalt verfäumte Die 
Folge dieſer Verfünmmiß ift eben die fociale Bewegung 
im Kampfe mit dem politifjen Formalismus. Die po 
Iitifche Freiheit und Gleichheit hat es bis zur freien Con⸗ 
currenz gebracht, von welcher Geijer richtig fagt, daß 
fe, nachdem fie in die Geſellſchaft eingetreten ift, ſich 
in allen Gonfequenzen geltend zu machen ſucht und daß 
Alles, mas man liberale Ideen nennt, von diefem einzi⸗ 
gen Gedanken umfaßt wird. 

Bei der Entwidelung der Concurrenzverhältniffe zeigt 
Geijer fi) unparteiifcher und freier von feinen hiflori« 
chen und religiöfen Vorausfegungen ale ſonſt. Er fagt, 
der Liberalismus fei allmälig dazu gefommen, an feinem 
eigenen Princip zu verzweifeln, an dem Princip der 
feeien Concurrenz. Die Einzelheit der neuen Claſſe, 
der Mittelclaffe, welche ſich gebildet habe, beftche darin, 
bag ihre Grenze nad oben unbeflimmt ift, ſodaß fte 
ebenfalls die wahren Antereffen der höhern Claſſen in 
fi aufnehmen kann und in der That immer mehr mit 
fi) vereinigt; nah unten dagegen fich immer fchärfer 
beftimmt und in Rückſicht auf die Maffe des Volks 
ausfchliegend wird. Die Grenze ift die des Vermögens 
geworden und ein gewiffer Betrag von Vermögen Be⸗ 
Dingung für alle Ausübung politifher Rechte. Die fo- 
cialen Folgen der Geldherrſchaft läßt Geiler unberüd- 
fichtigt, er beobachtet eben nur die politifche Seite, aber 
er ruft aus: 

Daß die alte Gefellichaft allzu jeher auf das Recht des 
Stärkern gebaut war, ift, was wir derfelben vormwerfen. In: 
deffen was wäre die freie Conturrenz, wenn diefe nur ein 
neues Mittel würde, den Schwachen zu unterbründen und wie 
der in die Gefellfchaft das Recht des Stärkern einzuführen? 
Bas wäre die gefeierte Befreiung der Arbeit, wenn fie in ib: 
ren Folgen die Unfreiheit des Arbeiters mit fich führter "Was 
Aufklärung, wenn ſie ber beſtaͤndig wachſenden Menge der auf 
Den Grenzen der jegigen Gefellfchaft irrenden Anhaltslofen und 
Befigiofen alles Das nur lehren follte, zu deflen Entbehrung 
fie verurtheilt zu fein fcheinen? So find Die Fragen, bei deren 
Beantwortung auch der Preifinnigfte mit dem Auge auf die 
Zeichen der Zeit zurüdzuftugen und fich zu bedenken anfängt. 

Wenn in ber That der Mittelftand inmmer mehr auf 
das Gebiet der frühern Stände eingedrungen fei, fo 
Sonne er, meint Geijer, einzig unb allein feinen Plag 
buch Erfüllung aller Pflichten des Mitbürger und 
Menſchen behaupten. Dazu gehöre aber auch die An- 
ertennung alles menfhlichen Mechts, und da fich der 


Gintsitt des meunſchlichen Rechte eigentlich in ber feeien 
Gomsuwzenz zeige, fo umfaßt dies zugleich das Anerken 
nen dieſes Principe in allen feinen Folgen. Die 
ſes Anerkennen iſt es, wovor ber Liberalismus ber Mit- 
telclaſſe zurückſtutzt. Die Concurrenz, welche Geijer ver⸗ 
langt, iſt wirklich eine Concurrenz der menſchlichen Kraͤfte 
und nicht, wie bei Arnd, eine privilegirte Concurrenz 
bes Capitals, des Beſitzes. Wir wollen Geiler fih im 
Weientlichen felbft entwideln laffen: 

Die Arbeit ift beweglich, wie Eönnte das Bermögen feſt⸗ 
bleiben? Es iſt die freie Concurrenz, welche die Arbeit losge⸗ 
macht und dadurch die neue Beweglichkeit des Eigenthums 
verurfacht hat. Weswegen ift dieſe Bervegung fo zum Scha⸗ 
den bed Schwächern ausgefallen, ſodaß Der, defien einziges 
Sapital feine Arbeitskraft ift, auch mit unverdroflener Anwen 
dung berfelben fo oft der Gefahr preisgegeben wird, in eine 
immer tiefere Abhängigkeit zu verſinken Was ift es, was ben 
Werth des perfönlihen Capitals herabfegt, da bie Bahn nad 
allen Richtungen der Urbeit freigegeben it? Es muß ſich ein 
Bertheil außer der Arbeit finden, welcher auf der Bahn des 


Wietteifers einen entfchiebenen Vorzug gibt. Es gibt ein fols . 


ches Plus, weldhes im voraus Die des Sieges vergewiſſern 
koͤnnte, die im Beſitze deſſelben ſind. Dieſes Plus in der Ars 
beit ift die abgethane Arbeit und das Dispofitiondrecht 
über diefelbe. Allein das Capital an und für jich felbft und 
im unpesfönlihen Sinne ift in der That felbft bios die abge 
thane Arbeit, und dad Geld, welches eine abgethane Urbeit res 
präfentirt, ift gerade deöwegen ein Zaufchmittel für neue. Die 
durch das Geld repräfentirte Macht ded Capitals follte alfo 
auf die capitallofe Arbeit unterdrüddend wirken koͤnnen. Dies 
ſtimmt mit der allgemeinen Anficht überein, was in unfern 
Zagen auf adelige Herrſchaft, prieſterliches Anſehen und koͤnig⸗ 
liche Macht gefolgt, das fei die Plutokratie — fei die Ge 
walt des Neichthums, fei die Gewalt des Geldes. 

Wie aber die Macht des unperfünlichen Capitals, 
die Macht des Geldes fo unvortheilhaft auf das perfün- 
liche Capital, auf die einzelne Arbeitskraft wirken tönne, 
das liege in dem gegebenen Übergewicht der collectiven 
Arbeit über die ifolirte Arbeit. Das Kapital ift das 
Mittel, durch welches fich die collective Einheit der Ar- 
beit in demfelben Grabe entwidelt wie bie Vertheilung 
ber Arbeit. Es zieht bem ifelirten Arbeiter zu füch, es 
vereinigt ihn in große Maffen, es vermittelt alle Vorzüge 
ber großen Induſtrie vor der Pleinern: zu gleicher Zeit 
größere und beffere Production mit geringen Produc⸗ 
tionskoften. Das Kortichreiten auf der Bahn, welche 
ben Arbeiter immer mehr von feinem Brotherrn abhän- 
gig und währenddeß fein eigenes Schickſal dennoch 
immer unficherer macht, ift ebenfo ſchleunig als unver 
meidlich. 

Die Urſache dieſes Zuſtandes findet Geijer darin, 
daß, während man dem wachſenden Antheile der Intel⸗ 
ligenz an der Arbeit nach einer Richtung freien Spiel⸗ 
raum gelaffen, man fortfährt, ihn in einer andern zu 
hemmen; daß, während man fagt, man huldige der freien 
Eoncurtenz, man in der That felbft das Princip nit 
in allen feinen Folgen anerkannt oder wenigftens bie 
einzige, aber nothmwendige Vorausfegung überfehen und 
verfannt babe, unter welcher ihre Folgen ſich fret ent- 
wideln und möglicherweife allgemein wohlthuend wer⸗ 
den konnen. _ 





188 


&o kommt denn auch Beier auf das Princip ber 
Aſſociation. Es wird von Intereffe fein, einen Mann 
wie ihn darüber felbft zu vernehmen: 

Das Übel wird überall vom Volke, von den Regierungen 

t und beide haben einfchreiten wollen, jedes auf feine 
eife. Bei dem Volke bat fich dies blos als Gefühl einer 
Krankheit geäußert, die ihr eigenes Heilmittel nicht kennt. 
Der Proletarier, deren Maffe in der modernen Geſellſchaft un: 
aufhörlich wächft, proteftirt gegen das Eigenthum: er thut es 
in der That, er bat es angefangen in Lehre und Überzeugung 
u thun. Die Statiftif der Griminalfäle gewährt Belege zu 
enem, der Eommunismuß, deflen einziger Glaubendartikel die 
Foderung der Gemeinfchaftlichkeit und Gleichheit des Eigen: 
thums ift, gibt Belege zu Diefem. Der Socialismus ſteht cine 
Stufe böber, wenigftens innerhalb des Gebiets der Bernünf: 
tigkeit. arbeitet mit Dem, was man die Drgantfation der 
Arbeit nennt, nad) der an und für ſich richtigen Borausfegung: 
daß die Keinen Capitalien zufammengelegt und recht verwaltet 
wie die großen und zum Gewinne aller Xheilnehmer wirken 
müßten. Und es ift wahr: das Affociationsprincip ift ein Ret⸗ 
tungsmittel der Zeit, allein gewiß nicht blos das induftrielle. 
Hierzu wird erfodert, daB das Affociationsprincip felbft ein 
höheres, ein edleres Leben erhalte, duß es von dem wahren 
Sefammtheitögeifte, der jegt in der Commun, der Corporation, 
dem Stande feine alte politifche Bebeutung verloren bat, be 
lebt werde. Wie eng die Sorialiften ihr Princip gefaßt haben, 
eriheint ſchon daraus, daß fie immer mehr Religion und Staat 
beifeite laffen. Auf eine wichtige, an die Öefeggebung gerich⸗ 
tete Foderung haben fie indeſſen hingewieſen. Schon lange ift 
e8 anerkannt geweſen, daß weder die criminelle noch die civile 
Geſetzgebung ein Wert der Willkür oder des Zufalls fein dürfe. 
Die Zeit ift da, wo fich diefelbe Foderung immer mehr auf 
die öfonomilche Gefeggebung der Geſellſchaft erftredit, wo man 
immer deutlicher einfieht, daß es fich in dieſer nicht weniger 
als in iener von Jedermanns Recht handele; woraus, da das 
Geld felbft unter den Sefegen der Arbeit ſteht, befonders folgt, 
daß die Gefeggebung, welche, anftatt fily biernach zu richten, 
das Geld willkürlich zu fchaffen oder zu reguliren fucht, zu 
gleicher Zeit unvermeiblih die Arbeit desorganifire. 


Wie die Regierungen bis jegt auch verfucht, gegen 
das Übel einzufchreiten, nichts habe gefruchtet; daraus 
folge denn deutlich, daß die Kraft des moralifchen, per- 
fönlihen Capitals verflärft werden müffe, wenn es nicht 
immer mehr unter der Macht des unperfönlichen, bes 
materiellen Capital erftidt werben folle, ein folcher 
Zweck aber fei nur zu gewinnen duch das Affocia- 
tionsprincip. 

(Die Yortfegung folgt.) 





Hortugiefifbe Dichter. 

Der Berf. der „Revelations of Spain’, I. Hughes, gibt 

in feinem neueften Werke „The ocean flower, a poem”, unter 
welcher „Blume des Weltmeers” er Die Infel Madeira befingt, 
zugleich eine überfüchtliche Darftelung der Entdeckungen der 
Bortugiefen und der Geſchichte ihrer Seefahrten, endlich eine 
Abhandlung über die portugiefifche Kiteratur zum Beften. Er 
bemerkt in legterer, mit Ausnahme von Camoens wiffe man im 
übrigen Europa nur fehr wenig von porkugiefifhen Dichtern. 
Sedo dürfe man, weil der Schatten diefed großen Sängers 
die Übrigen ins Dunkel geftellt, nicht annehmen, Portugal 
entbehre anderer Dichternamen von Auszeichnung und Ber: 
dienft. Denn wenn man in der Zeit nach dem Tode Camoens’ 
biß zum vorigen Zahrhundert nur auf Ricolao Luiz als einen 
Dichter vom erften Range ftoße, deften „Ignez de Caſtro“ ein 
herrliches und claſſiſches Zrauerfpiel fei, fo habe Portugal ges 





Derantwortlider Herausgeber: Heinrich Brockzangs. — Drud und Verlag von $. EA. Broddand in Leipsig. 


—32 


gen Ende des vorigen Jahrhunderts Dichter hervorgebracht, 
die ſich den beften anderer Voͤlker zur Seite fenen koͤnnken. Us 
ein folder wird zuerft genannt Francisco oel Do Rasch 
mento oder mit feinem Gchriftftelleenamen Filinto Elizio. Er 
war ein Geiftlicher von großer Gelehrſamkeit und vielen Kennt- 
niffen, aufs innigfte vertraut mit dem Geifte der claffifchen A⸗ 
teratur, aber der Inquifition von viel zu liberaler Geſinnung, 
als daß fie ihn in Ruhe gelaffen hätte. Er entfloh ihren Ber: 
folgungen und lebte mebre Jahre theils in Frankreich theils 
im Haag. Ein wie glühender Freund feines Baterlandes er 
auch war, fo ward ihm das Glüd nicht beſchieden, daſſelbe 
wiederzuſehen. Ex Hat fehr viel gefchrieben und zeichnete ſich 
mebr in erhabener Lyrik ald im erotiihen Genre aus, obwol er 
auch darin fehr fruchtbar war. Man macht ihm trog feiner Eleganz 
die Rachahmung lateinifcher Formen und Redensarten zum Bor: 
wurf. Ein anderer zu derfelben Beit lebender Dichter, Manoel 
Maria Barbofa du Bocage, genop gleichfalls als folder eines 
bedeutenden Rufe. Er ftarb 1805; in der humoriſtiſchen Grab⸗ 
fchrift, Die er ſich felbft fente, bezeichnete er fein Leben als ein 
fortdauerndes ſociales Wunder. Seine Ercentritäten brachten 
ihn ins Sefängniß; um der Haft zu entkommen ließ er feine 
Mufe fiy demüthigen und dem allmächtigen Minifter Pombal 
einige Schmeichelverfe widmen. Bei den Mönchen fland er 
in Gunft und wochenlang war er ein gerngefehener Gaſt in ih⸗ 
ren Klöftern, bis er fie fih durch einige feiner beißenden Sa⸗ 
tiren zu Feinden machte. Schwelgte er nicht in den Klöftern 
umber, fo tafelte und jehte er bei feinen reichen weltlichen Be- 
kanntſchaften; doch gab es auch Zeiten, wo er ſich dem größ- 
ten Elende preißgegeben ſah. Seine bichterifchen Talente wa- 
ven vorzugsweiſe gefelliger Natur. Er war vielleicyt der erfte 
Stegreibihter, den die Welt je bervorgebradt. Kann man 
Filinto Elizio den Horaz der Portugiefen, fo fann man Bo: 
cage ihren Dvid nennen, ja er vereinigt auf wunderbare Weife 
bie Gaben diefes römifchen Dichters mit Denen Tibull's und 
Martial’d. Meifter feiner Mutterfprade kam er im Wohlflang 
des Verſes faft dem großen Camoens gleih. Beine Liebes 
gedichte iind wahrhaft bezaubernd; auch hat wol felten ein 
ol einen beſſern Überfeger aufzumeifen. Unter den gegen- 
wärtigen Dichtern Portugals ift nur einer von Auszeichnung. - 
Es ift dies Senhor Almeida Garrett, der Führer der ultra= 
liberalen Oppofition am Landtäge; wie als Dichter, fo als 
Redner ift er hoch begabt, obwol urfprüngliche Gedankenfülle 
ihm verfagt fcheint. Seine Profa ift glänzend und gewaltig. 
Seine Dichtungen find zahlreich und nicht der geringfte ihrer 
Reize find die Selehrfamkeit und der Reichthum feiner Kenntniß 
des Alterthums, die fie beurfunden. 26. 


Literariſche Anzeige. 


Bolftänbig iſt bei F. UF. Brockhaus in Leipzig er⸗ 
ſchienen und in allen Buchhandlungen zu erhalten: 


Arnd (€2.), 
Geſchichte des Nrfprungs und der Eut- 
widelung bes franzöfifchen Volks, 
d 


oder 
Darftelung der vornehmften Ideen und Falten, von 
denen die franzöfifche Nationalität vorbereitet worden 
und unter deren Einfluß fie fi) ausgebildet hat. 


Drei Bünde. 
Gr. 8. 1844 — 46. 11 Thlr. 


Der erfte und zweite Band Eoften jeder 3 Thlr. 15. Ragr.; der 
deitte : Band 4 hir. 








— — — — — 


⸗ 


Bi 


tter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Dienftag, 


a rd EEE, SEE ie 


Die fociale Frage. 
(Bortfehung aus Nr. 47.) 

Wir haben gefehen, dag der Gefchichtfihreiber Schwe⸗ 
dens fih in Beziehung auf die Concurrenz und die Herr- 
fchaft des Geldes zu Grundfägen beiennt, welche ganz 
focialiflifh genannt werden können, wir müffen nun 
aber auch nachmweifen, wo er dem Socialismus entfchie- 
den den Rüden zumenbet.: Verfolgen wir feine Erörte- 
rungen über das Affociationszrincip: 

Man kann den Charakter der focialen Ummälzung, welche 
wir täglich ver Augen ſehen, mit den Worten bezeichnen, daß 
der Staat mit dem Yuselnanderfegen des Bankrott ber 
Sorporationen beſchaͤftigt fei. Gewiß hat er dadurch allzu viel 
zu fchaffen befommen, und wird ihm nicht bei Zeiten von ei- 
nem neuen Aſſociationsprincipe beigefprungen, fo ift er wahr: 
Icheintich der Aufgabe nicht gewachſen. In induſtrieller und 
finanzieller, in literarifcher und wiffenfchaftlicher, in moralifcher 
und religiöfer Hinſicht zeigt fich dieſer neue Affociationsgeift. 
Ale diefe Affsciationen, Geſellſchaften, Vereine zu eigenen und 
allgemeinen Zwecken gehören zu den Zeichen der Zeit. Dies 
iſt die mit der Beweglichkeit der Arbeit ebenfalls beweglich ge: 
wordene Corporation, in welcher die anrüdenden Hülfstruppen 
des neuen Staats fihtbar werden. Allein der eigentliche Aus: 
druck des Gefammtgeiftes ift der Staat. Er hat feine Beit 
in den Ständen gehabt, von denen ein jeder auf feine Weife 
‚einmal die ganze Gefellichaft zu beberrfchen gefucht hat. Sie 
find einzeln genommen blos Ausdrud des unvollftändigen Aſſo⸗ 
ctationsprincipd. Das eigentliche Leben dieſes ift politifch. 
- @&o bat ed fich einmal bei einer herrfchenden Prieſterſchaft, bei 
der aufblühenden freien Commun geäußert ; bis nach gegenfei- 
tigen Kämpfen das Aggregat von Eorporationen, welches Die 
Geſellſchaft des Mittelalters war, unter die Gewalt der Staat: 
einheit und Koͤnigsmacht fiel. Diefe äußere Staatseinheit ift 
endlich umgeſchlagen und hat fih als Bebürfniß einer innern 
&taatdeinheit bei dem Wolle entzündet. Dieſes Bebürfniß hat 
das Bewußtfein erzeugt, daß Beine Claſſe von den Mitgliedern 
der Geſellſchaft jegt von dee Theilnahme ebenfalls an den po: 
litifhen Rechten ausgefchloffen werden dürfe. Es ift das 
politifche Leben, was bis zum Volke herabgebrungen iſt. Dies 
anerkennen beißt blos Das anerkennen was iſt. 


So ift Seiler denn glüdlich von feinem focialifti- 
fhen Anfluge wieder auf den politifhen Grund und 
Boden zurüdgelehrt! Staat und Religion follen die 
Regulatoren der Zukunft fein. Die Religion Täßt bie 
Derfönlichkeit nicht frei werden, ſondern bindet fie als 
eine „mitgetheilte von oben’; der Staat, nachdem Geijer 
einmal gejagt hat, daß die Gleichheit der Menfchen kein 
Ariom, fondern nur ein Poftulat fei, welches im Einzel- 


—— Nr. 48. 


17. Februar 1846. 





nen bewieſen fein müſſe, tritt mit feinen politiſchen Fo— 
derungen trennend und ungleich berüdfichtigend ein; er 
macht fein ganzes biftorifches Material geltend und Die» 
fen hiftorifhen Spaltungen und Gegenfägen gegenüber 
ſetzt Geijer in dem Königthume die Idee der Staats- 
einbeit. Es kommt uns bier nicht darauf an, eine De- 
duction feines politiihen Bewußtſeins zu liefern, nur 
feine fociale Auffaffung fann uns befchäftigen, und ba 
leuchtet es denn ein, baf fie, ungeachtet des richtigen 
Blicks, welchen er in das Weſen der Concurrenz und 
in bie Stellung des Volks zur Mittelclaffe geworfen 
bat, noch fehr befangen geblieben ift. Er fagt, die So⸗ 
sialiften haben ihr Princip zu eng gefaßt, weil fie im⸗ 
mer mehr Staat und Meligion beifeite Taffen, aber ger 
vade im Gegentheil, indem fie diefes thun, bemeifen fie 
die Weite ihres Principe und bie Größe ihrer Fode⸗ 
rung. Bei Getjer ift der Begriff der Gefellfchaft noch 
nicht weder mit den hiftorifhen Kormen ber Politik 
noch mit den Symbolen der Religion in Widerſpruch 
gerathen, er möchte ſich unter ihnen entwideln und ih⸗ 
nen accommobiren und Religion und Staat ale Herr- 
fher und Ordner anerkennen; der fociafiftifche Geſell⸗ 
ihaftsbegriff Hat Religion und Staat durchbrochen und 
ſich auf eigene Koften geftellt. Es gab eine Zeit als 
die Religion in ihrer wirklichen Erfcheinung, der Kirche, 
bie Welt beherrfchte und der Staat ihr vollfommen un. 
terthan war; allmälig rüdte der Staat an den Plag 
ber finfenden Kirche und bie Einheit des Staats, das 
politifche echt wurde der Regulator der Welt und bes 
Lebens, im Gange der Neuzeit aber fehen wir, wie Eu- 
ropa in feinen politifhen Geftaltungen immer mehr er- 
fhöpft und die Wirkungen des conftitutionnellen Regi- 
ments fein befferes Reſultat liefern al6 bie des monarchi⸗ 
fhen. Da tritt eine neue Macht hervor, die Macht ber 
Gefellfchaft, zugleich die aͤlteſte Macht, älter ale der 
Staat, ben man fich nie ohne Regierungsmacht wirb 
denken können. Iſt es nun natürlich, die politifhe Forw 
des Staats ald den Beherrfcher der neuen Ordnung an⸗ 
zuerfennen und geräth der hiftorifche Staat nicht überall 
in einen entfchiedenen Conflict mit ihr, 3. B. Tann der 
Staat das Proletariat aufheben, kann es bie Sache bes 
Staats fein, eine Regelung des Arbeitslohnes geltend 
zu machen? Zwar redet man häufig von einem freien 


Staate, von einem Staate der Zukunft, auf dem man 
als tabula rasa operiren will, aber eben. nur Das ift 
der wirflihe Staat, als was er ſich hiftorifch entwickelt 
hat, mit feinem ganzen politifhen Formalismus, mit all 
feinen ungleihen Berechtigungen und Foderungen. Er 
kann nicht dee Here der neuen Ordnung fein, er ebenfo 
menig als die Religion. Diefer Gegenfag zwifchen bem 
neuen Princip und dem alten ift für Geijer noch ver- 
fehleiert geblieben, es ift aber nicht zu verwundern, wenn 
“ man bedenft, daß Schweden von der großen Krifie, 
welche das mittlere Europa immer gewaltiger erfaßt, 
nur erft fehr mittelbar berührt wird, und wir mögen in 
den Entwidelungen des großen Gefchichtfchreibers über 
die Concurrenz u. f. w. immerhin die Überzeugung ge: 
winnen, daß auch dort der neuen Weltordnung vorge: 
arbeitet wirb unb die Gegenfäge, wo fie bie jegt noch 
nicht klar geworben, ſich allmälig immer beflimmter her⸗ 
ausſtellen werben. 


Nr. 3. Bettziech, „Geld und Geiſt“. Wir wüf- 
ten nicht au fagen, daß die Lecture diefer Schrift einen 
befondern Eindruck auf uns gemacht hätte und daß 
fie ein erhebliher Beitrag wäre zur Loſung der fo- 
eialen Frage. Sie ift etwas allzu fehr ein berliner 
Product, es fehlt ihr die Ruhe, der Ernft; ſtatt der 
gründlichen Erörterungen tritt uns überall eine jour: 
naliftifche Klüuchtigkeit entgegen und Facta und: Ro- 
tizen, aus Journalen und ftatiflifchen Zabellen befannt, 
find mit focialiftifcher Prädicantenmanier zu einem un« 
vohftändigen Ganzen verbunden. Diefe Schrift, welche 
zwifchen Broſchüre und Buch hin« und herſchwankt, ar- 
beitet etwas allzu fehr auf den bloßen Effect los, zu⸗ 
weilen wigelt fie, zumeilen heult fie und Beides wollen 
wir nieht, we nur ber fichtende Ernſt in feinem Berufe 
if. „Gelb und Geiſt“ beſteht eigentlich nur aus ver- 
ſchiedenen Sournalauffägen ohne innere Einheit, wenn 
wir nicht die Declamation, welche von Anfang bis zu 
Ende durch das Buch geht, dafür nehmen follen. 

Zuerſt predigt der Verf. gegen die Autokratie bes 
Geldes: „ntthronung des Geldes, des Rothſchildiemus, 
des furchtbarften Fetiſchismus.“ Er fagt: 

Wollen's ehrlich verfuhen, das Gelb wieder auf fein 
Kichts zurädzuführen und nachzumeifen, daß der goldene und 
füiberne, lockende Schein Fein eigener, nur ein geborgter fei, 
wie der Mond, diefer Foloffale Louisdor des Himmels, nur mit 
dom Lichte der Gonne die Raͤchte ſchwach beleuchten kann. 

An diefem Zone geht's weiter. Was ber Verf. num 

nd, das ift ſchon lange vor ihm gefchehen und 
über das Berhältnig der Probuction zur Confumtion, 
des Lohnes zur Arbeit ift Längft Beſſeres gefagt worden 
als er zu fagen vermag. Der Verf. behauptet, das 
Geld ſei Selbſtzweck geworben und darin berube der 
Grund altes Elends. Nichte ift unwahrer als dieſe 
Behauptung. Zwar beherrfcht das Geld alle Zuflände 
des Lebens, aber es ſelbſt flieht wieder unter einem 
höhern Geſetz, es iſt Bedingungen unterthan, bie fich 
durchaus nid anf den tedten Selbſigweck des Geldes 


zurüdführen laffen. Keine Zeit widerfpricht der leeren 
Behauptung bed Verf. fo ſtark als die unferige. Das ' 
Geld ift ihe nur ein Mittel, aber darin, daß es ein 
Mittel für Alles geworben, daß es bie Welt in 
„Bemittelte” und „Unbemittelte getheilt bat, dußert 
es feine furchtbaren, zerflörenden Wirkungen. Der Verf. 
geht alfo in feinen Phantaften fogleih von einem un- 
wahren Vorderfage aus und muß fich, in Folge deffen, 
immer mehr in eine unbeflinmte Declamation verlieren. 
Wir erhalten da denn auch wieder ein hübfches ſtaat⸗ 
liches Utopien; „es komme nur darauf an, baß der 
Staat zu feinem Begriffe komme, fein Weſen und feine 
Aufgabe erfaffe und duchführe”; der „Staat” fol die 
„Volkskraft fihten und erlöfen” koͤnnen. Wenn ber 
Staat das Heil der Zukunft bringen kann, fo macht der 
Derf. ihm darin den flillfehweigenden Vorwurf, daß er 
allein Schuld fei an dem jegigen Elend des Volks! Er 
hätte ja den „furchtbarſten Fetiſchismus“ nicht auftom- 
men laffen müffen! Das Eine ift ebenfo falfh als das 
Andere! Die Affociafion befiegt, nad) dem Verf., den 
„Rothſchildismus“ nicht, aber fo befchränkt ift fein Ge» 
dankenkreis, daß er fih außer Stande zeigt, das Prin- 
cip ber Affociation zu begreifen und aus ihrer Unzur 
länglichteit im Einzelnen die Unzulänglichkeit ihres Prin- 
cips nachweiſen will! So local=berlinifch wird er, daß 
er ſich einbildet, die Unzulänglichkeit der Affociation ge- 
zeigt zu haben, indem er berichtet, es befiche in Berlin 
eine „geheime Affociation‘ zwifchen Kleifchern und Bädern; 
Fleiſch und Brot feien bei gefleigerten Preiſen des Ma- 
terials wol theurer, aber die Preife nicht wieder herab- 
gefegt worden, nachdem die Preife des Materials gefal- 
fen waren! Was iſt gegen ein folches Weifbier-Philifter- 
Raifonnement zu fagen! 

Die „Concurrenz“ gibt dem Verf. nun Gelegenheit, - 
recht dicke Schlaglichter aufzufegen. Die „Concurrenz“ 
ift den focialiftifchen Praͤdicanten ganz fo ein Schlag- 
wort geworden wie den politifchen Liberaten Volkésver⸗ 
tretung, Offentlichkeit and Mündlichkeit u. f. w. Wem 
ed interefjant ift, etwas Näheres über ben Ginfluß der 
Concurrenz auf die berliner Lebensverhältniffe zu erfah- 
ren, der wird hier wancherlei Journalnotizen zufammen- 
getragen finden, eine beftimmte Auffaffung bes Eoncur- 
renzprincips, eine allgemeine Entwidelung beffetken er⸗ 
warte man nicht. So predigt der Verf. z. B. aͤußerſt 
eifrig gegen bie „Nippfachen“ ber berliner Damen. Es 
tft aber feltfam, wie der Verf. das Princip ber Eoncur- 
renz verkennt. Er eifert 3. B. dagegen, daß die 15 
Schornfteinfeger Berlins durch policeiliche Maßnahme 
gegen Vermehrung gefhügt find und daß baffelbe auch 
bei den Apotheken, GBafthöfen und Droſchkenkutſchern 
gilt. Wie gleichgültig iſt eine ſolche Ausnahme für das 
durchwirkende Princip der Concurrenz, fie ſchwächt es 
weder noch ſteigert ſie es; nur wenn man der Concur⸗ 
renz des Capitals bie Concurrenz der befreiten Arbeite- 
kraft oder die Organiſation der Arbeit entgegenſtellt, 
kann ſie richtig kritiſirt werden. Ob innerhalb des Ca⸗ 
pitalmonopols und bei der allgemeinen Anerkennung bes 





191 


Concurrenzprincipe hier und da auch noch Schug gegen 
weitere Concurrenz ftattfindet, ift für die große Frage 
nicht anders als volllommen gleichgültig zu nennen! 
Aber freilich, in dem unklaren Gebantengange des Verf. 
fpielt das politifche Element, der „Staat“ und Ale, 
was er thun umd laffen fol, eine nicht unbedeutende 
Rolle. Keineswegs iſt der Verf. irgendwie über ben 
Standpunkt Louis Blanc's hinausgelommen. 

Wenn der Berf. mit berliner Localfarben malt, ge- 
fällt er uns weit beffer als wenn er allgemeine Stand⸗ 
punkte einnehmen und behaupten will, 3. B.: 

Eine eigenthümliche Frucht des ſtaͤdtiſchen Gelddienftes 
find die berliner Laufburſchen. Diefe Laufburfchen find weder 
Männer, noch Zünglinge, noch Knaben, weder Gefinde, noch 
Zagelöhner, noch Hausdiener, fie find alles und nichts, fie find 
General: Stadtpoften u. dgl. Man klagt allgemein über ihre 
Beruntreuungen, Lügen und Betrügen, über ihre Tücke und 
Berfchmigtheit. Sie bilden wie die Lohnbebienten (auch ein 
Product der Geldherrfchaft) eine Art Zunft und haben wie 
diefe ihre Herbergen und Niederlagen. Es foll über 2000 
profeffionirende Burfchen der Art von 12—16 Jahren in Ber: 
lin geben, die überall herumlaufburfchen von Dienft zu Dienft, 
bie fie, in allen Arten der Betrügerei routinirt und moralifch 
ruinirt, nidyt mehr als Laufburfchen unterfommen und nichts 
gelernt haben. Sie laffen fih dann zu freien Rittern der In: 
duftrie fchlagen und fuchen fo lange als möglich als Gauner, 
Bagabunden und Spigbuben auf flottem freien Fuße zu leben. 
Ungefähr 200 diefer Burfchen find beftändig brotlos. Ihr ein: 
ziger Troſt ift im Intelligenzblatt die Rubrik: „Dienfte und 
Beichäftigungen, wozu Perfonen verlangt werden.” Hier geht 
ed ſtets auf Zod und Leben. &o haben denn mehre Keller: 
ſchaͤnken dieſe Verhaͤltniſſe fpeculativ genug benupt. Sie er: 
hatten täglich gegen geringe Zahlung vom Intelligenzcompfoir 
jene Rubrik befonder6 voraus. Damit locken fie brotlofe Be⸗ 
Diente, Wrbeiter und Laufburfchen in ihre Kujelhöhlen, wo fie 
natürlich wenigftens für einen Dreier fpirituöfen Troſt zu ſich 
nehmen. Der Zunge von 12—14 Jahren fegt auch eine Ehre 
darein, möglihft viel Schnaps vertragen zu Ponnen. Bo 
blühen diefe milchbärtigen Knaben bald mit rother Raſe und 
vergiften fih körperlicd und moraliſch. Der „angeftellte‘' Lauf: 
burſche bleibt feinem Keller treu und hält die brotiofen &olle: 
gen von dem Ertrage feiner Betrügereien frei u. f. w. 

Auf dem Felde diefes Berlinismus, in ber Ver⸗ 
fprigung von berliner Localtinten ift der Verf. weit bef- 
fer zu Daufe als in ber allgemeinen theoretifchen Be⸗ 
handlung principiellee Kragen; dafür reicht weder das 
Material, über welches er gebietet, aus, noch überhaupt 
der berlinifch » befchräntte Horizont feiner Bildung. In⸗ 
tereffe verdient, was der Verf. uber das berliner Zei- 
tungsmwefen fagt, nicht vom ibeellen Standpunkte aus, 
fondern vom Staudpunkte des Rechte zu leben, mate- 
riell zu erifliven; Dies ift für ihn eine „Meffer- und 
Gabelfrage“, und es ift allerdings ein auffallender Ana⸗ 
Hronismus, daß man in Preußen im Bereiche ber 
Sreiheit die Befchräntung und Hemmung geſetzlich be- 
fiehen läßt, während man im Kreife der Unfreibeit, im 
materiellen Thun und Treiben, bie Freiheit zum Prin⸗ 
cipe erhoben hat. Der Berf. fagt über das berliner 
Zeitungsiwefen: 

Was in Berlin ſelbſt erſcheint, halt man im ber Regel für 
das Schlechteſte, was in Bezug auf die peeußifchen Beitungen 
auch fehr genau er Jeder, ber Zeitungen lieſt und kennt, 
wird zugeben, daß Die Voß'ſche und Spener'ſche Zeitung unter 


allen preußiſchen Zageblätttern an Inhalt und Zorm bi ⸗ 
terſte Stelle einnehmen. Ihre in geiſtiger Ziehen und wer 
gleich zu andern Beitungen niedrigfte Induftrie fteht gleichwol 
in materieller Hinſicht am hoͤchſten. Die Beitungen find name- 
lich ns neben ihnen dürfen fich Feine neuen Organe 
ber Zeit auf thun. Während materielle Arbeitskräfte ſich unge: 
zügelt befriegen dürfen, ift e8 den geiftigen Kräften, wo der 
Krieg der Bater alles Guten, Rechten, Wahren ift, unmoͤglich 
aufeinander zu plagen. ‚„Raffet die Beifter aufeinanderplagen 
fagt Suther. So nigt die Zalentlofigkeit Hier fiher und feft in 
ihren Privilegien und zieht alljährlich Maffen Geldes aus dem 
Volke, von welchen unzählige tüchtige Arbeiter im Weinberge 
des Herrn leben Fönnten. Daß foldhe privilegiete Zeitungen 
auch den Sinn für Offentlicheit und fociale und pofitifche lt. 
dung überhaupt niederhalten, geht ſchon aus der Gefbtaktif 
derfelben hervor. Einige hanbwerksmäßig thaͤtige und talent: 
lofe Zeute beforgen den Zeitungsinhalt. Iſt da etwas zu be 
tihtigen, beffer Darzuftellen, wahrer, eindringlicher, ift Jemand 
geiftig ober materiell beleidigt, ift eine Tagedfrage, ein öffent: 
liches Intereffe fchief und einfeitig oder gar lügenhaft darge: 
ſtellt, fo entftcht in allem Betreffenden die Nothwendigkeit, das: 
Nöthige dagegen zu fagen an bemfelben Orte, in derfelben Bei» 
tung. Dazu bat jeder Betreffende und jeber Betroffene ein 
Recht und die moralifche Pflicht. Wil er aber fein Recht aus: 
üben, feine Pflicht thun, fo muß er fich erft die Erlaubniß dazu 
a Zeile 2 Sgr. erkaufen. Die Wenigften haben Geld genug, 
ber Dffentlichkeit immer mit Opfern zu dienen. Ganz natür-. 
lich ift ſhon deshalb die Abneigung und der geringe Sinn für 
Dffentlichkeit, weil fie als Geldinftitut in den Händen einiger 
Menſchen ift, die ſich in Berlin noch dazu durch entſchiedene 
Jalentloſigkeit als unfähig beweiſen. Wodurch hat Hr. keſſin 
ſeinen Beruf, ein Organ der Preſſe zu leiten, je bekundet‘ 
Wodurch hat es Hr. Dr. Spiker gethant Haben fie werthvolle 
publiciſtiſche Werke geſchrieben? Haben fie dem Staate, dem 
Bolke, bem Gemeingeifte irgendwie bejondere Dienfte geleiftet ? 
Daß ich nit wüßte! So lange ſolche privilegirte Inftitute die 
Offentlichkeit fortwährend beeinträchtigen und ausbeuten, ift 
an Fein Gebeihen und Erſtarken einer öffentlichen Meinung 
und eined ſittlichen „politiſchen Gemeingeiſtes zu denken. Die 
privilegirte „Koͤlniſche Zeitung bringt dem privilegirten @i- 
genthümer, Buchhändler Dumont, jährlih über 21,000 Thaler 
„reinen“ Uberſchuß. Davon könnten 24 deutfche Beifter praͤch 
tig leben und ſchaffen, jept fallen fie einem einzigen Buchhänd- 
ler zu, der als folder nicht einmal was Nechtes für die deut⸗ 
[de Literatur zu thun verfteht. Stockholm hat mit 80, o00 
Einwohnern ſechs politifche Zeitungen, Berlin mit beinahe 
400,000 @inwohnern nur zwei, benn die „Preußiſche Allge- 
meine” kann man gar nicht mitzählen. England bat über 
370 größtentheils politifche Zeitungen, welche zum Theil in ber 
ganzen Welt gelefen werden, Preußen dagegen unter mehr ale 
450 Zeitfgriften nur 42 politifhe für 15 Millionen Einwoh: 
ner, zu benen body nody einige Millionen andere Deutfche kom: 
men, die fi für Preußen intereffiren. Schweden hat für feine 
3 Millionen Einwohner 120 Beitfchriften, unter denen gewiß 
mehr als 42 politifche fein werden. Juſt in Preußen, bem 
Stoate der Intelligenz, ift bie erfte und frifchefte Quelle ber 
Intelligenz, die Preſſe, am dürftigften. 

Wo dem Bar. keine Kocalverhältniffe zu Hülfe kom⸗ 
men, zeigt er fich ziemlich unfähig zur feldfländigen Be⸗ 
handlung der großen focialen Fragen. So findet fich 
denn in der ganzen Schrift auch eigentlich kein einziger 
Auffag, der auf eigenen Füͤßen flände, ber ein wahr- 
haftiges Studium des Verf. verriethe. Er bat ale 
Fournalift eine Menge verfchiedener Bücher und Bro- 
ſchüren, aber wie es ſcheint ohne Ordnung gelefen, die’ 
Grundzüge diefer verfhiedenen Bücher zieht er aus und 
umwirft diefelben mit einem pathetifchen, focial fein ſol⸗ 


192 


Ienden Raifonnement. Stil bat ihm gefagt, das Geld 
fei Selbſtzweck geworden und er fagt es getreulich nad; 
2. Blanc und felbft U. Weil müffen für die Concur⸗ 
ven; als Stügpuntte dienen. Was über Landgemeinden 
gefagtewirb, iſt faum etwas Anderes al6 ein Auszug 
aus der Schrift: „Die Kandgemeinde in Preußen” von 
M. v. Lavergne-Peguilden. Das Pofitive im Auflage 
„Der Geldfleiß“ Ichnt fich wieder an Hoffmann's Bro⸗ 
ſchüre „Die Macht des Geldes” an, woraus denn auch 
wörtlich die Mittel gegen die Macht des Geldes ange 
geben werden u. f. w. Mit einem Worte, wir haben es 
bier mit einem SJournaliften zu thun, der es verfchmäht 
bat, eigene, gründliche Studien zu machen und ſich be 
fähigt glaubt, durch Iufammentragung einer ungeordne- 
ten und unverarbeiteten Lecture und Piquanterien auf 
einem Gebiete erfcheinen zu Dürfen, wo nur der größte 
Ernſt und die reinfte Selbftändigkeit berechtigt werden 
kann. Wir müffen eine ſolche Frivolitaͤt um fo flärker 
zügen, je mehr es zu fürchten ift, daß wir durch fie ei- 
nen Wuſt fogenannter focialer Kiteratur erhalten, wel- 
cher die eigentliche Brage nur verdunkeln und die Em- 
pfänglichkeit für fie und ihre Confequenzen mit feinem 
feeren Pathos verderben kann. 

So unfelbftändig, ſchwach, ungleihmäßig und incon- 
fequent ber Verf. nun ſchon da ift, wo er fi an einer 
Kritit des Beftehenden verfuchen wollte, fo ganz unfähig 
wird er da, wo er anfängt, von der „Organifation der 
Arbeit‘ zu peroriren. Der arme Dann kann auch bier 
wieder nichts Anderes thun ale fih an Hoffmann lehnen. 
Bei den Handwerkern foll dadurch eime „Organiſation 
der Arbeit‘ erreicht werden, daß die Gefellen fich wie: 
der fefter an den Meifter ſchließen und mit ihm an fei- 
nem Bamilientifche effen; die Fabrikarbeit fol dadurd) 
organifirt werden, daß der Fabrikant verpflichtet wird, 
feine Arbeiter zu verforgen und „dadurch würden bie 
Menfchen einander fo befreundet und genähert, wie fie 
fich jegt entfremdet und entgegengefegt werden”; bei den 
Landbebauern foll es verhältnigmäßig ebenfo fein, „und 
das Taglöhnerwefen, diefe Quelle des bdörflihen Pau- 
perismus, würde allmälig verſchwinden“ u.f. mw. Nach—⸗ 
dem der Verf. anfangs mit lautem Gefchrei gegen bie 
Concurrenz zu Felde geritten, will er dieſes Princip, 
welches die Welt beherrfcht, plöglich patriarchalifch über: 
winden, allein eigentlich will er «8 nicht, fondern Hoff: 
mann und er fpricht demfelben nur nah. Nachdem er 
anfangs den ganzen Weltzuftand als verderbt und vom 
„Selbſtzweck des Geldes’ beherrfcht gemalt, will er mit 
Nalliativmittelchen helfen; nachdem er einmal Alles da- 
von erwartet hat, dag „der Staat zu feinem Begriffe 
komme“, foll diefer Begriff durch eine Steuer erreicht 
werden und diefe Steuer uns von Pauperismus, Selbft- 
zweck bes Geldes und wer weiß wovon fonft noch er- 
(öfen! Doch genug von einer folchen Confuſion und von 
einem Buche, welches wir unmöglich anders als voll- 
kommen verfehlt bezeichnen koͤnnen! 


‚(Die Kortfegung folgt.) 


Literarifhe Notizen aus England. 


Englifhde Shmähungen gegen Rorbamerika. 

Wieder hat fi) der Unmuth Sohn Bull's über feinen Stief⸗ 
fohn jenfeit des Weltmeers, der, nachdem er fein bevormunden- 
des Joch abgetworfen, ed zu Ehren und Anſchen in der Welt 
gebracht und es ihm felbit an Macht und Einfluß allenthalben 
wettzuthun fucht, durch reiche Gallergießungen in ben Reife: 
berichten eines gewiffen Rubio Luft gemacht, welche unter dem 
Zitel „Rambles in the United States and Canada, during 
the year 1845, with a short account of Oregon’ erſchienen 
iind. Rah diefen Schilderungen bliebe, mit Ausnahme der 
Schnelligkeit ihres Neifens, Bein gutes Stückchen an den Buͤr⸗ 
gern der Bereinigten Staaten. Selbſt die Schilderungen ber 
Mrs. Zrollope und des Hrn. Featherftonehough find Schmei⸗ 
heleien im Vergleich zu Dem, was Rubio den Amerikanern 
nachfagt. Die ganze Ration ift ein Haufen ven Schurken und 
Schuften ohne Ausnahmen, geiftig und leiblich entartet und 
verderbt. Nicht einmal dem ſchoͤnen Geſchlecht gefteht er eine 
Auszeichnung zu, indem er behauptet, er habe in einem Sage 
in London mehr hübſche Frauen gefehen als in ganz Amerika 
während feines langen Aufenthalts bafelbft. Raturlich fehlt es 
auch nicht an Prophezeiungen, daß die Preiftaaten über kurz 
oder lang in Zrümmern geben und die Monarchie auf denfel: 
ben ihren Herrſcherſtuhl auffchlagen werde. Die Amerikaner 
mögen darüber lächeln; wiffen fie doch, daß felbft auf diefer 
Scite der Waſſer Zaufende und Hunderttaufende in ihrem 
Staate den Fünftigen Träger der fortfchreitenden Kivilifation 
erbliden, wenn einft dem hereinbrechenden Barbarenthum des 
Dftens die policeilich gefchulten und zum ſchweigenden Gehor⸗ 
ſam gewöhnten Staaten des Weſtens ſich werden beugen müf: 
fen. Diefes Schmäben des amerifanifhen Ramens aus allen 
Winkeln und Eden des monarchiſchen Europa ift nur ein Be 
weis, wie Plein und ohnmächtig man fich dem erblühenden freien 
Weltkoloſſe gegenüber fühlt. 


Großes Buhhändlerunternchmen. 


Der londoner Buchhändler Bogue gibt unter dem Zitel 
„Ihe European library’ eine Reihe „der beften Werke der be» 
ſten Schriftiteller’' heraus, beideren Auswahl er von dem Geſichts⸗ 
punfte ausgeht, „daß die hoͤchſten Beftrebungen der menfchlichen 
Intelligenz, Die, wie es zum allergrößten Theile gefchehen, von 
Männern des Volks ausgegangen, auch dem Volke vollfommen 
faßtich find; und daß für die Erhebung des Volfögeiftes in Zukunft 
nichtö nothwendig iſt als ihm in greifbarer Form den gefammelten 
Geiſt darzubieten”. Deshalb follen in diefer Sammlung die 
großen fhriftfteflerifchen Werke jedes Landes und jedes Zeit 
alter6 Play finden, um diefelben zum Gemeingut jeder Haus⸗ 
haltung zu machen. Bis jegt find von diefer „Europäifchen Biblio» 
thek“ erichienen Roscoe's „Life of Lorenzo de Medid, cal- 
led the magnificent”, und Guizot's „History of the English 
revolution”, überfegt von William Hazlitt. 


Zudenemancipätion. 


Auch in England zeigt fih unter den Juden eine Partei, 
welche die Emancipation ihres Stammes nicht allein von einer 
Entfernung des äußern noch auf ihm laftenden Drudes erwar⸗ 
tet, fondern durch eine innere Wiedergeburt, burch die Befreiung 
des Geiſtes von den Feſſeln menſchlicher Sagungen diefem 
Zwecke näher zu kommen hofft. Von diefer Anſicht gebt die 
fürzlich erfchienene Schrift ‚Jewish emancipation’” aus. Der 
Berf., felbft ein Jude, fagt in dieſer Beziehung: „Keine 
Ketten find drüdender als die ben Geift feffeln; Beine Knecht⸗ 
ſchaft ift entwürdigender als die moralifhe; Feine Gewalt ift 
fo — als die ungebändigter Leidenſchaften; Feine 
Herrſchaft fo tyrannifch als die unferer eigenen Vorurtheile und 
Froͤmmelei.“ Jedoch bleibt diefer Reformator —E bei 
der Anerkennung des Pentateuch als Ausfluß göftlicher ofen 
barung fteben. 12, 


Verantwortlicher Herausgeber: Geinrich Wrodbans. — Drud und Verlag von J. X. Brockhaus in Reipzig. 





Blätt 


er 


für 


literarifde Unterhaltung. 








Die fociale Frage. 

(Bortfehung aus Nr. A) 

Ar. 4. Mel, „Die Armuthsnoth in ihrer wah—⸗ 
ven Entſtehung und fichern Befämpfung”. Der Verf. 
dieſer Leinen Schrift ift Lehrer in einer Fabrik⸗ 
gegend, er Tommt dadurch in eine unmittelbare Be- 
rührung mit den armen und arbeitenden Claffen. Wie 
er über ihre Noch und ihre Lage denkt, bietet er uns 
in den wenigen Bogen. Wol ſchon feine Lebensftellung 
hat es ihm unmöglich gemacht, unfere geſellſchaftlichen 
Berhältniffe frei von oben zu betrachten und bie Adern 
des Lebens überalf hin richtig zu verfolgen, er bewegt 
fid) deshalb nur auf dem moralifchen Standpunkte und 
bat ganz vorzüglich die Commune im Auge. Daß ben 
Sommunen in der Arbeitöftage unendlich viel zu thun 
bleibe, daß fie durch richtige Auffaffung bes Verhältniffe 
ımenblih viel nugen und abwehren konnen, wirb mol 
Feder zugeben müffen. 
Anfange die bürgerliche Gefellihaft im Kleinen. Run 
aber hat fich die bürgerliche Gefellfchaft im Großen ge- 
funden und die großen focialen Garantien übernommen; 
allein auch die kleinern localen, welche für die Sorgfalt 
der Commun übrig find, verfiechen ohne das Leben, wel⸗ 
ſches nur der Zuſammenhang mit den großen ntereffen 
und Bedingungen der Gegenwart gewährt. Kine bloße 
Betrachtung der Armuth vom communalen Standpunfte 
tarın deshalb ebenfo wenig genügen als bie blos mora- 
liſche Beurtheilung derſelben. 

Der Verf. ſagt: „Daß der Wohlſtand in Stadt und 
Land im Allgemeinen ab=, dagegen das Armutheverber: 
ben zugenommen hat, das ift eine nicht zu Teugnenbe 
traurige Thatſache.“ Diefe Thatfache nimmt er hin, er 
Laßt fich nicht auf alfgemeine Unterfuchungen ein und glaubt 
die Armuth auf vier Quellen: Arbeitslofigkeit, Arbeits: 
unluft, Verſchwendung und Berwahrlofung der Kinder 
zurüdführen zu können. Aus der Annahme diefer vier 
Quellen geht beutlich hervor, daß der Verf. über das 
Weſen des Pauperismus zu feiner principiellen Klarheit 
gefommen tft, jondern ihn immer noch mit ber alten 
gewöhnlichen Armuth zufammenfegt, während er felbft 
den Buftand des Proletariats folgendermaßen ganz rich- 
tig darſtellt: Ä | 
Bei vielen unferer Arbeiter iſt aber wegen des kaͤrglichen 


Die Commune war in ihrem | 








täglicgen Verdienftes eine Erfparung für Fünftige mitliche Ver⸗ 
bältnifie durchaus unmöglih. Das täglihe Einkommen in gu 
ten Beiten reicht kaum Hin, die allernothwendigften Bedürfntffe 
zu befriedigen, und jegliche Schmälerung oder wol gar Stodun 

des gewohnten Verdienftes führt unaußbleibliche Dürftigkeit 
und Mangel herbei. - 

Hier hat der Verf. felbft das Weſen bes Proleta- 
riats gezeichnet. Hier ift nicht von einer zufälligen Ar⸗ 
beitsfofigkeit, noch auch von einer Arbeitsunluft die Rede, 
fondern Das ift die Sache, daß ber Arbeiter von der 
angeftrengteften Arbeit nicht fo viel hat, um leben zu 
können. Ferner: “ 

Es treffen aber leider Beiten in Fabrik⸗ und andern ®e- 
genden ein, in weldhen es wirklid an der gewöhnlichen Arbeit 
und fomit an Gelegenheit zu der gewohnten Beichäftigung 
fehlt. Dieſe Perioden find theil6 von regelmäßig wiederkehren- 
den, theil® von ganz zufälligen Seitverhäftnifien abhängig. 
Doß 3. DB. der Maurer, der Schleifer, der Schiffer bei anhal⸗ 
tendem Froſte zur Winterzeit feinen gewöhnlichen Befchaftigun: 
gen nicht nachgehen ann, liegt in der Ratur ber BAR es 
ift dies alſo gar nichts Ungewoͤhnliches, nichts uͤberraſchendes, 
die Art der Beſchaͤftigung dieſer Arbeiter bringt das fo mit 
fih. Wußerdem können aber auch andere, namentlih alle Fa⸗ 
brifarbeiter in den Kal kommen, ihre gewohnte Beſchaͤftigung 
zum Theil oder ganz einftellen zu müflen. Der ungertrennliche 
Sefährte folder Störungen ift dann Armuth und @lend, Roth 
und Jammer. | | 

Der Berf. hat bier ebenfo. einfah als wahr bie 
Wirkungen des Induſtrialismus dargeftellt und er muß 
alfo zugeben, daß. die Grundquelle des Pauperismus in 


‚Zuftänden beruht, welche der Arbeiter mit alter morali- 


{hen Kraft und aller Arbeitsluſt unmöglich aufheben 
fans, ſondern welche ihn willenlos als eine Dtafchine 
benugen und vernichten. Der Verf. empfiehlt den Ge⸗ 
meinden dagegen Beichäftigung. der arbeitslosgewordenen 
Arbeiter. Das ift allerdings eine augenblidliche, aber 
durchaus feine dauernde Hülfe, und einer einzelnen Ge⸗ 
meinde ftehen nichts weniger zu Gebote als bie Mittel, 
wodurd dem Principe des Induſtrialismus entgegenge- 
wirft werden koͤnnte. Es wäre zu wünfchen gewefen, 
der Verf. hätte fih das Weſen des Proletariats und die 
Ratur des Induſtrialismus, wie er fie ganz richtig an- 
gegeben, etwas fhärfer in ihren Urfprüngen und Gon- 
fequenzen entwidelt. Er hätte. dann unmöglich in ben 
Fehler verfallen können, welchen ex jegt dadurch begeht, 
dag er neben ber unnatürlichen Arbeitsloſigkeit, welche 
durch den Induſtrialismus, die Eoncurrenz u. f. 10. her⸗ 





194 


vorgebracht wird, Arbeitsunfuft, Verſchwendung und Ver⸗ 
wahrlofung ber Kinder ald Quellen ber modernen Ar⸗ 
muth betrachtet. Die PVerwahrlofung ber Kinder if 
feine Quelle, fondern nur eine Kolge der modernen Ar- 
muth, und die Verfchwendung und Arbeitsunluft, wo fie 
aus den Wirkungen des Induftrialismus refultiren, find 
als folche Refultate ebenfo Feine Quellen, fondern nur 
Folgen. Der Verf. ſcheint Armuth und Pauperismus 
nur allzu oft zufammenzubringen und miteinander zu 
vermechfeln. Er legt ſich Häufig auf das Moralifiren, 
wo er unterfuchen folltee Dennoch hat er fo viel ge- 
funden Verftand, dag er immer wieder das Richtige trifft. 

Nachdem er ein Ranges und Breites von den Müfig- 
gängern und Tagedieben geredet hat, welche ein wahres 
Gift für den Gemeindeverband find dem fie angehören, 
erklärt er fich folgendermaßen: 

Aber auch dem braven und tüchtigen Arbeiter fann es 
begegnen, daß er die Luft an feiner Arbeit verliert, und dies 
tft Dann meift der Kal, wenn die mit feiner Xhätigfeit ver- 
bundene SKraftanftrengung mit dem dafür zu gewärfigenden 
Lohne nicht in dem richtigen Verhaͤltniſſe ſteht und er jomit 
nicht im Stande ift, beim treuften Fleiße fi) und die &ei- 
nigen redlich zu verforgen. 

Bol mag die faft in allen Gewerbtzweigen eingetretene 
vermehrte Concurrenz, die oft fo leichtfinnigen Speculationen 
angehender Kaufleute, der bis zum Übermaße geftiegene Credit 
und andere Berhältniffe den redlichen und wohlmeinenden Kauf: 
mann gezwungen haben, feine Fabrikate ebenfalls zu geringern 
Preiſen — allein es bleibt doch immer unverant⸗ 
wortlih, wenn der ungerehte Schweiß des Arbeiter dem 
Brotherrn die fehlenden Procente erfegen fol. Mag dies nun 
dadurch gefchehen, daB man dem Arbeiter an dem beftimmten 
Lohne die desfallfigen Abzüge macht oder daß man ihn direct 
oder indirect zwingt, für feinen Lohn Waaren zu erhöhten 
Preifen oder auf. mehre Monate Taufende Anweifungen zu neh: 
. men, immer klebt des Arbeiters Schweiß und Blut an den fo 

gewonnenen Procenten. | 

Werden nur Gefchäfte gemacht, um ſolche zu machen, fichert 
das leitende Princip der Faufmännifchen Shätigkeit weder das 
eigene noch das Beftehen der wirklichen Arbeiter, gebt die 
Concurrenz darauf hinaus, dem redlich gefinnten Kaufmann 
oder Kabritanten die beſcheidenen Procente und dem Arbeiter 
die Butter vom Brote wegzunehmen: dann verdient foldhe 
Handlungsweiſe mit öffentlicher Verachtung beftraft und mit 
allen geſetzlich zuläffigen Mitteln in ihrer unheilbringenden 
Wirkſamkeit gehemmt zu werden. ' 

Daß unter folhen Verhältniffen Arbeitsunluft unter 
den Arbeitern berrfcht, ift ganz nafürlih. Aber ber Verf. 
bat fie oben als eine Quelle der Armuth bezeichnet, wäh- 
rend er jegt felbft nachgewiefen, daß fie aus dem un⸗ 
richtigen Verhältniffe zwifchen Lohn und Arbeit, alfo aus 
der Armuth hervorgeht. Eine Folge kann nicht zugleich 
Urfache fein. Die Verwechſelung zwifchen ber zufälligen 
und der Maffenarmuth bat den Verf. zu diefer Incon- 
fequenz verleitet. 
der Armuth ift und fi nicht wieder auf. ein allgemel- 
nes, ſociales Gebrechen zurüdführen läßt, da nimmt fie 
mehr ober minder einen rein perfönlihen Eharakter an 
und man braucht ihr bei der Gntwidelung der focialen 
Frage keineswegs die Hauptaufmerkſamkeit zu ſchenken, 
welche der Verf. ihr in verſchiedenen Unterabtheilungen 
wibntet, verfehlte Berufswahl, Überbildung u. f. w., bie 


Wo die Arbeitsunluft wirklich Quelle 


retten Perfonen. 
‚der haben ſchon mannichfache Aufmerkſamkeit auf fich 


dann wieder Urfachen der Urſache find, da fie ganz an⸗ 
ders ihre Erledigung findet. 

Hnlich iſt es mit der Verſchwendung. Ihr eigent- 
licher Grund liegt, nad dem Verf., „in dem durch bie 
Sünde geftörten Verhaͤltniſſe zwiſchen unferer finnlichen 
und geiftigen Natur und namentlid in dem unfeligen 
Übergewicht, welches jene über biefe unleugbar befigt”. 
Von diefem chriftlich « moralifitenden Standpunkte aus 
kaͤmpft der Verf. dagegen „mit dem Schwerte des Gei⸗ 
fies, welches ift das Wort Gottes“. Cr verlangt be- 
fonders von den Seelforgern, daß fie „den Seelentran- 
fen Speife und Trank bringen follen” und „die in der 
Wüfte umberirrenden Schafe aufzufuchen”.. Wie wenig 
wir in der Löfung der focialen Frage von bloßer Mo- 
ral und von der Lehre des Chriſtenthums erwarten, ift 
oben bereit angedeutet worden. . Die Bedürfniffe haben 
ſich gefteigert, der Kohn ift zu ihnen nicht im richtigen 
Berhältniffe geblieben. Dies und nit „das durch die 
Sünde geftörte Verhältnis zwifchen unferer finnlichen 
und geiftigen Natur‘ ift der Grund der Verſchwendung 
in den untern Claffen, wenn man nämlich die forglofe ' 
Verwendung eines doch für die Befriedigung aller noth⸗ 
wendigen- Bedürfniffe niemals ausreichenden Lohnes fo 
nennen darf. Der Induftriafismus, indem er die Exi⸗ 
ſtenzen der Arbeiter unfiher macht, die Concurrenz, in- 
dem fie den Lohn herabdrüdt, äußert auch hier Wirkun- 
gen, gegen bie ber Verf. vergeblih mit dem „Worte 
Gottes” aneifert, die fih in unferm ganzen gefelfchaft: 
lihen Zuftande begründen und die er, von feinem ein- 
feitigen Standpunkte aus, als Urfachen betrachtet. Er 
wittert allenthalben die „Sünde; aber wer ifl denn der 
Sünder: der Einzelne oder das Ganze, aus dem das 
Einzelne reſultirt? das Opfer des Princips oder das 
Princip? 

Waͤhrend der Verf. in der Verwahrloſung der Kin- 
der zu Anfang eine Urfache der Armuth fieht, fagt er 
(&. 51) felbft, „daß fie fih ale Folge der Armuth 
zeigt”. Nachdem er alfo feine eigene Inconfequenz auf- 
gedeckt, brauden wir ihn nicht weiter zu berichtigen. 
Die Verwahrloſung der Kinder fhafft immer neue Pro- 
letarier, aber nicht das Proletariat, fie ift eine Folge 
deffeiben, „denn wo die Sorge um das tägliche Brot 
die ungetheilte Thätigkeit und den forgfamfien Fleiß der 
Mutter in Anfpruch nimmt, da ift an eine gehörige 
Pflege umd Wartung, an eine tüchtige körperliche und 
geiftige Erziehung gar nicht zu denken”. Hier ift aller 
dinge vom Staate und von ber Gemeinde, wenn auch 
nicht radical, doc mit Palliativmitteln zu helfen und 
es gefchieht weniger als man verlangen darf. ‚Eine 
heilſame Organifation der Volksſchulen und des Armen- 
wefens find als folhe Palliativmittel zu nennen; das 
mörderifche Grundprincip vernichten fie nicht, aber fie 
Die in den Fabriken arbeitenden Kin- 


gezogen. Man hat ihre Arbeitöftunden beſchränkt und 
für den Fall, das fchulpflichtige Kinder in den Fabriken 
verwendet werden, die Einrichtung befonderer Fabrikſchu⸗ 





195 


len vorgefchrieben. Über man weiß aud, wie dieſes 
Sefeg gehalten wird und die Abendſchulen, wohin Die 
Kinder müde und matt, häufig auch gar nicht kommen, 
feiften wenig oder nichts. Ebenſo wenig würde mol mit 
Schulftunden geholfen fein, die des Morgens, vor der 
Arbeit, flattfinden. Harkort, felbft ein großer Fabrikant, 
verlangt deshalb: „Die Regierung muß mit aller Strenge 
das Gefeg hinftellen und handhaben, daß durchaus keine 
Kinder vor zurüdgelegter Schulzeit in Fabriten ange- 
ftelle werben dürfen.” Durch eine folche Negation wird 
allerdings noch Bein pofitiver Boden für eine gute Er- 
zjiehung gewonnen, aber als Palliativmittel wäre ein 
ſolches Geſetz immer anwendbar, weil baburch, wie Har- 
fort fagt, wenn die Unmündigen aus dem Kreiſe ber 
Dienfibarkeit ausfcheiden „die Altern eine beffere Ver⸗ 
gütung für die Arbeit ihrer Hände finden”. Das wäre 
aber auch noch keineswegs genug, vielmehr müßte auch 
durch den Staat für eine tüchtige Ausbildung des Lei⸗ 
bes wie bes Geifte® geforgt werden. Die Verbefferung 
des Gehalts der Volksſchullehrer, ernftere Pflege des 
Armenfchulmefens u. f. w., wäre-ebenfalls zu fodern. 
Unfer Verf. geht auf folche Palliativmittel, wie wir 
fie eben angedeutet haben, nicht ein. Er überficht nicht 
die allgemeine Lage der Dinge, fein Hauptgedanke ift 
der, die verwahrloften Kinder in Familien unterzubrin- 
gen oder zu fammeln, „da der Einfluß einer guten häus- 
lihen Erziehung dur gar nichts erfegt werden kann“. 
Alsdann fchlägt er eine Organifation der Gemeinde vor, 
wie fie zur Zeit der Localvereinsbewegung vielfach be- 
ſprochen und endlich an dem Veto des Staats unmög- 
lich geworden if. Sähe der Verf. in einem foldhen 
neuen Verwaltungsſyſtem nur Palliativ- und Feine Ra⸗ 
dicalhülfe, fo wäre wol nichts dagegen einzuwenden; 
aber indem er „das mit ber Infchrift « Menfchenwohl » 
gezierte Panier hochaufflattern läßt” entſchwindet ihm 
wieder einmal der wirkliche Boden. Worte freilich kön⸗ 
nen wir nicht für baare Münze und die Aufwallungen 
eines guten Willens noch für keine Thaten halten. Ge⸗ 
gen das Princip der Gewerbefreiheit, gegen das Weſen 
des Induftrialismus, gegen das Princip ber Eortcurrenz 
fann ein Verein, wie der Verf. ihn will, feinen Kampf 
beftehen, alfo Fann feine Hülfe auch nichts weniger als eine 
radicale fein und felbfi zu Palliativmitteln gegen Die 
Maffenarmuth möchte, nach unferer Anfiht, noch etwas 
mehr erfobert werben als der gute Wille einer Gemeinde. 
Segen die Armuch kann eine Commune unendlich viel 
thun, gegen das Proletariat wird nur noch durch den 
Staat, fei es durch die gefeggebende Macht, fei es durch 
die Vereinigung und fittlihe Erhebung aller Staatebür- 
ger, mit einigem Nachdrude palliativ gewirkt werden 
fünnen. Cine radicale Hilfe aber geht aud) über bie 
Möglichkeiten und Kräfte ded Staats hinaus. Steuer- 
reform, eine allgemeine Fabrikenordnung, Drganifation 
der Volksſchule und des Armenweſens, Ausbildung ci- 
ned gewiſſen Perſonalcredits für den befiglofen Arbeiter, 
Kaffenvereine zu gegenfeitiger Verſicherung, unter gewiſ⸗ 
fen Bedingungen auch ein Sparkaffenfoftem, Sterbe - 


und Kranfenkaffen u. dgl. mögen als Palliativmittel an- 
gewendet werben und fi bald mehr bald minder nüg- 
(ich ermeifen. 
(Die Fortſetzung folgt.) 





Galerie fhweizerifher Dichter. *) 


3. Abraham Emanuel Fröhlich, mit befonderer 
Berüdfihtigung feines neueften Gedichts. 
Unter allen ſchweizeriſchen Dichtern der Gegenwart hat 

fi Feiner einer größern Anerkennung zu erfreuen als Froͤh⸗ 

lich, und in der That beſitzt derſelbe ein ſehr reiches Tälent, 
das ihm, wie wir zuverſichtlich hoffen; ein immer zahlreicheret 

Yublicum verfchaffen wird, wenn er ſich hütet, feine Mufe zur 

Magd perfönlicher Keidenfchaften herabzumürdigen, wie e8 lei: 

der ſchon einmal gefhehen ift. 

‚.Beöhlich ift, wenn wir nicht irren, zuerft durch Menzel 
(in feiner „Deutfchen Literatur”) in Deutfihland befannt gewor: 
den; jedoch hat er ihn nur fehr einfeitig und oberflächlich auf: 
gefaßt. Neuere Literaturhiftorifer haben ihn deshalb für we— 
niger bedeutend gehalten als er wirklich ift, und fo kommt es 
denn, daß weder Gervinus, noch Schäfer, noch Bilmar ihn 
berühren; dagegen wird er von Piſchon und Helbig lobend er: 
wähnt. Am meiften ift er wol dadurch in Deutfchland befannt 
geworden, Daß zivei der größten Müfterfammlungen ihm cinen 
gebübrenden Raum gewidmet haben, denn feitbem erfcheint 
aum irgend ein Leſebuch cder ähnliches Werk, in welchem 
nicht mehre Gedichte von ihm aufgenommen wären. 

Die erſten Dichtungen, welche Fröhlich befannt machte, 
find feine „Fabeln“ (Zürich 1825); fie haben nicht nur feinen 
Ruf begründet, fondern jind auch jetzt noch das Beſte was 
er geliefert hat. Diefelben zeichnen fi) zunaͤchſt durch ihre 
eigenthümliche Behandlungsweife aus, die von ber altherge: 
brachten fehr abweicht, aber im Grunde doch auf die altefte 
Form berfelben zurüdführt. Während die meiften Fabeldichter 
don Hageborn an immer die alten Erfindungen wieder neu be⸗ 
banbelten und von ihren Muftern nur in einzelnen Zügen ab: 
wichen, oft auch nur in ber Darftellung, fobaß bie fpätern 
häufig lediglich als Überfegungen oder Umarbeitungen ber frü- 
bern anzufehen find, findet man bei Fröhlich gewiß nicht eine 
einzige Kabel, die an ältere auch nur von fern erinnerte; viel- 
mehr find die Erfindungen durchaus fein Eigenthum, und 
fhon diefer Umftand reiht bin, uns darzuthun, daß fein poe⸗ 
tiſches Talent bedeutend und reich fein muß. Noch entfcheiden: 
der ift aber der folgende Punkt: Wenn wir die Fabeln frühe- 
rer Dichter lefen, wird der Eindrucd mit feltenen Ausnahmen 
ber fein, daß die Kabel einzig und allein der Moral wegen ge» 
fohrieben worden iſt; dieſe bildet den Mittelpunft, die 
des ganzen Gebäudes, während die erzählte Begebenheit als 
Nebenſache erfcheint, die der” Dichter nur aus dem Grunde 
mitgetheilt bat, die Moral anfhaulicher zu machen. &o hatte - 
die Fabel nah und nah alles epifche Leben verloren, das di» 
daktiſche Element war durchaus vorherrfchend geworden. Man 
fah es den Kabeln an, daß der Dichter ſich zuerft die Moral 
ausgeſucht hatte, die er an einer erdachten Begebenbeit aus 
der Thierwelt anfhaulic machen wollte, und daß er dann 
fi bemühte, eine ſolche Begebenheit ausfindig zu machen, die 
der Moral angepaßt werden könne, woraus denn natürlich gar 
manche gezwungene und gefchraubte Erfindungen hervorgingen. 
Fröhlich bat dagegen die Fabel viel naturgemäßer und daher 
auch weit poetifher behandelt. Er ging von der Betrachtung 
der ihn umgebenden Thier- oder Pflanzenwelt aus, fuchte deren 
tiefere Bedeutung zu ergründen und dieſe ſodann an einer eben» 


falls aus der Natur entnommenen oder in ihr wenigften lie: 


genden Begebenheit zur Anfchauung zu bringen. Er bat mit 
D. Red. 





Y Bl. Nr. 177 u. 178 d. BT. f. 186. 





19 - 


einem Worte Daflelbe auf ‚epifgem Mege erreicht, was Karl 
Mayer, Tanner u. U. m. in Iyrifcher fe e ten. les, 
fagt Herder in einem feiner tieffinnigften Gedichte, in Der Mor 
tur hat eine tiefere Bedeutung, und wenn der Menſch dieſe 
erfaßt, ſo iſt er gleichſam ein zweiter Schoͤpfer derſelben. Die⸗ 
fer Ausſpruch, deſſen Wahrheit in materieller Hinſicht ſich tag⸗ 
täglich durch bie neuen Erfindungen Fund gibt, in denen ber 
Wenſch die Kräfte der Raturerfheinungen beherrſcht, gibt den 
Schluͤffel zu der gefammten zomantifchen Schule und ihrer 
Fortbildung durch Uhland ‚und deſſen Kachfolger, ſowie er ganz 
insbefonbere den eigentlichen Werth jener obengenannten Dich: 
ter erſchließt. Die KRaturerfcheinungen waren ihnen nicht mehr 


feelen« und leblofe, einer äußern Rothwendigkeit unterworfe | 


ne Objecte; fie waren; ihnen vielmehr der verkörperte Aus: 
druck einer Idee, die fie poetifch zu erfaffen und in menſch⸗ 
liche Sprache zu überfegen ſtrebten. So hat z. B. Anaftafius 
Grün in feiner vortrefflichen „Baumpredigt“ die Eigenthüm⸗ 
lichkeiten der verſchiedenen Bäume ald äußere Darflellungen, 
gleihfam als Werkörperungen ber in ihnen liegenden Idee ent: 
widelt: die Pappel firecet bie Arme gen Himmel, weit fie fi 
nach dem lichten Segensquell fehnt, der dort oben flrömt; bie 
Weide dagegen blidt zur Erde, ihrer Mutter, deren Liebe fie 
immer noch mit Blumen Fränzt u. |. w. Im biefem &inne 
fagt die Welle bei Zanner: daß das Eurze Dafein eine Wohl⸗ 
that fri, da auch die Leiden dann nur von kurzer Dauer feien. 

Denn nun der Dichter diefe in den Raturerfcheinungen 
liegenden Ideen nicht im ihrer Allgemeinheit darjtelt, fondern 
fie en einem einzelnen Kalle anſchaulich macht, fo wird fi 
ibm das lyriſche Gedicht zur Kabel geftalten: 
Tanner gefagt hätte: Einft klagte eine Welle als fie eben am 
Ufer fich vlg: „Ach wie kurz if dieſes Wandern!” Da 
entgegnete ihr die andere, welche heitern Muthes dem Tod 
verfündenden Felſen ſich näherte: „Kurz gelebt, ift kurz gelit- 
ten!“ fo wäre aus dem lyriſch-allegoriſchen Gedichte eine Ka: 
bel geworden, aus der die Miele von felbft hervorgehen würde, 
ohne daß der Dichter fit zu bezeichnen nöthig hätte, und ohne 
daß er, was die Hauptfache iſt, von dieſer auögegangen wäre. 

Bon diefem Standpunkte aus find Kröhlih 8 Kabeln zu 
erfaflen, wenn man fie in ihrer ganzen Bedeutung und Bor: 
trefflichfeit verftehen will; wer, wie anenjel, nur Anfpieluns 
gen auf die ſchweizer Wirren ficht, beurkundet durch ſolchen 
Ausſpruch, daß ihm alle Einſicht in die Poefie fehlt. Aller⸗ 
dings hat Fröhlich oft Verhältniffe des Tages berührt, und 
nicht nur feiner Heimat, fondern auch oft genug Deutfchlands ; 
- aber er bar diefelben jo objectiv aufgefaßt — und dies ift ge« 
wiß Fein geringes Zeichen feined poetifhen Talente —, daB der 
Refer dennoch die vollfommenfte Befriedigung findet, auch wenn 
er von dem fpetiellen Kal nichts weiß, der möglicherweiſe den 
Dichter zur Abfaflung diefer oder jener Zubel veranlaßt haben 
mag. Ja, wir glauben fogar, daß die Befriedigung, welche 
ein Kunſtwerk gewährt, nur dann volllommen fein fönne, wenn 
wir von ber fpeciellen Veranlaflung gar nichts wilfen, und 
daß es eben deöhalb ein ficheres Kriterium einer gelungenen 
Dichtung iſt, wenn wir gar nicht ahnen, daß ihm eine [pe 
eielle Veranlaffung zu Grunde liegt, und es uns nicht in den 
Sinn kommt, nach einer folhen zu fragen. Sobald fi im 
Lefer das Bedürfniß Bund gibt, nad dem Entftehungsgrund 
irgend einer Dichtung zu forfchen, fo ift es ohne Zweifel ein 
Beweis, daß der Dichter ed nicht verftanden hat, fih über den 
einzelnen Fall, ber ihm vorlag, zu. erheben und ihn zu allge: 
meiner Geltung zu bringen. Riemand, der 3. B. Boethe's 
ſchoönes Bundeslied ‚In allen guten Stunden’ lieft und wie: 
der lieſt, wird fich einfallen laffen, nach den Umftänden zu 
fragen, die den Dichter bewogen haben mögen, bdaffelbe zu 
verfafien, und wenn man einem von dem Liebe begeifterten Le⸗ 
fer ſagte, es fei urfprünglich ein Hochzeitögedicht auf die Ber: 
mählung eined beftimmten Paar gewefen, fo wird er uns, 
wenn er wirklih Sinn für Poefie hat und wenn er nicht aus 


Benn 3.2. - 


wiß keinen Dank dafür wiſſen, Daß wir ihm eine e 
Wellung gemadt haben; denn es wird ihm ungmeifelke 
Baubıy verfihwinden, ber ihn das Lieb als für alle Menſchen, 
alſo auch fuͤr ihn gedichtet erſcheinen ließ. 

Wir wollen ein anderes Beiſpiel aus ich ſelbſt an⸗ 
führen, weil wir zugleich die —2* te feiner 
Fabeln mitzutheilen: 

Siebesmäntler, 


Gin Lamm ward weggebradt 
In einer dunkeln Nacht, 
Und nur der Diebe Spur 
Entdeckt man auf ber Blur. 
Da wird zum Augenfhein 
Bon feiner Dorfgemein 
Der Bus dorthin geſchickt. 
Dod in der Spur erblidt 
Er feines Vetters Kup, 
Der ihm auch hehlen muß: 
Drum mit gewandten: Schwanz 
j Berwebelt er fie ganz. 

- Ber diefe Kabel Hieft, wird fi Baum Denken Bönnen, dag 
fie einem ſpeciellen Fall ihren Urfprung zu verdanden habe: 
da fi in ihr ein allgemeines Bild menfclicher Schwache dar- 
ſtellt. Der guide und die Dorfgemein find für den Lefer Beine 
beftinimten Individuen, da er weiß, daß es folcher Liebesmänt: 
ler in allen Ländern gibt und zu allen Zeiten gegeben hat; 
die Fabel enthält für ihn nicht Die Charakteriftif eines hiſto⸗ 
riſchen Menfchen, fondern die poetifche Darſtellung einer ganz 
en, weit verbreiteten Gattung von Charakteren, und fie er- 

eut ihn durch ihre Wahrheit fowol als durch poetifche Ber« 
anfhaulihung. Und doch ift diefe Fabel, wie wir zufällig 
und zuverläfitg wiſſen, aus einem ganz fpeciellen Fall her= 
dorgegangen, wie denn ber Dichter muthwillig genug den Ras 
men ded Fuchſes Durch das letzte Beitiwort der Fabel gar deut⸗ 
lich bezeichnet bat. Dieſer lezte Umſtand kann wol dem bie 
Verhaͤltniſſe kennenden Leſer ein Laͤcheln abgewinnen, aber wird 
ihm gerade durch dieſes Lächeln nicht die höhere Freude an der 
Dichtung geraubt? Wird er nit aus det poetifchen An— 
ſchauung in die gemeine Wirklichkeit verfegt? Und gar, wenn 
er noch dazu weiß, Daß unter dem Diebe ein geiftlicher Herr 
au verſtehen it ber eins der ihm anvertrauten Schafe zu Fall 
gebradt, wird fich nicht dad Wohlbehagen in Ekel verwan- 
eln? wird nicht die Freude, die er ob der gelungenen poeti⸗ 
fhen Veranſchaulichung einer menfchlichen Schwäche empfand, 
zur Verachtung des unwürdigen Geiftlichen ſowol als feines 
Helfershelfers werden? Der Dichter hatte volllommen Recht, 
ben ihm vorgefommenen Kal zum Thema einer Fabel zu ma- 
hen; er hatte um fo mehr Recht, als es ihm dadurch gelin= 
gen mußte, feinen Gedichten Wahrheit zu verleihen; aber wir 
find ihm auch den größten Dank ſchuldig, Daß er und ben ſpe⸗ 
cielen Kal vollkommen entrüdt und ihn zur höchften Alige⸗ 
meinheit gehoben hat; dadurch hat er vor Allem feinen Beruf 
als Dichter beurkundet. 

Außer ben Kabeln verdanken wir Fröhlich auch Iprifche, 
und insbefondere elegifche Gedichte, von denen einige alles Lob 
verdienen. Dagegen bat er fi dur fein Pasquill — denn 
Satire koͤnnen wir e8 unmöglich nennen — „Der junge Deutfch- 
Michel“, harten, aber wohlverdienten Zadel zugezogen, den 
auch wir vollkommen theilen, da dieſe Schrift nur ein Aus- 
fluß der ungezügeltften Parteileidenfchaft ift und die Poefie in 
ihr gänzlich untergeht. Wir können übrigens um fo eher hier 
eine eindringlidhere Darftellung des Buͤchteins unterlaſſen, als 
es ſchon früher in Nr. 33 d. BI. f. 1844 beſprochen wurde 
und wir bie Anficht des Beurtheilers in allen Stücken theilen. 


(Die Bortfegung folgt.) 


wiſſenſchaftlichen @ränden nad aͤhnlichen Bingen forft, ne» 
: * 


Verantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brockdaus. — Drud und Verlag von ms. Brodpans in Leipzig. 





— TE 


Blätter 


für 


literarifde Unterhaltung. 


Donnerdtag, 


Die fociale Frage. 
(Bortfegung aus Nr. 40.) 


Me. 5. Engels, „Die Lage der arbeitenden Claffe 
in England”. Diefe Schrift nimmt in unferer fo- 
cialen Literatur eine fehr bedeutende Stellung ein 
und trägt unendlich viel dazu bei, den Punkt, wot- 
auf es bei der focialen Bewegung vorzüglich an« 
tommt, richtig zu erfennen, das Weſen und bie Wir- 
tungen des Induſtrialismus und der Concurrenz deut- 
lich einzufehen. England ift immer der Gegenftand des 
Neides unferer ‚großen: Induftriellen” geweien, Eng- 
kands ungeheure Handelsmacht haben wir vielfach bewun⸗ 
dert; hier fieht man nun, auf welchem unnatürlichen, ja 
auf weldem unmenfchlichen Zuftande die Macht und 
die Kraft des flolzen Albions beruhen. Hier: haben 
der Induftrialismus und die Concurrenz die philanthro- 
pifche Larve abgeworfen, welche fie noch bei uns zu tragen 
pflegen, und machen ungefcheut, unter dem Schuge der Ge⸗ 
fege, Taufende von Opfern, Zaufende von Leihen. Wir 
find allerdings nicht der Anficht, welche Heß im britten 
Hefte feines „Geſellſchaftsſpiegel“ ausfpriht, das burdy 
die Engels’ihe Schrift das Wert von Buret „De la 
misere des classes en Angleterre et en France” ganz 
in den Hintergrund gedrängt werbe, betrachten fie aber 
als eine gefichtete Zufammenftellung von Facten und 
Notizen, aus der Vieles zu Ternen ift und die einen 
dauernden Werth behalten wird. In England felbft 
gibt es bis jege nur zerftreute und, wenn man ſich zu 
dieſem Zwecke nicht felbft Fängere Zeit in England auf 
hält, ſchwer zu befchaffende Schriften über die verfchie- 
denen Erfcheinungen dieſer Zuftände; Engels hat uns 
ein Zotalbild geliefert. Er führt uns in die Zuftände 
der arbeitenden Claſſen Englands ein, welche das Gros 
der Nation bilden und aus deren Niederdrud die weni- 
gen Millionnaire und großen Grundeigenthümer ihre fo 
häufig angeflaunte Kraft fchöpfen. Was uns aus ver- 
ſchiedenen Parlamentsberichten und Unterfuchungsrefulta- 
ten zerfireut bekannt geworden war, das hat Engeld mit 
der umfichtigften Auswahl zufammengeftellt, er hat die- 
fen Stoff durdy feine eigene Anfchauung mit manchem 
Neuen vermehrt und fo ein Banzes hervorgebracht, def 
fen Eindrud für Jeden, er fei wer er wolle und er be- 


19. Februar 1846. 


Senne fih zu einem Princip welches es auch fei, von 
großer Bedeutung bleiben wird. 

Im Vorworte feiner Schrift flellt Engeld den &e- 
ſichtspunkt auf, von welchem er bei feiner Darftellun 
geleitet worden. „Die Lage der arbeitenden Claffen h- 
der thatfächliche Boden und der Ausgangspunkt aller 
focialen Bewegungen der Gegenwart, weil fie die hödhfte, 
unverhülltefte Spige unferer beftehenden focialen Miſere 
iſt“, und deshalb, „einerfeits um den focialiftifchen Theo⸗ 
rien, andererſeits um den Urtheilen über ihre Berechti- 
gungen einen feiten Boden zu geben, um allen Schwär- 
mereien pro et contra ein Enbe zu machen”, fei bie 
Erkenntniß der proletarifchen Zuftände für die Staats- 
wiffenfhaft und Staatskunft der Gegenwart eine un- 
umgängliche Nothwendigkeit geworden. Die profetari- 
fhen Zuſtände in ihrer „claffifhen Form”, in ihrer 
Vollendung eriftirten nur im britifchen Reiche und zu« 
gleich fei nur in England das nöthige Material fo voll- 
fländig zufammengetragen und durch officielle Unterfu- 
chungen conftatirt als e8 zu einer irgendwie erfchöpfen- 
den Darftellung des Gegenflandes nöthig ſei. Für 
Deutfhland aber habe die Darftellung der englifchen 
Proletariatszuftände, namentlich im jegigen YAugenblid, 
noch eine befondere Bedeutung. Der deutſche Socialis- 
mus und Communismus fei mehr als jeder andere von 
theoretifchen Borausfegungen ausgegangen, die deutfchen 
Theoretiter hätten fi) noch wenig um „bie fchlechte 
Wirklichkeit” bekümmert und es fei faft kein Einziger 
anders als durch die Feuerbach'ſche Auflöfung der Hegel’- 
ſchen Speculation zum Communismus gefommen. Cine 
Kenntniß der Thatfahen thue uns aber um deshalb fo 
fehr noth, weil, wenn auch die proletarifchen Zuftände 
noch nicht zu der Claſſicität wie bei ben Engländern 
ausgebildet, doc, auch in Deutfchland diefelben Grund- 
urfachen vorhanden feien und auf die Dauer biefelben 
Refultate erzeugen müßten, „falls nicht bei Zeiten Die 
Einficht der Nation Mafregeln zu Stande bringt, bie 
dem ganzen focialen Syſtem eine neue Bafis geben”. 

Der Berf. beginnt feine Darftellung mit einer Ein- 
leitung, worin der Urfprung der heutigen proletarifchen 
Zuftände nachgewiefen wird. Er fucht diefen Urfprung 
in der legten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, in wel⸗ 
her die Erfindung der Dampfmafchine und der Ma- 


⸗ 


, 198 


fhinen zur Verarbeitung der Baummolle den. Anftof 
zu einer Revolution gaben, bie zugleih die ganze bür⸗ 
gerliche Geſellſchaft ummanbelte und deren weltgeſchicht⸗ 
liche Bedeutung erſt jegt anfängt erkannt zu werden. 
Indeffen geht die Wefchichte diefer Revolution über ben 
befondern Zweck des Verf. hinaus. Sehr getreu ift die 
Schilderung des Übergangs der frühern —— 
mit Spinnerei und Weberei verbindenden Haͤusler⸗Fami⸗ 
lien in neuere Fabrikarbeiter-Familien und des damit 
zufammenhängenden Umfchwunge ſowol ber ölonomifchen 
als auch der moralifchen Zuftände der arbeitenden Glaf- 
fen. Nachdem er in aller Kürze, aber in allen wefent- 
lihen Zügen den Zuftand der Arbeiter vor der inbuftriel- 
len Revolution gefchildert hat, concentrirt er fein Urtheil 
folgendermaßen: 

Sie lebten in Abgefchloffenheit und Zurückgezogenheit, 
ohne geiftige Thaͤtigkeit und ohne gewaltfame Schwankungen 
in ihres Lebensfrage. Sie Fonnten felten lefen und noch viel 
keitener fehreiben, gingen regelmäßig in die Kirche, politijirten 
nicht, confpiriwten nicht, vadten nicht, ergögten ſich an koͤrper⸗ 
lichen Übungen, hörten die Bibel mit angeflammter Andacht 
vorlefen und vertrugen ſich bei ihrer anfpruchslofen Demuth 
mit den angefehenern Claſſen der Gefellfchaft vortrefflich. Da- 
für aber waren fie auch geiftig todt, lebten nur für ihre Pri- 
Yatintereffen, für ihren Webeftuhl und ihr Gärtchen und wuß⸗ 
ten nichts von der gewaltigen Bewegung, die draußen durch 
die Menfchheit ging. Sie fühlten fich bebaglich in ihrem ſtil⸗ 
len Pflangerleben und wären ohne die induftrielle Revolution 
nie herausgetreten aus dieſer allerdinge fehr romantifih:gemüth: 
lichen, aber doch eines Menſchen unwürdigen Eriften;. 

Asdann fielle der Verf. den allmälig wachfenden 
Eindrud des Induſtrialismus und des Mafchinenwefens 
auf dieſe alte, gemüthlihe Ordnung der Dinge bar. 
Den erften Einbruch machte die fpinnende Benny von 
3. Dargreaves im J. 1764; durch fie konnte ein Mann 
16 — 18 Spindeln in Bewegung fegen. Früher hielt 
ein Weber drei Spinnereien befchäftigt und es war nie 
mals Garn genug ba, jegt war mehr Garn da als bie 
Arbeiter verbrauchen konnten. Diefe Nachfrage nad 
Beuchen, ohnedies fhon in Zunahme, flieg noch mehr 
durch den billigen Preis. Man brauchte mehr Weber, 
das Webelohn flieg bedeutend in die Höhe. Da nun 
der Arbeiter an feinem Stuhle weit mehr verdienen 
konnte, fo verließ er allmälig feine Aderbaubefchäftigung 
ganz und gar und „nach unb nad verfchmand fo Die 
Claſſe der aderbauenden Weber ganz und löfte fich in 
"die new entfiehende Claſſe der reinen Weber auf, bie 
allein vom Arbeitslohn lebten und fomit Proletarier 
wurden. Bisher war, fomweit died anging, unter einem 
Dache das Garn gefponnen und verwebt worden. Yept, 
wo bie Jenny ebenfo gut wie der Webftuhl eine Eräftige 
Hank erfoberte, fingen auch Männer an zu fpinnen unb 
ganze Familien Iebten von ihr allein, während andere 
wiederum das überflügelte Spinnrad beifeite ſtellen und 
allein von dem Webeſtuhle des Familienvater leben 
mußten. Während fo das induftrielle Proleta- 
ziat ſich entwidelte, gab diefelbe Mafchine auch Anlaß 
zur Entftehung des Aderbauproletariats. Bisher 
hatte es viele Feine Grundflüde gegeben, jegt trat bie 


Glaffe der großen Pächter hervor, welche 50, 100, 200 
und mehr Morgen pachteten und durch ihre verbefferte 
Wirthſchaft den Kleinen Grundbefiger, den Yeoman, no . 
thigten, fein Beſitzthum zu verlaufen und entweder eine 
Jenny oder einen Webeſtuhl anzufchaffen oder fich ats 
Proletarier des Aders, Tageloͤhner, bei bem grofen 
Pachter zu verdingen. Die Induſtrie und die rationelle 
Wirthſchaft fleigerten fi nun immer weiter, und wenn 
fhon in der Jenny der Anfang bes Fabrikſyſtems lag, ' 
fo erhielt diefes durch die Spinning Throſtle, von vorn- 
herein auf die mechanifche Triebkraft berechnet, eine im- 
mer weitere Ausdehnung. Ihr folgte die Mule und 
die Sardir- und Vorſpinnmaſchine; hiermit war für das 
Spinnen der Baummolle das Fabrikſyſtem zum allein 
berrfchenden geworden. In den legten Jahren des vori- 
gen Jahrhunderts erfand noch Dr. Gartwright den me- 
hanifhen Webftuhl und diefer war 1804 fo weit ge- 
bracht, Daß er erfolgreich gegen die Handweber concur- 
viren konnte. Alle diefe Mafchinen erhielten doppelte 
Wichtigkeit buch Iames Watt's Dampfmafchine, bie. 
um 1764 erfunden und feit 1785 zur Betreibung von 
Spinnmafchinen angewandt worden war. Mit biefen 
Erfindungen, die feitdem noch jedes Jahr verbeffert wur« 
den, war der Sieg ber Mafchinenarbeit über die Hand⸗ 
arbeit entſchieden. 

Der Verf. fehildert diefen fortwährenden Sieg ber 
Mafchine, wie er fih in England in der Baummollen- 
iuduſtrie, der Strumpfwirkerei, Spigenfabritation, Biei⸗ 


cherei und Druckerei, in der Wolleninduſtrie, Leinen⸗ 


induſtrie, Seideninduſtrie, in der Eiſenproduction und 
Bearbeitung, in der Kohlenproduction, in den Topfereien 
und ebenfo endlich auch im Ackerbaue immer welter 
durchgefämpft hat. Die Bevölterungsbichtigkeit und die 
Ergiebigkeit ber Production fliegen mit ungeheurer Schnel- 
ligkeit, aber nur gleichzeitig met einer totalen Ummander 
Iung ber focialen Phyfiognomie bes Landes. Es erho⸗ 
ben. fich die großen Fabrik⸗ und Handelsftähte des briti- 
ſchen Reihe, in denen minbeftens Dreiviertel der Be⸗ 
völkerung der neuen Arbeiterclaſſe, d. b. dem Proleta⸗ 
riat angehören, jener Claffe, bie jegt nicht mehr durch 
den Beinen Handwerker mit den befigenden Claſſen ver- 
mittelt wird, fonbern ihnen gegenüber als feſt und erb- 
lich adgefchloffen erfcheint. Wer jegt als Arbeiter gebo- 
rem wurde, fagt der Verf., der hatte keine andere Aus⸗ 
fit als lebenslang Wroletarier zu bfeiben. 
(Dice Bertfegung folgt.) 


— — 





Galerie ſchweizeriſcher Dichter. 
3. Abraham Emanuel Froͤhlich. 
(Fortſearmg aus Nr. 9.) 

In den letzten Jahren hat fi Fröhlich im Epos verſucht; 

im 3. 1840 gab er heraus: „Ulrich Zwingli.“ (Zürich 1840); 

und ganz neuerlih: „Ulrich von putten. Sefänge-” (30: 

rich, ÜReder und Zeller, 1845, 8., 2 Ihlr.) Sein „Zwingli‘ 

ift ebenfalls ſchon in Rr. 177 d. 1. f. 1842 befproden und 

namentlich nad feinem Inhalte dargelegt worden. Wir erlau- 

ben und daher auf jene Recenfion zu verweifen, Der wir nur 
folgende Bemerkungen noch hinzufügen. 





Bein FE abgefchlofjenes ze, fondern er beftcht nur aus 
—— unter ſich in keinem nothwendigen Zuſammen⸗ 
hange ſtehenden Rhapſodien, die miteinander in der That nichts 
weiter gemein haben als daß fie von einer und derjelben 
Hauptperfon handeln, deren verfchiedene Lebensſchickſale in meh: 
ten voneinander unabhängigen Bildern dargeftellt werben. Ja 
ed ftehen ſogar mehre Gefänge in Feiner ober nur gefuchter 
Beziehung zum Helden, wie 3. DB. ganz insbefondere der 
für fig wohlgelungene britte Geſang: „Die Schlacht zu Ma⸗ 
ignano”, in welchem Zwingli nur ganz vorübergehend erwähnt 
d,. bios damit wenigfiens fein Name genannt werbe, fo: 
daß Diele Ernährung fit hätte unterlaffen werden kön: 
nen, ohne Daß der Geſang im mindeften an Werth und das 
Ganze an Sufammenhang verloren hätte. In „Ulrich von Hutten“ 
iſt Dagegen ein firengerer Zuſammenhang zwiſchen den einzelnen 
Gefangen vorhanden, indem fie der Dichter durch wohlgewaͤhlte 
Übergange miteinander verbunden hat. Dies ift ohne Zweifel 
n ein großer Kortichritt, allein wir halten ihn noch lange 
aicht für hinreichend. Der Dichter fol und nicht eine chrono⸗ 
logiſch geordnete, wenn auch im Einzelnen poetiſch ausgeführte 
Lebensbefchreibung feined Helden geben; er fol uns das Leben 
neugeftaltet, neu gefchaffen vorführen und bat ganz vorzüglich 
dahin zu fireben, daß ed und als ein Ganzes erfcheine. Er 
fell und nicht einzelne Bilder, fondern ein einzige Bild geben, 
deffen Eunftreiche und umfaffende Compoſition alle Einzelheiten 
in ſich vereinigt, in fich gleichfam untergehen läßt, obgleich fie 
eben dadurch an wahrem Leben und Bedeutfamkeit gewinnen. 
Dabei kann der Dichter ebenjo fireng an der hiftorifchen Wahr: 
heit halten; ja er kann fogar die chronologifche Folge der Le: 
bensſchickſale feines Helden hervortreten laffen, wenn er es für 
feinen Zweck notbwendig finden follte. Man denfe nur an die 
„Ztiade’ oder die „Odyſſee“! Auch in ihnen entwideln fich 
geoße Zeiträume, aber der Dichter bat die Begebenheiten fo 
anzuordnen verftanden, daß wir im Ganzen doch nur eine ver- 
haͤltnißmaͤßig fehr kurze Periode zu durchleben glauben, wo⸗ 
Dusch der unermeßliche Vortheil gewonnen wird, daß uns das 
Ganze mit allen feinen reichen Ginzelheiten doch als ein ein 
aiges leicht faßbares Bild erfcheint. Wird uns Dagegen die 
ffe der Begebenheiten chronologiſch vorgeführt, fo muͤſſen 
wir ebenfo viele Sahre durchleben als fie in der Wirklichkeit 
zu ihrer vollftändigen Entwidelung gebraudt haben, wir ver» 
lieren alle Überfhaulichkeit, weil das Gedicht unmöglich zu 
einem Zotaleindrude gelangen Bann. | 
Wenn aber alle einzelnen Sefänge für ſich betrachtet voll⸗ 
kommen gelungen find, Fönnte man entgegnen, und der Dich» 
ter eben nur einzelne Bilder geben wollte, ven Denen jedes, 
obgleich mit den andern durch den Stoff, die Form, die Hal: 
tung allgemein verbunden, doch als felbfländiges Ganze be 
teachtet werden Bann und als ſolches Wohlgefallen erregt, 
warum dann von dem Dichter verlangen, daß er ed anders 
mache? Hat er nicht auch auf feinem Wege feinen Zweck er: 
reicht? Wozu ihm dann Gefege vorfähreiben und andere Com⸗ 
pofition u. f. w. wünfchen? Ganz einfach, antworten wir, da- 
mit das Gedicht wirklich ein Gedicht werde; denn in folcher 
Haltung und Anordnung ift e8 eben weiter nichts ald eine ge: 
“ reimmte Biographie, und bieibt eine ſolche, felbft wenn das 
@inzeine mit allem Zauber der poetifchen Erfindung und Dar: 
ftellung ausgeftattet wurde. Der Dichter fol vor Allem auch 
Künftler fein und er kann nur dann auf Anerkennung An⸗ 
ſpruch maden, wenn er auch in Diefer Beziehung vollkommene 
Befriedigung gewährt. Wir zweifeln nicht, daß fein Gedicht 
auch in diefes unkünftlerifchen Form gefallen werde, wir geftehen 
fogar fer gern zu, daB wir felbft, als wir den „Ulrich von 
Hutten” durclafen. Freude und Interefle empfanden; allein fo 
viel des Schönen wir auch gefunden haben, fo war doch der 
Rückblick auf das Ganze fein angenehmer, Fein befriedigender, 
weis fih umferer Erinnerung nur einzelne Punkte zeigten, wäh: 
rend wir fo gern auf dad Banze zurüdgefchaut hätten. Es 


ip’ fe ift Bein eigentliches Epos, es bildet 








that uns dies um fo mehr leid, als wir der Übergeugung find 
daß der Dichter die Schwierigkeiten einer Lünftlerifchen amd 
lebensvollen Anordnung wol überwunden hätte, wenn er ger 
wollt, jo groß diefelben in der That auch fein mögen. 

Der „Ulrich von Hutten“ ift wie der „Bwingli” in der ſoge⸗ 
nannten Ribelungenſtrophe gedichtet. Es bat der Dichter in der 
Behandlung derfelben ebenfalls Fortſchritte gemacht; tm „Ulrich 
don Hutten” ift fie viel freier und reicher gehalten als im „Bwingt”, 
und doch if fie dabei viel reiner. Übrigens willen wir nicht, ob wir 
und täufchen, aber und dünkt diefe Strophe für ein größeres 
Gedicht Faum paflend, da man ihr bei der Entwidelung un- 
ferer Proſodie doch nicht die reiche, Mannichfaltigkeit geben 
kann, die fie früher beſaß; fie erſcheint nach und nach einför- 
mig und erregt dadurch gewiß eine Art Misbehagen. So vor» 
trefflich fie ſich für kleinere epifche Gedichte eignet, fo ivenig 
ſcheint fie und für größere Dichtungen mit Glück verwendet 
werben zu Fönnen. Freilich wüßten wir nicht anzugeben, wel» 
ches Metrum ein epifcher Dichter wählen follte, bean der Hera- 
meter ift bei aller feiner Bortrefflichkeit undeutſch und hat auch 
in der deutſchen Sprache keineswegs die bewegliche Mannich 
faltigfeit, ‘Die wir an ihm bei den Griechen bewundern, die 
italienifche Stanze aber ift zu lyriſch. Wir find der überzeu⸗ 
gung, daß ein der deutſchen Sprache angemeflenes epifches 
Rat noch erft gefunden werben muf. 

Nach dieſen allgemeinen Betrachtungen wollen wir einen 
gebrängten Überblit des neueften Gedichte Froͤhlich's geben, 
doch vorher noch die Bemerkung voranſchicken, daß der Dice 
ter ofenbar die gründlichfien Studien gemacht und nicht bios 
die Schriften Hutten’d, ſondern aud die feiner bedeutendften 
Beitgenoflen geleien und fonft Forfhungen aller Art angeftellt 
bat. So hat er einen überaus großen Reichthum ven Einzel⸗ 
beiten gewonnen, ben er meiftens glüdlich zu verwenden weiß; 
doch kommen auch Stellen vor, in denen die Andeutungen für. 
Den, der die Geſchichte jener Zeit nicht genauer Eennt raͤth⸗ 
ſelhaft ſein moͤgen. 

Im erſten Geſang, die Flucht aus dem Kloſter, im Fruͤh⸗ 
ling 1904, zeigt uns der Dichter feinen Helden in „Fuldes 
altem Kloſter“, in der Zelle fein Schitkſal befiagend, da fein 
Bater ihn gegen feinen Willen zum Geiftlicden beftimmt bat. 
Am folgenden Zag fol die Einkleidung ftattfinden. Sein Freund 
und Vetter Johannes dv. Hutten, ber ber Feier beisumehnen 
kommt, findet ihn in diefer düflern Stimmung ; er erbietet 
fi, ihm zur Flucht behülflich zu fein, welche denn auch glüd- 
lich gelingt. Uber der Bater Ulrich's ſpricht den Fluch über 
ihn ans, fo ſehr die übrigen Verwandten fi des Flüchtlinge 
annehmen. Der zweite Geſang, die erfte Wanderfahrt 1565 
und 1506, erzählt und in Form eines von Ulrich an Johannes 
geſchriebenen Brief die Abenteuer des Wanderers in den zwei 
erften Zahren nad) feiner Flucht. Befonders gelungen iſt die 
Darkkellung der Zuſammenkunft Hutten's mit Rutder in Er⸗ 
furt, als diefer fi eben entſchloß in das Kiofter zu gehen, 
fowie die Erzählung des Aufenthalts in Yugsburg, wo wir 
mit Pirkheimer, Dürer und Peutinger befannt werden, beflen 
Tochter Eonftantia mit dem Ritter einen Liebesbund ſchließt, 
der ihn fpäter in den unglüdlichften Augenblicken aufrecht er: 
hält. Bon hohem Interefje find ferner die Eharakteriftiten 
Reuchlin's und Geiler's, Brandt's und Erasmus’, fowie die 
Schilderung des Rheins und der Gefühle, Die Hutten bei fei« 
nem Anblicke erfüllten: 


Nun rheinwärtd immer ſchneller ritt ich das Lard Hinaus; 
Bald dann am Waldesrande brach ih in Sauczen auß, 
Als fern ih Strasburgs Muͤnſter erblickt' im Abendroth, 
Fernher der Rhein mit Rauſchen und Strahlenbliden Gräfe bot. 


Als nun ich flaunend, jubelnd vor feinem Streme ftand, 
Unendlih wie fein Wallen war da was ich empfand. 
Jetzt fuͤhlt' ich's wie am Ganges der Hindu niederfällt, 
Macht, Ewigkeit und Segen des Stromed für Gott ſelbſt Hält. 


. 
“ 260 


Mir rauſchte die Geſchichte des deutſchen Volks vorbei, 

Dort kuͤhn und wild im Kampfe, hier mild und immer frei; 

Und feine Zukunft rauſchte vorbei im Siegeszug, 

Die Flüſſe, Baͤch' und Quellen vereint in einem Zug und Plug. 
In einem Bug und Fluge die Banner all gefchart 

Bu einen Tuͤrkenkriege, zu einer Nömerfahrt, 

In einem Zug und Fluge die Segel, all geſchwellt, 

Aus allen deutfhen Strömen zur alten und zur neuen Welt. 
So ſchaut' ich in die Fluten noch durch bie fpäte Nacht; 

Im Strome glomm der Himmel, Vollmond und Sternenpradt; 

Ih ſah vom Himmel fommen mit fammt bed Himmels Heer 

Den Strom der Offenbarung, bie Welt verjüngend mehr und mehr, 


Bis in der großen Kälte der Zeit au er erflarrt, 
Gefefſelt im Verließe lang auf Erlöfung harrt; 
Nun kam die Sonne wieder, und Wärme weht durchs Feld: 
Den Eißgang hör’ ich donnern, und frei ift wiederum ber Held. 


Überhaupt iſt der Dichter in Naturſchilderungen glücklich, 
nur möchte man ihnen mehr Mannichfaltigkeit wünfchen. Den 
Schluß des Gefangs bildet der Bericht Hutten’s über feinen 
Aufenthalt bei Sidingen und in Köln, bei. welcher Belegen: 
beit wir erfahren, woher der unauslöfcplihe und Hutten fo 
verberblihe Haß kam, den die Dominicaner und ganz vorzüg- 
lich der Kegerrichter Hogftraten gegen ihn faßten. 

Der dritte Gefang führt uns zu einem ſchwelgeriſchen Ge: 
lage der Dominicaner, in welchem ſich uns ihre Abfidhten ent: 
hüllen; der vierte enthält die Befchreibung von Hutten's zwei⸗ 
ter Wanderfahrt (15183 — II). Wir halten diefen ſchon we⸗ 


- gen der künſtleriſchen Compofition für einen der gelungenften 


Abjchnitte des ganzen Gedichte. Voll Wirkung ift insbefon: 
dere der Anfang, wo uns Hutten im Bettlerfieide, von Krank: 
heit ermattet, aber doch in ber ganzen Kraft feiner Feuerfeele 
erſcheint. In Olmuͤtz wird er vom Bifchof gaftfreundlich auf: 
genommen, der feinen Werth erkennt. Ihm erzählt er feine 
bisherigen Abenteuer. Er war nach Franffurt an der Ober, 
der neu geftifteten Hochfchule gezogen, dort aber durch Hog⸗ 
ſtraten's Einfluß bald wieder vertrieben worden. Nach einer 
unglüdlihen Seefahrt war er nach Greifswald gefommen, wo 
die Freundfchaft feiner erftien Gönner, der Xöge, fi) bald in 
die bitterfte Zeindfchaft verwandelte, fodaß er, der aud dort 
von Hogftraten nicht unangefochten blieb, wiederum weichen 
mußte. Auf dem Wege nach Roſtock ward er von Meuchels 
mördern der Löge überfallen, und er wäre, mitten im Winter, 
an feinen Wunden erlegen, wenn ihn nicht ein edler Prieſter, 
Edbert ven Harlem, zu fich genommen hätte. Als er wieder 
gefund geworden, war er durch Sachſen und Böhmen gezogen 
und nad ciner neuen Krankheit bis Mähren gekommen. Der 
fünfte Gefang, Kriegszug nach Italien 1512—14, zeigt und 
zuerft den Ritter auf der Reife nach Wien, zu der ihm der 
edle Bifchof die Mittel gegeben hatte. In der Kaiferftadt wird 
er nad) und nad) mit den bedeutendſten Männern befannt und 
erhält zulegt Zutritt zum Kaifer Marimilian, der ihn in feine 
Dienfte nimmt. Gr zieht mit dem Heere nach Italien; der 
Zug ift lebendig dargeftelt, fowic die Schlacht bei Ravenna, 
in welcher Hutten den Cardinal Iohann v. Medici, nachma⸗ 
ligen Papſt Leo X., von dem Schwerte der Landsknechte rettet. 
Bald durauf rief der Kaifer fein Heer zurüd, allein Hutten 
blieb in Italien; er zog nad Pavia, wo er fich ganz den Stu: 
dien widmete, auß denen er aber durch den wilden Überfall 
der fchweizerifchen Söldner aufgefchredt wurde, die auch ihn 
mishandelten und plünderten. Als er fehon feinen Wunden zu 
erliegen glaubte, ward er von Imingli, der damals als Prie: 
fter bei den Schweizern in Italien war, gerettet und gepflegt. 
Sie fchließen innige Freundfchaft und theilen ſich ihre Zdcen 
über Die Nothwendigkeit einer Umgeftaltung der kirchlichen Ber: 
gältniffe mit. Als fie fi) trennen müjjen, zieht Hutten nad) 

ologna, wo ihn zuerft Krankheit und dann Elend aller Art 
zwingt, ſich als Landsknecht anmwerben zu laffen. Endlich ent: 


fließt er fi, in bie Heimat zurückzukehren, und fo finden 
wir ihn im ſechsten hang in Stuttgart, wo ſein Better 
—3 Hutten in großer Gunſt bei dem oge Ulrich von 
eteihberg ftand. Doch bemerkte unfer Held bald, daß ber 
Herzog, deſſen tyrannifche Bemütbsart allgemein befannt war, 
frevle Abſichten gegen die gen feines Vetters hege. Er machte 
diefen, aber umfonft, darauf aufmerffam, ja er wagte felbft ge- 
gen den Derog Andeutungen zu machen, bie biefen fo erzürn- 
ten, daß er bald darauf gezwungen wurde, das Land zu ver: 
laſſen. Der Dichter Hat jede Gelegenheit ergriffen, utten, 
beffen Berke, wie ſchon erwähnt, er mit dem größten Fleiße 
fiudirt bat, mit feinen eigenen Worten reden zu lafſſen, fo 
3. B. in diefem Gefange, wo er eine vortreffliche Bearbeitung 
des Gedichts „Nemo mit großem Güde einzuflechten weiß. 

Im fiebenten Gefang erfährt Hutten bie Ermordung fei- 
nes Vetters Johannes; die Klage des Ritters, zu ber der Dich» 
ter ebenfalls deffen Werke benupt bat, ift Prirefiic und ent⸗ 
hält einige fehr gelungene Stellen; ex faßt den ntſchluß, den 
Gemordeten zu rächen, und eilt deshalb nah Haufe um fi 
mit den Seinigen zu vereinigen. Heimgekommen verföhnt er 
fih mit feinem Vater. Man befchließt, daß er zum Kaifer und 
von dort nad) Rom reifen folle, um fich dort für Reuchlin zu 
verwenden, der mit den Dominikanern harten Kampf zu ber 
ftehen hatte. 

Der achte Geſang, zweite Neife nad Italien 1515 und 
1516, fcheint uns feinem Inhalte nach durchaus gegen die poe- 
tiſche Wahrheit zu fein. So nahe dem Ritter Reuchlin's Un- 
gelegenheit aud am Herzen lag, fo fehr er fogar perfönlich 
dabei betheiligt war, fo konnte dieſelbe doch unmöglich Die 
Rache gegen den Herzog fo fehr zurüddrängen. Da der Di: 
ter dem Kriegszug gegen Ulrih von Würtemberg den erwähn- 
ten Grund unterlegte, fo hätte er, um die epifche Einheit 
nicht zu ftören, denfelben nicht fo Tange binausfchieben follen; 
die drei Gefänge, welche auf den Racheſchwur folgen und ganz 
heterogene Begebenheiten oder Thatſachen behandeln ‚ vernich⸗ 
ten allen Eindrud, den ber fiebente Gefang hervorgebracht 
hatte, ſodaß, als der Kriegszug endlich begonnen und ausge: 
führt wird, die Theilnahme für den Ritter gar fehr abgenom: 
men bat und und fogar das ihm zugefchriebene jahrelange Rache⸗ 
gefühl beleidigt und abſtoͤßt. Dieſen unſers Beduͤnkens ſehr 

roßen Mangel des Gedichts hat der Dichter lediglich dadurch 
—— — daß er die einzelnen Lebensumſtaͤnde feines Hel⸗ 
den chronologifch vorführen wollte; bies ift aber wie ſchon be: 
merkt Sache des Hiftorifers, nicht aber des Dichtere. Hätte 
ver Berf. 3. B. den fiebenten Gefang zum zehnten gemacht, 
und ihm die drei andern vorausgefchickt, was er durch geſchickte 
Einkleidung leicht hätte bewerkſtelligen konnen, fo wuͤrde der 
Racheſchwur und der Kriegszug Schlag auf Schlag gefolgt fein, 
und die Wirkung wäre gewiß bedeutend größer gewefen, wie 
benn auch der Lefer weit höhere Befriedigung gefunden hätte. 

(Der Beſchluß folgt.) 
—— — — — — —— — 
Notiz. 
Die Schrift der Kabplen. 

Bits jegt war es den forgfältigften gelehrten Sorfchungen 
nicht gelungen, zu ermitteln, ob die Kabylen, Deren Sprache 
befanntlih dem femitifchen Stamme nicht angehört, ein ei» 
gened Syſtem von Schriftzeichen befigen oder je befeflen 
haben. Durchweg bedienen fie ſich jegt der arabifchen Kettern; 
ob jie vor Eroberung der Moslemin überhaupt burch Schrift ſich 
verftändigen fonnten, war ungewiß. Jetzt fol, wie ein Sours 
nal in Algier meldet, ein bei der Civilverwaltung angeftellter 
Dolmetſch dafelbft fo gluͤcklich geweſen fein das langgefuchte 
kabyliſche Alphabet in einigen Munuferipten aufzufinden. Der 
franzöfifche Kriegsminifter bat eine Commiſſion niebergefeßt, 
welche die fraglihe Entdeckung prüfen und über deren Werth 
und Echtheit Bericht erftatten fol. 12. 


Verantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brockdaus. — Drud und Verlag von F. ME. Brockhaus in Leipzig. 
en — — ——— —— 


Blätter 


für. - 


literarifhe Unterhaltung. 





Freitag, 


— — — 
J 


Tr. " 51. —7 


20. Februar. 1846. 


. 
nn ————— — . * 
7 J 


Die ſociale Frage. 

(Fortſetzung ans Nr. 50.) 

Auf dieſe Weiſe wurde bie ungeheure Maffe vo 
Arbeitern zufammengebracht, welche das ganze. britifche 
Reich erfüllt und deren fociale Laft fi mit jedem Tage 
der Aufmerkfamkeit der civilifirten Welt mehr und mehr 

aufdringt. Hoͤren wir den Verf.: . 
Die Lage der arbeitenden, Claſſe, das heißt die Kage dei 
ungeheuern Majorität des englifchen Volks, die Frage: Was 
fol aus diefen befiglofen Millionen werden, die heute Das ver: 
jehren was fie geitern verdient Haben, die mit ihren Erfin- 
dungen und ihrer Arbeit Englands Größe gefchaffen haben, 
die täglich ihrer Macht fi mehr und mehr bemußt werden 
und täglich dringender ihren Antheil an den Wortheilen ber 
geſellſchaftiichen Einrichtungen verlangen, — dieſe Frage iſt 
ſeit der Reformbill die nationale Frage geworden. Alle eini⸗ 
ermaßen wichtigen Parlamentsdebatten laſſen ſich auf ſie re⸗ 
uciren; und wenn auch die engliſche Mittelclaſſe es ſich bis 
jetzt nicht geſtehen will, wenn ſie dieſer großen Be auch 
außzumweichen und ihre Interefien.als die wahrhaft nationa⸗ 
Yen hinzuftellen fucht, fo Hilft. ihe das gar nichts. Mit jeder 
Barlamentsfeffion gewinnt die-arbeitende Claſſe Zerrain, ver: 
Iieren Die Intereflen der Mittelclaffe an Bedeutung und ob» 
wol die Mittelclaffe die Hauptmacht, ja die eingi e Macht bes 
Parlaments ift, fo war doch die letzte Seſſion 1844 eine fort⸗ 
währende Debatte über Arbeiterverhältniffe (die Armenbill, die 
Fabrikenbill, die Bill über das Verhaͤltniß von Herren und 
Dienern), und Thomas Duncombe, der Vertreter der Arbeiter: 
cdaffe im Unterhaufe, war ber grofie Mann der Seffion ; waͤh⸗ 
rend die liberale Mittelclaffe mit ihrer Motion wegen Abfchaf- 
fung der Getreidegefege und die vadicale Mittelclafje mit ihrem 
Antrag auf Steusrverweigerung eine jämmerliche Role ſpiel⸗ 
ten. Selbft die Debatten über Irland waren: im Grunde nur 
Debatten über die Lage des irifchen Proletariatd und die Mit: 
tel, ipm aufzubelfen. Es ift aber auch hohe Seit, daß die eng: 


liſche Mittelclaffe den nicht bittenden, fondern drohenden und. 


fodernden. Arbeitern Eonceffionen macht, denn in kurzem möchte 
eb zu fpät fein. oo | 

Die Lage diefer Elaffe nun ift es, welche der Verf. 
uns ſchildert. Um e8 gründlich zu koͤnnen, muß nach 
feiner Meinung das Profetariat in verſchiedene Unter 
claffen abgetheilt werden, da fich in ben verfchiedenen 
Kreifen auch ein verfchiebenes Stadium feiner Reife 
zeigt. Im Kreiſe der Zeuchinduftrie, weiche zuerft von 
dem großen induftrielen Umſchwunge berührt wurde, hat 
: das Proletariat bie hoͤchſte Meife erlangt, alsdann kom⸗ 
men bie Arbeiter in den Kohlengruben und den Metall- 
bergwerken, ihnen folgen die englifchen Aderbauproleta» 


vier, und auf der vierten Stufe endlich fiehen die Ir⸗ 
laͤnder als dem alten faulen genügfamen Hänslerleben 


noch am nädhften. Da aber, fagt der Verf., in diefem 


Augenblicke bereit6 fo ziemlich das ganze Proletariat 
von der Bewegung ergriffen ift und "die Rage der. ein- 
zelnen Sectionen viel Bemeinfames hat, fo muß. diefes 
Gemeinſame zuerſt durchgenommen werben, um fpäter 
dann jede einzelne Verzweigung defto fchärfer in ihrer 
Eigenthümtlichkeit betrachten zu Sonnen. Der Verf. be 
fpricht deshalb in der erften Hälfte feines Buchs das 
Bemeinfame der Lage der Arbeiterclaffen, in der zwei⸗ 


ten die Rage der Arbeiter in den einzelnen Arbeits- 


zweigen. | | 
Sehen wir bier zuerft auf den erften Theil, auf bas 
Gemeinfame der Lage der Arbeiterclaffen, Hier. wird 
unfer Blick zuerſt auf die großen Städte gerichtet; In 
ihnen beweift fich die centralifirende Kraft der Induſtrie, 
die Bevölkerung wird durch fie ebenfo centralifirt wie 
das Kapital. Deshalb tretm auch in den . 
fen Städten bie Confequenzen der Induſtrie in —* 
zug auf das Proletariat am deutlichſten hervor. Eine 
Stadt wie London, wo man ſtundenlang wandern kann 
ohne auch nur an den Anfang des Endes zu kommen, 
die koloſſale Concentration, welche in London drittehalb 
Millionen Menſchen zuſammengehaͤuft und dadurch die 
Kraft dieſer drittehalb Millionen verhundertfacht hat, iſt 
zuerſt ſo maſſenhaft, ſo großartig, daß man gar nicht 
zur Beſinnung kommt. Aber bald „tritt die brutale 
Gleichguͤltigkeit, die gefürhlloſe Iſolirung jedes Einzelnen 
auf ſeine Peioatintereffen um fo widerwärtiger und um 
fo verlegender hervor, je mehr diefer Einzelnen auf den 
Heinen Raum zufammengebrängt find”; aber wenn man 
erft die „ſchlechten Viertel“ der Hauptftabt befucht und 
gefehen hat, wie dicht „„barbarifche Gleichgültigkeit und 
egoiftifhe Härte auf der einen und namenlofes Elend 
auf der andern Seite” in diefer großen Menſchenanhaͤu⸗ 
fung nebeneinander wohnen, dann fieht man, „daß dieſe 
Londoner das befte Theil ihrer Menfchheit aufopfern 
mußten, um alle die Wunder der Civiliſation zu voll- 
bringen, von denen ihre Stadt wimmelt, daß Hundert 
Kräfte, die in ihnen fchlummerten, unthätig blieben und 
unterdrüdt wurden, damit einige wenige fich voller ent» 
wideln und durch die Wereinigung - mit Denen anderer 


multiplicirt werden konnten“. Es iſt ber fociale Krieg, 
der Krieg Aller gegen Alle, welcher in den großen Stäbd- 
ten furchtbar ausgebrochen iſt, und da in dieſem Kriege 
das Capital, der directe oder indirecte Befig der Lebens- 
mittel und Proburtionsmittel die Waffe ift, mit der 
efämpft wird, fo ift es einleuchtend, daß alle Nach⸗ 
heile diefes Zuſtandes auf den Armen falfen. 
Dieſen Zuftand fohildert der Verf. mit furdhtbaren, 
aber unzmeifelhaft wahren Farben; er gründet feine 
Schilderung auf Thatſachen und authentifche Berichte. 
Man höre ihn: 

Jebe große Stadt hat ein oder mehre „ſchlechte Viertel”, 
in denen fich die arbeitende Claſſe zufammendrängt. Dft frei 
ih wohnt die Armuth in verftedten Gaͤßchen dicht neben den 
Yaläften der Reichen, aber im Allgemeinen bat man ihr ein 
aparted Gebiet angewiefen, wo fie, auß den Augen ber glück⸗ 
lichern Claſſen verbannt, fich mit fich felbft durchſchlagen mag 
fo gut es geht, Diefe ſchlechten Viertel find in England in 
allen Städten ziemlich egal eingerichtet; Die fchlechteiten 


Häufer in der ſchlechteſten Gegend der Stadt; meift zweiftödige | 


oder einftödige Siegelgebäube in langen Reihen, möglidyerweife 
mit bewohnten Kellerräumen und Haft überall unregelmäßig 
angelegt. Diefe Häuschen von drei bis vier Bimmern und ei» 
ner Küche werden Cottages genannt und find in ganz Eng 
land, einige. Theile von London außgenommen , die Mohr 
nungen der arbeitenden Efaffe. Die Straßen felbft find ge: 
woͤhnlich ungepflaftert, böderig, ſchmuzig, voll vegetabilifchen 
und animalifchen Abfalls, ohne Abzugskanaͤle oder Ninnfteine, 
dafür aber mit ftehenden, ftinfenden Pfügen verfeben. Dazu 
wird Die Ventilation durch die fehlechte, verwworrene Bauart des 
ganzen Stadtvierteld erſchwert und da hier viele Menſchen 
auf einem Meinen Raume leben, fo kann man fich leicht vor: 
ftellen, welche Luft in diefen Arbeiterbezirken herrſcht. Die 
trafen dienen überdies bei fchönem Wetter als Trockenplatz 
eB werden von Haus zu Haus Leinen. quer herüber gefpannt 
und mit naffer Mäfche behangen. J | 

Der Verf. geht nun einige der „ſchlechten Viertel” 
welche er befucht hat fpeciell Durch. Zuerſt London mit 
St.⸗Giles und Umgegend, mit Whitechapel und Bethnal- 
Green, wo überall ganze Familien in einem Zimmer 
zufammengedrängt find, fehr oft ohne alles Mobiliar, 
ohne Bett. Aus dem reihen, ſchrecklichen Material, 
welches ber Verf. zufammenftellt, bier nur ein, eben 
noch nicht das furdtbarfte Bid: 

Bei Gelegenheit einer Todtenſchau, die Hr. Earter, Coro⸗ 
ner für Surrey, über die Leiche der Fünfımdvierzigjährigen Ane 
Galway am 14 Rov. 1843 abhielt, erzählen bie Journale Fol⸗ 
gende von ber. Wohnung der Berfiorbemen: Sie hatte in Kr. 3, 
White: Lion-Court, Bermendfey : Street, London, mit ihrem 
Mann und ihrem neunzehnjährigen Sohne in einem Beinen 
Zimmer gewohnt, worin fih weder Bettftele oder Bettzeug 
oder fonftige Meubles befanden. Sie lag todt neben ihrem 
Sohne auf einem Haufen Pebern, die über ihren faft nackten 
Körper geſtreut waren, denn es wur weder Dede noch Bettuch 
vorhanden. Die Federn Plebten fo feft an ihr über den gan: 
en Körper, daß der Arzt die Leiche nieht unterfuchen konnte, 
eoor fie gereinigt war und dann fand er fie ganz abgemagert 
und über und über von Ungeziefer zerbiffen. Ein Xheil des 
Yußdodens im Zimmer war aufgerifjen und das Loch wurde 
von der Familie als Abtritt benupt. 

Don London führt und der Verf. durh Dublin, 
Edinburg, Liverpool, die Fabrikſiädte Nottingham, Bir⸗ 
mingham, Glasgow, Leeds, Brabford u. f. w. und das 
ganze an Fabrikſtädten fo überveiche Lancaſhire. Überall 





daffelbe unmenfchlidde Elend der Maſſen. Sehr detail- 
lirt endlich, durch eingebrudte Holzfchnitte und den Man 
der Stadt erläutert, ift die Schilderung von Mandhefter, 
diefer Krone aller Fabrikſtaͤdte. Der Verf. hat dort län 
gere Zeit gelebt und indem er uns überall einführt im 


die Lebensverhältniffe ber Arbeiter, was Wehnung, was 


Kleidung, was Nahrung betrifft, befommen mir burch 
ihn von den vielen phyſiſch und moralifch verderbfichen 
Umſtänden des Arbeiterlebens ein erfchütterndes Bild. 
Das Ganze überblidend fchlieft der Verf. feine Schil⸗ 
berung ber Arbeiterviertel: 

Die Arbeiterclaffe der großen Städte bietet uns fo eine 
Stufenleiter verfchiedener Lebenslagen dat, von einer erträgli« 
hen Erijtenz bis zum bitterften Elende, das ſich bis zur Ob- 
dachlofigkeit und bi6 zum Hungertode Fb ia fann, in dem 
aber der Durchſchnitt dem fchlimmften Kalle weit näher liegt 
als dem beften. Und diefe Stufenleiter theilt ſich nicht etwa 
blos in fire Claſſen, fobaß man fagen Fünnte: dieſer Rraction 
der Arbeiter geht ed gut, jener fchlecht, und fo bleibt es und 
fo ift es fchon von jeher geweſen, fondern, wenn das auch hier 
und da der Fall iſt, wenn einzelne Arbeitsgweige im Ganzen 
einen Borzug vor andern genießen, fo ſchwankt doch auch die 
Lage der Arbeiter in jeder Branche fo fehr, daß ein jeder ein» 
zelne Wrbeiter in den Fall kommen kann, die ganze Stufen- 
leiter zwiſchen verhälfnifmäßigem Comfort und dem äußerften 
Mangel bis zum Hungertode durchzumachen, wie denn auch 
jeder englifhe ‚Profetarier von bedeutenden Glücktzwechſeln zu 
erzählen weiß. ü W | 

Diefe Glückswechſel find in der That eine ber we» 
fentlihften und folgereichften Seiten. des heutigen Pro⸗ 
letariat® und wenn es auch bis jept nur in England 
feine claffifche, zwei Drittel bis brei Viertel der ganzen 
Bevölkerung umfaifende Ausbreitung gewonnen hat, fo 


| Hönnen. wir doch auch fehon in Deutſchland baffelbe nir- 


gend mehr verleugnen und verkennen. Suden wir nun 
nach der eigentlichen Urfache diefer gefchilderten Zuftände 
und nach dem mächtigften Princip ihrer inneren Bewe⸗ 
gung, fo erkennen wir als foldyes die moderne Concur⸗ 
renz. Der Verf. hat und gezeigt, wie die Concurrenz 
gleich im Anfange ber induftriellen Bewegung das Pro- 
fetariat fehuf, indem fie bei vermehrter Nachfrage nach 
gewebten Stoffen ben Webelohn fleigerte unb dadurch 
die webenden Bauern veranlaßte, ihre Ackerwirthſchaft 
aufzugeben, um am Webeſtuhl defto mehr verbienen zu 
fönnen, und wie fie das Proletariat ſchuf, fo Hat fie 
daffelbe auch immer weiter entwickelt. Was ber Verf. 
im Allgemeinen über die Goncurrenz fagt, ift befannt 


genug, da es eben nur das Hinlänglich Bekannte ent- 


hält. Höchft intereffant aber: iſt die Darſtellung, welche 
der Verf. von den in England fo gefürchteten unb fihon 


| unvermeidlich gewordenen Fluctuationen ber. Production, 


von ben periodifchen Krifen und von der Lage und Zus 
nahme der „überflüffigen Bevölkerung” entwirft. Man 
oͤre: | | u ' 
Diefer Überflüffigen gibt es nach den Berichten der Ar 
mengeſetz⸗ Commiſſaire durchfhnittlid) anderthalb Millionen in 


| England und Wales; in Schottland läßt fich die Zahl wegen 


Mangel an Urmengefegen nicht beftimmen und von Irland 
werden wir fpeciell zu fprechen haben. Diefe anderthalb Mil⸗ 
tionen fehließen übrigens nur Diejenigen ein, die wirklich bie 
Armenverwaltung um Huͤlfe anfprechen ; die große Menge, die _ 





fi ohne dies legte fo ſehr geſchente Musbunftsmiktel anguwen- 
den forthüft, iſt darin nicht eingeſchloſſen; dafür fallt aber 
nun ein guter 4 
und Bommt bier alſo nicht in Betracht. Während einer Krifis 
vermehrt fich diefe Zahl natürlich um ein Bebeutendes und die 
Roth fteigt auf den höchſten Brad. Nehmen wir 3. DB. die 
Krifis von 1842, die, weil die legte, auch die heftigfte war — 
denn bie SIntenfität der Kriſen wacht mit jeder Wiederholung 


umd die nächfte, die wol 1847 fpäteftens eintreten wird, wird 


allem Anſcheine nad) noch heftiger und bauernder fein. Waͤh⸗ 
rend diefer Krifis flieg die Armenfteuer in allen Städten auf 
einen nie gefannten Höhepunkt. Unter Anderm mußten in Stodport 
von jedem Pfund, das als Hausmiethe bezahlt wurde, 8 Schil⸗ 
ling Armenfteuer bezahlt werden, fobaß die Steuer allein 40 
Procent. vom ganzen Miethöbelrage der Stadt ausmachte. 
Dazu flanden ganze Strafen leer, ſodaß mindeftens 20,000 
Einwohner weniger ald gewöhnlicher da waren und man an 
die Zhüren der Leerftehenden Häufer gefchrieben fand: Stock- 
port to let — Stodport zu vermiethen! In Bolton, wo in 
gesvöhnlichen Jahren der Armenfteuer zahlende Miethertrag 
ducchfchnittlih 86,000 Yf. St. betrug, ſank er auf 36,000. 


Pf. St.; dagegen flieg. die Anzahl der gu. unterflügenden, 


Armen auf 13,000, alfo über 20 Procent der Einwohnerzahl. 
In Leeds hatte die Armenverwaltung einen Refervefonds von 
10,00 Hf. St. Diefer fowie eine Collecte von 72000 Pf. 
St. wurde ſchon che die Krifiß ihren Höhepunkt erreichte 
voliftändig erihöpfe So war es überall; ein Bericht, den ein 
&omite der Anci-Korngele-Figue im 3. 1843 über ben Zuftand 
der Induftriebezirfe 1542 erftattete und der auf ausführlichen 
Angaben der Fabrikanten beruhte, fagt aus, daß die Armen: 
fleuer durchſchnittlich doppelt fo hoch gewefen fei al6 1839 und 
die Zahl der Unterftugungsbedürftigen ſich feit jener Zeit ver- 
dreifacht, ja verfünffacht babe; daß eine Menge Applicanten 
einer Claſſe angehörten, die bis jetzt nie um Unterftügung ans 

halten hätten u. f. w.; daß die arbeitende Claſſe über zwei 
Drittel weniger 2ebensmittel zu verfügen habe als 1834 und 
1836, daß die Conſumtion von Fleiſch bedeutend geringer 
gewefen fsi, an einigen Orten 20 Procent, an andern bi6 
zu 60 Procent; daB felbft die gewöhnlichen Handwerker, 
Schmiede, Maurer u. f. w., die fonft in den gebeüdteften De 
rioden noch volle Befchäftigung hatten, ebenfalls viel an Mans 
gel an Arbeit und Eohmberabfegung gelitten hätten; und daß 
felbft jegt, im San. 1843, der Lohn noch fortwährend im Fal⸗ 
fen ſei. Und das find die Berichte von Fabrikanten! Die brot: 
Iofen Arbeiter, deren Fabriken ftillftanden, deren Brotherren 
ihnen Feine, Arbeit geben Tonnten, fanden überall auf den 
Straßen, bettelten einzeln oder in Haufen, belagerten fcharen» 
weife die Chauffen und ſprachen die Borüberfommenden um 
Unterftügung an; fie baten aber nicht kriechend wie gewöhn⸗ 
Siche Bettler , fondern drohend dur ihre Zahl Geberden und 
Worte. So fah es in allen Induſtriebezirken aus, von Lei⸗ 
cefter bis Leeds und von Mandefter bis Birmingham. . Hier 
und da brachen einzelne Unruhen aus, fo im Juli in den 2: 
pfereien von Nord » Stafferdfhire; die fürchterlichfte Gaͤhrung 
berrfchte unter den Arbeitern, bis fie endlich im Auguſt in der 
allgemeinen Infurrection der Fabrifdiftricte zum Ausbruche 
kam. As ich Ende Rov. 1842 nah Mancheſter kam, flanden 
no überall eine Menge Arbeitölofer an den Straßeneden und 
viele Jabriken ftanden noch ſtill; in den naͤchſten Monaten bie 
Mitte 1343 verloren ſich die unfreimilligen Eckenſteher allmaͤ⸗ 
lig und die Fabriken kamen wieder in Betrieb, . 

(Die Bortfegung folgt.) 


Galerie ſchweizeriſcher Dichter. 
3. Abraham Emanuel Fröhlich. 
(Weihiuf aus Nr. 50.) 


Im neunten wird. Hutten's Heimkehr von Rom 
und feine Ankunft in Augsburg gefildert, wo er mit Con⸗ 





% 


Theil der obigen Zahl auf die Aderbaudiftricte 


ia den Seelenbund erneuert; ber zehnte Geſang beſchreibt 
und des Ritters Dichterfrönung, der eihte den Kriegszug gegen 
Ulrich von Würtemberxg, worauf er an den Hof des Erzbischofs 
von Mainz zeg, ber jedoch aus Angft, fi Unannehmlichkeiten 
zuzuziehen, ihm anbeutet, Daß es gut wäre‘, an einem andern 
Dit beifere Zeiten zu erwarten. Dies ift ber Inhalt des zwölf 


tem Gefangs ; im dreizehnten finden wir den Ritter in Brüffel, 


wo er fi umfonft bemüht, Sutritt zum Kaifer (Karl V.) zu 
erhalten, denn die Dominicaner hatten den persiber ſchon mit 
Iren Regen umfponnen. Auf der Rüuͤckreiſe wird er vor den 
achſtellungen Hogſtraten's gewarnt; viele Freunde geben ihm 
bad Geleit, und fo frifft er den Keperrichter, der ſelbſt aus- 
gegangen war, den Ritter zu fuchen, in einer abgelegenen Ge- 
gend. Der erite Gedanke Hutten's war, ihn zu-tödten, doch 
mäßigt er fih und begnügt fi, den Elenden mit der flachen 
Klinge zu züchtigen. Der bierzehnte Sefang führt uns den 
Reichsſtag zu Worms vor (1521), wehin Hutten von Sickin⸗ 
gen’8 Burg aus gezogen war, um Luther den Schutz des 
tapfern Freundes anzubieten. Wirkungsvoll iſt die Schilderung 
des Einzugs Karl's V. und dann Luther's. Dort Pracht und 
Glanz aller Yet, aber Abneigung von Seiten des Volks; bier 
einfaches Geleit der Freunde und Anhänger nebft Faiferlicher 
Bewachung, aber der allgemeinfte Bolksjubel.. Als es bekannt 
wurde, daß Der Kaiſer daß fichere Geleit zurücknehmen wolle, 
das er Luther veriprochen habe, bietet ihm „Hutten den Schug 
Sickingen's an, aber der kühne Mönch weigert fi ibn an: 
zunehmen. Rad Ebernburg zu Sidingen zurückgekehrt, gelo: 
ben. ji die Freunde, für die Freiheit Ales au wagen. Es 
fou ein Bund des Adels und der Städte gefchloffen werden, 
und Hutten fol die Macht feines Talents gebrauchen, das 
Bolt für bie heilige Sache zu gewinnen. Er fagt: 
IH will die Stimm’ erheben wie der Pofaune on, 
Und auch von nun an reben deutich zu ber deutfchen Nation. ' 
Anher hab’ ich gefungen und lang genug Latein; j 
Do bin ich durchgedrungen und Bring’ wol tiefer ein, 
Red' ich in deutfcher Zunge, wie Luther recht und ſchlecht; , 
In deutfcher Pfalz und Kirche fei deutſch dad Wort und deutſch 
das Reit! 
Während Sickingen auszieht, Iheilnehmer zum Kampfe zu 
werben, läßt Hutten feine Schriften erfcheinen, die dem Freund 
mächtig vorarbeiten. Es wird ein Rittertag in Landau gehal- 
ten und auf demfelben befchloffen, die neue Lehre mit den Wafe 
fen zu unterftügen. Sidingen, zum oberften Hauptmann ge: 
wählt, befchlicht, zuerft den Erzbifchof von Trier zu überfal⸗ 
len, und Alles wird trog der Doarnungen Okolampad's zu 
dem Zuge gerüftet, Hutten aber in die Schweiz gefchidt, um 
Hülfe zu holen. So weit.der funfzehnte Geſang. Im ſech⸗ 
zehnten fehen wir den Helden auf der Burg feiner Väter, um 
von ben einen Abfchied zu nehmen. Auch der Vater, fo fehr 
er mit dem Geiſte der neuen Lehre. einverftanden ift, warnt 
vor Gewaltjchritten, dach umjonft; Hutten eilt nach Augsburg, 
um auch dort von ber Geliebten Abfchieb zu nehmen und bie 
baldige gängliche Bereinigung mit ihr zu befprechen. Ihrer 
Treue ſicher ſetzt er heitern Muthes feine Wanderfahrt fort. 
Er fingt: Ich wagt's mit Sinnen und trage keine Reu', 
Und ſolli' ich nicht gewinnen, noch muß man ſpuͤren Brew. ' 
Das foll man noch erkennen, role wohl man baran thut, 
Mich Pfaffenfeind: zu nennen; das kommt bem deutfchen Band zu gut, 
Da laß’ ich Jeden lügen und reden was er wil; 
Hät Wahrheit ich verſchwiegen, mir wären Hulder viel. 
Ich babe, mich zu tröften, ein gut Gewiffen doch, 
Daß Keiner von den Boͤſten die Ehre mir abbreche noch. 
Und was mie mag erbenten ber Gurtifanen Lift, 
Ein Herz läßt fi nicht kraͤnken, dad guter Meinung ift. 
Noch müllen Sieg erwerben, die widerfteh'n aufs Blut; 
Mid laflen nit verderben Landsknechte gut und Reitersmuth. 


Die Siegeshoffnung ward aber nur zu bald und bitter 


04 


etäufcht. Kaum tft ber Aitter in der Mähe von Bafel ange: 
Immen (fiebzehnter Sefang), als ihm „Schweikard Sickingen⸗ 
des Freundes erfter Sohn‘, begegnet und ihm das gänzliche 
Misfingen des Bugs gegen Trier und den Zob bes ‚Helden 
vaters berichtet. So ift denn das Vaterland für Hutten ver- 
Ioren. Zwar Hoffe er noch auf Bafel, wo er allerdings auch 
die befte Aufnahme bei Rath und Bürgerfchaft findet, aber 
Erasmus zieht fi von ihm zurüd, ja er arbeitet fogar gegen 
ihn und wendet den Rath von ihm ab. 
De fprüht fein Auge Feuer, in Feuer malt Tein Blut, 
Und an Erasmus ſchreibt er alfo in hödfter Bornesglut: 
Bin ih, weil nun ungluͤcklich, deshalb ein ſchlechte Mann? . 
Iſt Recht zu Unrecht worden, weil's nicht den Sieg gewann? 
Und dw haft und die Waffen in dieſe Schlacht gereicht, 
Der .nun fo felg und ſchimpflich von feinen Kampfgenoffen weicht. 
Und du verföhnft di wieder mit dem Hogftraten gar, 
Mit einem Eck und Vaber und ihrer finftern Schar, 
und ſchmeichleriſche Briefe find und von dir bekannt 
An die Legaten, welche du mit und eine Peſt genannt. 
Und von ber heiligen Kieche nennft du dich ungetrennt; 
Mun ſag', wo iſt die Kirche, bie ihren Herrn befennt? 
Iſt fie in Rom denn einzig, In Köln noch oder Trier, 
Und da, wo Kirchenfuͤrſten erweiſen Gunſt und Gnaden dir? 
Ja mehr ald Kreundeötreue gilt dir der Herren Gunſt; 
Mehr als der Wahrheit huldigt dem Ruhme deine Kunft; 
Bon fürftlichen Gefchenten, der Herrſcher Iahrgehalt . 
Wird bir dad Gold des Worteß, des Wortes Perle uͤberſtrahlt. 
Und dennoch wird in Schatten bein hoher Ruhm geftellt 
Bon Luther’d Heldenmuthe, bes aufregt alle Welt; 
Drum beißet und bein Neiden abtrünnig und empört, 
Die Sekte, fo die Kirche und beined Lebend Werk zerftört. 


Und du zerſtoͤrſt es felber, dad Evangelium, 
Das du hervor und holteſt, verbirgfi dy wiederum; 
Du mußt dich felbft befeinden, daß Nom die freundlich fei; 
Doch, mad du widerrufeſt, Rom felber lacht der Heuchelei 


Wie bift du zu beilagen, noch an bed Grabes Rand 
Um Menfhengunft au bublen! — Und wenn di deine Hand 
Sm Kampf ermäbet fühlteft, warum erhebſt du dich 
Denn wider beine Freunde, und warum benn verfolgft du mid, 
Des dich fo oft befhüste, den -du belobt fo oft? . 
Wie wenig haft verfianden dad Wort bu: Wer da hofft. 
Sein Leben zu gewinnen, bem wird's verloren fein; 
Ich kam, dad Schwert zw bringen, für mid muß ſich die Welt 
entzwei'n. 
Sei dieſes Schwert geſchwungen nunmehr auch wider dich! 
Was Edles du vollbrachteſt, will ſelbſt verfechten ich; 
Doch ſolch ein ſchnoͤd Verleugnen, Verraͤtherei und Trug 
Entlarven und bekaͤmpfen bis zu dem letzten Athemzug. 


Erasmus’ Benehmen und die Furcht vor dem Dolch oder 
Sift der Dominicaner, die ihm auch in Bafel auflauerten, trieb 
den Ritter nach Sürih, wo er von Bmwingli trog Erasmus’ 
leidenfchaftliche Briefe gut aufgenommen wurde. Doch Hut: 


ten ſehnt ſich nach Abgeſchiedenheit und fo führt ihn Imingli 


auf die. Infel Ufnau (im Züurcherfee), wo der Kapellan ihn 
mit der treueften Liebe aufnimmt. Uber die alten Wunden 
waren wieder aufgegangen und die Wunde des Herzend drang 
immer tiefer ins Leben. &o ward er bei aller liebevollen 


Pflege täglich matter, fodaß der Kapellan, der fich nicht mehr 


taͤuſchte, Zwingli herbeirief. Diefer eilte fogleicy herbei, aber 
als er gekommen und mit dem Freunde den Ritter im Freien 
ſuchte, fanden fie ihn an einem Baume zurüdgelehnt erblaßt 
figen, vor ihm feine Schriften, die Reber der Hand entfallen 
neben ihm. 
Er war ein’ Helb, fagt Broingli, bewährt in Kampf und Roth, 
Und war ein edler Sänger, und farb bed Gängerd Zob, 
Umſtrahlt von Celigkeiten, von Lieb’ und Freu’ umſchwebt; 
Sein Schwert und feine Weber, gefegnet bleibt, was er eritrebt. 


lich Höher ftehen würde, wenn fi 


Sein Schwert und feine Weder, fen Fentes Eigenthum, 
Er hat damit erworben Unſterblichkett und Ruhm. 
Sein Grabmal iſt die Infel; Jahrhunderte Vergeh’n, 
Dee Deutfde wird nad Husten zur Ufnau noch dinuͤberſch'n! 
Wir hoffen, daß diefe Überficht des Ganzen des Ge⸗ 
dichts manchen unferer Lefer bewegen wird, daffelbe ganz ken⸗ 
nen zu lernen, und wir find überzeugt, daß, abgefehben vor 
der Anordnung und künſtleriſchen Geftaltung, Jeder bei ber 
Lecture Befriedigung finden wird. Uns fcheint freilich, daß die 
Eompofition vor Am ind Auge gefaßt werden muß, wie wir 
denn die innigſte Überzeugung be en, daß die Dichtung unend⸗ 
4 der Berf. zur Fünftlerifchen 
Anfhauung erhoben Hätte, weshalb wir bei der Beurtheilung 
vorzugsweife von dieſem Standpunkte ausgegangen find; zumal 


wir wuͤnſchen, daß der Dichter bei fpätern Productionen felbft 


die Wahrheit unferee Bemerkungen einfehben und beherzigen 
möge. „Hätten wir dagegen mehr das Einzelne berüdfichtigt, 
fo hätten fich der fchönen, ja frefflichen Stellen genug geboten, 
dfe wir unfern Leſern hätten mittheilen können, ſodaß es und 
trog unferer Anfiht doch wol vergönnt ift, das Gedicht zur 
Lecture zu empfehlen. Denn, wir wiederholen ed, im Ein» 
zelnen wird Seber Befriedigung finden. 65. 


Eine Bittfhrift Jean Paul's. 

Über den in Nr. 2 d. BI. unter diefer Überſchrift mitge⸗ 
theilten Artikel enthält die augsburger „Allgemeine Zeitung ’ 
in Rr. 29 Folgendes: u 

„Es macht gegenwärtig ein Brief Sean Paul's anden Kaifer 
Alerander von Rußland die Runde in deutfchen Zeitungen, in 
welchem der Dichter des Kaiferd Berwendung beim Wiener 
Eongreß für den Fortbeftand der ihm vom Fürften Primas er: 
theilten Penſion in Anſpruch nimmt. Die «Blätter für lite 





rariſche Unterhaltung» theilen ihn zuerſt und zwar aus ruſſi⸗ 


fhen Quellen mit. Der Brigt war näher zu haben, da. er in 
der bei Mar in Breslau 1826— 33. erſchienenen Biographie 
Sean Pauls (Bd. 8, ©. 18) bereits abgedrudt if. Hier 
würde man auch finden, was genannte Blätter nicht mitthei» 
len, daß Iean Paul's Brief an den menfchenfreundlichen Kai⸗ 
fer gänzlich erfolglos war, daß felbft Stägemann aus Berlin 


| vergeblich -fih für ihn verwandte, und daß es dem königlich 


bairifhen Miniſter Montgelas vorbehalten blieb, der Schuld 
des Vaterlands gegen einen ihrer großen geiftigen Wohlthäter 


| Anerkennung zu verfhaffen, und die zwei Jahre lang fiftirfe 


Penſion auf die Staatskaſſe zu übertragen. Vielleicht werden 
nad obigem Brief auch Jean Pauls Worte an dielen Mini 
fter nicht ungern wieder gelefen; fie lauten: «Empfangen Sie 
meinen gerübrteften Dank für nit bloß erhörte, fonbern fo- 
gar übertroffene Hoffnungen. Aber am beften dank’ ich Ihnen, 
wenn ih Ihnen, fomweit der Abftand der Kraft verftattet, 
nahahme, nämlich wenn ih das Kicht, das ie burch Ala- 
bemien und Schulen, durdy Bereinigung und Belohnung heller 
Köpfe in die dunkeln und jungen fenden, mit meiner kleinen 
Feder fortpflanzgen helfe; das LKicht, das moralifih wie phyſiſch 
das Föftlichfte.und Fräftigfte Element der Erde bleibt, ohne wel⸗ 
ches jedes andere Element erfticbt.» 


Citerarifche Anzeige. 


Bei F. A. Brockhaus in Leipzig ift foeben erſchienen und 
in allen Buchhandlungen zu erhalten: 


dolphine, Neue Märden und Er- 
zählungen für jugendlihe Lejerinnen. 
Gr. 16. Geh. 24 Ngr. 
Bon der Berfafferin erfchienen im Jahre 1844 ebendafelbft: 
Märchen und Erzählungen für ingendliche 
Referinuen, Gr. 16. er In He 


Verantwortlicher Heraudgeber: Heinrich BWeoddaus. — Druck und Verlag von F. X. Srockdaus in Leipzig. 


- — 





Blaͤtter 


fuͤr 


literariſche Unterhaltung. 





Sonnabend, 


21. Februar 1846. 





Die ſociale Frage. 
(Bortfegung aus Nr. 61.) 

Eine andere Concurrenz, worunter beſonders die eng⸗ 
liſchen Arbeiter leiden, geht aus der „iriſchen Einwande⸗ 
rung‘ hervor. Sie bildet die niedrigſte Arbeiterbevölke⸗ 
rung Englands und gefaͤhrdet durch ihre Concurrenz die 
Civiliſation der engliſchen Arbeiter auf das allerempfind⸗ 
lichſte. Schmuz und Trunkſucht u. f. w. werden von 
dieſen iriſchen Einwanderern zugleich mit ber Exrniebri- 
gung des Lohns eingeführt und die ganze unterfte Arbei- 
terclaffe Englands wird dadurch gewaltfam herabgezogen. 

Der Verf. flelt nun die Refultate dar, was ans 


dem Ürbeiter in einer folchen focialen Rage körperlich 


und geiflig werden mußte. Er verfolgt zuerft, und zwar 
immer auf officiele Zeugniffe geflügt, bie Wirkung ber 
befchriebenen Umftändge auf die Gefundheit. Er beobachtet 
die Schwindfucht und andere Lungentrankheiten und ba- 


neben ben Typhus in ihrer Intenfität unter ben arbeir 


tenden Claſſen nad Beichaffenheit der Wohnungen in 
ben verfchiedenen Arbeltervierteln. Er befpricht alsdann 
die mit den fchlechten Nabrungsmitteln zufammenhängen- 
den Unterleibskrankheiten, Skropheln, Rachitis u. f. w., 
die Iangfame Vergiftung der Kinder durch befchwichti« 
gende Dpiate, wie das allgemein angewandte „Godfrey's 
Cordial“, die Trunkſucht bei beiben Gefchledhtern, die Quack⸗ 
falberei, durch fhlechte Sorge für das Medicinalweſen 
befördert u.f.w. Er vergleicht bie Sterblichkeit der ver- 
fehiedenen Claſſen dev Sefellfichaft, die enorme Zunahme 
derfelben in Zeiten der induftriellen Kriſe. Alles nach 
officiellen Zeugniffen. So wird ihm bier zum Refultat, 
dag der Mangel pflichtmäßiger Sorge ber Gefellfchaft 
für die Arbeiterclaffe vielfachen Todtſchlags an biefer fort- 
während fchuldig werbe, woraus er die Anklage „des 
forialen Mordes gegen die Bourgeoifie formulirt, weil 
diefe jene Übel kenne, alfo um jenen Todtſchlag wife, die 
Macht der Geſellſchaft, die Staatsgewalt, inne habe und 
doch auf Verhütung derfelben nicht ernſthaft Bedacht nehme. 

Dann befpricht der Verf. die Wirkung der Lage ber 


Arbeiterclaſſen auf ihre intellectuelle und moralifche Bil- 


dung. Er weift ben erfihredenden Grab des Man—⸗ 
geld an Bildungsmitteln nach und die vollfländige Un- 
zulänglichkeit der Abend - und Sonntagsfihulen. Nicht 
allein, daB der Arbeiter weber leſen noch fchreiben 
ordentlich lernt, auch über fittliche DBerhältniffe, ja felbft 


über die in England doch für fo wichtig gehaltenen po- 
fitiven Religionsiehren fehlt der nachwachſenden Jugend 
ber Ürbeiterclaffe in einem uns Deutichen fabelhaft 
fheinenden Grade alle Vorftellung. Der Verf. bringt 
Zeugniffe aus officiellen Prüfungen bei, die allen Glau⸗ 
ben überſteigen. Die Armuth mit ihrem brutalifirenden 
Einfluffe, bie Unficherheit der Nahrung und die BVer- 
dammung zu einer abflumpfenden Imangsarbeit unter- 
graben die Sittlichleit des Proletariats. Hierzu tritt 
aledann das Gefühl, Unrecht zu erbulden, der tägliche 
Anbli des oben bezeichneten „focialen Mordes“ mit dem 
Haffe gegen die Unterbrüder, wobei bann die Gentrali- 
fation der Bevölkerung die bemoralifirende Wirkung ber 
genannten Urfachen noch verftärft und ausbreiten hilft. 
Der englifche Arbeiter zeigt aber dennoch, wofür ber 
Berf. auch engliihe Gewährsmänner anführt, mehr 
Mitgefühl und Hingebung für fremde Noth als ber 
Engländer der befigenden Claſſen, fodaß die Armen am 
meiften von den felbft bürftigen Stanbesgenofjen unter- 
flüge werden, und hierin will er einen guten Einfluß des 
Zufammenlebend mit dem gefelligern und hingebendern 
Irländer erfennen. Dagegen feien Trunffucht, Zügel» 
lofigkeit des Geſchlechtsverkehrs, Auflöfung der Familie 
und Nichtachtung der focialen Ordnung bie gleichzeitig 
in erfchrediendem Maße vorhandenen und in überaus 
rafcher Zunahme begriffenen böfen Seiten des proletari- 
fhen Charaktere. Die Erfolge der Mäfigkeitspredigten 
würden meit übertrieben, indem freilich 3. B. in Men- 
chefter jährlich mehr Mäßigkeitsgelübde abgelegt würden 
ale es dort erwachſene Mitglieder der arbeitenden Claf- 
fen gäbe, ein wirkliches Halten aber nur felten bemerkt 
werde. Verbrechen, namentlich gegen bas Eigenthum, 
nehmen nad, officiellen angeführten Mittheilungen von 
Jahre zu Jahr um mehre Procent zu, 3. B. „in Enge 
land und Wales verfiebenfachen fich die Verhaftungen 
in 37 Jahren” und ein Krieg der Nichtbefigenden gegen 
die Befigenden ift bereits fo gut wie ausgebrochen. ⸗ 
das Bewußtſein darüber reift in einem Theile der Ar⸗ 
beiterclaffe feyon heran und veranlafßt anders geartete, 
befonnene und gejchloffene Bewegung derfelben. 
Specialia können mir hier nicht geben, wir müffen 
beshalb auf das Werk ſelbſt verweilen. Aber am 
Schluſſe der erften Hälfte bes Buchs, welche das Ger 
meinfame der Lage der Arbeiterclaffen unterfucht und 





Die wir kurz ſtizzirt Haben, theilt der Verf. ein paar 
Strophen eines Gedichte mit, das die Anſicht der Ar⸗ 
beiter felbft über das Fabrikſyſtem ausfpriht. Es ift 
der richtige Ausdrud der unter den Arbeitern berrfchen- 
den Geflmmung, verfaßt von Edward Mead in Wir- 
mingham, und lautet felgendermaßen: 
Gin König lebt, ein zorniger Fuͤrſt, 
Richt des Dichters geträumtes Königsbild, 
Ein Tyrann, den der weiße Save kennt, 
Und der Dampf ift der König wild. 
Er bat einen Urm, einen eifernen Arm, 
Und obgleich er nur Einen trägt; 
In dem Urme fchafft eine Zauberkraft, 
Die Millionen fchlägt. 
Wie der Moloch grimm', fein Ahn, der einft 
Im Thale Hinnom Us 
Iſt Feuersglut Tein Gingeweid’ 
Und Kinder find fein Fraß. 
Seine Prieſterſchar, der Menſchheit ber, 
Bol Blutdurſt, Stolz und Wuch, 
Sie Ienfen — o Schand’! — feine Riefenhand 
Und zaubern Gold aus Blut. 
&ie treten in Staub das Menſchenrecht 
Kür das fchnöde Gold, ihren Gott, 
Des Weibes Schmerz ift ihnen Scherz, 
Des. Mannes Thraͤn' ihr Spott. 
Mufik iſt ihrem Ohr das Schrei'n 
Der Armen im Todeskampfz 
Skelette von Jungfrau'n und Knaben füll'n 
Die Hoͤllen des Koͤnigs Dampf. 
Die Hoͤll'n auf Erd’ fie verbreiten Tod, 
Seit der Dampf herrfcht, ringe im Neid, 
Denn des Menfchen Leib und Seele wird 
Gewordet d’rin zugleich. 
D’rum nieder ben Dampf, den Moloch wild, 
Urbeitende Zaufende al’, 
Bindet ihm die Hand oder unfer Land 
Bringt er über Nacht zu Fat! 
Und feine Voͤgte grimm, die Mill⸗Lords ftolz, 
Goldſtrotzend und blutigroth, 
Stuͤrzen muß fie des Volkes Zorn, 
Wie das Scheufal, ihren Bett. 

Der Verf. geht nun von dem Gemeinfamen in ber 
Rage der arbeitenden Glaffen zu dem Gigenthümlichen 
bes einzelnen Arbeitszweige über und bier flieht natür⸗ 
lich bie Abtheilung der eigentlichen Fabrikarbeiter oben 
an, b. b. derjenigen Arbeiter, die unter dem „Fabrikactt“ 
ſtehen. Dieſes Gefeg regulict die Arbeitszeit in ben 
Fabriben, in welchen Wolle, Seide, Baummolle und 
Flache mit Hüffe von Waffer- oder Dampfkraft ge- 
fponnen oder gewoben wird und erfiredt fi alfo auf 
Die bebeutendften Zweige der engliſchen Inbuftrie. 

Die von ihnen lebende Caſſe ift die zahlreichfte, ältefte, 
inteligentefte und energifchfte, daher aber auch die unruhigfte 
und ber Bourgeoifie am meiften verhaßte. Sie fteht, und ſpe⸗ 
ciell die Baumwollen : Kabrikarbeiter ftehen an der Spige ber 
mubeiserberoegung, wie ihre Brotherren, die Fabrifanten, an 
der pi ber Bourgeoisie - Agitation (der Anti - cornlaw- 
keagus . 


Die Arbeiter diefer Iuduſtriezweige wurden zuerſt 
durch neue Mafchinen aus ihren biöherigen Verhältniffen 
herausgerifſen und auch Tpäter noch won den Fortfchrit- 


ten bes Fabrikſyſtems am meiften berührt. Noch im- 
mer geht in biefen Zweigen die Arbeiter erfparende Ma- 
finenvervolltommnung weiter. In Mancheſter z. B. 
waren in 35 Kabrifen nur 1060 Mulefpinner mehr an- 
geftellt ais 1841, obwel die Anzahl dee Spindeln in 
eben diefen Fabriken in Diefer-Zeit um 09,339 vermehut 
worben. Syn fünf Fabriken find gar keine Spinner mehr, 
indem fie durch fogenannte self-actors erfegt find. Seit 
1841 find aber ſchon wieder fo viele Verbefferungen be- 
fonder& durch Verdoppelung ber Spinbelreigen eingeführt 
worden, daß in einigen der genannten Fabriken feitdem 
wieder die Hälfte der Spinner entiaffen werben if, 
z. B. in einer Fabrik, wo vor kurzem noch 80 Spinner 
waren, find nur noch 20; bie übrigen find weggeſchickt 
oder müffen Kinderarbeit für Kinberlohn thun. Cbenfo 
in Steckport, wo 1835 noch 840 Spinner und 1841 
nur noch 140 befchäftigt wurden, obgleich die Spinnerei⸗ 
induftxie Stodports in biefer Zeit bebeutend zugenem⸗ 
men hatte. Beſonders Männerarbeis wird immer mehr 
überflüſſig. Der mechanifhe Webſtuhl beginnt auch 
fon in die Wollen» und L2einenweberei einzubrechen 
und es ift nicht mehr abzufehen, wie die überzähligen 
Ürbeiter Berwendung finden follen. 

In den Spinmereien findet man bei den Throſtles 
nur Weiber und Mädchen, bei den Mules einen Spin- 
ner, einen erwachfenen Bann (der bei ben self-- acters 
wegfällt) und mehre „„Piecer” zum Antnüpfen der Faͤ⸗ 
ben, meift Kinder und Weiber, zuweilen auch junge 
Männer, meift von 18— 20 Jahren, und hier und da 
einen alten, brotios geworbenen Spinner. (Der Fabrik⸗ 
infpector 2. Homer fagt in feinem officiellen Bericht vom 
Det. 1844: Der Staub der Dinge in Beziehung auf 


ben Arbeitolehn ift augenbiidiich ſehr verdreht in eini« 


gen Zweigen der Baumwollenfabritation in Lancaſhire. 
Es gibt Hunderte von jungen Männern, zwiſchen 20 — 
30 Jahren, die als Piecer und fonft befchäftigt find und 
nicht mehr als 8 oder 9 Schilling wöchentlich erhalten, 
während unter demfelben Dache Kinder von 13 Jahren 
5 Schilling und junge Mädchen zwifchen 16 und 20 
Jahren 10 — 13 Schilling wöchentlic, verdienen.) Bei 
ben mechaniſchen Webflühlen arbeiten meift Weiber vom 
15— 20 Sahren und barüber, auch einige Maͤnner, bie 
aber jelten über ihr einundzwanzigſtes Jahr bei ber Be- 
fhäftigung bleiben. Don den 419,560 eigentlihen Ba- 
brifarbeitern des britifhen Reiche (1539) waren 192,887, 

alfo beinahe die Hälfte, unter 18 Jahren und 242,296 
weiblichen Gefchlechts, von denen 112,194 unter 18 Jah⸗ 
ren waren, wonach alfo die Zahl ber männlichen erwach⸗ 
fenen Arbeiter nur 23 Procent ber Geſammtzahl, au 
noch kein volles Viertel betrug. Durch bie Fabrikarbeit 
der verheiratheten Weiber wird eine vollkommene Auf- 
löfung der Familie herbeigeführt. Die Kinder wachen 
wild auf oder werden zum Verwahren für 1 oder 14 
Schilling die Woche ausgemiethet oder bleibenden furcht⸗ 
bar ſich häufenden Unglüdsfällen preisgegeben. „Die 
Liften des Todtenſchau⸗Beamten von Mancheſter hatten 
in 9 Monaten 69 durch Verbrennung, 56 buch Er⸗ 


— 





teinten, 33 durch Fallen, 77 durdy andere Unglüdsfälle 
Getödtete aufzınweifen.” Man tefe das Nähere felbft in 
dem Buche. In vielen Zählen wird die Familie Durch das 
Sebeiten ber Frau mehr auf den Kopf geſtellt als auf- 
geloͤſt. Die Frau ernährt die Familie, der Mann fipt 
su Daufe, verwahrt die Kinder, kehrt die Stube und 
kocht; „in Mancheſter allein Tiefe ſich manches Hundert 
folder Männer, die zu häuslichen Verrichtungen ver- 
dammt find, zufansmenbringen.” Es wird vom Verf. 
ein Brief mitgetheilt, in dem die Empfindung eines Ar- 
beiter® über diefe zunehmende Umkehrung Sprache er- 
hätt. Wie fehr ein folcher Zuftand den tüchtigen Arbeiter 
empören muß, kann man fi denken; auch auf das 
weibliche Geſchlecht wirft er äuferfi traurig. Die nad 

fende Yrauengeneration hat fon nichts mehr von 
haͤnslicher, weiblicher Arbeit gelernt, dagegen nur allzu 
früh vieles Andere. 
wolle feine Tochter lieber bettein als in die Fabrik ge- 
den laffen und die meiften Freudenmädchen in der Stabt 
Hätten ihre Entſtehung den Fabriken zu verdanken, — 
und ein anderer aus. Manchefter „hat keinen Anftand, 
zu behaupten, daß drei Viertel der jungen Arbeiterinnen 
von 1420 Jahren unteufch feien‘. 

Wie der phufifhe Zuftand der Fabrikarbeiter durch 
die Überanftrengung ber Kinder degenerirt, wurde feit 
lange hervorgehoben und durch verfchiedene officielle Un- 
terfuchungen beftätigt.. Seit der Apprentices - bill von 
-41802 find die argfien Misbräuche menigfiens etwas be⸗ 
ſchraͤnkt. Wenn aber auch die Kinder meifl nur noch 
mit 8— 9 Jahren befchäftigt werben, fo ift doch auch 
für dieſes Alter eine Tagearbeit von 14 — 16 Stunden 
mörbderifh und die große Parlaumentsunterfuchung von 
4833 hat die Folgen in Berfrummungen des Rüdgrathe 
und der Schenkel und in allgemeiner Schwächung der 
ganzen Eonftitution unwiderſprechlich herausgeftellt. Uber 
das Nähere Iefe man die Schrift ſelbſt. Mit 40, hödh- 
ſtens 45 Jahren gelten die Arbeiter für „alte Leute”, 
fie werben nicht mehr für voll arbeitsfähig gehalten und 
fehen um 10 — 15 Sabre älter aus als fie find. Für 
bie weibliche Conſtitution zeigen ſich noch befondere Übel, 
welche bie Geburten erfihweren. Einzelne Beſchaͤftigun⸗ 
gen in den Fabriken find wegen beftändiger Näffe oder 
Hige oder Staubes noch befonders nachtheilig für die 
Befundheit und es ift empörend, wie wenig im Alge- 
meinen gethan wird, folche Unzuträglichkeiten zu ver 
mindern. Wäre ber Arbeiter Sklave, meint der Verf., 
fo würde der Herr es gewiß vortheilhaft finden, einige 
Koften auf Vorrichtungen zu verwenden, fein Befigthum 
an Sklaven vor fo ſchnellem Verſchleiß zu bewahren; 
aber nun ift der Arbeiter frei! Beſonders gilt dies auch 
in Betreff der vielen Unglüͤcksfaͤlle, welche dadurch ent- 
ſtehen, daß die Mafchinerien nicht mit Bruftwehren und 
Derichlägen verjehen werden. Das. Krankenhaus von 
Mandefter hatte 1843 allein 962 Verwundungen und 
Berflünmelungen durch Mafchinen zu heilen, während 
die Anzahl aller übrigen Unglücksfälle im Bereich des 
Krankenhauſes fih auf 2426 belicf, ſodaß zwei Fünftel 


Ein Zeuge aus Leicefter fagt, ex. 


allein auf Rechnung des genaunten UÜßelftandes Zamen, 
Häufig waren diefe Iuftände fchen zur Sprache gebracht, 
aber immer von den Sprecherin und Schriftftellen bes 
Babrifantenpartei geleugnet worden. Im J. 1831 fegte 
nun die humane Zorgpartei, damals von Michael Sab- 
ler geführt, ein Parlamentscomitd zur Unterfuchung des 
Fabrikſyſtems durch, und das Comite erflattete 1832 ei⸗ 
nen Bericht, der einen Schrei des Entfegens im ganzen 
Lande hervorrufen mußte. Diefer Bericht mar von der 
Art, daß die Fabrikanten num felbft auf eine gründlichere 
Unterfuhung drangen und aus dieſem neuen Berichte 
vom 5. 1834 bat der Derf, feine Schilderungen ent- 
nommen. Die Folge diefes Berichts war bas Kabrif- 
gefeg von 1834, das die Arbeit von Kindern unter 9 
Jahren verbot, die Arbeitözeit der Kinder zwifchen 9 und 
13 Jahren auf 48 Stunden wöcentlih und höchftens 
9 an einem Zage, die von jungen Leuten zwifchen dem 
14. und 13. Lebensjahre auf 60 wöchentlih und 13 
böchftend an einem Tage befchränfte, ein Diinimum won 
1A Stunde Zwiſchenzeit für Mahlzeiten feftfegte unb 
das Nachtarbeiten für alle unter 18 Jahren nochmals 
verbot. Zugleich wurde ein täglich aweiftündiger, zwangs 
mäßiger Schulbefuc, für alle Kinder unter 14 Sahren 
eingeführt und der Fabrikant für ftraffällig erflärt, wenn 
er Kinder ohne Alterscertificat der Kabrifärzte oder ohne 
Schulbefuhhecertificat vom Lehrer befchäftigte. Außer 
dem wurden Fabrifärzte oder Infpectoren ernannt, bie 
zu jeder Zeit in die Fabrik gehen, die Arbeiter eidlich 
verhören durften und auf bie Beachtung bes Gefeges 
durch Klage beim Friedensgerichte zu halten hatten. Die 
Folge dieſes Gefepes war, daß die Arbeit durchſchnittlich 
auf 12 — 13 Stunden und bie Kinder fo gut erſetzt 
wurden als es ging. „Damit verfehmanden einige der 
fehreiendften Übel fat gänzlich; "Verfrüppelungen kamen 
nur noch bei ſchwachen Perfonen vor, die Wirkung ber 
Arbeit trat weniger eclatant an das Tageslicht.” In—⸗ 
deß lieferten fpätere Yabrikberichte noch oft genug den 
Beweis, daß bie gelindern Übel, „Anfhwellungen der ' 
Fußgelenke, Schwaͤche und Schmerzen in Beinen, Hüf- 
ten und Rüdgrath, varicofe Adern, Gefhwüre an den 
untern Gptremitäten, allgemeine Schwäche, befonders 
Schwächung bes Unterleibes, Neigung zum Erbrechen, 
Mangel an Appetit abwechfelnd mit Heifhunger, fchlechte 
Verdauung, Hypochondrie u. f. w.“ auch noch jegt den 
Zabrifarbeitern eigen geblieben find. Mannichfach wurbe 
das Geſetz auch noch von den Fabrilanten umgangen, 
Bereitd 1839 war beshalb unter den Arbeitern die 
„Zehnſtunden⸗Agitation“ im vollen Schwange und be- 
fonders ſeit 1841 widmete auch die Toryregierung bem 
Sabrikgefegen größere Aufmerkfamteit. Die Bil Gra- 
ham’s von 1843, wodurch befonderd das Schulweſen 
eenftlich verbeffert werden follte, fiel deshalb durch, weil 
fih die Herren der Fabrifantenpartei, die Whigs mit, 
den gegen den Einfluß der Staatskirche eiferfüchtigen 
Diffenters verbanben und eine pfäffifche Agitation im 
Lande erregten. Zwar fegte Lord Aſhley am 19. Mai 
1844 die Zehnftundenclaufel durch, ale aber die Mini- 


208 


fler mit ihrem Rüdteitte drobten, gab das Haus feinen 
Beſchluß wieder auf. Und feitdem herrſcht unter den 
Arbeitern eine gefteigerte Abneigung gegen das beftehende 
Mepräfentationdfoftem ; zu ihrer Unzufriedenheit trägt 
noch die formelle Abhängigkeit vom Fabrikanten durch 
unterdrüdende Fabrikenreglements und durch das foge- 
nannte Truck⸗ und Cottagefoftem bei. Don diefen Fa⸗ 
brifenreglements hier nur ein Beiſpiel: Im Det. 1844 
ftellten die Arbeiter des Fabrikanten Kennedy im Man- 
hefter ihre Arbeit ein. Kennedy verflagte fie auf Grund 
einer in der Fabrik angefchlagenen Vorfhrift, daß aus 
jedem Zimmer nie mehr ald zwei Arbeiter auf einmal 
tündigen durften‘, und das Gericht gab ihm Recht und 
den Arbeitern bie Antwort: „Ihr wart ja euer eigener 
Herr, ihr brauchtet ja einen folden Contract nicht ein 
zugehen, wenn ihr feine Luft hattet.” Das Zrudfoftem 
tft auch ſchon bei uns in Deutfchland bekannt gewor⸗ 
den, noch fchlechter ift das Cottageſyſtem, wonad) bie 
Acheter in den Haͤuſern der Fabritherren wohnen müſ—⸗ 
fen; bei Zerwürfniffen mit dem Fabrikherrn wird dann 
der Arbeiter, da die üblihe Kündigungsfrift nur eine 
Woche beträgt, nicht nur brotlos, fondern auch obbad)- 
(08, er verfällt dadurch als „Vagabund“ dem Gefepe 
und wird von diefem ohne Gnade auf einen Monat in 
Die Tretmühle gefendet!! Hier haben wir ein vollende- 
tes, modernes Mittelalter! 

Wir hielten es für zweckmaͤßig, die Zuſtaͤnde der 
eigentlichen Zabritarbeiter etwas ausführlicher zu ſtizzi⸗ 
ven, weil in ihnen das Proletariat am weiteſten aus- 
gebildet worden und feine höchfte Selbſtändigkeit gewon- 
nen bat. Ihnen ſchließen fi) als verwandte Arbeits- 
zweige der Kabrifarbeit an: bie Strumpfwirkerei, die 
Spisenfabrikation, die Kattundruderei, die Sammetſche⸗ 
rerei, die Seidenmweberei, die Metallmaarenfabrikation, 
die Töpferei und das Handwerk der londoner Putzmache⸗ 
rinnen und Näberinnen. Weil die Gefeggebung ihren 
Schup auf dieſe Zweige noch nicht erfiredt hat, weil 
die dahin gehörenden Arbeiter theil® geringer an Zahl, 
theils fchwächer durch ihre Vereinzelung find, ift bie 
Lage der Arbeiter in diefen Induftriezmeigen noch ſchlim⸗ 
mer als in ber eigentlichen Fabrifinduftrie. Der Stand 
des Lohnes ift theilweife noch ſchlechter als bei unfern 
fchlefifhen Webern und erzgebirgifhen Spigenklöpplerinnen, 
oft — z. B. 1 Sgr. Nähelohn für ein ganzes Hemde — 
bei englifchen Lebensmitteln kaum glaublih. Der Verf. 
ſchließt dieſen Theil feiner Unterfuchungen folgender: 
maßen: 

Das ift die Lage bes englifchen induftrielen Proletariats. 
Überall wohin wir und wenden finden wir Dauerndes oder 
temporaired Elend, Krankheiten, die aus der Lage der Arbei- 
ter entftehen, Demoralifation: überall Vernichtung, Tangfame, 
aber fichere Untergrabung der menfchlichen Natur in Eörper: 
licher wie geiftiger Beziehung. Iſt das ein Zufland der dauern 
Tann? Diefer Zuftand fann und wird nicht dauern. Die Ar: 
beiter, die große Majorität des Volks, wollen es nicht. Sehen 
wir zu, was fie von diefem Zuftande fagen. 

(Der Beſchluß folgt.) 





Verantwortlicher Herausgeber: Seinrich Brockkaus. — Druk und Verlag von F. E. Brockhaus in Leipzig. _ 


Literarifhe Notizen. 


@in Umerikaner in Genf. 


Onkel Sam, der ed feinem Better und Rebenbuhler, Sohn 
Bull, allentbaiben zuvorzuthun trachtet, füngt erade am, 
auch den Neigungen des Letztern Geſchmack abzugerminnen, bie 
nicht blos auf Befchäftigungen in Hanbel und Wandel, in Po⸗ 
litit und Kirche hinauslaufen. Der anlogermanffchen Nace ifk 
die Reifeluft, die eben nichts Anderes ift als ein individueller Er: 
oberungstrieb, einmal angeboren; dieſer Stamm wird allem 
Anfchein die Reiſe um die Welt noch früher vollenden als 
nad) dem bekannten Ausſpruch jenes großen Staatsmanns die 
Revolution; zum Glück für die Welt tragen jedoch Brite wie 
Yankee das Ergebniß ihrer und aller Revolution, den Port: 
fchritt, bei ihren Zügen nah Oſt und Welt, nah Sud und 
Nord mit fich fort und das ift am Ende befler als wenn fie 
in eigener Gefbalt die Zour vollendet. Wie geſagt, der Ame⸗ 
rilaner, ein geborener Touriſt wie der Engländer, fängt auch 
an wie diefer, wenn er fi von dem Lärmen feines öffentlichen 
und Handelslebens erholen will, nach den ftillen Alpenthälern 
des europäifchen Feſtlandes zu blicken und lieber dorthin als 
in die großartige Natur feiner eigenen Wilöniffe den Schritt 
u lenken. Einer der vielen nordamerikaniſchen NReifenden, die 
in der neuern Beit Diefen Weg eingefhlagen, Dr. G. 8. 
Eheever bat die Beobachtungen, die er darauf gefammelt, 
fürzlich unter dem Titel „Wanderings of a pilgrim in the 
shadow of Montblanc” veröffentlicht. Der Derf., ein eifri« 
ger Calviniſt, nimmt die veligiöjen Zuftände in der Schweiz, 
namentli in Genf, wo er dD’Aubigne kennen lernt, zum Aus⸗ 
gangspunkt von Betrachtungen, worin er als ein entjchiedener 
Gegner der Vereinigung der Kirche und des Staats auftritt, 
in welcher Beziehung dies Buch in jegiger Zeit, wo biefe Frage 
in allen gefitteten Bändern einen fo wichtigen Streitpunkt bil- 
det, von großem Interefie if. Doch enthalt es auch in ande 
ver Hinficht viel Lehrreiches und Unterhaltendes und zeichnet 
ich befonderd durch warme und lebendige Schilderungen ber 

atur aus, von der ber Verf. gleich im Eingange behauptet, 
daß fie ebenfo wol eine Seele als Charakterzüge habe. Im 
Übrigen zieht ein religiöfer presbyterianifcher Geiſt durch bie 
Darftellung. 


Bopp's „Bergleihende Grammatik“ in England, 


Bopp's berühmtes Wert bat eine englifhe Bearbei- 
tung erfahren, die unter dem Xitel „A comparative gram- 
mar of the Sanscrit, Zend, Greek, Latin, Lithuarian, 
Gothic, German and Sclavonic languages’ jüngft er: 
fhienen if. Der befannte Drientalift Bilfon und ber Lin⸗ 
guift Eaſtwick, defien deutihe Sprachſtudien kürzlich in die 
fen Blättern erwähnt worden find, haben ihre Arbeiten zum 
Zweck der Herausgabe diefes Werks vereinigt. Anlaß dazu gab 
dem erftgenannten Gelchrten, vwoie er in ber Vorrede felbft er- 
wähnt, der befannte Korb Francis Egerton, der bei der Ars 
beit ſich auch felbft betbeiligte. Bei Ausführung des Unter: 
nehmens ftellten fi diefem im Anfange zwei Bedenken ent 
egen: der Umfang des Driginald und die Menge der Ta⸗ 
—* welche die Schriftzeichen der orientaliſchen Völker, des 
Sanskrit und Zend erfoderlih machten. Er gewann daher die 
beiden genanten Männer dafür, von denen Wilfon die Revi⸗ 
fion des orientalifhen Schrifttertes übernahm, während Eaſt⸗ 
wid, der bei feinem Aufenthalt in Bombay ſich mit der heili⸗ 
gen Sprache der Parfen vertraut gemacht hatte, feine längere 
Anmwefenheit in Deutfchland dazu benugte, fi) die zur Über 
tragung des Werks noch nöthigen Kenntniffe anzueignen. Wil 
fon erflärt in feiner Vorecde in voller Anerkennung der Ber: 
dienfte Bopp's, daß dieſes Werk auf das Studium der ver: 
gleichenden Sprachkunde in Großbritannien einen fehr wohlthä- 
tigen Einfluß äußern dürfte. 12. 


1 
! 


Blätter 


für 


liferarifde Unterhaltung. 





Sonntag, 


32. Februar 1846, 





(Beſchluß aus Nr. 52.) 

So kommen wir denn nun.auf die englifhen Ar⸗ 
beiterbewegungen, melde ſich unter den Manufactur⸗ 
arbeitern immer rafcher und gefährlicher. entwickeln. Der 
Zunahme der Verbrechen gegen das Eigentum ift be- 
seite oben gedacht, fie ift der Proteſt gegen die befichen- 
den Gefellichaftsverhältniffe in feiner roheſten Form, aber 
es hat fih allmälig auch eine andere Reaction des Pro⸗ 
tetariat® ausgebildet, beftimmter, geſchloſſener. Sie aͤu⸗ 
Serte fich zuerſt in vereinzelten Auffländen gegen Ma- 
ſchinerie, ganz ber Art wie bie böhmifchen. Druden 
unruhen im Juni 1844. Die Fabriken wurden geflürmt, 
die Maſchinen zerfhlagen. Wenn der augenblidliche 
Zweck erreicht war, fo fiel die, volle Wucht der gefellfchaftli- 
ben Macht wieder auf die Übelchäter und fie mußten ſich 
Doch unter die Mafchinen beugen. Allmaͤlig ſahen die 
Arbeiter bie Ohnmacht folcher Verſuche ein; auf diefe 
Art konnten fie fich feine „beffere menſchlichere Stellung 
verfhaffen“, ihre Reaction trat in eine neue Entwicke⸗ 
Inngöftufe. Dazu war ihnen ein Befes vom J. 1824 
außerordentlich günflig, welches alle Acte aufbob, wo- 
durch bisher Verbindungen. zwiſchen Arbeitern für Ar- 
beitergwede verboten gewefen waren. Rachdem die Ar 
beiter fo das Recht ber freien Affsciation erhalten hat⸗ 
ten, trat an die Stelle der geheimen Verſchwoͤrungen 
die offene Werbündung und Ngitation. Es entflanden 
in allen Arbeitszweigen offene Vereine zu dem Zwecke, 
ber Lohnerniedrigung entgegenzumirten und beshalb in 
Maſſe mit ben Wrbeitgebern zu unterbandeln unb die 
unbefchäftigten Arbeiter zu unterftügen. Ihr gefeglich 
zuläſſiges Mittel Haben fie an den Arbeitseinftellungen 
(tarn-out oder strike genannt). Da die Fabrikanten 
aber bei diefer Stimmung unter den Arbeitern fchen 
in ihrem eigenen Intereife die Lohnherabfesung möglichft 
vermeiden, während bie Arbeiter auch in den durch Die 
Handelverhältniffe unvermeiblich gewordenen Lohnverkür⸗ 
zungen eine Verfchlechterung ihrer Lage fühlen, fo fallen bie 
meiften Ürbeitseinftellungen zum Nachtbeile dee Arbeiter 
aus. Sie haben bann nur noch die Bedeutung von Protefla» 
tionen des. Proletariats gegen feine Rage und durchaus 
nichts von Mitseln zur Verbefferung. Dabei kommt es 
dann allerdings zumeilen zu furchtbarer Erbitterung, 


grauſamen Exceſſen, bis zu Vorfällen wie fie in dem 
Deoceffe der „Thugs vom Bladgomw’' 1838 bekannt wur⸗ 
ben, bis zum ſyſtematiſchen Meuchelmorde. Biefe Ihugs 
Gatten nod) ihren Urfprung in den alten geheimen Ver⸗ 
bindungen. 

Das neuere Streben geht auf die Allgemein⸗ 
heit den Arbeiteraffociation, durch die Erkämpfung 
der Bolfscharte (perple’s charter), und der Chartismun 
iſt die heutige, eompacte Form der englifchen. Arbeiter 
bewegung geworden. Im 9. 1835 wurde von einem 
Gomite der „Allgemeinen londoner Arbeitergefellfchaft” 
mit William Lonett an der Spige bie Vollscharte im 
ſechs Punkten entwerfen. Diefe lauten: 1) Allgemeines 
Stimmrecht für jeben windigen Mann, der bei gefun- 
dem Verftande und keines Werbrechens überführt ifl, 
2) Jaͤhrlich zu erneuernde Parlamente. 3) Diäten für 
die Barlamentsmitglieder, damit auch. Unbemittelte die 
Wahl annehmen können. 4) Wahlen durch Ballotage, 
un VBeftehung und Einfchüchterung durch die Bour⸗ 
geoifie zu vermeiden. 5) Gleiche Wahldiftricte, um glei 
billige Repräfentation zu fihern und 6) allgemeine 
Wählbarkeit aller Wähle. In diefen Punkten findet 
man die Conſequenz bee Brundfäpe der aus den: achtzi- 
ger Jahren des vorigen Jahrhunderts ſich herfchreiben- 
den Radicalenpartei. Run aber liefert ber Verf. ben 
Nachweis, wie fi in der Chartism-Agitation von 1837 
und 1839 der Arbeiterchartismus ſchon non dem. Radi⸗ 
calismus fich gefehieden habe, indem der erſtere die Charte 


nur als Mittel betrachten wollte. Schon 1838 fagte 


ein methodifcher Priefter, Stephens, vor dem Meeting 
von 300,000 Menfchen bei Manchefter: „Der Ehartis- 
mus, meine Freunde, ift feine politifche Zrage, ſondern 
das ift eine Meffer- und Gabelfrage; bie Eharte, das 
heißt gute Wohnung, gutes Effen und Zrinten, gutes 
Auslommen und kurze Wrbeitäzeit.” So maren auch 
ſchon damals die Bewegungen gegen das neue Armen⸗ 
gefeg und für die Zehnftundenbill und bei all ben. Mee- 
tings dieſer Epoche war auch ſchon ber Tary Caſtler thä⸗ 
tig. Im Fruͤhlinge 1842 vereinigten ſich wegen des 
Armengefeges die Liberalen und Chartiſten wieder etwas 
mehr, fie entwarfen eine Petition, welche ebenſo wol auf 
Abfchaffung der Getreidegefege . wie auf Einführung dev 
Charte drang und am folgenden Tage, am 16. Febr. 


210 


1849, wurde fie von beiden Parteien angenommen. Als 
es ſich aber bei den Aufſtaͤnden im Spätfommer zeigte, 
daß die Arbeiter keineswegs wie man erwartet hatte 
die Abschaffung der Betreidegefege unter ihren Foderungen 
obenanftelen wollten, begannen bie Rabicalen bie Char⸗ 
tiften zu fürdten und 1843 £rennten fie ſich, unter der 
Leitung von Sturge, von ihnen. Seitdem wirb von 
den Chartiften ihr Chartismus als wefentrich focialer 
Natur betrachtet. „Politiſche Macht unfer Mittel, fociale 
Gluͤckſeligkeit unfer Imed”, dies iſt jept ihr ausdrüd- 
licher Wahlſpruch. Ihre fociale Theorie ift font fehr 
wenig entwidelt. Neben dem Chartismus aber geht 
ber von Dwen begründete englifhe Socialismus Her. 
Er verlangt „allmälige Einführung der Gütergemein- 
ſchaft in Heimatscolonien von 2—3000 Menfchen, wel: 
che Induftrie und Aderbau treiben, gleiche Rechte und 
gleiche Erziehung genießen, Erleichterung ber Eheſchei⸗ 
dung und Abſchaffung ber Strafen, die durch eine ver- 
nünftige Behandlung des Verbrechers erfegt werben fol- 
len”. Sie find fehr zahm und friedfertig, erfennen bie 
beftehenden Verhäftniffe, fo ſchlecht fie auch find, info- 
fern als gerechtfertigt an, als fie jeden andern Weg als 
den ber öffentlichen Überzeugung verwerfen, und find doc) 
zu gleicher Zeit fo abftract, daß fie in der jegigen Form 
ihrer Principien diefe öffentliche Überzeugung nie gewin⸗ 
nen würden. Sie rekrutiren fich theilweife aus der Ar- 
beiterclaffe, von ber fie aber nur einen fehr Fleinen Theil, 
freilich die Gebildetfien und Charakterfefteften, herüber- 
gezogen haben. In feiner jegigen Geflalt, meint ber 
Berf., wird der Socialismus nie Gemeingut der Arbei- 
terclaffe werben können, er wird fich fogar erniedrigen 
müffen, einen Augenblick auf den chartiftifchen Stand⸗ 
punkt zurüdzutreten; aber der durch den Chartismus 
bindurchgegangene, von feinen Bourgeoifie-@lementen ge 
reinigte, echt proletarifche Socialismus, wie er fich ſchon 
jept bei vielen Socialiften und bei vielen Chartiftenfüh- 
rern, die faft alle Seocialiften find, entwidelt, wird aller- 
dings, und das in kurzem, eine bedeutende Rolle in ber 
Entwidelungsgefchichte des englifhen Volks übernehmen. 
Die Socialiften haben unendlich viel zur Bildung det 
Proletariats gethan, fie haben bie franzöfifchen Materia⸗ 
Iiften Helvetius, Holbach, Diberot u. U. überfegt und 
nebft den beften englifhen Sachen in billigen Ausgaben 
verbreitet. Strauß’ „Leben Jeſu“ und Proudhon’s „Ei⸗ 
genthum” werben ebenfalls nur unter den Proletariern 
gefunden. Shelley und Byron haben ihre meiften Lefer 
unter den Arbeitern, die Bourgeois befigen nur caftrirte 
„family - editions”, die nach der Moral von heute zu- 
geftugt find. Die beiden größten praktifchen Philoſophen 
der legten Zeit, Bentham und Godwin, müffen ferner 
Eigenthum des Proletariat® genannt werden und wenn 
auch Bentham unter ber rabicalen Bourgeoifie eine 
Schule befist, fo gelang es doch nur dem Proletariat 
und dem Socialismus, aus ihm einen Kortfchritt zu 
entwideln. Das Proletariat bat fih auf diefen Grund- 
lagen eine eigene Literatur gebildet. 

In der folgenden Abtheilung ſtellt der Verf. das 


Bergwerkö-Proletariat, die Rage ber Urbeiter in Gorn- 
wal, Alfton Moore, in den Eifen- und Kobienbiftricten 
dar. Er ſchildert bie eigenthümlichen Krankheiten, denen 
die Arbeiter in den niedrigen Stellen ausgefegt find, bie 
häufigen Erplofionen und Unglüdsfälle, vorzüglich in Folge 
der Erfparnif von Ventilationsſchachten u. ſ. w. Die 
Bildung und die Moralität dieſer Arbeiter find äußerft 
niedrig. Obgleich ein neues Gefeg die Verwendung von 
Weibern und Kindern in den Gruben verbietet, fo wird 
es doch nicht befolgt, denn es find Feine eigenen Berg- 
werkeinfpectoren ernannt und die Friedensrichter find 
entweder felbft Bergwerksbefiger oder Vettern derfelben. | 
Neuerdings bat fich jedoch auch unter biefen Arbeitern 
das Affociationsprincip geltend gemacht und 1844 fand 
bekanntlich in den nördlichen Grafſchaften Englands eine 
großartige Bewegung ftatt. Ein fünfmonatlicher turn- 
out, mit feltener Gefeglichteit und Feſtigkeit durchge⸗ 
führt, bob die Bergwerksarbeiter auf den Standpunkt, 
auf dem fie fih nun bereits an die Chartiſten ange 
ſchloſſen haben. | 

Der nächfte Abſchnitt ift dem Aderbau-Proletariat 
gewidmet. Wie der Verf. uns diefes fchildert, ift hier 
die Bildung am allerniedrigften und das Elend am 
permanenteften. Unwilltürlich wirb man an Wlerander 
Schneer's „„Darftellung der Arbeiter der fchlefifchen Lei⸗ 
nendiftricte” erinnert. Xreibt die Noth auch bier Be- 
wegungen hervor, fo erfcheinen fie doch nur noch in der 
Form des planlofen Verbrechens. Die Zaglöhner find 
es in England, welche in den brotlofen Wintertagen bie 
Scheunen ber Pächter anzünden. In Wales find es 
die Beinen Pächter, welche mit den reichen betriebfamen 
Paͤchtern Englands Feine Conturrenz aushalten Fönnen 
und deshalb in ben „Rebekkaunruhen“ ihren Groll ge- 
gen Wegegeld und Thorſperre auslaffen. In Irland 
waren es fonft bei den elenden Kartoffelgärtnern bie 
gräßlichften Thaten der Whiteboy's⸗Banden und ift «6 
jegt die allerdings weit höher ſtehende, zugleich ein 
Agrargefeg bezwedende Repealbewegung Bis jetzt ha⸗ 
ben weder ber Chartismus noch ber Socialismus einen 


. befondern Erfolg in Iceland gehabt. 


In dem legten Aufſatze bezeichnet Engels die Stel- 
Iung ber Bourgeoifie zum Proletariat.e Ihm fei nie 
eine fo tief bemoralifirte, eine fo unheilbar durch den 
Gigennug verberbte, innerlich zerfreffene und für allen 
Fortſchritt unfähig gemachte vorgefommen als die engli« 
fehe Bourgeoiſie. Ale Lebensverhäftniffe werden nad) 
dem Gelderwerb gemefjen und mas fein Geld abmwirft, 
das ift dummes Zeug, unpraktiſch, ibdealiftifh. Darum 
ft auch die Nationalöfonomie, die Wiffenfchaft bes 
Gelderwerbs, die Lieblingswiffenfchaft der englifchen 
Bourgeoifie. Jeder ift Rationalölonom. Das VBerhält- 
niß bes Fabrifanten zum Arbeiter ift Bein menfchliches, 
fondern ein rein ökonomiſches. Die offenfte Kriegser- 
ärung der VBourgeoifie gegen das Profetariat nennt 
ber Verf. die Malthus’fche Theorie der Population und 
bas aus ihr entfiandene neue Armengefeg. Diele Theo⸗ 


vie, beißt es, iſt jegt die Leibtheorie aller echten engli- 


211 


ſchen Bourgesid. Die Arbeitshäuſer (mworkhouses) ober- 
wie fie das Volt nennt, Armengefep « Baftillen (poor- 
Inw-bastiles) find die empörenden Thaten diefer Theorie. 
Der Verf. führt Beifpiele von Vorgaͤngen in englifhen 
Arbeitöhäufern an, gegen bie auch der niedrigfte Grad 
von Menſchlichkeit aufwallen wird. Unter ſolchen Um- 
ſtaͤnden ift es natürlih, daß die Arbeiter in die furcht⸗ 
batſte Tiefe des Elends verfunten fein müffen, bevor ſie 
in biefe Baftillen gehen, und von Newcaſtle bie nad 
Doner herrſcht unter den Arbeitern nur eine Stimme 
der Empörung über das neue Geſetz 

Endlich entwidelt der Verf. die Chancen, welche bie 
Bourgeoifie Englands für die Zukunft hat. Er meint, 
England fei nicht im Stande, noch Lange bie Concurrenz 
Norbamerifas auszuhalten, dieſes Land fei ganz Dazu 
begabt , das induftriele Monopol an ih zu reißen. 
Wenn nun, fagt er, auf biefe Weife bie englifche In. 
duftrie gefchlagen wird, — mie Dies in den nächiten 20 
Jahren, wenn bie jegigen focialen Zuftände bleiben, wol 
nicht anders gefchehen fann —, fo wird die Majorität 
des Proletariats auf immer „überflüffig” und hat feine 
andere Wahl als zu verhungern oder zu tevoltiren. Aber 
felbft wenn England das inbuftrielle Monopol behielte, 
würden die Handelskrifen bleiben. Engels fagt: 

Ich glaube nicht, daS das Bolt fi noch mehr ale eine 
Krifiß wird gefallen laſſen. Wahrfcheinlich bringt ſchon die 
nächte 1846 oder 1847 eintretende Kriſis die Abſchaffung der 
Setreidegefege und die Eharte. Was die Eharte für revolution» 
naire Bewegungen veranlafien wird, fteht au erwarten. Aber 
bis zur dann folgenden Krifis, die nach der Analogie der biß- 
herigen 1852 oder 1853 eintreten müßte, durch die Abfchaffung 
ber Getreidegefege jedoch verzögert, wie burch andere Umftände, 
auswärtige Concurrenz u. f. w. befchleunigt werben fann, bis 
zu biefer Krifis wird es das englifche Bol wahrlich überbrüffig 
fein, zum Bortheil der Capitatiften ſich ausbeuten zu laffen 
und, wenn die Gapitaliften feiner nicht mehr bebürfen, zu vers 
jungen. Wenn fih bis dahin die engliſche Bourgeoifte nicht 
efinnt — und das thut fie allem Anfcheine nach gewiß nit —, 
fo wirb eine Revolution folgen, mit ber fid) keine vorhergehende 
meflen kann. Die zur Verzweiflung getriebenen SProletarier 
werben die Brandfadel ergreifen, von der Stephen ihnen ges 
predigt hat; die Voiksrache wird mit einer Wuth geübt wer: 
den, von der uns das Jahr 1793 noch Feine Vorſtellung gibt. 
Der Krieg der Urmen gegen die Reichen wird ber blutigſte 
fein ber je geführt worden iſt. 

So muf bie Gefchichte des englifhen Proletariats 
voll großer Weiffagungen für das ganze abendlänbifche 
Suropa fein. Daffelbe furchtbare moderne Übel, wel- 
ches in England feine claffifhe Höhe erreicht hat und 
offen zu Tage liegt, durchwüthet auch Belgien und 
Frankreich, und — wir bürfen uns nicht über unfere 
Rage täufhen — auch in Deutfchland greift e6 Immer 
weiter und mächtiger um fih. Die fociale Trage iſt 
deshalb die wichtigfte ber Welt. Ihre friedliche Loͤſung 
bringt der Zukunft den Frieden, ihre immer größere Ber- 
wirrung muß nothwendig zu einem Kampfe führen, bej- 
fen Ende nicht abzufehen, veffen Srauenhaftigteit nicht 
zu ermeffen ift. Möge fih Niemand darüber täufchen 
und möge es namentlich unfern Staatsmännern gelin- 
gen, ſich einen unparteiifchen Blick über bie Lage ber 


Dinge zu verſchaffen und jenen’ engherzigen Geſcchtepunkt 
aufzugeben, ber die gewaltige fociale Bewegung des ganzen 
abendlänbifchen Europas mit dem Schlagworte „Commu- 
nismus” bezeichnet, nur als eine Propaganda der Preffe und 
junger phantaftifcher, irregeleiteter Männer betrachten will. 
Sie haben eine große Verantwortung auf fi, genonimen 


und können Vieles verhüten. 28 
Bibliographie. 
Adolphine, Neue Märchen und Erzählungen für ju⸗ 
gendliche eiſerinnen. Leipzig, Brockhaus. 4 1 —XR 


Aimanach für Freunde der Schauſpielkunſt auf das Jahr 
1845. Herausgegeben von 2. Wolff. IÜter Jah . 
in. 8. 1 Ri. 0 Ru ff Sabrgang. Ber 

rnd, ©., eſchichte des Urfprungs und der Entwide- 

lung des franzöfifchen Volkes, oder Daritellung der vornehme 

fen Ideen und Fakten, von benen bie franzöfifche Rationali: 

tät vorbereitet und unter deren Einfluffe fie ſich ausgebildet 
bat. Iter Band. Leipzig, Brockhaus. Gr. 8. 4 Thlr. 

« Me Sum — dem Seenficher Kante im Berbör. 
omifche Scene. e Auflage. Berlin, Rü T 

1845. "RL 8. 10 Kar. > KRäcket und Puͤchler. 

Bender, J. Die deutſchen Ortsnamen, in geographi⸗ 
ſcher, hiſtorifcher, beſonders in ſprachlicher Oiniht, me ee 
as bex fremden Ortöbenennungen. Siegen, Friedrich. 

.8 2. gr. 

Berchter, G. W., Boter Klaus. im Erzähl r 

Zung und Alt. Eiberfelb, Bädeker. 8. 3 a hlung für 
Graf ©. D. v. Blüder Altona. Das Leben deſſelben in 
leinen Hauptmomenten dargeftellt. Altona. 1845. Gr. 8: 
r 


Ror. an 
Damen:Kalender für 1846. Eiberfeld, Haſſel. 32. 10 Rgr. 
Der Edle und fein Hund. Bon Melancholikus Bre⸗ 

manus. Dfdenburg. Gr. 8. 4 Rgr. 

Erinnerungen und Bedenken über das beutfche Schulweien, 
als Stoffe zum weiteren Nachdenken für Alle, die fi für die 
Erziehung und ben Unterricht der Jugend interefiiren koͤnnen, 
folen und müflen. Augsburg, Rieger. 1845. 6%, Ror. 

Geib, 8., Xheorie ber Dichtungsarten. Rebſt einem 
Anhange über Rhetorik. Manheim, Loeffler. Gr.8. I Ihlr. 

3 gt. 

Goßler, J. H., Pilgerreiſe nah Ierufalem im Sabre 
1843 und 1844. Iſte Lieferung. aderborn, Jun . 
1845. 8. TIA Bar. % 9 ‚, SIunfermann 

Holzhaufen, F. Q., Der Proteftantismus nach feiner. 
geſchichtlichen Entftehung, Begründung und Fortbildung. Ifter 
Band: Die gefchichtliche Entftehung des Proteftantismus. Leip⸗ 
zig, Brockhaus. Er. 8. 2 Thlr. 

Kerner, T., Gedichte. Jena, Maufe 1845. Gr. 8. 
Bet ri Spinnftube. Maͤrch 

. Kletke, H-, Spinnftube. Märchen. Berlin elber 
12. 1 Thir. 10 Nor. boaſſelbers 

Koch, F., Der wohlunterrichtete Begleiter auf der male⸗ 
riſchen Donaureiſe mit dem Dampfſchiffe von Ulm bis Konſtan⸗ 
tinopel. After Theil: Um bis Wien. Wien, Singer und Goe⸗ 
ring. 1845. 12. 15 Nur. 

Kratochwill, U. R., Die Armenpflege der k.k. Haupts 
und Htefidenzftadt Wien, verbunden mit einer bejondern Ab⸗ 
hanbiung über die Zuftändigfeit oder das Heimathsrecht. Wien, 

et. Gr. 8. 1 Ihlr. 15 Nor. 

Krebs, 3., Kleine Abendbibliothek. Neuefte Novellen« 
fammlung. Ifter Band. Iftes und Ltes Heft. Breslau, Gün- 
ther. 1845. 10 Nor. 

Lupe, 9, Die Allöopathen als Würge » Engel. Eine 
Warnung für Jedermann durch Thatſachen bewieſen. Son⸗ 
dershaufen, Eupel. 1845. Gr. 16. 5 Rgr. 


—ã— J. F rn ber Etadt Kin. Köln, 
Oftinger, 3 * “ia des Alterthums. Vaden, Zehn⸗ 


Der. 

Ede, 8%, 4 ion von — 
vello. Leipzig, Brockhaus. Gr. I 

Did Grobſchmidts VJochter. hi 
dem Berfaer des „Walter Elayton”. 
von W. du Noi. Imwei Theile. — Leibrock. 8. 
2 Thlr. 30 er: 

Volks: Bibliothef. 2ten Bank: o akte Heim. Leben 
und Wirken Ernſt Ludw. Heim’s, Fönigtich preußifchen Gehei⸗ 
menraths und Doctors der Arzneiwiffenfchaft. Aus binterlaf 
ſenen Briefen und Tagekü chen herausgegeben von G. B. 
—32 Mit Heim's a 2te mi en vermehrte |: 

Auflage. Leipzig, Brodhaus. 6 

Eoangelifihe Beugnifle jegen ‚Rom A das Papftthum. 
Sermusgegeben von 2. Pafſig. Leipzig, Grunow. 
&. 8. I Ahlr. 7% ar. 


Zagedliteratur. 
ma gun, $ 5 JI Faotehantifhe Mänge. Berlin, Ame⸗ 


leng oliifihe Beobachtungen. ütes Heft: Über die proteftan- 
afoen Eraune | in der Provinz Sachſen. Berlin, Röfe. 1845. 
gr. 
Eitefter, H., Dffene Antwort auf ein Sendſchreiben 
des Königlichen Regierungs⸗ und Saulsathed Hrn. Striez, 
betreffend die erklärung vom 15. Auguft d. 3. Potsdam, 
Stuhr. 1845. Gr. 8. 7% Rear. 


Eberhard, F., Der exorbitante Rationalismus, oder: 


Die falſchen Propheten des 19. Jahrhunderts. in Wort a 
" bie Bei Seit. Magdeburg, Faldenberg und Comp. 1845. Gr. 8 


ioren court, F. v., Fliegende Blätter über Bra en der 

Gegenwart. Nr. 1. "Raumburg, Zange. 1845. Gr. 8. 9 Nor. 

Die proteftantifchen Freunde nad dem Xeben gezeichnet 
von M. A. Leipzig, Einhorn. 74 Ror. 

Froſch, R., Zur Verfaſſungsfra ⸗— in der evangeliſchen 
Kirche. Drei Vorſqiage gehalten auf der er een rote ſchen 
Provinzial⸗Synode. Breslau, Goſohorsky. 184 10 Ngr. 

Der Geiſt der Evangeliſchen Fechtziunge Allen Licht 
freunden gewidmet. Berlin, Bethge. 1845 r. I Nor. 

Briffon, Ein furzes Wort der Rechtferfigung gegen 
eine. Anklage ded Hrn. Regierung: und Schulraths Striez. 
Rebſt der von 87 Geiftlichen und Richt: Geiftlichen untergeich- 
neten Erflärung vom 15. Auguft d. 3. te mit einem Rai 
De marneitie Auflage. pottdam, Stuhr. 1345. Gr. 
& / gr 

Hagen, 3.9. C., Die Ehriftusvorftellung der proteftan- 
fon Brrunbe, Magdeburg, Faldenberg und Comp: 1845, 

r gr. 

Hanne, W., Der ideale Proteftantismuß , fein Wefen, 
feine Geneſis und ‚fein Verhältniß zum Bibel: und Kirchen: 
glauben, ſowie feine Stelung zu den gegenwärtigen religiöfen 


geitrihtungen Bielefeld, Belhagen und Klafing. 1815. 8; 
Hoffmann, E U. C., Die Proteſtation der proteſtan⸗ 


tifgen Freunde in Wittenberg, zur Belehrung für Sedermann 
über. die Glaubensanfichten der proteftantifchen Freunde über 
Haupt. Wittenberg, v. Schroeter. 1845. &r. 8: 5 Rar. 
Kell, 3., Lebensbefchreibung Benj. Franklin's, des that« 
kräftigen Mannes und freifinnigen Volksfreundes. Leipzig, 
Klinkhardt. 1845. 8. 10 Nor. 
Kief ert, K. Dr. Mart. Luther, ein Vorbild der Leh⸗ 
rer in feinem Streben nad Richt und Wahrheit, in Hinfi ht 
feines Glaubensmuthes und feiner Glaubendfreudigkeit, in feis 


. Zei 


HAPE Ro. |, %r Streite der Gegenwart. Berlin, 


ſtori Po men von. 
Bein em Englifihen 


"die Beit von R.. 


1845.. evangeliſch ⸗ proteſtantiſchen Kirche. 


nem ˖ raſtlofen 


chen und in Hinficht feines Biden, deutfchen 
ne 2 Rear. 


Striegau, Hoffmann. 1845, 
Rsffing, Beryardin de Saint⸗Pierte ne ein Dritter. Eine 
logie von. Bebenntniffen. Zur Berländig gung in dem reli⸗ 
melang. 1849. Gr. 8. 
age 


uͤbechs Bebrikkung. durch die damiſche Politie Ein Best 


ie deutſchen dürfen. Braunfhweig, Weftermann. 1545, 


8. Nar. 

Marcker, F, A., Das Weſen bed Proteſtantismus, in 
14 Theſen. Allen wahren Proteſtanten geweiht. Ref ein 
leitung. und einigen Beilagen. Berlin, Voß. 1815. Gr. 8. 


5 Nor. 

Richt Papſt! nicht Euther! nicht Calvin! Einer iſt un⸗ 
: fer Meiſter: Ehriftusl!!! Mahnungen und Rügen der Zeit am 
Deffau, Reubürger. 1845. Gr. 8. 10 Rar. 
Die Rothwenbigkeit und der Werth der Symbole 
Allgemein faBlich dargeſtelt 
gun eincm fähfifchen Geiſtlichen. Leipzig, Klinkhardt. Gr. 8. 


gr 

Röhr, J. F., Semeinverftändliche und fhriftgemäße Dar- 
ftelung der Grund: und Gtaubensfäge der evangelifc-proteften- 
Aeen Kirche. Zur Bermittelung eines richtigen Urtheils in 

un gen —— Wirren. Reuftadt a. d. O., Wagner. 


Ye 

Schede, €. H., Das Grundprincip der Reformation. 
Sendſchreiben an Drn. Prediger Jonas zu Berlin, betreffend 
die „Erflärung vom 15. Auguft“, zugleih als Beitrag zur 
allgemeinen ‚Derftändigung über die kirchlichen Fragen. Berlin, 
Schröder. . ©. 8. 5 Ror. 

Schloſſer, J. F. 9, Die morgenländijcge othobore Kirche 
Rußlands und das eutopäifche Abendland, Heidelberg, Mohr. 
1845. Gr. 8. 20 Run. 

Schröder, 3.9. Dos verachtete Luthertfum. In 
drei Unterredungen eineR Gbrifen ber unirten Kirche mit einem 
Lutheraner bargeitelt. 2te unveränderte Auflage. Culm. 1845. 


Gr. 8. 12 
Stahl, Wei Sendſchreiben an die Unte ihner der Er- 
Härung vom 15., beziehungsmeife 26. Auf 45, zugleich 
als ein Votum in der augsburgifchen Eonfeffiondfrage. —* 
lin, Schröder. 1845. Gr. 8. 5 Nr. 

Thilo, 2., Unmündige Frage eined Landpaſtors über die 
Erklärung der "Yaftoren, Dorctoren und Bilchöfe wider bie 
Gesunde, der a arlifgen Kirchenzeitung. Berlin, Thome. 

r. 

rien 3., Die merkwürdigften Berfaffungen evan- 
gelifcher Landeslirhen Europas, na i— ibren Grundan ÜgER zus 
fammengeftellt. Dresden, Arnold. 1845. 8. BR Nor. 

Balenti, de, Chriftliche Slaubensichre mad dem Glaus 
ben und dem Belenntniß der alten und neuen Kirche bargefkelit. 
Zwei Hefte. Dem, Huber und Comp. 1845. 8. 1 Thlr. 20 Nor. 
Dos Kleeblatt der Heiligkeit, Möhler, Schleier- 
macher, Nigfchs oder dad neue Evangelium, geprüft naxh der 
enangelifchen Lehre von ber Rechtfertigung allein durch ben 
Glauben, Dem, Huber und &o 1845 1, Nor. 

Wagner, 2 ‚Die — Kiche in Preu⸗ 
fen im w * eichte gargefteit und vertheidigt. Poſen, Gebr. 
Su. 5. Gr. 8. 5 Ror. 

a I su de den gumbelifigen Bühern? Dresden, 


— — 


rg die Natur und Bedeutung der 
Gemein : Schule mit. Beziehung auf die Wünfche der Gegen⸗ 
wart. Worms. 1845. 4. 3%, Nor 

Zur Berfländigung in ber Roth diefer Seit. Em Wort 
aus dem Volke an die Bebildeten aller Stände mit beſonderer 
Rückſicht auf Berlin und feine Lichtfreunde Bon einem epan⸗ 
gelifchen Laien und ‚Freund evangelifchen Lichts. Berlin, Ens⸗ 
In. 1845. Gr. 8 5 Nor. 


Berantwortlicher Heraußgeber: Beinrich Wroddans. — Drud und Verlag von F. 8. Brodhaus in Reipjig. 














Blatter 


für 


fiterarifhe Unterhaltung. 





Montag, 


— KR. — 


23. Februar 1846. 





Über neuere publiciflifch=biplomatifche Literatur. 


Die Rüglichteit allgemeiner Sammlungen der öffent- 
lichen Urkunden und Actenſtücke, welche die auswärtigen 
Berhältniffe der Staaten in ihren wirklichen Beziehungen 
zueinander und gegeneinander befreffen, wurde ſchon von 
den Publiciften früherer Zeitalter eingefehen. Die eu- 
ropäifche Literatur bes 97. Jahrhunderts hat darum be- 
reits dergleichen aufzumeifen. Den Anfang machte ber 
große Leibnig durch Herausgabe bes „Codex juris gen- 
trım diplomaticus”, welcher 1693 zuerſt zu Hanover in 
Folioformat im Drud erſchien und ebenbafelbft 1700 
wieder aufgelegt wurde. Dann Fam Jak. Bernard mit 
der Publication feines ‚„‚Recueil de traites de paix, de 
treves, etc. depuis la naissance de Jesus-Christ jusqu’& 
present”, welches 1700 im Haag in vier Folianten Die 
Preſſe verlieh und die Periode von 536—1700 in fi 
begriff.” Diefes Wert bat der großen Sammlung zur 
Grundlage gedient, welche fpäterhin Dumont in acht 
Foliobänden veröffentlichte und den Zeitraum von 800 
n. Chr. Geb. bis 1731 umfaßte. Sie kam unter dem 
Titel „Corps .universel diplomatique da droit des 
gens” zu Amflerdam und im Haag 1726—31 heraus 
und wurde nachgehend® ebendafeldft 1739 von Rouffet 
bis zum Ende des I. 1738 in fünf neuen Folianten 
fortgeſetzt. Im erften Supplementbande zu Dumont’e 
„Corps diplomatique” wurde zugleich eine Gefchichte der 
Staatöverträge feit 3496 v. Chr. bis 815 n. Chr. von 
Barbeyrac mitgetheil. In Deutfchland veranftaltete 
I. 3. Schmauß 1730 in Reipzig eine Sammlung von 
minder großem Umfange; fein „Corpus juris gentium“ 
in zwei Octapbänden ging bis 1696 hinauf und reichte 
bis 17131. In England wurde 1732 in London eine 
-die Zeitperiode 1495— 1731 in fich fchließende „General 
collection of treaties and other public papers relating 
to peace and war” in vier Octavbaͤnden gedruckt. In 
“Stanfreih gab der Vicomte de la Maillarbier im zwei⸗ 
ten Theile feiner „Bibliotheqne politique” ein „ Abrege 
de traites depuis 1500 jusqu’& 1778”. Auch an nach⸗ 
folgenden Ergänzungen ber großen Dumont-Rouffet’fchen 
Sammlungen fehlte es nicht. Eine folche kam unter 
UAnderm auch zu Warfhau 1773 in polnifcher Sprache 
in drei Octavbaͤnden unter dem Xitel „Traktaty Mie- 


ı dri Mocarstwami Europejskiemi od roka 1648 zaszle 


do roku 1763” zum Vorfchein. Daneben dienten bie 
in einzelnen ändern nad) und nach herausgegebenen, 
diefe fpeciel betreffenden öffentlichen Verträge zur Ver⸗ 
volfftändigung der Generalfammlungen. So war fdhon 
1693 in Paris von F. Leonard ein „Becueil de traites 
de paix, de treves, etc. faits par les rois de France 
avec tous les princes de l’Europe depuis pres de trois 
siecles” in feh® Quartbänden zum Drud befördert wor- 
den. In Beziehung auf Großbritannien waren 1704 in 
London von Thomas Rymer die „Foedera, conventio- 
nes etc. inter reges Angliae et quosvis imperatores, 
reges etc.” in 20 Foliobänden veröffentlicht worden, ein 
Wert, das 1739 im Haag in einer vermehrten Ausgabe 
erfhien. Außerdem hatte man bie unter dem Namen 
Jenkinſon's bekannte, zu London in drei Bänden ge- 
drudtte ‚Collection of all the treaties between Great- 
Britain and other powers” vom MWeftfälifchen Frieden 
1648 — 1783, wovon ber erfte Band 1772 erfchien, 
eine mit Beifall von ben Publiciften aufgenommene 
Sammlung, die 1785 eine neue Auflage erlebte. Für 
die pyrenäifche Halbinfel war von Dr. Jof. Ant. de 
Abreu y Bertodano 1740 — 52 zu Madrid eine „Col- 
leccion de los tratados etc. hechos por los pueblos, 
reyes y principes de Espafia 1598— 1700” in 12 %o- 
fianten publicirt worden. Kür Deutfihland und Stalien 
fand fi) in den 24 Koltobänden des „Reichsarchivs“ von 
Lünig (Leipzig 1710—22) und fpätern Werken deffelden 
Verfaffers manche Lüde ausgefüllt. Für Preugen ins- 
befondere befaß man bas fchägbare, den Zeitraum 1756 
— 91 umfaffende „Recueil” des Grafen von Herzberg. 
In Betreff der Niederlande hatte man ein ‚‚Becneil 
van de tractaaten 1usschen H. M. S. G. ende ver- 
scheijde koningen etc. 1576 — 1792” in zwei Quart- 
bänden. Für die Kenntniß der völkerrechtlihen Verhält- 
niffe der Schweiz gaben zwei 1732 und 1737: in Bern 
von 3. R. Holzer herausgegebene Werke: „Sammlung 
der vornehmften Bündniſſe, Verträge, Bereinigungen 
u. f. w., welche die Krone Frankreich mit löblicher Eid- 
genoffenfchaft aufgerichtet” und „Die Bündniffe und 
Verträge der heivetifchen Nation, weldye theils bie ver- 
fhiedenen Städte und Republiken miteinander, theils 
alle insgeſammt mit auswärtigen Potentaten haben“ 


ꝑ14 


Hülfsmittel an die Hand. Für Schwedens Beziehun⸗ 


gen zum Auslande beſaß man die Arbeiten von G. R. 


Mobie: „Utdrag af de emellan Hans Koniglige Ma- 
jestaet och Kronan Suerige a ena och utrikes Magter 
a andre siden, sedan 1718 siusna allianse traktator 
och, afhandlinger 4718 — 33° (4., Stodholn 1761) 
and „Utdrag atur publique hendlingar 1718 19 
(4., Stodholm 1742—83). In Betreff Polens waren 
feit 1758 in Wilna drei Bände in Folio von Dogiel 
eines „Codex diplomaticus Poloniae.et magni ducatus 
Lithuaniae, in quo pacta, foedera, tractatus pacis ete. 
continentur” erfienen. Außerdem waren in Warſchau 
acht Folianten „Prava konstytucye y przywileie krö- 
lestwa polskiego y wilkiego ksiestwa litewskiego y 
wezystkich Provincyi” gebrudt worden; Jeljersft hatte 
daſelbſt 1789 „Traktaty Polskie etc. 1618 — 1775 
herausgegeben und 1794 waren ebendafelbft zwei Bände 
„Troktaty, Konvencye, Handlowe y Graaiczne etc. 
1764 — 91" herausgefonmen. In Rußland waren in 
Petersburg feit 1782 acht Quartbaͤnde von Tſchutkow's 
„Istoritseskoe opisanie rossüskoi kommercü“ veröffent- 
licht worden. 

Es find dies nur die vornchmften. und befauntefien 
General⸗ und Specialfammlungen, welche gemeiniglich 
zum Nachſchlagen bei der Auffuhung früherer Staats 
verträge dienen und in folchen Fällen zu Rathe gezogen 
zu werben pflegen; ber Raum d. Bl. geftattet nicht, 
dad Verzeichniß noch weiter a hen und noch mehre 
bier aufzuführen Allein jene Werke ſchon bilden eine 
jo große Menge und lange Reihe von Bänden und 
find, greoßentheild verſchwunden aus bem Buchhandel, fo 
felten mehr zu. haben, daß fie vollftändig kaum immer 
felbft in den größten öffentlichen Bibliotheken anzutreffen 
find. Die öffentlichen Verträge aus den früheren Sabre 
hunderten find inbeffen auch lebiglich eigentlich für dem 
Diftoriter von Werth, in der biplomatifchen Praxis kommt 
böchft felten ber Fall vor, worin man nöthig hat, über 
die Epoche des Weftfälifchen Friedens zurückzugehen. 
Was der Staats» und praktiſche Gefhäftsmann im 
biplomatifchen Fach Heutzutage bedarf, ift vorzüglich 
Lenntniß ber Verträge, bie fi) aus der Neuzeit datiren. 
Die meilten vorhandenen Sammlungen aber gingen nicht 
über die Mitse des vorigen Jahrhunderts herunter, und je 
mehr in der neueren Zeit die voͤlkerrechtlichen Beruhrun⸗ 
gen und Verbindungen ber Staaten fich nervielfältigten, 
deſto fühlbarer ward das Bedürfaiß neuer zu veranſtal⸗ 
tender, die juͤngſte Zeitperiode umfaſſender Sammlungen. 


Im 3, 1781 fing endlich Friedr. Aug. Wilh. Wenck 


an, bemfelben duch Herausgabe eines „Codex juris 
gontjum recentiseiwi” abzuhelfen. Allein diefe uortreff« 
liche zu Leipzig im Drud erfcheinende Sammlung ſchritt 
fo langſam fort, Daß in. einem Zeitraume yon. zehn Jah⸗ 
von exit zwei Bände die Preſſe vorlaffen. hatten, weiche 
Die. Periode von 173554 in ſich ſchloſſen. Dies ver 
anlaßte Georg Eriedrih  Mortene, öffentlicher Lehe 
ur. ded Moͤlkex⸗ und Staatenrechts auf der Uninerfität 
zu Göttingen, barauf zu denken, die fn ſichtbare und mit 


jedem Jahre merkliher empfundene Lüde in der neuern 
publiciftifchen Literatur fchneller auszufüllen, und er 
brachte diefen Plan 1790 mit Hülfe der Dieterich’- 
[hen Buchhandlung auf eine Weile zur Ausführung, 
daß die Verdienfllichdeit dieſes Unternehmens " {che 
bald allgemeine Anerkennung bei den Maͤnnern vom 


dFdach fand. Die Erſcheinung des Wenck ſchen Werks 


bewog ihn, bei ber Mittheilung der Verträge und 
anderer merkwürdiger diplomatiſcher Actenſtücke aus 
der Jetztzeit nicht über die Epoche des Friedens von 
Fontainebleau hinaufzugehen. Dieſe Martens ſche Samm- 
lung kam unter dem Titel: „Recueil des principaux traités 
d’alliance, de paix, de treve, de neutralite, de com- 
merce, de limites, d’echange, etc., depuis 1761 jusqu’& 
present“ 1794 anfangs blos in brei Bänden herays; 
der vierte, der nachgeliefert wurde, enthielt nur Ergan- 
zungen für bie nämliche Periode von 1761. Auch 
würde, biefe Sammlung wahrſcheinlich damit geichloffen 
worden fein, wenn die Wenck'ſche fortgefegt worben wäre. 
Bon diefer war zwar 1795 noch ein britter Band aus⸗ 
gegeben worden, ber die Tractate bis 1772 lieferte; aber 
ber 1811 erfolgte Tod bed Herausgebers unterbrach diefe 
Arbeit und es Sam Fein vierter Band. Unter folgen 
Umftänden befaßte fih Martens mit einer Kortfegung 
feines „Becueil” und gab nach und nach vier Supple⸗ 
mentbände heraus, wodurch feine bis zu ads Bänden 
und drei Supplementen aufgewacjene Sammlung bis 
1808 fortgeführt wurde. Martens war zugleich mit 
der Abfiht umgegangen, no eine andere Sammlung _ 
zu bearbeiten, welche die Staatöverträge feis bem Ende 

des 17. Sahrhunderts bis zu ber Epoche, von ber fein 
„Recueil“ ausging, in ſich fchließen follte; aber er gab 
biefen Plan fpäterhin auf, nachdem 1802 zu Bafel das 
Koch'ſche Werk erfhienen war, welches nachgehende 

SchöU in einer neuen vermehrten Ausgabe zum Driud 
beförderte. Inzwiſchen trat die weſtfaͤliſche Periode ein 
und der hanoverfche Hofrath und Profeſſor von Martens 
wurbe vom Könige Hieronymus in beffen Staatsrath 
nach Kaffel berufen. In Folge biefer veränderten Stel- 
lung des Herausgebers fand fich die weitere Forkfegung 
des Martens’fhen „Becueil” «ine Reihe von Jahren 
binducch unterbrochen; denn beufelbe bekleidete während 
ber: fechsjährigen Dauer des Königreichs Weftfalen ba® 
ehrenvolle Amt eines Staatsraths und war mit ganz 
andern Dingen beſchaͤftigt. Nach Wuflöfung bed weſt⸗ 
fälifchen Staats trat Martens indeffen wieder in: hano- 
verfche Dienfte zurüd, und fpäterhin zum hanonerfchen 
Bunbestagsgefandten. ernannt, faßte er, aufgefobert von. 
mehren Seiten, in Frankfurt den Plan, feine mit fo 
vielem Beifall aufgenommene Sammlung nunmehr wie- 
der fortzufegen und bis zu dem damaligen Zeitpunkt 
fortzuführen, In ber Zwifchenzeit aber hatte bie ſtarke 
Auflage ber hisher erfchienenen Baͤnde fich bereits nengrife 
fen, und ba bie Nachfrage ſtets noch fo wurde 
eine. neue vermehrte Auflage, derſelhen beſorgt. Bon 
diefer zweiten Ausgabe wurden bie vier erſten Bänke, 
welche den Zeitraum: 1761 — 00 in- fich ſchloſſin, von: 


218 


Hm. v. Martens von Fraukfurt aus ſelbſt Heransgege 
ben; fie erfchlenen 1817 und 1818 zu Göttingen. In 
der Vorrede zum. erfien Band fihrieb Derfelbe: „J’ai 
termine cet ourrage à nne Epoque oü je n’avais plus 
ai les memes facilites ni les memes motifs pour le 
contiawer. - Sons de plus heareux auspices je re- 
prends aujowsd’bui ce travail.“ Die Beforgung ber 
Herausgabe ber Übrigen Bände in ber neuen Ausgabe 
wurde fpäterhin von dem Baron Karl v. Martens, 
Neffen des Bundestagsgefandten, übernommen. Unter 
deſſen Redaction fam ber fünfte Band, ber den Zeit. 
" raum 1791—95 in ſich begriff, 1826 zu Böttingen in 
der Verlagshandlung bes ganzen Werks heraus. Der 
fehete Band enthielt ben Zeitraum 1795—99 und er- 
fhien 1829; der fiebente für ben Zeitraum 1800 — 3 
1831 und ber achte für den Zeitraum 1803 — 8 .erfi 
1335. Diefe vier Bände führten zugleich den Titel bes 
erfien, zweiten, dritten und vierten Supplements in Be 
ziehung auf die vier vorhergegangenen Bände, welche 
den Zeitabſchnitt 1761 — 90 in fih faßtem Georg 
Friedrich v. Martens ſelbſt hatte indeffen 1817 eine 
‚neue Meibenfolge von Bänden feiner Sammlung unter 
dem Titel „Nouveau recueil de traités, etc., depuis 
1808 jusqu’a present” eröffnet. Der erfle Band ber- 
felben, der 1817 erfhien, gab die öffentlihen Ur⸗ 
funden aus dem Zeitraum 1808 — 14; ber zweite 
folgte ſchon 1848 nad und kieferte bios Actenftüde aus 
den beiden Jahren 1814 und 4815, dem noch in dem 
nömlichen Fahre ein dritter nachgeliefert wurde, um bie 
Mitteilung bis 1818 fortzufegen. Aber nad) Herausgabe 
des vierten Bandes ded „Nouveau recueil“, ber 1820 
erfihien und neben Ergänzungen bis 18508 herauf bie 
Sammlung bie 1819 fortführte, ging ber" hanover- 
she Bunbestagsgefandte v. Martens zu Frankfurt mit 
Zod ab, wodurd die Fortfegung mehre Jahre in Stoden 
geriety. Im J. 1824 fügte jebsch deſſen Neffe, Karl 
v. Martens, noch einen fünften Band hinzu, der Staats⸗ 
verträge bi 1822 enfhiet. Im I. 1828 übernahm, 
endlich Profeffor Saalfeld in Göttingen bie Rebaction, 
der fowel durch eine zeiche Nachleſe zur Exganzung bes 
fünften Bandes beitrug, al® auch das „Nonveau recueil” 
mit vier Bänden — den fechsten, fiebenten, achten und 
neunten — vermehrte, worin er die Sammlung von 
1833— 31 fortführte. Der legte Band von Saalfetb's 
Hand erfihien 1833 und durch deſſen bald darauf er- 
folgten Tod erlitt die Fortfegung des Werks eine aber- 
malige, jedoch auch dießmal mur vorübergehende, naͤmlich 
vierjährige Unterbrehung. Endlich wurde von ber Ver⸗ 
lagshandlung dem Hofrat Dr. Friedrich Murhard in 
Kaflel die Redaction übertragen, der biefelbe von 1837 
an bis auf die jegige Zeit beforgt hat. Don ihm find 
fieben neue Bände des „Nouveau recueil” und außerdem 
noch drei Bande „Nouveauz supplements” zu dem gan« 
gen Werte 5 morden. Solchergeſtalt war 
biefe große von Martens gegründete und bie 1839 fort- 
geiegte Sammlung dis zu mehr als 30 Bänden ange- 
gewachſen und die Anfhaffung derſelben mußte mit der 


noch weitern Vermehrung ber Bandezechl inner Bef 
fpieliger und ſchwieriger werben. Diele Betrachtung be 
mog die Berlagspandlung, um den Ankauf des Werts 
alten Denjenigen gu erleichtern, welchen vorzüglich ww, 
Kenntniß ber öffentlichen Berträge in ber jüngften lau⸗ 
fenden Zeitperiode zu thun war, bie biäherige Samm⸗ 
lung mit dem ſechzehnten Bande bes „Nouyenu recueilt 
zu fliegen und mit bem fünften Jahrzehnd unfers Jahr⸗ 
handerts eine neue Sammlung in einer neuen Reihen⸗ 
feige von Bänden beginnen zu laffen. Bon dieſer iſt 
im Sabre 1843 ber erfte Band unter dem Titel: 
Nouveau reeueil gen6ral de traites, conventions et autres 
tWansactions remarquables, servant à la comnalinnanoe des 
relations &trangeres des puissances et étata dans leurm 
rapports mutuels. Redige aur des copies authentigues 
par Frederic Murhnrd. Continuation du grand Recueil 
de feu M. de Martens. Tome I, comprenant !’an 1840, 
avec des supplements aux temes anterieurs de cette 
collection. 
in den Buchhandel gekommen und ber vierte Band, 
weicher das J. 1843 umfaßt, befindet ſich gegenwärtig 
unter der Preſſe, um im Jahre 1846 ausgegeben . 
zu werden. Es ift zugleich dafür Sorge getragen wor⸗ 
den, daß, ſtatt früberhin in unbeflimmten Zeiträu— 
men, von nun an regelmäßig alljährig ein Band er- 
fheint, ſodaß Hinfüro nicht nur feine Unterbrechung 
des Fortgangs bei dieſem periodifchen Werke zu beforgen, 
fondern daffelbe auch im Stande fein wird, fiets mit 
der Zeit gleihen Schritt zu halten. Zur Erleichterung 
der Ermwerbung der nunmehr gefchloffenen alten bände- 
reihen Sammlung, welde den langen Zeitraum von 
1761 — 1339 einfchließlich in fich begreift, alfo nen der 
Epoche des Friedens von Fontainebleau und bem Ende 
des Biebenjährigen Kriegs im 18. Jahrhundert bis zum 
Schluß des vierten Jahrzehnds des 19. reiht, hat die 
Berlagshandlung in Göttingen in der neueften Zeit 
ben frühern Ladenpreis bedeutend berabgefept, was 
ben Morflehern von Bibliothelen, welche dieſe greße 
Sammlung noch nicht befißen fellten, ſeht willkom⸗ 
men fein wird. Die Staatsmänner, Diplomaten 
und GBefchichtfchreiber, die oft in den Zal kommen, 
Zractate aus früheren Zeiten nachzufchlagen, werden es 
überdies der Dieterich’fehen Buchhandlung Dank wiffen, 
daß fie ihnen bei dem Gebrauche diefer aus fo vielen 
Bänden beftehenben Sammlung buch Bewerkſtelligung 
eines allgemeinen Regifters für bdiefelbe zu Bülfe ge- 
kommen if. Dieſes iſt in zwei Theilen unter dem 
Titel „Table generale alphabetique et chronologique 
da Recueil de traites etc.” zu Göttingen im Drud 
erfchienen, und bietet auch für Solche, welche ſich 
nicht im Befige der ganzen Sammlung felbit befin- 
den, ein nügliches Hülfemittel dar, um fi eine Über 
fit der feit dem Zeitraume von faſt einem Jahre 


. hunderte von den einzelnen Staaten abgefchloffenen Ver 


träge zu verfchaffen. Der erſte Theil dieſes General⸗ 
vegifter®, welches auch als ein für ſich beſtehendes Werk 
anf dem Wege des Buchhandels beſonders zu haben iſt, 
ber 1837 herausgefommen, ſchließt in chronologiſcher 


und alphabetififer Orbnung das Verzeichniß ber in ben 
acht Bänden des Martens ſchen „Becueil” nad) der zwei⸗ 
ten Yusgabe für. den Zeitraum 1761 — 1807 und in 
den fech6 erften Bänden des „Noweau recueil” für 
den Zeitraum 1808 — 26 enthaltenen Artikel in fich. 
Der zwoeite 1841 nachgelieferte Theil umfaßt die zehn 
übrigen Bände des „Nouveau recueil” bis 1839 in- 
elufive nebft den drei Bänden „Nouveaux supplements“, 
Man Hat alfo Hier ein ſowol chronologiſch als alpha⸗ 
betifch nach den Namen ber Staaten georbnetes Ber 
zeichniß der aus dem Zeitraume 1761-1839 vorhande⸗ 
nen und in ber Martens’fhen Sammlung mitgetheilten 
Staatsverträge Die NRüglichkeit dieſes Generalverzeich- 
niffes für den praftifchen Gebrauch in vielen vorkom- 


menden Fällen würde allerdinge nod) vermehrt, wenn der | 


neulich von einem Diplomaten im „Wilgemeinen Anzei- 
ger der Deutfchen” geäußerte Wunſch in Erfallung 
ginge, daß einer unferer Publiciften fich der freilich et- 
was mühfamen Arbeit unterzöge, ein nah Mafgabe ber 
Verſchiedenheit der Gegenftände, welche Die einzelnen Staats⸗ 
verträge berühren, georbnetes Verzeichniß fammtlicher im 
ber großen Martens’fhen Sammlung zu findenden Ar 
tifel anzufertigen. . 
(Die Kortfegung folgt.) 








— — — — — -- — — — —— 


Notizen. 


Venedig und die Eifenbahn. 
Ein englifcher „„Zourift” in Italien, welcher in dem „Athe- 
naeum” fehr intereflante Reifeberichte liefert, warf ſich kuͤrzlich 
Die Frage auf: Auf was fi denn die Furcht vor der mioders 


‚nen Wiſſenſchaft und Erziehung grimde, die man mit fo gros 


Sem Pathos und Argwohn als deftructiv anlage? „Iſt die 
ytilitarifhe Dampfmaſchine“, gab er fich ſelbſt zur Antwort, 
„ein ebenfo großer Verwüfter der Unfchuld im Volke und der 
bichteriſchen Schönheit als die Lehnöherrfchaft und ‚der Krie 
im Mittelalter So bemerkte ich in Murray's Reifehandbud 
eins empfindfame Klage über die strada ferrata, die ſicherlich 
die malerifche Heiligkeit des viclbefuchten Venedigs zeritören 
werde. Wer der Augen und Gedächtniß Hat follte ſich nicht 
eher darüber freuen, da dieſer Schienenweg geeignet iſt, die 
in der Sage lebende Blüte Benedigs zu erneuen! Bei der 
Einbiegung der Bahn in dad Viertel von Canaregio iſt nur 
einer einzigen malerifchfhönen Ausfiht auf die Stadt Eintrag 
gefchehen. Der großartige Anblid von den Lagunen ber bleibt 
wie er früher war; während das Leben, welches die Bahn 
fetlbft in ihrem nody unvollendeten Zuftande in die Stadt ge: 
bracht, indem fie durchſchnittlich Tag für Tag 500 Fremde 
dabin führt, außer aller Frage iſt. Bor vier Jahren ſprach 
ich im «Athenaeum» den Wunſch aus, daß es einem freundlichen 
Hotentaten gefallen möge, Venedig vor feinem Verfall zu rets 
tnn. Diefer Wunfh gebt feiner Erfüllung entgegen. Die 
Haläfte am großen Kanal finden fehr ſchnell wieder Einwohner ; 
ih Pann feben, wie an vielen berühmten Pläsen, bie vor Fur: 
zem noch völliger Verödung. und gänzlichen Berfall entgegen: 


‚gun, Bauten zur Wiederherftelung vorgenommen werden. 


ie Verfaufsläden (mit Autnahme der Buchhandlerläden, welche 
auf beflagenswerthe Weife öde ftehen) haben fich vermehrt und 
find fchöner geworden, während der Marcusplag am Abende 
belebter von Luſtwandelnden und Muſik ift als je feit den 
Tagen bed armen ſchwachen Dogen Manini. Auch die Ein- 


führung der Gasbeleuchtung bat mächtig zur Verfchönerung. 


der Stadt beigetragen. Die Gärlengänge von Scamozzi, San⸗ 
ſovino und Bergamosco, die alte faragenifche Fagade des Der 
genpalaftes, die verfchwenberifche Pracht der alten @t.: Mars 
cuskirche fcheinen unter dem Zauber des Gaslihtd das traurige 
Ausfehen des Verfalls das fie bei Sonnenfhein haben abzu⸗ 
werfen. Wer Eönnte nun die Wieberherfte der frühern 
Hde wünfchen? und ift es nicht weifer und befler Matt auf 
diefe Weife eine Vergangenheit, die nicht zurückkehren Tann, 
zu beflagen, die Gegenwart mit vollem Danke anzunchmen 
und weiterzubilden mit allen ihren Mitteln und Verwendun⸗ 
gen bes FichtE und der Berbeflerungen,, wie fehr wir auch 
die Vergangenheit als einen edeln Traum oder ein maleriſched 
Gedicht oder eine Vorrathshalle tiefer Wahrheiten betrachten 
mögen, deren Princip ewig ift, deren Form und Weile aber 
in Übersinftimmung mit dem Loos des Sterblichen dahinſchwin⸗ 
den muß.” 





Arago und Eormenin. ’ 

-Der Verf. der „Voyage autour de la Chambre des de- 
putes entwirft von diefen beiden hervorragenden Perfön: 
lichkeiten folgende kurze Eli: „Herr Arage tft das ſchla⸗ 
gendfte Gegenbild des verftorbenen Laffitte. Berbunden durch 
gleiche Anfichten und Gefinnungen fuchten fih dieſe Män- 
ner oft im Sprachzimmer der Deputirtenlammer auf und er: 
gingen fih im vertraulichen Sefprädh. In eben dem Maße 
als Laffitte fih durch forgfältige Zoilette auszeichnete, macht 
fih Arago durch Nachläſſigkeit im Anzug bemerklich. In 
einem langen ſchwarzen Überrock, der bis zum Kinn zugeknöpft 
ift, erfcheint der berühmte Sternkundige, von deſſen Haupt 
das weiße Haar ſtets verworren in milden Locken auf die Schul⸗ 
teen herabfällt. Mir erfchien er als Typus jener erften Geſetz⸗ 
geber der erften conftituieenden Verſammlung, deren Züge 
durch die Hand der Künftler auf und gefommen find. Hr. 
Arago wandelt oft in jenem Saale, einen breitgeframpten Hut 
auf dem Kopfe, in Iebhaftem Geſpraͤch mit Denen, welche ihn 
anreden, zum großen Theil englifchen, deutſchen und amerifa- 
nifchen Gelehrten, die den Raturforfcher ſelbſt im Vorſaal der 
Deputirtenlamıner auffuchen, auf und nieder. Hr. Cormenin 
trägt fi ziemlich ebenfo wie Arago, einen langen zugemach⸗ 
ten Reitrod, Hofen ohne Stege, langes gebleichtes Haar, das 
er aber forgfältig bintenübergefämmt trägt. Er gebt, bleibt 
ſtehen, laͤßt fid mit Jedem ins Gefpräh ein, ohne es zu fu- 
hen oder zu vermeiden, Alles in einfadher, ziemlih gleichgül⸗ 
tiger Weife. Man möchte ihn nad feinem Äußern und Auf 
treten für einen guten proteftantifchen Pfarrer inmitten feiner 
Heerde halten; nichts in feinen offenen und ruhigen Zügen, in 
feiner befcheidenen und mwohlmollenden Erfcheinung verräth den 
ſchlauen, kauſtiſchen, wigigen und unbeftreitbar volksthümlichſten 
politifchen Schriftfteller Frankreichs.” Das Lepte hat ſich freilich 
in der neueften Zeit und nach dem Erfcheinen der Pamphlets zu 
Gunſten der Ultramentanen gewaltig verändert. 12. 


Literarifche Anzeige. 


Im Verlage von F. A. Brockhaus in Leipzig ift neu er⸗ 
ſchienen und durch ale Buchhandlungen zu beziehen; 


Schulz (Dr. Heinrich Wilhelm), 
Über Die Nothwendigkeit eines 
neuen Galeriegebäudes 
königliche Gemäldeſammlung 


zu Dresden. 
Gr. 8. Geh. 4 Nor. 


Berantwortlicher Heraußgeber: Heinrich Wrodhans. — Drud und Berlag von F. . Brockhans in Leipzig. 








Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Dienflag, 


| ö— Kr, 55. 


24. Kebrunas 1846, 





Rber neuere publiciſtiſch-diplomatiſche Literatur. 
(Wortfegung aus Nr. 9.) | 


Mertiwirdig ift es, daß biefes Wert, deſſen Fert- 
fegung nunmehr, wenigſtens fo lange ale ber jetzige Her- 
ausgeber lebt, verbürgt und gefichert fein dürfte und das dem 
Namen Martens in der publiciftifchen, infonderhelt in der 
diplomatifhen Welt eine fo große Berühmtheit verfchafft 
bat, während ber langen Dauer feiner Exiſtenz, unge⸗ 
achtet mehrmals eingetretener, auf geraume Zeit ſich er⸗ 
ſtreckender Unterbrechungen in feiner. Erſcheinung, doch 
niemals eine Concurrenz mit ähnlichen literariſchen Un⸗ 
ternehmungen zu beftehen gehabt hat. Je mehr in un- 
ferm Zeitalter die wechlelfeitigen Beruhrungen, Beziehun⸗ 
gen und Verbindungen ber Staaten zueinander und unter⸗ 
einander ſich vervielfäftigten und je mehr die Zahl ber 
Reiche und Nationen ſich vergrößerte, zwiſchen denen 
völkerrechtlihe Verhältniffe eintraten, befto nöthiger wur⸗ 
den Werke, die eine erleichterte "Kenntnis und liberficht 
der mannichfaltigen Übereinkünfte und Werträge ver- 
lieben, bie zwifchen den verfchiedenen einzelnen Ländern 
in Kraft beflanden und fäglich fich vermehrten. Man 
hätte alfe wol denken follen, daß es in ber Schriftfieller- 
und Buchhändlermelt nicht an mehrfachen Unternehmun⸗ 
gen fehten würbe, um einem folchen Bebürfniffe mehr 
ober weniger Abhülfe zu verfchaffen und Genüge zu 
hun. Gleichwol Hat das Martens’fche Werk feit feiner 
Gründung bie zur Gegenwart, während mehr ald 30 
Yahren, in ber neuern emropdifchen Literatur allein ge 
ftanden, ohne auf einen Nebenbuhler zu ſtoßen, und 
auch jegt hört man nirgend, daß bier oder dort irgend 
ein Publicift oder irgend eine Buchhandlung mit dem 
Plane wunginge, fi) mit einem analogen Unternehmen 
zu befoffen. Theile die nicht geringe Mühfeligkeit einer 
folden fortlaufenden Arbeit, theils bie große Schwierig: 
keit der Herbeifchaffung und Zufammenbringung der da- 
zu erfoberlihen Materialien aus. fo vielen nahen und 
entfernten Gegenden ber Exde, fowol aus den verfihiebe- 
nen europaiſchen als auch außereuropaͤiſchen Rändern, mag 
davon abgeſchreckt Haben. Es gehört dazu eine ſtets fort- 
gefegte Lecture der Tageblätter und Journale, vorzüglich 
der Amtsblätter, die in den einzelnen Staaten erſcheinen, 
eine Torgfältige Durchſicht der Geſetzſammlungen berfel- 


ben, eine ſtete Kenntniß ber offitiellen Bekanntmachun⸗ 
gen der Regierungen neben einer weit ausgedehnten Cot⸗ 
refpendenz. Auch wird dabei eine Vertrautheit mit fo 
vielen Sprachen und Idiomen vorausgefegt, bie felten 
anderswo bei ben Gelehrten und Schriftftelern als in 
Deutſchland anzutreffen If. Diefes hat wol in anbern 
Ländern davon abgehalten, an ein Unternehmen zu den- 
fen, welches beftimmt fein tonnte, das Martens’fche 
„Recueil“ zu erfegen. So ift es gefommen, daß Deutfch- 
land, wiewol es als folches kaum eine Rolle auf ber 
politifhen Weltfhaubühne fptelt, doch in feiner Litera- 
tur ein Werk befigt, welches einen europäifhen, ja felbft 
außereuropäifhen Ruf genießt und von den Politikern 
und Staatsmännern aller Zonen in der civilifirten Welt 
bet allen Fragen, melde das pofitive Völkerrecht und 
die auswärtigen Berhäftniffe der Staaten betreffen, vor» 
zugsweiſe zu Mathe gezogen wird. Das den Publiciſten 
aller Ränder, welche ſich des Beſitzes europäifcher Bil⸗ 
dung erfreuen, unter bem Namen Martens fo allgemein 
befannte Werk iſt zugleich zum Handbuch für die mo⸗ 
dene Diplomatie geworden und zwar zum unentbehrli- 
hen, weil in der gefammten neuern Fiteratur fein an- 
dberes vorhanden ift, das demfelben an Bolftdndigkeit 
und Authenticität gleich käme. Aus diefem Grunde fieht 
man denn auch im allen diplomatifchen Verhandlungen, 
wo es auf eriftirende Berträge ankommt, ſich auf daſ⸗ 
felbe berufen und in den Protofollen ber Congreſſe zu 
Wien und Aachen, zu Laibach und Verona findet man 
es in folchen Fällen citirt. Ebenfo wirb es in Ge⸗ 
ſchichtswerken Häufig als Quelle angeführt. Man kann 
daher mohl behaupten, daß die große‘ Martens'ſche 
Sammlung zu den Erzeugniffen der deutſchen Literatur 
gehört, bie diefer In mehr als einem Betracht zur Ehre 
gereichen und beren Werth auch überall im Yuslande 
anerfannt if. Der Dieterih’fhen Buchhandlung in 
Göttingen wird es darum ald Verdienſt anzurechnen 
fein, daß fie beharrlich auf die Fortfegung dieſes Werts 
bedacht geweſen ift und zu diefem Ende keine Koften 
geftheut hat. 

Weder die Engländer noch die Franzofen haben in 


ihrer neuern Literatur ein Werk, das biefem deutfchen an 


die Seite zu ſtellen wäre, geſchweige benn andere Natio- 
nen. Sn England bat man fi) darauf befchränkt, eine 


218 - 


moͤglichſt vollfländige Sammlung ber noch in Kraft be» 
findlichen, den Handel und bie Schiffahrt zwifchen Groß⸗ 
britannien und den fremden Mächten regulirenden Ver⸗ 
träge und Übereinkünfte zu veranftalten. Dieſelbe er- 
fchien 1827 zu London in drei Bänden herausgegeben 
von Levis Hertölet, Confervateur der Archive des aus⸗ 
wärtigen Departement, unter dem Titel: „A compleat 
collection of the treaties and conventions and recipro- 
cal regulations at present subsisting between Great- 
Britain and foreiga powers. Compiled from authen- 
tic documents.” In der jüngften Zeit erkannte man 
:jeboch auch in England das Bedürfniß einer allgemet- 
nern Sammlung, um zur Kenntniß nicht blos der Han⸗ 
dels- und Sciffahrtöverträge, fondern auch aller andern 
Tractate zu dienen, die theils zwiſchen Großbritannien 
und fremden Staaten, theils von legtern untereinander 
zum Abſchluß gelangten. Es wurde deshalb die Her- 
ausgabe einer fortlaufenden Sammlung beicloffen, bie 
feit 1819 zu London, jedoh nur zum Gebrauche ber 
Regierung und ihrer diplomatifchen Agenten bei aus» 
wärtigen Höfen, alljährig dem Drud übergeben warb 
und den Titel führte: „British and foreign state pa- 
pers. Comprizing the principal documents which have 
been made public, relating to the political and com- 
mercial affairs of nations and to their relations with 
each other, from the termination of the war in 1814 
to the Jatest period. Printed exclusively for the use 
of the government and of its diplomatic agents ab- 
road. Compiled at the Foreign office by the libra- 
rian and keeper of the papers.” Nachdem indeffen 
eine Reihe von Jahren hindurch diefes urſprünglich für 
das britiſche Minifterium und die britifhen Gefandtfchaf- 
ten im Auslande ausfchließlich beftimmte, auf Staats- 
koſten in der Druderei des Foreign office zu London 
gedruckte Wert erfchienen war, fand man, daß beffen 
größere Verbreitung auch für das Publicum von Nugen 
fein würde, und es wurde hierauf die Einrichtung ge- 
teoffen, daß Eremplare deffelben auch öffentlich verkauft 
wurden und zu einem beflimmten reife auch für Pri- 
vatperfonen zu haben waren. Die Buchhandlung James 
Ridgway und Bohn wurde mit dem Verkauf beauf- 
tragt. Da anfangs nur eine geringe Anzahl Erem- 
plare für den officiellen Gebrauch gedrudt worden wa⸗ 
zen, fo mußten bie früheren Jahrgänge, um die Nad- 
frage zu befriedigen, von neuem aufgelegt werben. 
Bon dieſer Sammlung find im Ganzen 20 Bände er⸗ 
ſchienen, welche bie Periode 1818— 33 in fich begrei- 
fen. Aber 1836 ward ber legte Band ausgegeben unb 
feit der Zeit ift die Fortſetzung unterblieben. Die Her- 
ausgabe diefer periodifhen Sammlung hatte übrigens, 
da fie nicht über die Epoche des Sturzes der Napoleon’- 
fhen Herrfhaft Hinausging, den fortdauernden Gebrauch 
des Marten’fhen Werks felbft in England nicht über- 
flüffig gemacht. 
(Der Beſchluß folgt.) 








Amerikana. 
Bweiter und letter Artikel.) 


4. Des Amerikaners Charles Fenow wilde Scenen in Wald 
und Prairie mit Skizzen amerikaniſchen Lebens von Hoff⸗ 
mann. Aus dem Engliſchen von Fr. Gerftäder. Zwei 
Bände. Dresden, Arnold. 1845. 12. 2 r. 

3. Skizzen aus Rordamerifa. Schilderungen aus der Natur, 
dem religiöfen, politiſchen und ſocialen Leben. In Briefen 
eineh atgen Miffionnairs. Augsburg, Schmid. 1845, 

. r. 


6. Meine Reife nad Nordamerika im Jahre 1842. Mit ſta⸗ 
tiftifchen Bemerkungen über die Suftände der katholiſchen 
Kirche bis auf die neuefte Seit. Bon Joſeph Salz- 
bade r. Wien, Wimmer, Schmidt und Leo. 1845. Gr. B. 

r. 


7. Briefe aus und über Nordamerika, ober Beiträge zu einer 
richtigen Kenntniß der Bereinigten Staaten und ihrer Be- 
wohner, befonder& der deutfchen Bevölkerung, in kirchlicher, 
fittlicher,, forialer und politiſcher Hinfiht und zur Beant- 
wortung der Frage über Auswanderung, nebft Nachrichten 
über Klima und Krandheiten in diefen Staaten. Bon 3. 
G. Büttner. Zwei Bände. Dredden, Arnold. 1845. 
Gr. 8. 23 Thlr. 15 Ngr. 


Es Tann nicht genug über Amerika gefchrieben werden, 
um uns zu belehren, fagte ich ungefähr im vorigen Artikel, 
feit und fo lange unjere Hoffnung auf Die neue Welt gerichtet 
iſtz und wie die ftrafende Erfüllung eines thörigen WBunfches 
liegt wieder ein ganze Pad von Schriften über Amerika vor 
mir. Wenn ich nun aber meine Anſicht geänbert hätte, denn 
Monate, ein ereignißreiher Sommer find feitdem verftrichen! 
Ih war auf einem Rheinfchiffe, das eine ganze Ladung deut: 
fher Auswanderer nah dem Hafen führte, von wo fie dem 
Baterlande auf ewig Lebewohl jagen follten. Deutfche Bauern⸗ 
famifien aus der Pfalz, Heflen, Baden und Schwaben; alle in- 
Seht, Geſtalt, Tracht, Sprache der körnige Ausdruck deutfcher 


‚Ratur und deutfchen Weſens. Männer, Frauen, Greife, Jüng- 


linge und Kinder. Alle felbft voll Muth, fogar voll Heiter-' 
keit, mit Gefichtern, noch ſtrotzend von der Erwartung des 
Stüdes, das ihnen bevorftand, ohne Ahnung der Bitterkeiten, 
welche vielleicht ſchon die nächflen Wochen ibnen bereiten dürfe 
ten, Alle gehoben von dem jeligen Gefühl, ihre Lage zu ver- 
ändern, und Alle verfihernd, wenn wir fie über da6 Warum 
fengten: in Deutfchland wäre nichts mehr für fie zu machen. 
Biffen fie, mas drüben für fie zu machen iſt? Wiflen das 
die armen verhungerten Gefchöpfe in DOftpreußen, Mafluren, 
Lithauen, deren Ernte im dritten Jahre wieder verdorben 
ift, die mit leeren Magen, ohne Arbeit, in Befürchtung 
eines neuen firengen Winters, ohne Brot, Kartoffeln, Streu 
und Holz, der Verjweiflung und dem Hungertode entgegen 
ſehend, an die Thüren der Regierungspaläfte jegt eben pochten 
und flürmifh von ber Regierung verlangten, daß man fie nach 
Amerika hinüberſchaffe? &o viel wird getrieben und gedrudt, 
und fie Alle, die es wiſſen müßten, weil es fie zunächft angeht, 
wiſſen nichts. &o viel Zinte, fo viel Druckerſchwärze, fo viel 
Papier verwandt, um und zu unterrichten, die wir es nicht 
brauchen, und warum ift noch fein populaives Werk erfchienen, 
welches den Inhalt aus allen diefen Schriften in einer einzigen 
kurzen und Blaren fürs Volk niederlegte. Dat Beſte für dafs 
felbe wäre noch die Caricatur in den „liegenden Blättern”. 
die Auswanderer unterjchrieben, wo auf einem Bilde die &e- 
ligteiten, auf dem andern bie Mühfeligleiten des Auswande- 
rers und Goloniften handgreiflich vargeftellt werden. Dort 6 
ber glüdliche Plantagenbefiger auf einem Baumſtamm, fchlü 

feinen Kaffee und eine junge Regerin zündet ihm Enieenb die Pfeife: 


anz bier adert einer in einem Feld von Steinen, während feine 


hungernden, zerlumpten Kinder vor den Pflug gefpannt find. 
*) Bergl. den eriten Axtilellin Nr. 7 und 8 d. WI. D. Web. 


—— 


Segenföge und keine Vermittclung! So ftellen YA 
auch die Schriften dar; es ift ein buntes Gemengſel, Licht und 
Schatten, Hige und Froſt, Übereultur und Roheit u. f. w. 


"Das Refultot mag jeder verftändige Leſer fich felbit daraus 


ziehen, aber eben ein Refultat, das fi nicht in wenige pofl- 
tive Saͤtze faflen läßt. Gehen wir, wie die Dinge ftehen, auch 
um deswillen von dem Borfag und Verſuche ab, die uns. vor⸗ 
liegenden Bücher fyftematifh zu orbnen. Der Verf. eines der 
felben fagt in dem Borwort, daß er es mit feiner Materie 
ebenfo gehalten. Rachdem er lange nachgedacht, wie fie zu 
ordnen, co: und fubordiniren, habe es ihm als das Zweckmaͤ⸗ 
Sigfte gefchienen, gar nichts zu ordnen, fondern niederzujchrei- 
ben was ihm von feinen Erlebniffen und Erfahrungen gerade 
in den Sinn gelommen. Eine Bauerfrau am Ohio machte eb 
ebenfo mit einem Krämer, der ein Stud nach dem andern 
vorzog und ihr anbot. Lieber, fchütte deinen ganzen Kram 
aus, ſprach fie, ftatt Eins nach dem Andern anzupreifen; denn 
es iſt an uns zu wählen, und was wir wählen, preift ſich von 
felbft und befler als du es kannſt. 

Das vierte Buch, nämlich nad der Ordnung, die der Ti: 
tel unferd Artikels angibt, und die-wenig mehr als das Loos 
entfchied, hat einen prachtvollen Zitel, ift aber doch nur leichte 


Waare. Hätten wir Hrn. Gerſtaͤcker's Buch, des überſetzers 


eigenes, nicht vorher gelefen, fo koͤnnte es in Mandherlei bes 
Ichren. Aber wir Eennen nun ſchon diefe wilden Scenen in 
Wald und Prairie, und zwar aus dem Munte eines Lands: 
manns, der jie jelbft erlebt bat. So wunderbar fie unferer 
eisilifirten Ruhe und Gemächlichfeit erfcheinen, find fie Doch 
immer nur Abenteuer, die auf derfelben Weile fpielen: Ba: 
tenjagden, Hirfchiegden, zu Zand und zu Waſſer, Faͤhrlichkei⸗ 
ten der erftaunlichften Art, Kebensrettungen, Streifereien ins 
Wüfte, Berirrungen, feltfame Wiederauffindungen u. f.w. Daß 
fie ein geborener Amerikaner berichtet, gibt ihnen in unfern 
Augen nit mehr Werth. Es ift und weit intereffanter zu 
hören, wie Jemand von unferm Gefühl, unfern Sitten, unferer 
Denkweiſe und unferer Sprache diefe fremden Dinge auffaßt. Die 
" Überfchriften der Abfchnitte find poetifcher als ihr Inhalt, übrigens 
ift Die Schreibweife nicht ohne Lebentigfeit und Klarheit. Der erfte 
Zeil führt und in die nörblichern heile der Vereinigten 
Staaten, in die weniger befannten Quellengegenden bes Hud⸗ 
fon. Hier find noch Wilönifie, die nur der Fuß des Trappers 
betritt, und der Verf. entwirft in einem wie er verfichert 
getreuen Portrait nach der Natur das Bild eines foldhen un« 
ermüdlichen Zägers, wie ed von den amerikaniſchen Rovelliften 
vielfach zu zeichnen verfucht worden ift.- Wir erfahren, daß 
dort noch) folde unzugängliche, weit ausgedehnte Wildnifle des 
Hochlandes find, daß Die armen Indianer, welche, obgleich hriftlich 
und eivilifirt gemacht, von ihren angloamerifanifchen Nachbarn 
aus Maine und Reuyork unbarmherzig fortgejagt werden, in 
denfelben nody lange Jahre einen fichern Verfted fanden. Grauen 
haft intereffant iſt eine Reminifcenz aus dem Freiheitskriege, 
des Majors Erzählung überfhrieben, in welcher, freilich von 
amerifanifcher Feder, die Grauſamkeiten wieber aufgefrifcht wer: 
den, zu denen die Engländer gegen ihre amerifanifhen Brü- 
der fich verftanden, indem fie die Gefangenen der Bannibalifchen 
Wuth der ihnen verbündeten Rothhaͤute überließen. Der zweite 
Theil bringt vorzugsweife Märchen, Sagen und meift ſpukhafte 
Erzaͤhlungen aud der amerikanifchen Vorzeit. Un der Legende 
aus ber großen amerikanischen Wildniß „Die geſpenſtiſchen 
Reiter“ bar fichtlich europäifche Phantafie mitgearbeitet. Sie 
iſt ſchauderhaft, aber fchon Birgit gedenkt dieſer Urt der ſchau⸗ 
dervollen Rache. 

., Re. 9, in Briefen gefchrieben, iſt von einem katho⸗ 
liſchen Miffennair, ber im Norden der Bereinigten Staa⸗ 
ten feinem Belchrungsgefhäft nachgeht. Wir erfahren aus 
der Vorrede, daß „der Katholik eine andere Urt bat die Dinge 
ſich zu beſehen als der außerhalb der Kirche Stehende‘‘. Gr 
fei „im Befig des geiftigen Auges, das alle Gegenflände un⸗ 
ter den richtigen Focus bringt” und urtheife deshalb mit einer 


Sicherheit, die jedem andern nicht fo Begabten mehr oder mins 
ber als Selbſtuͤberhebung oder Anmaßung erſcheine. Nach dies 
fem Borwort. müßten wir uns eigentlich aller Kritik enthalten, 
da wir außerhalb der Kirche ftehen, alfo nicht im Befike des 
geiftigen Auges find, um den Gegenftand unferer Kritik unter 
ben richtigen Focus zu bringen. Wenn wir aber als Proteftan- 
ten urtheilen wollten, die aud eine andere Art haben die 
Dinge ſich zu befehen, müßten wir nach folder Vorausfegung 
werig von dem Buche erwarten. Ginigermaßen würde uns 
aber diefes proteftantifche Urtheil täufchen, denn auch von uns 
ferm falfchen Standpunkte aus betrachtet glauben wir in dem 
Miffionnair einen jungen Mann von Gefühl, deutſchem Gemüth 
und Phantafie, auch mit emiger Bildung begabt zu erblicken, 
deſſen frifche und warme Anfchauungen von Interefle find, auch 
wenn der Standpunkt, von dem aus er betrachtet, uns bes 
—* erſcheint. Er ſchluͤrft die Jugendreize der amerikani⸗ 
ſchen Ratur mit Begeiſterung ein, er erfreut fi) an dem Ras 
turleben der wilden Indianer und ift -über feine Fatholifchen 
Bekehrungen in eben der Art erfreut als irgend ein rigerofer 
Yuritaner oder Methodiſt. Umfaffende Anfchauungen des ame- 
rikaniſchen Lebens, der Sitten und der Politik darf man hier 
nicht fodern, aber in manchen Einzelheiten wirb man Belch- 
rendes finden. Gebr maleriſch, deutlich und intereffant ift die 
Schilderung eines Camp meeting, und in das Urtbeil des Kaͤ 
tholiten über dieſe Ausartung religiöfer Brunft werden auch 
alle vernünftigen Proteftanten gem einftimmen, wenn er fagt: 
„Kein Sturm auf dem Meere hat mich fo ergriffen als der res 
ligiöfe Wahnſinn diefer Sektirer, nachdem fie ihre Geiſtes- und 
Körperkrafte zu wilden Wogen der Verrüdtheit aufgepeitfcht 
und zu einem tobenden See voll Menfchenraferei zuſammen⸗ 
gefchwellt hatten’, und von den revivals fagt, baß er eher 
alle Abenteuer des Freiherrn von Münchhaufen für moͤglich 
gehalten hätte ale an die Möglichkeit eines ſolchen Teufelsſpuks 
geglaubt. Bedenklicher erfcheint dagegen folgendes allgemeine 
Urtheil über die Amerikaner: „Das Streben der Angloame: 
rikaner, fi den Anſtrich einer firengen Sittlichkeit zu ver- 
ſchaffen, ift charakteriſtiſch ‚und trog feiner ſuͤndhaften Heuche⸗ 
lei immer noch ein — freilich ſchwacher Damm, daf die ge» 
meine Sittenloſigkeit bei der Zreiheit und Gleichheit des Lan» 
bes nicht auf die unverfhämtefte und ſchreckhafteſte Weife öfr 
fentlih auftritt. &o lange die wahre Religion und eine ge- 
funde, gründliche, echt chriſtliche Kindererziehung in Amerika 
nicht Die Oberhand gewinnt, fo lange die Bibel nur zum im- 
merwährenden Zankapfel, und ber Schulunterricht blos zum 
Mittel dient, daß einige Lehrindividuen von den Gemeinde 
Schulgeldern unterhalten werben, fo lange muß man felbft . 
wünfjchen, daß das Pharifäerübel des Puritanismus in den 
Vereinigten Staaten nicht plönlic verfchwinde.. Denn der 
zügellofefte Libertinismus berifcht: ba, wo ohne Religion und 
gute Erziehung aud die‘ Anftandsfchranten niedergebrochen wur: 
ben, welche bie vepublifanifche Klugheitsregel errichtet hatte: 
vor feinen Mitbürgern als gut zu fcheinen, um bei allenfallſi⸗ 
gen Wahlen nicht überfehen zu werden. An der Krankheit 
außerer Scheinheiligkeit bei innerer Verderbtheit leidet eim gro» 
Ber Theil der Bevölkerung in Amerika fehr ſtark. Daraus 
weil die Volksmaſſe fo wenig ober feine eigentliche Tugend bes 
fist, entfpringt auch der fchnelle Glaube, wenn den edelften‘ 
ännern bie niederträchtigſten Verbrechen angedichtet werden. 
Man hielt ihren wirklichen Tugendwerth aud nur für legalen’ 
Zugendfchein. Diefes Verbrechen fann nur von einer tief ein- 
gehenden, ben gangen Menſchen erfaffenden, echt veligiöfen Er» 
ziehung durch Fähtge ‚ tadellofe, fi felbft: aufopfernde Lehrer 
eheilt werden. Das fehen die vernünftigen Angloameritaner 
ehr gut ein, und obgleich fie gegen die Patholifche Religion 
fchimpfen und toben, fenben fie dennoch ihre Kinder in die Col⸗ 
legien und Inftitute, die von geiftlichen Perfonen der verhaßten 
und geſchmaͤhten Religion geleitet werden.” | 
Das fechöte Werd, Salzbacher’s „Reife nach Nordamerika”, 


ſchließt fih in der Tendenz dem vorigen Buche an, iſt aber 


- Auswanderung, nebft Ra 


cin sel von fo folidem Mau, baß es außirhacb ber Deur⸗ 
teilung über leichtere Zouriftenfchriften und feinem Inhalte 


außerhalb der unfern liegt. Der Werf., weichen im 3. 

7 eine Pügerreife nad dem gelebten Bande unternammen, 
wet im 3. 1844 eine ähnliche unter oberhirtlicher Einwilligung 
und mit Benebwigung des Heiligen Stuhls nad den nordame⸗ 
anifchen Freiſtaaten an, weil biefelben in pelitifcher und re: 
Ugiöfer Begichung gegenwärtig fo fehr die Aufmerkſamkeit bes 
Continents auf fich ziehen, und von deren —— — 
allein ein großer Theil der künftigen Weitgeſchichte, ſondern 
auch der kuͤnftigen Sirchengefchihte abhängt. Er wollte ins⸗ 
beſendere den Buftand der katholiſchen Miſſionen in jenem Weite 
theile und namentlich den ber beutfchen Katholiken kennen ler⸗ 
wer. Der Bericht über disfe Reife, wit der ehrenfeften Ge⸗ 
nauigkeit eines Meifenden aus der alten Schule niedergefchrie- 
ben, nebft den reichhaltigen und ausführlichen ſtatiſtiſchen Mit- 
tgellungen über die Zuftande der Katholiken in den Freiſtaaten, 
füllt die 416 enggedrudten Geiten dieſes Werks. Über feine 
Tendenz gibt dab Berzeichniß der Bubfcribenten, die faft ins 
gefammt dem hoͤhern katholiſchen Klerus in Oftreih und feinen 
Inhängern angehören, im voraus Auskunft. Das Refultat ift 
einerfeitö, daß der Zuftand der Katholiken und namentlich ih: 
zer Miſſionnaire ein zur Zeit noch frauriger iſt, weil den Letz⸗ 
tern die gehörigen Unterflügungen abgehen, weshalb aud ber 
Ertrag dieſes Buches den beutfch »Patholifchen Miſſionen in 
Nordamerika gewidmet iſt; andererfeits aber die Zuverfücht des 
Verf., daB ed ich mit der Zeit zum Beſſern wenden wird. 
Das praktiſch Sichere in dem ganzen Weſen ber roͤmiſchen 
Kirche verfehle nicht, einen tiefen Eindrud auf den praßtifchen 
Amerikaner zu machen. &o fei denn zu Gott zu hoffen, daß 
unter feinem Schuge die heilige roͤmiſche Kirche auf amerika» 


nifhem Boden immer mehr und mehr gedeihe. Nach der Ans | 


fücht eines katholiſchen Biſchofs in Nordamerika fehle aber dazu 
noch etwas. Bwar erfreue ſich die Eutholifche Kirche feit der 
Unabhängigkeitserflärung einer gänzlichen Freiheit; das Wort 
Gottes werde ungeflört gepredigt, die Kirchen fliegen zahlreich 
aus dem Boden empor, obne das geringfte Dinderniß zu fin 
den, die Wirkſamkeit des Biſchofs, den Eifer der Miffionnaire 
begrenzten Feine Geſetze, die Sonne des Friedens leuchte über 
die junge Ausfaat, aber — es fehle nody der befruchtende Re 
gen des. Bluts der Märtyrer. Das Erdreich werde durch dem 
beftändigen Sonnenfcein ausgetrodnet, die Saat fafle Feine 
tiefe Wurgel, und am Ende verdorre fie, bis der. einft kom⸗ 
mende Regen, d. i. eine offenbare Verfolgung, neue Pflanzen 
bervorrufe, die alten befruchte und belebe und die erwünfchten 
Früchte hervorbringe. Auf einem Sturm der Verfolgung bes 
ruht alfo die Hoffnung für die katholiſche Kirche in Amerika. 
Der ebrenwerthe Neifende Hegt übrigens auch die zuverſicht⸗ 
liche Hoffnung, daß für die Fatholifche Kirche in \Sngiand eine 
reihe Ernte, vieleicht die ganze Inſel umfaſſend, bevorftebe, 
und fieht die Yufeyiften als die jichere Brüde an, über weldye 
Ram fiegreich in England einziehen werde. Über Die Yufeyiften 
und feinen Beſuch bei Puſey felbft finden ſich intereffante De⸗ 
tails in dem Buche. 

Das fiebente Werk, die Büttner’fchen Briefe tragen ihre 
Tendenz ſchon auf dem Titel, als Beiträge zur richtigen Kennt⸗ 
niß ˖ der Vereinigten &taaten ‚und ihrer Bewohner, befonders 
der deutfchen Benölferung, in Pirdhlicher, fittlider, forialer und 
pelitifcher Hinfiht, und zur Beantwortung der Frage über 
ichten über Klima und Krankheiten 
in diefen Staaten. Eine tüchtige Arbeit, beftimmt durch that: 
fächliche Darſtellung dem Eindruck entgegen zu arbeiten, wel: 
hen das Brifion’fche Werk (vergl. unfern erften Artikel) auf des 
Berf. Landöseute hervorgebracht haben koͤnnte. &o tief, be 
—— er, ſei das amerikaniſche Volk Gott ſei Dank noch 
nicht geſunken als es Griſſon dert male; es liebe ſich ſelbſt, 
ſein Eigenthum, ſeinen Vortheil, aber es liebe ebenſo ſeine 
Gonftitution, feine Freiheit, ſeine United atates. Dies ſpreche 
ſich airgend deutlicher aus als in Amerikas Motto: Amerion 


wir den fechöten X 


knows © maa will do his duty, während Minglend (nur) 
erpootd eva man wil de his duty. Das find Wemata, 
Die db ge, Schriften und Buͤcher ſich nicht en 
laſſen; die That, die Geſchichte alten kann Darüber en 

Weder bewies und Griſſon die Regation, noch bewei 

Autor und bie Voftlon. Der Lentere ift weniger Fr l⸗ 
ler, der durch Ausdruck und eigenthümliche —25*— gewin⸗ 
nen will, als ein getreuer, aufmerkſamer Referent, dem ein 
gutes Gedaͤchtniß gu Huͤlfe kommt, und der eine ſolche Waffe 
von Daten zuſammenſtellt, daß ber Berſtaͤndige fein Urtheil fi 
ſelbſt fällen kann. Erquickend und lockend wird es jedoch, für 
europkifche Begriffe, als Lotalität, au nad Ler geneigten 
Buͤttner ſchen Darftellung nicht ausfallen. Die fehreiende Un⸗ 
gereihtigleit der Nordamerikaner gegen die Indianer, ni 
aus alten Beiten, fondern in der neueften Gegenwart, nicht 
gegen die barbariſchen Wilden der Urmwälber geübt, fondern 
gegen die civilifivten Hefte der ansgerotteten Stämme im Rorb- 
often, die Ackerbau treiben und fi zu den Künften des Frie⸗ 
dens neigen, tritt auch hier in ein fehreiendes ‚Licht, um fo 
mebr als er fig aller declamatoriſchen Phrafen enthält und nur 
die nadte Thatſache, aber darunter das beredte Wehgeſchrei, 
bie Argumente der Ratur mittheift, mit der die Unglücklichen, 
ihren unausbleiblichen Untergang vor Augen, ihre heiligen 
Rechte zu vertheidigen fuchen. Büttner führt uns befonders 
nach den neuen Berritorien und werdenden Staaten von Wit 
confin und Iowa, wo dem Fleiß und der außdauernden Thaͤ⸗ 
tigkeit des Anſiedlers eine neue reiche Welt ſich darbietet. 


(Der Beſchluß folgt.) 


# 





Literarifhe Notizen aus Frankreich. 
Rancıd’s Briefe. 

Max erinnert fi, daß Ehateaubriand, ber feit Jahren ſchon 
von ih mit Hagender Stimme fagte, daß er am Rande des Grabes 
ftehe und daß er vom politifchen fowie vom literarifchen Leben Ab⸗ 
fhied genommen habe, feine Zeitgenoflen vor Purzem noch einmal 
in feiner Biographie des Stifter des Trappiſtenordens mit einem 
Erzeugnifie feiner glänzenden Feder befhenkte. Diefes Werk, 
welches fich im Grunde mehr im Kreife des Genre bewegt, das 
der. Franzoſe durch den Ausdrud Kioge bezeichnet, hat auch in 
Deutſchland, wo ed durch eine Überfegung eingeführt ift, einige 
Berbreitung gefunden. Gegenwärtig erhalten wir ein neues Werk, 
welches gewiffermaßen eine Art von Rachtrag oder eine Samm- 
ung bifterifcher Belege zu bemfelben bildet. Es iſt Dies eine Zu⸗ 
fammenftellung von Driginalbriefen des Mannes, deffen Lebens» 
befchreibung die Schrift von Ehateaubriand gewidmet iſt. Diefelbe 
führt den Titel „Lettres authentiques de l'abbé de Rancé“. 
Inwiefern der beriapmte Schriftfteller bei der Veröffentlichung die- 
fer Briefe, unter denen ſich manches intereffante Document befin- 
det, betheifigt ift, find wir nicht im Stande nachyumeifen. 


Franzoͤſiſche Luftfchlöffer. 

Schon öfters ift in d. Bi. ein Werk erwähnt, aus welchem 
biejenigen unferer Rouelliften und Romanfchreiber, welche ihre 
Stoffe aus der franzöftichen Konigsgeſchichte entichnen, eine Menge 
dev verfhiedenften Mittheilungen ſchoͤpfen koͤnnen. Cs iſt dies ein 
Werk, welches beſonders zur genauern und fpeeielleen Kennmiß 
der Localität von beſonderm Interefle fein dürfte. Wir meinen Die 
„Souvenirs historiques des r&sidences royales”. Der Verf. die: 
fes umfaflenden Werks, Batout, welcher ſich feiner Arbeit mit 
vieler Mühe unterzogen zu haben ſcheint, hat ein fehr reichhaltiges 
und buntes Material zuſammengebracht; aber zugleich hat er es 
auch auf eine anziehende Weiſe zu geftalten und zu verarbeiten ge» 
wußt. Der neuefte Band biefer intereffanten Publication, welche 
noch nicht bis zu ihrem Ende gedichen ift — gegenwärtig erhalten 

heil —, behandelt die Deföreibung des koͤnigli⸗ 
hen Luftſchloſſes von Amboife und die hiſtoriſchen Erinnerungen, 
weiche fi an diefen Namen knüpfen. 2 


Verantwortlicher Heraußgeber: Heiurich Wrodfant. — Drud und Verlag von F. WE. Wrodpans in Seiptig. 


| 





—J77 — — — — 5—55 5—— —7—5—— 7— 75 —7—7— — 55 7 757— EEE ” — 


Blätter 


literarifhe Unterhaltung. 





Mittwod, 





Über neuere publiciſtiſch-diplomatiſche Piteratur. 
(Beſchlus aus Nr. 58.) 

. In Frankreich war es der Graf won Hauteville, 
sous- directeur des archives et chancelleries au depar- 
tement des affaires &trangeres, ber es, in Verbindung 
wit feinem Vorgänger im Amte Ferd. v. Cuſſy, unter 
nahm, ein ähnliches Werk wie das von Hertölet für Eng- 


‚kanb bearheitete, deſſen große Nüglichkeit fih durch die 


Erfahrung bewährt hatte, herauszugeben, jedoch in einem 
rößern Umfange. Bei der Ausarbeitung des englifchen 
—* war der Grundſatz befolgt worden, nur ſolche 
öffentliche Verträge aufzunehmen, die als noch dermal 
in Kraft befichend angefehen werben Tonnten; aber ben 
Herausgebern des frangöffchen Werks erfehien die ſcharfe 
Unterfcheidung zwiſchen den Staatsverträgen, die ganz 


oder theilweiſe nach als gültig zu betrachten, und denen, 


welche ihre Gültigkeit ganz oder theilweife verloren, un⸗ 
chunlich, da in der That eine Menge von dergleichen 
Urkunden vorhanden war, auf bie ſich, wenngleich der 
ſtipulirte Termin der Dauer üre Gültigkeit laͤngſt ab⸗ 
gelaufen iſt, doch noch immer haͤufig in Beziehung auf 
darin aufgeſtellte Brunbfäge und in Gemäßheit diefer 
flattgehabte Vorgänge berufen wird. Auch gibt es gar 


mandye Tractate, die, während fie von dem einem ber 


pacifeirenden Theile in Folge fpäterer Ereigniffe als nicht 
mehr in Anwendung kommend angefehen werben, von 
den andern als noch in Kraft befindlich anerkannt find. 
Zugleich erkannten die Herausgeber, von welcher Nüplich- 
keit es fein würde, nicht bei Mittheilung blos folcher 
Staatsurkunden ſtehen zu bleiben, in welder Frankreich 
als pacifcisender Theil aufgetreten, ſondern daneben auch 

eine Sammlung ber vornehmften, ben Handel und 


die Schiffahrt betreffenden Berträge zu veranflalten, 


melde zwiſchen andern Mächten untereinander abgefchlof- 


fen worben waren. „L’usage assez gensralement adopte - 


entre les puissances amies”, bemerfen fie in ber 
Borrede, „de s’assurer recipraguement la jowissence 
du traitement et des privillges qui sont accordes ou 
qui pourraient Pêtre par la suite & la nation Ja plus 
favorisee, amsi que le pertent beaueoup de traitds 
modernes, d@montre en effet la neoessit€ d’un tel se- 
and recueil comme compl&ment indispensable du pre- 
mier Car il me auffit plus à une nation quelcongue 


| de conmaltre les traitds conchıs par sun gouvernement, 





25. Bebruar 1846, 


—— 





 # Iui. deviemt encore necessaire de connaltre ceux qui 


unissent lee autres nations entre alles, puisqu'ils sont 
fondés dans certains cas & reelamer par assimilation les 
privileges dent elles jouissent.” Daher haben fie ihre 
Sammlung im zwei Abtheilungen gefchieben, won denem 
bie eine die feit dem Weſtfaäliſchen Frieden non Frank 
reich, uud die andeve bie von fremden Mächten unter 
einander abgefchloffenen Staatsverträge in Beziehung 
auf Handel und Schiffahrt in fi ſchließt. Alle bier 
mitgetheilten Doeumente vwurben vor bes Abdruck auf 
forgfältigfte mit ben Ortiginalinſtrumenten, die ſich im 
ben Archiven des Minifteriums des Auswärtigen zu 
Paris vorfanden, collationniet und haben dadurch einen 
Grad von Wuthenticität erlangt, ber geflattet, ſich, fei 
e8 bei biplomatifchen Unterbaublungen ober vor. ken Ge⸗ 
richten, auf fle zu berufen. Jede der beiden Abtheilun⸗ 
gem diefer Sammlung zerfällt in ebenſo viele Gapitel 
als pacifeivende Staaten aufgeführt werden, bie nad 
Mafgabe ihrer Namen in alphabetifcher Ordnung aufs 
einander folgen. Die in jedem Capitel enthaltenen Trac⸗ 
tate, die bis 1648 hinaufgehen, finden ſich dann cher 
nologifeh geordnet. Am Echluf ber ganzen Gamm-⸗ 
lung ift noch eine Die Brauchbarleit derſelben erhähenbe 
„Table saisonade des matitzes’' beigefügt. Dieſes Wert 
erfihien zu Paris hei ben Buchhändler Rey und Gra« 
vier 1834— 37 im acht Großottavbänden zum Preis von 
64 Frants, unter beim Atel: „Recweil des tuaités de 
commerce et de mevigation de la Frances avec lea 
pwissances #strangeres, depuis la paix Ja Weatphalie, 
swivi du recueil des principaux traites de meme na- 
ture conclus par les puissanses eirangeres entre ellen 
depuis la meme dpoque. Supplemente, um biefe 
Sammlung ſtets bis. zur Gegenwart weiter fortzufuͤh⸗ 
ren, find nicht erſchienen; bagegen warb 1838 ein pe⸗ 
riodiſches Wert won P. Henrichs in Paris gegründet, 
worin von her Zeit an in monatlichen Lieferungen die 
neueften Handels⸗ und Bciffahrtswerträge befannt ger 
macht wurden, bei beren Mittheilung ans offiddellen 
Quellen gefhöpft ward, indem das franzöfifche Minifte- 
vum bes Handels biefes Unternehmen unterſtützte und 
den Herausgeber authentiſche Abſchriften ber Urkunden 
und Actenſtuͤcke zugehen Tief. Diefe „Archives de com- 
merce on reeweil de tous les docsments officiels com. 


merciaun de France et de Fetranger” find fpäterhar 





unter dem Titel „Nouvelles archives” von %. Colombel 
fortgefegt worden und 1845 bis zum ſechsunddreißigſten 
Band angewachſen. In England hat man nicht einmal 
ein eigenes periodifch im Druck herausfommendes Werk, 
das als Portfegung der Hertslet'ſchen nur bis 1827 
teichenden Sammlung bienen tönnte. Selbft um bie 
von Großbritannien abgefchloffenen Zractate kennen zu 
lernen, hat man fein anderes literarifches Hülfsmittel, 
wenn fie nicht zufällig in Tageblättern, Monats» oder 
Duartalfchriften zur Beröffentlihung gelangen, als bie 
jährlich zu London erfcheinende „Collection of the public 
general statutes, welche, nachdem fie das Parlament 
paffirt, die Bönigliche Sanction erhalten haben. 

Alle diefe verfchiedenartigen Erzeugniffe der englifchen 
und franzöfifchen Preffe in der neuern Zeit haben jedoch 
ben Gebrauch des in Deutfchand herausfommenden gro- 
fen und vielumfaffenden Martens’fchen Werks Teines- 
wegs überflüffig gemacht und maden können, meder in 
England noch in Frankreih. Denn theil6 erfiredten fie 
fich, wie bie eine Reihe von Jahren hindurch erfchienene 
„British and foreign state papers”, auf einen kurzen 
Zeitraum aus der jüngften Periode, fodaß man immer 
wieber zu ber beutfchen bis zur Mitte des vorigen Jahr- 
hunderts zurüdgehenden Sammlung feine Zuflucht neh- 
men mußte, fo oft es fih um die Kenntniß früherer 
Staatöverträge handelte, theild waren fie bei. ber Mit- 
theilung der Actenftüde fpeciell blos auf einen’ Gegen- 


fland der öffentlichen Verträge, nämlih Handel und 


Schiffahrt, befhräntt. Der Publiciſt, Diplomat: und 
Hiftoriter war aber oft ber Kenntnifnahme von Ver⸗ 
trägen auch über anbere. Gegenftände benöthigt: Dazu 
kam, daß die in England und Frankreich publicirten 
Sammlungen lediglih zum Gebrauche ber Engländer 
und Sranzofen beflimmt und hierauf berechnet waren, 
weshalb fie in der. Regel, ja gemeiniglich ausſchließlich 
den Inhalt der Urkunden blos in ihrer Mutterfprache 
lieferten. Allein zur genauen und richtigen Auslegung 
und Deutung ber vorhandenen Verträge und für bie 
Erklaͤrung des Sinnes ihrer Beftimmungen nad dem 
Wortlaute war nicht felten die Einficht bed Driginal- 
terte® erfoderlich und biefen fand man häufig nur im 
"Martens’fchen „Recueil“ mitgetheilt. In der That. bie- 
tet dieſes Tegtere, durch deutſchen literarifchen Unterneh⸗ 
mungsgeift ſchon vor länger als einem Bierteljahrhun- 
dert gegründete und über ein Menfchenalter hindurch 
mit deutſchem Fleiße fortgeführte Werk auch bermalen noch 
in der gefammten publiciflifchen Literatur Europas bie 
einzige allgemeine Sammlung der Perträge jeglicher 
Art und aller Länder nach ihren Originalterten in einer 
ununterbrochenen Reihe von: faft 100 Jahren dar, welche 
bie Grundlage für das moderne Völkerrecht aller civili⸗ 
firten Nationen der Erde bilden. Aber immer ſchwieri⸗ 
ger und Eoftfpieliger wirb bie Zorffegung, da in unferer 
Zeit der Raum eines Bandes kaum hinreicht, die Ergeb- 
niffe eines Jahres in fi zu faffen, während früher bie 
von mehren Jahren ſich füglich in einem einzigen Bande 
vereinigen ließen. Der Verlagshandlung ift darum zu 
wünfhen, daß ihre rühmliche Ausdauer bei biefem Un- 


ternehmen durch Binreichende Unterflügung von Geiten 
bes Publicums belohnt werben möge. *) 85. 


Amerikana. 


Zweiter und letzter Artikel. 
(Beſchluß aus Nr. G.) 


über die confeſſionnellen Kaͤmpfe in Amerika bietet uns das 
Büttner'ſche Werk die bedeutſamſten Nachrichten. Wer ſich Darüber 
unterrichten will, für den iſt es von ungleich größerer Wich⸗ 
tigkeit als fämmtliche vorhin genannte. Was uns die beiden . 
katholiſchen Schriften von ihrem Standpunkte aus fagten, und 
woran wir dennoch als von einem einfeitigen Parteiſtandpunkte 
aus betrachtet zweifeln Fonnten, wird uns hier vom entgegen« 
gefegten beftätigt. „Die römifch » Fatholifche Kirche defindet ſich 
in einem mächtigen Wachsthume, ihr Muth und ihre Keckheit 
wachſen, und ihr Grundfag: Aufgefchoben ift nicht aufgehoben, - 
fegt die Gemüther der in die Zukunft Blickenden au da in, 
Angft, wo fie augenblidiih von ihren Anfoderungen zurück⸗ 
tritt. Die römifche Prieſterſchaft tritt auch in den Vereinigten 
Staaten. fchon heraudfodernd auf. Die Errichtung eines Bis« 
thums für Connecticut bat die Gemüther der Proteftanten be: 
ſonders erbittert, da nach den alten Gefegen dieſes Staats in 
Connecticut nicht allein Bein Patholifcher Priefter wohnen, fon- 
dern bei Todesſtrafe aus der Verbannung auch nicht zurückkeh⸗ 
ren follte. Sedernann durfte einen Prieſter auch ohne Ver⸗ 
baftöbefehl gefangen nehmen. Aud in dem altpuritanifhen 
Hartford wird ein Bifchoföfig errichtet, was mehr ift als die 
Nachkommen der alten Songregationiften, welche ſich jo muthig 
der anglicanifhen Kirche widerfesten, ertragen koͤnnen. Im 
3. 1843 find nicht weniger als fuͤnf neue Bisthümer errichtet 
worden. Die römifhe Kirche zählt gegenwärtig im Ganzen 
22 Bisthümer, 25 Bifhöfe und Coadjutoren, 634 Beier 
671 Kirchen und Kapellen, 19 theologifche Seminare, 16 li⸗ 
terarifche Inftitute, 48 Akademien für Mädchen und 15 Zeit 
fchriften zur: Verbreitung des Katholicismus beftimmt. Die 
Unterftügungen, welche fie aus Europa erhält, follen größer fein 
als man glaubt. Daher ift denn nicht zu verwundern, daß die 
norbameribanifchen Proteftanten um die Fortdauer ihrer relis 
giöfen und politifchen (2) Freiheit beforgt werden und gleich 
den Schweizern zur Bewahrung diefer theuer erfauften Rechte 
Alles aufbieten. Dan denke an die blutigen Aufſtände in 
Baltimore und Philadelphia, durch welche übrigens die oben 
ausgefprohenen Wünfche des Bifhofe von Neuyork nad einem 
Martyrium fi der. Erfüllung genäbert hätten! 

Leider ift nur, was der Verf. über die Zuftande der pro⸗ 
teftantifhen Sekten mittheilt, ebenfo wenig erfreulid. Schen 
das Herumziehen, Feilihen und Markten mit den evangelifchen 
Predigern hat nach unferm Gefühl etwas Verlegendes. Geiſt⸗ 
lihe auf Kündigung angenommen und wieder fortgeſchickt; 
auch da nicht fiher ihres temporellen Befigftandes, wenn ein 
anderer Geiftliher kommt und durch mehr Rebnergabe, lare 
oder orthodore Grundfäge, je nachdem die Gemeinde geftimmt 
ift, Lift, oder Connerionen die Gemüther fi zu: und dem 
andern abwendet; oder endlich durch eine neue Sektirerei um 
feine Gemeinde betrogen! Bei Herzählung biefer Schattenfei- 
ten der unbedingten veligiöfen Freiheit vuft der Verf. aus: 
„Man follte ale Die, welche in Deutichland nach diefer Frei 
beit fchreien, hierher ſchicken; Hier an Drt und Stelle, wo fie 
Gelegenheit haben, diefen gräßlichen Unfug ‚und Dies tolle Trei⸗ 
ben mit eigenen Obren anzuhören, würden fie zu ganz andern 
Anſichten kommen u. f. w.’ Dagegen ließe ſich wol viel ein- 


*) Über dad foeben mit dem erfien und zweiten Bande begonnene 
„Recueil manuel et pratique de traitds, eonventions et auires 
actes diplumatiques sur lesquels sont etablis les relations et les 
repports existant aujourd’hui entre les divers dtats sonveralns du 
globe, depuis l’annde 1760 jusqu’a l’Epoque actuelle. Par le Baron 
Ch. de Martens et le Baron Herd. de. Cussy’ wir noͤchſtens in 
d. BI. berichtet werben. D Reb. 


wenden, wenn dazu hier der Drt wäre. Iſt denn ber fociale 
Sufband in Amerita ſchon geſetzt (settled)? ift er nicht. im 
ganzen Weſten noch ein Wanderleben, ein Werdeproceß? Wenn 
der Grundeigenthümer felbft feinen Boden nur als eine fun- 
gible. Sache betrachtet, und nad ben erſten Ernten verkauft, 
aufpadt und weftlid in neues Land zieht, um neu zu Laufen, 
bauen, ernten und wieder verlaufen und aufpaden, wie foll da 
die Kirche, die chriſtliche Gemeinde in diefer Unruhe ſchon Ruhe 
gewinnen? Iſt es nicht ſchon in den öftlichen Staaten Ame⸗ 
rikas anders; und wie fann denn dieſes Bild auf die gefefteten 
europäifchen Zuftände Anwendung finden! Ferner erjehe man 
and Büttner’ eigenen Berichten nur, wie ed mit der Er- 
ziehung, den Schulen, Dem Bildungsftande in diefen weftlichen 
Staaten ausfiebt, und frage fich dann, ob die religiöfe Freis 
heit auf ſolchem rohen Fundamente erfprießlihe Früchte tra⸗ 
gen Fonne. Wo ſolche mangelhafte Schulbildung vorangeht, 
verfällt das Gemüth, dad nach geiftiger Nahrung flrebt, von 
felbft den Bigotismus und Fanatisſsmus, umd ed ift nicht zu 
verwundern, wenn Phantaften und fchlaue Betrüger ungeheure 
Eroberungen in biefem wilden Territorium maden und bie 
ſchwachen, gläußigen Gemüther zu ihrem Bortheil ausbeuten. 
Aber traurig find des Berf. Mittheilungen über das Gel: 
tenweſen, trauriger ald alle die wir biöher gelefen, und na 
mentlih find nah ihm die deutſchen Einwanderer befonderd 
me Sektirerei geneigt. Er führt uns nicht weniger als folgende 
ten unter den Deutſchen auf: Lutheraner und Reformirte, diefe 
zerfallend in die Anhänger der alten und neuen Maßregeln, 
Mennoniten, reformirte Mennoniten, Quäfer, Albrechtöleute, 
Bereinigte Brüder in Chriſto, Aumiſche, Weinbrennerianer, 
&iebentäger, Methodiften, Rappiften, Bäumlerianer, Habli⸗ 
ſtonleute, Kümmelleute (eine neue Sekte, die unter feinen Au: 
gen entftanden), Reilyiten, Baptiften, Holländifch:Reformirte, 
Evangeliſch⸗Proteſtantiſche, Rationaliften, paͤpſtlich und nicht 
päpftlidh gefinnte Katholiken und eine Menge Nothingarians, 
d. h. die fih zu gar Peiner Sekte beiennen, aber gegen alle 
flreiten. Die merfwürdige Sekte der Shakers, von der myſte⸗ 
riöfen Mutter Anna Leo geftiftet, find befannt genug gewor⸗ 
ben, ber Berf. theilt uns aber die Hauptoorfchriften und Befehle 
ihrer Obern mit, unter die, im Lande der Freiheit, die Tau⸗ 
nde von unglüdlichen Bethörten ſich blindlings fügen. Da 
eißt e8: „Es ift gegen die Vorſchrift, e:nen Handel zu unter: 
fucgen, den die Vorſteher abgefchloffen haben oder treiben.” 
‚Mie Borfteher find die Grenzen der Borfchriften.” „Man darf 
nicht weiter fagen, was fie gefprochen haben.” „Man barf 
nicht Briefe fchreiben oder empfangen, ohne fie den Vorſtehern 
vorgelegt zu haben.” „Ohne ihre Bewilligung darf 
kein Mitglied ein Buch lefen.” „Man darf nicht zur 
Kirche gehen mit Sünden, die noch night gebeichtet find‘ — „nicht 
reifen ohne Erlaubniß, noch Freunde (Weitkinder) befuchen.’’ „Es 
ift gegen die Borfhrift, ohne Erlaubniß der Obern Zeitungen zu 
leſen.“ „Es ift gegen die Ordnung, mit Hunden oder Katzen 
zu tändeln” — „gegen diefelbe, einbällige Schuhe zu tragen, 
ober Die Hinterfappen nieberzutreten‘ u. f. w. Man muß bes 
kennen, daß die römifche Kirche zur Beit ihter aͤrgſten Geiſtes⸗ 
tyrannei nie eine Willfürherrfchaft ausgeubs hat, welche die» 
ſem despotifchen Unfinn gleichkaͤme, abgelehen von dem andern 
Unfien der Trennung der Gefchledhter, welche ben Natur⸗ 
gelegen den empörenbdften Hohn Tpricht. 
Betrübend lauten auch die Nachrichten über die aus Preus 
Ben ımd Sachſen audgemanderten Altlutheraner, die, nicht ent- 
taͤuſcht durch die entdeckten Frevel des Bifhofs Stephan, in 
ihrer Starrgläubigkeit nicht allein verharren, fondern in Stolz 
und Dünkel fi möglicherweife noch fleigern. Auch fie find 


ſchon wieder in Sekten zerfallen, die ſich gegenfeitig ercommus 


niciren. Allein in Buffalo gibt es fihon drei altlutherifche Ge⸗ 
meinden. Die unter dem Paſtor Grabau aus Erfurt, „der in 
er a Herrſchſucht, Intoleranz und Berfluchung die Er 
fuͤllung feines Berufs zu finden feheint”, verbammen ihre Glau⸗ 
bensgenoffen, die nicht zu ihnen halten, natürlich alle anders 

enden, ihr deutſches Vaterland und ihre frühern Regie 
zungen und nur — des Blaubens willen. Das gefammte 


dentfihe Bol wird in Ihren Liedern ein „von Bott ver- 
worfenes, frevelndes Geſchlecht und freche Schlan- 
genbrut“ genannt. Nur die altlutherifche Kirche ift bie Kirche 
der Rechtgläubigen, benn fie lehrt allein Die reine, evangelifche, 
apoftolifche, katholiſche Slaubensichre und ſpendet die heiligen Sa⸗ 
cramente allein unverfäliht. „Sie bekennt feierlih und muß 
fo befennen, daß außfchließend ber Staube, welchen fie Ichrt, 
alleinfeligmadend iſt.“ Die Gewalt ber Paftoren über 
diefe Gemeinde ift noch bewunderungswürdig groß, Stephan’s Bel: 
fpiel fcheint ed nicht im geringften erfchüttert zu haben. Der Verf 
fand in Buffalo einen Schneider aus Breslau, der Weib und Kind 
verlaffen, weil fie in ihrer Berblendung beharrt. Sein Paftor hatte 
es ihm um feines ewigen Heils willen befohlen! Bei folchen Er- 
fheinungen darfman fidy nicht wundern, wenn die katholiſche Kirche 
in Amerika wirkliche Fortfehritte macht! 1. 





Wilhelm Ierufalem. 


Seit der Erfiheinung der „‚Leiden des jungen Werther” 
find bereits mehr als TV Sabre verfloffen; doch ift mit ber. 
gernaftigen Aufregung, die Diefer Roman bei feiner erften Ver⸗ 
reitung veranlaßte, das Interefle, das man an bemfelben 
nimmt, nicht erfofhen. Natürlich! denn naͤchſt dem eigenen 
innern Werthe des Buchs ift ed von großer Bedeutung für 
Den, der, von den Anfängen des größten deutſchen Dichters 


. ausgehend, die Bildungsftufen verfolgt, die diefen endlich zu 


einer fo feltenen Höhe führten. Dem. Verehrer Goethes iſt 
auch dad Kleinfte wichtig, was zu feinem Leben und feinen 
Werken in Beziehung fteht; und man wird ihm nicht ein blos 
a Interefie Schuld geben, wenn er Umftänden nad 

richt, Die auf Dieſes oder Jenes feiner Dichtungen, vor allen 
auf die bedeutendften, Bezug haben. Hat doch der Dichter 
felbft Manches mitgekheilt, was zu dem feinem „Werther zu 
Grunde liegenden Stoffe gehört. Freilich ijt died nur Weni⸗ 
ges; und glei nad der Erfcheinung bed Romans folgten 
Berichtigungen ber Gefhichte des jungen Werther; wie denn. 
uns eine folde aus dem Jahre 1775 (mit Angabe bes fingir- 
ten Drudorts Freiftadt) vorliegt. Uber dieſe enthält manches 
Unrichtige; und wenn Goethe fagt: „Serufalem’8 — in biefem 
fieht der Berf. der Berichtigung das Urbild Werther's — Tod 
fei durch Die unglüdliche Reigung zu der Gattin eines Freun⸗ 
des veranlaßt worden”, fo fagt Iener: „So viel ich fchließen 
fann, war nicht Zärtlichkeit, fondern die Ehrbegierde Werther's 
Leidenſchaft. Der Zieffinn und die Zurückhaltung entfernten 
ihn von weitläufigen Bekanntſchaften. Lange befchäftigte ihn 
der Gedanke des Selbftmorbs, deffen Rechtmäßigkeit er bei je⸗ 
der Gelegenheit vertheidigte.”” Dann fpricht er von einem 
Verdacht, dem Serufalem nicht habe entgehen koͤnnen, er liebe 
die ſchoͤne Frau eines Geſandtſchaftſecretairs in Weglar. 

Wir hoffen ben Berehrern Goethe's, den Bewunderern 
feines feüheften Romans etwas Angenehmes zu erweifen, in- 
dem wir ihnen Einiges aus Briefen, die ein günftiger Umftand 
uns in die Hände brachte, mittheilen, und zwar aus Briefen, 
von dem Bater ded Unglücklichen und von einem vertrauten 
Freunde beffelben, dem in der Literatur wohlbekannten Eſchen⸗ 
burg, gefchrieben. Boraus ſchicken wir indeß, was Goethe in 
feiner Biographie über das ungluͤckliche Ereigniß fagt: 

„Serufalem’s Schickſal hatte großes Auffehen gemacht. 
Ein gebildeter, liebenswertber, unbefcholtener junger Mann, 
ber Sohn eines der erften Gottedgelahrten und Schriftftellers, 
gefund und wohlhabend, ging auf einmal, ohne bekannte Ver» 
anlaffung, aus der Welt. Jedermann fragte nun, wie dad mög: 
lich geweſen? Und als man von einer unglüdlichen Liebe ver- 
nahm, war die ganze Jugend, ald man von Bleinen Verdrieß⸗ 
lichfeiten, die ihm in vornehmerer Geſellſchaft begegnet, ſprach, 
der ganze Mittelftand aufgeregt, und Jedermann wünſchte daB; 
Genauere zu erfahren. . 

Zunähft nun ein paar Stellen aus Briefen des Abts 
Serufalem, gerichtet an einen Verwandten in Osnabrud, bem 
Geburtsorte des Schreibers: 

„25. Auguſt . Um Michaelis kommt Wilhelm (von der 


Alodemie) nach Haus, worauf wir und PR fehr frnuuen. Dicken 


Winter bleibt er bei und, und um Oftern ſchickt ihn der Prinz (vom ' 


 Beaunfdwweig) entweder nad) England oder nach Wien. Wenn dev 
Baren S. im Leben geblieben wäre, fo wäre er erſt nad) Wien ge 
gengen, ba ich fon Abrede mit ihm genommen hatte.’ 

"Aus einem fpatern Briefe ohne Datum: „Wir gaben das 
Vergnügen, daß Wilhelm noch bei uns iſt, indem ſeine Ein⸗ 
fuüͤhrung in die Kanzlei erſt um Oſtern fein wird; feine In⸗ 
. terimöpenfien & 500 Thaler hat indefien ſchon feit zwei Quar⸗ 
teten angefangen.” 

2%. Febr. 1771. „Milhelm ift in Weglar recht vergnügt.” 
7. Zan. 1772. ‚Wilhelm befindet fib in Wehlan ehe ver- 
at. Sein hieſiger (vielmehr dortiger) Hr. Subdelegatus 
ik zuar ein feltſamer Patron; aber er hat fih mit ihm auf 
einen Fuß gefegt, wie es fein muß; und er wird. burd die 
diffinguirte Freundfchaft der übrigen Herren Sefandten fowol 
als Affefforen ſchadlos gehalten, da er von allen Legations⸗ 
fecretairen, wie mir der Geheimerath von 3. fchreibt, der ein- 
ige if, auch den mainzifchen, der der Sohn eines Dafigen Ge⸗ 
imraths und der Neffe des Gefandten ift, nicht ausgenom⸗ 
men, ber die -Entrke in die Gefellfchaft hat. Der Praͤſdent, 
des. Ge. Graf von B., hat ihm ein für allemal fein Haus und 
ſeine Tafel angeboten, und mir feinetwegen ſehr verbindlich. ge: 
ſchrieben. Col halte ihn geſund!“ | 
Brief Efchenburg’6 an einen Freund, einen Prediger in 
der Nähe Braunſchweigs, vermuthlich einen Verwandten Ierus 
felem’s. „Braunfdweig, 16. Rov. 1772. Mecht ängftlich habe 
ig an Sie feit der Beit gedacht, da ich Ihnen meinen Brief 
von fo entſetzlichem Inhalte überſchickte, und an die Unzube, 
im weiche Ste dieſer Brief verjegen würde. Sie fchienen mir 
fhon die ſchwerſten Ahnungen eines ſchrecklichen Vorfalls in 


Ihrem Briefe zu verrathen; Sie verlangten Alles zu: wiflenz 


und ich fehrieb ed Ihnen, vieleicht zu ſehr gerabehin; aber 
meine Betäubung, in ber ih noch immer bin, fo oft ich nur 
ae den Fall denke, und die kurzen Augenblidie, dic mir ver- 

dnnt waren, Ihren Brief zu beantworten, welches in einer 

efellfchaft am dritten Orte gefhah, machten mich alle behut: 
ſame Vorſicht vergefien. Sie wiſſen ed nun, und haben zecht, 
ed Baum begreiflich zu finden. Den rechten Zufanmmenhang, 
alte nähere Urſachen und Triebfedern weiß ich bis jegt ſelbſt 
noch nichts aus ber mir genau bekannten Dentungsart bei 
Berftorbenen und einigen hierher geſchriebenen Rachrichten fege 
ich mir nur wahrfcheinlicge Bermuthungen zufammen. Könnte 
ih zu Ihnen hinüber und mit Ihnen in einer freundfchaft: 
lichen Unterrebung Alles fagen, was ich denke, was ich ver- 
mathe — unfere Herzen würden leichter, und ein an fi nur 
immer noch Außerit unerwartetes Unglüd Ihnen doch begreif: 
lichen werben. Einem Briefe läßt fi das Alles nicht wohl 
anverfrauen. Aber kurz, ich glaube es gern, daß die ganze 
Sage, worin er ſich dort befand, zu feinem. Misvergnügen fehr 
viel beigetragen, daß der Mangel eines vertrauten Freundes 
ibm das Leben gleichgältiger gemacht hatz aber in feinem Lem 
neramente, das wirklich, wie Sie felbfi, befter Hr. Paflor, be» 
merkt haben müflen, viel melancholiſche Miſchung hatte, in fei- 
nee unglüdlichen Fextigkeit, eine ſchwarze Idee unverrädt zu 
verfolgen, ſich ihr Widriges eher zu vergrößern als zu zer: 
ftreuen, und Alles nur von der unangenehmften Geite anzu⸗ 
ſehen, und nicht anderd anſehen zu wollen, dann in feiner oft 
übertriebenen Delicateffe und einem vielleicht zu wenig gemär 
figten, wiewol auf firenge Rechtſchaffenheit gegründeten Ehr⸗ 
geize, endlich in einem Hange zu gewilfen verliebten Schwaͤr⸗ 
mereien, Die ihm fo manche Stunde verbitterten, und von des 
nm er, wie ich gewiß weiß, auch in. ber letzten Zeit nicht frei 


wen — in allen diefen Umftänden glaube ich Keime zu fin 


Dem, woraus wahrfcheinticherweife, vielleicht aus einem mehr 
als dem andern, ber. Entichluß zu jener ſchrecklichen Ihat nach 
und nah erwachſen if. Denn -leider! fcheint fie, nach allen 
Heber befanntın Umftänben, 
bereitet geweſen zu fen Sie Halten mir's zugute, daß ich fo 


nücht fe gang raſch, Tondern vor: - 





aufrichtig rede; denn Gott weiß, wie gern ich unfern. armen. 
— entfchuädigen, wie gern alle Veranlaſſungen außer. pen 
nden und vovansfegen möchte. Aber ich urtheile fo uon im, 


| wie ih iyn gefannt Habe; und Sie wiflen er mar mein Ve 


trauter. Ich ig: feine Vorzüge, und vor Alten ſein treues 
freundfchaftlichei Herz ungemein; ich habe noch nie, nicht vor, 
noch nach ihm, fehh einen ganz für mich geſchaffenen Freund 
gefunden; aber ich kannte auch feine Schwächen, fa wie er bie 
meinigen, und beide waren oft, fehr oft der Inhalt unferex 
vertrauten Geſpraͤche, noch des Ichten! Aber daß ihn die ſei⸗ 
nigen fo weit fühsen, daß ev alle übrigen Betrachtungen fe 
ganz vergeffen, unb befonderd bie Berhältniffe feiner Familie 
unb die gegenfeitige Liebe derſelben, die doch auch bei ihm 
hätte Reidenichaft fein follen, fo gang unwirkſam mürbe fein 
laffen, wer hätte ſich das eingebilbet 8’ 

: „Und Alte beumrubigt der Gedanke um meiften, was bie 
Entdedung aller Umftände, bie boch in der Länge mol ſchwer⸗ 
lid unterbleiben wird, für Bolgen auf die Gefundheit und & 
müthöverfoffung ber guten Altern und Gefchwifter haben wird. 
Gott! wie wird die fenjt fo 'aufmunternde Erinnerung an den 
Verſtorbenen Tünftig der würdigen Familie alle Freuden ver 
bittern! und wie viele der beften, gegründetften Hoffaungen hat 
ſein ſchrecklicher Entſchluß auf einmal vernichtet?’ 

. geben Sie recht wohl. Wie bedaure ich's, daß wir nicht. 
zueinander Tönnen! Ich weiß, wie beffemmend es ift, ſolchen 


"Schmerz verfchloffen zu halten. Erhalten Sie mir Ihre Freund» 


ſchaft, die mir überaus fhäbber tft, und lieben Sie ferzer 
Ihren Eſchenburg.“ 

Wir wiſſen, daß Goethe manche eigene Erfahrung une. bie 
ihm in einer gewiſſen Periode feines Lebens eigene Gemüths 
flimmung in feinen Roman verwebt bat. Daß auch Serufalen: 
in Hinficht auf die lehtere Werther verwandt war, gebt auß 
dem Briefe Efchenburg’8 hervor. Auch hatte er aus der Duelle 
gefhöpft, aus der Goethe zum Theil jene Selbftquälerei ber 
leitet, auß der englifchen Ziteratur.”) Daß er ich mit ihr ber 
fhäftigte, läßt ſchon die vertraute Bebanntſchaft mit Eſchen⸗ 
burg und ber Umſtand vermuthen, daß ber Prinz von Bram 
ſchweig ihn für England beftimmt hatte, und Goethe fügt es 
ausdruͤcklich. Übrigens findet fich in weitern Briefen bet Vaters 
an den Verwandten, dem er fonft alle Familienangelegenheiten 
mittheilt, fein Wort über die unglückliche Kataftrepbe. 

Roc allem Diefen wird man hier nicht ungern Iefen, was 
Goethe im Allgemeinen über Serufalem fagt: „Auch er, ver 
Sohn des frei und zart denfenden Gottedgelehrten, war bei 
der Gefandtfchaft angeſtelltz feine Geftalt gefällig, mittleren 
Größe, wohlgebaut, ein mehr rundes als laͤngliches Geſicht; 
weiche, ruhige Züge, und was fonft noch einem bübfchen blons 
den Sunglinge zukommen mag; blaue Augen ſodann, mehr ans 
ziehend als Tprehend zu nerinen. &eine Kleidung war bie un» 
ter den Niederdeutſchen, in Nachahmung der Engländer, her⸗ 
gebrachte, blaner Frack, ledergelbe Weſte und Stiefeln mit 
braunen ®tolpen. Die Auferungen bes jungen Mannes wa⸗ 
ren mäßig, aber wohlwollend. @r nahm an ben uerfchieben« 
ſten Productionen Theil; befonders liebte er ſolche Zeichnungen 


- und Skizzen, in weichen man einfamen Gegenden ihren flillen 


Charakter abgewonnen hatte. Man ſprach Yon einer entfchies 
denen Reibenfchaft zu ber Gattin eines Freundes. ffemlich 
fah man fie nie miteinander. Als der Sohn eine wohlhaben⸗ 
den Mannes brauchte er fi) weder aͤngſtlich Geſchaͤften zu 
widmen noch um balbige. Anftellung. dringenb zu bewerben.“ 

Bas wir bier in Bezug auf Geoethes Roman witgetheilt 
haben, iſt etwas Geringes. Einen viel reichern Schag befigk 
die Familie Keſtner. Dh: fe fich ich bewegen laſſen, 
die gerechten Wuͤnſche des beutichen Publirums durch —— 
lung deffelben zu llen! 


. *) Die beiten von Goethe in feiner Biograpbis aufgefäßnten ag 
liſchen Strophen ind aus Rodsfler („A satyr against manklad‘) 
und Warten (‚The unicide’) genommen. 





Beraptmortliier Derausgsber :. Soiurich Wroddans. — Drud und Belag von F. X. Brockhaus In Leipzig. 





Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Donnerstag, 


— ⸗— Nr. 57, 


26. Februar 1846, 





LT —————— ——— — 


Denkwurdigkeiten des Generals Eickemeyer, ehemali⸗ 
gen kurmainziſchen Ingenieur⸗Oberſtlieutenants, 
ſodann im Dienſte der franzöſiſchen Republik 

erausgegeben von Heinrich Koenig. Frank— 

rt, Literariſche Anſtalt. 1845. 8. 1 Thlr. 
22% Rot. 

Der Roman, mit welchem Heinrich Koenig feit län- 
gerer Zeit befchäftigt ift, hat, wenn mir recht iſt, Georg 
Forſter zum Helden. Die Gefchichte der mainzer Zu- 
flände, namentlich der Clubiſten dort in den neunziger 
Jahren, fiele alfo mefentlih in die Studien zu diefem 
poetifchen Plan. Varnhagen v. Enfe war es, der den 
Herausgeber zuerft auf das Vorhandenſein von Denk. 
würdigkeiten aufmerkſam machte, welche General Eide- 
meyer feiner Familie binterlaffen babe. Die weitere 
Ausmittelung der Papiere an den Herausgeber gefchah 
wahrſcheinlich durch die Familie v. Ploennies in Darm- 
ſtadt, die mit dem 1825 verftorbenen General verwandt 
ifl. (Hr. v. Ploennies iſt Leibarzt am barmfläbter Hofe, 
Frau Luife v. Ploennies ift die befannte Schrift. 
ftellerin.). Der Herausgeber ſteht darüber im Ror- 
wort nicht Rede; wir ftellen Deshalb nur unfere 
Muthmaßung hin, wie er in weitern Beſitz ber Papiere 
gekommen fein dürfte. Sein Vormort ift wefentlih ein 
Fürwort zum Beften des Generals, den falfhe Zeugen 
mit dem Vorwurf belaftet, bei der rärhfelhaften Über⸗ 
gabe der Reichsfeſte an Euftine die Rolle des Verräthers 
gefpielt zu haben. Dies große Bollwerk des Reichs ge- 
gen Frankreich fiel am 21. Oct. 1792 ohne Belagerung 
und Vertheidigung, gleich auf die erſte Auffoberung ei- 
nes feindlichen Generals von wenig fchredbarem Namen, 
fodaß die Vermuthung von Verrätherei nahe lag, eine 
Bermuthung der öffentlichen Meinung, die von den 
obern Offizieren und den geflüchteten Beamten des Kur- 
fürften lebhaft unterflugt und zu ihrem eigenen Nugen 
ausgebeutet wurde. Namentli hat der Verfaſſer ber 
erft vor ſechs Jahren erfhienenen Schrift: „Der Unter- 
gang des AurfürftenthHums Mainz, von einem ehemali- 
gen kurmainziſchen General, herausgegeben von Neige- 
bauer”, fi bemüht, auf Rudolf Eickemeyer den Verdacht 
der DVerrätherei zu werfen. Der Plan, die Feftung ben 
Franzoſen in die Hände zu fpielen, fei fo fein angelegt 
gewefen, fagt er, daß man ihn „gar nicht vermuther” 


babe. Hberfilieutenant Eickemeyer, ber franzöfifchen 
Sprade mädhtig, wurde als Parlementaire ins Rager 
bes Feindes gefandt. Diefe Thatfache ſteht fell. Der 
Argwohn gegen ihn ift vom Berfaffer jener Schrift erfl 
fehr fpät erhoben und fteht mit der von ihm felbft an⸗ 
geführten ebenfo fichern Thatſache, daß Eickemeyer im 
Kriegsrath zu Mainz der Einzige geweſen, ber gegen bie 
Übergabe der Feſtung förmlich proteftirt habe, im gera- 


den Widerfpruh. Als DVerfaffer jener ebenfo rathlofen 


ale vermorrenen Schrift nennt man den Oberbefehlsha⸗ 
ber der mainzer Sarnifon, den Grafen Franz Ludwig 
v. Hasfeld, deffen Verhalten auf bas abfichtlichfte darin 
gerühmt wird. Argwoͤhniſch gegen die Tendenz biefer 
Spätfehrift müffen wir auch die von ihr angegebenen 
Thatſachen in gerechten Zweifel ziehen und wenden uns 
zu dem Angeklagten feibft, ihn zum Verhör zu nehmen. 
Bald nach Übergabe der Feſte verließ er den kurmainzi⸗ 
fhen Dienft und trat zum Feinde Deutfchlands über. 
Aus diefem Schritte erklärt ſich, daß ihn die öffentliche 
Meinung damals als Verräther bezeichnete. Die Scham 
über die Erbärmlichkeit der deutfchen Zuftände und das 
Bewußtſein der nationalen Faͤulniß fuchte nach einzelnen 
Dpfern, um die allgemeine Schande zu decken. Der 
Bormurf, die Sache Deutfchlande aufgegeben zu haben, 
trifft Eicdemeger wie Forſter. Der Vorwurf bes fpeciel- 
len Verraths bei Übergabe der Feftung muß dann noch 
beſonders für Eickemeyer erledigt werden. 

Der einfache, natürliche Zon, in welchem Eickemeyer 
uns feine Erinnerungen vorführt, verräth uns einen fehr 
ruhigen Beobachter, einen fchfichten Mann des Verſtan⸗ 
des, der das Vertrauen einflößt, immer richtig gefehen, 
nie das Schlechte gewählt, immer das Beſſere, wo es 
ihm unerreichbar blieb, gewünſcht zu haben. Es fehlt 
ihm auch nicht an Muth das Beffere zu erfireben, aber 
ba ihm jebe höhere Aufregung der Lebensgeifter abgeht, 
muß ihm das Ziel nahe, es muß ihm gleihfam auf der 
Hand liegen, wenn er es für erreichbar halten fol. Er 
ift im Einzelnen umfihtig, thätig, kenntnißreich; fein 
einfaches Rechtsgefühl ift im Bunde mit einer Klugheit, 
die das Nächte angreift, das praktiſch Mögliche ſchnell 
ausführt. Er Hat mitten im Gewühl der Aufloͤſung 
aller Bande des Gehorfams und des Ehrgefühls faft 
die claffifihe Ruhe jenes Renophon, ber uns mit einer 





| . 


Eindlichen Hingebung an das Einzelne, das der Augen⸗ 
blick bringt, den unglüdfchweren Rückzug ber Zehn- 
taufend ſchildert. Was wir bei den Alten claſſiſche 
Nuhe nennen, ſcheint uns beim Modernen nüchtern. 
Dieſen Zuſtand der Nüchternheit moͤchten wir nicht mit 
der blaſirten Abgeſtorhenheit verwechſelt wiſſen; dieſe 
Ruhe des ſchlichten Verſtandes in ihrer unerſchuͤtterlichen 
Feſligkeit iſt nur kindlichen Naturen eigen. Naturen 
dieſer Art aber fehlt jene ſittliche Entrüſtung, jene Er- 
bebung der hoͤhern Lebenskräfte zu einem Wollen, bie 
wir im Conflict moderner Interejfen der Menſchheit zwe 
Berechtigung für höhere Achtung fodern. Sittliche Em» 
nörung entwidelt plöglich ungeahnte Lebensgeiſter, beflü- 
gelt den pofttiven Muth zum Angriff, drängt zum Wag—⸗ 
niß, deſſen Gelingen uns ein Triumph dünkt, befien 
Scheitern unfer warmes Mitgefühl aufruft. Biegen 
oder Unterliegen! heißt ba das Wort und gilt. Diele 
Aufregung des Geiftes fehlt Naturen von fo ſchlichtem, 
fimpiem Bau, bie nur das Richtige, felten die höhere 
Wahrheit, zu welcher Begeifterung gehört, vor Augen 
haben. Das Richtige mit einfachem Verſtande zu tref- 
fen. iſt in flürmifchen Seiten, wo es bie Beiligften Le⸗ 
hensgüter zu retten oder. zu verlieren gilt, meiftens ſehr 
viel werth, aber doch nicht genug, unfern Anfoberungen 
zu genügen, Diefen Anfoberungen, die fich eben. mit 
bes Gefahr und mit dev Wichtigkeit ber bedrohten Hei⸗ 
ligthümer flsigern, entfpriht Rudolf Eickemeyer's Der- 
halten. in feinem ſtürmiſch bewegten Zeitalter nicht. In 

ochen freilich, wo nicht blos Alles Leidenſchaft iſt, 
fondern die Leibenfchaft für das Höhere fih nicht. felten 
mis gemeinen Antriehen färbt, muß es von großem In⸗ 
texeffe fein, den nüchternen Verſtand eines Ehrenmannes, 
ber. an feine Ehre nichts wagt aber auch nichts verliert, 
aus dem finfterfien Gewühl des bewegten ‚Lebens bin- 
durch fih ruhig und ſtill entwideln zu fehen. Dies 
Schaufpiel gewährt uns General Eickemeyer, diefer fühle, 
freundliche, nie geteübte, nie außer füch gebrachte Rhein- 
länder. Mich düntt, die ganze Landſchaft von Mainz 
habe daffelbe Blut und Rudolf Eickemeyer fei in vieler 
Hinſicht, auch in einer gewiffen Gleichgültigkeit gegen 
den Formenwechſel in Kirche und Staat, ein Vertreter 
feiner Landfchaft. Das geiftlihe Regiment mit feiner 
Erſchlaffung hat Sahrhunderte lang daran gearbeitet, das 
leichte, freie Blut des NRheinländers an Indifferenz ge- 
gen ſchwere Lebendfragen zu gewühnen. 

Ein Zug. aus der Jugend bes Mannes bezeichnet 
fhon früh die Eigenthümlichkeit feines Nature. Dex 
Knabe war zum Geiftlichen beſtimmt und follte in bie 
Zußftapfen feines Großoheims treten, der Dechant am 
Liebfrauenftift zu Mainz war, Er las heimlich in ber 
Bibel. Er ſtieß auf Stellen die ihm ungeheuerlich vor- 
famen, auf fhlüpferige Partien die ihm Angft machten, 
Der Gedanke, Geiftlicher zu werden, fihredte ihn jegt; 
ev gab ihn auf und bat die Seinigen inftändig ihn 
Soldat. werden zu laffen, wozu feine heitere Art ihn 
auch mehr beftimmte. Mathematik warb fein Kieblings- 
fiudium und bei Fleiß und gutem Verhalten ward er 


—2 


im Ingenieurcorps bes Kurfürſten bald zum Offizier 
und zum Lehrer der Kriegswiffenihaften an ber Uni⸗ 
verfität zu Mainz befördert. Er machte als junger 
Offizier den Feldzug der Pfaffenfoldaten gegen die Lät- 
ticher mit und erzählte und in ungeſuchter, ungeſchmink⸗ 
ter Weife komifche Züge davon. Ber Ton feiner Mib, 
theilungen, nicht fharf genug zur Satire, iſt immerfort 
jovial. Er will nicht verlegen, aber auch nicht ſittlich 
aufregen. Die Erbärmlichkeit jenes in allen feinen Stof- 
fen und Formen erfehlafften Zeitalters wird uns durch bie 
beitese Mittheilungsweife Eickemeyer's möglichft gelinde 
zur Schau geführt, während uns Georg Forfter in fei- 
nen Schilderungen höher flimmt und empört. Mit dem 
Eintritte des Frühlings 1791 Samen die Erecutions- 
truppen nach Mainz zurüd und fagten ſich mit vieler 
Selbfigefälligkeit, fie hatten die „Patrioten“ doch endlich 
über die Klinge fpringen laffen. „Patriot“ war damals 
dee Schimpfname für Männer von Ehre, die fi in 
Lüttich gegen die Anmaßungen eines fchmelgerifchen und 
lügnerifhen Pfaffen erhoben. Die Offiziere bebauerten 
nur, daß ihnen nicht mehr Gelegenheit geboten wurbe 
Patriotenblut zu vergießen. ALS ſich mehre diefer när- 
rifhen Helden, die in Lüttich die ruhigen Zufchauer ge⸗ 
fpielt, in einem Weinhaufe in folhem Zone lauter ver- 
nehmen ließen, erzählte ein junger Mann vom Civil die 
Geſchichte vom Bode, der, um feinen Durft zu loͤſchen, 
an den Bach geht, fih im Waſſer befpiegelt und beim 
Anbli feiner Hörner ftolz auf feine Kraft wird. Waͤre 
jegt nur der Wolf da! rief er aus, er follte ſchon ans 
fommen! Der Wolf hörte das und flellte den Bock zur 
Rede. Da entfchuldigte fih ber Bock und fagte, er 
babe es beim Trunke gejagt. 

Die Schilderung von Mainz unter ben beiden Kur- 
fürften Emmerih Joſeph und Karl Friedrih Joſeph 
(v. Ertbal) muß der Gefchichtsfreund willlommen heißen, 
denn Eleine Züge, ungefucht zwiſchengeſtreut, werfen oft 
mitten ins Dickicht der Zuftände ein überrafchendes Acht. 
„Damals hHerrfchten in Mainz Kriecherei, Unwiſſenheit 
und Aberglaube”, fagt Eickemeyer ganz einfah. Die 
Gewalt des Fürften war durch 24. Domcapitulare be 
ſchräͤnkt, die die öffentlichen Amter mit ihren Privat⸗ 
bienern befegten und das Land ausfogen. Der ftifts- 
fähige Adel befand ſich ausfchließlich im Befig der Hof- 
ftellen und erften Staatsämter. Alle Laften lagen auf 
dem Landmanne; der Stäbter zahlte wenig; die Güter 
des hohen Adels und ber. Geiftlichkeit waren’ gänzlich 
feuerfrei. Ohne die vielen Stifter, Moͤnchs⸗ und Non⸗ 
nenklöfter auf dem Lande, hatte Mainz felbfl deren et⸗ 
liche zwanzig; 3— 400 Müßiggänger fanden bier 
veichlicden Unterhalt; mit Ausnahme ber Sefuiten und 
der welfchen Nonnen, bie Unterricht gaben, befchräntte 
ſich deren Verpflichtung auf täglihen Chorgefang von 
einigen Stunden. Die Weltgeiftlihen und Stifts⸗ 
herren lebten felten ohne hübſche Hausbälterinnen, 
trieben Spiel und Jagd, hielten viel auf Baftereien und. 
vereinten fich gern bed Abends in Meinen Gefellfchaften 
beim Becher. Um ungeftörter und mit Wahrung des 





Anftandes fotchen gemüshlichen Freuden obzuliegen, waren 
ihre Wohnungen .in ber Regel fo gebaut, daß die Schlaf- 
und Gefellfhaftszimmer nah dem Hofraume binauslie- 
fen. Die Moͤnche mit firengerer Drdensregel befuchten 
Abende die Bürgerhäufer, machten, dort Familiencirkel 
mit und hätfchelten bie Weiber. DOffentlih, vor dem 
großen Haufen fpielten Alle die Andächtler, und Eide- 
meyer erzählt Tomifche Spuk- und Gefpenftergefchichten 
die zu feiner Zeit vorfielen. Baron Erthal war zu 
Emmerich Joſeph's Zeit als Gefandter nach Wien ger 
ſchickt, weil er ein Gegner des bisherigen Regiments zu 
ſein ſchien. Er erheuchelte ſich durch frommen Schein 
und ſtrenge Maximen die Stimme zur Kurwürde und 
wurde ſeines Gegners Nachfolger, um deſſen ſchlaffe 
Wirthſchaft mit dem ganzen Schimmer eines frivolen 
Freigeiſtes nur zu ſteigern. Die Andächtelei war nur 
Mittel zum Zwei für ihn gewefen; er warf bie Maske 
ab, hielt fi) Gefellfchafterinnen, die ihm die „Pucelle 
d’Orieans” vorlafen, verſchwendete unfinnig und berief, 
um fih einen Namen zu machen, Johannes Müller, 
Georg Forſter, Wilhelm Heinfe an die Univerfität. Am 
Berfaffer des „Ardinghello” Tiebte er nicht die Kraft des 
freien Naturmenfchen, fondern ben Darfteller wollüftiger 
Gemälde; Forfter, den er ſich vielleicht berief, um vom 
Weltumſegler hübfche Anekdoten zu hören, durchſchaute 
bald die ganze Wirthſchaft mit Ekel; Müller fchmei- 
chelte fich fell ein in die Gunſt des eiteln, hochwürdi⸗ 
gen Herrn. Eidemeyer, erzähle das nicht, aber wit wife 
fen es aus Forſter's Außerungen, entnehmen es aus 
der ganzen Stellung ber Figuren zueinander. Der Kur- 
fürft Hatte fi) von Preußen zum Fürftenbunde gewin- 
nen laffen. Die Auswürflinge Frankreichs, die prah⸗ 
lerifchen Gecken bed ancien regime, fanden an feinem 
Hofe glänzende Aufnahme; das ganze Elend des Fran⸗ 
zoſenthums jener Zeit in Deufchland ekelt uns in Mainz 
entgegen wie nirgendwo fonft im geſunkenen Vaterlande, 
während Frankreich felbft die alte heuchleriihe Schminke 
feiner gleißnerifhen Cultur abzumerfen und aus voller 
Bruft aufzuathmen beginnt. Als Cuſtine Speier er- 
oberte, befand die Befagung in Mainz, bem großen 
Bollwerk des Reichs, aus 1200 Mann, theils Invali⸗ 
den, theild Rekruten, theil® Truppen von fünf verfchie- 
benen Beinen Reichsfürften, Weilburgern, bie beim erften 
Lärm vom Heranrüden ber Franzoſen bavonliefen, fobaf 
die guten, immer. jovialen Mainzer das Witzwort mad- 
ten: Er reift aus wie ein Weilburger. Der Kurfürft 
war der Erſte der floh. Auf der Flucht hinterließ er 
noch den Sabinetöbefehl, daß Jeder, der von fegt ab bie 
Stadt verließe, ein Staatöverräther fei. Der Adel war 
ihm nämlich haufenmweife gefolgt, mit allen Schägen, mit 
allem Komfort und mit einem Aufwand, mit deffen Ko⸗ 
ſten zur Hälfte die Feſtung in guten Belagerungsftand 
gefegt werben konnte. Der ganze Hof war verfprengt, 
die Flucht war allgemein, vom Biſchof bis zum Kano- 
nicus, vom Premierminifter bis zum Sammerjunfer, vom 
Majoratsherrn bis zur Magd die ihn bediente Mainz, 


der Schauplag täglicher Luftbarkeiten, war ein ausges- 


ſtorbenes Neſt; der Bürger, auf den Luxus des Hefe 


verwielen, war brotlos, ohne Mittel und ohne Trieb 
zum Erwerb. Mainz, deffen Gräben ber Commandanr 
feit langen Jahren mit Küchenkräutern beflanzt, auf defr 


fen Schanzen ber Kurfürft feine Gärten und Luſthaͤuſer 


angelegt hatte, folte jegt gegen die Männer der Freiheit, 
die den Hütten Freundfchaft, den Paläften Verderben 
ankündigten, in Befeſtigungéſtand verwandelt werben. 
Der Kurfürft hatte noch, wie Forfter erzählt, eine Kriegs- 
faffe von ein paarmal hunderttaufend Gulden zufanmen- 
gebracht, zu welcher Adel und Geiſtlichkeit freiwillig bei« 
tragen — mußten. An diefen Fonds verkaufte er aus 
feinen Waldungen das Holz zu den nöthigen Pallifaden 
und gewann wmitteld biefer Jinanzoperation eine anfehn- 
liche Summe für feine Reife, ftatt zu den Kriegsbedürf⸗ 
niffen beizutragen. Die Yupillengelder und die Waifene 
kaſſe hatte er, vielleicht in der Zerftreuung oder aus 
allzu väterliher Fürforge, mitgenommen. Inzwiſchen 
wurde doch gerüſtet und Mainz möglihft in Stand ge 
fegt, einem Streifcorps zu trogen. Mehr als ein flie- 
gendes Corps hatte Guftine nicht, es fehlte ihm alles 
Belagerungsgeräth, er zog heran auf gut Glüd, ohne 
im Ernft an eine Bezwingung ber Feſte zu benfen. 
Der Franzofe ließ es ſich nicht fräumen, wie erbärmlich 
er die Grenzwehr des deutfchen Reihe fand, wie ehrlos 
zwölf Generale mit 3000 Mann jeden Gebanten an 
Widerftand aufgaben. Zu feiner Überraſchung öffnete 
ihm Mainz die Thore. Schon bevor ein Kriegsrath- 
zufammengetreten war, hatte der Gouverneur befchloffen, 
den Plag unter billigen Bedingungen den Franzofen zu räue 
men. General Graf Hagfelb erklärte fih, mie Eider 
meger erzählt, zuerft für bie Nothwendigkeit einer Capi⸗ 
tulation; General v. Faber trat diefer Meinung mit 
Hinzufügung dringender Gründe beiz Rüdt, Buſeck, 
Stuger find die Namen der deutfhen Generale, die ohne 
Weiteres zur Übergabe flimmten. Da der Fall von 
Mainz fo vorbedeutungsvoll für fpätere Jahre war, wo 
Offiziere mit preußifhen Adelsnamen fih an Feigheit 
überboten, fo muß wol biefe erfte große Schmach un- 
fers alten Jahrhunderts vorzugsmeife den Annalen der 
deutfchen Gefchichte tief eingegraben werden. Man fage 
nieht, daß die Thaten der Jahre 1813—15 jene Schmach 
ausgemerzt hätten. Diefe Thaten waren XThaten des 
Volks das fih endlich erhob. Jene Schnah war Er- 
gebniß des geiftlihen und ariftofratifhen Regiments, 
das auf lange hin mit feiner Sittenfäulnig auch bie 
untern Stände angeſteckt hatte. Überall wo ariftofrati- 
ſcher Dünkel unfern Fürften in die Zügel der Herrſchaft 
greifen wilf, halte man ihnen aus dem Buche unferer 
Gefchichte die Zafel entgegen, wo die Namen der Ehr⸗ 
fofen verzeichnet fliehen, die unfere Feſtungen fchamlos 
und ohne Schwertfchlag den Feinden überlieferten! 
Neben zwölf hochadeligen Offizieren vom Stabe war 
der Ingenieur⸗Oberſtlieutenant Eickemeyer ber Einzige, 
der im Kriegsrath zu Mainz gegen die Übergabe der 
Feftung flimmte. Der Gouverneur fragte ihn um feine 
Anfiht. Er antwortete, nach Dem, was foeben ſchon 


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einhellig befchloffen worden, würde feine Meinung über- 
flüffig fein. - Aber er könne nicht einfehen wie es felbft 
bei den flüchtig getroffenen DVertheidigungsanftalten dem 
Zeinde möglich wäre, einen offenen Angriff mit Erfolg 
auszuführen, fofern es nur Allen Ernſt fei Widerftand 
zu leiften. Der Gouverneur fragte ihn, ob er für die 
Folgen eines mislingenden Verſuchs zum Widerſtande 
perfönlich verantwortlich fein wolle. „Diefe Foderung”, 
fügt Eicdemeyer, „war bei ber eben laut gewordenen Ge- 
finnung ber Commandirenden und bei dem unter ben 
Truppen und ben Bürgern herrfchenden Geiſte doch 
wol etwas zu ſtark!“ 

Die Übergabe warb befchloffen und Eickemeyer ſelbſt 
wurde als Parlementaire an Cuſtine abgefendet. Er 
fand gute Kriegszucht im franzöftfchen Lager; ſchon in 
Speier, in Worms hatten die Franken fi edel benom- 
men. Königsblut klebte noch nicht an ihren Händen, 
Frankreich wollte damals mehr durch Die öffentliche 
Meinung als durch Gewaltherrfchaft fisgen, es hatte 
feierlich erklärt, e8 wolle feine Eroberung machen, aber 
“ der Freund und natürliche Bundesgenoffe jener Mölker 
fein, die fich für feine Grundfäge erflärten. Und dieſe 
Srundfäge, waren fie für den gefnechteten Diener ber 
elenden kurmainziſchen Hochwürdigkeit abfchredender Na⸗ 
tur? Wir müſſen dieſen Punkt ins Auge faſſen, um 
Forſter's und Eickemeyer's eigentliche Verraͤtherei, d. h. 
ihr Aufgeben der deutſchen Sache zu erlaͤutern. Es 
waren in Mainz bald Männer zuſammengetreten, die es 
vernunftbegabeer Welen für würdig erachfeten, über eine 
Regierungsform nachzudenken, bie auf den natürlichen 
echten des Menfchen und des Bürgers beruhe. Der 
Entſchluß war bei der Ungewißheit des MWaffenglüds 
ſehr gewagt und es gehörte ein hoher Grad von Selbft- 
verleugnung und Begeifterung dazu, um ihn zu faffen. 
Eickemeyer fagt: 

Die Srundfäge, auf denen Frankreichs neue Staatsver⸗ 
faffung in der erften Phaſe der Revolution beruhte, nämlich 
monardhifche, durch Vertreter des Volks gemäßigte Gewalt, 
Abfchaffung der das Land drüdenden Privilegien einzelner, 
Derfonen und Stände, gefiherte Rechtspflege und verbefferter 
Staatshaushalt , werben heutigentages allgemein und von 
allen Voͤlkern, die nicht etwa noch auf der unterften Stufe der 
Cultur ſtehen, al& die einzige und nothwendige Grundlage des 
öffentlichen Glücks und einer zwifchen dem Herrſcher und dem 
Bolke gefiherten Wohlfahrt angeſehen. Sie beftanden zwar 
damals als die Franzoſen nah Mainz Famen nicht mehr in 
ihrer erften Reinheit: Gewaltthätigkeiten, an die Stelle des 
Rechts gefreten, und ungezuͤgelte Leidenfchaften hatten fie über: 
fpannt und verberbt. Allein das Übel, als Folge eines heftigen 
Kampfs zwifchen Denen bie auf das Reuzufchaffende drangen, 
und Jenen die vom Althergebrachten nicht laſſen wollten, konnte 
nicht von Dauer fein; man mußte endlich zu ruhiger Befonnen- 
beit zuruͤckkemmen. Die Anhänger an der Sache der fogenann: 
ten Neufranken mochten daher auch, ungeachtet der graufamen 
Misbraͤuche, welche diefe edle Sache zuerft erfahren hatte, ihr 
doch nicht entfagen ; fie hofften daß Vernunft über Vorurtheile, 
Wahrheit über Trug fiegen würde. \ 

Darauf bin und in diefem guten Glauben nahm 
Eidemeyer Theil an der Sache ber Franzoſen, 
denn fie ſchien ihm eine Sache ber Menfchheit. Gu- 


ftine felbft machte ihm, als Eickemeyer Nachts vor 
fein Lager trat und ihm bie Botfchaft von der Ent- 
fchliegung feiner Generale brachte, eben auch nur ben 
Eindruck eines conftitutionnellen Monarchiſten. Cuſtine 
war geſprachig, er ließ ſich ſogar auf die Innern Zu⸗ 
ftände Frankreichs ein. Ludwig XVI. konnte nad ſei⸗ 
ner Anſicht nach dem allgemein verlorenen Vertrauen, 
nach dem Verſuch einer Flucht zu ben Feinden nie wie- 
der den Thron befteigen, aber er hoffte, dag man bis 
zur Molljährigfeit feines Sohnes das Reich unter bie 
Regentſchaft würbiger Männer fegen und dem Prinzen 
eine den liberalen Grundfägen ber Franzofen angemef- 
fene Erziehung geben werde. 

Died — fagt Eidemeyer — war wirklich ber Plan, den 
Euftine damals im geheim verfolgte, — gewiß für das Wohl 
Frankreichs und ganz Europas der befle, wenn er ausführbar 


gewefen wäre. 
(Die Zortfegung folgt.) 





Literarifhe Notizen aus England. 


Das Nibelungenlied in England. 

Bor einigen Jahren löfte eine Dame, wenn ich nicht fehr 
irre eine ruſſiſche Gräfin, die gewiß nicht leichte Aufgabe, die 
gebildete Welt des Auslandes durch eine Bearbeitung des Ni⸗ 
belungenliedes in franzöfifher Sprache mit den Schägen unferer 
alten Heldenfage befannt zu machen. Das „Journal des d&bats” 
theilte damals ihren Lefern und Leferinnen, um diefelben auf die 
Schönheiten der Dichtung aufmerffam zu machen, feltfamer- 
weife gerade jene Stelle daraus mit, wo Günther im Braut: 
gemad mit dem Mannweib Brunhilde ringt und er von diefer 
befiegt, ftatt die Freuden der Brautnacht zu genießen, an 
einem Nagel aufgehängt wird. Jetzt hat audy ein Engländer, 
3. Goftit, in feinem „Spirit of German poetry’’ unter Anderm 
feine Landsleute mit unferm alten Rationalepos befannt zu mas 
hen geſucht, indem er den Inhalt deffelben erzählt und hier 
und da mefrifche Übertragungen einzelner fhöner Stellen daraus 
mittheilt. So überträgt er 3. B. die befannte Eingangsſtrophe 

Es wuchs in Burgonden ein edel Magebin 
Daz in allen Landen nichts ſchoneres mogte fin 
Ehrimehilb was fie geheizen und was gar fchone Wip 
Darumbe muften verliefen vile kuone Degnen den lip 
wie folgt 

In Burgundy there flouriehed ea maiden wondrous fair 

In all de lands around nonewith her could compare 

And Kriemhilde was the name of this most beauteous maid, 

For whose sake many warriore brave in bloody graves were laid. 


Die Ausleger der Apokalypſe. 

Ein engliſcher Swedenborgianer, der Geiſtliche Cliſſold, 
hat in einer „Review of the principles of apocaliptical in- 
terpretation” alle die unzähligen Anfichten und Auslegungen 
gefammelt, die von ben älteften Beiten des Chriftentbums bis 
Auf unfere Zage über den Inhalt der Offenbarung Sohannis 
zum Borfchein gefommen find, eine Sammlung, ber man, von 
unbefangenem und unparteiifhem Standpunkt aus unternoms 
men, füglich den Titel eines wichtigen Beitrags zur Gefchichte 
der Berirrungen und Yusfchweifungen des menſchlichen Beiftes 
beilegen koͤnnte. Auch der Verfaſſer diefer Sammlung ift ber 
Anſicht, daß alle feine Dorgänger bei Auslegung des räthfel- 
baften Buchs den unrehten Weg gegangen und er will in 
dem dritten Theile feines. Werks, der noch nicht erfchienen ift, 
den wahren zum Deften geben. Aber nach der Sekte, der er 
angebört, zu urtheilen, wird er nur die Anzahl ber frühern 
Träumer und Schwärmer vermehren helfen. 12. 


Berantwortlier Herausgeber: Heinrich Wrodfans, — Druk und Verlag von F. U. Wrodpans in Zeipzig. 





Blätter 


literarifche 


für. _ 


Unterhaltung. 





. Freitag, 





Dentwärdigkeiten des Generals Eickemeyer. Hernud» 
gegeben von Heinrih Koenig 
( Vertfegung aus Nr. 2.) 

Die hohen Generale von Mainz, beren Feigheit le⸗ 
diglich den Berrath an ber Sache des Waterlandes ver- 
übt, waren in Folge der Gapitulation abgezogen; einer 
ausgenommen, ber nebft Eickemeyer beauftragt war, den 
Mag erſt nad förmlicher Befegung von Seiten ber 
Pranzofen zu verlaffen. So fam Eidemeyer mit dem 
Dbergeneral ber franzöfifchen Truppen in weitere Be: 
rehrung. Deffen politifhe Anfichten waren von ben 


feinigen nicht verſchieden und Euftine machte ihm beim- 


Austaufh ihrer Meinungen den Antrag in franzöfifche 
Dienfte zu treten. 


In. der kurfürſtlichen Militeirverfaffung — fagt Eicke⸗ 


meyer — beftand kein Geſetz, das den Dffigier- Hinderte, nach 


Gutbefinden feine Stelle nieberzulegen und andere Kriegsdienſte 
zu nehmen; er glaubte alfo ohne Pflisptverlegung den Antrag 
annehmen zu Fönnen. 

Dies find feine Ausdrücke und hier ift der Punkt 
in Eickemeyer's Berhalten, der etwas Merlegendes hat. 
Wäre er aus Leidenfchaft für die Sache der Menfchheit, 
die er damals von den Franzofen vertreten glaubte, ſtür⸗ 
mifh zu ihren Fahnen übergegangen, fein Schritt er- 
ſchiene mir gerechtfertigter.. Er befpricht feinen Über- 
trätt zur Partei der Feinde Deutſchlands wie einen 
gleichgültigen Entfhluß, ohne Kampf, ohne Schmerz, 
febft nicht von Ruhmſucht umd Thatendrang getrieben; 
1e- befpricht ihn mit derſelben kühlen Niüchternheit, mit 
der er bie fittliche Faͤulniß feiner heimiſchen Zuftände 
ſchildert. Wir entziehen ihm bier unfer tieferes In⸗ 
texeffe, weil er in feiner Harmloſigkeit das Schickſals⸗ 
volle in der Wendung ber Dinge nicht ahnte. Die 
deutfhe Sache Die er verlief war freilih ein Sumpf, 
der alle guten Kräfte gleichgültig verfchlang und be- 
geub. Und wen ein befferes Bewußtfein von der Auf: 


gabe des Menfchen erfüllte, als Deutfchland fie damals 


für fi. und feine Söhne: ftellte, konnte leicht zu dem 
Egoismus geführt werden, ber fich felbft das Loſungs⸗ 
wort gibt: Nette fih wer kann! Bon. gewinnfüchligen, 
unreinen Beweggründen blieb bie ruhige, einfach ver 
ſtaͤndige Seele: Eickemeyer's frei. Werfe deshalb Nies 
mand von. ben Nachgeborenen einen Gtein auf’ ihn! Ich 
ſpreche ihm blos das tiefere Intereffe ab, das ber rin- 


i. gende, ſchmerzlich im Kampfe mit ſich ſelbſt und ben 


een der Menſchheit Befangene mit größerm Recht 
verdient. | 

Eickemeyer fihrieb an den Kurfürften,. ihm den Dienſt 
auffündigend, und nahm feinen Anftand. ihm zu fagen, 
daß das Deutihe Reich noch im Beige der Feſtung 
wäre, bitte man ibm Gehör gegeben. Gr Tief dam 
Schreiben in bie frankfurter und die mainzer Zeitung, 
rücken; Feiner darin enthaltenen Angabe ward wider⸗ 
fprochen; nur feinen Bater ließ man es entgelten. Als. 
der Kurfürft bald nad) MWiedereroberung der Feſte ducch 
bie Preußen feinen Einzug in Mainz hielt, fuchte man 
überhaupt das zurückgekehrte Schamgefühf in Wuth und 
Rachedurſt zu eriiiden. Es ift nicht das einzige Mal, 
dag beutfche Regierungen Rache übten, wo fie flrafen 
ſollten. Jeder Mainzer, deffen Name fi auf ber Liſte 
der Clubiſten fand, fah ſich der Erbitterung des zurück⸗ 
kehrenden Adels, der Mishandlung der gereisten Solda⸗ 
ten, der Zügellofigkeit eines raubfürhtigen Pöbeld preis. 
gegeben. Ohne Anfchuldigung eines durch die Geſetze 
bezeichneten Verbrechens, lediglich ald Clubiſt, ohne Rüd- 
fiht auf Alter und Krankheit, warb der Bürgerdmann 
in ungefunde Kerker geworfen, in denen einige ohne 
ärztliche Pflege ftarben. Ein unbefholtenes, blühendes 
Mädchen, erzähft der ruhige Eickemeyer, des nie über 
treibt, nie aufgeregt ift, — wurde mit Flintenkolben fo 
mishandelt, daß fie nach zwei Zagen flard. Man legte 
ihr nichts zur Laſt ald daß fie auf einem Liebhaber: 
theater unter Direction ber Clubiſten gefpielt habe. Ihre 
beiden jüngern, ebenfalls mishandelten Schweſtern folg- 
ten ihe bald nad, Miele rechtliche Männer, die ohne. 
die mindefte Theilnahme an Politit in Mainz geblieben 
waren und während der Belagerung, in welcher Deut- 


fche eine beutfche Stadt einzuäfchern fuchten, den Wurf⸗ 


feuern ausgefegt,. oft genug ihr Leben gewagt hatten; 
um Wohnung. und Eigenthum ihrer ausgemanderten 
Mitbürger zu fihügen, wurden nicht minder bie Opfer 
des Parteihaffee. Geplünbert, verhaftet, über ihr Ver⸗ 
halten zur. Verantwortung gezogen, wurden fie in: Er⸗ 
mangelung anderer &chulb, blos als ber Anhänglichkeit 
an die franzoͤſiſche Verfaſſung verbächtig,. aus des Stadt 
verwiefen. Me mainzer Regierung theilte damals dem 
Grundſatz der franzöfiichen Emigranten, nad) welchem fie 





ſich lediglich für die eigentliche Nation anfah und Ale, 
die nicht fo feig wie fie entflohen waren als Bater- 
kandefeinde behandelte. Jene Clubiſten wurden einige 
Fahre lang auf Feſtungen aufbewahrt. Dort mit mehr 
ober weniger Härte behandelt, je nachdem bas Kriegs: 
glück fih auf dieſe oder jene Seite neigte, verbankten 


fie ihre endliche Befreiung ben von Frankreich über die 


Verbündeten erfochtenen Siegen. Nach ber Abtretung 
von Mainz kehrten fie in ihre Vaterſtadt zurüd und be» 
zeichneten ihre Ankunft durch eine feierliche Erklärung 
gänzlicher Vergebung und Vergeſſenheit der ihnen zuge- 
fügten Übel. | 

Bei der Wiedereroberung von Mainz durch bie 
Preußen, bei der Plünderung und PVerheerung ber beut- 
fhen Stadt durch Deutfche, ‚fteht in ben Annalen nur 
ein einziger denfwürdiger Zug ehrenhafter Gefinnung. 
Prinz Louis, der fpäter bei Saalfeld blieb, ein genialer 
Menfch, der weit mehr dem Gefühle der Erbitterung ge: 
gen ein entartetes Zeitalter ale ben Kugeln der Feinde 
erlag, ließ Georg Forſter's des Weltumfeglers Haus 
durch eine Wache fchügen. Wo die Wiffenfchaft in den 
Büchern bes Lebens nach Wahrheit geforfcht, gleichviel 
ob fie fie gefunden oder vergeblich gefucht, da follte die 
rohe Fauft nicht walten, die deutfche Hand ſich nicht 
mit Schmach bedecken. Eickemeyer erzähle nichts davon, 
aber es ift von andern Seiten hinreichend beglaubigt. 
Damit war freilich der Erbaͤrmlichkeit nicht abgeholfen, 
daß man auf Forſter's Kopf einen Preis fegte, einen 


Preis von ſolcher Geringfügigkeit, daß Forſter ſelbſt 


darüber fpotten mußte. Es ift Hier nicht am Orte, 
Forſter's tragifches Ende in den Kreis der Eickemeyer'⸗ 
fhen „Denkwürdigkeiten“ zu ziehen. Freilich erfolgte 
Strafe auf feine Losfagung von dem Schidfale deutfcher 
Nation, bie Strafe der bittern Enttäufhung, in Frank⸗ 
reich den DVertreter der Sache der Menfchheit, in Paris 
die Köfung der Aufgaben bes neuen Zeitalterd zu fu- 
hen. In den Tagen der Tiger lag dort bie Wohlfahrt 
des Geſchlechts; fo fand er die Dinge zur Zeit bes 
Terrorismus, und Gram und Verzweiflung tödteten ihn 
fit ab. Don feinem Gefährten Zur, mit welchem For- 
ſter im Frühjahre 1793 von Seiten der Stadt Mainz 
nach Paris geſchickt mar, berichtet Eickemeyer kürzlich. 
Zur farb unter ber Guillotine. rgriffen von Abfcheu 
vor den Graufamkeiten, die unter dem Scheine des Re 
publifanismus verübt wurden, trat er nämlich mit einer 
Verteidigung ber Charlotte Corday auf, als kein Fran⸗ 
zofe e8 wagte feine Stimme für das Weib zu erheben, 
das fo vielen deutfchen Herzen ein begeiftertes Mitge- 
fühl erwedte. „Ich weiß es“, redete Lux die Jako⸗ 
biner in einer andern Schrift, in feinem «Aufruf 
an das franzöfiihe Voll» an, „ihr feid allgewaltig, 
erklaͤre aber nichtsdeſtoweniger, daß ich nicht aufhören 
werde euch öffentlich anzugreifen, bie ihr mid aufs 


Schaffot führt ober eurer angemaßten Gewalt entfagt, 


die ihr zu Gräuelthaten und zum Untergang der Frei- 
beit mißbraucht!” Pelie Blau, ein dritter Clubiſt, Pro- 
feffor der Theologie und Vorſtand des Seminars in 


Mainz, allgemein geſchätt ald Gelehrter und noch mehr 


als biederer menfchenfreundlicher Mann, flarb 1798 zu 
Mainz an den Folgen der bei der Wichereroberung er⸗ 
littenen Mishandlungen. Retzer, der vierte, den Eide- 
meyer aufführt, farb als Praͤſident des Tribunale zu 
Kaiſerslautern, ſeiner Kenntniſſe, feines uneigennügigen, 
dnfceundlich biedern Charakters wegen allgemein 
geachtet. 

Rudolf Eickemeyer's fernere Schickſale waren ohne 
tragiſchen Ausgang, aber auch ohne Aufſchwung nach 
innen oder außen. Er zeigt uns überall das Bild der 
ſimpeln Rechtſchaffenheit, die in leidenſchaftlich bewegten 
Zeitläufen nirgend eine dauernde Stätte, nirgend eine 
angemeffene Stelle findet. Die Ereigniffe erfchüttern 
ihn nicht, fie treiben ihn nicht zurüd, fie reifen ihn 
nicht vorwärts; er fühle fih der Welt gegenüber mit 
feinem anſcheinend fo praftifchen Sinne bald auf fi 
felbft und die unverlierbare Reinheit feines nüchternen 
Willens verwiefen. Weder Stimmung noch Talent 
drängen ihn in eine glänzende Laufbahn, wo die Keiden- 
haften ihren Wettkampf eröffnet haben und der Ehr⸗ 
geiz, die Ruhmſucht, die Gier nach Herrichaft ſich bald- 
mit diefem bald mit jenem Mantel verbrämen. Die 
einfache Redlichkeit ſah fi) bald beifeite gefchoben. 
Klar, einfihtig im Einzelnen, unb mit der unveraͤußer⸗ 
lichen Ruhe die ihn bezeichnet beurtheilt Eickemeyer 
bruben wie hüben die Fehler feiner Umgebung, ohne 
doch den Anreiz zu fpüren, mit emergifcher Fauſt in 
das ſchwaͤchliche Gewebe der Menfchen zu greifen, die 
erfchlafften, misbrauchten Zügel an fich zu reifen. Cu⸗ 
fline, der ihn anfangs nad) Blaubensbefenntnig und 
Haltung als Menfc und Krieger für fih eingenommen, 
erliegt ebenfo bald wie die Generale von Mainz; bem 
ruhigen Calcul feines Verſtandes. Er machte unter ihm 
den ganzen Feldzug am Rhein mit und warb zum Ge- 
neral ‚befördert, obfchon fein Angriffsplan verworfen. 
wurde. Eickemeyer charakterifirt feinen franzöfifchen Be⸗ 
fehlshaber mit folgenden Worten: 

Euftine befaß Fein Feldherrntalent und war theil& nicht 
mit Zeuten umgeben, die ihn hätten berathen Fünnen, theils ließ 
es feine @igenliebe nicht zu fremden Rath zu befolgen. Über- 
müthig durch das Gluͤck, das ihn in Mainz begünftigt hatte, - 
neigte er fein Ir der Schmeichelei, traute ſeinen Kraͤften zu⸗ 
viel zu, verſprach dem Convent und den Miniſtern mehr als 
er leiſten konnte, und war dann ſehr geneigt, um feine Fehler 
zu beiden, Andere zu opfern. So befdyuldigte ex die Generale 
Kellermann, van Helden, Reumwinger u. U. ded Verraths. Er 
würde felbft nach dem Überfalle bei Hochheim Houchard nicht 
verfchont haben, wenn diefer nicht fein eigene® Geſchoͤpf gewe⸗ 
fen wäre und er ihn nicht vorher dem Convent auf eine zu 
vortheilhafte Weife empfohlen hätte. In feinen Berichten wich 
@uftine nicht felten von der Wahrheit ab und nahm keinen 
Anftand feinen Adjutanten Sachen gu itiven, von deren Gegen: 
theil fie Augenzeugen geweſen. ine politiſchen @runbfäge 
waren zwar —* die conſtitutionnelle Monarchie; aber er war 
keineswegs des Verraths gegen die Republik ſchuldig. Die ge⸗ 


gen ihn aufgeſtellten Anklagepunkte waren erbaͤrmlich, und die 


hoͤchſte Verachtung verdienten die wider ihn aufgetretenen 
Beugen. Sie waren in Allem was auf den Krieg Bezug: 
hatte fo unwiſſend wie feine blutgierigen Richter ſeibſt, die 


von Rache, von perfönlichem Haffe geleitet, oder vollends Rar⸗ 


ven waren. Die wirfiichen Fehler, deren fig Euftine ſchulbig 
gemacht hatte, und bie nur Folgen feines beichränkten Talents 
und feines eiteln Charakters waren, Tamen bei feiner Berur⸗ 
theilung gar nicht in Betracht. — 

(Der Beſchluß folgt.) 





Rime antiche, ossia poesie liriche italiane de’ secoli 
xl, XIV, XV, scelte ed illustrate da Luigi Sel- 
liers di Moranvile. Wien, Kaulfuß, Prandel und 
Comp. 1845. 4. 1 Thlr. 20 Ner. 

n öfter ift über die Vernachlaͤſſigung Befchwerde ge: 
führt, welche die altitalienifchen Lyriker im Vergleich mit den 
deutſchen und provencalifchen bis jegt erfahren haben. So rei: 
ches Material auch die Handſchriften für die italienifche Dicht: 


. Zunft des 13. und 14. Zahrhunderts bieten, fo weni 


ift do 
davon gedrudt, und died Wenige mit geringer Kritik, netten 
umter falfhen Namen, und was fchlimmer ift mit entftelltem, 
nicht felten völlig unverfländlichem Wert. Überdies bietet bie 


-alterthümliche, noch in der Beftaltung begriffene Sprache je- 


ner Alten bedeutende Schwierigkeiten, und fo erklärt es jich 
Denn leicht, wie die Literaturgefchichte, wenn fie der Altern 
2yrif in Italien gedenft, ihr Auge faft nur dem glänzenden 

eftirn von Bauclufe zumendet. Dennoch hängt die Iyrifche 


‚ Bildung Petrarca’6 lange nicht fo ausfchließlich als häufig be 


bauptet ift, ja nicht einmal vorzugsweiſe, mit der der alten 
Srovengalen zufammen, fondern ift vielmehr ald naturgemäße 
rtentwidelung aus der Bildungöftufe feiner italienifchen Bor: 
—* hervorgegangen. Es beſchraͤnkt fi aber das Intereſſe 
an jenen aͤltern Dichtern keineswegs auf jenen nur geſchicht⸗ 
lichen Sefihtöpunft. Im Gegenfage gegen die Überverfeine: 
zung des Meſſer Francesco, feine dreimal beftillirten Empfin- 
dungen, feine fauber gebrechfelten, nabelfpigen Phrafen, finden 
wir bei jenen Alten wenigftens zu Zeiten die naturkräftige 
Sprache eines gefunden Gefühle. Auch find ed durchaus nicht 
allein Lieder der Kiebe von denen diefer ältere Parnaß ertönt. 
Mande erörtern fperulativ einzelne der großen ragen des 
Dofeins, ober ftrafen bie Unfitte der Zeitz wieder andere find 
Hymnen des frommen Glaubens, der die Beit dDurchbrang. *) 
Um uns dieſe Fundgruben befler zu erfchließen als bis 
dahin gefhehen war, konnte Zweierlei gethan werden. Einmal 
boten die Bibliotheien, namentlich die von Mailand, Venedig, 
Florenz und Rom reihen Borrath von ungebrudtem Material, 
defien vollftändige Ausnugung nach manche Generation, befchäfs 
tigen Tann, fodann aber bedurften diefe ehrmürbigen Überrefte 
eines in fo vielfaher Beziehung uns weit entrüdten Alter: 
thums gar häufig kundiger Deutung. Rühmliches in beiden 
Begiehungen bat in neuefter Zeit der wackere Vincenzo Ran: 
nucci (‚„Manuale della letteratura del primo secolo della lin- 
gua italiana’, 3 Bde,, Florenz 1837 — 30) geleiftet. Seltene 
Kunde beweift Rannucci namentlich in der provengalifchen Bit 
teratur, und die zahlreichen Parallelen, welche Eaftelvetro, Cre⸗ 
feimbeni, Perticari und Galvani nachgewielen, dürften zuſam⸗ 
mengenommen kaum den Reichtbum von Nannucci erreichen. 
Weniger erihöpfend ift feine Bekanntſchaft mit den einheimi- 
ſchen Zeitgenoſſen der Schriftfteller, deren Erläuterung er über: 
nommen, und obwol er auch in diefer Beziehung. die Verglei⸗ 
"hung mit Undern nicht zu feuen bat, beruben doc feine 
Interpretationen nicht felten auf irrigen Grundlagen, und un» 
ter Anderm konnte es ihm geſchehen (II, 286), einige Stro- 
phen der vielleicht berühmteften Gangone von Dante („Voi, 
che ’ntendendo il terzo ciel movete”) als ein unedirtes Ges 
dit von Guido Novello da Polenta herauszugeben. 
Benn nun ein Artikel der augsburger „Allgemeinen Bei» 
tung” Hoffnung machte, Hr. Luigi Sellierd di Moranville, 


*) Eine Gharakteriftit ded „‚Minnegefangd in Italien’ babe ich 
verfudt in Newmont’s „Italia (Sahrgang 1838, ©. 18— 186). 


231 


dem als Beamten der k. k. Hofbibliothef in Wien zu weitver⸗ 
breiteten literariſchen Berbindungen, namentlih auch in Star 
tien, reiche Selegenheit geboten war, werde in feiner Samm⸗ 
lung altitafienifcher Gedichte (die auf dem Unifchlagstitel ziem⸗ 
lich unitalieniſch als „Rime autiehe edite da Luigi Selliers _ 
di Moranville’” bezeichnet werben) ungedruckte Fundgruben er⸗ 
öffnen, fo fcheint dies zwar auf. entfchiedenem Irrthum zu bes 
ruhen; doch haben wir feinen Grund darüber zu rechten, da 
der Herausgeber in feiner nur allzu kurzen Borrede nichts Ders 


| gleichen verfpricht, und da ſchon in gehöriger Bearbeitang des 


gedrudt vorhandenen Stoffe, an kritiſcher Sichtung der Autor« 
namen, an Berichtigung des Bertes und vorzugsweiſe an ges 
böriger Erklaͤrung hinreichend genug zu thun vorlag. 

Es ift nun zu prüfen, ob auf diefem befchränttern Ge: 
biete Hr. v. Moranville billigen Erwartungen genügend ent⸗ 
ſprochen hat. 

Was zunächft den äußern Umfang betrifft, fo finden wir 
248 Gedichte, von 101 Dichtern aus dem 13., 14. und 15. Jahr⸗ 
hundert zuſammengeſtellt. Darunter werden 43 Dichter des 

3. Jahrhunderts mit nur 62 Poeſien aufgefuͤhrt; Dagegen 
erfiheinen 39 Autoren des 15. mit 111 Gedichten, und 20 des 
14. (Dino Frescobaldi, der ſchon im 13. Sahrhundert einen 
Platz gefunden, ehrt naͤmlich im 14. noch einmal wieder) gar 
mit 79. Während nun bie überwiegende Reichhaltigkeit der 
für dies leptere Jahrhundert ausgewählten Stüde durch die 
Kamen Dante, Cino von Pifloja, Petrarca und Boccaccio Hin- 
laͤnglich gerechtfertigt wird, und während wir auch im Allge⸗ 
meinen mit bem Herausgeber über die von ihm getroffene Aus⸗ 
wahl nicht rechten wollen, müflen wir doch bedauern, daß uns 
nicht, flatt mancher ziemlich gehaltlofer Reimereien aus jener 
Zeit, umfaflendere Proben von den bedeutendften unter den 
Dichtern des 13. Jahrhunderts geboten find. So erfcheint es 
denn namentlich unzureihend, wenn Pietro delle Vigne, Ja⸗ 
copo da’Lentino und Brunetto Latini jeder nur durch ein Go⸗ 
nett, und bie beiden ältern Guido (delle Eolonne und Gui⸗ 
nicelli) jeder nur durch eine Canzone vertreten find. 

Die Frage, aus welchen Quellen der Herausgeber gefchöpft 
babe, läßt fich bei feinem eigenen Stillſchweigen und bei dem 
unverfennbaren Schwanken mit dem er verfahren iſt, nicht 
durhgängig mit Sicherheit beantworten. Jedenfalls aber ift 
die Erwartung, das überreihe Material, welches Hrn. v. Mor 
ranville leicht zu Gebot jtand, mit einiger Vollſtaͤndigkeit bes 
nugt zu ſehen, unerfüllt geblieben. Noch auffallender aber 
als daß manche Hülfsmittel, und zum Theil fogar leicht zu⸗ 
gängliche, überfehen worden find, ift der Umftand, daß fidhern 
Spuren zufolge andere dem Herausgeber wohl befannt waren 
und dennoch an zahlreichen Stellen, wo e& dringend nothwen⸗ 
dig geweſen wäre, nicht von ihm benugt wurden. So bat ber 
Herausgeber 3. B. Spalte 51, 52 die Canzone des Dino Fres⸗ 
cobaldi aus Rannucei’8 oben erwähnter Schrift (IT, 108) ent» 
lehnt; die zahlreichen Berichtigungen aber, welche ihm Ran» 
nucci zu 24 Gedichten des erften Jahrhunderts geboten hätte, 
find vernachlaͤſſigt. Ebenfe ift das bier mit aufgenommene ſechste 
Sonett des Cino (Sp. IT) erft von Eiampi herausgegeben 5 
übrigend aber findet fih in den mitgetheilten Gedichten 
Eino's Beine Spur, daß Eiampi’s mit Necht gepriefene Aus» 
gabe gebraucht fei. Endlich finden. wir in den Gedichten Dan» 
te's, obwol der Herausgeber ſich in Betreff derfelben Fraticelli 
ausfchließlich zum Führer genommen, noch einzelne Textesent⸗ 
ftellungen (3. B. &p. 63, Sonett 5, 8. 6), die feit den Zeiten 
bes alten Giunta aus allen Ausgaben verfhwunden waren. 

Für die Gedichte des 13. Jahrhunderts ift bie Sammlung 
Valeriani's („Poetà del primo secole’', Florenz 1816), fo weit 
diefelbe reicht (und mit Ausnahme der einen aus Nannucci ent- 
lehnten Canzone) ausfchließlich benugt. Balerioni hat aber die 
Gedichte derjenigen Autoren nicht mit aufgenommen, deren 
Poefien felbftändig gelommeit find: namentlich bie des Guit⸗ 
tone d'Arezzo, des Brunetto Latini und des Guido Eavalcanti. 
Den Erften ımd den 2egten fcheint nun Hr. v. Moranville 


wit in den nern Ausgaben von Walesiani (Floreng 1998) 
wad Cicciaporci, fondem nur nach der alten Sammlung des 
&iunte (1527) benugt zu haben. Dos einzige Sonett des 
Beundto ſtamnt aus Grebeimbeni. 

Die Meibe der Dichter, von denen Proben mitgetheift wer⸗ 
den, stöffnet ale der ältefte der Sieneſe —*z* de’ Fol⸗ 
cacchieri, den der Herausgeber zu Anfang des 13. Jahrhun⸗ 
derts ſegt. Ciullo d'Alcamo gilt ihm zwar ats noch älter, 
doch Tchlisßt en deſſen bekanntes Zwiegeſpräch als in zu nie 
derer Sprache gedichtet von feiner Sammlung aus. Wir bes 
dauern, ein. fo charakteriſtiſches Beiſpiel altſitiliſcher Sinnesart 
nicht aufgenommen zu fehen, halten aber nad den fehr forg- 
fältigen Unserfuchungen des wackern be Angelis die von Hrn. 
v. Moranville in, der Vorrede ziemlich geringſchaͤtzend verwor⸗ 
fene Meinung. allerdings für bie richtige, daß Foicacchiero um 
1177, Ciullo aber erft unter Friedrich II, genauer nad 
1231, dichtete. 

Unter den Gedichten des 13. Jahrhunderts ift Spalte 38 
unter dem Namen des Mico von Siena nad Baleriani's Vor⸗ 
gang (IT, ALT) die Ballade mitgetheilt, an welche Boccaccio 
£„Delameron”, X, 7) die Entwidelung einer feiner Novellen 
nüpft. Wie aber ſchon von Andern bemerkt ift, rührt dies 

jeriiche Gedicht aller Wahrſcheinlichkeit nach von Boccaccio 


jbft her. 
ee die folgenden Beiten fland dem Herausgeber PRaleriami 
nicht mehr zur Seite, doch vermehren ſich mit jedem fpätern 


Zahrzehnd die Hülfsmittel, und fo follen denn bier nur noch 


über eingelne der dem 14. Jahrhundert angehörenden Gedichte 
ein paar Bemerkungen gemacht werden. Das zweite Buch er- 
äffnet Dante. Auf jebn Sonette (von denen fieben der „Vita 
mova“ angehören) folgen fünf Ballaten, deren erſte gleichfalls 
der „Vita nuova’’ entlehnt ift; den Beſchluß macht eine Can⸗ 

e („Amor, che muovi tua virtä dal cielo‘‘). Iſt nun diefe 
Vnege Auswahl, befonders in Betreff der Canzonen, fidher un. 
genügend, fo ift befonder8 zu beklagen, daß unter biefen weni 
gen Gedichten wenigftens eind (die Ballate „Fresca rosa no- 
vella”) wol unzweifelhaft nicht von Dante, fondern von Guido 
Ganalcanti, oder nach Andern vom König Enzius herrührt. 
Außerdem find die drei Legen Sonette und noch eine Ballate 
Foichè sasiar non posso gli occhj miei’’) von zweifelhafter 


theit. 

Überhaupt ſcheint die ſchwierige Frage, ob bie einem Dig. 
ter zugefchriebenen Poeſien ihm auch wirklich angehören, Hrn. 
v. Moranville wenig befchäftigt zu haben. inter den vier 
Ganzonen ded Eino von Piftoja, bie Aufnahme erhalten haben, 
find drei, ohne daß fich darüber hier eine Notiz fände, in ans 
dern Ausgaben, obwol mit Unrecht, Dante beigelegt; eine aber 
(„La bella stella che ’l tempo misura‘') eüpet wol unbedenk⸗ 
li von Buido Buiniceli her. Noch befrembdlicher ift ed, ohne 
alleæ Autorität, lediglich auf Grund einer willlürlihen Vermu⸗ 
thung, eine wol richtiger dem Fazio degli Überti beigulegende 
Gangone unter den Gedichten des Boccaccio zu finden. Manche 
dieſer Miögriffe wären ficher vermieden worden, wenn Hr. v. 
Moxanvpille den deutichen Korfchungen über verwandte Gegen- 
ftände, mindeftens den in Wien felbft gedruckten, einige Auf: 
merkſamkeit hätte zumenden wollen. *) 

Eins der wefentlicften Erfoderniffe für ein Buch, das 
die altitalienifche Lyrik zugänglicher zu machen dienen follte, 
wäre die größte Gorrectheit des Textes geweſen. Berzichtete 
dee Herausgeber alfo auch auf das DVerdienft, in ben biöheri- 
gen Wusgaben befindliche Entſtellungen zu berichtigen, fo lag 
ifm wenigftens ob, mit der größten Sorgfalt darüber zu wa⸗ 
chen, daß deren nicht newe in den Zert fich einfhlihen. Da 


7) 8. 8. mwiener „‚Sabrbücher”, 1888, Anzeigeblatt Nr. 42. 
Yudh. die erſte Außgabe meiner Arbeiten über Dante's Uyriſche Ges 
dichte iſt in Wien, wenn ich nicht Irre bei Schade, nachgedruckt. 





' Hand, erläutert. Auch 





) für di 
der Rei t iſt. © IH 8 
vch der Reim zerftört iſt aß folche —— 


(Sp. 46, 47) in fünf Zeilen, zu gaͤnzlicher Verunſtaltung des 
Bersbaus, einzene Worte vergeflen worden (Mall. I, Str. 3, 

9; Str. 95, 38.9. Ball. I, Str. 2, 8. 2; Er. 3, 3. i 
und 3). Noch fehlimmer ift die Entftellung, wen, wie eb 
auch hierfür nicht an Beifpielen fehlt, ganze Beilen überſpruu⸗ 
gen find. &o find (Sp. 23) in der berühmten Canzane des 
Suido Guinicelli die dritte und vierte Zeile der erfken Stropbe 
ineinandergefloflen; Str. 2, 3. 9 fehlt dagegen ganz. In der 


| zweiten Ganzone des Eino von Piftoia (Sp. 8) find Str, 1, 


8. 2 und Sir. 2, 3. 5 und in bez vierten (&p. 82) gar drei 
Beilen hintereinander (Str. 1, 3. 6—8) ausgelaffen. 


Endlich machten die fehr großen Schwierigkeiten, weiche 


dieſe Gedichte dem Berfkänbniß entgegenftellen eine Beigabe 


von Erläuterungen dringend nothwendig. Sm emieinen ha⸗ 
ben in diefer Beziehung die italieniſchen Herau (mit faſt 
| alleiniger Ausnahme einiger Roten von Selvini) wenig vorge» 


arbeitet; erſt in neuefter Zeit hat Rannucci die von ibm aus⸗ 
gewählten Gedichte, zum Theil vieleicht mit allzu freigebiger 
Hr. v. Moranville hat dies Bebürfnif 
gefühlt und deshalb den Text mit kurzen Anmerkungen beglei⸗ 


‚ tet, deren Babl und Umfang leider nur allzu beſchraͤnkt if. 
Weitaus am reichlichften mit (vorgugsweife aus Nannucei 
U, 52—59, entiehnten) Erklärungen bedacht ift Guido Eaval- 


canti's Ganzone über die Ratur ber Liebe; dennoch aber rei» 


‚ hen diefe 28 Beilen keineswegs hin, dies vieleicht ſchwierigſte 
; Gedicht der italienifchen Lyrik, über das wir allein acht ſelb⸗ 
: fländige Commentare befigen, vollkommen verfländlich zu ma⸗ 


hen. Weit ftiefmütterliher find Die übrigen Gedichte behan⸗ 
beit. Leider genügen aber nicht felten Die Anmerkungen nicht 
nur nicht, fondern fie bieten Irriges. So findet ſich z. B. 
Sp. 34, Anmerk. 1), und &p. 72, Anmerk. 2, immer noch die 
fon oft widerlegte völlig verkehrte Erklärung des Wortes la 
stella dur: die Sonne, während ed nur: der geflirnte 
Himmel beißen ann. Auch an folgenden, bei fluͤchtiger 
Durchſicht angezeichneten Stellen wird der kundige Lefer ohne 
Mühe die Irrigkeit der von Hrn. v. Moranville gegebenen 
Deutungen ertennen: &p. 10, Anmerf. 9, 10; Sp W, Un 
merk. 9; &p. 31 (Sonett 3), Anmerk. 65 Sp. 32 (Eanzene I), 
Anmerk. 2; &p. 371, Anmerk. 4; Sp. Al, Anmerk. 8; &p. 62, 
Anmerk. 55 &p. 86, Anmerk. 1 und 3; Sp. 68, Anmerk. 3, 
19; Sp. 88 (Ballate 4), Anmerk. 2 u. f. w. Auch von die 


ſen Misverftändniffen hätten manche vermieden werben koͤnnen, 


wenn ber Herausgeber den in Deutſchland erfchienenen Borar- 
beiten feine Aufmerkſamkeit hätte zuwenden wollen. 

Iſt denn unfer lange gehegter Wunſch, daß ein genü- 
gend vorbereiteter Gelehrter ee die Jufammenftellung und Er: 
läuterung der Überrefte altitalienifcher Lyrik zur Lebensaufgabe 
machen möge, durch vorliegende Schrift nur unvolllommen er: 
füllt, fo begrüßen wir doch auch fie, als ein Zeichen des diefen 
Studien zugewandten Streben, das, wie wir hoffen, in nicht 
allzu langer Beit zeifere Früchte tragen möge. 

Kari Witte, 


Berantmortlicher Heraußgeber: Geinzih Wroddans. — Drul und Merlag von F. cc. VBerockhaus in Leipzig 














Blätter 


für 





literarifhe Unterhaltung. 


Sonnabend, 


— R.59. — 


28. Februar 1846. 





Denkwürdigkeiten des Generals Eickemeyer. Heraus⸗ 
gegeben von Heinrich Koenig. 
( Beſchluß aus Nr. 660.) 

Eickemeyer ſtand als Befehlshaber einer Brigabe in 
Belfort und ſchildert den Nachklang des pariſer Terro⸗ 
rismus in dem kleinen Orte. Faſt ergsoͤtzlich iſt wie er 
uns den Jakobiner Haupt, ſeinen Landsmann, vorführt. 
Eines Tages erſchien aus Paris ein Commiſſair des 
Heildausfchuffes, deſſen Sendung in Belfort dahin ging, 
die jungen Freiburger zu revolutionnaiten Maßregeln 
aufzufobern, die rabicalen Grundfäge zu ‚verbreiten und 
die Beamten zu beobachten. Er fam mit einem Secre⸗ 
taie zu Eickemeyer, ihn zu prüfen, ob er fich nicht des 
Moderantismus verbächtig zeige. Zwei junge Menfchen 
mit no dünnen Schnurbärten, mit rothen Mügen und 
in Bämfen und Beinkleidern von Kalmud, bide Kno⸗ 
tenſtoͤcke und fange Säbel zur Seite, traten auf ihn ein 
und er erfannte fie alsbald für feine ehemaligen Schü—⸗ 
ler auf der Univerfität zu Mainz. Der Commiffair 
Robespierre's war ber Sohn eined mainzer Hofraths 
Namens Haupt: Bald nad ber Ankunft ber Franzo⸗ 
fen hatte er bei ihnen Kriegedienfte genommen, in einem 
Gefecht von ben Preußen gefangen, war er entflohen 
und Hagte feinen General ber Verraͤtherei an, ging 
auch nad) Paris, um gegen Cuſtine als Zeuge aufju- 
greten. Hierdurch machte der Republitaner feine Lauf- 
Kahn. Haupt hatte nicht übel Luft, feinen eigenen Vater 
unter die Guillotine zu bringen. Der ehemalige Hof 
rath von Mainz habe ihm zur Überreichung an den 
Wohlfahrtsausfhuß eine Schrift überfendet, bie ein er- 
bärmliches ariftofratifches Machwerk fei und ihrem Ver⸗ 
faffer wenigſtens Einfperrung zuziehen könne, wenn er 
ſich aus feinem Schlupfwinkel in der Schweiz nad Pa⸗ 
zis wagte. Hofrath Haupt war ebenfalls auf Mainz 
entflohen und hoffte, Frankreich werbe der Welt die Bahn 
bed Rechts eröffnen. Der fanatifche Sohn lachte über 
ben gemäßigten Vater und fagte, des Spaßes halber 
wolle er ihm nicht abrathen nach Paris zu geben. Als 
Eidemeyer ihm fein Diisfallen darüber bezeigte, machte 
Haupt Miene, auch ihn beim Tribunal bed Ariftofratis- 
mus und Moderantiemus anzuklagen. Nur daß Eide- 
meyer ſich wirklich mäßigte, feine Empörung unterbrüdte, 
war feine Rettung. In der Stadt Belfort felbft berief 
Haupt alsbald die Volksgeſellſchaft zufammen, überbrachte 


den Bruderfuß von den Jakobinern und vettheilte rothe 
Mügen. In der Kirche beftieg er die Kanzel und be- 
wies in einer Rede, es gebe aufer der Göttin Vernunft 
feine Gottheit weiter, der Glaube an Unfterblichkeit fei 
eine Thorheit, nur die Materie habe Dauer und ber 
Menſch ale Theil diefer Materie gehe nach Auflöfung 
feiner Perfönlichkeit in die Allgemeinheit zurüd, um als 
Stoff zu neuen Schöpfungen zu dienen. Haupt wirkte 
durch die Macht feines Plogigen, breitmäuligen Volks⸗ 
rebnertalentö bergeftalt, daß der Pöhbel alsbald über’ bie. 
Heiligenbilder Herfiel und die Kirchengeräthe zertrüum- 
merte. Auf dem Marktplage warb Alles zu. einem 
Scheiterhaufen aufgethürmt und ber Haufe tanzte, die 
Sarmagnole fmgend, um bie lodernden Flammen. Ein 
altes Weib rief beim Anblid eines vom Altar geworfe⸗ 
nen Crucifixes: „Nun haft bu’s, fchlechter Herrgott! Es 
ift gut, daß deine Regierung ein Enbe nimmt, du haft 
dich wenig um die armen Leute bekümmert!“ Ein Grob- 
ſchmied hatte ſich eines wunberthätigen Marienbilbes be 
mächtigt, fchleifte e6 an einem Stride durch die Straßen, 
indem er ihm Säbelhiebe verfegte und dabei rief: „So 
thue doch Wunder, du alte —!“ 
Eickemeyer hat weder zur Charakteriſtik noch zur 
Ausmalerei von Scenen Talent und Beruf; bei alledem 
drängt ihn der frappante Stoff feiner Erlebniffe Hier 
und da zur lebendigen Schilderung. Er bleibt uns 
auch nicht Haupt’s ſpaͤtere Lebensſchickſale ſchuldig. 
Man fah den Menſchen, der fi in Contributionsge⸗ 
fhäften bereichert hatte, in Italien als Baron v. Haupt 
eine Rolle fpiefen. Er lebte zur SKirchenzeit in Rom. 
auf vornehmem Fuß, erhielt vom Papfte den Orden vom 
goldenen Sporn und warb Mitglied einiger gekehrten 
Geſellſchaften. Bei alledem mar fein Ende klaͤglich. Er 
machte nah manden Wechſelfällen bes Glücks ben 
Feldzug nach Rußland mit und erfror auf dem Rück⸗ 
zuge von Moskau. Ä 
Eickemeyer's Begegniffe ſeien hier mit wenigen Stri⸗ 
chen erledigt. Er machte unter Pichegru und Moreau 
die Feldzüge in Süddeutſchland mit. Höfe und Volk 
fchildert ex hier mit derfelben Ruhe, die an Kälte grenzt. 
Was er in Baiern fand, reizte ihn am wenigſten zum 
Rücktritt in die Dienfte des Vaterlandes; in feinen Be⸗ 
fenntniffen findet fi Feine Spur von Reue franzöflfche 
Waffen zu tragen. Nachdem ich ſchon meine Anſicht 


. ® 


über ihn ausgefprochen, begnüge ich mich dies als That⸗ 
fache zu berihten. Es ift fohlimm, wenn ein Ehren» 
mann folh Berhalten zu feiner Nation an den Tag 
lege; fchlimmer noch, wenn biefe Nation Epochen und 
Zuſtaände aufweiſt, die beim Ehtenmann Nöfhigihgen 
foßkjer Art auferlegen. Seined Blekdens in frangofi- 
ſchem Dienfte war übrigens nicht allzu lange. Unter 
bem Gonfulat warb er beauftragt eine Rordarmer zu 
organiſiren. Der DVeruntreuung öffentficher Gelder be- 
ſchuldigt, techtfestigte er ſich in einer Schrift, die er un⸗ 
olitiſch us war auch dem Publicum zu überliefern. 

e Gegenanklage fiel hald und haib auf einen 

Schwager Berthier's. Er warb völlig freigeſprochen, 
aber gleich barauf entlaffen. Er war einer der älteften 
Brigadegenerale, dber den Zoͤgling Pichegru's und Mo⸗ 
reau's wollte man nicht befördern, ben ruhigen, felten, 
unbeſtechlichen und unerfihütterlihen Mann von Gewif⸗ 
I berdrängten bie glamenden Lakaien des erſten Con⸗ 
uls. Einige dreißig Generale und Generaladjutanten 
traf zu gleicher Zeit daſſelbe Loos. Mehte von ihnen 
wurden bei Napoleon's Tpätern Kriegen wieber einberu- 
Ten. Eickemeyer verfchmähte es fich vorm Kaiſer berufen 
zu tollen. Er ſagt: 

‚Ohne Herfönliches Intereſſe war ich aus deutſchen Kriegs: 
dieniſten in franzöfijihe getreten; es galt damals die Vertheidi⸗ 
gang der Rechte des Menſchen. Napoleon's Kriege hatten aber 
keinen andern Biverk als die Menſchen zu unteriohen und Er⸗ 
oberungen zu machen. Batte gelernt, falihen Ehrgeiz zu 
— * meine phyſiſchen Bedurfniſſe zu befchränten und 
rine unabhängige Mittelmäßigkeit einer glänzenden Knechtſchaft 
dothuziehen | | 

it dieſen Morten ſchlleßt die Handſchrift Eicke⸗ 
meyer v. Mich denkt, fie find eines Ehrenmanns wür⸗ 
big, Er Hatte ſich hf ein kleines Landgut feiner Fa⸗ 
ellie in Rheinheſſen zurückgezogen. Gr arbeitete dort 
in ländlicher Stille mehre, kriegswiſſenſthaftliche Schrif⸗ 
sen qus, in denen er als Soldat feine Erfahrungen öf⸗ 
fentlich nieberlegte. Sein 1820 erfchiemenes „Lehrbuch ber 
Kriegsbautunft” und feine „Abhandlung über Belange 
gungs- und Befeſtigungsmechoden mag der Soldat neu 
ach prufen. Ber Gemeinde des Beinen Orts, bem 
idemeger, angehörte, war fein poaltifher Sinn mehr- 
fach von Nugen. Sie wählte ihn zum Vorſtande, bie 
Vrwinz zum Abgeordneten für Ste zweite Kammer bes 
Großherzozthams Hoffen. Genftitutianneler Monarchift 
gu fein war van fung auf der Wunſch feines Herzens, 
der Inbegtiff Deſſen geweſen, mas «er in früherer Zeit 
die Meuſchenrechte genannt Hatte, Somit ward ihm, 
a6 fein heimatliches Deffen »- Dammfbadt ſich 1820 eine 
Conſtitution, d. 5. eine gefegmäfige Debnung gab, ber 
Duuſch der Iugend im Endziel feines Lebens umgefucht 
verwirklicht FJ·. Guftav Kühne 





Kushände und Dhrfelgen. Taſchenbuch für Humbr and 


ative von Eduard Amthor. Leipzig, Schrey. 
. 1845. Gr. 16, 1 Zhlr. 10 Nat. 


mr Gere Berf. tritt mit nicht geringen Prätenfionen 
auf. Humor und Satire — ja, das m ein Gietverfpredender 


BSatirifern Hat das Kehtere niemals "genügt. Wenn 


Titel; leider verfprechen aber bie meiften Zitel mehr als erfüllt 
wird. Freilich glauben bis auf diefe Stunde noch Viele, daß 
der Humor in nichts als einem unbändigen Capriolenmachen 
beſtehe; fogar der heibelberger Schloffer fpricht es in feiner 
„Geſchichte des 18. Jahrhunderts“ mehrmals aus, und vom ihm 
fm wir begreiflich, dinn was til ſei, dadon Bat ar gar 
inen Begriff, wir feine eigene anglaublich Anbeßbifeie Säireit“ 
art beweift. Der Stil des Humoriften ift allerdings, oft, wie 
Hamann fagt, ein Wurftftil; aber ein mühfames Übereinan- 
Deeftopfen der Säge ift darum noch nicht humoriſtiſche Schreib⸗ 
art; das Wechfeln der humoriſtiſchen Stimmung mag unbe 
recgenbar wild fein, aber ein abfihtlider Humor vernichtet 
fih ſelbſt. Echt Humoriſtiſches ift in dem ganzen Amthor’ichen 
Buche wenig zu finden. Die Gauptfärte das Berf. liegt im 
Wig, und zwar in einer untergeordneten Gattung deſſelben, 
im Wortwig; ber berliner Wig ift Wortwig, auch Herr Sa⸗ 
phir gibt fih Mühe, darin zu ercelliren. Und Herrn Sapbte 
ſcheint Here Amthor fehr hoch zu ſtellen; doch das ift auch 
wol nur Schein. Denn wenn Jemand fagte, er ftelle diefen 
Fabrikanten von Rullitäten hoch, fo ſchriebe er fih einen ſhlim⸗ 
men Empfehlungsbrief; Herr Amthor z. B. würde in bem 
Falle einräumen, daß er fein Buch in bie Reihe derer gerech⸗ 
wet wiffen wolle, auf welchen fteht: „man fol und muß In- 
den", oder „zum Todtlachen“, Sachen, bie mit ber Piteratur 
nichts zu Schaffen haben. Die vielen Aphorismen, die der Herr 
Berf. mittheilt, find größtentHeils fehr matt. Wir führen als 
Beleg an ©. 156, wo es heißt: „Die krankſten Leute find dfe 
Kaffirer: fle müffen immer einnehmen; die ſchwächſte Berbauung 
Haben die Buchhändler: fie vertragen, obgleich das Fleiſch fo 
zart ift, nicht mul Keebſe; die gutmüthigften Menſchen find 
Die vornehmen Damen: fie thun nie etwas. Kerner: „Die Lich: 
linge ber Bürften und Könige waren von jeher die Kron- und 
Kammergüter. Kein Wunder alfo, daB fie aud fo größe Lieb⸗ 
finge der Fraum find; denn das hönite Kammergut bed Man⸗ 
ned bleibt ftetd das Weib; der Mann Bönnte daher ſchon vom 
Ratur auf den Ziel Kammergutepachter Anſpruch u f 
Kerner: „Wie niennt fh der Wann, w die Mutter feiner 
Frau, der Gatte feines KindeB, Water, Großvater und Groß: 
mufter in Einer Perfon ift? Adam.” Kerner: „Wie heißt der 
Proceß, in welchem ſtets der rechthabende Bann'verliert? Die 
Che.” Ferner: „Wie Tönnen die Autoren am beiten ſehen, wie 
viel ihre Bücher wersh find? In der Auckidnen, wo man 
bem Gewichte kauft. Was ift alſo das befie Mittel, folge 
Autoren zahm p machen? Man ſchicke fie in die Auctionen, 
damit fie mit eigenen Dhren hoͤren, wie hoch ihre Werke ur: 
gefchtagen werden.“ 
Aus ben mitgetheilten Proben wird min erſehen, DAB WE: 
gleichen vielleicht gut aufgenvinmen werden ma, wentz es 
in luſtiger Geſellſchaft Dr wird; aber fir Humor 
und Satire darf es ſich nicht ausgeben wollen 
Daß Übrigens der Herr Verf. des humoriſtiſchen Talents 
niiht bar fei,, bemweift ber Aufiog „Zu tichtiger — 
der Liebe und Che” (S. N—iV00), ohne Siderſpruch der 
Im ganzen Buche. Herr Amthor haͤtte bach lieder nicht fo eb 
lig’mit der Herausgabe eines ganzen Baͤndchens Humoriſtiſcher 
GSachen fein follen. . BE 
Bas nun bie Satire in dem angezeigten Buche betrifft, 
f findeh wir fie unbefriedigend. Wer die Wehtheit Ber Ho⸗ 
s'tchen Batire Bennt, vese die Strenge der Jiwenal 
oder bus Deduen dee Perſius ſchen, der muß Lächeln, wenn Hert 
Amthor meint, er auch Satire gefihrisben, naͤmlich in 
Disfem angezeigten e. Unfer Decennium liefert der GSatire 
gie rg en et an 8 vatiram non 'schiber®, 
. 5. es tft in der‘ er, das Satirenfchreiben zu: untet⸗ 
laffen; wir Senn aber In fi) Drung und oaft dagu Mhkh, 
ber mag: auch ſchreiben über Das, was unfere ee Dicke 
tiges darbietet, und nicht über Die miferabelie üftre bes ſpieß⸗ 
bürgerlithen Lebens; ben wirkii großen Geiſtern — 
t 





ein wochter Batieifer geivefen wuͤre, was für Batire Kälte er 
en müflen in jenem Sachſen, wo bie Fuüͤrſten ſardanapa⸗ 
liſirtea, Wo die —— —— Corte Menſchen regierte; 
Rott deſſen fatirifirte enee über alte Jungfern, über che: 
lofe Gelzbülfe, über arme Hofmeifter und Geuvernanten. Wenn 
Her or einen Juvenal'ſchen ober Parfius ſchen Genins 
hätte, fo würde er unmoͤglich ın einer fo ernflen Beit wie 
die unfere den Wrtikel „Deuticlands Bierde” (S. 45-52) 
haben iben Tannen, worin behauptet wird, tiefe Bierbe 
feien Alöße und Bier; nach medicinifcher Giätheilung würde 
dieſe Doſis unter die Stimulantia zu rechnen fein, aber 
der Fehler ift, DaB das ganze Medicammt zu matt ift. Um 
n mtbor fein Recht zu geben, theilen wir ein Paar 

age mit: „Demtichland hat ein Recht auf Klöße, denn ber 

5 it nicht blos deutſch, fondern ber Deutſche auch kloßig. 
Wie der Kloß iſt er in feiner Iugend zart und wellig, bald 
jedoch wirb er zabe, grob, Hartnädig, imgenießbar. Der 
Deuiſche Laßt ſich Ineten und queffchen wie Kloßteig, er if 
wie der Kloß die perfonificizte wohlhäbige Sutmüthigkeit, Ruhe 
und Geduld, und wie ed dem Kloße.einerlei ift, wer ihn ver 
gehn; fo kuͤmmert ſich der Deutſche nicht darum, ob er einem 
ler ober Löwen anheimfällt. Ich bin au überzeugt, Der 
arſte Menſch war ein Deutfcher, denn derfelbe wurde, wie aus 
der Bibel bekannt, aus einem Erdkloße erfchaffen. Doc die 
iöße, ſagt man, wollen fepwimmen. Der Deutſche bat das 
um Schwimmen vorzüglich geeignete Element, er bat das 
Der, und zwar tft dies fein eigentliches Element, das er ſich 


in Ermangelung und in Unzufriedenheit mit andern Elemen⸗ 
ten ſelbſt geichaffen. Seine Luft ift ja zu ſchwül, fein Zeuer 
verraudt, feine Erbe nicht fein und Das Wafler zu Dunn. Das 
Bier ift des Deutſchen Arznei, feine Unterhaltung, fein Tages⸗ 
geſpraͤch. Das Bier ift feine Erfrifhung und fein homoopa⸗ 
Fhifches Mittel gegen die vielen Bitterfeiten des deutſchen Da- 
feins. Das Bier ift das Opium, dad ihn einlullt, der Erlö- 
fer, der ihn felig macht. Der Genuß von Bier fleht ihm hö⸗ 

als der Genuß feiner Rechte, und der Bierkrug manchmal 
uber Weib und Kind. Heißt's «frei von Rom», fragt er vor 
Allem: «Gibt's auch Bier ohne Rom!» Heißt's «frei von 
Steuern», fragt er: «Gibt's auch Bier ohne Steuern?» Lieber 
Bleibt er cömifch, Lieber ‚bezahlt er Steuern, aber Wier trinkt 
er, am Zapfen muß er liegen, im Taumel vegekiren, im 
Ihrane toben.” 

Die angeführte Stelle wird Überzeugen, daß bie Satire 
Des Ber. me äffend und zwickend ala direct und kraͤftig ans 

ei i 

“ Wenn Ref. den Inhalt der Vorrede ſich vergegenwärtigt, 
fo erfſcheint ibm Here Amthor fo imgendblich keck daß, wenn er 
vielleicht feibft zgugibt, | Bith fei Sein Meiſterwerk, x 
gerade dadurch geftachelt wirb, ein zweites zu fhreiben, wel 
ches diefem Mudme naher kommt; das billigen wir umd Zun⸗ 
Shen es. 





Die aäghptiſche Reife des Prinzen Paul von 
. Würtemberg. | | 
Schon im 3. 1822 unternahm der Yrinz eine wiſſen ſchaft⸗ 

Wr Beife. na Amerika. Bon du zurückgekehrt * der⸗ 
———A—— * * 
n sin u Ä 

kehrte. Die zahlreichen ſchoͤnen Früchte dieſer wiſſenſchaftlichen 
Weelien betannt; und fo ließ fi im voraus erwarte, Daß 
Dr t des mit fo hohem Mrifihauungävermbgen und fü 
wiektigen Fenntniſſen misgeräfleten Pringen in bem noch imt- 
mer gu Wenig unterfuchten Lande ber Pharaduen der Willen 
t merwarteten und ecfrenlichen Zuwachs bringen 
werde. "Wiefe Reriſe wurde 1889 unternomimen und bis zum 


&* der nbchkichen Breite unter fo günftigen Berhultnifſen fort . 


föat, clB mar weriigen. Meifnben * * ̃. aupt 
at der Umſtand dazu beigetragen, daß der Vicekoͤnig Agyptens 


eine beſondere Buntigung zu bern Reiſenden füßte und beffen 
Zwecke überall zuvorfommend unterfkügte. — * das 56 
feine Alterthüͤmer auszuführen, wurde für die Perſon bed 
Prinzen, bei feiner Abreiſe aufgehoben. Auf diefer ganzen Ian- 

gen Reife, Die, was Bid jest nur fehr Wenigen gelungen in, 
18 zu einer von 120 Meilen boin Yauator fort- 
gefegt wurde, hat der Prihz nicht biod in feiner gewohnten 
Weile auf Alles fein Augenmerk gerichtet, was Botanik, g0o⸗ 
logie, Geologie, Ethnographie u. |. w. betrifft, fondern es Bit 
berfelbe auch den vorhandenen Alterthümern bes Landes, von 
denen er manche Koftbarkeiten nach Deutfchland berpflanik 
Aufmerkfamkeit gefihenft. Wit Theben fand er die Kalten 
bed Ramſes Wemnon, des Dfiymandyas wieder, deren Grund» 
riß auf zwei turiner Papyrus aus jener Zeit abgebildet ſteht, 
und in welcher der koloſſale Granitſarkophag Des Mamfed im 


- Kounre, nebft feinem Deckel gu Cambridge geftanden haben. 


Dad Ramensſchild Memnon's, über dem Eingange der Kafa- 
kombe in Stein gehauen, hat ber Prinz felbft mitgebracht. 
Es ftimmt genau jmit dem Schilde auf dem Obelisk an ber 
Porta del popolo zu Rom, welcher demjelben Dfymandyas er 
richtet worden mar; jenem Obelisken, den Hermapion unter 
Buguft nach, Seyffarth's vor drei Jahren bekannt gemachter 
Entdeckung in das Briedifche uͤberſetzt bat und ber, als eine 
zweite Infhrift von Rofette, die endlihe Entfcheidung über 
Champollions und Seyffarth's Hieroglyphenſpſteme herbeige: 
führt hat. Alle beſonders merkwuͤrdigen, auf feiner Reife ge⸗ 
fundenen Gegenftände, ſowol die archaͤologiſchen als die natür⸗ 
hißoriſchen, hat der Prinz zeichnen, großentheils auch coloriren 
laſſen; fie füllen nicht weniger als zwei ſtarke Foliobaͤnde. 
Schreiber Dieſes, der Gelegenheit hatte, die Sammlung zu 
fehen, war erſtaunt über Die Menge ber hoͤchſt fauber aus⸗ 
geführten naturwiſſenſchaftlichen und gefchichtlichen Einzelheiten, 
wozu namentlich bie hörhft merkwürdigen ethnographiſchen Ge⸗ 
genftände gehören. Es wäre daher fehr gu wuͤnſchen, daß 
diefe beiehrenden und anziehenden Wbbildungen mit einer aus⸗ 
führlichen Reiſebeſchreibung zu einem beutfchen Gemeingute ge» 
macht würden, da fie fo vieles Neue, befonders aus Ländern 
enthalten, von denen wir zur Jet noch fehr Wenig wiſſen. 
Auch würde. biefe Nesfebefchreibung ſchon deshalb vielen früheren 
den Rang fireitig machen, weil ihr Uxcheber mit dem Vice⸗ 
könig und vielen hochgeſtellten Beamten bis nah Athiopien 
hinauf in genauerer Verbindung geſtanden, den Zuſtand und 
die Megierung des Landes beſſer als tauſend Andere kennen gu 
lernen Gelegenheit gehabt hat. 80. 





Bibliographie. 

Alt, H., Die Kirchenlehre in ihrer hiſtoriſchen Entwicke⸗ 
Inag an den Bekenntrißformeln der einzelnen chriftlichen Con: 
fefftonen und Secten dargeſtellt. Berlin, Plahn. Gr.8. 22%, Ngr. 

Boz (Dilens), Das Heimden auf dem Herde. Eine 
Eifengeſchichte. Aus dem Engliſchen un 3. Seybt. Mit 


Eonfeience, H., WUusgewäßlte. Werke. Unter Mitwir⸗ 
Bang ‚bed Berfallerd dextich ven 3. W. Wolf. Iiles Baͤnd⸗ 
gen: Abendunden. Ifier Spell. Bonn, Marcus. Gr. 12. 


2 u 
Dos äfttiche Europa und Kaifer Rikolaus. Bam Berfaf- 
fer de „enthoͤllten Mußland” und ber Aveißen Schanerel’. , 
Aus dem-Engliihen. von, Kresichmar. Mer Band. Grimma, 
Berkagscompteir. 8. 1 Ihlr. 15 J . 
uarini, G. B., Der treue Hirt. Aus dem Ztalieni⸗ 
ſchen metriſch uͤbertragen pin M. E. Merbach. imma, 
Berlagscomptoir. RI. 8. 15 Nor. en 
Meindoib, B., Geſammelte Schriften. Iſter Band: 
Maria Schweibler, die Bernil e. Ropelle in ber — 
des 17. Jaͤhrhunderts. Ike verbeſſerte Auflage. Leipzig, We⸗ 
der. 8. 1 Sekt. 15 Kgr. 


. 





234 


über ihn ausgefprochen, begnüge ich mich dies al6 That⸗ 
fache zu berichten. 
mann folh Verhalten zu feiner Nation an den Tag 
legt; fehlimmer noch, wenn diefe Nation Epochen und 


Zufrinde aufweiſt, die dem Ehtenmann Nölhigutken 


ſolcher Aet auferlegen. Gened Blelibens in franfi- 
ſchem Dienſte war übrigens nicht allzu lange. Unter 
dem Conſulat ward er beauftragt eine Nordarmee zu 
organiſiren. er Veruntreuung öffentlicher Gelder be⸗ 
ſchulbigt, rechtfertigte er ſich in einer Schrift, die er un⸗ 
olitifh genug war auch dem Publicum zu überliefern. 
Ser fe Piel Halb und halb auf ehren 
Schwager Berthier's. Er ward völlig freigefprochen, 
aber gleich darauf entlaffen. Er war einer ber älteften 
Vrigadegenerale, aber den Zoͤgling Pichegru's und Mo- 
reau's wollte man nicht befoͤrbern, ben ruhigen, feſten, 
unbeſtechlichen und unerſchütterlichen Mann von Gewiſf—⸗ 
I berdrängten die glänzenden Lafaien des erften Con⸗ 
fuls. Einige dreißig Geherale und Geheralabjutanten 
traf zu gleicher Zelt baffelbe Koos. Mehte von ihnen 
wurden bei Nappoleon's Tpätern Kriegen wieder einberu⸗ 
I Eickemeyer verſchmaͤhte es ſich vom Kaiſer berufen 
u kaffen. Er ſagt: 

‚Ohne vperſonliches Intereſſe war ich aus deutſchen Kriegs: 
dieiſten in franzoͤſiſche getreten; es galt damals die Vertheidi⸗ 
Eine der echte des Menſchen. Rupoleon’s Kriege hatten aber 





einen andern Zweck ald die Menfchen zu unteriochen und Er⸗ 
oberungen zu machen. Ich Hatte gelernt, falihen Ehrgeiz zu 
——— meine phyſiſchen Bedürfniffe zu beſchraͤnken und 
son Kr ngige Mittelmäßigkeit einer glänzenden Knechtſchaft 
it dieſen Morten ſchließt die Hanbichrift Eicke⸗ 
eyer v. Mich deenkt, fie ſind eines Ehrenmanns wür⸗ 
Big. Er hatte ſich auf ein kleines Landgut feiner Fa 
lie in Rheinheffen zurückgezogen. Er arbeitete dort 
in laͤndlicher Stille mehre, knegswiſſenſthaftliche Schrife⸗ 
sen ans, in denen er. als Soldat feine Erfahrungen öf⸗ 
fentlich niederlegte. Sein 1820 erſchirnenesLehrhuch der 
Kriegebautunk” und feine „Abbendlung über Belage⸗ 
rungs⸗ und Befeftigungsmerhoden” mag der Soldat von 
ach prüfen. Mer Gemeinde bes Beinen Orts, bem 
ickemeyer angehörte, war fein praitifiher Sinn mehr- 
fad von Nugen. Sie wählte ihn zum Vorſtande, bie 
Provinz zum Abgeordneten für Die zweite Kammer bes 
Großherzozthums Hoffen. Gonflitutionneller Monarchiſt 
au fein war van jung auf der Wunſch feines Herzens, 
Dre Jadegeiff Oeſſen geweſen, was er in früherer Zeit 
die Menfihenzechte germmt hatte Somit warb ihm, 
ae fein heimatliches Heſſen⸗Darmſtadt fi) 1820 eine 
Conſtitution, d. 5. eine gefegmäfige Ordnung gab, der 
Munich ber. Jugend im Endziel feines Lebens umgefucht 
verwintliche, gi Bullen Aühne 





Küßhaͤnde und Dhrfelgen. Taſchenbuch für Humbr und 
atire von Eduard Amthor. Keipzig, Schrey. 
. 1845. Gr. 16. 1 Thlr. 10 Ngr. 

“Re Gere Verf. tritt mit. nicht geringen Pratenſionen 
auf. Humor ımd Satire — ja, . m ein —E— 


Es iſt ſchlimm, wenn ein Ehren⸗ 


| disfem angejeigten. 





Zitel; leider verſprechen aber die meiften Titel mehr als erfüllt 
wird, Preili glauben bis auf diefe Stunde noch Viele, daß 
ber Humor in nichts ald einem unbändigen Capriolenmachen 
beſtehe; fogar der heibelberger Schloffer fpricht es in feiner 
Seſchichte des 18. ——— mehrmals aus, und von ihm 
froer wie's begteiflich, Dahn 19ds Ghit el, dalon Yat ee 
inen Begtiff, wie feine eigene amglaublic Anbehbifeie Schreib 
art beweilt. Der Stil des Humoriften ift allerdings, oft, wie 
Hamann fagt, ein Wurftftil; aber ein mühfames Übereinan- 
derſtopfen der Säge ift darum noch nicht humoriſtiſche Schreib: 
art; das MWechfeln der humoriſtiſchen Stimmung mag unbe⸗ 
rechenbar wild fein, aber ein abfichtliger Humor vernichtet 
fich felbft. Echt Humoriftifches ift in dem ganzen Amthor'fchen 
Buche wenig zu finden. Die Yanptärte bes Berf, liegt im 
Wis, und zwar in einer untergeordneten Battung beiflben, 
im Wortwig ; ber berliner Wie if Dostwiß, auh Herr Sa⸗ 
phir gibt fih Mühe, darin zu ereeliren. Und Herrn Saphie 
fcheint Herr Amthor ſehr Hoch zu flellen; doch das ift auch 
wol nur Schein. Denn wenn Jemand fagte, er ftelle dieſen 
Fabrtlanten von Rullitäten hoch, fo ſchriebe er ſich einen fehlim- _ 
men Empfehlungsbrief; Herr Amthor z. würde in d 
Kalle einräumen, daß er fein gr in die Reihe derer gereiße 
wet wiffen wolle, auf welchen ftedt: „man foX und muß Ih- 
Ken’, oder „zum Zodtlachen”, Sachen, die mit der ?iteratur 
nichts zu ſchaffen haben. Die vielen AUphoriämeng, die der Herr 
Berf. mittheilt, fd größtentheils fehr matt. Wir führen al 
Beleg an S. 156, wo ed heißt: „Die kränkſten Reute find die 
Kaffirer: fie müffen immer einnehmen; die ſchwaͤchſte Verdauung 
Haben die Buchhändler: fie verträgen, obgleich daB Fleiſch fo 
zart ift, niche mal Krebſe; die gutmüthigften Menſchen find 
die vornehmen Damen: fie thun nie etwas.’ * Die Lieb⸗ 
linge der Fuͤrſten und Könige waren von jeher die Kron⸗ und 
Rammergüter. Kein Wunder alfo —— fie auch fo größe Lieb⸗ 
linge der Braum find; denn das dhön Kammergut bed Man⸗ 
ned bleibt ſtets das Weib; der Mann Bönnte daher Thon vom 
Katar auf den Zitel Kammerguttpachter Anfpruc werben 
Kerner: „Wie nennt ſich ber Mann, welger bie Mutter feiner 
Frau, der Gatte feines Kindes, Vater, Großvater und Groß: 
mufter in Einer Perfon ift? Adam.” Kerner: „Wie beißt der 
Proreß, in welchen ſtets der rechth e Mann verliert? Die 
7 Kerner: „Wie Törinen bie Autoren am Geften ſchen, wie 
viel ihre Buͤcher werch find? In ben Auctidnen, wo mem 
ben Gewichte kauft. Was ift alſo das beſte Mittel, folge 
Autoren zahm zu machen? Man fihide i in die Auckionen, 
bamit fie mit eigenen Ohren hören, wie hoch ihre Werke an⸗ 
geſchlagen werden” ““ 


nicht bar ſei, beweiſt der Auff | 
der Liebe und Ehe” (3. 9T—106), ohne Siberſpru 


en fein follen. 

Bas nun bie Satire in dem angezeigten Buche betrffft, 
fo finden wir fie unbefriedigend. er die Fekiheit ber ‚oe 
Pas fen Satire Sennt, vorr die Gtrenge . der ‚Iwoendt:fchen, 
odir dns Brauen der Perſtus ſchen, der anf Lächeln, wenn Pest 
Amthor meint, er auch Satire geſchrieben, naͤmlich in 
e. Unſer Decennium liefert der Satire 
einen ern A en En arfficile u ‚alicatn non 'scrlbere, 
d. h. es tft in der That ſchwer, dus renfchrefben zu umnet 
laffen; wer denn aber — und Modft ditzu Fb, 
Das, was unſere 


der mutz: auch ſchreiben über Segenwart · Wi 
tiges —ã and nicht über die miferabelſte Mere bed ſpie 
bürgertigen Lebens; den wirklich großen Geiſtern unker den 
Safitikern hat das Feptete niemals genligt. Wenn Rabenet 








ein echter Batiriker geweſen wärs, was für Wetire hätte er 
ſcheriben müffen in jehem Sachſen, wo bie Bürften farbanepas 
Iifirten, wo Die verachtungswuͤrdigſte Gorte Menſchen regierte; 
fast defien fatisifirte Rabener über alte Sungfern, über che 
loſe —— über arme Hofmeiſter und Gouvernanten. Wenn 
Herr Amthor einen Zuvenal'ſchen ober Parſfius ſchen Genius 
hatte, fo wurde er unmoͤglich in einer fo ernflen Zeit wie 
die unfere den Artikel „‚Deutichlands Bierde”’ (8. 45— 52) 
Dean en können, worin behauptet wird, dieſe Bierbe 
ien Albße und Bier; nach mediciniicher Gintheilung würde 
Diefe Dos unter die Stimulantia zu reinen fein, aber 
der Fehler ift, daB das ganze Medicammt zu matt iſt. Um 

eren Amtbor fein Recht zu geben, theilen wir ein Paar 
ge mit: ‚‚Demtichland hat ein Recht auf Klöße, denn ber 
Kioh ift nicht blos deutfch, ſondern der Deutfche auch kloßig. 
Wie der Kloß ift er in feiner Iugend zart und wellig, bald 
jedoch wirb er zähe, grob, hartnaͤckig, imgenießbar. Der 
Deuiſche läßt ſich kneten und quetichen wie Kloßteig, er if 
wie der Kloß die perfonificizte wohlhaͤbige Gutmüthigkeit, Rube 
und Geduld, und wie es dem Kloße einerlei ift, wer ibn ver⸗ 
geht, fo kuͤmmert ſich der Deutſche nicht darum, ob er einem 
dier oder Löwen anheimfält. Sch bin auch überzeugt, Der 
wefte Menſch war ein Deutfcher, denn berfelbe wurde, wie aus 
der Bibel befannt, aus einem Erdkloße erfchaffen. Doch die 
Ktiße, fügt man, wollen ſchwimmen. Der Deutfche bat das 
um Schwimmen vorzüglid geeignete Element, er bat bad 
Bier ‚ und zwar ift Dies fein eigenkliches Element, das er fi 
in Ermangelung und in Unzufriedenheit mit andern Elemen⸗ 
ten ſelbſt geichaifen. Seine’ Luft ift in zu ſchwuͤl, fein Feuer 
verraucht, feine Erbe nicht fein und das Wafler zu Dunn. Das 
Bier ift des Deutſchen Armei, feine Unterhaltung, fein Aages⸗ 
geſpraͤch. Das Bier ift feine Erfrifhung und jein Hemöapa: 
chiſches Mittel gegen bie vielen Bitterfeiten des beutichen Da- 
feind. Das Bier ift das Opium, das ihn einlult, der Erlö- 
fer, der ihn felig macht. Der Genuß von Bier fleht ihm hö⸗ 
her als ber Genuß feiner Rechte, und der Bierkrug manchmal 
uber Weib mb Kind. Heißt's «frei von Rom», fragt er vor 
Allem: «Gibt's auch Vier ohne Rom!» Heißt's «frei von 
Steuerny, fragt er: «Gibt's auch Bier ohne Steuem?» Lieber 
Heibt er romiſch, Lieber ‚bezahlt er Steuern, aber Bier trindt 
er, am Zapfen muß er liegen, im Taumel vegetiren, im 
Shrane toben.” 


Herr 
vielleicht felbft gugibt, fein Bun 
gerade dadurch geſtachelt wird, ein zweites zu fchreiben, web 
*. biefem Ruhme naher kommt; dad billigen wis und avün- 





Die ügpptifche Reife des Prinzen Paul von 
J Würtemberg. 
Schon im J. 1822 unternahm der Prinz eine wiſſenſchaft⸗ 
Hei Amerika. Von da zurli t bersifle der: 
Re Ward grnen uno Biden, worhuf er 18 am 34. 3 


un aerteats Anıtrtka nd 3830 
kehrte. Die —e —— ie 
eeiſen Th betannt; und fo ließ ß 


mer gi wenig unferfuchten Lande ber Pharobnen 

umnerwarieten und erfrenli 

. Miefe Seife wurde 1889 unterm und bis zum 

&* der norblichen Breite unter To günfiegett: liniſſen fezb 

t, als mür wenigen Meifenden vergönnt iſt. Ha ——— 
gvp 






eine Befonbere Zuntigung zu dem Relſenden faßte und be 
Bwecke überall zuvorkommend unterſtuüͤtzte. * das Fa 
feine Wlterthümer audzuführen, wurde für die Perfon 
Prinzen bei feiner Abreife aufgehoben. Auf diefer ganzen lan⸗ 
en Reife, Die, was Bid jegt nur fehr Wenigen gelungen {f, 
id zu einer Epterpung von 120 Meilen boin Aquator forts 
gefept wurde, hat der Prinz nicht blos in feiner gewohnken 
Weiſe auf Alles fein Augenmerk gerichtet, was Botanik, Bus 
logie, Geologie, Ethnographie u. — w. betrifft, ſondern es But 
berfelbe auch ben vorhandenen Alterthüͤmern bed Landes, von 
benen er manche Koftbarkeiten nach Deutfchland verpflanik, 
Aufmerkfamkeit geſchenkt. Bei Theben fand er dic Katako 

des Ramſes Memnon, des Oſymandyas wieder, deren Grund⸗ 
riß auf zwei turiner Papyrus aus jener Zeit abgebildet ſteht, 
und in welcher der koloſſale Granitſarkophag des Ramſes im 


. Louvre, nebſt feinem Deckel gu Cambridge geſtanden -baken. 


Das Ranunsihild Memnon's, über dem Eingange der Kata⸗ 
kombe in Stein gehauen, hat ber Prinz felbft mitgebrant. 
Es flimmt genau jmit dem Schilde auf dem Obeliſsk an der 
Porta del popolo gu om, welcher demjelben Oſymandyas er» 
richtet worden war; jenem Übeliäfen, den Hermapion unter 
Auguſt nach Seyffarth's vor drei Jahren bekannt gemachter 
Entdetung in dad Griechiſche überfegt hat und der, als sine 
zweite Infihrift von Roſette, bie endliche Entſcheidung über 
Champollion s und Seyffarth'E Hieroglyphenſpfteme herbeige- 
führt bat. Alle befonderd merkwuͤrdigen, quf feiner Reife ge⸗ 
fundenen Gegenflände, ſowol die archäologifchen als die natur⸗ 
hißorifchen, hat der Yrim zeisypnen, guoßentheild au coloriren 
laflen; fie füllen nicht weniger als prei ſtarke Foliobaͤnde. 
Schreiber Dieſes, der Gelegenheit hatte, die Sammlung zu 
fehen, war erſtaunt über die Menge ber höchft fauber aus⸗ 
geführten naturwiſſenſchaftlichen und geſchichtlichen Einzelheiten, 
wozu nameuntlich die hoͤchſt merkwürdigen ethnographiſchen Ge⸗ 
genftände gehören. Es waͤre daher ſehr zu wuͤnſchen, daß 
dieſe belehrenden und anziehenden Abbildungen mit einer aus⸗ 
fuͤhrlichen Reiſebeſchreibung zu einem deutſchen Gemeingute ge⸗ 
macht würden, da fie fo vieles Neue, beſonders aus Ländern 
enthalten, von denen wir zur Seit nach fehr wenig mifien. 
Auch würde. biefe Neifebefhreibung ſchon deshalb vielen früheren 
ben Rang fireitig machen, weil ihr licheber mit Dice 
könig und vielen bocgefkeuken Beamten bis nah Wthiopien 
binauf in genauerer Verbinduimg gefltanden, ben Buftand und 
die Megierung des Landes beſſer als taufend Andere kennen gu 
lernen Gelegenheit gehabt hat. i 80. 





Bibliographie. 


Alt, H., Die Kirchenlehre in ihrer hiſtoriſchen ˖Entwicke⸗ 
kung an den Befenntnißformeln der einzelnen chriſtlichen Con⸗ 
feſſtanen und Secten dargeſtellt. Berlin, Plahn. Gr.8. 22%, Nr. 

Boz (Dicken6), Das Heimchen auf dem Herde. Eine 
Eiſengeſchichte. Aus dem Engliſchen um 3. Seybt. Mit 
vier Feberzeichnungen. Leipzig, Lord. Br. 16. 10 Rgr. 

Fontcience, H., Auegewaͤhlte Werke. Unter Mitwir⸗ 
Bang ‚bed Verfaſſers deutſch ven J. W. Wolf. Iiles Bad⸗ 

en: Abendfunden. Ifer Theil. Boan, Marcus. Gr. 13. 


2 Ron. 

* Das oͤſtliche Curopa und Kaifer Rikolaus . Vom Berfafs 

fer des „enthoͤllten Mußland” und ber „weißen Scan .. 

Aus dem-Engliihen.von U. Kregihmar. Hier Band. Grimma, 

Beriggscomptsir. 8. 1 Ihir. 19 DE 

warini, ©. B., Der treue Hirt. Aus dem Ztalieni⸗ 

fen metrifch übertuagen von M. E. Merb ach. Grimme, 

Berlagscomptoir. RL. 8. 15 Nor. .. 
Meinhold, W., Gefammelte Schriften. After Band: 

Maria Schweibler, die Bernſteinhexe. Nopelle in ber Sp 

des 17. Zahrhunderts. te verbefierte Auflage. Leipzig, 

ber. 8. 1 &hle. 15 Ser. 


Der kabbaliſtiſch⸗bibelſche Occident. I. Die kosmiſche Ur: 
idee und bie hiftorifche Erſcheinung. Hamburg, Berendfohn. 
1845. 8. 10 Nor. | oo 

Sievers, 3. H., Wladyslaw und Diffepli. Eine tſcher⸗ 
teffilde Erzaͤhlung. Leipzig, Brockhaus. 8. 20 Nor. 
Biffel, 2. v., Ruhmwuͤrdige Thaten, welche in den 
legten Kriegen von Unteroffizieren und Soldaten der engliſch⸗ 
deutſchen Legion und der hanover’fhen Armee verrichtet find. 
Hanover, Helwing. Gr. 12. 20 Nor. 

Die Zuftände der Religion und Kirche im 15. Jahrhun⸗ 
dert. Aus den erften Quellen dargeftelt von einem Laien. 
Magdeburg, Falckenberg und Comp. 1845. Gr. 8. 


Tagesliteratur. 
Anſicht eines Laien über. bie Frage: was iſt das Eſſen⸗ 


tielle des Chriſtenthums? Den proteſtantiſchen Freunden ge⸗ 


widmet vom Verfafſer. 2te vermehrte Auflage. Magdeburg, 
Falckenberg und Eomp. Gr. 8. 3%, Nor. 

Herr Dr. Behnſch als Kritiker, ‚eogifer und Theolog, 
nebft untermifchten Neflerionen über die kirchlichen Zeitbewe⸗ 
gungen. Breslau, Aderholz. 1845. Gr. 8. 27, Nor. 

Beiträge zu einer Kritik der neuen, deutſch-katholiſchen 
Glaubensbekenntniſſe. Bon einem Breslauer Bürger. Ifte Lie 
ferung. Breslau, Trewendt. 1845. Gr. 8. 5 Near. 

Die Berechtigung des Nationalismus. Ein Sendfchreiben 
m ven Prediger G. A. Kämpfe. Magdeburg, Rubach. Gr. 8, 

r 


Ri erends, 3., Was wir wollen! Eine Beleuchtung ber 
Fer Berliner Protefte. Berlin, Kraufe. 1845. Gr. 8. 
2 98. 

Ernfte Betrachtungen eines zwölf Jahre gedienten Unter: 
offiziert. Borken, Brunn. 1845. 12. 2 Nor. 

Bezzel, H., Die Löfung des behaupteten Widerfpruchs 
in der proteftantifch-evangelifchen Lehre von der Rechtfertigung 
duch den Glauben allein, und der Forderung an die Men 
je, das Gefeg zu erfüllen. Ansbach, Dollfuß. 1845. Gr. 8. 

r 


gr. 

Breuske, J. G., 22 Fragen in drei Abtheilungen ge⸗ 
ſtellt zur Selbſtbeantwortung für Lichtfreunde und bie ed wer⸗ 
den wollen. Rranffurt a. d. D., Erowigih und Sohn. 1845. 
Gr. 8. 5 Ror. 

Neun Briefe über den eventuellen Anfhluß Hamburgs an 
den Boliverein. Im Jahre 1841 in ber Hamburger Börfen- 
halle» Lifte zwanglos erſchienen. Mit einem Borworte von 
E—n. Hamburg, Hoffmann und Campe. 1845. 8. 71, Ngr. 


Gr. 8. . 
Credner, K. U., Die Berechtigung ber proteftantifchen 
Kirche Deutfchlands zum Kortfchritt auf dem Grunde der hei 
ligen Schrift. _Aus ben in Deutfchland allgemeine Geſetzes⸗ 
kraft habenden Beflimmungen urkundlich nochgewieſen. Frank⸗ 
furt a. M., Sauerländer. 1845. Gr. 8. 15 Nor. 
Decher, C., Die Religion, mit Hinblick auf die religiö- 
fen Wirren diefer Seit, vornehmlich in der proteftantifchen 
Kirche Deutfchlands. Gießen, Ferber. 1845. Gr. 8. 15 Nur. 
Eberhard, H. N., Die Augsburgifche -Eonfeffion ver 
deutſcht und mit Anmerkungen für unfere Zeit Herauögegeben. 
Rebſt einem Anbange: Das apoftolifhe, Ricänifche und Atha⸗ 
naRanifce Symbolum. Wltenburg, Helbig. 1845. Gr. 8. 
/s Br. 
v. Blorencourt, Rebe, gehalten in der Naumburger 
Berfammlung ber „pecteftantifhen Freunde‘ am 8. Juli 1845 
Elberfeld, Schmachtenberg. 1845. 12. 1 Ror. 


18 Nor. 


Kurze Gefchichte und Beſchreibung des zu Trier aufbes 
wahrten heiligen Rockes, nebft Anda übungen. Ste under 
änderte Auflage. Borken, Brunn. 1845. 12. 2Y, Nor. 
Hot von Hordnegg, Evangeliſches Handbüchlein wider 
das Papftthum. Nach der 12ten Driginalausgabe mit den noͤ⸗ 
thigen Zufägen herauögegeben und bis auf unfere Zeiten fort- 
geführt von 8. Zeufher. Weimar, Voigt. Gr.8. 15 Ncr., 
Luthers, M., Prophetiſche Zeugniſſe wider die Verach⸗ 
ter des göttlichen Worts in der evangelifchen und Fatholifchen 
Kirche Deutfchlandse. Herausgegeben von W. Böttider. 
Hamburg, Agentur des Rauben Baufes, 1845. 8. 12%, Rer: 
Maafen, ©. D., Zur Charakteriſtik der jetzt in der 
Kirche Herrfchenden Anficdten und Zuftände. ine Sammlung 
von Briefen. Breslau, Trewendt. 1845. Er. 8. 1%, Ror: 
Probft, F., Die fogenannte Reformation und die wirk: 
lihe Reformation. Ein Beitrag zur MOjährigen Subelfeier 
ber allgemeinen Kirchenverfammlung von Zrient am 3. Decem⸗ 
ber 1845. Mebft einem Anhang: Kurzer Überblict über die 
Unterföjeibungsehren der Katholifen und Proteftanten. Mainz, 
Kunze. 1845. 8. 15 Nor. a" 
Raumer, F. v., Einleitungsworte jur öffentliden Sitzung 
der Akademie der Wiſſenſchaften am 16. October 1845. 2te 
Aufinge. Berlin, Buchhandlung ded Lefecabinetd. 1845. 8. 
. 


gr. 

Schmakowsky, W. v., Preußen und bad Eoncorbat. 
Breslau, Zrewendt. 1845. Gr. 8. 6 Ror. 

Schrift und fymbolifche Vücher im Widerſpruche für. Ie- 
dermann faßlich nachgewiefen aus der Lehre deu Trinität, Erb» 
fünde und Abendmahl. Keipzig, Goetz. 1845. &r.8. 10 Rgr. 

Shulg, E. S. F., Erwiderung an den ‚Hrn. Regierungs⸗ 
Schulrath Strieg zu Potsdam auf das GSendfchreiben an bie 
Geiftlihen zu Berlin und Potsdam, welche die Erklärung vom 
Fr Augufl unterzeichnet haben. Berlin, Schmibt. 1845. Gr. B8. 

ı Rgr. 

Schultze, EU S., Die Zukunft ber deutſchen Unis 
verfitäten. Bewillfommnungsrede bei dem afabemifchen Erin: 
nerungsfefte zu Greifswald am 30. September 1845. Greif: 
wald, Bamberg. 1845. Gr. 8. 6 Nor. 

Snüffelmann, Ienny Lind und die Hamburger, oder 
ein Staͤndchen im Sungfernflig. Genrebild. Hamburg. 1845. 
Gr. 8. 3%, Nor. i 

Stichert, F. D., Dr. Martin Luther's Tod. Eine aus⸗ 
führliche Darſtellung der letzten Lebensumſtaͤnde, des Endes 
und Begräbniſſes des großen Reformators, nebſt den bei letz⸗ 
terem gehaltenen Predigten und Reden. Annaberg, Rudolph 
und Dieterici. 1845. 8. 20 Nor. 

Zobifh, A., Der Streit des Pfarrers Wislicenus vom 
rechtlichen Standpunfte. Ein Conferenzvortrag. Wltenburg, 
Selbig. 1845. Gr. 8. 5 Rer. ot 

Uhlich, Die Throne im Himmel und auf Erden und die 
peoteftantifhen Sreunde. Eine @rörterung zunaͤchſt ben Len⸗ 

n in Staat und Kirche dargereicht. Deftau, Fritſche. 1845. 
Gr. 8. 5 Rear. 

Ullmann, ®., Für die Zukunft der evangelifihen Kirche 
Deutfchlands. Ein Wort an ihre Schirmherren und Freunde. 
Stuttgart, Cotta. 1845. 8. 11Y, Nor. 

ache auf der du fehläfft! Ernſter Zuruf an Deutfch- 
lands gefinnungsvolle, gläubige Ehriften, Katholiken wie Pro⸗ 
teftanten. Bon einem Laien ın ber Gemeine Breblau, 
holz. 1845. Gr. 8. 2%, Nor. Ze 0 

Wegnern, U. v., Über die Erklärung ber Sechs und 
Achtzig in Sachen der Kichtfreunde wider die evangelifhe Kir⸗ 
denzeitung. Ein Wort aus dem Glauben an Alle, die es hö- 
ren wollen. Halle, Müblmann. 1345. Kl. 8. 5 Nor. 

gellfelder, G. E. W., Gefahr für die evangelifßde Kirche! 
Dder: Die Liturgie in der „Agende für chriſtliche 
des evangelifch »Iutberifchen Belenntniffe, herausgegeben von 
WB. Löhe” beleuchtet. Ansbach, Dollfuß. 1845. Er.B. ANgr. 


Verantwortlicher Heraudgeber: Heiurich WBerdfans. — Drud und Verlag von F. M. Brockhans in Leipzig. 


Ader⸗ 


- 


En 93 Ge 
. 


Blätter 


ur 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Sonntag, 








F März 1 846. 








— — — — — nn ne nn nn — no — — — — 


Fur Radridt. 


Bon dieſer Zeitfehrift erſcheint täglih eine Nummer und ber Preis beträgt für den Jahrgang 12 Zhle. Ale 

Buchhandlungen in und außer Deutſchland nehmen Beſtellungen berauf an; ebenfo alle Poftämter, bie fi an bie 

Königl. ſaͤchſiſche Zeitungserpebition in Bere un Pier Berfenbung findet in Wodenlieferungen und 
in Monatöheften . 





Zur Sudenfrage. 

Die Aufgabe des Judenthums und Des Juden in der Ges 
genwart. Acht Vorlefungen, gehalten in Berlin, vom 15. Ja⸗ 
nuar bid 12. März 1845. Won 8. Stern. Berlin, Bud 
handlung des Lefecabinet. 1845. 8. 1 Thlr. 10 Nor. 

Die Theoretiter haben faſt aller Orten ihre Stim- 
men für die Emancipation der Juden erhohen und laute 

Klagen erichallen laffen uber die Barbarei unferer Zeit, 

die fih no immer nıht von der Nothwendigkeit über- 

zeugen wolle, das Unrecht früherer Jahrhunderte endlich 
gut zu machen. Nichtsdeſtoweniger ift bie Praxis über- 
aus hartnädig geblieben. Die Staatsmänner haben 
nicht allein die Ausfprüche der Theorie nicht berüuͤckſich⸗ 
tigt, fondern wol gar ausdrücklich gegen diefelbe fich 
verwahrt. Man hat ihr bie Befugniß abgeftritten, über 
praktifche Rechtsfoderungen zu entfcheiden, in ragen 
des Lebens eine Antwort zu geben. Von mehr als ei⸗ 
ner Seite ift geäußert worden, was in ber Theorie für 

Zulaffung ber Juden zum Staatsbürgerthum fpreche, 

entfcheide ehen nur eine theoretifche Zulaffung ober Die 

Zufaffung in den £heoretifhen Staat; zwifchen dieſem 

aber und dem ber Wirklichkeit ſei glücklicherweiſe oder 

unglüdlicherweife ein gerade fo gewaltiger Unterfchieb ale 
zwifchen dem abfirasten allgemeinen Begriffe und der 
finnlihen einzelnen Anſchauung. Was von jenem gelte, 
brauche wenigſtens nicht nothwendig auch für dieſe zu 
paſſen. 

So ſtehen denn alſo in der Beantwortung der Ju⸗ 
denfrage Theorie und Praxis einander gegenüber, jede 


auf ihr gutes Mecht pochend, jede das der andern be⸗ 


fireitend, die Theorie die Macht des Geiſtes, die Praris 
die des Lebens von fi rühmend: ein Begenfag wie er 
in taufend Formen und Geftalten im heutigen Dafein 
wiederkehrt. Faſt in allen Gebieten fehen mir bie Theo⸗ 
rie Foderungen ftellen, denen die Praxis nachzukommen 
ſich nicht entfehliegen will, faſt überall die Wiffenfchaft 


| Reformorfchläge ausſprechen und das Leben in ſtarrſter 


Gleichgültigkeit dagegen verharren. Ganz unwillkürlich 
bringt ſich die Frage auf, welcher Umſtaͤnde Schuld dieſer 
durchgehende Gegenſatz ſei. Waͤren wir nur Theoretiker 
und huldigten einſeitig dem Gedanken, fo würden wie 
ſicherlich nicht anſtehen, über die faule Gewoͤhnung der 
Praxis, über ‚die Bequemlichkeitsliebe der Menſchen und 
ihr Hängen am Alten und einmal Hergebrachten mit 
allem. Aufwand von Worten der uns zu Gebote ficht 
Klagen über Klagen zu erheben. Wir würden unfehl- 
bar in jenen gewaltigen Zorn und Ingrimm gegen bie 
Wirklichkeit ausbrechen, barin der Gedanke feine eitfe 
Selbftgefälligkeit am gott» und geiftverlaffenen Dafein 
ber Welt gegenüber feiert. Wir würden ohne Zweifel 
endlih dieſen Zorn burch bie gewöhnlichen pomphaften 
Verfiherungen. von der Allgewalt des Geiſtes wieder 
beruhigen, des Beiftes, der fich trop alles Widerſtrebens 
der Wirklichkeit, trog aller Hemmniſſe, welche ihm das 
Leben entgegenfege, mit unabänderlicher Nochwendigkeit 
ſiegreich bucchführen und feine Ziele erreichen wüſſe. 
Wir würden ſchließlich und zulegt nach ſolchem Verfuche, 
uns Muth einzuſprechen und in unſerer ſproͤden Beharr⸗ 
lichkeit gegen die ungläubige Welt uns zu beſtaͤrken, — 
die Sache auf ſich beruhen laſſen. Aber wir find Feine 
Theoretiker unb darum weder geneigt noch bereshtigt, es 
und gar fo leicht zu machen. Wenigſtens meinen wir, 
erſt ganz ernfihaft unterfuchen zu müſſen, ob nicht bie 
Praxis am Ende bed noch ein höheres Recht als das 
ber bloßen Bequemlichkeitsliebe. für ihr Abweiſen der 
Theorie geltend machen kann. 

Daß das Leben der Wiffenfchaft bedarf, um über 
ſich felbft zum Bewußtſein zu gelangen, liegt auf ber Hand, 
Nicht minder, dafi folches Bewußtſein die unumgaͤngliche 
Bedingung, die conditio sine qua non jedes naturgemaͤßen 
Handelns if. Denn da die Menfchheit von keinem In⸗ 
ſtinet getrieben ihren Zielen entgegengeführt wird, fo 





233 


würde fie ohne die Einſicht in die Gefege des Lebens, wie 
fie durch die Bebürfniffe, leibliche und geiflige, vorge- 
zeichnet werben, bem verderblihen Schwanten völliger 
Nathlofigkeit preisgegeben fein. 
Freiheit einen Quell ausfchließlichen Irrthums, -in ihrer 
Willensfähigkeit die Möglichkeit nur des Böſen befigen: 
erft in der Erkenntniß erreicht die Kreiheit ihre Wahr- 
beit, der Wille feinen Beflimmungsgrund. Die Er- 
kenntniß ift der Menfchheit ein Leitfaden, der fie im wir⸗ 
ren und zügellofen Treiben da und dorthin ausfchreiten: 
der Willkür, in ben mannichfachen Abirrungen der Lei- 
denfhaft und vom Augenblid erregter Begierde, bei ih- 
rem rechten und wahren WBefen, bei fich felbft erhält. 
Sie ift das Maß des Freiheitsgebrauhe. Eben um 
deswillen aber darf fie auch nichts Außerliches, nichte 
anfer dem Leben Liegendes für die Wiffenfchaft, darf 
nicht Namen enthalten, die nicht aus der Wirklichkeit 
des Dafeins gefchöpft find, nicht Lehren bieten, die ale 
ein Neues und Fremdes an das Leben herantreten. 
Vielmehr würden ihre Lehren, ihre Grundfäge, ihre 
Machtſprüche die zum Bemußtfein gefommenen Xhatfa- 
chen diefes Lebens fein und bie Praris hat ein gutes 
Recht zu dem Derlangen, in denfelben fi und eben 
nur fich wiederzufinden. 

Gleichwol ift die gegenwärtige Wiffenfchaft gerade 
bad Gegentheil von dem Allen. Sie hat zwar an der 
Wirklichkeit der Welt ihren Ausgangspunkt — denn 
das Wiſſen an und für fi, ift ein leeres und bedarf 
der Wirklichkeit zum Inhalte —; aber von Abftraction 
zu Abftraction fortfteigend und fo biefen Ausgangspunkt 
mehr und mehr zurüdfchiebend, fucht fie ihre Ziele in 
: einem alleraligemeiniten Gedanken, ber kaum noch einen 
Schatten, einen leifen Schimmer des Dafeins wider: 
ſpiegelt. Aus der finnlichen Anfchauung ihren erften 
und urfprünglichen Inhalt empfangend, arbeitet fie an 
deffen Umwandlung durch das Denken fo lange bie er 
ein allerfubjectivftes Gepräge trägt und feine Beziehung 
zur Gegenftändlichkeit auf ein Minimum gebracht if. 
Mit einem Worte, fie entfleidet die Dinge ihrer unmit- 
telbaren Wefenheit und verkleidet fie zu einfärbigen Be⸗ 
griffen, folche Unwirklichfeit dann für das wahre Wefen 
berfelben ausgebend. ft es da zu verwunbern, daf Die 
finnlihe Welt diefe Wiffenfchaft von fich ſtößt? Oder 
wie vermöchte fie noch in berfelben fich wieberzuerken- 
nen? Die Praxis findet eine Theorie vor, die Alles cher 
enthält als eben ihre unmittelbar erfundenen Bebürf- 
niffe, ihre Thatſachen und Bedingungen, eine Theorie, 
die fomit keineswegs geeignet ift, fie uber Sich felbft 
aufzuklären, ihr zum Selbſtverſtändniſſe zu verhelfen: 
was follte fie da veranlaffen, bei folder fih Raths zu 
erholen und folcher Ausſprüche für fich gelten zu laſſen? 
Gewiß, die gegenwärtige Wiffenfhaft, unfähig dem Le⸗ 
ben rechte Belehrung zu fpenben, trägt allein, einig und 
allein die Schuld, wenn dieſes nunmehr feinen eigenen 
Boberungen nicht zu genügen, auf feine eigenen Fragen 
keine Antworten zu geben, feine eigenen Streitpunfte zu 
keiner naturgemäßen Entfcheidung zu führen im Stande ift. 


Sie würde in ihrer, 


—— ———— — — — — — — — — — 


J 


Wir werden uns überzeugen, daß dies weſentlich der 
Fall in der Judenfrage iſt. Bei einem großen Theile 
der Theoretiker beruht der ganze Rechtstitel der Juden⸗ 
emancipation in der Annahme einer natürlichen Gleich⸗ 
heit der Menſchen. Alle Dienfchen, heißt es, find gleich 
geboren und darum gleicher Rechte und Pflichten fahigz 
Unterfchiede der Berechtigung und der Verpflichtung 
widerftreiten der Natur und ihre Exiſtenz ift ein Zu- 
ftand der Krankheit der Geſellſchaft. Die gefunde 
Vernunft muß dagegen anfämpfen und ift beftrebt, den 
gegenwärtigen Staat auf jene natürlihen Verhältniſſe 
und Bedingungen zurüdzuführen. 
die Jubenemancipation eins ihrer erften und dringend- 
ften Poftulate. Denn es läßt ſich doch wol nicht in 
Abrede ftellen, daß die Ausfchliefung ber Anhänger ei- 
ned Glaubekenntniſſes von politifchen Rechten, in beren 
Genuffe die eines andern ſich befinden, eine gewaltige 
Störung des als normal bezeichneten Zuftandes der Be: 
ſellſchaft iſt. Von diefem Standpunkte aus wirb alfo 
die Judenemancipation zu einer Frage der Humanität, 
der allgemeinen Menjchlichkeit. Es wird darum auch 
ohne Aufhören von der allgemeinen Bruderliebe geredet, 
welhe den Menjhen mit dem Menfchen verknüpfen 
müffe, und natürlich kann es nun und nimmermehr be- 
griffen werden, wie folhe ber Vergangenheit habe fo gänz⸗ 
lich fehlen können. Wird nach dem Erflärungsgrunde 
für folchen bedauernswertben Mangel gefucht, fo muß 
in der Regel veligiöfe Unduldſamkeit Alles verfchuldet 
haben. Die Phraſe der Toleranz fpielt dann ihre eitle 
felbftgefällige Rolle und unter überftrömenden Gefühls- 
ergüffen wird die emancipationsluftige Sudenmenfchheit 
in ihre „matürlihen Rechte” — vorläufig theoretifh — 
eingefegt. Aber von vornherein muß das politifche Xe- 
ben ſolche natürliche Gleichheit der Menfchen als eine, 
leere Einbildung, als ein Truggeſpinnſt abweifen. Die- 
je weiß nichts von allgemeiner Menfchlichkeit, von all- 
gemeinem Menfchenthume; es. ift nur gewöhnt, die Men- 
hen in ihrer Sonderung zu verfchiedenen Nationalitä- 
ten, in ihrer Sonderung durch Gefchichte und Bildung 
aufzufaffen. Es Hat ed nirgend und an feinem Punkte 
mit dem Menfchen als Menfchen, d. h. eigentlich mit 
dem Menfchenbegriffe, in welchem allein alle Menfchen 
als etwas Gleiches in Eins zufammenfallen, zu thun. 
Denn diefer allgemeine Menſch wird nirgend im ftaat- 
lichen Xeben erfahren. Wird alfo eine Emancipation 
der Juden auf Grund des Umftands verlangt, daf an 
biefen fih alle diejenigen Merkmale zufammenfinden, 
weiche den Dienfchen im Allgemeinen ausmachen, fo geht 
dies die politiſche Praxis nichts an. Denn dieſe Fode⸗ 
tung fodert ganz eigentlich nicht die Zulaffung der Ju⸗ 
den in den beftimmten, befondern Staat, in das be- 
ſtimmte befondere Volksthum, fondern nur die Zulaffung 
zum allgemieinen Menfchenthume, und jene hat wahrlich 
folher Zoberung Recht noch niemals beftritten. Sie 
hat noch nie die Juden ihres Menfchenfeins berauben, 
fie darin verfürzen wollen, man müßte denn etwa die 
Judenverfolgungen früherer Zeiten als derartige Berfuche 


Sau; natürlich iſt 


auslegen. Gottlob aber! in ber Gegenwart braucht 
Dergleihen nicht mehr gefücchtet zu werden. Tritt 
nichtödeftorweniger die Theorie und dies nicht ohne Eifer 
und Hige für das gute Recht der Juden ale Menſchen 
zu gelten in bie Schranken, fo erinnert dies am das 
Gefep jenes akademiſchen Senats, der verordnete, 
daß hinfüro Derjenige, welcher einen Nachtwächter 
todte, ganz ebenſo beſtraft werden ſolle als Derjenige, 
welcher ein gleiches Verbrechen gegen einen andern Men- 
fen verube. Die Juden haben alle Urfache, diefen ih⸗ 
ren Freunden, welche ſich auf die Entdeckung, daß ein 
Jude doch fo zu fagen auch ein Menfch fei, wunders 
wie viel zu gute thun, gänzlich abzufagen. 

Eine andere Beweisführung, wie fie von ber Theorie 
für die Judenemancipation beliebt wird, beruft fi) auf 
bie Vortrefflichkeit der Moral des Judenthums. Dem 
Staate, wird gefagt, könne Feine Gefahr drohen von 
Bekennern einer Religion, die nicht minder als jede an- 
dere zwifhen Gutem und Böſem zu unterfcheiden wife, 
und es fei fomit fein Grund vorhanden, die Juden von 
demfelben auszufchließen. Aber mer hat denn fchon je 
behauptet, muß die Praris dagegen reden, daß der Staat 
nichts weiter als eine moralifhe Anftalt! In China 
etwa könnte diefe Beweisführung eine fehlagende fein 
und aud da nicht einmal ganz. Der Staat hat es 
mit noch ganz andern Dingen zu thun als die bloße 
Moral zu eyecutiren; diefe entnimmt fich vielmehr det 
ſpecifiſch ftaatlihen Sphäre und ift eine allen Völkern 
der Erde in gleicher Weife gemeinfame. Aus der Mo- 
tal könnte Niemand die Verfchiedenheit der Staaten be- 
greifen, aus der Moral Niemand die wefentlichen Be⸗ 
dingungen des Beſtehens derfelben herleiten; — denn 
ihre Gebote find durchaus allgemeine, über jede Befon- 
derheit hinausreichende, und ein tugendfames Keben ift 
zu vielen Dingen nüge, aber es gewährt an und für 
fih noch keinen Patriotismus, kein politifhes Ehrgefühl 
und alles Das nicht, was ben Staatsbürger als Staats- 
bürger bejeelen fol. Mit der Moral mag es fi im 
Privatleben gut haushalten Laffen als Einzelner gegen 
den Einzelnen; die politifche Okonomie hat mehr Be⸗ 
dürfniffe als daß fie damit ausreichen könnte. Das 
ftaatliche Leben, welches felbft wieder ein deutfches oder 
franzöfifche® oder englifches u. f. w. ift, verlangt von 
der Theorie Belehrung darüber, ob die Juden in das 
gegenwärtige Deutſchihum ober Kranzofenthum oder 
Engländerthum u. f. m. eingegangen, mit biefem inner- 
lich verfhmolzen find. Die Antwort barauf ift: „Das 
Tann ich nicht fagen, aber es find im Allgemeinen recht 
ehrliche Leute und weder Räuber noch Mörder.” Iſt 
das nicht ganz ausnehmend theoretifch? 

Konnte nun das Leben in keinerlei Weife durch 
folche Theorien veranlaßt werden, die Nothwendigkeit 
der Judenemancipation anzuerkennen und demgemäß zu 
verfahren, fo wurde die Frage gänzlich verfehoben und 
der Knoten ein geradezu unauflöslicher, als ein gewiffer 
philoſophiſcher Wbfolutismus fi darein mengte. Diefer 
erflärte, die Gegenwart des ftaatlichen Lebens fei durch⸗ 


- 


aus nicht berufen dazu, bie Zulaffung der Juden zum 
Staatsbürgerthbum auszuſprechen, und machte, um Wlles 
in Einem zu fagen, die Möglichkeit der Emancipation 
von taufend Unmöglichkeiten abhängig. Die ganze Frage 
in ihrer jegigen Stellung wurde ins Gebiet der Theo⸗ 
logie verwiefen: die ganze Sache, wurde behauptet, ift 
ein Zank des Judenthums und des Chriftenthums, ber 
um bes begrifflihen Gegenſatzes zwifchen dieſen beiden 
an und für ſich nicht zu befchwichtigen, nur mit Aufgabe 
fomol des Chriſtenthums ale auch bes Judenthums, mit 
Herfiellung eines allgemeinen Humanismus zu feiner 
„kritiſchen“ Entfcheidung gebracht werden fann. Der 
Chriſt fol den Chriften, der Jude den Juden ausziehen, 
beide fi zu allgemeinen Menfhen verflüdhtigen, dann 
gibt es von vornherein feine Trennung mehr und die 
Zubdenfrage braucht gar nicht erft aufgeworfen zu wer- 
den. So lange dagegen der Jude noch Jude ift, wie 
follte er in den „hriftlichen Staat“ eingehen fönnen, —- 
fo Tange der Chriſt noch Chrift, wie follte er den Zu- 
den als feines Gleichen beiennen? Denn Chrift und 
Zube find Zodfeinde und müffen fh um des Begriffs 
willen durchaus haffen. Die Theorie gebietet ihnen ge- 
radezu: Haßt und verfolgt euch! und ber Schlaf, in 
welchen: fie befangen, ift tief genug, um ihr den Traum- 
wahn nicht zu nehmen, fie fei wirklich eine abfolute Ge- 
bieterin des Lebens. Diefe Theorie macht fcheinbar ei⸗ 
nen Anſatz dazu, der wirklichen Sachlage ſich zu nähern; 
fie ftellt wenigftens die Frage: Iſt der beflimmte, nach 
ihr der „chriftliche”, Staat im Stande, die Juden in fi 
aufzunehmen, und biefe, in einen folchen beflimmten ein- 
zugehen? Sie bringt alfo feheinbar ſchon Verhältniffe 
und Thatfachen der Wirklichkeit zufammen und unter- 
ſucht, 0b diefelben einer Einigung fähig oder nicht; aber 
in Wahrheit und bei Lichte befehen find freilich dieſe 
Thatſachen der Wirklichkeit keine, ſondern wieder ganz 
wilftürlihe theoretifche Begriffe Oder wo in aller 
Welt befteht heute der „hriftliche Staat”, wo in aller 
Welt gibt es Juden, die fo ganz und gar noch mit dem 
Judenthume zufammenfallen, daß fie außer bemfelben 
nicht auch noch etwas für fi) find? Der Staat ift von 
Anfang an nur ein nationaler gewefen und hat im 
Volksthume ganz ausfchlieglih feinen Träger gehabt. 
Die Religion hat die Kirche, ein allgemeines Reich der 
Heiligen und Gläubigen begründet, aber bie Staaten 
haben fich innerhalb dieſes allgemeinen Reiche nach der 
Verſchiedenheit der Nationalitäten gegliedert und das 
Chriſtenthum hat diefen gegenüber niemals Gewalt ge- 
habt. Im Verlauf der Geſchichte hat fich dieſes Ver⸗ 
hältnig der Bleichgültigkeit zwifchen Volksthum und 
Religion immer fehärfer, immer offenbarer herausgeftellt, 
fodaß in der Gegenwart auch bie äußere völlige Tren⸗ 
nung beider ein unabweisbares Bedürfniß geworben. 
Wer gab ber Theorie das Recht, der Gefchichte und der 
Natur der Dinge zum Hohne auf die im Augenblick 
allerdings noch beftehende, aber Tängft ale Lüge von 
ben Berfländigen empfundene Verbindung des Staats- 
thums mit dem Kicchenthume die Behauptung zu grün- 


. 


den, Daß der gegenwärtige Staat ein chriftlicher feiß 
Nicht allein, daß fie damit das Werfen des Staats, 
weiches ein reiches und mannicfaltiges ik, in einem 
sinzigen Merkmale untergehen läßt, diefes eine Merkwmal 
it nicht einmal ein bem Staate weſentlich zugehöriges, 
fondern ein nur zufällig und momentan mit ihm verbun- 
denes. Wahrlich die Ehriftlicgkeit bes heutigen Staats 
ſteht der Iubenemancipstion nit mehr entgegen ald 
etwa der Mohammedanismus deſſelben. 

(Die Sortſetung foiat.) 





Sechs humoriſtiſche Vorleſungen von Eduard. Ge— 
druckt als Faftnachtsgabe für Freunde. Aachen, 
Wengler. 1845. 16. 77% Nor. 


Diefe Vorlefungen find, wie der Verf. im Vorworte ſagt, 
vor zahlreichen Verfammlungen zu Aachen, Köln und Leipzig 
„unter ſtürmiſchem Beifall“ gehalten worden. Dabei kommt 
daß Meile auf Die Stimmung der Gefellfchaft an. ft der 
Nedner fonft als ein jowiales Haus beliebt, gen fih feine 
Zuhbrer durch Gefpräh und Mein Hinlanglih erwärmt, fo 
kann er mit einem jeher mäßigen Aufwande von Witz großes 
Gelächter, mit andern Worten ftürmifchen Beifall, Hervor- 
sufen. Gedruckt freilich machen fi die Sachen anders; be 
trachtet man fie dann in nüchternem Buftande näher, fo wun⸗ 
dert man ſich wohl, wie es möglich gemwefen ift, darüber zu 
lachen. Das follte Jeder, weldyer dergleichen Borlefungen gt 
halten bat, reiflich bedenken, ehe er fih zum Druck derfelben 
entichließt, und wäre «6 auch nur für Freunde. Wir waren 
nicht fo glüdlich, in den Kreifen zu fügen welche Hr. Eduard 
miit feinen mündlicdyen Vorträgen erheiterte; was bier gedruckt 
vorliegt, hat und nicht angefprochen und vergeblidy haben wir 
darin nad Humor gefucht. Doch enthalten wir uns billig 
einer Tritifhen Berprechung biefer Reden und glauben gern, 
Daß Re in luſtigen Gefellfchaften einen beſſern Eindrud ger 
macht haben. 13. : 





Bemertung. 


LiebenswürdigPeit der Frauen. 

Alle Liebensiwürbdigkeit, alſo auch- weiblihe, verlangt ihre 
Zeit und ihren Raum, und ift dadurch von beiden abhängig. 
Den Raum gewährt ihr das gefittete Gefelifchaftsleben, denn 
vor Huronen ift fie niht aa ihrem Ort; die Zeit wird von 
felber durch das Lebensalter beflimmt. Darum foll die Liebens: 
wuͤrdigkeit gleich der Wiffenfchaft fortgehen mit der Zeit, 
d. 6. fie ſoll nicht ſtehen bleiben in einer veralteten Form; die 

und Mutter fol nicht mit der Liebenswuͤrdigkeit des 
Maͤdchens, Die Matrone nicht mit degjenigen einer jungen Fran 
erſcheinen; fonft wird es ben Weibern gehen wie ben von ih» 
nen gelefenen Romanen, wie dem beliebten Lafontaine und 
Walter Scott, deren Seit vorüber. Doch ift es ein verzeihli: 
her Irrthum, wenn Frauen, deren Gemüth viel länger jung 
bleibt als das männliche, das Ablaufen einer Zeitepoche nicht 
gewahren, ſonach ihre Liebenswürdigkeit gu ſtarr fefthalten, bie 
Manier nicht verändern, gleichwie Lafontaine feine polternden 
Oheime und empfindfamen Sünglinge, Scott feine wahnfinni- 
gen alten Weiber und ſpitzbuͤbiſchen Helden wiederbringt. Mög: 
Ticherweife find durch Kunft die Grenzen dee Beiträume etwas 
zu verrücken, durch MRachhälfe kann Die anfängliche Abnahme 
bluͤhender WBefichtöfarbe oder eine Runzel verborgen werden; 
doch größere Kluft von Jahren und die Ungefügigleit des Ver⸗ 
gangenen und Gegenwärtigen macht ſich endlich immer gel: 
tend. Daß nun Weiber dennoch mit Kunft Beiträume zu ver- 
Heinen fuchen, gereicht ihnen bei firengen Richtern zum Nach. 


theil, und man daraus eine wre Berienung der Mar 
tur. Freilich gefällt von Natur das Weib dem Manne; allein 
vr ausgezeichneten Liebenswürdigkeit ift Kunft erfoberlich, eine 
böhung des Natürlichen, eine mit Meifterfchaft vollendete 
Dar ſtellung defleiben. Dann will das Meib gefallen, und 
man gewahrt Died gern, man wird begaubert, bis hinterher 
der überlegende Berfland entbedt, das Weib fei feiner Kunf 
mittel gewiß, braude djefelben bei Jedem und Allen für ali⸗ 
gemeinen Beifall. Sogleich ift die männliche Eitelkeit belei⸗ 
Digt, welche Bemühungen des Gefallens für fi allein begehrt 
und geru Den Ruhm davontrüge, durch perfünliche Anregung 
das Bibembwärbige des Weibes in volles Licht geftellt zu ha⸗ 
ben. Daraus enlipringen Bormürfe von Unmwahrheit, Zierexei, 
und @itelfeit, die fo häufig gehört werden: — Beſchuldigungen 
der Eitelkeit wurzeln meiftens in der eigenen. Man Magt 
über ermuͤdende gefuchte Unterhaltung, über Kertheilung vom 
Gefühlen, über ein von blinden Verehrern erwecktes und un⸗ 
glülli angeftrebtes Ideal, man ſpräche vielleicht lieber ſelbſt, 
erwedte zu neuem Gefühl, und gäbe dem Ideale das erjte 
Lob. Wie ungerecht! Kunft und Pünftlerifches Bewußtfein fol 
len fehlen, bloße reine Natur foll gelten,-und zwar in derjeni⸗ 
gen Geſtalt, die der Beobachter als die vollkommenſte ſich aus« 
gedacht. Dies if bei allgemeiner Liebenswürdigkeit unmöglich, 
fie muß gencmmen werben in ihrer eigenen Art, in einer Bobs 
mopolitifhen nicht immer dem engern Ih und Hausfinn zw 
fagenden Weite, mit einem Bühnengefchmad, der andere Vor⸗ 
tehrungen verlangt als das Auftreten in der Familie und das 
Preiswurdige unter vier Uugen. Dabei mag denn die Gefahr 
nicht geleuguet werden, daß liebenswürdige Frauen im weiten 
Raume der großen Welt fich felbft verlieren und eine Samm⸗ 
lung ihres Weſens entbehren, chne welche die Innigfeit und 
Wahrheit des Gefühle ſchwerlich beftcht, und für deren Pflege 
ihnen Beit und Ruhe mangeln. Sie find alsdann mehr zu bes 
dauern ald zu verurtbeilen, und ber Fehler ift zu fuchen, wo 
er überhaupt für viele menfchliche Verhältniffe zu finden * 
im unrechten Maß von Raum und Zeit. 


— — — — — 


Literariſche Anzeige. 


In meinem Verlage iſt erſchienen und durch alle Buchhand⸗ 
lungen zu beziehen: 


Luther's Leben. 


Erſte Abtheilung: 
Futher von feiner Geburt bis zum Ablaßſtreite. 
(1483 — 1517.) 


Karl Zü 8 
ar urgens. 
Erster 4 

Gr. 8 Geh. 2 Thlr. 15 Near. 


Der Wunfc des Berfaflers dieſes Werkes geht dahin, möge 
lichſt vielen Denfenden ein deutliches und wahre, ben Bes 
dürfniffen und Foberungen der Gegenwart genügendes Bud 
von Luther zu geben. Die zu löfende Aufgabe beftcht vornäm» 
lich in der Rachweiſung, wie Luther ganz mit feiner Zeit fidh 
bildete, mit ihr wurde was er geworden tft, mit ihr that was 
er gethan, feft in ihr ftehen bleibend fie weiter fuͤhrte, ihre 
Richtungen in fih aufnahm, durchbildete, zur Reife beachte 
und eben dadurch neue Wege bahnte, fodaß er daſteht al& Ber» 
treter und Werkzeug des Gebots der a des Wollens 
der Vernunft ſeines Zeitalters, ſofern es auf ihn und er auf 
die Beitgenoffen eingewirkt hat. 





3%. Brodheus. 


Berantwortlicher Beraubgeder: Heinzid Bro@pans. — Drau und Berlag von F. . Brockhaus in Leipzig. 


Blätter 


fiterarifde 


für 


Unterhaltung. 





Zur Judenfrage. 
- (Kortfegung aus Nr. &.) 
Ein ebenfo begriffliches Unding oder undinglicher 
Begriff als der Staat iſt der Jude diefer Theorie. 
Nicht im mindeflen berüdfichtigt fie, daß zwiſchen dem 


Inden der Gegenwart und dem der Zeiten etwa bes 
‚ Könige Davib ein gar gemaltiger Unterfhieb ift, daß 


richt minder Unterſchiede ſich herausſtellen, wenn man 
die polniſchen, ruſſiſchen, ſpaniſchen Juden u. ſ. w. mit 
den deutſchen, franzoͤſiſchen und engliſchen vergleicht, 
daß man alſo die einen nicht für die andern verant⸗ 
wortlich machen, die charakteriſtiſchen Eigenſchaften der 
einen nicht zugleich von den andern ausſagen kann. 
Sie hat es immer nur mit dem allgemeinen Juden zu 
thun und weiß von dieſem kein anderes Merkmal gel⸗ 
tend zu machen als eben das Judenthum nur. Daß 
aber der Jude des Lebens, der leibhafte und wirkliche 
Jude, nicht bios Jude, ein durch und durch jüdiſcher 
Jude iſt, ſondern ſo gut wie der Chriſt auch eine von 
ber Religion unabhängige, felbſtändige Sphäre noch 
ausfüllt, das kümmert ſie nicht, darum will ſie ſich nicht 
kümmern. Ihr Eins und ihr Alles iſt der Begriff; 
das Leben ſeinerſeits mag zuſehen, wie es dieſem ſich un⸗ 
terordnet, oder des ganzen Zorns der Theorie ſich gewaͤr⸗ 
tig halten. 

Freilich aber iſt es auch vom Standpunkte des Be⸗ 
griffs aus ganz und gar unbegreiflich, mie der Glaube 
und ein vom Glauben nicht bedingtes Leben nebenein- 
anber hergeben Pönnen. Denn der Begriff vermag fi 
über den logiſchen Widerfpruch des religiöfen und eines 


davon unabhängigen politifchen Lebens nicht zu erheben 


und tft immer bereit, fein Entweder — Ober bazmifchen 
zu fehreien. „Entweder fei ein Religiöfer — beifcht er — 
oder fei Lebemann, entweder huldige Bott oder huldige 
den Menfchen; denn du kannſt nicht Beides wellen, nicht 
zweien Herren zugleich dienen. Der Dienft Gottes ver- 
langt Hingabe an ein berfinnliches, an eine jenfeitige 
Welt der Wahrheit; der Dienſt der Menfchen verlangt, 
daß du biefe irdiſche Welt als bie wahre anerkennſt und 
beinen Genuß und deine Befriedigung auf Erben fuchfl. 
Du würdeſt ein untauglicher Weltmann fein, wollteſt 
du über dem Anfchauen des Gottesreiches die Gegen- 
wart mit ihren Foderungen und Beduͤrfniſſen ans den 


Augen verlieren.” Aber der Begriff nergift dabei gaͤnz⸗ 


Up, daß auch nicht bie minbefie Nöthigung verhanden 


ift, ſolche wiberfpeechenbe Momente‘ in eine Einheit zu⸗ 
fammenzufaffen, wie er Dies willkinlich thut. Er hat aller 
dings Recht zu der Behauptung, daf Niemand zweien 
Herren gleichzeitig dienen fönne; aber wie dann, wenn 
von folder Gleichzeitigkeit gar nicht die Reber Gerade 
dieſes ‚‚ gleichzeitig” wird vom Begriffe nur erfchlichen, 
benn im ihm felbit wird von Zeit ımd Raum gang umb 
gar abgefehen. Beine Einheit ift eine zeitlofe und kanu 
darum für das Leben nicht gelten, deſſen wefentliche 
Sorm. und Mebingung bie Zeit. Was im Begriffe 
wicht zufammenpaffen will, kann immer ndc getrennt 
eriftiren ; was nicht gleichzeitig möglich, kann in ber 
Aufeinanderfolge möglich fein; was als Einheit nicht ifl, 
kann als Zweiheit fein; mit einem Worte: ber Wider 
ſpruch, welcher logiſch unftatthaft, iſt es um deswillen 
nicht in der Praxis und das Leben mehr als eine logi⸗ 
ſche Abhandlung. Die Theorie hat zu ihrer Foderung: 
Entweder Himmel ober Erde! nicht ein Haar breit mehr 
Recht als zu der Foderung: Entweder Tiſch ober Bank! 
Wie dieſes ant — aut am Naume, ſo ſplittert jenes an 
der Zeit. Man kann es ſehr gut begreifen, daß Tiſch 
und Bank nebeneinander beſtehen können; nicht ſchwieri⸗ 
ger iſt die Einſicht in bie Möglichkeit, daß der Menſch 
dem Himmel und ber Erbe suum cnique! Jeden fein 
befcheiden Theil der Verehrung und Liebe zulommen läßt. 


Rad, allen diefen Verirrungen dee Theorie fann es 
nicht mehr ſchwer fallen, die ſachgemaͤße Stellung der 
Judenfrage zu finden. Sie iſt einfach biefe: Sind bie 
gegenwärtigen Juden fähig, in den modernen volfsthüm- 
lichen Staat einzugehen, haben bie jept lebenden deut⸗ 
fehen Juden das Deutfchthum wahrhaft in fich aufge 
nommen, ſodaß gleiche volkliche Intereffen mit den na⸗ 
turmüchfigen deutſchen Staatsgenoffen bei ihnen moͤglich 
find? Wir werden bdiefe Frage nicht beantworten Fön- 
nen, ohne ein fchen Angedeutetes, einerfeits das Ver⸗ 
Häftnif des gegenwärtigen Ehriflenthums, andererfeite . 
das des gegenwärtigen Judenthums zum nationalen 
Staate ausführliher und forgfältiger zu prüfen. 

Das Chriſtenthum iſt feiner innerften Ratur nach 
alle Dem abgewandt, was den Genuß bes irbdifchen Le 
bens angeht. Nur und ausfchliehlich dem religiöfen 


.- 212 


f 4 — 
Bebürfniffe der Menſchen Befriedigung bietend, laͤßt es Seit der Reformation aber iſt die Trennung im Glau⸗ 
den ganzen übrigen Menſchen unberückſichtigt außer ſich | ben eine immer mannichfaltigere geworben. , Die ver- 
liegen. Es if eine Religion, bie nichts weiter fein will | ſchiedenſten und entgegengefegteften religiöfen Überzeugun- 
als Religion, die nicht mehr geben will als Erbauung, | gen wurden geltend; faft jeder Bekenner des Chriſten⸗ 
die keineswegs alle Seligkeit, alle Genüffe und alles | thums bekannte einen andern Glauben, ſodaß es heut« 

eil des Menfchen in ſich ſchließt. Wenn fie gebietet: | zutage faum noch zwei Ehriften geben mag, deren An» 

bet dem Kaifer was bes Kaifers ift und Gott was fihten vollfomnen und ganz und gar übereinftinnmen. 
Gottes, fo bekennt fie ausdrüdlid, daß das gefammte | Wollte nun ber Staat die Bedingung feiner Eriftenz, 
Leben nicht unter ihr befangen, daß es auch felbfländige | bie Garantie feines Beftehens in die Religion fegen, 
Sphären außer ihr gebe. Etwa nur in den früheften Zeiten | welcher Staat beftände wol noch? Wahrlih, es kann 
ihres Dafeins, da noch der Gegenfag eines maßlofen | nichts Kächerlicheres geben als bie Anficht Derer, welche 
und überreizten weltliden Lebens dem Gläubigen un- | die naturwüchfige Einheit des Volksthums durch eine 
mittelbar vor Augen fland, mochte fie über bdiefen eine | etwanige künftliche Einheit des in feinem Weſen zerklüf- 
ansfchließlihe Herrſchaft führen, dieſer fi) mit der | teten und, weil die mannichfachſten Deutungen und 
Summe feiner Bebürfniffe ihr unterordnen. Wer aber | Auslegungen, die mannichfachften Gegenfäge zulaffenden 
fieht nicht, daß dies eine bloße zeitwweilige Erfcheinungs- | Glaubens erfegen wollen. Der Staat betrügt fich felbft, 
form ift, nicht das Wefen der Religion felbfi! So war | der an der Religion feine Stütze ſucht. Nach den viel- 
es denn auch eine Nothwendigkeit, daß das ftaatliche | fachen Erfahrungen, die er in biefer Beziehung zu fei- 
Leben auf durchaus unabhängigen Bafen erwuchs. Das | nem Schaden gemacht hat, wird er es fi nicht bergem 
Chriſtenthum bewies fich fo wenig als ein flantenbilden- | Fönnen, daß er die Religion nun auch wirklich äußerlich 
des Princip, daß es felbft in feiner erſten Friſche nicht | von fich abfcheiden und fich felbft anheimgeben muß. Er 
im Stande war, den entgeifteten antifen Staat, in den | wird endlih das Staatsbürgertfum nur nod von ber 
es einging, umzufchaffen oder ihm neuen Halt, neue Le: | Hingabe an das Volksthum, wie ed durch Natur und 
bensfähigkeit zu geben. Der griedifch-römifhe Staat | Gefchichte geworden, abhängig machen dürfen und bie 
blieb der er gewefen, obwol das Chriftenthum zur Staats» | Juden zu jenem berechtigen müffen, fobald er fi da⸗ 
religion erhoben worden. Ebenſo wenig bat es ben ger- | von überzeugt bat, daß ihr. Eingehen in dieſes eine 





manifhen Staat geichaffen. Waͤre dies der Ball, fo | wirklihe Thatſache. 
, müßte derfelbe nothwendig ein Staat aller Gläubigen, Allerdings aber hat es mit dem eigentlichen Juden⸗ 
nicht ein Staat des befondern Volksthums fein. - Em- | thume eine ganz andere Bewandtnif als mit dem Chri⸗ 
pfing er nichtsdeſtoweniger das Prädicat allgemeiner | ftenthume. Wenn Diefes in feinen Beiennera nur eine 
Chriſtlichkeit, fo konnte ihn bie doc nicht hindern, | Seite, nur ein Bedürfniß in Anfpruch nimmt und die 
- feine fpeciellen Intereffen, und war es auch zum Nach- | übrigen frei entläßt zu felbftändiger Befriedigung, fo 
theil ber ganzen übrigen Chriftenheit, zu verfolgen. Zu | umfaßt das wahre alte Judenthum den ganzen Den» 
wieberhoften Malen führte er fein befonderes Volksthum ſchen. Es bietet nicht nur religiöfe Erbauung, es bietet 
gegen ein anderes in den Kampf, wenngleich beide in | in fich felbft auch ſchon den Genuß der Weltlichkeit; «6 
gleiher Weife dem einigen «hriftlichen Glauben buldig- ſcheidet fih nicht von dem flaatlihen Leben als ein be= 
ten. Das flaatliche Intereffe zeigte fich alfo wenig mit | fondere® und diefem gleichgultiges® ab, fondern macht 
dem der Religion verbunden, die Religion vermochte den | den Staat von ſich abhängig. - Der chriſtliche Gott hat es 
Staat, der Staat die Religion nicht zu bedingen. Wäh- | mit Volksthun, mit Staat und Politik nicht zu fihaft 
send Deutfche gegen Welfche die ganze Schärfe ihres | fen, er ift ein Gott aller Gläubigen, gehören biefe ei- 
nationalen Zornes kehrten, blieben Deutfche wie Welfche | nem Volksthume an welchem es immer fei; aber ber 
doch Brüder im Glauben. jüdifche Gott ift ein Gott feines auserwählten Volks, 
Noch fchärfer ftellte fi dies Verhaͤltniß der Gleich | Jehovah iſt der Träger und das Princip des jüdiſchen 
gültigfeit zwilchen Religion und Staat nach der Refor- | Stammes. Der Jude finder in feiner‘ Religion fein 
mation. heraus. Diefe zerklüftete den bisher einigen | Eins und fein Alles; fie ift ihm Glaube, Heimat und 
"Glauben in zwei fehroffe feindliche Gegenfäge: gleihmwol | Vaterland, die Garantie nicht bios innerer Seligkeit, 
behauptete der Staat feine Einheit und umfaßte in die= | fondern auch äußern Gebeihens und weltlichen Wohl⸗ 
fer, die getrennten Parteien. Mußte er nicht alfo den | flandes. Im Judenthume werden alle Bedürfniffe des 
Traͤger feiner Einheit in einem durchaus andern Princip | Gläubigen gefättigt; das Leben dieſes ift von der Reli- 
finden als in dem des Glaubens? in einem Princip, | gion ganz und gar durchdrungen, und es gibt fein Mo- 
ba6 fich durch Spaltungen ber Slaubensmeinungen nicht | ment, das fi ihr entziehen, eine felbftändige Geltung 
wirklich erjchüttern ließ, das ftabiler und fefter war denn | für fih in Anfpruch nehmen könnte. Das Judenthum 
biefe?t Proteflant und Katholik, im Glauben getrennt, | ift eine gründliche Heiligung, eine durchgehende Vergoͤtt⸗ 
wurden Genoſſen eines und beffelben Staats, fanden in | lichung der gefammten Weltlichkeit: — biefe. für fi ift 
biefem eine Sphäre, welche fie vereinigte, ihnen gleiche | nichts, fie empfängt ihr Sein, ihr Wefen, ihre Bedeu⸗ 
Intereffen gab. War bies möglich, wenn Staatsleben und | tung erft von Jehovah. So konnte es denn auch ge— 
Slaubensbelenntnig wefentlih in Eine zufammenfielen® | fehehen, daß als die Judenzeit Längft ihrer natutwüchſi⸗ 


\ 


2ı3 


den Nationatität Beraubt, als Fe vom Boden ihrer Bä- | 


ter vertrieben und über alle Länder der Erbe zerfirent 
war, fie nichtödeftoweniger ihr Volksthum in aller Starr: 
heit aufrecht erhielt. In ihrer Religion fand fie es 
wieber und da, wo ihr nur fo viel Raum geboten war, 
um Schovah einen Altar zu errichten, hatte fie auch ihre 
Heimat. Glaube und Volksthum waren ihr fo unzer⸗ 
trennlich, daß der Abfall vom rechten. Glauben zugleich 
ein Verrath an der Nation und folcher ohne jenen nicht 
bentbar war. Anders hätten auch die Juden mitten in 
dem bewegten Treiben der Völker, welche die moderne 
Geſchichte gefchaffen, nicht ihre unbewegte Ruhe, die 
Starrheit des Todes behaupten fönnen; und jene Ver⸗ 
folgungen, deren Gegenftand fie zu wieberholten Malen 
gewefen, hatten ficherfich ebenfo fehr, wenn nicht mehr 
noch, in einem beleidigten Volksthum ihren Grund al# 
in religiöfem Fanatismus. Beides verband ſich der Ju⸗ 
denheit gegenüber überaus leicht. Die Zähigkeit, mit 


. welcher die Juden die Vergangenheit mitten-in’ ber Ge 


genwart fefthieften, eine längft abgeflorbene Nationalität 
innerhalb einer lebendigen und in frifhem Ringen und 
Kämpfen begriffenen, mußte das Selbfigefühl und ben 
Stolz diefer gegen ſich aufbringen. Nicht ewig aber 
konnte der Widerfpruch dieſer Stellung der Juben 
dauern; er mußte endlich feine gefchichtliche Xöfung fin- 
den und es machte fie bier wie in allen ähnlichen Zäl- 
len das melthiftorifche Mecht des lebendigen Volksthums 
geltend. - Kann man auch feinen beflimmten Zeitpunkt 
angeben, mo das Leben ber Gefhichte zuerft in die Ju⸗ 
denzeit einbrach und das Judenthum bemältigte, fo find 
doch die Folgen eines ſolchen Einbruchs unwiderleglich 
vorhanden. Die deutſchen Juden der Gegenwart find 
nicht mehr mas ihre Wäter und Borfahren; fie find 
nicht mehr eine abgefchloffene Nationalität, wenigftene 
freuen fie füch derſelben nicht mehr, wenigfiens mollen 
fie diefelbe nicht weiter behaupten. Wie diefer Proceß 
vor fih gegangen, wie allmälig bie religiöſe Nationali» 
tät der naturwüchſigen gewichen, mie das Judenthum 
in feinen Belennern auf das rein religiöfe Gebiet zu- 
rüudgedrängt worden und alle übrigen Sphären des Les 


bens, die an und für fich nicht religiöfen, freigegeben | 


hat, darüber fehlen uns noch die Nachrichten. Es ift 
leicht begreiflih, dag die Juden, welche allmälig zum 
Berauftfein des Widerfpruche ihrer Stellung zum Leben 
tamen und dem modernen Volksthume ſich anzufchließen 
firebten, wenig an bie Darftellung ſolchen Proceffes, in 
welchem ſie unmittelbar befangen waren, denken konn⸗ 
ten. Den Ehriften aber fehlten wieder alle andern Bebin- 
gungen, weiche Forfchungen danach ermöglichen. 

Das Judenthum der Gegenwart enthält nun zwar 
allerdings noch alle jene Dogmen, welche ben vergange- 


nen und zukünftigen Gottesſtaat verfündigen und die 


Erinnerungen des Geweſenen nicht minder als die Ver⸗ 
Beifungen des Kommenden fefthalten; e6 mird im heuti⸗ 
gen Judenthume noch gelehrt, daß der Meſſias erfchei- 
nen werde, um alle Feinde deſſelben ihm zu Füßen zu 
legen und einen Schemel der Herrlichkeit der Judenheit dar» 


au zu bereiten; fo laut auch in verſchiebenen Gegenden 
Deutſchlands teformatsrifche Stimmen fi Haben verneh⸗ 
men laſſen, der große, ja vielleicht der größte Theil Dee 
Juden bleibt dem Glauben feiner Väter getreu und am 
dert kein Jota an bem Überfommenen; — aber gleich 
viel, das weltliche Herz iſt bei- diefen Dogmen nicht, 
Das voeltliche Herz hat ſich vom teligisfen Gemüthe ge⸗ 
trennt, ſich von deſſen ausſchließlicher Herrſchaft emanti⸗ 
pirt und lebt und ſchlaͤgt für ben Genuß bes lebendigen 
Daſeins der Gegenwart. Nur als Religiöfer noch preift 
ber heutige Jude den kommenden Meſſias, aber auch ee 


‚ unterfcheidet ganz unmillfürlich zwifchen feiner Religioſi⸗ 


tät und feiner weltlichen Beſtimmung, feiner Lebensaufe 
gabe. Er rüttelt am Dogma nicht, weil es ihm von 
früh an Erbauung und eine befeligende Erregung bes 
Gemüth® geboten, — wer aber mag behaupten, daß fein 
ganzes Bein in folch feligen Iräumereien aufgeht, baf 
er. nicht vielmehr neben diefen noch andere Freuden, feie 
ner andern Bebürfniffe Befriedigung fuhe? Er ändert 
Das, was ihm von ben Vätern überliefert werben, nicht 
und verfucht es nicht, „zeitgemäße Beflimmungen‘’ bin« 
einzutragen, weil dem Frommen die Religion nicht Men⸗ 
ſchenwerk, fondern ein unantaftbar Heiliges ift, weil er 
in biefer Heiligkeit keine Unterfchiede zu machen weiß 
und jede Veränderung und Umpeftaltung eines Theiles ihm 
die Heiligkeit bes Ganzen zu gefährden fcheint; — aber 
da, wo er nicht Religiöfer ift, mo ihn das Leben ber 
Welt mit feinen taufenderlei Foderungen und Anfprü« 
hen umfängt, wie follte ihn ba noch daß religiöfe Ber 
kenntniß hindern, jenem ganz und gar und mit ganzem 
Herzen fih hinzugeben? Nur etwa der. Gebildete, bei 
dem das Bedürfniß bes Denkens rege geworden, der ber 
Confequenz huldigt und gewöhnt ift fein ganzes Leben 
in firengfter Folgerichtigkeit, in völliger Übereinftimmung 
aller feiner Theile aufzufaffen, nur diefer wird veranlaßt 
fein, feiner religiöfen Überzeugung einen dem Leben ent 
fprechenden Ausdrud zu geben. Er wird ein Dogma 
nicht weiter beiennen. wollen, was er im Leben nicht 
zugleich befennt, und ſich demgemäß eine Religion für 
feinen weltlichen Gebrauch zurichten. 
zu meinen, Daß nur dem Gebildeten das Bebürfnif nad 
Anſchluß an das Leben der Gegenwart aufgegangen, 
wer ſieht nicht wie irrthümlich, wie wenig auf die Er- 
fahrung gegründet folch Urtheil wärel Wir wagen ohne 
Furcht vom Leben Lügen geftraft zu werben die Bes 
hauptung, daß den gegenwärtigen deutfchen Juden fammt 
und fonder6 Ungebildeten wie Gebilbeten dic Religion, 
obwol fie in ſich felbft ein eigenes Volksthum begründet, 
fein Hinderniß mehr ift, ſich an das gegenwärtige Hin» 
zugeben, mit diefem zu verfehmelzen. Ja, wir geben 
noch weiter und behaupten, daß der nicht blos mögliche, 
fondern wirkliche Anſchluß an den modernen Staat und 
beffen Borausfegungen eine bamit gleichzeitige, Davon gar 
nicht zu trennende Thatfache ift. Der Jude Eonnte den 
religiöfen Staat, das religiöfe Volksthum um feines An⸗ 
dern willen aufgeben ale um bes wirklich lebendigen 
Staats der Geſchichte willen. 





Aber darım etwa . 





men unfese Aufgabe, diclemgen Thattachen 

‚ welche bie Beweiſe da⸗ 
n, fa tönnen wir derſelben mr 
isber die unmistelbaze Anfchauung 


3 
28 
3 





3 
* 


ausſegung, 
Uches iſt. Wird man es uns verübeln koͤnnen, waun 
wir an ber Unbefangenheit ber Anſchauung eines großen 
Theiles der Leſer befcgeidene Zweifel hegen? Nicht zu 
gedenken Dexer, die von nornbesein jeben Gedanken an 
Gmancipation der Juden abweifen, fo haben von ben 
Andern die meiften gerade nur theoretifch ſich damit ab- 
gefunden und meinen «6 fih um deswillen nicht verbir- 
a zu müffen, im Leben Die allermerkwürdigſten Vorur⸗ 
theile gegen die Juden beizubehalten. Eie wollen bie 
Zuden als allgemeine Menfhen emankipirt wiffen 
und halten es darum für etwas Gleichgültiges, daß fie 
diefelben als befondere Menſchen nicht leiden mögen 
und gewöhnt find, nicht ohne Widerwillen fie zu be- 
trahten. Daß dies jeber ermiten Forſchung hinderlich 
entgegentritt, ift gewiß und wir fürchten, offen geſtan⸗ 
den, geradezu daran zu ſcheitern. Richtsdeſtoweniger 
ſall wenigſtens der Verſuch gewagt werben, den Lefer 
zur Unbefangenheit zu — nöthigen. 
(Der Beſchiuß felgt.) 


— —— — 





Thomas Morus und fein berühmtes Werk „Utopia“. 
Aus dem Engliſchen überfegt. Dit bio- und biblio- 
geaphifcher Einleitung herausgegeben von E. M. Ot- 


tinger. Leipig, Ph. Reclam. 1846. Gr. S. 
22", Nor. 
Kacı dem Zitel diefes Buͤchleins follte man vermuthen, es 


fei die Überfegung eines englifchen Werks über Thomas Mo- 
tus, und man ſieht nicht wohl ein, was die „bio und biblio⸗ 
raphiſche“ inleitung des Hrn. DOttinger dabei ſollte. Cs 
ß aber nur cine Überfegung der von Thomas Rorus verfaßten 
„Mtopia”, und die Einleitung, die über ben Besf. handelt, f 
nur vier Seiten lang, und, befteht größtentheil in der Auf 
— von Ziteln von Überſetzungen des Buchs in mehre 
europällche Sprachen, und Biographien bed Verf. Das eigent- 
lich Biographifche diefer Einleitung nimmt nur 15 Beilen ein. 
Endlich ift die Überfegung ‚;aus der gewandten Feder bed 
Srn. Hermann Kothe“ nicht nad der Urfprache angefertigt, 
denn das Buch iſt von Verf. Lateinifch abgefaßt worden, ſon⸗ 
dern nach einer englifchen Übertragung. Das nennt man Buch 
macherei I Ref. Bann fi von der Nothwendigkeit der vielen 
Überfegungen, welche heutzutage erſcheinen, nicht überzeugen. 
Wer nicht die wenigen Sprachtenntnifie befigt, die zum Ver⸗ 
ſtaͤndniß wiſſenſchaftlicher Werke erfoderlih find — und wie 
ſollte dazu viel erfoderlih fein, da ja die Kunftausbrüde in 
allen Sprachen diefelben find? —, dem ift auch nicht der Bil: 
dungsgrad zuzutrauen, den eine fahgemäße Benutzung derfel- 
ben int Und vollends ein Buch das in engliſcher 
Gprade zu lejen ift, die ſich der Deutsche mit fo leichter Wiche 
ansignet! Der Berf, führt eine Außerung bes berühmten Su- 
riften G. W. Böhmer an: „ed würde cine Überfegung dieſes 


Berantwortlicher Herausgeber: Heinrich Srockdaus. — Dru und Berlag von F. Ee. Brockhaus in Beipzig. 


| werden ſollen! „Und“, heißt 


Dun Biseratux mit einem intezeflansen Atenftüte 
zur fi x te der Rechtsphiloſophie jenes Beitalters bereichern. 


jen | 
ieber Gott, wenn alle „Actenffüke zur Geſchichte“ überfege 
e8 weiter, „ſelbſt bei neuen Eri⸗ 
minalgefeggebungen angewendet werben koͤnnen.“ Bon wen ® 
Run, wird men agtwerten, von Landtagsdeputirten chun: 
willſt bu dena Diefe Aingelsgenpeiten wieder ganz in die Hände 
ftudirter Romaniften legen? Um Vergebung! die Mitwirkung 
von ſchlichten Männern aus dem Bolke — denn von diefen 
handelt es fich in dieſem Falle allein, den Gebildeten iſt das 
Eagliſche zuganglich — bei dergleichen Dingen if ein großer 
Bortfepritt, aber man muß fie richtig verfichen. Sie ifk nom 
ganı anderer Art als die der Studirten. Gie kann nicht 
arauf gehen, diefe in ihrer wiflenfchaftlihen Begründung und 
hiftorifchen Gelehrſamkeit zu controliren — und dazu fcheinen 
ihnen dergleichen egungen dienen zu follen, durch bie fie 
doch gerade ganz und gar Yon den andern abhängig würden, 
die ihnen bergleichen nur nicht anzufertigen brauchten —, fonr 
dern fie kommt als die ganz unmittelbare Stimme Les Volks 
und Zeitalter in Betracht. Run bedarf zwar auch diefe einer 
geriften Ausbildung; allein dazu möchte ein Werk, das ganz 
m Geifte des 10. Jahrhunderts abgefaßt ift, vielleicht am we 
nigften geeignet fein. Es ift hiſtoriſch intereſſant, daß ſchon 
damald eine Stimme eriholen gegen Die Übel, an denen 
England krankt oder noch vor furzem krankte, der Anhäufung 
des Grundbefigeß in wenigen Händen, der Todesſtrafe für den 
Oiebſtahl — aber was dagegen vorgebracdht wird, ift heutigen» 
tags Jedermann geläufig. Und von manden andern Mif- 
ſtaͤnden, die bier zur Sprache gebracht werden, 3. B. ber 
Kriegdluft der Fürften ober ben Debrücungen derfelben, if 
ſchon lange nicht mehr die Rede. Aber der Grundgedanke des 
utopifhen Staats, den der berühmte Kanzler von einem gewif 
fen Rafael Hythladde fchilbern läßt, der ihn, vom Am 
Bespucci auf feiner vierten Reife zurudigelaflen, in Ameri 
entdeckt haben ſoll, ift Die ter gemeinfchaft Da haben wir 
vieleicht den Grund, weshalb das Buch den heutigen Lefern in 
bie Hände gefpielt werden fol. So bat man fich vor furzem von 
communiftifcher Seite auch auf die Republik Platon's berufen. 
ber mit ſchlechtem Süd; wenn die mobernen forialiftifchen 
Theorien darauf ausgehen, das Individuum geltend zu machen, 
läuft die Platon'ſche Staatslehre gerade auf dad Gegentheil 
hinaus. Und fo kann auch das vorliegende Buh im Grunde 
ur Löfung unferer Tagesfragen nichts beitragen; denn feine 
endenz tft nicht ſowol focial als moraliſch. rigens ſcheint 
bis Überfegung an einigen Gtellen etwas flüchtig gearbeitet zu 
fein; ed wird (&. 132) von den Utopiern geruͤhmt, fie felen 
ewandt und nervös — cin feltfamer Vorzug! — es wird 
im Engliſchen wahrſcheinlich nervous ftehen, das bedeutet aber 
muskulos oder nervig. 42. 


Literarifhe Notiz. 


Neue englifhe Erzählungen. _ 

‚The master passion, and etlier tales and sketches’’, 
von Thomas Colley Srattan (London 1945), find nur eine 
Sammlung in Beitfehriften erfchienener Erzählungen bed dur 
feine „Highways and byways‘ rühmlichft befannten Berfaſſers 
Die Erzählung, welche dem Buche ben Zitel gegeben, iſt ungtrei⸗ 
tig die befte, mit dem jegt feltenen Verdienſte origineller Schoͤ⸗ 
pfung und dem alleinigen Behfer bier und da zu ſtark aufgetrage⸗ 
ner Farben. Die übrigen Erzählungen find insgeſammt fürzer 
und flüchtiger, empfehlen fich aber ber großen Waffe der Lei 
bibliothetendunden buch inmohnende Schauder. Arherden 
fehlt es Seiner an Handlung, an Greigniflen, an Überratgun. 

gen und nebenbei an Zärtlichkeiten. . 














Blätter 


literariſche 


für. 


Unterhaltung. 








So lange die Juben noch nie wirklich dutch das 
Grfep emancipirt fr, fondern vom eigentlichen flaakli⸗ 
chen Leben noch ausgeſchloſſen, Iiegt es anf der Hand, 
baß die Reife, In bene fie ihre Hingabe an das Wolke. 
thum ber Gegenwart bewähren kaͤnnen, nut geringe und 
beſchraͤnkte find. Nur in einzelnen Theilen Deutfchlands 
Iefigen fie ſchon die Hechte det Gemeindebuͤrger, wie in 
Preußen; in dem übrigen Theile dagegen iſt es ihrer 
Maͤtigkeit noch faſt — verwehtt, über dad Privat⸗ 
leben hinautzugehen. Gleichwol bietet auch dieſes ſchon 
ein reiches Feld zu ben fraglichen Beobachtungen. Man 
wird «0 nicht für unweſentlich Halten bürfen, 
daß das Familienleben der Juden längft feine frühere 
Abgeſchlofſenheit aufgegeben und dem eindringenden Volks⸗ 
thume Thor und This bereitwillig geöffnet bat, — oder 
es ignoriren, daß das gefellige Leben überall am beut- 
ſchen Elemente feine Ergaͤnzung und Bereicherung fucht. 
Gs iſt eine Thatfache, von ber Jeder, der mit Juden 
verkehtt Yat, fi überzeugt haben muß, daß von biefen 
Die Freundſchaft und ein tranlicher Verkehr mit chrifl- 
Kern Volkegenoſſen ale ein lebhaftes Bebürfnif em⸗ 
pfunden, daß fie felbſt mit Dpfern gefucht und ertauft 
wird. Die Familien ſchicken ihre Angehörigen in bie 
chriſtlichen Schalen und nicht nur biefe und jene, ſon⸗ 
. ben 100 es irgend die Verhaͤltniſſe gefiatten. In ber 
Sıhulgenoffenfhaft aber wird von früh an dem Einzel« 
nen ferne Gemeinſamkeit mit ben Andern fchon durch den 
gemeinſchaftlichen Unterricht, durch ein gemeinſames Ler- 
nen und Streben zum Bewußtſein gebracht. Die Bande 
jugendlicher Freundſchaft, die ſich hier knüpfen, moͤgen 
noch fo wenig dauernd' ſein, fo erſchließen fie doch das 

z und erheben es über die Schranken der bloßen 

bensgenofſenſchaft. Wie ſollte die Familie den Ih⸗ 
rigen dies geſtatten, ‚wenn ihr ſelbſt ſolche Gemeinſam⸗ 
keit zuwider waͤre? Das volkliche Element muß ihr vlel⸗ 
mehr kein fremdes mehr fein, würde fie doch ſonſt durch 
polches Thun ben Bench ihrer ſelbſt heraufbeſchwoͤren. 
Send in Hand damft geht die durchaus deutſche Bu⸗ 
dung unſerer gegenwaͤrtigen Judenheit. Nicht mehr die 
Kenntniß des Alter Teſtaments und Nabbinerweitheit 
giit ihr als Erfoderniß des Sehens, fie zieht ihre weſent⸗ 


Dienſtag, — MR, — 





welfe eines Volks errungen. 


nung auf Die Familie und den Einzelnen üderſt 


 Geifteh fich dechelügt. 


t 


4. März 1946, 





liche geiftige Nahrung aus dem deutſchen Geiſte. ii 
leicht wird von uns felbft nicht mit größerer Berehrung 
ben Heroen unſerer Wiſſenſchaft und Kunft gehuldigt 
als von ben modernen Juben und gewiß Mi, daß wenn 
diefe ofl zu einem lbacherlichen Enihuftasmus fich anf 
ſpreizt und don der Eitelkeit eines ‚„jüblfchen Schon⸗ 
—*8 er Schau getragen wird, darin ein nit min⸗ 
8 Anetkenntniß zit ſuchen iſt. Untet al Meſer Ver⸗ 
zerrung leuchtet noch immer das gefunde Bedürfniß her⸗ 
vor, mit dem solfsthüntichen Geifle ſich zu vermaͤhler. 
Mögen es auch innerlich ſchlechte Ehemaͤnner fein, die 
ihre Liebe ewig und inmer im Munde führen, fo Bes 
kennen fie doch, daß die &he Ihnen etwas Werentliches 
it. Denn mit Unweſentlichem oder als unnsefenetdl 
anntern pflegen die Menſchen nicht zu prunfen. 
ift denn and) die deutſche Sprache det Juden heutzuta 
die Sprüche des Lebens. Nicht mehr Premiblänbif 
Latte, fondern die heirhifchen find es, in denen das Aiab 
zum erften und fruheften Verſtaͤndniß der Welt gekingt, 


in denen es feine erftert Beziehungen zum Dafeln, zum - 


Ausdrud bringt. Und das iſt eine gar weſentliche Sache; 
denn Sprache und Erkennen hängen innig zuſantmen, 
und mit der Sprache, ba wo fie nicht blos außerlich er- 
femt, ſondern erlebt wird, wird zugleich die Anſchattungs⸗ 
In der Sprache legt ein 
Voik anf bie unmiltelbarſte Weiſe ſein ganzes volkliche⸗ 


Empfinden, Fühlen und Vorftellen nieder: follte Derfe⸗ 


nige, welcher In ine f6 zu fagen geboren und erzögelt 
wird, noch ein Fremder fein können? Was Bann «6 
überhaupt außer der Geburt von beutfchen Altern noch 
für ein natürlicheres Barld der nationafet Genoſſen⸗ 
fchaft geben als eben das der Sptacher Muß auf Hr 
nicht ganz unmittelbar dolkliche Geſittung Mb *8 
römen 
Aber nicht genug, daß die Juden auf dieſe Weile das 
beutſche Volksthum In fich aufnehmen, don —* endhrt 
und durchdrungen werben, fie haben das eiöfangene 
auch ſchoͤpferiſch weiter gebiidet und wahrlich nicht in 
geringem Maße an der Fortentwickelung bed derrtſchen 
ell ihnen alle anbern Sphaͤten, 
bie at ——— a Thaͤtigkeit we abge⸗ 
ſchnitten „haben fie mit einer ſtaunenwerthett 
Energie auf kiteratur, Kanft and Wiſſenſchaft g 


Die große Menge der Juden, die heutzutage in biefen 
Feldern mit Leiflungen aufgetreten find, zeugt von dem 
weiten Umfange bes Bedürfniffes, an der Bildung des 
vaterländifchen Lebens mitzumwirten. Wir finden unter 
ihnen Männer, bie das Höchfte erreicht, die als ein 
Stolz des deutſchen Namens aufgeführt werden, denen 
die Nation’ nicht in ephemerem Beifalle, fondern in’ auf- 
richtiger Anerkennung das Zeugniß ausgeftellt hat, daß fie 
in ihnen fich felbft verkiärt wiebergefunden. Wir begeg- 
nen gerade unter den Juden Männern, die einer über 
handnehmenden Nahahmung bes Fremdländifhen gegen- 
über das beutfche Weſen aufrecht erhalten und mit fel- 
tenem Erfolge vertreten. Haben wir es doch erſt in 
diefen Tagen erlebt, daß gerade von einem folchen wie- 
der die Richtung auf das Volksthümliche in ber Lite⸗ 
ratur angebahnt und einer gewiffen kosmopolitifchen 
Verſtandesbildung unferer gegenwärtigen Gefellihaft das 
Bild des Lebens in Kreifen, die ftrenger und inniger am 
Heimifchen hängen, entgegengehalten wurde. Ebenſo zählt 
gegenwärtig bie deutſche Muſik unter ihren hauptfäc- 
lihen Trägern einen von jüdifcher Abflammung. Die 
Mufit aber ift die Weife, darin die reinſte Innerlichkeit 
des Gefühlslebens zu Tage konımt. Wenn im Worte 
der Menſch feine Beziehung zur Außenwelt darlegt, fo 
redet im Zone die in fich felbft verfuntene Seele. In 
den Ton faßt der Menfch jenes Fühlen und Empfinden, 
bad gegenftandlos. in feinem tiefften Innern waltend 
lebt. Er ift die reine Beziehung der Pfyche auf fi) 
felbft, der Ausdruck innigften Selbſtgenuſſes. Welch 
völlige Hingabe an das Volksthum erheifcht es alſo 
nicht, wenn in der Mufit ihm eine tönende Erfcheinung 
gegeben werden fol? Gewiß, eine Hingabe, die aller 
felbftifchen Befonderheit ſich entäußert. 

. Und wenn nun die Juden auf dieſe Weife ihre pri- 
vate Stellung in jeder möglichen Hinſicht ausgebeutet, 
wenn. fie als Private nicht nur das lebendigfte Inter 
effe am deutſchen Volksthume an den Tag gelegt, fon- 
dern bewiefen haben, daß diefes in fie und fie in dieſes 
wirklich) eingegangen, fo ift nicht minder anzuerkennen, 
baf da, wo eine weitere Sphäre ihnen erfchloffen gewe⸗ 
fen, auch dieſe vollkommen ausgefüllt worden. In dem 
Kampfe gegen die franzöfifche Herrſchaft haben Juden 
freiwillig fih in die Scharen der Streiter für Gott und 
- Vaterland eingereiht und damit ben Beweis gegeben, 
dag auch ihnen die volkliche Ehre und Freiheit Deutfch- 
lands eine unabweisbare Bedingung bes Lebens. Als 
in ſich gefchloffene Nationalität hätte es fie allerdings 
wenig kümmern konnen, ob Deutjchen oder Kranzofen 
. bie Herefchaft anheimfalle; aber ſchon damals hatten fie 
aufgehört eine ſolche zu fein. Sie gaben ihre Kräfte 
willig bin zum Gedeihen des großen Ganzen, als beffen 
Glieder fie fi, fühlten. Nun, eine Verbindung, die in 
ber Noth erprobt wird, iſt ficherlich nicht bie lockerſte. 
Ohne no zum vollen Staatsbürgerthum zugelaffen zu 
fein, baben die Juden nichtédeſtoweniger auch fpä- 
ter in ben Zeiten des Friedens die Verpflichtung zum 
Militairdienfte nicht als eine Laſt gezwungen übernoni- 


men, fonbern als ein wefentliches cheures Recht verthei- 
digt. Sie unterziehen fi mit Freuden einer Leiftung, 


die ihnen doc) noch Feinerlei Gegenleiftungen von Seiten 


des Staats gewährt und würden Den ficherlich nicht ale 
ren Freund betrachten, der fie bavon entbinden wollte: 
Kann man ein Recht fihöner verdienen als durch Er⸗ 
fülung ber entfprechenden Pflichten? Diefer Eifer ber 
Juden, mit welchem fie die Zulaffung zur Vertheibigung 
bes gemeinfamen Vaterlandes in Anfpruch nehmen, ift 
nicht ber geringfte Rechtstitel, auf Grund deffen eine 
endliche Emancipation gefodert werden kann. 

Gleichwol wäre es irrthümlih zu behaupten, daß 
die Juden in ihrer Gefammtheit fchon völlig und ganz 
und gar nationalifirt feien. Dem wiberflreitet der Au⸗ 
genfhein und gegen folhen hilft alles Sttäuben nicht. 
Vielmehr ift gewiß, daß das Deutſchthum felbft in ih⸗ 
nen noch als ein apartes Deutſchthum, als ein jüdifches 
Deutfchthum zu Lage kommt. Bei aller Merinnerlihung 
des volflihen Elements fcheint biefes aus einem ſpecifiſch 
gefärbten Spiegel wider. Aber keineswegs kann folcher 
Umftand gegen die Judenemancipation gekehrt werben. 
Wenn auch verlangt wird, daß diefe fihon eine That⸗ 
fache fei, ehe fie die Kraft des Gefeges erhalte, fo darf 
doch nicht andererfeits außer Acht gelaffen werden, daß 
eben dieſes Gefeg felbft wieder eine Die urfprüngliche 
Zhatfache weiter bildende Kraft hat. Kraft wird erft 
wirklich -in der Kraftäußerung, in der Übung: fo kann 
auch bie im Wege -geifliger Bildung mögliche Natione- 
lifirung dee Judenheit nicht anders erreicht werden als 
indem ihr alle Sphären des Volksthums ohne Aus 
nahme erfchloffen werden. So lange fie nur auf: ein- 
zelne befchränft ift, muß es genügen, wenn Diefe ausge⸗ 
füllt werden: die Nothwendigfeit der Zubenemancipation 
ift vorhanden, wenn in allen anbern Gebieten des Le- 
bens, außer dem ftaatlichen, von den Juden das Volks⸗ 
thum bewährt wird. Eben in der Befchränftheit jener 
Gebiete aber und nicht in den Perfonen liegt es, wenn 
dieſes noch feine volle und ganze Wahrheit if. Man 
braucht wenigſtens nicht gar zu meife zu fein, um ein« 
zuſehen, daß das Verlangen, bag Jemand vollig gut 
ſchwimmen ſolle, noch ehe er je ins Waſſer gegangen, eine 
Unmoͤglichkeit enthaͤlt. Uberdies aber iſt das Volkothum 
ein naturwüchſiges. Nur durch die Ehe iſt von je jede 
wahre Verſchmelzung zweier Nationalitäten vor ſich ge 
gangen. Will alfo der Staat die Emancipation — und 
ee muß fie wollen, wenn er feine gefegliche Aufgabe 
der Fortbildung des Lebens begreift —, fo muß gleich- 
zeitig die engberzige Ficchliche Ehe fallen und an ihre 
Stelle die Eivilche treten. Dieſe ergibt ſich auch 
fhon aus der vielberuhmten Nothwendigkeit der Ab- 
ſcheidung bes Staats von der Kirche überhaupt. 

Wir wenden und jegt zu dem Werke, welches zu 
vorſtehender Auseinanderfegung Beranlaffung gegeben 


at. . 
Hr. Stern hat nach unfeger Anficht den richtigen Stand⸗ 
punkt der Jubenfrage durchaus verrückt, indem er fie mehr 


7 


oder weniger auf. das Gebiet ber Theologie hinüber⸗ 
fpielt. Natürlich mußte er dadurch aud, zu einem verkehr- 
ten Refultate, zu einer ungenügenden Antwort gelangen. 
Statt nämlicy die Emancipation auf Grund des thatfädh- 
lichen Bebürfniffes der Juden, in das moderne Volks⸗ 
thum einzugehen, zu fobern, macht er fie von einer 
Abaͤnderung des jüdifchen Glaubens abhängig. Diejeni- 
gen, welche zu biefer fich nicht verftehen wollen, bleiben 
ausgefchloffen; denn nur das reformirte Judenthum gibt 
dem Staate die nöthigen Garantien und muß dem: 
gemäß confeguenterweife zur dritten Staatskirche erho- 
ben werden. 

Herr Stern ift Theoretiter und das Element, in dem 


fein Anfchauen fi bewegt, ift der Begriff. Darum. 


begreift er nicht, wie der Widerſpruch gewiffer kirchlicher 
Dogmen ohne Gefahr neben dem Staate einhergehen 
könne. Cr ſucht in dem altjüdifchen Glauben an ein 
Lünftiges Meffiasreich eine wirkliche Gefahr für das 
geſunde Volksthum, einen wirklichen Abbruch beffel- 
ben. Triebe er aber bie Confequenz bis zu ben Gren⸗ 
zen ihrer Möglichkeit, fo würde er dabei nicht ſtehen 


bleiben können. Er würde dann einfehen, daß jede Ne | 


ligion als die Hingabe an ein Überirdifches mit dem 
irdifhen Treiben der Politit an und für fi, d. i. im 
Begriffe unvereinbar fe. Die Wahrheit feines Stand- 
puntts ift alfo ganz unleugbar die Bruno Bauer’fche 
Anfhauungsweife. So fehr er fi dagegen firäuben 
mag, er kann nicht anders, er muß dieſer endlich ver- 
fallen. In feiner jegigen Yuffaffung der Judenfrage 
kann er wenigftens den gerechten Zadel der Halbheit 
in Peiner Weife ablehnen. 

Aber freilich, Herr Stern ift Theoretiter und Reli: 
giöfer zugleihd. Er will fein übrigens fehr nüchternes 
und abgeklärtes Judenthum mitten in das Xeben hinein- 
verfegen und erwartet von foldyer Verbindung eine Hei⸗ 
ligung des Lebens und eine DVerlebendigung des Heili- 
gm. Es ift dies ein DVerfuch, vergleichbar mit dem ber 
Reformation im Chriftenthume, aber eben um deswillen 
ein Zufpätgefommenes. Denn menn es auch diefer ge- 
lungen, im Anfange Heiliges und Weltlihes in Be⸗ 
ziehung zueinander zu fegen, fo hat die Geſchichte längft 
wieder gefchleben und ſolche Beziehung als eine Unmög- 
lichkeit aufgemwiefen. Die Religion hat im ihrer Geftal- 
tung zur Landeskirche die erträumte Verlebendigung nicht 
erhalten, ftatt deffen mancherlei Zwang und Gewalt er- 
fahren; der Staat feinerfeits hat’ in feinem Verhalte zu 
den verfchiedenen Landeskirchen mehr als einmal felbft 
die wahre Einheit feines Volksthums gefährdet ge- 
fehben. Und man darf, um folcher Anſchauung fich 
zu entziehen, die Augen nicht mehr willkürlich zudrücken. 
Will das Judenthum mit dem mobernen Volfsthume 
fi) vermählen, ift e8 ihm rechter Ernft damit, fo muß 
es auch die Refultate beffelben in fi) aufnehmen. Die 
Lüge der Landeskirche dagegen beftärken, ihr einen neuen 
Halt geben wollen, ift in der Gegenwart ein durchaus un- 
biftorifches Verfahren. Die Judenemancipation ift nur 
dann möglich, wenn Staat und Kirche ſich trennen und 


des feinen eigenen Schwerpunkt, diefe im Glauben, jener 
im Volksthume findet. RB. Vrichensbnrg. 


Literarifhe Notiz. 
Gregor VII. 


Die Freunde der Hierarchie und des Papſtthums in Frank: 
reich jubeln über das vor kurzem in Paris erfchienene Wert: 


‚„Gregoire VII etc.”, von E. 3. Delecluge (2 Bde). Bilder: . 


brand, dieſe Perfonificirung papftlichen Übermuths und geift 
liden Despotismus, wird von. neuem den Gläubigen zur Hul⸗ 
digung aufgeftelt. Der jegt verftorbene fonft verehrungswerthe ' 
englifhe Dr. Arnold bat diefen Papſt zu rechtfertigen geſucht; 
Herr Guizot nennt ihn den Zar Peter der Fatholifchen Kirche; 
Prof. Voigt in Königsberg rühmt ihn als den größten und 
fehlerfreieften aller fogenannten Statthalter Chriſti, und ein 
orforber Katholik, Herr Bowden, ſpricht jenem deutfchen Ges 
lehrten und berühmten deutfchen Gefchichtfchreiber hierin nach. 
Endlih werden der Herr Delécluze und die „Bibliotheque , 
universelle de Geneve‘ durch dieſes Thema in die Region 
erhoben, wo Rhetorik und Poejle aneinander grenzen, während 
der Abt Jäger ein Triumphlied darüber .anflimmt, daB die 
Energie, Klugheit und Charakterfeftigkeit dieſes Papſtes auch 
von einigen geihichtölundigen Proteftanten, anerfannt worden 
find. Doch war er der Gründer einer nicht weniger verhaß⸗ 
ten Zyrannei ald die war, der er inhalt that, und wurde 
offenbar von einem ebenfo felbftifhen und rüdficytslofen Ehr⸗ 
geiz zu feinen Handlungen angetrieben als feine weltlichen 
Gegner. Hildebrand’8 einziger Anſpruch auf den ihm von 
Guizot beigelegten Zitel eines Bar Peter der Kirche ift der, 
daß er durch feinen eifernen Willen ihre Inftitutionen und 
Satzungen zu feinen Zwecken mobelte. Aber der ruffifhe Zar 
arbeitete im Geift eines Baumeiſters, welcher feinen eigenen 
Plan erfindet, ordnet und ausführt; Hildebrand im Geift eines 
Mannes, der auf göttlichen. Befehl einen Tempel errichtet, 
wovon die Hand Gottes den Plan entworfen-und die Mate 
rialien herbeigefchafft hat. Ihn als einen chriftlichen Stoiker 
zu preifen, den die Srümmer einer Welt von dem Wege der 
Nechifchaffenbeit und Wahrheit zu entfernen nicht vermocht hats" 
ten, ift gar zu übertrieben. Seine Politit war herrifch und 
gebietend,, feine Mittel und Wege die eines Prieſters. Bann» 
flühe und Schmeicheleien, baldftarriger Zrop und fihlaue Sn: 
finuationen, Schimpfreden wie fie von Genferich hätten herab⸗ 
gedonnert, und Bertheidigungsreden wie fie von Yuguftulus 
hätten bergeflüftert werden können, folgen einander in feiner 
Gefchichte ohne irgend eine Spur von Scham oder Bedenklidh- 
keit. Sogar feine Drthodorie ift zweifelhaft geworden. durch 
fein Betragen und feine Sprache gegen den eifrigen Bekaͤmpfer 
der Zransfubftantiation, Berengar. Mit Wilhelm von Eng» 
land, Philipp von Frankreich, Robert von Apulien und felbft 
mit Heinrich IV. von Deutichland temporifirte er auf Koften 
feiner eigenen Grundfäge fo oft er es für vorteilhaft hielt. 
Er fand das Papſtthum abhängig vom Kaifer und machte e6 


durch Bündniffe mit andern Mächten von ihm unabhängig. 


Er fand die niederc Geiftlichfeit abhängig von und verbündet 
mit der weltlichen Macht und verwandelte diefelbe, befonders 
durch das Verbot ber Driefterche in unzertrennliche Unter« 
ftüger der feinigen. Er fand die höhern Würdenträger der 
Kirche der weltlichen Herrfchaft untherthan und unterwarf fie 
der dreifachen Krone. Mit Einem Worte, er vollendete den 
Niefenbau der römifchen Hierarchie. 31, 





Bibliographie... 
Fournier, M.R., Geheimniffe eines politifcyen Spione. 
Sin Beitrag zur geheimen Geſchichte der Diplomatie. Aus 
dem Franzöfifhen. After Zheil. Grimma; Berlagsceomptoir. 
K.8 15 Nor. 


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Anfere Gegenwart und Aufmft- Herausgegeben von K. 
Biedermann. Ifter Dell. Ate unveränderte Auflage. Leipzig, 
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Israeli, 8. d', Sybil oder die beiden Nationen. Aus 
dem Engliſchen übertragen ven x Herrmann. Ifter Theil. 
Grimma, Berlagdcomptoir. Kl. 8. 15 Rgr. 

Laube's, D., dramatiſche Werke. 2ter Band: Rokoko. 
Luſtſpiel in fünf Ueten. Leipzig, Weber. 8. 1 Ihtr. 

Dos Liebhabertbeater. Bine Sammlung der neueften und 
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Francke, G. C. J., Berfuh einer Beantwortung der 
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Gebauer, K. E., Die Reform der Kirchenverfaſſung. 
Ein Beitrag zur Würdigung der in Borfchlag gebrachten 
Presbyterial: Synodal :» Verfaflung mit Bezug auf den der vor: 
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berg, Tag und Ko. 1845. Gr. 8. 7%, Nor. 

Geſpraͤch eined vernünftizen Chriften mit einem foge: 
nannten Pietiften. Berlin, Grobe. 135. 16. 3 Rear. 

Großmann, € ©. 2, Die kirchliche Bewegung ber 
Gegenwart ale ein Beichen der Zeit für die evangelifhe Kirche. 
Dat am Beformationejefte 1845. Leipzig, Kellmann. 1845. 

Di L.: 


8 
‚Haas, R., Bertheibigung des Proteftantismus gegen die 
pelitifche. Verdaͤchtigung von Seiten. des Ultsamontanismus nad 
ifeen beiberfeitigen Principien und der Geſchichte buschgeführt. 
Gießen, Heyer. 1845. Gr. 8. 2%, Nor. 

Haſt, I, Dffene Aufforderung zu einer öffentlichen Dis: 
putation über 135, die jegigen Religionswirren betreffende 
Säge. 2te vermehrte und verbefferke Auflage. Berlin, Eyſſen⸗ 

| 12. 3%, Nor. 


haxbt. 1845. 

— — 88 ginge wohl, aber es geht nichtl ober: Glau⸗ 
benobrkenntuiß der Berliner Pribilſchen Proteftpartei, durch Das 
men bie ganze Diffidenten: Welt und mas daran hängt unter 


einen 


| gand. 


bringen moͤchte. Bon falfchem Wiitterfkatt entlfel- 

— Yrüfung vorgelegt. Berlin, Eyſſenhacht 
. (} N 4 . 

. Zfftand, 9. MR, Geiſt oder Buchſtabe? Noch einige 

Worte zur De 'aung, Yervorgrsufen durch Die * auf 

bie Unterzeichner der Erklärung vom 15. Auguft 1849. Bet⸗ 

Iin, Schroeder. 1845. Wr. 8. 2%, War. 

Die böhmifche Kicche wie fie war und wieder werben fell. 
18495. 12 3 Rer. is 
Köhler, F. A., Was ſpricht unfere PVerfeffung zum 

Geiſte ber FAR Predigt am Wonftitutiondfefte Mo den 

ſalza. 1945. 8. 4 Nor. 
Körner, 3, Bum Berfländniß der Gegendart und ihree 

religiöfen Wirren. Ein Berfuh. Schneeberg. 1845. 8. 10 Rgr. 
Löffter, A., Die bevorſtehende Staatsperänderung in 

Preußen. Berlin, Cohn und Comp. 1845. 8. 6 Kor. 

‚ Die bervortretenden Merkmale, Elemente, Richtungen und . 
Wirkungen der Zeit auf- dus pofitive Ehriſtenthuum im Allge⸗ 
meinen; inöbefondeve aber auf den Stand der tämifch-Butheli- 
fgen Kirche und die Einwirkungen zum Abfall von derfeiben. 
gon gineg göntifgen Katholiken. Berlin, Eyfienhardt. 1845. 

r. 


gr. 
Sapper, A., Die Pietiſten. Eine Skizze. Berlin, Rel⸗ 
Ger un Comp. Fr Ri „ö Ngr. 

teswig⸗ Holftein. Ein Wort zur Verſtändigung. Le 
ig, Kell. Er. o 74 Nor. "ung. Sipe 

Scholl, ©, Meine Suspenſion. Wit einem Vorwort 
bon G. A. Wislicenus. Leipzig, D. Wigand. 1345. Gr. 8. 

gr. 

Schüler, U. F. C., Sind die Natienaliften unter den 
Geiſtlichen freche Lügner? in Belenatniß auf den Abdruck 
der Mebe des Hrn. v. Florencourt. Stolberg a. H., Kleinecke. 
1345. 8. 2%, Nor. Ä 

Schwarz, J. C. E., Die Kirchenverbeſſerung der Ge⸗ 
genwart. Predigt am Heformationdfefle zu Jena. Jena, Front 
mann. 1845. Gr. 8. 3 Rer. 

Sendfchreiben an die Stadt Berlin. Worte des ewigen 
Lchend zur Vereinigung aller Lichtfeeunde unter den Juden und 
Ehriften, von Siegfried Iuftus I. Berlin, Reichardt und 
Eomp. 1845. ©r. 8. 3 Ror. 

Seybt, D., Über.die Wünfche und Beſtrebungen, die 
fih gegenwärtig in unferer Kirche zu ertennen geben. Presige 
am Reformationsfefte 1815. Baugen, Schulze. 1845. Gr.8. 


gr. . 

Stimmen aus dem Volke über den Berliner Proteft vom 
I. Auguft 1845. Herausgegeben von einem evangelifchen Pro: 
teftanten. Berlin, Kraufe. 1343. Gr. 8, 2%, Rear. 

Die Xheologie des Berliner Magiſtrats. Münfter, Dei⸗ 

1845. @r. 8. 71, Nor. 
Uhlich, „Hier ftehe ih, ih kann nicht anders.” Refor⸗ 
mationspredigt. Magdeburg, Ereug. 1815. Gr. 8. 3%, Nor. 

Die preußife landſtaͤndiſche Verfaffung. Vorlage zur 
Discuffion von einem preußifchen Beamten. Leipzig, D. Wi⸗ 
1845. Gr. 8. 11, Nor. 

Boll und König. Oder die Adreßfrage und ihre Behand⸗ 
lung in der gegenwaͤrtigen Staͤndeverſammlung Sachſens. Leip⸗ 
zig, Briefe. 1845. 8, 6 Nur. 

Was find Kichtfreunde, wie find fie entſtanden und was 
woßen fie. Nebſt der Rede des Hrn. v. Florencourt. Zus 
freien allgemeinen Selbitbeurtheilung aufamnengeftelt von einem 
Freunde des Lichts. Berlin, Schepeler. 1845. 8. 21% Nor. 

etfen, H., Das Weſen unferer evangelifchen Kirche- 
Keformations : Predigt. Erfurt, Körner. 1845. &r.8. 2%, Nor. 
6; ir gF. * As Ixt und de Eine ge 
meinfaßli oteſtan chutz⸗ und Lehrſchrift. Stuttgart, 
Steinkopf. 64 12. 71%, Ye ai gr 

Wolkenau, A., Ift Chriſtus Gottes Sohn? Ein Send» 
Ihreiben an den Archidiakonus ıc. Kraufe. Breslau, Berlagb- 
Eomptoir. 1815. 8. 11, Rür. 


ters. 


- 


Verantwortlicher Deraudgeber: Heinrig Wrodfaus. — Drud und Verlag von F. N. Drockhaus in Reipzig. 


” 





. Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Mittwoch, 


— Nr. 63. FE 


4. Mär; 1846. 





Zur Gefhihte der Entwidelung des 
| Dramas in Deutfchland. 


Während im ſüdlichen und weſtlichen Europa die 
Poeſie ſchon vor den Kreuzzügen zu einer fhönen Blüte 
fih entfaltete, ward biefelbe in Deutfchland bie in bie 
Mitte des 12. Jahrhunderts nur fpärlich gepflegt und 
tonnte zu feinem felbftändigen Leben gelangen. Zwar 
Hatte bereit zu Karl's des Großen Zeit, befonderd nad) 
feinem Zuge gegen die fpanifihen Saracenen, und etwas 
fpäter nad) den Kämpfen ber Franken mit den Normannen, 
eine Menge von Sagen fich gebildet, die theils aus dem 
füdlichen, theild aus dem nördlichen Frankreich ſich nad) 
Deutſchland verbreiteten, wo fie überfegt oder umgearbei⸗ 
tet wurden; zwar hatte felbft Karl der Große feine Vor- 
liebe für vaterländifche Poeſie dadurch bekundet, baf er 
(nach der gewöhnlichen Interpretation ber Worte feinee 
Biographen Eginharb „memoriae mandavit”) die alten 
einheimifchen Heldenlieder fammeln ließ und die wenigen 
Dichter an feinem Hofe auf alle Weiſe chrte und hob: 
indeffen wollte doch in Deutfchland, und namentlich in 
den Klofterfchulen, wo die Wiffenfchaften und Künfte 
zu ber Zeit ausfchließlich mit Eifer gepflegt wurben, ja 
felbft in den ſchnell aufblühenden Dom - und Stifte. 
ſchulen, wo man die alten Claſſiker, insbefondere die 
Dichter, mit großem Fleiß ftuditte, die vaterländifche 
Poeſie keineswegs in dem Maße gedeihen, daß fie nicht 
durch den in Folge des vermehrten Reichthums und 
der überfchmänglich wachfenden Macht des Klerus ein- 
getretenen Derfall diefer Pflegerinnen geiftiger Bildung 
gleichfall® hätte ſinken oder doch wenigſtens in ihrer 
felbftändigen Entwidelung aufgehalten werben müjfen. 
Von manchen Gedichten aus der Karolingifchen Zeit‘ ift 
nichts als die Nachricht ihres ehemaligen Daſeins auf 
uns gelommen, von andern befigen wir lateinifche Um⸗ 
arbeitungen; die Originale waren entweder nie aufge- 
fchrieben oder in der bewegten Zeit wieber verloren ge- 
gangen. Eine nicht unbeträchtliche Anzahl hat fi in- 
deffen in ihrer Urgeftalt erhalten, deren Werth uns zu 
der Vorausſetzung berechtigt, daß ohne Hemmniffe und 
nachtheilige Einflüffe von außen die deutſche Poefte fich 
früher und reicher würde entfaltet haben als es in der 
Wirklichkeit geſchah. Es darf zum Belege biefer Ber 


Hauptung nur auf das befannte „Hildebrandslieb”, auf ' 


das nach deutfchem Vorbilde von dem St.-Baller Moͤnch 


Edehart 1. verfaßte Tateinifche Gedicht „De prima expe- 
ditione Attilae in Gallias ac de rebus gestis Waltharä 
Aquitan. prineipis”, auf das vortreffliche „Ludwigslied⸗“, 
auf das alliterirende „Weſſobronner Gebet“, auf Otfrieb’s 
berühmte „Evangelien - Harmonie”, auf die Legende vom 
heiligen Georg u. a. m. hingewiefen werben. 

Erft unter den glorreihen Hohenflaufen gewannen 
die innern und äußern WBerhäftniffe Deutfchlands eine 
ſolche Geftalt, daß die Poeſie in unglaublich kurzer Zeit 
fi) zu einer fehönen Blüte entfalten konnte, während 
die Profa nur einer kärglichen Pflege genoß. Insbeſon⸗ 
bere waren es bie Kreuzzüge, die in Deutfchland ein 
der Poeſie günftiges Nitterthum hervorriefen, wie es die 
weitlichen Völker ſchon früher kannten, aus dem dann 
bald das Ritterepos hervorging, welches fid durch 
Verſchmelzung mit einer Fülle von. Sagen und Legen- 


den aus dem Driente und dem Byzantinerreihe um fo 


romantifcher geftaltete. Als einmal in Deutfchland diefe 
Anregung der Geifter Boden gewonnen und das neue 
Präftige Leben in der Poeſie fich raſch durch alle Gaue 
zu verbreiten begonnen hatte, mußte auch bald Empfäng- 
lichkeit für fremde Dichtwerke fi offenbaren und ben 
Einfluß vermitteln, den die provencalifchen Dichter un- 
beftreitbar auf die deutfhen ausgeübt haben. Ob bie 
Wettgefänge franzöfifcher und deutfher Dichter in Mainz 
vor Friedrich) Rothbart Hiftorifch haltbar find, mag bier 
dbahingeftellt bleiben; jedenfalld kam eine Menge poeti- 
[her Stoffe aus dem Welten nad Deutfchland her⸗ 
über, und während die Igrifche Poefie ihren nationalen 
Charakter rein bewahrte, erfcheinen uns die meiften epi⸗ 
[hen Erzählungen und Nittergebichte dieſer Zeit ale 
Nahbildungen wälſcher Originale. Durch die Hohen⸗ 
ftaufen ward zum Heil für die deutfche Poeſie der fchöne, 
fügfame jchwäbifche Dialekt allgemeine Schrift - und 
Dichtfprache, deren fich felbft die Mehrzahl nieberfärhft- 
fher Dichter bediente; und noch jept können wir nur 
mit Wehmuth auf eine Zeit zurüdbliden, bie uns eine 
felbfländige, durch den mufifalifhen Vortrag beftimmte 
Dichterfpracdhe hätte geben konnen, wenn man ihren Werth 
früher erfannt und fie feflzuhalten gewußt hätte. . 
Unſtreitig war es die größere politifhe Einheit, de- 
ren ſich Deutfchland unter ben Eräftigen Hohenftaufen 
zu erfreuen hatte und in beren Gefolge Aderbau und 


Handel neu aufblühten, welche den wachfenden Wohl⸗ 
fland der Einwohner hervorrief, ihnen eine behagliche 
Ruhe verfhaffte und fo den Sinn für alle das menſch⸗ 
liche Leben verfehönernde Künfte medte. Die enge Ver⸗ 
bindung zwiſchen Italien und Deutfchland übte vorzugs⸗ 
weile auf die Stäbtebewohner des legtern Landes einen 
befebenden Einfluß, und die mannichfahen Wirren und 
Zermürfniffe in den Verhältniffen des öffentlichen Lebens, 
insbefondere zur Zeit Friedrich's 11., regten felbfl bie 
Dichter dergeftalt an, daß viele ber vorzüglichften Ge⸗ 
Dichte der Zeit, namentlich Iyrifche, unmittelbar aus beit 
damaligen politifchen Erfhütterungen heroorgingen. Dazu 
kam das äußere Anerkenntniß, das die Poefie in diefer 
rubmeeichen Beit fand, indem mit ihrer Ausübung bie 
höchfte Ehre verbunden war, da felbft Brafen und Kür- 
fien, ja Könige und Kaifer den Dichterruhm nicht ver- 
fchmähten ober wenigftens eine Ehre darin fuchten, öf- 
fentlih als Gönner und Körberer der Kunft aufzutreten. 
Died gilt namentlich von dem Landgrafen Hermann 
von Thüringen, von bem Herzoge Leopold von Dftreich, 
son den Kaifern Heinrich VI., Friedrich II., von dem 
jungen Konradin u. U. Dadurch) ward es möglich, daß 
auch ärmere Kunftjünger fih aus dem Staube erheben 
und unter dem Schuge reicher und mächtiger Herren 
Sängerorden und Sängerfchulen gründen konnten, bie 
ihren Einfluß bald über ganz Deutfchland und alle Volts- 
ſtaͤnde geltend machten. Nicht blos der Ritter öffnete 
nun dem wandernden Dichter bereitwillig feine Burg, 
au bei den Zünftlern in ben Städten unb bei den 
Bauern war er wohl gelitten, und während dert das 
deusfche Epos in feiner reichften Schönheit fich entfaltete, 
gewahren wir bier die erften, wenngleich rohen Anfänge 
der: Dramatifchen Poeſie in den Darftellungen der um⸗ 
berziebenden fogenannten Spruchfprecher, Die zwar derb, 
formlos, ungefittet, aber kräftig und vol lebendigen, im⸗ 
mer treffenden Wiges geweſen fein follen. 

So war alfo auch für letztgenannte Dichtart die 
Bahn gebrochen, und es mar zu hoffen, daß bei ber 
allgemein verbreiteten Empfanglichkeit für Kunfigenüffe 
gerade fie, bie fich in einem- unmittelbar aus der Geſin⸗ 
nung hervorfretenden, im Dialog ſich entwidelnden Han⸗ 
dein offenbert, wegen ihres tiefern Einbringen in bie 
Berbältniffe des wirklichen Lebens und wegen ihrer in- 
rigen Verwandtſchaft mit dem fo glüdlich cultivirten 
Epos, da die Baſis beider das ſittliche Element der 
Menfchennatur ift, zu einer Tunftgemäßen Geftaltung 
gelangen mußte; — aber leider ging biefe fehöne der 
Poeſie fo günftige Zeit zu ſchnell vorüber. Mit ber 
innern Zerklüftung des Deutfihen Reiche nach dem Er- 
iöfhen der Hohenſtaufen⸗Dynaſtie, mit der Auflöfung 
aller Ordnung und ber daraus erwachſenen gegenfeitigen 
Defehdung des Adels und der Städte, hörte zunächſt 
das Intereſſe auf, das der Ritterſtand bis dahin an ber 
Poeſie genommen hatte, und auch in den Städten wedte 
das täglid, gefährdete Leben andere Sorgen als die um 
Kunft und Lebensgenuß. Der arme Dichter fand kei⸗ 
nen zeichen Patron mehr und die noch unlängft fo laut 


ertönende Saͤngerſtimme verflummte ganzlich. Diefer 
Berfall der Poefie, der felbft durch die Eräftigen Beſtre⸗ 
bungen eines Rudolf von Habsburg, nach Aufbören 
des Intersegnums, nicht. gehemmt merben konnte, mußte 
vorzugsmweife das junge neh unmtndige Leben des 
Dramas verberbli berühren; denn während die lyriſche 
und epiſche Poeſie nır zeitweilig verftummten, um ihre 
reihen Schäge ber Folgezeit als Nachahmungsmuſter 
zu entfalten, ging Allee, was von bramatifcher Poeſie 
vorhanden war, gänzlih wieder unter, da diefe ihren 
Play als felbftändige Kunſtgattung fi) noch nicht hatte 
erringen koͤnnen. Zu einer Neubelebung biefer Dich⸗ 
tungsart war die nächftfolgende Zeit aber um fo weni- 
ger geeignet, al® mit ber Trennung Italiens von Deutfch- 
land eine Menge großartiger, bie Phantafie des Dich- 
tere machtig anregender Verhaͤltniſſe aufhörte, und 
auch das Leben im engern Kreife fi) immer unfreund- 
licher und kleinlicher geftaltete, fobaß die meiften Dichter 
der Zeit ihre poetifchen Stoffe nicht mehr außer ſich 
fanden, und deshalb zu einer froftigen Dialektik, zu eir 
nem überfhwänglichen Allegoriſiren und zur oft nüch⸗ 
ternften Reflerion ihre Zuflucht nahmen. Diefer allge 
meine Verfall der Poeſie offenbart fih am deutlichfien 
in den Meifterfängern jüngern Schlags, die den frühern 
Epitern nur mühfam und zumeift erfolgles nachringen 
und felbft in ihren Igrifchen Dichtungen in künftelndem 
Strophenbau und andern Formweſen erfiarren. Aus 
der -innern Zerfplitterung des Reichs ging gleichzeitig bie 
Nichtachtung einer allgültigen Schriftfprache hervor; bie 
Provinzialdialekte verlangten und fanden, zum Nachtheil 
für die Poefie, ihre Recht, und es bildete ſich bald über- 
au eine harte, unpoetifche Mengfprache, in ber von dem 
Wohlflange und der Gefügigkeit des fchönen ſchwäbi⸗ 
fhen Dialekts Feine Spur zu entdedien war. 

So verfloß die Iegte Hälfte des 14. und das ganze 
15. Jahrhundert, ohne daß der Raum der Poeſie an- 
bere als verkümmerte Früchte getrieben Hätte; exit ums 
Jahr 1500 erbliden wir aufs neue Anfänge der dra- 
matiſchen Poeſie, die freilich noch eine geraume Zeit hin⸗ 
durd) zu roh find, um fich eine Stelle als felbftänbige 
Kunftgattung zu ficgern oder beiebend auf das Geſammt⸗ 
gebiet der Dichtkunft zurückzuwirken. Dagegen eilt, bei 
alles Sprachverwilderung, die Proſa raſch ihrer Ent- 
widelung entgegen und gewinnt in verhältnifmäßig kur⸗ 
zer Zeit einen hoben Grad von Beſtimmtheit. Die 
Gründe, welche ein ſchnelleres Aufblühen der dramati« 
fihen Poeſie binderten, und um biefe Zeit überhaupt 
fein neues Auftreten in die Dichtkunft kommen ließen, 
liegen großentheild wiederum in den politifchen Derhält- 
niffen Deutfchlande. Im Innern des Reiche mangelte 
e8 auf der einen Seite an Ginheit und auf ber andern 
an großartigen Begebenheiten, Unternehmungen nad au⸗ 
fen bin, wie früher unter ben Hohenſtaufen, fanden 
ebenfo wenig ftatt. Die Macht’ des Kaifers mar nicht 
mehr ausreichend, bie kecken Anmafungen ber Großen 
des Reichs zu bewältigen und den unaufhoörlichen, gegen⸗ 
feitigen Befehdungen, die alle- Ordnung untergruben und 


das Recht des Stärken zum hoͤchſten Gefetz erhoben, 
einen Damm entgegenzuſezen. So verwilberten Fürſten 
uud Adel, die von nun an nur an Waffenubungen, fei 
eö im eruflen Kampf ober im Turnier, ſowie an Trink⸗ 
gelagen und Jagden ein Behagen fanden, den vaterlän- 
diſchen Sänger aber, ale umwürdigem Geſchäfte fröh- 
neud, verfpotteten.. Auch in ben Städten, die unter ben 
mannichfachen Begünftigungen der Kaifer bush Handel 
und lebendige Juduſtrie bald hochaufblühten, namentlich 
in dem norbbeutfchen, wo die Hanſa buch Reichthum 
und Macht außerordentliche Bedeutung gewann, wurbe 
.Die- Blume des Poeſie wenig gepflegt, da Fauſtrecht und 
Wegelagerungen von Seiten des raubfüchtigen Adels 
den thätigen Bürger unaufhorlich flörten und nedten 
und ibn bie den fchönen Künften fo nöthige Muße nie 
erlangen ließen. Etwas befier war ed zwar in dem 
ſüddeutſchen Städten, wo bie alte deutfche Sangeslufl 
fortdauerte und bald in ordentlichen Zünften eine flei- 
ige, aber wenig erfolgreiche Pflege fand. Auch bie 
Neformation übte infofern auf die Poeſie einen nach⸗ 
theiligen Einfluß, als fie das Intereſſe der Zeitgenoffen 
ausfchließtich auf Die religiöfen Angelegenheiten hinlenkte 
und in Deutfchland einen mehre Generationen über- 
dauernden Ziwiefpalt hervorrief. Keinediwegs war jebod) 
ber Zinn für Poeſie gänzlih erftorben, denn wo nur 
irgend ein Begebniß höherer Bedeutung ſich zutiug, da 
“fehlte es auch nicht an einem Sänger, ber die Groß⸗ 
thaten feiner Mitbürger der- Nachwelt zu überliefern 
firebte. So befang Rofenplüt den Sieg der Nürnber- 
ger 1490 und: die zwifchen dem Kurfürften von Köln 
und der Stadt Soeft 1437 — 39 geführte Fehde; fo 
Priſchuch das kofiniger Concil; fo Veit Weber bie Hel⸗ 
denthaten der Schweizer, insbefondere den Sieg über 
Karl den Kühnen von. Burgund bei Murten 1476. 
Leider wirkte der Gelehrtenfiand, der feit ber Wieder- 
belebung des claffiichen Alterthums fih mit allen Schägen 
griechifcher und Iateinifher Kunft und Wiſſenſchaft ver- 
traut gemacht hatte, und von dem man daher hätte er⸗ 
warten fönnen, daß.er der vaterländifchen Poejie die 
rechte Bahn anmeifen würde, diefer am meiften entge⸗ 
gen, indem er, mit vornehmer Verachtung der Mutter- 
ſprache, die lateinifche fo ausfchließlih zur Gelehrten- 
fprache erhob, daß felbft Dichter, die Univerfitätsftudien 
gemacht hatten, fich nur der lateinischen Sprache zu 
ihren Poefien bedimten. Dadurch mußte natürlich eine 
weite luft zwifchen der gelchrten und der volfsthüm« 
lichen Bildung entſtehen, die um fo weniger ausgefüllt 
werden konnte ald der Begenfag zwifchen beiden von 
Jahr zus Jahr immer greller hervortrat. So war denn 
die vaterländifche Dichtkunft ganz in bie Hände des nie- 
dern, bildungsloſen Volks gegeben, das ſich allein nod) 
mit Luft und treuer Auhänglichfeit zu feinen alten Lie⸗ 
dern biel. Darin liegt theilweife auch der Grund, 
warum. die ſchon nm die Mitte des 15. Jahrhunderts 
in den Städten auftauchenden dramatifchen Spiele fo 
wenig Beifall und Aufmunterung an den Fürftenhöfen 
fanden, denn ba fie von ber niedern Volksclaſſe aus» 
gingen, fo waren fie zu derb und roh, um bie höhere 


Unfprüde der feiner Gebildeten zu befvtebigen. Immer 
mehr zogen fih bie höhern Stände von der, Posfle zu 
rüd, die jegt verfümmerte und fi abmühte, eine froſtige 
Dialektik mittels roher Reime in einer harten, ungefuͤg 
gen Sprache zu handhaben. So blieb Deutkhlaud Bin- 
ter. feinen vomanifhen Nachbarn, bie um bdiefe Zeit 
ſchon muftergültige Schriftſteller aufzuweiſen hatten, weit 
zurüd; freilich ward es legten durch die innige Ber 
wandtſchaft ihrer Sprache mit ber lateiniſchen ungleich 
leichter, die Nationalliteratur zu einer ſchnellen Reife 
zu bringen. 

Als Vorläufer der dramatiſchen Poefie find in Deutſch⸗ 
land ſchon Lange vor der Mitte des 15. Jahrhunderto, 
wo, wie erwähnt, bie erfien bramatifchen Spiele in dem 
Städten vorlamen, die unter dem Namen Dipfkerien be- 
kannten, geiftlich-Tomifchen Schaufpiele anzufchen, von 
denen freilich, nicht viel auf uns gekommen ift, und bie 
wel in der Regel Lateinisch abgefaßt waren, wenngleich 
in dem Mofterium „Das Leiden Chrifi”, wovon wie 
noch Bruchſtücke befigen, beutfche Verfe den lateiniſchen 
untermifeht find. Späterhin gab es indeffen wol gang 
beutihe Myſterien. Diefe Dichtungen, worin Bott, En« 
gel, Heilige und in der Regel wenigftens vier Teufel 
auftreten, follen zuerft in Frankreich zum Vorſchein ges 
fommen fein, fi aber bald nach Deutſchland überfie- 
beit haben, mobei es allerdings merkwürdig bleibt, daß 
in der neuen Zeit, wie im Witerthume, der Urfprung 
des Schaufpield in der Religion gefunden wird. In 
Frankreich ſoll freilich fon ebenfo wie ‚Deutfchland 
eine Art dramatifhen Spiels dieſen Myfterien voran 
gegangen fein, benn bereits die Troubadours folken dia⸗ 
logifche Gefänge aufgeführt und davon zuerft den Na⸗ 
men les Comiques erhalten haben; doch waren dieſe 
Dialogen, gleich den Leiftungen der deutſchen Joculato⸗ 
ven, wol nur Bänkelfängereien, jedenfalls wenigftens zu 
formlos, um fie ald Anfang der eigentlichen dramati⸗ 
hen Kunft anzufehen. ‚Die erſten Mofterien wurden 
in Zrantzeic etwa ums Jahr 1375 — ermeislich noch 
vor dem 1380 erfolgten Tode Karl’s V. — aufgeführt, 
und follen in dialogiſirten geiftliden Gedichten beftanden 
haben, welche die aus dem. heiligen Sande oder andern 
Walfahrtsorten rückkehrenden Pilger bei feftlihen An⸗ 
läffen öffentlich abfangen. Bald darauf erhielten die 
babei agisenden Schaufpieler den Namen der Pafltond- 
brüderfchaft, weil ihre Dramen großentheils die Paſſion 
Ehrifti zum Inhalte hatten. Schon bei bem 1380 er⸗ 
erfolgten Einzuge Karl’s VI. in Paris zeichnete ſich bie 
Confrerie de la passion durch ihre Zeftfpiele aus. Une 
ter Ludwig Xl. hatten diefe Myflerien einen außerordent⸗ 
lichen Zertgang, fie verbreiteten fi raſch über ganz 
Trankreih und von hier aus auch bald über Deutfch- 
fand. Ihr Stoff war in der Regel ber biblifhen Ge⸗ 
fihichte oder den Legenden entnommen, und fie dienten 
anfangs mol weniger zur Beluffigung als zur Erbauung 
des Volks; bald aber arteten fie in bloße Ergöglichkel- 
ten aus, um beren willen nicht felten der Gottesdienft 
abgekürzt ward. Es ift in der That eine eigenthümliche 
Erfcheinung ber Zeit, daß in allen Richtungen ber Volks⸗ 


— 


poeſie die fehroffen Begenfäge des Bibliſch⸗Erbaulichen 
und bes Obfeön- Scurrilen eng verbunden hervortreten: 
eine Erſcheinung, die wol geeignet ift, und manche Zwei⸗ 
fel an der Hechgepriefenen Frömmigkeit jener Zeit auf- 
zubrängen. Bald nahmen diefe Ergöglichkeiten einen 
immer frivolern Charakter an und murbden zu wahren 
Traveſtirungen ber heiligen Geſchichte, ſodaß man nicht 
begreift, wie eine ſolche Verhöhnung alles Heiligſten je- 
mals mit religiöfen Acten zu frommer Erhebung in 
enge Verbindung gebracht werden konnte. In Paris 
führten die Paſſionsbrüder anfänglich ihre Stüde auf 
freier Straße auf; dann warb ihnen im Hofpital der 
heiligen Dreieinigkeit ein formliches Theater erbaut, auf 
dem an allen Kefltagen Paflionsftüde gegeben wurden. 
Die Zufdjauer faßen fchon damals auf amphitheatralifch 
anfteigenden Sigen, deren höchfter das Paradies genannt 
wurde. In Deutfchland, wo die Mofterien neben einer 
andern Art geiftlicher Schaufpiele, Moralitäten genannt, 
vorzüglich in den Klöſtern einheimifch wurden und. mit 
allerlei Carnevalsmummereien in Verbindung famen, nah⸗ 
men fie eine etwas veränderte, durch die Ortlichkeit be- 
dingte Beftalt an und gewannen überhaupt nicht die Be⸗ 
deutfamfeit wie in Frankreich; doc, erfchienen auch dort 
Gott der Vater, die Engel, die heilige Jungfrau und 
menigftens vier Teufel jedes Dial auf der Bühne, melde 
legtern fo wüthend umbertobten, daß davon bald die 
Redensart: einen teuflifchen ober hollifchen Lärm machen 
(die Sranzofen fagten: faire le diable à quatre) in 


Schwang kam. In der Regel waren diefe Myſtetien 


fehr lang, und nicht wie bei uns die Schaufpiele in 
Acte, fondern in Tage abgetheikt, ſodaß jede Vorftel- 
fung während fo vieler Tage fpielte als fie Abtheilun- 
gen hatte. Deffenungeachtet fpielte jede Abtheilung noch 
fo lange, daß die Vorftelung um einige Stunden un- 
terbrochen werden mußte, um die nöthige Zeit zum Eſ⸗ 
fen zu gewinnen. Dadurch ward man freilich in Stand 
gefegt, mit Verlegung aller Zeiteinheit ganze Lebensläufe 
in breitefter - und weitfchweifigfter WBeife aufzuführen, 
felbft ganze Gefchlechtereihen auf die Bühne zu bringen, 
die nicht felten einen Zeitraum von einem halben Jahr: 
bundert und darüber ausfüllten; ja oft wurden in einem 
Stücke Kinder geboren, die heranwuchſen, ſich verheira« 
theten und Kinder erzeugten, welche diefelbe Stufenlei- 
ter ducchmachten und noch in demfelben Stüde hochbe- 
jahre ftarben. Ebenfo wenig wie ‚auf Zeiteinheit, kam 
es dabei auf biftorifhe Treue an, und die ſchlechten 
Derfonen - der heiligen Gefchichte wurden drolligerweife 
immer zu Heiden oder gar zu Mohammedanern gemacht, 
welches Roos in der Regel den König Herodes traf. 
Gin wmefentliches Element bei diefen Darftellungen war 
der Luſtigmacher, ber durch feine ertemporirten Späße 
das Publicum beiuftigen mußte, wodurd das XTragifche 
und Komifche oft auf die abenteuerlichfte Art vermengt 
werd. Go trat unmittelbar nad einer Kreuzigung 
Chriſti, nah einer Enthauptung bes - Johannes, der 
Narr vor und ſuchte durch die plumpften und obfeönften 
Baufeleien die Zuhörer zu ergöpen. So roh und form- 


(08 diefe Schaufpiele im Ganzen auch ‚waren, fo fehlt 
e6 doch nicht an einzelmen Dichtungen darunter, die fich 
über die Mittelmäßigkeit erhoben; befonders in Frant- 
reich, wo fie zum Theil mit Chören und andern Sang- 
partien ausgefhmüdt waren. Von der damaligen 
Bühneneinrihtung in Deutfchland wiffen wir faſt 
nichts; in Frankreich war fie unabänderlih folgende 
(vergl. Beauchamp, „Recherches du theätre frangais): 
Mitten auf der Bühne war ein erhabenes Gerüft er- 
richtet, worauf Bott der Bater in einem langen Talare, 
von Engeln umgeben, faß. Etwas mehr nach vorn be- 
fand fi die Hölle in der Geſtalt eines graufenerregen- 
den Draden, durch deffen weit geöffneten Rachen bie 
im Stüde agirenden Teufel ein- und auspaffitten; ber 
übrige Raum ftellte die Welt vor. An der einen Seite 
war eine mit einem Vorhange verfehene Nifche ange: 
bracht, worin alles Das vorging, was nicht füglich auf 
die Bühne’ gebracht werden Tonnte, fo die Niederkunft 
dee heiligen Jungfrau, die Beißelung ober Kreuzigung 
Shrifti, die Enthauptung des Johannes u. dgl. m. An 
der andern Seite flanden Bänke, auf welche diejenigen 
Acteurs fich niederfegten, die nicht gerade in der Scene 
befchäftigt waren; denn alle waren immer gleichzeitig 
auf'der Bühne, welche fie erft nad, gänzlicher Beendi— 
gung des Stücks verliefen. Neben diefen Myſterien 
gewannen bald die fehon erwähnten fogenannten Mora- 
litäten große Verbreitung, eine Art alfegorifch-moralifcyer 
Schaufpiele mit rein dibaktifcher Tendenz, indem durch 
Perfonificirung von Tugenden und Laſtern Liebe für 
jene und Abſcheu gegen diefe eingeflößt werden follte. 
Sie enthielten oft einen höchft ergöglihen Stoff und 
waren mit vielem Wige gewürzt. In einer foldhen Farce 
unter dem Titel „Bantets Verurtheilung“ kommen fol- 
gende Perfonen vor: Leckerei, Schmarogerei, Gute Ge⸗ 
ſellſchaft, Ihr Wohlfein,- Zur fehuldigen Dankſagung, 
Podagra, Gicht, Kolit und Schlagfluß, die in eine arge 
Balgerei gerathen, worauf fich die Erfahrung zu Ge⸗ 
richt ſezt und nach erfolgtem Urtheilsfpruche die Diät 
das Henkeramt verfieht. 
‘ (Die Fortfegung-- folgt.) 


r. 


Neugriechiſche Kiteratur. 
Außer der ſchon früher erwähnten „Geſchichte der alten Vol⸗ 
ker’ („„Iorupla Tor woxaluv &urav‘') von K. D. Schinas er: 
fhien fürzlih in Athen auf dem Gebiete ber hiftorifchen Lite 
vatur eine „Kurzgefaßte allgemeine Geſchichte“ („Zrarzewiln: 
zerıny Inropıa’) von Kenft. Paparrigopulos, der jich ſchon durch 
einige Schriften bemerklich gemacht hat. Er hat dieſelbe für 
die griechiſchen Spmnafien beftimmt, übrigens dabei befonders 
das Wert des Franzoſen Lewi ald Grundlage benugt. Die 
Profeſſoren Afopios und Manuffis in Athen haben den Abbrud 
der Byzantiner nach der bonner Ausgabe für Griechenland be- 
gonnen. Alerander Sutfos hat ſich Fürzlich wieder einmal in fei- 
ner gewohnten Weiſe vernehmen laflen. Es erſchien von ihm ein 
„ UÜormrıxow yaoroygvlaxıor'' (,‚Poetifhe Brieftafche”), eine 
Sammlung politifcher Satiren, worin er fid offen für Kolettis 
ald eine Nothivendigkeit und gegen die Oppofition erklärt, zu: 
gleich aber auch die Lähmung der Regierung und bie Befeitigung, 
d. 5. die Vernachlaͤſſigung der Gelehrten beklagt. 5. 





Verantwortlicher Herausgeber: Seiurich Brockpauns. — Druck und Verlag von F. X. Drockhaus in Leipzig. 


.. Blätter 


far * 


Donnerstag, 


literarifhe Unterhaltung. . 


5. März 1846, . 





Zur Gefdihte der Entwidelung des 
Dramas in Deutfhland. 
(Bortfegung aus Nr. 65.) 


Neben den Myſterien und Moralitäten durften auch 
die während mehrer Jahrhunderte des mittlern Zeital- 
ters in den Rheingegenden Deutfchlande — aud) in an- 
dern Ländern — üblihen NRarren« und Eſelsfeſte nicht 
ohne Einfluß auf den Charakter des ſich entwickelnden 
Dramas geblieben fein. Die Narrenfefte follen bis in 
das 5. Zahrhundert unferer Zeitrechnung hinaufreichen; 
erweislich waren fie. um das Jahr 1500 in Deutfchland 
noch nicht abgeſchafft. Sie wurden von Geiſtlichen und 
Laien unter den größten Rarrheiten-um die Weihnachts- 
zeit gefeiert und waren wahrfcheinlich eine Nachahmung 
der römischen Saturnalien. Anfangs agirten bei einem 
foihen Fefte nur. die Chorknaben und untergeorbneten 
Beiftlichen, weshalb es auch wol das Feſt der Subdia⸗ 
fonen genannt wurde, und der Bifchof, die Canonici 


und die übrige höhere Geiſtlichkeit bildeten die Zuſchauer; 


in der Folge nahmen jedoch felbft höhere Geiſtliche und 
auch Laien an dem Spectatel Theil. Die jungen Xc- 
teures wählten dabei aus ihrer Mitte unter. fomifchen 
Geremonien einen Narrenbifhof, der dann mit lächerli- 
chen Gepränge in der Kathedrale felbft zum Bifchofe 
geweiht und auf den gewöhnlichen Thron des Biſchofs 
gefegt wurde. Hierauf hielt derfelde unter den fragen- 
bafteften Grimaffen das Hochamt und ertheilte dem 
Volke den Segen. Unterdeffen fanden fi eine Menge 
junger Leute ald Narren in allerlei Vermummungen 
und Maskenanzügen in der Kirche ein, nedten bie 
Anmefenden und verübten die ausgelaffenften Tollheiten; 
fie fangen unfittliche Lieder, führten verdächtige Tänze 
auf und bildeten Gruppen in den obfcönften Stellungen. 


Wir befigen noch vollftändige Ritualien, nach denen 


diefe Hefte, die ebenfalls aus Frankreich ftammen follen, 
begangen wurden. Im 14. und 15. Jahrhundert wur- 
den dieſe Fefte, die freilid mit dem Ernfte der Reli- 
gion ſchwer zu vereinigen find, von Päpften, Bifchöfen 
und Concilien häufig, jedoch felten mit rechtem Erfolg, 
verboten. Verwandt mit diefen Narrenfeflen waren bie 
Efetsfefte, welche um diefelbe Zeit, gleichfalls zu Weih⸗ 


nachten, gefeiert wurden. Sie haben ihren Namen von 


dem Eſel, der in geiftlicher Amtskleidung unter feierli- 
hen Gefängen mitten in die Kirche geleitet wurde, wo 
man dann ebenfalls Zänze und taufend Poffen unter 
wilden Gefchrei und Nachahmung der Eſelsſtimme auf- 
führte. Gewöhnlich erfchien auch Bileam auf einer 
Efelin, weshalb man in der Regel annimmt, daß dies 
Feſt zum Andenken der Propheten, welche die Geburt 
des Heilandes gemeiffagt hatten, gefeiert worden fei; 
indeffen ift ed auch nicht unwahrfcheinlich, dag man ur⸗ 
fprünglih damit blos die Flucht der heiligen Jungfrau 
nad) Agypten verfinnlichen mollte. 

Nicht unähnli den alten Mofterien ift ein ums 
Jahr 1480 gefchriebenes merkwürdige Drama unter 
dem Zitel: „Ein fchön Spiel von Frau Jutten“, von 
einem @eiftlihen Namens Schernbert, Dies Stud, das 
die famöfe Gefchichte der Papftin Johanna zum Gegen- 
ftande hat, ift vielleicht die älteſte deutfche Driginaltra- 
göbdie, denn wenngleich das Gedicht erft 1565 im Drud 
erfchienen ift, fo fagt Doch der Herausgeber, M. Hierony- 
mus Zilefins, Hirfchpergenfis, ausdrüdlih, dag es „im 
jhar Vierzehenhundert und achtzig durch einen Meßpfaf- 
fen Theodoricum Schernberf in einer Reichftatt gemacht 
vnd gefchrieben ift, wie man mit des Authoris eigen 
Handfhrifft in Driginali darthun fan: vnd zwar jeder- 
man auch leichtlih in der ompofition fehen wird. 
Darüber iſt's auch alſo approbiret, das es öffentlich zur 
felben Zeit alfo gefpielet: und agirer ift worden.” Dies 
wunbderliche Product, das von Katholiken häufig für ein 
Machwerk von Proteftanten fpäterer Zeit ausgegeben 
worden ift, trägt eben in feinen vielen Gebrechen die" 
innern Merkmale der Echtheit; auch ift es eine unleug- 
bare Wahrheit, wie dies der Kirchenfcridbent Platina 
ausdrüdlic erzählt, dag man die lächerlihe Fabel von 
der Päpſtin Johanna felbft in der römifchen Kirche 
lange Zeit allgemein geglaubt hat. Die Angriffe auf 
die Kirche können nichts bemeifen, denn Ahnliches fommt 
auch in Roſenplüt's Faftnachtöfpielen vor, deren Echt: 
heit unmöglich bezmeifelt werden kann. Gottſched hält 
diefe Dichtung — ob mit Recht mag Ddahingeftellt 
bleiben — für das älteſte neueuropäifche Xrauerfpiel 
und bat es aus dem Grunde neu abdruden laſſen. 
Wie mangelhaft dies Gedicht auch in vieler Hinficht 
fein mag, indem der Verf. weder eine Idee von Ein- 


beit der Handlung noch von dramatiſcher Okonomie und 
Charakterzeihnung hat, fo iſt es doc, keineswegs fo 
arm an Erfindung und Originalität der Stoffbehand⸗ 
lung, daß es nicht außer einem literarhiftorifchen auch 
einen poetifchen Werth in Anſpruch nehmen follte. Die 
agierenden Perfonen in diefem Drama, in dem ein ber 
modernen Romantik ziemlich verwandter Geift weht, 
find folgende: 


Luciper. Bafilius, Babſt. 
anuerfün. Zeuffels Groß Primus 
eillis, des Teuffels Groß: | Secundus . 
mutter. r Tertius Cardimalis. 
8 Sathanas. Quartus 
piegelglant Senator, ein Koͤmiſcher Raths⸗ 
I Zebberwifc. err. 
Rottis. | Simfon, vom Jeuffel befeflen. 
Aftrot. EHriftus Saluator. _ 
"\ Krengelein. Marta. 
Babft Sutta. . &. Ricolaus. 
GSterteuß , Babſt Jutten el! Engel 
Buhle. Michael ge 
Magister Noster Pari- More, der Zodt. 
siensis. | 


Den herrſchenden Ton in diefem Gedicht fann man 
fhon aus dem Eingang entnehmen: 
Luciper rüffet feinem Hellifchen Gefinde zubauff und 


ſpricht: 
Wolher, Wolher, Wolher, 

Alles Teufeliſches heer, 

Aus bechen vnd aus brüchich, 

Aus wieſen vnd aus rorich, 

Nu kompt her aus holtze vnd aus felden 
Eher denn ich euch begin zu ſchelden. 
Alle meine liebe Helle Kindt, 

Die mit mir in der Helle findt, 
Krengelein vnd Fedderwiſch, 

Darzu Rottis ein Teuffel friſch, 
Aſtrot und Spiegelglang, 

Bnd machet mir ein lobetang, 
Darnach wil ich euch jagen, 

Heutte an biefem Tagen, 

Was ih von euch begeren, 

Diſs ſollet ihr mich geweren, 

Dauon folt jhr haben den lohn, 

Das ſchwere ich euch bey meiner ron. 
Nu heb an, knecht Bnuerfün, den gſang, 
Des ſoltu allweg haben danck, 

Mit meinem Freunde Sathanas, 
Der mir je der liebfte Schald was. 


Bruerfün, ein Teuffel. 
Das fol, Herr Luciper, geſchehen 
Alſo balde von mir gar chen, 
Ih erfülle gern den willen dein, 
Du liebfter Herr und Freund mein, 
Womit ih dir gedienen Fündte, 
- Mit Sathanas deim guten freundte, 
Des wer ich vnuerdroflen, 
Vnd wolde das durch niemands laflen. 
Rhun wil anheben den edlen gelang, 
Und wil das nicht machen lang, 
Vnd wollen tangen und reyen 
In diefem Pülen Meyen- . 
Bnuerfün Ber Teuffel, finget vor, Die andern Zeuffel fingen nach: 
Lutiper in deim throne 
Rimo, Rimo, Rimo 


2 


Warſtu ein Engel fchone, 

Rimo, Rimo, Rimo 
Nu biftu ein Teuffel grewiih 

Rimo Rimo, Rimo. , 

eillis, des Teuffels Großmutter, fpringet au an der 
Meyen, vnd fpricht: 

Hie lauffe ih train auch mit vmbher, 
Bnd mi nimpt grod wunder, 
Was jhr euch habt vermeffen, 
Das jhr meiner habt vergeffen, 
Bnd fan ih do gar — geſchregke, 
Bnd wil an den Reyen gelegke, 
Auch kan ich gar weidlich geſchwantze 
Vnd mich verdrehen an dieſem tange, 
Darumb ſolt jhr nicht mit mir grungen, 
Laft mich auch ſchütteln die alten runtzeln 
Vnd laſt mich auch helffen ſingen 
Bnd meine roſterige kele erklingen 
Bey dem edlen guten gelang, 
Des folt jhr allweg haben dand. 


Des Zeufel® Großmutter fodert darauf Lucifern auf, 
den verfammelten Zeufeln fein Begehr zu offenbaren, 
was diefer fobann mit folgenden Worten thut: 


Das wil ich liebe mutter thun fo drotthen, 
Vnd habe mich darauff gereide berothen, 
Darumb mein lieben Herrn gebet rath 
Der vns allen wol anftatt, 

Sehet hin zu jener Amen, 

Da gehet gar ein fhön Jungfrawen, 

Die ift Jutta genant, 

Die wil ziehen aus Engellandt 

Mit einem Schreiber wife - 

In die hohe Schule kegen Paris, 
Vnd ſie wil ſich anderft laffen nennen 

Das man fie nicht mag erkennen, 
Auch wil fie heimlich vnd leife 

Gekleidet gehen in Mannes weife, 

Vnd ihr Ram fol fein genant 

Sohannes aus Engellandt, 

Da rathet liebe gefellen zu 

Das fie das gar balde thu, 

Bnt mögen fie ons gerüden 

Zu jhrem großen unglüden, 

Das wird vnſer groſſer frome werden 

Nach alle vnſers bergen begerden. 

Die Teufel vollbringen das Wert und berüden bie 
Jungfrau, bie mit ihrem Buhlen nach Paris geht, dort 
verkleidet fih unter die Studenten mifcht, große Gelehr- 
famfeit einfammelt und dann mit ihrem Begleiter nad) 
Rom wandert. Bier werden Beide zu Cardinälen 
ernannt, und nad dem Tode des Bafılius wird Jutta 
Papſt. Balb darauf geräth fie mit dem Teufel in 
Conflict, der fie aus Race Mutter werben läßt, was 
zu allerlei Skandal’ und einer Zwieſprach zwifchen Chri— 
ſtus und der Jungfrau Maria Anlaß gibt. Letztere 
bittet für Jutta, worauf Chriftus den Engel Gabriel 
an jie abſchickt, um fie zu befehren, was ihm auch ge: 
lingt. Dann ruft Chriftus den Tod herbei und fpricht: 

Darumb gebiete ich dir Todt zu diefer frift, 

Das du mir gehorfam bift, 

Vnd machſt dich auff die bahn, 

Da dir die Fraw wird vnterthan, 

Die ſolche miflethat . 

Wider mi begangen hat, 


By 


- 


feuer erlöft und duch den Erzengel Michack in ben 


Vnd töbteft fie gar brottben, ‘ 
Drauff bi6 ſchnell und bafd berothen. 
' P Mord, der Todt. 
Hie,gin ich bereit heiliger Gott, 
Vnd will. gern halten bein gebot, 
Wenn id bin grewlich und gramfam, 
Alled das mir je fürguam, . 
Sey flard oder dicke, - 
Men ich e8 recht erblicke, 
Ich geb jhm ein folchen ſchlag, 
ad er ewiglih am mich gedenden mag, 
Ich meſſe ihm in die lenge und in die breithen, 
Das ev meiner kaum mag erleithen, 
Ih treibe ſolchen geſpug, 
Darzu folgen vungefug, 
Das ihm die Secle in dem leiben 
Nirgend mag gebleiben, 
Ich E yı ein Pol gekochen, 
Das ih Araden alle knochen 
Auch, gebe ich ihm zu trinden bier von ſtarkem Hopffe 
Daͤs ſich ihm verwenden die augen im Bopffe, 
Zuletzt Ecme idy jhm auff das hertze, 
Da mus die Seele leiden groffe ſchmertze, 
Bis daB fie reumet djefelbige ftadt 
Die fie lange befeffen hat, ‘ 
Es an mid nicht erbarme, 
Mir iſt der reiche wie der arme, 
Der Deutfche ald der Wahle*) 
Sch rücke fie alle aus ihrem fahle, 
® Mnd müffen von mir leiden den todt, 
Auch ward noch nie Fein mundt fo rodt, 
Ich made jhn wol miſſefahr, 
Ich breche die liechten augen klar, 
Ich hawe fie hin als das Hawen **), 
Sch fürdht auch niemands Dramen, 
3% werde, ich werde grewleich, 
Mir ift der Niefe mit dem Zwerge gleich), 
Was von der Erden ift geboren 
Das ift zumal mit mir verloren, 
Hierumb wil ich, Himliſcher Gott, 
Mich auffmahen alfo droth, 
Vnd wil nicht lenger gedagen 
Vnd wil dad weib darumb fragen, 
Was ſie damit gemeinet hat, 
Das ſie ſolche miſſethat 
Hat wider dich begangen, 
Darumb wil ich fie anlangen, 
Vnd wer ſie noch fo klug vnd weiſen 
So fol fie doch nichts aus meinen henden reifen. 
Der Tod begibt fih zu Jutta, die nun nod . viele 
Reneworte fpricht und fingt, zu welchem Behufe Roten 
eingefhaltet find, ſodaß der Tod deffen zulegt überdrüffig 
wird und unmwillig in Die Worte. ausbricht: 
Ru höre auff mit deinem Baffen, 
Ich mus mein gefcheffte fchaffen 
Alhier an diefer ftatt, 
Denn du machſt mich mit deinem reden matt. 
Dann verfegt er ihr einen Schlag; fie fällt nieder, 
wird Mutter und flirbt während der Geburt, worauf 
ein Zeufel mit ihrer Seele von bannen fährt. Auf 
Fürbitte der Maria und des heiligen Nikolaus wird die 
Seele, die als agirende Perfon auftritt, aus dem Fege⸗ 


9 Der Wahle, d. i. der Bälle. 
*") Die dad Deu. 


Himmel geführt, worauf diefer fpricht: 
Himlifher Gott und Herr, 
‚. pier bring id ber mit chren 
Die arme ſuͤnderin, 
Die hab ich genomen ‚aus der pein, . 
Die begeret nu deine gnade, 
Die lab ihr Herr komen zu ftade. 
Saluator. 
Bis wilfomen Du liebfte Tochter mein, 
Du folt mit mir frölich fein | 
In meinem Himelreiche, 
, Das fage ich dir ficherleiche, 
Ru und gu ewiger zeit, ". 
Das glaube mir abe neibt, 7. ; "- ina.ciscıe. 


x 


Und was du gethan haft in deingm leben, temm An. 


Das fol dir all fein vergeben » 
Wenn Maria die liebe Mutter mein 

Hat dir gethan jhrer hülffe fchein 

Mit dem heiligen Nicolao, 

Drumb foltu fein wolgemut vnd fro, 

Du bift aus forgen genefen 

Vnd folt mit mir in ewigen freuden weſen. 


Diefes formloſe Gedicht, das gegen alle Regeln der | 


dramatifchen Dreieinigkeit verflößt, würde als Drama 
freilich ganz zufammenfallen, wenn A. W. Schlegel mit 
feiner Behauptung, bag im Drama die Anfoderung dee 
Theater, als feiner nothwendigen Ergänzung, liege, 
Recht hätte; indeffen hat fhon Jean Paul die Unhalt- 
barkeit dieſes Sates genügend nachgewieſen, und ſelbſt 
Goethe antwortet auf Schiller's Vorwurf, daß es ſeinen 
Dramen an der nöthigen Concentration zu wirkſamer 
Bühnendarſtellung fehle: daß er die Wirkung ad extra 
nicht ale Hauptfache anfehen könne, und daß die poeti- 
ſche Anfoderung an das Drama erledigt fei, wenn durch 
Aufſchließung des menſchlichen Innern mittels der Hand⸗ 
lung ein aͤſthetiſcher Zweck erreicht werde. Wie wenig 
es überhaupt mit der Einheit der Zeit und des Orté 
im Drama auf fich habe, zeigt fich am beutlichften bei 
Shakfpeare. Dagegen fündigt unfer Gedicht zu ſtark 
gegen die unerlagliche Einheit der Handlung, die nicht 
genügend in fih abgefchloffen erfcheint, indem der Dich⸗ 
ter weder den Anfangs» noch den Endpunkt richtig auf- 
zufaffen gewußt hat, fondern rückwaͤrts und vorwärts 
über bie feften Grenzen des Dramas hinausſchweift. 
Nicht viel fodter als dieſes Drama und wahrfchein⸗ 
lich noch vor 1500, find einige Komödien des Terenz 
deutſch bearbeitet worden, wie Dies aus ben gefchriebenen 
Auszügen zweier biefer Komödien in der Schulbibliothek 
zu Zwickau erhellt. Wahrſcheinlich waren fie zu Auf- 
führungen bei Schulfeierlichkeiten beftimmt, wie dies aus 
dem Prolog hervorgeht, der fo anhebt:- 
Achtbare, Erbare, nahmbafte, großgünftige Herren, 
Die ihr ſeydt ipt auff vnſer bytt erfchtenen gern, 
Desgleichen andern herrn und freundt, 
So viel ihr igt vorhanden feindt, 
Die bytt ic allefampt bie entgegen, 
Bon aller unfer ſchuͤler wegen, 
Belt günftiglich diß unfer fpiel . 
Anhoͤrn auff Dießmal in der fill, 
Denn bie nicht wie fi mancher ihrt 
Die Büberey gelernet wirbt; 








v 
* 
. 


Es hatt gar viel ein ander fin 
Wie ihr denn werdet hoͤrn hierin 
Damit vielmehr die tungen Leudt 
Bon Buͤberey wern abgefcheutt, 
Wenn fie all nun vermerden eben 
Soldyer Belge vngoͤttlich feben 
: Ihr falfche vnd gefchmirtte wortt 
Da durch manch feel wirdt gemordt, 
Bas bie fonft ift Mu merden weytter 
Wern euch die knaben alhie bedeutten, 
. Wolt derhalben euern gueten willn 
Hierin erzeygen und ſchweigen ſtill. 

Das erſte überfegte Stück führt die Uberſchrift „Phä⸗ 
dria“ und beſteht aus einer Reihe wunderlicher Perſon⸗ 
beſchreibungen ohne genügenden Zuſammenhang; vielleicht 
aber wurden lateiniſche Scenen dazwiſchen eingeflochten. 
Der Anfang des Epilogs macht die bereits geäußerte 
Vermuthung, daß dies Stud bei einem Schulactus auf⸗ 
geführt worden ſei, noch wahrſcheinlicher. Er lautet ſo: 

Hiemit habt ihr großgünſtig herrn 
Gehert, hoff ich on all beſchweren 
Bnfer ſchulrecht auff diß mall 
So wirs nun hetten troffen woll, 
Das ihr daran gut gnügen heutt 
Wern wir alſampt hochlich erfreutt u. ſ. w. 

Etwas höher ſteht das zweite Stud, eine Ummode⸗ 
lung des Zerenz’fchen „Heautantimorumenos”. Gottfched 
ift der Meinung, daß das Ganze nur Einfhaltung zu 
den wirklich Lateiniſch aufgeführten Komödien des Te⸗ 
renz babe fein follen, zum Berftändnig für diejenigen 
Zuſchauer, die des Lateinifchen nicht kundig waren. 

(Die Fortfegung folgt.) 


Berichte aus Bohmens Vorzeit verbeutfcht von Jofeph 
Mathias Grafen von Thun. Mit einer Einlei- 
tung von 9. 3. Safarif und Anmerkungen von 
5. Palacky. Prag, Calve. 1845. Gr. 8. 15 Nor, 

Rod widerbaliten die Worte des Herrn Strafen Mathias 

v. Zhun, die er im „Slawismus in Böhmen” gefprocdhen, von 

einem Ende Böhmens zum andern, als die frohe Nachricht 

fi} verbreitete, der edle Graf, der es für feine „„Ritterpflicht‘ 


erflärt Hatte, an der Seite der fhmwächern Ezechen zu ftehen, . 


habe ein zweites Werk in Bereitfchaft, die Ehre der böhmifchen 
Ration zu vertheidigen. In kurzer Zeit erfchien ed und über: 
rafchte Durch die Gediegenheit der Arbeit, Die um fo werth: 
voller je fchwieriger fie an fih ift, nicht minder als durch 
ihren Inhalt. Die älteften‘ böhmifchen Gedichte, wie fie die 
fogenannte Königinhofer Hundfchrift und’ einige andere zufäl- 
lig erhaltene Blätter alter Manuferipte aufbewahrt haben, 
waren zwar bereits früher vom Prof. Swoboda und Anderr, 
ja eins fogar von Goethe ind Deutfche überfegt worden; al: 
lein theild hatten ſich feitdem mandherlei neue Auffaffungen 


einzelner Stellen berausgearbeitet, theile waren es andere | 


Grunde, welche eine Auffriihung des Gegenftandes unter der 
Lefewelt nothivendig machten; genug, der Wunſch einer neuen 
Überfegung ward von vielen Seiten gefühlt. Auch der Verf. 
des vorliegenden Buchs fcheint das Bedürfniß getheilt zu ha⸗ 
ben. Als ihm daher, fagt er in feiner Vorrede: „das Glüd 
wurde, diefe Heiligthümer im Urterte lefen und verfteben zu 
tönnen, ergriff mid eine unnennbare Wehmuth, und lebhaft 
erwachte der Wunfch in mir, dieſes Seugniß nicht geahnter Eultur 
auch deutfhen Augen, die fehen wollen, vorzulegen. In den 
Geiſt einzubringen fuchend, wähnte ich mich felbft von ihm 
angebaucht, und fo entitand diefer Werfuch. ein Iwed war: 


„eine in Form und Ausdruck moͤglichſt treue Copie vorzulegen 


ſolchen deutſchen Leſern, welche durch univerſelle Bildung über 
nationale, Einſeitigkeit erhoben find.” Der Verf. geſteht ein, 
daß die Überfegung an ſich wegen der gänzlichen Verſchieden 
heit der beiden Sprachen ungemein fchrierig gewefen; trogbem 
fann man nicht anders als die ungemeine Gewandtheit bewun- 
bern, mit welcher er fih an dad Original anzufchmiegen weiß; 
nicht blos biefelbe Sylben: und Berszahl, vielmehr ‚noch das 
möglichft treue Wiedergeben des Gefühle, der edeln Einfach⸗ 
heit, der Gedankenfuͤlle und der für unfere Zeit nicht felten 
allzu kühn erfcheinenden poetifhen Wendungen, mit einem 
Worte, der ganze alterthümliche Geift des böhmifchen Drigi« 
nals, ber und bier in deutihe Wörter gekleidet entgegentritt, 
ift e8 was wir an ber vorliegenden Überfegung befonders läb- 
li hervorheben müflen. Ein —— offenes Hinge⸗ 
ben, ein Sichverſenken in dieſe Lieder duͤrfte aan einen dem 
ſlawiſchen Geifte ganz Fremden ahnen laffen, was biefer fla- 
wiſche Geift ift, der ın Diefen alten Heldenfagen aus den frü- 
beften Jahrhunderten zu uns herüberragt. Wer ähnliche Arbei- 
ten nur einigermaßen Eennt, wird die Keiftungen des Berf. zu 
würdigen wiflen. Das Buh enthält alle Gedichte der Könie 
ginhofer Handfchrift fordie einige andere der älteften und beiten 
böhmifchen Dichtungen. Zur Bergleihung jteht der Driginal- 
tert der Überfegung gegenüber; erfterer ift nach der jeßigen 


Orthographie gefhrieben, aber in den Wortformen dem Zerte 


in der Handſchrift möglichft nahe gehalten. Jedem Gedichte 
geht eine kurze Beichreibung der Handfhrift, in der es fich 
erhalten, die Beſtimmung der Zeit, aus welcher daffelde ab- 
ftammt fowie derjenigen, in welcher Das Gedicht abgefaßt wor: 
den fein mag, und dergleichen arcäologifhe Angaben mehr, 
voran. Diefe Notizen find von Palacld. Die Einleitung von 
Safarif dagegen erzählt auf 40 Seiten den ganzen Hergang, 
wie der Bibliothekar Hanka auf einer feiner vielen Reifen zur 
Aufſuchung alter Sprachdenkmaͤler die Handfchrift in einzelnen 
Blättern nicht zufällig, fondern beim Unterfuchen einer alten 
Rumpellammer in ber Föniginhofer Kirche entdedt hat; verthei- 
digt diefelbe dann gegen jeden Vorwurf der Faͤlſchung und ge: 
gen alle gegen fie vorgebrachten Verdaͤchtigungen; ſchildert die 
Zheilnahme, welche dieſelbe bei allen flawifhen Bölfern und 
auch andermärts gefunden; geht dann auf den Inhalt felbft 
über; beftimmt die Hiftorifhen Eigenſchaften des Fragmente; 
zeichnet Die Dichtungsweife in den Liedern, Metrum und der: 
gleichen, und jchließt mit der Erklärung, er wolle auf weitere 
Beweife der Echtheit der Handfchrift ſich nicht weiter einlaffen, ' 
„weil wir in der Eile des Burgen Lebens viel wichtigere Pflich⸗ 
ten zu erfüllen haben ald gegen die Grillen einer pyrrhoniichen 
Kritik ein Denkmal änaftlih in Schug zu nehmen, welches, 
nad unfer lebendigen Überzeugung, das Sepräge feiner Ab⸗ 
kunft für jeden Urtheilsfähigen und Unbefangenen deutlich an 
der Stirn tragend, unfers ängftlihen Schutzes durchaus nicht 
bedarf. Wir überlaflen demnach getroft die Königinhofer Hands 
Ihrift ihrem Schiefale: möge fie ihre Sache vor der unpar⸗ 
teiifchen Mit: und Nachwelt felbft führen und bemeilen, ob 
ie eine Schöpfung der Wahrheit, wofür wir fie halten, oder 
eine Ausgeburt der Lüge fei, wofür fie Einige ausgeben.“ 

J. BP. Kordan. 


— — — — —— — — 


Literariſche Anzeige. 
Soeben erſchien und iſt durch alle Buchhandlungen zu erhalten: 
Alberti (J. G.), Der Stand der Arzte 
in Preußen. Ein hiſtoriſch-kritiſcher Verſuch, 
mit Beziehung auf die bevorſtehende Reform des 
preußiſchen Medicinalweſens. Gr. 12. Geh. 24 Ngr. 


Eeipzig, im Maͤrz 1846. 
S. A. Brockhaus. 





Verantwortlicher Herausgeber: Seiurich Wrodtauns. — Druck und Verlag von F. N. Srockhaus in LZeipzig. 


⸗ 


Blatter 


für 


literarijde Unterhaltung. 


Freitag, 


— Nr. 65. 


6. März; 1846. 





Zur Gefhidhte der 
Dramad in Deutfchland. 
(Sortfegung au Nr. 6.) 

Ungleich wichtiger als die genannten Erzeugniffe find 
die Zaftnachtefpiele des Dane Holz oder Bol, und bes 
Johann Rofenplüt, genannt Schnepperer, bie ältefien 
vollftändigen beutfchen dramatifhen Gedichte, da fie 
fhon aus der Mitte des 15. Jahrhunderts ftammen. 
Sie find zwar äußerft roh in Anlage und Ausführung 


und das Material befteht faft nur aus. einer Reihen⸗ 


folge von groben &emeinheiten, indeffen find fie doch 
reich an treffendem Wig und liefern ein Bild echter 
Volksthumlichkeit. Hans Kolz, ein Wormfer von Ge- 
burt, lebte um 1450 in Nürnberg als Barbier und 
war zu der legten Hälfte des 15. Jahrhunderts als 
Meifterfänger berühmt. Bon feinen der Schule ange- 
hörigen Gedichten ift das Meifte verloren gegangen, doc) 
befigen wir von ihm noch vier Kaftnachtöfpiele, die zu 
ber Zeit und noch lange nach des Verf. Tode fehr be- 
liebt waren, fodaß fie im Anfange des 16. Zahrhun- 
derts wiederholt abgedrucdt wurden. Diefe vier Stüde 
find: „Salomon und Markolf“, „Ein Bauerngericht”, 
„@ine gar bäuerifehe Bauernheirath“ und „Der Arzt 
und der Kranke”. 

Um dieſelbe Zeit, jedenfalls noch in der legten Hälfte 
des 15. Jahrhunderts lebte Johann Rofenplüt mit dem 
Beinamen Schnepperer, d. h. lofer Schwäger, Zoten⸗ 
reißer, welchen er wegen der entfeglichen Frechheit und 
Zügellofigkeit erhielt, die durchweg in feinen Faſtnachts⸗ 
fpielen herrſcht, deren wir noch ſechs vollftändig befigen. 
Auch feine Stücke entbehren durchaus alles dramatifchen 
Intereſſes, indem fie aus einer wenig zufammenhängen- 
den Scenenreihe beſtehen; indeffen herrſcht doch in ihnen 
ein fehr kräftiger, treffendber Wig und ihre wohl berech⸗ 
nete fatirifche Tendenz macht fie jedenfalls hoͤchſt beach⸗ 
tenswerth. Wenn wir von Rofenplüt nichts weiter als 
feine Saftnachtsfpiele beſaͤßen, fo wären mir allerdings 
berechtigt, ihn für den unzüchtigften, frivolften Mann 
zu halten; ganz anders erfcheint er uns aber in feinen 
recht gelungenen komiſchen Erzählungen, in denen ſich 


viel Geiſt und ein ungleich feinerer Witz ausfprict. 


Bir müffen daher glauben, daß jener fhlupferige Ton durch 


Entwidelung des 


den damals herrfchenden Charakter ber Faftnachtefpiele 
bedingt wurde. Das erſte von feinen ſechs Stüden bat 


| blos den Titel „Ein Baßnachtfpiel” und ift eine Satire 


auf die Untreue der Ehemaͤnner und bie Fehler ber 
Frauen, die jene veranlaffen. Bei bem Bifchofe von 
Bamberg, unter deffen Kirchenregiment Nürnberg zu je- 
ner Zeit fland, find fo viele Klagen ber Frauen gegen 
ihre Ehemänner eingegangen, daß er feinem Official bie 
Unterfuhung der Sache aufträgtz biefer tritt auf und 
ſpricht: 
Ihr herren wen man hie wird nennen 
Der trett herfür vnd laſſe ſich kennen 
Bnd thu fein Anttwurtt auf die clag 
So horet man auf ewer beyder ſag, 
An wem man das vnrecht wird verſten, 
Der mus ſein fürpaß abgen 
Bnd wenn wir eins mer auf ein valbenpferd finden 
So wolten wir es in dem hoben pan verfünden. 
german Sunnenglang, 
ietrich Seydenſchwantz, 
Eberhart Blumental 
Berantwurtt euch vor dem Official. 
Dann treten die Frauen als Klägerinnen nebft ihren 
Männern vor, worauf Nede und Gegentede beginnt; 
der Official fpricht zulegt das Urtheil. Schade, daf der 
Zon in bdiefen Dialogen fo unfittlih ift, daß ‚er Feine 
Auszüge geftattet. Daß es bei dieſen Faſtnachtsſpielen 
auf eine gute Bewirthung der Agirenden abgefehen war, 
fheint aus der Schlußrede hervorzugehen, bie ein He- 
told — übrigens ein hors d’oeuyre — fpricht: 
Her der Wirt nu gebt uns eine gute nadht, 
Db wir es zu grob hatten gemacht, 
So folt ir es für einen Schimpff*) verften, 
Wenn alle die heint zu euch gen 
Die wellen mit euch Ichimpffen vnd lachen, 
Die Vaßnnacht fan manchen narren machen, 
Dos er in torrechter weife umbget 
Wenn ir das felber wol verfiet 
Das man zu Vaßnnacht frelicher ift 
Dann am Karfreytag fo man den paffion lift, 
Wer des nicht glaubt von mannen und weiben 
Den wollen wir in vnfer narren Buch fehreiben. | 
Das zweite Stüd führt ben Titel „Die foben Mei 
ſter“ und enthält eine fehr einfache Fabel. Ein Jüng- 
ling meldet fi) bei den fieben Meiftern, um von ihnen 


DD. i. Shen. 


8 


die Kunft zu lernen „den Frawen zu gebinen vnd wol 
zu gefallen”. Die fieben Meifter preifen ihm der Reihe ; 
nach ihre Wiffenfchaften zu diefem Behufe an, fo der 
erfte Meifter die Grammatik: 

. ‚Ein, man der ſrawen dienen fol. 

Der bedarffe Gramatica recht wol 

Das a In dyen mit rechtem fleiß, 

Das er nicht nyder Iren Höhen preift 

Bann framen dinft ift gar ungleich, 

Einer vngeſchaffen, einer fernberleih u. f. w. 
Der zweite Meifter fpricht die Logik rühmenb: 

Einer der frawen dienen wil mit fleiß 
Der bedarff zu wißen fivarty und weiß 
alten vnd laßen nicht tewſchen und effen 

Yenoen und haben nicht felen vnd treffen 

Richt zwey geheißen vnd drew gefelt 

Vnd allweg wilt feyn one gelt 

Nicht große clage und cleime fmergen 

Br heiß Im mund vnd Balt im bergen u. f. w. 
Der dritte Meifter empfiehlt die Geometrie: 


‘Einer der in frawen dinft wil leben 
Dem ift Seometria chen 


Wer das nicht Pan der ift ſchab ab 
Vnd weren geben Funigreidy) fein 
So muß er dennoch ber frawen großloffel feyn. 


Der vierte Meifter preift die Rhetorik: 
Rethorica die lert einen man 
Das er mit framen wol reden Fan 
Nicht viel geſchreyß und wenig wollen 
As offt thun die narren vnd vollen 
Bnd golt geheißen vnd kupffer gelten 
Bnd voren loben vnd Hinten ſchelten 
Bud oben ſchon vnd vnten der ſchawer 
Bnd awßen edel vnd Innen ein Bawer, 
Beldyer man den Frawen recht byenen wil 
Der gelob In wentg vnd halt In viel. 
Der fünfte Meifter empfiehlt die Mufit: 
„Ein man der frawen dienen wil 
Der bedarff gefanges vnd feptenfpil 
Damit er hoch und nyder reicht " 
Bann füche fiym frawen erweicht 
Das fie gein bene Man auf enttewnt 
Der ver nicht gewefen Ir freunt 
Das fie follich freuntſchaft zu Im tregt 
Das fie fi) an fein arme legt u. f. w. 
Der ſechste Meifter preift die Arithmetik: 
Die Arismetrica die zelt 
— — — ein Zung Helt 
Den frawen dyenen fl — — — 
Dos ich In eimen frawen dyener en 
Hat er gekempfft geftärmt vnd geftriten 
Seclherumpelt — — — — 
Getutniret geſtochen getarigt geſprung 
Mit ſnellen gelauffen mit ſtarcken gerungen 
Vnd mit hohen eren iſt kumen her 
Erſt ſchreib ich Im ein halben frawen dyener. 
Der ſiebente Meifter endlich empfiehlt die Aſtronomie: 
‚Afteonomia ift ein Funk 
Die einem wolff hilfft zu feawen gunft 
Mann zeigte zeit macht grunen im glichs krawt 
Sarumb wer zu Techter zeit :parut 
Der gewint ein fruchtreichs eren 
Das Fan die Punft Aftronomia beiweren. 





Der Jüngling danke den Meiftern mit folgenden Worten: 


Ir weiſen Meifter wol gelert 
Sch dank euch fer auff diefer vart 
Dat aa pie ben wol PN 
a8 hab ich Bie euch gefunden 
Run soll ic) den fremden und kunden 
Bon ewren behen Tunflen fagen 
Vnd wil ewern preife in alle lant tragen. 
Die Frauen, zufrieden mit feinem Vorſatze, ihretwe⸗ 
gen alle Wiffenfhaften und Künfte zu lernen, beioh. 
nen ihn mit ihrer Gunſt, indem fie ſprechen: 
Hort junger Man wir haben euch wol vernomen 
Das Ir durch framen willen feit aws komen 
Vnd wolf eud-in allen den kunſten nieten 
Damit man Vnns frawen mag ere erpieten 
Mit kunſt mit fangen vnd nut fpringen 
Mit ftechen mit turniren mit fügen vnd mit fingen. 
Vnd allgeit Bnuſer lob gemeren 
Dorumb wollen wir euch mit dicfem Cleynot vereren. 
Auch in diefem Stud findet ſich ein Herold, der nach⸗ 
ſtehenden Prolog (worin ein arger Anachronismus vor- 
Tommt, indem der Aftronom Ptolomäus mit einem ber 
Könige gleiches Namens verwechfelt wird) an das 
Publicum Hält: 
Run horet ir fremden und tr kunden 
Hie wirt geoß kunſt und mweißheit fanden 
Bey [yben weiſen meiftern gra 
Briscimnus mit gramatica 
Die kert lateiniſch reden und fprechen 
Die Sylben fpalten piegen und brechen. 
Hie find man loyca mit ir liſt 
Die lert was valſch und vnrecht iſt 
Sie krumpt ſie flicht ſie gentzt ſie trent 
Die lug fie bey der wahrheit Bent 
Ir meifter Heift Ariftotiles. 
Die Geometria lert Euclites 
Die milfet Hoch tieff eng vnd weyt 
Kurt langk fmal preit die kunſt das geit. 
Zulius lert Retorica 
Hubſchlich reden neyn vnd ia 
Vnd mit geblumten wortten dietiren 
Bd fa von fach fpecificiren. 
Bohetius lert die muften 
Wie vt re mi fa fol ond la 
&o fonft her klingt auf ſeyten fpilen 
Mit vingern vnd mit vederkilen. 
Pibagoras lert pratticiren 
Bnd kan auch wol awßziferiren 
Wie ſich yeber numetus gemert 
Die Arismetrica das lert. 
Aftronomie geit zu veriten 
"Wie funne mond vnd fterren umbgen 
Bnd wie fie all Frucht wurcken bin onten 
Das Yat mein Her kunig tholomens gefunden. 
Ob yemannt fie fernen wolt i 
In kurtzer weil und umb deinen folt 
Der ſulle ed den meiftern offenbaren 
Bad fulle In das mit WVortten ertlaren 
bie er heiß vnd wer er ſey 
Der lernen wolle ber trete herbey. 
Sum Schluß fodert der Herold Die Zuhörer mit folgen- 


den Morten zur Faſtnachteluſt auf: 


Darumb folt ir frolich leben 
Der Babft hat vnns den gewalt geben, 
Wann wir die vaßnnacht nicht frolich funden 
Den wort wie bis Suniag in dem pan laffen derkunden 


Das Brite Süd, teritelt „Des Türten Bußnach · 
Tpiel" hat cin wanderliches Sujet. Der Dichter läßt 
den Broftürden Mohammed Il. nad) der Unterwerfung 
Griechenlanbs und Eroberung Konſiantinopels, alſo ge⸗ 
rade um bie Zeit, von Roſenplüt lebte, mit feinem wei⸗ 
feſten Rathe unter ſicherm Geleit der Stadt Nürnberg 
nach Deutſchland ziehen, um die Streitigkeiten unter den 
Chriſten zu ſchlichten. Das Ganze iſt eine bittere Satire 
auf das vor dem Gebot des Landfriebens in ch» 
fand herrfchende Fauſtrecht. Auf Höchft poffirliche Weiſe 
proteftirt ein Nürnberger gegen die Einmiſchung des 
Türken und fagt zu dem weifen Rath: 

Davor fol uns unfer got bebüten 
Wamn vnſer get bat deinen get ven oben herab geftaßen. 


Chriften auch einen flarfen Bott hätten, der unüber⸗ 


windiih wäre, fo lange fein Gebot nicht übertreten 


würde”. Der Sultan verfegt berauf: 
Wir großmechtig Turck von hoher gepurt 

Es hat Fein Vbel vnnſer berg noch nie angerürt 

Wir fein nicht herfumen das wir wollen Briegen 

So wollen wir nyemant hie betriegen 

Aber doch wollen wir vnnfer heil verſuchen 

Wir haben geleſen in den Buchen 

Wenn der reiche den armen. beugt 

Vnd wenn der weile dem narren fein gut abtreugt 

- Bnd der voU den hungrigen nicht wit fpeifen 

Bnd wenn die gelerten vnd ſchrifft meifen 

Dem legen bofe ebenpild vortragen 

Bnd wenn der vater vber daß Find wird clagen 

Vnd wenn der ber nicht befridt feinen Bawerßman 

So hebt fi dann der Eriften unglüd an, 

Die ſtuck horen wir alle in irem land clagen u. ſ. w. 
Dann zählt er die neun Garbinalfünden der Chriften 
auf und erflärt, er wolle dieſe Übel abflellen, weil fie 
Gott misfallen. Plöglich aber erfcheint ein Abgefandter 
des Papſtes, der dem Zürken die unflätigften Grobhei- 
ten fagt, die diefer auf gleiche Weife erwidert. Nun 
kommt ein Gefandter des Kaifers, der den Türken mit 
ähnlihen Grobheiten anläßt amd ihn mit Krieg, Gefan- 
genfchaft und Strafen bedroht, worauf biefer unter 
Schimpfen und Zluchen betheuert, ex werde mit ben 
Seinigen nicht abziehen, fondern Gericht ber die laſter⸗ 
haften EhHriften halten. Ein Bote vom Rheine her, von 
den verfammelten Kurfürften abgefandt, kommt dazu 
und legt im Namen bderfelben Proteſt gegen die Erobe⸗ 
vang von Konftantinopel ein, was den Zürfen in bie 
größte Wuth verfegt. Jetzt tritt der Bürgermeiſter 
der Stadt Nürnberg auf und eröffnet dem Sultan in 
einer ſehr hoͤflichen Rede, die fo anhebt: 

Allerhoͤchſter Rer alleroberfter Imperator 
Adler Tuͤrcken und Heyden gubernater 
, Der allernechſt nach deinem got Madgmet, 
baß das fichere Beleit des Seren von Nürnberg wit 
dem naͤchſten Tage zu Ende gehe und daß er baher 
noch vor der Vesper die Stadt räumen müſſe. Dies 
befänftigt alsbald den tobenden Groftürken und er fpricht: 
Bir nemen Süeßholtz in den Mund 
Wenn fleg und ſtich fein vnns wngefimt. 





Er dankt Für DaB gehaltene Seleit und ſeheleßt Zoflich 
mit folgenden Worten: 
VBVnd wo it inndert kumpt in vnnſer 
So muß euch ale —* De oeplet 
Große ere vnd wirde erkeigen 
Bnafer hertz ſoll Ki nummer Bon euch neygen. 
Das wollen wir euch halten wie Türckiſche Heyden 
Ru wollauff vnd laffet vnns von bynnen fcheyden. 
Das vierte Saftnadefoiel unter dem Zitel „Don 
dem Pawern und dem Bock“ ift fehr unbedeutend und 
befieht in einem Turzen Ddialogifirten Schwant. Kin 
ehrlicher Bauer, der nie eine Lüge gefprochen, befigt das 
volle Vertrauen feined Herrn; die Frau weitet mit Letz⸗ 
“erin, ihn durch Lift zw einer Rüge zu bewegen, welches 


worauf biefer fih am den Großtürken wendet und ihn ihr ber micht, gelingt, fobaß fie die Wette verliert. 


bittet, folhe Rebe nicht übel zu nehmen, „zumal bie 


Ebenfo inhaltarm find die beiden andern Spiefe: „Bon 
dem Jünglingk“ und „Die Kuchenſpeiſe“. 

In der zwidauer Bibliothek befindet ſich auch nude 
eine Umarbeitung des Terenz'ſchen „Eunuchus‘ mit über- 


| fegtem Prolog, deutſchem Argument und einer Menge 


wunderlicher deutfcher Erfärungen und Gloffen, welche 
die Jahreszahl 1486 auf dem Titel trägt und von 
Gottſched für das ältefte im Druck erfchienene Luftfpiel 
gehalten wird. Der volftändige Titel Tautet: „Win 
maifterlich und wolgefegte Comedien, zelefen vnd zehören, 
luftig vnd furgmylig, die der Hochgelert vnd groß Mai⸗ 
fier vnd Poet Therencius gar fubtill mit groffer kunſt 
vnd hohen flyß gefege hat, darin man lernet die gemuet 
aigenſchafft vnd fitten der Menfchen des gemainen Beltz 
erdennen. Darvmb ain yeben fo durch leſen oder hören 


deß wiſſen⸗empfachet, fah defter bag vor aller betrügnuß 


der böfen Menſchen mag hätten und wiſſen gebemaren.‘“ 
Am Ende ſteht: „Diefe Comedia hat Hanns Nythart 
zu Vlm laffen druden den Cunrat Dinkmut in fol. 
Nach Crifts gebürt 1486." Unter den Erklärungen be- 
findet ſich auch folgende Definition des Luftipiels: 

Was Comedian zeteutfcht gefprochen feie, wie fie auch ge⸗ 
teilt und ausgelegt werde: „Comedia iſt ein gebicht, aus mem 
geriet das gemuet vnd anfechtung mitler Perfon inhaltende. 
——— —— Dis —— — 
emaiden. Wn 
* ſpiegel ſeie vnd ain Pildung ber Warheit.“ 

Die erſte gedruckte vollftändige überſetzung des Te⸗ 
zen; iſt aus dem Jahr 1409. Im der Vorrede wird 
geſagt, daß bie Überfegung won bemfelben Verfaſſer fei, 
wämli „dem vrfamen und wyſen Hanfen Nytharg, 
Burger zn Bm”. Zur Einleitung bienen folgende 
Verſe: 

ſ Zu Cartago in der Stat fo hoc 

Ward geborn idy Therencus, doch 
Zu dem Hömfchen rich Fam ich gerobt 
Bon miner vernunft vaft hoch begobt, 
Wler menfch fytten befihriden Hab 
Gar von iugent an biß in das grab. . 
Wie auch die knecht die herren belrigen 
Wie ein fchnöd frow vnd frihard Ligen. 
Ein yeglicher der das leſen ii 
Der macht ſich ficher zu aller friſt. 


9 D. 1. Vom. 





Am Schluffe des aus 166 Blaͤttern in Folio be- 
fichenden Bandes ftehen die Worte: 

Getrudt in der kaiſerlichen vnd freyen ſtatt Gtraßburg 
von Hannß Benimger, nd — —— Beendet uff zynſtag vor 
font Sregorientag. Rah Erifti geburt 1499. 

Die Überfegung ift ein erbärmliches Machwerk und 
in dem kaum zu enträthfelnden, damaligen ſchwaͤbiſchen 
Idiom abgefaßt, wie dies zur Benüge aus ber erſten 
Scene des erften Acts (die Acte nennt der Uberſetzer 
„Übungen”) der „Andria” erhellt, bie nebft den Anmer— 
tungen fo lautet: 

Symo. Bofia. 

Ir die Ding hynnyn, nemeng hynweg, gonb darvon. 
Diver alfo fecundum Donatum.*) Ir nement hyn ) die Ding 
hynnyn gangen hinwegk. Sofia näder did mir, mit wenigem 
ih dich wil. Sofia 


Du ſchetzeſt es ſy gſagt. Fuͤrwahr das die Ding recht 
gekocht werden. 
Symo. 
Gar wyt ein anders. 
Sofia. - 
Was ift es meer dann das myn kunſt verbringen mag 
u. f. w. 
*, Mit vrſach mangelt dad er nit anfacht mit dem eygen namen. 
Desgleichen dad Virgilius anfadht mit den engen namen. 
® Gr meldet ein Vrſach den andern hynwegk zu gon fo er Tprict. 
Nement bon die Ding hynnyn, das er nit argkwon yeſtoße 
dan Soſiam binben fie, vB vrſach im teilbufftig machen finer 
heymlichkeit u. f. w. 


Jede Komödie hat zur Ausihmüdung einen Holzſchnitt, 
auf dem alle handelnden Perfonen mit ihrem Namen, 
ſaͤmmtlich in "damaliger ſchwaͤbiſcher oder elfaffer Tracht, 


nebft der gefammten Scenerie des Stücks abgebildet find. | 


(Die Bortfegung folgt.) 





Notizen. 


Ein Bibelſpruch in dem Munde eines mauriſchen 
Diplomaten. 

Die chriſtliche Diplomatie der neuern Beit, obwol fie ſchon 
heilige Allianzen gefchloflen, hat es meines Wiſſens noch im- 
mer vermieden, in diplomatifchem Rotenmechfel fih auf Bibel: 
ftellen zu berufen. Sie mag guten Grund gehabt haben ba: 
von abzufehen, da das Verfahren der chriſtlichen Staaten zu: 
und gegeneinander in den meiften Zällen der Art iſt, daß cine 
Anwendung ſolcher Argumentation jeder Seite höchſt wahrfchein: 
tich in den Augen frommer Seelen nur ſchaden könnte. Die 
Bedeutung Defien, was man heute chriſtlichen Staat zu nennen 
fi gefällt, würde bei ſolchem Verfahren die ihr gebührende Be 
leuchtung erhalten. Die Ungläubigen, Zürken und Beiden, 
haben dergleichen Rüdfichten nicht zu nehmen und deshalb fin: 
det fi in den diplomatischen Verhandlungen folder Mächte 
mit chriſtlichen dann und warn eine Berufung auf die Bibel. 
Ein fehr merkwuͤrdiges und gewiß ergögliches Delpie ıft eine 
Mote des vorigen Sultan von Marokko Mulei Soleiman an 
ben franzöfifchen Eonful zu Zanger, der wegen Gewaltthätig- 
keiten, bie ein Santon, d. i. ein im Geruch der Heiligkeit fte- 
hender Wahnfinniger an ihm begangen, Genugthuung verlangt 
hatte. Diefe Rote befindet ſich in dem vor einiger Beit er: 
fhienenen Werke des Franzoſen R. Ihomaffy „Le Maroc et 


Bexantwortlider Herausgeber: veiurich Brockdaus. — Druck und Verlag von F. %. Brocthaue in Leipzig. 





— 


ses caravanes etc.” Dieſes ſeltſame Actenſtuͤck lautet: „In 
der Furcht des barmherzigen und gnäbigen Gottes! Es gibt 
weder Gewalt noch Stärke außer bei dem höchften und allmaͤch⸗ 
tigen Gotte! Un den Eonful Frankreichs, Sourdeau. Heil 
Jedem, der da wandelt auf dem rechten Weg! Gintemalen bu 
unfer Saft, unter unferm Schuge ſtehſt und Gonfuf einer gro- 
fen Kation in unferm Lande bift, können wir dir nur die 
böchfte Ruͤckſicht und die Pöftlichfte Ehre wuͤnſchen. Daraus 
magft du erfehen, wie fehr uns der Vorfall am Herzen liegt, 
der dich betroffen, ebenfo fehr, als wäre er einem unferer 
theuerflen Verwandten oder Freunde widerfahren. Und obwol 
man den Beſchlüſſen der göttlichen Berfehung nicht zu wider: 
ftehen vermag, koͤnnen wir doch eine ſolche Sache nicht unbe- 
merkt hingehen laſſen, follte auch der Keidende der niedrigite 
der Menſchen oder felbft der m ai fein. Deshalb werten wir 
nicht anftehen, fo es Gott gefällt, dir Gerechtigkeit zu ver- 
fhaffen. Aber ihr Ehriften habt Herzen voll Mitleiden, und 
feid demüthig unter Beleidigungen nad dem sehn eures 
Propheten (dem Gott Ehre verleihe!) Jeſus, des nes Mas 
ria's, welcher in dem Bud, das er und brachte, in dem Ra: 
men Gottes au die Lehre gibt: fo man euh auf eine 
Wange einen Streich gibt, die andere hinzurei— 
hen; und ber felbft (möge ihn Bott allezeit fegnen!) keinen 
Widerftand leiftete, al& dic Juden Samen ihn zu tödten; wes⸗ 
halb ihn Gott zu ſich nahm. In unjerer eigenen heiligen Schrift 
wird auh und von unferm Propheten gefagt, daß kein Volk 
efunden werden koͤnnte, welches den wahren Gläubigen in 
Barmherzigkeit mehr gleich komme als diejenigen, welche fi 
Ehriften nennen. Und dies ift fehr wahr, da unter ihnen es 
heilige Priefter und Männer gibt, dic ſicherlich ohne allen 
Stolz find. Unfer Prophet jagt und aud), daß den Handlun⸗ 

en dreier Gattungen Menfchen Fein Vorwurf gemacht merden 
ann, nämlich dem Narren, bis er wieder zu Verſtande kommt; 
dem Beinen Rinde und dem Mann im Schlafe.. Run ift der 
Menfh, welder dir Schimpf angetban, cin Narr, der des 
Berftundes völlig ermangelt; aber wir haben Befehl ertheilt, 
dag man Genugthuung an ihm nehmen foll wegen feincs Ber: 

ehens. Wenn du ihm hingegen verzeihen willjt, wirft du 
—* edel handeln und wirſt bei dem Allbarmherzigen belohnt 
dafür werden. Aber beſtehſt du darauf, daß Gerechtigkeit in 
dieſer Welt geübt werde, ſo ver du nur zu ſprechen; denn 
wenn es Gott gefällt, fo fol in meinem Reihe Niemand Ur 
ſache haben, vor Ungerechtigfeit oder Schlägen fid) zu fuͤrchten.“ 
Dem franzöjifchen Conſul blicb natürlich auf ein fo fein abge⸗ 
foßtes Schreiben nichts übrig als dem Zanatifer zu verzeihen. 


Schrift über die Reform der englifhen Univer— 
fitäten. 

Die Univerfitätöreform ift in England ein noch dringen: 
deres Beduͤrfniß als in Deutichland, obwol die Berbeflerung 
in den beiden Ländern nach einer yanz verfchiedenen Richtung 
bin gefucht werden muß. Unter den vielen Schriften, die in 
England in neuerer Zeit über diefe Frage erfchienen find, dringt 
die von Whytehead „College life, letters to an under- gra- 
duate” auf größere „Ausbildung der Einbildungstrafl" der 
Wiſſenſchaftsbefliſſenen auf den dortigen Univerfitäten. Ein eng» 
liſcher Kritiker bemerkt deshalb: „Der Derfafler ift in feinen 
Auffaffungen etwas Deutſcher“; der Gegenſatz aber, den er daran 
knuͤpft, daB fih auch vieles Gute in dem Buche findet, ber 
weift, DaB er mit diefer Bezeichnung eben eine Empfehlung 
beabfihtigt. Haben wir au Grund, uns darüber zu beſchwe⸗ 
ven, daß das Ausland die Deutfchen nicht für praftifche Leute, 
fondern für Phantaften anfieht? Ein Voll, das ftolz darauf 
ift die Buchdruderfunft und die Weltweisheit und das Aller: 


weltbürgerthum erfunden zu haben, und fich dad Genfiren und . 


das Bevormunden fowie den Drud von innen und außen ge: 
fallen läßt! 12, 


Blätter 


für 





Sonnabend, 





Zut Gefhihte der Entwidelung ded 
Dramas in Deutſchland. 
(Bortfegung aus Ar. €&) | 
Nah folhen Anfängen hätte man wol erwarten 
folfen, daß das Drama, däs in ben bedeutendern und 
"reichern Handelsftädten, namentlih Süddentfchlande, mit 
großer Liebe gepflegt wurde, fich recht bald aus feiner 


. Riedrigteit erheben und kunſtgemäßer geftalten müßte; 


allein gerade der Umftand, daß es feine Hauptpflege nur 
in den Städten fand, mo Meifterfängerfchufen blühten, 
warb die Veranlaffung, daß faft nur Zunftmitglieder, 
alſo meiftens ungebildete Handwerker als dramatifche 
Dichter auftraten, die nach der Tendenz ihrer Schule 
überhaupt fih ausfchlieplich den religiöfen Intereffen zu⸗ 
wandten und rein moralifche Zwecke verfolgten. Selten 
befchäftigte fich ein Gelehrter mit der dramatiſchen Poefie, 
und mo es gefchah, kamen monftrofe, von Pedantismus 
und Ungefhmad firogende Misgeburten zur Welt. So 
blieb denn das Faftnachtfpiel die einzige Dramengattung, 
die einen felbftändigen poetifchen Werth behauptete und 
bald unter der gewanbten Hand bes nürnberger Schuh: 
machers und Meifterfängers Hans Sachs zu höherer 
Ausbildung gedieh. Doch bald darauf — für das 
Drama, das gerade im Entmwidelungsftadium begriffen 
war, jedenfall zu früh — regte bie bewegte Zeit ber 
Reformation ganz andere Intereffen in Deutfhland an, 
wodurch auch die Poefie eine neue, veränderte Nichtung 
erhielt, in welcher das Iebenskzäftige Faſtnachtſpiel allmd- 
lig fpurlos unterging. Während bie Profa in Kolge 
des vielen durch bie Reformation hervorgerufenen pole⸗ 


mifchen Schriften, befonders aber durch die Ausbildung . 


und Werbreitung der neuhochdeutſchen Schriftfprache ats 
Sefammtfprache aller Deutſchen, taſch zu einer gemwiffen 
Diüte gelangte, verflummten bie poetiſchen Stimmen, 
die nur für engere Kreiſe gefangen und fi) gern bes 
Provinzialidioms bebient hatten, immer mehr; und bie 
Zünftler, bie fich von den Fachgelehrten verfpottet fahen, 
entfagten bald gämlich der edlen Singekunſt. Die Ges 
lehrten, die fih im Laufe des 16. Jahrhunderts mit 
den Stubium der griechifgen unb römifchen Dramatiker 
beichäftigten, hattın zu wenig Einfiche und Geſchmack, 
um günflig auf eine kunſtgemaͤße Entwickelung bes deut. 
fihen Dramas einzuwitken; ihr games Einfluß beſchraͤnkt 


7. März; 1846. 


m —[—[ 





ſich auf Außerlichkeiten, wie auf bie Einführung dee 
Benennungen Zragödie und Komödie und der Einthei« 
lung in Acte. Wie wenig fie felbft dabei in das We⸗ 
fen ber Dichtung einzubringen verflanben, erhellt zum 
Genüge daraus, daß man den ganzen Unterfchleb zuede 
hen Zragödie und Komödie darein fegte, ob Menfchen 
in dem Stück ums Leben kommen oder nicht. Auch 
mit der Eintheilung in Acte oder Wirkungen verband 
man Feine klare Vorſtellung, denn es entſtanden Stücke 
von 10, 13, ja 39 Acten. Es fehlte alſo an allem 
Begriffe eined organifhen Zuſammenwirkens, da die 


| Bmifchenacte bloß als Ruhepunkte für den. Zufchauer 


und ald das Refultat einer zein mechanifchen Zerlegung 
oder mol gar einer arithmetifchen Proportion betrachtet 
wurden; während fie do in ber That nothmwendige 
Diomente in der organifchen Entmwidelung find und fi) 
genau an bie verfchiedenen Acte ber Erpofition, ber 
Knotenfhürzung und der, Kataftrophe ſchließen. Ebenfo 
fremd blieb die innere Okonomie in Verwendung dei 
Perfonale und Ausfchliefung alles Epiſodiſchen, ſodaß 
unter Anderm ein gewiffer Matthias Holzwart ein aus 
10 Acten beftchenbes Drama „Saul’ auf die Bühne 
brachte, zu deſſen Darſtellung 100 rebende und 500 
ſtumme Perfonen exfoderlid waren; ja Johann Brum⸗ 
mer ließ 1592 die ganze Apoſtelgeſchichte ald Tragi⸗ 
fomödia” von 250 Perfonen aufführen. Die Vorliebe 
für religiöfe Dranıen bauerte durch das ganze Jahrhun⸗ 
dert fort und war um. fo weniger geeiguet, auf bie ſo 
nothwendige Charakterzeichnung einen günftigen Einfluß 
zu äußern, als die Dichter allen Anfoberungen nollftän- 
dig zu begegnen glaubten, wenn fie die Religionsftreitig« 
keiten in das Drama hinüberzogen und biefem dadurch 
einen graß polemifchen oder berb fatirifchen Charakter 
gaben. So blieb Anlage und Durchführung der Stücke 
vbenfo roh ale Dietion und Versbau. In den Stüden, 
bie Seine biblifchen Stoffe behandeln, herrſcht eine nüch⸗ 
terne Moral und froftige Neflerion, bie den fehlenden 
bramatifchen Geift dur) preciöfen Gentenzen - und 
Allegorienvorrath zu erfegen fuchenz fie finb daher un- 
gleich unpoetifcher als jene. Etwas gehaltreicher find 
die fogenannten weltlichen Komödien und Zragödien, de⸗ 
ren Babel aus der alten Gefchichte, insbefonbere aus ber 
altdeutfchen Sage entiehnt ift, die aber auf ber andern 
Seite an allen ben Gebrechen leiden, an kenen noch 


Titerarifde Unterhaltung. 


‘ 
22 “ 


heutzutage die aus epiſchen Dichtungen hervorgegange- 


nen Scaufpiele kranken. Din und wieder famen auch 


noch Tateinifhe Komödien zum Vorſchein, die meiſtens 
als Zugabe von Schulfeierlichfeiten bienten, wogegen die 
deutfch gefchriedenen in ber Regel unter freiem Himmel 
aufgeführt wurden. 

Aus dem Zeitraum von 1499, wo, wie fihon er- 
wähnt, Nythart den Terenz überfegte, bie 1517 
"if ein dramatifches Product auf uns gelommen; in 
fegterm Jahre erfchien das erfte. Faſtnachtsſpiel von 
Hans Sachs, nämlich, „Das Hofgefind Veneris“, deffen 
Anhalt hier, um einen Einblid in die dramatifhe Dicht- 
weife dieſes gepriefenen Meifterfängerd zu gewähren, 
näher angegeben werben fol. Zur Aufführung gehörten 
13 Perſonen, darunter 4 rebende. Nah herkömmlicher 
Art der Zaftnachtöfpiele ift die Scene in eine Privat- 
gefellfchaft verlegt, wo zunaͤchſt ein Ehrnhold (Herold) 
als Prolog auftritt und fpricht: 

Sot grüß euch alle jhr Byderleutt, 

Als ihr denn bie gefamtet feyd, 

Her fompt mit mir ein kleines beer, 

Die wöllen euch allem zu ehr, 

Ein kurtzes Faftnachipiel hie machen, 

Wer denn luft bat mag fein wol ladyen, 

Doch wird in diefem Faſtnachſpiel 

Geredt zu weng oder zu vil, 

&o bitten wir euch all voran 

Ir wöllt ed in gutem verftan, 

Bnd vns zu dem beften auslegen, 

Run wi ih euch ftellen entgegen, 

Ein in ein langen graven Bart, 

Derfelbig Heift der trew Edhart, 

Der kompt her aus dem Venusbergk 

Wird euch fagen groß Wunderwerf. 


- Darauf erfcheint ber aus mehren andern Gedichten da- 


mals genugfam bekannte treue Eckard und berichtet, daß 
die Königin Venus fogleich, in der Abſicht erfcheinen 
werde, ihr „Hofgeſind“ zu vermehren; er warnt män- 
niglid vor ihren Pfeilen und räth Allen, bei Zeiten zu 
fliehen. Aber ſowol der „Danheufer” — eine befannte 
Figur aus dem 13. Jahrhundert — als auch ein Doc« 
„tor, ein Bürger, ein Bauer, ein Landsknecht, ein Spie- 
ler und ein Trinker, die fämmtlich der Macht der Ve⸗ 
nus fpotten, werden darauf von den Pfellen der Göttin 
getroffen und müffen fi) ihrem Dienfte weihen. Dann 
erfcheint eine Jungfrau und darauf ein „Frewlein“ (b. i. 
junge Frau), denen e6 nicht beffer ergeht. Don Mit- 
leid bewegt, wendet fich der treue Edarb jegt an die 
Böttin mit ber Bitte, Niemanden weiter zu verlegen, 
und wird erhört. Dann Faget der Danheufer im Na- 


men aller Getroffenen über ihre tiefen Wunden und. 


verlangt Befreiung, melde Bitte jedoch nicht gewährt 


wird. Venus vielmehr fpottet ihrer Leiden und fpricht. 


dann zum Sckuffe: 

Wolauff, wolauff mein Hofgefin, 
Wolauff, wolauf mit mir dahın, 
Ich wil euch füren da ih han 
Vorhin gefürt mannichen Man 
Auch manch jungfram und ſchoͤne Brawen 
Bon einem Zurniren und Stechen 
Manni ritterlih Speer zu brechen, 


ber Fall ift — entnommen. 


An meinem Hof fehten und ringen 
Zangen, bofieren vnd fingen, 

Auch mannich ſüßes Seitenfpiel, 
Sonft ander kurtzweil one Ziel 

Die hie von mir find ongenamdt 
Dergleich man find in Feinem Landt, 
Darum wolauff mit eil vnd jach, 

Wer mit ons mil, der kom bernadh, 
Wir wöllen in Frau Venus Berg, 
&o fpicht Hans Sachs von Nürnberg. 


In diefem einactigen Spiel offenbart fich freilich noch 
wenig dbramatifche Kunft, denn es fehlt fomol an aller 
Einheit und Charakterzeihnung als an Werwidelung 
und einer Alles Iöfenden Schlußkataftrophe; nichtsdeſto⸗ 
weniger gewahren wir in ihm fchon eine nicht gemeine 
Fruchtbarkeit in Erfindung und ein ungewöhnliches Ta- 
lent für lebendige Darftelung. In feinen fpätern Dra- 
men, beren Zahl bis auf 208 fleigt, entwidelt ſich fein 
Talent immer üppiger und freier unb läßt es uns in- 
nig bedauern, daß feine mangelhafte Bildung ihn hin- 
berte, der Gründer eines beutfchen Nationaldramas zu. 
werden. Die Sprache bleibt zwar aud in feinen fpä- 
tern Producten rauh, doc haben fie einen trefflichen 
Kern und zeichnen fih nicht felten durch eine höchſt 
finnreihe Erfindung, durch tiefe Gemüthlichkeit, eine 
wigige Darftellung und treffende Satire aus. Bis 1530 
haben die Dramen des Hans Sachs nur einen Xkt; 
in diefem Jahr fehrieb er das erfte dreiactige Stüd un- 
ter dem Titel: „Comoedia, darinnen bie Göttin Pallas 
die Zugend und die Göttin Venus die Wolluft verficht.” 
Späterhin fchrieb er fünfactige und 1551 das erfte fieben- 
actige Stud, nämlih: „Florio deß Könige Sohn auf 
gibania mit der ſchoͤn Biancephora.” Sein letztes 

rama ift eine wunderliche Umarbeitung bes Terenz'⸗ 
fhen „Eunuchus“ und führt den Titel: „Ein Schöne Co- 
medi Zerenzit, def Poeten, vor 1700 Jahren befchrie- 
ben, Bon der Bulerin-Thais, vnd jhren zweyen Bu- 
lern, dem Ritter Thrafo und Phädria.“ Es ift 1563, 
alfo 13 Jahre vor des Dichterd Tode gefchrieben und 
liefert den Beweis, dab Hans Sachs fih 46 Jahre 
bindurdy mit der Abfaffung von Komödien und Yafl- 
nachtöfpielen befchäftigt Hat, nämlich vom 3. 1517 —63. 


Unter den Zeitgenoffen und unmittelbaren Nachfolgern 
von Hans Sachs beſchäftigten ſich zwar Viele mit der 
dramatifchen Poeſie, indeffen ſtehen fie in ihren Leiſtun⸗ 
gen größtentheild tief unter dem großen Meifterfänger. 
Haft in allen fpriche fich die damals ziemlich allgemein 
berrfchende Borliebe für alte Religionsdramen deutlich 
aus; namentlich ift es die Gefchichte Joſeph's, die von 
den Dichtern vorzugsweiſe dramatifirt wird. Selten ift 
ber Stoff der ‚alten Mythologie, noch feltener der alt⸗ 
deutichen Sage — was Beides bei Hans Sachs fo häufig 
Die beffern dramatifchen 
Dichter des 16. Jahrhunderts find folgende: Gengen- 
bach (feit 1519), Grymm (feit 1520), Ham und Greff 
von Zmwidau (feit 1535), Rebhun (feit 1536), Tyrolf 
(feit 1538), Thomas Kirchmeyer von Straubing (feit 
1541), Briginger und Jacoby (feit 1555), Schumard 


m TEE — ln, EHE m em — 


(feit 1565), Rulf (feit 9566), Roll (feit 1573), Agri- 
eola (feit 1578), Bitter (feit 1585), die Gebrüder Ni- 
codemus Friſchlin, der Lateinifch und Jakob Friſchlin, 
der Deutſch ſchrieb (ſeit 1589), Spangenberg (feit 1590), 
Puſchmann, ein Schüler des Hans Sache, der fih noch 


Meifterfänger nennt und in ber Vorrede zu einer feiner 


Komödien eine Art Poetik Tiefert, und Jakob Ayrer, 
Der alle ‚genannten beiweitem überragt und der einzige 
epochemachende unter ihnen ift. Indeffen darf nicht uner- 
wähnt bleiben, daß ſchon 1535 Heinrich Ham des Terenz 
„Andria” und den „Eunuchus” mit vielem Geſchick überfegte 
und daß feine Arbeit fo allgemeinen Beifall fand, daf 
fie in den $. 1553, 1586 und noch 1602 neue Auf- 
Sagen erlebte. In demfelben Jahre (1535) wurde aud 
Die erſte Komödie des Plautus, nämlich „Aulularia”, von 
Greff von Zwickau ins Deutfche übertragen, eine gleich⸗ 
falls nicht verbienftlofe Arbeit. In metrifcher Hinſicht 
fehr beachtenswerth iſt Paul Rebhun's 1536 erfchiene- 
nes Luſtſpiel: „Ein Geiftlih fpiel von ber Gotfurchtigen 
vnd feufhen Frawen Sufannen gang luſtig vnd frucht⸗ 
barlich zu leſen.“ Rebhun ſchreibt ſo gute Verſe, wie 
kein dramatiſcher Dichter vor ihm, und läßt jambiſche 


- und trocheifche Verſe in regelmäßigen Abtheilungen, 


dald mit ausſchließlich männlichen, bald mit ausjchließ- 
lich weiblichen, bald mit gemifchten Reimen aufeinander 
folgen. Außerdem führt ev einen in vier Strophen ge- 
theilten Chor ein, der wirklich eine Art Schidfalsre- 
präfentanten oder Interpreten vorftellt. Die Länge der 
Berfe ift ımgleich; die Jamben find meiftens vierfüßig, 
mitunter auch breifüßig; die Trochden ebenfalls vier- 
füßig, theilweife aber auch fechöfüßig. Der Chor, deſſen 
Versmaß einige Ähnlichkeit mit den antiken lyriſchen 
Metren bat, ift mit Noten verfehen und war alfo zum 
Abſingen beftimmt. Sonſt ift die Dichtung werthlos. 
Sm 3. 1534 erfhien die erfte, dem Geiſte des Zeital⸗ 
ters angepaßte, deutſche UÜberfegung einer griechifchen 
Tragödie, nämlich Euripides’ „Iphigenia in Aulis“, die 
freilich nur eine literarhiftorifche Bedeutung hat, da 
die Übertragung höchſt geſchmacklos und die Sprache 
ungleich fehlerhafter ift als bei andern gleichzeitig lebenden 
‚Schriftftellern, wie dies ſchon aus dem Titel erhellt, der 
sollftändig fo lautet: „Iphigenia in Aulide, ein vberaus 
ſchoöne Hiftoria oder Comoediotragedia, von des Myeeni- 
chen koͤniges Agamemnon’s Tochter, welche fih willig 
für die Griechifche Armada, fo nah Troia gefchiffet, in 
todt gegeben. Nüglichen zu lefen und zu Agiren, aus 
Briehifher fprach mit vleis befehrieben. Durch Michae⸗ 
Sem Babft von Ro, Pfarheren zu Mohorn.” (1584.) 
Ungleich höher ſteht, wie ſchon erwähnt, Jakob Ayrer, 
ein jüngerer Zeitgenoffe von Hans Sache, Notarius und 
Procurator zu Nürnberg, wo er auch 1618 ſtarb. Er 
hielt ſich nicht ausschließlich an bibfifche Stoffe, fondern 
nahm fein Material theild aus der alten Sage, theils 


aus ber Geſchichte; dabei ift feine Sprache ungleich rei- 


ner als die feiner Vorgänger und feine Charakterſchilde⸗ 
rung treffender ‘und gehaltener. Auch offenbart er be- 


reits eine gute Einſicht in die dramatiſche Ofonomie, 


gibt eine ziemlich geſchickte Erpofitioen und weiß den 
Situationen durch gefteigerte WBerwidelung bis zum 
Schluß Intereife zu geben. Einige feiner Luftfpiele 
fönnen, wie ſchon Koberftein richtig bemerkt, als die 
erften deutſchen Intriguenftüde angefehen werden. Die 
Zeit, wann feine Dramen entflanden, läßt ſich nicht ge- 
nau angeben; nach Einigen foll er fein erſtes Stud ein 
Jahr vor Hans Sachs' Zode, alfo 1575, fein letztes 
1584 gefchrieben haben; nach Andern foll er die meiften 
erft nach 1690 geſchrieben haben, und nicht mit Unrecht 
will man in ihnen den Einfluß der englifchen Dramen, bie 
zu Anfange des 17. Jahrhunderts durch umberziehende 
englifhe Schaufpieler in Deutfchlend bekannt geworden 
waren, wahrnehmen. Ayrer ift ein außerordentlich frucht- 
barer Dichter, denn die Gefammtzahl feiner Schaufpiele 
fol fich auf ungefähr 100 belaufen, von denen jedoch nur 
66 gedruckt erfchienen find, und zwar 1618 zu Nürnberg in 
einem Foliobande unter dem Titel: „Opus Theatricum, 
oder dreißig ausbündige.fchöne Comedien und Tragedien 
von allerhand Denkwürdigen alten Römifchen Hiftorien 
vnd andern Politifchen gefchichten und gedichten; Sampt 
noch andern Sechs ond dreißig ſchoͤnen luſtigen vnd 
furgweiligen Faßnacht oder Poffen - Spilen.- Durd 
Wenland den Erbarn und wolgelährten Herrn Jacobum 
Ayrer, Notarium Publicam vnd Gerichts - Procuratorn 
zu Nürnberg feeligen. Auß mandyerley alten Poeten und 
Scribenten zu feiner weil ond luft mit ſonderm fleiß zufam- 
men colligirt, vnd in Zeutfche Reimen Spilweiß verfaf- 
fet, das man perfönlich agirn kann.“ 


(Der Beſchluß folgt.) 





Literariſche Notizen aus Frankreich. 


Literatur über die Pyrenäen. 

Seit einiger Zeit ziehen die Pyrenaͤen die Aufmerkſamkeit 
unferer beweglichen Touriften im vorzüglichften Grade auf ſich. 
Die Rheingegenden, Italien und Die übrigen Länder, welde 
zur großen fafbionablen Tour gehören, find nachgerade fo zien: . 
li abgemeidet. Es gilt nun’ Partien aufzufinden, welche we⸗ 
niger von den Wellen 'blafirter Neifenden überflutet find. Bis 
jegt gehörte jener majeftätifche Gebirgszug nicht eben zu den 
Partien, welche das gewöhnliche Ziel zwecklos umbherirrender 
Wanderer genannt werden könnten; aber wie gefagt, fchon 
fommen die Pic der Pyrenäen en vogue, und bald werden 
ihre Thaͤler ebenfo jeher der Tummelplatz moderner Touriſten 
fein wie feit langer Zeit ſchon die Heerftraße Italiens es ift. 
Unter den Reiſenden, welche fih längere Beit in jenen Gegen: 
den aufgehalten haben, zeichnet fich der Engländer Taylor vor- 
theilhaft aus, weil fih in feinem Werke, dad er über jenen. 
Aufenthalt herausgegeben bat, eine ungenteine Sachkenntniß 
ausipricht. Daſſelbe führt den Zitel: „De V’infwence curative 
du climat de Pau.” Es war urfprünglich in englifiher Sprache 
gefchrieben, und ift dann erft ins Franzoͤſiſche überfegt worden. 
Sein Inhalt ift nicht etwa, wie der Titel vermutbhen laſſen fönnte, 
rein mebdicinifch, fondern erftredit fih au auf andere Gegen- 
fände von allgemeinem Intereſſe. So zeichnet und der Verf. 
ein anfprechendes Bild der Gegend, deren vortheilbafter Ge: 
fundheitszuftand das eigentliche Thema feines Werks bildet. 

Ein franzöfifcher Baron des gleichen Namens hat unter dem 
Zitel „Les Pyrénées“ ein — umfaflenderes Werk heraus⸗ 
gegeben, welches der vielſeitigſten Beleuchtung jenes pittores⸗ 


[3 


den Weils vom füblichen Frankteich gewidmet if. Der Ba- 
ron von Taylor ift bekannt als freigebiger Mäcen und Befor⸗ 
derer aller wahrhaft Fünftlerifchen Beftrebungen. Bei widti- 
gen Werken, welche ohne bedeutende Geldunterſtuͤgungen nicht 
hätten ind Leben treten koͤnnen, hat er ſich auf Die uneigen- 
nügigfte Weife betheiligt, ſodaß mehr als ein Gchriftfteller und 
Künftler fih ihm zum lebhafteften Danke verpflichtet fühlen 
muß. Auch als geſchmackvoller Schriftiteller hat er ſich auf 
die vortheilhaftefte Weife bekannt gemacht. In dem vorliegen: 
den Werke, welches auf feine Anregung und zum grö 
Theil auch aus feiner Feder entftanden ift, wird die Geſchichte 
. bebjenigen Landſtrichs, den man als zu ben Pyrenaͤen gehörig 
betrachtet, ferner die zum Theil fehr verwidelten Rechtsverhaͤlt⸗ 
niffe dieſer Provinzen behandelt; dabei werben die wichtigften 
Partien der Archäologie, infofern jie auf die Überrefle Bezug ha⸗ 
den, welche jene Diftriete auß dem Alterthume aufzumeifen haben, 
berüͤckſichtigt. Beſonders intereffant und felbft für das größere 
Lefepublicum eime reiche Ausbente gewährend find bie Mitthet- 
Iungen, welche der Herausgeber von den dichterifegen Sagen und 
Volksliedern der Pyrenäen macht. Beſonders reih und man- 
nichfach iſt das Material, welches Taylor in Betreff der Pro: 
vinzen Bearn, Navarra, Bigorre und der Grafſchaft Foir zu 
fammengebradht hat. 
baren Werken verarbeitet; wir erinnern bier nur an die „Ka- 
seis historiques sur le Beam‘ von Faget de Baure (1818). 
Überhaupt ift nicht zu verdennen,, daß der Herausgeber in der 
—A— Literatur mehr als eine gediegene Vorarbeit vor⸗ 
and. Dahin rechnen wir das „Album pittoresque et histori- 
que des Pyréênées“, von Fourcade, und vorzüglich Die reich⸗ 
baltige „„Arch6ologie pyrendenne, ou antiquites historiques, 
religieuses, militaires’, von Dumege (3 Bde.) Im Al: 
gemeinen muß man, ungeachtet mandyer Irrthümer und ob: 
gleich einige Partien, 3.8. Das, was ec über die Basken fagt, 
etwas flüchtig gehalten find, dem Berf. Das Zeugniß geben, 
daß er Ddiefe Quellen auf eine angemeflene Weiſe benugt und 
eine ganz annehmbare Arbeit geliefert hat, welche des Verf. 
Der „„Voyages pittoresques dans l’ancienne France” würdig ift. 
Da wir hier einmal einige hervortrstende Punkte der auf 
die Pyrenaͤen bezüglichen Kiteratur berührt haben, wollen wir 
auch jchließlih noch erwähnen, daß diefer Stoff mehr als ein: 
mal eine dichterifhe Behandlung erfahren hat. Am anfpre- 
chendften ift diefes mit hiſtoriſchen Grinnerungen fo reich ges 
fhmüdte Gebirge von Dureau⸗Delamalle befungen. Das dich» 
terifche Werk diefes Poeten, welches im 3. 180 
wie die Yublication de8 Barons Zaylor Ten Zitel „Les Py- 
renden’'. 


Zimon als politifher Proteus. 


Selten haben wol Flugichriften eine Verbreitung gefunden, 
welche im gleichen Maße wie die fliegenden Blätter -von is 
mon felbft in die umtern Kreife der Gefeifchaft gedrungen wa: 
zen. Man wird unwillkürlich an die Popufarität Courier's 
erinnert, deffen einfohneidende Productionen voll kuͤnſtlicher Rai: 
verät die mit bitterer Galle gefchriebenen Pamphlets von I 
mon freilig beiweitem überragen. Eormenin, der fith bekannt⸗ 
lich hinter die Maske des Zimen birgt, ift gar Bein fo großer 
Berächter der Menſchen als er und durch Annahme feines 
Hfeudonym glauben zu machen firebt. Wenn er die Bezichun⸗ 


: gen zu den Menfchen wirklich flöhe, fo würde er auch fruͤher 


nit durch piquanten Stil, durch blendendes Leuchtkugelſpiel 


eines ruͤckſichtsloſen Witzes umd durch einen trügerifgen Une 

ih von Liberalismus auf die Gunſt und den Beifall der 

enge fpeculirt haben. In letzter Zeit fcheint er freilich die 
fes Buhlen mit einer wohlfetlen Popwarität, dieſes Scharwen- 
zen mit dem taufendlöpfigen Despoten ber öffentlichen Mei 
nung — diefer Gögemdienft ift ungleich muͤhvoller als die Plage 
Desjenigen, weicher den wirklichen Machthabern ſchueichelt — 


Ein Theil defjelben war bereits in brauch⸗ 


erfchien, führt 


allerding® don ſich geworfen zu haben. Um offenen und ent» 
ſchiedenſten trat er den herrſchenden Anfichten der Menge in 
feinen Zlugfchriften entgegen, welche dem bekannten Hader um 


die leibige Unterrichtsfreiheit — ſowie man fie faßte, ein we⸗ 
fenlofed Shhemen — gewidmet waren. Daß franzöftfche Phi⸗ 
Uſterthum tiß erflaung die Uugen auf und glaubte am WBahne 
einer optifhen Taͤuſchung be ngn zu fein als es Sormenin, 
diefe Freude und Wonne aller Deren, welche dic Regierung, 
den Urquell aller Übel, gern in Bedrängniß willen, an der 
Stelle, wo er fonft zu ftehen pflegte, vermißte. Man traute 
feinem Ohte kaum als man vernahm, Cormenin Gebe ſich zum 
Wertheidiger des Klerus, gegen den das Journal der Gpicenf 
eben Morgen feine Blige ſchleuderte, aufgeworfen. Und wie 
rte er die Bertheidigung! Wie regneten von  jeiner ka f 
geubten Hand die trehhe auf den dickfelligen Rüden ber Sin. 
den Menge! wie wußte er die Iournaliften, dieſe bezahlten 
Saukler jedes Tages, mit feinen Raketen aus dem Wege zu 
fegen! Es war eine Luft für jeden Unparteüfgen, aber ber 
empörte und beleidigte Gewürzkrämer, Der Cormenin beim Er⸗ 
[Seinen feiner „Briefe über die Eivillijte” in den Himmel geho⸗ 
en hatte, wandte fi mit Entrüftung von dieſem „Apoftaten 
der Preiheit” ab. Diefer Unwille der Menge gegen den fonft 
fo vergötterten Pamphletiſten flieg aber noch als «8 ſich her⸗ 
ausftelte, wie Simon in neuerer Zeit mehr und mehr Dazauf 
beflifien war, die allgu radicale Kärbung feines vielgelefenen 
„Livre des orateurs’ zu mildern und zu mäßigen. Das war 
ein unethörter Zrevel, Der ihm von feinem frühern Publicum 
nun und nimmermehr verziehen werden kann. Nichts ift Teich» 
ter als in biefer Beziehung einem Schriftſteller Widerfprüde 
mit fih felbft und den frühern Erzeugniſſen feiner Feder nach⸗ 
zumweifen. Als wenn ein Autor allein dem Entwidelungsgange 
der Zeit nicht folgen dürfte, ald wäre jedes auch nody fo ge- 
finnungsvolle Abmeichen von frühern Ausſprüchen ein Hochs 
verrath. Mit dem ſchweren Gerchäüg ſolcher Anſchuldigungen 
kommt man benn jegt in der That jchon gegen Cormenin an 
gerüudt. Bouton, der früher Commiß beim Buchhändfer Pag⸗ 
neere, dem Verleger des Cormenin'ſchen Blugichriften, war, 
und ber ſich in biefer Stellung in den Befitz vertrauter Mit: 
tbeilungen von Zimon Fr Tonnte, hat das ergiebige Thema 


von der Apoftafie des ehedem fo beliebten Wolksfchriftftellers ' 


nach Herzensluft ausgebeutst. Aus dreifahem Schlunde laͤßt 
er daB Feuer gegen den „Bertheidiger ultramontaner Finfter 
linge” fprüben. Diefe Libelle eines obfeuren Pfennigfchrifte 
ftelers führen die Zitel: „Boulet rouge”, „Cormenin, facsimile 
pour orner ses dementis’ und „ wisses parlönıeutaires 
pour faire suite au Livre des orateurs, par un pamphletaire 
qui rassemble a Timon.’ In diefen leichtfertigen und zufam- 
mengemwürfelten Yabrifationen einer liberalen Büchermacherei 
finder fi) eine Sammlung aller mögliden Documente und Be 
lege, zu der befonders der Papierkorb Cormenin' reichliche 
Beifteuer geliefert hat. Bouton wurde von Timon häufig als 
Adſchreiber gebraucht, und in dieſer Eigenſchaft war er im 
Stande fi Papiere jü verfhaffen, die er jegt nicht Anſtand 
nimmt der DOffentlichkeit zu übergeben. Es befinden fich dar⸗ 
unter zum heil vertrauliche Mittheilungen vom Berf. des 
„Livre des orateurs” an feinen Verleger, die allerdings nicht 
immer für ein weitered Yublicum deſtimmit waren. Fuͤr Diefe 
Verlegungen. bed Vertrauens bat nun Eormenin feinen unbefug- 
ten Portraitiften vor das Geriht gezogen. Er - die 
Authenticität der Außerungen, welche Bouton auf feine Rech: 
nung Test, durchaus nicht, Tucht aber ihren Inhalt auf feine 
eigentliche Bedeutung zurückzuführen und will den Berteger 
des MWertrauend beſtra wifen. Dies Letztere iſt men zwar 
nicht geſchehen: Bouton iſt von der Strafe losgeſprochen und 
nur zu den Koſten verurtheilt; aber die ganze Verhandlung, 
welche bei dieſer Veranlaſſung gepflo iſt, gewährt einen 
intereffanten Blick in die Literarifthen Werhältniff Branfreihe. 


Verantwortlicher Heraudgeber: Seinrich Brockhaud. — Drutk und Verlag von F. EM. Wrodpans in Leipzig. 


yr 


— — — — —— 


ö Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Zur Geſchichte der Entwickelung des 
Dramas in Deutſchland. 
( Beſchluß and Rr. 66.) 


Der raſche Aufſchwung, der in der Literatur ber 
romanifchen Nationen gegen das Ende des 16. und zu 
Anfange des 17. Jahrhunderts al® Folge des neu er- 
wachten Studiums der alten Claſſiker fihtbar wir, 
tonnte in Deutfchland nicht heroortreten, theils wegen 
der geringern Verwandtſchaft der deutfchen und lateini⸗ 
fen Sprache, theild wegen der ungünftigen Eimwir- 
tung der politifchen Zerwürfniffe in Deutſchland auf die 
Entwidelung eines freien geiftigen Lebens. Während 
jene daher raſch einer zweiten Kunſtvollendung entgegen- 
gingen, fehritten die Deutfchen auf der Entwidelungs- 
bahn nur langſam vor, und der belebende und richtig 
leitende Einfiuß der Alten offenbarte fich bei ihnen nur 
in vereinzelten Erſcheinungen, welche die allgemeine Ge⸗ 
fhmadsverirrung und die verkehrte Richtung der Dich» 
ter zu verhüten nicht im Stande waren. Der lang 
verhaftene gegenfeitige Haß der verfchiedenen Religions: 
parteien in Deutfchland brach endlih in hellen Flam⸗ 
men aus, und der verheerende Dreißigjährige Krieg zer- 
riß Deutſchlands Einheit gänzlich und lähmte alle Kräfte 
des Volks auf lange Zeit hin. Entfittlihung und Ber- 
armung gingen Hand in Hand unb führten zu einer 
ſolchen Erniedrigung der ganzen Nation, daß fie eines 
vollen Jahrhunderte bedurfte, um die eigene Würde und 
Vie Achtung des Uuslandes wieder zu gewinnen. Dazu 
tommt, daß gerade um dieſe Zeit der Einfluß der fran- 
zöfifehen Sitten und Moden allgemein wird unb vor- 
zugsweiſe diejenigen Stände berudt, bie zunächſt beru« 
fen waren, der neuern Literatur ein wahrhaft nationa» 
led Leben einzuhauchen, Fürften und Adel. Die fran- 
zöfifhe Sprache wurde gefprochen; der Adel, immer an 
die Fürften ſich drängend, gab fich diefen zu Gefallen 
einen franzöftfchen Anfirich, und ber höhere Birrgerfland 
fchämte fih nit, durch Nachäffung des Adels zum 
gänzlihen Verfall deutfcher Eigenthümlichkeit ebenfalls 
die Hand zu bieten. Daß unter folchen Umftänden bie 
Literatur fih nicht heben konnte, ift augenfällig, und es 
darf uns gar nicht befremden, wenn bald eine verberh- 


liche Sprachmengerei entfland, die zu vollſtaͤndigem Bar⸗ 


barismus zurüdzuleiten drohte und die Deutſchen ber 
bamaligen: Zeit zu dem lächerlichften und verächtlichfien 
Volke in Europa machte. Des Gelehrte fchrieb Lateiniſch, 
ber Bornehme Franzöfifch; wer fi etwa herabließ, in 
feiner Mutterfprache zu fihreiben, ber ftaffirte biefelbe 
dergeſtalt mit Tateinifchen und franzöfifhen Ausbrücken 
und Redensarten aus, daß ein Gemengſel daraus her⸗ 
vorging, in dem fi ber höchfte Grab von Pebanterie 


‚und Geſchmackloſigkeit kundgab, mb der alle National 


literatur, zumeift die poetifche, bie fich gegen frembe 
Elemente immer am meiften ſtraͤubt, zu vernichten drohte. 
Zwar fehlte es nicht an Einzelnen, die das Verberben 
erkannten und bem Unweſen zu flesern fuchten, aber 
ihre Beſtrebungen waren unzureichend und ihre war⸗ 
nende Stimme verhallte. Selbſt die Vereine, die unter 
dem Namen „Der Palmenorben“, „Die beutfchgefimite 
Senoffenfchaft”, „Der gefrönte Blumenorben”, „Des 
Schwanenorben an der Elbe“ und andern ſich bildeten, . 
erreichten das vorgeſteckte Ziel, Reinigung der Mutter- 
ſprache von fremden Wörtern, fo wenig, daß fie fi 
vielmehr ben Spott der verbiendeten Zeitgenoflen zuzo⸗ 
gen. Kein Wunder baber, das felbft das fleißigfte Stu: 


dium ber Dichter des tlaſſiſchen Alterthums ber vater 


laͤndiſchen Poefie keinen Nugen brachte, ſondern daß fie 
in eben dem Grade an innerm Gehalt verarmte wie fie 
an aͤußerm Prunk und Flitter zunahm. Erſt mie Opig, 
der die fräftige reine Sprache Luther's zur allgemeinen 
Dichterfprache erhob, und deſſen Verdienſt um Sprach⸗ 
reinigung und Einführung reinerer und edlerer Formen 
in bie Poefie nicht genug anzuerkennen ift, begann eine 
neue Epoche in der beutfchen Nationalliteratur. Er ver» 
wandte auf Stil und Versbau ben größten Fleiß unb 
lehrte die deutſchen Dichter die verfihiedenen Versmaße 
unterfchieden. Freilich flieg er dabei nicht zu ber Quelle 
zurück, aus der er hätte fchöpfen folen — zu den kunſt⸗ 
reichen poetifhen Formen der Dichter aus der fehmäbi- 
ſchen Periode —, fondern entlehnte feine Metern von 


. Sranzofen, Italienern und Holländern; indeffen kann 


ihm Dies nicht zum Vorwurf gereichen, ba fene reiche 
Quelle feinem Zeitalter ganz fremb geworden mar. Lei⸗ 
ber erwarb fih Opig, neben Wechkherlin, das Unver- 
bienft, ben von den Franzofen erfundenen Aleranbriner 
im die deutſche Poeſie, insbefendere im bie dramatiſche 


@\ 





einzuführen, wo er als fein geringes Hemmniß ber 
Entwicklung des Gefühle für rhythmiſchen Wohllaut 
fih bis tief in das 18. Jahrhundert hinein in großem 
Anfehen erhielt. Überhaupt find Opitz'* Verdienfte um 
diefe Dichtungsart ungleich geringer als um die Inrifche, 
die didaktiſche und bie befchreibende; denn fie befchränfen 
ſich auf die Überfegung der „Antigone” des Sophokles, 
ber „Zrojanerinnen” des Seneca und zweier italienifchen 
Stüde, nämlich bed Singfpield „Daphne” und des 
geiftlichen Trauerſpiels „Judith“. Wie wenig Opig in 
das wahre Wefen der dramatifchen Poeſie einzubringen 
vermochte, geht zur Genüge aus feinem Urtheile über 
den lateinifchen Dichter Seneca hervor, ben er als mu- 
flergültigen Dramatiker anfieht und alles Ernſtes dem 
Sophokles und Shakſpeare an die Seite gefegt wiflen 
wid. Seine Neigung zum NRhetorifchen und zur Ne: 
flexion — bie freilich feine Zeitgenoffen nicht für einen 
Fehler hielten — hemmte den freien Aufflug feiner Phan- 
tafie und ließ ihn nicht zum felbftändigen Schöpfer von 
Kationaldramen werben, fondern verführte ihn, die eigene 
Kraft misachtend, Ausländer zu Vorbildern zu wählen 
und den Franzofen und Holländern ihre fentenziöfe Nüd)- 
ternheit und fteife Glätte zu entnehmen. Diefem Ge: 
fhmade huldigten auch feine zahlreihen Schüler, bie 
nad) dem Mufter der Holländer ‘die Chöre wieder ein- 
führten ‘und auch fonft die Tragödien mit "zahlreichen 
Sefängen durchflochten, wodurch fie, ihrer Meinung nach, 
ſich kein geringes Verdienſt erwarben, indem fie fo den 
Heiz des italienifchen Schäferfpield mit dem Ernit des 
allegorifchen Dramas zu verbinden glaubten. Erſt dem 
glogauer Dichter Andreas Gryphius (er flarb am 16. 
Zuni 1664) gebirhrt das Verdienſt, die dDramatifche Poeſie 
ber Deutfihen aus ihrer Niedrigkeit hervorgezogen und 
fie mit Trauerſpielen und Luftfpielen bereichert zu ha⸗ 
ben, die durch geichidte Wahl des Stoffe, gute Anord- 
nung, richtige Sharakterzeichnung und eine eble, poeti⸗ 
fhe Sprache Alles was bis dahin auf biefem Gebiete 
erfchienen war weit überragen. Ihm wurde daher auch 





mit Recht der ehrenvolle Beiname zu Theil: Vater 
bes deutſchen Dramas. 87 
Engliſche Taſchenbücher. 


Was von dieſer hübſchen leichten Waare einſt ein volles 
Mandel ausmachte, reicht jetzt nur eben hin, ein Collegium zu 
bilden, und moͤglich daß die Zeit nicht fern iſt, wo Collegium 
conservatur in uno, bis auch dies eine letzte Glied abſterben 
wird. Ob das gut oder nicht gut, ein Beweis verbeſſerten 
oder verſchlechterten Geſchmacks und welche Urſachen den Ver⸗ 
fall herbeigeführt, kann hier weniger in Frage kommen als 
ob die drei letzten Repraͤſentanten des einſt fo zahlreichen Ge⸗ 
ſchlechts Anſpruch auf ihre Fortdauer haben. Und die Frage ſteht 


im Allgemeinen zu bejahen. Die drei Überlebenten nennen ſich: 


l. Forget me not. For 1846. Edited by Fred. Shober!. 
3. The Keepsake. For 1846. Edited by the countess of 
Blessington. 
3. Heath’s Book of beauty. For 1846. Edited by the 
countess of Bleseington. 
Benn in Diefer Folge das ältefte der engliſchen Annuals 
den Reihen beginnt, während eins der jüngften ihn ſchließt, fo 


erfcheint das für Erſteres ein um fo gäufligeres Beichen als 
die vor wenigen Jahren die Verlagshandlung — Adermann 
und Comp. — getroffene Bedrängniß noch beute nicht zu den 
Dingen gehört, die geweſen find. Aber unparteiifches ürtheil 
kann das Zeichen nicht unterflügen. Die Bilder verrathen ein 
Sparfyftem,_ das, weil nicht anlodend nach außen, nicht ein- 
traͤglich jurüdnieten dürfte und auch im literarifchen heile 
infofern bemerfbar ift, als die Zräger deſſelben wenig berühmte 
Ramen haben. Unter den Erzaͤhlungen find einige vielleicht 
nicht werthlofer als die geringften in den beften deutſchen Ta⸗ 
ſchenbũchern, doch möchte wol keine die Mühe des Überfegens 
lohnen. Gedichte find mehr Gefchmadsfache. Eins und das 
andere wird gern gelefen werden. So ohne Zweifel in unferer 
durch und durch politifch fühlenden Zeit das Gedicht einer Mi- 
ftreß 2. 9. Sigourney auf den legten Beſuch der Königin Vic: 
toria bei Ludwig Philipp. Bur Probe die zwei Schlußftrophen, 
deren frommer Wunſch freilich nicht in Rorbamerifa allein auf 
Beine Sympathie rechnen kann. Sie lauten: 


Shout, chivalry of France! 

Shout, England’s true and brave, 
- Nor bid your battle thunders ver ' - 

Again the affrighted wave; 

But let the cherished olive tree 
Perennial verdure keep, , 

And with ite fruitage bless the lande 
That set its roots so deep. 


On history's annal fair, 
in golden letters grave, 

The visit of the youthful Queen, 
Who boldly rode the wave; 

Aud strongly wich a diamond pen 
Be the true date impressel, 

When he, the Mentor of his realm, 
Received that royal guest. 


Das „Keepsake” bekundet feinen ariftofratifchen Charak⸗ 
ter fon durch das vorgeſetzte, idealifch fchöne Bild der Prin- 
zess Royal und die von der Gräfin Bleffington ihm beigegebe: 
nen Berfe, die im Ganzen fi weit über das Gewoͤhnliche fol 
der Anfingungen erheben und nur vielleicht in den Zeilen ein 
Lächeln erregen, wo die Königin „intent on weighty cares of 
state’ und voll „anxious thoughts for Englands weal’ ge: 
nannt wird. Ein ferneres ariftofratifhes Merkmal find die 
Namen der Contribuenten, Hochgeborene Frauen und Herren, 
die fih gern gedrudt ſehen und ftatt dem Berleger Honorar 
zu Poften ihm den Abfag manches Exemplars im Kreife ihrer 
Bekannten verbürgen. Keine ihrer Gaben Bann jedoch abfolut 
ſchlecht heißen; die meiften find gut, einige mehr als das. So 
ein Gedicht von Lord John Manners und eins vonLandor. 
Auch die Erzählungen haben jede ihren Werth. Der „Coun- 
try banker“ von Mißreß Abdy ift geſchickt angelegt und durch⸗ 
geführt. D’Israeli hat eine Beichreibung der Gärten von 
Shonha beigefteuert, die es fehr begreiflich macht, warum Alle, 
die fie gefehben, mit Bewunderung von ihnen fpreden. 
den nicht wenigen Beiträgen der Herausgeberin verdient be: 
fonders „Cortile Salviati’ Erwähnung, ein tiefer Blick in das 
Gemuͤth der unglüdlichen Bianca Eapella. 

- Daß „Book of beauty‘ ift bekanntlich noch ariftofrati« 
fcher, beſchraͤnkt aber diesmal feine Hoffähigkeit auf die aus: 
gezeichnet ſchoͤn in Stahl geftochenen Illuſtrationen englifcher 
Frauenſchoͤnheit, indem unter den Erzählern und Dichtern bei» 
derlei Geſchlechts aud nicht eben illuftre Namen ſich finden. 
Die Leiftungen find jedoch deshalb keineswegs geringhaltiger. 
Eher das Gegentheil Zu ben vorzüglichften im ernften Bade 
gehören „The postman’s knock” von Miß Power, „The 
impatient man and his deaf family” von Reynolds, „The 
debtors and creditors‘' von Miß Camilla Zoulmin. Im 
komiſchen Fache: „Uncle Benjie's ring‘ und „Stolen piece 
of linen’’ anonym nebft „The old brown Coat” von Mar: 


Unter. 


‘ 





267 


‚yet. in Gemälde bes ehelichen pariſer Lebend in „The 


parisian couple” vom Chevalier De Ehatelain- leidet zu fehr 
an Übertreibung, um gefallen zu koͤnnen. Doch möchte ihm 
nit alle Wahrheit abzufprechen jein. Wie im ‚‚Keepsake‘ 
hat die Heraußgeberin auch bier lange Beweiſe ihres Fleißes 
niedergelegt, von welchen namentlich die Erzählung „Clemence 
d’Bigernon” ihr Ehre macht. 23. 





Bibliographie. 

Sräße, 3. ©. J., Die Sage vom Ritter Zanhäufer, 
aus dem Munde ded Bells erzählt, mit verwandten Sagen 
verglichen und kritiſch erläutert. Nebft einem Anhang von al: 
En ae betreffenden Volksliedern. Dresden, Arnold. 

r. 


wöbe, W., Das Muſterdörfchen. Eine lehrreiche Ge: 
Kiste für den Bürger und Landmann. Dresden, Arnold. 


Rgr. 

eubojatzky, F., Die fieben Todſünden. Nah E. Sue. 
iſt und Tter Theil. Grimma, Verlagscomptoir. Kl. 8. 
ä Nor. 

Mulder, G. J., Reden über die Welt der Materie, 
als ein Mittel zu höherer Entwickelung. Aus dem Hollän- 
dischen übersetzt von J. Muleschutt. Utrecht, Bötticher. 
1845. Kl. 8, 7%, Ner. 

Mundt, J., Mgemeine Literaturgefchichte. Drei Bünde. 
Berlin, Simion. 8. Thlr. 10 Ror. 

Sachs, H., Ein Lobgediht auf Regensburg. Mit cr: 
läuternden Anmerkungen von I. R. Schuegraf. Regen: 
burg. 1835. 6Y/, Rear. 

Seifen, D., Gefchichte der Reformation zu Heidelberg 
von ihren erfien Anfängen bi6 zur Abfaffung des Heidelberger 
Catechismus. Heidelberg, Mohr. Gr. 8. 22%, Nor. 

Stägemann, Elifabeth v., Erinnerungen für edle 
Frauen. Rebſt Lebensnachrichten über die Verfaflerin und 
einem Anhange von Briefen. Zwei Bände. Mit Portrait und 
Zarfimile. Leipzig, Hinrichs. Gr. 8. 2 Thlr. 15 Nor. 


Zagesliteratur. 


. Das A und DO. Eine Bornlampe zur Beleuchtung ter 
Schrift des Dr. Paniel: Aktenſtücke in Bezug auf ten von 
neun Bremer Paſtoren gemachten Verſuch, den Hrn. Paſtor 
Rag:! aus tem Minifterium auszufehließen. Oldenburg. Gr. 8. 

Nor. 

Anrede an einen Kleinen Kreis katholiſcher Ghriften, welche 
bie ömifehe Kirche verlaffen wollen. Danzig, Gerhard. Gr. 8. 
fa Rer: 

’ Aurelius, Der Kirche Krieg und Sieg. Kine theolo: 
gifche Denkſchrift. Naumburg, Lange. Gr. 8. 15 Nor. 

Balitzky, V. v., Begründung des Glaubensbelenntnif: 


ſes der chriftlich-apoftolifchen Gemeinden durch Beugniffe der 


heiligen Schrift und der erflen Kirche. Danzig, Gerhard. 1845. 
5 10 NRgr. 


Ballnus, A., Leget an die Waffen des Lichts! Eine 
politifche Predigt über Roͤm. 13, 12. Danzig, Gerhard. 1845. 
Sr. 8. 3%, Nor. 

Baron, R., Das Princip und die Verfammlungen der 
proteftantifhen Freunde beleuchtet. Offene Antwort auf das 
Sendichreiben an den Verfaffer: „Die proteftantifchen Freunde 
und ihre erfte Hauptverfammlun 
A. Kraufe.” Breslau, Goſohorsky. 1845. Gr. 8. 5 Nar. 

Bernhard, G., Der füchfifche Landtag von 1845—1N46. 
Ein patriotifches Gedicht. Leipzig, Nein. Gr. 8. 3 Nor. 

Binder, W., Meine Rechtfertigung und mein Glaube. 
Augsburg, Kollmann. 12. 5%, Rgr. ü 

Dffener Brief an A. Adler, Witglied der Br. Nabbiner: 
Berfammlung. Als Antwort auf fein Sendfhreiben an die 
77 sogenannten Rabbiner”, die durch Verbächtigung und Ber: 


in Breslau ıc. von C. W. | 


| 


läumdung zu gewinnen wähnen. Bon K—m. ?te Auflage. 
Bockenheim, Levy. 1845. Gr. 8. 5 Nor. 

Dffener Brief an die Bonner Studenten. Bonn, Pleimed. 
1845. 12. 4 Ber. 

Die ſymboliſchen Bücher der proteftantifchen Kirche in ih⸗ 
vem Widerſpruche mit Schrift und - Vernunft. Eine Überficht 
der Geſchichte und des Inhaltes ber fymbolifchen Bücher für 
das deutfche Boll. Leipzig, Feſt. Sr. 8. 15 Ngr. 

Galmer, H., Die confeffionellen Kragen der Gegenwart 
von kirchenrechtlichem und theologifchem Standpunkte, mit be 
fonderer Rüdjicht auf die in Mainz erfdylenenen beiden Schrif: 
ten: „Betrachtungen über bie neueften kirchlichen Ereigniffe 
von einem rechtögelehrten Staatsmann‘ und „v. Linde's Staatks 
firche, Gewiſſensfreiheit und veligiöfe Vereine.” Darmſtadt, 
v. Auw. Gr. 8 15 Nor. 

Carlo, B., Wachet! Myſtiker und jefuitiihe Maul 
würfe untergraben die proteftantifhe Kirche! 2te vermehrte und 
veränderte Auflage. Hamburg, Berendiohn. 1844. 8.5 Kar. 

Der Conflict zwifhen der bifchöflichen Behörde zu Mün- 
flee und der dortigen koͤniglichen Regierung über Die Anſtel⸗ 
lung der Schuliehrer. Mainz, Kirchheim, Schott und Thief 
mann. 1845. 8. 2 Ror. 

Czerski's Leben und Wirken. Mit mehreren Beilagen. 
2te Auflage. Iena, Luden. 1845. 16. 3 War. . 

Chriſtliches Denkmal zum Forjäbrigen Gedaͤchtniß des Le: 
bensendes Dr. Martin Luthers am 18. Februar 1346. Gü— 
terslch, Bertelömann. 3. 5 Nur. 

Dowiat, R., Meine Converſien. Danzig, Gerhard. 
1845. 8. 1, Nor. | ze 

Dunder, M., Die Krifid der Reformation. Ein Bor: ° 
trag in der Berfammlung der proteftantifchen Freunde au Halle 
am 6. Auyuft 1849. Leipzig, Kirchner. Gr. 8. 7%, Nor. 

Eijenbeil, F., Reformator Dr. Mart. Luther. Ein Ber- 
glei zu den Neformatoren der heutigen Zeit. (Gedicht.) 
Schweidnig. 1845. 1%, Nor. 

Engeljohann, 4, Der Maäßiykeitsverein in feinem 
Verhältniß zu Kirche und Staat. Ein thegloaiſches Bedenken. 
Osnabruͤck, Rackhorſt. 1845. Gr. 8. Nagr. 

Die katholiſch-theologiſche Facultaͤt an der Univerfität zu 
Breslau. Prüfung der über die Verhaͤltniſſe derfelben von Hrn. 
Prof. Dr. Movers veröffentlichten Denkſchrift. Leipzig, Brock 
haus. 1843. Gr. 8: 6 Ngr. 

Florencourt, F. v., liegende Blätter über Fragen 
der Gegenwart. Rr.2. Naumburg, Lange. Gr. 8. 12% Rgr. 

Freytag, I. U, Der Menſch lebet nicht vom Brode 
allein. Ein Wort für die Guflav: Adolph: Stiftung an das 
evangelifche Volk und feine Jugend. Hanover, Helming. 1345. 
&r. 8. 21% Nor. 

Frige, 9. ©., Die gegenwärtigen Kämpfe und &pal- 
tungen in der chriftlihen, befonders evangelifhen Kirche, in 
ihren tieferen Gründen und ihrer großen Bedeutung beleuchtet 
für Alle, die eine Mare Einfiht davon gewinnen wollen. Mag» 
deburg, Rubach. 1845. 5 Nor. 

Frofh, R., Wider die Predigt Krauſe's vom Meinungs⸗ 
ftreite über die Berfon Jeſuz mit einem Anhange: Pantheis« 
mus, Iheismug, die Dreieinheit Gottes und der Gott: Menfch 
des Ehriitenthbums. Breslau, Goſohorsky. I Ror. 

Fuchs, 3. B., Unparteiifhe Würdigung der Frage: 
„Sind die Proteftanten wirklich reicher al& die Katholiken ?' 
Regensburg, Manz. Gr. 8. 10 Nor. 

Die chriſtkatholiſche Gemeinde zu Breslau. Vom Entfteben 
bis zu der Eröffnung ihres Gottesdienfles x. am 9. März 
1845. Breslau, Guͤnther. 1819. 14 Nor. 

Gerhard, R., Dad neue Licht oder die alte Wahrheit 
— wofür follen wir uns erflären? | Eine Frage in Beziehung 
auf die proteftantiihen Freunde beantwortet. Nebft einem An» 
hange über den rechtfertigenden Glauben nad, dem Lehrbegriff 
der fombolifchen Bücher. Breslau, Trewendt. 1815. Gr. 8. 


22, Nor. 





. 268 


Soig, 8. J. S., Die rechte Mitte zwiſchen den eytrer 
men Parteien unferer Zeit auf dem. Sebiete der evangeliſchen 


irche. Rürftenwalde. Sr. 8. 10 Rear. 
she a 8 e Tr 2., Wie kann der proteftantifihen Kicche in un: 
fern Tagen aufzeholfen werden? Jena, Luden. 1345. 8. 6 Nor. 


Handtmann, K., Kritifche Notizen 8 dem dogmatiſchen 
Inhait der Erklaͤrung vom 15: — 1845, mit beſonderet 
Beziehung auf die Vertheidigungsſchrift des Herrn Predigers 
@itefter: „Offene Untwort sc.” Potsdam, Stuhr. 1849. Gr. 8. 


3 Rer. j 

Dartnag el, % J., Upslogie mehrer Hauptpunkte des 
Katyeliziemus, eine Reihe von Kanzelteden, den religiöfen Be 
wegungen der Gegenwart gegenüber in ber katholiſchen Kirche 
zu Gießen gehalten. Regensburg, Mans 1845. Gr. 8. 25. Rgr. 

Hauber, 3., Das Wiederaufleben der geiftlihen Orden 
und Klöfter in unferer Zeit, eine erfreuliche Sache. Dargeftellt 
in Ersählungen aus der Gefchichte des 19. Jahrhunderts. Schaf 
haufen, Hurter. 8. 11Y, Nor. 

Der Herausgeber der evangeliſchen Kirchen⸗Zeitung gegen 
die Erklaͤrimg vom 15. Auguft. Berlin, Dehmigke. 1845. 
®r. 8. 71, Nur. 

Hinrichs, Verfaſſungsweſen des Großherzogtbums Dis 
denburg. Jever. 8. gr. 

Hofferichter, T., Wir wiſſen, daß wir aus dem Tode 
"in das Leben gekommen find. Zwölf Predigten, gehalten in 
den chriſtkatholiſchen Gemeinden zu Bredlau, Friedeberg a.R., 
Börlig, Landeshut, Lauban, Liegnig, Lüben, Gtriegau und 
Waldenburg. Lauban. 1895. Gr. 8. 15 Near. 

Hofmann, 3. ©., Betrachtung der gemachten Bor: 
ſchlaͤge für das Wohl der arbeitenden Kiafien. Berlin, Wohl: 
‚gemuth. 1845. Gr. 8. 5 Rgr. 
“I gZacoby, 3., Beſchraͤnkung der Redefreiheit. Eine Pro: 
vocation auf rechtliches Gehör. Manheim. Gr. 8. 3 Nyr. 

Jahn, &., Einige Worte über allgemeine Studenten: 
Khaft, zunähft für die Bonner Studenten. Bonn, Wittmann. 
1845. 8. 5 Nor j 


Index lbrorum prohibitorum. Katalog über die in den 
Sahren 1844 und 1845 in Deutfchland verbotenen Bücher. 
Ifte Häffte. Sena, Luden. 1845. 8. 3 Rgr. u 

Inftrurtionen und Rathfchläge des Satans an bie in Frank: 
weich duch Michelet und Quinet ins Treiben gebrachten Iefui- 
ten. Herausgegeben ven Herrn v. Beelzebub. Nah dem Fran: 
zöfifchen von Lucifer. Weimar, Voigt. 8. 2 Yyı Rt. 

Zohannfen, 3. C. &., Die Zeichen diefer Zeit. Drei 
Predigten. Kopenhagen, Reigel. 1845. 8. 7, Xgr. 

Jordan's Bewußtſein über feine Schuld oder Unſchuld. 
Siegen, Friedrich. 1845. Gr. 3. 3%, Rgr. 

Die Kirche nach der heiligen Schrift. Von dem Verfaſſer 
der Beleuchtungen des Zeitgeiftes. Bern. 1848. 8. 5 Rgr. 

Koethe, F. A., Zur Todtenfeier Dr. Martin Luther's 
am 18. Februar 1846. Leipzig, Brockhaus. 12. 24 Rgr. 

Lambeck, A. G. H., Welche Überzeugung muß der 
Chriſt haben von der Bibel, von der Perſon Chriſti, ſeinen 
Wundern, ſeiner Auferſtehung und der durch ihn bewirkten Er⸗ 
loͤſung, wenn er in Wahrheit als Chrift will angeſehen wer: 
den? Thorn, Rambed. 1945. 8. 7! Near. . 

Lehren der katholiſchen Kirche gegenüber den Irrthümern 
ber deutfchen Sektirer. Regensburg, Manz. Kl. 8. 2, Nor. 

Lisco, F. G., Die Scheidelehren der evangeliid - pro: 
ra und der Batholifhen Kirche. Berlin, Müller. 

. , Nor. 

Die eteratur in Bezug auf die Rockfahrt, Ronge und 
Scneibemüßt. Ifte und te Lieferung. Jena, Xuden. 1845. 
8. Aa 3 Nor. 

Mendels sohn, J., Über Zettelbanken, mit besonde- 
rer Hinsicht auf eine preussische Landesbank. Nebst Aus- 
sögen aus den Statuten und Reglements der österreichi- 
schen, bayerischen, französischen und englischen Bank. 
Berlin, A. Duncker. Gr. 8. 10 Ngr. 


MÖHT, U., Über die neuen erligiöfen Dirren in Deutfi- 
land. Danheim, Bensheimer. —8 Kl. 8. 5 Ryr. 

Motive und Grundlinien einer allgemeinen Staats⸗Neli⸗ 
gion und fittlicher Weltgebote für Das Iahrtaufend. Wreslau, 
Trewendt. 8. 15 Bor. 

Müller, ©. F., Anſichten Im WBiedermann's deu 
Fa ra über die beutfche Poſtreform. Jena, Luden. 5. 

1. 07: 

Müller, G., Sind die Unterzeichner der Erklaͤrung vom 
15. Auguft Bauchdiener? Dffene Anfragen an die deren 
yoge Kunge und Souchon. Berlin, Enslin 1845. Vr. 8. 
2% Ror. 


Nagel, 8. G., Das Papſtthum und die reformatoriſchen 
Beftrebungen in der hriftlichen Kirche, von ihrem Uranfange 
bi6 auf Ronge und Czerski. Ein Volksbuch für Proteftanten 
und Katholiten. Ifte und 2te Lieferung. Halberftadt, Linde- 
quift und Schönrod. Gr. 16. à TY, Xgr. 

Neander, U, Worte tes re unter den Gegen⸗ 

r. | 


fenbah a. M. am 3. Dctober 1345 durch Ronge und Beglei⸗ 
ter. Gin Beitbild, zugleich eine ernfte Frage an die Gemeinde. 
Franffurt a. M., Zimmer. 1845. 9. 3%, Ror. 

Nudelbadh, A. ©., Der Abſchied des Fremdlings. Ab⸗ 
fhiedepredigt bei der Umtönicderlegung. am 2Uften Sonntage 
nad Zrinitatis 1845. Magdeburg, Waldenberg und Comp. 
&r. 8. 5 Rur. 

Schäffer, C., Un fie. Eine Rede mit Unterbrechungen 
am Jahrestage des Ronge'ſchen Briefed. Bor dem deutien 
Publicum gehalten. Darmftadt, Leske. 1345. Gr. 8. ARgr. 

Schiller, J., An die Unkirchlichen unferer Zeit. Pre: 

Frankfurt a. M., Zimmer. 8. 2 Nor. 
Schröder, U, Die Augsburgifche Confeſſion ein Be: 
kenntniß und Beine Formel. Zwei Sendfdhreiben an Hrn. Prof. 
Dr. Stahl zur Antwort und Verjtändigung. Potsdam, Stuhr. 
1845. Gr. S. 10 Nor. . 

Schweder, ©., Antwort auf die zwei Gendfchreiben des 
Hrn. Prof. Dr. Stahl an die Unterzeichner der Erklärung vom 
15. Auguft 1545. Berlin, Reimer. Gr. 8. 74, Rgr. 

Segnig, ©. W., Bon der Gefahr einer gänzlihen Spal- 
tung, welche gegenwärtig Die evangelifche Kirche bedroht. Ein 
Vortrag. Meißen, Goedihe. 12. »4 Ngr. 

Sintenid, W. F., Herr Prediger Guſtav Adolph Kämpfe 
in Magdeburg und die Kirchenlehre oder die kirchliche Kecht⸗ 
gläubigkeit des Antwortgeberd auf Uhlich's Belenntniffe, bar= 
geftelt in Briefen an den Herrn Paftor König in Anderbed. 
Leipzig, D. Wigand. Gr. 8. 3 Kor. 

Smets, W., Wir bauen mit am Kölner Dome. Rebe. 
Aachen, Boiſſeree. 8. 2%, Nor. 

Starke, Die rationaliftifchen Bewegungen der Gegen 
wart. Rede am Geburtöfefte Königs Friedrich Wilbelm’s IV. 
Reu:Ruppin. 1845. 8. 5 Nur. 

Thomas, Kann in der evangelifchen Kirche die Augs⸗ 
burgifche Eonfeffion oder eine andere Belenntnißfchrift Lehr⸗ 
norm fein? Sendfchreiben an den Hrn. Prof. Stahl. Ber: 
iin, Müller. 1845. Gr. 8. 3 Nor. 

Weiffenborn, K. DH, Muß der Nationalismus aus 
der evangeliihen Kirde und tem Guftav: Adolph : Vereine 
ſcheiden? Crörterung, gelnüpft an die Sendfchreiben des Re⸗ 
gierungsraths Schede an den Prediger Jonas und des Dr. El- 
vers an den Lonſiſtorialrath Dr. Lüde. Magdeburg, Rubach. 
1845. Gr. 8. 7%, Nor. 

Bolterſtorff, J. U. G., Beleuchtung der Antwort 
Pumpe aufühlich's Bekenntniſſe. Wolfenbüttel, Holle. Gr. 8. 

2 98. 


digt. 


VBerantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brockdans. — Drud und Berlag von F. M. Srockhaus in Leipzig. 


* 


Blätter 


für: } 


Titerarifde Unterhaltung, 





mann. 1845. 
Ein preußiſches Charakterbilb? Es läßt fi wei 


vom englifchen, ſpaniſchen, polniſchen und manchem ans 
dern Rationalcharakter ein feſter Begriff aufftellen, nicht 
aber vom preußiſchen. Gin ſpecifiſches Prrußenthum 
gibt es in Bezug auf die Geſammtheit des Volks 
nicht. Allenfalls ließen ſich die verſchiedenen Provinzen 
des Landes, die verſchiedenen Stände ſeiner Einwohner 
nach hervorſtechenden Eigenthümlichkeiten ſondern; man 
koͤnnte von einem ſchleſifchen, rheiniſchen, pommerſchen, 
ſogar von einem maͤrkiſchen Charakter ſprechen; man 
könnte ſich bei dem Worte „preußiſcher Beamter” u. ſ. w. 


etwas denken, was gerade in Preußen ſeinen Typus für 


ſich hat; auch einzelne Zuſtaͤnde und Einrichtungen mö- 
gen immerhin als ausfchließlich preußiſche gelten. Ein 
beflimmtes Gepräge aber, eine Drigimalität der Gitten, 
Dentweife ober au nur ber äufern Erſcheinung, wo⸗ 
durch ſich die Bewohner ver preußiſchen Monardie von 
andern Nationen unterfcheiben , eriftiet nicht; michiw 
mürffen wir die Bezeichnung „preufifches Charakterbild 
für unftattgaft Halten, fo lange de Sache für den Ra⸗ 
men fehlt. 


enden wir und nach diejer flüchtigen Bemerkung, 
welche fidy bei Lefung des Titels anfdrängt, zu dem In⸗ 
halt des Bude, fo finden wir die bantenswerthe Mit⸗ 
tbeilung einer Lebensgefchichte, melche Barnhagen wit 
feiner bekannten Meifterfchaft in klarer und anziehenber 
Darftelung verführt. Es iſt bas Bild ber ſtatren Red⸗ 
lchkeit in einer moraliſch banktotten Beit; es find bi 
zur That anffirchenden Dumanttäteideen, mit weichen 
Voltaire, Rouffenu und Friedrich II. ihr Jahrhundert 
erleuchtet hatten; es iſt ein ebler, rückſichteloſer Enthuſiaſt, 
ber bier vor ung auftritt, den ungleichen Kampf gegen 
vornehme Schlechtigkeit wagendb und verlierend. 

Dans v. Held ift der füngern Benammeion nur we⸗ 
ig bekannt, da feine Schickſale und fein Wirken mit 
der Gegenwart in keinem Zuſammenhange fichen; der 
intereffantefte Theil feiner Erlebniſſe fälle in den Zeit ⸗ 
raum, welcher mit des großen Könige Tode begann unb 
mit bem Zilfiter Frieden abſchloß: ein Zeitraum, in 
weichem feurige, für Recht und Wahrheit begeifterte 


;ı Männer genng Anlaß fanden, durch unwillkommenet 


Auflehnen gegen Verderbniß aller Art ſich ſelbſt ins 
Berdberben zu flürgen. Zu biefen gehörten namentfiä 
Hand v. Held umd fein Freund Zerboni. Bon geheimen 
Berdindungen großes Heil erwartend, hatte Held ſchon 
auf der Univerſität ſich dielfah um bie Ausbildung bei 


Gonftantiftenotbens bemuͤht. Der erfte Hauptzwec bie 
fe® Bundes war mie bei ben fpätern Butſchenſchaften 


Berebelung und Vervollkommnung der Verbrüderten an 
Geiſt und Herr. In Betreff der Staatsverhattnifſe 
wollten fie dad Beſtehende ehren und alle Bamit ver: 
bundenen Pflichten treu erfüllen, fo fange fie nicht im 
zu auffallenden Wiberfprucd treten mit den höhern Pflich⸗ 
ten der Menfchlichkeit und den unſpruͤnglichen Koderum: 
gen des — Naturrechts! Wie Tange hätte wol unter bie⸗ 
fen Bedingungen bie Ehrfurcht vor bem damals Beflchen: 
den Stich halten koͤnnen? Rach vielen mühſamen und 
fruchtiofen Verſuchen fah Heid ſich veranlaßt feinen Plan 
aufzugeben; am wenigſten hatte er damit in Berlin aus⸗ 
gerichtet. Er fagt felbft in einem fpätern Auflage: 

Die Berliner Eonnten fi nicht einigen, weil das Metien- 
wefen, bie Bergnügungen, Zerftreuungen und xiebſchaften der 
Hauptſtadt, endlich die Unverträglichbeit, Klatſcherei, Geld bor⸗ 
gen und nicht wiedergeben, dazwiſchen kam. 

Wen fallen wicht hierbei manche neuern berliner 
Bereinspropeete ind Gebächtniß? 

Ein paar Jahre fpäter ſchloß Held, ber unterdeß 
Oberactiſe- und Zollrath geworden war, mit dem in 
Stag angeftellten Kriegsrathe Zerboni und mit dem aus 
DOftreich geflühhteten Rapuzinet Ignaz Feßler einen Bund, 
Im Det. 1793 kamen die drei Freunde auf dem wüſten 
Schloſſe des polnifchen Dorfs Tarnau zuſammen, ſtell⸗ 
ten ihre Satzungen feſt und nannten ihren Bund den 
ber Evergeten oder Gutesthuer. Einige Mitglieder wur- 
den bald zu demſelben geworden; doch blieb die Sache 
in dem geringen Anfange ftoden; der Bund ging Unter, 
ehe er entftanden war, und bie Freunde betrachte⸗ 
ten ihn felbft nur noch als ein Spielwerk jugendlicher 
Träume, nicht ahnend, daß aus biefem verlaffenen Spiel 
werke ihnen nor furchebarer Ernft erwachſen würde. 

Das Jahr 1796 brachte MWidrigkeiten und Verwicke⸗ 
lungen, ‚welche zunaͤchſt auf Zerboni fielen, in denen 
aber auch Held tief betheilige war und bie ex fpdter 


270° 


durch freiwillige That ganz auf fi riß, ſodaß fein nach⸗ 
heriges noch langes Leben von den Folgen heimgefucht 
wurde. Schleſien und Sübpreußen fanden damals unter 
Hoym’s faft unumſchränkter Verwaltung. Nah Varn⸗ 
hagen befaß Hoym wirkliche Herzensgüte und große Lie- 
benswürbigteit, doch, ohne fittliche Kraft, entbehrten biefe 
Eigenfchaften alles ernſten Haltes und dienten: aur der 
Gitelfeit und Selbſtſucht. Von Schmeichlern aller Art 
umgeben, feiner Stügen am Hofe ficher, überließ er ſich 
bald allen Schwächen eines eiteln und mächtigen Man- 
nes, der bie Welt vorhanden glaubt, um feines Gleichen 
zu tragen und zu verehrten; denn Geburt und Stand 


galten. ihm über Alles, und der traurige Wahn, daß 


vornehmes Befehlen und gewandtes Weltweien zum 
Staatömanne genügen, hatte ſich tief in ihm feftgefegt. 
Was die betreffenden Provinzen unter Hoym's Willfür 
und Verſchwendung litten,. ift begreiflich. Verſchenkungen 
der Staatögüter an unmwürdige Menfchen, Unterfhleife 
aller Art waren an der Tagesordnung. Einige dortige 
Beamte hatten ben Staat um eine Million betrogen; 
Zerboni, der indeß nad) Petritau verfegt worben war, 
entdeckte den Betrug und machte pflichtgetreuen Bericht 
an Hoym; doch will diefer nichts von der Sache hören, 


nennt Zerboni’8 Angabe einen unberufenen Fürwitz und 
verweift ihn mit beleidigenden Ausbrüden zur Ruhe. 


- Run gehen Zerboni die Augen auf; von des Minifters 
ſcheinbarem Edelfinne bisher getäufcht, wird ihm deſſen 
wahres Wefen deutlicher. Die Unzufriedenheit war mitt- 
Ierweile in Schlefien auf den hoͤchſten Grad geftiegen, 
der Haß gegen Hoym zeigte fih immer offener und 
drohender; in Breslau Fam die gährende Misſtimmung 
bei einem zufälligen Anlaß zum Ausbruch. Die ganze 
Stadt gerieth . in Aufruhr, bie anrüdenden Zruppen 
wurden zurüdgebrängt, und ber Sturm, einmal losge⸗ 
laſſen, wandte ſich ſchnell mit ganzer Stärke gegen 
Hoym, auf deffen Palaft das Volk herantobte. Hoym, 
leichenbla6 und zitternd, hielt fi) für verloren, jammerte 
um fein Leben, verſprach jebe Beſſerung. Kaum war 
aber die Gefahr befeitige, fo trat er aufs neue wieber in 
alter Hoffahrt auf und nachdem er durch Truppen und 
Behoͤrden feine Macht erft wieder -gefichert fah, dachte 
er nur einzig an Rache für die erlittene Demüthigung. 
Der breslauer Aufruhr Hatte am 6. Det. 1796 flatt- 
. gehabt, die tobende Menge war zulegt buch Kartät- 
fchenhagel auseinandergejagt worden, gegen hundert Men- 
ſchen waren umgekommen, Werhaftungen folgten und 
fharfe Drohungen, die ganze Stadt war in Trauer 
und Schreden. Zerboni empfing in Petrifau mit tief 
fter Bewegung die Nachricht von biefen Vorgängen, von 
dem Muthe des Volks, von ber Angft des Minifiers; 
mit Unwillen und Schmerz hörte er, wie Hoym nun zu 
Handlungen bes Haffes und der Grauſamkeit fortgerif- 
fen wurde und ſich dadurch neues Unglüd bereite. In 
der leidenfhaftlihen Stimmung eines aus Erbitterung 
und Mitleid, Verachtung und Theilnahme -gemifchten 
Gefühls, feiner redlihen Abficht gewiß, einen guten Er⸗ 
folg noch für möglich haltend, ſchrieb er am 12. Oct. 


an Hoym einen Brief, der den mächtigen Mann aufs 
beftigfte exbittern mußte. Held, für welchen diefer Brief 
ebenfalls verhängnißvoll wurde, war keineswegs zufrie- 
ben mit deſſen Inhalt; er ſchalt ihn „ein unfeliges Mit- 
telding von Schmeichelei -und Grobheit, nur halbdreiſt 
und eigentlih mehr kraͤnkend und nedend abgefaßt al 
der Ausbruch eines von der Unordnung, Zweckwidrigkeit 
und Unmoralität in ber innern Berwaltung empörten 
Bemüths ift.” 


Vier Wochen blieb Zerboni ohne Antwort; ploͤtzlich 


wurde er am Abend des 17. Nov. in der Mitte feiner 
Familie verhaftet und ale Staatsgefangener auf die 
Feſtung Glag abgeführt, Hoym ließ Tämmtlihe Pa⸗ 
piere bei Zerboni in Beſchlag nehmen und nach deren 
Durchſuchung glaubte er eine andere, weit ſchwerere 
Schuld auf ihn wälzen zu konnen. Man hatte naͤm⸗ 
ih Schriften und Briefe gefunden, welche den Everge⸗ 
tenbund betrafen, und diefer wurde als ein Staatöver- 
brechen dargeftellt. Mit großer Härte, theils nicht ſtreng 
bem Gefege gemäß, theils entichieden parteilich, wurde 
nun gegen ben Gefangenen verfahren. Was ein Mann 
wie Varnhagen bier über richterlihe Werirrungen bei 
den politifchen Proceffen äußert, verdient mol bie allfei- 
feitigfte Beachtung : Ä | 

Überall hat man die traurige Erfahrung gemacht, daß 
die Richter, wenn fie einen fogenannten politiſchen Proceß 
überfommen, ale Kaflung verlieren, fie jehen fih in unge 
wohnter Wichtigkeit, das Gewiffen wird von dem Eifer be⸗ 
täubt, ſich bei folcyer glänzenden Gelegenheit auszuzeichnen, den 
Dane und die Belohnungen der Derrfchenden gu erwerben; 
da wird jeder zweifelhafte Umftand als erwieſene Schuld aus» 
gelegt, jede gewaltfamfte Schlußfolgerung verfucht. 

So geſchah es auch hier; vergebens berief ſich Zer⸗ 
bont auf bie gefeglichen Vorfchriften, verlangte vor fei« 
nen ordentlichen Richter geftellt zu werden, beitand dar⸗ 


auf, die Anklage wegen des Briefs nicht mit der we⸗ 


gen des vergeffenen Ordens vermengen zu laflen; das 
Verfahren ging feinen Gang, in welchem folche „Unre- 
gelmäßigfeiten” (diefen Euphemismus braucht Varnha⸗ 
gen) vorfielen, daß fogar zwei Minifter, ber Großkanzler 
von Goldbeck und der Winifter der. auswärtigen Ange- 
legenheiten Graf von Haugmig, eine Bekanntmachung 
unterfchrieben, weiche über die Verhafteten falfche Anga⸗ 
ben durch die Zeitungen verbreitete. Noch einige An- 
dere wurden mit in den Proceß hineingezogen und ver⸗ 
haftet; gegen Held wurde nicht eingefchritten, da man 
Briefe von ihm an Zerboni vorfand, in denen er ben 
Evergetenbund als unnüg und unausführbar verworfen 
und fih gänzlich davon losgefagt hatte. Das Gericht 
erkannte in zwei Inſtanzen auf mehrjährige Feſtungs⸗ 
firafe gegen Zerboni; doch brachte der Regentenmechfet 
bald Milderung in fein Schidfal, er wurde 1708 der 


"Haft gänzlic, .entlaffen und kehrte nad, Petrikau zurüd. 


(Später machte Zerboni noch gute Carriere und farb 
als Oberpräfident von Pofen.) 


(Der Beſchluß folgt.) 


‚ ningen. Schon in ihrem 


231 


Romanliteratur. 


1, ‚Beltglüd. Von Therefe. Braunſchweig, Vieweg. 1845. 
Gr. 8. 2 Thir. . | 

Aus Cäciliend Papieren wirb uns mitgetheilt, und wir 
erhalten eine Neihe von Lebensbildern aus den höhern Kreifen, 
in jenen verblichenen Karben der Refignation, bes Unbefriedigt- 
feins, wie bie höhern Kreife wol erzeugen koͤnnen. Cäcilie i 
ein Fräulein von Rudolphszell, das Stammſchloß heißt Schd: 
lternpaar erkennen wir eine nicht 
glückliche Ehe; der Bater gehört mehr der Welt, der Idee an 
als ‘der Ramilie, und die Mutter, welche aus Liebe geheira⸗ 
thet hat, jehnt fich nach Liebe und ift unglücklich. Sie ftirbt. 
Zwei Jahre lang fühlt ih unfere Heldin allein, eine Neigung 
zu einem jungen bürgerlichen Baumeifter fchleicht ſich in ihr 
Herz und wird getbeiltz doch der junge Mann überwindet fein 
Gefühl, er erkennt die Kluft, welche der Stolz einer arifto: 
kratiſchen Familie zwijchen ihm und der Geliebten zieht, und 
fein Stolz erhebt eine noch unüberfteiglichere Barriere, er hei⸗ 
rathet des Pfarrers Tochter. Läciliend Vater heirathet wie⸗ 
der, und abermals lernen wir eine unglüdliche abelige Familie 
kennen, in jenem Misklang lebend, welcher das Scheinenmwollen 
was man nicht ift hervorbringt. Die Zochter diefer Kamilie 
wird Cäciliend Stiefmutter und bringt Unglüd in deren vä⸗ 
terlihe® Haus, indem fie durch unmäßigen Lurus auch Eäci: 
liens mütterlicdes Vermögen verfchwendet. Ein ungeheures 
Misbehagen ergreift den Leſer bei dieſer Schilderung eines raft: 
Iofen Strebens nach außen, einer verzweifelten Komödie von 
Gluͤck und Größe in dem im Innern zerquälten Yamilienleben. 

Eäcilie wird Hofdame und abermals findet man nur Mid: 
behagen hinter den Koulifien des Hofes, auch bier fühlt fich 


unfere Heldin nicht glüdlih. „Die ewigen Sorgen um bie- 


Xoilette, dad ewige Einerlei cined Lebens, wo jede Stunde im 
Zoge vorausbeflimmt ift, wo die Kreife fo eng gezogen wer: 
den, daß fie vergoldete Gitter vorftellen, wo die ganze Exi⸗ 
ſtenz aus nichts ald aus Nüdfichten befteht, wo man weder 
krank noch betrübt fein darf und p zu fagen Die ganze Ichheit 
in einem Rebel verſchwimmt. Und in diefer Beweglichkeit ein 
fuͤrchterlich druͤckendes Stillſtehen.“ 

Auf der erſten Seite des vorliegenden Romans wird der: 
felbe als Tendenzroman geftempelt durch folgende Worte: „Da 
unfere Seit eine ſolche ift, wo jede Sphäre aus der einen in 
die andere firebt, wo ein Verkennen des Gegebenen dur das 
Ringen nad) dem Entfagten entfteht, wo Keinem der Play 
auf den das Schickſal ihn flellt genügen will” u. f. w., wes⸗ 
halb die Verf. fih berufen fühlt, diefem übel durd den Be 
weid zu begegnen, daß jegliches Individuum fein Maß vLeiden, 
in welchem Kreife ed fi) immer bewege, zu tragen hat; fie 
will darthun, daß diefes Leiden fogar im Verhaͤliniß mit Aus 
ferm Stanz empfindlicher wird, fie will den. Unbegüterten, 
welche den Reichen nachahmen, zurufen: „Glaubt doch nicht, 
daß das Süd im Palaſte, hinter golddurchwirkten Vorhaͤngen 
wohne” u. |. w. Da der Roman nun in diefe Zendenz ein 
geht, müffen wir auch die diefer Tendenz am meiften ſich zu 
wenbenden Punkte vor allen beleuhten. So fagt die Berf. 
unter Anderm: „Sind denn die Großen glüdlih? Bei ihnen 
befteht Alles mehr als anderswo nad) der einmal eingerichte- 
tm Drbnungs es tritt eine Gewöhnung bes Herkoͤmmlichen 
ein, was nur durch einen gewaltigen Schloßbrand getilgt wer- 
den koͤnnte; da werden neben uraltem fchwerem Silberzeug 
Durchlöcherte Servietten ausyetbeilt, da bekommt man den 


Kaffee wäflerig und die Butter verdorben, da verläßt fich der, 


Höhere auf den Niedern, die Kammerfrau auf die Kammer: 
iungfes, und fo fort, fodaß nie etwas Ordentliches zu Stande 
kommt und alle, außer vielleicht die Herrſchaften, darunter 
leiden. Ja die Herrichaften find oft felbft die Opfer ihrer Un- 
tergebenen,, das Opfer ihrer Wr Sie fihildert nun 
ihr großes unheimliches Zimmer ald Hofdame mit dem verbli- 
—— Teppich, dem taudenden Kamine der entfernt woh⸗ 
nenden Kammerſrau. Wir thun auch einen Blick in das kalte 


Berhaͤltniß dee Herzogin zur Tochter, wie fremde Einflaͤſterer 
bad Kind ber Mutter entfrembet haben, wie eine wunderfiche 
Schroffheit durch faliche Behandlung in der Prinzeffin erzeugt 
iſt. Gäcibie‘ ift Hofdame ter Yringeffin, und ed gelingt ihr 
beten Bertrauen zu gewinnen. Die Reflerionen über De fo 
oft verfehlten Erziehungen der Prinzen und Prinzeffinnen ver⸗ 
dienen bier Erwähnung. „Wie ſollte audy in einem Dafein in« 
nere Preiheit Eingang finden, Dad nah Stunden und Minu⸗ 
ten geregelt nie dad traͤumeriſche Element, das himmliſche 
Dolce for nients zuläßt; das mit einem gedruckten und eins 
gerahmten Plan alle freien Lebendzüge nieberfchlägt; das tan⸗ 
jen muß wenn ed [chlafen, ſchlafen muß wenn es leſen, freie 
en muß wenn es zeichnen möchter dem Spiel Arbeit iſt; das 
im dritten oder vierten Jahre Drden und im zehnten Benerals- 
Epauletten hat; das vom Syſtem der Combination abhängt; 
Dem nie ein freier Athemzug gegönnt ift, dem ale Kinder 
freuden immer geknickt find. Wie oft gefchieht es, daß fie, zur 
Selbftändigkeit gelangt, die geraubten Genuͤſſe nachholen, fich 
in unerlaubte Zerftreuungen gerade dann ftürgen wollen, wenn 
ihre Zage Ernſt, Sammlung und äußerte Burüdhaltung er: 
heifcht.” Die von der Etiquette von allen Seiten eingeengte 
junge Fürſtin, Der nie ein Vergnügen der Jugend ſich aufthat, 
bricht in die Klage aus: „Das ift Fürftenbeftimmung.” Das 
Schickſal legt den fogenannten Begünſtigten heimliche prickelnde 
Entbehrungen gleih Strafen auf, Am öfterften bezahlt das 
Herz die äußern Gluͤcksguͤter, am öfterften ift bier die Freude ein 
Traum, der Genuß eine Laune, bie Etiquette ein Lebenszweck.“ 

Intereffant ift die Schülderung des Hoflebens, wie der Tag 
mit Geſchwindigkeit durchflogen werden muß, wie nichts mitRuhe 
und Muße gelrieben werden kann, wie zu nicht& ordentlich Beit 
ift, auch nicht zum Lefen der Bittfchreiben der Unterthanen, 
bie nur im Excerpt vorgelegt werden; das hajtige Leben, das 
baftige Neifen, das haftige Drängen von einem Bergnügen 
um andern. Man meint befannte Züge zu erfennen in jenem 
ürftlichen Portrait. 

Die Prinzeffin wird die Braut eined ausgezeichneten, geift- 
reichen, vielgereiſten Erbprinzen. Schon früher hatte er ver» 
kleidet die Prinzeffin umſchlichen, und wie es fcheint fih in 
die Hofdame verliebt. Cine glühende Leidenfchaft erwacht für 
Leptere in ihm, und fie wird getheilt. Wir erleben Kämpfe des 
tugendbaften Mädchens; ihr Herz hatte einft eine Reigung 
ınter ihrem Stand erlebt, jegt erhebt es fich über denfelben, 
ebenfo hoffnungslos und trofllos. Um biefer Gefahr fih zu 
entreißen, nimmt fie ben Heirathsantrag des Hofmarfchalld an 
und erträgt den Balten verachtenden Blick des (Beliebten. Ihre 
Ehe wird nun wieder eine unglüdlie; der Weltmann genügt 
ihrem Herzen nicht und gibt ihr fein häusliches Glück. Und 
neben ihr wohnt der einft geliebte Architekt, mit Frau und 
Kind, und fie fann von ihrem Fenfter aus deſſen haͤusliches 
Gluͤck beobadten. Ihe Gemahl wird Gefandter am Hofe 
des von Eäcilien fo hochgeſtellten Fürftenfohnes; fie findet die 
Prinzeffin bleich und ungluͤcklich wieder, eine unbefritdigte Che 
in höbern Sphären. Der Erbprinz liebt feine Gemahlin nicht 
und ift auf Sabre verreift. Eäcilie hat nun zwar feine Kämpfe 
für ihre Tugend zu beftthen, doch andere werden ihr aufer- 
legt. Der eitle Semahl überbietet fi in Außerm Luxus, er 
wit Eeinem der Gefandten nachſtehen an Pracht, und Eäcitie 
muß im Innern des Haufes die größte Sparfamkeit üben 3 
fle ſchildert mit den grellſten Farben jenen Zuftand, wo mit« 
ten im Reichthum die Armuth Herrfcht, wo dem Anftand die 
wirkliche Behaglichkeit geopfert wird, wo zwar fllberne Schüfe 
fen vorhanden, aber meift leer oder dürftig befest find. „Die 
Bevorzugten der Erde werben beneidet, man glaubt, Haß fie 
beftändig über große Mittel zu gebieten haben und weiß felten; 
daß e8 einen Mangel im Überfluß, einen Zwang gibt, der alle 
wirklichen $reuden vernichtet. Ja das Glück der großen Welt 
ift illuſoriſch; unter hundert Familien gibt ed kaum zehn, de: 
ren Stellung im Einktang mit ihrem Einkommen if. Immer 
muß der Anftand dem Schein geopfert werden, immer liegt 
bier die freie harmloſe Bewegung in Banden. 8war wiflen 


272 


die Armanſchreiber über Millionen zu gebieten, aber bie Wirk 
tigkeit nimmt ſich wie eine Iromie gegen diefe ſardanapaliſchen 
Zuufionen aus. Iſt eb doch ſchon ſchwer genug zu fagen, was 
nothimendig, was überfläffg if. Hat doch bier ſchon des fühle 
Berftand Baum 8 ‚um mit laͤchelndem Bunde über die 
Nechwendigkeit, in feibenen Kleidern Kartoffeln in der Schale 
efien zu urüffen, zu entſcheiden.“ 

as Herzog fieht Eäcilie den Erbprinzen wieder und bie 
albe Neigung erwacht in Beiden; beide erblicken ineinander das 
Zoeat, deffen Yhantaie Hergen bedurfte. Gäcilie war, wie 
Died im verfehlten Ehen meift ber Fau ift, eine leidenſchaftliche 
Mutter geworden und dieſes Gefühl hielt das Gegengewicht 
der wieder erwachenden Reigung. Der Herzog beſucht fie, bit» 
ist um Verzeihung wegen fruͤherer Leidenichaftlichteit, bietet 
feine Freundſchaft an und befucht die Freundin nun täglic, 
deren Umgang ihm Erheiterung und Zroft in feinen vielfadgden 


Sorgen war. 
RBB liegt eine tief angelegte Sehnfucht in mir, fagt der 
Fürk, die bis jept nichts heilen konnte. Weil ih Fuͤrſt bin, 
ih meine Schmerzen tragen, aber find fie baram weniger 
itter Pflicgtetfüllung, bürgerliche, ja felbft im edelften @inne 
iche Pflichterfüllung ift lange nicht ausreichend genug, 
am mir ganz zu helfen. Auf Augenblicke lehrt fie vergeſſen.“ 
ind weiter fagt er: „Dan legt fo gern die ganze Laſt bes 
geiftigen Dranges in die Seele eines Andern, und thut aus 
der heraus, was man aus der eigenen umficher thun würde. 
Es iſt das eigentlich ber höchſte Gipfel des Gefühls das Ende 
in der Liebe und der Anfang in der Religion. So grenzen 
die beiden heiligen Gebiete dicht anemander. Das was Die 
Dichter ‘ihre Muſe nennen, geht nur auf die Form, und if 
lange nicht fo heilig ald Das was idy meine.” 

Diefes Berhaͤltniß konnte natürlich der falfchen Auslegung 
nicht entgehen: die Fürſtia, welche nie ihrem Gemahl etwas 
hatte fein Eönnen, meinte doch durch Gäcilien beraubt worden 
u fein, und bewirkte endlich die Abberufung des Gefandten. 
—* der Füͤrſt Eonnte feine Freundin nicht ziehen ſehen und 
ernannte ihren Gemahl zum Minifter. Run beginnt wieder 
sine neue Phafe von Ungluͤck. Der neue Minifter ift feiner 
Stelle und deren Mnfoberungen nicht gewachſen; nad den auf: 
teibenbften Kämpfen, vom Ehrgeiz geſpornt, von feiner geiſti⸗ 
gen Unzulaͤnglichkeit und durch die mangelnden Faͤhigkeiten und 
Kenniniffe gehemmt, unterliegt er der innern und äußern Auf⸗ 
regung ; er wird wahnfinnig und ſtirbt in Gäciliens Armen. 
Sie beweint in ihm ben Vater ihrer Kinder, ihren ans Zegt 
wer fie frei und liebte. Was follte fie thun ? Die Berant- 
wortlichkeit einer Witwe, die Pflichten einer auf ihre Redlich⸗ 
Beit gewiefenen Mutter, erfhienen mit furdhtbarer Schwere. 
Sie ertannte, daß eb etwas Höheres und Heiligered gibt ale 
ein freied Leben, als ein der Kiebe geweihtes Dafein. Sie 
reift ab und gurüd in die Heimat. Sie bewohnt wieder das 
Haus, in beften Nachbarſchaft der einft geliebte Baumeifter 
wohnt. Deften Sohn liebt Caͤciliens Tochter. „Wenn er fie 
um Weib begehrt”, fchließt Eäcilie, „ob ich wol den Muth 
atte, Rein zu fagen. Ob mir wol von dem Stolz ber 
&tandebsorurtheile nach allen diefen Kämpfen noch fo viel 
übrig geblieben wäre, noch jegt an eine bevorzugte Gefellfchaft 
zu glauben? Wir find uns Alle glei, gleich in unfern Hoff 
nungen auf Glad, glei in unfern Anfehauungen. Wenn 
diefe Blätter berviefen haben, daß die große Welt ärmer an 
wahrem Glück ift als die Meine, fo haben fie ihren Haupt: 
zweck erreicht.” 

Bir alle Tendenzromane ift auch der vorliegende kinfeitig, 
und man Pönnte wol ebenfo viel Bilder unbefriedigter Griften: 
zen und unharmoniſcher Ehen unter den Menſchen, weiche als 
einfachere Menſchen bezeichnet werben, finden ald unter den 
fogenannten bevorrechteten. Indeß ift e8 immer gut, der Menſch⸗ 
heit zu wiederholen, daß nicht Alles Bold iſt was glänzt, 
und Die aneinander gereibten Lebensbilder find meift fo ſchoͤn 
und von tiefen Reflerionen und von tief poetifchen Anſchauun⸗ 


en burchwoben, daß, wenn Ref. auch nicht die Wahrheit der 
pr möchte gelten laſſen, er J den einzelnen ſo an⸗ 
muthig dorgetragenen Wahrheiten volle Zuſtimmung geben muß. 


2. Prag unter König Wenzel IV. Hiſtoriſcher Roman von 
riedrih Wallmar. Drei Bände. Leipzig, Reclam jun. 
846. 8. 4 Thlr. 

Der erfte Theil diefes Romans beginne im I. 1389, der 
dritte 13 Jahre fpäter. Das ganze Werk umfaßt Wenzel's 

Regierung in Böhmen, Sigmund's Regentihaft während Kö— 


nig Wenzel's Befangenihaft und Wenzel's Rückkehr. Chatak⸗ 


teriſtiſche Bilder aus jener Zeit mit ihren tiefen mittelalter- 
ligen Schatten find aneinander gereiht. Sudenverfolgungen, 
NRaufereien, Gefegtofigkeiten und Böfewichte, noch jene echten 
Boͤſewichte aus den Pöhern Ständen, welche boͤs fein wollen 
und auch lange bo8 fein Fönnen, ehe die ſchreckliche Strafe fie 
erreicht. Die drei Bände enthalten wi einen doppelten Do» 
man. Sn ber erflen Hälfte flirbt die Heldin bes erften Mor 
mans; deren Couſine ift die des zweiten. Der Held des erften 
Romans ift der väaterliche Freund des zweiten Gelben, und die 
Grafen Scala, Bater und Sohn, fpielen in beiden Romanen 
das böfe Princip, indem fie die Verfolgungen der Unfchuld leis 
ten und zufegt dafür büßen; der eine wird enthauptet, der 
andere erhängt fich ſelbſt. Die Bruchſtücke ber Geſchichte und 
der Buftände jener Zeit werden dem Lefer durch zahlloſe Dia: 
loge fund gethan; in Dialogen entwideln fi) auch Die verſchie⸗ 
denen Charaktere; die Dialoge vergegenwärtigen und die Lie 
besverhältnifie, wodurch bei vielen Verdienſten Ber Roman et: 
was Schleppendes enthält, was nicht eines Seden Geſchmack iſt. 


3. Frauen» Rovellen von Luiſe v. G. Zwei Bände. Darm: 
ſtadt, Songhaus. 1845. 8. 3 Ehir: 20 Rear. 

Die anmuthigen Novellen machen der weiblichen Hand 
Ehre die fie ſchrieb. Wir begegneten fon einigen derfelben 
in verfchiedenen Iournalen und freuten uns, fie in guter Ger 
fellfHaft wieder zu finden. In die größern Rovellen find 
Meinere Erzählungen eingefchaltet, welche, obgleich fie nicht In 
den Baden der größern eingreifen, doch hübſche Epiſoden bil: 
den. Zwei Geiftergefchichten erregten befonders des Ref. Auf⸗ 
merkſamkeit, und wir Eönnen nicht angeben, ob fie erfunden 
ober nacherzaͤhlt find; auf jeden Fall find fie fehr gut erzaͤhlt. 
Die erfte handelt von einem jungen Mädchen, welche im kol⸗ 
ner Dom einen fpanifhen Schädel bewundert und im Scherz 
demfelben ihre Liebe zufichert;s in der Racht erfcheint ihr eine 
Geſtalt und erklaͤrt fie als Verlobte und nimmt einen Ring; 
auch fehlt ihr wirklich ein Ming, und Eurze Zeit darauf ftirbt 
das Maͤdchen am Rervenfieber, in ihren Phantafien beftändig 
mit dem Spanier verfchrend. Die Novelle, worin diefe Er: 
gehlun enthalten tft, ‚Der eaeif", bat manche fehr gute 

erwidelung, doch kann Ref. nicht umbin, die Heldin über: 
fpannt zu finden in ihrem Stolz, und bei diefem Stolz, bei 
ihrem klaren Berftande, ift es nicht natürlich, daß jie vom 
Egoiſten fo fehnell eingenommen fein Eonnte. "Wollte Sott, 
da wir immer Novellen in die Hand befämen, welche fo viel 
Gutes und fo wenig Schwächen aufzumelfen hätten als die 
vorliegenden! 46. 


— — — — — 


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Soeben erihien bei F. WE. Brockhaus in Leipzig und ik 
duch alle Buchhandlungen zu erhalten: 
Benevion von Tonlouse. - 
Hiſtoriſche Novelle 


von 


Reopold Shhefer. 
Gr. 12. Geh. 1 The. 15 Nor. 


Verantwortlicher Heraußgeder: Heiurich Brockkäaus. — Druck und Werlag von F. X. Brockhans in Leipjig. 


— — —— — — — — — — 


— — ·— — 


Blätter 


Sn 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Dienftag, 





Hans von Held. Ein preußifches Charakterbitd. 
Von K. A. Varnhagen von Enfe 
(Beſchluß aus Nr.) . 

Durch die Verhaftung und Wegführung Zerboni’e 
wurde Held im Innerften erfchüttert; fein Haß gegen 
den Verfolger Hoym loderte in wahren Grimm auf. 
In Schlefien und Sudpreußen war der Staatebetrug 
unter diefem Minijter foftematifch ausgebildet und ver- 
urfachte allgemeines Argernif. Unter folchen Umftänden 
machte ein Feftlied „Au den Gemeinſinn“, welches Held 
zur Geburtstagsfeier des Könige am 25. Sept. 1797 
in Pofen druden lieg, das größte Auffehen. Jubelnd 
wurden Strophen wie folgende aufgenommen: 

Allen Buben ihren Kohn, 
Die den Staat beträgen, 
Und aus Raubfuht um den Thron 
Sich wie Schlangen ſchmiegen. 
Später Rache heißer Tag, 
Draͤut aus fernen: Wettern 
&ie mit Einem großen Schlag 
In den Staub zu jchmettern. 

Diefe legten Zeilen wurden als eine Anfpielung auf 
den künftigen König Friedrich Wilhelm III. gedeutet, der 
als Kronprinz in fihweigendem Unwillen ben herrſchen⸗ 
den Bünftlingen als ein drohendes Schredbild erſchien. 
Hoym war außer ih über den Druck und die freudige 
Aufnahme dieſes Gedichte, und ber ihm ſchon längft 


‚verhaßte Autor follte ſchwer dafür büßen. Die Drud- 


erlaubnig war durch den PRegierungsprälidenten von 
Dandelmann in Pofen harmlos ertheilt, aber es wurde 
nachher behauptet, dies fei nicht gefhehen, und foldyen 
Vorwand ergreifend (wieder eine „Unregelmäfigteit”), 
fandte‘ Hoym eine Anflage gegen Held nad Berlin, 
daß derfelbe ein Gedicht von frechen und jebenfalls für 
die Beburtstagfeier des Königs unziemlihem Inhalt ges 
gen das Verbot der Genfur habe drucken laffen; er ge 


höre überhaupt zu den unruhigen Köpfen, die, von dem’ 
Freiheitsfſchwindel ergriffen, biefen überall zu verbreiten 


ſuchten, und es fei daher zwedmäßig, ihn aus Pofen, 
wo ei folches Argerni gegeben, umd überhaupt aus 
Südpreufen zu entfernen. Diefe Anklage gerieth, ba 
Friedrich Wilhelm 11. mittlerweile am 16. Nov. 1797 


„ geftorben war, in die Bände feines Nachfolgers, der in 


den erften Tagen feiner Regierung foldhe Sache unbe 


benflih nach den Angaben feines geheimen Eabinets- 
raths entſchied. Diefer war Menten, ein ehemals viel 
belobter, aber ſchwacher und furchtfamer Mann, früher 
mit Held befannt, fept aber perfönlich wider Ihn einge- 
nommen. Held war zur Zeit des Thronmwechfels auf 
Urlaub in Berlin, fpeifte gerade beim Minifter Struen- 
fee, als dieſer über Tiſch eine Cabinetsordre empfing, 
deren Inhalt er ihm noch an bemfelben Tage befannt 
machte. Der König hatte befohlen, * unverzüglich 
in eine Beine Stadt der Mark zu verjegen; bemgemäß 
ſchickte ihn der Minifter Struenfee, der übrigens viel 
Mohlmwollen für ihn hegte, nah Brandenburg, wo er 
mit Belaſſung feines zeitherigen Gehalte Mitglied der 
Provinzialzolldirection wurde. Im Gafthofe, wo Held 
diefes Schreiben empfing, verfaßte er fofort feine Ver⸗ 
antwortung und reichte fie am folgenden Morgen dem. 
Minifter ein. Er ſagt darin ohne Rückhalt und Scheu 
gerabe heraus, was bie Welt von Hoym offenkundig 
wußte und urtheilte. Er bewies, daß es eine Züge fei, 
wenn gefagt werde, fein Gedicht fei ohne Cenſur ge 
drudt, ſodann befannte er frei, daß er baffelbe abſicht⸗ 
lich gegen mande Perfonen zugefpiet, welche die Gut⸗ 
müthigfeit des vorigen Königs mißbraucht hätten und 
welche ber jegige König bereits begonnen habe unter das 
Sefeg zu ftellen und zu beftrafen, Er fagt: 

Manches darin gilt den VBerfrüpplern des gefunden Men» 
fhenverftandes und des an ſich guten Nationalcharakters, die 
fett zehn Jahren ihe Unmefen getrieben und die Monarchie 
auswärtig lächerlich gemacht haben; denn feit dem Religions: 
ediet fkiegen zahlloſe Heuchler Die Treppe ber Eonfiftorien, in- 
fonderheit aber der Kanzeln ale Sonntage hinauf, und befaß- 
len und predigten wunderliche, unfruchtbare, unbegreiflice 
Dinge, ftatt häusliche und bürgerliche Tugend zu lehren, die 
auf die beffere Praris des wirklichen Lebens eingreifen; doch 
ich befaffe mich mit diefer Menſchenſorte nicht weiter, ba ihr 
Reich jegt dahin ift. | 

Schlieglich hofft er, daß der König dieſe Berant- 
wortung leſen, bie abgedrungene Nothwehr aus dem 
rechten Geſichtspunkte faffen und die Stage: Ob. foldhe 
Minifter wie Hoym oder ſolche Dieter. wie Held mehr 
der bürgerlichen Ruhe ſchaden? nicht zu. bes Letztern Un⸗ 
glüd entſchieden werde. Diefe Eingabe, welche von Der. 
Vertheidigung fo lebhaft zum Angriffe überging, hatte nur 
zur Folge, daß Held mit wiederholten: Verweife ben Be- 
fcheid erhielt, es habe bei dem Werfügten fein Bewenden. 


N 


2 274 


gu Brandenburg angelangt, fand er fih anfangs 


in der Meinen Stadt fehr einfam. Der Ruf feiner 
Ungnade war ihm vorangegangen, man fcheute ben 
ftaatsgefährlihen Mann, einige Beamte und Offiziere 
wollten ihre gute Gefinnung dadurch bemeifen, daß fie 
ihm mit ——** Kälte begegneten. Mit freche Ueber⸗ 
muth wurde er einmal oͤffentlich von drei hoͤhern Mili⸗ 
tairperſonen beleidigt und ſah ſich dadurch veranlaßt, bei 
dem Könige Beſchwerde zu führen „über den Generallieute⸗ 
nant v. Rüchel wegen unbefugter und nedender An⸗ 
maßung, gegen den General v. Puttlammer wegen Bru⸗ 
telität und gegen den Major v. Boͤmcken wegen anbe- 
son Ungtzegenheiten“. In biefer Befchwerbefptift au⸗ 
ferte ſich Held freimüthig über die ſchmaͤhliche Roheit 
und Geringfchatzung, mit welcher fig damals die meiſten 
Dffigieve gegen die Civiliſten betrugen. Er ſchrieb: 
In ſolchen Ungerechtigkeiten follten Ew. Majeftät doch 
ein firenges Sinſehen haben, Brutale Soldaten ſchaden offen⸗ 
bar der Achtung und Liebe zum Regenten im Ganzen... Wir 
Giviliften find offenbar gegen folhe Militairs nicht geſchuͤtzt 
und im gefehlichen Gleichgewicht... Es ift hier nicht der Ort, 
diefe traurigen — näher zu erörtern, welche Ew. Ma: 
jefkät nur dann genau einlewchten würden, tenn Allerhoͤchſt⸗ 
eſelben vollkommen ſich herabdenken könnten in die Lage eines 
kieinen engbeſchraͤnkten Privatmannes, des nicht Soldat ift. 
Kur dann koͤnnten Allerhöchſtdieſelben ganz fühlen, daß auf 
Erden nichts unerträgliher und empörender ift als militairifche 
Infolenz gegen den ruhigen unbewafneten einheimifhen Bürger. 

Nicht beſonders erfreulich lautete der Beſcheid aus 
dem Cabinet; es wurde gerügt, daß Held nicht zuerſt 
an die naͤchſten Behörden, fondern gleich an ben König 
gegangen war. Ä | 

Zerboni hatte indeß die Acten feines Proceſſes bruden 
laſſen; hierfür follte er aufs neue zur Strafe gezogen 
werden. Held ergrimmte darüber und befchloß auf ber 
Stelle, das Verderben, welches dem Freunde drohte, auf 
die Häupter feiner Feinde zurücdzumdlzen. Gr nahm 
hier eine Saat ber Aufreizung in fein Gemüth, die 
rel und gewaltig emporſtieg und ihm perfönlich das 
größte Ungluͤck brachte Er mußte fih durch Uberre⸗ 
dung und Sthlauheit Abſchriften der Acten eines höchſt 
aͤrgerlichzn Moreſſes zu verfchaffen, in welchem Hoym 

d Goldbeck ſehr bloßgeſtellt waren, ſchrieb in Eile, 
begeiſtert von Unwillen und Zorn, heftige Erlaͤuterungen 
dazu und nahm die druckfertige Schrift, Das ſchwarze 
Buch“ mit nach Bertin. Hier begab er ſich zu dem 
Miniſter v. Struenfee, erbat fich geheimes Gehör und 
legte ihm die Schrift vor. Held fagt: 

Struenſee's Mienen waren anfänglich misbilligend und er 
ſchuͤttelte den Kopf, je länger ich aber ſprach und ihm Alles 
verbeutlichte, je mehr klaͤrte fich fein Geſicht auf, bis zu jenem 
ſatdoniſchen Lacheln, weiches diefe in der Megel ernfthafte Phy⸗ 
fognonie fo wohl Peitete und ſo großes Butrauen erwechte. 

GStruenſee behielt die Schrift einige Tage und afs 
er fe zutückgab, erklärte er bie Thatſachen fin ganz 
richtig, allen beiweitem noch nicht volftändigs ee wiffe 
ben Zufammenhang, ein Geheimniß, das der WVerfoffer 
nicht Habe wiſſen kännen. Gtreuenfee fuhr zu Held fort: 

Judeß it das Buch off genug, um dem König auf⸗ 
zufallen Sie wagen bamit vie. Entweder wird damit etwas 


recht Gutes oder etwas recht Schlimmes geſtiftet, und Sie 
koͤnnen ſich dadurch recht gudis oder noch unglüdlicher mas 
den als Sie ſchon find. rathen will ich Ihnen nicht, mich 
darein meliren fann und will ich aber auch nit. Die Zu⸗ 
gänge find zu fehr verriegelt. i 

Held empfand es fihnterzlich, daß‘ Struenſee ihm . 
eine eigennügige Abfiht auf Glück beizumeſſen ſchien, 
und lehnte Died entfchieden ab, worauf Sruenſee er» 
wiberte: 

Für Ihr Heil würde eine Portion Egoismus Ihnen fehr 
dienlich fein. 

Er: fügte noch hinzu: 

In unferm Staate ift Bein Reformiren A als das 
unmittelbar vom Koͤnige ausgeht, im Einzelnen iſt nirgend 
ein vernünftiger Anfang zu machen; jeder Geſchäftsmann 
bei und arbeitet nur dahin, Daß er ſich durch die 
Borm dede und nicht actenmäßig verantwortiid 
werde. - 

Und fo ſprach Struenſee noch. Vieles, was ben Zu- 
fand des Staats berraf, für Held aber, anftatt ihn ab- 
zuſchrecken, nur zu flärkerer Anreizung wurde, die Schrift 
drucken au laſſen. Der Buchhändler Frölih, dem er 
fein Geheimniß anvertraut hatte, übernahm den Drud; 
fie gaben ſich das Ehrenwort, daß feiner den, andern in 
diefee Sache je nennen molle. Held fegte auf feine 
Schrift den Titel: „Die wahren Jakobiner im preufi- 
fhen Staate, oder actenmäßige Darftellung der böfen 
Ränke und bettügerifchen Dienftführung zweier preufi- 
hen Staatsminifter.” Nach feiner Ausftattung — nicht 
nur ber Umfchlag, auch der Schnitt war ſchwarz — er- 
hielt das Werk den Namen bes Schwarzen Buchs. Drei 
Eremplare ließ Helb in den erfien Tagen des Februar 
1801 von Nauen zur Poſt nah Berlin abgehen, An 
den König, an ben Oberſten v. Ködkig und an ben 
Minifter Graf v. d. Schulenburg. Durch das Zufam- 
mentreffen mehrer Umftänbe wurde bie Sache entdeckt 
und fefort Held's Verhaftung befchloffen. Er war ge- 
rade in Berlin als dies gefchad. Held wurbe auf die 
Hausvogtei vor den Geheimen Juſtizrath Warſing citirt. 
Frölich Hatte Alles geftanden, es blieb für Held nichte 
weiter übrig als feine Autorfchaft einzuräumen. War: 
fing ließ ihn noch in berfelben Nacht in ein dunkles 
fhmuziges Gefängnis Bringen. Held erzählt: _ 

Kaum war ich drinnen, fo brachte man eine Bettftell und 
eine elende Matratze, zuͤndete ein Dreierichk an, ſchlug die 
Thuͤr gu, legte die waffeinden Miegel und Sqhibſſer auswendig 
wieder vor und fo ward iin aller Geſchwindigkeit ein Staat 
gefangener. Meine Blide überflogen nun den kleinen Raum 
in bem ich mich befand, Auf einmal flieg aus dem Bette lin- 
ter Hand eine lange, hagere, blaſſe nöflaur mit einer 
überaus großen Rafe, trüben verlöfthten Augen, eine ſchmuzige 
Rahtmüte auf Dem Kopf und in ein überall locherichtes Racht 
kamiſol gekleidet, empor. Wir begrüßten und, und meine erfle 
Frage war: Warum figen Sie hier? was haben Sie gethan®. 

ntwort: SH babe an das Kammergericht gellprieben, daß 
deſſen Mitglieder Spi „Moͤrder und Schinder wären, 
und babe mit dem Juſtitiarius in der Stade Strasburg einen 
Proceh wegen eine® Mädchens gehabt, weiches mich als Water . 

zu einem Kinde angab, befien eigentliher Water der Zufkitia« 
rius wol felbft fin möchte; ich bin veformirter Prediger in 
gewefen, fite ſchon zum dritten Mal, und dies 


—— 
legte Mal bereitb in den achten Monat. 


v 


EEE 


Beinahe eine Woche dauerte es, ehe die VBerhöre 
begannen; wir fühlen uns gedrangen bier noch eine 
Stelle aufzunehmen, in welcher Barnhagen fi über 
das Loos der Staatsgefangenen ausfpricht: 


frei üpiele im Profeflors Zordan, 
Des Rectors Weidig, die bitteren Klagen, bie wmaufbörlich aus 
Frankreich herüberſchallen, find aller Welt bekannt; einzig Eng: 
land macht in dieſem Bezug eine nie gemug zu preiſende Aus» 
nahme. Wir fehen, wie für den Unglüͤcklichen, der unter jene 
Benennung fällt, mehr noch al6 die Strenge des Geſetzes, die 
Leidenfchaften der Macht zu fürchten find, wie Unparteilichkeit 
und Milde dem unterthänigen Eifer, des fühllofen Härte wei⸗ 
den, wie die Unterſuchung foft immer in Haß und Feindfchaft, 
in ſchadenfrohen Hohn ausarte. Wir wiflen, durch weiche 
unnöthige Berfagungen, peinliche Förmlichkeiten und endlofe 
Hingögerungen die Kerferhaft zur verzweifiunzsvollen Marter 
wird, wie jede Kleimigkeit zur Erleichterung des Lebens, zur 
Erquickung des Geiſtes oder gar zum Bedarf ber Vertheidi⸗ 
ung, meift demüthig erbettelt, langmierig erwartet und allen: 
mit Geld aufgerwogen werden muß; nicht au gedenken ber 
taufendfahen Qualereien, welche bald durch Einfamkeit und 
Stille, bald durch unmwürdige Genoſſenſchaft, dur Unbill und 
Züde der Unterbeamten, durch verrätberifche Aushorcher, dur 
alle die fchnöden Hüffsmittel, die man zu dem fogenannten 
Mürbemachen gebraucht, auf den politifchen Gefangenen ſich 
haͤufen, der vielleicht das reinfte Bewußtſein trägt, noch nicht 
verurtheitt it, vielleicht am Ende wirklich freigefprochen wird, 
einftweilen aber ſchlimmer als der gemeinfte Verbrecher gehal- 
ten wird, aufgegeben von den erſchteckten Freunden, abgeſchnit⸗ 
ten von ber öffentlihen Stimme, deren ſcheues Anfragen in 
damkler Unkunde auch bald verhallt. 

In Held's Proceß war die Beleidigung der beiden 
Staatsminiſter offenbar; die Verletzung der Ehrfurcht 
für den König wurde nachdrücklich hervorgehoben, fo 
konnte es mit fehlen, das Held unterlag; bie Erimi- 
naldeputation des Kammergerichts erkannte für Recht, 
daß er mit Amtsentfegung und achtzehnmonatlicher 
Seftungshaft zu beftcafen ſei. Das Urtel zweiter In⸗ 
fianz beflätigte das ber erfien und Heid wurde nach 
Kelberg geſchafft. Vorher Harte er noch Aubien; bei 
Schulendburg und Struenſee; was ihm Beide fagten, 
iſt nicht blos für die damalige Zeit bezeichnend. 

Wie Sonnten Sie — rief Schulenburg — doch fo etwas 
unternehmen und aussufühsen hoffen, was ich nicht fun. 
Dos hängt Alles an perfonlidien Verhaͤltnifſen, wodon Sie 
nichts willen. 

Stewenfee zeigte fich Herzlich und gerührt, gebachte 
feines in Dänemark enfhanpteten Bruders und vergoß 
Thränen. Hiernach ſprach er ausführlich über den Zu- 
fland der Welt, über die Stellung der Gebieter, welche 
überall, freilich aus eigener Schuld, weit weniger mäch- 
tig fein ald man im gemöhnlichen Leben dafür Halte; 
fie ſcheuten fih, die Verbrechen Derer, welchen fie ihre 
Macht und ihr Anfehen geliehen, aufzudelen und zu 
ſtrafen, weil fie baburdy- die —5 — vor aller Obrig⸗ 
keit zu ſchwaͤchen fürchteten, — wiewol das Gegentheil dies 
noch ſchneller zu bewirken pflege. Held berichtet weiter: 

demon e ed mir an den Fingern, warum die Obrig⸗ 
keit, in der Aufrechthaltung ihrer Stellung obenan in der &o: 


eietät, fi erleichtert finde, werm fie Don den beagaften Einst 
hen der dad Weſen ber Gefege verhöhnenden Boͤſewichter, fo 
lange fie die Formen gefhidt beobadhten, keine Ro: 
tiz nimmt, und bie rechtichaffenfte That des tugendhafteften 
nned, Die gegen die Formen anftößt, als ein Verbrechen 
ahndet. Er fagte unter vier Augen geräbehin, daß, fo weit er 
fehe, die Welt nur von einem minimum sepientiae und ve 
perſoͤnlichen Rückſichten, keineswegs aber nach reinen, tonfe- 
quenten Grundbfägen regiert werde; daß die Macht Alles, die 
Bernunft wenig oder nicht feiz endlich daß die Menfchen ins⸗ 
efjammt, ohne Ausnahme, mit ihren Zugenden und Laftern, 
ten Sympathien und Untipathien, mehr noch unter der Herr: 
[haft des Geldes als felbfk des Hungers und der Wolluft ſtänden. 
In der That eine große Offenheit von Geiten eines 
preußifchen Staatsminiſters gegen einen in Ungmabe ge« 
fallenen Sträfling, der eben zur Keftung wandern fell! 
Nach Ablauf feiner Strafzeit wurde Held zwar frei 
gelaffen, hatte aber mancherlei Drangfale, die fich wäh. 
rend ber frangöfifchen Deccupation fleigerten, zu beftehen, 
ehe er zu einiger Ruhe und Zufriedenheit gelangte. 
Sein Gönner Struenfee war geflorben und erſt nad 
langer Zeit wurde dem viel geprüften Manne wieder 
eine gute Anftellung zu Theil. Durch Hardenberg er 
hielt Held die Salzfactorei in Berlin. Bon diefer Zeit 
an enffagte er den politifchen Kämpfen. Zwar hatte 
Hardenberg, der aufmerffam auf gewandte Schriftfteller 
war, Held auffodern laſſen, feine Feder den neuem 
Staatseinrichtungen zu widmen; diefer antwortete jedoch: 
Gern würde ich Ew. Ercellenz meine Feder anbieten, wenn 
ich hoffen dürfte, Ihnen damit nüglich zu fein. Allem, waB 
im gemeinen Sinne Vergnügen heißt, längft abgeftorben, und 
auf ben Umgang nur weniger und achtbarer Freunde befchrändt, 
hätte ich im Winter Zeit genug dazu. Ach! aber meine trau⸗ 
tigen Erfahrungen Haben mich mistrauifch gemacht, meine ermab⸗ 
tete Seele iſt zu teäge geworden für alles Detail; Leine Genſur 
von Liſſabon bis Kiga und Wien duldet die Berührung Deſſen, 
worauf es eigentlich ankommt, bie einheimifchen Regierungen 
geftatten ebene wenig wie die franzöfifche eine freie Sprache, 
nur fehaled Sefhwäg wird erlaubt, ganz Guropa liegt wartend 
in einem politifchen und Zdeen-Interim. Ich wünſche mir weis 
ter nichts. als Ruhe und, hinter meine Salztonnen verſchanzt, 
bie Begebenheiten der Weltereinifie im Waterlande gleich den 
Bildern der Laterna magica anſchauen zu Binnen. ' 
Gleichwol verfant Held nicht in ſtumpfe Gleichgül ⸗ 
tigkeit gegen bie Außenwelt; den großen Treigniffen, be⸗ 


ſonders denen, in melden das Menfchliche gefördert er⸗ 


fhien, widmete er fortwährend eine lebhafte Aufmerf- 
ſamkeit. Doch traten auch nah und fern genug Bege⸗ 
benbeiten ein, die feinen Sinn ummölften, weil fie im 
feinen Augen Rüdichritte waren und wieder verloren 
gaben, was fire immer gewonnen ſchien. Ihm, der mit 
inmiger Andacht die Reformationdfefte feiern half, wa⸗ 
ren andere religiöfe Ereiferungen, in denen er nur Ver- 
dbunfelung oder gar Heuchelei erblidte, zum tiefften Ab⸗ 
hen. Den neuen Bahnen, welche bie Philofophie brach, 
weiche die Poeſie und bie ganze Literatur nahm, konnte 
ee fich nicht befreunden; das Licht der Vernunft, welches 
fire Alle lenchten follte, dünkte ihm in fpigfindiger Schul- 
weisbeit zum Gigenthume weniger Auserlefeuen gemacht, 
und bas Ziel der Sittlichleit in romantiſchem Wuſt ven 
beit. Die feömmelnde Kımfltiebhaberei muthete ihn 
ats eine Schwaͤchlichkrit an, die zur Entnervung führen 


müſſe. Nun, biefe Periode iſt zum großen Theil über- 
wunden, und hatte Held fo ganz unreht? 

. Noch erlebte er im I. 1840 den Thronwechfel; bald 
darauf wurde er von hartem Misgefhid heimgeſucht und 
machte feinem Leben durch Selbſtmord ein Ende, wie 
der Berf. in folgender Weife erzähle: 

Held ftand bereitd im adtundfiebzigften Jahre und diente 
dem Staate im breiundfunfzigften, als noch zulegt den nur 
Frieden fucgenden und der Ruhe bedürftigen Greis unvermus 
het und von mehren Seiten zugleich bitteres Unglüd fe 
und an der Schwelle des Todes noch zu harten Lebenslämpfen 
aufrief. Dur Diebſtahl hatte die Salzkaſſe, welche er ver: 
waltete, einen beträchtlichen Verluſt erlitten; wenn ihm auch 
hierbei perfönlid nichts vorzuwerfen war als höchfiens eine 
zu große Arglofigkeit, fo war ihm dod auferlegt, den Schaden 

u erjegen. Hierzu fehlten die Mittel, fehlte alle Ausſicht fie 
berbesufgafer Er fah neue grenzenlofe Berrütfungen vor 

ugen; nad) fo vielen ausgeftandenen Leiden, in dieſen Jahren, 
mußte eine ſolche Wiederholung deffelben Unglücks ihm eine 
unerträgliche Schmach dünfen. Dazu Fam, daß ihm wegen Des 
Baued des neuen Mufeums plöglic fein kleiner Garten genom- 
men wurde, das Lepte, was ihm und feiner feit langer Zeit 
erkrankten Frau nody ven Xebensreiz geblieben war, und aud) 
die Dienftwohnung felbft mußte geräumt werben. Seine Aus 

en nahmen ab, feine bisher gute Gefundheit fing an zu wan« 
dem, bald mußte er dienftunfähig werden und in diefer Ausficht 
mit Sorgen und Mühen ringen, die au Den muthigften Strei« 
ter erfchredten Eonnten. Er wollte es nicht, er beſchloß bie 
Welt zu verlaflen. Seine beiden Söhne waren verforgt, feine 
Frau wurde es durch feinen Tod, der überdies In der Groß. 
muth bed Königs die Zilgung feiner Schuld bewirken follte. 
Er befchloß zu ſterben. Stil und überlegt waren feine legten 
Zage und Handlungen; fehwebte feinen Angehörigen auch fchon 
lange die Möglichkeit eines Außerften Entſchluſſes als ein furcht: 
bares Geſpenſt vor, fo war doch am Vorabend der That in 
feinem nur etwas mildern Weſen Eein beforgliched Anzeichen 
u entdeden. Mit rubigem Blute, feftem Willen und klarem 

lt in die Zukunft traf er feine Unordnungen, ſchrieb mehre 
Briefe und legte fi dann zum Echlafe nieder. Fruüh Morgens 
um 7 Uhr ging er hinaus zum Invalidenhaufe, wo deſſen Com: 
mandant, fein Bruder, wohnte. Bier unter ben Fenſtern def: 
felben , in einem grünen Bufche, fiel ein Schuß. Die Herbei⸗ 
eifenden fanden feinen ſchon entfeelten Körper. Daheim auf 
feinem Zifche lagen wohlgeordnet und fchwarzgefiegelt cine An⸗ 
zahl von Abfchiedsbriefen,, einer Darunter an den König, dem 
er in fo edein ald rührenden Worten feine Bitte vortrug und 
feine Söhne empfahl. Die Großmuth des Königs, nicht ver: 
geblich angerufen, erfüllte die Bitte des edeln Zodten. 13 





Literarifche Notizen aus England. 
Ein englifhes Urtheil uber die Gräfin Hahn: 
ahn 


„Es iſt ſchwer“, äußert ſich das „Quarterly review” 
über die Gräfin Hahn⸗Hahn, „ein uns ſelbſt genügendes Ur: 
theil über eine ſolche Schriftftelerin zu fällen. Die Vorzüge 
und Mängel ihrer Schriften find fo eng miteinander verwoben, 
daß man kaum barüber ſprechen kann, ohne ungerecht gegen 
die einen und viel zu nachſichtig genen die andern zu fein. 
Die gnäbige Frau ift eine Art von Puͤckler Muskau, nur wit 
dem -Unterfchied, daß diefelbe Art von Geift beffer einer Frau 
anfteht, Ddiefelben Irrthümer bei ihr unausftehlicher find, und 
daß fie beide. in weit höherm Grade befist. Auch möchten 
wir vermeinen, daß der Gräfin Hahn: Hahn Laufbahn als No⸗ 
veilenverfafferin eine geeignete Vorbereitung zu ihrer neuen 
Laufbahn als Touriſtin gewefen. Ihre geiftreichen und piquan- 
ten Gedanken, der leichte und malerifhe Fluß ihrer Rede blei- 


Verantwortlicher Heraubgeber: Heinrich Wroldans. — Drud und Verlag von F. EM. Brockhaus in Leipzig. 


ben au bier are Borzüges aber ihrer Lebhaften Phanta⸗ 
fie ift weniger Spielraum geftattet, ihr ſtets im Buche ſich 
widerfpiegelndes Ich muß mehr vor der Weiblichkeit zuruͤck 
treten. Was beim Rovelliften ein Hauptvorzug ift, die fub: 
jective Ratur feines Stoffs, das Innerlich⸗Durchgelebte Deffen 
was er erzählt, dad wird ber größte Fehler beim Touriſten. 
Run find aber die Erfahrungen und Stimmungen des Dergeng, 
das Gemüthsleben, die Stoffe, welche Bräfin Ida am kunft⸗ 
fertigften zu verarbeiten weiß, und wenn fie junge, hübſche, 
geiftreiche und unabhängige Heldinnen ſchafft, welche diefe Em⸗ 
pfindungen ausſprechen, und romantiſche Stellungen und Ver⸗ 
haͤltniſſe, welche geeignet find, ſolche Charaktere zu erzeugen, 
fo find fie gewiß an ihrem Platze, obgleich wir fie ſelten billi⸗ 
gen koͤnnen. Ganz anders aber wird die Sache, ivenn ber 
Schleier des erfundenen Namens fällt. Denn wenn uns eine 
Dame einladet, jie felbft auf Reifen durch Länder zu begleiten, 
die einen reihen Schag von intereffanten und neuen @indrüden 
darbieten, dabei aber bei jedem Schritt ſtillſteht, um nicht 
allein ihre eigenen Gedanken in Gefühle darzulegen, ſon⸗ 
dern auch alle jene Gewohnheiten, Gigenbeiten, Sympa⸗ 
thien und Untipathien, welche felbft fie, follte man meinen, 
in ſolchen Uugenbliden vergeffen folte, fo fühlen wir uns an 
eine Gefellfchafterin gefefielt, die zu Haufe langweilig fein 
muß, in der Fremde aber jedenfalld unerträglid wird. Wen: 
den wir und jedoch zu den glänzenden Worzügen, die ſeilbſt 
einen fo wiberwärtigen Fehler in anderer und ernflerer Urt 
nicht verdunleln können, fo müffen wir eingeftehen, daß die 
Gräfin einige von den dem Zouriften erfoderlihen Gaben in 
einem ungewöhnlichen Grade befigt. In feinempfindender Beob⸗ 
achtungsgabe, Beweglichkeit und Reichthum des Geiſtes, in 
leichtem und gewandtem Ausbrucd fteht fie einzig da unter al- 
len Schriftftellerinnen die wir Pennen, geſchweige denn unter 
ihren Landsmänninnen. Wo fich Daher ihre Weder mit Gegen⸗ 
ftänden befchäftigt, wo der fentimentale Egoismus bed deut: 
[hen Weibes nicht ind Spiel kommt oder das Schicklichkeits⸗ 
gefühl des englifchen Leferd nicht verlegt wird, folgen wir ihr 
mit der Bewunderung, die feltenen Zalenten gebührt.” 


Das „Edinburgh review” über Prescott's 
„Geſchichte der Eroberung von Merico”. 

Über Prescott's Werk, von dem im Original jegt bereits bie 
Apeite Auflage erichienen und auch in einer trefflihen deutſchen 
berfeßung vorhanden ift, find die englifhen Kritiker einftimmis 
gen Lobes voll. Daß „Edinburgh review’ jagt darüber: „Press 
cott fcheint uns faft jede nöthige Eigenfchaft zum Gefchichtfhreiber 
eines ſolchen Begenftandes zu befigen. Ein reiner, einfacher und 
beredter Stil, ein Iebhaftes Gefühl für das Materifche, eine ſchnelle 
und fharfe Einficht in die Charaktere der Handelnden, und eine 
ruhige, edle und aufgeblärte Philanthropie find Die Hauptzuͤge des 
Werks. Ohne Übertreibung läßt fich behaupten, daß feine „Hi- 
story of the conqueat of Mexico’ — wenn man die geringe Wich⸗ 
tigkeit und den mindern Umfang feines Borwurfs mit in gehörige 
Betrachtung zieht — die meiften der werthvollen Eigenfchaften 








"befigt, welche die populairften englifchen Geſchichtſchreiber der 


Jetztzeit audzeichnen. Sie vereinigt den ritterlichen und gebdie: 
genen Enthuſiasmus des Oberften Rapier, und die Lebendigkeit 
des Verf. der „Chronicle of the conquest of Granada” mit dem 
geduldigen Korfchungstrieb und der reihen Wiſſenſchaft Tytler's. 
Woliten wir Auszüge geben, fo wäre es und leicht, jablreiche Sei⸗ 
ten zu füllen mit Landſchaftsſchilderungen die Scott's würdig mä- 
ren, mit Schlachtfceenen die mit denen Napier's wetteifern, 
mit Schilderungen von tragifhen Greigniffen Feine weniger 
pathetifch als fie Thucydides gefchildert. er trotz des Glanzes 
der Details vergißt man die Schönheit des Coloxrits faſt über 
die Großartigkeit der Contouren, und der Hauptvorzug des 
Werks iſt eben, Daß es uns durch den ganzen Keichthum aben⸗ 
teuerliher Epifoden und Rebenvorfälle die ganze Berwegen: 
beit des Unternehmens in foharfen und großen Umriſſen er: 
blicken Laßt.” ' 6, 


— 


Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Mittwod, — Nr.70 — 


——— —— — — — nn 





Leiltungen auf dem Gebiete der modernen Epik. 


Die Iepten Jahre haben uns wenig WUuögezeichnetes in 
epifcher Dinficht gebracht, wie fih Solches aus den Über: 
fihten, die wir alljährlich in d. BI. dem Lefern geben, klaͤrlich 
erweift. Es fehlt nicht blo8 an materiell reichen Producten die⸗ 
er Gattung, an jenen Oeuvres à longue haleine, denen in 

übern Beiten hocherglühende Geifter Athmen und Leben weih⸗ 
ten, fondern der poetifche Beitgeift fcheint ſich auch ausſchließ⸗ 
lich dem Subjectiv»Eyrifhen zugumenden und dem in der Ge: 
fellichaft und im Staate wirklich Borhandenen, und fomit 
die idealen Geftaltungen der Momantit nad und nad zu 
antiquiren. Überdies zeichnet das junge epiſche Europa nicht 
mehr mit fo kraͤftiger Hand wie ehedem. Mo finden 
wir in unfern, Tagen fo markige Heldengeflalten wie Odyſ⸗ 
feus, Achill, Aneas, Gottfried, Orlando, oder Yerrau und 
Nodomont? Wer wagt ed denn jest noch, die Unfterblidhen mit 
maͤchtigem Arm auf die Erde zu ziehen und fie in unfere 
häuslichen, jorialen und religiöfen Verhältniffe und Angelegen: 
heiten zu verflechten? Unfere Epiker ftellen uns nur ländliche 
oder gar kleinſtaͤdtiſche Situationen und Charaktere vor das 
Auge; fie fteigen eine Stufe abwärts in das Gebiet ber Idylle, 
und größtentheils ftammt die Invention von einem flubenfigen- 
den Belehrten von fentimental : larmoyanter Stimmung ber. 
Die Helden find daher zarte Geftalten mit einer Siegwart⸗ 


Phyfiognomie oder ätherifche Frauengebilde, die an Sean Pauls | 


Liane im „Zitan’’ gemahnen. Diefe legte Behauptung bewahr: 


heiter ſich gleich in dem erften der bier anzuzeigenden epijchen | 


Erzeugnifle, betitelt: 
1. Hesperus. Gedicht in drei Gefängen von Theodor 
Stamm. Bien, Gero. 1844. Gr. 8. 15 Rgr. 


Zunaͤchſt drängt fi uns beim Leſen des Buchs die Be 
merfung auf, Daß bei den füdoftdeutfchen Epikern das Iyrifche 


Moment faft immer überwiegend ift und vorberrfcht. Die Ge⸗ 


genwart mit ihren Neigungen zu finnlihem Genuß und ihren 
materiellen Intereffen fcheint die Dichter an der Donau wieder 
ſtark zu berühren und fie in ihre Wirbel dahinzuziehen, wie 
wir died bei den Rorddeutfchen wahrnehmen. In dem uns 
vorliegenden Gedicht ift von Handlung und Wechſel der Bege: 
benheiten blutwenig die Rede; deſto häufiger ftoßen wir auf 
Schilderungen pfychifcher Zuftände, auf Naturmalerei und Blide 
in daß Reich höherer Geiſter oder fchönerer Welten, und das 
Ganze ift überall fo ätherifch und nebelhaft gehalten, daB man 
ade Kraft der Seele aufbieten muß, um bie oft formlos zer 
fließenden Geftalten nicht aus den Augen zu verlieren. Der 
Held ſelbſt ift nicht einmal mehr ein Wefen von Fleiſch und 
Bein, ein Bewohner unferd Planeten. Er hat das Erden- 
Heid ausgezogen und ift Bervohner eines fehönen Sterns (des 
Hebperus) geworben. Halb verkehrt er mit feligen Geiftern, 
halb ift er mit unfterblider Liebe der Hier zuruͤckgebliebenen 
Geliebten zugemwendet, für die er freiwillig geftorben ift, indem 


- 


11. März 1846. 


er ihr das Ratterngift aus der Wunde gefogen. Dies ift aber 
auch das einzige Factum im ganzen Buche, und um baffelbe 
dreht fih Alled; denn eine Art von Epifode, in welcher ein 
neugriechifcher Held auftritt, bei deſſen Schilderung wir an 
Byron's Manier erinnert werden, ift zu tinbedeutend und 
diungarm, als baß fie gerechnet werben konnte, obwol 7 
ie Kataſtrophe vorbereitet. Maria, dies ift der Rame der zu⸗ 
rüdgebliebenen, zwölf Monate lang fehnfüchtig nad dem Hes⸗ 
perus blidenden Geliebten, foll — wir wiflen nicht warum 
— dem Griechen Heliodor ihre Hand reichen; abet in dem Au⸗ 
genblick vor der Eopulation, wo die erften Strahlen des Hes⸗ 
perus fihtbar werben, entwindet ſich ihr Geiſt der Körperhülle 
und fie vettet fich in Die Arme des ihrer auf dem feligen 
Sterne harrenden Guide. Wir theilen den L2efern. die leute 
Scene mit, nicht blos um fie mit Geift und Sprache des Ger 
dichte, fondern auch mit defien Form bekannt zu machen: 
Maria ift allein — allein 
Zum legtenmal im Purpurfchein 
Des Abends, deſſen hold Erblaffen 
Ste arm an Freuden nie gelaffen; » 
Und wird fie heut’, in berbiter Pein, ” 
Verlaffen, ohne Rettung fein? 
Sie ſtehet träumend, ohne Schmerz, 
Denn kraftlos ift ihr Herz, 
Verblutend an dem Thärfiten Pfeil, 
Su fühlen Pein, zu hoffen Hell; 
Und wenn im Auge Thraͤnen blinken, 
Sind's Thraͤnen, welche nimmer finten, 
Ein Reif, vom Herbſtfroft hergeweht, 
Der mit der Blume nur vergeht. 
Sie blidt zum Himmel auf — „ed ruht 
Noch undurchfurcht die blaue Flut 
Bon ihren taufend Silbernaden. .. . 
Einſt — mar ed nicht? — als müßt! ih wachen 
Ob eined Schiffleins fliler Fahrt? 
Und unausſprechlich ſelig ward 
Mein Herz, wenn feiner Wimpel Saum 
Mir kuͤndete den ſchoͤrſten Traum? 
Und hatte ih in jener Beit 
Nicht ein Gebet für ihn bereit? ... - 
a&tern meiner Liebe, filberned Boot» — 
Es ſteigt! — Mein Stern! Algüt’ger Gott! 
O nicht verftoßen haft du mic! 
Di ſeh' ih wieder! Guido dich! 
Di Engel meiner flillen Stunden! 
Du haft mein heiß Gebet empfunden, 
Und tommft, bevor ber Leidenskranz 
Die Stirne fengt, mit Himmelsglanz 
Mich zu entkuͤſſen dieſem Sein, 
Das Gott gehd:t und bir allein. 
Allliebenber! verbien’ ich nicht 
Den Segen, den mein Fleh'n begebet, 


Hält deine Liebe doch Dericht 

Und gibt den Thraͤnen Tutzendwerth. 
ch fehe Guido! laͤchelnd, winkend 
In deiner felgen Blume dich! 

Mir if, als Iöften Flügel blintend 
Aus meinen Isihten Schultern Wh, 
Be bir wi) hech empor zu heben, 
Stun meiner heißen Zerttichteit. 
Den Gottes Guͤte und gegeben 
Bum Wohnort ew’ger Seligkeit! 


Etwas mögen biefe Burgen Iamben bazu bei 
dichts ganze Idee noch mehr zu erfchlaffen ; 
auch fein, mögen auch manche Wunderlichkeiten in Reim und 
Bortbildung gefliffentlih als originell und geiftreich hinge⸗ 
edit fein da Talent, eine freie iſt dem Barf. 
doch nicht abzuſprechen. Wer ſich davon überzeugen will, ber 
Lfe die Gchiderung der Seelenftimmung Maria's (S. 50). 


2, Des Sängers Grab. in modernes Epos von R. Eich: 
% r. — Brockhaus. 1844. Gr. 8. 1 Ihlr. 


Allerdings gebührt dieſem Epos das ihm vom Verf. bei⸗ 
gegebene Ep n modern; denn aus modernen Beitanft 
tom und Beitwerhältniffen ift es Hervorgegangen, und des Di 
1036 Seeie gleicht einem Spiegel, aus welchem die Unbülben 
und Wirren der. Gegenwart Par hervortreten; biefe —* 
Biber find Hier und da fo ſcharf ausgeprägt, daß die Cenſur⸗ 
behdrde (wie das aus zwei Läden , 

nden hat, die feharfiten Eden abzuftoßen ımb bie greift 

ben zu verwifchen. Doch ift des Dichters Stimmung nicht 
die jegt vorwaltend berrfchende, harte, vaube, von langverhab 
tenem Grolie erzeugte, fondern weich und elegif, bin und wie 
der übergehend in die oben evwähnte larmoyante Gentimenta: 
tät. Der bier dargeftellte Weltfchmerz tritt in dem Helden 
nicht auf mit den ffen des Sarcadmus, oder mit unver: 


⸗2 


en, des Ge 
er mag dies 


fühnbarem Timoniſchen Haſſe, oder mit dem dämonifchen Hohn | 


eines Shelley und Byron, oder gar mit den fanatifirenden 
Phraſen eine Jakobiners, fondern mit der Wehmuth eines 
Menfchen, der das Gute will, der aber bei Ausführung feiner 

lane taufend Hinderniffe findet und nun, erfüllt mit dem 

efüht des Mitleids mit der blinden Weit, mit dem flillen 
Weh des Berkanntfeins, mit dem Schmerz vereitelter Wuͤnſche 
und Hoffnungen auf all und jedes Glück bieffeit des Grabes mit 
gebrochenem Herzen verzichtet. Er würde dem nSacopo Drtis” 
des Ugo Foscolo gleihen, wenn ed dem Berf. gefallen hätte, 
ihn Hand an fi —* legen zu laſſen; das thut er aber nicht, 
ſondern laͤßt die Hand der Natur dies Werk an ihm vollzie⸗ 

en. Vom Namen dieſes Helden, ſeiner Herkunft und ſeinen 

erbindungen mit dem bürgerlichen Leben erfahren wir gar 
nichts und auch in diefer Hinfiht hat das Merk einige Ahn⸗ 
Hpkeit mit dem. vorher beſprochenen „Hesperus“. Allenfalls 
erblidden wir einige Züge feines Wildes in einigen Stanzen 
(8. 42— 43). Da tritt er auf als 

Ein Dann, und zwar ein ebler beutfcher Mann! 
- Wie er gewandelt, bat er auch gebichtet, 
Wie biefer. Sang ed eu verkänden Bann. 


Mit reinfler Lich’ und hohem Gottvertrauen 
Nahm er die Welt in feinen Buſen auf. 
Man fah ihn ruhig in das Keben fihauen, 
Denn eine fhönere Zukunft ging ihm auf. 


Dem Menſchenwohl, dem theuern Vaterlande 
Gelobt' ex, feine Thaͤtigkeit zu weih'n. 
Und nicht zu ruh'n, bis er am Graͤbesrande 
Von dem Geluͤbde würd’ entbunden fein. 


Und manche hohe, herrliiche Gebanken 
Erſtanden ſchaell in feinem Geiſte auf, 
Gr bielt fie pflegend feſt und olme Wanken 
Berfolgt’ er ſeinen ſelbſtgewaͤhlten Lauf. 


Den Mann foldder geiftigen und fittlidden Ratur finden wir 
eich im Beginn des Gedicht am Geſtade der ſchaͤumenden 
rin liegen, tiefen Schmerz auf Aug' und Gtim, und Rla- 

gen auf den bleichen Lippen über bie verlorene @elichte. Dem 

ın einen kurzen, unruhigen Schlummer Gefunfenen zeigt ein 

Traum feine verflärte Laura, dis ihre Lippen auf feine Ai 

drüdt und ſcheidend ihm zuruft: a 

Bis hierher folgt ich dir im flillen Reben’ 
Und ſchritt, von dir geleitet, Himmel an; 
Doch länger iſt es und nicht mehr gegeben, 
Bereint zu wandeln auf der Einen Bahn. 
Sept fcheiden unf’re Wege; hier der meine 
Erhebt fih aufwärts und führt bin zum Licht! 
Bum vollen Leben leitet dich ber beine, 
Und Wirken, Schaffen ift nun beine Pflicht! 


D’rum lebe wohl! Mag Gott dir Frieden geben! 
Bleib! deiner Hohen Liebe treu und bir! 
Ich werde did als Genius umſchweben; 

Dody ar’ auf ihn! — Eeb’ wohl! — Einft folgft du wir. 


Wie er erwacht, erblidt er ſtaunend die Laurs, die cben au 
ihm geredet und ihn ermuntert hats aber es ift eine wirkliche, 
noch im Leben wallende Laura, vielleicht von der Werklärten 
gefendet, um ihn au beruhigen uud zu flärken. Sie führt den 


Wankenden gaftfreundlic in das Baus ber Mutter. Der _ 


Kummer wirft ihn bier auf das Krandenlager. Der Wieder⸗ 
genefene will bie Gaftfreundinnen verlaflen; aber fie halten 
ihn, die Mutter durch fanfte Vorftellangen, die Tochter durch 
Die Gewalt einer in ihrer Seele raſch emporgeblübten Reis 
gung zum Leidenden. Der unglädliche Züngling kann inde der 
innig Liebenden nichts werden als Freund und Bruder; Laßt, 
fügt er ihnen, 
Last mid jest! Umfonft iſt jebed Streben! 

Denn fterben muß ich doch am Fluch der Beit , 

Und an dem falfhen Tociellen Leben, 

Das nur dem Giteln feine Liebe weißt! 


Diefe trübe Ahnung wird batd Wirklichkeit. Die Liebende findet 
den Freund im Garten als Leiche. Sie ruft der Mutter gu: 


Gr, den ich Liebe, IfE voraudgegangen, 
am feine Thraͤnen find nun ausgeweint ; 
36 folg’ ihm nad, zu ihm ſteht mein erlangen, 
Bis mid ein fanfter Tod mit ihm vereint. 


Mit dem Tode der Liebenden, dic der Schmerz tödtet, ſchließt 
ein Gedicht, dem eine gewifle Vollendung in Gedanken und 
Form nicht abzuſprechen iſt, und weiches, da es Zeitideen an⸗ 
vegt auch zweifeldohne Sympathien werten wird; indeffen ge» 
nügt es keineswegs allen epifchen Poftulaten Des Handlung 
iſt zu wenig, der Deckamation zu viel. Des Held — 
Held, der aus dem Kampf mit dem Leben als Si vor» 

t. Gr gibt fich nicht blos felbft auf, fondern weiß auch ben. 

merz nicht mit jener Würde zu fragen, bie dem Manne 
ziemt. läßt die Wogen des Beitiammers über feinem Saupte 
wfammenfchlagen, ohne nur einen Rettungsverfuch zu machen. 
Er redet, reflecirt, klagt und meint, und über dem weichen 
Worte vergift er das Handeln. Laura, das ſchwache Weib, 
nimmt fi im Buche wirklich viel befler aus. Bon ihr erwar⸗ 
tet man nichts weiter als Reſignation; ja fie bewährt ihren 
Heldenmuth fogar, wenn fie am gebrochenen Dan ftirbt. 
Trotz dieſer Ausſtellung halten wie uns jedoch verpflichtet, Die 
Begabtheit des Verf. anzuerkennen, dem ed gewiß bei eifri 
Studium nicht an Geſchick fehlen wird, eine echte Heldengeſtal 
und vor das Auge gu fielen und eine Dichtung zu bilden, bie 
von cinem buntbewegten Rebeu durchzogen 1 


) Der Werf. des Hier beſprochenen Gedichts iſt bald nach deſ⸗ 
fen Erſcheinen geſtorben. D. Red. 








'3. Mehrfine. Gedicht in drei Sefinyn um Eheober Apel. 
2. gr. 


keipzig, Hinrichs. 1844. Wr. 1 

Ber die Geſchichte der ſchoͤnen Melufine nicht aus dem 
Munde des Volks oder von einer redfeligen —* und Fami⸗ 
lientante als Kind vernommen, der kann fie in Marbady’s 
„Deutfhen Bolfsbüchern” in echter Originalität finden; Je 
dem aber, mag er aus eimer Quelle fchöpfen welche es ſei, 
muß ſich die Überzeugung aufdrängen, ed ruhe in diefem Mär: 
chen eine tiefe, tüpsende Poefie, und „Meluſine“ fei wirklich 
eine frifche, vuftende Btüte der Romantik. Als ſolche iſt fie 
auch von dem begabten Berf. erkannt, der den gegebenen Stoff 
mit vielee Geſchicklichkeit verarbeitet, imdem er weder überflüf: 
fige Ornanıente hinzufügt, neh etwas Sharalteriftifches weg: 
fihneidet, auch Ten Genuß des Leſers durch feine melodijch da⸗ 
binfliskenden Detaven erhöht. Hiſtoriſch bemerken wir nur, 
daß die Geſchichte Melufinens nicht deutfchen Urfprungs iſt, 
fondern von einem Schweizer Ramens Ringolfingen und zwar 
nach dem Wranzöitichen bearbeitet ward, jowie auch, daß bas 
Schloß Lufignan der Schauplag der Beiden und Freuden Me 
lufinens, deflen Ruinen noch heute den Reffenden von Hirten 
und Laudleuten gezeigt werben, in den baskiſchen Provinzen 


gelegen iſt. Wir empfehlen das Peine, mohlgelungene Werk | 
omantit. 


jedem Freunde der R 
4. ita. Italieniſche Idylle von Eduard Boas. Leipzi 
85 Tg Kor u 


Dieſes Heine, freundliche , italienifche Idyll, welches 
zuerſt die „Zeitung für die elegante Welt’ ihren Lefeen mit: 
theilte, Hat fo viel Anklang bein Lefenden Publicum ge⸗ 
fanden, daß der Dichter deffelben fi beivogen gefunden bat, 
ed ats felbftändiges Werklein druden zu laffen. Unerachtet 
daß Tiebliche naive Mägdlein von einem Kritikus jüngft recht 
hart angebellt wurde, braucht es fich doch deshalb wol nicht 
zu fürchten; fie ift gar niedlich, naiv, piquant, und mit leid): 
ter Weder gezeichnet. Gin Freund des Ref., der diefe Be⸗ 
kanntſchaft fon in der „Zeitung für die elegante Welt“ ge: 
macht hatte, meinte, der Idyllendichter habe eben nicht in fei- 
nem und Pepita's Vortheil gehandelt, daß er den leichten ge: 
falligen Stoff in die Form reimlofer, Buragemeffener Trochaͤen 
gegoſſen Habe. Wol möglich, daß er seht bat. 

3. Die Verlobung. Ein laͤndliches Gedicht in acht Idyllen. 
Bon &. J. Eduard Erufius Sondershauſen, Eupel. 
1944. 16. 230 Ror. ' 
Schade, daß das Gedicht in Form und Geiſt gar zu leb⸗ 

haft an Voß' „Luife” erinnert, fenft fünnte man es empfehlen 

wegen ber Schlichtheit der Erfindung, ber patriarchaliſchen 

Färbung der Charaktere und der würdigen fittlihen Haltung. 

Uebrigens iſt es nur ein Merk in Sedez dem Zormat und 

dem Geiſte nad). 

6. M a. Gin Gediht von G. E. ©. Liprenberg. 
18 1 Y, Ror. ie 

Als wir den Zitelnamen „Mazeppa“ lafen, glaubten wir 

natürlich, der Verf. fei auf den Gedanken gekommen, Dem 

gleichnamigen Werke bes hechberühmten britichen Dichters fei- 
nen Stoff zu entnehmen und neu zu bearbeiten; allein Dieb if 

Eeineswegs alfo. In dem kurzen Vorworte gibt er und bie 

Berficherung, daß er das Byron ſche Gedicht, vor der Bearbei- 

tung des gegenwärtigen, deflen Stoff einer Rovelle entnommen 

fei, gar nicht gelefen habe. Das glauben wir ihm gern; denn 
beide Arbeiten haben nicht die geringfte Ähnlichkeit witeinan« 

Der. Dort fingt ein hoher Meifter in der Kunft, hier übergibt 

ein Lehrling die Grfllinge feiner Muſe dem Publicum, in wel 

dem er das zinzige, unparteiifhe Tribunal der Dichter ſieht; 
dort wird und ein großartiges Bild des ſlawiſchen Rationals 
lebens und Charakters entrollt, hier wird der an und für fich 

gute Stoff unter Schwul, fehülerbafter Unbehülflichkeit im 

Ausdrud, ermübender Breite und in einer Form abgehaspelt, 

Die nicht fchlechter fein kann als fie if. Richt einmal der 

Sprache tft der junge Mann Herr. Er treibt ein gar wun 


beriihe Spiel mit dem Irzuy der Praͤpofitionen. Die 
Berwechſelungen von dos und daß koͤnnen auch nicht immer 
auf die Rechnung des Setzers gefchrieben werden. Seine Re 
flerionen gehen auf Gtelzen, und bin und wieder fteigert fi 
die Bavardage darin zum Ronſens. Cr beginnt he 
der Form mit einer Art von Stangen, die manchmal wie Dc« 
taven ausfehen; männliche und weibtihe Reime wirft er plan: 
(08 durcheinander; in die vier⸗ und fünffüßigen Jamben mifcht 
er — eine poetifche Licenz vielleicht! — trodäifche Verſe, und 
wiederum, wenn er bie hafis zu fleigern gebenkt, täßt er 
der Veränderung halber daftylifche VBerfe ihre Capriolen mas 
hen, Hören wir ald Beleg zu dem Gefagten nur zwei Stan» 
zen, in denen er (8. 9) von einem menſchlichen und weifen 
Könige redet: 
Bonn wie von ber Sonne golb’nen Strahlen 

Nings um ihm dad Gluck der Länder blüht, 

Wollen fernend zogen, fel’ge Wonne 

Wie ein Roſenkranz daB Land umzieht, 

Naht die Freude ihm Im reichften Prangen, 

Hält die Seligkeit ihn hier umfangen, 

Und im SIenfelts, wenn bie Erde weicht, 

Die Vergeltung ihm die Palme reicht. 


Aber wehe, wenn er feinen Nachen 
Auf dem Thraͤnenmeer der Dienfchheit treibt, 
Wenn er rutlos und Verberben breitend (7) 
In der Zelten Bub den Namen freibt, 
Wenn daB Pfand er nit vermehren kann, 
Das ihm Gott gab, ewig dann 
Wird er Dual und Hoͤllenangſt erfragen 
Nach des Herrſchens unheildvollen Tagen. 


Weife hat diefer angehende Homeros feinen Namen dem Pu⸗ 
blicum nicht genannt. Um jedoch auch nicht geradehin als un- 
gerecht und tadelfüchtig zu erfcheinen, wollen wir nicht in Ab⸗ 
rede ſtellen, daß in einigen Stangen, namentlich in denen, wo 
und gefchildert wird, wie Mazeppa, auf das wilde tatarifche, 
Roß gebunden, die Wüften durchfliegt, einige Spuren poeti⸗ 
fher Begabung fihtbar werben. Einige Spuren — aber nicht 
mehr. Wir wünfchen, daß das gebildete Yublicum, auf deffen 
Urtheilsipruch der Verf. einzig und allein provocirt, das auch 
finden möge. 


7. Der Feierabend eines Greifes. Ländliches Gemälde von 

Karl Kirſch. Leipzig, Teubner. 1844. Gr. 16. 22%, Mor, 

Das Unfchauen diefes ländlichen Gemäldes, welches in den 
antiden Rahmen volltünender Herameter gefaßt ift, bat auf 
des Ref. Semüth einen wohlthätigen Eindruck gemacht wii 
ihn ın eine Stimmung verfept, wo das nach und nad eye 
wärmte Hera fih den glüdlichen Bewohnern einer Welt der 


Unſchuld und des Friedens ganz bingeben möchte. Aber nicht 


deshalb Hat das Buch dieje Wirkung gehabt, weil wir neuer- 
fundene Situationen, piquante Charaktere oder ausgezeichnete 
Begabung in demfelben gefunden; denn bie Ingredienzien bie 
bier hinzugethan find unterfcheiden fich in Feiner Art von den 
gewöhnlichen. Ein hochbetagter Landpfarrer, der jedoch nie an 
die ftereotype Landpafloreniigur ded Pfarrers von Grünau er 
innert; jeine Enkelin Maria, die keineswegs ciner Luife ähnelt; 
eine edle, gräftiche, kinderloſe Gutsherrichaft, die ein liebli 
Adoptiokind zu fih genommen, Das im Buche in ber The 
nicht viel mehr iſt als die Statiſtin auf einer Bühne: ein 
friedliches Dorf mit einem neuerbauten Kirchlein; eine Weihe 
der für baffelbe beftimmten Glocken; Sophie, eines Foͤrſters 
Zodter, die von Kurt, einem zweiten Enkel des greifen Pfar⸗ 
rexs, verlaſſen worden ; einige Morgenfcenen im weinumranften 
Pfarchaufe, wo man des Greiſes Jubelfeſt vorbereitet, und wo 
fh Maria mit Herrlich, dem jungen Paftor aus Grunbaie, 
verlobt; ein Jubelfeſt mit feinen Procefiionen, frommen heil 
nehmern, geiftlichen Reden und Orgelklängen; ein Abend auf 
dem Friedhofe, auf welchem der Greis unter theuern Gräbern 
wandelt, mohin Maria mit dem Berlobten eilt, daß fie den 


-— — — — —— 


äterli Segen auf den neuen Bunb der Herzen legen 
e, und m. But, der halbverlosene Sohn, * wieder 
einfindet, um an die verſoͤhnten Pen des Großvaters, der 
Schwefter und der Geliebten zu füllen. — das ift der ganze, 
höcd einfache, idylliſch »epifche Apparat, den der Verf. aber 
fo geſchickt zufammenftelt, daß das Auge mit Wohlgefallen 
darauf ruht. Nirgend find bei Schilderungen bie Farben zu 
art aufgetragen. Der Verf. redet überall die Sprache ber 
enden ‚ ohne dabei in dab trügerifhe Spiel einer lar⸗ 
moyanten &entimentalität zu verfallen. Um dies zu belegen, 
theilen wir aus der Ginleitung in die vierte Idylle eine Apo⸗ 
firophe an den Friedhof mit: 
Jriedhof, Garten des Herrn, wie wand!’ ich fo gern durch bie 
Dügel, 
Die wie ein blühended Bett, bu über die Ruhenden breiteft! — 
AU’ die Taufende fhlummern, vom Kampfe bed Lebens ermuͤdet, 
Ah, Biel haft du begraben: der Freuden viel und der Schmerzen, 
Manches gebrochene Ders und mandeb weinende Auge, — 
Manches prargende Gluͤck und manches bluͤhende Leben, — 
Tugenden viel, viel Sünden, — des Haſſes viel und der Liebe. 
Au' Das deckteſt du zul — bein Grabſtein ift ja der Grenzſtein 
Aller irdifhen Luft und alles irdifhen Wehe; — 
Deine Sräber, — fie find nur Furchen, barinnen bie Saat liegt, 
„Saat, von Gott gefäet, am Tage der Garben zu reifen; 
Leber Hügel ein Tabor, um welchen der Himmel bie Strahlen 
Höh’eer Verklärung giebt. Du bringeſt „Segen nad dunkler 
Naht”); du nimmt aus der Hand bed ermuͤdeten Erdenpilgers 
Seinen Wanderftab und eröffneit die Pforten der Heimat. 
Friedhof, heiliged Land! wie wandl' ih fo gern durch bie Dügel, 
Ob mir auch jeder Gang aufreißt die blutenden Wunden. 
Viele der Graͤber find hier von meinen Thränen begoffen, — 
Ad, zwei Gräber vor allen, nur Heine! — Doch find ie mir großer 
Schmerzen Quell. Seht, dort von den duftenden Linden beſchattet, 
Unter den gränen Bügeln, von weißen Steinen bedrdet, 
Ruh'n zwel liebliche Kinder, die Wonne der glüdlien Ältern, 
Nun ihr Schmerz! Ich weihte die Stätte mit frrömenden Ihränen. — 
Oßtar, Knabe voll Kraft! Kiotilde, du herziges Mägdieln, 
Die, im Tode noch ſchoͤn, noch Tädhelte mild wie Im Leben! 
Wandelt ihr Hand in Hand in den Palmenhainen bed Himmels? 
Ja, ihr habt euch gefunden, ihr feib nun Engel geworden, 
Sießet nun manden Strahl, geſchoͤpft aus dem ewigen Lidtmeer 
Jenes bimmlifchen Friedens In unfre befümmerten Herzen. 
Leitet als Genien und auf den ſtuͤrmiſchen Wogen ded Lebens 
Und empfangt uns einft dort in bem Hafen der ewigen Heimat! 


Das Bud) kündet im Außern eine ungewöhnlid geſchmackvolle 

Zierlichleit. Ein Stahlſtich, die Glockenweihe darftelend, kuͤn⸗ 

det die Hand eined feinen und geſchickten Kuͤnſtlers, und das 

Buch eignet fi vortrefflih zu einer Gabe auf den Geburts: 

tags⸗, Weihnacht: oder Zotlettentifch einer Liebenden und ges 

liebten Jungfrau. 

8. Der Prättigauer Freiheitölampf. Ein Bild aus der Ger 
fchichte Graubündens, von Alfons von Flugi. Chur, 
Grubenmann. 1844. Gr. 12. 124, Nor. 

Hier will die bildende Phantafie auf einer hiſtoriſchen Uns 
terlage arbeiten; denn die Prättigäuer haben einft wirklich ei» 
nen Kampf gegen die fie knechtenden DOftreicher gelämpft und 
Sieg davongetragen. Das erzählt uns nun bier der patrio- 
tifche Verf. in fehefüßigen Jamben, in die fih mitunter Tafo- 
phoniſche Trochaͤen oder euphonifche Daktylen mifhen; das 
erzählt er, aber auch nicht mehr als eben das. Es erwarte 
alfo der Lefer ja nicht etwa eine Darftelung der Motive des 
Kampfs, detaillirte Schlachtfeenen, anzichende Charaktere der 
Helden, den epifchen Hebel von Erſcheinungen aus der Geiſter ⸗ 
welt, oder Hindeutungen auf verwandte Juftände in der relis 

iöfen und politifhen Welt der Gegenwart. Unfer Epiker haͤlt 

6 ans Allgemeines tautologijch erzählt er, wie die Oftreicher 





*, Abſchiedsworte Boingli'S an feine Battin, 
Berantwortlicher Herausgeber: Heintich Brockbans. 


von Schweizerbauern aus dieſem und jenem Orte verjagt wur⸗ 

den; dazwiſchen etwas Declamation, die aber weder die Ein⸗ 

— befluͤgelt noch das Herz erwärmt, ſondern ſo 

mohnartig wirkt, daß wir bei der Lecture alle Muͤhe hatten, 

uns den Schlaf abzuwehren. Vielleicht geht's indeſſen des Verf. 

Landsleuten nicht fo; wir wünfchen das von ganzen Herzen. 
(Die Fortſetung folgt.) 





LZiterariſche Notizen aus Frankreich. 


Zur Gefhichte des Ritterwefens. 

Wir haben Delkclufe bisher immer nur als einen mittel 
mäßigen Rovellifken und einen gutmüthigen, aber jeder tiefern 
Kritik ermangelnden Kunftrichter gefannt. In feinen Eritifchen 
Aufjägen, denen das „Journal des debats“ feine ungeheuern 
Spalten öffnet, fpielt er im Allgemeinen mehr die Rolle eines 
woblwollenden Erklaͤrers und Beſchonigers als die eines tiefer 
gehenden Aeſthetikers. Er erfcheint in ne Eigenfchaft recht ei⸗ 
gentlich der Protector und Beſchützer aufkeimender Talente, die 
er mit aufmunternden Andeutungen und ſelten nur mit tadeln⸗ 
den Winken anzutreiben fucht. Ein ſolcher Kritiker iſt bei dem 
biſſigen, gallichten Tone, deſſen fi ſonſt die höchften Richter 
in Sachen der Kunſt zu bedienen pflegen, allerdings eine ſel⸗ 
tene, ausnahmsweiſe Erſcheinung; aber derſelbe wäre doch 
nicht geeignet, feinem Rumen in literaxriſcher Beziehung ir⸗ 
gend einiges Gewicht beizulegen, wenn Delecluſe nicht in letz⸗ 
ter Zeit angefangen hätte, ſich einer ernftern, nachhaltigern 
Production zuzumenden. Wir haben vor nicht langer Zeit 
auß feiner Feder einen ganz gediegenen Beitrag zur Geſchichte 
des Wiederaufblühens Der Kunfte und Wiffenfchaften erhalten. 
Es war dies eigentlich nur der Vorläufer oder das Bruchſtück 
einer umfaffendern Wrbeit, in der und Die verfchiedenen Nic: 
tungen jener Zeit in ausführlicher Darftclung vorgeführt wer: 
den follen. Wir erhalten jegt vom Berf. einen ncuen Beitrag 
zur Sittengefchichte des Mittelalters. Dad Werk, in weldgem 
derfelbe enthalten ift, behandelt die Geſchichte des Ritterwefens 
und führt den Xitel „Roland ou la chevalerie”' (2 Bde. ). 
Der Verf. hat feinen Stoff mit Fleiß und Sachkenntniß gu: 
fammengebradt, und wenn man auß feinem Werke aud Feine 
neuen Ideen oder großartige Anſchauungen gewinnt, fo ift 
es doch immer eine dankenswerthe Bufammenftellung vieler in» 
tereffanter und beziehungsreicher Einzelheiten, welche in Dies 
fem Punkte noch nicht zu einem überblicke verarbeitet waren. 
Zudem fehlt es feiner Darftelung keineswegs an Geſchick oder 
Anmuth, fodaß wir feine Arbeit cine in mehr ald einer Bezie⸗ 
bung empfeblenswerthe bezeichnen können. 


Handbuch der Nationalölonomie. 


Die nationalöfonomifche Literatur der Franzoſen verdankt 
den Stafienern ſchon mehr als eine Bereicherung. Wir koͤnn⸗ 
ten bier mehre wichtige Werke diefer Art nennen, welche zwar 
Italiener zu Berfaffern haben, aber durch Überfegungen in der 
franzöfifchen Literatur eingebürgert find. An dieſe Schriften 
reiht fih eine neue Arbeit eines jungen Italieners, welche fich 
mit einer Entwidelung der nationalöfonomifchen Grundideen 
befaßt. Wir erhalten — eine franzoͤſiſche Überfegung davon 
und ſind alſo berechtigt, ſie in dieſer den bedeutenden Erſchei⸗ 
nungen der franzoͤfiſchen Literatur gewidmeten Rubrik flüchtig 
zu berühren. Der Zitel diefer Bearbeitung lautet: „Principes 
de l’&conomie sociale, exposes selon l’ordre logique des idées, 
par M. Seinlaja (de Naples); traduit et annote par M. de 
Vitlera.“ Der Berf. bat fih im Allgemeinen auf kurze Un: 
deutungen beſchränkt, und ſagt austrudlich, daß er fich der 
größten Kürze befleißige. Vielleicht find bier und da feine 
Säge allzu gedrängt und zum Theil felbft etwas dunkel gewor: 
ben. Im Ganzen aber iſt es nicht zu verkennen, daß er mit 
wenig Worten viel zu fagen weiß, eine Kunft, welche in unfern 
Zagen nicht allzu häufig genannt werden fanm. 17. 


— Drud und Berlag von F. SE. Brockhaus in Reipzig. 


Blatt er 


für 


literarifde Unterhaltung. 





Donnerstag, 


Leiftungen auf dem Gebiete der modernen Epik. 
* (Bortfepung aus Mr. W.) - 


9. MWeferlieder, von Ludwi einrih Meyer. Hanover 
Hahn. 1844. Sr. 8. 9? Nor. ’ ’ ' 


Da Hr. Meyer das Dampfihiff, in welchem er den von 
ihm befungenen om befchiffen will, alfo anredet: 
j Dein Scyifflein, nun elle! Zuhhe! Juchhe! 

Du fol uns tragen bid au die Eee, 

Die reizenden Ufer der Weſer entlang, 

"Bei Luftigem Scherz, bei frohem Befang. 

She auf zur froͤhtichen Bahrt! 

Du foift und zeigen die Städte ſchoͤn, 

Die ragenden Belfen, die Bergeshoͤh'n, 

Die Schlöffer, die Dörfeken im grünen Thal, 

Die flattlihen Wurgen im Sonnenſtrahl. 

Friſch auf zur fröhlichen Fahrt! 
fo müffen wir fein Buch fihon mit zur epiſchen Kategorie zie: 
ben. An Patriotißmus fehlt es ihm Peineswegs, auch nicht an 
Luft und Willen, jede Hiftorifhe Bagatelle oder Sage am 
Wefergeftade aufzufpüren; wol aber fehlt es an dem poetifchen 
Haude, der die hiſtoriſche Wahrheit zur Dichtung macht, und 
zuweilen haucht uns aus Romanze und Sage eine eifesfalte 
Al an. Am beften gefällt uns der hamelnfche Ratten: 
Anger (S. Al). &o viel fteht aber feft, daß Hr. Meyer bei 
den a des Geftades der Wefer viel mehr Beifall fin- 
den und frifchere Lorbern ernten wirb als bei den Stäbten 
an der Pleiße und Spree. Jene haben ja do nun einmal 
eine große Vorliebe für heimatliches Waſſer. 


10. Karthäufernelten. Sagen und Legenden aus der driftli- 
hen Vorzeit. Bon Johann NR. Bogl. Wien, Strauß’ 
Witwe u. Sommer. 1845. 

Nah dem vorhin Erwähnten können wir nuch dieſes 
neuefte Dpus des wadern wiener Dichters bier nur kurz be: 
fpreden. Was zunachft das Materielle des Buchs anlangt, 
fo weicht es von ber gewöhnlichen äußern Form etwas ab; 
denn es tft mit großen gothifchen Leitern und in großen Octav⸗ 
format gedrudt. Hinſichtlich der Beurtbeilung feines Inhalts 
aber beziehen wir und auf das Schreiben des Hrn. Jakob Rut⸗ 
tenſtock, eines Praͤlaten im Stifte zu Kloftere-Meuburg, welches 
der Dichter den Legenden hat vordruden laflen und welches 
lautet: „Bei Ducchlefung Ihres Manufrripts fand ich die gün- 
flige Meinung, welche ſchon Ihre frübern poetifchen Leiſtungen 
mir eingeflößt hatten, neuerdings beftätigt, und ich kann nicht 
umhin, per transennam zu bemerken, daß ich den würzigen 
Duft Ihrer «Karthäufernelten» in vollen Zügen einathmete. 
Nachdem die kirchlich⸗alterthuͤmliche Sage in poetifcher Hülle, 
wie fie von Goethe, U. W. Schlegel u. U. bearbeitet wurde, 
in unfern Seiten immer feltener wird, fo ift Ihr diefem bei: 
nahe verwahrloften Fache zugewandtes poetiſches Streben aller 
Anerkennung würdig, und um fo -erfreulider, als es Ihnen 








Nr. I. — 12. März 1846. 





gelang, nicht nur aus der Maffe zahlreicher Legenden lehereiche 
und erhebende Sagen auszufondern, fondern auch diefe in ein⸗ 
fache, ſchlichte und dabei doch poetiſche Sprache religiöfer Se⸗ 
müthlichkeit zu Beiden” u. ſ. w. Es genüge Hier die Verfiche⸗ 
rung, daß der Eritifche Prölat recht bat, und daß aud die 
Beröffentlihung dieſes belobenden Schreibens dem Dichter nicht 
als Eitelkeit und Sucht zu glänzen außgelegt werben kKnne. 
Das verfificirte Vorwort fpricht fich befiheiden genug über die 
„Karthäufernelten” aus. Einige Rummern find Heine Meifter 
ſtücke in dieſem Genre. 


11. Licht und Leben in Stillnau. in Erntefefllied von Io> 
hannes Friedrich. Erlangen, Bläfing. 1845. 16. 
20 Nor. \ 

Das Büchlein, obwol minder guftos im Yußern fich Dem 
Publicum darftellend, erinnert feinem materiellen Inhalte nach 
an den oben befprochenen „Feierabend eines Breifed‘‘ von Kinfch, 
und wenn, wie wir dort bemerften, der Kirſch'ſche Pfarrer dem 
Paſter von Grünau gar nicht ahnlich flieht, fo iſt der Pfarrer 
von Stilinau von dem denfgläubigen, liberalen Voß'ſchen Pa⸗ 
ftor vollends himmelweit unterfihieben. Stillnau ift naͤmlich 
ein Dorf, wirklih bewohnt von den „Stillen im Lande‘, usb 
ber Geift der ſtrengſten Orthodoxie durchweht das ganze Fleime 
Epos, an deften Licht und Leben ſich die Stillen ımb Auser: 
wählten im Reiche Gottes zweifelsohne erquidien werden. Des 
Sprache wird nur einmal Gewalt ungethban, wo wir (3. 89) 
lefet ftatt lieſt finden; bie Bilder, wo fie mit beſcheidenen 
Karben etwa auftreten, find nicht ohne Leben; 28 redet dur 
alle fech6 in Hexametern abgefaßte Gefänge Tie Sprache der 
Heiligen ft, und die Naturanſchauung iſt überall die 
bibliſch ⸗chriſtliche. Der Berf., welcher aller Wohrfcheintichkeit 
nach feinen währen Ranıen nicht genannt hat, und durch ben 
auf dem Zitelblatte angegebenen vielleicht nur den Geiſt dei 
Werts und feinen eigenen Charakter bezeichnen wollte, ſchildert 
einen Erntefeſttag in Stillnaus frommer Gemeine, deren geiſt⸗ 
licher Hirt feinen wohlthuenden und beiebenden Einfluß nicht 
bios auf die Mitglieder derfeiben, fondern auch auf den graͤf⸗ 
lichen Gutsherrn des Orts verbreitet. Gern laſſen wir uns 
von bdiefem wahrhaft evangelifchen Geiſtlichen und feiner fie- 
benswürdigen Ramilie auf die Ernteflur von Steinfeld führen, 
machen die Bekanntſchaft des zwar nod in manchen Refigiond« 
zweifeln befangenen, aber nach Licht und Wahrheit eifrig rin⸗ 
genden jungen Vfarramtsgehülfen von RKechſtein, und treten 
mit der Pfarrerfamilie auf dem gräfligen Schlofle ab, wo ber: 
feibe framme Geiſt wie im Pfarrhaufe zu Stillnau athmet, 
redet und feinen Frieden ausgieht. Run Dat dieſes Idyl noch 
eine Eigenthuͤmlichkeit, durch welche ed ſich ver allen andern 
derartigen Producten neuer und älterer Epik weſentlich unter 
ſcheidet. Nicht bie Liche und Ehe ift es nämlich hier, worauf 
am Ende Alles hinmeeläuft, fondern der Arbeit Biel und Spige 
id — eine chriſtliche Miffton in die Heidenwelt! Es hat zwar 
den Anſchein, als ob das frommen Grafen frommer Sohn fi 
mit zarter Empfindung zu Zheodulia, der Tieblihen Yfaruae 





3 


todgter, ndige; aber der Süngling unterbrüdt dieſes Gefühl 
vielleicht e8 als Giftpflange einer finnlihen Leidenfcpaft betra- 
tend. Dagegen iſt es ein neunzigjäbriger überaus frommer 
Greis zu neu, weldher Konrad, einen wadern Jüngling, 


dahin flimmt, bie Segrangen des Chriſtenthums in die heid⸗ 
e 


niſchen Länder jenſeit & itmeers gu tragen, und fo ſchlleßt 
das Büchlein mit einem Heinen Miſſionsfeſte. Iſt das nicht 
eigenthümlich und ungewoͤhnlich? D, mit welchem Eifenhammer 
der Kritik würde Johann Heinrih Voß, wenn sr noch lebte, 
auf den gottfeligen Pfarrer von Stillnau und feine Umgebung 
losfchlagen ! 


12. Das Lutherbuch. Gin Lieberfrang, dem beutfchen lau: 
benshelden perounben von Ludwig Bender. Biegen, 
Friedrich. 1845. 8. 1 TIhlr. 


Die Blüten diefed Liederkranzes, von welchem wir erft 
daB eine Halbrund vor uns liegen fehen, find weder auf mark: 
und faftlofen Stengein gewachfen, noch entbehren fie der Zarbe 
und des Dufts, und die Bermuthung, die wir anfänglich nähr: 
ten, das ganze Unternehmen fei auf eine temporaire Richtung 
und Reigung bed Publicums gegründet, hat fih uns bei der 
Lecture als ungegründet und als böfer Argwohn dargethan. 
Denn der uns unbefannte Verf. feheint wirklich Durch des gro: 
Sen Meformators PVerdienfte und Sinnesart von einer edeln, 
fih ſtets gleichbleibenden Begeifterung durchdrungen zu fein. 
Er fieht in dem Helden einen Meifterfänger, von welchem bie 
deutfche Poeſie eine neue Ara datirt, in deffen Bibelüberfegung 
der —28— Strom des Kirchenliedes ſeinen Quell hat, der 
unfere Sprache neu bildete und verjüngte, und dem eben des⸗ 
halb die Mufe zu unauslöfhlichem Danke verpflichtet if. Im 
den nachftehenden Liedern will er ihr etwas von unferer Schuld 
abtragen. Die Lieder felbft fehildern Luther nicht als einen 

thifchen, fondern hiftorifchen Helden; fie ftellen nicht vage 
Phantaſiegebilde und Ideale auf, fondern faflen, in Kalliope'6 
Dienfte getreten, die Wirklichkeit in einen poetifhen Rahmen, 
wo jeder Charakterzug des Manned in einem hiftorifchen Fac⸗ 
tum fich darftellend heraustrit, Er läßt das Ganze in fünf 
Bilder mit folgenden Überfchriften zerfallen: „Die Zurüftung”, 
mit zwölf Rummern, die und bis zu feiner Dppofltion gegen 
Tegel führen; ‚„Der Kampf”, mo wir bis gen Worms mit 
In fahren: „Der Sieg‘, deſſen legte Rummer der Bauern: 
Priegs „Der Triumph” und „Der Feierabend‘', der mit bem Tode 
ded Helden das Werk fchließt. Die vor uns liegenden 28 
Nummern erfiheinen ald ein Cyklus von Bildern, jegliches in 
eigenthuͤmlicher Bärbung und Form, die uns ein vollftändiges 

id Luther's geben follen. Was nun tie Form anlangt, 
fo bat er weder den antiten Hexameter, noch den allerdings 
wenig beweglichen Nibelungenvere, noch auch die füdliche 
Stanze * d gewaͤhlt, ſondern er bewegt fich, weil Lu⸗ 
ther's Leben ſo mannichfache, abwechſelnde Situationen bietet, 
ſiets im unſern neuern romantiſchen Formen mit Rhythmus 
und Reim, und wir meinen, die Wahl fei nicht übel. Genug, 
daß wir felten auf eine chythmifche, ohrbeleidigende Härte flo: 
Ben, und daß nirgend gegen bie Kürze, welche die eigenfinnige 
Kalliope nun einmal vorſchreibt, gefündigt ift. 


13. Der Eidſchwur im Nütli, oder wie es einft war im Schwei- 
gerlande. Poetiſch gefchildert von einem Freunde des Va⸗ 
ndes. GSchaffhaufen, Brodtmann. 1845. 8. 10 Ror. 

triotiſch, geſinnungsvoll, gemäßigter politifcher Anficht 

und fromm ift diefer Freund feines belvetifhen Waterlandes, 
aber ein Poet ift er nicht, und am wenigften ift ihm Kalliope 
mit ihren eigenfinnigen Foderungen gervogen. Aber auch Po⸗ 
lybymnia laͤchelt ihm nicht. Nicht genug, daß er mit Ahyth- 
mus und Reim nicht recht fertig werden kann, es tauchen auch 
hier und dort die matteften Profaftellen auf, die Diction Iabos 
rirt an einem hektiſchen Huften, und eine gewiſſe Unbehüuͤiflich⸗ 
Beit in ber Bildung der Formen kommt befonders im Anfang 
des Liedes zum Vorſchein. Er will die denkwürdige, dem 


x 


Schweizervolke unvergeßliche Nacht im Rütli fildern, wo 
Stauffacher, Fürft und Melchthal nebft 30 MWitverbündeten 
den Bundeseid zur Befreiung des Baterlandes von der Swing: 
herrſchaft —* Boͤgte ſchwuren: ein trefflicher epiſcher 


Stoff, der bei zwedmäßiger Bearbeitung gewiß nicht ohne 


Effect bliebe; aber die drei Männer und ihre Bunbesbgüber 
ebören, wie fie hier gefchildert find, Peinesiwegs zu jenen mans 
igen, großartigen Heldengeftalten, die uns für ſich einnehmen, 
und die Reden, die fie bier führen, find nur Geichrwäg und ein 
vages Hin: und Herreden, das den Lefer nicht felten gähnen 
macht. Die epifhe Form ober der Strom ber erzählenden Rebe 
wendet fi, mit Ausnahme von ein paar Nummern, zum Dra⸗ 
matifchen, aber auch darin ift eine Gewandtheit und Alles ift 
zu einer widerlichen Breite audgefponnen. Ein national : idyi⸗ 
lifched Moment ift allenfalls in „Nächtliched Gefpraͤch der Land. 
leute” (8. 80). Das Erträglichfte und Lesbarſte im ganzen 
Bude ift der Schluß, wo ber Berf., ind Didaktifche uͤberge⸗ 
hend, feine eraltirten Landsleute der Gegenwart über Freiheit, 
Gleichheit und Staatsverfaflung vom Standpunkte der Ethik 
und des Chriſtenthums aus belehrt. Hier ift mehr als eine 
Wahrheit über diefe in unfern Zagen fo viel beregten Begen- 
ftände ausgeſprochen; deffenungeachtet müffen wir es uns ver: 
fagen, auch aus dieſem Schluſſe des Büchleins den Refern 
eine Probe zu eigener Beurtbeilung vorzulegen. 


14. Deutfchlands Freiheitskaͤmpfe von W. N. Stehling. 
Drittes Buch: Andreas Hofer 1509. in Heldenlied von 
BR. St. Düffeldorf, Stahl. 1845. 8. 15 Rgr. 


Den heldenfühnen, biderben Sandwirth, welcher im Kam: 
pfe gegen den Mannpart (fo nannten Die Tiroler den Kaifer 
Rapoleon) zum Märtyrer ward, ann man bier ſchon recht lieb 
gewinnen. S. 9 wird und fein Bild gezeichnet: 

Mol größer noch um Hauptes Länge 
IR er ald einer in der Menge. 
Und Alles ſchweigt und fieht ihn an. 
Der Held ift einfach angethan: 
Dat Leberhofen, ſchwarz und kurz, 
Hat Strümpf und Bruſtlatz purpurioth; 
— Das ift fein Weg. der durch viel Blut 
Am Gnbe führt zum eig’'nen Tod! — 
Der Rod iſt hellgruͤn, ſchwarz der Hut, 
Und ober'm bunten Gürtel ruht 
St.:&eorg’d Bild in Gluͤck und Noth; 
Sein Bart wallt auf bie breite Bruft; 
Sein Bid ift fromm, doch voller Luft; 
Und wie er rings um fih gefhaut, 
Anhebt er feine Rede laut: 
„Bott gräß euch, Männer von Paflenem! — 
Seid ihre Tiroler oder Baiern? — 
Tiroler hießen eure Väter, 
Und ihr dürft alfo nicht mehr heißen ? 
Weil Schloß Tirol fie niederreißen? — 
She Männer von Tirol feld freir 
Wenn ihe ein hölzern Bild gemadt. 
Könnt ihr’6 nah Wien zu Markte tragen? 
Bon breien Ähren gebt ihr zwei? — 
Eur’ Sohn foll gegen Öſtreich fchlagen? — 
Auf Männer denn zur Rettungsſchlacht! 
Berreißt bie Feind', fo lang' fie Neh’n! 
Doch Gnade denen, die d’rum fleh'n! — 
Wir ſchwoͤren unfer Gut und Leben 
Juͤr unfre Freiheit. hinzugeben, 
Für Bott, Tirol und Kaifer Franz!” 
„Wie ſchwoͤren!“ ruft der weite Kranz 
Der Männer mit entblößtem Haupt, 
Und legen auf bie Zahn’ bie ‚Hand, 
Die Andern heben fie empor; 
Ein einiger, ein deil’ger Ghor 
Der Netter in Tirolerland! 


oe W v 


„Nun auf nmach Stoͤrziag!“ ruft Andre, 
Winkt mit der Hand gen Gaufen's Hoͤh', 
Und wie die Trommel und Schwoͤgel (Pfeife) ſchallt, 
Dad Der laut jauchzend von bannen wall. 


Doch Hofer wendet fih zurüd 
Noch einmal mit dem frommen Bid 
Und grüßt fein Weib; die fant aufs Knie 
Dort oben auf der Galerie; 
Ste weint, indeß bie Kinder au 
Sich 0b der Pfeifen hellem Schall 
Und ob der vielen Männer freu’n, 
Und um die Mutter jubelud fchrei’n. 


In diefen Eurzgemeffenen, jambiſchen Berfen tritt A re 
dem Lefer Form und Geift entgegen, in welchen diefes Helden: 
lied treugefchichtlih in 29 Rummern auf WW Seiten gefungen 
if. Wir meinen, der Berf. verdiene Aufmunterungs doch 
würde er vermutblih auch ohne unfer gnaͤdiges, kritiſches 
Perge fortfahren, fich in der modernen Epopöe zu. verfuchen ; 
denn, wie ſchon der Titel anzeigt, iſt gegenwaͤrtiges Heldenlied 
nur erft der dritte Theil eines größern, noch unvollendeten 
Werks, welches die deutfchen Freiheitsfämpfe beiingen fol. 
Als cin in jich abgefchloffenes Ganze läßt er den Andreas Ho⸗ 
fer als Probe vorangehen, um vorläufig nad Urtheilen aus 
der kritiſchen Welt bier und dorthin zu horchen. Bon ganzer 
Seele wuͤnſchen wir, daß ihm aus den Recenfionsanftalten aller 
vier Himmelsgegenden unfers deutfchen Vaterlandes ein gleis 
des Perge wie aus diefen Blättern zugerufen werde. Gpä: 
terhin, wenn erft mehr vorliegt, kemmen wir wol auf den 
wahrfcheinlich noch jungen Verf. zurüd, 


15. Das Rahethal in Liedern von Guftav Pfarrius. Imeile 
Auflage. Bonn, Habicht. 1845. 16. 1 Zhlr. IO Nor. 


Es ift’ein ganz nutzloſes Geſchaͤft, ein Buch zu recenfiren, 
über deilen Werth oder Unwerth fich des Publicums Stimme 
ausgeſprochen. Es liegt naͤmlich hier die zweite, mit topogra= 
phijch » hiftorifchen Racweifungen für die Befucher des Nabe: 
thals, mit acht Stahiſtichen und einer Karte vermehrte Auf: 
lage vor und. Wäre Fein Verlangen nach dem niedlichen Büdh- 
fein, über defien erſte Auftage wir und in Rr. 65 d. Bl. f. 
1859 kurz ausgefprochen haben, gemwefen, fo hätte es nicht 
zum zweiten Male gedrudt werden Eönnen. Bon größerm 
äſthetiſchen Werthe ift unftreitig die folgende bier anzuzeis 
gende Schrift: 


36. Sonnenberg. Kunden und Sagen. Ein Gedenkbuch der 
Auine, von ©. Drärler: Manfred. Biegen, Frie⸗ 
drih. 1849. Gr. 8. 1 hir. 10 Nor. 


Schon das Außere des mit feinem Zitellupfer und Ti⸗ 
teloignette vergierten Buche befticyt dad Auge, der Name feir 
nes ruͤhmlich befannten und auch in d. Bl. bereitd oft erwähn» 
ten Berf. hat einen guten Klang, und das günftige Vorurtheil, 
mit welchem man diefe „Kunden und Sagen’ von der roman: 
tifchen Ruine Sonnenberg, in der Nähe von Wiesbaden gele⸗ 
gen, zur Hand nimmt, wird keineswegs getäufcht. Freilich 
werden diefe „Runden und Sagen” an Ort und Stelle beiwei⸗ 
tem mehr Intereſſe erweden als bei uns Dber-: und Rieder: 
ſachſen; auch ift ed nicht zu leugnen, daß der Mehrzahl diefer 
Sagen jenes frifche Colorit fehlt, weldyes ihnen ſonſt die 
Volksphantaſie anhaucht, aber der Geiſt und die Gewandtheit 
des Dichters weiß diefe Heinen Übelftände fo in Schatten zu 
ftellen, daß fie von den Wenigften bemerkt werden. Auch wird 
das Buch um feines Berf. ſelbſt willen nicht bloß eine freund» 
liche Aufnahme finden, fondern ed wird gewiß auch von man» 
chem Badegafte als ein Auskunfts⸗ und Gedenkbuch an das 
reizende Wiesbaden gekauft und mit zur Heimat genommen 
werden, da es jeden Zoilettentifch ziert und in jedem Damenthee 
gern gelefen werden wird. Einen noch ungetheiltern Beifall 
wird aber im leggenannten Kreife und anderswo finden 


% 


16. Romancero. Bon Betty Paoli. Leipzig, G. Mi 
a Br 1 hr Do 08 S. Wigand. 


Die fubjectivsIgrifche Betty Paoli’, die mit der Annahnu 


| eines ſuͤdeuropaͤiſchen Namens auch ein füdlich »glühendes Mas 


turel angenommen und das deutſch⸗ſchleſiſche Geblüt verleug- 
net g’ haben feheint, haben wir bereits in Nr. 304 d, Buf. 
1843 mit "einigen Zederſtrichen zu fizziven uns beftrebt; bier 
tritt nun bie objectiv⸗epiſche Betty vor uns auf. Db auf ein 
ihr günftiges Terrain? Wir werden fehen. Der „Romancero‘ 
bringt fünf Nummern. Die erfte hat die Überfchrift „Stabat 
mater”. Die Dichterin baut bier ein Schaffot auf, an deſſen 
Fuß ein junges Weib, wie ſie mit ihrem Kinde vom Blute deß 


hingerichteten Gatten fich beſpritzt ſieht, einen Schmerzenslaut. 


ausſtoͤßt: 
So mochte an des Welterloͤſers Krippe 
Der Gruß ertoͤnen von der Hirten Lippe, 
So mochten fromme Seraphſcharen weinen, 
Als ſuͤhnend litt der Reinſte von den Reinen. 


Dieſer Ton dringt in die Seele Pergoleſe's und entflammt 
ihn zur Compoſition jenes herrlichen bekannten „Stabat mater“, 
womit der junge Zondichter fein irdiſches Tagewerk erſt wuͤr⸗ 
dig vollbracht zu haben glaubt, und mit deffen Vollendung er 
felbft aus dem Leben ſcheidet. Die Grzählung dieſes an fich 
einfachen Ereigniffes kleidet die Dichterin fo geſchickt in Res 
flerion und Schilderung, daß man kaum bemerkt, wie fie Po⸗ 
lyhymnia's Gebiet verlaſſen und ſich in Kalliope's Dienſte bes 


geben habe. Dieſem erſten Stück möchten wir den Preis zus 


erfennen. In Rummer zwei: „Maria Pellico“, tritt uns die 
ganze Betty Paoli in ihrer elegifh »Igrifchen Stimmung aus 
dem Zahre 1841 und mit dem ganzen uͤberſchwenglichen Meich» 
thum ihrer eigenen fdhmerzlich-füßen Empfindung entgegen, 
md wird fomit, wol ohne es zu wiflen und zu wollen, ber 
ernſtern Kalliope untreu. Sie flattet nämlid Maria Pellico, 
die in een Mitgefühl vergehend vor dem Kerker⸗ 
gitter ihres Bruders Silvio ihren Schmerz; in melancholifcher 
Betrachtung und Klage aushaucht, und diefem Schmerz Frei⸗ 
heit, Bräutigam und Leben zum Opfer bringt, mit dem reichen 
Schage jubjectiver Empfindung aus, und gibt fich jenem Buge 
ber Geele in füßer Berauſchung hin, der fie zuerft in den heie 
tigen Lorberhain führte. Gin gelungenes, anziehendes Bild. 
Rummer drei: „Ein Zodtenopfer” (Eofenza). Wir theilen 
eine Stelle daraus zur Probe mit. Rachdem fie erzählt, wie 
ein Schiff mit athenienfiihen Juͤnglingen nach Kretas fluch⸗ 
beladener Küfte, wo ber Minotauruß ihrer harrte, gefegelt fei, 
fährt fie (&. 106) alfo fort: 
Das ift vorbei. — So mandı’ Iahrtaufend ſchwand, 

Doch fieht die Eonne fletd Daſſelbe wieder. 

Und wieder ftößt ein Schiff vom gried’fhen Strand, 

Bom Hand gewiegt der füßen Meereslieder, 

An Südenklarheit ſtrahlt des Himmels Blau, 

Es ſchwellt der frifhe Morgenwind die Segel, 

Zum Bugfpriet fbäumt die Flut und Seegevoͤgel 

Umflattert ſcheu des Maftes fchlanten Bau. 

Die Unter lichten fi, gehorfam theilt 

Die Woge fi, auffeufzend tief und bange. 

Ein letzter Eruß: Das Fahrzeug ſchwebt und eilt 

Dem fernen Weften zu, dem Unterganne. 

Ja wol: bem Untergang! Ihm find geweißt, 

Die träumend jest den feuchten Pfad befciffen, 

Es harret ihrer bei Coſenzas Niffen 

Der grimme Minodotaurus unfrer Zeit. 

Ihm g’nügen bie gemeinen Opfer nit! 

Er firedt die mordgewohn'ten Tigerkrallen 

Nach Jenen nur, in beren Seele Licht, 

Ein Strahl von oben zundend iſt gefallen. 

Nur Jene, die bereit zum beil'gen Strauß, 

Trifft ſeines Grolles unverföhnlich Hadern, 

Und mit dem edeln Quell aus ihren Adern 

Loͤſcht er das kaum entflammte Hoffen aud. 





Web fe gef. Ihr ſtarbt, wie khr gelebt. 
D daß den Henkern folder Tod nit werde! u. ſ. w. 


Wir fchen hieraus. einmal, wie auch die Beit mit ihren Er⸗ 
ſcheinungen unt Beftrebungen das Gemüth der Dichterin be⸗ 
hre, und dann, daß fie wirklich fubjectiv fein Fann. Den 
Beſchiuß machen zwei Kloſterſagen oder Legenden: „Die Beichte 
des Mönche” und „Piamma”. Die phantaflifhe Romantik, 
wie fie in mittelatterlicher Farbe in dem erfigenannten Stüde 
athmet, ift nieht allein ſchon allzu oft dageweſen, ſondern es 
zei auch, als ob die geiſt⸗ und gemuͤthreiche Dichterin nicht 
Stande ſei, die Kuͤhlheit und Ruhe zu bewahren, wel⸗ 
e die Behandlung eines Legendenſtoffs heiſcht. Dieſe „Beichte” 
4 ſo outrirt und die Farben ſind hier und da ſo ſtark aufge⸗ 
tragen, daß das Ganze keinen befriedigenden Eindruck machen 
Tann. Mehr befriedigt „Fiamma“, eine echte Legende, in ſüd⸗ 
licher Bolkspoeſie empfangen, und vielleicht hier nur ein wenig 
u weit auögefponnen. Die Ausftattung des Werks von Sei⸗ 
In "des Berlegers ift feinem äfthetifchen Werthe volltommen 
angemeffen, Bettina v. Arnim aber ift e8 als Ausbrud freudi- 
get Bewunderung für ihren Geniuß dedicirt. 
i3. Guſtav Adolf's Heldentod für die Zreiheit der evangeli« 
fhen Kirche Deutihlande. Ein biſtoriſches Gedicht in vier 
Gefangen, von G. Friederich. Dritte "neubearbeitete 
Auflage. Mit Kupfern. Zranffurt a. M., Dehler. 1345. 
8. 1 Thlr. 


Hätte fi nicht eine lächerlidde Vereinswuth Deutichlands 
bemädtigt, vorliegendes Gedicht, über defien Erſcheinung wir 


uns fon in Rr. 203 d. Bl. f. 1833 des Breitern ausgefpro- 


den haben, würde ſchwerlich zum dritten Wale aufgelegt wor: 
den fein. Wir koͤnnen das früher gefällte Urtheil nicht wider: 
zufen. Die Beziehungen auf Modernes zeugen von Veraͤnde⸗ 
rungen in biefer neuen Auflage, vielleicht S. 109, I14, jeden: 
falls ©. 153 (König Oskar). Wie kommt aber Luther in die 
Walhalla? (©. 159) Ganz neu hinzugefommen ift der vierte 
Geſang; aber, obwol hier Vieles poetiſch aufgefaßt wurde, fo 
iſt er doch nicht befriedigend. Wie unpaflend ift Die Berka: 
rung Clemens’ XIV.! Die biftorifchen Erklärungen ſcheinen für 
ſeht unkundige Leſer berechnet. Unrichtig aber ift es, daß ber 
Schwebdenftein bei Zügen durch ein neues Denkmal erjegt fei; 
der Stein liegt, vom Dentmal überbäut, noch da. Dod ge: 
nug des Mäfelns und Krittelnd! Das Yublicum bat ganz an- 
ders über dad Werk geurtheilt als wir; befienungeachtet aber 
geftehen wir, daß Hr. Kriederich ein beiweitem beſſerer Theolog 
und Homilet ift als epifcher Dichter ! 


19. DOttilia, die Bergmannsbraut. Ein poetiſches Gemälde aus 
der Zeit des Mittelalters, von C. Schreiber. Eisleben, 
Neihardt. 1845. 8. 10 Ngr. 

Ein Freund, der dieſes Werkchen durchflogen, brach den 
tab über daffelbe mit den Worten: „@ine wenig anfprecdhende 
Sage, behandelt in fehülerhafter Weiſe, orbinair ebenfo in Er: 
findung, Versbau und Sprache wie in Drud und Papier.‘ 
Mef. Bann dem aljo ſcharf aburtelnden Freunde nicht ganz 
beiftimmen. Beurtheilen wir freilich da5 Werkchen vom Stand: 
punkt der Anfprühe aus, welche unfere Zeit an derartige 
Kunftproducte macht, fo mag er recht haben; aber das dürfen 
wir bier nicht; das Beine Gemälde, trog all feiner ordinairen 
Reime und feines ganzlihen Mangel an Idealiſirung des 
Stoffe, pt eine große VPopularität und Verfländlichkeit, und 
ba e8 auf einen Kreis von Lefern berechnet ift, die eine voll: 
endete Kunftform weder beanipruchen noch beurtheilen können, 
die Sage felbft auch in ihrer Einfalt und Natürlichkeit ein 
poetifches Moment und vor allen einen gewiſſen Localwerth 
bat, fo wollen wir dem Schriftchen immer fein kurzes Das 
fein bienieden gönnen, und uns freuen, wenn die Bergfnap: 
pen des Ihüringerwaldes fih für den civilen Preis von zehn 
Neugroſchen hier baß ergögen! . 

(Die Bortfegung folgt.) 


Berantwortlier Herausgeber: 


Literarifhe Rotiz aus England. 


Cheſterfield. 

Lord Ehefterfieid denken wir uns gewöhnlich als das Mu⸗ 
fter eines Weltmannes, glatt, kalt und egoiſtiſch, geiftreich und 
beshaft, ausgejtattet mit aller Grazie der Außern Erſcheinung, 
innerlich aber Hohl und leer. Noch neuerlich entwarf Didiens, 
der freilich mit feiner bausbadenen Sentimentalität und ſpieß⸗ 
bürgerlichen Befchränttheit am wenigften geeignet zu fein fcheint, 
ſtaats⸗ und weltmännifche Vorzüge zu würdigen, in feinem 
Sir Chefter im „Barnaby Rudge” ein ſolches Bild von ihm. 
ent hat Lord Mahon, der Bert, einer guten Gefchichte Eng⸗ 
lands vom Utrechter Frieden an, den Briefwechiel feiner be» 
rühmten Beewandten (Beide gehören der Familie Stanhope an) 
neu herausgegeben und mit einer hifterifchen Einleitung ver- 
fehen , die und genügendes Material zur gerechten Würbt un. 
eines Mannes an die Hand gibt, der als Menfch, Schrift . 
ler und Staatsmann gleiche Anfprüde auf unfere Beachtun 
hat. Cheſterfield's Ruf ale Schriftfteller ruht vorzugsweiſe 
auf feinen Briefen über Erziehen an feinen unebelichen Sohn, 
aus dem der Vater ein Muſter von Gelehrtheit, Beredtſamkeit 
und weltmännifcher Bildung machen wollte, deflen natürliche 
Anlagen aber keineswegs einer folchen Rolle entfprachen. Was 
Schnfon nicht ohne Einfluß perfönlicher Rancune von diefen 
Briefen fagt, fie lehrten die Moral eines Freudenmaädchens 
und die Manieren eined Zanzmeifters, ift allzu willig von der 
Mafle der Urtheilslofen als Drakelfprug hingenommen worden. 
Der Vorwurf, mit Bewußtfein Inmoralität zu lehren, kann 
fie nur teeffen, wenn man die gefellfchaftlichen Zuftände ber 
damaligen Zeit ganz und gar aus den Wugen verliert. Eine 
Ztaifon mit einer verheiratheten Dame, womit Chefterfield fei« 
nem Sohne feinen Eintritt in die Welt zu beginnen anräth, 
hatte bei den laren Sitten der damaligen parifer Geſellſchaft 
durchaus nichts Auffälliges und galt nicht für unfittlich. Über 
andere Punkte der Moral kann der muiterhaftefte Bater kaum 
eindringlicher fprechen als es Lord Chefterfield thut. Ein zweis 
ter Borwurf ift der, daB der Brieffteller zu großes Gewicht 
auf Außerliche Politur lege. Diefem begegnet Lort Mahon dur 
die befannte Thatſache, daß Philipp Stanhope (der Sohn) eher 
alzu eifrig in der Erwerbung von Kenntniflen_war, er alfo in 
dieſer Hinfiht keines Sporns bedurfte, fein Außeres Dagegen 
über alle Gebühr vernadhläfigte. Im Bewußtfein diefes Mans 
geld mag Lord Cheſterfield die Erwerbung geſellſchaftlicher Anz 
muth und äußerer Politur angelegentlidher empfohlen haben 
als ihm eigentlih ums Herz war. Deswegen ift man nod 
nicht zu dem Vorwurfe berechtigt, er habe dieſe Vorzüge un: 
gebührlich überfchägt. Eher ließe fi) einmenden, daß er der 
Erziehung überhaupt die Macht zufchreibt, die Richtung eines 
Charakters im Widerfpruch mit der natürlichen Begabung def: 
felben zu beftimmen. Uber neben diefen Mängeln find die 
Briefe.uberreidh an Bemerkungen und Rathfchlägen voll feiner 
Welt: und Menfchenkenntniß, an Stellen, über die Laroche⸗ 
foucauld nachdenfen, und die Labruyere beneiden würde. Aller» 
dings koͤnnen nur Perſonen von gereiftem Urtheil die Vorzüge 
Diefer Briefe vollkommen würdigen, während fie durchaus nicht 
geeignet find, der Jugend felbft in die Hand gegeben zu wer: 
den. Wol aber find fie einem Vater zu empfehlen, ber ſei⸗ 
nen Sohn für das öffentliche Leben erziehen will. Neben der 
Feſtſtellung der Verdienſte ChHefterfield 8 als Schriftfleller be: 
ſchaͤftigt fih die Biographie noch meitläufig mit feiner politi⸗ 
ſchen Raufbahn, und fehildert uns ihn als einflußreichen Red: 
ner des Oberhauſes, als Geſandten in Holland, als Minifter 
und als Bicelönig von Iceland, wo feine aufgeflärten und 
der damaligen und zum Theil felbft der jegigen Zeit weit voran« 
gefchrittenen Regierungsprincipien noch heute in dankbarer Ber: 
ehrung find. Lord Cheiterfield ftarb am 24. Märg 1773, 79 
Zahre alt. Rangiahrige Zaubheit hatte ihm geboten, von der 
politifhen Bühne abzutreten und ibm Muße zu literariſchen 
Arbeiten gegeben, denen er mit Eifer oblag. 6. 


— — 


BSeiurich Brockkans. — Drud und Verlag von F. X. Drockhans in Leipzig. 


Blätter i 


literariſche Unterhaltung. 


r 








Leiſtungen auf dem Gebiete der modernen Epik. 
(Bortfegung aus Nr. 121.) 

20. Die Bekehrung der Preußen durch Hermann von Salza. 

Gedicht in zehn Gefangen von Karl Hentfhel. Mit 

- dem Bildniffe Hermann's. Sondershauſen, Eupel. 1845. 
Ler.:8.- l Ihr. 

Hr. Hentihel ift in Langenſalza geboren, und weiht fein 

Buch theild den noch Icbenten Rachfommen Hermann's, theils 

den Bürgern feiner Vaterftadt, die auch dic Geburssftadt des 


Helden iſt, 
Der ruhmvoll, Salze, deinen Namen trägt, 
Shn, feiner Zeit ben weiſeſten ber Geiſter, 
Des Papſtes Liebling und des Kaiſers Freund, 
Des- teutfchen Ordens hochberuͤhmten Meifter, 
Der Heldenmuth mit Edelfinn vezeint. 


Er trätt feinen Gang in das epifche Gebiet an der Hand der 


Geſchichte, der Mythe und der fagenhaften Legende an. Über 
fo befreundet und vertrauf jeder Epiker mit dieſen drei Füh⸗ 
zerinnen fein foüte, ift unſer Sänger keineswegs. Dem dab 
Schöne bildenden Geifte müflen wir zwar die Freiheit zuge: 
ſtehen, Hiftorifhe Facta au ibealifiren, und mögen ihm au 
einen Anachronismus durchgehen laffen; fo haben wir 4. 8. 
nichts dagegen, wenn Hr. Hentfchel in einer Rote (8. 126) 
fagt: „Man wird es dem Dichter verzeihen, wenn er ſich nicht 
fireng an chronofogifhe Ordnung bindet”; aber wir meinen 
Do, unfer Epiker geftatte ſich allzu viel Licenz in dieſer Hin» 
ſicht. So muß dem geſchichtskundigen Leſer ſchon alles In: 
terefie an dieſem Heldenliede ſchwinden, weil er meiß, daß Ser: 


mann von Sala ſchon vor der Eroberung Romoves gefior- | 


ben, ja daß er nie perfönlich in Preußen geweſen feis wenig: 
ſtens Voigt, unferd Sängers bifterifhe Hauptautorität, er⸗ 
srähnt fein Wort davon. Richten wir den Blick auf das my⸗ 


thifhe Moment bed Werbe, fo gebraucht der Berf. zwar den 
Oder die Befchreibung 8. 143: 


aitbekannten epifchen Hebel, indem er höhere, unfihtbare Mächte 
ins Spiel zieht umb uns die altpreußifhe Götterweit rathend 
und bandelnd vor Augen ftellt; aber dieſe Götter find wahr: 
ich feine Domerifchen, erhabenen Geftaltungen, fondern werden 
hier und da bis ind Fratzenhafte verzerrt, und gewinnen uns 
noch weniger durch ihre Geſpraͤche. Welch ein Mägliches Imwie: 
geſpraͤch z. B. auf ©. 156 fg. zwifchen tem Donnerer Percus 
nos, der fiih ein ſchwaches Kind nennt, und feinem göttlichen 
Gollegen Potoll, der es nicht an Rodomontaden fehlen läßt, 
indem er audruft: 
Wie durch ben Forſt im Sturme rıft das Feuer, 

Und Baum um Baum verzehrt durch feine Blut, — 

So will ich wüthen, will, ein Ungeheuer, 

Wolüftig änen wich am Ghriftenbluf. 
Alle wothiſchez Perſonen, bis auf die Zauberin Pagezania, ſpie⸗ 
len von A bis 3 eine klaͤgliche Nolle. Hinſichtlich des ſagen⸗ 
haften, legendenartigen Moments kann man ſchon eher befrie⸗ 
digt werden. Dee Verf. geſellt nämlich den heiligen Adalbert, 


Freitag, u — Pr. 


TR. — 13. März 1846. 


den befannten Apoftel der Preußen, feinem Helden ald Schug- 
geift bei, und Das wunderbare Zitherſpiel defjelben iſt Hier un 


da nicht ohne Effect. Ware Übrigens unfer Sänger aus Lan: 


genfalza nur ein Vierteljahr Tang bei feinem berühmten Colle: 
gen aus Sorrento, dem Zorquato Kaffe, in die Schule gegan- 
en, fo würde fein ziemlich materiel gebaltenee Bert einen 
öhern, gi igern, poctifhern Anflug bekommen haben; aber 
nicht allein Das, fondern er würde auch daffelbe mit anzie⸗ 
denen Epifoden durchwebt haben als hier geicheben iſt. Die: 
em allgemeinen Urtheile über dad Buch Pöhnten wir nod 
einige befondere Audftelungen und Rügen anfügen, Die dem 
Leſer wenigftend beweifen würden, daß wir alle gen Gefänge 
geiefen aben, indeß unterlaflen wir es aus Rückſicht auf den 
eſchraͤnkten Raum. Die Reime find theild ganz gewöhnlich, 


I theild fehlerhaft, ja das Ganze hat den Anſtrich einer gereim⸗ 


ten Chronik. Wo fo viel Schatten ift, müflen Strophen, 
wie ©. 19: 
D Hoffnung, Hoffnung, deren Schmeihelworte 
Berubigen das fchmerzzerriffine Derz, 
Die du noch troͤſtend an des Todes Pforte 
Des Dulders Blide leiteſt himmelmärts, 
D Schlummer, ſuͤßer Schlummer, des hienieden, 
Der Hoffnung glei, die Sterblichen beglädt, 
Ihr gabt auf Eurze Zelt dem Priefter Frieden, 
Und habt zu ſchwerer Prüfung ihn erguidt. 
Oder 9. 98: 
DOD Baterjtabt, gedenke biefer Tage, 
Die, wie ein füßer Traum bir froh entſchwebt, 
Dein eig'nes Kind rief fie hervor; ich frage: 
„Haſt du wol Schän’red jemals noch erlebt? 
Dein Kind, Hochmeiſter von dem deutfhen Orden, 
Dein Kind, durch Herz und Geiſt und Tapferkeit 
Sn auer Wett fo hochberühmt gemorden, 
Dein Kind, ber Held, der Fuͤhrer feiner Zeit!” 


Der Preuße fieht den Streih; ihm auszuweichen, 
Gelingt ihm durch geivandten Geitenfprung, 
Und blitzſchnell hebt ex untsr lautem Keuchen 
Die Keule zum gewalt'gen Todesſchwung; 
Da freut dad Roß und ſieh' ded Nitterd lieder 
Sind unverfebrt; die Keule freift den Buß; 
Nun raffelt ſchnell der maͤcht'ge Flamberg wieder 
Dem Helden bringend blut’gen Todesgruß. 
Dder ©. 165: 
Sol ſich des Dichters Geift in Formen zwängen? 
Nein! ift fein Herz nur rein, fein Yang nur wahr! — 
Des Dichters Gruß, gewebt aus leikten Klängen, 
Umfäuf’ie fanft des Vaterlands Altar; 
Der König iſt der Priefter am Altare, 
Nur fegnend blidt er auf ben Unterthan, 
Der König will dad Gute, Schöne, Wahre; — . 
Ihr Engel, ebnet feine Herrſcherbahn! 


— 





Oder endlich S. 215: 
Und Alles kaiet und ſchweigt. Horch, Sitherklaͤnge! 
Und noch einmal laͤßt Adalbert ſich ſeh'n, 
Und noch einmal zu ber erſtaunten Menge 
Nuft ex, entſchwebend in des Himmels Höhn: 
" „‚Zchumpbt des Geiſtes Dunkel iſt zerronnen: 
Das Preußenvolk erkennt bed Kreuzes Macht, 
Auf ewig fil’8 dem Ehriftentfum gewonnen, 
Heil, Salza, bir, bu haſt's mit Gott vollbracht! 


als freundliche Lichtpunkte erfcheinen. 


21. Zuleika. Ein Seelengemälde in vier Schilderungen frei 
nah Byron’s „Braut von Abydos“ dargeftellt von @. 
R. Harfenton. Stendal, Franzen und Groſſe. 1845. 
8. 221, Ror. 
Wer des genialen Lords „Bride of Abydos” in ber 
Originalſprache gelefen hat, der Icfe gegenwärtige Nachbildung 
derfelben ja nicht. Der Nachbildner, der das fein Streben yut 
bezeichnende Pſeudonym Harfenton angenommen, verzerrt nicht 
eben die Erzählung mit ihrer öftlichen Scenerie und ihren echt: 
türkifhen Charakteren, aber er zerrt fie jaͤmmerlich auseinan⸗ 
der, und Ref. kann das Beginnen und Thun beffelben mit, 
nichts Anderm vergleichen ald mit dem eines Mundkochs, der 
einer Träftigen Fleifhbrühe fo viel warmes Waſſer zugießt, 
daß die Quantität fi) zwar um ein Bedeutendes vermehrt, 
aber die gefunde Speije an Qualität unendlich verliert, wenn 
fih auch der primitive Geſchmack den Zungenwärzchen noch 
fühlbar macht. Edel mag das hier gebrauchte Bild nicht fein, 
aber es ift gewiß bezeichnend. Das engliihe Original 
nimmt vieleicht zwei Drudbogen ein, bier müffen wir uns 
durch zehn Bogen mit Petitſchrift durcharbeiten. ‘Bon Über: 
fegen Fann die Rede nicht fein, obwol ed Hin und wieder 
fcheint, einzelne Paſſus feien in ber Mutterfprache wiederge: 
geben. Was Byron andeutet, wird hier ind Breite geſponnen; 
was er nur ahnen läßt, ift hier meitläufig erklärt; was er mit 
dem Schleier des Geheimniſſes bedeckt, ift hier durch Eonjectur 
oder are Belehrung enthüllt und eben dadurch alles Neizes 
‚beraubt. Ja es fcheint, als ob der Nahbilbner es verſchmaͤht 
habe, einzelne Geniusblige des britifchen Urfängerd mit in fein 
Machwerk hinüberleuchten zu a fo, um nur ein Beifpiel 
anzuführen, erinnert Pafcha Giaffir, eine echte despotiſche Tür⸗ 
Eennatur, feinen erften Haremswächter Harun, er hafte mit 
feinem Kopfe dafür, daß Zuleifa (des alten Paſchas einzige Toch⸗ 
ter) nicht wieder mit Selim fih im Garten ergebe; „ſonſt“, 
fügt er Hinzu, „du fiehft jenen Bogen, er hat eine Sehne ” 
(If thus Zuleika oft takes wing, thou seest yon bow — it 
hath a string!). Diefe ſchlagend lakoniſche materielle Drohung 
ift hier gar nicht wiedergegeben. In der dritten Schilderung 
ift vielleicht das Beſte, was in epifher Hinficht fi hier findet. 
Da wird der Harem und (&. 7i) eine Ddalisfe befhrieben: 
Verführerifih auf Elfenbeinesſchimmer 

Der Perlenzähne winkt der fuße Kelch, 

Def dufl’gen Rand wie Sonnenthaus Geflimmer 

Gin Lächeln engelgleich umfpielt. O, welch 

Ein Liebreiz ſchwimmt im Glanz der Wange, 

Und ſchmeichelt riefelnd fi mit fanftem Drange 

Tief in dein Derz hinein, bis finnbethört 

Die Seele ganz dem fhönen Weib gehört. 

Denn glühend Süblandeblut in raſchen Schlägen 

Durchwogt die hingegoff’ne Huldgeſtalt. 

Die Marmorarme zitternd fi) bewegen 

Im Pulſesſchlag; und zaubervoll ummwallt 

Wir fonn’ger Woge Schaum der Schwanen Flügel 

Ein Silberflor ded Vuſens Lillenhügel. 

Der Glieder Zul’ in üupp’gem Wellenſchwung 

Dröngt auch das Felfenherz zur Huldigung. 
Zuleika's Monologe (S. W fg.) wären fhön, wenn man Lord 
Byron nicht Pennte; aber fie find zu langathmig, tautologifch 


286 


und gedehnt, um fich in ihrer urfprüngliden Glut erhalten zu 
koͤnnen, das erglübte Mädchen kann Bein Ende mit ihren Jauch⸗ 
zen und Bangen der Liebe finden, und fchwägt und trippelt 
und feufzt in ihrer Zelle von &. 88 — I14!! Und dann ift jie 
noch nicht fertig! Wäre das Ganze die Erfindung des Berf., 


1 fo würde fih natürlih die Kritik ganı anders Darüber aus⸗ 


fprechen, und fie koͤnnte auch nichts dagegen haben, daß er fein 
Werk ein Seclengemälde nennt, oder daß er gefuchte Ausdrücke, 
Zautologien, allzu lange Perioden und einmal (&. 110) eine 
Neminifcenz aus Schiller'8 „Glocke“ dem Geifte und der Form 
nad mit unterlaufen käßt. 


(Der Beſchluß folgt.) 


Religionsproceß des Predigerd Schulz zu Gielödorf, ge- 
nannt Zopfſchulz, eines Lichtfreundes des 18. Gabe. 
hunderts; actenmäßig dargeftellt von Leopold Volk— 
mar. Leipzig, Reclam jun. 1846. 8. 1Thlr. 15 Ngr. 


Der Prediger Schulz zu Gielödorf, weldher im 3. 1782 
noch einen unmodifchen Zopf trug, und mit ſolchem fogar, und 
nicht in einer „Peruͤcke oder gekräufeltem Haare“ auf der 
Kanzel zu erfcheinen wagte, daher den Namen Sopfihulz da» 
vongetragen hat, wurde im 3. 1791 wegen feines fittlichen 
Lebenswandeld und feiner religiöfen Überzeugungen in eine 
Unterfuhung verwidelt. Die tönigliche Cabinetsortre vom 
13. Auguſt 1791, welche fie anbefahl, fügte, daB von dem 
längft berüchtigten Prediger Schul; zu Gielöderf fo viele böfe 
Dinge gehört würden, daß man unmöglid dazu ſtille iſchwei⸗ 
gen könne. Diefe böfen Dinge laſſen fih nad) dem Berneh: 
mungs⸗Protokolle vom 23. Auguft darauf zurüdbringen, daß 
Schulz die Gottheit Ehrifti nicht gelehrt habe, nicht über 
das Werföhnopfer Ehrifti, über die Dreielnigkeit, Buße und 
Glauben, und überhaupt feiner Gemeinde nichts von kirchlichen 
Definitionen, fondern nur die hriftlichen Pflichten des Lebens 
vorgetragen habe. Erfolglos war ſolche Wirkſamkeit nicht ges 
blieben. Nach dem Zeugniffe des Magno v. Pfuel, Patrons 
des Schulz, hatte während der Amtsführung deſſelben zwifchen 
dem Gutöheren und den Unterthanen fein Rechtöftreit obgewal⸗ 
tet, in 20 Jahren war Fein Verbrechen vorgefallen, ſodaß der 
Iuftitiarius niemals Veranlaffung gehabt hatte, einen Gerichts: 
tag abzuhalten. Indeilen das bekannte Religionsedict des Mi» 
niſters Woͤllner beabfichtigte den lutheriſch⸗kirchlichen Glauben 
einzufchärfen, weihen Schulz freilid bei Seite fegen zu wol: 
lien ſchien. Eine fernere Cabinetdordre nahm daher Meranlaf: 
fung , ausbrüdlich auszufprechen, daß das Kammergericht, als 
urtheilende Behörde, befagted Religiondedict nicht aus den Aus 
gen laſſen folle, und fo wol fein Bedenken tragen werde, auf 
die im Edicte feftgefegten Strafen zu erkennen. Der Vertheir 
diger ded Schulz, Criminalrath Amelang, erklärte, daB diefe 
Ordre der künftigen -richterlihen Prüfung mit zu unterwerfen 
fei. „Sr. Majeſtaͤt allerhöchfte Perſon find zu gerecht, als daß 
diefelben auch nur eine Außerung magen dürften, welche den 
Sefegen nicht vollkommen entipräche, und mit felbigen überal 
befteben könnte. Die BVBertheidigungsichrift des ulz felbft 
beichräntte ſich darauf nachzwreifen, daB es fein alleiniger 
Zweck fei: „Die wahre Lehre ded Jeſus von Nazareth uns 
ter der Lajt der -irrigen Borftellungen und 2ehrfäge, womit 
fie in der Folge überladen und dadurch faft ganz erſtickt wor: 
den tft, fo viel an ihm liege, wieder hervorzuziehen und fie 
in ihrer urfprünglichen’ Geftalt, als die ſchoͤnſte Unterweifung 
für Menfchen zu ihrem gegenwärtigen und Fünftigen Glück, 
ihnen vor Augen gi fielen. Richt die in der Bibel und in 
specie im Neuen Teſtamente erzählten Befchichtöbegebenheiten, 
fondern einzig und allein die wahre Lehre Jeſu fei der eigent⸗ 
lihe Grund des Chriſtenthums.“ Die Sahe kam demmächſt 
zum Erkenntniſſe des. Kammergerichts. Hier ift Die wefentlich 
bedeutende Stelle der vorliegenden Schrift wahrzunehmen, wie 
ein Gericht damaliger Zeit feine Stellung zu Fragen der Re⸗ 





ligion auffaßte. Denn Widerſpruch gegen Dogmen und Co: 
binetsverfolgung find in Kirche und Staat nie etwas Neues 
gewefen, und bier iind fte aud) ohne allgemeine Yolgen geblie⸗ 
ben. Dann aber hat uns die hiftorifche Kritit von Strauß, 
die Philofophie von Feuerbach ganz andere Dinge “über das 
Shriftentbum yefagt als jener Prediger nur zu ahnen fähig 
war. Das Rammergericht aber behandelte die Frage ganz fo, 
als wenn ihm vorgelegen hätte zu entfcheiden, ob 3. B. Ie- 
mand eine durch ein Privilegium gefchügte Fabtikation einer 
Maare in derjelben Weiſe nachgebildet Habe oder nicht. Es ift 
dazu ein töchnifches Gutachten Sachverftändiger nöthig. Diefeß 
erfoberte ed vom Dberconfiftorium in folgenden fünf ragen: 
1) Ob die Lehre Jeſu fämmtlihe Gruntwahrbeiten der chriſt⸗ 
lichen Religion enthalte? und worin diefe Grundwahrheiten 
beftehen? 2) Ob außer den Lehren Iefu noh Grundwahrhei⸗ 
fen der Religion vorhanden? und worin diefe beftehen? 3) Ob 
die Grundwahrheiten der Iutherifchen Eonfeffien mit den Grunds 
wahrheiten der chriſtlichen Religion übereinftimmen? oder worin 
ihre Richtübereinftimmung fi gründe? 4) Was ed mit den 
fegenannten Gtaubenswahrheiten für eine Bewandtniß habe? 
und cb jie die Grundwahrheiten der Neligion überhaupt und 
der lutheriſchen Confeſſion insbefondere ausmachen? 5) Ob 
der Prediger Schulz bei ſeinen Lehren, wie ſolche bei der 
Unterſuchung ausgemittelt worden, von den Grundwahrheiten 
der chriſtlichen Religion überhaupt? oder der lutheriſchen Con: 
feffion abgemichen ſei? Wir koͤnnen in der That dem Könige 
nicht ganz unrecht geben, wenn er über dieje Fragen an den 
Großkanzler v. Sarmer ſchrieb: daß Das Kammergericht ſich 
fehr wunderlich aufführe, und allerlei unnüge Fragen an daß 
Scnüiftorium habe aelangen laffen. Dieſes begutachtete übrigens: 
der ıc. Schulz fei nad) dem Sinne des Religionsedictd Bein lu⸗ 
therifcher Prediger; der DOberconfiftorialrathd Zeller in einem 
defondern Zotum: daß er überhaupt wol ein lutheriſcher Pre- 
diger fein Fonne. Hierauf entjchied das Kammergericht: daß 
der ıc. Schulz zwar für feinen proteftantifch »Iutherifcyen aber 
wol für einen riftlihen Prediger und feine Gemeinden zwar 
für Beine proteftantifch = lutherifchen, wol aber für chriftliche 


. Gemeinden zu balten, und er hiernach als chriftlicher Prediger, 


und feine Gemeinden ald chriftliche. Gemeinden, fowie bisher ge: 
ſchehen ift, anzufehen und zu dulden. Mag man nun auch 
der Zendenz diefes Urtheils feine Beiftimmung nicht verfagen, 
fo ift doch von jurijlifchen Standpunkte aus unftreitig, daß 
es über die Grenzen des Streitd gegangen iſt. Was die Ge: 
meinden wären und ob fie geduldet werden müßten, war nicht 
im entfernteiten. Gegenftand der Unterfuchung geweſen. Das 
Urtheil drang ihnen ein Prädicat auf, welches fie weder bean: 
ſprucht, noch welches ihnen abgefprodhen war. Dann aber ift 
mit dem Prädicate „chriſtlich“ eine Gefelfchaft nicht im min- 
deften bezeichnet, eine Perſon wol, wenn fie diefe innere Eigen: 
Schaft, Ddiefes Wefen bat. Cine. Gefellfchaft muß aber auch 
äußerlih eine chriftlihe Form haben, cine Kirche fein. Dies 
Bann fie nur Durch Aufnahme und Seftaltung derjenigen Kir: 
chenformen, die aus der Gefhichte ein Recht entnehmen koͤn⸗ 
nen. Ob dies Alles vorhanden, lag dem Kammergerichte aber 
nit vor. Dann aber tft ein chriftlicher Prediger ebenfo we: 
nig etwäs. Gin Prediger ift Died nur in Bezug auf eine be: 
flimmte Kirchengeſellſchaft; ein chriſtlicher Prediger heißt fo 
viel als Bein jüdifcher oder mohbammedanifcher, was das Kam⸗ 
mergericht ebenfalls nicht zu enticheiden Hatte. Es iſt augen: 
ſcheinlich, daß es nicht wußte, was cd mit dem Religionsedict 
anfangen follte; darum hatte ed die Iangijährige ſtillſchweigende 
Duldung der Gemeinden hervorgehoben, damit diefe dem Pre 
Diger felbft zur Stütze gereichte. Der König caflirte das Er: 
kenntniß und fegte dafür: daß der ıc. Schulz für einen pros 


- teftantijch » lutherifchen Prediger nicht zu achten; ſolchennach 


diefed Amtes bei den lutheriſchen Kirchen zu Giel&dorf rc. zu 
entfegen. Dieſes Nefcript wurde Durch das zweite Urtel des 
py atione ſegeis des Kammergerichts zu einen: Nechtdaus: 
fpruche erhoben. Das Erkenntniß, lediglih auf das Religions⸗ 


ebiet geflügt, Tonnte nicht anders ausfallen. Es ift bier nicht 
der Drt, Die Anwendbarkeit jenes Edicts zu prüfch. Hiermit 
aber nahm Die ganze Angelegenheit ein Ende. Wir erfahren 
nicht aus bem Buche, was mit Schulz weiter geworden und 
wie das Ende feines Lebens gewefen fei. Der Herausgeber 
fließt nur damit: es fei Pflicht weiter zu wirken an dem 
Werke Iened mit männlicher Gefimung. Wir möchten es 
aber für fehr ſchwer halten, nur zurudzufehren zu feinen 
einfachen Principien, umd noch ſchwerer aus der deutfchen 
Kirche der Geſchichte eine heimlich » friedliche Dorfkirche zu 
machen. - I Marauarb. 


—i 


— — — — — — 


Bibliographie. 


Allgemeine deutfche Bibliothek. Neuefte Encyklopädie der 
deutſchen Nationalliteratur. Die deutfchen Tlaſſiker von Gocthe 
biß auf unfere Zeit. Iftes bis Ites Bändchen. Grimma, Ver: 
lagöcomptoir. 16. a 2), Nor. 

Bu ginger, Gefchichtlihe Nachrichten über die ehema⸗ 
lige Grafichaft und das Landgericht Dachau. Bis 1800. Mün- 
hen, Franz. 1844. Gr. 8. 20 Nor. 





Sonrad und Adelgis. Ein Mährchen. Berlin. 1845. 16. 


1’r Ror. ' j 

Eurtmann, W.,.Die Mäthjel des Lebens, ein Verſuch. 
I. Jenſeits. Darmſtadt, Diehl. Gr. 5. 20 Nor. 

Gabriele von Belle-Isle oder die verhängnißvolle Wette. 
Schaufpiel in fünf Aufzügen. Nah A. Dumas übertragen 
von 2. Dften. Hamburg, Berendfohn. 1845. 12. 15 ar. 

Henrici, Das Leben der Heiligen, ein Glaubensfpiegel. 
Erweckungen für Geiſt und Leben. Mit Titelkupfer. Leipzig, 
Hartung. 1845. Kl. 8. 20 Ror. 

Morig, A., März: Beilhen. Ein Kranz des Andenkens 
auf das Grab feiner Minna. Berlin, Wohlgemuth. 1945. 8, 


"1 Nie. 


Müpler, 9. v., Geſchichte der evangeliichen Kirchen: 
verfaſſung in der Mark Brandenburg. Weimar, Landes⸗ 
Induftrie: Comptoir, Gr. 8. 2 Thlr. 15 Nor. 

‚ Rarrhalla>Lieder mit Bildern und Singweifen. Mainz, 
Wirth. Gr. 16. 15 Nor. 
Drtlepp, ©, Gefammelte Werke. Ifter und Iter Bant. 


Winterthur, Literariſches Comptoir von Hegner älter. 1845. 


Gr. 16, a 18 Nr. 

— — Enriko und Blanka oder die Heirath aus Narbe. 
Zrauerfpiel in fünf Acten. Winterthur, Literarifches Comp: 
toir von Hegner älter. 1845. Gr. 16. 9 Nor. 

Schellenberg- Biedermann, E., Ein Jahr aus Ur- 
ſula's Leben. Winterthur, Literarifches Comptoir von Heg⸗ 
ner alter. 1845. 8. 1 hir. 24 Nor. 

Zournefort, 3. v., Der Antihrift. Ein Gegenftüd 
zu Gngen Sue's „Ewiger Jude“. Aus dem Franzoͤfiſchen. 
Ifte Lieferung. Aachen, Cremer. Gr. 12. 5 Nur. 

Walter, ®., Der Anacharſis des 13. Jahrhunderts. 
Ein Sittengemälde der Vorzeit. Zwei Theile. Aachen, Cre—⸗ 
mer. 1345. 12. 20 Nor. 


Zagedliteratur. 


Ammann, %., Der Styl der römifchen Curie und der 
fromme Betrug des heiligen Stuhls, biftorifh nachgewiefen an 
einem hoͤchſt merkwürdigen römifchen Dokumente. Zte Auflage. 
Baden, Zehnder. Gr. 16. Ti, Nor. 

Die religiöfe Aufregung der Gegenwart, in befonderm 
Bezug auf die Symbolfrage. Grimma, Beslagscomptoir. 1349, 

. gr. 


Baron, R., Zum confelltonellen Frieden! Ein Neujahr» 
geub an Katholiten und Proteftanten. Breslau, Goſohorsky. 
815. Gr. 8. 5 Ngr. 

Baumgarten, Die Klug: oder fliegende Schrift des 
A. ©. Frieder. Freih. v. Strachwitz, angeblich nur den katho⸗ 


. 


en Prieſter Donge vor dem leſenden Volke befprechen?. 
—— Schulz und Comp. 1845. Gr. 8. 2', 

Dffene Beantwortung der Frage bed Hrn. P. er, ob 
die Unterzeichner der Erklärung vom 15. Auguſt Baucbienert 
Don einem Freunde ber Wahrheit. Berlin, Ihome Gr. 8 


" Bemestungen über Stahl's Senbfchreiben gegen die Er 
—— vom 19. Auguſt 1845. Berlin, Schulge. I &r.8. 


N 

5 ern e au A Dr. K. * it, Chef, vn * Reformations⸗ 
redigt, angegriffen von Kon riſt, vertheidigt von ꝛc. 
—* Müller. 1845. 8. 74 Ngꝗr. 

Collmann, C. 2, Ein Wort zur Erinnerung an den 
100. Geburtstag Heinr. Peftalozzt's und an beffen erſtes Saä⸗ 
cularfeſt, nebft einigen Auffügen über die Peſtaloz;ai⸗Stiftung 
und zwei Mctenftüden von 3. Falk über die Erziehung ver 
wahrlofter Kinder. ae veränderte und vermehrte Auflage. 
Kaflel, Bobnt Gr. 8. 15 Near. 

Dos Definitivum des Hrn. Cporſchili in Betreff der Deutſch⸗ 
Katholiken. Beleuchtet und zurücdigewiefen von M. U. Leip: 
zig. Einhorn. Kl. 8. TY Kar. 

Franke, F. A , Schattenrib eines großen Reformators 
oder Dr. Anton Iheiner nad) feiner Stellung in der Wiſſen⸗ 
Br und im Leben gezeichnet. Say, Hirſchberg. Ler.:8. 


Freimund, A., Die Hiftorifchepolitifche Schule und Boͤh⸗ 
mer's geichichtliche anühten Gine deutſche Kritik. Berlin, 
Schulge. 1845. 8 Nar. 

Gabe der Liebe, 2 Herrn Sem.-Director Dr. F. 
A. W. Diesterweg. dargebracht zum 3. Juli 13456. Von einem 
Nichtlehrer. 2te Auflage. Meurs, Dolle, Gr. 8. 2Y, Ngr. 


Gieſe, B. M., Bekenntniſſe eines Preigewordenen, mit 
befonderer Beziehung auf Kämpfe's Beantwortung der Uhlich'⸗ 
fchen Belenntniffe. Altenburg, Helbig. Gr. 8. 16 Nor. 

Glaubens : Belenntniß der nach dem Proteft vom 15. Mai 
1845 zu Berlin” fid bitbenden Seit. atholiſchen Gemeinde. 
Berlin, Wohlgemuth. Gr. 8. 3%, Nor. 

Günther, F., Der Oetegenpeitkticte 2te Auflage. 
Erfurt, Henningd und Hopf. 1845. Qu. 8. 10 Rgr. 

Harms, Einer wider Einen. Cine Grttärung. Ham» 
burg, Berendfohn. 1845. 8. 3%, Nor 

v. Holgendorff: Bietmansüorf, Brief an den Land: 
tags⸗ Abgeordneten ꝛt. Herin v. Arnim auf Eriewen bei Schwedt. 
Berlin, Springer. 1845. Gr. 8. gr. 

Johannes, Welche Zeit iſt's im Reiche Gottes? Grimma, 
Berlagscompteir. 8. 71, Nor. 

Zordan’s Bewußtfein über feine Schuld oder Unfchuld. 
Siegen, Friedrich. Gr. 8. 1Y, Nor. 

Julius, ©. Bankweſen. Ein neues Geſpenſti in Deutſch⸗ 
land. Leipzig, D. eigane. ®r. 8. 1 Zhlr. 

Knöna ——— Sider den Kornwucher. Leipzig, Hart: 
mann. 

De Ronfikt in Woadtländiſchen Geiſtlichkeit mit ihren 
Staatsbehörden, und ihre Verhandlungen vom 11. und 12. No⸗ 
vember 1845, welche den maſſenhaften Rüctmitt dom Amte 
zur Folge hatten. Aarau, EhHriften. &r..8. 10 Nor. 

Konrad, J. A., Die Idee Gottes ’aus dem Stantpunlte 
der chriſtlichen "Offenbarungsiehre dargeftelt. Gin wiflenihafts 
licher Verſuch. Baden, Höhr und Langbein. 1845. 8. Hi Kor. 

Lauter, Nationales Zeugniß von Chrifto und für Chriſtum. 
@ine Predigt über die Frage: Wie duͤnkt eu um Chriſto? 
weß Sohn ifter? Halle, Schwetfchke und Sohn. Gr. 8. 3 Nr. 

Lidco, G., Von dem Verhältniß der Geiftlichen au der 
Antrittepredigt. Berlin, Bethge. 8. 2Y, Rar. 

Luther's Lchen, Wirken und &terben in zwölf Driginalien 
gefhildert von Melanchthon, Luther felbft, Juſtus Jonas und 
andern Augen⸗ und Ohrenzeugen. Kurlerube, Braun. 8. 
75, Nor. 


Verantwortlicher Deraußgeber: Heinrich Brockhaus. 


feſte 1845. Predigt. 
— Druck und Verlag von F. E. Wrodbans in Leipzig. 


Mager, Einrichtung und Unterrichtsplan eines . Bürger 
Gymnafiums (Meal: oder höhere Bürgerfule). 
Verlags » und Soräimenet-Bugbanbiumg. 10 45. Gr. 8. 15 * 

Mann, G. F. Der Kampf des Bits mit ber Finſter⸗ 
niß. Gedicht. Weißenſee, Großmann. 1845. &r.8. 6Rgr. 

Märtyrerthum der Dberin Irena Marrine Mieczyslaweka 
und ihrer Beldensgefährtinnen. Aus dem Pranzöfiffen. Mit 
einem Vorworte und dem Biltniß der Dberin Nieczvelawsko. 
Augsburg, Schmid. Br. 8. 5 Nor. 

Dppel, C., Joh. Heinr. —— Le Molin und 
Birken. — a. W., 5 Ngr. 

Orth, E., Jakob und —* Drei Predigten —E einem 
offenen Scräben an an Hrn. Prediger Kunge. Berlin, Dehmigke. 


1345. Gr. 8 Nur. 

Darth, H. F. W., Der Herr ift der Beil. Wo aber 
der Geift des Herrn ift, da iſt Freiheit. Rede an gebüdete 
Ehriften zum einfachen und richtigen Verſtaͤndniß dieſes auch 
in gegenwärtiger Zeit fo oft gemißdeutcten und gemißbrauchten 
apoftolifhen Ausſpruchs. Berlin, Amelang. 8. 3 Rgr. 

erez, Die Borfchläge des Oberconſiſtorialrathe Dr. 
Snethlage und bes Abtes Dr. Rupftein zur Vereinigung der 
den Kirche Deutſchlands. Grimma, Verlagtcomptoix. 


Piper, ®. D., Der Pfarrer Guftav Adolph Wislicenus, 
und die Bedeutung feiner Bekenntniſſe und Erlebniffe für die 
Gefammtheit. Eine Zuſchrift an die „proteftanten. Halle, 
Schwetfchke und Sohn. Gr. 8. 6 

Ringeltaube, ©. 8, Daß Chin und der Zeit: 
geift, oder Beleuchtung einiger Zeitfragen auf dem Gebiete 
der Kirche mit den Worten der heiligen Schrift. Berlin, 
Wohlgemuth. 1845. Gr. 8. 20 Ror. 

Rothe, R., Chriſtus ift nicht gekommen, 
— ‚, fondern das Schwert. Heidelberg, Winter. 


— Saeıy, : J., Die Volksſchule. Didenburg, Schulze. 1545. 
r. Nor. 

Schönwetter, 9. 3., Was fıgt das Wort Gottes in 
Betreff des ichtee, das unfree Kirche gegenwärtig noth thut? 
— über 1. Mof. 1, 3, Kördlingen, Bed. Gr. 8. 


3 r. 
Sgubarth, EM, Da der epangeliſche Landmann 
in alltäglichen Erfahrungen feined Berufs ein fehr wirkjames 
Schugmittel habe gegen die Reuerungsſucht auf dem Gebiete 
feines Glaubens und feiner Kirche. Arntefeftpredigt. Grimma, 
Gebot, 18. Gr. 8. 3 Nor 
ütz, W. v., Proteftantifiher Jeſuitenhaß und katho⸗ 
fer 3 Der Geſellſchaft Jeſu um ihren Freunden 
gewicmet. Wugsburg, Kollmann. Gr. 8. 51%, Mor. 
- Eine Stimme ans der Mitte der Theologie Studirenden 
über Die ſächſiſchen Minifterialerlaffe vom 37. und 19. Juli 
1345. Grimma, Berlagscomptoir. 1845. 8. 5 Rgr. 

Herr M. A. Thiers und feine Geſchichte des Tonſulats 
und Aailerreiht. keipzig. 12. 10 Ror. 

Uhlich, Über den Amtseid ber @eifttichen. 2te Auflage. 
Leipzig, Klemm. Kl. 8. 3 Rgr 

— — Dffenes Sendfhreiben an bie proteftantifche deutjche 
Conferenz in Berlin. Wolfenbüttel, Holle. 8. IR 

Boldmar, &., Der höchſte Grundfag bes Chris, 
der Reformation und des „freien Katholizismus der Gegenwart. 
Siegen, FBriederih. 8. 21%, Nor. 

Wern er, B., Unftecblichfeit, Heilige und Fegefeuer und 
was etwa noch daran bängt, in einigen Umriffen für alle 
eriſtenthum fegenden Rationaliſten. Darmſtadt, Kern. 1845. 

Nor. 


ei —— Zum Beften u si He Deu in Sannover. 
nige Berfe an alle milden ilifter Deutfchlande. Darm- 
ftadt, Kern. 1845. 16. Fra „ 

Bille, M.A., Der eoangellihe Chriſt am Reformations: 
Reipzig, Klinkhardt. Gr. 8. 3 Nor. 


Srieden u 








Blätter. e J | J 


für 


litera riſche Unterh altung. 





Sonnabend, 





Leiſtungen auf dem Gebiete der modernen Epik. 
(Beſchluß and Nr. TB.’ F 
32. Balladen. Bon Karl Beidtel. Leipzig, Brockhaus. 
1845. 8. 1Ihlr. 


Die Inhaltsanzeige mit ihren piquant' überfchriebenen 
Rummern ſowie ber erfte rhapſodiſche Durchflug der Balladen 
ſelbſt erfüllte uns mit einem fehr günftigen Borurtheil für den 
Berf., der bier fein erſtes "oc »epifches Debut zu machen 
n ints denn es läßt fih nicht in Abrede ſtellen, da nur we⸗ 

ge Stüde in dieſer Sammlung find, durch Die nicht irgend 


ein fchöner geiftreicher Gedanke, ähnlich einem abendlichen Wet 


ferleuchten, zudte, ober uns ein cbenfo neues als reizendes 
Bild uͤberraſchend vor Augen träte. Aber eine forgfältigere 
Lecture zerflört dieſes guͤnſtige Vorurtheil und die Scattenkeite 
des Buchs tritt mit einem gewiſſen Eclat hervor. Die Ba: 
Ken laboriten nämlich fämmtlih an Dunkelheit. Man ver 


Afiehe uns indefien recht. Wir rügen hier nicht die melando- 


liſch⸗ trübe Färbung, die alle Stücke tragen — denn die Ballade, 


um ſich von der heller zu haltenden Romanze zu unterfdeiden, 


fol ja nach ber Theorie unferer Poetiker in eine ſchwermuͤthig 
Dunfle Karbe eingetaudht fein —, fondern wir rügen hier die 
Dunkelheit, Unklarheit und Unverftändfichfeit der Gebanken, 
die und auf jeder Blattfeite entgegentommen und aller äftheti- 
ſchen Genuß vergällen. Es find Stüde bier zu lefen, we 
der Lefer feine Gefchidfichkeit im Errathen des Sinnes auf 
die Probe ftelen kann, wo er aber doch ſchwerlich aufs Reine 
oder vielmehr ins Helle fommt, z. B. „Aug’ um Auge” (©. 36) 
und „Der falihe Heinzelmann” (8. 105). Diefe Dunkelheit 
paralyfirt natürlich Den Eindruck des Geiftvollen und Unger 
woͤhnlichen, den das Lefen diefer Sachen anfänglich auf unfer 
Gemüth macht. Richten wir den Blick auf den inhaltlichen 
&toff, fo finden wir eine nicht geringe Anzahl originel erfun- 
dener Stuͤcke, 3. B. das erſte: „Die Fliegende Pet”, nimmt 
ſehr ein und befticht und; aber im Verlauf der Lecture offen: 
hart fich doch eine große Einförmigkeit des Inhalts und im: 
mer wiederkehrende Ideen, Facta und Situationen. Die Haupt: 
rolle fpielen immer und immer faft Jäger, Waflermänner, 
Niren, Heren, und er betritt überall gern die Region des 
Bunderbaren, Myſtiſchen und Gefpenftifhunheimlichen, worüber 
er fi in einem Prologe vortrefflih alfo ausſpricht: 
Auch macht fi hier und da der alte Glaube 

An Geifter, Ahnungen und Träume gelten, 

Und hebt bie Todten auß der Erbe Staube. 

Das wilde Heer zieht durch die finftern Forſte, 

Die Lurlei fipt auf hohem Klippenhorfte, 

Der Tod Läuft überd Grab, bie Gnomen ſchelten, 

Bulegt mit Schlüffeldund und Spitzenhaube 

Tritt uns die Abnfrau an auß andern Welten. 
Diefe Worte aber verheifen uns mehr als und gegeben wird, 
und find viel beſſer ald die Schilderungen ſelbſt. Eins feines 
Lieblingsthematen ift Die Treuloſigkeit des Maͤdchens, die einen 
beſſern Fiebhaber und Freund kennen gelernt hat, 3. B. „Der 


es uns alle 


Kire Rache” (&. 159). Ahnlich find „Der weiße Ritter”. 33) 
„Der Bahrgaſt“ (8. 171), „Die legte Zagd (8.67). „Die 
legte Nacht (@. 147) iſt dee Anlage nach ein vortweffliches 
&ujet, aber die Ausführung täufcht uns; der Berf. beherrſcht 
auch bier die Klarheit der Gedanken und Bilder fo wenig, Daß 
Augenblicke iſt als. ftänden wir vor der Räthfel 
aufgebenden Sphinx. Der Sprade nad ift „Das verſchwun⸗ 
dene Brautpaar” (8.73) das geiſtreichſte Stuͤck aber der Verf. 
macht es effectlos durch den unmotivirten Schluß und, Aus: 
gang. Ebenfalls fchön ift „Dad Muttergottesbild“ (©. SI) 
und „Aus der Schweiz” (8. 122), was freilih an &Geidl’s 
„Hans Euler” allzu jehr erinnert. „Der Treudruch“ (S. 75) 
wird zulegt dadurch, daB die Battin todt ift, völlig verdorben. 
Schon if au das Peine fabelähnliche Stud ‚„Mutterliebe” 
(S. 191). Was Bers und Reim betrifft, erlaubt fih Hr. 
Beidtel viele Freiheiten; von kakophoniſchen Rhythmen ließe 


ſich eine reiche Blumenlefe halten, und Reime wie Walde auf 


halte, padt und gewagt, entzüdt und gewiegt find etwas ganz 
Gewoͤhnliches. Auch die Sprache, fonft das Befte und, die 
Lichtfeite im Buche, erlaubt fh Willkuͤrlichkeit und Ansmalien,, 
welche bypergenial find; 3. DB. ſchmacherroten ſtatt erröthet, 
gewunken ftatt gewinkt, entzunden ſtatt entzündet, ja gar ge> 
malen ftatt gemalt. In Hinfiht der ihm eigenen Orthogra« 
phie drängt * uns die Bemerkung auf, daß der Verf. ein 
Feind des Spiritus iſt: er verbannt dad ehrliche deutſche h 
gänzlich aus den Worten. Verſuchen wir, ob wir den Leſer 
nad) ben bier gemachten Bemerkungen und Audftellungen ver: 
föhnen können mit den epifchen Keiftungen des Hrn. Beidtel, 
wenn wir bier das Stück mittbeilen, weiches wir für das Ju⸗ 
wei der Sammlung erflären: 


Die fliegende Pe. 


„Steb’, Alter, auf von jenem Grabeshuͤgel— 
Der Froft verfilbert Buſch bereitd und Dede, 
Zu Abend fehliehe ich ber Ihre Riegel 
und fuche meines Bettes warme Dede.” 
„Die hergebettet du zu ew'ger Ruhe, 
Die Sonne war's in meinem Jugendlande, 
Sobald dir Dedel fiel auf ihre Truhe, 
War meine Hofinung, war mein Glüd zu Rande.” 
Der Käfter laͤchelt; „Wunderlicher After, 
Willſt du mit fremdem Misgeſchick dich quälen? 
Komm in mein Hand, erſt fing’ ich einen Pfalter, 
Denn will von diefem Mädchen il erzäßlen. — — 
Es find wol fünfzig Jahre, daß mit Andern 
Nach dieſes Staͤbtchens engen Haͤuferreihen 
Ein Juͤngling kam nach jahrelangem Wandern, 
um an der Lieben Anblick ſich zu freuen. 
Der gelbe Strom, der Wirthe grüne Gilde 
Erzaͤhlen ihm von taufend kecken Gcherzen, 
Die Anabenzeit, bie wählige, bie wilde, 
Lebt wieder auf in folnem warmen Pergen. 


” #, 


Und eines Voͤgleins denkt er blau wie Äther, 
Wie Sonnenfrahlen glänzend, ohne Fuͤße, 

Er folgte feinem Fluge, bis es fpäter 
Verborgen fi in einem Mauerriffe. 

Am Simfe Prod, dad Wunderthier zu fangen, 
Ein Inder Rnabe er nah dem Verſtecke, 
Doch wie er langt, er kann eb nidt erlangen, 
Tief fipt dad Thier in dunkler Mauerede. 

Erboft, daß ſeiner Hand ber Bund entwiſche. 
Nimmt einen lafen Ziegel er vom Dache, 

Zügt ſorgſam in die Fugen ihn ber Nifche 


VUad geht entzoͤckt ob ber gelung’'nen Race. 


Doc was geſchehen, quälte ihn allmädtig, 
D5 lange er zum Iüngling aufgeſchofſen. 
Das blaue Voͤglein, glänzend, wunberprädtig, 
Es mat Ihn finfter, traͤumeriſch, verſchloſſen. 
Aus jebem Haus fah es, aus allen. Spalten, 


"Und nirgend Ruhe feinen fluͤcht'gen Sohlen, 


Sich ſchabdlos für das Ungemach zu halten, 

Will er ih nun des Voͤgleins Febern holen. 
Und nad) dem Haus, in beffen Mauerlüde 

Der Vogel einft gefloh’n, eilt der Geſelle, 


Nach tem verkichten Ziegel ſpaͤh'n bie Blicke, 
. „Da tft er, da, und das die Grabedftelle.” 


Gr klimmt hinauf, geöffnet ifl die Mauer, 
Der Vogel lebt, er fieht ihn blitzſchnell fliegen, 
Da überlommt es ihn wie eiffger Schauer, 
Wie er erwacht, fieht er im Bett fich Liegen. 


Und fheuen Blickes fteht mit bleihen Wangen 


"Sein Lieb vor ihm und ringt bie zarten Haͤnde: 


„Des Baterd Auge hat dad Grab umfangen, 


Der Mutter, ven Geſchwiſtern naht dad Ende. 


‚Die Yelt . . die Pe! Die Gaſſen fill und öde, 
Da warft der Erſte, der an ihr erkrankte, 
Ein blauer Vogel beine einz’ge Rede 
Als mir vor deinen Phantafien bangte.“ — — 


„Gin blauer Bogelt” ... Die Doctoren wiegen 
Die Köpfe, wie den Fall er ihnen beichtet: 
Db’8 concentrirt Miasma vor? . . &6 liegen 
Erempel vor, daß durch bie Luft es. leuchtet.’ 


„Um meine That, um meine Neugier müffen 
Nun Tauſende in Todeſqual vergehen!” 
Der Kranke ſinkt verzweifelnd in die Kiffen, 
um fpät zu neuem Leben zu erfichen. 


„Wo if dad Mädchen, dad zuerſt willkommen 
Geheißen mi auf meiner Väter Boden?’ 
„Die Knechte frag’, die fie von bier genommen, 
Und fortgefähleppt gleich taufend andern Todten.“ 


„Dein Muͤtterchen, wo bift du? Wo die Brüder, 
Wo eine Hand, bie fonk die meine brüdte? 
Nur kummerblaffe Leute feh’ ih wieder 
Und ich, ber ihrer Wangen Furchen pflägte.” 


Nicht Einer wi den Heimgekomm'nen grüßen, 
Nicht Eines trinft mit ihm aus Einem Glafe, 
Da fhättelt er den Staub von feinen Füßen 
Und wandelt fernab elufam feine Straße. 


Man fagte mir, auf Afghaniſtans Grde, 
Im heitern Kaukaſus fei er geweſen; 
Doch beimifh wurde er an keinem Herde, 
Denn was er wollte kann er nie vergefien. 


Auf jenem Grab die kreideweißen Roſen, 
Die Schweſtern derer find's, bie feiner Lieben 
Man fierbend in die Locken flocht, die Lofen, 
Und baß fie eine Braut erfcheine drüben. 


290 


D’rrum, ſo ihe ein verloren Kind betrauert, 
Da6 war der Stein nit, unter bem «ed mebert. 
Nun eßt und triaft und in die Ede kauert 
Cuch hin, wit feh'n, 068 im Kamine lobert.” 

Der Alte rüber fi nicht. Der Küfter leuchtet 
Ihm ind Gefñcht, erſchrocken ſteht er ſtille: 
„Ihr ſeid der Mann, deſſ' Schickſal ich gebeidhtet, 
So meine Sinne treu. Was Euer Wille?“ 

„Was ich gefucht, ich Habe es gefunden, 

Zur leaten Stunde holet aus der Hammer 
Und .Iedig deſſſ, was Andere gebunden,” 
Geh’ Ih zur bleichen Liebe in die Kammer.” 

Nun faͤllt dad Antlig auf die magern Bände 
Die an des Tiſches Sehne ſich gehalten. 

Auf vaterlaͤnd'ſcher Erb’ ein filed Ende, 
Vott wachte über dad Geſchick des Alten. 


23. Paulus. Geiftlihes Gedicht in zehn Geſaͤngen von Hein⸗ 
rih Alerander Seidel. Schwerin, Kürfchner. 1345, 
Gr. 8.. 1 Zhlr. IS Nor. 
Dieſes chrüftlich = biblifche Epos ſcheint und aus einem 

doppelten Grunde einer forgfältigen Beachtung werth. Einmal 

weil es in feinem bedeutenden materiellen Umfange von 934 

wohlgebauten Dttaven fchon als eine Seltenheit auf Deutfch- 

lands literariihem Bazar erfcheint. Wir haben zwar ebenfo 


umfangreiche geiftliche Epopöen, aber Feine in ſolchem Geifte - 


abgefaßte; denn Ruͤckert's allbekannte „Evangelienharmonie” tft 
am Ende nichts weiter ald eine gereimte evangelifche Geſchichte, 
in welcher des heiligen Driginald eigenthümliche Reize noch 
obendrein oft verwifcht werden. Daß ift hier nicht der Fall, 
Dann aber ift das Buch auch deshalb beachtensiwerth, weil 
der Berf. der doppelten Anfoberung, die man an den geiftlichen 
Dichter unferer Zeit macht, velllommen Genüge leiftet, bie 
aber in unfern glaubensarmen und nur auf materielle Inter: 
effen fich richtenden Tagen hoͤchſt felten erfüllt wird: der Sän- 
ger des „Paulus’ verbindet nämlich Dichterifche Begabung mit 
läubigem Sinne, @igenjchaften, die man nicht oft beifammen 
3 2. Schefer in feinem „Laienbrevier“ und Sallet im 
„Laienevangelium“ geben uns in diefen Schriften als veichbes. 
gabte Dichter eine Fülle von poetifhen Anfchauungen und an- 
ziebenden Gemälden; aber umfchnürt von den Banden einer in 
fih fireng abgefchloffenen Schulweisheit Fehlt ihnen das dhrift- 
lige Moment, der Glaube, und fomit find fie eben Beine echt 
geiftlihen Dichter. Mit H. U. Seidel (wir wiſſen nicht, ob 
er mit Heinrich Seidel, deſſen „Mofait” wir in Rr. 292 
d, Bl. f. 1844 ruͤhmlich gedacht haben, tdentifch ift) verhaͤlt 
ed ſich anders. Er gehört weder einer philofophifchen Schule 
noch auch einer religiöfen Partei der Neuzeit an; es fehlt ihm 
weder die Weihe des Dichters noch der Glaube des Ehriften. 
Weiſen wir Beides im Werde felbft nach, wenn auch nur mit 
wenigen Bederftrichen. Nicht eben der Paulus, den uns Lukas 
in feiner Erzählung der Thaten und Schidfale der Apoſtel 
Sefu vor Augen geftellt bat, wird uns hier gezeichnet, fondern 
wir fehen das heroiſche Eharafterbild des wunderbaren Man: 
ned aus Zarfus in Eilicien, wie es ald eigenthümliches Spie⸗ 
gelbild in die Seele bed Verf. gefallen ift; das ftellt er uns 
in marfigen Zügen mit pfychologifhem Scharfblid und mit 
großer Geſchicklichkeit, wechſeinde Zuftände und Stimmungen 
der menfchlichen Gerle zu malen, vor Augen. Diefe Geſchick⸗ 
lichkeit offenbart ſich vorzugsweife im fechöten Gefange, ber 
uns die Neue, Scham, Furcht und Selbftveracdhtung, und dann 
wieder die Feimende Hoffnung, den fich belebenden Muth und 
das neue Reben des von dem Herrn ergriffenen und umgewan- 
beiten Helden in großartigen Zügen und mit pſychologiſcher 
Wahrheit fchildert. Überdies webt auch bie dichtente produc⸗ 
tive Phantäfte manche Scene und mandes Ereigniß epiſoden⸗ 
artig mit ein, wovon in der heiligen Urkunde Bein Wort ftehe 
und Peine Andeutung fich findet. Dahin geyört die Erſchei⸗ 
: mung der Mutter des Gtephanus, das Weilen bes Helden am 


. . 
. 
2 % 


Grabe diefes erften Blutzeugen, der Charakter des greifen Gar 
maliel, des Lehrers Pauli, die anziehende Geflalt des Joſes, 
mit welchem Paulus durch die Bande der innigſten Freund⸗ 
ſchaft verbunden erſcheint, welcher aber ſchon vor des Apo⸗ 
Bekehrung ſich zu Jeſus wandte, den Paulus ſpäter im 

ſe des Lazarus und ſeiner beiden Schweſtern in Betha⸗ 
nien findet und der ihm zuletzt unter dem Kreuze Jeſu wie⸗ 
der verföhnt in die Urme ſinkt, die Schilderung der Mar⸗ 
sen, die Pautus zu Jeruſalem über einige Chriftenfinder 
Eonrmen ließ, die Zatıfe des Wpoftels durch Ananias im Fluffe 
bei DamasPus und des fanatiſchen Synagogenvor⸗ 

chers Simon zu Damaskus. Dabei zieht der Berf. nach alt⸗ 
epifcher Sitte Und Brauch die Maͤchte der Geifterwelt in bie 
Kreife der handelnden GSterblichen; aber er bedient fich folcher 
e aus dem NRüftbaufe Kalliope's mit einer gewiffen 


Diseretion. So macht der Heilige des Evangeliums dem Hel⸗ 


den felbft und den Seinen feine Naͤhe nur ein paar Mal 
fühlber und benedt die Stätte des Haufes, wo fie wetlen. 
Ein überaus glüdlicher und poetifch gehaltener Bedankte ıft es, 
daß der Geiſt des Stephanus bem Paulus in wichtigen Lebensmo⸗ 
menten als Engel mit dem Yalmenzweige, mahnend und warnend 
im Unfange, und tröftend und ertmufhigend am Ende erſcheint. In 
Der Rolle, die der Verf. den Satan fptelen läßt (denn wie dürfte 
Diefe fehlen?), iſt durchaus nichts Verzerrtes und Barodes, wie wir 
das in früher erfchienenen epiſchen Werken wahrnahmen. 

Die Dlonomie, mit welcher der materielle Stoff des 
Buchs eingetheilt und gegliedert ift, verdient alle ner: 
Zennung. In den erften fünf Gefängen, deren jedem ein 
bibliſches, feinen Inhalt andeutendes Motto vorangefegt ift, 
fehen wir den fihnaubenden, in Satans Schlingen noch wan- 
delnden, verbiendeten Saulus vor uns; in des Buchs zweiter 
Halbſchied oder in den letzten fünf Gefängen Dagegen tritt 
der durch Ghriftus gewonnene, in einem neuen Leben warn: 
delnde Paulus vor und auf. Indeſſen umfaßt diefer zweite 
Theil nit die Ihaten und Schickfale des Helden auf feinen 
Miffionsreifen bis zu feiner Sefangenfchaft in Rom, fondern 
ſchließt fhon mit dem Augenblid, wo Paulus in dem Kreis 
der andern Apoſtel ald Bruder erkannt und als Mitarbeiter 
im Weinberge ded Herrn aufgenommen und durch Gebet ge» 
weiht wird, und wo er fi anfchickt, den Namen Jeſu zu den 
Heiden zu tragen und das Kreuz in den Ringmauern klein⸗ 
Aatifher Städte aufzupflanzen. Den Referenten theologifcher 
Blätter müflen wir es überlaflen, den ftofflichen Inhalt bes 
Epos weiter zu erponiren. Dazu kommt nun die edle, reine 
Sprache, die fliegenden Rhythmen (denn daß der Verf. Jeho⸗ 
vab bald als Daktylus, bald ale Anapäft mißt und gebraucht, 
ift am Ende irrelevant), die euphonifhen Ottaven, die faft 
durdgängig, reinen Reime, die richtigen Bilder und Verglei⸗ 
qungen! Rirgend ein profaifher Pafſus, eine Erfchlaffung bes 
Flügels der Begeifterung! Ein Guß durch das Ganze von der 
exften bis zur lehten Ottave! Kurz, ein Dichter hat das Buch 
geichrieben; aber auch ein gläubtger Dichter! Er ift ortho- 
dor, aber doch Fein Ultra; Fin Lieb preift den Herrn der Herr: 
lichkeit in hoher Davidiſcher Begeifterung, aber er tändelt nicht 


mit Worten, heilandelt und lämmelt nicht; er glüht für das | 
Heilige, für das was droben ift und ewig währt, aber man | 


ſieht, es ift Fein erheucheltes Glüben ober myſtiſches Träumen 
und Binfeln ; er legt feinem Helden die Unfichten von der 
Rechtfertigung, der Erwählung, der ftellvertretenden Genug: 
thuung und der Erlöfung in den Mund, er ann aber ni 
anders, wenn er biftorifch und piyholseifd treu fchildern und 
Berichten will. Von feinem Glauben, und zwar dem echt lu⸗ 
therifchen, legt glei die Widmung an die evangelifche Kirche 
Kunde und Zeugniß ab: 
Durch Werke nicht wird jeder Menſch gereht. 
Im Glauben nur an ein gekreuzigt Lieben 
Grlanget Heil das fündige Geflecht. 


Wie Paulus mit Menfchen» und "Engeljungen redet, ergibt 
fich zunaͤchſt aus feiner begeifterten Anrede an Ananias nad 


8 


ber Taufe im ſiebenten Geſange van 


theilen hieraus zur Probe einige Stellen mit, die der Verf. 
den brieflichen Morten feines Helden an die Römer entnom⸗ 
men und rhythmiſirt hat (S. 224): . 
Wiet zaget ihr? euch fhredt daB ferne Droͤhnen 
Des Sturmeß, der auf Erdenwolken fährt? 
Schreckt, Bräber, euch der morſchen Ruͤſtung Toͤnen, 
Damit bie Welt ſich gegen euch bewehrt? a 
Sähredt much der Spott, ber Büge giftig Höhuen, ... 
Der Erdenſchmerz, der nur beu Leib verfehrt? 
De, fhaut, woruntier und worauf ihr ſtehet! 
Die Gnade trägs, euch ſchirmt das Kreuz erhoͤhet. 
Iſt Bott für und, wer mag und wibetiireben? 
Der nicht verfhont den eingebor'nen Sohn, 
Der Uebend Ihn für und bahin gegeben, 
Wie ſollt' er nicht wit ihm der Himmel Kron', 
Und Alles ſchenken? — und der, und zum Leben, 
Das Grab vertauſchte mit der Himmel Thron, 
Wie follt’ er nicht, wenn feinen Weg wir geben, 
Der Herrliche, zu unfrer Seite flehen? 


Wer will beſchuldigen, die Gott erwählet? 
Sa, Sott iſt Hier, ber machet und gerecht! 
Und wer verbammen, die ibm zugezählet ? 
Wer, frag’ ih, wer? o Satanskinder, ſprecht! 
Chriſtus iſt bier, der ſich mit und vermählet, 
Chriſtus iſt Hier, geſtorben ald ein Knecht, 

Ja, Ehriſtus, der, erweckt und auferflanden, 
Une nun vertritt, er madet eud) zu Schanden! 


Wer will, o wer, von Gottes Lieb' und ſcheiden? 
Träbfal und Angſt! Werfolgung! Hunger! Schwert! 
Schmach! Faͤhrlichkeit! Gericht! des Kerkers Leiden? 
9a, wuͤth' o Welt! — wir bleiben unverfehrt! 
Die Liebe gibt und Sieg und Giegedfreuben, 

Nicht Tod, nicht Leben unfre Bande fldrt; . 
Nicht Engel, Fuͤrſtenthum, Gewalt kann ſcheiden 
Von Gottes Eich’, die fi in Chriſto weiden. 

O nimmer bangen wir, denn Abba ſchreit 
Der Geil in und, den wir von ihm empfangen, 
Der zeugt, daB und zu Kindern Gott geweiht, 

Und Kinder ja zum Erbtheil einft gelangen. 
Was achten wir der Leiden biefer Belt! 
Dur; Leiden if zur Herrlichkeit gegangen 
Dev und ertauft und trägt mit Liebesarmen: 
Der Gnade Preis, dem ewigen Erbarmen! 


Biel fehöner aber noch fchildert und Paulus das felige Gefühl 
feiner Gemeinfhaft mit Ehrifto noch in demfelben fiebenten, 
Gefange, der fo reich an großartigen und gottinnigen Gedan⸗ 
Een ifl. Wir erlauben und noch vier Stangen (S. 231) dar⸗ 
über mitzuteilen: 
Sahſt du den Bräut'gam bie "Gefährten flieh’n, 

Und zögernd geh’n, auf flilem Pfad verloren? 

Sahſt du den Mann dem Hauſe ſich entzieh'n, ’ 

Darin ihm warb ber erſte Sohn geboren, 

Und einfen wandeln? Sahſt du glüh’n 

Den Helden, den fein Bolt zum ‚Dort erloren, 

Am Abend, da ber Sieg gekrönt fein Streiten? 

Dann magſt bu ihre Ginfamkeit wohl beuten? 


Und war bir fchon, in ew’gen (?) Augenbliden . 
Unenblih wohl im hodpgewälbten ‚Hain, 
Wo nichts beengt der Serie Hocdentzüden, 

Wo ſchoͤn ihr Sang bir widerklingt und rein? 
Wo Geiſterſtimmen did ber Welt entrüden 
Und Himmelöwiegenlieder fingen ein 
Mit hehren Weifen von den buntem Bäumen 
Sn Himmelsruhe, voll von Lebendträumen; 


Wo Barer bu als bei dem klarſten Wachen 
Das Leben ſchaueſt durch fein Hebelkfeib, 


M 


We Mi, was dir Gotted Molte 
Gar wunderbar und deutiidy ſich eraent 
Berborg'nes Licht mit Litern dich vurchſreent, 
‚te, wie bad Blau durch grünen Deus Spalten, 
Der Himmel lacht in deiner Seele Walten? 
Dann ahneſt du, wa in dem Gegen webet, 
Der ſtill für ſich die ſchatt'gen Gaͤnge geht, 
Dei Grele hoch auf Tankienfiägeln ſchwebet, 
Und fanft ſich wiegt, vom Gelfle augerocht. 
Dada ahneſt bu dad Bied, dab in ihm lebet, 
St ſelber ſingt und famwellend fi erhöht; . 
‚Daun ahneſt bu bie Toͤne, die entſchwaben 
1 Den Himmelöhöh’n, und darauf Antwort geben. . 
Ganz gewürdigt, wir wiederholen es am Schlufſe diefer Rela⸗ 
tion, Seideis Werk bier nicht; aber unſer Wort zieht viel- 
Leicht te Aufmerkſamkeit andere KRunftrichter oder des größeren 
Publicums auf daffelbe und verfchafft ihm die Anerkennung 
die ihm gebührt. 54. 





Literariſche Notizen aus Frankreich. 
Mignet’s Reformationsgefhichte. 
Die nun fon feit Jahren mit Ungebuld erwartete Ge 
fihichfe der Beformation von Mignet, der erjt neuerdings wie 
der ia feinem „Antonio Perez‘ ein glänzendes Seugniß von 
feiner hervorragenden Lünftlerifchen eftaltungegabe abgelegt 
bat, wird nun als binnen kurzem erfheinend angefündigt. Wie 
es heißt wird dieſes Werl, weldyes bereits unter der Preife 
ift, fein. Thema mit einer gewiffen Ausführlichkeit behandeln. 
an fptieht von zehn Bänden, aus benen es befteben fol. 
Ber einigermaßen Gelegenheit gehabt, fi, wie Schreiber bie: 
fer Beilen, von der Grünblichkeit zu überzeugen, mit welcher 
der berühmte Geſchichtſchreiber der evolution feine Studien 
über die Geſchichte des Reformationtgeitelterd Jahre lang be: 
trieben bat, der wied fi gewiß von der bevorſtehenden Publi⸗ 
eation Ausgezeichnetes perſprechen. BZunächſt wich freilich fein 
Wert wol ern naͤheres Intereſſe für Frankreich haben, in: 
dem es der franzäfifchen Literatur an einer Darftelung der 
Reformationsgeſchichte, welche den Foderungen der neuern Be: 
fhichtfchreibung einigermaßen angemeflen wäre, immer noch ge: 
bricht, obgleich dieſes Schema gerade neuerdings von verſchie⸗ 
denen Seiten ber zur Behandlung gewählt if. In ber Regel 
waren die Vorarbeiten, aus denen biefe Werke hervorgegangen 
nd, nicht genügend genug, wie denn namentlich, in diefem 
junkte die unenblid) wichtigen Forſchungen beutjger Gelehrter 
Frankreich faſt gar Feine Berudfihtigung gefunden haben. 
Häufig aber auch fehlte e8 Denen, welche jih an diefe Unfgabe 
machten, bdiefen wichtigen Beitabfchnitt, welcher den Anfangs: 
punkt der neuern Zeit bildet, zu behandeln, an Reife des Ur: 
theild und Gediegenheit der Gefinnung, welde allein der Ge: 
ſchichte fo einflußreicher religiöfer Bewegungen dad Gepraͤge 
einer würdigen Darftelung aufzudrüden im 
diefe Eigenſchaften nun wird Riemand Anftand nehmen Mig- 
net im reichlichen Maße zuzuertennen, welcher außerdem noch 
damit die Vorzüge einer Pünftlerifhen Darſtellung verbindet. 
Unter diefen Umftänden Tann man wol behaupten, daß der 
franzoͤſiſchen Literatur eine wefentlihe Bereicherung beuorftcht. 
Aber auch für Deutſchland wird dieſes Geſchichtswerk nicht 
ohne Bedeutung ſein. Freilich werden wir hier wirklich neue 
Reſultate, welche dem Forſcherblicke deutſcher Gelehrten bisher 
gaͤnzlich entgangen waͤren, ſchwerlich zu erwarten haben. Aber 
Mignet gehört offenbar zu den Schriftftellern, welche, wenn 
fie fi) eine Gegenftandes einmal bemaͤchtigt haben, demfelben 
immer neue Selten adzugewinnen willen. So werben gewiß 
auch deutfche Leſer, wenn fie im Stande find, in einem hiſto⸗ 


rifhen Werke etwas Anderes zu fchen als eine rohe Auffpei- | 
&erung einzelner Rotizen, das Werk, auf weiches wir glei 


im voraus bie Afenttiche Stufnıerife 
t unbefrie nd u 
ei un efe u | ohne neue Anregung gefunden gu haben 


tande find. Alle |}. 





\nleit Binkenten möchten, 


Baur franzöfifgen Provinzialgeſchichte. 
Das Leben des verjdiebenen Theile von Frankreich ik viel 
buntes und mannidfaltiger ald es gewöhnlich geſchildert waͤrd 
Aus der Berne betradgtet ſcheint eb fa, als feien ſchon Die 
—— des provinziellen Lebens in der Eentralifatkon, 
welche von Paris aus ſich über alle Theile des Landes e 
aufgegangen; tritt man aber näher heran, fo erblidt man fhaet 
der verfhwimmenden Ginförmigfeit ein vielgegliedertes, vief- 
fad abgefiuftes und zum Zyeil felbf höcft verfdpieven 
Leben. Die charakteriſtiſchen Züge defſelben kann mon natıız» 
lich nur entbedien und auffinden, wenn man Gelegenheit bat, 
an Drt und Stelle fih von der Falfchheit der gewöhntidden 
Behauptungen zu überzeugen, ober wenn man es nicht ver⸗ 
ſchmaͤht gu ſolchen Werken zu greifen, welche in diefer Bezie⸗ 
bung allein Belehrung gewährten fünnen. Ein wahres, tiefe 
res Verſtaͤndniß eröffnet ſich aber uns au erſt, wenn wir 
auf bie frühere Provinzialgeſchichte und auf die Entwidelung 
und hiftorifche Geftaltung des provingiellen Lebens zurückgehen. 
Einen intereffanten Beitrag zur Kunde einer der ‚wichtigen 
Provinzen Frankreichs erhalten wir in folgender Schrift „L’Au- 
vergne au Idicme niecle‘, von A. Maaure. Der Berf., befanmt 
durch ein gediegenes Werk über die Geſchichte von Bearn, hat 
fi nicht begnügt, die äußern politifchen Ereignifle, von denen 
bie Auvergne berührt wurde, und bie hiftorifchen Momente, 
welche im Schooſe diefer Provinz fich herausftellten, im allge 
meinen Umriſſen zu zeichnen, fondern Die Aufgabe, weiche er 
fich geftellt hatte, ging dahin, uns ein lebendiges Bild von 
dem ‚reiben dieſer Gegenden während einer erfcheinungsreichen 
Zeit des Mittelalter zu entwerfen. &o werden bier alfo bie 
Sitten und Gewohnheiten, die abweichenden Formen der öffent- 
lichen Inftitutionen, die Verhaͤltniſſe des alltäglichen Lebens 





ebenfe aut beruckſichtigt aid die eigentlich hiſtoriſchen Bar 
giterarifche Anzeige. 
Allgemeines 
 Bücher-Rexikon ar. 
Bon 


Wilhelm Heinfins. 

Neunter Band, welcher die von 1835 bis Ende 1841 
erfihienenen Bücher und die Berichtigungen früherer 

Erfheinungen enthält. ' 

Herausgegeben von 
Otto August. Schutz. 
Erſte bis ebente Zieferung, Bogen 1—70. 
A—Leuchs.) 

Gr. 4. Geh. Jede Lieferung auf Drudpap. 25 Ror., 

auf Schreibpap. 1 Thlr. 6 Nor. 


Die erften fieben Bände des „Allgemeinen Bücher : Lerikon ’’ 
, von —— — 1812—29) find 4 aufammengenommen 
r 


im berabg ten Preiſe 20 Zyfr. zu erhalten; 
werden einzelne Bände zu verhältnißmäßig erniebrigten Greifen 


erlafien. Der achte Band, welcher bie von 1828 Bis Ende 


, 1334 erflenenen Bücher enthält, koſtet auf Druckp. 10 Thlr. 


I Rgr., auf Schreibpap. 12 Thlr. 20 Rgr. 
Reipsig, im März 1846. . 
Er A. Srockhaus. 





Verantwortlicher Herausgeber: beinrich VBrockhand. — Druck und Berlag von F. X. Broddans in Leipzig. , 


Blätter 


für 


literarifde Unterhaltung. 





Sonntag, 





Suchen wir uns zunörderft von dem Titel „Künſtler⸗ 
Dramen’ Mechenfchaft zu geben, fo bat bexfelbe doc 
nur dann eine erfaßbare Bedeutung, wenn wir anneh- 
men, daß nicht nur bie innere Welt bes Künftlers eine 
andere fei al& die der andern Menfchen, fondern daf 
auch die äußern Erfcheinungen fih dem Künftler anders 
darftellen und abfpiegeln als dies bei feinen Mitbrüdern 
der Fall if. Don diefer Annahme, wenn auch bie 
Hypothefe etwas ſtolz und kühn fein follte, gebt 
denn der Verf. dieſer Dramen allerdings auch ans. 
Er legt den Künftlern, welche er zum Vorwurf feiner 
Leiftungen nimmt, eine gewiffe typiſche Grundform un« 
ter, welche individuel nur geringe Abweichungen erfen- 
nen läßt; er nimmt an, daß in gewiflen Grundzügen 
des Weſens und bed Geiſtes alle Jünger der Kunft 
übereinfommen. Alle feine Künftlerhelden find Natur⸗ 
menſchen, um die Welt und ihre Sitte nur wenig be 
fümmert; alle fühlen lebhafter ald andere Menfchen Leid 
und Freude; alle find ftolz, etwas fchelmifch und unzu- 
verläfitg, fehr warmblütig und leicht reizbar; alle daher 
ſtark der Liebe ergeben und gegen Diejenigen, welche fich 
Das Anfehen geben, die Kunft zu verachten, höchft un» 
erbittlihe und fehr gefährliche Widerſacher. Wir koͤn⸗ 
nen nun wol biefe Grundform zugeben; glauben jeboch 
im Allgemeinen, daß der Verf. etwas mehr fubjective 
Verſchiedenheit hätte gelten laſſen follen als er in „Bor- 
caccio”, „Salvator Rofa’‘, „Pigault Lebrun“, „Garrick“ 
und „Hand Sachs” zur Darſtellung zu bringen für gut fand. 
Die Mannichfaltigkeit diefer Geifter ift groß, in ben 
zwei Theilen des Verf. erfcheinen fie faft wie ein fünf- 
blattiged Brudergefchlecht, bei beffen Zeichnung er da- 
von ausgeht, daß die Künftler ein gefonbertes Gefchlecht 
für fi feien. Und er bat recht. Die innere Welt des 
Kimftlers gleicht nur fih ſelbſt. Wie er glüht, Tiebt 
und faßt, wie er eine ideale Welt aufbauend die reale 
mistennt und geringfhägt, das tft ein Bild für ſich, 
wenn es nur Jemand barzuftellen weiß, wie Goethe im 
„Tafſo“; es tft ein Gemälde fo eigenthümlicher Art, 
daß wir bie Anficht geiten Taffen müffen, es konne 
eine befondere dramatiſche Künftlerform — das Künftler- 


' Drama — mol geben und dieſe habe ein Recht für 
ſich zu beſtehen. 


nen fehl 








So viel vom Jitel und ſeiner Berechtigung. Wir 
erwarten nun in dieſen Dramen zu ſehen, wie der Fünfte 
lee bie Höhen und Tiefen der Melt burchmißt, mie en 
verwirft und von fich weiſt, was bie übrige Welt liebt 
und bochfchägt, wie er dagegen ſchwaͤrmt und glübt fie 
Das, was bei den Menfchen in Beinem Anſchen fleht, 
mie er fih hingibt für iheale Lebensgüter und bie realen 
Intereffen mit Füßen tritt, wie er auf ben inneren Nuf 
laufcht und horcht, der an ihn ergangen ift, und für bie 
Lockungen ber Sirene „Welt“ taub ift, wie er Him⸗ 
melsluft athmet und ber irdifchen um fich ber vergißs. 
Dies Allee erwarten wir zu fehen; benn alles Dies ik 
der befonbere Vorwurf bei diefen „Künftler-Dramen”. Wir 
wollen nun befennen, daß ber Berf. nach einem mie billig 
verfleinerten Mafftabe dies Alles auch im ber That zur 
Unfcheunng bringe — wir fagen, in einem verkleinerten 
Mapftabe im Vergleich zu bem, welcher etwa an Goe⸗ 
the's „Zaffo” anzulegen ift —, wie es fich für bie leichter 
aufgefaßten Berhältniffe eines Schaufpield oder Luſtſpiels 
paßt, und mit geringerer poetiſcher Betonung als fie im 
„Correggio“ von Ohlenfchläger, im „Eamoens" und an⸗ 
dern verwandten Arbeiten anzutreffen if. Im Allgemei- 
t benz Verf. niemals eine gefchidte Wenbung 
des novelliftifchen Stoffe, der feinen Dramen zum Grunde 
liege; feiner Handlung mangelt es in allen fünf Stücken 
niemals an einem geiftigen Intereffe, und wenn auch, 
in ber Richtung auf Zeit und Lebensfchilderung bin, 
fein „dans Sache” beiweitem das außgeführtefte unter 
diefen Dramen ift, dem an poetifchem Gehalt keins der 
übrigen gleichſteht, fo find doch die kleinern und mehr 
auf die Abrundung eines fcenifchen Stoff hinzielen⸗ 
den Arbeiten wie „Boccaccie” und „Balvator Roſa“ 
den Charakter treugeblieben, den wir in Vorſtehendem 
von einem „Künftler-Drama” fodern zu dürfen glaubten. 
Dagegen müffen wir einräumen, baf das Element bed 
Wortwiges von dem Verf. völlig vernachlaͤſſigt if, und 
bag in allen fünf Dramen eigentlich nur eine einzige 
Scene im „Pigault Lebrun“ dies Element anbaute. 

Wir mollen diefe Dramen nun ber Reihe nach, in 
der fie und geboten werben, etwas näher anfchen, indem 
wir von ihnen allen bemerken, daß fie, gut dargeftellt 





294 ' 


ober raſch vorgelefen, einen günfligen Gindrud zurüd- 
laffen und. ben Berf. in Dem, was'man gemeinhin als 
„bühnengerecht ” bezeichnet, für einen Meifter erkennen 
laſſen. Zuerſt alfo: 
1. „Pigault Lebrun“, Luſtſpiel in fünf Acten. In 
dein Leben dieſes luſtigen Romanautors der Franzoſen 
lag wol am wenigſten Grund und Anlaß zu einer Aus- 
tiefung ber eigenthümlichen Züge ber Künftlernatur in 
dem Sinne wie wir fie nad) Goethe und Oblenfchläger 
oben aufgefaßt haben. Inzwifchen finden fich doch die allge- 
meinen Züge, heißes Gefühl, Unbeforgtheit, Schelmerei, 
Stolz und Selbftüberhebung, die ſich viel erlaubt hält, 
in dem Charakter des Helden genugfam wieber, um 
menigftens nicht mit der Idee eines Künftler- Drama 
in MWiderfpruch zu ftchen. Der flofflihe Inhalt iſt 
kürzlich diefer. Pigault, der ein Mädchen, in Pflege 
bei ihrem Verwandten Miraude, liebt, führt ſich bei die- 


fem, der die Schaufpieler haft, ale Präaceptor für Fleu⸗ 


rette ein, gewinnt ihre Herz, wird von dem eiferfüchtir 
gen Miraude entlarot umd flieht mit der Geliebten. In 
Calais umftriden ihn Umftände, welche ihn nöthigen in 
feinem eigenen Stüde auf. die Bühne zu treten. Das 
dramatifche Intereſſe beruht hier auf der geiftreichen 
Zeichnung einer Schaufpielerin Marion Lamotte unb 
ihres Verehrers, des Oberrichters von Calais, und die 
Verwickelung föft ſich durch die reizende Marion dahin, 
bog Miraude erft für ihre Hand, und als ihm diefe 
entfchlüpft, für ein Abdelsdiplom Fleuretten fahren läßt 
und fie Pigault vermählt. Wir haben an dem Stüde 
auszufegen, daß die beiden erſten Acte nicht nur ge 
dehnt und gemöhnlich, fondern auch ohne den Abel in 
den ‚Charakteren erfcheinen, der hier nicht fehlen burfte. 
" Yigault nimmt viel zu viel von gemeinem Betruge auf 
feine Schultern, als daß er uns hier zu gefallen ein 
ein Recht hätte. Vom dritten Acte gewinnt der Stoff 
jedoch eine andere Form. Die Handlung drängt fidh, 
die Sprache wird um Vieles edler, der Vers lebhafter, 
Intrigue und Charaktere erweden ein ungleich höheres 
Intereffe. Das Bild der reizenden Marion ift vortreff- 
lich aufgefaßt; ug, anziehend, eine äufßerft wigige, äu- 
ßerſt vermöhnte franzöfifhe Schaufpielerin aus dem Le⸗ 
ben; ihr zur Seite bie Lomifche Geſtalt Lafont’s, des 
Oberrichters, der für fie glüht und dieſer Leidenfchaft 
fih im Gefühle feiner Würde fhämt. Kurz, die drei 
legten Acte, in welchen Held und Dichter fi von ih⸗ 
ven Verirrungen läutern, gehören offenbar einem fehr 
unterhaltenden, feinen und geiftreihen Luftfpiel an, ei⸗ 
nem jener Eonverfationsdramen, durch welche die Hof- 
bühne zu Wien vor ganz Deutfchland glänzt. Allerliebſt 
ift befonders die Scene bed dritten Acts zwifchen Lafont 
und Pigault, zwifchen denen es zum Zweikampf kom⸗ 
men will und in welchem ber Crftere einen Poeten 
alſo ſchildert: 
Was allgemein Poet man nennt; das heißt: 

Zwei Drittel Duͤnkel und ein Drittel Geift; 

Ein wenig Wis, noch wen'ger Phantafie, 

Am meiften lebensmüde Ironie; 


Berfpottend Alles, was und Nugen et 
Beftändig prahlend mit erlog'ner Kraft; 
Und wieder en von erlog'ner Pein, 


Und nichts verehrend als nur fi allein u. f. w. - 


Zulegt bemerken wir dem geehrten Verf., daß 
„des Adelsbriefs Erledigung” 

in dem von ihm gedachten Sinne nicht deutſch iſt, ſon⸗ 
dern ein oͤſtreichiſcher Kanzleiterminus. | 

2. „Boccaccio“, dramatifches Gedicht in zwei Acten, 
bietet in Erfindung und Anlage zu einer wefentlichen 
Austellung Grund und kann vor einer ftrengen Kritik 
in diefer Beziehung kaum beftehen. Indem der Dichter 
fingirt, daß Fiammetta, welche Boccaccio liebt, die „ver- 
mählte Gattin” des Contarelli geworden fei ohne felbft 
eine Sylbe hiervon zu wiffen, und daß Contarelli dies 
Verhältnig durch feinen blogen Willen zu löfen vermöge, 
gibt er fi) und uns ein Raͤthſel auf, das wir nicht 
zu löfen wiſſen. Es ift faft unerflärlih, wie ein fo 
bühnengeübter Dramaturg in einen fo feltfamen "und 
leicht vermeiblichen Fehler verfallen konnte, welcher, ab⸗ 
gefehen davon, daß er die erhifche Kauterkeit feines Su- 
jetd ohne Noth trübte, feine Erfindung zugleih allen 
Anſpruchs auf Wahrfheinlichkeit beraubt, und ſchwer zu 
begreifen, wie der Verf. nicht auf das Mittel verfiel, 
einfach dadurch, dag er Kiammetta als die Verlobte bes 


Contarelli Hinftellte, allen biefen Schwierigkeiten fofort 


zu entgehen. Für die Wirkung des Dramas ging durch 
biefe Anderung wenig oder nichts verloren; vielmehr das 
Drama gewann erft Exiſtenz dadurch, daß die darge: 
fielte Handlung zu einer wahrfcheinlihen wurde Bei 
dem Fleiße, der fonft auf Ausarbeitung, auf Sprache 


‚und Vers diefes Stüds verwandt ift, haben wir um fo 


mehr zu wünfcen, daß es nicht für ein „non ens“ ge— 
achtet und für immer vergeffen werde. So wie die Sa- 
chen jegt darin ftehen, können wir nicht annehnten, daß 
Iſabella recht habe wenn fie fagt: 
Es ift ein Ausweg möglid — gebt fie auf! 

Sie war ein Kind, ald fie vermählt euch wurde; - 

Seit diefer Beit habt ihr fie nie gefeh'n. 

Wenn fie und ihr die Trennung anverlangt, 

So trennt dergleihen Ehen das Geſetz. 


Wir zweifeln, daß das Geſetz der Kirche fo fpricht; 


allein fpräche es auch fo, fo bliebe immer noch uner- 


Härt, wie Kiammetta von biefer Ehe feine Ahnung ha⸗ 
ben kann. Genug, wie Sfabella räth, fo gefchieht es; in 
dem Augenblid, mo die Treuen fi für immer trennen 
wollen, erfcheint ein Deus ex machina, das Blatt Con- 


-tarelli’s, das Fiammetta (Maria von Aquino) aufgibt. 


Im Übrigen bat uns der Verf. in diefem Stüde weit 


. mehr den Liebhaber und viel weniger den Dichter Boc⸗ 


caccio dargeftelt als wir wünfchten; denn die mittelbare 
Schilderung, welche Francesco (S. 173) von ihm ent- 
wirft, können wir als eine folde kaum gelten laſſen. 
Durch ſich felbft und feine Handlungen foll der Künftler 
in einem Sünftler-Drama zu uns fprehen. Am mei⸗ 
ften gefchieht dies noch durch die fiebente Scene im zwei- 
ten Act, da wo Fiammetta fagt: 
Du haft mich nie geliebt, das fühl’ ih nun! 


und Boccaccio antwortet: on 
So liebt die Blume nicht das Sonnenlicht, 
Der Vogel nicht die Luft wie ich Dich liebe. 
Fiammetta. 
Und gibſt mich auf? 
Boccaccio. 
Weil es die Pflicht gebietet. 


3. Eine reinere Freude gewährt das dritte der Dra⸗ 


. men dieſes Theils: „Salvator Roſa“, Luſtſpiel in zwei 


Acten, unter dem Titel „Das Bild der Danae“ auf 
vielen Bühnen gern gefehen. Hier ift eine leichte, bei- 
nabe fee und dennoch) warme und wahre Erfindung 
zu Grunde gelegt und mit fo gefälliger Laune und fo 
viel natürlicher Anmuth ausgeftattet, dag das Stud in 
feiner Gattung Mufter ifl. Salvator Roſa entdedt in 
feinem Wundarzt ein Dalertalent, das aus Liebe zu 
Laura, der Nichte des Akabemiedirectord, mit der Kunſt 
ringt. Salvator nimmt fi des Armen an, indem er 


ihm zum Ruhm und zugleid‘ zu der Hand feiner Laura 


verhilft. Dies gefchieht mittels einer Intrigue, welche 
etwas klarer und bdurchfichtiger fein konnte, die jedoch 
ihren Zweck erreicht, den Oheim Laura's, in der Malerei 
einen Stümper, zu befhämen und den Meiſter Ra— 
vienna zwiefach zu frönen. In diefem Drama fpielt 
die Kunft eine Hauptrolle, obwol der Künftler (Salva- 
tor Rofa) nicht die des Helden, fondern jene des Intri- 
guant zu übernehmen bat. Die Handlung felbft ift 
voller Leben, raſch entwidelt und feſſelnd. Die Charaf- 
tere, der geizige, eitle und liebeglühende Galmari, ber 
fchelmifche, an Hülfemitteln unerfchöpfliche Salvator, der 
fehüchterne, befcheidene Ravienna; fegen ſich gegenfeitig 
in das ergöglichfte Spiel, und die Sprache, fein und 
gewandt, frifch und farbenreih, zeugt dafür, daß der 
Dichter mit Luft an diefem Stud arbeitete. Der Er- 
folg wird nirgend fehlen; denn die Art wie Calmari 
getäufcht, wie der Ged in ihm gefoppt wird, ift durch 
und durch ergöglih. Mir möchten von diefem Stüde 
fagen, daß es die GBeiftesforn des Dichters am treuften 
und. reinflen wiedergibt und fomit feine „eigenſte“ Ar- 
beit darſtellt; faſt mehr noch als fein weit mehr genann- 
ter und befannter „Dans Sache”. 


( Der Beſchluß folgt.) 


— — ·· — — — 
— — — 


— —— —— — — — 


Der taube Reiſende. 


Es iſt eine bekannte Sache, daß die an der eigenen Wa: 
tur des Individuums von diefem felbft Durch genaue und ftrenge 
Beobachtung derfelben gefammelten Erfahrungen die werthvoll- 
ſten Materialien zum wiflenfchaftlihen Bau der Pathologie, 
der Phyſiologie und der damit im innigften Zufammenbange 
ftchenden Piychologie darreichen, welche legtere ihrem wahren 
Weſen nad) ebenfo eine Erfahrungs: und Raturwiffenfchaft ift 
und fein muß wie Chemie und Phyſik, Anatomie und Medis 
cin, die der Engländer viel richtiger wie wir Deutfche die phis 
loſophiſchen Willenschaften nennt, während wir uns darin ge» 
fallen, den Syftemen abftracter Gedantenfpeculationen, den Mes 
tamorphofen ded in überirdifhen Sphären fich ergögenden 
Denkvermögens, der alten Babel von der Gefchichte des Huts, 
Diefen Ramen beizulegen. Wie die Heilfunft erft zur Wiffen: 





(haft wurde, als fie aus dem Mebelkreife des Duadjalber- und 
Pfufchertyums, aus dem Wahne böfer den Menſchen quälender 
Geifter, aus dem Umulet : und Beihwörungsmittellram her 
austrat, ſich mit der Auffaffung der Krankheitözeichen und ber 
Auffindung ihrer ftofflichen Urfachen ‚befaßte, und die Wirkung 
der Heilmittel an dem gefunden Körper zu erproben begann, 


ſo kann auch die fogenannte Scelentunde erſt zur Wiſſenſchaſt 


werden, wenn fie Den geheimnißvellen Dunftkreis eines über: 
natürlichen und überirdifhen Dafeins verläßt nnd fih auf den 
Boden der Natur und ihrer Erfcheinungen ftellt. 
. Dieb fei beiläufig bei der Erwähnung eined Werks gejagt, 
dad aus den obenängegebenen Gründen in phyſidlogiſcher Hin⸗ 
fiht von größtem Intereſſe if. Der Verf. deifelben Dr. J. 
Kitte, bat unter dem Titel „The lost senses. — Deafness”, 
eine Schilderung des Weſens der Zaubheit gelicfert, die er " 
aus an fich felbft erfahrenen Beobachtungen gefhöpft, da er 
in Folge eines töbtlichen Falles in feinem zwölften Jahre fein 
Gehör verloren und den größten heil feined Lebens in cifri- 
gen Studien zugebracht, um, wie cr fagt, „Die Merkmale -und 
Eigenthümlichkeiten des tauben Zuftandes zu ermitteln‘. Da 
er zu der Zeit, wo er nach tödtlihem Kranfenlager in Folge 
jenes Falles von einer Leiter erkannte, daB er das Gehör ver: 
foren, bereit lefen und ſchreiben Eonnte, jo befaß er die nothe 
wendigiten Mittel zu fernerer Ausbildung, aber bezeichnend iſt 
ed, daB die fortdauernde Zaubheit auch einen traurigen Ein: 
fluß auf jeine Sprache äußerte, indem nad und nad) feine 
Ausſprache in Eintönigfeit und Midton der eines geborenen 
Zaubftummen, welcher fprechen lernt, ganz ähnlich wurde. 
Auch machte das Sprechen ihm fehr viel Mühe oder Schmerz, 
und er z09 es deshalb in frühern Jahren vor feine Gedanken 
und Begehren ſchriftlich auszudrücken. Merkwürdig ift ferner, 
daß die conventionnelle Umgangsſprache, die im gegenſeitigen 
Verkehre der Menſchen oft die Stelle des Geſpraͤchs uͤber wirk⸗ 
liche Angelegenheiten einnimmt, ihn ſtets anwiderte und er es 
nie uͤber ſich gewinnen konnte, feine Zuflucht dazu zu nehmen. 
„Ich konnte“, äußert er in dieſer Beziehung, „wie ſehr ich 
meinen Sprachwerkzeugen auch Gewalt anthun wollte, es nie 
uͤber mich bringen Jemanden uͤber ſein Wohlſein zu fragen, 
den ich geſund vor mir ſah; oder Redensarten mit Andern 
über das Wetter zu wechſeln, und ihnen zu ſagen «Ss iſt ſehr 
warn», oder «Ss iſt cin nebelichter Morgen», oder «Ss iſt ſehr 
falt» u. ſ. w., wo fie ſelbſt fo gut wie ich die Sache bemer: 
fen mußten. In gleicher Weife babe ich mich ftet6 der ge- 
wöhnlihen Begrüßungen «Guten Tag, guten Morgen» u.f.w. 
enthalten, die ich nicht herauszubringen vermochte. Ein ſchwei⸗ 
gended Riten mit dem Kopfe, ein Augenwinken, eine Verbeu⸗ 
gung oder eine Bewegung der Lippen, war Alles was ich ftatt 
deffen zu thun im Stande war. Auch die Höflichfeitsphrafen 
«sch danke Ihnen», «Werm ed Ihnen beliebt» ftanden nicht in 
meinem Wörterbudhe, nicht aus Abneigung dagegen, fondern 
weil id annahm, daß, wenn ich Alles gejagt hatte was wer 
ſentlich nothwendig war, alle Ausbrüde der Höflichkeit fi von 
felbft verftänden und daß aus meiner Art und Weife man mit 
Gewißheit ſchließen müffe, daß ich alles Das fühle, was jene 
Höflichkeiten ausdruͤcken ſollten © 
Dr. Kitto bat einen großen Theil Europad und Aſiens 
Durchreifts es ift von Höchftem Interefle, feinen Beobachtungen 
und Eindrüden auf diefen Reiſen zu folyen, wobei ihm manch⸗ 
mal der Mangel feines Gehoͤrs einen ſchlimmen Streich zu 
fpielen drohte. ». Hören wir ihn darüber felbft: 

. „Kür einen Zauben ijt das Reifen trog Allem nicht ohne 
Gefahren und Schwierigfeiten. Ich bielt mich am Bosporus 
in der Ortſchaft Orta Khoi, etwas über eine Meile von Kon⸗ 
ftantinopel, auf, zu deflen Vorftädten der Drt gezählt wird. 
Ich pflegte von dort zu Waſſer nach der Hauptfladt zu gehen 
umd auf eben diefem Wege zurüdzufchren. Eines Morgens wo 
id) meine Spazierfahrt antreten wollte drohte der Himmel mit 
Regenz aber ich nahm meinen Regenfhirm und machte mich 
auf den Weg. Als ih am Strande anfam, fihien es al 





296 


wenn alle Boote abgefahren wären, und es blieb mir nichts 
übrig, als mein Vorhaben aufzugeben, oder zu wu den We 
. entlang zu geben, der augenfcheinlich hinter Pen Gebäuden un 
öfen, welche den Bosporus einfchließen, nach dem Biel meiner 
ahrt binführte. Ich war nicht weit. gegangen als es zu reg: 
nen anfing; ich fpannte den Regenfchirm auf und trollte vor- 
waͤrts, während mie in einiger Entfernung ein alter Türke in 
gleicher Lage folgte; denn es muß bemerkt werden, daß in und 
um Konftantincpel Die Leute dergeftalt gewohnt find ſich der 
Bafferfahrten zu bedienen, daß ber Gebrauch der Pferde in 
Feiner morgenländifhen Stadt weniger üblich tft alß Dort. Es 
begegnete mir nichts bis ich Hinter den fhönen Sommerpalaft 
von Dolma Baltfche gekommen war, deſſen Vorderſeite oft 
_ meine Bewunderung etrege hatte, wern id zu Waſſer hinauf 
oder hinunter gefahren war. Hier bedeutete mic die Schild: 
wache auf ganz eigenthümliche Weife, die ich nicht verftehen 
Eonnte. Sie hatte wahrſcheinlich etft mich angerufen, aber ver: 
geblih. Da ber Soldat ſah, daß ich mich nicht darum küm⸗ 
mere, eilte er in fehr heftiger Bewegung auf mid) zu und hielt 
fein Bayonnet mtr. dicht vor die ruf, als der gutmüthige 
Tuͤrke, welcher mittlerweile mich eingeholt hatte, mich eben 
nicht fehr höflich von hinten anfaßte, und mir den Regenfchirm 
berunterriß. Nachdem er einige Worte mit ber Schildwache 
gewechfelt, ward mir geftattet unter jeinem Schuß vorüberzu: 
eben, biß wir außer dem Bereiche der Vorhöfe des Faiferlichen 
uftfchloffes gefonrmen waren, wo der Tuͤrke feinen eigenen 
Regenſchirm aufipannte und mich bedeutete, ein Gleiches zu 
thun. Dadurch und durch die Zeichen, die er zur Erklaͤrung 
diefes feltfamen Auftritts machte, entnahm ich denn Deutlich, 
daß Alles von wegen des Regenfchirms geſchehen war. Dieſer 
. Gegenftand nämlich, in regnichten Himmelsſtrichen von fo gro: 
Sem Nugen und in allgemeinem Gebrauch, ift im Morgenlande 
eine fürftliche Ausgeichnungs und obwol der Gebrauch zu ge: 
woͤhnlichem Zwecke fih auch in Konftantinopel eingefchlichen, 
fo wird doch angenommen, der Padiſchah wiſſe nichts darum, 
und der Regenihirm darf in feiner Gegenwart und beim Bor: 
übergehen vor einer Der Nefidenzen des Sultans unter Peiner 
Bedingung aufygefpannt werden. Un demjelben Tage wurde 
ih in, Vera länger als ich erwartete aufgehalten und es war 
dunkle Nacht geworden, als der Rachen, auf dem ich zurüd: 
Behrte, bei Drta Khoi anlegte. Nachdem ich das Yahrgeld ent: 


richtet hatte und meinen Weg längs der Bai fortfegte, folgten 


mir die Bootleute und gaben fih Mühe, zwar auf ziemlich 
nachdrückliche Weiſe, aber durchaus nicht unhöflich, mir etwas 
deutlich zu mahen. Mir fchien aber, als wollten fie noch et: 
was mehr Als das ihnen gebührende Fahrgeld von mir erpreffen; 
und da ich wußte, daß ich ihnen den richtigen Betrag verabfolgt, 
fo befchloß ich mit dem ganzen Haf Sohn Bull's gegen Erprefr 
fung nicht einen Deut mehr zu geben. Der Streit zwifchen uns 
rief einige Soldaten des reyulairen Militairs and dem nahen 
Wachthauſe herbei, die die Partei der Schiffer ergriffen; denn 
als ich es verfuchte meinen Wen fortzufegen, weigerten fie fich, 
mir ſolches zu geftatten. Hier war ich in einem wirklichen Di- 
lemma und fing eben an zu vermuthen, daß es fi) um noch etwas 
Anderes als daB bloße Kahrgeld handle, als ein Türke, dem 
Anſchein nach von höherer Stellung, herbeifam und die Sol 
daten, nachdem zwifchen jenem und ihnen einige Worte gewech⸗ 
felt waren, veranlaßte mich ungehindert weiter zu laffen. Wis 
ih aber die Hauptftraße des Fleckens binaufging, wurde ich 
durch ein von oben mit großer Gewalt herabgeworfenes ſchwe⸗ 
res irdenes Gefäß, das auf dem Pflafter dicht vor meinen Fü- 
Ben in Scherben zerfprang, in großen Schrecken verfegt. In 
bemfelben Augenblick hagelte es, während ich meinen Weg 
fortfegte, von allen Seiten um mic) 
Ihüß, das zu Scherben ging. Es ift ein Wunder, daß mir 
bei diefer Gelegenheit das Hirn nicht eingeſchlagen wurde; ich 
trug nur einen fchmerslihen Schlag zwifchen den Schultern 
"davon. Als ich das wirthliche Obdach erreichte, unter dem ich 


Rückkehr gerade den Aben 


von ähnlichem Wurfge⸗ 


meinen Wohnſitz aufgefehlagen, erfuhr ih, daß ich zu meiner 
d getroffen hatte, an deu die Arme⸗ 

nier, welche ben größten Theil der Bevölkerung des Fleckens 
bilden, ihre Häufer von den böfen Geiſtern fäubern, indem fie 
mit gewiffen lauten Ausrufen, die den oribergebenben ju= 
leich als Warnungen dienen follen, irdenes Gefchirr zum Fen⸗ 


-tter binauswerfen; aber troß diefer Warnungen ift das Gehen 


in den Straßen in diefer Seit fo gefährlich, dag kaum Jemand 
wagt, fi auf der Straße blidden zu loffen, fo lange biefe Teu⸗ 
felaustreibung ftattfindet. Das Richthören der Warnungsrufe 
machte meine Lage Doppelt. gefährlich, und mein Entlommen 
aus diefer Gefahr ſchien den Leuten deshalb mehr als merk: 
würdig; auch muß ich geftehen, daß ich gleicher Meinung war, 
als ich am andern Morgen die ungebeuere Menge zerbrochenen 
Geſchirrs fah, womit die Straßen bedeckt waren. Wahrſchein⸗ 
lich hatte der Auftritt an der Bai feinen Urfprung in ber 
wohlmwollenden Abfiht der Bootführer und Soldaten, zu ver: 
bindern, daß ich mich diefer Gefahr ausfege. Aber es beftand 
auch eine Verordnung, die verbietet, daB Jemand des Nachts 
ohne Laternen in den Straßen fih blicken laßt, und ihre Ab⸗ 
fiht war vielleicht, mich zur Beobachtung diefed Gefeges zu 
zwingen, befonders da eine Laterne mir ın diefer Racht zum 
Schug gedient haben würde, indem die Zopfzerbrecher dadurch 
von meiner Anweſenheit in der Straße in Kenntniß gelegt 
worden wären.” 26. 


— — — — —— — — 


Notisz.. 
Der Reugrieche Reophytos Dukas. 


Der zu Anfange des gegenwaͤrtigen Jahres in Athen ver⸗ 
ſtorbene Neophytos Dukas war einer der gelehrteſten Griechen 
unſerer Zeit. Aus Epirus gebürtig bekleidete er früher, im 
den erften Wirren ded gegenwärtigen Jahrhunderts, zehn Jahre 
lang die erfte Rehrerftelle an dem feiner Zeit ausgezeichneten 
Lyceum in Bukareſcht. Sein Patriotismus ließ auch ihn wie 
fo manchen andern Griechen der neuern Zeit die Krüchte fei- 
ner Gelehrſamkeit und literariſchen Zhätigfeit auf den Altar 
des Waterlandes nicderlegen, indem er die von ihm beforgten 
Ausgaben alter Elaffifer unentgeltlich in den Schulen Srieben- 
lands und unter der bedürftigen aber lernbegierigen Jugend 
vertheilte. Bon 18060 — 15 gab er auf feine eigenen Koften 
über 40 Detavbände, unter Anderm den Zhucydides in 10, Ar- 
rian in 7, den Chryſoſtomus in 3, Die attifhen Redner 
in 10 Bänden, ferner Upollodor und Herodian, fpäter, 1818, 
Aſchines, im 3. 1834 und folgenden, nachdem er nad dem 
freien Griechenland zurüdgekehrt war, eine Rhetorik, Logik, 
Ethik, Phyfif und Methaphyſik, ſowie den Sophofles, Euri⸗ 
pides und Homer, theilweile mit Überfepungen, heraus. Au⸗ 
Berdem hat er namentlich eine Pädagogik in drei Bänden (1813), 
ein Magazin für Kinder in zwei (1814), fowie fpäter (1835) 
„Eriivicı zo0s, day onuus arpı drayopmy noayuarmr‘' in 
zwei Bänden druden laflen. Sein Griechiſch, das er ſchrieb, 
näherte fih biß zu einer, für das Volk und für Diejenigen, für 


- welche er zunächft ſchrieb, nachtheiligen Unverftändlichleit dem 


Altgrichifhen, und er war in Anfehung der Art und Weile, 
die neugriechiiche Sprache zu verbeifern, ein erflärter Gegner 
bes Koraid, der diefelbe durchaus auf das Altgriechifge felbft 
zurüdgeführt wiflen wollte. Auch hatte er bereit im 3. 1804 
eine methodifchere Grammatik der altgriechifchen Sprache unter 
dem Zitel „Teoyessa" herausgegeben, die 1803 in zweiter, 
nach und nach in einer fechöten Ausgabe erfchienen und gegen. 
Korais gerichtet war, übrigens aber das Stubium ber altgrie- 
hifhen Sprache ſehr erleichterte. Befonders war Reophytos 
Dukas in früherer Zeit vielfah und eifrig bemüht, 

Errichtung von Schulen in feinem Daterlande zu veran- 


Nlaſſen. 5. 


Berantwortlicher Herausgeber: Oeinrich Brockans. — Drud und Verlag von F. E. Brockhans in Leipzig. 


r 


Blätter 


für 


Titerarifde Unterhaltung. 








Künflterdramen. Bon Ludwig Franz Dein» 
barbftein. Zwei Suede. 
(Beſchias aus Mr. 74.) 


4. „Hans Sachs”, dramatifches Gedicht in vier 
Acten, eröffnet den zweiten Theil biefer Sammlung. 
Es ift über diefe Arbeit im lobenden wie tabelnden 
Sinne fo viel gefagt worden, dag wir baräber um fo 
raſcher hingehen können. Man hat namentlih daran 
ansgeftellt, daß ber Poet ber Herrlichkeit des Mittelalters 
nicht Gerechtigkeit: erzeugt und daß er ben „Schuſter“ 
zu fehr, den „Dichter zu wenig in feinem Helden her⸗ 
ausgeftellt habe. Gegen beide Vorwürfe glauben wir 
ihn in Schutz nehmen zu möüffen. Uber bie vermeint- 
liche Herrlichkeit des Mittelalters, die Macht und ben 
Elanz Nürnbergs 3. B. mögen wol erhebliche Täuſchun⸗ 
gen obmalten und das Banze mag volllommen fo viel 
Kieinftädterei und Jammer enthalten haben ale an dem 
Bilde des Verf. gerade getabelt worden if. Es fpricht 
bier eine Parteianficht, der wir nicht beizutreten geneigt 
find. Was aber die Zoderung betrifft, daß Hans Sache 
mehr dichtend Hätte auftreten follen, fo iſt zwar nicht 
ganz zu leugnen, daß der Sache des Verf. zumeilen 
ald eine etwas profaifhe Natur auftritt; allein es lag 
gerade fowol in dem Gefeg des Contraſtes als in dem 
Douppelbilde, das die Hiftorie uns von dem Meifter gibt, 
daß es richtig war, in ihm wefentlih den Bürger und 
nur ausnahmsweife den Poeten zur Darftellung zu brin- 
gen. ‚ Richtsdeſtoweniger geben wir zu wie es flörend 
iſt, baß gerade das einzige ganz poetiſche Fragment in 
dieſem Stück, die Erzaͤhlung von dem Juwel, dem Kai⸗ 
ſer Maximilian in den Mund gelegt iſt. Der Gang 
der Fabel iſt bekannt; ſie iſt, was ſie ſein ſoll, einfach, 
anmuthig, ſelbſt, was heutzutage ſo überaus ſelten 
gelingt, hin und wieder naiv. Goethe hat davon 
geſagt: 

Und hingeſchrieben mit leichter Hand, 
Als ftünd’ es farbig an der Wand, 
Und zwar mit Worten fo verftändig, 
Als würde Bemaltes wieder lebendig. 

Einem ſolchen Lobe ift nichts Hinzuzufügen, mas 
noch von Wirkung wäre; es fei denn dies, daß es un. 
gemein ſchwer ift, einem Charakter fo lange Zeit hin⸗ 
durch alle Farben der ,, Kindlichleit"‘ treu zu bewahren, 


16. Mär; 1646, 






— — — —— 


wie bier mit Hans Sachs geſchicht, ohne in das Abge⸗ 
ſchmackte und Lächerliche zu verfallen. In dieſer De 
ziehung iſt dies Drama ein Kunſtwerk, dem wenige 


ähnlich ſind, das für den Verf. Zeugniß gibt von dem 


Befig eines eigenen Pinfeld und eined Barbentones, ben 
er mit Niemandem theilt. Citate und Belege hierzu kä⸗ 
men zu ſpät; allein es Tann nicht umgehörtg gefunden 
werden, wenn wir als ein würdiges Bruchſtück ſchöner 
Neflerionsporfie aus dem trefflihen Monslog des Hans 
Sachs im erſten Act folgende Stelle bier für den 
Berf. reden laffen: 
Komm doch zur Ruh’, bewegt Gent ! 

Du mußt dies Treiben unterlaffen. 

Venn's gar fo heftig in bir qlübt 

Kann ich 8 ja nicht in Worte faſſen. 

Undenkbar faft erfcheint es mir, 

Wie And're oft fo ruhig dichten; 

Die volle. Brufk zerfprengt mir's ſchier, 

Muß ih den Sinn auf Höh'res richten. 

Die Nacht mit ihrem Sternengelt, 

Der Tag mit feinen Blütenzweigen, 

Die ganze Tieberfüllte Welt 

Schau ih ih mir entgegenneigen. 

Ih feh' vor mir gar fenderbar 

Die Menfchen durcheinander treiben, 

Und von der heißbewegten Schar 

Wil Eeiner mir dahinter bleiben. ..... — 

Hilf du mir fpäter Träume weben, 

Jetzt zieht Das Herz mich Hin gu ihr — 

Dort wartet mein eim ſchoͤn'res Leben; 

Wer recht geliebt, verfennt es nie: 

„Lieb ift bie höchſte Poeſie!“ 

Wir meinen doch, baf jenem Vorwurfe einer allzu 
proſaiſchen Zeichnung feine® Helden gegenüber Dans 
Sachs fi bier ziemlich gut und wirkſam als Poet 
zeichnet, mindeſtens als Gingeweihter jenes unbewuften 
poetiſchen Triebes, der den dichteriſchen Naturlaut ſucht 
und findet. \ 

5. „Garrick in Briſtol“, Luftfpiel in vier Acten, mit 
welchem der zweite Theil ſchließt, Hat fih kaum gerin- 
gere Beltung auf der Bühne verfhafft als „Hans Sache“, 
obgleich nad) Stoff und Inhalt einem gan andern Kunft- 
gebiete angehörig. Tendenz und Führung der Fabel 
fielen e8 dem „Pigault Lebtun‘‘ zur Seite, mit dem es 
mehre der Hauptcharaktere gemein bat. Bor diefem bar 
es jeborh eine von vornherein lebhaftere Scenenfolge, ein 


x 


reicheres Bühnenintereffe in der Darfiellung eines viel- 
geftaltigen Schaufpielers und eine größere Wärme in 
den Berhältniffen voraus, während es an Sprachge: 
wandtheit und dramatifchen Localeffecten alle andern 
Arbeiten bed Verf. hinter fih zurück läßt. Sowol ba 
wo Garrid in der Maske des Kritikers Sohnfon auf- 
tritt, ald wo er duch fein Spiel das Stud feines 
Schuͤtzlings Frondham, das jeboch ber betrogene Hild für 
fein eigenes gelten laſſen möchte, bald hebt bald fallen 
läßt, ift die Intrigue von der ergöglichften Art und bie 
Seelenmarter des atmen Gefoppten von burchaus komi⸗ 
ſcher Wirkung. Nächdem der Feind ber Schaufpieltunft 


zu dem Außerſten gebracht worden ift, ſelbſt das „Lam⸗ 


penfieber” zu beftehen, fehen wir den redlichen Frondham 
duch Garrick's Kunft beglüdt und hören befriedigt, daß 
ihn Hild ſelbſt zu der Laufbahn einfegnet, die er ver- 
laffen will, indem er fagt: | 
Denn für die Qualen, die der Mufen Gunft. 

Mich finden ließ, erkenn' ih mich zu ſchwach. 

Ihr geht nach London gleich, ich folg’ euch nach, 

Und lebe dort genie ßend nur der Kunft. 

Wir faffen diefe Überficht gern dahin zufammen, daß 
ber Berf. in diefen „Künftler- Dramen“ ein Feld ange- 
baut hat, auf dem für ihn erfreuliche Früchte wuchfen. 
Der Geift des Dramas hat fi) in unfern Tagen fo 
feltfame Formen gefallen laſſen müffen, er ift in diefen 
Bermandlungen fo fonderbare Misverftändniffe durch⸗ 
gangen und hat fo viele leere Hüllen und Gewänder 
Angenommen, daß es erfreulich ift, auf einen Drama- 
turgen zu treffen, der feine Gedanken in fefte Ordnung 
gebracht hat und der feine Geftalten nach gefunden Na- 
turanfchauungen zeichnet, und es nicht verſchmäht, an 
feine Erfindungen, bevor er fich in fie vertieft, den Maß— 
flab einer einfichtigen Kritik anzulegen. Seine Arbeiten 
find ein Wert der Erwägung, nit des unbewußten 
Triebes; fie fprechen die Kenntniß der Kunft mehr ale 
den Impuls des Genius aus, fie athmen Beinheit, 
Sicherheit und Geſchmack mehr als fie nach bem Unge⸗ 
wöhnlichen, Unerhörten unb Überrafchenden ringen. Seine 
Sprache ift ein natürliches Abbild der guten Conferva- 
tion, feine Charaktere liegen in dem Kreife ber Gefell- 
fchaft, die uns bekannt ift, und geht fein Ziel auch 
nicht auf ethifche Erfchütterungen hin, welche Gewittern 
gleich die Menfchenfeele reinigen und läutern, fo erreicht 
er doch die Aufgabe, durch Reiz zu belehren, duch Wit 
zu ftrafen, durch Anmuth zu böhern Gedanken zu erhe⸗ 
ben. Seines Zwecks ſich ſtets und voll bewußt, flieht 
er die Abgründe und Klippen zur Linken wie zur Redh- 
ten und lenkt das Schiff feiner Kunft gleichweit von 
der Chargbdis der Alltäglichkeit wie von der Scylla des 
Unerhörten einem fihern Ziele zu. So ift er.einer ber 
anfehnlichiten und beften Pfeiler ber Kunftgattung ge- 
worden, die mit der Bezeichnung bed Converſations⸗ 
dramas auf der Hofbühne feiner Vaterſtadt in langem 
und berühmtem Anfchen fteht, den Fremden zum Genuß, 
den Einheimifchen zu gerechtem Stolz, zu einer Zeit, wo 
die Spufgeftalten, weldhe auf andern großen Bühnen 


ihr regelloſes Wefen treiben, den Kreis der wahrhaft 
Gebildeten mehr und mehr von jenen entweihten Räu- 
men entfernen, welche ehemals im beutfchen Leben eine 
fo große Bedeutung hatten. Und in der That — fol an 
eine wirkliche Regeneration der beutfchen Bühne gedacht 
werden, wollen wir in ihr etwas retten, das wenigfteng 
den Schein von etwas Nationalem an fi trage —, fo 
kann es nur gefhehen durch den Anbau derjenigen Gat- 
tung des Dramas, welcher ber Verf. die bier befproche- 
nen beiden Theile gewidmet hat. Es wäre zu wünſchen, 
daß die zur Rationaluntugend gewordene Scheu vor dem 
Anlauf dramatifher Sachen nicht fo groß unter und ges 
werben wäre, damit diefe in vielen Beziehungen als 
Mufter zu bezeichnenden Dramen in recht viele Hände 
gelangten unb fomit an ihrem Xheil dazu beitrügen, 
ber Eläglichen Gattung des auf bloßen Sceneneffect be- 
rechneten Dramas oder dem noch bebenflichern Jammer 
der franzöfifchen Sentimentalität einen Damm entgegen- 
zufegen. 19. 


Literarifche Notizen aus England. 


Ein neuer Roman Cooper's. 

Faſt gleichzeitig mit Lytton Bulwer erfchredite Zenimore 
Cooper die Romanleferwelt durch die Nachricht, daß er „in vor: 
liegendem” feinen lesten Roman gefchrieben. Erſterer hat bisher 
Wort gehalten, Letzterer nicht, ſei es daß die Anzeige ihm 
nicht Ernft gewefen oder der Geift in ihm zu mächtig und ber 
Schreibedrang unwiderftehlid. Sein wortbrüdiges Product 
heißt „The chain bearer; or the little page manuscripts. 
Edited by the author of the Spy, etc.” (3 Bde., London 
1845). Das Edited” fol den Wortbruch bemänteln; 's will’s 
aber halt nit thun. Und wer einem literarifchen Berfprechen 
oder Vorfage in einer Weiſe untreu wird wie Cooper es ge» 
worden, braucht darüber nicht zu erröthen. Wahrfcheinlich 
wird Beine Kritik und Bein Leſer den „Kettenträger“ für Coo- 
per's befte Dichtung oder auch nur für die naͤchſte nad feiner 
beften erflären. Hätte ex aber nie eine beflere geſchrieben, er 
würde doch den Rang eined der erften Rovellendichter unferer 
Seit verdienen. Cooper ‚wird alt. Das bezeugt fein Geburts» 
jahre 1789, Er ift auch alt als Schriftiteller, denn obfchon er 
erſt in gereiftern Iahren zur „Federfahne“ gefchworen, bient 
er doch ſchon lange. Damit hören aber die Merkzeichen feines 
Altwerdens auf, wenigſtens für den ihm fern ftehenden Leſer 
feines „The chain bearer“. Immer noch) tüchtige Schöpferkraft, 
frifche Phantafie und ein reicher Gedaͤchtnißvorrath von Geſe⸗ 
benem und Gehörtem. Er ftrauchelt nie über den gefährlichen 
Stein des Anftoßes, pathetifche Scenen genannt, hält immer 
die Grenzen zwifchen wahrem und erheucheltem Gefühl, ver: 
iert fih nie zu bochtrabenden Schilderungen übermenfchlicher 
Herzenöeffecte, fondern fehreibt einfach und natürlich, gruppirt 
weibliche und männliche Charaktere mit meifterhaftem Geſchick, 
weift jedem den gehörigen Platz an und läßt nie eine Frau fa: 
gen was befler für einen Mann, oder einen Mann was rich: 
tiger für eine Frau ſich geziemt hätte. Unter den aufftretens 
den Perfonen find allerdings einige alte Bekannte, Cooper'ſche 
Stereotypen. Doc Feiner macht fi unnüh, fie find indge: 
fammt an ihrem Plage. 


- Geheimniffe von London. 

Der erfie Band ber heftweife erfchienenen ‚Mysteries 
of London‘, von G. W. M. Reynolds (London 1843), von der 
Feder eines Mannes, der neben mehren Rovellen auch durch 
ein wifienfchaftliches Werk über die neuere frangöfifche Literatur 
ſich vortheilhaft befannt gemacht hat, ftellt ein gutes Gemälde. 


* 


auf von den hervorſpringenden Zügen des londoner Lebens und 
Zreibend — einige Grellpeiten natürlich abgerechnet. Die Hoöh⸗ 
en des Lafterd, die Wohnungen der Armuth und die Paläfte 
der Reichen werden geöffnet und zeigen Mancherlei, was nicht 
fein folte. Der durchlaufende Faden ift die Lebensgefchichte 
zweier Brüder, die fich früh getrennt haben, um in verfcie- 
denen Richtungen ihr Glüd zu machen, und von Welchen der 
eine der reblichfle, der andere der kübifchfte Menfch auf Sot- 
tes weiter Welt. Bid zum Ende des erſten Bandes find die 
Charaktere gut gehalten und ift der Knoten derb gebunden. 


kiterarifhe Bildniffe. - 


Ein Bud, das viel Pritifirt und wenig gelefen werden 


wird, ift „A gallery of literary portraits”, von George Gil- 
fillan (Edinburg 1545). Die Portraitirten, insgefammt aus 
Der neuern Literatur und Lieblinge des Verf., find namentlich 
Godwin, Hazlitt, Hal, Chalmers, Carlyle, Koleridge, 
Quincey, Prof. Wilfon, Landor, Wordsworth, Sheley. Wie 
man hoͤrt ift der Verf. Prediger einer alten diffentirenden Ge⸗ 
meinde in Schottland und predigt er, wie er bier gefchrieben 
hat, muß fein Vortrag Fe und feurig, blühend und ſchwül⸗ 
flig, verworren und unverfländlich fein. Das Buch hat un: 


ftreitig eine Menge Goldlörner; es Boftet aber fehwere Mühe, . 


fie aus Scheffelfäcten vol Spreu herauszuklauben, und des⸗ 
balb eben wird zwar die Kritik ſich jeiner bemädhtigen, die 
Zefewelt aber wenig Notiz davon nehmen. Kine deutjche Über: 
fegung wäre ein frivoles Beginnen. 16. 


Bibliographie. 

Adolar, Morgengrüße. Gedichte. Ite Auflage. Breslau, 

Fremen, 8, 15 Ror. , 
aur, %., Die Kirchengefchichte in gedrängter Überficht. 

Weimar, Bandes » Indufkrie : Comptoir. 2 13 Nor. 

Geramb, M.3.v., Wallfahrt nad) Ierufalem und dem 
Berge Sinai, in den Zahren 1831, 1832 und 1833. 2te ver- 
beflerte Auflage. Iſte und Zte Lieferung. Aachen, Cremer. 
1845. Gr. 32. Bollftändig in 6 Lieferungen I Zhlr. 15 Ngr. 

Geſchichte Louis Philipp's L, König der Framgofen, von 
A. Boudin und F. Mouttet, nach vertraulihen Mitthei- 
lungen des Königs verfaßt. Überjegt von 8. Große Mit 
Iluftrationen. Iftes Heft. Meißen, Goedſche. 8. 7 Rar. 

Bogel, R., Ruffiiche Novellen. Rah 2. Viar dot über: 
tragen von H. Bote. Zwei Theile. Reipzig, Klemm. 8. 
1 Ahle. 15 Nor. 
j Sräffer, 8, Wiener: Dofenftüde, naͤhmlich: Phyſiog⸗ 
nomien,. Gonverfationsbildchen, Auftritte, Genreſcenen, Cari: 
caturen und Diefes und Iened, Wien und die Wiener betref: 
fend, thatfächlid und novelliftifh. After Theil. — A. u. d. T.: 
Kleine Wiener Memoiren. Ater Xheil. Wien, Mörfchner’s Wwe. 
und Biandi. Gr. 12. 1 Thlr. 


Heger, 3. 3., Uber den Nutzen und die Wichtigkeit 


der Sterographie im gewöhnlichen Gejchäftstleben überhaupt 
und .über ihren gegenwärtigen Stand in Deutfchland. Mit 
wörtlicher Überfegung in ftenographifcher Schrift vom Berfaj- 
fer eigenhändig kithographirt. Prag. Gr. 8. 9 Nor. 
ie Kunft der Gefchichtfchreibung und Herrn Dahlmann's 

Geſchichte der frangöfifegen Revolution. Magdeburg, Kalden- 
berg und Comp. 8. 12 Nor. 

Lenau, R., Die Albigenfer. Freie Dichtungen. He Auf 
lage Stuttgart, Eotte. Gr. 8. 1 Thlr. 25 Rer. 

Luthers, M., Zeugniß von der Herrlichkeit Jeſu Chrifti. 
Aus Luther’s Schriften herausgegeben von €. &. Hermes. 
Magdeburg, Kaldenberg und Eomp. 8. 22%, Nor. 

Der Ochfenkopf zu Arnheim. Siftorifh:romantifche Er» 
zählung aus dem Geldernſchen Kriege. Aus dem Hollaͤndiſchen 
übertragen von G. Jade. Grimma, Berlagscemptoir. RI. ®. 


1 Ahlr. 15 Ror. 


JGoedſche. Kl. 8. 2 


Paulſen, P., Verſuch einer Schulſtatiſtik des Herzog⸗ 
thums ehleny. Dfldenburg, Fraͤnkel. 1845. 8. 2 Ihlr. 

Stöber, C., Erzählungen. Gejammtausgabe mit Zeich⸗ 
nungen von %, Richter. te Auflage Ifter Band. Iſtes 
und 2te8 Heft. Dresden, Naumann. 4. à 10 Nor. 

Zod und Unfterbfichkeit. Poetiſch bearbeitet nach Vernunft, 
Natur und Schrift. Breslau, Scholz. 1845. Gr. 16. 714 Nor. 

Die Unbekannte. Aus den Papieren einer Fürftin von ' 
einem Unbekannten (Berfaffer der Geheimniffe der vornehmen 
Welt in Wien, Prag und Peſth.) Zwei Bände. Meißen, 
Thlr. 15 Ror. 

Deutihe Volksbücher nach den älteften Ausgaben herge- 
ftelt von 8. Simrod. Mit Holzichnitten. Ro. Il. Kaifer 
Octavianus. Frankfurt a. M., Brönner. 8. 10 Ror. 

— — Derfelben Ro. 12. Reineke Fuchs. Frankfurt a. M., 
Brönner. 8. 15 Nor. 

— — Dirjelben Ro. 13. Peter Dimringer von Staufen» 
berg. Frankfurt a. M., Brönner. 8. 3%, Nor. .. 

— — Derjelben 2ter Band. Kranffurt a. M., Brönner. 
Ss. 1 hr. 10 Xgr. " 

Wallot, Hedwig und Eleonore, Gedichte. Frank— 
furt a. M., Brönner. 8. Thlr. 


Tagesltiteratur. 


Carſtädt, Die Berfaſſungsfrage der proteſtantiſchen 
Kirche in Preußen. Ein Synodal-Vortrag. Breslau, Gofor 
horsky. 1845. Gr. 8. 3 Wer. 

23 zeitgemäße Defideria Kir dad deutfche und namentlich 
das jächliiche Medizinalmefen. Skizzen aus dem praßtifchen 
Leben -zur würdigen Erhebung des ärztlichen Standes und 
Aufdedung medizinifchen Unfuge und Quackſalbereien. Bon 
einem Arste aus der Provinz. Dresden, Adler und Diepe. 

. gr. 

Faucher, 3, Die Vereinigung von Sparkaffe und Hy⸗ 
pothefenbant und der Anfchluß eines Häuferbauvereind als fo» 
cialzöfonomifche Aufgabe unferer Zeit, insbefondere der Be⸗ 
firebungen für das Wohl der arbeitenden Klaffen. Berlin, 
Grobe. 1845. Gr. 8. 10 Ragr. 

Chriſtliche Glaubenstoͤne gefaßt in Worte treuer Liebe und 
Dankbarkeit an einen edeln Leidenden den Hrn. Seminarlehrer 
ic. Wedemann in Weimar, von einem evangeliſchen Pfarrer. 
Leipzig. 1845. Gr. 8. 2 Nor. 

Humoriſtiſche Gloſſen und intereffante nachträgliche Noti⸗ 
zen zu dem Rod von Trier und was daran und darum hängt. 
Annaberg, Rudolph und Dieterici. 1845. Gr. & 3 Nor. 

Goetz, R., Der Lehrbegriff der römifch-Fatholifchen. Kirche 
und fein Widerfpruh mit der Gonftitution des Königreichs 
Sachſen. Patriotifche Bedenken. Annaberg, Rudolph und 
Dieterici. 1845. 8. 5 Kor. 

Günther, J., Luther's dreihundertjaͤhrige Todesfeier. 
Gedenkbuch für proteſtirende Chriſten mit Beitraͤgen von Bie⸗ 
len. Jena, Mauke. 8. 1 Thlir. 

Harleß, C. G. A., Votum über die eidliche Verpflich⸗ 
tung der proteſtantiſchen Geiſtlichen in Sachſen auf die kirch⸗ 
lichen Symbole und die Anderung oder Aufhebung dieſer Ber: 
pflichtung. " Leipzig, Dörffling. Gr. 8. 8 Ngr. , 

Hafenkamp, H.v., Kritik der unter dem 3. April 1845, 
20. Zuli 1843, 16. Mai 1844 und 27. September 1849 er» 
lafienen preußijhen Militair-, Straf: und ehrengerichttihen 
Geſetze, Berordnungen und Kabinetsordren. Leipzig, D. Wis 
gand. Gr. 8. 7%, Nor. 

erling, ©. H. Q., Prüfungen oder Wegweiſer durch 
die Piechlichen oder religiöfen Zeitfragen für gebildete Laien. 
Frankfurt a. M., Hermann. 1845. Gr. 12. 26%, Near. 

Höpfner, E. F., Wehllage eines abgehenden Prediger, 
oder Schrift: und erfahrungsmäßiged Bedenken, ob. ein evan- 
geliſcher Lehrer im Königreich Sachſen gegenwärtig ein geiſt⸗ 
liches Amt antreten und verwalten Fönne, ohne fein Gewiſſen 


J 


u verlegen. Eine Wofiebapredigt, gehalten bei der freiwil⸗ 
rap eberlegung zweier Pfarrämter. Waldenburg. &r. 8. 
zu 


aifer, 9. 2., Hirtenbrief an die Geiftlichkeit und die 
—*2*— feineß Kirdsenfprengeld gi ‚dem re a d ber Bar 
zeit 1845. Die Auflage. Mainz, Wi 

Klee, & W., Papſtthum oder Sbeiftenipum zur vn. 
ſtellung der rigen Breiheit oder der wahren Katholicität 
wit Bezug auf die in Mainz erfihienene „Betrachtung eines 
techtögelehrten Staatömannes un die ar kirchlichen Er 
eigniſſe“. ofen A Sohn. 1845. 

Kramer, 9 ginige Bemerkungen über Sie für Chri⸗ 
ſtenthum und Rircplichkeit edenkliche Seite in der theologifchen 
Richtung und den Beftrebungen der proteſtantiſchen Freunde. 
Helmſtedt, Fleckeifen. 1845. Gr. 8. 2%, Nor 

Löſchke, K. J, Dr. Martin xuther's fegte Lebenstage, 
Tod und Begräbniß. Aus Luther's eigenen Briefen und ben 
Berichten feiner Freunde zufammengeftellt, nebft vorangefchid: 
tem kurzen uͤberblick über das Wirken des Reformators. Bres⸗ 
lau. Scholz. Br. 12. 3%, Nor. 

Lömwenftein, M.) Einige Kandbemerfungen zu Herrn 

Dr. Dengftendergt 8 Brofchüre gegen die Erflärung vom 15. Auguft 

Berlin, Springer. Gr. 8. 5 Ngr. 

Mittyeilungen über die in den meiften Erziehungsanftal: 
ten der franzöfiihen Schweiz herrfchenden pädagogiichen Zehl: 
griffe und Mängel. ter unveränderter Abdrud. Baden, Sehn: 
der. 8.8. 4 Nor 

Montanus, R., Die erfte Hrifttich:apoftotifch-Fatholifche 
Gemeinde zu Dansig freudig begrüßt. Danzig. 1845. 8. 3%, Rgr. 

‚Müller, M., Deutſch-katholiſch, nicht roͤmiſch. Berlin, 
Hermes. 1845. er. 8. 1 Nor. 

Der ahkihe Landtag und die Deutfch: Katholiken. 
Berlin, Held. I 8 7%, Ror 


— pi die Philofophie bei langen Winternaͤch⸗ 
ten, oder Enzyklopaͤdie der Religionsphiloſophie von einem ka⸗ 
tholiſchen Prieſter. Landshut, Thomann. Kl. 8. 5%, Nor. 

Ragel, F. A., Über die Medaille zur Erinnerun ng an 
bie usftelung deuffcher Gew ern erkeugnifl e in Berlin. 
dow, Hirſchberg. 1845. 2, gr 

Die göttliche Offenbarung, oder Warnungsſtimme an alle 
Bewohner ber Erde. Eine merkwürdige Begebenheit, die ſich 
mit einem Prediger in England, Namiens Chaperlain, zuge: 


tragen bat. Aus dem polländifgen, TR dte unverän= 
derte Auflage. Berlin, Grobe. 8. 21, Nor. 
Ohlert, H., Ein Hirt und Eine beerde, oder Friedens- 


wort an die Gelehrten und das große Publikum. Danzig, 


Anhuth. 8. 10 Nor. 
, Der DOberlehrer Dr. Yaur zu Neiße und fein-Kampf ge 
gen die Unvernunft. Breslau, Aderholz. 1845. Gr. 8. 2 Nor. 
Petermann, 8. G., Dr. Martin Luther's letzte Tage 
nebft einem Abriſſe feines Lebens, dargeftellt für die evange- 
liſche Schuljugend Deutfchlands zur SUbjäpeigen 1 Erinnerungs« 
feier feines Todes. Dresden, Arnold. Gr 2 Nor. 
Heters, D., Die evangelifhe Kirche und der Chrift: 
karholizismus. Ein Beitrag zur Verſtaͤndigung äber dab ge⸗ 
genmärtige Berhältniß beider. Schmweibnig, Weigmann. 1845, 
r. 
ee 8. E., Die evangelifche Kirche muß ein neues 
Staubensbefenntniß haben! Keujahrswort bein Zufammentritt 
des Berliner „Eoncils' an das deutfche Volk evangelifcher Eon: 
feffion. Berlin, „ohlgemutd Gr. 8. 10 Ror. 
Richter, A. 2., Der Staat und die Deutſch-Katholiken. 


Eine ſtaats⸗ und Hirchentechtliche Betrachtung. Leipzig, Tauch⸗ 


nis jun. ©r. 3. 77% Rear. 
Robert, x. 5, Die Grundzüge der Ronge ſchen Ger 
meindeverfaffung , befonderß ihr Glaubensbekenntniß, kritiſch 











Gr. 8. 


Bandring, Das Gewand des Erlöſers. —X 
ed Seheimnifie Magdeburg, Falckenberg und Comp 


— — . letzte Prophet ober der Wahn des 19. Sehr. 
hunderte, BRagveburg, Falckenberg und Comp. 1845. Br. 8 


Br 
— — Dffenes Sendſchreiben am ben z papt Or Gregor XVI. 
Magbeburg, Baltenberg und Eomp. 4 Rgr. 
heele, C., Offenherzige —X über ee 
* * Fiſche Eonfefion und Symbolzwang. Magdeburg, Ru: 
Nor. 


esnitt, 2. 3. K., Die Bewegungen unferer Beit auf 
dem Gebiete der &riftlichen Kirche. gugbiet über Luc. 958, 
Ifte Auflage. Marburg, Eiwert. Gr. 8, 2%, Nor. 

Hulz, 9. W., Über die Rothiwendigkelt eines —* 
Galeriegehäudes für die Fönigliche Gemaͤldeſammlung zu Dres: 
den. Leipzig, Brodhaus. 4 Ngr. 

Spener's, P. J., pia desideria, herzliches Verlangen 
nach gottgefälliger Bellern der wahren evangelifhen Kirche, 
fammt einigen einfältig babin abzweckenden driftfihen Bor: 
fhlägen. Aufs neue überarbeitet und mit Anmerkungen ber berieben 
von F. W. P.L. Feldner. Dresden, Naumann 

Stoeveken, H., Clemens Auguſt, Freiherr Dre wu 
Viſchering, in feinem. Leben, Wirken und Tode gefchildert. 
Mainz, Kirchheim, Schott und Ihielmann. Gr. 8. 6%, Nur. 

Stohlmann, W., Einige ärztliche Stimmen geaen die 
Gnthaltfamkeitsvereine. Bielefeld, Hetmich. 1845. Gr. 8. 5 Ngr. 

Die gegenwärtige allgemeine Synode der deutſchen pro⸗ 
teftantifchen Kirche in Berlin. Eine freimüthige Anſprache an 
Regierende und Regierte, an Geiſtliche und Laien von einem 
Laien. Berlin, Grobe. 8. 2 Nor. 

Lholud, ©., Eröffnungsrede zu der Öten Berſammlung 
bes Eirchlichen Eentralvereind in der Provinz Sachſen zu Gna⸗ 
dau am 2. April 1845. Magdeburg, Falckenberg und Comp. 
Gr. 8. 2%, Nor. 

Über preußifche Suftizämter und deren Einrichtung, ſowie 
über greus Derihtöverfaflung. Quedlinburg, Ftanke 1845. 

r 

Uhlich, Setenntniſſe. Mit Bezug auf die proteſtantiſchen 
Freunde und auf erfahrene Angeife 4te unveränderte Auf: 
lage. Leipzig, Böhme. 19 Rgr. 

Uhlich, Das Büchlein vom Reihe Gottes. Allen freien 
Chriſten gewidmet. —5* durchgeſehene Auflage. Magdeburg, 


Greug. 1840. 
Uhli q's Vortrag " der Derle mmlung proteftantifcher 
Freunde av Pe am 30, Juli 1845. Breslau, Leuckart. 
r 
Korte und Berhandlungen bei der am 16. Juli 1845 
ve Quedlinburg flattgefundenen allgemeinen Berfammlung des 


ereinds der Guftan: Adolph: Stiftung für das Fürftentgum 
Hatberftadt und Stift Quedlinburg. Quedlinburg, Franke. 


845. Gr. 8. 5 Rar. 
Was bedeutet Papfttbum, Colibat, Ohrenbeichte! Ein 
freies Wort von einem deutſchen Mann. 2te Auflage. Bres⸗ 


lau, Günther. 1845. 8. 1, 

Mas koͤnnte und follte Faden in der Ehriftenheit zur 
Herftellung eines allgemeinen apoftofifchen Gemeindeverbandes ? 
Eine Stimme aus der Gemeinde. Nebft einem Rarhtrag aus 
der Rede von Werte d'Aubigné, gehalten Mai 18415 bei der 
Generalverfammlung der freien PAD F Kirche. Hamburg, 
Perthes⸗Beſſer und Mauke. Rgr. 

Zur Erklaͤrung vom 15. Auguſt * Von Unterzeich⸗ 
nern derſelben. Berlin, Müller. Gr. 8. Apr. 

Bur Berftändigung in der Roth befer Zeit. @in Wort 
aus dem Volke an die Gebildeten aller Stände, mit befonderer 
Ruͤckſicht auf Berlin und feine Pichtfreunde. Bon einem evan⸗ 


beteugtet und geraten Breslau, Günther. 1345. 8. 2 Rgr. | gelifchen Laien und Freund evangelifchen Lichts. 2te vermehrte 
Sandring, Aufruf an Israel und an bie Welt. Mag: | Auflage. Mit einem Vorwort von U. Reanber. Berlin, 
deburg, Faldenderg und Eomp. 1845. Gr. 8. 4 Rgr. Enslin. 1845. Gr. 3. 5 Rgr. 
Berantwortlider Heraußgeber: Heinrich Brockdans. — Drud und Verlag von F. X. Wesdhdans in Reipsig- 


u — ——— 


2 





— Blaͤtter 


B für 


literariſche Unterhaltung. 





Dienſtag, 


17. Maͤrz 1846. 


= i R 
’ 


Die Kouriften im Orient. 
Bierter Artikel.‘ 

4. Grinnerungen aus Rußland und dem Orient, aufgezeichnet 

während feiner Reifen im Rorden, in der Fürkei, Palaͤſtina, 

gypten und Griechenland duch Daniel Wegelin. 

Herausgegeben. von H. Leemann. Mit 13 Anfichten und 

zwei Plänen. Bwei heile. Zürich, Schultheß. 1845. 
Gr. 12. Ihlr. 14 Nor. 

I. Palaͤſtina. Bilder aus dem heiligen Lande, aufgezeichnet 
während feine Aufenthalts in Serufalem von Daniel 
Wegelin. Herausgegeben son 9. Leemann. Mit 
ſechs Anſichten und zwei Plänen. Bürih, Schultheß. 1845. 
&r. 8. 26 Rer. 

. Wanderungen im Morgenlande während der Jahre 1842 
—43, von $. 4. Lorent. Manheim, Löffler. 1345. 
Gr. 3. 4 Thlr. 15 Rgr. 

7. Fragmente aus dem Drient. Bon Jakob ” Fallme⸗ 

—* gwei Bande. Stuttgart, Cotta. 1845. Gr. 8. 
Was hilft es, daß der hohe Bundestag zu Frank⸗ 
furt erſt neuerdings wieder in wohlverclauſulirten, reif⸗ 
lich erwogenen Paragraphen dem literariſchen Eigenthum 
einen möglihft vollſtändigen Schutz gewährt und die 
rechtmäßigen Anſprüche auf ben Gewinn der geifligen 

Arbeit der Familie und den Grben der Verfaſſer bie 

auf 30 Jahre nach ihrem Tode fichert, wenn die armen 

Scriftfteler ruhig zufehen müffen, wie man noch bei 

ihren Lebzeiten ihre mohlbegründeten Rechte ungeftraft 

Sränfen kann! Allen policeilichen Maßregeln unb 

allen Proteſtationen des leipziger Literatenvereins zum 

Trotz bat ſich das ergiebige Handwerk ber literari⸗ 

ſchen Freibeuterei nie eines fo fröhlichen Gedeihens zu 

erfreuen gehabt als gerade jegt. Es ift eine unabweis- 
bare Thatſache, daß unzählige Winkeljournale und zum 

Theil felbft Zeitfhriften, welche Anſpruch auf einen 

ernfien, gewichtigen Charakter erheben, ihre Spalten mit 

unrechtmaͤßig erworbenen Schmuggelmwaaren füllen. Der 
geichmeidige Geiſt der literarifchen Chevaliers d’industrie 
weiß alle wohlmeinenden Beflimmungen der einfichts- 
vollen Policei durch leichte Umgeftaltungen und Berände- 
rungen im Texte der geflohlenen Arbeiten, duch Ver⸗ 

Türzungen oder nichtefagende Paraphrafen mit einer Frech. 

heit und Gewandtheit zu umgehen, wie fie in den ge- 


) Vergl. den eriten, zweiten und dritten Artikel in Nr. 152-154, 
2-0 und IT 6. WI. f. 185. D. Res. 


wöhnlichen Kreifen ber eigentlichen Bewerkthätigkeit nicht 
ſchlagender gefunden werden können. 

Die Journaliſtik gewährt zufolge der Beihaffenheit 
ihres ganzen Terrains nur allzu viele Schlupfwintel und 
Verſtecke für dieſe dreiften Contrebandiers. Unbegreif- 
licher noch ift die Schamlofigfeit, mit welcher von den 
literarifchen Wegelagerern felbft größere Werke geplün- 
dert und unter fremden Namen wieder dem Publicum - 
vorgeführt werben. 

Im Allgemeinen mögen jegt wol nur noch wenige 
Nahdrudereien im eigentlichften Einne des Worte be- 
ftehen, welche ihr Handwerk mit wohlbelannter beigifcher 
Unbefangenheit, wie man es vor Zeiten wol aud in 
Karlsruhe und Wien that, betreiben; aber nicht minder 
ſchmaͤhlich iſt darum das Verfahren, welches von pflidt- 
vergeffenen Buchhaͤndlern und ehrlofen Perfonen, bie 
ih für Schriftfteller ausgeben, zu einer fiehenden Praxis 
gemadt iſt. Früher druckte man das Buch, welches 
feinem Inhalte nad) oder wegen bes Verfaſſers einen 
einträglihen Abfag verſprach, in unveränberter Geftalt, 
mit Beibehaltung des vollftändigen Titel und oft. mit 
der Bezeichnung ber rechtmäßigen Firma ab; jegt wird 
bie Sache feiner betrieben. Man läßt hier und da ein 
Wort aus, fchaltet eine leere, nichtöfagende Phrafe ein, 
verbalfhornifirt auf das Gerathewohl irgend eine belie- 
bige Stelle des Originals, auf das man es abgefehen 
bat, und bietet nun das geftohlene Gut als ein ganz 
neues Geiftesproduct, auf das mit frecher Stirn unter 
obligatem Paukenlärm und mit Trompetenſtößen bie 


„ öffentliche Aufmerkſamkeit hingelenkt wird. Diefer Fre- 


vel ift natürlich doppelt fchimpflich; denn während früher 
hoͤchſtens der, Buchhändler um feinen gebührenden Er- 
merb befrogen, der Schriftfteller aber nur durch Reaction 
in feinem Honorar gefchmälert wurde, beftiehlt man jegt 
beide ebenfo unummunden an ihrem materiellen Gewinne, 


inden man ben Derfaffer auch außerdem noch um. einen 


Theil feines literarifchen Rufs bringe. Auf diefe Weiſe 
ift die gelehrte wie die belletriftifche Kiteratur in ein La⸗ 
ger verwändelt, in bem von ferchen Marodeurs ohne 
Scrupel ſowie ohne Gefahr geplündert wird. Bei dem 
ungenügenden Schuge, den die vorhandenen Gefege ge- 
währen koͤnnen, Halten es die beraubten, in ihren In- 
tereffen gefränkten Autoren in ben meiften Fällen nicht 


für der Mühe werth, Lärm zu ſchlagen und ihre Zu⸗ 
flucht zu gerichtlichen Verfolgungen zu nehmen. Laͤßt 


es fi) aber ja einer berfeiben beitommen, fein „Halter 


den Dieb!” zu rufen, wenn er beftohlen wird, fo ſehe 
er fich wohl vor, ehe er einen fürmlichen Rechtshandel 
gegen einen Preßfrevler anhängig macht, denn in ber 
Regel ift der Plagiarius gerieben genug, um allen Ber- 
folgungen zu entgehen, und bann wird der Stläger 
‚nicht nur abgemiefen, fondern zugleich auch noch in die 
Koften verurtheilt. Wir fönnten zahlreiche Beifpiele aus 


der jüngften Vergangenheit anführen, wenn es hier über» | 


haupt der Belege bedürfte. 

Die Veranlaffung zu diefer langen Herzensergießung, 
welche gewiß bei Jedem, ber bei feiner literarifchen Thä- 
tigkeit auf Exrwerbung eines ehrlichen Namens und auf 
einen angemeffenen materiellen Gewinn bedacht ift, ein 
Echo findet, gibt uns ein Werk, deſſen Verfaffer und 
Herausgeber bereits an einem andern Orte ald bes Pla- 
giats ſchuldig gebührendermagen an den Pranger ge 
ftelle find. Wir find bei unferer Rundſchau über bie 
' Erfcheinungen auf dem Gebiete der Zouriften - Kiteratur 
genöthige, auf diefe Schrift, welche man mit Unwillen 
beifeite werfen follte, noch einmal zurückzukommen. 

Leemann — mir wiffen nicht inwieweit er Mit: 
fhuldiger des literarifchen Betrugs ift — führte das 
vorliegende Buch, welches ſich als Erinnerungen drei⸗ 
zehnjähriger Neifen bietet, mit einer echt ſchweizeriſchen 
Butmüthigkeit und zugleih mit einer Art Pathos ein, 
in den die Schriftfteller Helvetiens überhaupt leicht ver- 
fallen. Er meint, die bunten Exlebniffe eines „ſchwei⸗ 
zerifchen Mitbürgers“ würden gewiß von allen Lands: 
leuten mit regem Intereſſe gelefen, indem man von 
allen Seiten bemerkt hätte, „daß diefe anſpruchsloſe Er⸗ 
zählung feiner Begebenheiten weit entfernt von der Viel⸗ 
rednerei mancher andern Meifenden das Gepräge der 
Wahrheit an fi trügen” (S. v). Die Folge hat lei⸗ 
der dem Herausgeber cin arges Dementi gegeben. Wie 
befhäimt muß der vertrauensvolle Mann, melder feinen 
Beiftand zur Beröffentlihung diefes zufammengerafften 
Werts geliehen hat, gemwefen fein, al& er fich überzeugen 
konnte, daß diefe Erzählungen, „melche das Gepräge der 
Wahrheit tragen’, nicht die Erinnerungen eines fchlich- 
ten Wanderers, ſondern zum Theil wenigftens bie Aus- 
züge aus einem vielgelefenen Werke find, aus dem 
„Morgenland und Abendland. Vom Berfaffer ber 
Cartons“ (3 Bde, Stuttgart 1841), 

Indem wir Wegelin oder Leemann — mer ift der 
Schuldige? — der größten literarifchen Sünde zeihen, 
welde ein Schriftfteller begehen kann, find wir aber 
keineswegs gewillt, alle Erxlebniffe, die Hier gefchildert 
werden, und die ganze Meife, welche die Grundlage vor- 
liegenden Werks bilden foll, für eine Fiction zu erflä- 
ren... Wahrſcheinlich waren die Notizen, welche Wegelin 
auf feiner Wanderung gefammelt hatte, etwas bürftig 
ausgefallen; das Gedaͤchtniß, auf das ex fich verlaffen 
hatte, zeigte fih nicht immer frifch und regfam genug, 
und fo mußte aus den nächften Quellen, welche gerade 


zugänglich waren, ergänzt werden. Aber: weshalb, fich 
zum Schriftfleller aufmerfen, wenn mit bem Material 
zugleih aud die Gewandtheit der Einkleidung fehlt, 
wie man daraus erfehen kann, daß er die gefammelten 
Notizen einer fremden Überarbeitung zumeifen mußte! 
Einigermaßen zu entfchuldigen wäre die allzu häufige 
Nachleſe und ſtillſchweigende Entlehnung aus fremden 
Werken, wenn fich diefelbe auf hiftorifhe Notizen, Schil- 
derungen malerifher Landſchaften und allenfalls Betrach⸗ 
tungen allgemeinen Inhalte ausfchlieglich erftzedte. In 
Bezug auf literarifhen Unterfchleif diefer Art haben 
unfere modernen Zouriften befanntlid ein fehr weites 
Gewiſſen. Plumper muß man das Berfahren ſchon 
nennen, wenn wie bier felbft an folchen Stellen, welche 
nicht geradezu abgefchrieben find, doch ein fonderbares 
Zufammentreffen in Betreff der Eleinlichen Exlebniffe des 
Tags mit frühern Neifenden flattfindet. So kann man 
es unferm Reifenden nachrechnen, daß er z. B. nament- 
ih in Paläftina überall die namlichen Eindrüde- em- 
pfängt als der bekannte Verfaſſer der „Cartons“. 
"Was einigen Zweifel gegen die innere Wahrheit der 
ganzen Irrfahrt, deren angeblicher Bericht uns hier ges 
boten wird, zu erregen im Stande wäre, ift der Um: 
ftand, daß Wegelin nicht nur felbft auffallend häufig 
drohenden Gefahren ausgeſetzt ift, fondern daß er auch 
überall bei wichtigen Ereigniſſen perfönlich zugegen ge⸗ 
weſen fein will. Freilich flimmt bie Zeitrechnung, und 
feine Erzählungen liegen deshalb im -Kreife der Mög- 
lichkeit; aber die Zweifel, in denen man von dem Ge 
danken, dag er fih in Benugung fremder Schriften eine 
unverzeihliche Unredlichkeit hat zu Schulden fommen laffen, 
beftärkt wird, werben durch die Beftimmtheit, mit der 
er feine Erlebniffe hinſtellt, nicht entkräftet. 
* Wir wollen mit wenigen Worten ein flüchtiges Bild 
von dem Plane, dem Reifeziele umd den Abenteuern 
feiner Irrfahrten entwerfen. Wegelin erzähle, dag ihn 
früh, Schon ein lebhaftes Verlangen getrieben habe, ſich 
in der Welt umberzutummeln; deshalb mochte er nicht 
länger in den’ engen Kreifen feiner Baterftadt St.⸗Gallen 
ausharren, und begab ſich, nachdem er feine Lehrzeit ale 
Kaufmann im Haufe feines Vaters beendigt hatte, zu⸗ 
vörderft nach Riga, wo er mit Hülfe der Verbindun« 


gen, welche fein Vater mit einigen dortigen Familien 


angefnüpft hatte, leicht eine Stellung zu finden hoffte. 
Die Schilderung feiner Reife über Berlin, Frankfurt, 
Königsberg, Memel übergeben wir füglich; fie ift mit 
Reifebemerfungen wie: „Berlin ift in einer fandigen 
und daher äußerſt öden Gegend gelegen” (T, 4), ver- 
brämt. Die Hoffnungen, melde er auf Riga geftelle 
hatte, feiterten, und er tritt deshalb etwas nicderge- 
fchlagen feine Rückreiſe nah St.⸗Gallen an, wird aber 
in Lübeck veranlaßt, fi nach Hamburg zu begeben, mo 
ihm eine Anftellung in Ausficht geftelle wird. Auf der 


Ueberfahrt nach Lübeck Hat er, im Worbeigehen gefagt,- 


den erſten Seeſturm auszuſtehen. Darauf finden wir 
ihn als intereffanten Gefchäftsreifenden für ein hambur⸗ 
ger Haus, das ihm nach einem fehr traurigen und größ- 





MB 


tentheil® erfolglefen Duschzuge durh Mecklenburg und 
die Mark den Auftrag gibt, nah Memel in Gefchäften 
zurüdzugehen. Neues Ungemach wartet feiner auf ber 
Dfifee. Aber auch in Memel wollen die Gefchäfte, 
welche ihm anvertraut find, nicht recht gedeihen. Nun 
wendet er fid nad Petersburg, welches er ein „Pa— 
läftemeer " nennt. Hier findet er in einem Spedition: 
hauſe das gewünſchte Unterfommen. Nachdem er in 
diefer Stellung zwei Jahre gearbeitet hat, afjoctirt er 
fih mit einem Kaufmanne. Während feines Aufent- 
halte in Petersburg erlebte er außen vielen andern Faͤhr⸗ 
lichkeiten und denfwürdigen Ereigniffen die ungeheure 
Überfhwemmung am 19. Nov. 1823, deren Schilde: 
rung wir ihm gerathen haben würden aus einer geift- 
reichen Novelle von Leopold Schefer zu entlehnen, und 
den dentwürdigen Aufftand, der unmittelbar nad) dem 
Negierungsantritte bes Kaiſers Nikolaus ftattfand. Eine 
förperliche Schwäche, Folge einer Fieberkrankheit, melde 
er fih durch einen Sturz .in die Nema zugezogen hat, 
veranlaßt ihn, auf einige Zeit nad) feiner Vaterſtadt 
zurückzukehren; aber während feiner Abwefenheit bringt 
fein Affocie das gemeinfchaftliche Gefchäft durch feine 
treulofen Speculationen dem gänzlihen Verfall nahe. 
Boll Verdruß bricht er nun feine petersburger Verbin⸗ 
dungen ab. Zum Glück bietet fih ein Antrag, für ein 
peter&burger Haus in Moskau ein eigenes Comptoir zu 
errichten (Dec. 1830). Der Verf. gibt uns Gelegen- 
beit feinen Muth zu bewundern, weldyen er dadurch be- 
weift, daß er geraden Wegs der Cholera entgegenreift. Aber 
kaum ift er in Moskau, diefem „Kieinode ber Ruſſen“ 
wie er es bezeichnet, angelangt, fo trifft ihn wie ein 


ſchwerer Schlag die betrübende Nachricht, daß feine Ge- 


fiebte ihm ungetreu geworden if. Nun ift ihm Ruß—⸗ 
fand verhaßt, und er befchließt, ungefäumt feinen Wan⸗ 
derftab nach der Türkei zu lenken. Wir bemerken von 
den Zährniffen diefer neuen Reiſe nur, daß er von Wöl- 
fen, die ihm blutgierig nachſchnauben, in nicht geringe 
Gefahr verfegt wird. 

Nah flüchtiger Neife, auf der er die deutihen Co⸗ 
fonien berührt — er erwähnt nur im Vorbeigehen und 
ohne irgend eine neue Notiz beizubringen Rudolfſtadt — 
langt er in Odeſſa an, das er aber bald wieder ver- 
läßt, um ſich nad Konftantinopel einzufciffen. Auf 
der Überfahrt gibt e8 wieder den unvermeidlichen Sturm. 
Der Verf. würzt feine Schilderung von Konftantinopel 
— die, irren wir nicht, auch fhon anderswo zu lefen 
ift — mit einer Befchreibung bes Brandes von Pera 
(am 2. Aug. 1831). Wegelin, der für einen flüchtig 
Reifenden ganz vorzugsweife vom Glücke begünftigt ift, 
wohnt diefem Schaufpiele wiederum bei. Sonſt ift une 
in Bezug auf die Türkei und die Hauptſtadt derfelben 
im Allgemeinen nidyts Neues aufgeftofen als Das, mas 
er über die Zoleranz der Türken mittheilt: „Uber Un- 
duldfamteit von Seiten der Regierung können fich die 
Ghriften in neuerer Zeit nicht beſchweren“ (I, 196). 

In dem meofcheenreihen Stambul faßte plöglih un» 
fern Neifenden, der uns allmälig faſt im Lichte eines 


planlos in der Irre” umherwandernden Abenteurers er- 
Iheint, das Verlangen, eine Pilgerfahrt ins heilige Land 
zu unternehmen. Diefer Theil der Reifefchilderung ift 
nun berjenige ‚ wo ber Verf. nachweislih am menigften 
auf eigenen Füßen ſteht. Wir wollen ung deshalb nicht 
bie Mühe geben, dem etwas problematifchen Reiſenden 
auf jeiner ganzen Tour zu folgen. Wir erwähnen nur, 
daß er zu wiederholten Malen in Paläftina gemefen zu 
fein vorgibt, und daß er nad) mehrfachen Irrfahrten in 
Alexandrien eine Exiſtenz findet, indem ihm der ruffifche 
Viceconſul Lavifon eine mit einer angemeffenen Ein: 
nahme verbundene Beichäftigung auf feinem Bureau 
gewährt. Im diefer Stellung bat er auch Gelegenheit, 
Mehemet Ali zu fehen. Er bemerkt über den äußern - 
Eindrud diefes vielbefprochenen Mannes (IT, 204): 

Ic kann nicht fügen, daß feine Erſcheinung den Eindrud 
auf mic gemacht hätte, welcher uns in der Naͤhe wahrhaft 
erhabener Männer zu erfaflen pflegt. Ein Eleiner lebhafter 
Greis, mit fprübenden Augen, gewöhnlichen Gefichtözügen, 
weißem langem Bart, zeigte feine Spur von ber Majeftät, 


mit welcher fonft glückliche Emporkommlinge den mangelnden 
Stammbaum würdig zu erfegen wiflen. 


Diefes Bild weiche von dem fehmeichelhaften Por- 
trait, welches der „„DVerflorbene” von feinem Lieblinge 
entwirft, bedeutend ab. Nach längerm Aufenthalt in 
Alerandrien begleitet Wegelin Lavifon nad Konſtanti- 
nopel und begibt fi in Gefellfhaft eines Herrn Puff 
— der Calembourg liegt hier fehr nahe — nach Napoli 
bi Romania, von wo ihn fein febhafter Wunſch das 
Baterland wieder zu fehen und der Math feines Arztes 
zum Aufbrucd treiben. Unterdeffen müffen wir noch 
zwei Seeſtürme einregiſtriren (Il, 180, 231), melche faft 
den Gedanken auffteigen laffen, die zahlreichen Befchwer- 
den biefer Art, mit denen unfer Reifender zu kaͤmpfen 
bat, könnten etwa auf Überfreibungen oder auf optifchen 
Zäufhungen .berugen. Wenn dies Legtere der Fall fein 
follte, jo fann er fi mit dem ſchwungvollen Lamartine 
tröften, der auch in feinen orientalifhen Reifeeindrüden 
einen mächtigen Scefturm befchreibt, der — wie fpäter 
durch Verfiherung von Zeugen notorifch geworben ift — 
bei näherer Betrachtung zu einer Fiction zuſammen⸗ 
Shrumpft. Der gefälige Gapitain hatte nämlich dem 
berühmten Reifenden bie Freude bereiten wollen, einem 
fhönen Sturm, der fi) von gewandter Feder befchrie- 
ben immer anziehender ausnimmt als in der Wirklich» 
feit, beizuwohnen. 

Im Allgemeinen hält fich der Verf. mehr an die 
oberflädhlihen Beobadytungen und äußern Cindrüde; 
nur bier und da ftreut er feiner Darftellung höchſt will- 
kuͤrlich zufammengelefene biftorifche Notizen ein. Bis 
zum Ekel werden uns befonders in den Eapiteln, melde 
Paläfting gewidmet find, die befannteften Dinge vorge 
führt. Deſſenungeachtet fcheint der Herausgeber, ber 
wie er felbft gefteht hier recht con amore nachgeholfen 
und gebeffert hat, gerade auf diefe Partie des Werks 
vorzügliches Gewicht zu legen, indem er fie noch eines 
befondern Abdrucks gewürdigt hat. Da nun gerade 
diefe Abfchnitte am meiften aus fremden Beſtandtheilen 


304 


gebildet find; fo erhalten wir in dem Nr. 5 ‚bezeichneten 
befondern Bande einen Abdrud eines Plagiats, was an 
bie „Impressions de voyage’ von Alerandre Dumas 
erinnert, welche durd Die unzähligen Bervielfältigungen, 


‘wie der „Charivari” fagt, zu reimpressions des im- 


pressions geworden find. 
(Die Yortfesung folgt.) 





Literarifhe Notizen aus Frankreich. 


Bollftändigfte Ausgabe von Labruykre. 

Su den grellen Eontraften, welche unfere Gegenwart cha: 
zakterificen, gehört auch der, daB das PYublicum mit der un 
- glaublichften Leichtfertigkeit Die wichtigſten Erfcheinungen der 

Siteratur in den Wind fahren läßt, und Dann doch wieter an- 
dererſeits eine fait rührende Pietät für einmal officiel beglau: 
bigte Größen an den Zay legt. Diefe forgfame Kiebe für die 
als claffiih anerkannten Werke tritt auch in Frankreich in einer 

zoßen Menge von forgfältigen Auszgaben folcher literarifchen 
Sroductionen hervor. Ein Zheil diefer Editionen verrät einen 

Sammilerfleiß und eine ritifche Richtung , wie wir fiein Deutſch⸗ 
and nur bei Werfen des griechifchen oder römifchen Alterthums 
in Anwendung gebradt haben. Wir haben felbft in d. Bl. 
ſchon 3. B. Ausgaben von Moliere's unfterblihen Dramatifchen 
Dichtungen erwähnt, weiche mit einer in Das Kleinliche gehen: 
den Boilftänbigkeit jeden Unterfchied der Lesarten aufzablen, 
und in denen der Rotenfchwall über dem Texte zufammenjchlägt. 
Gegenwärtig erhalten wir eine hoͤchſt vertienftvolle Ausgabe 
der „Caracteres de Theophraste avec les Caracteres ou les 
moeurs de ce sieche de Labruyere”, welche wir Dem umſich⸗ 
figen und thätigen Baron Walckenaer verdanken. Demfelben 
muß das Net zugeftanden werden, feine Arbeit ,Premidre 
edition complete” zu nennen, und der Herausgeber macht auch 
von diefem Rechte auf dem Titelblatte Gebrauch. Von befon- 
derer Wichtigkeit ift der Anfang, in welchem wir einen genauen 
Nachweis finden von allen Veränderungen, die ber Berf. in 
ben verfchiedenen Ausgaben veranftaltet hat. Labruyere hat 
deren felber neun beforgt, welche zum Theil fehr voneinander 
abweichen. Befonders ftellen ſich in Bezug auf die Anordnung, 
weldye dem Verf. fehr am Herzen gelegen zu haben ſcheint, da 
ex fie. fo oft über den Haufen geworfen und umgekehrt hat, 
fehr merkliche Abweichungen heraus. Außerdem bat der Der: 
ausgeber die Sammlung, wie fie gewöhnlich abgedrudt wird, 
durch vier Charakterbilder bereichert, von denen zwei aus der 
fünften und zwei auß der fechöten Driginalausgabe wieder her: 
vorgezogen find. Die hiſtoriſchen und anderweitigen @rfäute: 
rungen, durch welche der Herausgeber in das Verftändniß ei- 
niger ſchwieriger Stellen und bisweilen dunkler Anfpielungen 
einzuleiten fucht, bieten eine Bolftändigkeit und Genauigkeit, 
wie wir fie noch in Feiner Ausgabe diefer frifchen Lebensbilder 
gefunden haben. Die biograpbifche Notiz entlih, welche an 
der Spitze diefer Ebdition fteht, ift ein lebendiges Bild des 
Schriftfieler& und feiner Zeit. 


Überfegung: von Vieira's Predigten. 

Während man über der franzoͤſiſchen Literatur mit Recht 
den Vorwurf machen Fonnte, daß fie im zu geringen Maße 
die wichtigern Erfcheinungen des Auslandes berudfichtige, nimmt 
Diefelbe immer mehr und mehr einen Bosmopolitifhen Un: 
ſtrich an, als gelte es auch bier den von Goethe verheißenen 
Auftand der Weltliteratur herbeizuführen. Unter ben neueften 
Üderfegungen, durch welche die Franzofen den Schag ihrer ei: 
genen Literatur wie durch fremde Anleihen zu bereichern krach⸗ 
ten, bemerken wir eine Bearbeitung der Predigten eines aus⸗ 
gejeichneten portugiefifhen Kanzelrebnerd. Der Pater Bieira, 
welcher dem Orden der Iefuiten angehörte, wird wicht ohne 


Grund den hervorragendſten Rebnern aller Beiten Beigezäblt. 
Er war 1648 zu Liffabon geboren und brachte einen großen 
Theil ſeines vielbewegten Lebens in Amerika zu. Er erntete 
in feinem Baterlande, in Paris, in Holland und Rom den 
veichlichften Beifall. In der letzten Stadt predigte er vor Chri⸗ 
fine von Schweden, welche ihm wiederholt die Stelle ihres 
Beichtvaters antrug. Barbofa meint in portugiefilcdh -prunf: 
voller Weife, diefe Königin fei vom eifigen Nordpole herbei: 
geeilt, um als eine zweite Königin von Saba diefen neuen 
evangeliihen Salomo zu bewundern. Mehr ald ſolche über: 
triebene, bombaſtiſche Zobreden ehren die mildthätigen Hand: 
lungen, welche biefer Briefter an den armen Indianern Ame⸗ 
rikas verrichtete, feinen Charakter. Man Hat Bieira haufig 
mit Boſſuet verglichen, und Ferd. Denis, dieſer Kenner der 
portugiefifchen Literatur, meint in feiner „Histoire de la litte- 
rature portugaise’’, daß er an manchen Stellen allerdings den 
erhabenen Schwung dieſes herrlichen franzöfiihen Redners er- 


“reiche. Die Beforgung einer lesbaren franzöfiihen Übertragung 


ift von einer Gefelifchaft von Freunden erbaulicher Lecture dem 
als Reifenden und forgfältigen Literaten bekannten Eugene be 
Monglave übertragen. Der Erzbiſchof von Paris hat diefes 
Unternehmen feines befondern Schuges für würdig gehalten, 
nachdem er die Werke, welche es betrifft, durch den UbbE La⸗ 
couture einer teligiöfen Prifung bat unterwerfen laffen und 
nachdem ihm vom Biſchof von Bifeu über den Werth und die 
Bedeutung dieſes Kanzelvedners ein fehr vortheilhafter Bericht 
eritattet worden ift. Das Ganze wird 12 Octavbaͤnde umfaſſen. 
Fichte ins Franzöſiſche überfegt. 

Wir haben oft fihon von der Verbreitung deutiher Phi⸗ 
lofophie in Frankreich geſprochen, welche Dank den Beſtrebun⸗ 
gen Eingelner in diefem Lande einen immer breitern Boden 
gewinnt. Es bedarf indeflen nicht der Verfiherung, daß wir 
uns darum noch nicht überfpannten Hoffnungen bingeben dür- 
fen. Eine neue Grfcheinung, welche wiederum für das fleigende 
Berlangen der gebildeten Franzoſen, aus dem Borne deuiſcher 
Philofophie zu trinken, fpricht, ift die Bearbeitung eines der 
wichtigften Fichte ſchen Werke, welche wir dem Prof. Bouillier 
verdanken, deſſen Arbeiten über Geſchichte der Philofophie in 
Frankreich Anerfennung gefunden haben. Diefe Bearbeitung 
ft unter dem Xitel , Methode pour arriver & la vie 
bienheureuse’’ erfhienen. Die bi fcheint uns deshalb 
nicht ungluͤcklich, weil in diefem Werke bie Lehre Fichte's den 
Franzoſen weniger unverftändlich erſcheinen wird als dies in an- 
dern feiner Schriften der Fall fein dürfte. Diefe Überfegung bat 
dadurch für uns einiges Intereffe, weil der Sohn des deutichen 
Philofophen fie mit einer befondern @inleitung verfehen dat. 





Literarifhe Anzeige. 


Bon F. A. Brockhaus in Leipzig ift durch alle Bud: 
handlungen zu beziehen: 


Seinrich Peſtalozzi. 


Züge aus dem Bilde feines Lebens und Wirkens nad 
elbflzeugniffen, Anfchauungen und Mittheilungen 


von 
K. Zuftus Blochmann. 
Mit Deftalozzl’o Biſpniß und vier lithographirten Cuſeln. 
Gr. 8. Geh. 16 Nor. 


> Ein Theil des Ertrans biefer @ 
. ve⸗ 








Verantwortlicher Serausgeber: Heinrich Brockdans. — Drad und Verlag von, J. . MWrodpaus in Leipzig. 














Blätter 


für 


literarifde Unterhaltung. 





‚18. März 1846. 





Die Zouriften im Drient. 
Bierter Artikel. 
(Fortſedung aus Nr. 7%.) 

Ein Werk von ganz anderm Schrot und Korn wird 
uns in ben „Wanderungen von Lorent geboten. Die 
etwas abgebrofchene und allmälig verdächtig gemordene 
Bemerkung in ber Borrede, der Verf. habe ſich nur 
anf „befonderes Zureden mehrer Bekannten” zur Her- 
ausgabe diefer Reiſefkizzen entfchloffen, und der etmas 
emphatifd) »hochtrabende Anfang des Werks felbft floͤßte 
uns, offen gefagt, Fein allzu günftiges Borurtheil eim. 
Aber fpäter fahen mir, daß die hohlgehenden Wellen der 
Wohlredenheit bald einen einfach natürlichern Fluß nah: 
men und nur hier und da die Klippe einer Inverfion 
oder eine allzu häufig wiederkehrende Anziehung mytho⸗ 
logifcher Bilder — 3. B. „in Agypten ergreift Klio Die 
Hand des wißbegierigen Forſchers, führt ihn über Lethes 
Fluten wieder zurüd und leuchtet ihm mit heller Fackel 
tief in die Nacht längſt dahingeſchwundener Aonen hin 
ein” — ein gezwungenes Kräufeln der glatten Oberfläche 
bewirkt. Dazu kommt, daß man im Keifenden bald 
einen wiſſenſchaftlich gebildeten Dann ertennt, deffen 
Bert wenn auch feine große gelehrte Ausbeute 
doch eine ganz empfehlenswerthe Lecture biete. Er er- 
klaͤrt es felbft, daß es nur feine Abſicht war, den Orient 
im Allgemeinen kennen zu lernen (S. 4), und es fiheint, 
das er die vwiflenfchaftlichen Zwecke — botanifche Stu⸗ 
dien, deren Refultate er nah den Beflimmungen des 
Prof. Hochftädter am Ende feines Werks mittheilt — 
nur nebenbei verfolgt bat. 

Der Berf. beginnt feine Befchreibung in KRonftanti- 
nopel, um nicht Durch Schilderung allzu befannter Ge⸗ 
genden zu ermüden, und erfiredt fi) dann über Agyp- 
sen, Syrien, Mefopotamien und Armenien. In Bezug 
auf die türkifchen Zuftände faßt er ſich fehr kurz und 
wir bemerfen nur, daß er dem Sultan Mahmud, den er 
„nen Affen Peter's des Großen‘ nennt, die Vernichtung 
der türkifhen Nationalität vorzüglich zur Laſt legt. 
Über Smyrna, das wegen der vielen bafelbft feßhaften 
Chriſten gewöhntih Giaur Ismir (S. 13) genannt 
wird, begibt Lorent ſich nad) Alexandrien. Dieſe Stadt 
iſt von den europaäiſchen Touriſten zu fehr abgeweidet 
als daß ſich bier ſonderlich viel Neues auffinden ließe. 


Indeſſen gewährt Das, was er (S. 22 u, 34) über die 


ägyptifchen Schulen fagt, einiges Intereffe. Sodann 
geht er auf dem Mamudie⸗Kanale, welcher von 25,000 
Menfhen in ſechs Monaten vollendet ift (©. 24), na 
dem Nil. Kahira machte auf fein empfängliches Ge 
müth keinen geringen Eindrud, und beſonders gefällt er 
ſich in den Schilderungen der reisenden Gartenanlagen 
von Schubra (S. 42), die, wie wir gefehen haben, auch 
dem fachkundigen Pückler lebhafte Bewunderung entlod- 
ten. Die Befchreibung der Hechzeitsfeierlichkeiten, deren 
Zufchauer Forent war (&. 30), ruft uns das einfache, 
are, aber gerade beshalb auch fo .anfprechende Reife 
buch des ältern Niebuhr zurück, der fein Werk dur 
naive Darfiellungen aus dem Volksieben zu einer Ar- 
beit von dauerndem Werthe gemacht hat. 

Seine Reife nad) den Ruinen des hundertthorigen 
heben legte Lorent auf einer eigens gemietheten Barke 
zurück, die wie es ägyptifcher Brauch ift zuerft in 
das Waffer getaucht wird, um fie vom Ungeziefer zu 
reinigen (&. 44). Unterwegs fallen die vielen Santon- 
(Heiligen) Gräber am Ufer vorzüglich in feinen Blick. 
An dem Hügel des Scheich Said bitten ihn die Araber 
ein Stud Brot ins Waffer zu werfen, weil dann ein 
weißer Vogel kommen werde, um es für vorüberziehende 
Wanderer am Grabe des Heiligen niederzulegen (©. 48). 
Die Zahrt firomaufmärts geht natürlich nur fehr lang- ” 
fam von flatten, und fie Tann nur einigermaßen bda=- - 
durch beflügelt werden, daß die Ruderer an feichten 
Stellen ms Waſſer fpringen, um ben Kahn zu ziehen. 
Im Allgemeinen aber zeigen fich bie eingeborenen Die- 
ner als träge, kangfame Kerle, deren Eifer nur durch bie’ 
Drohung, daß ihnen die Baſtonnade verabfolgt werden 
fol (S. 52), einigermaßen beflügelt werden fann. Das . 
intereffantefte Abenteuer auf diefer Tangwierigen Reife 
ift die Bekanntſchaft des Reifenden mit einer Gawazieh 
(5. 56), db. i. mit eimer jener Tänzerinnen, melche 
Mehemet wahrſcheinlich ihrer allzu freien Sitten wegen 
nach dem obern Agypten verbannt hat. Die Andeutun⸗ 
gen, melche wie über ben ägyptiſchen Lieblingstanz 
Nachle, d. h. Biene, erhalten, laffen allerdings arge 
Bermuthungen über bie Leichtigkeit, den Sinnentaumel 
der Agypter zu erregen, auffleigen. Eine forgfältigere 
Beichreibung bdiefer üppigen und über die Grenze bloßer 


Frivolitaͤt hinausfchweifenden Gaukelei möge man in ei» 
nem Auffage von Hammer (im Jahrgang 1844 ber 
wiener „Jahrbücher ) fuchen. 

Über die Ruinen von Theben faßt fih der Verf. 

furz, indem er —A geſteht, wie er ſich hier auf 
fine perfönlihen Kindrüde befchränfen müſſe. Man 
ann es nur billigen, daß er es verfehmäht, mit einem 
Apparat zufammengelefener Gelehrſamkeit, wie fie von 
den Reiſenden gewöhnlich erft fpäter im Studirzimmer 
und mit Zuziehung ganzer Bibliothefen aufgetrieben 
wird, zu prunfen. Dabei haben feine fchlichten Schil⸗ 
-derungen von SKarnat und Luror und vorzüglich vom 
Palaſte Medinet Abu (S. 74) nichts verloren. Bon 
Kahira aus, wohin er zurückkehrt, um dafelbfi einen län: 
gern Aufenthalt zu nehmen, befucht er auf einem Aus- 
fluge die Pyramiden, über deren Bedeutung und Be— 
flimmung erft jüngft wieder auf Anregung eines eige- 
nen Werks vom Franzoſen Fialin viel hin= und herge: 
firitten iſt. Der Eindruck, den diefe koloſſalen Monu- 
mente auf ihn gemacht haben, erfcheint weniger über- 
raſchend. Er fagt in diefer. Beziehung gewiß ganz rich» 
tig (S. 113): 

Die große Einfachheit macht, was bei Tempeln nicht mög- 
ich ift, Daß ſich die Phantafie ihr Bud genau vorjtellen kann, 
und daher fieht man fie das erfte Mal fo ganz vorbereitet und 

oft mit überfpannten Erwartungen. 

Wir haben es bereits in einem frühern Artikel die- 
fer Umfchau gefagt, daß man fich in neueſter Zeit durch 
die Lebhaftigkeit politifcher Debatte gewöhnt habe, bei 
einem Buche über Agypten immer zueft zu fragen: 
Was denkt der Verf. von Mehemer Ali? Hält er ihn 
für einen ftarren Tyrannen, für einen unbeugfamen DBe- 
herrfcher gebrüdter Unterthanen, oder erjcheint er in fei- 
ner Darftellung — wir bedienen uns eines Ausdrucks 
von Pückler — als ein „Beglüder von Millionen‘ ? 
So können wir es denn ſchon nicht unterlaffen, unferm 
-Reifenden mit biefer unferer unvermeidlichen Gewiſſens⸗ 
frage entgegenzutreten. Im Algemeinen, müffen wir 
zuvor bemerken, räumt Lorent der politifhen Betrach- 
‚tung nur eine untergeordnete Berückſichtigung ein; er 
überläßt .es Andern, mit einem abfprechenden Worte 
über die ftaatlichen Zuftände fremder Völker, mit denen 
er in einen flüchtigen Verkehr getreten ift, ein dictatori» 
ſches Urtheil zu fällen. Nur fo viel fieht man wol, daß 
ee die unleugbarc Strenge Mehemet's, feine gewaltigen 
Maßregeln, welche ſich allerdings nicht in Abrede ftellen 
laffen, ald Product und Ergebniß der unerbittlicäften 
Nothwendigkeit betrachtet. Mit andern Hebeln als mit 
Härte, meint er, laffe ſich die Zrägheit der Fellahs nicht 
‚aufrütteln. Deshalb verwahrt er fih ausdrücklich gegen 
Diejenigen, welche nach abendländifchen Anfichten über 
den „Regenten Agyptens“ den Stab brechen wollen: 
„Nur Europäer werden Mehemet's Regierung tyrannifch 

heißen, weil fie die Gefege und nicht das Volk kennen.“ 
| Wir wollen dem Verf. auf feiner Reife von Kahira 
über Ei Arifch (Rariffa), Gaza und Ramla (Arimathen, 
fpäter Ramatha) nach Ierufalem nicht folgen. Auch 


über Serufalem fihweigen wir, da die Schilderungen 


Lorent's, welcher bier von feiner löbliden Gewohnheit 
abmweicht und fi in unnöthige Hiftorifhe Auseinander⸗ 
fegungen einläßt — „weil es einzig eine Stadt,der Er- 
innerungen iſt“ (S. 146) — nichts wefentlih Neues 
bieten. Rah einem Ausfluge nad) Jericho — jept ift 
es ein ärmliches Dorf Riha —, nad) dem Todten Meere 
und Bethlehem, fegt der Verf. feine Reife nah Damas- 
tus fort und berührt dabei Naplus, Tiberias, Nazareth, 
St.» Zean d'Acre, Tyrus, Sidon und Beirut. In Ty- 
rus (jegt Sur) fah er Araber, welche nach Schägen 
gruben, wie dies die Einwohner diefer Gegend zu thun 
pflegen, wenn fie Europäer mit ihren Reiſehandbüchern 
auf den Ruinen umberwandeln fehen. Sie glauben 
dann, daß die Fremdlinge aus diefem zerfallenen Orte 
ftammen, und ihre Vorfahren den Nachkommen fchrift« 
liche Nachrichten darüber hinterlaffen hätten, wo ihre 
Schäge ruhten (S. 191). Überhaupt macht der Rei- 
fende uns in einigen zerftreuten Zügen eine fonderbare 


Vorftellung von der Art und Weiſe, wie die Bewohner 


des Drients Wiffenfhaft und Schriftenthun betrachten. 
So erzählt er wie er feine Begleiter, welche ihn wegen 
feiner botanischen Sammlungen verlachen, nur beruhigen 
ann, indem er ihnen allen Ernſtes jagt, er fei in das Land 
gefommen, um auf hohen Bergkuppen einige hundert 
Pflanzenarten zu fammeln, aus denen fich. ein Trank der 
Unfterblichkeit zufanımenbrauen laffe (S. 294). 

Auf feinen Wanderungen nad Aleppo trifft er in 
Latakia (Laodice) den fonderbaren Reifenden Holman 
(S. 233), welcher, obgleich er des Lichtes feiner Augen: 
beraubt ift, doch vom Reiſeteufel befeffen zu fein fcheint 
und bereits mehre Male die Erde umreift iſt. In 
Aleppo war unferm Wanderer die Belanntfchaft bes 
Dr. Lunz für die Kenntnig der Landesverhältniffe von 
weientlichem Belang. So verdankte er, der felbft Arzt 
zu fein fcheint, bemfelben einige Mittheilungen über die in- 
tereffante Krankheit bouton d’Aleppo, welde er für ein 
Überbleibfel der alten Lepra hält (&. 259). Don Aleppo 


"begab ſich Lorent nach Diarbekr. Auf diefem Zuge be- 


rührte er das Schlachtfeld von Nifibi, wo Ibrahim den 
glänzenden Sieg über die türkiſchen Armeen erfocht. 
Seine Abſicht war es, nach dem Perfiihen Meere zu 
gehen; aber ein unglüdlicher Sturz, welcher feinen Fuß 
befchädigte, nöthigte ihn, 14 Tage in Diarbekr zu lie- 
gen. und dann an die Umkehr zu denken. Er bewerf- 
ftelligte diefelbe über Palan, Erzerum, Arkale, Baibad, 
Gümüſchchane und Zrebifond nach Konftantinopel. 

Über diefen legten Theil ber Reife gleiten wir flüch⸗ 
tiger hinweg; befonders enthalten wir uns jeder Mit⸗ 
theilung aus den Schilderungen, welche Lorent von Zre- 
bifond und der Umgegend diefer denfwürdigen Stadt 
entwirft. Wir thun dies, weil uns noch bie Beſprechung 
eines Werks vorliegt, welches — es gehört überhaupt 
zu den bebeutendften Erſcheinungen ber Touriften - Litera« 
tur — ein herrliches, unvergleichlihes Bild diefer Ge⸗ 
genden vor unfern Blicken aufrolt. Wir meinen Zall- 
merayer's „Sragmente”, die, nachdem fie in einem weit 





— 


4 


verbreiteten Blatte bereitö durch den Prunk ihrer Farben, 


. durch bie Kraft ihrer Schilderungen und die Gediegen- 


heit ihres ganzen Inhalts ein weites Publicum entzückt 

hatten, jegt nun in vollftändigerer- Sammlung und als 

felbfländiges Werk ſich in unfern Händen befinden. 
(Die Zortfegung folgt.) 


Literarifhe Briefe aus der Schweiz.”) 
ji 





T. Gedichte und Pritifche Auffäge aus den Jahren 1839 und 1840, 
von Georg Herwegh. Belle:Bue, Verlags: und Cor: 
timentöhandlung. 1843. 16. 1 Zhlr. 7%, Nur. **) 

Diefe Schrift enthält eine Sammlung von Auflagen und 


Gedichten von Herwegh, die früher in der in Belle-Bue her⸗ 


ausgelommenen „Volkshalle“ unter der Nedaction Wirth's 
erfchienen waren. An wem ed nun auch liegen mag, daß fie 
iegt, ohne Vorwiſſen Derwegh 8, wieder abgebrustt wurden, 
e8 bleibt dies ein unrechtmaßiges und undelicated Verfahren. 
In Rr. 2:0 der „Allgemeinen Zeitung“ für 1845 erflärte Her: 
wegh, daß er die Echtheit der von ihm herrühren jollenden 
Hroductionen nicht anerfenne, ohne daB ihm jedoch damals 
Thon dad Buch zu Geſicht gelommen war. Die jebige Ver⸗ 
lagsbandlung antwortete hierauf in Nr. 279 derfelben Zeitung: 
„derbürgen zu Eönnen, daß die Sammlung Peine Zeile enthalte, 
die nicht aus der Feder des Hrn. ©. Herwegh gefloffen wäre”. 
Da Herwegh hierauf nichts erwiderte, fo tft wol die Echtheit 
diefer Auffäge und Gedichte nicht zu bezweifeln. Es find in 
ihnen die Keime unverkennbar, die fpäter aufgingen und fi 
herrlich entfalteten ; es fpricht für ihre Echtheit die lebendige 
Friſche und Unmittelbardeit fowie die bilderreiche, poetiſche 


Ausdrudsmweife, au im profaifhen Iheile der Sammlung. - 


Wol ift eriichtlih, daB es theilmeife unbedeutende Jugendver⸗ 
fuche find, die und hier geboten werden; unbedeutend befonders 
dadurch, daß die kritiſchen Auffage oft Schriften, die nicht Der 
Rede werth find, mit großem Eifer beſprechen. Wir glauben 
ed dem Berf. gern, daß er nie daran dachte, dem Publicum 
diefe Arbeiten in der Form cine Buchs wieder vorzuführen. 
Aber immerhin bleibt es interefiant, die Quelle eines Stroms 
kennen zu lernen, auch wenn er in feinem weitern Kaufe fein 
Bett verändern follte. Herwegh indeß ift der Hauptrichtung, 
die ſich in dieſen Productionen ausfpricht, treu geblieben, der 
Richtung nad der Freiheit, nach der Wahrheit. Hoffen wir 
auch, daß noch, jegt daffelbe Herz in ihm fchlägt wie damals, 
wo er in einem Auffage über die neue Literatur (S. 13) aus: 
ruft:",„Ich ſchreibe einzig und allein für mein Bolt, für mein 
deutſches Bolt! Was feine beften Genien in ſtillen Nächten 
getraumt und gefungen, was fie Ziefes bevausgefördert aus 
den Schuchten der Kunft und Wiffenfchaft, das will ich mei- 
nem Volke zeigen, ich will e8 ihm zu deuten und zu erklären 
verſuchen. Echte Kritik ift ja nichts Anderes als Vermittelung 
der Production an die Maſſe. Wo etwas Züchtiges in der 
Literatur geleiftet worden ift, wo ein Dichterherz im Einklang 

efhlagen hat mit dem Herzen des Volks, wo ein Sänger ge- 
fangen von unjern Freuden, mitgelitten unfere Leiden, wo cr 
Balſam geträufelt in unfere Wunden, da will ich Beinen Au: 
genblid anftehen und begeifternd rufen: Das ift der Wann, 
den folt ihr lieben; das ift der Dichter, dem folt ihr eure 
Zheilnahme fchenken! 

Der junge Krititer halt Wort. Jedem wahren Zalent 
reicht er mit vollen Händen feine Kränze. - Mit befonberer 
Wärme nimmt er fich unter Undern des damals noch ver- 
kannten Platen an; er reiht ihn mit Enthuſiasmus in bie 
Zahl der. echten Dichters er fucht zu beweifen, daß er, der Ge» 
burt nach Arijtotrat, dem Herzen nad) Volksmann war. Wie 
hätte er auch ſonſt die herrlichen Polentieder dichten koͤnnen, 


 Bergl. Nr. N— 2 d. Bl. D. Red. 
Bergl. eine frühere Mitthellung hierüber in Nr.35 d. BI. 
f. 16%. . j D. eb. 


307 


bie dem Beften, was bie polltifche Poefie fpäter gefdhaffen, 
gleih Sommen, und Die zu einer Zeit entftanden, wo diefe Art 
Poefie noch Bein Modeartilel war! 

Das Amt der Kritik, das er für fo wichtig hält, verwal⸗ 
tete Herwegh wirklih nad den von ihm ausgefprodyenen An« 
ſichten: „Der Kritifer fol Bein trockener Referent fein (ein 
Ausdruck den man endlih abfchaffen möge!), ber haarkiein 
Alles wieberfäuet, er fol öfter die Stimmgabel als das ana⸗ 
tomifche Meffer führen. Er ift der Vorredner der Bücher.... 
Gine Kritik fol reizen, fol, loden. Ihr erftes Geſchäft ift, 
dem Buche feine Stelle anzuweiſen; was aber das Detail be 
trifft, fo-foll fie mehr andeuten und die Neugierde erregen 
als in breiten Ausführungen fi erfchöpfen. Ein gutes Buch 
muß getauft werden” u. f. w. , 

Die Literatur überhaupt betrachtet Herwegh als eine emi⸗ 
nente Macht von unberechenbarem Einfluß, und prophezeit ihr 
eine große Zukunft. Uber der Strom der giteratur fließt im: 
mer ergichiger. Aus übergroßer Fruchtbarkeit entfteht eine 
überſchwemmung, Die aber nicht wic die liberſchwemmung des 
Nils, wenn fie auch viel Schlamm mit fid) führt, reichlichen 
Segen verbreitet. Gegen die große Maffe per Literatur muß 
nad) und nach eine gewiſſe Blafirtheit entfliehen. Das Beſſere 
kann ſich in dieſer Maſſe nur mühfam geltend machen, mand: 
mal nur dur einen Zufall. Herwegh fucht in mehren Auf 
fägen darzuthun, wie die „junge Kiteratur” im Gegenfage zu 
den frühern Zeiten eine demokratiſche Richtung genommen: 
„Für fie ift in jedem Zimmer ein Roman, für fie rauſcht in. 
jeden Herzen die Melcdie des Schickſals ... . die Junge Kites 
ratur ftürzt fi mitten in den Strom des Lebens und fchöpft 
aus ihm die meiften Wellen. Der Dichter vereinfamt ſich 
nicht mehr, er jagt fich von Feiner gefellichaftlichen. Beziehung 
mehr los, kein Interefle des Volks und der Menfchheit bleibt 
feinem Herzen fremd; er ift nicht nur demokratiſcher, er ift 
auch univerfeler geworden.” Zum Beweis indeß, DAB Her: 
wegh nicht in einer gewiffen Einfeitigeit befangen war wie 
fo manche Andere: „Der Dichter Darf ſich den Kragen Der Seit 
nicht entziehen; wir dürfen aber desiwegen nicht Jeden tadeln, 
der feine poetiſchen Geftalten nicht mit den bunten Zarben der 
Gegenwart behängt, fofern er nur die ewige Eine Wahrheit 
im Yuge behält und fie in genialen Formen wiederzugeben 
verfteht. ” 

WVieles was Herwegh vor fieben Jahren fagte, findet erft 
jest feine rechte Anwendung, wie z. B. die folgende Stelle 
(8.76): „Welchen unberechenbar gräßern moraliihen Eindruck 
würden unfere großen Dichter und Denker machen, wenn fie 
fern von den Paläften in den niedern Sphären des Volks ges 
blieben roären, wenn fie ihr Xeben mehr in Einklang gebracht 
hätten mit ihren Worten! &ie haben der Freiheit viel gefche: 
det; ſie haben fo hübfche Verſe auf diefelbe gemacht und durch 
ihre fociale Srelung ihr fo ſchnurſtracks entgegen gehandelt: “ 
Eine demofratifche Verirrung nennt e8 Herwegh, wenn mans 
he Dichter mit der bloßen Wahl eines Zeitftoffs Alles ge 
than zu haben glauben und fih über die Zorm wegfegen. 
„Es werden Geifter kommen“, ruft er aus, „es find fchen 
Geifter da, die ein Echo bilden für alle Laute der Freude und 
der Pein, welche aus der Bruft des Volks kommen; wir wol: 
len fie doppelt willkommen heißen, wenn fie im Stande find, 


ihren Dichtungen die glühenden Karben des Moments zu ges 


ben, ohne darum der Schönheit Eintrag zu thun.” 
Möchten doch dies Letztere befonders die neuern fogenannten 
focialiftifhen Dichter beberzigen. Mayche unter ihnen, die als: 


‚dann freilich Beine Dichter find, gefallen fi) nur im Heinlicyen 


Ausmalen der Armuth und ded Elends; es fehlt außer der 
fhönen Form auch die poetifche Idee, der Götterfunke, der 
Licht wirft in die Racht des Jammers. Herwegh's Bitte an 
die „Arbeiter im Weinberge ber Hegel’fchen Philofophie, mes 
niger efoterifch, weniger ausſchließlich zu fein und ſich nicht fo 
fehr einem bloßem Kaftengeift hinzugeben”, war tauben Ohren 
gepredigt. Wenn auch jetzt Die Neuphiloſophen glauben, volks⸗ 
—* und praktiſch geworden zu ſein, ſo bleiben ſie doch 


“Be Tee ee en 0 7 — — 


A — 


nach wie vor Doctrinaires, bie, verſteinert, ſich im alleinigen 
Befitze des Steins der Weifen wähnen. nn 

Bemerfenswerth ift in dem Munde eines zwanzigiaͤhrigen 
Zünglings die folgende Stelle (©. 24): „Das ift eben ber be: 
Foagenswerthe, unverzeipliähe Fehler unferer Yartei, daß fie 
überall ſogleich abfpricht, wo fie nicht den unmittelbarſten Aus: 
druck ihrer Sinn: und Denkweiſe findet.“ Sähen doch die Wahr: 
beit dieſes Ausſpruchs jo mande Männer ein, bie in diefem 
Fehler wirklich befangen ihn durch den der Anmaßung und 
des Hochmuths noch augenfälliger machen. Bon diefem Fehler 
ſpricht indeß Herwegh den Philoſophen Roſenkranz in einem 
ihm gewidmeten Auffage frei. Jean Paul's Herz nennt Her: 
wegh den fchönften Tempel bed Böttlichen, und biefes Herz 
habe einen perfönlichen Gott und eine perfönliche Unfterblichkeit 
verlangt. Mit Jean Paul's Herz verlangen dies noch tauſend 
und aber taufend andere Herzen, die feine Befriedigung im 
„Nichts finden. Wenn Herwegh (©. 165) ausruft: „Achtung, 

obe Achtung vor dem harmlofen Gemüthe, dad noch feine Be: 
0 bigung findet im theuern Glauben feiner Baͤter!“ fo ergibt 
fi) aus den darauf folgenden Stellen, daß, wenn er auch Die: 
fen Glauben nicht theilt, er doc nicht derjenigen Richtung an: 
gehört, die dem Volke in diefer Beziehung Alles nehmen will 
obne ihm etwaß zu geben. „Es gibt keine Utheiften, 
und bie man fo brandmarkt, fuchen eben Gott am inbrünftig: 
ften, und die fie verfegern find eben Diejenigen, bie unfähig 
find, fich zum Ideal aller Ideale zu erheben. Man nimmt dir 
einen Gott, um ihn dir reiner, verklärter, fehöner wiederzu: 
geben” (8. 166). An einem andern Orte fchließt eine Be: 
trachtung über die Hegel’fche Philofophie mit den Worten« 
„Gott ift allein das Maß aller Dinge” (2. 38). Die humo⸗ 
riftifche Aber Herwegh's kommt mehre Male höchft ergoͤtzlich 
um Vorſchein, wenn auch nicht gerade in dem mitgetheilten 
* ſchwachen Bruchſtuͤck eines Luſtſpiels. Auch eine prakti⸗ 
ſche Seite zeigt er uns in einem Aufſatz über Schriftſteller⸗ 
affociation, worin er fich beſonders über die Überſetzungsfünden 
und die im deutfchen Buchhandel herrſchenden Mängel verbreitet. 
Allen Schriftftellern und Buchhaͤndlern zu empfehlen.’ 

In Beziehung anf die deutfihe Lyrik äußert Herwegh un- 
ter Anderm: „Man Bann fein Leben lang in einer dichterifchen 
Stimmung fein und doch Fein gutes Gedicht zu Stande brin- 
gen. Ein Gedicht muß Hand und Zuß, muß Geftalt, muß 
Etwas das man greifen und paden kann haben; es ift noch 
gar weit ‚von dem füßen Aufgelöftfein und Verwehen der 
Seele ins Blaue bis zur echten poetifchen Eoncretion!” Daß 
wir e8 aber hier mit einem echten Dichter zu thun haben, das 
bemweifen die in dem vorliegenden Buche mitgetheilten Gedichte. 
Sie rühren aus dem Jahre‘ 1840 her und find gleich den er- 
ften Blumen des Frühlings die Vorboten des reihen Blüten: 
fegens gewefen, den uns 1811 Herwegh's Genius brachte. 
Mehre diefer poetiſchen Erftlinge drücken eine tiefe aber kei: 
neöwegs fentimentale Schwermuth aus, einen Schmerz, der 
noch nicht weiß fol er fi an dad Leben oder an den Tod 
halten. So fchließt Las fchöne Gedicht „Fruͤhlingsnacht“ mit 
folgender Strophe: 

Mein Scifftein treibt im Sturm allein, 
Und Niemand will ed retten; 
So muͤd' dies Daupt, ſchlaͤft's doch nicht ein, 
Ich muß ibm tiefer beiten. 
Sn einem Sonett tröftet er ſich felbft: 
Ihr wiffet ja: Sewitter maden kalt: 
So werd’ id denk vor meinem Winter alt - - 
Was griff ich auch fo frühe in die Saiten? 
Alein — kein Menſchenleben braucht's zum Gluͤck! 
Ich fuͤhle oft, es iſt ein Augenblick, 
In dem wir und die Ewigkeit erſtreiten! 
Später loͤſte ſich des Dichters Schwermuth in Zorn gegen das 
Unrecht und das Unwahre auf, und aus dem BD 


gen erſtand der „Lebendige“. Wenn er (S. 85) ausruft: „Ich 


bin jung, ich leugne es nicht, ich moͤchte einſt einige Theil⸗ 
nahme erwerben bei meiner Nation“, fo bat er feinen Wunſch 
erreicht und wir wünfchen ihm nun unfererfeitö, daß es ihm 
bald möglich werde, bie ihm ſchon einmal gewordene Theil⸗ 
nahme bald wieder aufzufrifchen. 

Ein anderes, abwechfelnd aus proſaiſchen und poetifchen 
Productionen zufammengefegtes Buch liegt uns vor :‘ 

8. Deutfches Taſchenbuch. Zweiter Jahrgang. Zürich, Fröbel 
amd Comp. 1846. 8. I hir. 18 Nor. *) 

Jedenfalls Fann diefer zweite Jahrgang auf große Man: 
nichfaltigkeit Anfpruch machen. Dem Lefer wird glei in dem 
erften Aufſatz: „Wolitifche Skizzen aus Ungarn von einem 
Slawen‘, ein intereffantes Gemälde des die Aufmerkſamkeit 
mehr und mehr in Anſpruch nehmenden Landes geboten. Wenn 
in diefee Skizze eine etwas große Vorliebe für das Magyaren: 
thum ſich ausſpricht, fo find feine Schilderungen vielleicht ge: 
rade deshalb um fo frifcyer, lebendiger und eindringlicher. Die 
Beirhreibung der „Congregation des zulaber Comitats am 
31. Aug. 1843” iſt wahrhaft plaftifh. Es wird uns bier ein 
Volksfeſt vor Augen geführt, das durch feinen wichtigen poli- 
tifchen Zweck eine tiefe Bedeutung erhält. Die einzelnen Cha⸗ 
raftere der „‚populairen Männer in Ungarn‘ werden mit eben- 
fo viel Anſchaulichkeit gefchildert. 

Die Abhandlung über den ‚Itprismus” ober den Yan- 
flawismus auf öftreichifhenm Boden ift reich an intereffanten 
Auffchtüffen und Bemerkungen. Bon dem Slawen im öftrei- 
chiſchen Bundesgebiete fagt der Verf, daB er „Geiſteigener“ 
des Deutfchen geblieben, nachdem die Leibeigenfchaft aufgehoben 
war, und daß er fih auch ferner mehr und mehr germanifiren 
werde. Der Illyrismus in Kroatien entftanden wird als Die 
„außgeprägtefte jlawifch: nationale Beftrebung”’ gegen den ma⸗ 
gyarifchen Geiſt bezeichnet. Indeß wird weiter nachgewieſen, 
daß diefer Illyrismus, als weder im Volke haftend noch au 


von der öftreichifchen Regierung wegen feiner Sympathien mit ' 


Rußland begünftigt Feine Wurzeln ſchlagen Tann. Eine le 
bendige Charakteriſtik folgt von den Böhmen, den Krainern, 
Wenden, Kroaten, Slowaken u. f. w.” Die Polen in Galizien 
werden al& die Einzigen betrachtet, welche an rein Nawifper 
Rationalität fefthalten. Daß nicht bloß im Elſaß und in der 

chweiz, fondern auch in Ungarn ber Name „Schwab“ ein 
ne Schimpfwort ift, wiſſen die Schwaben vielleicht ſelbſt 
noch nicht. 

In der Abtheilung „Über die kirchlichen Verhaͤltniſſe und 
den religiöfen Volkscharakter in Ungarn und Oftreih” erfah⸗ 
ten wir, daß zwei proteftantifche Kirchenzeitungen , deren eine 
in beutfcher, die andere in ungarifcher Sprache erfcheint, eine 
Patholifche hervorgerufen haben und daß fi an die hierdurch 
herbeigeführten wiflenfhaftliden Erörterungen die Hoffnung 
einer Bereinigung beider Kirchen knuͤpfe. Merkwürdig wäre 
es, wenn in einem Lande, wo man ed am wenigften erwarten 
ſollte, Das zuerft zur Ausführung Püme, was jest theilweiſe 
auch in Deutichland angeftrebt wird. Uber die Liguorianer und 
Jeſuiten enthalt der-Auffag noch einige merkwürdige Winke. 

Cine Abhandlung „Über Deutſchlands Landftände in der 
ältern and jegigen Zeit“ entwickelt genetifch an der Hand der 
Geſchichte die verfchiedenen Wundlungen, die das Inftitut der 
Landftände feit feinem Urbeginn bi8 auf unfere Zeiten erlitten. 
Der Verf. bezweckt befonders dadurch den Unterſchied der Ber 
faffungen zur Zeit des deutfchen Reichs und berer der neuern 


Zeit zu zeigen, um davor zu warnen, die heutigen Berfaffun- . 


gen conflitutionneller Staaten nur aus den altdeutfchen zu et: 
klaͤren, als feien die erftern Feine „repräfentativen‘‘ Berfaffun: 
gen, ſondern deutſchen, monarchiſch-ſtaͤndiſche“. Diefer in ei⸗ 
ner klaren für Jedermann verſtaͤndlichen Sprache geſchriebene 
Auffag iſt Leſern der verſchiedenſten Urt zu empfehlen. 
(Des Beſchluß —B 

*) Über den erſten Jahrgang dieſes Taſchenbuchs wurde in Nr. 138 
d. Bl. f. 1845 berichtet. D. Reb. 


BSoramwortlicher Gerauögeber: Geinwid Meodhant, — Drud und Berlag von F. SF. Weodhans in Leipzig. 


. 





Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Donnerstag, 


— Nr. 78. 


19. Maͤrz 1846. 





Die Touriſten im Orient. 
Vierter Artikel. 
(Bortfegung aus Nr. 77.) 


Fallmerayer bat uns felbft in einem Auffage ber 
Ergänzungsblätter „mild und ſchonungsvoll“ genannt, 
weil wir die über ihr Ziel hinausgehenden Angriffe ge 
gen die DVerfafferin der „Drientalifchen Briefe” auf ihr 
rechtes Map zurüdzuführen verfucht haben. Wielleicht 
dünkt ihm deshalb hier unfer unbedingtes Lob und un- 
fer freudiger Dank für die jchöne Gabe, welche er und 
in feinem neueften Werke bietet, unbebeutend und ge- 
ringfügig. Aber diefe Betrachtung foll ebenfo wenig 
den Ausdrud unferer Bewunderung ſchmälern ober zu: 
rüddringen als die Überzeugung, daß er in jener bei- 
läufigen Replit offenbar ſich einer einen Verdrehung 
ſchuldig gemacht hat, wenn er meint, wir hätten ohne alles 
Weitere die Gräfin Hahn-Hahn als eine durchaus preis- 
würdige Erfcheinung hingeftellt. Was wir behaupteten, 
war nut, daß Fallmerayer bei der Beurtheilung jener 
Reifebriefe einen falſchen Mapftab anlege, indem er an 
ein der leichtern Salonlecture gervidmetes Bud) gewiffer- 


maßen wiffenfhhaftliche Anfoderungen ftelle, und dag er | 
in einem feltfamen Widerfpruche befangen fei, weil er 


einerfeitö den Werth jener Schrift auf Null anfchlage 
und Goch immer wieder und bei jeder Gelegenheit dar- 
auf zurückkäme. In der That glauben mir noch jet, 
‚daß es nicht ein Zeichen fonderlihen Gefhmads if, 
wenn man auf eine Erfcheinung, von deren Nichtigkeit 
man überzeugt zu fein vorgibt, immer und immer wie 
der zurückkommt und biefelben Wige z. B. über den 
„ſchleppenden Schritt”, über „die Reiſendin“, über „die 
fentimentale Frau Ida” oft felbft an folchen Orten, wo 
man gewiß derartige Ausfälle nicht erwartet, z. B. in 
einer Recenfion von Schaffarik's „Slawiſchen Alterthü- 
mern”, in ben „Belehrten Anzeigen der münchener Aka⸗ 
demie“ u. ſ. w., bis zum Überdruß auftifcht. 

Aber wie gefagt, dies thut unferer Achtung vor dem 
mächtigen Talente, welches Fallmerayer zu Gebote flcht, 
und unferer Freude über die Gediegenheit und XTrefflich- 
feit feiner jüngften Production durchaus feinen Abbruch. 
Es ift inbeffen nicht die vollendete Form, nicht die reife 
und gewiegte Darftellung allein, welche auf uns ben 


günftigften Eindruck bewirkt, obgleich auch dies ſchon 
Eigenſchaften ſind, die uns aus der Maſſe und dem 
Wuſte der gewöhnlichen Reiſeliteratur nicht allzu häufig 
entgegentreten, nein, mehr als alle Vorzüge dieſes glän- 
zenden Stils, mehr als die Mannichfaltigkeit der Sce⸗ 
nen, welche vor unſern Augen vorübergleiten, iſt es die 
charaktervolle Haltung, die Unbeſtechlichkeit des Verf. 
Hier wird nichts bemaͤntelt und mit fhönen Redensarten 
übertufcht, nichts um kleinlicher Rüdfichten willen von 
der Wahrheit abgemarktet und abgefeilfcht. Schonungs⸗ 
los tritt der muthige Kämpfer für feine entfchiedene 
Sache heraus, und wenn er ja die Miene der Mäßi- 
gung und Schonung annimmt, fo traut Ihm nicht allzu 
fehr, denn in diefer Haltung führt er oft die nachdrüd- 
lichſten und gefährlichiten Diebe. Jedes Thema ift ihm 
recht; die DBerhältniffe der morgenländifchen Staaten, 
die Zuſtände jener abgetriebenen, Nationen, Sittenge⸗ 
ſchichte, fprachhiftorifhe Unterfuhungen, vceidentalifche 
Dolitit — Alles ift ihm aeläufig, überall rührt er den 
alten Sauerteig auf. Dabei flieht ihm jede Waffe zu 
Gebote. Bon der ernften, gemeffenen, citatenreichen 
wiffenfchaftlichen Beweisführung bis zu den leichten, 
wigigen Plänteleien des Feuilletoniften und den vergife 
teten Stichen Ariftophanifcher Satire ift er jeder Art 
von Titerarifcher Kriegsführung kundig. Freilich wird 
er aber mit feiner ägenden, vernichtenden Manier 
von feiner Seite rechten Dank ernten noch irgend einer 
Partei angenehm erfcheinen. Die Conſervativen, bie 
Freunde biftorifcher Entmwidelung werden vor ihm war⸗ 
nen und in ihm einen Geift der nur verneint fehen; 
die Liberalen, die „Glückſeligkeitsdemiurgen“, wie er fie 
felbft nennt, bie fi fo gern mit hochklingenden Frei- 
heitsphrafen abfpeifen laffen, und die fih von einer er- 
borgten Matamorftellung eine gewaltige Wirkung ver- 
fprechen, wird er durch feine wiederholten Proteftationen, 
daß es ihm auf „Umgeftaltung der Regierungsform mit 
Schranken aus Papier durchaus nicht ankomme“, zu⸗ 
rückſtoßen und erzürnen. Den Machthabern wirb er 
durch den freien Ton feiner Rebe, durch die unummundene 
Erklärung, daß die Ruffen unfere „Sklavencapacität” 
befonders hochhalten („wir Deutfchen find geborene Knechte 
unferer Fürften“, &. xıv) anftößig und verbädhlig er- 
fcheinen, während bie indolente, flumpfe Menge, bie er 


310 


durch kraͤftige Donnerſchläge aufzurütteln verſucht, ihn 
höchft unbequem und läſtig finden muß (S. xxxii, xxxiii): 


Keine Veränderung der Negierungsform hat Beftand und 
bringt die gewünfchte Frucht, wenn dic Ummälgung nit von 
unten auf und gleichfam mit dem Individuum felbft beginnt, 
wenn fie nicht langſam, aber drohend und beengend wie die 
Wafler der großen Flut um den Sitz des Übels reift. So 
lange tie öffentliche Macht überall corrupte und für jede 
Schlechtigkeit bereitwillige Inftrumente findet, und fo lange Als 
le8 unter und neben ihr Bäuflicy:unterthänig feine Dienfte bie⸗ 


“tet, wird und kann fie ihrer Ratur Böfes zu tbun und über 


die Schranken zu greifen menſchlicherweiſe unmöglich entfagen. 


Faft jedes Mal ift die Staatögewalt nicht Wufter und Vor⸗ 


bild, wie man fagt, fondern im Gegentheil nur morulijcher 
Abglanz und Spiegel der öffentlichen Sittlichkeit. Habt den 
Muth felbft gerecht zu fein und ihr werdet auch gerechtere 
Fürften haben. 


Wie werden die politifchen Philiſter den Kopf ſchüt⸗ 


tein über fo läftige, anmaßende Behauptungen und Zu- 
muthungen! Aber freilich find fie nun gewarnt,. die 
Wunden liegen offen und unfere Phantaften und Schreier 
dürfen nun nicht mehr ihre Hände in Unſchuld waſchen, 
alle Leiden auf Rechnung der Pegierenden fegen und 
fih dann ruhigen Gemüths in einen fügen Schlummer 
wiegen. Am meiften aber werden die vollblütigen Pa- 
trioten, welche auf hoher Warte fiehen und ins Land 
hinauslugen, um fogleih ins Horn zu blafen, fobald 
der Feind der Grenze gu nahen wagt, ihr Zeter erheben 
über diefen „Lobredner ausländifcher Größe und fremden 
Nuhmes”, über diefen „Frevler an der heiligen Sache 
des Vaterlandes“. D, ihr überwachen Ebenbilder Dorn 
Quixote's, welche ihr Deutfchland zur erften Macht ber 
Welt erhoben zu Haben glaubtet, weil ihr euch in bie 
Bruſt warfet und weil eure Xippen von prahlerifchen 
Reden überfirömten, feht welche -zermalmende Kunde 


dieſer Wanderer aus dem Morgenlande, dem Lande des 


Aufgangs mitbringt, wenn er gleich im Anfange feines 
Werts euch unverfchleiert und ohne die’ herbe Pille zu 
überzudern die unerbittlihe Eröffnung macht (S. va, 1x): 

Bergeblich fucht man es noch länger zu verbedien und zu 
vertufchen, es bricht überall durch die Rinde hervor und drängt 
fih in alle Gemüther ein: Wir Deutfchen find in der öffentl» 
hen Meinung Europas auf Rull herabgefunfen, find außerhalb 
der heimifchen Grenzen ald Rationaleinheit für nichts ge 
achtet und im großen Wechfelfpiel der Weltgefchäfte von Nie 
mandem mehr in Rechnung gebraiht. Wir find nur noch ge 
meinfames Object und gleihfam Materie des großen Völker: 
markts, wo der Fremde auf das „fleifh = und Enochenreiche 
Thier ohne Kopf” fpeculirt und feine Fonds auf Die Deutfchen 
legt als Guano für Befruchtung des Ackerbodens in Texas, 
am Pruth, am Kur und Amazonenſtrom. Das größte Kleinod 
felbftändiger Nationen — den dußern Gredit und das öffent: 
liche Zutrauen auf nachhaltige innere Kraft und erpanfive Wirk: 
ſamkeit — haben wir verfi erst Daß wir in der zerbrödel: 
ten Ordnung zwiſchen zwei rührfamen Kofoffen eingeengt in 
die Länge ungermalt befiehen koͤnnen, glaubt außer den Deut: 
ſchen felbft in Europa Niemand mehr. 


Daß Fallmerayer übrigens bei feiner büftern Schil- 
derung von dem geringen Einfluß und der Verachtung 


der „Riemegflämme" im Orient die Farben nicht zu 


ſtark aufträgt ober in Übertreibungen verfällt, fieht man 
aus allen Schilderungen unbefangener Reifenden. Ban 


nehme nur, die „Briefe eines Reifenden am Schwarzen 
Meere”, auf bie wir bei der Beſprechung orientalifher 
Zuftände immer wieder zurückkommen müffen, zur Hand, 


um ſich zu überzeugen, daß. Fallmerayer volle Wahrheit 


redet, wenn er behauptet, wir würden im byzantinischen 
Drient, bei Gräken und Türken allgemein und insge» 
fanımt für flupid und verzagt gehalten (H, 291). 
Man glaube aber nicht, daß er von unpatriotifcher 
Spottfucht getrieben oder gar in der Abficht feine eigene 
Nation herabzufegen mit diefen herben KReifeeindrüden 
hervortritt, noch, daß er etwa durch Schmähung germa- 


mifchen Wefens dem Auslande gefchmeichelt habe. Er. 


fann fi vielmehr ohne Prahlerei ruhmen, in jenen Ge 
genden die erſten vernünftigen Begriffe über unfer po- 
litiſches Dafein verbreitet zu haben. Freilih meint er 
aus Patriotismus fei er verworren und unverftändlich 
geblieben (II, 294): 

Hätte ich den Leuten freimüthig geftchen koͤnnen, daB 
Einsfein des deutfchen Staatencomplered fei nur ein im ab» 
ftracten Denkvermögen, nicht in der Realität beftehendes, fei 
gleichfam nur ein idealer Begriff, der in der Wirklichkeit Eeine 
Anwendung finde, jo wäre Allen Alles glei anfangs Mar 
geworden. 

Da nun ber Deutfche einmal die. fonderbare Prä- 
tenfion hat, Alles begreifen und genetifch erflären zu 
wollen, fo, meint ber Verf., fange man jest, wo bie 
Thatfache, dag wir beim Auslande als Nationalität im 
erbärmlichften Credit ftehen, zur Evidenz geworden ift, 
allmälig an herumzufragen, wie Deutfchland in der öf- 
fentlihen Schägung fo tief gefunten fei. Er für feinen 
Theil gibt unverhohlen zu verftehen, daß ein Hauptgrund 
davon bie Herrfchaft fei, welche die „unfruchtbare Idee“ 
und „das leere Wort” in Deutfchland ausüben, wäh- 
rend unfere Zeit die That fodert (S. viu). Unfere 
„profunden Metaphufiter”, welche über die „Konftruction 
der Weltentwidelung”, über „Phönomologie des (Hegel’- 
fchen) Geiſtes“ disputiren, wahrend man in „der Nach⸗ 
barfchaft verhandelt, wer uns das Penfum vorlegen 
und uns für Koft und Lohn in Dienft zu nehmen habe“, 
befommen ein ganzes Sturzbad von der ägenden Lauge 
feines Witzes. Auch die „weiſe Praris Deutſchlands, 
feine Dänen=, Elbe, Mauth- und Sundflotten-Energie, 
feine andächtige Langeweile und fein melandholifches Fich⸗ 
tenwalb -Berlangen” (I, 242) gehen nicht leer aus und 
mitten in den lieblihen Buchenwäldern von Zrebifond 
fpottet er voll koͤſtlichen Humors über bie „„ Saturnalien 
eines allergnädigft conceffionnirten und policeilih über- 
wachten Volksfreiheits⸗Kanzlei⸗-Rheinliedsſchwindels in 
amtlich vorgefihriebener Form’ (I, 70) 


(Der Beſchluß folgt.) 





giterarifhe Briefe aus der Schweiz. 
Ä 
(Beſchluß aus Nr. 77.) 


„Rinftige Gabinetsordres Dlim’s des Großen" find eine 
Satire in 29 Paragraphen, und da kann unmöglich jever Wig 





— — — 0... 


311 


gleich ſchwer wiegen. Der Wis laͤßt ſich eben nicht comman⸗ 
diren, 13 Seiten lang Stand zu halten und mit ſcharfgeſchlif⸗ 
fenen Waffen bei jedem Hiebe zu treffen. Am tiefften ſchnei⸗ 
det er ein, wenn er wie der Blitz aus heiterer Luft Fällt. 
Doch wird der Lefer cinen vortrefflihen Paragraphen finden, 
deffen Entdedung es wol werth ift daß er alle 25 leſe. 
„Protokolle des bewußt: und tendbenzlofen Clubs zu Amen- 
fetd”, von Janus (Iohannes Müller), ift eine noch weit, 
längere und fo verſteckte Satire, daB man vergeblich nadjfin- 


nen muß, um den etwanigen Sinn aus dem Wuft von Unfinn, - 


der mit komiſchen Ausdrüden und Wendungen verbrämt ift, 
herauszufinden. Im endlichen Schluß: „Exrtraordinaires Bul⸗ 
letin für die Mondfüchtigen” — der Verf. ſcheint ganz ertra 
zu den Mondfühtigen zu gehören —, findet ſich des Pudels 
Kern, eine Satire auf Schelling, die zwar wiig genug ift, ſich 
aber dech einen abgebrauchten Gegenitand gewählt hat. 

Wenden wir und zu etwas Erfreuliherm, zur Poeſie: 
„Einundswanzig Liebeslieder von Gottfried Keller.‘ Ob⸗ 
wei 21, fc find doch dieje Liebeslieder höchft originel und reich, 
abwechfelnd fowol an Form ald an Inhalt. So verfchieden 
und unerfchöpflich-die Individualität des Menfchen ift, fo un: 
erichöpflich auch ift die Liebe, Die zur Poeſie wird bei einem 
Weſen, dad diejes Gefühl wahr und rein in fich trägt. Aber 
doch nur einem echten Dichter Eonnte es gelingen, das oft be: 
handelte Thema in fo neue Farben zu Peiden, einem Dichter, 
der nicht durch hundert Zicheleien Lie Friſche feines Deriens 
verloren hat. In diefem Cyklus wird uns ein rührender Pleis 
ner Roman, aus dem Leben gegriffen, vorgeführt, der gewiß 
auf Lie verfchiedenften Naturen eine ticfe Wirkung nicht ver: 
fehlen wird. Großartig ift der Schluß, wo der Dichter, nad» 
dem feine Geliebte im Grabe ruht, auch feine Liebe begräbt 
und von feinen Schmerzen auferitehend fi wieder dem „reis 

Leben‘ zuwenbet, „Stirn und Herz den Stürmen bietend‘. 
Die „Feueridylle“ von demfelben Dichter befteht aus einer 
Keihe ohne Zweifel der eigenen Anfchauung entnommener Bil: 
der, in einem einfachen, ſchmuckloſen Gewande, die aber gerade 
besbalb fo fehr anſprechen, weil fie zugleich die tiefſten Ideen 
ausdrüden, wie beſonders das Gediht &. 133. Bon audges 
zeichneter Schönheit au ift bad Gedicht, melde einen.vom 
Feuer ergriffenen Blütenbaum ſchildert (&. 135), ſowie das 
vom Wein (&. 133). Überflüffig erfcheint auf dem Titel die 
ſes Cyklius die Bezeichnung „Allegorie”, da jedes gute Gedicht 
in dem Sinne wie diege Feueridylle eine Allcgorie ift. 

Unter den „Elegien vom Verf. des «Hand von Kagen- 
fingen »’ ift die bedeutendere „Der Untergang” reich an poe⸗ 
tiſchen Schönheiten und Schilderungen. Uber welche trofklofe 
und wenig poetiiche Weltanſchauung offenbart fi darin! Der 
oft beſagte, Weltſchmerz“ und die „SBerriffenheit” in einer 
neuen Auflage! Der Dichter verzweifelt an Allem, nicht blos 
an einem Könige — was man fi) gefallen läßt —, er ver: 
zweifelt am Glauben, an der Soffnung, an Beit und Emigkeit 


"und gar auch an ber Liebe. Micht einmal die Erinnerung an 


feine Lieben, die er mußte flerben fehen, gießt Balſam in feine 
Wunden; aud von ihnen ift ihm nichts geblieben als ein 
„Richts“. But, daß nicht Alles fo iſt wie er es anzuſehen 
vorgibt, denn fonft müßte er fi) noch heute eine Kugel vor 


»den Kopf fihießen, da die Ausfiht auf den Untergang Europas 


und die Erhebung Amerikas, wemit er fein Gedicht ſchließt, 
Doch etwas weit ausfehend iſt. Die Stanzen find theilweiſe 
ſchoͤn, theilweife aber auch hoͤchſt muͤhſelig. Es wird ber 
Sprache Gewalt angethan, ed kommen gepnungene Conſtruc⸗ 
tionen vor, was wol bei einem komiſchen Stoffe die Wirkung 
manchmal erhöht, hier aber flörend iſt und den ausgedrüdten 
Gedanken unklar mat. Rur ein Beifpiel: Die Natur, beißt 
es, lähelt, wenn der Denfd den Arm- um ein geliebtes 
Kind fchlögt, nn 

Doch einfam ſteh'n auf ihren hoͤchſten Höhn — 

Oo fie if fhwarz! Denn fie ik wunderſchoͤn! 


Auch eine Fortfegung des komiſchen Gedichte „Hans von 


Kagenfingen” enthält dicfer zweite Jahrgang des ‚„„‚Deutfchen Zus 
ſchenbuch“. Iſt der negirende Dichter auch an feiner Producs 
tion&fraft verzweifelt?! Man follte es denken, denn Die dies⸗ 
jährige Bortfegung fteht dem vorjährigen Unfange bes Ge⸗ 
dichts weit nad. . 

Die mitgetheilten Gedichte Otto's v. Wendftern find 
zum heil ſchon anderwärtd abgedruckt und nebft den hier new 
gegebenen von Feiner großen poetiſchen Bedeutung. Wenn aber 


der deutfche „Michel” feine Sympathien mit der Schweiz auf 


eine fo fchöne Weife ausdrudt wie es in den „Drei Liedern 
aud Deutfchland” gefchehen, fo beeilt fi die Schweiz dies an⸗ 
zuerfennen. Schon ift das dritte Gedicht „Im April 1845 - 
(8. 362) in mehre Schweizerblätter übergegangen. ’ 

9%. Es war in der erſten Abtheilung Ddiefes Briefe von 
den fecialen Dichtern, wie fie nicht fein follten, Die Rede. In 
Hrn. H. Püttmann haben wir gleich einen folchen auf der 
hat ertappt. Seine 

Sorialen Gedichte. Belle: Buc 1845. 

lafien den Berf. der „Iſcherkeſſen⸗Lieder“ nicht wieder erkennen. 
Denen kann fchwerlich Die Noth des Volks zu Herzen gehen, 
die ihm mit fo ſchwachen Gedichten zu helfen meinen. Anyes 
nommen, daß fie wirklich in das Wolf drangen, glaubt denn 
Hr. Yüttmann , daß ihm etwas der Art aud nur gefallen 
fönnte? Er möge ſich doch des Weberliedes erinnern, Das fich 
die ſchlefiſchen Weber ſelbſt gedichtet Haben, und e8 zum Mus 
fter nehmen. D, das Volk, fo roh ed zum heil leider noch 
ift, will ftatt eines Liedes Beine ,‚‚fade” Proſa. Es will et- 
was das ergreift, das eindringt, daß padt. Und um fi ihm 
verftändlich zu machen, braucht es da Geſchmackloſigkeiten, Tri⸗ 
vialitäten und — Dummheiten? Hr. Püttmann wird noch lange 
den „bürren &fel der Gelehrfamkeit” (8. 154) verachtend das 
„Dromedar der Hoffnung’ (8. 119) und „das dumme Vieh 
der Geduld‘ (43) zufammenfpannen fünnen — er wird doch 
nicht auf den Parnaß gelangen. Do wir müffen vorn ans 
fangen um eine Eleine Unkrautleſe zu geben. 

Rübezahl Laßt einen reichen Fabrikherrn träumen, daß er 
von einem armen Weber an der Kehle gepadt würde: 

Vor feinem Blid wirdes Naht — 
Die Zung' tritt aub dem Halfe — 
De ftöhnt er und erwadt. 


Sich die Zunge aus dem Hald herausträumen! Poefie verhülle 
dein Antlig! Die Ausrufungen in Gedichten: „'s ift nur in» 
fam!’ und „D 's ift zum Entſetzen!“ wollen wir nicht einmal 
rechnen. Nun aber heißt es in der Erzählung der traurigen 
Geſchichte eines armen Mannes, „der von des Tages Plad 
bezwungen“ feine fünf Kinder umgebradt (&. 32): 
Ind Zuchthaus fperrt ihre ihn nur achtzehn Jahr 
Den Mörder: Vater? — Himmel bad if fade! 
a fade! Bei einer zweiten Auflage dev Gedichte gäben bie 
vier legten Worte des Verſes ein vecht paſſendes Motto. Und 
diefer Hr. Püttmann fingt noch: ” 
Die Wahrheit fpriht aus meinem Dichtermunde. (!) 


So macht denn Gedichte fo viel ihr wollt, aber behaltet fie bei 
euch, oder wenn es durchaus fein muß, fo laßt fie auch drucken 
wenn fih ein Verleger findet, aber nennt euch doch nicht alle 
Augenblide „Dichter ’'! Das ift eine Verfündigung an dieſem 
heiligen Ramen. 

Gehen wir weiter. &. 6 und 7 „erlebt man Fein Sen» 
feit8". Uber der Verf. weiß Peine atheiftifche Policei zu‘ hal⸗ 
ten; denn unverſehens entwifhen ihm (&. 31) fünf Seren 
in den — Dimmel! . 

Bum Simmel zogen fünf unſchuld'ge Seelen — 
wie man aus einem Haufe ins andere zieht. Welche Incon- 
fequens, Hr. Puͤttmann, für einen Unhänger der neuen Philos 
fophie! Man begreift nicht, warum (&. 33) gerade „zw eihuns 
dert Harfen füße Klänge ſchwirren“ follen um den gequälten 
Mann? Wenn if) denn doch einmal nad Hunderten rechnete, 





312 


kame mir ed auf einige weitere Hunderte nit an. In dem 
Schicht „Am Wege” kommt folgende Strophe vor: 
Der Pilger? — ob ich's felber mir — 

Wird auch nit lang mehr wallen: 

Vielleicht ertrinkt er in dem Meer, 

Vieleicht in Feſteshallen. 
Da kann er fi) doch mol nur betrinten. &. 144 handelt es 
fh um „woblgeruciig Saar”, der weiteren Sprachfehler nicht 
zu gedenken. S. 167 hebt ein Vers folgendermaßen an: 
Aber ach, das Toͤchterlein, 

Bart von Nerven und von Nieren: (!) 
Gehört der Verf. zu Denen, die ſich felbft für Gott halten 
und darum glauben Herzen und Nieren zu prüfen? In ber 
dritten „Crayonfſkizze“ heißt e6: 

Auch der Prinz leutfelig grüßt 

Mit der Peitfhe, mit ber Peitſche 

Mit der Peitſche, mit — der Peitfhe — 

Auch der Prinz leutfelig grüßt. 
Eine ſehr überflüffige Strophe, da Hr. Puͤttmann auch ohne 
Peitſche zu Matfchen weiß. Ein Gedicht ijt in der Sammlung, 
von dem man nicht begreift wie es hierher kommt, da ed mehr 
werth ift wie der ganze andere Kram und eine wahrhaft poe- 
‚ tifche Idee darin liegt. Es heißt. „Das Fabrikkind“ (S. 44), 
und ift früher fchon im „Geſellſchaftsſpiegel“ erichienen. Eine 
rühmlihe Erwähnung verdient noch „Der Zigeunertönig ’ 
(&. 140), aber er ift mit „Zugrundlegung eines altdeutfchen 
Bolksliedes” entftanden. Das „Zugrundlegen‘' fcheint Hr. Pütt- 
mann aus dem Grunde zu verftehen. &o fihaltet er (S. 170) 
einen ganzen Vers des fchönen Volfslicdes ein: „So viel 
Stern' am Himmel ftehen”, und fährt dann höchſt geſchmack⸗ 
108 fort: ’ 

- So viel Diebe gab 8 fürwabr 
So vielmal der Graf ließ Enuten. 

Doch genug! Mögen dem Volle in feiner Mitte würdi— 
gere Vertreter feiner Sache. erfteben ; nicht Solche, die ihr 
durch eine faliche einfeitige Auffaſſung derſelben nur ſchaden 
müffen. Handelt fi ed auch vorerft um die Abftellung des 
materiellen Rotbftandes bes Volks, fo. ift diefer allein noch 
ein Segenftand der Pocfie. Die ſociale Frage muß zugleid 
von der ideellen Seite aufgefaßt werden, und Dazu muß man 
Kopf und Herz auf den rechten Flecke haben. 

1. Guerrillaskrieg, verfprengte Lieber. Belle⸗Vue 1349. 
wären wol der Erwähnung nicht werth, wenn c& nicht gälte, 
an einem weitern Beilpiele zu zeigen, wie jämmerlidh cd jegt 
um einen Theil der deutſchen Lyrik beftellt ift; denn leider 
find die Dichter der „Socialen Gedichte‘ und ber „„Beriprengten 
Lieder” nicht die Einzigen in ihrer Art. Der Wille unfers 
Guerrilla, der wol ein Mufenfohn fein mag und fein Sohn 
der Mufen, tft gut, aber feine Poeſie ift ſchwach. Auch ift er 
nichts weniger als wild und Friegerifh. Er meint (8. 94): 

Es trifft einit das Verkehrte 
Auch ohne und der Tod, 
D'rum moͤgen wir zum Schwerte 
Nicht greifen ohne Noth. 
Und da greift er zum Gänſekiel, um gereimte Lieder in Proſa 
und mit Sprachfehlern zu fchreiben. Und dazu thut es Peins dies 


fer „Verſprengten“ unter T— 13 langen Strophen, und ach! 


wie langweilig find fie erft! Da wird Herwegh's Gedicht „Die 
Zungen ımd tie Alten” (S. 11) neun Strophen hindurch va: 
riirt und imitirt: 

Schmaͤht mir nicht die blonden Locken 
beißt e8 dort, 

Ihr böhnt die braunen Haare 
heißt es bier. Da werden Jahn und Sordan, ber Bar und 
Gejheraog Stephan, Dr. Rauwerck und die Iefniten, Weitling 
und 9. Grün glei lang und langweilig angefungen und von 


Letzterm wird ‚gefagt, er habe in den „Nibelungen im Brad Bild 
on Bild gezwungen „wie Lämmer in den Sad. Dingelftedt 
fogar ſoll früher „mit Liederſcheiten“ „den ‚glatten Leuten ge: 
heizt” haben! Da wird in 63 Beilen das alte Lied von dem 
„Was vwoir follten” geleiert. Vor Allem hätte der jedenfalls 
‚junge‘ Menſch wiffen follen, was er nicht gefollt: Lieder ma⸗ 
den und fie druden laſſen auf fo ſchoͤnes Papier, jede Seite 
zierlich befranzt. Kein Wunder, daß „Die Gegner“ endlich im 
letzten Gedichte die Geduld verlieren, dem Guerrilla zu Leibe 
gehen und fragen: 

Wozu bie tauſend Hände u ; 

Mit Stift und Federliel ? 


Jawol, wozu, wozu? als dem Bolfe den Geſchmack an Poe: 


fie zu verleiden und dazu beizutragen, daß man mistrauiſch 


jeden Band Gedichte zur Hand nimmt. Wo kommen nur die 
Berleger für die Mafle unbedeutender Gedichte her? Wer fauft 
fie, oder gar wer lieft fie als etwa cin mitleidiger Recenfent ? 
Sa, tiefes Keidwefen ergreift Einen bei diefem Theile der Lite: 
ratur. Don der Preßfreibeit ift in diefer Hinſicht feine Beſſe⸗ 
rung zu erwarten; fie ift nur zu erwarten -von einem geſell⸗ 
fhaftlichen. Zuftande, der jedem &liede der Gefeltfchaft feine 
richtige Stelle anweift und ben ſchlechten Poeten etwas ihren 
ſchwachen Kräften Angemeffenes zu thun gibt. 59, 





Hiftorifhe Miscellen. 
Das Concilium zu Trident. 

Als im 3. 1545 das Concilium zu Zrident war eröffnet 
worden, wußten weder die daſelbſt verfammelten Bijchöfe 
noch auch die vom Papfte abgeordneten Gardinäle, was denn 
nun eigentlich zu thun und wie zu verhandeln fei. Sie er: 
ließen daher ein merkwürdige Schreiben an den Papſt Paul IIL., 
in welchem fie, mit ber Bitte um Berhultungsbefehle, eine 
Unzahl von Fragen vorlegten, die ind kleinſte Detail ſich ver 
Ioren und weldye bei Sarpi nachgelefen zu werben verbie- 
nen. Die verfammelten Väter hätten fih die erlegen: 
heit und die Mühe erſparen Fönnen, wenn fie wie 18 Jahre 
nachher wenigftend von der Mehrzahl gefchehen ‚offen das 
Geſtaͤndniß abgelegt hätten: „Das Concilium fei nur dazu ba, 
die Meinungen ber Proteftanten zu verbammen.” Diefe haupt: 
Ele Abfiht hat ſich denn auch laut ausgefproden in der 
Schlußfeene dieſes Eonciliums, dad, unter dem Vortritte des 
Gardinals von Lothringen, mit dem einftimmigen Ausrufe fi 
endigte: „Anathema cunctis haereticis! Anathema-! Ana- 
thema!’ Ein Ausruf, der mit der Lehre Chrifti: ‚Daran 
fol Ieder erkennen, daß ihr meine Schüler feid, wenn ihr 
Liche unter einander habet“ (Ev. Joh. Cap. 13, 3. 35) 
wol nimmermehr in Einklang zu bringen ift. 


. Heinrih VII und der Papſt. 

König Heinrich VIII. von England hatte wie be: 
fannt ein Buch „Von den fieben Sacramenten” erfcheinen 
lafien, in weldem er die Autorität des Papſtes vertbeidigte 
und dagegen Luther's Lehre beftritt, wofür ihn der Papſt 
Leo X. mitteld einer im October 1521 erlaflenen Bulle mit 
dem Ehrentitel eines ,‚Vertheidigers des Glaubens” belohnte. 
Der König war darüber fehr erfreut und that fih auf den er- 
haltenen Zitel nicht wenig zu gute. Als er nun gerade einmal 
in einer ſolchen fröhlichen Laune war, fragte ihn fein Hofnarr 
Patch nach der Urfache feiner Heitern Stimmung. Der Kö: 
nig geftand ihm, daß der vom Papſt erhaltene Titel eines 
„Vertheidigers ded Glaubens” ihn fo hoch erfreue. „Du gur 
ter Seinridet petfegte darauf ber Narr, „forge nur dafür, daß 


du Dich felbft wider den Papft vertheidigft+ der Glaube wird 


ſich wol ohnedies vertheibigen.” Acht Jahre nachher befolgte 
der König den Rath feines Hofnarren und begann die Refor« 
mation in ſeinem Lande. 2, 


Verantwortlicher Deraudgeber: Heiunrich Brockhaus. — Drud und Verlag von F. X. Drockhaus in Reipzig. 








B lhaͤtter 
für 


literariſche Unterhaltung. 





Freitag, 


— Nr.79. — 


20. Maͤrz 1846. 





Die Zouriften im Drient. 
Dritter Artikel. 
(Beſchluß aus Nr. 78.) 


Aber man zürne dem argen Spötter nicht; er ge- 
ſteht ja felbft, daß, als ihm durch ein günftige® Unge⸗ 
fähr in Salonichi M—t's „Philofophie der fubjectiven 
Natur” in die Hände fiel, und er, müde der türfifchen 
Syntar, darin las „Negation ift Negation ded Ausein- 
anders der Natur”, ihn ordentlih das mohlthuende 
‚Gefühl eines füßen Heimwehs (II, 55) überfhlih. Da- 
bei verleugnet er, ber fo ſehr auf die That und die 
Praxis pocht, hoch keineswegs die wehmuthsvolle Schwär⸗ 
merei, diefen Grundton, ber durch unfer ganzes Weſen 
klingt — die Ruffen legen uns deshalb bekanntlich den 
Namen Schmerz bei —, und wenn fein Auge über die 
prachtvollen Scenen bes Hagion Oros hinſchweift, fo 
kann es fih der Thränen nicht erwehren. Dafür per: 
fifliet er fih freilich dann felbft wieder (1, 73): 

Gebt ihnen (den Deutfchen) etwas Mondfchein mit Wel⸗ 
Iengebrumm, und ihr mögt ihnen ruhig die Taſchen leeren 
und Feſſeln an die Arme legen. Ä 
und meint (I, 120): 

Leider vollenden Andere, während wir irdifcher Roth ver: 
geflend mit Einſamkeit und milden Zinfen kolchiſcher Som⸗ 
merlüfte buhlen, ihre politifhen Rechenerempel und legen ber 
überrafchten Welt ihr Facit hin. 

Dabei ift aber feine ganz Reife, der Zweck und bie 
Beranlaffung zu derfelben ganz fo, daß man es ihr an⸗ 
fieht, fie koͤnne nur aus dem Kopfe eines Deutfchen, 
„welcher dev Wiffenfchaft wie einer großen weltgebieten- 
den Macht huldigt“ (S. xın), hervorgegangen feien. Er 
zieht als „Papier - Jafon aus dem innern Keltenlande 
bis Kolchis, um die politiihen Momente eines unbe- 
tannten romanhaften Schattenreich® aufzuhellen‘“. 

Zum Glück haben ihm diefe gelehrten Forſchungen, 
an die er „wie an feine Lebensaufgabe gefeſſelt ſcheint“ 
feinen unbefangenen Sinn nicht etwa verwirrt und von 
der Wirklichkeit abgezogen, fobaß er ungeaditet der ge 
Iehrten Bürbe, welche er nach echter deutfcher Art mit 
ſich fehleppt, von fi fagen kann (I, 133): 

Ich ftreife als Abenteurer frei und forglos burch die Laͤn⸗ 
der von Byzanz; mich entzüdt der Wald, die fanfte Schwel⸗ 
lung des Höhenzugß ‚ der Immergrüne Buſch, felbft Roth und 
Entbehrung find Kir mi 


‘ 


& Genuß. Wo Andere eilen, bleibe . 


ich Liegen, horche auf den dumpf und regelmäßig wieberlehren: 


den Wellenſchlag der Pontus⸗Sunde und betrachte noch weit 
lieber als alte Pergamente die Menfchen und ihre Sitten. 
Seit langer Zeit haben wir kein Werk erhalten,. in 
welchem die verzwicdten orientalifchen DVerhältniffe zu. ei⸗ 
nem fo ruhigen, fichern Bilde zufammengefaßt würden 
ale in dieſen „Fragmenten“. Dazu kommt, daf ber Verf. 
feine Überzeugungen, welche er aus unbefangener laͤnge⸗ 
rer Beobachtung gewonnen hat, mit rüdfichtslofer Offen- 
beit und ohne irgend welche geheime Sympathien zu 
—F herausſagt. Wir müſſen uns hier auf einige 
ndeutungen befchränten, welche von der Kernhaftigkeit 
und Reife der politiſchen Anſichten ſowie von der Ge⸗ 
diegenheit und Kraft, mit der ſie vorgetragen werden, 
nur ein ſchwaches Abbild geben mögen. Bei dem ge⸗ 
genwaͤrtigen Zuſtande der Dinge, wo die Hauptſtadt 
des türkiſchen Reichs den vorzüglichſten Schauplatz des 
diplomatiſchen Intriguenſpiels abgibt, und wo „man faſt 
ſtündlich mit Sorge dem Erloͤſchen bes osmaniſchen 
Sultanats entgegenſieht“, zieht wol die Frage, welchem 
Umſtande vorzüglich das Verglimmen und Hinſiechen der 
früher fo ungeſtümen osmanifchen Lebenskraft zur Laſt 
zu legen iſt, beſonderes Intereſſe auf ſich. Fallmerayer 
ſieht nicht ſowol im Volke, das indeſſen, wie (I, 93) 
dargethan wird, über feine Kraft in einer unbegreiflichen 
Sellbſttäuſchung befangen iſt, als in dem gänzlich ver⸗ 
morſchten und herabgewürdigten Herrſcherhauſe und der 
Regierung den Grund und den Anſtoß zum Verfall 
(l, 315). Dies ſagt der Verf. auch mit beſtimmten 
Worten (II, 266): | | 
Herabgewürdigt und ohne Auverficht ift in ber Zürkei nur 
die Regierung; das Volk bat weder von feiner fanatifchen 
Energie no von feinem Selbftvertrauen etwas verloren und 
fühlt fi) dem meuterifhen Sinn der chriftlihen Raja ohne 
fremde Dazwifchentunft fogar in der europäifhen Hälfte des 
Reichs vollſtaͤndig gewachſen. | 
Das Gemälde, welches hier von der Regierung ent- 
worfen wird, tft EHäglich und jammervoll (Il, 145): 
‚Die Klepfin iſt das einfachfte und Eennbarfte Bild der öf- 
fentlihen Buftände im Drient: Jeder ftiehlt, mas der Andere 
faetz die Regierungen aber nehmen bier Allen Alles weg, und 
Frieden bat nur wer Bettler if. 
Unfere politifchen NRechenmeifter haben nun im Hin- 
blick auf ben zerfallenden türkifchen Staatöförper ihre 
Muthmaßungen über das wahrfcheinlihe Ende biefer 


314 


orientalifchen Verwickelungen in der anfpruchsvollen Form 
politifcher "Prophezeiungen ausgefprochen. Der Frag- 
mentift tritt den meiften dieſer politifhen Wahrſchein⸗ 
lichkeitsberechnungen mit Entfchiebenheit entgegen. Am 
haltiofeften fcheint ihm die Anſicht, daß ſich aus den 
lostßfenden Theilen der tuͤrliſchen Monarchie einzelne be⸗ 
fondere Meine Staaten als Vertreter der verſchiedenen 
bis jegt unter einer Herrſchaft zufammengefoppelten Na⸗ 
tionalitäten herausbilden merden. Zur Zeit des Lärmens 
wegen des leidigen Juliverttags fand diefe Meinung auf 
der Tribune befonders in Lamartine einen phrafenreichen 
und begeifterten Vertheidiger. Sallmerayer weiſt bas 
Thörichte dieſer Vorausfegungen, welche dadurch nichts 
an Nachdruck gewinnen, daß ihr hartnädigfter Vertreter 
den Orient felbft nach Zouriftenart durchzogen hat, auf 
das bündigfte nad) (1, 316). Er meint, immer wür⸗ 
den die einzelnen Glieder dem einen gemeinfamen Mit: 
telpunkte Konftantinopel wie ihrer gemeinfamen Sonne 
zuftreben (I, 317): ' 
Alle eure Kimfte macht die Stadt mit ihrem eingeborenen 
Genius zu Schanden. Schneide man immer entlegene Zheile 
vom Ganzen meg und erwärme fie wie der begeifterte Pygma⸗ 
lion fein Steingebilde, fie verdorren dennoh aus Sehnſucht 
nach heimatlicher Lebensluft, oder rinnen von felbft unaufhalt: 
fam wieder in den Schoos des Mutterflaats zurüd. So groß 
if der Zauber biefer geheimnißvollen, noch unbegriffenen Stadt. 
Roch Hirnlofer feheint ihm die Annahme, für bie 
unfere philologifhen Schwärmer fid) gern erwärmen, ats 
ob die Hellenen, bie felbfi faum im Stande find, ein 
eigenes politifchese Dafein zu friften, „in Die Competen- 
teiteeihe zur künftigen Vacatur des Drients“ geftellt 
werden tünnten (1, 326). Wer fol denn aber nun im 
Sinne des Fragmentiften das große Erbe der lebens⸗ 
matten Osmanen antreten? Kein anderer als die Ruffen, 
deren ganze Politik feit älteſter Zeit her von Byzanz wie 
von einem Magnet angezogen ift und Die recht eigent- 
lich vom Verhaͤngniß mit dem nöthigen Zeuche ausge⸗ 
rüftet fcheinen. „Die Reftauration von Byzanz, das ift 
Ariom, kann nur eine »flamwogräfifchen, Feine «byzantini- 


ſchey, am wenigfien aber eine «hellenifcye» fein” (1, 336).. 


Freilich hat der unerhittliche Fallmerayer wol Recht, diefe 
Antwort iſt Vielen unbequem und verhaßt, welche ihr 
Bericht widerlegt zu haben glauben, wenn fie ihrem 
Urheber Schuld gegeben, er fei ein Werkzeug vuififcher 
Politik. Diefe Behauptung, melde ſich wirklich in ver- 
ſchiedenen Journalen Luft gemacht hat, ‚finder ihre ſchla⸗ 
gendfte Widerlegung in dem entſchiedenen Ruffenhaffe, 
der im ganzen Werke welches uns vorliegt athmet. 
Bon befonderer Bebeutung fcheint zur Verfechtung 
feiner Theſis dem Verf. die Stellung und das Verhält⸗ 
niß der griechiſchen Kirche, der er eine viel größere 


Macht und eine viel zähere Lebenskraft beilegt (I, 334) 


ale man ihr gewöhnlich zugufchreiben pflegt (Il, 279): 
"Was der abendländifchen Kirche nie ganz gelingen wollte, 
oder ſchnell wieder verloren ging, bat die morgenlaͤndiſche voll⸗ 
ftändig durchgeſetzt: fie ift eine compacte Einheit in Sinn und 
Beitrebung und ihre größte Stätte liegt in der Mäßigung, 
mit der fie erſt nur um Anerkennung gleicher Nechte ringt. 
Nach dem Biege wird fie ihrerfeits zum Angriff übergehen. 


mal, daß ſich im großen i 


‘bleibende Schöpfun 


Wir theilen enblich hier noch eine kurze Stelle mit, 
welche gewiffermaßen ein gebrängtes Refumd der politi⸗ 
[hen Anſichten bes Verf. über die orientalifchen Zus 
ftände gibt (IT, 267— 268): : 

 Bwei Dinge ſcheinen mir beute unmöglicher als je:- einz 
ltyriſchen Dreieck gend ein chriftlich⸗ 
byzantiniſcher Staat durch ſich felbſt zu erheben und politiſch 
jelbftändig zu conflituiren, Durch &igene innere Kraft ich frei 
zu erhalten und fortzuleben vermöge ; zweitens, Daß irgend eine 
genannter Art durch den Occidenta⸗ 
lismus in jener Gegend zu erwerben fei. 

Wir haben bereits angedeutet, daß ber Reiſende 
fih duch das Gift politifcher rörterungen feine 
Freude an ber Pracht und der Mannichfaltigkeit der 
üppigen Scenerien, melde ſich auf feiner Wanderung 
vor ihm auftollen, nicht vergällen läßt. Dazu kommt, 
daß er das Zalent, die äußern Eindrüde, welche er em⸗ 
pfängt, in ungetrübter Naturtreue abzuſpiegeln und zu 
geſtalten, im höchſten Grade beſitzt. Einzelne feiner Na- 
turbilder, beſonders die farbenreichen, ſaftigen Landſchafts⸗ 
gemälde find von einer künſtlerifchen Vollendung, daß 
wir ihnen auf dem weiten Gebiete der. Literatur faft 
gar nichts zur Seite ftellen können. Wo läßt ſich eine 
fhönere Schilderung auffinden als die, welche wir bier 
von Hagion Dros, vom Athos, erhalten, den der Frag⸗ 
mentift den koloffalen, von der Natur felbft aufgethitem- 


ten und mit unvermwelflihen Feſtgewande umzogenen 


Münfter von Byzanz nennt? (II, 5—8): 


Kanggeftredt ift die Halbinfel, nicht flach, auch nicht wel⸗ 


lenformig hingegoffen, nody als ſchiefe Ebene nur auf einer 
Seite auffteigend, auth nicht ein mit Hügel: und Keljengerirre 
unregelmäßig ausgefünten Gonglomerat: haldig und ſanft ſteigt 
es von beiden Strandſeiten gegen die Mitte empor’ und läuf 
jattelformig mit wachjender Höhe und Steile in langen Win- 
dungen. fort wie ein Tempeldach, und am Ende ſtrotzt leibig 
und wohlgenährt, von drei Seiten rund aus dem Wafterfpie- 
gel herausfteigend und auf der vierten bis aur halben Höhe 
mit dem Waldgebirge verwachſen, einfam und frei die riefige 
Athoskuppel in die Lüfte, auf der Plattform ein weithin ficht- 
bares Kirchlein, das hoͤchſte und Iuftigfte Gotteshaus der mor- 
genländifhen Chriften, zugleih Sig der Sommerluft, der An: 
dacht und der Windsbraut der Athoniten. Man denke fich eine 
Auguſtnacht in Purpurflor und mit allen Reizen des Südhim- 
meld angethan, den glatten Spiegel über bodenlofer Ziefe, 
mildhauchende Seelüfte über die Gärten und Söller fächelnd, 
Rachtigallen im Rofenbufh, das lange Walddunkel und die 
Wachtfeuer auf ber Bergſpitze; oder wie das Morgenroth und 
der erfte Sonnenftrahl goldfunkelnd auf die Felfenfrone fällt 
und weit unten auf dem Kaftanienwalde noch ſchweigſame Nacht 
oder kaum das erfte zweifelhafte Dämmerlicht über den Klofter- 
innen am Strande liegt! 

Athos ift Hochwarte des Agäifchen Meeres umb Leuchtthurm 
aller Drthoboren in Byzanz. Vom Peftlande in das Meer hin: 
ausfpringende Eherfonefe find vorzugsweife eine Eigenthünlid- 
keit der griehifchen Welt. Zu Kerafunt in Kolchis, bei Si⸗ 
nope in Paphlagonien und in der Nähe des Athos felbft hat 
die Natur ähnliche Bebitde bald nur begonnen, bald ausge⸗ 
führt, nirgend aber ein fo ſchlankes Maß angelegt, die Wände 
fo romantiſch ausgeführt und den Wuchs in fo liebliche For⸗ 
men ergoffen wie hier. Ein felfichtes ſchroff und mühevol zu 
erflimmendes Radelholzgebirge, quer über den Ifthmus ſtrei⸗ 
hend, hütet wie ein Säulengang das Thor zur immergriunen 
Baumregion des Athos, und wenn der Fremdling nad Über- 
ſchreitung dieſer Querwand über tiefe Schluchten und Hügel 


315 


aus wilbem Rosmarin den Hochpfad .erfiommen bat, thut fi 
eine Scene auf, deren Schönheit man mol empfinden, aber 
nicht befchreiben kann. 

Wie ein langer Silberfaden Läuft über Sattellamm und 
Bergichneide durch hellgrünes Gebüfh und dichtverwachſenes 
epheuumranktes Baumgewühl der Hochpfad' mitten durch die 
Halbinſel bis zum hoben Athosfegel. Bald fihroff und ohne 
vermittelnden Übergang, bald fanft und in verlorenen Halden 
ſenkt es jich zu beiden Seiten des Weges in romantifchen Bor: 
fprüngen und verfihlungenen Thalwindungen oder in weiten, 
amphitheatraliſch ausgebogenen Prachtfächern über Waldoͤde, 
über lieblich bebautes Einſiedlergehöfte, in dunkelm Waldſchat⸗ 
ten, bier zum fingitifchen, dort zum ſtrymoniſchen Golf hinab; 
die Sonne bligt auf den Waflerfpiegel und lodt, dur die 
faubigen Bäume fallend, eine Zhrane wehmuthsvoller Erinne: 
rung aus dem Auge des fremden Wonderers. Tief unten am 
Strande, in weiter Entfernung voneinander abgefondert, durch 
Wald und Borgedirge getrennt, auf.grüner Watte ausgebrei⸗ 
tet oder in waldüberhangenen Schluchten, an raufchenden Sil- 
berbaͤchen, zwifchen Limoniengärten und langmwipflichten Eypref: 
fen heimatlich verborgen, erſcheinen die Mönchkaftelle mit he: 
hen Mauern, mit gewölbten Shorgängen, mit Blodenhaus, 
mit wart» und zinnenbefrangteen Feſtungsthürmen und eifen- 
befchlagenen Doppelflügeln zur Hut der byzantinifchen Heilig⸗ 
thümer wider feindliche Gtwalten. 

Nicht minder lieblidy und poeſieathmend fmd die Land⸗ 
haften aus der Umgegend von Zrebifond, welche der 
Verf. abweichend vom Sprachgebrauch der alten Geo- 
graphie, mit dem etwas weit ausgedehnten Namen Kol: 
chis bezeichnet. Er fügt felbft von diefem Lande (1, 294): 

Richt das goldene Bließ, nicht blos alte Yergamente und 
die melancholiſchen Ruinen der Komnenenburg zu Zrapezunt 
haben mich nah Kolchis geführt; ich folgte geheimnißvollerm 
Zuge, wich einer unerfärten Sympathie der Erdgeborenen für 
heitere Lüfte und quellenreiche Einfamleit immergrüner Wald: 
partin. Was Ierujalem für den myſtiſchen Schwung ber 
büßenden Seele, ift Kolchis für den Gögendienft irdifch bezau⸗ 
berter Phantaſie. 

Aber das Talent des Verf. ift gefhmeidig und viel- 
feitig; er fchildere mit demfelben Glück die befchränftern 
Kreife eines heitern Stilllebens wie die Sitten der Völ—⸗ 
fer im Ganzen und Großen. Mit viel Humor und 
anziehender Gemüthlichfeit führt er uns ein in das 
Haug feiner rechtgläubigen Wirthin, welche, um fich von 
feiner Zrömmigfeit zu überzeugen, ihm heimlich auf: 
lauert, ob er die Meffe mit Regelmäßigkeit befucht 
(1, 55). Auch die Sconen aus dem Mönchsleben, 
weiche er feiner Darftellung einverwoben bat, enthalten 
der Föftlichen Züge viel und geben uns ein lebendiges, 
Mares Bild vom Treiben der „anatolifchen Seldftüber- 
winder”., Was er ferner von feinen eigentlichen Reife- 
erlebniffen, von den Vorbereitungen und Abenteuern ſei⸗ 
ner Wanderungen felbft mittheile, ift durchaus geeignet, 
den Reiz der Mannichfaltigfeit, welche dem ganzen Werke 
eigenthümlich ift, noch zu erhöhen. Wenn er fih auch 
nicht geradezu enthält, von feiner Perfon und von Dem, 
was unmittelbar darauf Bezug hat, zu reben, fo läßt 
er fie doch gerade nur fo viel bei feiner Darftelung in 
den Vordergrund treten al® zur Belebung des Ganzen 
von Interefje fcheint. Nirgend blickt jenes Haſchen nad) 
Piquantem, jene platte Indiscretion und das Coquettiren 
mit perfönlihen Beziehungen dur, welche in den mei- 
fien Erfcheinungen der modernen Zouriften-2iteratur fo 


kend gemacht. 


widerwärtig wirken. Und wenn der Reifende auch wol 
von ſich feldft redet, fo Ternen wir in ihm einc von un- 
fern abgehegten „europamüden Weltfahrtlern” fo durch⸗ 
aus verjdiedene Perfönlichkeit kennen, daß wir biefe 
fernbafte, gefunde Natur vol Saft und Kraft durchaus 
liebgewinnen müffen. | 
Selbft die fharfe Polemik, welche hier und da ge- 
gen die Feinde und Widerſacher des Zragmentiften vor- 
bricht, und ſich beſonders gegen den Schluß des Werts 
hin in einem vollen Strome ergießt, thut für Leſer, dev 
nen Die literarifchen Beziehungen ber Gegenwart geläufig 
find, dem Werthe des Ganzen feinen Abbruch. Diefe 
polemifchen Streiflichter beziehen fi, wie man wol ver- 
muthet, auf die befannte, vielfach angefochtene Tihefis 
Fallmerayer's über die Abfunft der Hellenen. Er fagt 
es unummunden, er fei ungeachtet aller Angriffe und 
Verfeindungen, denen er fi durch feine allbefannte Be: 
hauptung, daß in der gegenwärtigen Bevölkerung von 
Griechenland das ſlawiſche Element überwiege, ausgefegt 
bat, in feiner frübern Amahme noch immer nicht mans 
Ale Säge, welche er früher in feiner 
„Geſchichte von Morea während des Mittelalters” auf 
geftellt hat, verficht er noch jegt, nur noch entjchiedener 
(1, 376) und wie es uns fcheint mit mehr Nachdrud 
und Geichrfamfeit. In der That Laffen fich feine ge⸗ 
wichtigen Gründe, welche aus der Gefchichte fowie aus 
ſprachlichen Erklärungen entnommen find, Dur) Demon- 
ftrationen und Manifefte wie fie z. B. in Athen gegen 
den „Berächter griechifcher Nationalität” an den Tag 
gelegt und unternommen murden, nicht befeitigen und 
entkräften. Mit Recht fpottet er über die begeifterten 
Verehrer des helleniſchen Alterthums, welche ſich für 
verpflichtet halten, die Ehre und die Echtbuͤrtigkeit der 
modernen Griechen zu retten, und melde der unumftöß- 
lichen Überzeugung leben, „daß eigentlich die deutſchen 
Philologen die Türken aus Griechenland vertrieben und 
das große Seetreffen bei Navarino gewonnen haben” 
(Il, 478). Am fchlimmften fpielt der Fragmentiſt dem 
Prof. Greverus mit, welcher fi fehmeichelte, den Be- 
weis geliefert zu haben, daß „Fallmerayer ein’ Erzlügner” 
ſei. Es wird. ihm vom Verf. ein eigener Abfchnitt ge- 
widmet, in dem berfelbe „den friefifchen Gruß des Deren 
Greverus mit Höflichkeit erwibert”. Er meint, der ol- 
denburger Gelehrte habe fein Buch „Reifeluft in Ideen 
und Bildern aus Griechenland” lieber „Wein- und 
Wanzenchronik von Morea“ (ll, 505) betiteln follen. *) 
FJ. @. Günter. 
Bibliographie. 
Belani, H. E. R., Die Erbfchaft aus Batavia. Volks⸗ 
veman. ge egipri 2 ee echt 5 m 
nge r 3. €., egenhei . . 
d. au. 1845. 8 Il Mar hkhie. Reuſtadt a 
Günzburg, A., Dogmatiſch-hiſtoriſche Beleuchtung des 
alten Judenthums. Prag. Gr. 8. 20 Rgr. 


— — 





) Einen fünften Artikel geben wir ſpaͤter nah Berndigung von 
Tiſchendorf's Reife. D. Red. 





4‘ 


316 


Jluſtrirter Kalender für 1846. Jahrbuch der Seeigrifle, 
Beſtrebungen und Bortfchritte im Wölferieben und im Gebiete 
der Wiſſenſchaften, Künfte und Gewerbe. 2te Auflage. Leip⸗ 
gig, Weber. Hochſchm.4. 20 Nor. 

Röher, F., Fürſten und Städte zur Beit der Hohenſtau⸗ 
"fen dargeftellt an den Neichdgefegen Kaifer Friedrich H. Halle, 
Anton. Gr. 8. 15 Nor. 

Pfaffeuhofen, F. Freih. v., Die Münzen der Her- 
zage von Alemannien. Carlsruhe, Nöldeke 1845. Gr.8. 20 Ngr. 

Die himmliſche Yhilofophie von Keleph Ben Nathan. Im 
susguge mitgetbeilt von &. 3. Schlüter. Münfter, Deiters. 
1895. Gr. 8. 15 Ror. . 

Schütz, W., Dreißig Jahre aus Rapoleon’s Leben. Dra- 
matifches Gemälde in ſechs Abteilungen, nach dem Franzöoͤſi⸗ 
ſchen des U. Dumas. Erfurt, Meyer. 1845. 8. I Zhlr. 

Siegmund, F. (Br Albrecht), Religiöfe Dichtungen, 
alien chriſtkatholifchen Blaubenögenoffen gewidmet. Breslau, 
Srewendt. 1345. 8. 6 Nor. 

Landwirthſchaftlicher Volkskalender für das Jahr 1346, 
Herausgegeben unter Reitung der k. k. Landwirthſchafts-Geſell⸗ 
ſchaft für Zirol und Vorarlberg. Hter Jahrgang. Innsbruck, 
Wagner. 4. 5 Nor. 


\ 


Zagesliteratur. 


Anfichten über Sänger, Gefangvereine und Gefangfefte. 
Schweinfurt, Siegler. Gr. 8. 3 Nur. 

Antwort auf Herrn Eonfiftorialratb Dr. Piſchon's Send: 
{reiben an Hrn. Prediger Souchon. Bon einem Mitgliede 
der Gemeinde Ehrifti. Berlin, Wohlgemuth. 1845. 8. 2Y, Ryr. 

Bemerkungen über das Sendfchreiben bed Herrn Stanger, 
Domkapitulars in Zrier, an feine ehemaligen Pfarrkinder zu 
Kreuznach. Kreuznach, Kehr. 1345. Gr. 8. 23 Nor. 

Blide auf den Hergang und den Geiſt des Trienter Con⸗ 
cils. Für das deutſche Ehriftenvolt gefprieben don einem Pro» 
teftanten. Leipzig, Orthaus. Gr. 8. 71, Nor. Ä 

Glemend Auguft Freih. von Drofte zu Viſchering, Erz: 
bifhof von Coͤln. Nach den zuverläffigften Quellen treu und 
wahr gefchilbert von M. eb einem Anhange: Intereffante 
Gharakterzüge und einige biöher ungedrudte Gedichte des Ver: 
Rorenen. it dem Portrait des Erzbifhofs. Zanten. 1845. 
8. Nor. 

Dietlein, D.W., Die Berliner Erflärung vom 15. Au⸗ 
guſt 1845 und deren Literatur. Berlin, Herbig. Gr.8. 5 Rgr. 

Eingabe der medicinifchen Facultät zu Leipzig, in Beziehung 
auf die Beilage des Allerhochſten Deerets vom 29. Rovember 
1845, die chirurgiſch⸗ medicinifche Akademie betreffend. Leipzig, 
"Köhler. Sr. 8. 4 Nor. 

Die große Yeuersbrunft zu New⸗VYork am 19. Juli 1845. 
Hamburg, Berendſohn. 1845. 8. 5 Kor. ’ 

Sember, A., Die Kirche der Zukunft. Ein Beitrag 

Berftändigung über die Blaubenswirsen der Gegenwart. 

erlin, Schulge. Sr. 8. 10 Nar. 

George, 2., Richt Schrifi, nicht Geift, aber der Geift 
der Schrift. Ein Wort zur Derftändigung und zum Frieden 
in unferer aufgeregten Zeit. Berlin, Müller. &r.8. 3 Rar. 

Das Glaubensbekenntniß der allgemeinen chriſtlichen Kirche. 
Sin „orichlag zur Prüfung. Kreugnah, Kehr. 1845. &r. 8. 
2 r. 

Ss, G. 3., Jeſus und feine Beitgenoffen. @in zeit: 
gemäßes Wort an Fatholifche Ehriften, ausgefprochen in jeche 
Faftenpredigten. Regensburg, Manz. Gr. 8. I1Y, Rear. 

Kämpfe, &. U, Erwiderung auf das unter dem Titel 
die Berechtigung tes Nationalismus an mich gerichtete Send» 
Iüreiben eines Ungenannten. Magdeburg, Heinrichshofen. Gr. 8. 

R 


gr. 
Kehr, R., 3. Die Weihe der deutſch⸗-katholiſchen Ge⸗ 
meinde zu Kreugnah am 25. Mai 1845 Dur Herrn Pfarrer 
Kerbler. DI. Zeitbemerfung eines Laien über Deutfch- Katholi: 


zismus, Proteftantismus und Momanismus. Nebſt Beilagen. 
Kreuznach, ne 1b. 5 er. * 5 vr 

‚_Kortüm, F., Rüdblid auf Joh. Heinr. Peſtalozzi, nebft 
etlichen ungebrudten Blättern deffelben. Heidelberg 3 Mohr. 
Br. 3. 5 Nur. 
‚ „SKraufe, 9. J., Frommes Andenken an Iohannes Ronge 
in Beimar. Cine Rahmittagsbetrahhtung. Ste verbefferte und 
mit einem Vorwort vermehrte Auflage. Weimar, Hoffmann. 


1845. 8, 3%, Ror. 

‚ 2uger, F., Heinrich Peſtalozzi, ein Beitrag zur Beier 
feined Andenkens. Hamburg, Agentur des Rauben Haufes. 
&.8. 5 Ner. 


Moll, 8. B., Der Unterfhieb der wahren und ber fal- 
fen Biätfreunde. Predigt. Pafewalt, Köhler. 1845. Gr.8. 


Ya Nor. 
Dot, A., Haben wir"von Menfchen oder von Chriſtus 
unfer Heil zu erwarten? Predigt. Pofen. 1845. 8. 23%, Rgr. 
Ramdohr, 4, ‚Was ift von dem Richten über Andere 
wegen Slaubensverſchiedenheiten halten? — t über 
1. Kor. 4, 15. Potsdam, Stuhr. Gr. 8. 2%, Rgr. 

Keckum, Bitterwafler, verordnet dem nur zu treuen 
Hengftenberg. Altenburg, Helbig. Gr. 8. 10 Kor. 

Ronge, J., Rede, gehalten am 23. September 1845 in 
der Münfterkiche zu Um. Um, Rübling. 1845. 8. 3 War. 

— — Rede, gehalten am 18. October 1845 bei Konftang 
auf der Gchweizer Graͤnze. Deflau 1345. 8. 2.Rgr. 

Rupp, J., Die Symbole oder Gottes Wort? Ein Send- 
ſchreiben an die evangelifche Kirche Deutfchlands. Leipzig, D. 
Wigand. Gr. 8. 4 Nor. 

Saint Rene Zaillandier, Die politifche Lage Deutſch⸗ 
lands im Jahre 1845. Aus dem Franzöfifhen von 3. Frande. 
Grimma, Berlagecomptoir. Ki. 8. 15 Rr. 

— — Die Berfaflungefenge in Preußen. Grimme, Ber: 

gr. 


lagscomptoir. KL. 8. 


‚ Schäffer, €., Neujahr. Ein Drama oder ein Gedicht, 
wie man ed will. Darmfadt, Düweiler. 8. N Nor. 

Scherer, J., Das Verhaͤltniß zwiſchen Kirche und Staat. 
Nah den sebrfägen eined Iefuiten dargeſtellt. Regensburg, 
Manz. Gr. 8. 171, Ror. 

„Schiller, S. M., Tendenz, Richtung, Sefinnung unb 
Geiſt der 2ten Rabbinerverſammlung zu Frankfurt a.M. Iftes 
Heft. 2te unveränderte Auflage. Leipzig, Hunger. 8. 7Y, Rar. 

Schuſelka, F. Ronge in Weimar den 14., 15. und 16. 
2 Dember 1845. Sedächtnifbtätter. Weimar, Hoffmann. 1845. 
. gr. 


Der Tag Eoncordis. Cine Wächterftimme aus der neuen 
Lutherspforte an die deutfche Kirche in allen Landen. Erfurt, 
Henninge und Hopf. 4. 5 Nor. 

Theremin, F., Der Sieg des Glaubens über die Welt. 
Predigt. Berlin, Dunder und Humblot. Gr. 8. 2%, Kar. 

Bon dem ©efege der Arbeit. Paftoral» Anweifung von 
dem Erzbiſchofe von Sambrai. Aus dem Franzöfifchen. Aachen, 
Kneuerg. 12. 5 Rgr. 

Weichſel, 8. F., Die Berliner Gonferenz und Wislice- 
muß Ein offened Sendſchreiben. Wolfenbüttel, Holle. 8. 

ge 


„ Widmann, A., Volitifhe Bedenken wider bie evange⸗ 
liſche Kirchenzeitung. Berlin, Stuhr. Gr. 8. 6 Rgr. 

. Bildenhahn, €. A., Der chriſtliche Glaube. Aus den 
Bekenntnißſchriften ber evangeliſch⸗lutheriſchen Kirche für das 
allgemeine Verſtaͤndniß dargeftellt. Leipzig, Gebharb und Reis- 


land. 6 Apr. 

‚ Wolff, © A., Papſtthum, GCölibat und Ohrenbeichte. 
Ein freies Wort an das deutfche Volk. Ite Auflage. Breblau, 
Günther. 35 . 2 Ror. 

— — Ein Wort an Kerbler und Eichhorn. Breslau; 
Günther. 1845. 8. 1%, Nar. ichbor 

Zittells Motion für Religionsfreiheit. Manheim, Hoff. 
&r. 4. 2 Nor. 


Berantwortlier Heraudgeber: KHeinrich Brodpaus. — Drud und Verlag von F. SE, Brockhaus in Leipzig. 


re —— 


— — — r — 1 


ae Te TEE ET TTV ET 


Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 


x 





— — — 


Sonnabend, 


r. 80. 


21. Maͤrz 1846. 


ul] 


Der deutfche Zollverein und das u aldi 
Ein Verſuch zur Verfländigung der Anſichten und 
für Ausgleichung der Interefin. Bon K. H. 
Brüggemann. Belin, Dunder und Humblot. 
1845. Gr. 8. 1 Thlir. 

Der Berf. gibt in dem Werke eine geordnete Zu⸗ 
fammenftellung der wichtigften Argumente, die in einem 
fortlaufenden Kampfe dreier Jahre gegen bie Anhänger 
des Schutzzollſyſtems einerfeit® und gegen ihre einfeitigen 
Gegner, die Bureaufraten und die Männer des Laissez 
faire andererfeit von ihm angewendet worden find und 
in den ftettiner „Börfennachrichten von der Öftfee” in 
kürzern und fängern Artikeln veröffentlicht waren. Den 
Exftern will er nachweifen, daß bie von ihnen aufgeftell- 
ten ethifchen Ideen theild anderweitig entlehnt worden, 


theils in dieſer Entlehnung misbräuhlid und falfch ge⸗ 


handhabt wurben und viel mehr nur aus feinem Syſteme 
der Handelsfreiheit ausgefprochen werben und das Leben 
mit ihren Wirkungen erfüllen fönnten; bie Leptern aber 
daran erinnern, daß nur aus einer kraftvollen Exrfaffung, 
Einführung und Vollendung der „deutfchen Staatsideen 
der erleuchteten preufifchen Zeit von 1807 — 12” das 
Heil’ zu erwarten fei, daß der Zollverein nur als eine 
Folge diefer erfcheine und diefem in feiner urfprünglichen 
Auffaffung die Idee der Handelsfreiheit zum Grunde 
gelegen, daher confequent nunmehr durchzuführen und, 
wenn auch für einzelne Artikel höhere Zölle für einen 
Zeitlauf zuläffig wären, dieſe doch in Bezug auf die 
Grundidee einer Ausgleihung unterworfen werben müß- 
ten. Diefe Säge bilden den Inhalt der Schrift, deren 
Ausführung wir nunmehr in berfelben verfolgen wollen. 

Da die Anhänger des Schutz zollſyſtems in dem Grund» 
fage der Erhebung der Manufacturarbeit die Anfichten des 
Mercantilfuftems theilmeife adoptirt hätten, bat fich ber 
Berf. zur erften Aufgabe gemacht, dieſe nach ber Smith'- 
ſchen Theorie zu miberlegen, welches er (S. 13 — 49) 
als „Kritik des gemeinen Mercantilismus” unternommen 
hat. Hier berührt er zuerſt ( S. 13— 16) die „Chimaire 
der Banbelsbilany”, fie, wie laͤngſt nachgewieſen, mit dem 
Grundfage der „Produktivität der Arbeit” kurz bekaͤm⸗ 
pfend. Etwas verweilt er bei der -auch von Bülow⸗ 
Eummerow dem Zollverein vorgemorfenen, um mehr als 22 
Milionen gröfern Einfuhr als Ausfuhr in den Jahren 


1837 — 39, alfo ebenfo großem Verluſte am Rational: 
vermögen, wogegen gleichzeitig der Oberfinanzrath Bier⸗ 
ſack berechnet habe, daß in den 3. 1837—41 der Zoll- 
verein über 13 Millionen mehr aus⸗ ald eingeführt habe. 
Er behauptet, daß dieſe Zahlen nichts bemeifen könnten, 
es vielmehr darauf ankäme, ob mit dem Mehreingeführ- . 
ten Tieberlich gewirthfchaftet worben und daher bie Ein⸗ 
fuhr fih vergrößert habe, welches im Zollvereine nicht 
bemerkbar geworden. Beweife find für Diefes nicht an- 
gegeben worden; überhaupt auf die ganze Frage niche 
näher eingegangen. Wenn aber der Verf. die Familien- 
wirthfchaft zum Beifpiele genommen, fo möchten wir ihm 
boch wol den Fall entgegenhalten, daß eine Kamilie fort- 
während einnehmen Tann und "doch, wie man im ge- 
meinen Leben fagt, zu nichts kommt, d. h. eben ſich 
ſolche Gegenftände anzufchaffen bei aller Einnahme und 
ohne daß fie Tiederlich wirthfchaftet nicht im Stande 
ift, Die Aber ben nothwendigen Bedarf bes Lebens rei« 
hen, an deren Befig eine Familie als etwas Schönem 


fi) erfreut, eine Nation aber als etwas Nügliches aus- 


ührt. Es möchten alfo Zahlen doch wol einen guten 
Sinn haben und nicht allein „frappiren“; und eine Na⸗ 
tion bie fortwährend und mehr einführte, lebt wie man 
von Familien zu fagen pflegt aus der Hand in ben 
Mund, und ift eine arme, bei aller Ehrlichkeit und 
Rechtlichkeit der Wirthſchaft. S. 16—35 wird fodann 
ber Grundfag der Schugzölle beſprochen, das National- 
einfommen zu erhöhen, durch ben Zwang ber angeſtreng⸗ 
tern Verwendung der ölonomifchen Productivfräfte. Der 
Verf. deducirt fo: Da die Maffe und die Güte dieſer 
Kräfte, zu denen er Arbeit, Natur und Capital zählt, 
unmittelbar im Allgemeinen nicht erhoben werben, fo 
fommt es darauf an zu unterfuchen: 1) welche Wir- 
fung äußern die Schugzölle auf jeden diefer Einfommens- 
gründe im Befondern; 2) aber auch welche auf bie 
Stände, bie diefe Gründe zur Darftellung ober Pro⸗ 
duction in fi bringen. Bür bie reine Wiffenfchaft, un⸗ 
berücfichtigt die deuefch - nationale Färbung, die in ber’ 
Schutzzollfrage liegt, ift bier offenbar ber Angelpunft. 
Diefe miffenfchaftliche Seite hat aber der Berf. aus ei» 
nem falfchen Gefihtspuntte betrachtet; denn will man 
in die Einzelheiten des Lebens oder ber Wirklichkeit 
binabfleigen, fo wird man bald nicht mehr allein bei 


. . 
. 
t 


Kräften und Staͤnden ſtehen bleiben können, ſon⸗ 
vn —l getrieben werden, die Frage auf Perfo- 
nen und Familien auszudehnen. Das ift aber nur eine 
Ablenkung von dem wiſſenſchaftlichen Wege und ein 
Verſuch den Gegner aus der Ferne und hinter ‚einzelnen 
Higterhaften hervor, die für ſich jedes eine en 
haben mögen, mit Steinen zu bewerfen, anftatt o n 
auf dem freien, im Ganzen überſichtlichen Felde mit 
ihm zu kaͤmpfen. Die Wiſſenſchaft beurtheilt nur Be⸗ 
griffe, und dieſe ſind umfaſſende Vorſtellungen, deren 
einzelne für ſich nichts find, fondern nur. ale bewußter 
Inhalt des Ganzen gelten. Die wiſſenſchaftliche Frage 
iſt alſo nyr die: In welchem VBerhältniffe fieht bie Idee 
der Schugzölle zum Zwecke der Volksarbeit; die Arbeit 
ift aber nicht eing Productivkraft, fondern nur eine Ma⸗ 
ſchine, eine Mermittelung ber Kraft. Diefe beruht ledig⸗ 
lich auf dem Geifte des Volks, auf dem Willen zur 
Hrbeit. Da nun aber die Idee ber Saupgälie feine 
andere ift als die, durch den Zmang den Willen zur 
Arbeit in Bewegung zu fegen, fo handelt es ſich zuerft 
um die Mögfichfeit folder Einwirkung; und da koͤnnte 
man wol das Beifpiel eines Gefängniffes heranziehen, 
wo gleiche Grundfäge geübt werben. Aber ber Willens- 
Koden einer Perfon ift deren Lebendniederfchlag, den fie 
nur durch ihre geiftige Freiheit zur Production der in- 
‚nern Gütes bearbeiten fann; ebenfo wird eine Nation 
ihre, gefchichtlihe Natur, die fie ſich nicht gegeben hat, 
nur durch ihre Freiheit zur Production der äußern Gü⸗ 
ter bes Verkehrs, melde der Zweck der Volksarbeit ift,. 
erheben können. Es frage ſich alfo endlih: Kann Zwang 
die geiflige Freiheit erwecken? Und dann freilich wird 
man antworten müffen, daß es ein Fünftlicher wie im 
Sefängniffe "2 im Stande ift, fondern nur folcher, 
welcher wie bei Perfanen ein Lebensmoment fo bei Völ⸗ 
tern ein gefchichtliches und planetarifches if. Die in“ 
fularifhe Lage und bie Kriege des Gontinents haben 
für England. den Zwang herbeigeführt, den man .nad 
der Anficht des Verf. jegt für Deutſchland durch Zölle 
aufſchrauben will, wobei es fi) aber noch fragt, ob biefe 
„beutfhen Zölle nicht eine Noth der Geſchichte find. 

Wir vermiffen alfo bei der Ausführung des Verf. 
an biefer Stelle einen wiffenfhaftlichen Sig über den 
er. Es iſt nur ein Umherzanken, wobei mander 
treffende Dich gertheilt, aber ber Feind nicht getöbtet 
wird, Dabei läuft aber aus viel Oberflächliches mit- 
unter, was nicht zu vermeiden ift, fofern man ebew von 
cinelnen Standpunften aus redet. So heißt es z. B. 
In beitimmten Kreifen und für beftimmte Arten von Ar⸗ 
beiten koͤnnen este den Arbeitslohn allerdings fehr wohl 
vorüber ehend erhöhen, indem fie die Nachfrage nad — 
ten eitstkraͤften erweitern, aber nur indem fie dafür bie 
frage nach andern, mit deren Producten früher die Ein- 


fuhren aus dem Wuslanng bezahlt wurben, deflo mehs ver: 
mindern. 


Klingt das nicht gerade fo als wollte man z. 2. 
Eifenbahnen um beöwillen verdammen, weil I das Ge⸗ 
werbe ber Fuhrleute behindert haben? Diefer reiche 


Mittelpunkt Hat vielmehr die Arbeitethaͤtigkeit überhaupt 
erhöht, ex hat das Mittel der Productivfraft überhaupt 
beweglicher gemacht, und dann kann es nicht intereffiren, 


ob die untern Zweige abfallen, wenn ber ganze Baum - 


wur nach oben wähf. Die Vermehrung bes Reich- 
thums durch Schutzzoͤlle wird überhaupt vom Verf. uns 
bewiefen als auf Koften der wenigen Reichen und der Ar- 
men hingeftellt; dieſes war ausführlich darzulegen, wo⸗ 
durch freilich die ganze Sache bedeutend kangirt worden 
wäre. Run aber bleibt der Begriff „auf Koften” ganz 
unerflärt. Sollte der Verf. den geringen Beſitz von 
Capital bei vermehrter Arbeitögelegenheit, die auch durch 
ben Reichthum kommen kann, unter Koſten des Meichr 
thums verftchen, die dieſer von den Gapitalien an fich 
ziehe Der Verf. ſagt jedoch fetbft, daß feine „gebräng« 
ten Erörterungen über bie allgemeinen Befege der Guͤ⸗ 
terwelt durchaus nicht hinreichen, die öfonomifchen Ver⸗ 
haͤltniſſe auch nur ivgend einer einzigen Nation nach ih- 
ter ganzen wirklichen Beſtimmtheit vollfländig zu erklaͤ⸗ 
ven’, wiewol das Gebrängte ben aufgebedten Principien⸗ 
fehler nicht entfchuldigen kann; aber er fommt nun 
(S. 35—39) auf die „Anmendung auf beſtimmtere In- 
tereffen im Zollvereine“. Diefe find Agricultur und die 
arbeitenden Claffen. Der Lefer wird aber nichts au ben 
befondern Berhältniffen des Zollvereind dargelegt finden, 
jondern nur eine Wiederholung des vom allgemeinen 
Standpunfte von gefonderten Kräften und Ständen be- 
reits Geſagten und oben ſchon Widerlegten. 

Nachdem ber Verf. auf diefe Weile den gemei- 
nen Mercantilismus einer Kritik unterworfen, thut er 
diefed (S. 50 — 103) mit dena „höher Standpunkte 
und bem nationalen Syſteme ded Hm. Dr. F. Lift“. 


Er gibt zu, daß es einen höhern Standpunft gebe, . 
„auf dem die abflracten Gefege der alten Theorie ale . 


lebendige hiſtoriſche Principien erfaßt werden, und 
auf welchem die Hinderniſſe und Bedingungen des 
freien Verkehrs in ihrem jebesmaligen hiſtoriſchen und 
nationalen Beftande mit aufgefaßt werden“; allein Dr. 
Lift habe von folhem „nur reden gehört, und rede nad), 
was er von Ad. Müller gehört oder gelefen, aber durch⸗ 
aus nicht verfianden bat”. Der Verf. unterzicht zuvor 
einer nähseen Prüfung die Anwendung ber Grundfäge 
des höhern Standpunkte des Dr. Lift auf bie Erziehung 
ber Nation, ſowel in Bezug auf einen beflimmten durch 
den Zollſatz beſchützten Induftriezmeig als auch in Be⸗ 
treff der allgemeinen Induftriebildung, der nationalen 
Selbſtaͤndigkeit und der geifligen Freiheit und fittlichen 
Bildung. Hiermit fleigen wir nun von ben Höhen der 
Wiffenfhaft, die wir freilich, da der Verf. feibft fie 
nicht erfliegen bat, in Obigem nur flizzivend haben an⸗ 
deuten Tonnen, in die fruchttragenden Thaͤler des Lebens 
herab. Deun alle die gegebenen Fragen von politifcher 


Selbſtändigkeit, geiftigen Freiheit und fittlicher Bildung 


und der Erziehung dazu haben nur Sinn für eine be» 
flimmte Nation unb kommen auf die eine weſentliche 
hinaus, ob ein beſtimmter Bmang aus einem befkiuau- 
tea geſchichtlichen Yortgange einer beſtimuten Motion 


819 


cder einem ſolchen notienaien Mereine wie der Zolloerein 


iſt reſultitt und für den Fertgang Bedeutung hat. 
Wenn man ſich nun überhaupt nicht enthalten kann, 
und der Verf. ſelbſt, da er ethiſche Momente in ber 


Bölkerbildung geltend annimmt, zuläflig finden wird, bie. 


Bildung der Perfonen zum Vergleiche zu nehmen, fo 
finden wir es anerkannt, daß Zwang ein Erziehungsmit- 
tel der Jugend if. Der Schul» und Kirchenzwang ift 
das Bildungsmitsel des Geiftes und Gemüths; der Un- 
gezwungens ifi ein vagabundivendes Genie oder ein Ver⸗ 
brecher. Der Mann freilih Hat Handels- und Ber- 


Echröfreiheit feiner Durch den Zwang erworbenen Güter ' 


nöthig. Erft aber müſſen diefe da fein, und erſt muß 
man ein Mann geworden fein, ehe man Freiheit zu fo- 
dern berechtigt if. Es frage fich alſo: Iſt Deutfchland 
im Zeitalter einer füllreichen und heranwachfenden Ju⸗ 
gend? Denn das alte Rußland wird man vergeben® 
durch die Peitfche der Zölle, vorwärts treiben wollen; ed 
wird nie ein freihandelnder Mann werden. Jene Krage 
ift aber zu bejahen, denn der deutfhe Handel im Mit- 
telalter war nur an gemiffen Orten und gewiffer norb- 
oder ſüddeutſcher Städte. Die deutſche Erhebung cr- 
folgte erſt durch den Krieg um die äußere Freiheit der 
3.1813 und 1814. So iſt Deutfchland erfl in feiner 
Jugend und der Zollverein nur eine Form feiner Ju: 
gend. Ehe es alfo Handel treibt, muß ed auch haben 
womit es handle. Solche Güter hat der Verf. bei ſei⸗ 
ner Dandelsfreiheit anzuführen vergeffen; zu folchen fol 
ihm aber der Zwang verhelfen, und fomit ift der ber 
Zölle eine Nothroendigkeit der deutfchen Gefchichte, wo⸗ 


von der Zollverein nur ein Moment if. Der Verf. 
- fagt ſelbſt (S. 61), dab in einzelnen Fällen bei vor« 
züglich ficherer Ausſicht des Erfolgs, vorübergehende an⸗ 


gefündigtermaßen in beflimmten Friften abnehmende Schug- 
zölle auferlegt werden koͤnnten, und wenn er auch vor 
einem Zugeftändniffe der Principien der Schugzölle in- 
fofeen fich refervirt, als diefe etwa alle Zweige der In- 
dufteie ohne Rückſicht auf die nationalen Eigenthümlich⸗ 
feiten erzeugen wollten, fo ift doc unzweifelhaft, daß 
eine „Ausficht auf Erfolg” bei der Erſtarkung des Ma- 
nufacturbetriebs überall nicht in Abrede geftellt werben 
Tann. Natürlich die Gapitalien der Erde kann fich eine 


Nation nicht geben, wol aber den Arbeitswillen, welcher 


aus ihrer Zreiheit fließt, und durch diefe die freie Ar 
beit, die Manufacturfunft, und durch diefe wieder Die 
äußern Handelsgüter, mit benen e6 frei zu verkehren hat. 
Die Freiheit wird aber überall duch den lebendigen 
Zwang gewedt, und fo können das Zwangsfyftem und 
das Syſtem der Handelöfreiheit fehr gut nebeneinander 
beftehen; ein junger Baun wird durch das Band des 
Pfahls zum freien Wuchſe in Die Höhe gezwungen. 

Gehen wir jetzt fpecieller auf die Ausführungen bes 
Berf. ein, fo yermiſſen wir überall die Widerlegung, 
daß die Agricultur und Manufactur zuerft die Güter 
erzeugen müffen, die dem Handel zum Objecte gereichen 
tönnen. Der Verf. citirt das Zeugniß ber Gefchichte. 
Aber wird er leugnen, daß die handeltreibenden Phoͤni⸗ 


dies zuvor die künſlichſten Mamtfacturiſten geweſen fink; 
cher daß bie italieniſche kuͤnſtliche Metall Ba —* 
induſtrie and der deutſche nürnberger Fleiß dem Handel 
voraufgegangen find? Mir wollen nur ein einziges echt 
deutſches Beifpiel verhalten. Der deutſche Buchhandel 
und feine Folgen werden nicht in Abrede geftelle werden 
tönnen, aber es muften erft Bücher da fein, und fo if 
bie Kunſt oder die Manufacturarbeit der Buchdruderei 
biefeme Handel vorangegangen. Daß die Kunfk der mate⸗ 
riellen oder äußern Güter auch neben den Sanbel be 
fanden hat und beſtehen muß, ift richtig; denn fie gibs 
im die Object. Nur ber Handel mit den nationalen 
Kunſtproducten ift ber freie und, freimachende; der mis 
ben internationalen Naturproducten auch ber fogenann« 
ten Eolontalmaaren iſt entweder ein flüchtiger Schmuck, 
fobald er nicht auf jener fehlen Bafıs beruht, welches 
Spanien und Holland zur Benüge bemiefen haben; oder 
aber nur der gemeine Tauſchwerthhandel. Es iſi rich 
tig, daß der Handel, wenn er die fich bewegende mate- 
rielle Kunft ift, worunter wir eben die arbeitende 
Freihe it, bie Manufactur der Völker verfichen, dieſe 
zu ihrer individuellen Freiheit als felbftändige, geſchicht⸗ 
liche und hanbelsfähige Perfonen führt, daraus folgt 
aber nicht, daß die Freiheit der Arbeit der Freiheit des 
Handels nicht vorangehen ſolle, und ebenſo wenig, daß 
ein Volk zu jener Freiheit durch den ihm anpaffenden 
Zwang nicht hingeleitet oder erzogen werben könnte, ſo⸗ 
fen es eben nur erziehungsfähig iſt. 
Der Berf. hebt noch befonders zwei Gefahren ber- 


vor, die Überproduction und die Demoralifation ber 


Fabrikarbeiter, ſagt jeboch felbft, daß beide für Deutſch⸗ 
land noch nicht drohten. Dann war aber entweber davon 
gegen deutſches Fabrikweſen kein Gebrauch zu machen, 
oder aber nachzuweiſen, dag in jenem die Keime für 
gleiche Wirkungen lägen. In der Arbeit ober dem 
Haufe werden biefe für bie Demoralifation doch nicht 
zu finden fein, mol mur in den Perſonen und dann be- 
ren- nationalem Charakter als legtem Grunde. Oder 
glaubt der Verf. etwa, weil er engliſche und franzöfifche- 
Vorgänge fo fihroff ale Beiſpiele hinſtellt, daß die Na⸗ 
tionalität Fein Moment fei, fo wollen wir ihn daram 
erinnern, daß 3. DB. der Muffe unter ber Uniform ber- 
Ehre feine Gewohnheit zu ftehlen fortfegt und unter ben 
Spautetten Ohrfeigen fürtieb nimmt. Nun aber, wenn 
ber Einzelne eben als Bein allgemeiner Menſch, fondern 
als eine nationale Perſoͤnlichkeit geboren wirb und 
die arbeitende Freiheit ihn zu jener Höhe auch miche 
hebt, welches nur der benfenden zufieht, ber Arbei⸗ 
ter alſo in der Nation bleibt, fo werfe der Verf. doch 
nur einen flüchtigen Bid! auf die übrigen Grfcheinun- 
gen der nationalen Freiheit in Deutſchland, wovon die - 
Freiheit der Arbeit nur eine if. Sind denn in unferm 
politiſchen Leben die Factoren des ‚Ihamlofen Beficchens 
und Sichbeftechenlaffens, der Emportheit“ und alle bie 
Fledien der Geſinnung, mit Denen das öffentliche Leben 
in Frankreich gefättigt zu fein ſcheint und die der Verf. 


| fo fehr rügt, bei uns in gleichem Mate vorhanden? 


Wir glauben, daß der Berf. uns ſolches nicht aufbürben 
wird. Es möchte alfo ein Grund vorhanden fein, die 
offenbare Demoralifation unferer Arbeiter durchaus vos 
herzuſagen. Die Überprobuction ift ein Flecken der eng- 
lifchen öffentlichen Geſellſchaftezuſtaͤnde; und da fragen 
wir wieder, ob ber Verf. in unferer Gefellfchaft den 
Egoismus, die Habfucht, den Luxus zu fehen im Stande 
ift, welche bort herrſchen und in ihrer polgpenartigen 
Umfpannung und Ausſaugung ber Kräfte der untern 
Volksclaſſen die Erfcheinungen hervorgebracht, haben, 
welche Nationalölenomen dem Phantome ber Überpro- 
buction zuzufchseiben für gut befunden haben? Endlich 
wirft der Verf. mehrfach hoͤhniſche Seitenblide auf die 
deutſchen Fletten und Golonien, welche vorzüglich in 
neuerer Zeit als eine Nothwendigkeit für Deutfchland 
in Anregung gebracht worben find. Es ift wahr, wir 
haben davon noch nichts, und ſcheint es einer langen 
Zeit zu bedürfen, ehe wir. bavon nur etwas .befigen wer⸗ 
der. Über, wenn aus dem Principe des Handels, dem 
der Derf. huldigt, alle Confequenzen angenommen wer⸗ 
den müffen, fo auch bie des öffentlichen Schuges und 
des öffentlihen und freien Aufpflanzens der Landes- 
zeichen auf dem Felde der Wogen, wo noch weit mehr 
der Naturzuftand der Feindſchaft die leitenben Grund- 
füge abgibt als auf dem civilifirten Lande, wo both auch 
die Staaten zur Wahrung ihres politifhen Handelns 
das Bayonnet aufzufteden für eine Nothwendigkeit erach- 
ten. Die Handelscolonien freilich .hatten den Zweck, von 
den Zieferftehenden zu profitiren, und ob nun bei bem 
erhöhten Wiffen des Geiftes in den Böltern fie noch 
diefen Nugen abwerfen werben, ift faft mit Gewißheit 
zu vereinen; aber ed waren wenigſtens dieſe ragen 
nicht ironifch beifeite zu legen. Der Berf. lebt über- 
haupt nicht in ihnen und bat nicht die Schäge ihrer 
Ziefen bervorgeholt. Kür eine Zeitungslecture hat die 
Behandlungsweife ihren vollgültigen Reiz, gegen hin und 
wieder auftauchendes feichtes Raifonnement au Perfonen der 
Gegenwart zu fämpfen, und über die Production des Geiſtes 
binftreifend hin und ber eine Hand davon zu füllen und 
vor dem Lefer auszubreiten; in gefonderter Schrift aber 
verlangt man auch Eingehen und mit bem vollen Kranze 
ber Wiffenfchaft gefchmüdtes Hervortreten. So fehen 
wir aber den Verf., für den beilaufig Willen nur ein 
Stab einer perfünlichen Überzeugung ift (S. 108), in 
feiner Kritit nirgend, felbft da nicht, wo er die Entich- 


nung ber von Lift -aufgeftellten Säge aus A. Müller 


: zu beweifen fucht. Diefer bewegt fih im Kreife ab» 
ſtracter Begriffe wie fie feiner verftändigen Wiſſenſchaft 
eigen find. Seine Theorie von ber Nationaltraft und 
dem Gemeinwefen hat nur dieſen verftändigen Sinn. 
Lift aber Hat ben unbeftreitbaren Vorzug, daß er bie 
Girculation bes Lebens in die abfiracten Begriffe der 
Nationalölonomen eingeführt hat; daß er die Bedeutung 
ber Manufactur oder der Kunftproduction für bie Bil⸗ 
bung ber Nationen nachgewiefen hat, wovon in Ab. Mül- 
ler nicht ein Wort fteht, welches der Verf. ſelbſt fagt, 
und daß dieſe Kunftflufe ber Nationen, vergleichöweife 


ihr thierifches Moment, wic bas Pflanzliche in bee Agri⸗ 
eultur fi) wieberhoft, eine Zwiſchenſtufe zum frei einher⸗ 


fhreitenden und mit feinen Gütern verkehrenden menſch⸗ 
lihen Momente nicht fein fol, will der Verf. zwar ha⸗ 


ben, hat e6 aber nicht bewiefen. 
(Der Beſchlub folgt.) 


Literarifhe Notizen. 


Eine neue Schrift Brougham's. 

Lord Brougham's geiftreihe Weber bat die Melt wieker 
mit einem jener Werke befchenft, bie er in den feltenen Inter» 
‚vallen des Parteienkampfes auszuarbeiten liebt. Als Fort⸗ 
fegung der früher erfchienenen Reihe von Biographien von 
Staatsmännern find jegt von ihm „Lives of men of letters” 
erſchienen, die Biographien von Voltaire, Rouffeau, Robert: 
fon, Bla, Prieſtley, Cavendiſh, Simſon, Watt und Dav 
enthaltend. Doch findet dies Werk nicht diefelbe günftige Auf 
nahme wie die frühere Serie. Ein, Kritifer des „Quarterly 
review‘ Plagt den Verf. der Flüchtigkeit an, ein Vorwurf, den 
er hauptſächlich auf die Lebensbefchreibungen Rouſſeau's und 


Voltaire's fügt. Die Befangenheit der englifihen Kritif, wo _ 


ed fih um veligiöfe Fragen handelt, ift befannt. Nur wenige 
aufgeflärte Beifter, wie der verftorbene Dr. Arnold, Lord 
Brougham und Andere wagten und wagen es über daß literari« 
ſche Berdienft eines Schriftftellers ohne Rückblick auf feinen Blau: 
ben oder: feinen Unglauben zu urtheilen. Daher darf es nicht 
"Wunder nehmen, wenn ſich die engbrüftige englifche Froͤmmig⸗ 
Peit gegen Lord Brougham's gewagten Berfuch auflehnt, Vol⸗ 
faire gegen den Vorwurf des Atheismus zu rechtfertigen 
und feine Peindfeligfeit gegen das Chriſtenthum ald das Re⸗ 
fultat irregeleiteter, aber doch aufrichtiger Forſchung Darzuftel« 
len. Daß Voltaire's ethifcher Charakter von wefentlichen Flecken 
entftellt war, daß ex im beißen und ausdauernden Kampfe ge- 

en alte Misbräuche und fehreiende Ungerechtigkeiten, die ihre 
—2— Wurzel im blinden Autoritätsglauben, in der Macht 
und dem Anſehen einer verderbten Geiftlichfeit hatten, fo zu 
fagen dad Kind mit dem Bade ausfchüttete, und Bande Iöfle, 
die nur gelodert werden follten, wer möchte das leugnen ? 
Aber mit dem englifhen Kritiker in ihm nur den frechen Spoͤt⸗ 
ter, den rachfüchtigen Berleumder und feigen Schmeichler, den 
unermüblichen Börfenfpeculanten und unerfättliden Wucherer 

u ſehen, das kann nur einem englifhen Hochkirchenmann ein⸗ 
allen, der in der Offenbarungdgläubigkeit den einzigen Weg 
nicht allein zum Seelenheil fondern auch zu literarifcher Wür 
digfeit erblickt. Überhaupt iſt es charakteriftifch für engliſche 
Literaturzuftäande, daß Brougham fi vor allen Dingen be- 
müht, Voltaire in den Augen feiner Lefer zu einem leidlich 
guten Ehriften zu machen. . 


Bosnien. 

Das ruſſiſche Miniſterialjournal für November‘ 1844 kün⸗ 
digt ein Werk über Bodnien und die angrenzenden Länder an. 
Es erfcheint in ferbifcher Sprache mit einer Beilage von 110 
Urkunden aud dem 6. —12. Jahrhundert, und ift um fo beach⸗ 
tenswerther als die Quellen für die ältere Geſchichte Bodniens 
ſehr fpärlich fließen. 6. 





Literarifche Anzeige. 


Im Berlage von F. N. Brockhaus in Reipzig if ſoeben 
erſchienen und Durch alle Buchhandlungen zu erhalten: 


Röben (3. 9.), 
Der fouveraine chriftliche Staat, das Ende 
unferer Zeitwirren. 
Gr. 8. Geh. 1 Thlr. 15 Ngr. 


VDerantwortlicher Herausgeber: Heinrich Wrodfant., — Druck und Werlag von F. X. Wreodhans in Beipyig. 


DE EEE. 0 5— 


Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Der deutſche Zollverein und das Schutzzollſyſtem. 
Von K. H. Brüggemann. ok 
(Beſchluß and Nr. ©.) 


Indeffen es find noch die „eigenen praftifchen An- 


ſichten und Borfchläge” des Verf. zu unterfuchen, die 


Traufe der Decrete gerathen. 


“nen. Der ölonomifchen 


er (&. 104 — 195) als „die gegenwärtige Aufgabe des 
deutfchen Zollvereins, beurtheilt von dem wahren höhern, 
dem wahren, nationalen und hiftorifhen Standpunfte”, 
angegeben hat. Bon der Theorie ſcheint der Verf. 
überhaupt Fein großer Freund zu fein; denn fo eifrig 
wir auch nach ber Ausſprache des höhern Standpunkte des 
Berf. geſucht haben, wir haben fie nicht gefunden; wenn 
fie nicht die „Politit” ber „bewußten Staatstunft” und 
der „wahren Staatsmänner” fein fol, die ber Verf. als 
nationaler Factor anzuempfehlen fcheint. 
gelbandes der Politik, der Staatstunft, der Staatsmaͤn⸗ 
ner ſoll fi eine Nation erfreuen, und zwar einer be: 
wußten, wenn der Verf. faft auf berfelden Seite Wiſſen 
für einen perfonlichen Überzeugungsgrad ausgibt? Das 
hieße doch wahrlich aus dem Regen der Zölle unter bie 
Es ift aber dem Verf. 
vorzugsweiſe um das Praktifche, um eine Verftändigung 
und Ausgleihung zu thun. Zuletzt unternimmt er eine 
Drientirung über bie „allgemeine fociale Aufgabe in der 
Gegenwart”. Nachdem er gefagt, daß die „patrimoniale 
Antheildwirthfchaft” und die „commercielle Geldwirth- 
ſchaft“ die Stonomifchen Perioden der Vergangenheit ge- 
wefen, fährt er fort: 

Die in beſchleunigter Zunahme begriffene Krankheit der 
gegenwärtigen Ofonomteepoche, der Yauperißmus oder das me: 
derne Maſſenelend, ift bereits überall Gegenfland des Nachden⸗ 
kens geworden ; umd die Gegenwart ift überall in Wiſſenjſchaft 
web Praris in den Geburtöweben einer. dritten Periode, m 
welcher zwar nicht die alte patrimoniale Antheilswirthfchaft 
zurüdgeführt werden darf, jeboch der freie Verkehr wieder eine 
einheitliche Zufammenfaffung zur Befeirigung feiner Stodun: 
‚gen erhalten muß; eine Periode, welche wir allenfalls ald die 
einer nationalen ober forialen Gelbwisthfchaft bezeichnen koͤn⸗ 
Krife gebt natürlich überall die ga 

leichbebeutende und übereinflimmende flaaterechtliche, eigentli 
ogenannte potitifhe Krife zur Seite. Beide find ihrer Natur 
nah Eins und Fönnen auch überall miteinander zugleich ihre 
‚Bfung finden, 

Und nachdem er auf diefe Weiſe ausgefprochen, duß 
‚etwas da: fei und Daß: etwas geſchehen müffe, aber nicht 


Alfo des Gän⸗ 


einmal verfucht hat, in einer gegenftändlichen Vorſtellung 
das Wie zur Anfchauung zu bringen, ja durch die gan 
beliebige unerBlärte Vermiſchung mit den eigentlich poli⸗ 
tiſchen Werhältniffen fein Object fich felbft gang und 
gar verwifcht Hat, fügt er Binzu: ‘ 

Damit haben wir und nun in der Zeit orientirt und bie 
allgemeine Yufgabe der europäifchen Okonomiepolitik der Ge- 

nmwart angedeutet. Ale Vorfchläge und Maßregeln der heur 
tigen Vollswirthfchaftspflege, die nicht von dem hier angedeu: 
teten Geſichtspunkte Ausgehen halten wir für oberfkaͤchlich 
und unbedeutend. 

Nun wenn das aber auch nicht eine oberflaͤchlicht 
Manter ift, mit ben Gegenfländen zu verfahren, dan 
wiffen wir wahrlich nicht, wann wir biefes Epitheton 
gebrauden follen. Der Verf. geht hierauf die einzelrtem 
Nationen nach feiner myfteriöfen einheitlichen Idee durch, 
ohne aber auch nur im mindeften feine keck und flüch- 
tig Hingeworfenen Urtheile durch Nachweiſung zu legiti⸗ 
miren. Er fagt aber feibft: | 

Die Borzüge ber einheitlicher verfaßten Continentalftasten 
fehlen dem freien Snfelveiche fo gut wie feine Vorzüge uns 
fehlen. Bine nähere Darlegung würde zu weit 


‚führen! 


Für Preußen namentlich macht der Verf. eine gan 
neue Entdedung. Er fagt: 


Die feinem größten Monarchen vorfchwebende Idee war 
bie einer Monarchie des Gemeinwohls und einer unarifto: 
Pratifhen Volksfreiheit. 


Das ift in ber That eigenthümlich, daß der Verf. 
nicht8 vom preußifihen Abel gehört hat, nichte von dem 
Elende des Bürgerthums vor 1808, nichts davon, daf 
ein preußtfches Volk erft anerkannt worden ift, nachdem 
man feines Geldes und feines Blutes bedurfte. Es wäre 
zwar fehr wuͤnſchenswerth, wenn die Pläne von 1807—11 
oder wie anderweitig fieht von 1808-12 für Preußen 
vollftändig durchgeführt würden; aber wenn ber Verf., wie 
bemerkt, Ökonomie und Politik gänzlich identificirt, warum 
richt‘ den Zahlen ein paar Jahre zufchreiben, etwa bis 
1818 oder 18197 Sollte etwa das böfe Gefeg vom 
22. Mai 1815 den einheitlichen Wünfchen des Verf. 
oder der bewußten Staatskunſt fo fehr zumider fein? 
Zwar will er haben, daß der, Stand ber Manufacturiften 
und Kaufleute eine größere politifchere Ehre und ausge⸗ 
dehntere Theilnahme an ber Verwaltung don Staat und 


Gemeinde (ifl dem Verf. denn die , Revidirte Städte- 


ordnung“ noch nicht revidirt genug?) genießen follen, da⸗ 
mit der Induſtriegeiſt gehoben würde; aber wie haͤngt 
denn das damit zuſammen, daß er wenige Seiten früher 
die Plutokratie in Frankreich ſo fürchterlich ſchmaͤht? 
und wie damit, daß er unmittelbar davon den Landbau 
nicht durch politiſche Ehre der Bauern, ſondern durch 
„ſyſtematiſchen Aufſchluß des Bodens durch umfaſſende 
Stein - und Schienenwegebauten, Stromregulirungen und 
Einrihtung einer vollftändigen nationalen Creditorgani- 
fation” gehoben wiffen will? Aber nun in aller Welt, 
find denn Wege kein Schug für den Landmann? fein 
Zwang für ihn, wegen der erleichtesten Communication, 
und dadurch des erleichterten Gelderwerbs, fein But 
fpeculativ zu nügen, damit fo auch die Agricultur unter 
das Printip der Freiheit fommer Wollen Schugzölle 
‚etwas Anderes? Das Denken, die Speculation wollen fie 
erzeugen, und fomit die Freiheit und bie Erhebung über 
die angeborene Gewohnheit als den Boden des Lebens. 
Aber lieber präfentirt der Berf. den Honig der polifi- 
fen Ehre der Induftrie, welche jedoch leider, wie man 
zu fagen pflegt, alt und grau darüber werben Bann, ehe 
ihr Stand zu einer gewünfchten Ehre hierin zu gelan- 
gen im Stande fein möchte. Wenn ber Verf. weiter 
felbft zugefteht, daß Preußen „in den Zeiten feiner tief: 
ften äußerlichen Erniedrigung die Idee des neuen Staa- 
tes kühn erkannt habe‘, fo fragen wir ihn, was find 
Schutzzoͤlle anders als eine „äußerliche Erniedrigung”, 
und warum foll nun gerade aus diefer die innere Er- 
hebung ber Idee nicht erfolgen, wenn nur ein erhabenes 
Gemüth vorhanden, welches doch ber Verf. nicht etwa 
feinem Vaterlande abzufprechen geneigt fein möchte? Gr 
fhließe feine Betrachtungen: über die fociale Aufgabe 
der Gegenwart mit folgenden Worten: 

Was ift alfo die gegenwättige Aufgabe? De muthuolle 


Wiederaufnahme und Durchführung ber großartigen preußiſchen 
Drganifationsideen von IS08—I2 und dann in dieſer zugleich 


die Durchführung der urfprünglichen Idee des deutfchen Zoll: | 


vereind. Vermag Preußen die Idee des neuen Staat bei I 
und dadurch ſchon unabweisiih auch in Deutfchland gelten 
zu machen, fo wird ed fi) und ganz Deutfchland den fehönften 
und ruhmvollſten Antheil an der bereits im Gange feienden 
großen Bewegung, der Gegenwart zum Übergange aus ber 
Periode der blos commerciellen in die der nationalen oder fo: 
cialen Geldwirthſchaft ſichern. Und das ift eben feine Aufgabe; 
und zu ihrer Löfung beizutragen, das allein ift bie wahre Ber 
jtimmung des deutſchen Zollvereins. 

Nun auf folhen Höhen ift der Verf. vor jedem An⸗ 
griffe ficher;. die Baſis feiner Gedanken ift ein fo un- 
mögliche Terrain, daß Niemand im Stande fein wird 
darauf gegen ihn feften Fuß zu faffen. Denn erftens 
‚ft die Wiederaufnahme der Ideen von 1808 — 12 jegt 
fhon eine pure Unmöglichkeit; auch der wahrfte Staate- 
mann nad) dem Herzen. des DVerf. muß davor in ber 
tiefften Seele exrbeben. Es wird dem Verf. nicht ent- 
gangen fein, daß in feine Periobe auch das Edict vom 
27. Det. 1810 fällt, durch welches bereits im Allge 
meinen eine Nätionalrepräfentation verfptochen ift; und 
. dann bie Idee eines einigen Deutfchland, eine Wieder⸗ 
erhebung des Deutſchen Reiche, welche im Hintergrunde 


4 


jener Ideen als ihre Folie glänzt; foll dieſe auch muth- 
voll von der preufifchen Regierung durchgeführt werben ? 


ne. 


% 


Eine zweite Unmöglichkeit ift die, daß die übrigen deut⸗ 
[hen Staaten jegt den Vorgängen in Preußen fo lau⸗ 
ſchen werden, daß fie nit eilig genug biefelben bei ſich 
sinbürgern könnten. Sachen, Baden, Baiern haben 
ein ganz anderes Bewußtſein, ganz andern Willen unb 
ganz andere Mittel als die preufifche Regierung hat, 


von der doch nad des Verf. Anfichten die Initiative 


ergriffen werden fol. Eine britte Unmöglichkeit ift die, 
baf Preußen die Aufgabe haben folle, die Gegenwart 
zu veformiren. Ein folche® lebendiges Gefühl fann in 
dem Herzen eines jeden deutſchen und außerdentichen 


germaniſchen Staats pulficen, der es ernftlich mit der 


Zeit meint. Ob aber gerade Preußen noch heute bie 
fen Schlag des Lebens fühlt, if bei feiner Regierung 
zum mindeften fehr die Frage. Der Verf. hat fi alfo 
auch hier nur in einen perfönlichen LÜberzeugungegrad 
eingefponnen, den nur Diejenigen mit ihm theilen koͤn⸗ 
nen, die gleiche Idioſynkraſien als Mafftab an die Ge- 
Ihichte Tegen und die den Glauben des Verſtaͤndniſſes 
des Namens fociale Geldwirthfchaft zu haben geneigt 
fein möchten. | 

Indem der Merf. weiter die „gegenmärtige friti- 
ſche Lage des Zollvereins” befpricht, kommt er auf dem 
preußifhen Grundfag einer „verfländigen. und concreten 
Handelsfreiheit”, indem es „verfehlt fein würde, dem 
urſprünglichen preußischen Zollfgfteme alle Schugzölle ab- 
zufprechen”. Diefes preußifche Syſtem will er vertreten, 
wie er fagt, und doch nicht den mwefentlichen Zufammen- 
bang von Schugzöllen mit dem Manufackurgeifte aner« 
fennen? Freilich, fagt er, daf die Kraft des Zollvereins 
fei „die almälige Ausbreitung des preußifchen Princips 
ber Verkehröfreiheit über den ganzen Umfang des Vater⸗ 
lands”; aber do immer mit dem Grundfage der ver⸗ 
ftändigen und concreten Handelsfreiheit, alfo ‚mit den 
nothwendigen Schugzöllen nad) außen. Denn der in- 
nere gegenfeitige Verkehr ift im Zollvereine thatfächlich 
frei,. und was im Junern der einzelnen Staaten ſelbſt 
vorgeht, iſt ganz gleichgültig, wenn fie nur im äußern 
Verkehre fich affociirt haben. Man fragt eine Perfon, 
mit der man fih verbunden bat, gewiß nicht wie ihr 
Magen befhaffen ift, wenn fie nur ihren Willen in Ge- 
meinfhaft mit uns äußert. Daß aber nad aufen 
dem Dereine beifpielöweife in der Leinen- und Baum⸗ 
wolleninduftrie einen Schugzoll die öffentliche Meinung 
vorjchreibt, hat der Verf. zugeftehen müffen; und iſt nun 
die öffentliche Meinung nicht ein Wiffen, oder, mit dem Verf. 
zu veben, ein Überzeugungsgrad der Zeit? Das. ift aber 
richtig, daß Die Schugzölle nicht ewig dauern fellen; dann 
würden fie in Feſſeln ausarten: aber daß fie für eine ge- 
wiſſe Zeit nothwendig find, hat der Verf. felbft zugeftchen 
müſſen; er ift gezwungen worden, fie durch eine Hinter: 
thür wieder hineinzulaffen, um ihr dringenbes Anklopfen 
zu feuern, nachdem fein Syftem fie vorn auf die Straße 
binausgeworfen. Gr fagt zwar, feine Schugzölle hätten 
mit. denen ber Gegner nichts gemein; fo lange, er aher 


528 
dieſes wicht beweiſt und nicht diametral entgegengefegte das wahr und nicht: wahr, je nach dem inne, ber im 


Kefultate nachweifl, müffen wir. feine Ermunterungszölfe 
für ein ganz gleiches Princip halten, umb können es 
nur bedauern, daß er fie an einer Stelle flatuirt, an 
ber andern aber für ein „gefährliches Mittel” Halt. Die 
anempfohlene „Gontrebalancieung” endlih der Schug- 
zölle hat zu jehr den Weg eines ſchwachen Schaufel 
ſyſtems in politifchden Angelegenheiten, um durch Auf⸗ 
reibung der Kräfte eine allgemeine Verderbniß einzu- 
führen, als daß daraus die männlidhe Kraft der Han- 
deiöfreiheit erblühen könnte, deren fortfchreitende Reſul⸗ 
tate der Derf. zu fehen fo fehr begierig if. Es iſt im- 
mer eine Schwäche ber Syfteme fowol wie des Willens, 
einen Weg nicht mit allen Gonfequenzen zu verfolgen. 

Nun kommt ber Verf. auf feine allgemeinen Er- 
ziehungsmittel der Nationen; und zwar erſtens: „Be⸗ 
günftigung des auswärtigen Handels.” Diefer flimmen 
wir volltommen bei. Nur müſſen erſt, wie wir fchon 
bemerkt, nationale Objerte des Handel da fein, mit 
welchen zu handeln, und biefe gibt eben nur die natio- 
nale Kunft als der Inhalt und der Körper der Hans 
delsbewegung mit dem Mittel der Manufacturarbeit. 
Wir meinen auch gleihfalle, daß Differentialzölle den 
Diresten Handel’ an ſich nie erzeugen werben, wenn fte 
auch, wo er ſchon befteht, einen freundfchaftlihern Ver⸗ 
kehr an gewiffen Punkten zu mehren im Stande find. 
Der Handel ift eine freie That, eine freie Selbſtbewe⸗ 
gung, ein Leben, welches feine Mängel und Krankheiten 
aus fich abſtoßen und fich reproduciren muß; fonft ift 
es eben fein Leben. Das zweite Mittel ift die „Pflege 
der nationalen Selbftändigkeit und Allſeitigkeit; und 
wenn ber Verf. hierher Wegebauten, Creditanftalten, 
Schulen, freie Landgemeindeordnungen, Aufhebung der 
Domanialpolicei und der Patrimoniafgerichtsbarkeit, Aut 
bildung der fländifhen Verfaſſung rechnet, iſt ihm vol- 
dig beizufiimmen. Uber warum follen zur Allſeitigkeit 
nicht auch die Fabriken gehören? Zumal bei une, Die, 
wie der Verf. wol wiffen wird, in allen Höhen und 
allen Tiefen, nur nicht im eigenen Haufe einheimifc ge- 
wefen find, und jegt erſt anfangen an der Leitung ber 
sonftitutionnellen Shätigkeit vom Dimmel zur Erde her- 
nieberzufteigen. Des Verf. dritte Foderung iſt „verbop- 
pelter Eifer in Pflege der geifligen Zreiheit und fittli- 
ben Haltung der ganzen Gefellfhaft überhaupt und 
der fogenannten arbeitenden Claffen insbefondere”‘; wel⸗ 
cher ebenfalls vollkommen beizuftimmen und woritber 
um fo weniger ſich zu verbreiten nöthig iſt als eigen- 
thümliche Veranftaltungen dazu vom Verf. nicht anem⸗ 
pfoblen find. Ein Handeldminifterium, auf welches der 
Derf. deingt, ift nicht zu vermwerfen; aber es fehlen auch 
Handelsgerichte, die, wie Gans fihon bemerkt hat, aus 
dem Dareinfein in den Verhältniffen den Sprud des 
Rechts mit der lebendigen Färbung der Zeit verfehen 
werben. 

Wenn aber der Verf. ſchließlich als bie Felfen 
der preußifhen Regierung bezeichnet die Städteordnung, 


die- Volksſchule und die. allgemeine Landwehr, fo iſt 


dieſen Inftituten kreiſet und den das Volk oder bie Zeit 
bineinführt. Niemalé wird irgend eine Regierung ber 
Welt ihren Inſtituten den höthigen Inhalt zu geben 
im Stande fein ohne den Willen bes Volks. Solche 
Dinge find alfo niemals Felfen der Regierungen, fon- 
dern lediglich Baume des Volks, an denen defien Blü⸗ 
ten zu Tage geben. Das aber ift keine Empfehlung 
für Felfen, wenn der Berf. emphatifh ausruft: „An 
ihnen würden alle noch fo mächtigen oalitionen privi- 
legienfüchtiger Sonderintereffen zerfchellen oder von 
ihnen zermalmt werden; gegen diefe könne Rie- 
mand, er fei wer er wolle”; denn wenn Felfen zermal- 
men follen, fo müffen fie gefallen fein, und das wird 
der Verf. doch nicht haben fagen wollen! 
8 Marguarb, 


— — gr — — —— — — — 


Charlet. 


Vor kurzem iſt in Paris einer der beruͤhmteſten franzoͤ⸗ 
ſiſchen Zeichner, Charlet, im 53. Jahre ſeines Alters mit Tode 
abgegangen. Er war 1783 in Paris geboren und hat eine er: 
ſtaunliche Menge Zeichnungen verfertigt, welche theilweife als 
Albums gefammelt im Kunftyandel vorhanden, theild in Pri⸗ 
vatcabineten zerftreut find. Alles was Charlet gezeichnet hat 
ift mit Ausnahme Deſſen, was cr in den legten Jahren gear: 





beitet, aus dem vwirflichen, aber mit künſtlerifch wählenden und 


ins Schöne malenden Augen angefehenen Leben aufgefaßt und 
ohne Prunk, ohne Haſchen nach PFünftlich überrafchender Wir: 
fung ausgeführt; das populaire Genre erhielt durch ihn einen 
bedeutenden Aufſchwung und einen bis dahin uncrhörten Grab 
von Feinheit und Wahrheit. Charlet zeichnete gewöhnlich in 
Meinem Rormat, in freien und fichern Umriffen, die er bald mit 
dem Stift meijterlich auf Stein fEizzirte, bald mit der Feder 
fo zu ſchraffiren verjtand, daß fie radirten Blättern glichen; 
oder er fufchte und colorirte fie mit dem Pinfel in lieblich har» 
monifchem Yarbenfpiel, fodaß fülche forgfaltig ausgeführte Ar⸗ 
beiten an jene zterlihen Handzeichnungen erinnern, weldye von 
den niederländischen Genremaleen des 17. Jahrhunderts auf 
und gekommen find. Alles darin athmet Leben, Seele und 
feine£, originelled Gefühl. Gewiffermaßen wie Hogarth verfer: 
tigte er vorzugsmweife ganze Reihenfolgen von Bildern, welde, 
ohne den Anſchein vorfäglicher Belehrung, immer eine pollti⸗ 
ſche Zendenz enthielten. Seine Zeichnungen find daher an in- 
nerm geiftigen Leben noch reicher als an technifchem Gehalt, 
und tragen burchgehends das Gepräge des feinften‘ Geſchmacks. 
Selbſt in den Spottbildern überfchritt er faft nie Die Grenzen 
des Anftandes in ekelhaften Übertreibungen, und verlegte eben» 
fo wenig das Heiligthum der Kunft, die fittliche Grazie. Seine 
komiſche Mufe blieb durchweg keuſch und rein. Diefes Talent, 
das Lächerliche treffend darzuftellen und nedend zu geißeln, flößte 
mitunter befhränkten Perfonen vor feinem Wige eine Art von 
Scheu ein, die aber völlig ungegründet war; denn feine Gut⸗ 
müthigkeit, die Peine Yerfönlichfeit zu beleidigen und Keinen 
auch noch fo abgefhmadten Menfchen berabzuwürdigen ver: 
mocht hätte, übertraf noch fein Zalent. 
Charlet iſt der Beranger der Caricatur, heiter, bdrollig, 
eiftreich ; nie tft eine Bosheit auß feinem Zeichenftift noch aus 
Peiner Feder gefloffen. Ich jage abfihtlih aus feiner Feder; 
benn die gefchriebene Caricatur ergänzt bei ihm die ie 
nete, und diefer ergänzende heil in ebenfo piquant, manni 
faltig und originel als der erfte. Man kann wol fagen, baß 


2 


Charlet der eigentlihe Schöpfer jener wibigen Unterfchriften 


ift, die aus einer Lithographie zugleich ein elletriftiiches Werk 


324 


alt von zwei Weiten Yeuchten Talfen vote 
Ben un Sr ne 


on Diamant. Kein fra 


e tibung, © 
alt aufgefaßt als Charlet. 
icher Laune Earicaturen auf 
Sende hehe 
Gene — Meben, und If daher nur nad aus 

wbhaberei gefuht. Gavarni, von tieferer hiſtoriſcher Beben 
ift fo weit gegangen, als beißender, jelbft an Eynismus 
ſtreifender Spott und wigelnder Hohn gehen koͤnnen. Charlet, 
gründlicher als Catle Bernet und naiver als Gavarni, ift bei» 
nahe nie aus den Gehranten des heitern und ii 
igen Spaßes hera angen: die wunderlichen Eigen⸗ 
eiten, bie Schnurren und Witze der untern Volksclaſſen, die 
Albernheiten und Poflen ber Rekruten, die Schelmenftreiche 
der Schul: und Gaflenbuben gaben zu feinen Compofitionen 
die Motive. Gavarni führt und in die Gefellfchaft der Studen- 
ten, der Börfenmälter, der Loretten; feine Zeichnungen haben 
daher einen weit unfittlihern Inhalt; fie ſchildern und eine 
Welt, wo Alles verborben ift, fogar die Kinder. 
Charlet's Zeichnungen find ein intercflantes Stuͤck Dppo⸗ 
fition aus der Reftaurationsperiode. Als Frankreich nach dem 
- zweiten Sturze Rapoleon’6 aus glorreihem Kriegs: und Waf- 
enlärm mit einem Male in tiefen, ruhmlofen Frieden verſank, 
der Kaifer,, in dem der gemeine Franzoſe noch weniger den 
MWelteroberer als den Plebejer, den Repräfentanten der De 
mokratie abgöttifdh verehrte, in bie Verbannung und die große 
Armee auf allerhoͤchſten Befchl des zurüdgetehrten Königs 
audeinandergehen mußte; als Adel und Klerus über den 
Staats ſchatz berfturzten wie Jagdhunde über die Beute einek 
Tode gebegten Wildes; als ale alten Anſprüche und ver: 
—** Vorurtheile wieder aufwachten und die Contrerevo⸗ 
lution unter den Trümmern des Kaiſerthrons wie eine alte 
Eule aus ihrem Verſteck hervorhufchte, fühlte Charlet tief das 
Sraurige und Lächerliche in biefer von Grund aus geänderten 
Lage der Dinge, und machte feinem verhaltenen Ingrimme ge» 
gen. die neue legitimiftifche Wirthſchaft in’ Spott» und Bitten: 
bildern Luft: Die Leute, welche das Kunftverdienft und die Be: 
deutung derfelben nicht begriffen, betrachteten diefe Wilder alt 
Lappalien, ald Sfizzen, und allerdings waren ed Skizzen, in 
der Urt wie Beranger's Dden Ehanfons waren; Beine vollftän: 
dige Dichtungen mit Schlußreimen und Gaflenhauer-Refrains. 
Nie dem „angeftammten Zürftenhaufe” Hold, es vielmehr aus 
tieffter Secle verabfcheuend, hatten Beranger und Charlet von 
der erſten Reflauration an ſtill das Volk beobachtet, den 
Srund feines Herzens erforicht, und da fanden fie einen bit: 
tern, brennenden Haß gegen die Bourbon, eine fhmwärmerifche 
Begeifterung für den Kaijer, eine unverhohlene Geringfhägung 
der Staatöreligion und ihrer Diener, und verfielen fo auf den: 
elben Gedanken: audzufprehen, was die Daffe dachte und 
ühlte. Beide wußten aber wohl, daß nur Dinge, die leicht zu 
verfteben und gu behalten find, bei der Mafle Anklang und 
Eingang finden. Ein Baudevilie-Refrain, eine bekannte Melodie 
find Ginprägungsmittel, und das Luſtige, das brollig Präg- 
nante frappırt Jedermann. Charlet ftellte die Natur, von ih: 
zer feherzbafteften Seite genommen, dar, und Beranger fehrieb 
Refrains zu bewunderndwürdigen Werfen, wozu die Melodie 
nicht recht paffen wollte. Die Refraind und bie carisatur: 
artige Einkleidung waren die Laufpäfle für den tieffinnigen 
er fpöttifchen Inhalt, für die liberale und demoktatiſche Ten⸗ 
denz der Zeichnungen und Eonplets. Die zwei Künftler — die 
ich gern zufammenftelle, obſchon die Bormvollendung Dei dem 
Dichter beiweitem Toftbarer und größer ift als bei dem Jeich⸗ 
ner — verrechneten ſich nichts fie wurden populair, fo popu- 
lair, daß ihre Werke in den Schenken und Kafernen, in Kel⸗ 
lern und Dachſtuben, in glänzenden Salons und fogor in alt 


adefigen Haͤuſern eine günflige oder en ſtiſche Aufnahne 
fanden. Die unendliche Bollendung Er = ur Gpos 
Ge in Biranger, die anmütkige und geiftreige Weile db Bew 
trags und der Erfindung von Eharlet entſchuldigte in ben Au⸗ 
m Derer, welchen die Spanfont und Zeichnungen galten, ben 
ecken und verwegenen Inhalt, während dieſer Inhalt daß 


’ geicgefimte große Publikum, das ſich weniger um bie Form 


mmerte, zur Bewunderung hiariß 
(Der Veſchluß Telgt.) 


Notiz. 
Euriofe gelehrte afademifhe Abhandlungen. 


Dergleigen kamen in älterer Zeit nicht jelten vor. Go 
fegrieb 3. B. ein Advocat Heinrich Klüver in Stade zu Uns 
fang des vorigen Jahrhunderts (1710 und 1711h) ein „Be 
denten über die juriftifche Zrage, ob eine ſchwangere Frau, 
wenn fie während der Meife auf bem Wagen eines: Kindes ge- 
neſen, für felbiges Fuhrlohn zu geben gehalten fei”, und ke 
dann einen Commentar zu dem Gage folgen: „Jeder kann auf 
feinem Grund und Boden bis an den Himmel hinauf bauen”, 
worauf er nachher noch eine Abhandlung vom „Hunderecht“ 
herausgab, welche einen großen Aufwand non Belehrfamkeit 
zeigt. Ein Anderer, 3. F. Kraus, erwarb fi 1745 zu Wit 
tenberg bie Würde eines Doctors der Nechte durch eine Dis⸗ 
tation „Über dad Recht des Gefichtt im Civilproceſſe“, in- 
dem er weitläufig unterfuchte, inwieweit das bei der Geburt 
verunſtaltete Geficht die Anfprüche auf Erbfchaft, auf birger 
liche Rechte überhaupt, oder die Ahnlichfeit mit dem, Vater 
Anfprüce auf eheliche Geburt, fowie der Mangel an Ühnlich⸗ 
Seit den Verdacht firäfliden Umgangs der Mutter mit einem 
Buhlen u. f. w. bedinge- Roh ein Anderer vertheidigte 1715 
eine Abhandlung vom „Kingerrechte”; wieder ein Anderer über 
„Die durch Wilder zugefügten Beleidigungen”, imdem hierbei 
nicht unfere Spottbilder oder Garicaturen, fonbern Portraits 
im Betracht gezogen wurden, und in großen Sammlungen als 
ter akademiſcher Differtationen mögen Hierzu noch zablreidye, 
zum Theil komiſche Belege vorhanden fein; denn felbft über 
daß „Recht der Mäufe” Haben wir eine folche Streitihrift von 
einem G. 4. Struve aus jener Zeit, um nicht von dem ber 
Schafe, Ziegen und Tauben zu ſprechen. Cine der wahr 
haft komiſchſten alademifchen Streitfchriften foldger Art ift ohne 
Bweifel Dr. J. E. Schopper’s5 „Specimen de proverbio: Hände 
und Füße wachfen nicht wieder wie die Krebsſcheren“ (Ro 
ftod 1712). Der Verf. nennt es felbft ein „Specimen medi- 
cinae eurrosae”. Ein Seitenſtuͤck dazu, das aber auch den 
abſcheutichen barbariſchen Sinn jener Zeit darthut, kann die 
Abhandlung des Prof. 3. 3. Schöpfer in Roſtock (geft- 1719) 
„De gemeilis concretis’' abgeben. Er unterfuchte barin bie 
Frage, ob zuſammengewachſenen Zwillingen ®) die Folter zuer⸗ 
kannt werben koͤnne, wenn der Eine eined Verbrechens wegen. 
im Unterſuchung fei, und entichieb fie mit Jaz Die Daumen 
ünd Beinfgrauben Pönnten ohne Bedenken angelegt werben, 
fagt «x, „guia ex. tali ressione non facile alteri immi- 
nebit periculum”. Dod man würde nicht fertig, allen fol- 
Ken gelehrten Uufinn in der gelehrten Polterkammer aufzu⸗ 
fuhen und durchzumuſtern. 88. 


*) Zwei zuſammengewachſene in Ungarn geborene Maͤdchen Was 
ren nad) Roſtock gekommen. Sie warm 1170 in Syön bei Komorn 
von einer Vauerfrau geboren worden unb veiften fpäter, wie hie 
befannten fiamefifhen Smwillinge, durch ganz Europa. Ihr ob ap 
folgte ziemlich gleichzeitig, binnen etwa jmei Stunden, ungefähr Im 
18, obes 19. Jahre. Näheres über ihre Organifation in Dr. M. @.. 
Ettmäller'3 ‚Dissertatio de monstro Hungarico” (Leipzig IT). 





Berantwortlifer Herausgebers Heinrich Brockhaus. 


— Drud und Berlag von F. X. Brockhaus in Leipzig. 





— Blatter 


für 


(iterarifhe Unterhaltung. 





23. März 1846, 





dem Elſaß und der Rheinpfalz. Leipzig, Brod- 
haus. — Gr. 12. 1 Thlir. 15 Er *) 

Wir freuen uns einen zweiten Theil dieſes Werks 
anzeigen zu können, beffen erftem die gebührende Aner- 
fennung alffeitig voiderfahren if. In dem Vorworte 
zeigt uns Hr. Waagen zuvörberft eine Abweichung von 
der bisherigen Behandlungsweife an, indem er hier auch 
Nachrichten über Denkmale der Kunft mittheilt, die er 
nicht aus eigener Anfchauung kennt, weil er Drte, wo 
ſich folche befinden, überhaupt nicht beſucht hat, oder 
auch weil diefelben ihm nur aus einem oder dem an- 
dern Grunde nicht zu Gefichte gekommen find. Diefe 
„Abweichung“ ift um fo lobenswerther ale das Bud) 
bereits, mie Ref. in feiner Anzeige vorausgefagt, ein 

hrer auf Reifen geworden ift und zu den wefentlid- 
en Eigenfchaften eines folchen nächft der Zuverläffigkeit 
auch die möglichfte Vollftändigkeit der Nachrichten ge: 
hört. Gleich dem vorigen Theile bringt uns ber vor- 
liegende fieben Briefe (vom achten bis zum vierzehnten), 
in welchen ein reiches Moterial zufammengetragen und 
verarbeitet ifl. Ohne tiefer in die Einzelheiten beffelben 
einzudringen, muß Ref. fi dermalen begnügen bei Vie⸗ 
fem blos an der Oberfläche hinzuftreifen und den fehr 
ergiebigen Inhalt öfters mehr anzubeuten als ausführ: 
lich zu befprechen. 

Der erfte (achte) Brief handelt von Augs⸗ 
Burg, ber fchönen aber feider etwas veröbeten Stadt, 
die wie Nürnberg das Gepräge ihrer Gefchichte trägt. 
Während aber hier in Architektur, Sculptur und Male- 
rei der deutſche Charakter vormaltet, zeigt fi) in Augs- 
burg, auf welches Stalien durch feine Nähe und Han⸗ 
delöverbindungen einen großen Einfluß ausübte, mehr 
der italienifche Geſchmack. Wir erhalten durch die vie 
fen palaftartigen Gebäude, durch die flattlichen Brun- 
nen, durch die gewaltigen Stabtmauern und Gräben ei- 
nen vornehmen und großartigen Eindrud, der freilich 
dem mehr gemüthlichen, mannichfaltigen und malerifchen, 
welchen Nürnberg erzeugt, nachſtehen muß. Wie bürf- 


- %) WBergl. über den erſten Theil Nr. 184 und 106 d. BL. f. 1841. 
. - D. Red. 


tig auch gegen fonft enthält Augsburg doch noch Vieles, 
was den Kunftfreund lebhaft anziehen muß. Zuerft ber 
fucht Hr. Waagen das „geräumige Local” des Antiqua» 
riums, welches nicht blos antike, fondern auch mittel 
älterliche Gegenflände enthält. Gemälde aus dem 14. 
Jahrhundert fuchte er in Augsburg vergebens, und bie 
von Hrn. v. Stetten fo gerühmten Bilder Peter Kal⸗ 
tenhofer's vom 3. 1457 in der Amtöftube des Weber 
hauſes fand er beimeitem unter feiner Erwartung. Ein 
paar Manuferipte mit Miniaturen auf der Stabtbiblie- 
thet gewährten für diefe Taͤuſchung einigen Erfag. Sehr 
bedeutend ift die in einem ehemaligen Klofter aufgeftellte 
fönigliche Bildergalerie und für das Studium der ſchwa⸗ 
bifchen Malerſchule, Die einen durchaus eigenthirmlichen 
und von ber fränfifchen Schule unabhängigen Charakter 
zeigt, fehr wichtig. Hier findet man ausgezeichnete Werke 
des Altern Holbein, Hans Burgkmair’s, Bartholomäus 
Zeitbloom's, Martin Schaffner's u. A., aber auch eine 
beträchtliche Anzahl von italienifchen und nieberländifchen 
Meiftern. Wir können Hrn. Waagen in die mitunter 
zu weit ausgefponnenen Details der Befchreibung und 
Kritik, die über 40 Seiten füllen, nicht folgen, heben 
aber ale fehr anziehenb feine Charakteriſtik der ſchwaͤbi⸗ 
Shen Meifter hervor. Nach‘ den Bildern werben bie 


Kirchen gemuftert (Dom, St.-Ulrich und Afra, Annen-, 


Jakobs⸗ und Barfüßerkirche), welche trog vieler Ent⸗ 
fiellungen durch den Ungeſchmack fpäterer Zeit doch noch 
des Urfprünglihen und alterthümlich Merkwürdigen viel 
aufzumweifen haben. An die Spitze der weltlichen Ge⸗ 
bäude ftellt ber Verf. wie Billig das Rathhaus mit fei- 
nem berühmten goldenen Saale, in ber erften Hälfte 
bes 17. Jahrhunderts erbaut von Elias Hol, dem vor» 
züglichften Architekten, welchen Augsburg hervorgebracht, 
von dem andy das mit flattlichen bronzenen Statuen 
gefhmüdte Zeughaus und das Haus der Fleifcherinnung, 
ausgezeichnet durch glückliche Berhaͤltniſſe und tüchtige 
Profilirung, herrührt. Nun folgen die herrlichen Brun⸗ 
nen in der ſchoͤnen Maximilianſtraße (Auguſtus⸗ Marcus⸗ 
und Herculesbrunnen), jedem Beſucher Augsburg un⸗ 
vergeßlich. Von dem Reichthum und der Kunſtliebe der 
Fugger hat ſich wenig oder nichts mehr erhalten. Leicht 
und flüchtig ausgeführte Wandmalereien im Geſchmack 
ber Rafael'ſchen Arabesken, welche ſich in den jegt dem 
Kunſtvereine dienenden Badezimmern des Fuggerhauſes 





befinden, gelten für Arbeiten Azian's, haben aber, wie 


ſich Ref. noch im vorigen Herbſt überzeugte, nichts mit 
derfelben gemein. Dazu kommt, daß zufolge einer In- 


Schrift diefe Malereien im J. 1572 ungefertigt find, 


als Kizion bereis 35 Jahre zählte. Von den’ Werken 
ber Holzſchneide und Kupferiiehertuuft, welche Yugs- 
burg während des 16. und 17. Jahrhunderts in fo gro- 
fer Anzahl erzeugte, ebenfo von feinen berühmten Gold⸗ 
fejmiebearbeiten und Scufpturen in Elfenbein und Hol; 
legt dort feine Sammlung mehr ein würdiges Zeugniß 


ab.’ -Bieles davon findet ſich noch in den Kunfl-- und‘ 


Raritätencabineten fowie in den Schatzkammern beutfcher 
Fürften, wie denn 3. B. ber berühmte pommerfche 
Schrank in ber Kunfllammer zu Berlin eine ſolche 
ausgezeichnete Arbeit ift. | 
Der neunte Brief bringt ung Mittheilungen über Frei⸗ 
fingen, Landshut, Regensburg und Amberg. 
In Freifingen ift wol nur der Dom bemerkenswereh, ber 
nad dem Brande 1159 noch in der romanifchen Bau⸗ 
weiſe, doch ſchon mit Übergängen in den gothiſchen Stil, 
ausgeführt ift. Landshut, höchſt maleriſch gelegen und 
von dem alten Schloffe Trausnig überragt, befigt an 
feiner Martinslicche den höchften Thurm in Baiern, im 
dem derfelbe fehr ſchlank bie. zu 448 Fuß emporfteigt. 
Regensburg bietet für Kunft und Altertum mehr Aus- 
beute dar. Die Mufterung beginnt Hr. Waagen mit 
. dem alten Dom, der hinter dem neuen Dom fo verfiedt 
liegt, daß er vielen Kunftfreunden entgeht; Doch hat ihn 
Nef. zu verſchiedenen Zeiten ſtets mit dem größten In⸗ 
texeffe beſucht. Er dürfte dem 10. Jahrhundert ange- 
hören. Im Alter zunächft folgte das Schottenklofter, 
merkwürdig durch fein Portal mit einem Reichthum an 
Sculpturen, wie ihn kein anderes: Denkmal der romani⸗ 
Shen Architektur in Deutſchland aufzumweilen hat. Den 
Uebergang von biefer Baumeife in die gothifche bezeich- 
nen die fogenannte „Alte Pfarr“, die jegt nicht mehr 
zum Gottesdienfte dient, und die Kirche des aufgehobe- 
nen Nonnenflofters Niedermünſter. Nein gothifch er« 
ſcheint die bedeutende Kirche des vormaligen Dominica» 
nerkloſters; jedoch das fchönfte Monument Regensburgs 
und eine der fchönften gothiſchen Kirchen Deutichlanbe 
überhaupt bleibt immer der Dom. Bekanntlich ift durch 
die weiſe Zürforge des Könige Ludwig von Baiern das 
wahrhaft herrliche Innere deffelben von allem &rembar- 
tigen befreit, in feiner Urfprünglichteit hergeftellt und 
no mit mehren Glasgemälden der Fenſter geſchmückt 
worden, welche zu ben eriten glücklichen Verfuchen biefer 
wiebererftandenen Kunft gehören, die fpäter in Mün- 
chen den hoͤchſten Triumph errungen hat. Die Kirche 
bes ehemaligen berühmten Kloſters St. - Eimmeran, wie: 
wol ſchon im. 7. Jahrhundert geſtiftet und nach einem 
Brande 1163 wieder erbaut, befist außer ihrer Vorhalle 
wenig Urfprüngliches mehr und ift auf das fchmählichfte 
durch eine „Überkleifterung” im fpätern italieniſchen Bau⸗ 
geſchmack entſtellt. Ganz erhalten ift noch ber große 
und überaus fhöne Kreuzgang, in beffen Hofraum ber 
Fürſt von Thum und Zaris eine Grabfapelle und un 


ter derfelben eine Familiengruft hat einrichten laſſen. 
Das ehemalige Klofter ift jept zu einem fürftlichen Pa⸗ 
laſt eingerichtet und enthält eine fehr werthvolle Samm- 
lung von Bildern lebender Künſtler, von denen der Verf. 
mehre ausgezeichnete namhaft macht. Nichte minder lo⸗ 
bend gedenkt er der firrflichen Reitſchule mit Sculptu⸗ 
ven von Schwanthaler, an denen nur auszufegen, daß 
fie von Gyps und nit von Marmor find. Bei Ge- 
legenheit des Nathhaufes hätten wol als hiftorifche Merk⸗ 
wirbigfeit die unterirdiſchen Kerker beffelben und die 
noch vollftändig vorhandenen Apparate der Tchauerlichen 
Bolterfammern eine Erima verdient. Viel & 
bares enthalten auch die Sammlungen des Hiſtoriſchen 
Vereins, namentlich Gemälde alter Meiſter und unter 
diefen von Albrecht Altdorfer, der, wie Hans Schäuffe- 
fein im Nördlingen, jo in Regensburg die Kunſtweiſe 
Dürer’s einheimifc machte. Dieſe Bilder hat dem Ver⸗ 
eine ein jehr eifriger Kunftfreund und Sammler, Br. 
Kränner, verehrt, der aber auch in feinem Haufe fehr 
werthvolle Kunftgegenftände befigt, unter welchen ein 
Gemälde Jan's van Eyk, Maria den todten Chriftus 
bemweinend, von Hrn. Waagen für eine Kunſtperle erklärt 
wird. Die Walhalla hat unfer Verf. (er fchreibt im J. 
1839) noch nicht fertig gefehen; Ref., der fie ſchon ei- 
nige Male feit ihrer Vollendung beſucht, kann ibn ver- 
fihern, daß die Ausführung des Ganzen in jeder Be⸗ 
ziehung vortrefflich ift, jedoch die großartige Wirkung 
des überaus reichgejchmüdten Innern durch nichts fo. 
fehr beeinträchtigt wird als eben durch ben Kern biefer 
prachtvollen Schale, durch die Büften. 

Im zehnten Briefe komme zuerfi Ulm an die Reibe, 
eine Stadt, die vor vielen andern das Gepräge des 
Mittelaltere treu bewahrt und noch viele Denkmale def- 
felben aufzumeifen bat. ' Die bildenden Künfte fanden . 
bier einen fruchtbaren Boden, mas uns durch die noch 
erhaltenen Bauwerke, Gemälde und Sculpturen beftätigt 
wird, wiewol gegen ben ehemaligen Reichtum an Kunft- 
werten (bi6 gegen die Mitte des 16. Jahrhunderts) die 
Stadt jegt arm erfcheinen muß. Namentlich bildete die 
ulmer Dalerfchule einen Hauptzweig der ſchwäͤbiſchen 
Schule. Im Vergleiche mit dem andern Hauptzweige, 
ber Schule von Augsburg, erkennt Hr. Waagen bei je- 
ner eine mehr ideale Richtung, und findet zwiſchen bei- 
den ein ähnliches Verhaͤltniß wie zwifchen der floren- 
tinifchen und umbrifchen Schule derfelben Zeit. Gine 
ſehr ausführlihe Beſchreibung und Würdigung erhält 
zuerft. das berühmte Münfter (S. 138 — 160), wel» 
ches durch fehr viel Mertwürbiges, vorzüglich durch die 
Schaffner’fchen Bilder, das fchöne Sacramenthaus, Haupt- 
fähli aber durch die vortrefflich in Holz gefchnigten 
CHorftühle Jörg Syrlin's des Alten ausgezeichnet if. 
Nach dem Dome bildet der fogenannte Fifchlaften, ein 
anfehnlicher Brunnen auf dem Markte, Ums merheür- 
digſtes Kunſtdenkmal, doch bietet bie Stadt an und in 
vielen alten Häufern dem Forfcher noch mancherlei In⸗ 
texeffantes dar. Auf der Weiterreife befuchs der Verf. 
die im beutfch - romaniichen Stil erbauten Kirchen zu 


7: 


Jaurnbdau und Brenz, und eine kleine gothifche Kirche 
auf dem Heerberge, welche nicht ahnen läßt, daß fie ein 
bedeutendes Denkmal ber fhwäbifchen Malerfchule an 
igeem Altarſchrein beſitzt. Das Innere deſſelben ent⸗ 
haͤlt geſchnigte und bemalte Figuten, aber Flügel, Staf⸗ 
fel und Rüdfeite beglaubigte Malereien von B. Zeit⸗ 
bloom. Auh Hal befigt manche intereffante Schnig- 
werte am Altarfchreinen und an einer Grablegung in 
lebensgroßen Figuren ein bedeutendes "Kunftdentmal. In 
Komburg befindet ſich in der Kirche der vormaligen Be- 
nebictinerabtei ein fehr reiches, kuͤnſtleriſches Antependium 
aus der erſten Hälfte des 13. Jahrhunderts (abgebildet 
in Boiſſeréee's, Denkmaͤlern der Baukunſt am Niederehein‘‘) 
und im Kloſter zu Blaubeuren ein Altarſchrein, „deſſen 
"bemalte Schnigwerte zu dem Schönften gehören mas 
Deutſchland von diefer Kunftweife befigt”. Eben geht 
‚ums eine Anfündigung zu von einem Stiche diefes Werks 
nach einer Zeichnung Heideloff's, der nach allgemeiner 
Annahme die Arbeit dem Syrlin zufchreibt, welcher An- 
fihe aber Hr. Waagen entgegen ifl. Noch befpridht 
berfelbe in diefem Briefe eine in Holz gefchnigte Figur 
im Schloffe Erbach, einige Steinreliefs in ber Vorhalle 
der Kicche zu Oberdifchingen, einen Altarfchrein in ber 
Bottesaderkicche unmeit des Dorfes Rißdingen, ein Schnig- 
wert zu Reutti an der Donau und eine Sammlung von 
Kunftdentmälern des Profeffors Durſch in Ehingen. 

. Dex elfte Brief ift aus Stuttgart datirtim 3. 1842, 
mithin vier Jahre jünger als der vorige. Hier empfängt 
den Verf. ein fehr günfliger Genius locı und ein nicht 
unerhebliches Zeld für feine Forſchungen. Diefe began- 
nen mit ber Stiftöfirche, einem immerhin noch bedeu⸗ 
tenden Bau im dem ſchon minder reinen gothifchen Ge⸗ 
ſchmack der Zeit (1460), worin beſonders der Chor mit 
den flattlichen Stanbbildern der alten Grafen von Wür- 
temberg einen reichen Eindrud hervorbringt. Zunahfl 
unterfucht der Verf. in der öffentlichen und in der Pri⸗ 
vatbibliothet des Könige die zahlreichen Evangeliarien 
und Pfalterien, deren Miniaturen wie gewöhnlich ihn 
lebhaft beſchäftigen. Im Böniglihen Schloffe erregen 
vor Allem das Intereſſe des Kunfifreundes die Gemälde 
von Wächter und Schi, durch welche nach dem Bor- 
gange von Garftene der Anbrud einer neuen Ara für 
bie deutfche Kunft bezeichnet wird; auch die neuen Fres⸗ 
ten von Gegenbauer verdienen Aufmerkſamkeit. In dem 
neuen Kunftgebäude waren die Gemälde, deren fchägbare 
Sammlung man felbft durch namhafte @elbopfer zu 
vergrößern bemüht tft, noch nicht aufgeftellt, doch bereits 
die reiche Sammlung von Gopsabgüffen feiner Werke, 
welche Thorwaldſen der Anftalt zum Gefchent gemacht, 
zur Stelle. Kine fehr. ausführlide Beſchreibung weiht 
Hr. Waagen der auch Ref. wohlbekannten Sammlung 
affbeutfcher und altniederlandiſcher Gemälde des Hrnu. 
Dberprocuratore Abel, welche für die Geſchichte ber 
ſchwaͤbiſchen Schule viel Wichtiges unb namentlich aus 


— Arbeiten von B. Zeitbloem enthält. Schöne 
er „aus den glücklichſten Epochen der italieniſchen 
und nieberlänbifchen Säulen “ ſah Hr. Wangen noch 


x 


bei dem englifhen Gefandten Sir George Shee, Lega⸗ 


tionsrath v. Kölle, Kriegsrath Landauer, ‘dem franzöfi- 
hen Gefandten Grafen Fontenay und Kanzleirath Bührs. 
len. Wenn ihn die Statue Schiller's von Thorwalbfen 
nicht ganz befriedigt, fo werden ihm fehr Viele barin 
beiftimmen, welchen die Auffaffung des Dichterfopfes in 
Danneder’s Foloffaler Marmorbüfte wahrer und darum 
ſchoͤner erſcheint. Endlich fehlt es auch in ber Men⸗ 
ſchenwelt Stuttgarts unſerm Verf. nicht an intereſſanten 
Begegnungen und an einer wohlthuenden, ihm dort mehr 
als anderswo vorgekommenen Anerkennung ſeiner ſchrift⸗ 
ſtelleriſchen Arbeiten auf dem Felde der Kunſtgeſchichte, 
welcher Anerkennung er aber allenthalben gewiß ſein 
kann, wo der Sinn für edle Beſtrebungen und bewährte 
Leiftungen noch nicht erftorben ift. 

Auf Stuttgart folgen Mühlhaufen am Nedar, Eß— 
lingen, Göppingen, Klofter Lord, Weilheim, Urach, Tü⸗ 
bingen, Herrenberg, Kentheim, Tiefenbronn, Maulbronn 
und Heilbronn, über deren artiftifche Merkwürdigkeiten 
Hr. Waagen nicht ſowol aus eigener Anſchauung als 
viehmehr nach ben bekannten Mittheilungen Grüneifen’s 
und Mauch's („Sendfchreiben” und „Ulms Künſtlerleben 
im Mittelalter”) berichtet. Den Beſchluß des Briefes 
macht Karlsruhe, welches Hr. Waagen jegt ebenfalls 
nicht perfönlich befucht, indeffen gibt er doch von ben 
neuen duch Hübfch ausgeführten Bauten, von bem- 
Frescobilde Schwind's und von einigen Hauptbilbern 
der Gemälbefammlung, die ihm bei feiner Anmefenheit 
1818 aufgefallen, einige Nachricht. Der herrlichen Sta⸗ 
tue Karl Friedrich’ mit den Statuen ber vier badi⸗ 
[hen Kreife am Piedeſtal, einer Meifterarbeit Schwan- 
thaler’s, gefhicht noch Feine Erwähnung. 

(Der Beſchluß folgt.) 
Charlet. 
Eu (Beſchluß aus Nr. 81.) 

Eharlet hat zwei Fächer, in denen er Meifter iſt: die 
Soldaten und die Kinder. Seine alten Eiſenfreſſer aus 
den Rapoleon’fchen Heeren machten ihn zuerft als Zeichner be» 
rühmt; Keiner, felbft Horace Bernet nicht, hat den Typus des 
alten Brummbärs, ded fogenannten Grognard, fo vortrefflih 
aufgefaßt. Die Haltung der Arme und Beine, die von Der 
Bärenmüsge gerunzelten und binaufgezogenen Augenbrauen, ba 
gefurchte und gebräunte Antlig mit dem fürchterlihen Schnurr⸗ 
bart, das ganze Geberdenfpiel, die ganze Gehabung ded Sol⸗ 
daten der alten Kaifergarde wußte der talentvolle Kuͤnſtler 
mit unvergleichlicher Kraft und Reinheit wiederzugeben. Bon 
Charlet rührt das bekannte: „Le petit caporal, Fautre!”... 
Er ift der Rapoleon von allen Malern Rapoleon’8; mit einigen 
Strichen zeichnete ex den Umriß des Kaiferd fo täujchend ähn⸗ 
lich und lebendig, daß ae Reiterftatuen-Zabrifanten darüber aus 
der Haut fahren möchten. Charlet gefiel fid vor Allem in den 
Erinnerungen an den Kaifer, an den Ruhm der großen Urs 
mee; er war 'ein eingefleifchter Imperialift und unermüdlicher 
Repräfentant des Gedankens, daß die —I die große Ra⸗ 
tion ſind; ſeine Zeichnungen ſchlugen faſt immer eine patrioti⸗ 
ſche Saite an und ſchmeichelten hauptſaͤchlich der franzoͤſiſchen 
Nationaleitelkeit, ſodaß fie uns zum Theil wie Gascognaden er⸗ 
ſcheinen, die jedoch immer inſofern in Ehren zu ra und 


Amen Schmerz eined ganzen 


gelten zu laffen find, als fie ein gemeinſames Gefühl, einen 
gemein] 


tolz, einen gemeinfamen 


* 


Bolkes ausdrücken. Gs find tiefe politiſche U andlungen, ge: 
chrieben wider Wiffen und Willen, und wie Beranger'd Chan⸗ 
—— fo haben Eharlet'8 Zeichnungen ebenfo viel und mehr 
als die Journale der Oppofitionspreile beigetragen, ben unter 
der Ufche glimmenden Volkshaß gegen die Bourbons in be: 
Rändiger Glut zu erhalten und fo lange anzufadhen, bis er 
endlih in hellen Flammen aufloberte. 

@ine eigene Unterabtheilung der Charlet'ſchen Soldaten 
bilden die Eonferits. Der Bauernjunge im Soldatenrode, Res 
Erut genannt, iſt in Frankreich wie allenthalben das naivfte, 
Leichtgläubigfie Geſchoͤpf unter der Sonne. Ber vornehmfte 
Gharakterzug deſſelben ift sine unbegrenzte, unglaubliche Eitel- 
keit auf feine Uniform und feine, Perfon, und das riefenmäßig 
Fabelhafte ift ihm genehm und glaubwürdig, ſobald es dieſe 
feine @itelleit Figelt. Im Rrieden träumt er in Paris von 
vornehmen Weibern und Madchen, Gräfinnen und Prinzeffin- 
nen, die fi in ihn verlieben und ihn zum Gluͤcklichſten der 
Sterblichen machen. inftweilen und in Grwartung biefer 
Gtüdsfonne Indpft er feine Kamafchen, macht links und rechts, 
und um dem trägen Gluͤcke nachzuhelfen, bringt er von Zeit 
zu Seit fein letztes Zwanzigſousſtück zu der Karten age 
bie es natürlich an Prinzeffinnen und Königinnen nit Tehlen 
läßt und davon gibt fo viel er will; oder er beſucht In feis 
nen Preiftunden den Jardin des Plantes und die Elyſaͤiſchen 

eider, wo ihm fein Nachbar zur Rechten oder zur Linken den 

parpfennig aus der Taſche wegprafticirt, während er mit 
flarren Augen die Herrlichkeiten der Menagerie betrachtet und 
den Späßen des Bären Martin zufieht, oder die Kunftftüde 
der fahrenden, Wundermaͤnner angafft und vor Erflaunen über 
das Berfchlingen der Kröten, Dolde, Schlangen, Schwerter 
und glühenden Kohlen den Mund aufreißt. Charlet's Rekru⸗ 
ten, in allen dieſen Sitwationen durchgeführt, find einzig. 
Keinem Andern ift ed gelungen, bas Etwas von Pinfel und 
Kölpel zugleich, Das Gemifh von bäurifchem und foldatifchem 
Weſen, welches die franzoͤſiſchen Eonfcribirten auszeichnet, die 
pfiffige Dummbartsmiene der Einen und die geſpreizte Erobe⸗ 
rermiene der Andern, fo komiſch auszudrücken. Mit köſtlichem 
Vergnügen betrachtete ich z. B. oft die Caricatur, auf wel 
der man einen jungen Soldaten vor einem —A ‚in 
buntem, geheimnißvollem Anzuge fieht, der ihm mit hochwich⸗ 
tiger Miene fein zulünftiges Schickſal folgendermaßen verfün: 
det: „Eine vornehme, rein, mächtige Yringefin verliebt fich 
fterblich in einen jungen franzöfifhen und blonden Corporal 
auf der Parade; fie laßt ihn entführen und in ihre Staaten 
bringen, wo er, wie die Regierung, auf Koften der Prin- 
zeffin freie Wohnung, freie Kot und freie Wäfche hat.” Und 
während ber jun e Corporal in pausbädiger Glorie feiner zu: 
Tünftigen Gr e borcht und fi in der Erhebung über feine 
Kameraden aufbläft, flichlt ihm der Hanswurft das Schnupf: 
tuch aus dem Tſchacko, den er aus Ehrfurdt vor einer fo 
wichtigen Perfon abgezogen bat, er, der fonft überall fürchtet, 
ber Soldatenehre etwas zu vergeben, ‚wenn er anders ald mit 
bedecktem Haupte erfchiene. er hat endlich nicht manchmal 
bis zum Weinen gelacht über jene Meinen, mit ebenfo feinem 
Gefühl als mit Witz, Laune, Geift und Ausdrud behandelten 


- Meifterwerke, welche folgende Unterfchriften führen: „Si j'etais 
tant seulement le polichinelle!” ‚Je m’ai pas assez mefi6 


de la payse!“ ‚Vous seriez le petit caporal lui - m&me, 
nd je vous dis qu’on ne passe pas!” In dem legtern 
Blotte ſticht die entfchloffene und grimmige Haltung des wüs 
thenden Soldatenknirpfes aufs ergöglichite gegen die wohlwol⸗ 
Iende, fhmunzelnde Ruhe Rapoleon’s ab. 
„Als die alten Kalfergardiften und die jungen Rekruten 
aufgebraudt waren, machte fih Charlet Hinter die Kinder. 
Sein feines und originelles Raturgefühl bewährte fi auch in 
diefer neuen Studienreihe. Er iſt von nalver, anmuthiger 
Wahrheit in der Darftellung fchelmifcher oder trogöpfiger Kin: 
derphyfiognomien; der Gamin, die Buben aus der Schule ber 
chriſtlichen Lehrbrüder oder des gegenfeitigen Unterrichts find 


dttlich wenn er fie ſorechen ober handeln laͤßt. Er weiß in 
einen Peinen Kinderbramen das allzu Kinbifche zu vermeiden, 
und gibt felbft den unbedeutendften Borgän en ein anziehendes 
Relief durch die Fuͤlle von heiterer, gutsnütdiger Laune, bie er 
darüber audgieft. Einige enthalten fogar verſteckte Lectionen 
von einer gewiſſen Gchußweite, wie bas ſchoͤne Blatt, welches 
einen Irupp Urbeiterbuben darftellt, die mit Kindern von rei» 
hen Altern Soldatchen fpielen. Der größte von den ſchlecht 
gefleideten wilden Rangen droht ben gut angezogenen kleinen 
Kameraben mit einer Tracht Prügel, wenn fie, wierer fagt, 
immer Generäle fein wollen. 
Nach der Julizevolution feheint ed, als wäre dem Künfl- 
ler der populaire Inftinct ausge angen, welchem er den eigen- 
thümlichen Charakter feines entd verdankte. Sei es, daß 
er geiftig erfchöpft oder daß feine Beipaber verfiecht war, von 
jener Beit an verließ Eharlet der ‚wo er fo reichliche 
Lorbern gepflüdt und tappte.wie im Finſtern umher, ohne be 
flimmte Richtung und Mares Bewußtfein. Seine Ausführung 
litt ſehr darunter. Da er von der Natur abying, die ihn ſtets 
jo glücklich inſpirirt hatte, gebrach es ihm plöglih an einem 
Anhaltspunkte, weil fein Talent ſich durchaus nicht nad claffi- 
ſchen Studien gebildet hatte. eine Hand wurde ſchwer und 
fein Gedächtniß lieferte ihm nur noch ſchematiſche Sppen oder 
todte Nachahmungen von alten Muftern. Seine legten Lithos . 
arapbien find mit Ausnahme einiger, weldhe die gefhabte Ma- 
nier nachahmen und eine gewiſſe Farbe Haben, keineswegs Das, 
was man von Eharlet hätte erwarten follen, welches um fe 
auffalender, da er noch nicht alt war und im runde noch 
immer acht oder zehn Jahre hätte fortarbeiten können; aber 
der gufe Charlet war der neuen Generation fremd geworden 
und im Kaiferreich ftehen geblieben, deffen Sitten und Sprache 
und Ideen er beibehalten hatte. Er gehörte Peiner Schule, 
Beiner Coterie an, und hatte Beinen andern Lehrmeifter als 
die Natur und feine Phantaſie. Bon feinen zahlreichen Rach⸗ 
folgern und Schülern find einige mit ihrer Zeit fortgegangen- 
Belange macht faft ebenfo ähnliche alte Grognards als bie 
von Eharlet, nur fehlt Ihnen der feine, belebende Hauch des 
Meiftere. Maffet kommt dem Geifte Ehurlet's am nächften, 
und man hat von ihm vortreffliche Schlachtftüce. Gr ift nicht 
beftändig gleich heiter und launig, u aber mitunter eine poe= 
tiſche Ader getroffen, die man bei feinem Vorgänger vermißt. 
Charlet war von fehr großer Statur und martialiſchem 
ußern, zumal in feiner Untform als Gapitain einer Grena⸗ 
biercompagnie ber Rationalgarde: er hatte den Kopf Des olym- . 
Bilden Beuß, aber bes Beus bei guter Laune und in ſarkaſti⸗ 
her Wachtmeiſterſtimmung. Sein Verleger ift reih an i 
geworden, er felbft aber nicht reich geitorben, obſchon er in 
feiner glänzenden Zeit außerordentliche Einnahmen hatte. Er 
lebte einfach, aber nicht oͤkonomiſch; gleich Denjenigen, die in 
ber gefahrvollen Unſicherheit ihres Lebens fi) ganz dem Glücke 
und Genuſſe des Augenblicks bingeben, weil fie nit wiflen, 
ch die nächte Zukunft noch ihnen ift, gleich den von ihm fo 
heiß geliebten Soldaten hatte er bie Bemohngeit, von dem 
Zage zu nehmen was er gab, und nur an die Gegenwart und 
fih felbft zu denken, ſodaß er gleih reih war, er mochte 
10,000 Thaler oder 10,000 Groſchen jährlich einnehmen. @eine 
Lithographien allein haben ihm cine halbe Million eingebracht; 
außerdem gibt es von ihm eine ungeheure Anzahl von Zeber:, 
Tuſch-, Kreide:, Aquarell: und Paftellzeichnungen, die er mit 
wunderbarer Leichtigkeit anfertigte und zu hohen Preifen ver: 
kaufte, und man darf wol annehmen, daß er damit ebenfo 
viel als mit feinen Steinzeichnungen verdient bat, fodaß er 
alfo während feines Lebens wenigftens eine Million Branch 
eingenommen bat. Man fieht, dad franzöfiihe Publicum weiß 
feine Lieblinge zu belohnen und bezahlt feine Bünftlinge Bö- 
niglich; es läßt ſich in feinen Spmpathien dur die Schul 
haͤen wenig irre machen, und wenn es daxauf anloınmt, 
Gluͤck und Ruhm zu. fpenden, thut man immer noch am beften, 
ed feiner Entjcheidung zu überlaflen. . 


Berantwortlicher Herausgeber: Heiurich Brockhaus. — Druck und Belag von F. X. Broddans in Leiprig. 


I 





u 


PRATER A ES LIERERBLRTRM u. .. 


an ucih 


Blätter 


' für 


literariſche Unterhaltung. 





Dienftag 





Zweiter Thril. 
(Behind aus Mr. ., 

Der gweölfte Brief iR 5843 aus Daſel datiert und 
verfegt und zuerſt in das liebliche Freiburg im Breiegar, 
weiches aber ber Verf. auch nicht jept, fondern zum Ief- 
ten Male vor 20 Jahren befircchte. Seine Mittheitungen 
betreffen worgiglich das herrliche Münfter, find aber micht 
vellftändig, da z. B. son ben ſchoͤnen Glasmalereien ber 
Gehritver Helnle u. m. U. noch nicht die Rebe if. So 
kennt er auch noch wicht bie fchöne alte, im zomanifchen 
Stil erbaute Kirche, welche von Tennbach hierher wer- 
fegt und ven Hibfch mit einem achteckigen Thurme ge- 
kmäaßt wurde, und bie jept zum evangeliſchen Gottes⸗ 
enfte benutzt wird. Das alte Bafel bietet dem Kunfl- 
freunde nach manchen Stoff zu Genuͤſſen dar. Zuerſt das 
Münfter, son deffen arſprünglichem Bau, der 1019 be- 
reits eingeweiht wurde, wol nur äußerſt wenig noch er⸗ 


fein mag. Sehr Thon ift feine hohe Rage auf 


der fogenamnten Pfalz mit der Ausſicht auf Flug, Stadt 
ud Umgebung. Bon ber frühen Ausübung der Ma- 
Ierei in Dafel zeugen einige Tobtentänze, von denen aber 
nur nod) Copien vorhanden find; doch ihre höchſte Bluͤte 
exreichte die Malerei dadurch, daß die beruͤhmte Maler⸗ 
familie der Holbein, wahrſcheinlich ſeit 1517, von Augs⸗ 
vurg hiecher überfiebelte. Auch in literariſcher Beziehung 
war jene Zeit für Baſel eine fche bedeutende, als Eras 
uns von Motterbam, der gelehrte Buchdrucker Ichannes 
Aroben, ber berühmee Geograph Sebaſtian Münfter und 
der Reformator Dlolampabius gleichzeitig dert leb⸗ 
“en. Es iſt begreiflich, daß ber Sinflich eines Meifters 
wie des jüngern Holbein auf alle Faͤcher der Kunft ſehr 
groß fein muß, um fo mehr hat es Bafel zu beifagen, 
daß derfelde nur bis zum J. 1520 deut: anfäffig blieb 
zb Tmäter won England aus nur beſuchsweiſe ſich laͤn⸗ 
geve aber Bürzere Zeit in Baſel aufhielt. Ein noch 
größeres Unglud brachte die Meformationszct, als am 

dhermittwmed 1529 ein Fürslicker Bilderflurm in den 


| ae ſtattfand und der große Reichchum derſelben an 
Aunfiwerten 


durch bie Bürger auf zmäf Haufen ver⸗ 
beannt wurde. Auch In fpäterer Zeit bat Baſel noch 


manches bedeutende Aunſtwerk eingeküife, wie dem z. B. 
Hobalnas Kedlihmins ‚Bumıdide der Jamilie des Bizge- : 


24. März 1846. _ 


meiſters Meyer in Aubetung der heiligen Jungfrau einge 
Hauptzierde der Tönigl. Galerie in Dresden bildet und 
das Büdniß des Kaufmauns Georg Bufi ‚gegenwärtig 
die Krone der Portraite deutſcher Schule im Mufeum 
gu Berlin if’. Aller diefer Werlufte ungeachtet hat doch 
Sein Det in der Welt noch heute fo viele Denkmale non 
Holbein’s Kunſt aufzumeifen als bie öffentliche Biblia⸗ 
shet in Bafel. Sie entſtammen heuptfächlich der Samm⸗ 
fung oder Kunſtkammer des wit Erasmus en 

sen Dr. Bonifacins Amerbach, weiche die Regierung 1661 
von den Erben deffelden erwarb, und der Kunſtkammer 
der Familie Feſch, weiche 1823 dem Stante anheinfid. 
Jetzt foll ein Maſeum für dieſe Schäge eingerichtet wer⸗ 
den. Bei ber fehr genauen und liebevollen Betrachtung, 
weiche der Verf. ben Bildern weiht, kann Mef. ihn nicht 
zu allen Einzelheiten derfelben ‘begleiten, aber es hat ihn 
innig gefreut bier beftätigt: zu finden, was er felbft pwei 
Jahre: fruiger. in feinen Zogrhüchern. über - biefe Bilder, 
namentli die kleine Paſſion, den Leichnam Chxriſti, ei⸗ 
nige Bildniſſe u. |. m. angemerkt hat. Ebenſo gewiffen- 
Haft wie die Bilder werden auch die zahlreichen Zeich⸗ 
nungen ˖ Holbein's gemuſtert, unter weichen: ſich Gartens 
zu Glasgemaͤlden, Zeichnungen für Gold⸗ und Waffen⸗ 
Schmiede u. a. befinden. Im RNathhauſe, einem Fyit- 
gothifchen Bau, defien malerifche Wirkung man aus 
Quaglio's Zeichnung kennt, findet Hr. Waagen bie Wap- 
pen der zwölf Cautone in Glaſsmalereien und in dem hier 
aufbewahrten Theile des vormaligen Domſchatzes mehre 
Gegenſtände bemerlenswerth. Endlich bieten noch tie 
Drivatfammdungen der Herren Peter Viſcher, Maͤglin, 
Speyr und Miville Krug manches hoͤchſt fchägbare Denf- 
mol ber Kauft und des Alterthums bar. = 

Im dreizehnten Weiefe folgen wir dem Verf. nat 

Kolmar, wohin er ſich der unbezweifelt echten Gemaͤlde 
Martin Schongauer's wegen begab: Was von diefen 
noch vorhanden (demn auch Hier hat die Meformations- 
zeit und noch mehr Die franzöfiice Revolution ihren 
Vandalismus an ben Kunſtalterthürmern bewährt), befin- 
det ſich auf der Bibliothek und in der einfichtsvollen 
Pflege des Archivars Hugot. Mit großer Genauigkezt 
prüft und beſchreibt Hr. Wangen dieſe merkwurbigen 
Bilder und wo er nicht ganz mit Paffavant umd 
Quandt über ihre Echcheit rinverſtanden ift, rechtfertigt 


33 
er feine Anficht fehr überzeugend. Das Hauptbilb des | Erfindung eine Lichtquelle im Reiche des Wiffens ge- 


Meifters, Maria im Nofenhag, hängt im Seitenſchiff 
der St. - Martinsliche leider etwas zu hoch, macht: aber 
auch fo einen fehr lieblichen Eindruck und läßt une in 
den Wunfch des Verf. einftimmen, daß dieſes koſtbarſte 
Werk des großen Meifters, mit beffen übrigen Bildern 
in der neuen Räumlichkeit vereint, vor weiterm Verderb 
bewahrt und den Kunftfreunden möglichft genießbar auf- 
geftelit werde. 

Der Brief ift aus Strassburg datirt (Nov. 1343), 
welches nun an die Reihe fommt und wie billig unfern 
Berf. ungemein befhäftigt. Nachdem er zuerfl einen 
Bid ‚auf die günftige geogsaphifche Lage, die Geſchichte, 
die Blüte und Bedeutung ber Stadt im Mittelalter bis 
auf die newefte Zeit geworfen, begibt er ſich an die Be⸗ 
trachtung des Münfters, bei welcher Genuß und Beleh- 
sung fih in feltenem Grade die Hand bieten, da man 
Hier wie an keinem andern Gebäude die gothifche Archi⸗ 
iektur von ihrer Entwicklung aus der fpät romanifchen 
Baumeife bis zu ihrer höchften und reinften Ausbildung 
und wieder in ihrer Abnahme bis zu ihrer völligen Aus- 
artung durch alle Stufen verfolgen kann. Wie viel 
Gruͤndliches und Schönes man auch bereits über das 
Muͤnſter gelefen oder an Ort und Stelle ſelbſt gedacht 
und empfunden haben mag, fo wird man dod) mit er- 
neutem Intereffe den Verf. duch alle Theile des merk⸗ 
würdigen Gebäudes begleiten, feinen hiftorifhen und ar- 
tiftifchen Auseinanberfegungen ein aufmerkſames Ohr 
feihen und in feine begeifterte Bewunderung einftimmen. 
Aufgefallen ift es Ref., daß Hr. Waagen nur von drei 
Keiterfiatuen (Chlodwig, Dagobert und Rudolf von 
Habsburg) an drei vorfpringenden Pfeilern der Vorder⸗ 
feite fpricht, da doch noch eine vierte, allerdings erſt 
in neuerer Zeit aufgeftellte, aber doch lange vor 1843 
dazu gekommen ifl. Vergebens freute fih Ref. ſchon 
im voraus bei diefer Gelegenheit mit bem DBerf. auch 
in der Indignation zu fompathifiren, denn jener ſtei⸗ 
nerne Reiter ift kein anderer als der Lönigliche Räuber 
des Eifaffee, Ludwig XIV., welcher Namen in großen 
weißen Lettern auf ſchwarzem Grunde zu leſen ift. 
Ebenſo fcheint Hr. Wangen die Statue Butenberg’s 
von David, welche, beiläufig bemerkt, nicht auf dem 
Dlage vor dem Münfter, fondern weiter bavon auf, dem 
@emüfemarkte (Marche aux herbes) ſteht und bie Ref. 
ſchon 1842 dort fah, nicht aus Autopfie zu kennen, er 
würbe fonft auf dem Drudbogen, ben Gutenberg Hält, 
nicht gelefen haben: Fiat lux! fondern: Et la lumiere 
fut. 8. v. Quandt in feiner eben erfchienenen Schrift 
(„Reife ins mittägige Frankreich“) fallt nicht nur über 
dieſe Statue ein fehr ungünfliges Urtheil, was fie nicht 
ganz verdient, ſondern tadelt auch befonderd die ange 
führten Worte, weil einmal Gutenberg nie ein franzöf- 
ſiſches Wort gedrudt und weil das Kichtwerden feine 
Folge der Buchdruderei, fondern umgekehrt biefe eine 
VSolge von jenem fi. Wir können hierin Hrn. v. Quandt 
‚nicht weht geben und nehmen die Worte in ber gewiß 
vom Künftler felbft gemeinten Bedeutung, daß jene große 


worden fei. . 

In der Thomaskirche, deren Architektur ein ſchoͤnes 
Beifpiel von dem Übergang des romanifchen Bauſtils 
in ben gothifchen barbietet, findet Hr. Waagen das ber 
rühmte Monument bes Marſchalls non Sachſen von 
Pigalle, welches er fehr wahr ein rechtes Prachteremplar 
von dem verkehrten Gefhmad jener Zeit nennt Im 
dem fihönen gothifchen Chor der alten Peterskirche be- 
finden fi) neun Bilder aus der Paffıon, in deren un« 
befanntem Meifter der Verf. einen tüchtigen, dem Mar⸗ 
tin Schongauer verwandten Künftler erfennen will. Seit 
1840 beſiht Strasburg auch ein fiäbtifches Muſeum, 
welches in den prächtigen Sälen des Stadthauſes ein- 
gerichtet ift. Unter den vom Verf. namhaft gemachten 
Bildern hat Ref. mit Verwundexung eine heilige Apol- 
lonia (Ste. « Apolline) vermißt, bie man oft für ein Werk 
Rafael's hielt, jegt aber im Katalog mit dem Namen 
Perugino's bezeichnet findet. Hr. v. Quandt hält diefes 
Bild für eine theilweife alte Eopie der dem F. Francia 
zugefchriebenen in Münden befindlichen Madonna vor 
dem Üofengehege, und zwar für eine aus Verehrung 
für Francia von Rafael felbft angefertigte Copie oder 
vielmehr Reproduction „aus der liebevollſten Grinne- 
rung”. Die dem Martin Scongauer zugefchriebene 
Derfpottung Chriſti erfennen Hr. Waagen wie Hr. v. 
Quandt nicht als ein Werk diefes Meifters an. Die 
Vermählung der heiligen Katharina, die ber Katalog’ 
dem Lukas von Leyden beimißt, hält Hr. v. Quandt 
nur für ein Werk der Eyk'ſchen Schule, während der 
Verf. nad dem Vorgange Paffavanı's das Bild für ein 
ganz ficheres und fehr ausgezeichnetes Wert bes Hans 
Memling und für das werthvollſte Gemälde der ganıen 
Sammlung erklärt. Endlich enthält noch die Univerfi- 
tätsbibliothek eine fehr merkwürdige Sammlung von rö⸗ 
mifchen Witerthümern und in ber vormaligen Domini« 
canerkirche, worin jegt ein großer Theil der Bibliothek 
aufgeſtellt ift, eine Reihe ausgezeichnet ſchöner Glasge⸗ 
mälde. Unter den merkwürdigen Hanbſchriften iſt ber 
„Codex argenteus” wichtig, unferm Berf. aber beiweitem 
intereffanter ber „„Hortus deliciarum” der Abtiffin Herrab 
von Landöperg, weil biefer Gober das einzige Denkmal 
ift, weiches von der Art und Stufe der Malerei im 
Elſaß aus dem 12. Jahrhundert eine anſchauliche Bor- 
ftellung gibt, weshalb Hr. Waagen ihm eine fehr aus⸗ 
führliche Betrachtung widmet. 

Der vierzehnte Brief ift aus Oppenheim vom 21. 
Nov. 1845 batirt und führt uns zuerfi nach Speier. 
Stadt und Dom haben viele harte Schidfale zu beklagen 
und namentlich trägt dies ehrwürdige und großartige Ge⸗ 
bäube noch bie tiefen Spuren des franzöftfchen Vanda⸗ 
lismus. Um fo lebhafter wird jeder Kunftfreund an- 
erkennen, mas bereits durch den König Lubwig von 
Baiern für ben Dom gefchehen iſt und fortwährend ge- 
fhieht. Nice nur iſt der faſt zur Ruine geworbene 
Bau gänzlich wiederhergeftellt, fondern auch ein An⸗ 
fang gemacht worden zur künſtleriſchen Ausſchmückung 








des. Innern. Die Momente bes Kaiſers Ad⸗olf von Raf- 
ſau (durch den verfiordenen Herzog von Raffau- errich- 
tet) und Rudolf’s von Habsburg von Schmwanthaler find 
Dereits fertig, und die nadten weißen Waͤnde fehen 
Frescomalercien entgegen, mit welchen Schraubolph (nicht 
Schrauborff) in Münden beauftragt if. In Heibel- 
berg gibt die Gefchichte der reizenden Stadt Hrn. Waagen 
Beranlaffung zu manden Bliden in die Vergangenheit 
und zu theuern Erinnerungen aus bem eigenen Leben, 
deſſen akademiſche Jahre er bort zugebracht hat. -Lie- 
bend verweilt er wieder in Betrachtung bes alten Schloſ⸗ 
fe6, von dem er mit Recht behauptet, daß an jenem 
maieriſchen Reiz, den verfchiebenartige Gebäude, in der 
sen Zufammenflellung Regel und Zufall angenchm wech⸗ 
fein, hemerbringen, an Anmuth und Zierlichkeit der 
nädften Umgebungen, an Mammichfaltigfeit der fhönften 
Ausfihten nah und fern fich fein anderes fürftliches 
Schloß in Deutſchland und überhaupt in der Welt habe 
meffen tönnen, wie es denn auch in feinem jegigen Zu« 
ande durch den über baffelbe ausgegoffenen wehmüthig 
poetifchen Zauber felbft noch großartigere Ruinen über 
trifft, Große Befriedigung gewährte dem Verf. das 
Studium der Miniaturen auf der Univerfitätsbibliotheß, 
welde durch die 1816 erfolgte Zurüdgabe der fämmt- 
lichen 847 deutſchen Handſchriften aus der Vaticana 
und durch einige aus dem Kloſter Salem am Bobenfee 
vom Großherzog hierher geftiftete Codices wieder eine 
ungemeine Bedeutung gewonnen hat. In Handſchuchs · 
Heim bei Heidelberg befucht Hr. Wangen die intereffante 
Sammlung mericanifcher Alterthümer des Hrn. Uhde, 
aber aus Zeitmangel gelangt er nicht nach dem doch fo 
nahen Stift Neuburg zu Hrn. Rath Sätofke, der, fo 
viel Ref. ſich erinnert, nicht fowol „eine Reihe werth- 
voller Gemälde lebender Kuͤnſiler, namentlid von Oper 
bed, als vielmehr herrliche Handzeichnungen von bier 
ſem Meifter und von Eduard Steinle befigt. Sehr be- 
iohnend ift ein Ausflug in den tomantifhen Odenwald 
and ein Beſuch des Schloffes Erbach, über deffen Alter- 
thümerfammlung Hr. Waagen bie bei einem frühern 
Aufenthalte gefommelten Notizen jegt mittheilt. Worme 
welt Erinnerungen an die Nibelungen und mandes 
wichtige hiſtoriſche Ereigniß, hat aber von feiner vorma- 
Hgen Bedentung faft nichts mehr aufzumeifen als ben 
Dom, ber durch fein Außeres und fein Inneres einen 
würdigen umb ernfien Einbrud hervorruft. Bon künft- 
leriſchem Schmud ift faft gar nichts mehr vorhanden; 
merkwürdig jedoch und nicht ohne Kunftwerth find die 
Fleinernen Standbilder von drei Prinzeffinnen, waht · 
ſcheinlich aus dem 14. Jahrhundert, deren Ramen mit 
Einbede, Warbede und Willebebe bezeichnet find. Den 
Beſchluß macht Oppenheim mit ben Reften feiner Ka- 
tharinenkirche, die unftreitig zu den ausgezeichnetſten 
Dentmalen gehört, welche die gothiſche Architektur zur 
Zeit ihrer höchften Blute hervorgebracht hat. Bon be- 
‚wunderungswürbiger Schönheit und Eleganz iſt nament- 
lich das dreiſchiffige Langhaus fowol in feinen harmoni- 


ſchen Besätifen ci in der Hutbidung der Amelnen 


haufen, 








Zeile. Br. Waagen ift geneigt zu glauben, baß ber '. 
gleichzeitige Erin von Steinbach entweder felbft oder 
durch einen Schüler auf diefen Theil des Baues Ein ⸗ 
flug ausgeübt Habe, fo fehr wurde er van det Überein» 
ftimmung diefer Formen mit denen der Vorderſeite des 
ſtrasburger Münfters überrafcht. 

Sind wir dem Verf. bis hierher mit ſtets gleichem 
Intereſſe gefolgt, fo fehen wir aud feinen weitern Mit- 
theilungen, namentlih Dünen, die Rheinlande u. |. w., 
mit der größten. Erwartung entgegen. Wünfchenswerth ' 
würde ed. dann fein, bie Beſchreibungen einzelner Bil- 
der u. f. w. zuweilen in etwas gefürzt zu finden, da 
alle technifhen und äfthetifchen Erläuterungen den Refer 
ohne Anfhauung des Gegenftandes gewöhnlich bald er 
müden und bem Beſchauer an Drt und Stelle gewiß 
auch nur in der gebrängteften Zaffung bie liebften find. 
Wahrſcheinlich haben wir am dereinnigen Schluffe des 
ganzen Werks ein Regifter zu erwarten, deffen Mangel 
jedod in dem einzelnen Theilen fi föon" ſehr fühlbar 
macht. 32. 





Sibliographie. 
Anderſen's, H. C., Maͤrchen. Geſammtausgabe. Aus 
dem Daͤniſchen übertragen "von J.Reuſcher. 2te Sammlung. 
Dit Bit Berheignumgen von T. Hofemann: Berlin, Simion. 


Bremfe der Fuchs. Aus den hinterlaffenen Papieren Bu 
qhert des Bibers. Neubrandenburg, Brünslom. Gr. 8. INgr. 
Dualis, Des Vaters Rache oder Bruno von Blutflein. 
Eine Kittergefigte aus den Beiten der heiligen Vehme. Kord« 


Bus, &. ie der Geſchichte des Schriftenthums 
der — und ömer und der zomanifhen und germanifchen 
Völker. Halle, Schmwetfhfe und Sohn. Gr. 8. 1 ade. 15 Kar. 
Mir Sure Wbrißderfelben, Hale, Shwerfke u. Cop. 

Ir. 

—* wadwig bilipp's I. Königs der Franzoſen. Bon 
I. Boudin und J. Mouttet. Aus dem Franzbſiſchen übers 
ft von —D—— Ifte Lieferung. Reipsig, Seubner. 

t. 

N Sefandtfaftd-Reife nach- Spanien 12 
Bra wegegeben von 3. Chmel.‘ Wien, Rohrmann. Gr. 8. 

2 


Zahn, G. A., Über den nenen Planeten Miträn und den 
Biela ſchen "Kometen. An Frieſe. 8. 8 

edwenſtein, E., Die Geopferte, oder: Mi flammende 
Stern über der Rauenburg. Romantifche Rittergefchichte. 2 Theile. 
Rordpaufen, Fürft. 8. 1 Xhlr. 

Mantell, S. A., Die Denkmöngen, ber Schöpfung, oder 
erſter Unterricht in dee Geologie, und in bem Gtubium der - 


srganif en Reſte. Deutſch bear! ifet von &. . A. Hartmann. 
iſie Lieferung Eu freiberg, Engelhardt. 89. 1 Ahlr. 
Monatsichrift für Politik. —SeS— von K. Rau⸗ 


Bird. abegang 1846 in 12 Rummern. Berlin, E. Kraufe. 
4. 1 Bpie. 


Monatsfrift für t und Gericht. Herausgegeben von 
—— Be Mn Ben, Sprinr 
Monats] Bolksbildimg. von I. 
mu — Sb 20 ae 2 Rummern. 
I jialeb_Leben. 
für Bol — und jate . 


‚Herausgegeben von Rugender Jahrgang I 
mern. Se Bob: Er. 4. Pair hir. 


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Wehnnleci; ga — 

— ee re deich ea Sep Fuͤrſt ch don 
9, 30 e 

np De au, Älteffe —* in le * ſeinem 


Augen feiner Belt. Beffau, Aue Bir &x.8 
Bene Skizzen. Bier und ken aus * 
von U. Branket und 8. Köppen. 
. 3 Zhlr. 
2. A. Staudinger 
zeben Ft Betanlaflung ber e puteiotiflen Heft au zn 
urg, 9 
Das Behälen leniß Ervatiens zu Ung m "ei Einen 
Burg Ungarn. 
tegler abein and Crzählun 8. Sal , 
— TA n zaͤhlungen. en 
ciitaniſche — and Nedellen. Dt. Gul⸗ 






n und Weſen. Hinblick auf geande Sr 
Bände. —A Wie. 
ein Leben und Wirken. Beraus: 
Rei und Meile. Ai 
der Stephen v. —— —— Eroatimd 
1846, 8. zn 





Tagesliterataur. 


Der WS ven Badia de Fiore oder poophetifche Lichtbliche 
im 12. und 13% Jahrhundert. Mit Bezug auf die Fragen „ob 
Schrift, ob Sei. u Papktium oder Freiheit.” Bre⸗ 


men, Geisler. 25 

Apelt, K. F. G., Umfere nr antnißſchriften, Löftliche 

Kleinodien der evangelifch- then Kirche. te Auflage. 
Bauen, Schlüffel. 1845. 8. 

Belmann, Katholiſches * katholiſche Mahnung 
und katholiſche Zuverſicht in den irchihe Wirren der Beit. 
igt. Münfter, Deitert u 8 3 Nygr. 

Bericht, wie die Sadhe ber —S Diffidenten im 
Koͤnigreiche Sachen gefoͤrdert worden if. Von einem unpar⸗ 
teiiſchen Beobachter. Leipgig, Jackowitz. Gr. 8. TY, Ngr. 

Bernhardi, K., Philipp der Großmüthige, 
amf Ki Seffen, über Gewifſensfreiheit und über das Bedürf- 
wi diner allgemeinen evangelifchen Kiechenvesfanunlung in 
Destfäjland. Kaffel» Bohn. Er. & 3%, Ror. 

Bernhardt, W., Worte ernfler Liebe an den Archidia⸗ 
Fonuß ıc. Hrn. Kraufe, und an die Hörer und Leſer feiner Pre 
Niet: De Meinungsftueit über die Perſon Jeſu.“ Potodam, 
Stuhr: Ge. 8 3 Nor. 

Bertholdi, H., Rante juniors Gaflbefuch bei feinem 
Freund und Better David Repomud Pomuchel in Danzig. 
Danzig, Homann. 134. 8. 6 Rer. 

Bromme, Bertheidigung des Privatgelehrten Hrn. von 
Ar zu Naumburg in der wegen Prehvergeheng gegen 


nn — gemachten Untesfuchung. Leipgig, O. WBigand. 


— T, Das Alte iſt verg anden; es if an ae 
geworden. Predigt am Reujahretage 1346. Leipzig, D. 
gand. Er. 8. 3 Nor. 
— u ME find dazu geboren, baß wir die Beichit zeu⸗ 
gen fellen! —— am Sonntage wach. Reujaht 1846. LBelp- 
zig, D. Miga ns. Gr. 8 3R 
Dräfeke Schlichtes Racwert zu der befannten Erklaͤ⸗ 
rung vom 18. Zus 1845. Potsdam, Stuhr. Sr.8. 27, Nor. 
@iholz, E., Die Jefuiten und ihr Enumbjag : ” ‚Ber 
Zweck Yeiligt die Mittel”. Sie Vorträge, gehalten im Ber⸗ 
Im GmmbwerkerBerein. Berlin, Springer. Gr. 8. 2 Ror. 
Slade, Der Haube, daß Jefus der Sohn Gottes tt, der 


Sieg, der die Welt überwindet Deebigt. Magdeburg, Baldın | 


börg'und Gomp. @r. 8, 2, # 

Göckemann, K. &, Denbmale, dem Dr. Bert. Pu⸗ 
ther von ber Hochachtung wid Liebe feitter Seitgenoſſen errich⸗ 
tet ad zur Bien Wücularfeier des Dodes Dry herauthege⸗ 
ben. Kordhauſen, Foͤrſtemann. Er. 8. 20 

. — — Dr. Mart. Lutherv Tod und Begräbnif im Ichwe 


Berantwortlicher Heraudgeber: 


Aunds |. 


X Br a m nun 


und Reden am una n Originslausgaben its 
getheilt. Kordhaufen 
Dar Freiſchare Wr bad & —* det st angenen im 
Luzern im März u rit 1845 argeftellt ma 


Buvertäfi- 
ge Bueden und den Berichten von Yugengeugen. 8 
er 
—— since 4 en Iraeliten. Baſel, Ba 
al und Lübed. ia Entgegnung auf zwei Stimmen 
ars Mel uͤber die Brofchüre: ecks „nebrüd nung hat duch die 
— Boris Labeck, 9. Robden 184 
kongen aus m vertrauten Bein eines he 
Gen Por Baiern über bie religi Bewegungen unferer Bet 
und den Proteſtantismus. ſt Anmerkungen. Leipzig, Pö- 
nicke und Sonn. Gr. 8. 3 Nor. 
Pelz, &, Die Me —— oo; Sant mid 
Forftwirtge in ** VBretlan. 5 Nr. 


Aubl gt- 
iftes 
Schule, 3 W., Einige Bedenken, die ErMärung ber 
treffend, welde in der Berliner Zeitung vom 25. Auguſt ge- 
gen die — Ri Kirchenzeitung und deren Kogrmannte Par⸗ 
tei veröffentficht worden iſt. Potsbam, Stufe. 1845. Wr. 8. 
» Rar. 
Schulze, I. 3, Die ſymboliſchen Bücher der enange- 
kifch « Lutherifchen Kirche im Königreih Sachen. Gin Berfuh, 
die Gemeine über diefelben und über die neueften fie betreffen- 
den Kundgebungen bet Behörden zu verfländigen. Baugen, 
Schluͤſſel. 1865. 8. 7, Nur. 
Schuſelka, F, Das deutſch· kathellſche Prieſterthum. 
Mit einer Erinnerung an die Ordination Dr. Bergmann's durch 


farrer Kerbler, am I. December IS45 zu Erfurt. Weimar, 
offinann. Gr. 8. 1 Kor. 

Sintenis, 8 W., Denkſchrift Dur Feier des 18. 
benar 1846, den Suejdbrigen Soßeötug Dr. Wastin Luther" 
Zerbſt, Kummır. &r. 8. 12% Rer. 

Souhon, A. 8, Das dreifage Aufichen in der ge 
wärtigen Zeit. Hredigt über Röm. 16, 17—%. Berlin 


Wohlgemuth. 8. 2%, Nor. 

Sperling, Bemerkungen und Zufäße gu dem offenem 
&roofchreiben Unlih’B an die peotefkänfüfche peutige Gonfesenz 
in Berlin. Magdeburg, Baenfh. Gr. 5. 3 Wer. 

Stimmen aus Gräbern. Ausfprüce berühmter Moͤnner 
über Religion und Chriſtenthum̃. Breslau, Verlags⸗ conprut. 


gr 
Shiel, 8. X., Einen, und Eh 4 A Bey WE 
eilt. Aachen, Cremer. 12. 
enheit über 


Zräber, ©. 6., ehe an die —8* ern 
Jacobi 3, 19. 20. in Folge des Treibens ber Speagnten Licht⸗ 
freunde. Berlin, Wohlgemuth. 1845. 

Biedebantt. D., Die Wabrhett, "dap der nf ge⸗ 
recht werde ohne des Gelege Yale aßein darch Den Diauben, 
als die ſchoͤpferiſche a Der Neformation. Predigt. Beulen, 
Wohlgemuth. 8. 2%, Nor. 

— — Bahrheit! Freiheit! Der Nachruf des Br an 
die Reuconfirmirten. eoigt. ee 8 2,8 zur. 

e 


Zſchiefche, Die 
BelBbeiit —E an Sie. — —— Vr. . 


Wiite Petition der deutſch⸗katholiſchen Gemeinde zu Dress 
den an die bode Stärideverfammlung des Koͤniareichs — 
und zwar zun Sf an an de ‚Hohe zweite Rananer, Meißen, 

Hat ums Sohn. Mr. 5 Br. 


Seinrig Brodjand. — Drud und Verlag von : %. Brockhaus in Reipzig. " 


Blätter u 


für 


literarifhe unterdattung. 





Mittwoch, 





Crımbsüge der böhmiſchen Aiterthumdlundte. Won 
Tohaun Eradmus Wocel. Mit acht lichogra⸗ 
Baifen Tafeln. Prag, —— und Rziwnatz 

Gr. 8. 1 Ahlr. 20 Rgr. 
hei: diefe Schrift vorzugsweife darauf berechnet 
iſt, die Kenntniß und dadudch auch bie Liebe zu dem hei- 
miſchen Dentmälern der Baukunſt, der Bildhauerei und 

Malerei wie der Dichtkunſt im Böhmen felbft zu ver⸗ 

breiten, iſt fie doch zugleich in einem befondern Grabe 

Dazu geeignet, dieſe Begenftände auch Im Auslande bei 

ollen Freunden der Kunſt umd einer volksthümlichen 

Poefie in weitern Rreifen befannt zu machen als dies 

disher ber Fall mar. ef. Hält es aber um fo mehr für 

feine Pflicht anf dieſes Buch aufmerkſam zu machen, 
als er der Anſicht iſt, daß die Czechen ber edelfte Zweig 
bed großen flawiſchen Völkerftammes find, welcher man 


nichfaltige geiftige Anlagen ſchon fehr früh zu einer be⸗ 


deutenden Ausbildung gebtacht hat. Der Baf. ifl 
mit Leib und Seele ein Böhme und fein Buch athmet 
baher durchweg den märmften Patriotismus. Wenn ihn 
derfelbe haufig zu einer gereisten Stimmung gegen die 
Deutihen hinreißt, fo ift ihm dies infofern nicht zu 
verargen, als bie Deutſchen im Mittelalter ale harte 
Unterdrüder der Slawen erfcheinen und die im Ganzen 
mit Recht an ihnen gerühmte Eigenſchaft, die Eigen— 
thiunlichkeit und das Verdienſt fremder Nationen zu er- 
tennen und mit Liebe zu würdigen, in vielen Yällen 
den Slawen, zumal den Böhmen gegenüber, nicht be: 
währt haben. 

Das Werk zerfällt in zwei Hauptabſchnitte, "von des 
zen der erſte ſich mit den Alterthümern ber heidnifchen, 
der mit denen des Mittelalters befchäftigt. Für 
beide find die vielen darüber vorhandenen Monsgraphien 
mit Einficht benutzt worden. 

Den Hauptinhalt des erſtern bilden natürlich wie 
überall die Gegenftände, weiche fih in den Brabfkätten 
vorfinden. Rad den auf den Bier erſten Tafeln ent- 
haltenen Abbildungen ſtimmen die meiſten Formen der 
ſteinernen wie der bronzenen Waffen und Geräthe und 
der thonernen Gefäße in den Formen mit den ähnlichen 
Gegenftänden überein; welche in ben verſchiedenſten fonfti- 
gen Gegenden Deutſchlands im heidniſchen Grabſtätten 
gefanden worden ſind. Die Hauptfundorte für derglei⸗ 


> _ a a Eu EEE. ee, a nu Mile —— — 


qen in Böhmen werden aufgezaͤhlt und als die dwuri 
wichtigſten Sammlungen derſelden die im Vaterlaͤndiſchen 
Muſenm, die des Ritters von Neuberg, welchen das 
Buch ganibmet iſt, und die bed Hm. Pochel, ſaͤmmtlich 
su Prag, angeführt. 

Die Benemmung der Meinen bronzenen Figürchen 

8 heidniſche Götter ift bekanntlich einer ber verrufen⸗ 
fen Theile der nordiſch⸗ heidniſchen Arhäologie, und «8 
bat daher Ref. gefreut, daß der: Verf. einige ſolche We 
nennungen nur als Meinungen anführt. Dagegen 
möchte Mef. die auf ber Tafel N unter Nr. 8 abgebil- 
dete Perfon ſowie die bronzenen Thiergeſtalten 6, ®, 
10, 11 ebenda ſchon ber frühern Belt ber deifliichen 
Epoche angebörig halten, wie denn auch dem ä 
fefbft Hei den Iegten drei eine große KÄhnlichkeit mit 
andern auf dem Zütelblatt einer Pergamenthaubfcheift 
des 12. Jahrhunderts aufgefallen if. Dieſelbe Bemer 
tung macht der Verf. in Betreff einer ſeht zierlichen 
weiblichen Figur (Tafel I, Mr. 2), welche als Kelief 
auf den Boden eimer im eimen unterisdifchen Gewölbe 
am Wyxehrad zu Prag gefundenen bromgessen Schüſſel 
befindlich, in Den Händen eime Blnme und einen Ksanz 
Halt, auch ift diefes Melief gewiß aus feiner Altern Zeit 
als dem 12. Sahrhundert. Der auf dem Rande beſind· 
Fiche Rame ber flawifchen Göttin Siva, welche ber Ceres 
entfprechen fol, beweilt mur, daß es in men nach 
Einfirhrung des Chriftentkums infofern aͤhnlich mie nach 
demfelben Ereigniß im alktrömifchen Reiche ergangen WE, 
daß man aus ber frühern Religion gewiſſe Naturgest- 
heiten, wie 3. 3. bei den Römern Sol und Lana, auch 
noch Tängere Zeit gebildet hat. Nur findet Hier inſofern 
ein Unterſchied ſtatt, daß fette Abbliibungen Hei den Ni 
mern in der altheidniſchen Warm, bei den Böhmen er 
in der neuem mit dem Chriſtenthum xingemanberten 
gehalten waren. Sicher aber kann man aus biefem 
Heltef, womit auch eime mit ähnlicher * verſchene 
Mmiatur, welche ich in dem merkwuͤrdigen oder „Bister 
verborum” auf ber Bibliothek des Baterlundeſchen Mu⸗ 
feum zu Prag gefehen Habe, übersinfikmmt, immer auf 
die Darſtellungsweiſe unb bie Attribute ber Goͤttin Siva 
bei den heidniſchen Böhmen ſchließen. Unter den Me- 
tallwaffen find bie Tafel Mi unter Wr. 8 und 9 abge⸗ 
blibeten Schwerter nach der ganzen Form fiherih Ri 


merfchwerter, welche als Kriegsbeute oder durch Handel 
in den Befig der Germanen oder Slawen gekommen find. 

Zunaͤchſt handele der Verf. von den Opferplägen und 
Ustrinen, ober ben Orten, wo die Todten verbrannt wur- 
den, Beide befinden fih durchgaͤngig auf Hügeln von 
mehr oder minder anfehnlicher Höhe. Bei der Aufzäh- 
fung der wichtigften, um deren Erforfchung fich neuer: 


“ dings Dr. SKalina von Jaͤthenſtein befonders verdient 


gemacht, ift nicht angegeben, ob ein foldher Ort das 
Eine oder das Andere iſt. Auch mag dies, da das Auf: 
finden von Aſche, Trümmern von Gefäßen und Knochen 
den Iweden beider entfpricht, in vielen Fällen ſchwer 
zu beftimmen fein. Wo indeß dieſe GBegenflände in fo 
großer Maffe vorkommen wie auf dem Berge zu Schlan 
oder dem Radlſtein bei Bilin, kann man wol mit Sicher- 
beit auf Dpferflätten ſchließen. 

Endlich kommt der Verf. noch auf die Betrachtung 
der bisher wenig. beachteten Erdwälle, welche fih in 
einigen Gegenden Böhmens befinden. Die bedeutend» 
ſten berfelben im bidfchower Kreife, in der Nähe des 
Dorfes Wrſec, zeigen einen erftaunlichen Aufwand menſch⸗ 
licher Kraft, denn die Länge derjelben beträgt 600, die 
Breite 305 Klafter, die Höhe an vielen Stellen gegen 
30 Fuß. Ref. flimmt den Gründen des Verf. bei, der 
diefe Art Befefligungen unter den verfchiedenen Völ—⸗ 
kerſtämmen der Kelten, Germanen und Slawen, melde 
Böhmen nacheinander inne gehabt, am erſten dem felti« 
Shen Volke der Bojen beimeflen möchte. 

Am Kolgenden befhäftigt ſich der Verf. mit der 
ſchwierigen Aufgabe den Unterfchied zu beflimmen, wonach 
man erkennen kann, welchem von jenen drei Volkeſtäm⸗ 
men ein Grab beizumefien if. Wenn er mit vollem 
Recht das parteiifhe und unkritifche Verfahren tadelt, 
welches Krufe u. X. in bdiefer Angelegenheit zum Nach⸗ 
theil der Slawen beobachtet haben, fo. ermangelt es 
feiner Beweisführung, wonach er glaubt foldhe Gräber, 
weiche in regelmäßigen Reihen und in den Ebenen an« 
gelegt find und in denen ſich befonders reihe Gaben 
von bronzenem Beräth und von filbernem und goldenem 
Schmuck der Frauen befinden, vorzugsweife den Slawen 
beimeſſen zu können, doch auch wieder an einer binläng- 
lihen kritiſchen Srundlage. Er geht bei dieſer Gelegen⸗ 
beit von den Unterfuchungen aus, welche der Diakonus 
Alßerti in den Grabftätten der Eleinen Städte Ranis 
und WWernebesg im ziegenrüder Kreife im Boigtlande 
angeftellt und in dem zweiten Stud der „Variscia“ be- 
kannt gemacht hat. Zuvoͤrderſt wäre es wol angemeffen 
gewefen, anftatt ber einfachen Verfiherung, daß jener 
Forfcher jene Grabftätten als unbeftritten flawifh aner⸗ 
kennt, die Gründe anzugeben, welche zu jener Annahme 
berechtigen, ale worauf doch hier Alles anfommt. Da vom 
5. Jahrhundert bis zur Verbreitung des Chriſtenthums 
bier fiher die Sorben, ein flawifcher Völkerftamm, an⸗ 
ſäſſig geweſen und eiferne Waffen, Schmud und ande- 
res Geräth, welches fich in jenen Gräbern vorgefunden, 
mit Gewißheit auf eine fchon weit vorgefchrittene Cul⸗ 
tur, das unfrüglichfte Kennzeichen, daß jene heibnifchen 


Grabſtaͤtten den fpäteflen Epochen berfelben im noͤrdli⸗ 
hen Europa angehören, ſchließen laffen, fo ift auch Nef. 
allerdings vollfländig überzengt, daß biefelben ſlawiſchen 
Urfprungs find. Nun aber gibt Alberti zu, daß die im 
Breisgau gefundenen Gräber, melde fiher ben Germa⸗ 
nen angehören, indem in dieſer Gegend niemals Slawen 


gefeffen haben, fowol in der Anlage in geordneten Rei- 
ben, als in dem Inhalt bderfelben mit jenen Gräbern 


im Boigtlande eine große Ahnlichkeit haben dürften, wo⸗ 
nah alfo jene Eigenfchaften offenbar nicht als ficheres 
Kriterion der flawifchen Abkunft von Grabftätten gelten 
fönnen. Daß übrigens in ſlawiſchen Grabftätten ſolche 


‚Gegenftände, welche einer fihon. weit vorgefchrittenen Cul⸗ 


tur angehören, häufiger vorfommen als in germanifchen 
Grabftätten, ift auch Ref. überzeugt. Daſſelbe aber er- 
klaͤrt fich fehr natürlih aus dem Umſtande, daß der 
Übertritt zum Chriſtenthum bei der Mehrzahl der Sia- 
wen viel fpäter fällt ald bei den Germanen, ſodaß fie 
noch zu einer Zeit, in welcher beide Voölkerſtämme in 
der Cultur ſchon mehr vorgerudt waren, ihre Todten 
nach beidnifcher Art beftatteten, während dieſes bei ben 
Germanen längft aufgehört hatte. Hiernach dürfte im 
Ländern wie in den Öder- und Elbgegenden, wo früber 
Germanen, fpäter Slawen feßhaft find, bei folchen Grab⸗ 
ftätten,' in denen die Arbeit der darin gefundenen Ge⸗ 
genftände befonders gefhidt ift, fowie das Vorkommen 
von Bronze und Eifen fiher auf eine flawifche Abkunft 
zu. ſchließen fein, um fo mehr als der Verf. beweift, daß 
die Slawen ihre Todten nicht nach der bisherigen An- 
nahme bios begraben, fondern aud, verbrannt haben, 


‚mithin der Grund wegfallt, ſolche Grabftätten, in denen 


fih Aſchenurnen finden, den Slawen abzufprechen, mie 
dies bisher geſchehen ifl. 
(Die Fortiekung folgt.) 





Militairifche Briefe eines deutſchen Offiziers während 
einer Reife durd) die Schweiz und das mittlere Frank⸗ 
reih im Anfange des Jahres 1844. Mit befonde- 


rer Bezugnahme auf die neuern franzöfifchen Befe⸗ 


ftigungsanlagen in militairifcher und politifcher Hin- 
ſicht. Mit Planen von Paris und Lyon. Adorf, 
Verlagsbureau. 1845. Gr. 8. 2 XThlr. 


Haben Montesquieu’s5 berühmte „Lettres persannes” in 
Lettres chinoises, grecques, indiennes u. f. w. mehrfache 
aber meift wenig glüdliche Nachahmungen gefunden, und yaben 
Eugen Sue's „Mysteres de Paris’ Anlaß zur Enthüllung 
einer Menge des Willens durchaus nicht würdiger, berliner, 
altenburger und anderer Geheimniffe gegeben, fo darf man fich 
nicht wundern, daß auch die bekannten „Militairifhen Briefe 
eines Verſtorbenen“ mehr oder weniger glückliche Rachbiſdun⸗ 
gen finden mußten. Daß dieſes aber im Interefie der Würde 
der Militairskiteratur nicht au wünſchen ift, haben wir bereits 
bei Befprechung der „Eavaleriftifchen Briefe” (Nr. 218 d. DE. 
f. 1844) näher auseinandergefegt und es haben die vorliegen- 
den ‚„Militairifhen Briefe” uns in diefer Meinung nur be 
ftärft. Der ungenannte Berf. derfelben theilt nämlich in zwoͤlf 
Briefen, von denen fimulirt wird daß fie auf einer Reife über 
Bafel, Senf, Zoulon, Lyon nach Paris an einen Freund in 
Deutſchland gefhrieben worden, in oft fehr zwangloſer Form 


mo 


Fr —— — — - = - — 


un Ausdr 


usd iſe nicht nur feine en militais 

riſche und politiſche Berhältniffe eined Theils der Schweiz 
und Frankreichs und über die zu Zoulon, „Lyon und Paris 
in neuerer Zeit zur Ausführung gekommenen Befeſtigun⸗ 
mit,. fondern er ergeht no auch ‚bin ‚und wieder in 
aturfilderungen, bringt Gefühldäußerungen an und erörtert 
fosiale Berhältniffe. An und für fih begründet Letzteres zwar 
durchaus feinen Vorwurf und namentlich ift Ref. fehr weit 
davon entfernt, ein gramlidher Splitterrichter zu fein; aber 
wenn der Berf. gleih tm erſten Briefe ald Probe feiner 
Beobachtung focialer Zuftände zwei Seiten mit einem über 
alle Beſchreibung trivialen Dialog zweier Repräfentanten ber 
alten und jungen Schweiz füllt, und wenn er bekennt, daß 
er die Alpennafur wegen ded „precairen“ Zuflundes der Agri— 
eulturverhältniffe der Alpenbewohner wol „impoſant“, aber 
nicht Ihn finden könne, und Dieſem (gelegentlich der Aus« 
fit auf dem Plateau des Simplons) binzufügt: „Ich 
bin, du weißt ed, für ſolche zwar majeftätifche, aber daB 
Gefühl beflemmende, faft erjtarrende Anfichten wenig em: 
pfänglih, hier zwingt aber die Größe zur Bewunderung und 
ſelbſt ich (!!!E) fand im Unfchauen- verfunten”, fo find die: 
ſes Dinge, mit welchen der Verf. unferer Meinung nach- feine 
Lefer billig. hätte verfihonen follen. Sehr intereffant ift dage⸗ 
gen, was ber Verf. im zweiten und dritten Briefe über das 
von. dem franzöfifhen Ingenieurcorps jeit 1830 in Ausführung 
gebrachte Syftem einer allgemeinen Landesbefeftigung mittheilt. 
Hier ift der Berf. ganz auf feinem eigentlichen Felde und be⸗ 
urkundet einen ebenſo einfichtsvollen als Eenntnißreichen Beob⸗ 
achter. Um ſo unangenehmer wird wan aber durch auch hier 
wieder haͤufig vorkommende theils gaͤnzlich verfehlte, theils im 


nachläſſigſten Stile ausgedrückte Gefuhlsäußerungen berührt. 
So ; 


3. beginnt der Berf. eine auf Fort Napoleon 
zu Xoulon angeftellte Betrachtung mit den Worten: „Es ift 
eine eigene Sache um Orte, wo große Männer gewirkt und 
gehandelt haben.- Ein anderer Wind weht den Soldaten an, 
der einen großen Rampfplag betritt, ald den Bauer, der ruhig 
über die großen Gräber feine Pflugfchar ftreichen läßt u. f. m.’ 
Dabei hat der Verf. aber offenbar überfehen, in weißher hoͤchſt 
anmaßenden Weife er feinen Stand überhebt, weil man doc 
wol wahrlich nicht eben nur Soldat fein muß, um an Stellen, 
wo große Männer gewirkt und gehantelt haben, für den Ein- 
Aluß begeifternder @rinnerungen empfänglih zu fein, obgleich 
allerdings der pflügende Bauer für foldhe Erinnerungen wenig 
&inn zu haben pflegt. Ebenfo wird zwar jeder vaterlands- 
liebente Deutfche die gerechte Entrüftung des Berf. gegen bie 
immer noch in Deutfcpland ziemlich zahlreiche Elaffe der Un: 
deutfchen völlig theilen, aber auch mit uns übereinftimmen, 
daß es zu wünfchen gewefen, fie wäre in edlerer Weife als mit 
den Worten ausgedrüdt worden: „Gott danken wollte ich, werm 
alle diefe Undeutfchen hinübergingen und die rothe Hofe (!!!) 
anzögen, da wären wir fie doch los.“ 

Glücklicherweiſe finden fich Die im vierten und fünften Briefe 
enthaltenen umfichtigen Betrachtungen und feharffinnigen Erörte: 
tungen, welche der Verf. über die politifche und militatrifche Wich⸗ 
tigkeit £yons als zweiter Hanptftabt Frankreichs, die aus ihrer uͤber⸗ 
völferung an Kabrikarbeitern ſich esgebenden Bicftande und die 
desfalld zur Anwendung zu bringende und theilweife auch zur 
Ausführung gelangte Art und Weife der Befeftigung anftellt, 
von ſolchen mislungenen gbrofen faft gänzlich befreit. Die 
ſehr ind Einzelne gehende Befchreibung der von dem General 
Fleury geleiteten. und der Vollendung nahen Befeftigung von 
Lyon mird durch einen fauber geſtochenen und angebli von 
dem Berf. forgfältig berichtigten Plane in einem großen Maß⸗ 
ftabe ſehr verdeutlicht. Gleichwol ift es zu bedauern, Daß hier: 
bei nicht mehr Rudfiht auf die Darftellung des umliegenden 
Gelandes genommen worden ift, und vollends verdient es eine 
Rüge, daß fih im Stabtförper nicht wenigftens dasjenige De: 
tail der Straßen und öffentligen Gebäude einge eichnet findet, 
weldhes zum Berftändniß der (recht anziehend elöriebenen) in 


% 


. 


ben Jahren 1831 und 1834 zu yon Battgefimbenen Yufs 
fände durchaus nöthig erfcheint. Bon ganz ausnehmendem 
Intereſſe ift aber, was ber Verf. in ben folgenden vier Brie⸗ 
fen über die Befeftigung von Parid mitteilt und ıwobei er ' 
bie gediegenfte und fpecielfte Sachkenntniß an den Tag legt. 
Nef. fand fich hiervon um fo mehr angezogen, ale er, wie er 
glaubt, der Erſte in Deutfchland geweſen ift, der öffentlich und 
im fchroffen Gegenfage mit der Damals vorherrſchenden Anficht 
fi dahin geäußert hat, daß die Wehrkraft Frankreichs durch 
die Befefligung von Paris leider einen Zuwachs von unberes 
henbarem Werth gewonnen habe... Breilih war damals die 
Ausführung noch wenig vorgefihritten. und als Ref. die Um 
egend von Paris faft nur im Fluge Durchpifgerte, war die 

efeftigung überhaupt erft zur Zagedfrage geworden, der Be- 
feftigungsplan felbft aber noch ganz unbeflimmt. Deſto grö- 
Ber die Befriedigung des Mef., daß der Verf. bei ungleich 
gründlicgerer Wüterfuchung des Terrains und genauefter. Be: 
augenfcheinigung der inzwiſchen faft vollendeten Befeftigungs- 
werke, und bei weit überlegener Sachfenntniß dennoch in allen 
wefentlihen Punkten, fowol bezügli der Vertheidigung als 
ded Angriffe, ganz bdiefelbe Meinung äußert. Überhaupt möchte 
dem Berf. der Ruhm zuzuerfennen fein, durch feine ebenfo er- 
ſchöpfenden ald überzeugenden Unterfuchungen die Acten über 
diefe Frage gefchloffen zu haben, weil nicht gut abzufehen ift, 
was weiter für das pro anzuführen fein möchte und nod 
weniger, mit welcher Begründung dad contra ſich ferner 
geltend machen koͤnnte. Was die innere Bertheidigung gegen 
Wolksaufftände betrifft, fo hat ed indeflen Nef. überrafcht, daß 
der Berf. die Stellung des Loupre und der Zuilerien als un: 
einnehmbar bezeichnet. Ref. kann fid) zu diefer Anficht wenig: 
ftens fo lange nicht bekennen, bis nicht das ganze nördlich von 
der Rue St.:Honore, öftlich von der Rue des Poulies oder de 
l'Oratoire begrenzte und theil® in den Garouflelplag hinein» 
ragende, theild nur durch die fehr enge Rue froidmanteau von 
dem Louvre geichiedene Häuferquartier abgeriflen und die nörd» 
we Galerie des Louvre vollendet fein wird. Bon dem bei- 
gefügten fauber geftochenen Plane verfidhert der Verf., daß er 
officiellen' Urfprungs fei. Er enthält zwar die Umgegend in 
ausreichender Ausdehnung, Doch fcheint und die Terraindarſtel-⸗ 
lung in jenem dem dreißigften Bande deö „Spectateur militaire” 
beigefügten anfprechender zu fein, und nicht minder würde es zu. 
winfchen geweſen fein, wenn die Vertheidigungslinien im In- 
nern der Stadt bemerflid gemacht worden wären. 

In den drei legten Briefen wird die Drganifation, Yusbil- 
dung, Geiſt und Weſen des franzöfifchen Heeres beiprochen. Nicht 
unrecht bat ber Verf. in Dem, was er über die Misſtäͤnde au: 
Bert, Die das Syſtem nach fi zieht, die Dffiziersftellen in der 
Linie zu zwei Dritteln Durch Unteroffiziere zu befegen, denen mei- 
ftens alle wiffenfchaftlihe und haufig felbft jede gefellfchaftliche. 
Bildung mangelt, weshalb auch nur das Dffigiercorps des Stat - 
major general eine gefellfchaftliche Stellung genießt und dem 
in Deutfchland und England vorbherrichenden Begriffe von ei- 
nem DOffiziercorps als einem Vereine gebildeter und anftändiger 
Männer entfpridt. Hiermit freilich fehr verfchieden müſſen 
vi und wieder anderswo die Offizierdaipiranten. fi entweder 

alb blind oder hektiſch ftudiren, oder auch wol eine Adels⸗ 
probe beſtehen. Um fo unvereinbarer aber auch wieder bier: 
mit, daß trog des vielen Geredes (& la baron de la Motte 
Fouque) von der Adeligfeit und edelſchoͤnen Ritterlichkeit des 
Offizierftandes deſſen Genoffen mitunter einer Behandlung ſich 
bloßgeftellt ſehen, die nichts weniger als paſſend für ſolche soi- 
disants Yaladine zu eradten if. Run denn, etwas mehr: 
jaste milieu hüben und drüben möchte beiderfeitd zu wuͤnſchen 
fein. Bis dahin haben die Branzofen einftweilen, wie der Verf. 
ſelbſt zugibt, ein höchft Dienfkeifriges, vortreffliches Unterofk- 
ziercorp& und unter jungen Stabsoffizieren viele vieux trou- 

iers als Gapitaines und wir? ei nun wir haben gerade noch 
einen Mangel an Exercir⸗, Parade: und Kleinmeiftern und 
jungen Paladinen, qui n’scrivent paa volontiers, nur die 


‘ 





guten Unteroffigiere And bei ums etwas feltens inbeffen euum 

ne, : Bon bem franzöfifchen gemeinen Soldaten fagt der 
Berf. ſehr treffend und wahr: „Sebrauchen, benugen läßt 
fig der Mann bis aufs Blut, aber dyicantren? Niemals, 
Darum auch die Vielen Bubordinationsvergehen.” Es feheint 
überhaupt, als wenn in neueren Seiten eine richhigere Anſicht 
über den Seift Des franzoͤſiſchen Heerweſens fi im beutfchen 
mölttetrifchen Publicum zu verbreiten anfange. Der Werf. der 
der „Uägemeinen Militairzeitung” erſchienenen „Rilitairi⸗ 
F Reifterinnerungen“ bat * die Bahn gebrochen. Der 

um d. Bl. erlaubt uns leider nicht, hierauf weiter einzuge 


ben, both Yönnen wir nidyt umbin zu Bemerfen, daB Rodomon⸗ 


saben, wie fie der Berf. gu Zoufon zu hören dekam, immer 
no verträglicher, weil erlich, erfgeinen als eine gewiſſe 
eundlichkeit, welche ſich zuweilen bin und wieder 
merklich macht. Was vollends die &. 21 er: 
e Uneloote betrifft, daß ein ——* Generalſtabsoffi· 
zier ſich bei einem deukſchen "Buchhändler zu Paris über die 
Zuſammenfehung des achten Armeetorps des deutſchen Bundes 
heeres Raths erholt habe, fo ſcheint die daraus abgeleitete 
Schlußfolgerang wol wicht ganz ſtichhaltig zu fein, denn erfichtlich 
des fünften Bandes des ‘Journal des sciences militaires”’ {fl 
mon in Frankreich mit jenen Verhaͤltniſſen wol genugfam bes 
dannt und jedenfulls gibt es auch in Deutfchland nicht wenige 
ſehr tüchtige Generalftabsoffizieee, von denen gu argmwühnen 
tt, ‚daß ſie in nicht geringe Werlegenheit kommen würden, 
. wenn fie plöplid) Rede und Antwort über die Sufuntmenfehung der 

Referveinfanteriedivifion des deutfchen Bundesheers geben follten. 


aAßt man nach all Diefem den Gefammteindrud de vor» 


ftogenden Werks in einen Geſichtspunkt sufammen, fo muß 
baffelbe als voll des intereffanteften Stoffs und der fchäp- 
barften Belehrungen bezeichnet werden. Solche zu einem vor: 
trefflicden Werke zu verarbeiten würde der Verf. zwar ˖voll⸗ 
Fommen_ befähigt -gervefen fein, ift indefien babet leider durch 
die Bierfür erwählte, fcheinbar fo gefügige Form zu mannich⸗ 
fachen Midgriffen verleitet worden. Um fo gerechtfertigter da» 
ber auch wol unfere gutgemeinte Warnung vor jener Yorm 
der Darſtelung, welche zwar durch die „Militairiſchen Briefe 
eines Berftordenen‘‘ mit böchft glängendem Erfolge in die Mi⸗ 
fitatr » £iteratun eingeführt worden ift, deren Handhabung aber 
auch ebenſo ungewöhnliche als eigenthuͤmliche Wefähigung er: 
heiſcht. DaB übrigens dem Berf. trog ber gerügten Stellen 
Peineswegd dad Bermögen edler Ausdrucksweiſe mangelt, bat 
er unter Underm &. 217 in der Höchft gelungenen Schilde⸗ 
rung ded Eindrucks beurßundet, melden die Berbündeten em: 
pfunden haben möchten, als fie von dem erflürmten Montmar- 
tre herab die veigendfte aller Günderinnen der Erbe, das ge: 


demüuͤthigte Paris zu ihren Fuͤßen erblidten, und wir glauben 


auch unferen Bericht nicht beſſer als mit den Schlußworten je 
ner Stelle endigen zu Fönnen: „Einen Moment der Wehmuth 
für Die, die es nicht erlebten, ein Hurrah für den Feldherrn, 
der die Unfern dahin geführt.” 10. 


Riterarifhe Notizen aus Franfreid. 


Philoſophiſches Elementarbug. 

Unter den vielen Erſcheinungen auf dem Gebiete der phi⸗ 
Iefspbifcden Literatur erwähnen wir den ‚Precis d'un cours 
el6mentaire de philosophie”, von Eh. Benard. Es ift Dies 
ein Wert, welches auf eigentlich wiſſenſchaftlichen Gehalt kei⸗ 
nen Anſpruch macht und das mehr auf eine Einführung in des 
' phiſche Stubinm berechnet if. Der Verf. bietet feine 
Schrift auch keineswegé als ein Refultat ſelbſtändiger Forſchun⸗ 
gen und deutet in der Vorrebe felbſt die Quellen an, aus de⸗ 
nen er geſchoͤpft hat. In Bezug auf die pſychologiſchen Ent⸗ 
wickelungen geſteht er, das —— den Werken Reid's und den 
en were Royer⸗Collard zu den Werken des fihottifchen 
Shilorephen herausgegeben Hat, fowie den Werlefingen von 


auf die diplomatiſchen Berhäl 


Saromiguibte zu verdanken. Muferdem hat er in biefer partie 
nad ne Angabe a a Dt lie 


n forsie: die Werde von Leibnig vlelfach benugt. 
Seine Logik Ichnt MG an die Mrifisteliiden Entwickelungen, 
Descartes, Bacon und ‚, Euler's Brick an eine betr 


at der Verf. Andeutungen über bie Gefchichte der Philofophie 


n” an. Bei ber Darlegung der Moralphilofophie 
- Plata und Cicero vorzugsweife zu Grunde gelegt. Außerdan - 


yinzugefügt, die ‚war nur dürftig ausfallen fonnten, body aber - 


dem vorg ne e vollkommen zu entſprechen ſchei⸗ 
nen. Ban ſieht, die Auswahl der benugten Werke iſt frei 

etwas zufanimengewürfelt ; aber wenn man bedenft, daß da 
Bert durchaus mitt eigentlih ein voßftändiges Softem, fon: 
dern nur einzelne Andeutungen ımd ein für Anfänger im phi⸗ 
Iofophifhen Denken berechnetes Material bieten fol, fo wird 
man dem Verf. einräumen, daß fein Werk einem in Frank⸗ 


reich längft gefühlten Beduͤrfniſſe entgegentommt. 


Hiſtoriſche Dorcumente 

"Mehr als einmal Bereits haben‘ wir Die unermuͤdliche ha⸗ 
tigbeit der Commifſion hervorgehoben, welche mit der Herais⸗ 
gabe wichtiger hiſtoriſcher Docutmente beauftragt iſt. Die Sanım- 
lung, welche unter der Leitung dieſer Commifſion erſcheint 
(„Collection des documents médite relatifs & I’histeire de 
Franee”) hat vor kurzem eine wefentliche Bereicherung erhal⸗ 
ten dur die Veroͤffentlichung vom geti neuen Bänden, welche 
fe zwiſchen Frankreich und 
Oftreich beziehen. Ihr Zitel lautet „Negoeiations diplomati- 
ques entre la France et l’Autriche, durant les trente pre- 
mitres annsdes du seizitme siecle ”, herausgegeben von le 
Say. Der Herausgeber, Confervator der Archive des De 
partement du Rord, bekannt durch feine treffliche Geſchichte 
der Grafen von Wlandern, hat den größten heil feiner wich⸗ 
tigen Dorumente aud dem Archive gu Lille entnommen; aufer- 
dem haben noch die Fönigliche Bibliothek in Paris und die Bd» 
niglichen Be zu Brüffel reihe Ausbeute geliefert. Die 
Einteitung ergeht ſich über die Versältniffe, welche zum Ber⸗ 
ſtändniß der mitgetheilten Documente von Wichtigkeit Mind. 
In vieler Beziehung intereffant Find die Notigen, welche une 
mit den diplomatifchen Agenten, deren im Werke Erwähnung 

geſchieht, näher befannt machen. 17, 





Literariſche Anzeige. 


In meinem Verlage ift focben erfchienen und dur alle Bud- 
handlungen zu erhalten: 


Geſammelte Schriften 


fudwig Rellfinb, 


—* und niezgehnter, ober 
Reue Ige erſter nub zweiter Baub. 


Gr. 12. Beh. 2 The. 


Diefe zwei Bände enthalten in einer neum Auflage des Ber: 
faffers Roman „Algier und Paris im Sabre 1830”. Die 
erfie Folge, Band 1—12 der Gefammtausgabe, erſchien 
1843—44 in vier Lieferungen zu 3 Thtr. und enthält: 1812. 
Dritte Auflage. — Sagen und rommtifdge Erzählungen. — 
Kunftnovellen. — Rovellen. — Auswahl aus der Reifebilder: 
galerie. — Vermiſchtes. — Vermifſchte Schriften. — Drama- 
-tiiche Werke. — Gedichte. 


Reipzig, im März I. 
$. A. Zrodhaus. 


Berantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brodfant. — Druck und Verlag von F. SE. Wrodhans in Leipzig. 


⸗ 


Blätter 


für 


Titerarifde Unterhaltung. 





Donnerstag, 


26. März 1846. 





Srunbzüge der böhmifchen Alterthumskunde. 

Bon Iohann Erasmus Wocel. 

(Bortfegung aus Nr. 8.) Ä 
“ Der — ungleich umfaſſendere Abſchnitt, welcher 
von den Alterthinnern des Mittelalters in Böhmen han⸗ 
det, zerfällt in zwei Hauptepochen, deren erfte den Zeit- 
zaum von der Einführung bes Chriſtenthums in Böh- 
men am Ende des 9. bis zur Mitte bes 13. Jahrhunderts 
begreift. In diefer blieb in der Kunft wie im Leben 
noch bie eigenthümliche Natur und Geiſtesart der Czechen, 
wenngleich in abnehmendem Maße, vorwaltend. In ber 
zweiten Epoche von der Mitte des 13. Jahrhunderts ab 
bis zum Regierungsanteitt Ferdinand's I. im J. 1526 
wird jene Geiſtesart von dem immer mehr überwiegen- 
den Einfluß des deutſchen Weſens zurüdigebrängt. 
Die erfte Epoche beginnt ber Def, mit der Dicht. 
kunſt, welche wie überall fo auch in Böhnien unter al« 
len Kimften am frübeflen zur Ausbildung gelangte. 
Die erfien drei Gedichte der berühmten „Königinhofer 
Handichrift" fowie das Fragment von „Libuffa’s Gedicht” 
gehören eigentlich noch der erſten heidniſchen Epoche an, 
ja find wie die ficherſten fo auch die bedeutendſten 
Kunftdentmale derfelben, und nur bie Abficht, die Poeſie 
der Czechen in ununterbrochener Folge in ihrer Geſammt⸗ 
beit zu behandeln, kann den Verf. bevoogen haben, bie- 
feiken in diefe zweite Epoche zu ziehen. Denn wenn 
auch die Kenner der heimifchen LKiteratur ber Anſicht 
find, daß die Abfaffung von „Libuſſa's Gedicht” vielleicht 
erſt in bie erfle Hälfte des 10. Jahrhunderts fälle *), 
gehört es doch ber Form und dem Geift nad durchaus 
jener erften Epoche an. Hbgleich dem ef. jene Ge⸗ 
bite nur im der deutſchen Überfegung zugänglich find, 
iſt er durch ben eigenthümlichen und echtportifchen @eift 
derfelben immer innig erfreut worden. Hier zur Probe 
der Anfang von „Libuſſa's Gedicht" nad) ber Überfegung 

Swoboda's 

€i was trübft du Bltawa dein * er? 

Bas **. du bein Aiberfhäumig Water! 

Hat der wilde Sturmwind, 
Sgüttelnd | ber 8 weiten Himmels Better, 


) So nah Safarik und Palacky, 


dere Kenne ber flowifgen Sprache gegen bie Echtheit biefed Be: 
Achto geäußert haben, Taffe ich dier auf ſich bexuben. 


o 


Die Bivelfel, welche an⸗ 


Spülend ab bie Haͤupter grüner Berge, 
. Spülend aud ben Lehmgrund, ben go jond "gen? 

Wie doch follt' ich nicht die Bafler trüben, . 

Wenn im Hader find zwei eig'ne Brüber, 

Eig’ne Brüder um ded Baterd Erbgut? 
Die Art, wie bier der Dichter dem Fluſſe menfchliches 
Bewußtfein leiht, erinnert an die ähnliche Auffaffung 
des Griechen. Hoͤchſt harakteriftifh für den Ton echter 
Bolkspoefie find jene der Muſik verwandten Wiederholun · 
gen, bei deren jeder ein neues Bild eintritt. 

Der gerechte Nationalſtolz auf eine ſo maͤchtige Stadt 
wie Prag findet ſeinen Mittelpunkt in dieſen alten Ge⸗ 
fangen in dem Preife der alten Königsburg, dem Wysch- 
rad. So heißt es in dem Minnelied unter diefer Burg: 

Ha du unf’re Sonne, 

Feſter Wyserad! 

Stolz und trotzend vagft u 

Dort auf fteiler Hoͤh', 

Rageft am Felſen 

Frembdlingen furdtbar! 
Andere Gedichte wie „Zabei”, „Slavoi“ und „Ludek“, 
welche fiegreiche Kämpfe gegen bie Deutfchen feiern, , ath- 
men Heldenmuth und begeifterte MWaterlandsliche. - 

Daß aber auch noch nach Einführung bes Ggeiften- 
thums die heibnifche Poeſie mit dem beflen Erfolg bie 
verfchiebenartigften Toͤne anſchlug, bemeifen bie zauten 
Riebeslieber fowie das ſich auf den Sieg der Böhmen 
über die Mongolen beziehende vortreffliche Epos „Ja⸗ 
roslaw in der „Koͤniginhofer Handſchrift“. 

Charakteriſtiſch iſt, daß alle dieſe echt nationalen 
Dichtungen reimlos find. Erſt mit der vom König 
Wenzel 1. begünftigten Rachahmung deutfcher Dichtkunſt 
tritt der Reim ein. Mit ihm aber wird der Sprache 
wie den Gedanken Zwang angethan, und in dem öfter 
antiten oder beutfchmittelalterfichen Stoffen verliert ſich 
der Geiſt ber nationalen Poefie. Als Beifpiele führt 
ber Verf. das als Hanbfihrift in der Bibliothek bes 
prager Domeapitels aufbemahrte Heldengebicht „Aleran- 
der”, eins von Zriftan und ein anderes, ebenfalle dem 
Sagentreife ber Tafelrunde entnommenes Gedicht „Tan 
daris” an, von dem fi das Manuſcript in Stodyeim 
befindet. 

Sehr merkwürdig das Fragment eine? Dramas, 
„Der Quackſalber“ überfchrieben, weiches Hanka auf dem 


Dergamenteinbande eines alten Kolianten gefunden hat und 


aus dem Schluffe des 13. Jahrhunderts herrührend gehalten 
wird. Es gewährt nämlich ein Beiſpiel, wie früh auch 
in Böhmen bie fogenannten Myſterien benugt wurben, 
um allerlei Iuflige. aus dem Leben genommene Scenen 
angabringen. Ber Dichter gefällt ſich hier in den er- 
fen. Scehen in bderber und übsrmüthiger Weiſe das 
Treiben eines Duadfalbers zu fchildern, zu dem dann 
die Marien fommen, um Salben für ben heiligen Reich: 
nam Chrifti zu kaufen. Diefe Auffaffung der heiligen 
Geſchichte erinnert an bie der älteften niederländifchen 
Genremaler im 16. Jahrhundert. Auch die für echte 
j e.fo wenig fruchtbaren Gattungen der Reimchroni- 
ten und Lehrgebichte find in diefer Epoche in Böhmen 
angebaut worden. Den größten Theil der Dichtungen 


des 15. und 16. Jahrhunderts machen indeß, der vor- 


waltenden Richtung des Geiftes entfprechend, Xegenden, 
fromme Betrachtungen und geiftlihe Lieder aus. 

Aus der „Königinhofer Handſchrift“ erhellt, dag jene 
alten Gedichte gefungen und auf einem Juſtrument 
„Varito“ genannt begleitet wurden. Bei dem ausge: 
zeichneten Talent, welches den Czechen für die Muſik 
bi6 auf den, heutigen Tag eigen ift, läßt ſich voraus- 
fegen, daß diefe Kunſt dort fihon zeitig zu einer eigen- 
thumlichen Ausbildung gelangt iſt, wofür auch eine 
Stelle in der in der erfien Hälfte des 14. Jahrhunderte 
geſchriebenen Chronik des Domherrn Franz fpricht, worin 
er fi) beklagt, daß zu feiner Zeit bie getragenen, edeln 
und gefühlvollen Melodien außer Acht gelaffen und von 
ben ſchnellen und büpfenden des Auslandes verbrängt 
worden. Der Umftand, daß der Verf. fi) nicht aus⸗ 
führlicher über die vaterländifche Muſik verbreitet, läßt 
fließen, Daß es darüber noch an genauern Forſchungen 
fehlt. Es würde fchon ungemein intereffant fein, das 
Verhaͤltniß der böhmifchen Ehoräle bes 15. und 16. 
Jahrhunderts, deren der Berf. als fehr ergreifend er- 
wähnt, zu den gleichzeitigen deutſchen kennen zu lernen. 

Bei der Architektur, worauf der Verf. zunächft kommt, 
draucht fich Ref. nicht fo lange zu verweilen, Indem: füh 
darin nicht wie in ber Poefie eine nationale Gigen- 
thumlichkeit kundthut, fondern ſich Sie in den übrigen 
Abendländern gebraͤuchlichen Formen angewendet finden. 
Mus der Epoche des romanifchen Bauſtils haben fich 
nur wenige Gebäude geringen Umfangs in Böhmen er- 
halten, von benen des Verf. Die Krypten ber Georgs⸗ 
kirche zu Prag, der vormaligen Stiftelivche zu Doxan 
und der Collegiatkirche zu Altbunzlau anführt. 

Bohmens Hauptbentmal der gothiihen Baukunſt, 
als deren Charakteriſtiſches der Verf. nicht ſowol die 
Anwendung bed Spitzbogens als daB ganze, aus der 
Natur deffelden oxiginel entwickelte Baufyſtem bätte 
hervorheben Tollen, if bekanntlich die fchöne, dem heili⸗ 
gen Veit geweihte Domkirche zu Prag, welche Kaifer 
Kari IV. nad) dem Plan bes —28 von Arras aufe 
" führen ließ. Dem lebhaft ausgefprochenen Wunſche des 
Berf;, daß derfelbe in unſern Tagen zur völligen Aus⸗ 


Herzen bei. Dies wäre ein ber Kunft- wie der Ba- 
terlandeliebe der Stände Böhmens gleich würdiges Un- 
ternehmen. Bon den gothifchen Kirchen Prags, welche 
der Verf. noch anführt, erwähnt Ref. der am Karlhof 
und der Theinkirche, von den zahlreichen in andere 
Städten Böhmens nur noch der &. Barbarakirche zu 
Kuttenberg, welche fünf Schiffe hat. Auch in Mähren 
macht der Verf. eine Reihe gothifcher Kirchen namhaft, 
von denen es genügen möge hier nur Die zu Olmüg 
und Brünn anzuführen. Unter den gothiſchen Gebäu- 
den Böhmens für weltliche Zwecke gebührt dem. ſchoͤnen 
Rathhauſe in der Altftadt zu Prag der erfie Rang. 

Den fogenanuten Bauſtil der Renaiſſante | 
ber Verf. nach dem Vorgange von Stieglig und Hope 
zu hart. Ws das fchönfte Beiſpiel beffelben in Prag 
führt er das unter Kaiſer Ferdinand I. 1534 von dem 
Architekten Farabosco aufgeführte Luſthaus im Lönigl. 
Schloßgarten, und ven andern weltlichen Gebäuden bie 
ungleich fpätern. Waldftein’fchen und Gernin’schen Palaͤſte 
an. Daß der legte impofante Bau immer mehr droht 
eime Ruine zu werben, muß Ref. aufrichtig beklagen, 
Don den von dem Berf. angeführten Kirchen vieles 
fpätern Geſchmacks zu Prag begnägt fih Ref. die Sal- 
vator- und die Kreuzherrnkirche zu nennen. 

Der Bauart der Burgen, welche im Mittelalter eine 
fo bedeutende Mole fpielen, hat der Verf. ein eigenes 
Capitel gewidmet, Aus verfchiedenen Stellen ber Ge⸗ 
dichte in ber „Königinhofer Danbfdyift” wird geſolgert, 
daß die Böhmen ſchon im 9. Zahrhundert von Stein 
aufgeführte Kelfenburgen gehabt haben. ef. ficht über 
das Alter jener Gedichte kein Urtheil zu. Indeß ift es 
an ſich nicht unwahrfcheinlich, Daß die in Böhmen überall 
zuc Hand liegenden Steine die Czechen fon ungleich 
früher als ihre Stammverwandten in Pommern, deren 
Tempel und SBefefligungen, wie wir aus bem Saxo 
Srammaticus lernen, noch im 1R Jahrhundert mit 
Ausnahme der fleinernen Fundamente aus Holz beften- 
den, auf den Steinbau geführt haben mögen. on 
Burgen größern Umfangs finden ſich erſt nach dem Gin- 
fall der Mongolen 1241 Nachrichten. In der Baumeife 
wurden von diefer Zeit am meiſt deutfche Burgen zum 
Mufter genommen, ja fie erhielten bei der Vorliebe 
Wenzel's I. für die deutfche Sprache fogar Häufig deut- 
{he Namen, wie 5. B. die von 1241—46 erbaute Burg 
Rofendberg, der Stammſitz der echtböhmiſchen Familie 
dieſes Namens. Darauf gibt der Verf. die Namen ber 
einzelnen Theile, welche denen in Leo's befannter Ab⸗ 
handlung über Burgmbau und Burgeinrichtung ent 
fprechen, in böhmifcher Sprache, und führt die wichtig⸗ 
fien ber noch in Böhmen und Mähren vorhandenen 
Burgen an, unter denen wie billig der Karlſtein die 
erfte Stelle einnimmt. Intereffant ift die hierauf fol- 
gende Überficht ber bedeutendften Burgeumen, weiche 


‚ der Verf. na Umfang, Befefligungsart und Lage in 


acht Glaffen theilt. Zu bedauern ift, daß derfelbe feine 
Bemerkung, daß Sitte und Rebensweife auf diefen Bux- 


führung gelangen möchte, pflichtet ef. von ganzem | gen nationalböhmilch geblieben fei, micht durch eine 


[4 








Seäikerung derfelben etwas mehr ausfühe. Wem der | ruf. =) Maßer 


Berl. am Ende diefes Abfehnitts die Zerſtoͤrung der 
ſlawiſchen Staͤdte Rhetra, Pineta und Arkona beklagt, 
pt zuvörberft von der zweiten zu bemerken, daß, nach-⸗ 

m Friedrich v. Rumoht und, ihm folgend, Levezow 
aus einem Vergleich der Nachrichten bes frühern Adam 
von Bremen mit denen in der fpätern Chronik des 
Helmold augenſcheinlich bewiefen, daß eine Stadt Vineta 
nie eriffirt hat, fondern diefer Name nur von Helmold 
an die Stelle des bei feiner Quelle dem Adam von 
Bremen ſtehenden Julin gefept worden iſt, von einem 
Bineta billig nicht mehr in der Geſchichte die Rede fein 
ſollte. Schwerlich aber würde von jenen Städten, auch 
wenn fie nicht, von feindlicher Hand zerflört worden 
wären, noch heute etwas vorhanden fein, da fie mit Aus: 
nahme der Fundamente fiher nur aus Holy befanden. 
AIndeß ift es nach denfelben Zeugen ganz gewiß, daf 
diefe Hofzbaukunft fowol in der Gonftruction, als in der 
Sanberfeit daran gefehnigter Sierathen einen fehr acht ⸗ 
baren Grad von Ausbildung erlangt hatte. Aus vollem 
Hetzen flimmt Ref. in den Noth- und Hülfsruf des Verf. 
gegen die Barbarei ein, durch welche die alten Dentmale 
der Baukunft auch noch heute fo häufig zerflört werden. 

(Die Yortfegung folgt.) 


Schule ber Erziehung in biographiſchen Umriffen. 
Eufebius Schmidt. Berlm, &imion. 1846. 8. 
1 TH. 10 Nor. 

Der Verf. ſtellte ſich die Aufgabe, unter vorbandenen Bior 
araphien diejenigen auszuwählen, welche paͤdagogiſches Intereſſe 
getoähren, hierbei beſonders bie Zugendgefhigte und Gharak: 
terbifdung zu berüßfigptigen und biefem @tofe Bemerkungen 
zur Anregung weiten Nachdenkens über mannichfache Seiten 
der Erzichungsfunf beizufügen. Wir finden diefe Aufgabe auf 
fo befriedigende Weiſe gelöft, daB mir das Bud allen ange 
enden Erjichern und namentlich gebildeten Müttern, deren Be: 

lichten nicht im @alonleben aufgehen, zur Benugung 
empfehlen fönnen. us den mitgeteilten 34 Giographifhen 
tigen läßt fi ſchon etwas lernen; veich fließt die Duelle 
der Erfenntniß aus dem Leben der Männer und Frauen, welche 
hier vorgeführt werden, die werfchiebenartigfien Richtungen fer 
hen wir in Diefen bedeutenden Perfönlicpkeiten vertreten und in 
jeder einzelnen bieten fi) anziehende und beiehrende Momente 
menfäjlicher Entroidelung dar. Ungeachtet der Kürze, mit wel: 
her der Verf. die Biographien behandelt, ift er nicht in den 
Fehler der Zrodenheit verfallen; überall ift die Darftellung fo 
aehelten, daß fie ein Intı fie die Gebildeten enwedt, und 
wma ber Mangel an Wusführlicgkeit in dem Leſer den Wunfdy 
nad volfkändigern Lebensbefgreibungen vege macht, fo er- 
wirbt ſich die vorliegende Schrift noch das befondere Berdienft, 
zur Berbreitung des Geſchmacks an guter und bildender Lecture 
Pe Dean wir dürfen wol nicht erft ausführen, daß 
fü bedeutende Biographien fets den mittelmäßigen 
Romanen vorzwichen find. 

Der Bel'pat feine biographifchen Umeiffe nach folgen- 
den Rubriken geordnet: I. 2ebensteieb und Sirkſamkeit vor- 
hertſchend religids (@pener, Singendorf, Savater, Jung · 
Stiking). 1. ꝛebenstrieb und Wirkfamkeit vorherrſchend mil: 
—— Eeſfing, Krand, Kant, Fichte, Bohlen). IM. Die 
Bike , burdbrangen von ber Religion (Bühhing, Her- 
der, 3. 0. Müßer, Steffens, Meßter). IV. Kunftberuf (Mic: 
ind, Sopebuc, & 3. 0. Biber, Mod). Übergang zum 
prakriſchen Beruf (Geume, Barzto). V. Praktifher Be: 





. 


Von’ 





wit dee Bifenktoft (Artahk), 
b) Duc@orungen von der Wiffenicaft (Dinter, 26 De 
Hetoig). 0) In üerbinbumg mat der Wiffenkhaft und 
rungen von ber Religion (Gicdel, Ragel, Rappard, = 
Anhang. Frauen (Unna Lavater, @life v. d. Rede, 
Sophie v. Laroche, Amalie Emma Schoppe, Dorothea v. Robbe, 
Amalie v. Galligin). 
gen, wetche der Verf. dieſen biogtaphifdien 
ogiſchen Takt 


religioſer Bezieh: alt eber ! 
wie von Aelafer @eihpätiäht Sum Bee Dafın Ten 


nen. Wenn nun von der einen Seite fein Grund vorhanden 
ift, dem jungen Kinde die Bekanntfgaft Gprifti vorzuenthal ⸗ 
ten, fo Bann e8 von der andern Seite auch durchaus nicht ber 
denklich und dem Geifte unferd Meifters entgegengefeht er⸗ 
feinen, daß wir das Kind die erfte Befanntfcaft mit ifm 
nur umter einer ſolchen Borftellung machen Saffen, bie, an fi 
daraus wahr und edit, zugleich der findhchen Geele am an 
gemefienften it. Da erfheint mie dann bie, unter welcher 
ihn Zingendorf zuerſt faffen lernte — daß er unfer Bru⸗ 
der und auß Liebe für un& geftorben fei, als eine der anwend: 
barften, fofern fie Liebe und Vertrautn wedt und erhätt, und 
fomit nicht nur bie Hauptgefinnung und bie Haupttugend des 
Shriftenthums, ſondern auch zugleich die Gefinnung und Zugend, 
deren das Kind am früheften fähig if-“ 

(Die betreffende Stelle aus Jinzendorf's Leben lautet: 
„Schon im vierten Jahre betete er vol Andacht und hegte mit 
der Borftelung, daß Ehriftus unfer Bruder umd für und ge 
foxben fei, die berzlichfte Biebe zu dem Seilende. 48 dürfe 
ja mit dem Bruder, glaubte er ſchon damals, Jedermann brds 
derlich umgehen, und brauche nicht zu ſcheuen, ihm Alles, 
wenn et auc mod fo ſchlecht wäre, vorzutragen. So entfpann 
ſich in dem kindlichen Gemüthe ein trauiicher Verkehr mit dem 
‚Heilande, der ihm für fein ganzes Leben eine füße und unent ⸗ 
behrliche Gewohnheit werde.) 

Des Berf. beachtungswerthe Bemerkungen über das er 
aungene Nirchengeden der Zugend fnüpfen fid an bie 
Mittheilungen aut Kotzebue's Leben. Diefem epe es in feir 
ner Kindheit nicht an Frömmigkeit; er ſelbſt erzäßft: „Kaum 
hatte ich des WMorgens mein Lager verlaffen, fo ging ich au, 
um gang ungeftört zu beten, an einen heimlichen Drt, den bie 
Chrbarkeit zu nennen verbietet. Dort fchloß ich mich forgfäl« 
tig ein, miete nieder und betete, Peine auswendig gelernten, 
fondern aus dem Herzen kommende Seufzer.“ Aber durch er» 
wungenes Kirchengehen — an jedem Sonntage Vormittag und 
Kadpmittag führten die Hofmeiſter in Weimar ihre Böglinge 
in die Kirche — wurde jener Hang zur Prömmigkeit in dem 
Knaben erftit. Hierbei nimmt der Berf. Beranlaflung zu 
folgenden Betrachtungen: J 

„Schon öfter ift durch erzwungenes Kirchengehen bei 
der Jugend gerade da8 Gegenteil von Dem gewirkt worden, 
mas dur. daffelde beabfihtigt mar. ur in feltenen Fällen 
iſt das Kind ver dem zwölften Jahre — oft auch noch nicht 
nach demielben — fähig und geneigt, einem lange dauernden 
sufammenhängenden Bortrage mit Wufmerfamteit zu folgen, 


‚ 
. 
D 
J 


elbſt unter bei Vorausſetzung, daß derſelbe dem kindlichen Faſ⸗ 
nasvermoͤgen ganz angemeſſen wäre. Die Predigt aber, als 
ft an Erwachſene gerichtet, wird auch von dem aufmer?: 

amen Knaben oder Maͤdchen nur theilweile verftanden werden. 
So ift es denn kaum anders möglich, ald daß das Rind wäh 
send der Kirche in den peinlichen und fehädlichen Zuſtand ber 
Langweile geräth, der, je öfter er wiederkehrt, ihm befto un- 


exträglicher werben muß. Freilich gibt e& auch hier Ausnah⸗ 


men von der Regel: eine haben wir bereitd in Fichte kennen 
lernt, der ſchon als achtjaͤhriger Knabe eine Predigt aus dem 
edächtniß ziemlich vollftändig wiederzugeben vermochte: eine 
andere bildet Bollmar Reinhard, defien regelmäßige Sonntags: 
befihäftigung es ſchon im elften Jahre war, die Predigt feines 
Baters aus dem Gedaͤchtniſſe aufs Papier zu bringen. Bor: 


ich begabte Linder bilden aber auch in andern Beziehungen: 


usnahmen von der ‚Regel. Zwar koͤnnte von Denjenigen, 
weiche für einen möglichft ‚früben regelmäßigen Kirchenbeſuch 
find, eingewandt werden: a) Wenn au nicht die Predigt, fo 
wird. duch der Geſang ber Gemeinde und beren feomme, an: 
daͤchtige Stimmung einen woßlthätigen religiöfen Eindrud auf 
die Kinder machen und fromme Gefühle auch in ihnen weden 
und beleben. b) Die Jugend muß an eine Bitte gewöhnt wer: 
den, die ihr im fpätern Alter eine unerlaßliche Pflicht ift und 
“die ihr in dem Grade eine immer angenehmere werden wird, 
in welchem das Berftändniß der kirchlichen —— ihr 
aufgeht. c) Es bleibt doch auch von der Predigt den Kindern 
etwas, das fie ſchon auf ihr jegiged oder auf das fpätere Le: 
ben anmwenden fönnen. d) Es wird ihnen wenigftens die Ge: 
legenheit genommen, während dieſer Zeit Böfes zu thun. — 
Run läßt fih nicht Teugnen, daß die angeführten Gründe zum 


Theil etwas für ſich haben; aber was den erfien betrifft, fo. 


wird doch auch wieder der Eindrud um fo flärker fein, je fel- 
tener dad Feine Kind in die Kirche kommt, und er kann leicht 
ganz verloren geben, wenn der Kirchenbeſuch allfonntäglich wie» 
derholt wird. Der zufegt angeführte Grund bat nur unter 
befondern Berhältniffen etwas zu bedeuten und die beiden an- 
deren erhalten ein um fo volleres Gewicht, wenn man die Wer 
wähnung zur regelmäßigen Theilnahme am Gottesdienft erft 
dann eintreten läßt, wenn das Kind fähig if, ihm mit Ber: 
ftand und Herzen beizumohnen. Died, meinen wir nun, Ponne 
etwa nach erreichtem zwölften Jahre gefchehen, ohne jedoch den 
einzig angemeffenen Zeitpunkt beflimmen zu vollen‘, oder zu 
meinen, dag bis dahin gar nicht für Das kirchliche Leben des 
Kindes geforgt werden müſſe. Vielmehr erflären wir dieſe 
Sorge für eine entjchiedene Pflicht des Haufes und der Schule. 
Beide müflen nicht nur unterrichtlid darauf hinweifen, daß ein 
hriftliches Leben immer auch ein Eirchliches fein müffe, fondern 
die Altern insbefondere nrüffen auch den Sonntag auf eine 
würdige Weiſe auszeichnen und duch ihr Beifpiel zeigen, wie 
Lieb und wie wichtig ihnen die Kirche fei. Geſchaͤhe dies und 
nähmen dann die Witern an den Hauptfefttagen und fonft zu: 
weılen ihre Kinder mit in das Gotteshaus, fo würden wir auch 
der in neuerer Zeit an manchen Orten eingerichteten Kinder: 
otteödienite entbehren koͤnnen, die, aus fo löblicher Abficht fie 

rvorgehen, doch fchwer den ber Eindlichen Ratur angemefle- 
nen Takt und Zon treffen. — Bon der Schule aus pflegt wol 
auh an erwachſenere Knaben und Mädchen die Anfoderung 
emacht zu werden, daß fie»die Dispoſition der Predigt auf: 
Poreiben., und infofern dadurd eine Anregung zur Yufmerf: 
famkeit und eine Anleitung zum vollftändigern Berftändniß er: 
ielt werden fol, Bann Vieh Einrichtung nur gelobt werben. 
—* hat ſie doch auch ihr Bedenkliches. Das Kind wird da⸗ 
durch gezwungen, gerade auf das abſtracte, todte Gerippe der 
Rede feine Aufmerkſamkeit zu richten, und Herz und Empfin: 


dung geben dabei Leicht leer aus. ine entwickelnde Unterre: - 


dung über das Ganze ber Predigt, in welcher man bie Dis: 
pofition finden läßt, möchte denjelben Zwed ohne jenen Rad: 
theil erreichen ·· 

Indem wir mit Hinſicht auf dieſen Gegenſtand an Lavater, 


Stilling und Bohlen erinnern, und auf Dinter, 


®. v. Gallitin lee eine uns noch befenderer Beach⸗ 
ein fe 


tung werth, was Bfcho iner „Selobſtſ 
„Ran bielt mi in meiner Kindheit eifrig zum Beſuch des 
Sottesdienftes an, während mir unerflärlih war, wozu dem 
lieben Gott» das lange Seillfigen, Gingen und Predigt» 
hören dienen Pönne, ba es doch uns Kindern nur Langweile 
machte. Ich trieb’3 übrigens in der Kirche wie jeder meines 
Alters, flatterte in Gedanken in meinen Robinfonaden umher, 
betrachtete mir fehr andächtig des Pfarrers Geberdenfpiel, ben 
wechfeinden Faltenwurf feines Kanzelrocks, lauſchte dem Ber: 
ballen feiner Stimme‘ in den Kirchengewölben nad), ober er- 
gögte mic an der Roth der Schlafenden, ihr anfländiges Sieich⸗ 
gericht zu erhalten. Der erſte Tempelbeſuch eined jungen 


" darüber fagt: 


Menfchen folte ihm nur bei binlänglicher Berflanbesrrife ge: ' 


ftattet und fein erfter religiöfer Fefttag fein.” 





Literarifche Notizen aus England. 
Bulmwer über Waffercuren. 
Bad man nicht Alles zu Iefen bekommt! Sir Edward 
Lotton Bulwer, oder wie er fich jest ſchreibt, Bulwer eytton, 
hat ein Buͤchelchen herausgegeben: „Confessions and observa- 


. tions of a water patient” (£ondon 1845), das im londoner 


Driginal 25, in der leipziger Ausgabe 4 Nur. Poftet und umfonft 
zu theuer if. Daß der Verf. we Bühne häufigen Weingenuf: 
ſes und fonftiger Allotrien ein Waſſertrinker geworden tft, bes 
greift fi. Wie er aber in nüchternem Zuſtande dad Büchel: 
hen hat fehreiben Fönnen, begreift fih kaum. Es erfcheint in 
Geſtalt eines Briefs an Harrifon Ainsworth — etwa zum Be: 


hufder Belehrung? — und beginnt mit einer Artigkeit über defr . 


fen Redartion des „New monthiy”, eine Würde, wie der befchei- 
dene Berf. fagt, „welche ich die Ehre gehabt habe vor Ihnen zu 


befeiden”. Daß das mit Waflertrinten weniger gemein hat als. 
mit wäfferlichem Schreiben, weiß Jeder, der du8 „New monthly” 


fennt. Wo iftnun der Werth des Opus? Er hält der Waflercur 
eine Zobrede, ohne zu fagen, worin jene beſteht. Ein Anlauf wirb 
genommen, die ſchwere Kunſt zu lehren, fich in ein naffes Bett- 
tuch einzufchlagen. Dabei bewendet es. Dann folgt der Rath, 


Waſſer ſtatt Weine zu trinken. Ein Jahrhunderte alter, für 


Millionen Menfhen völlig unnöthiger Rath. Aber was für 
Waſſer? Quellwaſſer, Flußwafler oder Regenwafler? Davon 
fein Wort. In welcher Quantität? Kein Wort. Baden wird 
empfohlen. Heißes, warmes ober Paltes Bad? Fluß-, See- 
oder Wannenbad? Wieder Fein Wort. Genug, dad Büchel⸗ 
chen ift lediglich ein lobredneriſches Stüd Autobiographie, das 
auf die Welt gefommen, um der Welt zu fagen, daß der Berf. 
noch am Leben. Und das einzig Reue, was der Lefer erfährt, 
rebucirt fi darauf, daß nichts der Gefundheit zuträglicher als 
früh aufftchen, ſich Bewegung machen und im Effen und Trin⸗ 
tem mäßig fein. 's tft nicht zu glauben! 


j Eine neue englifhe Novelle. 

Der öffentlich noch ungekannte Berf. der vielgelefenen drei⸗ 
bändigen Novelle „Lord Daere of Gilsland‘' bat eine zweite 
herausgegeben ‚„Githa of the forest” (London 1845), welde 
bie erftere an Intereſſe übertrifft und das befondere Berdienft 
bat, einen tiefern Blick in die Sitten und Gebräude der alten 
Dänen und Sachſen zu gewähren. Der Zitel tft der Name 
der Heldin, der Schauplap anfangs Lincolnfhire, zufegt Ror- 
wegen, und bie Hauptangel der Geſchichte die Berrätherri eines 
chriſtlichen Häuptlings an einem guten, gaftfreien Heiden unter 
der Regierung Ethelwolf's. In Folge dieſer Berrätherei ſchwoͤrt 
die Gattin des Daͤnen dem Sachſen Rache und nimmt ihrem 
einzigen Kinde, einer Tochter, denſelben Schwur ab. Der 
Kelch wird dem Sachſen bis zum Rande gefüllt und er muß 
ihn leeren bis zur Reige. Die antiquarifhen Forſchungen find 
fo geichidt in die Fabel verwebt, daß ber Fleiß, ber fie ein⸗ 

fhoflen, fi nirgend damit breit oder auch nur bemerk⸗ 
ar macht. 16, . 


Berantwortlicher Herausgeber: HReinrich Wrodhant., — Druck und Berlag von F. X. Drockhaus in Beipzigr * 


— — 


m — ¶ — —— 


Blaͤftt ter 
| Fr | 


literarifhe Unterhaltung. 





Grundzüge der böhmifchen Alterthumskunde. 
Von Johann Erasmus Wotel. 
(Bortfegumg aus Nr. ®.) 

WVon den bildenden Kimften, worauf der Berf. 
nun kommt, behandelt er zunächft die Malerei. Ale 
Beifpiel der tupifchen Darftelung Chriſti, wie fie Die 
byzantinifhe Kunſt ausbildete, führt er dad Antlig 


Shrifti in der Domkirche zu Prag an. Ref. gefteht, daß 


ex darin nicht mit bem Verf. eine erhabene Würde und 
einen eigenthümfichen geiftigen Reiz finden kann. Die 
ganz feeren, zinnoberrothen Lippen, der ſchwere, fo frifch 
braune Zon bes Fleiſches feheinen ihm vielmehr für eine 
fpätere Ubermalung zu fprehen. Wenn der Verf. die 


altkolniſche Malerſchule als eine foldhe hervorhebt, welche 


mit der altitalienifchen und der böhmifhen vorzugsweiſe 
Töchter der byzantiniſchen zu nennen wären, fo muß 
Ref. bemerken, daß ın der altkölnifchen Schuls ein fol- 
cher Einfluß nicht ftärker wahrzunehmen iſt als in den 
meiften Malerfchulen des Abendlandes, in den Bildern 
vom Meifter Wilhelm und feiner Zeit aber nur Hödhft 
dedingungsweife flattgefunden hat. Daß dagegen in 
Böhmen, in Folge der Ginführung des Chriſtenthums 
durch Method gegen Ende des 9. Jahrhunderts die by- 
zantiniſche Kunſt in ben nächften Jahrhunderten einen 
fehr entfchiedenen Einfluß ausgeübt hat, erfcheint auch 
ef. fehr natürlich. Diefer Art mögen die Malereien 
geweſen fein, welche ber Abt des Kloſters Sazawa, 
Bozetech, der aͤlteſte böhmifche Maler, von welchem wir 
Kunde haben, in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhun- 
derts ausgeführt hat. In dieſem Kioſter iſt die Kunſi 
befonders gepflegt worden, wie denn auch ein Abt Sil⸗ 
vefter ebenfalls noch im 1. Jahrhundert dort Malereien 
ausführen lief. Im 3. 1129 aber ließ der Herzog 
Sobeslaw die Wände der Collegiatkirche am Wyschrad 
mit Malereien fhmüden. Das Altefte noch vorhandene 
Denkmal boͤhmiſcher Kunft iſt mach dem Verf. der erfte 
Theif eines mit gemalten Initialen geſchmückten Evan⸗ 
gelienbuchs, welches von dem heiligen Procop zwiſchen 
den Jahren 1U10—49 eigenhändig geſchrieben, feit 1574 
mertwärbigerweife im Dome zu KRheims aufbewahrt 
wird. Diefem läßt der Berf. noch eine Reihe von 
nt Handſchriften mit Miniaturen und fpäter noch 
ein fehr fchönes Mepbu in ber prager Dombibläochel 











foigen, welche, mit einigen Ausnahmen auch ben Ef. 
bekannt, feine® Erachtens wugleich mehr geeignet finb 
bie Geicdichee und Eigenthümlichkeit der attiöhmeilden 
Malerei kennen zu lemen ale bie noch verkandewen 
Wand - und Tafeigemätde; denn theite umfaffen fir d- 
nem Zeitraum vom 11. bis zur zweiten Bälfte bes 18. 
Jahrhunderts, waͤhrend die dem Ref. bekannt geworde⸗ 
nen größeen Gemaͤlde faͤmmtlich etwa von 1380 1660 
fallen moͤchten, ſobann iſt bie Zeit der Miniaturen faſt 
durchgaͤngig ſichet beglaubigt, endlich find. fie meiſt we⸗ 
der verdorben noch der urſprüngliche Charakter durch Ne⸗ 
ſtaurationen entſtellt. Mef., welcher außer ben erwaͤhn ⸗ 
ten noch eine Reihe von ſehr wichtigen Haudſchriften mit 
boheniſchen Miniaturen in der kaiſerlichen unb in der am⸗ 
braſer Bibliothek zu Wien gefehen hat, muß ch begnügen, 
bier einige Hauptergebniſſe diefer Studien witzuchellen, 


indem er die nähere Begründung dexfeiben feier 


ſchichte der Miniaturmulerei vorbehält. Der fogenanme 
„Wysthrader Coder“ auf der Univerſitaͤtsbibltothek zu 
Prag, ber wol ficher der erſten Hälfte bes 11. Jahrhun⸗ 
derts angehört, beweiſt, daß fihen fehe zeitig ein Einfluß 
vom frankiſchen Reiche ats flattgefinden bat, dem mit 


Ausnahme der Art des Segnens nach dem Minus der grie: 5 


chiſchen Kirche zeigt ex keinen byzantiſchen Einfluß, fon 
desn gleicht in Auffaffung und Technik den echt voma⸗ 
niſchen Miniakuren des 10. Jahrhumeres fo fahr, be 


man verſucht wäre, ihm fir fraͤnkiſcher Abkeanſt zu hal- 


sen, wenn ſich naht ſchon bier das ben flawiſchen Demt- 
malen eigenthümliche Poliment von ſchwarzer Farbe zean 


Auftragen des Goldes verfände, waͤhrend alle anben 


mie befanuten Möller, welche ven Soldgrandb angewen⸗ 
det, zur Folie ven Bolus gebraucht haben. Außerdem 
find mir auch ſchon hier einige eigenthümliche, beſouders 
abwätich, aus dem Leben beobachtete Motive aufgefallen, 
weiche fich im den im Allgemeinen ebenfalle in Stufe 
und Art der Aushildung mit den deutſchen Miniaturen 
der fobgenden Jahrhunderte übereinftimnteneen Riniateren 
gleichfalls vorfinden. Der Chartaktoe ber boͤhmiſchen 
Malerſchule des 14. Jahrhunderts iſt aber sine MRobik- 
catien einer ibraliſtiſchen und fchr Bitgemäßen Richcung, 
weiche, wie Ref. an verſchiedenen rien nachgewieſen, 
Brot zuerſt im Köln beobachtet, von dir Mitde Des 


t4. Jahrhunderts ab zu geiches Zeit in am Deut 





8 


nach Prag gebracht hatte. 


land, den Rieberianden und Frankreich herrſchte. Fin 
Theodorich von Prag, deffen Bilder in der Königskapelle 
des Karlſteins ficher beglaubigt find, befteht diefe Mo- 
dification vornehmlich bei den Männern in dem Streben 
nad) Granbiofität und Würde, welches mit eines, gewiffen 
Schwerfälligkeit und zu, großer Ausladung der Formen, 
befonder6 der der Nafen mit breitem Rüden, verbunden 
tft, in weitgeöffneten Augen, in einem fehr feinen grauen 
Zone der Schatten und Halbtöne und einer fehr zarten 
Berſchmelzung der flüffigen Karben. In den Werken 
anderer böhmifcher Maler der Zeit ift, zumal in den 
etwas gefchligten Augen, beftimmt ein Einfluß des treff- 
lichen italienifchen Malers Thomaſo ba Modena, ben 
Karl IV. nach Böhmen berief, unverkennbar. ' In den 
Miniaturen gefellt ſich noch ein Einflug aus Frankreich 
und den Niederlanden hinzu, welcher wol am natürlich⸗ 
ſten dadurch zu ertlären ift, daß jener Kaifer, welcher 
feinen geliebten Böhmen gern in jeder Beziehung das 
Trefflichſte zuwenden wollte, bergleichen Miniaturen aus 
Paris, dem damaligen Hauptort für diefe Kunſt, mit 


an Feinheit der Ausbildung find die Durch die Beifchrift böh- 
mifcher Maler, 3. B. eines Zbinko von Trotina, oder ander: 


wveitig ficher beglaubigten böhmiſchen Miniaturen ben gleich- 


zeitigen deutfchen allerdings überlegen. Zugleich ift barin 
ungleich mehr. ald aus den dem Ref. bekannt geworde⸗ 
nen Wand- und Staffeleigemälden ein lebhaftes Gefühl 
für eine fehöne und gefällige Bildung ber Köpfe, zumal 
der weiblichen , und für Anmuth der Dewegungen, ale 
durchaus eigenthümliche und .fehr ausgezeichnete Cigen⸗ 
fhaften der. böhmifchen Malerfhute des 14. Jahrhun⸗ 
derts, zu erfennen. Hierzu fommt noch bei den Por⸗ 
traiten ein fehr achtbarer. Brad der Individualifirung. 
Ans Obigem erhellt, daß Ref. dem Verf. durchaus 
nicht beiftimmen kann, wenn er ber Anficht ift, daß we⸗ 
gen bes rohen Zuſtandes der Gebilde deutfcher Male⸗ 
rei bis zum Ahfange des 13. Jahrhunderts früher fein 
Einfluß der deutfchen Malerei auf die böhmifche- ftatt- 
gefunden bat. Er läßt fi, um dieſes zu bemeifen, von 
feinem Patriotismus dazu verleiten aus der „Geſchichte 
der Kunft” von Kugler einen Schluß zu ziehen, der kei⸗ 
netwegs aus den Worten deffelben folgte. Kugler fpricht 
nämlich bort lediglich von den zufällig in Deutſchland 
erhaltenen Mauer- und Eitaffeleigemälden, während er 
verſchiedentlich geltend macht, was in Deutfchland feit dem 
Anfange des 11. Jahrhunderts Bedeutendes in der Minia- 
turmalergi geleiftet worden ift, welches der Verf. um fo 
mehr haͤtte berudfichtigen follen, als er die böhmifche 
Miniaturmalerei, und zwar mit großem Recht, geltend 
made. Übrigens fcheint es dem Ref. ungleich weniger 
darauf anzukommen, ob in Böhmen fremde Cinflüffe 
auf bie Kunft flattgehabt haben, welche in der Verket⸗ 
tung der Kunftgefhichte ſich bei allen Völkern des Mit⸗ 
telalters darthun laffen, als ob die Böhmen das lber- 
fommene in ihr eigenes geifliges Lebensblut verwandelt 
und mit Geiſt und Geſchick daraus etwas Eigenthümli- 
dies von Bedeutung herausgebildet haben, was aller- 


242 


An Schönheit der Farben, 


dings, wie Ref. oben angedeutet hat, durchaus ber all 
iſt. Schr dankenswerth iſt die Vermehrung des Ma- 
terials der Geſchichte der Malerei in Böhmen durch die 
Aufzählung einer Anzahl bisher nur wenig bekannter 


‚Tofelgemälde aus dem 14., .15. und 16. Jahrhundert, 


von denen Ref. bier nur eine Maria mit dem SKinde 
in der wysherader Collegiatkirche, Vorgänge aus ber Lei- 


densgefchichte und den Tod Mariä in der Dedyanteificche 


zu Raudnic und ein Marienbild in der Kirche zu Hohen ⸗ 
furth als von befonderer Bedeutung hervorheben. will. 
Selbſt die böhmifhen Maler des 17. Jahrhunderts ver- 


"dienen, wie Ref. gelegentlich darzuthun hofft, viel mehr 


Beachtung als: ihnen bisher zu Theil geworden if. 
(Der Beſchluß folgt.) 
Romanliteratur. 


1. Eine. Kunftreife und ihre Folgen. Eebensbild aus ciner klei⸗ 
nen Stadt. Breblau, Kern. 1845. 8. 1 Zhlr. 


— — — —— — —— —— — — 


- Bir können nicht umhin den vorliegenden Roman für den 
Erftlingsverfuch einer weiblichen Feder zu halten; die Schrift 
ftellerin ſcheint fi aber nicht klar geworden zu fein, ob fie 
diefen Verſuch einer Zendenz widmen wollte oder nur der bio- 
Ben Unterhaltung. Zumeilen meint man die gute Lehre her⸗ 
ausnehmen zu müflen, daß die Frauen auch praktifche Haus: 
frauen fein follen, um den Mann zu beglüden; zulegt wird 
man indeß mit der Gelehrten ausgeföhnt, als fie, indem 
den Sternenhimmel mit wiſſenſchaftlichem Blick beſchaut, das 
Feuer. auf dem Landhauſe ihres Schwiegervaters erblidt und 
ſchoͤne Eigenſchaften Des Gemuͤths entwidelt. Cine Schaufpie 
fertruppe, welde in dem Städtchen Borftcllungen gibt, bring 
Bewegung unter die Kleinftädter, welche Manchem zum Siuh, 
RManchem zum Unglüd gereihen; unter den Zufchauern werden 
Bebanntichaften angefnüpft und Ehen gefchlofien wie auf der 
Bühne und der ehrliche Docter Behrend entdeckt die Untreue 
feiner Dienfiboten, welche, um ins Theater zu geben, ihn be- 
trugen. Der Roman enthält manche wahre Bemerkung, man- 
he gute Neflerion, doch ift er ganz ohne Talent gefchrieben 
und kleinlich; er beichäftigt ſich mit Unbebeutendheiten, welche 
den gebildeten Kefer gar nicht, den ungebildeten nur wenig in: 
tegsfiren koͤnnen. 

2. König und Rarr. 

£eipgig, Hunger. 

Barum das vorliegende Werk „König und Rarr’ Heißt, 
begreift man nicht, da der König Heinrich VIII. und der Rasr 
weder die Ertreme noch den Mittelpunkt des Romans bilden. 
Der König erfcheint nur einen Augenblid, um ein wißiges hu⸗ 
moriftifches Geſpraͤch mit dem Rarren zu halten, welcher aller 
dings dem Shakſpeare ſchen Karren geiſtverwandt iſt; doch es 
iſt nicht der Narr, ſondern ein Gauner welcher vom Rarren 
gezwungen war die Rolle zu übernehmen und welcher entdeckt 
wird, entfpringt und Bauner bleibt bit er gehängt wird. Der 
Roman machte Ref. überhaupt Den Eindrud, ald habe der Berf. 
nur einzelne Bilder einer fchöpferifchen geiſtreichen Yhantafic 
zufammengewürfelt; es find Iebendige Scenen voll Geiſt und 
Humor, welche zu einem Ganzen gezwungen wurden ; der Ro: 
man ift unwahrfcheinli und geichraubt, es bleiben die bedeu⸗ 
tendften Greigniffe unmotivirt, unerflärt. hätten zwei 
Zheile dazu gehört, um der Skizze die Deutlichbeit und Yus- 
führung zu geben, die fie dem Berftändniß des Lefers zugang- 
lich gemacht haben würde. Ginzelne Figuren find trefflich ge 
ſchildert, z. B. der Gauner Bodet, und der Gonftabler Zapp- 
tapp. Wigfauld, der arme Budlige, weldyer in der Irauer 
um feinen Affen dem Wahnſinn nahe fteht, in feiner Liebe zur 
ſchoͤnen Linea nicht minder, ruͤhrt trog der zahlreichen Verzer⸗ 


Roman von Bernhard Heßlein. 
1846. 8. 1 hir. 


& 





343 


rungen. feinen WBıdhmera des Aleinfichens und Ungeliebt 


durch | 
feind. Nef. bedauert, die früheren Werke des Berf.: „B.:Dor 


mingo”, „De Brahe u.a., deren das Zitelblatt erwähnt, nicht 
gelefen zu haben, denn wenn auch der vorliegende Roman nicht 
Allen Unfoderungen entfpridht, und in vieler Hinficht nicht ge- 


nugt, ſo beurkundet er doch ein ſchoͤnes Talent, und Mef. er: 


Auge ſei gewiß Seele geweſen; um ihretwillen 


bes als ein Zufall, wenn letzteres nichts Ganzes und Be⸗ 
iedigendes hervorgebracht. . 


3. Byron d ‚Srauen. Bon Ida von Düringsfeld. Breslau, 
Kern. 13945. 8. 1 Thlr. 7% Rar. 

Wie in dem Beelenfpiegel einer Dichterin des grefen Dich- 
ter& herrliche Geftalten aufgenommen, wie fie wiebergegeben 
werden, ift gewiß der Lefewelt nicht ohne Intereſſe; und die 
Leſewelt bat fchon mit fo vieler Xiebe und Dankbarkeit die 
Wideripicgelungen bes wirklichen Lebens von biefer Berf. in 
Den verfchiedenen Werken, wie „Das Schloß Goczyn““, „Mag: 
Dalena‘, „Graf Chala“, aufgenommen, DaB das vorlie 


gende Werk nur ein freudiges Willlommen finden kann. Die | 


Kritik einer Kritik zu fchreiben, ift indeß eine ſchwierige Auf: 
gabe- und fein Gewinn für die Kiteraturs es fleht immer zu 
befürchten, daB wie in einem Zimmer, wo allzu viel Spiegel an- 
gebracht find, dic fo oft wiebergegebenen Bilder am. Ende unklar 


und verzerrt werden, fo auch die Krititen der Kritik am Ende |- 


ins Undeutlihe verſchwinden müflen. Bon Kritik kann bei 
dem vorliegenden Werke übrigens. gar nicht die Rede fein. 
Ref. kann die Byron’fhen Frauen vieleicht anderd aufge: 
faßt, würde fie anders wiedergegeben haben, darıım hat er 
noch nicht das Recht, die vorliegende Auffaffung zu fritifiren, 
und er wird wohltbun, wenn er, um einen Begriff von der 
Auffaffungsweije der Autorin gu geben, fie für fi felbft ſpre⸗ 
hen läßt und eins ihrer Bilder dem Publicum vorlegt. Wir 
wählen Leila aus dem „Giaur”: 
Gie wer ein Bild von Leben und Licht, s 

Geſehen, warb fie zum @eficht, 

Und fand, wohin ich immer fah, 

Das Sternbild der Erinn’rung ba. 


„Die &Havin eines Pafcha und die Geliebte eines Giaur, wie 
Der Ehrift bei Mohammed's Gläubigen Heißt, untreu ihrem 
Herrn und treu bis zum Tode ihrem Geliebten, getödtet durch 
den Born des Einen und gerächt durch die Liebe des Andern, 
Das ift Leila’6 Beftimmung. Leila felbft tft die erfte Schönheit 
weiche Byron malte, biöher hatte er nur gezeichnet. Wie er 
Da die Farben gleich in feiner Dichtergewalt hat! Wie fie ihm 


geborgen und magifch zufammenfließen, damit in ihrem Glanze 


- Dad Bild erfcheine! Jedoch erzählt Byron nicht felbft von «der 


TJochter Circafſiens, dem lieblichften Bogel ihres Randes»; er 
laͤßt es erſt einen alten türkifchen Fiſcher, dann ihren @elieb: 
ten thun. Die muß wunderfchon gewefen fein; der alte Fiſcher 
it noch ganz in Begeifterung, da er von ihr fpricht, zu der 
Seit, wo fie noch die geliebte Sklavin des Paſchas, die Ge: 
bieterin feines Harems war. Der Fiſcher meint: in ihrem 
glaubt er es 
nimmermebhr: das Weib fei nichts als feelenlofer Staub. Leila 
muß wunderfchön geweſen fein in der Mitte ihrer Mädchen, 
ihre Fuße weißer als der Bergichnee, ihr Haar auf den Mar: 
morboden fallend. Der Rifcher fagt, wie der Schwan im 
Wafler, fo edel habe fie auf der Erde bewegt. Er erzählt 
weiter: Sonderbare Gerüchte wären damals in der Nacht des 
BDeiramd aus des Paſchas Palaſt gekommen. Leila follte als 
georgiſcher Page verkleidet mit dem Giaur entflohen fein. Doc 
ber Fiſcher weiß es befier: dev Giaur ift in jener Nacht ger 
fehen, worden, wie er wüthend dabingefprengt; aber er bat 
weder Waͤdchen noch Pagen hinter fi auf dem ſchwarzen 
Rofie gehabt. Das Hat der Fifcher gehört, felbft aber noch 
mehr erfahren. ine Schar kommt in jener Nacht, bewaffnet, 
eine Laft forgfältig tragend. Der Fiſcher bietet fein Boot an. 
Der Fuͤhrer der Bewaffneten heißt in die Mitte der Felſen ru: 


dern, mo das Waſſer ſtill ſchlaͤft, dort fenten fie die Loft in 


das Mer. Die La aber iſt Leila's fihßne Leiche geweſen; 
denn in der gemordeten: Leila Ramen überfällt der Giaur ben 
Paſcha kurze Zeit darauf. Der Pafıka ‚ feine Hale ver 
ödet, der Giaur flieht in ein Kiofter, da lebt er fchweigend bis 
der Zod zu ihm kommt. In der legten Stunde erzählt er eis - 
nem Mönche von der Geliebten: 


Ich liebte Water fies noch mehr, 
Ich betste fie glühend an; 
Doch Worte find dad, hohl und leer, 
Wie Jeder fie gebrauden kann; 
Dura meine That bewies ich mehr. 
Daß Blut an dieſem Schwerte iſt, 
Du fiehſt es wohl? es geht nicht ab — 
Das habe ich für ſie vergoſſen, 
Die meinethalb geſtorben iſt: 
Der fie geſendet in das Grab, 

Aus feinem Herzen iſt's geſloſſen. 


- Dig Liebe ſucht fich einen Pfad, 
Mo Wölfe kaum zu rauben wagen, 
Und iſt dann kuͤhn genug ihr Wagen. 
Empfängt fie wol den Kohn ber That. 
Gleich ift es wie ed mir gelang, 

Genug, daß nit umfonft Ich rang; 

. Doch wuͤnſch' ich oft umfonfl, daß nie 

. Mein heißes Gluͤh'n erwidert fie. 

Sie ſtarb — doch wie ihr Tod geweſen, 
Ich ſag' es nicht, du kannſt es leſen 
In meines Xngefichtes Bud, 
Da ſtehet Kain's Schulb und Fluch. 
Doch od du mich verdammſt, halt ein; 
Die Urſach' nur der That war mein. 
Doch was er that ich that's gleich ihm/ 
Wenn treulos fie geworden mir; 
Er gab den Kohn der Untreu‘ ihr, 
Ich raͤchte ihre Treu’ an ihm 
Was fie auch Todeswuͤrd'ges that, 
Nur Treu' an mir war ihr Verrath. 
Sie gab ihr Herz mir — was allein 
Frei in’ der Sklaverei kann Jen — 

‚Ih kounte nicht ihr Retter fein. 

Doch was ich geben konnte, gab 
Ich treulih — unferm Beind ein Grab. 
Sen Tod iſt nichts; doch was bein BE 
Test (haut, ich ward's dur ihr Beldie. 


Am Bolten Land if Falt das Blut, 
Und Eiche kaum, was man fo nennt; 
Mein Lieben gli der Lavaglut, 

Bir fie in -Ätnad Tiefen brennt. - 

Ich konnte nicht ſuͤßweichlich fingen 

Bon Schoͤnheitsglanz und Lieheöfchlingen ; 
Allein, wenn Wangen bie erbleithen, 

Und Adern wo verfiegt daß Reben, 

Uns Lippen welge zuden» beben, 

Em Her, dab fpringt, ein Hiru das brennt, 
Gewagte That und rädender Stahl, 

Und was ich fühlt’ und fühl an Qual, 
Das find, woran fi Lieb’ erkennt . 
Die meine batte diefe Zeichen. — 

Ich Hagt’ und feufste nit — eriverben, 
Nur Das vermocht' ich oder Rerben. . 
Sch Üterbe, aber ih beſaß; 

Und was da wolle mög’ geſchehen, 

Ich werd’ es rubig kommen fehen, 

Weil ih des Gluͤckes nicht vergaß. 

Mist beugt, daß ich beraubt, nuch nieder, 
Und waͤr' es nit um ihr Geſchik — 
Gib mir fo Luk wie Leid zuräd — 
Mein ganzes Leben lebt! ich wieter. 


J 


eraurt tief, doch nälkt wi ihn, 
Der ſtirbt, — um fie, die Inuge wuhk, 
Cie fhlummmert unter Mecreälient: — 
0 Yant’ zu ihrem Grab’ ich gichtn! 
Dieb Yaupt, dies Herz, fie ſuchten dert 
An ihrer Bruft ben Nuheort. 
Sie war ein Bild von Leben und Licht, 
Geſehen, ward fie zum Geficht, 

Und ſtand, wohin ich immer ſah, 
Des Sternbild der Erinn'rung ba. 


Ach ich möchte auch Hagen, daß Byron fo unüberjegbar ge- 
dichtet! Der Sterbende erfättigt ſich nicht, in feiner legten 
&tunde von feiner einzigen Geliebten zu reden; die Lava ſei⸗ 
ner Liebe. bricht in einem gemaitigen Strome hervor, und ihre 
Slut ſchillert in prachtvollen Farben. Aber wer kann dieſen 
Farbenſchmelz übertragen? Ich nicht. — Ein Bild nur noch! 
Die Liebe des Giaur ift das Licht, die Schönheit Leila's der 
Edelſtein. Wenn das Licht den Edelſtein nicht fand, wo er 
im Dunkel des Harems ruhte — er hätte nie aufleuchten Fön: 
“nen; aber ed konnte auch nur ein Edelſtein dem Lichte feinen 
Kuß mit folhem Glanz erwidern. Leila mußte fo ſchoͤn fein, 
um fo geliebt werden zu Fünnen. Segt, wie fie ift und ber 
Giaur liebt, geben fie einander Leuchten, Liebe und Leben, aber 
auch Schuld, Weh' und Zot. Doch wer möchfe nicht Tieben, 
weil Lieben Leiden macht? Keiner, der geliebt.” 

Auf diefe Weife find alle Frauen aus Byron's Dichtungen 
charakteriſirt. Als befonders gelungen und mit Liebe bearbeitet 
erfchienen uns Zuleika aus „Die Braut von Abydos“; Medora, 
Gulnara aus dem „Korfar”. An den modernen Zrauen im 
„Don Juan“ jcheint die Verf. weniger Freude gehabt zu haben 
als an den poetifchen Geftalten des großen Dichterd. Sie bat 
ihre Lieblinge, die fie mit befonderer Güte behandelt, das fühlt 
man heraus; bei den einen bleibt ihre Charakteriſtik eine Be: 
fhreibung, bei den andern wird fie ein Gedicht. Wir würden 
dem Lefer vathen, das vorliegende Werk ald Commentar zu By: 
ron 8 Werken zu legen und zu lefen; als die Kerze die defien 
Schönheit noch heller hervortreten laͤßt. 


4. Aus der Zeit 1649— 80. Hiftorifher Roman von Ma: 
ria Feodora von Dalberg. Iwei Theile. Frankfurt 
a. M., Sauerländer. 1845. 12. 1 Ihle. 25 Nor. 


Der Roman behandelt die Xiebe Des Kurfürften Karl Lud⸗ 
wig von der Pfalz zur fhönen Hoftame feiner Gemahlin Ma» 
rie Luiſe Sufanne, Freiin von Degenfeld. Das unfchuldige 
Mädchen erwidert diefe Neigung und nad langem Kampfe wird 
fie feine Maitreffe und endlih, nachdem er fih von feiner Ge: 
mahlin gefchieden bat, ihm angeteaut, und führt den Titel 
KRaugräfin. Die Aufgaben, welche fih die Verfaſſerin fchon 
in rem frübern Werke „Ein Phantafieleben und feine %ol: 
gen’ geftellt hat, nämlih die ftille refignirte ‚Pflichterfül: 
fung, das fih Fügen in die gegebenen Berhältniffe als 
glüßbringender zu ſchildern als das Folgen phantaftifchen Ein: 
gebungen, ald das Streben nad) Idealen, hat fie auch bier vor 
Yugen gehabt, indem fie dem Leſer als Gegenſatz Die fchöne 
Geliebte des Rurfürften, Flora von Lodowitz, vorführt, welche 
eine Neigung unterbrüdt, um ihr Wort zu löfen. Der Roman 
it Bein Kunftwerk, weder in Form, noch im Inhalt, nocd im 
Stil; er leidet unter Anderm auch an einer Überfülle von Pi: 
guren, welche nicht zur Entwickelung des Ganzen nöthig find, 
noch dazu beitragen. Die Geſchichte wied ſtuͤckweis erzählt, 
klar und kurz, doch fonft trägt nichts die Faͤrbung der Zeit 
und des Orts, wo die Begebenheiten fih zutragen. Der bi: 
ſtoriſche Roman ift nit das Feld worauf die Verf. Lorbern 
ernten wird, und wir ertheilen ihr den Rath, fi in den 
Grenzen ded Geſellſchaftsromans zu halten, wodurch fie Der 
ſchoͤnen Zendeng, der heiligen Morel und dem’ edein Willen, 
der fie zu befeelen fcheint, beſſer entfprechen wird. 4. 


| wachfenden Beach 


Literarifie Notizen aus Fraukreith. 


Richer's Werke in einer franzöfilgen Wear: 
eitung _ 
6 gewährt eine gewifle Befriedigung zu chen, wie bie 
Forſchungen unferer Gelehrten ſich in Frankreich mer i 
tung: zu erfreuen Haben. Ginen neuen Be- 
weis dafür, daß die beachtungswerthen Reſultato der deutſchen 


. 


WBiffenfchaft auch bei unfern Rachbarn jenfeit des Rheins . 


nicht verloren find, liefert ein vor kurzem erſchienenes hiſtori⸗ 
ſches Werk, welches einen Theil der von der „Societe de I'his- 
tsire de Franoe” heran en Sammlung ausmacht. Daf- 
felbe betrifft das eigenbändige Manuſtript Richer’s, weiches Perg 
im 3. 1833 in der Bibliochek zu Bamberg aufgefunden und im 
feinen „Mohumenta Germaniae historiea” zuerft veröffentticht 
bat. Diefes hiſtotiſche Document war allerdings geeignet auf die 
altere Geſchichte Frankreichs manches Licht zu werfen. Daher laͤßt 
es ſich denn erklären, daß die franzöftfchen Gelehrten des auf 


unerwartete Weife erworbenen Schatzes ſich bald su bemädjti- | 


gen fuchten. Die erfle ausführliche Kunde von ber wichtigen 
Entdeckung verbreitete Guerard im „Journal des savan”. 
Die BocidteE de Ihisteire de France, welche durch diefe in⸗ 
tereffante Rotiz aufmerffam geworden war, ‚glaubte dad Wert 
Richer's in ihrer Sammlung nicht entbehren zu koͤnnen. Ste 
übertrug deshafb die Herausgabe deffelben dem geachteten I. 


Guadet, der feine Befähigung zu folchen Arbeiten bereits bin: 


laͤnglich bekundet hat. genwaärtig erhalten wie den erſten 
Band ſeiner zwechmaͤßigen Bearbeitung („Richer, histoire de 
son temps, texte reproduit d'après lédition originale den- 
nee par G. 1. Pertz, avec traduction frangaise, notice et 
commentaire ;, par J. Guadet”). Der erfle Band, welcher 
und bis jegt erft vorliegt, enthalt außer einer ausführlichen 
Darftelung über das Leben Richer's und über die Zuftände 
feiner Zeit die beiden erften Bücher feined Werks. In denfel: 
ben werden die zwifhen den Jahren 883 und 954 liegenden 
Ereigniffe behandelt. Der Überfegung, welche dem lateiniſchen 
Zerte gegenüberftcht, find erläuternde Roten Eritiichen und 
eregetifchen Inhalts beigegeben. Die Fortjegung wird und au: 


Ber dem Schluß des eigentlichen Werkes noch mehre abgefon=. 


derte Abhandlungen bringen, welche in Beziehung zu dem ab« 
gehandelten Gegenſtande ftehen. So haben wir unter andern 
Unterfuchungen über die geographiihen Verhältniſſe Frankreichs 
im 10. Jahrhunderte genealogifhe Zabellen über die in 
dem Richer'fchen Werke erwähnten. Familien u. dergl. zu er: 
warten. a 


— 


Zur alten Geographie Frankreichs. 

Es find zwar ſchon vielfache Verſuche gemacht, in Form 
einer Karte die geographiſchen Verhaͤltniſſe des äftern Frank⸗ 
reiche anſchaulich darftellen; aber alle dieſe Beinühungen haben 
noch Fein vollkommen befriedigende Reſultat herbeigeführt. 
Immer noch bleiben einige Partien übrig, welche der Auflfä- 
rung bedürfen und über weiche neue Forfchungen das ermünfchte 
Licht verbreiten müflen. Einen wichtigen Beitrag zur Kunde 
ıder geographifchen VBerhältniffe von Burgund erhalten wir in 
einem Werke, in welchem — dem Titel nad zu ſchließen — 
die Befprechung diefer Intereffen nur von untergeorbneter Be: 
deutung zu fein ſcheint. Daffelbe enthält eine Sammlung $i- 
ftorifcher Documente und führt den Titel „Ghartes bourguig- 
nones inedites des neuriäme, dixieme et onzieme slöcies”“, 
von 3. Garnier. In der Hiftorifchen Einleitung, welche dem 
Ganzen vorangelchtett wird, fommt der Punkt, weldgen wir 
bier angedeutet haben, auf eine ebenfo erfchöpfende al8 geiſt⸗ 
reiche Weife zur Sprache. Die Documente felbft, welche bier 
mitgetgeift werden, 56 an ber Zabl, fint zum heil in der 
öffentlichen Bibliothek von Dion in den Departementalarthapen 
der Cote-d'or aufgefunden. - 17. 


Verantwortlicher Heranbgeber: Heinrich Weokhans. — Drum und Verlag von B. X. Vrockhane in Leippig: 


B [ atter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 


— — 


Sonnabend, 








(Beläluß aus Nr. 3.) ’ 

Die Geſchichte der böhmifchen Sculptur, worauf der 
Berf. fodann kommt, ift biöher ungleich weniger beachtet 
werden als die der Malerei und daher auch hier mage- 
rer und fragmentarifcher ausgefallen ale jene. Rachdem 
verfchiedene Zeugniffe für die Ausübung derfelben fchon 
feit dem 10. Jahrhundert angeführt, -und fehr richtig 
bemerft wird, dab die reiche Ausbente der Gold⸗ unb 
Eitberbergmerfe in Böhmen viel zur Ausuͤbung der 
Künfte und auch mithin der Scufptur beigetragen, gibt 
der Werf. als allgemeinen Charakter der ihm bekannt 
gevoordenen Dentmale der böhmifchen Sculptur Wahr⸗ 
deit und Innigkeit des Ausdrude, Fleiß und Tüchtigkeit 
er Ausführung und im Gegenfag zu deutfchen Sculp- 
turen einen leichten und natürlichen Faltenwurf an. 
Ref. kennt zu wenige der betreffenden Dentmale, um 
Diefes Urtheil prüfen zu Fönnen, bemerkt indeß, daß es 
in Betreff des Vergleiche mit den deutfchen Sculpturen 
nicht richtig gefaßt ift, wenn ihnen fo ganz im Allge- 
"meinen ein fnitteriges und Heinliches Faltenweſen beige: 

wird, indem dieſelben bis zum Anfang des 15. 
Jahrhunderts keineswegs diefen Vorwurf verdienen. Bei 
der Wichtigkeit der Muͤnzen für die Geſchichte der Sculp⸗ 
tur, weil ſie eine ununterbrochene Folge geben und die 
Zeit der einzelnen in der Regel ganz ſicher iſt, be 
fremdet es, daß fi der Verf. mit einem allgemeinen 
Hinweis auf die vortrefflihe im Mufeum zu Prag be» 
findlihe Münzfammlung begnügt. Ref., welcher diefelbe 
lediglich in kunſthiſtoriſcher Beziehung durchgefehen, fand 
fi überrafcht von manchen Typen des 12. Jahrhunderts, 
welche nicht allein in dem heiligen Wenzel mit dem En- 
gel in ganzer Figur, fondern auch in öfter lebhaft be- 
wegten Gompofitionen von fünf bis ſechs Figuren ſehr 
richtige und verfländlicde Motive zeigen, wiewol die Aus- 
bildung natürlih roh if. Im 33. Jahrhundert tritt 
mie den Brarteaten dagegen ein großer Verfall ein. 
Der bildende Einfluß de6 Königs Johann in der erften 
Hälfte des 14. Jahrhunderts ift auch bier auf eine auf- 
fallende Weife wahrzunehmen. Die älteften unter ihm. 
geſchlagenen ‚böhmifchen Dukaten beweifen, daß biefer 
reiſeluftige Fürft das Mufler Hierzu aus Florenz mit 


gebracht bat, denn man ſieht darauf in ganz ähnlicher 
Weife wie auf dem alten: Golbfloren Johannes den Täu- 


fer in ganzer Figur mit dem böhmifchen Löwen bauchen. ' 


Dagegen entfpreihen die unter Kaiſer Karl IV. geſchla⸗ 
genen Münzen keineswegs der Blüte, in weicher bie 
bitdenden Künfte unter ihm ftanden. Daß died mehr 
an dem bisweilen zufälligen Mangel. gefchidter Künſtler 
fire Diefen  befondern Zeig als an der Bildungsfiufe 
der Geulptur in: Allgemeinen liegt, beweift die 1373 
von Martin und Georg von Cluſſenbach gegöffene Rei 
terflatue des heiligen Georg im Hofe des Faiferlichen 


Schloffes zu Prag, deffen Erfindung in Betracht Dex ' | 


Zeit die größte Bemunderung verbient und als eimpiges 
Beifpiel eines Werks, wie Böhmen fie dereinſt ohne 


Zweifel in großer Zahl befeffen, von außerordentlicher 


Wichtigkeit if. (Wie vielfach Die Gießkunſt in Bronzs 
in Böhmen in Anwendung gelommen, dafür zeugen 
noch heute die bronzenen Zauffteine und Zaufbedien; 
welche in vielen alten Kitchen vorhanden find.) Wenn 
man bie unruhigen Zeiten in Böhmen im Laufe dee 
15. Jahrhunderts bedenkt, darf es nicht Wunder neh⸗ 
men, baf bie öffentluhen Münzen aus denselben fein 
ausgezeichnetes Kunftverdienft haben. Hiervon find in- 
def verfchiedene mit dem Bildniß des Johann Huf, ale 
dem Gegenftande der Begeiſterung eines großen Theils 
ber Nation, ſowie mancher der großen böhmifchen Fami 
lien 3. B. Lobkowitz, Waldftein, welche zum Theil, eine 
fehr vorzüglicge Arbeit zeigen, auszunehm 
vounderfchönen Medaitten mit den Bildniffen von Kaiſer 
Ferdinand 1., feiner Gemahlin und feinem Sohne, Kais 
fee Maximilian I1., welche fi in des Sammlung befin⸗ 
den, müßte, um. fie als Beifpiele böhmifcher Kunft ‚gel- 
tend zu machen, erſt hewiefen werden, ob die Gtenrpei 
bierzu von böhmifcyen Künftlern gejchnitten worben find; 
denn bei der Stellung jener Fuͤrſten als deutſche Kaifer 
Itegt es fehr nahe, daß fie fich zu diefen Arbeiten deut: 
fer Künftler bedient haben, um fo mehr, da gerade in 
diefer Zeit in Nürnberg und Augsburg in Bilbniffen 
für Medaillen, nach der Anficht des Ref., die größte 
Kunfthöhe des . gefammten Mittelalters -erreicht won 
den iſt. 


Für die Ausübung der Geulptur in Stein führe 


ber Verf. die Arbeiten an den Uußenfeiten des Dome 


en. Bei ben 





- — 


zu Prag, der Bardarakirche zu Pilſen an. Auch 
die Holzſculptur iſt in Böhmen vielfältig ausgeübt und 
zu großer Meiſterſchaft ausgebildet worden. Wichtige 
Beiſpiele hierfür geben das auch nach der Anſicht des 


— 


Ref. großartige umb nit pygemeinem Wiſſen durchge⸗ 
| deiner rechtmäßigen Ehefrau mit deu Armen mnſchlun⸗ 


hiidete Erucife in der Teinkirche, eine Boweinung des 
eichnams Chrifti ebenda, eine Maria mit dem Stinde 
im Franciscanerkloſter zu Eger und fonflige Werke, 
weiche der Verf. anführt. Daß endlih bie Sculptur 
ale Begenftand der Goldſchmiedearbeit und der Effen- 
beinfchnigerei in Böhmen vielfach und mit großem Er⸗ 
folg betrieben worden, beweifen die zahlreichen noch vor: 

liqui ‚tie Neliefs und Cruciſixe, de⸗ 
ren namentlich der Domſchatz zu Prag eine reiche Folge 


Bei den drei letzten Abſchnitten bes Buchs, welche 
von dan Mitterweſen in Böhmen, von dem Kriegsweſen 
der Dufliten und ‚vos dem Koflume in Bihmen bat 
ben, muß Ref. ſich mit einer Amen Betrachtung bes 
gaügen. 

ME einem freudigen und gerechten patristifchen Ge⸗ 
ſüͤhl weilt ber Berf. nad, wie fich bie Kampfrüſtigkeit 
der Böhmen fchon bei der Exoberung von Mailand durch 
den Kaifer Friedrich Barbaroffa und in den Kreuzzügen 
bewährt. Dbgleicd das eigentliche Ritter» und Turnier⸗ 
weien erſt um die Mitte des 13. Jahrhunderts aus 
Deutſchland in Böhmen eingeführt wurde, fo ‚geht doch 
aus einem Gedicht der „Königinhofer Handfcheift” hervor, 
bag Affemtliche Iweifämpfe bafelbft ſchon ungleid, Früßer 
ſtattgehabt Haben. Noch im Laufe defjelben Jahrhun⸗ 
derts wurde aber bas Ritterweſen mit großem Eifer be- 
trieben und, wie der Verf. nachweift, ber in Deutjch- 
band blühen Weile in alten einzelnen Thrilen nachge⸗ 
Diset. Darauf werden Jarestaw, Zawis von Noſen⸗ 


berg und Heinrich von Duba als befonders hervorragende | 


Wittergeftaleen dieſer Zeit angeführt und. als Beifpiel 
ritterlicher Pracht die Krönung Konigs Wenzel Il. 1297 
beſchreben. Matürlich hebt der Verf. als die Geftatt, 
werim das Ritterthum in Bahnen im 14. Jahrhundert 
feinen Glanzpunbt wereichte, den König Johann hervar. 
Zugleich gibt er son einigen böhmifgen Rittern Kunde, 
weiche dieſem Könige rühmlich nacheiferten. Die böh- 
miſchen Nitter des 15. Jahrhunderte ‘aber zeichnen fich 
dadurch aus, bag ſie, ohne an ihrer Wehrhaftigkeit ein- 
zubüßen, ſich die hohe geiftige Bildung, weiche damals 
m ihrem Vakferlande herrſchte, angerignet hatten unb, 
ſngeachtet der furchtbaren Kämpfe in der erſten Hälfte 
jenes Jahrhunderts, auch äußerlich nicht verwilbert wa⸗ 
son, ſondern in der zweiten Hälfte feine Sitte und große 
Biestichleit in Wehr und Tracht zeigten. Lieber als hei 
ven wüften Tchbewefen, welches nach einigen vom Merf. 
gegebenen Beiſpielen dem der Deutſchen an ‚blinder Zer⸗ 
ſtärungswuth nächte nachgab, und als bei den willfurfichen, 
er heutiges Gefühl enspörenden Gerichtskaͤmpfen, ver: 
weilt Ref. noch einen Augenblid bei der freien. und 
getheten Stellung, in welcher fi) die Frauen in Böh⸗ 
men obefanden. Die Achtung, welche eine Frau bias 


— —— 


lichem Comfort ſich befinden. 


— 

| 
als folche genof, war ſo groß, daß ein Abdeliger, wenn 
er fih mit einer Bürgerlichen oder Bäuerin vermählte, 
dadurch nicht an feiner Standesehre Schaden litt, indem 
fie buch eine ſolche Berbindung ale geadelt angefehen 
Wurde. Wenn aber ein zum Zode Verurtbälter vom 


gen oder mit ihrem Gewande bededt vorgefünden wurde, 
fo durfte nicht Hand an ihn gelegt werben. Die hei— 
lige Ludmilla, Elifabeth, die Gemahlin des Könige Jo⸗ 
hann und einige andere werben als hervorragende Bei- 
ſpiele gefchildert, wie fehr fih die Frauen jener geehrten 
Stellung würdig erwiefen. | 
Bei dem Kris em ber Hufſiten gibt der Verf. 
nach gleichzeitigen Quellen fehr genaue Grörterungen 
von der Weiſe, mie die Wagenburg, welde die Huſſiten 
gegen die Deutſchen wit fo furchtbarem Erfelg gebrauch- 
ten, gebildet und dem jedesmaligen Umftänden gemäß im 
Kriege benugt wurde. Der legte Abfıhnitt über das 
Coſtume der Böhmen, welches verfhiedentlih einen ſehr 
entfchiebenen Einfluß ven den benachbarten Dentfchen 
erfahren hat, enthält eine Weihe von ſehr lehrreichen 
Bemerkungen, welche vorzugsweife, wie ſchon in dem treff- 
lichen Werke des Prof. v. Hefner, durch die Miniaturen 
im Handſchriften, als dem ergiebigfien und ficherfien Lei⸗ 
ter., begründet worden find, bie aber in dem Bude 
ſelbſt im Zufammenbaug gelefen werden müffen. 
BB. 8: Wagen. . 








Die Abenteuer eines Auswanderers. Erzählungen aus 
den Golonien von Wandiemensland. Bon Charles 
Rowcroft. Aus dem Englifhen von Friedrich 
Gerſtäcker. Drei Bände. Leipzig, D. Wigand. 1945, 
8. 2 Thlr. 20 Nor. 

Ein gutes Buch, wer nicht mehr davon verlangt als bie 
neue Welt wie fie war und im Werden ift kennen zu lernen. 
Ber an Übervölterungs> und Berhimgerungsmelanihelie Leider, 
der mag Troſt daraus fchöpfen, wenn er Ben:compacten, wi 
Ktumpen, Bandiemendland genannt, auf der Karte betrachtet 
und ihn mit den popularifirten und civiliſirten Laͤndetn verglei- 
hend ausmißt, und dann berechnet, wie viel Bungerleidende 
bier Nahrung, wie viel Arbeitdlofe da Befthaftigung finden 
mögen; wenn er aus dieſem Buche fesner erfieht, Daß der Bes 
den zumeaft gut, bie Beiden fett find, daß es an Waſſer, Heiz 
und Steinen. nicht fehlt, daß unſer Rindrich gut aufgenom 
men ift und gedeiht, unfere Schafe aber wahrhaft wucherifch 
profperiren, daß es an Wild die ſchmackhaften Kaͤnguruhs gibt, 
weiche die Hafen, Hirfche, Rebe, Auerochfen, Bären, kurz Al⸗ 
led in Allem, was anberwärts Die Wälder belebt, erfegen ‚miäf- 
fen. Troſt mag er fegüpfen, wenn er erfährt, wie aus Deu 
Rafenhüsten allmälig Blockhaͤuſer, aus den Blockhaͤuſern flei- 
nerne Gebäude werden, wie Straßen dur die unwegſamen 
Wildniffe fich fhlängeln, wie die Städte aufblühen, der Han- 
dei fich belebt, Grund und Boden in ungeheuern Progreffionen 
an Werth; fleigt, und die Unfiedler, fintt zu hungern and auf 
die Früchte ‚ihrer Jagdflinte angemiefen -zu fein, ſetzt in ziem⸗ 
uch die übrigen Schredien ner. 
ſchwinden allmälig, die wilden Eingeborenen find decimirt und 
auf gutem Wrge ganz Ausgerottet zu werden, die noch wil⸗ 
dern Bafbranger, entlaufene Sträftinge, die fh zu Räuber: 
banden conftitumt haben, werben mehr und ‚mehr in .die @ 
getrieben und endlich ganz mubgerattet fein, und wenn Curopa 





u ZU nl 3 en Wu 


zugeworfen. 








m wöre, ‚bie aus Zeit na immer nad dieſen Golem 
tranäpestiet werden, fo hätte es ben Anſchein, als Panne in 
Dex neuen Welt ein das golden Zeitalter der buͤxgerlichen 
Sicherheit und des behaglichen Frieden eintreten. 
Das ber Ivo, den wir aus dem Buche fchöpfen mögen, 
aber nit. Kine größere Durftigkeit an Lebensfroff möchte 





. man.-anderwärtd fihwerlich fuchen. Wie ungerecht erſcheinen 


und ba unſere aͤſthetiſchen Klagen von ehemals üher Amerikas 
Wemuth an GBefchichte und echebenden Giamenken. 
mit feinen Arwäldern, feinen blauen Bergen, feinen veichen 
wed tiefen Strömen, feinen Rataralten und Ezminen, feinen 
wewig fſinnenden reifen Menſchen, bie ihsen "Untergang vor 
wugmn fehen, den Ppramiden und Gräbern und Minen Der 
fergegangenen Geſchlechtet, mit feinen Aligataren, Büffele, 
Hirfhen und den zahliofen bumten Bogelheezen: welch eine 
Yorke der Vergangenbeit, geſchweige der Bulunft, Die fi 
in fo umsnberbarem Procefſe damit verfaüpft, bietet diefer 
Belttheil, nur in. feinem Norden angefchen, gegen: Dieb a 
lich arme Land em Bübpel, krog feiner blauen warmen Luft, 
feiner tropiſchen Natur. Scheint es doch wirklich erft eine 
pätgeburt der Weltichöpfung, wo nichts de I ats Land und 
Walker mit fegonen Baͤmnen, eine oarte blamche, auf die Der 
oft Charaktere singeaben fo. Mur nicht die Men- 
fchen, welche dort gefunden werden, benn fo jummesvoll Duck 
tig als dieſe ſchwarzen Kannibalen ift doch kaum ein Bölker: 
fanım von Weitumieglern und Sutdeckern irgendwo gefunden 
werben. Nackte, ſtumpfr, gefrüßige ſchwarze GSeſchoͤpfe, Die, 
aines verhaͤltnißmuͤßig langen Berkehrs mit den Europären un> 
‚ed noch nicht einmal dahin gebracht haben, ſich etwas 
ven ihnen anzueignen, nicht einmal Die Lumpen ihver Klei⸗ 
bang, geſchweige benn den Gebrauch des Schiehgewehrs, wel 
Ges doch immer das Erſte ift, was Barbaren von «ivilifirten 
Botfern annchmen. Rur der Allerweltsbezwinger, der Brannt 
wein, bat auch dieſes Geſchlecht erobert. Ihre edlen Bettern, 
die Meufeeländer, verfigmähten bis jetzt Das Feuerwaſſer. Elek 
hafter fann sum eine Schiberung fein als die eines der 
„Fraße“ diefer verkümmerten Seſchöpfe, weiche der Verf. mit 
tbeilt. Das Dpoſſum, ein fo widerwärtiges Thier, daß felbft 
verkungernde Sträftinge, die aus ihrer Haft entwichen, kaum 
ſich überwinden, dieſe Beutelrage zu verzehren, das Dpofium 
ft ihre Hauptnahrung. Mit Haut. und Huaren in die Kohlen 
geworfen und angemacht mit Baumbarz, wind es von ihren 
Zähnen zerriſſen, ausgefroffen und was uͤbrig bleibt den Frauen 
Selbſt die Karaibenkuchen mit ihren .röftenden 
und ‚zerlegten Menfchenbraten erſcheinen geruiffermaßen appesit- 
lich gegen die Schiiderung der unſchuldigen Mahlzeit, wie fie 
unfer Autos entwirft. Bom Gebrauch des Metalls Feine Spur, 
ſelbſt der Stein ift von ihrer —— — unberäprt, ihre 
Weiten, Lanzen, ſind —— . Mo das forthauern 
kann nach zwanzig⸗, breißig : dis funfsigfährigem Umgang mit 
ihren weißen Feinden, fpricht eine ungbermindliche Geiftes- 
armuth aus. Der Philanthrep kann nicht bedauern, Daß foldhe 


Uüboriginer ausgetilgt werben. 


Der Berf. des Buches fteht in geiftiger Beziehung wait 
feinem Shema au niveau, koͤnnte man fügen. Mo michts iſt, 
trägt er nichts him, aber was er findet ſchidert und beban- 
delt er wie er eben kann, und das iſt das Bee. Ein Dich: 
ver iſt er nicht, auch nicht was war. nennt ein yeiftreicher 
SDchrift ſteller, und Erfindungskraft wohnt ihm am wenigſten 


‚bei. em darum glauben wir am bie Wufrichtigfeit feiner 


Schuderungen. Er macht zuweilen Anſtrengungen, ſich über 
ſich ſelbſt und ſein Thema zu erheben, aber die Reflexion ge⸗ 
tingt ihm ſo wenig alt des Humor und Mig. Er will inter: 
hant fein, er Wil einen Anfiedlerroman freiben, und man 
ſtaht, daß er viel Anſiedlerromane geleſen hat, und in Die weite 
Borm giebt er Sen magern.@teom feiner ‚eigenen Srlebniſſe, 
feiner eigenen ‚Wahrnehmungen. Da muß denn breit geſchla⸗ 
gen, gebehnt, Schaum gemacht werben wo der Fluß nicht 


% 





eA⸗reicht. Jeher deſer zu ı BR: Page. Men apa nicht ent⸗ 
gehen, daß ch Be —— — N ge 
— —— —— 
ox vorqgtt muy can Kinderverſchlep t 
hineinbringt, xm doſh auch ein Pomgninsereile zu engengam, 
wizd er fogar unausſprachlich albern, und Doc, mesfmink 
genug, ſchadet alıs Bas bem wahren Anterefie des Fer 
nichts. Die Wahrheit blit hindurch und der ernige Reiz ME 
Aufgabe, mie der Menſch Die Rote bewältigt, wi ar Day 
wird Uber alle monatiſchen und ꝓbyſiſchen Bindermifie, bie ſich 
ibm in den Weg fielen, übt auch in diefim auſtegiiſchen Mor 


| man feine unwiderftehliche Anziehungskraft. Ref. gafteht, daß, 


| drei Winde dur 


als sr den Gharakter bes Buches crkannt, ex eigenili nur 
darin blättern wollte, denn was ned vorkommen konnte, duwfte 
er fich ſelbſt ſagen; aber er hat nicht geblättert, ſondern (die 
Wir mögen es gern glnuben, da 

ber Derf. ein altexnder Eplomift üt, wie gr verfichert, der * 
fünfundzwanzigiahriger Arbeit, die gediehen iſt, feinen Kindeug 
Pflug und Spaten übergeben bat, um ſtatt deren die Feder 
in die Hand zu nehmen und feine Erfahrungen und Eriebnifis 
aufzunotiren; zugleich glauben wir aber, daß er fie nicht zum 
Druck gegeben, wie fie mit auſtraliſcher Tinte geſchrieben find, 
fondern daß irgend‘ eine Londoner Feder das Umfchreibeamt 

übernommen bat. . 1 





Bibliographie, 


eindl, 8. &., Pübegogifche Ährenteſe, oder: Wichtiges 
unb Bere aus näbagogifdhen Gepriften akter und neuer Zeit. 
Iftes Heft. Augsburg, M. Nieger. Br. 8. 3%, Nor. 
Ideler, C. W., Die allgemeine Diaͤtetik für Gebildete. 
Du fhehii bearbeitet. Halle, Schwetfchle u. Sohn. Br. 8. 
r. 


Kortum, F., Grundsiß der neueſten, politiſch⸗militairi⸗ 
ſchen Geſchichte Europas. Vom Ausbruch der —— 
Revolution bis zum zweiten Sturz der ſpaniſchen Cortes 
(1789 — 1823.) Heidelberg, Mohr. 1845. Gr.N. 74, Ber. 
Setteris, M., Erbaulice Detrahtungen, hebraͤifche Bar 
gen und Dichtungen. Prag. 1845. 8. 5 Rar. " Ä 
Moartenfen, &., Srundriß Des Sofſtems der Moralphi- 
Icfophie. Aus dem Danifchen. Kiel, Bünfew. 1845. 8. 15 Nee. 
Montholon, Beihichte der Gefangenſchaft Napoleons 
auf Bt. Helena. Aus dem Branzöfifhen. Iſter Band, Ifte Lie 
ferung. Leipzig, Brockhaus und Avenarius. 9. 3”, Mar. 
— — te der enſchaft auf Gt. Helena. Ss 
Deutſche Übertragen und mit hen Anmerkungen beylei- 
tet von A. Kühn. iſtes Heft. Leipzig, Steinader. Gr. 8. 


TYy, Nor. ißhe Eryäß Ver 
‚ Dumoriftif jählungen und Skizzen. Bras⸗ 
lau, Trewendt. 23% Wer. Be 
Pyrker, 3. 2., Zieder der Schnfucht nach den Alpen. 
Neue vermehrte Ausgabe. Stuttgart, Cotta. Gr. 8. 1. A 
Reden, ;Freih. v., Denkschrift über die österreichi- 
sche Gewerbeausstelluug in Wien 1845, deren Verhältnisse 
zur Industrie des deütschen Zolivereins und die gegensei- 
tigen Handelsbeziehungen. Berlia, Schroeder. Gr.3. MNgr. 
Rosa..i., Die Demen von Attika und ihre „ertiekung 
unter die Phylen. Nach Inschriften. Herausgegeben 
wit Anmerkungen begleitet von 3. H. E. Meier. Malle, 
Schwetschke und Sohn. Gr. 4. 2 Thir. E 
Schmig, J., ChHriftliche Gedichte. Ifted Banden. Meurs, 
Dole. Br. 12. 0 Mer. 
Schneider, 'J., Der Elitenberg Montferland : und bei 
erich. :Bin Beitrag zur Geschichte. des römischen Be- 
festigungswesens auf der rechten Rheinseite. Kummmerich, 
Romen. 1845. Gr. 8. .12Y. Near. 
Soulié, F., Es war Bett, oder: Auch das Woſe Hat 
fein Butss. Aus dem Franzöſtſchen. 2 heile. Rordhauſen, 
Furſt. 8. 1 Se. 


‚ehe deutfchen Ordens, erfolg drich 3., 
dnigs bon Preußen, verſuchte Ruͤckkehr zur katholiſchen Kirche. 
Rebſt einem geſchichtlichen Anhange über Die Wiedervereinigung 
mehrerer Dlitglieder der regierenden und fürftlichen Häufer vn 
Hannover, Heffen: Darmſtadt, Holftein und Würtemberg, d 
reichſsgraͤflichen Familien von Bentheim, Effing, Hohenlohe u. a. m 
mit der katholiſchen Kirche im 17. Jahrhundert. wach am mit 
Driginalsitrfunden. Uugsburg, Kollmann. Gr. 8. 15 Ror. 
Ufträlom, R., Anleitung zur erften Eienung der ruf 
ſiſchen Geſchichte. —5 — von P. Kuhlberg. ?te Auflage. 
Mitau, Lucas. 8. 14, Nor. 
' Shüringtfier Bolfskalender auf das Jahr 1846. Heraus: 
en von E. Rümpler. Arnſtadt, Meinhardt. Gr. 8. 


Bihotte, $., Bruteno und Waidewut. Ein biftorifie: 
römantifches Gemälde aus Preußens Borzeit. %. u. 
Wanderungen durch Littauen und Samland. — 
Sagen und Denkmaͤler, hiſtoriſch geordnet und erlaͤutert von 
F. Siäoffe. Reipzig, Briefe. 1845. 8. 1 Zr. IV Nor. 


—— —e— — zu pen und Were, 


Zagcesliteratur. 


Bericht über die legten Lebenstage und Stunden Dr. M. 
Zutber's und feinen am 18. Februar 1546 erfolgten Tod, von 
einigen namhaften Augenzeugen. Getreu nach dem Originale, 
Leipzig, Dönide und Sohn. 1 Er. 8. 3 Nor. 

Blätter der Erinnerung an die letzten Lebenſstage des am 
I8. Februar 1546 au Eisleben Teig entfchlafenen Dr. M. Bur 
tber. Sifenberg, Schöne. 12. 17, Rear. 

Boden, A 
Uzismus. Ein Wort vom Standpunkte des gefunden Men: 
fpenverftandes an Gelehrte und Ungelehrte. Kebft einem Aw 


hange über die etrepiiep-renolutiondrg Rihtung der, esongelifigen 
. er . 


Kirhenzeitung. Frankfurt a. M., Öpler. 

Deutſchland und Rom. —S zur Verſtaͤndniß der 
kirchlichen Bewegung in der Gegenwart. Bon einem Manne 
aus dem Bolfe für des Voltes Kern. Ifte Gabe. Rudolſtadt, 
Froebel. Gr. 8. 

Der —— bei der Berliner Genoſſenſchaft für 
Reform im Judenthum und die daſelbſt gehaltenen Predigten 
von dem Rabbiner Dr. Philippſon in Magdebur p Beurtheilt 
von einem der Mitglieder. Altona, Heilbutt 75 Ror. 

Für chriftlarholifhes Leben. Materialien zur Geſchichte 
Ber chriſtkatholiſchen Kirche, heraudgegeben von Behnſch. Ifter 
Band, Iftes Heft. 2te Auflage. Breslau, Schulʒ und Comp. 
1845, re. 8. 5 Nor. 

Georgi, 2. ., Worte des Friedens. Beleuchtung und Wuͤr⸗ 
digung des Standpunktes der „Lichtfreunde”, gegenüber dem 
bet Dibelgläubigen, nach Anleitung des Wortes: „ob Schrift? 

ob Geiſt?“ und u der Entwidelung des Geiſtes. Meurb, 
Dolle. 184. Gr. 8 10 Rgr 

Gerber, 3. 9., Wider den heiligen Rod in der prote⸗ 
ftantifchen Kirche Schleswig: Holfteind. Ein Dont, ſtreittheolo⸗ 
giſche Auffüge. — —8 1845. Gr. 8. 6, Nor. 

Geſell, C., Sendſchreiben ans Bolk, beantwer. 
—* aus dem Fe fürs Bolt. Magdeburg, Faldenberg u. Gomp. 

rs . ( gt 
Dffenes Glaubenßbekenntniß ber chriſtlich ⸗ apoſtoliſch · katho· 
ade 8 Gemeinde zu Schneidemüpl. Ciberfeld, Bäpdeler. 18145. 
8 1 Rear. 

Der Gottesdienſt in der chriftfatholifchen Gemeinde ıu 
Meurb, abgehalten den 5. Dct. 1845 durch die Herren R. Hockel⸗ 
mann und Koenen, nebft dem Blaubenäbekenntnip der Gemeinde 
zu Meurs. Meurs, Dolle. 12. 2, Rer. 

Greßler, 8. @. 2., Atronomie und Chriſtenthum. Eine 
Antwort auf die von Wislicenus aufgemorfenen Fragen: I) Slaubt 
ihr an bie au Gibeon ſtillſtehende Sonne? 2) Glaubt ihr.an 
den vor den Weiſen des Morgeniandes hergehenden und end⸗ 


Berantwortlicher Herausgeber: 


‚ Eine Stimme mehr * den Deutſch⸗Katho⸗ 


—S des Tbüringife en Leh —— Bar 1 ar 


ge der Glaubensleh 9 des tiere und der 


& 
getefung De guptatheifgen Kirche. Breslau, Sulz und: 


—XW 9 A., Rede bei ber Bülular: Geburts: deier 
5 H. a am 12. Januar 1846. Altona, Slätır. 


ar 
—— ea 


fi Kir einland d ien. , 
gerif ge x 3 un — —e 


Heinrich, S 88 wir uns bei einer neuen Glaw 
bensrichtung zu verhalten haben? Yrebigt aber Matth. 11, 2-10. 
Breslau, S A 1845. Gr. 8. 2% Rar. 

WB, Predigt zur Empfehlung der gr des Su: 
ſtav⸗ Molphe-Bereine. goenıfedt, GH. UN 

Hofferidter, J., Unfer Bekenntniß am —ã 
Predigt über Pfalm 12 6,1. Breslau, Trewendt. 8 

— — De Kinhenbann. Predigt über Luc. 6, 37. Sn 
lau, Trewendt. 2 Nar. 

— — ———— für die allgemeine chriſtliche Kirche 
Predigt über 4. Mof. 6, Bredlau, Trewendt. 5. 2 Rgr. 

— — Bomit —8* wir und ruͤſten gegen unſere Feinde? 
predigt über gb: IM ee enger —— 8 Wer. 

ung, U , Über die Freiſinnigkeit inner des Geſetes 
Kiel, Bünſow. 1845. Gr. 8. Ngr. 

Krumhaar, &., Dr. M. —* an ſeinem Lebensabend 
und in ſeiner Sterbeſtunde. Rach Autographa und andern 
Quellen gearbeitet. Halle, Lippert und Schmidt. 42. 8 Rgr. 

Krüfi, H., Poetifhe Gabe auf den I00. Geburtsteg 


ar Bürich, Dreh, Füßli und Somp. 9. 4 Xgr. 


, Dr. Steiger’d Leben, Berurtheilung und Flucht 
aus um Sefängnife zu Luzern. Berlin, Wolff. 
fa Rot. 

Riungie der. chriſtkatholiſchen Gemeinden in Schleſien. Bres⸗ 

lau, Schulz und Comp. 189. 8. 2 NR 
Mann, K. Die Zahresfefte bev heiftligen and menſchen⸗ 
freundlichen Sefeßfchaften in London im Mai vieſes Jahres. 
Nach englifhen —— herausgegeben. Karlsruhe, Macklot. 


1845. Gr. 8 

Mendelsfohn, . B., Die ftändifche Zuſtitution im 
monarchiſchen Staate. Bonn, Marcus. Br. 8. 0 Rer. 

Raub, 8, Chriſtus der Weinſtock, wir Die —8* Joh. 

15, 5. Predigt über die Perſon und Würde Chriſti im Ver⸗ 

ältniffe zu.Sott und zur Menfchheit, über die. Dreieinigkeifä- 


i843. 8. 


i 
lehre und Die —5 — des wahren Glaubens. Leipzig, 


Woͤller. Gr. 8. 2.N 

— — Ein Herr, En Glaube, Eine Baufe, Ein Sott und 
Bater unfer ale Pet über Ephef. 4 ‚3-15, Leipzig, 
Wöller. Er. 8. 2% Nor. 

Urſprung und Schicfale ber ehemaligen berühmten Mall: 
fahrt auf der Waldraſt in Tirol. Innsbrud, 1845. 12. 5 Ner. 

Zwei Vorträge, gehalten am 6. Auguſt in einer Berfanum 
kung proteftantifcher Freunde in Halle von C. Schwarz und 

2..Hildenhagen. Witenburg, Helbig. 1845. Gr. 8. 6Ngt. 

Ein Wort zur Berftäntigung über bie K. Sächſ. Schul- 
iebzerfeminarien, von Q. A. 8. 6 ' @ifterberg, Diegel. 
Gr. 8. 3 Rgr. 

Vier Zeitpredigten von D. Dietrih, 3. € % 
Schmeidler, K. W. U Kaufe, H. Rhode. (Bo 
Ebriftus nicht? — Bon dem Gräuel der Berwüftung an hei- 
ee Stätte. — Die Argliſt. — Zeſu Prophezeihung vom Schick⸗ 

der — und —E Breslau, Leuckart. in. 


Heinrich Brodyens. — er und von 9. MÆ. Drockhane in —— 


⁊* 
⸗ 





— — ·— — — 
⸗ 


‚fein, der ihm zutraut, daß er auch 





| Blätter 


für 


Titerarifde Unterhaltung. 





Sonntag, 


239. März 1846. 





Beobadtungen und hantafien über Menſchen, Na⸗ 
tur und Kunſt auf einer Reiſe ins mirtägige Frank⸗ 
reich Bon Johann Gottlob von Duandt. 
Leipzig, Hirfchfeld. 1846. Gr. 8. 1Thlr. 24 Ngr. 

Über Reifen kein Vergnügen, 
. Wenn Gefundheit mit uns get. 
Werth aber und Gehalt biefed Vergnügens, wie un⸗ 
endlich verfihieden find fie! Natürlich prägt dieſe Ver⸗ 
ſchiedenheit fih aud in den Befchreibungen der Reifen 
aus. Allerdings fliehen auf ihrer unterflen Stufe Die 


„gedruckten Lohnbebienten, welche über Hötels und Kaf- 
‚feehäufer Auskunft geben und dem Fremden die chroni- 


que scandaleuse des Auslandes erzählen”. Und doch 
ift einer und der andere diefer Lohnbedienten noch ein 
ganz reſpectabler Burfche, ftellt man ihn in Vergleich 
zu towriftifchen Herrſchaften, von deren Reifebefchreibun- 
gen die Salonmelt ſich entzücken läßt, ober erinnert man 
fi eines Reiſenden, ben man von Zeit zu Zeit abfah- 
ren and heimkehren ſieht, das Trachten immer nur dar⸗ 
auf gerichtet, wie er durch alle erfinnliche Mittel, wohl- 
nachweisliche Aufſchneidereien gar nicht ausgefchloffen, 
fh in des Publicums Meinung fo binauffchrauben 
könne als vernimftigerweife Niemand in ber eigenen 
Meinung ſtehen ann. Scheint bei einer Schrift 
Quandt's dieſe Ereiferung nichts weniger als am Plage, 
fo dient zur Entſchuldigung, dag unfer Reifender bie 
Beranlaffung dazu einigermaßen felbft gegeben, inbem 
er bie ede mit der Erklärung anhebt, feine Reife 
befhreibung ſei kein Lohnbedienter ber eben bemerkten 
Art, und fobann meiter ausfpricht, er könne mit Helve: 
tius fagen: „Toujours de bonne foi avec moi-meme, 
je n’ai rien dit que je n’aie cru vrai, et rien ecrit 
jue je n'aie pense.” Und bas ift wirflih der Fall. 
Das Buch ift de bonne foi gefchrieden, durch und durch 
de bonne foiz Bürge bafür kann Ref. einem Jeden 
zwiſchen den Zeilen 
zu fefen hinlaͤnglich geübt iſt, um in Berreff der Redlichkeit 
eines Berfaffers ne von einem 399 Seiten Tangen Buche 
nicht hinter das Licht führen zu laſſen. Der Rediich- 
keit Quandt's iſt ber Lohr und Gegen auf dem Fuße 
nachgefolgt; denn eben darum, weil er fich ſchlicht und 
ehrfich gegeben mie er ift, blieb von Seite zur Seite ihm 


fern, was den böfen Dämon ber Langweile berbei- ! 


' gen fehe zuedtmmißig angewendet. Le Xe 


ſchwoͤrt oder, fehlimmer noch, fatt erfreulich und anre⸗ 
gend zu erhalten, nur zu Verdruß über widerwärtige 
Affertation flimmt. Möge es Ref. gelingen, das Ver⸗ 
gnügen, womit er das Buch befpricht, dem Leſer vorlie- 
gender Anzeige mitzutheilen. 

Zunähft haben des Reifenden Freunde fih Glück zu 
wünfchen, daß nicht fchon vor dem Erfcheinen das Bud 
aus der Reihe der Möglichkeiten getilge worden tft. Dem 
lieſt man, wie bei Kehl die Rücreife durch die Nhein- ' 
überſchwemmung genommen ward und als nirgend 
mehr Land zu ſehen war, ben ringsumfluteten Poſtillon 
Schwindel ergreift, fo überzeugt man fich, daß bier mehr 
als ein unfreiwilliges Bad zu befürchten fland; ebenſo 
auf der Rhonefahrt nad Valence, wo ber Keffel des 
Dampfboots fpringt, und fodann auf ber Fahrt von 
Valence nah Avignon; eine Stelle die uͤberdem geeignet 
if, um nad DVorfihrift des Horaz ben Leſer gleich im 
medias res zu verfegen. " 

Er — ein alter Zranzofe, mit dem fi auf dem Verdecke 
Quandt in ein Geſpraͤch eingelaflen hatte — verfiderte mir, 
daß er mein Vaterland fehr liebe, und hielt mich für einen 
Belgier, wofür id in Frankteich oft angefehen wurde. Als 
ich ihm fagte: „Non Monsieur — je suls de Dreede“ — fo 
vermedhfelte ev Dresden mit Zrieft und ließ ſich nicht ausreden, 
daß Beides einerlei fei und nur ton den Branzofen richtiger 
Triest und nit Dresde ausgefprodgen werbe. Ich fuchte mid 
von dem Schwaͤtzer zu entfernen und fegte meinen Stuhl an 
einen Ort, wo & eine freie Ausfiht gewann. Hier genof ich 
ein überaus abwechſelndes malerifched Schaufpiel. Rad Welten 
erhoben ſich Gebirge über Gebirge, die nähern mit Dliven und 
Bein bedeckt, die fernern fteil und öde. Jede Wendung der 
Rhone zeigte ein neues Bild und führte mit reißender Schnel⸗ 
Iigfeit daran vorüber. Der Strom wurbe vor Menfchengeden: 
Een durch ungehenre Raturertignifie aus feinem Laufe verbrangt 
und flüchtet fich nun ducch tiefe Schluchten, wo die hohen 
jen Denkmale des Kampfes der Elemente find, welche bie Kalk⸗ 

ebirge fprengten und glühende Lava und Bafaltfäulen wie 
—**— Springbrunnen hervortrieben, die zu ſeltſam geſtalteten 
Kegeln eritarıten. Alles bat hier ein wildes Anſehen, ſowol die 
verwitterten #elfen als bie grauen verfallenen Städte. Am 
wunderlichften fieht hier der Fleine Ort Rochemaure mit den Rui⸗ 
nen ber ungeheuern Burg aus. Die Bauart der Häufer koͤnnte 
zu einem eigenen Stil Veranlaffung geben, denn man hat die Ba- 
faltfäulen, ohne ihre Naturform zu ändern, zu Thür» und Fen⸗ 
ſtergewaͤnden, die Lavaplatten gu Freitreppen und zu Berb: ‚ 
Zeit, Bidiers und Bourg 
int: Andeol mit einer uralten Kirche ſehen mehr wie Grab: 


en 
male als Wohnungen für Kebende aus. Der Strom riß uns 


42380 


an dieſen ſchauerlichen aber erhabenen Bildern voruͤber und iſt 
hier ſehr gefahrvoll zu befahren, weil unter ſeinen brauſenden 
Wogen heimtuͤckiſche Klippen verborgen liegen. Es wurde ba: 
ber ein Lootſe herbeigeholt, der das Fahrwaſſer kennen ſollte 
und vier ſtarke Steuermänner an das Steuerruder geſtellt. 
Der Lootſe gab das Warnungdzeichen erſt als wir uns ſchon 
i Ber fake befanden und die Steuermänner wußten das 


in 
Schiff nicht anders zu retien als daß fie ihm eine fo gewaltige. 


Wendung gaben, daß es eine Kreifelbewegung machte und in 
einem zweimaligen Wirbel von dem Strom mit größter Hef: 
tigkeit gegen das Ufer gefchleubert wurde, wo es ein angelan: 
deted Fleineres Schiff zermalmte. Wer auf den Beinen fland 
fiel, Alles fchrie, die Matrofen zankten fi mit dem Lootfen. 
Der Befiger des zertrümmerten Schiffes fluchte. Der Schred 
batte Alles in die größte Verwirrung gebradt. Als man wie: 
der beruhigt und das Schiff in vollem Kaufe war, gewährte es 
mir eine große Unterhaltung, wie fi Jeder in feiner Weile 
über das Ereigniß äußerte. . Ein alter munterer Branzofe fragte 
den Gapitain, vb die Gefahr wirklich vecht fehr groß? „Ah 
parbleu! Nous dtions pres de périr“, anttvortete Der Capi⸗ 
tain, worauf jenex ausrief: „Ah! je me rejonis beaucoap de 
m’etre trouve dans un grand danger.” (Ein Underer machte 
dem Capitain Vorwürfe, daß er für Eeinen zuverläffigen Loot⸗ 
fen geforgt und 200 Menfchen der Gefahr ausgefegt hatte, das 
Leben zu verlieren, worauf der Ebpitain erwiderte: „Ah! ce 
‚ gest rien — mais — pensez done — les marchandises qui 
sont au bord!“ Wir vergaßen über das beftandene Ereigniß 
die Gefahr, welche und noch bei dem Pont Saint-Esprit drohte. 
Diefe Stelle ward von jeher für fehr gefährlich gehalten und 
ift es jegt mehr als fonft, weil eine große Bafferflut vor meh: 
ren Zahren einige Bogen der Brüde in den Stom geſtürzt 
bat. Wir fuhren pfeilſchnell aber glüdlid an den Irummern 
vorüber. Die Deohenden Gebirge ziehen ſich zurüd, der Strom 
theilt ſich in zwei maͤchtige Arme, welche die große Inſel de la 
Barthelaſſe einſchließen. Einen ſehr freundlichen Anblick ge: 
währt die Meine Inſel Ile Pio durch ihr Gebufch, über das 
ich eine mächtige alte Pinic erhebt, als Wahrzeichen, daß wir 


uns im Süden von Europa befinden. Man ift bier Avignon. 


anz nahe, deſſen altes päpftlihes Schloß wie ein ſchroffer 
Helfen die bethurmten und gezahnten Mauern hoch überragt. 
Nachdem wir uns überzeugt, allen Fährlicgkeiten zum 
Trotz fei der Reifende wohlbehalten vor Avignon ange: 
tommen, läßt fi mit um fo größerer Gemüthsberuhi⸗ 


gung bei den Bemerkungen verweilen, wozu der Weg 


bis Avignon ihm Anlaß gegeben; jedoch um ihn fo cher 
dort wieder einzuholen heben wir aus der erften Partie 
des Buchs nur ein paar Momente aus. Bei einer: Reife 
nad) Frankreich und da von dem Rufe nah Mündlid- 
keit und Öffentlichkeit jegt Alles widerhallt, konnte es 
nicht fehlen, daß der Reifende fowie er nach Stras- 
burg kam einer gerichtlichen Verhandlung beizumohnen 
wünfchte. Der Lohnbediente, den er um das Wo und Wann 
befragte, entgegnete: „Won übermorgen an beginnen zwei 
Monate Gerichtöferien. Beute, hat mir der Gerichtsdie⸗ 
ner gefagt, würden nur Kleinigkeiten, Diebftähle u. dgl. 
entfchieden. Die Leite haben nichts, alfo muß das Ge: 
richt den Advacaten bezahlen, wenn fie einen Bertheibdi- 
ger begehren; oft aber verlangen fie auch Beinen. Sie 
werden alfo auch fein Wunder der Beredtſamkeit hören 
und ſich nicht amufiven. Überhaupt hat es dieſes Jahr 
an beachtenswerthen Verbrechen gefehlt, welche die Auf- 
merkſamkeit der Reifenden . verdienten.” Deffenungead- 
tet ließ fih Quandt nit abhalten nah dem Sitzungs⸗ 
faale zu gehen, wo in Anweſenheit von höchftens 40 


Perfonen, zwei Bauern in. männlidem Alter, von 


Knaben und jungen Leuten nit über 20 Jahre unb 
noch einem NReifenden, ein alter Mann und vier Wei- 
ber, ſaͤmmtlich aus der niedern Bolksclaffe, zu Gefaͤng⸗ 


niß verurtheilt wweden. Dies der Bericht, womit 


Duandt feine Anfihten von öffentlicher Gerichtspflege 
einleitet. Sie nehmen «inen fo wenig erhabenen: An- 
lauf, daß wir und weniger als es außerdem der Kal 


fein würde überrafcht fühlen, wenn Quandt die Pa- 


radorienfucht bie zu der Ercentricität treibt, gegen Offent⸗ 
lichkeit der Criminalgerichtöpflege zu flimmen. Bei den 
Sründen, womit "Quandt fein Votum motivirt, um- 
ftändlicher zu verweilen, fcheint der Mühe wert um 
deswillen, weil in größern Kreifen für ein abfolut wah⸗ 


res das Urtheil gilt, Anfihten von Rechtspflege un - 


von Allem was rechtliche Entſcheidung betrifft wären um 


- fo zuverläjfiger, je weniger fie von Jurisprudenz influen- 


eirt reined Ergebnif des bon sens wären. Da ed nun 
ein handgreiflicher Unfinn wäre, wenn Jemand behaup- 
tete, um die logifcge und grammatifche Nichtigkeit einer 
Schrift zu beurtheilen, fei- vor allen Dingen Igneranz 
in Logik und Grammatik nöthig, damit der bon sens 
allein, und darum beffer als Logik und Gramı- 
matik, die Beurtheilung vollbringe, fo fcheint aud der 
befiere Gredit, den man dem bon sens im Verhaͤltniß 
zur Jurisprudenz gibt, eine Widerſinnigkeit. Indeß da- 
mit fönnte es doch mehr auf ſich haben als die Juriften 


zugeben wollen. Gleichwie bei jeder andern nicht rein 


jpeculativen Disciplin, haben wir aud bei der Zuris- 
prudenz zu unterfcheiden zwiſchen Theorie und Praris. 
Dffenbar iſt legtere werthlos, nichts Beſſeres als fchale 
Routine, geiftlofe Keiftenfchneiderei, wurzelt fie nicht in 
der Theorie, und dieſe ift wiederum Feine umd führt die 
Benennung nur misbräudlih, wenn fie kein aus erfien 
den Beweis in ſich felbft enthaltenden Wahrheiten con». 
fequent fortgeführter Aufbau, fondern blos ein Aggregat 
aus Buchſtabenwerk und. traditionnellem Glauben if. 


Stände ed alfo mit dem Fundamente unferer juriftifchen- 


Nraris — und es gibt Juriften, Die dies nur um des⸗ 
willen nicht behaupten, weil man feinen Mohren weif 


wäſcht —, alsdann würde auch im Gebiete der Rechts. 


pflege der bon sens fih zwar ale unausreichend bewei⸗ 
fen, denn fein inftinctmäßiges Treffen des Rechten gebt 
nie weiter als hoͤchſtens bis zu dem concreten Einzelnen, 


immer aber wäre ev noch beffer als manches Juriften 


fogenannte juriftifche Wiffenfchaft berechtigt, über Recht 
und Rechtspflege zu fprechen. Jedenfalls ift es alſo 
mehr als bloße Anmaplichkeit, wenn über Rechtspflege 
Quandt fpriht, und alfo ein Mann, beffen eigent- 
liche Domaine nur die Kunft iſt, der aber bier mit phi⸗ 
loſophiſcher Penetration verfabrend im Stande iſt nicht 
nur mit bon sens, fondern auch von einer ganz andern 
und allgemeingültigern Bafis aus zu Werke zu gehen, 
als gar manche bis zum Efel und Überdruß in herfimm- 
lichen Poeafen fi) ergebende Declamationen. Quandt. 
flimmt gegen Offentlichfeit der Criminalrechtspflege, weil 


fie, ben boshafteſten wie. ben blos leichtfinnigen Ver⸗ 


— — — — — — 





nn gu] 





35 


bescher und zwar noch vor der Schuibigerflätung an den 
Pranger ftellend, ſich ald Barbarisnus brandmacrke, weil 
fie ferner, dem Angeklagten ‚nicht nur vor das Bericht, 
fordern auch vor ein-von Schauluſt und Neugier her 
beigegogenes Publicum ftellend, dieſes aus frivolen Mo- 
tiven verfammelte Publikum zu einem zweiten Richter 
über ben Angeklagten. mache, zu einem Richter, gegen 
deffen Ausfpruch weder Gaffation noch Appellation ſtatt ⸗ 
Finde, weil endiich die Offentlichkeit der Erimmalrechts- 
‚pflege, fobald das Schuldig oder Nichtſchuldig Geſchwo⸗ 
rene ausfprechen, alſo Reute, bie nur eine Braction des 
von ihnen repräfenfirten Yublicums find, das Publicum 
nicht nur zu einem zmeiten, fondern zu dem alleinigen 
Nichter mache, fomit aber eine Behörde, die gegen den 
Inpopulairen allemal parteiiſch fei, während nicht felten 
ausgezeicgnete und. Ehrfurcht gebietende Perſoönlichteiten 
als die allerinpopulairften erſchienen, da zu allen Zeiten 
die Maffen geneigt wären, Glänzendes zu ſchwärzen 
und Hoher in den Staub zu ziehen. Mit Gefchmore- 
nen befegte Gerichte, fo jagt Quandt meiter, find 
Voltogerichte, und daß in diefen allemal die Affecte der 
zu Gericht Sigenden ſich als Hauptfaetoren des Spen- 
ches beweifen, das beftätige nicht nur die franzöflfche, 
fondern auch, der ihr eigenen impofanten Gravität un · 





geachtet, die antike gerichtliche Beredtſamkeit. So 3.8. | 


meint er fei es in Cicero's Reden Maxime, fi der 
Stimmung bes Gerichts zu bemmichtigen und dies zwar durch 
die nämlihen Motiven, welche geeignet waren, die Stim- 
mung der auf dem Zorum verfammelten Menge zu 
captiviren; auch wiſſe jeder gründlicher Unterrichtete, dag 
die altclaſſiſchen Anleitungen zur gerichtlichen Beredtfam- 
Zeit größtentheild nichts Anderes lehrten als bie vegel- 
recht ausgebildete Kunft, diefen oder jenen Affect des 
Auditoriums, z. B. Mitleid oder Haß, für oder gegen 
eine Partei zu erregen, obſchon bereit ein Alter jo 
wahr als ſinnreich bemerte, dies komme ihm vor als 
verböge man dad Winkelmaß, bevor man ſich deffelben 
zum wirklichen Gebrauch bebiene. Natürlich iſt auch 
Duandt nicht fo einſichtslos, dag er überfehen ſollte, 
wie viel Unheil das Verfahren an abgefchloffenen Ge- 
richtsſtaͤtten ftiften müffe, wenn es in der Hand eines 
böswilligen, menſchenfeindlichen oder doch ungeſchickten 
Inquirenten gelegt iſt. Er glaubt aber — wir laſſen 
dahingeſtellt mit welchem Recht — bier werde fi vor 
beugen laſſen, wogegen, weil Beine menſchliche Weisheit 
ändern tönne, was unabänderlih durch die menſchliche 
Natur felbft bedingt fei, ſchlechterdings nichts den ange 
deuteten Übelftänden der @elchwornengerichte abhelfen 
kõnne Wol_ aber ſpricht Quandt fih für Dffent- 
lichkeit und Wimdlichkeit der Civilproceffe aus. Wir 
theilen fein Raiſonnement wörtlich mit. Bon dem rein 
menſchlichen Standpunkte aus angefehen ſcheint es un- 
wiberlegbar; ift es aber: dies wirklich, dann wäre es 
wol der Mühe werth, zu erfahren, ob aber vielmehr 
wie? — denn das 0b iſt gewiß — die Juriſten dem- 
ſelben widerfprehen möchten. Er fagt: B 

Etwas ganz Underes ift es bei dem Civilproceß, wo über 








Gegenftände geftritten wird, die Beine Perfonen find und wobei de 

Nihteripruc Fein meralifces Urteil mothwentig einfihliche, 
Kur in jeltenen Zällen, ‚bei ſchreienden Ungeredhtigkeiten, Ber 
trügereien, wmbarmherziger Härte einer Partei -würde bie 
Stimme der Moral laut werden und die gerade Banner, 
welche für honette Leute gelten möchten, um ihr Gewerbe mit 
Borfheil betreiben zu koͤnnen, abhalten, ihre Ränfe zur Sprache 
tommen zu laffen, welde die ftummen Acten verfchweigen. 
Bei der ichteit ſoicher Rechtshändel würde 6 dem Bes 
drütßten nit an frenviligen Beugen fehlen, welche oft Auf: 
fhlüffe geben fönnten, Die dem Metbeiligten biß dahin flo 
unbeßannt waren. Der Richter würde fid) über alle Umftände, 
Berhältniffe und @ründe bei der öffentlichen und mündlichen 
Verhandlung vollſtaͤndiger unterrichten fünnen als bei der bloß 
ſchriftlichen, wo er danach urteilt, was die Parteien vorbrin« 
gen, weiche oft felbft nur eine mangelhafte Kenntniß der Lage 
und Beweife ihrer Sache haben. Ich weiß fehr wohl, daß 
unfere Rechtögelchrten von einem Inftructionsproceh nichts hör 
ten mögen und blos danach, richten wollen, was Die Parteien 
in der Klage und dem Beweis verzubringen wiffen. Allein 
fol denn dem Richter blos an der formalen Richtigkeit feines 
Ürtheils gelegen fin Soll auf feiner Unkenntniß der Sache 
feine Unparteificpfeit beruhen? Oder muß er e& fi nicht zur 
Sewiffensfahe machen, fo weit es Menfchen möglich ift, gerecht 
zu richten, d. h. der Wahrheit angemeffen, und Bann er dies 
mot, ohme fich über die Wahrheit fo weit e8 möglich ift in 
Kenntniß zu fegen® woburd er einzig und allein competent 
wird, denn feine Befähigung hängt davon faſt noch mehr ab 
alß von feiner juriftifhen Gelehrfamkeit. Solte e6 dem dich 
ter daher nicht ebenfo wichtig fein wie den Parteien felbft, alle 
Umftänte und Gründe vorher zu erforſchen und zu erfragen, 
che er uetheilt? Sol denn ein Proceh über Recht und Eigen: 
thum ein Gluͤcksſpiel fein, welches von der zufälligen Sach⸗ 
Eenntniß und ber Geſchicklichkeit oder Ungefhidtiätet der Ad⸗ 
voraten abhängt? Bei der Dffentlicfeit und Mündligkeit in 
Livilſachen muß fich aber der Richter felbft Aufklärung ver« 
ſchaffen, und jo werden die Urtheile niemals gelehrten Orakel 
forüggen gleichen, die der gemeine Menfcenverftand anftaunt 
ohne fie zu begreifen. Dies würde bei einem öffentlichen und 
mündlichen Civilproceß ganz anders und befler gehen als bei 
einem fummen Schriftwechſel, dem ein ſehr mangelafter Ber» 
börstermin vorausgeht, und zwar ſchon darum, weil bei den 
öffentlichen Berpandlungen über ein Recht oder Eigenthum fich 
ein ganz anderes Yublicum als bei dem Griminalprocefie eine 
finden würde. Es beftände gewiß nicht blos aus Reugierigen, 
welche am Scandal oder insbefondere an der Schande einzelner 
Perfonen eine Freude finden, fondern aus mwohlunterrichteten 
Perfonen, Urtheilsfähigen, Gefchäftsmännern und in wichtigen, 
verwidelten Bällen Dedtslunbigen. Diefe-Verfammlung würde 
bei Rechtshaͤndeln, wo es fih um eine Sache, aber um feine 
Yerfon handelt, ebenfo heiiſam auf die Richter und Parteien 
einwirßen als der Zubdr: des gemeinen oder vornehmen Vö · 
bel bei Eriminalunterfuchungen fgädlih if. Durch Dffent 





lichkeit und Muͤndlichteit der Rechtöverhandlungen würden ber 


fonderd Witwen und. Waifen an dem Yublicum eine BVertrer 
tung ihrer Rechte finden, benn das Wolf mag noch fo geneigt 
fein, lieblos, wol FH ungereit über die Perſon zu urtheilen, 
es nimmt fi der Sache des Berlaffenen an, felbft wenn das 
Individuum nicht beliebt ift. 

Beweift diefe Stelle, daß der Verf. ſich nicht von 
Mobeanfichten beherrfchen läßt, die in andern Gebieten 
als denen ber Kunft allgemein verbreitet find, fo beweiſt 
was er über ein Gemälde des Rubens im Mufeum 
zu Lyon fagt, daß, wie groß aud der Name ei- 
nes Künſilers fei, doch die Größe des Namens nicht 
Quandt's Urtheil befticht. - Beſonderes Vergnügen 
hat diefe Stelle Ref. gemacht; und follte noch Jeman-. 


352 


dem außer diefem bebdünfen, baß viele Gemälde des Nu⸗ 
bend entweder unpaflende Traveſtien des Schönen find 
wie 3: B. bie drei Weibsbilder auf dem Urtheil des 

arts in dee Balerie zu Dresden und der Parts, dem 
beim Anblick derſelben ein Starrkrampf bis in die große 
Fußzehe fährt), ober eine unſchickliche Apotheofe nieder 
laͤndiſcher Bauern (wie 3. B. in eben biefer Galerie der 
Beilige Hieronymus mit ben Bliedern und dem Knochenbau 
eined tiere), fo wird einem ſolchen Gleichgefinnten es 
ebenfo wie Nef. Labfal und Erquickung fein, fo etwas 
einmal von einem anerkannten Kunſtkenner gerade her⸗ 
aus gefagt zu leſen. Des Rubens Gemälde, worüber 
Duandt im angedeuteten Sinne fpriche, ſtellt Chriſtus 

vor, den die Erbe gar fehr in Zorn brachte. 

Er Hat einen Blig ergriffen und will ihn berabjchleudern, 
‚woraus gewiß ein großes Ungluͤck entflchen würde. Der heilige 
Dominicus und der heilige Franciscus nehmen die Erde ın 
Schutz. Der eine breitet feinen Mantel darüber, der andere 
Hält die Hände darauf und der heilige Franciscus fcheint Durch 
derbe Worte den Erzürnten zur Überlegung bringen zu wollen, 
indeß andere Heilige ſich aufs Bitten legen. Maria ** thut 
einen Fußfall, aber Chriſtus achtet auf nichts und gebt mit 
dem Blige fo unvorfihtig um, daß er ihn feiner Mutter an 
den Kopf werfen wird, wenn fie ſich nicht eiligft zurüdzieht. 
Der Gegenftand ift denn doch für eine jo humoriſtiſche Bes 
handlung zu ehrwürdig, ald daß man fie mit der Kühnheit des 
Malers, der Areipeit der Pinfelführung und Kraft der Farbe 
entfchuldigen Fünnte. Oder ift dieſe Wuth etwa eine fünftleri: 
ſche Begeiſterung? diefe Übertreibung Rubens ſches Pathos? 
Oder iſt es etwa die Ironie der Kunft, welche fo viel befpro- 
chen wurde, wo im Gemeinen das Erhabene, im Menſchlichen 
das Göttliche dargeftellt wird? Könnte ich nur die Attribute 
ändern, dem faft nackten Ehriflus die Kleider eines Teniers ſchen 
Bauern anziehen und den Donnerkeil in ein Bankbein ver: 

- wandeln, Maria in eine Schenkmagd umlleiden und die Heili⸗ 
gen zu den Gemeindeälteiten eines Dorfs maden, fo würde 
mir dad Bild auch gefallen. 

(Die Zortfegung folgt.) 


Literarifhe Notizen aus Frankreich. 
Franzöfifhe BVolksdichter. 

Die Sammkung der Hiftorifihen Leder unt Gefänge Frank: 
reih8 von 2erour de Lincy ift wie Alles mas diefer Gelchrte 
Herausgegeben Hat ein Product forgfumen Gamtmierfleißes. 
Der Herausgeber hat alle ihm zu Gebote ftehenden Quellen 
mit Sorgfalt und Umfiht benugt, und fein Werk gemährt in 
literarischer fowie in Hiftorifcher Beziehung ein vieffades In: 
tereffe, welches durch die lehrreichen Einleitungen und Anmer: 
kungen noch gefteigert wird. Bor kurzem ift num noch ein 
anderes Werk erfchienen, weiches in diefem und jenem Punkte 
vielleicht mit der fraglichen Sammlung von Leroux concurriren 
koͤnnte, wenn nicht Eine Grenzen in einer Beziehung viel wei: 
ter, in anderer wieder enger geſteckt wären. Daſſelbe führt 
den Zitel „Chansons nationales et populaires de la France, 
precedees d’une histoire de la chanson francaise‘, von Dur 
merfan. Der Aufgabe nach umfaßt diefes Werk ein größeres 
Gebiet ald die Schrift von Lerour de Lincy, auf weldhe wir 
uns bier beziehen. Der Verf. will hier alle Arten von Volks⸗ 
liedern, ſowol diejenigen, weiche ſich an biftorifche Ereigniſſe 
anknüpfen als die, in denen ſich ein ungefimfteltes Gefühl des 
Volks über die ver{hicdenen Beziehungen des gewöhnlichen Le⸗ 
ben® Luft macht, erüdfiätigen, während Leroux nur ſolche 
Lieder in feinee Sammlung einträgt, welche in Hiftorifcher Be» 


ziehung Intereffe verdienen. Dagegen aber befchränft ih Du⸗ 
merfan meht auf eine Auswahl, in Bezug auf die ih eine 
vollftändige Übereinfiimmung der Anſichten wol fdhwerikh er⸗ 
veichen laßt, während der Herausgeber ber „Chants histeri- 
ques” die möglichfie Vollſtaͤndigkeit erzielt. Wielleicht iſt der 
wiffenfchaftliche Gehalt der legtern Sammlung hervorragender ; 
indeffen ift auch das andere Werk ganz empfehlenswertb. &s 
ährt uns einen angenehmen und felbft lehrreichen Überblick 
uber dab bunte und düftereiche Feld ber franzoͤſiſchen Volks⸗ 
poeſie und es verfhmilgt hier dad poetiſche Intereffe mit dem 
ethnographiſchen. | 
Sur Geſchichte der dramatifgen Literatur im Mit- 
telalter. 

Die dramatifhen Dichtungen der Grosvitha, welche be: 
Fanntli in der zweiten Bälfte bes 10. Jahrhunderts ſchrieb, 
würden einem gtößern Yublicum felbft in Deutſchland kaum 
dem Ramen nad) bekannt fein, wenn fie nicht vor einiger Zeit 
von Raupach in Berlin durch einen geiſtreichen Vortrag einem 
weiten Kreife vorgeführt waren. * ben kiteraturhiſtoriter 
find fie von hohem Berthe. Deſſenungeachtet iſt es eine fafſt 
auffallend zu nennende Erſcheinung, daß fie ein franzoͤſiſcher 
Schriftfteller in einem befondern Werke einer tiefern Beachtung 
würdigt. Wir erhalten jegt nämlich unter dem Titel „Thbek- 
tro de Hrosvitha traduit pour la premiere fois em fi is, 
avec le texte latin, précédé d’une introduction et suivi de 
notes” eine literarhiftorifche Arbeit, welche wir dem Fleiße 
des bekannten Charles Magnin verdanken. Diefer Schriftiteller 
hat fi befanntlih auf dem Webiete der Literaturgeſchichte 
durch feine gediegenen Forſchungen über die Anfänge der bra- 
matiſchen Literatur vortheilhaft ausgezeichnet. Seine neue Ar: 
beit kann gleichfalls als Beleg für jeinen Sammlerfleiß, feine 
Kenntniß und die Probehaltigkeit feiner Kritik gelten. Die 
ſechs Stüde, welche die Grundlage zu diefem Werke bilden, 
find nad) dem bekannten Manuferipte in München‘, welches frü- 
be ber Abtei Sant-Emmeran in Regensburg angehörte, mit- 
getheilt. 





Kirchenhiſtoriſches. 

Einen nit unwichtigen Beitrag zur Kirchengeſchichte über- 
haupt, insbefondere aber zur Kunde der Firchlichen Berhältniffe 
und religiöfen Anſchauungen Des Mittelalters enthält ein Werk 
aus der Feder des Abbe A. Eoufin de Saint: Denoeur, von 
welchem vor kurzem der erfte Band erfhienen if. Der Zitel 
diefer Schrift, welcher etwas zufammengemwürfelt ericheint, lau- 
tet: „EKssai sur l’histoire scolastique, du droit canon et de 
la liturgie, succession des principales &coles théologiques; 
parallele des prinoipaux auteurs catholiques et her6tiques; 
suivi d’un r&sum6 de leurs guvrages les plus marquanta.” 17T. 





Literarifche Anzeige 
In meinem Verlage ift erſchienen und durch alle Buchhand⸗ 
lungen zu beziehen: j 
Zweite Mufprade 
an die deuffche Tafion 


über die kirchlichen Wirren, ihre Ermäßigung and 
möglichen Ausgang 


. von 
He €. Freiherr on GBagern. 
| 8 Geb. 15 Near. 


Reipsig, im März 1846. 
I U. Srodbens. 


Berantwortlider Herausgeber: Geinrich Wrsktane. — Drud und Derlag von F. SE. Mrodhans in Reipzig. 


nn 


op: 


Blätter 


für 


J 


literariſche Unterhaltung. | 





Montag, 


a Kr. 89, 


30. Marz 1846. 





Beobachtungen und Phantafien über Menfhen, Na⸗ 

fur und Kunſt auf einer Reife ins mittägige Frank⸗ 

reich Bon Johann Gottlob von Quandt. 
(Bortfegung aus Rr. 88.) 

Nachdem wir von dem Bielen, was die Reife bis 
Avignon enthält, dies Wenige mitgetheilt, zunächft hier 
Einiges, was fih „aus den Streifzügen durch die 
Provence“ vereinzelt hervorheben läßt; hiermit wer- 
den wir zugleich aus andern Partien des Werks Eini- 
ges verbinden, das fih uns damit nach dem Geſetze 
der Sdeenaffociation verbunden hat. Über Bauclufe und 
Petrarca wird fi nichts Neues fagen laffen, aber im⸗ 


mer und ewig hoͤchſt Anziehendes, wofür folgende. 


Stellen der Reifebefchreibung als Beleg dienen Zönnen. 


S. 167: 


In der Kühle eines heitern Morgens verließen wir das 
dunfle Avignon. Der Weg führt, wenn man aus dem Thor 
v’Dule kommt, längs der alten Stadtmauer hin. Wer in ber 
Mitte der Stadt wohnt, thut beffer feine Wanderung nad 
Baucufe durch das Thor Saint-Lazare anzutreten. Eine alte 
Lindenallee fhügte und vor der Sonne eine gute Gtrede de6 
Wegs. Ich würde meine alten Randsleute, die Linden, nicht 
erkannt Haben, wenn mir mein Kutfcher nicht verfichert hätte: 
es wären tilleuls. Das tiefe Smaragdgrün ihres Laubes haben 
fie in dem füdlichen Klima gegen ein fahled Grau vertaufcht. 
Dazu wird den Linden in Frankreich Gewalt angethan: ihre 
Zweige befchneidet man, ſodaß fie flache Dächer bilden und fi 
nicht zu hohen Domen wölben Bönnen. Am Ende diefer Allee 
traten. wir ins freie Feld, und bier wehte mich zum erften 
Male die gewürzige Luft, dee Provence an, deren belebender 
Hauch, ein halſamiſcher Ather, aus dem Dufte des Lavendel: 
krauts, der DOlbäume und Mandeln gemifcht, Alles übertrifft, 
was die Dichter davon fingen und fagen. 

S. 170: . | 

Als wir Isle im Rüden batten, ftand die hohe Felswand 
vor uns, welche Bauclufe wie ein Schirm von der Welt abfon- 
dert, und in Furzer Zeit erreichten wir diefen Ort. Hohe 
ſchroffe Gebirge, an welchen kein Baum Wurzel faflen, Fein 
genügfames Graschen Nahrung finden kann, umſchließen Pe: 
‚trarca’8 infiedelei, deflen kleines Haus unter dem Schug eines 
überbangenden Felſens ftand, den die Trümmer einer Burg frö- 
nen, welche dem Wanderer die Zähne ihrer Mauern zeigt, ale 
bewache fie das geheimnißvolle Heiligthum, in welches fih ber 
Dichter zurũckzog, feine Liebe und fein Leiden ungeftört in Lie: 
der zu ergießen. Petrarca’6 Hütte und fein Lorberbaum find 
verfhrwunden. An die Stelle der erftern iſt ein ganz gemöhn: 
liches neues fleinernes Haus gebaut und feit einigen Jahren 
an dem Orte, wo ber Lorberbaum ftand, ein junger Baum an» 
gepflanzt worden. | | 


‚und fie über die Antiquitäten zu unterrichten. in 


Ein Beifpiel, moderner Barbarei: 


‚Mr. Ioudon macht Petrarca zum Borwurf, daß er in 
feinen Briefen jagt: Frankreich fei ein rauhes und barbari- 
ſches Land. Rur noch eind will ic von Bauclufe erzählen umb 
möchte willen, was Mr. Joudon dagegen fagen winte. Mic 
wenig den Franzoſen irgend etwas heilig ift, davon gibt der 
alte Feigenbaum, der ſchon zu Petrarca's Zeiten feine mächti⸗ 
gen Aſte über der Quelle ausbreitete, einen Beweis. Er glaubte 
fich gewiß an dieſer Stelle gefichert und ſchlug feine Wurzeln 
tief ın eine Felfenfpalte, wo ihn Feine Hand berühren konnte. 
Die jegigen Iagdliebhaber, deren es mehr in Frankreich gibt 
als Sperlinge, ſodaß fie nichts finden was fie fchießen konn⸗ 
ten, haben A diefen Zeigenbaum zum Ziel genommen und ihn 
ganz und gar zerſchoſſen. Hiernach möchte man glauben, Laß 
Petrarcas Urtbeit über die Kranzofen nicht ungerecht wäre. 

Den Bemerkungen über bas antite Theater bei Orange, 
„eins der größten und unter allen das am vollftändigften 
erhaltene”, die fich durch ihre Klarheit dem "Archäologen 
empfehlen werben, ift die Schilderung einer fehr 'ergöß- 
lichen Scene eingewebt. Der Reifende erzählt: 

Als ich an der Mauer ded Theaters hinging, um’in das 
Innere deffelben zu gelangen, fand ich ein großes Loch in der 
felben und daneben einen Anſchlag mit den Worten: Conser- 
vateur du theätre romain. Auf mein Rufen zeigte fich ein 
in Lumpen gehülltes Wefen, welches ſogleich wieder in der 
Dunkelheit der Höhle verfhwand. Bald darauf öffnete mir 
ein alter wohlgeHeibeter Herr die Thür und fprah: Mein 
Hear!’ id bin der Abgeordnete ( delegu6) des Inftituts der 
Wiffenfhaften zu Avignon. Ich habe die Ehre, audgezeichne- 
ten Fremden Diefed größte aller Werke der Römer zu deigen 
err un 
drei Damen, "die ebenfalls Einlaß wünfchten, gejellten fich zu 
uns, und der Herr delegue wiederholte diefelben Worte. Er hub 
mit größter Dreiftigbeit eines Archäologen fort und erklärte 
die Einrichtungen des antiken Iheaterd wie er fie fich dachte. 

nter Anderm gab er an der Ruͤckwand der Bühne eine große. 

ffnung, die mit einer Riſche verglichen werden kann und ber 
Ort war, wo die Götter hervorträten, für die Paiferliche Loge 
aus, bie fo angebracht geweſen wäre, daß der Kaiſer jich hoch 
über der Scene befunden und von ben Schaufpielern nichts 
als die Köpfe geſehen hätte. Als er mit dem Erklären fertig 
war, winfte er und, auf den antiten Sigen Plag zu nehmen;. 
er aber ſchritt feierlich über die DOrcheftra dahin, flieg auf der 
Bühnentreppe binan, ftügte fich mit der Linken auf einen Stein, 


ſtreckte den rechten Arm weit aus und begann die berühmte 


Erzählung aus der „Phabra” des Racine: „A peine nous sor- 
tions des portes de Trezene, etc.”, wobei er auf allen ei 
und ai mit der Stimme laftete. Das franzöfifche Pathos, wel- 
ches darauf angelegt ift, dem Zuhörer Bewunderung der Berfe 
abgurwingen, ubergoß mich mit einem Gchauber dei. Wider: 


willend. Mir fehlte es an Gebulb und -id; konnte bie Lange, 


‘ 


Erzählung von dem Tode Hippolyt's nicht wie Ihefeus bis zu 
Ende anhören. Ich rief daher: „viva Talma! — Talma 
viva!’ Der Redner verbeugte fih dankbar, und mein Rad: 
bar, ein fehr gebildeter Mann, aber ganz Franzoſe, hielt mei: 
men Beifall für echt und ſagte zu mir: „Es ift wahr, er hat 
fehr gut gaprochen.“ Der Herr delägus fpiekte den Beſchei⸗ 
denen unb perſicherte, er Habe blos die 
geh, wie, ohne Anftrengung der Stimme, der Schaufpieler in 
diefem weiten Raume verftanden werde. 

Wenn aber Quandt binfihtlid, jener berühmten Er- 
zählung fagt, „dieſes bewunderte Prachtſtück der fran- 
zöſiſchen -Dramatifchen Poeſie legte der große Racine ei: 
nem Boten in den Mund, fodaf es fheint, der Dich- 
ter habe felbft an feinen Helden nicht mehr gedacht 
und Diefen zum müßigen Zuhörer eines Specimens der 
Rhetorik gemacht”, fo muß Ref. einwenden, daß diefe 
Erzählung und die Scene in der fie vorkommt fehr treu 
aus Euripides copirt find, der, flände- er wieder von ben 
Todten auf, ſich gegen den Zabel, der ihn und nicht 
Nacine trifft, wahrſcheinlich würde zu vertheidigen wife 
fen, nicht zu gedenfen, daß ganz ähnliche lange Erzäh- 
lungen auch nod In andern griechifchen Tragödien fi) 
finden: Daß der Reifende den Eindruck, welden auf 
ihn der Pont du Gard machte, nicht beffer glaubte fchil- 
dern au können als indem er überfegte was darüber 
Rouſſeau in den „Confessions” fagt, war Ref. un fo 


in denen ih Quandt nad der Ankunft in Genf 
über Rouffeau verbreitet, zum Theil ganz gewiß auch 
ungerecht find, ungerecht ſchon durch Das, was fie mit 
Stillſchweigen übergehen. Es bat namlidy das fcharfe 


Urtheil, welches Quandt über Rouſſeau .ausfpricht, | 


den „Emile“ gänzlicdy unbeachtet gelaffen, der, wie Sean 
MPaul in der „Levana“ fagt, eine Revolution in allen 
Kinderſtuben hervorgebracht bat. Nach den begeifterten 
Worten zu fließen, womit Quandt Jean Paul's ge 
denkt (S. 8), wird er vielleicht den Einwand für nicht 
fo ganz unerheblich anfehen, obſchon Nef. felbfi weniger 
auf jene Autorität gibt als zweifelsohne Quandt, der, 
indens ex. unter Anderm von Jean Paul fügt: Es fei 
deffen Witz ein ganz eigener, der das Verſchiedene nicht 
miteinander vergleiche, fondern die WVerfchiedenheit auf: 
hebe und in Liebe verföhne, etwas ausſpricht, wobei 
Aef. nur dann fi etwas denfen Bonnte, wenn «6 nicht 
von Jean Paul gefagt wäre. Als wahrhaft erfreulich 
. und erhebend ift dagegen auszuzeichnen, was, veranlaßt 
von Betrachtung des Denkmals Schillers in Würtemberg 
geſagt ift. Hier nur die Schlußworte: 

Die Differenz in Dem, was der innere edle Sinn erfehnt 
und die Wirklichkeit gewährt, blieb Schiller und verleiht fei- 
nen Werken eine bezaubernde Wehmuth, ein fehnendes edeles 
Streben nach einem unerreichbar Geahneten. Seine Dichtun⸗ 
gen gleichen den glänzenden Wolken, welche vor der Sonne 
fteden; fie Igpeint hindurch, aber fie loͤſt fie nicht auf; es ift 
feine fchöne Subjertivität, welche dur die obiective Weltan: 
ſchauung bindurchfiheint und fie erwärmt, aber nicht bis zur 
Berflärung in der Idee hinanhebt. 

Unftreitig verdient nicht minder Beifall, was fi 
bei gleicher Beranlaffung ber Hebel gefagt findet: 


ſicht gehabt zu zei: . 








| 


1 — 


Dieſer Dichter war was andere Bolksdichter ſich abmühen 


ſcheinen und zu erkuͤnſfteln. Er hätte von fi ſagen dür⸗ 

n: Ich finge wie der Vogel ſingt, und weil er fo ganz Ra: 
turdihter war, war er au recht eigentlich Voilksdichter. 
Schwerlich moͤchte er in einer andern Mundart als det ale 
Mannifchen Zöne gefunden Haben, durch) die vernehmbar wird, 
Boofür faſt der Wortlaut Hoch gu maseriel iſt, und mit ent 
zudungsvoller Überrafhung hören wir in feinen Liedern, was 
der Menſch nur in der geheimnißvellftien fillen Tiefe feiner 
Bruſt erlebt. Durch dieſen Einklang der alemannifchen Mund: 
art mit den zarteften Stimmungen des Gemüths entftcht eine 







folde Wechſelwirkung zwifhen Gefühl und Sprache wie unter - 


zwei völlig vein und ygleichgeftimmten Glocken, welche die in 
ihnen beiden fhlummernden Zöne gegenfeitig wecken. Da fi 
in Hebel's Liedern Gefühl und Sprache völlig durchdringen 
jo iſt die treuefte Wahrheit, zwanglofefte Heiterkeit, ungefuch: 
tefte Natürlichkeit, bisweilen auch ein Köcheln unter Thraͤnen 
parin, welches auf das innigfle rührt. 

(Der Deſchiusß folgt.) 


— — —— — — — —— — — — — — — - — — — — 


Zwolf Basreliefs griechiſcher Erfindung aus Palazzo Spada, 
dem Capitoliniſchen Muſeum und Villa Albani, hexaus⸗ 
gegeben durch das Inſtitut für archaͤologiſche Corre⸗ 
fpondenz. Erfter Band. Rom 1845. 

Es war eine Bereinigung verſchiedener glücklicher Umſtaͤnde 
erfoderlich,, um ein Werk wie das obige zu Stande zu bringen, 
welches jeder echte Kunftfreund, zumal: in Deutichland, mit der 


„u, ı lebhafteften Zreude begrüßen muß. Nachdem bci der Mehrzahl 
erfreulicher als die. allerdings geiftreihen Bemerkungen, | P hrzab 


der Publicationen, welche in den letzten Jahrzehnden in Eurepa 
über antike Kunft erſchienen find, der Standpunkt der Erklä⸗ 
vung feltener umd ſchwer zu entziffernder Gegenftände «der ber 
der biftorifchen Bedeutung der Denkmale feftgehalten, ift bier 
vornehmlich die den Kunfterfindungen der Griechen innewoh⸗ 
nende Schönheit ind Auge gefaßt worden. Wenn die hiernady 
getroffene Auswahl der Denkmale ſchon eine fehr glüdliche zu 
nennen ift, fo entfpricht derjelben feltenerweije auch die getreue 
und gefchmadvolle Art der Darſtellung ſowie der tie wärmſte 
Begeiſterung für die Schönheit griechiſcher Kunſt athmende und 
doch zugleich die nöthigen archäologiſchen Erklärungen ebenfo 
fein als anfpruch6los enthaltende Zert. Typen und Papier 
find endlich von der Art, daß man mit Sicherheit behaupten 
Kann, daß, fo lange die Sonne die fiebenhiügelige Stadt be: 
dene: Dort nie in Deutfger Sprade ein Prachtwerk er: 
ſchienen ift wie dieſes, welches fi in der Ausſtattung dreift 
neben Jedes ftellen Bann, fo in diefer Art in England und Frank⸗ 
reich geleiftet worden if. Das Inftitut der archäologifehen 
Gorrefpondenz hat Dur die Widmung diefes Werks an feinem 
erhabenen Protector, den König von Preußen, einc der gelaͤu⸗ 
terten Kunftliebe dieſes Herrn in einem befondern Grabe wür⸗ 
Vige Gabe dargebracht. Gin Solches zu leiften. ift daffelbe aber 
durch einen deutfchen Edelmann befähigt worden, weicher nicht 
allein in Dingen der Kunft eine reine Liebe und eine edle Ge: 
ſchmacksbildung befigt, fondern hödpftfeltenerweife auch einen 
bedeutenden 
zu beweifen und zur Verbreitung ähnlicher Gigenfchaften nad 
allen Kräften. zu wirken, Wenn eine liebenswürdige Befchei« 
benheit deffelben die Nennung feines Namens in dem Werke 
unterdrüdt bat, fo ift ed für den Ref. die Erfüllung ciner an» 
genehmen Pflicht, hiermit auszufpredhen, daß es der unter ben 
Künftlern und Kunftfreunden Staliens und des füblichen Deutſch⸗ 
lands ald eifriger Sammler von Kunftwerken rühmlichſt be- 
Fannte Baron Alfred Lotzbeck iß welchem wir haupfſaͤchlich die⸗ 
ſes ſchoͤne Werk zu banken haben. Indeß dürfte daſſelbe ſchwer⸗ 
lich fo in jedem Betracht genügend ausgefallen fein, wenn 
nicht dieſer Kunftfreund gludlicherweife in Dr. Emil Braun 
einen Archäologen gefunden, welder, in der Sefhmadsbifbung 
ihm eng verwandt, auch die wiſſenſchaftliche Ausftattung in 





eldaufwand nicht ſcheut, eine foldye thatjächlich 





Deuikiben Eiame :d 


.Hierzu if beſonders Die 
ſiavreiche Wahl derjenigen —— 3 — in 


minder enger Beziehang ze jedem ber zwölf in 

von wnfchniicher Größe Pr ag Reliefs, als Bigneften, 
den jedtömaligen Wert zu Anfang und Ende b . Da die 
Ausführung an Feinheit und Verſtaͤndniß bei einem diefer Re» 
liefs der Schönheit der Erfindung entiprit, ift wol mit Si⸗ 
cherheit anzunehmen, daß biefelbe von mehr oder minder ge: 
fehikten Rünftisen aus der Kaiferzeit herrührt. Die erften acht 
Reliefs, weiche bei einer Ernewetung der Kirche St.Agneſe 
fuor ie wura,. wovon eine Anficht an der Spitze der Einleitung, 
entdedt und von Bort nach dem Palaſt Spada alla Regola, 
deſſen Anſicht am Schluſſe derfeiben, verfegt wurden, baben 
ihre verhältnißmäßig yute Erhaltung dem felkfamen Umſtande 
zu banken, daß fie, als Platten für den Fußboden jener Kirche 
benugt, mit der Geite, worauf fi bie Bildhauerarbeit befand, 
nach unten gelehrt waren. Diele Folge macht gegenwärtig im 
einem Saale des Palaſtes Spada einen um fo flattlühern Ein 
druck, ale die Figuren etwa drei Biertel tebensgroß find. Mef. 
bemerkt bei diefer Gelegenheit, daß Die Angabe der Maße, 
welche bei drei der andern Reliefs Meiner ind, beſonders für 
Soldye, welche Die Originale nicht kennen, wunſchensſverth geweſen 
wäre. Eine geiftige Beziehung, welche Dr. Braut zwiſchen ben 
Gegenfländen der einzelnen Reliefs zu erkennen glaubt, ſcheint 
dem Nef. bei der Mehrzahl nicht binlanglich nachgewiefen 
zu fein. . 

Das erfte Reich ſtellt den Bellerspbon, welcher den Pe⸗ 
yajus tränkt, vor. Die herrliche, jugendliche Heldengeftalt des 
Bellerophon zeigt in der fehr einfachen ımd ruhigen, aber doch 
ſchönen Stellung recht daB eigenthümliche Weſen griechiſcher 
Kunſt urd bildet einen fehr anſprechenden Gegenſatz mit dem 
hier in der Gphäre der keineswdegs veredelten Raturwahrheit 
Bargefteliten Mufenpferde, weiches mit thieriſcher Begierde feinen 
Durſt loͤſcht. Als erfte Vignette ift hier die Abbildung einer fehr 
ſchoönen Chimära, nach einem Relief in der Billa Aldani, ge: 
geben, weiche außer dem Löwen: und Biegendopf von dem Kunft: 
ter ausnahmsweiſe auch mit einem Wolfskopf begabt worden, 
der aber im Driginal fo befchädigt ift, Daß er in dem Kupfer 
eher einem Fiſchkopfe ähnelt. Ref. gefteht, dab ihm die Chi⸗ 
mära vom allen phantaftifchen Kunſtgebilden der Griechen im⸗ 
mer am wenigſten zugefagt, weil es ahr an der bei Hipporam⸗ 
yen, Eentauren ıc. fo bermundstungswürbigen, man möchte fa- 
gen organifhen Verbindung ber einzelnen Theile fehlt. Die 
zweite Pignette, ein Pegafus nad einem Relief aus derfelben 
Villa Albani, gibt dem Verf. VBerantaffung, Den ganz ironi⸗ 
ſchen Standpunkt hervorzuheben, aus w die Alten gele: 


gentlich fo manche Gegenſtaͤnde auffaßten. In allen Theilen, 


3. ®. in der ſtarken Behadrung, iſt Hier abfidhtlich ein fo ger 
meines Pferd dargeftellt, daß man nicht begreifen kann, wie 
es zu den Flügeln kommt. Auf wie viel Dichter alter und 
neuer Zeit läßt fi nicht dieſe Vorſtellung anwenden! 
Mit Recht erklärt der Verf. das zweite Relief, gegen die 
gewöhnlih Annahme, weldge darin’ einen Meleager erkennt, 
einen flerbenden Adonis. Dafür entſcheidet die verbundene 
Bunde am Beine. Allerdings iſt der Drt der Wunde am Un- 
terbeine fowie die fichende Stellung bei diefem Gegenſtande 
ungewöhnlich, doch entipricht: letztere fehr wohl Dem. Jeldenmäßi- 
gen Charakter des kuͤhnen Jaͤgerb, welcher dem Schmerz auch 
aͤußerlich nit eher nachgibt, als bis er von ihm uͤberwaͤltigt, 
zujammenfintt. Mon den beiden Bignetten zeichnet ſich ein in 
liegender Stellung fterbender Adonis von einem bei Toscanella 
-gefundenen Denkmal im Hetruskiſchen Mufeum zu Rem dur 


Das fehr Lebendige Motiv aus, wennſchon die Auffaffung: vist- 


weniger weal if. 

u dem dritten Relief, Amphion und Zethus, Hat nach 
der Vermuthung des Verf. eine berühmte Scene der Tragoͤdie 
des Euripides deffelden Namens Berantaffung gegeben, in wel 
cher Zethus bie VBortheile und Reize der Jagd und der Leibes: 


übungen, Wtaphin die bes @wferBürke pellend matt. Bor: ' 


effücch ME hier Berfelde Gegenſad in dem nachläffig, fü 


daͤuriſch daſitzenden Zethus Yon uͤbermuͤthig ſportiſchem A 


druck, ohne daß indeß dadurch der Schönheitsfintt verletzt wird; 
und dem Untphion audgefprocen, welcher mit überkgettem Be: 
mußtfein bie Bora, als das Symbol der Richtung, welche er 
vertritt, aufftellt und den Bruder ruhig finnend anblidt. Mei 
der erften Wignette, welche das Wiederſehen der beiden Brüder 
und ihrer Mutter, ber Antiope, nad dem bekannten ſchoͤnen 


.Kellef im Mufeum — mit den beigeſchriebenen Ramen 


darſtellt, erklaͤrt der ſehr treffend, wie ganz dieſelbe Com⸗ 
pofñtion in einem Relief des Muſeums zu Reapel zufolge der 


ufſchriften zu dem Abſchiede dee von dem Mercur zur Unter 


weit geleiteten Gurydice hat dienen Eönnen. In dem Kopfe ber 
Frau konnte ſelbſt der Ausdruck nach ber einen wie nach der 
andern Bedeutung ziemlich Derfelbe bleiben, ba ein lebhafter 
Cchmes; unb ein Übermaß von Freude fi in den Zügen auf 
eine fehr ähnliche Weife abbilden, wie Shakſpeare Legteres fo 
fhön durch die Worte bezeichnet: Die Freude fei fo groß, daß 
fe vom Kummer Thraͤnen borgen muͤſſe. Bei der zweiten 


Bignette, welche uns die berühmte Gruppe bed Parnefifchen 


Stiers vorführt, gedenkt ber Verf. der treffenden Bemerkung 
Otfried Müllers, daß auch hier der Künftler den Charakter 
der beiden Brüder feflgehalten, indem ber robere und unge: 
ſtümere Zethus die Dirce bereit an die Hörner des wüthen⸗ 
den Stiers feflele, während Die Unglückliche noch zu dem mil: 
dern Amphion um Erbarmen emporflehe. 

Bei dem vierten Relief, Dem Raub des Palladiums durch 
Odyſſeus und Diomed, iſt der dargeftellte Moment fehwer zu 
erklaͤren, auch iſt Dadurch, Daß beide mehr einzeln und auf ver» 
ſchiedenen Plänen dargeftellt find, die Eompofition weniger ab: 
gerundet, die Ausfüllung des Raums, minder fiilgemäß als 
bei den andern Relief. Der Charakter der Helden ift indeß 
sortreflich ausgedrückt und die Motive laflen ſehr gluͤcklich im 
Odyſſeus den Rathenden, in Diomed den Yusführenden erken⸗ 
nen. Die erſte Bignette enthält Die gewöhnlichere Darfielung 
des Gegenftandes auf dem von Felir geſchnittenen Steine der 
Arundel’ihen Sammlung, Die zweite den auf dem Altar knieen⸗ 
den Diemed, welcher das geraubte Palladium hält, nach einer 
antiken Glaspaſte. 

An dem fünften Relief, Daͤdalus, welcher der Paſiphae 
die Yon ihm gebildete hölgerne Kuh zeigt, iſt ſowol die Discre⸗ 
tion in der ganzen Darftelung, als die edle Geſtalt der Köni: 
gin wie dad Sinnige in dem erfindungsreihen Künftler her⸗ 
vorzuheben. Die Bignetten, Pafiphae allein mit der Kuh und 
der Kopf des Minotauros, find bier minder erheblich. 

Das bewegtefte Leben zeigt uns im meifterlicher WBeife das 
fechöte Relief. Vortrefflich ift die doppelte Handlung in der 
furchtbasen Schlange, welche, während fie Opheltes, das un: 
felige,, im Todesſchmerz fehreiende Kind, umſtrickt bat, ſich ge: 
gen die beiden zum Kampf heranſtürmenden Helden enipor: 
baumt. Unvergleichlih edel und lebendig iſt aber in der un⸗ 
glüdtichen Wärterin, Gypfipple, das Gatfegen und die Ber: 
zweiflung ausgedrüdt. Beſonders gluͤcklich iſt hier die Wahl 
m ven Bignetten zu nennen, denn bie erfte, nach einer ruveſi⸗ 
fhen Bafe im Beſitz des Baron Lotzbeck genommen, zeigt ung, 
wie derfelbe Gegenftand, dem. Stil umd den Raumgefehen die: 
fer Kunſt gemäß, anders. und mit reichern Rebenbeziehungen 
auftzefaßt iſtz die zweite, nad) der berühmten ruveſiſchen Bafe 
im Batican, ftellt die feierliche Beſtattung des Opheltes dar, 
mit finnreisher Unbentung der nemalfchen Spiele, welche zu 
feinem Andenken geftiftet wurden. 

Recht im os führt und dad fiebente Relief einen 
idylliſchen Gegenſtand don wunderbarem Reiz vor Augen. Der 
bei feiner Deerde in behaglicher Ruhe weilende Parts leiht den 
@inflüfterungen des Eros, weicher ihn zur Untreue gegen die 
Denome zu verleiten ſucht, ein williged Gehör, Behr paflend 
fielen die Mi das Urtheil des Paris nach dem Relief in 
der Billa Ludovifi, und den Sylvan mit den ühntich gruppir⸗ 
ten Andern nach dem -trefflichen Melle der Giyptothek in Mün- 


4 
Su \ S 


den vor. Ye drei Kunftwerke deuten auf ein gemeinfames 
Urbild, welchem die Motive nad Maßgabe der jedesmaligen 
| Aufgabe entnommen und frei verwendet worden find. 


bisher für die Gutführung ber Helena genommenen Neliefs; 
worin ber Berf. fehr richtig mit Dtto Jahn zufemmentreffend 
den Abſchied des Paris von ber Denone erkennt. Schon liegt 
bad verhängnißvolle Schiff bereit, als Denone, eine Geſtalt von 
der einfachen griechifchen Anmuth, weicher ein fo wunderbarer 
Bauber innewohnt, noch zum legten Male verfucht, den leichtr 
manigen Gemahl von der Fahrt abzuhalten, deren unfelige Fol⸗ 
gen fe oo 


x eng fließt. fig hieran der Gegenſtand des achten, 


sausfiebt. Der mächtige Flußgott im Borgrunde er⸗ 
fbeint hiernach fehr natürlich als der Water der Denone, Ke 
ven, welcher die Hand auch abmahnend erhebt. Daß hier Kopf 
und Arme des Paris neu find, thut der Auslegung Leinen Ein: 
trag, welche in der erſten Bignette alücklich durch eine von 
Milingen edirte Ihonvafe mit beigelchriebenen Namen, auf 
welcher fih auch ber Flußgott findet, unterflügt wird. Sehr 
weckmaͤßig enthält die andere Vignette die re und aus 
—** —* der Entfuührung der Helena nad dem Re: 


lief des Haufes Garaffa im Mufeum zu Neapel, worauf in der 


für die. griechiſche Auffaffung fo harakteriftifchen Weife die He: 
lena von der Aphrodite und der Peitho, Paris aber von dem 
Eros zu dem entfcheidenden Schritte beredet wird. 

Das neunte unter dem Papſt Elemens XI. auf dem Aven⸗ 
tin gefundene und jegt im Capitoliniſchen Mufeum befindliche 
Relief, welches den Ilafenden Endymion barftellt, zeigt in 
wunderbarer Wahrheit, Grazie und Binfachheit in der ſchoͤnen 
jugendlihen Geſtalt das Übernommenmwerden vom Schlaf, be: 
vor der Schläfer noch eine bequeme Rage dazu bat annehmen 
Tonnen. Sehr gut hebt der Verf. die‘ Keinheit hervor, womit 
buch das Bellen des emporfehenden treuen Hundes das Naben 
der Diana angedeutet ift, weiche felbft darzuftellen bier der 
Raum nicht geftattete. Ungemein glücklich wird in der erften 
Vignette Die bier fehlende Göttin durch die Statue derfelben 
im Braccio nuovo des Batitans vergegeniwärtigt, deren (Ge: 
berde vortrefflih das freudige Erftaunen über den fchönen 
Schlaͤfer ausdrüdt. Eine von Guatani mitgetheilte Statue des 
auf den Boden ausgeſtreckten Endymion, welche im Motiv eine 
große Übereinitimmung mit der großartigen Statue beffelben in 
Stodholm zeigt, ift Der Gegenfland der zweiten Vignette. 

Perſeus und Andremeda nach dem berühmten, unter dem 
Palaft Muti bei der Kirche &t.: Apoftoli gefundenen Relief im 
Eapitolinifhen Mufeum, macht den Gegenftand des zehnten 
Reliefs aus und ift nach dem Gefühl deB Ref. die Krone der 

anzen Folge. Nur felten hat mol die Kunft den Gegenfag 
Keubiger und auf eigene Kraft beruhender Heldengroͤße und 
hülfsbedürftiger und durch unbewußte Schönheit über jene wie- 
der fiegreiche Brauennatur in fo einfacher und. binreißender 
Weiſe dargeftellt als in diefem Werke. In dem Motiv des 
Perſeus macht der Eontraft des Emporſtreckens der Rechten 
zur Andromeda und des beforglidgen Verbergens des töbtlichen 
Medufenhauptes mit der Linken, fo ganz aus dem geifligen Ge⸗ 
halt der Aufgabe heraus, eine herrliche Wirkung. Bergeblich 
aber ringt die Sprache, den Eindrud jener bolden, jungfräu: 
lihen Schüchternheit in ber Andromeda wiederzugeben, tve 
gefenkten Blickes die hülfreiche Hand ihres Netterd ergriffen 
bat und verzagten Schrittes im Begriff ift, den Zelfen Dinab- 
aufteigen, während in Folge biefer Bewegung die fchönen For⸗ 
men der ſchlanken und edeln Geſtalt durch das leichte Gewand, 
welches fie umwallt, deutlicher hervorfchimmern. Der Verf. 
macht es hoͤchſt wahrſcheinlich, daB dem Kuͤnſtler hier die Tra⸗ 
gödie des Euripides, welche diefen Stoff behandelte, zum Vor⸗ 
bilde gedient hat. Sehr charakteriftifch ift e8, Daß vieles ges 
rade von dieſem Dichter aelehen, weicher auch in fo mandhen 
andern Beziehungen einen Übergang von der ſtreng griechiſchen 
zu einer der romantiſchen verwandtern Sinnesweiſe macht, 
MERASMENRASEERAASEEIGIEEEL: Aieiieesee 





‚einem von 


denn jener Wiyihos 
ſtes mittelalterlichen 
heiligen Georg en 
z. B. vondem A 
tereſſanten 
deſſelben & 







eben IR. @inen zode. 
gewaͤhrt Das ſchone ponwejaniſche Gemälde 

e in Der erſten Bignette. Die zweite, nad 
elief, zeigt denfeiben im 
, DAB man daraus auf’eim 
* ſchon 33 ege einds großen 
damit genſtuͤck Perſens 
edufenhaupt und die ihn ſchirmende Pallas, ımd im 
der Mitte die us Unabyomene- verbunden. 

Herakles bei den Hesperiden nad einem Relief der Billa 
Albani ift für die eifte Worftellung gewählt worden. Beion- 
ders anfprechend ift hier die Geſtalt der einen Hesperibe, 
fittig und beivundernd vor bem ruhenden, Bier jugendlich ge 
nommenen gelben feht und den Apfelzweig, das antike Zei: 
hen der Liebeserklärung, halt, fobaf hierdurch nach der tref- 
fenden Bemerkung des Verf. der Kohn der Heldenthat angebeu: 
tet wird. Bon der andern Hesperide find leider im Driginal 
nur wenige Überrefte erhalten. Die erfte Bignette nah einem 
Meinen Relief in derſelben Wille zeigt den Heraßles, wie ev 
nad Bollbringung ‚berfelben Helbenthat fih am Weine labt, 
in der zweiten, nad einer Vorſtellung auf einer itiliſchen 
Vaſe genommen, aber iſt derſelbe Bosgang ins Lächerliche ge: 
zogen. In Gegenwart des Hermes und Jolaus ift der Sohn des 
Zeus in komiſcher Haſt Lief gebüdt bemüht, Die goldenen Apfel 
in ein Körbihen zu fammeln. 

._ Den Beſchluß macht endlich ein anderes Relief aus der 
Billa Albani, Daͤdalus, welcher ſidend emfig an cincm Flü- 
gel arbeitet, deflen Spige von dem banebenftehenden, ſchon be- 
flügelten Zkarus gehalten wird. Der Gegenſat des befonne: 
nen, werkthätigen Künftler6 mit dem müßigen und bedachtiofen 
Juͤngling ſowie die ſtilgemaͤße Ausfüllung des Raums wird 
bier mit Feinheit gewuͤrdigt. Die zwei Fragmente, welche von 
dieſem Werke noch vorhanden find, haben durch ein anderes 
Relief derfelben Billa, welches dieſen Gegenfland nur weniger 
ſchoͤn behandelt, gluͤcklich ergangt werden koͤnnen. Es iſt hier 
in der erſten Vignette gegeben worden, waͤhrend die zweite 
nad) einem pompejaniſchen Gemälde und bie traurige Folge der 
Undefonnenheit des Ikarus vor Augen führt, wie er am Ufer 
des Meeres herabgeftürzt entfeclt daliegt und von dem beran« 
fliegenden Vater aus den Lüften voU Schmerz betrachtet wird. 

Möchte des dem Ref. unbekannte Preis diefes ſchoͤnen Werks 
ber Urt fein, daß auch minder bemittelte Kunflfreunde zu dem 
Befige befielben gelangen koͤnnen, und möchte Daflelbe in der 
Richtung, uns das Schöne antiker Kunfk in würdiger Weiſe 
vorzuführen, recht zahlreiche Nachfolge finden! ww. 
mn 

Literarifhe Notiz. 


, Biftorifhe Bibliographie - 

Für alle Diejenigen, weiche ſich die Erforſchung det fran« 
zoͤſiſchen Geſchichte zum Begenftande befonderer Unterfucgungen 
gewählt haben, iſt vor Burzem ein wichtiges Werk erfchienen, 
welches allerdings nur ein bibliographifches Intereſſe in An: 
ſpruch nimmt, aber nichtödefloweniger für den Nachweis der 
Duellen und litevarifchen Hülfsmittel ein unentbebrliches Hand: 
bud) iſt. Diefed Werk führt den Zitel: „Bibliographie his- 
torique de la France ou catalogue de tous des onvrages 
imprinds en francais depuis le quinzieme sidele jusqu au‘ 
mois d’avril 1845”, von A. Gerauit de Saint-Fargeau. Die 
Nubriten, in die daB gefammte Material zerfällt, find fol: 
gende: I) „Division g&ographique ancienne de la France”; 

„Preliminaires g6neraux de !’histoire de France”; 3) „Car- 
tes geographigues”; 4) „Ville de Paris’; 5) „Andiennes 
provinces et leur subdivision en d&partements.” 1. - 


Besantwertliger Hrrauögcher: Heinrich Srockana. — Deu und Werleg von F. X. Musdyans in Leipgig. 


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Blätter 


für j 


literarifche Unterhaltung. 





Dienftag, 





tur und Kunſt auf einer Reife ins mittägige Frank— 
reih. Von Johann Gottlob von Quandt. 
(Beſchluß aus Nr. 89.) 

Die Schenswürdigkeiten im Mufeum zu Avignon — 
fehr intereffant voa# darüber S. 122 fg. gejagt ift — ge 
ben dem Reiſenden unter Anderm zu ber Bemerkung Anlag: 

Es ſchienen die frühern Bewohner diefer Gegend fih mit 
Brennen von Gefäßen und Ziegeln viel befchäftigt zu haben, 
worauf auch noch die vielen Stempel hindeuten, womit ders 

leihen Arbeiten bezeichnet wurden, deren eine große Anzahl 
in dem Mufeum aufbewahrt werden. Man bat no unDenuge 
Borräthe von fehr Feftgebrannten Biegeln aufgefunden. In 
mehren haben fih Hühnerfüße und Hundepfoten abgebrückt, 
ehe die Ziegel getrodnet waren. Die Thiere die darüber hin: 
Tiefen Wr nicht, daß dieſe Zeichen ihres Lebens uber ein 
Schrtaufend nach ihrem Zode fi erhalten würden. Auch ein 
fchöner jugendlicher Menfchenfuß war in dem einen Ziegel ab⸗ 
gedrüdt. Ich hätte gern etwas Beftinnmteres über den Lebens: 


wandel diefed Fußes gewußt. Meine Phantafie bildete bie Ger 


ftalt aus den weichen Formen diefer Sohle bid zum Scheitel 
Hervor. Es war bie eines Zünglings in der Zeit zwijchen dem 
jugendlichen Zräumen und männlidhen. Erwadhen. Ih fah 
wie er unbewußt fpielend und finnend feinen Zuß in der wei» 
hen Erde abdruͤckte. 

Wenn dieſes ex ungue leonem mehr fein foll als 
das Spiel einer momentanaı Phantaſieanregung, fo 
Tann man nicht umbin, Die Größe eines alfo ausgebilde- 
ten Formenfinns zu bewundern. Nicht unzwelmäfig 
ift dem Reiſeberichte über Avignon viel Hiftorifches ein- 
gewebt, was infonberheit binfichtlich der paͤpſtlichen Burg, 
jetzt Aufenthalt cafernizender Regimenter, lebendig den 
Gontraft zwifchen Damals und jegt Hervorhebt. Man 
ermißt, wie viel Liebes und Gutes hier von ber neuen 
Bewohnerſchaft alte Wandgemälde haben zu erleiden 
gehabt. Von ben. noch fichtbaren Gemälden erklärt 
Duandt die in dem mittlen Stockwerke bee fübli- 
chen Turmes für unverkennbare Werke Biotto’s, 
was alle Fälle nicht widerlegt wird durch Die felt- 
famen Kinblichkeiten, die baran zu fehen find. 3. 8. 
alle Heiligenfiheine ftellen füch als runde Scheiben, die 
Köpfe mögen von vorn oder: von der Seite anzufehen 
fein. Bon mehren folchen Heiligenfdfeinen find bahin- 
terftehende Figuren bedeckt. Ubrigens ſcheint es, man 
Hat den Kuͤnſtler die Cartons zu jenen Gemälden ent- 
werfen lafien, ohne dag man ihm Notiz gab ober er 


Notiz ‚nahm von ber runden Form des Saales mit be- 
deutenden Fenſtervertiefungen, woreus der Ubelftand 
bersorgegangen ift, daß einige Köpfe gerade auf ſolche 
Stellen gefommen find, wo die Wände Ecken bilden, fo- 
daß Hintertheil des Kopfes und Geficht fich auf ver- 


fchiedenen Flächen befinden. Nicht ohne Bedeutung ift 
folgende ſcheinbar unmwichtige Scene. Der Reiſende 
hatte die heißen Nachmittagfiunden in den ſchauerlichen 
Räumen ber päpftlihen Burg und in dem Dome zu- 
gebracht und machte jenfeit der Rhone (S. 144 die an» 
fprechende Legende von Erbauung der Brüde zu St.- 
Benezet) einen Ausflug nach der reizend gelegenen klei⸗ 
nen Stabt PBilleneuve. Die Wanderung unterbrechend 
laͤßt er fih auf einem Steine nieder, die Yusficht zu 
genießen; 4 

allein ein alter Fiſcher ſchickte einen Knaben in feine Hütte 
und ließ mir einen Seſſel bringen. Bein Anſehen war fü 
ftattlih, obwol er nur geringe Kleider trug, daß ich nicht 
wagte ihm eine Bezahlung für die Gefaͤlligkeit anzubieten. Ex 
fragte mich eenft und befcheiden nady meinem Baterlande — 
ed ift Dies immer die erfle Frage der Reute aus dem Bolke. 
Bon Deutföhland kannte er nur den Rhein. Gr lobte die 
Deutichen und fragte, ob fih Deutfchland von ben Verwüſtun⸗ 
gen des Krieges erholt habe. Bald gefellten fi Mehre zu 
und, die von Strömen und Meeren, an weichen Deutſchland 
liegt, gern etwas erfahren wollten. Einer fagte gang lauf, 
die Deutisgen find “Brave Beute, fie. Haben die Mourbond auf: 
genommen. 

Mancher Lefer, der von König Rene nicht viel 
mehr wiſſen dürfte als bie Erwähnung "beffelben in 
der „Jungfrau von Orleaus“, mind überrafeht fein, 
eines Gemäldes beffeiben gedacht zu finden, das der 
Neifende im Hoſpital zu: Villenenve betrachtete, 
ftellt den Zuſtand der Seelen nach dem Tode vor 
und ift nach Quandt's einem franzöfifchen Kunſtkenner 
beiftimmenden Uetheile eins der aller vortrefflichften 
Werke des 15. Jahrhunderts. Hierbei verbreitet fi 
Quandt umftändlih in Erörterung der für die Kunfl- 
geſchichte wichtigen Frage über das Wusreichende ber 
Gründe, aus weichen man den König Nend für einen 
Schüler des van Eyk ausgegeben, was begreiflicherweife 
von allgemeiner kunſtgeſchichtlicher Bedeutung iſt, info- 
fern es fih um den Einfluß handelt, ben deutſche Kunſt 
auf die franzöfifche. geübt. Wichtig wird diefe Stelle 
auch den Werehrern ber „Divina commedia ” fein ale 


&s ’ 


858 


abermäliger Beleg, wie diefes in den Augen der Sept- 
‚welt abftrufe Gedicht für die Zeitgenoffen fehr populait 
fein konnte. Wir übergehen, als keinen Auszug geftat- 
tend, das Viele, was außerdem über Kunftgegenflände 


in bem Buche gefagt iR (fo 3. B. die Deutung, welche 


einem Gemälde des Lukas Kranach in Karlsruhe gege⸗ 
den iſt, &. 326, das man bisher für einen Ritter er- 
Härt hat, ber unter drei Nymphen feine Gattin wählt, 
fowie die Gefchichte Würtembergs in Gegenbauer’s Fresco⸗ 


gemälden, &.333 fg.), halten uns aber fir‘ verpflichtet 


auf die Gefchichte der Malerei zu vermweifen, welche 
einen in ſich abgefchloffenen und gewiß höchft anzie- 
henden Beftandiheil der Schrift bilde. Zeugniß für 
den Werth dieſer Betrachtungen fcheint Nef. zu liegen 
‚in ber Bemerdung : ° 

Was in einer Zeit gemalt wird, wie die Gegenftände auf: 
gefaßt, bie Aufgaben gelöft werden, läßt uns zugleich einen 
tiefern Blick in die Sinnedweife einer Generation thun, und 
gerade in einen Lebenskreis hineinfehen, der fi uns nicht in 
den großen Weltbegebenheiten auffchließt. 


Mer hierin keine unableugbare Wahrheit findet, hat 


entweder nie Niederländer gefehen ober fie doch ohne 
‚ allen Sinn für das Mefentliche derſelben gefehen. 
Quandt bedient fi) eines andern, die Wahrheit fei- 
ner Worte nicht minder beftätigenden Beifpield, indem 
er ſagt: 

Es ift beinahe rührend, wenn man Bilder vor fich fieht, 
die in Deutfchland zu Zeiten Friedrich's des Großen gemalt 
wurden, 3.3. die Meinen, freundlichen, ftillen, fleißig gemalten 
Landihäftcgen, die Portraite gepugter laͤchelnder Herren und 
Damen, erſtere oft in der einen Hand eine Dofe, in der an: 
dern eine Prife haltend, wobei der kleine Finger ausgefpreizt 
wird, und die Damen mit einem Fächer fpielend; die Stillies 
ben und Dorfſchenken. 
Telugg eined gemüthlihen, fehr befchränkten und harmloſen 
Volkscharakters, wovon die Geſchichte einer Zeit nichts ahnen 
läßt, in der fi ein deutfcher Fuͤrſt mit den größten Mächten 
Europas herumſchlug? Geliert's Fabeln und Geßner's Idyllen 
gehören ja auch jener Zeit an und bezeichnen eine Sinnes⸗ 
weife, die wir aus der Weltgefchichte nicht errathen und er: 
Hören Fönnen. 

- Noch einen Gegenfland, den Quandt überall be- 
handelt bat, wo fich ihm. dazu Veranlaffung bot, fön- 
nen wir ebenfalls nur erwähnen, wir meinen Dasjenige, 
: was er über die auf der Reife von ihm betrachteten 
Dentmale mittelalterlicher Baukunſt fagt und infonder- 
heit darauf hinausläuft, die Auffaffung des Spitzbogens 
als conftructiven Elements eines darauf beruhenden ei- 
genthümlichen Bauſtils den Deutfchen zu vinbiciren. 
Diele Partie des Buchs kann nur von dem ganz ſach⸗ 
kundigen LZefer gewürdigt werden. Schwerlich aber hätte 
es in diefer Beziehung der entfehuldigenden Mormorte 
beburft:- | 

Hinfichtlih meiner ardjiteltonifchen Betrachtungen, welchen 
ich zu viel Raum vergönnt habe, muß ich die Leer um Ge: 
duld bitten. Ich Bonnte Beine Gelegenheit vorübergeben laflen, 
weiche fi) darbot, meine Überzeugung zu befefligen, daß der 
Spigbogenftil nicht in Frankreich, Sondern in Deutſchland aus: 
gebildet wurde. Wem die Frage, welchem Volke der Spig: 
bogenftü angehört, eine ſolche Herzensangelegenheit ift wie mir, 
der wird die Wiederholungen dieſes Begenftandes gern verzeihen. 


Geben und diefe Bilder nicht die Vor⸗ 


Deffen womit wir in Dem was Kunft heißt uns 
auf leiblih würdige Weiſe mit dem Alterthum meffen 
Tönnen, gibt es ja fo wenig, und in diefem Wenigen 
fteht die fogenannte gothifche Baukunſt fo bemunderns- 
werth und fiaunenerregend da, daß bie Frage: Db der 


Spigbogenftil (nicht der Spigbogen) deutſche Erfindung 


fei, von größter Bedeutung für Jeden fein muß, der 
überhaupt Kunft- und Gulturgefhichte nicht von dem 
Wiffenswerthen ausfchlieft und in irgend einer Bezie- 
bung fi zu dem Publicum unfers Reifenden rechnen 
darf. Diefem Publicum find die Schriften Quandt's 
ſchon durch fich felbft fo hinreichend empfohlen, daß zu 
Empfehlung der jegt angezeigten wir vielleicht, ſchon viel 
mehr gejagt haben als nöthig geweſen wäre. 29. 


⸗ 


Sklavenemancipation. 


In den vor kurzem erfchienenen „Brief notices concerning 
Hayu and Jamaica” von John Eandler findet man ſehr in- 
tereffante Rachrichten von der Wirkung der Emancipation der 
&Haven in den engliſchen Colonien Weſtindiens. r Verf., 
der zur Sekte der Quaͤker gehoͤrt, hat die von ihm mitgetheil⸗ 
ten Thatſachen mit eigenen Augen geſehen, und ſein Zeugniß 
verdient allen Glauben, da cr ein Mann von geſundem Ber: 
ftand, richtiger Urtheilskraft und größter Unbefangenheit if. . 
Nach feiner Behauptung hat die völlige Freilafiung ber Skla⸗ 
ven auf der Infel Iamaica und. in den übrigen engliſchen Be: 
figungen Weftindiens den glüdlichften Erfolg gehabt; alle Claſ⸗ 
fen der Bevölkerung freuen fi über das Refultat, welches die: 
fetbe gehabt. Die Vorherfagungen der Pflanzer und Gutsbe⸗ 
figer in den Eolonien, welche verkündigten, die einmal freige- 
laffenen Sklaven würden ein faules und landftreicherifches Vodik⸗ 
chen werden, welches dem Lande nur Schaden bringen würde, 
die Felder würden nicht angebaut werben, Das Leben der Wei— 
Ben würde gefährdet und ihre Befigthum ruinirt fein: alle 
diefe und ob andere ebenfo beunrubigende Prophezeiungen find 
durch die befriedigendften Refultate wiberlegt worden. Das Ge⸗ 
gentheil von Dem, was man vorhergefagt, fand ftatt, und Ja» 
maica und die übrigen Inſeln find auf eine neue Bahn der 
Woblfahrt eingetreten. Der Aderbau findet gegen Lohn im- 
mer zur Arbeit bereite Hände; Bettelei und Herumſtreichen 
find unbefannt; die Zuder: und Kaffeeplantagen, welche im 
Unfang der Sklavenemancipation theilweife verhachläffigt wur⸗ 
den, weil die Aufſeher die Unvorfichtigkeit begingen,, die 
jegt freien Arbeiter blos durch Gewalt anzutreiben, fangen 
an ihre ehemalige Pruchtbarkeit wieder zu gewinnen. Swei 
Jahre lang nahmen die Producte durch das unfluge Berfahren 
ber Pflanzer abs; im dritten brachte eine anhaltende trodene 
Witterung den Miswachs. Aber tiefere Einfiht in bie Staate⸗ 
und Landwirthſchaft und ein Blügere® Benehmen der Planta⸗ 
gen : und übrigen Gutsbefiger haben Alles wieder gut ges 
macht; die Ernten fallen wieder reichlich aus, ‚und man bat 
jegt allen Grund, für die Zukunft einen ausgedehntern 
Handel und einen immer zunchmenden Wohlſtand zu hoffen. 
Sohn Gandler hat die Infel Jamaica in allen Bichtungen 
bereift und Beinen Menſchen gefunden, der die flattgefundene 
Beränderung zu beflagen fthien, Eeinen einzigen, der, auch mit 
Abfiht auf Gewinn, die ehemalige Sklaverei der Schwarzen 
zuruͤckwuͤnſchte. Er fprady mit Menſchen aus allen Ständen 
unb Glaffen, von dem Statthalter und den Richtern der Infel 
bis zum Bollbeamten herab, und Alle bezeugten einftimmig, daß 
die Früchte der Freiheit vortrefflich find. Der Fremde, der in 
biefem Sande reift, Bann fich wirklich bei jedem Gchritt von - 
dem Guten überzeugen, welches die Freiheit dem Urbeiter ge 
bracht Bat, und eine Peine Anzahl einfacher und in die Au: 
gen fallender Shatfachen beweiſen es, wie günflig fie dem Eis 








ne voll 


genthümer iſt. Es ift durch zahlreiche Beiſpiele ausgemacht, 
Daß alle Befigungen jegt befier und wohlfeiler als zur Zeit 
der Sklaverei angebaut find. Es ift eine allgemein anerfunnte 
Zhatfache, DaB die Koften für bie Unterhaltung der Felder, wo 
maͤn dad Vieh weidet und mäftet, weit geringer find wie fonft; 
bie größten Naffeepflanzungen werden um einen wohlfeilern 
Preis cultivirt und die größten Pflanzungen von Zuckerrohr 
often an Arbeitslohn wenigftens nicht mehr wie chemals. Es 
it allen Befigern dieſer Ländereien volllommen einleuchtent, 
daß fie den Theil von den 20 Millionen, welcher ihnen zuge: 
fallen ift, für nichts erhalten haben. Der den Pflanzern von 
Großbritannien bezahlte Schabenerfag dient ihnen nicht dazu, 
durch die Abichaffung der Sklaverei erlittene Berlufte zu decken, 
fondern zur Abtragung der gehäuften und ſtets wachlenden La⸗ 
ften, welche das unterdrüdende Syftem der SHaverei nad und 
nad) herbeigeführt hatte. Ein großer heil der Beſihungen in 
Beftindien war ſehr vesfehuldet und mit ſchweren Hypotheken 
beladen. Die von der Regierung bezuhlte Schadloshaltung hat 
dem Übel abgebholfen. Statt wie fonft allerlei Pladereien und 


Beſchraͤnkungen in feinem Handel und Verkehr unterworfen zu 
fein, bat der Pflanzer jegt die Freiheit, feine Producte nach 


dem Markt zu ſchicken, wo er fio am vortheilhafteften abjegen 
Bann, den fähigften Kaufmann zu feinem Eorrefpondenten zu 
wählen und die Zransporsloften in die okonomiſchſten Grenzen 
zu beichränfen. Ein Schritt auf der Bahn der Hkonomie führt 
zum andern; der Pflanzer fieht fih um; glücklich durch den 
Erfolg feiner Erfahrung verſucht er’ eine andere; indem er all« 
mälig vorjchreitet, wie jeder vorfihtige Wann es immer thun 
muß, befiert er fi) nad und nad) von feinen alten Gewohn⸗ 
beiten der Nachlaͤſfigkeit und unnöthigen Ausgaben und endigt. 
damit, ſich von dem Zuſtand der Dürftigkeit, worein feine Ge⸗ 
wohnheiten ihn gebradt hatten, zu befreien. Died iſt die 
Folge ded gegenwärtigen Zuſtandes der Dinge, d. h. der dem 
Sklaven gegebenen Freiheit und der dem Deren gegebenen 
Danbelsfreiheit, daB der Werth des Landbefiges merklich zu 
nimmt, und daß in den meiften Fällen der ehemalige Preis 
der Sflaven fi jest in den größern Werth, den ber Boden 
gewonnen hat, wieder findet. Biele Kändereien werden heutzu: 
tage zu einer weit hoͤhern Summe verkauft als die Veraͤuße⸗ 
rung von Rand und Sklaven zufammen eingetragen haben 
würde zu der Zcit, da man ſich noch über die Abfchaffung der 
Sklaverei ftritt. Auch in diefem Ball bewährt fi) mithin das 
alte Spruͤchwort, daß die Gerechtigkeit die befte Politik if. 


" Uber au wenn der Pflanzer beweilen koͤnnte, daß diefe Ver: 


änderung ftatt ein Gewinn für ihn zu fein ihm eimen Ber: 
luft verurfache; wenn man weniger Buder und Rum aus 
führte und wenn ber Ertrag von den Kaffee» und Zuckerrohr⸗ 
pflarzungen geringer wäre, was hätte diefer kleine Rachtheil 
zu bedeuten in Vergleich mit dem unermeßlicdyen Bortheil, wel: 
chen die Errichtung einer arbeitfamen Communität berbeige: 
führt hat? Gefegt den Fall, die Grundbefiger hätten wirklich 
ein geringeres Ginfommen als fonft; aber das gemeine Volf 
iſt beſſer genährt, beſſer logirt und befier gekleidet, man baut 
Kirchen, Kapellen und Schulen, man fucht die @rziehung, 
wohnt dem Sffentlicgen GSottesdienfte bei, Die Befängnifle leeren 
fih nad nnd nad, und freie, fromme umb fittliche Urbeiter ber 
bauen jest einen Boden, der noch vor nicht langer Beit durch 
Ketten und die Sklavenpeitſche gefchändet war. 31. 





Bibliographie. 


a —— — 5 die ee 2 befonderer nut auf 
und Bermefung : der nen. ettin, Worin. 

1845. &r. 8. 10 Kar. 8 
Beyer, M., Das Auswanderungsbuch, oder Fuͤhrer und 
Rathgeber bei der Auswanderung nad) NRordamerika und Teras 
in a Ueberfahrt, Ankunſt und Anfiedelung, nebft ei: 
ändigen Schilderung des geographifihen, politifchen 


und gefelligen Buftandes jener Länder und genauere Erbrterung 


aer bei der Ausrwanderung Air berückfichtigenden Punkte. Groͤß 
tentheils nad eigener Auffaſſung ‚während eines jährigen 

Aufenthaltes in Amerika. Leipzig, Baumgärtner. 8. 15 Kar. 

Buſche, H. vom, Zriedrih Karl Freih. v. Mofer. Aus 
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Kobell, F. v., Gedichte in oberbayerifcher Mundart. Ite 
guflage. Münden, Literarifchsartiftifche Anftatt. 8. 1 hie. 

gr. 0 

— — Schnadahüpfln und Sprühln, mit Bildern von F. 
Pocci. München, Literarifchsartiftifche Anftalt. 8. 8 Nor. 

Künzer, F. X. M., Katholifche Volksbücher. Zur Be: 
lehrung und Erbauung. Iſtes Heft. Breslau, Aderholz. 8. 
Für drei Hefte 5 Nor. 

Pudopico oder der Sohn eined Mannes von Genie. Stutt: 
gart, Hallberger. A. 8. 1Thlr. 

Ludwig, C. F. E., Kurze Lebensbefchreibung des jüngjt 
verftorbenen Konrad Daniel Grafen von Bluͤcher⸗Altona. Al: 
tona, Schlüter. 1845. Gr. 8. 7%, Nor. 

„tyra, 8. W., Plattdeutfhe Briefe, Erzählungen, Ge: 
dichte u. |. w. mit bejonderer Rüdficht auf Spruͤchwoͤrter und 
eigenthümliche Redensarten des Landvolfs in Weftphalen. Osna⸗ 
brüd. 1845. Gr. 8. 22%, Nor. 

Marienlegenden. Gtuttgart, Krabbe. 8. I hir. 

Meißner, I. C., Allgemeine europäifche Wechſelpraktik. 
Rah den Quellen bearbeitet. Rürnberg, Schrag. Gr. 8. 
1 Thlr. 4 Ngr. 

Montholon, Gefchichte der Gefängenfchaft auf St. He: 
lena. Deutih von U. Diezmaun. Mit dem Portrait des 
Kaiferd und dem Zacfimile der Handſchrift Montholon’s. Ifte 
Lieferung. Leipzig, Zeubner. Gr. 16. 3 Nor. 

Mor vell, Memoiren eines Berliner Rachtwaͤchters. Sechs 
Bändchen. Danzig, Gerhard. 1845. 8. 2 Thlr. 

Riebuhr, B. G., Geſchichte des Zeitalterd der Revolu⸗ 
tion. Borlefungen an der Univerfität 3_ Bonn im Gommer 
1829. ZweiBände. Hamburg, Agentur des Rauhen Hauſes. 
1845. 4 Thir. ' 

Dämonifche Reifen in alle Welt. Nach einem noch unge: 
drudten franzöfifchen Ranuferipte bearbeitet. Ifte Lieferung. 
Zübingen, Dftander. Br. 8. 10 Kor. 

Reybaud, 2., Serome Paturot, oder der Kampf um Stel: 
fung in der Gefellfchaft. Aus dem Kranzöfifchen. Bmei Bände. 
Stuttgart, Hallberger. Kl. 8. 2 Zhlr. 

Ruppius, D., Die Schlacht bei Leuthen. ittenbild. 
aus dem vorigen Jahrhundert. Berlin, Simion, 8. 10 F 

Schmidt, Geſchichte der Stadt Schweidnig. Iſte und 2te 
Sieferung. Schweidnig, Heege. Gr.8. Für drei Lieferungen 

r 


ouveſtre, E., Die Verworfenen und die Auserwaͤhlten. 

Aus dem Franzoͤſiſchen überſetzt. Drei Bände. Stuttgart, 
Hallberger. 8. 3 Thlr. 

Staudenmaier, F. U, Zum religiöfen Frieden der ' 


Zukunft, mit Ruͤckſicht auf die veligiös : politiſche Aufgabe der 


Gegenwart. 8wei Theile. Freiburg im Br., Wagner. Gr. 8. 
2 Thlr. 7%, Rar. 
€., Der ewige Jude. Aus dem Branzöffichen über: 


Sue 
F aRit Holafepnitten. Iftes Heft. &tuttgart. 1845. Ler.d. 
Hebe etzungs· Bibliothek ausgewählter Schriften der mober- 
nen polniſchen Literatur. Iter Band: Die Reife ohne Biel. 
Aus dem Leben. Rad dem Polnifchen des Grafen von Star: 


v 


bet. Deutfh von E. v. „zoftem. Smei heile. Berlin, 
v. Puttkammer. H 1 5 


Burſt, 8.3, Eine bie sphifge Skizze. Mit dem Bild. 
niffe — Reutlingen, Maͤcken Sohn. Lex.⸗8. I0 Rgr. 





Zagesliteratur. 


. Übel, 8.2.€., Ihr feib allzumal Einer in Chriſto Jefu- 
Ein Reujabräwort, unter den reli iöfen Beitbemegungen geſpro⸗ 
chen am I. Januar 1846 Reraufen, Köhne. 8. 3 Nor. 

Behrens, ©. H., Wie muß die proteflantifche Kirche fich 
entwideln, wenn F m Sinne Sefu gefchehen fol? Ein Bor: 
trag über Matth. 28, 18 — 20. Braunfchweig, Rademacher. 
Gr. 8. 2% 3. 

Brand, Badelzug für 3. Ronge. Breslau. 1845. 
Ler.3. 2% Nor. 

Bülom-Cummerom, Das normale Geldſyſtem in fd 
ur Anwendung auf Preußen. Berlin, Beit und Comp. Gr. 

Nor 


—* Julian Chownitz, Gründer und Geſchichtſchreiber 
der erſten deutſch⸗ katholiſchen Gemeinde in Schwaben. Beleuch⸗ 
tet von einem Finſterling. Ulm, Seitz. 1845. 8. 2 Nor. 

Ehriftus, Der gei⸗ des Heils und der Stein des Anſto⸗ 
ßens. Drei Predigten, gehalten von den drei Predigern ber 
evangelifchelutherif n Gemeinde in Elberfeld (U. S. Jaspis, 
J. F. €. Sznder W. Hülsmann). Elberfeld, Haſſel, 
1845. Gr. 8. 5 Rer. 

Decker, a, ‚Ordnung des Gottesdienſtes und der kirch⸗ 
lichen Handlungen in ber Gemeinde Klein:Wefenberg, ald Ver⸗ 
ſuch zum Entwurf einer Sälsiwi a heiten Kirchenagende. 
—* Schlüter. Gr. 8 

Ficker, C. G., So Lange Died unfere evangelifche Kirche 
fein und bleiben, fo lange fie fi zum Deren als dem Geifte 
bekennt. Leipzig, Klinkhardt. Gr. 8. 3 Nor 

Geiſſel, I. v., Feſtrede bei der, Sujäßrigen biſchoͤflichen 
Jubelfeier des Biſchofẽ von Münfter Caspar Mar, Reichsfreih. 
y. Drofte zu Viſchering im Dome zu Muͤnſter am 6, Septem⸗ 
ber 1845. söln, Bahem. 1845. Gr. 8. 4 Nr. 

Göring, C. E. 8, Ermunternde Anfeitung zum Bibel: 
lefen. Dinkelsbühl. S. 2%, Ror. 

Hagen, €. 2, Am Grabe Luther's. „Brei Keine Gaben 
für das deutſche Voir. Jena, Luden. RI 8. 6 Nor. 

Heſſenmüller, ©, Dr. Mart. Luther's Wirken, Tod 
und Begraͤbniß, nach den Quellen dargeftelt: Braunſchweig, 
Rademader. Gr. 8. 15 Rgr 

Der Sefuitenorden und fine Unverträglichkeit mit den peut: 
hen ee paltniflen, Stuttgart, Ebner und Seubert. Gr. 8 

gr 

"ampadius, W. A., Die deutſch-katholiſche Bewegung 
von ihrem erſten Entſtehen bie auf die Gegenwart aus protes 
ſtantiſchem Geſichtspunkte hiſtoriſch⸗kritiſch Beleudtet. Zugleich 
ein vorbereitender Deituo rünbung einer deutſchen Na: 
FiomalEisde. zeipzs, 28 Gr. 8. 7% Rgr. 

Le Beau, 2., Voͤm Einfluſſe des Sündenfales auf die 
Schöpfung. Mit einem Anhange; „Wider Ulmann’s 40 Säge 
über Pehifreipeit 40 Segenfäge über den Lehrweg der prote⸗ 
Rantithen Kirche.” Freiburg im Br., Wagner. 1345. 12. 

gr 

Liliencren, R. v., * deutſche Kirche. (Gedicht.) 
Kiel, —— Gr. 8. 1YR 

Loͤhe, W., Zuruf aus der Heimat an die deutich - luthe« 
riſche Kirche Nordamerikas. Beiſtimmende unterſchrif. 
ten. Stuttgat, Kiefhing. Schmal 4. 5 Ror 

Der Magiftrat von Berlin vor feinem önige. Urtheil 
de6 Journal des Döbats vom 23. Dctober 1845. Franzoͤſiſch 


. mit mit beuefcher Kbenfegung, Berlin, Buchhandlung bes Leſccabi 


Petition an die Ständer immbung des Königreichs Sach⸗ 
- fen vom Stadtrathe und ben Stadtverordneten zu k rg um 


Verantwortlicher Herausgeber : 


Berwendung für die genauere Unterfugung der Susfüßcharkeit 
einer @ifenbahn für den erzgebirgifchen Kreis zwifchen Dresden 
über Brebers a ber na Fr ap Cilenbapn. Freiberg, 


Cra 
ä— on, eig —— —8 bei dem erſten 
Sottesdienſte der Genofſenſchaft für Reform im Judenthum zu 
Berlin. Rebſt der Ginleitungsrede zum Gottesdienfte, gehalten 
von S. tern. Berlin, Simion. 1845. 8. 5 Nor. 
Brebigt über das Thema von einer Sekte, die Ach * 
yeliſche 8 re et Für das katholifche Bol. Um, Bei 


14, R 
Eine Predigt. Der kathouſche Slaube wird von aller Weit 


angenonmen werben. Kür das katholiſche Boll. Um, Geip- 


1845. 8, * Rar. 
Der ächte Rod Chriſti, der im Jahre des Heils 1845 zu 
Schwabiſ uͤnd ausgehaͤngt wurde, an das Licht bes Evan⸗ 


geliums und der Bernunft geſtellt von Romano - Cathelicus. 
Um, Seig. 1845. 8, 23 Kor. 

Köhr, I. F., Semeinverfänblice und fehriftgemäße Dar- 
ftellung der Grund⸗ und Glaubensſaͤtze ber evangelifih » prote- 
ſtantiſchen Rinde. 2te vermehrte Au Neuſtadt a. d. O., 
Wagner. 8 7 Nur. 

— — Dringende $inweifung auf die den heiligen Namen 
Jeſu misbraudenben Pharifäer der chriſtlichen Kirche. Predigt. 
4te Auflage. Weimar, Hoffmann. Er. 8. 5 Rear. 

Roma. Kampf, Sieg, Glanz der katholiſchen Kirche. (Zur 
Zubelfeier des Biſchofs von Münfter Gaspar Marimilion Keichtfr. 
Drofe zu Biſchering.) Münfter, Deiters. 1845. Gr. 8. 6 Star. 

3384 H., Die Wahrheit und ihr. Zerrbild, oder die 
roͤmiſch⸗katholiſche Kirchenlehre gegenüber der „Bertheidigung 
des Duisburger Katechismus von H. J. Graͤber,“ dargelegt 
und gernäebigt, 2te verbefierte und vermehrte Auflage. Em⸗ 
merih, Romen. 1845. 8. 20 Mer. 

Salamin⸗Novarhol, Parallelen aus Anlaß des Leip⸗ 
ziger Attentats vom 12. en 1845. Diagdeburg, Yalden- 
berg und Eomp. Gr. 8 

Schiller, 3., Über —** Kinberzuct in Luther’5 Geiſt 
und Wort. Mit vorangeſchicktem Berichte Dr. Juſtus Sonas 
über Luther's feli e Sinfahre und Melanchthen’s Rebe über der 
Leiche deſſelben. Frankfurt a M., Zimmer. 8 10 Rgr. 

— — Nachtraͤgliches —— in Sachen der evange⸗ 
then Kirchenzeitung gegen 72 86 vom 15. Auguft nebft Vor: 

Nachtrab. Frankfurt a ‚ Bimmer. Gr. 8. 5 Nor. 

d Shroedter, F. A., — E an die Feier des 
jährigen Amtsjubiläums und ber Dienftentiaffurig des Ber: 
< | Ieflens- Me A anbeote Auflage. Oldenburg, Fraͤnckel. 1845. 

t 2, r. 

Särocter, €., Eures Waters Wohlgefallen ift es, euch 
das Reich zu geben. Gaftoredigt gehalten in der Verſammlung 
der Deutſchkat urn in Worms am 30. Novr. 1845. Worms 
Rahke. Br. 8. 2%, Nor. 

. Bincerus 1 S., Woher die gegenwärtigen Bewegun⸗ 

en in der evangelifhen ana und wohin werden fie führen? 

a mming. 8 5ER 

precher für die De «Katholiken. in der gegenwaͤr⸗ 
tigen e offihen Ständeverfammlung. Hies Heft: die Sprecher 
der erften Kammer. Nebft dem allerhöchſten Decrete, der De: 
cretsbeilage und dem Deputationsberichte. keipzis, Melzer. 
1815. Gr. 8. 7, Nor. 

Welcker's Motion, daß die erſte Kammer eine Adreſſe 
auf die Gröffnungsrede beſchließen möge. Borgetragen in der 
7. ofentlichen Sitzung der Badiſchen 2. Kammer am’O. Dez 
1845.) Mannheim, Hoff. Gr. d. 2, NR 

Wilfarth, 3. G., 50 kurze Theſes Fr Geiftesfveipeit, 
Wahrheit und Prieden in der Kirche. Braunſchweig, Rade⸗ 
mader. 12. 2%, Ror. 

Zarnad, W., Gegen Hrn. Paſtor Balger in Naumburg, 
den Bertheidiger des Hrn. Paſtor Uhlich und ber ‚Peotehanti” 
ſchen Freunde. Raumburg, Kange. 1845. Gr. 8. 5 Rar. 


Beiurich Wrodians. — Drud und Verlag von F. X. DVrockhans in Leipsig 


— — — 


eu u 


Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Mittwoch, 


— Nr. 91, —— 


1. April 1846. 





Zur Radridt. 


Bon dieſer Zeitſchrift erſcheint täglich eine Mummer und ber Preis beträgt für den Jahrgang 12 Thlr. Ulle 

Buchhandlungen in und außer Deutſchland nehmen Beſtellungen baranf an; ebenfo alle Boltämter, bie fih an bie 

Königt, ſaͤchſiſche Zeitungsexpedition in vente wenden. * Verſendung ſindet in Wochenlieferungen und 
onatsheften ſtatt. 





Dramatiſche Buͤcherſchau fuͤr das Jahr 1845. 
Erſter Artikel. 

Es iſt bekannt, welches Geſetz des Miswachſes in 
dem verfloſſenen Jahre alle vegetabiliſche Production durch 
faſt ganz Europa getroffen hat; uns ſcheint faſt, als ob 
daſſelbe Geſetz auch auf dem Gebiete der Literatur, we⸗ 
nigſtens der dramatiſchen Production, Herrſchaft ausge⸗ 
übt habe. Faſſen wir freilich blos die Nummerzahl ins 
Auge, fo ift die legte Ernte nicht unter dem gewöhn- 
lichen Mittelertrage geblieben; allein die Maffe der tau- 
ben, hohlen und unergiebigen Krüchte ift größer, bie ber 
ausgiebigen, dauernden und vorhaltenden Erzeugniffe ge 
ringer als feit vielen Jahren. Gegen die legtverfloffenen 
Sabre, gegen 1844 namentlich, ift das Jahr 1845 ein 
calamitofes, ein volllommenes Misjahe zu nennen, das, 
etwa fünf oder. fech6 mehr oder minder kunſtgerechte Ar- 
beiten von mehr ober minder Eritifcher Bedeutung ab» 
gerechnet, kaum eine Frucht hervorgebracht bat, die bis 
jur naͤchſten Ernte zu dauern verfpriht. Wollte der 
Himmel es entfiände hieraus eine Theuerung, ein Heiß- 
hunger nach bramatifchen Erzeugniffen, wie beide leider 
nah den Früchten des Feldes entflianden find. Ein 
ſolches Ereignif wäre für die Dichter, für die Verleger, 
für die Theaterregien und endlich auch für das Publi- 
cum ein überaus glüdliches zu nennen und würde in 
nädjfter Zukunft ohne allen Zweifel von Jedermann freu- 
big begrüßt werben. Nun, wir wollen fehen! 

Was wir vor allem Andern unter ben Erzeugniffen 
des legten Jahres vermiffen, das ift jene Reihe körniger 
und charakternoller, wenn auch nicht gerade fchöner und 
poetifher Dramen, welche in den Vorjahren Prug, 
Gutzkow und Wiefe lieferten, und mit welchen fie einen 


‚neuen lebenvollern Zon im Drama angufchlagen began- 


nen. An ihre Stelle iſt dagegen eine Anzahl wortfeliger, 


ſentenzenreicher und charakterarmer Stücke getreten, wel⸗ 


he mehr und mehr die Beſergniß erwecken, daß mit der 


Steigerung der Sprachfertigkeit, die fo traurige Fort⸗ 
fhritte unter uns macht, die Energie und die Fülle der 
Gedanken, das Streben nah Bedeutung und Nachwir⸗ 
fung in den Charakteren allmälig verſchwinden und ei⸗ 
ner Epoche, ähnlich der der Secentiften in Italien ober 
der gleichzeitigen fpanifchen Dramaturgie, auch bei uns 
Platz machen werde. Zu diefem Misbraud bed Worte, - 
zu biefer Verflachung des Dramas in einen bloßen Rebe 
wechjel trägt leider einer unferer Dichterveteranen, F. 
NRüdert, wie wir weiterhin fehen werben, wefentlich bei, 
indem er das Drama zu unferm Bedauern faft ganz 
aus dem Kreife der That und des Gedankens in den 
Kreis der Rede und des Wortwechfeld verfegt, was wir 
offen geftanden für einen fehr übeln Dienſt halten, den 
er am Ende feiner ſchönen Laufbahn der Literatur er- 
weiſt. Hoffen wir jedoch auf eine Umkehr, oder vielmehr 
vertenuen wir, daß ber deutfche Literaturgeift fich nicht 


durch ein Beifpiel diefer Art auf einen Irrweg werde 


führen faffen, den jede gefunde Kritik nur aufs aͤußerſte 
beflagen Fönnte, und thun wir endlich das Unferige, um 
fo treffliche Kräfte wie die find, bie in jenen charafter- 
vollen Dramatitern ſich ankündigten, zu ermuntern und 
zum Werte zu erweden! | 

Hat auch die ſchwaͤchliche und fentimentale Gattung 
im verfloffenen Jahre fichtbar die Oberhand behauptet, 
fo Laffen fi doc Gründe genug zu der Anmahme auf- 
finden, daß die6 ‚nicht immer fo fein werde. Denn ein« 
mal ift anzuerfennen, daß ein „Morig von Sachſen“, 
ein „Bourbon” und ein „Patkul“ nicht in jedem Mo- 
nat fertig zu machen fei, und zweitens war die Zeit- 
woge, welche das Jahr 1845 beherrfchte, überhaupt der 
Poefie des Gedankens darin ungünftig, daß fie bie Be 
trachtung übermäßig auf ein anderes Gebiet abrief und 
fie in der religiöfen Discuffion faft ganz abforbirte. Die 
Kunft aber, die Dichtung iſt auch ein Cultus und fie 
fieht mit des Kultur, wit der Sumanität, mit ber leg 


ten Aufgabe bes Menſchenthums, in ganz ebenfo nahem 
Zufammenhang als die Theologie, fo weit dieſe auch ein 
Menfchenwerk if. Die Roheiten und die Kurzfichtig: 
teiten des theologifchen Streits aber verlegen bie kunſt⸗ 
geweihte Geche ebenſo tief als die glaͤubige; ja zwiſchen 
ber Religion und ber Poeſie mwaltet dine ſolche Identi⸗ 
tät der Intereſſen, daß ein Zeitalter nicht theologifch- 
flreitfüchtig fein kann, ohne zugleich unpoetifh und un- 
künſtleriſch zu werden. 

Es erſcheint wie eine Reaction der Geiſter gegen 
dieſe Richtung, daß im verfloſſenen Jahresabſchnitt vor⸗ 
züglich viele ſatiriſche und launige Erzeugniſſe auf dem 
dramatiſchen Gebiete hervorteraten. War der Ernſt und 
die Wahrheit abſorbirt im Partei- und im Sekkenſtreit, 
fo machte fi die Spottſucht und bie Caricatur frei; 
za Tie farb fir proworist Dusch das Ubermaß von In« 
steeffe, das die indibiduelle Anficht, ber fein Geſetz der 
Schoͤnheit und des Geſchmacks etwas galt, für ſich im 
Anfpruh nahm. Auf diefe Art erklären wir uns die 
Zille bumoriftifcher Productionen, an welchen jener Zeit- 
abſchnitt reich if. Doch auch hier hat die Ungunft ei- 
nes calamitoſen Jahres, das Berderben des Misrathens 
gewaltet; denn ımter der großen Menge diefer Art von 
Hervorbringungen ft nur fehr wenigen Dauer umd Nach⸗ 
wirkung zu verfpredhen. Derſelbe Waſſerſtoff, der die 
Felbfrucht des Jahres am ihrem Gedeihen gehindert hat, 
macht auch die wigigen Kinder Thaliens in diefem Jahre 
ſtockicht, zaͤh und ungenießbar. Keine einzige Wrbeit, bie 
das Salz Platen's oder Raupachs, den Geiftreichihum 
Bauerrifelb’s, den Geſchmack Toͤpfer's oder die guten Ein⸗ 
fülle Benedir', oder auch nur bie Zheileffecte geringerer 
Geiſter ‚erreichte, tritt aus Diefer Schar hervor. 

Nach diefem Allen haben wir für unfere nachfolgende 

erficht faum etwas mehr als das Intereffe einer Tite- 
tarhiftorifchen Arbeit in Anfpruch zu nehmen, fofern es 
unferm Bemühen, auf die Brundfäge für die einzelnen 
Gattungen der dramatiſchen Muſe etwas mehr als ge- 
woͤhnlich einzugehen, nicht gelmgen möchte, biefer Über: 
fit einen felbftänbigern Werth mitgurheiten. 


1, geroee der Große. Bon Friedrich Rückert. Zweites 
"Stu: Herodes und feine Söhne. Stuttgart, Lieſching. 

154. Gr. B. 1° . . 

2. Griftofero Colombo, oder die Entbudung der neuen Welt. 
Geſchichtsdrama in drei Theilen. Bon Friedrich Rüdert. 
greni Bände. Frankfurt a. M,, Sauerländer. 1845. 12. 

Thlr. 15 Mar. 


Den zroriten Vheil 
vwd volle 


darch Twehlhe das 38414 ch ielen der t. 
ee De 
r Spi erſicht, welche kein 


dato mit no: an de ige unferer 
em Zahre 1845 angehörigt 
in Gedenkenfillung ımd Eharafteraudtiehun 
Denn 100g aller Erianezummgen, zu denen 
bapfitgen Büprung, in feiner Benoirrung und Werbuufelung 
ber dramatiſchen . in feinem geſchmackwidrigen Einzelhei⸗ 
ten vollen Aulaß gibt, Haben wir doch den portfihen Bär zu 
ennen, der über wid ber aus ben en t. Sie 
hnde ungemnaßigter Hertfäbegier md bie . ‚Obmbe dei 


Herobes wider befferes Wiſſen und Ahnen, dem @eift der neu- 
erwachenben Welt nicht huldigen, das Alte und Wbgelebte mit 
Sewalt feftigen und erhalten, fich felbft in den Mitteipunkt ber 
Welt fegen j wollen, anftatt der Sache der Menfchheit diefen 
Play einzuräumen, diefe Sünde Herodes wird an ihm unb fei- 
nem Geſchlecht von dem Dichter auf bb poetiſche Art ge 
ftraft. Schne Gewalt ſchlägt über ihn feltft zufammen, feine 
Kift verſtrickt ihm felbft, feine eigene Untreue verräth ihn und 
alle Herrſcherkunſt wird an einer Welt zu Schanden, die fich 
mit unmiderftehlicher Macht aus den Feſſeln des alten Egois⸗ 
muß losringt, um in für Andere zu denken, zu fühlen 
und zu leiden. Daß dies der dichterifhe Grundgedanke bes 
ehrwurdigen Berf. fei, die Geſchicke in der ſich felbit zerflören- 
den Familie des Helden aber nur die Träger dieſes Gedankens 
gemifermaßen ihr ftoffartiger iederfhlag, bieb bemeif fi 
owol aus den Schlußfeenen des erften Theils als aus bem 
Rachlpiel oder dem Schlußbilde des zweiten Stücks, in dem 
plöglich, nachdem des Herodes Tod ausgerufen ift, der Engel 
und Joſeph in Agypten, Hanna und Simeen im Xempel zu 
Zerufalem einen kurzen Epilog bringen, welcher alle Greuel 
ber vorgangenen Scenen in die fanfte Zuverſicht eines neu er» 
wachten „Heils der Welt’ auflöſen: 
Simeon. 
Mas ih Tag um Tag ærſchachte: ſich' nun, es duchbriht bie Nackt. 
Hanna. 
Was ih Nacht um Naht errvakte, fiehe nun, das Lit erwacht. 
Simeon. 
Siehe du, wie dort ten Tempel ſchon der neue Glanz erfält? 


Hanna. 
Und die Zukunft aller Welten iſt in dieſem Glanz verhuͤllt. 
Simeo»n. . 
Nur mit Dank ſchließ' ich mein Auge, da es Herr dein Heil gefeh'n ! 
Hanna. 
Laß mit ſchweigender Anbetung uns dem Herrn entgegengeh'n? 


Ein —* Schluß würde gar nicht zu begreifen fein, wenn 
er nicht eben barin feine dichterifche Rechtfertigung fände, daß 
unter den Verwickelungen, welche den lintergang des Helden 
and feiner Familie herbeiführen, Pill jener Grundgedanke him: 
läuft, daß die alte Welt mit ihrer Moral und ihrer Politik, 
mit ihrem hoben Geiſt und ihren Verirrungen, mit ihren Xu 
genben und ihren Laftern bier ausgehe, ausathme, fo zu fagen 
eine neue Zeit und eine Welt neuer Ideen. &o allein 
ben wir dies Gedicht unſers Rüdert zu verftehen und fo al⸗ 
lein wird ed zum Gedicht. Denn am fi) und m feine Einzel⸗ 
heiten zerlegt, obwol auch biefen fletd Bedeutung und Cha⸗ 
rakter beiwohnt, macht es und an dem ſchoͤnen Geiſte oft irre, 
den wir an Rüuͤckert jo lange geliebt und bewundert haben. 
Der unleugbarfte Eigenſinn und bie offenbarften Ge 
widrigkeiten verdarben uns den Genuß Taft aller Scenen, in 
denen oft das Größte mit unfaglicher Frivolitaͤt behandelt und 
die koͤſtliche Poeſie einzelner Mommte durch die rhapſodiſche 
Berriffenheit des Ganzen wie mit frevlem Muthe zerflört wird. 
Es ift. eine unbegreifliche Befchäftigung, wenn wir dem Dichter 
feine erhabenften Auffaffungen unmittelbar nad Ihrem Hervor⸗ 
treten wie misfälliges Beihmäg durch offenbar misfälliges 
Geſchwaͤtz verwüften und zerfiören und ihn von einer Manie 
des twofklofeften Wortſpiels beherrſcht ſehen, die nur zu ihrer 
Selbfivernichtung da zu fein ſcheint. Kin Beilpiel für hundert 
mag genügen In der Scene, mo Pherores der Kypros bie 
Andunft der Enkel Mierander und Ariſtobul, Markımne's Kin 
der, antimbigt, die er bezeichnet 6 
... reiht Kine Filge Minmeen, 
Dub Stoles Ihöne Bivtaen, Role Blumen 
Der Sqhoͤnheit, voͤllig ihrer Mutter Soͤhne — 


fagt er zu Mutter und Echweſter: 
Auf sen GR taſt uud paiunen halten. 





Yaloıme.. 
Dub, Beuber, kalte du dir Aber vor: 
Zu Golf an ut und an Deroded ’ 
Du aber yültlk nit immer fell gefammen. 
DYhderoreß. 
Din ich To fahrig? 
Solome. 
0. da, ich fuͤrchte, va 
Du naͤchſtens ganz wirſt aubeinander fahren. 
Pherores. 
El, Sehweſter, bie Gefahr iſt nicht fo nah”. 
Was, fahrig, fahren? Iſt es nicht, um aus 
Der Haut zu fahren, wie bu hocheinder faͤhrſt, 
Wie du mid anfährfl, überd Maul mir fährk, 
Dog, Fahten und kein Ende... 


Kypros. 
Still, ige Kinder u. f. w. 


GSoicher unbegreiflichen Stellen enthält jede Scene wenigftend 
eine, es ift als wenn der Zon des Works feftfaße im Geiſte unfers 
würdigen Beteranen und ihn nicht eher den Gedanken fortſetzen 
Siehe, Bis er erft alle Terifalifchen Bedeutungen des verderblichen 
Grundtons in einem Redeberipiel ausgebeutet und dargelegt 
habe! Wie Schade! Denn fürwahr an dichteriſchen Säönkeiken 
ſichlt es in diefem tieffinnigen, nur allzu flizzenhaften Drama 
nicht, fo wenig wie an geiſtvoller Auffaffung, neuer Ergrüns 
vung und ergreifender Darftelung des Hiftorifchen, vorzüglich 
der Politik der Nömerherrfchaft in Zudda. Der Tod ber ih: 
am Kinder Mariamne's, welche bie väterliche Eiferfucht Löd- 
tet, iſt der oftenfible trägifche Inhalt des zweiten Theils des 
„Hexodes“, der Beftandtheil des Stücks, a dem fein Füpten: 
Bed Element beruht; denn des Bruders Pherores Tod iſt 
wohlverdient. Die Weltiane aber, die Geſtalt der Roͤmerherr⸗ 
ſchaft und Zubaas zur Zeit der Erſcheinung des Heilands iſt 
Ver geheime, der vermittelte Inhalt des Dramas, defien glaͤn⸗ 
zendfte Schönheit es ift, daB es dieſe „Lage der Welt” unge 
mein treffend verfinnlicht. Hier iſt Ziefe, Geiſt und Studium, 
Wer ift Poeſie in Überfluß — follen wir nicht aufrichtig bedauern, 
daß die Ausführung dem Eigenfinn und der fonderbarften Ver: 
terang des Geſchmacks verfallen ift! 

Doch unfer Bedauern über den Verfall fo fehöner 
Keäfte ſoll noch wachſen bei Durchleſung der zweiten Arbeit 
älerts. „Criſtofero Colombo, oder die Entdeckung ber 
neuen Welt’, zu defien Bezeichnung der Berf. den neuen 
Ausdruck ‚„Sefhihtsdrama” erwählt, ift eine für jede Gattung 
- verfehlte, des Inhalte und der Bedeutung ganz entbehrende, 
ja eine faft völlig troſt⸗ und hoffnungslofe Arbeit in zwei Bän- 
von! Es fällt und wahrlich ſchwer, von einem Werke unfers 
Wabert ein ſolches Urtheil, dem alle Pflicht der Pietät ent 

nyutreten fcheint, außfprechen zu müflen, und wir wünfdgen 
Ser auch fo ſchnell als möglich über die Sache hinzugeben, 
nechdem mit einigen Worten angebeutet fein wirb, wie und 
auf welchem Wege der Dichter zu einer fo unausgiebigen Lei- 
flung gefommen fein mag. Der gewöhnliche, der convention» 
nelle Hohle Wortpomp ded Dramas ift dem Verf. verhaßt; er 
fucht nad einem neuen Stil im Drama, fo viel ift Mar. Hier: 
bei ift ihm num der Gedanke gefommen, es mit dem ganz 
——— — —— verſuchen J— zu hr pi 
viel po ir iermit hervorbringen laffe. 
dam Serfuch, aus dem dieſer, 0” Hervorging, Liegt 
etrdas Richtiges; nur ift die Grenzlinie ungemein zart und die 
Sefahr ihrer Überfchreitung naheliegend. Rückert bat dieſe 
Grenzlinie nicht feftgehalten: er ift aus dem Naturftil in das 
Rohe, das Kindiſche, das ganz Friviale verfallen; indem er 
bie Kunflconvenienz vermeiden wollte, iſt er aus der Bahn al: 
ker a gewichen. Seine Dramstis personee ſyre⸗ 
chen € wie durch die Kunſt erhöhte Menſchen, ſon⸗ 
been wir Schiffer, wie Zakaien, wie rohe Kaziken, wie Wilde 
endlich. Bu vicl Natur made fe fix die unit unmahe; derm 


- matifch gelten 


auf ber andern Gtite WEL ber Werf. bei ſich darbietender Ge⸗ 
legenheit keineswegs den Worten verteugnen oder fich Iyri 
üfe, poetiſche Gemaͤlde und bieterifche Erzählungen aller 
Urt verfagen. Hieraus iſt num ein völlig disharmoniſches Werk 
entanden , das unter Feiner Kunftgattung eine Sielle hat. 
Die ganze Unternehmung zerfällt in drei Sheildramen, deren 
exfted die Kämpfe und Gefahren zum Inhalt hat, die Colombo 
bis zur kandung tm ber neuen Welt befteht, und das mit der 
Aufrichtung des Kreuzes — wie des Kazike ſagt: 
Es war ein gruͤner Baum im Walde hier 
Und if ein namenlod Gebilde nm — — 
auf Guanahani endet. In biefem helle fehlt es nicht an 
poetifden Auffaffungen. Die Feſtigkeit Eolombo’s, feine Glau⸗ 
benszuverfiht, das goldene Land Cipango zu entdeden, die 
feltfamen Zweifel, Zräume und Hoffnungen, welche feine Unter- 
nehmung am Hofe, bei ihm felbft und in der Welt erwedien; 
der Eindruck endlich, den die Raturmenfchen der neuen Welt 
von ber @Erfcheinung der Europäer empfangen und ihre blinde 
Unterwerfung unter die höhere Macht des Seiſtes, afles Dies 
gibt Diefem Theildrama ftoffartigen Inhalt genug, um über 
den gänzlichen Mangel aller dramatifchen Kunftbedingungen zu 
täufchen oder doch hinwegzuheben. In den beiden folgenden 
Iheilen ift dies Intereffe erfchöpft; ein neues, aus der Ges 
ſchichte nicht bekanntes, tritt entweder nicht auf, oder trägt, 
mo es verſucht wird, wie in der Liebe Higuamota’s und Gue- 
vara's, in der Geftalt Anacaona's und in dem freuen Steuer ⸗ 
mann Gebaftian fo feltfame und naturwibrige Farben, daß wir 
ganz und völlig zu dem Gefühl troſtloſer Rangemweile gelangen, 
welche uns in den Gefprächen mit Kindern, den Dialogen ber 
Wilden, den Unterhaltungen zwiſchen Colombo und feinen Root» 
fen oder Brüdern unwiderſtehlich machen muß. Colombo von 
gefcheiterten Unternehmungen heimgekehrt, von Bovadilla im 
Ketten gelegt — die er ald Gnadenketien ihm zu laſſen bittet 
ald man fie ihm abnehmen will —, alles Glanzes, aller Kraft 
des Widerftandes beraubt, macht den Schluß des zweiten 
Theils. Im dritten ſteht Colombo in Spanien wieder vor den 
Königen, die ihm ſchmeicheln, aber in feinem Amte, in feinen 
Würden ihn nicht wiederherftellen, worauf dee Hefd in Lab 
Eafas’ Armen ſtirbt, nachdem das Streben des Dichters na 
Retürlichkeit in allen Richtungen bin gu vollftändigfter Un⸗ 
natur umgeſchlagen if. Denn follen araktere und Geſtal⸗ 
ten wie Anacaona und ihr Bruder Behechio, Unterhandlungen, 
wie bie mit der Königin von Spanien in allen drei Zheilen, 
oder Scenen wie der vierte ct tes zweiten Zheils fie dar⸗ 
bietet, für natürlich, und Monslone wie (S. 152) der Eaona- 
bo's oder im zweiten Theil (8.1 6) der Colombo's, für dras 
Was bat der Dichter überhaupt bei der Be; 
eichnung feines Werks als „Geſchichtsdrama“ fich gedacht ? 
eine Arbeit ift weder Geſchichte noch ift fie ein Drama. Sie 
ift aber auch Beine dritte Species, denn dem feinfolleriden 
Drama fehlt das dramatiſche Beben und der Geſchichte fehlt 
die hiſtoriſche Treue. Selbſt als dramatifirte Gefchichte ober 
als hiſtoriſches Drama kann das Wert nicht gelten; denn 
die dramatifiete Geſchichte fodert urkundliche Treue der Ereig 
niffe und der Gharaftere, und mit beiden ift nach dunkeln 
Kunſtzwecken hoͤchſt willkürlich verfahren, und das hiſtoriſche 
Drama verlangt eine einige, homogene und poetffch abgeſchloſ⸗ 


ſene Handlung, während wir hier ein fietives Menſchenleben, 
aber keine Handliung erhalten. Richtsdeſtoweniger opfert der 
Dichter auch in dieſem ganz und weſentlich verfehlten Werke 


ſtellenweiſe den Grazien und mehr als eine Partie iſt — wie 
dies bei Rückert nicht anders fein kann — voller Reiz und 
Anmuth, Eigenthimmtichfeit und Intuition, wenn wir auch bei 
EHorgefang der indianiſchen Maͤdchen: 
Übers Meer kommt bie Sonne, 

Kommt der Mond geſchwommen, 

Ubers Meer find in Wonne 

Die weißen Männer gekommen. | 


nicht gerade hierzu rochnen moͤchten. Allein ſolche einzelne Gtel- 


len mmen infelgleich in einem Meer der ödeften Lange 
—X machen dieſe nur noch fühlbarer. . 

Und fo Läßt diefe feltfame Arbeit denn ein Gefühl ber 
Trauer und ber Wehmuth — und vielleicht follte fie dies! — 
bei dem Lefer zurüdt, der Mühe hat zu glauben, daß Rüdert 
mit folhen Werken der Sache der Poeſie förderlich zu fein 
meinen Pann, und der dem geliebten, vielgeftaltigen und vielbe: 
wunderten Dichter ein ‚Jam rude donatus” zurufen möchte; 
überzeugt, daß aller Dufendienft im endlichen Subject, in 
Jedem von uns, feine abgeftedte und nicht zu berrüdende 
Grenze babe, und alfo denn wol aud in dieſem faft unüber- 
febbaren und wie es fcheint nicht zu ermüdenden Geifl. 


(Die Kortfegung folgt.) 





Samennais’ neue Überfegung der Evangelien. 


Faſt alle Nationen Europas, die eine Literatur haben, be 
figen in ihrer Sprache überfegungen ber Heiligen Schrift, die 
um Zheil die Schönheiten des Driginald wiedergeben. Rur 
die Franzoſen Eönnen fich deſſen nicht rühmen. Die vielen 
Meifterwerke ihrer Nationalliteratur und die zahlreichen fran⸗ 
zöfifchen Erbauungsfcpriften, unter denen es ganz vorzügliche 
gibt, erlauben nicht, diefen Mangel dem Mangel an Zalent 
zuzuſchreiben. Vielleicht kommt es daher, weil die vermeint- 
iche Gefahr, dem Volke die Heilige Schrift in bie Hände zu 
geben, bie tüdhtigften Gotteögelehrten Frankreichs einem ſol⸗ 
then Unternehmen abwendig machte. Boſſuet und Fenelon dach⸗ 
ten nie daran, und doch laſen und ſtudirten Beide die Bibel 
aufs ſorgſamſte und mit dem unablaͤſſigſten Eifer. Boſſuet be⸗ 
ſonders iſt fo ganz von dieſem goͤttlichen Werke durchdrungen, 
daß fein Genie beinahe mit nichts Anderm genaͤhrt ſcheint. Der 
Gedanke, die heiligen Schriften in die Volksſprache zu über: 
tragen, ging zuerft unter Ludwig XIV. von ben Janfeniften 
aus, denen ed indeß an der nöthigften Eigenſchaft gebrach, die 
Anmuth, die Stärke und Pracht de Urtertes wiederzugeben. 
Die Überfepungen der Heiligen Schrift in moderne Sprachen, 

mal ins Franzoͤſiſche, haben allerdings einen großen Übel⸗ 
- Hand, der in der Natur Diefer Sprachen liegt, wo fi an alle 

Worte ein beftimmter, durch den Gebrauch ftreng feflgeftellter 
Einn Enüpft. Bei den alten Sprachen ift das nicht der Fall: 
jedes Wort hat fozufagen eine größere Tragweite als das ihm 
entiprechende franzöfifche, fpanifcge, italienifche Wort, ſodaß die 
Idee oder die Wahrheit, welche dieſe oder jene Stelle in ſich 
fließt, in den meiften Überfegungen gefchmälert und verklei- 
nert wird. Der Urtert ift gebaltreicher, anregender, vollftän- 
diger, fruchtbarer, welcher Vorzug bisweilen audy von ber Wen: 
dung der Phrafe berrührt, Die nicht wiedergegeben. werben 
kann. Die Bulgata, ein nicht genug bewundertes und zu bes 
wunderndes Meiſterwerk, ijt frei von diefem Fehler, weil der 
Genius der lateinifchen Sprache dem Genius des Griechifchen 
und Hebräifchen näher verwandt ift und fie ohnehin, fogar auf 
Koften der Grammatik, eine buchftäbliche Treue erlaubt, weldye 
allenfalls unfere deutiche Sprache, die Franzöfifche aber platter: 
dings nicht zuläßt. Hieraus erklärt ſich, daß ſelbſt an den be: 
ften 
fegen bieibt, Bis jetzt verdiente Die von Genoude vor allen 
den Borzug. Der im Ganzen genommen reine Stil hat Schwun 
Wahrheit, Kraft, und zeigt nur hier und da Spuren von Af⸗ 
fectation; doch trifft Hrn. v. Genoude der Vorwurf, daß er zu 
haufig den antifen Charakter einer fehüchtern » modernen Ele⸗ 
ganz aufopfert. Die Heilige Schrift iſt voll naiver Ausbrüde 
und Pühner Ellipfen, vor deren Übertragung der gute Ger 
ſchmack keine Ungft haben darf. An manden Stellen ftößt 
man darin auf etwas Schroffes, Seltſames, das der Rebe eine 
wunderfame Kraft gibt. Bei Boffuet finden ſich viele folde 
Schönheiten; er hat, wie die Bibel, eine eigene Harmonie. 





feanzöfifchen Bibelüberfegungen immer nod Vieles auszu⸗ 


Die gewaltigften Raturerſcheinungen haben nichts Ganftes, 


nichts Anziehendes, und doch gibt ed nichts, das uns tiefer 
rührt und bewegt. Die ment Gpecialüberfegung der Evange⸗ 
lien von dem berühmten Überfeger der „Rachfolge Ehrifti" — des 
fchönften Buches, fagt Wontenelle, das aus Menfchenhänden 
hervorgegangen, weil das Evangelium nicht davon herkommt — 
nähert fich, meines Erachtens, mehr als eine frühere der Voll⸗ 
Tommenpeit, die eine ſolche Arbeit verträgt. Lamennais bat 
diefer neuen Überfegung die bewundernswürdigen Eigenfehaften 
des Stils, die alle feine Schriften auszeichnen, mitgegeben und, 
foweit e8 nur immer anging, darin ben Charakter der zugleich 
naiven und erhabenen, fhwungvollen und bilderreichen, einfa⸗ 
hen und beredten Sprache des Driginals beibehalten. Jedoch 
möchten wir für eine gründliche Kenntniß des Textes und eim 
richtiges Verftändniß des Inhalts nicht immer einftehen. Die 
Arbeit Lamennais' ift Feine bloße Überfegung, fondern eine Über: 
fegung mit Unmerkungen und Eommentaren. Die hinter jedem 
Capitel angehängten Betrachtungen find mit dem blendenden 
Glanze gefchrieben, der Lamennais eigen ift, und erinnern bis⸗ 
weilen an ben biblifch : Igrifchen Schwung der „Paroles d’un 
croyant”. Auch wo man feine Neflerionen nicht billigen Tann, 
läßt man dem Zauber des Stils Gerechtigkeit widerfahren. 
Was den Inhalt der Commentare betrifft, fo ift er größten 
theils moraliſirender, theilweife auch polemifirender Ratur, im 
dem Sinne eines demokratifch -rationaliftifhen Volkspredigers, 
der nicht zu Bibelgläubigen, ſondern zu Bibelignotanten redet. 
In einem Lande, wo eine fo große Unbelanntfchaft mit dem 
Inhalte der Heiligen Schrift zu Haufe ift wie in Frankreich, 
dürften diefe Commentare, fo viel Irriges und Bedenkliches fie 
auch enthalten, doch mehr Nutzen ald Schaden ftiften, weil fie 
auch viel Wahres und indringliches fagen und hauptfächlich 
darauf abzweden, duch Darftielung des Ganges und Ausgan⸗ 
ges Jeſu den Menfchen ihren Gang und ihr Ziel vorzuzeichnen; 
und in einer Beit, wo die religiöjen Ideen wieder Die Gemü⸗ 
ther aufregen und die vom Skepticismus abgematteten Geifter 
im Glauben neue Stärfe und Ruͤſtung —*8* Tann es nur 
ünftige Wirkungen haben, wenn die Evangelien in der Über 
egung eined populairen Schriftftellers unter das verwahrlofte 
Volk kommen; diefe göttlichen Bücher, die auf die tiefften, eis 
ligften und unbefriedigten Bedürfniffe der Menfchheit antwor⸗ 
ten, alle Zweifel und Raͤthſel der Erdenfchieffale löfen, den 
NRaturoffenbarungen für uns erft beflimmten Umriß und Karben - 
eben, und das Gewiffen als Statthalter Gotted in unferm - 
Innern proclamiren. Will die radicale Demofratie in Frank⸗ 
reich je durchdringen, fo ift ihre Aus ſohnung und Einigung mit 
heiftlihen Ideen unumgänglich nothwendig. Dieſe chriſtlichen 
Ideen werden allein die göttliche Kraft haben, die Demokratie 
umzugeftalten, ihre Grundfäge zu verbeffern und fie almäfig 
bis dahin zu verändern, daß von ihrem urfprünglichen unbäns 
digen Charakter und ihrem Voltairifch:liberalen Geifte nur die⸗ 
jenige Freiheitsliebe und Spottluft übrig bleibt, welche mit der 
Herrfchaft der böhern fittlichen Mächte beftehen kann. 80. 





titerarifhe Anzeige. 
Durch alle Buchhandlungen iſt zu beziehen: 


Die 
Fabrikgerichte in Frankreich. 


H. ſ. Meißner. 
Gr. 8. Geh. 20 Nor. 


Eeipzig, im April 1846., 
F. A. Brockhaus. 


Berantwortliher Herausgeber: Heinrich Brockkpdaus. — Drud und Verlag von F. E, Mrodyans In Beipsig. 


“ Er Ee 





rechnen iſt haben wir efivas' Fertiges und 


Blätter 
für 


literarifhe Unterhaltung 





Donnerstag, 


— mn ie en 





Dramatifche Bücherfchau für das Jahr 1845. 
Erfier Artikel. 
(Bortfegung aud Nr. 9.) 


3. Dramalifhe Werke von Heinrich Laube. 
Monaldeschi. Leipzig, Weber. 1345. 8. 


Man würde einer Zeit, im welden Dramen wie Bau» 
bes „Monaldeshi” wirklich und aufrichtig für dramatifche 
Kunftwerfe gelten Fönnten, nicht Unrecht thun, wenn man ihr 
den Beruf zur dramatifchen Kunftproduction gerabehin gb» 
race Diefe Arbeit, welche wir ohne weitere Erinnerung 
üc ‘eine geiftreiche, dramatifirte Novelle pafliren laſſen, hat 
von der echten Tragödie weder Anlage, noch Befinnung, noch 
Kunftform; PFonnte die Kritif unſeret Zage dies verkennen, fo 
hätten wir Abſchied zu nehmen von aller Afthetif und die Dra⸗ 
maturgie hätte vom Abe ber wieder angufangen. i 


Es ift feltfam genug, daß der Werf., nachdem er uns 


Erſter Band: 
I hie. 


nicht ohne Selbftgefälligfeit in einer 74 &elten langen Vor: 


rede von feiner dramaturgiſchen Bildung unterhalten und alle 
die Irrthuͤmer, Fehler und Berftöße aufgezählt, die er in 
einer dreißigiährigen Laufbahn vermeiden gelernt, alle die 
kritiſche Einfiht fperificirt Hat, die er nunmehr genommen, 
ein Drama in ber höhern Wortbedeutung hinſtellen konnte, 
das allen Gefegen der Aftbetiß, fo weit fie dieſe Kunftforn be: 
treffen, fo entfihieden Hohn jpricht wie in feinem „Monal: 
deschi“ der Fall ift. vLehrreich und feltfam iſt es, Daß er, der 
als ein fehlerloſes Ariom binftellt, nur die Handlung, die Hand» 
lung allein und nichts als die Handlung begründe die Wirfung 
des Dramas und gebe ihm Beftand und Dauer, daß er, Der 
dem Streben nad) Charakterzeichnung völlig den Stab bricht, 
ein Stuͤck binftellt, in dem dramatiſche Handlung gar nicht 
enthalten iſt und deſſen alleiniger Werth in einer gewiſſen 
Birtuofität der Charakterzeichnung befteht. 

Das Stüd ift in Frankreich gefchrieben und erinnert in 
der That Strich für Strich an Victor Hugo. Deutfihes Ele: 
ment ift darin gar nicht und Driginales noch weniger; wol 
aber dieſelbe Übertriebenheit, Gewaltſamkeit und naturwidrige 
Bufpigung der Empfindungen, biefelbe Art, die Scenen einzu: 
rahmen und mit Schlagfchatten zu verfehen wie bei Victor 
Hugo, eine große Berwandtfchaft der Charakterzeichnung und 
biefetbe Form des Dialogs wie bei dem Franzoſen. Män glaubt 
einen Pendant au Hernani“, oder „Le Roi s’amuse” zu lefen, an 
die deutſche Dramatik erinnert nichts. Iſt Das die Frucht von 
Raube's breißigfäßriger deamatifcher Vorſchule, Das das Me: 
fultet einer mit‘ Begierde. verfolgten Britifchen Erkenntniß, der 
Laube: fein halbes Leben widmete: fo muß uns einleuchten, daB 
ber dramatifche Dichter geboren wird und nicht zu mädhen ift. 
Denn ſelbſt nicht einmal’ in Dem, was ber leidigen Form an: 
gehört, nicht einmal in Dem, was Aue Anlage bed Dramas zu 

e 


* 
* 


feiedigendes vor 





uns in einem Stuͤck, das erſtens aus 
Interefſen zuſammen gewachſen iſt, 
Acten in Profa und zwei Acten in Verſen vom wildeſten 


zwei ganz geſonderten 
und das zweitens aus brei 
| er Met Buchs 
beſteht! Solche Regelloſigkeiten, ſolche Misachtung gemeiner 
Foderungen, ſolche Rachlaͤſfigkeiten gegen das zum Urtheil be⸗ 
rufene Yublieum hat Victor Hugo ſich nie erlaubt, wie ſehr 
er auch nach Ungebundenheit ringt; man muß ein deutſcher 
Poet fein, um Dergleichen nur zu begreifen. 

.Doch genug des Allgemeinen; eine nähere Anſicht dieſes 
Stud mag dem Gefagten zur Stüße dienen. Nach den Yn« 
deutungen in der Vorrede bat dem Verf. vorgeſchwebt, in die⸗ 
ſem Drama das Ringen nah „Macht und Gluͤck“ in ‚einem 
egabten Menfchen, einem Abenteurer der beften Art, zur. Dar: 
elung zu bringen. Das Thema mag gelten, obgleid ed von 
aus aus fein edles, und daher ſchon an fih in der Tragoͤdi⸗ 
feinen bleibenden Sieg zu erfämpfen geeignet if. Denn bare 
auf müffen wir Den Verf. gleich hier aufmerkfan machen, daß 
er, indem er dad Intereſſe der Handlung als den eigentlichſten 
Kern aller Dramaturgie hinftellt, ein weſentliches Moment Im 
a apt nämlich dab, daß dies Intereffe ein ethi⸗ 
ſches fein muß, nicht eins der bloßen Neugier oder ber bioßen 
Hiftorie. Hier liegt ein Grundgeheimniß der Dramatif, fo 
glauben wir, verfchleiert! Prüfen wir alle Werke dauernden 
Ruhms in der Dramatik, die Alten, Shakſpeare, Calderon, 
Racine, Schiller, Goethe, worin beruht ihre Macht, welcher 
ift der Hebel ihrer äfthetifchen Wirkung? Es ift das ethifche 
Interefie, das wir an der Handlung zu nehmen ge mungen 
find. Es ift die Gerechtigkeit, die —28 die Selbſtvernich⸗ 
tung der Schuld, die Aufopferung für Andere, fuͤr eine Idee, 
ein hoͤheres Gut als das Leben u. ſ. w. Sind wir daruͤber 
einig, ſo fragen wir weiter: Wohnt dem Ringen nach Macht 
und Glück von Seiten. eines Abenteurers ein ſolches ethiſches 
Intereffe bei Und wenn wir biefe Frage mit Rein beant: 
worten müffen, kann der Verf. fi) wundern, wenn wir in fei- 
nem „Monaldeschi” auch nicht eine Spur jenes Intereſſes ent: 
deden können, mit dem wir z. B. ben „Macbeth“ noch nad 
der zwanzigften Darftelung wiederfehen und wieberlefen? Das 
Interefle, das ihm bleibt, ıft Bein edles; es ift das der bloßen 
Neugier, das mit der Entdedung befriedigt ift. 

giernad fällt nur noch die Charaktstauffaffung unter un 
fere Betrachtung. Wir haben fchon bemerkt, daß bie Geſtalt 
Monaldescht's, sit venta verbo, ganz Birtor Hugo's iſt. Die 
Art und Weiſe wie dieſer kecke Abenteurer ſich einführt, zu ber 
Königin dringt, mit ihr verhandelt, ört ganz dem flangöfl: 
fhen Poeten an; nur Der kann fie für ‚original halten, der. 
biefen nicht Bennt. Auch Sylya, die Rebenbußlerin der Köni- 
gin, iſt jenem Dichter entlehnt. Man wird in Der That irte 
an der Originalität Laube's und faͤngt an, auf eine Austrock 
nung ber Quellen ber Erfindung bei ihm zu ſchließen. Die 
übrigen Kebenfiguren Malſtroͤm, Schnurre, Mofenhah, felbft 
Santinelli, find Dearionetten ;. als menfchliche. Gefaiten, ats 
dramatiſche Verfonificationen von einiger Bebeutung und zu: 


als ſelbſtaͤndige Schöpfungen bleiben nur Ehriftine und 
Bene ihr —* Kath übe. Der Berf. hätte das Stüd ba: 
ber auch nach feiner Hauptgeftalt, nach der Königin, benennen 
follen. Der Charakter Chriſtinens ift gut und in feften Zügen 
aufgefaßt, der Poet ift mit ihm zum Abſchluß gekommen. 
Was fie fagt und.thut bat Gewicht; es fließt aus dem Cha: 
gafter, wie er vor und tritt, vein und naturgemäß ab; in Die: 
fem Punkte befriedigt Laube s Arbeit. Bon der Führung bed 
Greigniffes ift jedoch nicht Daffelbe zu fagen. Die Begebenheit 
ift einestheils haftend und von lanyfamer Entwidelung, an- 
derntheils fprungbaft und ohne Bufammenhang ; zwiſchen dem 
vierten und fünften Act fehlt alle Verbindung, und warum 
Monalbeschi fterben muß, wofür er es muß, wird bem Bu: 
ſchauer durchaus nicht Far. Zuletzt überftürzt fich die erſt 
gernde Handlung, der Verf. hat einen zu engen Rahmen fuͤr 
fein Bild gewaͤhit, er mußte die Handlung theilen, mit der 
Mitte bes Stuͤcks beginnen, und die erjten Ucte vorausfegen. 
&o wie das Drama nun vor und liegt ift die Kataftrophe, 
Monaldeschi'd Ende, ganz unvollftäntig motivirt, mehr ober 
minder ein Näthiel: 
Nach allem Diefen ift nicht viel übrig, den Ruf dieſes 
Stuͤcks zu rechtfertigen. Einige floffartig anziehende Scenen, 
wie das erfte Erfcheinen Monaldeschi’6 vor Ehriftine, die Ab⸗ 
dankungsfeene und des Helden.Zod, einige gelungene und geift- 
reich aufftaffirte Dialoge zwiſchen der Königin und Brahe, ein 
paar Monologe, in denen fi der Schmerz um die fo leicht⸗ 
fertig aufgegebene Macht gut ausſpricht, das ift es, was ber 
Dichter für fih aufmweifen Tann. Eine im Ganzen edle Hal- 
tung, eine bedeutende Erleuchtung und Derklärung gefchicht: 
licher Charaktere, einen großen ethiſchen Gedanken, der uns 
dichteriſch verfinnlicht gewaltig ergreife, fafle ‚und fefthalte, ent: 
decken wir fo wenig in diefer Leiſtung Laube's mie Das, was 
man gewöhnlich als gestise Schönheiten bezeichnet, begeifterte 
ober phantafiereiche Stellen. Die drei erftien Acte find viel 
mehr in einer Profa gefchrieben, Lie wie alle Proſa Laube's 
etwas Gefuchtes und Gezwidtes bat, etwas das unvermeidlich 
an Lamartine erinnert und denfelben Charakter an fih trägt 
wie Meyerbeer’6 Mufit, den peinlicher Arbeit. Gegen das 
Ende des Stuͤcks fällt der Verf. in den Ders. Warum, ift 
nicht abzufehen. Auch hier diefelben gefpreizten Eentenzen, aud) 
hier nirgend Fluß, Ratur, Hingeriffenheit. 8.8. Monaldes i 
trachtet die Königin wider Willen nah Schweden zurückzufuͤh⸗ 
ren. Alles ift dazu eingeleitet. fle find auf dem Schiffe. 


BSiebente Scene. 
Monaldeschi (allein). 
Und er hat reht! — In meinem alten Fehler, 

Sentenzen madend, treib’ ich mid umher, 

Erbige mid) und übertreibe mid! 

Daß wir gequält find, Alles zu erfiären, 

Und damit unfre Wirklichkeit zu fälfchen. 

Es tommt body Alled aus verborg’nem Schoos, 

Und die Erktaͤrung, ſich als Mutter ſpreizend, 

ZA ewig nur die Amme unſ'rer That. 

Wo aber That fi ralfonnirenb zeugt, 

Da ift fie ſtets ein gar verfrüppelt Ding. 

Sort, Plunder, 's gibt zu handeln. — Fertig ift ber Wind ! 
Wie gemacht, wie ſtelzenhaft, wie unnatürlich und nur wahr 
für den Dichter felbft, der hier fein eigenes Loos fehildert; wie 
querfeldein im. Augenblick einer ſolchen Zhat! Die Schluß: 
feene in der Hirfihgalerie ift ihrem Inhalt nach von unbefieg» 
lichem Intereffe, wie Enapp und wunderlich mißt und der Dich: 
ter aber auch bier feine Poefie zu. „Renne dich auf”, ruft 
Santinelli dem Opfer zu; und in diefer byperpoetifchen Stim⸗ 
mung kann Ronaldeschi erwidern: „Henkersknecht bis zum 

enter haft bu es gebracht, Schurke, und du biſt fo brutal 

einfältig, nicht zu wiflen, dag man den Henker zum Teufel jagt 
wenn er fein Gefchäft verrichtet Hat.” Beſſer ift bie folgende 
Scene, wo Ehriftine erfcheint, ihr Dpfer Beichte zu hören: 


q 





Du haft die tieffle Seele 
Bu ſchreiendem Haß mir aufgefdrt. 
Du darf nit leben — fahre wohl. 


Worauf Monaldeshi unter Santinelli's Streichen fällt. Die 
legte Verwirrung in ber zwölften Scene ift gut gezeichnet: 


Die letzten Diomente bed Lebens! — Gnifeslih — 
Alles möcht’ ich noch einmal bedenken, 
Was id, gedacht und getban — unb wie daB Meer 
Drängt fi in Maffe Alles zu Haupt 
Über mich der! 
Ich Bann nichts fondern, ich kann nichts wählen! 


Wären die Verſe nur nicht fo unverantwortlich unfertig ges 
blieben! Zum Schluß: Wir finden, daß Laube nicht Achtung 
genug vor feinem Yublicum bat, und ihm zu genieße zumus 


thet, was er felbft für eine nicht fertig gewordene Urbeit hal 
ten muß. Möge er zu den. in feinem Vorwort aufgezählten 
Verirrungen, in welche er auf feiner Laufbahn nach und nad 
verfallen, endlich auch dieſe rechnen, und ſchoͤne Menfchenkräfte 
kuͤnftig ſchoͤn verwenden! 


4. Cola di Rienzi, Trauerſpiel von Rudolf Kirner. Leip⸗ 
zig, Brockhaus. 1845. 8. 21 Ngr. 

Die Geſchichte des „lezten Roͤmers“, wie der Senator Cola 
di Nienzi wohl genannt worden, ift fo vielfach zu dramatr 
[hen Zweden gebraucht und misbraudht worden, daß der ei: 
gentliche Inhalt derfelben aus dem fabelhaften Nimbus, der 
fie umgibt, nicht Leicht ne herauszuerfennen if. Was übrig 
bleibt ıft jedoch) immer noch ein ganz dankbarer Stoff und Fann 
in einer Zeit, die eine Vorliebe für politifche Phrafen von ge- 
wifier Betonung bat, immer noch mit Erfolg verwendet wer» 
den, obſchon wir in dem biftorifchen Rienzi unfererfeits mehr 
Liebe zur Herrfchaft als Liebe zur Freiheit zu entdecken glau- 
ben. Auf das höchfte gewürdigt ftand Rienzi nicht über feiner 
Zeit; er war ein Sohn verwirrter Zuftände und feine Nadh- 
ahmung des Alterthums ordnete bie Verwirrung nicht. Ins 
dem er den Bauber der Prieſtermacht brach, brach er die ein- 
zige Feſſel der rohen Gewalt, bie zu feiner Zeit Macht hatte ; 
fein Wunder, daß er felbft als ein Opfer der losgebundenen 
Gewalt fi. In diefem Auffteigen feiner kurzen Macht — ei» 
ner Nothwendigkeit bei der Abweſenheit der paͤpſtlichen —, in 
der natürlichen Überhebung in diefer Macht und in ıhrem Ver: 
fall, fobald fie ſich auf Härte und Eigenwillen ftügen wollte, 
liegt die ganze Gefchichte Rienzis. Der Verf. hat daraus ein 
gedankenreiches Zrauerfpiel gemalt, ohne gerade große Effecte 

fuht oder erlangt zu haben. Es war ihm mehr um Ber: 
lärung der Geſchichte, um Motivirung des Ereigniſſes und 
um feine dichterifche Bekleidung als um überrafgende Gruppi⸗ 
rung der Scenen zu thun, und fo ijt ihm denn auch mehr ein 
lebhaftes und treues Bild der Auftände als ein effectuolles 
Drama gelungen. Ob er und das innere Weſen feines Helden 
darlegt, bleibt zmweifelhafts es fcheint, daß Nienzi, indem er für 
fein Volk zu handeln glaubt, doch am Ende nur dem eigenen 
Willen und der Selbſtſucht fröhnt. in Hauptmangel des 
Stuͤcks if, daß weder der Held felbft noch der Zuhörer ge⸗ 
nugfam an feine eigene Größe glaubt, daß wir zu viel vom 
ofen Stoff an ihm erbliden, zu wenig Begeifterung für 
eine Idee. 

Was die Kebenperfonen betrifft, fo tritt außer Stefano 
Colonna und Buallato Fein Charakter unter ihnen auf; ihre 
Baht iſt zu groß, Feind und Freund umdrängen den Helden 
zu ſehr als J ed in dieſem Gewirre zur Charakterentwicke⸗ 
lung kommen konnte. Es wäre der Handlung, die nur fieben 
Jahre umfaßt, mehr Eoncentration zu wünfchen gewefen. Hier⸗ 
von abgeſehen enthält dad Drama adytbare Intentionen und 
einzelne Schönheiten in Menge. Die Sprache ift durchweg 
vein, warm, inhaltreich; das Verhaͤltniß zwifchen Guallato und 
Agnes, der Zochter Rienzi's, ift zart gehalten; der Narr zur 
Seite des Helden ift eine begabte Beftalt, und die Zeichnungen 
vom Wankelmuth des Volks find mit vollem und ſcha Pin⸗ 








u 


fel ausgeführt, und. dennoch möchten wir das Stüd mehr als 
eine verfpredhende Blüte Denn old .eine fdöne Frucht bezei— 
nen; denn Das, wes.cin hifterijded Gemälde zum Drama «ı 
hebt, der eine fegen e Gedanke, das fehlt dem Stücke. Es 
enthält wirkſame mologe, gute und treffende Anteden, geift- 
reiche Awiegefpräcde, aber weder ergreifende Seenen 108 die 
nen dramatifchen ümſchwung der Handlung. Daß und in wel 
dem Maße der Verf. dagegen die Sprache zu gebrauden weiß 
und ihres poetifchen Schmuds mächtig ift, zeigt eine Reihe 
trefiliyer, gedankenreicher Stellen, wie beifpielßweife der Mo» 
nolog Rienzi’s im fünften At: 
D Rom, der Zeit gewaltigkes Bermäctniß, 

Tiferner Kräfte fefter Volterbau. 

Du Praßtwert der gefrönten Weltrerrſchaft — 

Wie Hein im Riefenfhoofe der Natur! 

Und dennoch wenb’ ih von bed Volkes Jubel, 

Bon melneb Lichtes froher Morgenröthe 

Die Blide weg zu bir, du einy’ge Stadt. 

3%) mag did mit den Bildern meiner Wandsung 

Und von dem Geifte wuchſeſt du ſogleich 

34 laufgte meinem Verzen und «6 flug 

Eehufüctig höher mir . . - 

Denn, wart du ſelbſt nit meine erſte Liebe? 
Und diefer fo geſuͤhlvolle Mann zeigt fih nun fofort als ein 
unerbittlihher Despot, hart bis zur Zerftörung feines eigenen 
Werts: Der farze Rahmen des fünften Arts zeigt uns den 
Bugen Botksfährer nach feiner Ruͤckkehr aus der Verbannung 
gänglid verwandelt. Gegen dieſe Härte, Diefen Mangel an 
iebe umd Vertrauen erhebt ſich das Bol, dur Pinrichtungen 
gereipt, und leicht zertrümmert e8 den von ihm felbft errichter 
tem enhemeren Thron. Stefano Eolonna hält dem erfchlagenen 
Dietator die Weihrede: 

Du Atgott deined Volks, von ihm befhtmpft, 

Sein Richter du, von feiner Wuth verdammt, 

Du, fein Befreier, Näubern gleich mishandelt, 

Du. fein Tyrann, zu milde noch geftraft. 

Du Schwörmer, lebieſt in dem Alterthum, 

D’rum ſel beitaltet au nad alter Sitte. — 

Zeagt ihn vor unfre Burg. das Kaifergrab, 

Dos Maufoleum des Xuguflus hin u. f. w. 
Ohne eine tiefe Wirkung zu hinterlafien, flieht fo da8 Drama, 
das wir mit Befriedigung und in der Erwartung, aus der: 
felben Duelle wol noch Reiferes und Beflered hervorgehen zu 


, durchlafen. 
vom ae (Die Fortfezung folgt.) 












Zürft Kosloffsky, kaiſerlich ruſſiſcher wirklicher Staats: 
rath, Kammerherr bes Kaifers, außerordentlicher Ger 
fandter und bevollmächtigter Minifter in Turin, Stutt- 
gart und Karldruhe. Herausgegeben von Wilhelm 
Dorom. Leipzig, Ph. Reclam. 1846. 8. 2 Thlr. 

Wir haben”, fo fteht in Rahel'6 «Tagebuche⸗ (Bd. 3, 
®. 139, „einen fehr originellen, verftandvollen Fremden hier: 
dorſt Koslofefy, Muffe, gewefener Gefandter in Zurin, Gtutt- 
gart, Karlsruhe; in Branfreic, England, Ztalien zu Haufe: 
voller Leben und Geift. Cr ift weit über bie fogenannte große 

Welt hinaus; bedarf ihrer aber fowie großer Converfationen 

und eines großen Intereſſes. eine Geburt öffnet ihm alle 

Salons, da hat er die große Welt, die große Converfation 

wacht er dort felbft und für fih allein; und bei feinem unger 

beuern gefeliſchaftlichen Ehrgeiz ſchafft er ſich ebenfo für fi 
allein, auch ein großes Interefie mit Pleinen Mitteln.” 

Der Mann, über den eine fo ausgezeichnete Frau als 

Nabel war fo beifällig uetpeilt, kann —8 kein gewoͤhn · 

licher Menfdh geweſen fein. Um fo mehr verdient Dorom 





Dont für diefe - Sufammenftellungen über ihn, die, wenn: 


tannte Dinge erzählen. Aus dieſen Mittheifungen, welde der 

Herausgeber von Hrn. Barnhagen v. Enfe, der den Zürften „eir 
nen prächtigen Nuffen‘’ nennt, und von einem andern vher· 
ehrten Freunde des Mollendeten enpfing, erfehen Die Refer, daß 
Kobloffäky im December 1793 zu Moskau geboren war, daß 
er in Sprachen und Biffenfhaften wohl unterrichtet wurde 
und feine Ausbildung in Rom unter dem Zefuiten Lami vos 
endete. ben diefer bekehrte ihn auch zur fatholifchen Kirche, 
der er.jetoch nicht mit zu großer Gläubigkeit anhing und nur 
eigentlich von einigen Scyrelniffen Latholifcher Vorftellungen 
im Leben öfter& unangenehm berührt wurde. That e8 aber 
noth, fo magte er aud) die Gebräude der griecifhen Kirche 
mit, von den Proteftanten wollte er jedoch nichts willen und 
gefiel fi) in harten, bittern Wigiworten über Ruther, von dem 
er fortwährend im Sinne der Fathofifhen Kirche glaubte, daß 
er mur aus weltlichen Rüdfiten vom Papfte abgefallen fei. 
Seine diplomatiſche Laufbahn begann. Kosloffsfy in der Kanz · 
lei des rufichen Minifter6 Romanzoff, Hatte aber daS Unglüd, 
demfelben das Zintenfaß auf die fhpönen weißen Veinklcider zu 
werfen, als er eben Sand auf eine Depefche ftreuen folte. 
Einen fo ungeſchickten Secretair wollte der Minifter nicht um 
fd) dulden, man gab ihm alfo 1811 den Gefandtfchaftspoften 
am fardinifhen Hofe, berief ihn dann zum Gongreffe nad 
Bien und beftelte ihn 1819 zum Gefandten an den Höfen in 
Stuttgart und Karlsruhe. Seine über die fändijchen Anger 
legenheiten in Deutſchland nach Petersburg erftatteten Berichte 
erregten dort großes Aufichen, und da Kosioffsky feine Aufz 
faſſungen nicht den Anſichten des ruſſiſchen Cabinets aufopfern 
wollte, fo erfolgte feine Verabiciedung IS21, ſchneller ald er 
es wol felbft gedacht Hatte. 

„Bon jegt an durchwanderte er 13 Jahre (ang Europa und 
hielt ſich in London, Varis und Berlin längere 34 auf, wo 
er überall mit Güte und Freundlichkeit ſich aufgenommen fa, 
und bei König Friedrich Wilhelm IH. von Preußen und bei 
König Georg IV.-von England durch feine Gelehrfamkeit in 
den matpematifipen und medanifen Biffenfepaften, duch feine 
‚Heiterkeit, feinen Wig und die Fülle feiner geiftreichen, offenen 
Unterhaltung ſehr wohl angefehen war. Hr. Dotom hat hier« 
über manche anziepende Zeugniffe mitgetheilt. Wis er 1334 
nad Rußland zurückkehrte, hatte er in Warſchau das Ungfüd 
dur) das Umwerfen feines Wagens ein Bein zu zerbrechen, 
und erfchien affo lahm in Peteräburg nach dreiunbzwangigjähe 
tiger Abweſenheit. Der Kaifer Nikolaus und die Faiferlihe 
Familie bewiefen ihm bier große Huld, Kodioffsey vergalt fie 
durd) die beften Spenden feiner reihen Unferhaltungsgabe. 
& bericptet der Herausgeber, daß er fih beim rafchen Cin- 
teitte deB Kaifers in eine Gefeüfpaft nicht fehneN genug habe 
von feinem Sehnfluhle erheben Pönnen. Raifer Kilsiaub Aber 
legte ihm die Hände auf die Schultern und hieß dem Gebrech: 
tichen ruhig figen bleiben, worauf diefer Läcelnb ermiderte: 
„Comment pourrais-je me lever, quand soixante millione 

‚ösent sur moi?” “ Jahre fpäter flarb der Für am 
26. Det. 1840 während feines Wufenthaltes zu Baden, wo er 
fich ſelbſt zu heilen verfucht hatte. 

Diefe Lebensumftinde fühlen die erften 22 eiten des vor · 
liegenden Buche. Unter den hier veröffentlichten Schriften ftel- 
len wir das Bruchſtũck aus feinen Denkwuͤrdigkeiten oben af, 
deren vollſtaͤndiges Manufeript noch nicht hat aufgefunden wer 
den fönnen, und daß bereits in einem frühern Werke des Hrn. 
Dorow: „Krieg, Literatur und Theater”, abgedrudt war. Wir 
wiffen daher fkon, daß der Fürft bier im eleganten Frangöfifeh 
die unnachahmliche Grazie und Liebenswuͤrdigkeit der jept ver⸗ 
witweten Großherzogin Alerandrine_von Mecklenburg » Schwer 
ein, damaligen Erbgroßperzogin gefeiert, und außerdem feine 
Beobachtungen über den mecklenburgiſchen Hof, über das Bade 
leben in Dobberan und über den nasmafigen Kaifer Nikolaus 
von Rußland und feine Umgebung niedergelegt hat. Ein zwei · 





368 


tas Otück enthält eine Anzahl Unterhaltungen des Fürften Ro6- 
Jeff; mit dem Grafen de la Garde während beB Songreffes 

Wien, unter denen ſich manche Fuge und geſchickte Bemer: 
Fang über eingelne Perfonen befindet, wir aber doch Anſtand 
nehmen dem franzöfiichen Berichterftatter überall fo zu trauen 
wie es Dorom gethban bat. Daſſelbe gilt von den Aus—⸗ 

n aus der Unterredung Koslofföfy 6 mit dem befannten 
Grafen Guftine, deſſen lächerliche Arroganz in Befchreibung 
rafiſcher Zuftände ſchon binlänglih geruͤgt ift und dem wir 
unmöglich das Beiwort eines „liebenswürdigen Franzoſen“ mit 
Dorow zugeſtehen können. Die fhredlihe Erzählung von den 
Graufamkriten bes. Grafen Ungern-Sternberg auf der Infel Dagö 


im efthnifchen Meerbufen hat weder Kosloffsko noch Cuſtine 


ft erzählt. Bon des Erſten diplsmatifchen und politifchen 
niichten iſt die „Jaettre au duc de Broglie sur les prisonniers 

ds Vincennes” (Januar 18:4) ein ganz paffender Beleg. 
In den Anlagen findet fich die Rede des Bifchofs Bloom 
field von Cheſter, die er am 17. Mai 1825 im englifchen Ober: 
baufe gegen die Gmancipation der irländifchen Katholiken ger 
Hatten hat. Ihe Abdruck bat durch weiter nichts motiviert wer: 
den können, als weil Kosloffsky während feines Aufenthalts 
in England diefer Ungelegenheit ein befondercs Intereffe be: 
wiefen haben fol, und fo müflen denn die Lefer über 60 Sei⸗ 
ten mit bezahlen, ohne fonderlidyen Bortheil davon zu ziehen. 
‚Die übrigen Anlagen find ebenfalls nicht bedeutend und bes 
rechtigen zu der Schlußbemerkung, daß es Hrn. Dorow hätte 
gefallen mögen, die einzelnen Züge aus dem eben feined Hel⸗ 
den mit den biographiſchen Nachrichten, Die aus feiner eigenen 
Weder herrähren, in ein Ganzes zu verarbeiten, wodurch die Leſer 
unftreitig eine weit beffere Anſchauung gewonnen haben würden. 


Als wir diefe Anzeige niebergefchrieben hatten, kam uns 
die Nachricht von Hrn. Dorow's Tode zu, der im December 
1865 zu Halle erfolgt if. Wir haben alfo Fein Erlebtes, 
keine Reminifcenzen, Feine Denkſchriften und Briefe berühmter 
Berftorbener mehr zu erwarten, und über feinem Grabe ruht 
auch Hoffentlich die Fehde mit dem Dr. Heinrich in Bonn, 
welche in den legten Monaten fein Leben erfüllt und den Seis 
tungen. emen willkommenen Anlaß zu allerhand Geklatſch ge 
geben hatte. War diefelbe gleich durch einen in Dorow's „Er⸗ 
lebtem“ abgedrudkten Brief veranfaßt, fo war Dorow doch nicht 
der Schreiber jened Briefs und auch nicht der Schuldige; der 
berühmte Schreiber jenes Brief aber hatte über den bonner 
Philologen nur in derfelben mißfälligen Weife geurtheilt wie 
in älmlichem Falle viele angefchene Zeitgenoffen geurtheilt ba: 
ben würben. a. 





Kiterarifhe Notizen aus England. 
Ein neuer von Cooper hberausgegebener Roman. 

Auch Fenimore Cooper hat fich berbeigelaffen, das Wert 
eier ungenannten Sand „Elinor Wyliys, a tale’ (3 Bde., 
London 1845) mit feinem Namen auszuflatten, ihm ein „Edi- 
ted by uorzufegen und baburch Theil an dem Ungebührniffe 
u nehmen, das, verwerflich aus: mehr als einem Grunde, auf 
dem englifchen Büchermarkte gar zu arg wird. Verantwort 
lich für den Inhalt, wie ein Herausgeber von Rechtöwegen 
fein follte, will er aber nicht fein, und da die fihreibende Hand 
einer Dame gehört, if feine desfallfige Erklärung im Vorworte 
ebenfo artig als grob. Beides, weil er fagt, die Dame fei 
felbft: eine fo competente Richterin, daB er nur einen kleinen 
Theil des Manufcripts gelefen habe. Um fo größer und ta- 
deinswerther die Farce des „Kdited by”. Indeffen fügt 
es fih, daB Cooper ein gefundes, Präftiges Kind aus ber 
Zaufe gehoben hat. Es macht feiner Mutter ungewößntieh viel 
Ehre und Frederike Bremer dürfte leicht in ihr eine glüdliche 
Rivalin befommen. Der Schauplag der Erzählung ift Amerifa. 
Aber nichts von Cooper'ſchen Prairien, vom Leben und Trei⸗ 


ben vertwegener Hinterwalbsjäger, von ſtalpirenden haͤnten 
und ihrem ohrenzerreißenden Kriegsgeſchrei. Es iſt eine ein⸗ 
fache Häusliche Geſchichte ohne funkenſprühende Verwickelung; 
erſt ein allerliebſtes Bild ruhiger Familienſcenen, voll Freude 
und ‚ dann ein große® Zableau der Borgänge in 
Reuyork während der Saifon, zulegt bie Ruͤckkehr aufs Land, 
ein aufgerolite Gemälde ländlicher Myfterien. Überall natut: 
getreue Scenerie umd rein menfchliche Charaktere. Eine Menge 
alte Herren, jeder anders. Mehre Mütter, keine wie die at: 
dere, und eine ziemliche Zahl junger Männer und Maͤdchen, 
von denen jeder und jede eine eigenthümliche Zeſchnung. Um 
gelungenften ift die der Heldin, eines jungen Mädchens, das, 
ohne Ichön zu fein, bezgaubert und fern won einem Ideal ber 
Inbegriff echter Weiblichkeit. Muß es eih Fehler heißen, daß 
das Ende der Geſchichte fi ſchon im Anfange verräth, fo ift 
es wenigſtens einer, der wol Niemand abhält, das Buch zu 
Ende zu lefen. 


Schriften von 2. Blandard. 

Mehres vereinigt fih, ‚Sketches from !He, by the late 
Laman Blanchard’’ (3 Bde., London 1845) zu empfehlen. Gr: 
ſtens den Freunden und Verehrern des in ber fiterarifchen Ber: 
fammlung ziemlich ftumm gewordenen Edward Lytton Bulmwer, 
welcher dem Werke eine natürlich fehr gut gefchriebene Bio: 
grophie feines verfischenen Breundes beigegeben Bat. Zweitens 
den Freunden leichter Literatur. „Blanchard's Schriften”, fagt 
Bulwer, „verdienen einen Play in jeder Sammlung von beiles 
lettres. Sie beitgen, was in ber leichfen Literatur fo felten, 
den eigenthümlihen Reiz, angenehme Eindrüde zu hinterlaffen. 





"Sie find ein Spiegel des weichen Naturels bed Verf., vermei« 


den jede fehmerzliche Anficht des Lebens, alles Herbe der Beob⸗ 
achtung, alles Bittere des Spottes, und nicht zu vergeffen, 
enthalten teinen Gedanken, nicht eine Zeile, wovor die forg: 
famften Altern Urfache hätten ihr Kind zu hüten.“ Diefe jo 
gelobten Schriften find Aufjäpe über gefellfchafttiche Gegen: 
ftände, Commentare zu den Sitten unferer Zeit und nad ib: 
ver Faſſung wie der Ziel fie nennt „Skizzen aus dem Leben”. 
Manche mögen fchon früher ihren Weg nach Deutſchland ge: . 
funden haben, find aber jegt zum erſten Male aus den perto- 
difhen Blättern, in welchen ber Verf. fie niedergelegt, gu ei: 
nenn Ganzen geordnet worden. Eine dritte Empfehlung des 
Werks ift der milde Zwed feiner WVeröffentlihung. Der Er: 
trag ſoll den mittellofen Kindern bes Jung aus dem Leben ge: 
gangenen Verf. gehören. Am 15. Mai 1803 trat er zu Yar« 
mouth in die Welt, ein Sohn geachteter Bürgersleute; er ver: 
tieß fie am 15. Febr. 1845. Ein huͤbſcher Schmuck des Buchs 
find fowot fein in Stahl geftochenes Portrait, gemalt von Da: 
clife, alß eine Menge Holzfchnitte nach Beichnungen von Eryif: 
ſhank, Kenny Meadows und Frank Stone. 





Ein Roman über China. 

„The fall of the man Souny; a tale of the mogul con- 
quest of China”, von U. 2. Bymburnes (3 Bde., London 1845), 
ift der Zitel eines im Banzen neuen Verſuchs, die Refewelt 
dureh das Vehikel des Romans mit den Sitten und Gehräu- 
chen ber Ghinefen befannt zu machen. Ob er ein gelungeker, 
fteht freilich dahin, wiewol das Eeinem Zweifel zu unterliegen 
ſcheint, Daß der Verf. fi) mit feiner Aufgabe viel Mühe gege: 
ben und bie beften Autoritäten zu Rathe gezogen. Auch ſchreibt 
und befchreibt er vortrefflih. Die Hauptperfonen find hiſtoriſch, 
und daß er eine fo ferne Zeit wie die der Eroberung des chi⸗ 
nefifchen Reichs durch die Mongolen — in der zweiten Hälfte 
des 13. Jahrhunderts — fi zum Schauplag gewählt, erBlärt 
er, und wol mit Recht, deshalb für belanglos, weil bie Sitten 
und Denkungsweiſe der Chineſen ſeitdem wenig Betändeeung 
erfahren, und daher anzunehmen, daß ihre jetzigen Gewohnhei⸗ 
ge ihren damaligen Geſelligkeitszuſtand ziemlich genau Adi 
zeichnen. i . 


Berantwortlicher Herausgeber: Heinrich Wrodtans, — Drud und Verlag von F. ME. Srockhans in Reipzig. 





Blätter 
für " 


literarifhe Unterhaltung. 





Freitag, 








— —— —— u m nn nu Amen an a 


Dramatifche Buͤcherſchau für das Jahr 1845. 
Erſter Artikel. 
(Zortſetzung aus Nr. 92.) 


5. Sten Sture. Hiſtoriſches Schauſpiel in zwei Abtheilungen. 
1. Der Reichsverweſer und der Erzbiſchof, in drei Acten. 
2. Dad Interdict, in zwei Acten. Bon C. H. Weſel, Bagel. 
1845. 16. 1 Zhir. 

Auch diefe Arbeit, hervorgerufen, wie uns ber Verf. fagt, 
durch den Anblid der Fülner Wirren im I. 1837, und gezeitigt 
durch den der veligiöfen Kämpfe unferer Tage, rechnen wir zu 
den ernftern und bedeutendern des Jahres, wenn auch ihr Au: 
tor uns unbetannt iſt. Er ift ein Seift, in dem der Typus 
des Dramas offenbar und urfprünglicdh lebendig tft; feine beiden 
Stüde find Proben’ glüdlichfter dDramatifcher Auffaffung. der Ge⸗ 
fhichte, durch und durch Leben, Handlung, That, in durchaus dra⸗ 
matifcher Geftaltung. Nichts ift gemacht oder gefucht, e& ward 
ibm Alles gegeben; indem er feinen Blick feft auf das Ge: 
ſchehene richtet, daher der Geſchichte treu bleibt, entfprangen 
eine nach der andern diefe greifbaren Geſtalten aus dem Chaos 
und redeten zu ihm dieſe faßbare, offene, kraͤftige Sprache, 
welche diefe Urbeit auszeichnet. Unmillfürlich ſchoß fo das 
Drama vor ihm zufammen, gang und völlig aus der bloßen 
ernft :finnenden Betrachtung der Geſchichte. Und fo fol «6 


fein, fo muß das Hiftorifhe Drama erwachfen, wenn ed Das‘ 


fein fol was es fein will. Tritt Einer mit Intentionen an 
die Geſchichte heran, fagt er au ihr: Liefern wir ein Drama! 
dreht und wendet er feinen Gefchichtöftoff zu einer gewifien 
Anficht, zu einem beftimmten Ziele bin — der Fehler in Prutz 
hiftorifhen Dramen — fofort ift die Hälfte der Wirkung ver: 
loren. Wir fpüren Abſicht, Willkür, mir hören das poetifche 
Räderwerk knarren und find verfiimmt. Es ift nur zu ver 
wundern, erftens, daß wir überhaupt bei ſolchem Anblick noch 
ausdauern, und zweitend, wie wenige Dichter und Gelbftkri- 
tiker die Entdeckung madgen, daB auf diefem Wege niemals ein 
wirkſames, ein dauernde Drama entſteht. Auch Laube, fo 
ſinnreich in Entdedung der Fehler, welche die dramatifche 
Schöpfurg zu begleiten pflegen, hat das Verderben nicht er- 
kannt, das aus der Abfichtlichleit in das Drama überfließt. 
Und doch Liegt es auf der Hand. Ergreifen wir einen dra- 
matifchen Stoff mit einer beftimmten Abficht, fo haben wir fo: 
fort zu erwägen, baß die Gefchichte, als etwas Concretes, fich 
jedem hineingetragenen und fremden Zweck entzieht; das Hin- 
zutreten eines folhen muß fie fofort fälfchen. Mit vollem 
Grunde überlaͤßt fi er der Berf. ganz der Wirkung, bie 
der Anblick der Begebenpeit wie fie tft auf ihn herdorbringt; 
er dramatifirt fie, aber er deutet fie nicht aus. Er fieht eine 
Meihe bebeytender Eharaktere, Ehrifktern I., Sten &ture, den 
Patrioten Guſtav Zrofle, ben trewen Sünger Gregor's VII. den 
Repräfentanten bed Kirchenthums in feiner Reinheit, Guftav Bafa, 
den Fünftigen Helden Schwedens, Helene feine Braut, Ingolf ihren 





— — — — —— — — — nn m nn — —,——..- 


3. April 1846, 





Bater, den Statthalter von Stockholm Lejonhuſwud, Chriſtine 
Gillenſtjern, Sture's Gattin vor fih, er ſetzt fie in Xhätigkelt 
und em Bild entfteht, deffen großartiges Intereſſe — aus dem 
Kampf der Geifter gegeneinander hervorgehen? — ms f 
wider Willen mit in Anſpruch nimmt. entfpringt das hi⸗ 
Rerifie Drama, wir Eennen Feinen andern Weg, eb po 
ur Erſcheinung zu bringen. Alle jene Charaktere find mit 
—* aber feſter Hand und mit Naturtreue gezeichnet: bie 
einzige unbiftorifche, und an übertriebener Erfindung kraͤnkelnde 
Geſtalt ift die bed Enthufiaften, des Mörderd Lejonhufmud, ob» 
wol feine Tollheit zu erfhütternden Scenen den Stoff Hergibt. 
Richt fo unbedingt wie die Charakterauffaffung und die Füh⸗ 
rung ber Babel können wir die Sprache Toben, in der diefe 
Dramen geſchrieben find. ine jugendliche Überreiztheit des 
Ausdrucks fchadet der poetifchen Wirkung in den meiften Sce⸗ 
nen; es fehlt am ſchoͤnen Mas, an Sinn, an Haltung in ihr. 
Henn Dlof z. B. auseuft: 
Ha, ba, gefühlvoh und Verriger! Weinen, 
Daß man fein Herz, das liebe Wickelkind, 
Schon von der fähen Mil entwöhnt .. . 
Dder: 
Dann wär’ bie Gaftfreundfihaft, durd die Bei euch 
Die gute Dame bil und fett geworden, 
Ein voller Grund zu der Vermuthung, daß 
Ihr Kindlein, die Empoͤrung, euch das Leben 
Bervantt ... . 


fo fehlt foldem Ausdrud die Würde, die Ort und Umgebung 
begehren. Dagegen gelingt cben diefem SKraftüberfluß, ber 
der Charakter diefer Arbeiten ift, auch eine tiefe und poe⸗ 
tifhe Wirkung an gar vielen Stellen. Poetiſch if es, wenn 
Trolle fagt: . 


She ſprecht 

Bom lieben Vest, da eine Spanne Zeit 

Kür eur’ Gedankenpodagra ein Abgrund, 

Ein dunkler, weitgefpalt'ner Schlund if, den 

Dad Rieſenmaß des größten Muthes Laum 

Bu meflen wagt . . Jetzt — 

Es gibt Kein Jetzt für Den, ber vorwärts fieht 

Die Bett iſt Leiche und Gebauͤrerin 

In einem Augenbiid, wenn nicht der Menſch 

Mit feinem Gotteshauch die Neugeburt 

Dem Tod entreißt ... fdymeigt mir non eurem „Zert”.... 

Mitnihten! Dem ber Städte faͤßt die Guben 

Des Bogen und dazwiſchen hängt die Sehne, 

Schlaff, willenlos, ein Spiel der Beinbedlaune. 

Wenn vor dem Thor ber Stier bed wiſden Zum — 

Dad Erdreich vruͤllend mit den Hoͤrnern Fpaktk, 

IR where Raum noch Zeit zur kLiſt u. ſ. w. 

Wir meinen in diefen Proben von den Borgügen wie von den 
Mängeln der Diction des Berf. eine Borfielung gegeben zu 
haben. Er zügle das noch etwas zaumenfwöhnte Roß feines 
Ausdrucks und er wird und damn willfommen fein; bie ſchöne 


870 


[4 


Kraft aber, das Grundelement aller Poeſie, erhalte ihm fein ! 


Genius ungefchmälert. 
6. Der Sohn der Zeit. Irauerfpiel in fünf Aufzügen. Ber: 
fin, Herbig. 1845. 12. 15 Ror. . 

Der Titel diefes Stücks eines Unbelannten enthält eine 
furchtbare Beiuldigung gegen unfere Zeit. Iſt ein Menid, 
bei welchem Leichtſinn und grundfähliher Egoismus die Höhe 
erreicht, daß er ohne Gewiſſensbiſſe falfhe Banknoten macht, 
diefe einem Gaſtfreunde in die Taſche fchiebt, hierauf, nachdem 
Jener nah Botany⸗Bay transportirt ift, mit feinen Papieren 
verfehen, feine Braut wegkapert, endlich, nad, ſchwelgeriſchem 
Leben, als der fälfchlich Verurtheilte ploͤtzlich wieder erfcheint, 
Gaſtfreund und Gattin mit Kaffee (!) vergiftet — nicht etwa 
bloß ein Sohn ber Beit, fondern zur Pnyiyv der Sohn der 
Seit, fo ift umfere Zeit allerdings haͤngenswerth! Doc, das 
Ganze ift ja nur eine Verirrung eined ohnmaͤchtigen Trauer⸗ 
fpielpoeten, und darum fo ernſt nicht aufzufaffen. Es ift recht 
ſchade um biefe Verirrung; denn in der Anlage des Stud, 
in der Diction, im Verſe, in Allem, was der bloßen Technik 
angehört, ift viel Talent anzutreffen. Die Charaktere haben 
etwas von guter Beihnung an fi, die Formgebung, Die 
Sprache, die Situationen felbft find in Byron'ſchem Stil ziem- 
lich wirkungsvoll und manche einzelne Züge in dem Gemälde 
tragen einen, poetifhen Stempel zur Schau. Wie aber hat 
der nicht unbegabte Verf. glauben koönnen, aus einem ſolchen 
Stoff, der das nadte Lafter, die gemeine Berbrechernatur fo 
unverhoblen an der Stirn trägt, eine Kunfttragüdie bilden zu 
Eönnen? Hier liegt das NRäthfel, die geringfte Prüfung mußte 
ibn lehren, zu welcher Verirrung er auf dem Wege war. Als 
lein, fo ergeht es nicht ihm allein, vielmehr der Mehrzahl als 
ler jungen Dramaturgen. Ein Stoff wird ergriffen, leichtfer: 
tig, und fofort gehört alles Studium nur dem Ziele, wie diefer 
Stoff dramatiſch zu formen und durchzuführen iſt. Wohl oder 
übel, man kommt damit zu Stande, freut fi an feiner- Ge: 
ſchicklichkeit vielleicht einen widerftrebenden Stoff gebändigt zu 
haben und läßt — druden. Umfonft, Mühe und Arbeit ıft 
verloren, weshalb? Weil die erfte Ergreifung des Stoffs eine 
ungeprüfte, ungerechtfertigte war. Nicht laut, nicht oft, nicht 
eindringlich genug Bann es daher wiederholt werben, daß bie 
Dramatifche Arbeit mit dem Anfange anzufangen fei, d. h. mit 
der mühfeligften, genaueften, forgfältigiten Kritif des Stoffe 
an fih. Kann diefer ein edles Interefle nicht erwecken, bie 
äfthetifchen Elemente in der Seele nicht auf die Oberfläche 
bringen, fort mit ibm, er taugt nicht, er belohnt die Mühe 
des weitern Sinnens nid! 

Wir Hoffen verftanden zu werden, obwol wir die Sache 
abfichtlich einmal recht populair ausgebrüdt haben, diefelbe 
Sache, die wir mit alten und neuen philofophifhen Redewen⸗ 
dungen ausbrüden Eonnten und ausgedrüdt haben. Niemand 
folgere Daraus, daß nach unferer Meinung eine Zragbbie durch» 
aus eine ethiſche Mopanblung fein müfle: nein, fie ann, ja 
fie muß vielleicht die Schuld in vorübergehenden Triumphe 
barpellen; aber was fie nicht darf, ift, moralifchen Ekel zu 

egen. 


7. Andreas Hofer. Zrauerfpiel in fünf Abtbeilungen. Bon 
milhelm Gärtner. Leipzig, Zeubner. 1845. 16. 
r. 


Ein ſchwieriges Unternehmen, mit friſcher Kraft gut durch⸗ 
geführt! Es iſt ſchoͤn, wenn und der Poet fo in medias res 
verfegt, wie der Verf. thut. Wir leben einige Stunden mit 
Ladarner, Speckbacher, Kemenater und allen ben alten, präch—⸗ 
tigen Kumpanen Hoſer's, und wenn der Vorhang fällt, glau⸗ 
ben wie wirklich Beugen jenes Kampfes der Baterlandsliebe 
gegen die Maffe geweien, ja wol felbft den Stutzen mit jenen 

rnigen und geifteöfrifhen Kämpen gehandhabt zu haben. In 
biefer vollendeten Taͤuſchung unſers Selbſt liegt Reiz und 
Werth diefer Arbeit, in ihr liegt es, daß dies Stück neben 
Immermann und fo vielen andern Hofer» Xragödien ſich ber 


⸗ 


hauptet und gilt. So friſch, wahr, naturgetreu und koͤrnig 
iſt kein anderes dramatiſches Gemälde von den Thaten jener 
tiroler Helden. Die Arbeit der Erfindung wurde dem Verf. 
hier durch die Geſchichte erſpart; er ließ, ohne viel Kunſt, die 
Thatſachen aufeinander. folgen die Charaktere reden und han⸗ 
dein wie fie der Hiſtoriker reden und handeln fieht. Und den» 
noch, wie ergreifend if dies Bild von Treue und felfenfeftem 
Gottvertrauen, von bewußtlofem Berdienft und Selbftverleug- 
nung, das und der Sandwirth von Pafleyr aufftellt! Und den» 

ch, eine wie tiefe Rührung fließt aus diefem Schidfal, wel: 

er Sieg der Idee, welche heroiſche Geringfhägung der äu- 
Bern Güter im Kampf mit den höbhern Gewalten ſtrahlt aus 
biefem Naturbilde auf uns herab! Und dennoch, wie durch und 
durch poetifch iſt dieſe Geſtalt des edeln Hofer! Alles Dies 
glauben wir am Präftigften zu bezeugen, wenn wir befennen, 
daß wir jede Scene, in ber diefer Hofer auftritt, zwei und 
dreimal mit ignigem Bergnügen gelefen haben, vor allen aber 
die wahrhaft erhabene Unterrebung zwiſchen Eugen bem Bice: 
koͤnig und Hofer im fünften Act. Hofer hat fein Vaterland 
vor dem Sieger gefchildert und beweint, und Eugen hat ihm 
mit Theilnahme zugebört. 

Und dieſes Land wollt ihr verberben — 

ruft der Held aus. 


Eugen. 
Befigen will ih es. 
Hofer. ” 
Wollt Ihr? Und wenn wir Euch nit wollen? 
’ Eugen. 
Warum wollt ihre mich nicht? 
Dofer. 


Fragt unf're Abler, warum fie nicht 

Aus Sturm und Höhe nieder ſchweben, 

Den gold’nen Käfig wählen und Zutter nehmen 
Aus zarter Hand — fragt Euren Hund, 

Warum er feinen Herru, der Gutes ihm geiban, 
Nicht wechfeln mag. Schlagt ihn — er geht nit! 


Gugen. 

Kann ich nicht geben, was euch Äſtreich gab? 
Hofer. 

Nein, König! 
Gugen. 


Und was vermöchte ich euch nicht zu geben 
Das Öftreih gibt? 


Sofer. 

Die Liebe... 
Eugen. 

Und wenn nun euer Kaifer euch nit mag? 
HYdfer. 


Wer fagt daB? 

Meint Ihr, weil er und abgetreten? 

Wißt Ihr, daß er nit Vaterſchmerz empfand ? 
@ugen. 

Und warum warf der Kalfer grade euch 

Sum Raube hin von allen feinen Kindern. . . - 


offer. 
Weil wir von allen ihm das liebſte find! 
Eugen. 
Daß ift mehr Weisheit als ich faffen kann! 
offer. 
Wie feid Ihr doch fo vornehm und fo blind! 
Ich Halt! zwei Hunde, beide treu, 
Doc einer rettete mein Leben einft 
Aus ſchlechtem Bolt, dad blieb mir im Gedanken. . 
Da kam mein Pathe Sichler auf der Mörr: 
Andre, ſprach er, laß mir von den zwei Hunden einen! 
An beide hatt' ich mid) gewöhnt, verſteht Ihr — 





31 


Was meint Ihr, weichen ich von beiden gab? 
Den, dem idy'3 Beben danite oder, 
Den Brveiten. 
Eugen 
Dean Zweiten! 
Hofer. 
Den, dem ich's Leben dankte, gab ich! — 
Jetzt weiter. Andern Tages in der Fruͤh— 
Da hört ich draußen an ber Thuͤr was heulen. 
Raſch war id auf und ſah hinaus zum Fenſter — 
Da ftand mein „Türke draußen auf der Stiege, 
Noch die zerriffne Kette an dem Dalfe . . . 
Sch hatt’d gewußt — der reißt die Kell! entzwei ... . 


Hier ift etwas, das nahe an Leffing erinnert, eine Präftige, 


friſche, unberußte poetifche Anfchauung, wie fie wahrlich heute 


zu den feltenen Erfcheinungen gehört. In gleihemn Geifte ift 
das ganze Stüd gedacht und niedergefchrieben; die Kunft des 
Berſchweigens — jened nicht genug zu preifende Hüffsmittel 
des dramatifchen Effects — wendet der Verf. oft, vor allen 
aber am Schluß bed Trauerſpiels mit höchfter Wirkung an. 
ür alle feine Kampfgenoſſen ift jede Hoffnung verloren, alle 
5 und verbergen ſich, nur Hofer haͤlt an der Hoffnung 
unerfchütterlich feſt, und weicht nicht vom Dache feines Hauſes 
Im Tobel vor dem Waſſer 
Am Sand. 


Umſonſt fleht Ladarner, umſonſt ſein Weib — er weicht nicht. 
Da heißt es: 
Ladarner. 


Gott Ihut nicht Wunder — dent’ an Welb und Kind! 
. Yofer. 

Meine Kinder! 

Bringt mir die Kinder — rettet mir die Kinder. - 

Die unfhuld’gen Engel, wo, wo find fie? - 

(Dan bringt die Kinder.) 
Gib den Buben, gib bie füße Marli. 
Jetzt — Schnell fort! , 
Ein Soldat (ihm entgegentretend). 
Seid Ihr der Sandwirth? j 
Dofer. 

Stu — weck' mir nicht die Kinberchen, ich bin 

Andread Hofer! 
&o fällt der Vorhang! Unfere Eitate eigen dem Lefer wohl, 
daß wir an dem Stüde Freude gehabt ba en, und in ber That 
Scheint uns Peine der vorhergehenden und nachfolgenden Arbei⸗ 
ten des Jahres an Präftiger und geſtaltenreicher Lebensnach⸗ 
bildımg wie an natürlicder und ungefuchter dichterifher Wir: 
kung diefe Leiftung zu übertreffen. Möge der Verf. daher ſich 
felbft treu bleiben, fo foll er uns ſtets willfommen fein. 


(Die PBortfegung folgt.) . 





Ungsrifches Portefenille von A. I. Groß⸗Hoffinger. 
Zwei Bände. Leipzig, Ph. Reclam. 1846. 8, 
3 Thlr. 15 Nor. ' 


Der Berf. erBlärt in feinem Borworte, „am Ende zu fein 
wit ade modernen politifchen Theorien, und in der heutigen 

nichts mehr zu fehen als eine im raſchen Verfall begrif- 
fene Ruine”. „Mein Auge,” fagt er, „hat keine Gegenwart 
vor fig, nur eine Zukunft. Der DOften oder Nichts wird die 
Welt befreien. Diefem Zräumen zufolge, wie der Berf. fein 
Denken felbft nennt, und welches wir ihm fo als das indivi- 
viduellſte Glück belaffen wollen, hat er feine Blicke auf Ungarn 
gewendet. Er bedauert, daß Ungarn „keinen felbftändigen Gang 
dee Entwickelung eingefchlagen, fondern ſich faft willen: und 
gedankenlos von der Zeit fortreißen laffe”. Demgemäß bat der 


Berf, verſucht, „ein Soſtem der Reform Ungarns zu entwer⸗ 
fen, eine Aufgabe, an welcher feit 20 Jahren Ration und Mes 
gierung vergeblih arbeiten”. Wird aber auch wol irgend Je⸗ 
mand fein Buch in Ungarn lejen, vorzüglich der Adel, auf web’ 
hen ed .hauptfächlich berechnet ift? Der Ungar, und aud die 
Dauptmafle des Adeld verftehen die deutſche Sprache nicht, ja 
fie haſſen fie. &o lange alfo der Verf. für Ungarn nicht Un» 
gariſch fchreibt, fehlt ihm ver Boden unter den Füßen, auf 
welchem ex ſtehen und wirken könne; es fehlt dem Werke alle 
materiche Bedeutung. Doc die reformatorifchen Ideen des 
Berf. find vielleicht aus einem fo hohen Schwunge der reinen 
Bernunft — man erlaube bier dieſen, Zerminus — concipiet, 
und mit folder Wahrheit der praßtifchen dargeftclit, daß bie 
Schrift daher ſchon als allgemein gültiges Kunſtwerk ihre Stelle 
behaupten werde? Diefe Frage kann allein der Gegenftand ei 
ner deutſchen Kritif de& „Ungarifchen Portefeuwille” fein. Der 
Berf. deutet zuvor an, daß die gegenwärtigen rohen und wil- 
den Eigenfchaften ded ungarischen Rationalcharakters aus ben 
graufamen Schidfalen des Landes und unmenfchlichen Kriegen 
ſich herſchreiben. Sodann ftellt er den Grundfag auf: die oft: 
reichiſche Monarchie fei Durch Ungarn moralifch zu erobern, 
d. b. die Ungarn müßten fi) beftreben, ihre Berfaflung fo zu 
reformiren, „Daß die barin enthaltenen politifchen Rechte auf 
das übrige Oſtreich übertragen werden fönnten; und fo nur 
koͤnne Ungarn fi feine Selbftändigkeit bewahren und verhin⸗ 
dern, Daß es von den „ſchlechten Sitten, Der Srundfaglofigbeit, 
der Demoralifation Oſtreichs“ angeſteckt und erfüllt werde. 

Es iſt traurig, Daß bei Diefer ſchweren Anklage ber Verf. nicht 
genau gejagt hat, was er eigentilh unter ſtreich hier veritgn- 
den hat. Wenn Die gewöhnlichen Anklagen gegen diefen Ra⸗ 
men ergehen, fo meint man barunter das eigentliche urfprüng« ' 
liche öftreihifche Land, und unter den angefhuldigten Perfonen 
nicht das Volk, fondern die Beamten. Der Verf. fcheint je: 
doch diefen beiden Glafien des Staats in Oftreih, wie er es 
nennt, nicht fonderlich geneigt zu fein. Er fagt: doſtreich 
wird Beine Zugenden aus Ungarn beziehen, Ungarn feinen 2a» 
ſtern freie Einfuhr gejtatten. Die Zwiſchenzoͤlle werden nicht 
hindern, daß böfe politifche Geiſter zolfrei aus Ungarn nach 
Oſtreich herüberfommen. Die ungarifche Sprache wird nicht 
hindern, Daß öftreichifche, liederliche, gefinnungslofe, flaue, ba» 
firte Lebensanfichten in Ungarn eintreten. Ungarn wird Oft 
rei durch Schugverein und ns der ungarifchen Ab⸗ 
fagwege mit feiner Armuth beſchenken, Oſtreich dagegen mit 
zärtliher Dankbarkeit ihm feine moraliſche Syphilis verehren. 
Jene liederlidhe, weinfelig» und wolluftmatt lächeinde 's ift mir 
Alles Eins: Philofophie, jene mit geſtrenger Amtshoffahrt im 
Namen der Regierung bewerkftelligte Licitationsfunft der ges 
meinen Beſtechlichkeit; jener buntichedige Katzenbuckelpatriotis⸗ 
mus Derjenigen, welche unter der Agide des Doppeladlers im 
Zrüben fiſchen; jene innere Zertigkeit und Bereitwilligkeit zu 
Berrath, Lug und Zrug, Heuchelei und Hinterliftiger Verfol⸗ 
gung werden nicht ermangeln, in Ungarn fortzufahren, fich zu 
verbreiten.’ Hätte diefe ſchweren Beſchuldigungen Jemand uns 
gelast, der nicht vorweg erklärt hätte: er träume in politifchen 

achten, wir hätten uns eher geneigt fühlen müffen daran zu 
glauben. Aber wer den Ruin der Gegenwart zu einem allge: 
meinen Principe macht, der muß und den Verdacht erlauben, 
daß er durch ſolche gefärbte Brille auch mehr gefehen als er 
ſehen konnte und durfte. Es ift überhaupt auf den Grundirw 
thum in unferer politifchen Literatur zu achten, daß alles Das, 
was für ein Sournal oder eine Klugfchrift paßt, und ba, Zen: . 
den emäß, gefagt werden barf, auch fofort in Broducten der 
Wiſſenſchaft unbewiefen fich breit machen dürfe. Und das vorlie⸗ 


- gende Werk, ein fo großes Unternehmen, Das erfegen zu wollen, 


was eine ganze Nation nicht verftanden habe, muß doch wol aus 
ber tiefften Wiffenfchaft hervorgegangen fen. Aber wie läßt 
ſich das beweifen, was der Verf. anführt? Durch Namhaft⸗ 
machung glaubmwürbdiger Zeugen, Die aus eigener Anfchauung 
erzählt, Laßt fich das ſehr gut erlangen. Es ift mit ſolchen 


v 


872 


Zuftänden, und wenn fle uns die einheimiſchſten zu 
fein oinen, nicht anders, ald wenn wir davon vom Rorbpol 
wiffen wollen. Und bann in einer —— aufgeregten Zeit 

bt man nur zu gern an ein Tagetgeſpraͤch; gu ſolchem 
uben aber zu verführen, follte ber Wiſſenſchaft wenigftend 
fremd fein. Indeſſen der fpecielle Bwert des vorliegenden Buchs 
wird dadurch immer nicht gefchwächt. Die Erhebung der un- 
ifchen Berfaffung muß ja an und für fich ein ausreichendes 
ject fein. Rachdem nun der Verf. no eine Weile in ben 
finftern Abgründen einer conftitutionnellen und einer monardi« 
fißen Regierung umbergetaumelt ift, detaillirt er Die gegen: 
wärtige ungarifche Gtoatseinrichtung und geht dann endlich 
auf „einige Grundlinien und Ideen zu einem Fünftigen Ent: 
wurfe einer Staatöverfaffung für Ungarn” über. Alſo wir 
werden nur den Anfang eines Anfangs zu fehen bekommen. 
Es ift unfteeitig, daß Der Staat ber Gegenwart aus zwei ſtrei⸗ 
tenden Kräften befteht, Bolk und Regierung, welche eben durch 
die neutrale Verfaffung ein gemeinſchaftliches Drgan erhalten 
foßen. Regierung iſt das Abftracte, Feſte, welches Feine Ge⸗ 
fpichte in der Gegenwart hatz die Beamten der Eäfaren zu 
Rom find die heutigen, das Volk ift der ewig fortichreitende 
eomerete Inhalt der Gegenwart; daher ber Streit. In einem 
beitten, einem Drgane, koͤnnen fich beide Principien nur durch 
ihre Bertretung ausgleichen. Es iſt fo gut die Vertretung der 
Regierung wie die des Volks nöthigs und bie Production bed 
Drrgans des Lebens ift das bildende Geſez. Diefe Grundfäge 
einer geregelten Staatsverfaſſung find im Allgemeinen von dem 
Berf. anertannt worden; ja die Volksvertretung foll auch eine 
indirecte Vertretung ber Proletarier in ſich ſchließen. Es ift 
diefes Wort bei einer gewiſſen Fraction der politiſchen Schrift⸗ 
zu einem Modeworte geworden. Von einer politiſchen 
MWertretung derſelben glaubt man das ganze Heil des Staats 
erwarten zu müflen. Aber wie würde man doc diejenige Re⸗ 
gierung für eine wahnfinnige erflären, die eine Vertretung ih⸗ 
rer ſubalternen Beamten beanſpruchen moͤchte; Schreiber, Bo⸗ 
ten, Actenhefter u. dergl., welche bei dem voran dargelegten 
Grgenfage mit den Proletariern parallel ftehen! Gin gemein- 
fehaftliches Organ kann ja nur Das fein, wohin nicht das Zu: 
Kae und Befondere von Perfonen und Ständen, ein trüber 
Ba 


‚ gelangt, fondern das Allgemeine, klar und lauter lies. 


‚sende der Principien, alfo der Intelligenz. Die Intelligenz 
des Volks und der Regierung ift zu vertreten, und dieſe iſt 
weber bei den’ Proletariern noch bei den Subalternen zu fin: 
den. Die Armukh, deren Stand der Proletarier- bildet, wird 
nicht erlöft duch die Politik des Staats; denn ebenfo wenig 
wie Intelligenz die alleinige ober höchſte Kraft des Menfchen 
ift, ebenfo wenig ift Staat die hoͤchſte Darftelung der Menſch⸗ 
beit. Doch diefes Weitere gehört nicht hierher; es follte nur 
aufmerffam gemacht werden, wie menig durch politifye Ver⸗ 
tretung den Proletariern geholfen fein Tann, und um fo weni 
ger, als in dem ganzen Staatöfchema des Verf. nicht mit ei« 
nem Worte der Schule gedacht ift, die den Proletarier zur 
Intelligenz heben koͤnnte. Bielmehr er fol für fich fortvegeti- 
ven, und 100, warum nicht 101, Delegaten vom Handels⸗, 
Induftrie-, Gelehrten. und Bauernftande follen ihn bereifen und 
dem Landtage Bericht von ihm abftatten! Es gebt in der That 
ins Unglaubliche, woran der Menſch glauben und was ex Al⸗ 
les träumen kann. Denn entweder muß dann den Proletariern 
chafsverftand zingeimpft werben, oder die ganze Finanz⸗ 
wirthſchaft muß ſich auf Anlegung von Öffentlichen Magazinen 
eomcentriren. Erkennt ber Proletarier erft, daß er gefüttert 
wird, fo wird er heute ein Pfund Brot dankbar annehmen, 
über acht Tagen aber ſchon mit achten fih nicht mehr begmi- 

en. Hat nun der Verf. ſo fehon ſich einer großen Illufion 
Bingegeben, fo it die Praris feiner Einrichtungen oft micht 
minder bebauernöwerth. 8.8. ſchlaͤgt er vor, und das ift ein 
Hauptpunkt einer verftändigen Einrichtung: der König kann 
and fol (warum fchon diefe Gefuchtheit des Ausdrucks bei 


—1 


werde. — Wer ſoll nun 


unnuͤtze Schreibereien n 


- verlaflen hat. 


Staatseinrichtungen 9) den Landtag alle brei Jahre einberufen 
und auflöfens dann fann aud der Landtag vom Monar⸗ 
hen verlangen, daß, fo lange der Staat fi in dringenden 
Lagen befindet, der Landtag aljährlih ein Mal verfammelt 
bier entſcheiden über bie dringenden 
Lagen? Iſt dadurch nicht ein großer Anlaß hy innern Unruben 
gegeben, vornehmlich bei dem ungarifchen Volkscharakter, den 
der Verf. felbft grell genug ſchildert Doch was fol man über 
mehr Worte verlieren. Die leeren 
Staatskafſſen follen vornaͤmlich durch Einkommen⸗ und Lurus- 
ſteuern gefüllt werden; der Berf. entwirft ein vollſtaͤndiges 
Zableau der Iektern. Den angewandten Rurus fol ein jeber 
Eonfument felbft beurtheilen und bie Gtewer dafür jelbft 
offeriven. Wird aber die Regierung nicht wiflen wollen wer 
es unterläßt? Dann alfo ift für jeden Menfchen und für je- 
ben Augenblick des Lebens ein Spion zu befiellen. In der That, 
das Sräumen des Verf. ift ein gewaltiges Hi einnf. Und 
nun gehören zu den Lurudgegenftänden z. B. aus vad, Rum, 
Kuchen u. f. w.; aber doc) nur dann, wenn fie Jemand con- 
fumirt. Alſo diefe Handlung ift das Wefentlihe. Das aber 
bat der Verf. vergefien, die Handlungen der Iururiöfen Venus 
zu befteuern und den Eonfumenten anzubefehlen, in dem jedes⸗ 
maligen alle davon obrigkeitliche Anzeige zu maden. Him⸗ 
mel, was werden da für intereffante Sachen an dad Xages: 
licht fommen! 

Der übrige Inhalt betrifft erftens ftatiftifhe NRachweiſe 
und Auszüge aus andern Schriftftellern über ungarifche Zu- 
fände, weldyes manches Interefiante und Neue bringt und dem 
Werke feinen alleinigen Werth gibt. Endlich folgt im Gewande 
einer Dichtung eine Charafteriftit des ungarifchen Adels, vor: 
züglih in feinem Berhältniffe zu den Frauen und den Juden, 


die nicht übel zu leſen ift. - B. Marquar bd. 





Literarifhe Notiz. 
A. Jubinal's neuefte Leiftungen. 


Einer der regfamften unter den Gelehrten, welche ſich die 
Pflege der altfranzöfifchen Literatur zur eigerttlichen Aufgabe 
ihres Lebens gemacht haben, ift Achille Zubinal. Er hat ſchon 
eine ganze Reihe gediegener Werke, in denen zum Xheil bie 
Refultate fehr gehaltreicher Forſchungen enthalten find, ans 
Licht gefördert. Seine gegenwärtige Stellung ale Profefſor 
der auslaͤndiſchen Literatur an der Facultat zu Montpellier 
ſcheint ihn aber mehr und mehr zu veranlaffen, den Horizont 
feiner Studien zu erweitern und auf die forgfältigere Beach⸗ 
tung der wichtigen literariſchen Erſcheinungen des Auslandes 
auszudehnen. Als Ergebniß dieſer Studien werben uns jept 
Bruchſtücke feiner hierauf bezüglichen Vorleſungen unter dem 
Zitel „Cours de litterature étrangère extrait de lecons pu- 
bliques” geboten. In diefen Fragmenten zeigen fi) Gruͤnd⸗ 
lichkeit der Kenntniffe und Unbefangenheit des Urtheild als bie 
bervorftechenden Charakterzuͤge. Wahrfpeintid verdbanfen wir 
greihfons der Anregung Jubinal's die Veröffentlichung einer 
feinen Schrift, welche vor kurzem zu Mentpellier die Preſſe 
Diefelbe enthält Aphorismen und Marimen der 
Königin Ehriftine, welche in einer Wibliofhel zu Montpellier 
aufgefunden find, ımd führt den Xitel „Pensees de ia reime 
Christine, d’apres le matmscrit de T’6cele de Montpellier". 
Wir bemerken endli noch, daß die von Jubinal geleitete „„Re- 
vue de Midi’, deren wir in d. BI. bereits ruͤhmliche Erwaͤh⸗ 
nung gethan haben, guten Wortgang zu haben fiheint. Der 
Zahrgang 1845 ift veih an intereffanten Beiträgen und gibt 
der Hoffnung Raum, daB der Gerausgeber feiner Beitichrift 
auch für die Folge die würdige Haltung, welche bi® jegt ſtets Li 


ihr zu ruͤhmen gewefen ift, zu bewahren willen wird. 





Verantwortliger Heraudgeber: Heinrich Brockband. — Drud und Berlag von F. M. Wroddans in Leipzig. 











Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Sonnabend, 


4. April 1846, 





Dramatijche Bücherfchau für das Jahr 1845. 
Erſter Artikel. 
(Fortſetzung aus Nr. 9.) 


8. Die Seherin. Dramatiſches Gedicht von Emil Mecklen⸗ 
burg. Leipzig, Brauns. 1845. 8. 2 Ahlr. 

Um des Sontraftes willen laflen wir diefem Raturlaut der 
Poeſie eine Arbeit folgen, von der man leicht, im Gegenſa 
au jener, auöfprechen könnte, daß fie die Kunft über fidy felb 
erhoͤhe und durch ein Übermaß von Reflexion zur Unnatur ge 
lange. Es ift jedoch nicht zu leugnen, daß trog eines im Gan⸗ 
zen ungünftigen Totaleindrucks, den das Stück zurücklaſſen muß, 
es dennoch feine einzelnen Schönheiten und gelungenen Partien 
enthalte. Das Drama gehört durchaus der Gattung an, die 

'wir bisweilen ſchon als Gedankentragoͤdien bezeichnet haben. 
Der Gedanke, nicht das Leben, tft ihre Zräger. Verwickelun 
und Entwidelung beruhen auf einer Idee, das Leben muß fi 
wohl oder übel dazu hergeßen, die Idee zu verwirklichen. Wir 
fehen ein Mädchen vor uns, Laura, Liebesglutfchwärmerin im 
allerhöchften Grade, und Frey, ihren überfeligen Geliebten. Die 
Scene, in der und dies zur Darftelung gebracht wird, iſt et- 
was lang; die Verfe find gut. Plöglich fehen wir Frey im 
ſchlechter, mindeftens frivoler Geſellſchaft und Laura von einer 
Tante und emem liſtigen Kammermädcden dem Könige al 
Buhlin in die Hände gefpielt:e Der König macht eine üble 
‚ Figur, din ürft wäre genug geweſen. Dann kommt die Reue 
über die Untreue, das Gefühl der Leere, über welche Empfin- 
dungen Laura in Krämpfe verfällt. In jenen Eonvulfionen, 
die bald habituell werden, ſieht fie Gott und Satan um ihre 
Seele ſtreiten. Diefe Streitdialoge zwifchen dem guten und 
dem böfen Princip jmd offenbar der Kern, das Biel bed Ge⸗ 
dichts, Das damit zu einer Urt weiblichen Zauft oder zu einsm 
potenzirten Gretchen werden fol. Es muß nun zugegeben 
werden, daB einzelne Stellen in biefen Dialogen — uneradtet 
des übeln Eindruds, den die Gegenwart Gottes und Satans 
am Lager der Seherin macht — voller Poeſie und wirklich 
ergreifend jind, beſonders an den Stellen, wo Laura wieder 
zum Grfennen ber Dinge umber nach jenen leifen Weltgefpra: 
den erwacht. Der Gedanke ift wirklich neu und nicht ohne 
eine gewiſſe ftille Majeftät, die uns mit leifem Schauer füllt; 
allein die Keder Pl zu oft und ftumpft ſich endlih ab. Die 
Reden Satans find ziemlich im Charakter des Mephiſto, doch 
beinahe noch fpottfüchtiger und höhnender, mehr frivol als 
teufliich, fodaß fie ein Nep um bie arme Seele, Laura, fchlin: 
gen, dem diefe nun und nimmermehr entfchlüpfen kann; denn 
draußen harren die harten Medensarten Gottes auf fie und 
fheuden fie in die alte Loge gurüd. Die größte Fineſſe in 
der Maske des Satans aber iſt, bag er ſtets von Gott als fei- 
nem gnädigen Herrn ſpricht und dem Chriſtenthum jede mög- 
lie Lobrede hält, ihm jeden möglichen Vorſchub leiſtet. Er 
ift die perfonificirte Emancipation des Kleifches, dieſer fröhliche 
unb nedende Satan, bem man gar keine böfe Abficht anmerkt, 
bis er zuletzt, eben da Laura für Frey dem Könige zu Füßen 


allen will, wahrfcheintich mit der Abſicht ihm ihre Schuld zu 
etennen und fih ihm wieder zu eigen zu geben, das Fräulein 
erdroffelt, womit das Stück zu Ende iſt. Denn Frey ſchmach⸗ 
tet als Demagog im Kerker. 

Man wird geſtehen, daB wir es hier mit einer kuühnen 
und feltfamen Arbeit zu thun haben, die vielleicht einer tiefer 
eingehenden Kritik ald fie bier zu geben ift würdig fein mag. 
Wenn man ihr den Charakter deutſchen Ernſtes und deutſcher 
Tiefe zufpricht, widerfäßrt ihr nur ihr Recht; das MWerdienft 
forgfältiger Ausarbeitung verkündet fi ſchon durch ben Vers 
und den durchweg feflgehaltenen Reim in diefem fangen Ger 
dicht. Bon den Rebenfiguren, weldhe nur den Zweck haben, 
die Frivolität der hoͤhern Geſellſchaft zu zeichnen, Tonnen wir 
[htweigen. Roß, Stark, die Tante, Lieschen löfen nur dieſe 
Aufgabe. Der Kern der Dichtung ruht wie gefagt in den 
leifen Gefprächen zwiſchen Laura’ Seele, Gott und Teufel. 
Bon diefen müffen wir, foll das Ganze nicht ohne Charakteri- 
ftif bleiben, eine oder die andere Probe geben. An welcher 
Stelle wir fie erwaͤhlen ift ziemlich gleich. Alſo Raura, welche 
eben eine midfällige politifhe Anrede des Satan hören mußte, 
jagt ihn weg. Sofort erſcheint ihr Gott auf ihren Ruf. 

ott. j 


Noch einmal nahe idy mit mildem Triebe 

Nicht angezogen von ber Erde Gruͤnden, 

Nach meiner Gnade bie und meiner Liebe 

Befeligende Botfhaft zu verkünden. 

Nimm an des Evangellumd Verheißen 

Und wende dich zu mir und meinem Sohne. 

Die trd’fhen Bande werben bann zerreißen, 

Die di umfangen, und an meinem Throne 

Wirft du einmıI des Gluͤces Stunde fegnen, 

Wo did) gerettet göttlidhed Begegnen. 
Laura. 

D Leber Gott, du vebeft immer noch, 

Als waͤre ih in beiner tiefſten Schulb. 

Was habe Böfes ich verbrochen doch, 

Das mir entzogen deine hohe Huld? 

Du willfſt mich nicht aus meiner Noth erloͤſen, 

Und kannſt mich nicht befreien von dem Boͤſen. 
Satan. 

Mamfeliden! Pog taufenb! Ich bitt' es mir aus! 

Am Ende verleugnet die Schelmifhe mid. 

Ich make bier tollen Spektakel im Dauß . . , 

Wenn mir nicht Gerechtigkeit gleich widerfaͤhrt, 

Für alles Geſcheite, was ich bir gelehrt. 
Laura. 

D ja, Geſcheites; aber ſolche Dinge, 

Daß mir ganz angft und bange d’rüber wird. «+ 
Bott. - 

Du fängft als Raͤuber mit geübter Schlinge 

Die Schaͤfſchen, fo nit flieht dee treue Hirt. . . . 

Doch was er rathe, wie du felber bangk — 

Du fiicheft niht in meinen gnäb’gen Schoos7 


Ma 


Laura. 
Was fol Ih thun? Die Hülfe thut mir Noth — 
MWilllommen, wer mir Bf, wär's auch ber Tod! 
Satan. 
O papperlagapni So reden fie jet, 
Se wich Bevatter Mephiſto vervetzt. 
Kaum wunten Pr’ Gnabden ben göttlien Rüden, 
So bitten wir wieder. und doch zu beglüden. 
Gott. 
Ich thue bir im hoͤchſten Ernfte Bund, 
Die Seele wird zu deiner Beute nicht. 
ud würd! fie dein legt auf diefem Rund, 
So führt der Tod fie in mein Himmelsligt. 
Gatem. 
Zopp, Ihro Snaben, ber Pact iſt geſchloſſen: 
Nu habe ſchon Öftar derfeiben gemadt, 
Ynh memals nody hat ed mich Tpäter verbroffen, 
Denn oftinals (dem habe ich bei mir gedacht: 
Da d’rüben! Das find doch verdächtige Sachen 
Born mem mit der Erbe: deu ‚Himmel vergleicht 
Dart fig ich an unwillkuͤrlich ge lachen — 
She werden verzeihen — ich lache ſehr Ind. . . - 
Bern ewig ich lebte: ich wärde ganz dumm 
Ich brächte vor Langeweile mich ums. . . . 

ai be nf. genügen; ſie veicht Hin, bie Intention und 

—— —— De zeigen, in der Die Intention verfolgt 

wied. Daß fie eine ernſte und eine —— ſei, wird kein 

ernſthafter Leſer verkennen; doch dies Geſchlecht Ei in unfern 
Adgen felten geworden, und die Luſt, eine neue Variation des 

„Kauf ober des „Münfred” zu leſen, Teitet nur nd Be 

nige bei der Wahl ihrer Lecture. Dee Berf. wird ſich kuͤrftig 

wol kuͤrzer faſſen miſſſen. 

9. Schultheiß Wenge von Solothurn. Vaterlaͤndiſches Schau 
fpiel von Franz Krutter. Solothurn, Ient 3 
mann. 1845. 15 Rer. 

An dieſem Stuͤck iſt Alles rauh und unpoetiſch, der Name 
des Verf: entbehrt. ebenſo wie feine Diction alles Wohlklangs; 
der Stoff ift für ein hiſtoriſches Drama viel zu eng und Hein; 
die Handlung ift eine querelle de famille, oder eine Balgerei 
unter Spiefbürgern, und obwol bie Religion fi darein miſcht, 

kaum beſſer als fie in Preußen jebe Stadtverordneten⸗ 

—æ — — darſtellt. Soll man aus jedem ſolchen Berwürf: 

niß, das ohne hiſtoriſche Zolgen bleibt, eine hiſtoriſche Tragö⸗ 

die machen? Gewiß nicht. Dem Erzeugniß, dad hier aus: 
erwählt wird, muß entweder das Gewicht einer Bewegung in 

Maſſe oder die moraliſche Groͤße ber einzelnen That zu Hulfe 

tommen. Hier fehlt das Cine wie das Andere, das Stück 

hätte daher ungeichrieben bleiben Pünnen. Indeß, einen großen 

Aufwand von Kunftmitteln hat der ehrliche Verf. auch nicht 

darauf verwendet: von der Yormgebung des Dramas hat er 

wol kaum eine dunkle Ahnung, und die Sprache die er ver: 
braucht ift etwa Die aus den Stilubungen eines fähigen Ter⸗ 
tianers. 

10. Thron und Hütte. Romantiſches Drama in fünf Auf: 

zügen: Von 2. M. Eckardt. Wien, Kaulfuß Witwe, 

Grandel und Comp. 1846. Er. 8. 20 Ror. 

Ah! Auch die fhöne Zeit des nordifhen Antiquar-Enthu« 
fiadmus ift vorüber! Die Gigurd:Schlangentödter, die Gun⸗ 
- Iaugur: Drachenzunge und Frithjoffagen Plingen nur noch dun⸗ 
kel und verballend nah; Riemand glüht mehr für oder 
wider die Nibelungen, und die Namen Halfvan, Ring und 
Sigduna fegen Erine Zunge mehr in Bewegung, wie viel min- 
der ein Herz! Der Verf. bringt daher eine Ilias post Ho- 
merum, wenn eu jegk noch mit einen deamatifirten Frithiofs⸗ 
[1 heraußtritt, und. märz er der Skalde Ringolf felbft, er 
ände kaum ein Dbe bereit ihn kn So fehr gehört es 
zur glüdlichen Übung der Mufen bie rechte Seit und den 





| tig, daß er wie es ſcheint ſich 





rechten Stoff zu wählen und ben Bannruf Veraltet“ non 
feinem Dichterhaupte abzuwenden. Doch unfer treffliher Verf. 
hat an dem „Beraltetfein’ feines Stoffe noch nicht genug; er 
zeigt fi noch in einer andern Beziehung als ein Spätling, 
er befiev als Einer, der Die letzten 20 Bahre beobachtungẽ⸗ 
8 verträumt zu haben fiheint. wie er, aus Diefent 
Traum erWachend, noch Ehren⸗Fouqué in Ehren wähnt, fd 
laubt er auch in anderer Beziehung noch an Ehren : Wolfe. 
08 fagt der Lefer wenn er am Eingang des Stuͤcks lieft: 
Wie ſchoͤn, wie lieblich dich die Roſe kleidet, 
Der Morgen ſchmuͤcktt ſich neu, weil er dich fieht! 


und am Schluffe: 


Verföhnung, treuer Bruder . . . 

Bon tum VFeſſen rei IM die die Handy, 
Ergreife fie und eil’ zu mie Herüber. 

Die Schweſter foll das Yfand ber Liebe fein 
Cie möge wie ber Farben Kranz der fieben 
Vereinen nun, was je getrennt geblieben. 


| Ein folder inconfequenter und ftemdartiger Eigenjinn bat et- 


was Abſchreckendes; Recht behalten vooflen gegen bie ge 
Welt Tann nicht die Eigenfchaft eines Dichter im hoͤhern 
Wortiinne fen. So ſteckt denn auch bei diefer Arbeit die 
yore mar in dem Klang ber Wort: die Handlung, fo weit 
e dem Verf. angehört, iſt gaͤnzlich davon entblöft, triviak, 
langweilig und ohne wung. Ba nun auch die Cha⸗ 
rakterzeichnung gleich Mut if, fo bleibt für die poetiſchen &n- 
ſprüche des Autors nichts übrig als die qute Berwendung der 
Bilder aus ber nordiſchen Mythologie. Diefe Laffen wir ihm 
ohne fie ihm au beneiden; ein Reiz durch Misdrauch ftumpf 
gemädht, ein Pfeil der nirgend trifft und haftet, eine Blume 
ohne Duft, ein verloſchener Regenbogen. 


(Der Beſchluß ſolgt.) 





Vorleſungen über flawiſche Likeratur und Zuſtaͤnde. Ge⸗ 
haften im College de France in ben Jahren von 
1840 — 44. Von Abam Mickiewie, Dritter 
und vierter Theil. Leipzig, Brockhaus und Avenarius. 
1844 — 45. Gr, 12. 2 Thir. 25 Rgr. 

Der dritte Dheil der Vorlefungen erfobert vielleicht mehr 


als jeder andere die Beachtung Deutfchlands und vornehmlid 


ver beutfchen Philoſophen; denn ex enthält nicht nur eine ſchar 
unbarmherzige Kritik aller neuern deutfchen philofophifchen Sy⸗ 
fteme, fondern enthält auch zugleich alle Momente, durch weißt 
nad Mickiewirz’6 Anficht die im flawiſchen Volke im Keime 
liegende Philoſophie fich über die deutſche Philoſophie der Ges 
genwärt erhebt. Wir find weit entfernt, die außerordentlichen 
Leiſtungen der deutfihen Philofophen leugnen noch je auf einen. 
Augendli den ungeheuern Einfiuß vergefien zu wollen, ben 
erade darch die philoſophiſche —— deutſche Wiſſen⸗ 
Nat und deutſches Wefen in der Neuzeit auf die rivilifirten 
Boͤlker Europas gewonnen bat, und von welchem Enfuß ge 
rade auch das Buch von Mickiewicz ein mehr als glaͤnzender 
Beweis if. Denn fo viel der Verf. über die verſchiedenen phi⸗ 
lsfophiſchen Richtungen in Europa le o ift doch beiwei⸗ 
tem der meiſte Raum ber deutſchen P ofophie und ihrem Sy⸗ 
fteme gewidmet; fie fcheint dem Verf. trog der@eringichägum 
die er fo oft gegen fie an dem Tag Ieatı dennoch fo hochwich⸗ 
elbſt zum Irog jedes Der 
dentfchen Hauptfefteme einzeln weitläufig durchgeht, und dann 
bei dem einzelnen Prineipfragen, die er behandelt, immer und. 
immer wieder auf diefefben zurückkehrt. Eine beflere, eine mehr 
erzoungene Anerkennung der Wichtigkeit kann man nicht fo⸗ 


*) Bulegt. beriditeten wir über biefed Wirrk in Sr. 2 und WI 
dv, Bi. f. Me, D. Art. 


‘ 








328 


dern. Det Hauptunterſchedungtyunkt aber, Sen wit ſogleich 
im Unfen, oorheben zu u jen glauben, befteßt eigen 
det deutlichen ilefoppie und der tig Nasifgen des Michie: 
wicz in dee Diateftik. Zwar 0% Michiersie, ferdft Amer ger 
oumgen, von derfelben Gebrauch zu machen, um feine Gegner 
mieberzußämpfen: allein trogdem habt er fie und negirt dieſelbe 
von Princip aus. Die deutſche Philoſophie fei reine abftrarte 
Be mepot lofophie, reine Berftandesipecufätton und führe ald 
force nie zu einem Refultate in derjenigen gauptfragen bes 
Mrenfengeie lechtö, deren 2öfung das harrende Europa eben 
errarte. Diefer Philofophie Melt der Verf. feine und einiger 
fpäter zu nennenden Ppilofophen Gefühld:, Willens» oder ger 
Haner Intuitionsphilofopfie entgegen, und vindietet diefe Ic: 
tere, welche unmittelbar auf daB stein auf die That, auf 
die gegenwärtigen Zuftände der Xölker loefteure, ausftpfießtic, 
dem flawifchen und franzöfifhen Wolfe, während die abftracte, 
theoretiſche Specutationsieife den germanifchen Volkern vor 
nehmfich zuzufhreiben ſei. Ohne uns In die Unterfuhung der 
Baprpeit —8 Behauptung einzulaffen, zu ber hier nicht ein ⸗ 
mat der Raum toäre, wenn wir dazu auch Beruf verfphrten, 
demerten wir nur, daß die praßtifchen Refultate, wie fie bi 
jegt vorliegen, alerdings manches ſtrenge Uttheii Mickeriirz's 
du redhtfertigen feinen, wie wir weiter unten feben werden. 
Der dritte Teil enthält zwei Hauptgegenflände, von der 

hen der eine die Slawen allein und ausfchließfich angeht: daB 
ir die Unterfachungen über das ſlawiſche Altertfunt, Über bie 
webreitung dieſes Votksftanimes in den älteften Zeiten, wo es 
bereits die Hauptbeodtferung Europas dargeftellt Hätte, bis es 

Iter überall zu Sklapen gemacht worden: über bie altflawiſche 

thologie, in der fi der urfprüngliche europätfche Mythus 
am rei und unverfätfhteften erhalten habe, ſodaß fie jet 
das einzige und wichtigfte Mittel zur Erfärung aller europät- 

em Mythologien fei, wie ei B. eine Menge griechiſcher Göt- 
ternamen erft aus dem Siawiſchen erklärt Werden koͤnnen. 
Der andere Hanpttheil des Buchs bezieht ſich auf die Hr 
der Frage, was will bie ſlawiſche Philofophie und weiches i 
tr —RX zu ihren Borgängerinnens Mit dieſem Gegen 
de beginnen die BVorlefungen. Die erfte Eigenſchaft ber 
ifgen Phitofophte ift der Glaube an die Vothwendigkelt 
des Opfers, det Uufopferung nicht nut der Mergangenpeit, 
gen auch feiner felbft und feiner Rechte zum Beten der 

(gemeinhelt; bie zweite Tigenſchaft die Erwartung, das 
Streben nad) der Zußunft, nad, einer Offenbarung, u, in 
Bie gegemmärtigen Qerhältniffe einer volltommenen Umſturz, 
ei vollfommeneß Gebäude na den Grundfägen der dpriftlichen 
Xiebe aufführen werde. Das Mittel zur Realifirung ß hoher 
Swede beftche in der Begeiſterung, melde gegenwärtig Dur 
Die Porfie, vornehmlich aber durch die poiniſche repräfentirt würde. 

das Dichtergenie muß die polnifh » ſiawiſche gukunft er: 
füßt, durch daffelbe der ganzen Nation offenbart werben. Das 
ber Beruf der ſlawlſchen Dichter in der Gegenwart. Sie 
ıben Denfelben theild ſchwacher theils fhärfer anerfannt. 
ar tritt dieſes Bewußtfein bei dem Berfafler der — 
Eombdie und in Zaleski'6 „Duch od Stepu‘ herborz ſchwaͤcher 
Bei Puſchtin, deſſen Sedichi „Der Prophet” diefen Beruf leife 
ambeutet; umficher iR des Berf. Urtheil über Rollar, deffen 
Werke fowie die der Öftreichifchen Slawen überhaupt Mickie: 
wicz nur oberflächlich und ——— nur don Hörenſagen 
defannt find. Im defto größerer Wollftänbigfeit gi der Verf. 
den Geiſt und den Inhalt der „Hölifchen Komödie” wiedet, wel 
ges Drama allerdings einzig in feiner Art und fo erhaben 
durch innern Werth wie durch Tendenz über allen neuern Dra» 
men ber Gegenwart ſteht, daß die Polen allerdings fehr vet 
daran thun, dieſes große wahrhaft genlale Werk immer wieder" 
durchzuatbeiten Die ausfpliegligpe Beurtheilung der europäl- 
Then Phitofophie beginnt aber erft 9.224. 

Dem Berf. ift bie gegenwärtige Richtung bet deutſchen Philoſo⸗ 
phie durchaus fKolaftifch, an einer andern Stelle Mieder daraus 
preußifch, anderwärts endtih durchaus preteftantifdg, swie unter 
andern ihr Entftehungsgrund beweife, da das durch bie Reformar 


















Son gerne Band bes keligidſen Gemneintebens bie proteftanti- 
je Geiſtlichkeit gen iſolirt hingeftelit und fie fo zu ber abfteacteit 
berufation verleitet oder dur&) Den Mneren Buchftibengmang 

ber Spmbolifhen Bücher, über die man nicht habe hinausgehen 

bürfen, — jen Habe. Von da an habe das abitracte Den 

Een eine folde Gerriaft in Norddeutſchland erfangt, daß es 

nicht möglich geweſen wäre, derfelben Einfluß oder nur Begie- 

hung zu dem praftifken Leben zu verichaffen. Wie weit dieje 

? ilofoppie in diefer Hinficht qurüd fei, beweife der, Umftand, 
ab Hegel felbft Preußen für das Ideal des guten Staats ge: 
alten und durch die Kachricht von der Jufirevolution in den 
Jöchften Zorn und bie größte Trauer verfegt worden ſei; der 

polnifche Aufftand habe feinen füßen Traͤumen noch den Reft 

gegeben. „Ihm ſchien es nämlich, die Menfchheit hätte ſchon 
nichts weiter zu. thun als nur die Glüuͤckſeligkeit des Dafeins 
genießen, Welhes fle in den Formen ber fraͤnzoſiſchen Monar: 
ie, des uffen und oſtreichiſchen Ba errungen, hat 
deren Mufter aber und Typus die preußifhe Monarie dar.” 

&o habe denn weder er noch feine Nachfolger „eine Neuerung 

in der Politik gemacht; fie denen, daß die deutſchen Staaten 

das Biöchen Zreiheit, welches fie genießen, Frankreich und zum 

Theil Polen ſchuldig find. Der gegenwärfige Zuftand der Dinge 

vieler biefer Reiche wurde nad dem Sturze Napoleon’ uml 

geößtentheits nad dem Mufter der feanzöfifchen Revolution ein: 
geführt. Der frangöfifepe Givilcoder wirkte ebenfalls farf auf 
die Gefeggebung der deutſchen Länder ein, namentlidy ber Pro: 
vinzen, zu Preußen gehören. Daß aber in diefer Veräns 
derung fic) etwas wührhaft Deutſches vorfände, dab der Fort: 
fbritt deutſchet Philofophie zur Widerung der Lage Deutfch- 
lands in itgend etwas beigetragen päte, iſt durchaus nicht zu 
bemeifen.” (S. 300.). Ja, wege fogar_ noch weiter, indem 
er ed mit einer fehr fcharfen Betonung hervorhebt, wie „die 

Hegelfde Schule in Parteien zerfallen, die fih die Ramen der 

teten Seite, der linken Seite und der Mitte, wie in. den 

feanzöfifhen Kammern geben, und öfters, um nur ben Deut: 
hen felbft begreiflih zu maden, was unter ihnen vorgeht, 
müffen fie zu det politischen Sprache Frankreichs ihre Zuflucht 
nehmen. Bir wiederholen eſs, die Deutſchen verftchen fi 

fetbit nicht mehr untereinander, nur wenn fie fi Frangöfile 

ausdrüden.” (@.426.) Uns fceint Diefer legte Worwurf offen 
geftanden an fi nicht von Bedeutung, fondern dient hödhftens 
als Beweis, daß die allgemeine Bildung au in politiſcher 

Hinſicht In Deutfchland weit über die gegenwärtigen polit 

Zuftände hinaus ift, worin zugleich die — Garantie liegt, 

dag au die politiſchen Veränderungen nach dieſer Seite hin 

unaufpaltdar find, daß fie aber jedenfals auf fricblihem Mege 
erreicht werden; denn nur ſolche neue Zuftände, deren Zülle von 

Einzelnen, Wenigen erfannt wird, müffen dur, Crfdütterun: 

‚gen herbeigeführt werben. Das beweifen die Sitte Polens 

u deutlich, ald daß fie Mickiericz hätte verkennen folen. Als 
jermittelungsorgane zwiſchen der deutſchen und der ſiawiſchen 

Philoſophie ficht Mickierwicz zunaͤchſt Eiedzkowati an, der unter 

der Aufren Scufe ber deufhen p —2 — Methode polni« 

ſchen Geift verberge und mit feinen Schriften erfdütternd un⸗ 
ter die Häupter ber deuiſchen philoſophie trete. Seine Ber- 
venftändigung ndd) der. teligiöfen Seite 

mit den Deuffäpen veligiöfen, Philofoppen 

Kriterium der Wahrheit nit in den al 

dert in den Geift fegt. Diefe beiden I 

märtig füt bie größten Peiofont en Ei 

von deneh man überhaupt etwas Dauerr 

warten dürfe. Ob und inwieweit Mic 

wartungen derechtigt ilt, Das zu unterf 

Kefern felbft überlaffen; es ift dies bie ir 

tigfte Partie bed vorliegenden Tpeild; | 

Menfpeit, Unfterblifeit, Glaube, Gott 

Weiſe beſprochen, die Anfichten der weile, u 

ner der Gegenwart und Mergangenheit von einem beitimmten, 

feften aus auf ve md Mate Seiſe behan · 

delt, daß ’felbft Diejenigen, welche eben dieſes Princip negiten, 








376 


e8 SIntereffe diefe Partie des Buches durch⸗ 
Uns gendgt «8, darauf aufmerkſam zu machen, 
und die Worte zu wiederholen, welche der Überfeger in feiner 
Borrede an Deutfihlande Gelehrte richtet: „Die aufgellärten 
und biedern Männer Deutſchlands, denen wir biefes Wert 
widmen, werden erfucht, die erhabenen Wahrheiten, die ber 
Verf. feinen Zuhörern im lebendigen Vortrage Mar verftändlidh 
und fühlbar gemacht, volftändig und umfaflend zu würdigen 
und durchzuarbeiten.” Die legte Vorlefung enthalt eine Re 
capftulation des Inhalts der erften drei Theile, gleichſam das 
Slaubentbefenntniß des Berfaflers. 


(Der Beſchluß folgt.) 


nicht ohne inn 
geben werden. 





Notizen. 
NRaturbeweis eines künftigen Dafeins. _ 
Die Erſcheinung der Auflöfung bietet einige der Marften 
Beifpiele von volftändiger Veränderung koͤrperlicher Gegen: 
\ Bände ohne deren Vernichtung dar, wir find aber an biefe 
eränderungen fo gemöhnt, daß, obgleich die aufgelöften Sub- 
ftanzen nicht mehr erfannt werden Föonnen und in ihrem neuen 
Zuftande vollfommen unſichtbar geworden find, wir Doch Eeinen 
Yugenbli lang annehmen, F irgend ein Theil von ihnen 
verloren gegangen fei. Die Auflöfung eines Studies Zuder in 
einer Theetaffe ann als ein ganz einfaches Beifpiel angeführt 
werden. Der harte, kryſtallifirte Zuder wird in den Thee ge: 
taucht und verfchwindet nach kurzer Zeit völlig. Wenn Je: 
mand eine ſolche Erfcheinung zum erften Male erblidite, würde 
er glauben, der Zuder gebe gänzlich verloren, und geneigt 
fein, deſſen Verſchwinden einer Zauberei zuzufchreiben. Wir 
find aber Alle fo gut mit dieſem Vorgange befannt, daß wir 
aufhören diefe Erſcheinung für unferer Aufmerkſamkeit werth 
u balten, und wiffen daß der Zuder nichts an feinen Eigen: 
thümlichkeiten durch den chemiſchen Proceß verlor, der ihn für 
die Organe des Gefihtd und Gefühle unficgtbar macht. Der 
Zuderftoff Fann ja dur das Abdampfen der Fluͤſſigkeit bis 
zur Trockenheit in fefter Form wiederhergeftellt werden, indem 
das Reſiduum in Zuckerkryſtallen befteht, welche gerade wieder 
ebenfo viel wiegen ald das frühere Stud. Wenn uns nun alfo 
die Erfahrung lehrt, daß diejenigen Operationen, die man ge: 
woͤhnlich für die zerftörendften Hält, in der Zhat nicht ein ein: 
ziges Theilchen der Materie zerftören, und wenn wir lernen, 
daß dieſe Operationen felbft nichts Anderes als die Wir- 
kungen neuer Eombinationen find, gaͤnzlich abhängig von der 
Dperation der legtern, fo erhalten wir dadurch zunehmende 
Gewißheit der unmwiderlegbarften Art, analogifh die künftige 
Fortdauer zu beweifen. Wir begreifen —* daß es dieſen 
Vorgängen, welche die Geſtalt der Körper verändern, unmög⸗ 
lich fein würde, die legten Partikeln der Materie zu zerftören, 
weil diefe Vorgänge felbft bloße Wirkungen der ſchon vorge: 
angenen Wirkungen find, und nur anzeigen, daß die neuen 
ombinationen vollendet find. So müflen wir denn in Folge 
dieſer Maffe von Evidenz, die zu groß ift ald daß man he 
widerfteben Fönnte, glauben, daß die Elemente der Materie, 
welche jemals erfchaffen worden, nur durch die directe Vermit— 
telung der allmächtigen Kraft, die ihnen das Dafein gab, aud) 
wieder zerftört werden können. Folglich: Die Veränderungen 
die beim Zode eintreten find nicht bedeutender, und gewähren 
keine entfchiebenere Anſicht der Vernichtung als die Auflöfung 
des Zuckers in Waffer. Wenn wir nun diefe Zhatfachen bin: 
fihtlich der Ungerftörbarkeit der Materie zufammenftellen, und 
unfere Unfähigkeit in Betracht ziehen, unmaterielle Stoffe zu 
unterfuchen, fo erhalten wir dadurch die triftigften Gründe 
zu der Überzeugung, daß der Geiſt ebenfo unvergänglich ift 
als die materielle Subftanz, und erfennen die Unhaltbarkeit der 
Einwürfe, die man gegen die abgefonderte Eriftenz der Seele 
5108 aus dem Grunde erhoben hat, daß ein ſoicher Zuftand der 
Trennung unbegreiflich fei. (Batewelt.) 


Südamerilanifher Waffermangel. 

As Darwin durch Südamerika reifte, beſchrieb mon ihm 
auf dos Ledhaftefte die Wirkungen des legtvergangenen großen 
Waſſermangels und die Rachrichten darüber Pönnen zugleidh 
einiges Kicht auf die Grunde werfen, warum man bier und dba 
nicht felten die Gerippe einer Menge Thiere aller Art aufge» 
häuft findet. „Der Zeitraum zwiſchen den Jahren 1327 — 30 
wird die große Trockenheit oder die große Duͤrre genannt. 
Während diefer Zeit fiel fo wenig Regen, daß die Vegetation 
bis felbft auf die Difteln abftarb; bie Bäche trodineten aus, 
und die ganze Gegend gewann das Anſehen einer flaubigen 
Landftraße. Dies war befonders der Kal in den noͤrdlichen 
Gegenden von Buenos Ayres und dem füblihen Xheile von 
Santa: FE. Eine große Menge Vögel, wilde Ihiere, Heerden 
und Pferde kamen aus Mangel an Zutter und Waſſer um. 
Jemand erzählte mir, daß das Wild in die Höfe zu den Quel⸗ 
len kam, die er hatte müflen ausgraben laſſen um feine eigene 
Familie mit Wafler zu verforgen, und die Rebhühner kaum 
Kraft genug befaßen fortzufliegen, wenn fie verſcheucht wurden. 
Der geringfte Anfchlag des Verluſtes an Zuchtvieh in der Pro: 
vinz Buenos Ayres allein wurde zu einer Million Stüden an⸗ 

efhlagen. Ein Landbefiger in San: Pedro hatte vor diefen 

I ren eine Heerde von 20,000 Stüd, und nad 1830 war 
nicht eins mehr vorhanden. San Pedro liegt inmitten des 
ſchoͤnſten Landſtrichs und ift jegt wieder reich mit Vieh ver- 
fehen, aber denno wurde in dem legtern Stadium der großen 
Trockenheit Vieh zur Speifung der Einwohner auf Schiffen 
dahin gebracht. Das Bieh dad aus den Gehöften nad Süden 
bin auswanderte, war in fo großer Anzahl untereinander ge⸗ 
mifcht, daß eine Regierungscommiffion von Buenos Ayres ab« 
gefhidt wurde, um die Zwiftigkeiten der Eigenthümer zu ſchlich⸗ 
ten. Sir Woodbine Pariſh erzählte mir noch eine andere fehr 
eigenthuͤmliche Urfache zu Streitigkeiten. Da der Erdboden fo 
lange troden gelegen, hatten fi folde Staubwolken gebildet 
und erhoben, daß in diefer ebenen Gegend die Grenzzeichen 
verfehüttet wurden und die Beliger nicht mehr ihre Grenzen 
u beftimmen mußten. Gin Augenzeuge fagte mir, daß das 
Bieh in Heerden von Zaufenden in die Yarana gelprungen waͤ⸗ 
ren, und dann vor Hunger erſchoͤpft nicht wieder die ſchlam⸗ 
migen Ufer hätten heraufklettern koͤnnen, ſodaß fie erfäuft wor⸗ 
den. Der Arm des Fluſſes, der bei San: Pedro vorüber geht, 
war fo vol PViehgerippe, daß mir ein Schifföherr erzählte, ber 
Geſtank daven Habe ihn ganz unfahrbar gemadt. Unftreitig 
famen auf diefe Art mehre Hunderttaufende von Thieren in 
dem Fluffe um. Dan fah ihre in Fäulniß übergehenden Kür: 
per den Strom abwärts fdywimmen, und vicle derfelben wur» 
den ohne Zweifel in die Bucht des Plata abgelagert. Ale 
Meinen Flüffe wurden fehr falzhaltig und Died verurfacdhte an 
einzelnen Punkten wieder vielfaches Sterben, denn ein Vieh 
das folhes Waſſer trinft muß crepiren. Azara befchreibt die 
Wuth der wilden Pferde bei einer folden Gelegenheit, wie fie 
in die Sümpfe ftürzen, ſodaß die welche zuerft Lort angelangt 
von den Nachkommenden überraunt und zu Boden .. gefreten 
werden. Er behauptet, daB er mehr ald cinmal die Gerippe 
von taufend auf diefe Art getödteten wilden Pferden gefehen 
habe. Ich felbft bemerkte, daß Die kleinern Zlüffe der Yampas 
mit einer Breccie von Knochen gepflaftert waren, dies ift aber 
wahrfcheinlich eher die Kolge ciner ftufenweifen Bermehrung 
als einer Zerſtoͤrung auf einmal. Nach biefer großen Trockenheit 
folgte eine fehr regnerifche Zeit, welche hohe Fluten bewirkte. 
Sonach ift ed außer allem Zweifel, daß mehre Laufende vor 
Gerippen durch die Ablagerungen im darauf folgenden Zahre 
begraben wurden. Was würde nun cin Zoologe davon urthei⸗ 
len, wenn er eine fo ungeheure Sammlung von Thierknochen 
aller Art und des Alters in eine dicke erdige Maſſe eingehullt 
fände? Würde er dies nicht eher einer großen Zlut die das Land 
überfhwemmt babe zufchreiben als dem gervöhnliden Laufe 
der Begebenheiten?” 18, 


Verantwortlier Herausgeber: Heinrich Srockzauns. — Drud und Verlag von F. X. Brockbans in Leipsie. 





Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung, 





Sonntag, 


m —— — —— m U — — — 7 





Dramatiſche Buͤcherſchau fuͤr das Jahr 1845. 
Erſter Artikel. 
(Beſchluß aus Nr. 24.) 


il. Horatio, der Mulatte. Nomantiſches Drama in fünf Auf⸗ 
zügen, von 3. C. Anderfen. Frei nad dem BDänifhen 
beacheitet von Le Hetit. Hamburg, Kittler. 1845. 
12. 230 Nor. 

Es ift ein eigenes Schaufpiel um einen Schriftfteller, der 
deutfche Bücher fchreibt, und von der Eonftruction der deutfchen 
Sprache fo wenig weiß, daß er nicht drei Beilen ohne einen 
Gonftructionsbarbarism zu frhreiben vermag. Wenn wir fo all: 
mälig weiter gehen, wohin werden wir endlich gelangen? Dbne 
Zweifel zu einem literarifigen Kinderlallen, das unftreitig fehr 
originel und anziehend fein wird für Ammen und junge 
Mütter! Fuͤr Andere ift der Genuß verloren, der in folchen 
Berfen ruht, wie 

Der Sklav, ber ſchaͤndlich ſich erkuͤhnt, 
Die Hand zu heben wider einen Weißen, 
Nur mit dem Leben ſolchen Frevel ſuͤhnt, 
Zu Tode man ihn geißle, ſoll es heißen. 


und andere. Das Stück ſelbſt ruht auf dem Gedanken, daß 
ein armer SHave, der duch irgend ein Vergeben dem Tode 
verfallen iſt, dadurch vom Untergang gerettet wird, daß Caͤci⸗ 
lie, Gräfin v. Ratet, ihm ihre Hand reicht, indem: 
Gin anderes Geſetz es Inutet: Aber hätte 

Sonſt eine Frau von Abel, freigeboren, 

Den Knecht zum Selten wirklich auserfpren, 

Dann if er frei, und feine Sklavenkette 

Haͤngt man im Schiff ber Kirche auf. KVerzieh'n 

Iſt alle frühe Schuld — Dem Ei’gemal 

Der Dome wird das volle Mecht verlieh’n, 

Derfelbe Rang und Stand, ben fie zumal 

Bekleidet. ... . 
Das Süd fpielt natürlih auf Martinique. Da wir Deut: 
ſchen aber dermalen Feine Golenien und Feine Sklaven zu be: 
fiten fo glüdiich find, fo darf die Kritik nicht erft bevorwor⸗ 
ten, daß das Stück diesfeit der Eider Fein fonderliches In: 
aut erwecken dürftes für Hamburg aber ein Avis au lesteur 
ein mag. 


12. Imgrund, ober die wieberverfähnte Eidgenoſſenſchaft auf 
dem Tage zu Stans 1431. Gin vaterländifhes Schauſpiel 
in fünf — Bon A. B. Zürich, Drell Jüͤßli umb 

Comp. 1845. 8. 12 Rgr. 

Auch bier fällt Der Nahmen für ein in weiterm Kreife 
we Wirkung beeufenes Hiftorifches Drama viel zu eng aus 
imd läßt nur einer bürftigen Wegebenheit Raum, die kaum ei⸗ 
nem und dem andern allgemeinen Gedanken Entwicklung ge: 
flattet. Das Gerüft biefer Begebemheit ift das einfachfte: Wal⸗ 
ter Imgrund liebt bie Tochter des Mitters Winkelrieb; die Ber: 





PEN VE Ve „m — — — an ne — — — — — — — — — — — un 


5. April 1846, 


— nn —— 


würfniß der Gidgenofien kreuzt diefe Mebe mit wilden Partei⸗ 
bag, der zum Berfall Des ganzen Bunde gu ne droht s 0 
gelingt es dem frommen und geichieten Bufprich Heinrich Im⸗ 
grund's, des Pfarrers von Stans, die Streitenden zur Beſin⸗ 
nung zu bringen, die Eintracht wieberherzuftellen, und ben die 
benden Herzen auch Außerlih ein Recht gu geben fi auzuge⸗ 
hören. Weltbewegende Ideen läßt ein ſolcher Vorwurf nicht 
zu: die Gefchichte wird zum Bamilienereigniß‘ kurz, es ift der 
Punkt, wo fih Zragdbie und Komödie berühren. So wenig 
wie durch die Erfindung, ebenfo wenig zeichnet fi) dieſe Ar: 
beit duch Sprache ober Bild aus. Die Gefandten der Eid: 
genoffenfchaft Halten lange Neben, die ziemlich treu den Ehro- 
niten entnommen fein mögen und die den heutigen ſchweizeri⸗ 
hen &taatöreden auf ein Haar gleichen; dazwiſchen etwas 
Bollstumult und zwifchen beiden einiger Liebesjammer. Alles 
Dies kann Fein Drama bilden. Summa: es ſcheint dem Verf, 
zum dramatifchen Poeten an. allem Requiflt, ſelbſt am Gemf 
zu fehlen, das Loch fonft unter den Jüngern Apollo’ b 
allergewöhntichfte Befisthum, ja der Boden ift, in dem alle 
Poefie wurzelt und auß dem fie Nahrung zieht. 


13. Die Spielbank. Ein tragiiches Schaufpiel in fünf Auf 
ungen. Belle :Bue, Berlagd : und Sortimentshawblung. 
845. 8. 10 Ror. 

Ein Stück von unbefanntem Berf. und fehr bekannten 
Inhalt. Wir willen ihn auswendig ſobald wir eine Scene des 
Stuͤcks uͤberblickt haben: Spielbank, zerftärte® Glück, Zwei⸗ 
kampf, Tod, unendlicher Jammer, was Tann es anders fein® 
„Hier die Reichen zweier füreinander geſchaffenen Freunde, 
dert eine vor Bram binfchmachtende Braut, dba eine troftiofe 
Mutter und bier ich, der beiammernswerthe Water‘, fo hei 
es an einer &telle des Stud. Wir aber fragen, wer richtet 
nur alles dies Unglüd an? Antwort, der unbekannte Berfaffer. 
Alle diefe Unglücgeftalten wären nicht da, wenn er fie nicht 
vor uns hinmalte. Nicht die Folgen des Spiels, nein, nur 
die Leidenſchaft des Spiels felbft Fanu allenfalls, wiewol im⸗ 
mer nur ein hoͤchſt ungluͤcklicher, Vorwurf des Dramas fein. 
Der Autor kann Ach nicht damit fhügen, daß feine Abficht guf, 
und fein Stück ein handgreifliher Wink für die deutfchen Re: 
gierungen fei, welde die Spielbanken nicht bloß dulden, fon- 
dern felbft privilegiren. . 


14. Gabrielle von Delle⸗Isle, ober die verhaͤngnißvolle Wette. 

Schaufpiel in fünf Mufzügen. Rad Yleranbre Dumas 
qhertragen von 2. Dften. Hamburg, Berendſohn. 1845. 
. gr. 

Wer kennt nicht dieſes geiſt⸗ und relzvolle Schauſpiel des 
beſten Kenners der Regentenzeit unter den ffranzoſen und des 
wisigften Darſtellers ihrer geiſtreichen Abfurditaͤten In dee 
That, Dumas ift in plaftifher Nachbildung diefer unter more 
lifchem Gefichtspunkt fo hoͤchſt merkwürdigen wer under: 
gleichtih ; er ift in biefer Nachbildung, was man aud don ſei⸗ 
ner Leichtigkeit ſagen möge, wahrhaft Dichter, Erklaͤrer ber 


Geheimniſſe der Geſchichte, Sreget der ethiſchen Verirrungen 
vn Fra Wie eur und feltfam doch! Während die 
roße Mafie des Menfchengefchlehts eigentlich in demſel⸗ 
en Zuſtand moraliſcher Ausbildung verharrt, von der Zeit der 
barasnen bis zu unfern Tagen, von Rinus und Seſoſtris 
i6 Robespierre und O' Connell, wie wechſelt der ethifhe Bu: 
fand der höhern Menfchenkreifet Welche Tugenden und wel» 
de Lafter bei den. Perfern, ben Griechen, den Römern, welche 
in Borgia’s Zeit in Italien, welde in der Epoche des Regen: 
ten, Drleans von Franfreih, welche um und neben Marat 
und Barras, und welche endlich in unfern Zagen? Wie ganz 
anders in jeder diefer Epoche, wie unaͤhnlich ſich felbft biefe 
Buftände, und dennoch, wer belehrt uns, ob Kortichritt, ob 
Nücfchritt, und ob wir bie Beſſern fein? In diefem Wechfel 
der höheren Menfchenfitte hat alle Kunft ihre Wiege, bejonders 
aber die des Dramas. Es bleibt ungewiß, wer veinere Sitten 
fehildert, Ariftophanes, Molitre oder Dumas; aber darum, weil 
alle Drei died auf hoͤchſt plaftifche Weife thun, gilt ihr Name. 
„Sabrielle von Belle: Isle’ ift Dumas’ eigenthümlichſtes Stüd 
und die Arbeit des Überfegers ift gut. Hätten wir ben Be: 
ruf zum fittenmalenden Drama, wir würden und Dumas zum 
Vorbild nehmen; ja Laube würde fich bei diefem Vorbilde ohne 
Bweifel beſſer ftehen als bei dem Bictor Hugo's. 


15. Glück, Misbrauch und Ruͤckkehr, oder da8 Geheimniß des 
auen Hauſes. Poſſe in fünf Aufzügen, von Joh. Ne: 
roy. Wien, Walishaufler. 1845. 12. 15 Rgr. 

Diefen etwas ernften Artifel wollen wir mit einer Poſſe 
fihließen, damit uns nicht ber Vorwurf gemacht werde, als 
hätten wir nur Sinn und Auge für die thränenreichen Ka: 

‚ kegorien des Dramas. Wir haben bier Stoff genug zu herz: 

lichem Lachen. Reftroy pi der Meifter der Darftelung der 

abfoluten Albernheiten. eine @ulenfpiegel und feine Bla⸗ 
& find, um mit ihm felbft zu fprechen, in ihrer Art „claſſiſch“ 
haben die beffere Figur Till's, wie die ernflere gute Laune 

Raimund's, von der Bühne verdrängt durch eine unbegrenzte 

Zrivolität; von der Bühne, wo nicht das Beſſere gilt, fondern 

Das Wirkungsvollere. Umfonft fegen wir ihm entgegen, daß 

Raupach würdigere und Raimund poetifchere Poſſen darbringt, 

Reſtroy gibt effectoollere. Die Gattung tft dergeftalt fingulair 

und gehört ihm in ſolcher Art allein an, daß wir Niemand 

rathen wollen, feine Ragahmung zu verfuchen, wenn er nicht 
ſchmaͤhlich ſcheitern wi. Denn bei aller Tollheit liegt in Re 
ſtroy doch immer ein Ernſtes zum Grunde, und zieht fich wie 
ein Goldfaden auch durd, feine anfcheinend frivolften Erfin- 
dungen. „Warnung vor Übermuth im Glück“ iſt in dieſem 

Stüde jener Goldfaden; aber die Art, wie er eingemebt ift, 

flört den Ladfinn nicht, auf defien Erregung es dem Autor 

doch vorzugsweife ankommt. Reſtroy's Maskenſpiele find nicht 
fo edel als die Gozzi's; aber fie find lachſtoffhaitiger als unfer 

gefammtes norddeutſches Luftfpielrepertoire. *) 19. 





Vorlefungen über flawifche Literatur und Zuftänbe. 
Schalten im College de France in den Jahren von 
1840— 42. Von Adam Mictiewicz. Dritter 
und vierter Theil. 

. ( Beſchlus aus Nr. 9.) 


Ir vierte und legte Theil der Vorlefungen Mickiewicz's, 
—** an Umfang als jeder der vorangehenden, und dennoch 
reicher als jene, ba er die ganzen, ebenfo tief poetiſchen 

als philoſophiſchen Anfichten des Verf. über Religion und Po⸗ 
Utif und bie zukünftige Sefaltung beider enthält, ift mit einer 
Enwhaſe, mit einer aus jedem Worte bervorauellenden, wahr: 
dei propbetifchen überzeugungskraft gefihrieben, welche unwill⸗ 
lich den Lefer in die innere Aufregung verfegt. Man ahnt, 


7) Den zweiten und legten Artikel geben wir im Monat Mai. 
D. Red. 


der entfgeidende Moment, die Krifiß fei gekommen, welche die 
Beitrebungen des Dichters in Wirklichkeit, in Fleifh und Bein 
verwandeln, oder aber fie gleich Seifenblafen zerplagen machen 
und als fruchtlofen Kampf gegen eingebildete Gefpenfter dem 
Belächter der profanen Menge preisgeben müfle. Was zunächfk 


| get eben ift, haben die Zeitungen genügend berichtet 3 die Ab⸗ 
n 


ankung Mickiewicz's und, wie es fcheint, die legten Ereignifie 
geben uns hinreichende Fingerzeige. 

Ale Bewegung, welde im Norden und Dften Europas 
fih regt, ift die Wirkung des Erwachens ber flawifchen Ra- 
tion, meint Michiewicz mit Net. „Diele Race will leben; fie 
fängt an zu leben, und ihr Leben ift unvereinbar mit dem Be⸗ 
fteben der Staaten, welche die flamifche Race beberrfchen.”(!Tt) 
Diefes Leben ‚fol die Zubunft entfalten; die Regierungen aber 
„Klammern ſich mit dem Starrfinn der Bezweiflung an die Ver⸗ 
gangenheit feſt“. Zwar find die Slawen fich ihrer vollen Be⸗ 
ftimmung noch nicht bewußt; aber fie verlangen Hülfe vom We⸗ 
ften, und Mickiewicz bat fi „bemüht, ihnen die Geheimniffe 
ihrer Zukunft aufzudecken“. Run muß er „mit allem $reimuth‘ 
auf die Frage Frankreichs antworten: was die Slawen Neues 
braͤchten. Staatsbündniffe, die jest faft nur auf materiellen 
Ruͤckſichten beruhen, wuͤrden in der Zukunft, damit fie dauernd 
feien, auf geiftige Verwandtſchaft, alfo auf innere Wahrheit 
gebaut werden müflen. Der Kern des moralifchen Lebens des 
polnifhen Volkes iſt gleich dem des franzöfifhen, und darum 
will Mickiewicz in feinem Geifte die „Kraft, die der flawifche 
Genius berbeibringt, mit dem Willen, das den Weſten regiert, 
zu’vereinigen fuchen”, um jene Frage zu entfcheiden. Darum 
werde fein Lehrſtuhl „von heute an zu einem militairifchen Streit- 
poften, zu einer Kriegsſchanze, die Der Genius Frankreichs dem 
Nawifchen Seite, dem Bundesgenoffen des franzöfifchen Volkes 
anvertraut.“ 

Das Hauptwerk, das ihm zur Erklaͤrung jener Frage dienen 
konne, ſei die „Biefiada’’ (von Towianski), deren Vorläufer das Ge⸗ 
dicht „Przedswit“ (Dämmerung) und „Ceſara's Traum”. Allein 
um dieje Werke zu verftchen, muß man eine gewiſſe geiftige Vorberei⸗ 
tung fih erringen, die befonder& für die Zranzofen fchwer fei. Im 
Weiten berrfcht die Doctrin, der Glaube, aus einer einzigen 
erkannten Wahrheit könne dur Formeln Alles deducirt wer- 
den, jede Erfenntniß fei nur durch Dialektik möglich, mit ei⸗ 
nem Worte, die Scholafti, das Syſtem. Allein diefer Grund» 
fag fei durchaus falfh. Alles Große und Erhabene, was die 
Menfchheit je zu Stande gebracht, geſchah durch Intuition, 
durch das Inſichgehen in „Das innere Gebiet, die innere Sphäre‘, 
in dad Land, wohin bie Seele trachtet (nicht der nadte, ſy⸗ 
ftematifivende Berftand), aus welchem Lande alle Völker herge⸗ 
kommen, aus dem aber die Slawen zulegt hervorgegangen und 
derum befähigt und beftimmt feien, die geiftig mit ihnen nachft 
verwandten Franzoſen in daflelbe einzuführen. Allein um ben 
allzu großen Swildenraum zwiſchen der Syſtemmacherei und der 
Intuition zu überfchreiten, fei ein geiftiger Erguß nothwendig, 
feien alle die Bedingungen zu erfüllen, obne welche die Er⸗ 
kenntniß der Wahrheit nicht möglich fei- Die erſte diefer Be⸗ 
dingungen fei die gänzliche Losfagung von aller Doctrin. Rad 
diefer negativen Bedingung folge eine pofitive, die Zubereitung 
des eigenen Geiſtes zum Empfange der großen Wahrheit, bes 
neuen Evangeliums. Worin beftcht aber dieſe Worbereitung? . 
Der Berf. iſt ſehr zurüdhaltend mit feinen Offenbarungen: , 
ehe er fie verfündet, fcheint ihm noch ein langer „Berfuch nö- 
edle, das religiöfe Leben der Patholifchen und der oͤſtlichen Kirche 
in den flawifchen Ländern, die Beziehungen zwifchen diefem Le: 
ben und demjenigen, das fi in Frankreich entfaltet, und Die 
Bedingungen darzuftellen, unter welchen Frankreich auf die 
Mitwirkung ber flawifchen Bölker zählen kann; ein Verſuch, 
Dasienige zu erflären, was man unter Symbol, Ahnung, ho⸗ 
ber Poefie und DOffenbarung verftehen darf; ein Verſuch, den 
Einfluß zu beftimmen, welchen die Ratur des Nordens auf den 
Geift der flawifchen Völker ausübt; ein Berfuch, die Barbarei 
im Allgemeinen zu definieren und ben Einfluß der Barbaren 





auf das Mittelalter und die civilifirten Boller“ zu erklären 
(&. 22). Alle diefe Dinge, die Mickiewicz bier berührt, fallen 
in den einen Begriff der Intuition als ihren Ichten Erklaͤrungs⸗ 
grund zufammen; und darum fteüt er zunaͤchſt eben diefen Be: 
griff fell. Die Intuition iſt wirklich vorhanden, das 
ift der Hauptfag, auf deſſen Beweis hier Alles ankommt. ie 
zeigt fih dem Berf. in der Kunſt; hier trete man mit bem 
Künftler in unmittelbare geiftige Wechſelwirkung, ohne Gedan⸗ 
Ten zu denken fühle, ahne man den geifligen Hauch des Berf. 
Daſſelbe Gefühl der Unmittelbarfeit zeigt fi) in der Bewun⸗ 
derung der Ratur, jeder großen Zhat. Der Berf. halt dieſe 
Intuition, die unmittelbare Anjchauung, die äfthetiiche Begei- 
fterung, die bier obwaltet, für die wahre Quelle jeglicher Er⸗ 
kenntniß, wenigftens der hohen Wahrheiten, und fagt vorher, 
auch die Erfenntniß der politifhen und philofophifchen Wahr: 
heiten werde und müfle bald eine fo unmittelbare werden, frei 
und ohne jcholaftifche Formen und Syfteme errungen. Und das 
ift wol der Schlußpunkt feiner ganzen Philofophie. Die Ein- 
wirkung der Kunftproducte, der Natur, die Bewunderung eis 
ner großen That faßt Die jegige Schule der Philofophie als 
äfthetifche Erkenntniſſe auf ıınd trennt fie ftreng von den logi⸗ 
ſchen oder philofophifchen. Ob Mickiewicz fie mit Recht den» 
ſeiben Gefegen unterwirft wie die legtern, das zu entjcheiden 
müffen wir den deutfchen Philojophen überlaffen, denen er S. 25 
jede Möglichfeit dies zu begreifen abfpricht, da Schelling zwar 
ähnliche Augenblicke der Intuition gehabt und in foldyen die 
Rothivendigkeit feines „philoſophiſchen Organs“ erkannt, allein 
bis jegt vergeblich fi) bemüht habe, die „allgemeine Entrüftung” 
der deutfchen Philofophen zu bewältigen. Ia „die Berliner 
fühlen diefen Mangel; darum werden fie auch wild gegen Alles, 
was Begeifterung, was injtinctmäßige Eraltation ift; Eur 
gegen Alles, was dem anatomifchen Secirmeſſer der Scholafti 
entfchlüpft und im Menſchen ein Organ des höhern Lebens vor. 
ausſetzt“ (S 25). Und doch „enthält diefe Rührung Das, 
was das Zieffle und das Böttlihite im Charakter des Men⸗ 
ſchen ift; fie beurfundet das Dafein des Degant der großen 
efühle, die Quelle der großen Thaten“ (©. 26). Die Ins 
tuition ift auch bereits durch das Gefeg ind wirkliche Loben 
eingeführt; denn bie Jury bafirt ihre entſcheidenden Urtheile 
rein auf Intuition (8. 58). In diefen Zuſtand der Ruͤhrung 
alfo müffe man fi) verfegen, „um die Kunſt Ki fühlen, um 
die Philofophie zu begreifen und felbft um die Zußunft zu faf 
fen”. Run gibt es ein Bolt, welches in diefem Zuftande fich 
bereits befindet, die Slawen, und ein zweites, in welchem die 
meiften Glemente zu demfelben entwidelt find, die Franzofen 
nur diefe beiden Völker alfo haben eine Zukunft. Die materia- 
tiftifhen Volker dagegen, die an der Doctrin bangen, bie Deut: 
ſchen und Engländer, die Völker der Vergangenheit, halten 
diefen Entbufiasmus für myſtiſch, phantaſtiſch; er fei 
fhön, aber nur als Poeſie, als Kunft, müffe aber von der Po» 
fitit und Philoſophie ftetd ausgefchloffen bleiben. Und doch ſteht 
es feft, daß nur fol ein Entdufiasmus das Chriftenthum ge: 
ſchaffen; der Mangel eines foldyen ift das wahre Heibenthum, 
welches jenem auch in der Zukunft unterliegen müfles denn Das 
Bolk dürfte nach diefer Klamme, welche den Menfchen fich felbft 
wieder zurüdgäbe. Volk nämlich heißt unferm Verf. „der Manır, 
welcher leidet, welcher aufftrebt, der geifteöfreie Mann, der 
nit mit Beinen, gen fertigen Syſtemen ankommt“ (&. 29). 
Und auf diefen wire der Enthufiagmus unmittelbar. Ihm alfo 
müffe man ein Ideal aufftellen. Wer es volllommen gibt, ift 
ein „vollftändiger Menſch““. Und einen folchen verlange das 
flawifche Volk, nicht die beftialifche Wuth der Leidenſchaften, 
wie man fie in der franzoͤſiſchen Revolution aufgeftachelt, Pi 
dern „Däupter will es haben, an welchen man den göttlichen 
Charakter wieder erkenne, und eine Gefepgebung,, die man als 
— anerkennen koͤnne“. Sie kommen zu Frankreich, die 
Blawen, damit dieſes ihrem „geeielten Geifte das geheime Lo» 
fungswort zu hören gebe” (8. 33). Früher befaß Die Babe 
ber Intuition die Kirche; jetzt hat fie diefelbe verloren, fie hat 


* 


fi aus Zurcht vor den Megierungen don dem Bolke und der 
in ihm glühenden Bewegung losgeriſſen, die Laien haben fie 
überholt, fie iſt unfähig, die Welt weiter hin zu führen. Den 
fiderften Beweis davon Liefert ihr Verhalten zu Polen, das fie 
im Stiche gelaffen, obgleich es das alerfathotifäfte Bolt war. 

‚ „Und nun folgen jene furchtbaren Angriffe gegen die amtliche 
Kirche, deren Wucht die franzöfifche Geiſtlichkeit zum offenen 
Kampfe gegen die Univerfität aufwedte, und deren Cha⸗ 
rakter vortrefflich durch „Cefara’d Traum“ dargeftellt wird, 
worin Die alte Kirche mit dem Papft zufammenfturzt und die 
neue Kirche der Zukunft durch eine Schar polnifher Pilger ges 
rettet wird. Nur eine einzige Rettung gibt es für die amt- 
liche Kirche: wenn fie fih aus dem Volksgeiſte verjüngt. Und 
darum mögen ihre Männer „damit anfangen, ſich zu demüthi⸗ 
gen, fich innerlich felbft zu verleugnen; und fühlen jie fich nicht 
berufen, große und gewaltige Männer zu fein, fo mögen fie 
fi nicht mehr die Soldaten des größten und gewaltigften aller 
Geifter nennen, die Soldaten Iefu Ehrifti, fondern ſich zu den 
gewöhnlichen Arbeiten des Lebens wenden”. Und wagen fie es 
nicht mehr, von Wundern zu predigen, um ſich vor den Pros 
teftanten nicht läcderli zu maden: „Nun wohlan, auch 
ohne fie und felbft gegen fie wird dieſe Kirche gerettets und 
weil fie es nicht wagen, fo wollen wir es ausfprechen: fie wird 
durh ein Wunder gerettet werden” (S. 52). Kein Wunder 
fei ed unter foldhen Umfländen, daß dis polnifche Kiteratur von 
der amtlichen Kirche verdammt werde, da ſie echt prieſterlich 
ſei, aber prophetiſch und erhaben uͤber den Geiſt der amtlichen 
Kirche; denn zu wem Gott nur einmal geſprochen, der wiſſe 
Alles, und wer nur einmal zur Intuition ſich emporgeſchwun⸗ 
gen, der ſtehe Hoch über allen Formeln der Scholaſtik. Und 
gerade in dieſem Charakter ber flawifchen Philoſophie und Über: 
lieferung liegt die Schwierigkeit, die philoſophiſche Sprache 
derfeiben begreiflich zu machen. &o gibt es ſchon für bas 
Wort Duch, Geiſt, Geiftigkeit, Fein völlig entfprechendes in 
den weftliden Sprachen. Darum zeigt der Verf. durch eine 
lange Unterfudhung, was das „Werk des Geiſtes“ iſt. Geiſtig⸗ 
keit, Duch, zeige fi) am beutlichften in der Kunft, aus dr 


fucht Mickiewicz alfo den Begriff zu erflären, und bringt eine , 


Reihe der vortrefflichften Ideen über Kunſt herbei. . Jedes Kunſt⸗ 
werk ift dad Nefultat einer Bifion, einer Intuition, die der 
Künftter gehabt, als cr daffelbe concipirt, der Geift des Indi⸗ 
viduums bat fi ihm als Nejultat der ganzen Claſſe offenbart. 
Dieſem nach ftellt die Sculptur mehr irbifche, die Malerei 
dagegen himmlifche Beifter dar. Woher nun die Erfcheinung, 
daß die Slawen weder Sculptur noch Malerei haben? Wie 
befigen alle diefe Viftonen bereits in ihrer Phantafie, in ihren 
Sagen und Liedern zu Geſtalten ausgeprägt; ihnen reicht Die 
Natur aus, den Inftinct des Wunderbaren zu weden, während 
im Weften die Kunft taufenderlei Mittel dazu anwenden müfle. 
Uns wundert, daß der Verf. hierbei auch die Muſik ganz ver- 
gelten, jene Kunft, weiche das Geiftigmenfchliche am unmittel- 
arften zu repräfentiren feheint, und die nach den plaftifchen 
und den Redekünſten die dritte Potenz darſtellt. Mickiewicz 
fährt dann fort, darzuſtellen, wie die Kunft erſt Perfonen «, 
und dann Familienkunſt geweſen fei, und wie fie in der Bus 
kunft die Völker in ihrer Ganzheit auffaflen werde. Gr zeigt 


dies an den Beifpielen Rapoleon’s, welcher „der Erztypus der 


neuen Kunft” iſt. Nach diefer Theorie der Geiftigkeit bedarf 
der Berf. aber noch, che er an bie Offenbarung der „Biefiada”’ 
geht, die Erklärung des „Wortes“, le verbe, welches ihm 
„der Leib und der Geift a durch das dem 
Menſchen ne göttlide Feuer” ıft (S. 89), und das er 
fpäter (&. 104) fo ziemlich gleich mit Energie” fegt. Den⸗ 
felben Sinn bat die den Upofteln verliehene Gabe der Zun⸗ 
en, welche zwar bie amtliche Kirche hätte erben folen, bie 
e aber verloren hat. Sept fei Das Wort nur nody im Beflg 
einiger Völker, welche ſich nicht fo wie die amtliche Kirche ge 
cheut Haben, fich felbft ihr eigenes Ich zum Opfer zu bringen 
ur dieſes „Wort“, das die Volker der Erbe erwarten. Denn 


eben nur die Aufopferung feiner felbft, daß man fein geiftiges 
Sch dem Gelächter de8 baufens, dem Hochmuth des Haſſes, 
den Angriffen der Intelligenzen und Leidenfchaften u 
befähige den Menſchen zum Empfange des „Wortes“. Dieſes 
Dpfer aber hat bie amtliche Kirche verſchmaͤht, während außerhalb 
ige e Dipfer gebracht worden find, und einzelne Männer in 
deu That verſucht haben, das ‚Wort‘ auszufpredden. Das 
„Vort“ ift demnach die ganze moraliſche Kraft, welche ben Men: 
ſchen phyñſch und geiftig nährt und ihn zu Allem befähigt; 
dee Mangel deſſelben ift die Quelle alles materiellen Elends. 
So liegt alfo in dem ‚‚Worte‘ aud die Löfung der nationalöfo- 
nomifchen Frage, welche die Gegenwart bewegt. 
Dieſe Frage, zuerft von ben Polen aufgeworfen und zum Theil 
beantwortet, bann von ben Franzofen aufgenommen, erfaßt Mickie: 
wicz fo, daß er ploͤtzlich erklärt, Urfache zu haben, die „Biefiada‘‘ 
nicht -vorgulefen, fonbern ſich unmittelbar zur Unterfuchung ber 
Borfrage wendet: Woher fommen wir und wohin geben 
wir, von deren Loͤſung jede andere Frage abhänge. Die Theo 
logie der Geiftlichkeit fei nicht im Stande mehr, jene Frage 
n löfen; bie weltlichen Philoſophen intereffiren fi bei der Er: 
borfgung der Wahrheit nur dafür, daß ihe Name berühmt 
werde; alfo feien auch fie unfähig, jene Frage zu löfen. Auch 
Fammerten ſich die Staatsmänner nichts um bie Theorien ber 
fegtern. Darum ift gegenwärtig jede Autorität in Religion 
und Politik vernichtet — das unverkennbare Zeichen einer „uni« 
verfellen Umwaͤlzung.“ Died geftehe man in Frankreich felbft 
ein, unter den ®lawen fühle man es ebenfalls und halte ſich 
für verpflichtet, Frankreich auf die daher drohenden Gefahren 
aufmerffam zu machen; fo fogar mehre ruffifhe Schriftfteller, 
deren Ausſprüche citirt werben. Nicht um ein politifche Sys 
ſtem, um BBerfaffungswechfel handle es fi; denn Europa hat 
elle Syſteme von der ruſſiſchen Autokratie bie zur ſchweizeri⸗ 
ſchen Demokratie und ber patriarchaliſchen Berfaſſung Mon« 
tenegros, und demnach genuͤge keins dem Bedurfniß. Was 
num aber die Hauptzüge jener Umwaͤlzung fein würden, gibt 
der Verf. nicht weiter an, fondern beiäpäftigt fi ftatt deffen 
mit der Beftimmung bes Begriffd „Werth, welchen Begriff 
die chriftliche Kirche abermals ganz vergeflen habe. Aller Werth 
berubt im Geifte, in der Energie, in dem lebendigen „Vorte.“ 
Dieſes Wort fei „Leib geworden”, und zwar dur Chriſtus, 
welcher der Nepräfentant der Menfchheit, fowie Ulerander der 
Repräfentant der griechiſchen, Julius Caͤſar der roͤmiſchen My⸗ 
thologie und Napoleon der Repräfentant des alten Ehriften- 
thums ſei. Run erwarte die Welt einen Repräfentanten des 
neuen Chriftenthums, der neuen Dffenbarung. Michienia ſelbſt 
erklaͤrt jich für einen „Funken, der von dieſer Fackel abgefal⸗ 
len,“ deſſen Sendung es ſei, der Welt dieſes zu verkündigen; 
er erklaͤrt ſich „im Angeſichte des Himmels für einen lebendi⸗ 
gen Beugen ber neuen Offenbarung“ und fodert feine Zuhörer, 
Polen. wie Franzoſen auf zu antworten, ob eine folde neue 
enbarung da ift und ob fie ihn für einen Verkuͤndiger der: 
felben halten. Das donnernde „Ja“ der in ftürmifcher Ekſtaſe 
bebenden Zuhörer erfchaflte damals bald in allen Beitungsbe- 
richten durch ganz Europa und machte nicht geringe Senfation. 
beſchloß aber zugleich auch die weitere Wirkſamkeit des Verf; 
denn bie vier folgenden Vorleſungen, in denen er einen Rück⸗ 
blick auf feine ganze bisherige Wirkſamkeit wirft, und endlich 
: bie Refultate, das große Wort feiner Sendung audfpricht, bes 
fhränten fi ihrem innern Inhalte nad rein auf Ddiefelben 
Sheen, welche wir in ben vorhergehenden Theilen zerftreut und 
unter verfchiedenen Geſichtspunkten mobificist yorfanden; noch 
einmal ſpricht Mickiewicz, zum erſten und letzten Male, wie 
er m von feiner eigenen Perfon, von der Wichtigkeit ſeines 
Berufs, den er nun erfüllt habe, und tritt Dann mit einer be 
geifterten Apotheofe an Napoleon auf immer von feinem Poften 
zurüd. Bald darauf erfolgte feine Buspendirung und endliche 
Abdankung, feheinbar zwar freiwillig, aber jedenfalls dureh die 
feanzöfifche Regierung felbft veranlaft. 
Es liegt und zu fern, den ganzen Effect der vierjährigen 


Lehrwirkſamkeit Rickiewicz's bier näher zu erörtern; doch bürgt 
der legtgenannte Umſtand, fowie die Maffe von Freunden, melde 
der Profeſſor fih an dem College und felbft unter feinen Amts» 
genoflen erworben hat, fowie endlich die Vorrede, mit welgher 
drei Pranzofen im Ramen der franzöfifchen Ration biefen vier 
ten Jahrgang ganz Frankreich anempfehlen, als hohe Offenba⸗ 
tung von endlofem Intereffe, binlänglih dafür, daB Rickie⸗ 
wicz 8 Auftreten am College de France nicht ohne Erfolg ge 
wefen ifl. Bir haben es hier blos mit feinem Werke zu thun, 
und: da geftehen wir effen, vap ed eine allfeitige Beachtung ber 
deutſchen Yubliciften und der deutfchen Philoſophen im hoͤchſten 
Grade verdient. Zwar mug der Hauptwerth des Werks vor: 
züglich negativ fein; allein gerade um fo nuͤtzlicher dürfte es 
deshalb für Deutfchland fein, Pennen zu lernen, was ein gei⸗ 
ftig fo Hochgeftellter Mann über deutfches Wiffen und deutſchen 
Rationalgeift denkt und ohne Rückhalt der Nation förmliy ind 
Geſicht wirft. Möge eine Antwort von deutfcher Seite nicht 
ausbleiben, aber eine gediegene, auf den Kern ber Sache ein» 
dringende, ebenfo rüdhaltslofe Antwort, wie der Angriff. c& ift- 


& P- Sorbau. 


Bibliagraphie. | 

Ahrens, H., Das Raturrecht oder die Rechtsphiloſophie 
nach dem gehenwärtigen Zuftande diefer Wiſſenſchaft in Deutſch⸗ 
land. Rah der 2. Ausgabe beutfh von A. Wirk. Braun—⸗ 
ſchweig Weſtermann. Gr. 8. 1 Thlr. 10 RNRgr. 

urgwardt, H., Heinrich Peſtalozzi. Ein Buch für 
Itert und Lehrer, beſonders für Mütter. Altona, Lehmkuhl. 
2. r. 

Gerbert, Abbe P., Skizze des chri ih Roms. Aus 
dem Kranzöfifcehen. Ifte Lieferung. Wien, Mechitariften-Eongr.: 
Buchhandlung. 8. 11Y, Rear. ' 

Hällmayer, 8 Ausflug in die Schweiz. In Briefen. 
Speyer. Gr. 12. Nor. 

Lancizolle, €. W., Über Königthum und Landftände in 
Preußen. Berlin, F. Dümmier. 8. 2 Thlr. 

Protofolle und Abtenftüde der zweiten Rabbiner-Berfamm: 
lung, abgehalten zu Frankfurt a. M. vom 15—28. Zuli 1845, 
Sranffurt a. M., Ullmann. 1845. Gr. 8. 1 Zhlr. 10 Nor. 

Rellſtab, 2., Algier und Paris im Jahre 1830. Neue 
Auflage. Zwei heile. (Der gefammelten Schriften 13ter und 
Biter oder neuer golge ſter und 2ter Band.) Leipzig, Brock⸗ 
haus. Gr. 12. bir. i 


zagesliteratur. J 
WMuͤller, €. F., Das Interimiſtikum der Deutſch-Katho⸗ 
liken im Koͤnigreiche Sachſen und Herr J. Sporſchil. Eiſen⸗ 
berg, Schöne Kl. 8. 6 Nor. 
pautuß, 9. €. ©., Zur Rechtfertigung der Deutſch⸗ 
Fatholifchen gegen Klagen Römifchgläubiger. Eine bifturifape 
und faatörechtliche Beleuchtung. Karlsruhe, Madlot. Sr. 8. 
I Zhir. I : ner. 

Peſchke, 8, Jeſus Chriftus wahrer Gott. Predigt. 
Breslau, Aderholz. Gr. 8. 21, Por. predis 
Schroeter, E., Das deutſch katholiſche Princip allein 
ausreichend. Ein Wort zur Verſtaͤndigung mit den ehrlichen 

inden ber heutigen Kirchenreform. Jena, Luden. Kl. 8. 

r. 
elige, Die Unioeefalteform und der Egoismus. Eine 
Leberfigt über den Bang der Entwidelung der neueften Phi: 
loſophie. Charlottenburg, Bauer. Gr. 8. 4 Rot. 

‚ Bolfart, P.2., Die evangelifch-unirte Landeskirche und 
die auß der römifchen Hierarchie gefchtedenen Katholiken. Pots⸗ 
dam, Stuhr. 8. 5 Nor. 

Das Wort der Schrift: (Mare. 8, 25.) „er warb wieder 
gurecht gebracht, 34 ade Kl fehen a Sendſchrei⸗ 
en eines Gymnafiallehrers an Hrn. Prediger Jonas in Berlin. 
Berlin, Grobe. [815 85 — i Ber 





Berantwortlidher Herauögeber: Heinrih Brockband. — Drud und Verlag von J. X. Wesdhans in Leipzig. 





Blätter 


für 


literarifſche Unterhaltung. 





| Branz Freiherr Gaudy. 
Franz Freiherrn Saudy’s fammtliche Werke. Herausgegeben 


von Arthur Müller. Bierundzmanzig Bände. Berlin, 
Klemann. 1844. Gr. 16. 8 Thir. 

Zu den Dichtern, deren eigenes Leben und Schickſal 
durch einen feltfamen, bunten Wechſel von Glück und 
Unglüf, von Förderungen ‚und Hemmungen ein befon- 
Dered, in gewiffer Axt poetifches Intereffe gewinnt, ge 
hörte auch der zu früh verftorbene Gandy. Schon in 
feinem vierzigften Jahre raffte ein ganz plöglicher Tod, 
duch einen Blut» und Dirnfchlag, den Präftigen Dann, 
- inmitten feines mächtigen Schaffens und feiner umfaffen- 
den Entwürfe bin, nachdem er jedoch an bem Tage ſei⸗ 
ned Todes, den Schluß eines größeren Gedichte, an mel- 
dem er arbeitete, anticipivend, folgende Verſe nieder- 
gefchrieben hatte: 

Da trat, mit fäl’gem Wechfel in der Hand, 

Ein harter Glaͤub'ger plöglich an fein Bett, 

Der Spediteur der Welt, Hand Mors genannt — 
die legten Worte, welche feiner Feder entfloffen. Aber. 
auch fonft hatte er die Ahnung eines frühen. Todes 
mehrmals in feinen Gedichten mit großer Beſtimmtheit 
ausgeſprochen, und fo wenig er feiner ganzen Natur nad 
fentimental war, hatte ſich ihm doch) dee Wunfch zu fter- 
ben in Folge herber Schidfate oft ſehr lebhaft aufge- 
drängt, fo 3. D. in dem fchönen Gedicht „Die Kränze”, 
wo er davon fpricdht, daß ihn ber Roſenkranz ber Liebe 
und der Lorberfrang bed Dichters gelockt, aber beide ihn 
getaͤuſcht haben, und dann fchließt: 

Kur ein dritter Kranz noch funkelt wie ein milder Abend: 


ftern 
Dem vom Schidfal oft Getäufhten — und er ſchimmert 


nicht mehr fern. 
Bor des dritten ernftem Zauber ſchwindet Ruhm und Liebes: 


lan 
Und den Traͤger neibet Keiner, PR ihn erſt der Tod⸗ 
tentran;. 
Wenn Gaudy in eben biefem Gedichte Hagt, baf ber 
Kranz des Dichters, wonach er in ruhmbegierigem Ju⸗ 


gendfinne gefrebt, und von dem er oft gewähnt habe, 


er fireife über feine Schläfe hin, ihm doch immer wie- 
der entſchwunden und wieber ferner denn je geweſen fei, 
fo will er fih offenbar damit nicht über Mangel an An- 
ertennung beklagen, fondern er fpricht bas tiefe und 


fhmerzliche Bewußtſein aus, baf feine Poefie boch im - 
mer weit hinter feinem Ideal, hinter feinen eigenen An- 
foberungen an das Wefen ber höchſten Poeſie zurüdge- 
blieben fei. Wirklich fehlte auch der Mufe Gaudy’s bie 
füße Aufmunterung und Belohnung des Lobes und des 
äußern Erfolges nit, und er hatte ſich gar nicht als 
Dichter über die Ungunft des Schidfals zu beklagen, — 
weit cher als Menſch, obwol bie Widerwärtigkeiten 
und die harten Schläge, die ihn betrafen, zum Theil in 
feinem eigenen Thun und Wefen, in feiner ganzen Indi⸗ 
vibualität ihren Grund haben mochten. Aber dieje In⸗ 
bividualität, dieſes Temperament und biefen Charakter 
hatte er ſich ja auch nicht felbft gegeben, und wer wollte 
ausmitteln, wo das Verdienſt und die Schuld der Frei- 
heit begirmt ? 2. 
Als der Sohn einer vornehmen altabeligen Familie 
(die Gaudy fiammten aus Schottland, die Mutter von 
Franz v. Gaudy war eine geborene Gräfin Schmettomw) 
genoß Gaudy, wie uns bie den Werken voranfichende 
Biographie aus der Feder feines Freundes und des Her- 
ausgebers feiner Werke berichtet, in feinen früheften Jah⸗ 
ven der mancherlei WBortheile, melche Kindern vornehmer, 
begüterter und dabei gebilderter Altern zw’ gute kommen, 
und je nach Umftänden ein bleibender Gewinn für das 
ganze Leben werben können. Bei feinem lebhaften, glück⸗ 
lich organifirten Geiſt eignete er fih auch früh ſchon 
Diele an, zumal da der wiffenfchaftlich gebildete und 
weitfundige Water ſich der geiftigen Ausbildung feine® 
Sohnes mit großem Eifer widmete. Diefer lernte Fran⸗ 
zöfifch und Deutfch zugleich fprechen und las im vierten 
Jahre ſchon beide Sprachen; frühe Reifen, theilnehmende 
Freunde des Haufes, Bilderbücher u. f. w. gaben dem 
raſch fi entwidelnden, Iernbegierigen Geifte des Kna⸗ 
ben reichlihe Nahrung, und fpornten ihn, ſich diefe ſehr 
bald fchon felbftändig zu fuchen. Zugleich jedoch mis 
frühreifer Intelligenz entwidelte fi auch eine große 
Selbſtaͤndigkeit, ja Unbändigkeit des Willens und Cha- 
rakters, welche die fanfte, liebevolle Mutter nicht zu 
überwinden vermochte, und ber Water, welcher feit 1805 
als Militair von feiner Familie abberufen wurde, nun 
auch nicht mehr in ben gehörigen Schranken halten und 
zügeln konnte. Vielleicht wäre e8 überhaupt fehr ſchwer 


geweſen, vielleicht ging auch der Water nicht gehörig in 





das Wefen feines Sohnes ein. Verſchiedene Verſuche, 
ihn in Penſionen erziehen zu laffen, hatten nicht beu 
gewuͤnſchten Erfolg, obwol er in Kenntniffen zunahm. 
In ben 3. 1810 — 12 wurde er, da fein Vater zum 

Gouverneur des Kronprinzen von Areußen berufen wurde, 
mit dieſem bekannt und von ihm mit vieler Güte be- 
handelt; er theilte mit ihm gymnaſtiſche Übungen und 
war fonft öfters in feiner Gefellfchaft. Um diefe Zeit, 
im zehnten Jahre, fing er fhon an zu dichten. In 


Folge des Kriege Hörte der Verkehr mit dem Kronprin- | 


- zen (dev jedoch mehre Jahre älter war als Gaudy) auf, 
und‘ Franz wurbe, weil die Lehrer in Berlin nicht mit 
ihm fertig wurden, nach Schulpforta geſchickt, wo er, 
troh mancher Reibungen, drei im Ganzen glüdliche 
Fahre zubsachte und fehr viel in Sprachen und Wiffen- 
fhaften teınte. Aber nun begammen bie Misgefchide. 
Die Butter, melde den flarren und eigenwilligen Soßn 
richtiger erkannte und würdigte, und immer noch einigen 
Einfnß auf ihm wbte, flarb 1817. Die damaligen un: 
ruhigen Bewegungen auf ben deutſchen Univerfitäten be⸗ 
wogen ben Vater, feinen Sohn, welcher früher hatte bie 
Bechte ſtudiren follen, dem Soldatenflande zu - widmen, 
und fo trat der junge Baudy als Grenadier in das erfle 
Garderegiment zu Potsdam. In Jahresfriſt avancirte 
er zum Offizier, und bei ſeinen einflußreichen Verbin⸗ 
dungen und Belauntihaften fehien ihm eine glänzende 
Laufbahn offen zu Heben; aber obgleich ihm diefer Be⸗ 
ruf nicht zuwider gersefen war und ihm Zeit zum Le 
fen und Stubiren ließ, konnte fich doch fein jugendlich 
ungeftümer Sinn namentlih in bie oͤkonomiſche Be⸗ 
fihräntshett feiner Lage in ber lockenden Daupeflabt nicht 
finden, und fein Water, der fich wieber verheirathet hatte 
wub nicht viel für ibn zu thun geneigt war, veranlafte 
1821 feine Verſetung nach Breslau. Zwoͤlf Jahre 
. verlebte nun Gaudy als Lieutenant an verſchiedenen 
Drten, zum Theil auch auf ber Feflung, wegen Duellen 
umb ähnlicher Geſchichten, den Leichtfinn, die Langeweile 
und die Abentener des GBarnifonsiebense mit poetifcher 
Phantaſie und Yusgelaffenheit mwinzend. Ginen mehr 
bien ala heitern Anſtrich erhielt dad Leben, Treiben 
wm. Schaffen bes dichterifchen Offizier durch den har⸗ 
ten Schickſalsſchlag, der ihn 1823 traf und fein Leben. 
gäud, feine Doffnungen zerftörte. Er hatte in Breslau 
eine glũckliche Liebe angelnüpft und fich verlobt; da flarb 
ſein Vater, durch die Ungeſchicklichkeit ober Bewiffenloftg- 
Teit des Vormundes verloren die Kinder (Gaudy Hatte 
eine füngere Schwefter) ihr Bermögen bis auf den letz⸗ 
ten Heller, und fp mußte Gaudy, ber nichts als feinen 
Degen sd Schulden hatte, der Geliebten entfagen, — 
om Unglück, das er kaum zu überleben vermochte und 
das auf fein gamzes übrige Leben däftere Schatten warf. 
Sr füegelte non der Zeit an feine Briefe nur noch ſchwarz. 
Die Poeße wurde von nun an fein beſter und treuefler 
Such, obmol auch fir ihn mit feinem Schickſal und mit 
dan: Laſten ſeines Berufs nicht amssuföhnen vermochte. 
Der Galdatenftand wurde ibm zulett unertraͤglichz we 
nahe 1833 feinen Abeſcheh, bekam von dem Kronprin⸗ 


zen eine Peine Penfion und lebte nun meift in Berlin, 
tn Kreiſe befreundeter Dichter und Autoren, befonders 
Chamiſſo's, aber auch viel auf Reifen als Schriftfieller. 
Zweimal wanderte er in ben legten Jahren feines Le- 
bens nach Italien, dem Lande feiner ‚heißen Sehnſucht, 
bus für ihn eine reihe Yundgrube von Poeſie, von Ge⸗ 
dichten, Novellen und frifchen Anfchauungen jeder Are 
wurde. „Nur um bie ewig quälende, an meinem Leben 
zehrende Sehnſucht nach dem gelobten Lande in Schlaf 
zu lullen, ſchrieb Id dieſe (venetianifchen) Novellen nie⸗ 
der”, fagt er Bd. 13, &. 13. So fruchthar war feine 
auf den mannichfachſten Gebieten ſich verfuchende 
daß fein Freund U, Müller aus 

Sammlung von 24 Bändchen bilden konnte, deren Wib- 
mung ber jeptregievende König von Preußen annahm, 
und welcher gewiß der Beifall nicht fehlen wird, mit 
welchem früher die einzelnen Preductionen des Dichters 
aufgenommen wurden. 

Seine Perſonlichkeit hat der Dichter Franz Freiherr 
Gaudy, wie er fi nannte, „vielleicht weil er fich niches 
aus ben drei omindfen Buchſtaben (von) machte, unb 
den Leuten blos zeigen wollte, daß er ein freier Bere 
fei und fid) um Nemanden ſchere“, — felbft geſchildert 
in dem artigen kleinen Aufſatz,Beſuch bei einem Dich» 
ter”, der in die Jahre feines Lebens in Berlin fällt. 
Der Beſuchende essählt, daß er an dem Baron einen 
etwas barſchen Herren gefunden, deſſen „ziemlich alltäg- 
liche Gefihtöbitbung einen gewiffen moquanten ober viel⸗ 
mehr verbrieflichen Charakter an fih getragen“. Er 
ſchildert den Freiherrn als einen ftarten Raucher und 
erwähnt ein paar Iserer Burgunderflaſchen, bie er auf 
einem Geitentifch flehen geſehen. Gaudy babe fi dann 
über bie Literatur ausgefprochen, namentlich bie neueſte, 
und geäußert: „er für feinen Theil Habe den ganzen 
Bettel ſatt.“ Dann „ſtichelte er ziemlich. unverblümt 
auf ſtoffarme Tageblatte⸗Scrtibenten, welche ſich bei nam⸗ 
haften Leuten eindrängten, um ihre Perſonalia audzu- 
ſchmüffeln und nachher das ganze Zeug brühwarm wie⸗ 
der abdrucken laſſen“, und am Ende bekräftigt ber 
Schreiber bes Auffages mit feiner Nantensunterfceift, 
daß der Befuchende ten Anderer ift als Dee Befuchte 
fetbit, mithin jener Indiscretion ſich wicht ſchuldig mache. 
Diefe fehr artige Doppelgängersi kann einerfelts als Be 
weis gelten, daß Gaudy nicht frei war von eier ge- 
wiffen Eitelteit und Goquetterie mit ſich felbft — eine 
befonders ben modernen Dichtern und Autoren bäufig 
anhaftende Eigenſchaft —, anderntheils aber zeigt fie, 
daß er gegen feine eigenen Schwächen und Unarten nicht 
blind war, — freilich auch, daß er fih darin Bis auf 
einen gewiffen Brad gefiel, was eben mit jener mo⸗ 
denen Eitelkeit zufammenhängt. Der „moquante ober 
verbrießliche Shavakter”, melden ber Beſuchende im 
Geſicht des Befuchenden bemerbt haben will, ben: aber 
Andere, wenigftens in guten Stunden, nicht darin ge— 
funden Haben, würde auch Hinbeuten auf Eigenſchaften, 
durch welche ſich mande ;‚moderne* Dichter nice eben 
ruͤhmlich auszeichnen, durch Die fie aber dennoch einen 


ufe, 
- une 


nice garten Veifal wab. cin ſchmcichelhaftes Zutereſſe 
fo zu fagen ersropdt haben, auf einen Egoismus und 
ine Menfihenfeindlichkeit, welche in etiwanigen bittern Er: 
fahrungen bed Lebens eigentlih nur einen Vorwand und 
eine Mechtfertigung natürlicher Schwächen und bequemer 
Bingebung an alle „genialen“ Launen und Gelüfte fü- 
hen und finden. Dir Elemente zu dieſem -mebernen 
Charakter ſcheinen der Natur Gaudy's nicht ganz ge 
fehlt zu haben und bie Verhältniſſe feines Lebens hat- 
ten ben Grund zu einer Verſtimmung gelegt, welche 
fih nie mehr ganz ausglih; aber das Befunde, bas 
Männlide, dad Edle in ihm übermog das Krankhafte, 
das Sentimentale und bie Garicatur; und aus bem 
Ganzen feiner Schriften tritt uns eine anmuthenbe, ge: 
bitdete poetifche Individualität entgegen. 
. (Die Sortfefung folgt.) 





Abaͤlard und Heloiſe. Ihre Briefe und bie Leidens⸗ 
geſchichte; überfegt und eingeleitet durch eine Darſtel⸗ 
kung von Abalarb’s Philoſophie und feinem Kampf 
mit der Kiche. Bon Morig Earriere Gießen, 
Ricker. 1844. 8. 1 Thlr. 15 Nor. 

.. Es iſt gewiß ein fehr perdienftvolles Unternehmen, Die. 
iloſophie des Mittelalters, wie fie fich theils in der Schola⸗ 
‚ theild in der Myſtik ausſprach, gründlichen Zorfchungen zu 

unterwerfen und diefelben zu einem Gemeingut des Publicums 

zu machen; einmal, weil dieſe Seite der Geſchichte des menſchli⸗ 


hen Geiſtes noch viel zu wenig unterfudgt worben, alfo noch 


ſehr Bieles in dieſer Hinfiht zu thun ift, um zu einer volle 
kommen Haren Ginficht darüber zu gelangen, zweitens weil die 
Beſchaͤftigung wit derartigen Forſ n mehr oder minder 
eine Wufopferung erbeifcht, wenigflen® dem großen Publicum 
gegenüber. Denn untere Zeit ift viel zu fehr mit der Gegen- 
wart unb der Löfung ber dringendfln ragen befchäftigt, als 
daß fie fi ernflli Mühe geben möchte, in bie Schächte ver⸗ 
ener Jahrhunderte nieberzufteigen, fi in die Eigenthuͤm⸗ 
akt entfernter Epochen zu verfegen und an einem ſolchen 
Studium Geſchmack und Interefie zu findens am allerivenig- 
fen, fcheint es, möchte ihr eine nähere Bekanntſchaft mit bes 
ſcholaßiſchen Philofophie zufagen, ba dieſe im günfligften Falle 
ed dodh nur mit leeren Abſtractionen zu thun ‚ weit 
häufiger mit vefultatlofen Spisfindigfeiten und Wortgeklingel, 
während die Gegenwart mit immer entfchiebener ausgeſproche⸗ 
nem Willen nd frifcher That, nach echtem Leben ringe. Al⸗ 
lein wie überhaupt das Leben des Gegenwart und die verſchie⸗ 
Denen Momente in ihr, weiche die heutige Menfchheit ind Auge 
‚ gefaßt und zum Obiecte ihrer geiftigen Thaͤtigkeit gemacht hat, 
wur dann einer befriedigenden- neuen Ordnung ber Dinge ent: 
„gegenfehen Pönnen, wenn die hiſtoriſche Enfwidelung gehörig 
eruüͤckſichtigt wird, fo ift offenbar die foefpung bes Geiſtes 
irgend einer wichtigen Epoche in dem Leben der ſchheit ein 
bebeutungsvoller Beitrag zu der Grreichung des legten großen 
Zweckes, den fich die Gegenwart geſteckt. Dies hat daB Pu⸗ 
blicum auch bereit# eingeſehen; in ber Überzeugung, daß man 
füh erſt darüber klar werden müfle, wie unfese Zeit geworden, 
um danach auch die näcfte Tendenz der Zukunft zu ergründen, 
wirſt es fü aͤchſt auf das Studium ſolcher Epochen, w 
bis auf die It einen außerordentlichen Einfluß gehabt 
Haben; fo ift es denn namentlich die Reformati it, welche 
nwärtig unter allen am meiften ergründet und fludirk wisd. 
fien muß bald eine, ſelbſt oberflächtiche Kenntniß jener Bei- 
ten zu der Anficht hinleiten, daß auch die Reformation nur das 
BRefultat eines andauernden Strebens der Menſchheit tft, 
md Die B ver der Refösmation vorangehenden ringen⸗ 


: verbreitet. Mom fiebt aus dem und 


ben” und Fänupfenben 
in einem ähnlichen Ringe: und Strebekampf fich Befindet. Hier⸗ 


Be Augenblick, ai ae 2 iſche ußtſein ſo 
ct die gange gebi eit ergriffen hatte, daß eia 
heil derſelben nad SIerufolem zog, um das Grab Wi Hei⸗ 
landes zu erſtreiten, während ein anderer bie poñtiven Wahr⸗ 
heiten des chriſtlichen Glaubens mit den Malen des Geiftes 
befier zu begründen fixebte, in dem Augenblicke alfo, als das 
Ehriftenthum, wie ed im der Form der Kicche erfchien, weit . 
liche wie geiftige Waffen in der höchften Potenz als feine 
Streiter erblidte, da begann ſofort ber Zwieſpalt in feinem 
Sanern ſich zu erheben, und zwar gerade von bem Elemente 
ausgehend, welches der ſicherſte Garant für die Herrſchoft der 
neuen Macht fein konnte, von dem Elemente des Geiſtes. 
Uber freilich, der Geift bleibt fo cher ‚nur auf dem Gebiete 
der Freiheit. So wie man ibm einmal feine Feſſein löſt, fo 
wird er aljobald zu Fühnem Fluge fich erheben und nit ra 
ften, ala bis ex das Biel feines Stredens erreicht. Indem dis 
Kirche den Geiſt beſchwor, ihre eigenen Satzungen phitofophifch 
zw rechtſertigen, hatte fie gerade in ihm den gefährlichſten Geg⸗ 
ner ſich herangezogen. Was half es, wenn Anfelm von Gans 
terbury, der als der Begründer des ſcholaſtiſchen Philoſophie 
— wird, als Rorm feiner Unterſuchungen den Sag 
ca Ire: „ih glaube, um zu verſtehen“, da ein Uinderer, Abaͤ⸗ 
d, entg fegten : „id verſtehe, um lau» 
ben, umd wenn ich nicht verſtehe, fo glaube id; nice, "Sp 
Abälard ift daher durchaus das reformaterifche, das proteſtan⸗ 
tifhe Princip vertreten. Und zwar in dem erfien Momente 
feined Stadiums, da nämlich, wo die Kirche auf der hoͤchſten 
Spige ihrer Macht angelommen war, und wo fie, voll des gro: 
fen moraliſchen Einfuffes, den fie auf die Mitwelt übte, wa⸗ 
gen Eonnte, fich felbft mit den Waffen des Geiftes zu umgür⸗ 
ten,, diefen ihr zinsbar zu mahen. Es ift daher fehr inter- 
effant, diefe Erlgeinung näher zu betrachten, und der Verf. 
bat fi, wie fchon berührt, durch dieſe feine Urbeit offenbar 
ein Berdienſt erworben. . 
Das vorliegende Buch beftebt aus zwei btheilungen, die 
erfte enthält die 33 Abalard's und feinen Kampf mit 
der Kirche: die zweite iſt eine eng der Briefe Abalarb's 
und Heloife. In der erſten ift, wie ſchon der Titel fagt, nicht 
eigentlich eine Biographie Abaͤlards gegeben, wiewol wir dies 
gewänfcht hatten: von feinem Berbältniffe zu Heloife, das doch 
fo maßgebend war für feine ganze innere Gukwidelmg, wie 
Darin gar nichts erwähnt alt andeutend am Schluffe, wahr⸗ 
fdeinlih weil der Verf. meint, die Briefe gemügten ſchon. 
Die Abhandlung ift vielmehs nur auf eime Darflellung der 
Abaͤlard ſchen Philoſophie und -insbefondere auch berienigen 
Yunkte gerichtet, in. weichen ex gegen die herrſcheude birchliche 
— 3 en trat. Das H ei ni en vw 
Hauptſache, und aud, wie wir glauben, für tößere Yu⸗ 
blicum. Die rein pinlofopbifhen oder beijer dialektifepen Mo⸗ 
mente in feines Philoſophie, weiche ber Verf. anfangs erörtert, 
haben beiweitem weniger Jutereſſe. Aber hoͤchſt bedeutend if 
feine Unfiht vom Glauben, ber ibm nur darch eine voren⸗ 
gegangene Erkenntniß diefen Ramen verdient, der feruer nur 
durch die Liebe FD sis ein rechter erweife; feine Stellung fer 
ner Heibent , das er keineswegs als Gegenfag des 
Ehrift 8 fat, fondern als- eine Demfelben vorangegangene 
Stufe; feine Anficht über bie Neinität, bie er Kid zu 
deuten ſucht; die Erloͤſungstheorie und endlich feine ethiſchen 
Meinungen. Über alles Died bat ſich der Verf. ausführlicher 
Mitpetheitten, wie Abälard 





als ein von den veformatorifchen Ideen ſchon durchaus Ein⸗ 
enommener anzufehen iſt. Ramentlich zeigt ſich Dies in ber 
it. Hierüber hat er eine durchaus großartige echt refor⸗ 
matorifche Anfiht. „Sitten“, jagt er ©. 65 beim. Berf., „find 
Fehler oder gute Eigenſchaften des Geiſtes, bie uns zu guten 
oder böfen Werken geneigt machen. Sol ein Fehler if aber 
nicht Eins. mit der Sünde, noch diefe mit dee ſchlechten Hand» 
lung. Jener gibt uns Stoff zum Kampf, er fol überwunden 
werden, und nur Derjenige wird gekrönt, wer recht gekampft 
hat. Die Sünde dagegen iſt die Zuſtimmung des Beiftes zu 
Dem, was zu thun oder zu meiden nicht geziemt. Sündigen 
heißt Bott verachten, um feinetwillen Das nicht thun, was wir 
um feinetwillen glauben thun zu müflen. Die Sünde beruht 
- alfe vielmehr im Nichtfeienden, in der Abweſenheit der rechten 
Sefinnung, als im @eienden. Und fo kommt es nicht auf das 
Wert an, fondern auf die Gefinnung, mit der es vollführt 
wird, denn Gott wirb beleidigt nicht durch den aus ber Außer: 
lichen That entipringenden Schaden, fondern durch die Verach— 
tung feiner felbft. 8 nicht gegen Wiffen und Gewiflen ift, 
ift keine Sünde, aber wer ein Weib anflehet, ihrer zu begeh⸗ 
sen, der hat bereits mit ihr die Ehe gebrochen. Gott belohnt 
nicht den @rfolg, fondern die gute Abſicht. Die Liebe ift bes 
Geſetzes Erfüllung, habe nur Liebe und thue mas du willſt! 
Wer Chriſtum nicht kennt und feinen Glauben deshalb ver: 
ſchmaͤht, weil er ihn für Gott widerwaͤrtig haͤlt, wie wäre der 


ein Berdchter Gotted, da er doch für ihn zu handeln ſelbſt 


überzeugt ıt?_ Die Ehriftum freuzigten und ein gutes Werk 
u thun gedachten, haben feine Sünde begangen, denn ber 
—* fagt: Wenn und unſer Herz nicht verklagt, fo konnen 
wir Buverficht haben zu Gott. Auch die Freuden der Sinne 
und des Fleiſches find nicht fündlich, da fie ja von Natur dem 
Genuß des Weines oder dem ehelichen Leben beigeordnet wurden.“ 

Der Kampf Abälard's mit der Kirche ift die’ ſchwächere 
Yartie des Buchs. Es wird bdafelbft nicht mehr beigebracht 
als mas ſchon bekannt ift. 

In der zweiten Abtheilung folgen die Briefe Abälard’s 
und Heloife überſetzt. Wir gefteben, daß uns in diefen Brie: 
fen Heloife als ein viel bebdeutenderer, großartigerer Charakter 
erfcheint als Abälard, und wir find bier mit dem Verf., wel 
er, Abälard's Schwäche wohl fühlend, ihn zu vertheidigen 
ſucht, nicht ganz einverftanden. Wbälard hatte freilich nicht 
mehr zu verlieren und Darum war es das Klügfte und Belle 
für ihn, fi in fein Schickſal zu fügen, die frühern Gedanken 
zu entfernen und rein entgegengefcgte ihre Stelle einnchmen 
- au laffen. Ia wir können es fogar noch Flug finden, wenn er 
diefelbe Richtung, die er einzufchlagen für das Beſte hielt, au 
feinee Geliebten anräth. Aber den Eindrud eines gewalti- 
gen titanifchen Charaktere macht das Alles nit. Man fieht 
aber doc), daß Abälard mehr oder minder fih den Borftellun- 
gen der Kirche näherte, daß er feine oppofitionnelle Stellung 
nah und nad) aufgibt. Bei Heloife indeffen ift Alles anders, 
ruͤckſichtslos fpricht fie ihren Schmerz aus, ruͤckſichtslos nennt 
- fie Abälard ihr Ein und Alles, ihren Gott; anftatt Neue zu 
empfinden über das Vergangene wie Abälard, erklärt fie viel: 
mehr, daß fie fich deffen noch freue: fie ift ganz aufgegangen 
in ihrem Geliebten, lebt und webt nur in ihm? Der Verf. bat 
ſehr reht, wenn er Heloife den Nepräfentanten des romanti- 
fen Liebesideals nennt, ja ich möchte noch mehr fagen, ich 
möchte Heloife überhaupt das Ideal echter weiblicher Liebe nen» 
nen. Denn biefe gänzlihe Hingebung an ihren Geliebten, 
felbft der Wunfd von ihrer Seite, daß er fie lieber als Ge⸗ 
Hebte denn als Gattin haben follte, weil fie fürchtet, durch 
das Letztere feine höhern Plane zu ftören, Died findet fich in 
diefer Ausdehnung gewiß bei Feinem Weibe, wenigftens bei 
einem in der Gefchichte bekannt gewordenen, in welchem zu: 
gleich eine ſolche Fülle von Geiſt und Kenntniffen beifammen 


Gegenſtaͤnden, fo if —* ber fünfte Brief, wo fie über 
das Moͤnchsſsweſen ausſpricht, ganz ausgezeichnet Mar, faßlich 
und durchaus auf den Keen eingehend. ut uns nur leid, 
daß der Verf. am Ende die Briefe etwas verkürzt hat, na⸗ 
mentlich die Heloifens. Wären die beiden Liebenden nicht von 
einer Welt umgeben gewefen, weldye von durchaus andern 
Theorien ausging, fo ätte gerade diefes ihr Verhaͤltniß mehr 
als irgend .eine philofophifche Deduction dazu beitragen Eönnen, 
die gegenfeitige Stellung der beiden Geſchlechter in das rechte 
Licht zu fegen, eine Sufgab deren Loͤſung wie fo viele andere 
der Gegenwart noch vorbehalten bleibt. 59, 





Literarifhe Notizen aus Spanien. 
Führer für Reifende. 

Das heutige Spanien ift uns übrigen Europäern ein Land 
geworden, weldes faft noch zu entdeden if. Trotzdem daß es 
2 den Politikern und Zeitungdlefern im vergangenen Sahr- 
zehnd ziemlih aufdringlich gemacht hat, find wir doch in un» 
ſerer Kenntniß des Landes kaum über Bourgoing, Kaborde und 
Huber hinausgekommen. Der langjährige Bürgerkrieg, die 
Verwirrung im Lande, die uns aus der Kerne noch größer er⸗ 
fchien als fie in Wirblichleit war, und der Umftand, ba in 
demfelben Maße, wie Die Verkehrsmittel mit andern Ländern 
zunehmen, Spanien und ferner gerüdt wird, haben den Strom 
der Zouriften an den Pyrenäen ftillfichen machen. Jetzt be⸗ 
ginnt das anders zu werten. Schon hat die wenigftens vor 
der Hand wieberbergeftellte Ruhe jenfeit der Pyrenäen ein⸗ 
zelne Eclaireurs binubergelodt, die dem Groß der Neifenden 
Wege zu bahnen und zu fuchen geneigt fird. Wer ihnen fol: 

en will, findet in „Ford’s handbook for travellers in Spain” 
ORonden 1545) einen trefflihen Wegweiſer. Langjähriger Au⸗ 
fenthalt in dem Lande hat dem Verf. die Spanier lichen und 
ſchätzen gelehrt, und er ſchildert die dortigen Zujtände mit einer 
Unbefangenbeit, die fih vortheilhaft vor der Engherzigkeit aus: 
zeichnet, mit der Engländer gemeinhin das Ausland und feine 
Sitten zu beurtheilen pflegen. Cr ift offenbar ein geiftreicher 
Mann und origineller Kopf, der fcharfe Beobachtungsgabe und 
efundes Urtheil mit Gelehrſamkeit und reichem Humor ver: 
indet und feine Gedanken in einen cbenfo lebendigen als ori» 
ginelen Stil zu leiden weiß. Neben ben gewöhnlihen Erfo- 
derniffen eines Reiſehandbuchs, der allgemeinen Topographie 
und feiner Sehenswürbdigkeiten, gibt dad Werk ein volftandiges 
und lebendig colorirtes Bild des Nationalcharalter und der 
Bolksſitten der Spanier, ihrer Eulturzuftände und der Eigen⸗ 
thümlichleiten des Landes, und überall müffen wir in dem 
Berf. daß beau-ideal eines Eicerone erkennen, einen Mann, der 
Alles weiß, was den Reiſenden intereffiren kann, und es mit 
einer Lebendigkeit erzählt, die das Intereſſe beftändig wach er- 
hält. Es gebührt der Kritif um fo mehr auf biefes Buch auf- 
merffam zu machen als es dem Publicum in einer Form ge 
boten wird, in der man nur gewöhnlich alltägliche Gedanken 
in abgedrofchene Phraſen gekleidet zu finden gewohnt ifl. 


Hiftorifhe Literatur. 

Auch in Spanien regt ſich einige Leben in der hiſtori⸗ 
fhen Literatur. Alcala⸗Galiano's „Geſchichte Spaniens von 
den früheften Beiten bis zur Majorennität Iſabellens 11.” 
ift bereits biß zum zweiten Bande gediehen. Bon Weiß’ 
„Geſchichte Spaniens von Philipp IT. bie zu den Bour« 
bons’‘ .ift eine Überfegung erfchienen; ebenfo eine neue wohl: 
feile Ausgabe von Mariana's „Historia de Espaüa‘. Im 
Sach der neuern Geſchichte ift bemerfenswerth Madrozo's „Mi⸗ 
kitairifche Gefchichte der Keldzüuge Zumala⸗Carreguy's“, mit Plä- 
nen und Kupfern, und eine eben begonnene „SGeſchichte der 
eonftitutionnellen Cortes“, mit Bildniffen ausgezeichneter Depu: 


war wie bei Heloifen. Wir folgen ihr gern aud in andern | tieten. 
. Berantwortliäger Herausgeber HSeinrich Brockzdand. — Drud und Berlag von F. X. Brockhaus in Leipzig. 





Blätter 


für 


literarifche Unterh 





Dienftag, 





Kranz Zreihberr Gaudy. 


(Zortfegung aus Nr. 86. 


Zwar tönnte Einer, nach flüchtiger Lecture mehrer 
Werte Saudy’s, auf die Anftcht kommen, bdiefer Autor 
fei viel mehr ein Nachahmer als ein eigenthümliches Ta⸗ 
fent. Allerdings ift unverkennbar, daß dem Dichter 
bei: vielen feiner Productionen gewiffe Autoren und 
Werke vorgefchwebt und einen Einfluß auf ihn geübt 
haben; eine Menge feiner Gedichte, befonders der frü- 
bern, verrathen bie Heine'ſche Schule; fpätere, nament- 
lich die Terzinen, zeugen von dem Einfluffe Chamiſſo's; 
die Nefraingebichte erinnern durch Form und Inhalt 
ſtark an Belranger; das erzählende Gedicht „Yaulina” 
erfcheint faft wie eine UÜberfegung von Byron, fo fehr 
find Motive, Farbe, Ton im Charakter des Briten ge- 
halten; „Aus bem Tagebuch eines wandernden Schnei- 
bergeſellen“ trifft im Ton vielfady mit ichendorff’s 
„Taugenichts“ zufammen; in zahlreichen humoriſtiſchen 
Stüden ftellt ſich Gaudy als Schüler Jean Paul’s dar. 
Die Elegien und Epigramme find ohne Zweifel Ab- 
Tömmlinge der Goethe ſchen. In der „Nachricht von 
den allerneueften Scidfalen ded Hundes Breganza” 
knüpft er an Cervantes an; in manchen Erzählungen 
Mingt der Ton Callot⸗Hoffmann's durch, und eine ge⸗ 
nauere mikroſkopiſche Betrachtung würde ohne Smeifel 
noch manche Einflüffe von größern und kleinern Göttern 
der Literatur auf Gaudy's Probuctionen erkennen laſſen. 
Auch hat er fein ungewöhnliches Talent der Aneignung 
in mannichfachen meifterhaften Nachbildungen, in Über- 
fegungen von Poefien aus dem Franzoͤſiſchen und Alt⸗ 
franzoͤſiſchen, dem Italieniſchen, den Polnifchen bewährt, 
und Dichtungen des verfchiedenften Charakters mit gfei- 
chem Glück ine Deutfche übertragen. Uber zwifchen 
Rachahmen und Nachahmen ift ein großer Unterſchied, 
und es gibt eine Urt der Nachahmung, des Angeregtwerbens 
von fremden Vorbilbern, bie fich felbft bei den größten Ge⸗ 
nies findet. So kann man 3. DB. auch von Goethe fa- 
gen, er babe in „Dermann und Dorothea” die „Luiſe“ 
von Voß nachgeahmt, und felbft fein „Kauft“ -fei eine 
Nachahmung von frühern Bearbeitungen deſſelben Ge⸗ 
genſtandes; aber in ſolchen Fällen kann von einer Ab⸗ 
hängigfeit in Form und Tendenz, welche das Charakte⸗ 


7. April’1846. 


Du nn 








riſtiſhe der Nahahmung im gewöhnlichen Sinn tft, nicht 


die Rebe fein, fondern es beurkundet ſich hier der glüde 


liche Inftinet des Genies, welcher die von Andern ge 
fundenen Gegenflände und Formen auf das freiefte zu 
benugen und ſich anzuelgnen und fie zu einer viel bö- 
bern Würde und Bedeutung künſtleriſch wie philofo- 
phifch zu erheben weiß. Daß nun Gaudy's Nachah⸗ 
mungen auch von diefer Art gewefen, wollen und koͤn⸗ 
nen wir nicht behaupten; vielmehr erfchelnt er in man- 
hen in völliger Abhängigkeit von feinen Vorbildern, ſo⸗ 
daß er ihre Fehler felbft gewiſſenhaft und eifrigſt abop- 
tiert, wie 5. B. in der .„Paulina’”, welche ſich vielleicht 
ohne große Mühe zu einer Parodie ber Byron'ſchen 
Dichtungsweife hätte umarbeiten laffen; aber in dem 
„Schneidergeſellen“ 3. B. wird ber Charakter der Rach⸗ 
ahmung dadurch bedeutend mobifichrt, daß ‚das Werk- 
hen zugleih auf eine amufante und wigige Weiſe 
bie Reifebefchreibung Nicolai's verfpottet und bad vor- 
zugsweife romantifch -fentimentale Element ber Eichen- 
borfffchen Novelle durch eine tüchtige Zutat von JIro⸗ 
nie, gegen bie feichte Bitdung gewiffer Berliner, würzt 
und ummandelt. Überhaupt darf man woh fagen: Dies 
Dichten nah gewiffen Vorbildern, dies Anlehnen an 
Andere gehörte zu Gaudy's Schule und Bildungsgang; 
er war fein folcher gewaltiger Genius, daß er von An- 
fang an mit ficherm Inftinet das ihm gemäße Gebiet 
ber Poeſie ertannt und ergriffen hätte, er mar ein höchſt 
empfängkiches, bildungsfähiges Talent, welches, um ſich 
zu Dem zu entwideln, was es zu leiften vermochte, der 
mannichfaltigfien Anregungen von außen durch Leben 
und Leeture beburfte. Nicht Xieffinn ber Gedanken, 
nicht gewaltige Schöpferfraft und Drang der Phantafie 
zeichneten ihn aus; es war ihm nicht gegeben, bie Welt 
zu umfaffen oder eine Melt aus feinem Innern entfle- 
ben zu laſſen; das Sichverfenten in bie Idee oder in 
daß eigene Ich, welches man bei vielen deutſchen Dich⸗ 
tern findet, und was chenfo oft ihre Schwäche als ihre 


| Jugend ift, war ihm fremd; er war eine mehr auf bad 


ußere, auf die Bielheit und Mannichfaltigkeit des Le⸗ 
bens und der Welt angemwiefene Natur. Er war in 
feiner Poefie weit mehr Künftler als Philoſoph. Dazu 
frug neben feiner Individualität ir fein Lebens» unb 
Bildungsgang nicht wenig bei. Währenb weitaus bie 


altung. 











tifer Bu 

‚rden pfleg: 

dem literaris 
»t blos für die 

ur die ungehefr 

D is und thatkräf: 
Yräfentaten und 

Refolutionen, mitten 

‚ein Dem feine volle 

tvande_ des literarifhen 

sen auch als fhaffender 

: Stelle einzunehmen und 

dieſein Gefihtspunkte aus 

aus dem Wanderlcben” des 

„oc, fügen aber fofort die Bes 
"Spalt an fih uns zum Dank 
Es it ein heiteres, Darmlofeß, 
‚svüglingsgefchene, das uns bier 
unjer Wanderer vermeilte, am 

‚ auf Meeren und auf Seen, auf 
bei Ruinen und Monumenten greift 
t im Staube begrabene Harfe” und 
ıgen, Die in verwandten Gemüthern 
ird. Überall gibt er in gebundener 
t, ben das erquidende Bermeilen 
m Punkte unjerd deutſchen Water 
t. Hier und da läuft auch, wie er 
ie andere Frucht heiter: gemüthlicher 
die nicht mit den Wanderungen in 
ichört befonders ein Lied am Schluß 
’ treffliche Gedicht „Zum Wjährigen 
und Profeſſors Wilhelm zu Kloſter 
326. Wer in jenen Jubeltagen in 
Rbodosvias eingetreten und Theil⸗ 
nden gewefen ift, wird e8 nod in 
wie der Verf. der „Wanderlieder“ 
ı feftlihen Tagen einen edeln Schmuck 
anz verdientermaßen empfangen bat, 
inhuld zierte. Vlättern wir weiter, 
finnige Lied, zB. „Die Kapellen: 
", einer intereffanten Gruppe einzels 
Belfen ohnweit der Stadt Horn im 
d, ober „Der Kreuzberg am Prer 
el an der grünen Bude zu Reuftadt: 
an die Langeweile”, die dem Verf. 
erzweiflung über bie im Anfang feir 
albad) im Sommer 1333 peinigende 
ctirt ward, oder „Die Kleinbilder an 
eidegruß an diefen Pöitlichen Strom”, 
n Swinemünde ynd an Helgoland“ 
unferm Sänger, der feine poetifche 
fin Marie von Hanover gewidmet 
ıB er bald wieber einmal mit einer 
3botichaft zu erſcheinen Beranfaflung 





otizen aus Engtand. 


de Dichterſprache. 

beſchreibungen ausgezeichwefer engli» 
srdene Miß Goftello hat ald Weig 
e rose of Persia‘ exſcheinen laſſen, 
Alles übertrifft was diesmal an Tas 
man achs u. f.w. veröffentlicht wurde. 
auf biefe Weife wie durch eine Art 
ußern ſymbolifch dargeſteilt werden 
ſen hat die Verf. einen Artikel der 
n gewidmet, mit welchen bie mor- 


meiften deutſchen Dichter und Schriftſteller eine akade⸗ 
miſche und daher bis auf einen gewiſſen Grad philoſo⸗ 
phiſche Bildung erhalten, was fi dann in ihren Wer⸗ 
. ten felten verleugnet, entbehrte zwar Gaudy in Folge fei- 


nes Aufenthalts in Scwipferta und feiner ſtets fortge- 


sten Studien einer chaffifchen und gelchrten Bildung 
eineswegs und er befaß In Sprachen, Literatur und 
Geſchichte ſehr fchöne Kenntniffe; aber in ben Jahren, 
wo Andere einen meift auf das ganze Leben nachwir⸗ 
tenden Trunk aus den Quellen bes Idealen, dev Philo⸗ 
fophie, ſchoͤpfen, ſah ſich Gaudy ſchon in bie ſtürmifchen 
Wogen des wirklichen Lebens hineingeworfen und machte 
ſtatt der idegliſtiſchen Träume und Schwaͤrmereien ber 
Schule die ſehr realiſtiſchen Abenteuer des Lebens, bes 
Soldatenlebens, mit. Viele in feiner Lage wären wol 
van dem Strome der gemeinen Wirklichkeit fortgeriffen 
ud verſchlungen werben, hätten füh nur etwa als be- 
ſonders kuflige und witzige Kamevaden außgezeichnet; 
abar in Gaudy war ber poetifche Trieb, war das Ideale 
denn doch zu mächtig; es rang fich fiegreid aus ben 
Wellen empor. Jedoch bekam feine Poeſie einen eigen- 
sgismlächen, einen vorwiegend realiftiihen Charakter, und 
. wog der vielſachen Einflüffe, die fie erfahren, behauptet 
ſie eine Sigenthünrichfeit, die wir etwas näher zu be- 
zeichnen verfuchen. 


Em Kind des Jahrhunderts (er wurbe 1800 gebo- 


ren), aber zu fpät gekommen, um an ben grofen Be ˖ 
wegungen und Thaten ber erfien Jahrzehnde noch Theil 
nehmen zu koͤrmen, fühlte fih Gaudy durch fein Natu- 
res und feinen Charaßter wie Busch feinen Beruf als 
Solbat zum thätigen Handeln, zum energifhen Kampfe 
beftimmt, und da die Verhaͤltniſſe ihn zur Unthätigkeit 
und Ruhe verdammten, nahm er, ohmehin verſtimmt 
md verbittert, in feinem ganzen Weſen und Gereben 
Bie Richtung der Oppofition an, — bed Widerſtandes 
gegen Alles, was ihm in ber Politik, im Staat, im 
Leben, in Geſetzen und Bitten veraltet, willkürlich, klein⸗ 
kb, eine Hemmung ber natürlichen und veruünftigen 
Freiheit ſchien, und neigte ſich fo als Dichter mit ent⸗ 
ſchiedener Vorliebe den deutſchen, franzöftfchen und eng⸗ 
Wien Dichtern zu, welche als die Verfechter der Frei⸗ 
heit im wetteſten Simie gegen Zwang und Unterdrückung 
and ſelbſt gegen Geſetz und Sitten gelten konnten. Weis 
nen Verdruß über die Thatloſigkeit ber Zeit ſpricht fehr 
bezeichnend fein Gedicht Fortſchritte“ aus, wo die zwei 
Tupten Setrophen fo kuuten : 
Nur für eine Seele noch zu ſchwaͤrmen 
Ba A Auf‘ Ar unr Mor 3. — 
n icht mehr eswärmen, 
Seit der philoſaph ſche Samum ſtrich. 
Mit dem Maul wird ſtatt des Schwerts geſtritten, 

Rauch quelmt überall, und nirgend brennt’. 

Za, wir ſchreiten vor mit Rieſenſchritten 
Im ZJahrhunderte der Impotenz. 
An epponirenden Dichtern verſchiedener Art has es num 
allerdings in Deutſchland ſeit einer Reihe von Jahren 
nicht gefehlt; aber Gaudy gehärt zu denjenigen, melden 


S68— 


es einerſeits mit ihrer Oppoſition am meiſten Ernſt war, 
und welche andererſeits die Oppoſition in eine nicht un- 
poetifche, in eine graziöfe Form zu kleiden wußten, weiche 
fih nicht in blindem Pathos überflürzten, nicht in wü⸗ 
shendem Sarkasmus die ganze Welt des Beſßehenden 
angriffen, welche ſich die Aufgabe fegten: Ridendo dicere 
verum. Während mande Dichter Bei ber heftigften 
Oppofitton in politifcher und focialer Beziehung doch die 
ariſtokratiſche Gefinnung und Stellung keineswegs auf- 
zugeben gemeint waren und Lieblinge gerade der Xriflo- 
kratie wurden, entfernte fi) Gaudy, durd die Geburt 
den Kreifen der hohen Geſellſchaft angehörend, ale Menſch 
und als Dichter entfhieden von ber Ariftofratie, wie ex 
diefe in dem Gedicht „Entfhuld’gen Sie, Frau Gräfin !” 
(Ida Hahn⸗Hahn) fehr artig ausfpricht, inbem er feine 
bürgerliche, fehr bürgerliche Denkungsweiſe in vielen wich“ 
tigen Punkten bekennt. Dagegen bewährt Gaudy eine 
hohe und feine Bildung, wie man fie bei den haͤhern 
Ständen erwartet und vgrausfegt, obwol nidst immer 
findet, darin, daß er in feiner Polemik und Oppefitier 
gegen Herkommen und Vorurtheil, auch wol gegen Big 
ſtrengere Sitte, immer Maß zu halten weiß, daß er den 
YAuftand nicht verlegt, nicht in Roheit und Unanftändig« 
keit verfällt, wie dies felbft dem vielgeruhmten Berauger 
nur zu oft geichieht, daß faft durchaus fhalthafte Gre- 
zien bie Gönnerinnen und Hüterinuen feiner Poeſie blei⸗ 
ben, derjenigen wenigfiens, welde er für hie Öffentlich⸗ 
Seit beſtiaimte. Statt ſich in polemiſchen, ironiſchen, 
epigrammatiſchen Gedichten zu zerſplittern, ſtatt die 
witzige Muſt in immer forcirtern Sprüngen ſich erſchö⸗ 
pfen und zu Tode jagen zu laſſen — eine Klippe, woran 
ſchon Mancher geſcheitert —, behielt Gaudy kuͤnſtleriſche 
Befonnenheit, idealen poetiſchen Geiſt genug, um ſich 
vor ſolcher Vergeudung und Aufloͤſung bes Jalents gm 


bewahren. Er concentrirte ſich vielmehr, er wurde in 


der Form immer ſtrenger gegen ſich, er firebte aus ber 
Subjectivität der Sclbfibefpiegelung und eines ſich ſelbſt 
vergehrenden Humors heraus, er firebte nach Anfchaumer 
gen und Geftalten, und ba feinem enesgifchen Geiſte 
das Handeln in ber Melt, die bedeutende Thaͤtigkeit ner- 
jagt war, marf ex fich in der Meife und Vollkraft fei- 
ner Jahre mit Gifer und Glück auf die poatiſche Er⸗ 
foffung und Darflelung der größten hiſtoriſchen Geſtalt 
und Perfönlichleit unfers Jahrhunderts, und fiedelte er 
fih mit Geiſt, Gemüth und Phantaſie in demjenigen 
Lande an, welches durch feine herrliche Natur wie buch 
feine großen Erinnerungen am geeignesften ift, ben Men⸗ 
hen über bie Alltaͤglichkeit hinaus zum Idealen and 
Schönen zu erheben, — er beſang Napelen in hen 
„Kaiſerliodern“ und unteraahm feinen „Römerzug‘‘ nadk 
Jtalien, mo ihm eine neue Welt Her Poefte, ber reinem 
und hähern Anfchauung aufging, eine langgenaͤhrte Sehn⸗ 
ſucht ihm geſtillt wurde. Man kann es vom vaserlän- 
bifchen Geſichtäpunkt aus mol bedawmın, daß ein fo be⸗ 
gabter Dichter die Heimat ſeiner Muſe auf. fnemben, 
italieniſchem, Boden findet, und noch mehe, daß er wis 
feinen Rieden ben Feind, Dem Unterhrüder ſeinet Ma⸗ 





| 
| 
| 


" N 
teutands, Mustiihlanbs unb ganz befondert Üiramfens, 
feiert; aber men muß nicht vergeffen, daß dies Auße⸗ 
rangen und Symptome einer tieffiegenden Oppoſitions⸗ 
fimmung oder Berfimmung waren, daß ber Dihter 
nit and Verdruß über die deutſchen Merhältnifle fremde 
Teiumpbe befarig; und die Blumen der Poeſie, welche 
er auf tralienifchem Boden ypflüdte, kamen ja jeben- 
falls der deutſchen Literatur zu gute, welche Darüber 
nicht, wie vielleicht über bie „Salferlieber”, zu erröthen 
Get. Für ben Dichter ſelbſt aber war jebenfalld bie 
Gondentrirung feiner Kräfte auf größere Schöpfungen 
und Anfhauungen ein bedeutender Gewinn und Fort⸗ 
{&ritt, fein poetifches Talent gewann dadurch an Ein- 
Beit und an fhärferm, claſſiſchem Gepräge, obwol er 
auch jeht nach dem Jean-Paulifirenden Humor nicht un⸗ 
w wurde. Gaudy's Poeſie bekam jegt immer mehr 
alt, Gediegenheit, Sicherheit, bei ungemeiner Gewandt⸗ 
- beit und Leichtigkeit in der Form; fein Stil in der Poefie 
ift oft ebenfo glänzend und baum wieder fo epigramma⸗ 
tiſch fein wie fein Stil in der Proſa ſich flüffig, glatt, 
eimfchmeichelnd bewegt und fi) der Werfchiedenheit der 
Gegenftände in ber reihften Mänutchfaltigfeit der Er- 
zählungen und Schilderungen glücklich anſchmiegt. Dan 
bat ſchon die Bemerkung gemacht, daß mande Poeten 
und Autoren in ihrem Gharafter Züge einer fremden 
Nationalität zeigen, und vieleicht darf Gaudy ale ein 
Solcher betrachtet werden, welcher mehr als irgend ein 
Anderer in der beutfchen Literatur zum franzöfifchen 
Charakter fih hinneigt, — nicht in der Art, daß er 
änßerlich von den Franzoſen entichnte, fondern fo, daß 
in der Anlage feines Geiftes felbft Schon Franzöfifche 
Elemente ſich finden, löbliche, die Franzofen auszeich- 
nende Qigenfchaften, und immer noͤch fo mit beutfchen 
verwoben, daß die Franzoſen ihn ſchwerlich als den Ih— 
rigen in Anfpruch nehmen werden. Wir rechnen dahin 
die Art von epigrammatifchen Geiſt und Witz, wie man 
fie bei Gaudy teifft, die Correctheit der Form, die Praͤ⸗ 
cifion der Sprache, die au in der Kedheit noch maß- 
haltende Schalknaftigkeit, den Glanz des Ausdruds und 
Der Bilder, und ſelbſt die ihm eigene Art von Senti⸗ 
wientalität, welche den Franzoſen gar nicht fo fremb iſt 
ale Manche glauben. Möglich jehoch, daß bie franzöfl- 
ſche Sprade, welche Gaudy von Kindheit an fo geläufig 
war wie bie beutfche, ſammt der vertrauten Bekanntſchaft 
mit der franzöfffchen Riteratur, die ſich daran Tnüpfte, 
der Geiflesart und dem Stil des Dichter jenes Ge— 

präge zum Theil verfichen haben. 

(Der Befchluß folgt.) 





Bier aus meinem Wanderleben. Wekblingegabe für 

1846 von Alpin (A. von Sedendorff). Alten 
‚burg, Schuuphaſe. 1846. 13. 16 Per. 

In einer Seitperiode wo die Staatsmaſchine, wie einft ein 

Dei et Da —* den 2 * Ei ia 

mpffraft angenonamen wo «in Echauf⸗ 

fietfein don Gefhäften aller Urt von den 233 


| 
| 


tiges Jutereſſe 


—————— — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — 


n als ein ' 


Bellungen an bi6 gu ben fi Ganabberiftifcher 
aͤnde angeſehen zu werden ea 


ber Gegerwart und ihrer, 


—* Aexſt erquicklich, beim Umherſchlenbenn auf dem litgratie 


Markte einmal Jemanden zu treffen, der nicht blos für die 
gebefteten Acten ber Chatoulle, ſondern au * die ae 
teten Arten des hoͤhern geiftigen Lebens ein reges und thatfräf: 

Je und Der mitten. unter Präfentaten unb 
Signaturen, mitten unter Reſcripten und Mefolutionen, mitten 
unser Disſcuſſſonen und Debatten nicht allein Dem feine yolla 
Animerkfamkeit ſchenkt, was in die Regiſtrande des Jiterarifchen 
Verkehrs singetragen worben iſt, jondern su als fchaffender 


‚Yriefter im Jempel der Mufen eine Stelle nen und. 


zu behaupten weiß. Schon von diefem Geſichtspunkte aus 
begrüßen wir bie obigen „Bilder aus dem Wanderleben“ des 
Ber. ols eine wohltguende Babe, fügen aber ſofort Die Bes 
merkung bei, daß au ihr Inhalt an fih uns zum Dank 
gegen benfelben. verpflichtet. Es ift ein heiteres, harmloſes 
das Gcmüth anfprechendes Fruͤhlingsgeſchenk, das uns hier 
geboten wird. Uberall wo unfer Wanderer verweilte, am 
Rhein und an der Donau, auf Meeren und auf @een, auf 
Dergen und auf Burgen, bei Ruinen und Monumenten greift 
feine Hand an die „nicht im Staube begrabene Harfe” und 
weiß eine Saite anzufcplagen, die in verwandten Gemüthern 
ihren Widerhall finden wird. überall gibt er in gehundener 
Rede ben Eindru wieder, den das erquidende Verweilen 
an einigen der harrlichſten Punkte unferb deutſchen Vatar⸗ 
lands auf ihn gemacht bat. Hier und da Läuft au, wie ee 
ſelbſt bemerkt, eine und die andere Frucht heiter «- gemuͤthlicher 
Mußeftunden mit unter, die nicht mit den Wanderungen in 
Beziehung ſteht. Dahin gehört befonders em Lied am Schluß 
des Jahres 1835 und dos treffliche Gedicht „um en 
Amteiuhelfeft des Rectors und Profefiord Wilhelm zu Klofter 
Roßleben am 17. Mai 1836”. Wer in jenen Iußeltagen in 
die „weit geöffneten Pforten Rhodosvias eingetreten und Theil: 
nehmer ber feftlihen Stunden gewefen iſt, wird es noch in 
gutem Andenken haben, wie der Werf. der „Branderlieber’’ 
duch, fein Dichtertalent den feftlichen Zagen einen edeln Schmuck 
verliehen und ben Lorberkranz verdientermaßen empfangen bat, 
mit dem ihn Damals Frauenhuld zierte. Blättern wir weiter, 
fo begegnet und mandes finnige Lied, z. B. „Die Kapellen: 
weihe auf den Grterfteinen”, einer intereffansen Gruppe einzel: 
ner, freiftebender, nackter Bellen ohnweit der Stadt Horn im 
Fürſtenthum Lippe- Detmold, oder „Der Kreuzberg am Pre⸗ 
bifchtbor”’, oder Die Epiftel an der grünen Bude zu Reuftadt- 
Dresden”, ober die „Dde an die Langeweile”, die dem Verf. 
von der nugenblidlichen Verzweiflung uber die imi Anfang ſei⸗ 
ned Aufenthalts in Schwalbach un Sommer 1333 peinigende 
Langeweile in Die Feder bietirt ward, oder „Die Kleinbilber an 
ber Donau fammt dem Scheidegruß an dieſen koͤſtlichen Steam‘, 
oder „Die Erinnerung an Swinemünde und an Delgeland’ 
u.f.w. Wir ſcheiden von unferm Sänger, der feine poetiſche 
Gabe der rau Kronprinzeffin Marie von Hanovder gewibmet 
bat, mit dem Wunſche, daß er balb wieber einmal mit einer 


SE anfprechenden Fruͤhlingsbotſchaft zu erfgeinen Beranlaflung 





Literarifche Notizen aus England. 


Die perfifhe Dichterſprache. | 

Die durch ihre Lehensbefrhreibungen ausgezeichneter engli⸗ 
ſchen Frauen bekannt gewordene Miß Coſtello bat ala Weih⸗ 
e ein Werk „The rose of Persia‘ erſcheinen laſſen, 

deflen außere Ausflattung Alles übertrifft was diesmal an EA 
fchenbüchern, Keenſakes, Almanachs u. ſ. w. verdffentlicgt wurde. 
Der Inhalt das Bushs bat auf dieſe Weife wie Much eine Urt 
BDiumeniprage auch im Außen ſpomboliſch dargeſtellt werden 
ſollen. Aur Erklaͤrung deſſen hat bie Verf. einen Artikel der 
Beſchreibung der Bierathen gewidmet, mit weichen bie mor⸗ 


. 





re 


Bu e Sandeleute mit den Schaͤten des per 
chen Bichtkunſt bekannt zu machen, in Betreff welcher die 
erf. behauptet, Perfien befige mehr. ter‘ als alle andern 

Bötler zufammengenommen. Sie theilt aber nur Mufter von 
einigen diefer Dichter, natürlich in der freieften Übertragung, 
mit, denn eine getreue Umdichtung diefer Poefien in einer für 
Europäer verfländlichen oder ſchmackhaften Form ift eine reine 
Unmöglichkeit, was von ber eigenthuͤmlichen idiomatiſchen Bil⸗ 
dung der Sprache herrührt, worübet ſich ein perfifger Ge⸗ 
lehrter der neueften Seit, Ibrahim Mirza, folgendermaßen aus: 
fpricht: „Eins der Kennzeichen der perfiſchen Dichterfprache be: 
fleht darin, daß ed kaum einen Gegenftand gibt, für welche fie 
nicht eine Menge verfchiedener und bedeutungsveller Worte be 
figt, von denen felten zwei ganz denfelben Gegenfland ohne 
irgend eine befondere Färbung und Mobdification bezeichnen; 
eins davon fehildert 3. B. den Segenſtand an und für fi, die 
andern unter verfchiedenen Gefichtöpunften — fo wird, wenn 
dee Dichter eine Kerze nennt, er ein anderes Wort gebrauchen, 
je nachdem er von der Eigenſchaft oder der Stellung oder dem 
Buftande der Kerze fpricht —, was dem Überfeger namenloſe 
Schwierigkeiten bereitet. Gine einzige Beile erfobert oft brei 
oder vier Seiten Erklärung, um alle die Anfpielungen und 
Feinheiten des Ausdruds aufzuhellen, welche der Dichter beab- 
fihtigte. Ein Kameel 3. B. bat gegen 50 — 100 verfchiedene 
Kamen, indem für jede Alteräftufe von dem Tage wo es ge: 
worfen ift bis 
bezeihnung vorhanden iſt. Kameele von verfchiebener Farbe 
und verfchiedenen Eigenſchaften, Kameele im Lauf oder Schritt, 
oder im Stehen oder Liegen, alle haben ihre eigenthümliche 
Benennung, während dein Überfeger, will er ſich nicht lan» 
er Umfchreibungen bedienen, nur das einzige Wort Kameel zu 
ebote ſteht. Alle Beitwörter oder Infinitive beftehen mit we⸗ 
nigen Ausnahmen aus drei Buchftaben, durch deren verfchie: 
bene Berfegung und bie Hinzufegung von einem, zwei oder drei 
befondern Buchſtaben aus diefen dreilautigen Wurzeln 13 Eon: 
jugafionen entftehen, in deren jeder das Wort einen verfchie: 
denen Laut und eine-verfchiebene Bedeutung annintmt.” Auf 
diefe Weiſe werden völlig voneinander verfchiedene Zuftände 
duch ein einziges Wort ausgedrückt, bei deffen Übertragung 
durch eine weniger finnvole Bezeichnung Diefe bedeutung: 
vollen Unterfchiede, welche einen wefentlichen und nothwendigen 
heil jener Pocfie ausmaden, verloren geben müflen. Wie 
nach Diefem die perſiſchen Dichtungen der Miß Coftello in Be: 
zug auf die Eigenthümlichkeit ihrer Quellen ausgefallen fein 
mögen, mag baraus hervorgehen, daß fie felbft gefteht, fie fei 
mit der perfifchen Sprache nicht hinlaͤnglich vertraut, fondern 
babe fi zu ihrem Zwecke vorhandener Überfegungen bedient. 
Es find alfo nicht Anderes ale Gedichte, denen bie Gedanken 
perfifcher Dichter zu Grunde liegen, Gedichte, Die überdies von 
eigenem dichterifchen Schwung der Berf. zeugen. 


genlän ben Botker ihre Handſchriften ausftatten. Der Zweck 
des je aber iſt, 


Die Dichter aub der Schreibftube. 

George Gilfilan in feiner im vorigen Jahre erfchienenen 
„Gallery of literary portraits‘ freut bei der Schilderung. des 
Dichters Charles La 
und die Umftände, unter welchen er ſich am günftigften ent: 
wideln könne, ein, die manches Richtige enthält, aber in ihrer 
: Allgemeinheit fiherlic nicht für gültig angenommen werden 
barf: „Es ift ein eigenthuͤmlicher Umſtand, daß in unfern 

Tagen der Faufmännifche und Kpängeiftige Charakter in gewif⸗ 
- fen Fällen fi) miteinander vermifcht haben, ohne einander zu 
verniten. Die Literatur hat in unferm feltenen” Beitalter 
die Schreibftube des Kaufmanns betreten. Schöngeiftige Faͤhig⸗ 
Beit der feltenften Art hat bei dem Auspaden von Güterballen 
bölfreiche Hand geleiftet. Geiſt, der echteften und überlegeriften 
Cast, hat fi auf-den hohen dreibeinigen Eomptoirftubl nieder: 


Verantwortlicher Deraudgeber ; Geinrich Wrodhans. — Drud und Verlag von F. U. Wrodtans in eeipzig. 


des Lorbers getragen. 


um Tage wo es verendet eine eigene Wort⸗ 


folgende Bemerkung über Dichterberuf 


| | 
' 388 


gelaften und Hinter feinem -«bebenden Dr» einen Federklel ſtatt 
Diefer auf folge Weife gefrönte Genius 
iſt freilich nicht vom romantifchften und ätherifcheften Range ge 
wefen. Es iſt lächerlich fich einen Schreiber zu denken, der jegt 
mit Glut und dichterifcher Wuth ein Myfterium entwirft, und 
dann einen Frachtbrief für Duffeline ſchreibt; der Nie Feder fallen 
laͤßt, womit er die ſchrecklichen Strophen einer Balpurgienacht 
bingeworfen, um Garne zu facturiren. Mit aller Udhtung vor 
dem Handel in feinen verfchiebenen Zweigen Binnen wir. es 
nicht für möglih halten, daß ein Goethe, ein Schiller, ein 
Byron oder ein Ghelley u. f. w. in einer Waarenhalle aufer: 
zogen worden wäre. Hätten fie nit dur Wald und Forſt 
geſchwaͤrmt, durch die weiten Felder, «vertraut jedem Gteene 
und jedem ftürmenden Wind», mit freiem Fuße, um nah Ges 
fallen die Watte oder die Haide, den fanften Mafen oder bie 
erftarrte Lava, den Sand oder den Schnee zu befchreiten; mit 
von den Sonnenſtrahlen des Tags gebräunten Geſichtern und 
vergeifligt durch die Gternenaugen, welche. auf fie des Xachts 
ihren Einfluß berunterfchoffen — nimmer hätten fie werben koͤn⸗ 
nen, was fie zur Ehre ihrer Gattung und zum Ruhme des 
Weltalls geworden find. Man denke fih einmal Goethe mit 
der erhabenen Stirn und der gebietenden Geftalt über das 
Hauptbuch gebüdt, oder den Seber Eoleridge, mit feinen tief⸗ 
träumerifchen Augen, vertieft in Berechnung des Eurszettels 
Und doch brachte Charles Lamb, Eoleridge’s liebſter Freund, 
den größten Theil feines Lebens auf folhe Urt zu. Aber des⸗ 
halb war Charles Lamb, obwol ein echter Dictergeift wie je 
einer, ein Genius von ganz verfdiedenem und untergeordnetem 
Range. Und wir wiffen nicht, wie viel größer er geworben 
wäre, wenn er eine andere Erziehung empfangen und flatt ber 
Sklave einer Faufmännifchen Schreibftube, der Freie jener Stade 
genelen wäre, deren Erbauer und Gründer Gott ift.” Zur 

iderlegung der allgemeinen Richtigkeit dieſer Behauptung 
braucht es nichts als daß wir auf unfern Breiligrath hinweiſen, 
der, obwol er über Hauptbuch und Strasse gebuͤckt gefeffen, bie 
Glut und Schöpfungsluft und Schöpfungsfraft eines Dichter⸗ 
geifteß beurkundet, der fi mit dem Coleridge und Eheley 
des Engländers mehr als meflen Bann. 2. 








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Blätter 


für 





literarifde Unterhaltung. 


8. April 1846, 





Franz Freiherr Gaudy. 
(Beſchluß aus Nr. 9.) 
Wenn wir Gaudy Das mas bie Franzoſen esprit 


nennen in bebeutendem Maße zufchreiben, fo ſchließen 
wie damit andere wichtige Elemente bes poetifchen Ge⸗ 


nius keineswegs aus. 
Einbildungskraft ift ihm durchaus nicht abzuſprechen, 
und wenn die Probuctivität hauptſaͤchlich durch biefe 
Gigenfchaft bedingt ift, fo fheint bie große Zahl und 
Maffe von Gaudy's Hervorbringungen für ſich allein 
ſchon ein vollgültiges Zeugniß für. diefelben abzulegen. 
In der That firömen ihm im Einzelnen die Bilder in 
üppigfter Fülle und Mannihfaltigkeit zu und häufen 
fi fogar bisweilen bis zum Übermaß, und ebenfo muß 
ihm das Erfinden fehr leicht geworden fein. Jedoch 
möchten wir ihm mehr überkleidende Einbildungskraft 
als fchöpferifche Phantaſie zufchreibenz die Seelen feiner 


Gedichte find häufiger Gedanken als eigentlid poe⸗ 


tifhe tiefe Anfchauungen und freie. Conceptionen; bie 
Stoffe und Motive feiner Novellen und Erzählungen 
find ihm theils von ber Gefchichte gegeben, theils Ab- 
fenter won ähnlichen ihm vorfchmebenden Probuctionen, 
auch wol eigene Erlebniffe, — immer glüdlich gewenbet, 
geiftvoll varürt, duch neue Verknüpfungen anziehend 
gemacht; aber in echter Erfindungskraft, forpol was die 
Kabel als was die Geftalten und Perſonen betrifft, kann 
er fih mit den Mataboren auf dem Felde der Roman⸗ 
und Märchen» Ropellenpoefie keineswegs meffen. Die 


Novelle war Gaudy, wie und fcheint, oft nicht ſowol 


Zweck als vielmehr nur Mittel um gewiffe Anfchauun- 
gen, Eindrüde, Hiftorifche Erinnerungen und Bilder in 
eine anfprechende Form zu faffen. Betrachten wir bei- 
fpielsweife die Erzählung „Der Pfarrer von Weinfperg”, 
Die Frucht einer Reife nach Schwaben, welche der Dich- 
ter aus bem Munde des Pfarrers von Pfullingen ge- 
hört haben will. Wol mag ihm eine Gefchichte der Art 
erzählt worden fein, aber unverkennbar ift e8 dem Verf. 
vor Allem darum zu thun, den Eindrud,. welchen der 
Kichtenftein, dur W. Haufffs Roman zu großer Be- 
rühmtheit gelangt, auf ihn gemacht, zu fchildern, und 
damit eine Darftellung der biftoriichen Erinnerungen zu 
verbinden, welche duch den Beſuch bes Staͤdtchent 


⸗ 


Eine fruchtbare und glänzenbe- 


Weinfperg in ihm gewedt wurden. Dies gefchieht nun 
durch eine Erzählung, deren Kern folgender iſt: Zu’ 
bem Ritter von LKichtenflein kommt ein fahrender Schü- 
les von Reutlingen gebürtig, wie er- feit vielen Jahren 
pflegt, und wird von ihm und feinem holden Toͤchter⸗ 
fein als ein lieber Gaft wohl aufgenommen. Das Le 
ben und die Urt der fahrenden Schüler wird dabei recht 
anfhaulid und anmuthig gefchildert. Das Eraftvolle 
Auftreten des Martin Luther in Wittenberg, der eben 
das Werk der Reformation begonnen hatte, kommt zur 
Sprache. In der Nacht kommt ber vertricbene Herzog 
Ulrich von Würtemberg (den aufer W. Hauff und vor 
ihm ſchon Achim von Arnim in feinen „Kronwächtern” 
poetiſch behandelt und vielleicht treuer nach dem Leben 
gezeichnet hat), aufs Schloß. Mathias Häuslin, der 
fahrende Schüler, kennt den Herzog nicht, und erbittert 


ihn durch kecken Widerſpruch und wenig fchmeichelhafte 


Reden über den Herzog von Würtemberg bergeftalt, daß 
er ihn zum Fenſter in den Abgrund hinunter flürzen ' 
will, wovon er mit Mühe von dem alten Ritter fich 
abhalten läßt. Aber übel zugerichtet muß ber Schüler 
das Schloß verlaffen, das er mehre Jahre nicht wieder 
fieht, fo fehr fich fein Herz dahin ſehnt. Sechs Jahre 
naher, 1525, tobt der Bauernkrieg um Weinſperg und 
ed werden nun bie bortigen graufigen Dergänge, die 
Angft der Bürger vor dem Anzug ber Bauern, ber 
Übermuth der ihnen zu Hülfe gelommenen Ritter, bie 
Erftürmung des Städtchens, die Niedermegelung. der ge⸗ 
fangenen Edelleute fehr lebendig und anfchaulich gefchil- 
dert. Pfarrer in MWeinfperg ift mittlerweile Mathias 
Häuslin geworden, und unter den Rittern ift auch der 
alte, Herr von Kichtenftein mit dem Bräutigam feiner 
Tochter; Lepterer wird erfchlagen, Erſterer aber durch 


eine glückliche Fügung und mit Hülfe- des, Pfarrers ge- 


rettet, und aus Dankbarkeit gibt er feine Tochter Irene 
dem ehemaligen fahrenden Schüler, ber fie lange im 
Herzen trug und deffen Neigung fie erwibert hat, zum 
Weibe. Die Beftandtheile dieſer Erzählung find nicht 
neu und die Fabel felbft if, fo oder * ſchon oft dage⸗ 
weſen, auch haben die Charaktere durchaus nichts Aus⸗ 
gezeichnetes, Praͤgnantes; aber die Geſchichte lieſt ſich 
doch recht angenehm und intereſſirt durch bie Verflech⸗ 
tung der Schilderung der Scenerie mit gefhichtlichen 


nerungen; und auf aͤhnliche Weife find wol noch 
ande Srsductionen Baudy's entflanden, beren Verdienſt 
weniger in ber poetifchen Erfindung des Ganzen, in ber 
per, beſteht, als in der lebendigen, geiſt und geſchmack⸗ 
dollen und oft wirklich poetiſchen Anwendung der ver- 
ſchiebenen Elemente, bie er geſchickt berbeiyugkehen mei — 
—E hiſtoriſche Begebenheiten und Merk⸗ 
würdigfeiten, Gittenzuftände, Gefühle und Leidenſchaften. 
Gaudy's Fictionen und Perfonen find im Ganzen mehr 
nur die Träger feiner eigenen Empfindungen und Ge- 


danken, Miefer Gefühle wie fatirifcher und humoriſtiſcher 


Ein⸗ und Ausfälle; feine Charaktere find, wie bied bei 

ortſten ſo Hänfig gefchicht, ober minder Cari⸗ 
* was auch der Dichter ſelbſt wol weiß. „Der 
moberne Paris“ z. B. enthaͤlt eine techt ergägliche Dar⸗ 
ſtellung und Verfiflage moderner Blaſittheit und Affecta⸗ 
tion, gepaart mit dem hetzlofeften Egeismas in der Per- 
fon des Helden, welcher drei Lirbesgätbel anfnüpft und 
am Ende als Liebhaber und Bräutigam von Großmut⸗ 
tet, Mutter und Tochter in peinlicher Verlegenheit da⸗ 
ſteht; abet fo fehr manche Züge des modernen Paris 
nach dem Leben copirt fein mögen, roird doch der ganze 
Charakter nicht pigchelogiich anſchanlich gemacht, — wie⸗ 
wol eb vielleicht zu viel verlangt iſt, einer ſolchen herz⸗ 
Idfen Larve einen eigentlichen Charakter zu geben; und 
(ever erzeugt unſere Zeit ſolcher Larven genug. Un die 
Mbogkchteit einer ſolchen Perſon wie die Großmutter zu 
gkauben iſt eine etwas ſtarke Zumuchung fin den Lefer. 
Wenn indeffen gegen Fabel und Charaktere in ben No- 
vellen Gaudy's ſich mande Einwendungen machen laffen, 
fo maß man bo den Schiderungen, ben Empfindun⸗ 
gen und Gedanken, deren Traͤger jene find, Hohes Lob 
fpenden; die Befchreidungen von Scenerien mb von 
Situationen, bie Darſtellung von Gefühlen, die ernſten 
unb humorittiſchen Neflerionen, die man bei ihm teich- 
lich finder, find ebenfo lebendig und atifchaulith, ebenfe 
marmichfaltig als innig, tief und durch Wahrheit ergrei- 
find. Gaudy Hut ſich mit ſcharfem offenen Auge Im 
Leben umgefchen, er hat ein gutes Stuͤck Welt kennen 
gelernt und ift über viele Slluflonen hinaus; felbft von 
einiger Bitterkelt iſt er nicht freizuſprechen, und baber 
weiß er die Thorheiten und Verkehrtheiten der Menſchen 
im Gtoßen und im Kleinen ſcharf zu geißeiln; Aber es 
iſt rührend zu bemerken, wie er dabei doch bie feinſte 
Fühlbarkeit des Hetzens ſich bewahrt hat, wie er bie 
reinen, die heiligen ‘Gefühle ber unverfälfſchten Natur, 
dlie ſüßen, unſchuldigen Erinnerungen ber Kindheit und 
Jagend mit ſorgſamſtet Pietät hütet, wie er mit tiefer 
Sehnfucht in die veinen Tage der Jugend mit ih⸗ 
rem träuimerifihen Glück ihrer ahnungsvollen Riebe, ſich 
zielkverſezt, wir er das harmloſe Behagen ſolcher be⸗ 
ſcht ankten Naturen beneidet, bie in einem engen Kreiſe, 
einer Schule z. B., fi bewegend, doch in dieſer gleich⸗ 
föemigen Thaͤtigkeit hr Gluck finden, wie er ſolche Stili- 
ichen mit Inkider rare und Sympathie zugleich Im 
Gelfte Sean Paulls ſchuvett. Hier weiß der: Dichter 


oft Alt den einfachſten "Mitten die eiefſten Galten des 


Herzens in Bewegung zu ſetzen, und ſeine Erzaͤhlung 
„Jugendliebe“ ift in ihrer anſpruchloſen Einfachheit tief 
ergreifend. Überhaupt fpricht es für” die Gediegenheit 
von Gaudy's Natur und Gemüth, daß er unter Ver⸗ 
Yältniffen, welche ber eruſten Sammlung bes Geiſtes, 
einer tiefen Auffaffung des Kebens chen wicht günflig 
waren, und bei feinse Anlage zu Humor und Satire, 
wozu noch eine unleugbare Berfiimmung und Verdüſte⸗ 
rung feiner Gefühle kam, doch nicht zur Frivolität, zur 
Mifanthropte und zum Cynismus fi nieigte, fondern 
im Gegentheil einer milden Lebensweisheit, einer auf ge- 
müthlichen und fittlichen Ernſt gegründeten Weltanfchau- 
ung ſich ‚ und duvch die Beebachtung fe vieler 
Thorheiten und Verkehrtheiten im Großen und Kleinen 
fih im Glauben an das Wahre und Schöne nicht irre 
machen ließ; daß er, den Schulen der Philofophen ziem- 
lih fremd, aus ben Erfahrungen bes bewegten Lebens 
ſelbſi fi eine wenn auch nit üͤbeeſchwaͤngliche, doch 
im beften Sinn humane Philoſophie gründete. Wien 
dings waren es weit mehr die Segenflände ber Phile- 
ſophie, die ihn, den glücklichen Beobachter, den humoröüfti⸗ 
ſchen Schriftfteller befchäftigten, ale metaphyſiſche Räth⸗ 
fel und Probleme, und bie bimten Erſcheinungen bes 
wirklichen Lebens boten ihm für feine Federzeichnungen 
den erwünfchteften, dankbarſten Stoff, ohne daß er in 
die tranfeendente Welt der Ideen aufzufliegen fich ge 
drungen Jefkhle hätte; aber au für Das, was nm 
bem tiefften Gefühl, ber Ahnung, ber Sehnſucht bes 
Menſchenherzens zugänglich ift, blieb ihm, einem echten 
Dichter, ber Sinn nicht verfchleffen, und eins der ſchwie⸗ 
rigſten Themata der Metaphyſik oder der Theolegie, 
„Die Ewigkeit“, bat er in einem Gedicht mit bie 
Ueberfhrift in Terzinen behandelt. Die Sage, weiche 
diefem Gedicht zu Grunde liegt, daß nämlich ein Mönch, 
der fein Kloſter verläffen, dem "Belang eines wunderba⸗ 
ven Vogels mit Entzücken gelaufcht, und als er ne 
einet Stunde, wie er wähnte, wieder nach‘ Haufe ging, 
Alles verwandelt gefunden babe, weil inzwiſchen nicht 
eine Stunde, fondern hundert oder tauſend Jahre ver⸗ 
floffen waren, diefe Sage iſt auch fonft ſchon poetiſth be⸗ 
arbeitet worden, aber mol nie fo gluͤcklich wie von Gaudby: 
Es tönt hoch aus der Wolfe glockenrein 
Ein Klang, wie ſüdwärts ziehender Sihwaͤne Lieder, 
Wie SHenfang beim Tanz im Mondenſchein. 
Ein Bogel wit goldſchillerndem Gefieder, 
Dei Darabiefen farbiged Bunderkind 
Senkt auf den Yalmenzweig ſich Ratternd nieder. 
Er fing. Seine WBunbertönr find | 
Wie wenn der Holsharfe gold'ne Baiten 
Mit Ieifem Kuß berührt der Abendwind. 
Bald Magend, trauernd, fehnend, ſchluchzend gleiten 
Der ZEhne Wellen in & N En a 
Bald freudig, wie Verheißung beſſ'rer Beiten; 
Bald hoch auffauchzend wie der Bleger Chor, 
Ba erzlich feufgend gleich der Mutter Stähmen, 
Wenn fie den Sohn, Den einzigen, verlor. - 
dieſem Gericht hat Gauby ebenſo fehr Feine 
Meiſterſchaft In ber Form bewaͤhrt als gezeigt, weich 


— nr 


"gen Ausdauer dieſer braven 





wer, wab wenn unſer Dichter häufig vorzugsweiſe 
Scherz zu huldigen, an bie äußere Erſcheinung bes. bun⸗ 
sen Lebens mit Worliebe fih zu halten fiheinen mag, 
fo aheifiht ber doch die Gerechtigkeit, anzuerleunen, bag im 

imerfien Kern feiner Ratur ein tiefer Ernſt wohnte, 
den er wol mochte zurücktreten laſſen ‚, aber den er we⸗ 
ber als Menſch noch ale Dichter je aufzugeben gemeint 
war, und der in feinen beiten Erzeugniſſen, aud in de- 
wen der heitern Art, durchklingt und das wohltpnende 
Gefühl echten Gehalts dem Leſer gewährt. 





Die Sachſen in Rufiand. Ein Beiteng zur Geſchichte 
bes ruflifehen Feldzugs im Jahre 1812, beſonders im 
Bezug auf das Sciäfal dee koͤnigl. fiſ Truppen⸗ 
abtheilung bei der großen franzöſifchen Armee. Aus 
dem Nachlaſſe des eönigt- preuf. 5 Majors von Bur- 


kersroda, ehemaligen Offizier des königl. Tan. De Re- 
giments Garde du corps n. f. m. Naumbuvg, We 
ber. 1846. ©r. 8. 12 Per. 


Su Ddiefem Meinen Schriftchen erhalten wir einen nicht un⸗ 
intereffanten Beitrag zur eſchichte des ruſſiſchen Feldzugs von 
einem ehemals ſachſiſchen Offizier und Adjutanten des Generals 
von Thielmann, der bekanntlich eine Brigade des unter dem 
Befehle des Generals Yatour-Waubourg ſtehenden vierten Ga» 
valerie- Referve: Corps commandirte. Die Operationen Diejes 
Corps und inshejondere der erwähnten Brigade, welche ſich in 
diefem Feldzuge fo vielen Ruhm erwarb,. aber auch faſt gang 

Grunde ging, von dem Übergunge über Den Riemen bei 

rodnow an bi6 zur Ruͤckkehr zu diefem Pluffe bei Kowno, 
werden von dem Berf. ald Augenzeugen in gedrängter uͤberſicht 
dargeſtellt und die überall eingeſtreute Mittheilung einzelner 
Züge eigener Anſchauung und Erfahrung geben ein fo lebendi⸗ 
* Bi der heroifhen Aufo spferung . und bewunderung&würdi« 
achſen in Kampf und Roth, ba 
der Lefer ſich dem Bohne des bereits Längft verblichenen Berf. 
Fir bie Beröftentlihung dieſer anfpruchlofen Memoiren dankbar 
verpflichtet fühlen. muß Auszüge würden ſehr unpaſſend fein 
aus einem Büchlein, das auf jeder Seite anziehende Einzelhei⸗ 
ten enthält. Rur au einer Keemerfung finder Ref. durch mehre 
dieſer Mittheilungen Beranlaffung. Es ift wahrhaft empörend, 
wie Kae braven Landsleute, die ihr Blut für die Intereflen 
des franzoͤſiſchen Kaiſers 3 während des ganzen Feld⸗ 
zuot nicht nur durch Vernachlaͤſſigung aller Art von Seiten 
r Franzoſen beeinträchtigt, andern uch durch böhnifchen und 
brutalen Übermuth derfelben verlegt worden find. Der nom 


General Latour: Mauboung gegen unfern Verf. ausgefproshene 


Garkasinus über die dem General Thielmann von feinem Koͤ⸗ 
nige während bes Rüdzugs zu Iheil gewordene Yußgeichnung 
fowie das Unzünden einer Ortſchaft von Ion Geiten der Jungen 
Garde, welche den Flüchtlingen, die vor ihnen bafelbft ange: 
Fommen waren, die Ruhe nicht gönnte, geben neben vielem 
Undern für Beides traurige Beigt, Übrigens beflätigt auch 
dieſes Schriftchen das große rl id der Rufen während bies 
ſes ganzen Feldzugs. Alle Ehre verbleibe dem Patriotismus 
und der Japferkeit, welche & e dabei bewieſen haben. Aber wo 
die Fig] fo oft, barbietenbe Gelegenheit, den bebrängten ſchwaͤ⸗ 

eind mit leichter Mühe zu vernichten, fo wie bei dieſem 
— ber Framzoſen unbenugt gelaſſen wird, da muß ber 
Hochmuth, mit welchem bie Mulfen von dieſem Rrisge au in 
dieſer Beziehung gu ſprechen ‚pflegen, ſehr Kcherlich erſhinen. 


288 
eraflm und -tkeffinnipen Mufgeben fein Talent fen 


Biblisgraphie. 


Bauer, D,, Seſchichte Deutfchlands und der fra en 
Revolution ——* der Herrſchaft Rapolson’s. Ifter Sat Bi 
gan Beieben 908 Lunepille. Charlottenburg, Bauer. (Br 

Sir. U Rear. 

Clorus, 2, Darfiellung ber Veanif n Literatur im Mit: 
telalter. Mit einer Vorrede von 3. v Goͤrres. Zwei heile 
Mainz, Kirchheim, Schett und Zhielmann. Gr. 8. 4 Zhlr. 

Eichbolz, E., Saiejale eined Proletariers. Ein Boll» 
buch. Leipzig, Keclam ju 75. Rer. 

Sort, €. F. v., Di Töntfigen Heerſtraßen und erh 
mer der fdreäbifänen Alp und am Bedenſee. Nach Urchiv.D>e 
cumenten und neueren Forſchungen, nit Ruͤckſicht auf das vdrittt 
Segment te Peutinger'fchen Tafel befeuchtet. Stuttgart, Koͤh⸗ 


fer. 

Groß⸗ Boffinger, A. 3., Fuͤrſt Metterni und das 
öfterreihifge Staats - Syftem. Ein Gutachten. Ifter Band. 
Leipzig, Reclam jun. 8. 2 Ip. 

Hahn, 2, Geſchichte der Auftöfang der Jeſniten⸗Gongre⸗ 
gationen in Sranfreich im Jahre 184 Leipzig, Brockhaus 
und Avenaxius. Gr. 8. 1 hie. 10 Rgr. 

Hegel's Gotteslehre und Gottesfurcht. Seinen vornehm⸗ 
lichen Gegnern, den theologiſchen, anthropologiſchen und an⸗ 
—— zur Erwaͤgung geſchrieben. Leipzig, Schmidt. 

r. 
SerloßfohnE., Die Tochter des Piccolomini. Hiſto⸗ 


eif@ romantifehed Gemälde Drei Bände. Altenburg, Pieter. 
Al. FA 


8, Thlr. I 5 Nar. 

Sache. ©. G. A., Über Descartes Beben und feine Me: 
tbode die Bernunft ei zu leiten und die Wahrheit in dem 
Fe ln zu ſuchen. Berlin, Adolf und Comp. Gr. 8. 


Sohn, R., Die Geſchichte der chriſtlichen Kirche. Dem 
dutſgen Bol Volke gefehildert für Schule und Haus. Leipzig, Feſt. 


Sürgenn K., Luther's Leben. Ifte Abfheilung. Luther 
von ſeiner Geburt bis aum nd reite. Ifter Band. Leip⸗ 
zig, Brodhaus. Er. 8. 2 Ahle. 15 Nor. 


Kirchner, €., —5 der Dffenbarung Gottes im 


neuen Teſtament, in Verbindung mit der Erklärung und An⸗ 
wendung derjenigen Abſchnitte deſſelben, aus welchen die Vor⸗ 
—— Pflanzung und Leitung der Kirche Feſu Seil 
hervorleuchtet. Berlin, Müller. Gr. 8. 1 Lhlr. 
"Rar. 


gauer, H., Die Philofophie des Rechts in ihren Grund⸗ 
PR Ifter She in, Kirchheim, Schott und Shielmann. 


— Fi Deutfce Briefe und Sendſchreiben Sn. 


einer zeitgemäßen Ausıwa I herausgegeben von Dörin 
Ifter an. ı Ifte Haͤlfte. Bei au den Jahren — 
Altenburg, Pierer. Kl. 8. 15 Xgr. 
— — Ungedrudte Predigten. Aus den Sand griften ber 
berzoglüchen Bibliothef zu Wolfenbüttel herausgege 
oec. Iſte Lieferung — zu Weimar gehalten. Im 
abre 1522. Berlin, — 8. 15 Ser. 
Meißner, % u, „Die 5 Babritgerinhte in Fronkreich. Seip 
zig, Brockhaus. Br. 8 Rar. 
Petri, k. A., Das 2*5 EB aus den Heiligen 
on Hannover, Hahn. Gr. 8 
Richt Fee * * des Königreichs — 25*8 
r un 
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—* * ig, ie 
d mälde, oder Bei k des «6 
m urban Um Beinen, A, Sn — 


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. B_-._ 


Erinnerungen; und auf aͤhnliche Weiſe find wol noch 


manche Productionen Gaudys entſtanden, deren Verdlenſt 
weniger in der poetiſchen Erfindung des Ganzen, in der 
Idee, beſteht, als in der lebendigen, geiſt⸗ und geſchmack⸗ 
vollen und oft wirklich poetiſchen Anwendung ber ver⸗ 
fepiehenen Elemente, Sie er geſchickt herbeizuztehen welß — 
—— , hiſtoriſche Begebenheiten und Merk⸗ 
wuͤrdigkeiten, Sittenzuſtände, Gefühle und Leidenſchaften. 


Gaudy's Fictionen und Perſonen ſind im Ganzen mehr 


nur die Traͤger ſeiner eigenen Empfindungen und Ge— 
danken, kiefer Gefühle wie fatirifcher und humoriſtiſcher 
Ein und Ausfälle; feine Charaktere find, wie dies bei 
Humortſten fe bänfig geſchieht, mehr oder minder Cari⸗ 
caturen, was auch der Dichter felbft wol weiß. „Der 
woberne Vario” 4.3. enthält eine techt ergögliche Dar- 
ſtellung und Perfiflage moderner Blaſittheit und Affecta⸗ 
tion, gepaatt mit bem herzloſeften Egeismes in der Per- 
fon des Helden, welcher drei Liebeögandel anknüpft und 
am Ende als Liebhaber und Bräutigam von Grofmut- 
tet, Mutter und Tochter in peinlicher Verlegenheit ba- 
fteht; aber fo fehr manche Züge des modernen Paris 
mach bem Leben copirt fein mögen, wird doch der ganze 
Charakter nicht pigchetogifch anfchamtich gemacht, — wie⸗ 
wol ed vieleicht zu viel verlangt iſt, einer ſolchen herz⸗ 
Idfen Larve einen eigentlichen Charakter zu geben; und 
leider erzeugt unfere Zeit folder Larven genug. Un die 
Moglachteit einer folgen Perfon wie die Großmutter zu 
gkauben iſt eine etwas ſtarke Zumuchung für den Leſer. 
Wenn indeſſen gegen Fabel und Charaktere in ben No- 
vellen Gaudy's ſich manche Einwendungen machen laffen, 
ſo muß man doch den derungen, den Empfindun⸗ 
gen und Gedanken, beten Traͤger jene find, Hohes Lob 
foenden; die Beſchreibungen Yon Scenerien und von 


Situationen, die Darſtellung von Gefühlen, die ernſten 


und humoriiſchen Neflexionen, die man bei ihm teich⸗ 
Lich finder, find ebenfo lebendig und anſchaulich, ebene 
manmichfaltig ale innig, tief und durch Wahrheit ergrei- 
fend. Gaudy Hat fih mit ſcharfem offenen Auge im 
Leben umgefehen, er hat ein gutes Stuͤck Welt kennen 
gelernt und ift über viele Illuſſonen hinaus; ſelbſt von 
einiger Bitterfelt iſt er nicht freizuſprechen, und daher 
weiß er die Thorheiten und Verkehrtheiten der Menſchen 
im Großen und im Kleinen fiharf zu Heißeln; Aber «6 
ift rüßrend zu bemerken, wie er dabei doch bie feinfte 
Fühlbarkeit des Herzens fi bewahrt hat, wie er bie 
reinen, die heiligen "Befühle der unverfälfiten Natur, 


die fügen, unſchuldigen Erinnerungen der Kindheit und 


FJögend mit forgfatnfler Piece hütet, wie er mit tiefer 
Sehnſucht in die veinen Tage der Jugend mit ih⸗ 
rem träumerifchen Gluͤck, Ihrer ahnungsvollen Riebe, fich 
zuclckverſezt, wie er das harmloſe Behagen folder be⸗ 
ſchraͤnkten Naturen beneidet, bie im einem engen Kreiſe, 
einer Schute z. B., fi bewegend, doc in dieſer gleich⸗ 
förmigen Thaͤtigkeit he Glück finden, wie er ſolche Still⸗ 
lcben mit illder Zronle und Syinpatkhie zugleich im 
Gelſte Sean Baus ſchuvett. Hier welß der Dichter 
oft ut den einfach 


ſten Micteln die tiefſten Galten des’ 


Herzens in Bewegung zu fegen, und feine Erzählung 
Jugendliebe“ ift in ihrer anſpruchloſen Einfachheit tief 
ergreifend. Überhaupt fpricht es für die Gediegenheit 
von Gaudy's Natur und Bemüth, daß er unter Ver⸗ 


Kältniffen, welche ber eräften Sammlung bed Geifes, 


einer tiefern Auffaffung des Lebens eben nicht günflig 
waren, und bei feiner Anlage zu Humor und Satire, 
wozu noch eine unleugbare Berfiimmung und Berbüfte- 
rung feiner Gefühle kam, doch nicht zur Frivolität, zur 
Mifanthropte und zum Cynismus ſich neigte, fondern 
im Wegentheil einer milden Lebensweisheit, einer auf ge- 
müthlichen und fittlihen Ernft gegründeten Weltanfchau- 

die vieler 


ung na 
Thorheiten und Werkehrtheiten im Großen und Kleinen 


fih im Glauben an das Wahre und Schöne nicht irre 
machen ließ; daß er, den Schulen der Philofophen ziem- 
ih fremd, aus den Erfahrungen des bemegten Lebens 
ſelbſt ſich eine wern auch nicht überſchwaͤngliche, doch 
im beſten Sinn humane Philoſophie gründete. Aller⸗ 
dings waren es weit mehr bie Gegenſtände der Philo⸗ 
ſophie, die ihn, den glädlichen Beobachter, den humoriſti⸗ 
fen Schriftfteller befchäftigten, als metaphyfiſche Raͤth⸗ 
fel und Probfeme, und die bunten Erfeinuugen bes 
witklichen Lebens boten ihm für feine Feberzeichnungen 
den erwünfchteften, dankbarſten Stoff, ohne daß a in 
die tranfeendente Welt der Ideen aufsnfliegen fich ge⸗ 
drungen gefhit Hätte; aber auch für Das, was nme 
dem tieffien Gefühl, der Ahnung, dev Gehnfucht des 
Menſchenherzens zugänglich ift, biieb ihm, einem: echten 
Dieter, der Sinn nicht verfchleffen, und eins der ſchwie⸗ 
rigſten Themata der Metaphyſik oder der Thevisgie, 
„Die Ewigkeit“, hat er in einem Gedicht mit dieſer 
Ueberſchrift in Terzinen behandelt. Die Sage, welche 
dieſem Gedicht sm Grunde liegt, daß nämlich ein Möuch, 
der fein Kloſter verläffen, dem "Belang eines munberba- 
ven Vogels mit Entzücken gelaufcht, und als er neh 
einer Stunde, wie er waͤhnte, wieder nach Haufe ging; 
Alles verwandelt gefunden habe, weil inzwiſchen nicht 
eine Stunde, fondern Hundert oder tauſend Jahre wer- 
ftoffen waren, dieſt Sage iſt auch ſonſt fon portifih be⸗ 
arbeitet worden, aber mol nie fo ‚glücklich wie von Gaudy: 
Es tönt hoch aus der Wolke glockenrein | 
Ein Klang, wie fübwärtd ztehender Sihwaͤne Lieber, 
Wie Menfang beim Tanz im Mondenſchein. 
Ein Bogel wit golbſchillerndem Gefieder, 
Dei Darabiefes farbiged Bunderkind 
Senkt auf den Palmenzweig ſich ſatternd nieder. 
Er finget. Seine Wunbertöne find 
Wie wenn der Holshatfe gold'ne Saiten 
Mit leiſem Kuß berührt der Abendwind. 
Bald klagend, trauernd, fehnend, ſchluchzend gleiten 
Der Ibne Wellen in IK eures un en 
Bald freudig, wie Verheißung beſſ'rer Seitens 
‚Bald hoch auffauchzend mie der Steger Eher, 
Ba mie feufgend gleich der Wutter Stöhmen, 
Wenn fie ben Sohn, ben einzigen, verlor. - 
dieſen Gedicht Hat Gaudy ebenfo Fehr feine 
M aft In ber Form bewaͤhrt als gezeigt, welch 





REZIETEO 
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wie unfere biuven amnvonm: mus un uses 


De Far Raifers verfptigten,, 353 Bed ganen Bei 


nur durch Bernacläffigung aller 
—— — beeinträchtigt, fondern aud durä, —X und 
brutalen u derfelben verlegt worden Der vom 
General Latour: Mauboug dee unfern Be aus, erden 
Sarkasmus über die, — neral Thielmann "von Kam Ks 


FR8 ganzen Reldgugs. 
und der Tapferkeit, „Ei dabei — haben. do wo 
Die Ad fo oft barbietende Gelegenpeit, Den bebrängten fhwäs 
gern Zeind mit leichter Mühe zu vernichten, fo wie bei diefem 
A De Bere —X ee wird, da PA ur 
„, mit welchem m von biefem Sriege a 
dieſer Beriehung gu ſprechen pflegen, ſchr Laächeriich eriheinen. 





Augen. per ayeu. wmuing, Sitwwyrun, wıyur unv aymınunn. 
&. 8. 1 Spt. 5 Ror. 
—8 een M., Deutfpe Briefe und Sendſchreibe 


au 12 eb Diri Mn. 

Ifter An Ifte win Sapın Rı —E 
Mitenburg, Yire. Kl. 8. De Ri 

edruckte Pre) "us den Handſchriften ber 


erg 8 vn Bird zů pe Fenbüttel Hevausgegeben von MB 
ER BE Er de 
R n ı 9.8, Di ii te an 

ie, ei mern * v an in Bei 


aus den Halligen 





der Seit achten, een won I Deiders. Leipzig, 


Feſt. Gr. 12. * I , 
Schmidt, E. Schule der vun in biographiſchen 

Umriffen. Berlin, Simion. 8. 1 Thir. 10 Rgr. , 

chott, W., Über den Buddhai in Hochasien und 


in China. Berlin, Veit und Comp. Gr.4. 1Tbir. 10 Ner. 


Schücking, 2, Die Nitterbärtigen. Roman. Drei Theile. 


"Beipzig, Brockhaus. Gr. 12. 4 Ahlx. 15 Nor 


GSuckow, 8%, ABC evangeliſcher iechenverfaffung. 


BSreslau, Goſohorsky. Br. 8. 1 Thle. 20 Nor 


Wackernagel, W., Altfranzösische Lieder und Leiche 
sus Handschriften zu Bern und Neuenburg. Mit gramma- 
tischen und literarischen Abhandlungen. Basel, Bohweig- 
hauser. Gr. 8. 1 Thir. 10 Ngr. 


Zagesdliteratur 
Alberti, J. G. Der Stand der Aerzte in Preußen. Ein 


hiſtoriſch⸗kritiſcher Verſuch, mit Beziehung auf die bevorſtehende 


Meform des preußifchen Medicinalweſens. Leipzig, Brodhaus. 
GR. 94 Sur. ſch zig, ckh 


8 
Anſichten eines Unbefangenen über die Reduction ber ſte⸗ 
en Deere und die Einführung zeitgemäßer Volkswehrver⸗ 
affungen. Adorf, Verfagsbureau. Br. 8. 10 Nor. 
Die Befchwerdevorftellungen der Mitglieder der proteſtan⸗ 


- tifchen Generalfynoden in Bayern vom Sabre 1844 und die 


hierauf ergangenen allerhöchften Entfchließungen. &t.- Gallen, 
Huber und Comp. Br. 8. 15 Rar. 

Blochmann, 8.3, Heinrich Peſtalozzi. Züge aus dem 
Bilde feines Lebens und Wirkens nady Selbflzeugniffen, An⸗ 
[danungen und Mittbeilungen. Leipzig, Brodhaus. Gr, 8, 

pr. 

Caspari, W., Die neue Heimath. Gericht. Berlin, 
Oehmigke. 1845. 8. 2%, Ner. 

Columba, ©., Seid flarf in dem Herren und in der 
Macht feiner Stärke! Ein Wort an das deutfhe Volk und bie 
en Fuͤrſten. Göttingen, Vandenhoeck und Ruprecht. Gr. 8. 

, Ror- 

Denkſchrift der Fönigl. Handelöfammer zu Köln über bie 
Beförderung der Schifffahrt des Zollvereins. Köln, Du Mont- 
Schauberg. Br. 4. 3%, Rur- 

Dietlein, W. D., Das Neid Gottes. Kine Biblifch- 
theologifhe Erörterung, mit Deyesung auf die Kirchenfrage. 
Berlin, Müller. Gr. 8. 12%, Nor. 

Eberty, ©., Schugichrift für Guſtav Adolph Wislicenus 


‚gegen die Anſchuldigung der Abweichung von ber Lehrbafis der 


‚evangelifchen Kirche und von der kirchlichen Ordnung. - Alten- 


burg, Helbig. &r. 8. 12 Kor. 

Sagern, 9.8. Freih.v., Zweite Anſprache an bie beutfche 
Ration über die Firchlichen Wirren, ihre Ermäßigung und mög: 
lichen Ausgang. Leipzig, Brodhaus. 8. 15 Nar. 

Halſchner, H., Die preußifche Berfaffungsfrage und bie 
Politik der rheinifchen ritterbürtigen Autonomen. Beranlaßt 
durch: „die Verfaffungöfrage von C. ©. N. Rintel.“ Bonn, 
Marcus. 10 Nor. 

Jörg, 3. G., Beleuchtung der für das Koͤnigreich 
Sachſen beantragten Reform der Medizinalverfaffung. Leipzig, 
Brockhaus. Gr. 8. 8 Nor. . 

Käuffer, 3. © R., Laßt uns durch an Wandel zei⸗ 
gen, Daß umfer Bol für eine angemeßnere Berfaffung der evan⸗ 
geltſchen Kirche nicht unmündig fei. Predigt. Dresden, R. 
und W. Kori. ®r. 8. 3 Nor. 

Keber, C. M., Die Koloniſations⸗Geſellſchaft in Könige: 
berg zur Gründung einer deutfchen Kolonie auf Muslito in 
Mittelamerita. Königsberg, Boigt. . a Rgr. 

Kell, 3., Die deutfche Volksſchule an die evangelifihe Con: 
fereng zu Berlin. Grimma, Verlagscomptoir. Kl. 8. INgr. 


Verantwortlicher Heraugeber: Heinrich Brock aus. — Drud und Berlag von F. E. Brockhaus in Leipzig. 


Luther's, M., Letzte Predigt, aber Matth. 11 
4: zu Eisleben am 14. Febr. 3% | und 
extäutert von E. H. Pfeilſchmidt. Leipzig, NRenger. Gr. 8. 

r. 

= — Zeftamente aus den Jahren 1537 und 1542, nebt 
urlundlichen Nachrichten über des letzteren Vollſtreckung im 
Jahre 1346 und über Luthers Wittwe und Kinder. Mitge- 
the om 8. ©. Förftemann. Rordhauſen, dJoͤrſtemanm. 

. er. 

— — Bermahnung zum Sakrament des Leibe und Blu⸗ 
tes unfess Seren, nebſt einer Burgen Nachricht von feinem Tode, 
— von ©. W. 8Seidler. Stade, Schaumburg. 8. 

4 NIE. ’ 

Mengert, A. F. ©, Dr. Mart. Luther's Tod und Leis 
henbegängniß in den Zagen vom 18. — 22. Februar 1546. 
Kürnderg, Raw. 8. 21% Roer. 

Reumann, P. Die Refsrm des Judenthums zu Berlin, 
beleuchtet. Berlin, Wohlgemuth. Gr. 8. 3 Nor. 

Bafig, 3 2., Dr. Mart. Luther's legte Lebens Tod 
und Begraäbniß. Mit dem Bildniß Luther's im Tode. 2te un- 
veränderte Auflage. Leipzig, Grunow. 17 Nor. 

Preudter, R., Stadt» und Dorf: Jahrbücher (Orts⸗ 
Chroniken) zur Förderung der Baterlandsgefchicgte und eines 


‚regen Sinned für bes Ortes Gedeihen, nach Rugen und Ein- 


Fihtung geſchildert. Leipzig, Priedlein und Hirfh. Gr. 8. 
I Nor 


Ried, E., Über Arbeit, Capital und Affociation, mit bes 
fonderer Beziehung auf unfere Gewerbs⸗Induſtrie. Hannover, 
Gab. * 8 2% N tat 

ofenfranz, K., Peſtalozzi. Rede zur Keftfeier feines 
100jährigen Geburtstages am 12 Januar [346. —Se 
Graͤfe und Unzer. Gr. 8. gr. | 

Saalſchuͤtz, 3.2, Hauptprincipien bei Entwerfung einer 
zeitgemäßen Liturgie für den israelitiſchen Bottesdienft. Ein 
amtiches Gutachten. Königsberg, Gräfe und Unzer. Br. 8, 

gr. 

Schufelfa, F., Die neue Kirche und die alte Politik. 
2te Auflage. Leipzig, Weidmann. 9. 1 Thlr. 15 Nor. 

Der Schwanen: Orden. Worte eines Preußen an feine 
Zeitgenoflen. Leipzig, Schmidt. Gr. 8. gr. 

Stamm, 8. 2, Die St. Ludgerifeier zu Helmftedt am 
18, September” 1845 nebft Hiftorifchen Nachrichten und den bei 
ber Beier gehaltenen Reden. Helmftedt, Fledeifen. 1845. Sr. 8. 

gr. 

Stern, W., Antrag auf Slaubensfreiheit. Geſtellt in der 
2. badifchen Kammer von Dem Abgeordneten Pfarrer Zittel; 
beleuchtet mit Hinblid auf verwandte Bewegungen und Forde⸗ 
rungen der Beit. Karlörube, Madlot. Gr. 8. 3 Nor. 

Theremin, F., Der Sieg des Glaubens über die Welt. 


VPredigt. Berlin, - Dunder und Humblot. Gr. 8. 21/, rar: 
5. 


— — Tagebuch während einer Reife im Sommer 
Berlin, Duncker und Humblot. Gr. 8. 3%, Rgr. 

— — Die Berherrlihung der Menfchheit dur Chriftum. 
Rede am Krönungs: und DOrdensfefte den 18. Sanuar 1846. 
Berlin, Dunder und Humblot. Gr. 8. 24, Nor. 

Tholuck, A., Sechs Predigten über religiöfe Beitfragen, 
gehalten im afademifchen Gottesdienfte der Univerfität Halle im 
Binter 1815/46. Halle, Mahlmann. 8. 10 Rer. 

Das gute Werk der Union gegen des Predigers Claus 
Harms in Kiel Erklärung „iner wider fieben und achtzig”“, 
vertreten durch Dr. Eylert, evangeliihen Bifhof und Hofr 
prediger zu Potsdam, und W. Ionas, Fönigl Geh. Revi⸗ 
fionsroth zu Berlin. Potsdam, Stuhr. 1845. ©r.8. 5 gr. 

Wolff, D., Zum 18. Febr. 1846, dem 3Vjährigen Ge 
denttage des Todes Dr, Markt. Luthers. Eine Erinnerungs: 
ae aus den Quellen zufammengetragen für den evangeli: 
fhen Bürger und Landmann. Grünberg, Weiß. 8. 8 Nor. 








für 


literariſche. Unterhaltung. — 





Donnerstag, 





Erſter Artikel. 

Unter dieſem Titel iſt ein Buch erſchienen, welches 
nicht mit Unrecht ein politiſches Ereigniß genannt wer⸗ 
den kann. Daß es im Allgemeinen Bücher gibt, welche 
in die politiſche Gegenwart eingreifen, auf Stimmung 
und Entſchließung dergeſtalt einwirken, ſodaß man ihren 
directen Einfluß auf die Geſtaltung des Moments klar 
und unwiderſprechlich nachweiſen und ſie daher auch nicht 
blos auf wiſſenſchaftlichem Gebiete wegen ihres innern 
Gehalts, ſondern auch auf dem Felde der praktiſchen 
Politik wegen ihrer äußern Folgen als ſtaatliche Ereig- 
niſſe betrachten muß, das wird Niemand in Abrede ftel- 
len, der namentlich bie moderne Gefchichte im legten 
Jahrhundert verfolgt hat! So z. B. war die berühmte 
Brofchüre des Abbe Sieyes „Qu’est ce que c'est le 
tiers Etat?’ gewiß ein folches Ereigniß, von fo birectem 
Einfluffe auf die Stimmung und Überzeugung bes fran- 
zöfifchen Volke, daß fie den Namen eines politifchen Er: 
eigniffes verdiente; denn es ift fehr die Frage, ob ohne 
diefelbe Richtung und Bang der franzöfifchen Revolution 
fo raſch und fo beſtimmt auf ein klares und feftes Ziel 
Hin gemefen wäre. Die 84 Thefen Luther’6 waren ganz 
gewiß auch mehr als ein blos literariſches Ereigniß, wel- 
ches nur mittelbar und erft nach langen Umwegen, nad): 
dem es einzelne Chriften erft in der Stille bearbeitet hat, 
uf die Entfchlüffe und Thaten der Menfchen einwirft. 
Auch das Becker'ſche Rheinlied und den Ronge’fchen 
Brief dat man nicht mit Unrecht als folche politifche 
&reigniffe, wenn auch nur in kleinerm Mafftabe, be- 
trachtet. Sol ein Buch jedoch folhe Wirkung auf bie 
unmittelbaren politifhen Entfcheidungen der Gegenwart 
ausüben, fo muß es vor allen Dingen zwei Eigenfchaf: 
ten als erfle Erfoderniffe befigen, die man von einem 
Werke, melches blos zur Befruchtung literarifiher Kreife 
vorzugsweife beftimme ift, nicht in dem Grade foberk: 
es muß zuerft gerade im rechten Augenblicke erfcheinen. 
Es muß eben den- Moment treffen, mo bie Gemüther 
für feinen Zweck vollkommen vorbereitet und aufgefchlof- 
fen find; es muß fruchtbares Wetter fein, fobaß die Saat 

urplöglich. keimt und aufgeht. Sodann aber muß «6 
, | 





9. April 1846. 


auch in der vollftändig geeigneten Form, ich möchte fa- . 
gen, vollkommen mundgerecht in die Zeit hineingefchleu- 
dert werben, ſodaß es von Sedermann auf der Stelle 
goutirt und verbaut werben Tann. Fehlen dieſe beiden 
Eigenfchaften, fo kann ein Buch ganz biefelben Wahr- 
heiten enthalten, es Tann ‘fie vielleicht unendlich tiefer 
begründen, beimeitem umfichtiger und vollftändiger aus- 
führen, und es wird doch nie jenen unmittelbar directen 
politifchen Einfluß erlangen, ben ein Werk erobert, wel- 
ches an miffenfchaftlichem Werthe vielleicht weit Hinter 
ihm zurückſteht. Eben in diefen beiden Eigenfchaften 
liegt vorzugsmweife Die Bedingung und der Werth politi- 
ſcher Tagesfchriftftellerei. 

Dbiges Buch nun wirkt allerdings nicht auf fo aus⸗ 
gebehnte Volkskreiſe und fo elektrifch, dag fein Inhalt 


die ganze Nation von oben bis unten durchzitterte. Ein- 


mal ift es ein ziemlich dider Ockavband, und da bie 
Mehrzahl der Menfchen heutzutage nur noch Brofchüren 
und Zeitfchriften, keineswegs aber ausgedehntere Werke 
fteft, fo wird fie auch von diefem Buche nicht unmittel- 
bar berührt. Sodann aber ift es auch in einem feinen, 
hochgebildeten Stile gefchrieben, iſt, wenn auch nicht ab⸗ 
ftract gehalten, doch reich an Gedanken mit tiefern 


| Wahrheiten, welche nicht nur angedeutet, fondern aue- 


führlich auseinandergefegt find, an Gedanken und Wahr- 
heiten, die fic) miteinander verbinden und untereinander 
vielfach verfchlingen, ſodaß ſchon eine gewiffe Fähigkeit 
zum zufammenhängenden Denken und Leſen vorausge⸗ 
jegt wird, um es vecht auf fih einwirken zu laffen. 
Das ift der zweite Grund, weshalb es nicht wol un» 
mittelbares Eigenthum bes ganzen Volks werben fann. 
Auf der andern Seite aber fommt es für den behan- 
beiten Gegenftand fo fehr A propos, bei aller, Entſchie⸗ 
denheit und allem Feuer der Gefinnung fpricht es fi 
in fo eleganter, taßtvoller Form aus, ohne alle Eden 
und ohne die minbefte Verlegung bes feinften Anftandes; 
es trifft fo vollfommen das rechte Maß zwifchen abftrac- 
ter Philofophie und zwifchen praßtifher Wahrheit des 
gefunden Menfchenverfiandes, neben grünbliher Den». 
fungsweife offenbart es fo viel Welt: und Menfchen- 
kenntniß, Bekanntfchaft mit der Wirklichkeit und den be- 
ftehenden Verhältniffen, daß es ‚auf die Kreife der Di- 
plomatie und der höhern Staatemänner, in melden bie _ 


⸗ 


21 


CEntſcheidung der auf dem Titel angegebenen Frage in 
Diefem Augenblicke ſchwebt, vorzugsweiſe berechnet und 
für dieſelben recht eigentlich gemacht zu fein ſcheint. 
Und in dieſer Abficht hat ſich der Verf. denn auch nicht 
getaͤuſcht. Seit langer Zeit 3 kein Buch in ng} * 
“ Krfiſen yreußiſchen Heamtenwen eine ſelche 
— ch Es ift ber ſtehende Gegenftand der 
Converſation geworben; wer ——— Ban Fir 
eufiiche Verfaffungsfrage” von einem ‚eicher gelefen 
— Kein Gefandter, fein Minifter, fein Mitglied 
des Töniglichen Haufes, der nicht Notiz davon genommen 
Hätte. &8 hat die Beifter auf merkwürdige Weife eben 
in jenen Kreifen erregt, die fonft fo felten durch litera- 
riſche Probucte bewegt werden, fondern vielmehr gewohnt 
find, mit einge gewiffen mitleidigen Wesähtfichteis anf 
"pofififcpe Werke über ahgemeige Fragen berabjubliden. 
Zür diefe reife hot es eben den rechten Moment far 
inpf gle Dig redte Form getzaffen, unb ba, leider, ven 
. bes Stimmung in biefen reifen eg no fo ziemlirh ale 
Tein abhängt, wie die politiſchen Würfel uber dad Schid- 
fal Deuttilands fallen werden, fo ann man es mit 
vollfiem Werte, mie wir es eben gerhan haben. ein pn 
Niifches Greigniß nennen. 
Ich faun nicht umbin, hier beiläufig auf die bedeaut · 
Thatſoche —* au maden, wie auffallnd 
ig ben jn den Beamtenkreifen die Stimmung in Be- 
zug auf diefe wichtigfte Frage der Gegenwart, über die 
Berfaffungsfrage, feit einigen Jahren geändert hat. Un« 
ter der (rät Regierung des verfkorbenen Könige mar 
f&on die Teifefte Hindeutung auf bie bloße Möglichkeit 
&iher zeiflndifßen Verfafung völig geachtet. Ge gab 
gewiß nur ſehr wenige Beamte, bie im Herzen eine Nr 
im bafür gehegt hätten, aber noch wenigere, dic den 
uth befaßen, diefe Neigung offen einzugeftchen. Pie 
Soche ſchien damals für diefe Herzen völlig erledigt zu 
fein; die Frage war entſchieden, und zwar unbedingt 
verneinend. Der König wollte feine Verfoffung, und 
die mädhft Ihe einlufreiäften Pefonen des Staats wolk 
s 











ten ebenfalls feine Zefeflung, Das wußte man gewiß, 
und bei der eigenthümlichen Richtung, bie der preuͤßiſche 
Beamten! d in Beriehung auf alle höhern Lebendftg: 


ga, fie feien num möralifcher, politiſcher oder seligiöfer 
lafur, "einmal in Preußen genommen hat, war, 44 ga: 
gben herab au⸗ 
efamynten Bag 
be Etſcheinuns in 
Fra — 
er gewiß 
n und Tebäobige 
asgenüher bei, Dem 
„Waren, am verig · 
ieſes an ad auf, 
‚Ob. anf der, Shan: 
8% wollen pi hier, 
vurde al 
8. YO: IHN CE 


igt, 
um DR auf mög: 


lichſt geiſtreiche Weiſe zu begründen. Es mag wol fein, 
daß Viele bei diefem Gebahren aufrichtigen Herzens wa- 
en. Bei der großen Mehrzahl jedoch Tönnte gar leicht 
eine freiwillige Selbſttaͤuſchung flattgefunden haben. Man 
occupirte nachtraͤglich gas gern eine Xheorie, um fih im 
den Augen der Welt ud vor feinem eigenen Gewiſſen 
zu entſchuldigen. Mar Mammerte fih mit angſtlicher 
Dankbarkeit an Grundfäge an, welche freundliche Hof- 
publiciften fo gütig waren für das tägliche Leben zur 
Rettung des £ . Dem fei nun aber 
wie ihm wolle, fo viel ift gewiß, daß damals in ben ge« 
ſellſchaftlichen Kreiſen der Beamtenwelt die Frage von 
einer preußiſchen Verfaffang nicht leicht aufgemorfen wer» 
den konnte, ohne daß fich nicht Jedermann pflichtſchul -⸗ 
disft beireujigt Hätte, gleitwie wen von dem feibhafti- 
gen „Wort fei bei und“ bie Rede fei. Wer im entfern- 
ten Geruche ftand ein Verfaffungsfreund zu fein, wurde 
geflohen und gemjehen wis ein Berpefteter, von dem 
man ſich nicht weit genug entfernt halten lann. Er war 
mit einer levis nota behaftet; die älteſten Freunde er⸗ 
innexten ſich nicht mehr ihm jemals gekannt au haben, 
und auf feine künftige Carriere ‚hätte Niemand ihm eir 
hen en vargef@afen. Seine Attien flanden fehr 
lecht. 

Das bat ſich nun auf eine quffallend merkreuckige 
Weiſe in den legten Jahren geändert. Selbſt als der 
jegige König zur Regierung kam und der Wunſch 
und die Überzeugung für eine preußifche Repräfentetin- _ 
verfaffung in den ührigen Kreiſen des Volks wenigſtens 
ſich immer deutlicher und lebhafter auczuſprechen begann, 
dauerte es immer nad) geraume Zeit, bevar das verpoͤnte 
Wort in den eigentlichen Beamtencirkein genannt wer⸗ 
den durfte. Allmälig jedoch wurde es auch in biefe ein 
geihmuggelt ; anfangs watuͤrlich mit großer Vorſicht und 
Heimfichkeit. Man raunte es fih nyr in deu vertvau · 
teften Kreifen in die Ohren. Rach und wach bänmere 

| iedocd) die inftinstartige Ahnung immer muche und mehr 
auf, daß eine Werfalfung für Praugen doch wog wicht . 
| fo ganz entfemt fein möchte, üb daß es vielleicht am 
| der Zeit fei, allmälig einen auſtaͤndigen Rüdzug für feige 
Berfpn. varubereiten, Die alfelut «royalifliigen hen 
| rien wurden mit wenigen SJunerfüs. vorgetragan, oder 
verſtummten mol auch gayg. Hier und da Haß man im 
Gefpräce Durchhlicen, dag ſich für eins Berfaffung dad 
Wanges fagen Unfe, und dag, in dam gl Bahrgieifk 
dee Stanssmagen ich wur nad: mit Mühe fortbemegen 
Üefe. Es wäre vun fehr umart gamelan, wenn man om 
ühere gatſchiedene Außerumgen. in entgsgeagefeptem 
Ainng erinnert hätte, In biefer Beziehung Ieiden hie 
weißen Menihen an geafien Gerähknipfhnäne, 
welongen quch von Anden, daß fie fein Immerce Ge 
dachtng hakay fallen, Richts macht. ſich leichter ala fal- 
Gr filkämeigpube allgemein, Canvantien, über das Ber 
gangene, ebem meil Die Meiltey; uemelich. gieichviel Verg 
a Ren Roch 





n Roden haben, was mach teeikes: Di 
' menshlihe Schwaͤge und Grbänmlishfehk, nie ” & 


and, hier mh, hrrifep Stien alas ein. venhällend 


den vor. 


gewiatt gezeigt hat, weiter außmalen? ESs geningt die 
Xhatfade, daS felbft in der Beamtenwelt von Tag zu 
Tag mehr eine gewiffe Unentſchiedenheit, Fr gewiffes 


Dianeigem zu der früher verbotenen 

A diefe Burfläsbe fepwantenber, politifcher x 
gen umter den Beamten fiel num piötlich dieſes Buch 
eines Öftreihers über die preußtfche Berfaffungsfrage 
hinein. Gin Bud), welches das Alles Bar, entſchieden 
und in der verſtaͤndlichſten, angemeffenften Form aus- 
ſprach, was mehr oder weniger ein Jeder im Innern 
für wuͤnſchenswerth oder zuträglich hielt, ſich felbft aber 
oder Undern wegen mangelnder Innerer und äußerer 
Sicherheit noch micht recht einzugefichen wagte. In die- 
fer Besichung haben wir das Buch ein politiihes Er- 
eigniß gewannt ; es war eben für bie höhern Beamten. 
kreife geſchrieben und fand einen wohlvorbereiteten Bo- 
Es brachte, wie man zu fagen pflegt, die 
Frage zum Abſchluß. Es Hatte ſich jept Jemand ger 
funden, der volfftändig und gründlicher und dreifler ale 
man fich feibft zutraute, bie eigenen Herzenstoimfhe laut 
ausgefpredhen. jegt konnte man auf eine Autorität pro 
vociten, auf eine Autorität, deren die meiften Menfhen 
ja nun einmal bedürfen, wenn fie ſich zu einer Überzeu« 
gung beiennen follen. Man brauchte auch nun nicht 
fest mehr in feurigen und beredten Worten feine Grund- 
füge auszuführen, eine Sache, die man theil® nicht ver« 
ſteht, theils für bedenklich hält; man brauchte nur ein- 
fach auf diefes Buch Hinzumeifen. „Haben Cie den 
Öftreicher gelejen®" Diefe mit fhlauem, vielfagendem 
Lächeln ausgefprochene Frage ift bie plöglic aufgefun- 
dene Bundesformel, das Grfennungszeihen geworden, 
womit fid) die verfaffungsfreumblichen Mitglieder ber 
preufifchen Beamtenwelt von nun am zuwinken. &o- 
wis man fonfl zu fagen pflegte: „Rom hat gefprodyen”, 
fo fagt man jept: „Der Oftreicher hat gefpredgen“, und 


Tieren KH p Ay die Antwort ride ſchwer zu geben. 
Es kaun einig und allein nur die herrichende Bote der 
Vareaubratie fein.: Es ifi daher ganz gewiß ein bebeut« 
fomes Reichen der Zeit, daß feihfi Biefe ſich einer Ber- 
fatgung zuneigt. Wie möchte ein Zuftand noch länger 
aufhalten fein, für — Einführung ſich felbſt der 

wirkliche und natürliche Gegner earklaͤrt Wir ha · 
ben hier alſo wieder dieſelbe Erſcheinung, die ſich bei je⸗ 
dem Umwandlungsproceſſe in ber BWBeltgefcichte wieder · 
halt. IE der befichende Zuſtand einmal mit den geifli- 
gen und materiellen Bebinfniffen. ber Mitlebenden völlig 
unvereinbar, widerſpricht ‘en Mar und entſchieden der ethi- 
ſchen Bildung der Gegenvart, fo fühlen ſich zuletzt felbft 
Diejenigen in ihm unbehaglich 5 arbeiten Darauf hin 
ihn bei Seite zu ſchaffen, die au den durch ihn Bevor · 

I 
Bios en Blicke noch einigen von 
demfelben zu ziehen fegeinen. Sobald aber ferdff diefe 
unficher, unzuhig und umgufsieben werben, fe fällt die 





Iegte Stäge, und das re ift nicht m 
Es wäre auch ſchlimm, wenn die Verbeſſe 
Theils der Mitiebenden immer nur auf 
andern Glaffe bewerkſtelligt werden könnt 
es geimdliger unterfucht, fo gewinnen In 
Theile, denn ber Verluſt unzeitgemäßer I 
Vorrechte ift Fein wirklicher, reeüer Verlu 
den Inhabern ſelbſt nicht mehr zur Be 
zum wahren Wohle gereichen. 
(Die Bortfegung folgt.) 





Der Papierdradie. Jean Paui's legte 
des Dichters Nachlaß herausgegeben voı 
fier. Zwei Theile. Frankfurt a. M., | 
Halt. 1345. 8. 2 Thlr. 


Den förifefteterifgen Nachlaß eines bedeı 
% ordnen und zu veröffentlicgen ift immer e 
Nhmnieriges Seſchaͤft; um fo ſchwieriger, je bedeu 
if. Der Hi ‚Serausgeber von Jean Paul’ Rach 
denfalls die Anerkennung, daß er die ihm ger 
weder übereilt nodp mit der folden Arbeiten 
haftenben Leichtfertigkeit abgethan hat; Ernſt 
Mann, der die innere Befähigung zu derartige 
haupt befigt, und daß er zu der borliegenden 
Schwiegerfohn ebenfo berechtigt als berufen n 
Frage 1. Ein kurzes Vorwort belehrt uns, 
vorliegenden Bändchen nur eine Auswahl aus 
piervorrathe Jean Paul’s enthalten, an weld 
nad) des Verfaſſers Andeutungen bie ordnende 
ohne jedo ein innerlich zufammenhängendes 
BVorhandenen zufammenftellen zu fönnen. Hier uno va gar ver 
Herausgeber erkläcende Anmerkungen und Hinweifungen auf 
Berwandtes fparfam hinzugefügt. &o ann, wenn "Die Berause 
gabe biefer Blätter eimmal Rattfiuden foUte, die Art und Weife, 
in welcher fie erfolgt, nut gelobt werden. 

Es Liegt aber dem ganzen bier Gebotenen ein gemeinfamet 
von Jean Paul herrührender Plan zu Grunde, den eine kurze 
dritthafb Jahre vor feinem Tode verfaßte Borrede aus| 
Sie beginnt: „Endli muß ja mein legtes Werk geſchrie ⸗ 
bem werden, daß eben unter diefem Zitel feer ode oder vieleicht 
unter dem andern vom Kometen angekündigten: pen 
drache⸗, oder wol unter beiden Titeln, in ode | 
in der weiten Form einer Wochenſchrift wie 5. B. En per 

Ufgpe_ Sufchauer » einen kt. "Und ferner: „In di 
feuheteingende — zit [up Alles hineingefchrier 

m werben, was id nur ek komiſchen — 
Benerfan jen über —X un an und allen Satan und 
feine Großmutter, und don vati fen * philofopälfgen an· 
fchten, ja von aufbewahrten & wsb Kähtungen nur im 
Pulte und im Kopfe vorräthig befetberge; — ein Wahres ums» 
gefürues Frucpthorn, bei dem das unter bem fü —5 — Le 


ben noch nachkommenbe Fallobſt gar nit einm gejchlagen- 
wird, woraus vollends a Länge des et jen, don 
welchem ber fegte Bogen je. Faum ab; Er er var nun, ee A 
nicht zu leugnen, daß eigentlich alle 

allen Borzügen, die fe befigen, dad einen en Paul 
entbehren und nad; Der ganzen Ratur ihres Un 6 enibeh⸗ 

ren — deſſen Abweſengeit — fogar einen neuen Reig 
verfeißt, id) meine den — jet art — 
En! ‚er Ducchbildun, ffenen Ganzen: 

es wol Ir Sweifel fein, > die: in dem * dam 
Yaut bei „Payierdradhen‘” noch weit mehr hätte, hei 


vortreten Beim adden, IR und KA jet | ba a 


find, entfchieden vorherrſcht. Es Liegt dies fo ganz in der Ra» 
tur der er daB von einem darauf gegründeten Tadel ge: 
gen den Verf. natürlich gar nicht die Rede fein kann, und auch 
gegen den Herausgeber würde ein folcher nur infofern auszu⸗ 
fprechen fein, ald das von ihm Beröffentlihte an ſich unwerth 
oder unreif erſchiene. Es wird alfo der Inhalt des hier Ge⸗ 
botenen etwas näher anzugeben fein. 

Erſter Band. Erftes Stüd. „Lepter Wille Was für 
Säge nach meinem Bode jährlich follen erwiefen werden und 
was ich dafür teflamentariich legire“ gehört zu den Abſchnitten, 
in weldhen wir Scan Pauls Wig, dem er die ganze belehte 
und unbelebte Welt dienftbar macht, bewundern, ohne jedoch 
irgend einen Haren und bleibenden Eindrud von dem Ganzen 
zu erhalten. — Zweites Stud. „Zwoͤlf Schwanzfedern. Be: 
merfungen über uns närrifche Menſchen“ enthalten unter ver: 
fchiedenen Überfchriften einen Reichtum an einzelnen Gedan⸗ 
Ben über bürgerliche, fittliye, gemüthliche Zuftände u. dgl. m, 
die zum größten Zheile durch Eigenthuͤmlichkeit und faft mehr 
noch durch tiefe Wahrheit ergreifen. — Drittes Stüd. „Freu⸗ 
denbüchlein. Die Kunſt ſtets heiter zu fein’ iſt ein fchöner und 
klarer Ausdrud der Sittlichleitslehre, wie fie Sean Paul auch 
fonft vorträgt; es fchließt: „Nur halte man nicht Genießen 
für Freuen! Denn man kann einen feligen feligften Tag haben, 
ohne etwas Anderes dazu zu gebrauchen als blauen Himmel 
und grüne Prühlingserde und — wenn es hoch fteigt — ein 
Almofen, das man gibt." — Viertes Stück. „Die bairifche 
Kreuzerlomödie. Erſter Theil” enthält folgende drei Scenen: 


„QAbgefchriebenes Avertiffement des Gntrepreneurs des Prügel- 


Bureau’; ‚Die Rede, worin der Teufel auf unferer Maskerade 
binlänglidy dargethan, daß er gar nicht exiſtire“; „Des außer: 
ordentlihen Profeſſors Vorleſung aus dem Staatsrecht über 
die Krönungdfeierlichkeiten”. Auch bier berrfcht der formale 
umor dermaßen vor, daß man kaum den Kern eined wahren 
nhalts herausfinden kann; am meiften dürfte dies noch der 
all fein bei der zweiten Scene, welche manchen ungefchicten 
Eregeten und Philoſophen treffend perfiflirt. — Fünftes Stud. 
„later aus dem Tage- und Kebensbuhh”, ohne große Be: 
eutung. 

. Bweiter Band. „Dedication an Chr. Otto.“ — „Der 
bairifchen Kreuzerfomödie zweiter Theil” enthält: „Zwiſchen⸗ 
fpiel des Harlekins“, „Thiere nebft ihren Kabeln und Mora: 
len”, „Rothdringliche Defenfion für I. Kraus Me;ner, der 
im Kloftergeriht zu &. durch den Strang vom Leben zum 
Tode gebracht worden, wider die attentirte und vollführte In: 
quifition Punkto Straßenraubs”, „Vorſtellung des Entrepre: 
neurs der biefigen Bordelle an das Dberpoliceiamt gegen die 
einreißenden Liebfchaften und Ehebrüche“, „NRachfpiel: meine 


lebendige Begrabung“; der zweite, dritte und vierte Diefer Ab: ' 


fepnitte werden von allen Berehrern Jean Paul's gewiß hödy- 
lichſt willlommen geheißen werden. — Von dem übrigen In- 
halte dieſes Bandes enthalten die Abfchnitte: „Schmerzlicher 
Tod einer guten Gattin und Mutter vor dem Traume eines 
redlihen Zreundes”, „Stammbuchblätter", „Gedankenfluͤge in 
auffteigender Richtung”, „„Derzblätter und Schwungfedern“, 
ehreide Belege für das tiefe und reiche Gefühl ihres Urs 
ebers. 

Beiweitem das Bedeutendſte ober in der ganzen Samm- 
lung dürfte der Auffag „Wider das Überchriftentbum” fein, da 
er in dem engften Zufammenhange mit den religiöfen Bewe: 
gungen unferer Zage fteht. Jean Paul erfcheint bier durchaus 
als auf dem Standpunkte unferer Lichtfreunde ftehend, nur mit 
dem Unterfchiede, Daß dieſe ald allgemeines Voiks- und Ge: 
meindebewußtfein hinftellen und fodern, was jener mehr als 
fubjective Überzeugung ausfpricht und durchaus auch auf den 
Kreis des einzelnen Subjects zu befchränten ſcheint, fodaß er 
die Kirche in ihrem ganzen Wefen unangetaftet ftehen läßt und 
nur verlangt, daß fie ter perfönlichen Überzeugung einen freiern 
Spielraum geftatte als dies bisher oft gefchen if. Jeden⸗ 
falls iſt e8 von nicht geringem Intereffe, eine foldye Stimme 


- fies Werk ift in Cantos getbeilt, deren jeder eine Geſchichte 
‚lerdings ein waghalfigeres Geſchlecht waren als ihre heutigen 


ſtens beabfihtigt er eine Mare Darftellun 


eines großen Verſtorhenen in den Streit der Gegenwart hineln- 
Elingen zu hören. 
&o dürfen wir denn wol ſchließlich ausfprechen, daß Foͤr⸗ 
fter nichts in feine Sammlung aufgenommen bat, was i 
Berfaſſers unwürdig erfcheinen könnte. Jean Paul hat immer 
nur einen engern Leſer⸗ und Freundeskreis gefunden und wird 
wol nie der tiftfteller der Maffen werden; jene erftern wer⸗ 
den auch diefen Rachlaß willkommen beißen und reiche Gold: 
koͤrner in demfelben finden. | 47. 


Literarifhe Notizen aus England. 
Thomas Cooper. 

Die Reihen der englifhen Chartiften zahlen einige nicht 
unbedeutende Diäternamen, unter welchen Thomas Eooper wie 
den beften Klang fo vielleicht den meiften Beruf hat. i 
„Purgatory of auicides“ iſt bereits in d. Bl. ruͤhmlich er⸗ 
wähnt worden und feine neueſte Dichtung: „The Baron’s Jule 
feast. A Christmas rhyme‘’ (London 1345), wenn auch min- 
der reih an markerfgütternden Stellen, bat doch das volle 
Bepräge eines echten Dichtergeifteß. Cooper ift unftreitig ein 
geborener Poet, ein Kind des Gefanges, der feine Begeifterung 
nicht aus Büchern zufammenlieft noch um den Vorgang Ande⸗ 
rer fih Tümmert, jondern an den Quellen der Ratur fchöpft 
und ihr Innerftes mit fcharfem Blicke durchdringt. Sein neue: 


erzählt aus der alten Ritterzeit, wo die „eifernen Barone“ al⸗ 





Urenkel. Ob die Gedichte in beutfcher Überfegung auf Genfur- 
erlaubniß hoffen dürfen, Laßt fich fhon aus den erſten Zeilen 
des „Woodman’s song” abnehmen. Sie lauten: 
I would not be a crowned king 
For all his gandy gear; 
I would not be tkat pamperod thing, 
His gewgaw gold te wear. 


Keue Schrift über Rußland. 

Ein neues Werk des Verf. von „Das enthüllte Rußland‘ 
von „Die weiße Sklavin“ u. f. w. tft ein neuer Schritt auf 
ber fih vorgezeichneten Bahn nad) dreifahem Zielpunfte. Er⸗ 
der umfangreichften 
und fürchterlichften Sklaverei, bie es auf der Welt gebe, und 
ber fluhwürdigen Schuld, welche das ruffifche Cabinet Daran 
babe. Zweitens will er durch neue Beifpiele aus Rußland und 
Polen erweifen, daß bie fihauderhaften von dort befannt ge 
wordenen Ereigniffe fi täglich und ſtündlich wiederholen, und 
drittens will er auf einen Wechſel der Dinge aufmerkfam ma» 
hen, weldyer in keiner fernen Beit das oͤſtliche Europa be 
drobe. Er erBlärt fih hierüber im Vorworte zu feinem füng- 
fien Werke: „Eeastern Europe and the emperor Nicholas” 
(Londox 1845), und das Buch felbft Liefert den Gommentar. 





Literarifhe Anzeige. 


In meinem Berlage ift neu erfchienen und in allen Buchhand⸗ 
lungen zu haben: 


d 
NMinfa. 
Eine Novelle. 


Zwei Cheile. 
Gr. 12. Geh. 3 Thlr. 10 Ngr. 


Reip ’ i April 1846. 
va, im F. A. Brockhaus. 





Berantwortlicher Herausgeber: Seinrich Wrodpans. — Drud und Verlag von F. X. Drockhbaus in Leipzig. 





Blaͤ te r 
| für 


titerarifhe Unterpaltung. 





Die preußiſche Verfaffungefrage und bad s mebife 
Princip· Von einem Vftreiche 
Erher Artikel. 
' (Bertfegung and We. .) 
Dec kommen wir auf den Inhalt unſers Buche. 
Es heit „Die preußiſche Berfaffungsfsage", koͤnnte aber 
zugleich ebenſo gut auch „Die Oſtreichiſche Verfofunge 


| frage” heißen; denn mit der letztern beſchaͤftigt ſich der 


Vexf. ebenſo viel und ebenſo grundlich wie mit der er- 
fern, Für beide Staaten hält er eine Verfaſſung gleich 
nuͤtzlich und gleich nothwendig, und, wohl zu merken, et 
verficht darunter eine Mepräfmtativverfaffung im voll- 
Ken, wahrften Sinne des Worte, eine Repräfentativ. 
verfaſſung mit allgemeinen Woflsvertretern, mit Preß⸗ 
freiheit, Stenerbewilligungerecht u. f. w. Beiden Staa⸗ 
ten prophezeit er Unheil und Untergang, ſowol durch 
innere Zerwürfniffe als Dusch Aufere, übermädtige An⸗ 
griffe, wenn fie nicht zu ber Gomftitukrung ihres ge⸗ 
famımnten Staatslebens auf der feiten Grundlage einer 
aufrichtigen und volllommen durchgeführten Repräfenta- 
tinverfaffimg ſchreiten. Der einzige Unterfchieb, den er 
zwifchen beiden Staaten macht, beſteht darin, daß er 
Preußen vie Rolle des erflen Anfangs überweift, und 
von fisch eine möglichft baldige Nachfolge verlangt. 
Bean wir aud weder für die erfte noch felbft für die 
zweite, jedenfalls gewagtere und Bühnere und auch weni⸗ 
ger verbreitete Anſicht eben keine neuen Gründe in dem 
Fe gefimden haben, fo moöchte es doch nicht leicht rin 
geben, weiches alle vorhandenen Dülfsteuppen für 

dieſe —— fo geſchickt und vollſtändig ins Treffen ge⸗ 
führe und fie alle zuſammen im fo wohl bieponitte gut⸗ 
berechnete Schlachtlinie geflellt Hätte. Ganz vortrefflich 
wamentlih, agirt ber Berf. in Widerlegung der’ Segen 
"geimde feiner Anſicht. Mit ebenſo virl Geſchick als 
Gründtichkeit weiß er ihnen dergeſtalt zu brgegnen, daß 
es fie niche nur enckraͤftet, ſondern fle fogar zu Beweiſen 
für feine eigene Uerzgengung umwandelt. Der Berf. 
vereinigt in fi ſaͤmmelichte Ginmfchaften, Sie erfoderlich 
waren, um anf biefem fo beeityetvetenen Felde noch Ein 
druck und Effert machen zu fönnen. Er iſt ein {dur 
fee Dialeftifer und ein warnet gefümungspoller Cha 
talter zugleich; daber cin Mann von genauen 1 yo 
. fen Kımniniffen, von gefundev Phileſcyhte wub’ von 


poutiſchem Uberblicke, wmd alle diefe Gig 

ee in einem ebenfo milben und eleganten als kr ande 
und beredten Stile an den Tag zu legen. Zu einigen 
Beinen Ausftelungen, bie wir etwa zu machen haͤtten, 
wird ſich Gelegenheit geben, wenn wir ben Inhalt der 
einzelnen Gapitel kutz angeben und befprechen. 

Nach einer kurzen hiſtoriſchen Ginleitung über bie 
preußiſche Berfaffungsfrage gelangt der Verf. zu ran 
erſten Hanpteapitel, „Das Löniglihe Verſprechen“ über- 
ſchrieben. 

„Bir müffen eine Eonſtitution bekommen, dena der ſel 
König Hat und eine verſprochen!“ Dies if} nun aller 
** gemeinfaßlich und wohl berechnet einen Grundztu 
des deutſchen Volkscharakters. Gewiß iſt hauptſachlich 
* Anwendung dieſes Satzes die * —— net 

e jegt fo allgemein popufdir geworden, daß ſch ns 

Teint Preuße mit zweifellofer Beſtimmtheit jagt: „ Be 
fen eine Bonftitution bekommen!“ Selbſt wer gar nicht wei 
worum es fih bei Berleihung einer — ng eigentli 
handfe, kennt doch das deutfhe ‚„, Ein Wort ein ann“, ", kann 
alfo, auf dieſe Kenntniß geftügt, fehr moraliſch über die pridt 
der Regierung raifonniren, das Pönigliche Verſprechen zu er: 
füllen ımd cine Berfaffung Er ben. Haben es bie Reste: 
tungen durch eigene Schuld erbaunt ſchon fo weit — 
daß Jeder, der nur einigermaßen vernünftig ge 
bas öffenfliche Urtheit dee Menge für fih bat, fo it Dies in 

der preußifchen Derfaffungefrage um fo allpemetrier und flät- 
Ber dev Fall, als es fi hierbei wie geſagt blos um die Ci 
fällung eines gegebenm Verſprechens handeln fol. Es iſt Ein 


die fortwährende Berufung auf diefes on ie Ber afpreget a 
ein 


allerdings ein fehr wirkſames Mittel, die Öffentliche 

egen die Verweigerung einer Berfaffung, aufzubringen. Die 

Regierung ift dadurch bereits in arge Verlegenheit —5 

worden, uimd die Wirkungen dieſes Zankes über koͤn 

Wort muͤffen dem Anſehen des Koͤnigthums überhaupt es x 

den bringen und koͤnnen daher BEN für kung | noch fe 

gefährlich werden. Für die preußiſche Regtern ollte he 

afferdings eben das eönigtiche Verſprechen in au 

ger Grund meh, fein, die verhaͤn nißpstie Berteffungbfeuge 

radtich befriedigend zu Idfen. Di en, 

then und als Grund "ipreb Siderrathes Die Fre, it * 

führen, eben in Preußen die Königsgewalt ungeſ 

unbeiejräntt ug: zu apalten, täuschen fi, entweder oe 

oder wollen täufıhin. Sie glaußen oder weder glanben hm 

‚daß he vn treueften und nichlichſten Wiener bei Könige 

16 Selen, aber fie werden. eben in diefee Gadhe.bic gefäher 

Behften Feinde deſſelben, bean fe. ſchwächen quad —* dae 

Koͤnigthum in Inem innesflen Eobensnexu, inbem fe 


ihm 
und und ch vie tu Meinung entzi 
f hun rumg fi Ken m jegt E diefe. dfſentiiche re 


08 


fi) überzeugen, daß in dolge dieſes 


nung prüfen, fo wire fe fh über 
unfeligen Zankes über ein koͤnigliches Wort das Koͤnigthum 
bereit wefentlichen Schaden gelitten. Rirgend mehr in Preu⸗ 


die alt i t vor dem 
Ki ——* , die —ãS en Tagen die 


almachti e Stüpe diefes Throns gewefen. Um des Pöniglichen 
Heüs willen ſoll alfo die preußifhe Negierung bie lung 
jenes Töniglichen Verſprechens nicht von fi weifen. Durch 


Gewährung der freieften Verfaſſung wird fi das Königthum 
in Preußen nicht fo viel vergeben, als durch diefen unfeligen 
und unwürdigen Zank um und über das Fönigliche Worr. 
Muß nun aber jeder Freund und Werehrer einer feſten 
und hochgeftellten Königsgewalt die preußifche Regierung drin⸗ 
end zur Anerkennung jenes koͤniglichen Verſprechens aufrufen, 
o iſt es nicht minder die Pflicht jedes Freundes conftitution: 
neller Volksberechtigung, die Kämpfer für eine preußifche Ber: 
faffung dringend zu ermahnen, ihr Verlangen doch nicht im: 
‚mer und einzig num auf das Lönigliche Verſprechen zu ftügen. 
Denn der Nachtheil diefes wortgläubigen und wortBlauberifchen 
Berfafftungszankes ſchadet der conftitutionnellen Sache recht ei- 
gentlich im $Princip. >. 
Wäre die Sache nicht fo hochwichtig und verhaängnißvoll 
ernſt, fo müßte man ed wahrhaft komiſch finden, DaB Diejeni- 
‚ die mit Stolz von der geiftigen Großjährigkeit des preu⸗ 
Filen Volks ſprechen, ſich zu gleicher Zeit fo Finblih, um 
nicht zu fagen kindiſch an dad koͤniglich väterlihe Verſprechen 
klammern; daß Diejenigen, welche die Mitregentfchaft über eine 
Deltmacht anfprechen, dafür Peine andere Berechtigung anfüh- 
ren als das Fönigliche Verfprehen! Wenn fogar der wadere 
Dr. Jacoby in feiner parifer Flugſchrift behauptet: Friedrich 
Wilhelm III. habe dur das Derret vom 22. Mai 1815 das 
greußifhe Volk für mündig erklärt, jo fpricht er wahrhaft im 
Sinne der ärgften Gegner der Volksberechtigungen, denn wenn 
er zugibt, daß ein Volk durch königlichen Befchluß für mündig 
erflärt werden Tonne, jo räumt er auch die Zolgerung ein, 
daß diefes Volk durch einen neuen Beſchluß der Regierung 
wieder unter Curatel gefegt werden dürfe. Diefe Kolgerung 
wird in Preußen auch wirklich geltend gemacht. Man fugt 
ausbrüdfich, der verftorbene König habe allerdings eine Volks: 
verteetung einführen wollen, fpäter aber dieſe Berfaffung als 
den Berhältniffen des preußiſchen Staats nicht angemeflen er- 
Eannt und daher Eraft derjelben höchsten Verſtandes⸗ und Wil- 
lenskraft, Die früher das Verſprechen gegeben hatte, daſſelbe 
wieder zurüdgenommen. 
Die preußifchen Berfaflungsfreunde ftürzen das conftitu- 
tionnelle Princip geradezu um, indem fie ihre Verfaſſungsfrage 
u einer rein perjönliden Privatſache der Könige machen. 
Säge wie: „Wir müflen eine Verfaſſung betommen, "denn ber 
König bat fie verſprochen, das preußifihe Bolk ift mündig, 
denn der König hat es durch das Gefeg vom 22. Mai 1815 
füs mündig erflart”, e Säge verrathen durchaus noch 
ſtreng abfolutiftifhe Gedanken und Gefühle, beweifen, daB die 
zeußen no immer allzu fehr gewohnt find, alle Lebens: 
rt ritte ihres Staatd von den Königen befohlen zu fehen, 
eben den Gegnern ein Recht, zu behaupten, daß im preufi: 
hen Bolt durchaus noch Bein conftitutionneller Geiſt vorhan⸗ 
den, baher die Verleihung einer Gonftitution vor der ‚Hand 
noch unmöglich fei. Ä 
Wer könnte die Wahrheit diefer Worte in Abrede 
flellen? Diefes ewige Herumreiten auf dem fogenannten 
Löniglichen Verſprechen, wie es von den meiften preufi- 
ſchen Liberalen gefchieht, ift gewiß ein Beweis von eben- 
fo großer politifcher Moheit als von fflavifcher Geſin⸗ 
nung. Den. beabfichtigten Zwed wird man auf diefe 
Weife nicht erreichen. Gin vernünftiger Menſch wird 
ſich dadurch von der Zweckmaͤßigkeit und Nothwendigkeit 
einer Repraͤſentativverfaſſung für Preußen ſchwerlich über- 


zeugen laffen, wenn man ibm auc noch fo evibent nadh- 
weift, daß irgend ein verfiorbener oder lebender König 
ein folches Verſprechen geleiftet babe. Gin König fan 
fih fo gut irren wie jeder andere Menfh, und kann 
auch feine Überzeugung ändern wie jeber Andere. Es 
wäre fehr ſchlimm, wenn er an eine jebe, früher einmal 
öffentlich ausgefprochene Anfiht für fi) und feine Nadh- 
folger auf ewige Zeiten gebunden wäre, felbft auch dans 
noch, wenn er fpäter das Falſche und Verderbliche der- 
felben erkennen follte. In diefem Falle vielmehr hat er 


‚nicht nur das Recht, ſondern auch dic Pflicht, nach fei- 


ner fpäter gewonnenen beffern Überzeugung zu handeln. 
Das Wort „Verfprechen”, welches man für bie frübern 
Erlaffe des Könige Friedrich Wilhelm IN. in Bezug auf 
die Verfaſſung fo häufig anwendet, iſt überhaupt ſchon 
ein ganz falfher Ausdrud. Der König als König fann 
weder etwas in biefer Eigenſchaft verfpredyen noch ver- 
fhenten, am allermenigfien dem eigenen Staate gegen- 
über, deffen oberſter Beamter er zwar, aber keineswegs 
beffen Eigenthümer er iſt. Das gilt wenigſtens der Idee 
nad ſowol von einem abfeluten ald von einem confli- 
tutionnellen Könige. Eine foldye Annahme ift auch ſchon 
ein logifcher Unfinn. Verſprechen und ſchenken kann man 
nur dritten Perfonen etwas, nicht aber fich felbft; fich 
felbft verfpricht man nicht6 und ſchenkt man nichts. Der 
König ale Staatsoberhaupt kann daher auch dem eige- 
nen Ötaate weder ein Berfaffungsrecht verfprechen noch 
ſchenken, oder man müßte ihn fonft als eine fremde, 
außerhalb des Staats befindliche Perfon, als einen an⸗ 
dern Staat betrachten. Ganz anders verhiefte fih Vie 
Sache, wenn ber König irgend eine Leiflung aus fei- 
nem Privatvermögen oder aus feinen Privatrechten dem 
Staate verfprochen hätte. Dazu wäre er ‚freilich ſowol 
moralifch als juriſtiſch, auch fpäter felbft dann noch ver» 
bunden, nachdem es ihn auch fchon gereut haben follte. 
Aber jene Erlaſſe von 1810, 1811, 1813, 1815 u. ſ. w. 
fie find weiter nichts als öffentlich ausgeiprochene Ab⸗ 
fihten, gefeggeberifche Plane, die der Geſetzgeber jeden 
Augenbli bei veränderter Erkenntniß mit veränderten 
Umftänden wieder fallen laffen oder modificiren darf, eben⸗ 
fo gut wie ein ſchon befichendes Gefeh aufheben ober 
bie frühere Interpretation deffelben dur eine andere 
fnätere erfegen kann. Diefe fortmwährende Provocation 
auf ein Verfprechen, welches gar kein Verſprechen ift, 
gehört daher in die Reihe der fophiftifihen Kunfigriffe, 
deren fich die meiften Ziberalen leider fe gern bedienen, 
fobald fie glauben, daß ihrer Sache ein augenblidlicher 
Mugen dadurch geftiftet werben könnte. Das ift aber 
nicht nur ein unmoraliſches und unwahres Treiben, fon- 
dern «6 zeigt auch won großer politifcher Kurzfichtigkeit. 
Nachhaltige Bewegung und Erfolge kann man nur durch 
bie ‚ber reinen Wahrheit innemohnende heilige und über 
zeugenbe Kraft bervorbringen. Durch Sophismen, die 
man felbft nicht glaubt, täufcht man weder feine eigenen 
Anhänger noch vollends feine Gegner, Man ſtreut nur 
Mistrauen aus und zerflört bie eigene moralifche Kraft. 
San, ‚anders verhielte fi bie: Sache, wenn eine 





| oo. 


‘ 


wirkliche Werfoflung bereits ‚gegeben und in Kraft ger | tung und Kunft ehons thut,und hafft, eignet fie mehr oder 


treten wäre, und. wenn diefe Berfaffung alebann !Be- 


ſtimmungen enthielte, welche das bis dahin abfolut ge- | 


fepgeberifche Recht des Königs Beichränktungen unter: 
worfen und jede Veränderung der Berfaffung an bie 
Zuftiimmung von Wollsrepräfentanten gebunden hätte. 
Alsdann freilich wäre der König zur Ausübung ber 
Verfafſung verpflichtet und befäße nicht das Hecht, fic 
einfeitig wieber aufzuheben. Aber den bloßen Plan zu 
einer Verfaffung, deren näherer Inhalt ohnedem noch gar 
nicht angegeben war, den wird man doch nicht. mit ei- 
ner ſchon befiehenden den Modus der Geſetzgebung voll⸗ 
Händig regelnden Berfaffung als gleichbedeutend erklären 
wollen? Es wäre doch ein gar zu grober, auf der Hand 
liegender Trugfhluß! Und dennoch gefdieht es leider je- 
den Tag. Unbegreiflich ift es daher namentlich, wie 
ein fo feiner, ſcharfer jurfflifcher Hopf als Dr. Jacoby 
aus einer gar nicht vorhandenen Berfaffung fchon ver: 
faffungsmäßige Rechte ableiten will. 


( Die Yortfegung folgt.) 


—— [m —u mn 1 m — — — — — — — — — 


1. Oldenburgiſche Theaterſchau von Adolf Stahr. 
Bevorwortet von Julius Mofen. Zwei Theile. 
Oldenburg, Schulze. 1845. Gr. 12. 2 Thlr. 20 Rgr. 


23. Über Goethe's „Faufl“. Zwei dramaturgiſche Abhand⸗ 
lungen von Julius Moſen und Adolf Stahr. 
Oldenburg, Schulze. 1845. Gr. 8. 20 Nor. 


.In vielen Beitaltern iſt das Theater ein Gradmeſſer für 
die Bildung », wie weit. die Griechen in politifher, die Nömer 
in focialer, das Mittelalter in, religiöfer Bildung war, das 
zeigt das Theater. Es iſt Fein guted Zeichen unferer Zeit, 
wern das Theater fat überall nur wie eine Anftalt zum Zeit- 
tödten ungefehen wird. Was Schiller über die moralifche Be: 
deutung der Schaubühne fehrieb, das hat noch immer Setung. 
Schiller verglich den Einfluß der Schaubühne mit ber Wirk: 
ſamkeit der Religion; er verlangte, Politit, Religion und 
Schaubühne folten zufammenwirfen, ihm ift die Schaubühne 
mehr als jede andere oͤffe: tliche Anſtalt des Staats eine 
Schule der praktifchen Weisheit, ein Wegweiſer durch das bür: 
gerliche Leben, ein unfehlbarer Schküffel zu Den geheimjten Zus 

ängen der menfchlichen Seele. Schiller fagt: „Es gibt eine 

Erale von Menſchen, die Urfache hat, dankbarer als alle übri« 
gen gegen die Bühne zu fein; daB find die Großen und Für: 
Ben der Welt, weil fie dafelbft Wahrheit Hören und Menfchen 
fehen. Beides ift ebenfo felten als wichtig für fie. Vielleicht 
ründet die Theilnahme der Zürften für das Theater fih ur: 

—** auf dies Bebürfniß, und die Bühne erſetzt ihnen in 
diefer Beziehung die Hofnarren des Mittelalters.” Schiller malt 
es forgfältig aus, wie die Schaubühne der Kanal fei,.in wel 
von dem denfenden, beffern heile des Volks das Licht 

der Wahrheit berunterfirömt, um von da aus in mildern 
Strahlen Durch den ganzen Staat ſich zu verbreiten; richtigere 
Begriffe, yeläutertere Grundfäge, reinere Gefühle fließen von 
da durch alle Adern des Volks. Schiller behauptet, daß durch 
das Theater fi die Meinungen der Ration über Regierung 
und Negenten aurechtweifen ließen, es käme nur darauf an, 
daß die Dichter Patrioten wären; er meint fogar, daB durch 
das Theater dahin gewirkt werden koͤnnte, daß wir Deutfchen 
emmal eine Ration würden. Wenngleich diefe legten Behaup: 
tungen über das Erfahrungsmäßige hinausgehen, fo liegt in 
Dentefben doch. Wahrheit, und Jeder, der für dramaliſche Dich⸗ 


weniger fi an. . 

Das Berhaltniß, in melden die neueſten dtamatifchen 
Dichter zu ihren Vorgängern fichen, deutet Mofen im Bor: ' 
worte zu Stahr's Bude an. Der Weltzuftend, weihen Sha 
jpeare malt, war ein rein pathologifcher, fagt er. Shakfpeare's 
Menſchen find daͤmoniſche Könige und Fürſten der Thierwelt, 
weldye im leidenſchaftgeſtachelten Egoismus aneinander zu 
Grunde gehen, wie jene Zeis un fich felbft. Wen überfam 
wicht bei der Darſtellung diefer greäßlichen Zuflinde einer ver⸗ 
fautenden Welt in „Hamlet, „König Rear”, „Richard TIL”, 
„Macbeth, in deren Nacht Bein Lichtſtrahl einer rettenden 
Idee fällt, eine endloſe Troſtloſfigkeit? Diefe rettenden Ideen, 
die Ideale der hellenischen Weit, find in der neuern Zeit uns 
wieder nahe gerüdt. Die Völker empfinden ſich als eins mit 
dem Baterlande, fie wollen einen Gott in der Gefchichte, Recht 
und Breiheit im Gefeg. Diefer neue Geiſt hat in der drama: 
tifchen Poeſie zuerſt feinen Wusdrud gefunden in Leſſing's be» 
deutendftem Werke „Nathan der Weile‘, und bann in Goethe 
und Schiller, bei Allen aber, wie es in jener Zeit noch nicht 
anders fein konnte, außerhalb des wirklichen tebens, jodaß fic 
entweder eine bereits vorhandene oder felbfigefchaffene Mythe 
zur Srägerin ihrer Ideale machen mußten, wie Schiller in 
„Wilhelm Tel”, „Jungfrau von Drleans”, „Braut.von Ref: 
ſina“, oder Goethe in „Kauft“, „Iphigenia”, „Taſſo“z oder 
einen geſchichtlichen Stoff mythiſch behandelten, wie Schiller 
„Bon Carlos“, „Maria Stuart”, „Wallenſtein“, oder wie 
Goethe den Egmont”. Mofen bezeichnet nun „diefe großar: 
tigen Anfänge‘ der beutfchen ‚dramatifchen Literatur als die 
mythiſche Richtung. Unausgefüllt ift die luft zwiſchen dem 
trandcendenten Ideale in ihren Dramen und der Wirktichkeit; 
Mofen fagt, die großen Meifter Leffing, Schiller, Goethe, hät: 
ten und durch die Mythe an die Schwelle ber Geſchichte ger 
führt. „Daher“, fagt Mofen, „ift bem modernen Tragöden die 
Aufgabe geftelt, der Gefchichte den Proceß der Erlöfung des 
Menſchen zu den Idealen nachzudichten, wie der helleniſche 
Kuͤnſtler ſeine plaſtiſchen Geftalten der Ratur, jedoch nicht wie 
fie behindert von der Zufälligkeit der Materie, fondern in gött» 
licher Freiheit, nachgebildet hat, und wie diefer die Ratur in 
der plaftifgen Kunſt au ihrem Ideale gebracht, fo wird ber 
moderne Dichter die Gefchichte in der Tragödie zum freien 
Bewußtiein erlöfen müffen. In jenem Gedanken, welcher die 
Geſchichte ald einen in ſich arbeitenden Lebensproceß begreift, 
erblickt das Auge des Geiftes die Bergangenheit und die Zu- 
Bunft, dad Gewordene und das Werdende im Moment der Ge: 
genwart, ſodaß es dem dramatiſchen Dichter leicht wird in der 
Bergangenheit feiner Zeit gegenüber die entfprechende Paral⸗ 
lele tebendig zu machen. In dieſer Richtung hin bewegt ſich 
nicht nur das gegenwärtige Drama, fondern auch dic plafki: 
ſche Kunft, deren Vertreter in der Malerei Leffing in Düſfel⸗ 
dorf iſt. Die Gefhichte der dramatifchen Literatur theilt fi 
daber ab in das mythiſche und in das wirklich biftorifche 
Drama, zu welchem dic romantifche Schule die Übergangsfkufe 
gebildet hat.“ 

Was nun ferner das Verhältniß der Kritid zur dramati- 
— Kunſt betrifft, ſo wird im zweiten Theile daruͤber unge⸗ 
aͤhr in folgender Weiſe geſprochen: Die Verſtandesbildung iſt 
der Geſchmacksbildung jetzt weit über den Kopf gewachſen. Un: 
fere @itelkeit mag das beftreiten, aber wahr ift es. Alle un: 
fere Künfte, unfere Lebensformen, unfere Rococoliebhabereien 
und chineſiſchen Launen in Bedürfniß: und Lurußgerätb des 
täglichen Lebens, ja felbft unfere Moden und Trachten bewei» 
fen fo gut wie unfer in allen Beitaltern berumtaumelnder Baus 
geſchmack, der die Säulenfchönheit griechifcher Göttertempel an 
die Kaftenform moderner Kafernen feimt, daß unfere äfthetifche 
Cultur noch tief im Argen liegt, und daß das theoretifche 
Wiffen unjere Praris auch auf diefen Gebieten weit über: 
flügelt hat. Wenn die Kritit des Theaters nur aufräumen 
hilft, iſt fie ſchon nicht unyerdienſtlich. Leſſing fügte in der 


408 


Untünvigung feiner „Dramiaturgie”:: Es Binnen nicht immer 
Meifterfiüde —*58 werden, denn Wahl fegt Menge voraus; 
aber es ift yut, wenn das Mittelmäßige für nichts mehr aus⸗ 
gegeben wird als es ift und ber unbefriedigte Zuſchauer we 
nigfiens daran urtheilen lernt. Einem Menſchen von gefun- 
dem Berftande, wenn man ihm Geſchmack beibringen will, 
braugt man nur auseinanberzujegen, warum ihm etwas nicht 
gefallen bat; wenn num Die Kritik aussinanderfegt, warum et⸗ 
was nicht gefallen hat, fo fürbert fie die äſthetiſche Bildung 
auch dadurch, Daß fie einfehen lehrt, marum etwas gefallen 
bat.” Hr. Stahr fagt, was die Bühne nicht il, das kann fie 
werden, und ihr Dazu verbelfen, wos fic werden Tann, iſt Beine 
veräshtliche Wufgabe — das iſt Die Sentenz mis der er Die 
Herausgabe feiner „Didernburgifchen Theaterſchau“ motivirt. 
Hr. Stahr bat fi feit einigen Jahren fowol durch wi: 
ſenſchaftliche ats aͤſthetiſche Arbeiten befannt gemacht; es A 
von Imterefie, daß er fich jetzt der Theaterkritik zuwendet. Die 
vorliegenden Artikel enthalten vorzugsweife eine Kritik ber 
Dichtungen; dev Verf. jagt felbft, wie gewiſſenhaft er zu 
Werke gebe; er habe ſich, um nur Eins anzufuͤhren, mit dem 
„Morig von Sahfen’ wochenlang befchäftigt, ehe er darüber 
ſchrieb. Diefe Sorgfalt ift ebenfo ehrenwerth ale mufterhaft s 


nur müßte Hr. Stahr fi) hüten, nicht mehr in die Dichtungen | 


feiner Freunde hineinzulogen ale was barin ift. Im der Mer 
urtheilung des „Morig von Sachſen“ fpricht er fehr treffen® 
über das Goquettiren mit Schlagwörtern dee Gegenwart in 
den modernen Dramen. Stahr ſagt, daß es nicht gut ſei, 
wenn die Anſpielungen auf die Gegenwart und ihre Kämpfe 
allzu gehäuft find m emem Dramas man merkt bie Abficht, 
und man ift verfimmt. Ramentlich die Anfpi en auf ein 
einiges und freied Deutſchland treffen von er Bühne herab, 
von ber fie 1840 noch wundertief gewirkt hätten, auf ein 
Yublicum, das juft an fehönen Worten und Verheifungen dieſer 
Art ſich den Magen überladen bat, das von ‚Worten diefer 
Art, woher fie auch kommen, nichts mehr bören mag und 
‘Tone, ohne einer bittern Empfindung Raum zu geben, die bier 
den Dichter mit trifft. &o wird für diefen der aͤſthetiſche Feh⸗ 
Ver zum politifchen und er hat nicht einmal den Troſt, an 
Wirkung des Augenblicks zu gewinnen, mas fein Werk an 
bleibendbem Werthe verliert. Indeß tröftet Stahr bie juͤngſten 
Dramattker über feine Rüge wieder, indem. er erwähnt, daß 
Soethe feibit fogar in feinem „Goͤt“ Baſedow'ſchen Erjie- 
hungäppilanthropismus und Unterriht6realißmms predige. Übri- 
gend findet man in allen Necenfiouen Stahr's hiſtoriſche und 
Isterarifche Notizen und allerlei Meine intereflante Mittheilun⸗ 
gen; manchmal erhebt er ſich ſogar zu Upoftropben an dab 
Yublicum, fogar an ganz Deutfihland. 

. Die Kritik der dramatiſchen Künftler iſt wol ber fepwadyfte 
Theil des Buchs; Hr. Stahr ſcheint Leicht iedengeſtellt mit 
den Leiſtimgen diefer kleinen oldenburger Bühne und ſtreicht 
ihre wenig bekannten Mitglieder wol zu ſehr hetvor. Wenn 
aber Jemand ſo weit ginge zu ſagen, es ſei ganz abfurd, die 
Aeronfionen über in Dfdenburg aufgeführte Sheaterftüde her: 
auszugeben, dem müßten wir widerfprechen, weil bort ein an« 
erkennenswerthes Streben Träftig ſich regt; bie Pleinen Ver— 
hältniffe mögen die Schuld tragen, daß wir ſehr viele neue 
Dramatiker in Stahr's Buch nicht beurtheilt finden, weil ihre 
Stade in Dfdenburg nicht zur Aufführung kamen. | 


In Form und Stoff ähnlich diefem erſten iſt das zweite 
der oden genannten Bücher. Die erfle Abhandlung: Das 
Gedicht als Drama”, von Julius Mofen, bietet eine allge: 
mein faßliche Zerglieberung und Erklaͤrung des „Fauſt“. Lei⸗ 
ber gibt es ſelten Kuͤnſtier die denken; für die mag es gut 
fir, wenn Jemand ihnen was er gedacht hat mittheilt, Die 
zweite Abhandlung gibt einen „Bericht über die Aufführung 
des «Fauſto auf ber oldenburger Höfbühne”, von Adolf Stahr. 


Des Befle in diefer GMigze ſheint uns Die Eerlle, wo gef 

wird, vb wen — mit Ernſt und Fleiß an —9— 
führung eines ſolchen Werks geht, dieſelbe eine Berfündigugg 
an dem heiligen Geifte der Kunft if, Wie nothiwendig der 
— dem dramatiſchen Künftler fei, wird jegt, wo aüerlei 


kuspokus, wo die miferebeiften Leiſtungen echte AMmflier- . 


lungen genannt werden, nur wenig merkannt. Gepbei- 
wonn fpricht es in feinen —* edirten Briefen oft um 
nachdrücklich aus, daß ern dem dramatifchen —— 14 
nöthip fi. Hr. Stahr erzählt, dag man in Ofdenburg dur 
eine ben Lefeproben vorhergehende organifche Entwidelung des 
Kunſtwerks, mit befländigem Bezuge auf die dramatiſche 
ſtellung, ben Gehalt unb die Bedeutung des &edi jebem 
einzeinen Schauſpiecler Mar zu maden gefucht habe; «8 mer 
ſchon viel, meint er, wenn nur Jeder die Stimmung bekam, 
worin er ſich aus dem Handwerksmaͤßigen der Zagesarbeit in 
bie Sphäre eines Geiftigen verfegt und von bem Sauberhaudh 
age fÜhlt, der bie Seſtalten diefer Dichtung umwiltere 
Dann folgten die allgemeinen Lefeproben, darauf freie Schore 
dung mit einzelnen Mitgliedern über MWerfländnig und Yaf- 
foflungdweife, dann nad Specialproben die ernfteften General 
proben. Wie gefagt, ſehr Tebhafte Anerkennung verdient die: 
fer Fleiß; aber man erwarte vom Einftudiren, überhaupt vom 
den Theaterſchulen nicht zu viel: guten Mittelfchlag von Xc: 
teurd koͤnnen fie bilden; Künftler bleiben wie bisher felten. 
Kunftfchuien mäffen naturgemäß entfteben, d. b. um bervor: 
ragende künſtleriſche Perfönlichkeiten müffen ſich jüngere ſcha⸗ 
ren; fo bildeten ſich Die alten italienifhen Malerſchulen, eim 
Meiſter rief den andern ins Leben, förderte ihn, vollendete 
ihn. Dieſe Theaterſchule, die nun jegt dem Vernehmen nad 
in Berlin errichtet werden fol, wird ein Zreibhaus, aber al 
len —B fehlt die Raturfarbes gegen die Pflan⸗ 
zen, die in Luft umd Sonne erwuchſen, halten fie nicht zaus 





Bibliographie. 


Berthet, E., Der Edelfalke. Grzählung aus ber Zeit 
der Belagesung von Paris durch Heinrich IV. Aus dem Fran- 
zöfifchen uberfegt von Fanny Zarnom. Leipzig, Kollmann. 
8. 8. 1 Thlr. 9 Ror. 

Briefe von und an Goethe. Desgleichen Aphorismen 
und Brocarbica. peraußgegeben ven F. W. Riemer. Keim 
zig, Weidmann. IX 2 The. 

Curtius, E., Naxos. Ria Vortrag im wissenschaft- 
lichen Vereine zu Berlin. Berlin, Besser. Gr.8. 10 Ner. 

nt, E, Polizei: Gefchichten. Leipzig, Lord 8. 


Ir. 

Barndam, 2. J., Wanderungen über bie Belfengebirge 
in dag Oregon-Gebiet. Aus dem Englifchen von F. Gerſtaͤcker. 
Leipzig, Mayer, Kl. 8. 1Thlr. 

Gernanb, Beben und Lieben, Dichten und Trachten des 
Amtsſchreibers Michael Häderlein. Wien, Gerold. 12. 1 Ihe. 

Gedichte eines Elſaͤßers nebfk einer mufifatiichen Bugabe 
zu demfelden Straßburg, Treuttel und Würg. 12. 

Genre-Bilder aus dem Oriente. Gesammelt auf der 
Reise des Herzogs Maximilian in Bayera und gezeichnet 
von H. v. Mayr. Mit erklärendem Texte vor Fischer, 
Iste Lieferung. Stuttgart, Ebner und Seubert. Fol. 3 Thie, 


0 Ngr. 

Handbuch für Reisende in den Orient. Iahalt: Die jo« 
nischen Inseln, Griechenland, Türkei, Kleinasien, Inseln des 
Archipels, Syrien, Palästina} und Ägypten. Nach eigener 
Anschauung und den besten Hülfsquellen. Nebst Lehren 
und Winke für Reisende. Mit Register, 5 Karten und den 
Planen ‚on Constantinopel und Jerusalem. Stuttgart, Krabbe, 


Wiramnorliiher Divandgeber: Geinzilh Weotpame. — Brut und Bertag von. ec. Brokhand in Belprig. 


WXar. - 





4 


literariſche 


Sonnabend, 


Hrincip. Von einem Dflreich 
Erſter Artiketl. 
(dortſetung aus Sir. 108.) 

Der Umftand, daß ber verſtorbene König ſelbſt in 
dem Wahne geftanden, er Babe ein bindendes Verſpre⸗ 
den zur Ertheilung einer vollftändigen modernen Re⸗ 
präfentativverfaffiing geleiftet, verändert diefen Gefichts⸗ 
punkt auch nicht im mindeften. Er ift vielmehr völlig 
irrelevant und beweift nur, daß der König ebenfalls die 
terige Anficht gehegt habe, wie die ihm zuftehenbe abfo- 
Iut gefeggeberifche Gewalt ein bloßes Privatrecht fei, ein 
Privateigenthum, deffen er fih zum WBortheile britter 
Derfonen entäußern koͤnne, was fi) von feiner Geite 
als Privatmann verfchenten und von andern Privat⸗ 
leuten acceptiren Tiefe. Diefe Anficht von ber privat 
rechtlichen Natur feiner Rechte als Staatsoberhaupt 
kann unmöglich die wirkliche, öffentliche Ratur dieſer 
Rechte ummandeln. In diefem Falle freilich ſcheint fie 
das liberale Princip zu begünfligen, aber ſchwerlich moͤch⸗ 
ten bie Liberalen felbft mit allen Folgerungen einverftan- 
ben fein, die fi von den Anhängern bes Hrn. v. Hal- 
ler u. A. daraus ziehen umb darauf bauen liefen. Es 


Die preußtfche Werfaffungefrage „und das norbifhe | 
er. 


möoͤchte ihnen ſelbſt gar übel bekommen. 


Es iſt übrigens eine intereſſante pſychologiſche That⸗ 
ſache, daß Friedrich Wilhelm II. ſtets der Uebetrzeugung 
gelebt, er habe ein wirklich bindendes Verſprechen auf 
Bolkorepraͤſentation abgelegt, und koͤnne ohne Wortbruch 
diefes Verſprechen nicht oͤffentlich wieder zurücknehmen. 
Ob daſſelbe überhaupt fe frei aus feiner eigenen Seele 
hervorgegangen, oder ob er nicht vielmehr Halb wider- 
firebend durch den Geiſt ber Zeit unb duch feine Liber 
ralen Rathgeber, Stein und Hardenberg an der Spige, 
dazu genoͤthigt worden iſt, wollen wir bier nicht weiter 
unterfuhen. Wir glauben es jedoch allerbings. Gin 
freier Deinungslampf, wie ihn eine Volksrepraͤſentation 
unbebingt sorausfegt, war ein Zuſtand, mit dem fich der 
König feinem innerften Weſen nach nie recht befretinden 
tonnte. Ein Freund flrieter, mifitairifcher Orbnung ſah 
er in jenen Iebhaften Meinungstämpfen nur ben Keim 
zur Unorbuung und Anarchie; denn das höhere Beleg 
im ber aoraliſchen Weltordnuug, welches auch Abes bie 
fen ſcheinbat reggelloſen Kämpfen herrſcht uud fie einem 


- 


Blätter 
für 


Unterhaltung. 





nothmwendigen Ziele entgegenfühet, wurde won ihm nichts 
weniger als lebhaft erkannt. Der philoſophiſche Blick in 
den Bang ber Beichichte sing ihm ab. Wenn er auch 
vermöge feiner natürlichen Schuͤchternheit und Beſchei⸗ 
benheit ſeine eigene verneinenbe Anſicht damals nie 
auszufprechen wagte, als feine geiſtreichſten Miniſter, die 
das GEtaatoſchiff bis dahin vortrefflich gelenkt harten, 
und mit ihnen ganz Preußen und ganz Deutfchland fi 
für eine liberale Verfaſſung zu erläcen feierten, fo hat 
ihm die volle, freudige Ubergeugung dafür doch gewiß 
ſelbſt in jener Beit ſchon gemangelt. Alle dahin ztelenden 
Stellen in den verſchiedenen bekannten Erlaſſen, nament⸗ 
lich in dem entſcheidenden vom Mai 1815, Find ſicher 
mehr in den Köpfen feiner Rathgeber entforungen, und 
von denſelben redigirt ihm nur zur Unterſchtift vorgelegt 
worden. Auch bie fo entfcheibenden Erklärungen der 
preufifgen Geſandtſchaft auf bem Wiener Congrefſe 
und noch fpäter bei dem Deutfehen Bundedtage fin 

ihm felbft gewiß am wenigfien zummechnen. Dennsch 
hielt er fi, wenn auch wicht durch fein Gewiſſen, wel⸗ 
ches ihn ſtets davon abmahnte, To doch wengſtens durch 
feine Ehre gebunden. Gr ſchreckte dahor zutuck, öffent⸗ 
lich als ein Wortbruͤchiger zu erſcheinen, wie es feine. 
Anſicht nach der Fall fein würde, ſobald er bie früher 
ausgeſprochene Abſicht zur Ertheilung einer Nepraͤſenta⸗ 
tivverfaſſung zuruicknaͤhme. Dieſen Seelenzuftand hatte 
namentlich ſein Staatstanzler Hardenberg, der bis ans 
Ende feiner Tage die Idee einer preußiſchen Repräfen- 
tatiuverfaffung im Setzen hegte, wiewol ex noch weh⸗ 
rend feiner Amtsführung fi) zu Rückſchtitten von bie- 
fer Nichtung genbthigt fah, gar wohl erkannt. Und mit 
feiner gewohnten Feinheit und Gchlawbeit mußte er bes: 
ſelben für feine Plane zu denugen. Ramantlich war 
die Antwort, die er dem Koͤnige auf bie berlihme Tob- 
lenzer Adreſſe im I. 1818 in ben Mund legte, ein wah- 
te& hors doeuvre biplomatifiher Schlauheit. Auf bie 
än eine tg mahnende Adreſfe der Stade Keb⸗ 
lem lautete bie Antwort des Königs folgeudermaßen: 
beörepräfentetion aus ſveier Entfihliefing gab, datau 
erinriert, der zweifelt frevelhaft au ber Unver⸗ 
draächlichkeit der Juſage Mähemb er auf biefe 
Welle ber fich unter Gemiſſeneſcrußein winberben Cute 


des Königd über die Verlegenheit des nächſten Augen⸗ 
blicks hinweghalf und Aufihub für fie erlangte, wußte 
er den König moralifh duch ſolche öffentliche Erklä⸗ 
zungen nur defto fefter zu binden und einen ausdrüd- 
lichen Wiberruf der feühern Erlaffe für ihn unmöglich 
zu machen. Der bloße Zweifel an der Unverbrüclichkeit 
der Zufage wurde fchon vom Könige felbft für einen 
Frevel erklärt; als was würde nun der Bruch der Zu⸗ 
fage felbft erfchienen fein? Go raub und fireng diefe 
Worte in der Form daher auch waren, fo haben fid 
die Unterzeichner jener Adreſſe eine folhe Zurechtweifung, 
deren eigentliher Kern fo entfchieden ihren Wünfchen 
entfprach, doch gewiß gern gefallen laffen. So erklärt 
fi) denn auch, wie der König felbft fpäter, als feine 
Handlungen von Zag zu Tag mehr nad) einem anti- 
conftitutionnellen Ziele hinarbeiteten, doch in feinen Wot⸗ 
ten immer.nody auf das frühere Berfprechen einer Ver⸗ 
faffung hindeutete, wie dieſes felbft noch in- dem Gefege 
vom 5. Juni 1823 über die Provinzialſtände, welches 
gewiß gerade das Gegentheil von einer wirklichen Volks⸗ 
tepräfentation enthielt, noch der Kal war. Wenn Fried- 
rich Wilhelm III. aufrichtig gegen fi fein wollte, fo 
mußte er fich eingefichen, daß die Erfüllung feines ein- 
gebildeten Verſprechens längft nicht mehr feine Abficht 
fei. Leicht möglich, daß er es ſtets vermieden bat, fich 
Diefe Frage felbft fharf und Mar zur Beantwortung zu 
fielen ; aber daran wird wol Niemand zweifeln, daß 
Preußen unter ihm Feine Repräfentativverfaffung erhal: 
ten, und wenn er noch hundert Jahre länger regiert hätte. 
Seine Handlungen ſprechen deutlicher wie feine Worte. 
. Wir müſſen es für einen Fehler unfers Berf. er- 
Bären, daß auch er fich zu juriſtiſch blos an die Worte 
bes Könige hält und bie denfelben wiberfpredhende in- 
nere Überzeugung befjelben vollig ignorirt. Welche Ab- 
fisht ihn dazu vermocht bat, wiflen wir nicht anzugeben. 
Aber mer einmal ein nad allen Seiten gerüftetes Bud), 
weiches für Freund und Feind gleich überzeugend fein 
fol, fchreiben wid — und diefes war doch bie Abficht 
bes Berf., die er auch im Allgemeinen in fo hohem 
Grabe erreicht hat —, der muß nichts ſimuliren und 
nichts verfehweigen. "Er muß keinen Umſtand umd Peine 
Schwierigkeit umgehen, wenn bie moralifche Überlegen» 
heit feines Werks wirklich auf allen Punkten ſiegreich 
durchbrechen fol. 

Wiewol nun der Verf. jenes fogenannte Eönigliche 
Berfprechen für die Entſcheidung der preußiſchen Ver⸗ 
faffungsfrage als vollig irrelevant erklärt, fo läßt er fi 
doch auf eine weitläufige Debuction ein, in welcher er 
auszuführen ſucht, daß allerdings die unzweifelhafteften 
Erklärungen für Einführung einer Repräfentativverfaf- 
fung von dem verftorbenen Könige ausgegangen, und 
daß diefe nie, wie die Gegner wollen, von demfelben zu- 
rückgenommen fein. So gründlich und - evident num 
auch dieſe Deduction ift, fo Eönnte man doch wol bie 
Frage aufmwerfen, ob er felbft feiner eigenen Anſicht zu⸗ 
folge nicht zu. viel Raum und Zeit damit verfchwenbet 
babet Sie nimmt faft ein Drittel des Buchs ein. War 


⸗ 


das aber noͤthig bei einer Frage, durch deren Beantwor⸗ 
tung eingeſtandenermaßen ũberhaupt nicht das Mindeſte 
entſchieden werden kann? Wir glauben, es wäre beſſer 
und conſequenter, auf alle Faͤlle auch für den Leſer we⸗ 
niger abfpannend geweſen, wenn der Verf. ſich hier kür⸗ 
zer gefaßt und uns gleich mitten in den Schwerpunkt 
feines Werks, in den Nachweis der moraliſchen und po⸗ 
litiſchen Nothwendigkeit einer Repräfentativverfaffung für 
Preußen und Oftreich Hineingerüudt hätte. . 

Da er aber einmal auf jenes ziemlich gleihgültige 
Thema fich einließ, fo hatte er ganz recht, daß er auch 
die Behauptungen ber Gegner zu entkräften und zu wi- 
derlegen fuchte. Diefe wollen befanntlich die Welt glau- 
ben machen, daß der verfiorbene König zwar im Allge- 
meinen eine Verfaſſung verfprodyen, daß er barunter aber 
keineswegs eine Volksrepraͤſentation mit entfcheidender 
Stimme bei Gefeggebung und Steuerauflagen verfianden 
babe. Eventualiter freilich geben fie fodann nachträglich 
zu verfiehen, wie derfelbe jedenfalls doch fpäter diefe Zu- 
fage, falls er fie dennoch ertheilt, durch das Geſetz von 
1823 über die Provinzialftände ausdrücklich zurüdge 
nommen habe. 

(Der Beſchluß folgt.) 





‚Diver Crommwel und feine Selbftvertheidigung. 


Der bekannte Thomas Carlyle, der Verfaſſer ber ‚Six 
lectures on heroes and hero-worship and the heroes in hi- 
story‘ und anderer Werke, die ihrer Beit Durch geiftreiche und 
gedankenvolle Auffaflung trog mancher Überfpanntheit viel Auf: 
ſehen gemacht haben, ift jegt mit der Herausgabe hiftorifcher 
Schäge bervorgetreten, die für die fo wichtige Geſchichte der 
erften englifhen Revolution von der größten Bedeutung find: 
Es find Dies die „Oliter Cromwell’s letters and speeches ‘‘, 
mit Erflärungen vom Herausgeber verjehen (2 Bde., London 1845), 
Dies ift eine höchft fleißige Arbeit, da der Herausgeber nicht nur 
allenthalben den Inhalt derfelben zufammengefucht, fondern auch 
ben Tert auf Daß genauefie durchgefehen, verbeflert, gehörig ge 
ordnet, mit Anmerbungen und biftorijchen Erläuserungen verfehen 
bat, fodaß der Lehrer ein treued Bild des Mannes und feines We⸗ 
in erhält, der mehr oder minder biöher noch gewifiermaßen 

ür ein Hiftorifches Rätbfel galt und dem man noch fürziidh 
felbft in feinem Vaterlande, das ihm die Grundlagen feiner 
auswärtigen Macht und Größe verdankt, von 'gewiflen Seiten 
den woblverdienten Anſpruch beftritten bat, in der Reihe der 
roßen Männer, deren Standbilder man ım neuen Parlaments⸗ 
Baufe aufftelen will, den ihm gebührenden Pag einzunehmen. 
Nachdem dies in feinem Baterlande gefchehen, mag es freilich 
nicht Wunder nehmen, daß auswärts. die fo ungewöhnliche und 
großartige Erfcheinung dieſes Mannes, wie es namentlih von 

ablmann in feiner „Geſchichte der englifchen Revolution‘ er- 
folgt ift, nicht Be gewürdigt und feine Thatengröße mehr 
als eine Bolge zufälliger Ereigniſſe dargeftelt worden iſt. Die 
Sammlung Carlyle's, der feinen Helden vielleicht auf ein all: 
zu hohes Fußgeſtell in feinem Heldenfaale ftellt, wird vielleicht 
dazu beitragen, einer richtigern Würdigung dieſes merkwürdi⸗ 
gen Charakters Eingang zu verfchaffen. 

Gartyie weift die Unrichtigkeiten und Oberflaͤchlichkeit der 
frühern Biographen feines Helden, Clarendon eingeſchloſſen, 
nad) und zeigt darauf hin, wie thöricht es ift, anzunehmen, 
daß ein ang⸗ Volk von ernſtem, geſetztem Weſen wie das 
puzitanifihe glend von einem fo plumpen unb befchrändten, 
neidifchen Sefelen von kaum mehr als gewöhnlicher Berfchla- 


208. 


‚ als welchen man Cromwell darzuftellen gewohnt ift, 
einem Kampfe auf Tod und Leben gegen eine fejtbegrüntcte 
nigsmacht fihb habe hinreißen laſſen Fünnen. Bekanntlich 

bat CTromwell zu wiederholten Malen oͤffentlich im Parlamente 
fih gegen die ihm ſchuldgegebenen Verbrechen — 2 — und 
ſein Verfahren gerechtfertigt. Es iſt gewiß intereſſant, eine 
dieſer Vertheidigungsreden, wie fie Carlyles Sammlung dar⸗ 


bietet, cusfuͤhrlich mitzutheilen, da ſie den Wann, wie er war, 


abzeichnen. 

„Ich war durch Geburt ein Edelmann — lich er ſich einſt 
in dem Parlament von 1654 vernehmen — , der weder in ir: 
end betsächtlich hoher Stellung noch au in Dunkelheit lebte. 
I bin zu verfchiedenen Amtern im Volke berufen worden: im 
Parlamente und anderweit Dienfte zu leiften, und, daß id 
nicht zu weitfchweifig werde, ich war bemüht, die Pflicht eines 
ehrlichen Mannes in diefen Dienften für Gott und feines Bol: 
kes Vortheil und zum Nutzen des Gemeinwohls zu erfüllen; 
ſodaß ich jeweilig eine entfprechende Anerkennung in den Der 
zen der Menfchen und cinige Beweife davon erhielt. Ich bin 
nicht gemeint, die Beiten und Gelegenheiten und die Borkomm: 
nifie aufzuzählen, die von Gott mir bezeichnet wurden, ihm 
darin zu dienen, noch den Beiftant und Segen Gottes, die 
mir dabei Zeugniß lieferten. Nachdem ſich mir einige Gelegen: 
heiten geboten, im Verein mit meinen Brüdern und Landsleu⸗ 
ten unfern harten Kriegen und Kämpfen mit dem gemeinfamen 
Feinde ein glückliches Ende gefegt zu fehen, hoffte ich in ber 
Eigenſchaft eines Privatmannes zufammen mit meinen Brüdern 
die Frucht und Wohlthat unferer Mübfeligkeiten und Gefahren 
zu ernten; nämlich den Genuß des Friedens und ber Freiheit 
und die Rechte eines Ehriften und Menfchen in gewiffer Gleich: 
vertbeilung mit Andern, je nachdem ed dem Herrn gefallen 
folite mir davon mitzutheilen. Und als, wie. ich füge, Gatt 
unfern Kriegen ein Ente gemacht, ober fie wenigftens zu glüd:- 
lihem Ausgange, beinahe zu Ende gebracht, nad dem Ge⸗ 
fecht von Worceſter, Bam .ich nad London, dem Parlamente, 
das damals ſaß, meine Dienfte und Verpflichtungen zu leiften, 
indem ich hoffte, daß alle Geifter geneigt fein würden, Dem zu 
entfprechen, was die Abficht Gottes zu fein fehien, nämlich 
feinem Volke Frieden und Ruhe zu geben, und befonderd De: 
nen, die mehr als Andere geblutet, indem fie die Eriegerifchen 
Angelegenheiten ausführen mußten: — ich warb ſehr in mei: 
nen Erwartungen getäufcht. Denn daß Ende erwies fich gan 

anders. Weflen man fi) immer rühmen, oder was man au 
entftellen mag, es war nicht fo, nicht fo! In der Einfalt mei- 
ner Seele darf ich fagen, ich liebe es nicht, ich liebe es nicht 
— ih wies es in einer frübern Rede zurüd — ich Tiebe es 
nicht, Wunden aufzudecken oder Blößen zu enthüllen! Br 
was ich ftrebe, ift dies: Ich fage Euch, ich hoffte Erlaubni 
zu erhalten, mid ins Privatleben zurüdzuziehen. Ich 
fuchte um &ntlaffung von meinem Amte nad, ich bat wieder 
und wieder, und Gott fei Beuge zwiſchen mir und allen Men- 
fhen, wenn ich in diefer Sache füge! Daß th in Thatſachen 
nicht lüge, iſt fehr Bieten befannt: aber ob ich eine Lüge in 
meinem Herzen fage, da fei Gott mein Richter. Mögen herz 
loſe Menfcgen, die Undere nach ſich beurtbeilen, denken was 
ihnen beliebt. Was die Thatſache betrifft, fo behaupte ich, das 
fei wahr. In Bezug auf die Aufrichtigfeit und Unbefcholten: 
heit meined Herzens bei diefem Wunſche — berufe ih mich wie 
vorhin gleichfalls auf die Wahrheit defielben! Aber ich konnte 
nicht erlangen, wonad meine Seele begehrte. Und daß ich Die 
offene Wahrheit fage, ich fing darauf an zu beforgen, Einige 
wären der Meinung (ſolches ift der — *88 ihres Urtheils 
von dem meinigen), daß es nicht wohl geſchehen koͤnne. Ich 
geſtehe, ich bin in einiger Verlegenheit zu ſagen, was ich ſa⸗ 
en koͤnnte und was wahr iſt — 538 —*8 was darauf 
gte. Ich drang in das Parlament, als Mitglied deſſel⸗ 
ben, fich ſelbſt aufzulöfen — einmal, und wieder und wieder, 
und zehn, ja mehr als zwanzigmal. Ich fagte ihnen — denn 
ich wußte es befier ald irgend ein Underer im Parlament es 


wiffen Fonnte, in Wolge meiner Lebensweiſe, welche mich allent⸗ 


halben in Volke hin und wieder geführt und mir Dadurch ver: 
gönnt hatte, die Stimmung, die Gefinnung aller Yeute und 
der Beften von ihnen zu feben und Eennen zu leınen —, daß 
die Ration ihrer Seſſion überdrüffiy je. Ich wußte es. Und 


ſoweit ich beurtheilen konnte, fo trähte, als fie aufgelöft wurbde,. 


kein Bahn danach (ihere was not so much as the barking 
of a dog), noch war ein allgemeines oder ſichtbares Bebauern 
darüber. Es find nicht Wenige von Euch hier gegenwärtig, 
die Ihr dich wie ich ſelbſt beftätigen könnt. Und daß ber kein 
tigfte Grund zur Auflöfung vorhanden war, ift völlig Mar; 
nicht blos in Betracht der Fortdauer jened Parlaments aus 
eigener Macht war gegründete Furcht vorhanden, fondern es 
lag wirklich in feinem Plane. Ja, wären nicht Ungelegenhei⸗ 
ten von außen ihm auf die Ferſen getreten, die bis zu Dro: 
hungen fliegen, ich glaube, man wäre bis in alle Ewigkeit 
nie auf den Gedanken gerathen, es aufzuheben, oder aus die 
fem Saale zu geben. Ich felbft ward ausgehordht, und von 
feinen ſchlechten Leuten, und in Berfuchung geführt; und es 
wurden mir Borfchläge zu eben odieſem Zwecke gemacht; daß 
man naͤmlich das Parlament auf diefe Weife fortdauern Laffen, 
daB man die leeren Plüge durch neue ‚Wahlen ergänzen, und 
jo fortfahren folle von Geſchlecht zu Geſchlecht. Ich bin un- 
gern daran gegangen, ſehr ungern Daran gegangen, dieſe Dinge 
Euch aufzudecken. Aber da ich einmal fo weit gegangen bin, 
muß ih Guc ferner erzählen, daß unter Ddiefer —E 
Gewalt arme ehe zu Vierzigen an einem Morgen gleich 
einer Heerde Schafe audgetrieben und ihre Güter und ihr Ver: 
mögen eingezogen worden ſind, ohne daß irgend Jemand im 
Stande geweſen wäre, einen Grund dafür anzugeben, weshalb 
nur zwei von ihnen um einen Schilling gebüßt zu werben ver: 
dient hätten! Ich fage Euch die Wahrheit. Und meine Seele 
und viele Perfonen, die ih hier erblide, waren im höchften 
Grade betrubt uber diefe Dinge: und wir mußten nicht, auf 
welche Weile ihnen zu helfen wäre außer durch Klagen, oder 
indem wir_unfere verneinende Stimme abgaben, wenn die Ge: 
legenheit fi darbot. — Ih habe Euch nur einen ſchwachen 
Umeiß der damaligen Misſtände gegeben. Ich bin überzeugt, 
ihr Habt Gelegenheit gehabt, viel mehr darüber zu hören; denn 
nichts ift offenkundiger. Zwar wird man fagen, daß ein Heil 
mittel verfucht wurde, diefem ewigen Parlamente dadurch ein 
Ende zu machen, indem man uns eine zulünftige Vertretung 
gab. Wie man dahin gelangte, durch weldye Ungelegenheiten 
man es erreichte und mit welchem Miderwillen man einmwilligte, 
it befannt. Was war Died Heilmittel? Es war die anſchei⸗ 
nende Bereitwilligkeit, und aufeinanderfolgende Parlamente zu 
gewähren. Und welcher Art war diefe Yufeinanderfolger Sie 
beftand darin, daß wenn ein Parlament. feinen Sig verlaffen 
hatte, unmittelbar darauf in demſelben Saale ſich ein anderes 
nieberliche, ohne Vorkehrung gegen die wirkliche Gefahr, naͤm⸗ 
lich die, daß diefelben Männer im Parlamente wieder fort 
bauerten. Was eine wunde Stelle ift, die ſtets offen bleiben 
wird, fo lange bie Menſchen ehrgeizig und unruhig find, wenn 
Fein Mittel dagegen aufzufinden iſt. Ia, im beften alle, wo 
bin wird ein foldyes Mittel führen? Es wäre eine Verwech⸗ 
jelung eined Parlaments, das fortdauernd gewefen wäre, mit 
einer gefegnebenden Gewalt, die immerfort ihren Sig behielt! 
Und fo werden die Freiheiten und die Intereffen und das Les 
ben des Volks nicht durch irgend befannte Geſetze und Befug⸗ 
niffe, fondern durch eine willfürliche Macht entfchieden , welche 
den Parlamenten anhaftet und ihnen nothivendig iſt; Durch eine 


willfürlihe Gewalt, fage ich, um das Eigenthum der Leute . 


der Beſchlagnahme, ihre Perſonen der Einferferung — zuwei⸗ 
len durch Gefege, die erſt nach begangenen Vergehen gemacht 
find — auszufegen; indem oft dic Parlamente fi angemußt 
haben, Urtheile zu erlaffen, fowol in Gapitalfällen al& andern 
Criminalſachen, während man in früherer Zeit von Ausübung 
einer ſolchen vichterlichen Gewalt nichts wußte. Dies war, 
wie ih vermuthe, bier der Fall. Und nach meiner Meinung 


. 
— — —— — — 0.2. 


404 


war daB Heilmittel’ dem Übel angemeffen. Ich muß geftehen, 
aus diefen Gründen und mit der Suflimmung verſchiedener Per: 
fonen, welche keinen andern Ausweg fahen, Hand die Auflöfung 
des Parlaments ftatt®), und wir, weiche zu fehen wünfhten, 
ob einige Wenige für eine Burze Beit zufanmengerufen werben 
Könnten, welche die Ration in einen Zuſtand ber Beſchwichtigung 
bringen möchten, riefen jene Herten auß den verichiebenen Iheilen 
der Ration aufammen.” (Das fogenannte kurze Parlament.) 
Hierauf ergeht fi Erommwel in neuen Betheuerungen, 
daß er nichts ale Wahrheit fage und gefagt habe, worauf er ft 
führt: „Wie der hauptfächlichfte Bwed bei Sufammenberufung 
diefer Berſammlung bie DB der Nation war, fo war 
in Bezug auf mid) meine Hauptabficht, bie Gewalt nieberzu: 
legen, die in meinen Händen lag; ich erkläre ed Euch nochmals 
im Ungeficht jenes Gottes, der mich gefegnet hat und ift mit 
mir geweſen in al meinen Widerwärtigleiten umd in meinen 
tüdlichen Erfolgen, died war für nid elbſt der hoͤchſte Zweck! 
Ein Wunſch vielleicht, ich fürdpte, fündhaft genug, der Ge⸗ 
walt, die Gott auf das klarſte durch feine Borfehung in meine 
Hände gegeben, mich eher zu entkleiden, als er mir gebot fie 
nieberzulegen, bevor jenes ehrenhafte Biel unferer Kämpfe er» 
reicht und Alles geordnet war. — Ich erkläre, da die Macht⸗ 
befugniß in meiner Hand fo ſchrankenlos war — denn durch 
Seſchluß des Parlaments war ich General aller Streitkräfte in 


den drei Bölfern von England, Schottland und Irland, in 


weich unbefgränkter Gewalt ich nicht einen Tag zu leben be» 
ehrte —, fo riefen wir jene Verſammlung zu obenangegebenem 
wede zufammen. Welchen Erfolg und Ausgang diefe Ber» 
ſammlung hatte, ift Allen in traurigem Angedenten. Es la: 
gen große Lehren darin und ich hoffe, es wird uns Flüger für 
die Bußunft machen! Uber, da jene Verfammlung nicht von 
Erfolg war und fie unfern Erwartungen ſolche Zäufchung be 
reitete, fo will ic iegt nicht darauf zurückkommen; daß einzige 
Ergebnif war das, daß fie kamen und mir ein von weit aus 
dem größten Theile derfelben unterzeichnete Pergament brach: 
ten, worin fie ihre Abdankung und Berzichtieiftung der ihnen 
erfheilten Befugniß und Macht wieder in meine Hände legten. 
Und ic kann in Gegenwart vieler Yerfonen bier, die wiflen, 
ob ich eine Lüge darın fage, behaupten, daß ich nicht ein Ti— 
telchen von jener Abdankung erfahren, bis fie alle kamen und 
brachten fie und überlieferten fie in meine Hände. Auch def 
fen find viele Herzen bier anweſend. Ih empfing diefe Ber 
ichtleiftungen, nachdem ich früher es an Bemühungen und 
Überredung nicht fehlen gelaffen, fie beifammen zu behalten. 
Da ih ihre Meinungsverfihiedenheit bemerkt, hatte ich es für 
meine Pflicht gehalten, ihnen Rath zu ertheilen, daß ich es 
über fie gerwönne, eine Vereinigung herbeizuführen. Uber es 
hatte die befagte Wirkung, und ich hatte mich getäufcht. Als 
dies fi herausftelte, boten wir Alles auf, um bie Dinge für 
die Zukunft zu ordnen. Meine eigene Macht war durch diefe 
Hefignation wieder fo ſchrankenlos und unbegrenzt geworden 
wie —*8*— ‚ indem Alles dem willkürlichen Ermeffen unterwor- 
fen blieb und in mir fich die Gewalt über brei Völker ohne 
feftgefegte Schranke oder Grenze vereinigte, auch alle Berwal: 
tung in diefer Angelegenheit aufgelöft und alle bürgerliche Ad⸗ 
miniftration zu Ende ging.” 

Man mag die in dieſer Selbftvertheidigung feiner Han: 
delsweiſe vorgebrachten Theorien über Bollsvertretung umd die 
Sejaͤhrlichkeit der Allmacht gefepberathender Berfammlungen 
für richtig anerfenmen oder nicht, immer wird man in dieſem 
Artenftüde die Sprache eines die Verhältniffe Mar auffaffenden 
md mit praktiſchem Sinne unterſcheidenden Geiſtes erkennen, 
wie folches auch aus andern von Erommell’s Reben hervorgeht, 





9 Es I bier naͤmlich von der Aufföfung bed fogmannten „Ian: 
gen Parlaments’ die Rebe, bie am 20. April 1668, nachdem es über 
M Jahre gefeffen Hatte, erfolgte. oo 


denen man mit großem Unrecht vorgeworfen Hat, daß fie verſchro⸗ 
ben und abfichtlich unverftändlich find ; während, wo fie wirklich 
dunkel und zweideutig erfchienen, dies nur jenen Grund in 
einer gewiffen myſtiſch religiöfen Richtung hat, der jene ganze 
Zeit und namentlih das Bolt und die Partei auszeichnet, in 
deren Mitte Cromwell emporftieg und bie Herrfeaft FE 
Mo diefer Einfluß nicht vorhanden, erfcheint Cromwell's Spra 
von jener praktiſchen Auffaffungsgabe unterflügt, von jener 
Entſchloſſenheit befeelt, Die ihn in fo en Berbältniffen 
zum nothwendigen Manne machten, ihn ſchon in vorgerudten 
Mannesjahren ohne alle Briegerifche Vorbildung zum Heerfüh: 
rer und aus einem Priedendridhter eines Pleinen Orts zum 
vollendetften Staatsmann feiner Zeit fchufen. 

Es hieße zu viel gefagt, behaupten, daß der Zufall, 
das Gluͤck ihn nicht vielfach begünftigt habe; aber. wo wäre ein 
Großer in der Wellgeſchichte von Alexander herab bis auf Ra- 
poleon, Die ohne dieſes Zufall oder blindes Gluͤck genannte 
Ding geworden wären was fie wurden? Wenn aber die Auge 
Benugung des Augenblicks zur Ausführung gefaßter Plane, 
das unabirrbare Feflhalten eined gewiffen Zielpunktes und bie 
praktiſche Gewandtheit, jede zufällig ſich darbietende Gelegenheit 
in ein Beichleunigungsmittel zur Erreihung dieſes Zield um- 
zugeftalten, Die Virtuofität endlich, gemwiffen Anfchauungen und 
Gedankenrichtungen der Beit den Umfländen angemeflene unt 
fchnelle Verwirklichung zu geben, . wenn Dieb Alles die noth⸗ 
wendigen Eigenſchaften eines wahrhaft großen Mannes find, 
fo wird ein unbefangener Gefchichtichreiber dem fogenannten 


„Sohn des buntingdoner Brauerd” diefen Ruhm ebenfo wenig 


abiprechen Bönnen ald Rapoleon und Andern feined Steigen. 


LZiterariſche Notizen aus Frankreich. 


Legitimiftifhe Hofbiftoriograpben. 

Die Schriftfteller der legitimiftifchen Partei möchten gern 
die erlaucdhten Perfonen, deren Sache fie vertreten, in einem 
recht . glänzenden Lichte erjcheinen laſſen. Jeder no fo un: 
bedeutende Zug, jede nichtöfagende Anekdote, welche ſich zu 
Sunften der Bourbonifhen Glieder ausbeuten läßt, wird in den 
Spalten der Journale, über die fie zu verfügen haben, in be- 
haglicher Breite aufgetifcht. Leider wird dieſen Hofbiftoriogra- 
phen ihr undankbares Geſchäft nicht fo leicht gemadyt, indem 
fie, um ihrem Stoffe nur irgend eine ergiebige Seite abzuge: 
winnen, meiftens ihre Phantaſie fehr in Koften zu ſetzen haben. 
Wenn man die ganze Lächerlichkeit dieſer panegyrifchen Lob- 
hudler durchſchauen will, fo braucht man nur bie vor kurzem 

hienenen „Voyages da Henri de France en Koesse, ep 
Angleterre, en Allemagne et en Italie” von SIohanet zur 
Hand zu nehmen. Hier wird der Weihrauch mit vollen Händen 
ausgeſtreut, und das hoble Pathos fpielt eine bebeutende Rolke. 





Über das ritterlihe Leben des Mittelalters. 
‚ Ein in heraldiſcher fowie hiftorifcher Beziehung nicht un: - 
intereffanter Beitrag zur Kunde des Mittelalters ift in einem 
vor kurzem erfchienenen Werke enthalten, deſſen Titel alfo 
lautet: ,, Noblesse et chevalerie du oomte de Flandres, 
d’Arteis et de Picardie”, von P. Roger. Diefe inhalt: 
reiche Schrift bringt außer den hetaldiſchen Rachroeifungen 
und den Notizen zur Gefchichte der erwähnten Familien viel: 
fache Andeutungen über das ritterliche Leben des Mittelalters. 
Beſonders anziehend gem die Mittheifungen über bie Tourniete, 
die Feſte und das Waffenleben der Ritter. Auch in Bezug 
auf die Belagerung Con Diſy in Artois fowie zur deutlichen 
Anfhauung der Schlachten von Bouvines, von" Eourtrai, von 
Saint:Dmer, von Bofeberque, von Azincourt und von Mans 
en Bimen erhalten wir beachtenswerthe Mittheilungen. 17. 


Berantwortucher Herausgeber: Geinvid Bropans. — Brad und Serlag von F. 9. Vrockhans in Betpztg. 





Blätter 


far 


literarifde Un terbaltung. 





32. April 1646. 





preußifche Zerfa ſunge wrage ‚und das nordiſche 
on einem Oftreicher. 
Erſter Artikel. 
(Beſchluß aus Rr. 301.) 

Bas nun den erften Punkt berrifft, fo find wir 
mit der Widerlegung beffelben von Seiten unfers Berf. 
im Allgemeinen einverflanden. Doch ſcheint er und zu 
viel Gewicht auf das Wort „Repräfentation” zu legen, 
welches der Erlaß von 1815 gebraudt. Er meint näm- 
‚Ah, daß der König, falld er blos "berathende Stände, 
wie die Begner ‚behaupten, den Lande habe verfprechen 
wollen, fi .ficher nicht des Worts „Repräfentation‘ be- 
dient haben würde, ſondern an beffen flatt den Aus- 
druck ſtaͤndiſche Werfaffung” vorgezogen hätte. Die wif- 
fenfchaftliche Unterfcheidung zwifchen dem Begriffe .einer 
Bolksrepräfentation einerfeitd und einer ſtaͤndiſchen Ver⸗ 
faffung andererfeits fei damals ſchon fo feſt begründet 
und fo allgemein befannt gewefen, daß der König un- 
möglich eine ſolche Verwechſelung ſich babe zu ſchulden 
tommen laffen können. Dem ift aber nicht alfe. Im 
der damaligen Zeit dachte man überhaupt nicht an bios 
berathende Stände, und die Worte „Landflände”, „Ver⸗ 
faffung”, „Conſtitution“, „Bollsrepräfentation” wurden 
promiscue für eine und diefelbe Sache gebraucht. Wirft 
man einen Blick in die damalige politiſche Literatur, fo 
konn darüber Sein Zweifel obwalten. Die liberalſten 
Schriftfteller, die mit ihren Koderungen am weitelten ge 
den, fprechen von Ständen, Randftänden u. ſ. w., ohne 
daß es ihnen im mindeften in den Sinn fommt, durch 
folhe Ausdrüde das Stenerbewilligungsreht und die 
entſcheidende Zuſtimmung zu den Gefegen duch das 
Bott aufgeben ober nur In Frage flellen gu wollen. 
Über die Art und -Weife der Zufammenfegung eines fol 
chen Parlaments moihten damals allerdings ſchon ner- 
ſchiedene Anfihten ebwalten, man ‚mecte getheilter Mei- 
nung Darüber fein, ob einzelne Staͤnde vorzugsweiſe ſtark 
vepraͤſentirt fein ſollten, oder ob blos die Kopfzahl dab 
beftimmte Maß bilden würde, aber die den Staͤnden zu⸗ 
ſtehenden Rechte waren Seineswegs controyers, Es iſt 
sine hiſtorifch⸗moraliſche Unmöglichkeit, die ſich ſamol 
aus dem Zeitgeiſte im Allgemeinen. als aus privaten und 
Hentligen Actenſtücken der damals am Ruder Tih be⸗ 


findenden preufifhen Btaatömänner auf das zweifel- 


lofefte nachweifen läßt, und die von feinem nur Halb⸗ 
fundigen auch wol je ehrlicherweife in Zweifel gezogen 
if, daß im J. 1815 au eine folche Unterfiheidung zwi⸗ 
fhen Ständen mit berathenber ober mit entfcheidender . 
Stimme in Preugen gar nicht gedacht merben konnte. 
Auch die Gegner fimuliren nur dieſe Möglichkeit. Ernft- 
baft glauben fie felbit nicht an die 8 Begründung 
diefer Controverſe. Erſt viele Jahre ſpaͤter verfielen die 
abfoluten Royaliften auf diefe Unterfcheidung. Irre ich 
nicht, fo mar e6 der Zürft von Selms-Lich, der Präfi- 
dent des jüngften rheinifchen Landtags, welcher in einer 
Brofhüre vom 3. 1835 den urfprünglichen Unterſchied 
zwifchen ftändifcher Vertretung und Voltsvertretung, ber 
fh einzig und allein ſtets auf ihre Zufammenfegung 
bezogen hat, auch auf die Berechtigung derfelben audzu- 
dehnen und dieſe beiden ganz verjchiedenen Fragen mit- 
einander ‚zu verwechfeln ſuchte. Den ehrlihen Mann 
will ich noch fehen, und fei er nach ſo eingefleifchter 
Abfolutift, der ohne die Augen niederzufchlagen von An- 
geficht zu Angeficht zu behaupten vermöchte, daß ber Kö⸗ 
nig 1815 an blos berarhende Stände nur in entfernte 
fien gedacht haben würde, felbft wenn ex ſich ſtatt des 
Morts „Repräfentation” des Ausdrude „Ranbftände” 
bedient hätte. Zu einer vwiffenfchaftlich « grammatifali- 
fhen Wortklauberei braucht man wahrlid, feine Zuflucht 
night zu nehmen, um den einzig «möglichen Sinn, ber 
damals in dem Grlaffe liegen konnte, über allen. Zwei⸗ 
fel zu erheben. 

Die zweite Cinrede der preußiſchen Hafpubliiften: 
„dab der König ndmlid) doch jedenfalls dire Zuſage 
durch verſchiedene ſpaͤtere Erlaſſe, und namentlich buch 
das Gefep von 5823 über die Propinzialſtaͤnde ausdrück⸗ 
lid) wieder zurüdigenommen ‚habe, ;felbfi wenn er auch 
früher eine moberne Ballssepeälentation in Ausſicht ae⸗ 
flellt hätte“, mich von dem Perf. ebenfalls auf das umn⸗ 
miberfnrechlichfte widerlegt. Hier kammt es allerdinge 
iſchon mehr auf Unterſuchung der Ausdrücke an, die in 
dem Geſetze enthalten find. Denn as iſt wol keinem 
‚Bronifel ‚ussterworfen, ‚wie wir Shen früher bemerkt ha⸗ 
ben, daß der König allerdings feine frühexre Meinung 
‚geändert unb Deren Ausfühmng merkäufg ‚völlig ‚aufge 
‚urban ‚haste. Wenn fir) aber bie Merfaflungegeane: mit 
dinfem ‚Bugsftänhalffe wirkt Ingwügen, ſondern auch ehe 


. Mei 
war das Heilmittel dem Übel an «Ic muß geftehen, | ı 
ans diefen Gründen und mit ber Juffimnmung verfiedener Per« | | 
fonen, welche feinen andern Ausweg fahen, fand die Auflöf I 
des Parlaments ftatt®), und wir, melde zu fehen wünfgten, | « 
ob einige Wenige für eine kurze Seit ufanmengerufen werden | } 
Eönnten, welche die Ration in einen Bufland der Befchmwichtigung | I 
bringen möchten, riefen jene Herten aus den verfchledenen heiten | I 
der Ration zufanmen.” (Das fogenannte kurze Parlament.) J 
auf ergeht fich Tromwell in neuen Betheuerungen, | | 
dag er nichts ald Wahrheit fage und gefägt habe, worauf er fort: | ; 
führt: „ie der beupefäitäfte Siwedbei Bufammenberuhung | 1 
diefer Berfommlung die Beruhigung der Ration war, fo war | ı 
in Bezug auf mid) meine Yaup , bie Gewalt niederzu: | ı 
legen, die in meinen Händen lag; ich erfläre es Euch nochmals 
im üngeficht jenes Gottes, ber mic gefegnet hat und ift mit | ı 
mir gemwefen in all meinen Miberwärtigkeiten und in meinen | ı 
hehihen Erfolgen, dies war für mich felbft der höcfte Amed! | | 
En WBunfd) vieleit, ih fürchte, Mmdpaft genug, der Ger |: 
walt, die Gott auf das Mlarfte durch feine Borfehung in meine |; 
Hände gegeben, mich eher zü entkleiden, als er mir gedot fie | ı 
nieberzulegen, bevor jenes ehrenhafte Ziel unferer Kämpfe er | | 
reicht und es geordnet war. — 34 erfläre, da die Macht: | | 
befugniß in meiner Hand fo fhranfenlod mar — denn durch 
FH des Parlaments war ich General aller Streitkräfte in | ı 
den drei Bölkern von England, Schottland und Irland, in | | 
weich unbefchränkter Gewalt ich nicht einen Tag zu leben ber | | 
jehrte—, fo riefen wir jene Berfammlung zu obenangegebenem | | 
mee zufammen. Weldyen Erfolg und Ausgang diefe Ber 
fammlung hatte, ift Allen in traurigem Angebenken. Es la: 
gen große Lehren darin und ich hoffe, es wird uns Müger für 
die Bufunft machen! Wber, ba jene Verſammlung nicht von 
Erfolg war und fie unfern Erwartungen ſolche Taͤuſchung ber 
veitete, fo will ich jege nicht Darauf zurückommen; das einzige 
Ergebniß war das daß fie kamen und mir ein von weit aus 
dem größten heile derfelben unterzeichneteß Pergament brach: 
ten, worin fie ihre Abdankung und Berzictieiftung der ihnen 
erteilten Befugniß und Macht wieder in meine Hände legten. 
Und ich Tann in Gegenwart vieler Perfonen bier, die wiflen, 
ob ich eine Lüge darin fage, behaupten, daß ich nicht ein Ti 
telchen von jener Abdankung erfahren, bis fie alle kamen und 
brachten fie und überlieferten fie in meine Hände. Auch def 
fen find viele Herzen hier anmefend. Ich empfing biefe Ber- 
Aötleifungen, nachdem ich früher es an Bemühungen und 
ng nicht fehlen geiaffen, fie beifammen zu behalten. 
Da ich ihre Meinungsverfihiedenheit bemerkt, hatte ich es für 
meine Pflicht gehalten, ihnen Rath zu ertheilen, daß ich es 
über fie gervönne, eine Vereinigung herbeizuführen. ber es 
hatte die befagte Wirkung, und ih hatte mich getaͤuſcht. Als 
dies fich herausftete, boten wir Alles auf, um bie Dinge für 
die Zukunft zu ordnen. Meine eigene Macht mar di diefe 
mean wieder fo ſchrankenloe und unbegrenzt geworden 
wie er, indem Alles dem willküͤrlichen Ermeſſen unterwor- 
bfieb und in mir fi die Gewalt über drei Völker ohne 
jefente Schranke oder Grenze vereinigte, — alle Serwal ⸗ 
fung im diefer Mngelegenheit aufgeläft und ae bürgerliche #- 
minifteation zu Ende ging.” 
Man mag die in deſer @elbfivertheibigung 
dels weiſe vorgebrachten Theorien über Bolksvertr 
" Sefährlihteit der Allmacht „üsfeoßeratpender 8 
für richtig anerkennen ober ‚ immer wird r 
Artenftüce die ache eines die Berhaͤltniſſe Ela 
und mit praktiſe Sinne unterſcheidenden Sei 
wie folches auch aus andern von Tromwell's Rebı 





*) @8 M dier nämlid) von ber Aufkoͤſung des fogmannten lan⸗ 
gen Parlamentö‘ die Rebe, bie am 20. April 168, nachdem ed Aber 
M Sahre gefeffen Hatte, erfolgte, 


Berantwortiihte derautgeber: Geinvich Beodtpans: 








far 


literarifhe Unterhaltung. 





32. Apeil 1846, 





Erſter Artikel. 
(Beſchluß aus Rr. 101.) 

Was nun den erſten Punkt betrifft, fo find wir 
mit her Wiberlegung beffelben von Seiten unfers Derf. 
im AWlgemeinen einverfianden. Doch feheint er uns zu 
viel Gewicht auf das Wort „Repräfentation” zu legen, 
welches der Erlaß von 1815 gebraudt. Er meint näm- 
‚Ah, dag der König, falls er blos berathende Stände, 
wie die Gegner behaupten, den Rande habe verfprechen 
walten, ſich ficher nicht des Worts „Repräfentation‘‘ be 
Dient haben würde, fondern an deſſen flatt den Aus⸗ 
druck „ſtaͤndiſche Verfaffung” vorgezogen hätte. Die wif- 
jenfchaftliche Unterfcheidung zwifchen dem Begriffe einer 
Volksrepraͤſentation einerfeits und einer ſtaͤndiſchen Ver⸗ 
faffung andererfeits fei Damals ſchon fo feſt begründet 
and fo allgemein bekannt gewefen, daß der König un- 
möglich eine ſolche Verwechſelung ſich habe zu ſchulden 
tommen laffen können. Dem ift aber nicht alfe. In 
der damaligen Zeit dachte man überhaupt nicht an bies 
Serattyende Stände, und die Worte „Landftände”, „Ber- 
faffung”, „Eonfitutten”, „Bollsrepräfentation” wurden 
promiscue für eine und biefelbe Eache gebraucht. Wirft 
man einen Blick in bie damalige politifche Literatur, fo 


lofefte nachweifen läßt, und die von einem nur Halb. 
tundigen auch wol je ehrlicherweife in Zweifel gezogen 
iſt, daß im 3. 1815 an eine ſolche Unterfcheidung zwi⸗ 
fhen Ständen mit beratender ober mit entfcheidender . 
Stimme in Preufen gar nicht gebacht werben konnte. 
Auch die Gegner ſimuliren nur biefe Möglichkeit. Ernſt⸗ 
haft glauben fie felbft nicht an Die reelle Begründung 
dieſer Controverſe. Erſt viele Jahre fpäter verfielen die 
abfoluten Royaliften auf diefe Unterfcheidung. Irre ich 
sicht, fo war es ber Zürft von Solms⸗Lich, der Bräfi- 
dent des jüngften rheiniſchen Landtags, welcher in einer 
Brofhüre vom 9. 1835 den urfprünglichen Unterſchied 
zwifchen fländifcher Vertretung und Volksvertretung, der 
ſich einzig und allein ſtets auf ihre Zufammenfegung 
bezogen hat, aush auf die Berechtigung derfelben quszu⸗ 
behnen und biefe beiden ganz verſchiedenen ragen mit- 
einander zu verwechſeln ſuchte. Den chrlihen Mann 
will ich nach fehen, und fei er noch fo eingefleifähter 
Abfolutift, ber ohne bie Augen niederzuſchlagen von’ 
gefiht zu Angeficht zu behaupten vernibchte, daß ber Kö- 
nig 1815 an blos beraskende Stände ‚nur im entfernfe- 
fien gedacht haben würde, ſelbſt wenn er fih ſtatt bei 
Worts „Repräfentation” des Ausdrude „Randflände” 
bedient hätte. Zu einer wiſſenſchaftlich - grammantal- 
ſchen Wortffauberei braucht man wahrlich feine Zufluch 


kann darüber fein Zweifel abmalten. Die iberalfen | might zu nehmen, nm den einig andgfihen in, N 
Schriftſteller, die ‚mit ihren en am weiteften ge- | Damals in bem ÜErlaffe liegen konnte, über allen 
fprechen von Ständen, Lanbftänden u. f. w., obme |, fel zu erheben, » 


1 % 






ta 


es ihnen im mindeften in den Sinn kommt, buch 
th tere das Steuerbewilligungerecht und ?' 






ea “ efchloffener und 


— Be 


, , ! 1) jet a —⸗ 
Gefes — o Chriſten⸗ 
-— en Einheit zu: 
‚n den Kunftbeftre 
.gen muß auf die Ge: 
werfen. Kinkel bat diefe 
‚ce 2öfung aber im Einzelnen 
urtheilen, da, außer einer allge- 
.ıoden, die eigentliche Gefchichte im 
‚. biö zum Ende des erſten Jahrtauſends 


a „a erſten Theil betrifft, fo hälte der allgemeine 
veB Heidenthums und feiner Kunſt wol für fidh al 
3 fammenbängender bingeftellt werben 
‚nen, damit dad Welen der chrifilichen Kunſt fi) daran 


141606 


förmliche geſetzliche Zurücknahme von Seiten des Königs 
berausinterpretiven wollen, fo thun fie allerdings dem klar⸗ 
ften Wortlaute etwas unverfhhämte Gewalt an, und es 
wird dem Verf. nicht ſchwer ihnen diefes nachzuweiſen. 
Dies iſt das Berhältnif der Taktik, -welches- beide 
Parteien ruͤckſichtlich des fogeriannten koöniglichen Ber- 
fprechens gegeneinander bis jegt beobachtet haben. Sind 
die Verfaffungsfreunde unwahr, und fpeculiren fie un- 
politifchermweife viel zu fehr auf den Unverftandb der 
Menge, wenn fie diefer Zufage die bindende Kraft eines 
Privatvorfprechens oder gar eines wirklichen Gefeges bei- 
legen wollen, die es eben nach ihren eigenen politifchen 
Überzeugungen gar nicht haben konnte, fo find die An- 
hänger einer monarchiſchen Despotie jedenfalld nicht wah- 
ver, wenn fie verfuchen, ein ſolche Zufage überhaupt in 
Abrede ftellen und weginterpretiren zu wollen. Und auch 
fie thun ſich hierdurch den größten Schaden. Theils em- 
pören fie dadurd das Rechtlichkeits- und Wahrheitsge- 
fühl der Nation, was um fo mehr zu beklagen ift, als 
fie dabei nicht vermeiden Fönnen, daf ein gemiffer Schein 
von Mitfhuld dabei auf den Inhaber des Throne jelbft 
fallen muß, wenn er auch noch fo unfhuldig an diefem 
unredlichen Gebahren feiner Liebebiener fein mag. Der 
Berf. hat darin ganz recht — man muf es mit Schmerz 
und mit den bangſten Ahnungen für die Zukunft einge- 
fliehen —, daß die Ehrfurcht vor dem Throne und vor 
dem monardifhen Principe im Wolke bedeutend erfchüt- 
tert if. Es ift eine bedauerlihe Schwäche, wenn man 
gegen factifche Thatſachen feinen Blick abfihtlich ver- 
fließt und es nicht wagt, fi) und Andern die Wahr- 
‚heit offen einzugeflehben. Die wirkliche Rage der Dinge 
muß man foharf ins Auge faffen, das hat noch nie ge- 
ſchadet, aber jene verabfcheuungsmwerthe Manier der Höf- 
linge, einen Abgrund mit Blumen füßduftender Redens- 
arten zu beftreuen, der hat ſchon unberechenbares Ber: 
derben gebracht. Wer nicht blos in der Actenftube, fon- 
dern im Volke lebt und vermöge feiner Stellung und 
Perfönlichkeit die unverfchleierte Stimmung des Volks 
‚zu hören bekommt, der weiß, daß der Verf. recht hat. 
Und wenn wir die Schuld jener unglücklich bedrohlichen 
Thatfache auch keineswegs wie der Verf. vorzugsmweife 
auf jene unmwürdigen Spibenftechereien fehieben, durch wel- 
che man königliche. Ausdrüde hat drehen und "deuteln 
wollen ; wenn wir vielmehr ber Anficht find, daß es 
mannichfaltigere und tiefere Gründe dafür gibt: fo koͤn⸗ 
nen wir doch auch nicht verkennen, daß die falfche Tak⸗ 
tik der Anhänger einer abfoluten Monardyie in Bezie⸗ 
hung auf das königliche Verfprechen auch das Ihrige zu 
diefer antimonarchiſchen Stimmung beigetragen Habe. 
Die guten Freunde find auch Hier wieder die fchlinmften 
Feinde. In dem Intereſſe ihrer eigenen Sache fowol 
als au vor Allem in dem Intereffe der Monarchie 
ſelbſt, die bei ſolchen Streitigkeiten nie mitleiden follte, 
wäre es daher zu wünſchen, wenn auch don unſern 
Gegnern dieſes Schlachtfeld ganz aufgegeben und ver⸗ 
ale würde und dadurch, daß fie ſich Immer noch an 
"Worte hängen, bie fi doch einmal nun nicht umdeuten 


febende Mängel. 


en und Das Chriften 


laffen, zeigen fie eben andererſeits, wie verzweiflungevoll 
es mit der Sache ſteht, die fie verfechten. *) 
3. von Florencourt. 


— — —— —— 





— — — — 


Geſchichte der bildenden Künfte bei dem chriſtlichen Vol⸗ 


kern, vom Anfange unſerer Zeitrechnung bis zur Gegen⸗ 
wart. Von Gottfried Kinkel. örſte Lieferung. 
Die altchriſtliche Kunſt. Mit acht Tafeln. Bonn, Henry 
und Cohen. 1915. Gr. 8. 1 Thir. 10 Nor. - 


Bol in Beiner Zeit hat die Menfchheit ihre Blicke fo for- 
ſchend rüdwärts gewandt, fo fehnfüchtig jedes verlorene . gei- 
ſtige Beſizthum aufgefucht und durch die Wiffenfchaft fig wie 
dererrungen als in der Gegenwart, wo fo mande Stüsen 
des Lebens unficher zu werden drohen. Keine Wiſſenſchaft biuht 
daher fo frifch und genießt ſolche Autorität als die Geſchichte, 
welche die Thaten und Gedanken vergangener Zeiten und Vol— 
ter, ihre Werke der Kunſt und Piteratur aus Schutt und 
Staub wieder ins Leben ruft. Wie aber für die Bearbeitung 
einzelner Faͤcher der Hiſtorie eine Überficht ihres Gefammtge- 
biete ſtets hülfreiche Hand bietet, fo iſt auch für das Stu: 
dtum der Kunft eine umfaffende Darftelung ihrer Gefchichte 
von der hoͤchſten Bedeutung, und wir muften daber das vor 
wenigen Jahren erfhisnene „Handbuch der Runftgefchichte‘ 
von Kugler als ein epochemachendes Werk beurüßen. ES—⸗ 
orientirte zum erften Mal in dem Labyrinthe der verfchieden- 
ken Kunftrichtungen der Jahrtaufende und legte fo den Grund 
ür alle folgenden Unternehmungen diefer Art, indem es zu: 
gleich für eine genauere Betrachtung der einzelnen Perisden 
die Thuͤr öffnete. Gleich jedem Anfange, hat cs jedoch neben 
feinen unbeftreitbaren großen Verdienſten auch nicht zu über: 

1. Grft unter fortdauernder Bearbeitung kann 
fih der Stoff in feinen kleinſten Iheilan abglätten und zu ei⸗ 
nem barmonifchen Ganzen ausbilden; ımd ein ungeübtes Auge 
muß erſchrecken über die ungeheure Maſſe des vorliegenden. 
Stoffes. Mit fcharfem Blick und tüchtigem Fleiße bat num 
Kugler die zahliofen Daujteine ausgefucht und zufammengefüge, 
aber es fehlt feinem Werke die Durchbildung und Abrundung; 
die verſchiedenen Metalle ſind nicht zu Einem Guſſe zufammen- 
geſchmolzen. Daher kann die Behandlung eines einzelnen Ge⸗ 
bietes und eines wichtigern Periode der Kunſt nur als hoͤchſt 
erfreulich erſcheinen, wie fie in Kinkel's „Geſchichte der bi 
benden Künfte bei den chriftlichen Wölfen” in ihrer erften 
Lieferung uns vorliegt. 

Schen der Gegenstand felbft nimmt ein-aligemeineres Im⸗ 
tereſſe in Anſpruch, indem es die uns zunächft liegende Ver⸗ 

und ‚das thum ift, deren kuͤnſtleriſche Be- 
ebungen in biftorifcher Entwidelung vorgeführt werden. Der 
enge Zufammenhäng von Religion und Kunft fritt uns bier 
dor Augen, wie er der proteftantifchen Anfchauung bisher fer: 
ner lag, und 'Katholirismus und Proteſtantismus eimigen ſich 
hier auf einem Gebiete, wo alle gebildeten Bölßer fi) bie 
Hand reispen.. Es ift neutraler Boden, ben wir in den Kaͤm— 
pfen der Seit betreten, obgleih auch bier ein Hauch des reli⸗ 
giöfen Lebens alle Werke durchweht, der aber eine höhere Ein: 
heit uns ahnen laͤßt in dem Streit der Parteien. Hier findet 
alfo Jeder, auch der Laie in der Kunft, in feinem veligidfen 
aber kirchlichen Interefie einen Anknüpfungspuntt, an dem er 
fih zum ; eiffigen Oenuß der einzelnen Werke wie zu tieferer 
——* es allgemeinen Weſens der Kunſt erheben kann, 
indem dieſe Geſchichte derſelben neben der gründlichſten Sach⸗ 
kenntniß auch noch Durch ihre edle Popularität für alle gebil⸗ 
deten Kreije zugänglich. iſt. Das Kugierfhe Werk dagegen 
entfpricht dieſem Bebürfniffe nicht, da e8 für Laien zu feinem 
Verftändniß zu viel voraysfegt ; welchem Mangel dur eine 


*) Den zwelten Artikel geben wie im näcften Monat. D. Net. 





% 


Gereniung von bbildungen einzeluer Nurdiwerke jett 
nachgeholfen werden fol, wir fie bei Kinkel den einzelnen He 
ten ſahr paffend gleich beigefügt find. Wußerbem erleichtert der 
enge Bufammenhang des Stoffs bei dieſem den UÜberblick, wel» 
her bei Kugler durch die Maſſe erfchwert wird. Es ift Dem» 
nach ein große Ganzes, welches fich Hier vor unfern Augen 
aufroßt, der mächtige Baum der chriſtlichen Kunit, den wir 
emporwacfen, fi) entfalten-und die herrlichſten Blüten und 
Früchte treiben ſehen. Riemand aber war auch wol durch feine 
Stellung, feine Studien und fein Talent zu einer ſolchen Auf 
gobe, wo bad Allgemeine mit dem Einzelnen, die gelehrte 
Forſchung mit leichter Darftellung verbunden werben mußte, 
fo herufen wie gerade der Verfaſſer. 

Kinkel ift nämlich eigentlich proteitantifcher Theolog und 
war bis jetzt Privatdocent an ber Uiniverfität Bonn, mo er 
vorzugsweife über Kirchengefchichte lad und daneben ſich mit 
allgemein geſchichtlichen, bejonders aber kunſthiſtoriſchen Stu⸗ 
dien befchäftigte. Seine erſte Schrift enthielt eine Sammlung 
SHredigten, welche ſich durch blühenden Stil, tiefe Herzens: 
kenntniß wie menſchlich ſchoͤne Auffaffung der Lehre und Per: 
fon Ehrifti auszeichneten, aber mehr jchilbernd als entwidelnd, 
mehr rhetoriſch als praßtifch ergreifend waren. Hatte er fi 
Hierdurdy als Redner vortheilhaft- befannt gemacht, fo trat er 
vemmaͤchſt auch als Dichter mit einem Bändchen Poefien (Stutt- 
gard 1843) auf, mo fein Zalent mehr auf die Seite der er: 
zählenden Dichtung, des Epos, als der Lyrik hinneigte, indem 
die Heinen Stüde gegen das größere „Otto der Schüg” be: 
deutend zurüdfichen. Diefes Zalent für die Erzählung, Schil- 
derung, Geſchichte bewährte fih in der Profa dann glänzend 
duch ein romantiſches Märchen: „Ein Traum im Speffart”, 


in einem der legten ne des „Rheiniſchen Taſchenbuch“, 


welches fo melodiſch weich dahinfließt wie Ouellenmurmeln und 
Waldesrauſchen und fo zauberiſch traͤumend uns anblitkt wie 
eine monderhellte Brüblingsnadht. Einige Dramen, welche noch 
nicht zur Aufführung gekommen find, behandeln bedeutende 
Hiftorifche Momente, doch mangelt der Sprache des Berf. 
dabei der verzehrende Blitz der Leidenfchaft, die Beweglichkeit 
und Spannung der lebendigen That, wogegen fie in der Er» 
zaͤhlung, dem Epos und der Gefchichte ihren ruhig fpiegelfla 
ren Strom ungeftört entfalten Bann. Diefed Talent fowol ats 
das Intereffe für Kunft und Hifterie konnte nun an Einem 
Stoffe nicht beffer befriedigt werden als an einer folchen 
Geſchichte der bildenden Künfte, wie fie des Verf. neueftes 
Work liefert, worin auf gleiche Weiſe gründliche Gelehrſam⸗ 
Leit, Eünftlerifcher Sinn und fchöne Form zu hHarmonifcher Ein: 
heit zufammenwirfen. 

Leider liegt bis jept nur eine Kieferung vor und, welches 
das erfte Zahrtaufend der hriftlihen Zeitrechnung umfaßt, in- 
dem die drei noch folgenden im Laufe des Jahres 1846 erſchei⸗ 
nen follen, aber wie ex ungue leonem, fo Tann man von 
diefem heile ſchon mit Sicherheit auf das Übrige fchließen. 
Demnach würde das Ganze einem großartigen Epos zu ver: 
gleichen fein, deflen erfter Geſang die Geburt der chriftlichen 
Kunft feiert, wie fie ſich langfam aus den Windeln des Alter: 
fhums losmacht und das über den Trümmern der antiken 
Belt errichtete Kreuz mit blühenden Rofen umfchlingt. Die 
einzelnen Stadien der Entwidelung und die Charaktere der 
verfchiedenen Epochen find mit-fharfen, feften Zügen gezeich- 
net, indem zwifchen felche Gefchichtserzählung die Beſchreibun⸗ 
gen bedeutender Kunftdentmäler gleih anmuthigen Epijoden 
eingeftreut find. Dabei weiß der Berf. Einzelnes und Ad: 
gemeines meifterhaft miteinander zu verbinden, wie 3. B. der 

nfang und Die erfte Entwickelung kuͤnſtleriſcher Thaͤtigkeit bei 
den ne lebendig gefbütbert, und der Charakter des by- 
zantiniſchen Stils durch kurze aber vielfagende hiftorifche Schlag⸗ 
worte aufs fehärffte ausgeprägt wird, an welche geringſchei⸗ 
nende Andeutungen für ben Geſchichtskundigen ganze Reihen 
von Bildern uud dem Leben der Kirche und des Hofes von 
Byzanz ũch anknuͤpfen. Dieſer Einfluß der Weligion und 


Fönnen, damit das MWifen der 


r 
AR 


Hicche: auf die Kunſt iſt hier an dev Geflhidhte derſelben von 
Kinkel zum erſten Male vollſtaͤndig nathgewiefen worden, wie 
es das Berdienſt von Haſe in Iena iſt, Die Geſchichte bes 
chriſtlichen Kunft auch in das Studium der Theologie einge 
führt zu haben, wovon feine „Kircheng eſchichte“, welche unftrei» 
tig das geiftreichfte theologifch-hiftoriiche Werk unferer Beit ifl, 
ben Beweis liefert. Alle Kunfl geht nach Kinkel von ber 
Religion, vom Cultus aus, und wie bie Wölfer des. Alters 
thums durch die Verſchiedenheit ihrer Religionen ſcharf von⸗ 
sinander getrennt waren, fo iſt ihre Kunſt nur national; die 
moderne Gultumvelt Dagegen tft Dusch eine gemeinfame Reli: 
gion, durch das Chriſtenthum, unter fich verknüpft. Wäh⸗ 
rend ji, demnach die Kunftgefchichte der voxchriftlicgen Welt 
in lauter faft ganz unverbundene Bildungsgefchichten der ein⸗ 
zelnen Voölker auseinanderlegt, ‚haben wir in - der modernen 
Belt eine ungerreißbare Einheit vor und.‘ Darum überweg 
bier das kirchliche Clement in der Kunft gegen das biftorifche, 
weiches ſtets im fpeciellen Bölferleben feine Wurzeln fchlägts 
aber die Religion felbft bat bier eine Gefchichte, was im A: 
terthum nicht der Fall tft, und Religion und Gefchichte, in 
der antifen Welt getrennt, find hier eins. Diefe Abhängig: 
keit der neuern Kunft von der Entwidelung des Ehriftenthums 
gibt erfterer ihre große Bedeutung, und die genaue Beruͤck 
fihtigung ihres beiderfeitigen DVerhältnifies ift ein befonderes 
Berdienſt Kinkel's. Bei Kugler dagegen tritt der religiöfe 
Aufammenbang der neuern Kunft zurüd, und er wird im 
Mittelalter dadurch fogleich zerriffen, daß der Islam mit fei- 
nen Schöpfungen zwifchen den Unfang und die Blüte der co- 
mantiſchen Kunſt jtörend bereintritt, was freilich bei ſolch ei⸗ 
ner allgemeinen Darſtellung, welche die Zeitfolge fefthalten 
muß, ſchwer zu vermeiden war. Um fo erfreulicher erfcheint 
ein Werk, weldhes, von Einer Idee ausgehend, alle aus ihre 
entfprungenen fünftlerifhen Beftrebungen in Ginem Überblide 
zufammenfaßt, wo man ohne Störung von der allgemeinen 
Betrachtung einer Periode zu den Meinften Gebilden berfelben 
berabfleigen und diefe ſtets wieder an den gefchichtlihen Ya: 
den anknüpfen Tann. Bei Kugler tritt deshalb die chrifkliche 
Kunſt auch nur im Mittelalter als ein Ganzes auf; in der, 
neuern Zeit fehlt ihm ein leitender Gedanke und es zerfplit- 
tert fi feine Geſchichte nach den verfihiedenen Boͤlkern und 
Schulen, mährend das religiöfe Element nur an einzelnen 
Punkten hervorgehoben wird. Gerade für die moderne Beit 
aber, wo mit der Wiffenfchaft auch die Kunft ſich von der 
Kirche abgewandt und in die ˖ Fülle des Weltiebens vertieft hat, 
war ed vor Allem nothwendig, die geheimen Fäden aufzufu: 
hen, welche die mannichfaltigen Kunſtrichtungen innerlich doch 
an die religiöſe Idee anfnüpfen und fo untereinander wieber 
zu einem. Ganzen verbinden. Denn feinem wahren Weſen 
nach ift Der moderne Geift, wenn auch nicht kirchlich wie das 
Mittelalter, doch ebenfo religiös wie. jenes, aber auf eine 
neue umfafiendere Weife. Bewirkte das Chriſtenthum zunächft 
ein Umfchlagen des Geiſtes aus dem Außern ins Innere, weo- 
durch es felbft äußerlich wurde, fo hat es in der neuen Seit ' 
ein Umſchlagen deffelben aus dem Innern ins Außere bervor- 
gebracht, wodurch es felbft weſentlich innerliher und geiftiger 
geworden ill. Nach außen hat fich Daher Welt und Ehriften- 
thum getrennt, aber im Geifte zu einer größern Einheit zu- 
fammengefchloffens und diefe Einheit auch in den Kunftbeftre: 
bungen der Bölker und Zeiten nachzuweiſen muß auf die &e- 
ſchichte derfelben ein neues Licht werfen. Kinkel bat dieſe 
Aufgabe Präftig erfaßt, über ihre Köfung aber im Einzelnen 
Laßt ſich noch nichts Näheres urtheilen, da, außer einer allge: 
meinen Überfiht der Perioden, die eigentliche Geſchichte tm 
vorliegenden Hefte nur bis zum Ende des erſten Jahrtauſends 
fortgeführt if. , 
Was diefen erften Theil betrifft, fo haͤtte der allgemeine 
Charakter des Heidenthums und feiner Kunſt wol für fi al- 
fein abgefchloffener und a ehem bingeftellt werden 
rifflichen Kunſt ſich Daran 








wu R ein dr 5*5 The 
, „rn e etung d en if." * 
es hierbei der — —— für —— 


nen Momente ihrer a —— —** * 

ſchneidende Gogen riſchen Da 

—— — — erſt aus dem Siege der 

lichen Kunft die Stärke des überwumbenen Zeindes ahnen 1& 

Freilich tritt an einzelnen Werten der Unterſchied in diefem 

arſten Jahrtauſend noch —8 fo Ilogend hervor is im zwei 
nentbinnhtzk a und Flöfdndig. eatalten Komme * 

ei aͤ entfalten e e 
— e Einkleidung chriſtlicher Gedanken in hei 


Bi 


Begenfa 


pr feinem 
wider diefelbe m mer; und Schafude Pe Beides 
han nau zufanımen und bezeichnet der ſinnlichen rende 
und Be —— der Antike gegenüber das eigenthüm⸗ 
ce Weſen der chriſtlichen Kunſt, was bei Kinkel nicht genug 
dervergeboben wird. Niemand aber bat dieſen Gontraſt ſchoͤ⸗ 
zer ausgeſprochen wie Lenas in ſeinem herrlichen Gedichte 
„Waoenarola”, wo es z. B. heißt: 
Daß fie am Schmerz, den fir zu troͤſten | 
Micht wußte, mild vorüberfährt, | 
Glen’ ih als ber Zauber grbften, | 
Womit und bie Antike ruͤhrt; 
und wo er in Anerkenntniß Diefes Mangels der alten Kunfl, 
welche mur für Südliche paßt und für die geheimen Qualen 
der Mentgenbruft Beinen Troſt, fondern nur Scherz und 
@pott bietet, einen Künftler wie Michel Ungele mitten im 
Sianze einer Appigen Kunft und Ratur verzwetfelnd und ju- 
beind zugleich ausrufen läßt: 
Hier fteht der Menſchenſchmerz inmitten 
Der fremden Kunft und ber Ratur, 
Bon ihren Herzen abgefähnitten, 
Gehoͤhnt von ihrer Freudenfpar. 
Doch fiehit du dort ab jenen Zweigen 
Daß Kicchenkreuz im Mondenftrabl? 
Siehft du den Bott herab fih neigen 
&o mitleibbvoll zu unfrer Dual? 
Mir ſtroͤmt «6 ferudig von den Wangen, 
Denn ploͤtzlich durch des Shmerzes Bunf 
JG meinen Blickm aufgegangen 
Die tiefe Welt der Chriſtenkunſt. 
Die Feindſchaft der jungen Religion gegen das Heidenthum 
mußte nothwendig 4 eine Beindfgaft gegen feine * 
Bollendung in der Kun ugen; wie da 
über. jenes -gefiggt — über. jenes -gefiegt hatse, fo glaubte es auch Die verfuhriſche IBM abbrihh 17 es —* die —— 


FI 

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Er 

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Min 
En 


uffaßt 

denthum war überwunden, aber woch nicht d 

allein war die Wahrheit erkangt, aber neben. 

eit und Berwerflichbeit der Retur 

—E Darum ergri mäth 
ten tm 2* des Sieges der wehmüthigſte Schmerz uad Die 
heiheſte Sehnſucht, und Die Kunſt —— umd — 5 
dieſen Widerſpruch in ihren Sebilden Sehnſucht 
oben, die Begeiſterung für das Ideale wie die Geligkeit des 
Eyhymerzes und ber Entfegung ift e6, was fie feiert in ihren 
Heiligenbildern und ihren bimmelenfirebenden 


it; 


ſchaften tritt jegt in der Malcrei und Sculptur hervor, 
rend dir Glieder als ohne Bedeutung verhüllt werden. Die 
Architektur Dagegen zeigt den Charakter der Erhebung, det 
Aufſtrebens, des überwiegens ber Höhe über die Preite fomei 
im romaniſchen wie im gothifehen Stile. Doch waltet in je- 
nem neben gehaltener Ruhe noch das Princip der Sunerli- 
keit vor, während dieſer nur in der Mnendiichkeit feiner febram- ' 
Benlofen, unbefriedigten Sehnſucht felbft Ruhe - findet, umb 
auch nach außen Hin die Unendlichkeit feiner Gedanken in ei⸗ 
ner Fülle zahllofer Blüten und Bilder offenbart. Derum wer 

ide t pafiend, wenn Kugler den romanifchen und ges: 
maniſchen Stil zwei befondern Perioden zutheilte, da fie auch 
den Werken der Malerei und Sculptur dieſer Zeiten ihren 
Unterfchied nit fo ſcharf als ihren gemeinfomen Charafter 
aufprägen. Kinkel dagegen faßt Beides in die Periode DaB 
Mittelatterd zufammen, nachdem er den erften Seitraum bib 
gm Sabre 1001 als den der unfelbftäudigen chriſtlichen Aunft 
—— bat, weil fie Bier noch unter dem Einfluſſe der Un- 

e arbeit 
(Der Deſchluß ſolgt.) 





—— Rotiz. 
Geſchichte von Rheims. 

Zu den wichtigſten —æ8 derjenigen Nubrif der 
hiſtoriſchen Literatur Frankreichs, welche der Geſchichte einzel⸗ 
ner Städte gewidmet iſt, gehört die Geſchichte von Kheims ve 
Pater Dom Guillaume ale. Bis jegt find mir indeffen 
nur im Befig einer vom Berf. felbft veranftalteten lateiniſchen 
Bearbeitung geweſen, indem zu verſtehen gegeben war, daß fein 
Werk nur in biefer Zorm werde veröffentlidgt werben Fünnen. 
&o iſt denn die cigentlihe urfprüngliche Arbeit, bei welder 
ber Berf. fih her franzoͤſiſchen Sprache bedient hatte, unge: 

druckt geblieben, bis fie jegt endlich auf Anregung und unter 
dem befondern Schuge der Akademie von Rheims unter bem 
Bitel „Histoire de la ville, <ite ‚et universitt de Reime, 
meötropolitaine de la Gaule be ‚ divisde en douse 


livres, contenant l’estat eccl&siastique et civil du “i 
Drude erſchienen iſt. Dieſe Faflung iſt nicht blos —— 
Bearbeitung (,,Mettopolensis Remeneais à, 106 *8* 
1679) nicht e neue 


fondern weicht auch in einigen Partien von der Ia 
historia 
unbedeutend ab. Die 
rd en. bis zum 2 1663, —e Die Tee ge 


VBerantwortlidher Herausgeber: Yeinzig Ber Bro@pant, — Drad und Berlag ı — Drud und ö— zerantwortliher Herausgeber: Seinrid Mrodtans. — Drud und Berlag von $. WC. Meodidaus in Bei. — von $. x. Brockhaus in Beipgig. 





Blätter 


für 


literarifße Unterhaltung. 


13. April 1846. 





Religiöfe Tendenzromane. 


1. Der ewige Jude. Bon Eugen Gue. 
0% A Bände. Leipzig, Brodhaus. 
Ir 


2. Kaifer und ir. Hiſtoriſcher Roman von Heribert 
Rau. Drei Xheile. Leipzig, Brockhaus. 1845. Gr. 12. 
kr. 


Ihlr 
3. Die Jefuiten .in England und Dftreidh. Ein Roman. 
Dre Zn Pal Engelmann. 1845. : Gr. 12. 
Zyr. 1 
4. Mac ler, ner muß es eine Kirche geben? und welche? 
Rovelle von Bilbelm Gartner. Zwei Theile. Leipzig, 
Teubner. 1845. 2 Thlr. 12 Rgr. 
5. Die Separatiften. " Roneie von 2. van ber Meulen. 
Ami Bände. Leipzig, Brigfhe. 1845. 8. 2 Abir. 
gr. 
6. Die Neukatholifhen. Roman aus der Gegenwart von 
Er. „euboiaetp Drei Bände. Grimma, Verlagscomptoir. 


Aus dem Fran: 
u 


1845. 8. 4 Tilr. 15 Rgr. 

7. Chan na Soggarth, der Priefterfänger. “Eine Kine Er⸗ 
zäblung aus den Beiten ber Religionsacht. Bon M. Arch⸗ 
deacon. Augsburg, Schmid. 1845. 8. 1 Ahle, 

8. Der Bauer am Gaisberge. Cine Erzählung aus dem 16. 
Zahrhundert. Bon Karl Wehrmann. Gt.» Gallen, 

uber u. Comp. 1845. 8. 13%, Rer. 


> 


unft und Leben. Eine romantifche Eryäblung in drei 
heilen aus ber en 3 4 3. U. Moshamer. 
Wien, Pichler. 

Wir wollen nit damit hesimmen, das Weſen dee 
Nomans zu entwideln, feine Anfänge nachzuweiſen, feine 
verfhisdenen Phafen durchzunehmen und ihn ſtufenweiſe 
auf den Punkt zu begleiten, anf welchem. er gegenwärtig 
mgelangt iſt. Dazu gehörte mehr Raum ald wir zu 
verwenden haben, auch haben wir unfere Grundanſichten 
über das Weſen des Romans und über feine Geftaltum- 
gen bereitd in einem frühern Jahrgange b. BI. zur Ge⸗ 
nüge dargelegt; hier haben wir es mit dem Romane wie 
er gegenwärtig ift, mit der Begenwart des Romans zu 
hun. Alle Romane, deren Titel oben verzeichnen ſtehen, 
wurzein mit Ausnahme einiger weniger — unb auch deren 
Tendenz besieht fi) auf das Heute — mit ihrem Stoffe 
in der Gegenwart unb wollen eben dadurch, baf fie 


Partien der Gegenwart charakterifiren, ein beſonderes 


Interefſe in Anſpruch nehmen. 


Der Roman gewährt. allerdings für bie Bemegungen 


der. Gegenwart bie. paſſendſte und .die bequemſte Dich⸗ 
tungeform. Keine : :andexe Zum if :fo :ausbehnbar, fo 


“bewegt ift, nicht ihren vollen Ausdrud geben. . 


‚Spiegel alles jener Bewegun 


geichmeidig, fo willig, Alles in fi aufzunehmen und mit 
einem faum noch bemerkbaren kuͤnſtleriſchen Bande zu⸗ 
fammenzubalten. Durch dieſe Geſchmeidigkeit und Cla- 
flicität ift eben der Roman ein rechtes Kind unferer Zeit, 
die noch nirgend zum Abſchluß gefommen und nad) al 
len Richtungen bin immer neue Kruftallifationen hervor⸗ 
treibt. Die epifhe Ruhe, die dramatifche Erhabenheit, 
die lyriſche Weichheit koͤnnen unferer Zeit, welche ſtets 
Ihre 
deutlichſte Zeichnung findet ſie im Romane, der eben 
epifche, dramatifche nnd lyriſche Elemente in ſich auf- 
nehmen ann, aber auch deshalb, feiner -Unftätigfeit hal- 
ber, auf eine claffifde Formendurchbildung feinen An- 
ſpruch zu machen bat. Dehlgerwandeſcaften werden 
nicht mehr geſchrieben. Es iſt der Stoff, es iſt die 
Tendenz mit ihrer Unruhe, welche der Form bed No- 
mans weit über den Kopf gewachſen ift, fie vielfach zer 
fprengt bat und fie nur noch nebenfächlich hinter ſich 
herfchlepp. Die Kunft des Romans ſcheint über die 
politiſche und ſociale Theorie des Romans immer mehr 
vernachläſſigt zu werden, immer mehr zu Grunde zu 
gehen. Die Kunft des Romans verlangt zu ihrer Wahr⸗ 
werbung eine volllommene Harmonie zwifchen Idee umd - 
Erfcheinung, zwifhen der Ausführung unb ber Inten⸗ 
tion, unſerer Zeit aber, in dem Kampfe ihrer Wider⸗ 
ſprüche, fehlt, mit den Grundbedingungen aller Kunſt, 
auch die objective Ruhe, weiche über den Erſcheinungen 
thront und die es allein zu einem fünftlerifch-vollendeten 
Romane bringen, fann. Das Blut fiedet zu heif, die 
Bewegungen find zu gewaltig, es ift zu fehr die Tiefe 
des Inhalte, der Zbeen, ber Principien, welche die Welt 
bewegen und über die Begrenzung ber künſtleriſchen 
Form hinausreißen, ale dag man noch allzu großen 
Werth auf eine feine Kifelirarbeit, auf eine mühſam 
vollendete Moſaik legen folte. Die geniale Sand, ber 
zeiche Sealsfield und endlich der effectreiche Sue haben 
fih genöthigt geſehen, die Grenzen, welche ihnen der 
alte Roman ſetzte, zu überſpringen und ſi ch auf einem 
durchaus freien Felde zu bewegen. 

Indem der Roman alſo aus ſeiner runfileriſch 
geſchlofſenen Sphäre berausgetreten if und fih zum 
ogungen gemacht ‚hat, weiße b die 
Zeit ans ihrem tiefen ieheefe hervortreibt, fällt er auch, 


410 


ganz abgefehen von dem Kunftromane, der feinen Zweck 
in der Befriedigung des afthetifchen Genuſſes und der 


poetifchen Darftelung fucht, natürlich nad den Haupf- 


richtungen auseinander, welche die Zeit eingefchlagen hat. 
Dieſe Hauptrichtungen find’ als der palitiſche, der ſociale 
und der religiöle Geſichtspunkt zu bezeichnen. Das po- 


litiſche Gebiet ift fchon feit längerer Zeit durchadert und : 


durchfurcht worden, deshalb find auch ſchon feit längerer 
Zeit fogenannte politiihe Romane vielfach erfchienen. 


Sie repraͤſentirten entweder abftracte politifhe Tendenzen 


‚oder fie fuchten die Gefchide ihrer Helden mehr oder 
minder mit dem Laufe der. politifchen Sterne in Ver⸗ 
bindung zu bringen und mehr politifche Decorationd- 
malerei ald den Blut- und Mervengeift des politifchen 
Lebens därzuftellen. ° Während biefe letztern großentheils 
durch ihre dicken Effecte auf die große Maffe des Publi⸗ 
cums -berechnee waren, blieb ber Kreis der erflern immer 
mur fehr Begrenzte. Die 'abftracten Tendenzen, die in 
ihnen überall hervordrachen, drangen zu feinem vollen 
Leben durch, fie gaben flaatswiffenfchaftlihe Kompen- 
dien zum Beften, wo fid) die Gefihichte in Individiali- 
täten und Situationen entwideln follte, und wenn fie 
ed zu -Bitnationen und Individualirdten brachten, fo 
waren diefe in der Regel abfihrediend, unnatürlich, fie- 
berhaft. Man merfte es ihmen-allzu fehr an, daß Die 
geſchichtliche Beweguug in Deutfchland noch zu keinem 
freien Fhiffe gekommen fei, daß ihre Geſtalten nicht 
aus der NReichhaftigkeit des realen- Lebens gefchöpft, daß 
fie als Homunculi in den Retorten deftillirtt und in Ge- 
fehrtenftuben gezeugt worden waren. Unfere politifche 
Romanliteratur bietet wenig Großartiges, ſei es in ber 
Anläge, ſei ed in der Ausführung. Die Verfuche bee 


Aungen Deutfhlands auf diefem Felde find durchaus 


eine voller: reifen Geftaltungen geworden, - dagegen hat 
fidy die Mittelmäßigteit bald mit mehr bald mit minder 
Begabung. anf bdielem Felde nad) allen Dimenſionen 
ausgebreitet, und unſerm gewähnfihen Publicum mag es 
recht bequem geivorden fein, je weniger es felbft Ge⸗ 


ſchichte macht, "bet einer leichten Romanlecture die nee: 


ften Wallungen ber Zeitgefchichte zu empfinden. - * 

Einen andern großen Rreis hat ſich der Noman in 
der foctalen Frage erobert. : Die Darftellung und die 
Kritik der Tohalen Zuſtände find- von ihm aufgenommen 
‘worden. Das poltifche Intereffe tritt für dieſe größte 
Frage der europäiſchen Menſchheit auch bereitö im Ro— 


mane zurüd. Die. praktifhe Natur der Englänper hält 
ößtentheild von "der Entwickelung der ſo⸗ 
cialen Intereffen in der Form des Romans ab, dagegen 


diefe Nation 
Fühlen fih Franzoſen und-Deutfche Tebhaft Dazu hinge- 


zogen.’ Wie nun in Deutſchland die Entwidelung der 


jocialen Frage noch hinter derfelben in Frankreich zu- 
rückſteht, fo auch⸗ der ſociale Roman. Was wir auf 
diefem Felde befigen, -find nur noch Anfänge und Ver⸗ 


ſuche, in Frankreich dagegen . hat ber fbeinte Roman 


nach allen: Ricytungen. Hin Ausbreitung genommen, von 
der feinfinmigen Sand bis zum derben,effesteeichen ‚Sue. 
Die unterwühlten:. -Zuftände- der Gegenwart ‚und. die 





Probleme einer communiftifhen Zukunft find mit glei- 
Her Kraft in der franzöfifchen Literatur dargeftellt wor- 
den. Und wie die fociale Bewegung noch eine große 
Zufunft vor fih bat, fo muß der fociale Roman eben- 
falls no ein ‚weites Reich zur Beherrſchung haben. 


‚Der ſociale Roman iſt das echte Product unferer me- 


dernen Entwidelung. In ihm finden fih .alle Tiefen 
und Saiten derfelben vereinigt. Wie einft der Ritter- 


roman die altfpanifche Weltanfchauung ausfpradh, wie 


der deutſche Charakter ſich einft im Familienromane wi- 
berfpiegelte, fo ift jegt der fociale Roman zum Ausdrud 
der wefteuropäifhen Weltbewegung geworden und er 
verhullt und entſchleiert zugleich die Probleme unferer 
gemeinſamen Zufunft. 

Eine ganz eigenthüntiche Seite des Romans iſt in 
Deutfchland und zwar vorzüglich in der allerneueflen Zeit 
zur Entwidelung gebracht worden. Dies ift der theologiſche 
Roman, oder fagen wir der Roman mit religiöfen Ten- 
denzen. Kann ſich die Natur unfers Volks beffer aus- 
drüden ald in diefen Romanen, welche ihn: ganz eigen- 
thümlich find? Unſer Volk muß die Religion in alle 
Verhältnijfe einführen, es geht, überall an eine Werar- 
beitung derfelben. Nicht genug daß die Religion im 
Staate eine Macht ift, nicht genug daß fie die Gefelf- 
[haft trennt und .zerfplittert, nicht genug daß fie auf 
Kanzeln und Kathedern fleht, nicht genug daß fie ſich 
in jüngfter Zeit im Überfluß über den großen Bücher- 
marft, durch das breite Bett der Journaliſtik und der 
Brofchürenliteratur ergießt, auch der Roman wird von 
ihr in Beichlag genommen und er muß zur Werarbei- 
tung der religiöfen Frage nah allen Seiten hin dienen. 

Diefer theologifivende Roman ift deshalb nicht als 
etwas Iſolirtes zu betrachten.” Man mus in ihm die 
bewegende Kraft und das Drangen und Kämpfen des 
deutfchen Volks erkennen. Eine religiöfe Entwidelung 
wie Deutichland fie genommen, ein theologiiher Kampf 
wie er in Deutſchland bis zit den vweiteften Gonjequen- 
zen durchgefochten, iſt von Feiner andern Nation der 
Belt aufzuweiſen. Das Gebiet der Religion und der 
Theologie iſt fo recht das Gebtet des beutfchen Volks, 
über nicht blos um darin -zu bleiben, fondern aud um 
es aufzulöfen:: und um &8:. gründlich zu zerflören. Der 
reltgiöfe . Kampf. wie er. Deutfchland bewegt kann von 
feinem: andern Volke richtig verfianden ‚werden, Deutſch⸗ 
fand fämpft. ihm für die ganze Welt, es ift zugleich 
das : Land der glänbigften Myſtik und des bewußtvoll⸗ 
ſten, confegienteften Atheismus. 0 Zr 

Die eigenthümlicde Stellung, welche Deutfchland zur 
Religion und "Theologie einnimmt, wird: erft:dann recht 
Har,. wenn man die reltgiöfen, theofogifchen und phile- 
ſophiſchen Zuftäande der. Nachbarländer, Englands und 
Frankreichs, betrachtet. :. In beiden: Ländern wird bie 
Steligion vom: einem ‚gan; anbern Standpuntte aus am⸗ 
gefehen als in Deutſchland. Man geht dort immer von 
Vorausſetzungen aus und wagt es nirgend mie in 
Deutſchland die religioſen: Vorausſetzungen ſeibſt einet 
Kritik unterzuorbdnen. England, deſſen Urſprung ſich 


— — — — — - 


411 


wit Deutſchland auf biefelbe Wurzel zurückführen haft, 
iſt deffenungenchtet in veligtöfer Beziehung bee firengfte 
Gegenfatz Deutſchlands. Die religisfe Vorausſetung, 
die ſtrengſte Hierarchie beherrſcht das. freieſte Volk Eu⸗ 
ropas durch einen ſtarren, geiſtloſen Formalismus, den 
ſich Deutſchland niemals gefallen laſſen würde. Die 
Wiffenfchaft iſt in England noch immer der Theologie 
untergeordnet, die Freiheit ift noch immer durch den 
confeffionnelleh Zwang. gebunden, die Vernunft, ‚die Frei: 
beit hat fich noch nicht al im Gegenfage zur Religion 
und Thenlogie erkaunt wie in Deutſchlaud, und einen 
Streit, einen Kampf hervorgerufen, wie er alle Adern 
Deutſchlands erfhüttert. Der Proteſtantismtis iſt in 
England in dem farren Bau der anglicanifthen Kirche 
eingefroren, fein Grundelement ift verloren gegangen und 
noch die legten Parlamentöyerhandlungen über bie 
Maynoothbill haben den eclatanten Beweis geliefert, daß 
die Mehrzahl ber floizen- Infalaner über eine engbe- 
grenzte confeffionnelle Neligionsfphäre nicht hinaüsblicken 
könne. In England fühlt fi die Regierung aus politi- 
fhen Gründen veranlaft, den confeflionnellen Kreis zu 
erweitern. aber bie Nation befindet fi in Oppofition 
dagegen; in Deutfchland fuchen die Regierungen aus 
politifhen. Gründen die confeflionnellen Kreiſe feiter zu 
ſchließen und ein Princip geltend zu machen, welches 
fi) dem englifchen annähern möchte, aber der alte echte 
Geiſt deutfcher Nation ift mächtig gegen fie in Die 
Schranfen getreten und weiß -ein folhes Thun mit all 
feiner Kraft zu verhindern. Blicken wir nun von Eng- 
land auf Frankreich hinüber als auf dasjenige Land, 
welches im romanifchen Bölferfreije die freieſte Entwicke⸗ 
fung genommen hat, fo.:beweift fi hier ebenfalls, wie 
ſchwach und nebenfaͤchlich der religiöfe Kampf Deutſch⸗ 
land gegenüber geführt wird. Man kämpft hier nicht 
wie in Deutfchland gegen Prikcipien, gegen Ideen, man 
ſtreitet um Formen, um Inftientionen, die veligiöfe Vor⸗ 
ausfegung berührt man nicht, fie bleibt auf bem runde 
des Franzoſenthums beruhend. In Frankreich ift zwar 
der Geift ber Revolution geboren, aber es fehlt ihm. der 
Geift der Reformation ,: der ſich ſeit brei Jahrhunderten 


in nimmer endenden Kämpfen durch Deutfehjland bewegt. | 
Der Franzoſe ift außer Stande die Neligion fo inner: 
lich aufzufaſſen und fo geiftig zu. durchdringen wie der 
Deutfche, deshalb kann er weder fo naiv glauben wie 


der Deutfche noch auch fo confequent. alle religiöſen 


Vorausſetzungen vernichten wie der deutfche Geifl. Im - 
Slauben bringt er es nur zur Form des Glaubens, zum 
icche, im Zweifel nur zum Mar 
terialismus, wie es die franzöfifche ‚Literatur der legten . 


Gehorfam gegen..die 


Hälfte des vorigen Jahrhunderts beweiſt. Der veligiöfe 
Kampf Frankreichs bewegt fih nur gegen Formen, ge- 
gen bie Form des Ultramontanismus, im Gegenfage zu 
einer franzoͤſiſchen Nationalkirche, gegen das Inftitut der 
Sefuiten als der. träftigften und unermüblichfien Ver— 
theidiger Roms. Frankreich hat Feine productiven Kräfte, 
weder ins Religiöfen noch im Antireligiöſen, weder in 
der Theologie noch in der Philofophie, es hat- nur refi- 


® 
« 
a . s 


* 





gisfe und -autireligiöfe, theologiſche und philoſophifche 
Sormalismen. In Deutfchland aber drängen alle jene 
pᷣroductiven Kräfte hervor, die "wir in Frankreich ver- 
— und fie. geſtalten ein Schauſpiel, wie es nur aus 
er Organifation des. deutfshen Geiftes zu begreifen ift, 
fie beherrſchen, verwirren, befeuchten das Leben in einer 
Art wie fie nirgend anderswo ftattfindet. Der Kampf 
gegen die Religion wird .bei uns ebenfo gläubig und 
theologifch geführt als der Kampf für einzelne Seiten 
ber Religion, und es fcheint eine Aufgabe des deutſchen 
Volkes zu. fein, das religiöfe Element bis in feine weis 
teſte Confeguenz zu verfolgen. ze 
a (Die Fortfegung folgt.) . 
— — 
Geſchichte der.bildenden, Kuͤnſte bei den chriſtlichen Mol: 
fern, vom Anfangeunferer Zeitrechnung bis zur Gegen. 
” wart. Bon Gottfried Kinkel. Erſte Lieferung. 
u CVBeſchluß aus Nr. 102.) 0 
Die Einheit der kirchlichen Kunft des Mittelalters, dier 
fer Hinimel, den fie in al ihren Gebilden anbetet, wie ift er 
plöglid Dahingeichwunden, einem leichten‘ Morgentraume ver« 
gleichbar, vor - der alten und. fcharfen Luft des Wiſſens 
und der Erkenntniß, welche mit dem 15. Jahrhundert über 
die Erde .weht!.. Und wir würden ihn nur für einen. Traum 
halten, wenn nicht feine Rieſenwerke. dafür zeugten, daß ey 
Wirklichkeit gewefen. Wie das Mittelalter feine. böchften 
Kräfte daran, verfchwendete, jene Sehnſucht nach dem Himmel 
und einer Terfühnung des Geifted mit der Natur kuͤnſtleriſch 
zu verherrlihen, jo will die neue Zeit dieſe Verföhnung felbft 
vollbringen durch wirkliche Unterjochung der Raturkräfte, und 
darın beftcht die fogenannte Preja ded heutigen Lebens. Die 


* 
45 


Bergangenheit wandte ihre Augen nach oben, um den irdi: 


fen :3ammer zu vergefien, Die Gegenwart aber fenkt tief in 
die Erde und das Menſchenleben. hinein ihre Blicke, und es 
entipringt rdaraus eine Saat mächtiger Werke und Erfinduns 


. gen. Ihren Rupen, ihre verborgenen Kräfte lauſcht der 


Menfch der Natur ab, und damit geht ihm: auch wieder der 
Sinn für. ihre Schönheit auf. . Die Berfühnung, weiche Die 
Religion verheißt, volbringt er durch mühevolle Arbeit, und 


dieſe erfcheint ihm daher nicht minder heilig und ‚religiös. alb 


die Freude ‚und der Genuß. - Der überwundene Schmerz liegt 
nur ald dunkler Hintergrund in feinem. iegedfrohen Auge ;- 
braucht. die Natur nicht. wehr zu fürchten, da er die Mittel 
befißt ihre Zauberkräfte zu bannen,: unb fo vermählt‘er ſich 
wieder Siebend mit ihr in der Kunſt. Diefe ericheint deshalb 
als ein Zurüdftreben nad) der Antife, aber .nicht um das Alte 
wiederherzuftellen,, fondern durch das Chriftenthum neu zu: er 
füllen, und als sein Studium: der Rotur, aber nicht: um jie 
fHtovifch nachzuahmen, fondern geiftig zu verklären. Ein neues 
Heidenthum tritt allerdings, wie Snimermann in feinem „Muͤnch⸗ 
haufen‘ es prophegeit, in die Welt ein, und wer, die Brille des 
Vorurtheils abgenominen , kann es ſchon in nächſter Räühe er 
blicken. Das Studium der Gefchichte und der alten Kunft; die 
Begeifterung für die Ideale reiner Menjchlichkeit, der Cultus 
des Genius in den ımzähligen Monumenten unjever. großen 
Männer: Alles weift boffend und weiffagend auf ein. Keues 
bin. Wol Mancher ahnt und fühlt Daflelbe, aber noch Nie: 
mand hat fein Wefen in Einem Worte ausgefprochen, obgleich 
ed nichts iſt als das uralte Weſen der Menfchheit felbit, was 
feiner ewigen Jugend fich wieder bewußt wird. Wie: erlifcht 
und : verblaßt vor diefem thatenglühenden, ingendfraftigen 
Streben nad vorwärts der Heiligenſchein um Die modernen 
Märtyrer: und Madonnenbilder! Wie Falt und unverflanden 
ſchauen die grauen Dome auf: dab raſtloſe Treiben unferer 


‚410 


ganz abgefehen von dem Kunftromane, der feinen Zweck 
in der Befriedigung des afthetifchen Genuſſes und der 


poetifchen Darftellung fucht, natürlich nach den Haupt: 


richtungen auseinander, welche die Zeit eingefchlagen hat. 
Diefe Hauptrichtungen find als der politifege, der fociale 
und ber religiöfe Geſichtspunkt zu bezeichnen. Das po- 


litiſche Gebiet ift ſchon feit längerer Zeit durchadert und 


durchfurcht worden, deshalb find auch ſchon feit längerer 
Zeit fogenannte politiihe Romane vielfach erfchienen. 
ie repräfensitten entweder abftracte politifche Tendenzen 
‚oder fie fuchten die Gefchide ihrer Helden mehr oder. 


minder mit dem Laufe der. politifhen Sterne in Ber: 


bindung zu bringen und mehr politifche Decorationd- 
malerei als den Blut- und Mervengeift des politifchen 
Lebens’ därzuftellen. * Während diefe legtern großentheile 
durch ihre dicken Effecte auf die große Maffe des Publi⸗ 
cums -berechnee waren, blieb der Kreis der erflern immer 
nur fehr begrenzt. Die abftracten Tendenzen, die in 
ihnen überall hervorbrachen, drangen zu feinem vollen 
Leben durch, fie gaben flaatswiffenfchaftlihe Kompen- 
dien zum Beſten, wo fi} die Geichichte in Individuali— 
täten und Situationen entwideln follte, und wenn fie 
es zu ‚Situationen und Individualitäten brachten, fo 
waren biefe in der Negel abfihrediend, unnatürlich, fie 
berhaft. Man merkte es ihnen- allzu fehr an, daß die 
geſchichtliche Bewegung in Deutfchland noch zu feinem 
freien Flüſſe gefommen fei, daß ihre Geftalten nicht 
aus der Reichhaftigkeit des vealen- Lebens gefhöpft, daß 
fie als Homunculi in den Retorten deftillirt und in Ge— 
fehrtenftuben gezeugt worden waren. Unſere politifche 
Romanliteratur bietet wenig Grofartiges, fer ed in der 
Anläge, fet es in der Ausführung. Die Verfuche bes 


Jungen Deutihlands anf diefem Zelde find durchaus 
eine voller: reifen Geftaltungen geworden, - dagegen hat 


fich die Mittelmäßigkeit bald mit mehr bald mit minder 
Begabung: anf diefem Felde nah allen Dimenſionen 
ausgebreitet, und unſerm gewoͤhnlichen Publicum mag es 
recht beguem geiborden fein, je weniger ed felbft Ge- 
ſchichte macht, ber einer leichten Romanlecture bie neue- 
ften Wallungen ber Zeitgefhichte zu empfinden. : " : 

‚Einen andern großen Kreis hat fi) der Roman in 
der focialen Frage "erobert. Die Darftellung und’ die 
Kritik der ſocialen Zuflände find- von ihm aufgenommen 
‘worden. Das poſttiſche Intereffe tritt für diefe größte 
Frage der europäifchen Menfchheit auch bereits im Ro— 
mane zurück. Die. praftifche Natur: der Engländer bält 


diefe Nation größteneheils von der Entwickelung der fo- 
cialen — in der Form des Romans ab; dagegen 


fühlen ſich Franzoſen und- Deutfche Iebhaft dazu hinge- 
zogen. Wie nun in Deutfchland die Entwidelung der 
ſocialen Frage’ noch hinter derfelben in Frankreich zu- 
rückſteht, fo auch: der fociale Meinen. Was wir auf 
diefem Felde befigen, ſind nur noch Anfänge und Ver— 


fuche, in Frankreich dagegen bat ber: fbriale Roman 


nach allen: Richtungen. Hin Ausbreitung genommen, von 
der feinfinmigen Sand bis zum bderben, effecteeichen Sue. 
Die unterwühlten Zuſtände der Gegenwart ‚und. bie 


Probleme einer communiſtiſchen Zukunft find mit glei- 
Her Kraft in der franzöfifchen Literatur dargefiellt wor- 
den. Und mie die fociale Bewegung noch eine große 
Zukunft vor fih hat, fo muß der fociale Roman eben⸗ 
falls noch ein ‚weites Neich zur Beherrſchung babem. 


‚Der fociate Roman ift das echte Product unferer me- 


dernen Entwidelung. In ihm finden fih alle Tiefen 
und Saiten derfelben vereinigt. Wie einft der Ritter- 
roman die altfpanifche Weltanfhauung ausſprach, wie 
der deutſche Charakter fi einft im Familienromane wi- 
derſpiegelte, fo ift jegt der fociale- Roman zum Ausdbrud 
der weftenropäifchen Weltbewegung geworden und er 
verhüllt und entſchleiert zugleich die Probleme unferer 
gemeinfamen Zukunft. 

Eine ganz eigenthümfiche Seite de6 Romans iſt in 
Deutſchland und zwar vorzüglich in der allerneueften Zeit 
zur Entwidelung gebracht worden. Dies ift der theologiſche 
Roman, oder fagen wir der Roman mit religisien Ten- 
denzen. Kann ſich die Natur unfers Volks beffer aus- 
drücden als in diefen Romanen, weldhe ihm ganz eigen- 
thümlich find? Unſer Volt muß die Religion in alle 
Verhältniffe einführen, es gebt, überall an eine Verar⸗ 
beitung derfelben. Nicht genug daB die Religion im 
Staate eine Macht if, nicht genug daß fie die Gefelf- 
[haft trennt und .zerfplittert, wicht genug daß fie auf 
Kanzeln und Kathedern ſteht, wicht genug das jie ſich 
in jüngfter Zeit im Überfluß über den großen Bücher: 
marft, dur das breite Bett der Sournaliftit und der 
Brofchitrenliteratur ergießt, auch der Roman wird von 
ihr in Beſchlag genommen und er muß zur Berarbei- 
tung der religiöfen Arage nach allen Seiten hin dienen. 

Diefer theologifivende Roman ift deshalb nicht ale 
etwas Ifolirted zu betrachten. Man muß in ihm die 
bewegende Kraft und das Draugen und Kämpfen des 
deutfchen Volks ertennen. ine religiöfe Entwidelung 
wie Deutſchland fie genommen, ein theologifcher Kampf 
wie er in Deitfchland bis zit den weiteſten Eonfequen- 
zen durchgefochten, tft von Feiner andern Nation der 
Welt aufzumeifen. Das Gebiet der Neligion und der 
Theologie iſt fo recht das Gebler .bes beutfchen Volks 
aber nicht blos um darin zu bleiben, fondern aud um 
es aufzulöfen : und um es gründlich zu zerflören. Der 
reltgiöfe Kampf wie er. Deutfchland bewegt kann von 
feinem. andern Volke richtig verfianden werden, Deutſch⸗ 
kand kaͤmpft ihn für die ganze Welt, es ift zugleich 
das "Land der glänbigften Myſtik und des bewußtvoll⸗ 
ften,. confeguenteften Atheismus. | J 
Die eigenthümliche Stellung, welche Deutſchland zur 
Religion und Theologie einnimmt, wird erſt: dann recht 
Bar, wenn man die religiöſen, theologiſchen und phile- 
ſophiſchen Zuftände ber Nachbarländer, Englands und 
Frankreichs, betrachtet. In beiden Laͤndern wird bie 
Religion von einem gan, andern Standpunkte aus an⸗ 
gefehen als in Deutſchland. Man geht dort immer von 
Berausfegungen aus‘ :und wagt es nirgend wie in 
Deutſchtand Die veligiöfen: Vorausſetzungen ſelbſt einek 
‚Kritik unterzuordnen. England, deſſen Urſprung .fich 


U. 
giöſe and zautireligiöft, - theofogifche und ‚phifofepbifige 


mit Deutſchland auf biefelbe Wurzel zurückführen läßt, 
iſt deffenungeschtet in veligtöfer Beziehung ber firengfte 
Gegenfap Deutſchlands. Die religioſe Vorausfegung, 
die firengfte Hierarchie beherrfiht das. freicfte Volt Eu- 
ropas burch einen flarren, geiftlofen Formalismus, den 
ſich Deutfchland niemals gefallen laffen würde. Die 
Wiffenihaft ft in England noch immer der Theologie 
untergeordnet, die Freiheit ift noch, immer durd, den 
eonfeffionnellen Zwang gebunden; die Bernunft, die Frei- 
beit bat fich noch nicht als’ im Gegenfage zur Religion 
und Theologie erkaumt wie in Deutfchland,: und einen 
Streit, einen Kampf hervorgerufen, wie er alle Adern 
Deutfhlands erſchüttert. Der "Proteflantismüs iſt in 
England in dem fiarren Bau der anglicanifthen Kirche 
eingefroren, fein Grundelement ift verloren gegangen und 
noch die legten Parlamentsverhandlungen über die 
Maynoothbill haben den eclatanfen Beweis geliefert, daß 
die Mehrzahl ber ſtolzen Inſulaner über eine engbe- 
grenzte -confeffionnelle Heligionsfphäre nicht hinaüsblicken 
tönne. In England fühlt fi die Regierung aus polifi- 
fhen Gründen veranlagt, den confeffionnellen Kreis zu 
erweitern, ‘aber bie Nation befindet fi) in Oppoſition 
dagegen; in Deutfchland fuchen die Regierungen aus 
politifchen. Gründen die confeflionnelleg Kreiſe feiter zu 
fhliegen und ein Princip geltend zu machen, welches 
fi) dem englifchen annähern "möchte, aber der alte echte 
Geift dentfcher Nation ift mächtig gegen fie in die 
Schranken getreten und weiß ein folches Thun mit all 
feiner Kraft zu verhindern. Blicken wir nun von Eng- 
land auf Frankreich hinüber ald auf dasjenige Land, 
welches im zomanifchen Bölkerfreije die freieſte Entwide- 
lung genommen hat, fo.:beweift. ſich hier ebenfalls, wie 
ſchwach und nebenfählich der vefigiöfe Kampf Deutfch- 
land gegenüber geführt wird. Man kaͤmpft hier nicht 
wie in Deutfehland gegen: Principien,; gegen Jdeen, man 
ftreitet um Formen, um Inſtitutionen, die religiöfe Vor⸗ 
ausfegung berührt man. nicht, fi bleibt auf dem Grunde 
des Franzoſenthums beruhend. In Frankreich ift zwar 
der Geiſt der Revolution geboren, aber es fehlt ihm der 
Geiſt der Reformation, der ſich ſeit drei Jahrhunderten 
in nimmer endenden Kaͤmpfen durch Deutſchland bewegt. 


Der Franzoſe iſt außer Stande die Religion fo inner: ' 
lich aufzufaffen und fo geiftig zu. durchdringen wie der 


Deutfche, deshalb kann er weder fo naiv glauben wie 
der Deutfhe noch auch fo confequent- alle veligiöfen 


Vorausſetzungen vernichten wie der deutfche Geiſt. Im 
Blauben bringf er ed nur zus Form des Glaubens, zum 


Gehorfam gegen. die Kirche, im Zweifel nur zum Ma- 


terialismus, wie es die franzöftfche Literatur der legten : 


Hälfte des vorigen Jahrhunderts beweiſt. Der veligtöfe 
Kampf Frankreichs bewegt fih nur gegen “Formen, ge⸗ 
gen die Form des Ultramontanismus, im Gegenfage zu 
einer franzöfifhen Nationalkirche, gegen das Inftitut der 
Jeſuiten als ber Träftigften und unermüblichften Ver⸗ 
theidiger Roms. Frankreich hat keine productiven Kräfte, 
weder im Religiöfen noch im Wntireligiöfen, weder - in 


der Theologie noch in der Philofophie, es hat- nur reli⸗ 


® + 


a 


Formalismen. In Deutſchland aber drängen alle jene 
Productiven Kräfte‘ hervor, die wir in Frankreich ver- 
— und ſie geſtalten ein Schauſpiel, wie es nur aus 
er Organiſation des. deutfchen Geiſtes zu begreifen iſt, 
fie beherrfchen, verwireen, beleuchten das Leben. in einer 
Art wie fie snirgend anderswo ftatefindet.. Der: Kampf 
gegen die Religion wird bei uns ebenfo gläubig und 
theologifch geführt als der Kampf für einzelne Seiten 
ber Religion, und es fcheint-eine Aufgabe des deutſchen 
Volkes zu. fein, dad religiöſe Element bis in feine wei: 
tefte Confegienz zu verfolgen. ° ° | *1 
DE) (Die Fortfegung folgt.) 
Geſchichte der.bildenden. Künfte bei den chriſtlichen Voöl— 
tern, vom Anfange:unferer Zeitrechnung bis zur Gegen- 

® wart. Von Gottfried Kinkel. Erſte Lieferung. : 
' | (Beſchlus aus Nr. m) 5. ⸗ 
Die Einheit der kirchlichen Kunſt des Mittelalters, die 

fer Himmel ,-den fie in all ihren Gebilden anbetet, wie ift-er 
plögli Dahingefchwunden, einem leichten‘ Morgentraume ver: 
gleichbar, vor der Palten und. ſcharfen Kuft des Wiſſens 
und der Erkenntniß, welche mit dem 45. Zahrhundert über 
die Erde weht! . Und wir würden ihn nur für einen Traum 
halten, wenn nicht feine Wicfenmerke.dafür Zeugten, daß er 
Wirklichkeit geweien. Wie das Mittelalter feine böchften 
Kräfte daran verfchwendete, jene Sehnſucht nach dem Himmel 
und einer Verſoͤhnung des Geiftes mit der Natur kuͤnſtleriſch 


‘, 


> 
D 


zu verherrlichen, jo will die neue Zeit dieſe VBerföhnung ſelbſt 


pollbringen duch wirkliche Unterjohimg der Naturkräfte, und 
darin befteht die fogenannte Preſa des heutigen Lebens. Die 
Bergangenheit wandte ihre Augen nad oben, um den irdi- 
ſchen: Sammer zu vergeffen, die Gegenwart aber fenkt tief in 
die Erde und das Menfchenlcben .. hinein ihre Blide, und es 
entipringt rdaraus eine Saat mächtiger Werke und Erfindun⸗ 


gen. Ihren Ruben, ihre verborgenen Kräfte lauſcht der 


Menſth der Natur ab, und damit geht ihm: auch wieber per 
Sion für ihre Schönheit auf. _ Die Verföhnung, walche die 
Religion verheißt,  vollbringt er durch mühenolle Arbeit, und 
diefe erfcheint ihm daher nicht minder heilig und religiös, ’als 


“die Freude und der Genuß. - Der. überwundene Schmerz liegt 


nur als dunfler Hintergrund in feinem: fiegesfroben Wuge;- er 
braucht. Die NRatur nicht. mehr zu, fuͤrchten, da. er die Mittel 
befigt ihre Zauberkräfte, zu bannen, umb fo vermählt er fi 
wieder fiebend mit ihr in der Kunſt. Diefe ericheint Deshalb 
als ein Zurüdftreben nach der Antife, aber ‚nicht um, das Alte 
wiederherzuſtellen, fondern durch das Chriftenthum neu zu er- 
füllen, und ald ‚cin Studium: der Natur, aber nicht um jie 
ſtlaviſch nachzuahmen, fondern geiftig zu verklaͤren. Ein neues 
Heidenthum tritt allerdings, wie ISnimermann in feinem „Münch 
haufen’ es prophegeit, in die Welt ein, und wer, die Brille des 
Vorurtheils abgenommen, kann es ſchon in nächſter Raͤhe er 
blicken. Das Studium der Geſchichte und der alten Kunſt, die 
Begeiſterung für die Ideale reiner Menſchlichkeit, der Cultus 
des Genius in den unzähligen Monumenten unſerer großen 
Männer: Alles weiſt hoffend und weiſſagend auf ein: Neues 
bin. Wol Mancher ahnt und fühlt Daffelbe, aber noch Rie: 
mand hat fein Weſen in Einem Worte ausgefprochen, obgleich 
ed nichts iſt als das uralte Weſen der Menjchheit felbft, was 
feiner ewigen Jugend fich ‚wieder bewußt wird. Wie. erlifcht 
und verblaßt vor diefem thatenglühenhen , jugendfräftigen 
Streben nad vormwärtd der -Heiligenfchein um Die modernen 
Märtyrer: und Mabonnenbilder! Wie Falt und unverftanden 
fhauen die grauen Dome auf das raſtloſe Treiben unferer 


daß die ehöpfung und alles Reinmen 
p 


| oo Ä 212 


Kade herab, welche doch einft die glühendfte Begeiſterung zum 
Simmel erhob! 
Für dies dem Mittelalter durchaus feindlihe Streben 
der neuern Seit und ihrer Kunft bat fi) aber Kinkel den 
Weg gebahnt durch eine weitere und freiere Auffaffung des 
Chriſtenthums felbft; wonach es nur durch feine erfte Abhän- 
igkeit von engherzigen jüdiſchen Unfichten und durch feinen 
enfag gegen die Heibnifhen Religionen jene überfinnliche, 
afcetifche, weltflüchtige Richtung annahm, während es feinem 
innerften Weſen nad die SHeiligfprehung alles Reinmenſch⸗ 
lien als des Guten und Göttlihen if. Als es daher mit 
dem 15. Jahrhundert zum Bewußtſein feiner äußern Feſſeln 
kam, erkannte es ſich von neuem ald Geiſt, und wit im Un: 
fang des Mittelalter die Völker, fo rangen jept die Einzel 
eifter nach Freiheit. In der Kunft fügte fi) aber dieſes 
treben auf die erfte vollfommene Offenbarung bed Menſchli⸗ 
“hen in der Antife, „und der Proteflantismus mit Anerken⸗ 
nung des Leiblihen ald des von Natur Berechtigten riß fich 
von der bisherigen Kunfttradition, überhaupt von der heiligen 
Kunft los, und ging zumeift in Holland zur Auffaffung des 
realen, wirklichen Lebens über‘. „Auf jener erneuten, im 
edeiften Sinne heidniſchen Kunſtanſchauung, auf dem Gedanken, 
(liche auch außerhalb 
der kirchlichen bäre ein Göttliches fei, bar die moderne 
Kunft mit ihrer Eräftigen Neigung für Natur und Geſchichte 
fih entwidelt.” Uber „wie ‚in den Gedanken der modernen 
Welt die Freiheit un die Stelle Der Religion, an die Der Theo 
logie aber Philofophie, Raturkunde, Geſchichte getreten find, fo 
wird auch Die kirchliche Kunft von der —* überall aus 
dem Felde geſchlagen“. Und das konnte zunaͤchſt nicht ohne 
großen Schaden Fir die Kunft überhaupt geſchehen; denn fie 
verfiel dadurch in das Subjective, Manierirte, wie ed die Re 
naiffance und der Rococoſtil zeigen, um endlich feit Windel 
mann zum Studium der ächten Antike ald einzigem Rettungs⸗ 
mittel zurüdzulehren. Uber die alte Nachahmung derfelben 
Tonnte Eein neued Leben erzeugen, und vergebens fuchte Die 
romantifche Schule das Heil im Mittelalter; der Eigenfinn der 
Mode fehritt ſchnell über biefe verrotteten Beftrebungen bin: 
weg, feßte ihnen jedoch erft die Krone auf durch feine Nachah⸗ 


mung des fchlechteften Geſchmacks aus dem vorigen Jahrhun⸗ 


dert. „Unter all diefen Erſcheinungen beginnt man allmälig den 
Nuf der Beit nach hiftorifcher Kunſt zu begreifen”, ſagt Kinkel, 
und er ſchließt feine einleitende Uberfiht mit den Worten: 
„Wir haben in der Burzen Zeit eines halben Jahrhunderts das 
fonderbare Bergnügen gehabt, daß die Kunft der Mode alle 
vergangenen Formen und noch einmal abfpiegelte, die antike, 
die mittelalteväche, die des vorigen Jahrhunderts: mit diefem 
Guckkaſtenſpaß Hat es nunmehr ein Ende, da es für die Affen 
der Kunft nichts mehr nachzuahmen gibt. Wir find auf den 
Punkt gefommen, wo wir dad Bauen, Bilden, Malen aufge 
ben, oder einen neuen unferm Zeitgeifte verwandten Stil auf 
finden müffen.” ' 

Zu einem folchen Auffhwunge der Kunft ift indefjen im- 
mer die Einwirkung äußerer Ereignifie nothwendig, melde 
das ganze Leben neu beftimmen oder geſtalten; aber ebenfo 
gewiß ift, daß eine Belebung der Kunft durch nichts befler be- 

rdert, unterflügt und vorbereitet werden Bann, als durch ein 
ründliches Studium ihrer Vergangenheit, ihrer gefchichtlichen 
Entwickelung. Denn aus den Geſetzen des Werdens, melde 
darin fi auspraͤgen, zeigt fih der Weg, auf dem die Sur 
kunft ihre Werke vorbereitet. Und andererfeitd kann nur eine 
Kenntniß der Geſchichte der Kunſt in den Stand fepen, ihre 
gegenwärtigen und fünftigen Schöpfungen zu würdigen, welche 
ih immer neu auf dem Schutte der Vorzeit erheben. Denn 
nie, auch nicht vor dem Froſthauche des proſaiſcheſten und kaäl⸗ 
teften Jahrhunderts, wird jemals die Blüte der Kunft ver: 
welten, vielmehr wird fie immer mehr wie im Alterthum wie- 
der ein Gemeingut, ein geiftiger Genuß, ‚eine Schule der Bil: 
dung und Veredlung werben; — und biefem Zwecke dient kein 


4: 


Buch beffer als das vorliegende, weiches durch lebendige Ber» 
anſchaulichung der vergangenen Kunſtbeſtrebungen zur Höhe 
der Gegenwart binaufführt. Möge es daher in den weitefken 
Kreifen und unter den verfchiedenften Ständen Lefer finden, 

wie es fie fodert und verdient! 92 





Literarifhe Anzeige. 


Allgemeine Encpftopäbie 
Der 


iſſenſchaften und Kuͤnſte 


in alphabetiſcher Folge von genannten Schriftſtellern 
bearbeitet und herausgegeben von 


8.8. Erſch und J. G. Gruber. 
Mit Aupfern und Marten. 


Der Pranumerationspreis beträgt für jeden Theil 
in der Wusgabe auf Drudpapier 3 Thlr. 25 Ngr., auf 
Belinpapier 5 Thlr. 


ZZ” Frühen Subferibenten auf die !CHgemeine En- 

eyPlopabdie, welden eine Reihe von T fehlt, fe 

wie Selen, bie als Abonnenten neu eintreten wollen, 

werden die den Ankauf ae ofen Bedingungen zu⸗ 
. ’ 8 . 


' Im Jahre 1845 find neu erfchienen: 


Erfie Geetion (A—G). Herausgegeben von 3. @. Gru⸗ 
ber. -Alfter und 42fter Theil. 
Zweite Gection (H—N). Herausgegeben von 4. G. Hoff: 
mann. Z4fter heit. 
Dritte Seetion (O— Z). Herausgegeben von M. H. €. 
Meier. MWfter Theil 


Diefe Theile enthalten u. A. folgende wichtige Artikel: 


Erfte Section: Fabrik von Eiselen; Facultät (nuneri- 
fche) von Sohncke; Färöderne von Schubert; Falco und Felis 
von Burmeister; Falk (Johannes) von Döring; Falknerei von 
Pfeil; Falklandsinseln von Pöppig; Fallvon Hankel; Fallsucht 
von Rosenbaum; Kamiliengüter und Familienrecht von Diecks 
Familienwesen von Bosse; Fanatismus und Fechtkunst von 
Scheidier; Fatum, Faustrecht und Kehmgericht von Wachter ; 
Farbe (mathematifh, phyſikaliſch und äfthetifch) von Hankel 
und v. Quandt; Farbestoff von Steinberg; Farnese von Gruber ; 
Fasten und Fejertage von Fink; Fascia von Theile; Waust 
(Sage von) von Sommer; La Fayette von Stramberg; Feen 
von Richter; WKehrbellin (Schlacht bei) von Heymann. - 

Zweite Section: Irland von Lappenberg; Irre 
Irrenanstalten von Zeller; Irritation von Österlen; Isaak (bibli⸗- 
ſche und gefchichtliche Perfonen) von Hoffmann, Röse und Külb; 
Isabella (Königinnen) von Röse, Wachter und Genersich; 
Isatis Tinctoria von Murrer; Isäus von Weissenborn: Isenburg 
von Jandau; leis von Matthiae, Schirlite, Meyer und Pöppig; 
Ismail (Regenten und Gelehrte) von Fidgel und Benteken. 

D Section: Peutinger von Kckermann; La Peyrouse 
von Fischer; Pfändung und Pfandrecht von Pfotenkauer; 
Pfänner und Pfännerschaft von Martins; Pfaffenrecht vor 
Wislicenus; Pfahlbürger von Löker; Pfalz (Geographie und 
Geſchichte) und Pfaingraf von Fischer und Wachter; Pfanne 
(mit zwei Tafeln) von Backe. 

Beipgig, im April 1846. 


5. Brockhans. 





Berantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brockzans. — Drud und Verlag von F. X. Drockhaus in Leipzig. . 








Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 








Keligidfe Tendenzromane. 
. (Borkfekung aus Nr. 18.) 


Ben diefent Geſichtspunkte aus iſt die veligiöfe und 
kirchliche Bewegung zu betrachten, welche gegenwärtig 
Deutſchland beherrſcht. Der Proteflantismus ift in zwei 
große Extreme auseinander gegangen. Auf der einen 
Seite ſteht die Partei der Orthodoxen, der Wortgläubi⸗ 
gen, der Anhänger Hengftenberg’s, welche den Proteftan- 
tismus auf ein enges Gebäude kirchlicher Hierarchie zu⸗ 
ruckführen wollen und den Glauben über die Vernunft 
gefegt haben. Ihnen gegemüber ſteht ein Phalanx, bei 
dem der Proteſtantismus im Durchgange durch bie 
neue Philoſophie in einen durchweg confeqienten, phile- 
ſophiſchen Atheismus übergefchlagen iſt. Zwiſchen bei- 
Sen bewegen fi die Vermittelnden bin unb ber, bie 
aften Rationaliften und die neuen Lichtfreunde, und. bei 
ihren Wermittelungsverfuchen tauchen Fragen auf und 
beunruhigen den beutfhen Volksgeiſt, die man längſt 
überwunden zu haben glaubte und die nun als Schat⸗ 
ten der Gruft entfieigen. ine Vermittelung hat im- 
mer etwas Unerguidliched und Ungenügendes, ganı be⸗ 
fonder6 da, wo wie bei une in veligtöfen Angelegenhei- 
ten ber allgemeine Charakter zu dem entfchiebenften Con⸗ 
fequenzen bintreibt. Aber eine. Vermittelung bat auch 
wiederum eine nothmwenbige Seite, wo wie bei uns die 
Unmöglüchkeit vor Wugen liegt, auf einen Schlag bie 
große Menge des beutfchen Volks zur legten Conſequenz 
in Sachen der Religion zu führen. Während unfere phi- 
lofophifchen Atheiften den Wermittelungsverfuchen ebenfo 
abgeneigt find wie ihre Antipoden die Orthodoxen, ift es 
den DVermittlern vor allen Dingen darum zu thun, bie 
alte Einchlihe und theologifche Begrenzung aufzuheben 
und eine freiere Bewegung zu geflatten. Sie geben 
‚deshalb die religiöfen, kirchlichen und theologifchen Grund⸗ 
Beftimmungen nicht auf wie die Atheiften es verlangen, 
fie ſuchen fie vielmehr weiter und für die Vernunft zu- 
gaͤnglicher zu machen. So tft das proteftantifche Gebiet 
in Deutſchland der Plan für die verfchiedenften Rich⸗ 
tungen und für bie heftigfien Kämpfe geworben und 
nur die Einſeitigkeit der Regierungsmaßregein hemmt 
ab und zu bdiefen Kampf und drückt die Geftaltungen, 
weiche fih offen audfpreihen wollen, in die Tiefe, ohne 


Le 


Dienftag, — Str. 104, | 





14. April 1846. 


fie aber vernichten zu koͤnnen. Derfelbe Kampf bat fich 
auf dem Gebiete der Katholicismus geltend gemadıt. 
Die Sache der Janfeniften in älterer, die der Hermeſia⸗ 
ner in neuer Zeit hatte uns ben Beweis geliefert, daß 
innerhalb bes Katholicismus eine Reform unmöglich fei; 


da brach ſich aber in Deutfchland eine Bewegung Bahn, - 


weiche Fathofifch bleiben wollte, ohne fich moch fernerhin 
den Sagungen Roms unterzuorbnen. Diefe Bewegung 
iſt noch zu neu als daß ihr hiftorifcher Verlauf ſchon 
angegeben werben tönnte, aber fie beweift wiederum 
den religiöfen Beruf des beutfchen Geiftes und feine 
Kraft. Wir müffen es noch abwarten, melche productiwe 


Geftaltung der Deutſch⸗Katholicismus nehmen wird. 


Bis jegt iſt er eigentlich nur noch durch die Negation 
Noms von Bedeutung gemefen. Es fragt fi) aber nicht 
nur, wie er zu Rom fteht, es muß fih aucd fragen, 
wie er fih zum Principe der Meformatlon und über- 


haupt zum Principe des freien Geiſtes verhaften merbe. 
8 muß ſich zeigen, ob ihm eine Entwidelungsfähigkeit ' 


inne wohnt, die ihn befähigt, mit den Entwidelungen 
des proteftantifchen Geiftes Schritt zu Halten, alſo, ob 
er eine dauernde, hiſtoriſche Bedeutung gewinnen wird, 
Dazu bedarf er nicht blos der Perfönlichkeiten, fondern 
noch mehr der Ideen. Eine Sache bes Volks ift er 
geworden, er bat baffelbe in feiner innerlichſten Natur 
bewegt, es ift nun nur noch dahin zu fehen, daß dieſe 


VBolksbewegung ſich in dauernden Früchten einen Preis , 
gewinne. Der Zwieſpalt in ihm felbft ſchadet nichts, 


er ift ein Zeichen des Rebend. Und um es zu bewahr⸗ 


heiten, daß die religiöfe Bewegung mit duf befondere : 


Kreife befchränkt, fondern eine allgemeine fei, fehen wir 
fie fogar im Judenthume Geftaltung gewinnen und ſich 
mit den Waffen des Nationalismus gegen die Rabbiner 
Drthodorte wenden. Nicht mehr die Eonfefflonen trem- 


nen in Deutfchland, die Ideen fchlagen dur. Der - 


tömifche Katholik fleht dem Hengftenbergianer näher ale 
dem Deutfch-Katholiten, der Lichtfreund fteht dem Deutſch⸗ 
Katholiten näher als dem Orthodoxen feiner Confeſſion. 
Und eben diefe Allgemeinheit der religiös-ticchlicden Be⸗ 
wegung iſt das Große derfelben in Dentfchland, eben fie 
fefert mehr als irgend ein confeffionnellee Hader den 
Beweis, daß es eine Miffion des deutſchen Volks ifl, 
ſich über den beſchraͤnkten Geſichtékreis gleichberechtigter 





414 


Seiten zu erheben und in dem freien Humanismus bie 
neue Weltreligion zu begründen. | 

Blickt man allerdings von dem hohen Standpunfte, 
wo die Religion ausfchlieglih Sache des Einzelnen ge- 
worden, auf unfere gegenwärtigen ZJuftände, fo haben 
fie manche abſchreckende Seite. Der Kampf wird Häufig 
wüſt und wire geführt, es wirken allzu oft fremdartige 
Motive. E86 gewinnt häufig den Anfchein, als ob aus 
diefem Knäuel nicht eine Schlihtung zu erwarten fei, 
als ob ein fo inveterirtes Übel einen gefunden Drganis- 
mus für alle Zeiten unmöglid) made. Es geben man⸗ 
che Gefpenfter umber In moberbuftenden Hemden. Die 
“Fragen, an welchen fi) der Geift abmüht, find vielfach 
nicht frifch und rein, fonbern veraltet und aus zuſam— 
mengeſtürzten Gräbern herbeigehelt. Es macht fih Man⸗ 
ches ala Fortfchritt geltend, was nur ein Rückſchritt wäre. 


Die Bdeen fprechen ſich nicht geoßartig, nicht mit jener 


hiſtoriſchen Gewalt aus, welche frühere Perioden befeclte, 
fie verweilen in einer Halbheit und in eines Zurüdhaltung 


wie fie dem Charakter unferer Gegenwart eigenthümlich; 


fie fcheuen häufig die Gonfequenzen, zu denen der deut» 
fche Geift berufen if. Das ift die ſchwächliche Seite 
unferer mobernen Religions - und Kirchenbewegungen, 
namentlich wenn wir fie mit jenen markigen Geftaltun- 
gen vergleichen, die im Zeitalter der Reformation gebo- 
zen wurden und bie einen fo reichen poetifchen Inhalt 
gewähren. . 

Wie es nun in der Natur des Romans liegt, fich 
zum poetiſchen Ausdruck aller Zeitbewegungen zu ma⸗ 
hen, fo bat durch die religiosſ⸗ Pirchlichen Streitfragen 
auch unſere Romanliteratur einen eigenthümlichen reli- 
giös-tendentiellen Charakter angenommen. Cr erfcheins 
nach ben verfchiebenften Seiten bin. Nun aber hat ber 
Roman außer feinen tendentiellen Fähigkeit auch einen 
poetifchen Beruf, die VPoefie wird immer von ihm ver- 
langt werben müflen, wenn er nicht zu einem dürren 
‚Katechismus, zu einem trodenen Compendium herabfin- 
ten fol. Seine Stoffe müſſen alfe von ber Poeſie 
burchdrungen werden können, es muß ihrem Leben eine 
Uumittelbarksis zu eigen fein. Wie verhält fih nun der 
. Ghavaktes unſerer zeligiös-Licchlicden Bewegung zu die 
fer Anfoderung, welche wir dem Romane niemals er⸗ 
laffen dürfen? Die Bewegung mag gefchicktlich fo be- 
bedeutend fein wis nur irgend etwas, aber iſt fie denn 


auch poetiſch, kann fis fi zu einem poetiſchen Wormurfe | 


eignen? Ja, es ſcheint uns faſt, als ob der religioͤs⸗ 
kirchliche, Eifer ben deutſchen Geiſt, ald er auch die Ro- 
manform für feine Eirchlichen und veligiöfen Anſichten 
in Anſpruch nahm, über die Bedingungen ber Woche 
fo ziemlich hinausgeführt habe. Es kaun zwar Nie 
mand leugnen, daß die Meligion, biefe Triebfeder ber 
größten und ungeheuerften Keidenfchaften, ganz vor 
zuglich befähigt iſt, der Poeſie sin tiefer Inhalt zu wer⸗ 
ben; die erhabenſte Poeſie, bie Poeſie des künſtleriſch 
en — pr —* der — ke * 
rein öfe Natur; aber es fragt fich, ie jegige 
3 Bewegung zu einem poetiſchen Vor⸗ 


wurfe vollkommen geeignet ſei. Eben weil in ber heuti⸗ 
gen Bewegung die Leidenſchaften nicht großartig auftre⸗ 
ten, eben weil die Fragen, welche man vorbringt, nicht 
rein und unmittelbar, ſondern nur ein Nachlaß früßerer 
Kämpfe find, eben weil die Perfönlichkeiten, welche *1 
der Bühne erſcheinen, faſt immer des hiſtoriſchen Adels 
enthehren, eben deshalb find fie, mögen fie ſonſt 
auch fo bedeutend fein wie fie wollen, wenig poe⸗ 
tiſch. Wir Haben ſchon oben auf den poetifchen Inhalt 
bes Reformationszeitalters hingedeutet. Die Poefie die- 
fer Zeit beruht in ber großen Reinheit ihrer Fragen, in 
dem Muthe, in der Energie ihrer Charaktere. Aber wir 
haben heutzutage ebenſo wenig einen Luther wie einen 

arl V. und einen Uirich v. Gutten! Wer fühlte es 
nieht fogleich, daß biefe Geſtalten poetifch find? Wer 
wird aber einen Ronge oder einen Wisliconus u. X. 
als poetifch anerkennen? Die Poeſie des Meformations- 
zeitalters beweifen auch Lieder wie „ine feRe Burg ift 
unfer Gott!’ u. f. w.; aber wo wurde jegt ein ähnli⸗ 
Her poetifcher Erguß, felbft wo ſich ber große Kampf 
zeigt, lebendig? Nein, poetifch find unfere kirchlich⸗ 
religioͤſen Bewegungen noch keineswegs, wenn ſie auch 
nothwendig geworden fein mögen; poetiſch iſt immer nur 
das Ganze, das Große, das Entſchiedene und nie= 
mals das Halbe. Die Orthodoxie eines Hengſtenbderg 
und ber vereinſamte Atheismus eines Bruno Bauer 
tönnte ber Entſchiedenheit wegen ſchon weit poctiſcher 
erfheinen als die Lichtfreundfchaft eines Uhlich und 
Bislicenus Des alte Görses wäre. ebenfalls poetifcher 
als Ronge und Czerski. in polniſcher Jude ine 
Schmuze feiner Orthodoxie und feines Kaftans ifk immer 
noch poetiſcher als der jüdiſche Rationalifi mit dem glatt 
geſchorenen Barte und fäner Halbheit! Wenn aber der 
moderne Roman auch berechtigt ift, über die fizenge 
künſtleriſche Form hinauszugehen, fo wird man doch im- 
mer nod einen poetiſchen Inhalt von ihm verlangen 
müßten, und legen wir biefen unzweifelhaft richtige 
Maßſtab an umfere moderne religiös-tendentielle Roman- 
kkteratur, fo werden wir uns mit ihrem Inhalte nur 
allzu oft im einem bebeutenden Wiberfpruche befinden. 
Was ſonſt neh zu fagen wäre, wird bei ber Beurthei⸗ 
bang bee einzelnen Werke "am beflen gefagt merken 
8 


oͤnnen. 
(Die dortſetang folgt.) 


— — 





Eine literariſche Fehde über Den neuphils⸗ 
ſophiſchen Rihilismus. 


Während ber eble Kittel in der badiſchen Kammer für 
Seligtondfreiheit in bie Schranken trat und Larum von einem 
1 Gläde nur Beinen helle des fanatifieten Solkes faiſch⸗ 
licherweiſe a6 Solcher bezeichnet wurde, Der die ig 
überhaupt abſchaffen wolle, bildet ſich eine Meine phi | 
Partei ein, Died ſchon längft gethan zu haben. Auch Einige 
unter den Sommuniften, bie in Feder Bestehung das Kind mit 
aa * des Br d —*ã* * 
8 Ä ig mit der ng des 
Mefigion in aller San feutig zu werden. Br bie 


44% 


Rebormatoren auf dem religiöfen Gebiete, fo 


—E han auch jene philoſophiſche Richtung im Namen 


der Geißesfreiheit auf und merft in ihrem Eifer und bei fenft | 


gutem Willen nicht, daß fie auf die Herrſchaft eines Denk⸗ 
zwangs binarbeitet, da für fie jedev Andersbendende, bei ber 
eingebildeten Unfehlbarkeit ihrer Unficgten, we ne ein 
Bernunftfeind, ein Reactionnaire, Pfaffe, Pietiſt u. w. if. 
Dos religtöfe Bewußtſein, das tief in Das Weſen des 
Menſchen eingegraben ift, auszurotten und dafür unpraktifche, 
unerquickliche Theorien populair machen zu wollen, ift im Laufe 
dev Seſchichte überhaupt felten und nur theilweiſe ums auf 
kurze Seit gelungen. WBenn nun auch viefe Verfuche ihrem ne 
gativen Charakter nach manchen Schutt wegräumten und die 
Bahn der Wiffenfchaft lichten halfen, fo erſcheinen fie jegt 
ganz und gar außer der Zeitz ſetzt, wo das deutſche 
Bott wahrheftig nicht aus Gleichgültigkeit gegen die Religion 
in einer Aufregung fich befindet, wie fle feit der Reformation 
nit wieder vorfam. Anfangs wurde die religiöfe Bewegung 
von der bigeichneten uhilofopbif en Partei für vereingelt und 
mwichtig gehalten, für einen Kampf um Etwas, das in ihrem 
Auge fchon langt „übermunden” war. Nun aber, da Ddirfe 
Gricheinung mehr und mehr wächſt und in ihrer Bedeutung 
nicht mehr wegguleugnen ift, nun möchte fie dieſelde als eine 
Brüde betsachten und benugen, auf der das Bold, wenn es 
erſt das roͤmiſche Joch amd die Drthodorie mit ihrem Symbol: 
awange abgefchättelt, hinüber zum 
Befreiung von der Religion geleitet werden tönnte und hier⸗ 
durch, wie fie wähnt, zu feiner politifchen Freiheit. Und doch 
ift es gerade jener Nidiliemus und Atheismus, welcher der 
Reaction Vorſchub leiftet und ihr in die Hände arbeitet, Indem 
et ihr Gelegenheit gibt, mit den Gegnern aller Religion zu: 
gleich die ganze Partei des Fortſchritts in den Augen bed Voiks 
zu verdächtigen. Um fo leichter weiß fich alfo die Reaction, da 


. wo fi) atheiftifche Elemente gewahren laſſen, den Schein des 
Rechts zu geben und feibft 


den Ruhm der Popularität zu er 
werben, indem fie dem Atheismus entgegentritt, aber dann 
aud) die günftige Betegendeit nicht unbenugt läßt, nach allen 
&eiten hin hemmend einzufchreiten. 
Wenn auch die beutfche Ration in diefem Augenbli ihre 
politifchen Interefien, bie Hand in Hand mit ben religidfen 
den, nicht außer Acht läßt, fo hat fie doch gegenmärtig be: 
Andere die letztern im Auge und darum konnte ed nicht fehlen, 
daB ein Buch wie das ohnlängft von A. Ruge herausgegebene, die 
Frucht ſeines Aufenthaltes in Paris, nicht nur lau u fgenonimen 
wurde, fondern auch bei den Freunden des Fortfchritts Widerſpruch 
und theilmeife Entrüftung erregen mußte. *%) Gntrüftung aud 
war ed, die einen lange Verſtummten bewog, wieder öffentlich 
aufzutreten. Aus dem Munde der drutſchen Jugend ertönten 
in den Jahren 1819 und 1820 bie begeifterten Gefänge A. 
Follen's, in denen, abgefehen von einer damals noch beliebten 
romantifch uͤberdeutſchen Manler, eine frifche lebendige Poefie 
ſprudelt, was jeder Unparteiifche auch noch jept bei ganz ver: 
änderter Zeit und Stimmung anerdennen muß. Diefer 9. Fol: 
len nun, der vor mehr denn zwanzig Jahren von Freiheit und 
Vaterlaud —— gi bald nad der Veröffentlichung des 
angeführten 8 von Ruge in ſechs Genetten, „An die gott⸗ 
Iofen eg e, flie Blatt von einem Verſcholle⸗ 
nen”, bei Winter in Heidelberg. herausgekommen, feinem Zorne 
freien Lauf gegen jene erwähnte Richtung, die in ihrem Rihi- 
Iismus wol auch die erſten Regungen eines deutſchen Rational 
gefühte. wieder vernichten möchte. Und werm auch biefe Sonette 
etwas hart Bingen, daher —5 wie ein oft altener 
und Steine mit fi, ſuhrender DB öm, nicht durchweg Mar 
fließen wie ein durch biumige Wieſen ſich ſchlaͤngelndet Bad, 
von welcher Sorte Baͤ die moderne Poefie ſonſt ja un⸗ 


>) ehe vie Kritiken über dafſelbe in der „Allgemeinen Beis 
tung’, Mb, Nr. 38, und bie in dem. „Btättern für Aterariſche Unt 
terhattung⸗, 1885, Nr. T u. 8. 





. 


theismus, zur fogenannten | 


w 


zählige aufzuweiſen hat, fo find fie doch von Seiſt und Sitz, 
und der Hagel. ift darin nicht felten auf Den Kopf getroffen. 
Darum verloren aud bie dadurch Angegriffenen den Kopf und 
fuchten in ihrer Replik nicht die Sache, fondern die Perfon 
ded Gegners zu treffen, was eine gar bequeme Sache ift, zu⸗ 
mal wenn ed in fo fhülerhaften Verfen gefchieht und in &o- 
netten, die nicht einmal ben gewöhnlichen Regeln des Reims 
folgen, wie fie fih unter dem Zitel finden: „Blätter zu dem 
Lorberfrange eines «Berfhollenen», eine fromme Neujahrs: 
gabe von einigen «Richtd : Wütherichen » (Züri 1846). 

Die Herren U. Ruge und 8. Heinzen, die ſich ſpaͤter als 
Berfaffer nannten, haben fi durch dieſe fogenannten Poeſien 
an ber Poeſie verkinbigt, und ihren eigenen Krängen dadurch 
Beine neuen Blätter binzugefügt. So haben fie 3. B. den . 
Verfaſſer der ſechs Sonette nicht verftanden, oder nicht vers 
ftehen wollen, wenn fie ihn gleich auf der erſten Seite igrer 
Erwiderung als Policeidenuncianten binftellen, wegen einiger 
— Fragezeichen, die im Eingang zu den Sonetten ſtehen⸗ 
Weiter ſchieben fie Denen, die ihre febr feparitiftifchen Anſichten 
über Religion nicht theilen, frifhweg eine „Furcht vor Gotteß- 
zorn“, eine „Höllenangft” unter und find auf diefe Art Leicht 
und ſchnell mit ihnen fertig. Smwar ſoll das „Bühne Zeugen’ 
mit der „‚nadten Bernunft” des „Geiſtes Milde” zur Felt 


- bringen; auch fol des „Herzens reine Lohe” das „entgötterte 


Gefilde verfiären. Und wirklich ſcheinen die beiden Herren fo 
higig, daß fie eine ſtarke Übervölferung mit jungen Göttern, 
Arnold und Karl, Hays und Kunz mit Rarren, bejorgen laffen. 
Aber in diefem hohen Zone gebt es nicht weiter; ed kommen 
vielmehr in ziemlich trivialer Weiſe Herfönlichkeiten zum Vor⸗ 
ihein, die das große Yublicum fihlechthin nicht intereffiren. 
In Yrofa wurde ber Streit, nicht durchweg auf ſehr erquid- 
liche Art, in der „Reuen Züricher Zeitung‘ und in einigen 
züricher Kocalblättern fortgefegt, biß nun eine zweite aufs Vier: 
fache bermebrie Ausgabe der erwähnten Sonette erfchienen ift, 
unter dem Titel: 


Fliegendes Blatt von einem Verfchollenen (Züri 1846). 
Es führt folgendes Motto: 
u „Schimpf und Glimpf“ möcht” ih ein Wort euch fagen, , 

Ihr Alle, bie aus unferd® Hauſes Jammer, 

Zumal aus feiner engen, hohen Kammer 

‚Den Bd empor zur freien Kirche tragen. 


Mehre Sonette behandeln das Thema ders negativen Phi⸗ 
loſophie einläßlicher , indern fie ſich an Hegel, Feuerbach, Strauß: 
und Bruno Bauer wenden. Das den beiden Letztern als 
Kritikern gewidmete Sonstt enthält den fihönen Ber: 

Doch jraes Bild, dad wir im Weite teagen 
Bon einem Denfhenfohn. ber, rein von Shüden, 
Durch Dpferte) ber Eiche Reich will gehuben “=: 
Das hat bein Kritikus and Kreuz gefchlaget. 


In einem andern Sonett „An feinen abgefchiebenen Le 
bendigen” legt der Verf. fein Glaubensbekenniniß ab in fol⸗ 
genden Worten: 

Die Menſchheit iſt ein Monſch; die einz'len Glieder 

Schied Ichſucht, eint die Freie Liebe wieder: 
Das ift der einzig echte Humanibmus. 

Das ik die Demuth mit dem folgen Doffen, 
Der Freien Staube, dem der Himmel offen; 

Des IR — mein Gommunidmus und Theismus. 


Bird Herwegh Netü on nehmen? Wird er nick 
endlich auch einmal, fei feine Überzeugung welche fie wolle, eit- 
Wort mitfprechen in einer Beit, die weit tiefer und vie 
bewegt P als jene, in der er fi den Namen de „Zebertdigen‘‘. 


beilegte 
Die Zee, daß nut bie Ucbe die wahre Befreierin ifl, file 
det Kb im det —* Hälfte dus 22. Frese ſehr w g und. 


poetiſch ausgedruͤckt: 


0 416 


Des. Beif tritt aus bes Bauberfelafes Grotte, 

.- Bu fühnen Ginem Bott die freien Mannen. 
So muß der freie Glaube fi bewähren, 
An deutfchen hapentfündigten Altären 
An Liebes⸗That fih und das Wolk verkiären! 
Pur wenn der Lest’ und Erſt' am Heimatherde 
In Krubderlieb' emporglüh'n, mag fein „Werbe 
Lit” firömen durch bie Truͤbſal diefer Erbe. 


Das Sonett „Die deutfche Kirche” hat zum Motto bie 
Worte Welcker's: „Der Geift Gottes bat die deutſche Nation 
gewürdigt, die Religiondeinheit durchzufuͤhren.“ 
Dies wird neuerdings der deutſchen Nation etwas ſchwer 

emacht. Was indeß einmal einen großen Theil eines Volkes 
er ergriffen, was einmal ein Beitbeburfniß geworden, das kann 
war guruͤckgewieſen, aber durch Berweigern nicht bauernd zum 
Shreigen gebracht werden. 

Der Verf. der Sonette ficht in feinem prophetiſchen 
Geiſte die „deutfche Kirche“: 
Sie nabt fih! dͤmmernd kaum dem Auge Freier —, 

Unfihtbar —, doch es rauſchen die Gewande: 
"Und in Geſpenſterfurcht erbleibt die Bande 

Der frommen Heuchler wie ber frechen Schreier. 


Dody vor des Deutſchen Blick gerrinnt der Schleier, 
Und, glühend no. von blinden Hafſes Brande, 
Reit er die Hand dem Bruder bar zum Pfande, 
Das ift der Freien beutfhe Kirhenfeier! 

Sie aber fleigt empor auf Adlerſchwingenz 
Bor ihrem unfibtbaren Ghore dringen 
Und unbekannt⸗bekannte Grüß’ hemieder: 


Daß find die Deren, fo in frühern Tagen 
Kür Gott und Heimat liebevoll gefhlagen! 
— Und um bad Haupt verfammeln ſich die Blieder. 


Die ernften Poeſien des Dichters, wie aus biefen 

hervorgeht, find edel gehalten und es ſpricht fi darin eine 
* tüchtige wahre Überzeugung in fhöner und Präftiger Sprache 
aus; fein Humor Dagegen ift weniger wohlthuend. Obwol in 
eine reine Korm gekleidet, kommen doch mitunter gar feltfame 
Ausbrücde vor, er hat häufig etwas Barodes, etwas ſcheinbar 
Sefuchtes und hierdurch Unflares. Doc) hat er auch fehr glüd- 
lihe Wortbildungen, wie & B. die Bezeichnung der Nihiliften 
als „Ihel”, da die Confequenz ihrer Lehre trotz aller 
gegentheiligen Betheuerungen .von ihrer Seite am - Ende 
denn Doch auf einen flarren und Palten Egoismus auslau⸗ 
fen würde. - ' 

Der Berf. hat fi) bewogen gefunden, erläuternde und 
das Thema ber Gonette weiter ausführende Anmerkungen bei. 
zufügen. Diefe Profa enthält manche cingelne Schönheiten, 
manches Geiſtvolle und Witzige; leidet aber faft noch mehr wie 
die Sonette an dem erwähnten Fehler der Unklarheit, fodaß 
es Roth thäte, zu dieſen Anmerkungen wieber Anmerkungen 
u madhen. Unangenehm fällt die abermalige Erwiderung gegen 
die oben angeführten Lorberblätter von Ruge und Heinzen 
auf. Die darin enthaltenen Angriffe hatte der Verf. ſchon 
früher in der „Reuen Züricher Zeitung’ in ben gehörigen 
Schatten geftellti dennoch Fnüpft er weiter dagegen in feinen 
Sonetten und zum Dritten in den Anmerkungen. Das ift ja 
jenen dürren „Blättern” weit mehr Bedeutung beigelegt als 
fie verdienen. ' . 

Höchft merkwürdig ift eine mitgetheilte Außerung Fichte‘, 
die aud) eine prophetifche Bedeutung hatte, aus deſſen „Grund: 
aüge des aegenwärtigen Zeitalters”, aus dem Jahr 1805: „Die 
Grundmarime diefes Beitalters ift durchaus nichts gelten 
zu laffen als Das was e8 begreift; der Punkt auf den 
es fußet ift ſonach der Begriff. Auch ift ſchon gezeigt worden, 
daß es fo lange noch nicht eigentlich Epoche made und ſich 
als eine befondere geit hinftelle, fo lange es noch dunkel 


toben 


nach jener Maxime verfährt: fondern daß es erfi dann wahr⸗ 
baft erfaßt werden koͤnne, wenn es fi in fich felber in jener 
Maxime Mar wird und fi begreift und ſich als das Höchſte 
hinſtellt. Dieſes Zeitalter ift Demnach in feinem eigentlichen 
und abgeſonderten Daſein Begriff des Begriffe, 
und trägt die Form der Wiſſenſchaft; freili nur bie 
leere Form, da ihm Dasienige, wodurch allein die Willen: 
ſchaft einen Geh alt bekommt, die Idee, gänzlich abgeht.“ 
Ja, ein Körper ohne Seele, eine leere Form ohne In⸗ 
balt iſt ein Volk ohne Idee, die es beicbend, erwärmend, er: 
hebend und begeifternd durchdringt. Die Idee fuchen die Einen 
in der fogenannten Befreiung von Gott, die Andern in ber 
Freiheit mit Gott, und bdiefer Punkt ift unter den Männern 
des Fortſchritts ſchon länger ein Gegenftand des Streits, dem 
die neue Zeit mit ihrer religidfen Aufregung mehr Ausdehnung 
gegeben hat. Er wird weder durch die befprodyenen @onefte 
und noch viel weniger dur Epigramme a ia Ruge und Bein: 
zen audgefochten werden; aber hoffentlich noch zu ernften wii: 
fenfchaftliden Crörterungen Gelegenheit geben. Doch wäre 
alsdann zu wünfchen, daß ſolche Fragen, an denen das Volk 
felbft mit Kopf und Herz fo lebendigen Antheil nimmt, endlich 
einmal in einer auch fur Richtphiloſophen verfiändiidhen und 
gleichwol gründlichen Weile erörtert würbens nicht in der ber- 
gebrachten Schulfprache, in der bie Philofophen nur imaner 
wieder für Philoſophen zu fchreiben pflegen. Zft gleich diefe 
Aufgabe fchwierig, fo iſt fie Doch nicht unlößbar, und gewiß 
bleibt ed eins der dringenbften Bedürfniffe der Reuzeit, dag 
jene von der Schulphiloſophie gefästen religiöfen Bweifel, die 
einer freudigen ſocialen und politiſchen Entwickelung fo vielfach 
bemmend im Wege ſtehen, endlich durch eine populaire Phi⸗ 
loſophie auf anthropologiſcher Grundlage zerſtreut und 
befeitigt werden. 9. 





Literarifche Notizen aus England. 


Gedichte von Thomas Hood. 

Eine mit neuen Zugaben bereicherte Gammlung von des 
verftorbenen Ihomas Hood „„Poems” (London 1349) beweift 
fhon in den vorliegenden zwei Banden — ein dritter geban- 
fenvollern Inhalte, „‚composed of the more thoughtful pieces 
in his poems of wit and humour”, wird in Ausficht geftellt —, 
daß er beträchtlich mehr war ald wofür er im Allgemeinen 
gilt, mehr als der belachte MWortipielfabrifant und Humoriſt, 
Erzähler luftiger Schwänfe und Erfinder witziger mots. Ein 
Gedicht mit der freilich fonderbaren Überfchri „Song of the 
shirt” reiht vollkommen aus, diefe Meinung zu berichtigen 
und den Verf. zu einem Dichter wenigftend zweiten Ranges zu 
ſtempeln. Er felbft bat die legte Hand an die Sammlung ge⸗ 
legt und zwei Stangen: „Karewell life!’ und „Welcome Ira”, 
bezeichnen feinen Abfchied von diefem und feinen Eingang zu 
jenem Leben. . 








— 


Balladenpoefie. 


„Ballad romanoes”, von R. H. Horne, Berf. von „Orion“, 
„Cosmo de’ Medici‘ ıc. (Zondon 1845), find im Allgemeinen 
nur zu loben. inige gewinnen noch befonbers buch ihren 
Anſchluß an heutige. Zagesfragen. So die erfte, „Das edle 
Herz", eine boͤhmiſche Legende voll romantifchem Interefle, in 
welcher der Dichter die Thorheit und das Berächtliche des Duells 
fo klar vor Yugen ftellt, daß Jeder es fehen muß, wenn auch 
Keiner deshalb eine Ausfoderung zurückweiſen wird. - &o die 
zweite, „Der Mönch aud der Schweinskopf⸗Abtei““, Die richtie 
g heißen würde, was fie iſt, eine Romanze. aus der Zeit der 

etreibegefege, und die durch das traurige Ende des Könige Jo⸗ 
bann von England den Fluch zu belegen fucht, welchem Die⸗ 
jenigen verfallen, in beren Macht es ſteht, dem Volke wohl: 
feiles Brot zu geben, und es nicht thun. i 16. 


VBerantwortliber Herausgeber: Heiuri Wrodfans. — Divd und Berlag von $. =. Brockhans in Leipzig. 


2 


% 


Blatter 


j für 


literarifde 


Unterhaltung, 











Religiöfe Tendenzromane. 
(Bontfegung aus Rx. 104.) 
I. „Der ewige Jude“ von Eugen Sue. 


In⸗ 
dem wir dieſen viel beſprochenen Roman an bie Spitze 
flelien, verweifen wir auf Das, was oben über ben 
erirchlich⸗ religiöfen Charakter Frankreichs gejagt worden 


iſt. Es findet in ihm eine vollkommene Beſtaͤtigung. 
Inferweit naͤmlich der „Ewige Jude“ der religiöfen Ten⸗ 
denzromanliteratur angehört, Tämpft er nicht gegen Ideen, 
fondern gegen Inftitutionen. Bas Quinet und Miche⸗ 
tet in philofophifchen Abhandlungen fhaten, das Fhut 
Gugen Sue dur den „Emigen Juden“ in ber Zorm 


des Remand. Der Iefuitiömus ift ber Gegenſtand fei- 


ner Polemik geworben, der Mittelpunkt des überaus 
leſen Gwid. — | 

Es jft diefer Roman der Gegenſtand ber größten 
Aufmerkfamkeit und der verfchiedenartigfien Betrachtun- 
gen geworden. Das Feuilleton ber „„Constitutionnel” war, 
ats er zuerſt erfehlen, formlich in Belagerungszuftand 
erklaͤrt, die Überfeger drängten fih um die naffen Bo⸗ 
gen. Man begann zu leſen und war einigermaßen be- 
ürzt. Die Racht und der Schnee des Nordpols, das 
myflifche Kreuz, der gefpenflige Wanderer und enblich 


der Thierbändiger Morok, diefe feheußlich-wilde Natur, 


bad waren Erſcheinungen, wie man fie nicht erwartet 
hatte. Dennoch ließ man fi micht flören, man folgte 
dem Autor getroſt durch feine Verſchlingungen und Ip- 
fen Bruppen,. man wurde Hier und da gefpamm, um 
wieder abgefpannt zu werben, es rollten ſich bie interef: 
fanteften and piquanteften Gemälde auf in weiter Breite, 
um fi dann plöglidh wieder zuſammenzuziehen und fich 
In gefuchten Kataftrophen zu vernichten. Es wurbe in 
dieſem Romane Bein Mittel ber Raffinerie gefpart, tm 
feinen Einband zu fleigern, e6 wurde die Romantik mit 
dem Gerialidmus, ber Kampf gegen den Jeſuitismus 
mit den Sympathien für das Proletariat perbunden, 
um etwas nie Dagewefenes zu Hefern, es wurden Cha⸗ 
vattere, Gruppen gemalt, al fresco und em detail, wie 
Be nur aus dem ewig gährenden Krater der franzöfifchen 
Hauptſtadt hervortauchen koͤnnen und, nachdem warn fich 
Man duech bie Zahl der Sande bis zum Scluffe duch: 

gearbeitet dat, welchen Eindruck matht der, Ewige Jude 











als Ganzes? Dieſe Frage wird und wol zuerſt beſchaͤf⸗ 
tigen miürffen. 

Man kann fi, indem man diefe Frage aufwirft, 
fhon auf das unbefangene Gefühl der Leſer verkaffen 
und braucht durchaus nicht in die aͤſthetiſchen Ruſtkam⸗ 
mern zu dringen, um dort Maßſtaͤbe zu ſuchen. Der 
„Ewige Jude“ bat bie Form des Romans durchbrochen, 
er hat fie durchbrechen möüflen, indem er ein Ausdruck 
ber fiebernden Bewegungen unferer Gegenmwatt werden 
wollte, aber er tft ein Ehaos geworden, auf bem bie 
Lichter und Irrlichter ſchwanken, ein Chaos, welches die 
Auswürfe einer alten Welt unb die Unfäge einer 
jungen Zukunft durcheinander fihüttelt. Sue ift bei der 
Entwickelung feines „ESwigen Juden” nit von reinen, 
fichern ertiven, fondern vom bloßen Zufall geleitet 
worden, er ift nicht Meifter des Stoffs geblieben, fon- 
bern der Stoff tft über den Autor empor gewachſen und 
hat biefem gegenüber eine furchtbar brohende Miene an- 
genommen, ber Autor wird von feinem Gtoffe gepeinigt 
und gehegt unb greift zulegt nach den allergewöhnlich⸗ 
ften Mitteln, um ſich aus der Affaire zu ziehen. Darin, 
bag Eugen Sue feinen — nicht von Anfang an 
ſicher beherrſcht, liegt eine der Hauptſchwaͤchen bes „Ewi⸗ 
gen Juden“ und trotz der fthönen, gelungenen Einzelhei⸗ 
ten, ber mit Glück verfochtenen Tendenzen, ber interef- 
fanten Chataktere und der piquauten Sitwationen wird 
doch wol den meiften Lefern bei ber Recture des „Emigen 
Auden“ engefibe fo zu Muthe werden ale ob fie 6 
auf einem Schiffe befinden, welches mit vollen Segeln 
den Drean durchpeitfcht, während ſich Planke auf Planke 
Löft und es bem firhern Untergange entgegeneilt. Die 
Anlage der Yabel Tiefer: von vornherein den Beweis, 
daß Eugen Sue es mehr auf Einzeleindrücke ale auf 
einen Totaleindruck abgefehen hatte, denn er zerſpillt 
fen Material im ebenſo yiel Romane ats er Erbfchafts⸗ 
beredjtigte an dem nepont’fcyen Rachlaſſe aufftelit 
und fucht feine Stärke in den Schickſalen ber einzelnen 
Menmeponts zu beweifen, um fie dann enblih, nach ei⸗ 
nem reihen Situationswechſel, in einer Auflöſung zu 


vereinigen, bie gewiß wicht anders fs bürflig und ale 
—— — zu den großen Apſtrengungen genannt 
werben kann, bie für fie gemacht werden Fb wilden 


diefe fieben Romane bat Eugen Sue den Jeſuitiemus 


[0 


418 


in feinen Operationen geftellt, unter denen alle Mitglie- 
der der Nennepont'ſchen Familie leiden müffen und durch 
die fie vernichtet werben. Der Jeſuitismus iſt der ei⸗ 
gentliche Zufammenhang ded „Ewigen Juden‘, benn bie 
Seftalt des ewigen Juden felbft, diefer phantaflifche 
Spuk, kann kaum in Betracht kommen und iſt eine 
‚ziemlich .ummefentliche Beigabe bed romantifchen Gelüftes. 
Allein Eugen Sue hat ihn an die Spige feines Werks 
geſtellt, und ei legt ihm dadurch eine Bebeutung bei, 
die im Vergleich zur Entwidelung des wirklichen In⸗ 
halts durchaus unwahr und übertrieben iſt. Sue ſchil⸗ 


dert feine Wanderungen mit einem romantifirenden Wohl: 


gefallen, in welchen wir einen directen Widerfpruch zu 
den focialiftifch » praftifchen Problemen, welche der Ro: 
man auffiellt, erfennen. 

Wenn der Roman aber ſowol in Franfrei als in 
Deutfchland fi) bisher darin feine Aufgabe geftelit 
hatte, die Mannichfaltigkeit des menfhlichen Lebens in 
den verfchiebeniten Schattirungen barzuftellen, jo kann 
man wohl fogen, daß Eugen Sue dem Romane eine 
ganz neue Seite abgewonnen hat, indem er den Stoff 
deffelben durch die Unterfuhung der generellen Phäno⸗ 
mene unfers focialen Lebens zu erfüllen fucht, indem er 
darauf ausgeht, bie allgemeinen Gefege deffelben darzu⸗ 
ftellen und die Berwidelungen und Verworrenheiten defr 
felben zur poetifchen Anſchauung zu bringen. Cr bat 
es verfucht der Poeſie ein neues Feld zu erobern, unb 
wenn es ihm nicht im Ganzen, fondern nur noch im 
Einzelnen gelingt, die Fülle des Lebens und die Gefege 
deffelben auszubrüden, wenn er über den Mechanismus 
der flofflichen Behandlung nicht durchweg zum Organis- 
mus der Lebenswahrheit gelangen fan, fo mag das 
Alles den neuen großartigen Motiven gegenüber, welche 
er in den Kreis bes Romans einführt, fihon eine Ent: 
fhuldigung finden können. _ 

Vorgearbeitet ift ihm allerdings morden, ber fo- 
cial » philofophifhe Geift der Gegenwart offenbart 
fi) nit Einem von oben ‚herab, fondern er ent- 
widelt fih nad allgemeinen Gefegen im Leben. So 
bat denn auch Eugen Sue nur auf einem Boden 
fortgearbeitet, der fehon angelegt war. ‚Unzählige Schrift 
fteller vor ihm haben es verfucht die Lächerlichkeit ihrer 
Zeit, die Unnatur bürgerlicher Zuftände in dem Rahmen 
eines Romans barzuftellen und zu geifeln, dies that im 
Frankreich ebenfo gut Rabelais in feinem „Garganfua” 
und „Pantagruel” wie in Deutichland der „Eulenfpiegel” ; 
aber wie ſich auch die Zuftände des Lebens, und unter 
ihrem Einfluffe die Dimenfionen des Nomans entwidel- 
ten, immer blieb man trog der genialen Schlaglichter 
bier und da vielmehr im Kreife eines . generalifirten 
Sittengemäldes ftehen ald daß man es zu dem Stand- 
punfte und zu der Anwendung einer focialen Kritik 
: hätte bringen konnen. Aus dem Kreife ber focialen 
Kritik laͤßt Eugen Sue fih allerdings auch gern im 
ein romanhaftes Utopien verloden und er fließt fih 
bier gewiffermaßen Vorbildern an wie fie von Thomas 
Morus, Harringten, Campanella, Cabet u. A. in Werken 


gegeben find, die „Utopien’ oder „Deeana“ ober die Son⸗ 
nenftadt” oder „Ikarien“ u. f. w. genannt wurden; es va⸗ 
einigt fi in ihm mit dem Drange nad) focialer 

auch ein Drang nad) focialer Romantik und es ſchwan⸗ 
ken verwirrte romantifche Lichter über feine Grundprin⸗ 
cipien; aber immer treten uns bie Zuflände des Lebens, 
wo er ſich nicht im Allgemeinen ‚verliert, fondern in den 
Einzelheiten die Bedingungen, die Gefege, die Vorur⸗ 
theile des Lebens nachweift, in einer Fülle und in einer 
Wahrheit, welche fich freilich ſelbſt auf Koften der Poeſie 
geltend macht, entgegen, wie wir fie nicht leicht anders⸗ 
wo .und am wenigften in ber deutfchen Romanliteratur 
bis auf die neuefte Zeit gefunden haben. 

So ift es denn nicht die Romantik, fondern der fo- 
cial»philofophifche Geiſt, in dem wir die Kraft der neue- 
fin Werte Eugen Sue's fuchen und diefer fodal-philo- 
fophifche Geift, durch den er’für die ganze Romanlite- 
ratur von Bedeutung geworden, tritt uns meniger in 
der Allgemeinheit und Unbeftimmiheit einer Theorie, im . 
philofophifhen Conjecturen und Declamationen als da 
entgegen, wo er in die ungeheure Tiefe der parifer 
Welt Hineingreift und an den Geftalten, welche duch fie 
geboren und entwidelt worden find, einen Thermometer 
der allgemeinen Zuftände liefert, wo gefchloffene Situa- 
tionen, concrete Erfcheinungen, nicht duch ein abftracte® 


Raiſonnement, fondern dur ihre eigenthümliche Ent- 


widelung, duch ihr Dafein den Nachweis über gefell- 
ſchaftliche Verhältniffe liefern. Durch feine Gewalt über 
die concrete Welt kann Eugen Sue für feinen „Ewigen 
Juden” eine größere Bedeutung in Anfprucd nehmen 
ale man fie fonft Fiterarifchen Phantaſieſtücken ju vindi- 
ciren pflegt. 

Der Iefuitismus ift der Mittelpunkt des „Ewigen 
Juden“, er verbindet das lofe Gewebe der verfchiedenen 
Gabeln. Der Jefuitismus ift der Gegenftand feiner 
Polemik, aber nicht ein ausfchließliher. Wir glauben, 
ed bieße die Bemühung Eugen Sue's zu: eng faffen, 
wenn man behaupten wollte, er habe mit feinem „Emi« 
gen Juden” feine andere Abficht gehabt al® darauf ei- 
nen Antrag auf die Aufhebung des Sefuitenordens zu 
begründen. Seine Kritit geht weit über das religiöfe 
Gebiet hinaus, fo tief fie auch in baffelbe einfchneidet. 
Der „Emige Jude” ift deshalb mehr als ein religiöfer 
Zendenzroman, er gehört deshalb der Sphäre des foria- 
len Romans an, welche wir oben bezeichnet haben. Der 
Kampf gegen den Jefuitismus und feine Suftitutionen 
ift nur ein verbindendes Moment in dem Ganzen. Der 
Jeſuitismus iſt für Eugen Sue mehr eine Gelegenheit 
als ein Zweck geweſen und man fann es nicht leugnen, 
daß er die Gelegenheit mit einer furchtbaren Energie ge⸗ 
gen denjelben benugt hat. 0 

Der Zefuitismus hat zu einer eigenen Romantik 
Beranlaffung gegeben. Seine Macht, das gcheimnif- 
volle Dunkel, in dem er ſich bewegt, fein Grundfag 
„ber Zweck heilige die Mittel”, feine Geſchichte haben 
fowol Hiſtoriker als Romanfchreiber verwirrt gemacht. 
Trotz der Dinneigung zum Romanticismus, welde Eu⸗ 





49, Ä | 


. gen Sue auch noch in feinen neueften Werten zu er- 


fennen gibt, muß man body zugeben, daß er, mas den 


Jeſuitismus anlangt, die. Romantik bis auf Weniges 
ganz aus dem Spiele gelaffen und an ihre Stelle bie 
Wahrheit gefept Hat. Nicht die. Wirklichkeit, aber die 
Wahrheit, deren Bewußtfein er in einem Nachworte 
folgendermaßen ausdrüdt: | 

Wir haben Mitglieder der Geſellſchaft Jeſu angenommen, 
welche von den derabfcheuungswürdigen Grundfägen ihrer claſ⸗ 
fifchen Theologen befeelt waren und dem Geift und Buchftaben 
jener verworfenen Bücher, die ihr Katechismus, ihr erſtes 
Hülfsbud find, gemäß handelten, mit einem Worte, wir ba» 
ben diefe nichtöwürdigen Lehren in Bewegung, in Anſchau⸗ 
lichkeit, in Kleifh und Knochen gebracht, nichts mehr — nichts 


weniger. 
" (Die Bortfetung folgt.) 





Das hohe Lied. Bon Titus Ulrid. Berlin, Butt: 
tfammer. 1845. 8 1 Zhlr. 15 Nor. 


Man erinnert fich der frühern Auslegung des „Hohenlie⸗ 
des’ , nach welcher daſſelbe Hymnen enthalten jollte, in denen 
Chriftus und feine Kirche gefeiert würden. Man erinnert fi) 
ferner des vor einigen Jahren erjchienenen Buchs von Feuer⸗ 
bach „Das Wefen des Chriſtenthums“, in welchem feine Wi: 
Berfacher Selbftvergötterung Des Menſchen gelehrt jehen zu bür: 
fen glaubten. Der Verf. des vorliegenden Gedicht thut jenen 
Widerfahern den Gefallen, aus dieſem Eultus vollen bittern 
Ernft zu machen. Daher der Zitel deffelben. Man bezeichnet 
es vielleicht am richtigften als cine Santate zur Feier des Gott: 
Menfchen, denn die fünf Theile, aus denen es befteht, find aus 
. mehr oder weniger bymnenartigen GErgüffen zufammengefept, 
die don recitativifihen Partien ın reimlofen Verfen unterbro 
chen werden. Wir geben fo gut es ſich thun läßt eine Über: 
fiht des Inhalts, wobei wir den Dichter an den wichtigften 
Stellen felbft reden laflen. ' 

Der erfte Theil, gleichfam die Duverture, denn er fpricht 
ſchon das Ganze aus, beginnt mit einer Schilderung des Auf: 
gange der Sonne, unter welcher die Freiheit zu verfiehen it. 
- Der Sänger glüht, fühlt — was? — Du fühlit es ewig nidt, 
der in den Banden des Glaubens oder politifcher Knechtichaft 
fhmadtet — „die Macht des Seins, unendlichen Sein Ent: 
zuden’. Die ganze Natur ift Herold feines Wonnedranges; 
er ergreift dad AU als feiner eigenen Seele Fülle und fühlt 
ſich gleich dem Kreife eines Magier um daflelbe gefchlungen. 

Vermagſt du zu erfaffen ſolches Sein 
Mit Allem, was es birgt im Grunde, 

Was es erſchafft, echaben, rein, 

Bon dauernder Natur, in Einer Stunde, 

Wo vor dem Licht, das deine Schläf’ umgluͤht, 
Nacht, Gram und Raͤthſelqual entfließt: 
Dann, dann wirſt du dich voll erkennen — 
Dich ſelber ewig — Bott — und Alles nennen! 

Zweiter Theil. Es werde Licht — der Erinnerung: die 
innere Geſchichte des Saͤngers geht an ihm vorüber. I. Die 
Kindheit. Unfchuldige Freuden: der ſchoͤnen Jahreszeit, der Hoff: 
nung auf das Weihnachtefefl. Dem Knaben wird gefagt, wenn 
es das Chriſtkindlein erblide, jeid um die Gaben geichehen. 
Er Iugt dennoch dur das Schluͤſſelloch: 

. Du alfo, lieb Müfterchen mein, 
Du alfo biſt Ehriſttindelein. 


N, Die Schule. Wo vordem Monche hauſten, mit Einer 
Hoffnung nur, aufs Grab, ift ein glühendes junges Herz ein- 
gefhloffen. Sehnſucht in die Ferne. Entbehren und Entjagen. 
Aber nähren nicht die Meifter ſelbſt, die dies anempfehlen, un: 
fer Herz mit hohen Idealen? 


Ihr preifet Muth; ihr kroͤnt das Selbilvertrauen, 
Ihr ließt der Vorzeit Helbengroͤße ſchauen, 
Und wenn ich frei dann traͤumt' mich zu ergeh'n, 
Da bieß es gleich: „Lern' erſt auf unferm Boden fieh’n!” 
II. Abgang auf die Univerfität. In ernftem Brüten be 
geht der Sänger das Abfchiedsgelage, genedt von den lärmen- 
den Freunden, von Alltagsart, nicht lange gewählt, ganz wie 


fie Zufall fchart, unferer Iugend Genoffen zu werden. In. 


nächtlicher Einfamkeit wird ihm ein bedeutungdvolles Dmen. 


“IV. Ankunft in der großen Stadt. @r fühlt fi lan von 


der. Menge verfchlungen. Mastenfaal und Schaubühne eröff: 
nen fi) dem Staunenden, doch fein Biel iſt Erfenntniß. 

Was bin ib, was der Hauch der in mir weht! 

Der zitternd bangt, ob er auch fortbefteht. 


‚v. Bünf Iahrtaufende blicken hohnlachend auf-den For⸗ 

Di herab, der fi) dem Kinderglauben entriffen. Die "Kaufte 
überer Zeiten citirten Geifter, unfer Sänger befchwört ben 

eigenen Geift allein. VI. Vergebens. Die Geſchichte bietet 
nur eine Wiederholung des Menſchengeſchicks, das Zeder in fi 
felbft erfahren. Und von der Natur gewinnen wir nur Gr: 
fheinung und Oberfläche, „und jene traurig bitt’re Lehre, daß 
fi ein Stäubhen winzig und vergeffen mit unferer Wid- 
tigkeit im Weltenraum kann meflen.” Nun aber Philoſophie. 
Der Sänger folgt dem Meiſter auf des Berges Spitze 

Was fah ih mehr? — den Himmel über mir, hoch traun! 

Wie font — unb ob des Horizontes Kreis 

Erweitert au), dod Alles wie zerfloffen 

Im Grau des Nebeld, den die Fern’ ergoffen! 

Und ſeltſamlich, was Diefer Wahrheit rühmt, das ſchien, 

Dem Andern blinden Wahnes Müh’n. 

Ich hörte Worte, wunderſcharf gefpalten, 

Getrennt, gebreht, entgegen jest gehalten, 

Zum Bund vereint dann wieder nun. 

Verſtand ih euch? Wars mehr als and’rer Klang und Name, 

Wenn ihr vermeint, erfaßt nun tiefer fet, 

Und fo gelöft der Dinge Grund und Same? 

Ihr fliegt fo geifterhaft vorbei 

Din über eurer Worte luft’'ge Bräden — 

Ich aber möchte mit Entzuͤcken ' 

Nur Leben, Leben an den Bufen brüden. 

Alfo weg mit den Fee VI. Am Bett des Sterben» 
den. Die Verwandten, einfache Landleute, tröften ſich mit re 
ligiöfen Betracht 
wünfcht fich ein Schwert, es der Ratur auf die Bruft zu ſetzen, 
daß fie erzittere und ihm ihre Geheimniß offenbarc. Ba der 
Menſch ift ohnmächtig. 

'S lohnt mehr vlelleicht d’rrum, wie fie flutet eben, 
Des Bluted Strömung frei fih hinzugeben, 
Friſch zu geniehen weg ein Lufl’ged Leben. 


n; ber Gänger kann nicht glauben. VII. Er. 


IX. Liebe, die Doch die Frage nicht beantwortet nach dem , 


Beheimniß des Dafeins. 
Wozu, mein Lieb, der Balſamhauch, 
Des Morgens frifhe Würze, 
Dad Tropfgefunkel hell am Strauch, 
Des Waldbachs Silberſtuͤrze? 
Aus Nebeln taucht dad Wieſengrün, 
Die Sonne aͤugelt nieber, 
Es fummt und furrt und d’rüber zieh'n 
Der Lerche Ätherlieder. 
Wozu, wenn wir ſterben, ſterben müffen 
Und von au dem Zauber nichts mehr wiffen?! 
Wozu der Trieb, der forfht und finnt, 
Und über Trümmern brütet, 
Und jeden Schaf, den er gewinnt, 
"Mit emf'ger Sorge huͤtet? 
Wozu des Geißes flolzer Ilug 
Nach aller Schöpfung Ferne, 


‚ bie Welt ſchoͤn w 


nn 


Zief unter und ber Wollen Zug 
Und über und bie Sterne? 
Beyu ic. 
” MBeoyu bed Herzend Sturmeöltlag, 
Der Siehe füp Werlangen, 
Bis eiaſt enttaucht bes fhönfte Tag 
Dem Purpus ſchaͤm ger Mangen? 
Died heiße Ringen ohne Streit, 
Died Traͤumen ohne Schlummer. 
Died Beben ohne Baugigkeit, 
Died Weinen abe Kummer ? 
nr Bazyı x. 
X, „Aein Erdenweib mehr, eine Mufe nur.” XI Mu: 
KIT. Witdefler Lebensgenuß. Ball mit lockern Mädchen. 


ar Kirchhofsgedanken. Neue. Betäubung durch neuen 


. „Und wie in fternenlofesr Nacht und ſchw Lost 
ank's Laftend auf mich ein von Dumpfer Schwere!" An. Ber: 
, ſich ins Joch ded Geſchaͤftslebens zu ſpannen. Vernich⸗ 
e Niebrigfeit ber Alltagswelt. Ihre Geſtalten mit Hiob 6 
zaunden verglichen. XIV. Rückkehr zur Ginfamkeit. Die Rar 
fur bat für den Sänger Feine Reize mehr, er ift zu tief in 
fi verfunken. 
Grin ober denken, dab iR biefer Tage 
Gewichtig hooere Hamletsfrage: 
Ob unfer Denken nichts als nur bie Wege, 
Die irre, deven brandende Umarmung 
Der Felſen „Welt““, dies trugig fremde Sein 
Mit Stolz zuruͤckeweiſt? Ob Namen erk 
Den Bauber ſprechen, daß dies Gteffgebilbe 
Das reihe Zormenfpiel der Weſen, trete 
In Wirklichkeit vor unfer Aug' und Dbr, 
Zum wahren, einz’gen Sein geſtempelt fo 
Dur unfre Kraft, Die mit dem Riefennes 
Des Raumes und ber Zeit, mit raſchem Fledhtwerf, 
And braufende Geſtade eilt, zu fangen 
Die Welt, dem. großen LKeviathan, b’rin$ 
g Denten ! 
Erkennen dann! — Ad, was du nennt Erkennen, 
Eindringen Yinter Bormen und Grfheinung 
Mit Formeln, Schluß, auf uͤberird'ſchen Minen (?) 
VDehr fhplen wollen als der Nerv emmpknbet, 
Mehr fagen als ein Inft’ger Laut begeisbnet, 
Das iſt die Luſt, zu fein au jenes Ding, 
Was dein Gebenf’ umſchlingt mit branft'gen Armen, 
Bu fein, was du nicht bift, ein and'res Weſen. - 
Und in dem Andern felber Du zugleich! 


Es lebt in dem Gänge wol noch Die Erinnerung, daß einft 
av, aber wohin ift fie gekommen? 
Ein fgwearger Traum 
Das it der Menfhenfeele Einſamkeit! 
Ein Schreidgefähl, dad plozlich und durchſchauert, 
Wied den mag ypaden 
Und tigerhaft ihm zerfleiſchen ben Naden, 
Der lebendig eingemauert 
Aufrafend in Berzweiflung füreit, — 
Das Braun, dad ih wit meinem Sein, h 
Mit meinem IH im ganzen All bin einfam und allein! 


Langentbehrte geliebte Verwandte befuchen ihn; fie Fönnen ihn 
dem Leben nicht wiedergeben. Empörung! ruft er durchs UL, 
Empörung! Doch Niemand hört ihn. Oder hört ihn ein Gott, 
ein großer Himmelsfultan, der herablugt auf ber Weſen ba- 
bylonifche Spracdgenwirrnißt 
Schlau laͤchelnd, daß mich der Sturm nicht verſteht, 
Und da6 Mess nicht den Sturm, 


Umb bie Mielke dad Were nicht, 
Und ber Berg nicht die Molke, 
Geſchmiedet au’ in ferne Schmerzenbeinfalelt? 
XV. Was weiß ih von dir, von dem die Gage geht, 
daß du ben Menſchen nach deinem Ebenbild erſchaffend 
Oritter She. Requiem. Die ganze Welt iſt dem San⸗ 
ins alte Chaos verfunfen. Barum trifft nicht au ihn 


Bernihtung? „Die Bölker fterben, bie Goͤtter fierben, war 


immer übrig bleibt allein des Meng. 
(Der Buälus folgt.) 





Literarifche Notizen aus Frankreich. 


Die Morisken. 

Die abenteuerlidy:glanzvolle Beit der maurifhen Herrſchaft 
ift in Liedern und Momanen nach alten Richtungen bin aus: 
jebeutet ; an einer in allen Beziehungen befriedigenden wiffen« 
chaftlichen Darſtellung dieſes bunten Lebens fehlt eb aber noch 
immer, obgleich manche einzelne Punkte bereits in befonberm 
Monographien auf eine gediegene und — Beiſe be: 
handelt find. Einen neuen Beitrag zur Geſchichte der Araber 
auf der pyrenaͤiſchen Halbinſel erhalten wir in folgendem Werke 
„Histoire des Mores Mudejares et des Morieques, ou des 
Arabes d’Espagne sous la demination des Ohretiens” von 
Eircourt. Es handelt fi in diefem umfangsreiden Were — 
es umfaßt drei Bände — um die Geſchichte der traurigen, aber 
an intereffanten Epifoden überreichen Kämpfe, welche auf die 
Bernichtung der arabiſchen Rationalität abzielten. Wir wohnen 
bier dem legten Auflodern des maurifhen Beiftes bei. Der 
Sinn der Unabhängigkeit, der fih In den Morisken regte, die 
tiefigen Unftrengungen, durch melde fie, fo lange es gehen 
wollte, ihre Selbfländigleit aufrecht erhatten wollten, und die 
Sutdürftige WButh ihrer Berfolger bieten eine reiche Fuͤlle gu 
einer mannichfaltigen und unterhaltenden BDarfielung. Uber 
die Arbeit Gircourt’s tft nicht bios auf Unterhaltung berechnet, 
fondern kann felbft wiffenfchaftliche Bedeutung in Anfpruch neb- 
men. Wir erhalten eine genügende Zuſammenſtellung Dorzüge 
lich der ſpaniſchen Quellen, weiche um fo dankenswerther tft 
als die fpanifchen Werke, welche bier benupt find, im Allge- 


meinen weniger zugänglich find. 


Zur Gefhichte der Revolutionszeik. 

Die „Histoire parlementaire de la revolution” von Bu: 

Ger und Rour ift vorzüglich dadurch von fo großer Bedeutung, 
daß wir nidyt nur eine Sufammenftellung der wichtigften par⸗ 
Iamentarifhen Verhandlungen, welche ſchon der Zitel verkeißt, 
fondern auch die intereflanteflen Auszüge aus den Seitblättern 
und Flugichriften erhalten, deren Einfiht man fi fonft nur 
ſehr ſchwer würde verfchaffen Fönnen. Freilich muß man da: 
für auch die leidige Sucht ber franzoͤfiſchen Hiſtoriker, Alles 
nach ihrer beſchraͤnkten Parteianficht zu mobeln, mit in den 
Kauf nehmen. Died zeigt fi nicht nur in einer gewiffen Will- 
Pürlichkeit der Auswahl, weiche nach Gutdünken einfchlagende 
Stellen hervorhebt oder ausläßt, fondern ſelbſt in handgreif⸗ 
Wadsmuth 


riſchen und phi Handbücher. Das Berl wird 
" 3 feiner neuen — aus 25 — — 1. 


Derantwortlicher Yrsaußgebe: Heinsid Wrodhans. — Druf und Berlag von F. MC. Mroiipand ia Bripig. 


Blätter 


fr 


literariſche Unterhaltung. 








Religidfe Tendenzromane. 
Tertfigung and Mr. 108.) 

Das Mecht, allgemeine Principlen in Perſoͤnlichbei⸗ 
ten lebendig zu machen, kann dem Dichter nicht ab⸗ 
Speuftig gemacht werben, es iſt eins ſeiner größten Rechte. 
Eugen Sue hat dieſes vielfach vernachlaͤffigte Recht wie- 
der angewendet. Eine Einwendung, ein Redin exiſtire 
nicht, der Jeſultiomus Habe nicht operirt wie Eugen Sue 
Hubert, iſt ohne Erfolg Der Jeſuitiomus kann auf 
der Baſie feiner Srundprincipien unter ähnlichen Berhält- 
niſſen fo operiten, ec kann einen Robin zeugen umb in 
ihm eine Incarnatisn feines Principe feiern. Bodin 
fl, wenn auch feine Wirklichkeit, doch eine Moͤglichkett, 

une poetiſche Wahrheit. Sue bat den Zefuitismus 

nicht romantiſch, fondern pratifch amgegriffen, er hat ihn 
amd fich ſelbſt entwickelt. Er behampter nicht, daß alle 
Jefuiten fo find wie Robin ift, aber er weift nad, daß 


Se fo fein Bönuen. Es befigen wicht ale Jefuiten die Faä— 


bigkeit, den Much, die Nichtswürbigkeit, bie gefährlichen 
Waffen in Gebrauch zu nehmen, welche das finftere 
RNuͤſthaus ihres Ordens enthäh; darum find es nicht 
Perſonen, welche Eugen Sue angreift, fordern Inſti⸗ 
tutionen, es ift der abſcheullche Geiſt der Conſtitution 
der Geſellſchaft Jeſu, es find die Bücher ihrer elaſſiſchen 
Weologen, welden Eugen Sue veeſucht hat einen leben- 
digen Ausdruck zu verleihen. Dies iſt ihm überrafchend 
gelungen. Sein Buch bat gerade ductch dieſe Partie 
das größte GSlück gemacht, obwol wir fie nicht als bie 
feinfte und beſte bezeichnen wollen, denn jebenfalts ſte⸗ 
Gen die Eharaftere, welche Sue ans dem Jeſuitismus 
——* — ae are Iran er durch 
en orbringen läßt. e aftere ind wahr; 
Die Begebenheiten, die Ereiguiffe intlinteen noch immer 
zu Romantif. 
Erinnern wie uns hier un bie Grundlagen des Dra- 
mas. Es zeigt fi ein Kampf, ber zwiſchen dem Je⸗ 
fattenorden, dieſem ſchon darch feine Deamer wie durch 
die Behavrlichkeit feiner Abſichten, die Selbfiverleugmung 
ber Mitglieber bei Wellführung des gemeinſamen Werke 
und daburch, daß er nörhigenfalis alle Beunbfäge, die 
In im Wege Fein wärden, aus ben Augen zu ſehen 
weiß, fo wichtigen Brreint winerfeite und zwifchen Mine 
Familie andererfeits, deren Mitglieder einander zum 


Donnerstag, — Rr. 106, — 





186. April 1946, 





beil frenibbleiben, ſich faft immer vereinzelt vextheibdi⸗· 
gen und, Rats alle ihre Kräfte und ihr ganzes Rach⸗ 
denken auf ben Gegenſtand ihres Screbens zu pereini⸗ 
gen, durch die bei Allen, die im Weltgetümmel leben, 

öhnlichen Leidenſchaften zerſtreut, geſchwaͤcht, getvemmt 

ſtattfindet. Zum Bundesgenoſſen hat Sue ihnen 
allerdiags einen romantiſchen Spuk, chen ben ewigen 
Juden gegeben, aber der zomensifche Spuk ſiegt nicht 
uͤber den praktiſchen Jeſuitismus. Die Anlage dei No⸗ 
mans iſt jedenfalls einfach genug für bie weitlaͤußge 
Ausführung, einfach im Auseinandergehen der einzelnen 
Romane, wenn auch kein organiſches Ganze. Der Zweck 


des Kampfes iſt keine Idee, kein Princip, ſondern der 


Befig einer ungeheuern Erbſchaft, die darch den Ma⸗ 
rinus v. Nemepont ſaͤmmtlichen Mitgliedern ſeines Ge⸗ 
ſchlechts im J. 1682 vermacht wurde. Hr. v. Menme- 
pont war zu ſeiner Zeit ein Opfer des Jeſuitismus ge⸗ 
worden, ex hatte aufgehört Katholik zu fein „comme si 
le catholicisme tout entier lui eüt paru solidaine des 
crimes de cette seciete”, er hatte die Macht der Ver⸗ 
einigung begriffen und wänfchte, daß feine Nachkommen 
Augen von ihr ziehen möchten. Hr. Marius v. Renne⸗ 
pont verfügt Über die von jeinem Vermögen geretteten 
50,000 Zhaler einige Stunden vor feinem Selbſtmorde, 
und zwar fo, baf fie auderthalb Jahrhunderte für Ipd- 
tere (Erben, one daß biele etwas davon willen, verwal⸗ 
tet werben follen, bie in Biefer Zeit auf Zinſen aehäufee 
Maffe fol dann nah Ablauf dieſer Zeit an bie Nach⸗ 
konunen gewiſſer Geitenverwandten bes Hrn. v. Renne⸗ 
pont übergeben werden, und zwar nur an Die, welche 
perfonlich erſcheinen werben, Diefe perfänliche Erſchei⸗ 
nung wird »on dem Erblaffer zur Pflicht gemacht, ba- 
mit Sch feine fpätern Erben, von denen er voramslicht, 
daß fie fih in ben nerfchiebeniten Ständen der menfh- 
lichen Geſellſchaft befinden werben, wo möglich eine Ver- 
einigung bilden. Es Laffen fih von zuxiſtiſcher Seite ge⸗ 
gen bie Möglichkeit eined folgen Teſtaments, unter beu 
gegebenen Umftänden, und von oͤkonomiſchet Geite gegen 
die Möglichkeit der Ausführung ber Vermogensverwal⸗ 
tung ziemlich ſtarke Bedenklichkeiten exheben, aber wir 
wollen darüber hinwegſehen und. nur einen Blick auf 
bie Perſonen werfen, welche ber Dichter im Kampfe 
um Die große Erbſchaft im Bewegrng Yafeht Hat. 


422 


Einige Monate vor dem beflimmten Zermine beſteht 
die Familie Rennepont aus fieben Perſonen, welche der 
Dichter durch alle Stufen der Geſellſchaft vertheilt, um 
eben an ihnen bie Zuftände und Einflüffe diefer Geſell⸗ 
fchaft nachweifen zu können. 

Dbenan das Fräulein Adrienne von Earbonille. Der 
Dieter hat über diefe Erfcheinung ein brennendes, glän« 
zendes Golorit verbreitet. Zum Grunde liegt ihr bie 
Idee des praktifhen Pantheismus, er ibealifirt fich in 
ihrem ganzen Weſen. Sie ift eine Senfitive, die alles 
Unfcärie verabſcheut, ihr Gefühl, ihr Neroenleben iſt 
auf das zartefte organifirt, fie möchte die Schönheit 
zum Heren der Welt machen und über Alles einen 
äfthetifchen Duft verfchwenden. Eugen Sue fucht in der 
Adrienne das Princip des Hellenismus zur Anſchauung 
zu bringen, aber er legt ihr auch eine fittlihe, großar⸗ 
tige Idee unter und ihr Charakter erſcheint uns als eine 
wunderbare Vermiſchung des griechifchen Schoͤnheitsgei⸗ 
ſtes und der chriftlichen Kiebe. In ihrem Verhältniß 
zu dem armen „Knirps” ſiegt das Princip der thätigen 
Menfchentiebe über den Schönheitsgeift, fie, die fi nur 
mit Schönem zu umgeben bemüht ift, überwindet ſich, 
den häßlichen „Knirps” zu ihrer Freundin zu erheben. 
. Heinrich Leo charakterifirt die Adrienne in der „Evan- 
gelifchen Kirchenzeitung” folgendermaßen: 

Sie ift ein Weſen, welches gewaltige politifche Sympathie 


mit den Leiden der armen @laflen Bat (die allerdings auch ein 


fehr dunkles Loch in eine äſthetiſche Faſſung des fittlichen Le⸗ 
bens bohren), das bie Ehe ats eine zu rohe Form und Feſſel 
verachtet, aber dafür beim Anblick des indifthen ya in 
einer Gefühlsregung ſchwellt, die eine ſchon ganz überreife und 
corrumpirte Phantafie vorausſetzt; da diefe Erregung, beim 
rechten medicinifyen Ramen genannt, nur eine gewifle geiftige 
eiederlichkeit ift. 


Er Hält Adrienne für eine „fittlide Caricatur“. 
Wir fönnen uns zu diefem Urteile nur im Gegenfage 
befinden. Sue hat in der Mdrienne das Ideal eince 
Weibes fchaffen wollen, eines Weißes, in dem bie fchöne 


Sinnlichkeit und der Geift füh die Wage halten; fie er: 


fcheint empfänglich für jede gute Gefinnung, ergriffen 
von allem Schönen und Großen, gefühlvoll, aber charak⸗ 
terfeft, finnlich, über ruhig. In ihrer Liebe zu Djalma, 
in dem brünftigen Aufjauchzen einer unverdorbenen Na- 
tur, welche, die ganze Göttlichkeit der Liebe ahnt, Fön- 
nen wir feine „überreizte und corrumpirte Phantafie 
erkennen, meit cher erfcheint uns „Die Marotte felbfige- 
machter, Fünftlicher, anmwidernder Pruderie“, mit der fie 
fi) Djalma gegenüber verhält, bis endlich im Braut- 
und Zobdtenbett der Eultus der Kiebe im Tode gefeiert 
wird, ale ein Makel an dieſer Erfcheinung, als eine 
Unvolftändigkeit diefes font erhabenen, idealifirten Cha- 
rafterd. Mag Adrienne fi gegen Heinrich Leo mit ih- 
ren eigenen Worten vertheidigen: 

Sans doute, je ne vis comme personne, je ne pense 
comme personne; je suis choquee de choses, qui ne cho- 
quent personne; mais qu’est ce que cela prouve? que je 
ne ressemble pas aux autres..... ai-je mauvais cosur ꝰ suis-je 
envieuse, % mes id6es sont bizarres, je l’avoue, mon 


Dieu, je l’avoue, mais enfin, Mengieur Baleinier, vous le 


saveg bien, vous... leur but est genereux, eleve... 


Der Prinz Djalma iſt der Gegenfland ihrer Liebe. 
Es ſcheint ald ob Eugen Sue geglaubt habe, ein Mann, 
im Kreife europäiſcher Kivilifation gebildet, könnte ber 
Liebe feiner Adrienne nicht würdig fein. Sue will in 
feinem Djalma einen Naturgott, einen Bachus, in dem 
ein volles, fpringendes Leben pulfirt, malen. Wir möd- 
ten nicht fagen, daß ihm diefer Charakter allzu fehr ge= 
lungen if. Wie kann eine Adrienne einen Djalma 
vergöttern, ber eben nur als phyſiſche Kraft, als roher 
Edelmuth erſcheint? Hat ihre Liebe nicht viel feinere 
Spigen, verlangt der Eultus ihrer Liche nicht einem 
ganz aubern Tempel als einen folchen, wie er in der 
orientalifhen Welt den Weibern angewiefen iftt_ Zwar 
ſucht Sue den Djalma über die Brutalität feines orien- 
talifhen Stammlandes zu erheben und ihn regiert wer- 
den laffen von ber fehroffen Geradheit allgemeiner In⸗ 
ſtincte, aber nichtöbefloweniger ift es bem Dichter nicht 
gelungen, in dem Djalma eine Geſtalt zu fchaffen, welche 
den Eindrud eines Apollo machen könnte. Leo nennt 
den Dialma einen „ehierifch leidenfchaftlichen Menfchen“. 
Wir treten ihm in diefer Charakterifirung volllommen 
bei. Dialma erfcheint und nur als von Naturtrieben, 
durchaus nicht von einer fittlichen Idee getragen, und es 
iſt zwifchen ihm und einer Adrienne durchaus fein Ber- 
hältniß zu finden. 

Ein anderer Erbe ifi der Kabritbefiger Hardy. Ein 
Mann wit ſtarker Erregbarkeit und einem ausgezeichne⸗ 
ten Kopfe ausgeftattet. : Seine Mutter, fagt Eugen Sue, 
nannte ihn eine Senfitive, eine Organifation von unge: 
meiner Feinheit und Zartheit, ebenfo herzlich, ebenſo 
liebevoll wie edel und großmüthig, aber ebenfo teizbar, 
daß fie fich bei der geringſten Beranlaffung in ſich felbft 


zurückzieht. Ganz abgefehen von der perfünlichen Schil- 


derung Hardy's hat Sue es verfucht, in dem Berhält- 
niffe diefes Mannes zu feinen Zabritarbeitern focialifli« 
he Plane zu entwideln. Die Fabrik Hardy's iſt ein 
focialiftifcher Staat im Kleinen. Gegen ihren Herrn 
und ihr Princip wird ein Berflörungsfampf unternommen, 
den Sue vortrefflich gezeichnet hat. Die Schilderung 
der Hardy'ſchen Fabritanlagen foll den Beweis liefern, 
wie fehr die Durchführung des reinen Affociationsprin- 
cips im Intereffe Aller if. Sue liefert in ihr ein 
Bid, wie es dem Dichter geftattet fein kann, im 
der Wirklichkeit aber würde bdaffelbe im Kampfe gegen 
die Uberwucht der es umlagernden egoiftifchen Intereffen 
immer als eine Illuſion erfcheinen müffen. Freilich ſucht 
Sue auch den Egoismus zu intereffiren, indem er ſich 
nachzuweiſen bemüht, „daß Speculanten zugleich eime 
menfchenfreundliche, edle, fegensreihe Handlung verrich⸗ 
ten und ihre Geld zu fünf Procent anlegen wircben, 
wenn fie fich zur Erichtung von Gemeinhäufeen verflän- 
ben”, aber was beweift Eugen Sue anders in diefem 


Vorſchlage ale daß ihm bie Tiefe ber fodaliflifchen 


Prineipien und Probleme noch volltommen fremd ger 
blieben ifi? 


Eine andere Baupifigur und zugleich -Erbfehafts- 
theifnehmer iſt der Abbe Gabriel. Ein Vertreter des 
romantifch - ibtalifirten Cheiftenthunts, ein Stud Urchri⸗ 
ſtenthum, eine Art Johannes wie er an der Bruft des 
Herrn lag. Uns erfcheint dieſe Geſtalt als vollkommen 
verfehlt. Sue gibt durch fie den Beweis, daß er nicht 
im Stande ift, über die Grenzen der chriſtlichen Welt- 
anſchauung hinauszuſehen, es ift nicht der Menſch, der 
freigeworbene, ſelbſtbewußte Menfch, fondern der gläubige 
Diener einer geoffenbarten Religion, welcher bier in 
Gabriel verhesrlicht wird. Sue wollte der Tücke und 
Nacht des Jeſuitenthums den Glorienſchein eines reinen 
chriſtlichen Priefters entgegenftellen und fo werben benn 
die Grundlagen und Gonfequenzen bes Chriftenthums 
in allgemeine, durchaus unbeflimmte Phraſen verflüch⸗ 
tigt. Wie bei vielen Franzoſen, ſcheint aud bei Eugen 
Sue ein Act von religiöfem Communismus die höchfte 
Rigickeit zu bleiben. Weil Gabriel den reinen Chri- 
ſtenbegriff vepräfentiren fol, muß er ganz nothwendig 

aufhören menfchlich zu fein, fein ganzes Weſen, feine 
ganze Erfcheinung wird denn auch übermenfhlih. Gr 
ift fo übermenfchlich gezeichnet, daß jeder feſt auf feinen 
Füßen ftehende Menſch ſich von einem folchen Chriften- 


thume dispenfiren und bdaffelbe nur als Erankhafte Eral- |. 


tation betrachten wird. Andererſeits aber hat Sue auch 
den übermenfchlicden Standpunkt nicht durchgängig feft- 
halten koͤnnen und der reine chriftliche Priefter läßt ſich 
zuweilen von Motiven bewegen, die nichts weniger ale 
chriſtlich find, läßt fih fogar von einer befondern Eitel- 
keit beherrſchen. Er foll angeblich den höchften geiftigen 
Muth befigen, er fol vor Feiner Aufopferung und vor Feiner 
Erniebrigung zurüdbeben, aber deffenungeachtet fchauert 
er, nachdem er bereits die Einſicht in die jefuitifchen 

NRichtswürdigkeiten gewonnen hat, vor dem Gedanken 
zurück, daß man ihn für eigennüugig halten fonne, wenn 
er das den Jeſuiten gegebene Verſprechen feines Ver⸗ 
mögens wieder zurüdnehmen würde Um alfo nicht bei 
den Schurken als eigennügig zu erfcheinen, vermehrt er 
wiffentlih die Sicherheit und Macht diefer Schurken. 
Durd feine abſtracten Moralismen vermehrt er die 
praktiſche Macht des Schlechten. Ja, der Charakter 
Gabriel’ ift volltommen lebensunfähig und Eugen 
Sue hat in bdiefer Apologie des Chriftenthums, welches 
zugleich eine Aufgebung jedes beftimmten Chriftenthums 
ift, durchaus nichts Anderes als ein Monftrum liefern 
tönnen. 
- ‚(Die Bortfegung folgt.) 


— —— — — 


Das hohe Lied. Von Titus Ullrich. 
( Beſchluß aus Nr. 1%.) 


‚ Bierter Theil. I. Der Sänger befucht feine Heimat. Die 
Crinnerung feiner Iugendfreuben und Iugenbträume macht es 
ihm nur Barer, daß fein Leben ein verfehltes fei. 11. Wald⸗ 
einfamkeit. Wunderbare Ahnungen bewegen den Digter. Iſt 
etwa dee Menſch ein Anderer als er ſcheint? Er er zuerſt 
das Meer; Seefahrt. Heilende Wirkung 


— — — — 





x 
. 


berfelben. Gewinnt 
etwa ber Seele eigenfter Gehalt erſt dann Beftalt, wenn Schiei- ' 


gen auf ber Ziefe ruht? Wird etwa des Lebens Flamme 
Menſchen erſt dam erbellen, wenn fie ruhiger weiter brennt 
„Hegt noch mein Beift ein Element, aus dem Berföhnung -mie 
mag quellen!” HI. Apenwelt. Es ift nicht gut, daß dar 
Meni allein fei. Aber er war cd. Glanzvoll umgab ihn die 
Welt, unfäglich hehr, geheimnißvoll. 
Da trat ber Menſch, 
Der. einfam bange Menſch, 
Un der Begeift'rung Strom und fchöpfte 
Johannes Baptiſta 
Die heil'ge Flut und taufte: — Bötter! 


Die Ratur ſchmiegt fih un unfere Bruft, als folte fie erſt in 
ihr zu wahrem Sein erwachen; es ahnt der Menfch feine eigene 
Majeſtaͤt. Doch ' 
’ Der Boͤlker Stimmen vernehm’ ih — 
Wie Kindergelalle Hingt es: 
Gott if der Nil und der Ganges, 
Gott if die Sonne! 
Und fie nannten Zeus did, 
Allah, Sehova, 
Meltfchöpfer und Lenker, 
Unb gaben bir Namen, 
Menſchbildliche Titel, 
Je goͤttlicher — luft'ger! 
Und nieder warf der Menſch 
Sich, vor dem eignen Bilde nieder! 
Bin gab er mit Freuden " 
Sein Herrenthum, — Alles, 
@in Zweiter zu fein nur, 
Ein tnieender Shave 
Biel lieber als — einfam! 
Und flammelt Ehrfurcht und Zerknirſchung 
Und füplet froh ſich — Nichts! 
Denn jenſeit if dad Neid, 
Bei den Böttern Kraft und Herrlichkeit 
Amen! 


IV. &ine arme Weberfamilie. Und ihnen fol der legte 
Troſt geraubt fein, die Religion? — Sie find um die Erſtge⸗ 
burt betrogen, für das Linfengericht der Unfterblichkeitshoffnung — 
fo mögen fie dem Bruber verzeihen und ihn auffodern, jest 
die [haft ehrlich zu theiten. Mit frohem Blick ficht der 
&änger wieder in die Ratur: er fühlt von ihren Lippen den 
Kuß Endymion’s. 

Ha! biſt du, Natur, j 
Nicht durch mich felber allein 
Was bu bift mir? 
Nicht in mir felber allein? 
Und mo, wo beginaft du ? 
Wo hör’ ih auf? ' 
: Da. in mir — 
Ich in bier — , 
Mein volle Sein, umfaßt «6 
FL Nicht dich und Alles? 
V. Der Saͤnger auf Reiſen. Italiens und Griechenlands 
rlichkeit. Doch hier ſtarb Sokrates. Hier bringt man den 
öttern des Batholifi Dlymps Menſchenopfer an Klofter- 
jungfrauen. War nicht ein folches Menfchenopfer das ganze 
Mittelalter mit feinem Moͤnchsgilauben? Und jegt noch biefe 
feomme katholiſche Faſtnachtspolonaiſe! Wohl und! Alle biefe 
alten Goͤtter find herabgefliegen von ihren Ihronen, zu ie 
nen im Diymp der Kunft. VI. Rückkehr in bie Heimat. Welche 
Molle fo der Sänger fpielen in der Welt? Ss paßt für ihn 
eine. Das Gtüd, in dem er auftreten koͤnnte, ift wol neh 
nicht gefchrieben. Koͤnigsſtadt. Huldigungsfeſt. 
„WWir Haben unf're Seelen Bett gegeben! 

-Berzeib‘, o Herr, uud Armen, 

Und nimm in gnäblgem Grbarmen 

Du unfern Leib. und unfer Leben!” 


J 


[4 


Merziucn Gãnger t ben Dante dur unſere heuti⸗ 
Acben ande Der Kenn, dee bie Hölle geſchen, vermag 
Im Unbiid nicht zu ertragen und entflicht. Mbas ift unfere 
Wert 


„08 edler im Genäth”, zu fein was man begehrt, 
Durch rege Kraft des Heiles werth, 
Ode zu beſcheiden mit Gedanken fi, 

Bis einft des Übeld Druck von feiber with. 

VI. Mene mene Tekel Upharsin. Grftürmung der Ba: 
file. VIH. „Und immer übrig bleibt der Menſch allein.” 
"Sie haben ihn gefhmäht, gefchlagen. 

Bie zogen aus, ben Menſchen zu ergreifen. 

und ſtellten ihn mit einem Dornenfireifen 

Ums Haupt, mit eined Purpurmantels Spoit 

Zum Blutgericht wor ihren Babelgest! 
Bergebens. Schön ift die Ratur — dech kann fie uns nicht 
mehr befriedigen. 

Mi ruft der Menſch! 

In dieſem Namen iſt die Welt erkannt, 

In ihm find wir und eng vertvandt, 

An diefem Namen find wir AN’ verföhnt, 

Gr ifl'8, der „In Hoc Signo Vincos!” tönt. 

IX. Hymnus im Sinne des neuen Blaubens. 

Fuͤnfter Theil. Die GSchöpfungsgefchichte ber Religion der 
Zukunft. „Im Aufang war ber Menſch, er war im AU das 
AU” und endlich 
Das AlL ift ſein Gehalt, fein Weſen Gotteswalten, 
Die Freiheit feine Form und fein Entfalten! 


Barnen, daß das Gedicht infofern eine wichtige Grfcheinung ift 
als es Die Summe der radicalen Veſtrebungen ind Kurze zu: 
ſammenfaßt und mter Ginen Hut bringt. 
mde aus diefem Grunde haben wir nicht viel über baffelbe zu 
fagen. Wir Haben feinen Inhalt für Freund und Beind ehr⸗ 
ich dargelegt: ein Urtheil über ihn ausſprechen, hieße jene Be: 
firebungen felbft würdigen wollen, ein Unternehmen, bad für 
diefen Drt zu weit ausfehend wäre und für das überdies ge- 
wiſſe Geſichtspunkte vorher einer fireng wifienfhaftlihen Be: 
gründung bedürfen würden. Rur zweierlei Bemerkungen koͤn⸗ 
nen wir nicht unterdrücken. Das Gedicht dat darin eine große 
Bedeutung, daß es den Pananthropiſsmus — fo bürfte der 
Berf. felbit feine Lehre bezeichnen — auf innere Lebensentwide: 
lung gründen will. Auch werden wit wirklich durch eine lange 
Meibe von Seelenerfahrungen hindurchgeführt. Nur Eins ver: 
miflen wir — das religtöfe Leben. Denn biefes fol doch nicht 
etwa mit der Entdeckung des frommen Betruge, Den dem Kna⸗ 
hen am Weihnachtsabend die Mutter fpielt, abgemacht fein? 
Med doc, wäre 26 vielleicht die Hanptſache, darzutium, Daß 
auth Das religibſe Beben fih in jenen Yanantyrapismus auflsſe 
ober, am und einer Schulformel zu bedienen, in «hm feine 
Bahrheit habe. Wir rathen bem Berf., diefe Lüde hei ef 
ner zweiten Suflape auszufüllen; es konnte fonft ein Böswilli: 

meinen, dieſelbe fei nicht zufällig und der Paranthropift 

Überhaupt ein echt religioͤſes Lehen uch erſt in Kb 

erfahren und umgekehrt als die Wahrheit feiner Lebenban 
enpuerfennen,. Das iſt eine von unfeen —— Einige 
an 


Berantwortlicher Herausgeber: 





es Bebiets ber Ba enfäuft 


Die auch dem Werl. nebſt dem „Hantlet”, wie Vie a rten 
Wroben geigen, häufig yorfchineben. ber damit nicht Die. 

tung zu einer bloßen Hußerung Berabfinke, ihre Runfmittel im 
den Rang von rhetorifchen Predigtlünften sreten und es ‚ben 
Anſchein habe, als 0b fie nur um der größern Eindringlichkeit 
w der Profa vorgezogen würe, DU de Stoffe die 





ter 
dem monologiſivenden Helden Tuufklerife) ablöft, mag auch ũbei⸗ 
8, was derfelbe ausfpricht, jene ex; 
Fein Auch möchte das vorliegende Gedicht hinter Den genenn- 
tun barin zurückſterhen, daß diefen eine eigenthümlilbe Bei: 
Wesrihtung, wie fie ſich auf Berantaffing beſtimmter Beitver- 
Ydlnale nd Bait 


mittelung durch diefelbe erſt hinterher erwartete, während wir 
hier die Refultate eines fehr verbreiteten wiſſenfchaftlichen Wer- 
Bes vorgetragen finden und bei den Hauptflellen entweder an 
die verikinbigen Grunde derfflben, die jenes entwidelt, zund®- 
benfen, oder und von ihnen augefproden finden, als fellten 


{ fie als versus memoriales dienen. Endlich fcheint uns Der 


anze Gegenftand für die dichteriſche Behandlung nicht geeig: 
De pr fein Sein tft die Loſung diefer Weftanficht, * Das 


| Bein des Dienihen, fagt fie, M bie Ihat. IM darauf mem 


ih von vornheran gu, erwidern, 

otteönanıen fein möge, — wer 
darüber fo vielUUmitände und Redens zu machen, fo fcheint eine 
dichteriſche Fixirung diefer Weltanfhauung, die doch immer 
auf ein „Berweile doch, du bit fo ſchöͤn“ binausläuft, in ih⸗ 
cem eigenen Sinne fir bie frevelhafteſte Unthätigfeit gel- 
ten zu mäffen, und alfo eine Beförderung diefer Weltanſchauung 
mittels der Dichtung eine cantradictie ia adjecto zu fein. 
Wir wurden auf diefe Bemerkung dur eine Stelle am Schluffe 
des Gedichte felbft geführt, m welcher die Rede iſt von der 
Sabbathorche des Gott: chen, welche diefen zur Lagerſtatt 
keite voie Sera den Beuß Auf dem Ida, — web doch, wäre 
es nicht eben der dDichterifhen Form dieſer Entwickelung 
Feuerbach'ſcher Philoſopheme zuzuſchreiben, wirklich 4* gu fehr 
aus der Schule ſchwatzen hiche Wilhelm Banzel. 


mon fort rue im 





Literarifhe Notizen aus England. 


Die regenfheuen Helden. 

Die in Nr. 92 bereits erwähnten „Sketches frem life’ von 
2. Blandyard enthalten folgende Anekdote. Blanchard und jein 
Freund Jerrold gingen ernfllich damit um, ſich Lord Byron in Grie⸗ 
chenland anzufipließen ; fie wollten das Waffenhandwerk ergrei- 
fen und dem Dichter in der Befreiung Griechenlands beiftehen. 
Manchen Ubendfpagiergang brachten fie mit Beſprechung ihres 
Pland hin. Mitten in einem diefer Geſpraͤche wurben fie einft 
von einem heftigen Gewitterregen überfallen, vor welchem fie 
unter einem Thorwege Schutz ſuchten. Als der Regen fort: 
bauerte und ihre Geduld fid) zu erfchöpfen begamn, knuͤpfte 
Blanchard feinen Rod zu und rief feinem Freunde zu: „Roman 
mit, SIerrold, was werben wir den Griechen nügen, wenn 
wir vor einem Regenfchauer uns ſcheuen d“ Bo braden fie 
denn auf und ließen fih heroiſch durchweichen. Ihren Helden: 
vorfag brachten fie jedoch nicht zur Ausführung. 


VBeröffentlihung geſchichtlicher Urkunden. 

Die Königin von England hat zur Veröffentlichung ber in 
ihrem Beige dlichen authentifchen Urdunden in Betreff der 
Geſchichte der t8 Erlaubaiß ertheilt. Des VBriefwechſei 
des Bi Atterbury wird zuerſt erſcheinen, vnd demſelben 
under die Briefe und Papiere des Lords Bolingoreke, des, 


. Strafen v. Mar, des Herzogs v. Wharton amd Anderer fo 


HBeinrich Brockhanus. — PDrud und Berlag von F. WE. Mrodhans in Leipzig. 


hindert'6 denn? — chme‘ 


Blätter 


für 


literarifche Unterhaltung. 





— 1, 


Freitag, 





17. April 1846. 








Religiöfe Tendenzromane. 
(Bortfehung aus Wr. 16) 


Die beiden Töchter des Herzogs von Bigny, die Zwil ⸗ 
lingeſchweſtern Rofa und Blanca find ziemlich unbebem- 
tende Erſcheinungen, ihr Weſen ift krankhaft, ihre eich“ 
nung fann Frauen und jungen Mädchen Theilnahme ein« 
fen. Dan koͤnnte meinen, daß Sue die Abſicht habe zu 
zeigen, wie vortrefflich der Menfch auch ohne alle Kennt- 
nif bes Evangeliums, ohne beftinuten Religionsunter- 
richt gedeihen Tönne, aber die Natur der beiden Mäd⸗ 
chen kommt durchaus nicht zu etwas Rechtem, fondern 
bleibt in der Weichlichteit und der Dichter ſucht ſich 
derſelben, nachdem fie ihm und ihrer Umgebung durch 
ihre krankhafte Gefühlszartheit und Weltunkenntniß große 
Sorge gemacht haben, in einem Cholerahofpital zu ent- 
ledigen. 

Noch ein anderer Eibe des Hru. v. Rennepont iſt 
ein Arbeiter, der, weil er einmal im Eifer der Arbeit 
auch das Hemd weggeworfen, den Namen couche-tout-nn, 
in vorliegender Überfegung „Nadtimbert“ erhalten hatte. 
Im der Zeichnung diefes Menſchen und in der Entwide: 
tung feiner Rebensyuftände beweiſt Sue wieder ein gro- 
fes Talent. Die Enefittlihung bes Proletariats weiß 
Sue auf die effectvollfte Weiſe darzuftellen, er zeige uns 
den Kern einer vortrefflichen Natur, welche unter der 
Macht der Umftände immer tiefer ins Wüſte und Lieder- 
liche bie zum gänzlichen Verderben berabgezogen wird. 
Dos Berhãltuiß bes Nacktimbett mit ber „Becherfönigin“, 
die Zeichnung biefer parifer Figur und alle fich daran 
ſqließenden Scenen gehören zu deu Vortrefflichſten, was 
wir im „Ewigen Juden” finden und was wir und ent« 
finnen überhaupt gelefen zu haben. Sue's größte Kraft 
biegt in der Detailmuferei ber parifer Rebenszuflände, 
wicht in der Romantif, nicht in ber Durchführung oll- 
gemeiner Principien. Die Erregbarkeit des Nadtimbett 
iſt bedeutend, fein Charakter iſt ſchwach, dadurch wird 
er den Machinationen des Jefuitenthums, welches ſich 
Her des Thierbandigers Morok bedient, preisgegeben. 
Auch ihn ereilt das Fatum bes Sue ſchen Romans, 

nãmiich die Chelera. Heinrich Leo meint, „ein tücptiges 
Arbeitohaus fei die Hefte Cur für folche Subjecte 
Dieſen Figwven fieht nun das Incerefſe und Das 





Princip des Jefuitenchums gegenüber. Zuerſt wirb daf- 
felbe durch den Warquis von Aigrigny vepräfentiet, nach · 
dem dieſer aber ungeſchikt manoenweirt hat und am 
Ende feiner Weisheit angelommen, entpuppt ſich ploͤt · 
U der Held des Romans, der Jeſuit Robin. Was 
Ageigng wicht vermocht hat durch gemaltfame Mittel, 
till ev erreichen. Weducht Durch les immmenses res- 
sources d’andamtissements mutael oa partiel, que 
pert offeir le jeu des ‚passions humaines habilement 
combindes, opposees, contrarides, dechaindes, surex- 
citẽes etc. Er bebient fi) zur Erreichung feiner Plane 
ziemlich phantaflifcher Figuren, des oflindifchen Morbge- 
fellen Faringhea, des Ihierbändigers Worek, des ven 
ſtellten Simpel im Haufe des Warſchalls v. Banp, die 
allerdings häufig nur ald aͤußerliche dii ex machine ee 
feinen, um bie Fäden gerade fo zu drehen wie Sut 
fie für feine befondern Zwecke Haben maß. Wenn nun 
aber Eugen Sue auch durch diefe romantiſche Maſchi ⸗ 
nerie ben Verweis Kiefern mag, daß feine Kräfte in Be- 
slehung auf höhere kuͤnſtleriſche Leiflung duchaus umzu · 
teichend bleiben, fo bleibe eine Zeichnung wie Robin 
doch immer noch bedeutend genug, um ein allgemeines 
Jutereſſe einzuößen. Teuflifche Ehrſucht, verſteckte 
Heuchelei, eigenfinnige Beharrlichkeit, bie vielleicht aus 
dem Gefühle der Kraft bes Ordens eutſpringt, Sieich 
güligkeit hinfichtlich der Wahl Der Mittel, bie ſiece 
durch ben Zweck geheiligt werden, und endlich unet ⸗ 
ſchoͤpfliche Erfindungsgabe und erſtaunliche Klacheit ei- 
nes ſtets auf Berfolgung eines und deſſelben Planes 
gerichteten Geiſtes find die Hanptzüge in Rodin's Gha- 
takter. Robin ift das Gegenſtuck Gabriel's, Beide ber 
wegen fi af dem Boden des Chriftenthums; in Robin 
zeigt ſich die Woficht, fich an die Spige des Jeſuitenerdens 
und von dieſem Punkte aus an bie &pige ber vieniſchen 
Kiche zu ſchwiugen, um dann ben Jeſuitenorden ſeibſt 
zu abforbiren aber wielmehr die vömifche Hierarchie amd 
den Jeſukenorden zu identifichten; in Gabriel die größte 
Unfpruchsiofigkeit und Verzichtleiſtung auf bie MBiter 
diefer Welt. Man köonnte fagen, ebenfo übermenfchlih 
wie Gabriel gezelchnet fei, fi auch Rodin gereithmet, 
ebenfo wenig mie eim Gabriel in ber chriflichen Kirche 
eziftisen Panne, korme auch ein Robin epiftiren; aber 
dieſes im Allgemeinen zugegeben, fo iſt Dach im Melon: 


dern zu bemerien, daß Sue ben Robin nicht wie den J nen mitunter in Phantaſtik über und wenn fi zu⸗ 


Gabriel aus allgemeinen verfhmommenen Phrafen zu- 
fammenfegt, fondern ihn ganz beflimmt aus einer pofi- 
tiven Grundlage, aus den Bafen des Jefuitenordens, 
entwidelt. Robin ift eme Verkoörperung der jefuitifchen 
Grundſaͤtze, die, wie fie vereinzelt durch die Jahrhunderte 
auf die Menfchheit wirkten, in einer Individualität zu- 
fammengetragen, bier in einem beſtimmt abgefchloffenen 
Kreife ihre Zähigkeit und Macht beweifen. Das Red, 
fo zu verfahren, wird Niemand dem Dichter abfprechen 
mögen, wenn er auch, mie ſchon bemerkt, vor dem Ta⸗ 
del Fünftlerifcher Unzulänglichkeit ſich keineswegs hüten 
konnte. 

Es iſt natürlich nicht möglich, alle jene Perſonen 
hervorzuheben und zu charakteriſiren, die in der Welt 
des „Ewigen Juden“ bunt durcheinander laufen; es ſei 
genug, daß derjenigen, die ein hervorſtechendes Intereſſe 
in Anſpruch nehmen, Erwähnung geſchehen iſt. Uber 
die allgemeine Bedeutung bed „Ewigen Juden‘ ift [on 
oben geredet werben, allein Eugen Sue hat in einem 
Nachworte noch die befondern Punkte hervorgehoben, um 
deren Auseinanderfegung es ihm vorzüglich zu thun ge⸗ 
wefen iſt. Abgefehen von feinen Operationen gegen den 
Jeſuitismus will er 1) gezeigt haben, daß Weiber— 
arbeit fehlechter bezahlt werde und die ſchrecklichen Fol⸗ 
gen dieſer Unzulänglichkeit, 2) habe er neue Sicher⸗ 
heit verlangt gegen die leichte Möglichkeit, Jemanden 
in ein Irrenhaus zu fperren, 3) daß der Arbeiter der 
Rechtswohlthat in Betreff der „Freiheit unter Buͤrg⸗ 
ſchaft“ theilhaftig werben könne. Endlich hat er es noch 
verfucht, wovon ſchon oben die Rede, die Einrichtung 
eines Gemeinhaufes für Arbeiter praktiſch darzuſtellen. 

- Auf diefe vier Punkte laufen allerdings die focialen 
Etemente des „Emigen Juden” hinaus, aber fo ungenü⸗ 
gend fih in ihnen auch der fociale Zufland der Gegen- 
wart darftellt, fo wichtig find fie dennoch und fo bedeutend 
iſt Sue in der Entwidelung jener ergreifenden Situa⸗ 
tionen, die in ihnen ihren Urfprung finden, denjenigen ge- 
genüber, in welchen Sue allgemeine Principien ver 
lebendigen will. Eugen Sue ift erfaßt von dem focial- 
philofophifchen Geiſte der Gegenmart, er iſt hineinge- 
drungen in feine poetifchen Schöpfungen, aber Sue bat 
es noch nicht zur Dichtung im Großen, im Ganzen 
bringen fönmen, es iff das Detail, in dem er Bebeu- 
tendes leiſtet und in dem er ſich verliert. Sue erkennt 
ſociale Gebrechen, aber er ift nicht im Stande, in ben 
Zufammenhang derfelben einzubringen und bie volle 
Wahrheit darzuſtellen; wo er ohnmächtig wird, greift ex 
zur Romantik. Es ift in ihm ein Streben und ein be- 
deutfamer Anfang, aber nicht6 weniger: ald eine Vollen- 
dung. Berne neuern Romane haben einen tiefen Sinn 
als die momentane Befriedigung des Neugierkigels, aber 
fie find nicht aus einem Guffe, fie zeigen nicht die fichere 
Hand eines Meifters, fondern ein ſtetes Schwanken und 
Schmweben, fie find nit Beftaltungen, losgelöft von: ei« 
ner durch das klarſie Bewußtſein beherrſchten und ge⸗ 
regelten Phantafie, fondern bie Phantafte geht in ih⸗ 


weilen in ihnen das Leben in feiner ganzen Realität er- 
Pennen laͤßt, fo forget der Verf. doch au immer wieder 
für romantifchen Nebel, um einen freien Überblid un- 
möglich zu machen und um feine eigene Schwäche, feine 
große Unficherheit in den Principien, zu verhüllen. Ber 
gierig find wir indef, ob und wie er feine Fehler in 
feinem neuen Roman, den „Sieben Todfünden” vermei- 
den wird. 
(Die Zortfegung folgt in ber nädyften Lieferung, Nr. IB.) 


Der Tribun. Geſchichtliches Taſchenbuch für das deutfche 
Volt. Herausgegeben von Adolf Bod. Hanover, 
Kius. 1846. 16. 20 Near. 


Hören wir zunächft was der Berf. mit diefem Buche beab- 
fihtigte, um fodann in der Kürze anzugeben was er erreicht 
bat. Er wollte „in einer fo redfeligen Zeit nicht der einzige 
Summe fein, der bei den Dingen, welde in der Welt vor 
gehen, mit den Händen, wie die Stumme von Portid, nur 
gefticuliren mag”; er hat e8 Daher verfucht, „auch eine Anficht 
unter Anſichten zu äußern”. Er bietet dem Leſer biftorifche 
Stoffe, „weil es vorläufig in Deutichland noch nöthig zu fein 
fheint, den Sad zu fihlagen, wenn man den Efel meint”. 
Dabei gilt: ihm die Aufmerkſamkeit der Zeitgenoffen Alles. 
Der Berf. beftrebte fi, „für das größere gebildete Publicum 
u fchreiben, Stoffe, die in der gelehrten Welt ſchon mannich⸗ 
ach genug abgewogen zu fein fohienen, um im Refultat ergrif- 
fen zu werden, für Diejenigen zugaͤnglich zu machen, denen 
die Welt der Kolianten und des geledrten Apparats fern liegt“; 
feine Tendenz war, aus dem Bolke für dab Bolk zu reden und’ 
die Höfe planmäßig bei Seite zu laflen. 

Loͤblich ift es, bei den Dingen, die in der Welt vorgehen, 
nicht blos mit den Händen zu geſticuliren; doch fcheint der Ber: 
glei) mit der Stummen von Portici zu hinken, da gerade Diefe 
dem Opernpublicum wohlbefannte Demagogin durch ihre ſtum⸗ 
men Geberden eine mächtigere Beredtſamkeit entfaltete ald gar 
viele mit normalen Sprachwerkzeugen verfehene Individuen. 
Der Berf. wollte eine Anſicht unter Anfichten äußern; das ift 
auch biöweilen gefchehen und zwar in Harer, verftändiger Weife, 
aber ohne befonderd anregende Kraft. Anjichten über gefchicht- 
liche Ereigniffe müflen piquant fein oder aus einer tiefen Auf⸗ 
faffung entfpringen, wenn fie für das gebildete Publicum Werth 
haben follen. Biftorifche Stoffe deshalb vorzuführen, um 
auf den Sad zu fchlagen, wenn man den Efel meint, mag 
in einem mit der Cenfur behafteten Lande oft ein gutes Mittel 
zur Berftändigung fein; in dieſem Kalle muß aber die Geißel 
ſehr kraͤftig geſchwungen werden und der Sad nidyt zu’ did 
geftopft fein, ſonſt bringen die Schläge nicht bis auf das Fett 
des Eſels. Wegen der Welt der Polianten bat es fon 
lange Feine Noth mehr; feit vielen Sahren wird die Geſchichte 
dem ‚‚größern gebildeten Publicum“ im bequemften Formate 
auf die intereffantefte Weife zugänglich gemacht; nicht zu ge⸗ 
denken der unüberfehbaren Memoirenliteratur erinnern wir nur 
an Raumer’5 und Hormayr's Zafchenbücer, die keineswegs 
blos für Fachgelehrte gefchrieben find. Gegen die Tendenz 
des Berf., aus dem Volke und für das Volk zu fhreiben, ift 
nichts einzuwenden; wollte er aber die Höfe „planmäßig ver⸗ 
meiden‘, fo mußte er den zweiter Parifer Frieden unbeſprochen 
laflenz; denn was er uns davon mittheilt, iſt nur eine Reihe 
von Hof: und Winifterintriguen, bei denen das Wolf au na 
im entfernteften in Betracht kommt. Die übrigen vier Aufe 
fäße handeln über Benedig, die Wiebertäufer in Münfter, Hen⸗ 
ning Brabant und die Hofnarren, lauter Stoffe, von denen 
populaire Darftellungen bereit6 mehrfach befamnt find. Eine 
nochmalige Bearbeitung biefer Materien müßte ſich vor den 


mM 


ühern durch augenſcheinliche Vorzüge auszeichnen, um ihre 
—— zu —æ— ir wollen ſehen, ob dem 
Berf, diefe Rechtfertigung gelingen if. 

Betrachten wie den erfien Artikel: Venedig. Die Ge 
ſchichte dieſes Staats bietet unftreitig viele anziehende Momente 
dar; diefe hervorzuheben, die Eigenthümlichkeiten, die Macht, 
den Untergang der Republik in großen und ergreifenden Bügen 
zu vergegenwärtigen,, ihre gewaltigen Perfönlichleiten und Er: 
eigniffe mit dramatifcher Lebendigkeit zu ſchildern, ift gewiß 
eine lohnende Aufgabe für den Gefchichtfchreiber. Aber ftatt 
einer kraftvollen und binreißenden Schilderung gibt uns der 
Berf. in möglichft kutzen Sägen eine trockene Überficht der 
Thatſachen von der Entitehung Benedigs bis zu feiner Einver⸗ 
leibung mit Oftreih. Yur Probe diene folgende Stelle: ‚Der 
feurige Franz I., Ludwig's XU. Nachfolger, unterfchrieb mit 
Den Benetianern . das zu Blois gefchloffene Buͤndniß. Er kam 
1515 nad, Italien und der Kaiſer Marimilian, der König von 
"Spanien, die-Schweizer und der Papft flanden jenen wieder 


feindlich gegenüber. Die Franzofen und die Schweizer rückten 
von zwei Seiten auf Mailand; den Venetianern flanden die 


Spanier femdlich gegenüber. Die Franzoſen fiegten in der 
Schlacht von Warignano über die Schweizer, die in ihre Ge: 
birge zurüdkehrten. Mailand blieb in der Gewalt der Kran: 
zoſen. Marimilian Sforza ging mit einem Jahrgehalt nad) 
Frankreich. Die Spanier räumten ohne fonderlihe Waffentha- 
ten dad Feld und die Venetianer nahmen ihre alten Befiguns 
gen ein“ u. f. w. oo. 

Sin Stil diefer Art paßt ganz gut für einen yedrängten 
Leitfaden des hiſtoriſchen Unterrichts, nicht aber für ein Bud, 
welches fi) vorfegt, „aus der bewegtern Beryangenheit zu 
fhöpfen, um dadurch Anregung, Ermunterung, Troͤſtung, War: 
nung zu gewinnen”. In Yoldem Gewande fann die Geſchichte 
Venedigs nur abſtoßen. Wer möchte 3. B. an den Verhaͤlt⸗ 
niffen der Republik zu Karl VII. auch nur das geringfle In- 
tereffe nehmen, wenn fie auf folgende Art dargeftellt werden: 

„Bei dem Kriege König Karl’s VIII. von Frankreich ges 
gen Sicilien blieb Venedig neutral, tropdem daß fich der Papft 
an den Sultan Bajazet und der Sultan an die Republik ge: 
wendet hatte, um fie gegen den franzöfiichen König Partei neh: 
men zu lafien. Erſt Karl's VIII. Gluͤck machte fie auf die Ge: 
fahr Kür ganz Italien aufmerkſam. Vereint mit Mailand trat 
fie Dem Könige entgegen. Ihr Heer wurde zwar bei Foronovo 
von den Franzofen gefchlagen, doch war ed von Seiten der 
Xegtern nur ein Durchſchlagen; fie räumten, zumal die Vene: 
tianer zur See glüdlih waren, Italien. Die leihtfinnige Po: 
litik Karl's VIII. drohte aber den Angriff auf Sicilien zu wie: 
derholen: Mailand und Venedig fuchten den in Frankreich be- 
findtichen Kaifer Marmilian durch Subfidien gegen Frankreich 
zu gewinnen. Maximilian verſprach Hülfe.’‘ flach ftreift 
die Darftellung über jene wichtigen Begebenheiten hin und doch 
wäre gerade bier der richtige Drt geweſen, die fubtile Staats: 
!ugheit Benedigs anſchaulich zu machen; die daſelbſt betriebene 
Coalition der Feinde Karl's machte Venedig zu einem Mittel: 
punkte der damaligen Weltbändel; die fchlaue Einleitung und 
kraftvolle Durchführung der gegen die Franzoſen ergriffenen 
Maßregeln charakterifict aufs treffendite den Geift der venetia- 
nifhen Politit. Comines, Der als franzöffcher Geſandter in 
Benedig ungeachtet feiner eigenen Berfchmigtheit überliftet und 
biß zum legten Augenblicke kuͤnſtlich bingehalten wurde, bat 
hierüber ſehr anziehend gefchrieben; ebenfo hat auch Daru in 
feiner „Histoire de la republique de Venise“ diefe diploma- 
tifchen Raͤnke nicht übergangens hätte der Verf. den einen oder 
andern biefer Schriftfteler benugt, jo würde er dem Gegen: 
ftande wahrfcheinlich mehr abgewonnen haben. 

Wir wollen nicht verfennen, daß die übrigen Aufläge et» 
was anfpredgender find als dieſer erfte; Einzelnes, wie die tolle 
Wirthfchaft des Könige Johann Bockelſohn in Münfter, ift 
recht gut befchrieben ; das Gewirre der diplomatiſchen Berhand- 
lungen in Paris findet ji hier möglichft in Ordnung gelegt, 


über die Hofnorren if manche brauchbere Notiz mitgeiheilt — 
aber im Ganzen ſchien uns das Buch nicht geeignet, feinen 
Zweck zu erfüllen und den Sinn für hiſtoriſche Lecture zu ber 
leben. Dem Gebildeten, mit der Geſchichte fon mannichfach 
Bertrauten bringt ed zu wenig Neues; für andere Leſer iſt es 
nieht erwärmend genug und bietet zu wenig Unterhaltung, die 
doch ſelbſt bei rein geichichtlihen Werken fehr wohl gewährt 
werden Bann, bei einem geſchichtlichen Bolkstafchenbuche aber 
gewährt werden muß. 13. 








—m— — — 


Zur polniſchen Literatur. 
I. Kollataj wrewolucyi Kosciuszkowej. (Kollontaj während 
der Kosciuszko'ſchen Revelution.) Liffe und Gnefen 1846. 

Während der polnifhen Revolution von 1794, die noch 
beute in Polen faft nur nad dem Oberanführer die Kosciuszko'ſche 
genannt wird, genoß der Kanonifus und Kanzler Hugo Kol⸗ 
lontaj bes Oberanführers Rosciuszto unumfchränktes Bertrauen 
und ftand deshalb unter den Haͤuptern der Revolution da. Bo 
fehr das polnifhe Bolt damaliger Zeit in unbegrenzter Achtung 
Kosciuszko's felbft einig mar, jo getheilt waren die Meinungen 
über Kollontaj. Während die Einen in ihm einen großen von 
Patriotismus glühenden Charakter erblidten, erregte er bei 
Andern Mistrauen und ward wol gar — was in Polen frei» 
lich Leicht gefchieht — den Vaterlandsverräthern zugezählt. In 
vorgenannter Schrift kommt nun fpät einer der perfönlichen 
Gegner Kollontaj’d zu Worte. Sie ift angeblih von einem 
Unbefannten verfaßt unter den Papieren eines angefebenen pol: 
nifchen Staatsbeamten vorgefunden worden, fie enthält die ärg- 
ften Schmähungen eines Mannes, der um die literarifche Bil: 
dung der Polen wefentliche Verdienfte hat, es wird Kollontai 
geradezu Schuld gegeben, eigennügig das Vertrauen Kosciuszko's 
gemisbraudt, fih aus dem Äffentlichen Schage bereichert, ja 
wol gar das Volk zu den warfchauer Gräuelfcenen vom 28. Zuni 
1704 gereizt zu haben. Dieſe Anfchultigungen würden weit 
größeres Gewicht haben, wenn der Verf. der Schrift, der, wie 
er ſelbſt fagt, manche JZurüdfegung von Kollontaj erfahren hat, 
befannt wäre; fo find fie ohne Gewähr nur hingeftelft. 

2. Piesni chrzesciaiskie religijne. (Chriſtliche religiöfe Ge: 
fänge.) Warfchau 1849. 

Diefe Gedichtſammlung gehört zu den feltenen Zeugniffen 
des noch unter den Polen vorhandenen evangelifchen Ehriften: 
thbums. Neben mehren altpolnifchen Kirchenliedern finden fich 
hier die fchönften altern und neuern deutfchen Kirchenlieder von 
Gellert, Klopſtock u. ſ. w. in polnifchen Überfegungen, zum Ge: 
brauche beim öffentlichen Gottesdienfte geordnet. In einem An: 
hange find falbungsvolle, in einfady evangeliſchem Sinne ab: 
gefaßte Gebete beigegeben. 

3. Wspomnienia Wloch i Szwajcaryi przez Bartlomteja 
Oranskiego. Zwei Zheile. Poſen 1849. 

Der Berf. diefer Reifebefchreibung durch Stalien und die 
Schweiz, Bartholomäus Oranski, früher Magifter an der war: 
Schauer Univerfität, ftarb 38 Jahre alt im Mai 1843 zu Berdyczow 
im Haufe des Kürften Michael Radziwill, welcher dem gemuͤth⸗ 
lichen und geiftvollen, befonder& durch die Liebe zur Kunſt aus» 
gezeichneten Manne eine forgenfreic Stelung bei ſich gewährt 
hatte. Im Gefolge der Radziwill'ſchen Familie bereifte Dranski 
in den Jahren 1832 und 1830 Italien und die Schweiz, feine 
Befchreibungen befunden ebenfowol feinen tief religiöfen Sinn, 
der überall an die Hinfälligkeit alles Irdifchen erinnert wird, 
wie fein treffendes Urtheil über die Kunftdentmäler des Alters 
thums und die Werke der Malerei und Architektur neuerer Zeit. 
Da die polnifche Literatur an folden in das Berfländniß der 
Kunftwerfe einführenden Schriften nicht eben reich ift, fo ver- 
dient die Herausgabe dieſes intereffanten Rachlaffes Dank. 

4. Podania i Legendy polskie, ruskie, litewskie zebrat Lu- 
cian Siemteneki. Poſen 1845. 

Diefe Sammlung von polnifchen Volfsfagen, und Legenden, 

die von einem der beften polnifhen Erzähler der Gegenwart 


Be 428 


unternonemnen werben if, zeichnet ſich vor den ſchon Früher er- 
ſchienenen ähnlichen Sammlungen eines Wojcicki, Jucewicz u. ſ. w. 
durch ihre Reichhaltigkeit aus. Zum erſten Male find bier ne⸗ 
bon wenigen bisher ungedruckten alle biäher bekannten polni⸗ 
fihen Sagen zuſammen t, fowol die, welche fib in den 
Chroniken und Beitfigtiften zerſtreut befinden, als auch weiche 
in ben biöherigen nur die eingelnen Landestheile Altpolens be: 
ruͤchſichtigenden Sammlungen bereite befindlich waren. Daher 
kann aus dem vorliegenden Werke eine ſo ziemlich vollſtaͤndige 
Anſicht von dem ganzen Sagenreichthume der Polen gewonnen 


werben. Zu loben if, daß der Herausgeber die Sagen einfach, 


“und treu im Bollstone ohne jede weitere Ausſchmückung bins 
ftelt, was der im vorigen Sabre von dem befannten Literaten 
San Marte (Schulz) deutſch veranftalteten „Sammlung groß 
polnifcher Bollöfagen” nicht nachgerühmt werben kann. 

3. Pisma Juli Gocsaikowekiij. Bochnia 1845. 

Es find dies die Erfllinge einer jedenfalls talentvollen, 
noch fehr jungen polnischen Dichterin, theild rührende, gefühl: 
volle Poeſien, tbeild Erzählungen im Volkstone, die in Polen 
nicht geringe Aufmerkſamkeit auf fich gezogen haben. v. 


Bibliegraphie. 


Barnes, J., Briefe über Gärtnerei. Aus dem Engli- 
schen. Potsdam. 8. 22%, Neger. 

.  Bernbardi, R., Beiträge zu einer hiſtoriſch⸗romantiſchen 
Skizze der Saline und des Soolbaded zu Salzungen. Salzun- 
gen, Vocke. 12. 11%, Mr: 

Hiſtoriſch-ſtatiſtiſches Wild der Stadt Poſen in früheren 
Zeiten, bearbeitet nach dem polnifhen Werke bes S. v. Lu⸗ 
Faszewicz. Ifted Heft. Life, Sünther. Gr. 12. 7, Rgr. 

Binder, W., Der Yroteftantismus in feiner Selbftauf: 
Löfung. Eine theologifch-politifche Denkſchrift in Briefen. Zwei 
Bände. 2te durchgefehene Auflage. Schaffhauſen, Hutter. 
8 2 Thlr. 7, Nor. 

Blum, 8. v., Ein Bild aus den Oftfee-Provingen oder 
Andreas von Löwis of Menar. Berlin, Dunder und Humblot. 
Kl. 8. 24 Ryr. 

Clemens, F., Endliher und vollendeter Friedensſchluß 
zwifchen Vernunft und Chriſtenthum, duch Nachweiſung ber 
abſoluten Identität beider, nebft: Grundzüge zur Definition der 
reinen Vernunft, nad) originalen Prinzipien. Hamburg, Do: 
gel. Kl. 8. 20 Rgr. 

Conſcience, H. Geſchichte des Grafen Hugo von Craen⸗ 
hove und ſeines Freundes Abulfaragus. Aus dem Flämiſchen 
von O. 2. B. Wolff. Illuſtrirt von €. Dujardin. Leipzig, 
Lord. 8. 1 Thlr. 10 Nor. 

— — Sammlung ausgewählter Schriften. Aus dem Vlaͤ⸗ 
mifehen. Iſtes und ‚2te8 Bändchen. Münfter, Aſchendorff. 12, 
a 10 Rgr. 


Ecenbrecher, ©. v., Über die Faſten der griechiichen 
Kirche, und über die Sofen der proteftantifchen Kirche. Ber: 
5 Nor. 


In, Bethge. Gr. 8. 
ter Band. Leipzig, DO. Wigand. Gr. 8. 


Die Epigonen. 
I Thlr. 25 Mer. 

Soethe's Gedichte. Auswahl für Schule und Haus. 
$reausgegeben von J. W. Schäfer Stuttgart, Cotta. 8. 
r. 


agen, K., Fragen der Zeit, vom hiſtoriſchen Stand⸗ 
zr betrachtet. 2ter Band. Stuttgart, Franckh. 8. 1Thlr. 
gr 


Die Hand der Mache. Zwei Belfpiele von der Wirkung 
der. Gewiffensangft bei geheimen Miffethätern. rei nach dem 
Holländifden von G. Ripking. Dfterobe, Sorge. 8. 19 Ber. 
94 Febr, D. E., Gedichte. Leipzig, Brockhaus. Gr. 12. 

gr. 

Hösl, F., Leben des fel. Johannes Eolumbini aus Siena, 
Stifters der Iefuaten. Nach den Bollandiften bearbeitet Re: 
gensburg, Yuftet. 8. 10 Kar. 





Berantwortlider Heraußgeber: Heinrich Brodhans. — 


Lagesliteratur. 


Anhalt, E. Die Univerfität. Üborblick ihrer Seſchichte 
und Darfellung ihrer gegenwärtigen Aufgabe. Jena, Mauke, 
Gr. 8. 11, Ar . 

Anton, ©., Erianerung an das Mandver bei Halle 1844. 
Magdeburg, Falckenberg und Comp. 1849. Gr. 8. 5 Nee. 

Bauer, G., Dos Licht der Welt und die Nachfolge des 
Herrn. Zwei Weibnachtöpredigten über Ev. Ich. 8,12. Ber- 
In, Enslin. 5 Rar. 
pe Prager mer — Fanatiker, in der 

rion ca; Deine. W. I. Xhisrfh. Zur Charakteriſtik 
der neweiten Sheologie. Stuttgart, Beder. 8. 15 . 

‚ Behr, 3. 9. I, Frommes Andenken an Luther's Ab⸗ 
ſchied aus biefer Welt. Predigt. Gera, Kenis. Gr. 8. 3 Rgr. 

Beiträge zu einer Charakteriſtik der neuen deutfcd-Eatholi= 
ſchen Kirche in Abfertigung eines gewiſſen Literaten und Zei⸗ 
tung6 » Sorrefpondenten von einem Breblauer Bürger. Kebfk 
einer kurzen Beleuchtung von Hrn. Ronge's Flugſchriftchen 
Neue und doch alte Feinde. Gruͤnbderg, Weiß Gr.8. 2%, Nar- 

Authentiſcher Bericht der Makrena Mieczyslawska, b- 
tiffin der Bafilianerinnen ven Minsk, ober Geſchichte einer 
Tjährigen Seriolgung, erlitten wegen des Glaubens von ibe 
und ihren Ronnen. Auf Befehl des PYapfted Gregor XVI. von 
ihr zu Protokoll gegeben. Aus dem Franzöfiihen von 3. S. 
Sera, Urmbrufter. Gr. 16. 7%, Rar. 

Fliegendes Blatt von einem Verſchollenen. 2te, aufs Bier: 
face vermehrte Ausgabe. Zürich, Drei, Füßli und Gomp. 
Gr. 8. 10 Rer. 


Fliegende Blätter aus Dem Tagebuche eines heſſiſchen Beikt- 
lichen, betreffend die gegenwärtigen Spaltungen und Kämpfe 
innerhalb ber, gritu hen irche Deutſchlands. Darmſtadt, Dichi. 

. 8. 3% Rgr 


gr. 

Selbſtgeſpraͤche. Ein Berfud des philofophifchen Bewußt⸗ 
feins ſich mit den populären Bewegungen der Gegenwart zu 
vermitteln. Berlin, Amelang. Gr. 8. 12 Nor. 

Semmig, H., Säͤchſiſche Zuſtaͤnde nebft Randwioflen und 
Leuchtkugeln. Zunäachſt ein Ruf an das ſächſiſche Bol Ham: 
burg, Vogel. Gr. 8. 15 Rear. 

Sintenis, W. %., Luther Lebt noch! Predigt am 2MWV- 
jährigen Todestage Luthers. Nebft dem Altargebete zu der⸗ 
felben Sedähtnißfeier von 8. A. Klufemann. Magdeburg, 
Baenſch. Gr. 8. A Nir. 

Stern, D., Die Lihtfreunde. Betrachtungen über Deutſch⸗ 
ogde ugiöfe Bewegungen. Grimme, Berlagscomptoir. RI. 8 
7 Ngr. 

Tholuck, A., Vier Predigten über die Bewegungen dee 
Zeit, gehalten im alabemifchen Gottesdienſte der Univerfitat Halle 
im Sommer 1845. 3te Auflage. Halle, Mühlmann. Kl. 8. 

gr. 

— — Predigt bei der Trauerfeier der Univerfität ‚Dalle- 
Pittenberg am Todestage Luthers. Halle, Müblmann. Er. 8. 


gr: 

Jhomaſius, ©, Die Kraft des Glaubens an die freie 
Gnade Gottes in Chriſto. Predigt zum Gedaͤchtniß Luther's. 
Erlangen, Bläfing. Gr. 8. 2%, Near. 

Über die Rothwendigkeit, den Eifenbahnen eine allgemei- 
nere Anwendung zu verfchaffen, und die Möglichkeit, dies durch 
Hferdeförderung ze thun. Bon M. F. G. Freiberg, Engel: 
hardt. Gr. 8. Nor. - 

Uber dad Rongethum und feine Buläffigkeit in Bayern, 
Don einem Regensburger Imvaliden. Regensburg, Puſtet. 8. 

gr. 

Erfte Verfammlung zur Beiprechung der Angelegenheiten 
* er Beat und höheren Bürgerfäuten. Meiben, Gersiche. 

. if gr. 

Zſchieſche, S., Der kirchliche Kampf zwiſchen den. Her⸗ 
ten ra und Schleiermacherianern. —5 
tel, Holle. Gr. 8. 5 Rgr. 


Druck und Verlag von F. X. Wroddans in Leipzig. 







Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 


—————————————————— 


Religiöſe Tendenzromane. 
(Fortſetzung aus Nr. 107.) 


2. „Kaiſer und Narr“ von Heribert Rau. 
Wir verlaſſen mit dieſem Romane das Gebiet der 
Gegenwart und ihrer kirchlichen Kämpfe; er führt 
uns in jene Periode der Geſchichte zurüd, wo Kai- 
fer und Papſt, Staat und Kirche, Deutfchland 
und Rom, anenthum und Romanenthbum um die 
Herrſchaft der Welt Tümpften und der apoftolifche 
Thron alle Mittel ammendete, bie kaiferlihe Macht dem 
Monde gleichzufiellen, der feinen Glanz von ihr, ber 
Sonne, empfange. Die Epoche der Hohenſtaufen iſt nicht 
blos geichichtlich einer. der größten Zeitabfchnitte für un⸗ 
fer Deutfhland: fie gibt auch dem Dichter ein Beinahe 
unerfihöpfliches Material, es raufcht ein mächtiger Le⸗ 
bensſtrom dur diefe Zeit, es tauchen große lichtvolle 
Seftalten und Rieſenideen empor aus ihrer Bewegung. 
Leiber haben unfere Dichter, fowol im Drama als im 
Nomane, meniger ben tiefen Inhalt der Hohenftaufen- 
zeit hervorgehoben als ſich an einen leeren Romanticis- 
mund bingegeben, in dem fie fälfchlich die Poefie dieſer 
Tage ſuchen unb den fie fo breit gefchlagen haben, daß 
dieſe große Periode unferer Geſchichte und ihre wahre 
Dache kaum noch vor all der falſchen Poefie, ber lü- 
genden, entftellenden Romantik mit ihrem ganzen mittel- 
alterlichen Geſtaltenſpuk und Betteltroß erkannt werden 
fonuen. 


Unfere Gegenwert iſt mit all ihren Kämpfen und’ 


Zerrüttungen das Werk der großen Kataſtrophen, bie fich 
im Bange ber Gefchichte, welcher das Mittelalter zer- 
flört, aus dem großen Streite der geififichen mit ber 
weltlichen Macht entwidelt Haben. Die Reformation mit 
ihrem 2ebensprineip und ihren Folgen iſt ganz unmög- 
lich richtig zu verfiehen, wenn man nit die Kämpfe, 
. bie ihr vorangegangen, die Kämpfe der Heohenftaufenzelt 
vihtig erkannt hat. Obgleich das Papſtthum ſcheinbar 
bem Hohenſtaufenthume gegenüber triumphirte, es wurbe 
doch tobwund in biefen Riefenftreite. - Die Kreuzzüge 
ſelbſt, welche es angeregt Hatte, Mößten ihm Gift ein 
md wedten bie Keime einer neuen Welt, fie fprengten 
ben engen, ſchon in- fich zerrütteten europaͤiſchen Drga- 
nem. Die Kreuzzüge eröffneten zum erſten Dial nüch 
Jahrhund erten wieder ben wildverwachſenen Orient und 





die Zurückkehrenden brachten eine ganz neue Ideenwelt 
in die alte Heimat. Ein anderer Glaube, andere Göt⸗ 
ter, andere Propheten‘ waren bekannt geworden, bie 
oceidentalifche Chriftenheit trat aus ihrer engen Gefchlof- 
fenheit. Nene, bisher ungekannte Beltanfhauungen be» 
mädhtigten ſich der traditiönnellen alten; was das Papft- 
thum ſtaͤrken ſollte, unternagfe es Tangfam. Als Byzanz 
gefallen, zerſtreuten fich feine Söhne über Europa und 
fügrten ben Welten in eine Welt ein, von ber er .bie- 
ber feine Ahnung hatte, der Geift Altgriechenlands wuchs 
trog des Prieſterthums und feiner Kloſterburgen wieder. 
hervor und es fegte fich die Fülle einer fchönen Sinnlichkeit 
bem afcetiſchen Ernfte entgegen, die Kunſt, die Wiffen- 
fhaft begannen fi von der Kirche zu emancipiren, es 
zeifte die neue Welt. Der Geift der claffifchen Bildung 
leuchtete über das öde Wiſſen des Mittelalters und un⸗ 
tergrub Die herrfihende Gedankenwelt immer mächtiger, 
e6 eröffneten fich überall neue Sphären. Die Welt des 
flillen Glaubens ging zu Ende, die Zwingburgen, welche 
die Hierarchie über den Häuptern ber Völker erbaut 
hatte, wurden grell angeleuchtet von dem Lichtglanze ei- 
nes ganz neuen Lebens. Die alten Symbole konnten 
dem wachfenden Begriff Teinen nachhaltigen Stoff dar⸗ 
bieten, der germanifehe Geiſt überragte immer gewaltiger 
das alternde Rom. Es wuchs ber Zweifel, es regte fich 
überall die kritiſche Betrachtung. Die Unterfuchungen 
voutden durch den Drud im ganzen Geifterreiche ver⸗ 
breitet. So konnte die von allen Geiten verbreitete Ka⸗ 
taftrophe, die Reformation, richt lange ausbleiben. Das 
ift der Weg, den Dentfihland von den Hohenftaufen bis 
zu Luther zurückgelegt hat, ihn muß man bis in feine 
Einzelheiten kennen, um die Reformation und felbft um 
die Kämpfe unferer Gegenwart richtig zu verflehen. Und 
wer empfänbe es nicht, wie voll von Poefie diefes Sproffen 
und Treiben tft? Die alten Spitzbogen berften, es leuch⸗ 
tet ein neuer Tag, ein jugendlichee Morgenroth hinein, 
die Scholaſtik wird geflürzt von dem fich befreienden 
Gedanken! Es iſt die Zeit ber Fauſte! 

Der Dichter des vorliegenden Romans hat den Kat- 
fer Friedrich I. zu feinem Helden gemacht. Es iſt die 
Zeit ber legten Kreuzzüge, in welche er uns verfegt; ber 
phantaflifche Glaubensmuth mar ſchon lange von den 
Kreuzfahrern gewichen, die Demoralifation ımd Die egoifli- 
ſche Hertſchſucht der Ritterorden war dafür an die Stelle 


ww 


getreten. Der Kaifer Friedrich 11. if allerdings eine 
der hervorragendften Erfdeinungen ‚jener Goche. Nie 
find vieleicht fehönere Kräfte an bie Belämpfung des 
Dapftthums gefegt werben. Friedrich ift ganz einer 
poetifhen Behandlung würdig. Wen dem Berf. aud) 
‚Vieles fehlt, um die ganze innere Natur, das reiche Le 
ben diefes Kaiſers richtig zu enthüllen und ein gefchloffe- 
nes Sharakterbild zu liefern, fo ift feine Auffaffung Fried · 
rich's doc, volfommen würdig und, wenn auch im Gan- 
zen nicht großartig genug, Doch reich an einzelnen vor- 
trefflihen Zügen. Den wahren poetifhen Werth jeines 
Romans und feiner einzelnen Geſtalten flört der Verf. 
allzu häufig durch das unfelige Gelüfte des Hohen- 
ſtaufen ſchen Romanticismus, welches aud ihn über 
iommt und weldes ihn dann über allerlei mittelalter» 
lichen Mummenfdanz die tiefen Lebensbewegungen ver- 
tennen läßt. Wir Sonnen alfo nicht fagen, daß der 
Verf. in feinem „bifterifhen Romane‘ Das geleiftet 
hat, was wir von dem wahrhaften hiftorifchen Romane 
immer verlangen werben: bie geiſtige Durhbringung der 
ganzen betreffenden Epoche in kuͤnſtleriſchet Begren- 
zung, bem geſchichtlichen Athemzug ihrer Perfonen und 
ihre freie Bewegung im Spiegel der Poefie, aber nicht 
im Hohlfpiegel der Romantit. Doch fönnen wir aud 
wieber gern zugeben, daß der Verf., andern hiſtoriſchen 
Romanen gegenüber, durchaus etwas Befleres bietet und 
dag fi ein Streben in ihm bemerkbar macht, höhern 
Anfoderungen als einer bloßen Decorationsmalerei zu 
genügen, wenn auch nicht die poetifhe und bie hiſtori ⸗ 
fi 


dr 


auch diefer Figur hätte der Autor ei reb, Hiftori 
ſches Relief geben koͤnnen — zur — — 
lienifhen Städte und zur Wi der faifer- 


‚len Macht erließ. Gr mollte durdy das Lehnsſoſten 


den Freiheitsgeiſt der italieniſchen Etäbte, durch * 
eſſe mit dem Papſtthum verbunden, bezwingen. 

feine Hauptintereffen in Italien vergaß er Deutſchland, 
beförberte er die Zerflüdelung beffelben. 

Der Berf. beginnt feinen Roman mit bem Kreuzzuge 
Friedrich's in das heilige Land, ſchützt eine ſchwaͤrmeriſche 
Liebe des Kaiſers zu einer ſchönen Mohammedanerin hinein 
und entwidelt daun ig die großen Tableaur des kai · 
ferlihen Lebens. In allen erſcheint der Narr als eine 
wehmüthig « ironiſche Natur, der wir nur etwas mehr 
Shakſpeare ſchen Geift gewuͤnſcht haben möchten. Es 
fehlt dem ganzen Gemälde, trog des Fleißes und man- 
es loblichen Beftrebens, der Geifl der geichichtfichen 
Tragik; der Romanticismus läßt es nicht dazu fommen. 
As Innocenz den Kaifer mit dem Bannflude belaftete, 
tief Thaddäus: „Dies istae, dies irae, calamitatis et 
miseriae!” und er war ein Prophet. Aber bezeichnend 
für die Natur des Kaifers, er, der top des Bannfluds 
unermũdlich in Italien forttämpfte, deſſen Unerfdroden- 
heit durch feinen politifhen Sturm vernichtet werden 
Tonnte, brach zufammen als jein Kanzler treulos murde 
und fein Lieblingsfehn Enzie in @efangenfhaft fam. 
Der Verf. wird uns vieleicht fagen, daß er fi bemüht 
habe, diefes innere Gentüchsleben des Kaifer zu fchildern, 
aber er hat darüber den Kaifer, den unerfhrodenen 


gwyranrsıpen 


BERKERATESEANLERN 





‘ 


. 
ı 
. 
43 di 4 


eben nichts Beſonderes. Auch bier wie im „Ewigen 
Juden’ "handelt es fih für bie Jefuiten um eine Erb⸗ 
ſchaft, wenn auch nit um eine ‚fo bedeutende, um bie 
Erbſchaft des Lord Afterley, deffen zwei Söhne, Harry 
und Arthur, zum Mittelpunfte der Handlung werden. 
Un fie ſchließen fih ber Jeſuit Harker als das feindfe- 
lige Princip Arthur’ und der Bettler Blount als das 
befchügende beffelden. Die Erzählung der ganzen Hand: 
lung halten wir für überflüffig, fie ‚geht in ruhigen 
Bahnen, ohne allzu große Spannungen, aber auch ohne 
grobe Unebenheiten bis zu einem fröhlichen Ende. Der 
englifche Geiſt, das englifche Leben, die englifchen Ge⸗ 
fege und Geſellſchaftsverhaͤltniſſe ſcheinen dem Verf. 
durchaus fremd zu fein; das England, in dem feine Je⸗ 
fuiten fid) bewegen, ift ein erdichtete6 England. Und es 
gersinnt dadurch eben -nicht an ntereffe. Der Jefuit 
Harker ift mit Robin, obgleich er ſich in ähnlichen La- 
gen befindet, durchaus nicht zu vergleichen. Er ift ganz 
und gar ohne deffen geiftige Energie, ohne beffen Fein⸗ 
heit, Lift und feelifche Gewalt, er zeigt fih überall plump 
und wird durch feine Unklugheit, in der er das Inter⸗ 
effe des Ordens wahrnimmt, ziemlich verähtlih. in 
Döfewicht mie Harker kann nicht das ntereffe erregen, 
weiches ein Rodin durch feine Großartigkeit immer in 
Anſpruch nehmen wird, feine Natur ift eine Peine, und 
wenn man an Robin fehen kann, wie ug Sefuiten 
find, fo würde man an Barker nur fehen, wie dumm fie 
geworden. ben weil feine Unverftändigfeit zu Far 
hervortritt und alle jefuitifchen Plane daran jcheitern, 
laßt der Verf. ihn denn auch aus England abberufen 
und in das Liguorianerflofter bei Linz gebracht werben. 
Auch der Zefuit Jacobſohn, dem wegen eines Mordes 
in England der Balgen beftimmt wird, iſt weniger eine 
großartige als eine häfliche Erſcheinung. Die Jefuiten- 
bemühungen in England, welche ber Verf. fchildert, 
bleiben, durchaus in einer privaten Sphäre; er gibt 
ihnen feinen allgemeinen, großartigen Hintergrund, wie 
er an ben iriſchen Zuftänden fi von felbft darbie- 
tet. Wir hatten dergleichen erwartet. Ob der Jefuiten- 
orden wirklich Piratenfchiffe auf feine Koften und zu 
feinem Vortheile unterhält, bezweifeln wir. Das ift 
wol nur eine müßige, vomantifche Erfindung bes Verf. 
Als Gegner der Jeſuiten und ihrer Schlihe wird ein 
Bettler Blount, ein fpäterer Sir Gramton, aufgeftellt. 
Der Verf. hat in diefer Figur die tiefen Abgründe bes 
londoner Lebens anbeuten wollen, wird ſich aber felbft 


nicht Mar. Ex Hat keinen Ducchblid in focialen Zus - 


ftänden. Blount hat mit ber Menfchheit gebrochen, er 
bat ihr den Krieg erklärt und operirt deshalb im Verein 
mit Naͤubern und Mörbdern, thut aber immer fehr mo- 
valifch und fpielt gern Vorſehung. Diefes Vorfehung- 
fpielen hat unendlich viel Unmatürliches und Lächerliches, 
Blount erfcheint und durchaus nicht ale eine großartig orga⸗ 
nifirte, Den Kampf gegen die Geſellſchaft nach beſtimmten 
Grundfägen treibende Geftalt, wie 3. B. der Galeerenfllane 
in Balzar’d „Water Goriot“. Er macht auf uns in ber 


That keinen andern Eindrud als den eines Pedanten. _ 


Weit glüdlicger ald da, wo der Roman eine groß⸗ 
artige Perfpective gewinnen fol, ift der Verf. ba, 
wo er nicht aus ber Unterhaltungsfphäre bes Ro— 
mans berausgeht. Er bat nach den manchen gelunge- 
nen Situationen, die wir gelefen, jedenfalls viel Gefchid 
für den flillen, befcheidenen Roman, aber er muß nicht 
große, allgemeine Beziehungen und Verwickelungen aus- 
drücken wollen; dafür fehlt ihm, wie es fiheint, nicht 
nur ‚der innere Beruf, fondern .auch genaue Kenntniß 
des Lebens. Es ift wahrhaftig nicht gleichgültig, das 
Eugen Sue in Paris lebt, Paris hat vielleicht mehr 
und Fraftiger an den „Beheimniffen” und an dem „Ewigen 
Juden” gearbeitet als Eugen Sue felbfl. Wir haben 
fhon oben gefagt, wie wenig ber Verf. die englifchen 
Zebensverhältniffe kennt und das macht alle feine Anla- 
gen und Ausführungen dürftig, es fehlt der Stempel 
der Wahrheit. Aus den Verzerrungen bes „Emigen Ju: 
den’’ tritt immer noch die Wahrheit hervor; der Verf. 
verliert fich in eine nebulofe Romantif. Die Geftalten 
Eugen Sue's bewegen fih in einer großen, lebenden, 
immer neu ?reifenden Welt, fie erfcheinen als Producte 


des modernen Lebens, als Ausdrüde unferer focialen 


Zuftände, als verkörperte Diffonanzen unfere gemein: 
ſchaftlichen Dafeind; die Figuren des Verf. bleiben im- 
mer nur Zictionen feines Gehiens und fie bewegen fih 
nur auf einer tabula rasa. Doch ift der Verf. talent- 
voll genug, feine Kreife, wenn er fie nicht zu weit aud- 
dehnt, zu füllen und ein lebhaftes Intereffe für die Be⸗ 
wegung innerhalb derfelben einzuflögen. Es thut ihm 
nur eine Begrenzung noth, um Vortreffliches zu leiften, 
eine Entfagung, große Perfpectiven malen zu wollen, 
die ihm felbft nicht deutlich vor die Seele treten. 

So ift auch die Partie feines Buchs, deren Schau- 
plag Wien oder überhaupt Oftreich ift, den englifchen 
Situationen und Schilderungen beimeitem vorzuziehen, 
er ift hier gefchloffener, feier, er fcheint das Terrain 
beffer zu kennen und ſich freier auf bemfelben bewegen 
zu fönnen. Die Darftellung ber wiener Gefellfchafts- 
verhältniffe, die Liebe zwifchen Arthur und Charlotte, 
auch die Schilderung des Jefuitenklofters bei Linz find 
vortrefflich gelungen; es ift Leben und Wahrheit in den⸗ 
felben. Aus ben privaten Abfichten und ntereffen tritt 
allerdings der Jefuitismus in Dftreich ebenfo wenig her⸗ 
aus wie in England, er kämpft in ben Erpofitionen des 
Berf. nicht um ein Princip, fondern eben. nur um eine 
Erbſchaft und deshalb gegen eine Perfon, gegen Arthur, 
den er auf jede Art und Weiſe zu verderben fucht.‘ Aber 
Harker's Pläne midlingen auch bier, Blount der Bett- 
ler oder vielmehr Sir Grawton, fteht ihnen gegenüber. 
Wenn man nah dem Titel diefes Buchs nicht erwartet, 
große Auffchlüffe über das Wehen und Treiben des Se- 
fuitismus in den genannten Ländern zu erhalten und 
fi damit begnügen will, den Sefuitiömus als äußer- 
lichen Hebel für das Romanintereffe angewendet zu fe- 
fen, fo wird man bei der Lecture der „Sefuiten in Eng⸗ 


land und Öftreich” volltommene Befriedigung finden. 
(Die Vortſeßung folgt.) 


getreten. Der Kaiſer Friedrich II. iſt allerdings eine 
der hervorragendften Erſcheinungen jener Epoche. Nie 
find vielleicht fihönere Kräfte an die Bekämpfung bes 
Papſtthums gefegt worden. Friedrich ift ganz einer 
poetifchen Behandlung würdig. Wenn dem Berf. auch 
‚Vieles fehlt, um die ganze innere Natur, das reiche Le- 
ben dieſes Kaifers richtig zu enthüllen und ein gefchloffe- 
nes Charakterbild zu liefern, fo ift feine Auffaffung Fried⸗ 
rich's doch vollfommen würdig und, wenn aud im Gan⸗ 
zen nicht großartig genug, doch reich an einzelnen vor⸗ 
trefflichen Zügen. Den wahren poetifchen Werth feinee 
Romans und feiner einzelnen Geftalten flört der Verf. 
allzu Häufig durch das unfelige Gelüfte des Hohen- 
ſtaufen ſchen Romanticismus, welches auch ihn über 
kommt und welches ihn dann über allerlei mittelalter⸗ 
lichen Mummenſchanz die tiefen Lebensbewegungen ver⸗ 
kennen läßt. Wir können alſo nicht fagen, daß der 
Berf. in feinem „biftorifehen Romane” Das geleiftet 
hat, was wir von dem wahrhaften hiftorifchen Romane 
immer verlangen werben: bie geiftige Durchdringung ber 
ganzen betreffenden Epoche in künſtleriſcher Begren- 
zung, den gefchichtlichen Athemzug ihrer Perfonen und 
ihre freie Bewegung im Spiegel der Poefie, aber nicht 
im Hohlfpiegel der Romantik. Dod können wir aud) 
wieber gern zugeben, daß der Verf., andern biftorifchen 
Romanen gegenüber, durchaus etwas Befferes bietet und 
daß fih ein Streben in ihm bemerkbar macht, höhern 
Anfoderungen als einer bloßen Decorationdmalerei zu 
genügen, wenn auch nicht bie poetifche und bie hiſtori⸗ 
ſche Kraft, e6 durchzuführen. 
Der Friedrich dieſes Romans kann nicht ben Ein- 
druck machen, ben der hiftorifche immer machen muß, wenn 
- man ihn nach glaubwürdigen Quellen, nur nit nad 
Konftantin Höfler’s fogenanntem ‚Beitrag zur Berichti- 
gung der Anfichten über den Sturz der Hohenftaufen” 
(Münden 1844) fludirt. Der Verf. hält ihn viel zu weich, 
ja zu weichlich; das Zragifche feiner Stellung tritt aus 
dem bunten Mummenfchanze zu wenig beutlicd hervor, 
der Narr mit feiner Ironie genügt nicht, es fteht ihm 
kein Lear gegenüber... Xriebrich fland an dem Ausgange 
des ungeheuern Kampfes, welcher das ganze Mittelalter 
durchwühlte. Welch ein poetifches und biftorifches Mate- 
rial fland hier dem Dichter zu Gebote; aber der Verf. 
ift über feinen Romanticismus nicht zum rechten Be⸗ 
wußtfein deffelben gefommen. Friedrich hatte bie Heir- 
ſchergrundſaͤhe feines Großvaters Barbaroffa zu den fei- 
nigen gemacht, er kaͤmpfte um Italien auf diefelbe Weiſe, 
er entwidelte in diefem Kampfe, der fein ganzes Reben 
toftete, einen ausbauernden Muth, eine feltene Klugheit; 
aber bei dem Berf. erfcheint diefer Kaifer zu häufig als 
ein abentenernder Held, ald ein irrender Ritter, ald ein 
phantaftifcher Schwaͤrmer. Wenn er irrte, fo ierte er 
keineswegs als ein fanguinifcher, ale ein blinder Held, 
er irrte als ein fehender Mann, er irrte in den Princi⸗ 
pien feiner Hauspoliti. Wie Bug er war immerhalb 
biefer verberblihen Hauspolitit, das beweifen die vielen 


Geſetze, welche er in Verbindung mit feinem Kanıler — 


lichen Macht erließ. 


auch, diefer Figur Hätte der Autor ein höheres, hiftori- 
ſches Relief geben fonnen — zur Beſchränkung der ita- 
lienifchen Städte und zur Wieberherftelung der kaifer- 
Gr wollte durch das Lehnsſyſtemn 
den Freiheitögeift der italienifchen Städte, durch Bater- 
effe mit dem Papſtthum verbunden, : bezwingen. ' 
feine Hauptintereffen in Stalien vergaß er Deutſchland, 
beförderte er die Zerftüdelung beffelben. 

Der Verf. beginnt feinen Roman mit dem Kreuzzuge 
Friedrich's in das heilige Land, ſchürzt eine ſchwärmexiſche 
Liebe des Kaifers zu einer fhönen Mohammedanerin hinein 
und entwidelt dann allmälig Die großen Tableaur bes kai⸗ 
ferlichen Lebens. In allen erfcheint der Narr als eine 
wehmüthig » ironifhe Natur, der wir nur etwas mehr 
Shakſpeare'ſchen Geift gewünfcht haben möchten. Es 
fehlt dem ganzen Gemälde, trog des Fleifes und man- 
ches löblichen Beſtrebens, der Geift der gefchichtlichen 
Tragik; der Romanticismus läßt es nicht dazu kommen. 
Als Innocenz den Kaifer mit dem Bannfluche belaftete, 
rief Thadbäus: „Dies istae, dies irae, calamitatis et 
miseriae!” und er war ein Prophet. Aber bezeichnenb 
für die Natur des Kaifers, er, der trog des Bannfluchs 
unermüdlich in Stalien forttämpfte, deſſen Unerfhroden- 
heit durch ‚feinen politifchen Sturm vernichtet werben 
fonnte, brach zufammen als jein Kanzler treulos wurde 
und fein Lieblingsfohn Enzio in Befangenfchaft kam. 
Der Verf. wird uns vielleicht fagen, daß er fih bemüht 
babe, diejes innere Gemüthsleben des Kaifer zu fehildern, 
aber er ‚hat darüber den Kaifer, den unerfchrodenen 
Helden, den Eugen Staatsmann, den großen Mittel 
punkt einer ungeheuern biftorifchen Tragödie vernad- 
läffigt und allzu fehr dem Romanticismus preißgegeben. 
Mit dem Sturze Friedrich's triumphirte das Papſtthum, 
aber es Inüpfte fi an biefen Triumph ber Beginn fei- 
ned Sturzed. Auch diefe Lage ber Welt Hätte der Berf. 
ftärfer und mit mehr hiftorifcher Kraft und Poeſie zeich⸗ 
nen fünnen und er hätte gerade‘ barin bie moberne Be 
deutung feines Romans finden follen, wäre er nicht eben 
zu romantiſch gewefen! 


3. „Die Sefuiten in England und Oftreih.” Wir 
haben es allerdings auch in diefem Romane wie im 
„Ewigen Juden” mit dem Umtrieben des Jeſuitismus 
zu thun, aber fie treten keineswegs fo-erfchütternd, fo 
einfchneidend in das Fleiſch und Blut unferer Gegen⸗ 
wart auf, wie in dem franzöfifchen Werke. Der Berf. 
ift noch viel mehr Romanfchriftftellee als Politiker und 
Weltkenner. Es ift ihm weit mehr um Roman- 
effecte und um das bequeme Ausfpinmen berfelben als 
um bie eigentliche Entwidelung der jefuitifchen. Beſtre⸗ 
bungen, als um den Krieg gegen ben Sefuitismus zu 
tun. Irren wir wicht, fo ift er ein Oſtreicher. Der 
Titel ift vielverfprehend. Daß ber Sefuitenorben auch 
im proteftantifchen England feine Standpunfte findet 
und feine Hebel anwendet, kann nicht mehr geleugnet 
werden. Wir dachten, ber Berf. werde uns einige in- 


tereffante Auffchlüffe geben können. Aber wir erfahren. 


. 
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1 
‘ 
. 
18 “. 
“” * 


eben nichts Beſonderes. Auch bier wie im „Ewigen 
Juden” "handelt es ſich für bie Jeſuiten um eine Erb⸗ 
ſchaft, wenn auch nicht um eine ſo bedeutende, um bie 
Erbfchaft des Lord Afterley, deffen zwei Söhne, Harry 
und Arthur, zum Mittelpuntte der Handlung werben. 
An fie fchließen ſich ber Jeſuit Harker als das feindfe- 
lige Princip Arthur’s und der Bettler Blount ale das 
beichügende beffelben. Die Erzählung der ganzen, Hand- 
lung halten wir für überflüflig, fie geht in ruhigen 
Bahnen, ohne allzu große Spannungen, aber auch ohne 
grobe Unebenheiten bis zu einem fröhlichen Ende. Der 
englifche Geiſt, das englifche Leben, die englifchen Ge⸗ 
fege und Gefellfihaftsverhältniffe feheinen dem Verf. 
durchaus fremd zu fein; das England, in dem feine Je⸗ 
fuiten fid) bewegen, ift ein erdichteted England. Und es 
* gewinnt dadurch eben-nicht an Intereſſe. Der Jeſuit 
Harker ift mit Rodin, obgleich er fi, in ähnlichen La— 
gen befindet, durchaus nicht zu vergleichen. Er ift ganz 
und gar ohne deffen geiftige Energie, ohne deſſen Fein- 
beit, Lift und feelifche Gewalt, er zeigt fih überall plump 
und wird dusch feine Unklugheit, in der er das Inter- 
effe des Ordens wahrnimmt, ziemlich verächtlich. Ein 
Böfewiht wie Harker kann nicht das Intereffe erregen, 
weiches ein Rodin duch feine Großartigkeit immer in 
Anſpruch nehmen wird, feine Natur ift eine Beine, und 
wenn man an Rodin fehen kann, wie ug Sefuiten 
find, fo wirde man an Barker nur fehen, wie dumm fie 
geworden. ben weil feine Unverftändigfeit zu klar 
hervortritt und alle jefuitifchen Plane daran fcheitern, 
läßt der Verf. ihn denn auch aus England abberufen 
und in das Liguorianerklofter bei Linz gebracht werden. 
Auch der Zefuit Jacobſohn, dem wegen eines Mordes 
in England der Galgen beftimmt wird, if weniger eine 
großartige als eine häßliche Erfeheinung. Die Jefuiten- 
bemühungen in England, welche der Verf. ſchildert, 
bleiben, durchaus in einer privaten Sphäre; er gibt 
ihnen feinen allgemeinen, großartigen Hintergrund, wie 
er an den iriſchen Zuftänden fi von felbft darbie- 
tet. Wir hatten dergleichen erwartet. Ob der Jefuiten- 
orden wirklich Piratenfchiffe auf feine Koften und zu 
feinem Vortheile unterhält, bezweifeln wir. Das ift 
wol nur eine müfige, vomantifche Erfindung des Verf. 
As Gegner der Zefuiten und ihrer Schlihe wird ein 
Bettler Blount, ein fpäterer Sir Grawton, aufgeftellt. 
Dee Verf. hat in diefer Figur die tiefen Abgründe bes 
londoner Lebens andeuten wollen, wirb fih aber felbft 
nicht Mar. Er hat keinen Duchblid in forialen Zu⸗ 
ftänden. Blount Hat mit der Menſchheit gebrochen, er 
hat ihr den Krieg erklärt und operirt Deshalb im Verein 
mit Mäubern und Mörbern, thut aber immer ehr mo- 
ralifch und fpielt gem Vorſehung. Diefes Borfehung- 
fpielen hat unendlich viel Unnatürliches und Lächerliches, 
Blount erfcheint ung buschaus nicht als eine großartig orga⸗ 
nifirte, den Kampf gegen die Gefellfchaft nach beflimmten 
Srundfägen treibende Geftalt, wie z. B. der Galeerenfllave 
in Balzac's „Water Goriot”. Gr wiacht auf und in der 
That Beinen andern Eindrud als den eines Pedanten. 





Weit glüdlicher als da, wo der Roman eine groß. 
artige Perfpectine gewinnen fol, ift ber Verf. ba, 
wo er nicht. aus der Unterhaltungsiphäre des Ro- 
mans berausgeht. Er bat nach ben manchen gelunge- 
nen ‚Situationen, die wir gelefen, jedenfalls viel Gefchid 
für den flillen, befcheidenen Roman, aber er muß nicht 
große, allgemeine Beziehungen und Verwickelungen aus 
drüden wollen; dafür fehlt ihm, mie es fcheint, nicht 
nur ‚der innere Beruf, fondern auch genaue Senntniß 
des Lebens. Es ift wahrhaftig nicht gleichgültig, daß 
Eugen Sue in Paris lebt, Paris hat vielleicht mehr 
und fräftiger an den „Geheimniffen” und an dem „Ewigen 
Juden” gearbeitet als Eugen Sue felbf. Wir haben 
[bon oben gefagt, wie wenig ber Verf. die englifchen 
Zebensverbältniffe kennt und das macht alle feine Anla- 
gen und Ausführungen dürftig, es fehlt dee Stempel 
ber Wahrheit. Aus den Verzerrungen des „Emigen Ju⸗ 
ben” tritt immer noch die Wahrheit hervor; der Verf. 
verliert fi) in eine nebulofe Romantik. Die Geftalten: 
Eugen Sue's bewegen ſich in einer großen, lebenden, 
immer neu kreiſenden Welt, fie erfcheinen als Producte 
des modernen Lebens, als Ausdrüde unferer focialen 
Zuftände, als verkörperte Diffonanzen unſers gemein- 
ſchaftlichen Daſeins; die Figuren des Verf. bleiben im- 
mer nur Fictionen feines Gehirns und fie bewegen ſich 
nur auf einer tabula rasa. Doch ift der Verf. talent- 
vol genug, feine Kreife, wenn er fie nicht zu weit aus⸗ 
dehnt, zu füllen und ein lebhaftes Intereffe für die Be⸗ 
wegung innerhalb derfelben einzuflößen. Es thut ihm 
nur eine Begrenzung noth, um Vortreffliches zu leiften, 
eine Entfagung, große Perfpectiven malen zu wollen, 
die ihm felbft nicht beutlich vor die Seele treten. 

So ift auch die Partie feines Buchs, deren Schau- 
plag Wien oder überhaupt Oſtreich ift, den englifchen 
Situationen und Schilderungen beimeitem vorzuziehen, 
er ift "hier gefchloffener, feier, er fcheint das Xerrain 
beffer zu kennen und fich freier auf demfelben bewegen 
zu können. Die Darftellung der wiener Gefellfchafts- 
verhältniffe, die Liebe zwifchen Arthur und Charlotte, 
auch die Schilderung des Jeſuitenkloſters bei Kin, find 
vortrefflich gelungen; es ift Leben und Wahrheit in den- 
felben. Aus den privaten Abfichten und Intereſſen tritt 
allerdings der Jeſuitismus in Oſtreich ebenfo wenig her⸗ 
aus wie in England, er kämpft in den Erpofitionen des 
Verf. nicht um ein Princip, fondern eben. nur um eine 
Erbſchaft und deshalb gegen eine Perfon, gegen Arthur, 
den er auf jede Art und Weiſe zu verderben ſucht. Aber 
Harker's Pläne midlingen auch hier, Blount der Bett- 
ler ober vielmehr Sir Grawton, ſteht ihnen gegenüber. 
Wenn man nad dem Titel diefes Buche nicht erwartet, : 
große Auffchlüffe über das Wehen und Treiben bed Se- 
fuitismus in den genannten Ländern zu erhalten und 
fih damit begnügen will, den Sefuitiömus als äußer⸗ 
lichen Hebel für das Romanintereffe angewendet zu fe 
fen, fo wird man bei der Lecture der „Zefuiten in Eng⸗ 


land und Oftreich” volllommene Befriedigung finden. 
(Die Portfegung folgt.) 





432 


Zur Mempsiren-Literatur. 


J. Yus dem Tagebuche des alten Komdbianten. Bon Franz 
Wallner. Leipzig, D. Wigand. 1865. 8. 1 Hr. II Nor. 
9. Memoiren eines berliner Nachtwaͤchters. Bon Morvelt. 
Erfied und zweited Baͤndchen. Danzig, Gerhard. 1845. 8. 
20 Rgr. 

Un die Bücher, bie man jetzt Memoiren nennt, mai ich 
ungefähr diefelben Anſprüche wie an Chroniken. Je einfacher 
fie darftellen, um defto werthvoller find fie; je anfpruchBlofer der 
Autor ift, um defto mehr verdient er Beifall. Der Ton muß nativ 
fein; nichts ift wiberwärtiger als gefallfüchtige Memoiren, und für 
den Berf. gibt ed Beine widerwärtigern Memoiren als die der 
Markgraͤfin von Baireuth, der Schwefter Friedrich's des Gro⸗ 
Ben. 
die Unmittelbarkeit des erften Eindruds genau wiedergibt und 
das Factum gleichſam in einem veinen Spiegel ſcharf ſehen 
läßt. Daß das Faetum dur feine Befonberheit verdiene 
fpriftlig aufbewahrt zu 'werden, ift eine Foderung, die nit 
‚jeder Memoirenfchreiber erfüllt. Preilich gibt es auch Memoi⸗ 
ren und Chroniken der Heldenthaten von Perfonen, aus Deren 
Leben nichts Anderes zu melden ift als die Zahl der Hafen, bie 
fie — Jahr geſchoſſen und der Pferde, die ſie lahm geritten 

A 


en. 
Das Tagebuch des „alten Komoͤdianten“ ift, wie der Verf. 
ſelbſt ſagt, zunächſt Freunden und Bebannten gewidmet und 
zwar mit Recht; daß fein Buch für die Literatur von Bedeu: 
„tung fei, wird der Autor felbft gewiß nicht behaupten wollen. 
- Die „Memoiren eines berliner Nachtwaͤchters“ find 
zum Theil wie Stüde aus dem „Juif errant” von Qugen 
Sue. Es find Nachtſtücke, das deutet ja au der Zitel fchon 


an; bie Lichter find faft immer grell aufgefegt; das Meifte in 


dem Buch ift erſchreckend; des Beruhigenden und Berfühnen: 
. den ift wenig darin. Aber dieſe Darftellungen alle tragen einen 
eigenthümligen Stempel der Wahrheit an fih; erfunden und 
emacht fcheint nichts zu fein. Manches in dem Bude if 
7 ft wichtig ge Pfychologie der Verbrecher, zum Urtheil über 
Schuld und Unfhuld; viele der Mittheilungen Pönnen ange: 


fehen werden wie Beifpiele zu Manchem, was Bettina in ihrer - 


Schrift „Dies Buch gehört dem König” über Verbrechen, 


Anklage, Burechnungsfähigkeit und Schuld fagt; mit einem 


Wort, das Banze ift eine Beifpielfammlung zu der Geſchichte 
der Gebrechen und Mängel unferer foctalen Zuftände und unferer 
moralifchen Bildung oder zu den Eonflicten, in welche beide 
oft gegeneinander treten. " 

NRoch eine Bemerbung fügen wir hinzu. In Büchern, die 
nicht der firengen Wiſſenſchaft angehören, fondern die für die 
Lefer aus den verfchiedenften Regionen der bürgerlien Geſell⸗ 
ſchaft beftimmt find, follte doch der Verfaſſer allezeit ſich hüten, 
nicht Mittheilungen oder Aufhellung zu geben, die über Serual- 
verhaͤltniſſe widernatuͤrlich Scheusliches berichten; Mef. bericht 
fich auf Theil 3, Seite fg. Dergleichen follte man ber The⸗ 
rapie oder der medieina forensis überlaffen. 35. 





 rRiterarifbe Notiz. 
Winkelried als Held.einer Tragödie. 

Bon 3. 3. Porchat, ſchon als dramatifcher Dichter durch 
feine ‚Jeanne d’Arc’ befannt, ift eine neue Tragödie erſchienen: 
„Winkelried, drame en cing actes et en vera“, weldye in 
der Schweiz großen Beifall findet. Im erften Acte, „Unterwal: 
den” überfehrieben, tritt Winkelried als liebevolle und forg- 
ſames Haupt einer Schweizerfamilie und zugleich al6 Bater- 
landsfreund und unerfchrodener Krieger auf. Der Dichter. hat 
die Hauptleute ber eidgmöffifchen Truppen um ihn verfammelt 
und ftelt uns in diefem ftürmifchen Kriegsrath fowol die ber 
Schweiz drohenden Gefahren als die ihr zu Gebote ftehenden 


Memoiren haben nur dann Werth, wenn der Schreiber. 


8 igungswittel vor bie Augen. Der Übermufg bes Undis 
vgeig und oft großmüthige Stolz des Hauſes Habse⸗ 
burg find im zweiten Acte geſchildert. Der Gontraft zwiſcher 
dem dautfchen Lehnsweſen und der Unabhängigkeit der Schwei⸗ 
zer wird in Winkelried und Herzog Leopold und in ihren bei- 
den Söhnen anfchaulich gemacht. Bei Sempach, wo der dritte 
Act fpielt, treten die Anſichten der Eidgenofſen in Conflict; 
der heftige Eifer und bie ruhige Befonnendeit erathen in einen 
ungleihen Kampf.‘ Man fieht ein Schweigerlager mit feiner 
Bampfluftigen Intisciplin, welche bloß der heroiſche Snftinct der 
Schlachten zu bändigen vermag. Im vierten Act, „Die Ka: 
pelle“ betitelt, miſcht fi die Kirche in den Streit der Cdel⸗ 
leute und der Bauern. Für die ern find die Fürften, für 
die Legtern bie Mönche. Es ift das Sinnbild der beiden Ge 
enföge, welche im Mittelalter fih um die Herrihaft im Staate 
—2* In den fuͤnften Act fällt die Schlacht bei Sempach, 
in welcher der Heldenmuth ber Schweizer fich fo glänzend be⸗ 
währte. Der Dichter bietet uns ein intereffantes 6. De der. 
Sitten, Interefien und Leidenfchaften der gegeneinander Kaͤm⸗ 
pfenden bar. Der Ritter von Stanz und ber Herzog Leopold 
find darin die Hauptperfonen. Übrigens find die handelnden 
Derfonen eher blos ffizzirte und pittoresk im Stud aufgeftellte 
Figuren als ſcharf und beftimmt gezeichnete Charaktere. Win⸗ 
kelried felbft wird meiftens duch bie Liebe zu-feinem Sohne 
und feiner Familie zur That angetrieben, und bie übrigen 
großen Eigenfchaften, welche ihm die Gefchichte zuerfennt, wer 
den nit gehörig hervorgehoben. Leopold erfcheint als ihm 
entſchieden überlegen. Um den Contraft zu erhöhen und augen: 
fheinlicher zu machen, bat Porchat nicht allein neben ben 
Helden ihre Söhne, naivere und lebendigere Raturen, fondern auch 
ihre Raͤthe und Waffengefährten geftellt. Reben Leopold fteht 
der tapfere Halmyl, ein Krieger, der nur von Schlachten 
fpriht und, gewaltige Maßregeln Tennt, und der Aftrolog 
Gerard, der an feine Kunſt felbft glaubt; Winkelried zur 
Seite fteht der Schultheiß von Luzern, Goldonding, ber eben: 
fo tapfer im Kriege ald Nug im Mathe ift, und der Minne: 
fünger Wolfram, der ihn mit dem Enthufiasmus eines Did: 
ters und eines Patrioten liebt. Eine Geftalt fehlt jedoch an 
der Seite des tragifhen Helden: Winkelried’s Frau. Das 
ſchweizeriſche Weib wird mithin in diefem Rationafdrama nicht 
repräfentirt, und man muß ſich wundern, daß der Dichter eine 
folche Rüde in einem Wamiliengemälde des 14. Jahrhunderts 
gelaffen hat. Jeder Act fließt mit Chören, die zur Schoͤn⸗ 
heit des Stuͤcks viel beitragen. Auf jeden Kal verdient diefes 
Zraueripiel die Aufmerkfamkeit und Anerkennung aller Fremde 
31. 


der dramatifchen Kunft. 





Literarifhe Anzeige. 


In meinem Berlage erfchien foeben und ift in allen Buchhand⸗ 
lungen zu erhalten: 


Briefe 
eines deutſchen Künſtlers 


aus Stalien. - 
Aus ben nachgelaſſenen Papieren 


Erwin Spedire ame Hamburg 
Zwei Theile, 
Gr. 12.. Geh. 3 Thir. 15 Ngr. 


Ecipzig, im April 1846. 
| $. A. Brockhaus, 


Berantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brockans. — Drud und Verlag von J. . Brockhaus in Leipzig. 











Blätter 
für 


literariſche Unterhaltung. 





Sonntag, 





Religidfe Tendenzromane. 
(Fortſezung aus Nr. 108.) 


4, „Mac Lalor, oder muß es eine Kirche geben? 


und welche?" von Wilhelm Gärtner. Die Form 
der Novelle ift bei diefem Buche durchaus etwas Über: 
flüffigee. Sie fchlottert ziemlih haltslos um philo- 
fophifche oder vielmehr philoſophiſch fein follende Ab⸗ 
bandlungen, und das Refultat derfelden iſt: die katho⸗ 
liſche Kirche ift die wahrhafte Kirche. Die Grundge- 
danken des Berf. find folgende: Es gibt ein Ewiges, 
vom Ewigen Selbftgedachtee . — „weil Selbftdentendes, 
deffen Veräußerung ale Schöpfung nothwendig in Po- 
Iarität ausging und in dieſer nicht blos eine materielle, 
nicht blos eine geiftige Schöpfung war, fondern Beides 
zugleich fein mußte”. Polarifation bedinge ein gegenfeiti- 
ges Verhalten, alfo Verbindung; darum und weil die 
 Schöpfungsgefhichte die eines Kreifes aus Gott und 
zu Gott zuruͤck fei und ihre Bewegung feine an- 
dere als die des göttlichen Gedankens, des Nicht « Urge⸗ 
danfens, wüffe es in der Schöpfung einen Punkt oder 
eine Linie geben, in meldjer Geift und Materie fich 
erreichen; diefer Punkt fei der ideale Enbpunft des zur 
Hälfte vollendeten Kreifes der Geſchichte der Endlichkeit. 
Durch den „Zal der Menfchen” fei die Ordnung des 
Berbandes zwiſchen Geiſt und Materie auf einem Punkte 
geftört worden, die fortgehende Entmidelung der Welt 
habe nicht mehr dem. Urbilde des Gottesgedankens ent- 
forochen, diefe Störung habe in Geiſt und Materie fort- 
gewirft und fei fo groß geworben für die legtere, daß 
die Erde aus ihren Polen gehoben wurde. Wenn die 
- Erde mit veränderter Achſe in die allgemeine Weltpolar- 
orbnung hineingezogen werden mußte, fo mußte, um Die 
Ordnung allfeitig herzuftellen, Ahnliches mit „dem gefal« 
lenen, der Unordnung und Zerrüttung mehr und mehr 
verfallenden Geifte” gefchehen. Es fei nothwendig ge- 
wefen, „daß der Menfh in die Ordnung der Geifter 
zurückgleiſe“. Aber eine Entfernung der Störung „durch 
Vernichtung des Menfchen und. der Erde wäre in ber 
Idee Gottes unmöglich gewefen, denn das wäre geweſen 
Selbft - Rectificieung Gottes". So fei dem Menfchen 
die Aufgabe geftellt „Durch freie Thätigkeit nicht nur 
die verlorene Stellung wiederzugewinnen, fondern zu: 


19. April 1846. 





glei) über diefe hinaus die ihm von Anbeginn geftellte 
Beftimmung zu erftreben”. Alſo follte der Menſch nad 
dem Verf. „auf der Exde wieder werden das vergeiftigte, 
unfterblihe gottanfchauende, das heißt feines Schöpfers 
ohne Frage gewiffe Wefen, es follte feiner Zeit auf der 
Erde ein ganzes Geſchlecht folder Wefen fein und die⸗ 
fes Geſchlecht follte den Weg des Opfers. durch Dingabe 
der Freiheit (2) in Bereinigung mit Gott zurüdgelegt 
baben und hierdurch an der Schwelle des Himmels, das 
HE des Hieraus für es hervorgehenben und von Gott neu 
ermittelten Zuſtandes der Gottſeligkeit angelangt fen”. 
Da aber der Menfh durch feinen Fall ein „anderes, 
zum Theil thierifches Weſen“ geworden, fo blieb für bie 
Realifirung der Menfchenbeftimmung nichts Anderes übrig 
als dieſe Beſtimmung ihm aufs neue zu „ſchenken“. 
Nunmehr fei die Beftimmung des Menfchen „Beruf“ 
und „Gnade“ geworden. Neben der Gottesidee und 
dem Beſchluſſe der. „Gnade“ habe auch noch bie Ver⸗ 
Dammung oder vielmehr das „Verdammtſein“ des Men- 
ſchengeſchlechts beftanden und biefes Berbammtfein be- 
ruhe in feinem Tegten Grunde, gerade fo wie das Be- 
gnadigtfein in Gott, aber es fei nicht ein ‚von Gott 


„gethaner” Fluch, fondern für Gott ein „Argerniß“. 


(Alfo die Lehre vom Teufel!) Das Argerniß fei die 
Unfähigkeit gewefen; nicht der unfähige Menfch, aber die 
Unfähigkeit mußte vernichtet werden. Der Vernichtungs- 
act der Unfähigkeit, zu dem Zwede neuer Befähigung, 
fei der „Beginn des Gnadenacts“. Diefed wäre nur 
möglich gewefen einem Wefen, „das felbft Gott und 
durch feine Menfchwerdung in das der Erlöfung bebürf- 
tige Gefchlecht eingetreten war, daher ed auch für alle 
Bedingungen feiner Zeit mit eingehen und gerade ein 
volles Menfchenalter durchleben mußte, und die menſch⸗ 
liche Natur diefes Weſens mußte zerftört werden, d. i. 
bie Lebensform diefes Weſens mußte aufgehoben werben 
durch Auseinanderlegung des Geiſtes und ber Seele im 
Tode”. Sobald diefes erreicht, fei die „Wieberherftellung 
der Meltordnung, die neue Verbindung ber Menfchen 


| mit. Gott‘ erreicht worden. Außerſt komiſch iſt folgende 
Conjectur über die Geburt Chriſti: 


Das Mutterwerben und das fimmuftäne Werben der zur. 
sealen @inheit mit Gottesnatur beftimmten menſchlichen Ratus 
im Mutterleibe mußte auf andern als feitherigen Wegen voll: 





434 


führt werden, nämlich auf bem Wege der Unorbnung. So 
Werden 


entfpra das des neuen Menſchen dem eheeinfligen 
Werden der Urmutter aus dem Urvater; die jungfräuliche Mut- 
ter vernahm in dem „Ave“ des Sendboten ihren Beruf, das 
Gegenbild der „Eva“ zu werden — gleidhwie Ave das umge: 
kehrte Eva iſt —, und der Sohn dieſer neuen Eva war be: 
fliamt, dee neue Adam und Stamnwater bed vercreixten Men: 
chengeſchlechts zu werden und im Wege feines Gühnamtes 
eine WMenfchheit zu dem frühern vergeiftigten menfchlichen Ur: 
fein zurüdsuführen. 

&o find wir auf der übermenfchlichen Baſis des 
Chriftentbums angelangt. „Da der Gottmenſch bes 
Sühnopfers Leine andere Beftimmung hatte ale die Her⸗ 
flelung ber Xebensgemeinfhaft zwifchen Gott und den 
Menſchen, fo lag das Lehramt nur infofern im Bereiche 
feiner Beftimmung, als den Menſchen die Lebendgemein- 
fhaft mit Bott in ihrer Nothwendigkeit, Beſchaffenheit 
und Beziehung in das Bewußtfein gebracht werden mußte.” 
Die Lebensgemeinfhaft mit Gott, als ein Sichhinuber- 
leben in Gott, müßte ein Leben geifligen Handels fein 
folen. Die Momente diefes Verkehrs follen alfo Tha⸗ 
ten — nicht Gottes, nicht der Menfchen, fondern — zwi⸗ 
fen Gott und den Menſchen fein, „Die den bezüglichen 
Momenten des Weltgedankens in Bots entfprechen”, und 
bas find unferm Derf. zufolge die „Sacramente“. Wir 
überloffen dem Verf. feine überfhwängliche Entwidelung 
yon der „Rothwendigkeit fieben Heiliger facramentalifcher 
Geheimnißmomente im Berkehre mit Gott‘ und deuten 
nur an, im weicher Weife er die Organifation des kirch⸗ 
küchen Lebens zu entwideln fucht: 

Die neue Lebensgemeinfhaft mit Gott mußte in allem Be: 
ginn fih über hinreichend Viele hinreichend befruchtend ergie- 
—* um ein für allemal eine gemeinſchaftliche, uͤbereinſtimmende 

ur die Fortpflanzung in alle Zeiten beftimmte Anfchauung (?!) 
der Menſchenaufgabe und deren Verſtaͤndniß zu wirden; daher 
eine über die Grundwahrheiten der Menichenbeftimmmmg über 
alten Bweifet ununterbrochen gewifle (!) Gemeinde, daher eine 
unbefüegbare Lebens :» und Fortpflanzungskraft in dieſer Ge 
meinde, 

Diefe Gemeinde foll ihre Einheit finden in der „Ein- 
gebung der von dem gottheitlichen Gnabenquell und von 
dem gottbeitlichen Sühner ausgegangenen gottheitlichen 
Lebensgewalt”. Damit aber das Wild der Gemeinde 
entfpreche „den betreffenden Momente in dem Gottes- 
gedanken der Welt”, muß das „Selbſt Gottes” aud in 
der Organiſation der Gemeinde feinen Nefler finden, ber 
„auch in die Materie Hineinragen und darum zugleich 
ein äußerlich fichtbarer fein muß”. Nun folgende Ent- 
widelung des Papismuf: 

Do nun Gatt fein Selbflbewußtfein in der Gottedidee der 
Welt beharrlich gegen den Fall und die Unortnung der Welt 
behauptet dat und Da er es behauptete zunaͤchſt Dusch den Süf- 
ner, fo wird der Refler des gottheitlichen Selbſt in 
Der inde zunaͤchſt das Selbſt des Suühners offenbaren 
wüflen, das ift: es wird der Sühner als Stifter und Ober: 
Baupt der Gemeinde in einem, und nur einem fihtban 
ren Dberhaupte der Gemeinde reproduciren. 

Die Aufgabe ber Gemeinde fol nah dem Verf. 
über das irdifhe Sein hinausreihen! Sie folt, „wor 
ber Menſch von jeher beſtimmt mar“, den Opferweg 
durch Hingabe der Preiheit in charfächlicher Eimigumg 


mit Gott zurüdiegen und fo auf dem Weg ber Heilig- 
feit an die Schwelle der Gottfeligkeit und des Himmels 
gelangen! Auf diefe Weife fol die Gemeinde nichts 
Anderes fein ale 

die Erfüllung und Vollendung der mit Gott dem Shö- 
pfer cingeleiteten, im @rlöfer ind Wert ten, im Heiligen 
erhaltenen und zu Ende geführten Recrealion des Menichen- 
— und der Erde — und der Hinleitung der Menſch⸗ 
eit zu Gott als ihrem Ziele. 

Die Entwidelung des Papismus geht nun rafch 
vorwärts. „in Gott-Erfahren gab es nur vor dem 
Kalle und gibt es nur wieder in der Kirche.” „Wäre 
nicht Eingebung das Wefen chriftliher Anſchauung, 
fo ließe fi der Glaube nicht gegen Angriffe vertheibi- 
gen.” „Nur die Eingebung der Lebensgemeinfchaft mit 
Gott erringt der Kirche Selbfländigkeit und Unabhaͤngig⸗ 
keit von den Phaſen der Wiffenfchaft und der Zeiten.” 
Eine bumoriftifche Bekämpfung der wiffenfchaftlichen 
Prüfung ift folgende: 

- Ben in dem Yugenblide, da der Menich die felbfleigene 
Überzeugung aufgeben muß, alle die Millionen Gläubige und 
alle die Biſchoͤfe der Kirche um fein Sterbelager herumſtehen 
und, dafſelbe Glaubensbekenntniß fprechend, dem Sterbenden 
mit ihrem Glauben für die Wahrheit beiftehen, — wird folche 
Beugenfchaft der Wahrheit dad Haupt des Sterbenden nicht 
Kein beiten ald die Borlefung eines philofophifhen Para- 
raphen 

— Dem Lehramte in der Kirche wird eine doppelte 
Autoritaͤt vindicirt; erſtens die ihrer Offenbarungs⸗ 
weiſe und dann die ihrer „gottgemeinſchaftlichen Unfehl⸗ 
barkeit”. Sobald der „urfprüngliche” Stand des Men⸗ 
[hen verloren gegangen, foll die Drganifation ber Kirche 
nothwendig geworden fein; Rom ale Mittelpunkt ber 
Kirche wird folgendermaßen erHärt: 

Der Drganismus der Kirche mußte ſich als ein mit der 
Freiheit des Menſchen wechfelnder mit der Geſchichte ent» 
wideln, daher die Stiftung der Kirche in einer Seit, da die 
Philoſophie des Heidenthums fih zu dem Standpunkte des 
Monotheisuns endlich Binaufgerungen hatte, Daher bie 
Stätte für ihre Fundament Rom, als die Stelle, 
auf welder die Menfchheit ihre Höhfte Bildung 
ee — namentlih Willensmaht — erreicht 

atte. 

Über bie Trennung ber Kirche vom Staate heit es: 

Indem ſich die Kirche als eine mit Gott in Lebensgemein⸗ 
fhaft verfehrende Gemeinde organifirte, ſchied fie Alles aus, 
was nicht von ſolcher Lehensgeneinſchaft iſt (auch die weltliche 
Herrſ 9); fo ward Trennung gelegt zwiſchen ihr als dem 
Bereiche göttlicher Verhandlungen und zwifchen weltliden An⸗ 
gelegenheiten; alfo Trennung der e,vom Staate. 

Nun fol „die Entwickelung der Kirche eine gefon- 
derte, außerorbentliche Geſchichte in ber Geſchichte 
der Menfchheit machen. Der Kirche kam es zu, bie 
ntuitionen aller Geſchichte offenbarend zu erklären.“ 
Durch die Kirche ift den Menfchen „ihre Geſchichte erſt 
Mar geworden”. Es bedurfte „der Kirche, um Lit im 
die Racht der Gefchichte und hierdurch — in bie Phi⸗ 
loſophie zu bringen!” Die Geſchichte der Kirche iſt „bie 
Weltgefchichte vom hoͤchſten Standpunkte ans tet‘! 
Der Glaubensact des in der Kirche Befindlichen „bat 
mit dem Acte voiffenfchaftlicher Forſchung gar nichts ge 





mein, nicht einmal eine Beziehung zu dieſem“. „Das 
Bertrauen und der Glaube ift der Anfang, die Fort: 
fegung und die Vollendung alles Wahrnehmens und 
Bernehmens, d. h. aller Wiſſenſchaft.“ Dem Alten folgt 
der phantaftifhe Schluß: | 

Aber eine Zeit muß kommen, da die kirchliche Gemeinde 
aus der Lebendgemeinfhaft mit Bott dad Bemußtjein Diefer 
Semeinfhaft ald ihr Höchftes gewonnen hat; da dag kirch⸗ 
lihe Bewußtfein ein allgemeines, die Einheit der Glieder voll⸗ 
endendes ift; eine wahrhaft große Beit muß kommen, da bie 
Beftimmung der Menfchheit und der Materie ihre legte Lö⸗ 
fung erfährt, da Materie und Menfchheit in die Unordnung 
zurüdgleifen, da die Erde ihre einflige Achfe wieder einnimmt, 
da „Rauſchen der Meere”, bie in ihre frübern Becken zuruͤck⸗ 
kehren, zu hören fein wird; da eine neue auferflandene Menfch: 
beit, eine neue Erde fein und diefer Erde und dieſer Menfch- 
beit fi der Himmel in ungefannter Neuheit darftellen und 
eröffnen wird. Und diefer Zeit wird vorangeben ein Vorabend, 
da Zeichen am Himmel geichehen, da vom Geifle der Lebens: 
gemeinfchaft mit Gott erfüllte Menfchen anfündigen werden, 
was bevorfteht und da der alsbald nahende Meſſias in folchen 
Menfhen wieder feine Vorläufer haben wird, wie er bei feiner 
erften Ankunft am Jordan einen hatte. Auf diefe Punkte 
müffen dann zurüdigeführt und nach deren Maßgabe berigtigt 
werben der Bhilofophie Prophezeiungen einer hoͤhern Eultur: 
periode, al& die des Reuen Teſtaments. 

Aus dem Mitgetheilten erfieht wol Jeder, daf wir 
es bier nicht mit einer Novelle, ſondern mit ultramonta- 
ner Theologie, mit modern aufgepugter, mittelalterlicher 
Scholaſtik zu thun haben. Bedarf ed noch einer orga- 
nifchen, weit ausgreifenden Wiberlegung derfeiben? Be: 
bauptungen, die mit den Refultaten des Naturwiſſen⸗ 


fchaft, mit dem Proceſſe der Gefchichte, mit den Zer⸗ 


fegungen der Philofophie in dem graffeften Widerfpruche 
ftehen, die fi) auf das Dogma ber Erbfünde, auf bie 
Autorität des Papftes u. f. w. flügen, richten fich ſelbſt 
ana beften, und wir haben fie fich deshalb ſeibſt Eritifi- 
ven laffen. Dialekeit und Kenntniffe, jedoch confus ge- 
ordnete, fprechen wir dem Verf. nicht ab, fein ganzes 


Buch aber bat auf uns, ſowol mas Form als was In⸗— 


halt betrifft, keinen andern Eindruck als den einer Mon- 
fteofität machen Sonnen. ' 


"(Die Yortfegung folgt.) 





Dichtergräber: Ravenna. Arqua. Certaldo. Bon 
Alfred Reumont. Berlin, A. Duncker. 1846. 


8. 15 Nor. 

Bie in Stalten die Blumen an den Trümmern einet grö- 
Sem Borzeit je, Daften und das düftere Gemäuer mit buntem 
| de zu kleiden tieben, fo wendet der lebensfrohe, for» 
genmeidende Italiener eine finnige, faft rührende Vorliebe fei- 
nen Gräbern zu. Wem kommt eb in Deutſchland, Frankreich 
oder England wol in den Sinn, dem Fremden Grabmäfer zu 

igen, und welcher Neifende fragt in unfern Städten, Rürn- 
oder Salzburg etwa abgerechnet, nach den Kirchhöfen? 
Italien tft das Land der Gräber. Seit den Zeiten wo Erz: 
biſchof Ubaldo Lanfrandhi von Piſa vor ſechs Jahrhunderten 34 
Saleeren voll Erde aus Yaläflina in feine Heimat fchiffte, da⸗ 


wit die Bürger jener mächtigen Republik in gew Lande 


ruben möchten, und feit noch länger find biefe umfangreichen 
Gampifonti oder Richhöfe der ot; fo mancher itafientfäpen 
Stadt (unter denen neben Piſa nur noch Brettia, Bologna, 


Le ——— — — — — — — — — — — — — — 


Ferrara, Parma und Ceſena genannt werden mögen), Felder, 
auf denen die verſchiedenen Kuͤnſſe wetteifernd fi ergeben: 
Die Architektat umgibt den geweihten Raum mit ſchlauken 
Sunfreidyen Bogengangen ; die Malerei ſchmuͤckt, wie 3. B. in 
Piſa, die Wände niit Darftellungen, die dem Zrauernden ver: 
gegenwärtigen, wie Der chriftliche Glaube dem Jode feine 
Schreden genommen bat; die Bildhauerti weiht dem Einzelnen 
die ihm theure Stelle, und die Redekunſt keiht ihr in Worten 
ber Liebe und bes Troſtes eine Sprache, um auch des Fremden 
Theilnahme zu wecken; denn fehon. mehr als Einer unter ben 
erſten Schriftftellern Staliens (wie z. B. Giordani) verfchmähte 
es nitht, manchen Hinterbliebenen gu willfahren, die feine Hilfe 
erbafen, um ihren Gefühlen, die der Scheibegruß auf dem 
Grabfteine ausfprechen follte, eine edlere Geftalt zu geben. 

Graͤber find es, alte Römergräber, die ftatt unferer lang⸗ 
weiligen Ehaufleepappeln längs den alten Heerftraßen fich hin- 
ziebend dem Pilger, von welcher Seite er auch komme, den 
erften Gruß der ewigen Stadt verfünden, ein Grabmal ift die 
Feſtung Rome, Lie Engelöburg, und auf Gräber, die Gräber 
der Apoftel, gegründet iſt Sanct-Peter's Dom, die erfte Kirche 
der katholiſchen Chriftenheit. Unzählbare Ehriftengräber, die 
Katakomben von Rom und Neapel, unterhöhlen meilenweit den 
Boden und ganze Nekropolen reichgeſchmuͤckter Gräber aus he: 
truriſcher oder griechifcher Zeit fehütten bei Nolterra, Perugia, 
Chiuſi, Vulci, Corneto, Rola und wo nicht fonft noch ihren 
unerfchöpflichen Reichthum an alabafternen Zodtenkäften, be: 
malten Shongefäßen, goldenen Schmuckſachen u. f. mw. täglich 
mit freigebiger Hand aus. Das wunderbarfte aber unter den 
vielen Gräbern, bie Italien aufzuweiſen bat, ift das mit Re: 
bengelanden "und Drtfchaften überdedte, unter welchem Hercu⸗ 
lanum, Pompeji und Stabiä durch länger als anderthalb Jahr: 
taufende geichlafen. 

So hat fich denn in Italien, dem Lande der Gräber, eine 
eigene Gräberliteratur gebildet und die vielverbreiteten Gedichte 
über diefen Gegenftand von Foscolo, Pindemonte, Zorti und 
Arici gehören zu dem Bellern, was wir von jenen Schriftftel 
lern befigen. Angemeffen und willtommen ift denn auch die 
Peine Schrift, in der ein des Landes, der Gefchichte und ber 
Literatur im hoͤchſten Maße Pundiger Deutſcher drei von jenen 
een beraushebt, um fie zu ſchildern und einfichtig zu ber 
prechen. 

Die drei älteften und vielleicht die drei größten unter den 
großen Schriftftellern Italiens, Dante, Petrarca und Boccaccio, 
ihrem Urfprunge nach fämmtlih Toscaner, alle drei Lieblings; 
finder der fchönen Urnoftabt, ruhen fämmtlich entfernt von Flo⸗ 
renz, deffen hoͤchſter Stolz fie find; weit ab von den vielbetres 
tenen Wegen, auf denen der europäifche Touriſt einherzieht, in 
der fumpfigen Niederung des Po-Deltas, auf einem Itenpügel 
der vulfanıfchen Euganeengruppe und an den Abhängen des 
Eſathals. Sie ruhen, wenngleich ihre Grabesruhe von ben 
Stürmen nicht frei blieb, die ihr Leben fo vielfach erfchüttert 
hatten. Sechs Zahre nach Dante's Zode erklärte der Earbie 
nallegat Bertrando dei Poggetto die über die „Monar⸗ 
hie’ für ketzeriſch und ſprach über des Verfafſers Gebeine die 
ſelbe Strafe der Bauberei aus, von der am 26. September 
eben dieſes Jahres Gaftruccio Caſtrucane's Schutz Dante's bes 
I a Widerfacher, den Dichter Cecco d'Ascoli, nicht hatte 
befreien Bönnen. Rur die Fuͤrſprache Pino's della Lofa und 
bed Uſurpators Dftafio von Polenta rettete Dänte’s Aſche von 
fhmählicher Entweihung. Nach Petrarca's Tode waren 356 
Jahre verſtrichen, als ein Edelmann von Rovigo, ein vandali» 
fer Berehrer des Dichters, zwei Bewohner von Arqua ver: 


| leitete, die Marmorurne zu zerträmmern, die des Gebirgsboͤrf⸗ 


chens einzigen Ruhm ausmadt, um den Arm zu entwenden, 
der zum reife der fchömen Provencalin fo unzähtbare girtie 
Betlen gefihrieben. Die Grabfchänder traf’ die Strafe des Schwer: 
ted und Beute noch bezeichnet ein eingefügteg Stuͤck Marmor 
mit der Jahredzuhl die Berletung des Sarkophags; ber 
Arm des Dichter® aber ift nicht mehr wiedergefunden: Lüngere 


2 


führt werden, nämlich auf dem Wege der Unordnun ug. ©: 
entſprach das Werden des neuen Menſchen dem che figen 
Werden der Urmutter aus dem Urvater; bis jungfräuliche Mut- 
ter vernahm in dem „Ave“ des Sendboten ihren Beruf, das 
Gegenbild der „Eva“ zu werden — gleihwie Ave das umge: 
—* Eu if —, und der Sohn diefer neuen Eva war be: 

dee neue Adam und Stammwoater bed vescreisten Men: 
—* chlechts zu werden und im Wege ſeines Sühnamtes 
eine Menſch au dem frühern vergeiftigten menſchlichen Ur: 
fein zuruͤckzufuͤh 

&o find * auf der übermenſchlichen Baſis des 
Chriſtenthums angelangt. „Da der Gottmenſch des 
Sühnopferd Leine andere Beſtimmung hatte als die Her⸗ 
flelung ber Lebensgemeinſchaft zwifchen Gott und den 
Menſchen, fo lag das Lehramt nus infofern im Bereiche 
feiner Beftimmung, als den Menfchen Die Lebendgemein- 
ſchaft mit Bott in ihrer Nothwendigkeit, Beichaffenheit 
und Beziehung in das Bewußtfein gebracht werden mußte.” 
Die Lebentgemeinfhaft mit Gott, als ein Sichhinüber- 
eben in Gott, müßte ein Leben geifligen Handels fein 
teen. Die Momente -diefes Verkehrs follen alfo Tha- 

— nicht Gottes, nicht der Menfchen, fondern — zwi⸗ 
—* Gott und den Menſchen ſein, „die den bezüglichen 
Momenten des Weltgedankens in Bott entfprechen”, und 
bas find unferm Verf. zufolge die „Sacramente“. Wir 
überloffen dem Verf. feine uberfchwängliche Entwidelung 
yon der „Rothwendigkeit fieben heiliger facramentalifcher 
Seheimnifmomente im Verkehre mit Gott‘ und beuten 
nur an, im weicher Weife er die Drganifation bes kirch⸗ 
küchen Lebens zu entwideln fucht: 

Die neue Lebensgemeinfhaft mit Gott mußte in „dem Be 
ginn fi über hinreichend Viele hinreichend befruchtend ergie- 
en, um ein für allemal eine gemeinſchaftliche, übereinfkimmende 
& die Fortpflanzung in alle Zeiten beftimmte anfgauung (1) 

Menjhenaufgabe und deren Verfländniß zu wirten; daher 
— ehe = 
e ’ 
untefugbarı Lebens » und gortpflanzungskra ft in dieſer Ge 
mind 

Diefe Gemeinde foll ihre Einheit finden in der „Ein- 
gehung der von dem gotfheitlihen Gnadenquell und von 

dem gottbeitlihen Sühner ausgegangenen gottheitlichen 
Lebensgewalt”. Damit aber das Wild der Gemeinde 
entfprehe „dem betreffenden Momente in bem Gottes- 
gedanken ber Welt”, muß das „Selbſt Gottes’ auch in 
der Orgonifation der Gemeinde feinen Reflex finden, ber 
„auch in die Materie hineinragen und barum zugleich 
ein äußerlich fihtbarer fein muß”. Run folgende Ent- 
widelung, des Papismus: 

Da nun Gott fein Gelbſtbewußtſein in der Gottesidee der 
Be —— d gegen den Fall und die Unordnun ber 5 

da er es en 3 Per dur 


— ar der hctbaze itlichen ar in 
ber inde —* das Suͤhners offenbasın 
üſſen, das iſt: ed wird ber Gübner als ifter und Dber- 


Die Aufgabe der Gemeinde fol 5 dem Verf. 
über das ievilhe Sein hinausreihen! Sie foll, „wozu 
ber Menſch von jeher beſtimmt mar“, den Opferweg 
Durch Hingabe der Freiheit In cherfächlicher Einigung 


mit Gott zurüdlegen und fo auf dem Weg ber Heilig- 


keit an die Schwellt der GBottfeligkeit und des Himmels 
gelangen! Auf diefe Weife foll die Gemeinde nichts 
Anderes fein als 

bie Erfüllung und Bollendung der mit Gott dem Schoͤ⸗ 
pfer cingeleiteten, im Erlöfer ind Wert ge gefet sten, im Heiligen 
erhaltenen und zu Ende geführten Becreation des Menichen: 
An und der Erde — und der Hinleitung der Menſch⸗ 
eit zu Gott als ihrem Ziele. 

Die Entwidelung des Papismus geht nun rafch 
vorwärts, „Kin Gott- Erfahren gab es nur vor dem 
Falle und gibt es nur wieder in der Kirche.” „Wäre 
niht Eingebung das Weſen chriſtlicher Anſchauung, 
fo ließe fi der Glaube nicht gegen Angriffe vertheibi- 
gen.’ „Nur die Eingebung der Kebensgemeinfchaft mit 
Gott erringt der Kirche Selbftändigfeit und Unabhängig- 
feit von den Phafen ber Wiffenfchaft und ber Zeiten.” 
Cine Humoriftifche Bekämpfung ber wiffenfchaftlichen 
Prüfung ift folgende: 

Wenn in dem Augenblide, da der Menſch die ſelbſteigene 
uͤberzeugun aufgeben muß, alle die Millionen Gläubige und 
alle die Bilhöfe der Kirche um fein Sterbelager berumftchen 
und, dDaffelbe Glaubensbekenntniß fprechend, dem Sterbenten 
mit ihrem Glauben für die Wahrheit beiftehen, — wird foldhe 
deugenſchaft der Wahrheit das Haupt des Sterbenden nicht 
Kern betten als die Borlefung eines philoſophiſchen Para- 

raphen 

Dem Lehramte in der Kirche wird eine doppelte 
Autoritaͤt vindicirt; erſtens die ihrer Offenbarungs⸗ 
weiſe und dann die ihrer „gottgemeinſchaftlichen Unfehl⸗ 
barkeit”. Sobald der „urſprüngliche“ Stand des Men- 
fen verloren gegangen, foll die Drganifation ber Kirche 
nothwendig geworden fein; Rom ale Mittelpunft der 
Kirche wird folgendermaßen erflärt: 

Der Organismus der Kirche mußte fich als ein mit der 
Freiheit des Menfhen wechfelnder mit der Geſchichte ent- 
wideln, daher bie g der Kirche in einer Seit, da die 
Philoſophie des beidenthums fi$ zu dem Standpunkte 

Monotheituus - endlich Binaufgerungen hatte, daher die 
Stätte für ihr Fundament Rom, als die Stelle, 
auf welcher die Menfhheit ihre höchſte Bildung 
ee — namentlich Billensmacht — erreidt 

a 
' Über bie Zrennung der Kirche vom Staate beißt «6: 

Indem die Kirche als eime mit Gott in 
(hof verfihcenbe Gemeine urganifrie, vn ge 
* niit von ſolcher Lehen —— if auch die weltliche 

7); fe ward —e geleg fen ihr als dem 
Fa eg — Berpandlungen und Fe ſchen weltlichen Un: 
gelegenheiten; alfo Trennung ber vonr Staate. 

Nun fol „die —æe der Kirche eine gefon- 
derte, außerordentliche Geſchichte in ber Geſchichte 
ber Menfchheit machen. Der Kirche kam es zu, bie 
Intuitionen aller Gefchichte offenbarend zu erklären.“ 
Durch die Kirche ift den Denfchen „ihre Geſchichte erſt 
Mar geworben”. Es bedurfte „der Kirche, um Licht im 
bie Racht ber Gefchichte und hierdurch — in die Phi- 
loſophie zu bringen!’ Die Geſchichte der Kirche ifl „bie 
Weltgeſchichte vom höchften Standpunkte aus betrachtet” 
Der Glaubensact des in der Kirche Wefindlichen „bat 
mit dem Acte wiffenfchaftlicher Forſchung gar nichts ger 


mein, nicht einmal eine Beziehung zu diefem”. „Das 
Vertrauen unb der Glaube ift der Anfang, die Fort- 
fegung und die Vollendung alles Wahrnehmens und 
Bernehmens, d. h. alter Wiffenfchaft.” Dem Alen folgt 
der phantaftifche Schluß: 

Aber eine Zeit muß kommen, da die kirchliche Gemeinde 
aus der Lebensgemeinſchaft mit Gott das Bewußtfein biefer 
Gemeinſchaft als ihr Höchftes gewonnen hat; da das kirch⸗ 
liche Bewußtfein ein allgemeines, Die Einheit der Glieder voll 
endendes ift; eine wahrhaft große Zeit muß kommen, da die 
Beftimmung der Menjchheit und der Materie ihre legte Loͤ⸗ 
fung erfährt, da Materie und Menfhheit in die Unorbnung 
zurüdgleifen, da die Erde ihre einflige Achfe wieder einnimmt, 
da „Rauſchen der Meere”, die in ihre fruͤhern Becken zurüd: 
ehren, zu hören fein wird; da eine neue auferflantene Menfch: 
heit, eine neue Erde fein und diefer Erde und diefer Menſch⸗ 
heit fih der Himmel in ungelannter Reubeit darftellen und 
eröffnen wird. Und diefer Zeit wird vorangeben ein Vorabend, 
da Zeihen am Himmel geihehen, da vom Geifle der Lebens⸗ 
gemeinfhaft mit Gott erfüllte Menfchen anfündigen werden, 
was bevorfteht und da der alsbald nahende Meffias in folchen 
Menfchen wieder feine Vorläufer haben wird, wie er bei feiner 
erften Ankunft am Jordan einen hatte. Auf diefe Punkte 
müffen dann zurüdgeführt und nach deren Maßgabe berichtigt 
werben der Philoſophie Prophezeiungen einer hoͤhern Eultur: 
periode, ald die des Neuen Zeftaments. 

Aus dem Mitgetheilten erficht wol Jeder, daß wir 
e6 bier nicht mit einer Novelle, fondern nrit ultramonta- 
ner Theologie, mit modern aufgepugter, mittelalterlicher 
Scolaftit zu thun haben. Bedarf ed noch einer orga- 
nifchen, weit ausgreifenden Wiberlegung bderfelben? Be- 
Bauptungen, die mit den Refultaten des Naturwiſſen⸗ 
fhaft, mit dem Proceſſe der Geſchichte, mit den Zer- 
fegungen der Philofophte in dem graffeften Widerfpruche 
ftehen, die fi auf das Dogma der Erbfünde, auf bie 
Autorität des Papftes u. f. w. flügen, richten fich felbft 
ana beften, und wir haben fie fich deshalb ſelbſt kritifi⸗ 
ren laſſen. Dialektik und Kenntniſſe, jedoch confus ge- 
ordnete, fprechen wir dem Verf. nicht ab, fein ganzes 


Bud) aber hat auf uns, fomol was Form ale was In⸗ 


halt betrifft, keinen andern Eindruck als den einer Mon- 
firofität machen Tonnen. ° 
r (Die Yortfegung folgt.) 





Dichtergräber: Ravenna. Arqua. Certaldo. Bon 
Alfred Reumont. Berlin, X. Dunder. 1846, 


8. 15 Nar. 
Sem Beryeit ın baften um daß Däßere Gemdur mit bunden 
tt zu düftere mit buntem 
Gämude zu —** fieben, fo wendet der lebensfrohe, for» 
genmeidende Italiener eine finnige, faft rührende Vorliebe ſei⸗ 
nen Gräbern zu. Wem komm es in Deutfchland‘, Frankreich 
oder England wol in den Sinn, dem Fremden Grabmäler zu 
igen, und welcher Reifende fragt in unfern Städten, Rürm- 
oder Salzburg etwa abgerechnet, ‚nach den Kirchhöfen ? 
Italien tft dad Land der Gräber. Seit den Zeiten wo Erz⸗ 
biſchof Ubaldo Lanfranchi von Piſa vor ſechs Jahrhunderten 84 
Galeeren voll Erde aus Palaͤſtina in feine Heimat ſchiffte, da⸗ 
wit die Bürger jener m en Republik in geweihtem Lande 
ruhen möchten, und feit noch länger find dich umfangreichen 
Gampitfanti oder Kirchhoͤfe der 3 fo mander itaftenifchen 
Stadt (unter denen neben Pifa nur noch Brebtia, Bologna, 


VFerrara, Yarma und Ceſena genannt werden mögen), Felder, 
auf denen die verfihiebenen Künfte wetteifernd fi ergeben- 
Die Urchiteftur umgibt den geweißten Ramm mit ſchlauken 
kunßreichen Bogengäangen; die Malerei ſchmuͤckt, wie z. B. in 
Piſa, die Wände mit Darſtellungen, die dem Trauernden ver⸗ 
egenwaͤrtigen, wie ber chriſtliche Glaube dem Tode ſeine 
recken genommen bat; die Bildhauerei weiht dem Einzelnen 
die ihm theure Stelle, und die Redekunſt leiht ihr in Worten 
ber Liebe und des Troſtes eine Sprache, um auch des Fremden 
Theilnahme zu wecken; denn ſchon mehr als Einer unter den 
erften Schriftftelern Italiens (wie z. B. Giordani) verfchmähte 
es nicht, manchen Hinterbliebenen zu willfahren, die feine Hülfe 
erbaten, um ihren Gefühlen, die der Scheidegruß auf dem 
Grabfteine ausfprechen follte, eine edlere Geftalt zu geben. 

Gräber find es, alte Nömergräber, die flatt unferer lang⸗ 
weiligen Ehauffeepappeln längs den alten Heerſtraßen fih hin⸗ 
ziebend dem Pilger, von welcher Seite er auch komme, den 
erfien Gruß der ewigen Stadt verkünden, ein Grabmal tft die 
Feſtung Roms, Lie Engelöburg, und auf Gräber, die Gräber 
der Apoſtel, gegründet iſt Sanct: Peter’ Dom, die erfte Kirche 
der katholiſchen Chriftenheit. Unzählbare Ebhriftengräber, die 
Katafomben von Rom und Neapel, unterhöhlen .meilenweit den 
Boden und ganze Rekropolen reichgefhmüdter Gräber aus be: 
truriſcher oder griechifcher Zeit fhütten bei Nolterra, Perugia, 
Chiuſi, Vulci, Corneto, Rola und wo nicht fonft noch ihren 
unerfchöpflichen Reichthum an alabafternen Todtenkäſten, be: 
malten Thongefaͤßen, goldenen Schmudfachen u. f. w. täglich 
mit freigebiger Hand aus. Das wunderbarfte aber unter den 
vielen Gräbern, die Italien aufzumweifen hat, ift das mit Ne: 
bengeländen ‘und Drtfchaften überdedte, unter welchem Hercu⸗ 
lanum, Pompeii und Stabiä durch länger als anderthalb Fahr 
taufende gefchlafen. 

So bat fih denn in Italien, dem Lande der Gräber, eine 
eigene Gräberliteratur gebildet und die vielverbreiteten Gedichte 
über diefen Segenftand von Foscolo, Pindemonte, Zorti und 
Arici gehören zu dem Beflern, was wir von jenen Schriftftel: 
lern befigen. Angemeſſen und willlommen iſt denn auch die 
Peine Schrift, in der ein des Landes, der Gefchichte und der 
Literatur im höchften Maße Pundiger Deutfcher Drei von jenen 
em beraushebt, um fie zu ſchildern und emfichtig zu bes 
prechen. 

Die drei älteften und vielleicht die drei größten unter den 
großen Schriftftelleen Italiens, Dante, Petrarca und Boccaccio, 
ihrem Urfprunge nach ſaͤmmtlich Xoscaner, alle drei Lieblings: 
Finder der fhönen Arnoftadt, ruhen ſaͤmmtlich entfernt von Flo⸗ 
renz, deſſen hoͤchſter Stolz fie find; weit ab von den vielbetrer 
tenen Wegen, auf denen der europäifche Tourift einherzieht, in 
ber fumpfigen Niederung des Po⸗Deltas, auf einem Geitenhügel 
der vulkaniſchen @ugancengruppe und an den Abhängen des 
Elſathals. Sie ruhen, wenngleich ihre Grabesruße von den 
Sturmen nicht frei blieb, die ihr Leben fo vielfach erfchüttert 
hatten. Sechs Jahre nach Dante's Zode erBlärte der Eardis 
nallegat Bertrando dei Poggetto bie rg Hi über die „Monar« 
hie” für ketzeriſch und ra über des Verfafſſers Gebeine dies 
felbe Strafe der Bauberel aus, von der am 26. September 
eben dieſes Jahres Gaftruccio Eaftrucane'3 Schutz Dante’s ber 
rüßmten Widerfacher, den Dichter Cecco d'Ascoli, nicht hatte 
befreien koͤnnen. Rur die Fuͤrſprache Pino’s della Yofa und 
des Uſurpators DOftaflo von Polenta rettete Daͤnte's Aſche von 
fhmählicher Entweihung. Nach Yetraren’8 Tode waren 258 
Jahre verftridhen, als ein Edelmann von Rovigo, ein vandali⸗ 
fger Berehrer des Dichters, zwei Bewohner von Arqua ver: 
leitete, die Marmorurne zu zertrümmern, die des Gebirgsbärf- 
chens einzigen Ruhm ausmadt, um den Arm zu entwenden, 
der zum Preiſe der em Hrovencalin fo unzählbare zierliche 
Betten gefhrieben. Die Grabfihänder trafdie Strafe des Schwer: 
tes und Beute noch bezeichnet ein eingefügte® Stuͤck Marmor 
mit der Jahredzahl 1000 die Verlegung bed Sarkophags; ber 
Arm des Dichters aber ift nicht mehr wiedergefunden. Laͤngere 


Aube wurde ben Gebeinen Boccaccios gegoͤnnt; nachdem fle 
aber 408 Jahre lang in der Kirche San» Zacopo, die der Dich⸗ 
ter des „‚Delameron‘ mit Bermaͤchtniſſen bedacht hatte, beftattet 
gewefen, verftreute fie ein in folder Anwendung mehr als laäͤ⸗ 
cherliches fanitätöpoliceiliches Geſetz, und felbit von dem Grab: 
fleine fonnte bie Pietaͤt ber trefflichen Befigerin feines Hauſes, 
Carlotta MebicisLenzoni, nur Bruchflüde retten. - 

Dante, Petrarca, Boccasciol wel eine Welt von Erin- 
nerungen Enüpft fi an biefe Ramen! Theologie Philofophie 
und Poeſie des Mittelalters in ihrer legten aber hoͤchſten Blüte. 
Die hereinbrechende neue Beit mit ihrer Aufklaͤrung, ihrer fle- 
genden Vorliebe für claffiſches Altertyum. Die junge melodifche 
weiche Sprache, anderthalb Jahrhunderte nachdem die Feder 
ihre erften Laute verzeichnet hatte, zu der Außerften Bollendung 
erblüht, die ihr beſchieden war. Und im Hintergrunde Die gro⸗ 
fen Bewegungen der ‚gewaltigen Zeit. Kaiſerthum und Papſt⸗ 
thum im ungleichen Kampfe; bald aber ‚auch diefes an innerer 
Verderbniß Ddahinfterbend. Kirchendogma und Wiſſenſchaft, 
Stäbtefreiheit und Municipaltyrannei in noch unentſchiedenem 
Steeite begriffen. Wol verlohnt es fich, Gräber, die fo Groß⸗ 
5 — vergegenwaͤrtigen, an eines kundigen Fuͤhrers Hand zu 
beſuchen. 

ſ Ein kundiger Führer im vollſten Maße iſt nun aber 
Hr. Reumont; ein Führer, der & nicht damit begnügt, den 
unmittelbaren Gegenftand feiner Schilderung und vor bie Aus 

en zu bringen, ſondern der und das Ddarzuftellende Bild im 

ufommenhange der ganzen landſchaftlichen Umgebung erbliden 
läßt und wieder dieſe durch eine Fülle anregender geſchichtlicher 
Erinnerungen zu beleben weiß. Mit lebhaftem Intereſſe ver- 
folgen wir in biefen Blättern die jih zum Ende neigenden Ge⸗ 
ſchicke der drei Männer, zu deren Gräbern wir geführt wer: 
den, und die Iheilnahme . ihr eigenes Loos laͤßt uns bereit⸗ 
willig auf die Kunde merken, die uns über das Ende der 
Machthaber gewährt wird, bei denen die zwei Erſten ihre legte 
Zuflucht gefunden. Dante und Petrarca find es, Die und nad 
Auskunft uber die Schieffale der Polentanen und Garrarefen 
verlangen machen; denn Boccaccio, der nah dem fchwachen 
Umfange feiner Kräfte immer zu Opfern Bereite, gegen Rie: 
mand jemals Misgünftige hat ein höheres Maß von Bönner- 
fchaft wol nie erfahren als was ihm in dem Xeftamente feines 
Freundes Petrarca zu Theil ward, der ihm 50 Soldgülden zu 
einem warmen Winterfleide vermachte. 
des Büchlein ift Navenna und Dante's Grabe gewidmet, und 
wir erkennen dankbar das große Geſchick bes Verf., Ortlichfei- 
ten, Ereignifle, ja felbft Empfindungen, wo immer die Gele: 
genbeit ſich dazu bietet, und mit den eigenen Worten bes Sän- 
gers der „Goͤttlichen Komödie” vorzuführen. 

Namentlid in Bezug auf Petrarca und Boccaccio wären 
auch nach veihere Gaben ſolcher Art gewiß nit unwillkommen 
geweſen. &o hätten wir aus den mehrfachen Berichten Pe: 
trarca’8 über fein beſchauliches Landleben in Arqua einige Mit 
theilungen gern gelefen. Beſonders ungern aber vermiflen wir 
die Lebendige und maleriſche Schilderung von Eertaldo, die 
Boccaccio in feinem LTroftbriefe an Pino de’ Roſſi entwirft. 

Unangemeflen wäre e6, in Betreff einer Schrift, welde ge: 
fhichtliher Erinnerungen nur beiläufig gedenkt und nichts ale 
geſchehen berichtet, für das nicht geachtete Autoritäten ange: 
führt werden Fünnen, darüber zu rechten, ob der Verf. gerade 
den Beugniffen den Vorzug eingeräumt Babe, denen der Ref. 
im Gegenjag gegen andere vorzügliche Glaubwürdigkeit beimißt- 
Nur das Kine möge erwähnt werden, daB Hr. Reumont 
zu unferm Bedauern die ſchoͤne Sage vermwirft, nach der bie 
teaten GSefänge von Dante's damals für unvollendet geachteter 
„Böttlicher Komödie” erft nach des Dichter Tode von deffen 
Sohne in Folge eined Zraumgefichts aufgefunden fein. Wenn 
auch die Geftalt, in welcher Boccaccio dad Ereigniß uns berich⸗ 
tet, deutliche Beichen poetüfcher Ausfhmüdun 
fo dürften Spuren vorhanden fein, die einen Kern von Wahr: 
beit vermutben laflen. Kari Bitte. 


Die größere Halfte: 


an fich trägt, 


—Notizen. 

. Cenſirte Geſchichtſchreibung. 
Kaiſer Leopold J. ließ ſeit dem Jahre 1600 eine neue Be 
beitung von s „Epiegel der Ehren bed Hauſes Hftreich“ 
anfertigen, denn da die Beſchreibung „gar ſtellet, alt⸗ 
vaͤtteriſch, gleich denen gemeinen Hiſtorien⸗Buͤchlein“, ſei es 
„eine Rothdurft, die ganze Chronik auf jetzige Art zu ftilifiren 
und daraus Marginalia zu gm Mit diefer Arbeit wurde 
der bekannte Pegnitzſchaͤffer Sigmund Yetulius oder von Birken 
in Rürnberg beauftragt, der fie auch bis zum Jahre 1668 in 
drei Bänden vollendete. Jeder Bogen mußte aber in Wien 
vorgelegt werden, wo hochſtehende Beamte, zuerfi der Hofrath 
und Kanzler Suttinger, dann der Faiferliche Hiftoriograpbus 
unb Leibmedicus Mannagetta, zulegt der gelehrte Bibliothekar 
Petrus Lambecius, mit welhem Lestern fih Birken nicht fon- 
derlich gut vertrug, die Genfur übten. In den Briefen, welche 
Birken von diefen Eenforen erhielt und deren mehre in Ama: 
rantes’ (Joh. Herdegen’8) „„Hiftorifcher Nachricht von deß loͤb⸗ 
lichen Hirten: und Blumen: Ordend an der Pegnit Anfang 
und Fortgang” abgedrudt find, werden wiederholt Berhaltungb: 
regeln gegeben, nad) welchen fih der Bearbeiter zu richten 
babe; fo folle er „alles Dasjenige, fo etwan wider Ihro Päbſt⸗ 
lihe Heiligkeit, die Geiftlihen, Venedig, Bayern, Schweit 
und andere hohe Häufer gefchrieben, und etwan mit abfonder: 
lihem Eifer erzehlet worden, auslaffen‘; und während Birken 
einerfeitd allerdings mit feltenen Geſchichtswerken, auch ur: 
kundlichen Nachrichten reichlich von Wien aus unterflügt wurde, 
mußte er es ſich Doch andererfeit5 gefallen laffen, daß ihm von 
oben herab vorgefchrieben wurde, was und wie er zu beridten 
habe. So fchreibt Manmagetta 5. B.: „Ihro Majeftät haben 
mir geftern befohlen, den Prediger: Mönden den Tod Hem 
rici VIL nicht zuzufchreiben, daß Ihme nemlih in der Com» 
munion feye vergeben worden, fondern, wie Spondanus, in 
feinen Annalibus Ao. 1313 diefelbe zu entfchuldigen.” Daß 
auch ſchon damals zwiſchen bairifhen und oͤſtreichiſchen Ger 
fchichtöfchreibern eine ähnlihe Stimmung geherrſcht habe, wie 
fie in neuefter Seit namentlih an einem Geſchichtsforſcher, wel⸗ 
cher beiden Staaten nacheinander angehört hat, hervorgetreten 
ift, ergibt fi aus folgenden Worten des einen Briefs, welche 
die Wahl der Gegenkaiſer Ludwig's des Baiern und Friedrich's 
des Schönen betreffen: „Ob zwar die Bayrifche Historici. dem 
Haus Defterreich fehr übel wollen, fo daß jie wider Abraha- 
mum Bzovium durch den Bayriſchen Herwart Ao. 1618 ein. 
ziemlich dickes Buch in Qu. zu Mönchen herfür gegeben, Latin: 
nen Ludovicus IV. Imperator defensus, Bzovius iniuriarum 
postulatus, intitulirt, — — ZJedannoch Kat Ihro Kaiferliche 
Majeftät Ihnen belieben laffen, daß die Klection ex Annah- 
bus Spondani Ao, 1314 ſollte befchrieben werden.” Am ch: 
renwertheften bei der ganzen Sache erfcheint am Ende immer 
hr bes Kaifers perfönliche Theilnahme für eine wiſſenſchaft⸗ 

lie Arbeit. 


Deutſch-kaiſerliche Hofpoeterei vor 150 Jahren. 


Im Jahre 1700 wurde ein nürnberger Kaufmann, Chri⸗ 
ſtoph Adam Negelein, nachdem er zum Katholicismus üderge 
getreten war, Baiferliher Hofpoet in Wien. Was damals der 
deutfche Hofpoet an dem Paiferlihen Hofe zu thun hatte, mel 
det er felbft mit folgenden Worten: „Es find bier nur zween 
Hof-Poeten, welche von Ihro Kaiferlihen Majeftät wuͤrkliches 
appointement genießen; namlich Tit. Herr Donatus Cupebo, 
ein Staliäner, und ic. Jener bat ji das ganze Jahr über 
mit den Erfindungen von ſechs Italiänifchen Opern, und einem 
paar Dperetten zu beſchäͤftigen, welche ſowohl als die Italiaͤ⸗ 
niſche und lateiniſche Dratoria, je in ber Faſten⸗Zeit vor Ihro 
Kaiſerlichen Majeſtaͤt muſiciret werden, fo dann ich zu verteutſchen, 
auch dann und wann teutſche Iheatralia felbft zu inventiren be» 
komme. Die Ehre der lateinischen Poeſie und Comöbdien aber bleibt. 
denen Herren Patribus Jesuitis reſervirt.“ 47. 


Verantwortlicher Herausgeber: Heinrich Wrodjauns. — Druck und Verlag von F. E. Brockhans in Leipzig. 


x 


Blätter 


für. 


literarifhe Unterhaltung. 





‚WRontag, 


_ — — 7 





Religidfe Tendenzromane. 
(Bortfegung ans Nt. 1.) 


5. „Die Separatifien” von 2. van der Menlen. 
Din Mittelpunkt dieſer Novelle bilden bie fepavati- 
ſtiſchen Bewegungen innerhalb ber protefbantifdyen 
Kirche Preußens. Das Parteir und Sektenweſen in 
nerhalb der evangelifchen Kirche verbient fjegt um fa 
mehr Aufmerkfamfeit als es, wie das Jeſuitenthum mit 
feinen affiliirten Geſellſchaften die römifch - katholiſche 
Kirche an fi zu reißen trarhtet, fo bie Allenherrichaft 
in der evangelifhen Kirche zu erlangen bemüht iſt. 
Man ſucht nad Aufklärung über dieſes Weſen. Doc 
fehlt für die Gegenwart ein Werk, welches unterhielte 


ohne ald eine gelehrte Abhandlung zu ermüben, und 


befehrte ohne in einen Predigtton zu verfallen... Es fehlt 
ein Werk, etwa wie Jung-Stilling’s „Theobald oder die 
Sechwaͤrmer“, weiches fir feine Zeit hochſt paffend war. 
Der Verf. vorliegender Novelle verſucht es, biefem Mian- 
gel nach Kräften für die jegige Zeit abzubelfen, inbem 
er Jemanden fchildert, des aus dem heutigen Pietiämus 
ſich bis in den Intherifchen Separatiomus verlor, bann 
aber, durch Erfahrungen geldutert, nach einer mehrjdh- 
rigen Fortbildung auch in fremben Ländern und unter 
verſchiedenen Religionsparteien zur evangeliſchen Freiſim⸗ 
nigkeit hindurchbrach. Der Verf. weit auch auf das 
ultramontane roͤmiſche Weſen hin, um zu zeigen, wie un⸗ 
evangeliſch der Separatismus überhaupt ift, dann aber 
auch, „um ben Splitterrichtern auf dieſem Gebiete bes 
merklich ˖ zu machen, daß fie den Balken in dem eigenen 
Auge nicht vergeffen mögen ”. 

Der Leſer finder ſich in dieſer Novelle in einen füngft 
nergangenen kirchlichen Streit in Preußen verfegt. Seit 
bes Befreiungẽkriege zeigte fich, im Begenfage zu bem 
alten Rationalismus des 18. Jahrhunderts, an verſchie⸗ 
denen Punkten Deutſchlands ein rafigiöfer Trieb, ber in 
der katholiſchen Welt von ben Jefuiten zu ihren Zwecken 
beuupt wird, -in der evangelifhen Welt aber auf bie 
Anfange des Iutherifhen Reformation zurückgehen möchte. 
Disfe Stimmung wurde im evangeliſchen Deutſchland 
von. einer fremdartigen, ſchwarmeriſchen, ſelbſtſuͤchtigen 
Partei zu ihrem Vottheile ausgebeutet, ſie erſchien unter 
den Namen der Pietißen, der Feinen, der Myſti⸗ 


— Nr. 110. — 


cealviniſchen Disripfinen zu begreifen. 
durch eine theatraliſche, phantaſtiſche Aufſtutzung. Durch 





Shakſpeate her bis auf Waltter Scott in deſſen „Pree⸗ 
byterianern‘ feine Beleuchtung gefunden Hat, ſuhte 


ſich unter einer gefaͤlligen Form in Geltung. Rur ven 


ſich felh halt es und behauptet ungeiſtlich, ruhmredig 
und hoffärtig, die alleinigen Chriſten und Gläubigen in 
dem eigenen beſchraäͤnkten Kreiſe and in deſſen finfter 
Es empfiehlt ſich 


feine teagifch - künſtlichen Vorſtellungen von ber Suͤube 
und dem Verderben und busch feine ebenfo phantaflliſch⸗ 
finnliche Darftellung von der Gnade, neben den Legen» 
ben und Belchrungsgekchishten in Tractäͤtlein und neben 


den bie Einbildungskraft überſchwemmenden übermäßigen 


Gebeten in ben Eonventikeln wirkte dieſer Pietismus 
viel für ſich. Bei feinem geiſtlichen Scheine, durch el» 
chen er blendete, wußte ex jede geiffige Unmünbdigfeit bei 
gutem Willen, jede Narrheit und jede ſchwache Geite 


an dem Menſchen meifterhaft faufmännifh und politiſch 
‚für ſich auszubeuten. Und wenn 


Jemand in dem Nepe 
gefifcht war, dann ließ ihn ſchon bie fünftlich angewandte 
Disciplin nicht wieder zus Nüchternbeit des Geiſtes ge 
langen. 


ber veformirten und Futherifchen Kürche ben Weg gebahnt 
hatte. In den Schilberungen des Merf. wird nicht blos 


ber Übesreft bes alten halleſchen Pirtismus, fondem auch 


ber moderne Pietiomus vertreten, 
Das Friedrich Wilhelm lil. von dieſem Pletigamus 
angeſteckt geweſen, muß bezweifelt werben, aber er dehnte 


feine politiſche Macht zu weit auf das Privatgebiet desßs 


Glaubens aus und erregte dadurch eine heftige Oppofiion 
bei einem Theile feiner Unterthanen, wie fie eine politiſche 
Zwangsmaßregel niemaje erregen wuͤrbe. Er ſuchte eine 


evangeliſch· deutſche Allgemeinheit, in ber ſich die Prin⸗ 


cipien des abſolutiſtiſchen Regierungsſyſtems kirchlich deu 
treten ließen und wollte zu dieſem Zwecke ein klrchli⸗ 
ches Berfaflungsgebäube errichten. Demgemaͤß lieh er bie 


viel erwähnte Agende verfaffenz des Wiberſpruch, 7 


diefsfbe wie bie Union ſelbſt erregte, I bekannt. e 
religiöfen Parteiungen, weiche niche ausſchleßlich ihre 


So war dieſer Pietismus nicht mr in bie ver⸗ 
ſchiedenſten Kivchenparteien eingebrungen, fondern er fand 
beſonders in der evangelifchen Kirche Preußens ein eve. 
wünfchtes Gebiet, indem ihm bier bie kirchliche Union. 








. 


Glaͤubigen“ in Pommern. 


. ” 
⸗ 


Parteiintereffen durch bie Agende begünftigt ſahen, erhoben 
ihre Stimme dagegen. Nur dem eigentlichen Pietismus, 
weil die Union dadurch befefligt wurde, war fie ganz will- 
Zommen. Es ſonderten ſich die Elemente; viele, bie zur 
Union mit den Pietiften verbrübert, wurden wegen ih- 
zer Tutherifchen Theslogie und weil diefer Pietismus bei 
ihnen zur Zelotie fich gefteigert hatte, die heftigften Gegner 
der Union und ber Agende. Liber diefem Kreuzfeuer mit 
der Theologie und ihren Parteien griff die Regierung 
zu Zwangsmaßregeln, um die neue Einrichtung einzu- 
führen und nicht zergehen zu laffen. „Die Pfaffen der 
Landeskirche find durchweg Bauchdiener, Heuchler und 
Feinde des Evangeliums!” fo riefen die Separatiften. 
Die Regierung ließ Berhaftungen, Erecutionen, Amts⸗ 
entfegungen u. f. w. anordnen, die kirchlichen Zuftände 
des beutfchen Proteſtantismus zeigten fi) in jeber Be⸗ 
ziehung von ihrer trübfeligften Seite. Eine unerfreu- 
lie Sektirerei in. den Maffen, ein Übergriff der politi- 
ſchen Staatögewalt in die Privatfache bes Glaubens! 

. Der Mittelpunkt der vorliegenden Novelle ift Pom⸗ 
mern. Bier, in Binterpommern, wirkte ber Separatid- 
mus befonders ſtark. Prieſter und Abelige vereinigten 
fih gegen die Behörden, „denn man müffe Sort mehr 
gefallen ale den Menfchen”. Cine Urfache finden wir 
im Chatakter der Pommern, welche uns ber Verf. fol- 
gendermaßen ſchildert: 

Siegfried erörterte, die Pommern feien die Dorer der 
Deutihen. Eine gewiffe Geiſtesſchwere fei ihnen eigenthuͤm⸗ 
lich. Daraus entipringe ihr Ernft, ihre Unbeweglichkeit, ſowol 
im guten als bofen Sinne; daraus ihre Sediegenheit, ihr Fleiß, 
ihre Ausdauer, ihre Beftändigfeit. Auf dem Herzen lafte, ne: 
ben dem feften Berftande, eine gewiſſe Schwere im Gefühle, 
welche die Pommern, wo ihr Gemüth erregt werde, zu einem 
Heuchlerifchen Volle made. Mit der Baterlandötreue Hand in 
Hand gehe die kirchliche. Doch fei diefelbe bei Vielen weniger 
ein freied Bewußtfein als ein unbedingter Hang zum Alten, 
Gewohnten, Herkoͤmmlichen. Dadurch, ın Berbindung mit der 
Semüthefchwere,; neige fi der Pommer befonders leicht zu ei» 
ner verfinnlichten Andacht und Religion. 

Durch diefe Charakteriflit des pommerfchen Ratureis 
wird es allerdings ziemlich erflärlich, wie der Separatis- 
mus gerade in Pommern fo großen Anklang finden 
fonnte. Der Adel begünftigte die Conventikel und das 
fogenannte „lebendige“ ober „erweckte Chriftenthum ber 
Die Sache war neu und 
man mußte den Sinn eines fo gemüthlichen Volks wie 
die Pommern mit theatralifher Kunft zu bearbeiten. 
Bei den Bildern von der Sünde, von dem Gerichte, 
dem Satan und der Hölle fohrien Viele laut auf und 
fingen an fich die Haare auszuraufen. Andere began- 
nen zu flöhnen und bekamen Zudungen; Andere waren 
ſchon von der finnlihen Darftellung forfgeriffen, in ber 
Gnade verzüdt. Jungfrauen, bei denen zu der Einbil- 
dungskraft der Geſchlechtstrieb einmwirkte, wurden verzückt 
und fingen an in prophetifcher Sprache Wunberdinge 
zu reben. Es kamen die Dhyfiognomien zum Borfchein, 
welche, als chriftusähnliche, einen Herrn Liebetrut, den 
erfien Donnerer gegen Wislicenus in ber „Evangelifchen 
Kirchenzeitung“, bei den lutherifchen Separatiften in Wall- 


voda fo fentimental anziehen, an denen uns.äber ſchon 
der gefunde Shaffpeare, doch in anderer Weife, zu er- 
gögen weiß, wenn er feine Puritaner erfcheinen läßt ober 
die uns jüngft noch ein Walter Scott in feinen „Pres⸗ 
byterianern“, im „Waverley“ u. f. w. vorführte, zum 
Beweiſe, daß dieſes fhwärmerifhe Pfuſcherchriſtenthum 
innerhalb der geſunden reformirten Kirche ebenſo von 
jeher angefehen worden iſt, wie es uns auch ein Luther 
erachten lehrte und Erasmus von Rotterdam es uns in 
feinem „Lobe der Narrheit” auf dem roͤmiſch⸗katholi⸗ 
fchen Gebiete vorführt. 

Der Autor der Novelle hat tiefe und gefunde Blicke 
in das pietiflifche und feparatiflifche Zreiben der Gegen- 
wart gethan, er fondert die Tendenzen und Beftrebun- 
gen bis in ihre fpeciellften Nuancen, aber über dei 
theologifchen Zweck geht die poetifhe Wirkung der No⸗ 
velle ziemlich verloren. Die Liebesgefihichte des Helden 
vermag wenig zu feffeln, fie fchlottert nur nebenbei und. 
ift nichts als eine Konceffion, welche der Novelle ge= 
macht worden ift. Poetiſch iſt einmal der Stoff nicht, 
den fich der DBerf. zum Vorwurfe genommen, er zeichnet 
eine der unerquidlichften Partien des deutſchen Lebens, 
und dach hätte er ihn noch poetifcher behandeln konnen 
als es gefchehen, durch eine großartigere Auffaffung, 
durch die Ausbreitung von Gonflicten, denen ein allge» 
mein menfchliches Intereſſe innewohnt. Der Verf. iſt 
mehr Theolog als Dichter, und doch hätte er die Theo. 
logie der Novelle unterordbnen und die Kämpfe mehr 
duch gefchloffene Figuren als durch lange Deductionen 
darftellen follen. 


6. „Die Deutfch- Katholiken” von Fr. Luboſfatzky. 
Eine erfreufichere Richtung der veligiöfen Intereffen bes 
beutfchen @eiftes hat fi) diefe Production zum Vorwurfe 
genommen. Freilich, eine fo unfertige Bewegung wie bie 
des Deutfch-Katholicismus fchon zum Gegenftande eines 
dickleibigen, breibändigen Romans machen, iſt ziemlich 
kühn. Die ganze deutſch⸗katholiſche Bewegung bietet eigente 
lich noch gar nichts für eine epifche, objective Behandlung. 
Aber der Verf. des vorliegenden Romans nimmt es weder 
mit aͤſthetiſchen Grundfägen noch mit religiäfen Printi⸗ 
pien allzu genau, es ift ihm mehr barauf angelommen, 
den Deutfä - Katholiciemus für das gewöhnliche Leih- 
bibliothefenpublicum zu bearbeiten und zu verarbeiten. 
Er häuft mehr die äußern Effecte zufammen als dag er 
Motive und Urfachen entwidelte, er gefällt ſich lieber im 
Schlagmwörtern ale in einer von innen heraus ftrebenden 
Entwidelung. Die eigentliche Natur, das wahrhafte We⸗ 
fen des Deutfch »- Katholicismus wird aus biefem Romane 
Niemand lernen konnen; was gegeben wird, wird nur 
durch alibefannte Schablonen gegeben. Die Römifch- 
Katholifchen erfcheinen in diefem Romane ale Schurken 
oder ale Dummtöpfe, die Deutfch - Katholifchen dagegen 
ale Märtyrer ober ald Helden. Der Verf. bat weder 
einen feinen biftorifchen Blick nody weiß er eine pſycho⸗ 
logiſche Kunft geltend zu machen. Die Figuren, welde 
er vorbringt, find ebenfo grobfchrätig wie überhaupt die 














Zabel des ganıen Romans. Die Polemik gegen Rom; 


die Foderung des Deutſch⸗Katholicismus feheint bei ihm 
auf feinem gründlihern Bemwußtfein zu beruhen als auf 


demjenigen, welches in jüngfter Zeit durch unſere Jour⸗ 
nalpreffe aphoriftifh ausgefprodgden worden ifl. Deshalb 
ift es ihm denn auch unmöglich, die wahre Natur bes 
Dentfdh - Katholicismus in einem Momane zu reproduci⸗ 
ren, deshalb gibt er flatt der Principien meiftens Jour- 
nalphrafen, ftatt der Perfönlichkeiten nur Figuren, wie 
ee fie eben für den Mechanismus feines Romans ge- 
brauchen kann. Hier ein paar Beifpiele von der Phra- 
feologie des Verf. (Bb. 2, ©. 3): 

Don Rom her weht der Hauch einer ſchauerlichen Eon: 
fequenn. ' , 

Bd. 2, ©. 302 und 303: 

Ronge's Brief rief in Deutſchland, wie befannt, eine all» 
emeine Bewegung der Geifter hervor, ex glich einem friſchen 

ftfirom, der durch eine Gruft voll mephitifcher Dünfte ftreicht 
und diefe aufregt. (Alſo der Deutſch⸗Katholicismus wäre nichts 
als eine Aufregung mepditifher Dünfte?) Es if hier nicht der 
Dirt, weiter diefe hochwichtige Sache der Menfchheit zu behan: 
deln, als ed nur gerade im Allgemeinen die Ereigniffe unfers 
Romans angeht und mit demielben zufammenhängt. (Der 
Verf. verzichtet alfo felbft auf eine principiele Bedeutung fei- 
nes Romant.) Der Zefuitismus hat Rom mehr Schaden ge: 
tban als Rugen gebracht, denn welche Meinung foll man von 
dem Papſtthum haben, wenn es ſolche Apoftel für feine treuen 
Söhne erklärt, die fih beeifern, der Welt durch ihre Thaten 
und Lehren einen Abſcheu einzuflößen,. Die den Aberglauben 
und Ranatiömus in ten Herzen des Volks einzubürgern trach⸗ 
ten u. f. w. (Mie oft iſt diefe Phraſe gefchrieben?) 

Der Serretair, Hr. Aloys Molitor, erfcheint uns als 
ein ziemlich unfluger Menſch, da er in einer trierſchen 
Weinftube, vor eingefleifchten Römisch-Katholifchen, eine 
Philippika gegen Rom hält. Natürlid kommt es bei⸗ 


nahe zum Herausfchmeigen und der Secretaie erlärt: 


„Sie greifen gewaltfam in mein Menſchenrecht.“ Bir 
tönnen in einem foldyen unbefonnenen Maͤrtyrthum, wel: 
ches die Weinftuben zu feinem Schauplage macht und 
mit Worten auf leere Schädel losdrifcht, durchaus nicht 


irgend’ etwas Großartiges und Erhebendes finden, wie 


der Berf. es ſucht. 

Die Conflicte des nach Freiheit, nah Selbftbeftim- 
mung ringenden Individuums, den Foberungen Roms 
und feiner barmherzigkeitsloſen Hierarchie gegenüber, 
eignen fich allerdings ganz vortrefflih zum Vorwurfe 
eines Romans oder einer Novelle; dagegen fcheint une 
das Princip des Deutfch- Katholicismus, eben als ein 
unfertiges, fich erſt losringendes Princip, durchaus 
ndch nicht dem Rahmen des Romans anzugehören und 


die reiche Außenwelt deffelben erfüllen zu können. Der. 


Verf. hat fih bei der Ausarbeitung des vorliegenden 
Romans von der Sucht verleiten laffen, einem Xriebe 
der Zeit quand-meme zu genügen, er bat weder philo- 
fophifch noch Afthetifch geprüft und eben blos auf die 
Befriedigung des Leihbibliothekenpublicums hingearbeitet. 
Natürlich darf die Erfheinung Ronge's, diefes „Mefor- 
mators des 19. Jahrhunderts”, nicht fehlen. Ronge ift 
jedoch - viel zu wenig eine hiſtoriſche Geſtalt als daß er 
ein lebhafter Mittelpunkt werden koͤnnte und, wo er er- 


ſcheint, Hat der Verf. nichts Anderes verflanden afs ihm 
allgemeine Phrafen in den Mund zu legen. 
(Der Beſchluß folgt.) 





Literarifhe Rotizen aus England. 


Englifhes Urtheil über Léon Fauder. 

Das Werk Lion Paucher's „Etndes sur PAngleterre‘ hat 
auch in England felbft großes Auffehen gemacht. Man gefteht 
ihm zu, daß er bei feiner Aufgabe mit Offenheit und Redlichs 
Peit zu Werke gegangen, obwol ihm ber Vorwurf gemacht wird, 
daß er das Bild, welches er von den großen Manufacturftädten 
entwirft,- weniger aus eigenen Anſchauungen als nad den 
Auszügen aus parlamentarifhen und ftatiftifchen Berichten ent» 
werten. Seine traurige Borherfagumg, „England mahne ihn 
in vieler Hinfiht an Die Erſcheinung Staliens während des 
Verfalls des Roͤmerreichs, wo das in Gärten verwandelte Land 
nur Patricier und Sklaven genährt”, wird für übertrieben ge« 
halten. "Ein Beurtheiler dieſes Werks im „Athenaeum‘ meint in 
Bezug auf dieſe Anficht: es gebe zwar fehr viel gefellfchaftliche 
Anonialien in England, die Reichen feien oft zu reich, die Ar: 
men zu arm, aber ed fände zu bezweifeln, ob man diefen 
Übeln dadurch abhelfen konne, daß man das jegige Syftem des 
Bodenbefiged dem in Frankreich geltenden ähnlih made. Es 
gereihe einem Volke zum Bortheil, wenn es durch feine Ein- 
rihtungen und Werfaffungsformen mit der Gefchichte feiner 
Vergangenheit verbunden Ki. Daraus hätten die Engländer 
ihre gewohnte Liebe zur Drdnung und ihren Gehorfam gegen 
das Geſetz erlangt, wodurch London unter dem Sau einiger 
hundert Scharwächter ficherer fei ald Paris mit ber Befagun 
eines ganzen Heerd. Wenn Faucher audi der Thatfache, da 
die Arbeitölöhne nicht in demſelben Verhältniß wie der allge 
meine Wohlſtand der engliſchen Nation geftiegen fei, eine Ent 
artung und Berfchlimmerung der arbeitenden Claſſen folgere, 
und er zum Erweis diefer Thatſache anführe, daß mehr als 
eine halbe Million Einwohner jährlih ein Einfommen von 
mehr als 150 Pf. &t. zu verzehren haben, während der Kohn 
eines Handwebers kaum fünf Shillinge wöchentlich betrage, fo 
fei eine ſolche Beweisführung nur ein Beleg jenes ſich über- 
ſtürzenden Generalifirens, auf das man allenthalben im Werke 
des frangöfiichen Socialiften ftoße;s denn der Weber am Hand» 
webftuhl dei Fein Beifpiel, das man maßgebend für die arbeir 
tenden Claſſen überhaupt zur Beurtheilung für deren Rage an- 
führen könne, da ganz ausnahmsweife und eigenthümliche Um- 
ftände die Zuftände diefer Urbeiter verfchlimmert hätten. 

Ein Weib gegen die Iagdgefege. 

Die bekannte Miß Harriet Martineau hat unter dem Ti⸗ 
tel „‚Worest and e law tales’ eine neue fihöngeiftige 
Tendenzſchrift erfcheinen laſſen, wodurch fie zu einer Umgeftal 
tung der in England fo firengen und brüdenden Sagd.» unb 
Forfifrevelgefepe beizutragen hofft. Sie geht dabei von ber 
Anficht aus, daß man, um die gegenwärtige Gefehgebung in 
diefer Hinficht zu verftehen, ihren gefchichtlichen Urfprung und 
ihre Entwicklung Pennen müffe. Det erfte Theil ihres Werks, 
dem noch zwei Bände folgen follen, enthält deshalb in vier 
Erzählungen die Schilderung der aus den damaligen Jar 
und Ben hervorgegangenen Zuflände des Volks. t 
lebhaften Farben und geiſtreicher, gefuͤhlvoller Auffaſſung ent⸗ 
wirft fie das Bild jener rohen Zeiten der angelſachſiſchen Kö» 
nige und der ihnen folgenden normännifhen Dynaften, deren 
unmenſchliche Sagungen in Bezug auf das Eigenthum des 
Büteradeld an Wald und Wild der fortlaufenden Gefittung 
einer Reihe von Jahrhunderten nech heute nicht ganz gewichen 
find. Auch in Deutfchland würde eine Miß Harriet Marti« 
neau in der alten wie in der jüngften Zeit-reichen Stoff zu 
folchen Bildern finden, wie denn’ auch erſt vor Purzem einer 


468 


diſchen Künftter, den durch Dehoaudlung focater 
e ale pr "Gedeutendem Ruf —*8* ig, N dieſes 
Borwurfs bemaͤchtigt hat. 13. 


Biblisgrapbhie. 


Hanne, J. B., Antiorthobor oder n Buchftabendienft 
und Pfaffenthum, und für den freien Sch — —e und 
des Ehriftenthume: — — Weftermann. Gr.8. 23 Ror. 

Hayemann, W., Geſchichte bes Musgange des Zampel- 

rdens. Stuttgart, Gotta. Gr. 8. 2 . 

Zäger, 3.R., Geelenheilkunde, gefkügt auf pſychologiſche 
Grundfäge- Gin Handbuch für Pfuchologen, Aerzte, eelforger 

und Richter. 2te Yuflage. Leipzig, Brochhaus. Gr. 8. 2 Ehir. 

Köhler, 2., Primavera. Mopyellen, Zwei Bande. Jena, 
Luden. 8. 2 Zhlr. 15 Rar. 

Kolde, 8. % 3., Dr. Iohann Heß, der ſchleſiſche Re 
formator. Breslau, Zrewendt. Er. 8. 221, Nur. 

Leupoldt, J. M. Zur Charakteristik der Mediein der 
Gegenwart. Erlangen, Blaesing. Gr. 8. 15 Nez: 

Xewald’s, U, gefammelte iften. IUter bis IXer Band 
Leipgir, Breckhaut. Gr. 12. 3 Tolr. 

. Lıbuffe. Zahrbuch für 1846. Herausgegeben von P. U. 
Klar. ter Jahrgang. Mit Stahlfkichen und lithagraphiſchen 
Anſichten. Prag. Ki. 8. 1 Thlr. 20 Rear. 

Lichtenberg, ©. o., Die Strafe, die Zuchthänfer unb 
dab Swangs-Crziebungs-&pftem rechtlich entwickelt und practifch 
dargeſtellt. Berlin, Heymann! Gr. 8. 1 The. 20 Kar. 

Macchiavelli's, N., Florentiniſche Gefchichten, über: 
— bon X. R eumont. Zwei heile. Leipzig, Brockhaus. 

x. 12. 9 Ihlr. ' 

Deutſches Marchenbuch ‚ Herausgegeben von 8. Bed: 
Bein. Leipzig, G. Wigand. 5. 10 Kar. 

Nante Strumpf mit feinem Sohne Auguſt und Madame 
Buffey, geb. Breeje, auf der Freiberger Ausſtellung. Zreiberg, 
Engelhardt. 12. I Nr. - 

Napoleon. Dargeftellt nach den beften Quellen von *x. 
de Auflage. fe und 2te Lieferung. Leipzig, Kallmann. Gr. 8. 

r 





fe Eine Noyelle. Zwei Theile. Leipzig, Brockhaus. 


8 3 Ihr. 10 Ror. 

. ..Pfundheller, J., Ein Gang durch die Vorzeit. Hiſts- 

uk: Rovellen. Wien, Mörfjchner 6. Witwe und Biandi. 8. 
Ir 


Die Quãkerſtadt und ihre Geheimniſſe. Amerikaniſche Nacht⸗ 
ſeiten. Nach dem hinterlaſſenen Manuſcripte des Hrn. K. Ad⸗ 
er Philadelphia. Vier Bände. Leipzig, D. Wigand. 

. v. 


Zagedliteratur. 

Böckb, A., Über Friedrichs des Grossen classische 
Studien. Akademisehe Einleitungsrede in der öffentlichen 
Sitzung der königl, preuss. Akademie der Wissenschaften 
. am 29. Januar 1846. Berlin, Veitund Comp. 4. 7 Ngr. 

Erdmann, Die leberwindung des Boͤſen. Predigt. Halle, 
Lippert und Schmidt. Gr. 8. 3 Rear. 

. Rifder, 8, Die Verfammling des Guſtav⸗Adolph⸗Ver⸗ 

eind in Stuttgart am 1., 2. und 3. Sept. 1845. Bericht an 

ben „loreüigen Hauptverein. Deflau, Fritſche. 1845. Gr. 8. 
| r 


Gilbert, N. O., Dad evangelifhe Erbe, welches Luther 
2 binterlafien hat. Predigt. Chemnitz, Goedſche Sohn. 8. 
r. 


g 
Harleß, G. E. A., Die Liebe, das Kennzeichen des wah⸗ 
ven Lehrers. Predigt. Leipzig, Teubner. Gr. 8. 3 Nor. 
— — Rede am Zodestage Luther's den 18. Februar 1846 
im Auftrage des Ausſchuſſes der Zutherftiftung. Leipzig, Barth. 
@r. 8. 4 Nar. 
Heimbürger, 9. €., Die heilige Lebensſache, bie und 


dar Todetiag de Bebennens Pnigf: 
Gele, Capaun. ZU Ror ' Gen. ish 
"Hennig, Die Somnamdule in Rebfin in der Wefl-Yrieg- 


Kurzer Bericht und Anleitung, ichtigen Be il 
—— —— * he tigen 1 une un 


gr u 1198 
Harrmann, G., Über bie neueſte Beſtreitung ber vedzt- 
lichen Auctorität des kirchlichen Symbols. Ein kirchenrechtiiches 
Bot. € — ae *. j Ty Rgr. n de 
effenmülter, ©, Dr. Mart Luther in feinen Wefer 
aunb Wirken. Nee, Braunfdweig, Rademacher. Gr.8. 5 Rac. 
Hofferichter, Z., Bas if unſern jungen Gemeindew 
iu wänfgen? Predigt beim Gottesdienste der —— 
meinde zu Brieg. Brieg, Schwarg. 8. 1 Kgr. 
Zacobſon, 9. F., Her Dr. R in Königöberg ine 
Eonflict mit den Gymbolm der evangeliihen Kirche und dem 
Preußifgen Provinzial» Eonfiftorium. Cine Beleugptung ber 
Schrift: „Die Symbole oder Gottes Wort? Bon 3. Rupp.” 
Kimigsberg, Gräfe und Unzer. Gr. 8. 10 Nee. 
Die Zefuiten und ber Ultramontanismas in der 
von IT98 bis 1845. Aus der „‚Wlgemeinen Halleſchen Fitere 
turzeitung” beſonders abgebrudt und heransgegeben mit. einem 
Vorworte von I. Gihr. Bieftal, Honegger. &r.8, 5%, Nor. 
Julius, ©, Der Spuk des Bankgeſpenſtes. Ein der 
Kometen Zeg reß⸗e geſetztes Denkmal. keipzig, Naumburg. 
t. B. gr. 
» Klögner, ©.W8., „Das Gedaͤchtniß unſers Luther.” 
digt. Eifenberg, Schöne. 8. Era fers dathe * 
Linke, H. M., Dr. Mart. Luther. Das Sichtigſte aus 
feinem Beben und ‚Wirken größtentheils nad) Matheſius erzähtt. 
Zwidau, Berein zur Verbreitung von Bolksſchriften. 8. 3 Mer. 
Lisco, G., Bollenden wir das Werk Luthers! Ein Wort 
an evangelifhe Chriſten. Berlin, Muͤller Gr. 8. 3 Mer. 
Dr. Bart. Luther'd legte Predigt, gehalten zu Gi6- 
a6. Derssden, 


- leben kurz vor feinem Tode, den 14. Febr. 1546. 


Raumann. 8. 1, Nor. 

Meyer, M. K., Dr. Mart, Luther's Jugend, Wirken 
md Ende. Nebft Luther’ Bildniß — Cranach und 
dem Facſimile der Handſchrift. Gotha, ringe. 8. 8 Res. 

Nihelis, J., Der Katholizismus und die Lüge. Cine 
Zufchrift am die katholiſche Gemeinde zu Duisburg. Duisburg, 
Humel. 12. 71% Mar. 

Neander, A., Die Bedeutung des Thomas Arnold für 
den Standpunkt der kirchlichen Gegenwart, nach den über 
sein Lebeit erschisnenen Denkwürdigkeiten. Berlin, Besser. 
Gr. 8. 4 Ngr 

Stirm, €. 9, Predigt zum 3Mjährigen enalptni bes 

. B. 


Jodestages Dr. Mart. Luther's. Stuttgart, Belfer. 


3 Rgr. 

Klraut, E R. J., Der Brannkwein⸗ Enthaltſantteits 
verein in Oberſchleſſen und fein neueſter Defenſor Dr. Weite 
mann. Fe Eriticher Berſuch Greugburg, Landöberger. 1845. 


8, gr. 

Thaulow, ©, Rede bei der Säͤcular⸗ Geburtsfeier Peſta⸗ 
lozzis. Kiel, Schwers. Gr. 8. 3 . 

Ueber den Querzug dev Lichtritter in feiner iehgiöfen und 
hiſtoriſchen Bebentung, Drei Reben. Liegnig. 8. 15 Nur. 

Beber, D., Um Todestage Dr. Luther's den 1. Zehs, 
1846. (Gedicht) Keipzig, Engelmann. Gr. 8, 2 Nor. 

Weiß, E., Vorſchlag zu einem Denkmale Peftalozzi's mi 
Ruͤckſicht auf deſſen Geundfage der Erziehung und des Unter 
richte. Deerfeburg, Rulandt. En. 8. 5 Nor. 

Boeniger, 4. J., Bülow: Eummerow's Bettelbantyne 
jeet. Gin Eritifcher Beitrag zur Geſchichte Der Geidariſtokrati 
Berlin, Hofmann und Eomp. 8. 10 Ror. 

Sittel, Begruͤndung dev Motion über Religionsfreißeit. 
Berlin, demn I * 

— — fion 9 eſtattung ei Reillgionsfreigelt. 
3ter Abdruck. Karlsruhe, Macklot. er 3 Kar. h 


Berantwortlicher Herausgeber: HSeinrich Brockkans. — Druck und Berlag u. E. Brockhans in Leipzig. 


Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 








Dienſtag, 








Religioͤſe Tendenzromane. 
(Beſchluß aus Nr. 110.) 


1. „Shawn na Soggarth, der Priefterfänger” von M. 
Arhdeäcon. Diefe Erzählung gehört nur durch Über: 
fegung der beutfchen Literatur an, aber eineganz andere Aus- 
beute bietet der Boden, auf dem fie fich bewegt, für den Ro⸗ 
man als der Deutſch⸗Katholicismus. Wir werben in jene 
Zeiten verfegt, ald die Neligionsacht auf dem unglüdli- 
hen Irland ruhte. Jener Zeitraum iſt der fchwärzefte 
in der Gefchichte Englands. Denn wo gäbe es eine 
fegwerere Verirrung des menfchlichen @eiftes als wenn 
Unrecht zum Recht erhoben, Berfolgung und Ziyrannei 


‚ gefeplich geboten wird! Das katholiſche Irland wurde 


in der Schlaht am Boynefluß von der Übermacht bes 
proteftantifhen Englands erobert, während es’ früher, 
ſelbſt unter Cromwell, nur befiege worden war. Unmit- 
telbar nach derfelben wurden 4000 Katholiten ald Re⸗ 
bellen und Verräther erklärt und ihre Güter im Betrage 
von 1,060,000 Acres eingezogen, eine Gemaltthat, bie 
weniger dem Könige Wilhelm als dem englifchen Par- 
lamente zur Laſt fallen dürfte. Der Katholicismus 
wurde natürlich ein Maͤrtyrthum, ein unglückliches Volk 
Mammerte fi) durch die Verfolgungen nur um fo ver- 
zweifelter an das Gewand der fanatifch » Fatholifchen 
Priefter, „welche den Muth hatten für ihren Glauben 
zu bluten. Mit den Güterberaubungen ging die reli- 
giöfe Verfolgung Hand in Hand. Die Engländer wa- 
ren feit dem Ende des 17. Jahrhunderts vorzugsweife 
ein Handelsvolk geworden, nun traf der Handelszwang, 
der Irland auferlegt werden mußte, um England zu he 
ben, bie proteftantifchen Einwohner Irlands, die man 
in jeder Weiſe bevorzugen wollte, nicht minder ſchwer 
als die Fatholifchen. "Dafür mußte jenen ein Aquivafent 
werben und es murbe ber ftillfehweigender Contract zwi⸗ 
fchen England und den irifchen Proteftanten gemacht: 
Abe opfert und den Handel und Gewerbefleiß Irlands 
und feid unfere commerciellen Sklaven, dafür werben 
die Katholiken eure Sklaven in jeder andern materiellen 
und moralifhen Beziehung. So mar Albion wohlge- 
fällig vor den Augen des Heren und füllte zugleich feine 
Tafchen, zwei comfortable Dinge, die John Bull bis auf 
die Bibelfrämer herunter flets gut zu vereinbaren wußte. 


21. April 1846. 





Das legale Mittel, um den irifchen Proteftanten Wort 
zu halten, waren die von dem irifchen Parlamente, d. 5. 
den irifchen Proteſtauten erlaffenen und von England 


in Ausführung gebrachten Poͤnalgeſetze. 

In der irifchen, von diefen graufamften aller Geſetze 
bedrängten Welt bewegt ſich die vorliegende Erzählung. 
Ein ganzes Volk, wegen feiner religiöfen Überzeugungen 
gemartert und gedrüdt, gibt jedenfalls einen vortreffli- 
chen Stoff für den Roman. Der Verf. des vorliegen- 
den kennt die irifche Welt, er fchilbert bie Noth feines 
Vaterlandes, feiner Landsleute, und fo verfucht er ed denn‘ 
mit nicht geringem Glücke, die fanatifche Treue zu ſchildern, 
mit der fie an bem Glauben ihrer Väter unter allen Gefahren 
und Kümmerniffen während der düftern Periode der Re⸗ 
ligionsacht fefihielten. Es rollen fi tragifhe Scenen 
vor unfern Blicken auf, er führt uns in erfchütternde 
Situationen und man wird ihm die Zähigfeit einer 
fünftferifhen Geftaltung und Gruppirung nicht abfpre- 
hen können. Verdienſtlich fcheint es uns aber beſonders, 
daß der Verf. nicht blos den Neiz einer inhaltslofen 


Romantik im Auge hat, fondern daß er die ‚wahren 


Entwidelungen des Lebens zu treffen ſucht. Auch iſt 
er mit Seinen irländifchen Nationalvorurtheilen, mit kei⸗ 
ner bigoten Gefinnung und feiner bösmilligen Erbitte⸗ 
rung an fein Werk gegangen. Füuͤrchtet er, man werde 
ihm einen Vorwurf daraus machen, „Daß er Scenen 
wieder aufgefrifht und Erinnerungen heraufbeſchwo⸗ 
ren habe, die beffer fir ewig in der Nacht der Vergeſ⸗ 
fenheit begraben geblieben wären”, fo ift das eine Durch» 
ans unnöthige Furcht. Dem Dichter gehört die Ver⸗ 
gangenheit, und die traurige Vergangenheit Irlands iſt 
unendlich lehrreich für die Gegenwart und Zukunft bie- 
ſes verwahrloften Landes. Er bedarf der Entfchuldigun- 
gen nit; zwar find die Pönalftatuten jegt ganz oder 
doch faft gan, zum todten Buchſtaben geworden, aber 
noch immer laftet der mächtige Arm des ſtolzen Eng- 


‚lands auf dem grünen Erin und, ganz abgefehen von 


der äfthetifchen Frage, auch von patriotifcher Seite find 
die Zwecke und Tendenzen des Verf. vollkommen zu ch- 


‚ren. Was das abfchenliche Gefchöpf angeht, deffen Name 


diefem Buche feinen Titel gegeben bat, fo verfichert ung 
ber Verf., daß er bei Schilderung feines Charakters und 
feiner Thaten eine erdichtete Perfünlichkeit zu zeichnen 


⸗ 





442 


geſucht Habe, ſondern daß ber Prieſterfänger Sharon 
na Soggarth ein Mann geweſen ſei, deſſen fluchbelade⸗ 
nes Leben während des legten Jahrhunderts der Gegen⸗ 
ſtand zahlloſer irländifcher Sagen geworden iſt, die alle 
fein teuflifhes Wefen und den verkommenen Zuftand 
der Geſellelſchaft, die ein: fo verabſcheuungswürdiges 
Umthier hervorbringen unb großziehen konnte, beurfunden. 
In dem Rector Gordon dagegen hat uns der Verf. eine 
verföhnende Geftalt gezeichnet, welche inmitten aller 
Grauſamkeiten eines privilegirten proteftantifchen Fana⸗ 
tiemus von dem Lichte der Milde, der Toleranz und 
der Humanität durchleuchtet wird. 

Der Berk. liefert uns ein treues Bild feines Va⸗ 
terlandes wie es war in den Zeiten der Zinfterniß und 
der Verfolgung, und ſchließt mit den Worten, bie feinen 
Charakter deutlich bezeichnen: 

Wenn es und gelungen, dad Mitgefühl des Edeldenkenden, 
fo verfchieden auch feinarekigiöfe Nerzeugung von Der unferigen fein 


mag, für ein geduldiges, unter langen Leiden ſchmachtendes 


Bol zu erweden, das unter Verfuchung und Gefahr, Verban: 
‚nung und Tod gn dem alten Glauben feiner Väter feithielt ; 
oder wenn wir vermocht haben, den von Borurtheilen Ginge- 


nommenen Die Überzeugung beizubringen, daß Werfolgung fidh 


ſelbſt ihr Ziel und Streben vernichtet und dag fchlimme Ge⸗ 
fege nur jchlimme Thaten hervorrufen, fo dürfen wir mit dem 
Bewußtſein feheiden, nicht umfonjt die Erzählung von Shawn 
na Soggarth gefchrieben zu haben. 


8. „Der Bauer am Gaisberge‘‘ von Karl Wehr- 
mann. Wir ftehen wieder auf dem beutfchen Boden jener 


Tage des 16. Jahrhunderts, als im Kampfe gegen eine ent⸗ 


fittlächte Hierarchie der deutfche Geift im Proteſtantismus 
hervorbrach. Der Proteſtantismus war damals ein echt 
demolratifches Element, er war die Lebensfrage des 
deutſchen Volks, und der Verf. der vorliegenden Fleirten 
Erzählung ſcheint dieſe Stellung des damaligen Prote—⸗ 
ſtantismus richtig aufgefaßt und verflanden zu haben, 
indem er uns die Schickſale des Hand Poßler, dieſes 
ſchlichten Bauers am Gaisberge, einfach und ohne große 
Schminke darftellt, Der Zweck des Verf. ift, jedenfalls 
aus dem Wolfe heraus für das deutfche Volk zu ſchrei⸗ 
ben,. dieſes Streben iſt anerkennenswerth, auch ift es Fein 
bloßes unerreichte® Streben geblieben. Wir wünfchen 
dem Heinen Büchelden eine recht weite Verbreitung ; es 
ift ein gefunder Kern in demfelben. Die Erzählung 
. bewegt fih auf einem Boden, wo feitdem wieder aller 
poateſtantiſcher Geift geſchwunden ifl, wo die Hierarchie 
mis jefnitifchen Mitteln den gefunden Sinn des Volks 
wieder vollftändig erdrüdt hat, im Salzburgiſchen. Durch 
ganz Süddeutfchland wehte zu Luther's Zeit dex prote- 
ftontifche Odem. Wer fih näher darüber unterrichten 
will, nehme Sugenheim’s „Kirchen- und Volkszu⸗ 
flände Baierns im 16. Zahrhunderte” zur Hand. Aber 
dem Jeſuitisnius iſt es gelungen, unter Begünſtigung 
politiſcher Verhaͤltniſſe, in Suͤddeutſchland den Kampf 
gegen den Proteſtantismus mit Erfolg bis auf den heu⸗ 
tigen Tag zu führen. „Ein lebendiges Bild von den 
Zuftänden und Verhaͤltniſſen der Vergangenheit und von 


den Beftrebungen ber dem Evangelio feinbfichen jeſuiti⸗ 
ſchen Macht zu liefern“, gibt der Verf. als den Zweck 
ſeiner Erzaͤhlung an. Nachdem er die herrlichen Gegen⸗ 


den Salzburgs geſchildert hat, ruft er wehmüthig aus: 


Wer koͤnnte dies Yo ohne vom tiefen Schmerz ergriffen 

u werden darüber, daß gerade in hiefem Lande der Gnaden⸗ 
nnenfchein des Evangeliums fo gewaltfam unb graufam zu» 
rüdgedrängt und die Menfchen, fo weit es nur immer möglich 
war, wieder in Die veligiöfe Finſterniß des Mittelalters ges. 
bannt wurden! 

Wie dies gefhah, welche Hebel man anmwenbete, 
duch welche Mittel man die Kraft des füddeutſchen 
Volksgeiſtes und fein te für den Proteſtantismus 
brach, das zeige uns der . an den Schickſalen Hans 
Dofler’s und Derjenigen, die mit ihm das „Evangelium“ 
wollten und fi ber Hierarchie des Erzbifhofs von Salz- 
burg und feiner ſittlich verwahrloſten Prieſter enigegen- 
ſtellten. Den fohlichten, fittlichkeitserfüllten und glau- 
bensmüthigen Beſtrebungen eines einfachen Bergvolks 
gegenüber erfcheint die grenzenlofe Werderbtheit des Pfaf- 
fenthums, welches feine Macht nicht aufgeben wollte. 
Er führt verfchtedene hiftorifche Zeugniffe an. So fagt 
ein Dann, der keineswegs ein Freund Luther's und der 
Reformation war, in einem Briefe an den fürchterlich 
graufamen Erzbifchof Firmian von Salzburg im Jahre 
1740: 


Die verweitlidgten Sitten der höchiten geiftlihen Wuͤrden⸗ 
träger, Die Wachläffigkeit, der Geiz und die Unwiffenleit des 
Klerus, die gefunkene Zucht der Kirche und die Verachtung 
und dee Haß gegen die Geiftlichfeit — das find die eigentli- 
hen Quellen geweſen, worgus in Deutfchland Die Kiebe zu Lu: 
ther flo. Ein überreiches Feld, gegen das Er ſchreiben konnte, 
fand ev an der unglaublichen Unmiffenheit, Ausſchweifung, Bie: 
derlichkeit, Unverfchämtheit, Frechheit und andern Laſtern der 
Mönde, welche Damals Jedermann wußte, heutzutage aber Nies 
mand leugnen wird ald die allerunmiffendften Meniden. 

In unfern Zagen, glfo 100 Jahre fpäter, leugnet 
man Dies unter dem Scheine großer Gelehrſamkeit und 
tiefer geſchichtlicher Forſchung, oder ſucht ed menigitene 
häufig zu verdeden, indem man dafür die Neformatoren 
als die gottlofeften und unfistlichften Menfchen darſtellt. 
Der verderhten Priefterfhaft jener Tage wäre es ſchwer⸗ 
ih gelungen, den gefunden Trieb des beutichen Volks 
zu unterdrüden, hätte bie romaniſche Welt nicht dem 
proteftantifchen Beifte, dem Producte der germanifchen 
Welt, eine neue Waffe, den Jeſuitismus, gegenüberge- 
ftellt; Diefen: wurde ia Süddeutſchland möglid), was 
fonft niemals gefchehen fein würde. Ale Reprüfen- 
tant dieſer antideusfhen Macht erfcheint in Der vor 
liegenden Erzählung der berüchtigte Caniſſus. Gr er 
fgeint im Beſondern . ald die Urfache des Sturzes 
Hans Posler’s, ins Allgemeinen als der fchlaue Vernich⸗ 
ter des proteftantifchen Lebens überhaupt. Caniſius ging 
nach Dftreih, als das Lutherthum fich dort regte und 
wußte feinem Orden einen ſolchen Einfluß am Hofe zu 
Wien zu verfchaffen, daß überall die Evangelifchen um- 
terbrüdt wurden. Er bekam deshalb den Namen deb 
„oͤſtreichiſchen Hundes‘ (Caniz austriscus) und diefer Canis 
austriacus wird gegenwärtig in Rom heilig gefproden. 





448 
[8 


Auch zu den Geldmaͤthten jener Zuge fand der Je⸗ 
fuitjämus in bdirecter Verbindung, Uder dus Verhält- 
niß des Canifius zu den Fugger ſagt uns ber Verf. 
Folgendes: 

Betrieb nun der Jeſuit Caniſius fein Werk, um jeden 
Yreeis Ginfluß auf das Volk zu gewinnen, auch damit, Daß er 
Yänfige Zeufelsaustreibungen aus angeblich. Beſeſſenen, Geiſter⸗ 


Defywörungen, wunderbare Rrankenbeilungen zu vollziehen vor⸗ 


gab, überall langft verachtete und vergefiene Heiligenbilder wie 
Der in Unfehen und Wallfahrten in Übung brachte: fo waren, 
ed gerade die reichen Fugger, welche zu allem Dem mithatfen 
und. durch ihr Anſehen und ihr Geld die Sache der Iefuiten 
unterftuͤtzten. 

uw: 

Sanifius hatte eine Frau Puggerin und ihren Gemaht 
vermocht, mit ibm und einem bejeffenen Iungfräulein nad 
Aktötting zu reifen, um dort dad Wunder der Auötreibung 
der höfen Geifter vor ihren Augen vollziehen zu Fünnen. 

Die protefiantifchen Kräfte tm Salgburgifchen. fan- 
den dagegen an dem zeichen Herrn Theun eine Stütze; 
allein nachdem Hans Poßler den Märtyrtob geflorben, 
erhielt auch Herr Thenn den Befehl, das falzburger Ge: 
biet zu verlaffen. Canifius, der Jefuitismus triumphirte, 
im Salzburgifhen wurbe es wieder finfter und finſter 
iſt es daſelbſt hi6 auf den heutigen Tag geblieben. Das 
Ans berührt der Berf., indem er fchlicht und einfach die 
Schickſale des „Baters am Gaisberge“ darftellt, und er 
hat in feiner Erzählung ein ‚ganz vortreffliches DVolts- 
buch geliefert. 


9. „Kunft und Leben” von 3.8. Moshamer. 
Der Verlagsort Wien brauchte gar nicht auf dem 
Titel zu fliehen, wir würben das. öftreihifche Literatur: 
product fo errathen. Momantit im Leben ber Gegen- 


wart! Alfo die Gegenwart mit ihrem concreten Ge⸗ 


halte zu romantifcher Gehalt « und Geſtaltloſigkeit ver- 
waͤſſert? Und fo ift ee. Dem Ber. ift die borniete 
Romantik noch Religion und in diefem Sinne gehört 
auch das vorliegende Werk zu den religiöfen Romanen. 
Die Handlung roh, flatt der Perfönlichkeiten fcheußliche 
Fragen. Viel Theater: und Kunftgefhwäg ohne das 
geringfte Verſtaͤndniß. Das Game trinial, grob, ge⸗ 
ſchmacklos. Wie bedauern bie Zeit die wir, auf Die 
Lecture diefer „romantifchen Erzählung” verwendet haben. 
28, 





Die Befreiung von Texas. 


Teras hat neuerlich wieder die Aufmerkſamkeit auf ſich 
esogen. Diefelben Verhaͤltniſſe, denen das Land feine Be: 

Freiung verdankt, find es, Die ihm die Behauptung feiner Un: 
abhängigkeit erfihweren. Sehen wir, wie es in ſeine jetzige 
Lage gelangt if. 

Ein Bürger der jungen Republik, Herm. Ehrenberg, be 
ſuchte uns vos etwa zwei Jahren bier im Leipzig. Er ift ein 
geborener Magdeburger und war in ferner Heimat dazu be 
ſtimmt, Materialhändter oder Dergleicden zu werden. Das ein: 
gefchränfte Leben, die Geiftlofigkeit und Krämerei des Gewerbes 
war ihm tödtlich. Er ging auf gut Gluͤck nach Nordamerika 
und hielt fi eben in Neworleans auf, als die Eoloniften von 
Teras Freiwillige dafelbft warben, um ihren Aufftand gegen 


ben menianifeher Dietator Santana mit mehr Xruppen«. 


macht und Rachdruck beginnen zu konnen. hrenderg war 
unter den-Erjten, welche hinüberzogen, um- der Mhnen Provinz 
gegen die übermächtigen Heere des 
in Bindifcher Eitelkeit den Rapolcon dei Weiten nannte, beißzu⸗ 
ſtehen. Slücklich cntrann er in den gefährlichiten Lagen dem 
Zode und erhielt, nachdem der Krieg beendigt umd die Seibſt⸗ 
fländigkeit der Teraner errungen war, den Landantheil, welcher 
jedem der Freiwilligen zugefagt war. Um fidy durch ernfte 
landwirthſchaftliche Studien auf: vaterländifchen Anftalten für 
feinen neuen Beruf tüchtig auszubilden, unternahm Ehrenberg 
mit den: wenigen Mitten, die ihm zu Gebote flanden, eine 
Reiſe nach Deutichland. Beinen kurzen Aufenthalt in Leipzig 
benugte er, um eine Schilderung der Ereigniffe des von i 


mit Durchgefochfenen Befreiungskampfes, welche. er ausgearbeitet: 


hatte, dem Drude zu übergeben.’ Sie erſchien unter dem Titel: 


Texras und feine Revolution von Hermann Ehrenberg. 
Leipzig, D. Wigand. 1813. Gr. 8. 1 Ahle. 15 Nore.*) 


mit dem Motto: „Das Alte ftürzt, es ändert ſich die Beit, und 
neue Leben blüht aus den Ruinen.” Durch diefe Schrift in 
Verbindung mit der vor zwei Jahren erichienenen von G. . 
Scherpf: „ Entftehungsgefhichte und gegenwärtiger Zuſtand 
des neuen Staates Texas ꝛc.“ (Augsburg 1841) find wir nun 
recht gut in den Stand gefegt, und mit ber Eintwidelungsges 
ſchichte dieſes Theiles von Mittelamerifa und den gegenwärtie 
gen Zuftänden dafelbft. befannt zu maden. 

Das Schrifthen von Ehrenberg, erfreut durch Anſchaulich⸗ 
Beit und Lebendigkeit der Schilderungen, durch rafchın, man: 
koͤnnte fagen dramatiſchen Kortfchritt der Handlung, und durch 
den frifhen Muth, welcher die Handlungen wie die Darſtellung 
des Verf. durchweht. Mit ten Berichten über blutige Bor: 
gange wechſeln anmuthige landſchaftliche Schilderungen, Be: 
fhreibungen der Volkscharaktere und der Sitten, Bilder dei 
häuslichen und öffentlihen Lebens der Goloniften, des Lager 
lebens der Miligen, mit den ernften und fchredlichen we * 
heitere und komiſche Scenen mannichfaltig ab. Der Verf. er⸗ 
zaͤhlt vornehmlich das Selbſterlebte, aber er bat. auch dafür 
gejorgt, den Lefer im Zuſammenhange der Ereigniffe zu erhal 
ten und für Das, was er nidt jelbft ſah, mit vielem Ge- 
ſchick ſtatt trockenen Berichtd die Mittheilung von Augengeugen 
eingeführt, welche als handelnde Perfonen in feiner Darftellung- 
auftreten. Eine Schilderung der mericanijchen Verhältniſſe 
vor 1935 eröffnet das Gange, damit ed dem Lefer nit an. 
Bekanntſchaft mit den gefchichtlichen Vorausfegungen des Mus 
tigen Dramas fehle. 

In Merico madhte fih die Iiyrannei der fpanifher Beam⸗ 
ten fo drüdend, daß es zu einer allgemeinen Ummälzung fam. 
Rah eifjährigem Räwpfen und Morden erklärte Merico im 
3. 1821 feine Unabhängigkeit und zwang den fpanifchen Dice 
gpuveineur, biefe anzuerkennen. Sturbide bemädhtigte ih nad 
manderlei Schwankungen der Regierung, wurde 1823 als 
Kaifer ausgerufen, aber fchon im folgenden Jahre geftürzt und 
verbannt. Dean führte 1824 eine fogenannte freie Verfaſſung, 
faft ganz nad dem Mufter der in der nordamerikaniſchen Union, 
beftebenden Perfaffung in Merico ein. Diefe aufgepfropfte 
Berfaffung ſcheint indeſen die genußſüchtigen und unruhigen 
Mexicaner nicht zu ruhigen und ehrſamen conſtitutionnellen 
Staatsbürgern veredelt zu haben. Die Schilderung, welche 
uns Ehrenberg von der Denkungsart und den Sitten der 
Mexicaner macht, iſt nicht einladend. Er hat nun wol da 
mit Texaneraugen geſehen. Indeſſen einen hefonders noblen 
Charakter hat man allerdings nicht gerade Urſache den Me— 
ricanern zuzufrauen. Ehrgeizige Soldaten und noch ehrgei⸗ 
zigere Prieſter mifchten in Merico die Karten und dic Beie 


Das Werk ift ſeitbem noch einmal unter bem Titel erſchienen: 


Fahrten und Schickſale eined Deutihen in Teras von Dermann 
Chrenberg. Leipzig, DO. Wigand. "1845, Er. 8. 29 Ner. 


öpoten, welchen fih felbft: 


444. r 


bis 1839 ging unter Unorbnungen und blutigen Raufereien 
bin. In Den nenannten Zahre, während Buſtamente die Ge⸗ 
walt tyrannify behauptete, trat Santana an die Spige ber 
liberalen Partei und proclamirte die MWieberherftellung der 
zeinen Berfaffung von 1824. Kaum. aber hatte ſich Santa: 
na ber Zügel bemaͤchtigt, fo fing aud er an despotiſch zu 
verfahren, ftrebte danach, die Verwaltung der Republik immer 
mehr zu centralifiren und die einzelnen Beſtandtheile berfelben, 
die fouverainen Staaten der mericanifchen Union, in Provinzen 
umzuwandeln. Beſonders drüdend wurden feine 
und oft finnlofen Verfügungen den Coleniften von Zeras. 
Es iſt bier vorerft nöthig, einige Rechenicaft von dem 
damaligen Zuftande dieſes Landes zu geben, wobei — 
Scherpf unſer Führer fein fol. Noch während der Herrſcha 
fpanifcher Viregouverneure in Merico hatten ſich einzelne Fa: 
milien aus den füdlidden Staaten der nordamerifanifchen Union, 
befonders aus Luiſiana und Miffiffippi, nach Texas übergeficdelt 
und ohne weiteres Land in Befig genommen. Seit dem Jahre 
1824 machte Die neue Regierung Mexicos es fih zur Lieblings: 
aufgabe, Texas zu colonifiren und erließ zu dem Ende ſehr 
liberale und lodende Berfügungen. Sie verfuhr bei der wirt: 
lichen Ausführung ihres Planes folgendermaßen. Ste contrahirte 
mit fogenannten Impreffarios, welche eine Landſtrecke wählten 
und fih anheifhig machten, darauf eine Anzahl von Familien 
einzuführen. Iede Familie erhielt ein Grundftüd von 4423 
Acres (engl.) und zahlte dafür in drei Friften (nach Ablauf 
des vierten, fünften und fechsten Jahres) je JO Dollars, außer 
dem die Vermeſſungskoſten und Stempelgebühren, in Allem 
150 Dollars. Beräthichaften, Ackerwerkzeuge, Saͤmereien ıc. konn⸗ 
ten bis zum Werthe von 2000 Piaftern frei eingeführt werden, 
und auf zehn Jahre war völlige Abgabenfreiheit bewilligt. Wer 
ein Jahr in Texas anfäffig war, follte wahlberechtigt und 
wählbar fein. Der Impreifarib feinerfeits erbielt für jedes 
Hundert Liguas, dad an Einwanderer vertheilt wurde, je 5 
Liguas (von 4423 Acres). Der erfte Impreflario war ber 
Mann, welcher der Regierung den ganzen Colonifationsplan 
vorgelegt hatte, Moſes Auftin. aus Durham in Connecticut; 
er ftarb ſchon 1821 in Folge der großen Strapazen, bie ihm 
fein Geſchaͤft verurſachte. Sein Sohn, Obriſt, fpäter General 
Stephan %.Auftin, fegte das Werk des Vaters fort und grün: 
dete die Colonie am Brazo. Bor der Befreiung Mericos von 
fpanifcher Herrfchaft war die eigentlich mexicaniſche Bevölke⸗ 
rung von Texas nicht über 600 Köpfe ſtark gemwefen und 
hatte, in fteter Angft vor den wilden Comanches und andern 
Hrairie: Indianern, zufammengedrängt in den Städten San: 
Antonio, 2a Bahia (Goliad), Nacogdoches und einigen Mif- 
fionsanftalten gelebt. Die Kurt vor den Comanches war fo 
groß, Daß die mericanifchen Behörden ihnen Zribut zahlten. 
Durch die Einwanderung nahm die Kopfzahl fchnell zu. Aber 
fie betrug bis 1830 auf dem ganzen ungefähr 4 — UNO 
engl. Auadratmeilen umfaffenden Gebiete von Terad doch nur 
hoͤchſtens 16,000 Köpfe. Die meiften der Anfiedler waren Ame: 
titaner, einige derfelben Europger von verfchiedenen Nationen. 
Außer den verftreuten Eoloniftenfigen entftanden neue Städte, 
von denen allmälig Galveſton (Dafenftadt und die größte von 
allen) und Auftin (jest Sig der Regierung) die bedeutendften 
wurden. Bon dem Entftehen einer Stadt in dieſen Gegenden 
gewinnt man durch Ehrenberg's Buch eine Vorftellung. „Wir 
hielten uns,” erzählt er, „einige Zage in dem noch neuen 
Waſhington auf. Mehre Hundert neue Häuſer fliegen in 
dem Walde empor, durch welchen des thätigen Einwanderers 
Art freundli mit feinem Echo, ſchallte. Stundlih fielen die 
ftolzen Eichen und die majeftätifchen Pecanen und Hickories. 
Mancher der edlen Parfimonen hatte durch den zerfchmeltern- 
ben Fall feine beinahe reifen, fhön röthlichgelben Früchte weit 
umhergeſtreut; gewaltige Haufen Reißholz, krumme Afte und 
Stämme brannten in verfchiedenen Richtungen, um ben Boden 
zu reinigen, und erfk feit Purzem fandte die Sonne ihre wohl 
thätige Wärme auf die feuchte, fruchtbare, ſchwarzbraune Erbe. 


ichen 





Schon fanden Hier mehre Goffee⸗ haufes; ein 8; einige 
Provifionshandlungen, verbunden, wie tie Gefchäfte der Hin⸗ 
terwäldfer find, mit einem Lager von fertigen Kleidern, Klei- 
derftoffen und allen Bebürfnifien, die der Anfiedler nöthig Hat. 
Auch fanden wir bereits ein gutes Billard und; wie überall in 
Amerita, ein Gourthoufe (Berichtshaus) und daneben die nie 
fehlende Gewehrſchmiedewerkſtatt.“ Mit ben entfchloffenen und 
Eröftigen Ameritanern wagten es die Indianer balo nicht mehr 
fo leicht als mit den feigen und ſchwachen Mexicanern anzubin- 
den. Die Anſiedler konnten immer ficherer auf ihren Pflan⸗ 
ae leben und fühlten fi immer wobler in der neuen 
eimat. 

Sie hielten feft an der föberaliftifchen Gonititution vom 
1324, in welche fie eingefchloffen waren; aber noch vor dem 
Eintritt der Gewaltherrſchaft Santana's fanden fie manche 
Urfache zur Unzufriedenheit mit der Regierung. Diele unter- 
fagte 1827 die Einführung von Sfaven, und 1829 erließ der 
Präfident Querero ein Decret, welhes alle Sklaven in der 
mericanifchen Union für frei erflärte. Die Eoloniften reclamir⸗ 
ten gegen dieſes Decret und erlangten aud die Widerrufung 
beffelben für den Umfang des Staats Texas. Wan wird fi 
über die Abneigung der Goloniften gegen die Sklavenemanci⸗ 
pation nicht wundern, wenn man bedenkt, daß fie der großen 
Mehrzahl nah aus den Süpdftaaten der norbamerifanifchen 
Union eingewanbert waren. Zur Entſchuldigung der Coloniften 
in diefer Beziehung fagt Scherpf: „Dienſtboten find in Texas 
fchwer zu haben, indem es Weiße für eine Art Schande halten, 
ın diefem Berhältmifie zu leben..., zumal die Zöhnung von 
einigen Monaten (10 — 30 Dollars monatlich) hinreicht, einen 
Landbefig zu erwerben, der in wenigen Jahren Wohlſtand 
fidert.— .... Mit der fteigenden Bevoͤlkerung wird in Zerab, 
wie gewiß auch in den Güdflaaten der nordamerifanifchen 
Union, die Sklaverei von felbft und ohne convulfivifche Anftren- 
gungen verſchwinden.“ 

(Die Sortfegung folgt.) 





Literarifche Notiz aus Frankreich. 


Die Drganifation der Arbeit. 
In der Angelegenheit des Communismus und Socialismus 
wird ungemein viel hohles Zeug geredet. Wir meinen nicht 
blos auf Seiten der marktfchreierifchen Declamatoren, welche 


dieſe Lehren ohne weiteres zu den ibrigen gemacht haben, fom- 


dern auch von Denen, weldhe von der Höhe der Kritit herab 
über alle diefe Verhältnifie den Stab brechen. Um fo dringen» 
der wird nun aber daher die Pflicht, auf wirklich bedeutende 
Erſcheinungen aufmerkfam zu machen, welche ſich auf dieje wid: 
tigen Zagesfragen beziehen. Wir nehmen einen Anftand, da⸗ 
hin folgende Schrift zu rechnen: „Theorie des contradictions 
des &conomistes ou philosophie du travail.” Diefelbe hat 
erft vor kurzem bie Preſſe verlaffen. Sie hat den bekannten 
Socialphilofophen Proudhon in Lyon zum Berfaffer. Indem 
wir ihm die Bezeichnung eines Socialphitofophen beilegen, mei: 
nen wir keineswegs, ihn dadurch auf die Seite der Socialiften 
im engeren &inne zu ftellen, gegen die er zum heil fogar auf 
einfchneidende Weiſe polemifirt, fondern wir wollen dadurch 
nur auf feine gewichtigen Arbeiten über die verfchrobenen ge 
alien und ſtaatlichen Verhältnifie hindeuten. In die: 
em neuen Buche fpringt er mit den Fouricriften, den Com⸗ 
muniften, den großfprecherifchen Radicalen hart um, ohne des⸗ 
halb gegen die Rationalöfonomen gewöhnlichen Schlags, welche 
immer nur in den gegebenen Verhältniſſen ihr volles Behagen 
finden, gelinder zu verfahren. in eigentlides Syſtem baut 
Proudhon fih in vorliegendem Werke, welches durchaus nur 
fichtenden und Eritifchen Inhalts ift, nicht auf. Er behält fi 
die Entwidelung der pofitiven Seite feiner Anfichten für eine 
foätere Zeit vor, welche nad feinen bisherigen keiſtungen zu 


3 eo 


Schließen Epoche machen wird. 





Berantwortliger Herauögeder: Heineih Wrodhans. — Drud und Verlag von F. MC. Brochans in Leipjig. 


8lar ter 


für 


literarifche Unterhaltung. 





Mittwoch, 





ihn erſchienene Schriften. 

„Der Menſch iſt nicht um ſeiner ſelbſt willen in 
der Welt, er vollendet ſich nur durch die Vollendung 
feiner Brüder.” Deltalozzk 


Le mehr die Ideen eines großen Mannes, dis er.wäh- 
rend feines Lebens nicht nur ausgeſprochen, fondern bie 
bei ihm auch zur That wurden, mit ben Ideen, bie eine 
fpätere Zeit ausprägt, zufammentreffen, je größer muß 
feine Anerfennung werden, je mehr muß feine Bedeu⸗ 
tung und fein Ruhm fi fleigern. Ein propbetifches 


“ Genie diefer Art war Peſtalozzi, und die Schriften, 


weiche zu feiner ins vergangenen Monat Januar: ftatt- 
gehabten Säcularfeier erfchienen find, haben fi das 
Verdienſt erworben, den erhabenen Geift des edlen Wohl⸗ 
thäterd der Menfchheit von neuem herauf zu befchmören. 
Sein. Andenken ift zwar mit unauslöfchlichen Zügen m 
die Herzen feiner zahleeichen Schüler und Verehrer ge- 
ſchrieben, aber bis jegt war es noch nicht in den Kern 
des Volks gedrungen, das unbewußt fchon feit Jange ber 
Segnungen theilhaftig ift, Die Peſtalozzi, wie jeder Ger 
nius einer innern gebieterifchen Stimme folgend, durch 
fein unaufbhaltfames, vor feinen Opfern zurüdichredendes 


Wirken ausgegofien hat. Zeigte er Doch der Welt, „daß 


nicht nur für die Reichen und Vornehmen das Licht bed 
geiftigen Lebens leuchte, fondern daß es auch fin bie 
Armen aufgegangen fei”. Diefen Amen nun wied in 
einer Beinen Schrift: 

einei alozzi, fein Leben mb Wirken einfach und treu 
Vie far * —— Belt, herausge ri von dei 
aüe herifägen Schulſynode und verfaßt vom Secundarlehrer 
är 


gezeigt, wer der Mann war, dem es ben blühenden Zu⸗ 
ſtand des Pflanzſtätten der Gefittung und Veredelung, 
dem es die jetzigen Volksſchulen verdankt. Diefes Schrift⸗ 
chen, im Canton Zürich in mehr als 20,600 Eyemplaren 
verbreitet, iſt in den Händen von Jedermann. Mit ber 
gleichen Freude lieſt es der Städter wie der Landmann, 
mit der gleichen Ruͤhrung erfüllt es das alte Mütter 
chen in der Hütte wie das Kind in der Schule. Ihnen 
Allen wird Peſtalozzi nahe gebracht, ficht vor ihren als 
die perfoniftcirte Liebe, als ein Mufter echter Frommig⸗ 


feit, als ein Beifpiel der feltenften Ausdauer und Auf: 
opferung. Kannte ex doch, was feine Perfon betraf, 
beinahe den Begriff des Eigentums nit — unähnlid 
ben Gentmuniften, tie nicht nur geben, fondern aud) 
nehmen wollen —; brachte ex doch Alles, was er und 
feine Frau an zeitlichen Gütern befaßen, dem „Ziele fei- 
nes Herzens” dar. Widmete er doch ein Leben von 50 
Jahren, feine Tage, feine Nächte, alle feine Kräfte der 
Idee, mittels der Erziehung „eben zu feiner Selbft- 
traft zu erweden und bas wahrfle Selbftgefühl 
zur edelften Anwendung berfelben gelangen zu laffen’‘z - 
und fomis aud die Grhebung der armen Volksclaſſe 
und die Berbefferung ihrer’ Lage zu erreichen. 

Und nice wie unfere neuen Socialiſten wirkte er 
blos durch Aufftellung von Theorien und Syſtemen, 
fondern Bedankte und Ausführung war bei ihm ein und 
daſſelbe. Nicht wie jene Socialiſten ſuchte ex blos die Übel 
zu erforfchen an denen das Volk leidet, um feine Wun⸗ 
den zu enthällen: nein, er goß heilenden Balfam hin- 
ein, er legte eine liebende helfende Hand in die bes. 
Volks. Manches Auge negt fih, menn es in dem er⸗ 
waͤhnten Schriftchen fieft — ſchlicht und einfah iſt es 
da erzählt — mie Peſtalozzi ein Bettler unter Bettlern 


. lebte, um fie zu lehren: wie Menſchen zu leben, wie er 
"fein Haus zu eines Zeit, wo er ſelbſt im äußerften Elend 


fich befand, zu einer Erzsiehungsanftalt für verlaufene. 
heimatloſe Berteltinder machte und bern mehr ald hun⸗ 
dert zu brauchbaren Menfchen bildete. Wie er fpäter, 
immer dem Zuge feines Herzens folgend, die Ideen, die 
in ihm glühten, ins praktiſche Leben überzutragen, nad 
Stanz im Canton Unterwalben ging, wo er gegen hun⸗ 
dert gänzlich verwahrloſten, durch den Krieg zu Waifen 
gewordenen Kindern Alles in Allem wurde. Bon fei- 
nem Wirken in Stanz fihrieb er einft an Geßner: 
Mein Eifer, einmal an den großen Traum meine Lebens: 
Hand anlegen zu können, hätte mich dahin gebracht, in den 
hoͤchſten Wipen, ich miöchte fagen, ohne Feuer und Waſſer an⸗ 
zufangen, wenn man mid nur einmal hätte anfangen laflen. 
.Ein Grundzug in Peſtalozzi's Weſen war eine un⸗ 
erfehüttesliche Kiebe für ba6 Wahre unb Rechte, das er 
unter allem Volk geltend machen wollte. Auch frühe 
ſchon zeigte er einen Trieb, in das öffentliche Reben und 
Treiben einzugreifen und fi der Armen und Unter 





., u 446 


brüten anzunehmen. So wirb z. D. in dem Volks⸗ 


ſchriftchen mitgetheilt, daß er im Verein mit mehren. 
"züricher Zünglingen, an deren Spitze Lavater fland, ei- 


nen Landvogt, der fi Gewaltthaͤtigkeiten gegen feine 


Untesgebenen erlaubt hatte, deffen ariſtokratiſchen Ver⸗ 
wartdten in der Stadt gegenäber, mit beifpielfofer Un- 


erſchrockenheit öffentlich vor Gericht zog und feine Ab- 
fegung und Berbannung durchſetzte. | 

Als es ihm ſchon in jungen Jahren vollig klar ge- 
worden, „wie die Quelle der Armfeligkeit des großen 
Haufens deſſen geiftige und fittliche Verwahrloſung fei”, 
fam ‚er auf ben Gedanken eines verbefferten Volksunter⸗ 
rihte und rief die befannten denfwürdigen Worte aus: 
„Set hab’ ich's gefunden, ein Schulmeifter will ich 
werben!” nachdem er vorher den Verfuch gemacht hatte, 
als Pfarrer und fpäter als Rechtsgelehrter für feine Ideen 
zu wirken. | 


Müffen ibm nun folhe Züge nicht da® Herz bes 


VBolks gewinnen, das er in allen feinen Lebensverhält- 
niffen in feinem Herzen voll Liebe trug® Dachte er doch, 
als er zum erftien Mal im berner Oberland von einem 
Berge aus eine weite Landſchaft vor fich fah, „mehr an 


das arme, Übel unterrichtete Volk in den Thälern als 


an die fhöne Natur”; vergaß er doch, ale er einft in 
Baſel eine Audienz bei dem Kaifer von Rufland hatte, 
um ihm wegen feiner Anftalt in Iverdon eine Bitt- 
ſchrift zu überreichen, warum er vor Alerander fland. 
Sein Anblid nämlich erinnerte ihn an bie Millionen 


. Keibeigene, über die der Kaifer herrfchte; und nun ent» 


widelte er ihm feine Anfichten über Volkserziehung, in- 
bem er ihm immer näher rüdte, bis er ihn in die äu- 
Ferfte Ecke des Saale gedrängt hatte, wo er erft durch 
eine Armbemwegung des Kaifers wieder zu fi) fam und 
merkte wo er mar. J 

Auf dem Wege, den Peſtalozzi in Stanz eingeſchla⸗ 
gen hatte, das Kind aus ſich heraus naturgemäß ſich 
entwickeln zu laffen, entgegen andern Pädagogen, die 
nur in dad Kind Hinein erziehen wollten, ging er in 
Burgdorf weiter. Er entriß es dem Schulzwang und 
den bis jegt gewöhnlichen Lehrmitteln, der einfeitigen 


Zuchſtabenlehre, und Tieß es an der Anfchaunng der 


Natur und feiner Umgebung fernen. Auch in Burg- 


dorf hatte er fein Erziehungsinftitue mit einer Anzahl 


Waiſenkinder eröffnet und verband damit eine Schulfehrer- 
Bildungsanftalt, um feine Methode in ben fchmweizerifchen 
Dorfſchulen allgemein zu machen. In Iverdon, wo ſei⸗ 
nem großertigen Ergiehungsinftitut bald reiche und vor⸗ 
nehme Zöglinge aus allen Weltgegenden zuflrömten, wo 
bald der Sammelplag einer Menge von Fremden, Schul- 
männern, Belehrten und Fürſten war, behielt boch Pefta- 
lozzi immer bie Idee im Auge, durch Errichtung einer 
Armenbildungsanftalt, die ihre Zöglinge ausfenden koͤnnte, 
um anderwärts ähnliche Anflalten zu gründen — auf 
bie Bildung bes eigentlichen Volks zu wirken. Er grün- 
dete auch wirklich eine ſolche Anftalt in der Nähe von 
Iverdon, die aber bald, bei den fchnellen Zortfchritten 
bie ihre Schüler machten, mit der in JIverdon vereinigt 


wurde und fo ihre urfprünglihe Beſtimmung verlor. 
Später, als Peſtalozzi fhon in hohem Alter fand, be- 
Ihäftigte ihn immer noch der Gedanke, ſich mit einigen 
Lehrern aus Iverdon auf fein Gut Neuhof im Aargau 
zurüdzuziehen, um da eine dem Volke allein zu gute: 
kommende Anflalt zu errichten. Doch bie übermütbig 
gewordenen Lehrer hielten etwas der Art unter ihrer 
Würde. Erſt jegt, 20 Jahre nad) feinem Tode, wirb 
Das ind Leben treten, was er vergeblich angeftrebt, ba 
es, wenn er es erreicht zu haben glaubte, fih ihm un- 
ter ben Händen wider feinen Willen verwandelt. Auf 
feinem ihm fo theuer gewefenen Landgute Neuhof im 
Aargau wird ſich eine Volksbildungsanftalt in feinem 
Geiſte erheben, ein lebendiges Nationaldenfmal, bag 
die Schweiz ihrem großen Mitbürger fliften wird und 
bem Beiträge aus dem In- umd Nuslande zufließen.. 
Je reichlicher fie ausfallen, je größer und ſegensvoller 
wird die Wirkung dieſer Stiftung im Geifte Pefta- 
lo3308 fein. 

Kurz vor feinem Tode, der ihm bekanntlich durch 
niedrige Schmähfchriften von Seiten feiner Feinde, bie 
zum Theil aus Parteiteidenfchaft handelten, fo ſchwer 
gemacht wurde, fehrieb noch der zweiundachtzigjährige 
Greis mit zitternden Hänben die merkwürdigen Worte 
nieder: 

— — Und meine Armen! die gedrüdten, verachteten und 
verftoßenen Armen! — Arme, man wird auch euch wie mid 
verlaflen. Der Reihe in feinem Überfluß gedenkt euer nicht; 
es könnt’ eudy hoͤchſtens au nur ein Stud Brot chen, wei⸗ 
ter nichts — er ift ja felbft arm, und hat nur Geld und — 
anders nichts! Euch einzuladen zur geiftigen Mahl⸗ 
zeit, und euch zu Menſchen zu machen — daran 
wird man noch lang, gar lang nicht denken! 

Wie recht hatte er! Iſt es doch noch nicht gar Tarige, 
feit man anfängt allgemeiner an geſellſchaftliche Refor⸗ 
men zu denken; feit man fühle, daß die eine Hälfte 
bee Menfchheit geiftig und leiblich darbt, weil die an⸗ 
dere Hälfte nur genießt! Aber wie wenig weit iſt man 
noch mit diefem Denken und Fühlen gefommen! ind 
doch die meiften focialiftifchen Syſteme entweber durch⸗ 
aus unpraktiſch oder nur in einzelnen ihrer Theile aus⸗ 
führbar; oder auch ihre Verwirklichung ift bios in Blei« - 
nen ſektenartigen Kreifen auf kürzere Zeit möglich. Ei— 


‚nige von ihnen ftellten, wie befannt, mit ber Aufhebung 


der Familie den Grundfag ber öffentlichen Erziehung 
auf, der das Kind vom zweiten Jahre an anheimfallen 
follte. Die Mutter wäre demnach nur die phufifche und 
nicht auch die geiflige Mutter des Menfchen. Peſtalozzi 
dagegen, „ber von der Bildung des Gemüths ausgeht 
und bem Faden der Natur folgt”, ftellt den Grundfag 
auf, daf eine Erziehung, die nicht auf das Leben im 
Haufe gebaut fei, zu einer fünftlihen Berfhrum- 
pfung unſers Gefchlechts führen würde. 
Unfere Beituäter und Zeitmütter find faft allgemein aus 
dem Bewußtfein, daß fie etwas, daß fie Alles für die Er: 
siehung ihrer Kinder thun koͤnnen, herausgefalien. Diefer 
große Abfall ber Bäter und Mütter vom Glauben an fi 


jelbft ift die vorzüglihfte Quelle der Bodenloflakeit 
Erziehungsmittel. figfeit unferer 





Pi er 


441 


Bor Ulen ſetzt Peſtalezzi in Bezichung auf bad 


Kind die Mutter in ihre Rechte, deren heiligen Ra⸗ 
men er fo fchön und poetifh in feinen Schriften feiert. 
Er, der Alles auf die Mutter zurüdführte, rief be 
geiftert aus: 

Rein, die Beredelung des Volks ift Fein Traum, ich will 
ihre Kunft in die Hand der Mutter werfen, in die Hand bes 
Kindes und in bie Hand der Unfhuß! W 

Er will, daß die Mütter fo gebildet werden, daß fie 
durch den Elementarunterricht ein Hauptgefchäft der Er- 
ziehung felbft beforgen fönnen: 

Der erfte Unterricht des Kindes fei nie Sache des Kopfes, 
der Bernunft — er fei ewig die Sache der Sinne, die Sache 


des Herzens, die Sache der Mutter — er bleibe lange die 


Sache des Weibes, che er die Sache des Mannes wird. 
Auch wollte er ald Begenftand und Mittel des Un- 

terrichts nur das Kind felbft Haben umb ihm Gelegen- 

heit geben, durch finnliche Anſchauungen fein geiftigee 


Leben felbft zu entwideln und zu geftalten, wobei nur. 


Langfam von der Übung der Sinne zur Übung des 
Urtheils übergegangen werden follte. Nach Peftaloz- 
zi's weiterer Anficht, daß das natürliche Neben dem 
künſtlichen des Lefens und Schreibens vorangehen müffe, 
follte das Kind in allem Andern, was in feinen Ge⸗ 
ſichtskreis fällt, früher bewandert fein als es in Büchern 
Iefen lernt. Aber die Hauptſache war ihm, in dem 
Kinde die Ideen des Wahren, Guten und Schönen zu 
entwideln und zu bilden, die eigentliche Menſchenbil⸗ 
dung ihm fo tief einzuprägen, daß file ihm unter allem 
Drang künftiger Berufsarbeit, unter aller Neth eines 
tfümmerlihen Geſchicks, eines gedrückten Dafeins 
unzerflörbar bleiben und es fähig ˖werde, fein ganzes 
Leben hindurch feine Kortbildung felbft betreiben zu 


"Lönnen. Unfer Volksſchriftchen ſagt: 


Bon Peftalozzi, dem Stern, ber im Ulpenland erſchienen 
war, ging nicht nur über die Schweizerauen, nein, auch über 
Deutidland, ja über ganz Europa ein Licht aus, das Allen 
Hell und Segen gebradt hat. 


(Die Yortfegung folgt.) 





Die Befreiung von Texas. 
(Bortfegung aus Nr. 114.) 

Indeſſen bofften die Eoloniften Abftellung aller ihrer wire: 
lichen und eingebildeten Beihwerden und aller Urfachen zur 
Entrüftung, als fie die Erneuerung der Verfaſſung von 1924 
durch Santana erfuhren; Stephan F. Auſtin ging fogleich 
nach Merico und bat Namens der Teraner: die Generalregie⸗ 
zung, Texas ausdrüdlich als eigenen Staat und unabhängigen 
Beftandtheil der mexicaniſchen Union anzuerdennen. Uber Auftin 
wurde ins Gefaͤngniß geworfen und kehrte erft nach zwei Jah: 
sen, im Sommer 1835, nad) Texas zurüd. Inzwiſchen erließ 
Santana Verordnungen, denen zufolge Die Xeraner ihre 
Waffen mit Ausnahme je eines Gewehre für fünf Plantagen 
abliefern folten, Feine Kirchen bauen durften u. dal. m. Iept 
riß den Texanern die Gebuld; e8 wurde ein terani a Comite 
zur Drganifirtung bes Widerflandes conftituirt, Au oberungen 
an die Eolaniften, eine Milig zu bilden, wurden erlaflen, Fuͤh⸗ 
zer erwählt, und in ben Vereinigten Staaten von Nordamerika 
erfchien ein Aufruf, in welchem «6 hieß: „Zeras, das Prairie⸗ 
land, ift aufgeftanden, um dem Zyrannen Santana und den 
bereich und. habſüchtigen Prieſtern Mericos bewaffnet entge- 
genzutreten. Die liberalen Bürger der Union werden um Hülfe 


gebeten.” Bei einer Bolfkeverſammkung, weilche deswegen im 
Kaffeehauſe der „Arcade“ zu Feuers ebalten de, zeich⸗ 
neten die Anweſenden auf der Stelle 10,00 Dollars und fehon 
am Tage darauf, am 12. Det. 1835, brad daß erfte Corps 
Freiwilliger, „die Grauen“ wegen ihrer grauen Kittel ge⸗ 
nannt, mit Büchfen, Piftolen und langen Bowemeſſern beimaff: 
net, nach Texas auf. Diefe Unterflügung der Revolution von 
Zeras war nur Privatunternehmen Der Bürger von Reuor- 
leand; die Regierung der Vereinigten Staaten fonnte natürlich 
dazu die Hand nicht bieten, und daher Fam es, daß die Frei⸗ 
willigen auf der Grenze militairifche Poften, welche auf ihrem 
Wege lagen, umgingen. Der erften Compagnie der Grauen 
folgte al&bald eine zweite und endlih ging ein nad der meri- 
canifchen Stadt Zampico beflimmtes, aus Amerifanern, Briten, 
Branzofen, Deutfihen gebildete Corps, die Tampico- Blues, 
unter Segel. Diefe Leptern fanden unter dem Befchle eines 
emeritirten mericanifchen Generatd Namens Meria, der von 
Santana 30, 000 Dollars empfangen hatte, um für Merico 
Zruppen zu werben, fie aber aus Haß gegen Santana für die 
Sache der Zeraner verwandte. Überall wo die Freiwilligen 
durchkamen, wurden fie von den Goloniften mit Jubel aufge: 
nommen. In Racogboches wurde ihnen ein glänzendes Feſt⸗ 
mahl gegeben, wobei unter andern Zcaften auch einer vorkam, 
über welden Ehrenberg folgendermaßen Bericht gibt: 


„Bob, der mit vier Bouteillen bereintrat, ſtellte diefelben _ 


auf den Zifch und der Squire Stern (ein geborener Deutfcher, 
derfelbe, welcher als Abgeordneter von Texas die Bubfeription 
in Reuorleans bewirkt hatte) füllte die Cläfer bis zum Rande, 
ergriff das feine und als deutfcher Sproß rief er aus: «Dieſes 
perlende Glas dem alten ehrwuͤrdigen Rhein. Mögen feine 
Wogen baldigſt nur daB Land einer einzigen, einer großen 
freien Ration durchftrömen!» «Der alte deutfche Rhein!» wie- 
derholte der aus verfchiedenen Nationen zufammengefegte Chor - 
rus, und das fließende Gold des crften Glaſes rolite über. 
unfere Gaumen.‘ 

Die Zeraner gingen damals noch nicht damit um, Texas 
unabhängig zu machen, wollten wenigftens eine ſolche Abſicht 
nicht offen ausfprechen, denn fie hofften noch, daß der Aufftand 
gegen die Regierung Santana’s ſich auch über die mericanifchen 

taaten der Conföderation verbreiten würde. Nur die deutfchen 
Freiwilligen drangen von Anfang an darauf, daß ihr neues 
Wohnland zu einer felbfländigen Republik gemacht werde. 
Ihre Foderung fpricht unfer Verf. in folgenden Worten aus: 
„Sind wir tenn nad Texas gekommen, um uns von neuem 


unter den Abfolutismus zu beugen, nachdem wir kaum daß 


Leben eines freien Volkes haben kennen lernen? Hatten bie 
Grauen die Prairied betreten, um unter Santana's oder 
irgend einer dieſer Kupferfragen-Buchteuthe die Urmälder aus 
zurotten? um für ihre Pfaffen das Land zu durchbrechen, oder 
große Heerden zu ziehen, damit, wenn die Sippfchaft 'mal Luft 
befäme, fie es ebenſo maden würde wie der Erzfeind, der 
jegt den Dolch des Despotismus über Merico ſchwingt? Rein 
— bedanken uns, Squire — bleiben nicht auf halbem Wege 
fteben — geben den whole hog, wie unfere Freunde in ben 
Staaten fagen.” Es ging aber in der That nach dem Wunſche 
der Freiwilligen. Mericaner fchloffen fi nirgend dem Aufs 
ftande der Zeraner an; bie Memicaner find fo gute Katholiken, 
daß fie ein Geſetz Haben’ (vom 12. März 1828), demzufolge auf 
mericanifhem Gebiete Niemand naturalifirt werden kann, wer 
fih nicht dur Laufſchein oder fonft gültiges Zeugniß als 
„apoſtoliſch⸗ roͤmiſcher Katholik“ ausweift; fie haften die Ketzer 
zu fehr, wie auch die irländifchen Anfiebler thaten, welche bei 
der Annäherung des Pegerifchen Heeres fih, als gute Katholis 
Een, über den Rio Grande zuruͤckzogen. &o wurde ber Gedanke, 
Zeras unabhängig zu erflären, immer allgemeiner. General 
Houfton fagte fhon im December 1835 in einer Rede, welde 
er an bie verfammelten Zruppen ber Texaner hielt: „Laßt uns 
das noch frifhe Blatt von dem abfterbenden Cactus (dad meri- 


canifhe Wappen ift ein Cactus mit fo vielen Blättern, ale fi _ 


/ 440 


en, gefochten, mit Truppen, welche ihren Fall ihrer innern 
be zuzufchreiben hatten; feiner wollte den andern Ge- 








Gay utenie in wem dortigen Bert Ulm zurhäifienk Wis 
fie unterwegs in einer lachenden Landſchaft bei Dem Jort Me⸗ 
fugio lagerfe, traf der alte tapfere General Houſton, Oberbe⸗ 
fehlshaber der teranifdyen Truppen, Bei ihr ein. &prenderg 
ſchidert bei einer ſpaͤkern Getegenheit Houfton’s Kußeres and 
ich will diefe Schilderung hier einſchalten: „Ein ungefähr ſechs 
Yuß hoher, ftarker Bann, des mit tief ind Geſicht gebrüdtem, 
grauen, breitzänderigem, zerknicktem Zilshute durch die Reihen 
der Feuer ſchritt. Gelbe Lederhoſen und lange Waſſerſti 
Meiteten den untern Aheil der großen Wigus, währen über 
die breiten, kraͤftigen Schultern das mit Franſen befepte agb 
bembe eines Cherokee hing, und eine lange, ziemlich tief über 
die Hüften herabgehende, halb zugefnöpfte Weſte fügte zu ber 
großen Figur etwas Erhabenes, welches ihm felbft ferne Feinde 
nicht ablengnen Ponnten. Der Kragen und Bufenftreif feines 
feinen leinenen Hemdes hingen zerdrüdt zur Wefte heraus, 
und der weiße Hals und die Bruft bildeten einen fihneitenden 
Eontraft mit den braunen, fon immer. heitern Gefichtözügen. 
Aber jept hatte ſich die Stien in gewaltige Falten gelegt und 
müsrifh knurrend ging der alte Sam mit auf dem Rüden 
getreuzten Armen durch das Lager.“ Houfton zpiderrieth den 
An ri auf Matamoras als ein völlig nuglofed und nur bie 
Kräfte zerfplitterndes Unternehmen. „Wollen wir dem Feinde 
ſchaden“, fagte er, ‚fo laßt uns ihr erwarten und feine durch 
Maͤrſche und Mühfeligkeiten erihöpfte Mannfchaft die Wir 
tung unferer Büchſen empfinden laſſen; laßt uns ihnen bewei⸗ 
fen, mas eine Nation vermag, die vereinigt, wenn auch zur 
ſchwach an Kräften fi in Maffe emporreißt, und mit Ent- 
ſchloſſenheit ausfpricht: wir wollen frei fein.” Die Weiften 
folgten dem erfahrenen und von Allen geachteten Führer; nur 
70 Mann und unter ihnen die fümmtlichen Actißeriften beſtan⸗ 
den auf ihrem Gntfchluffe, gegen Matamoras wenigſtens 

40 Miles weiter vorzuruden, und dazu nur noch die Ankun 
eines Freicorps, welches Obrift Fannin befehligte, abzuwarten. 
„Unter den Gompagnien diefes Corps”, fagt der Nerf., „will 
ih bier nur das famoſe Seorgia-Bataillon unter Major Ward 
erwähnen, alles herculijche, muscutöfe Geftalten ; aber Die Beſten 
waren die Med:Roverd, wohlgebildete Bürgersjößne von Ala⸗ 
bama, ſämmtlich in braune Zagdhemden und : ofen gekleidet 
und mit Büchfen und Piftolen bewaffnet. Doctor Shaflefort, 
ihr Eapitain, wurde von Allen wie cin Vater verehrt, da er 
der einzige bejahrte Mann unter ihnen war; au fein Sohn 
und Reffe hatten mit ihm für unfere gerechte Sache die Büchſe 
gefchultert.” Auch Obriſt Fannin zeigte fih, fobald er einger 
troffen war, entfchieden, nicht nach Metamoras zu marſchiren, 
fondern verfchanzte fich diesfeit Des Rio Grande in Goliab. 
Die vorausgerücdte Beine Abtheilung war indefien unter Obrift 
Grant damit befhäftigt, Pferde, welche in diefer Gegend ſehr wohl⸗ 
feil zu haben waren, für die ganze teranifcye Armee einzufaufen. 

(Der Boſchluß folgt. ) 





Citerarifche Anzeige. 


In meinem Verlage if neu erfthienen: 
Seelenheilkunde, 
geffigl auf pfychofogifche Srundſatze. 
Fanbdbuch für Pſpchologen, —2 Serlſorget und Richter 
3. A. Zäger. 


weite vor erte Auflage. 
3 Gr. 8: ar 3 Thir. ” 


Eeipzig, im Aprit 1846. 
F. A. Brockhaus. - 
Drud und Verlag von F. X. Brockhaus in Leipzig. - 


Blätter 


s 


fir 


literarifde Unterbaltung. 





Donnerdtag, 











Peſtalozzi und einige neue in der Schweiz über 
ihn erfchienene Schriften. 
(Vortfegung aus Nr. 112.) 


Eine hoͤchſt verdienftlihe Schrift von dem Vorſteher 
eines nach Peſtalozzi's Methode eingerichteten Inſtituts, 
die ben Titel führt: | | 
Der Genius von Vater Peſtalozzi. Bon I. B. Banblin, 

Aürich, Höher. 1846. Sr. 8. 27%, Nor. 

enthält eine umfaflende, treffende Darftellung Peſtaloz⸗ 
308 in allen feinen Lebensverhältniffen, Beftrebungen 
und Leitungen. Cine folche zu entwerfen war wol nur 
einem Manne möglich, der wie der. Verf. in vielfachen 
Beziehungen zu Peftalozzi geftanden und fi) von beffen 
. no lebenden Freunden Beiträge gu feiner Schrift zu 
verfehaffen wußte. Schade, daß neben ben fchönen ein- 
fahen Worten Peſtalozzi's, den er oft felbft fprechen 
läßt, zumellen etwas gefchmadlofe Redensarten des Verf. 
fih finden. So führt er 5. B. Klagen über die jegige 
Zeit, „wo ber Magen den Scepter führt und das Herz 
als Revolutionnair in Feffeln gefchlagen wird, die Ju⸗ 
gend wie ſchwäbiſche Keftgänfe vollgefüttert, ihr Inter⸗ 
eſſe für die Speifefammer ſich von Tag zu Tag fleigert 
und der Schlüffel zum Bibliothefzimmer ungebraudt 
einroftet”‘! Das heißt denn doch ans einem engen Kreife 
heraus über Baufh und Bogen urtheilen. Doc bes 
vielen Guten wegen, dad Banblin’s Buch enthält, kann 
man ihm wol etwas nachfehen. Auch läßt fi daraus 
klar genug nachweifen, wie Geltendmachung der Men- 
ſchennatur und Hebung der ärmern Volksclaſſe Peſta⸗ 
103318 Ziel, der „Traum feines Lebens“ war. 

Daß „die Liebe eine göttliche Kraft if, wenn fie 
wahrhaftig iſt und das Kreuz nicht fcheut”, dies be= 
waͤhrte fih an dem feltenen Manne im vollftien Sinne 
des Worte. Beine allbelebende warme Menſchenliebe 
war bei feiner gemüthlichen und reizbaren Natur Feine 
blos weiche Stimmung, nein, fie war gepaart mit Un» 
eigennügigfeit und Aufopferungefraft, fie befähigte ihn 
zur Selbſtbeherrſchung und Ausdauer, zur Willenskraft 
und einem Muthe, ber fi, je mehr Schwierigkeiten zu 
überwinden waren, nur deſto unerfchütterlicher bewährte. 
„Ich lebte”, fagt er von fih, „auf jedem Punkte, auf 
bem ich fand, bis zur hoͤchſten Spannung meiner Ner- 


23. April 1846. 





Dies wird be 


ven in dem Kreife, in dem ich wirkte,” 
fonders anſchaulich bei feinen eigenen in bie genannte 
Schrift eingereihten tief ergreifenden Schilderungen von 
Dem, was er in Stanz, ohne Hülfsmittel, wollte und 
erreichte, in jenem WWaifenhaufe, das ein berühmter 
Staasemann bie Wiege ber Wiedergeburt des Menfchen- 


gefchlechts nannte. „Ich mußte beftimmt nicht was ich 
that”, fagte Peſtalozzi von dieſem feinem Wirken in 
Stanz, „aber ich mußte, was ich wollte, und das mar 
Zod oder Durchfegung meines Imedes. 

Deftalozzi glaubte, bie bedeutendfte Wirkung-ber Volks⸗ 
bildung fei durch eine große Anzahl von Individuen aus. 
den ärmflen Kindern .im Lande zu erzielen, wenn biefe 
Kinder nicht aus ihrem Kreife gehoben, fonbern vielmehr 
duch ihre Erziehung fefter an. denfelben angefnüpft 
würden. Wie richtig ift dieſes und wie folgereich koͤnnte 
eine folche Volkserziehung werben, wenn fie noch dem 
Affociationsgeift zu weden fuchte. Die gegenfeitige Lehr- 
methode, deren Erfinder Peſtalozzi gleichzeitig mit Beil 
in Oftindien war, ift ſchon eine Aſſociation in Bezie⸗ 
bung auf die Unterrichtsweife. Die Volksſchulen aber 
ſollten fo eingerichtet fein, daß fie als Vorſchulen zweck⸗ 
mäßiger Affociationen auch auf Anderes fich. erftreckten, 
z. B. auf Arbeiten im Fache ber Lanbwirthfchaft, der 
verfchiedenen Handwerke u. f. w., bamit ſchon früh bem 
Kindern die Nothwendigkeit des Zuſammenwirkens beut- 
lich würde, was dann fruchtbringend für ihr ‚ganzes 
tünftiges Leben, werben könnte. Peſtalozzi betrachtete 
die Arbeit als etwas Heiliges, als das Mittel, das 
neben der Liebe, bie es nicht fire zu gering achtet auch 
den Geringften geiflig zu fich emporzuheben, Jedem 


Die Möglichkeit einer menfchlih würdigen Eriftenz ge 


ben ſollte. . 

Das Treffendfte, was fchon zu Anfang biefes Jahr- 
bundertd von dem damaligen Schulunterrichte gefage 
wurde und was heute auf unfern ganzen focialen Zu⸗ 
ſtand angewendet werden kann, liegt unſtreitig in fol⸗ 
gendem Gleichniß Peflalogis: - . ' Zn 

So weit ich den Schulunterricht kannte, Fam er mir wie 
ein’ großes Haus vor, deſſen oberſtes Stodwerf in vollendeter 
Kunk ſtrahlt, aber nur von wenigen Menfchen bewohnt iſt; 
in dem mittlern wohnen dann ſchon mehre, aber ed mangelt 
ihnen an Treppen, auf denen fie auf eine menſchliche 
Weife in das obere Hinauffteigen Fönnten, und wenn etwa 





man ihnen, wo man es flieht, ziemlich 

te Binger und bier und da wol gar einen Arm 

oder ein Bein entzwei, das fie bei diefem Hinaufklettern an» 
frengten. Im dritten Gto unten wohnt benn endlich eine 


Einige Gefüfte zeigen, in üprem Rofpfland gierig hinauf gu 
fetten, lägt 
allgemein die Bing 


(lofe Menſchenheerde, die für Sonnenſchein und gefunde Luft - 


ooliends mit den oben Wohnenden Has gleihe Recht ha⸗ 
Benz aber fie wird nicht nur im efelpaften Dunkel fenfterlofer 
Loͤcher fich felbſt überlafien, ſondern man macht ihr durch 
Binden und Blendwerke die Augen ſogar zum 
Hinaufgucken in dieſes obere Stockwerk untauglid. 

Belümmert man ſich ja Überhaupt erſt ſeit kurzem 
um die im „unterſten Stockwerk“ Wohnenden! Und doch 
zog ſich ſchon vor mehr als 80 Jahren wie ein rother 
Yaden 


ganze mühfelige, gegm 
und Hemmniffe aller Urt ankämpfende Leben eines 
Mans die Idee: theils bie Unterrichtämittel des nie 
dern Bolkse zu vereinfachen und zu erleichtern, theils 
durch eine Tefer begrimdete Bildung für okonomiſchen 
Erwerb den Sufland des Fegenannten gemeinen Volkt 
grundlich zu verbeffern, des Molke, das cr „durch bie 
Folgen feiner. Hintanfegung in feiner naͤchſten Umgebung 
vielfetfig ungluͤcklich, unbefriedigt und gefährdet fay”. 
Mit glhenden Karben, mit einer hinveifenbden Berebt⸗ 
famtkeit, einer Unmittelbarkeit ber Darſtellung, durch Die 
er ſich um bie deutſche Sprache und Literatur fo ver⸗ 
dient gemacht hat, ſchildert er die Lage dieſes Beiks, feine 
Roth und jene Verſunkenheit und weiſt deren Quellen 
nach. Mit derſelben Wahrhtit und in ſcharfen Zügen 
tharakterifirt er aber auch den vornehmen Pobel, ber im 
em „oberften Stockwerk“ des focialen Bebäubes feine 
Wohnung aufgeſchlagen; zeichnet ſein „Woh lkönnen 
bes Unnoͤthigen, und fen Rich tkönnen bed Rothwendi⸗ 
1 durch Züge verdeckte Verdorbenheit, ſeime 
itrikeit und Flachheit. Dieſer Pübel ſollte nach ihm 
ebenfſo gut aus der Weit verſchwinden wie derjenige, der 
in dem unterſten Scockwerk, im ckelhaften Dunkel fen⸗ 
ſſerloſer Löcher Ach ſelbſt überlaſſen IE”. Zu dieſem 
zicht ihn unublaäſſig, wie ſchon öfter im dieſer Stizze 
hervorgehoben wurde, auch während er ſich der Grzie⸗ 
Yasg ber Rreichen und Vornchmen widmete, ſein Der 
vo Beimıefahl und Hingebung. Much wolflte er die 
iſſen ſcheft pepulzrifiuen, „aitht :um fie als ſolche zum 
teicgenden Spielwerke der Bent bebrfenden A zu 
mathen, enden die Brot bebiarfende: Armuth durch bie 
evſten Fundamente ber Wahrheit und ber Weisheit won 
der Gefahr zu beferien, bas unglückliche Epielwerk iheer 
ebgenen Unwiſſenheit formel 8 der Schlauheit Andever 
zu ſein“. 
And wbe famımelte er ˖ die reichen Erfahrungen über 
Die Lage ber mmern Btänbet Durch die verungluͤckten 
Bexſuche, die er, der mpraktiſche Mann, fihen frich, 
necmentlich in Ber Laudwiethſhaft machte, um: auch auf 


biefem Wege zur Verwirklichung feiner Ideen zu geban⸗ 
Bettler 


gem, war er zum. geumuben ; und während er 
fetbft mit Roth zu Lampfen Harte, eichteten ſich alle feime 
Gedanken darauf, ter Noch Anderer abzuhelfen. Hären 
wir, was er an Geßner hierüber ſchreibt: 

Im Elend ilernit ich Das Mead des Volbe und feine Du» 


len immer tiefer und fo kennen wie jie kein Sluͤckticher kennt. 
IH litt, was das Bolf litt, und das Bolt ki te ſich mir wie 
«8 war und wie ed fi Riemandem zeigte. faß eine Reihe 
von Jahren unter ihm wie die Eule unter den Bögeln. Uber 
mitten im Hobngelächter der mid wegwerfenden Menfchen, 
mitten in ihrem’ lauten Buruf: Du Armfgliger! du bift went» 
er als der ſchlechteſte Tagloͤhner im Stande, dir feräft 
Deiten und‘ bildet bir in, daß du dem Wolfe helfen —* 
mitten in dieſem hohnlachenden Zuruf hoͤrte mein Herz nicht 
auf wie ein mächtiger Strom zu wallen, einzig und einzig 
nad dem Biele, die Quellen des Elends zu verftopfen, in das 
ih das Bott um mich ber verfinfen fab, und von einer @eite 
ftärkte fi meine Kraft immer mehr. Mein Unglüd lehrte 
mich immer mehr Wahrheit für meinen Zweck Was Nie⸗ 
mand täufchte, das täuſchte mich immer; aber was 
Alle täufßte, das täufchte mich niet mehr. 

Wie bezeichnend auch find diefe Iegten Worte für 
das Ideale, das in Peftalozzi’s Natur lag, und bei dem 
er doch, fo klar einfah, was den Menfchen fehlte! Gr 
ruft aus: 

Werden fie ewig blind fein, werden fie ewig nicht zu den 
erſten Quellen empor fteigen, aus denen die Serrüttung unfers 
Geiftes, die Berftörung unferer Unſchuld, des Keims unferer 
Kraft und alle ihre Folgen entfpringen, die uns zu einem ums 
befriedigten Xeben und Zaufende von und zum Sterben in den 
Spitälern und zum Rafen in Ketten und Banden binführen? 

(Der Beſchluß folgt.) 





Die Befreiung von Texas. 
Beſchlus aus ir. 122.) 


Smeite fein, fondern TeihRändig agiren wollte, hatte es fi in 
den Kopf gefegt, Goliad zu behaupten. Gr wurde ober ge- 
yaungen, endlich doch an den Rüdzug zu denken, wurde unter: 
wegs angegriffen, ergab ſich Den Mericanern gegen die Bebingung 
ehrenvoller Gefangenſchaft und wurde Yon den Treubrüͤchigen 
fammt faſt allen feinen Leuten ſchaͤndlich ermordet. Auch das 
Corps in der Alamo und dab unter Dbrift Grant fowie das 
Corps der Tampioo-Blues, alle diefe kamen bis auf wenige 


Mann um. Ehrenberg entrann dem Blutbade des Fannin'fchen 


nder. 
Flucht ‚bier nus Bolgendeb. „ollte ich mich erzaͤhlt er, 
von einem unvermeidlichen Tode retten, ſo mußte ich fort — 
bort, um nr ex au een —* einzige Hoffnung Er 
na eften e ſchwarze Arm vor mit. 
ae fort Baum, Fein Buſch, fen Str 
auf meinen Wege, nichts «td cin endloſes, wankendes Alumen⸗ 
beet um mich ber. Endlich ⸗—rreichte ich den Saum des Wal- 
des — aber Leine Spur von MWafler, Alles war ausgetrocknet 
und gewiß wfürde ich bier ein Mahl der Wölfe geworben fein, 
hätte ich nicht auf dem gewaltigen baumlofen Plateau, das 
ausgebreitet ver mir lag, wenn auch /in bedeutender Entfernung, 
einen hellen, blauem See wahrgenammen, deſſen anbered Ufer 
wit bichter Waldung ‚eingefaßt ſchien und an den ficdh 
dene Pflanzerhäufer reihten. Bon neuem Muthe beſeelt ſchritt 
ic vorwärts, ungeachtet es mir unerflärlihd war, in dieſem 
heile von Texas auf einen See zu ſtoßen, da ein folcher auf 
' ſchwankte vorwärts unb zur 


leiner Karte n & mer. Ich. vorn 
die Hafnung, doe Waſſer zu erreichen, gab meinen Rewen 
neue Staͤrke. Wieder brannte die Gonne auf meincn don 


d 
neuem fieberifchen ‚und mit Moos ummundenen Kopf hernieber. 
Die Welten auf der blauen‘ Mäche bebten und ale meine 
felmfüchtigen Mitde; die am Ben: Hängenden MBohnungent 


teagen mehr und mehr aus ihrem nebeligen Schleier hervor, 
und mit jedem nähernden Schritte Pr ih, der Umtiß des 
einladenden blauen Spiegeld. Die Gegend nahm jegt ein be: 
fonderes Unfehen an, bi der, die den Meerbufen begzenit, 
Starkes, dickes Gras, fartige Gewächfe, Palmetos und an» 
dere Hededten den radeon Boden, welcher nun eine wogen · 
ähnliche Geſtalt annahiı. Eben wor über eine biefer Wel- 
ien Binmeggefäritten, A auf ber ige einer ameiten und 
richtete meine Augen ſehnſuchtevol vn eh Bee du. Aber welch 
bad Slendwerkl —* —— — Bo war 
der See mit feinen Fluten? wo bie 
die ich fo Ka] da ke Pr Alles — Alles war zer, 
den. ‚Hoffnungen auf einmal vernichtet. 
konnte und a } — ben, ih 8 jähte links —— 
rechts aber ich entdeckte nichts; ich wandke je meinen Blick 
der Gegend, wo ich herfam, befürdtend, im Patorpemus "de 
Biebers einen — gemacht zu haben, aber auch ba fah 
ih nur die Infeln, an ar en erft Finish, vorüber, erging, 
Rocgmols blidte ih nad der Gegend, we die blaue Waf 
ferfläche erfchienen war, aber nichts war zu entdedien, bie Graͤ⸗ 
fer gitterten und wogten, und felbft die Strahlen ber Sonne, 
die auf der Prairie landen, bebten. Die Häufer der Anfiedier 
waren verfhmwunden, aber duͤſtere Forſte besiteten $& vor mir 
aud und mehre mächtige, mit Moos behangene Lebenseichen 
fanden vor dem gewaltigen Walde wie die Worpoften vor 
einem ‚großen Rager. Wahnfinnig warf ih mich auf die 
Yraivie.” Rad langem Umberieren auf den Prairien kam er 
an verlaffene Plantagen und werte bald, daß er fih ganz in 
der Rähe von der dort lagernden Divifion das mericaniihen 
Generals Urrea befand. Da ihm nicht Anderes übrig blieb, 
lieferte er ſich diefem General auß, erzählte eine ‚rührende Ges 
ſchichte, wie er ein reifender Preuße fei, der auf einer der vers 
laffenen Plantagen im pigigen Fieber liegend zurüdgeblieben, 
wahrend die Bewohner vetteten u. f. m. „IC me zu 
Ihnen", fagte er, „alß ein Menſch in Roth, der nichts als das 
Sefüht feiner Rein in Anſpruch nimmt.” Gine lange 
Debatte mifpann ip hierauf zwilhen dem General und den 
Perfonen, dk bei biefem im Bike waren, nämlich einem ges 
wiffen Solinger, Einem Aibeinpesuben, der fih vom Zimmer: 
mann zum Sberſten aufgefchwungen und nod einem andern 
mericanifchen Offizier. it Bärte wurden bebächtig gedrehet, 


Martiny = und meine Perfon mußte ae a de 
te Hol 


like des Cinen we bed Andern, ai 


Eh ie 


Be * Ze 


Lem wollte den ® —8* 
Befehl zur — des 


, Sr Keroper- —8 aegen 


ſich perſonlich —— Er ſchonie von nun on alle in 
Sefangen« 





‘einem Wanne zufamı 








damation auf eigene in weißer er * 
gem zen ums F ai rn Unnefie verhu den R 
ie teranifche Armee unter | jattı 
der Heinen Stadt —9— —A— le de 
Xeranet, die fogenannten ern aus denen fie Behand, 
euten von mehr, um das 
ee konnte lien daran denken, dem 


= trugen verfhiedene —— und die fe 


von rothem un gefen 
ve Schönheiten des el — Jeden, Bing an dem = 


nen, —& ‚bten Hirſchfelltiemen der fid unter der Laſt ber. 
an bie Eräftigen Zormen anlegte. at einer bite 
zen Zabad von 


teen Be ne reichte der Befchriebene den fan 
Hand zu ‚Hand weiter, aber nicht Einer — Eh ſich deſſelben, 
melde als ein Beiden von 9 ingewäbniber Aufregung 
gelten mußte. Der alte Gmnerät Redte Laback, nachdem er 
die Runde gemacht hatte, in die zul unb ft, fe —* 
die — fort, und Lo fo kalt, fo geiaflen, ae 

pflegt, den man zum — 
Male im Leben Kr * aa ber Kampfluſt der Texaner 
gelang es dem alten Sam, fie abermals gm Rüdzuge zu bes 
3% und die Armee —2 nach aldungen des 


dieſer Zeit erreichte Urrea wit feiner Diyiſion 
die an und pafficte diefen Aluß mit vieler re 
Reit, denn die ‚abziehenden Coloniſten ‚hatten alle Übergange» 
mittel zerſtoͤri aber entfernt. Andere mericanifige Abtheilungen 
waren ſchon an andern 1 Bunten Über denfslben Fluß gegan- 
Er Mrrea ging nad MI. F jorba, ließ dort unter enger 6 
weten eine —* von 400 Dann zuruͤck und rüdte gegen 
DR * en fd 90 
Dperationspläne aus aufgefai 
Borrüden des geindes ein Biel 
er ihm entgegen, überraßpte i 
KA sine are Sl di⸗ 
Den Rüdzug hatte 
dm a ve Brüde, weiche über 
führte, bexeits, ehe mitten. 
Yande. Urrea's Divifion ve 
Prairie, hart bedrängt von den 


48% 


Dicht auf den Ferfen war ihe ſtets bie teyaniſche Armee, melde j 


weil Houfton verwundet war, ein Advocat aus Racogbo- 
—— Fa Su commanbirte. Als die Rachricht von der 
Kiederlage der mericanifhen Urmee nad Matagorda tom, lie 
Holzinger fein bewegliches Gut auf ein Boot bringen, das er 
anderm Smwede I it hatte bauen laſſen, und begab fi 
dann ſeibſt, mit act Mericanern und feche a 
Texanern, unter denen auch Ghrenberg war, au das ge: 
brechliche Fahrzeug, um nad Ratamoras zu flüchten. 
„Freude, Wreude!” ruft unfer Verf. nach überftandener Ge 
fangenfaft und Mühfel aus, „die Prairie iſt unſer, bie 
junge Republik hat gefiegt, der neue Stern fleigt freiheitftap: 
Iend am weftlichen Horizonte empor und ber herrliche Dark, 
das Eldorado, unfer Texas, unfer neued, ewig theures Bater⸗ 
Iand, ift endlich den arbeitliebenden Bewohnern des Rordens 
- der neuen und alten Welt eröffnet. — Die willfommenen Aus⸗ 
wanderer werden hereinftrömen und der wilde Blumengarten, 
die bunte Savanna, wird in kurzem vor dem von ihrem ſtar⸗ 
gen Arme geleiteten Pfluge verfhwinden. Aber große Felder 
der fchneeigen Baumwolle, des faftigen Zuckerrohrs, des edel ⸗ 
fen Tabacks werden in kurzer Zeit das Auge ebenfo angenehm 
ezaubern. — Die Drange, die Limone, bie Hfirfihe, Die Pa: 
paw, die herrliche Magnolia, alles Schöne, was der Süden 
probneirt, wird das Aſyl des Landmannes fhmüden, und, ein 
König in feinem Haufe, auf feinem eigenen Boden, würde er 
nicht mit den Herrfhern Europas tauſchen.“ 


“Mit unglaublicher Schnelligkeit nahm nunmehr die Bevoͤl⸗ 


Eerung zu. Im Jahre 1834, alfo kurz vor dem Ausbruch des 
Aufftandes, beftand jie, nad den Angaben Scherpfs, aus unge⸗ 
ahr 40,000 Köpfen, im Sahre des Sieges 1836 ſchon aus etwa 
‚000; im Sabre 1839 wuchs fie au 125,000 und im Zahre 
- 1840 auf 150,000 Seelen. Ja, Kennedy in feiner Stchrift 
uber Texas (1841) fagt, man ſchaͤtze bereits Die Volkszahl auf 
HV,0UO Menfchen und es ſcheine, daß fie binnen etwa fieben 
Jahren auf 1 Million wachen wolle. 
Ehrenberg ſchloß fein Buch mit den Worten: „Die 
Söhne Uncle Sam's haben der Welt bewiefen, daß fie com- 
mon sense befiten und dieſes auch zu vertbeidigen willen, 
daß, um die Freiheit zu erringen, alles &onderinterefie tief 
in den Hintergrund treten muß; daß für diefes hoͤchſte Ge 
ſchenk des Weltgeiftes Gut und Blut in die Schanze geſchla⸗ 
gen werden muß; mit einem Worte, daß dad Volk Patriotib: 
mus befigen muß, jedoch einen reellen, keinen verdampfenden. 
Tief, Rn muß er im Herzen ruhen, und klar und wahr muß 
er fich über die Bebrechen des Baterlanded audfprechen. — 
Richt jener Scholle, auf der wir zum erfien Male die Sonne 
erblictten, kommt der Begriff Vaterland zu, wenn wir auf ihr 
wie das Schrot auf der Polirmaſchine willkuͤrlich herumge⸗ 
trieben werden; nein, nur von dem Lande, wo ich felbft ein 
Bahn der Räder bin, fann ich fagen, das ift mein Baterland. 
Für diefes das Leben! Für ein ſolches Vaterland legt der tiefe, 
innige Patriotismus die Lanze ein; wenn Finfterlinge, herz⸗ 
und feefenlofe Ereaturen das Bolt um fein Bewußtfein zu be: 
trügen und bie alte goldene Beit mit ihrer Gleißnerei und 
Räuberei wieder in Flor zu bringen fuchen, dann verharrt die⸗ 
ſes göttliche Gefühl nicht bei bloden, blanden Worten und ver: 
geblihen Proteſtationen, fondern es fchreitet vorwarte zur ge: 
waltigen That.“ 
„Der Landmann wie der Kaufmann, der Gewerbtreibende 
wie der Fabrikant, der Soldat wie der Beamte, des Wolkes 
Diener, alle, alle find Bürger des Staats, Jeder ift cin Theil 
der mächtigen Mafchine; Zeder muß des Landes Laften tragen 
helfen und Ieder x und muß deshalb gleiche Mechte vor dem 
Sefege Haben: Keine Monopole, Peine Bevorzugung, feine 
Koften, Peine nichtsfagenden Formen, Peine Willkür in Dem 
was das Ganze angeht, und Leine Feſſeln für die Preſſe! 
Seine für, die bfigende Idee!! Keine für die wahrheitredende 
unge!!! ' 


— 


„Bas find die Yrincipien der Zeranians; für biefe, ja für 
diefe fegen wir freudig daß Leben ein, und nochmals rufe ich: 
- Liberty! Law! and Texas for ever!” 


®, Qutius. 





Literarifihe Notizen aus Frankreich. 


Deutſche Buftände. 

Die induftriellen und commerciellen Verhaͤltniſſe Deutfch- 
lands finden von Seiten des Auslandes eine Immer wachſende 
Theilnahme. Die großen Nagesblätter Englands und Frank: 
reichs geftatten der Befprechung deutfcher Angelegenheiten einen 
immer größern Raum, und währen man frü 


überbi 8 
nur unfere Befähigung zu wiffenfchaftlichen — 
gelten ließ, faͤngt man 


maͤlig an, unſerer Gewerkthaͤtigkeit, 
unſerm Erfindungsgeiſte und ſelbſt unſerm Geſchmacke eine ge⸗ 
wiſſe anertennung zu zollen. Bu den verſchiedenen Schriften, 
welche in diefem Sinne während der legten Zeit herausgekom⸗ 
men find, rechnen wir einen Bericht von Lechatelier über das 
beutfche Eiſenbahnweſen und eine treffliche Abhandlung von 
Richelot über den Deutfchen Zollverein. Das erftere Werk führt 
den Zitel „Chemins de fer de Allemagne: description sta- 
tistique, syst&me d’ex&cution, trace, voie de fer etc.”, daß 


legtere ift „L’association douaniere allemande“ betitelt. Bes 


chatelier ift alb Mann vom Fach befannt und die Neife, deren 
Nefultate er bier mittheilt, ift auf Veranftaltung der Regie 
rung unternommen worden. ®ein Bericht ift zwar nicht gan 
frei von nationalen Entftelungen, wie fie bei franzöfifchen Mit: 
theilungen nur gar zu leicht einfließen; aber im Allgemeinen 
erkennt man doch, daß der Berfafler es ſich redlich hat ange: 
legen fein laſſen, unfere Verhättniffe möglichft objectiv aufzu: 
faffen. Ungleich gediegener ift freilich die Arbeit von Richelot, 
die wirMich in jeder Beziehung beachtenswerth if. Der Berf. 
bat ſich bereits durch einige andere literarifche Leiftungen auch 
als Kenner unferer Literatur ausgerwiefen. Seine Bearbeitung 
von Goethes „Wahrheit und Dichtung‘ fpricht nicht nur da= 
für, daß er in unfere Sprache eingeweiht ift, fondern die bei⸗ 
gegebene Einleitung liefert auch den Beweis feiner gründlichen 
Studien, welche er in Bezug auf die deutfche Literatur unter⸗ 
nommen bat. Die gegenwärtige Urbeit aber kann nur zur Er⸗ 
weiterung feines literarifchen Rufb beitragen, und fie bat in 


der That auch felbft ſchon in Deutfchland von Seiten ſachkun⸗ 


diger Männer Beachtung und Empfehlung gefunden. 


Lacretelle's Befhichte des Kaiſerreichs. 

‚Das vielbefprochene Thiers'ſche Geſchichtswerk, defien Er: 
ſcheinung in Frankreich ſowie in Deutfchland mit Poſaunenklan 
begrüßt wurde, bat wahrfcheinlih durch das bedeutende —* 
ſehen, welches es wenigſtens im Anfange machte, manchen Hi⸗ 
ſtoriker und Tagesſchriftſteller zu einer Concurrenz angeregt. 
So erklaͤren wir uns das plögliche Erſcheinen einer ganzen 
Menge von Geſchichtswerken, welche fi über den Zeitabichnitt 
erſtrecken, den auch Thiers behandelt. Unter biefen hiſtoriſchen 
—— — weiche wie die Pilze aufſchießen, zeichnet fich 
dur Gewiſſenhaftigkeit der Vorarbeiten ſowie durch fleißige 
und forgfältige Ausführung die neuefte Schrift von Racretelle 
aus. Sie führt den Zitel „Histoire du consulat et de T’em- 
pire” und es find von ihr bis jent zwei Bände erfhienen. Un 
Leichtigkeit und Anmuth, an Gefaligkeit der Gruppirung und 
dur Farbenpracht in der Ausmalung glänzender Epiſoden 
mag Thiers alle feine Mitbewerber um die hiſtoriſche Palme 
übertreffen; aber an wirklicher Bediegenbeit Bann er fi mit 
Lacretelle, der fi in manden andern Werfen ſchon als um: 
ſichtiger, fleißiger Jogtee gezeigt hat, nicht meſſen. Wie ein 
flüchtiger Blick auf den Inhalt der erſten bereits erſchienenen 
Bände zeigt, findet man diefelben Eigenſchaften auch in feinem 
neueften Werde wieder. 47. 


Berantwortliger Herausgeber: Heinrich Brodyans. — Drul und Verlag von F. E. Brodpans in Leipzig. 


Blatter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Breitas, — 





Peſtalozzi und einige neue in der Schweiz über 
ihn erfihienene Scheiften. 
¶ Beſchla aus Nr. 112.) 


An der Schrift von Bandlin wird erzaͤhlt wie Peſta⸗ 
lozzi, um den —— in allen feinen Theilen 
kennen zu leinen, fi oft in bie Aeinkſtuben geſchlichen; 
wie or ſich Da hinter den Den oder einen Bothang ver⸗ 
ſteckte, um unbemerkt bie eſpraͤche der Bauern mn Der 
laafchenz wie er fogar einmal in einer Schenke in ein 
Kaſten gtkoochen, dee als Bettſtele diente und mit dnem 
Dede verfehen war, den er, um nicht bemerkt zu imer- 
Pr halb Thief, und wie dann einer der eintretenden 

fte ſich auf diefen Deckel gefegt und ben armen Defle- 
De —2 erſtickt Hätte, u. dgl. mehr. 
Auf diefe Art mag denn der fo wenig prakktiſche 
und Traumeriihe Marm Das erhaſcht haben, was er, 
ber mit dem Deren dachte, dichteriſch gefaltete und in 
feinem unſterblichen Vokksbuch „Rienhard und Gertrud“, 
dem „heiiften hl feines Seiftes “, niedergelegt hat. 
Das tief innerſte Weſen, daB ganze Beben und Zreiben, 
die Tugenden und die Fehler, die Bebürfniffe und die 
R nen, das end mid bie Verfuntenheit, aber au 
tidjkett der Crhebung des Volks Hat er im J. 
1780 mit vinem Big feines der Zeit weit vorangeellten 
Genles in biefem Bude beleuchtet. Nur eine Stelle 
daraus wis Nachweis drs „rothen Fadenb“, der durch 
Peſtawzzis games Weſen grht. 

Bei dllen Volksefeſten des Alterthums wurde der Arme mit 
Gyelfe und Srank erquickt; und am Feſte des neuen Bundes 

win der Hert Brot u gab den Seinigen gu eſſen, 


Fi Be vgen der Amnen 
S.ir ber Yatbehven bie .er auf, Erden ge 
at; Tonsie euerbaupt Aufhebung alle Bedruͤckenden an 
Fa — der ‘Stände "der Menſchen und Cmporhsbmg 
2* vad Amen wm fanden 222 Riten F 
ler Segamoen ım tees venehnung fl. 


Die beiden * Bit von „Beenkurb ur ‚(deu 
ab’, im denen bie Kiegamifation ber Bchule, ber Kivthe 
aub de Scaats Ybilblic, entioonfen HE, Mind Seider jegt 
felten ‚gewenben. Dagegen wurden ie Yheiben erſten 
Bände im 3. 1844 men unfgeiege, sin seiner ſchẽenen :unb 
wohlfsiien Prachtauchabe bei Meger und Keller in Zü- 





sehangen Bidekte's gm Peficlong erfahre 
ne dem Legtern inmal bie Bemerbung machte, bie 

Defen tief ſchenerzte, Lienhard und GBertiub ſei kein 
Bub für das Bolt, ſondern fur Diejenigen, welche 
bas WIE wollten tennen lernen. Du ng fi 





wegen eines —— — eine dest. ber 

Erſtere aneinander, wie cin ſolches Biatt heichaffen 
fon wife, um bei dem Wolle Gindrack zu machenß ne 
1 B. gewiffe merftäntdiche Schlagworte Pipdihwärnser 
w dgl. fich fänken, hehe Mr dad Volk au andccu⸗ 
Neheverfiäntlichen ziuen Blei, ar Bazichung hiercaf 


te: % 


r Eatbeliipe Bauer er: 
ſchen Sprache bei feinem het ft ‚08 ans 
ben Rei des Geheimnißngllen sinbüßen. —8 


ihm die allein eirbige auf den ken bt es Yrieſters 
—— Er iſt damit gleichfam dem Dhr der Heiligen 
er 


Solche m früherer Felt richtig gaewsfere Aus⸗ 
fprüche zeigen deutlich, daß es jetzt mit allen ‚Gegen 
uosroäene acht. "SHE ja gerade die Verbannung der la⸗ 

toiniſchen Sprache ein weſentlicher Punkt in dem neu⸗ 
—* Ritus. Bei fortſchreitender —— 
verliest ſich der Reiz des Geheimnißvallen; der Men! 
tritt mehr r Die Kinderſchuhe aus; or will Alar 
fehen und deutlich hören, 

Interefſeut tt, dßz Fellenberg als Bängling Surch 
bie Kecture non „„Rienhaxb md Meurubt fo ‚gerüher 
mude, daß ar in Gegenwart ‚feier Mutter u ** 
eat, 1 fish ainft An Mlemen :und mer ann 
wm. Gr hat as — menn aouh an 25 

wie Peſtalau. findet ih rin zder ——* 
Shut sine Barack "nen han vꝙealtiſchen, ſcharf 








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4 


— 





gen den Kern- der Menſchen geworben und 
‚ıc geborene Liebe”, bis zum legten Athemzuge 

. der Armen und Berlaffenen geblieben fei. 
Zichtigkeit find drei bisher ungedruckte Briefe 
.3, bie: Kortüm feinem Schriftchen. beifügte, an 
‘r Freunde, Kirchenrath Kleinfchmidt in Hei- 
Sie find in dem eindringlichen Stile ge⸗ 
der nur Solchen eigen ift, bie Das wieder- 
vas ihnen unmittelbar aus dem Herzen kommt. 
i fpricht darin (1905) unter Anderm die Ge— 
ing aus, „dahin gekommen zu fein, Kopf und 
un hundert deln Menſchen für eine folide Be⸗ 
ıng des Erziehungsmeiens in Bewegung zu ſetzen, 
‘ce werden meinem Ziele auf eine Weife und mit 
siraft entgegenftreben, die ich nie zu erleben, noch 
„eniger zu erwarten hatte hoffen dürfen”. Auch 
er feinen Freund‘, ihm Nachricht zu geben, „be- 
.s was unfer Stedenpferd angeht, ob es feinen 
bei Ihnen gut trage, ob es auf guten Füßen 
ob es keine Bodsfprunge mache, und beſonders 
wie wir hoffen wie ein englifcher Läufer nach dem 

jage“. 

Eine Rechtfertigung Peſtalozzi's gegen die Verdaͤch— 
ng, als widerſtreite ſeine Erziehungsmethode den Ge⸗ 
en der Religion, enthält folgende Worte, die man 
aus in alle Welt rufen möchte: 

Jeſus Chriſtus, die Weisheit deiner Lehre iſt vom ber 
“ut des Laſters umgejchmolzen und von den Schmiedeknechten 

“er Kinfterniß auf dem Ambos der Gewalt zu gefrümm- 

ren Ketteneingen gemacht worden, um durd ihre Bande alten 

Jögendienft der Welt gegen deine Wahrheit, gegen dein 
icht und gegen dein Necht ewig zu erhalten. 

Mögen es Die hören, die da behaupten, weil aus 
dem Chriſtenthum „Kettenringe” gefehmiedet wurben, fei 
das Chriſtenthum jelbft ein Kettenring! Mögen es 
uch Die bören, die jetzt in der gewichtvollen Arbeit 


begriffen find, die Wahrheit, das Licht und das Recht 


des Chriſtenthums den Händen der Finſterniß und ber 
Gewalt zu entreißen! on 

Lavater's Gruß an Peſtalozzi, auf feinem legten 
Krankenbette abgefaßt, ſchließt, ale Facſimile Peſtalozzi's, 
das beachtenswerthe Schriftchen Kortüm's: 

Einziger, oft miskannter, doch hoch bewundert von Vielen, 
Schneller Berfucher Deflen, was vor dir Niemand verfuchte, 
Schenke Selingen dir Gott und Erön’ dein Alter mit. Ruhe! 

Früher ſchon -fagte Lavater von Peſtalozzi: 

Einen Mann, in bem der Geift des Erlöfers ſich fo dur 
und durch in Gefinnung, Wort und That verberrlicht und fi 
in folder Glorie darftellt, Hab’ ich noch Beinen getroffen. Ei 
nen beſſern Zünger hatte Ehriftus felbft zu feinen Lebzeiten nicht. 

Auffallend ift ed, dag in den genannten und auch 
in modernen Schriften "über Peſtalozzi feiner Lebens⸗ 
gefährtin mur in allgemeinen Ausdrüden gedacht if: 
daß fie von ganzer Seele Theil genommen hätte an fei- 
nen Beftrebungen, daß fie ihm Alles geopfert und er fie 
die Krone feines Lebens genannt habe. Und doch wif- 
fen. wir aus guter Duelle, dag fie, namentlich in 
Burgdorf, nicht hlos ordnend den häuslichen Gefchäften 

vorftand, fondern auch felbft Hand gnlegte an das Werf 


ihres Mannes, thaͤtig eingeiff in. alle Theile des ſich 


täglich mehr. erweiternden Unternehmens. Auch früher, 


auf dem Neuhof; nahm ſie zu ihrem einzigen Söhnchen 
die große Schar der heimatlofen Bettelfinder auf und 
ward für fie eine hülfreiche forgende Mutter. Bon ihe 
ver Perfönlichkeit erfahren. wir nur aus dem Buche 
Bandlin's, daß fie, zu ihrer Zeit die fchöne und wegen 
ihrer Belefenheit gelehrt genannte Anna Schultheß, auf 
die Frage, warum fie einen fo häßlichen Dann heira- 
the, geantwortet habe, weil er eine deſto fihönere Seele 
befige. Sie war eine von den Frauen, die Peſtalozzi 
mit der Sonne Gottes vergleicht, die vom Morgen bie 
am Abend ihre Bahn geht. 

Dein Auge bemerkt keinen ihrer Schritte und dein Ohr 
böret ihren Lauf nicht; aber bei ihrem Untergange weißt du, 
daß fie wieder auferftehen und fortwirken werde, die Erbe zu 
wärmen, bis ihre Früchte reif find. - - 

In Dem was Fichte in feinen „Reden an die deut: 
fhe Nation” über Peſtalozzi gefagt hat, Tiegt eine wei⸗ 
tere Beſtaͤtigung Deffen, was in diefem Auffage befon- 
ders hervorgehoben wurde, und fo ift wol hier der Drt, 
es wieder in ‚Erinnerung zu bringen: . 

Er wollte blo6 dem Volke helfen; aber feine Erfindung 
(Erziehungsmethode) in ihrer ganzen Ausdehnung genpmmen, 
hebt allen Unterfchied zwifchen diefem und einem gebifdeten 
Stande aufz gibt ſtatt der gefuchten Volkserziehung Na— 
tionalerziehung, und hätte wol das Vermögen, den Völ⸗ 
fern und dem ganzen Menſchengeſchlechte aus der Ziefe 
feines dermaligen Elendes empor zu helfen. 

Und welter: 

Peftalozzi wurde aufrecht gehalten und getrieben durch ei- 
nen unverfiegbaren, allmächtigen und deutſchen Zrieb: die 
Liebe zum armen verwahrloften Volke. Diefe allmärhtige 
Liebe hatte ihn, ebenfo wie Luther, nur in einer andern und 
jeiner Zeit angemeflenern Beziehung, zu ihrem Werkzeuge ge 
macht, und war das Leben georden in feinem Leben, fie war 
der ihm felbft unbekannte, ftete und unmanbelbare Leitfiern 
dieſes feined Lebens, der es hindurchführte durch alle ihn. um- 
gebende Nacht. i 

Und wie dunkel war diefe Nacht! Sie beftand nicht 
nur aus den Vorurtheilen, in die feine Zeit tief ver⸗ 
firidt war, nicht nur aus den Schmähungen feiner 
Feinde, der Derkennung feiner Zeitgenoffen — fie be- 
fiand auh aus feiner eigenen Unbeholfenheit, aus der 
fparlichen Ausftattung mit den gewöhnlichen Hülfsmit- 
tein der Erziehung. Konnte er boch lange feine Zeile 
ohne Fehler ſchreiben. Sie beftand aus einer brüden- . 
den Armuth — mir erinnern hier nur an einen feiner 
Briefe an Zſchokke, worin er fagt, daß ihm gegen 30 
Jahre die Nothdurft des Lebens gemangelt —, einer 
oͤkonomiſchen Verwirrung, die ſelbſt die glängendften 
pecuniairen Verhaͤltniſſe nicht zu beſeitigen vermochten. 
Aus den angeführten Schriften ſowie aus Peſtalozzi's 
mit ſeltener Offenheit und Beſcheidenheit abgefaßten 
Selbſtbekenntniſſen lernen wir ſeine Schwächen und 
Fehler kennen. Jemand, der wie er nur für die 
Menſchheit lebte, mußte die Sorge für ſich ſelbſt, mit 


der freilich auch die für ſeine Familie zuſammenhing, 


vergeſſen. Wer energiſch wie er mit einer eiſernen Be⸗ 
harrlichkeit die Ausführung ſeiner großen Entwürfe ver⸗ 
folgte, bei dem konnte dieſe Beharrlichkeit in minder 


- 


454 


verftändigen unb berechnenden Fellenberg und dem poe- 
tifhen, gemüthvollen und enthuſiaſtiſchen Peſtalozzi, ſo⸗ 
wie eine Reihe von Briefen bes Leptern an den Erſtern 
aus ben neunziger Jahren über die damaligen politifchen 


Verhältniffe der Schweig zu Frankreich und über Pefta- | 


lozzis Beſtrebungen, "feinem Baterlande zu nügen. Er, 
der die franzöfifche Revolution von ihrem erften Ur- 
fprunge für eine einfache Folge der verwahrloften 
Menſchennatur' anfah, fehrieb damals poetifh und 
treffend an Fellenderg: 


‚Unfer Beitalter ift ein heißer Sommertag, an bem die 


Früchte der Erde unter Donner und Hagel zur Reife ge- 
beiben. Das Gange: geminnt, aber Theile werben fchredlich 
zerfchlagen. | 

Als entfchiebener Demokrat, ald Freund. der Unter- 
drückten, als „Politiker des Volks”, machte Peſtalozzi fich 
durch feine unverhehlt freifinnigen Grundfäge bei der Ariſto⸗ 
kratie verhaßt, die ihm bei der Berwirklihung feiner 
Ideen hemmend entgegentrat zu einer Zeit, mo fie noch 
feft an allen ihren Anfprüchen hing, die fie erſt in Kolge 
der franzöfifhen evolution nothgebrungen aufgeben 
mußte. Auch durch eine von ihm 1802 herausgegebene 
Schrift über die „Gefepgebung Helvetiens” machte er 
fi) feine Freunde unter den Ariſtokraten. 

Banblin theilt eine Reihe hoͤchſt charakteriſtiſcher 
und zum Theil noch nicht bekannter Anekdoten ans dem 
Leben Peſtalozzi's mit, fowie einzelne feiner Eigenthüm- 
lichkeiten und Züge aus feinen legten Lebenstagen. Jene 
Anekdoten finden ſich größtentheils nacherzählt In einem 
Auffag , Erinnerungen an Peſtalozzi“ in Nr. 49 ber 
„Allgemeinen Zeitung”. Der Berf. diefes Auffages 
hat Ach die undankbare und vergebliche Mühe gegeben, 
die Peſtalozzi⸗Feier in der Schweiz als etwas Ge⸗ 
machtes bdarzuftellen, dem ed an Begelfterung gefehlt 
haben foll; und zugleich das Volksſchulweſen im Can⸗ 
ton Züurich zu. verbächtigen und ‚Herabzumindigen, wofür 
er in einem Artitel der „Neuen Zürcher Zeitung” als 
„kein Freund Peſtalozzi's und der Volksſchulen“ ver- 
dientermaßen abgefertigt wurde. 

In einer Nede, die der einundachtzigjaͤhrige Greis 
als Präfident der Helvetiſchen Geſellſchaft hielt und die 
zum Gegenfland eine PVergleihung feiner frühern mit 
der damaligen Zeit (1826) hatte, kommt die merfwür- 
dige Stelle vor: . 

Die große Maffe unferer Armen Tann durchaus nicht befi 
fer werden als fie wirklich ift, und fich auch nicht höher heben 
als fie wirklich ſteht, wenn nicht alle Stände unferd Landes 
fih gemeinfam beftreben, in Ruͤckſicht auf die Fundamente des 


öffentlichen Wohlſtandes ſich auch zu höhern und cdlern Grund⸗ 


fügen zu erheben als diejenigen find, zu denen uns unfere 
Zeitfelbffucht hingeriffen. | 

So hat Peſtalozzi in feinen legten Lebensjahren, ob- 
wol felbft von Gram gebeugt, beftändig der Armen 
gedacht; und fein Mitgefühl tft fo weit gegangen, daf 
er, wie Banblin erzählt, für die durch fchlechte und Talte 
Wohnungen Leidenden ihm pafjend fcheinende Steine 
auf den Feldern zuſammen fuchte, um ihnen zu zeigen 
wie fie‘ fich felbft beſſere Wohnungen und Ofen barin 
errichten koönnten. 


Bei der Section Peſtalozzi's ſou von feinen innern 


Organen allein daB ungewöhnlich große Herz gefund ge- 


weien fein; das Herz, das, fo lange es fchlug, für An⸗ 
bere gefchlagen Hatte; in dem ber Bötterfunke der Kiebe 
geglüht und nicht verloſch, ſelbſt als: feine Feinde. ihm 
fein Lebensende werbitterten und verdunkelten. Als er 
den Todeskelch tranf,.den fie ihm durch ihre Berun- 
glimpfungen und Schmähungen bereitet hatten, verzich 
er ihnen noch auf feinem Gterbebette in den rührend⸗ 
ſten Ausbrüden. | 
Die legten Lebensjahre Peſtalozzi's, in denen er ver- 
zweifelnd glaubte, umfonft gelebt zu haben, haben et- 
v008 wehmäthig Gchmerzliches, Herperreifenbee. Dafür 
findet fih nur in dem Gedanken Verfühnung, daß bas 
von Gott zum Genius geftempelte Werkzeug gelitten, 
das Gefäß, in welches er das Feuer feines Geiftes ge- 
goffen, das aber oft Den verzehrt, in dem es auf- 
flanımt, während e8 kommende Gefchlechter erwärmt und 
ihnen keuchtet. | 
Wenn auch die Schrift: 

Rückblick auf J. H. Peſtalozzi nebft etlichen ungebruditen Blat⸗ 

tern deſſelben, von Fr. Kortüm. Heidelberg, J. €. B. 
Mohr. 1846. Gr. 8. 15 Nor. 
in Heidelberg und nicht in ber Schweiz exfchienen iſt, 
fo veiht fie ſich doch ergänzend. des eben befprocenen 
an. Sie Hat fi) die Aufgabe geftellt, Das darzufiellen, 
was Peſtalozzi „als Erzieher und Lehrer, als Bürger 
und Menſch entwidelte und ausprägte”. Wenn an fo 


manchen Schriften ihre Lange zu tadeln ift, fo ift an 


der Brofehüre von Kortüm ihre Kürze ein Fehler. Der 
Stoff ift allzu reich, den das Leben Peſtalozzi's in den 
angegebenen Beziehungen darbietet, als daß er fich gut 
auf wenige Blätter zufamntendrängen liege. Da, wo 
Kortüm der lebhaften Zheilnahme Peſtalozzi's an der 
Politik gedenkt, fhildert er ihn als entfchiebenen An- 
bänger ber helvetifchen Revolution, der fich durch keine 
Sucht und Miskennung, dadurch daß Diele ihn einen 
Narren oder Revolutionnair fehalten, abhalten ließ, feine 
Überzeugungen mit allem Sreimuth zu äußern; für eine 
Natur wie die Peſtalozzi's fei ed damals unmöglich ge 
weien, neutral zu bleiben. Weiter ſagt Kortüm von 
ihm, daß auch fpäter, als er fich von der Politit zurüd- 
gezogen und nur der Verwirklichung feiner Erziehungs- 
ideale .lebte, ihm der empfänglide Sinn für die trüben 
und heitern Geſchicke Europas ungeſchwaͤcht geblieben 
fei. Ein beigefügtes fehr treffendes Urtheil Peſtalozzi's 
über Napoleon beweift wieder die poetifche Darftellungs- 
gabe des Erſtern. Bei der Schilderung, die Kortüm 
von Peſtalozzi ald Erzieher entwirft, wird bemerkt, daß 
er auch „den Außern Dingen gegenüber eine gelenfe und 
ftarke, duch) Turnkunſt herbeigeführte Leibesbefchaffen- 
heit als Abwehr verweichlichenden Sinneögenuffes” wollte, 
was in andern Schriften nicht angeführt iſt, in denen 
er nur als Bildner des Geiſtes und Gemuths erfcheint, 
da er doch gewiß als „Menfchenbildner” nicht die eine 
Hälfte des Menfchen aufer Acht laſſen Eonnte. 

Auch Kortüm hebt hervor, daß, wie oft Peftalozzi 
verfannt und betrogen wurbe, er doch niemals mis⸗ 


458 


- gegen den: Kern: der Dienfihen geworden und 
Daß er, „die geborene Liebe“, bis zum legten Athemzuge 
ein Vater der Armen und DBerlaffenen geblieben -fei. 

Bon Wichtigkeit find drei bisher ungebdrudte Briefe 
Peſtalozzi's, die; Kortum feinem Schriftchen beifügte, an 
einen feiner Freunde, Kirchenrath Kleinfchmibt in Hei- 
delberg. Sie find im dem eindringlichen Stile ge 
fehrieben, der nur Solchen eigen ift, die Das wieder 
geben, was ihnen unmittelbar aus dem Herzen kommt. 
Peſtalozzi fpricht darin (1805) unter Anderm die &e- 
nugthuung aus, „dahin gelommen zu fein, Kopf und 
Herz von hundert edeln Menfchen für eine folide Be⸗ 
gründung des Erziehungsweſens in Bewegung: zu fegen; 
und diefe werben meinem Ziele auf eine WBeife und mit 
"einer Kraft entgegenftreben, die ich nie zu erleben, noch 
viel weniger zu erwarten hatte hoffen dürfen”. Auch 
bittet er feinen Freund, ihm Nachricht zu geben, „be- 
fonders was unfer Stedenpferb angeht, ob es feinen 
Kopf bei Ihnen gut trage, ob ed auf guten Füßen 
fiehe, ob es keine Bodsfprünge made, und befonders 
ob es wie wir hoffen wie ein englifcher Läufer nach dem 
Ziele jage”. 

Eine Rechtfertigung Peſtalozzi's gegen die Verdaͤch— 
tigung, als wiberftreite feine Erziehungsmethode den Ge⸗ 
fegen der Religion, enthält folgende Worte, .die man 
Hinaus in alle Welt ruſen möchte: 

Jeſus Chriſtus, die Weisheit Deiner Lehre ift von ber 
Glut des Laſters umgejchmolzen und von den Schmiedeknechten 
der Finfterniß auf dem Ambos der Gewalt zu gekrümm⸗ 
ten Kettenringen gemacht worden, um durch ihre Bande alten 
Sögendienft der Welt gegen deine Wahrheit, gegen dein 
Lit und gegen dein Recht ewig zur erhalten. 

Mögen ed Die hören, die da behaupten, weil aus 
dem Chriftenthum: ,Kettenringe“ gefchmiedet wurden, fei 
das Chriſtenthum jelbft ein Kettenring! Mögen es 
auch Die hören, die jetzt in der gewichtvolien Arbeit 

"begriffen find, die Wahrheit, das Licht und das Recht 
des Chriftenthums den Händen ber Finſterniß und ber 
Gewalt zu entreißen! on 

Lavater's Gruß an Peſtalozzi, auf feinem legten 
Krankenbette abgefaßt, ſchließt, als Facſimile Peſtalozzi's, 
das beachtenswerthe Schriftchen Kortüm's: 

Einziger, oft miskannter, doch hoch bewundert von Vielen, 
Schneller Verſucher Deſſen, was vor dir Niemand verſuchte, 
Schenke Gelingen dir Gott und Erön’ dein Alter mit. Ruhe! 

Früher ſchon ſagte Lavater von Peſtalozzi: 

Einen Mann, in dem der Geiſt des Erloͤſers ſich ſo durch 
und durch in Geſinnung, Wort und That verherrlicht und ſich 
in folcher Glorie barftellt, hab’ ich noch Beinen getroffen. €i- 
nen beſſern Jünger hatte Chriftus felbft zu feinen Lebzeiten nicht. 

Auffallend iſt ed, dag in den genannten und auch 
in modernen Schriften über Peſtalozzi feiner Lebens- 
gefährtin mur in allgemeinen Ausdrüden gedacht ift: 

daß fie von ganzer Seele Theil genommen hätte an ſei⸗ 
nen Beltrebungen, daß fie ihm Alles geopfert und er fie 
die Krone feines Lebens genannt habe. Und doch wif- 


fen. wir and guter Quelle, dag fie, namentlkh in. 


Burgdorf, nicht blos ordnend den häuslichen Gefcäften 
vorftand, fondern auch felbft Hand gniegte an das Werf 


ihres Mannıs, thaͤtig eingriff in. alle Theile des ſich 


täglich mehr erweiternden Unternehmens. Auch früher, 


auf dem Neuhof; nahm fie zu ihrem einzigen Söhnchen 
bie große Schar der heimatlofen Bettelkinder auf und 
werd für fie eine hülfreiche forgende Mutter. Bon ih» 
ver Perfönlichkeit erfahren wir nur aus dem Buche 
Bandlin’s, daß fie, zu ihrer Zeit die fchöne und wegen 
ihrer Belefenheit gelehrt genannte Anna Schultheß, auf 
die Frage, warum fie einen fo haͤßlichen Mann heira- 
the, geantwortet habe, weil er eine befto fihönere Seele 
befige. Sie war eine von ben Frauen, bie Peſtalozzi 
mit der Sonne Gottes vergleicht, die vom Morgen bis 
am Abend ihre Bahn geht. 

Dein Auge bemerkt einen ihrer Schritte und dein Ohr 
höret ihren Lauf nicht; aber bei ihrem Untergange weißt bu, 
daß fie wieder auferftehen und fortwirken werde, die Erde zu 
wärmen, bis ihre Früchte reif find. - 

In Dem was Fichte in feinen „Reden an die deut⸗ 
fe Nation” über Peſtalozzi gefagt hat, Tiegt eine wei⸗ 
tere Beftätigung Deffen, was in biefem Auffage befon- 
ders hervorgehoben wurde, und fo ift wol hier der Drt, 
ed wieder in Erinnerung zu bringen: . 

Er wollte blos dem Bolke helfen; aber feine Erfindung 
(Erziehungsmethode) in ihrer ganzen Ausdehnung genommen, 
bebt allen Unterfchied zwifchen diefem und einem gebildeten 
Stande aufs gibt ſtatt der gefuchten Bolkserziehung Ra: 
tionalerziehung, und hätte wol das Vermögen, den Böls 
fern und dem ganzen Menfchengefchlehte aus der Tiefe 
feineödermaligen Elendes empor zu helfen. 

Und weiter: 

Peſtalozzi wurde aufrecht gehalten unb getrieben durch ei⸗ 
nen unverfiegbaren, allmädtigen und beutfchen : Zrieb: die 
Liebe zum armen verwahrloften Volke. Diefe allmächtige 
Liebe hatte ihn, ebenfo wie Luther, nur in einer andern und 
feiner Zeit angemeffenern Beziehung ,, zu ihrem Werkzeuge ge» 
macht, und war bad Leben georden in feinem Leben, fie war 
der ihm felbft unbelannte, ftete und unwandelbare Leitftern 
diefes feined Lebens, der es binducchführte durch alle ihn. um- 
gebende Racht. 

Und wie dunkel war diefe Nacht! Sie beftand nicht 
nur aus den Vorurteilen, in bie feine Zeit tief ver- 
firidt war, nie nur aus den Schmähungen Teiner 
Feinde, der Verkennung feiner Zeitgenoffen — fie be- 
fiand auch aus feiner eigenen Unbeholfenheit, aus der 
fpärlihen Ausitattung mit den gewöhnlichen Hülfsmit- 
teln der Erziehung. Konnte er doch lange keine Zeile 
ohne Fehler fehreiben. Sie beftand aus einer brüden- 
den Pa — mir erinnern hier nur an einen feiner 
Briefe an Zſchokke, worin er fagt, daß ihm gegen 30 
Jahre die Nothdurft des Lebens gemangelt — , eine 
ölonomifhen Verwirrung , die ſelbſt die glänzendften 
pecuniatren DVerhältniffe nicht zu befeitigen vermochten. 
Aus den angeführten Schriften fomie aus Peftalozzi’s 
mit feltener Offenheit und Befcheidenheit abgefaßten 
Selbftbefenntniffen lernen wir feine Schwähen und _ 
Tehler kennen. Jemand, der wie er nur für bie 
Menfchheit lebte, mußte die Sorge für fich ſelbſt, mit 


der freilich auch die für feine Familie zufammenhing, 


vergeffen.. Wer energiſch wie er mit einer eifernen Be⸗ 
harrlichkeit die Ausführung feiner großen Entwürfe ver- 
folgte, bei dem konnte dieſe Beharrlichkeit in minder 


[ 


48 
| —* Bingen zum gigenſtun werben. Wer mit 


re Feuer mit einer feltenen ‚Lebendigkeit und 




































ich, Meyer und Beier 
de au tt, 1 der wird auch aufbrauſen koͤn⸗ t 
Met don Sdinpathien wid. Antipakhien — 
So eße ſich von allen ſtinen Fch⸗ Eheiinan; 8. E., Wir Tobebmuch Wed glãnbatzen Byrk- 






— 3 vos rc Dr. Dart Bar 





Rih; Aa r ee Art meiſten ſeibſt gelitten, nachweiſen, 
baß ein Faber der Fehler feiner Tugenden War. Unb 
tecchtet wirb erwari die große Söhne wenliger, weil ME 
eihtge Fecken hat? 

Mein, das Biud Peſtalsnggrs, &8 Wehe ſchon lange 
Ahr nur gereckiagt von den er den feiner Feinde, 
es ſteht auch frei da von den Sthla die mit der 
kediſchen Form von dem Büfte abgeffreift werben. Cr 
war ein Samenkorn, das aus der Band Wortes Fiel, 


dãe KA ji BE ebi var, ET: “ * Br. % 


X net, — 
Verthrtbiganz ber —— eirche gegen —*— 
8 Abtounnige. ——*2 6; Rudciyh und Diskeric. 


—ã Lu —ER 

(3 

bamit es aufgehe und taufendfältige Früchte trage. 

fo weigah es. Einmal gewurzeit, mußte «6 wein, | ——— 5 Por — Bavnti ur 

* — aeg behalten N Fin nk — ve suropäijchen, Bet ve ee iſchen —** hentigen 

Gerz Brlöte pa erhteh ton biefem Gettehfamen. | mann. 4. 2 Mir 7 der 
9 Kofle, m. Mans AUmbigreiben : — Wie 

— en on Semeinde su Danzig- Dayyig, 





. & 
Wihlisgrephir. | | 


Hehninger, ©, Raffau in feinen Sagen, Geſchichten 

und 88 — und Eee en I Bände Pain i 
en, 013, 

nquet 6: 9 Vida coritra tyrannos. Ueber bie : 
gefelige acht de Fürften über das Bolt und des Volkeß 
Ihe den Fürften. Nach der Ausgabe von 1580 mitt einer ge- 
eichen en Einleitung über das Leben und die Beit des Der 
arbeitet ton R. Treitzfihke. Leipzig, Barth. 8. 


Maohir, d Über Irren⸗ Heilanſtalten, Pflege und Be: | 
Yemdlung ber — 2 — —5 den Principien der bewaͤhr⸗ 
feſten Irrenaͤrzte Belgiens, Englandb, —— und Deutſch⸗ | 
Hands. Stuttgart, Cotta. Br. 8. 1 Thlr. 6 Nor. 
Prechti, 3. J., Untersuchungen über den Plug der ' 
Vögel. Wien. Gerold Gr. 8. 2 Thlr. 15 Ner. 
Reltſtab, 2 ‚ Bubrig Berger, ein Denkmal. Bern, 
Srauhwein. &r. 8. 1 Che. 
. Rosenberg, C. H., Das Leibes und der Seele voll 
“ ständige Gesundheits- und Brziehungslehre. Briefe, über | 
iehung, Befö örderung‘ und Aufrechthaltung eines möglichxt ! | 
— —— Zubtandes des Körpers 'nnd Geistes. Iste Läe- 
‘Wien, Gerold. 'Gr. 15 :Ner. | 
——6 e, XR. B., Piccioin oder die Blume des Gefan⸗ 
enen. Nach der 17. verbefferten, um ein -Kapitel vermehrten 
Big inal-Außgabe von H.Bode. Mit einer en von Bit 


Berkpeidigun u a ae ln Antwort auf uh⸗ 


as Bd Bin * 


A er hr —8 sterben und ——— Soſchichte dar 
deformation. Nebſt noch gar Vielem, was gu wiſſen 8 
dem noth, von welcher Eonteffion er ſei. Zuſammeng 
Mehrexen und hesausgegeben von G. Gengel. 2e —* — 
Mit 10 Bildniſſen und Derftelungen und ber oe Denit 
Ruther's. Berlin, Vereins Buchhandlung. ©. 

Pafig, 3. R., Wodurch beweifen Predi en A 
liums, daß ſie ihren Beruf erkannt und begeiften haben? Ab⸗ 
Thienspredigt. Keipzig, Srunow. Gr. 8. 2%, Rot. | 

Holen und Feine Erhebung zur Preiheit * —— X 
Wine Darſtellung des gegenwaͤrtigen Gecipeitsnupfeß der “eo: 
ten. Pi J Leip up, Briefe. 4 Sorte 

and, F., Die Batholifche Bewegu eine 
neu bs ber a mation —88 's. Predigt. Beipaig, Müller. 


— HER J. P., Ioh. Heine. ——— 
miß zum modernen Leben und zur nimbernen Wi 
dertzes —F Bechreroerein zu Nurnberg. Ausbach, erh, 
r r. 
— ‚ Rom und die Bernunft. AR Serie Sort 
und Menſch zugleich oder nie Rent Ein ein. Ham⸗ 
burg. Senn und Campe. IB. 8, wer Rat. 
„Fẽ. E., Phie ur dritten Shkularfeise ‚des 
—2 FR She, Bockelmann. ir. 8. 3 Nor. 
Schuhmann, 9. ©. G., Untwort quf Die Rede des 
Sen. v. Florencourt. Berlin, Trautwein. 3. 3 Kür. 
Ihienemann, W. F. Dad äpoftöltfche Symbolum nad 
feiner een, feinem Ur vunge, feiner Bufatumenfegung 
und feinem Werthe aus den Quellen, mit befonderer Werk: 
fichtigung der Schrift des Hrn. ve. Rudelbach: „Über Die Ber 
den Be Symibolumd —* Leipzig, 
Kilinkhardt. Gr. RO 


ie ‚pölnifche Wer — ee u bes Sahres ‚138. 
rimma, Be eo 





efhäftigungen ver chiedener Stäatögefangenen vom Biblio . 


zhileh t Sacob (Paul Lecroir). Leipzig, Gerhard 


Shrfoi, rs 8, Die Parochialrechte. Ifier Band: 
allgemeiner Theil. ttgart, Bed und Fraͤnkel. Sr. 8. 1Thlr. 
Die nein r- riften ber Tutherifchen und, reformir: 

ten Kirche in Preußen, nebit den allgemeinen 'nber alttirchlichen 
Symbolen in ihrer urfpruͤnglichen Forin wit beigefuͤgker deut⸗ 
Adyer ———— geſchichtlicher ECinleiturg. Breslau, re 


ger ee @., — — Swei Baͤndchen. Wien, Ge⸗ 


al. Rot. — Derfefben 2t Ina Wetingdeniipteke. 
Tafel, ®, Ei af tehrmethode. Stuttgart, Mt. 8. 2), R 
Eolta. * ie a apeie Sprach ethode. ar A F, Die Lycker Landkathowahl aus dem Jahne 


Hin —— Testament. Mit einen “Nach- | 1842 und die Koͤnigl. Regierung ws Sun! nnen. Eine alten: 
trage. Berlin, Besser. Gr. 8. 10 Ner. | mäßige Darlegung. Franffurt.a. d.D., Horwigty 8. 8 


Berantwortlicher Heraudgeber : Beinsi Des&tans. — Driuk und Berlag von F. ©. —x in — 








N 


‚zu Stande gefommen zu fein. 


Blätter 5 


literarifde 


Sonnabend, 


für 


Unterhaltung. 


25. April 1846, 





Btiftung ber Republik. Bon F. E. Dahlmann. 
Leipzig, 

Die Anzeige diefe® Buchs ift nicht ohne Grund ver- 
fpätet worden. Es gibt Bücher, denen man wol anficht, 
daß fie für ein gemwiffes Publicum gefchrieben find, und 
wer nicht feläft zu diefem Publicum gehört, dem bleibt 
nichts übrig als ihre Wirkung auf baffelbe abzumarten, 
will er anders gegen ihr Verdienſt gerecht fein. Diefe 
neueſte, Geſchichte der franzöfifchen Revolution’ hat in 
der That große Vorzüge und Schönheiten. Zu jenen ge- 
hört, daß fie fih Teicht und bequem liefl, was man be: 
kanntlich deutſchen Geſchichtbüchern nicht immer nad)- 
rühmen Tann; zu diefen rechnen wir einige Schilderungen 
von Menſchen, Berhältniffen, Auftritten, welche bie Wir- 
fung haben ben Lefer auf das lebhafteſte anzuregen. 
Es ift fiherlich yichte Leichtes für einen Geſchichtſchrei⸗ 
ber ber Revolution, fich durch den Wuft von Material, 
durch das Gewirr von Widerfprüchen, durch das Ge⸗ 
tümmel leidenfchaftlicher Urtheile, Meinungen, Behaup- 
tungen, womit er es bei der Befchäftigung mie diefer Welt- 
begebenheit zu thun hat, bis zu dee Klarheit durch⸗ 


‚zufchlagen, die eine fo einfache und fo erpeditive Darftel- 


lung möglidh macht wie diefe Dahlmann'ſche if. Wir 
haben wenig, oder beffer wir haben gar Feine Gefchicht- 
bücher folder Art, und ed würde ſchwer fein unter den 
gegemwärtigen gelehrten Schriftfielleen — und ein ge 
lehrter müßte es doch fein — einen zu nennen, der im 
Stande wäre Dahlmann ein ſolches Bud, nachzuſchrei⸗ 
ben. Ein mahres Glück daß dem fo iſt; denn den An- 
reiz ber Nachahmung zu weden, namentlich in Solchen, 
welche vor Allen rafche und fchlagende Wirkungen auf 
ein großes Yublicum ausüben möchten, dazu ift die Art 
und Weife diefes Werks nicht wenig geeignet, zumal es 
das Anfehen hat, ohne viel mühfames Studium, ohne 
langwieriges Nachſuchen und umftänbliche Quellenkritik 
Solche Arbeiten, von 
Männern unbeſtrittener Gruͤndlichkelt ausgehend, find bei 
une etwas fo Überrafchendes, daß fie den Kefern und Be 
urtheifern nicht recht geheuer vorkommen und allerhand 
geheime Abficht dahinter gewittert wird. Der Eine ver- 
fiihert es fei eine Tendenzſchrift, der Andere es fei da⸗ 
bei gar nicht auf die franzöfifche Revolution fondern auf 


j etwas ganz Anderes abgefehen, etwa nach bem bekannten 
Sprühmert, wonach die Laft geprügelt,, das Laftthier 
aber gemeint wird. Die wunderlihfte Außerung aber 
iſt die, welche dies Dahlmann'ſche Buch zu einem Volks⸗ 


buche macht. Was foll denn wol das Boll aus einem 
Buche fich Herauslefen, in welchem vom Volke gar nicht 
die Rede iſt? Was hat das Volk mit Necker und Ca⸗ 
Ionme, mit Parlamenten und Rotabeln zu ſchaffen? Bon 
Regierungsfünften und Regierungsfehlern, von Hofintri« 
guen und Finanzen verfteht es nichts; fein Intereſſe, 
wenn ed überall an der Geſchichte Intereffe nimmt, waͤre 
zu ſehen, wie es zu andern Zeiten andern Völkern er- 
gangen ift, wie es bei ihnen um Wohl und Wehe, um 
Freiheit und Drud, um Dienfte und Abgaben, um 
Kriegspflichten, um Slaubensangelegenheiten ausgefehen. 
Bon alle Dem wird es in diefem Buche nichts finden. 
Wie gefchah.es denn, daß bie Nation fo behende und ein- 
müthig von der evolution ergriffen ward $ Ging «6 
bem Volke denn fo traurig, ward es durch Gutsherrfchaft 
und Regierungsbeanite fo ſchmaͤhlich bebrüdt, von Ab⸗ 
gaben fo belaftet, durch Verachtung fo niebergebeugt, wie 
von Vielen behauptet wird? Es gibt ja Leute genug die 
bes Alles in Abrede flellen, und Andere bie «6 zwar 
einräumen, aber ein für allemal als ganz unwichtig er» 
klaͤren. Waren die Bürger fo bintangefegt, fo aller per⸗ 
fönlichen Bürgſchaften beraubt, durch Zunftgefege, Fa⸗ 
britzwang, Zölle, innere Verkehrshemmungen, Beamten- 
willfür und Härte fo eingeswängt und verfolgt, daß fie 
ben Zuftand nicht. Länger ertragen konnten, und eine Re 
volution ausgebrochen wäre auch wenn Ludwig XVI. das 
Staatsruder in die Hände der ehrlichften und faͤhigſten 
Männer gegeben und fle baran erhalten hätte? Solche 
Fragen find es, welche das Volt, die Bürger (und auch 
andere Leute die gewöhnlich zu 2einen von Beiden ge⸗ 
zähle werden) beantwortet haben möchten. ber biefe 
Dinge aber iſt das Buch flumm, und follte es vom 
Bolke, etwa von Zandleuten, Handwerkern, Krämern, 
Fabrikarbeitern gelefen werden, was kaum wahrſcheinlich 
tft, da fie das Meifte und Hauptfächliche darin nicht 
verftehen würden, fo möchte der Gindrud ber nieder⸗ 
fhlagende fein, daß fie erführen, was fie aus ber gro» 
ßen Mehrzahl unferer Gefchichtbücher ohnehin erfahren 
Tonnen, nämlich daß fie nicht in bie Gefchichte hinein 





. gehören und daß das Wolf, menngleich verſichert wird, 


„daß die treibende Kraft im Staate von’ ihm ausgeht“, 


im Grunde und zulept doch nur das getriebene ift. Frei⸗ 
lich aber ift da6 Buch, wenn auch nicht für das Volk, 
doch jedenfalls fo geicjtieben, es dusch den barin 
— 28 Von, dush Auffaſſung und Darſtellung 
bei einem großen Theile der Nation nicht anders als 
ſehr beliebt hat werden müſſen. J 
Was wir hier zu ſagen im Begriff ſind, wird hoffent⸗ 
lich nicht misverſtanden ober verkannt werden, um fd 


weniger, als in Deutſchland in den legten Zeiten fo große 


Kortfehritte in der Selbitfhägung und Selbſterkenntniß 
gemacht werben. Giner ber akteriftiſch hervortreten⸗ 
den deutſchen nationalen Züge beſonders in politiſchen 
Dingen tt, daß derbe Auslaſſungen in evnſten ober hei⸗ 
ven Worten gegen machthabende Gewalten den Frei⸗ 


Yeitögeifte, von dem fie ausgehen, fo große Genugthuung 


 gewwäßten, daß fie Mm die Geclle Toisliiher Spaten u 


vertreten im Stande find und eine volllonmene Selbſt⸗ 


befriedigung zur Folge haben. Jenes, die Freuͤde an den 
Auslaffungen, in Worten, Geberben, Spielen u. ſ. w., 
iſt tine allgemein werbueisete, Die frauzoͤſiſche Monarchie 
war ‚bekanntlich tempéeroe par des chansons; das An⸗ 
dere aber, die Genugſamkeit und Beruhigung an derlei 
Demonſtrationen, der Glaube, damit wirklich etwas ge⸗ 
than zu haben und mit gerechtem Frohlocken davongehen 
zu konnen, dieſe Empfindung fcheint vorzugéẽweiſe unter 
uns heimiſch zu fein. | 
Diefe Art des Vergnügens ift es nun, welche das 
Dahlmann'ſche Buch in recht reichlichem Maße zu ver- 
ſchaffen geeignet iſt; kann fich der liberal gefinrite Leſer 
auf jeder Seite deſſelben an den Schlägen ergögen, wel⸗ 
. de ohme viel Zögern tüchtig und ſcharf den Macht: 
habern son damabs verſcht werden, fo iſt dafür geforgt, 
daß er ‘eine mod viel ‚größere Freude an dem Echo zu 
srepfinden bekomme, welches von biefen Schlägen zu ben 
Dhren der Machthaber von jept zurücdpralt. Die Frage 
bieibt, ob es wünſchenswertch fein kann, dem unbeflreit- 
ber vorhandenen, beſonders einer gewiſſen Partei eigen» 
‘ tämlichen Hang zu ſelchem Grgögen, der ohnehin ſchon 
opt und iſtark genug -unter uns zum Vorſchein konnnt, 
noch weitere Nahrung ‚zu ‚geben? Es ift immer fihon 
mielich, wenn Worte und ‚Zeichen genügen follen, wo es 
allein auf das Thun ankaͤme; ift ‚aber das Thun un 
thunlich und muß darauf verzichtet wesden, fo feheinen 
nur ſolche Worte rũhmlich an die Stelle treten gar kön⸗ 
nen, welche gerabraus und unumwunden auf ihren Ge⸗ 
geuſtanud Msgehen; Worte und Reden aber, welche auf 
It» und Seitenwegen ihr iel zu treffen ſuchen, haben 
zu ‚einem wnften und maͤnnlichen Denken ein ſchiefek 
VBerhaͤliaiß, und das Wohlgefallen des Publieums dar⸗ 
an muß ein ſehr untergeordnetes ‚genannt werden. Sieht 
man auf diejenigen Stellin des Dahlraun'ſchen Buche, 
welthe aller Orten hervorgehoben werden und -ein beſon⸗ 
deres Mehagen ewegt haben, ſo iſt Grund zu fürchten, 
daß es jener Art des Wohlgefallens einen nicht geringen 
Zheil des erworbenen Beifalls verbanten tag. Ehre 


88 


aber bem Manne, weicher die Entwickelung ‚einer großen 
Volkotragoͤdie fo befchreibt, daß tiefer fittlicher Unwille 
über ben frevelhaften Leichefinn Derer, bie diefe Tragödie 
herbeigeführt, feine ganze Darſtellung durchbringt, und 
der fih nicht durch Enghche, ober was oft Daſſelbe iff, 
durch amtliche Bedenken abhalten Läßt, bernähmlich, wenn 


gleich imdirect, auszufprechen, daß über Frankreich fo gro- - 


ßes Unheil hauptfächlich darum gefommen ift, weil: feine 
Lenker und Verwalter nah Grundfägen, Lieblingsgeban- 
fen und Anſichten handelten ganz ähnlich denen, Die heute 
mitten unter uns, ba und bort, herrfchen ober herrſchen 
toollen. Der Verf. gehört zu unfern vorzüglidhen und 
zugleich zu unfern geprüften Mannern. Man wirb von 
grwifler Seite ber nicht verfehlen zu fagen, daß bie 
ſchneibende Schärfe feiner Darftellumg etwas ganz Indi⸗ 
viburlles ſei, das ſich aus den Schickſalen and politi⸗ 
ſchen Erlebniſſen des Mannes erklaͤre und inſoſern 
nichts beroeiſe. Richtiger wäre wol, die Betrachtung an⸗ 
zuſtellen, wie viele Stacheln die Zeit, in welcher wir le⸗ 
ben, haben nrüffe, wenn fie es vermag einen bewaͤhrten 
Gharalter zu folder Stimmung aufzureisen. Denn das 
Bud ift durchweg mit bitteem Hohn geſchrieben, der fih 
Er jeber Seite ausfpriht; es ift Hohn ſchon in ber 

erfhriften der Gapitel: „Die Holden Jahre Der Selbſi⸗ 


taͤuſchung.“ „Es wird ber Mevelution aufgethan.“ „Dex 


Geburtstag ‚der Revolution. „Der König flüchtig, ge 
fangen, fuspendirt, wieber angeſtellt.“ Derfelben ſchnei⸗ 
denden Kälte begegnet man fiberall; die Menfhen wer- 
den fo ‚gefhildert, die Begebetcheiten werben fo erzählt, 
daß an jenen und dieſen die Vergeltung fthon zu haften 
und die Nemeſis nicht Hinter» fondeen nebenher zu lau⸗ 
fen ſcheint. Bei Erwaͤhnung dus Unglüds, welches fidh 
am Bermählungsfefle des Königs mit Matt Anutoinette 
ereignete, fchwibt. Dühlmann: 

Über 160 Menſchen werden evbrädt, wel 1060 ſtarben an 
den Bolgen. &s war der 30. Mai 1770. Auf diefem Plage 
fiel 22 Zahre darauf das Haupt des Königs und der Königin. 

Bei Gelegenheit von Necker's übereilt gefoderter Ent: 
laffung heißt es: 


E ſelbſt hat fpäter die Haft bereut, mit welcher er feine . 


Finanzarbeiten 'u. ſ. w. im Stiche lied. Nur ein hafdes Jahr 
noch Geduld, mit dem Öffentlichen Zutrauen ſich getroſtet, und 
Maurepas ‚hatte feine Schuldigkeit gethan, war tobt! 

An einer andern Stelle fagt ber Verf.: 

Recker's Schrift warb hoͤchſten Orts übel empfunden: der 
Überläftige, der fo ganz und gar nicht begreifen wollte, daß die 
Wahrheit In Frankreich zu den Regierungsreihten gehöre! 

Aber es wäre nicht ausführbar, auch nur bie hervor⸗ 
tretendſten Stellen dieſer Art auszuheben, man müßte 
fi) namentlich in der erſten Hälfte des Buchs bei jeder 
Seite aufhalten. 

Die Königin wöllte durchaus diesmal das Vergnügen ha⸗ 
ber einen Minlfter zu ſchaffen. 

Damit Niemand bezwelfeln Pörme, auf weiger "Seite ‚die 
gute Bade fei, ward Brieme mit dem Erzbiothum Cent, 
weit reicher als ‚fein biäheriges, der mit minder habfuͤchtige 
Lamoignon mit einem großen Gelbgefchente belohnt. | 

Der Saal, der für bie Eröffnung der Reichsſtaͤnde pracht⸗ 
von eingerichtet wurde, hieß der ‘Saul :der Meinen Wergnüguns 
gen. Man verſprach fh ein 'verht großes Bergnuͤgen Damen. 


kalte Irdaie, dieſt edige Härte und ſchroſfe 
Bietet iſt im ganzen Buche von Anfang bis zu Ende 
—8 Beſonders den König Ludwig XVL treffen 
orte vom geaufamer Kälte Es ift die Rebe von ben 
vielen Dentfiheiften, weiche Jurgot dem König eine nad) 
Der andern überteichte, und wodurch er diefem unbequem 
ward. Dahlmann füge hierbei in feiner bittern Weiſe: 

&o war ed denn doch wirklich nicht gemeint gewefen. 
Auch Ludwig arbeitete wol zu Beiten mit der Feber und hatte 
noch kuͤrzlich über die Kanindhengehege der Grundherren eine 
gründliche Ausarbeitung geliefett. . . . 

Ein anderes Mal, da die Abneigung bes Könige, 
Brimne zum Minifter zu machen, zur Sprache kommt, 
erzählt Dahlmann: . 

Der Mann glaubt nicht an Gett, rief der König aus; dar 
gegen ward eingewandt, der Prälat Habe große Studien ge 
mahht, im Eifer gegen die Proteſtanten Fomme ihm Niemand 

i& und er babe bei den Rotabeln ſtets die zarte Linie des 
icklichen eingehalten. Und Brienne erreichte fern Biel. 

In weichem Lichte laͤßt Dahlmann den König er- 
ſcheinen! Dort den ernſthafteſten Staatsangelegenheiten 
gegenüber mit Kaninchen beſchäftigt, bier fo, daß feine 
Entfcheidung durch zwei Motive beftimmt erfcheint, das 
eine gehäffig, das andere frivol. Mialesherbes reiche ihm 
eine Denkſchrift über ſtaͤndiſche Berfaffung ein; „las ber 
König diefe Denkſchrift? er ſchien fich um diefe Zeit der 
Regierungsangelegenheiten gefliſſentlich zu entfehlagen ; er 
jagte”. Da Dahlmann aus ber Rede des Könige im 
Lit de justice vom 8. Mai die Worte citirt: „Ein 

oßer Staat bedarf einen einzigen König”, fügt er in 
arenthefe die Frage bei: „Bären denn für einen klei⸗ 
sun mehre Könige noch” 

Bittere Verhoͤhnung im allen biefen Worten, um fb 
bitterer und eifiger, wenn man die Lage bes Könige, 
femen Charakter, fein Schidfal vor Augen hat. Wie 
viele Monarchen aus alter und neuer Zeit find herfümm- 
lich unglücklich genaunt, die doch nur fehuldig waren. 
Ludwig XVI. aber war in Wahrheit tief unglüdfich, und 
der Geſchichtſchreiber, welcher bie Güte und Xiebe diefes 
Könige nicht in den Vordergrund feiner Schilderung 
ſtellt, ſcheint mit feiner Darftellung hinter’ der erfchüt- 
ter Wirkung der Geſchichte ſelbſt zurückzubleiben. 
Nein, ſo war Ludwig nicht wie er in dieſem Buche er⸗ 
ſcheint; die Geſchichte iſt unerbittlich, aber nicht ſpoͤttiſch; 
fie richtet, aber fie michandelt wicht. Man fühlt das 
Bedürfniß, fi) von den Einkrücken die jene Auffaſſung 
zurücklaͤßt abzuwenden und fi ben edlern Gehalt des 
Königs zu vergegenwärtigen, wie er erfcheint, wenn er 
un Calonne fihreibt, nachdem er ben Entfchluß zur Be- 
rufung der Nötabeln gefaßt: „Ich habe die Nacht nicht 
Ichlafen Finnen, aber es war vor Freude“; oder wenn 
er Lapeyrouſe eine Juſtruttion auf bie Reiſe mitgibt, 
worin er fi folgendermaßen ausfpriät : | 
"Sollte Lapeyrouſe jemals von der Überlegenheit feiner 
Werten gegen Wilde Gebrauch machen müffen, fo würde er 
Nur mit größter Möfigung verfahren und mit äußerfter Strenge 
Diejenigen feiner Leute züchtigen, welche feine Befehle über 
—— — ing Den duch Ns entfeleben bi 
un un an, entſchieden DIE 


‘ 
x 
2» 


Geungofen bedreht werden fellte, wird ber Mefchlahaber da 
rpeditien Gewalt anwenden. Der König würde es old ei 
der gluͤcklichſten Erfolge der Unternehmung ahfeben, wenn fi 
vollbracht werben Tönnte ohne das Leben Eine einzigen Men- 
ſchen gekoſtet zu haben. 

Hier zeigt ſich ganz die liebenswütdige Milbe, Sorg⸗ 
ſamkeit, Friedensliebe, die in feinem Charakter war und 
die er auch in großen Bebrängniffen nicht verleugnete. 
Er finder fih im Alles, wenn ur Unglück verhuͤtet wird, 
und eben dadurch führt er e6 herbei. Einem ber Häup- 
ser des alten Abels, der ihm in einem kritiſchen Augen- 
blick feinen und der Seinigen Degen zur Verfügung 
ſtellt, antwortet er: „Ih wii nicht daß ein einziger 

um meiner Händel willen umkomme.“ Er fi 


‚In polltifchen Dingen weder ohne Einſicht noch ohne 


Würde der Gefinnung; nach der Nacht bes 4. Auguſt 
fcreibt er an dem Erzbiſchof von Arles; 
ei Ich an . ne ren ——— een Selle 
tande eichs en, fie da große r gedr 
für die allgemeine Ausſohnung, für das Vaterland, fir ben 
König (— er nennt ſich an letzter Stelle —), aber Diele 
Aufopferung, ich Tann fie nur bewundern: niemals werde ich 
in die ung meiner Geiſtlichkeit, meines Adels willigen; 
thäte ich eb, dann allerdings würde eines Tages das fra 
fihe Bold mich der Ungerechtigkeit und Schwäthe anklagen kö 
nen. ie, mein Herr Erzbifchuf, unterwerfen fi ben Beichlüffen 
der Borfehung, ich glaube mi ihnen zu unterwerfen wenn ich 
ich des Enthuſiasmus etwehre, der fi aller Stände bemädh- 
tigt hat, der aber über mein Gemüth nur leife hinſtreift; ich 
werde Alles was in meiner Macht fücht aufbisten, um meinen 
Klerus, meinen Adel zu erhalten. Sollte Gewalt mich nöthigen 
meine Sanction zu ertheilen, dann werde ich nachgeben, aber 
dan würde in Frankreich weder Monarchie fein noch Monard. 
Ich weiß daß die Zeiten fchwierig find; jegt iſt es daß wir der 
Erleuchtung des Himmels bedürfen; flehen Sie ihn darum an, 
er wird uns erhoͤren. 


Dahlmann führt fo manches Document wörtlich oder 
auszugsweife an; war fein Raum für eins von jenen 
oder den zahlreichen andern, die man nur zu Innen 


‚braucht, um für immer gerecht gegen ben Koͤnig zu blei⸗ 


dent Gr, ber zum Throne geboren wer, war nicht Für 
den Thron geboren, und diefer einzige Vorwurf den man 
ihm machen Tann ift Tein Vorwurf, Was Burke fagt, 
möchte man mit befonderer Beziehung und verändert 
Anwendung bier wieberholen : | 
Unglüd ift nicht Verbrechen, und Verirrung nicht Frevel; 
nie —8* —— an daß diefer Knie * Bo⸗ 
gern feine Macht eim neen, feinem Lande Freiheiten zu 
eben, einen Theil feiner herkoͤmmlichen Befugniſſe zu opfern 
ereit war, verdient Hätte der Gegenftand fo graufamen Spot: 
teß zu werden wie Yarib und Doctor Prire (Bebner eines eng: 
lifchen Revolutionsciubs) über ihn ausgegoffen haben. | 
Damals, in der Zeit ber aufgeregteiten polltiſchen 
Leidenfchaften, war jebe, auch bie herzloſeſte Schärfe und 
Bitterbeit des Netheils begreiflich und verzeihlich. "Sind 
unſere heutigen Zeiten wie jene damaligen? Fraſt moͤchte 
man es glauben, und das Dahlmann'ſche Bu iſt, uns 
wenigfiend, durch nichts merkwürdiger als durch bas un⸗ 
lengbare Zeugniß, welches der darin Heusfihende Ton für 
die Stimmung abgibt, in weicher gegenwirtig gebucht 
and empfunden wird. Die Foderungen aber an bie Ge⸗ 
ſchichte, an ihren Beruf und Veiſt, bleiben Immer die- 





458 


- gehören und daß das Wolf, wenngleich verfichert wird, 
" „Daß die treibende Kraft im Staate von’ ihm ausgeht”, 
im Grunde und zulegt doch nur das getriebene ift. Frei⸗ 
lich aber iſt das Buch, wenn auch nicht für das Volk, 
boch jedenfalls fo gefdjichen, daß es durch den barin 
angeſtimmten Won, bush Auffaflung und Darftellung 
bei einem großen Selle der Nation nicht anders ale 
ſehr beliebt hat werden müffen. J 
Was wir hier zu ſagen im Begriff ſind, wird hoffent⸗ 
lich nicht misverſtanden oder verkannt werden, um fo 
weniger, als in Deutſchland in den legten Zeiten fo graße 
Kortfchritte in der Selbitfhägung und Selbfterfenntnig 
gemacht werben. Giner der da . 


den beutfchen nationalen Züge befonders in politifchen 
Dingen it, dag derbe Auslaſſungen in ernſten ober hei⸗ 
ven Worten gegen machthabende Bemwalten den Frei⸗ 
heitsgeiſte, von dem fie ausgehen, fo große Genugthuung 

genaͤhren, daß fie ihm die Stelle wirilicher Thaten zu 


vertreten im Stande find und eine volllommene Selbſt⸗ 


befriedigung zur Folge haben. Jenes, die Freude an ben 
Yuslaffungen, in Worten, Geberden, Spielen u. f. w., 
iſt tine allgemein verbreitete, die framgäfiche Monarchie 
wer bekanntlich tempérée par des chamsons ; dad An⸗ 
dere aber, dir Genugſamkeit und Beruhigung an derlei 
Brmonftrationen, der Glaube, damit witklich etwas ge 
than zu haben und mit gerechtem Frohlocken davongehen 
zu können, biefe Euwpfindung ſcheint vorzugsweiſe unter 
uns heimiſch zu fein. | 

WDiefe Art bed Bergnügene ift es nun, welche das 
Dohimann’fihe Buch in recht reichlichem Maße zu ver⸗ 
ſchaffen geeignet ift; kann fich der liberal geſinnte Leſer 
auf jeder Seite deſſelben an den Schlägen ergötzen, wel⸗ 
. de vhne viel Zögern tüchtig und feharf den Macht⸗ 
habern won damsabs verfegt erden, fo iſt dafür ‚geforgt, 
daß er eine noch viel groͤßere Freude an dem Echo au 
vnspfinden bekomme, welches von biefen Schlägen zu den 
- Digsen der Machthaber von jept zurückprallt. Die Frage 
bloibt, ob «6 wunſchenswerch fein Tann, dem unbeftreit- 
ber vorhandenen, befonder6 einer gewiſſen Partei eigen 
thumlichen Hang zu ſolchem Grgögen, der ohnehin ſchon 
oft und iſtark „genug unter und zum Vorſchein konnnt, 
noch ‚weitere Nahrung zu geben? Es ift immer fchon 
mielich, wenn Worte und ‚Beichen genugen follen, wo «6 
allein auf das Thun ankaͤme; ift aber das Thun un⸗ 
thunlich und muß darauf verzichtet werden, fo ſcheinen 
nur folche Worte rũhmlich au die Stelle treten gu koͤn⸗ 
em, welche gerabraus und unumwunden auf ihren Ge⸗ 
geunſtaud Ausgehen; Worte und Reden aber, welche auf 
Um⸗ und Seitenwegen ihr Biel zu «treffen ſuchen, haben 
zu ‚einem unften und ‚männlichen Oenken ein fehiefes 
Verhaͤltaiß, und das Wohlgefallen des Publicums dar⸗ 
an muß ein ſehr untergeordnetes genannt werden. Sieht 
won auf diejenigen Stellen des Dahlmaun'ſchen Buche, 
welthe aller Drien Servargehoben werben and -ein beſon⸗ 
deres Behagen ewegt haben, fo If Grund gu fürchten, 
daß es jener Urt des Wohlgefallens einen nicht "geringen 
Theil des erworbenen Beifalls verbanten -wtag. Ehre 


aber dem Manne, welcher die Entwidelung einer großen 


Volkstragoͤdie fo befchreibt, daß tiefer fittliher Unwille 


über ben frevelhaften Keichtfinn Derer, die diefe Trogöbie 
herbeigeführt, feine ganze Darfiellung durchdringt, unb 
der ſich nicht durch Angfliche, ober mas of elbe iſt 
buch amlliche Bedenken abhalten läßt, vernchmuͤch, wenn 
gleich indirect, auszuſprechen, daß über Frankreich fo gro⸗ 
ßes Unheil hauptſächlich darum gekommen iſt, weil ſeine 
Lenker und Verwalter nad) Grundſaͤten, Riehlingsgeban- 
ten und Anſichten handelten ganz ähnlich denen, die heute 
mitten unter uns, da und dort, herrfchen —A 
wollen. Der Verf. gehoͤrt zu unſern vorzüglichen und 
zugleich zu = geprüften Maͤnnern. Man wirb von 
gewiſſer Seite her nicht verfehlen zu ſagen, daß die 
ſchneidende Schärfe ſeiner Darſtellung etwas gan Indi⸗ 
viduelles ſei, das ſich aus den Schickſalen md -peiiti- 
[hen Exlebniffen des Mammes erklaͤre und im 
nichts beweiſe. Richtiger wäre wol, bie Betrachtung an- 
aufteilen, wie viele Stacheln die Zeit, in melcher wir le⸗ 
ben, haben nrüffe, wenn fie a6 vermag einen bewährten 
Sharakter zu folder Stimmung aufzureisen. Denn das 
Buch ift durchweg mit bitterm Hohn geſchrieben, der fi 
era jeder Seite ausſpricht; es iſt Hohn ſchon im ben 
esfehriften der Capitel: „Die holden Jahre der Selbſt⸗ 


taͤuſchung.“ „Es wirb ber Revolution aufgethan.“ „Dex 


Grburtstag der Revolution.“ „Der König flüchtig, ge 
fangen, fuspendirt, wieder anheſtellt.“ Derſelben ſchnei⸗ 
denden Kälte begegnet man Überall; bie Menſchen wer- 
ben fo geſchildert, die Begebetcheiten werben fo erzaͤhlt 
daß an ‘jenen und dieſen die Vergeltung fthon zu haften 
und die Nemeſis nicht Hinter» ſondern nebenher zu lau⸗ 
fen ſcheint. Bei Erwaͤhnung des Unglüds, welches fi 
am Bermählungsfefle des Königs mit Marke Untoimette 
ereignete, fchweibt. Dahlmann: | 

Über 160 Menfchen werden erdruͤckt, wol 1060 ſtarben an 
den got en. Gs war der 30. Mai 1770. Auf diefem Plage 
fiel 22 Sabre darauf dad Haupt des Könige und der Königin. 

Bei Gelegenheit von Necker's übereilt gefoderter Ent: 
laffung heißt es: Ä 

Er ſelbſt har ſpäͤter die Haft bereut, mit welcher er feim . 
Finanzarbeiten 'u. f. w. im Stiche lied. Nur ein Hafdes Zube 

| duld, mit dem Sfentlihen Zutvauen ſich geitöftet, und 

Maurepas ‚hatte feine Schuldigkeit getban, war tobt! 

An einer andern Stelle fagt der Verf.: 
„, Reder's Schrift ward hoͤchſten Mrs übel empfundgm: der 
Überläftige, der fo Yanz und gar nicht begreifen wollte, daß die 
Wahrheit in Ftankreich zu den Regierungsreihten gehöre! 

Aber es waͤre nicht ausführbar, auch nur bie hervor ⸗ 
tretendſten Stellen diefer Art. auszuheben, man mühe 
1 namentlich in der erften Hälfte des Buchs bei jeder 

eite aufhalten. 

Die Shnigin wöllte durchaus diesmal das Vergnügen Ya- 
ber einen Riniſter zu ſchaffen. 

Damit Riemand bezweifeln Pörme, auf weicher Geite ‚die 
gute Sache fei, ward Brieme mit dem Erzbiſthum Gmb, 
weit reicher als ‚fein biäherige&, ber nicht minder habfuͤchtig⸗ 
Lamoignon mit einem großen Geldgeſchenke belohnt. 

Der Saat, der für die Eröffnung der Reichsſtaͤnde pracht⸗ 
duR eingtrichtet wurde, ‚hieß der Saul der Meinen Vergnügun⸗ 
gen. Man verſprach ih ein vecht groes Wergnügen damen. 


Falte Ironie, dieſt eige Härte unb 
Eiretet iſt im ganzen Buche von Anfang bi® zu Ende 
erefchend. Belonders den König Ludwig XVL treffen 
orte von geaufamer Kälte. Es iſt die Rede von ben 
vielen Dentichriften, weiche urgot dem König eine nach 
Der andern überteichte, und wodurch er diefem unbequem 
ward. Dahlmann füge hierbei in feiner bittern Weiſe: 

&o war ed denn doch wirklich nicht gemeint gewefen- 
uch Ludwig arbeitete wol zu Beiten mit der Feder und hatte 
noch kuͤrzlich über die Kaninchengehege Der Brundherren eine 
gründliche Ausarbeitung gelicfett. . . . 

Ein anderes Mal, da die Abneigung bes Könige, 
Brienne zum Minifter zu machen, zur Sprache kommt, 
erzaͤhlt Dahlmann: . 

Der Mann glaubt nicht an Gott, rief der König aus; der 

egen ward eingewandt, der Prälat Habe große Studien ge 

mat, im Eifer gegen die Yroteftanten Fomme ihm Niemand 

i& und er habe bei den Rotabeln ſtets die zarte Linie des 
Sereigen eingehalten. Und Brienne erreichte fem Biel. 

An weichem Lichte laͤßt Dahlmann ben König er 
ſcheinen! Dort den ernfthafteflen Gtaatsangelegenheiten 
gegenüber mit Kaninchen befchäftigt, bier fo, daß feine 
Entfcheidung ˖ durch zwei Motive beftimmt erfcheint, das 
eine gehäffig, das andere frivol. Malesherbes reicht ihm 
eine Denkſchrift über ftändifche Verfaffung ein; „las ber 
König diefe Denkſchrift? er ſchien ſich um dieſe Zeit ber 
Negierungsangelegenheiten gefliffentlich zu entſchlagen; ex 
jagte”. Da Dahlmann aus der Rede bes Könige im 
Lit de justice vom 8. Mat die-Worte eitirt: „Ein 

oßer Staat bedarf einen eintipen König”, fügt er in 
azenthefe die Frage bei: „Wären denn für einen klei⸗ 
wen mehre Könige noth?“ 
Bittere Berhöhnung in allen biefen Worten, um fb 
Bittere: und eifiger, wenn man die Lage bed Könige, 
femen Charakter, fein Schidfal vor Augm bat. Wie 
viele Monarchen aus alter und neugr Zeit find herfümm- 


lich unglücklich genaunt, die doch nur fehuldig waren. 


Ludwig XVI. aber war in Wahrheit tief unglüdlich, und 
der Sefhichtfchreiber, welcher die Güte und Liebe dieſes 
Königs nicht in den Vordergrund feiner Schilderung 
ſtellt, fcheine mit feiner Darflellung hinter’ der erfchüt- 
ternden Wirkung der Gefchichte ſelbſt zurückzubleiben. 
Mein, fo war Ludwig nicht wie er in biefem Buche er- 
ſcheint; die Geſchichte ift unerbittlich, aber nicht ſpoͤttiſch; 
fie richtet, aber fie michandelt wicht. Man fühlt das 
Bebürfniß, fi) von den Eintwüden die jene Auffaffung 
zurückläßt abzumenden und fich ben edlern Gehalt bes 
Könige zu vergegenwärtigen, wie er erfcheint, wenn er 
an Calonne ſchreibt, nachdem er den Entſchluß zur Be⸗ 
tafung der Natabeln gefaßt: „Ich habe die Nacht nicht 
Ichlafen Sinnen, aber es war vor Freude”; ober wenn 
er Lapeyrouſe eine Inſtruction auf die Reiſe mitgibt, 
worin er fi folgendermaßen ausfpriät : 

Sollte Kapeyroufe jemals von der Überlegenheit feiner 
Werten gegen Wilde Gebrauch machen müflen, fo würde er 
ur mit größter Räßigung verfahren und mit äußerfter Strenge 
diejenigen feiner Leute züchkigen, weldhe feine Befehle über- 
fritten. Nur im legten Rothfall, bios zus Verthtibigu 


und über mir wenn und has Suter het Ye ansecna ve 


ofen bedroht werden fellte, wird der Mefchiähaber bar 
spedition Gewalt anwenden. Der König würde es als ei 
der glüdsichften Erfolge der Unternehmung ahfehen, ivenn fi 
vollbracht werben Tönnte ohne das Leben Eine® einzigen Men- 
ſchen gekoſtot zu haben. 

Hier zeigt ſich ganz die liebenswuürbige Milbe, Sorg 
famteit, Sriebensliebe, die in feinem Charakter war und 
die er auch in großen Bebrängniffen nicht verleugnete. 
Er finder ſich in Alles, wenn ur Unglück verhütet wird, 
und eben dadurch führt er es herbei. Einem ber Häup- 
ter des alten Adels, der ihm in einem Fritiichen Augen⸗ 
blick feinen und der Seinigen Degen zur Verfügung 


fickt, antwortet er: „Ich will nicht daß ein einziger 


um meiner Händel willen umkomme.“ Er ft 


‚In polßtifchen Dingen weder ohne Einfiht noch ohne 


Mürde der Gefinnung; nach der Nacht des 4. Auguſt 
Schreibt er an ben Erzbiſchof von Arles: 
Ich bin mit Diefen edeln Entſchließungen der beiden erften 

Stände des Reichs zufrieden, fie haben große r geb 
für Die allgemeine Ausſohnung, für das Baterland, für den 
König (— er nennt fih an letzter Stelle —), aber Diele 
Aufopferung, ic kann fie nur bewundern; niemals werde ich 
in Die Beraubung meiner Geiſtlichkeit, meines Adels willigen; 
thäte ich es, dann allerdings würde eines Tages das fra 
ſche Bold mich der Unpernehtägteit und Schwäche anklagen 
nen. Sie, mein Herr Erzbiſchof, unterwerfen fi den Beichlüffen 
der Borfehung, idy glaube mi ihnen zu unterwerfen wenn ich 

ich des Enthuſiasmus etwehre, der fi aller Stände bemaͤch⸗ 
tigt hat, der aber über mein Gemüth nur leiſe binftreift; ich 
werde Alles was in meiner Macht ficht aufbisten, um meinen 
Klerus, meinen Adel zu erhalten. Sollte Gewalt mich nöthiger 
meine Ganction zu ertheilen, dann werde ich nachgeben, a 
dam würde in Frankreich weber Monarchie fein noch Monard. 
Ich weiß Daß die Zeiten ſchwierig find; jegt ift es daß wir der 
Erleuchtung des Himmels bedürfen; ficken Ste ihn darum an, 
er wird uns erhoͤren. 


Dahlmann führt fo mandes Document wörtlich oder 
auszugsweife an; war fein Raum für eins von jenen 
oder dem zahlreichen andern, die man nur zu Innen 


‚braucht, um für immer gerecht gegen ben König zu blei⸗ 
ben? Gr, der zum Throne geboren wer, war nicht Für 


den Thron geboren, und diefer einzige Vorwurf den man 
ihm machen Tann ift kein Vorwurf, Was Burke fagt, 
möchte man mit befonberer Beziehung und veränderter 
Unwendung bier wiederholen: j 
Ungläd i t Verbrechen, und Verirrung nicht Frevel 
nie —8* i per t “ daß dieſer —* * * 
gern feine Nacht —* 
eben, einen Zheil feiner herkoͤmmlichen Befugniſſe zu opfern 
Bereit war, verdient Hätte der Gegenftand fo graufumen eo 
te8 zu werben wie Yarib und Doctor Prire Redner eints eng: 
liſchen Revolutionsclubs) über ihn außgegoffen haben. 
Damals, in der Zeit ber aufgeregteſten politiſchen 
Leidenfchaften, war jebe, auch bie herzloſeſte Schärfe und 
Bitterkeit des Uetheils begreiflich und verzeihlich. "Sind 
unfere heutigen Zeiten ‚wie jene bumaligen? Faſt moͤchte 
man es glauben, und das Dahlmann'ſche Buch iſt, uns 
wenigfiend, durch nichts merkwürdiger als durch bas un⸗ 
Vengbare Zeugniß, weldes der darin hasfihende Ion fir 
die Shimmung abgibt, in weicher gegenwirtig gebacht 
and empfunden wird. Die Foderungen aber un bie Ge⸗ 
ſchichte, an ihren Beruf und Beiſt, bleiben Immer die⸗ 


nden, feinem Lande Preibeiten gu . 








1 
-. 


ſelben, und wenn Diele an dem Buche um fo gewiffere 
Befriedigung empfinden als die Stimmung beffelben mit 
ihrer eigenen zufammentrifft, fo barf man mit verbop- 
peltem Nachdruck die Frage aufwerfen, ob folder Ein- 
drud aus Gefchichtsbüchern hervorgehen foll, 

(Die Joktſetung folgt.) 





Literarifhe Notizen aus England. 


Über Thomas Thyrnau im Englifhen 

Bei Gelegenheit der Anzeige des von Mary Howitt unter 
dem Titel: „The citizen of Prague” (3 Bde., London 1845) 
ind Engliſche Aberfegten. „Ihomas Thyrnau“ fagt die „Sunday 
Times” vom 11. Ianuar: „er eine gewifle ungefeilte Die 
tion nicht fonderlich beachtet, dem kann die Überfegung dieſes 
Buchs viel Vergnügen gewähren. As Novelle hat es Fehler. 
Die Ereigniffe werden zu deutlich ausgemalt, die Grydhlun 
durch eingelegte Häufig fehr unerquickliche Geſpraͤche bedeuten 
in die Länge gezogen. Die meiſten ob aus dem Schwediſchen 
oder aus dem Deutfchen überfegpten Novellen haben bie gemein: 
ſchaftliche Eigenthümlichkeit, eine fublime Philoſophie zu erſtre⸗ 
ben. Frederike Bremer, fo bewundernswerth, wenn fie ſich 
auf Schilderung der Zagesbegebenheiten des häuslichen Lebens 
befchränft, wird beim Abweichen davon faft wnerträglih. Sie 
ſowol als Gräfin "Hahn: Hahn brauchen nur ihr Gebiet zu 
verlaffen, den Leidenfchaften, welche das Herz beherrfchen, Worte 
n geben und fie fliegen augenblicklich in einer Art unbegraif: 
fipem Myfticiemus auf und davon und verlieren in dem phi⸗ 
tofophifchen Rebel bie firengen Regeln der Sittlichkeit aus ben 
Augen. Die Phantaſie führt fie über die Sphäre der Wirk 
lichfeiten hinaus, fie vergefien, daB es in der bürgerlidhen Ge⸗ 
ſeliſchaft Sapungen gibt, deren Befolgung das harmonifche Be: 
ftehen der Gefellihaft unmwiderlegbar bedingt. Alles Dies güt 
nicht in gleichem Maße vom «Citizen of Prague»; denn kom⸗ 
men auch Scenen und Phrafen vor, die einer englifchen Ro: 
velle fremd bleiben würden, fo ift doch Ton und Haltung rein 
fittlich. Es gibt hochfliegende Stellen, tragifche Reden, Arauer 
über Bergangenes und maßlofe, von Brauen gegen die gefammte 
Menfchheit ausgefloßene Verwuͤnſchungen, die der Leſer fich oft 
verfucht fühlen wird zu überfchlagen; doch hat das Werk feine 
unbeftreitbaren Verdienſte. Dabin gehören die häußlichen 
wahrhaft rührenden Sm und bier und da Beine Bemer⸗ 
Zungen von feltener Schönheit. Gie begründen ben Haupt 
werth diefes Romans. Die in die Geſchichte verflochtenen ariſto⸗ 


kratifchen Perfonen ftehen unferer Sympathie fern. Dagegen | 


fühlen wir für die natürlihern Menſchen aus niederm Stande 
und kommen immer gern auf die Befchreibungen der untern 
Volksclaſſe zuruͤck. Da ift die Verf. fihtbar zu Haufe, und in 
dem Bewußtfein, zu kennen was fie fchildert, fchildert fie es 
gut. Die hiftorifhen Partien zeugen von geringerm Geſchick 
Da macht fich eine gewiſſe Schuchternheit bemerkbar, wie das 

äufig der Fall, wenn der Schriftiteller einen Gegenftand be- 
— dem er nicht gewachſen iſt. Deſſenungeachtet wird der 
‚englifche Leſer dad Buch nicht ohne genoſſenes Vergnügen aus 
der Hand legen und! Jeder würde mit Haft danach greifen, 
wäre e8 um die Hälfte kürzer.” . 


Charles Didenb. 

Es ift ſchon früher bemerkt worden, daß der pfeudonyme 
Boz und wirkliche Charles Dickens ein von der Preſſe verzo- 
enes Kind fei, und allerdings kommt es in der Literaturge: 

Poichte felten vor, daß ein Autor mit gleicher Schnelligkeit be: 

rühmt und von der Kriti? gleich einftimmig gelobt wird. Daß 

die Leiftungen eines folhen Gluͤcklichen nicht alltägliche Exfcei: 
nungen fein koͤnnen, liegt auf der Hand. Auch Dickens Werke 
find es nicht. Hat, aber Kritit und Lefewelt ben Werth der⸗ 
feiben nicht überfhägt — was wol möglih —, fo ſcheint fie 


nicht geeignet, feinen Ru 
‚Das Heumchen auf dem Herde” — „The cricket 
fairy tale of home’ (London 1846) läßt bie 
zweimal behandelte Frage von gefellfchaftlichem Recht und Un» 
recht unberührt, ift ein Gemälde des bürgerlichen Lebens von 
der poetifchen und etwas romantifchen Seite, einigermaßen à le 
Wordsworth, nur daß wie diefem Dickens' Kenntniß des ftädtt: 
fen Zreibens, fo Dickens Wordsworth's Tiefe und Schalt 
ebt. Die Elemente feined Raͤrchens find einfach und kei⸗ 
nedwegs neu. Der einzige neue Charakter bürfte rg Slow: 
boy fein, ein Mädchen aus dem Findelbaufe, Das bei ber Heb 
din der Mefhichte, einer Miftreß Peerpbingle, ald Magb dient. 
Die übrigen Perfonen find: Der Mann der Heldin, ein mib 
telbejahrter Kärrner, von ſchwachem Verftand, aber warmem 
Herzen, der fein Frauen, ein junges, luftiges, bausbadiges 
Geſchoͤpf, wegen ihrer Eleinen Geftalt „Yunktchen” nennt; 
ein &pielzeugverfertiger, Caleb Ylummer, deffen zwei Kinder, _ 
Eduard und Bertha, Leptere blind; ein &pielzeughändier, 
Tadleton, und May Field no famt ihrer Mutter, einer her⸗ 
abgefommenen Frau höhern Standes mit beibehaftenem Standes: 
Borurtheil. Eduard, der Matroſe ift, erfährt bei feiner Rück 
Schr aus dem „goldenen Südamerika”, daß May Fielding, feine 
verlobte Braut, ihn für todt gehalten und dem reichen Tackleton 
ihre Hand verfprochen hat. Das Terrain zu unterfuchen, ver⸗ 
kleidet er ſich als ein alter, tauber Herr, zieht zu Peerybingle 
und vertraut fein Geheimniß der Kleinen Frau, bie ihrem Manne 
nichts davon fagt. Tackleton, immer das Häßlichfte veram- 
thend, fegt dem Kärrner „einen Floh ins Ohr”. ber obfchon 
eiferfüchtig ift diefer Flüger als Othello, und das Ganze endigt 
zu allfeitiger Zufriedenheit, indem auch Tackleton feine Bosheit 
ablegt und Eduard und May bie Hochzeitfeier ausrichtet. Mär- 
den ift die Erzählung eigentlich blos wegen eines Gefprädhs 
zwiſchen Dem —3 am Feuer und dem Heimchen auf dem 
Herde, wodurch Peerybingle von Mordgedanken gegen Eduard 
abgebracht wird. 16. 


Literariſche Anzeige. 


In meinem Verlage iſt neu erſchienen und dutch alle Bud» 
bandlungen zu beziehen: 


Holzhauſen (3. A.), 
Der Proteſtantismus in ſeiner geſchichtlichen 
Entſtehung, Begrändung und Fortbildung. 
Erſter Band, 
Gr. 8. Geh. 2 Thlr. 


Dieſes Werk, das nicht allein für Theologen, ſondern 
auch für wiſſenſchaftlich Gebildete im Allgemeinen beftimmt if, 
wird die Geſchichte des Proteftantismus überhaupt von bem 
Urfprunge defielben biß auf unfere Tage darftellen und dürfte 
infofern für unfere Zeit von befonderm Interefle fein, da der 
Berfaffer einen rein geſchichtlichen Standpunkt einnimmt umb 
die kirchliche Entwidelung des Proteftantiömus nad dem Gier 
Er organifcher Bildung verfolgt, um auf diefem e eine 
beitimmte und klare Anficht über das legte Ziel beffi zu 
ermitteln. Dad Werk wird aus drei Bänden beſtehen und der 
zweite und dritte Band werden raſch folgen. 


Eeipzig, im April 1846. 
u F. A. Brockhaus. 





Verantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brockkdans. — Druck und Berlag von WB. X. Drockhans in Leipzig. 


‚Bläfter - j \ 


titerarifche 


mzoöͤſtſchen Revolution bis af die 


Gefſchichte der feangönt 
Stiſtuug der Republil. Bon F. & Dahlmann. 
(Kortfekiung aus Re. 16.) 

Wird der König mit ße herben. Griffen gehandhabt, 
fo tät ſich urtheilen, welche Schaͤtzung ſolchen Perfön- 
lichkeiten wie Neder, Brienne, Calonne in dem Buche 
zu Theil wird. Den Lestgenannten finden wir fo ein⸗ 


tt: 
u Die Belt der Schurken ſchrie Triumph, als ed der unge: 
ſchickten Ehrlichkeit (nämlich dem wackern D’Ormelfon) fd übel 
gelingen: war, und aus der nicht Heinen Zahl von Bewerbern; 
vow dern Rechtlichkeit nichts zu fürchten war (jedes: Wort iſt 
ei Starke!) , griff Ludwig's unglückliche Band: gerade ben 
Schlimmſten heraus. Der Hr. v. Ealonne war ald Intendant 
fo. übel berufen, ſolch ein Schuldenmacher, daß ihn der König 
barſch verwarf; allein feine beitete Zuserfißt ..... gewann ihm 
jene höchſten Kreife Bald, weichen forgenvolle Stirnen ein Greuel 
find. Jener d'Ormeſſon hatte beiden Brüdern des Königs bie 
Bezahlung ihren Schulden rund abgeſchlagen, Calerine lich 

3 andere Glöcklein klingen und Artois war entzüdt von 
ihm. Da nun die Königin beifälig nickte, Vergennes nicht 
widerſprach, fo ließ fich der König einen Mürn gefallen, der 
ihm gute Tage in. Aussicht ſtellte. 

Wie iſt Hier wiederum Ludwig geſchildert, der eitten 
Menſchen, deſſen übler Ruf ihn erft zurückſtößt, dann 
Darum zum Demifter macht, weil er gute Tage bei ihm 
zu Haben hofft: Sodann erfahren wir von Calonne nichts 
weiter als daß er Königin, Hof und verarmte Große 
sie Geſchenken bedeckt, Meifter in leichten Formen und‘ 

ſchneller Ratögeber in Verlegenheiten war, ſich durch „fo 
einteuchtende Verdienſte vonr Könige feine Verſchwen⸗ 
dungen verzeihen Lie, dann plöglich, als der Schatz leer 
geworden, „mit: einer: Frechheit ohne Gleichen” die Sache 
mmchrte, alle Vorbeſſerungen die Zurgof im Sinne ge: 


babe‘ „in eine Denkſchrift zufammenmitft” md damit en- | 


dee, die Berufung ber Notabeln zu: werlangen, welche 


aber; nachdem fie zuſammengetreten waren‘, gegen: „den 


Wvefdämten’‘, der ihnen die widerwärtigd Grundſtener 
zummuthete, ihren hitzigſten Jorn ausließen, bis et: fich: ge: 
nothigt ſah zu weiten und von einer peinlichen Anflage 
bedroht nach England zu: enfflichen. 
Caldnne fo Hart richten als man wolle, eine ſolche Dat: 
ſtccuung fept ihn jedenfalls noch tiefer: Herunter als er 


oßinchin; Mor ſtancb und es geſchleht mvermeidlich viß 


mis ihm auch alle Diejenigen, die Alt‘ zum Minilſter 





Man mag aber 


für. 


Unterhaltung. 


26. April 1846, 


machte: und laͤnger als drei Jahre ein Amt ethluitem 
um ebenſo wie: Stufen: als ex ſelbſt ermichrige erſchemnen 
Alleedintzo war en ein leichtfeerlger Abenteuver, aber: ex 
war doch noch etwas mehr ala Das Werten nie bie 
Berhättnöffe fetöft: ſchief gerinkt, wen: man an Bew Yars - 


voreretenden Perſonlichkeiten nur Due ſchildert, was Mis⸗ 


achtunz erwechen kan? Ir net: neueſten: Arbeit Adw' 
Calonne's Verwaltung ) ME über denſelben Folgendes 
ET 
Geſchleblichkeit wird ihm Mierhund abſprechen ber fehle 
Schriften lieſt, fie zeigen eine merkwuͤrdige Gewandtheit und 
Dreiftigkeit des Geiſtesz von den gebrupften find bie wel 
ſich auf Verwaltung beziehen nicht ohne literarisches Verdienſt. 
Auch im Umgang teußte et GE akens zu machen; er trag: 
getrt' gute Grundfätze oder die glänzenden allgemeinen halbwah⸗ 
ven Ideen vor, die nuch der Höher Gefellſchaft mportauchenn; 
mis der äußern Hätte eines Hofmanns verband er einem ger 
wiffen Scharfjinn im Grgreifen des Unterfcheidenden und der 
Heinen Beziehungen, hatte Lebhaftigkeit und Anmuth ded ut: 
drucks; wer e& leicht nit den Dingen nahm ward bald über: 
redet, daß Memmd fie beſſer wie Calonne verſtehe; unterrich⸗ 
tete Maͤnner hielten ihn für einen Enpiriket und Chariatan: 
Abſichtlich iſt Hier der Auffaffung Dahlmann's nicht 
unfere eigene, ſondetn die eitied bewährten Kritikers ent⸗ 
gegen gehalten, damit unſere Ausſtellungen nicht etwa 
den’ Anſchein haben, auf Polemik und‘ Widerſpruch hin⸗ 
auslaufen zu ſollen. In dieſer letztern Schildetung et⸗ 
(een denn duch ber Mann fo, daß feine Wahl zum 
nifter wenigſtens nicht wie das Werk der verächtlich⸗ 
ſten Zeivontde: aubffeht, daß min die auf ihr gefegtei? 
Hoffnungen begreift, ohne ME Hoffenden getabehin ver⸗ 
dammen zu muſſen. Wer überhaupt ſich ſtaatsmänniſch 
ftellt, und 3. B. an Menfchen wie Mirabeau über Cha- 
rakter, Bernegpründe und anberes Verwerfliche hinweg 


Raͤnte: Ohne Zweffol IE es HIER: verbiehtich, die That⸗ 
ſachen, auch unvedentende, in ihrer: Nqhtigkett herjuftellen; fo wriſt 
Raute nnd, daß bie überall, auch bei Dahimann ſich vorfintende 
Angabe, Calonne habe feine Reformplane vor der Königin verborgen 
gehalten, falſch ſei. Indeß kommt auf ſolche Dinge denn dodh ni 
fo entſetzltch vlelt aty e& genügt‘ fle zu beriägltgen, zum einer Zurkbcht⸗ 
weifang, wie fie Hantt dent’ Geſchichtſchrelber Diss rithelie, iſt eia 
folder Anlaß’ zu gering. Ranke wehrt‘ des, Letztern Belanntes- Buch 
ein wohlgeeneintes. Das if fehr vornehn gurtpeilt. Alle gebühr 
rende Achtung vor der Quellenkritit; aber fie darf nicht etwa glau: 
ben ‚ auf ein philoſoͤphiſches Geſchichtöbach von oben heräbſehen zu’ 
tom. 


ſieht, um nur feine politifhe Wirkung als das allein 
Weſentliche hervorzuheben, müßte etwas von biefer Un⸗ 
bedenklichteit auch einem Menfchen wie Calonne zugute 
kommen laffen, und hätte weit mehr Grund zu fcharfem 
Urtheil gegen die Notabeln als gegen ihn, denn ihr Wi 
derftand war factiod und perfönlich, und fie waren es 
welche die Schäden, die Salonne verurfacht, erſt recht 
weit aufriffen. Calonne fol gefagt haben (das Wort 
wird auch Andern, aber ihm am wahrfcheinlichiten zuge 
ſchrieben): die Misbraͤuche feien eine vortrefflihe Sache, 
nur möüffe man feinen Misbrauch damit treiben. Er ift 
indeß der erfte Minifter gewefen, welcher von ben herr— 
ſchenden Misbraͤuchen nicht nur gefprochen und in Dent- 
ſchriften gefchrieben, fondern welcher den Muth gehabt 
fie laut vor ganz Frankreich, freilich dur die Umſtaͤnde 
gebrängt, auszurufen, und hinzuzufegen, baß fie nicht bios 
die. tieflien und weitverzweigteften Wurzeln haben, ſon⸗ 
dern auch am bärteflen auf die arbeitenden und erzeu⸗ 
genden Claſſen drüden. Überdies ift zu. ber oben ange- 
zogenen Schilderung hinzuzufügen und gegen Dahlmann's 
Äußerungen anzumerken, daß Calonne feine Reformen 
ſelbſt keineswegs für neu ausgegeben, noch, feine Vor— 
gänger verleugnet, vielmehr ohne Umſchweif erklärt hat, 
was er bringe fei „keine neue Erfindung, fondern nur 
die Verbindung und Zufammenfaffung von Entwürfen 
zum öffentlichen Heil, bie feit fange ſchon von ben vor- 
züglichften Staatömännern feien erfonnen worden”. Daß 
Galonne, der Höfling, der Verfchwender, fo ununwun— 
ben mit populairen und volksfreundlichen Anträgen ber- 
vortrat, iſt eine gefchichtlich viel zu bedeutende und cha⸗ 
rakteriflifche Thatſache als dag man fie nur dazu be- 
nugen dürfte, ihren Urheber zu verhöhnen und verächtlich 
erfcheinen zu laſſen. Sonderbar, daß die bitter ſcharfe 
Luft die in dem Buche weht immer nur die Perfonen 
trifft, welche am Hof und in den Minifterien figuriren, 
während die Übrigen, wenn fie nur irgendwie Oppofition 
machen, mit einem fhügenden Gehege umgeben feinen. 
Der Geſchichtſchreiber ſchlägt fi) auf die Seite der da⸗ 
maligen öffentlihen Stimmung, der Alles ohne. Unter- 
fheidung redht war, menn nur Widerfiand gegen Hof 
und Minifter geleiftet wurde, Uber das von Grund aus 
verwerfliche Benehmen der Notabeln wird ganz ſchonend 
hinweggegangen mit den Worten: 

Es war augenfcheinlich Plan in allen diefen Verwerfuns 
gen... . &o aber war das Ende doch, daß man die Steuern 
abſchlug als zu deren Bewilligung nicht befugt; dabei von al- 


len Seiten Überdruß der Sipungen. Am 25. Mai Entlaffung. 


der Rotabeln. 

Hier kein herbes Wort, keine von den kantigen Aus- 
drudsweifen und Wendungen. Ebenſo glimpflich ift mit 
ben Parlamenten umgegangen; fie machten ja aud) Op- 
pofition, gleichviel welche, und foderten Reichsſtände, auch 
gleichviel welche. Da die Parlamentdmitglieder ihres 
Trotzes halber nad, Troyes verbannt werden, bort aber 
vor Langeweile nicht aushalten und fih durch bie Lo: 
ckungen der Hauptſtadt fehr leicht wieder zur Rückkehr 
nach Paris bewegen laffen, bemerkt der fonft fo fcho- 
nungslofe Verf. nur Dies, daß „bie Selbftachtung, an ber 


462 


Wurzel verlegt, fo bald nicht wieder nahwähft“. Es 
wird wol einmal eine kritiſche Befchichte der Parlamente 
von ihrer Wichereinberufung bis zur Gefeggebenden Ver⸗ 
fammlung gefchrieben werden; aus biefer werben bie Par⸗ 
Iamente zu ganz anderer Würdigung hervorgehen als bie 
ihnen gewöhnlich zu Theil wird. Selbſt aus dem Dianbe 
eines Miniftere wie Calonne fonnte man doch die Worte: 
öffentliches und Volkowohl, vernehmen, ja es läßt fi 
nicht daran zweifeln, daß es zulegt mehr als nur Worte 
bei ihm waren; von den Notabeln und Parlamenten 
aber hörte man folche Zöne nicht anfchlagen, fie dachten 
viel an fich felbft und wenig an die Nation. Als die 
Zeit gefommen war, in welcher das Volk über bas ei« 
gentlihe Wefen der Parlamente nicht als rechtſprechen⸗ 
der ſondern als politifcher Körperfchaften Mar zu fehen 
vermochte, da urtheilte e6 über die Derren Räthe unge- 
fähr fo: in der Stabt, fagte ed, benehmen fich diefe Her⸗ 
ren wie Vertheidiger der Unterdrüdten, auf dem Lande 
unterdrüden fie felbft; gegen die Lettres de cachet er: 
hoben fie ſich erft als fte felbft anfingen bavon betroffen 
zu werden; niemald haben fie gegen einen der Ihrigen 
Gerechtigkeit geübt; fie fobern zwar Generalftände, fo- 
bald aber der dritte Stand angemeffen darin vertreten 
werden will, behaupten fie felbft Generalftände an fen; 
fie publiciren fogar Gefege gegen Zufammenrottungen, 
ftiften aber gelegentlich felbft Meutereien an. Natürlich 
verfäumt auch Dahlmann nicht zu erzählen, wie und 
wodurd das Parlament am 25. Sept. 1788 die Popu⸗ 
larität verlor und die Achtung einbüßte, „welche ihm felbft 
ruhige Beobachter eine Zeit lang zollen mochten‘, und daß 
der freigegebene d’Espremenil auf feiner Rüdreife durch 
Ftankreich „wie ein fafelnder Geck betrachtet wurde“. 
Um fo feltfamer ift es, baß der Widerſtand und Wi⸗ 
derfpruchsgeift diejes Parlaments nicht von allem Anfang 
an nad) feiner eigentlichen Art und Ratur dargeftellt ift, 
fondern fo gefchildert wird, daß der Gefchichtfchreiber ſich 
ihm anzufchließen, und zufrieden, gleichwie es bamals 
die Menge war, daß nur überhaupt Auflehnung fich ir- 
gendmwo zeigte, mit demſelben Winde zu fahren fcheint, 
mit welchem die Parlamente fegelten, als. fei der Hof 
und Megierungspartei gegenüber Wahrheit, Friſche und 
Nationalgeift auf ihrer Seite. Soll aber unnachfichtliche 
Strenge geübt und ernfies Gericht über jene folgen- 
fhweren Borgänge gehalten werben, fo ift wol fein Zwei⸗ 
fel, daß die Parlamente diefen Ernft der. Uinterfuchung 
mehr werden zu fürchten haben als Brienne und Ca⸗ 


‚Sonne, ald Königin und Artois, als Neder und Lub- 


wig XVI. Uber Das mas von diefen verfäumt, gefehlt, 
gefündige worden, könnte die Geſchichte allenfalls Teichten 
Fußes hinweggehen, es wirb nichts für das politifche 
Verftändnig der Revolution Weſentliches dadurch verlo⸗ 
ven werden; was aber die Parlamente thaten, war fief 
einfchneidend, und die Gefchichte barf diefe Körperfchaften 
für die Echtheit ihrer Beweggründe, für den Patriotis⸗ 
mus ihrer Angriffe auf die Pöniglihe Macht um fo un⸗ 
erbittlicher verantwortlich machen, als fie es Maren, bie 
zu allem Nachfolgenden das Signal gegeben haben, unb 


ats von ihnen, weichen Beruf und Einſicht bie Erkennt? vie Grenzen zu erinnern, welche zwifchen ben Erſcheinungen 


niß des allgemein Nothwendigen möglich und leicht machte, 
Selbftvetleugnung” und Hingebung an die Geſammtheit 
au fodern war. Es geſchah einmal, daß der König felbft 
ihnen ariftofratifche Tendenzen vorwarf; fie wehrten ſich 
Dagegen und erwiderten: Nein, keine Ariſtokratie, aber 
auch kein Despotismus, Sire! Aber ſie haben zur Ge⸗ 
nüge bewieſen, daß ſie gegen den Despotismus nichts 
einzuwenden hatten, wenn er ſie ſelbſt nur nicht traf; 
wührend fie ſich gegen den Despotismus der Menſchen 
auffehnten, zeigten fie die hartnaͤckigſte Vorliebe für den 
ber Einrichtungen, ber heftehenden Ungerechtigkeiten und 
der größten politifchen Monftrofitäten Sieht man wie 
die Freiheitshelden des Parlamente, nachdem fie einen fo 
gewaltigen Laͤrm erhoben, in dem entfcheibenden Augen- 
blicke ficy eiligft bis auf das Jahr 1614 zurüdzogen, 
und fomit die kühn PVorwärtsdringenden plöglich als fo 
entfeglich weit Zurückgebliebene daſtanden, fo meint man 
bier fei einem mit Lauge fchreibenden Gefhichtserzähler 
wahrhaft Gelegenheit zu gerechtem Hohn und ägendem 
Spott gegeben. Dahlmann aber, wie fihon erwähnt 
an folhen Stellen mild und nachſichtig, nennt jenen 
Rüdgang des Parlaments eben nur einen „unbebad): 
ten Schritt”. . 
(Die Kortfegung folgt.) 





Die Gallerin auf der Rieggereburg. Hiftorifcher Roman 
mit Urkunden. Bon einem Steiermärker. Drei Theile. 
Mit funfzehn Kupfertafeln. Darmſtadt, Leske. 1845. 
Gr. 8. 6 Thlr. 


So lange die Geſchichte von den Dichtern als Fundgrube 
für ihre Darſtellungen betrachtet und benutzt worden iſt, hat 
man ſich bemüht, über das Was und Wie der Darſtellung ſich 
aufzuklären, zu verftändigen und die Bedingungen zu ermit⸗ 
teln, denen der biftorifche Stoff unter den Flügeln.der Phan⸗ 
tafie fi zu fügen bat, denen aber auch die Phantaſie ernfte 
Beachtung nicht verfagen darf. Wird und daher irgend. ein 
poetiſches Kunftwerk, eine Romanze, ein Epos, ein Drama, 

- eine Zragödie, ein Roman ald „hiſtoriſch“ vorgeführt, fo 
werden wir uns den Stoff, fo weit wir das bei den mieiſtens 
dürftig und ungenügend von den Hiſtorikern gebotenen Mit: 
teln vermögen, aneignen und fein Berhältniß zu feiner Beit 
und Umgebung zu ermitteln bemüht fein. Wir werden fodann 
unterfuchen, ob ber Dichter der Hiftorie getreu geblieben oder 
von ihe abgewichen iſt. Letzteres ift als Regel anzunehmen: 
theils muß das nackte Factum zu hiftorifher Wahrheit, zum 
Leben, erhoben werden, indem es den Erſcheinungen feiner 
Beit berpaupt harmonisch einzureihen iſt; theil& unterliegt das 
Kunſtwerk, weichem ein foldyes Kartum als Fundament dienen 
fol, eigenen Gefegen, welche der Poet nicht verlegen darf, und 
diefe Geſetze müflen zugleich als Nichtfehnur bei Entwidelung 
ber befondern Idee dienen,ı deren Darftelung fi) der Poet 
als Aufgabe geftellt hat. Hierin iſt die innere Nothwendig⸗ 

* Seit des poetifchen Bildes begründet, und wir können und duͤr⸗ 
fen dabei nicht von Abweichungen aus der hiftorifchen Bahn 
veden, oder wir müßten jede höhere, jede poetifche Wahrheit 
überhaupt in Frage ftellen wollen. Unter der großen Menge 
biftorifcher Gemälde 3. B., von den Malern aller Zeiten uns 
vorgeführt, ift fiher nicht eins, welches] den Moment bed Er: 
eigniſſes genau fo darſtellt wie es die Wirklichkeit that; gleich 
wol wird es und, die kuͤnſtleriſche Vollendung des Gemäldes 
vorausgefept, nicht einfallen, der Wahrheit deſſelben Zweifel 
entgegenzujtellen. 

- Diefe wenigen Andeutungen genügen vielleicht ſchon, an 


⁊ 


des Lebens und der Kunſt ihrer Darſtellung liegen, aber auch 
wiederum auf das Medium binzubeuten, welches fie verbindet 
denn allerdings würde bie Darſtellung des Geſchehenen ohne 
ein Bermittelndes Unmoglichkeit bleiben, und dieſes Bermit⸗ 
telude iſt die Wahrheit der Idee. 
Der Berf.. des vorliegenden umfangreihen Werks ſtellt 
in der Vorrede Die Geſchichte dem hiftorifchen Roman fchroff 
gegenüber, indem er an Dasjenige erinnert, was in beiden 
Faͤchern, zunächit im biftorifchen Roman, bisher geleiftet wor» 
den iſt. Won biefer praftifchen Seite aufgefaßt hat er denn 
auch nicht unrecht, wenn er bie Gefcdichtfchreiber anklagt, 
„auftatt genußreicyer, Geift und Herz nährender Gerichte. nur 
trodened chronologiſches und gencalogifches Heu und Stroh aufs 
zutiſchen“, und den Romanfchriftfieleen vorwirft: „ſte mis⸗ 
Handeln die Geſchichte, und diefe hat fih darüber um fo mehr 
zu belagen, je größer der Bauber der. Darftelung und je 
bleibenber. der Eindrud berfelben .auf junge Gemuͤther und auf 
Geifter, von hiftorifchen Disciplinen ungefchult, iſt.“ Indeflen 
wäre damit doch eigentlih nur nachgewiefen, daß man noch 
ebenfo unficher in Darftellung der Gefchichte fei wie über die 
Mittel und Wege, die dem Romanfchriftfteller allein zu Ge 
bote ftehen dürfen. Und Das ift ed denn auch, was der Verf. 
hat ausfprecdhen wollen, indem er glaubt, zu Bermittelung des 
von ihm bervorgehabenen Segenfages zwifchen Geſchichte und 
Roman durch das vorliegende Werk beizutragen, und fo „bie 
beiden Außerften zu verföhnen, unterhaltende Lefung in einem 
und demfelben Bude mit unterrichtender  Quellentenntniß zu 
paaren, und den hiftorifchen Roman auf.eine höhere Stufe zu 
heben als berfelbe in der Literatur überhaupt und insbefon- 
dere in ber beutfchen gegenwärtig einnimmt”. Bu dieſem Zwecke 
ſoll dem hiftorifhen Roman ‚eine fefte gefchichtliche, urkund⸗ 
liche Unterlage gegeben werden, auf welcher ſich das luftige 
Gebäude der Dichtung mit aller Freiheit poetiſcher Bildung 
in beliebigem Stile griechifcher oder römifcher, faracenifcher 
oder gothifcher Baukunſt erhebt”. „Je zahlreicher und beſtim⸗ 
mender die Urkunden, deſto größer das hiftorifche Intereffe, 
aber auch deſto befchränkter die poetifche Freiheit. Indeſſen 
bleibt diefer Freiheit Spielraum genug auf bem meiten Felde 
pfychologifcher Vermuthung: hier ift der eigentliche Tummel⸗ 
plag biftorifcher und poetifcher Gompofltion.” Mit diefen Au⸗ 
Berungen des Berf. wären wir nun dahin gelangt, daß wir 
fagen müſſen: genau fo haben bisher ſchon die Hifteriter wie 
die Romanfchriftfteller die Sache angefehen, und wenn fie den. 
noch Beide nicht befriedigen, fo liegt vieleicht die Schuld nur 
darin, daß die Leer Die Gefchichte, 3. B. irgend eine von 
Hormayr, als Roman, dagegen den Roman, etwa von W. 
Scott, als Gefchichte betrachten. Wer aber trägt bier die Schuld © 
Gehen wir indeß zu Dem umfangreichen Werke felbit über, 
welches der Berf. als cin vermittelndes vorlegt, fo finden wir 
darın den Haushalt in derſelben Weiſe beftelt wie forgfältige 
und gewiflenbafte Hiſtoriker den ihrigen einzurichten pflegen: 
ed ift namlich der Erzählung, der biftorifchen Dorftellung ein 
Urbundenbud angefügt und damit dem Lefer anbeimgeftellt, ob 
feine Wißbegierde ſich mit der erſtern begnügen oder aber 
auch dad legtere noch als Maßftab benugen will. Gin Rer 
eenfent aber, dert nun einmal jedes ihm vorliegende Bert 


claffifieiren fol, Fönnte leicht unentfchieben bleiben, ob „Die 


Gallerin“ in das Gefchichtöfach zu fielen oder den Romanen 
anzureiben fei, wenn fich hier nicht, obgleich das Buch wirk⸗ 
lich nur als ein hiftorifches Werk zu bezeichnen ift, Dad Aus» 
kunftsmittel fände, das Buch genau nur fo zu nehmen wie 
es ber Titel geben will, nämlich als „biftoriihen Roman mit 
Urkunden”. enn damit und in der angezeigten Einrichtung 
des. Ganzen auch der Conflict nicht aufgehoben erfcheint, den 
ber Berf. felber aufgeftellt und zu vermitteln übernommen hat; 


wenn überhaupt die ganze Form, felbft ſchon das Format und " 


der Umfang des Werkes in jenen weiten Leſerkreis ‚nicht ein⸗ 
dringen dürfte, der feinem Antheil an der Riteratur nur gele- 
gentliche Unterhaltung angemeſſen erachtet; wenn felbft der 


gewöhnliche Hiftorifer beim Unblid des Wortes ,„Romen’' 


[4 


In 
fondere re N le Burafrau usb das —æ— 3 
feine wit einer kurzen Derficlung b 






Hr 
fer 


Bert 
E64}: 
4 

; 


Er 
1: 
{ 


„5 
»F; 
9 


vi Grund zu einem ber mertwärbigfien am haföfes 
fer Vreceffe gelegt, indem ort Hauptpfuster Strobl, dem ein 
berlömmlidyes zu Aheil geworben, in feines 


Predigt den Wechslern Fr Au mitfpieit, daß die Gallerin 
im Höchiten Born, laut „9 verkündend, die Kische verläßt. 
Wie folgenden Bücher geben Rachrichten von den Famitien ber 
der damit verwandten „Urfenpethe md Galler, 
und fahren fobann zu ber Heldin des ganzen Werks zurück, 
berichtend von ihren Resten und Werhäitniffen überhaupt, ih: 
vn rer es , den Fr ronzen zwifchen 2 us 
ihrem Gemahl, Monaten als Wi 
und —— ten iR von nun an in mann 
cherlei Proceſſe verwickelt, in denen fie nicht felten bie Weber 
ſewſt mt mit großer Seſchi tichheit führt. 
Der denfwürbigfte diefer Proceffe if der [hen erwähnte 
is dem Hauptpfarrer Strobl. Abgeſehen von jenem Greigniß 
vos. vier: Jahren bei ber Leichenferer ihres Dheimb war der 
a. Anlaß zu diefem Procoſſe wie fo oft ein hoͤchſt ge 
giger. Ihe Hauspfleger (Dberamtmann) ließ das Schloß 
Kirchthur ändern und ſteckte den Schluͤſſel in hie Taſche. 
Damie war dee Gottesbienft gehindert und einem Proceſſe Die 
Zhür geöffner, der fi bald genug von feinem Urſprung ent» 
5* die heterogenſten Elemente in ſein ‚immer breiter 
—* 


Adben und auf ihrer Ferumg, deren vollendendes 
—* ſte aiausgefegt beſchaͤftigte, war ihr nicht leicht bei⸗ 
zukommen. GE Half dem Klerus nichts, daß ev fie verdaͤch⸗ 
figte: ‚Me und ihre Pfteger führten eim Lehen, von dem man 
nicht vecht wiffe, ob es * ober —8RX ſei.“ Sieben 
Jetre Hatte: man proceſſirt, bie Actenſüöße waren zu einem 
Salben: Baufend: angewachſen unb ſtrotten ven Scchimpf und 


Leideuf fie von allen Beissn: Deunad ergab 2 Bein 
Durch Bee als daß Alles beim Alten blieb 
er, zu Kichts ging.er aus, doch lebt er 


de Bette noch Fan fort. 
Ehreb Proceſſes mit dem Mifteie n Houferd, Koh 


chre Hund nur einem Mann * einem * —8 —* 
verherrli 








erzogen und for 
vexwandtin, * at 


Anti d (6 5 
—— — En Hs 
wu, Did denn Dex Franz. Gruft von 


Kocdhter es Freiherr 
Susotal die Braut heimführt. Damit ſchließt ver exhe Ipeil, 
Der zweite Theil, „Die Huldigung und die Verſchwoͤrung“ 
führt uns von der Rieggersbarg weg durch die Otelemart 
und dad —— al und macht und mie ben eblen Geſchlechtern 
Der Berf. liebt feine ſchöne Heimat zu few, 
als daß ihn ein Bemerkenswerthes entgehen folite, 
er benugt om ſt unfpeinbarcn Anlaß, feine Alles 
dringende Befanntfchaft mit dem Begenftante feiner Liebe dar 
zulegen, ohne irgendwie befangen oder parteifich zu erfcheinen. 
Es iſt ein ubles Beichen des Beit, fo etwas befonders hervor⸗ 
beben zu müflen: eben beshalb aber ift es Pfliche, und ua 
Berf. bot fi überall Anlaß genug, irgend eine Vorliebe zu 
bethätigen, 3. B. in dem Ahema der Gegenwart , dem Reli 
—— denn die Reformation war tief in Dftreidh ein⸗ 
gedrungen und hatte noch im 17. Jahrfumderte ſehr deutliche 
Spuren hinterlafen. Gteichwol nimmt dev Berf. fo ‚wenig 
Partei, daß die Darftellung des katholiſchen Zuſtaͤnde, wie rein 
und fireng biftorifch fie auch gehalten iſt, wahrſcheinlich Anlaß 
Hab, das Buch außerhalb der öͤſtreichi Add gen Staaten erſcheinen 
ge Iffn, da es hier wel eine Unmögli efen pe tt. 
mag auch der fehlende Name bes 
maßregel fein, Die man freili beklagen —* —* an Yen 
Eiteratme eat auden als unüberfeigfiches Bollwerk entgegenftäude. 
Im Großen und Ganzen ift ber zweite Theil als Mefler 
bes Slanzpunktes im Leben ber Gallerin zu bezeichnen, wenn 
gleih wir fie hier auf einee Schwäche ertappen, die nun 8 
mal das an BO fo man geiſtig Präftigen Naturen 
ſgeint auben, die Matrone ſei —— —— 
das ſo Kenia Gluͤck des Eheftandes, fie fei wenig 
u viel zu einfichtig, um ſich Die fahren zu — 
weiche eine ſolche Verbindung der SHährigen Frau, der Mub 
ter einer verheiratheten Tochter, ber veiden, folgen, freiem 
Frau, die gewohnt war gleich einem Manne ihre Angelegen⸗ 
heiten zu Leiten und zu beherrſchen/ bereiten mu Allein — 
fle hatte ſich gegen ihren Hauspfleger fo eigen „getelt, dag 
biefen ſich Hoffnungen herausnahm, welche fie, abgefehen aud 
von feiner geringen Geburt, doch nicht erfüllen mochte. Gie 
mußte fi eines Menfchen enkledigen, Der im Laufe ber 
auf mancherlei Wegen eine ſtets läftiger werdende Unab 
gigkeit zu ufurpiren gewußt, und glaubte Hierzu in der Hei 
rath —— Becher Detikof — I das ein⸗ 
zige Mittel geboten zu fehen 6 war Selbfttä welche 
die Heirath als äußere Nothwendigkeit hinſtellte. — Lei⸗ 
denſchaſtlichkeit, ihre erben Gatten fig Thon lange Jahre 
mit einer zweiten Deirath beichaftigt, und verleiteten fie nım, 
der menſchlichen und weiblichen Schwädhe ein Opfer zu brin- 
gm. Es. war nicht das Leute, denn nach dem Tode des Ober⸗ 
Ken ſchritt fie foger noch zus deitten Ehe mit dem etwa 
M Jahre jüngern Prelheren von Seadl, die nach manchertei 
Ylackereien kein anderes Ende für bie alte Sea nahm als 
Mußtinanderfegung durch einen Scheidungsproceß 
(Der Beſchluß yrwvvcß 


Berantwortlicher Heraußgeder: Heinrich Wrokhans. — Dis und BVerlag von FJ. WM. Brockhaus in Leiptig. 





Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Montag, 


— Nr. 117. nn 


27. April 1846. 





Geſchichte der franzöfifchen Revolution bis auf die | 


Stiftung der Republil. Von F. C. Dahlmann. 
(Sortfegung aus Wr. 116.) 

Bei folder Eigenthümlichkeit des Buche, in welchem 
man überhaupt bemerft, daß die Maffen und Gefammt- 
heiten, vorerft bie Nation felbft, dann die politifchen Kör- 
perfchaften und berufenen Verſammlungen entweder mit 
Schonung oder mit Gleichgültigkeit, bie hervortretenden 
Derfönlichkeiten aber mit befonderm Intereffe und, wie 
man gefehen, mit eiskalter Strenge behandelt werben, 
muß die ausgeſuchte Gunſt und Vorliebe, welche ber 
Derfon Mirabeau’s zugewendet iſt, um fo flärker in 
Berwunderung fegen. Der perfönlichen Gefchichte deffel- 
ben ift eine ganze Reihe von Blättern gewidmet; in ihr 
allein laͤßt die Darftellung bes Verf. beinahe die ganze 


Nationalverfammlung aufgehen; Mirabeau ift ein Haupt- - 


impuls zur Revolution; ja er macht fie faft allein, denn 
nachdem Dahlmann die befannte Anrede deſſelben an 
den Marquis de Brezd angeführt, laͤßt er die Worte 
folgen: „Das war die Revolution.” Wie kommt «6, 
daß ber fcharfe Muth; mit welchem das Buch gefchrie- 
ben, fih Mirabeau gegenüber in große Nachgiebigkeit 
verwandelt, obgleich) wie Jedermann weiß und wie bie 
Zeitgenoffen und Collegen ded Mannes hinreichend ge⸗ 
Iehrt haben, Mirabeau's Charakter und politifches Be⸗ 
nehmen unzählige offene Seiten für den heftigften An- 
griff darbietet? So viel ift gewiß, wenn ber Verf. nicht 
zweierlei Gewichte hat, fondern Mirabeau mit demfelben 
wiegt, mit welchem die ſchon genannten Perfonen von 
ihm gewogen worben, fo kann fein Heros nicht halb fo 
fhwer herausfommen ale er ihn macht. Diefe Schä- 
sung und Behandlung Mirabeau’s, ba hierbei der mo- 
ralifche Geſichtspunkt aufgegeben iſt, wirft benn auch 
unvermeidlich einen Schatten auf das Princip, aus wel⸗ 
chem jene fon mehrfach bezeichnete Akrimonie des Verf. 
Devon oder fie ift wenigſtens geeignet Leſer 
und Beurtheiler ftugig zu machen, wie denn überhaupt 
das Buch fo abfonderlicher Art if, daß man oft zwei- 
felhaft werden Tann, ob es überhaupt mit hiftorifchem 
Mae gemeffen fein wolle, und ob Jemand, der mit ber 
Foderung objectiver Teidenfchaftlofer Haltung herantrete, 
nicht ein völliges Misverfländnig der Abſichten des Verf. 
an den Tag lege, und kurzſichtig, ja dupirt neben dem 
Buche herlaufe. Weshalb denn auch, wie bereits er- 


wähnt, Viele die Meinung geäußert haben, das Buch fei 
gar nit um der’ Gefchichte willen, fondern zu dem 
Zwecke febhafter Einwirkung auf den politifchen Sinn 
der Deutfchen gefchrieben. 
Wie Dahlmann von Mirabeau’s Wert über die 
preußifhe Monarchie fagt: „Vielfach, wo er Preußen 
nannte, hatte er Frankreich im Auge“, fo tönnte ja au 
ein Buch gefehrieben werben, in welchem man Franfreid 
nennt und Preußen im Auge bat. Aber wenn es ir⸗ 
gend eines Beweiſes bedarf, daß jene Meinung eine ganz 
f&hiefe ift, fo wäre er in des Verf. Auffaffung und 
Darfiellung Mirabeau’s zu finden. Hier find feine an⸗ 
bern Zwecke denkbar als bie offenbaren der Gefchicht- 
fhreibung, der Erzählung. Der Mann wird ald Das 
was er war, ale ein Phänomen befchrieben, als das 
volle, gewaltige Product, wie es biefe beſtimmte Zeit al⸗ 
lein hervorbringen koͤnne, wird er dargeftellt und in fei- 
nem mächtigen Walten und Wirken anfchaulich gemacht. 
Hier Tann von Nuganmendungen auf und und für uns 
nicht die Rede fein. An Mirabeau wäre nur Eins 
nachzuahmen, fein Genie, und das ift nicht nachzuah⸗ 
men. In Dahlmann’s Buche iſt er wie zur Bewunbe- 
rung bingeftelle, und von dem Augenblide feines Auf⸗ 
treten® an fcheint das Bud, nur für ihn gefchrieben; er 
iſt gefchildert ‚wie man eine Naturkraft fchildert, die in 
ihrem Laufe verfolgt, mit einer Art Unterwürfigkeit an- 
geftaunt werden foll, aber nicht. nach den Begriffen des 
Rechten und Falfchen, des Buten und Schlechten zu 
richten iſt. Gleich anfangs, da von dem Schritte bie 
Nede ift, welchen ber dritte Stand zu thun im Begriff 
war, feine Repräfentation für die bed gefammten Frank⸗ 
reichs zu erflären, wobei Mirabeau fi bekanntlich fo be» 
nahm, daß er erſt gegen dies Beginnen donnerte und 
fi ihm dann ohne weiteres anſchloß, fehen wir den 
fonft fo herben Verf. über diefen Moment mit den leicht. 
füßigen Worten hinweggleiten: „An demfelben Tage an 
welchem er (Mirabeau) an Sieyes' Seite den gefürdte- 
ten Schritt gleichwol that, trachtete er für die Regie» 
rung die er erfchütterte neue Stügen zu gewinnen.” An 
Sieyes' Seite, wie es hier heißt, Hingt freilich harmlofer 
als: mit Sieyes im Einverfländniß, wie es hätte beißen 


-folen, und das Wörtchen „gleichwol“ Hilft über bie 


Hauptfchwierigkeit raſch hinweg. 
Uber das Benehmen Mirabeau's, vor der Entſchei⸗ 


466 


dung des Kampfes, den er gegen die Benennung: Na- 
tionalverfammlung, felbft bervorgerufen, die Flucht zu 
nehmen, lefen wir die gleihmüthigen Worte: „Mira- 
beau entzog fich diefer Sigung, deren Ergebniß er vor: 
ausfah und nicht billigte.“ So ift die Darfiellungsweife 
in Bezug auf Mirabeau durchweg gehalten. Ein Mexrſch 
feines Schlages Tann, wie allgemein anerkannt werden 
muß, allerdings nicht nach gemeinem Maße gemeffen 
‚ werden, und wer über ihn fpricht darf nie das Wort 
des Mannes felbft: „Die kleine Moral tödtet die große”, 
vergeffen. Wer aber wie Dahlmann eine politifche Mo- 
tal anerkennt, fo fehr, baf ber Reſpect vor berfelben in 
jeder Zeile zu Tefen if; wer die Verachtung dieſer Mo- 
ral an den Staatslenkern und fonft Hochgeftellten mit fo 
ſcharfer Geißel in die Zucht nimmt, ber fcheint durch 
ſelche Behandlung Mirabeau's mit ſich felbft in Wider⸗ 
ſpruch zu gerathen und gegen ben Charakter feines Buchs 
zu verfioßen, wenn er biefen Heros nur als Gegenftand 
ber Bewunderung aufftellt, vor welchem die erft fo viel- 
fach geübte Schärfe des Urtheils fih in Nachſicht und 
Schweigſamkeit verwandelt. Denn wie manches Bedenk⸗ 
liche das Mirabeau angeht hat Feine. Erwähnung im 
Buche gefunden! Wir meinen nicht etwa das perfönlich 
fondern das politiſch Bedenkliche. Es war vor Allem 
eine Aufgabe des Buche, welcher es fich wegen feiner 
ganz befondera Anlage am allerwenigfien entziehen durfte, 
unverhohlen an den Tag zu legen, ob Mirabeau Alles, 
womit er durch Macht und Genie ausgerüftet war, auch 
wirklich zur Rettung der Monarchie aufgeboten bat, ob 
er dies Ziel als großer politifcher Charakter mit Bewußt⸗ 
fein verfolgt hat, ob feine Abweihungen von diefer Bahn 
nur fcheinbar, nur duch die Umftände geboten und nur 
Hug waren, ober ob er fi durch Ehrgeiz und gewalt- 
haberiſche Abſichten bat ablenken laffen. 

Da Mirabeau in dem Grringen diefed Ziele® feine 
Schickung und Rechtfertigung felbft erblickte, fo tft dies 
das eigentlihe Gebiet auf weichem das Urtheil über ihn 
gefprochen werben, der Punkt den die Geſchichte, wenn 
fie den Lauf diefed Mannes verfolgt, im Auge behalten 
muß. Fort denn mit aller weiten Umflänblichkeit über 
feine Perfon, wobei ja doch, nichts als allgemein Be⸗ 
kanntes wiederholt werden kann, fort mit Allem was in 
bie Biographie und unter die Anekdoten gehört, fort 
auch mit dem Pathos der Bewunderung. Unfere Zeit, 
für Die doc, gefchrieben fein fol, fodert ernftern politi- 
fegen Unterricht und will über den tiefern innern Zu« 
fammeuhang ber Dinge belehrt fein. Wir zumal in 
Deutſchland bewundern ſchon ohnehin gmug. Wir moͤ⸗ 
gen, befonbers im Peolitifchen, allerdings Grund haben 
fremde Größen anzuftsunen, aber jedenfalls ifi das Ver⸗ 
fichen und Würdigen beffer als das Bewundern und An- 
Raunen, Es kommt wol einmal vor, daß der Darf. Mi- 
rabeau's Benehmen „ſchmaͤhlich nennt, z. B. als Mi. 
rabeau gegen feine Überzeugung bie Entbehrlichkeit der 
Toniglihen Sanction zu ben Beſchlüſſen des 4. Auguft 
behauptete. Aber diefe Rebe, an welcher hie würdeloſeſte 
Sonhiſtik zu rügen war, nennt Dahlmann „einen der 


Blige die Mirabeau gegen ben Thron ſchleuderte“ Huch 
wo wir Gefinnung und Verfahren verwerfen müffen, fol- 
len wir immer noch wenigftens die Gewalt des Helben 
bewundern. Es gab aber in dem politifchen Leben def- 
jelben Momente genug, in welchen für die Bewaunderung 
nichts, um fo mehr aber fie bie Verwunderung übrig 
blieb. Diefe find im’ Buch übergangen. Was that, um 
nur Eins anzuführen, Mirabeau, ale, nach den Ermor- 
dungen Foulon's und Berthier's, von Lally Tollendal 
eine Proclamation an das Volk zur Ermahnung deffel- 
ben beantragt worden war, welche der trefflihe Mou⸗ 
nier mit ben Worten unterflügse: „Deute oder nie muß 
die gefeggebende Autorität hervortreten; dringt Ihr beim 
Volke buch, fo iſt Euer Muth belohnt; wenn nicht, fo 
habt Ihr dech Eure Pflicht gethan!“ Mirabeau ſtand 
auf und fprach: „Nach meiner Meinung, ich erfläre es, 
würden BHeinlihe Mittel die Würde der Verſammlung 
bloßftcllen; die Unorbnungen welche vorgefallen find da⸗ 
ber entitanden, daß bie parifer Wählerfchaft fi) ohne for- 
melle Einwilligung der Commune der Zügel ber Stadt⸗ 
verwaltung bemächtigt hat. Man muß alfo vor allen 
Dingen die Stabtobrigkeit organifiren. Als Lally Tol- 
lendal fah, dag Mirabeau in einem folden Moment auf 
die Seite der Anardiften trat, konnte er fi nicht ent- 
halten auszurufen: „Man kann fehr viel Geift haben, 
fehr große Ideen, und ein Zyrann fein!“ 

Damals war Mirabeau noh im Genuß voller Po⸗ 
pularität; welch ein Gewicht hätte er auf bie Seite der 
Drdnung werfen können, wenn er gleich beim Beginn 
der erften Volksbarbareien den Donner feiner Stimme 
Dagegen erhoben hätte! Ihm, wenn irgend Einem, hätte 
es damals gelingen müſſen, der Nationalverfammlung 
ein ſolches Anſehen zu geben, dag fie auch [päterhin nie 
hätte vor dem Palais royal zittern dürfen. Warum 
that fer es nicht? Hier find für fein Verfahren nur 
Heine perfönlihe und nicht große allgemeine Abſichten 
denkbar, um fo gewifier, als derſelbe Mirabeau nur drei 
Moden früher, bei ungleich geringerm Anlaß, namlich 
als die königliche Sigung vom 23. Juni große Aufre- 
gung erzeugt, felbfl eine Adreſſe an das Volk zur Bor« 
lefung gebracht hatte, worin no ganz andere Dinge 
fanden als in jener des Lally Tollendal, z. B. dag man 
die höheren Stände megen der Unruhe, bie fie um ihre 
Beiigthümer empfänden, „mit ben Vorurtheilen ihrer Er⸗ 
ziehung und ben Gewohnheiten ihrer Kindheit entſchul⸗ 
digen mäfle”; daß Tumult und Unordnung nur ben 
Feinden der Freiheit zu Nuge komme, daß „bie größefte 
der Miffethaten, der ſchwärzeſte Frevel wäre, fih den 
hohen Geſchicken Frankreichs zu wiberfegen, dies Unheil 
aber einzig und allein aus den Drangfalen entfichen 
Tonne, welche die unansbleibligen Folgen der Zügellofig- 
keit find“. Solche und bie vielen ähnlichen Momente, 
weiche in Mirabeau's Laufbahn vorkommen, find in dem 
Buche unerwähnt geblieben,. obgleich fie in das Weſen 
des Mannes tiefe Einblide thun laſſen. 


(Der Beſchluß folgt.) 


“ führte, fo mußte jie auch alte B 


—— 


467 


Die Ballerin auf der Rieggersburg. Hiſtoriſcher Reman 
mit Urkunden. Don einem Gteiermärker. Drei Theile. 

(Beſchluß aus Nr. 116.) | 

Ungeachtet diefer Eheſtandsverirrungen, bie auch ein ern 
ſtes Zerwuͤrfniß mit Schwiegerfohn und Kochter zur Yolge hat» 
ten; ungeadgtet des verbeießligen umb langwierigen Handels 
mit eben Demjenigen, ben die Gallerin durch ihre Heirath am 
beften zu befeitigen dachte, namli) bem zachefuchenden Haus» 
pfleger; ungeachtet der Streitigkeiten mit ben Behörden we: 
gen der von der Befigerin als Allobium behuupteten, von je= 
nen aber als verfallenes Lehn angefprochenen Rieggersburg, 
haben wir ben zweiten Zheil Doch als Nefler der Glanzperiode 
im Leben der Ballerin bezeichnet. Die lebensluftige Frau war, 
wie doch fonft gemeinlich wiederheirathende Witwen, mit einer 
ſtillen Hochzeit nicht zufrieden: fie veranftaltet ein ‚glänzendes 
Feſt, welches die Repräfentanten der älteften und ebelften Ge⸗ 
ſchlechter verbertlichen, und da auch dieſes nody nicht genügt, 
fo werden durch ein eigenes Wahlcapitel Vorbereitungen zu eis 
nem ungewöhnlichen Mitterfefte getroffen. Die Berhandlungen 
des Wahlcapiteld bethätigen die genauefte Bekanntſchaft der 
Ballerin mit allen Stammbaͤumen der Steiermark, fie ber 
ſtrengſten Adelsprobe unterwerfend, und das Feſt felbft, wie 
eine Allegorie auf der Grenze mittelalterticher Yracht und mo: 
dernen dramatifchen Bebens ſtehend, mag zu den denfwärdig: 
ften feiner Zeit gerechnet werben. 

Denkwürdiger noch erfcheint dic Erbhuldigung des Kai⸗ 
ers Leopold, Die derſelbe perſoͤnlich entgegennahm. Die bes: 
Uſigen Einleitungen ſowie bie Handlung ſelbſt find dem Ge: 

ſchichtsfreunde überhaupt um fo intereffanter, als eine ſolche 
Begebenheit nur felten vorkommt, und namentlich in Steier⸗ 
mer? feit 1728 nicht flattgefunden bat. Hier erfcheint die 
Erbhuldigung noch um fo bedeutſamet, als Oftreih fortwäh: 
rend mit den Zürfen in Händel verwidelt war, die endlich 
gar die Belagerung von Wien zur Yolge hatten, und wäh: 
tend des Feſtes die Rachricht einlief, Sidi Ali⸗Paſcha rücke mit 
großer Macht auf Großwardein an, und General Souchez fei 
aum in ®tande ihm zu widerfichen; ale ferner au fchon 
Bier Die Faͤden ber — *8 Verſchwoͤrung angeknuͤpft wurden, 
die nicht allein eine nähere Verbindung mit den Tuͤrken als 
nothiwendig erfiheinen ließ, fondern auch dad Leben des Kai: 
ſers bebroßte. 

Wie die Erbhuldigung eine: ‚gehe Geſellſchaft nad) Graͤt 

anntſchaften erneuen, enger 
verfnüpfen, und neue Verhaͤltniſſe der verſchiedenſten Art ber 
vorrufen. Sie gibt Anlaß zu einer Beluchreife der jungen 
Frau von Purgftall, Die bei ihrer frommen Richtung zugleich 
als eine Wallfahrt betrachtet werben muß, und dieſe in ge 
Iehrter und poetifher Begleitung unternommene Reife durch 
das Raabthal ſowie fpäter nach der Steiermark bietet dem 
Verf. die treffiichften Schilderungen, an welche ſich biftorifche 
und andere Nachweiſungen der mannichfaltigften Art in fo gro 
Ger Maſſe Inüpfen, daß man wie ſchon früher bier von 
neuem verfucht wird, dem Berf. einen ziemlich vergeffenen 
Ehrentitel, naͤmlich den eined Polyhiſtors zu vindiciren, der 
aber vor jenen alten Bücherfchränten den großen Bortheil eige⸗ 
ner Enſchauung vorauß Bat. Dazwifchen [leicht die ungari⸗ 
fe Berſchwoͤrung unter der truͤgeriſchen Agide zarter Ver 
altniffe, unter dem Mantel der gegen den Türken nothwen: 
tgen Landesvertheidigung und der Schlacht von St.Gotthard, 
in welcher der Freiherr von Kapell bleibt, mit wachfender 
Kühnheit immer näher und den KRaifer enger umgarnend ber: 
an. Der Kaifer ſollte fallen ober doch aufgehoben werben, 
während er feine Brauf, die Infemtin Margarethe Therefia 
einholte. Gräfin Purgſtall, davon heimlich unterrichtet, Täßt 
den Kaifer warnen; er iſt gerettet; die Berfchworenen fallen 
unter dem Schwerte des Gerichts, und erſt nach Jahren er: 
führt der Kaiſer, wer ihn gevettet. 

Unter diefer die Sonne verfinfternden Wolke gehen wir 


zu dem dritten Theile, „Der Herenproceß”, über. Die Galle⸗ 
. . 


.gen dann wol 


rin, bon allem Gluͤck verlaffen, welches fie im Cheſtande zu 
fpat fuchte, ift nun eine alte Frau geworden, die Beine Un: 
ſprüche mehr an Lebensfreude zu machen weiß und dennoch ih» 
ven firebenden Geiſt befhäftigen muß. Andere Frauen pfle⸗ 
der Andacht zu ergeben, um, ba, fie doch 
Die Welt verloren, wenigftene vom Himmel zu retten was 
möglich iſt. Die Gallerin, obgleich ein Jeſuit Jahre lang bei 
ihr verkehrte, batte vielleiht eben deswegen niemals ernften 
Sorgen für ihr Seelenheil Raum verftattet, gleihwol kann fie 
die innigen Beziehungen des Irdifchen zum Himmliſchen nicht 
zurückweiſen, und ſucht fie nur in einer Berierung, an wel⸗ 
ger, und das entfchuldigt fie, ihre Zeit überhaupt noch krank 
lag. Sie ergibt fi dem Stubium der Bauberei und Magie. 
3br jegiger Hauptpfarrer Zirkelius ift in diefen Regionen zu 
Haufe, und wo ein Gottesmann Feine Sünde findet, da kann 
fie getroft ihm folgen. 

Bir können die Einzelheiten, welche einen durch viele Be: 
tHeiligte verwidelten Herenproceß und endlich hier wie überall 
Sceiterhaufen, traurige Brandopfer am Grabe der Gallerin, 
herbeiführen, nicht umfländfid begleiten, da wir die Erſchei⸗ 
nungen im Serenzeitalter beim Lefer im Allgemeinen als be 
kannt vorausfegen dürfen. Doch ift anzuführen, daß dieſer 
unheilvolle Proeeß vom Berf. ald Grund eines Gemäldes be 
nugt wird, welches die Vermählung des Kaiſers und die da⸗ 
durch veranlaßten Feſte darſtellt. Sodann aber ift eine wenn 
auch nicht fo gang neue, bo hier vorzugsweile feftgehaltene 
Auffaffung des Hexenweſens hervorzuheben. Es ift mit kur⸗ 
zen Morten die: daß das Coölibat der katholiſchen Geiſtlichen 
feinen Zügel gewähre gegen Keidenfchaften, welche eben durch 
dafielbe in rohe Begierde aubarten, für deren Befriedigung 
jedes Mittel recht ifl. Das Gebot des Gölibats ijt ein Gott 
verhöhnender Gingriff in daß mweltalte veine Gittengefeg, und 
ba der Per nicht Eine Frau lieben darf, fo verfel er ſchon 
früh auf den auch heutzutage noch bin und wieder laut wer⸗ 
denden Schluß: das ganze Befchlecht fei feine Geliebte. Im 
ftumpfern ter trat an deren Stelle die Flaſche, wenn fie 
nicht gar ſchon früher verbunden waren. Aftrologie, Magie 
und überhaupt jene Verirrungen des Menfchengeiftes im Stre⸗ 
ben nach dem Gebeimniffe der Natur dienten leicht zu @tei- 
gerung ter Gelüſte, zugleich aber auch ihnen eine Form zu 
geben und die Mittel der Befriedigung. Die Form war über 
dem leicht den bacchiſchen Feſten Der alten Welt entlehnt: 
Staat und Kirche der Gegenwart aber gewährten keinen Bor 
den, und das Dunkel der Nacht mußte bie Einfamkeit des 
Schauplatzes müfter Orgien noch verfchleiern, wohin man ben 
Gegenitand der Begier zu verloden trachtete. Der TJeufel 
en damals in großem Anſehen. Selbſt die Sallerin hielt ihn 
ür den eigentlichen Herrfcher der Belt, fie debucirte dad dem 
elehrten Sefuiten Zaferner fogar ans ‚dem Vaterunſer: es 
—* daher nicht auffallen, daß er bei geringern Weibern 
fehr mächtig war, wenn er in Prieſtergeſtalt winkte. Das 
Alles mag nun. damals in Steiermark fo geweien fein. Doch 
zeigt der Herenunfug fo mancherlei Formen, daß wir nicht an⸗ 
nehmen dürfen, er fei lediglich aus der Verſunkenheit der 
Prieſter in dem oben angegebenen Sinne hervorgegangen, oder 


aber der „Malleus maleficarum’ wäre ein noch größeres Ber 


brechen am gefunden Menfchenverftande als er ed an fich ſchon 
ift, da er, von einem Priefter geſchmicdet, nicht die Prieſter, 
fondern deren Opfer zerichmetterte. Der be an Hexen iſt 
überdem Jahrtauſende älter als das @ölibatgefeg und beffen 
Folgen, welches überdem im proteftantifchen Deutfihland, eben⸗ 
falls von Scheiterhaufen durchlodert, ohne Geltung war. Die 
Derenprocefie waren eine Peſt der Zeit überhaupt, aber dem 
Berf. gebührt das Verdienſt, an eine Quelle derfelben erin- 
nert zu baben, welche bisher wenig beachtet worden Äft. 

Die Gallerin ftarb am 12. Fehr. 1672, den Tod fürd: 
tend, ohne des in magifche und kabbaliſtiſche Kreiſe gebannten 
Lebens froh zu fein. Noch am Tage zuvor misbrauchte fie bie 
Bibel, dielleicht der katholiſchen Frau zu leſen erlaubt, um 





irgenb einen bie drückenden Sterbegedanden zerftteuenden Xert 
mit einer Nadel herauszuſtechen: aber auch das heilige Buch 

iat ihr die Zahl „„zweiundficbenzig‘, Thon Jahre zuvor als 
date Zahl von einer Zigeunerin ihr verlündet. Einen Grab⸗ 
flein wollte fie nicht, und die Pietaͤt der Tochter gehorchte. 
Diele farb fon vier Jahre nach dem Toͤde der Mutter. Der 
ältere Sohn, zur Freude der Jeſuiten ein Wüftling, folgte 
ihr; der Züngere, fehon bei der Geburt dem geiftlichen Stande 
verpfändet, war cin willenloſes Werkzeug in den Händen ber 
Sefuiten, und fein Vermögen dem Bau und der Dotirung eis 
ned Gymnaſiunis zu Marburg gemwitmet. Der Stolz der Sul: 
ferin, die Rieggersburg, mußte von den Iefuiten, nad) weit: 
laͤufigem — die Habſucht des Ordens und die Mittel, 
fie zu befriedigen, offen u Tage legend, durch einen Erben 
böhmifcher ‚Linie um 50,000 Fl. geloͤſt werden, und damit iſt 
das Leben einer Frau abgefchloffen, die nur gekommen zu fein 
fıhien, um als die Legt: vom Gefchlechte der Wechsler und 
aller über ihrer Beit zu ftehen, ohne doch die Feſſeln derfel: 
ben abgeftreift zu haben. 

Die Urkunden, für deren Abdruck vom Verleger eigens 
ſchwabacher Schrift Herbeigefhafft worden ift, ‚dürfen, wie: 
wol fie einen wahrhaften hiſtoriſchen Schag darbieten, nur 
kurz berührt werden, da fie der Tendenz diefer Blätter weni: 
ger als einem rein biftorifhen Organ fich eignen. Wie es 
aber im Allgemeinen Pflicht ift, den Hiftoriter auf diefen 
Schatz, welhen er bier vieleiht nit ſucht, aufmerkfam zu 
madyen, fo muß bier der Werth defjelben für Kenntniß zu» 
nächft der Sprache und Sitten, bes Rechts, des Policei, über: 
haupt des Eulturzuftandes ihrer Zeit hervorgehoben werben, 
wie denn fihon der Verf. im Vorwort die ganze Sammlung 
richtig als reihen Stoff zu einem Gloffar des Oberdeutfchen 
im 17. Zahrhundert bezeichnet. In diefer Beziehung ift gleich 
die erfte Urkunde im erften heile, „Gerihtözeugbrief des 
Landmarfchalls von OÖftreih vom 16. Mär; 1865”, ein hoͤchſt 


merfwärdiger Beleg für bie Zhatjache, daß die Sprache im 


Laufe der naͤchſten drei Zahrhunderte fich nicht fortbildete. 
Wie nun diefe Urkunden meiftentheits Kauf und Verkauf, 
Rechte und Gerechtigkeiten, Heirathen und Todesfälle, über: 
haupt folge Gegenſtaͤnde betreffen, bei welchen ein Contracts⸗ 
verhälmig in Frage kommt, die aber zugleich Plare Blicke in 
befondere @igenthumlichfeiten des Orts und der Zeit gewaͤh⸗ 
ren, fo find doch manche berfelben bier noch befonders hervor: 
zubeben. Dahin gehören: 

Im erften heile. Mr. 104. Zeitungsnachrichten vom 
Dec. 1648 und San. 1649, alfo zur Zeit des Weſtfaͤliſchen 
Friedens, auß einem großen Theile von Europa. Nr. 105 
107. ſtreichiſche Untertbanen, welche binnen Jahresfriſt fich 
nit zur Patholifchen Kirsche bequemen, follen das Land ver: 
laſſen; die adelige minderjährige Jugend aber foll im Lande 
erhalten werden. Demgemaͤß veverfirt fih Regina Globiger 
mit Leib, Gut und Blut, ihre außer Land geführten Kinder 
auf erftes Begehren wiederum zu ſtellen. Rr. Ill. Inventa> 
rium der Berlafienfchaft diefer Frau, intereflant ſchon wegen 
der beigefügten Preife. Nr. 112 — 113. Zwei Briefe des 
Doctors Apoſtoli, welcher der Gallerin eine Eur verordnet. 
Nr. 130. Auszug aus dem Inventar über den RNachlaß des 
Freiheren Galler. Rr. 131. Katalog der Galler ſchen Biblio: 
thek, welcher viele Iutherifche Impressa enthält. Nr. 132. Eine 
Suchbinderrechnung. Nr. 149—227 betreffen den merkwuͤrdi⸗ 

en Proce$ wider den Hauptpfarrer Strobl, worunter Nr. 169-— 
70 Beugenausfagen wider den Pfarrer umd deffen em 
Kr. 173. Klagſchrift deifelben wider die Gallerin. Nr. 185. 
Merkwürdiges Schreiben des Richters zu Feldbach an die Kö- 
in. Re. 19%. Eingabe der Gallerin zur Vertheidigung ih⸗ 
res Büchfenmeifters. Nr. 198. Die 25 Beicgwerdepunkte der 
Gallerin wider Strobl. Nr. 199. Deffen Vertheidigungsſchriften 
befonder6 hervorzuheben find. Wr. 243. Ein Stammbud 
aus den Jahren 1633 — 44, in welchem wir manchem guten 
Sprüdjlein und mancher Rotabilität jener Zeit begegnen. 


- den die 


Im zweiten Theile. Mr. 3 — 5. Blutiger Streit wegen 
nicht völlig eriegten Kaufſchillings. Nr. 6. Baareurechnun 
für die Freiin Galler vom Jahre 16%. Nr. 43. Verglei 
zwiſchen der Gallerin und Strobl wegen Gewaltihätigkeiten 
und mehr als 20 Proceſſe. Nr. 67 — BA betreffen die Ser: 
wäürfniffe mit dem Pfleger Grattenau. Xr. 105. Ein Anſchlag 
der Werb- und Rüſtungskoſten von zwei Regimentern Fußvolk 
zu 1500 Mann. Wr. 106. Koftenanfchlag der Ausrüftung und 
Beftallung der ftehenden landſchaftlichen Mannſchaft mit der 
Aufbringung bes dreißigfien Mannes. Rr. 117. Schreiben Kaifer 
Leopold’ an den Grafen Brinyi. Nr. 115. Dedgleihen an den 
General Grafen Leslie, mit deſſen Operationen gegen die Tür⸗ 
Ben der Kaifer nicht zufrieden iſt. Nr. 119. Antwort bes Gra⸗ 
fen Leslie auf dieſes Schreiben. Rr. 120. Verhaltungsbefehl 
beffelben für das Benehmen feines Weiters bei Hof. Rr. 157. 
Beichwerdepunfte der Gallerin wider ihren Gemahl Hans Rus 
bolf von Stadl, um die Scheidung von ihm zu erlangen. 
Nr. 164, Klagſchrift Grattenau's über erlittene Mishandlung 
vom Freiberen von Yurgftall. Nr. 165. Replik des Letztern 
auf die Klagfchrift- 

Das Urkundenbuch des dritten Theils gibt ın 139 Nums 
mern die Verhandlungen bed berüchtigten Derenproceffeh von 
Feldbach; eine wahre Yundgrube für Juriften, Theofogen, 
Phitofophen und den gefunden Menfchenverftand. Das größte 
Unglüd für die alten Weiber war ein Unwetter, weldyed bie 
Gegend heimſuchte und von ihnen gemacht fein follte. Die 
peinlihe Frage vermochte fie, das Wettermachen einzugeftehen. 

Damit nehmen wir Abſchied von einem Bude, welches 
Genuß und Belehrung in einem Brade gewährt, wie das nur 
von wenigen Werfen der Gegenwart zu fagen if. Wenn wir 
und auch vom Standpunkte ber Kunftpbilofophie aus mit dem 
Verf. nicht eigentlich einverftanden erklären: fonnten, fo moͤch⸗ 
ten wir doch wünſchen, daß begabte Hiſtoriker durch dieſes 
Werk fih zu ähnlichen Productionen anregen ließen. Dann 
wäre Ausficht vorhanden, daß die Geſchichte nach und nad 
lebendig, mehr und mehr dem Volke zum Bewußtfein gebradht 
und damit zum Eigenthum defielben erhoben würde. Kur ba, 
wo die Gefchichte, die Chronik, die Sage lebt, lebt au das 
Boll, und nur da werben wir Patriotismus finden, wie 
er allein dem Einzelnen wie dem Ganzen frommt, aber verge- 
bens von Kanzeln gepredigt und in Ausſchreiben receptirt 
wird. In dieſer Beziehung gibt auch fchon die Vorrede de6 
Buches beherzigenswerthe Winke. 18, 





Ziterarifhe Notiz aus Frankreich. 


Nodier's Werke. 

Der liebenswürdige Schriftfteler Charles Nodier hat, ob⸗ 
glei) ex immer als bedeutende literarifhe Autorität betrachtet 
ft, doch niemals als Dichter die Geltung und Anerkennung 
gefunden welche ihm gebührt. Seine größern novelliftifchen 
Produrtionen waren viel zu hoch, als daß fie dem Geſchmacke 
des Publicums, das, wie Nüdert fagt, gar nicht wählerifch 
ift wie die Biegen, hätte zufagen koͤnnen, und felbft feine Mei- 
nen luftigen Gompofitionen find in einem Stile gefchrieben, für 
enge Fein Berftändniß hat. So find denn feine dich⸗ 
terifhen Werke nur folchen Raturen an das Herz gewachſen, 
welche für feiner organifirt gelten Fönnen. Wer fie aber ein- 
mal lieb gewonnen hat, ber iſt auch durch den garten Sinn, 
in dem fie empfangen find, und ben buftigen Hau, der über 
der ganzen Darftellung ſchwebt, um fo mehr gefeſſelt. Den 
Kreifen, in denen der Name Nodier wirklich populair ift, wird _ 
in einer Sammlung ausgewählter Erzählungen aus feiner Feder 
eine erfreuliche Erfcheinung geboten. Diefe Auswahl hat u. d. X, 
„Contes choisies” zu erſcheinen angefangen. Die Ausflattung 
ift anfpredgend und geſchmackvoll, aud fehlt es nicht an bem 
üblihen Illuſtrationen, weide ge wenigftens nicht wie in fo 
vielen Fällen an umvürdige Stoffe. verfchwendet find. 1. 


Berantwortlicher Herausgeber: BSeinrich Brockdans. — Drud und Verlag von F. X. Wurdhans in Leipzig. 


Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Dienftag, 


28. April 1846, 





(Beihluß aus Nr. 117.) 

Mit derfelben Leichtigkeit die wir fchon oben ange- 
merkt geht der Verf. über Mirabeau’s Berhalten zu 
Reder hinweg. Jener hatte die bekannte Unterredung mit 
Diefem gefodert, weil er für feine Pflicht hielt Alles dar⸗ 
anzufegen, damit dem drohenden Umflurz der Monarchie 
gewehrt werde. Dahlmann erzählt den Ausgang ber Un- 
terrebung ganz gleichmüthig ; von feinen vielen edigen 
Worten hat er auch bei diefem Anlaß Fein einziges für 
Mirabeau, obgleich die perfönliche Gereiztheit deffelben, 
der er ben großen angelündigten Zweck wilb aufopferte, 
fo geringfügig war! Noch Peiner aber als dieſe war 
feine fpät genommene Rache an Neder; ale nach deffen 
Nüdberufung die parifer Commun auf feine Fürbitte 
eine Amneftie und Freilaſſung der Gefangenen bewilligt 
hatte, betrieb Mirabeau bei den Wählern feines Bezirks 
die Aufhebung diefes Beſchluſſes. Bon foldhen Dingen 
ift in dem Buche nichts zu finden ; fie möchten, bei ber 
Gedrängtheit deffelben, immerhin fehlen, würbe nur burd) 
diefe Mangelhaftigkeit der Hiftorifhen Erkenntniß keiner⸗ 
lei Eintrag gethan. 

Wenn unwiderſprechlich wahr ift, daß Mirabeau nicht 
durch den Makel, den er aus feiner Vergangenheit mit- 
brachte, fondern vornehmlich durch die Blöfen, die er fich 
während feines politifcden Lebens felbft gab, die Macht 
feiner Einwirkungen gebrochen, das Vertrauen verfcherzt, 
und die Rettung bie feine Aufgabe war nicht durchzu⸗ 
fegen vermocht bat, fo folgt baraus, daß ber Geſchicht⸗ 
fihreiber das Kleine, das an diefem Charakter war, mit 
nicht geringerm Nachdruck ale das Große bas in feinen 
Zähigkeiten lag hervorzuheben haben wird; denn das 
Eine war Hiftorifch nicht minder wichtig als das Andere. 
Auch find die übrigen bedeutenden Dlitglieder der Na- 
tionalverfammlung gegen Mirabeau nicht fo weit zurück⸗ 
geftellt gewefen als die geringe Beachtung, die fie in bem 
Buche finden, glauben machen kann. An Umfang und 
hinreißender Gewalt der Beredtfamkeit und an politifchem 
Derftande war ihm Keiner vergleichbar; die fittliche 
Würde und Haltung aber, durch welche fie für immer 
denkwürbig bleibt, "verdankt die Nationalverfammlung 
andern ihrer Mitglieder, deren Einfluß fletiger, wenn- 


glei minder glänzend war. Die einflußreichfte aber 
aller Mächte, weiche auf die Nationalverfammlung ge⸗ 
wirft haben, der öffentliche Geiſt ift in bem Buche gar 
nicht in Anfchlag gebracht. Niemand kann glauben, daß 
Dahlmann dieſe Macht geringfchägt, aber gewiß ift, daß 
er fie als foldhe in feinem Werke ignoriert hat. Die 
Nation fpielt darin eine geringe Rolle; wie fie vorberei- 
tet war, die Mevolution zu empfangen, was fie, im 
Sanzen und Broßen genommen, gewollt und gebacht hat, 
ob und wie weit ihre Vertreter fie wirklich ‘vertreten, 
ihre Organe für fie gefprochen und gehandelt haben, ob 
ein richtiges oder falfches Verhaͤltniß zwiſchen Beiden 
obmwaltete, wie es innerhalb der verfhiebenen Stände um 
bie politifhen &efinnungen und Ginfichten ausgefehen, 
über dieſe und biefen nabeliegendbe Dinge erhalten bie 
Lefer des Buche einen Aufſchluß. Was außerhalb ber: 
Sphäre ber formell conftituirten politifchen Gewalten ge- 
ſchieht, dafür bat ber Verf. nur fparfame Aufmerkfam- 
feit bewiefen; überhaupt auf diefenigen Erfcheinungen, in 
welchen ſich der herrfchende Geiſt ber Nation, ber Ein- 
fluß der längft verbreiteten Ideen, Bürgermuth und Tuͤch⸗ 
tigkeit am unmittelbarften ausgefprochen, wenig Werth 
gelegt. Selbft die Nationalverfammlung ift nur nach ih⸗ 
rer parlamentarifchen Thaͤtigkeit, vornehmlich inſoweit 
als Mirabeau fie beherrſcht hat, geſchildert; ber große 
begeifterte Sinn, von bem fie für die Erhabenheit ihrer 
Zwecke durchdrungen war, ift nicht gezeichnet; die Feier⸗ 
lichkeit des erften Zufammentretens, die hohe Freudigkeit 
womit die Beftgefinnten ſich voll Hoffnung und Zuver⸗ 
fiht verfländigten, dies Alles, was bei der Beichäftigung 
mit der Revolutionsgefchichte Leidenſchaften ebler Art zw 
erregen geeignet ift, erfährt geringe Beachtung. Das 
Wort Mirabeau’s, bei welchem ber Verf. wie oben an« 
geführt fagt: das war die Revolution, war groß; aber 
der Schmur im Ballhaus war größer. Diefer Act be 
zeichnet die Zeit, jener nur ben einzelnen Menfchen. 
Daß Mirabeau beim Beginn ber Generalftände ein 
Journal zu fchreiben anfing, verfäumt ber Verf. nicht 
anzuführen; daß aber, als dies Journal verboten wurde, 
die Wähler im Stabthaufe ihre Arbeiten unterbracdhen, 
um durch förmlichen Beſchluß gegen dies Verbot ale ge- 
gen einen Angriff auf die öffentliche Freiheit zu prote- 
ftiren, ſolcher bezeichnenden Thatfachen iſt nicht erwähnt; 





430 


fie find uͤberall, wie unwichtig, bei Geite gelaffen. Und 
was ben Einfluß der Ideen betrifft, fo zeigt fich bie ge⸗ 
ringe Neigung bes Verf. für die Darſtellung deffelben 
am bdeutlichften da, wo Discuffionen wie bie über Gr- 
Plärung ber ee t Space kommen. Hat 
Dahlmann in einer Ställe — Buchs den Jeitpunkt 
fitirt, bis zu welchem „die vielverklagten Speculationen“ 
eine Schuld tragen, fo fcheint, es wäre auch ber andere 
Zeitpunkt zu bezeichnen geweſen, an welchem biefe Spe- 
eulationen anfingen ihre Wirkung zu thun. Der Verf. 
erinmert, daß bie Rationalverfammlung an ber Befchei- 
denheit ber Natur habe ein Mufter nehmen follen, „wel⸗ 
che niemals von unvolllommenen Bildungen dur eineu 
Sprung zu den vollfommenften übergeht”. Wenn Dem 
fo ii, fo ſeeht man wicht, wie es fich mit folcher Lehre 
venträgt, daß der Berf. an einer anberm Stelle feines 
Buchs ven Grundfag „allmäliger” politischer Verbeſſe⸗ 
rungen als das „Wiegenlieb bes Hofes“ verfpottet. Viel⸗ 
leicht Dachte die Nationalverſammlung, als fie auf eine 
GrBärung dee Menfchensehhte drang, daß es gerathen 
fei von Grund aus zu bauen, flatt nur auszubeſſern, 
warin fie Eines Sinnes mit dem MPerf. gewefen wäre, 
welcher, nicht minder abſolut gefiimmt, am jemer Stelle 
ausſpricht: „Die Entmwidelung eines baufälligen Hauſes 
iſt ſein Umſturz.“ Mirabean, ein Gegner ber Erklärung 
der Menfchenrechte, ungefähr aus benfelben Gründen 
weiche Dahlmann mit allen empirifhen Staatsmaͤnnern 
Dagegen aufbringt, kam bekauntlich hennoch mit einem 
Entwurf diefer Rechte zum Berxfchein, deſſen erſter Ar⸗ 


tikel wit den übel angeſchriebenen Worten anfängt: „Alle: 


Menſchen find frei um gleich geboren u. ſ. w. 
Mirabeau, ber nicht mie Robeipierre war, den er 
verſpottete, weil er am Alles glaube was er fage, mochte 


überdies wol audi gefühlt haben, weiche revolutionnaixe 


Kaft damals in einer ſolchen Erklaͤrung allgemeiner 
echte Ing. Es Hilfe bier Leine, auch nicht die gegrün- 
detſte Kritik, nicht bie beſonnenſte Unserfcheidung bes 
Moͤglichen und Unmoͤglichen; das Bedürfniß der Ver⸗ 
nunft auf das Allgemeine zurüdgugehen bleibt unab⸗ 
weislich und macht fich jeden Augenblick gegen das nur 
geſchichtlich Beſtehende gelten. Die Praris der auf das 
Auafühebare gerichteten Staatsmanner wirb niemals bie 
Volber begeiftsen; we «6 anf dieſe Begeiſterung ankommit, 
mirb die Berufung auf allgemeine Ideen, wenngleich fie 
ein ımeerveichbase® Ziel. verhalten, und vielleicht eben dar» 
ums allein, von etgreifender Wirkung. fein. Bei der Dir 
cuffion über bie Deenfchenzechte kamen die Brundgeban- 
ten der Zeit, in been das Geheinmiß der gewaltigen 
Wirkung des damaligen Frankreichs auf had gefammte 
Europe lag, zum Borſchein; man fah mas die Franze⸗ 
fen bewegte, wie fie noch etwas Anderes unb Umfaſſen⸗ 
deres mollten ale nur bie Abfchaffung von Misbräuchen, 
Prinilegien, abfolusen Regisrungsformen; es zeigte ſich 
udem, wel cin allgemein civiliſirendes Glement in der 

ation liegt. Duport fagte: „Ed handelt ſich um eine 
Erklaͤrung weiche auf alle Menfchen, alle Nationen An⸗ 
werbung, findet; biefe Crklaͤrung zu geben habt ihr euch 





Angefihte des ganzen Buropa verbindlich gemacht. ” 
Diefe Discuffion, wenngleih in gewiffem Sinne aller- 
dings „unerquidiich”, ift dennoch die Ehre ber National- 
verſammlung. 

Kann der berühmte Verf. auf alle dieſe Ausſtelun⸗ 
gen mit gutem Nechte erwibern, daß er bie Geſichts⸗ 
Punkte von benen fie ausgehen nicht anerfennt, daß er 
feine eigenen und nit fremde Imede im Auge: gehabt 
unb daß er bei der Gedrängtheit der Darftellung, die er 
fich vorgefegt, aus dem gefammten Soft Dasjenige her⸗ 
ausgehoben, was ihm felbft und nicht Das mas Ankern 
als das Wichtigfte erfchienen fei, fo iſt um fo weniger 
mit ibm zu rechten, als Das, mas er gibt, in meiſterhaf⸗ 
tefter Weiſe gegeben ift. Nur ein Mann von anerfann- 
ter Perfönlichkeit, welcher fühle und fühlen barf, daß x 
den Seinigen im Vaterlande, für die er ſchreibt, etwas 
bedeutet und daß er von ihnen gehört wird, vermag zu 


der fertigen Sicherheit zu gelangen wit welcher dies 


Buch gefchrieben ift; nur ein folder hat ben Vortheil, 

ftine individuelle Gigenheit in den Gegenflanb werfen 

zu Sonnen, fo fehr ohne Schaden für diefen, daß viel⸗ 

mehr das Intereffe an bemfelben durch jene Verfchmel- 
zung für bie meiften Lefer nur noch erhöht wird. Se 

mehr das Buch freilich durch diefs individuelle Haltung 

mit baldigem Meralten bedroht erfcheint, um fo inten- 

— wird es auf die Gegenwart zu wirken die Macht 

haben. 62. 


— — 1 


Titles of honour. 


&o überfärieben enthielt das „Hdinburgh journal‘ vor 
einiger Zeit einen gang hubfchen Auffag über Ehrentitel, en 
zwar ſchon oft dageweſener, aber immer anzichender Gegen⸗ 
ftand. Hier ein gebrängter Auszug: 

‚Bilde Bölker willen nichts von Bamiliennamm. Man 
nennt fi) bei Ehrentiteln, bei Schandtiteln ober bei Titeln nach 
irgend einer individuellen Eigenſchaft. Ein tapferer Dann 
heißt vieleicht der Löwe, ein yraufamer ber Figer. Solche 
Titel, zumal wenn fie Lob oder Achtung ausbräden, werden 
von bem Wilden mit ebenfo viel Stolz geführt wie in Guropa 
der Herzogs: oder Marquistitel. Sie gewähren eine Auszeich⸗ 
nung, die Behorfam und Unterwürfigkeit Seiten des Stammes 
und bei Zeiten den Ehrenplag ge Folge bat. Siemlich wie 
im modernen ciwiläfirten Leben. Ba werben die Betitelten auch 
von ber Schar der Unbetitelten eifriaft aufgefucht una fetirt. 
Nur findet zwifchen den Ehrentiteln der Barbarei unb denen der 
Civilifation der Unterfchieb ftatt, daß fie dort allein durch Tha⸗ 
ten zu erlangen find, verdient werden müflen, was bei den 
modernen Auszeihnungen nicht immer der Ball.... In der 
foriaten und politifhen Berfaffung neuerer Staaten Mind alle 
Ehrentitel der Ausflug von Amtern. Biele der letztern find 
ei ngen, erftere geblieben. So bei ben fünf Rangorduun 
gen der britifchen Pairie ſammt der Baronetd» und der Ritter- 
würde. Unfer Herzog, Marquis, Graf, Viscount, Baron, Bas 
ronet und Ritter befleidet gegenwärtig Eein feinen Xitel bes 
Dingendes Amt. Anders iſt das in einigen Theilen Deutfchlanbe. 
und bei ben Wölfen des Orients. Milob der bochſte aller Zitel, 
der des Königs oder Herrſchers, iſt ſtets mehr als. Ehrentitel 

eweſen, dafür aber auch, wie zu erwarten, mit den ausſchwei⸗ 
endften Superlativen ausgeftattet worden. Das befonderd im 
Orient. Die Shineſen erachten ihren Kaiſer für ded Himmels 
alleinigen Stellvertreter auf Erben. Daher. feine Qitel: Eohn 
das Dimmels — Behrtaufend Sabre. — Bmnsdıy der Zone — 








7% | Ä 


Geufin: genache des Menbıt — Beeier aler Biere... Die | 
nicht geringer. Gr menme ſich: 


des Schah von Perfien find 
Hide Ring — Beherrſcher des Untverfums — Phbnie des 
a — Shoe unfberblichen Wohlfens Gene Beamten 
dhmen das na. So fügt der Statthalter von Sthtras feinen 
amtlichen Würden bie wohlriechenden Gleichniſſe Bei: Blume 
Der Autigkeit, Nuskatennuß des Aroſtes und Rofe der Wonnt... 
Der türfifhe Sultan ſtellt fi) neben die Gottheit, und ber 
ehrliche Schelm, der tm laufenden Jahrhunderte Mühe genug 
chabt hat, die eigene Krone auf dem Haupte zu behalten, 
Phreibt fi: Berfüger über alle Kronen. ... Die Könige von 
anien warm 18 fo mit Titeln beladen, daß Philipp III. 

1 befahl, ihn blos el rey, nuestro seior zu nennen — der 
König, unfer .... Dur das eigenthtimliche fpanifche 
Beudalrecht geſchah es oft, daß viele kleine Güter in den Be 
fig Eines Mannes kamen, der die Namen derfelben dem feini- 
en anbing. So erzählt man, daß eines Abends ein verirrter 
Send an die Thuͤr eines abgelegenen Gafthofe geklopft und 
af die übliche Frage: Quien es? wer da8 geantwortet: «Don 
ego de Mendofa, Silva Ribera, Guzman Pimentel, Dforio 
Ponce de Leon Zuniga, Ycuna Tellez y iron, Sandoval y 
Moras, Velaseo Man». Worauf der Wirth, das Zenfter zu: 
werfenb: «So geht eurer Wege, ich habe nicht für die Gälkte 
von euch Plagy.... Die Deutihen hängen mit der hart 
nädigften Zärtlichleit an aller Art Ziteln und führen deren 
oft ohne das geringfte Recht dazu. Biele echte Titel ind käuf⸗ 
lich und manche erworbene Ländereien, mit deren Beſit ein 
Zitel verknüpft if. Jene Käuflichkeit übertrifft Alles, was in 
der Hinfiht in Frankreich unter dem cortupteften r&gime 
ftattfand. (9!) Eine ganz gewöhnliche Ehrenbenennung ift 
Seheimerath. Aber die Wenigften haben ein Recht ſich fo 
zu nennen, weshalb-Diejenigen, die es haben, ein Wirklich an- 
ängen.” (Pac true after the designation. ft alles Das 
nicht fehr fpaßpaft?) „Jeder Menſch fieht ungeheuer darauf, 
bei feinem Aitel angerebet zu werben. Jemand wie in Eng» 
fand mit Mein Here anzureden, grenzt unmittelbar an bte 
Injurie. Man fol fein Amt, feine Würde ausfindig machen. 
Der allergemöhntichfte Jitel iſt Rath. Der Architekt ift Bau- 
2 dee Advocat Juſtizrath, und wer gar nichts iſt, ſucht 
Hofrath zu werden, ein Titel, der wieder nichts bedeutet, da 
er Solchen zufaͤllt, die nicht in der Stellung, am Hofe 
u rathen. Der Srofeflorstitel wird kaum minder ftarf gemis⸗ 
—88 Man thut in Deutſchland beiweitem klüger, über 
die Gebühr Hohe als unter ber Gebühr niedrige Titel beizu⸗ 
legen, und daher kommt ed, daß ein Engländer oft zu feiner 
großen Betmunderung Herr Graf und Eure Gnaden angerebet 
wird. «Ber in einem öffentlihen Amte ftebt», jagt Ruffell in 
feiner «Reife duch Deutfchland», «und wäre er ein Vicefuper- 
numerarfchreiber mit Iumpigen 40 Pfund jährlih» (?! an 
230 Ihaler), «der will das Vergnügen haben, nicht bei feinem 
Namen, ſondern bei feinem Zifel angeredet zu werden.» Die 
Dom bleiben in ihren Xitelanfprüdhen nit zurüd. @ine 
Frau verlangt den Zitel ihres Mannes mit weiblicher Endung. 
Alfo Frau Gereralin, Frau Geheimeräthin, Frau Buchhalte⸗ 
rin u. f. w. Es begreift fith, daß diefe Titel bismeilen zu 
einer unausfprechbaren Länge anwachſen. Welche Sumulhung 
3. 3. für die Sprechfaͤhigkeit eines Ausländers, eine Dame 
als Frau Oberconfiftortaldmertorin anzureden!”... 
„Auf dem Gontinente ifk Die guoße weng Titel Urſache, 

daß ſie den Inhabern wenig Anſehen geben. Anders in Eng- 
land. In England wird das koͤnigliche Vorrecht, Ritter und 
Edelleute zu creiren, mit feltenen Audnahmen beiweitem um: 
fichtiger geübt als fotches von benachbarten Fürften geſchehen 
E und noch gesicht, Um fo Höher werden baher die der 
inen Zahl Ausgezeichneter ertheitten Ehren gefhäpt. Dazu 
kommt, daß, weit das Gefühl der Loyalität nirgend fo heiß 
und auftichtig wie in Großbritannien, nicht blos die Quelle 
der. Ehre, fondern auch die daraus abfließenden Ehren In hoher 
Achtung ficken... Der. Pringentitel gebührt bier zu Sande 


nur den Soͤhnen und Weſſen von Aigen... Erſter 
par Eduard, der ſchwarze Pe a Er wurde zum Se 4 
Cornwallis ernannt, ein Ehrentitel, melden ſeitdem 
nigs aͤtteſter Sohn bei eehgeiten feines Vaters geführt hat, 
wethalb er in der Sprache der Heraldik Aux natus heißt, ge 
borener Herzog. Rad ihm gab es viele duees creatl, zu per 
zögen Ernannte mit dem Rechte, ihre Litel auf ihre Nachkom⸗ 
mem zu vererben. Unter Eliſabeth 1572 erloſch die Würde. 
Ein halbes Zahrhundert fpäter erneuerte fie Jakob, indem er 
feinen Sünftling George Billiers zum Herzog von Budingham 
mahte.... e Söhne der Yairs von Großbritannien und 
Irland haben formel einen Adelsrang. Aber par courtoiste 
führt der ältefte Sohn den zweiten Titel ber Familie, dafern 
fie einen dat, und die ‚jüngern Söhne heißen Lords, voraus- 
gefegt daß der Vater mindeftens Graf.... In zweiter Rang» 
ordnung fteht der Marquis. Er erhält has rädicat «most 
noble», obfhon nah Vorſchrift der Heraldif ihm nur «most 
honourable» gebührt. Mon allen Ehrentikeln ift der eines 
Grafen, earl — vom fähfifhen eorl — der ältefle.... Nach 
ber normannifhen Eroberung nahmen die earls den franzöfi- 
fden Ramen counts an, legten ihn jedoch Bald wieder ab. 
ER HH heißen ihre Bezirke noch heute counties und ihre 
Gemahlinnen countesses. Bald überhoben fi) die earls 
der Beforgung der Graffaftsangelegenheiten und beftellten 
dazu einen Beamten, mit dem Zitel vice comes. Daher in 
vierter Rangordnung die viscounts.... Die Gefchichte und 
Etymologie der in fünfter Drdnung rangirenden Barone liegt 
ſehr im Dunkeln.... Die Frauen und Zöchter fämmtlicher 
Pairs haben an den Ehrentiteln der ihnen zunaͤchſt Stehenden 
bald mehr bald minder Theil, außgenommen Die weiblichen Un: 
gehörigen ber Prälaten, die ſchlechtweg Mißreß und Miß heißen. 
Saͤmmtliche Pair, mit Ausnahme «ihrer Guaden» der Her 
jöge, werden «my Lord» angeredet. (Daher der fo Tächerliche. 
Pudel in deutſchen Schriften, «Mylorb» ftatt «mein Lord» oder 
blod «Lord» zu fagen.).... Der nächte Schritt abwärts auf der 
Leiter der Hofrangordnung bringt aus ber Pairie in Die Bas 
ronetſchaft. Des Titel Baronet ift eine Zufammenfegung von 
Baron und der verkleinernden Endſylbe et. Alfo ein Heiner 
Baron, ein Baronchen. Der Drden wurde von Safob I. auf 
Anregung des Sir Robert Cotton 1611 geftiftet. Es ift ber 
unterfte erbliche Ehrentitel. Dann kommen die Ritter, deren 
Geſchichte in die des alten Roms zurüdreidt.... Außerdem 
gibt es den Zitel esquire. Der iſt aber nachgerade in Eng⸗ 
land ebenfo nidytöfagend geworden wie ber Geheimerathstitel 
in Deutfchland. Was bie Bezeichnung urfprünglich bedeutete, 
erhellt aus der Ableitung des Wortes vom Lateiniſchen, ecuti- 
fer, Schildträger. Unſere angefehenften Rechtslehrer haben viel 
darüber geftritten, wem eigentlich der Zitel esquire zuftehe. 
Bladftone und Cohn haben den Begenftand in Schriften be 
handelt und in einer neulichen Verſammlung zu Kenfington ift 
die Frage aufs neue lebhaft angeregt worden.” 

„Die Titel erfreuen fih bei uns einer fo hohen Achtung, 
daß es ſchon für eine Ehre gilt, mit emem Wetitelten auch wer 
entfernt befannt zu fein. Deshalb iſt des englifche Mittelſtand 
nicht mit Unrecht ein Korps Bufchjäger genannt worden. Diefe 
Menſchen haben eine Art Ehrfurcht, eine gewiffe heilige Scheu, 
nicht fowol vor den Adeligen in propria persona als vor deven 
Titten. Die Pafrie, Baronetſchaft und Bitterfchaft wiſſen fie 
audwendig und den Beinften Berſtoß in dee Wulfhrift eines 
Briefs oder beim Anreden Eines vom Adel erachten flo für 
unverzeibliche Sünde. Wir haben von einem militairiſchen Dich: 
tee gehört — er ſelbſt Lieutenant in einem Infanterieregimente —, 
der in einem Gedichte auf Waterloo eine feiner Schlachterinnerun⸗ 
gen in folgendem heraldiſchen Eouplet niedergelegt het: 

«Step forth, Lieateuant Oobden, of Her Müfeaty's hundred and 

second ſdot — step fort unto the fromt», 

Cried Major General Sir Hassey Vivian, K. C. B. — wand 

bear the battic’s bruntn». 93 


erzog 
von 
Ko⸗ 





Biblisgraphie. 


Beimfoefb, g., Die Bahrbei über den Rhythmus in’ 


den & ängen der alten Griechen. Rebſt einem Anhange über 
die Au iprung De der griechiſchen Befänge. Bonn, Henry und 
Eohen-. 


Nor. 
Leibrod, A., De Dom » Bicar und feine A 
Eine Erzählung der neuern Beit. Bivei Xheile. 
mann. Kl. 8. Ir. 
Rochlit, 8, a8 Weſen und Zreiben der Gauner, Diebe 
und Betrüger Deutſchlands nebft Angabe von Maßregeln, fich 
egen Raub, Diebflahl und Betrug zu fügen, und einem 
—** der Diebesſprache. Leipzig, Schmidt. 8. 12 Mor. 
t, 3. L., Geſchichte der Kirchen in ber Wüfte unter 
den —— Frankreichs vom Ende der Regierun ud 
wig’s XIV. an bis zur franzöfifhen Revolution. Ra 
franzoͤſiſchen Werbe des Charles Goquerel in treuem un er. 
—*2* Auszuge bearbeitet. Berlin, Enslin. 8. 24 Rar. 


Spedter, E., Briefe eines deutſchen Kuͤnſtlers aus Ita: 
lien. Aus vn na geiafte enen P2 ieren. Zwei Theile. Leipzig, 
Brockhaus. 3 Thlr. 15 Rgr. 


—R %., Die BVerbältniffe der Bevölkerung und 
ber Lebensdauer im Königreiche Hannover. Ein Beitra 
Gtatiſtik Deutfchlands. Hannover, Helwing. 4. 2Thlr. 20Ngr. 

Thaulow, ©, Die Schule der Zu unft, mit befonderer 
Rüdficht auf die Herzogthümer Schleswig und Holftein. Ein 
Bortrag. Kiel, Schwerd. Gr. 8. 9 Nor. 

Urkundenbuch des Klosters Otterberg in der Rhein- 

falz. Herausgegeben von M. Frey und F. X. Remling. 
ainz, Kirchheim, Schott und Thielmann, 1845. Gr. 8. 
2 Thir. 10 Ngr 

Vogel, E ., Die alten Chroniken oder Denkwuͤrdigkeiten 
der Sıodt und Zandſchaft Züri von den älteften Zeiten bis 
1820 neu bearbeitet. iſte bis Öte Lieferung. Zuͤrich, Schult⸗ 
ben. 1845. 3. 12 Nor 

Vries, I. de, De Eid oder Verbrechen und Gewiſſens⸗ 
biſſe. Ein Roman. Aus dem Hollaͤndiſchen von E. Wegener. 
Bwei Bände. Leipzig, Kollmann. Kl. 8. 1 Thlr. 24 Rer. 

Wang Keaou Lwan Pih Neen Chaug Han, oder die 
blutige Rache einer jungen Frau. Chinesische Erzählung. 
Nach der in Canton 1839 erschienenen Ausgabe von Slo 
übersetzt vnn A. Böttger. Leipzig, Jurany. Gr.8. 2 Thlr. 

Werl, G., Gefchichte der Chalifen. Rah Hanbfeifticen, 
größtentpeite noch unbenugten Quellen bearbeitet. Ifter Band 

om Tode Mohammed's bid zum Untergange der Dmeijaben, 
mit Einfluß der Geſchichte Spaniens, vom Einfalle der Ara: 
ber bis zur Trennung vom öftlichen Chalifate. Manheim, Baf: 
fermann. &r. 8. 6 hir. 


Zagesliteratur. 


Carus, H., Briefe an Immanuel. Spiegelbilber der 
Seit für Proteftanten und Katpolifen. 2te unveraͤnderte Auf⸗ 
lage. Augsburg, Schmid. 8. 12%, Nor. 

- Freytag, 3.4, Dr Menſch (che nicht vom Brode al⸗ 
lein. Ein Wort für die Guſtav⸗Adolph⸗Stiftung an das evan⸗ 
gelifhe Bolt und feine „Segen. 2te Auflage. Hanover, Hel: 


wing. Gr. 8, 

Grimm, $., Ei das Licht des Herrn noch immer über 
jeglichem Geiflißen Volke aufgehen müfle. Predigt. Adorf, 
Müller. Gr. 8 2) Nor. 

Knittet, 8. W., Jeſus Ehriftus ift wahrbaftiger Gott. 
Bur Beurtheilung der von Hrn. Senior Kraufe gehaltenen Predigt 
gar nd it über die Perſon Jeſu.“ Gchweidnig, Heege. 


gr 
Köhler, 2 Bwölf Predigten Dpeitweife mit Be: 
siehung auf die En Bewegungen der Gegenwart, nebft 
einem Enpange, von Selegenheitsreden. Reuftadt a.d.D., Wag⸗ 
ner. 


— — Deraußgeber : HKHeinrich Brockhaus. 


zur 


Köhler, M., Gin Bat in der Gar. 
@in Gonferengvortrag- PN Luden. 8. 
Krummader, S. D., Die Sonne vu Serechtigkeit. 
Fuͤnf Predigten über —* 4, 2. und zwei Reformations- 
sebigten vom Sahre 1817. Eiberfeid und Zeure, Rheinifche 
—— 1845. Gr. 8. 7, Rgr. 


u ar anerungeblätter aus Luther's Leben. 
Robbe, ©. F. A., Rede am 18. Februar 1846 zur Saͤ⸗ 
eularfeier des Todesſta \ Dr. M. Lutbher's. Leipzig, Barth; 
Hinrichs. Gr. 8. 2 Far. 
— — Gtammbaum der Familie des Dr. Mart. Luther. 
Grumn, Gebhardt. Br. 5. 18 Rear. 
‚, 3, Bruno Bauer und feine Gegner. Bier Eritifdge 
FE a Ireblan, Trewendt. Gr. 8 5 Bar. 
tto, E., Unbefangene Beleußtung De gittel ſchen Ans 
traqs auf Meligiondfreiheit. Ein beſcheidenes Wort zur Be: 
rubigung der Gemüther an Babend Sugoliten und Proteſtan⸗ 
ten. Karlsruhe, Madiot. Er. 8. IR 
Der papierene Papft der —e— Eine Fury Beleh⸗ 
rung für das proteſtantiſche Volk. Deſſau, Fritſche. 8. 5 Rear. 
Pätſch, H. F. W., Gedenket an eure Lehrer, die euch 
das Wort Gottes geſagt haben, welcher Ende fhauet an, und 
folget ihrem Glauben nad. Predigt bei ber geebädtnißfeier 
des Todestages Luthers. Berlin, Ameang. 8. 5 Ror. 
Die Peſtalozzi⸗Feier in Plauen, am 12. Januar 18 ver 
anftaltet dom Te Bolksſchullehrerverein. Plauen, 


en 
Meine Betbeiligung an ber Raihsberr 
zu Bade Rorbnefhiihte Büridh, Dreh — und Comp. Gr. 8. 


Riding 8, * W., Predigt für gebildete Katholiken über 
die ve ventih s Batholifche Sekte. Wieſenſteig, Schmid. Br. 8. 


2 
a H, K., Sohann Schwanewedel auf ber Segelerd- Plate. 
Oder: bie edle und a Reerfahrt am 22. Detober 1845. 
Gele, Schulze. en 2, R 

Röbbelen, U. H., Das Zurnen, eine beachtungswerthe 
Beitfenge, —7 für Hannover erörtert. Hildesheim, Finde. 

8. 2 AgE 

Rudolph, 3., Bekenntniffe. Gin Send ſchreiben Il u 
an bie fogenannten Deuiſch Katholiken bei Ba Ru Ra zur 
Batholifchen Kirche, Leipzig, Liebeskind. Gr. 8. 

Auland, I.NR., Das Beftändige im Bergängligen "ren 
jabrspredigt. Berlin, Eyffenharbt. Gr. 8. 

Schenkel, D., Die proteſtantiſche Geiſtlichkeit und die 
Deutſchkatholiken. Eine Erwiderung auf die neueſte Schrift 
von®.&. —— Zürich, Meyer und Seller. 8. 15 Rgr. 

Schmalg, M. $., Predigt zur Gebächtnißfeier ded To⸗ 
Bee M. eutper 6. Leipzig, %. Bleifher. Gr.8. 3 Nor. 

chmidt, C., Der Prediger in der Sergeit, Eine Ab: 
handlung, F* Jefus Chriſtus. Eine Predigt. Deſſau, Fritſche. 
r. gr. 
mie, Luther der Upoftel des beutfchen Volks. 
Predigt zu Dr. MR. Suter, Gedaͤchtnißfeier zu Wittenberg. 
Halle, Mühlmann. "&. 8. 3 Nor 

Schwarz, 3. €. E., Die Stimme bes Geiſtes an Mart. 
Luther's Grabe. „Prebigt. Nebft drei Beilagen. Jena, rom 
mann. Gr. 8. 5 Ngr. 

Saweiger, A., Das Pirchliche Zerwuͤrfniß des Jahres 
1845 im Kanton Waadt, mit Benugung ber Akten dargeftellt. 
Bürih, Orell, Füßli und Comp. 10 Ngr 

Schwertfeger, Der Feldzug der Seifter innerhalb der 
Batholifchen Kirche während der Jahre 1844—1846 fog. Pro⸗ 
teftantifcher Dftermorgengruß an Ronge und Goͤrres, zugleich 
als Gabe der Erinnerung an die Zeit nad Luther's Tode und 
an den Schmalkaldiſchen Krieg in den nSapren I 34 und 1547. 
Annaberg, Rudolph und Dieterici. 


— Druck und Berlag von F. X. Drockhans in in. 


Blätter 


fir 


kiferarifbe Unterhaltung, 





Die deutfche Polleei im 
Guſtav Zimmermann Zw 


ver, Shlätr. 1845. Gr. 8. 3 Thlr. 

Das Rächfte, was wir ven einer Schrife über bie 
Policei, die mit der Praͤtenſion ber Wiſſenſchaftlichkeit 
auftritt, zu erwarten berechtigt find, ift wentgflens ein 
ernſtlicher Verfuch, die Unklacheit, welche über den Be⸗ 
riff und das Wefen jenes Inſtituts herrſcht und dem 
egenftand alibefannter Klagen bilder, zu befeitigen. 
Wir können es um fo weniger vermeiden gleich von 
vornherein auf biefen Punkt einzugehen, als wir weder 
den wiffenfchaftlichen Standpunkt des Verf. der oben 
genannten Schrift theilen noch feine Behandlungsweiſe 
billigen können, und namentli der Überzeugung find, 
dag mit dem von ibm unaufhoͤrlich eingefihärften Feſt⸗ 
Halten an dem Pofitiven und der täglichen Praxis für 





Die Löfung jener Hauptſchwierigkeit nichts gemonnen 


wird. Die Praris bat freilich ihre Thaͤtigkeit nicht zu 
fuspendiren, bis bie Theorie unangefochtene und einleuch- 
tende Begriffe über Sinn und Gegenftand diefer Thätig- 
fit zur Geltung gebracht hat; gleichwol kann fie jener 
Begriffe aber dennoch nicht entbehren, indem ber Prak⸗ 
titer, der mehr fein will als geiftlofer Routinier, auch 
fiber die Bedeutung feines eigenen Thuns im Klaren 
je fein verlangt, und überdies die Tegislattve Thdrigkeit, 

e ben praftifhen Staatsmännern obliegt, ohne weitere 
und höhere Principien auf eine bedauernsmerthe, ſchon 
fo oft als fchädfich erprobte Weiſe im Finſtern tappen 
wirede. Reicht nun die Theorie nach dem Gtanbpunfte 
der Wiſſenſchaft in einer beftimmten Epoche nicht aus, tft 
fie vage und unpraktiſch, fo fol man fie verbeffern und 
nit mit einem weife unb prätentiös gehaltenen Rück⸗ 
folle auf den berbften Empirismus etwas geleifter zu 
haben meinen. Bei folhen Rüuͤckfaällen erfährt man 
vielmehr meiftentheild die Ironie, daß bie verächtiich be⸗ 
handelte Theorie genauer betrachtet body fehr anerfen- 
nenswerthe Muffchlüffe enthielt und daß bie eigenen als 
neues Evangelium eten Reiffungen hinter dem 
langft Bekannten weit zurüdhleiben. 

Allerdings ift nun bie Rechts⸗ und Staatslehre ge- 
rabe in Bezug auf die Policei noch zu feinem genü⸗ 
genden Abſchließen gekommen. Wir können biefes ohne 
ein ermübendes Durchgehen ber Literatur und fihon mit 


wentgen Zügen in bas Licht fielen. Bas vationafifil 
fe Raturrecht der Kamt'ſchen Schule, welches den 
Staat nur ale Product der Einyehwillen auffaft und 
feinen Zweck auf bie Intereſſen der Einzelnen be» 
zieht, nimmt nur den Rechtsſchut ats diefen Zweck an 
und findet dann für bie Police nur die Function, def 
fre fünftigen Verlezungen vorbeuge. Da die Police aber 
offenbar mehr thut, da fie für Sitte und Wehlfland 
forgt, fo erflärt man dieſes Mehr nur daraus, daß da- 
mit künftigen Werlegungen vorgebeugt werde. Demfel- 
ben Standpunkte gehört noch bie Lehre Mohl's an, 
weicher in ber Poltcei bie Gefammtheit aller jener ver⸗ 
ſchiedenartigen Unftalten und Einrichtungen erblickt, wel 
che bezwedien, burdy Verwendung ber Staatsgewalt bie- 
jenigen Binberniffe der allfeitigen Entwidelung ber 

lichen Kräfte zu entfernen, welche durch bie Kraft bee 
Einzelnen gar nit oder nur unvollfländig, wol aber 
durch die Anwendung ber Geſammtkraft der Burger 
entfernt werben fönnen. Pichte bat in feiner „Staats 
lehre“ ben Fortſchritt gemacht, daß er bei der Beſtim⸗ 
mung ber Policei theils Aber das bloße Verhüten, theils 
über die Rechte der Unterthanen als Zweck ber policeili⸗ 
hen Thätigkeit Hinausging. Der Staat flieht mit dem 
Unterthanen in einem gesenfeitigen Bertrage, zufolge 
deffen e8 von beiden Geiten Rechte und Pflichten gibt. 
In den Fällen, ba ber Unterthan Hagen kann, iſt das 
Berbindungsmittel zwiſchen beiden gefunden. Über Bie- 
les wird indeß nicht gektagt, und für biefe Kalle bildet 
eben bie Pollcei das Berbindungemittel zwiſchen ber 
erecutiven Gewalt und den Unterfhanen. Noch tiefes 
in das Cimeine gehende Anfichten finden ſich bei Segel, 
ber namentlich die Trennung ber Juſtiz von dee Policei 
fharf zu beftimmen gefucht hat. Im dritten Theile 
handelt Hegel unter bem Begriffe der Sittlichkeit von 
der Familie, ber bürgerfichen Gefellſchaft und bem Staate. 
Die bürgerliche Gefellſchaft enchätt drei Momente. Zu⸗ 
naͤchſt bie Bermittelung des Bedürfnifſes und die Be⸗ 
[eleeigung des Einzelnen burch feine Arbeit unb durch 
ie Arbeit und Befriedigung ber Bebürfniffe aller 
Übrigen — das Syfiem der VBebürfniffe. Dann bie 
Birkiäfeit des darin enthaltenen Algemeinen ber Frei⸗ 
ums durch die Rechte 


heit, der Schuß bed 
orforge gegen die in jenen 


pflege. Endlich aber die 


424 


Syſtemen zuruͤckbleibende Zufaͤlligkeit und die Beſorgung 
des beſondern Intereſſes als eines Gemeinſamen dur 

die Policei und Corporation. In der Rechtspflege wi 

das Allgemeine mit dem Beſondern vermittelt: das All⸗ 
gemeine, das Recht, ift aber ein befchränkter Kreis, dem 
das Wohl noch etwas Außerliches bleibt. Die Foͤrde⸗ 
rung biefes befondern Wohles Tiegt der Policei od. An 
dieſer ganzen Gliederung, an welche fich einzelne fcharfe 
und fehr beachtenswerthe Bemerkungen über bie policei- 
liche Thaͤtigkeit knüpfen, Haben mir dann den Formalis- 
mus zu tadeln, der bei Degel, namentlich in feiner „Rechts⸗ 
philofophie”, eine Losreißung ber einzelnen Glemente 
aus ihrem natürlichen Zuſammenhange und ein Einzwän- 
gen derfelben in ein ber durchgehenden logifchen Formel 
gemäßes Schema veranlaft. Gerade bei dem vorliegen, 
ben Segenftande fcheint uns die Auflöfung der den ein- 
zeinen Elementen gegebenen Anordnung befonders noth- 
wendig und folgenreih. Es ift an fi ein Verdienſt, 
daß Hegel ben Staat nicht mit ber bürgerlichen Gefell- 
ſchaft ibentificirt: bie einzelnen Unterfcheidungen unb 
Merkmale beider find aber wider die Wirklichkeit ange: 
nommen. Rechtspflege und Policei find zunächft offen- 
bar ſtaatliche Elemente und fallen mit in das innere 
Staatsrecht, in welchem bei Hegel das religiöfe Ele 
ment beiläufig, und fonft Regierung, Gefepgebung und 
fürftlihe Gewalt vorkommt. Ferner ift die Zolge von 
Familie, bürgerlicher Geſellſchaft und Staat nicht Die 
richtige. Wir finden bier eine Gliederung, deren einzelne 
Stufen einen jeden Menfchen und zwar ganz und nad) 
allen Seiten umfaffen und bie fonad nicht unpaffend 
die Grundperſonen alles menfhlihen Zufammenlebens 
genanmt find. Diefe Perfonen find indeß augenfchein- 
lich Zamilie, Gemeinde, Nation, Volt und Staat, und 
in weiterm Kortfchritte Staatenbund und endlich bie 
Menfchheit. Neben diefer Reihe von Organismen, die 
zugleich der räumlichen Abfonderung ber Einzelnen und 
Sefammtperfonen entfprechen, gibt e8 eine zweite, aus 
der Natur des Menfchen, feinen geiftigen und phyſiſchen 
Anlagen und feiner Beftimmung abzunehmende Wir 
finden hier die Sphären der Religion, der Kunft, der 
Wiſſenſchaft, der Induftrie und des Handels, und eine 
mit ber befondern Function der Gewährung bes Rechts 
bekleidete Sphäre des Politifchen oder den Staat, Ob⸗ 
gleich es zur Zeit nur erſt für das religiöfe und politi- 
ſche Element fefte Organifationen gibt, jo find doch auch 
die übrigen Elemente folder Drganifationen fähig und 
fiteben der Bildung berfelben fichtlih zu. Kommt es 
darauf an, bas Verhältnig des Staats zu ihnen zu be- 
flimmen, fo ift dieſes das ber Coorbination, und bem 
Staate kommt es zu, ihnen ihr Recht, b. i. die Ge⸗ 
fammtheit der zu ihrer Eriftenz und Entwidelung nö- 
fhigen Bedingungen zu fihen. Wie fruchtbar dieſe 


dee Krauſe ſchen Philofophie entnommene Auffaffung 


überhaupt fei, wird hier nicht nach allen Seiten bin zu 
erörtern fein, wir dürfen nur die Gonfequenzen für ben 
gerade Hier vorliegenden Gegenfland andeuten. 

Wenn wir den Staat ale die Sphäre des Rechts 


auffaffen, fo « en wir ben Wege Mecht 
ſo ni daß ana Proceſſe und Hertel bi —8 


Function des Staats wären. Wir verſtehen unter dem 


Rechte vielmehr die Geſammtheit der von menjchlicher 
Freiheit abhängenden Bedingungen für die Erreichung 
ber Bernunftbeftimmung bes Einzelnen wie der Gefell 
fhaften. In der Verwirklichung des Rechts fegt ſich 
der Staat baher mit allen übrigen Sphären der Gefell- 
[haft in ein inniges Verhaͤltniß. Er befchräntt fick 
nicht auf bloßes Behenlaffen, fondern nimmt fich alles 
Menfhlihen an und kommt der Erfüllung aller gefell- 
ſchaftlichen Zwecke zu Hülfe Nun ſtehen aber alle vor- 
bin bezeichneten Elemente ber Gefellihaft in einem ſol⸗ 
hen organifhen Zufammenhange, daß wicht nur jeber 
Ginzelne an allen Theil bat, fondern auch jeder Verein, 
jede Sphäre mit allen übrigen eng verfnüpft if. So 
ift die Familie ebenfo wie die Gemeinde aber das Bolt 
ein Mittelpunkt für Pflege des Rechts, der Kunfl, Wif- 
fenfhaft u. f. w., fo ift der Verein für Recht oder der 
Staat auch von Moral, Religion durchdrungen u. f. w, 
fo ift die Religion in der Kirche nach dem Rechte or- 
ganiftrt, mit Kunft und Wiffenfchaft verbunden u. f. w, 
ſodaß fich in dem dargeftellten Organismus jedes Glied 
mit jedem verbindet. DVollftändigkeit oder Mängel dieſer 
Organifation hängen von ber Culturſtufe und dem welt⸗ 
hiftorifchen Standpunkte der Völfer ab: in dem einer allge» 
meinen Harmonie entgegenftrebenden Entwidelungsgange 
bemerken wir aber, daß die vollftändiger organifirte Sphäre 
über die übrigen zur Führung einer gleihfam vormund» 
fhaftlihen Gewalt berufen iſt. Hiernach ift allerdings 
eine große Varietät felbft zu einer und berfelben ge» 
ſchichtlichen Epoche moͤglich, indem die Selbſtändigkeit 
ber einzelnen Gefellfhaftsfphären in verfhiebenen Gra⸗ 
den abgemeffen und von ihren eigenthümlichen Functio⸗ 
nen mehr oder weniger geradezu in ben Staat verlegt 
fein fann. Es ergeben ſich Hier die Verfchiedenheiten 
mehr oder minder centralifirter Staatsorganifationen, 
Tragen wir nun nach einer Begriffsbeflimmung der 
Policei und infonderheit nach ihrem Unterfchiede von ber 
Rechtspflege im eigentlichen Sinne, fo finden wir bier 
eine ſcheinbare Unbeflimmtheit, die ſich aus ben verfchies 
denen Erfcheinungsmeifen der Policei in verfchieden or⸗ 
ganifirten Staaten erflärt. Mit dem bloßen Rechtſpre⸗ 
chen ift bie Function des Staats, das Recht, d. i. ſaͤmmt⸗ 
liche äußere Bedingungen für die Beftimmung der In⸗ 
dividuen und Gefanmtheiten zu gewähren, nicht erfchöpft, 
denn das Rechtfprechen bezieht ſich blos auf die Falle, 
in welchen diefe Bedingungen von Einzelnen oder Ge⸗ 
fammtheiten zu leiften und diefe bei ihrem Wiberfpruche 
durch Zwang zur Leiftung anzubalten find. Viele jener 
Bedingungen werben aber durch eine allgemeine Für⸗ 
forge de6 Staat (oder der Familie, der Gemeinde) ge- 
leiftet, e8 fehlt der Natur ber Sache nach an civilifli- 
[hen Rechtsnormen für dergleichen nah Zweckmaßigkeit 
und Bedürfniß zu gebenden Leiſtungen, unb es fommf 
nicht fowol auf Foderung, Weigerung, juriflifhe Prü⸗ 
fung und Zwang als auf vorausfichtiges Anordnen an, 


Das ik das Gebiet. der Policei, welches man wiel zu 


wage beſtimmt, wenn man es auf Vorbeugungen oder 
auf Aufrechterhaltung ber Ordnung befchräntt. Diefe 
allgemeine Zürforge für Ordnung iſt ebenfo, wol wie 
das Borbeugen nur ein beſtimmter Theil jener allge- 
weinen leitenden, forgenden und ordnenden Thätigkeit. 

. (Der Befchluß falgt.) 





Miſtreß H Martineau. 
Die Anſiedler im eigenen Haufe von H. Martineau. Heraus: 


eben von W. Häring, Berlin, Buchhandlung des Leſe⸗ 


binets. 1846. 8. 1 ihr. 10 Rgr. 

. Indem ich bier ein Buch Toben will, belieba der Lefer die⸗ 
fer Anzeige auf die Unterfchrift zu achten, um von vornherein 
gegen mein Lob gewarnt zu fein, infofern ich es mir felbft 
ertbeile. Meinerfeits gefchieht «8 mit gutem Gewiſſen; es if 
an dem Lefer bed Buceb und des Berichts zu entſcheiden, ob 
das Gewiften fih von meinem Intereffe an der Sache fortrei- 
Ben ließ oder ob auch er mit gutem Gewiſſen mir beiftimmt. 
‚> Die Dichtungen, Rovellen, Parabeln, oder welchen Ramen 
man' den eigenthümlichen Schriften der Martineau beilegen will, 
Haben eine bedeutende Wirkſamkeit in ihrem Vaterlande wie 
in Amerika geübt. Uber fie erfchienen zu einer Beit, wo in 
Deutfchland die Poefte noch als eine Macht galt, deren Zweck 
eben die Poeſie war. Die Frau mit ihren moralifchen, prakti⸗ 
ſchen Zendenzen kam uns fremd auf dem Gebiete vor, wo wir 
die Begeifterung nur als berechtigt aufzutreten hielten. - Ich 
befenne, daß ic), mit VBoreingenommenbeit gegen die ganze Gat⸗ 
tung, die Erſcheinung hingehen ließ ohne fie zu beachten. 
Was follten und Dichtungen, welche zum Zwecke hatten, die 
Gngländer mit der Zweckmaͤßigkeit und Billigkeit diefer und 
jener bürgerligen Einrichtung befannt zu machen, um. fie da: 
weit zu befreunden, oder umgekehrt über die Unbilligteit und 
Ungerechtigkeit anderer ihnen das Auge zu Öffnen? Die Zeiten 
haben fich geändert, auch bei uns fing man an, die Poefie ge- 
währen zu laffen, wo fte, nach unfern Altern Begriffen, eine 
Mesalliance mit dem Beduͤrfniß und dem Rugen ſchloß. Der 
Begriff des Volles, und was für das Volk ift, tauchte immer 
dringender und mahnender auf, ſchon fangen wir an, nad 
einer Bolksliteratur uns umzufchauen und ſchon find manche 
treffliche Bücher zu diefem Zweck gefchrieben; aber die engiif 
Matrone‘, die es fehon früher gethan, war inzwifchen über: 
feben und vergeflen. 

Deutfche Erzieherinnen, bie ed ernſt mit ihrer Sache mei- 
nen, machten mich zuerft wieder auf die fremde Frau aufmerk⸗ 
fom. Sie Plagten, daß teog der Überflutung des Marktes mit 
QIugendfchriften doch noch Immer ein empfindlicher Mangel an 
tüchtigen, auf Herz, Verſtand, Moral und zugleich auch auf 
die Phantafie einwirkenden Schriften vorhanden ſei. Wo nicht 
daß albern Kindifche vorwalte, mache fich ber abgeblaßte, matte 
doctrinaire Charakter in den meiften deutfchen Büchern für die 
Jugend Luft, der aller finnlihen Anziehungskraft entbehre. 
Worum man denn nicht die trefflichen Bücher der Martineau 
we Auch da kam es mir feltfam vor, daß eine Frau, 
welche fpröde, trockene Stoffe des Altagslebens, der Fabrikthä⸗ 
tigkeit, des Handels und ber Gewerbe zu Novellen verarbeite, 
befonderß geeignet fein follte, auf Herz, Geift und Phantafle 

nferer Jugend einzumwirken. Zur felben Beit legte mir die 
Iberfegerin der „Settiers at home‘ oben genannte Schrift der 
berühmten Engländerin, mit der Bitte, de zu prüfen, und, 
wenn ich mich zu ihren Gunſten ausſprechen Eönne, mit der 
vor, fie durch ein Borwort beim deutſchen Publicum einzufüb: 
ven. Denn — die Schrift habe ohne einen deutſchen Ramen 
davor Teinen Verleger gefunden! 

Die Thatſache, daß ich die Schrift bevorwortet und heraus: 
gegeben habe, ift mein Urteil. Was nicht Alles überfegen wir, 


und die Martineau fand noch keinen Verleger, die populaire 





Büriftiekewin, beven Werke in Amerika nachgedruckt und von 
für die Volkserziehung zufammengetretenen Bereinen für Spotf- 
preife oder gratis an das Wolf ausgetheilt werben! Es find 


‚mehr wunderliche Dinge in unferer Literatur, .ald daß wir uns 


darüber fo befonders zu verwundern hätten. Es ift beffer über 
das Bergangene zu ſchweigen und das Unfere zu thun, es für 
die Bußunft beſſer zu machen. u 

. Eine Dichterin, die auf kühnen Schwingen über die Erde 


| fi erhebt, nod eine, die das tiefſte Web und bie böcfke 


Freude der Menichenbruft in ihren Dichtungen widerklingen 
dieße, ift die Martineau nicht;. auch nicht eine, welche mit bes 
fonderer Lieblichfeit und Anmuth Die wirklichen Erfcheinungen 
des Lebens malte und accompagnirte. Sie ift vielmehr eine 
etwas harte, Eurze, ‚puritanifche Frau, die auf fichern Füßen 
und mit fiherm Blicke auf ihrem Gebiet umbherwandelnd ſich 
durch glänzenden Schein fo wenig täufchen läßt, als fie töufchen 
will. Die Ertravagangen der Gemüthöwelt find ihr fremd, fie 
will nicht aufregen, fie will beſchwichtigen. So wenig fie das 
wirkliche Elend übertünden will oder die böfen Triebe befchö- 
nigen, duldet fie fih darin, die Nothzuſtaͤnde zu übertreiben 
und bie verbrecherifchen. Tendenzen noch fchwärzer zu zeichnen 
als fie find. Aber fie deckt die Verderbtheiten der Verhältniſſe 
und des Herzens auf, um auf fchlichte Weife die Mittel an die 
Hand RN geben, durch welche der Menfh im Allgemeinen und 
jeder Menih im Befondern ſich helfen kann. Obgleich Eng- 
landerin, doch entfernt von aller frömmelnden Orthodorie, lehrt 
fie das chriftlihe Sittengefeg: Laß Dich nicht des Boͤſen über- 
winden, ſondern überwinde das Böfe mit Gutem. &ie iſt in 
vielen ihrer flaatsöfonomifchen Schriften in entfchiedener Oppo⸗ 
fition mit bem Beftehenden, aber ihre Angriffe find nicht des 
ſtructiver Art. Es wäre eine zu kühne Aufgabe für eine Frau, 
chaotiſch Srund und Boden aufwühlen zu wollen, fie ift für fie 
fhon ehrenvoll genug, dem Menſchen zu zeigen, wie er fi 
und feine Rädyften aus dem Gewirr, den Irrgängen und den 
Einfturz, drohenden Ruinen herausziehen und Feten Boden 
gewinnen möge. - 

Laſſe man bdiefe auf Englands fperielle Verhaͤltniſſe berg“ 
lichen Schriften und Rovellen einftweilen aus dem Spiel, ob» 
don auch unter ihnen mehre mit befonderm Geſchick und fo 


ebandelt find, daß fie für einen allgemeinern Lejefreis von. 


Intereffe find. Uns intereffirt die Martineau jegt nur als 
Schriftftellerin für die Jugend, wie fie Sittlichkeit ehrt ohne 
langweilige Moral; wie fie, eine feine und fidhere Beobachterin 
bes Herzenb, feinen zarten Regungen, feinen Affecten nachgeht, 
deren Quellsn entdedt, und ihre Wirkungen zu lebendiger Uns 
fhaulichkeit bringt; wie unter ihrer Hand jeber Gedanke fi 
plaftifch geftaltet, wie fie immer fort lehrt und doch nie docirt; 
wie fie im Spielen ihre Spielgenoffen das Rechte finden und 
ihren Berftand durch die Degegnie des Lebens fih entwickeln 
Iäßt, inflinctartig anfangend bis zur bewußten Thatkraft. Sie 
ift von etwas harter Natur, fagte ich fehon, fie ift eine Gou⸗ 
vernante, die nicht mit ihnen rennt, fpringt und tanzt, was 
junge Mäbchen doch bisweilen auch gern ſehen, fie gebt ge 
meflenen langfamen Schritte mit ihnen fort und vermweilt, wo 
ed ihr nöthig fcheint, DaB wir uns umſehen; fie weift ihre Be 


gleitexinnen aber nicht abfichtlich darauf bin, fondern wartet, 


is der Segenftand ihnen auffällt. Dann gibt fie wol bie 
notpwendigften Erklärungen; lieber aber ift es ihr Doch, wenn 
die Jugend fie fich felbft gibt, durch eigenes Nachſinnen. "Sie 
ift eine ernfle Matrone, der Heiterkeit nicht fremd, aber — und 
diefer Fehler, oder lieber Mangel, darf nicht verſchwiegen wer⸗ 
den — nirgend Bann fie fich zur Luftigkeit beilaffen und ber 
Humor ift ihr ganz fremd. Dafür. hat fie eine andere Babe: 
während bie Reugier und Wißbegier der Jugend Rahrung er⸗ 
halt, unterhält fie und beſen durch die fehlichte, natürliche und 
fpannende Handlung auch ermachfene Leſer. Ihre Jugender⸗ 
zählungen, entfernt von allem Kindifchen und Wbernen, find 
zugleih Romane, im beften Sinne bed Wortes, die in jebem 
Refer ein edles Nachdenken erregen; und ilt bas nicht anı Ende 








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bis a — 8 dem Bad 
8 —— Mund da Brot ' das du Hager 


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Zuagend, ganz feine — —— wenn wir die Zeit uns 
verge aͤrtigen, in welcher ex entſtand. Unſere Rartineau 
aber die Aufgabe anders gefaßt und in die Moͤglichkeit, in 
die Berhaͤltniſſe überfegt, die und Allen begegnen Könnten. 
Kinder, auf einer Mühle in der Niederung, von einer 
wemmung betsoffen und von ihren Ültern getrennt, Aa 
auf angewiefen, fich feld zu Helfen. Das alte 
Haus finkt, von den Fluten erfihüttert und durchweicht, w 
und mehr aufammen, nachdem die Peine Republik Ach allmälig 
bis in die oberfte Dahlammer gerettet be &ie nuflen am 
berwärtd ihre Buflucht fuchen, fie werden Schiffer, Schiffbauer, 
iſcher, Jäger, fie bauen, kochen, ſammein, und bie Erfindungs- 
aft in den Heinen Hirnen wird aufs Außerſte angeſtrengt. 
Da fehlt es nicht an ergreifenben Gituationen, bübfhen Bil 
dern und Gpannungen, bie auch bem Altern Leſer beivegen, 


* doch die Nerven krankhaft anzuregen. Das if aber nur 


der eine Außertiche Theil. Die Kinder find von verfdhiedenem 

‚ @aben, Reigungen; es gilt, unter ihnen felbft Frieden 

ww Eintragt herzuftellen, muß herrſchen. —* ihnen 
geſellt ſich aber auch noch ein fremdes Kind, ein erzboͤſer Bube, 
der Sohn von ſehr ſchlechten Altern, ſchon vorhin der Etixen- 
feied der Gegend, und jegt wie das boͤſe Princip unter biefe 
unglüdtiche Seweinſchaft auf einer umflutsten Erdſcholle ge» 
Kerut. MBöhrend fie zu gemeinfamer Bettung arbeiten, ſtets 
im Kampf mit dem Elemente, mit Witterung, böfen Dünften, 
Mahrumgsforgen und Krankheit, müflen fie noch beftändig auf 
Weer Hut fein gegm ben Heinen Reidhard ˖ und —— 
era das gute Princip ſiegt; wie die Kinder febbR, erſchüttert 
mad geweiht durch die Orangſale, zu einer Einblichen Gotteb- 


ga einer innern Geiligung gelangen, gebt auch der 
ln Due allmaͤlig in ſich. Diefe Belehrung ıft Feine will 
Bere mit **— Aheatercoups ſondern auf die einfachfte, 


erbeigeführt. Ein einzige Moment ift in 
** * Reihe von —* und Handlungen, bie wie 
om auf einanber folgen, willkuͤrlich besbeigegogen, bie 
vom Zaafker ungen, wa A aus einem u nebſt 


jeder ſelbſt ſein Brot, vom Enſtreuen des Wei⸗ 


Beim Worte Nebinfen mndhe ſich der Wer wit: Conupe 
wie den MR. € IR mt —5— ee e 
Dre de6 10. Ghrhenbertb Tüpte Terre a 
gu Mutgang des 18. Die deutſche zugend eroberte, wenn ey 
ine gleiche Miſſton mit gleichem Sluͤck überneimen wollte. 


Ion getroffen; nur in —— folgen 
—* dem Sit: dem j * * 
bringen brfte. "en. Ategis. 





Literarifche Notiz aus Frankreich. 


Benrebilder nah dem Leben. 
Di ——8 würden es allmaͤlig uͤberdruͤ 
den, bie bunten Geſtaltungen w parifer Lebens tum u 
immer wieder zum Gegenftanbe ihrer Schilderungen zu machen, 
wenn biefer fluffige, bewegliche a nit unter dein  Einfafe 
einer fleten Umwandlung fläube. mit Aufmerkſamkeit den 


ften Erſcheinungen ai zielem 2 
fen mit beſonderm & bauten Felde rechnen wir das 
Sammelwerk „Le 88* * , welches aus dem Bufen» 
menwirken mehrer beliebten Beuiletoniften wie Balzac, &ue, 
®. Sam, P. 3. Stahl u. U. hervorgegangen ik. Wir er 
halten hier anziehende Spiegelbilder, wehhe mit ficherer Hand 
unmittelbar aus dem bunten Leben heeaußgegriffen find. Die 
Berfaſſer haben die Grenzen fo weit als gezogen, unb 
fo werben Scenen aus allen Kreiſen an uns vorübergefühet. 
Auch die obligaten Illuſtrationen, welche mehr und mehr Deu 
wefenttichen ndcheil ſolcher Berke bilden, fehlen nicht, und 
man muß geftehen, Gavarni wieder einen überrafchenben 
Beweis feiner unerfchöpflichen —— gie bat. Re 
ben dem „Diable à Paris”, zu dem auch Balgac, diefer Überall 
und Rigend, beigefteuert hat, müflen wir noch ein befondeues 
Wert dieſes er ep fruchtbaren Schriftftchers erwähnen, 
welches ſich gleichfalls im Kreiſe der ——— bewegt. Wir 
meinen feine „Petites misdres de ia vie oonjugale”. 
den man dem Grfinder ber Frau von 30 Jahren genannt ri 
weil eine Bet lang in feinen Romandichtungen jene 5* 
intereſſanten Deſen, deren erſter Jugendreiz einem 

en Aufluge gewichen if, eine bedeutende Rolle ſpielten, 
HA in dieſer neuen Production wieder als ein ſchacfer 
ter der ehelichen B —— dens handelt es ſich * wi 
um die Form, bie Che in den Berhältniffen des 
fädtifhen Lebens angenommen hat, und bie dem eigentli 
echn der ehelichen Berbindung nur allyı wenig 

Go erhalten wir eine Menge piquanter Gihuationen mit 
Betrachtungen aller Urt verbrämt, welche ben Bew 

men lüfberner xeſer Fipeln. Im Allgemeinen aber ſteht * 
neue Schoͤpfung des unermuͤdlichen Schriftſtellers, beſonders 
was Feinheit und ae —— — —5 "inter ber 
geiftusihen „Physielogi Berfaflers weit 

rüd. alle eptere Berk iſt ewme va —— nei» 
ken der elcigaflihen Beisungen, näde fir den ga 
ten ——* eine merſchoͤpfliche Fülle von B 


om und von den Frans 


Verantwortlicher an Seinrich Brockdans. — Drud und Verlag von F. X. Drockdaus in Leipzig. 


Blatter 


für 


literarifche Unterhettang 





Die beutfche Police im 19. Jahrhundert. Kon 
uſtav Zimmermann Zwei Bände. 
' ’ ¶ Beſchlach aus Nr. 18.) 

Die ſcheinbare Unbeftiinmepeit bi diefer Beſchreibung 
der Police verſchmindet, fewie man zum Concretern 
fortgeht, indem fich Hier fofort Bremen und nähere 
Beſtimmungen esgeben. 
an, in welchem Berhaͤltniſſe der Ausbildung ımb Har⸗ 
monie fich jewe einzelnen Gefellichaftselemente befinden, 
ie weichem Maße daB eine zu einer Suprematie oder 
Oberherrſchaft über die andern gelangt if. So wäre 
es dem Begriffe dev Sache entſprechend, baf in jeber 
Kamille jene allgemeine Fürferge und Aufrechterkaltung 
Der Ordnung vom Yamilienhaupte, daß die Losalpolicei 
in ben einzelnen Gemeinden von biefen und endlich im 
Staate eine Fürforge geübt werde, welche bie policeiliche 
Thätigkeit in ben einzelnen Grundperſonen der Familien 
und Gemeinden nice aufbebe, fonbern überwacht. und 
ſich alles Deſſen annimmt, was nicht blos local ifk 
Auf gleiche Weife hätten bie im ber zmeisen Reihe hi 
henden Drganifationen für Religion, Biffenfhaft, 3 
huaftrie u. f. w. in ihren eigenthumlichen Gebieten Her 
falls jene Bürforge zu üben. In der Wirklichkeit fehen 
wir aber eine Reihe von Abweichungen und Verſchieden 
heiten. Wo ein anderes Gefellſchaftselement ſtaͤrker iſt 
als das politiſche oder der Staat, führt biefes die Po 
leeigewalt, z. D. bie Rice. Gerade die Gewalt ber 
Kirche druͤckt am empfindlicäften, weil fie den Menſchen 
in alten Lehmnsbegiehungen berührt. Bei dem Vorherr 
ſchen des Staats if dann nach Brrfaffung uab Bil⸗ 
dungsſtufe eine Reihe von Verſchiedenheiten möglich. 
In menarkhifchen, Staaten, wo das privatrechtliche Prur 
ap an der Spitze ficht und befanbere Sntereffen vorwal⸗ 
test, gewinntdie Voli einen beſondern & Oft 
wirb fie in Folge bes Princips bes Dielregierend und 
Gentralifivens bie Selbſtaͤnbigkeit der Volkselemente be 
eissträchtigen und: ihre Fürſorge bis in hie den Gemein⸗ 
ken zu Äsberlaffende Localpolicei, je fogar. bis in Die Fa⸗ 
milienangelegercheiten erſtrecke 
recht enthält Beſtimmungen über das Saͤugen und War 
se der kleinen Kinder und üuber bie intinsflen chelichen 
Vorhaͤltniſſe. Beſanders aber wird fie an: dem Charak 
ver. Den Wobitsaksen ſeſchalem, ſich Beinen: ſeſten Normen 


Es kommt bier Altes darauf 


n. Das Preußiſche Raute 


— 


eiten der 


unterwerfen und für das hoͤchſte —* 


En einen weiten Gpielsaum bewahren. Die 
fäligten und Perfönlichleit, durch welche, nach 
—* sdruck, die Policei etwas aͤſſiges bekommt, 
werben fharf hervortreten. Ginen Gegenjag bie 
gen Norbamerita und England. Hier iſt die ei 
nur Dienerin und Vollzieherin der befichenden Geſetze 
und ſteht unter ben Befehlen ber flädtifchen und grafe 
fchaftlihen Behörden, ſodaß der Unterfchied zwiſchen 
rechtlicher und poliseilicher Befugniß, das Berufen auf 
eine ganz ſchrankenloſe ——— wegfaͤllt und ber 
Policeibeamte für willkuͤrliche Verhaftungen ebenſo ver⸗ 
antwortlich iſt als jeder Privatmann. 

Wenden wir uns nun zu der vorliegenden Sehrift 
über die Policei, fo glauben wir biefelbe folgendermaßen 
charakteriſiren zu müſſſen. Der . tt über ſeinen 
Gegenſtand gut unterrichtet und man kann ihm Scharf 
fina und praftifihen Blick auf keine Weile abſprechen. 
Das ganze Buch zerfällt in fimf Abſchnitte. Dev erfie 
enthält einen „Beitrag zur Naturgeſchichte det policeili 
den Riteratne”, ber zweite ‚Geihichtliide — 
über die Policel“, der dritte eine, Allgemeine Begtun- 
bung und Ehanokterifik bes policeilichen Inſtituts“, der 
vierte „Die nerrüfene Lehre von Umfang and 
ber Politei“ unb ber fünfte, der den ganzen zweiten 
Band füllt, „über Die poficeilichen Gefoge und bie cha⸗ 
rakteriſtiſchen Thaͤtigkeiten ber Policei“, die beobachtende, 
vorbeugende Sorge, die Behaudlting gegemmärtiger. Ubel⸗ 
ſtaͤnde und die entdeckende Thütigkeit der Policei. Was 
ſich in den Eroͤrterungen des Verf., bie. ſich in dieſen 
Rahmen bewegen, nun Gutes und Brauchbares findet, 
wird leider durch mehre üble Eigeuſchaften des Buchs 
wieder in ben Schatten geſtellt. In ber Form beſleißigt 
ſich der Verf. — deu hier die ftrengen Kritiken feiner 
„Dachpredigten leider keines Beſſern belehrt haben ei⸗ 
ner geiſtreich ſchwatzzaften und breiten Darſtellung, Busch 
welche das Buch intereffant gemacht und verhütet wer 
ben foll, „baf es: nicht tw jene Handbbibliochek gerät, 
aus welcher man zu: einſchlaͤferndem Awecke nach Xäfche 
oder ver Sechlafengehen greift”. Gine ungtücklicherr 
Forur und eine zu welcher. der Werk, weniger Geſchick 
hatte war ſihwerlich zu wählen Bumächfi paßt diefe 
Form zu. nem if — Werte: überhaupt nicht; 





ATS 


ührt au Zwittererzeugmiffen, bei benen man eigent- 
—*8 eh, ob man etwas Ernfes oder etwas blos 


Unterhaltendes vor ſich hat, und läßt den Ernſt und bie 


Wiſſenſchaftlichkeit augenſcheinlich leiden. Dann aber 
bat gerade ber Berf. zu der gewählten Darftellungs- 


weiſe, auf die er ſich etwas einzubilden feheint, entſchie⸗ 


den gar Fein Talent. Die ganze Schreibweiſe erinnert 
nicht an ein geiftreiches unb ungebundenes Salonsge⸗ 
foräch — wie fie wahrfcheinlich fol —, fondern an den 
faloppen Rabuliftenton in ſchlechten Advocatenſchriften 
oder an das Schenkftubengefhwäg mancher mobernen 
Politiker des legten Ranges. Es ift in diefer Weife 


etwas Abſtoßendes, man fühle fih einer Sphäre näher 


gerüdt, die Jebem, der etwas auf fich halt, unausſprechlich 
ignobel vorkommt, und wäre das Buch ein Menfch, fo 
wlirde man nichts mit ihm zu thun Haben wollen. Das 
Widerwärtigfte find die ewigen VBerhöhnungen ber beut- 
fhen Wiffenfhaftlichkeit und Philoſophie, an deren Stelle 
ber Verf. die roheſte Empirie und das entfchiedenfte 
Feſtklammern am Beitehenden fept. Sowie in ben „Po- 
litiſchen Predigten” eine wirklich große in Deutichland 


zur Erfcheinung gekommene dee auf eine Art und‘ 


Weiſe angegriffen wurde, daß fih bie gefunde Empfin- 
dung verlegt fühlen mußte, fo macht es auch hier den 
peinlichſten Eindrud, Dasjenige, worauf Deutſchland 
unter fo vielen Leiden und Nachtheilen noch ſtolz fein 
barf, feine miffenfchaftfiche Ziefe und feine Philoſophie, 
verhöhnt und verfpottet zu fehen. Und gleichwol ver- 
dankt der Verf. die guten Gedanken bie er vorbeingt 
nur eben biefer Philoſophie, umter der er fich frei- 
Eich nichts als eine leere Traͤumerei zu denken fcheint. 
Seine graß empirifche Auffaffung hätte ihn nicht weit 
geführt. Er will fih an bie ganz rohe Realität, an 
die handfeſte Sache halten und meint, die Policel wie 
jedes ftaatlihe Organ und Inſtitut ſei nicht aus Ideen⸗ 
floff gewebt, ſondern aus Menſchen, Behörden, Formen, 
die fich als äußere Erfcheinung der Sinnenwelt geltend 
machten (&. 127). Diefe äußere Seite leugnet Beine 
vernünftige Theorie; eine Anſicht aber, die nichts als 
diefe aͤußere Seite kennen und gelten laffen will, kann 
man nur ale abfurb bezeichnen. Wenn der Verf. fi 
blos an bie empirifchen Realitäten, an bie handfeften Dinge 
halt, fo findet er auf ber Policei Gemächer, Xifche, 
Stühle, Schreibmaterial umd Menfchen. Um in diefen 
empirifhen Realitäten einen Sinn zu finden, muß er 
die Gedanken zu Hülfe nehmen und einen Ideenſtoff 
anerkennen, aus bem das Inftitut allerdings gewoben 
und zufammengefegt if. Gr fchiebt alfo ganz unbe- 
merkt den Ideenſtoff mit Hinein und meint, er halte fich 
an die Realitäten, wenn er nur feine neuen “been, 
nichts was über ben in der jegigen Lage ber Sache in 
‚dem Snftitute einmal waltenden Geiſt hinausgeht, bin- 
einbringt. Hiermit wird dann das Weſen der Sache 
nicht getroffen, fonbern nur die zufällige hiſtoriſche Er⸗ 
fheinungsfeite, und das ganze Buch müßte eine Apolo⸗ 
gie des Schlendriang fein, wenn ber Verf. feinem Stand⸗ 
punkte bucchgängig treu bliebe. Wo er dieſes nicht 


das neben ber Juſtiz auf bie Weiſe für die Erhaltum 


thut, gelangt er oft zu guten Bemerkungen, mo er aber 


-an feinem Principe fefihält, verwidelt er fih in Wider⸗ 


fprüche. So befinirt oder befchveibt er die Policei ale 
das öffentliche Behörbeninftitue im Innern des Staats, 





der bürgerlichen Ordnung thätig if, dag es alle 8 
bältniffe und Vorfälle, welche fih auf den Ordnungs- 
zuftand beziehen, bauernb und fuftematifch beobachtet; 
ferner den DOrbnungsflörungen, bie drohen oder begin- 
nen, vorbeugt, vorhandene Unregelmäßigkeiten befämpft, 
gefchehene Frevel aber entdeckt und bdexen Urheber zur 
Strafe bringe. Die Unbeflimmtheit biefer Befchreibung 
halten wir für keinen er, denn die Sache ſelbſt & 
unbeſtimmt; wir haben hoͤchſtens die Einwendung zu 
machen, daß die policeiliche Thätigkeit nicht blos ben 
negativen Zweck Hat Unorbnungen abzuhalten, fondern 
daß fie auch manche pofitive Bebürfniffe, deren Fehlen 
gerade Teine Störung dee Ordnung wäre, herbeiſchafft. 
Dann wehrt der Berf. Die Idee ab, die Policei aus 
dem Staatszwecke abzuleiten; folche Ableitungen werben 
ihm zu abftract, zu metaphyſiſch. Das hindert ihn aber 
nicht, fie aus dem Bedürfniſſe des Staats zu beduciren 
(S. 117), obgleich ſich hier nun weiter fragen läßt, für 
welche Zwecke denn der Staat Bebürfniffe hate. Bei 
dem Pofitivismus, von dem ber Verf. fich leiten läßt, 
müßte alles Recht, alle Staatsorganifation und auch Bie 
Policei nur aus den einmal vorhandenen Gefegen, aus 
dem einmal anusgefprochenen Willen ber Herrſchenden 
abgeleitet werden, und es ift eine Inconfequenz, wenn 
fih der Verf. auf Begründungen einläßt, die hierüber 
noch binausgehen. 

Wie wir indeß ſchon bemerkten, enthält das Bud 
eine Reihe recht guter und fharffinniger Bemerkungen. 
Man folte glauben, nad dem eingenommenen empiri- 
[hen Standpunkte des Verf. müßte das Bud ein recht 
praßtifches fein. Hiervon ift es inbeß gerade bas Ge 
gentheil. Die Praktiker werben viel zu werig Mase- 
rial und viel zu viel Maifonnement und Ideologie darin 
finden. Das ift bie Kolge bes vom Berf. angenomme- 
nen Standpunfts: er fträubt fih auf das Hartnädigfte 
gegen alle Ideologie, und ewig ehrt fie ihm mieber au- 
rück; nur daß fie zum Theil unter feinen Händen wirk⸗ 
lich zu leerem Raifonnement wird. So wird z. B. fein 
Praktiker, der Belehrung ſucht, in dem wichtigen Xb- 
fnitte über Gompetenzconflicte etwas Fruchtbares fin- 
ben. Der Verf. hätte alfo beffer gethan, ſich mit der 
Ideologie zu befreunden und fi) die Refultate der deut⸗ 
fhen Rechtsphiloſophie anzueignen: er würde alsdann 
gewiß etwas fehr Berbienftliches geleiftet Haben. Dann 
aber iſt das Gute des Buchs In jener breiten, langwel⸗ 
ligen und wiberwärtigen Darftellungsweife wie verſchwom⸗ 
men und zerronnen, und bem Ref. iſt lange keine müß- 
famere und unerquidlichers Lecture vorgefommen als ge 
rade biefes Buch. Wenn ber Berf. bei künftigen Xxr« 
beiten ſich nicht entichließt, Das was er zu fagen Hat 
einfach und unummunden darzuſtellen, fo zweifeln wir, 
daß er noch Lefer finden wird, umb wollen ihm, ba’ er 


2 


ein Motto für feine Schriften zu lieben ſcheint für die⸗ 
fen Fall den zweiten Verb aus ber erſten Satire des 
Derfins empfehlen. . | 35. 





Das Bud) der Narrheit. Bon Ludwig Kaliſch. Mit 
Holzſchnitten. Mainz, Wirth. 1345. Gr. 8. 1 The 
15 Nar. 


. Es war eine gute Zeit, we man an den Hoͤfen noch Rar⸗ 
ren hielt. Es gab doch damals Einen, der unter Peiner Gen- 
fur fland, der die Wahrheit nicht wie Eontrebande einzuſchmug⸗ 
gein brauchte, fondern der fie frei ausgeben durfte. er Rarr 
war vielleicht urfprünglich eine komiſche Perſon; aber feine ei- 
liche Bedeutung war immer höchft ernſthaft; er trat auf 
warnend, bald höhnend, bald prophezeiend,, bald sorrigi- 
send. Was für eine Bedeutung namentlich im Leben ber Fuͤr⸗ 
en der Narr gehabt habe, das ſieht man poetiſch dargeſtellt 
Shaffpeare'8 Dramen; ich erinnere nur an den unvergleich 
lich Thön gehaltenen Rarın im ‚König Lear. Die freie Car⸗ 
nevalözeit in den rheinifchen Städten bat in Deutfchland noch 
eine Erinnerung an bie Karren erhalten; im Bufammenhange 
damit ift auch das vorbezeichnete Buch entftanden. Mef. hat 
das Zalent des Herrn Kalifch fchon einmal in dieſen Blättern 
als ein-anerfennenswerthed bezeichnet; dies Urtbeil wird auch 
Buch „Das Bud der Rarrheit“ betätigt, Allerdings gebt 
der Zon, die Haltung einzelner Partien dieſes Werkchens nicht 
felten ind Burleske übers es ift eine tolle Welt, in die der 
Berf. uns hineinblidden läßt: aber es iſt doch in den meiſten 
Bildern ein richtiges Maß gehalten und faft überall fpringt 
der ernfte Grundgedanke leicht ind Auge. In „Ritter Toggen⸗ 
burg, oder Liebe, Haß, Mache, Reue, Romantik, Selbſtmord 
und moraliſches Bewußtſein“, ferner in „Genoveva, oder die 
Iagräfin und Die eheliche Irene, oder Natur und Hirfchkuh”, 

in „Die Tochter des Magifters von Zaubenbain, oder 

die ungeheure Mordthat”, ſcheint ber Verf. bisweilen etwas zu 
weit gegangen zu fein; der Lefer fürchtet bisweilen, über die 
Grenze der Möglichkeit geriffen zu werben; — allein wenn 
man erwägt, wie unglaublid groß der Ungefchmad des deut» 
ſchen Yublicums jest ift, wenn man fieht, welcher miferable 
Unfinn auf dem Theater nnd in Romanen gelobt, geliebt, be⸗ 
Hatfcht und dadurch in Deutfchland berühmt wird, wenn man 
die meiftend ganz miferabein dramatifhen Dichtungen neuefter 
Zeit, die ſich Rum erfcgmeicheln und erbettein, zu fehen von 
Beit zu Beit das Unglüd hat, fo muß man Herrn Kaliſch Recht 
geben, daß er alle diefe Erbaͤrmlichkeit fo fcharf, fo mitleidlos 
geißelt und dem Publicum zeigt, wie auch der fhönfte Stoff 
gan einer ungefchiedten Hand verfudelt und verborben werden 


” 

Kernerweit muß Ref. bemerken, daß ber Verf. alle Waf—⸗ 
fen der Satire, ber Ironie, des Fomifchen Eontraftes, det Per⸗ 
lage geſchickt und wirkfam zu gebrauchen verficht; und es 
fehlt ihm nicht an Muth, gegen die melften falfchen Bögen 
unferer Beit zu Felde zu ziehen, einigen die Maske abzureißen, 
andere in ihrer Iämmerlichkeit zu portraitiren, andere zu ver⸗ 
böhnen, andere zu äffen. Was das größte Lob verdient, mäfs 
R wir bier noch bejonders erwähnen, nämlich daß ber Verf. 

ch niemals zur Labcivität oder zur Frivolitaͤt verirrt. Mef. 
erlaubt ſich von den Sinnſprüchen bes Verf. ein paar Proben 
zu geben. 

—Als einfk zum grünen Wald kam ein Holzhauer, 

Erfaßte jeden Baum ein Falter Schauer. 

„O weh!‘ rief Tann’ unb Ulm’ mit Bittern, 

„en wird von und die wilde Art zerfplittern!‘- 

„Web und”, rief Bir und Buch’ mit Wehen, 

„Wer zahlt won und der wilden Art dad Leben?!” 

Wie Alleb nun erbebt dem grimmen Gtreiche, 
_ Sdpyricht eine alte biigverfehrte Ciche: 


„Nit brauchtet ihr jegtt zu -erbeben, 

Wenn ihr der Art nit einen Stiel gegeben. s 
' Jetzt hilft eur Klagen nichts. D’rum ſchweigt und. duldet 
Den bittern Tod, den ihr ja ſelbſt verfäpuideti" 


Ubi bene, ibi patria. 
Em wahres Spruͤchwort der Rateiner 
D’'rum weiß in Deutfhland Keiner, 
Gr fei Zub’ oder Chriſt, 

Bo fern Vaterland ift. 


Detition ber *""fhen Unterthanen. 
D großer Herrſcher, wir bitten und ermahnen 
Dich voU Inbrunft zu diefer Stunde: 

Behandle und kuͤnftig nicht wie beine Unterthanen, 
Behandle und fo fanft und mild wie deine Hunde. 





Unerhoͤrt! 
Es ſaßen auf dem Throne 
Der Kaiſer und ſein Sohne. 
Dre Kaiſer und fein Sohne, 
Die faßen auf dem Throne. 
Da fpra der Koifer zum Sohne 
Auf feinem gold'nen Throne; 
Dann fprad zum Kalfer der Sohne 
Auf feinem gold’nen Threne. 
Und als fie beide geſprochen, 
Richt Länger mehr fie ſprachen. 
Alles dies it geſcheden 
In der großen Katferfkadt Aachen. 

Bon Seite 297 — 322 findet man einige hoͤchſt piquante 
Gefpräche über Ausweifungen, Eenfur und Ähnliches. Pa in 
eine Sammlung, die 28 Bogen füllen mußte, auch mancherlet 
weniger Treffendes aufgenommen ift, dürfte Manchem ent 
ſchuldbar ſcheinen. 

Die meiſten Holzſchnitte find ergoͤtzlich. 25. 





Bibliographie. 


Allenſtein, M., Rob Henoch ober was thut me dermit. 
gin Familiengemälde in drei Abtheilungen. Berlin. Gr. 8. 


er. 

Baltiſch, F., Eigenthum und Vielkinderei, Hauptquel 
len bed Gluͤcks und des Ungluͤcks der Völker. Kiel, Schwers, 
&r. 8, | Thlr. 

Das Buch der Seelenſympathie. Album fuͤr Liebende al⸗ 
ler Stände, ger Gefühle gegenfeitig auszutaufchen. Döbeln, 
Dittmann. 8. 721, Nor. 

Dumas, U., Michel Angelo. Bearbeitet von Mathilde 
Franziska. Münfter, Wundermann. 1845. Kl. 8. 15 Ngr. 

Eberhard, H. R., Die religiöfen Ideen nad ihrer ges 
ſchichtlichen Entwickelung in der Bibel dargeſtellt. Breslau, 
Trewendt. Gr. 8. 15 Rear. 

Florey, R., Zroftesftimmen an SU, um geliebte 

r 


Tode weinen. aa Klinkhardt. 8. 


2 Ag. 

Die Geſellſchaft der proteftantifchen Freunde in Königs» 
berg, ihr Entſtehen, ihr Wirken u. di w., dargeftellt von ei- 
nem Mitgliede derfelben. Leipzig. Gr. 8. TY, Rot. 

Girard, ©., Über den regelmäßigen Unterricht in ber 
Mutterfprache für Schule und Haus. Deutſch herausgegeben 
von KR. Papft. Ifte Lieferung. Biel Gr. 8. 1 Ror- 

Staubensftärfung wider das Gift des Zeitgeiftes. Wine 
zeitgemäße Sammlung auserlefener Abfchnitte aus den Schrifr 
ten der erleuchtetften Sotteßgelehrten der evangelifchen Vorzeit, 
für das Volk herausgegeben von W. Bötticher. Iſtes Heft: 
Magnus Moos. Berlin, Grobe. Gr. 8. 7%, R 


I Rgr. 
Gutzkow, 8., Sefammelte Werke. Bollftändig umgear⸗ 





— —— — — 


— — mwswt—— — — —— 


. 





Band: Gähuiarbilder. Brank- 
nu ——— 
ii l, G., elden, in un⸗ 
ae —*2* Aus den. Reiten des en. 
gen rieges Leipzig, Kollmann. 8. 1 Ahlr. 12 Rgr. 
ehe U. Yıln) Eugen, der edle Ritter. Hi 
— 1 ‚Boman. Ifte Abtheilung Leipzig, Kollmann. 8. 
r 
— W., Über die alten und bie neuen Schulen. 
Mains, Kirchheim ‚, Schott und Ihielmann. Gr. 8. ZI Nor. 


Kock und Guſte. Pofle in einem Aufzuge. Brei nach dem | 


Kranzöfifgen von W. Friedrich. Mit einem Polorirten Ti⸗ 
telfupfer von Ih. Hofemann. Berlin, Springer. RI. 8. I Rgr. 

Kurnik, M., Susgemäblte Dramen, analytifch erläutert. 
3te8 Heft: Rathen ber Weife. Breslau, Kohn. 8. 15 Rgr. 


atzke, D., Die natürlide Theologie bes Raymundus | 
wu Quther' & liegt feine vorzüglichfke Defäbigun 


von Sabımde. Ein Beitrag zur Dogmengeit ot bes 15. Jahr: 
hunderts. Breslau, Zrewendt. Gr. 8. 
mieten J., Das Volk, —* Sof a. 8. 24 Ngr. 
Papft, , Die —— egrifihet Zrauerfpiel in 
1 ut. —* Wundermann. 5. 5 Rgr. 
— — Die Wiedertäufer in en Trauerſpiel in 9 
Alten. Münfter, Wundermann. 18455. 8. 159 rar. 
Reipenbag, M., Gesähtungen und Movelien. Ater 
Band: Die Erſcheinung am Grabe, n eo grei andern Rovel: 
en. Leipzig, Kolmann. 8. 1 hir. 
Sagera (Don Ramen be la), eur Fr em der Strafan- 
falten. Bekhreibung der berühmteften Straf» unb einiger 
ohlthaͤtigkeitsanſtalten der Bereinigten Staaten von Rorb- 
amerika, nebſt Bemerkungen uͤber das pennſylvaniſche und Au⸗ 
burn’fche Pönitenkiar- Eoftem, Deutfch bearbeitet von 2. Hein. 
Quedlinburg, Baſſe. .. 10 Nr. 
Salzmann, 9, Briefe von der Eihe über paäd agegifch" 
wege Tagekfeagen Beipzig, D.Wigand. 8. 22, Nor. 
le, 3 Klofer. Weltlich und geiſtlich. Meiſt 
aus —* aͤltern ven Volks⸗, Wunder», Guriofitäten- und 
voraugdimeife tomifchen Litesatur, Per Band: Doctor Johann 
Fauſt. Mit 105 Abbildungen auf 49 Safeln und mit 50 Holz: 
itten. Stuttgart. Sr. 16. 3 Ihr. 5 N RI 
Ein Weib aus. dem Bolfe! Drama in 9 Alten. rei 
nah Dennery und Millian von 3. Mendelsfohn. Ham- 
burg, Berendfopn. 16, Nor 
Ratolifche Suftände der Gegenwart, mit beſonderer Rüd 
fiht auf Deutfchland und die Schweiz. Mit einem Anhange. 
ee DE Parkbeift von einem Layen. Schaffhauſen, 
urter. 


Sagesliteratur. 


Agermann, W. H., Seinnerungen, aue meinem Leben 
bei, oil. Frankfurt a. M., Jäger. 8. nr 
Albre t, F., Antrittöprebigt,. Baſel. 4 
er die Fortdauer nach dem Tode. —* dt übe 
1. Joh. m. 2, Ulm, Heerbrandt und, Thaͤmel. 
N. F., gdxriſius ins Haus. Predigt. Berlin, Si 
her) 4 zo T. 
Bahmann, 8. B., SGebäcdtnißfeier des Todes Dr. M. 
ber. PN und Predigt. Berlin, Moefer und Kühn. 
Becker, 8. C., Vorträge zur Bor» und Rachfeier des 
a Serätnibpges Dr. M. Luther's. Frankfurt a. M. 


Bundhung der Rede des Fürſten Ludwi ‚von Öttingen 
Malerftein, & legentlich der Berathung über. Die Anträge bes 
* von vebe in- Betreff der Quarta und des Klöfter. 
gtebur 
—ãAAä der ſagenannten proteſtantiſchen Freunde, 
unparteiiſch —— von; einem ſaͤchſiſchen Theologen. Mun⸗ 
fer, Weiſfing Gr. 8._10 War. 





, Verfolgung, weldhe 





Wigand. a ne Bay 10 Rer, Zu 


Erläuterungen und Bufäge der Rede, wege S. D. der 
Here Fuͤrſt Ludwig von Ditingen · Wallerſtein über die 
in Bayern gelegentlid, der Berathungen über die Unträge bes 
Seren Bürfe v. Wrede gehalten hat. Augsburg, Schmid. 


Rgr. 

Er zahl der Mutter Nakrena Mierzyslamste, Abtiffin 

der Bahtlionerinnen u Minsk, oder Geſchichte einer Tjährigen 

Er dur ihre —— um des Glau⸗ 

* willen gelitten. Beſahl des Papſtes Gregor XVI. 

a ihr eibſt bictirt —* niedergefchrichen durch ns Sylle, 
Setamidi m — Grete 5 gr. 

aucher, 3, 3 age gegen v Juli. 

Berlin, Beh. Gr. 8. 
Biker, €. &, —* in ber tiefen und aufrichtigen Der 


reforma⸗ 
“ eng prdit über Epiſt. — 21- 21. 
in BGr. 
— — C. 3 a Base des Evangeliums im 
ihrer Bewährung an feinen treuen Beugen. Predigt zur MD 


‚ jährigen. arnächknigfeien vom Luther's Tode. Leipzig, 3. Fler 


ſcher. 88. 

Deubner, & 2., Predigten und Rede. bei der 300jäh- 
vigen rdädtnißfsier des Todestages Pr. M. xuther's zu Wit 
tenberg gehalten. Wittenberg, Zimmermann. Gr.8. 8 Rgr. 

Hoſchke, Rede Feier des ebriges odeotages un⸗ 
ſers Kutter —** — Eh , 

ubn, on der edeu eb evangeli 
digtamtes. Xcvigt Reval. 1845. —X 5 Rer. gelifäpen pwe 

Iſenberg, D., Uhlich's nik: gewürdigt von w. 
Braunſchweig, ehrt 8 7% Ror. 

Kieiner politifcher —e— mit Reimen und Sprüchen. 
Jena, Mauk. % 

Die katholiſche Kirche 7 Die allein wahre, die allein. felig- 
madpende en oper Niemand, Aſchaffenburg, Pergay. 

84). Gr. 16. ar 

Die lutheriſche Kirche in Preußen. Gine zunoͤchſt der ge- 
ſammten Iutheriichen ooolesia roprassentativa gewidmet: Den 
jhrift. Leipzig, aeieihe &. 8. 6 Ror. 

Lange, 8%, Was -haben wir Proteitänten zu tbun, um 
der proteftantifhen Kirche nach dem Borgange ihrer Stifter 
Einheit, fefte Dauer und ben endlichen Sieg zu verichaffen ? 
Leipzig, Kollmann. Gr. 8. 12 Ror. 

Dr. Bart. Luther von der Wiege bis zum Grabe. Kür 
das Well erzählt. Weißenfels, Such. 9. 2, Nur. . 

Marquard, F., Die Untwort des Königs von Preußen 

an den Berliner Magiftrat, in Bezug auf Die evangeliſchen 
Sonoden beleuchtet, Leipzig, G. Wigand. 8, 5 Nor. 

Rendſchmidt, F., Rebe, gehalten am Peſtalozzi⸗Feſt zu 
Dreu. Ace Sant, &. 8 2%, Rear. 


füchen —X “und für den FA der Rechte Dr. = 
Geier: garsbfen. are, D. mel a 5 >: Nur. 
riever „Autritts⸗ u Dis Predigt, ge 
ten zu Stier am 85. Mai 1836 und am IV. Nov. 1 1844, 3 . 
Beirag zur Gefchichte unferer Tage. Xrier, Troſchel. ci. I 


gr 
Walther, $. G. 2., Über den fistichen Einfluß des heu⸗ 
tigen Turnweſens. Berlin, Grobe. 8. Nor. v 

Walther, ide, © Friedensworte bei Aupe Zodtenfeier. 
Ein Gedicht. Capaun. 8. 2, NR 

Wander, R. 8. W., Offenes Gendf reiben an Se. Er 
cellenz, ben König: Preuß. Minifter der Geiftliden-, Unter» 
richts⸗ und Medicinal lea nheiten ‚ Hrn. Dr. &ihhorn. 
Leipzig, D. Wigand. Ror. 


— — Herausgeber: OSeinrich BroEhans. — Drud und Belag von F. M. Drockhaus in Leipzig, 


Blaͤtte 


- 


r 


für 


literarifde Unterhaltung. 





Freitag, 


ö—N Nr. 121. A 


1. Mai 1846, 





3ur Nadhhricht. 


Von dieſer Zeitſchrift erſcheint taͤglich eine Nummer und der Preis betraͤgt für den Jahrgang 12 Thlr. Alle 
Buchhandlungen in und außer Deutſchland nehmen Beſtellungen darauf an; ebenſo alle Poſtämter, die ſich an die 


snigl. ſächſiſche Zeitungsezpedition in 


Eeipzig wenden. Die Verſendung findet in Wochenlieferungen und 
in Monatsheften ftatt. 





Die gefihichtlichen Perfönlichkeiten in Jakob Cafanova’s | 


Memoiren. Beiträge zur Gefchichte des 18. Jahr⸗ 
hunderts von 5. W. Barthold. Zwei Bände. 
Berlin, 9. Dunder. 1846. 8, 3 Zhlr. 
Wir erinnern und noch recht wohl aus ben erften 
zwanziger Jahren diefes Jahrhunderts des Aufſehens 
und der verfchiebenartigen Urtheile, mit denen bie beiden 
erften Bruchſtücke aus Caſanova's Memoiren in bem 
Tafchenbuche „Urania ” aufgenommen wurden, benen 
hierauf ein von With. v. Schüg beforgter Auszug aus 
dem Originale in zwölf Bänden und zulegt das Drigi- 
nal felbft in einer gleihen Anzahl von Bänden folgte. 
Das Iegtere haben freilich nur Wenige gelefen, obfchon 
die Individualität des Selbftbiographen fich hier am unge⸗ 
teübteften vor Augen ftellt, da manche Lüde in der deut⸗ 
ſchen Bearbeitung, wie fie bie flrengere deutfche Denk⸗ 
art erfoderte, bier ausgefüllt worden iſt, und der befon- 
dere Neiz, den Caſanova's eigenthümlicher franzöfifcher 
Ausdrud mit feinen vielen Italienismen und Latinismen 
gewährt, ganz "wegfält. Zwar mürden die Sittenrichter 
und firengen Eiferer hier noch beffern Stoff für ihre 
Tadelſucht gefunden haben und die Ehrentitel eines die- 
bifchen, tüdifchen, über alle Beſchreibung wollüftigen 
Menſchen, eines Kupplers, eines Verführers der Jugend, 
eines Spielers von Profeffion, eines Verſchwenders mä- 
zen dann dem Gafanova in einem weit höhern Grade 
ertheilt worden. Wer könnte nun wol die den Boden 
des ganzen Buchs überwuchernde Sinnlichkeit und Leicht: 
fertigkeit in gefchlechtlihen ‘Dingen gutheifen? Uber 
Das darf uns doc, nicht Kindern die Vorzüge eines 
Selbſtbiographen anzuerkennen, der wie Caſanova voll 
ber ungemöhnlichfien und verfchiebenartigften Kenntniffe 
tft, mit einem Geifte der Beobachtung ausgeftattet, der 
zu ben feltenen Gaben der Natur gehört, der durch ein 
an Abenteuern reiches Leben in die mannichfaltigften 
Berhältniffe und in unmittelbare Berührung mit bei- 


nahe allen ausgezeichneten Menfchen feiner Zeit gekom⸗ 
men iſt, der endlich vermöge feiner ausgezeichneten Per⸗ 
fönlichkeit überalU wo er auftritt, an Höfen, in Kerken, 
in Spitälern, bei: den Gelehrten wie bei den Weltleu- 
ten, bei den Frauen vornehmen ober niedern Standes, 
eine bedeutende Rolle zu ſpielen vermocht hat. 

Alles Dies nun auch zugegeben, fo durfte man fich 
Doch gleich nach dem Erfcheinen der erften Bände manche 
Zweifel an der Wahrhaftigkeit der Caſanova'ſchen Er⸗ 
zählungen nicht verhehlen. Man mußte nicht, wie viel 
die Luft einen erfindungsreihen Noman noch wei- 
ter auszufpinnen zur Erweiterung des Buchs beigetra- 
gen habe, ja man konnte im günftigften Falle anneh⸗ 
men, daß bei einem Schriftfteller, der wie Caſanova 
im fiebzigften Jahre feines Lebens biefe Denkwürdigkei⸗ 
ten niederfchrieb, das Gedächtniß ihm untren geworben 
und daß eine Verwechfelung von Perfonen, Zeiten und 
Umftänden nur zu moͤglich geweſen. Im Jahre. 1828 
äußerte ein vorurtheilsiofer Beurtheiler in Nr. 120 der 
„Senaifhen Allgemeinen Literaturzeitung” Folgendes: 

Die Wahrhaftigkeit Caſanova's ift für Den außer Zwei⸗ 
fel, der feinen Memoiren mit prüfender Aufmerkſamkeit folgt. 
Nicht der leiſeſte Widerfpuh in Ddiefem fo lang fortgeführten 
Faden von Greigniffen und Begebenheiten aller Art begegnet 
dem Blick, bie Grundlage der Begebenheiten ift daher gewiß 
und unbezweifelt wahr und reel, nur in der Form und Su: 
fammenfegung darf man nicht vergeflen, daB der Verfafler ei: 
ner der phantafievollften Italiener ift, die je gelebt haben. So 
geben wir zu, daß feine Zahlenbeftimmungen faft immer will⸗ 
fürlich fein mögen, ebenfo mag auch mander Pinfelftrich in 
den Charakteren feiner Gegner mehr der Phantaſie als ber 
Wahrheit entlehnt und manche galante Scene mit grelleen Farben 
gemalt fein als die Wahrheit fie trugs allein die Ereigniffe, die 
er erzählt, find nichtödeftomeniger — aller menſchlichen Ver⸗ 
muthung nady — in den Hauptfachen wahr und treu und von 
bundertfäftigen Beweifen belegt. 

Diefe Anficht beftätigt fih jegt in einer vor 18 Jah- 


ren kaum geahnten Weife durch das vorliegende Buch 


des Hrn Barthold, mwenigftens in ihren meiften Theilen. 


482 


Wir Iafen zuerft in einem vornehm fpöttifchen Artikel 
der vorjährigen augsburger , Allgemeinen Zeitung “ 
vom 18. November, daß nur ein deutfcher Profeffor auf 
den Einfall kommen tönne, Caſanova's Memoiren Tri- 
tifch zu zergliedern, fie mit Ernſt, ja mit Pedanterie zu 
beleuchten und fie mit taufend Beweisſtellen oder Cita⸗ 
“ten ans ehrbaren und fcandaleufen Denfwürdigfeiten, 
Correfpondenzen und Gefchichtsbüchern auszuftaffiren. 
As wir nun, nicht wenig befrembet über dies Urtheil, 
das Buch durchgelefen und genauer kennen gelernt hat- 
ten, brachte diefelbe augeburger „Allgemeine Zeitung” in 
Sr. 21 des laufenden Jahrgangs einen zweiten Artikel, 
in dem Hrn. Barthold’8 Bud 'ein ſehr wunderliches 
Buch hieß, eine hiftorifche Euriofität, zwar reich an Da- 
ten, aber doch hinfichtlich feines Nugens nur von unter- 
georbnetem Werthe und trog einer gemwiffen foliden Lec⸗ 
ture boch bei einer erſtaunlichen Vorliebe für alle Arten 
lieberlichen Details, Anhäufungen von Anekdoten und 
bafenhaftene Geſchwaͤtze eine unerfreuliche Erſcheinung, 
durch die ein fchlechted und fittenlofes Buch wieder aus 
dem Grabe einer verdienten Vergeffenheit auferwedt werde. 
Wir find aber weit entfernt folche Urtheile zu unter: 
ſchreiben. Allerdings ift das Barthold'ſche Buch eine 
auffallende Erfcheinung auf deutſchem hiſtoriſchen Bo⸗ 
den und der Einfall, einem fo verzufenen Manne wie 
Caſanova war jahrelange ernfle Studien zuzumenden, 
durchaus neu. Indeſſen vermögen wie nicht abzufehen, 
wie es Hrn. Bartholb verargt werden kann, feine hifto- 
rifchen Unterfuchungen über das 18. Jahrhundert an die 
Selbfibiographie eines Mannes anzuknüpfen, der als ei- 
ner der vollendetften Nepräfentanten deffelben in ber Zahl 
ber merkwürdigen Abenteurer erſcheint. Müffen nun 
feine entfchiedenften Widerfacher zugeben, daß Caſanova 
jeder neuen Verbindung irgend eine eigenthümliche Seite 
abzugewinnen weiß, daß er, felbft Egoiſt, uns die Zeit 
bodenloſer Verderbtheit und die unbefchränttefte Herr- 
ſchaft des Egoismus, in die fein Leben fiel, mit großer 
Kraft und Lebenhigkeit zu zeichnen weiß, daß endlich in 
feinen einfachen und Eunftlofen BDarftellungen die Zur 
fände und die Perſonen auf das anziehendfte hervor⸗ 
treten und daß er die ganze Außenwelt in den Kreis 
feiner Perfönlichkeit hineinzuziehen weiß — dann, fagen 
wir, erfcheint uns das Unternehmen des Hrn. Barthold 
vollfonmen gerechtfertigt. Es ift wahrlich Beine bloße 
Unterhaltungsfchrift und ebenfo wenig ein mageres Sam⸗ 
melwerk voll planlos aufgelefener Notizen, fondern es 
enthält wichtige, belehrende Beiträge zur Geſchichte des 
18. Jahrhunderts, von dem heutzutage frog unferer gerühm- 
ten Forefehritte ein Jeder gern hört. Da darf nun ein 
Hiftorifer nicht zu fehr zurücdhaltend fein, feine Erzäh- 
lungen können nun einmal das Anflögige nicht immer 
vermeiden, wie denn ſolche Scandale auch in die größeren 
Werke von Raumer und Schloffer übergegangen find, 
von denen ja der Kegtere gar nicht genug gepriefen wer- 
den kann, daß er fo offen, rückſichtelos und ohne Men- 
ſchenfurcht fein Buch, verfaßt habe. Aber in Bezug auf 
den Artikel der „Allgemeinen Zeitung” darüber noch 


— — —— — — — — * 
- 


viele Worte zu verlieren, als ob Br. Barthold durch 
Aufnahme fittenlofer Scenen, piquanter Gemälde u. dgl. 
feinen Leſern empfindlichen Schaden zugefügt habe, oder 
ihn zu vertheidigen, fcheint uns bei der geachteten Stel⸗ 
lung eines angefehenen Ugiverfitätäichrers ganı mmnätbig 
zu fein. ine vorforglidye Mutter wird ihren LToͤchtern 
das Buch freilich entziehen, aber für diefe hat auch Hr. 
Barthold nicht gefchrieben, ebenfo wenig für das hunge⸗ 
rige Publicum der Leihbibliothefen, dem ohnehin Die ge- 
lehrte Form nicht behagen wird; gebildete Lefer der vor⸗ 
nehmen Stände aber find ohnehin ſchon mit allerhand 
gefährlichen Stoffen und Geftaltungen erfüllt, das Arge 
neutralifirt fi ohnehin für fie, das Verbotene wird faft 
wieder erlaubt, wo wäre da etwa Schädlihes aus Hm. 
Barthold's Buche zu beforgen, wenn es überhaupt eine 
anftögige Waare wäre und ein fchlimmes Gift enthielte. 

Daher meinen wir, daß das morliegende - Werk 
für ruhige Lefer, für fleifige Beobachter, für Män- 
ner, ‚die felbft in der Welt wirken und handeln fol 
len, wichtige Belehrungen und anziehende Auszüge aus 


vielen, faſt vergeffenen Schriften enthalte, und daß bie 


bedeutendften Zuflände im focialen Verkehre des 18. Jahr⸗ 
hundert in einer Reihe nügliher Zufammenftellungen 
und Erörterungen auf bas beſte beleuchtet worden find. 
Und bei ſolchen Vorzügen fol! man mit dem Verf. ha⸗ 
bern? Gewiß darf dies ebenfo wenig der Kal fein, als 
wenn man über die Gelehrfamkeit der fleifigen Gom- 
mentatoren des Petronius, ber fich bei aller Unfittlichkeit 
auch die geiftige Freiheit bewahrt hatte, aus dieſem 
Grunde einen Zabel ausfprechen wollte. Haben benn 
die echten Verehrer des römifchen Alterthums es nicht 
bis auf den heutigen Tag bedauert, daß eine umfaffende 
Bearbeitung der Ovid'ſchen „Kunſt zu lieben” und der 
„LKiebeselegien”, bie ale das lebendigſte Sittengemälbe 
der Augufteifchen Zeit anzufeben find, noch immer durch 
jene Angſtlichkeit gehindert zu fein fcheint, die, einft 
Garne bei Gelegenheit der Manfo’fchen UÜberfegung in 
einem Briefe an feine Mutter (vergl. Nr. 341 d. BL. 
f. 1830) äußerte, er wundere fih, wie ein Fleiß 
wie der Manfo’s mit Ausfchweifungen beftehen. könnte. 
Uber ſelbſt folche bedenkliche Gemüther müßten fi ei- 
gentlich nıit Caſanova's Memoiren und ihrem vielbelefenen 
Erklärer verfühnen, weil die Nemefis den böfen Schritten 
Caſanova's ſo oft nachfolge und er zulegt einem einfa- 
men, unbehaglichen Alter erlegen ifl. In diefer Bes 
ziehung haben weder Fielding’ „Tom Jones“ nach) Le» 
fage’6 „Bilblas” ein größeres Verdienft zu beanfpruchen 
ale Safanova’s „Memoiren‘, und ein Mann, ber fi 
die Mühe gibt, dies mit Fleiß und Ausdauer nachzu⸗ 
weifen, verdient für ein folches hochnothpeinliches Hals⸗ 
gericht (wie entfernt er auch von allem pelitifchen Ver⸗ 
folgungsgeifte ift) viel mehr den Dank ber frommen 
und verfchämten Seelen als Zabel und Misachtung. 

Sp viel im Allgemeinen über Hin. Bartheid’s Bud 
und feine Eigenthümlichfeiten. Unternehmen wir num 
im Gingelnen über biefelbea und über die Ginrichfung 
ber vorliegenden beiden Bände zu besihen. . 


Wei) auf den erſten Geiten des erſten Bandes er⸗ 
Hart der Verf., daß er ſich enthalten werde den Caſa⸗ 


nova als Schriftſteller zu fehildern, und bittet feine Leſer 


ihm den Kommentar über bie Erofica in diefen Memoi⸗ 
ren zu erlaffen, indem in feinem Buche nur folche Lie- 
besabenteuer Beachtung finden würben, bie entweder von 
einem hböhern poetifchen Reize begleitet find ober ben 
Blick in gefchichtlich anziehende Werhältniffe geftatten. 
Bein Borfag fei vielmehr eine kritiſche Prüfung ber 
Angaben und Abenteuer Caſanova's anzuflellen und ben 
Beweis für des Leptern Wahrhaftigkeit oder Verdrehung 
von Thatſachen zu liefen. Hr. Barthold fagt: 

Died befteht aber darin, daß wie erftens die eigenthuͤm⸗ 
liche Stellung eines Italieners zur gebildeten, außeritalienifchen 
Geſellſchaft des IRB. Zahrhundertö beleuchten und zumal bie un: 
berechenbaren Bortheile hervorheben, welche dem Benctianer 
beim Eintritt in das Ausland feine Herkunft, feine heimifche 
Bildung und Brfahrung wie einen Preibrief und Berechti⸗ 
gungsfchein zur genußreichften, perſonlichen Beltung zuwies. 

Hierbei müffen wir gleich die vortrefflihe Abhand⸗ 
fung über die Stellung der Staliener in England, Frank⸗ 
reich, Deutfchland, Rußland und andern europäifchen 
Ländern fowie ihren Einfluß auf Literatur, Kunſt und 
geſellige Berhältniffe ganz beſonders auszeichnen, die 
nicht allein als die zwedmäßigfte Einleitung anzufehen 
ft, fondern aud als felbfländige Abhandlung jedem 
biftorifhen Werke zur Zierde gereichen. würde. Daß 
aber niemals im vorigen Jahrhundert ein Italiener. feh⸗ 
len durfte, wo irgend an Höfen Schmähliches im Werke 
war, zeigt ber Verf. unter Anderm an einer geheimniß- 
vollen, haͤßlichen Geſchichte vom dresdner Hofe, die er 
ober mit der anſtandésvollſten Kritit behandelt bat. Der 
Berf. fährt fort: | 

Bweltens werben wir den Lefer durch alle zwölf Bänbe 
der Biographie in fo weit gefeiten, daß wir alle namhaften, 
der Dffentlichleit irgendwie kundbaren Perfonen und alle An- 

allgemeiner Berhältniffe ftreng prüfen, um moͤglichſt 
Widerfprüche in den Beitangaben, in den geſchichtlichen Attri⸗ 
buten der Perſonen und in der Zeichnung ded Einzelnen, in 
der Bezugnahme auf die Politif und auf dad Staatsleben und 
mderweitig bekannte Dinge wahrzunehmen. 

Bon befonderm Nugen fei nun für biefe Art der 
Keitit die Gegenfeitigkeit und Befreundung der Berühmt: 
heiten des 18. Jahrhunderts, ſodaß man ‚mit einer faſt 
policeimäßigen Chronit Allem nachkonmen unb ſchelmi⸗ 
ſche Landfahrer bald einer Züge zeihen könnte. Gerade 
Hier aber fei zuerft der Widerſpruch zu befeitigen, daß 
in fo vielen Denkwürdigkeiten, Brieffammlungen, Ge 
fandtfhaftsberichten und andern Schilderungen Cafano- 
va's Name fo feiten vorkommt unb- bag er eigentlich 
nur aus den fihern Angaben über feine legten greifigen 
Tage in den Denfwürdigkeiten des Fürften von Ligne 
betannt geworden ift. Hierauf weiß Hr. Barthold in 
glänzender Weile zu antworten. Caſanova's Daſein 
wird bezeugt durch feine verwandtfchaftliche Beziehung 
zu ben beiden namhaften Brüdern Johann und Franz, 
durch die gedrudte Erzählung - feiner Flucht aus den 
Bleikammern zu Venedig, durch feine fchriftftellerifchen 
Werke, durch feine anſtoͤßige, 1790 bekannt gewordene 
Derbindung mit dem Herzoge Karl Biron von Kurland, 


und durch andere Beugniffe, endlich durch die Einficht 
des Driginalmanufcripte feiner Denfwürdigkeiten Nach 
bes Derf. Worten heißt es: 

Diefe aber find das vollendete, ausführliche Gemaͤlde wicht 
allein bes fitlichen und der Gefellfchaftszuftinde des Jahrhun⸗ 
derts, welches der franzoͤſiſchen Staatsummälzung voranging, 
fondern au ber Spiegel ded Staatslebens in feinen indivt« 
duellen Sweigen, der Kirche, der Denkweife der Nationen, ber 
Vorurtheile der Stände, der Abdrud der Philofophie, alfe des 


innerften Lebens des Beitalterd. Wir möchten behaupten, daß. 


wenn alle andern Schriftwerde zur Kenntniß des 18. Sahrhun: 
derts verloren gingen, wir in Eafanovar hinlänglihen Stoff be 

Ben, um dic unausbleibliche Rothwendigkeit einer allgemeinen 
Umwälung zu ermeflen. Wer bat wie er die Verſunkenheit 
und Waulniß der hoͤhern, der fogenannten gebildeten Gefell- 
haft, den gedankeniofen Leichtfinn, den ‚Übermuth und bie 
beraußfodernde trogige Verneinung der privilegirten Stände 
gegen die unveräußerlichen Güter der Menfchheit, die gefpreizte 
Seiftesormuth und Erbärmlichkeit und Unnatur bes Rococo> 
zeitalters dargeftellt $ 

Die weitere Ausführung der furzen, aber fehr Eräf- 
tigen Charakteriftit des 13. Jahrhunderts müffen wir 
aus Mangel an Raum unterlaffen. _ 

At num fomit von Hrn. Barthold die Perfon Ea- 
fanova’s als Die eines wirklichen Menfchen und nambaf- 
ten Abenteurers binlänglich feftgeftellt, fo erklärt er fer- 
ner feine objective Treue und Wahrhaftigkeit in allen 
perfönlihen Verhaͤltniſſen für wahrhaft bewundernswär- 
dig. Unter Zaufend von gefhichtlichen Zügen gibt es 
kaum ein halbes Hundert in denen er irrt, kaum einen 


in dem er einer gefliffentlihen Täufchung überführt wer- 


ben kann. Eine Reihe von Beifpielen, zuerft Bb. I, 
&. 17—24, und dann an vielen Stellen beider Bände 
(wie Bd.1, 8.257; Bd. 2, ©. 134, 243, 225) führt 
uns die wichtigflen ſolcher Verſehen mit großer Berch- 
tigkeit und ohne Schonung gegen Caſanova vor, wie 
denn auf der andern Seite Hrn. Barthold's Belefenheit 
in zahlreichen Büchern und Denkſchriften und bie große 
Mühe, die er fich zur Aufhellung oder Beftätigung der 
Lebensereigniffe Caſanova's gegeben hat, fede Anerfen- 
nung verdient. So werden für Cafanova’s Aufenthalt 
in Bemedig 1743 Rouſſeau's Beobachtungen und gleich- 
artige Erlebniffe benutzt; die Richtigkeit der chronologi⸗ 
fden Angaben während feines Aufenthalts bei Friedrich II. 
wird aus Roͤdenbeck's „BSefhichtstalender” dargethan; ber 
dem Caſanova zur Laſt gelegte Irrthum in der Perfon 
des Unterfuchungsrichtere Fielding zu London in einer 
ziemlich anſtößigen Sache Elärt fi dadurch, daß bier 
nicht Horaz Fielding, fondern Sohn Fielding, fein Stief- 
beuber, ber ebenfalls ein Richteramt bekleidete, bis in 
bie Beinften Umftände auf; bie Erlebniffe in Rom 1761 
zeigen durch Vergleichung der Winckelmann'ſchen Briefe 
eine wunberbare Gedäachtnißtreue; die Umftände, welche 
nad) Caſanova's Berichte dem Herzoge von Montpenfier 
(Philipp Egalite) das Leben gaben, flimmen ganz mit 
der Zeitrehnung überein; die gelungene Portraitirung 
bes Cardinals Bernis ift mit vollfländiger chronologi« 
fer Berüdfichtigung gegeben; bie Epifobe bes Zufam- 
menlebens Caſanova's und Voltaire's gegen kritiſche 
Zweifel durch allſeitige Erörterung der kleinlichſften Um⸗ 


- 


484 


fände (die aber nun einmal mit befprochen werben muß⸗ 
ten) hinlaͤnglich gefhügt. Und fo Fönnten wir noch viele 
ähnliche Belege anführen, wie aus den Gchriften des 
Barons Grimm, Wraxall's, Dutene’, &t, - Simon’s, 
Duclos’, Marmontel’s, Hammer’s, Gorani's, Keyßler't, 
Thiebault's, Winckelmann's, Brienne’s, Befenval’s u. X, 
ferner aus den Memoiren Lauzun’s, der Frau de Hauf- 
fet und der (faft zu viel benugten) Marquiſe von Cri- 
qui, aus den Werfen Voltaire’ und vielen anonymen 
größern Büchern und Flugfchriften bes vorigen Jahr⸗ 
hunderts, um bie außerordentlihe Sorgfalt des Hrn. 
Barthoid zu beweifen. Es fei aber nur noch eines Fal- 
les bier gedacht. Im neunten und zehnten Bande fei- 
ner Dentwürbigkeiten erwähnt Caſanova während fei- 
nee Aufenthalts in London und Leipzig 1763 und 1766 
eines als Epielers und verworfenen Menfchen berüchtig- 
ten Grafen Sch..., jenes Neffen bes prager Helden, 
welcher das biutgeträntte Ordensband (nah Andern 
das blutige Hemde) feines Oheims gebrauchte, um ſich 
aus augenbliclichen Geldverlegenheiten zu ziehen. Mehre 
Anfragen des Hrn. Barthold über dies unwürdige Glied 
jenes ruhmvollen Geſchlechts bei den Mitgliedern ber 
Familie blieben unbeantwortet, bis es ihm endlich ge- 
lang, durch eine bejahrte, dem Haufe nahe verwandte, 
würdige Matrone die ficherfie Auskunft zu erlangen, 
durch welche Caſanoya's Nachrichten vollkommen beftätigt 
wurden. Hinterher fand der Verf. auch ein anderes 
glaubhaftes Zeugnig in Thiebault's Schrift über Fried- 
rih II. Bei diefer Gelegenheit haben wir auch die be- 
fondere Zartheit zw beloben, mit welcher Hr. Barthold 
etwanige Scanbale angefehener noch blühender Familien 
im Gegenfage zu der jegt fo beliebten und unanftändi- 
gen Hervorziehung folcher Dinge an bie Offentlichkeit 
behandelt hat; fo’ verfchweigt er den Namen einer ſchö⸗ 
nen Danoveranerin, mit der Bafanova in London ein 
Verhältnig angelnüpft hat und deren vornehmes Ge- 
ſchlecht ſich wol ausfpüren ließ, oder enthält fi bie 
Sattin jenes koͤlniſchen Bürgermeifters zu nennen, die in 
ihrer Hauskapelle mit Caſanova zärtlihe Zufammen- 
fünfte hatte, obſchon bie Sage in Köln, wie uns nicht 
unbekannt ift, jene Frau als die Großmutter eines ge- 
achteten Geſchlechts nennt. 

(Die Gortfegung folgt.) 


— — 


Zur polniſchen Literatur., 

Sm Februar d. 3. ſtarb in Warſchau Johann BVincenz 
Bandtkje oder Bandtke, der jüngere Bruder des vor einigen 
Jahren in Krakau verftorbenen Bibliothelars und polniihen 

iſtorikers Samuel Bandthe, in einem Alter von 63 Jahren. 
war, nachdem er zur Zeit des Herzogthums Warfchau ein 
Rotariatsamt verwaltet hatte, bis zur Auflöfung der warfchauer 
Univerfität ald Profeffor der Rechte an derfelben angeftellt ge 
weien. Seine Werke beziehen fich größtentheild auf die pol: 
niſche Rechtsgeſchichte. Zuerft gab er in Breslau 1806 eine 
Schrift „De studio juris polonici” heraus, der I808 „‚Vindi- 
ciae juris romani Justinianei” folgten. Sein Hauptwerk ift 
eine Audgabe des „Jus culmense“ (Warſchau 18514) nebfk ei: 
‚ner Abhandlung über das kulmer Recht und die oft: und weft: 
preußifchen Landrechte. Cine wichtige Sammlung zur Gefchichte 





des altpolnifchen Rechts ift auch fein „Jus polonicum, codici- 
bus, veterinus Fr Fi beler Kar collatis editum” 
Warſchau 44.. plögli "erregte umter fei 
8 —e— Schuͤlern lebhafte Theilnahme. ir ſer 

Zwei andere in letzter Zeit verſtorbene polniſche Literaten 
find der Profeſſor an der ehemaligen wilnaer Univerfität Ze⸗ 
gota Dnacewicz und der durch feine bibliographifchen Forſchun⸗ 
gem verdienſtvolle Staatsrath Bafıli Anaſtaſzewicz. 


Die Polen befigen ein großes heraldiſches Werk, das ber 
um 375 verftorbene Jeſuit Carpar Rieſiecki mit unfaglicher 
Mühe und im Kampfe mit vielfahen Widerwärtigfeiten unter 
bem Zitel „Korona polska” in Lemberg von 1728 — 43 in 
vier ftarken Quartbänden —— bet Es enthält bie 
Geſchichte fämmtlicher adeligen Geſchlechter Polens mit Abbil. 
dungen der Wappen, unb iſt fo forgfam zufammengetragen, 
daß es als authentifche Quelle zur Rachweifung bed Adels gilt. 
Da es felten geworden und fehr koſtbar ift, fo iſt es dankens- 
werth, daß Bobrowicz in Leipzig jetzt einen-neuen Abbrud des 
ganzen Werkes in zehn Detavbänden veranftaltet hat. Ders 
felbe ift fehr fplendid gedrudt und untangft vollendet worden; 
zu bedauern ift nur, daß der Derauögeber nit im Stande 
war, die manderlei Lüden und Mängel, die fi) doch im Werke 
finden, zu befeitigen. Neuerdings hat er einen Band Rad: 
träge zu feiner Ausgabe geliefert, Die aber durchaus nicht in Rüd- 
fiht auf Hiftorifche Treue an Nieſiecki 8 Wer fi) unreiben koönnen 
und die nicht gewiſſenhaft genug zufammengetragen find. 


In dem Oſſolinski'ſchen Inftitue zu Lemberg ift ein in 
tereſſantes hiftorifches Werk vom Grafen Dziedußzycki, „Dzieje 
i sprawy Lissowczyköw”, in zwei Zheilen herausgegeben wor⸗ 
ben. Es befchreibt die Züge der Liſſowczyker, einer wilden 
abentenerlihen Schar polnifcher Krieger, die im Anfange des 
17. Zahrhunderts, ald Sigismund Waſa den ruffiichen Zaren 
mit Krieg überzog, ganz Rußland durchftreiften, dann aber von 
Sigismund dem Kaifer Zerdinand IL gegen Betlem Gabor zu 
Hülfe gefandt wurden, und die fehr weſentlich zur Unterwer⸗ 
fung beffelben beitrugen. Sie trugen einen vollftändigen Sieg 
über Stephan Ragozy davon. Die Furcht vor ihnen war fo 
groß, daB Betlem Gabor, ber in Dfen bereits feine Krönung 
vorbereitete, bei ihrer Annäherung Ofen verlieh. Später tries 
ben fie während bes Dreißigjährigen Kriegs im Dienfte des Kai- 
ferd Ferdinand in Böhmen und Deutfchland ihr Weſen und 
arteten in eine überall Schreden erregende Räuberfchar aus. 


Ein bedeutendes Hiftorifches Werk hat Begota Pauli in 
Lemberg begonnen, „„Zywoty Hetmanow‘, Lebensbeſchreibun⸗ 
gem der Hetmane forwol der Krone Polen als auch des Groß 
berzogthums Lithauen. Er hat dabei die alten unlängft aufge 
fundenen wichtigen Materialien Brodowski's zum Grunde gelegt. 
Diebeigegebenen Wappen der Feldherren find eine Bierde des Werks. 


Roch erſcheinen zuweilen polnifche Schriften in Petersburg, 
In legter Beit ift dafelbft eine Schilderung ber Zuftände von 
Weißrußland, „Szlacheic Zawalnia czyli Bialorus”, von Re: 
mugld Podbereski, mit einem Eritifchen Uberbli über die weiß 
ruſſiſche Literatur erfchienen, ferner eine Gedichtſammlung eines 
Ukrainers, Daszkowski, ‚„Niezapominajki Ukrainca ” (1845), 
in welcher theild Driginale, theild Überfegungen Pufchkin’fcher 
Eedichte enthalten find. 


Anerkennung auch bei deutſchen Gelehrten hat das über 
das polnifhe Münzivefen von Ignaz Zagorsſski und dem Baron 
Eduard Raſtawiecki in Warſchau 1345 herausgegebene Werk 
gefunden, „Monety dawnej Polski”. Man findet hier nicht 
nur die vom polnifchen Staate felbft, fondern auch die von den 
Städten und Provinzen außgegebenen Münzen befchrieben und 
auf 60 Zafeln in Lithographie abgebildet, Das Werk bericht ſich 
aber vornehmlich nur auf die Drei legten Sahrhunderte. 9, 


Verantwortlider Herausgeber: Heinrich Wrodpans. — Drud und Verlag von F. X. Brockhans in Leipzig. 


— — 


J — 
J 


Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 


Sonnabend, 


— ft. 


— 


Die gefchichtlichen Perfönlichkeiten in Jakob Caſanova's 
Memoiren. Beiträge gi Geſchichte des 18. Jahr: 
bunderts von F. W. Barthold. Zwei Bände. 

(Bortfegung aud Nr. 121.) 

Iſt alfo buch die eben gegebenen Rachweifungen 
die Wahrhaftigkeit Caſanova's im Erzählen erhärtet, fo 
erklärt e8 ferner die Art feines Auftretens zur Genüge, 
weshalb fein Name in den Büchern bes 18. Jahrhun- 
bertö nicht fo oft genannt ift als der eines Freiheren 
von ber Trend, eines Grafen von St.-Germain, eines 
Caglioſtro. Alle Diefe foderten durch freche Baunerkünfte, 
prahlerifche Geheimnißfrämerei und hohe Anmafungen 
das öffentliche Urtheil heraus, Caſanova aber ift viel 
feiner und vorſichtiger. Er reifte zwar als vornehmer 
Herr, aber unter dem Titel eines Chevalier de Seingalt, 
fein Debut am Pharotifche war gewandt, befonnen unb 
nicht auf falfche Griffe und Kartenkünſte gerichtet, feine 
geheimnißvolle Kabbala mehr eine Spielerei, eine geiftvolle 
Moftification vornehmer Thoren als eine Ermwerböquelle: 
nur durch die unbefiegliche Narrheit der Marquiſe b’Urfe 
gezwungen mußte er von feiner Überlegenheit Gebrauch 
machen, um die fleigenden Bedürfniffe feiner verfeiner- 
ten Genußfucht zu befriedigen. Ebenſo Hatte er, auch 
wenn es in ben Dienften eines Fürften arbeitete, nie 
einen öffentliden Zitel, wogegen ihn feine fchnell be- 
kannt gewordene Flucht aus den venetianifchen Bleikam⸗ 
mern als ein Opfer ungerechter Juftiz in dem glänzend» 
ſten Lichte erſcheinen lieg und fein ehrenhafter Zweikampf 
mit dem polnifchen Kronfeldheren Branicki in Warfchau 
ihm die Stellung in der abeligen Welt ficherte, zu der 
er ſich berechtigt hielt. In allen folhen Beziehungen 
ift bie DVergleichung, bie Hr. Barthold zwifchen Cafa- 
nova und Trend anftelt, fehr belehrend, „der Stalie- 
ner”, fagt er, „bleibt, feiner Gaunerfünfte und heillofen 
Moral ungeachtet, dennoch wie umbeftritten intellectuell 
fo auch fittlih eine höhere, vornehmere Natur”. Dabei 
find die Schattenfeiten in Caſanova's Leben nicht un- 
aufgededt geblieben, feine haͤßliche Geldnoth, die verwor- 
fene Geſellſchaft in der er mitunter Iebte, die Rüdfichts- 
lofigkeit im Umgange mit ben meiften Frauen, endlich 
die Abnahme feines Glücks, feitdem ihn in Großbritan- 
nien 1763 fein böfes Schickſal dem Galgen nahe brachte, 
von jener Lebenshöhe, auf der er fich zehn Jahre früher 
ohne Schwindel, bewegte und die mit feinem Aufent- 


122, — 


2. Mai 1846, 


halte in Venedig 1753, den ber vierte Theil „des Epos 
heroiſcher Wolluſt“ fchildert, begonnen hatte. Jene höhere 
Natur zeigt aber Caſanova befonders als Schriftfteller, 
Sittenmaler und Gefchichtfchreiber, er fteht nach unferm 
Verf. hier unendlih hoch über dem Abenteurer Cafa- 
nova und verebelt einen Lebensroman, der nad) der ge- 
wöhnlichen Auffaffung nur voll der unzüdtigften Bil- 
der ift, Die aber felbft dem abgeflumpften Lüftling durch 
cyniſche Befeeltheit noch einigen Kigel erregen, zu einem 
Werke der ernſten Klio, dergleichen die neuere Literatur 
fein anderes aufzumeifen hat. So gern wir auch Hrn. 
Barthold alle Gerechtigkeit widerfahren Laffen, fo hätten 
wir doch um feines Werkes willen gewünfcht, er hätte 
—* faſt zu ſtolzen Worte nicht an die Spitze deſſelben 
geſtellt. 

Um nun aber zu zeigen, wie ſehr Caſanova's Buch 
durch den Barthold'ſchen Commentar gewonnen hat — 
was bekanntlich nicht der Vorzug aller Commentare 
iſt —, verfolgen wir jetzt in raſchen Überblicken die ein⸗ 
zelnen Begebenheiten und bezeichnen bie reichen Ausfüh- 
rungen und nüglihen Erceurfe, die ihnen von der Band 
des gelehrten Profeffors zu Theil geworden find. 

Caſanova war nad) feiner eigenen, genauen Angabe 
in Benedig am 2. April 1725 geboren. Diefe Ge- 
burtsftabe hat auf ihn während feines ganzen Lebens 
den größten Einfluß gehabt, fie ift unermüdet fein Lieb- 
Iingsplag geblieben und es ift faft rührend zu lefen, 
wie ihn 1773 das Heimmeh oder bie Unmöglichkeit, fern 
von der Waterftadt feine Tage angenehm zu verleben, 
ringe um das Gebiet der Republik umhertreibt. Mit 
Recht hat daher Hr. Barthold den venetianifhen Zur 
ftänden eine genaue Aufmerkſamkeit gewidmet und uns 
im erften Bande ſowol von bem mächtigen Wirken der 
furchtbaren Staatsinquifition als von der Zunft der ve- 
netianifchen Courtifanen, dieſer unentbehrlihen Stütze 
des republifanifchen Staats, von den Sungfranenflöftern 
auf Murano und überhaupt von bem Xeben und Trei⸗ 
ben in diefer „Metropole ber raffinirten Freiheit des 
Sinnengenuffes” fehr farbenreiche, auf fleifigen Studien 
beruhende Bilder aufgeftellt. Ebenfo hat berfelbe Caſa⸗ 
nova’s dunkle Herkunft (er war der Sohn eines Schau- 
fpielerpaars) möglichft aufgeflärt unb dadurch zwei Er⸗ 
gebniffe von Wichtigkeit für das Leben feines Helden 
gewonnen, einmal, daß in deffen junge Seele auch nicht 





ein daͤmmerndes Bild von ehrbarem Kamilien- und Bür⸗ 
gerleben fallen konnte, und zweitens, daß das wanbernde 
Reben ber Altern eine Kette von perfönlichen Verbin⸗ 
dungen duch ganz Europa für Caſanova geworben if. 
Man weiß ja, mit welcher Keftigfeit folche Berbindungen 


ımter Schaufpieleen, und namentlich bei foldhen, die 


nicht auf ben erften und reichften Bühnen angeftellt find, 
feftgehalten zu werben pflegen. Die erften Liebesaben- 
teuer Caſanova's fallen aud in dieſe Zeit, und die Lie 
besnacht mit der fihönen Römerin in Marino nöthigt 
bie Kritik unfers Verf., „die Hauptfäden der politifchen 
Geſchichte in das Teichtfertige Gewebe einzufchlagen”‘, was 
denn auch mit der erfoderlichen Sachkenntniß geſchehen 
iſt. Das naͤchſte Jahr in Caſanova's Leben (Juni 1745, 
25. Nov. 1745) führt die Leſer nach Konſtantinopel, 
wo für ihn der berüchtigte Renegat Bonneval die an- 
ziehendfte Bekanntſchaft war. Wichtiger als feine Er- 
lebniffe find aber für uns die kritiſchen Erörterungen 
Hrn. Barthold's, durch die er aus unverdächtigen Duel- 
len die Hauptmomente des Lebens Bonneval’s zuerſt 
berichtigt und befonders feine festen Jahre beleuchtet 
bat. Nach der Rückkehr bleibt Venedig für die näd)- 
ften Jahre Caſanova's Schauplag, er führt das Leben 
des gebankenlofeften Taugenichts und zeige die Sitten 
der Stadt im grellften Xichte, wodurch der Verf. Ver- 
anlaſſung erhält, der Begebenheiten Rouſſeau's, ber 1743 
und 1744 Secretair bei ber franzöfifhen Gefandtfchaft 
in Venedig war, zu gebenfen, obfchon fie mit Caſano⸗ 
va's Schickſalen damals noch in feiner Berührung ftan- 
den. Diefer pilgerte im Juni 1750 nad Paris, wohin 
fein Sinn fchon lange ftand, die Reife führte ihn über 
Ferrara und Turin, mo allerhand Perfonlichkeiten von 
Hrn. Barthold kürzlich beſchrieben werden. 

Die Schilderungen des parifer Lebens 1730 — wo 
Ludwig XV. über jedes Vorurtheil von Pflicht, Ehre 
und Gewifſen hinausgekommen und die Belt vom Hofe 
durch alle Fugen des bürgerlichen und häuslichen Lebens 
gebrungen war, fodaß felbft die partfee Handwerker bald 
lernten ſich en philosophe über Alles hinwegzuſetzen, was 
furchtſame Gemöhnung bisher noch als mohlthätige 
Schranke anerkannt hatte — gehören zu ben bedeutenbften 
Helen des vorliegenden Werks. Caſanova, zuerft auf 
feine Komödiantenfippfähaft angewiefen, fand Bald an 
Madame Sylvia, ber erfien Berühmtheit der italieni- 
fhen Dper, und an der ſchamloſen Mabemoifelle Le Fel 
freigebige Befchügerinnen, die uns von Hrn. Barthold 
fowie die andern ausgezeichneten Theaterheldinnen jener 
Belt, eine Gauffer, Gauchin, Lolotte, Clairon u. U. 
aus den Schriften der Zeitgenoffen fehr anſchaulich ge 
fchildert find. Bei der wichtigen Rolle, welche biefe 
Shaufpielerinnen, über beren Frechheit Cafanova felbft 
erſtaunen mußte, in der bamaligen vornehmen Welt 
fpielten, ift die Ausführlichleit gar nicht übertrieben, 
namentlich wo fie fih fo ganz in den Grenzen des 
Anftandes Halt und überhaupt — was wir wieberholt 
bemerken — bie erotifhen Stüde nur als untergeord- 
nete Theile zur Anknuͤpfung gefchichtlicher Thatſachen 


behandelt. Uber auch VWoltaire mit feinem Anbange, 
Sontenelle und d’Alembert und andere Männer ber 
Wiffenfhaft, die Frauen Geoffrin, Dubocage treten uns 
Hier entgegen, Hand in Hand mit ihnen die Ausſchwei⸗ 
fungen des emtarteten Hofs, Monfieur Duizin, der Ger 
Tegenheitsmacher bes Königs, der alte Sünder Richelieu 
in feinem fcandalöfen Liebeshbandel mit Madame be la 
Popeliniere, bie beiden Familien Boufflerd und Lurem- 
bourg, Die man in Paris als die Muſter des Auf- 
ſchwungs über die Worurtheile des Pöbels pries und 
deren genealogifche Verhältniffe ihre gründliche Beleuch⸗ 
tung einer gelegentlichen Außerung Caſansva's verban- 
ten, endlich die anftößigen Gefhichten aus dem Haufe 
Orleans. An dem Marfhall von Sadfen, dem Sohne 
der berühmten Aurora von Königsmark, die „weder fo 
jung noch fo jungfräulicd, als gemöhnlicy geglaubt wird 
in den glänzenden Reihen ber Kebsweiber Friedrich Au- 
guſt's eintrat”, tadelt Hr. Barthold die ſchmuzigſten, un⸗ 
würdigften Gefchichten, die fein fittliches Leben beflecken, 
die Tächerliche Rivalität mit kleinen Poeten und Paſte⸗ 
tenbäderjungen, die undeutfche Sefinnung. „Ohne feine 
Thaten hätte Deutfchland den Raub Franfreihs am 
Elfaß wieder abgejagt.“ Geben nun fhon biefe Schau- 
ftellungen oft genannter Männer und Frauen ein fehr 
buntes Bild des damaligen Paris, fo vervollftändigt es 
unfer Verf. noch durch die Schilderımg jener Liebhabe⸗ 
reiten für Zauberei, Xeufelsbefhmörung und bie kabba⸗ 
liſtiſchen Wiffenfhaften, wo bie erflärteften Freigeiften, 
Männer wie Frauen, am erften das Spiel liftiger Aben⸗ 
teurer wurden. Caſanova hatte biefe Kunſt mit glüd- 
lichem Erfolge in Italien getrieben und felbft eine neue 
Diethode erfunden, die er in Frankreich noch weiter trieb 
und fid) dadurch in ben höchſten Auf fegte, als ſtehe er 
mit der phantaſtiſchen @eifterwelt in Verbindung, ale 
habe er über Mittel zu verfügen, bie Alles übertrafen, 
was wir in neuerer Zeit von den freihen Betrügereien 
eines Baglioftro und St.-Germain erfahren haben. Das 
beflagenswerthefte Opfer diefer Künfte iſt die Marquiſe 
b’UrfE geworden, die Heldin des fünften bis achten 
Bandes. 

Ehe nun Bafanova nad Venedig heimkehrte, gibt 
fein Aufenchalt zu Dresden und Wien im Sommer 1752 
und 1753 Hrn. Barthold Gelegenheit zu eben nicht er- 
freulihen Schilderungen nıehrer hervorragenden Perfönlich- 
feiten in beiden beutfchen Städten. Reich an Erfahrung, 
aber arm am Beutel, kam er in feine Vaterſtadt zu- 
rück und verflocht wieder eine Neihe von Romanen ve 
nefianifchen Stils in fein Leben, an welche bie Kritik 
feine Bemerkung Mnüpfen Tann, bis der Inhalt des 
vierten Bandes der Betrachtung neuen Stoff gibt, weil 
die handelnden Perfonen fowie die Beweggründe der Ka⸗ 
taftrophe der Gefhichte angehören. Unter diefen Perfo- 
nen ift der bamalige franzöfiihe Gefandte in Venedig, 
der vormalige Cardinal Bernie, vorzüglich zu nennen, 
deffen Leben Hr. Barthold mit befonderer Ausführlich“ 
feit verfolgt hat, weil Caſanova, begünſtigt burd das 
Spiel und ben Schug reicher Patricier, durch ihre bei- 


derfeitige Freundin die Nonne M. M. im Caſino zu 
Murano, diefes großartige Mufter aller veretianiſchen 
Hetären, mis ihm in nähere Verbindung trat. Hier- 
neben ift das Geheimnißvolle und linheinsliche ber ven«- 
ttaniſchen Regierung in das hellſte Licht gefept, nament- 


lich die Staatsinquifition auf das genauefte beurtheilt, 


als deren Opfer Cafanova nach Bernis’ Abreife in Folge 
feiner blasphemifchen Kabbala, feiner frechen Lufigier, 
weiche bie Kioftermauern durchbrochen hatte, und der 
verbotenen engen Berbindung mit einem ausländifchen 
Sefandten am 26. Juli 1755 fiel und in die verrufe- 
nen Bleikammern gebracht ward. Seine munberbare 
Flucht aus benfelben, die ihn einer gewiffen Hinrichtung 
ohne Verhoͤr und Unterfuhung entzog, wirb nur bei- 
läufig berührt und zu einer Vergleichung mit ben aͤhn⸗ 
lichen Entweichungen Benvenuto Eellini’s und Trenck's 
benutzt, feine Gefchichte aber erſt in Frankreich feit dem 
5. San. 1757 wieber aufgenommen. Die richtige Auf- 
faffung der fietlihen Zuftände in Frankreich, vor alfen 
der Pompadour und ihrer Maitreffenwirtbfchaft, erfennt 
ber Verf. vollkommen an und weiß fie durch bedeutende 
Einzelheiten zu beftätigen, aber in bie politifchen, ver⸗ 
ſchleierten Geheimniſſe ift Caſanova's Blick nicht einge- 
drungen. Durch feinen Gönner Bernie gelangt er jetzt 
zu finanziellen Bedienungen, er macht auch einen An⸗ 
fang in ber diplomatiſchen Laufbahn, aber fein be- 
ſtes Glück hat er bei hoffähigen und nichthoffähigen 
Frauen, deren Privatleben unfer Verf. nad) allen Sei⸗ 
ten bin beleuchtet, mie das jener Gräfin de Blois be 
Chaurigny, welche aus Sentimentalität die Kuhmilch 
verfchmähte, die Nahrung junger Lämmer für fi allein 
paffend fanb und gegen Buffon ſich beflagte, daß bie 
Tauben niht Milch gäben. Durch fo hohe Freundin- 
nen begann unfer Held wieder die alten kabbaliftifchen 
Künfte und knüpfte feine Verbindung mit der tollen 
Naͤrrin, ber Marguife d'Urfé, an. 
(Die Kortfegung folgt.) 


Die Entführung der heibelberger Bibliothek nah Rom 
im Jahre 1623. Don Johann Chriftian Felir 
Bähr. Leipzig, T. O. Weigel. 1845. Gr. 8. 8 Neger. 


Ob das Net der Eroberer fih nur darauf ' befchränft, 
Menschen zu tödten, Länder zu verwüften, Geld und Geldes: 
werth zu tauben, oder ob e& ihnen auch zufteht, Gchäge der 
Kunft und Wiſſenſchaft fortzufchleppen, ift eine Frage, die ver- 
fhiedentliche Beantwortungen gefunden bat. Wenn einmal das 
militairifche Raͤuberhandwerk durch großartiges Auftreten und 
gluͤckliche Erfolge eine Art Sanction erhalten hat, fo fcheint es 
nicht darauf anzufommen, ob der Sieger nur Menfchen und 
Bieh jchlachtet, ſich Gold und Silber aneignet, oder ob er auch 
Böker, Gemälde, Denkmäler u. dergl. als angenehmen Lohn 
für feine ieh ie Die ih Römer ee Sardaen 
felgen Unterichied; erbin find Fortichleppungen von gen 
der Kunft oder Wiflenfehaft nur felten vorgefommen, aus dem 
hinreichenden Srunde, weil man nicht viel davon fand und das 
Sefundene nicht Mi würdigen wußte. Daß die Benetianer bie 
vier bronzenen Pferde aus Konftantinopel mitführten, um ihr 
St.⸗Marcusportal damit zu ſchmücken, daß das Recht des Stär: 
fern den Codex argenteus, die Bibliothefen der braunsberger 


& 


umd wuͤrzburger Jeſuiten nach Upfala wandern lieh, ſind ver: 
einzelte Bälle. Erſt Napoleon hat die Ausbeutung ersberter 
Länder in diefem Genre wieder eu gros und planmäßig betrie⸗ 
ben; er beurtheilte ganz richtig, daß der Ruhm der großen Ra- 
tion durch ſolche Trophaͤen nicht wenig erhöht werden müßte; 
und bei der vorgefchrittenen äfthetifhen und wiſſenſchaftlichen 
Bildung iſt es ſehr wahrſcheinlich, daß Fünftige Eroberer in 
diefem Punkte nidye bedenklicher fein werden als Napoleon. 
Sollte es demnach überflüffig fein, wenn: fi die europäifchen 
Potentaten über völkerrcchtliche, dieſen Gegenftand fichernde Be 
ſtimmungen einigten® Hierauf müßte man aber ſchon in Frie- 
denszeiten Bedacht nehmen; denn wenn erft eine Invafion aus 
Norden oder fonft woher hereingebrochen ift, bürften folche 
Stipulationen zu Tpät kommen. 

‚ Eine der intereffanteften Raubgefchichten jener Gattung if 
bie im Dreißigjährigen Kriege erfolgte Entführung der pfälzt: 
fhen Bibliothel aus Heidelberg nah Rom. Der Papſt ver: 
Bon ed, ohne ſelbſt ins Feld zu rüden, diefe werthvolle Beute 
ür fich zu gewinnen. Und daß er daran wohlgethan, daß fein 
Name deshalb „ftet6 von der fpäteften Nachwelt dankbarſt ge- 
priefen werben müffe, daB er dabei von den edelſten Sefinnun- 
gen geleitet und zugleich auf fein heiliges Recht geftügt 
war‘, bat Dr. Auguftin Theiner, Priefter des Oratoriums zu 
Nom, in einer befondern Schrift auf eine für jeden Römer 
ſchlagende Weife dargethan. Diefe Schrift gab dem Dr. Bähr, 
jegigem Dberbibliothefar der Heidelberger Univerfitätsbibliothek, 
Beranlaffung, die Sache aus einem andern Standpunkte zu 
beleuchten, und was derfelbe mit Benugung ber ältern und 
neuern, zum Theil felbft bisher nicht bekannten Quellen zur 
Würdigung jenes Ereigniffes beigetragen bat, verdient volle 
Anerkennung: 

Die pfaͤlziſche Bibliothek, befonders wegen ihres Reichthums 
an Manuferipten die bedeutendfte in ganz Deutſchland, hatte 
die Begehrlichkeit Gregor's XV. in hohem Maße erregt. Schon 
längere Zeit vor der @innahme Heidelbergs richtete er deshalb 
ſeine Bewerbungen an den Herzog Maximilian von Baiern; 
bier fanden fie guͤnſtige Aufnahme und kaum hatte ſich Tilly 
der Stadt bemädhtigt, fo ging die Schenkungsurfunde nad 
Rom ab. Gregor Ponnte hierbei verfchiedene Motive haben: 
religiöfe, politiſche und finanzielle. Über die religiöfen fagt 
Auguſtin Theiner: 

„Er (der Papſt) wuͤnſchte dieſen berühmten Buͤcherſchatz 
nad Rom verſetzt, um den Proteſtanten, die gerade in dieſer 
Beit die Denkmäler der chriſtlichen Vorzeit fo fehr entfteliten 
und die PBatholifche Kirche mit aller Misfennung und Verfaͤl⸗ 
fung ihrer Documente aufs leidenfchaftlichfte angriffen, dieſe 
Goldgrube, aus der fie mit Beratung des koſtbaren Metalis, 
das fie enthielt, nur die gemeinſten Schladen bis jetzt auszu⸗ 
graben gewohnt waren, um bie katholiſche Kirche anzufeinden, 
u fchtießen (In Betreff diefer guten Meinung von ben deut: 
(er Proteſtanten fagen fogar die muͤnchner "Biftorifche politi 
hen Blätter” in einer von Herrn Bähr citirten Stele: „daß 
ihre deutſche Empfindung ihnen verbiete, fi bei diefem Ur» 
theile unbebingt zu betheiligen.’‘) 

Bu der Annahme, daß Politik den Papft in der Sache 
geleitet babe, liefert Theiner ebenfalls eine Begründung, indem 
er erzählt, DaB Gregor gleich feinen Vorgängern etwas Großes 
für die Wiffenfchaften und deren Pflege in Rom duch Ver⸗ 
mehrung handfchriftlicher und literarifcher Hälfsmittel zu thum 
wuͤnſchte und fich daher mittel& feines Nuntius Caraffa die hei⸗ 
belberger Bibliothek von Marimilian erbeten habe. Hinfichtlich 
der finanziellen Beweggründe ſchreibt Iheiner: „Es war nichts 
billiger als daß der Papft für bie vielen und großen Opfer, 
bie er feit dem Antritt feines Pontificats dem Herzoge von 
Baiern dargebracht hatte, eine Entſchaͤdigung verlangte. Mehr 
als 200,000 Kronen Hatte er ihm und dem Kaifer zur Fuͤh⸗ 
rung des Kriegs bereits außgezahlt, Beiden anfehnliche Zehnten 
auf geiftliche Güter eingeräumt, dem Herzoge von Baiern fer» 
ner ftehende monatliche H en buch den koͤlner Nun⸗ 


tius gefichert und noch überdies den 6. Oct. 1021 eine Baar: 
gahlung von 60,000 @ulden zugeſchickt. Welche Dpfer! Eine 
affendere und zugleich ehrenvollere und für den Herzog von 
—* weniger drüdende Entfchädigung als die Schenkun 
der heidelberger Palatinbibliothek konnte vom Papſt ficherli 
nicht verlangt werden.” 

Wo nun Religion, Politik und Geld fo mächtig zufammen- 
wirken, wo es für den Empfänger durchaus „billig“, für den 
Geber hoͤchſt „paflend und ehrenvoll“ if, einen Handel mit 
geraubtem Gute zu treiben, da kann man fich nit wundern, 
wenn das Geſchaͤft p gegenſeitiger Zufriedenheit und ohne Zeit- 
verluſt zu Stande kam. 3 

Am 19. Sept. 1622 fiel das Schloß Heidelberg in Tilly's 
Hände und fchon im folgenden Monat trat der päpftlide Com 
miflar, eo Allatius, die Reife nad) Deutihland an, um Die 
Bücher und Manuferipte zu übernehmen und über die Alpen 
zu geleiten. Allatius war ein gefhidter Mann, der nichts Gu⸗ 
te8 in Heidelberg liegen ließ. Die Beute wurde auf JO Wa: 

en nad München gebracht, wo man megen ber weitern Zort- 
chaffung über die Gebirge eine Umpadung in 196 Kleinere Ki- 
ften vornahm. Rach vielen Mühen langte Allatius glüdlid 
mit feinem Zrandport in Rom an und fofort wurden dieſe Bü: 
cher und Manufcripte der vaticanifchen Bibliothek einverleibt. 
Gregor XV. war bereitö geſtorben; fein Nachfolger, Urban VIII, 
ließ die Manuferipte mit neuem Einbande ſchmücken und in 
ſchoͤnen raͤnken aufſtellen. Ein Memoirenſchreiber der da⸗ 
maligen Zeit ſagt: „Au bout ceste partie de la bibliothèque 
palatine est aujourd'huy un des plus riches meubles du Va- 
tican, et porte encore les ınarques de l’heresie, estant logee 
a part et marquce d’un escriteau heretiquc de bibliotheque 
palatine.' 

Der katholiſche Bonaparte trug Fein Bedenken, fih im 
Zrieden von Zolentino (1797) 500 durch franzöfiiche Commif- 
fare auszumwählende Dandfchriften ber vaticaniſchen Bibliothek 
auszubedingen; auch 38 Manufcripte der alten pfälzifchen Bis 
bliothed wurden ungeachtet des 6criteau heretique mit unter 
die Auswahl genommen. Diefer Umftand gereichte fpäter der 
Univerfität Heidelberg zum Vortheil. Der Parifer Frieden, der 
auch andern Ländern die von den Franzoſen weggefchleppten 
Kunftfhäge, Bücher, Handfchriften u. dgl. zurüdgab, war die 
Beranlaffung, daß ein Theil der alten nach Rom entführten 
Palatina wieder in ihre urfprüngliche Heimat gelangte. Als 
päpftlicherfeitd die SUO durch den Frieden von Zolentino nach 
Paris gebrachten Handfchriften zur Rückgabe reclamirt wurden, 
unterließ auch Die großherzoglich badiſche Regierung nicht, eine 
ähnliche Reclamation Hinfichtlich der ehedem pfälzifchen, Heidel⸗ 
berg zugehörigen Handfchriften zu erheben; durch die Bemü- 
Hungen der öftreihifchen wic vorzüglich der en Behör- 
den gelang es im Rovember 1815 die 38 Handfchriften zurück⸗ 

verhalten. Es war natürlih, daß ein ſolches Ereigniß auch 
en Wunfch hervorrief, die noch übrigen weit zahlreichern Hand» 
ſchriften der alten heidelberger Bibliothek bei diefer Gelegenheit 
aus Rom wiederzubetommen, zumal da der Papſt durch die 
großmüthigen Anftrengungen der Verbündeten, namentlich der 
großen beutfchen Mächte, nicht bloß in den Befig feiner Staa- 
ten und Rechte wieder eingefegt war, ſondern auch fo viele 
und bedeutende Kunftfchäge, welche aus dieſen Staaten nad 

aris entführt worden waren, von bort wieder zurüderhalten 
* unter ſolchen Umſtaͤnden ſich daher auch eher erwarten 
ieß, daß ein derartiges Geſuch Berückſichtigung finden werde. 
So ging ſchon in den erſten Tagen des October 1815 eine 
hierauf abzielende Vorſtellung in das Hauptquartier der Alliir⸗ 
ten, wo ſie eine guͤnſtige Aufnahme fand; insbeſondere waren 
ed wieder Preußen und Oftreih, welche fih der Sache eifrigſt 
annahmen und durch ihre Legationen in Rom das Gefuch der 
heibelberger Univerfität aufs nachdrücklichſte unterftügten, jedoch 
nur mit theilweifem Erfolge, indem man fi in Rom nur zur 
Burüdgabe von 847 deutfchen Handfchriften, zu welchen fpä- 


Bexrantwortlicher Herausgeber: Heinrich Wreodjant., — 


ter noch fünf andere hinzukamen ( Dtfried s Evangeliſche Se⸗ 
ſchichten“ und vier die Univerfität en Ganpferiften), 
verſtand. Diefe Handfchriften, in der Gefammtzahl don 852, 
wurden am 15. Mai 1816 dem zur Übernahme Seitens ber 
Univerfität nad Rom abgefendeten Oberbibliothekar Wilken 
feievtihft übergeben und kamen über bie Alpen glüdlid in Hei⸗ 
elberg on. j 

Das Factifche der Entführung und theilweifen Wiedererlan- 
gung der in Rede flehenden Bibliothek ift zwar durch Hrn. Bähr’s 
Schrift zur Maren Anſchauung gebradht worden; doch beklagt 
er jelbft, daß es ibm an Mitteln gefehlt babe, manche noch 
ſehr wuͤnſchenswerthe Aufllärungen über die Sache zu erhal- 
ten, namentlih in Betreff der einleitenden Unterhandlungen 
zwilhen Marimilian und Gregor. In den Acten der Univer- 
ſitaͤtsbibliothek, fo vollftändig ſie auch fonft find, befindet 
gerade bier eine Luͤcke; es fehlen die Acten ber Jahre 1621 — 
was fich leicht aus der damaligen Kriegenoth erklären laßt. 
Wenn alfo aus örtlichen Quellen nichts zu gewinnen ift, fo 
find nur noch Rom und München als die bei ber Angelegen- 
beit zunächft betheiligten Drte übrig, von welchen nähere Aufs 
fhlüffe durch archivalifche Nachrichten, Urkunden, Berichte u. dal. 
zu erwarten wären. München blieb in diefer Beziehung bis 
jegt ganz verfchloffens was Theiner aus römifchen Quellen mit 
getheilt Bat, bezieht fich meift nur auf die unwefentlichfte Seite 
des Ganzen; am ausführlichiten verweilt er bei dem Verpacken 
der Bücher und dem allerdings mühevollen Transportiren ber 
felben nad) Italien. Über die Verhandlungen, welche zwiſchen 
dem Papſte und dem Herzoge vor der Übergabe der Bibliothel 
ftattgefunden haben müffen, liefert Theiner Fein einzi- 
ges Actenſtück. 

Zum Schluſſe unſerer Mittheilung ſei es uns vergoͤnnt, 
noch ein Proͤbchen von echt jeſuitiſcher Beſchoͤnigungskunſt bei⸗ 
zubringen. Auguſt Theiner rechnet die Wegführung der pfäl 
ziſchen Bibliothek dem Papſt Gregor XV. und dem Herzoge 
Maximilian als ein hohes Verdienſt an, indem er Beide als 
Männer bezeichnet, „deren Namen ſtets von der fpäteften Rach: 
welt als die Erhalter der Palatina dankbar gegriefen wer 
den müffen‘. Das hängt fo zufammen. Die Fortichleppung 
fand 1623 fkatt. Im Sahre 1693 wurde Heidelberg von 
den Franzoſen in Brand geftedt. Die Bibliothek hätte mög: 
liherweife mit verbrennen Fönnen. Aber Gregor und Ma- 
rimilian baben fie dem unvermeidlichen Untergange ent« 
riſſen, weil fie diefelbe 70 Jahre früher nah Rom ſchaffen lie» 
Ben, folglich gereicht es ihnen zum hohen Berdienfte, die Bi 
bliothef gerettet zu haben! 13. 


giterarifhe Anzeige. 
Dur alle Buchhandlungen ift zu erhalten: 
August Lewald’s 


gefammelte Schriften. 


Sn einer Auswahl. 


Bwölf Bände. 
Gr. 12. 1844 — 46. Geh. 12 Thlr. 
(Stud in vier Rieferungen a B Ihlr. an beziehen.) 
Die legte Lieferung (Bd. 10 — 12) diefer Geſammtausgabe 


von Bewald’s Schriften wurde ſoeben verfandt, fobaß die: 
jelbe nunmehr von ftändig in den Händen des Yublicums ifl. 


Reipzig, im Mai 1846, 
$. A. Brochhans. 


Drud und Verlag von F. ME. Srockhaus in Leipzig. 


Blätter | 


für Ä » 


literariſche Unterhaltung. 





Sonntag, ‘ 


ö— ⸗ Nr. 123. 


3. Mai 1846. 





Die gefchichtlichen Perföntichkeiten in Jakob Caſanova's 
emoiren. Beiträge zur Gefchichte bes 18. Jahr⸗ 
bunderts von F. W. Barthold. Zwei Bände. 
(Bortfegung aus Nr. 122.) 


Der zweite Band bes Barthold'ſchen Werks beginnt 
mit der Gefchichte des Haufes d'Urfé und gibt mit Hülfe 
feltener Bücher ben Lefern ein durch mannichfache Far⸗ 
benfchattirungen gefchmüdtes Gemälde der franzöfifchen 
Landſchaft Forez, in welcher jenes reichbegabte ritter- 
liche Geſchlecht feine Schlöffer und Befigungen hatte. 
Wir halten dies Stud für eins der gelungenften im 
ganzen Buche, wenn auch nicht der grämliche augsbur- 
ger Zadler hierin ein fo befonderes Zalent des Verf. 
für die Darftellung erkannt hätte, und bebauern nur, 
nicht mehr aus bemfelben über die gefeierten Män- 
ner Anne und Honor d'Urfe, des Verf. des berühm- 
ten Schäferromans „Aftede”, der das Wunder des 17. 
Jahrhunderts hieß, fowie über andere jenes Haufes hier 
- mittheilen zu fönnen. Ihm entflammte Joanna d'urfe, 
da8 bebauerungswürdige Opfer der Gaufeleien Gafano- 
va’s und feiner goldmachenden, lebensverjüngenden Hänbe, 
über die zunächſt genealogifhe Nachrichten der Mar- 
quife von Erequi, fonft ber Tebendigen Chronik des fran- 
zöfifchen Adels, von Hrn. Barthold berichtigt werden 
mußten. In ihrem Haufe begegneten fih Gafanova 
und der Graf von St.-Germain, es begann von jegt 
an zwifchen dem Kabbaliften und dem Adepten ein Wett- 
ſtreit in verderblichen Gaunerkünſten, bem wir eine reiche 
Auswahl anziehender Überlieferungen aus weniger ge- 
tannten Büchern, wie aus den Memoiren ber Dame 
de Hauffet, aus Graf Lamberg's „Memorial d’nn mon- 
dain” und aus Graf Gleichen's ungedrudten Denkwür⸗ 
digkeiten im Sahrgange 1813 des „Mercure étranger“ 
verdanten. Hr. Barthold fagt: " 

Denn weil St.:Germain mit unferm Abenteurer fo merk 
würdig daß vorige Jahrhundert charakterifirt und des Leptern 
Geſchichte gleichwol noch nicht kritiſch beleuchtet ift, glauben 
wir bier die paflende Stelle zur Unterfuchung gefunden zu haben. 

Und fo führt uns derſelbe in einer gedrängten und 
doch mit allerhand Abfchweifungen ausgeftatteten Erzäh- 
lung die erflaunenswerthen Dinge vor, die St.-Germain 
in Wien, London, im Haag, in Paris in den Gemaͤ⸗ 
hen der Pompabour und in andern Städten. und 


Schloͤſſern vollführt haben fol, und endigt mit feinem 
Verſchwinden, worüber die Angaben ber biographifchen 
Wörterbücher fehr unfiher find und felbft Hr. Barthold 
trog der forgfältigften Nachforfhungen ‚nichts Entfchei- 
dendes zu ermitteln im Stande gemwefen if. Des Grafen 
&t. - Germain Lebenverfüngungseligir, fein Diamanten- 
fhmelzen, feine WBahrfagereien, fein hohes Alter, feine 
anmuthige und wigige Gabe der Unterhaltung werben 
fo binlänglic befprochen, daß es für den größten Theil 
ber Lefer nicht an unterhaltender Xecture und neuen 
Auffchlüffen über St. - Germain und die Goldmacherei 
feiner Zeit fehlen wird. Gafanova, beffen Erfebniffe 
durch biefe kritiſche Biographie unterbrochen find, ſchwelgte 
indes m Paris in allerhand geiftigen Benüffen, trieb fein 
Weſen mit Tänzerinnen und lebensluftigen Frauen unb 
überließ fich der tollſten Verſchwendung, von ber er fi 
dann immer bei den Reichthümern ber Marquife d'Urfe 
erholte, mit ber er, faft gezwungen, ſechs Jahre hindurch 
fein Spiel treibt, bis er in Marfeille an der Eindifchen, 
halb verrüdten Alten im Frühlinge 1763 den ruchlofen 
Proceß der Wiedergeburt und Ausplünderung vollendete. 
In Paris begegnen wir noch mehren namhaften Perfo- 
nen, befonders Rouſſeau, am längften aber verweilt ber 
Verf. bei Caſanova's Befchüger, Bernis, über deffen 
legte Greigniffe Caſanova's Angaben eine Berichtigung 
nothwendig machen, da er nur Wligemeines, wie es bie 
Welt damals erfuhr, mittheilen konnte. 


Mit dem fechsten Theile und dem Jahre 1760 führt 
und die wechfelnde Scene in das -franzöfifche Hauptquar- 
tier nach Köln, wo die große Zahl neuer und alter Be- 
kannten zu vielen hiftorifchen Crörterungen Anlaß gibt. 
Wir blicken bier in die große Auflöfung des franzöfi- 
fhen Heerwefens im Gtebenjährigen Kriege, aber wir 
gewahren auch unfer deutſches Vaterland in feiner tie- 
fen Erniedrigung, namentlih in jenem Drängen deut. 
fcher Prinzen und Edelleute in den Dienft Frankreichs, 
das mit dem aͤußerſten Hohne auf fie herabſah. Wir 
verweilen an der Hand des in allen Hofgefchichten be- 
wanderten Verf. an den Höfen zu Bonn und Gtutt- 
gart, leſen eine etwas lofe angefnüpfte Epifode über bie 
befannte ZTänzerfamilie Veſtris, meiftens aus Grimm’s 
„Briefwechfel“ und werben dann in die Schweiz geführt, 
wo uns die folethurner Gefellfchaft in bes Diplomaten 


480 . 
‘ 


Chauvelin Gchlaraffenieben und bie wiffenfhaftlihen Un- 
terhaltungen im Haufe Haller's zu Bern überrafhende 
Gegenfäge darbieten. Ein noch anziehenderes Stud iſt 
das Zufammenleben Caſanova's mit Voltaire, ſodaß fi 
Hr. Barthold für verpflichtet gehalten hat, alle Fritifchen 

utfomiciet amezubenten und zugleich eine anſchauliche 

childerung ded wirklich fürftlichen Lebens in Ferney 
zu geben, wo er dann auch jener nicht fonderlid) an- 
ftändigen Geſchichte gedenken mußte, die Voltaire ein 
„philoſophiſches Vergnügen‘ zu nennen pflegte und in 
‚der wir ein treues Gemälde des entfchiedenen Egoismus 
in jener Gefelligkeitsregion vor uns haben. 

Der Berlauf der folgenden Lebensjahre Caſanova's, 
die bis zum $. 1770 von Hrn. Barthold beleuchtet wor- 
den find, bietet in ben Kreifen, die ber Wenetianer in 
Zusin, in Mailand, in der Dauphine, in London, Ber- 
lin, Braunſchweig, Petersburg, Warſchau, Dresden, 
Aachen, Spaa, Madrid, Neapel, Florenz und Rom be- 
uchte, noch viele anziehende Einzelheiten über die erfien 

eruhmtheiten jener Jahre dar. Aber mir Sonnen ſie 
nicht alle aufzählen. In London z. DB. empfangen wir 
ein unverfchleiertes Bild der ärgerlichen Wirthfchaft am 
Hofe Georg's Il. und der fittliden Faͤulniß des engli⸗ 
fhen hohen Abele, wobei nicht verfchwiegen wird, Daß 
aſanova's anzichende Novelle mit ber Portugiefia Pau⸗ 
line vor der Hiftorifchen Kritik nicht recht beſtehen kann; 
in Berlin wird die Unterredung mit Friedrich Ti. (im 
Juli 1764) als chronologisch richtig erwieſen und im an- 


ziehender Weiſe erläutert; in Mabrid feffeln bie beiden 


Staatsmaͤnner Aranda und Dlavides unfere Aufmest- 
ſamkeit, und ans ber Dauphiné wird an dem KBeifpiele 
der Mademioifelle Romans, ber Schülerin Gafanova's, 
gezeigt, wie das Gift aus dem Privatleben Ludwig's XV. 
auch ben ehrbaren Bürgerfiand in den Provinzen durch⸗ 
drungen hatte Die Romans iſt bekanntlich eine ber 
‚ausgezeichneten Geliebten Lubwig’s XV. geweſen. Caſa⸗ 
nova’d Aufenthalt in Rom erhält für beutfche Lefer 
eine befondere Anziehung durd feinen Verkehr mit Win- 
celmann, und Hr. Barthold hat daher mit großem Fleiße 

alle Hier einſchlägigen Stellen aus ben Briefen des Lep- 
tern zuſammengebracht. Wir erfehen hieraus, dag Beide 
zufammen ein. beiteres Kunftleben geführt haben, daß 
aber nur bieſes Band ben ungefättigten Wüflling mit 
dem platoniſchen Verehrer des Sinnlichfchönen vereinigte, 
werin auch eine Stelle Bei Caſanova eine Verbindung 
anderer 

Vie fehr ſich Winkelmann au mit Idealen männlicher 
und weibliher Schönheit umgeben hatte, fo war doch feine 
Seele, gleich den edelften Charakteren des Alterthums, eine 
Sonnenweite von Dem enffernt, was dem Berbacht fcheinbar 
fo nahe liegt. Grziehung, Iugenbeinbrüde und umverborbenes 
altmaͤrkiſches Plebejerhiut bewahrten den täglichen Geſellſchaf⸗ 
ter plaftifcher Nacktheit vor dem Falle. 

Nicht minder ergibt fich dies aus feinem merkwürdi- 
gen Berhäftniffe zu Margaretha Mengẽe, wo diefer feltene 
Menſch zum erften Male von heißer Liebe au einem 
fhönen Weibe erfüllt, aufgefobert und faſt berechtigt 
von bem Ehemanne, der Lodung zu folgen, feiner Git- 


re zu verrathen fiheint. Hr. Barthold fagt: 


tenſtrenge treu blieb. Hr. Barthold bat den Verlauf 
ber Begebenheit aus Windelmann’s Briefen erzählt, auch 
die Zweifel nicht unterdrückt, welche das plögliche Schwei⸗ 
gen Windelmann’s feit dem Nov. 1767, wo die Mengs 
wieder in Rom mar, in ihm erregen konnte. Auffal⸗ 
Iend iſt es allerdings, dab unfern Winkelmann: vos da 
ab unerflärliche Unruhe aus Rom nah dem ihm fonft 
fo verhaßten Norden zieht und daß ihn dann wieder 
eine unerklärbare Sehnſucht oder Schwermuth zwang, an 
der Schwelle Deutſchlands umzukehren, nm in Trieſt 
die Beute eines elenben Mörders zu werden. ‚ber 
wer vermag die labyrinthifchen Entfchlüffe eines fo be- 
wegten Gemuths zu beuten.” 

Mir haben abfichtlic hierbei etwas länger verweilt, 
um .die Sorgfalt anzudenten, mis der Dr. Barchold Hei 
feinem Buche zu Werte gegangen ift unb wie er fo 
geſchickt das Xhatfächliche mit pſychologiſchen Wabınch- 
mungen zu einigen verflanden hat. 

(Der Beſchtuß folgt.) 





Im Gebirg und auf ben Gletfchern. Von K. Vogt. 
Solothurn, Jent und Gaßmann. 1843. 8. 1 Thlr, 
75 Ngr. 

Das vorliegende Werk beſitzt in vieler Hinſicht die Eigen⸗ 
ſchaften eines literariſchen Sonderlings, aber eines Sonderlings 
von hoͤchſt interefianter Kiebenswürdigkeit. Seinen Hauptin- 
halt bilden Erinnefungen an bühne Reifen durd einige claſſi⸗ 
(he Höhenpunkte der Schweiz, durchwoben umd belebt mit 
heitern Erzählungen, lieblichen Sagen und Märchen, mit - 
wunderlichen Erlebniffen und fcharfen Becbachtungen an diefen 
Orten. Bon den gewöhnlichen Schönheiten diefes Zauberlandes, 
von den Ausſichten auf die Alpenketten aus ben Thaͤlern und 
von den Seen, weiche, fo allgemein mit dee erbabenften Poeſie 
befungen, mit dem feurigften Enthufiasmus befproden und be: 
wundert worden find, nimmt es wenig oder Peine Notiz. Auf 
dem Wege nah Thun behält es feinen Lefer in dem bunteln 


106, wie die fühlen überfeeifhen Fremden in bem Dofhagen 
und ber ee etſchern 


ſprudeit der Witz in 


ülle. 

. ift der Gelehrtenwelt ſchon als Naturhiſtoriker 
und ald Gebirgsnaturforſcher der Schweiz rühmlichft bekannt. 
Hiernach koͤnnte man mit Recht erwarten, daß berfelbe fein 
Wiſſen auch mit in feine NReifeerinnerungen hineingeflschten 
habe; aber auch barin täuſcht man ſich. Er will in biefem 
Buche durchaus nichts von Gelehrſamkeit durchblicken laflen; er 
zeige nur Sinn für das Erflimmen ſchwindelnder Höher auf 
gefahrdsohenden Pfaben, nur Liebe für das Verweilen in un 
wohnfamen, menfchenleeren Einöden, in Höhlen und Klüften 
der Berge und Gletſcher. Doch weiß er dieſe wunderlichen 
Lieblingsthemata fo überzeugend wahr, in fo anziehenden Worten 
und Farben und mit einer fo gemuͤthvollen Behaglichkeit zu 
behandeln und zu ſchmücken, daß der Befer ihm fr ftetd erncu⸗ 


reden und fehreiben ? 





an 


s 


zer Cpänmung und zutdülichher Seneigecheit die ungetheiite 
Wufmetkiamtfeit ihenkt. vo 3 
Ben Geburt wahrftyeiniich ein Deutfiher iſt er aber burch 
——— Verweilen in der Sthweiz, Durch Reigung und 
uf nach und nach felbſt zu einem gangen weizer gewor⸗ 
ven. Aus vidifeitiger eigener Unfhauung Pernt, liebt und 
bewundert er die Erhabenheit der Natur dieſes reich Hefegneten 
Landısı er. ficht, er for und befpricht Alle mit Unbefan- 
enheit und klarer Geiftesfülles er genießt und preif mit der offenen 
erzenstiefe und Ber Biedern Geradheit des alten Fernigen Hirten⸗ 
fdawmes. Es ift wahr, dieſe Schweizerliebe ift bel ihm groß, fie fft 
des Mannes edelſter Keitftern Durchs Leben, das Höchfte auf Erden, 
aber fie bieibt doch immer auf echt: deutfihem Boden. Die deutfche 
Wahrheit blickt überall mit ihrer ſihlichten Ehrlichkeit hindurch, 
ja fie bricht zuweilen ſogar mit berben Hieben aus ihrem Hin- 
terhalte hervor, befonders da, wo fie in die Rähe von Keufen 
und Einrihtungen kommt, welche die einfache Natur der 
Schweiz zur Unnatur verfehrt und verbildet haben. Aus diefem 
&xunde find ihm die Engländer recht von Herzen zuwider. Wo 
e8 nur einigermaßen möglich tft, da fährt er über fie ber. Es 
fiheint ihm Ddiefer Haß fchon zu einer zweiten Ratur geworden 
zu fein. Die Englaͤnder tragen aber ficherkich nicht allein Die 
Schuld an feinem Argernißz die lieben Schweizer, denen für 
fremdes, befonders englifched Geld Alles feil geworden ift, find 
feldft eine Hauptveranlaffung dazu. 

Aus den bisher Gefagten ift ſchon zur Genüge deuflid 
geworden, wie warm fi Ref. für das in Rede ftehende Bud 
intereffirt ; baraus folgt aber auch zugleich, daß ein nur all: 
gemein gehaltenes Urtheil darüber nicht gut in feiner Abficht 
liegen Fann. Iſt es 'nun, von diefer Seite betrachtet, dem Ref. 
Schon ganz nach Wunfch, etwas mehr in daB Innere des Buches 
Gineinzugehen, fo glaubt er dies aber au noch dem wirklichen 
Werthe des Gegenſtandes ſowie Der ſcharfen Bewahrheitung 
der obigen Ausſpruͤche ſchuldig zu ſeu. 

Herr Dr. Karl Vogt iſt ein Schalk. Sein ganzes Werk 
wimmelt von Belegen fuͤr dieſe Behauptung, am meiſten 
beweiſt dies aber die Vorrede. Sie iſt in Form eines Briefes 
an Frau 9... B... abgefaßt. Aus dieſem offenen Schreiben 
erfährt man, daß der Herr Doctor nur den dringendften Bit: 
ten diefer gütigen Dame nachgegeben, daß er fi) ungern zur 
Veröftentlihnng der nachfolgenden Blätter babe entſchlie⸗ 
Ben koͤnnen. Run e8 aber einmal gefchehen, fo mälzt er 
auch alle Schuld auf fie. Sie foll ed verantworten, ‚wenn 
feine Neifegefährten ein Argerniß an der Preisftelung vor dem 
Publicum nehmen, ihrem unrichtigen Urtheile über die Schrift 
tolle es allein nur zur Laft fallen, wenn feine Bekannten den 
Kopf fhütteln, ein betrübtes Gefiht machen und fagen: „Lie: 
ber Bott, Karl, Sie hätten beſſer gethan hinter Fiſchen und 
Kröten figen zu bleiben, ats ſich mit Schöngeiftereien die Beit zu 
vertreiben, von denen man nicht einmal weiß, ob fie Dichtung 
ober Wahrheit fein ſollen;“ — oder: „Dider, die Mühe hät 
teft du dir fparen Tonnen. Meinſt du denn, man lerne 
aus den anatomilchen und Phyfiologifgen Handbüchern Deutſch 

Glaubſt du, mit einem ſolchen Stile 
dürfe man ſich heutzutage ſehen laſſen? Warte nur, ſie 
werden dir deinen Pelz rupfen.“ In dieſer Weiſe macht er 
ſich ſelbſt immer kleiner und unbedeutender und aͤngſtigt feine 
ſchone Goͤnnerin bis aufs Blut. 


dern und in die einzelnen fehlerhaften Theile zerlegen wird, 
fo freut er fi m auch wieder über den Haupfjag, daß 
alle Schuld der Frau Hd... WB... zur Laft fallen werde. Er jagt 
fogar recht fchelmifch von fi, indem er ſich aus der Affaire 
zu ziehen wähnt: „Der figt jegt behaglich in feinem Lehnſtuhle, 
lacht ins Faͤuſtchen und freut ſich, wie er alle Welt ein wenig 
hinter das Licht geführt bat. Erſt feinen Buchhaändler, der 
Wunder meinte, welche treffliche Speculation er mit dem Ma- 
eulatur -machen würde; dann Sie, die eine viel zu hochge⸗ 
fpannte Meinung von dem Berf. hegten, die nun getäufcht 


Wenn er auch zittert vor | 
der fcharfen Kritik, welche fein befcheidenes Product zerglie:. 


| 


wire, und enbkih die wenigen Lefer, welche das Burh öffnen 
werden, um Unterhaltung zu fuchen und vielleicht nicht einmal 
Stoff zum Einſchlafen finden. Wenn aber alle die Betrogenen 
über ben Berf. herfallen, und ihm feine Günden vorhalten wer» 
ben, fo wird er fich fefter in den alten Flausrock wideln, bie 
Beine übereinander fhlagen, einen gewaltigen Zug aus ber 
Eigarre tun, einen Schluck aus der ftets gefüllten Kaffeetafie 
nehmen und fagen: «Was geht's mich an? Laßt mich in Ruße. 
Ss Hat mie Mühe genug gekoftet, das Ding zu ‚fchreiben. 
Wollt ihr mich noch jegt mit Sachen drgern, die fchon laͤngſt 
in da8 Dunkel ber Vergeſſenheit verfenkt find?»” Man flieht, 
die ganze Sprache diefer Borrede iſt zu iaunig und trägt zu 
chr den Stempel ber muthrwilligen Ironie, ais daß man fie 
r Wahrheit. nehmen und mit Borurtheil und Geringſchaͤtzung 
auf dad nachfolgende Buch blicken Fönnte. Ja, es iſt fogar 
wahrſcheinlich, daß der Berf. mit dem beften Vorbedacht feine 
von ihm felbft ſichetlich yefchäßte Arbeit abjichtlich tadelt und 
ins unbedeutendfte Licht Rent, damit fpäter bei näherer Pruͤ⸗ 
fung der wahre Werth um fo glänzender hervorleuchten oder 
überhaupt diefe; Prüfung nicht unterbleiben möge. | 

Dad Bud ift in zehn Abſchnitte getheilt, wovon jeder eine 
befondere Uberſchrift an der Stirn tragt. Die Reife auf das 
Baulhorn eröffnet den Reigen. Bier ift der Verf. noch bernes 
Student. Er ift in Geſellſchaft von noch drei andern Muſen⸗ 
föhnen, welche wie er noch Beine Furcht vor dem Eramen kat 
ten, denen der einzige Zitel zur Reife der achtzehnjährige Ge: 
burtstag, der einzige Collegienzwang der freie Wille, und die 
geringſte Ausſicht der Staatsdienſt war. Ein muthwilliges 
Voͤlklchen! Bid Iſetwald intereſſiren fie ſich für nichts weis 
ter als für ‚ihre burſchikoſen Späße. Aber in Ifetwald erwacht 
ihr Sinn für die fhöne Natur und für das idyllifche Schwei⸗ 
zerleben fo mächtig, daß es ihnen faum möglich wird, ſich zur 
Weiterreiſe entſchließen zu koͤnnen. Das Anmuthige dieſes 
weltberuͤhmten Doͤrfchens am Brienzerſee wird meiſterhaft ge⸗ 
ſchildert. Hören wir Einiges davon mit den eigenen Worten 
unfers Berfaffers: 

„ine ſchmale Landzunge verbirgt es dem See, dichte 
Buchenwaldungen umhüllen es auf der Seite des Gebirge. 
Kleine, niedrige Hütten, mit fteinbefhwerten Schindeln ge 
deckt, [hauen aus grünen Wiejen oder bunten Gärtchen her. 
vor. Alles ſcheint uns ſchon feit alter Zeit befannt, wenn 
wir dort eintreten; wir glauben die Hühner auf dem Hofe ge⸗ 
fehen zu haben, wo wir als Knaben uns tummelten, und jedes 
freundlihe Geſicht, welches hinter ben blinden Fenſterſcheiben 
nickt, fpiegelt und geliebte Züge. Ich habe Künftler gebannt, 


welche ind Oberland zogen mit Schiffsladungen von Zeichen: 


büdern, die fie mit Skizzen und Studien zu füllen gebaditen. 
&ie famen nad) Sfetwald und fahen ſich am Ziele ihrer Wuͤn⸗ 
fhe. Der Sommer verftrih, und ald ber Herbfi mit rauhen 
Winden fie von den Ufern des Briengerfee'd zurüdjagte, ba 
ließen fie das weiße Papier zurüd; — zum Undenfen..... F 
die Ihoren! Warum gingen fie nach Ifetwald, deſſen Luft 
wirt wie Lethe's Gewäfler, in denen man Vergeſſenheit fei- 
ner felbft trinkt? Wußten u nicht, daß dort das Moos weiche 
Arme hat, womit ed den Muͤden empfängt, dab die Buchen 
ben in ihrem Schatten Ruhenden Schlaflieder lispeln, und 
daß felbf der Geſang des Kukuks auf der Wanduhr in für 
fen Zaumel lullt? 

Es hätte nicht viel gefehlt, fo wäre es unfern Muſenſoh⸗ 
nen ebenfo ergangen wie jenen Künftlern. Sie empfanden 
ſchon ganz und gar die Wirkungen des Zaubers und waren 
davon bis auf unfern Heren Karl fo gut wie befiegt. Sein 
Trachten nach oben, zu der himmelanftrebenden Höhe erwacht 
plöglih mit aller feiner Kraft. Uber vergebens warnte er, 
ein treuer Edart, vor laͤngerm Verweilen, vergebens zeigte - 
er auf den Stand der Sonne, vergebens rief er den Gefähr- 
ten den fieilen Bergpfad, den fie noch zu erklimmen hatten, 
ins Gedächtniß! Umfonft durchlief er alle Stufen der, Er⸗ 
mahnung und Bitte, von den einfachften Worten an bis zu 


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den fraftuolifien Schwüren. Endlich wirft feine eigene Ber: 
gweiflung mehr als alle Grmahnungen und Bitten. Sie er- 
mannen fi, aber erft um 4 Uhr Nachmittags und nad: 
dem des Guten faft ſchon zu viel genoffen war. Daß in einer 
folchen Zeit und in einem ſolchen Zuſtande ein vier Stunden 
langes mühſames Emporklettern faft eine Unmöglichkeit war, 
Läßt jich leicht denken. Der Weg von Ifetwald zum Faulhorn 
ift allerdings der Fürzefte, aber auch der fteilftes er überfteigt 
an Befchwerlichkeiten, noch den vom Gießbache aus und fteht 
in gar Feinem Vergleiche mit denen von Grindelwald und Ro: 
fenlaui. Daher fehlen denn auch die Folgen nicht. Der eine 
Gefaͤhrte fällt nieder, als fie kaum die Hälfte der Höhe erftie: 
gen haben. Er kann und will nit weiter und ift dem Tode 
nahe. Der in Äsculap's Sälen gebildete Sinn unfer& Herrn 
Karl will feine Geſchicklichkeit im Blutlaffen zeigen, und es iſt 
ein Glück, daß Niemand von ber Sefenfchaf: ein Kedermefler 
bei ſich Hatte, fonft wär's vielleicht um das fhöne Leben des 
Dhnmächtigen gefhehen. Die plätfchernde Quelle in der Nähe 

ibt ihnen Rath und ſchnelle Hülfe. Sie wandern weiter mit 
—**— Muthe und neu geſtaͤrkten Kraͤften; da überfällt fie 
ein Gewitter. Es bligt unter und über ihnen, und in Purzer 
Beit find fie bis auf Die Haut durdnäßt. Das Gewitter in 
den Gebirgen ift furdtbar. Herr Vogt muß eb oft erlebt ha⸗ 
ben, denn er befchreibt es fo wahr, fo gerau und mit fo tref: 
fenden Wortfarben, daß man unmwillfürlich fchaudert und fich 
mitten hinein verfegt fieht. Nach al diefem Ungemad Fom: 
men fie endlich zu den Sennhütten ber Betenalp. Hier ent: 
zweien fich die Reifegeföhrten. Zwei von ihnen wollen Nacht: 
quartier machen, während die andern Beiden, wozu ber Stu: 
dioſus Vogt als Hauptheld gehörte, noch weiter, noch zur 
Spitze des Faulhorns hinauf wollen. Es war bereits finſtere 
Racht geworden, Wind und Wetter furchtbar, ſodaß ein ſol⸗ 

cher Entſchluß mehr als tolfühn genannt werden Eonnte. 
Dennod blieben fie bei ihrem Vorſatze. Ohne Führer, ohne 
fihtbaren Pfad kletterten fie noch einige Zeit weiter fort, doch 
kamen fie zulegt noch zur Vernunft. Sie kehrten cbenfalls 
ein bei den Hirten auf Betenalp, wählten aber eine andere 
Senne ald ihre Gefährten, um fich vor ihrem Hohne zu fügen. 
Die Beichreibung der Sennhütte mit den darin wohnenden 
Hirten ift in wenigen aber Höchft treffenden Worten gegeben, 
ebenfo auch die Erzählung von ihrer Aufnahme bei biefen un- 
verborbenen, guten Schweisern. Der nothwendige Kleider: 


wechfel macht fie äußerlich fetbft zu Sennen, und wie treu fie 


in diefem Scheine der Wahrheit nahegekommen find, laͤßt fich 
daraus abnehmen, daß fie in diefem Eoftume am andern Mor: 
gen ihren Neifegefährten entgegengehen und die Freude haben, 
von diefen nicht erfannt zu werden. 

Bob nun müfjen wir die Reifenden allein ziehen laffen, 
damit wir auch den andern Abfchnitten noch einige Aufmerk: 
fambeit wibmen Ponnen. Wäre den luftigen Reifenden oben 
auf dem Gipfel des Faulhorns ein mehr heiteres Wetter zu 
Theil geworden, fo hätten wir ed uns ficher nicht verfagen 
Ponnen, mit ihnen die berühmte Ausficht zu genießen, welche 
an Schönheit mit der vom Rigi wetteifert und in Hinfiht der 
Großartigkeit noch beimeitem höher fteht durch die nächfte 
Nähe der mächtigen Alpenriefen. 

(Der Beſchluß folgt.) 





Literarifhe Notizen aus Frankreich. 


Das Doppelgeflirn Michelet und Quinet. 

Der Gefhichtfchreiber Frankreichs, Micyelet, läßt fich durch 
den raufchenden Beifall, weichen feine Teidenfchaftliche Polemik 
gegen die ultramontanen Beftrebungen bed Tages gefunden 

at, von dem ftilen Pfade des einfamen Borfcherd immer mehr 
in das lärmende Gewühl des Marktes verloden. Statt un: 
beirrt durch die Launen des Tages an der Vollendung feiner 
umfaſſenden Hiftorifhen Aufgaben zu arbeiten, läßt er feine 


ganze Leidenſchaftlichkeit in glügenden Flugſchriften und aufne- 
genden Declamationen ausftrömen. Was er dadurch au ephe⸗ 
merem Beifall von Seiten der Menge gewinnt, geht ihm von 
feiner eigentlich literariſchen Autorität verloren. Immer hoh⸗ 
ler wird der Pathos, in dem er ſich gefällt, und ſchon ſteht 
er zumeilen in feinen Ausbrüchen einer leidenfchaftlich aufge» 
regten Stimmung am Abgrunde der Abgeſchmacktheit. Wir 
wollen dem Hiftorifer nicht zu nahe treten; aber in feiner neuer 
fin Schrift „Le peuple’ vermißt man zum Theil wirklich das 
regelnde Maß des Verſtandes. Es ift ein auf den Jubel ber 
Maſſe berechnetes Manifeſt der alten franzöfifden Ratisnafe 
eitelleit, eine Hymne auf die „große Nation”, ein Reizmittel 
zur Auffriſchung glorreicher Erinnerungen. Alles was bis jegt 
über Frankreichs Bebeutung mit feiefrüberfchägender überfchwäng« 
lichkeit gefagt ift, swird bier überboten. Rod nie ift der na- 
tionalen Selbſtſucht auf eine offenere, unummundenere Weiſe 

fröhnt worden. Michelet ergeht fi hier im Itrgarten eit⸗ 
es &elbftbefpiegelung und eintge feiner Behauptungen, z. B- 
die Stelle, in weldher er die Meinung audfpricht, die Franzo⸗ 
fen hatten nur einen Fehler, nämlich den, daß fie ihren eige⸗ 
nen Werth zu niedrig anfchlügen, ftreifen geradezu ans Lächer» 
liche. Solche hohle Declamationen,, wie wir fie bier erhalten, 
find durchaus nur geeignet, daß literarifche Anſehen ihres Ur 
hebers wanfend zu machen: denn wer ſich in der Beurtheilung 
der Gegenwart in folhem Grade vergreift, wie kann der bie 
hiſtoriſchen VBerbältniffe der vergangenen Sahrbunderte rein und 
ungetrübt darftelen? Quinet, der Phantaftifh:Unffare, beei⸗ 
fert fi, mit feinem Freunde und Gollegen gleihen Schritt zu 
halten. Er iſt von Haus aus verworrener, undeutlicher als die: 
fer; dabei ftügt er fih nicht auf eine fo folide wiſſenſchaftliche 
Grundlage, aber deſſenungeachtet wird es ihm in der Folge ſchwer 
fallen, den Berfaffer de8 „Lie peuple” in Bezug auf Berfchro: 
benheit zu überbieten. Die neueſte Gabe Quinet's find feine 
„Vacances en Espagne”, von denen uns erft der Anfang zu 
Sefiht gekommen ift. Derfelbe ergeht ſich bier, mit dem flim- 
mernden Bewande einer pretenfiös »philofophifhen Darftellung 
angethan, über alle möglihen Beziehungen der literarifchen, 
politifhen und efeufchaftticen Buftände Franfreihs. Dabei 
fchweift der Bert natürlich nach jetzt beliebter Weife auf jedes 
Thema ab, das fi nur irgend einer ergiebigen Ausbeute dar⸗ 
bietet. Er thut died mit einem Aufwande fchöner, vollklingen⸗ 
der Phrafen, welche beim Publicum gemöhnliden Schluges ihre 
Wirkung nicht verfehlen werden. . 


Uber das chineſiſche Unterrihtewefen. 

Bas wir vom chinefiichen Unterrichtöwefen wiffen, be⸗ 
ſchränkt fih im Grunde auf wenige dürftige Notizen. Wir 
wiffen zwar, daß das ganze Leben der Ehinefen im viel eigent- 
lichern Sinne als bei uns — die endlofen Eramina bürgen da= 
für — eine Schule iſt; aber wie die wirklichen Unterrichtsanftal- 
ten befchaffen find, unter weldem Einfluß die Entwidelung 
der im Kinde fohlummernden Keime vor fih geht — alle Das 
find für uns unfösbare Räthfel. Nur Denen, welchen ed ver: 
gönnt ift, aus den Quellen felbft zu fehöpfen, gelingt es, fi 
wenigftens ein nothdürftiges Bild von allen diefen Verbäftnif: 
fen zu entwerfen. Wir erhalten jegt ein Werk, in dem die Rebel, 
welche in diefer Beziehung unfere Augen befangen haben, zer: 
ftreut werden. Es iſt dies eine jener Arbeiten, welche auf der 
forgfältigften Quellenforfhung beruhen ynd die innerhalb Des 
Kreifes, welchen fie fich felbft ihrer Aufgabe nach vorzeichnen, 
Epoche mahen. Wir verdanken es Edouard Biot, welcher fi 
auf dem Gebiete der chinefifchen Kiteratur bereits namhafte Wer: 
dienfte erworben hat. Der Titel Diefer in jeder Beziehung beach⸗ 
tenöwerthen Erfcheinung lautet: „‚Kssai sur P’histoire de Jin- 
struction publique en Chine et de la corporation des gens 
de lettres, depuis les ancieus temps jusqu’a nos jours: 
ouvrage entierement rédigé d’apres les documents chinois.” 

17. 


Berantwortliger Herausgeber: Heinzih Brockdaus. — Drud und Verlag von F. BE. Brokpaus in Reipzig. 





Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Montag, 


er Kr, 124, nn 


4. Mei 1846, 





Die gefchichtlichen Perfönlichkeiten in Satob Caſanova's 

Memoiren. Beiträge zur Gefchichte des 18. Jahr- 
bunderts von F. W. Barthold. Zwei Bände. 

(Beſchluß aus Nr. 123.) , 

Nun bleibt noch übrig einen Blick auf Eafanova’s 


Aufenthalt in den nordifchen Städten Riga, Petersburg: 


und Warfhau zu werfen. Am erfien Orte machte er 
im Winter 1764 die Bekanntſchaft des Prinzen Karl 
Ernft Biron von Kurland, eines für alchymiftifche und 
theofophifche Gaukler höchft zugänglichen Mannes, eines 
fürftlihen Glückritters, deffen Lebensumftände Hr. Bar- 
thold aus den „Me&moires historiques et anthentiques de 
la Bastille” mitgetheilt und an bie Auszüge aus dem 
feltenen Buche feine kritiſchen Bemerkungen geknüpft 
bat, denen man hier wie faft überall beiflimmen muß. 
In Petersburg beiehrt uns ber mit ruffifchen Zuftänden 
wohl befannte Verfaſſer über die Ungeswungenheit und 
den natürlichen Egoismus ber vornehmen ruffiihen Welt 
"und über die 1765 hervorragenden Perfonen am Hofe 
Katharina’s II. und weiß aus Stählin's, Maſſon's, Ca⸗ 
flera’8 und andern Schriften die Bildniffe zu vervoll- 
ftändigen, die uns Caſanova von den Eaftraten Putini 
und Luini, von ben Günftlingen Yelegin und Teplom, 
von dem General Meliffino und dem Minifter Panin, 
von den Fräuleins Sievers und Chitrom entworfen hat; 
Alerts DOrlow ſchrecklichen Gedaͤchtniſſes“ erfcheint erft 
fpäter bei der grauenvollen Wesführung der Prinzeffin 
Elifabeth Zarrafanom in die ruffifchen Kerker. Don 
bem zweiten Geſpraͤche Caſanova's mit der Kaiferin ur- 
theilt unfer Verf., daß es das geiftvollfte Seitenftüd zu 
feiner Unterhaltung mit Friedrich 11. fei, dag man ihn 
aber in Rußland verfchmähte, wie keck, felbftändig und 
ausftudirt er auftrat, weil man feines Gleichen fchon 
genug hatte und weil er ungerufen fam. In Warſchau 
find Caſanova's Nachrichten überall glaubhaft, feine Er- 
lebniffe, feine Schilderung des Königs und bes polni- 
fhen Adels, der „in der Wüſte des verfeinerten Wohl⸗ 
lebens mit theatralifhem Heldenmuthe die Lebensfragen 
des Staats betrieb, und in einem undurchdringlichen 
Spiele ftolzer Freiheitsliebe, Tirchlichee und bürgerlicher 
Unduldfamkeit, ſchnoͤden Eigennuges und gebanfenlofen 
Leichtſinns fich gefiel”, bilden ein feltenes Cabinetsſtück. 


Der Zweikampf mit Branichi diente überdies zur Her ! 


ftelung feines Rufes, ber ſich in der legten Zeit aller- 

dings verfchlechtert hatte. 
Indem wir bier abbrechen, bemerken wir freilich in 

ben Aufzeichnungen, die wir und für die Abfaffung die- 


ſes Artikels gemacht hatten, noch gar manche mitthei- 


lungswerthe Sittenfhülderungen und Lebenszüge von der 
Derbheit am Hofe Ferbinand’s IV. von Neapel, wo der 
König ohne Scheu alle Sachen beim rechten Namen 
nannte und zwar Meifter in allen Leibesübungen war, 
aber um fo gleichgültiger gegen den ihm von Gott ver- 
liehenen Fürftenberuf, oder von den anftändigen Der 
Hältniffen am Hofe zu Florenz und von ber lächerlichen 
Eitelkeit des Fürften von Monaco, Allee im zweiten 
Bande. Wir finden ‚ferner in der bunten Reihe der 
entlegenften Endpunfte und größten Gegenſaͤtze, wie fie 
die Folge von Caſanova's Streifzügen durch die euro⸗ 


‚päifhen Reiche find, neben Papft Benedict XIV., Gu⸗ 


ftav III. von Schweden, Karl von Würtemberg, Karl IE. 
von Spanien, der Königin Karoline von Neapel, ber 
Kaiferin Marie Antonie von Sachſen die Minifter und 
Bünftlinge Acton, Karinelli und Schuwalow, englifche 
Sonberlinge wie die Lords Baltimore und Talon, Ge- 
lehrte, Künftler, Schaufpieler und Schaufpielerinnen, 
deren ſchon mehre genannt find, aber auch die Standes⸗ 
genoffen des Venetianers, die zahlreichen Abenteurer und 
Slüdsritter des 18. Jahrhunderts, fehlen nicht, ein Ba⸗ 
con Tott, ein Ritter d’Eon, ein Lewenhaupt und die 
balmatifchen Brüber Steffano und Premislam Zano- 
witſch — mit Einem Worte die Mannichfaltigkeit die⸗ 
ſes Werks ift fo groß, baß fie jede Erwartung be⸗ 
friedigen muß. | 
Hiernach flimmen wir alfo ganz und gar nit in 
ben Tadel des augsburger Kritikers ein, bag man bei 
Hrn. Barthold doc noch die Benugung mancher Bü- 
cher und- Memoiren vermiffe. Eine Feine Nachleſe aus 
Schriften biefer Art, wie hier etwa aus dem an die Zeiten 
Gafanova’s fi) mehr anfchliegenden „Espion anglais”, 
zu halten ift heutzutage gerade kein fo ſchwieriges Un- 
ternehmen. Daher fühlen wir an unferm heile un 
auch nur zu folgenden wenigen Bemerkungen veranlaßt. 
Es ift uns auffallend gewefen, daß Hr. Barthold, Der 
mit Vorliebe des liebenswürdigen Freundes Friedrich's 
des Großen, des Lords Marifhal, an verfchiedenen Stel- 





Bun 


394: 


d 


len gedacht hat, gaͤnzlich die Erwaͤhnung der Lebensbe⸗ 
ſchreibung ſeines Bruders, des Marſchalls Keith, von 
Varnhagen von Enſe übergeht. Die Abhandlung deſſel⸗ 
ben Verfaſſers (im „Berliner Kalender” für 1846) über 
Voltaire's Verhaftung In Frankfurt a. M, konnte Hrn. 
Berthold no nicht befan fein, weil fonft wal einzelne 
Ausdrücke gemilbert worden wären. Wenn ferner der 
Verf. die Auslaffung In allen Biographien Friedrich's II. 
rugt, daß der König 17.40 einen Dlorbverfuch bes kaiſer⸗ 
lichen Hofes gegen fi entdedt zu haben glaubte, fo trifft 
dieſer Borwurf wenigſtens ben neueflen verdienfteollen 
Blographen des Könige mit Unrecht. Geglaubt hat 
Friedrich 11. allerdings an eimen beabfichtinten Morbent- 
wurf, wie man aus einem Memorialcirceular an Die 
preußifchen Geſandten erficht, das unter dem 11. März 
1741 an ben Minifter v. Danckelmann gerichtet iſt und 
in 3%. 3. Moſer's „Europälfhem Voͤlkerrecht in Kriegs⸗ 
gelten" (Gb. 2, ©. 277) abgebrudt ſteht. Aber ber 
volener Hof Hat alsbald die ganze Beſchuldigung als 
ndnztih ungegründet erwiefen, und da von der ganzen 
Sache nie mwieber die Mebe gewefen ift, felbft nicht bei 
jener Anzeige bes Fürſten Kaunig, daß zwei Staliener 
bem Könige nad) bem Leben trachteten (wie diefer in 
der „Seſchichte des Stebenjährigen Kriege” erzähle hat), 
fo follte auch Preuß nicht wieder an diefelbe unnöthiger- 
weiſe erinnern. Endlich iſt es uns erfreulich, da wir 
dem Merf. für fo manche Belehrung und Auftlarung 
verpflichtet find, die in Bb.2, ©, 316, angeführte und 


ihm entfallene Stelle aus ber Kebensgefchichte der Kü-. 


nigin Marie Ontoinette von Frankreich nachweiſen zu 
Börmen, Sie finder fih nämlich in den „Memoiren des 
Strafen Wlerander von T.“ (Tilly), Bd. 2, &. 226, der 
indeß ſelbft an ber Michtigkeit diefer Anekdote zweifelt. 


Wir befchließen unfern Artikel mit einer Mitthei- 
fung des Fuͤrſten von Ligne über Caſanova, bie er bem 
Grafen Lagarde au Wien 1814 machte und die Hrn. 
Barthold aus des Letztern „‚Fetes ct souvenirs du 
eongriu de Vienne“ entgangen iſt. Es heißt bort: 

Casanova eat le plus divertissant original que j’aie 
connu dana ma vie. Cem lui qui dissit qu’ane femme n’a 
jemals que lage que Jul donne son amant. Ses souvenies 

tarissablas, son Imagination aussi fraiche qu’a vingt ans, 
son entlouslasme peur mol m’avaient gagn le coeur. Il 
ma lu aouvent neu memolres qui aont ceux & la fois d’un 
chevaller at d’un juif errant. 

Die Musftattung des vorliegenden Buchs ift ohne 
Tadel. Wir wünſchten nur, daß die Kenntnig feines 
zeichen Inhalts durch ein Regiſter oder wenigſtens durch 
Sapitelüberfchriften In einem weiten SKreife befördert 
worden fel. Eines dritten Artikels In der aug&burger 
„Allgemeinen Zeitung” vom 6. Februar, der uns foeben 
au Geſicht kommt, gedenken wir noch um fo lieber, weit 
er das Verdienſt des Verf., aus dem Wuſt der verlieb- 
ten Irrfahrten eines oft mehr als zweideutigen Charak⸗ 
ter6 den rothen Baden ber Hiftorie herauszufinden, fo 
unpartellfch gewürdigt hat. 20, 





Im Gebirg und auf den Bietfhen. Bon E. Begt. 
"  (Belhluß aus Nr. 128.) 


ammenbangendeß 
Ganze und find von dem Erftgenannten Ber dadurch un 


Auf dem Aargletiher Halt fi die eben erwähnte Geſell⸗ 
fchaft am längften auf. Ihre Wohnung war in der That ge⸗ 
eignet, ein enges Fanilienleben zu befördern, und mancher 
Eskimo mag eine geräumigere befigen,, wenngleich nicht gli 
licher ſich darin befinden. Architeftur und Ameublement von 
der einfachſten Art. Gin ungeheurer Felsblock, vielleicht ber 
größte auf den Gletſchern, diente zugleich als Dad; ımd ei: 
tenmauer. Mit feinem Hintern Xheile ruhte er auf dem 
Eife des Gletſchers; fein vorberes Ende war ſchief abgeſchnit 
ten und ragte etwa acht Fuß aus dem Eife hervor. So wer 
ein Raum von der Breite von etwa 20 Fuß von diefem Stein- 
blocke ſchon felbft übermölbt, und das nad hinten abfallende 
Dad mochte eine Tiefe von 10 Fuß betragen. Breite umd 
iefe waren zum Aufnehmen der acht Mitglieder der (Gefell- 
ſchaft fo ziemlich ausreichend, allein die fchnell abnehmende 
Hoͤhe machte noch ein Aushoͤhlen des Gletſcherbodens nothwen 
dig. So bildete denn auf der einen Seite eine etwa vier Fuß 
hohe Eiswand die eine Seitenmauer der Hütte und zugleich 
eine bequeme Ablage für ihre Gerätbfchaften. Ein vorgehäng- 


te6 Tuch vertrat bie Stelle der Thür. Yuf dem Eiſe Kamp 


ein Zuckerhut und einige Krüge, an der Mauer hingen 
phyfikalifche Infteumente und Kleidungsftüdle über Bobrften- 
gen, in ber Ede neben der Thür waren Reiſeſacke und 
Ranzen aufgetfürmt. Die Lagerftätte nahm den ganıen Be- 
den ein. Man batte das Eis mit breiten Schieferplatten be⸗ 
deckt und zur Abhaltung von Feuchtigkeit Wabsirinwand 2er 
über gebreitet. Hieruͤber kam eine Bage Heu und bann wie 
ber ein Wachstuch. Das Lager felbft beftand aus W i 
hen und Heukiſſen, auf dem fie ebenfo vortrefflich 

mie auf elaſtiſchen Matratzen. 

Wir wollen nuim etwas von Dem zur tache bringen, 
was bie Bewohner diefer eben befehriebenen I in Fin ee- 
habenen Ginfamkeit erlebten. Doch mag Herr Begt wirder 
[ER asden, damit er unfer Urtheil über ihn durch 1b ſelbſt 

eftätige : 

„Eines Rachmittage war ich bei der Hütte 6 igt, bir 
andern Freunde entfernt, als —* Be eg 8 
ſamkeit erregen. Es waren augenfcheinlich zwei Sane Les 
Rebelländes in feinen weißen Sajtorhüten, Eurzen Gemmer- 
roͤcken, mit gewaltigen Fernroͤhren bewaffnet. Ihnen na 
keuchte ein Fuͤhrer, bepadt mit einem Ränzchen und zwei — 
geheuer langen Entenflinten, melde ih ſegleich für em 
Eigentum der Grimfel erfannte. Es ward mir nicht Toyirieh 
Mar, was bie Leute wollten. Die Sonne zeigte wel zmiıhen 
3 und 4 Uhr Raspmittags; fie hatten demnady die but, bei 
und zu übernadten, denn auf dem Gletſcher zu ſchlafen mä 
bei bem drohenden Regen ein ſchlechtes Vergnügen gemciem. 
Allein wir waren vollzaͤhlig, unfer Haum, daS mußte mas 


« 


num zu qub, war auf des Mäsbigfte beſchraͤnkt, und Dem Grim⸗ 
felwirtb war ebenfalls bekannt, daß gerade heute alle Kräfte 
auf dem Gletſcher vereinigt waren. Wie konnte der Mann 
und alfe noch Gäfte auf den Hats ſchicken, denen bei fo fpä- 
ter Tageszeit die Beherbergung nicht verfagt werden durfte. 
Während ich diefe und ähnliche Reflerionen machte, hatten die 
Gaftorhüte die Steinhaufen überklettert und fanden mir ge 
genüber. Kein Gruß. Sie nahmen von mir, dem einzi- 
gen Ichenden Weſen, was verbanden war, anch nicht Die ge: 
singfte Rotiz. Der Führers warf feinen Pack ab, lehnte bie 
Gewehre an und fuchte feinen Herren einen Sitz gurecht gu 
machen. Diefe hatten fi unterdeffen dem Herde genäbert, 
abre Eigarren angezündet und überließen fih num ihrer Neu: 
ierde. Gie krochen um Die Hütte herum, befchnüffelten die 
— und Geraͤthſchaften und ſchienen nicht übel Luſt 
zu haben, ohne Weiteres ihr Quartier in unferer Behaufung 
aufsufhlagen. Mir lief die Galle über. Ich halte wahr: 
haftig nit fo ſehr viel auf die Formen einer zu weit getrie⸗ 
enen Höflichkeit ; ja, ich gehe fo weit, zu glauben, daß eine 
gewifle Portion göttlicher Grobheit dem Manne ebenfo gut an- 
40 als den Frauen ein wenig Zorn; allein dies Betragen 
ging mir denn Doch wie man zu fagen pflegt über das Boh⸗ 
nenlied. Ich ftellte mir vor, ed müfle einem Jeden von Ra- 
tur wenigftens fo viel Gefühl eingeflößt fein, daß er für an- 
ftändig finde, Denjenigen zu begrüßen, defien Gaſtfreundſchaft 
ee anfpriht. Einen Menfchen, der ohne Weiteres in eines 
Andern Haus einbricht und nicht einmal den Befiger um Er: 
laubniß fragt, würde man zum wenigften mit einer derben 
Lection wieder hinauswerfen. Die beiden Caftorbüte aber, 
welche doch wol einfehen fonnten, daß fie erfrieren oder den 
Hals auf dem Rückwege bredden müßten, wenn man fie nicht 
gaſtfreundlich aufnähme, fanden es nicht einmal für nöthig, 
den Einzigen, der das Haus hütete, um gefällige Aufnahme 
zu bitten! Indeß zwang ich mich ruhig zu fiheinen und 
mich weiter zu befchäftigen, wenngleih ich zuweilen nad der 
Seite fchielte, feſt entfchloffen, den Erſten, welcher es wagen 
würde. in die Hütte felbft einzutreten, tvog des Caſtorhutes 
unb des feinen Sommerrodes über die Steine binabzufchleu: 
dern. Endlich brad der Führer dab Schweigen. „Wir Fön- 
nen doch wol hier übernachten?” — „Wuf keinen Fall.“ — 
„Herr, Ihr ſpaßet.“ — „Mein völliger Ernſt.“ — „Wber 
man bat und doch auf dem Spital gejagt, wir koͤnnten bier 
in der Hütte bleiben und morgen mit Jakob Leuthold auf die 
Gemsjagd gehen.” — „Dad kann man Euch nicht gefagt ha⸗ 
sen. — „Herr, wolt Ihe mich zum Lügner machen?“ — 
„Gott bewahre! allein bier bleiben Pönnt Ihr nicht. Unfere 
Hütte if voll, und bie der Fuͤhrer auch.” — „Uber mein 

immel, wo follen wir bin?“ — „Burüd, wo Ihr herge⸗ 
ommen ſeid.“ — „Seht doch nur, wie ſich das hal mit 
Nebel füllt. In einer Stunde ift es fkodfinfter. Wir können 
nicht mehr zuruͤck.“ — „So fchlaft auf dem Gletſcher.“ — „Es 


wäre mir unmögli&, den Weg bei Nacht zu finden.” — „Sit 


nicht meine Sache.“ — ‚Benn nur der Jakob Leutholb da 
wäre.” — „Der wird kommen, wenn er unfere Gefchäfte be» 
forgt bat.” — „Iſt er denn Euer Führer, Herr?” — „Ja.“ — 
„Se wird do wol morgen mit uns auf bie Gemsjagd ge 
ben?" — „Wenn wir es iym erlauben, fonft nicht.” — „Mein 
Sott’', rief der Führer mit verzweifelndem Gefichte aus, „ich 
weiß nicht, wo mir der Kopf ſteht.“ — — Die jungen Lords 
Kemer bis zu dieſem Augenblidde nicht den geringften Qwei⸗ 
el gu hegen, daß ihnen von Rechtewegen ein Plag in ber 
Hütte gebuhre. Die Botfchaft des Yührers, fo unerwartet fie 
kam, ſchien einigen Einkrud zu machen. Die Sonne begann 
zu finfen, die Kälte wurde fuhlbar, der Fuͤhrer meigerte fi 


garüdqufegeen; fie mußten ſich endlich und höchfteinftimmig 
itten 


an und wenden. Wir hielten jedoch feſt an unferm 
Beichlufle, deuteten indeß an, daß wir nichts dagegen hätten, 
wenn die Führer fie gegen Bezahlung in ihrer Hütte aufneh: 
men würden. — — Wir fahen fie am andern Morgen nicht 


mehe, allein wir hörten von umfern Heuten, daß die guten 
Zungen durch die Heine Lection außerordentlich geſchmeidig ge 
worden feien.“ . 

Durch folge Abenteuer wird daB Die der Gegend und 
das Einformige des Lebens auf das angenehmſte belebt Es 
iſt gewiß das Meiſte von dieſen Erzählungen wahr, und ſollte 
auch das Eine ober das Andere hinzugefegt fein, fo iſt wenig⸗ 
ſtens nicht zu leugnen, daß dies fehr geſchickt erfunden und ver⸗ 
braucht worden ift. 

Hera achten Abfchnitte ift der Name „Interlaken ge 
ben. Nach dem Vorhergehenden wird man fich fchen denken 
Eönnen, in welcher Michtung diefes Thema benutzt worden iſt, 
da man dieſen Yunkt- der — ſchon lange als eine Colo⸗ 
nie Englands en bat. Hier tritt der Verf. nun 
aud in feiner wahren Geſtalt auf. Er theilt nicht bloß eie 
nige fatirifche Diebe aus, er ift hier ein Satyr felbft. Hier 
kann er es auch nicht unterlaffen, die ſtarken Blößen der 
* mit anzugreifen, aber man merkt doch, wie viel 

erwindung es ihm gekoſtet bat, ſich Dog zu verſtehen. Nach⸗ 
dem es mit dem Beſpoͤtteln zu Ende gekommen, zieht er fich 
voll Unmuth und mit wehmuthsvollem Ernſte von diefem Thema 
zurüd. O der Unnatur! Beklagen wir mit ihm, daß fie ſich 
nicht fhämen im Angeſichte ihrer heimifhen Berge, deren 
gewaltige Stirmen, trog der Jahrtaufende, welche über fie 
binweggegangen fein mögen, noch ebenfo frei und unverän- 
dert in den blauen Himmel bineinragen als fie aus der Hand 
der fchöpfenden Natur hervorgegangen find. Im Schatten je- 
ner Rußbäume — deren Blatter noch von dem ehernen Zritte 
der. Gepanzerten flüftern fönnten, gegenüber jener Jungfrau, 
deren Feufher Kranz nur dem Kubhnften ward — wandeln 
jegt die fchnöden Rachkommen eines berrlihen Geſchlechts und 
fuhen die ſchwere Börfe des Infulaners durch girrendes Ko⸗ 
fen zu erleichtern. . 

„Die Beatushöhle” Heißt die Überfchrift vom neunten Abs - 
ſchnitte. Hier wird die Legende vom heiligen Beutus erzählt, 
die Höhle felbft befchrieben und ganz befonders die majeftätifche 
Ausficht von ihr mit zarten und Präftigen Karben ausgemalt. 
Lin und, wieder kommt auch wol ein Feiner Scherz vor, der 
Verf. redet vom Narren von Merlingen, von den berühmten 
Streihen zu Griesheim und Schöppenftedt, indeß fpaßt er bei» 
weitem nicht fo häufig als in allen vorhergehenden Rbfchnitten. 

Der ernſte Kon im neunten Abfchnitte ift im zehnten gar 
nicht wieder zu erkennen. In dieſem ift das komiſche Element 
das allein herrſchende. Beide Ubfchnitte ſtehen übrigens in 
dem beften Berhaltniß zueinander. Ohne jenes würde dieſes 
den fhönften Theil feiner Wirkung verlieren. Die Überfchrift 
„Reife des Heinen Däumerlings in bie Alpen’ laͤßt den In- 
halt ſchon ahnen. 

Man wird fi nun überzeugt halten, daß bas Bud) für 
deutſche Freunde und Kenggr ber [chmeizerifchen Alpen von ho⸗ 
hem Werthe if. Die verjländigen, fchlihten deutfhen Wan⸗ 
derer in diefen ſchöͤnen Landen werben bei dem Lefen bed Wer- 
kes duch feine Klarheit und Wahrheit, durch feine Keinheit, 
Schärfe und felbft Derbheit in der Darftellung des Schöne 
in der Schilderung des Lebens und Zreibens ber Fremden auf 
den Gebirgen ind Gletfihern fo anmuthig unterhalten, fo an 
regend belehrt und fo lebendig wieber in die Beiten des eige⸗ 
nen Reiſens verfegt, daß ihnen @rinnerung wie Gegenwart 
vor die Seele tritt. Es wäre wünfchenswerth, daß der Verf. 
Reigung und Muße hätte, dieſen MReifeesinnerungen bald 
eine zweite, eine dritte und vierte Folge zuzugeſellen. Un 
Stoff mird es ihm nicht, fehlen koͤnnen, wenn man bedenkt, 
daß er Schweizer und Schmweizerreifender von Beruf und waß- 
ser Keigung ift, wenn man in Erwägung zieht, wie Fury der 
Weg von der Beatnshöhle bis zur Furka und wie dennoch die 
Ausbeute fo veih an Erfahrungen, Gchilderungen und Be⸗ 
tsachtungen darüber ausfallen Fonnte. 52. 


Olla Potrida, oder Dies Buch gehört dem Käufer. Gine | quelle 


Sammlung von Auffäpen heitern Inhalts und Apho- 
riemen. Prag, Ehrlih. 1845. 12. 30 Near. 

r Herr Berf. ift, wie er in der Vorrede ſagt, fehr be 
‚en. Reh Ken. daß es das Loos folder Blätter 
9 eine Zeit lang zu gruͤnen, dann zu welken, dann abzufallen 
und vom Wirbeiwinde der Vergeſſenheit verweht zu werben. 
Ref. darf bezeugen, daß viele diefer Auffäge nicht ohne Wig 
-find, daß mancher Scherz ſich hoöchſt leicht und natuͤrlich dar⸗ 
Met, daß der Verf. die Geißel der Ironie und der Perfiflage 

eſchickt zu ſchwingen verfiepf. Die Lecture diefer Sachen und 
Sicheihen ift amufant. Die Mittheilung von Aphorismen iſt 
in folchen der Unterhaltung geritmeien Büchern nicht erwuͤnſcht; 
das Leſen derſelben wirkt Ermudung. 25. 


Bibliographie. 


Ettmüller, L., Daz maere von Vroun Helchen S&- 
Aus der Ravennaschlacht ausgehoben. Zürich, Meyer 

Gr. 8. 27 Ngr. 

Die Walkyrien der flandinavifch « germani« 

fhen Götter: und Heldenfage.- Aus den nordifchen Quellen 

dargeftellt. Weimar, Landes »Induftriecomptoir. 8. 15 Nor. 

Goethe, Briefe und Auffäge aus den Jahren 1766 bis 
1786. Sum erftenmal herausgegeben buch A. Schoͤll. Wer 
mar, Randes«Induftriecomptoie.” 8. 1 hr. 

Kraszewski, 3. J., Der Dichter und bie Welt. Ro: 
man aus dem Bolnifben, deutfh von W. Eonftant. Zwei 
* Xpeite- Leipzig, Gebhardt und Reisland. 8. 1SThlr. 15 Nor. 

' Lacordaire, H.D., Kanzelvorträge in der Notre-Dame: 
Kirche zu Paris, gehalten in dem 3. 1835, 1836, 1843 und 
1344. Aus dem Pranzöfifchen überfegt von I. Lug. Rebſt 
einer Abhandlung: Lacordaire und feine Stellung zu Staat 
und Kirche in Frankreich. Zübingen, Laupp. Gr.8. 1 Ahle. 
25 Nor. 

Eegenden. In Bearbeitungen der nambhafteften Dichter 
Deutfchlande. After und 2ter Band. Leipzig, Barth. 8, 
2 Thir. 15 Ror. 

Das Liebhabertheater. 





nen. 
und Zeller. 
Frauer, 2, 


Eine Sammlung der neueften und 
beften leicht darftellbaren Thenterftüde für Privatbühnen und 
Familienfreife, herausgegeben von T. Hell. Stes und Gtes 
Heft: Gold und Ahnen. Luftfpiel in drei Mufzügen von F. 2. 
Schröder. Grimma, Verlagscomptoir. 16. 10 Nor. 
Schmid, H., Geſchichte der Tontretiftiloen Streitigkeiten 
in ber Beit des Georg Calirt. Erlangen, Heyder. Gr. 8 
3 Ihr. 7%, Nor. 
Schröder, I. A., Gedichte. 
&r. 8. 25 Nor. 
amars, 
eine Philoſophie 


Braunſchweig, Leibrod. 


H., Über die wefentlichften Forderungen an 
der Gegenwart und deren Vollziehung. 8wei 
Abhandlungen. Ulm, Heerbrandt und Thämel. 8. 12 Nr. 

Das russische ‘Ständerecht. Eine Übersetzung des 9. 
Bandes des Codex der Gesetze des russischen Reichs von 
H. Faltin. Mitau, Reyer. Gr. 8. I Thlr. 22), Ngr. 

Storch, 2, Was euch beliebt. Grzählungen. Zwei 
Bände. Leipzig, Brigfhe. 8. 2 Täler. 15 Nor. 

Streuber, W. T., Der Sonntag, das Theater und 
das Sonntagstheater mit besonderer Beziehung auf Basel. 
Eine historische Darstellung. Zürich, Meyer und Zeller. 
Gr. 8. 12 Ngr. | 

Zag und Dämmerung. Harmlofe Gedichte eines Anti 
Muckers. Reipzig, Klemm. 16. 15 Rgr. 

Thierſch, H. W. 3., Vorlefungen über Katholizismus 
und SProteftantismus. Ifte Abtheilung. @rlangen, Heyder. 
Gr. 8. 1 Ihr. 10 Rear. 

Velsen, G. v., Die Stadt Cleve, ihre nächste und 
entferntere Umgegend, vormals und jetzt, mit besonderer 
Berücksichtigung des Alterthümlichen; nebst der Mineral- 


im Tiergarten. Mit dem Bildnisse des Priazen Mo- 
ritz von Nassau-Biegen und der Abbildung des Thiergartens 
vor 1795. Cieve. Char. 8. I Thlr. 

Wallenheim, Ludewife, ar Driginal  Rovellen. 
Berlin, Reichardbt und Comp. 8. 1 ZHir. 


Zagesliteratur. 


Braun, %., Anrede an meine Schüler über: das rechte 
Streben nad Wahrheit und Freiheit. Behalten in der polp- 
tehnifhen Schule zu Karleruße. Karlsruhe, Holgmann.. &r.8. 
r 


gr. 

Dulon, R., Luther's Nachlaß. Predigt. Rebſt einem 
Vorworte vom Lehren gemaͤß den Bekenntnißſchriften. Alten⸗ 
burg, Helbig. 5 Rar. 

Generalbericht an den Staatsrath von Reuchatel über die 
geheime deutſche Propaganda, über die Klubbs des jungen 
Deutfchlands "und über den Lemanbund. Abdruck der in dem 
4. Heft der eidgenöffifchen Monatsſchrift enthaltenen Überfegung, 
nebft Einleitung: die Gefchichte des deutfchen Radicalismus im 
der Schweiz. Zürich, Meyer und Seller. 1845. Gr. 8. 13 Rgr. 

Die kirchliche Krifis im Kanton Waadt. Mit den Alten 
ftüden. Aus dem Franzoͤſiſchen. Zürich, Meyer und Zeller. 
&r. 8. 9 Nor. 

Lorenz, S. F., Die Herrlichkeit des Auferftehungstages 
für gläubige und geheiligte Seelen. Aufd neue abgedruckt. 
Nördlingen, Bed. Br. 8. 3 Nor. 

Lübker, F., Rede beider Säcular⸗Geburtsfeier Peftalozzt's. 
Schleswig. Br. 3. 21, Rgr. 

Das Dregon : Gebiet. „Der Rechtötitel der Bereinigten 
Staaten Mar und unbeftreitbar.” Offizielle Correſpondenz des 
brittifchen bevollmädhtigten Miniſters in Wafhington und des 
Gtaatsfeeretärd der Vereinigten Staaten. Überfegung. Bre 
men, Schünemann. ©r. 8. 7’, Nur. 

Heinrich Peſtalozzi. Sein Leben einfach und getreu erzählt 
für das Voll. Herausgegeben von der Züricherfhen Schul» 
fonode. 2te Auflage. Zürich, Meyer und Seller. 5 Rer. 

Polen, feine Erniedrigung durch die drei Theilungen une 
fen Ofterreich,, Preußen und Rußland in den 3. 1772—1738 
und 1795 und feine Berfuche zur Wiedererlangung der Selbſt⸗ 
ftändigkeit. Weſel, Bagel. 7% Rgr. 

Rednagel, J. G. ©, Der Tag des Herrn und feine 
Feier. Ein Wort zur Beherzigung für Proteftanten und Ka: 
tholiten. Erlangen, Heyber. Sr. 8. 5 Nor. 

Mohleder, F. T., Vermifchte Auffäge zu Förderung des 
wahren Proteftantidmus auf dem nach ihm genannten, Eirchlic 
religiöfen Gebietes nebft einem ausführlichern Zueignungdvor-. 
worte an alle feine proteftantifch-deutfchen Amtöbrüder, vorzüg- 
li aber in Schlefien. Altona, Hammerid. Gr. $. 10 Rgr. 

Trippenbach, ©. E., Die Stimme der Seit an bie Land» 
bewohner und befonders an deren Lehrer. Dder Beantwortung 
der Frage: „Was muß gefchehen zu einer zeitgemäßen Erzie⸗ 
bung und Bildung der Iugend auf dem Lande?” Quedlinburg, 
Bafle, 8. 121% Nor. 

über Chriſtenthum, Proteſtantismus und Fortſchritt. Ein 
offenes &Sendfchreiben an Hrn. Prof. Dr. theol. Credner, mit 
Beziehung auf defien Schrift” „Die Berechtigung der prote- 
ftantiichen Kirche Deutfchlande zum Kortfchritt auf dem Grund 
der heiligen Schrift 1.” (Bon ©. Reid.) Frankfurt a.M., 
Brönner. 8. 10 Nor. 

Bogtherr, Er, Zeugnifle für. chriſtkatholiſches Leben. 
Drei Predigten (der Herr ift nahe! — des Ehriften Weihnachts: 
Di mache dich auf, werde Licht!). Bredlau, Trewendt. 

gr. 

Wucherer, 3. F., Vom evangelifch :Iutherifhen Haupt: 
ottesdienfte. Eine biftorifcheliturgifche Verftändigung mit be= 
Fonberer Berüdfihtigung von Loͤhe's Agende und Sellfelder's: 
ER für die evangelifche Kirche. Nördlingen, Bed. Kl. 8, 

gr. 


Werantwortlier Herausgeber: Heinrich Brockdaus. — Drud und Verlag von F. U, Wrodyans in Leipzig. 





Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Dienftag, 








Die preußifche Verfaffungsfrage „und das norbdifche 
Princip. Von einen Oftreicher. | 
8 weiter Artikel.” 

Der Verf. gelangt nun zu dem eigentlichen Kerne fei- 
ned Buchs, zu dem Nugen umd der. Nothwendigkeit einer 
Berfaffung für Preußen. Bei dem königlichen Verfpre- 
hen hat er fih unferer Anficht nach etwas zu lange 
aufgehalten. Faſt wären wir in Verſuchung Daffelbe aud) 


von diefem zweiten Capitel zu behaupten. Wir erfennen: 


es freilich vollkommen an, daß die preußifche Verfaſſungs⸗ 
frage nur auf dieſem Felde, auf dem Felde der Unter- 
fuchung über den Nugen und die Nothwendigkeit einer preu- 
ßiſchen Conſtitution entſchieden werden koͤnne. Wir er- 
kennen ferner an, daß dieſe Unterſuchung, wenn ſie über⸗ 


Haupt angeſtellt wird, nicht forgfältig und gründlich ge- 


nug geführt werben Tann, und geflehen gern, daß biefee 
vom Berf. ganz vortrefflich gefcheben if. Allein, für 
wen fihreibt der Verf. eigentlich? Wen will er durch 
feinen beredten Stil, durch feine ſchlagend entwickelten 
Gründe noch überzeugen? Bedarf es in der That eines 
folchen Aufwandes von Zeit zur Auseinanderfegung längft 
anerkannter, über allen Zweifel erhabener. Wahrheiten ? 
Die Zeit felbft hat die preußiſche Berfaffungsfrage be- 
reits mit einem fo entfchiedenen Ja beantwortet, in jahre- 
langer Discuffion find von unzähligen Seiten fo viel 
Gründe dafür angeführt worden, die Gegengründe find 
durch das allgemeine Bewußtſein fo vollfkändig aus dem 
Felde gefchlagen, daß man bie Geduld des Verf. bewun- 
dern muß, mit der er feine fchönen Kräfte an einen we⸗ 
nigſtens literarifch längſt abgeftandenen und verbrauchten 
Stoff verfchwendet. Ref. wenigftens gefteht aufrichtig, 
"da er die Geduld nicht befäße, dieſe Frage noch einmal 
nad allen Seiten bin zu befprehen und zu erörtern. 
Der Worte find in der That genug gewechfelt. Worte 
find eine fhöne Sache, fo lange es fih darum handelt, 
Iren .aufjuflären, entgegenftehente Ueberzeugung zu be- 
kehren, Beweiſe zu führen u. f. w. Iſt das Alles aber 
gefihehen, und bis zum UÜbermaße gefchehen, hat man 
alle Gründe pro und contra von A bis Z durchgeknetet, 
und swieber von vorn angefangen und, wieder durchge⸗ 
knetet, bann tritt zulegt eine gewiſſe Überſättigung, ein 





) Vergl. den erften Artikel in Nr. 89 — 102 d. BI. D. Red. 











9. Mai 1846, 


Efel an den Worten ein, ein moralifcher Zuftanb, wo 
& das vortrefflichfte Wort zur Sünde an dem guten 
Geſchmacke wird, meil es fich bereits überlebt hat. That 
und Wort fiehen in Wechfelwirtung, hat das Wort feine 


: Schuldigkeit gethan, fo muß bie That erfolgen, auf daf 


das Wort erfüllt werde. Faſt möchten wir behaupten, 
dag ein folcher überfättigter Zuftand rückſichtlich der preu- 
ßiſchen Berfaffungsfrage bereits vorhanden ſei. Denn 
noch einmal, für wen fchreibt der Verf.? Wen will er 
noch überzeugen? Höchftens einige geiftesarme und ge⸗ 
finnungsbanteotte Nachzügler, auf bie es überhaupt 
nicht anfommt. Wer überhaupt kiterarifch zu überzeugen 
war, der ift es in diefer Beziehung ſchon längft, und 
nit allein durch die Literatur, fondern auch durch das 
unmittelbare Bedürfniß, burch das Leben felbft. Ober 
ſchmeichelt ſich der Verf. vielleicht, durch feine Veredt⸗ 
ſamkeit anf gewiſſe pensces immuables einzumwirfen und 
das Unmöglihe möglich zu mahen? In der That, „viel 
Selbftvertrauen und fühner Muth”! Aber unferer innig- 
ften Überzeugung nach ein vergebliche® Beginnen. Alle 
fieben Weifen Griechenlands, wenn fie fich vereinigten, 
wenn fie die Zunge eines Demofthenes und eines Mira⸗ 
beau und die Federn. aller alten und neuen Autoren zu 
Hülfe riefen, ‚fie würben umverrichteter Sache wieber ab- 
ziehen müſſen. Auch wir haben gehofft, innig, glühend, 
mit einer wahren defperaten Angft gehofft ; aber mir 
hoffen nicht mehr. 

Es gibt gewiffe Vorurtheile, Lieblingsideen, gemiffe 
eingemurzelte Anfichten, entftanden aus einem Gemiſch von 
Wahrem und Zalfchem, von Gutem und Boͤſem, von 
Geiftreihem und Abfurdem, von Klarem und Unklarem, 
von Anerzogenem, Angemöhntem und von Urfprünglichem 
und Eigenthümlihem u. f. w., die fo feft mit dem inner- 
fin Sein und Leben einer Individualität vermachfen 
find, daß fie völlig Lebensbedingung geworben, und nur 
mit dem Leben felbft aufhören fünnen. Gegen derartige 
Erfcheinungen im menſchlichen Charakter gibt es fein 
Heilmittel. Wenn man mit Waffen des Verflandes da⸗ 
gegen Fämpft, fo flüchten fie ſich auf das Gebiet des 
Befühls, und greift man fie mit dem Gefühle an, fo 
fuchen fie ſich wieder durch den Verſtand zu ſchützen. 
Sucht man durch nüchterne Logik ihnen beizufommen, 


fo ift ihnen die Phantafie zur Flucht behälflich; und 


‚498 


folgt man ihnen auf dieſer luftigen Bahn, fo verfteden 
fie ſich wieder hinter Autorität; und räumt man auch 
dieſe hinweg, fo find fie wieder wo anders. Hat ber 
Verf. ‚vielleicht je mit einem Frauenzimmer bisputirt ? 
Und wenn er das gethan, ift es ihm je gelungen, baf» 
felbe von der Irrigkeit einer Anficht, ‚auf. welche es ſich 
einmal gefteift, zu überzeugen? So vergeblih ein fol: 
ches Beginnen gewefen fein wird, eben weil hier über- 
haupt Feine begründete Überzeugung, fondern ein bloßer 
Wille zu überwinden war, ebenfo vergeblich iſt es, ge 
wiſſe palitifche Willensmeinungen, bie mit einem beftimm- 
ten Willen einmal verwachfen find, zu disputiren. „Nun 
„aber erſt veche nicht““, wird daher von folchen Seiten 
ber die Antwort fein auf die preußiſche Verfaffungsfrage 
„ unfers Öftreichere. 2 

-  - Wasfere: Leſer erlaffen es uns mol, .alle die vielen 

MGruͤnde, bie des Verf. für den Nugen und die Nothwen⸗ 

‚ digkeit einer preußiſchen Verfaffung anführt, zu berichten, 

amd alle die Gegengründe berzuzählen die er widerlegt. 

Gebildete Leute: darf. man nicht mit dem ADB E unter 
‚haften, wir wollen baber nur nad Zufall und Laune 

„ einige Gedanken herausgreifen, . denen fich vielleicht noch 

eine intereffante Seite abgewinnen ließe. „Die Monar- 

sshie, fagen die Feinde des Volksrechts, iſt göttlicher Ein- 

: fegung; der Monarch ift ein Stellvertreter . Gottes, ein 

Gott auf. Erben; in dieſer Würde kann und darf er 

: Beine -Beichräntung leiben.” (Gegen diefen Sag polemi⸗ 

-‚firt der Verf. Es fei zu trivial, meint er, auf dieſe 

hochmũthige -Sleichflellung eines Menfchen mit Gott zu 

‚ eutgegnen,: daß felbft der weife und allmächtige Gott den 

: freien Willen der Menfchen achte. Vielmehr müffe. die- 

» fer fo traurig in das Leben der Völker eingreifende Irr- 

tham ernſter berichtigt werden. 

Immerhin möge man die monarchiſche Staatsver⸗ 
aſſung als Einfegung ‚Gottes preifen; aber. dadurch fei 
weder bewieien, daß bas demokratiſche Princip vom Zeu- 

‚ feb geflifter fei, noch genauer angegeben, welche monar- 
chiſche Verfaſſung, und wie. weit, wodurch und wozu: fie 
: göttlich fei. Der Sinn, in welchem das. monarchiſche 

MPrincip amtlich, Fönnte dach nur. immer folgender fein: 

Gott wolle ale Zweck und Ziel des ganzen Erdenlebens 
die innere volllommenere Entwidelung der: Menfchbeit, 
„und da die monarchiſche Staatöverfaffung. ein vorzüg- 
liches Mittel zu dieſer Entwidelung fei, fo babe Gott 
allerdings dieſes Mittel gewollt. Vernunft und Ge⸗ 
fhichte bewieſen aber, daß die Monarchie durchaus nur 
‚.bann..ein taugliches Mittel für die göttliche Abficht der 
Menſchenbildung fei, wenn fie. mitteld einer volksrecht⸗ 
Aichen Berfaffung mit dem bemofratifhen Principe in 
„‚MWerbinbung gebracht werde. . Somit könne alfo nur bie 
volksrechtliche Monarchie göttlicher Einfegung fein, und 
.folglih könnten fih auch nur die.conflitution- 
„nellem Monarchen mit Fug und Recht vor Bott 
‚und dev Welt Herrfher von Gottes. Gnaden 
* nennen. - Wäre dagegen bie Monarchie in dem inne 
ngäftlich,- wie ihn die Kobrebner bes Abſolutismus bean- 
naſpruchten, ja müffe Bott eigene, durchaus göttlich begabte 


Monarchengeſchlechter fhaffen, und zugleich der gemeinen 
Menfchheit den freien Willen und die Würde der Selb⸗ 
ftändigfeit verfagt haben. 

Es ließe ſich gegen dieſe Auffaffung ber conftitution- 
nellen Monarchie als ausſchließlich unbedingt richtige 
Staatöform gar Manches einwenden. Wir verfparen 
das aber auf einen fpdtern- Artikel, wo die Anfıht Bes 
Verf. über die öftreichifche Monarchie zur Sprache kommt. 
Dagegen können wir nicht umbin zu bemerken, wie fehr 
rationaliftifch ber Verf. mit dem Blaubensfage vom gött- 
lichen Rechte und von Gottes Gnaben hier umfpringt, 
und welche nüchterne Verftandesdeutung er biefem My⸗ 
fterium unterzulegen fuht, Wer bürgt ihm denn über- 
haupt dafür, bag Gott nicht eigene, durchaus göttlich be⸗ 
gabte Monarchengefchlechter gefchaffen habe? Und wer 
bürgt ihm bafür, daß ber gemeinen Menfchheit der freie 
Mille und die Würbe der Selbftändigkeit nicht verfagt 
ſei? Faſt fcheint es, als wenn ber Verf. eine ſolche Be⸗ 
hauptung für eine Abſurdität bielte, bie ſich von ſelbſt 
wibderlege. Wenn aber nun Jemand kaͤme und ibm beim 
Worte nähme, die logifche Kolgerung als richtig aner- 
tennte, aber auch zugleich den Inhalt berfelben als 
wahr behauptete, wie dann? 

ch gefiche aufrichtig, daß ich in der ‚Theorie des 
göttlichen Rechts und der Monarchie von Gottes Gna⸗ 
ben nicht wohl bewanbert bin. Hrn. b. Haller habe ich 
feeilich gelefen, aber mid recht bineinzubenten in das 


Syſtem beffelben, das vermochte ich nicht. -Die andern 
-Schriftfteller, Die dieſes Dogma vorzüglich angebaut ha⸗ 


ben, kenne ich entweder gar nicht, oder nur bruchſtücks⸗ 
weife. Aufrichtig gefage vermuthe ich aber, daß jene 
Theorie vom göttlichen Königthume überhaupt noch nicht 
fo confequent und wiſſenſchaftlich durchgebildet ift wie 
manche andere ftaatsrechtlihe Anſicht. Sie erfcheint mir 
derzeit mehr noch wie eine mufleriöfe Phrafe wie ale 
ein rein philofephifcher Hauptſatz. Die Monarhie von 
Gottes Gnaden nähert ſich offenbar fehr dem Gebiete 
ber religiöfen Myfterien, die man wol glauben aber nicht 
begreifen kann. Sobald zohe Hände fie in das Gebiet 
des Verſtandes herabziehen, fo verfchwindet der Nimbus 
ber ihr Haupt umgibt. Su diefem richtigen - Gefühle 
haben es daher auch die politifchen Blänbigen wol felbft. 
vermieden, dieſes Dogma nad allen Seiten bin zu zer- 
legen und confequent durchzuführen. Die Lehre von ber 
Tradition und Inſpiration ift auf. Eirchlichem Gebiete 
jedenfalls ſchon vollftändiger durchgebildet al6 auf welt⸗ 
lichem Gebiete. Es fragt ſich aber doch, ob es nie an 
ber Zeit fein möchte, das Syſtem auch hier vollftänbig 
auszuführen. Es täme auf einen Verſuch an, und wie: 
wol ich felbft weder Luft noch Talent zu einem foldhen 
Verſuche befige, fo möchte ich mir doch erlauben, dem 
fünftigen berliner Profeſſor, der diefes Unternehmen aus- 
führen wird, einige andeutende Grundlinien vorzuzeichnen. 


- Hier find ſie: 


Die Menfchheit an fich ober vielmehr die große Waffe 
der gewöhnlichen Menſchen ift. abfolut unfähig jur Er⸗ 
kenntniß der. Wahrheit. Deshalb bedarf es einer un⸗ 


v % 49 
“, '} 


mittelbar göttlichen Offenbarung und einzelner, fortwaͤh⸗ | ter, fo reihhaltig und fo offen ausgeftreut, hielten die Span⸗ 
vend- Infoieirtet Dienfeen Diefe legtern find natürlich 0, ii vr — —— hatte es aber din-Anfcein, 
abſolut unfehlbar, was ſie ſagen muß als unbedingt aefunten fe. Selb ie & eich af hin mi —e 
wahr von der großen Maſſe der nicht Inſpirirten ge⸗ ' fein hinauskon men zu Bimnen: Wird nun der vorliegende 
"glaube und befolgt werben. Bis jegt nahm man immer Verſuch eine neue Erhebung zu bewirken im Stande fein? 

"an, dag eine ſolche Infpiration nur auf dem ‚Gebiete | Wir zweifeln, fo wie wir nur die erſten Zeilen der Ginleitung 
des Glaubens ftattfäride, und daß die römifch -Fatholifche leſen. Der Verf. ſagt: er fei durch den Zob- eines Freundes 


Geiſtlichkeit allein jene bevorzugte Glaffe von Menfchen 
fei, welche die Wahrheit erblide. Das aber war ein Irr⸗ 
thum. So wie bie Menfchennatur überhaupf in zwei Theile 
‘zerfällt, in eine innere und in eine äußere, in eine himmli⸗ 
ſche und in eine irdifthe, fo ift auch) die Dffenbarung doppel« 
ter Natur. Es gibt irdiſch infpirixte und himmliſch infpi- 
rirte Menfchen. Die Seiftlichen find die himmlischen Inſpi⸗ 
rirten, die Fürften die irdifchen Infpirirten. Jeder von 
ihnen Hat feine befondere Domaine der Wahrheit, auf 
der er als, beftallter Verwalter von Gott fist. Die 
Geiſtlichen haben die Kirche, die Könige haben den Staat. 
Bei der Geiftlichkeit theilt ſich bie Infpiration durch die 
Weihe mit. Diefe ift demnach kein gefchloffener Staat, 
und man brauchte nur alle Menfchen zu weihen, fo 
würden fie in Glaubensſachen alle infpirirt fein. In 
weltlihen Dingen aber und auf weltlichem Gebiete ver⸗ 
Halt fich die Sache anders. Hier ſteckt die Infpiration 
im Blute, und wird durch Zeugungen fortgepflanzt. 
Naͤhme man freilih an, dag Adam der erfte infpirirte 
"König geweſen fei, ber mit dem nöthigen gefunden Dien- 
ſchenverſtande, mit den noͤthigen fünf gefunden Sinnen 
auegerüuftet geweien, fo würde freilich bie geſammte 
Menschheit als Nachkommenſchaft deffelben ebenfalls als 
infpirirt zu betrachten fein. Aber dem muß body wol 
nicht fo fein, oder wenigftens muß auch die Infpiration 
in: weltlihen Dingen. durch den Sündenfall abhanden 


gelommen und erſt fpäter wieder durch irgend einen 


weltlichen Erlöfer, durch einen erften König für ein 'be- 
fonderes Monarchengefchlecht ausfchließlich wieder gewon⸗ 
‚nen fein. Wer num bdiefer erſte König, von dem bie erfte 
Infpiration datirt, ob Ninus oder Sardanapal, ob Ne- 
bukadnezar oder Tamerlan, das tft noch gefchichtlich zu 
ermitteln, und ſtellt die intereffanteflen und fcharffinnig- 
ſten Eonjecturen in Hoffnung. Wil Jemand noch wei- 
. tere Seen zum Aufbau eines wiſſenſchaftlichen Syſtems 
für das Königthum durch göttlihes Recht und von. Got- 
tes Snaden, fo wende ve fih nur an mich; ich werde 
“fe ihm ablaffen, und mid) babek billig finden Taffen. 
SH kann fie nicht brauchen, und ein Anderer koͤnnte 
doch viel daraus machen. 
(Die Bortfegung folgt. ) 





Galerie berühmter Männer bed 19, Jah underts von Gu⸗ 
ſtav von Struve. Erſtes Heft. Heidelberg, Groos. 
1845. Gr. 8. 10 Re. 


Als der Doctor Gall im vorigen Jahrhunderte ſeine phre⸗ 
nologiſchen Theorien veröffentlichte, erregten fie wie jedes 
Reue die allgemeine Aufmerkſamkeit, und umſomehr, als fie 
eine Enthuͤllung des geheimen Wirkens dev Natur zu verſpre⸗ 

Ken ſchienen. Die phyſiognomiſchen Schattenriſſe von Lava⸗ 





| ften großen Verſtan 


-Zuftände der 


auf das tiefſte erihüttert worden, und um fich die fo ent- 
ftandene Luͤcke auszufüllen, babe er es unternommen, die ge: 
genwärtig veröffentlichten Unterfuhungen anzuftelen. Es liege 
alfo offenbar nur eine individuelle Laune zum Grunde, die wol 
vermag Intereſſantes zu geben, aber nicht der Fortbildung 
ber Wiffenfchaft nüpt. Intereflant ift an nur das vorliegende 
Heft. Es enthält in den Briefen, namentlich vom Kanzler 
v. Wächter und Prof. Ewald, manche intereffante- Notizen zur 
Charakteriftit ber Perſonen, befumdet auch nicht minder das 
vielfeltige Talent des DBerf., beſonders der anfhaulichen Ber: 
gegenwärtigung des Erfahrenen; aber wir fünnen nicht glau⸗ 


ben, daß die -phrenologifcgen Unalyfen -frei find weder von ei⸗ 


ner ſchon vorhandenen Vorftelung ber Berfon im Bewußtſein 
des Verf., noch auch von jeder Ausfhmüdung der Phanta— 


fie, und noch weniger von der Hervorhebung des Lobes, wel⸗ 


ches, da die Unterfuhten im Allgemeinen politifh Gleichge⸗ 
finnte mit dem Verf. find, in jegiger Seit von fich fern zu 
halten eine faft unüberwindliche Aufgabe fein möchte Wie 
Phantafie und Reigung zum Lobe eingewirft haben, woellen 
wir beifpielßweife mit Kolgendem belegen. Bei Prof. Weller 
find die Anzeichen des Erwerbtriebs und des Selbftgefühls nidyt 
fehr groß gefandın; "daraus entnimmt der. Verf. Wolgendes: 
„Bei der Wahl einer Gattin kann micht das Gtreben nach 
äußern Bortheilen den Ausſchlag gegeben, fondern bie freie 
Reigung kann bier einzig die Wohl beftimmt haben.” Aber 
wenn nun Here Welcker nicht verheirathet wäre, oder wenig- 
ftens nicht fo, wie er e8 etwa fein mag, müßte und könnte 
auch mit ganz gut jener Sat ganz anders lauten als er jetzt 
willtürlid auf eine Gattin bezogen ft, die doch aus der 
Structur des Kopfes nicht wird entnommen worden fein? Bon 
diefer Art mwillfürlicher Verbindung mit nicht nothwendig ge⸗ 
gebenen Begriffen, woher alfo die Berhältniffe der Structuren 
mit jedem andern Begriffe, der ihrer Vorſtellung conform ift, 
eine Verbindung im Gedanken eingehen Tönnen, find die übri⸗ 
en. phrenelogifchen Analpfen gleichfalls erfült. Bahlenver- 
aͤltniſſe erklaͤren die Bildungen. Der Rasur, wie etwa ber 
Kryſtalle und Pflanzen; aber die Bildungsfolge diefer Ber: 
bäftniffe iſt ſichtbar da, ift gegeben, und die —— 
tet nur die Erſcheiaungen, welche ſelbſt gezwungen fich 
nach einem beſtimmten Grundverhaältnifſe zu richten. Ob aber 
das Zeichen des Erwerbtriebes, wenn es überhaupt richtig 


verſtanden iſt, auf eine Frau, Geld, Käufer, Seltenheiten u. 


ſ. w. gerichtet geweſen iſt, laͤßt ſich einmal nicht aus den 
Merkmalen ſelbſt entnehmen, ſondern aus der Kenntniß der 
Lebensverhältnifie, die man außerdem noͤthig bat; dann aber 
legt der Menſch an fein Leben nicht fpeciel ben Maßſtab fei- 


nes Grwerbtriebes oder irgend eines andern, fonbern den feir 
nes ganzen Willens, feined Selbſt, wofür aber weder eine Er: 


en ee noch eine Vertiefung am Kopfe, fondern der Menſch 
R die niemals. außer: 


Itch erfcheinen 4 fondern nur von Ungeichen, Symptomen der 


Geſundheit auch ein Aggregat einzehrer Fähigkeiten und Kräfte 
ift, wäre noch fehr zu bezweifeln, und daher nicht minder die 
Richtigkeit des Schluſſes aus folhen einzelnen, außeen: Zeichen 
auf den ganzen Begriff einer Seele. keute mit ber ſchoͤnſten 
Stirn find Dunmföpfe geweſen, während ſolche mit der flach⸗ 

gehabt Haben. Das ſchoͤnſte ⸗Bildwerk 


eſundheit, der Seele, wie fie der Arzt von ber 
"Krankheit Bennt. Diefe iſt nun etwas Einzelnes und kann 
daher an einzelnen Somptomen erkannt werden; ‘ob aber die - 


be n eigenes Symptom iſt. Es moͤchte auch durchaus ein 
Fehler fein, bier von Organen zu reben, 


ohne Geiſt if tobt, und an einem Zorfo kann man wol erken⸗ 


phrenologiſchen Folgerungen einzutreten, denn dev Kopf möchte 


508 


t ber en Statue gehört, aber 
nie nit —— — —— muß 


tafie aushelfens etwas Anderes ſcheint uns auch nicht bei den 


wol nichts weiter als ein Zorfo bee Menfchen fein. 
SG. Marquard. 





Literarifhe Notizen aus England. 


Eine Lehre der Geſchichte. 

‚Die „Letters of royal and illustrious ladies of Great- 
Britain, from the commencement of-the twelfth century to 
the close of the reiga of Queen Mary. Kadited chiefly from 
originals in the State paper office, the Tower of London eto.“, 
von M. AR. E. Word, enthalten für den Geſchichtsforſcher 
eine reiche Yundgrube von Usfunben und Aufflärungen über 
einige der mwicptigften Partien der ältern englifhen Geſchichte. 
Unter Underm ift darın ein Schreiben der Markgräfn von 
Dorfet aus dem Jahre 1526 zu finden, welches in Betracht 
der Perfon, an die e# gerichtet ift, von höchſtem Intereſſe er- 


ſcheint. Daſſelbe iſt namlich adreffirt an „ Cromwell, ihres 


Sohnes, des Marquis, Diener“ und lautet wie folgt: „Crom⸗ 
wei, Ich will, daß Jhr mir eiligſt das Gebett aus Wollenzeug 
und das Federbett mit den Barchentüberzügen und einer dazu 
gehörigen Matrage fammt dem Deckbett zufenbet. Auch will 
ih, daß Ihr alle Belte, Sommerhäufer und Höfe, fo Ihr von 
mie habt, meinem Sohne Leonard überliefert, fo Eud an mei: 
ner Gewogenheit gelegen ifl. Und dies fol Euch volllommene 
Bollmadyt und Befcheinigung fein für alle Zeiten. Geſchrieben 
zu Bedwell dieſen gegenwärtigen Donnerstag vor dem Him⸗ 
melfahrtötage unferer lieben Frauen. Gerile. Doriet.” Und 
vor biefem Wanne, an welchen obige bifehlende Zeilen gerich⸗ 
tet wurden, beugten ıfich einige Jahrzehnde fpäter auf feinen 
Augenwink die ftolgeften Geſchlechter des engliſchen Hochadels, 
— — — — — — bie CEdelknaben, 
Das Rohr, mit dem man wollt' den Sturm bekriegen; 


an dieſen Mann richtete die Schwiegertochter derſelben Marl: 

röfin von Dorfet, die verwitwete Gemahlin ihres Sohnes, 
Päter ein Schreiben, das gleichfalls in jener Sammlung ent: 
halten ift und worin fie dem Protector „fo viele untermwürfige 
Dankfagungen als ihr Herz denken kann, für die Zortdauer 
des Wohlwollens, das fie aus Sr. Lordſchaft Händen finde”, 
ausdrückt; in Dienften dieſes Mannes, des Brauer von Yun: 
tington, ftand der Sohn der markgräflichen Witwe, ber Ente 


jener Frau, die wie an einen niedrigen Dienftmann und wie | 


ed fcheint nichts weniger als gnädig dem fpätern Lenker der 
Geſchicke Großbritanniens Befehle ertheilte! 


Sean Pauls „Klegeljahre” im Engliſchen. 

Auch Jean Paul's herrliche „Blegeljahre” haben englifche 
Bearbeiter, aber nicht in England felbft, fondern in Amerika 
gefunden, wo wie ed fcheint die nabe Berührung bes britifchen 
und deutfchen Stammes nad und nad den Volksgeiſt beider 
in allen feinen Kundgebungen viel näher miteinander befreun- 
den wird als dies diesfeit ded Weltmeers je ftattfinden duͤrfte. 
Auch findet die Bearbeitung unfers großen Humoriften in eng: 
Vifcher Sprache durchaus nicht den Beifall der Infelbriten. So 
äußert fi dad „Athenaeum‘’ über die unter dem Zitel „Walt 
and Vult or the twine” erfchienene Überfegung des Amerika— 
ners folgendermaßen: „Wir müffen unfern aufrichtigen Zwei: 
fel ausfprechen, ob an diefer Arbeit die Mühe nicht gewiſſer⸗ 
maßen weggeinorten ift; ob die Lefer irgend eines andern Lan⸗ 
des als Deutichlands geneigt find, ein auf fo phantaftifche 
Grundlage aufgeführtes Merk zu bewillkommnen. Shane Ge⸗ 
danken findet man allenthalben, und Diejenigen, welche Bücher 


perfönlihen Willens und der Kraft der Phan- . 


Leipzig, Baumgärtner. 8. 





lieben, wobei fie träumen koͤnnen und nicht denken bürfen, wer 
den fidh nicht davon wegwenden. Aber liegt darin nicht etwas 
zu viel von jenem bezaubernden Gefhwäg, dad den klaren Scharf⸗ 
bii®, welchen unfere Beit mehr alß jede frühere erheifcht, trübt, 
und das Unklarheit des Borfages, Mangel an Kraft und Bäpe- 
lichkeit verraͤth? Wie Dem auch fein 


wären, ohne baß ingeweihte oder Uneingeweihte etwas Ernſt⸗ 
liches dabei verloren hätten.‘ 





Ein Charakterzug Eabrera's. 


Der englifhe Eapitain Merander Ball, welcher bie Uben- 
teuer und Erfahrungen feines Kriegslebens im Dienfte der Bri⸗ 


tifchen Legion und im fpanifchen Heere während der legten Buͤr⸗ 


gerkriege auf der Halbinfel in feine „Personal narrative of 
seven years in Spain’ niedergelegt bat, erzählt unter Anberm 
folgende Zhat des Blutmenfchen Eabrera. Gin junger Offigier 
ward mit 25 Mann von den Karlijten zu Gefangenen gemadt; 
fie wurden am andern Tage auf den öffentlichen Platz gefüßrt, 
um erſchoſſen zu werden. Cabrera faß, vor fi den Hinrich: 
tungsplag, ſchmauchend auf dem Söller feines Quartiers. Gi 

junges Maͤdchen, die Zochter des Haufes, wo Gabrera ein: 
Auartirt war, welche mit Schrecken die Gefangennahme bes 
Offiziers bemerkt hatte, flehte Eabrera an, ihn nicht erfchie 
Ben zu laſſen. „Gut“, ſagte endlich der Tiger, „ich werde ihn 
nicht erſchießen laſſen.“ Die 25 Mann fielen hierauf durch die 
Kugeln, aber den jungen Offizier erwartete ein viel graufame⸗ 
res Schickſal. Am naͤchſten Morgen warb er auf den Markt 
geführt und Eabrera ließ das Maͤdchen rufen, ihren Geliebten 
zu feben. Hierauf ließ er einen Zug feiner Leute Dad Bayonnet 
aufpflanzen und den Jüngling in die Bayonnete treiben; als 
er gefallen war, Eehrte er fih zu dem entjegten Mädchen und 
fagte mit teuflifhem Spotte, er habe fein Wort gehalten, denn 
er babe verfprochen, daß Iener nicht erfchoflen werden gu. 

12. 





Bibliographie.. | 


Burmann’s, Peter, macaronisches Gedicht über das 
Tiabakrauchen, herausgegehen von F. V. Genthe. Eisleben, 
Reichardt. 8. 2 Ngr. 

Ellendt, F., Geschichte des königlichen Gymnasiums 
zu Eisleben. Eisleben, Reichardt. Gr. 8. 1 Thir. 15 Ngr. 

Gottſchalck, F., Deutfche Volksmaͤrchen. Zwei Bände. 
— Thlr. 15 Rgr. 
ugo, C., Pfalmen eines armen Poeten. Be ckena 
8. Nctbir. 18 Kar. Peſth, vecereſ 
‚Schwarz, J. G. Die heilige Mathilde, Gemahlin Hein⸗ 
rich's I., Königs von Deutſchland. Eine wahre und lehrreiche 
Lebensgefchichte. Mit einem VBorworte von E. Höfler. Re 
gensburg, Manz. Kl. 8. 10 Wer. 

Wolf, R., Johannes Geßner, der Freund und Beitgenoffe 
von Haller und Rinne. Rad feinem Leben und Wirken Darge: 
ſtellt. Zürich, Meyer und Zeller. 4. 9 Ror. 


Zagesliteratur. 


‚ Eunz, 8. %., Dr. Luthers Denkmal in feinen Liedern. 
Ein biftorifches Denkbüchlein für das deutſche Bolk. Eisleben, 
Neichardt. Gr. 8. 6 Rgr. " 

Escherich, Ärztliche Vorschläge zur Milderung der 
gegenwärtigen Noth durch den Mangel und die Theuerung 
der Nahrungsmittel. Erlangen, Enke. Gr. 8. 4 Ner. 

Börftemann, €. ©., Vortrag, en im Gymnafium 
zu Nordhauſen am 18. Febr. 1846, mit biftorifhen Anmerkun⸗ 
gen. NRordhaufen, Börftemann. 4. 4 Nor 


Weidling, predigt am Keformattonsfeft 1845 über _ 


Pred. Sal. 1, v. 


— 11. Eisleben, Reichardt. 1843. 8. 
3 Nor. " 


Berantwortliges Deraußgeber: Heinrich Brockdans. — Druck und Werlag von F. A. Brockhaus in Leipzig. 


wir müffen ge . 
daß «Walt und Vult» viel beffer im beutfi en Gewande ee 


Blätter _ 


. fer 


literariſche Unterhaltung. 


Mittwoch, 


8. Mai 1846. 





weiter Artibkel. 
(Kortfegung aus Nr. 185.) 

Weiter behauptet der Verf., es fei irrig, wenn man 
meine, der abfolute Monarch fei frei, der conflitutionnelle 
dagegen abhängig. Es kommt aber darauf an wie man 
es nimmt. Wen es mehr Vergnügen macht, mit der 
Zunge fo viel befehlen zu dürfen wie er will, ohne daß 
Jemand das Recht hat zu widerfprechen, der findet als 
abfoluter Monarch jedenfalls beffer feine Rechnung wie 
als conflitutionneller., Wem aber das bloße Decretiren 
feinee Wunſche und Überzeugungen nicht genügt, fondern 
wen ed auch am Herzen liege, daß biefe Befehle wirk⸗ 
lic) befolgt, daß fie fittliehe Wirkungen im Volke äußern, 
daß fie nicht blos auf dem Papiere, fondern aud im 
Leben realifirt werben follen, ber wird es mit einer volks⸗ 
zechtlichen Verfaffung halten. Es waͤre freilid; eine an⸗ 
genehme Sache, wenn ber bloße Befehl: mein Volt fol 
reich, glüdlih, tugendhaft, mächtig und fromm fein, 
fhon genügte, um diefe erfreulihen Wirkungen in Wirk⸗ 
lichkeit Hervorzubringen. Da das aber nicht der Fall ift, 
fondern da bie freie Überzeugung unb die eigene An⸗ 
fitengung des Volks einmal immer das Beſte dabei thun 
muß, fo halten wir diejenigen_Fürften, welche auf dem 
Wege der freien Berfaffung die Überzeugungen und bie 
Capacitãt des Volks zu ermitteln fuchen und nach dem 
gewonnenen Mefultate ihre Befehle einrichten, immer 
noch für die klügern und auch für bie, denen es um 
eine reelle wirklihe Herrſchaft, fo weit fie überhaupt 
möglih, am meiften zu thum if. Die Herrfchaft der 
abfoluten Fürften beruht allerdings mehr auf dem bio- 
fen Schein. Sie verwechfeln die Herrſchaft in Worten 
mit der Herrſchaft in ber That; aber freilich haben fie 
fih an diefe widerfpruchslofe Wortherrſchaft bergeftalt 
gewöhnt, fie ift ihnen eine fo freundliche Bemohnbeit des 
Daſeins und Wirkens geworden, daß fie bderfelben oft 
um feinen Preis, felbft nicht zu Gunften einer reellen, 
eindeingljchern, wahrhaft Hiftorifcyen Wirkſamkeit entfa- 
gen mögen. Die äußere Unterwürfigkeit ihrer Mitmen- 
fchen ift ihnen zur Hauptfache geworden. Inwieweit 
die Geifter und die Geſchichte feluft ihnen dadurch un- 
texthan werde, das kümmert fie nicht. Wenn ihnen nur 


im erſten Augenblide nicht widerfprochen wird, wenn 
fie in ihren Salons nur lauter unterwürfige Rücken er- 
blicken, fo find fie zufrieden. - Für wen alfo fehreibt ber 
Berf.t Wir fragen abermals. Für das große gebildete 
Yublicum, dem diefe Wahrheit ſchon längft ohnehin be 
fannt ift, welches ohnehin ſchon lange weiß wie ein ein- 
ziges, mit Hülfe der Volkskammern von Fürſten gege- 
benes Gefeg. mehr wirkliche Früchte bringt, und tiefere 
Wurzeln ind Leben treibt als taufend Befehle eines ab» 
foluten Fürften, die immer nur auf den Fels und in 
dir Dornen fallen, und von denen nad wenigen Jahren 
feine Spur mehr vorhanden ift, oder für die wenigen 
an den Schein Gewöhnten und durch den Schein Ber- 
zogenen, bie fi) einmal an der Täufchung und der Il⸗ 
Infion ergögen, und ſich darin wohler fühlen als in ei- 
ner reellen, gefunden Wirklichkeit, für die fie fehon ver . 
dorben find? Die erfte Claſſe braucht feine Wahrheiten 
nicht mehr, und die andere Claſſe will fie nicht, ſondern 
nimmt fie übel. 

Auch darin hat bee Verf. recht, wenn er behauptet, 
wie die Conſequenz bes erblich monarchiſchen Principé 
es nothwendig mache, naturwidrig die Kindheit und Ju⸗ 
gend der Thronberechtigten zu kürzen und ihnen das 
Scepter zu einer Zeit in die Hand zu geben, wo fie lie 
ber nach einem Spielzeug langen möchten, . oder wo iß- 
nen die Fähigkeit für den heiligen Ernſt des Regenten- 
lebens naturnothiwendig noch fehlen muͤſſe. In abſolu⸗ 
ten Monarchien herrjchen in ſolchen Zällen neben „kindi⸗ 
fhen Launen und Ungezogenbeiten, neben flegeljährigem 
Uebermuth die Leidenfchaften und Begierden Derjenigen, 
die fich des gefrönten Kindes oder Juͤnglings zu bemei- 
flern wüßten“. Es ließe fich gar leicht nachweifen, wie⸗ 
viel „unausfprechlichee Elend dadurch nicht bios über 
Bölker, fondern auch über regierende Familien gelommen 
fei, mit wie viel Fluch und Schande dadurch die Ge⸗ 
fchichte des monardifchen Principe bededit worden”. In 
einer conftitutionnellen Monarchie bagegen erfege in ei⸗ 
nem ſolchen Kalle das Volt durch feine Vertreter dem 
Kinde die Jahre, dem Zünglinge den Mangel des Ern- 
ſtes und ber ftantsmännifchen Bildung. In der Schule 
des Volksrathes reife der junge Regent glüdlich zu felb- 
ftänbiger Wirkſamkeit heran; das Volksleben bleibe un⸗ 
getrübt, das monarchiſche Princip fleckenlos. 


WW 08. 


Aber für wen fehreibt er diefe, man kann wol fagen, 
trivialen Wahrheiten? Doch nicht etwa für Die, die blos 
immer an fi denken, an ben nächften Augenblid, die 
in ihrer verzogenen Empfindlichfeit das unerträglid, fin 
den, wenn fie dann und wann daran erinnert werden 
fönnten, daß es noch felbfländige Willen außer dem ih: 
rigen ‘geben könne? Dod nit für Die, deren ganzes 
Wefen von dem Sage durchdrungen ift: Zuerſt fomme 
ich, und dann komme ich noch einmal, und zulegt fomme 
ich abermals? Doch nicht für Die, welche es freilich recht 
gern haben, wenn es ihrer Nachkommenſchaft und ber 
übrigen Menfchheit recht wohl gehen möge, aber nur 
unter der Vorausfegung, daß fie in ihren Gelüften und 
Belieben auf keine Weife genirt werben dürfen? Doc 


nicht für Die, welche mit der Gräfin D.barıy ausrufen: 


Apres nous le deluge? oder menigftend nad) diefem 
Srundfag inftinctartig handeln? Und wenn nit für 


Diefe, für wen fonft? Wer märe denn außerdem nicht | 


fhon völlig überzeugt ? 

Dagegen vermiffen wir noch eine Anbdeutung, bie 
fih) ung immer bei Betrachtung junger Fürftenföhne in 
Deutfhland aufgedrängt hat. Wie ift es möglich, fürft: 
lichen Kindern in abfoluten Staaten eine chriftfiche, wahr: 
haft menfhlihe Bildung anzuerziehen? Wie ift es über- 
haupt nur möglich, ihnen eine fröhliche, friſche Jugend⸗ 
zeit zu bewahren? Bu den erften Grundbedingungen ei- 
ner gefunden Charafterentwidelung gehört erftlich jene 
Demuth des Kindes vor dem erwachfenen Alter, welche 
in der moralifchen Natur des Menfchen begründet ift; 
und zweitens jene freie Genoffenfchaft gleichalteriger Ge- 


fpielen, mit benen das Kind feine gemeinfhaftlichen. 


Freuden, feine gemeinfchaftlihen Beftrebungen nach Ent- 
widelung der in ihm ruhenden geifligen und körperlichen 
Kräfte theilt. Wo diefe beiden natürlichen Bedingungen 
fehlen, da hilft die forgfältigfte Überwachung, da helfen 
die vortrefflichften Lehren nichts. Keine Lünftliche Ver⸗ 
anftaltung kann die natürlichen Anfoderungen der Na- 
tur erfegen. Die Verhältniffe in abfoluten Monarchien 
find aber der Art, dag das fürftliche Kind ſchon von 
feinem erſten Athemzuge an in eine excluſive, moralifch 
widernatürliche Stellung zu den Mitlebenden verfegt 
wird. Unter allen erwachſenen Perſonen, die ed von 
feühefter Jugend an umgeben, vom Hofmarfchall und 


Gouverneur herab bis zum Stalffnecht erblickt es nichts 


als Lakaiengefichter und Lafaienmanieren. Iſt ber re 
gierende Vater ein höheres, infpirirtes Weſen, fo ift es 
auch der Sohn, der einft regieren wird. An einem Hofe 
und in einem Rande, mo das göttliche Recht noch als 
Srundfag gilt, und wo das ganze Ceremoniel, der ganze 
Verkehr zwifchen Fürſt und Volk auf diefe Fiction ge- 
baut ift, da wird auch das ganze Benehmen der Men- 
fohen gegen den fürftlichen Knaben ſchon eine folhe un- 
terwürfige Kärbung annehmen; da verwandelt fich das 
natürliche Uebergewicht des erwachſenen Alters in wibder- 
liche Unterwürfigkeit gegen das fürftlihe Sind. Der 
Knabe merkt gar leicht, daß er als ein höheres bevor- 
zugtes Weſen betrachtet und behandelt wird. Und mas 


N 


ſchon im erfien Keime vergiften. 


find die Folgen davon? Hochmuth, Selbſtſucht, Men⸗ 
fhenveradhtung ; das find die verberblihen Eindrücke, 
welche die moralifhe Natur des unglüdlihen Kindes 
Die fürftlichen Väter, 
welche eine ſolche Unterwürfigkeit als höhere Wefen fix 
ihre Perfon entſchieden beanfpruchen und ganz in bee 
Ordnung finden, befigen freilih in der Regel fo viel 
natürliche Liebe zu ihren Kindern, baf fie das Verderb- 
liche dieſer Verhältniffe in Bezug auf dieſe wenigſtens 
vollfommen fühlen. Denn durch alle Entftelungen und 
Verbildungen des urfprünglicd) » menſchlichen Weſens bricht 
an einzelnen Stellen doch immer ein Strahl der menfd;- 
lichen Natur mit Allgewalt hindurch, und bie äfterfüche 
Liebe ift eben überall die unüberwindliche, natürfiche 
Empfindung, die gegen alle angeerbten hiftorifchen Vor⸗ 
urtheile fiegreich ihr Recht behauptet. Bei ihren Kin. 
dern möchten die Väter daher fo gern eine Ausnahme 
von ihren eigenen Grundfägen machen. Hier möchten 
fie die WVerhältniffe, deren Aufrechthaltung ihnen - übri- 
gend fo fehr am Herzen liegt, mit einem Male umän- 
dern. Sie möchten das Kind in feine urfprünglich mo- 
ralifche Stellung zu den Mitlebenden verfegen. Der 
ganze Hofftaat des jungen Prinzen von Gottes Gnaben 
empfängt daher in der Regel den firengen Befehl, 
ihn durchaus nicht merken zu faffen auf irgend eine 
Weiſe, daß er ein Prinz von Gottes Gnaden fei. Ber- 
gebliches Bemühen. Die Grundfäge, die man felbft ge- 
predigt hat, die Verhältniffe, die man felbft aufrecht er- 
halten und geftügt, die Sitten und Gefinnungen, die 
man felbft gepflegt und gefördert hat, fie menden fich 
nun mit unglücklicher Confequenz gegen ihren eigenen 
Ucheber. Das ift die waltende Nemefis, die immer an 
dem wundeſten Flecke ihr Racheſchwert eintaucht. DO 
wie viel würde mancher fürſtliche Vater darum geben, 
wenn er nur einige freie Maͤnnerblicke, nur einige un⸗ 
abhängige Stirnen, auf denen das Bewußlſein gleich- 
berechtigter Menſchenwürde gefchrieben ftände, für fein 
armes, unglüdliches, dem Verderben geweihtes Kind auf- 
treiben fönnte. Uber vergebens, vergebens. Er hat diefe 
Schrift .felbft aus den Angefichtern der Menſchen ver- 
wifcht, und mo fie fi etwa noch findet, da Tieht ſie 
ihm nicht mehr zu Gebote. Sein Befehl wird äußerlich 
befolgt, man zwingt fi dem Kinde gegenüber zn einer 
gemwiffen Oftentation von Unabhängigkeit, fo lange der 
Pater felbft zugegen ift. Aber man bringt ed zu wei- 
ter nichts als zu einer fchlechtgefpielten Komödie. Mit 
dem ber Kindheit eigenthümlichen Scharffinne erfennt 
der Knabe gar bald die einftudirte Rolle, durch welche 
aller Augenblide die angewohnte Hundedemuth und bie 
Deferenz vor dem ſpecifiſch verfchiedenen höhern Weſen 
hindurchblickt. 

Und nun vollends der Umgang mit Altersgenoſſen. 
Dieſer ſelige Himmel ber Kinderzeit, welch ein bejam- 
mernswerthes Zerrbild wird den Prinzen von Gottes 
Gnaden dafür gereicht! Da ift Fein ernſter Wetteifer, 
fein Leidenfchaftliches Ringen, Bein Anziehen und Abfto- 
gen der Charaktere, kein Siegen und Unterliegen, keine 


17 


Arankung und feine Verſohnung; das Alles, wodurch 


das Gemüth, der Wille, die Menſchenkenntniß ſchon früh 


gebildet, wodurch der Charakter geſtählt wird, wodurch 
der. Knabe lernt, ſich feinen Plag zu erringen der ihm 
gebührt, der Unbill zu wehren, die Kraͤnkung zu verzei- 
hen, fich felbft zu beberrfchen, diefe ganze wunderbare 
fugendlihe Schule für das fünftige männliche Leben, 
dieſer Mikrokosmus wahrer, unentbehrlicher menfchlicher 
Sreiheit, bem armen Linde von Gottes Gnaden wird 
daraus blos eine Eünftliche Veranftaltung, blos ein Schein 
deffelben gegeben. Ein Spielplag, wo man nicht mwirf- 
lich fpielt, wohin die Genoffen zur Frohne gehen und 
wo fie den armen Unglüdlihen nie und nimmer als ihres 
Bleiben im Herzen anerfennen, ein Kampf, wo ber 
Prinz immer Sieger ift, und wo Geber fih in Acht 
nimmt, gegen das Beine Wefen von Gottes Gnaden feine 
Kraft zu gebrauchen, und wo eine derbe Maulfchelle von 
der berumftehenden Dienerfchaft wie ein Eleiner Hochver- 
rath und ein Bischen Nafenbiuten wie ein verfuchter Für- 
flenmord en miniature betrachtet wird. Was kann dar- 
aus anders werden als ein verdroffener, verzogener, hoch. 
müthiger, eigenfinniger, gemelner Despot, der gar nicht 
weiß was Liebe ift, der überall oben hinaus ift, feinen 
Widerftand ertragen Tann, und doch bei ben erften ſtren⸗ 
gen Schiljalsfchlägen im Mannesalter gleich zufammen- 
knickt wie ein Tafchenmeffer ? 

Früher war e8 anders, früher war der Fürſt unter 
feinen Baronen nur Primus inter pares, und wie er 


ſelbſt an feiner Zafelrunde fi nicht als höheres Weſen 


erfhien, wie ihm überall Blicke entgegenleuchteten, bie 
ihm zu fagen fihienen: Wir haben fo gut Rechte wie 
bu, wir find fo gut freie Maͤnner wie du, fo genoffen 
auch feine Kinder das Glück, mit freien, unbefangenen 
Kinderfeelen ſich herumtummeln zu konnen. 
Und aud) in conflitutionnellen Staaten ift es anders, 
d. h. in ſolchen Staaten, wo bie Conftitution nicht blos 
auf den Papiere, fondern auch in den Herzen und in 
der Befinnung der Menfchen gefchrieben ſteht. Im freien 
England ift e8 anders; dort, wo bei allem Neſpecte ge: 
en die Würde des Königs doch Jedermann fi feiner 
echte bewußt ift und fie fehr wohl gegen die Rechte 
des Königs abzuwägen und zu vertheidigen weiß, wo 
ſelbſt der Diener ſich noch als freier Engländer fühlt, 
dort gibt e8 noch eine angemeffene Umgebung für fürft- 
lihe Kinder, dort noch YJugendgefpielen, bie dem Kna⸗ 
ben in Freude und Leib jeden Augenblid beweifen, daß 
er nichts mehr und nichts weniger ift als ein Menfch 


unfer Menſchen. (Die gortfegung folgt.) 





Srühlingsblumen aus Oftreih. Gedichte von Hermann 

Rollett. Jena, Luden. 1846. 8. 1.Thir. 15 Ngr. 
. Es hat lange gedauert, bis fich die öftreichiiche Literatur 
einige Geltung in Deutfchland erftrebte. Seit Nicolai wurde 
ed Mode unter den beutfhen Krititern und Literarbiftorikern, 
die öftreichifche giterafur entiveder ganz zu ignoriren oder fie 
in flüchtigen Inmerkungen .verächtlich und fpöttifch abzuferki- 
gen. Selbſt die öftreihijche Volfsbühne, die doch gewiß be 


beutend baftand, wurde von der beutfihen Kritik misachtet, 
obwol fie durch ihre allgemeine Verbreitung bewich, daß fie 
ein allgemein deutſches Nationalelement enthalte, obwol fie 
durch Raimund zu wahrhaft poetifcher Bedeutung erhoben 
wurde. Diefes traurige Misverhältniß mußte, wie es die Folge 
eines politifgen Unglücks war, zur Steigerung und Verewi⸗ 
gung dieſes Unglüdd beitragen. Es war und ift ſchon hoͤchſt 
betrubend, daß man von einer Öftreichifchen Literatur im Re⸗ 
ben: und @egenfag zur deutſchen fprach und alſo hier in Ber 
zug auf einen fo großen und wichtigen Theil Deutfchlands auch 
die einzige wirkliche Einheit zerriß, deren fich das viel zerrif- 
jene Deutſchland zu erfreuen hat. Warum fprach man denn nicht 
aud von einer bairifhen, preußifchen, ja nicht einmal von 
einer fchweizerifchen Literatur? Selbſt was in Rußland ‚Deut 
ſches erfchien, rechnete man vwohlgefällig zum allgemein deut⸗ 
fhen Gute, nur das Oftreichifche ſchied man aus! 

Es kann und fol nicht geleugnet werden, daß an diefem 
traurigen. UÜbelftand die Dftreiher ihren Antheil haben. Sie 
gögerten de lange, fih durch würdige Offenbarungen als chen» 
bürtige eifteögenoflen Deutfchlands zu beweifen, fie nahmen 
zu lange blos paffiv empfangend am beutfchen Geijtesichen 
Antheil. Dennoch ift das größere Unrecht auf Seite der deut: 
[hen Kritit und Literaturgefchichte. Diefeß Unrecht ging fo 
weit, daß man bei dieſer wichtigen geiftigen Beurtheilung les 
diglich den Drudort enticheiden ließ und nur Das als äftreichi» 
fe Literatur erkannte, was in Oftreich gedrudtt wurde, wo 
man dann allerdings viel Grund zu verächtlichen Urtheilen fin 
den Eonnte, aber dennody aus leicht begreiflichen Gründen un: 
gerecht gegen die Oftreicher blieb. Wenn der Drudort entfcheir 
den follte, wie ftände e8 dann 3. B. um denjenigen Theil der 
franzöfifchen Kiteratur, die eine neue geiftige Epoche eröffnete? 
Sind nicht Die meiften jener Schriften franzöfiicher Großgeifter 
in Holland und in der Schweiz erfchienen! Dennoch fait es 
Riemandem ein, ſie ven der franzoͤſiſchen Literatur auszufchei- 
den; was aber oͤſtreichiſche Workämpfer in Leipzig, Hamburg, 
Stuttgart drucken ließen, das rechnete man beifädlig zur deut» 
ſchen Literatur und fuhr fort, die öftreidhifche in fpöttifchen 


Anmerkungen abzuurteln. 


Sn neuefter Zeit ift es aud in diefer Beziehung beffer 
geworden. Oſtreich tritt immer fräftiger und freier als thäti: 
ger „Mitarbeiter am großen Werk des deutfchen Geiftes auf, 
ae an land erkennt freundlicher die Geiftesbrüderfchaft Oft 
reihe an. 

Das erfte und vorzüglichfte Verdienft Darum haben die oͤſt⸗ 
reichiſchen Lyriker. Sie haben DOftreich wach gefungen und lafs 
fen es nicht wieder in dumpfen Schlummer verſinken. Dftreich 
war vor Alters das Land des Gefanges, ift ed in neuefter 
Zeit zeitwürdig neu geworben. Faſt jedes neue Jahr begrüßt 
einen neuen öftreichifchen Sänger, und daß es fo vielen gelingt, 
fih freie Bahn zu öffnen, die Höhen des beutfchen Geiftes 
zu erfehweben und in der Tiefe des deutichen Herzens heimiſch 
au werben, ift ein freudiger Beweis ihrer naturkräftigen, echt 
deutfchen Dichterfendung. In rafcher Folge haben jüngft Mo: 
rig Hartmann, Alfred Meißner und Albert Knoll ſich ins Licht 
und Leben der deutichen Gegenwart und Bufunft gefungen und 
fchon begrüßt Oftreih und das freundliche Deutichland einen 
neuen freicifchen Frühlingsboten, Hermann Nollett. 

Es wird Frühling in Oftreih! Dies ruft der Sänger mit 
Lerchenjubel, ohne darum die Minterfchauer, die. Froftgefahr 
zu vergeffen, die den Frühling bedrohen. Rollett's Gedichte 
find im buchftäblihen Sinne eine Frühlingsbotichaft und Fruͤh⸗ 
ingsgabe. Wir begrüßen eine echte lieb» und freudenreiche 
Dichternatur und zugleich einen Sänger, der das Wort des 
großen Dichter verfteht und erfüllt: „Worte find des Dichters 
Waffen!“ Mollett bringt politifche Gedichte, in denen bie 
poetifche Kraft mit dem politifchen Muth gleich hoch fteht. Das 
find Peine gereimten Zeitungsartikel! Und Rollett widmet feine 
fühnen Lieder „feinem ſchönen Dftreich in Lieb’ und Treue“. 
Seit Anaftafius Grün bat Bein öftreichifher Dichter ſolchen 


edlen Yntriotitmus bewieſen. Rollett macht wie Grm wicht 
egen red Dppofition, fondern aus Liebe zu Oſtreich gegen 
igifche Übel. Hierin und in Folgendem liegt eine befondere 
politiſche Bedeutung dieſes Buches. Es wurde biöher immer 
fchreiend behauptet, die öftreicpifchen Dppofitiondfriftfteller 
feien entweder unbefriebigte ehrgeizige Ariſtokraten/ ober arme 
Schlucker, oder ungarifche und boͤhmiſche Geparatiften. Rollett 
nun ift aus einer echt Öftreicdhifehen, fehr wohlhabenten, hoch 
begünftigten Buͤrgerfamilie. Er liefert ben Beweis, daß auch 
der wohlhabende äftreihifche Mittelſtand, den man gewoͤhn⸗ 
li in völlig gedankenloſer Zufriedenheit ſchwelgend waͤhnt, von 
allen Bewegungen der Zeit mächtig ergriffen i) t. 

Ic unterlafle es, dem Lefer aus dieſen Frühlingsliedern 
eingelne. Proben mitzutheilen. Gine Blume macht keinen Früh⸗ 
fing, und bier blüht wirklich ein ganzer Fruͤhling. Auch will 
ich nicht tadeln, obwol natürlich Manches zu tadeln ware, denn 
eben der Frühling hat feine Unvollkommenheiten. Aber ich will 
den Frühling nicht feriren. 

Ber ein Herz, für wahre Poeſie hat und wer Die neue 
geiftige Bewegung ſtreichs als höchft wichtig erfennt und an- 
erfennt, Der wird bei diefen Gedichten Frühlingäluft empfinden 
und von Fruͤhlingsahnungen erhoben werden. 


Franz Schuſelka. 


Urſprung des Worts Carmagnole. 


Der unter dem Namen Carmagnole bekannte, urſprüng⸗ 
lich italienifche Tanz ift durch die Schreckensjahre der Einen 
und untheilbaren Republif Frankreich zu entfegliher Berupmt- 
beit gelangt. Uber den Urfprung des Namens bringt eine 
englifche Zeitfchrift Folgende gefchichtliche Angaben, von benen 
wir nicht entfiheiden mögen, ob fie mehr dem Roman oder der 
Geſchichte angehören. Im Anfang des 15. Jahrhunderts lebte 
am vechten Ufer des Po, nicht weit von Zurin, ein Hirten: 
fnabe von 15 Sahren, der wegen ungemwößnlicher Kühn: 
beit, die er in feinem Beruf gegen bad Raubthier und das 
räuberifche Gefindel des Gebirgs gezeigt hatte, von feinen Ge⸗ 
noffen den Namen des „kühnen Schafhirten, Brancedco Bar: 
tolomeo Buffone” erhalten hatte. Zu jener Zeit war ber 
Krieg zwifchen den Freiſtaaten und den Dpnaftengefchlechtern 
des obern Italiens heftiger als je ausgebrochen. Unter den 
Häuptern der Eonbdottieri, welche je nach dem Lohn, den man 
ihnen bot, gleich bereit waren, einer oder der andern Partei 
u dienen, fand ein gewiſſer Fatino Eane in hohem Ruf, und 
kein Nichtadeliger konnte in jenen blutigen Jwiften in den bei: 
derfeitigen Heeren zu einer Befehlshaberftelle aufiteigen, der 
nicht in den Rotten diefeß Häuptling6 feine Sporen verdient 
patte. Eines Abends, ald der Hirtenjüngling fchlafend ne: 

n feinee Heerde im Grafe lag, erweckte ihn der zuberrichende 





Ruf eines vorüberreitenden Bremden. Aus feinen Zräumen 


emporfahrend ftarrte der Knabe ben Reiter an, ber ihn mit 
forfchendem Auge 'betrachtete und in die Worte ausbrach: „Das 
ift eine Mannsgeftalt”, worauf Iener den Arm zum Schlage 
gegen den Störenfried ausholend erwiderte: „Und eines Man⸗ 
ned Herz!“ Als der Fremde ihm jedoch zurief: „Ich bin Ba: 
eino Gane, welder von unten auf in den Zruppen Bisconti’e 
zu den höchſten Ehren cmporgeiliegen ift und ſich felbft zum 
Fürften von Toͤrtone und Berceil gemacht bat, weil bie Welt 
den Männern von Muth gehoͤrt“, lich der Züngling ben auf: 
gehobenen Arm ſinken und verlangte Iheil zu nehmen an fei- 
nem Ruhm und feiner Macht. „Hier iit der Schlüffel zu dei⸗ 
nem Herzogsſchloß“, erwiderte darauf der Fühne Abenteurer, 
indem ex ihm ein glänzendes Schwert umhing. Neun Sabre 
fpäter, im Jahre 1425 finden wir zum Manne gereift ben 
Hirtenknaben wieder ald Graf von Gaftel nuovo, die Richte 
des Herzogs von Mailand Philipp Maria, die fhöne Antoi⸗ 
nette Bisconti, in dem Palafte dei Broletto heimführend. Im 
Berlauf- diefer Zeit war er vom einfachen Söldner zum Haupt⸗ 
mann und Feldhauptmann, berühmt geworden unter dem Na: 


men Sarmagnole, endlich zur Grafenwürbe und zum Eidam 
des Herzogs von Mailand emporgeftiegen. 

Aber in feiner Bruft ſchlug nad wie vor ein warmes 
Herz für das Volk und für Gerechtigkeit und Großmuth. Gr 
wir der Abgott der Krieger und die durch das Schwert Bes 
fiegten Völker feffelte ex in der Scunde des Siegs Durch weiße 
Möfigung und Leutfeligleit an Mh. Das führte feinen Stu 
herbei. Verbannt und alles Güter beraubt mußte er fein Be 
terland verlaffen, nichts mit ſich nehmend als feinen Ruhm, 
und daB beim Beginn feiner Heldenlaufbahn empfangene 
Schwert, womit er ihn gewonnen. Die Sage geht, daß der 
verbannte und geächtete Held von Allem entblößt und NRab- 
sung und Obdach fuchend eines Abends in die Hütte eines 
armen Landmanns getreten und feinen Namen genannt. De 
fei die ganze Familie vor ibn auf die Knie gefunfen und das 
jüngſte Kind babe von den Altern auf der Stelle den Ramen 
Felix Glorioſo erhalten, weil e6 Tpielend den Griff des be⸗ 
rühmten Schwertes Garmagnola’s berührt. Er trat in Me 
Dienfte der Republik Venedig; der Herzog von Mailand ſchickte 
Meuhelmörder gegen ibn aus, um nach Art der Despoten 
ihm die großen Dienfte zu lohnen, die er feiner Herrſchaft ge 
leiftet. Carmagnola entging ihren Dolchen und bald darauf 
empfing er in der. &t.: Marcusfirche aus den Händen des Do- 
gen den Oberbefehl über alle Zruppen des Freiſtaats. Uber 
er war Fein Dann nad den Herzen jener argmwöhniichen Ger 
walthaber. Nachdem er durch cine Reihe von Siegen die 
Macht der Republik befeftigt und ihr Gebiet vergrößert, warf 
man ihn in ben Kerker, ließ ihn foltern und martern und 
ſchleppte ihn endlih am 5. Juni 1432 zum Ridhtplag, wo fein 
Haupt fiel.*) Man hatte es ihm zur Schuld angerechnet, daß 
er 460 Kriegsgefangene in ihre Heimat entlaffen hatte; aber 
der geheime Grund feined Todeburtheils war die unbegrenzte 
Liebe und Unhänglichkeit, Die er fih durch Milde und Leutfes 
ligkeit im Heer und im Volke erworben, während er nie Ger 
legenheit gegeben hatte feine der Republik geſchworene Treue 
zu verdächtigen. Das Boll aber, dem Carmagnola durch biu- 
tige6 Urtheil feiner Zwingherren entriffen wurde, feierte ihn, 
den Dann des Volks, den Hirtenknaben, den Gefährten Ka 
eino Cane's, den Netter des Herzogs von Mailand, den Ber 
ſchirmer Venedigs in Liedern, die zu den Volkstänzen gelun: 
gen wurden; und fo übertrug fih nach und nad der Kamen 
auf die Zänze felbft, welche ſich aus den fardinifchen Staaten 
unter das Landvolk des mittägigen Frankreichs verpflanzten. 
So geihah es durch eine feltfame Rache des Schickſals, daß 
der Rame, defien Zräger einft wegen der Volksgunſt, die er 
ji) erworben, von einer graufamen Nriftefratie unter das 
Meſſer geliefert wurde, den entfeglichen Leichenfang bildete, 
mit dem cin durd Verzweiflung zum Wahnfinn getriebenes 
Volk die Opfer feiner Wuth, die „Ariſtokraten“ zum Fallbeil 
Heleitete! | 26. 


*) Aleffandro Manzoni's Tragödle „Il cante di Carmeguola” bes . 


handelt bekanntlich diefen Steff. D. Red. 





Literariiche Anzeige. 
Durch ale Buchhandlungen ift von mir zu beziehen: 
Die Palmen 


in Kirchenmelodien übergetragen 


- von 
F. A. Koethbe. 
Gr. 12. Geh. 24 Nor. 
Der Inhalt ſowol als auch die typograpbifche Ausftuttung mıa- 
chen dieſes Buch befonders zu Geſchenken geeignet. 


Eeipzig, im Mai 1846. 
S. A. Brockhaus. 


Berantwortlicher Herausgeber: Heiunrich Wrodpaus. — Drud und Verlag von F. X. Brodhans in Beiyzig. 


Bläti 


für 


literariſche un 





Donnerdtag, — Nr. 127 





Die preußifde Verfaffungsfrage und das norbifche 
Princip. Von einem Öftreicher. 
Bweiter Artikel. 
(Bertfegung aus Nr. 130.) 

In den morgenländifhen Märchen wird häufig er- 
zählt: wie irgend ein Schah feinen Sohn unerkannt 
und ſich ſelbſt unbewußt von früher Kindheit an bei ar- 
men Pflegeältern habe erziehen laffen. Diefe morgen ⸗ 
laͤndiſchen Schahs, die befanntlih auch Könige von 
Gottes Gnaden waren, zeigten dadurch, daß fie gute 
Väter und Pädogogen waren. Schade, daß eine ſolche 
Etziehung incognito jegt bei uns nicht mehr‘ möglich 
und auch von ben fürftlichen Vätern nicht beliebt wer« 
den möchte. Es wäre jedenfalls ein gutes Mittel, um 
bei unfern jungen Prinzen jene abnormen Gharakter- 
eigenfchaften zu verhüten, Die mehr oder weniger fo häu- 
fig zum Vorfchein fommen. Ich erinnete nur an den 

erzog Karl von Braunſchweig als befonders hervor- 
flechendes Beifpiel. Man kann nicht fagen, daß berfelbe 
an Verftandesverwirrung leidet, im Gegentheil ift er ein 
gewandter und klarer Kopf; feine Krankheit liegt in ber 
Sefinnung, in moralifchen Gebrechen von ſolch intenfiver 
Abnormität, daß fie diefelben Wirkungen hervorbringen 
wie ein geftörter Berftand. Die abnormen Charafter- 
entwidelungen und tranfhaften moralifchen Zuftände in 
fürftlichen Familien hat man durch die Hypotheſe einer 
Ausariung, welche durch fortgefegtes Heirathen in zu 
naher Verwandtſchaft hervorgebracht werde, zu erklären 
geſucht, eine Hypotheſe, die allerdings der Theorie von 
der Reinheit des Blutes ſchnurſtracks entgegenftcht. 
Wir glauben übrigens weber an letztere noch an erftere, 
und erflären uns jene nicht abzuleugnende Thatſache 
krankhafter moralifcher Erſcheinungen ganz einfach durch 
die widernatürliche moralifhe Stellung, in welche bie 
Kinder vom erflen Augenblide ihres Lebens an zu den 
Mitlebenden gebracht werden. Es gewährt in der That 
wenn auch einen trüben, doc) intereffanten Anblid, wenn 
man fieht, wie der ewige Grundfag fowol in der phy- 
ſiſchen als in der morafifhen Welt: die Ertreme berüh- 
ren ſich, auch hier in Erfcheinung tritt. Die moraliſchen 
Symptome des Proletariats, gänzlicher Mangel an Re- 

t vor den Rechten Anderer, vor der Heiligleit des 

chame, hoͤchſte Sittenloſigkeit u, ſ. w., wir erblicken 





voll zu empfangen und auszuführen, ober ehrfurchtsvoll 
um feine Entlaffung zu bitten. In Beziehung ‚auf ehr⸗ 
furchtsvolle Gebräuche und Bitten gegen das Koͤnigthum 
“möchte mancher abſolute Fürſt vielleicht ſogar ben König 
von. England heueiden, nämlich, mas ben perfönlicen 
Verkehr in ben Salons und bei officiellen Gelegenheiten 
betrifft. Formel wirb die Eigenliebe des Monarchen 
dort im mündlichen Verkehr ebenjo wenig verlegt wie 
in abfoluten Staaten. Die Illuſion, die ihm fo ‚heuer, 
wird innerhalb der vier Wände nie aufgehoben. Die 
Preſſe dagegen ift zuweilen ein grober, ungeſchlachter 
Geſeil, fie hält wenig oder nichts von Convenienz und 
5 Nedensarten; fie firebt danach, Alles nid 
tern und -fcharf beim rechten Namen zu nennen, und, 
wenn ein Theil derſelben auch: die dem Koͤnigthum an⸗ 
geftammte Würde immer forgfam im Auge hält, die Illu⸗ 
fon von der Machtvollkommenheit deffelben aufs zartefte 
font, fo gibt ed immer genug ungefchlachte Gefellen, 
weiche - biefelbe ſtraflos verfcheuchen dürfen. Das num 
ift es, was mancher abfolute Fürſt nie und: nimmer er- 
tragen und verfchmerzen Tann. Wenn er auch recht gut 
fühle, dag er in der That Feine unbedingte Machtvoll« 
kommenheit befigt, daß er aud ohne Berfaffung dem 
. Willen ded Volks auf die Länge Folge leiften muß, fo 
will er doch den Schein von diefer Machtvollkommenheit, 
von diefer. unbedingt freien Entſchließung beibehalten 
wiffen. Es ſoll wenigſtens ſcheinbar Alles‘ aus Gnade 
heroorgehen, auch das abfolute Muß. Und die freie 
Preffe iſt es eben, welche diefe „gegenfeitige Gonvenienz 
nicht immer fefthält, fondern oft aufs gröblichfte verlegt. 
Das läßt ſich nun nicht leugnen, und alle beredten 
Gründe unfers gutmüthigen Oftseihers für. die Preß- 
freiheit; die er aus der menfchlichen Würde, aus umver- 
äuferlichen Rechten ber Völker u. f. w. hernimmt, fie 
werden dieſer Thatfache gegenüber, daß die freie Preſſe 
Häufig das perfönliche Gefühl des Fürſten verlegen kann, 
herzlich wenig helfen. 

Weit cher moͤchte noch eine andere Betraͤchtung - eini- 
gen Eindrud machen. Man muß nämlich doch allmä⸗ 
ig. die Erfahrung gemacht haben, daß auch die firengfte 
Genfur folche: Verletzungen und. Kränkungen nicht: ver. 
ten. kann. Es iſt diefes auch: ſchon höchſten Dres öfe 
fontlich ansgefprochen: Die Genfur ift: als eine: unzu⸗ 
‚veigende. Maßregel erklaͤrit. Dex Geiſt iſt bekanntlich 
etwas Immaterielles, er dringt übesall durch und laͤßt ſich 
nicht einſchließfen. Iſt nun. einmal ein: malktiöfer, bos⸗ 
hafter, pietätsiofer Geiſt in dem Volke und. feiner Breffe 
vorhanden, mill er ſuh einmal äußern, fo erfcheint in- 
dev That die Cenſur als. eine. fo unendlich: ohnmäthtige 
Maßregel Dagegen, daß fie den. Ginfichtigen- faft. nur. 
noch ein. Zärhein abnöthigen Tann: Gin bischen flören, 
weisen und chicaniren kann fie. dieſen ſchlimmen Geifſt 
allerdings; aber. ihn wirklich nachhaltig hindern und hem⸗ 
men — wie kann man⸗ſe etwas nur für möglich hal⸗ 
tm! Im: Gegmmtheil) fie ſtachelt ihn ⸗ nur auf, macht ihn 
boſer und böfer und: babe: erfinderifcher und: gemandten, 
Yh-für meine Merſon ˖ z. B. mache-mich anheiſchig, wenn 


ich es einmal darauf anlege, auch unter der allerſtreng⸗ 
ſten Cenſur mit der ſcheinbar trockenſten und unſchul⸗ 
digſten Miene doch ſo viele zweideutige, verkappte, tief 
ins Fleiſch ſchneidende Bosheiten zu ſagen als ich bei 
der vollſten Preßfreiheit nur immer koͤnnte. Iſt dieſer 
Geiſt einmal vorhanden, fo bleibt weiter nichts übrig, 
wenn man einmal nit Gewalt dagegen verfahren will, 
al® alle Druderpreffen zerfchlagen und alle Papiermüh- 
fen verbrennen zu laffen. 

Iſt dieſe Betrachtung, daß in jegiger Zeit die Cen⸗ 
fur die perfönliden Kränkungen ebenfalld nicht verkin- 
dern kann, ſchon von einigem Gewichte, fo möchte Daf- 
felbe noch um: Vieles durch die Thatſache verftärkt wer⸗ 
den, daß fie eben ein viel feindfeligere® und refpectwibri- 
ges Derhältni der Preffe gegen den abfoluten Monar⸗ 
hen erzeugt und unterhält, als es nur immer in einem 
conftitutionnellen Staate, wo ber Fürft: aufrichtig und 
ehrlich an der Conſtitution hält, gefehehen kann. Bon 
hogern ethifcken Gründen verſpreche ich mir einmal 
nicht viel; in dieſer Beziehung. bin: ich: wie gefagt jegt 
völlig enttäufcht. Aber die: Gründe des gewöhnlichen 
Vortheils und des Eigennuges, die ja überhaupt in her 
tiger Zeit in Deutſchland fo überwiegend: find, die halte - 
ich für außerorbentlich wirkſam. Sie werben die Ent⸗ 
ſcheidung herbeiführen, ſobald fie nur erſt eingeſehen finb: 
Das monarchiſche Anſehen aber. muß bei der Genfur 
und in einem abfolut -» monachifchen Staate unrettbar 
zu Grunbe gehen. Wenigſtens in einer Zeit,. wo unter. 
109 gebildeten Menſchen 90 Gonftitution und Preffrei-- 
heit verlangen. Es iſt freilich ebenfalls eine- triviale, all» 


"gemein bekannte Thatſache, daß in einer. abfoluten Mon⸗ 


archie die gange moralifche Veranutwortlichkeit der Megie- 
rung von ber Öffentlichen Meinung: einzig. und allein im- 
legter und höchſter Inſtanz auf den Fürften ſelbſt zu⸗ 
rückfällt. Das geht Heutzutage aber fo weit, bag alles 
Unglüd, was den Einzelnen betrifft, und flänbe es mit: 
ben ftnatlichen Zufkinden in. noch fo .entferntem: Zuſam⸗ 
menhange, ftet® dem Fürften zur Lafk gelegt wird. Gr 
ift in der That der Sündenbock niche nur für fämmet- 
liche Beamte, ſondern felbft für bie: felbftverfehulbeten 
Leiden und Thorheiten der Untertanen „Alles auf ben 
König!" ruft Heinrih V. fchmerzli aus. Unb..in der 
That, fe iſt es auch bei uns. Der König: foll regnen 
und Sonne ſcheinen laffen, wie: edrber Einzelne wünfct. 
Für jeden zurückgekommenen Nahrumgszuftand, für: jedes 
missathene Kind, für jeden: umerfüllten Wunſch, für Us 
les was ben Einzelnen brüdt, wirb der König. veranm. 

wortlich gemacht. . Auch hier: wieder: bie Nemeſis, die ei⸗ 
nem falſchen Srunbfage ſtets auf bem. Fuße nachfelgt. 
Nicht vergebens proslamist der Fürft fick: als ein höhe⸗ 
res Weſen, dem in: weltlichen ‘Dingen einzig: und: allein 
Macht: und Intelligenz beimahne. Die üffentliche Mei⸗ 
nung nimmt ibn beim Worte, fie verlangt, baf die A- 
macht und Allweisheit ſich praktiſch zeige; aber fie these 
es. im umgelehrtn Sinnt. Denn während: fie. alkes. 
Gute, was man. beftgt, unds alles Glck, defien man ger 
nießt, als: ihr eigenes Berdleuſt ober als ſich von fekbfl: 











werfisyenh. betrachtet, tmägt fie die Schuld jeglichen: Übel- 
ſtandes dagegen anf das Haupt. Deſſen über, ber ja 
- wach Gefallen glucklich machen und Segen fpenden kann. 
Andexrs in. conflitutionnellen Staaten. Hier. weiß. daß. 
Bolk, daß ihm die gebrasenen Tauben nicht in den Munk 
Fliegen, ſondern daß es felbft Hand anlegen muß, wenn 
es feine Zuftände verbeffern will. Weder die Erfüllung 
der möglihen noch der unmöglichen Wünfche erwartet 
e8 von einem. Könige, ber nur Das. ausführen Tann, 
mad das Volk ſelbſt will und felbft vorbereitet‘ hat. 
Hier wenden fi die Berflimmungen und Leibenfchaften 
flets nur gegen die am Ruder befindliche Partei und 
gegen die von ihr getragenen verantwortlichen Minifter. 
Der König wird nie von ihnen berührt, denn er fteht 
über den Parteien. 
(Der Beſchluß folgt.) 





Der ruffifih-türkifche Feldzug: in der europäiſchen Zäurkei 
1328 und 1829, dargeftellt durch Freiherr von Moltke. 
Mit Kartenund Plänen. Berlin, Reimer. 1845. Gr. 8. 
3 Thlr. 15 Nor. 


- Ref. muß offen geftehen, das vorliegende Werk um fo mehr 
mit einigem Borurtheil: zur Sand genommen zu haben, als 
Die. bisher über diefe Geſchichtsperiode erfchienenen Racyrichten, 
foweit ſolche zu feiner Kenntniß gelangten, mehr oder weniger 
eine flark' ausgeprägte Parteilichkeit für das ruffiihe Intereffe 
beurfundeten , für welches aber Nef. nicht Die geringſte Sym⸗ 
pathie empfindet. Um fo angenehmer fand ſich derſelbe aber 
auch überraſcht, ſchon auf den, erften Blättern der Einleitung 
-umd in der darin enthaltenen Überſicht der politiſchen Verhält⸗ 
wiffe, unter welchen jener Kampf ftattfand, nicht blos einer 
fehr anziehenden Form der Darſtellung, fonbern auch eimer 
im ſehr edler Ausdrucksweiſe beurkundeten geſinnungsvollen 
Meinungsunabpängigkeit des‘ Berf. zu begegnen. Freilich ift 
eine yefinnungsuolle Meinungsunabhängigkeit Grundbedingniß 
jeder Geſchichtſchreibung; aber zieht man in Betracht, wie in 
den bisher von preußifchen Militairfchriftftelleen zu Bag ge⸗ 
fürderten Beiträgen zur Darſtellung jenes ruſſiſch⸗ türkiſchen 
und Des polnifchen Krieges, oder übergaupt in jeglicher Mit 
theilung über ruſſiſche Mititairzuftände,, faft oßne Ausnahme, 
ein lautes Hoftanna des Ruſſenthums angeſtimmt ward, fo 
wuh es um fo mehr dem Berf: zum Werdienfte angerechnet wer⸗ 
den, eine hiervon gänzlich abweichende Nichtung eingefchlagen 
zu buben, ohne deshalb jedoch etwa im das enfgegengefinte 
&picem verfallen zu fein: Es dürfte vielmehr in legterer Be⸗ 
ziehung eben die fo parteilofe Darftellung bed Berf. ſehr Bie⸗ 
126 dazu beitragen, Die in Deutfihland vorberrichende, etwas 
geringfegägige Meinung: über das Dffenfiyvermögen Rußlande 
angemeflen zu besichtigen umd fehr beherzigungswerthe Finger⸗ 
zeige zu geben, daß Deutſchland alle. UÜrſache haben —2* 
den Einbruch eines ſelbſt nur 100,000 Mann ſtarken ruffiſchen 
Imoafionsberrd als eine jehr große Gefaͤhrdung feiner Gelb: 
fändigkeit und Unabhängigkeit zu betrachten, und daß es fehr 
Roth thun würde, hlergegen alle Kraft: und allen Muth auf 
zubieten, west — in dem ruffifdfen Heere Elemente Erieges 
rifiher Tugenden zu finden fmd, bie nur ſchwer übertrofk 
fen werden können. Dagegen belehrt uns der Verf. aber auch 
wieber, daß ſchon blos wegen ter topographiſchen und Flima: 
tigen Gigenthümlichleiten der auf: einem Zuge gegen Kon 
ſtantinopel berührt werdenden Landſtriche die völlige Zertruͤm⸗ 


wmerung 
Rußland keineſswegs eine ſehr leichte oder ganz gefahrloſe Un⸗ 
ternehmung, fein wuͤrde. Uherhaupt möchte das vorliegende 


auf 


der türkiichen Herriaft in Europa au jegt noch für. | 


Werk hei: den darin enen, gedroͤngten, klaren unb le⸗ 
bendigen und deshalb mehrfach als muſterhaft au bezeichnenden 
Darſtellungen der Begebeaheiten und Zuflände *) vielfachen 

derartigen Nefkgrionen geben und unter. Anderm dar 
binweijen, wie feltfam oft eine gewiſſe Jronie des Schich⸗ 
fals ın dem Leben der Menſchen wie in jenem der Völker und 
in der Geſtaltung ihrer ſocialen und kriegeriſchen Inftitutionen: 
ſich geltend macht. Als eine ſolche Ironie. des Schidfals iſt 
es 3: B. zu bezeichnen, Daß, nachdem ſich Rußland (ber größte 
Militairſtaat der Gegenwart) fieben Jahre lang. zu jenem 
Kampfe vorbereitet hatte, :die Eröffnung des Feldgugs Doch 
nur erſt zu ſehr ſpaͤtet Jahreszeit und mit völlig ungenü: 

den Streitkräften begonnen wurde, und auch das fiegreiche 

de des ganzen. Krieges ſich an den äußerſten Eulmimations: 
punkt der Invaſion und an das Blendwerk eines Heer am 
Inupfte, wad im vollen Wortfinne bis auf den bloßen Nur. 
men zufammengeichmolzen war. 

Bei der großen Gedraͤngtheit ber Darftellung ift übrigens 
ein tiefere Eingehen auf das @inzelne ber Begebenheiten nicht 
wol: thunlich, Dagegen glauben win einige auf Die. innern 
Berhältnifie des ruſſiſchen Heers Bezug habende Beſonder⸗ 
heiten naͤher ins Auge faſſen zu muͤſſen. Wenn es uns naͤm⸗ 
lich ſchon ungemein befremdete, daß Der Operationsarmee nur 
AO Koſacken beigeordnet waren, weil man wol weit eher 
hätte erwarten Finnen, daß diefe Gattung von Reiterei in’ 
Folge ihres in den Feldzügen von 1312 und 1813 (allerdings 
weit über alles Verdienft) erworbenen Rufes in Überzahl her⸗ 
angezogen worden wäre, fo überrafchte es Ref. vollends aufs 
äußerfte, daB überhaupt die vuffifche MMeiterer, von deren 
Pracht der Ausrüftung und Vollkommenheit der Ausbildung 
und unter Anderm Graf Bismark doch Dinge erzählt, die an 
das Maͤrchenhafte grenzen und die ber Behauptung jened edlen 
Srafen zufolge in der Perjon ihres Kaifers einen veritabeln 
Seydlig befigen fol, durch die auf tatarifchen Sätteln in 
"franzöfifcden Steigbügeln und türkiſchen Hoſen figende, mit. 
engliſchen Saͤbeln und belgiſchen Piltolen nach franzoͤßſchem 
Reglement fechtende osmaniſche Reiterei, namentlich bei Ba: 
ſandſchick und Kosludfcha, völlige Niederlagen erlitt, und über 
haupt nirgend ein entſchiedenes Übergewicht zu erringen ver: 
mochte. Diefed Vorkommniß erfchien Ref. aber um fo uner⸗ 
klaͤrlicher, als doch die fo vielfach und nicht ganz mit Unrecht 
verhöhnte franzöfifche Reiterei in ihren Chasseurs d’Afrique 
eine Truppe befigt, welche zur Zeit weder durch Abd⸗el⸗Kader's 
femicivilifirte noch durch die arabifhe Naturreiterei jemals. 
eine Niederlage erlitten bat, obwol weder der Parademarſch, 
in Escadrons, Front und im Galop, noch der Springmarſch — 
Kopf an Stiefel — zu ihren Zacultäten gehören möchte. Sollte 
vielleicht der Shläfel. zu Ddiefem Gontrafte darin gejucht wer» 


‚den müflen, daß der in alten feinen Reformen fo unglückliche 


Beherrſcher ber Gläubigen auch bei den auf der Ebene von 
Daud⸗Paſcha geübten Cavaleriemanoeuvres nicht dazu gelangt 
war, aus feinen Timarlys und Spahis das natürliche Unges 
ftum fo vollig heraus zu erorcifiren ala fein Baiferlicher Bru⸗ 
der aus feinen Kleinruſſen auf den Platz Parads zu Peters⸗ 
burg und Mosfaut Güte überhaupt nicht auf jemen Plag 
Yarade das moderne Paradesiinwefen berangereift und von da 


. aus (wie die Cholera aus den indifchen Dichungelm) fi über 


einen: großen heil von: Europa verbreitet haben; und follte 
namentlich nicht: Schamyl in: der Parade der ruffifgen Infan⸗ 
terie einen mächtigen Verbündeten verehren dürfen?‘ Wenn. 
dieſes der Fall wäre, dann würde Mef. ein begeifterungsvoller 
Anhänger Des ruffiihen Parabewefend werden und es ihm zur 
großen Befriedigung gereichen, wenn der moſkowitiſche Bus: 
enträger auch ferner noch, unter einer Laſt von 61 Pfund, 
im: Gtleichtritte und in ſchnurgleicher Richtung (%) tirailliren und 
* Wie: 5. B. die S. 93:93 enthaltene Darftellung bed Stur⸗ 
mes auf Brailow und die &. 162-198: enthaltene: Grzähfung de® 
Gefechtes bei Kuptstepe unweit Verne. 


die Artillerie ſtatt in Sch en, etwa im! — Zraveriren 
ſich auszeichnen würde; aber freilich praeterea censeo, pas- 
-sum ceremonislem in Germania abolendum esse. 

Bon ganz befonderm Interefie find namentlich auch noch 
die Darftelungen der gerundet von Brailow, Barna und 
Siliſtria, und es wäre fehr zu wünfchen, daß desfalls das 
vorliegende Merk des Verf. von Bundeswegen für die Bun⸗ 
desfeftungs » Bibliotheken angefchafft würde. Preilih würden 
die Baudirectionen von Ulm und Raſtatt fi Hieraus eben 
nicht viel Raths erholen Fönnen, wol aber bie dereinſtigen 
Commanbanten diefer vr ein Bild vor Augen geftellt fin- 
den, wie nachdruͤcklich ſelbſt die allerelendeften Bereftigungen 
vertbeidigt zu werden vermögen, wenn es den Bertheidigern 
nur nicht an Muth und an Ausdauer gebricht. Hieran aber: 
und abermals zu erinnern dürfte um fo zeitgemäßer fein, als 
aus Anlaß der Befeftigung von Paris ein übelverftandener 

atriotismus hin und wieder hoͤchſt wunderliche Anſichten ent: 
altet bat, deren Gonfequenzen nur zu einer fehr beklagens⸗ 
werthen Afterpbilanthropie hinführen würden, wie denn i B. 
erſt ganz kuͤrzlich Die berliner „Militair⸗Literatur⸗geitung (1845, 
Rr. 42) der preußiſchen Feſtungßcommandanten des Jahres 
1806 als zum Theil duch ihre Bürger: und Menſchenfreund⸗ 
lichkeit irregeführte und deshalb bebauerungswürbige Unglück⸗ 
id erwähnte. Möchte man ba nicht ausrufen: D! ihr guten 
Menſchen aber fchlehte Mufitanten —? Solche Menthen: 
- freundlichkeit iſt wahrlih eine fehr übelangebracdhte, denn im 
Kriege heißt ee: 
Liege, wer will, mitten in der Bahn, 
Sei's mein Bruber, mein leibliher Sohn, 
Zerriß mir die Seele fein Iammerton, 
über feinen Leib muß ich jagen, 
Kann ihn nicht ſachte bei Seite tragen. 


Darum bewahre und auch Bott in Gnaden vor folden Men: 


fhen» und Bürgerfreunden wie Bade und Conforten, und ' 


fende uns lieber ein halbes Zaufend jener ruchlofen Arnauten, 
ba fie uns lehren den Fuß der Brefchen unferer Zeiten zu 
vertheidigen, wie in Brailow, Varna und Siliftria gefchehen. 
Entfegensvoll ift, was der Berf. in einem Anhange über 
die Verheerungen mittheilt, die Krankheiten aller Art und na: 
mentlich die Peſt unter dem ruffifhen Deere angerichtet hat: 
ten, denn baflelbe Yerlor vom Mai 1828 bis Februar 18 
die Hälfte feines ausrüdenden Stande, und am Ende des 
Jahres 1829 Lehrten von 66,000 GStreitern, die den Feldzug 
von 1829 eröffnet Hatten, gar nur 10— 15,000 Mann über 
den Pruth zurüd; da 3. B. allein im großen Hofpitale zu 
Adrianopel von 6000 dafelbft zurüdgebliebenen Kranken 3200 
eine Beute des Todes geworden waren. Wahrli weniger ob 
der blutigen Schlachtfelder mit ihren Todten und Berftüm: 
melten, als ob der Gräuel der Hofpitäler iſt der Krieg als 
ein Fluch der Menfchheit zu bezeichnen, denn 
' Gluͤckſellg wen ber Tod im Siegesglanze 
Den blut’gen Lorber um die Stirne windet. 


Was die beigefügten Pläne und Karten betrifft, fo erfül- 
len folcde zwar ihren Zweck vollkommen, indeflen find wegen 
Kleinheit der Schrift viele Orte auf der Überfichtöfarte ſchwer 
aufzufinden., 

Ref. glaubt übrigens fein Schlußurtheil am beften durch 
die Bemerhung auszudrüden, Daß, fo viel er ſich erinnert, ihm 
„in nwerer Zeit Feine kriegsgeſchichtliche Arbeit vorgelommen 
ift, die er mit gefteigertem Interefie durchlefen und mit ei- 
ner relativ größern Befriedigung aus ber Dand gelegt babe 
ald die vorliegende. Um übrigens unfern Lefern wenigftens 
doch eine Probe von der ——— des Verf. mitzu⸗ 
theilen, wollen wir unſern Bericht mit folgender auf das Ge⸗ 
rathewohl der &. 397 entnommenen Stelle ſchließen, welche 
fich auf die Annahme der ruſſiſchen Friedensbedingungen von 
Seiten des GSultans bezieht: 


Berantwortlicher Heraußgeber : 


„Lange vwiderftand Sultan ud ben Pleinmüthigen 
Rathſchlaͤgen feiner Minifter und dem Drängen der fremden 
Mächte, von denen Feine ihn im Kampfe unterftügt, keine in 
ber Lage war, ihm im Walle gänzlichen Unterliegens beizu⸗ 
fpringen. Thraͤnen follen dem unglüdlichen Fürften über die 
Bangen gerolit fein, als er am 14. Sept. genöthigt wer, 
feinen eifernen Willen vor der noch härtern Gewalt der Ber- 
bhältniffe zu beugen und wochenlang verfchloß er fih in feinem 
Palaſt zu Iherapia, wie in feinem Innern vernidtet. Denn 
mit jenem Vertrage unterzeichnete er zugleich das Geſtaͤndniß, 
daß das Gtreben feines ganzen Lebens ein verfehltes geweſen 
ſei. Stroͤme von Blut waren vergoflen, bie alten Ginricgtum« 

en und das geheiligte Herkommen feines Landes zerftört, der 

laube und der EL eines Volkes untergraben worden für 
den Zweck der Reform. Und diefe Reform? Das Gottesur- 
theil des @rfolgs hatte fie verdammt.” 


MR. von Ditfurth. 





eiterariſche Notiz aus England. 


Indianiſche —A en. 
Dem in Rr. 155 d. BL f. 1845 erwähnten erſten Bande 
der „Indian tales‘ von Percy B. &t. John ift ein zweiter 
gefolgt: (London 1845), deſſen Inhalt: „The enchanted 
sock, a Comanche legend’, weder ber „Trapper's bride” 
noh der „Rose of Ouisconsin” an Intereſſe nachfteht. 
Man fieht es auch diefer Erzählung dushweg an, baf 
der Verf. feine Kenntniß ded wilden teranifchen Lebens — 
denn Xerad ift wieder der Schauplag — nicht aus Bü— 
bern zufammengelefen, fondern an Drt und Stelle einge⸗ 
fammelt bat, daB er Augenzeuge geweſen ift von ben Befeh- 
dungen der einzelnen Stämme, von ihren nächtlichen Überfällen, 
ipres Flucht und Verfolgung, ihrer fieggekroͤnten Ruͤckkehr zu 
ihren Zelten, ihren Zänzen, Gefängen und Feſtlichkeiten. Die 
in „The enchanted rock’ abgefponnene Intrigue ift zwar eben⸗ 
falls fehr einfach, doch hängt ihr ein gewifles geheimnißvolles 
Weſen an, das allein binreichen würde, die Aufmerkfamfeit 
vom Anfang bis zu Ende zu feffeln. Umftände, die wahr oder 
erfunden fein Bönnen, haben zwifchen einem Engländer Namens 
Mainwaring und dem jungen Buffalo, Sohn eines Häuptlings 
der Comanchen, einen innigen Freundſchaftsbund geftiftet, in 
defien Folge Erfterer die verftchlenen Zufammenfünfte des Le 
teen wit feiner geliebten Kitjear- begünftigt, ohne daß Buff 
ahnt, was der Engländer für die fchöne Indianerin empfin⸗ 
det. Plöglich werben die Comanchen vom Lepau » Stamme zur 
Nachtzeit überfallen, aber nicht gefchlagen, und am folgenden 
Morgen wird zwifchen den feindlichen Stämmen ein Buͤndniß 
gefchloffen, zu deſſen Bekräftigung ein Lepau: Häuptling bie 
ſchoöne Kitfear zur Frau begehrt. Diefe weigert fih und wil⸗ 
ligt endlih nur ein, dafern es ſechs Männern vom Lepau« 
Stamme gelänge,,- bei einem ihr zu gebenden Borfprunge fi 
ihrer zu bemädtigen. „Bringt Kitfear ein flüdhtiges Roß”, 
fagt fie; „laßt bis zum MWaldesrande mich voraus; dann mö⸗ 
en fechd tapfere Lepau: Männer ihre Noffe befteigen und mir 
olgen.“ Ehe der Wettritt beginnt, halten Mainwaring und 
Buffalo ein langes, ernſtes Geſpraͤch. Sie find zugegen, als 
Kitfear über bie Ebene fprengt und gefolgt von ſechs Lepau⸗ 
Männern unter den Bäumen verfhwindet. Dann find Beide 
nirgend mehr zu fehen. Graufiges gefchieht im Waldesdun⸗ 
Bel. Bier der fechd Verfolger wälzen ſich in ihrem Blute; die 
zwei andern entfliehen. Kitfear begegnet dem Gngländer. 
Seine Wangen find bleih, feine Augen haften am Boden und 
halb getrocknetes Menſchenblut Hebt an feinem Sanbmefler. 
Der junge Buffalo Pehrt nie zurud in den Wigwam feiner Bä- 
ter, Kitfear wird gefangen zu den Zelten des Lepau⸗Stammes 
gebracht und der Schluß der Erzählung — bieibe under» 


rathen. 
Beinrich Brockdand. — Druck und Werlag von F. E. Wroddans in Leipzig. 


ini Be 


Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 








weeußiiche Verfaffungäftage und das norbifche 
Princip. Bon einem Oftreicher. 
weiter Artikel. 
( Beſchlud aus Nr. 18.) 


Und diefe natürlicht In der Belt und den MWerhält- | 


niſſen begründete Richtung ber Gemiüther, die mit Bit⸗ 
terkeit dem abjoluten Fuͤrſten jegliche Verankwortlichkeit 
aufladet, fie wird durch eine unter ber Cenſur ſchmach⸗ 
sende Prefſe fortwährend genährt umd gefördert. Go 
kange Genfur befteht, beſteht ein beidenſchaftlicher, unver⸗ 
[ähnlicher Kriegszuſtand zwiſchen der gefammten Schrift 
flellerwelt und der Gewalt, welche fie hemmt, genirt und 
drückt. Und diefe Gewalt wird durch den König wie 
beram einzig und allein repräfentiet. Es ift ber koͤnig⸗ 
Ihe Wille, der für jede Unbill eines Cenſors verant« 
wortlich gemacht wird. Auf ben König ſchießt bie Preffe 
alle ihre. vergifteten Pfeile ab, er ift das Ziel, wohin 
fie ihre Gefchoffe richte. So lange die Cenſur eriflirt, 
gieicht die Preſſe einem tückiſchen, boshaften Sklaven, 
ber in feine Kette knirrſcht und in gr en fein 
Kaum ift für bilfige Anerkennung und erechtigkeit. 
JZemchr man ihn feſſelt, deſto mehr verſtockt er ſich in 
ſeiner feindſeligen rr und ſelbſt die gutmuͤthig⸗ 
ften und wohlwollendſten Charaktere werden zuleht won 
dem Fanatismus des Haffes angeſteckt. Der heimliche 
Krieg gegen den Herrn wird zur Ehrenſache, zur Lebens- 
aufgabe, zu dem ſich die wechſelſeitig immer 
von meuem anſtacheln und wozu die Sklavenaufſeher 
täglich neuen Zunder hinzutragen. Werh arge Verblen⸗ 
bung, wenn man ſelbſt eingeſteht, daß die Cenſur nicht 
im Stande ift, die boͤswillige Gefinnung der Preffe zu 
untesdrüuden, und wenn man dennoch diefe demnach ganz 
nugtefe Gewaltmaßregel, wodurch nur immer mehr 5 
6 Fener gegoſſen wird, fortbeſtehen Täft! ‘So fange 
Man noch wähnte, durch policeiliche Gewalt jebe mis⸗ 
liebige Richtung der Preſſe abwenden zu koͤnnen, fo 
lange hatte die Genfur menigflens einen logifchen Sinn, 
wenn fie auch in ethiſcher Beziehung wit zu recheferti⸗ 
en geivefen wäre. GSie war wenigfiens ein Mittel, weh 
—* zum Zweck führte. Aber von dem Augenblicke an, 
wo mon fie als zweckloſes Mittel erkannt hat, it fie 
and, ein logiſcher Widerſpruch. Wan bem Augenblicke 
. an, wo man einſah, daß bie Die Geſinnung der Preffe 


den einzig möglichen Berſuch, die gereiste — 
ſaͤnftigen, und ben immer erneuten Angriffen ihre Mo⸗ 


Sen bezwingen konnte. Und das Necept für biefe ran 
et, es 45 in einer vollen, ganzen Doſis von Com 
itution und Preßfreiheit. 

Die Dipkomatın m ihren Salons und die ganze 
Beamtenfchar, fie wiffen nicht, wie bei den jetzigen Zus 
ftänden das Anfehen der Krone ſchon auf das gefähr- 
lichfie untergraben ift und täglich mehr untergraben wird, 
Sie follten nur einmal unter dem Wolle leben, und bie 
gereiste Stimmung, bie ſich in ben legten Jahren mis 
riefenhafter Progreffion entwidelt hat, beobachtet haben. 
Und wenn fie aledann aufrichtig monarchiſch gefinnt wi- 
ven, wenn ihre Liebe für die Perſon des Fürften Teine 
bloße Phrafe, Feine Heuchelei ik — was bei gar vielen 
diefes in condentionneller Mbrichtung und reiner "Gribfi- 
fucht erzogenen Claſſe leider nur zu häufig der Fall fein 
möchte —, dann werben fie felbft mit mir ausrufen: 
Nein, diefe Stellung der Krone ift nicht mehr haltbar. 
Die beiben Säulen, bie wir ihr untergeſchoben haben, 
daß göttliche Recht und Die Cenſur, fle A mörfch und 
müffen näcftens zuſammenſtuͤrzen und in khrem Sturze 
Alles zerſchmettern, was auf ihnen ruhtei — Dann 
werben fie wit in den Herzen ber Menfchen er- 
blicken, wie hohe Seit, auch ſchon bles vom Seanbptınäte 
eines gewoͤhnlichen Vortheils aus gerechnet es fei, daß 
dieſe ſcheindaren Freunde der Perſon des Mimarchen, 
Cenſur und Abſolutismus, aufs ſchleunigſte aus feiner 
Umgebang entfernt werden müffen, wril ſie in ber That 
heimlich fehtintmflen Todfeinde find. Wee zeſagt, 
ich, enthalte mich weisfich alter Höhern hen, Hiftochfiße 
philoſophiſchen, aller chriſtlichen Gründe für dieſe Sache, 
Ich mag unferm gutmüthigen Oftreicher nicht auf die⸗ 
ſem Gebiete folgen, welches von den Becheiligten bed) 


- haben, auffallend fcheinen, daB gerade die Überfegung eines 


"Ihn für einen Parteigänger Heliogabal’d. JIridion widerlegt 


„80 : 


nicht anerfannt, fondern mit den beliebten fiehenden Aus- 
drüden: „Hohle Theorien, feichte Declamation” u. f. w. 
abgefertigt wird. Ich fpreche einzig allein nur von dem 
Bortheile, hört ihr, von dem nädften, auf der Hand 
liegenden, nadten, nüchternen Vortheile, von dem. per- 
fönlichen Intereſſe, was doch leichter verftanden: zu wer⸗ 
den pflegt "und für welches man leichter offene Ohren 
bat. ber freilich, das wahre perfönliche Intereffe wird 
in diefer von Leidenfchaften, Gitelteiten und Gelüſten be⸗ 
berrfchten Welt faſt ebenfo ſchwer verftanden als die 
moralifche Chrijtenpflicht. 

Der Artikel ift jegt ungefähr lang genug; alfo möge 
ein folgender die Verfafſungsfrage auf fpetiel preußiſchem 
Gebiete weiter verfolgen. *) 
8. von Florencourt. 





Iridion in Rom. Nach dem Polniſchen bearbeitet. Ber⸗ 
lin, Hermes. 1846. Gr. 8. | Thlr. . ° 


Es konnte, wie fi nun einmal die Verhältniſſe geftaltet 


polnifchen Werkes geeignet befunden worden, der deutſchekatho⸗ 
lifchen Sache gewidmet zu werden. Aber bei Lefung des Buche 
erflärt ſich diefes leicht und zwar in doppelter Beziehung, in 
Bezug auf welche das Werk freilich kaum als ein echt polni- 
ſches betrachtet werden kann, fodaß es beinahe als ein Euphe⸗ 
misnuss ericheinen muß, wenn ber Überfeger im Vorworte be 
merkt, daß die polniſche Kritik in ihrer Auffaffung deſſelben 
geteilt fei. Der Inhalt ift biefer. Ein Grieche Amphilochos, 
ein Nachkomme des Philopömen und von glühendbem Haſſe ge 
gen die Römer erfüllt, lernt an der cimbriſchen Eherfones, 
die er als Kaufmann befucht, die Tochter des greifen Herrſchers 
Sigurd, Griemhilde, eine Priefterin bed Odin, kennen und 
führt fie als Gattin in feine Heimat. Hier wird ihnen ein 
Kinderpaar geboren, Gifinoe und Iridion. Auf ben Legtern 
übertragen fie ihren beiderfeitigen Roͤmerhaß. Er fept fich Die 
entfchiebene Aufgabe, Die Romermacht zu flürgen und Die „ewige 
GStabt vom Boden zu vertilgen. Befonders feuert ihn Dazu 
ein alter SHave feines Vaters, Mafıniffe, an. Jridion fegt 
ſich zur Ausführung feines Zweckes mit Alerander Severus 
in Berbindumg, welcher auf Aufruhr gegen Heliogabalus finnt, 
er fucht die Chriſten zu gewinnen, er richtet fi) an den Kai 
fer felbft, um ihn zu Tollheiten zu bewegen, wie z. D. na 
Rero's Beifpiel die Stadt anzuzünden, ja er fucht feine Schwe⸗ 
fer Eifinoe zu bereden, ſich demfelben preiszugeben, damit fie 
on als Maitreffe beherrſchen Fönne. Aber die Epriften wollen 
nur dulden und lieben, und nicht Fämpfen, Elfinoe übt den 
ihr zugemutheten Einfluß auf den Eindiihen Herrſcher nur in- 
foweit aus, als fie eb als fpröde Beliebte thun Tann, und Jri⸗ 
Dion unterliegt gegen Alerander Severus, mit dem er fich nicht 
verbünden Tann, weil er in ihm nur einen neuen und bazu 
mächtigern und kraftvollern Vertreter ber römifchen Bröße fiebt. 

Dies Alles hätte noch nichts Auffallendes; im Begentheil muß 
man infoweit den Inhalt echt national Bernifß finden — benn 
es handelt fid) von dem Jahrhunderte lang fortgährenden, im: 
mer wieder ausbrechenden und bis zur Selbflvernichtung gegen 
die ftärkften Feſſeln anmwüthenden das einer gefnechteten Na⸗ 
tionalität gegen ihre Unterdrüder. find in Diefer Beziehung 
wahrhaft. claſſiſche Stellen in dem Gedicht. Wir führen eine 
kurze Scene an. Ulpian ift an Jridion abgefendet, Iribion 
aufzufodern, fi) nad mehrtägigem blutigen Kampfe in den 
Straßen Roms endlih dem Sieger zu ergeben. Ulpian hält 





») Den druten Yrtlfel theilen wir im nähen Ronat mit. D. Mer. 


bis. Ulpian: Kür wen Fämpfft bu denn und gegen wen? 
Iridion: reis, das find lange Geſchichten! Ulpian: Alexan⸗ 
ber Severus war ſtets gnaͤdig gegen dich. Sridion: Auch iſt 
er nur ein kleines Theilchen meines Haſſes. Ulpian: Sprich 
enn, wer iſt dein Feind? Irid ion: Saget dem Tauben und 
linden, faget o Brüder, wer vertrieb euch vom betretenen 
Wege des Menſchengeſchlechts und zwang euch zu wandeln bie 
Pfade der Finfternig — wer drüdte von der Bicge an euch 
das Merkmal des Durfles und Hungers auf die Stirn — wer 
geftattete in fpätern Jahren euch nicht Weiber zu lieben und 
euh zu fegen an die Flamme bed häuslichen Herdes? Chor — 
aus Sladiatoren beftehend, die aber die, Sprößlinge der edelſten 
roͤmiſchen Familien find, welche die legten Kaifer proferibirt 
oder in die Verbannung gejagt — Roma! Iridion: Wer 
ſetzte, felber fterblih, auf die Roth und Schmach der Sterb⸗ 
lichen feine füßeften Hoffnungen — wer pried den Sohn Mi: 
thridat’s, da er die Hand gegen den alten Vater erhob — wer - 
lud die Berrätber des Südens und die Verräter des Rordens 
zu feinen Zeftgelagen — wer leerte bis auf Die Hefen die Schale 
des Weltelends? Chor: Roma! Iridion: Wer beraufchte fich 
im Nektar von Zhränen und im Nektar von Blut? Chor: 
Roma, Roma! — Allein, und dies ift das Eigenthümliche, 
bei dieſem Haſſe foll eb nach des Dichters Unficht nicht bleiben. 
Zener Mafiniffa, welcher den Iridion zu demfelben unaufbör- 
ih anftachelt, ift Riemand anders als der Teufel felbft. 
Der Überfeger erinnert felbft an den Fauſt; er fagt, es verför- 
pere ſich in Jridion ein Princip, das in.der Geſchichte immer 
wieder erfcheine; derfelbe fei eben Das in der Welt der Er- 
fheinung, was Fauſt in der ded Gedankens. Auch ift der 
Schluß geradezu dem Gorthe’fchen „‚Zauft” entlehnt; Jridion 
wird aus den Händen des Satans errettet, einerfeitd zwar, 
weil er nicht ſowol Rom gehaßt als Griechenland geliebt babe, 
ſodann aber-um eines Ehriftenmädchens. willen, das ihm nah 
verbunden war. So wird bier alfo jener alte Nationalhaß in 
feiner eigenfinnigen Firirung als das Böfe aufgefaßt. „Der 
den bramatifirten Inhalt durchziehende Grundgedanke ift das 
Princip der Race”, fagt der Überfeper, „das ſich in der Welt⸗ 
geſchichte als Weltgericht darftellt und Durch verfchiedene Sta- 
dien der menſchlichen Gmtwidelung fi zus Geltung bringt, 
doch endlich einer hohern Macht weichen muß, die fih aus den - 
Ideen bes Chriftentbums in die heidniſchen Berftellungen der 
alten Welt Singang verfchaffte. Dies ift die Eine Beziehun 

in weldher das Werk dem obligaten Polenthbum fremd if. Die 
zweite liegt der Beförderung der beutfch-fathofifchen Sache noch 
näher. Iridion fieht allerdings noch im Kaufe der Jahrhun⸗ 
derte, die er vermöge der Zauberkunſt des Mafiniffa durchlebt, 
bie tiefite Erntedrigung Roms. Worin befteht ſie ‚Im Gange 
der Baſilika ftehen zwei Greife in Purpurmänteln, Möndse bes 
rüßen fie mit dem Ramen Fürften der Kirche und Bäter — 
ihren Gefihtern ift Gedankenarmuth eingegraben. Sie fleigen 
in einen Wagen — ſchwarze dürre Pferde ziehen fie und him 
ten fteht ein Diener mit einer Laterne, wie fie der Water hält 
über dem Kinde, das vor Hunger fticht, und an den Rahmen 
des Fenſters und an den Leiften des Baus ſchimmert ein Neft 
von Vergoldung! «Ss find die Rachfolger der Eäfaren, es ift 
ber Wagen der capitolinifhen Kortunan», fprach der Führer und 
der Sohn Griechenlands fchaute und klatſchte in die Bände.” 
So viel über den Inhalt des merfwürdigen Buches. Was nun 
die Som betrifft, fo iſt es freilich ſchwer, über bas Werk ei- 
ner fremden Literatur zu urtbeilen, denn eine jede hat darin 
ihr eigenes Maß des Erlaubten; au muß Mandyes, was fo 
wie ed im Driginal gefaßt ift überall erlaubt wäre, aus fei- 
ner beimifchen Atmofphäre herausgerifien, aud in ber beften 
erfegung fremdartig erfcheinen. Doc darf nicht verfchwicgen 
werden, daß hier Manches bis zur Unverftändlichkeit ſchwülſtig 
iſt. Auch tft die Compofition bes Ganzen durchaus formlos. 
Den Unfang bildet eine Einleitung , in welcher in dithyrambi- 
ſchem Schwunge die Geſchichte des Anwhilochos und der Grieum- 
bilde erzählt wird, Dann folgt die Unternehmung JIridion's im 





sl 


om als sin vieractiges Drama, und den Schluß bildet wieder 


eine Anzahl theils erzählenter, theils ſchwungvoll betrachtender 
Aphorismen. Noch muß beurerdt werden, daß die griedifchen 
KRomen faft ohne Ausnahme falſch gefchrieben find, z. B. Mitra 
ſtatt Mithras, Thyreſias u. dergl. Es mag hierin im Polni⸗ 
Iden wie im Franzoͤſiſchen eine befondere Obfervanz beftehen, 
ber diefe hätte nicht ind Deutfche übertragen werden iolen. 





Literarifhe Notiz aus Franfreid. 
Beurtheilungen deutfcher Don — 

Unfere deutſchen Buflände finden in ber franzöſiſchen Preffe 
eine immer allgemeiner werdende Berudfichtigung. Es iſt nicht 
verdennen, daß in der letzten Zeit nicht nur das Interefie 
ndern auch die Sachkenntniß ſehr gefliegen iſt. Deflenunge: 
achtet darf man nod Fein allzu großes Gewicht darauf legen, 
wenn man in den &palten einer franzäfifchen Zeitfehrift die 
Namen unferer hervorragenden GBeifter in bunter Auswahl an: 


“ geführt findet. Dies kann höchftens als Beweis dafür gelten, 


daß ein oberflaͤchliches, jebes tiefen Verſtaͤndniſſes ermangeln⸗ 
des Coquettiren mit deutſchen Namen einigermaßen Mode ge⸗ 
worden iſt. Es gehoͤrt nun einmal zum guten Zone, Goethe, 
Leibnig oder auh wol Schlegel anzuführen; aber wenn man 
diefe Schriftfteller in den Spalten der Zournaliftif oder in der 
feinern Converfation figuriven ſieht, fo folgt daraus noch kei⸗ 
nesſswegs, Daß ihre Werke in Frankreich au nur einige Ber: 
breitung gefunden haben. Gegenwärtig haben wir ein Wert 
erhalten, welches Aus einer fehr genauen Belanntfchaft mit 
Deutichland Hervorgegangen zu fein ſcheint. Es führt den Zi» 
tel: „Des Allemands par un Francais.” Diefe getftreiche 
Schrift, welche in unfern politifchen Blättern bereits mehrfa 


SBeiprechungen hervorgerufen bat, darf auch in diefer Zeitfihrift . 


nicht mit Stillfchweigen übergangen werden. Wir kennen den 
Verf. nichts aber fo viel geht aus feiner ganzen Darftellung 
hervor, Daß er ſich mit den deutfchen Verhaltniffen vertrauter 
gemacht hat als mancher Deutfche. Obgleich er ſich von aller 
nationalen Befangenheit ziemlich frei gemacht bat, fo verleug- 
net er doch ben Franzofen infofern nicht, als er überall, wo 
fih die Belegenheit ungezswungen bietet, auf Frankreich und 
die franzöfifhen Zuftände Bezug nimmt. Dieb geht aber nie 
fo weit, daß dadurch fein Blick getrübt, feine Auffaffung ver- 
Ichoben würde. Befonders zeigt fich dies in der Partie, wo 
es eine möglichft unparteiifche Parallele der Franzoſen und der 
Deutfchen in Bezug auf ihre Eharaktereigenthümlichkeiten ent: 
wirft. Hier tritt uns eine fharfe Beobachtungsgabe und eine 


| feltene Unbefangenheit entgegen, melde eine um fo größere Un: 


erkennung verdient, ald im Allgemeinen die franzoͤſiſchen Gchrift- 
fteller bei der Beurtheilung —* Zuſtaͤnde nur allzu leicht 
von falſchen Vorausſetzungen auszugehen pflegen. Ein Punkt 
möchte in biefer Darftellung vielleicht einigen Widerſpruch ber: 
ausfodern; dies iſt die Behauptung, daß wir mehr als andere 
Boͤlker unter dem Einfluß einer gewiflen Rationaleitelfeit ſtaͤn⸗ 
den, welche durch ein ungünfliges Urtheil nur allzu leicht ver⸗ 
legt und gereizt würde. Bis jeht haben wir geglaubt, daß 
dab Bewußtfein unferer Rationalwürde zu wenig rege wäre, 
und diefe Meinung wird einigermaßen duch die blinde Bor: 
liebe, welde wir zum Theil felbft jegt noch für alles Fremde 
an ben Tag legen, betätigt. Doc wie gefagt, im Ganzen tft 
die Darftelung im verföhnenden Tone gehalten, und offenbar 
liegt es dem Berf. am ‚Herzen, Deutfehland, dem ex ein tiefes 
und liebevolle Studium gewidmet bat, feinen Landsleuten nö- 
ber zu bringen. Die literarifgen Berhältniffe werben zwar 
auch im Großen und Allgemeinen berüdfichtigt, aber ein Ein- 
geben auf die Einzelheiten liegt nicht in der Aufgabe des Verf., 
obgleich man wol erkennt, daß.berfelbe auch hier bewanbert if. 
In dieſer Beziehung kann ein Wert empfohlen werben, welches 
gleichfalls erft vor kurzem erfchienen if. Wir meinen die 
„Poödtes modernes de l’Allemagne” von R. Martin: Der 


- franzöfifchen Dichter zu thun. 


‚Bemerkungen; nebft einer 


Band. Eisleben, Reichardt. 


Herausgeber has fich bereits als Überfeher von Chamiſſo's 
„Schlemihl“ und dutch einige Heincre felbftändige Arbeiten be- 
kannt gemacht. Auch als Dichter haben wir ihn befonders in 
der „Revue de Paris’ unt durch eine Heine Sammlung, wel 
he, irren wir nicht, der verwitweten Herzogin von Drleans 
gerniömet war, kennen gelernt. In allen feinen literarifchen 
eiftungen, beſonders in feinen Dichtungen verräth er nicht nur 
eine forgfältige Kenntniß von Deutfhland und befonders von 
beutfcher Literatur, fondern es fpricht fih fogar darin eine 
wahrbafte Sympathie mit dem Weſen ber deutichen Ration 
aus, welche fo weit geht, daß man leicht feine Driginalgedichte 
für bloße Überfegungen aus dem Deutfhen nehmen Tönnte. 
Sie haben alle eine fo eigenthümliche Faͤrbung, es ſchwebt 
über ihnen ein fo echt deuticher Hauch, daß man ſich kaum an 
den Gedanken gewöhnen kann, man habe es bier mit einem 
Wenn ihm nun diefes Hinnei⸗ 
gen zum germanifchen WBefen einerfeits infofern. hinderlich fein 
muß, als er nicht fo leicht bei feinen‘ Landeleuten die ihm ges 
bührende Anerkennung finden wird, fo machen ihn die bezeich⸗ 
neten Eigenfchaften andererfeits zu einem Dolmetfcher dentſcher 
Poeten vorzuͤglich geeignet. 11. 


Bibliographie. 

Apel, B., Biblifche Gefchichte mit Erläuterungen und 
einzelnen Betrachtungen. Iften Bandes Ifte Lieferung. Lan- 
genſalza, Zepner. 8. 9 Nor. 

Des 9. Aureliuß Augufinus Büchlein an den, Marcelli- 
nus vom Geift und Buchftaben in wortgetreuer Überfegung 
nebft 100 Auguftinifhen Sentenzen. Eine Dftergabe für die 
deutfche Ehriftenheit und die Rachdenklichern unter den Israe⸗ 
liten von 8. W. Heydler. Berlin, Dehmigke. 8. 15 Rgr. 

Bonaparte, Prinz Napoleon Louis, Die Vertilgung des 
Pauperismus. Nach der Iten Auflage des franzöfifchen Hrigi⸗ 
nals überfegt von P. Str. Rordhaufen, Fürft. Kl.8. 10 Nor. 

Conſcience, H., Geſchichte des Srafen Hugo von Eraen- 
bove und feines Freundes Abulfaragus. Hiſtoriſches Gemälde 
aus dem 14. Jahrhunderts. Aus dem Blaemiſchen von G. 
Dvermann. Köln, Welter. 8. 15 Rgr. 

Dehn, C., Seeland und die Seeländer. Ein Beitra 
zur Charakteriſtik des dänifchen Landes und Volkes. Reb 
einem Ausfluge nah Schweden. 2te, durch Zufüge und Be 
richtigungen bis Dftern 1845 fortgeführte Ausgabe. Schwerin, 
Kürfhner. 8. 32%, Rygr. nn 

Hiffen, U, Nadtrag zum erften Iheil des Verſuchs 
einer Polyglotte der europäifchen Poefie. O Ioconuc Innorn. 
Gin griechiſches Gedicht aud dem Sagenkreife der Tafelrunde. 
In Driginal und Überfegung, mit einleitenden und Pritifchen 
berficht anderer griechiſcher Dich: 
tungen des Mittelalters und fpäterer Zeit. Leipzig, D. Wigand. 
&r. 8. 10 Ror. 

Die Entwidelung ber Staatäfräfte Rußlands feit Peter 





dem Großen. Berlin, Schroeder. 23 Rgr. 
Unfere Gegenwart und Zukunft. Herausgegeben von 8. 
Aebermann. 2ter Band. Leipzig, Mayer. Gr. 8. 1 Ile. 
gr. 


Genthe, F. W., Deutsche Dichtungen des Mittelal- 
ters in vollständigen Auszügen und Bearbeitungen. Jter 
Gr. 8. 2 Thir. 

Dos Guſtav⸗Adolphs⸗kied von 1633. Mit einer literari-" 
ſchen Einleitung und biftorifchen Anmerkungen, zum erftenmal 
wieder befannt gemacht und Deraußgegeben von W.v. Maltzahn. 
Berlin, W. Adolf. 8. 10 Rgr. BR 

Köhler, L., Johannes Huß und feine Zeit. Hiltorif- 
nl eö „Beisgemälbe, Drei Bünde. Leipzig, Barth. 9. 

Thlr. r. 
Leop od, E., Dos Prebigtamt im Urchriftentgume. Die 
Entwidelung des Predigtamtes zur Zeit der Apoſtel und apo- 
ſtoliſchen Schüler, mit Rüdficht auf defien Veränderungen und 


v 


v8 


u ren 353 Aten über das apoſtoliſche Slau⸗ 
Wens! —* Sei in be regen —— e zu 
Pottvam. —— 

Martin Luther’ — po Be ige Wei diſeunag 
Hairimeit 30 Sabre nach feinem Tode, im ‚3 
Tn Auß, Fe Ru ne. von . 2. Knapp. 
tuttgart I 
er F. 7 4 er Geuchichte der Innern 


‘und Ausiern ‚Eatiickelung, der der englischen Sprache. Leip- 
rtner 
at, C, Dt Taler Drftan. Von Philipp dem 


Kr auf Louis Phifipp d ‚sei urer. Aus dem 

errüdten bis auf fo ifipp den ma 

ang Se von #. Herrin ann. a, Berlagscomptoir. 
Raumerd, 8. ‚Der: 


ausfreund am Yeleeabenb. Hfle 
Kieferumg: Raus. He Au age. Leipzig, Vereinsbuchhand⸗ 


Br ie „. Petrage zum Berftänbmffie bi e dir regeib, genochn 
für die ſtubirende Jugend. Innsbruck 

Rear —— oder Sonverfatione, s2erifon 

für das Fathotifi Deutihiand Bearbeitet von einem Verein 

Frag Gele rien. es Heft. egensburg. Manz. Lex.8. 


Nor 
Reinhold, W., Chronik der Stadt Dahme und der Um⸗ 
gegend. ter Ban ind een. Dahme. 1845. &r.8. 1 — 


vo, — 8 
— Beitraͤge zur tee dub Befens der 
ee gürich, eye und Seller. 8. 12 Nor. 
Schaumann, A A., Zur Geschichte der Erobe- 
ring Englands durch germanische Stämme. 1a aktängen, Van- 
denhoeck und Ruprecht. 1845. Gr. 8. 10 Ngr. 

Der Sorgenbrecher oder das Buch zum DR und Bud: 
liglachen. An das Licht geftellt durch goeofum Hilarium 
Ku: rzweil, gen. eadtteb. Ste fehr vermehrte Auflage. 

aufen, sit Il Ngr 


gt. 
Steinhart, € eur und Leben. Bin Geſpraͤch, vor⸗ 
Ben im testen Berein zu Naumburg. Raumburg, 
eber. "Br. 


a Fr ud Yes deiligthum. (Gedichte.) Berlin. B. 
Rgr. 
Göttinger Studien. Göttingen, Vandenhoeck und Rup- 
fecht. 1845. Gr. 8 Thir. 
Thalheim, $., Der Kegermeifter , oder: Heinrich v 
en und Agnes von —— —— 
u — chte. Nordhauſen, Fuͤrſt. Rgr 
— einrich Burkart. Braunſchweig, Vieweg und 


inet die drei Erwachen. Zwei Rathſchlaͤge der 
— — Reden. Aus dem vanetefehen, uhr von 
3. Schmid. Zürich, Meyer und Heller. Br. 8. 9 Ror. 
Bot pt, J., Hildebrand als Papft Gregorius * und 
ſein Zeitalter, nach den Quellen dargefteflt. 2te vielfach verän- 
derte un Weimar, ns "Induftriecomptoir. &r.8. able. 
* Ro Der Schwanenritter. Leipzig, D 
Wigand. ur 


——— 

Die feiertiäge Begehung des 3. Ja N Sr allge 
meinen m ———— — * 
zu SEtkent. Innsbruck, Wagner 

Beutler, % —z Aber, Pr % 6. "am. 
re Die Schneiden Berfeffim der dſuichen 9 

e €: Wer er en Pro 
—* —— Staats und der Rheinprovinz . Leſpzig, Mater. 


1846. &. 8. 


Die Colonie Bt. Marie { nien. WEM 
notigen und einer ste —— 8. ıR in 
Diefierwe Ina Pehalonii. Rede bei — 
ner⸗ er feines gen Geburtst eb nm * 
gn * a Eben agrs u. nr 
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mir ai Riegll 





Ein 
ran Sr. 8 10 
—— und dauernde Roth Für 
ng mit Grund d zu beforgen, vod# Edle 
men wie Sum, um 'eirier derartigen B ung den 
ficherer gu Begegnen? ‚Hannover. 1845. B. 7%, 
Hermanni, MR, Bergangenheit, Gegehwert und Butter 
der Polen. Ein Wort zu feiner Beit. Berlin. 8. 2%, Mer. 
Hold heim, ©, Sie Härten nit auf Mofes vor zn 
des Ddems und ddr — Arbeit. Predigt. 
rn * 8 24,8 
Der * —* Sotteshaufes and 2* 
der Sehrben Wei Predigten. Schwetin, Kürfchnet. 


—8B F x GB edenket an eure Lehrer, die euch daB 
Wort Gottes sefast Bahn, Predigt über Her. 18, 7. Uns 


das, Gummi. 


4 
Letzte —* und — bes toben Refürmators Dr. 9: 
Luther. Eisleben, Reichardt. 14 


¶ Anthespopathife —ES Siegnig, Heiner. ©. 


gr 

Reßler, F. B., Erbauliches Andenken an Dr. MR. Luther“ 
feliges Lebensende. Predigt. Eisleben, Reichardt. 8. INg 

RKRiedner, Borlefung zur akademiſchen Gedaͤchtnißfeier 
thers an feinem Mjährigen Zodedtage in der Univerfitätt 
Aula zu Selpzig. Leipzig, 2. DO. Weigel. Sr. 8. 5 Nor. 

Prebig ten zur Soojäbrigen —8* feier des Tobdes Dr. 

AR, Süthen 6, gehalten am 18. Febr. 1846 in Eisieben. EB⸗ 
ieben, Reichardt. 8. 10 Rgr. 

Ravenftein, A., Andeutungen über die —— 


von Turnvereinen und Zurnanftalten. Frankfurt a. R., Saust 
länder. 81.8. 9 Ror. 

Reinhard, 8, Der See, in Kanzelvortrag. 
Schwerin, Sücfäner. 1845. 8. 24 9 


Ruland, Dir fränkifche derus md die Rebenigte 
riften. Dentich 8 dei der beahiihtigten Einführung diefeß 
Dredens in Franken. Würzburg, Voigt und Meder. 8. FE Mir. 

Schwindt, 3, Ein Bor an den Hen. Neichörath 
— rede ol als * im bayeriſchen Walde. Augbburg, 

r. Rgr. 

Stimme aus "England über den politiſchen —— pair 
hens. Aus dem Fainburgh Review (Februo 
von A. Kretzſchmar. Grimma, ee 


79, Rear. 

Stromever, %., Die Folgen der Aufhebung der en 
ſchen Korngefetze für —— und die deutſche eek 
Stuttgart, Mebler. Kar. 

Userbiid der tät in Galizien und Polen im 3. 1708. 

Leipzig, Hinrichs. Br, 8. 10 Nur 
Uesheit bes Oberappeliätions- — zu Eaffel in verun 
Jürbean weder 


de 
—— — " an ven den ———— 


—X 
Ma . 


BR —— — 
ander, K , Offene —— an de. Sr 
den K. Siniſter Dr. Eichhoen. Ne Yuffage. 


g, O. Bigand. Gr. 8. 10 Rgr. 
—B8 Geſchichte Königeberge Leipzig. 106, r.®. 


Berantwertliher Derausgeber: Geinsih Wredhane. — Drud und Werlag von P. W. Woagpaus In Leipig. 


- 


—— ·—⸗e j — — — — 


| 





Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Sonnabend, 


— rn 


Es iſt und bleibt immer eine fehr kitzliche Frage, 
was Policei fei. Keiner Hat noch recht zu fagen gewußt, 
was fie eigentlich folle, und wie weit ihre Grenzen ge 
hen, und diefe ſchwere und verwidelte Frage bleibt noch 
dem größten Staatsmanne, der aber auch der größte 
Menſch fein muß, zu löfen übrig. Unter Ludwig XIV., 
anter welchem die Kunſt -ein Volk zu despotifiren auf 
den hoͤchſten Gipfel gebracht ward, kam auch die Staats⸗ 
poltcei zuerft zu ihrer völligen Ausbildung, ein Zweig 
der Regierung, der wenn er nicht guten und weifen 
Händen anvertraut ifi zu allen Misbräuchen und Be⸗ 
drückungen Anlaß gibt und in bie fcheußlichfie und die⸗ 
bifehefte Spigbüberei ausartet, und alle Tage Leben und 
Ehre der Einzelnen und des Ganzen gefährbei; denn 
auch der Staat ift als ein einzelnes Leben anzuſehen, 
das nur zu leicht verleglih und zu töbten if. Ein 
Wunder der Schlauheit und des fdhleichenden Despotid- 
mus war es indeffen, daf das freimüthigfte und liebens- 
würbigfte Volt, daß bie offenen Franzoſen ſich ſolche 
Dinge gefallen ließen, die nicht beffer maren als bie of- 
fenen Löwenmäuler in Venedig, und alle Tage neue 
Einwohner in die. erledigten Kerker der Baftille und von 


Vincennes, oder gar in die weitern Kerker des Tarta⸗ 


rus **) ſchickten. Ludwig XIV. haste unter den großen 
Staalsmännern und Feldherren, bie vorzüglich die erften 
30 Zahre feiner Regierung auszeichneten, zmar immer 
bespotifch gewaltet und gefchaltet, aber boch oft groß 
und fürftlich gedacht und gehandelt. Als Colbert und 
Louvois, als Turenne und Condé nicht mehr waren, als 
der Genuß der Lüfte feinen eiteln, feigen und weibifchen 
Charakter noch Heiner und fehlaffer gemacht "hatte, ba 
ging ein ganz anbeses Regiment an. In der intriguan- 
ten Maintenon, die immer über Gebühr gelobt und ge 
tadelt wird, beftieg ein Weib den Thron von Frankreich, 
und über 20 Jahre drehen ſich die wichtigften Angele⸗ 
geaheiten Europas um die Spindel diefer Parze, waͤh⸗ 
zend fie fi immer das Anfehen zu geben wußte, nur 


”), Histoire de la police de Paris, per Horace Raisson. 


Paris 1844. 


) Geheime Hinrihtungen waren noch unter kudwig IV. ein fe 
Hender Artikel der Policeiauſsgaben. 


9. Mai 1846. 











mit der befcheidbenen Spindel der Frauen zu thun zu - 
haben. Unter ihrer Leitung vegierte Ludwig mie ein 


Weib, und fie wußte ihn mit allen Klätfchereien und 


Trätfchereien bes Hofes, mit den Geſchichten der Läfter- 
chronik vornehmer Häufer und Familien, kurz mit dem 
erbärmlichen Detail des Privatlebens zu unterhalten, 
worum felbft ein Privarmann fi wenig, ein König fich 
nie fümmern fol. Die Familien zitterten, ihre Geheim- 
niffe fo aufgedeckt und ihre Penetralia aufgeriffen zu 
fehen, und fahen fih um ein zweideutiges Lächeln, um 
ein leichte® Wort, um einen arglofen Win? in Ungnabe, 
woraus eß bei fo einem Heren fihwer war ſich zu er- 
heben. Die ehrlichen Leute zogen fi von einem Hofe 
zurück, wo fie über eine beffere Zeit und über ihre Na- 
tion trauerten; und wo bie Spigbüberei und Spionirerei 
duch alle Claffen ging, da nahmen die feilen und fei- 
gen Seelen ihre Stellen ein. Während Ludwig fo ei- 
nen Mouchard der Policei machte, vwoiderrief man das 
Edict von Nantes, das fein braver Großvater feinen 
treueften Unterthanen gab, und befehrte durch die Dra- 


gonaden, welche Frankreich beinahe eine Million Men- 


fchen und den Nerluft feiner beften Fabriten und Ma- 
nufacturen fofteten; man verfolgte einen Feͤnelon und 
die frommen Gelehrten des Port-royal, und überließ 
den Sefuiten und jefuitifchen Froͤmmlern die Geiftlichkeit 
und die Wiffenfchaften, welche fie in kurzer Zeit verbar- 
ben und Alles, mas durch Geiftesfreiheit und Genie ber- 
vorragte, von ben beften Stellen ober über die. &renzen 
jagten. Ludwig verbetete feine legten Jahre mit ber 
Maintenon, die Pfaffen verfiherten dem alten Sünder 
den Himmel, und er ließ ihnen bie Erde. Bon theole: 
gifhen Factionen zerriffen, von den blutigen Kriegen er⸗ 
fchöpft, womit der Haß Europas bie Plane feiner Ehr- . 
fucht vergalt, verfluchte endlich bie Nation einem König, 
den fie in feinen frühern Sahren angebetet und den 
Großen genannt hatte. In diefer Periode lebte ein 
Mann, der bie -Policei, nach Ludwig's Angabe, zur 
größten Vollkommenheit brachte, und nad deffen Mufter 
fich alle Die gebildet haben, welche nachher in diefer ger 
fährlihen Kunft berühmt wurden. Es iſt der berüchtigte 
Voyer d’Argenfon, welcher von 1697-— 1718 die Stelle 
eines Policeiverwefers bekleidete, fpäter unter dem Re⸗ 
genten Finanzminifter und Siegelbewahrer ward, und 
endlih 1721, wegen feines Auflehnens gegen bie Raw’ 


» 


—nT 
. 514 


m Finanggaunereien, in einer ehrlichern Ungnade farb 
A fein Leben gemefen war. Bon diefem Schöpfer und 
* Ausbilder einer autorifirten Gpigbüberei, wovor freie 
Völker immer als vor einem gefährlichern Mittel der 
Si des Steuts gebebt 
keis ſelbſt iſt, will ich hier ein kurzes Portrait herſchen, 
wie es der Herzog Saint · Simon vieleicht zu nachſichtig 
in feinen Memoiren gezeichnet hat: 
jenfon war ein unendlich geſcheiter Dann von nad- 
jiebigem Geiſte, ber, feined Vortpeil wegen, ſich Allem ans 
ingbe. Seine Herkunft war beſſer als «6 gumeift bei £rus 
ten feines Amtes der Pal ift, und er verwaltete feit langer 
Beit die Palieei, ober vielmehr die Zaquiſition auf ains traus · 
feendente Weife, da er Feine Scheu hatte vor dem Parlamente, 
melde ihn, oft angegriffen hats. Er hatte fidh beftändig die 
erften ‚Häufer zu Freunden gemacht, da er dem verftorbenen 
Könige Gubmig XIV.) und Pontchartrain Abenteuer ihrer Kin» 
der und Verwandten verheinflichte, die bloße Jugenbfänden wa- 
ven, und die auf immer ihre Musfichten zu Srumbe geritet 
Gatten, werm er fie nicht mit feinem Unusmantel hätte, 
indem er ſchnell den Borhang darüber fallen ließ. Mit einer 
fpeußlicgen Phyfiognomie, welche die der drei Hollenrichter 
Darfteltte, machte fi d’Argenfon Wles zur Luft mit Geifted: 
Überlegenheit, und hatte eine folhe Drbnung in bie ungeheure 
Boltsmenge von Paris gebradt, daß Reine bebeutende Perfon 
war, wovon er nicht täglich, wenn er ed wollte, das Betzagen 
und bie debeneweiſe wiffen konnte. Mit einem ausgefughten 
Takt, bei jeder Vorkommenheit feine Hand ſchwer oder leicht 
u machen, immer für die gelindeften Maftegeln geftimmt, mit 
Ber Kunft, den Unfe igfen in feiner Gegenwart Angft ein» 
‚en, muthig, tähn, verwegen bei Meutereien und dadurch 
Backen ve Kute, hatte er in feinen Sitten viel von den 
Manieren Derer an fi, mit denen er unaufhörlid verkehren 
Gottheiten als 


ute als von 
den Zügel fihießen und war 
ın. Er hatte einige Bildung, 
keit fonft in irgend einer Gab 

des Miflens, ı Mutterwig erfegte, und eine 
gi — Weit: und 2 tmiß, ein feitenes, Boftbares 
ing in feinem Stande. Unter dem verflorbenen Könige hatte 


renen Reuten, ließ e 
atllerliebſt in folden 
aber wenig oder gar 


* ‚ex fi den Jeſuiten hingegeben; dabei that er aber fo wenig 


Gählimmes a6 anging unter einem Schieier der Werfolgungs- 
fucht, den ex für notwendig erachtete, um in der Chat we ⸗ 
Hr verfolgen und die Bei zu fiponen. Ba das 
Glüd feine Magnetnadel war, fü er glei ſeht den 
König, die Minifter, die Sefuiten und das Yublicum. 

Dieſer Polieeilleutenaut brachte das Ding zuerſt in 
ein Syſtem und ward bald das Schrecken aller ehrlichen 
Leute; aben bach flieht man aus dieſer flüchtigen, viel ⸗ 
leicht nicht. ganz, richtigen Zeichnung, daß es in feines 
Gewalt ftand, viel mehr Boͤſes zu thun als er that, ja 
daß er felbft viel Schlimmes zum Guten kehrte. Aber 
Seint- Simon if pauteiifch; er kennt, ungeachtet. feiner 
Ausrafungen und Declamationen bed Patriociumus und 
des Mitleids mit ber Nasien, nur Ginen Theil der Na⸗ 
tion, den alten Adel *), und von dieſem redet er auch 





*) Geist Otmen ik vou Bift uni. ale Imrkter. daB fo vieh 
fehs Yohe Gtaatd>, Risen und Kriogböeumte jener Zeit dem deike 


haben als Die Anſterblich |: 


“unter welcher Wet von Menſchen er feine pfiffige Sub 





faft allein. Wenn er und fagt, daß der jhlmik 
genfon feine andere Gottheit kannte als das Gi, m 
&8 mit König, Miniftern, Jeſuiten und 


noͤthig auf em fa [dlüpfriges Dfabe, 
der die Hälfe und Köpfe anderer Leute in 
oft ſehr leicht und unverfehens um feinen 
men fann. Man weiß, was zu ſolchen Schonunan 
Durähelfungen gehört. Wer den Lauf der Dinge km, 
weiß, daß dafür viel Kleine und Unbemerfte of a 
Xüdenbüßer machen müffen. Gern indeffen wel wx 
zur Ehre der Menſchheit glauben, daß b’Argenfe ie 
gelindere Partei ergriff, wo er es ohne Gefahr kur; 
und aud fo konnte er manches Gute fliften, ud ke 
feiner Nachfolger im Gpigbabenregimert der gie 
Policei haben fein Andenken der Nation feniehk 
würdig gemacht. Gr warb und beſoldete zuerſi ca me 
zes Spionenheer, umd hatte in allen Ständen, mw 
Stadt und bei Hofe feine Auflaurer, die fi da} Bo 
tramen ber Leute erſchlichen und ihren Chzef von Ws 
unterrichteten. Ludwig XIV. ſelbſt verwunderie ſih de 
über und fragte eines Tages feinen Peliceilientnum 


j 






ſchaftet aushäbe. „Sire“, erwiderte 8’ Argenfen, ab 
ien Geänden, hauptfächlich aber umter bem Heim 
und Lakaien.“ 

Es ging unter Ludwig fo weit, daß nicht Nik 
die Hänfer nud zu ben Geheimniffen der Tafeln mb 
Gardinen verfappte umd verfleidete Spione geſchiet wer 
den, fondern felbft das heilige und unter öffeniihe 
Sanıtion ftehende Geheimnig der Briefe veriept meh 
Bei allen Poftbureaur in Paris und in ben Prwime, 
100 ein großer Sufammenflng von Wriefen mu, fuh 
eine geheime Bande, die mit bewiundernsreibige Sr 
ſchickuchkeit und Schlauheit bie verſchiedenen Diieft Br 
nafifirte und auswitterte, bie verdächtigen erbrah wi 
wieder zufiegelte, und ihre Berichte und Waszüge an de 
Policai ober an eine beſonders bazu beſtimmte Perfen 
einfcjichte. 8 mar eine der liebften Unterhaltngen dei 
Könige, in diefem Mift der Vocheit zu mwühlen. Er 
wollte nicht bIio® Geſchichten feiner Familie, feines Hau 
fe6, nicht blos Urtheile und Auferungen über .fih mad 
bie Regierung und Bertsaltung wiffen; fendern die ein. 
den einigleiten der Famikten, ihre täglichen med näthfe 
lichen Abenteuer, ihre Mebfähaften, Hahnreifthaften, Ber- 
bindungen, Zänßereien und &täntereten interefitten und 
ergöpten ihn, und aus dem alterhoͤchſten Munde Tam 
Manches ind Publicum, mas der Diener eines gutem 
Hauſes fi gefcheut haben wirche zu verbreiten. Se 
mar nichts fo geheim, fe verſteckt und raͤthſelhaft, daß 
b’Argenfen umd feine ſchlimmern Gehütfen es nicht her ⸗ 
ausgefunden und gelöft hätten. Run ging das Reid 
der Verfinfterung, Anſchwärzung und Cabale auf das 


ten Stande angehören und nennt dam bie Regierung Eubroig’S XIV. 
„ce long rögae de vile bourgeeisie”. 


— — 


Ax en. . Bon nm. Ssnbe: des weiten Reiches | alt ein- König von Frankteih ſelbſt, und Hdf | Cd 
TE las aan ambern verbreitete die Eichlange der Kimterlift war | Ber, Mieter und Genfer —8 


eſſe feiner Perſon dem Jutereſſe ber Stadt, ober bas 
Sntereffe des Königs, d. h. ber Miniſter, Maitreſſen 
und Bünftlinge, den Intereſſe der Bürger unterſchob. 
Unter Rubwig XV., mo das Moitreffenregiment In 
Frankreich feinen höchften For und ſchmaͤhlichſten Cul⸗ 


m, Fi N 22 2 ⸗ 

EN dEeniewiscrti ihr Gift; und jeder Sänger, der auf tegesb 
EM be Engiger kebeutenden Höhe fand, mußte erſi feine Gardinen 
"Sieien ansktepfen, eb. fie au Ohem hätten, che ex fi zum 
Dig fa Schlafen niederlegte. j | | 
—RX So ging es durch bie felgenden Regiermngen ohne 


dei min alle Schonung immer fchlinmmer fort. Die Üuflaure⸗ 


ae: 


wei und Ungebersi, bie bisher fo zu fagen auf ben 


a balr: beiben aͤußerften Eprofſen der Reiter, bei den Hof⸗ 
ze mal auten und Lakaien, fliehen geblieben, an denen wei⸗ 
Gas ter nichts zu verberben war, flieg. nad und nach alle 


Stufen von oben bis unten herab. D’Argenfon’s Nach 


minationdeunft erreichte, flellte ber Policeilieutenant Ber⸗ 
iger, welcher feine Ernennung zu biefem hohen Poſten 
ber Marguife von Pompadour verdankte, die hundert ge» 
heimen Argusaugen und Bureauparme der Policei zur 
undedingten Verfügung feiner erlauchten @önnerin, die 
auf diefe Weiſe zuerft die Hefcabalen und den Stabt« 
klatſch erfuhr, wovon fie fih die einen hinter Ohr 


mami febger fuchten die Policei allgegenwärtig und allwiffenb 

ee: ze machen, und dieſer gottesläfterliche Chrgeiz verkeitete | fehtieb, den andern ald Braten für den König aufhob 
een fie, alle Art Beute im Dienſt zu nehmen und Spione | und fo aus beiden Vortheil zog. Das ganze Policei« 
tie ts ms allen Claſſen ſcharenweis anzuwerben. Bänkelſän⸗ | perfonal .arbeitäte einzig und allein für die Ehrfucht, 


ger, Fintrekutſcher, Werber, Buhldirnen, Lafttriger, Fecht⸗ 
meiſter, Marionettenſpieler, Muſikanten u. ſ. w. fehworen 
wa ben Fahnen ber Policei und erhielten Erlaubniß zu 


Herrſchſucht, Beſorgniß, Exbitterung und Rachſucht der 
Favoritin. Die Btebftähle und nächtlichen Einbrüche 


nahmen in Paris überhand; freche Mordthaten verbrei- 


ya Eimtiätung von Borbellen, Spicihaͤuſern, Fechtſaͤlen und | teten Schreien und Beflürzung unter feinen Einwoh⸗ 
zz einer Menge verbähtiger Wirthichaften, wo alles loſe | nern, die ihre Häufer von förmlich organifirten Raͤuber⸗ 
kn I @efinbel von Paris in die Falle gelodt und ausgeholt banden ‚angefallen und ausgeplündert fahen. Die Po- 
ai wurde, währen Hausknechte, Dienftmägbe, Stubenwich- | Iiei bekiummerte fich nicht im geringften um dergleichen 
mi fe: Auslänfer, Thürſteher und bergleichen bienfifertige | Lappalien; alle ihre Spürhunde waren lesgelaffen um 
ar! Schutzgeiſter fih in das Innere ber Familien ftahlen, | auf Garicaturen, Spottgedichte und Schmähfchriften ge⸗ 
um die Geheimmiſſe der honetten Leute zu erforfchen. | gen die Pompabour Jagd zu machen und nach Feinden, 
Dieter Iweig ber Pollteiverwaltung nahm bald bie Tadlern und Neidern der Maitreffe des Königs herum⸗ 
MM aäupter derfelben awsichlieftih in Anſprach, und die | zufchnüffeln. Berryer lief während bex feche Jahre ſei⸗ 
ME Z—eigaheit, Pfiffthkeit und Überlegenheit der pariſer Poli- ner Amtsverwaltung wegen Verbrechen, Injurien und 
erelei hat, wie Ihre Despotie, ihren nochwendigen Urſprung Vergehen gegen bie Pompadour über 4000 Perfonen . 
daraus gegen. So ward ber Policeilientenant ber | verhaften, wovon einige nur gelinde geſtraft, viele aber 
Anz Despot von Paris, wie ber Mönig ber Dedpot von | des Landes verwiefen und mehr ald 800 in die Baſtille, 
'#8. FJennbreeich war, und der kleine Despotismus eines Po- | nach Wincennes, Ham, Doullens unb Lille geſchickt und 


En u Sn EEE Fan en. ZU “Sutter 


Ed 


lieeiverweſers war ſchaͤdlicher und ſchrecklicher als der 
große Despotiemus eines Landesregenten, weil dieſer wol 
mit Kolbenfchlägen aber ſelten traf und nicht anders als 
mit Geräufch und öffentlich verfahren konnte, wodurch 
er fi alſo beobachtet und in Schranten gehalten. fah 
und feine Gewaltflreihe ihrer Natur nach vorübergehend 
waren, jener aber mitteld feiner unzähligen Kanäle zur 
Kenntniß ber Bürger, ihrer Grundſaͤtze, hhres Nahrungs- 
erwerbe und ihrer Befchäftigungen täglich faft in allen 
Berhältniffen des Lebens mit Nadelſtichen im Verbor⸗ 
genen quälen, wie ein Vampyr fig an bie Einzelnen 
hängen und ihr Wut unbemerkt im Stillen ausfaugen, 
kurz im Geheinten fo- ziemlich nach Belieben fchalten, 
drüden, peinigen und tyranniſch mishandeln konnte, und 
bie6 um fo fisherer und ungeſtrafter, ba feine Ope⸗ 
ration nur ihm und feinen Creaturen belannt waren, 
und dba ihm tauſend Vorwaͤnde und Mittel übrig biie- 
ben, ſeine launifchen, habſüchtigen und nieberteächtigen 
Eingriffe In die Rechte der Menfshbeit zu bemänteln 
oder zu entichuldigen, und gar fi obendrein das An- 
fehen zu geben, als wirde er in feinem Berufe. Gin 
Policeitteutenant von Paris war, menn er feine Macht 
und Hülfsmittel miöbrauchen wollte, uneingeſchraͤnkter 


erft nach dem Tobe ihrer argmwöhnifchen und rachſüchti⸗ 
gen Keindin wieber auf freien Fuß gefegt wurden. Un⸗ 
tee ben fpätern Policeilientenants bildete ſich die geheime 
Polteei immer füschterlicher und verächtlicher aus. Ruhe, 
Freiheit und Sicherheit ber Bürger flanden in den Hän- 
den von Menfhen, die großtentheils aus ber Hefe des 
Volks, aus Banquerotteurs, vormaligen Schmugglern 
und Wilddieben, und felbft aus überwiefenen Baunern 
und gebrandmarkten Dieben und Betrügern zuſammen⸗ 
geraffi waren. Sartines, melcher 12 Jahre lang, 
17602 — 74, bie Policei von Paris verwaltete, griff zu⸗ 
erft zu diefem verzweifelten Mittel: er hatte beſtaͤndig 
brei oder vier foldhe reuige Gauner und Erzſpitzbuben 
um ſich, bie er feine Flügeladjutanten nannte, und 
zühmte ſich mit cyniſcher Offenheit, fo viel Spione in 
feinem Golde zu haben, das, wenn drei Perfonen auf 
ber Straße zuſammen yplauberten, ganz gewiß wenigſtens 
einer darunter fei,. der ihm angehoͤre. Die Mouchardo 
waren in verfihiebene Claſſen getheilt, die alle ihre ein« 
zeinen Berrichtungen hatten, und in allen Geftaften, . 
unter allen Charakteren und mit allen Befhäftigungen 
fi unter das Publieum und in den Schoos der Fami⸗ 
lien einfchlihen. Man Hat Beifpiele, daß Ludwigsritter 


21 


518 


Binfen und Jammern, und luſtig tummelt ſich ber aus- 
geiaffenfle, tollſte Troß, ben jemals Leichtſinn, Liederlich⸗ 
Leit und Verberbniß zuſammengeführt. Hier war der 
Bettler gefihert vor jeber Verfolgung, hier befand er 
fi) unter den Geinigen und fonnte ohne Scheu die trü⸗ 
geriſche Maske ablegen, welche er während des Zages 
getragen. Kaum eingetreten, ging ber Hinkende gerabe, 
der Belähmte tanzte, der Blinde warb fehend, der Zaube 
Hörend, die Greiſe ſelbſt wurden jung. Dieſes Volk, fo 
elend und fo begünfligt, fo arm und fo reich, fo mädrig 
und fo ſchwach, fo furchtſam und fo furdtbar, dieſes 
Volt, das man nach Zaufenden zählte, hatte einen Ko- 
nig, bem es gehorchte, es hatte feine Befege, feine Ju⸗ 
ſtiz, feine Moral, ja feine biutigen Hinrichtungen. Und 
men denke man fi diefen Schwarm, dieſen Auskehricht 
und Abfchaum ber Menſchheit, wie er aus der Raͤuber⸗ 
Höhle hervorbricht und ſich bei nächtlicher Weile über das 
unbewachte Paris ergießt; man denke fi diefes Bild in 
einer Zeit, wo die Straßen der Hauptſtadt noch unbe- 
feuchtet und alle Anftaiten der Policei noch unentwidelt 
und eine ohnmäctige Waffe gegen dieſen gräßlichen Ty⸗ 
rannen und aufgedrungenen Lehnsheren waren. Mehre 
Jahrhunderte Hatten biefe Wunderhöfe in größerer oder 
geringerer Ausdehnung und Macht in Paris beftanden. 
Zeit, Gewohnheit, Verjährung und Furcht Hatten allınd- 
lg ihrem Dafein einen Schein von Recht gegeben; min- 
deſtens wagte der parifer Bürger nit, Taut gegen fie 
zu Magen und bie Policei anzurufen, aus Beſorgniß, 
fein Knecht, feine Magd, irgend einer feiner Angchöri- 
gen und Hausgenoffen könnte zu dem großen und ad 
tungswertben Bunde gehören. In feinem bevoten, fpief- 
bürgerlihen Sinne, im angeborenen Reſpect vor feder 
beſtehenden Gewalt, achtete ex bie Conſtitution der Wun⸗ 
derhöfe, und allerdings konnte nichts geregelter fein als 
ihre Verwaltung, nichts prompter ale ihre Juſtiz, und 
fo war man gewöhnt, die geswungenen Anlehen, welche 
das Heer: der WBunderhöfe aufnahm, fo gut zu den un⸗ 
sermeiblichen Ausgaben zu zählen als die königlichen 
Steuern ober bie Zehnten und Gülten des Feudalherrn. 
ber nichts wahrhaft Poetifch - Schönes und Großes Hat 
Beitand in biefer profaifchen Well. Eines Tags, da er 
mübe war feiner Schloßbauten in Verfailles, mübe feiner 
gezierten Gartenhaͤuſer unb Laubengänge, mübe feiner 
Moitreffen unb ber niedertraͤchtigen Schmeicheleien und 
der Macine’fchen Ziraden ; eines Tage, als das flüchtige 
Kriegsglück fich gewendet hatte und die Langeweile des 
Alters eingetreten war; eines Tags, da er nichts Kurz⸗ 
weligeres mehr zu erfinden wußte, fiel e6 dem „großen 
Könige" ein, an bie Sicherkeit und Wohlfahrt feiner. 
guten Stadt Paris zu denken, unb eine koͤnigliche Dr 
donnanz, der milisairifche Gewalt den gehörigen 

druck gab, machte dem Meiche bes Wunderhofes ein Ende. 
Ein Theil der Wunderhofbewohner wurde in’ das Zucht 
Haus, ein anderer auf deu Rabenſtein geſchickt, biefe ins 
Hospital, jene Ins Irrenhaus geworfen, bie einen auf 


öffentlichem Maerkte ausgepeitfeht, die andern außerhalb 


des Weichbildes der Stadt gejagt; und zerfloben mas 
fortan alle Pracht und Herrlichkeit der Straunerei. 







Auch um biefe edlere bürgerliche Policei und ihre 
Drganifasion, bie kein Staat entbehren Tann, ber nicht 
mebr in feiner Kindheit ober nicht mehr in Barbarei 
verfunten ift, hatte d’Argenfon große Berbienfie, und 
wenn er oft als ein niebriges Werkzeug der Eabale unb 
Büberei dienen muſtte, fo verfolgge cz auch bie Dicke, 
die Düfiggäanger, die Dirnen, kurz alles ſchäbliche Ge⸗ 
findel mit großem Eifer. Über feine Nachfolger traten 
durchgängig in ein zu enges Bündniß mit den hochge⸗ 
ftellten Perfonen und XZeuten, bie den König belagert 
hielten, ben Despotismus und ihr eigenes Sutereffe be- 
förderten, und nichts machte Eigenthum und perfönliche 
Freiheit fo unficher als eben bie Policei, welche Beides 
fihern follte. Einige Policeilieutenantd des ancien re- 
gime bezeichneten zwar bie Zeit ihres Dienfles mit nüg- 
lichen Maßregeln für bie Berforgung, Sicherheit, Be⸗ 
quemlichfeit und Gefundheit der Bürger von Paris; 
aber dieſe Aufmerkſamkeit für das gemeine Wohl wurde 
mehr rud- und ſtoßweiſe als gleich- und planmäßig ge 
übt. Wis die Conſtitution der alten franzöfifgen Mon- 
archie in Trummer ging, verfchwand auch die alte Po— 
liceiverfaffung, ihre mirkfanifte Stüge. Frankreich fiel 
mit der erfien Revolution in chaotifche Verwirrung, aber 
nach den tollfien Erürnen und Brandungen, als bie 
wilden Wogen vor dem Bounaparte'ihen Dreisad ſich 
fentten, geftaltete fih mit dem neuen Cenfularfiaat ein 
neues Policeiſyſtem, und nach biefem Mufter beſteht bie 
ganze Einrichtung, wenngleid bedeutend ermeitert, bie 
auf den heutigen Zag. Diefe Policei tft auch jegt noch 
vortrefflih. Das Erfte, wesen man fich Hier im taͤgli⸗ 
chen Leben überzeugt, ift die Vorzüglichkeit ber parifer 
Policei, die weit und breit berahmt iſt, und diefen Ruhm 
vollkommen verdient, wenn man bie Peoficei bios auf 
Das bezieht, was zur Sicherheit und zum Unterhalt des 
Sefammt» und Einzellebens gehört. Ich wöchte- Alles 


darauf fegen, daß eine kleine Welt, die mit Paris ei- 


nerlei Umfang und Volksemenge hat, in biefer Rückſicht 
unmöglich befler daran fein fanı. Es kommt mir vor, 
daß durch bie fange Gewöhnung der Parifer ein folches 
Reben, das man ein policeilidhed ober policeirechtes 
nennen könnte, ſich gleichſam zur andern Natur ge 
macht bat und nicht mehr amders fein kann. Gr 
ſchickt gleich nad der Police, flieht gern fliehenbe 
Gauner fefthalten, improvifirt wol auch einen. Pelicei- 
biener aller Umtseifer und ohne chen vor Rebend- 
gefahr, thut unweigerlich was dem gemeinen Beſten 
frommt und bie Policeipraͤfectur verordnet, und unterlaͤße, 
ohne fi ein. Verdienſt daraus zu machen, was er Dom 
Nachbar nicht leiben würde, äußert fi aber felten gün- 


| flig über die Police, welche ihm unentbehrlich, aber nicht 


ſehr vepmticlich erſcheint. Vieſe leider immer noch an 
den Nachwehen der unangenehmen Erbſchaft alter Zeiten, 
bie neuerdings vielfach aufgeräumt, aber noch nicht ſo 
bucchgreifenb ausgemärzt worben, baf base Mistrauen, 
welches man noch non daher gegen bie Polltei und ihre 
Werkzeuge hat, völlig gefunten tft. Allzu große Strenge 
bört man. ihr oft genug: vorwerfen; Strenge aber, ernfle 
Vollziehung der Befehle ihrer Beamten, ſchnelles Beher- 


Bu — — — 


in einem Paris und bei der dortigen Menge armer oder 


wenigſtens bei jedem Unfalle mittellofer und volllommen 


ndfaglofer Menſchen die Mittelſtraße zwiſchen dieſer 
Strenge und dem Despotismus zu treffen fein. Nur 
gegen Willkür der Behörde und ‚gegen beleibigende An⸗ 


geiffe ihrer Diener follten feſte Schranfen den Bürger 


"cDer VDeſchluß folgt.) 





u Zur Geſchichte von Goethes „Wilhelm Meifter”. 


Goethe erzählt im „Wilhelmm Meifter” Folgendes: „Nach 
einer Pauſe trat ein Bergmann mit einer Bade pervor und 
ftellte, indeß die undern eine ernfthafte Melodie fpielten, die 
Handlung des Schürfend vor. Es dauerte nicht ange, fo trat 
ein Bauer aus der Menge und gab jenem pantomimiſch dro: 


end y verftehen, daB er fich von bier wegbegeben folle. Die | 


efeufchaft war barüber verwundert und erkannte erft den in 
einen Bauer verBleideten Bergmann, als er den Mund aufthat 
und in einer Art Mecitativ den andern fihalt, daß er wage 
auf'feinem Acker zu hantieren. Der Bauer, der zuerft mit 
Schlägen gedroht, ließ ſich nach und nach befänffigen, und fie 
Be als gute Freunde voneinander; bejonders aber zog ſich 
ee Bergmann auf die honorabelfte Art aus bem Streite.“ 
Wie bei Bielem, was für bloße Dichtung gelten koͤnnte, hat 
Goethe'n Hier ein thüringifhes Borbild gedient — und gewiß 
lernte der große Dichter folgendes Bergmannslied kennen, wel- 
ches Einfender vor vielen Jahren in der Gegend von Königfee 
dramatifch bei einer Dorfkirmeß aufführen ſah. 
Erſter Bergmann. | 
Gluͤck auf! mein guter Freund, 
Was geht Ihr mit der Ruthen, 
Ih glaub’ Ihr ſeid vermeint 
Gin Bergwerk bier zu muthen; 
Wenn id ankommen Tann (d. h. wenn ich zugelaffen 
werde), 
So geh’ ich felb mit d'ran; 
Denn ich feb’ das Bebirge 
Für etwas Edles an. 
3weiter Bergmann. 
Ya, ja, mein lieber Freund, 
Ich babe das Bertrauen, 
Mi Cuch, wenn gut «6 ſchänt, 
Ein Bergumt hier zu bauen, 
Das etwas Edles trägt — 
"Die Muthung If gelegt; 
Ich achte es fuͤr noͤthig, 
Daß man alſlhier einſchtoͤgt. 
Bauer. 
WBas, Teufel!: macht Ihr dua 
Df minem ſchionen FZalde, 
Es werr mer ahm (eben) a ſuo — (das wär mir 
. ‚" eben weht, — ironiſch) 
Daß Ihr mer ene Halbe 
Df mei Geblete macht! 
So wur als haͤtt ihrs Rast; 
Ihr Berglent ſid dan Bauern 
Of Schuaden nuor bedacht. 
Bergmann— 
Ihr redt's aus Unverſtand, 
Es iſt ja zu beweiſen, 
Daß durch des Bergmanns Hand 
Gibtes Kupfer, Stahl und Eiſen, 


4— 


| Bu 519 
den iſt Die Seelt einer guten Pelicei, und ſchmes mag | 





‚Bold, Silber, Binn und Blei, 


Metall und manzserlei, 
Dur Arbeit feiner Hände 
Gefördert wird’ dabei. 


Bauer. 
Wir aber neh a ſuo — (nit alfo) 
Laßt mir mei Bald met reden; 
Wenn eh kaͤ Gifen hua, 
Da laf ih. ben zum Schmede, 
Der macht mer's guar fo nett, 
Meftgabbel und Hemmkett, 
Pflugſchuar, Nuathnahl, Hufeiſen, 


War nuor vieel nlötdig haͤtt. 
Bergmann. 


‚ Mein lieber Bauerdömann, 


So viel als wir verfpüren, 

Iſt es nit wohlgetban, 

Mit Euch zu biöputiren, 

Denn Shr feid und nicht bald; 
Seht, Mage, wo Ihr wollt, 
Wir woll'n Euch [hen beweifen, 
Was Ihr ausrichten follt. 


Bauer. 
Macht Ihr dad Loch nuor zu, 
Hierher huats kaͤ Geſchecke, 
Bahl koͤmmt a Kalb ane Kuh 
A Schuaf in's Ongelecke (Ungluͤck). 
Bergmann. 
Was kuͤmmert und bein Vieh? 
Die Odfen, Schaf’ und Küh’ - 
Die mußt du laffen hüten, 
Deswegen bift du hie. 
Bauer. 
Ihe Leut' ech ſahs (ſag's) Euch nu 
Ihr thut mer rachten Schuaden, 
Ich ſchluah, Parole! zu 


Laßt Euch zum Guten ruathen. 


Bergmann. 
Bir tragen Beine GSchen 
Stlägf bu! wir find dabei — 
@o Gr, iſt zu vermuthen 
Da ſteht's zu ſchuͤrfen frei. 
Bauer. 
Das woar an anner Wort! 
Thutt Ihr de Freiheit huaben, 
Meinthalb, ba gruabt nor fort. 
Id ga meine Steuern und Guaben 
Un mel Hefferengad — 
Ihr mußt mer halt fert Fald 
Oreihunnert Thualer zuahle, 
Suſt (font) brauch ih noch Gewalt. 
Bergmann. 
So viel man Cuch verwuͤſt/ 
Muß Kuh für die Beſchwerden, 
Wie es gebraͤuchlich tft, 
Gin Aus zu Shele werben, 
Denfelben habt Ihr frei, 
Die Erzfuhr' auch babel; x 
Yun könnt Ihr felber denken 
Obes Sur Schade ſei. 
Bauer. 
Was ed bdenn abber a Kur 


Was thut denn Äner galten, 


I nu, dua gatt (gebt) mern Fluss, 

Dann weil ech mei Winxi Halten. 

Nor aber ſacht (fast) me habel, 

St (06) e von Struoh oder eb e von Dem, 


Bon Eeinwand ober kLaͤder, 
Gb e von Holze ſei. 
Bergmann. 
Ein Kur it ein Anteil, 
Den End von einer Zeche 
Bu bauen ſtehet frei, 
Run merlet, was I Tprede: 
Thut ih ein Anbruch an, 
So babt Ihr Antheil dran 
Und könnt in wenig Jahren 
Wohl werden ein reiher Dann 
Bauer. 
Ihr Heben, braven Leute, 
Ichs braud’s zur boͤchſten Ruoth; 
Ihr macht mer ſuo vel Freude, 
Dap ih mid ſchon bedenk; 
Kommt, giebt met mir in de Schenk, 
Eh mid die Zeit thut zwenge, 
Das ich mich von Euch lenk. 
Bergmann. 
. Ei, dafür danken wir, 
Es hat ja nichts zu fagen. 
Bauer. 
3 nu, & Känndhen Bir — 
Das koͤnn' wer jua vertragen; _ 
Bir find ja gute Wreund”, 
Der Denker Hol’ die Zeind®’ — 
Wer wollen einig Iche 
A Schelm ders böfe meint. 


Der Abdrud, melden Herr Director Abeken von biefem 
Liebe in feinem anmuthigen Büchelden „Ein. Stück aus 
Goethe's Leben’ gegeben hat, weicht in ber Lesart bier und 
da ab, die gegenwärtige Aufzeichnung indeß trägt eine origi⸗ 
nellere Farbe. 


Literarifche Notizen aus Frankreich. 


Sittengemälbde. 

Die Zeiten des Friedens wiegen den Menſchen nur gar zu 
leicht in einen gefährlichen Schlummer und verloden ihn mit 
außelnden Zrugbüdern zu einer verberblihen Verblendung. 
eshalb ift es gut, wenn zuweilen eine eindringliche Stimme 
ertönt, welche das erfhlaffende Selbſtbewußtſein der Menge 
aufrüttelt. Eine folhe Stimme eines Deebigere in der Wüſte 
erfchallt in den ‚„Epreuves sociales de France depuis 
Louis XIV jusqu’% nos jours”, von 9. Dumesnil. Der Berf., 
der bereits nach vielen Seiten bin literariſch thätig geweſen ift, 
eichnet hier ein düfteres Bild der franzöfifchen Zuftande. Die 
emälde, welche er vor und aufrollt, find fchrediich und grauen» 
vol. Er führt die Erfcheinungen der legten Jahrhunderte an 
uns vorüber; aber für ihn ift die Gefchichte nur die Entwicke⸗ 
lung des Böfen in ber Welt. Daffelbe breiter fi immer mehr 
aus, überwuchert Alles und droht die Keime des Guten zu er» 
ſticken. Die trübften Ahnungen fteigen beim Anblick diefer un- 
heimlichen Schilderungen in uns auf und es bedarf erft einer 
Sammlung und Erholung, um diefe nächtlidyen Geftalten zu 


verfcheuchen, welche ſich bei der Lecture diefer ſchwarzgehaltenen 


Seiten erheben. Nichts von alle Dem was beſieht findet 
Gnade, Alles ift dem Untergang und dem Berderben geweiht. 
Dabei ift diefer ſtrenge Sittenrichter nicht etwa ein zerfahrener 
Schöngeift, der mit dem Weltſchmerz und der Blafirtheit co 
quettirt. Sein Misbehagen an den beftebenden Berhaltniffen 
geht tiefer und fleht mit einer aufrichtigen und achtungswer⸗ 
then Sefinnung im Bunde. Man kann auch nicht gerade fa- 


en, Daß er unter dem Einfluß einer Yarteileidenfi ſchriebe. 
—* bekennt Damesnil fi offen zum Grundfag ren 
tät, und er wird auch in der Hegel der Partei, welche disfes 

rincip auf ihre gejgrieben bat, beigenäbi; aber nichts» 
eſtoweniger zuͤchtigt er die Unfprüce ber Urifkofratie und 
Thorheit der royaliftifchen Umtricbe auf das empfindlichfte. 
@benfo ficht ed mit feinen religiöfen Anfichten. Bier ftebt er 
durchaus auf roͤmiſch i Boden, aber dies haͤlt ihn 
nicht ab, die Priefter offen als Theilhaber an ber allgemeinen 
Schuld anzuflagen. Kurz, Pein Stand, Bein Rang ſchuͤtt vor 
feinen vergifteten Ungriffen und es ift nur unbegreiflih,. wie 
ein Mann, der Alles fo ſchwarz und verhaͤngnißvoll ſieht, Die 
fchwere Laft bed Lebens zu ertragen im Stande ift. 


- 





— Gautier's neueſtes Werk. 

Der Feuilletonniſt Théophile Gautier ſucht feinen Werken 
immer gern eine abſonderliche Faͤrbung zu geben. ſucht 
dies dadurch zu erreichen, daß er überall parodoxe Be- 
hauptungen in den Vordergrund treten laͤßt und daß er feihp 
im Ausdruck vorzugsweife von ben gebräudlichen Formen ab⸗ 
weicht. Befonders gefällt er fi in der Anwendung veralteter 
Redewendungen und in einem Prunk feltener, aber vollflingen- 
der Wörter. Man fiebt alfa, daß er im Ganzen mehr em 
durchaus äußerlicher Geiſt ift, der nur da wirklich intereffant 
wird, wo es fih darum handelt, irgend ein alterthümliches 
Gemäuer, eine alte Ruine, bie in einer einfamen Gegend ge: 
Ieaenen Trümmer einer roͤmiſchen Wafferleitung u. |. w. zu 
befchreiben. Die Schilderung iſt feine eigentliche Stärke. Als 
Beleg dafür führen wir nur feine Reifebilder aus Spanien an, 
welche er unter dem Zitel „Tra los montes’ vor einigen Jah⸗ 
ren beraudgegeben bat. Wir erhalten jept wieder ein ähnliches 
Berk aus Gautier's Feder, in dem wir freilich Feine grandio- 
fen Defihreibungen, aber doch zum Theil gang gefällige Skiz- 
zen aus dem Volksleben erhalten. Daffelbe führt den etwas 
efuchten Zitel „Zigzags”. Der Verf. erzählt hier meiftens 
— * Abenteuer, welche er auf ſeinen Fahrten durch 
Belgien, England und Italien erlebt hat. Reben vielem halt⸗ 
loſen Geplauder wird und hier manche gefaͤllige Bemerkung, 
manche unterhaltende Anekdote und anziebende Anficht geboten. 


Literariſche Anzeige. 





— —— — 


Im Berlage von F. XR. Brockhaus in Leipzig iſt erſchienen 
—* en Buchhandlungen zu en: richien 


Die Ritterbürtigen. 


von 
Levin Schücking. 
Drei Cheile. 
Gr. 12. Geh. 4 Thlr. 15 Nor. 
Dieſer Roman bildet den erſten bis dritten Band einer 
Sammlung unter dem Zitel „Zeit und Bitten”, deren 


vierter Band „Eine dunkle That” fih unter der Preffe 
befindet. 


Bon dem Berfaffer erfchien bereits in demſelben Berlage: 


Ein Schloß um Meer. Roman. Zwei Zheile. 
Gr. 13. 1843. Beh, 3 Thle. 








Verantwortlicher Heraudgeber: Heinrich Brockdans. — Drud und Verlag von J. WM. Brockhang in Reipzig. 


— — — — 


Blaͤt ter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





11. Rai 1846. 





Geſchichte der parifer Policei. 
(Beihluß aus Nr. 180.) 


Die Aufmerkfamleit der parifer Wohlfahrtspolicei er- 

- firedkt ſich Bis ind Meinliche: Zu Allem gibt fie Erlaub- 
niß, Alles muß gegen ſchwere Gebühren einregiftrirt, con» 
teolirt und revibirt werden, und bei biefer Ausbehnung 
der Policeigewalt auf Ausübung von ben unverdädhtig- 
fien Bewerben darf man fi nicht vermundern, wenn 
man hört, daß bie hiefige Policei verfügt über ein jähr- 
liches Budget von 12 Millionen Francs, über eine eir 
gene Scharwacht von 2596 Mann Zußvolt und 647 
Reiten, über ein Pompierscorps von 830 Mann, über 
300 Stadtfoldaten, über ein Gchreibereimefen, welches 
Tag und Naht an 300 Angeftellte beſchaͤftigt, und end» 
lich über ein beinahe 2000 Mann ſtarkes Perfonal von 
Policeicommiſſairen, Friedensoffizieren, Infpectoren und 
Agenten jeder Art, die in ihren vorgefchtiebenen Kreiſen 
und Bezitten für die Ruhe und Orbnung wachen und 
zu jeder Stunde, in jeder Minute und in jeder Secunde 
ein feharfes Auge haben auf bie Unmaffe des brotlofen 
und faulen und auögeftreiften und ausgekehrten Gefin- 
dels, welches in fo einen ſchrecklichen Menſchencloak als 
Paris ift zufammenflieft und ben ftchenden Abſchaum 
der. ungeheuern Volksmenge abgibt, deſſen Tieberliche, 
raͤuberiſche, beftialifche und moͤrderiſche Gelüfte gegen das 
Eigenehum, die Ruhe und das Leben anderer Reute in 
beftändigem Aufruhr und permanenter Verſchwörung find. 
Jede große Stadt if der Lärm- und Tummelplat lofen 
Gefindels aller Stufen, und Paris fteht hierin, nad 
Kondon, auf ber höchften. Selbſt ber beften und wach- 
famften Policei iſt es unmöglich, eine Stabt, wo über 
eine Milton Menſchen fih zufammen bewegt in einem 
Umfange von wenigen Geviertmeilen, von ſolchem heil« 
fofen Geſindel zu reinigen und aus dieſem Menfchen- 
dickicht alle Raubthiere rein auszuffopfen. Alles jenes 
" Raub und Rumpengefindel geht fo frei mit unter dem 
großen. Haufen; es hat feinen Willen zu arbeiten und 
die größte Luft zu ſtehlen, und es ift wirklich kaum be- 
greifiich, wie mit folhen Beimifhungen und gährenden 
Elementen die Bevölkerung fo ruhig und bequem fich 
benimmt, und wie wenig man ahnt, wie dünn bie 
Kruſte fei, auf welcher man geht und auch mol tanzt, 





j und unter welder ein Abgrund gähnt, deſſen Inhalt 


nur zuweilen hervorbricht wie an ber Seite des Veſuvs. 
So mädtig iſt die Wirkung bes täglichen Lebens, der 
Rothwendigkeit und des Bedürfniffes der Ruhe und bes 
Verkehrs, fo vortrefflih die Wachſamkeit ber ftäbtie 
fhen Policei, deren weitläufiges Neg alle Quartiere von 
Paris und alle Ortſchaften des Weichbildes der Haupt 
ftadt umfpannt. Der Mechanismus dieſer ununterbro- 
Genen policeilihen Wachſamkeit iſt vielleicht der vollkom · 
menfte der Welt und den Hauptzügen nad) folgender« 
maßen eingerichtet : 

Zedes Arrondiffement von Paris hat feine Policibrigade 
von Gtadtfergeanten und Infpectoren, die unter einem Friedens · 
offiziee Reben und den Beruf haben, unausgefegt alle Theile 
ihres Bezirks auszufpüren, über die Befolgung der Gefege und 
Berordnungen zu Wachen, die rtretungen Policeiverbote 
au, Bistato zu nehmen, Bank und Gchlägereien vorzufommen, 

ithäter die fie auf der That ertappen fetzunehmen, wo «6 
Roth ift zu helfen und die Eirculation fo viel ald möglich un«_ 
genist im Gange erhalten (mas in einer Stadt, wo jeden 

9 von 6 Uhr Morgens bis Mitternacht über 60,000 Yuhr- 
werke aller Urt auf dem Pflafter berumrolien, Feine geringe 
Mühe verurſachen mag). Ihr Dienft fängt Morgens an und 
hört erſt um Mitternacht auf, wo bie Sicherheit ber Stadt 
andern Policeidienern und Militairpatrouilen übergeben ‚wird, 
welde die Wachpoſten des Bürgermilitairs, der Municipale 
garde und Linientruppe ſtellen. 

In jedem Wrrondifiement ift em Centralbureau für den 
Priedengoffigier, welchem die Stadtfergeanten und Infpectoren 
des Bezirks über alles Vorfallende mündlichen oder fihriftlihen 
Bericht abftatten, woraus dieſer wieder einen gedrängten Aus« 
zug macht, den er zweimal bed Tags, und in kritiſchen Fallen 
mod) öfter dem Policeiprafecten einſchickt, bei welchem die Ber 
richte der fämmtlichen Weiedensoffiziere zufammenlaufen, und 
der auf dieſe Weiſe fogleiy von Allem unterricptet wird und 
nie us Haufe gebt, ne den Buftand der Hauptftabt genau 
u 


en. 

Eine ftarke Brigade Stadtſergeanten ift eigens beauftragt, 
das Gewirt in den Straßen auseinander zu en die PM 
derniſſe bes freien Verkehrs aus dem Wege zu räumen, und 
namentlih um die Hallen und Märkte fowie in den Begen« 
den, wo das größte Gewimmel ift, Ordnung zu halten. 

Bier fogenannte Eentralbrigaden ohne 1} Beftimmung 
ſte hen immer für unvorhergefehene Bälle in Vereitfpaft, um 
* 7 Wink des Praͤfecten hinzueilen, wo Berſtaͤrkung nö- 

ig if. 

Die fogenannten „grauen Patrouillen” (eine Art Racht · 
wächter) find die ganze Racht in Bewegung und ziehen rot- 
tenmweife Straße auf Errafe ab; fie nehmen vorgefchriebene 
Bege, damit alle Stabvtertel zugieich ausgeftöbert werden, und 
durchſuchen vorzugsweife bie engen und finftern Straßen, die 


\ 


” 2 
\ 


legenen Quartiere, kurz alle Stellen, wo e& für den ver- 

ten Yußgänger nicht geheuer if. 

Die nächtlichen Beraubungen, Morbthaten, Einbrüche 
und Diebftähle, welche die parifer Zeitungen nut zu häu- 
fig melden, baweiſen leiber, daß man mit diefem Pa⸗ 
tsouißenfeflem. voch nicht erreicht Hat, was. der Palizel- 
lieutenant Herault von Vancreſſan beabfichtigte, der, wie 
er fi) ausdrüdte, das Pflafter von Paris fo ehrwürbig 
machen wollte als eine Saeriſtei. 

Die Aufſeher der Hotels garnis müffen täglich die Mude 
Machen in den meublirten Häufern, wo man Simmer an Mei: 
| vermietbet, und in eigene Liſten, die denfelben Tag nad 
—— eetur abgeliefert werden, die Namen, Vornamen, 
das Alter, Gefchlecht und Gewerbe Derer ‚eintragen, welche in 
bieſen Häufern ein« und ausziehen. Dieſe Liften werden fox 
gleich betiſch geordnet und dienen in ſehr vielen Fällan 
alt. Leitfaden, um verſchollenen oder anrüchig gewordenen Rei⸗ 
ſenden wieder auf die Spur zu kommen. 

Diefe Arbeit muß ungeheure Umflände machen, ba 
bier mehr als A000 folche zum Logiren eingerichtete Häu- 
fex. vorhanden find, wo täglich beinahe 2500 “Per- 
fonen ab- und zuziehen und im Durchſchnitt 37,000 
Menfchen, barunter 6000 Fremde haufen. 

Außerdem I die Policei Die Sorge für Zufuhr und Ber: 
brauch; die Aufficgt über die Hallen und Mürkte, über Fluß⸗ 
kaifftaber und Strombenugung, über die 2000 Gas» und die 

0 Öfflaternen, welche jede Nacht Winter und Sonumer 
unausgefegt brennen, und die 120,000 MRitres (30 Lieue) Ab⸗ 
abanaͤle, in welche alle Unreinigkeiten gufammenfließen. Sie 
—2* die Reinigung der Straßen (eine wahre Herculesarbeit; 
denn den Unrath son einer Million Menſchen, von 100, 10 
en, MOND Katzen und Hunden, von ebenfo vielen un: 
reinlichen Handsierungen,, von Regen und Schnee, aus einem 
Augiasftalle von dem Umfange wie Yarid mit ben engen Gaf 
fen sum Theil, wo die Sonne nicht Binabbringen Tann, weg⸗ 
— dies iſt eine Aufgabe, die unbeſchreiblich ſchwer iſt); 

Möytigt die Unftalten zur Aufnahme der Krauken, Ernäh- 
rung der Nothleidenden, Berminderung der Betiter, Wegſchaf⸗ 
fung: ſchaͤdlicher Mitglieder der Sefenkgaft, die Spitäler, Die 
Sefängniffe, die Zucht⸗ und Unguchthäufer, unvermeidliche Peſt⸗ 
beulen einer unermeßtichen Sauptfladt, wo alle unbändigen Leis 
denfchaften gähren, Fochen und am Ende plagen würden, wenn 
der Geſetzgeber nicht weiſe worbeugend hier unb dba fehende 
Baden gelafien, in deren Jauche fich die nerwerfenften Lüfte ab» 
Fühlen. Im Intereſſe ber Öffentlichen Ehrlichfeit und Befund» 
heit hat fie ein wachſames Auge auf den betrügerifchen Kraͤ⸗ 
mergeift, der folfh Maß und Gewicht gibt und verfaͤlſchte oder 
vesdorbene Waaren unfegt. Verkauft ein Mäder Brot vom 
angegaugenem Mehl, cn Meinfchen® vesfälldten Wein, ein 
Kaufmann verlegenes Auch, ein Spaezereihaͤndler verdorbenes 
Gewürz, ein Goldſchmied probewidriges Silbergeräth, ein Met⸗ 
ger altes Fleiſch u. ſ. w., fo bedarf es nur einer Ungeige bei 
Dem Pollceiconmmiflait des Biertels und ex trifft die nöthigen 
Berfügungen dagegen. inter ber Aufficht ber Yolicei eben 
auch die Deobtendder von Yaris, und die andern Grabfkötten, 
Scſachthaͤuſer genannt, wo täglich Hunderte von Opfern ben 
yungeri Mögen zu: @unft fallen; bie an mehren Punkten 

—28 und bes Kanals angebrachten Anſtalten, um 





Eertrunkene oder Selbſtmoͤrder wieder ind Beben zurüdgurufen, . 


und bie mehr als 30,U00- Böfewidter, Diebe, Moͤrder, Sara: 
cener, entlaflene oder entfprungene Verbrecher, Die fie, wie je= 
new Feldherr des Al , alle bei Namen nennen kann und 
in ihren Antecedentien Bennt. Es gibt auf der Yoliceipräfestur 
oin au mit einer über 100 Zahre —** — Samm⸗ 


lung aller von te eiſg⸗ 
a a a ——— 


4 Diefe Sammlung, welche mit den 


2. Fuͤrſt und Proletarier. 


leerenftrafe verhängt haben und täglig mit befendern Rotigen 
nermehrt werden, Die geeignet find, betreffenden Falls Aufſchiuß 
ſelbſt über folche Perfonen zu geben, welche von der Anklage 
wegen eined Verbrechens oder Vergehens freigefprocdhen worden. 
lims bed alten franzönfchen 
arlaments eine der ymfaffendſſten Wefundenfongmirmg bildet; 

brt den Mamen: Bes sommiers judielaireg, und enfhält übeg 
eine Million NRotizenblätter und Xcten. 

In das Fach der Poltcei gehört au die allgemeine An⸗ 
ftändigkeit. Sie bat die Aufficht über die auf allen Theatern 
zu gebenden Stüde, über die Kupſerſtichhanbtungen, über die 
öffentlichen Anſchläge und Ankündigungen, über big fittenlofen 
Bucherverkaͤufer, über die, Uriniranftalten in allen Stadttheilen 
und über die — Unterhofen der Sthaufpielerinnen. 

Aus diefen angezogenen Stellen erhellt zur Genüge 
die ausgebreitete Macht und Wirkfamkeit der parifer 
Policei. Wie fie diefelbe in alter und In neuer Zeit 
angewandt, erfahren wir aus vorliegender Geſchichte, bie 
von ihrer erften Entftehung bis auf unfere Zage- reicht 
(1667 — 1844). Der Verf. hat mit großem Fleiß und 
vielen Einfiche gerade Das gefammelt und ansgefucht, bei 
dem durchaus dem Leſer keine Langeweile ausbrechen 
dann, da er bier von einem Gegenflande zum andern 
mit Intereffe fortgezogen und von dem bald. ernfien, 
bald muntern Wortrage der Erzaͤhlung eingenommen 
wird.” Der Gegenſtand ift mit genägender Vollſtändig⸗ 
keit abgehandelt, zeich an Notizen und urfundlihen Auf⸗ 
Härungen. Auch gagen. die Anordnung läßt fi nicht 
viel einmenden. Mancher wird indeß fragen, warum bie 
ausführlichen Lebensnachrichten über ſaͤmmtliche Policei⸗ 
lieutenants und Seliceipräfssten von Ludwig XIV. pie 
auf Ludwig Philipp I., da diefe Lebensumftände, info- 
fern fie nicht den hiſtoriſchen Charakter der gefchilberten 
Verfonen beitimmten, nach dem Herkommen fperiellen 
Biographien angehüren? Die Schrift enthält maucherlei 
Stoff zur Unterhaltung und zum Nachdenken, und ver⸗ 
dient viel geleſen und überbacht zu werben. 89. 





Romanliteratur. 
1. Srmin Galeer. Wan 2. Starklof. Zwei heile. Leiptig 
D. Wigand. 1846. 8. 3 cIhir. * 
Ein Roman aus der Gegenwart 
von Theodor Hlckers. Zwei Theile. Leipzig, Klemm. 
1546. 8. 2Thir. 15 Nee. 
3 Schiefale eines Proietariers, Gin Bolkebuch von Ehren- 
reih@ichheiz Leipzig, Ph. Reclam. 1846. 8. 17% Mer 
4. Rudovico oder der Sohn eined Mannes von Genie. tt⸗ 
gart, Hallberger. 1846. 8. 1 TAhlr. 


e zu 
lechten und Mitt 


1 
nen uns allgemeine | 
pen aufgepußf ſtatt concreter Perfönlichkeiten und individueller 
Züge und frifchen Lebenswechfelß begegnen und die fi gewoͤhn⸗ 
lich damit entfchuldigen, daß es durchaus nicht moͤglich fei, un⸗ 





% 


ihr diefelbe in euern Romanen entweder foll v 
fragt, oder dieſelbe gänzlich aus dem Spiele laſſen zu müffen 


ſenar Aeis und iten Genflisien din. anderes poetiſches Intewefle 
abzugrwinnen. Sein Roman if fein Tandenzroman, aber er 
if} defienungenchtet ein Zeitroman, und abgleich er durch und 
ein Beitroman if, entbehrt en dennoch nicht des wahr: 
haften conereten Lebens, des inwiniduellen Friſche, Der heiterſten 
Aoeſie. Searklof fcheint auf jenes Höhe des Lebens zu ſteben 


ä 


| er Pinſelſtrichen hingeworfenen Beichnungen einen großen 


eil eigener Lebenserfahrungen von ſich loslöſe, daB er ſich im 
der Entwidelung diefed Romans über die elenden Kämpfe der 
Wirklichkeit poetifch zu erheben fuche, daß er Darin über den 
eigenen Lebensfampf vol trüber Erfahrungen und fcharfer Beob⸗ 
achtung den Frieden und bie Verföhnung, melde die Poeſie 
gewährt, ſuche und finde. Ia, man merkt es diefem Romane 
wamittelbaer an, daß er nicht bloß gefchrieben, ſondern daß er 
auch dDurchgelebt und durchgekaͤmpft worben ift, und Darin vers 
Hält er fih in einem birecten Gegenfage zu unfern meiften 
neuern beutfchen Romanen, in denen entiveder eine ungeordnete 
Dhentafie ierlichtert oder eine abſtracte Tendenz manoeuvrirt 
und die fi meiſtens alle geradezu unfähig zeigen, die nackte 
Wirklichkeit unfers Lebens mit der Wahrheit der Poeſie in groß- 
ortiger, kuͤhner Auffaffung zu verbinden. Starklof will in fei- 
nem „Urmin Galoor“ weder ein forieliftifched noch ein commu⸗ 
nigifches Syftem proclamiren und uns eine Syſtemweisheit wer 
Der im ſpaßhaften noch in gräßlihen Beifpielen veranſchaulichen; 
für ihn ift die Poeſie nidgt mehr die Dienerin irgend eines 
außer ihr liegenden Intereſſes, er erhebt fie wieder zu fich fel- 
ber, zu ihrem felbfteigenen Weſen. Sie überragt bie vertin⸗ 

elten Bewegungen, Kaͤmpfe und Zudungen unferer Zeit, aber 
L verleugnet diefe Zeit und ihren Boden nicht, ſondern ſucht 
vielmehr biefelbe in der Fuͤlle ihrer ganzen Kraft und ihrer 
objectinen Ruhe zu charakteriſiren und in einer großartigen Faſ⸗ 
fung wieder zu gebären. &o ift „Armin Baloor” kein Ten⸗ 
dengroman, abes ein Beitroman, wie wir augenblidlic Beinen 
zeiten befigen, und ber Berf. weiß in bemfelben ein Bild un- 
fers beutfchen Lebens nach allen Seiten bin mit einer ſolchen 
Kenntniß und Kühnheit zu entwerfen, daß wir wahrhaft ver: 
wunbert find über das Nejultat, welches wir durch ihn erhalten. 
Denn diefes Reſultat, ihr deutſchen Romanſchreiber, ift 
#ein anderes als folgendes: Ihr beiügt eu und dad Yubli- 
cum felbft, wenn ihr behauptet, daß es unmöglich fei, unfere 


Gegeniwart, fo unflar und fo zerriffen wie fie geworden, zum 


Gegenftande einer Fünftlerifchen und wahrhaft poetifgen Be. 
Handlung zu erheben. Starklof Fiefert und den Beweis von 
Diefer Noͤglichkeit. Nicht an unferer Gegenwart liegt *3 wenn 
rrt und ver⸗ 


laubt. Ihr ſelbſt tragt die Schuld im eurer Lebensunfähig- 
it. Ihr lebt nicht, ihre fehreibt nur. Ihr wollt die Gegen: 
wart ſchildern und Darftellen ohne daß ihr fie Bennt. In euern 
Univerfitätscompendien,, auf euern Bairiſchbierbaͤnken, in euern 
Duchlaͤden und Lefeinftituten glaubt ihr Alles erfahren zu Fün- 
nen, was ihr zu wiflen braucht, und aus der Ode eurer indi⸗ 
viduellen Eriftenz heraus glaubt ihr dann die Gegenwart dar» 
ellen zu Tonnen oder ihr glaubt, daß was ihr nicht koͤnnt 
berhaupt unmögli fei. Deshalb find unfere deutſchen Ne» 
mane fo lebensunfähig und fo unwahr ber englifchen und der 
franzoͤſifchen Romanliteratur gegenüber. Dem deutſchen Ro: 
mankpreiber hat daß Leben in ber Regel fehr wenig gegeben, 
er Niet in engen Pferden, ihn trägt Feine Fühne Woge an 


fremde Geftats, hinein in fjenmm großartigen Genflirt Des Lebens 
und ber Individualitäten, er weißes hochſtens gu einer. anſtaͤndigen 
bürgertichen Grifteng gu bringen und von feineng Kohlgarten auf 
glaubt er fi dann berufen, einem Volke feine Gegenwart zu ſchil⸗ 
dern. Natürlich kann nichts dechtes Daraus werben unb wir erhal⸗ 
tem in unſern Memanen entweder phantaſtiſche Philiſtereien, au 
denen ſich nur noch Bamımarbiener und Griſetten amufirer mögen, 
ober abftragte Tendenzen, bie -binter dem Dfen von der Lebens 
unfaͤhigkeit ausgeheckt worden find. Selbſt unfere beſken Romane 
wifien und nichts Anderes zu geben ald einen ſchwachen Schat ⸗ 
ten, als einen unfihern Abglanz unſers wirklichen Lebens, un⸗ 
tsrmengt wit unmoglichen Suſtänden, launigen Traͤumereien, 
rellen und unklaren Phantafien, in denen fich nur die vorge⸗ 

te Unfit des Lebens, wie fie ſich in der. Einbildungsfraft 
des dereinſamten Dichters entwidelt, geltend macht und Die 
aller realen Grundlage, aller Wirklichkeit, aller Wahrheit ent: 
bepren. Wenn unfere Romanfchreiber nicht leben, fondern nur 
ſtumpffinnig binbrüten ober phantaftifch ſchwaͤrmen oder philo⸗ 


ſophiſch erperimentiren wollen, fo werben fle auch nicht ſchrei⸗ 


ben können wie gefchrieben werden muß, um bie Theilnahme, 
um bie Befriedigung eines Volkes zu gewinnen. Ie größer 
bie Ode und Die Lebendunfähigkeit unſerer beutfchen Romane 
im Wlgemeinen ift, um fo größere Theilnahme und Anerken⸗ 
nung wird aber der Verf des „Armin Galoar“ verdienen, de 
er duch fein. neuefted Product den Beweis Liefert, daß bie rich⸗ 
tige A aflung der Zeit, ihrer Zuftänbe und der fih im ihnen 
entwidelnden Individualitäten nicht ein ausfchließliher Vorzu 
der franzöfifchen und englifchen Romanliteratur iſt, fondern d 
auch deutſche Schriftſteller mit ihnen darin zu westeifern und 

wol gar durch die Erhebung der Wirklichkeit in Die Faſſung 
voller Poefie zu übertzeffen vermögen, wenn fie eben nur ker - 
ben, wirklich leben und die Zuftände erft durchkaͤmpfen wollen 
und an ſich herankommen laſſen, bevor fie dieſelben darzuſtellen 
gedenken. 


Die Babel, welche dem Romane zum Grunde liegt, iſt 


„ziemlich einfach gehalten, der Heid deſſeiben ift mehr eine p 


Ars 
ve als eine active Geſtalt, er wird erft in das rechte dat 
eſtellt durch die ihn umgebende Welt, durch die Buftände und 
erhältniffe, in denen er fi) bewegt, durch die Perſoͤnlichkei⸗ 
ten, mit denen er in Berührung kommt. Wir fehen in dem 
geben einen Jungen Maler vor und, der unbekannt mit feinen 

eburt das Geheimniß derfeiben zu enträthfeln ſucht und von 
— und Vermuthungen getrieben in den hoͤchſten Ge⸗ 
fellſchaftskreiſen den Schlüffel zu finden glaubt. Er bewegt 
fi deshalb in einer deutſchen Refidenz unter der haute volee, 
in den Eirfein des Hofes und wird es endlih, aber zu fpat 
gewahr, daß man nur ein liftig berechnetes Spiel mit ihm ger 
triegen. Er iſt eitel, abenteuerluſtig, leichtſinnig. Durch fee 
nen Beruf ald Maler, durch feine frühern Bekanntſchaften und 
feinen Ubermuth kommt er mit den verfehtedenartigften Geſell⸗ 
ſchaftsclaſſen in Berührung; er iſt gern dabei, wo es gilt, ei» 
nem Breunde beizufichen, einer unverdienten Armuth abzuhel⸗ 
fen oder auch die Anmaßung zu beftvafen und der Bosheit bie 
varve vom Gefichte zu reißen. Jugend und Schoͤnheit gruppi⸗ 
ren fih um ihn und es fpinnt fih darin eine Menge von Aben- 
teuern ab, in denen bie interefianteften Geſtalten hervortau⸗ 
hen, ſtets feſſeln und uns bie geiftreiche Pinfelfführung bes 
Dichters, Die anmuthige Husführung der Gemaͤlde bewundern 
laffen. Der Dichter führt uns nadeinander ein in das hohle, 
in fig banfrotte und troſtlos gelangweilte Keben unferer deut» 
fhen Uriftofratie wie in die Souliſſenwelt des Theaters und 
feine Intriguen, in die Fuchſsſchwaͤnzereien, in Die Lügen „ 
keit und Aufgeblafenheit des GHofgefindes wie in bie ärmlidhe 
Wohnung deb bebrängten Mittelftandes. Wir lernen die ge⸗ 
heimen Yahrten der Geldwucherer, der vornehmſten und der 
niedeigften Wegelagerer kennen und es wird ebenſo unerbittlich 
von den Gedanken der regierenden Perfonen wie Dev elenbeften, 
niedrigfien Gauner jener Schleier weggenoimmen, in dem fie 


fich im gewoͤhnlichen Leben verbergen und hinter Ben unfere 


' 





deutſchen Romanfchriftfteller fo außer felten zu ſchauen wiſſen. 
Überait ift ea überall ift mit ben richtigen Karben ge 
malt, wenn auch häufig nur flizzirt und nicht bis ins Einzelne 
ausgeführt. Der Horizont unferer politifden und forialen Bu« 
ftände tritt uns in den Werhältnifien und in ben Perfonen, 
welche der Dichter Herbeiführt, fchlagender und treffender ent- 

egen als in den gruͤndlichſten Raiſonnements. Gr hat den 

ud der uns drüdt verkörpert, er zeigt und unfern Jam⸗ 
mer, unſeke Roth, wir muͤſſen haffen, wir müflen verachten. 
Bon unferer ganzen deutſchen Welt, von oben bis unten, wird 
der Vorhang —S— und der Berf. hat die maͤnnliche 
Bitterkeit, das Gefuͤhl der Berzweiflung, welches ihn zuweilen 
überfommt, durch die Ruhe feiner poetiſchen Kraft, feiner Ob⸗ 
jectivirung zu mildern gewußt. Wllerdings liebt er mehr die 
Skizze als die Ausführung, und das ift zum Theil ein Tadel 
für den Roman; aber wie werthuoll find nicht auch geniale 
Skizzen! Und Starklof's Skizzen erreichen häufig das Gebiet 
des Senialen. Wenn der Dichter, ftatt feine Perfonen redend 
einzuführen, ihre Worte häufig in feinem eigenen Namen über 
liefert, dann aber wieder ganz und gar die dramatiſche Form 
anzunehmen beliebt, fo läßt fi Dagegen zwar Mancherlei ein- 
wenden, im Ganzen wird aber dadurch dem Werthe des Ro- 
mans als ein wahrhaft praßtifch gedachtes und ausgeführtes 
Kunftwert nur [ehr wenig Abbruch gefchehen. Mit gutem Ge⸗ 
soiffen dürfen wir allen unfern Leſern die Lecture des ,, Armin 
Galoor“ empfehlen; Jeder wird darin auf feine Weife Anre⸗ 
gung und Befriedigung finden. - . 

2. „Kürft und Proletarier‘ non HÄickers erreicht allerdings 
beiweitem nicht Die Höhe und den Werth der Starklof'ſchen Pro: 
duction. Diefer Roman bleibt ganz in dem Gleiſe unferer ge 
wöhnlichen deutfchen Romane. Er ift zu fleißig gearbeitet, zu 
gut, um ſchlecht genannt werden ge koͤnnen, er ift zu gewöhns 
ch, um ſich zu einer ‚befondern Bedeutung erheben zu Fünnen. 
Was wir von der Xebensunfähigkeit und Schreibfeligfeit unfes 
ver deutſchen Romanfchriftfteller oben gefagt haben, fände hier 
wol feine Beftätigung. Olckers hat jedenfalls die Abfiht, uns 
die focialen Eonflicte unferer Gegenwart derzuftellen, aber er 
hat fie zu wenig durchlebt, als daß es ihm gelingen, ald daß 
feine Yroduction unfer innerftes Intereffe in Anfpruch nehmen 
könnte. Er muß zu allerlei romantiſchen Situationen feine Zu⸗ 
flucht nehmen, weil ihm die Wirklichkeit des Lebens keinen 
kuͤhnen Scenerienwechfel, einen Situationenreichtbum geboten 
bat. Er will leben, indem er fchreibt, anftatt zu fchreiben, 
nachdem er gelebt und geprüft hat. Es quillt uns aus frinen 
Schilderungen Beine Wirklichfeit, Beine Wahrheit, fondern nur 
eine abgeblaßte Romantik entgegen, ein rein äußerliches Ha⸗ 
Shen und Suchen nad) Spannung, ein vergeblihes Streben 
nach freier, voller Bewegung. Der Roman ift eben gemacht 
wie unfere meiften deutſchen Romane gemacht werden, fern von 
geſchichtlichen Procefien der Zeit, in der Vereinfamung und 
Lebensiſolirung eined im Allgemeinen recht hübſchen Talents. 
Hickers hat zu wenig die Wirklichkeit unferer focialen CEonflicte 
durchgelebt, um fie widerfpiegeln zu konnen, aber er hat aud 
zu wenig philoſophiſch, theoretiſch Über diefelben nachgedacht, 
um wenigftend duch einen Pühnen Zlug der Abftraction ein 
Intereſſe zu erzwingen; er ift mitten in ber Halbheit und Re: 
bensunfähigfeit der Romantik ftehen geblieben. Sein Rcman 
iſt nichts weniger als ein focialer Roman, er ift eben gut ge 
nug für eine ganz müßige Stunde, für die Leihbibliotheken. 
Nicht einmal die fubjective Weltanficht des Verf. lernen wir 
aus diefem Romane Fennen, wie viel weniger tritt und eine 
tünftlerifche und poetifche Objectivirung unferer Lebenszuftände 
daraus entgegen. Wie alle Situationen etwas Gefchraubtes, 
etwas Gemachtes und Zufammengeleimtes haben, ebenjo begeg⸗ 
nen uns auch Feine Individualitaten, Feine wirklich vom Leben 
und von den Zuſtaͤnden der Zeit getragenen und erfüllten Men- 
ſchen. Die Perfonen, welche den Roman zufammenbilden, hat 
eben der Dichter blos gemacht, fie Pönnen nicht auf fich felber 
pochen; der Roman if 


aus und fie find vergefien, fie hinter: 


laſſen auch nicht den geringfien Eindrud.  Indef wenn wir 
die Schwäche des deutichen Romans einmal als ein ziemli 
allgemeines Übel gelten laffen, fo ift „Zürft und Yeofetarier“ 
doch nicht ber fihlechtefte unter diefen romantificenden deutſchen 
Romanen. Am ſchwaͤchſten fieht es freilich mit ber focialen 
Seite diefeß Romans „aus der Gegenwart” aus. Sie if voll 
kommen verfehlt uud entweßer carilırt oder unbedeutend. Wenn 
man ein Eombendium über Socialismus und Communimus 
gelefen oder aus Stein audgezogen, wenn man etwas von einer 
communiftifhen Propaganda gehört und von der Vielrednerei 
über das Elend der untern Volksclaſſen erfchüttert worben if, 
fo fhreibt man darum noch Feinen forialen Roman. Die ganze 
fociale Bewegung oder Richtbewegung in biefem Romane ifk 
nicht blos verzerrt und unwahr, fondern auch für die Entwicke⸗ 
lung deflelben nicht wefentlih und nur eine bloße Modes 
beigabe, um den Roman mit der Etiquette „aus ber Gegen- 
wart’ entlaſſen zu Tonnen. Er gebe Hin zu den übrigen. Er 
ift gelefen und wird vergeffen. 


(Der Beſchtuß folgt.) 





Hiftarifde Miscelten. 


Rach dem Tode des Papftcs Julius HI. wurde (1539) 
Marcelus II. zum Papſte erwählt, welcher aber nur 21 Zage 
regierte. Er Hatte den Ramen Marcellus, ten er fihon vor 
der Erwählung geführt, beibehalten, gegen Die Gewohnheit, 
wonach ein neuerwaͤhlter Papſt auch einen nennen ans 
zunehmen pflegt. Sarpi („Histor. concil. trident. B. 666) 
meint nur, daß diefe Gewohnhett von den Deutichen und zwar 
urfprünglich herrühre, weil diefe rauhklingende, den Ohren 
der Italiener misfällige Namen haͤtten; dann ud, weil bie 
Anderung des Namens habe anzeigen follen, daß damit alle 
Neigungen eines Privatmanned abgelegt und dafür das Stre⸗ 
ben nach Öffentlihem Wohl ergriffen, und daß alc Gedanken 
an daB Irdiſche in folhe an das Bimmlifche feien verwandelt 
worden. Allein nad Platina’6 Bericht hat die gebachte Ger 
wohnheit, welche viel älter, einen andern Grund. Der 701 
verftorbene Papſt Sergius I., aus Palermo gebürtig, führte 
nämlidy vor feiner Erwählung zum Papſte den Geſchlechts⸗ 
namen Bocca di porco (Schweinsruͤſſel). Diefed Ramens 
jhämte er fi, und nahm dafür, nachdem er Papft geworden, 
den Namen Sergius an, woher zuerft die Gewohnheit entftan- 
den, daß die neuermählten Päpfte in der Negel ihre Namen 
zu verändern pflegten. ' . 


— 


Im 3. 1518 beauftragte Papſt Leo X. feinen zu Yugd- 
burg befindlichen Legaten, den Cardinal Bajetan, mit Luther 
eine Unterrebung zu pflegen und zu verjuchen, ihn unter Zu⸗ 
fiderung von Ehrenftelen und hoher Belohnung zum Widers 
tufe zu bewegen. Der Verſuch blieb aber fruchtlos, und der 
Cardinal wurde darüber fo entrüfter, daß er harte Worte und, 
Schmähungen gegen Luther ausftich, auch fpäter eine weitere 
Unterredung mit Luther ablehnte mit den Worten: „Ego nolo 
amplius cum hac bestia loqui; habet enim profundos oculos. 
et mirabiles speculationes in capite suo.’’ (Opp. Lutb. ed, 
Hal, XV, 714). In der Folgezeit wurde Dajetan 6 gegen 
Luther bewiefene Härte von dem Papſte Paul. TU. ſchwer ge 
tadelt und der entgegengefegte Weg eingejchlagen. Der päpft- 
lihe Nuntius Vergerius 59 — in Folge erhaltenen Auftrags 
1935 zu Wittenberg eine Unterredung mit Luther und begeg- 
nete demfelben mit der größten Leutfeligkeit. Die Vorftellun- 
gen und Berheißungen, welche cr Luther gemacht, finden fi 
kurz zufammengeftellt bei Sarpi I. c.S. 122—123, und ebenfo 
euther's heftige Entgeynung, welche mit der Außerung ſchloß: 
er de feiner Xehre fo gewiß, Daß, ehe er fie aufgebe, eher 
no der Runtius und der Papſt folher beitreten würben. 


“ Berantwortliger Herausgeber: Heinrich Wrocddans. — Drud und Verlag von F. X. Vrockhang in. Leipzig. 


r— 1 





Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Dienſtag, 





Über den Begriff der Literatur. 


So gäng und gebe auch gegenwärtig unter uns Li⸗ 
teratur iſt, und ein fo wictiges Moment fie auch im 
Leben der Menſchen und Völker bifdet, fo hat man die- 
felbe doch noch immer nicht zum Gegenftande einer all- 
gemeinen Betrachtung, einer philoſophiſchen Unterſuchung 
gemacht. Dieſer Mangel an abſtracter logiſcher Erwaͤ⸗ 
gung und Beſtimmung Deſſen was Literatur fei iſt bis da⸗ 
hin nicht ohne den größten, mannichfachſten Nachtheil ge⸗ 
blieben. Iſt doch ſchon der Begriff bei den meiſten Men⸗ 
ſchen ſchwankend oder dunkel oder verworren: fie wiffen 
gemeinhin gar nicht ſich darüber Rechenſchaft zu geben, 
vermechfeln ihn mit andern verwandten oder ähnlichen 

griffen. Ja, wo es befonders darauf ankäme ihn 
reiht Scharf zu begrenzen, feine einzelnen Merkmale genau 
L fennen und zu bezeichnen, z. B. hei Abfaſſung von 


hriften welche ſich auf Literatur beziehen, oder bei 


Handhabung und Erflärung literarifher Werke, fehlt 
meiftentheils, nm nicht zu fagen überall, diefer fichere 
Feitftern: man tappt im Finſtern in der Irre umher 
und läßt auch die Andern im Irrtum. Manches der- 
artige Werke ift oder mird dadurch ganz unklar: es 


angeln ja bie ſichern Pfade, auf welchen wir gehen | 
möhten; es mangelt daß Licht, mittels deffen wir ung 


nad) rechts und linke, vorwärts. und rückwaͤrts orienti- 
zen tönnten; es mängeln die beftimmten Ideen, nad) 
denen wir Jegliches zu bemeffen ober bemeffen wünfchten. 


Aus demſelben Grunde ift bean auch ber Werth, die 
Wichtigkeit, der Hohe Nugen ber Literatur noch keines 


wegs allfeitig erkannt und nad) Gebühr gewuͤrdigt wor⸗ 


den. Man findet hin und wieder nur einzelne An« und. 
Ausſichten eröffnet. Einen totalen Überblid, eine voll- . 
Ständige Auseinandesfegung findet man nirgend. Und 


doch, welches Moment wäre jept in der Welt, im Pri⸗ 
vat=- und öffentlichen LXeben, in der Erziehung ber Ju⸗ 
‚gend wie ganzer Völker bedeutfamer als dus der Kitera- 
tur? Nein! verdient eind gegenwärtig die aufmerkfamfte 
Berädfigtigung, die ernftefte Beachtung, fo äft es dieſes. 
Und Hänge nicht mit der Anficht hiervon wieder Die 
Einſicht in die Regeln zufammen, einestheils wie man 
das Feld der Riteratur weiter anzubauen, anderntheils 
wie man bie bereitö vorhandene zu .trastiren habe? War⸗ 





viele ſchlechte Werke? Wal fie keine Idee haben von 
igrem Berufe und von der Sache für welche fie arbeiten. " 
Und Tann und wird endlih das gemeine Lefen in us 
fern Familienkreiſen, was fi bei fo vielen Männern 
und Frauen ‚zur Leſeſucht und Leſewuth gefleigert hat, 
die gleich einer Dogelgattung nur iumer verihlingen, 
nie verbauen wollen, andere ‚geheilt merben, als wenn 
die Welt darüber aufgeflärt ift, wie fie denn eigentlich 
mit ber Literatur verfahren fell und wie nicht? Weldes 
Verhaͤltniß denn eigentlich Hastfinbet zwiſchen Schrift⸗ 
ſteller und Leſer, und ber Sache nach ſtattfinden follt 
Auch dürfte das nicht wenigen Philologen und Päada- 
gogen, denen ber Beruf obliegt, mit und vor ber Jugend 
Werke der Literatur gu behandeln — ad, wie Viele trei⸗ 
ben biefe ihre Sache handwerksmaͤßig und ohne tiefe all- 
gemeine Anfıht! — von Rutz und Frommen fein, wem 
fie Veranlaffung fäuden, über Das ſich aufzuklären, was 
fie betreiben. | 
Längſt ſchon wäre Hier vonnöthen gewelen ein Sao— 
krates, deffen Methode ja bekanntlich darauf auegiug, bei 
allen Begenftänden das wirkliche Sein und Weſen der- 
felben im Denken unb mittel6 bes Deukens klar ia am 
faffen; der danach firebte, die Menſchan diatektifih Kiss 
Ati ihrer Begriffe zu prüfen, mad anzuiehten ſalbige 


] zum klaren Bewußtſein zu bringen, jedes Ding mit Dam 


Verftande zu zerlegen nach allen feinen Theilen und Dies 
malen und Gigenfihaften, und danach feinen Werch wm 
beſtimmen. Man [che nur — um unfen Leſeen zum 
Beweiſe Hierfür etwas Specielles der Art vorzubaiten 
auf biefen Punkt umfere Literaturgeſchichten an! Wie ver⸗ 
ſchiedenartig, aber auch wie mangelhaft, wie hüelend 
find daſelbſt gemeinhin bie Definitionen von .Liseraser 
und Literaturgefchichtel mern anders ja dergleichen ven 
handen find; benn fehe Vielen mengeit fogar biefe Ba⸗ 
ſis; die Werke ſchweben gleihfam im der Luft, und bie 
Rofer derfelben find eben Deswegen "gleichfalls ein Spiel 
ſchwankender Lüfte. Betrachten wir etliche! Wachler fagt: 
„Die Geſchichte der Literatur foll bie Thatſachen darfirf- 
ken, aus welcher Entwidelung und fortfiheritende Kräfte 
des Menſchengeſchlechts fich erkennen laſſen.“ Wie vage, 
wie wenig treffend! Wie Unweſentliches gebend ſtatt des 
Weſentlichen! Piſchen hat folgende Erklaͤrung: „Litera 


tur ſtellt die geiſtige Ausbildung eines Volks in feinen 


fegriftftellerifchen Dentmälern bar.” Auch diefe Defini- 


tion ift fehief und unlogifh. Uberdem gibt er als Gr- 
gänzung und zur Bervollftändigung bes een zur 
Sefchichte ber deutſchen Nationalliteratur” „Denkmäler 
der beutfchen Sprache” heraus. Wie paßt dies Beides 
zueinander? Steht benn Beides in ſolchem Verhältniffe, 
daß Sprache und Kiteratur zufammenfällt? Und wie ver- 
bäfe es fi) mit Gervinus? In deffen „Geſchichte ber 
poetifchen Literatur der Deutſchen“ eine totale Leere phi⸗ 
ioſophiſch » logifcher Begründung: eine leitenden Ideen, 
feine Principien, eine Erklärungen. Zum Glüd bat der 
felbe fo vielen natürlichen feinen Takt, daß er dennoch 
ein treffliches Werk geliefert; allein es trägt aus jenem 
Grunde doch den Fehler der Unklarheit und der Un» 
durchfichtigkeit, wie der Verf. felbft in der Vorrede zur 
zweiten Auflage gefteht. Briedrih von Schlegel bietet in 
feinen „Borlefungen über Geſchichte der alten und neuen 
Riteratur” mehre trefflihe Bemerkungen; allein etwas 
Erfchöpfendes und Beorbnetes findet ſich auch hier nicht. 
Nur einzelne Lichtblide, ohne Zufammenhang und ohne 
tieferes allfeitiges Eingehen in die Sache. Am meiften 
noch dürfte Rinne auf dem rechten Wege fein, hätte er 
nur im Übrigen fein Werk lichter und durchſchaulicher 
gemacht. Ganz empirifch plump und feicht find unfere 
gewöhnlichen griechifchen und roͤmiſchen Literaturgefchich- 
ten. Wo ift da etwas zu leſen von philofopbifcher Be⸗ 
gründung? von einem Maßſtabe der Literatur? von ei⸗ 
ner Würdigung der betreffenden römifchen oder griechi⸗ 
hen? von der Weltflellung ber Literatur überhaupt und 
diefer beiden fogenannten daffifhen insbefondere? Hier⸗ 
aus geht zur Benüge hervor: der Gegenftand verdient 
befprochen zu werden, namentlih in dieſer Zeitfchrift. 
So fei denn der Berfuch gewagt. 

Bei den Römern fommt das Wort Literatur bereit® zur 
Zeit der Blanzperiode ihrer Sprache vor, aber in andern Be⸗ 
Deutungen als wir es gebrauchen: es hieß bei ihnen fo viel ale 
das Schreiben, bas Malen der Buchftaben (bei Cicero), 
fodann bie Kunde des Alphabets (bei Tacitus), endlich 
die Srammatit, dies Wort im weitern Sinne genom- 
men (bei Quinctilian). Wir verſtehen in allgemeinfter 
Bedeutung darunter alle diejenigen geiftigen Schöpfungen 
ober Werke der Menfchen, welche durch das doppelte 
Medium der Sprache und ber Schrift oder bed Drucks 
zur finnlichen Erſcheinung gebracht worden find. In die⸗ 
fem Sinne hat man z. B. von einer allgemeinen Kunde 
ber Literatur oder von einer allgemeinen Riteraturgefchichte 
zu fprechen. Weil indeſſen gegenwärtig folcher Werke, 
fie mögen nun gefchrieben oder gedruckt fein, bereits eine 
zu große Anzahl eriftirt, auch fehr viele derfelben, we⸗ 
gen ihrer mangelhaften Befchaffenheit oder wegen ihres 
—2 — rein wiſſenſchaftlichen Inhalts, keine allgemeine 

ückſichtigung finden oder verdienen: ſo hat man den 
Begriff der Literatur auf diejenigen menſchlichen Werke 
in Sprache und Schrift oder Druck beſchraͤnkt, welche 
fih durch ihre Äußere und innere Form ebenſo wol wie 


duch ihren Gehalt zur Lecture für Jedermann eignen, 


Jeden intereffiren, auf bie fogenannten fhömmiffenfchaft- 
fichen ober äfthetifchen Werke. In diefer Bedeutung neh⸗ 
men wir das Wort nun auch bier und Laffen es ebenfo 
wol bie Werke der Poeſie wie der fogenannten fchönen 
Proſa begreifen. “ u 

Zur Literatur in dem angegebenen Siune bedartf ds 
demnach — das ſtellt fih aus jener Definition heraus 
— nothwendig folgender vier Stüde: 1) Eines fchöpfe- 
rifchen Triebes und einer fchöpferifhen Kraft des menfch- 
lichen Geiſtes, wodurch berfelbe im Stande ift, eigene, 
feiner Natur angemeffene Schöpfungen zu unternehmen 
und hervorzubringen; 2) der Sprache, d. h. ber articulir- 
ten Zautfprache, beren fidy ber Menſch als eines nam- 
haften Mittels bedienen kann, um jene geifligen Pro⸗ 
ductionen zur finnlichen Erfcheinung zu bringen; 3) der 
Buchſtaben oder überhaupt einer Schriftfprache, um jene 
geiftigen, bis daher blos in leicht verhallende Laute und 
Töne gefaßten Produckionen auf die Dauer an fefte ficht- 
bare Zeichen zu binden, durch welche es möglich iſt, Dies 
felben immer wieder zu reproduciren; 4) einer fchönen, gefäl- 
ligen, dem jedeömaligen Gegenftande angemeffenen äußern 
und innern Form. Das find die unterfcheidenden Merk: 
male der Literatur in jenem Sinne überhaupt fowie ei- 
nes jeden einzelnen literarifchen Werks der Art. 

Hieraus folgt zunähft: Literatur im Allgemeinen 
Tonnte nicht eher unter den Menfchen ins Leben treten, 
bevor nicht Buchſtaben, nicht fhriftliche Zeichen für die 
fprachlihen Laute vorhanden waren. Seit diefer Erfin- 
dung und feitbem man in bem Gebrauche folcher Zei- 
chen eine gewiffe Kertigfeit erlangt hatte, datirt ſich Li⸗ 
teratur in ber Gefchichte dee Menſchheit. So auch be 
jedem einzelnen Volke: es tritt dann erfi in bie Reihe 
Iiterarifcher Nationen, wenn es folche ſichtbare Zeichen 
betommen bat oder befigt. Das ift demnach ein Punkt, 
auf den man bei Abfaffung jeder Literaturgeſchichte noth- 
wendig Rüdficht nehmen, den man jedes Mal einleitenb 
wohl beleuchten muß. Nun fehe man aber einmal Au, 
wie es in diefer Beziehung mit unfern Literaturgefchich- 
ten beſtellt if? Die meiften berühren kaum dieſen fo 
wefentlihen Punkt. Zugleich kommt dabei in Betracht 
— die Literatur hängt ja zum Theil davon ab —, ob 
diefe Zeichen auch und inwiefern und inwieweit ihrem 
Zwecke entfprochen haben ober entſprechen? Ob fie die 
Laute gehörig und vollkommen barftellen? Ja! verbient 
doch felbft das Material, auf welchem die Zeichen ge- 
fehrieben werben, Beachtung, weil auf bemfelben die 
Dauer ber literarifchen Producte beruht. Daß biechei 
die Erfindung, Verbreitung und Vervollkommnung der 
Buhdruderkunft ebenfalls ein hoͤchſt richtiges Moment 
tft, liegt auf der Hand. 

Die Kunft, fprachlihe Werke allein ober Werke der 
fhönen Redekünſte zu verfaffen, iſt dagegen älter als 
die Erfindung der Buchſtaben⸗ und Zeichenfchriftl. Einen 
Homer, einen Offien konnte e8 geben, es konnte Redner 
geben, auch ohne daß man zu fchreiben verftand. Ihre 
Werke wurden erſt dann Theile oder Glieder ber Kite- 
ratur, als fie aufgezeichnet wurden. So hebt die äfthe- 





tiſche Literatur der Deutſchen erſt mit Karl dem Großen 
an, obgleich ſchon früher deutſche Gefänge im Munde 
von Sängern oder des Volks und von Barden exiſtir⸗ 
teu; ec mar es nämlich, ber fie zuerft aufſchreiben ließ. 
Über geiftige Productionen: Gebanten, Gefühle, Phan⸗ 
tafieſtucke, Bilder der Erinnerung u. f. w. find fo alt als 
das Menfchengefchlecht ſelbſt. Jeder Menſch hat von 
Natur, bes eine mehr, der andere weniger, das Zalent 
geiflig ſich zu. vegen, thätig zu fein, aus feiner urfprüng« 
lichen Ruhe, aus feinem Richtsthun herausjutreten, fich 
zu Außern, felbfländig etwas zu fchaffen. Es ift das 
etwas Angeborenes, etwas, was wir mit den Kräften 
in der Natur und mit des Gottheit felbfi gemein ba- 
ben. Die legtere ift auch nicht durch eine äußere Noth- 
wenbigteit befiimmt worben, die Welt zu ſchaffen, fon- 
dern durch einen inneren fchöpferifchen Trieb, und dem⸗ 
gemäß hat fie diefen Trieb auch allen ihren Schöpfun- 
gen, die dazu fähig find, eingehaucht, auch den Men- 
chen, dem menfchlihen Geiſte. Von Anbeginn ift biefer 
ieb ein Eigenthum unfers Gefchlechte. 
(Die Fortfegung folgt.) 


— — — — — — 


Romanliteratur. 
(Beſchlus aus Nr. 131.) 


3. „Lubesico oder der Sohn einc Mannes vor Genie” ift, 
wenn wie nicht ſehr irren, englifchen Urfprungs, obgleich eine 
folche Bezeichnung durchaus nicht angegeben wird. Ein junger 
Maler, Namens Alfred, flürzt fi und feine Zamilie in das 

renzenlofefte Elend und zwar dadurch, daß. er blindlings auf 
Fin Genie trogt und alle praktiſche Lebensumſicht vernadhläffigt- 
eine Sattin und fein Sohn fuchen alles Mögliche hervor, um 
die Folgen feineß Leichtfinnigen Berſchuldens abzuwenden und 
wieder gut zu machen, die Frau näht Handſchuhe, der Sohn, 
noch sin zehnjaͤhrines Kind, verkauft feine Fleinen Zeichnungen. 
Derüber flirbt der Vater im Elend und gute Menfchen ned: 
men fi der verlaffenen Familie an. Die Mutter wird Gou⸗ 
vernante, der Sohn Pommt bei einem Graveur in die Lehre, 
das ift der glückliche Ausgang. Der Berf. will ungefähr Mo: 
ral predigen folgendermaßen: Die Genies find Leute ohne Über: 
legung, Sparſamkeit; Unbefonnene, Sauſewinde, Rachläffige, 
iderſpenſtige, Zerſtreute, Lieberliche. Etwas Genie iſt aller⸗ 
dings nothwendig, um ed in den Künften weit zu bringen, 
aber Einſicht und Beharrlichkeit find meit nothwendiger. Der 
Verf. fchreibr für die junge Welt. &o fagt er denn: 

„Lernt aus der Geſchichte Ludovico's, daß man in ber Re: 
figion und in ber Ergebung die Kraft findet, auch bie ſchwer⸗ 
fien Proben zu beſtehen und Zroft im Gebete und im vollkom⸗ 
menen Vertrauen auf die große Güte Gottes. Gntnehmt fer 
ner aus ihr, daß Armuth und Unglüd dur Geduld, Arbeit: 
famfeit und Sparſamkeit gemildert werden Fönnen, daß uns 
mit jedem Tage ein Glüd begegnen kann, ohne daß wir Die 
Wege kennen lernen, auf benen ed Ale une gelangt, und daß 

“ wenigftend eine gute Aufführung, kindliche Liebe, ein fefter 
Glaube und Ausdauer bei der Arbeit früher oder fpäter ihren 
Eohn, umd jebenfalle allgemeine Achtung und Wohlwollen finden.” 

nd: 


„Das traurige Schickſal von Ludovico's genievollem Water 
mag euch zur Warnung dienen, euch auf eure Talente oder 
euern Geiſt etwas einzubilden, denn fie find nur eine gefähr: 
liche Kate für Den, der nicht durch Vernunft und wahre 
Yrömmigkeit geleitet wird.’ ' 

Haben wir hier ſchwaäbiſche oder englifche Moral! Co 
wie der Verf. ben kleinen Ludovicc ſchildert, muß er jedenfalls 


>. 


‚entfernt haben wuͤrde. 


ein Knabe fein mit großau Genie für’ bie Malerel bejaht, der 
Berf. figt.aber fo tief in dem veraltet « moralifch » egoifttfchen 
Beltanfhauungefchtendrian befangen, daß er Alles zu einem 
fröhlichen Ende gebracht zu haben glaubt, wenn er das Neine 
Malergenie bei cinem Graveur als Behrfing unterbringt; Bein 
Seufzer, daß das Genie fo häufig unter dem Dru des Lebens 
verfümmert und Daß es immer mehr ein Privilegium des Wohl 
ftandes werden wird. Wenn der Verf. durch feine Schrift die 
Jugend bilden wiß, fo will er fie Doch nur Heranbilden zur 
gedandenlofen Anerkennung der veralteten Lebensformen unb 
nicht entwickeln in. Kraft und eigenem Gelbftbewußffein. Die 
Babel ift einfach, wie ed Eine Schrift für die Jugend fein muß, 
die Pinfelführung ift breit und bebäbig. 

4. „Schickſale eine Proletariers“ von Ehrenreih Eichholz. 
Der Berf. ſchreibt zwar nicht für Kinder, aber er —8 für 
einen Theil des deutfchen Volkes, welcher burch den Drud der 
Umftände noch unter Die Kinder gerathen tft, denn es ift ihm 
die Naivetät der Kinderjahre verloren gegangen, und von dem 
Mannebalter hat er kaum etwas Anderes ald die Roth, als 
die Schwere des Geifted und des Gemüths. Die Herauögabe 
diefer Schrift ift dem Verf. in Preußen zum „Verbrechen“ ges 
macht worden und man hat ihretwegen eine Eriminalunterfus 
hung, deren Ausgang noch bevorftcht, über ihn verhängt. 
Eichholz, ein berliner Literat, war Mitglied des berliner Hand: 
werkervereind und fuchte bildend und belehrend auf dieſes junge 
Inftitut zu wirken, duch Vorträge, durch perſoͤnlichen Umgang 
und endlich auch durch dieſe Schrift, welche er allerdings als 
ein „Volksbuch“ auch für weitere aber ähnliche Kreife beftimmt. 
Er ift in Kolge diefer Schrift freiwillig aus dem berliner Hand- 
werkervereine außgetreten, weil man ihn fonft wol policeitich 


Eine gefunde, kräftige Bolksliteratur will fih in Deutſch⸗ 
land erft bilden; was man bisher fo häufig dafür ausgegeben 
bat, find vielfach elende Wiſche. Seitdem der Begriff der 
„Maſſe“ ein theoretiſches und praßtifches Intereffe erregt hat, 
will man natürlich auch literariich auf die Maſſe wirken und 
fie „zur Selbſtbeſtimmung, zur freien Sittlichkeit” emporbifden. 
Das bezweckt auch Eichholz mit feiner Schrift, fie ift ein Ber. 
ſuch, die radicalen und ſocialiſtiſchen Principien der Mäfle an 
ihren eigenen Buftänden zu veranfchaulicden und zu popularifi= . 
ven. Als folder Verſuch hat die Schrift eine Bedeutung, vom 
äfthetifchen Geſichtspunkte aus ift fie ohne Werth, felbft ſchlecht 
zu nennen. Es fehlt dem Verf. Die Kraft der Individualificun 
Die Kunft der Begrenzung, ibm ift die Fünftlerifche Seite un 
fetbft die poetifche durchaus gleichgültig, wenn er nur Gelegen⸗ 
beit findet, feine Tendenzen auszufprechen und feine Abftractios 
nen zu veranfhaulichen. Wenn aber Starklof uns in feinem 
„Armin Galoor“ durd feine Indivibualifitung, durch ſeine kuͤnſt⸗ 
lerifche Bemeifterung des Stoffes intereffirt, wenn Olckers uns 
gleitpgültig Läßt, weil er weder Perfonen fhaffen noch Ten⸗ 
denzen entwideln kann, fondern in der Romantik ſtecken bleibt, 
fo gewinnt bagegen Eichholz unfer Interefie, weil er, abgefe 
pen von allen kuͤnſtleriſchen und poetifhen Schwächen feines 

erkes, neue Principien, kuͤhne Tendenzen ins Volk fchleubert. 
Er meint es ehrlih, man fieht wie er die Zähne knirſcht und 
wie er die Hände ball. Wenn wir den Standpunft unferer 
deutſchen Regierungen berücfichtigen, fo dürfen wir uns durch» 
auß nicht darüber wundern, wenn fie diefe Schrift für „ges - 
faͤhrlich“ und „verbrecherifch ” halten. Sie ift nicht blos ein 
Programm ded Nadicalidmus und Socialismus, fie ift auch ge: 
radewegs auf die „Maſſe“ berechnet. 

Schickſale eines Proletariers! Aber ift Wilhelm, der Herd 
diefe® Romans, ein wirklicher Proletarier, zeigt fih an ihm 
dad Fleiſch und Blut unfers Proletariats? Mit nichten. Dies 
fer Menſch ift Bein wirklicher Menſch, kein Proletarier wie er 
leibt und lebt, Eichholz kann nichtd weiter ald uns in dieſem 
Wilhelm die Kategorie jener „Freien Sittlichkeit“ Hinzuftellen, 
auf die er. nun einmal dogmatifch, wir dürfen beinahe fogen 


ſchulmeiſteriſch verfeflen iſt. Eichhoiz ſchmeichelt in feinem Bo 





325 
Sir 


a 


in ber 

che ‚ für die wi der Entwickeluug 
liegen Lebens Übrigens, —— gel ‚ keinen 
ben. IR denn mun aber Die „Mafie” wirklich beſſer, 
als die hoͤhern Stände as find? Iſt von ige wie fie 
ihr als einem — und abgcbundenen 

ne Bethätigung der „freien Sittlichkeit zu erwarten? 
lauben 06 wicht, wie Eichholz es predigt. IR etwas v 
o iſt Alles verderbt, and wicht die Re, Tabea die 
astige Um: ung u gangın Le wi von be 
ie — Fa eine ſchulmeiſterliche Kategorie wie 
die „freie Sittlichkeit“, ein neues Wort für die alte Moral, 
ertöft und, ſondern nur sine That, nicht die Brutalität ber 
iſolirten Aa ſondern eine allgemeine, menſchheitliche Bewe⸗ 
gung. Wit find alfo mit Eichholz im Grundſatze nicht einig 
und auch nicht in der Ausführung. Wie Eommt er dazu, die 
Schickſaie feined Wilhelm die Schickſale eines Proletariers zu 
nennen? Beneidenswerther Proletarier, den: wir als Befiger 
einer N a organifirten Fabrik und als Reichsſtandsdepu⸗ 
tirten verlaſſen. Haͤtte Eichholz die Zuſtaͤnde und Seiten des 
Proletariats an einem wirklichen Menſchen darſtellen koͤnnen 
und wollen, fo hätte dieſer Proletarier zaͤhneknirſchend an dem 
graufumen Inftitutionen der Geſellſchaft untergehen müffen, 
aber Eichholz muß feiner Sittlichkeitskategorie ja den Sieg ver: 
ſchaffen, fie triumphiert, indem jie einen Drden zurückſenden 
Bann. Sein Wilhelm geht tur die Prüfungen des Prole⸗ 
tariats aus der Maſſe bervor, das Proletariat ift für ihn nur 
eine Prüfung und nicht ein dauernder Zuftand, er Löft fih von 
der Maffe ab, fobald er nur irgend kann. Wir haben alſo kei⸗ 
nen wirklichen Proletarier vor uns, der im Proletariat gebo⸗ 
ren wird, im Proletariat lebt und un Proletariat flirbt. Wir 
fehen Pein Leben, kein Wleifch und Blut, Peinen individuellen 
Seugungsproceß, Tondern nur nadte allgemeine Abftractionen 
und Zendenzen. Diefe aber mit großer Kühnbeit und männ: 
lichem Muthe. Eichholz iſt ein weit befferer Kritiker der Ges 
ſelſchaft — wenn ihm nur nicht daß Dogma ber „freien Sitt- 
lichkeit“ ein Beinen fchlüge — als ein Dichter derfelben, ex 
Pritifirt namentlich die preußifchen Staats: und Geſellſchafts⸗ 
yultände mit einer einfchneidenden Schärfe. So heißt ed über 

ilitairverhaͤltniſſe: 

„Spätere Jahrhunderte werden kaum begreifen, wie dieſe 
Gtaaten, welche fi rühmen auf den Höhepunften der Gultur 
zu ftehen, Deren Bewohner alle nichts wünfchen als geyenfei- 
fig Friede und Freundfchaft, wie dieſe cultivirten Staaten doch 
glei Barbaren einander drohen, ſich voreinander fürchten und 
ungeheure Kräfte opfern, nur weil ihnen das gegenfeitige Ver⸗ 
trauen auf Rechtlichkeit fehlt. Das find die Früchte eines 
ebenfo Foftfpielinen als ſchlechten Bewerbes, das jie Diplome: 
tie nennen.’ 

Berner: 

„Das Militaivgefeg ahndet den Augenblick, wo der Menſch 
vergißt, daß er nur Dafchine fein fol. Wer wird es leugnen 
wölen, daß In unfern Heeren der unbedingte Gshorfam walten 
müffe? Uber wenn dabei immer wiederholt Erſcheinungen her» 
vortreten, die mit der ganzen Denk» und Empfindungsweife 
der Zeit im fchroffften Gegenſatze ſtehen und unfer fittliches 
Gefühl aufs fehneidendfte verlegen, fo muß ed eine ernfte Auf⸗ 
gabe der Zeit werden, den Heereseinrichtungen eine Geftalt zu 
geben, die nicht im Widerfpruche ficht mit unfern Anſchauun⸗ 
gen von Serehtigfeit und Menſchlichkeit.“ 

Über die Stellung des Volis zu den Vornehmen heißt es: 

„Das Wohlwollen der Vornehmen müflen wir nur mit 
Argwohn aufnehnen; felten ift es frei von felbffüchtigen Zwecken. 
Und ihre Herablaſſung muß uns ſtets als eine Beſchimpfung 
erſcheinen; denn der Menſch kann ſich nicht herablaſſen zum 
Menſchen; herablaſſen kann er ſich nur zum Thiere. Erſt 
dann dürfen wir das Wohlwollen und die Herablaſſung der 


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on für ht und menfhlih dallen, wma fie h⸗ 
i igkeit 
Agrar ton, rm Oel, od 


widme Am wenigſten 
———— a meinen * 





Un einer anbeen Belle: 

„Wehr Über ruch, Bornehme und Reiche! MBie viele Opfer 
erlisgen euern ſchaͤndlichen Listen! Wie vein, wie edel erſcheint 
ihr aͤußerlich, und wie ſchmuzig, wie geman lebts in euerwm 
Innern. Ihr feid ſtolz auf euern Adel, eure Geburt, euexn 
Reichthum umd blickt veraͤchklich auf das niedere Volk, bebt zu« 
rüd vor feiner Berührung, und ihr habt em Recht dazu. Denn 
unfere Söhne machtet ihr gu Anechten, unfere Zöchter zu Degen, 
unfere Weiber zu Chebrederinnen Der Zeufel, welchem ihre 
opfert das Geld, hat Gewalt über bie Gemüther der Men 
ſchen. Uber die Zeit kommt, da feine Macht geftürzt wird, 
und dann wehe eu, wenn ihr nicht geht und thut Buße und 
betet an vor der Tugend, Die ihr fegt Durch eure Thaten 
ſchnoͤde hoͤhnt.“ 

Schon dieſe wenigen Stellen koͤnnen die Art und Weiſe 
des Berf. charakteriſtren. Er Hat ſich bemüht, womoͤglich alle. 
Hauptungleichheiten und Haupteontrafte unferer Gefellſchaft im 
den Bereich feiner Schilderung zu ziehen. BDadur wird fem 
„Proletarier“ ein wahrer Tauſendſaſſa. Über die Meidhaftig- 
beit des äußern Stoffes iſt gar fein Raum und gar Peine 
ur pfochelogifihen inneren Entwichelung. Die Stärke bes Verf. 
iegt in den Principien, welche Hinter ihm ftehen, und in ber 
Übergeugungsßräftigkeit feiner Raifonnements, feine Schwch 
liegt in der Schilderung, in der Indieidualifiuung, auf der puo« 
tifigen und Hünftterifchen Seite, forwie in der Sihculle oder in 
dem Dogma feiner „feeien Sittlichleit”. 38. 





Literarifhe Notiz aus Frankreich. 
Franzoͤſiſche Beifklichbeit. 

Bor einigen Jahren erſchien In heftweifen Lieferungen eine 
Galerie der bebeutendfien franzoͤſiſchen SciRligen, welche ihrer 
Außern Form nad durch den glänzenden Erfolg dee „ Galerte 
des hommes !llustres par un homme de rien” angeregt zu 
fein ſchien. Diefe Sammlung führte den Titel „ Biographie 
du clerge contemporain par un solitaire”. Die Lieferunge 
welche uns zu Schicht gefommen find, Yandelten vom 5* st 
von Paris, Affre, von Olivier, Genoude, Tamennais, Frayffi⸗ 
noud, Racordaire, Anden, Geramb u. f! w. Die Charakter: 
zeihnung war nicht ſonderlich treffend und das Ganze mehr 
auf eine Mittheitung einfacher biographiſcher Notizen bereignet. 
Gegenwärtig erhalten wir ein Werk, welches ſich eine ähnlidye 
Aufgabe geftelt hat. Es rührt von Gudrin ber, der ſich 
fhon dur eine Arbeit über die Notabilitäten der franzöfl: 
[hen Marine befannt gemacht bat, und ift unter dem Zitel 
„Les pretres illustres de la France” erfohienen. Der fran» 
zöfifche Klerus ift reich an hervorragenden Männern nach allen 
Richtungen bin, und jegt, wo fi in feinem Schoofe fo nach. 
haltige, einflußreiche Berwegungen zeigen, bietet ein Werd, wel⸗ 
ches uns die bedeutendften Wanner diefer Partei vorführt, ein 
doppelteß Interefle. 17. 


Berantwortlicher Herausgeber: Heinrich Wrodbans. — Drud und Verlag von F. ec. Wrodpaus in Leipzig. 





Bl 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Mittwod, 





Über den Begriff der Literatur. 
(Bortfegung aus Nr. 127.) 


Die Sprache, obwol auch fie an fih und von Ra- 
tur den Denfchen eigen ift, hat doch, infofeen fie zur 
Darftellung, zur finnlihen Erkennung folder geiftiger 
Productionen dienen fol, nicht fofort die nöthige Voll- 
tommenheit hierzu: den nöthigen Reichthum, bie gehörige 
Gewandtheit, die erfoberlihe Schönheit. Das iſi erft 
Sache des Gebrauchs, der Zeit,‘ der fortfehreitenden und 
fortgefchrittenen Bildung. If indeffen eine folhe Um- 
wandlung erfolgt, dann ift auch fein Mittel geeigneter 
das Innere des Menfchen auszudrüden als die Sprache, 
als der Laut, der Ton, das Wort. Don dem Genius 
einer Sprade: von bem lange ihrer Wörter, von ih« 
rem Neichthum, ihrer Biegſamkeit, ihrer Bildfamteit, 
ihrer Kraft und Milde, ihrer Lieblichkeit und Zartheit 
hängt auch zum großen Theil die Beſchaffenheit der Li- 
teratur ab, und ich muß deshalb, wenn ich die Entfle- 
hung und die Befchaffenheit der Literatur eines Volks 
darftellen will, nothwendig auf die Eigenthümlichfeiten 
derjenigen Sprache, in welcher diefe Literatur verfaßt iſt, 
eingehen und fie durch alle Zeiträume hindurch aufmerk- 
fam und forgfältig verfolgen, etwas, was in unfern Li⸗ 
teraturgefchichten noch bedeutend im Hintergrunde fteht 
und, wenn ja, nur feiht und oberflächlich und obenhin 
behandelt if. Die Sprache indeß fowie auch die Rid- 
tungen und der Reihthum und die ganze Befchaffenheit 
einer Literatur hängt von der Nation felbft ab, der diefe 
Literatur angehört: von ihren geifligen Anlagen, ihrer 
Productivität, ihrer Herkunft, ihren Scidfalen, ihren 
Mohnfigen, ihren Nachbarſchaften, ihren Verbindungen 
mit, andern Völkern, ihrer Verfaffung, ihren Einrichtun- 
gen und meift von dem jedesmaligen Standpunkte ihrer 
Tultur; wofern nicht der Schriftfteller ein Mann if, 
der feinem Zeitalter vorausgeeilt! In jenem Falle wird 
demnach die Ethnographie, die Geographie, die politifhe 
Geſchichte, die Geſchichte des Verkehrs, die Culturgeſchichte 
eines Volks der Literaturgefchichte vorarbeiten, ihr zur 
Bafis dienen müffen. - Auch in diefem Punkte fehlt es 
unfern Riteraturgefhichten nody ungemein. In jenem zwei- 
ten Falle, den wir oben fegten, ift, ſowie überhaupt bei 
jedem einzelnen fiterarifchen Wirken und Schaffen, die 


—— Nr. 133, 





— 13. Rai 1846. 


Herkunft des Schriftftellers, feine Erziehung, feine An- 
lagen, feine Schickſale, feine äußern Verhältniſſe von 
großem Belang. Hierfür Leiften unfere literargefchicht- 
lichen Werke noch das Meifte, manche ſogar zu viel im 
Verhältnig zum Übrigen. Es gehört freilich hierzu bie 
wenigfte Abftraction und das wenigfte Nachdenken, meift 
nur Sammlerfleiß. Und Körner finden ſich immer cher 
und leichter ais denkende philofophifche Köpfe. 

Die Abfaffang eines fhönen liferarifhen Werte 
erfobert zulegt fpeciel jedoch eine äfthetifche Kom. Um 
biefe ſchaffen zu koͤnnen, dazu gehört ein. natürlicher fel- 
ner Sinn für das Schöne, alfo Anlage und Erfahrung, 
Kenntniffe, Urtheil, überhaupt eine gewiſſe Stufe geifti- 
ger Cultur, die freilich biß daher mehr empfunden als 
feftgeftellt worden, weil noch zu wenig von den Philofo- 
phen aufgeklärt ift, worin denn eigentlich das Schöne 
befiche. Man hat daher auch noch nirgenb einen gang 
fihern Maßſtab gefunden, wie denn eigentlich ein litera- 
riſches Werk oder eine Literatur geftaltet fein müffe, um 
äftpetifch «fhön genannt zu werden. Es kommt hier zu- 
meift und zuvörberft der Gegenftand in Betracht der be- 
handelt wird, und die Anzahl und die Befchaffenheit der 
Objecte der Literatur ift von fo unendliher Mannichfal- 
tigkeit, daß die Sache kaum in allgemeine abſtracte Re- 
gen ganz vollftändig gebradht und gefügt werden Tann. 
Der Künftler, fagt man, müffe geboren werden. So 
iſt es auch mit dem Verfaffer eines Literaturwerks, was 
ſchon genannt werden foll. Das heißt aber nichts An- 
deres als: die Regeln oder Ideen des Schönen liegen 
fo tief im menſchlichen Geifte, daß derfelbe fie mit fei- 
nem Verftande bis jetzt nur unvolllommen hat erfaffen 
und noch nicht auf allgemeine Geſetze hat bringen Tönnen. 
Der jedesmalige Künftler muß ſich daher zumeift bei fei- 
nen Werken felbft Regel und Norm fein, fogar bei jer 
dem, auch bem Meinften Theil. Das ift Sache bes 
Talents, des Genius, und ein literarifches Product, wel · 
ches wahrhaft ſchoͤn oder gar eine ganze Kiteratur, wel» 
he äfthetifch ſchoͤn ift, zeugt demnach von befonderer Ber 
gabtheit des fehöpfenden Individuums oder des fhöpfe 
tifhen Voll. Und fo wird denn auch hierauf bei 
Darftellung ber Gefhichte einer Literatur Rüdfiht zu 
nehmen und das Volt von Seiten feines Geſchmacks 
und feines Kunftfinne und feines Urtheild zu würdigen 














fein ſowie ein jeder Gchriftftellee und ein jedes einzelne 
literariſche Werk. 

Damit hätten wir bie Bebingniffe entdedt, unter 
welchen und durch welche allein nur eine fhöne Literatur 
untere den Menfchen möglich warb und unter nerfchiebe- 
nen Völkern. Denn b 
vielen nicht, weil bei vielen Rationen wicht jene Bebing- 
niffe vorhanden find. Verſchieden aber ift fie bei den 
verfchiedenen Voͤlkern, konnte und mußte es fein und 
werben, weil jedes Volk feinen eigenen Charakter, feine 
eigenen Talente, feine eigene Denkweiſe, feine eigene 
Sprache, feine eigene Eultur hat. Man wird freilich 
ans dem Dbigen erfennen, wie eng verwandt die Werke 
der Literatur mit den Werken der eigentlichen fchönen 
Redekünſte, der Poeſie und ber Beredtſamkeit find: he 
fallen, infofern fie alle ſprachliche Kunftproducte find, 
zufammen. Nur darin gehen fie auseinander: einmal 
daß die literarifchen jene beiden umfaſſen; zweitens daß 
manche fprachliche erft fpäter literarifche geworden find; 
deittend daß die literarifchen zur mündlichen Darftellung 
den fprachlihen wichtigen Vorfhub leiften. Durch den 
erftien Punkt bat man den Vortheil, die Werke ber 
Poeſie und Profa, die fi doc nie fo genau fiheiden 
laſſen, mit einem gemeinfamen Namen belegen zu fön- 
nen ; Durch den britten, daß man im Stande ift, den 
Werken, die vorgetragen werben follen (3, B. vom, Schau- 
foieler Dramen, vom Rebner Neden) vorher die gröft- 
mögliche Vollendung zu geben und einzuüben, ſich nicht 
braucht dem gefährlichen Verfuche zu überlaffen zu er- 
temporiſiren. Wiewol auf ber andern Seite nicht ge- 
leugnet werden kann, daß dadurch bisweilen die Kraft 
der Erfindung und die Friſche der Darftellung oder, mit 
Einem Worte, die Begeifterung gelähmt und behindert 
wird. Es wird nämlih zum Vehikel der dem Menſchen 
"angeborenen Zrägheit, bei deffen Anmendung die Aus- 
bildung. und Kräftigung mancher geiftigen Anlage leidet. 
Das ertenaporifirte Reden und Dichten ift feit dem Em- 
porkommen der Literatur bedeutend in den Hintergrund 

treten; das plaflifche Element bat, fo zu fagen, dag 
Vpergewige erhalte: über das productive. 

Fragen wir nun nach der eigentlichen, höchſten und 
obesften Quelle, woraus bie Literatur entipringt, fo ift 
bie. Antwort: der menfchliche Geift in feiner ganzen To⸗ 
talität, nach und mit allen feinen Fähigkeiten und Kräf- 
ten Es Tann bei ihr in Anfprucd genommen werden 
und Sommt in Anwendung das intellectuelle Vermögen, 
Dex Afihetifhe Sinn, das moraliihe Gefühl, die Phan- 
tafie, das Erinngrungsvermögen u. f. na; fie alle haben 
mehr oder weniger an jeder literarifchen Production An- 
theil; geben entweder ſelbſt den Stoff her, oder, kommt 
derſelbe von außen, fo geht er wenigſtens durch ein ober 
mehre dieſer geiftigen Kräfte oder durch alle hindurch, 
wirb durch diefelbe verarbeitet, gemobdelt, geftaltet, zu- 
rechtgelegt u. ſ. w. 

Sehen wir auf. die Mannichfaltigkeit des Stoffs, fo 
if diefelbe, wie wir fihon oben bemerften, unendlich, 
und ebenfo die ber Form, welche ſich nad) jener richtet. 


allen findet fie ſich nicht, bei | 


es wird für feine große Kunft erachtet, 


Alles, die ganze innere und dußere Welt, das Sicht⸗ 
bare und das Unfichtbare, das Wirkliche und Nichtwirk- 
liches kann der Menſch zum Gegenftande feiner litera- 
rifhen Thaͤtigkeit mahen. Und um fo mehr ſteht es 
ihm frei, zu wählen umb blos gerade Das zu wählen, 
was fih durch fein Weſen, durch feine Gigenfchaften, 


durch fein Intereffe empfiehlt. Und auf gleiche Weife 


kann man.diejenige Art von Form erkiefen und hervor⸗ 
bringen, welche fi nicht blos für den Gegenftand eignet, 
fondern an fih ſchon fi auszeichnet durch Schönheit 
und gefällige Anmuth. 

Korfchen wir nach den Beranlaffungen zur literari⸗ 
fhen Production, fo ergibt fich zuerſt theils eine fubjer- 
tive theild eine Menge äußerer. Der Menfch hat von 
der Gottheit nebft jenem Talente geiftig zu ſchaffen und 
aus fich felbft herauszutreten auch einen Trieb, die Luft 
dazu. Er will thätig fein, will ſich äußern, fühlt fich 
daburd) von innen heraus gedrungen. Und wenn er das 
thut und vermag, fo empfindet er eine befondere Befrie- 
digung, ein befonderes Genüge. Solches Schaffen und 
Hervorbringen und Wirken macht ihm das reinfte, das 
fügefte, das edelfte Vergnügen. Darin aber liegt zugleich 
bie ftille unverkennbare göttliche Mahnung, daf er fol- 
ches auch fol, dag er verpflichtee ift aus fich felbft her⸗ 
auszutreten und geiftige Schöpfungen ins Leben zu ru: 
fen. Dem eigentlihen, echten, genialen Dichter ift es 
Bedürfniß zu dichten; dem eigentlichen, echten Hiſtoriker 
Dedürfnig zu erzählen; dem rechten echten Philofophen 
Bedürfniß zu lehren und aufzuflären; und nicht etwa 
blos nachahmend oder Andern uachäffend, auf der Schul: 
form Anderer fich erhebend ; fondern je felbftändiger, 
je origineller er zu Werke gebt. Und wenn er fa 
feine Aufgabe loͤſt, defto rühmlicher für ihn. Denn 


die Wege 
zu wandeln, die ſchon gebahnt find. Nachahmung 
zeugt von Schwäche. | 
Mit diefem rein fubjectiven Triebe und diefer rein 
fubjectiven Luſt verſchwiſtert fih auch ein reiner allge: 
meiner objectiver Zwed. Der Menſch nämlich hegt ver- 
möge feines angeborenen Gefelligkeitstriebes Theilnahme 
zu feines Gleichen; er wünfcht darum, daß Dasjenige, 
was ihm Freude gemacht hat und macht, auch Andern, 
feinen Mitmenfchen, Freube bereite; dag Dasjenige, was 
feine Bruſt gehoben, fein Inneres veredelt, feinen Geiſt 
verflärt hat, denfelben Dienft auch Andern leiften möchte, 
Und fo fehnt und müht er fih — «8 findet ja nermöge 
der Gleichheit der menfhlichen Natur bei den Menſchen 


der Zauber der Wechfelmirkung untereinander flatt —, 


Das den andern Menſchen mitzutheilen, was er felbft ge» 
dacht, empfunden, erforfcht, geftaltet und gebilder hat. 


Er will ſich offenbaren und kann fich offenbaren. Dies 
gefchieht im vorliegenden Kalle durch die Sprache und’ 


durch die Schrift. Allein er fühlt dabei auch, daf es 
angemefien der Sache wie feinem Zwecke, angemeffen ſei⸗ 
ner und feiner Mitmenfchen igenthümlichkeit und folg- 
lid nothwendig, fei, diefem Mittel bei ber’ Anwendung 
eine paffende, gefällige, die Sache auch ſchon im Au⸗ 


Ser enspfehlende äufiere Bann zu geben; 
Biafert: . 
Srundſtein zwar ift des Gehalt, 
Doch der Schlufftein die Geſtait; 
es erkennt, daß feine Kunfifchöpfung nu 
rechtz Weihe erhält, wenn auch der Außenſ 
- gafehieht, wenn im gegenwärtigen Zalle auf 
teis bei der Anlage, auf natwrgemäße Wei 
bindung der Gedanken, auf gewählte Dietior 
mus, auf Wohlklang, Onomaiopoeſie u. 
wird. Der mit andern Worten: er ſucht 
diges Kunftwerk herzuftellem Go treibt ih 
zu fein Inneres: dies die Quelle, ber noͤth 
des Schönen an literariſchen Werken. 
Diefelben-Anfprücge aber, die der Liter: 
Beife am fid) felbft macht, madt darum c 
blicum an ihn und feine Werte Cs fi 
Wahlverwanoͤtſchaft ftatt Darum, daß das P 
falls aus Menſchen beficht, mit gleichen 
gleichem Empfinden. Und fo geht hieraus 
vor, was ein literariſches Kunſiproduet Leif 
den Maßſtab man objestiv an ihn zu leg 
zu legen hat, ferner welchen Mafftab an 
überhaupt und an bie Literatur eines jeder 
Ein literariſches Werk foll und muß al 
wert im eigentlichen Siane des Worte fe 
Aufeen wie im Innern, in der Form wie 
halte, im Einzelnen wie im Ganzen muß € 
durdrungen und durchwebt fein; in der 
ſteuction deffelben muß fih das Walten 
Selbft im Menſchen tundgeben ; überall 
BDenten, Refletion, ein Schaffen und ein 
Fwedmaͤßigkeit und edle Vernünftigkeit erl 
Hier ſoll man durchblicken ſehen das Sch 
Vpantafie, dort das Forſchen und Sichten 
des, hier Reichthum an Kenntniffen, de 
Auswahl und eim geſchicktes Gruppiren u 
des Iufammengehörenden; hier fol fid ein 
fügt für Recht, dort für Tugend, Hier fü 
-dort für das Schöne und Zmedmäfige fun 
zeigt ſich gar darin das Höchſte und Ede 
hen, Sinn für Religion oder Religiofität, 
defto weihevoller, befto empfehlender für dat 
Dies Geiftige wird nun bemfelben einer 
Werth geben, weil es ja eben nicht blos d 
des Schriftftellers fondern auch bie Anfe 
Xefers oder überhaupt den menſchlichen Ge 
Das wird fein geifligfter, fein unmittelbare 
- Und damit, d. 5. mit der Befriedigung jene 
oder jener Anfoderung, iſt zugleich der r 
die beglüdendfte Freude, das feligfte Vergnüy 
Kommt denn noch hinzu — was bei ſolch 
gerade nicht felten der Fall ift —, daß der 
bige im Momente concipirt und gefchaffen 
fih von einem Anfluge aus der Höhe ber 
kraftigt fühlte, wo er ſich, faſt undewußt 
Verhaãltniffe, dem Walten ſeiner geiſtigen 


ik unverwüfllich, it unvergängfich, läßt ſich ewig wieber 
unb wieber erweden und verfüngen dabuch, daß man 
ihr das rein Menfchliche entgegenhält, Rh in ihm zu 
fpiegeln, beffelben fich im Innern bewußt zu werden. 

Das aber ift die höchfte Potenzirung des menfchli- 
hen. Seins und Lebens, wenn ber Geift zum Selbſtbe⸗ 
wußtfein und zum Genuffe diefes Selbſtbewußtſeins ge- 
langt, wenn er ſich veredelt, gehoben, gebildet, vervoll⸗ 
kommnet fühlt. Vermag nun ein literarifches Product 
diefes zu bewerkſtelligen — und es ift foldyes wermögend 
um fo mehr, als es zum Mittel die Sprache hat, ein 
* Mittel, das fi duch Weichheit, Schmiegfamteit, Ein- 
Dringlichkeit vor den meiften übrigen auszeichnet —, 
welch hohen Werth hat foldhes! Es ift werth ber hoͤch⸗ 
fien Ehre; es ift werth der Unfterblichkeit! Wie ein um 
ausichöpflicher Born labt es Jeden, der binzutritt und 
es koſtet, ohne Unterfchieb der Perfon und bes Gefchlechts, 
des Standes und des Volles, der Zeit und des Orte. 
Maßlos ift oft der Einfluß eines einzigen Schriftwerks, 
eines einzigen Schriftftellers auf Verftandesbildung und 
Aufklärung, auf Moralität, Religiofität, Geſchmack, Le- 
bendigfeit und ‚Thätigkeit der Phantafie. Man nehme 
3. B. die Bibel (die hebräifche Literatur) und in ihr bie 
Palmen, die Gnomenwerke, die Parabeln des Neuen 
Teftaments, oder die Homer’fchen Epopöen, die Dramen 
bes Sophokles! Wie find oft ganze Völker, ganze Zeit- 
alter durch ein einziges literarifches Product aufgeweckt, 
gekraͤftigt, veredelt, gebeffert worden! Und ein Bud, 
enthaltend ſolche Literarifche Werke, eine Bibliothek, be- 
ftehend aus ſolchen Schöpfungen, ift gleich einem Mufeum 
voll Antiten oder voll Gemälden zu ‚achten: fie haben 
benfelben Werth, dieſelbe Nugbarkeit, denfelben Adel. 
&o hat denn die Literatur welthiftorifche Wirkſamkeit und 
Bedeutfamkeit, welthiftorifchen Werth erhalten. Sie ift 
eins der beften und geeignetften Mittel zu erziehen: fie 
gibt für eine Nation, für eine Zeit den beften Hebel 
ab zur Förderung und Erhaltung der Cultur. Es wäre 
wol der Mühe werth, hier ins Einzelne einzugehen unb 
nachzuforfchen, welchen Einfluß fie von jeher auf bie 
Menfchheit gehabt, auf einzelne Völker, auf einzelne Zeit- 
alter. Die griechifche Literatur z. B., welch ein widti- 
ger Hebel ift fie geworden und ift es noch zur Bildung 
ber Welt! Wir können bier nur nicht auf diefen fpeciel« 
len Segenftand eingehen. Aber Das fieht man wol aus 
dem eben Beigebrachten: es verdient dieſe menfchliche 
Tpätigkeit und die baraus Hervorgegangenen und noch 
bhervorgehenden Producte in der Eulturgefchichte der Men- 
ſchen eine ganz befondere Berudfichtigung, einen ganz 
vornehmlihen Platz. Warum Hat fie den nicht ſchon 
gefunden? Warum ifl fie bis daher noch ‚nicht, weber 
im Ganzen noch bei einzelnen Völkern, nad) Gebühr ge 
würdigt worden ? 

Wenn denn die Literatur im Ganzen wie im Ein- 
zelnen fo Großes, fo Herrliches zu leiften vermag — 
wobei wir den Nugen, daf fie uns zugleih Denkmäler 
für die Sprachen und deren Gefchichte liefert, nicht ein- 


mal in Anſchlag bringen wellen — fo ifl jeder Schrift- 
fteller, der fie wahrhaft bereichert, der fie verfchönt, der 
fie anbaut, des Preiſes, der Ehre, der Unfterblichkeit 
werth. Mit Recht Hat man ſolchen Männern im Alter⸗ 
thum wie in ber neueften Zeit Bildfäulen gewidmet, 
oder auf anbere Weife ihre Andenken verherrliht. Mit 
Recht kann ihr Vaterland auf fie ſtolz fein: fie find bie 
Bildnr, die Wohlthäter ihres Wolke, ihrer Zeit, ja oft 
der Menfchheit. Und indem fie das geworben find, ver- 
berrlichen fie zugleich das Land das fie gebaren, die Na⸗ 
tion welcher fie angehören, das Zeitalter in dem fie ge- 
lebt, ſodaß eim ſolches Land, ein folches Volk, ein folches 
Zeitalter mit ihnen unfterblich fortlebt im der Gefchichte 
der Welt. 
(Die Bortfegung folgt. 





Literarifhe Notiz aus England. 


Der EChartiftendidter Thomas Eooper. 

Bor Augen ift in d. Bl. des Ehartiften Thomas Cooper 
und feiner „Prison rhymes”, der Frucht feiner Mufe während 
feiner mehrjährigen politifchen Haft, gedacht worden. Es ſcheint 
ein ſehr fruchtbaret Dichtergeift in dem Mann zu walten, denn 
ex ift bereitö mit einem neuen Geifteserzeugnifle in dem „Ba- 
ron Yule feast, a christmas rhyme‘ bervorgetreten, welches 
die günftige Meinung von feiner bichterifchen Begabung nur 
vermehren muß. Dbwol nad des Dichters eigener befcheidener 
Außerung nur dazu beſtimmt, rauhe ungebildete Gemüther zu 
ergögen, ift es reich an zarten und erhabenen Schilderungen 
und verräth überall einen böhern Genius. Merkwuͤrdigerweiſe 
bat fi) der Mann aus dem Volke, ber für deſſen Sache fchon 
Verfolgung und Strafe erlitten, den Vorwurf feines Gedichte 
aus den boͤchſten Kreifen der Geſellſchaft gewählt. Er ver 
theidigt fi in der Dichtung felbft gegen die von beiden @ei- 
ten erhobene Beſchuldigung, bier der „‚Zords und Herren”, daß 
er, der „rohe Gleichmacher, welcher noch jüngft der Kerkerharfe 
Zöne des Zorns über die bevorredhteten Claſſen entlodt, jeht 
ihnen in der ritterliden Halle ergögliche Were auffpiele‘. Ex 
antwortet, fie möchten nur den Sinn feiner Verſe zu verfichen 
ſuchen und ſich die Lehre des fchlichten Barden zu Herzen neh» 
men, fie würben finden, baß fie keineswegs fchmeichelhaft für 
ihren Stolz fein. Richt weniger vorwurfsvol find die An- 
rufe, die er feine Mitbrüder an ihn richten läßt: 

Wir ſchelten di um deinen Sang! 
Höhnft du wie jener Heid' den Drang, 
Die Roth, die uns verbeert. 

Mit Feltedluf, mit Tanz und Hymu', 
Wo Tag für Tag ded Hungers Grimm 
Im Eingeweid' und zehrt! 


Vergafe du den heil'gen Schwur 
Zu ftreiten für die Armuth nur 
Bid zu dem Testen Hauch, 
Der Vorderſte gen Zwingherrn Schar, 
Stanbhaft und treu In ber Gefayr 
Und in der Schlachten Rauch. 


Der Dichter antwortet darauf: 


Nein, Bruber, nein! noch nimmer kam 
Mir aus dem Ginn der tiefe Gram, 
Der bitter an euch nagt; 
Died Herz erneut bier feinen Eid 
G8 führt, fo Tang ed fchlägt, den Streit, 
Bis euch die Freiheit tagt! 12. 


Verantwortlicher Herausgeber: Heinrihg Brockzkans. — Drud und Verlag von F. X. Wrodpans in Leipzig. 





Blätter 


für 


literarifde Unterhaltung. 





Donnerötag, 


14. Mai 1846. 





Über den Begriff der Literatur. 
(Vortfegung aus Ne. 183.) 


Die Literatur ift eins der edelften Geſchenke an die 
Menſchen. Nehmt der Welt die Literatur, und ihr nehmt 
Nihr ihre halbes Ih. Das Höchſte, das Edelſte, was die 
‚ Menfchen je gebacht, empfunden, erlitten haben, haben 
fie dorthin niedergelegt, ſchon feit Jahrtaufenden nieder- 
gelegt und legen es noch fort und fort da nieder. Ein Volk 
das eine Literatur befigt, hat daran einen großen Schag, 
und das um fo mehr, wenn diefelbe alle die Eigenfchaf- 
ten hat, welche ihr zur Zierbe gereichen. Bemeſſen aber 
wird eine Literatur einmal nad ihrem Inhalte und ber 
Sorm, ob Beides gewählt, edel, hoch, keuſch, züchtig, ideel 
ift; zweitens nach ihrem Reichthum, ob bei trefflichem 
Inhalte und bei treffliher Form fid, auch eine Menge 
literarifcher Werke vorfinden ; drittens nady ihrer Wiel- 
feitigteit, ob fie nicht befchräntt geblieben. fei auf wenige 
Gattungen; viertend nach ihrer Driginafität, ob die Ver- 
faffer der einzelnen Werke nicht blos nachgeahmt fondern 
felbftändig gefchaffen haben. | 

Hiernad hat man natürlich auch das Wolf zu wür- 
digen das eine Literatur befigt. Won nichts läßt fich 
beffer auf die Productivität, auf Lebendigkeit, auf gei- 
flige Thätigkeit, auf Genialität, auf die Talente, auf ben 
Geſchmack, auf ben ganzen Charakter einer Nation 
fliegen *) als von feiner Literatur. In feiner Kitera- 
tur kann fih ein Volt befonders groß und hehr und 
verdient und glänzend zeigen. Das Gemälde einer in 
der Weltgefchichte oder in der Politit berühmten Nation 
vollendet fich erft dann, wenn die Literatur nicht fehlt, 
und felbiges gewinnt nur bann erft feine rechte Schön- 
beit, wenn diefe Nation eine tüchtige, eine reiche, viel- 
feitige, originelle Literatur aufzumweifen hat. Und dann 
bleibt nicht die Achtung der übrigen Welt aus. An ber 
Achtung, welche gegenwärtig jede gebildete Nation Eu- 
ropas der altgriechifchen oder der jegigen beutfchen zollt, 
hat die Literatur diefer beiden einen nicht geringen An- 


*) Hierher gehört denn alfo exft — wer follte es denken? — 
fene Definition Wachler's von Literatur und Literaturgefchichte. Ein 
ganz fecundaired. gar nicht zum eigentliben Wefen der Sache ge: 
höriges Merkmal ift mithin zum alleinigen Merkzeihen gemadıt 
‚ worden, wie mir fon oben bemerkten. 


theil. Welch eine Lüde dagegen in der Ethnographie ei- 
nes Volks, wenn ihm bie Literatur fehlt! Und zugleich 
weich ein trauriges und übes Keben lebt es, wenn es 
fih nicht an eigenen Kunftwerken in der ihm eigenen 
Sprache laben und erbauen kann. Wie geht dann fo 
leicht die echte Rationalität verloren! Wie bald fchleicht 
fi) Dann fo leicht das Fremde ein unb untergräbt und 
zerftört Das, mas das Bolt eigentlich fein nannte und 
für das theuerſte Gut, für das innerfte Mark feines Le⸗ 
bens hielt und halten mußte, weil es das Angeborene, 
das Ungelebte, das eigentlihe Selbſt deſſelben war. 
Solches Volk ift zu vergleichen einem Baume ohne Blü⸗ 
ten, einem Zage ohne Sonnenfhein, einem Acker ohne 
Frucht. Was lebte dagegen ein Volk wie das griechi- 
ſche für ein Dafein bei feiner herrlichen Kiteratır! Was 
lebt die beutiche Nation gegenwärtig für ein herzliches 
Xeben unter gleichen Verhältniffen! So wie fchriftftelleri- 
fhe äfthetifche Werke die Blüten des geiftigen Lebens ei⸗ 
ner Nation find, die von Kraft und Fülle und Friſche 
und Lebendigkeit im Innern zeugen, fo finb fie anderer- 
feit8 auch die Früchte, an welchen. fi) ununterbrochen 
der Geiſt labt und ftärkt und Eräftige und zum Höhern 
emporragt und auf der Höhe ber Intelligenz, der Ge⸗ 
mütbfichteit und eines guten Geſchmacke erhält. Dies 
muß bei uns, bei ber neuen Welt, um fo höher in An- 
flag gebracht werben, als wir fein feld öffentliches 
Kunftieben führen wie der Brieche in der alten Welt 
unter feinen taufend von plaftifhen Kunſtwerken. ber 
freilich wird nur dann biefes Ziel erreicht werben, wenn 
man die Schriftwerke lief, d. dh. ihrem Weſen, ihrem 
Zwecke und ihrem Mugen und Werthe gemäß zu hand⸗ 
haben oder zu lefen verfieht. Über diefen wichtigen Punkt 
nur noch einige Worte. 

Lefen heißt in der erften niebrigfien Bedeutung bie 
fihtbaren fehriftlichen (gedrudten ober gefchriebenen) 
Sprachzeichen in hörbare Laute umwandeln; im höhern 
Sinne die zufammengehörenden fichtbaren Zeihen in 
Sylben und Wörtern ausfprechen, endlich im hoͤchſten 
Sinne: in diefen Wörtern und in den Zıfammenfügun- 
gen den Einn erkennen, welchen der Berfaffer hinein- 
gelegt hat, als er fie fchrieb oder druden ließ. Der Le- 
fer verfähre hiernach gerade umgekehrt als ber Schrift. 
fteller. Diefer arbeitet und fchafft erſt geiftig und gießt 


” 
334 


dann dieſe geiſtigen Producte in die Sprache und in die 
Schrift, macht die unſichtbaren geiſtigen Productionen 
zu ſinnlich durch das Geſicht wahrnehmbaren; jener geht 
vom Sichtbaren aus und ſucht in und an dem Sicht⸗ 
baren das Unfichtbare. 

Nach der Obigen waren die Litesarifc - üfthetifchen 
Werke Kunftprobucte. Als folche müffen fie auch vom 
Lefer aufgefaßt und beurtheilt und genofjen werden, d. h. 
er muß überall, im Ganzen wie in allen ihren Theilen, 
das Walten des vernünftigen menfchtichen Geiftes, der 
fie ſchuf und herftellte, zu erkennen bemüht fein. Dies 
wird er nun im Stande fein fchon bei und in ber Form 
des Kunſtwerkse. Dies ſchon fell cr das Schoͤne in der 
Wahl, in dem Klange, in ber Übereinflimmung der Laute 
mit der Suche, in der Berbimbung der Wörter zu einem 
wohllautenben Ganzen mahtnehmen und fi daran ergögen. 
Sodann ſoll er erfaffen und fich entwickeln und erklaͤren 
den Gegenftand felbit, die Anlage bes Werks, die Ein⸗ 
theitung und die Gruppirung der einzelnen Haupt- und 

tertheile, die Ausführung im Speciellen wie im Gan⸗ 
sen, und beurtheilen unb würdigen nach bem rechten und 
fihern allgemeinen Maßſtabe bes Schönen und bes Lo⸗ 
giſchen. Endlich fol er auffteigen zum Berftändnig und 


zur Beurtheilung der Sachen felbft, "die das Suſet der 


Schriftwerke ausmachen, und darin das Wahrgedachte, 
das Ziefempfundene, das Wohlgeordnete erkennen, em⸗ 
pfinden und herausfühlen und darüber gleichfals, won 
möglich, fein Urteil fällen, fie prüfen und meſſen. 
Denn jeder Schriftſteller echter Urt will und beabfich- 
tigt bei Abfaſſung eines Werks, daß es fo ergriffen mit 
dem Beifte und begriffen werde, wie er es ſeibſt be- 
griffen Hat*), daß das Weſen und die Eigenfchaften 
fe wie er fie ihm gegeben erkaunt und beurtheilt und 
gewuͤrbigt, daß der hohe Schwung ben feine Seele bei 
der Conteption genommen , die Spentität mit welcher er 
geſchaffen, die Mühe die er barauf verwendet, die Zwecke 
die er dabei fich geftellt, gewußt, erkannt und auerkannt 
werden, daß das Werk benfenigen Eindrud made, den 
et ihm glaubt negeben zu haben, daß es durch und durch 
verſtanden, gefühtt, nach Gebühr gefchäge werde. Der 
Leſer PH fich bermußt werden und einſehen, warum ber 
Künftler jegliches und mit weichem Bedacht gethan, 
warum berfelbe das Ganze gewählt, jedes kieinere oder 
größere Stuͤck fo und fo bearbeitet, ihm dieſe ober jene 
Foem, felbft im Kleinſten und Geringften, gegeben, ba- 
mit er fehe, von weldem Gefichtepunfte er ausgegangen, 
weichen Grundfägen er gefolgt, welches Talent er dabei 
‚gezeigt, welche Feinheit des Gefühle, welche Schärfe bes 
Geiftes, weichen Geſchmack er dabei angewendet. 
(Dee Beſchluß folgt.) 





) Edintier fagt in ſeiner Schrift über Beripowen 16. 74: ‚Mur 
daB ſichere Erbermen und Erfaſſen, nicht die Bewunberung feines Genins 
war ed, maß Beethoven an einem Freunde feſthielt. Und dies iR wol 
ein fihered Kennzeichen des echt kuͤnſtleriſchen Senind, deffen erſtes 
WBrohrfutg Mh darin unbfpriäht: daß ed erkannt und ganz 
ertannt fein will.” 





— 


Ghorakterzüge und hiſtoriſche Fragmente- aus dem Leben 


bes Königs von Preußen, Sriedrih Wilhelm TIL Ge⸗ 
fammelt nach eigenen Beobachtungen und felbft gemach⸗ 
ten Erfahrungen von R. F. Eylert. Zweiten Theile 
zweite Abtheilung. Magdeburg, Heinrichshofen. 1845. 
Gr. 8. 1.35.*) . 

Allerdings bedarf es des vollen Maßes von Pietät, welche 
ber treffliche Fürft, dem dieſe Blätter gewidmet find, anzu⸗ 
ſprechen hat, und des ganzen Maßes von Sympathie, auf 
welches der Berf. Anfprud Hat, um dieſe Arbeit fortdauernd 
genußreih und erfreulih zu finden; denn es nehmen, je 
weiter wir in berfelben vorrüden, die Weitſchweifigkeiten, 
die Ungebhörigkeiten und die Widerfprüde, welche man diefem 
Buche von jeinem erften Erfcheinen ber vorwarf, mehr und 
mehr überhand und drängen und oft den Wunſch auf, der ehr⸗ 
würdige Verf. möchte fein Material lieber einer jüngern und 
fräftigern Weder überlaffen und ſich, ftatt der Leiblichen, mit 
der geiftigen Autorfchaft Diefes Buches begnügt haben. Sn 
der vorliegenden vierten Abtheifung deflelben gefchieht ihm nun 
freilich viel Wenſchliches. Er verwwechjelt, wie ihm nachgewie⸗ 
fen worden ift, nichf nur Ad ‚ Beiten' und Daten mehr 
als einmal; es begegnet ihm auch mehr als verzeihlich iſt, 
daß er auf einer und berfelben Blattfeite entweder dieſelbe 
Sache zwei: und dreimal faſt mit denſelben Worten fagt, oder, 
was noch ſchwerer ins Gewicht fällt, daß cr auf derſelben 
Seite feines Buches Diefelbe zufammenhängende Sade bejaht 
und verneint, oder in einem unlösbaren Widerfprud Affirma⸗ 
tion und Regation miteinander verbindet. Alle Dieb zu bes 
legen oder nachzuweiſen, wie fehr ihn Prächfion und Schärfe 
des Gedankens bisweilen verlaften, wäre leicht: allein da es 
weder für und noch für unfere Leſer erfreulich ober lehrreich 
ift, da ed von andern Seiten ber bereitö genugfam erörtert 
und mit nicht verdientem Spotte in Verbindung gebradyt wor: 
den ift, fo ziehen wir es vor, die Sache als Bekannt voraus: 
zee und, Inden wir uns einer natürlichen Pietät überlaſ 
en, dem Berf. lieber zu danken für das vielfach anziehende 
Material, dad, gleigviel ob gut oder übel, in dieiem Bande 
verarbeitet ift, und für das er diefen Dan? ſchon deshalb ver: 
dient, weil er fein Eigenthum zum Gemeingut Aller hinzu: 
geben nicht anſtand. Reich an Einzelheiten pfychologiſchen, 
biftorifchen und biographifchen Interefies ift auch dieſer Band 
wiederum und Die zwei ober brei auffallenden unb ftarken Irr⸗ 
thümer, welche er enthält, oder die ungehörigen Abſchweifun⸗ 
en, welche allerdings hier und ba vorkommen, Tünnen unfers 

achtens nicht um Bieles den Werth verringern, den er mit 
feiner Maffe von neuen, bedeutenden und wilfenswerthen Zü⸗ 
n aus der Bei tchte überhaupt und aus Dem Reben bes 


hochſeligen Königs, der ein ‚Haupttzäger derſelben war, anzu 


ſprechen volles Recht hat. Dieb, einem leichtfertigen Tadel 
und einer verwerflihen Spottfucht gegenüber, recht ernft und 


kraͤftig auszuſprechen, liegt und befonders am Herzen; ja, wir 


leugnen wit, baß wir und im Geiſte des deutſchen Volks je- 
ner fhonungslofen Kitik fchamen möchten, welche ohne Rüde 
ſicht auf Gegenſtand, Verfaſſer und Seit, ohne Prüfung, ob 
einige Irrungen und einige Schwadhheiten denn auch wirklich 
den Werth einer fo umfaſſenden Urbeit auf nichts zurückfüh⸗ 
ren Tonnen, in einem einzigen Strom von tadelndem Spott — 
„Koß und Meiter” Dabinkhmwemenen möhhten, das Ehrwuͤrdige 
laſternd und das Schonungswerthe mit Füßen tretend. Mor 
jo leichtfertiger Kritik bewahren mir und gern, am beften 
aber glauben wir ihre Ungerechtigkeit dadurch darzuthun, daß 
wir einen Theil der neuen und anziehenden in näher be: 
zeichnen, mit welden der Berf. die Gefchichte feines Heiden 
würdig und anerfennendwerth bereichert hat. 

Unter diefen Bruchſtuͤcken — und ſolche hat der Verf. uns 


*) Vergl. die feühern Mittheilungen in Ne. 127 und 128 b. Bi. 
f. 193 und Nr. 42 f. 1848. D. Rei. 


UT ee 


überall nur verheißen — nimmt ter Abſchnitt, welcher ben 
Aufenthalt der Königefamilie in Tilſit, jene Läuterungs- und 


Reinigungsepoche für Botk und Fuͤrſt, enthält, den erften Plag 


ein. Hier, befiegt, von der Laſt des Unglücks faſt erdruͤckt, 
verlaffen, beinahe einfam und von einem übermüthigen Geg⸗ 
ner verhoͤhnt, biß in das innerfte Lebensmark hinein verlegt — 
hier zeigr fich Friedrich Wilhelm und feine Königin faſt in der 
Seftalt. eines tragifchen Heros, menfhlidh am größten, mo 
. ralifh am ehrwürdigften, biftorifch am bebdeutendften in 
feinem ganzen Leben. Es war ald wenn er fühlte, daß er 
diefer buͤßenden Kauterung in feiner Perſon bedurfte, zur Wie 
derbelebung eines ‚neuen Staats⸗ und Volksgeiſtes; es war, 
als ob er die hohen Abfichten der Weltregierung bei diefem 
unfaglichen 2eide, dad über ihn Fam, klar durchſchaute, Dank: 
bar würdigte und mit Meflerion hinnahm. Und ın der Zhat, 
wie viel verdankte der preußische Staat dieſer fait beifpiellofen 
Kataftrophe feines Könige? Bon der Hier beginnenden Re: 
generation des innern Staatsbaus wollen wir gar nicht ſpre⸗ 
hen, allein dies faflen wir gern auf, daß ohne jene uner- 
hörte und ſchmachvolle Ernicdrigung in der Perfon feines Ko- 
nigs, das preußiiche Volk vermuthlich niemals zu Diefem hoͤch⸗ 
fen Grade von Sympathie, zu jener aus tiefſter Erbitte⸗ 
zung bervorgegangenen Kraftäußerung gelangt wäre, welde 
im Jahr 1813 zur Wiederherftelung des Staats führte; das 
fielen wir gern ins Licht, daß es chne das namenlofe Elend, 
ohne die Ernietrigung von 1847 wahrfcheinlich auch den Glanz 
und ben fortlebenden Ruhm von 1813 nicht gab und daß, 
wenn der Gegner in Zilfit mehr Mäßigung beobachtete als 
er that, wahrfheinlich Fein Friede zu Paris gefhloffen wurde. 
Die Frucht von Tilſit reifte in ſieben Zahren: in Zilfit klag⸗ 
ten wir die Vorfehung an, in Paris erfannten wir die in: 
nere Rothwendigkeit ihrer Lenkungen. 

Die Schilderung, welde der Berf. von der Zuſammen⸗ 
funft der königlichen Familie mit dem Kailer Napoleon in 
Tilſit entwirft, ift zu charaktervoll und anziehend, ald daß 
wir nicht auf die Theilnahme unferer Leſer rechnen dürften, in: 
dem wir fie im Auszuge wiedergeben. Es haftet ein großes, 
lebendiges Interefle an Tiefem lebenvollen Gemälde. Napoleon 
hatte diefe Zuſammenkunft gewuͤnſcht, theild um der Belt, die 
auf ihm ſtolz, ein Schauſpiel zu geben wie er es liebte; 
theild um feinem Ehrgeiz eine volle Befriedigung zu gewähs 
ven; theil& aber duch aus Reugierde, die berühmte Königin, 
die dee Muf für die fchönfte Frau feiner Zeit ausgab, in ihrer 
gedemüthigten Schönheit von Ungefiht zu Ungefiht vor fich 
zu ſehen. Seine nächte Umgebung , befonders Talleyrand, ber 
Diefe Zuſammenkunft fürchtete, legte allechaud Schwierigkeiten 
in den Weg, doch Died gerade reiste den Kaifer und fie kam 
zu Stande. Die Königin war willig, fich Diefe Probe demü- 
tbigfter Selbfiverleugnung gefallen zu laffen. „Was mich das 
oftet”, fchrieb jie bamals, „weiß mein Gott; denn wenn ich 
gleih den Mann nicht haffe, fo fehe ich ihn doch als den an, 
der den König und fein Land unglüdlih gemadt hat. Beine 
Talente bewundere id ober feinen Charakter, der offenbar 
Hinterliftig und falfch ift, kann ich nicht lieben. Es wird mir 
Ihwer werden — doch das Schwere wird einmal von mir ge 
fovert und Opfer zu bringen bin ich gewohnt.” In diefem 
&inne, vollfommen einig mit fi, vol ihrer Würde, ging fie 
nah Zilfit, um den Kaifer Napoleon zu fehen. Um den 
Swang, die Innere Dishbarmonie diefer unnatürkichen Zuſam⸗ 
menkunft zu verfteden, ließ der Kaifer die Königin in einem 
prachtvollen, adtipännigen Staatswagen unter glänzendfter 
Begleitung abholen; der König war ernft, gehalten, Die 
Königin anmuthig, anfcheinend unbefangen- Befangen und 
verlegen aber zeigte fih der Kaifer, ſowol von der Würde fei: 
nes Befiegten als von dee Schönheit der Königin. Er ſagte 
ihr Verbindliche und Schmeichelhaftes; fie antwortete, in» 
dem fie die Unbequemlichkeit der Haustreppe bebauerte und 
nad feinem Befinden in dem ſchon unfreundlichen nördlichen 
Klinra fragte. Mit der Gerte in der Hand fpielend, antwor- 


tete Rapoleon hierauf und fagte aldbann zum König gewen⸗ 
bet: „Sire, ich bewundere die Größe und Stärke Ihrer Seele 
bei jo vielem und fo großem Unglück.“ Der König antwortete 
ruhig und fell: „Die Stärke und Ruhe der Seele gibt nur 
die Kraft eines guten Gewiſſens.“ Mon diefer Antwort ger 
reizt, rief Napoleon übermüthig: „Aber wie konnten Sie es 
wagen, mit mir, der ih ſchon mächtigere Nationen befiegt 
hatte, Krieg anzufangen?” Der König, wohl fühlent, wie 
viel in diefer Frage an Stoff zur Debatte lag, fah ihr feft 
und ſcharf an; die Königin aber ergriff gewandt das Wert 
und antwortete mit Würde: „Bire, dem Ruhme Friedrich'8 
des Großen war es wol erlaubt, über unfere Kräfte uns zu 
taͤuſchen. Wir haben und getäuicht: fo war es beſchloſſen.“ 
Hierauf brach fie Died dornigte Gefpräh ab und gab ihm eine 
leichtere Wendung. Man ging zu Zilhe, bei welchem Na: 
poleon den Wirth machte. Die Königin ſaß zu feiner Rechten, 
der König zur Linken. Ernſt und in ſich geehrt, ſprach Letz 
terer wenig, aber treffend und gut. Es war von jugendlichen 
Srinnerungen die Rede und der, König braudte das Wort 
„Wiege“. Rapoleon lachte auf feine Art und bemerkte: „Wenn 
der Junge erwachſen ift,' vergißt er die Wiege und diefe wird 
bei Seite geſchafft.“ „Ja“, antwortete der König, „aber die 
An: und Abſtammung fann man nicht vergejien. Der gute 
Menſch blidt mit Gefühl und Nachdenken auf die Wiege, in 
der er gelegen.“ Diejenigen, welde den König in dieſem Aus 
genblid ſahen, verfihern, ed habe in Stimme und Ausdrud 
bei dieſen Worten ctwas Bezeichnendes gelegen.‘ Unfäbig fich 
zu verftellen, war ihm in dieſer Nähe nicht wohl: er übers 
ließ die Unterhaltung der Königin, welche fich felbft und die 
Sprache mehr in ihrer Gewalt hatte. Dieje, alle politifchen 
Seiten geſchickt vermeidend, ſprach ihrer Überzeugung gemäß 
mit Achtung und Wohlwollen von der Kaiferin Sofephine. 
Napoleon war von folder Anmuth und fo vieler weiblicher 
Würde ganz eingenommen und er fagte nachher zu Tallepy⸗ 
vand: „Ich wußte, ich würde eine fchöne Königin ſehen; aber 
ich habe zugleich die intereffantefte Frau gefunden.” So ver 
jöhnte ſie felbft den Feind, der ihrer fonft bei jeder Geleyen- 
beit geſpottet hatte. 

Nah dem unglüdlihen Friedensſchluß ſchrieb Die Königin 
Zuife an ihren Vater: „Der Friede ift gefchloffen, aber um 
einen ſchmaͤhlichen Preid. Unfere Grenzen werden Eünftig nur 
bis zur Elbe gehen. Dennoch tft der König größer als fein 
Widerſacher. Nach Eilau hätte er einen vortheilbaftern Frie⸗ 
den ſchließen koͤnnen; aber da batte cr freimillig mit dem 
böfen Princip unterhandeln müffen, .. Preußen wird diefer 
fhmählihe Frieden einft Segen bringen. .. Daß ift mein 
fefter Glaube.“ Und immer fprach fie ed aus, daß, obwol 
fie viel leide, fie Doch Tage habe, mit denen fie zufrieden fei, 
denn der König fei herzlicher als je; fie feien ſich nach 14jqͤh⸗ 
riger Ehe treu geblieben und er trage fein Schickſal mit 
Würde. Ihre natürliche Foͤmmigkeit ward in diefer Zeit völlig 
zum Charakter. 

Weiterhin fehildert der Verf. die Zuſammenkuaft Napo⸗ 
leon's mit Alerander in fo charakteriftiichen Zügen, daß wie 
einige derfelben wiederzugeben gedrungen find. Die Bufame: 
menfunft fand in Zitjit flatt. Die Stadt ift von Sud nad 
Nord von einer breiten und langen Straße durchfchnitten. 
Rapoleon wohnte am nörbliden, Alexander hatte fen Ab— 
fteigequartieer am füdlihen Ende, wo es zum Memelſtrom 
hinabging. Die glänzenden, unbefiegten ruffifchen Garten 
marſchirten am 13. Iuli 1897 Morgens, von Konftantin ge 
führt, in dieſe Straße cin und befegten in einfachen Reihen die 
Weſtſeite derſelben; ihnen gegenüber ſtellten die franzöfiichen 
Barden ſich an ber Dftfeite der Straße auf. Die Megimentör 
muſiker foielten abwechſelnd. Steger und Überwundene ſtanden 
fi im feierlichen Ernſt ftumm gegenüber. Ploͤtzlich erichien 
Kaifer Alerander glanzucl umgeben zu Pferde und ritt bie 
Straße hinab zum Kaifer Napoleon. Feierlicher wurbe mei 
nie ein Krieg gefchloffen Beide Monarchen kthrten kurz 





536 


berauf auf demfelben Wege zu Pferde wieder zurüd. Napo⸗ 
Ieon, im einfachen grünen Rod, langſam und gemeffen, den 
Mund von einem eigenen Rächeln umfpielt, ritt an den 
Meihen ber feindlihen Barden hin. Ant rechten Plügel an: 
gelangt fehlen er fehr verbindlihe und angenehme Außerun: 
en über die Truppen zu machen, welche Alerander und Kon» 

ntin mit böflihen Verbeugungen erwiderten. Hierauf 308 
Rapoleon ein Ordenskreuz auf feiner Weſtentaſche, ließ den 


Flügelmann der Garde, einen Riefen, an fein Pferd treten 


und überreichte es ihm. @in donnerndes Hurrah ertönte, die 
beiden Kaifer reichten fich die Hände und ritten nach dem 
Quartier des Kaifers Alerander, wo ein Krübftüd fervirt war. 
Nach Beendigung defielben ritt man zufammen zum Memel: 
ſtrom hinab, wo Barken bereit lagen. Die Kaifer umarmten 
fih mehrmals: Alerander und fein Gefolge beftiegen die praͤch⸗ 
Kalten Barken und ſtieß vom Ufer ab. Entbloßten Hauptes 
biteb Napoleon am Ufer ftehen, bis die Faiferliche Barke die 
Mitte ded Stroms erreicht hatte: dann ſchwenkte er zum Ab⸗ 
ſchied den Hut, beftieg feinen arabifden Schimmel und galop⸗ 
pirte nach feiner Wohnung zurüd. 

Der Schluß des Tages follte der Zugend des edlen 
Königs Friedrih Wilhelm eine fhöne Huldigung bringen. Radh: 
mittags 3 Uhr war die franzöfifche Garde abgezogen und Feld⸗ 
feuppen, die wohlbekannte fogenannte Xöffelgarde, hatten ihre 
Stelle eingenommen. Die ganze Breite der Straße war von 
pele- mele dadinziehenden Truppen erfüllt, die ordnungslos 
wie die Ameifen durcheinander dahinftrömten. Sn dieſem 
Augenblicke erfchien eine edle, hohe Geftalt zu Pferde, in einem 
einfachen grauen Rod, mit bochaufftehendem rothen Kragen, 
von einem Reitknecht gefolgt, unter "ihnen. Es war der 
König — mitten unter den franzöfiihen Truppen. Ernft, 
ruhig und wohlmollenden Ausdruds ritt er langſam dahin; 
aber feine Bönigliche Geſtalt übte ihre'ftile Gerwalt auch über 
die Gemüther der Fremden. Ein feangöfifther Soldat rief: 
„C'est le roi de Prusse.“ ‚Le roi de Prusse — le roi 
de Prusse!“ ertönte ed fofort von Mund zu Mund im Gemwühl 
und die Scene änderte fi wie auf Zauberwort. Sofort ord⸗ 
neten fi die Reihen, die Glieder; die Truppen traten ohne 
Commando militairifh an, und bildeten ein Spalier, in dem 
man, wie der König ftil und feine Triumphes unbewußt 
dahinritt, nur den Ausruf hörte: „Voyez le brave; voyez 
le vertueux. le malheureux prince!’ Diefe ſchlichte und 
vom Zufall herbeigeführte Begebenheit bildete das Gegenftüd 
u den Prachtſcenen des Morgens: aber fie war eine ergrei: 
Sende Epifode aus diefem „merkwürdigen, welthiftdrifchen 
Shaufpiel von Tilſit“. Das Verhalten Friedrih Wilhelm's 
in diefen Zagen der Prüfung war folder Art, daß die Um: 
gebung Napoleon’s zu der Außerung veranlaßt wurde: Er be: 
nimmt fih, al& wäre er der Sieger und wir die Befiegten, 
und daß Rapoleon ihn „‚itätifh, wie ein fchledht zugerittenes 
Pferd“ nannte „Sie mußten nicht‘, fagt der Verf. „daß es 
eine ftille Größe gibt, die mächtiger iſt als das Glüd wenn «6 
hebt, und das Unglüd wenn es flürzt. Befiegt in Tilſit 
und fiegreich in Paris — der König war und biieb derfelbe: 
feine Grundfäge waren ſtaͤrker als die Erfiheinungen der Zeit.“ 

Diefe Gleichftimmung der Seele war eine der audgezeich: 
nesften Eigenfchaften des edlen Königs und fein Geſchick war 
es, diefen Gleichmuth oft im Keben zu bewähren. Die fchwerfte 
Probe beftand dieſe Beherrfchung feiner felbft bei dem frühen 
Verluſt der unvergleichlichen Königin Zuife. 

Diefe reine Scele war, wie uns unbeftritten fcheint, von 
dem über das Haupt des Königs eingebrochenen Unglüd in 
ihren innerften Xebensfeimen geknickt. Schwarze Ahnungen 
ängfteten fie, die fie jelbft in ihr Tagebuch fihrieb; eine milde 
Shwermuth. die nur ftundenweife wich, batte fih in ihrer 
Seele niedergelaften. Sie ſah Berlin wieder, fie freute ſich 
an den Liebeszeichen ihrer Getreuen, allein der frühere Kroh- 
finn kehrte nicht mehr bei ihr zurüd. Bon der politifhen 
Lage des Staats hatte fic eine außerordentlich Flare, beinahe 


prophetiſche Unfhauung. Unter Anderm fagte fle: „Der gegen- 
wärtige Buftend iſt ein gewaltfamer, duch das Übergewicht 
der phyfiſchen, wenn ich auch zugeben will der intellectuellen, 
keineswegs aber der moralifchen Kräfte berbeigeführt, und aus 
dem Willen und den Wünfchen der Rationen nicht hervorge⸗ 
gangen. Die Ratur aber behauptet ewig ihre Nedhte . . - 
man fühlt es heraus, daB wir noch nicht fertig find... . e& 
fommt noch etwas anders ... . aber ad, wir Tonnen darüber 
fterben. 

Sind diefe Worte wegen ihrer Haren Auffaflung der 
Beltverhältniffe im Munde einer rau an ſich merkwürdig, fo 
werden fie e8 um fo mehr im Munde einer Königin und zu 
einer Zeit, wo geiftreiche Gefchichtöforfcher, wo nner wie 
Zohannes Müller, Alles für abgefchloflen, den franzöfifchen 
Gewalthaber für unbefieglih und Europa für lange Beit hin 
feiner Zuchtruthe übergeben glaubten und felbft Goethe, der 
Hellfehende, fein warnendes: Schüttelt nicht an Euern Ketten! 
ertönen ließ. So fieht ein Pindlicdyes Gemuͤth, was der Ber- 
ftand der Weiſen oft nicht fieht! 

Kurze Zeit nach diefer Außerung reifte die Königin nad 
Medienburg, um von dort nicht mehr zurückzukehren. Ihre 
Freude bei dem Wieberfehen des Vaters, der Großmutter und 
der übrigen Ihrigen war unfaglich; allen ein tiefer Zug der 
Wehmuth ging dur den Ausdrud diefer Freude bin. Als 
bald darauf auch der König anfam, verlangte ihr Gemüth nad 
mehr als Worten: fie fprang empor, eilte an ihren Schreibtifh 
und wie mit der Abſicht, diefen Moment der Freude für immer 
feftzubalten,, ſchrieb fie auf ein Blaͤttchen: „Lieber Barer! Sch 
bin heute ſehr glücklich, als Ihre Tochter und als die Frau 
des beften Ehemanns. Luiſe. Neuftrelig d. 28. Juni 1810.” 
Es waren dies ihre legten geſchriebenen Worte. Die Sconen 
ihrer fchnell erfolgenden Auflöfung müffen wir in der warnen, 
tiefempfundenen Darftelung des Verf. nachzuiefen dem Lefer 
überlaffen. 

Der frühe Tod der Königin war ein Abfchnitt im Leben 
Kriedrih Wilhelms. Bon nun an wurde er noch fliller und 
in fig geßehrter, aber auch noch milder und felbfibeherrfchen: 
der als er zupor war. Sobald die Apatbhie, welde Diefem 
Schlage folgte, überwunden war, nahm fein Wefen, feit 1806 
dee Frömmigkeit zugewendet, den, Eharakter tiefer Religiofität 
mehr und mehr an. 

Über feinen Berluft fprad er mit Riemandem, aber bie 
Sympathie der ganzen ciwilifirten Welt that ihm fiytbar wohl 
in feinem Schmerz. Die Erzählung, wie er bei Anfertigung 
der Bilder der Königin und ihres Grabmonuments mitwirkte, 
ift reih an rührenden Zügen feines edlen, fanften und doch 
ſtarken Geiſtes. Es ift feine Idee, dad Marmorbild der Köni« 
gin in Charlottenburg ald einer Schlafenden ausgeführt zu ſehen. 

(Der Beſchluß folgt. ) . 





Literarifche Anzeige. 


Soeben erfchien in meinem Verlage und ift dur ale Buch: 
bandlungen zu erhalten: 


Niccolo Madhimellis 
Florentiniſche Geſchichten. 


Aus dem Italieniſchen uͤberſetzt 


von 
Alfred Reumont. 
Imei Zheile. 
Gr. 12. Geh 3 Thlr. 
Eeipzig, im Mai 1846. 
$. A. Brockhaus. 


Berantwortliger Heraußgeber: Heinrich WBrodpans. — Drud und WBerlag von F. A. Brockhans in Leipzig. 


Dat » 





“ fen und verfichen ann, indem er fhafft. 


Blätter 


für 


literariid e Unterbalfung.. 





Freitag, 


15. Mai 1846. 





(Beſchluß aus Nr. 188.) 


Nun ift aber ein Schriftfteller ſich oft felbft nicht 
Mar bewußt, warum er Diefes ober Jenes thut: er folgt 
nicht felten einem dem menfchlichen Denfvermögen nit 
immer zugänglichen und zum Erfaffen möglichen Gefühle, 
einer tiefern Begeiſterung, die er felbft oft nicht begrei- 
Es find das 
die Producte jener Weiheftunden, von denen mir oben 
Sprachen. Iſt es nun da dem Verfaſſer felbft oft ſchwer, 
ſich Rechenſchaft von dem Walten feines Geiſtes zu ge- 
ben, fo ift es natürlich noch viel fihmwerer für den Lefer, 
fi zu folcher hohen Höhe emporzuarbeiten oder fo tief 
in ſolche Tiefe hinabzufleigen; aber feine Aufgabe ift das 
und bleibt es. Um vollftändig das Kunftwerk zu ver- 
fiehen — und das fol er eben — muß er jeglichen 
Walten des tünftlerifchen Geifte bes Verfaſſers folgen 
und bis in die feinften Nuancen nahfpüren. Er muß 
fo zu fagen diefelben Pfade auffuchen und wandeln, die 
der Schriftficer gefunden hat und gewandelt if, nur 
freilih umgetehrt, rudmärts; er muß gewiffermaßen das 
fremde Werk zum feinigen machen, das Product förmlich 
reproduciren, wie der echte Naturforfcher mit der Natur, 
der Kunftkrititer und Darſteller mit dem Kunſtwerk jeg- 
licher Art verfährt oder verfahren fol. Ja ſelbſt Das 
genügt oft nicht: es bedarf fogar häufig zum völligen 
DVerftändniffe eines literarifchen Products einer geiftigen 
Verwandtſchaft von Seiten des Lefers mit dem Berfaffer: 
derfelben Stimmung, derfelben Grundfäge und Anfichten, 
derfelben Elafticität und Tiefe des Geiftes und Gemüthe. 
Es paßt hierauf, was Baumſtatk den verflorbenen This 
baut in Heidelberg über mufikalifche Aufführungen eben- 
fo wahr als treffend gejagt haben läßt: ’ 

Das Höchfte, zur wahren künftleriichen Darftellung Uner: 
laßliche, was Zhibaut von dem Darfteller foderte, war geiftige 
Berwandtichaft mit dem Künftler und eine folche Beweglichkeit 
und Biegfamleit des Gemüths, daß er dem Künftler in allen 
feinen lügen und Windungen ohne Zwang folgen fann. Blos 
unter diefer Bedingung und unter beſtaͤndigem Friſchhalten 
dieſer Eigenfhaften hielt er es für möglich, daß ein Kunſtwerk 
in der Muſik rein fo gegeben werde wie ed im Sinne des 
Meiſters lag: alfo ohne daß der Darftellende etwas darin ſucht 
oder hineinlegt, was in daflelbe nicht gehört, und ohne daß er 
wichtige Momente deifelben unberührt läßt, weil fie ihn felbft 


nicht berührt haben. Der Darfteller muß fi ganz dem Wil- 
len des Künftlers oder gleihfam des Kunftwerds fuͤgen; «r 
muß ganz von demfelben abhängig fein. Allein dieſe Abhänr 
gigkeit darf der Darftellende nicht drüdtend empfinden, ſondern 
er muß fich in ihr erhoben fühlen, indem er mit dem Künftler 
noch einmal reprodueirt. Died ift aber nur möglich, wenn 
der Darftellende die Einheit des Mannichfaltigen im suf 
werte mit dem Künftler entweder durch unmittelbare Bernun 
anſchauung (in welchem Fälle eine echte Seelenverwandtichaft 
zwiſchen Beiden eriftirt) oder durch Rachdenken und. Kritik bei 
wahrer —— erkannt hat. — — Daher foderte Thi⸗ 
baut vom Darſtellenden dieſelbe Ruhe und dieſelbe Verſenkung 
in ſeine Ideale und Gegenſtaͤnde wie der Kuͤnſtler ſelbſt. 

Auch der Schriftſteller iſt Componiſt, und ſein Leſer 
ein Dilettant, welcher das literariſche Kunſtwerk ſich ſelbſt 
oder Andern vortraͤgt, darſtellt. Folglich muß der Letztere 
auf gleiche Weiſe verfahren wie Thibaut von Dem fo- 
dert, der ein mufifalifches Stück zu fpielen oder zu fin- 
gen hat. Die meiften Lefer aber find gleich jenen Klim- 
perern und Stümpern, welche ihrer Aufgabe ſchon ge- 
nügt zu haben glauben, wenn fie daß mufttalifche Stud 
nur fertig zu fpielen vermögen. Bie follen indefjen, 
das ift ihe Ziel, fich mit dem eigentlichen Künſtler, mit 
dem Urheber des Werks in ein gleiches Niveau ftellen 
oder fich gar über ihn zu erheben fuchen, damit fie nad) 
einem beflimmten Maße ihn beurtbeilen, ihn richtig 
würdigen. 


Nicht immer ift der Schriftfteller im Stande ‚bie: 


ganze Fülle feines Herzens den Morten und Buchflaben 
anzuvertrauen; die aͤußern Zeichen reichen oft nicht auß, 
um das Innengefchaffene völlig barzuftellen; das Außere 
bleibt dann hinter der Idee des Künſtlers zurüd: er 
kann ed nur annähernd ausdrüden, nur andeuten. In 
den Worten liegt in diefem Falle oft ein höherer Sinn 
als der erſte Anfchein lehrt und gibt. Dann muß der 
Lefer das äußerlich Fehlende hinzufügen, hinzudenten, er⸗ 
fegen. Offenbar die höchfte Stufe, die er zum Verſtänd⸗ 
niß eines folhen Werts zu erflimmen hat! Aber zugleich 
eine gefährlihe Stufe! Leicht kann man firaudeln und 
den Worten mehr unterlegen als der Schriftfieller ge- 
fagt hat. Ein Punkt, der befonders bei ber Kecture und 
Erklärung der Bibel in Betracht kommt, über den ſchon 
viel gefchrieben, viel geftritten worden. 


Zur Beurtbeilung, Würdigung bat er e6 freilich dar 


um noch nicht gebracht. Dazu gehört, daß er fih über 





das Wert ſelbſt mit feinen Ideen, mit feinem Geiſte 
ftelle, darüber ſchwebe wie ein Aar und aus ber Höhe 
auf baffelbe herabblide und es fo meſſe. Dazu gehören 
natürlich alle die „Kategorien, ns welchen irgend ein 
ung jegikhee Ceeraikfches Wert 

fies, bad bon Ber derſchiedenſten Art fein Bang, zu be⸗ 
urtheilen ft: das hiſtoriſche nach den Brundfägen der 
Hiftoriographie, das ‚poetifhe nach den Grundfägen ber 
Poetik, das oratorifche nach den Grundfägen der Rhe⸗ 
torit u. ſ. w. Es darf mithin dem Lefer nicht an Theo— 
rie, nicht an Pükkofopäke, nicht an kritiſchem Scharfſum, 
nicht an allgemeiner Bildung fehlen. 

Man —* hieraus, wie viel eigemetich day gehbre, 
einen Schriftfteller recht und ganz zu verftehen, mit wel⸗ 
den Anfodetungen, mit welden wierigteiten folches 
werbimden fei. Gs iſt darum nothwendig, daß dazu eine 
Anleitung gegeben werde fehon in unferk Schnien, felbft 
in den niebertt Bolksſchulen, damit dus rechte Leſen, die 
rechte Behandlung der Literatur, namentlich ber vater- 
laͤndiſchen, erlernt und allgemein werde. Niemand wär 
dagu von jeher mehr berufen als die Philologen und die 
phiſoſophiſch gebildeten Lehrer. Uber bis vor kurzem 
daben fir Häufig durch ihr falſches, durch Ahr oberfläd- 
Yiches, trodenes und austrodnendes Behandeln der Au: 
toren mehr gefchadet al6- genügt, das Lefen mehr ver- 
dotben als veredelt. Erſt in ber neueften Zeit hat man 
angefangen einzufehen, was in dieſer Hinficht Fromm, 





"aber nur erft hin uͤnd wieder. Allgemein find die gu: 


ten Grundfäße noch nidt. 

Und was geht durch em foldyes ſchlottriges Kefen ber 
Menſchheit für ein herrliches Nictel zur Ausbildung ver- 
foren, \belcher herrlichen Genüffe bleibt fie bar und be: 
taubt! Mir haben oben geſehen, mad Altes im dieſe 

erke gelegt werben kann und auch 'beteit6 gelegt wor— 
den if: bie benrtichften Gedanken, die lieblichſten Spiele 
der Phantaſie, die zarteften Empfindungen; wir haben 
gefehen,, daB fle geſchminkt find Anferfic, wie innerlich 
mit einer ſchonen Form. Was bieten ſie alfo für einen 
reichen Stoff dar zur Ausbildung des Geſchmatks, zu 
Beobachtungen, am Denten, Reflectiren, Combiniren, 
Abſtrahiren, Kriflfiren, zur Erwerbung von Kenntniſſen! 


Ko zu Schärfung und Bereicherung des intelfectuellen 


Vermoͤgens! Über auch zur Erweckung und Berebelung 
des Empfindim Suermögens, zur Rröftigung und Be⸗ 
geiſterung des Willens tft nichts geeigneter als Pefen 
zuter Bücher, als rechtes Handhaben der Literatirr. 
Senn burth Die Intelligenz wird auch das Herz be 
flimmt und gefeitet. Und welchen mantichfaltigen, wel⸗ 
hen hohen Genuß haben wir davon. Nicht einen ma- 
terieffen, nicht Anen erſchlaffenden, nicht ‘einen vorüber: 
gehenden, nicht einen ſchädlichen, ſondern einen entf, 
der, da geiſtig iſt, Ver da nüsßt, ber da aufweckt, der da 
befebt; einen Genuß, der nie veraltet und nie uns an- 
efelt, ſondern der da Bleibt umd fo vft er wiederkehrt 
immer wieder neu iſt und durch feine Neuheit labt, 
Täßter ‘und Tiebficer denn zuvor; Der uns unter leben 
Wirhättniffen front und willkommen iſt, ver uns ba 


re des Gei⸗ 


„e : 


Unglück vergeffien macht und das Glück erhöht, der uns 
die Einſamkeit verfüßt und uns Erholung gewährt von 
den Laften der Pflicht und von ben Zerflreuungen ber 
Welt. Wenn wir Jefen, find wir nie allein, aud) wenn 
wir alleie find; wenn wir defen, fie wir nicht ohne 


Thaͤtigkeit und ohne Geauf, au wenn wir geſchaͤfts⸗ 


oder genußlos ericheinen; wenn wir lefen, find wir nie 
ohne Freunde und ohne gleichgeflimmte Seelen, auch wenn 
uns Alles verlaffen, Alles uns den Rüden gelehrt hat; 
wenn wir lefen, wie wir follen, bilden wir uns, auch 
wenn wir bies genießen; durch das Leſen erhalten wir 
und jung, auch wenn wir altern, verjüngen wir uns, 
au wenn wir ſchon gealtert haben. 

Und die Jugend? Für fie gibt es Leine fchönere Pa⸗ 
laftra bes Beiftes zur Bildung des Verftandes, des Her⸗ 
zens, des Geſchmacks, der Phantaſie, des Gedächtniſſes 
als die Literatur eines gebildeten Volks wie z. DB. die 
bes deutfhen. Uberdem lehrt nichts beffer diejenige 
Sprache kennen und gebrauchen, in welcher jene gefchrie- 
ben ift, nad) ihrem Reichthume, ihrer. Bildfamkeit, ihrer 
Ausbildung, ihrer Schönheit, ihrer Fügſamkeit als die 
Literatur. Darum ſei ſchon früh, ei recht angeleitet 
zum alffeitigen richtigen Lefen. 

Bic Rhodus, hic salta, du Erzieher, du Lehrer, und 
unterlag nicht, deine dir anvertraute Jugend mit dem 
Großartigen des ganzen Gebäudes, mit dem Hehren und 
Erhabenen diefes götklichen Geſchenks befannt zu machen, 
fie darauf hinzuweiſen, was wir an derfelben für einen 
Schag haben, fie hoch und echaben davon denken zu 
lehren. Und wenn die Schriftfteller merken werden, daß 
man fo von der Literatur denke, daß ihre Werke mit 
ſolcher Aufmerkſamkeit und Genauigkeit, mit ſolchem Ur⸗ 
theile und ſolcher Kunſtkritik geleſen werden, dann wer⸗ 
den ſie ſchon ſich zuſammennehmen und nicht ſo in die 
Weit hineinſchreiben, blos um die Welt zu amuſiren ober 
blos um — Geld zu verdienen. Das Publicum erzicht 
und verzieht feine Schriftfteller. 9. 


Sharckterzgüge und hiſtoriſche Fragmente aus bem Lehen 
des Königs von Preußen, Friedrich Wilhelm Ill. Ge- 
-fammek von R. $. Eylert. Breiten Theils zweite 


Abtheilung. 
(Beim sus Rx. 181.) 


Dre zweite Abſchnitt dieſes Theus ſtellt 
TR e bar. Yu 


Rigim. „Grit feit derWeit”, fagte der: Kaiſer, „wo mir daB 
Thriſtenthum übe wäh Bigube on ham 
Sthöfer in feiner Kraft fuͤhlbar geworden, iſt — ich danke zB 
Wort — Frirde in meine Secle gekommen.“ Ar brüllte hicchei 


Die Hand. ft ans Hert und Fahr it Made. fort: , D, ich 
bin auch nicht auf euumni. Dakin gelauimen: Der Weg dahzin if 
be Ampfe gegangen. Aber der Brand won Mos- 
Bau hat meine Seele ereutet .-..und der Erloͤſung Europas 
verdanke ih meine Srlöfung und Zretmadhma.” Die Rede 
Tam auf die Deilige Allianz. „Die Meiften haben eine ganz 
ierige Borftellung von diefem Bunde”, jogte der Kaifer lebhaft. 
„Es ift damit fo zugegangen. In den Magen von Zügen und 
ei drängte fidh bei allen vergeblichen Ainftrengungen, wo 

wir uneradhtet der heldenmuͤthigen Zapferkeit unferer Aruppes 
tetirieen mußten, Körige und mir Die Überzeugung auf, 
daß wit menſchticher Macht niches gethan und Deutſchland 
verloren ſei, wenn bie göttliche Vorſchung nicht helfend ein⸗ 
ſqhoittc. Ernſt und nachdenkend ritten wir, der Künig und ich, 
ohne Begleitung nebeneinander und ſprachen nicht. Endlich 
unterbrach mein beſter Freund das Stillſchweigen und ſagte: 
«Daß muß anders werden: wir gehen nach Oſten und wir 
wer und — ne Weiten. run Det aber in * 
allein Ehre gebührt, uns vor aller Welt bekennen!» 
Das gelobten wir und und reichten uns ehrlich bie Hände. 
Es folgten nun die Siege von Kulm, Katzbach, Großbeeren 


urd Leipzig, und cid wir din Paris am Biele wauen, brachte 


der re Preußen diefs heilige Sache wieder zur Spradhe 
und Sailer Franz veseinigte fi gern mit uns. In einer 
eruſten Stunde entſtand die erſte Idee des Heiligen Bundes, in 
einer ſchoͤnen und dankbaren ward fie ausgeführt. Er ift gar 
niht unfer — ex iſt WBotted Werk; alle Srundfäpe, die er 
ausfpricht, hat der Erlöfer eingeflößt.” Bierauf ging das 
Deſpraͤch auf die Bihelgefellfhaften über, indem der Kaifer be⸗ 
merkte, man müſſe die Bibel, wie fie iſt, auf jeden Ghriften 
wirken loflen, weckend und wohlthätig, ob auch auf Jeden 
andere. Als der König von dem Berf. gefrsgt wurde, ob 
Dies Befpräch bekannt acmadıt werden dürfe, fagte er: „Iſt 
allerdings kein Seheimniß und Bönnte Jeder erfahren. Aber 
laffen Sie das Geſpraͤch doch nicht drucken, es möchte dem Kaiſer 
nieht recht fein - . . Übrigens haben Sie eine Acquiſition ger 
macht — iſt mir lieb. Der Kaiſer if ein vortrefflicher Herr.’ 
Man hat die vielen Anmerkungen, Biographien und Ehe: 
rakteriſtiken bitter getatett, mit welchen der Verf. allerdings 
häufig den Lauf feiner Erzählung unterbricht. Manche diefer 
Anmerkungen tft jedoch des unzichendften Stoffes voll und den 
Erours über Stein, &. 264 — 81, möchten wir ungern in 
dieſem Buche miffen. Ein fo reiches und lebenvolles Bild des 
innern Wefens des großen Mannes, wie der Verf. uns hier 
entfaltet, ift aller Verſuche ungeachtet von ihm noch nicht dar⸗ 
geftelt ‘werden. Einen merhvürdigen und ſo viel wir vwiflen 
woch nicht bekannten Zug aus Stein’d Leben müſſen wir bier 
mittheilen. Als Stein aus dem preußifchen Staatsbienft auf 
Befehl ſeines MWiderfachers entfernt worden, befand er fi 
tthfam puf der Flucht in Berlin. Der Berf., von Welt 
alen ‘her genau mit ihm bekannt, beſuchte ihn mit dem Direc: 
tor Snethlage- Der große Mann ſaß ruhig da und laß heiter 
im Wafhington's Biographie. Er fagte une, daB er bald nad 
Drag gehen würde. Es war von den damaligen Ereigniſſen 
die Mede. Raſch fprang er auf und holte ein Papier aus dem 
Yulte. „Lefen Sie 'mal, rief er und gab und einen Brief. 
&r war an ihn von dem Kaifer Napoleon ſelbſt in -Franzöfifcher 
Sprache geſchrieben. Der Inhalt war folgender: «Es kann 
einem großen Mann nicht zur Unehre gereithen, einem großen 
Mann zu fagen, daß er ſich in-ihm geirrt habe. Im dieſem 
Fall bifinde ich mich gegen Sie. "Die Eonfiscätion Ihrer Gü: 
ter in Raffau will id eulgebm und ſolche -mit den rückſtaͤndigen 
Einkuͤnften an Sie zu eben, wenn Ste ſich dafelbft rubig 
verhalten und an politiſchen Dingen keinen Theil, weder un: 
mitteldaren noch mittelbaren, nehmen wollen.» .. . , Stein warf 
diefen Brief gleichgültig auf den Tiſch und hat ihn nie beant- 
wertet.” Bon Stein's Berbätmiß zum Könige ‚beißt ed weiter: 
„Der König erfannte, ehrte und fügte ihn... . aber feine 


Wafchkeit und Hektigleit patte nieht zu der Rilda de Gert 
Ging Guide und Die gelsgene Zeit vuhig abwarten und Dh 
dahin einhalten und zögern, Jay nicht in der Denkart Stein6, 
het ihm mußte Alles biegen oder brechen. Deshalb fumpathie 
fiste ev beſſer mit dem idealiſchen Sinne Kaifer Acrauder’6’ u.f.w. 
Andere vielfach anzichende Ercurſe Diefer Art, zum Theil jedoch 
förmlich in ſehr loſenn Bufammenhange mit feinem Thema, fin 
des Kaiſers Alerauder langer Aufenthalt in dem Beinen Kagga- 
08, Die Schilderungen Hufeland's, Ribbeck's, die biographiſchen 
Skizzen von Heim, Binde, Nuft, Fouqus, Puͤckler, Kaifer Franzi. 
Y A., aus welpen mancher neue und intereljante Bug zu ents 
lehnen wäre. Box Allem aber ift das Verhaͤltniß des Könige 
zu Hardenberg ın eingm lebendigen und farbenreichen Wilde dar: 
geſtellt, das wir mit um fo größerer Befriedigung betrachten, 
weil nicht verſchwiegen wird, was beide Seelen aneinander 
band und was fie, jedoch ſtets nur für Augenblicke, trennte 
und ſchied. Die. Verehrung Harbenberg’s für ben erhabenen 
Bärften und das Vertrauen des Königs für den eminensen 
Geiſt des Minifters erfuhren nie einen Wechſel, wenn au 
Beide Monches aneinander anders wuͤnſchten. „Arbeit“, beißt eß 
von dem Leptern, „war fein Element, Drdnung feine Regel, 
Thaͤtigkeit feine Luſt, Beichtigkeit fein Wefen. Und wie Stein 
den Konig für den „Einſichtsvollſten“ unter ihnen Allen er⸗ 
Härte, „der dies nur fo wenig wifle, wie ein Kind meiß, daß 
ed unſchuldig ſei“, fo prisd Hardenberg feinen Herrn ſtetß 
laut als den beiten und zuverläffigften aller Menfchen. 

Es ift begreiflidy, daß während der Verf. den Künig Fried⸗ 
rich Wilhelm in allen wefentlichen Bezügen, ald Zürft und 
Regent, ale Menſch, Vater und Gatte, ald Freund und Bun» 
deſgenoſſe fchäldert, während sr uns fein Verhalten in Könige: 
berg und Zifit, in Frankfurt a. M. und Paris, in Verona 
und in Teplitz, feine Lebensweiſe in Berlin, Charlottenburg, 
Potsdam und Pareg — die legte an rührenden Bügen befon» 
ders reich — ausmalt, er doch auf ein befondered Berhältniß 
immer wieder mit vorzüglidher Vorliebe und Innigfeit zurüd: 
kommt, weil er in diefem den feltenen Fürſten am genaueften 
kennen zu lernen ebenfo berufen als befähigt war. Wir mei⸗ 
nen dad Verhaͤltniß des Königs zur Kirche, zum chriſtlichen 
Bekenntniß, zu feinem Beichtvater, dem — * Wie tren, 
sedlich, gerade, mild und offen, wie voll tiefer Einficht der 
König in diefer Beziehung war, wie ernft und gedankenvoll 
Alles, was mit Religion und Kirche zufommenhing, ibn ftets 
beihäftigte, endlich wie yraßtifch- fromm dieſer Fuͤrſt war, 
das zu zeigen iſt die Abſicht des Verfaſſers an den bedeutungs⸗ 
vollſten Stellen feines Buchs. In einer Reihe von Geſprächen, 
welche er mittheilt und deren Wahrheit gewiß nicht zu bezwei⸗ 
fein fteht, Anden wir die ſprechendſten Beweife dafür, wie fehr 
auch in diefer Wezichumg dem Könige Unrecht geſchah, wenn 
man feine religiöfen Anſichten beſchraͤnkt und befangen, ja nel 
gar für gefärbt und geteübt durch eine gewiſſe Hinneigung zum 
Belotenthum oder zum Katholiciſmus zu achten gewohnt war. 
Seine echte Frömmigkeit nicht blos, nein, aud feine volle und 
reiche Einficht in Das Weſen des Rirchentbums, ja feine ganze 
Sympathie mit dem Berlangen nad fubjectiver Freiheit u 
Selbſtbeſtimmung in dieſer Beziehung geht aus allen dieſen 
Berhandlungen und Gefprächen deutlich hervor. Rur eins fo: 
derte er mit entfchiedener Strenge von ſich wie von Andern: 
Sreue gegen fi ſelbſt! Das Schwanken, Wechſeln und Mo: 
dein ın feinen Überzeugungen, das unfichere Umbertappen nad) . 
den Glaubensobjecten war ihm in det Seele verhaßt, Dies ver⸗ 
warf er ntfchieden; wie wenig aber proteſtantiſcher Zelotis⸗ 
mus bei ihm wurzelte, erweift das merkwürdige Geſpraͤch, Das 
der Berf. (von &. 383 ab) mittheilt, und in welchom der 
Fürft gegen den erften Beiftlihen feiner Kirche den katholiſchen 
Kirchengeift fo fihön und finnig in Schug nimmt. ‚Der Aus⸗ 
druck proteftantifch”, fagte der König u. A., „it mir zuwider. 
Wollen wir denn nie zu proteſtiren aufhören ? -Icher ‚proteftirt 
und will feine ungewaſchenen Einfälle geltend machen. Day: 
über gerathen Zaufende in Zweifel und Keiner weiß mehr 


/ 


⸗ 





as 


woran er if. Die Kirche aber wii uns doch gerabe zur Ge⸗ 
wißheit, jum Frieden bringen. Der Name Proteftant ift bes 
Banntli bios Hifterifh.” Died ſchoͤne Document des durch⸗ 
aus milden und verföhnenden @Beiftes Friedrich Wilhelm's im 
allen Eirchliden Dingen ift gerade heute, in einer Beitwelle, 
welche offenbar den Unfrieden und den Selotismus wieder auf 
die Oberfläche des Lebens geworfen bat und mit diefem Mis⸗ 
verftändniß noch nicht fo bald zu enden den Schein nimmt, von 
wiefachem Gewichte, von doppelter Bedeutung. Über dieſe 
Sinfeittgeeit — und aller religiöfe Gifer, er nenne fidy wie 
er wolle, ift @infeitigfeit — war König Friedrich Wilhelm 
erhaben. Union und Agende Pi daß er die Kirche mnig 
und warm liebte; allein die Kitche des Friedens, der Berföh- 
nung, der Verſchmelzung, die gedankenvolle Kirche, weiche die 
Segenfäge nicht berausflellt, fondern fie vermittelt. In Tep⸗ 
ig befuchte der König mit Vorliebe die Predigt eines katholi⸗ 
ſchen @eiftlichen, der ihn ftetd erbaute und von dem er gegen 
den Verfaffer die Kürze feiner Reden rühmte. „Was bie 
Kürze der Predigten und ihre Geftalt betrifft”, entgeänete 
derfelbe, „fo bat und Luther Larüber eine naive Borfchrift ge: 
eben. Sie lautete fo: Zritt frifh auf — thu's Maul auf — 
ör' bald auf?” „Charmant“, rief der König, „und Der hat 
es doch gewußt!” 

Mit diefen muntern Worten wollen wir unfere Anzeige 
von diefem Buche fehließen, indem wir dem Berf. für feine 
größtentheild nern empfangenen Mittheilungen danken, den 
keſer aber darauf binweifen, wie uns in einem dritten und 
legten Bande diefer Bragmente, nad dee Vorrede zu dem ge: 
genwärtigen, noch eine reiche Rachleſe zu benfelben, nament- 
lich aber die Epoche der zweiten Bermahlung Friedrich Wil: 
helm's, die Regeneration des Heers, die kirchliche Union und 
Anderes von ähnlicher Bedeutung bevorfteht. 19, 





Bibliographie. 

Militairifche Briefe eines Lebenden an feinen Freund Elaufe 
wig im-Diymp. Leipzig, D. Wigand. Gr. 8. I Thlr. 15 Nor. 

"Brunner, ©;, Der deutſche Hiob. Regensburg, Manz. 
K. 8. 1 Thlr. 7 Nor. 

Chlebuß, 3. W. R., Judenthum und Heidentbum im 
Verhältniffe zu einander dargeſtellt. Berlin, Enslin. 8. 24 Nor. 

Deus, F., Auswahl deutfcher Gedichte des 17., 18. u. 
39. Jahrhunderts, nady der Zeitfolge geordnet, mit biographi- 
fihen und erllärenden Anmerkungen, nebft Muftern deutfcher 
Proſa und Sprachproben der frübern Jahrhunderte. te ver- 
befferte Ausgabe. Koblenz, Baͤdeker. Gr. 8. 1 Xhlr. 20 Ngr. 

Etlar, C., Der digeuner. Ein Bild von Zütlands Weft 
küſte. Aus dem Daͤniſchen überfegt von %. Mayer. Augsb:- 
burg, v. Senifh und Stage. Br. I2. 1 Thlr. 

Feval, P., Der Sohn des Teufels, deutfch von A. Diez: 
Ifter Band. Leipzig, Vereins: Verlagsbuchhundfung. 
8. 10 Nor. 

Gefprahe aus der Gegenwart Über Staat und Kirche. 
Stuttgart, Beer. 8. 1 She. 15 Mor. 

Hofmann, v., Die Schlacht von Borodino mit einer 
Überficht des Feldzug von 1812. Koblenz, Büdeler. Gr. 8. 
1 hir 


Koh, U, Der Kaifer und der Rarr, ober dad Zurnier 
am Hofe. Großes romantifches Ritterluftfpiel in 4 Aufzügen. 
Rain), Wird. 12. 10 Nor. 

Die Proftitution in Berlin und ihre Opfer. Nach anıt- 
Sichen Quellen und Erfahrungen. In biftorifcher, fittlicher, 
mediziniſcher und polizeilicher Beziehung beleuchtet. Berlin, 
Hofmann und Comp. Gr. 8. TIhir. 

Reichardt, H., Die Gliederung der Philologie. Tü- 
bingen, Fucs. Gr. 8. 15 Ngr. 

Schaufpiele des Mittelalters. Aus Handfchriften heraus: 
gegeben und erflärt von F. I. Mone. Ifter Band. Karls: 
Zube, Macklot. Gr. 3. 1 Zhlr. 15 Nor. 


" Zeras. Ein Handbuch für deutſche Muswanderer. it 
ga BE 
nfledelun r ns zum 
Aubwanderer in Texas bewirken wollen. it ee Karte von 
Texas. te vermehrte Auflage. Bremen, Geisler. &r.8. 20 Stge. 


Zagesliteratur. 


Die Bibel. ine Rede an das bdeutfche Boll. Magde⸗ 
burg, Baldenberg und Comp. 8. 4 Rear. 

Bresler, JT. H., Dr. Luthers Tod und Begräbnif, von 
Augenzeugen gefchilbert, und die vier Zrauerreben, die an Bur 
ther's Sarge gehalten find. Danzig, Gerhard. Gr. 8. 10 Nur. 

Die iſchten Ehen in der Erzdioͤzeſe Freiburg. Rah 
ben Aftenküden dargeſtellt. Zugleich ein Beitrag zur Beleuch⸗ 
una er yndgſchen Auftände in Baden. Regensburg, Manz. 

%. 0. If Rgr. 

Guttzeit, F. B., Die Verfaffung des preufifhen Staats 
in ihren Grundzügen dargeſtellt. Danzig, Gerhard. 8. 5 Rer. 

Zohannfen, J. C. G., Ehriftus if unfer Dleifter. New 
jabrspredigt 1846. Ein evangelifchratiomales Zeugniß in den 
Wirren der Seit. Kopenhagen, Neigel. 8. 4 Nor. 

Zoſeph, 3. €., Wie hat fi der Herr aud am todten 
Luther als einen Gott der Lebendigen bewahrt! Predigt über 
Matth. 22, 32. Nördlingen, Bed. Br. 8. 2%, Xgr. 

Köhler, 2. M. R., Bwölf Predigten, theilweiſe mit Be 
ziehung auf die kirchlichen Bewegungen der Gegenwart, nebſt 
einem Anhange von Gelegenheitöreben. Reuftadt ad D., 
Bagner. 9. 15 xg 

Lampadius, W. A., Luther's Geiſt, ein Geiſt von Gott 
und Gedanken und Entſchließungen —ã Chriſten an 
Zuther’s Grabe. Zwei geiſtich Meden. agdeburg, Falcken⸗ 
berg und Comp. Gr. 8. 3 Ror. 

Mayer, 3. M., Predigt zum Gedächtniß des Reforma- 
tor6 Dr. M. Luther.  Rörblingen, Bed. Gr.8. 2%, Rer. 

Raumwerd, K., Hauptergebnifie der Landtagsahfchiede in 
SHreußen 1841, 1843, 1845. Berlin, Bethge. Gr. 8. 15 . 

— — Der Streit zwifchen Regierung und Geiftlichfeit im 
Kanton Waadt. Berlin, Bethge. Ler.:8. 3 Rgr. 

Diearius, K. J., Was hat das Volk durch Luther ge⸗ 
wonnen? Predigt. Stolberg, Schlegel. 8. 21, Rgr. 

Die Revolution im Waadtlande im Eonflicte mit der Lan 
deskirche. Halle, Mühlmann. KL 8. 7% Rar. 

Schüler, © F. C., Warum farb Dr. M. Luther nicht 
den Märtyrertod? Predigt über Ep. Luc. 18, 3I-—34. Stol⸗ 
berg, Schlegel. 8. 2% Ror. 

Eiliged Sendfchreiben an die geehrten Mitglieder der neu 
katholiſchen Kirche in Deutfchland. Magdeburg, Falckenberg 
und Somp. Gr. 8. 2%, Rar. 

Dffenes Sendfchreiben an Hrn. —* Carl von Wrede 

in Betreff der fünf Anträge in der hohen Kammer der Keichs⸗ 
rätbe am 22. Dez. 1545, von einem Fatbolijcpen Pfarrer der 
Diözete Eichftädt. Regensburg, Manz. Gr, 3. 7% Rar. 
-  Stodmepyer, I, Bann und auf welde Veranlaffungen 
iſt das apoſtoliſche Symbolum entitanden und welche Bedeutung 
hat dafjelbe für die Kirche überhaupt und insbefondere auch für 
unfere Beitt Zürich, Meyer und Zeller. 8. 9 Rer. 

Herr Prediger Uhlich und fein Amtseid. Eine Erwiderung 
auf die Abhandlung deflelben „Über den Amtseid der Geif- 
lichen’. Bon einem Mitgliede der evangelifhen Kirche Magde— 
burg, Zaldenberg und Comp. Gr. 8. 7%, Rer. 

Bogel, ©. W., Luther, ein guter Kämpfer. Predigt. 
Neuftadt a. d. D., Wagner. 8. 3 Rear. 

Weftmorland, Srafv., Sendfchreiben an den hochacht⸗ 
baren Sprecher des Hauſes der Gemeinen über die Anrechte 
ber römifchkatholifchen Unterthanen Großbrittaniens, nebft ei- 
nem Briefwechfel Des Dapfket Pius VII. mit dem verfiorbenen 
König von Reapel und Beilagen. Aus dem Engliſchen über- 
fegt von R. Bellfon. Berlin, Wolf: &r. 8. 10 Rer. - 


Berantwortlider Derausgeber : Heiurih Wrodhans. — Drud und Verlag von F. MW. Brockhaus in Leipzig. 


- 





Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Sonnabend, 








Englifhe Zuftände. 
Erſter Artikel. 


1. England. Bon I. Benedey. Dre Theile Leipzig, 
—E 1845. Gr. 8. 6 Ken. ” ewꝛis 
Bern man fagen darf, daß fich die ganze europäiſche 

Welt gegenwärtig in einer Krifis befindet, deren Ende 

und Refultat noch nirgend abzufehen ift, fo treten die 

Symptome diefer europäifchen Kriſis doch nirgend fo 

großartig und fo unverfchleiert auf ale eben in Eng» 

fand. Deshalb waren von jeher die Blicke aller den⸗ 
tenden Männer auf jenes wunderbare Infelreich gerich- 
tet, deshalb find fie ed um fo mehr in diefem Augen- 
bite, wo dort eine Revolution vor fich geht, wie bie 
Geſchichte Peine zweite aufzuweifen hat und welche in den 
beiden Ländern Europas, welche mit England auf ber- 
felben Gukturftufe flehen, ihrer ungewohnten Formen, 
ihre® ungeheuern Inhalte wegen die alfgemeinfte Auf: 
merkſamkeit in Anfpruch nimmt. Frankreichs und Deutfch- 
fonds Blide find unausgefegt auf England gewendet 
und miüffen es fein, denn England arbeitet jegt prak⸗ 
tifcher und durchdringender als fie felbft an den Grund⸗ 
fragen - der europäifchen Civiliſation, d. h. der europäi- 
fhen Zukunft. Demzufolge mehrt fih in Frankreich 
wie In Deutfihland eine Riteratur, welche über England 
zu orientiren fucht und bie englifchen Zuſtaͤnde als einen 

Thermometer für ganz Europa betrachtet, demzufolge 

. glauben wir am ficherften und am vortheilhafteften zu 

verfahren, wenn wir bei unferer Beſprechung der engli- 

ſchen Zuflände ganz direct an diejenigen beiden Werke 
anfnüpfen, melche in ber meueften Zeit als die vorzüg- 
lichſten fowol in der deutfchen als in ber franzöfiichen 

Literatur über England erfchienen find, an die Schrif- 

ten von Venedey und Leon Faucher, und wenn wir 

hier und da eine Parallele zwiſchen der deutfchen und 
der feanzöfifhen Betrachtungsweife der engliſchen Fra⸗ 
gen verfuchen. 

Wir fagen nit zu viel, wern wir das Werd, wel. 
ches Benedey der deutfchen Literatur über England ge- 
boten bat, das vortrefflichfte und gediegenfle nennen, 
was wir über die Zuflände jene® uns vermandten Infel- 
volts befigen. Seit Haumer iM viel über England ge» 
f&rieben worden, aber nichts Ft mit dem Werke Bene 


dey's zu vergleihen. Wir finden in Benedey einen deut⸗ 
fen Zouriften, der fi) ganz und gar von ber leicht⸗ 
füßigen Manler des modernen Schriftſt fern 
gehaften hat; es iſt viel dorifcher Charakter in feinem 
Wefen, viel Gruͤndlichkeit und viel redliche Überzeugung. 
Sind unfere Anfichten zuweilen ganz andere als die ſeini⸗ 
gen, fo fehägen wir doch Immer die Bebiegenheit, mit 
der er feine zeugungen vorzubtingen weiß, wir be 
wundern die Fülle des Materials, welches er fowel 
durch unabläffige Studien als dur unmittelbare Aus 
ſchauung zu bewältigen und geſchickt, ſelbſt kunftreich, 
namentlich in dem hiſtoriſchen Theile feines Werts, zu 
verarbeiten gewußt hat. 

Was wir fhon früher in d. Bl., bei Gelegenheit 
der Beſprechung feines Werks über Irland, von Bewer 
dey's Charakter und von feiner Perfönlichkeit fagten, 
önnte hier wiederholt werben, wir weifen jedoch dahin 
zurück.) Uber wir waren einftmeilen der Hoffnung ge 
worden, Venedey ſtehe am Ende feiner gründlich benutz⸗ 
ten Odyſſeus⸗Fahrten und es öffne das heimifche That 
des Rheines, es öffne die alte Vaterſtadt Köln dem Ber- 
bannten für immer bie Thore. Deffenungeachtet fehen 
wir Venedey aber wieder, nad) einer Purzen Raſt am 
der Bruft des gealterten Vaters, nach einer ängfllid und 
nad) Mimuten abgewogenen traulichen Beſprechung mit 
alten Freunden, auf die wirren Pfabe des Pfüchtlinge- 
lebens hinausgeſtoßen. Venedey fagt, er habe auch 
im fremden Lande Freunde und Freundinnen gefunden. 
In diefem Bekenntniſſe aber liegt zugleich eine Erlöfung 
des Humaniemus den Principien des Nationalismus ge⸗ 
genüber, welchen Venedey Yuldigt und auf deren Pruͤ⸗ 
fung fowol feine täglichen Beobachtungen al6 auch feine 
biftorifchen Studien hinauszulanfen pflegen. Ja wohl, 
das Menfchliche erhebt fi) immer über das Nationale. 
Diefe Wahrheit hat Venedey an feinem eigenen Leben 
bewährt gefunden. Der Rattonalismus artet allzu oft 
in eine Befchräntung und Vertümmerung des Menſch⸗ 


tichen aus. Deffenungeachtet hat fi in Venebey ein 


Hauptintereffe für alle nationalen Entmwidelungen erhal 
ten und wir erwähnen dieſes Punktes von vornherein, 


9) Bergl. Nr. 122 — 185 und Nr. 239 — 92 d. BL f. 18%. 
D. Red. 














542 


weil er eine bet Hauptpunkte ift, in denen wir uns zu 
Venedey im Gegenfage befinden. 

Venedey gehört zu ber deutſch⸗ nationalen Partei. 
Wir betrachten ihn als eine der tüchtigften Geftalten 
im Kreife derfelben. Wäre er duch feine Entfernung 
vom Baterlande nicht wider feinen Willen verhindert 
worden, die Bewegungen Deutſchlands innerlich mit 
durchzumachen und zu verarbeiten, er würbe, wir find 
e6 überzeugt, den. Standpunkt, auf welchem er fieht, 
binter ſich gelaffen und das Princip des Nationalismus 
entfhieben durchbrochen haben. Wenn er im zweiten 
Theile des vorliegenden Werts (S. 432 — 433) fagt: 
„Mein angeborenes Graufen vor allen. Philofophen und 
aller Philoſophie der Schule, meine Befpenfterfurcht vor 
philoſophiſchen EncyHopädien erlaubten mir nicht länger 
Gnade für Recht ergeben zu laſſen und ich hatte den 
Muth, der Dame zu geftehen, daß ich fein Philofoph 
fei und gar keine philofophifchen Werke lefe”, und ferner: 
„Ich ahnte nicht, wie graufam ich war. «So find Sie 
alfo Fein BPhilofoph%n», fagte fie «Bei Leibe nicht. » 
«Wol ein Politifert» «So etwas»” u. f. w., ſo muß 
diefes Bekenntniß allerdings einen durchaus wunberlichen 
Eindrud auf uns machen. Wir fehen daraus, wie fremd, 
obwol wir uns nicht darüber wundern, verfchiedene deut⸗ 
ſche Richtungen für unfern Flüchtling geblieben find. 
Die philofophifche Bewegung ift nämlich in Deutſchland 
weit über die „Schule und die „Encyklopädie“ hinaus: 
gegangen, fie eben ift es, welche in Deutfchland einzig 
und allein, ohne von befchräntten Vorausfegungen an« 
zufangen, den wahren Grund des Lebens ſucht. Die 
philofophifhen Schulmänner find in Deutfchland weit 
im Rüdftanbe geblieben. Es gibt unter und Viele, die 
Philoſophen find, ohne daß fie fich noch um die „Schule” 
oder um bie „philofophifche Encyklopädie“ befümmern. 
Aber Venedey erflärt geradewegs, er fei überhaupt kein 
Philoſophh. In dem Sinne, wie fie jegt gefaßt wird, 
ift fie die MWiffenfchaft aller wahrhaft menfchlichen In⸗ 
texeffen geworden. Indem Venedey fich als Nichtphilo- 
fophen bekennt, würde er alfo auch das allgemein menjch- 
liche Intereffe von fi zurudweifen müffen. Das fommt 
ihm gewiß nicht in den Sinn. Er fei fein Philofoph, 
aber er fei ein Politiker, ſagt er ferner. Die Politik 
wie fie ift und wie fie betrieben wirb mag allerdings 
* Grund haben, ſich ale den Gegenfag der Philofophie zu 
betrachten; wie aber Venedey die wahrhaft vernünftige 
Wiffenfchaft der Politit als den Gegenfag ber Philofo- 
phie hinftellen fann, das will fih mit unfern Anfichten 
und liberzeugungen durchaus nicht vereinbaren laffen. 
Eine politifche Wiſſenſchaft, die nicht auf einem allgemein- 
vernünftigen, alfo philofophifehem Boden beruht, eine 
politifhe MWiffenfchaft, die nicht die vorausfegungslofe 
Kritik über ſich anerkennt, fondern von Vorausfegungen 
wie 3. B. Nationalitätsunterfdieben, pofitiven Geſchichts⸗ 
dbogmen u. f. w. ausgeht, wird immer mehr oder min- 
der bie Unfreiheit des menfchlihen Gefchlechts begünſti⸗ 
gen und wenn fie bier und da in befondern, felbft in 
den meiften Fällen, da6 Wort für die Freiheit, für das 


, 


„Volk“ nimmt, fie kann niemals im Stande fein, das 
Panier der wahrhaft menfchlihen Freiheit zu erheben, 
fie fann über den Bürger nicht zum Menſchen und über 
bie Nation nicht zur Menfchheit gelangen. 

Noch ein dritter Hauptpunkt ift es, in dem wir gang 
anderer Anficht find ale Venedey, nämlich in ber Auf 
faffung ber focialen Zuftände und der focialiftifchen Prin⸗ 
cipien, die er natürlich mit feiner bürgerlichen Politik 
nicht in Einklang zu fegen vermag. Das Nähere fagen 
wie an der betreffenden Stelle. Wir haben nun, info- 
weit wir anderer Anficht find als Venedey, unfere 
Unfichten gleich vorangeftellt, um ben Lefern ſowol 
bes Venebey’fchen Werks als auch diefes Artikels einen 
freiern Überblid zu gewähren. Um fo unbefangener und 
ununterbrochener fönnen wir jegt Venedey in der Ent- 
widelung und in dem Fortgange feines Werks begleiten. 

Das Werk zerfällt in zwei Abtheilungen. Die erfte 
Abtheilung entwidelt die gefchichtlihen Zuftände Eng⸗ 
lands, die zweite befchäftigt fich mit ben gegenwärtigen 
Berhältniffen deffelben und bringt die unmittelbaren An- 
fhauungen des Verf., wie er ſich bemüht, diefelben mit 
feinen hiſtoriſchen Nefultaten in Einklang zu bringen 
und auf denfelben zu begründen. Beide Abtheilungen 
bilden alfp ein organifches Ganzes. 

Die erfte, nämlich) die hiſtoriſche Abtheilung erfcheint 
uns ald die Meifterpartie des Venedey'ſchen Werks. Sie 
iſt gründlich und Elar zugleich, es find langjährige, mü- 
hevolle Studien in derfelben verarbeitet, ohne daß der 
Derf. auf deutfche Gelehrtenmanier in ellenlangen Ci. 
taten damit prunkte. Es war ihm, wie er felbft fagt, 
nicht um die Gelehrſamkeit, fondern um bie Lehre zu 
thun und dazu genügten die Thatſachen, wie er fie in 
den Gefchichtfchreibern der Ereigniffe, Verhaͤltniſſe, Zu⸗ 
ftände und Inftitutionen Englands fand. Er brüftet 
fih nicht mit der Mühe und der Arbeit, welche ihm 
das Auffuchen der Quellen gemacht hat, es ift vor allen 
Dingen ein praftifcher Zweck, den er bei der Durchfor⸗ 
fhung der englifhen Gefchichte im Auge behält: „Die 
Lehre in mein Volk niederzulegen, bie ich felbft bei mei- 
ner Wanderfahrt durch Englands Gegenwart und Ber- 
gangenheit davongetragen habe.” Wie gründlich die 
Studien Venedey's geweſen find, das bemeift, obgleich 
die Citate fehlen, die ganze Behandlung des hiſtoriſchen 
Theild. Venedey ordnet das ſchwierige und verwidelte 
Material fo lichtvoll und felbft fo Lünftlerifch, er hat ei⸗ 
nen fo beflimmten, fihen Blid über Englands Zu⸗ 
ftände, wie er eben nur durch das allfeitigfte Studium 
zu erwerben ift. 

Der erfte Theil ift den Zuftänden Altenglands ge- 
widmet. Venedey führt uns in die dunkeln Tage der 
Briten und der Römer. Das Weſen ber Briten war 
im Ganzen das aller Leltifchen Volksſtäͤmme. Lebendig, 
vegfam, tapfer, raſch und unbeftändig, dann aber auch 
gutmütbig, lebensfroh, genußfuchend, offenherzig, ohne 
Hehl und Arg, — das find die Grundzüge der keltiſchen 
Art und Weife. Die gefellichaftlihe Culturftufe, auf 
ber die Briten ftanden, bevor fie mit ber Eultur Cu⸗ 





ropas in nähere Berußrung kamen, fehilbert Venedey 
in folgender Weife: 

Es war die Stufe der reinen Zamilienorganifation. Das 
Eigenthum war nicht ein perfönliches, nicht ein Kaften», Volks: 
ſtamm⸗ ober Staatseigenthum, fondern gehörte der Familie; 
und wer Anſprüche auf baffelbe machen wollte, mußte vorerft 
befunden, daß er zu der Familie gehöre, was dann aeg 
fein Recht auf feinen Antheil an dem Yamilieneigenthume zu 
figern. Richt dem Volle, dem Staate, fondern der Familie 
gehörte der Einzelne an und fo zerfplitterte fi) die ganze Be 
völferung Britanniend in eine Maffe Heiner und größerer Fa⸗ 
milienkreife ohne innern feflen Aufammenhang. Was Wunder, 
daß die Rieſenmacht Roms, trog aller perfönlihen Zapferkeit 
der Briten, auch bier Fam, fah und fiegte?. 

Die Herrſchaft Roms lag vier Jahrhunderte auf Bri- 
tannien. Die Gefhichte Roms in Britannien ift, mit 
Ausnahme der Kämpfe, fo leer als möglich und läßt 
obne alle Nachricht über den Zuftand der Bewohner 
Britanniens, jedenfalls ftellt fi) aber, nad) Venedey, 
als Hauptergebnif der Schlug heraus, daß bie vierhun- 
dertjährige Herrſchaft Roms den Briten nicht nur in 
Bezug auf ihre Cultur nichts genugt, fondern im Ge: 


gentheil die guten und rüſtigen Eigenfchaften des kelti⸗ 


fhen Stammchararakterd mehr oder minder vernichtet 
hat. Die Eulturftufe der Briten war noch fo niedrig, 
daß fie die höhere Eivilifation Roms als ein feindliches 


- Element zurüdftoßen mußten und diefelbe nicht in ſich 


aufnehmen konnten; fie blieben von dem Weſen berfelben 
unberührt. Das beweifen die nächften Ereignifje nad) dem 
Küdtritte der Römer aus Britannien. Die Sprade 
Roms hatte nicht im Volke Zug gefaßt, die Inftitutio- 
nen Roms gingen unter und an ihre Stelle trat fafl 
unmittelbar das Anfehen der alten Samilienhäupter, die 
die Römer entfegt hatten. Die vierhundertjährige Gewohn⸗ 
heit an die fremde Herrfihaft hatte aber jeden Reſt von 
Selbftändigkeit in den Briten befiege. Die leichte Seite 
des Feltifchen Weſens hatte volllommen das Übergewicht 
erlangt, fogar die alte Tapferkeit war verfchmunden und 
als die Zeit der Noth kam, mußten die Briten die Beute 
des erften Angriffs werden. 

Es erfcheinen die Sachfen. Die erften Abenteurer 
tiefen immer ftärkere Züge neuer Auswanderer herbei, 
der Widerftand ber Briten kam jegt zu fpät, er dauerte 
nur lange genug, um zu einem Bernichtungsfampfe zwi⸗ 
fchen den alten Bewohnern Britanniens und ben fächfi- 
[hen Einwanderern zu führen. Venedey ſchildert vor- 
trefflich, wie diefer Vernichtungskampf in allen Verhält⸗ 
niffen der beiden fämpfenden Parteien lag: 

- Die Briten auf dem Flachlande Britanniend hatten den 
Sachen gegenüber nichts als ihre Hartnädigkelt, und das ge- 
nügte nur, um den Kampf zu verewigen. Was dem Einen 
eine Tugend, war dem Andern eine Schwäche, was dem Einen 
eine Ehre, war dem Andern eine Schande. Der Ernft des 
Germanen ftieß gegen die frifche Lebensluſt des Kelten an, die 
ruhige Überlegung war ein Hohn der rafchen Hingebung, die 
Ziele vet emüthe ärgerte fih an der frohen Sberflaͤchlich⸗ 
eit u. f. w. 

Das Alles mußte zu einem ewigen Kampfe und 
diefer Kampf zur Ausrottung der Briten führen, ſoweit 
das Schwert der Sachfen zu bringen vermochte. Die 


Folge biefer Ansrottung ber Briten war, daß fi in 
England das germanifihe Wefen rein und ohne Beige: 
ſchmack verwirklichen konnte. Mit dem Untergange der 
Briten in ihrem Kampfe gegen die Sachſen erhielten 
diefe volllommen freies Spiel, und fo kam es, daß ger- 
manifches Weſen von den Sachſen, fo rein es in Deutfch- 
land felbft je beftanden hatte, nach England übergepflanzt 
wurde und, unter beffern Verhältniffen wie in Deutfch- 
land feibft, fi reiner in England erhielt als in dem 
eigenen Mutterlande. , 

Ebenfo gründlich ale klar ift num die Überficht, welche 
Venedey von den Gefegen und Inftitutionen der Angel- 
ſachſen entwirft. Im ihnen die Grundzüge aller gefell- 
ſchaftlichen Verhältniſſe darzuftellen, darin iſt Venedey 
Meiſter und es erreicht ihm fo leicht Keiner in dieſem 
Punkte. Die volksthuͤmliche und ftaatliche Organifation 
ber Sachſen beruhte ebenfalls auf der Familie, die Frei⸗ 
heit auf der Unangreifbarfeit des Hauſes. Aber bie 
Familie fchloß nicht wie bei den Kelten den Kreis ber 
gefellfchaftlihen Zuftände, fie war nur Grundlage des 
Staats und nicht der Staat ſelbſt. Zehn Familien bil- 
beten die unterfte Stufe der volksthümlichen Organifa- 
tion, in einer Art Gemeinde unter dem Namen Tithings. 
Die zweite Stufe bildeten zehn Tithings, die Hundreds, 
auf dieſe folgte eine Art Provinzialabtheilung Scyre, 
Shire; diefe zufammen bildeten dann den Staat. Jede 
diefer verfchiedenen Abtheilungen hatte ihr eigenes, felbftän- 


diges Leben, die Seele der Verbindung war aber die 


gemeinfhaftlihe Pflicht, für Ruhe und Ordnung 
einzuftehen. Die Mitglieder der Zehnt, Hundert bilden 
unter fi eine Art Gericht, das über die Angelegenhei- 
ten der Gemeinde entfcheidet. Der Vorfteher der Ge⸗ 
meinde ift der Alderman. Gewählt wurde der Alder- 
man von der Gemeinde. Uber dem Alderman gab es 
noch einen andern Beamten, den Gerefa (Graf), in den 
Shires den Shiregerefa (Sheriff). Es war mwahrfchein- 
lin ein königlicher Beamter. An der Spige der Staats- 
verbindung ftand der König Wie ber Alderman der 
erfte Bürger der Gemeinde, fo war er der erſte Bür⸗ 
ger bes Staats. Der Staat beruhte in einer Reihen⸗ 
folge von Behörden, in der jede ber verfchiedenen Stu- 
fen ein über dem andern ftehendes Gericht bildete. Die 
ftaatlihe Organifation war eine Art Gerichtsorganifa- 
tion. Die Gerichte ordneten Alles, forachen Recht und 
diefes Recht wurde Gefeg, allgemeiner Gebrauch. Der 
Gedanke der germaniſchen Organifation, fagt Venedey, 
berube auf dem thätigen Rechtsbegriffe, auf der Pflicht, 
auf der allgemeinen Verantwortung für die Aufrechthal« 
tung des öffentlichen Friedens, und fo war es ganz na- 
türlih, dag diefer Gedanke in der Verwirklichung der 
Staatsthätigkeit zu einer Reihenfolge von Berichten als 
der organifchen Verkörperung des Pflichtgedankens führte. 

Der König war der Erfte im Staat, aber auch für 
ihn gab es ein Wehrgeld (Sühne für einen Getödteten), 


zwar das höchfte Wehrgelb, aber doch ein MWehrgelb. 


Ein deutlicher Beweis, daß fich die Germanen bei ihren: 
Könige etwas Anderes dachten als bie Römer unter ih- 








zen Säfaren und bie neuere Zeit unter den abfoluten 
Königen. Dem Könige folgte ein Adel, die Thanes 
genannt. Ga iſt ſchwer zu fagen, wie weit bie Vor⸗ 
vechte deffelben gingen. Dem Abel folgte ein Mittel» 
and, bie Cearis genapms, fe waren Pächter und Acker⸗ 
bauer. Aulegt Tamen die Sklaven oder beffer Knechte. 
Diefen drei Volktelaſſen entſprachen wahrſcheinlich drei 
Claffen von Eigentgum: Thainland, Bondland und Falk- 
land. Das erſtere war bed Gigenshum bes Adels, das 
zweite ber Befig des freien Ackerbauers, ber baffelpe 
von einem Adeligen in Pacht genemmen; weniger klar 
iſt es, mas unter Folkland verſtanden wurde, bie Einen 
fchreiben es den Gemeinden, bie Andern ben Knechten 
zu. Das fähfifche Eigenthum kommt fpäter unter bem 
Kamen Sottage, Eigenthum, vor und unterſcheidet ſich 
als ſolches fehr fireng von dem normanniſchen Eigen⸗ 
thum, war frei und ging auf alte Kinder zu gleichen 
‚Teilen, ausnahmsweiſe, vieeicht wur bei ben ärmern 
Bauern, auf ben jüngften Sohn über. 
(Die Yortfegung folgt.) 


Rovellen und Bilder 


Feberzeichnungen auf ber Reife. 
1846. 8, 


von 2. Mühlbach. Berlin, Mylius. 
3 Thlr. 

Ref. hat Peine Sympathie für die Literatur ber Blau: 
flrümpfe. Die Fähigkeit für männliches Wirken ſpreche ich 
war nicht einem einzelnen Weibe, wol aber dem weiblichen 
Befchiechte ab. Jedes Jahrhundert fieht einige Weiber gebor 
ren werden, von denen man fagen Fann: ingenio viri, sexu 
feminae. Ja wir haben es in dieſem Decennium erlebt, daß ein 
Weib wagte zu fihreiben was jedem Manne unmöglid) war; ich 
fpreche von Bettina und ihrer Schrift: „Died Buch gehört dem 
Könige”. Mag in Bettina viel ercentrifches, phantaftifches 
Element fein, zu den heroiſchen Weibern gehört fie. Biel rubi- 
ger, Bälter fcheint mir 2. Mühlbach, Madame Theodor Munbdt, 
obwol auch fie wie mit feurigen Zungen reden fann; man 
lefe nur die Stelle, wo fie über Gefängnißwefen fpricht. 

Das vorgenannte Bud ift ein ganz und gar modernes 
Preduct; berlinifch: modern möchte ich «8 ame liebften nennen. 
In welche Situation, in welche Umgebung der Yutor au 
Zommt, überall drängt ſich bad Bewußtſein aus ihm heraus, 
er: gehört jener Stadt an, welche auf ihre Intelligenz fo ftolz 
ift. Ref. muß geftehen, daß ihm dies fchon oft im höchften 
Grade Iäftig, niemald aber weniger unangenehm geworben iſt 


als in diefem Buche der Madame Theodor Mundt; man lieſt 


weiter man vordringt mit deſto größerm Intereffe weiter. 
In ihrem Urtheil fcheint L. Mühlbach faft immer ſcharf und 
fiher treffend; fie capitulirt nicht mit ihrem Gegner, fie will 
ihn total befiegen; dem Rauch zum Grempel gibt fie durchaus 
Beinen Pardon, weil Feine Poeſie in feinen Werken fei: er könne 


nur Trinkliederſtatuen machen und feine Bictoriabilber fähen, 


mit ihren zufammmengeflemmten. Beinen und dem Palmzweig 
auf der Schulter aus wie Rekruten, die das Ererciren lernen 
follen. 2. Muͤhlbach's Naturfchilderungen find klar, niemals 
verlieren fie fich ins Überfchmwänglidhe und Unbeftimmte; die 
Sprache ift überall dem Begenitande augemeſſen, ganz einfach, 

ohne Präatenfionen. An charmanten Einfällen ift das Bud 
reich; + B. als 2. Mühlbach nach Zerney und in Voltaire's 
Simmer fommt, trifft fie dafelbft eine Katze, weldye die Befu: 
chenden durch Haus und Garten geleitet: plöglich wird es ihr 
zur Gewißhelt, daB das nicht eine gewöhnliche Katze, fondern 





Beiteired Bei feis dieſer Sherz IR rocht haͤbſch Dune 


der Beit Arzt fein und war au ſelber krank an der Zeit Jrr⸗ 
tum, und ein großer Schmerzedfchrei ging kreiſchend und un⸗ 
heilvoll durch die legten Jahre feines Lebens. Jean Jaques 
og es vor zu arbeiten, ftatt fi ernähren zu laſſen, und un 
fern reifenden Preibeitäfänger Hoffmann von Fallersleben, den 
würde er nicht begreifen und vielleicht erröthend flatt feinen 
die Augen niebergefhlagen haben. Sean Jaques glich nicht 
unfern modernen Freiheitshelden, weder Hoffmann noch Herwegh, 


‚ welcher Legtere einft jenen bekannten Beſuch beim König von 
Preußen machte und fi) dort unbehoffen, angftvoll und zaghaft 


zeigte. Auch Sean Jaques wurde zu einem Könige befchieben, 


| ein König wolite nicht allein ihm danken, der Philoſoph follte 


aus den Händen Ludwig's auch ein Sahrgeld empfangen. Das 
wußte Roufleau, er wußte aber auch, daß er nicht gemacht fel 
mit einem Könige zu verkehren, daß er entweder die Freiheit 
feinee Rebe bezwingen oder durch die Freiheit feiner Rede ver 
fegen würde. Beides wollte er vermeiden, und arm wie er 
war, entfagte er dem verheißenen Jahrgelde, nahm Poſtpferde 
und verließ Paris ohne dem Könige borgeftellt zu werden; er. 
ernäbrte fich damit, daß er jeden Vormittag die miferable Mu⸗ 
fil der damaligen Mode copirte.’ 

Zum Schluß fügen wir die nach allem Obigen fat über: 
flüfige Bemerbung bei, daß dies Buch Yon 2. Möhlbach allen 
Freunden einer geiftreichen, zu Controverien und weiterer Mit- 
theilung anregenden Lecture lebhaft empfohlen werden darf, 





Literarifhe Anzeige. 
Soeben erſcheint neu in meinem Berlage: N 
Zörg 4 Ch. &.), Beleuchtung der für dad 
23 Sachien beantragten Reform ber Re⸗ 
dieinalverfaffung. Vorausgeſiellt ift eine Kritik der 
Brofchüre des Bataillonsarztes Dr. Neubert in Dresben: 
„Darftelung der ärztlichen Bildung ber Militairärzte der 
königl. ſaͤchſ. Armee“ betitelt. Gr. 8. Geh. 8 Nor 
Im Jahre 1845 erfchien bereits von dem Berfaffer bei mie: 


a DT 
der en cteifenfdehs 
Gr. 8, 


Reinsie, im Mai 1846. 


4 Nor. 
$. 3. Brockhaus. 


Verantwortlicher Geraudgeber: Hetnrich Brockdands. — Drud und Berlag von J. A. Brockhans in Leipgis- 





Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Sonntag, 





Engliſche Zuftände. 


Erfter Artikel. 
(Bortfegung aus Ne. 136.) 


Die fächfiichen Inftitutionen, wie Benedey fie ſchil⸗ 


dert, enthalten den Keim der englifchen Conſtitution in 
allen ihren Hauptbeftandtheilen, bie Gemeinde, das Par- 
fament, bas Geſchworenengericht, die Oberherrfchaft des 
Rechts und Gerichts über Gefeg und Gefeggebung. Es 


war aber zu Anfang Sein Segen bei dem Werke der 


Eroberung, die Sachfen krankten an den Folgen ber 
Eroberung. Sie wurden, wie Venedey fügt, ein „Räu⸗ 
ber⸗ und Saͤufervolk“, bis zulegt Erfättigung und Er⸗ 
mattung eintraten. Die Staatsorgamifation wurde im⸗ 
mer ariflofratifher; der Keim des Ariflofratismus Tag 
in der Abtheitung bes Volks nach Claſſen. Das Volt 
wurde immer rechtlofer und zurüdgebrängt von der Bahn 
des öffentlichen Lebens. Die Sachſen flifteten eine Menge 
Heiner Königreiche, die Kolge davon war Zerfplitterung,. 
Das führte zu endiofen Kriegen und endlich zu einer 
Art Yöderation von fieben Königreichen, die die übrigen 
befiegt und verfchlungen hatten. Während bes Kamıpfe 
entarteten alle Theile des Volks und alle Inſtitutionen. 
Selbſt das Ehriftenthum konnte diefen Lauf der Dinge 
“nicht ändern, es murbe im Gegentheil ein neues Ele- 
ment der Auflöfung. 0 

&o waren bie Sachen reif, die Beute eines neuen 
Geoberers zu werden: Es erfchienen bie Dänen und ihre 
Macht murbe bald, gegenüber den fich felbft zerfplittern- 
ben Sachſen, fo groß, daß fie an die Groberung bes 
. ganzen Landes denken konnten. Diefe Eroberung wurbe 
zur Zeit Alfred's auf eine Weile durchgeführt, aber Al⸗ 
fred befiegte fie wieder und fuchte nun die Inflitutionen 
ber fähfifhen Vorfahren roieberherzuftellen.. Diefe Er- 
neuerung ber altfächftichen Inſtitutionen ficherte die Herr⸗ 
ſchaft der Sachſen abermals für faft anderthalk Jahr⸗ 
hundert. Aber die Wiederbelebung des altfächfifchen We⸗ 
fens konnte den Untergang. wol aufihieben, aber nicht 
verhindern, ber Keim der Entartung lag tiefer. Der 
Geiſt der einft die Sachſen beherrfcht hatte verließ das 
Boll. Die Sachſen haben nur noch zum Morde, nicht 
mehr zum: Kriege und zum Gemeinfinne Muth. Die 


Höchfte moralifche Verwilderung herrſchte unter den Gro⸗ 


fen. Die Sachſen unterlagen den Angriffen ber unter 
einem Fürften vereinigten Dänen und Rorweger und 
bald herrſchte Kanut über alle Sachſen in England. 
Aber die Dänen verftanden es nicht neues Leben in 
ben faulenden Körper zu bringen, fie -wurben nur. felbft 
von ber Anſteckung ergriffen. Ihre Herrfchaft zerfiel wieder. 

Die Schlacht bei Haflinge brachte ber Sachfenberrfchaft 
den Untergang und dem Rormannenthume ben Sieg. 
Benedey fast: „Aber die Zukunft wird uns zeigen, wie 
der fächfifhe Kern, durch Unglis und Blend gereinigt, 
neue Wurzeln faßte und zulegt abermals bie fchönften ! 
Feuchte trug.” Es lag in der That in ben untern 
Claſſen des fächfifchen Volks noch fehr viel gefunde Na⸗ 
tur verborgen; ein Beweis davon mag es fein, wie ein 
Bauer fi bis zum Throne binauffchwingen und den 
Normannen den Sieg ftreitig machen konnte. In den 
Sahfenbauern war noch ein unangegriffenes Element 
höherer Kraft und beſſern Weſens. 

Eine vortrefflihe Schilderung finden wir bei Vene⸗ 
dey von der Auffaffung der öffentlichen Verhättniffe bei 
den Normannen unterworfen. Aus der richtigen Er- 
kenntniß berfelben reſultirt die Erkenntniß ber ganjen 
englifhen Gefchichte, der englifhen SInftituttionen. Für 
ben Frieden haften fie die altgermanifche Gerichtsorgani- . 
fation, für den Krieg machten ſich die Feudaleinrich- 
tung geltend. Das Feudalſyſtem ift alfo nichts Anderes 
als die umgekehrte Anwendung bes Grundgedankens ber 
germaniſchen Volksorganifation auf die Zuftände der Er- 
oberer in einem eroberten Lande. Die Eroberung fekbft 
fand im Namen des Herrfchers flat. Was erobert 
murde, wurde vorerft und vor Allem fein Eigenthum, 
das er dann wieber unter feine Hauptgenoſſen vertheilte. 
Die Normannen, bevor fie in England landeten, waren 
auf der Stufe des Feudalrechts angelangt, auf ber ber 
alte Begriff einer urfprünglihen Gleichheit zwifchen 
Herren und Vaſallen noch nachwirkte, aber auch der 
Übergang in ein Dienftuerhältniß, fich ſchon vielfach ver- 
wirklicht hatte. Das Nähere muß bei Venedey felbft 
nachgefehen werden. Die Sachfen wurden in den erften 
Jahren bie ber Eroberung folgten unterjocht, ihre Rechte 
verkannt, ihre Ariftofratie und ihre Geiſtlichkeit verach- 
tet, das Volt mit dem Schwerte zum Schweigen ge 
bracht. „Uber, fagt Venedey und er bat recht, denn 


fonft würden fich die folgenden @reignifle der englifchen 
Geſchichte nicht erklaͤren laſſen, „das verhinderte nicht, 
daß der Baum des ſaͤchſtſchen Voiks und ber fächfifchen 
Rechte nicht ausgerottet wurde. Der Sturm mar groß, 
die Früchte, fiefen zu Bopen, die te brachen; ber Baum: 
und die WBurpeln des Jolks ſaßen zu feſt, um ſo leicht 
ausgeriſſen zu werden.” 

Die nächte Folge ber Eroberung war die Einfuͤh⸗ 
rung des normanniſchen Feudalſyſtems in England. Die 
ganze Feudalorganifation Englands war die eines Krieg: 
heers. Die Zeudalgäter wurden erblich erworben, im 
Gegenfage zu den ſaͤchſiſchen Gütern auf Lebensdauer. 

bie Stellung der wurde in ben neuen 
Zuftänden Englands eine ganz andere Die Sachfen 
hatten zwar die Dberherrfhaft des Papſtes zugegeben, 
aber fie. dachten fich biefelbe wie bie ihres Fürſten, nicht 
als eimen kirchlichen Abſolutismus, fondern als eine 
durch die üͤber der Macht des Einzelnen ſtehenden Ge⸗ 
fege fege geabnei buch das Aufehen und die Rechte des 
Gemeinde ſelliſt befchränkte Gemeinſchaft der Kirche, ihr 
rer Borfbeber und Anhänger. Die Normannen dagegen 
hatten fich mit den füdlichen Völkern an die Alleinherr⸗ 
fhaft des Papſtes gewöhnt, die Päpfte felbfi hatten bie 
Grobeung Englands durch bie Rormannen eingeleitet, 
lunterftützt und gebilligt. Wilhelm ber (Eroberer be» 
Bämpfte die fächfifche Geiſtlichkeit und erfegte fie durch 
Rurmennen ober fonft roͤmiſch geſinnte Prälaten. 
Die Geſchichte der. normännifhen Verhältniffe und 
die Darſtellung der Wiedergeburt bes fürhfiihen Volks⸗ 
geiſtes unter denſelben und ſelbſt durch diefelben wird 
von Venedey fo coucis, fo Far und vielfad bargeftellt 
wie wir fie nirgend gefunden haben. Venedey iſt ein 
Meier in der Auffaſſung und Verfolgung alles volks⸗ 
thinlichen Regungen und Bewegungen Aus bem bürt- 
fin Holze zieht er dem Iebendigfien und den erquidend- 
fen Saft. Wir citiren bier nur den Schluß jener uns 
vergleichlichen Darſtellung: 

So. ſehen wir bald nach bes Eroberung die Sachſen ruhi 
und unbeachtet in jede Luͤcke einrüden, die die Rormannen o 
fen gelaffen hatten. Nur der höhere Adel der Rormannen 
Kar ſich —E rein. Die Geiſtlichkeit 1cb fich veranlaßt, ſich 

um mit ihm eigenen — 
zu 


* e der — binauffhmwengen, waren zum Theil 
haft wahrſcheinlich arößtent theils Sachſen. Das Vol in Rafie 
—8 nachdem die tuͤrme voruͤber waren, feine Fre 
heit, ſewol in: den Städten als. auf: dem Lande, in jenen durch 
die alten Gebräuche und die Privilegien der Kümige, in beider 
Dusch, das Inftitut eines freien Eigenthums, das aufrecht ftehen 
blieb. So bereitete ſich die Wiedergeburt ber ſaͤchfiſchen Zrer 


heit in einer Zeit vor, in ber noch alle Welt. glauben Eonnte, 
der Gig, des Rormannen habe bie Sachfen für immer ver 
annen felbft zu thätigen Gehät 


u ziehen 
kan Dein, - der ae deB dorſchers ohne Mühe in feir 


— Shun und Laſſen die feſten Burgen der zukünftigen Frei⸗ 
Sit Cu die erſte Wiede Uung ſaͤch⸗ 
ee ER 


ſchreibern. 


Die Geſtaltungen, welche zur Magna: charta führten, 
entwidelt Venebey im Gegenfage zu faft allen Geſchichts⸗ 
Es ift in den englifchen Geſchichtswerken 
berfömmlich, 3. DB. bei Hume, biefen ganzen Kampf 


‚und feine Erfolge den Baronen vorzugäweife und ber 


Geiſtlichket im zweiten Range zuzuweiſen. Vom Bolke 


iſt faſt nie die Nee. Es erklärt ſich das von ſelbſt 


durch das äußere Anſehen, das die Barone beſaßen und 
noch mehr durch die ariftofratifche Huffaffungsweife, die 
in England Mode geworden ift und alle nachfolgenden 
Gefchichtfchreiber mehr oder weniger beherrſcht. Bei 
Lichte befehen ftellt ſich aber, wie Venedey vortrefflich 
nachweiſt, heraus, daß hie Barane hoͤchſtens in zmeite 
Linie kommen, während das Volt, die Gemeinfreien und 
befonder® die Londaner nicht meniger thatig waren ale 
die Barone und fich jedenfalls bei dem Kampfe weit 
patriotifcher bewiefen. 

Was befonders für die Thätigkeit des Volks bei 
der Erringung ber Magna charta ſpricht, ift die Magna 
charta felbft. Hoͤren wir Venedey: 

"Darüber find alle Seſchichtsforſcher einverfianten, daß die 
Magna charta nichts ala eine Erneuerung der Gefege Eduards 
des Beichtigerk iſt, Daß fie in den alten Gebräuchen des Lan: 
des, in bem Common law fußt. Die Verſchworenen verlang: 
ten ausdrücklich die Wiederherftellung der Oder E@dward’t. 
Die Barone, die das Wort — und Die Geiſtlichen fetoft, 
bie fie lenkten, Hatten fi} aber fo werdg um biefe Geſetze be⸗ 
kuͤmmert, daß keine einzige Abfrift derfelben aufzufinden war. 
Die Gefege aber lebten ald Gebräuche im Volke fort. und die 
Stimme des Volks drang durch die Foderungen der Barone 
buch. Zulezt fand fi dann eine Abjchrift der Eharte Hein 
rich's I., Die wiederum eine Bufantmenftellung der Gefepe - 
Goward’s und der Magna charta als Grundlage diente 
Dieſe ſelbſt alſo iſt —5 Gefeg, Common law, und das 
aflein bekundet, von welder Bebeutung die Wünfche des 
Volks in Diefer allgemeinen Dervegung zur Sicherheit der 
Rechte waren. 

Wenn aber auch diefer hiftorifch organiſche Zufam- 
menhang zwiſchen der Magna charta und ben ſächſiſchen 
Segen. die Theilnahme bes Volks an ihrer: Erlangung 
noch nicht bewieſe, fo wirrbe doch ber Schup, den das 
Bolk in ihr finde, dafür fprehen. Es werden immer 
die Intereffen aller übrigen Claſſen zurüdgefegt werden; 
wenn mur eine Claſſe, nur ein Theil der Ration thätig 
if. Durch die Magna charta werden aber Die Inter 
effen aller Claffen de englifchen Polls, vom Könige 
bis zum Villain herab, gefichert, ſoweit eben bie dama⸗ 
fige Volks⸗ und Elaffenftellung Intereffen fichern konnte 
Venedey fagt: 

Wir haben gefehen, wie das f Kar x Bolk nach und nad 
wieder zu einer groͤßern thatſaͤchlichen vebeit, zum Selbſtbe⸗ 
wußtfein feiner Kraft kam, und fo erklaͤrt ſich die borbertfcpenbe 
fähfiihe Rechtsanſicht in der Magna charta. von jelhik, fo er» 
klaͤrt fi vor Allem, was fonft ein unauflögliches Mäthfel bleis 
ben würde, der Schug der Intereffen aller Elaffen des Works 
in einem Gefege, bad, m wie 2 oft ed auch als ein Werk des Adels 
er — 

N 2 
ſamen Beſtrebungen —S ſſen der Nation — 

Wir theilen bie Rechte, welche bie. Magaa charta 


währt, ner wichtigt Poſten engliſcher Volksfreiheit 


* 


* 
‘ 
+ 
’ - 


Bier nach Venedey mas auffühtlicer mit als · wir ſonft 
fein‘ können. ee 


Die Magna charta ſichert Die Rechte des König, 
des Adels, der Geiſtlichkeit, der gemeinen Freien und 


ſelbſt der Unfreien. Sie flellt deu König au die Spige 


Der gerichtlichen und Feudalorganiſation bes Landes, fie 
befimmt die Feubalabgaben bie er exhätt, und ftellt be⸗ 
rätd den Grundſat auf, daß die Perfon des Königs, 
felbft wenn er. Unrecht gethan habe, heilig und gefchügt 
ſei. Im Jutereſſe dee Barone beguenzt fie die Fen⸗ 


dalrechte und Abgaben, ſchütt gegen Willkür, fichert ger 


gen billige Abgaben den Erben die Befigimgen ihrer 
Bäter, nimmt das Erbgut gegen die Schuldner und na⸗ 
mentlich die Juden in Schug. Die Hauptrechte aber, 
welche die Charte den Baronen ſichert, beſtehen barin, 
dag in Zukunft keine größern. Kriegsabgaben mehr ohne 
die Zuſtimmung de6 „WBemeinratbd des. Reichs”, 2. h. 
die Ersbifchöfe, WBifchöfe, Earls, Barone und Chieftenants 
eingefodert und eingetrieben werden follen und dann, daß 
fie den Gerichtsſtand der Barone von neuem orbnet und 
ignen das Urtheil ihrer peers verbürgt. In dieſen beis 


den Rechten wurde die Zukunft des gungen Adels ge- 


Ahert. Die Geiſtlichkeit nahm an den Rechten der 
Barone Theil, als Geiftlichteit erlangte fie die Erklärung, 
daß die Kirche und die Wahlen zu den Kirchenämtern 
frei fein follten,. dagegen geftand fie zu, daß die Geift- 
lichen für ihre nicht geifllichen Beftgungen als Laien 
betrachtet und nur den nicht geifllichen Gerichten zuer- 
theilt werben follten. Am umfaffendften ift die Charte 
über die Rechte der Bemeinfreien; fie erhielten dadurch 
perfönliche Freiheit, geſichertes Eigenthum, geſicherten 
Handel und feſte geſicherte Rechtopffſege. Der einfluß⸗ 
reichſte Theil der Rechte bezog fih auch Hier auf bie 
Rechtspflege. Wie bei der Arilofratie wurde den Freien 
dos Recht zugelichert, nur auf Das Urtheil ihrer peers 
bin verhaftet zu werden, Dies Urtheil ſelbſt mußte auf 
das Zengniß von’ unbefcholtenen Zeugen gegeünbet fein, 
das Eingefländniß des Angeklagten genügte mit. Die 
Villains felbft wurden in ihrem Eigenthume, in ihren 
Geräthfchaften geſchuͤzt. Die Magna cherta ſtellte die 
allgemeinen Inftitutiewen des Landes, beſonders die Ge⸗ 
richtöorganifation, auf einen viel feſtern Fuß, fle wies, 
die Königebeamten in ihre Grenze zurück und verbet 
den Sheriffe, Conſtables, Coroners oder Bailiffs zu 
Berichte zu figen. Sie hefchränkt bie MWaldgefege, ver⸗ 
bietet ben fremben Sölbnerdienft und führt ſogar ein gemein⸗ 
fames Mag und Gewicht ein. Mit. Recht fagt Venedey: 
. Der Charakter der Magma charta iſt ein doppelter: fie 
erkennt den Baronen ein höheres öffentliches Recht — das ſich 
felbft zu beſteuern — zu, während fie den Gemeinfreien nur 
ivatrechte ſichert. Diefe Bevorzugung ift ein Rachklang der 
Eroberung, ift normannifdeasiftefratifih. Neben dieſem ariſto ⸗ 
Pratifdenormannifihen Beigeſchmacke tritk dann aber das demo⸗ 
keatifı sfächfifche emeinrecht in Bezug auf alle Privatverhälts 
niffe abermals in den Borbergeund. Die Rormannen ſuchten 
die Vorrechte, die fie in der Eroberung erlangt hatten, zu 
fihern,, die Sachfen, das Boll, legten die feſte Grundlage zu 

weitern Fortfchritten, Die der Zukunft vorbehalten waren: 
(Die Yortiegung folgt.) f 


Cheiian Lubwig Liscw'e Beben nach den Noten bes 
großherzoglich mecklenburgiſchen Seheimen und Haupe 
Archivs und andern Driginafquellen geſchildert von 


G. €. 8. Liſch. Schwerin, Stiller. 1845. Gr. 8, 


14 Rgr. 

Es ift dem unterzeichneten Kef. ſehr erfreulich geweſen, 
zu ben von ihm gemachten Wiktheilungen über Liscow theits 
in Privatbriefen, theild öffentlich in Becenfionen, nawentlii 
vom Dr. Wienbarg in den hamburger „Literariſchen Blättern‘, 
1845 Nr. 7 — 13, vom Geheimen Hofrath Hand in der „Reum 
Senatfchen Allgemeinen Literatur-Beitung”, 1845, Rr. 100, und 
von einem Necenfenten in ditfen Blättern, 8945, Nr. 231 und 
232, Berichtigungen und Ergänzungen zu erhalten. Eine fehre 
dankenswerthe Ergänzung zur Biographie dieſes Schriftftellers 
enthält auch obige Schrift. Herr Archivar Liſch hatte bereits 
theils aus Altern gedruckten Quellen, unter denen die bereit® 
von Dr. Wienbarg benugten Nachrichten des Zuſtizraths Dr. ©: 
9. Schmidt von Küber m Altona in den „Bchleswig holſtein⸗ 
fauenburgifäjen Provinzialblättern”, 1821 — 23, den meiften 
Werth haben, theild aus den im ſchweriner Staatsarchiv aufe 
gefundenen Urkunden eine Biographie Liscow's zum Drud fer« 
tig, als er des Ref. zum Zheil ebenfalls auf noch unbekunnten 
Dt derubende Monographie über Liscow erhielt, was 

eren Liſch veranlaßte, die Nefultate der zuletzt genannten 


Dorftellung theild in Anmerkungen zu benusen, theils in Ya: 


tenthefen feinen Mittheilungen gehörigen Orts beifügen zu Laffen. 
Herr Liſch Bat nad) einigen allgemeinen Bemerkungen uber 
vie literariſche Bedeutung Liscow's Vorzüglich dahin geſtrebt, 
durch eine fehr forafältige Bufammenftelung und Kriit des 
meiften über Likcow's Leben und Schriften  befonders in nord⸗ 
deutſchen Blättern gerftrenten Notizen und dur Benugu 
der über Liseow im ſchweriner Archiv aufgefundenen Nachri 
ten die Lebensſchickſale deſſelben ins Licht zu fegen. Das 
gewiß fehr dankenswerkh, zumal da dadurch über einen X 
feiner Wirkſamkeit, nämlih in Dienften des Herzogs Karl 
Leopold von Mecklenburg, ein ganz neued Licht verbreitet wor⸗ 
den iſt. ber was fonft zu einer Biographie. gehört, die Ent: 
wickelung des Charakters des zu ſchildernden Mannes und Die 


Beurteilung feiner ſchriftſtelleriſchen Wirkfamkeit im Detail, ' 


ſodaß uns dadurch die ganze Zeit in der er wirkte anfchau⸗ 
lich werde, fcheint er ebenfo wie bie einer foldhen Aufgabe ent« 
ſprechende Darftellung wol abfichtlih unberuͤckñchtigt gelaffen 
zu haben: er hat Liscow nicht ale Hiſtotiker betrachten, fon» 
dern als gewiſſenhafter Archivar Material für den Hiſtoriker 
fammeln wollen und für dieſes Material werden ibm alle. Lite 
rarhiſtoriker fehr dankbar fein. Demnach will.Mef. auch nicht 
weiter mit ihm vechten, daß er von Liscow fagt: „er fei an 
Geiftesreichthum und Klarheit bis auf die neuen Zeiten von 
Riemandem übertroffen worden und feine Ausdrucksweiſe erin« 
nere in ihrer objechiven Bollendung an Gorthe.” (3) ef, 
der Libtow zu fehägen weiß, aber nicht überfihägen will, bes 
gnügt fi auf Das hinzuweiſen, was er in feiner — 
m eimer auf die vorausgehende Kritik feiner Schriften geſtuͤtz 
ten beſtimmten Charakteriſtik darüber gefagt hat. 

Herr Liſch gibt zunächſt auf 13 &eiten fehr ausfährtiche 
Nachrichten über 'Liscow’E Verwandtſchaft. Bet allee Unerten 
nung des Fleißes, mit dem er bier viele zeither unbekannte Xo⸗ 
tigen zufammengeftefft, möchte doch Mef. fragen, men als 
der Bamilte mit allen diefen Rachrichten gedient fein tamet 
Was follte aus der Literaturgeſchichte werben, wenn wir uns 


in der Weife um die Angehörigen unſerer berüßten Manner 


fümmern wollten? Rur einige Berichtigungen will Ref. hier 
recht gern annehmen, naͤmlich I) daß Liſscow's Vater und Lis⸗ 
cow's Bruder (Letzteres hat / ſchon Hand berichtigt) nicht Johann, 
fondern Joachim geheißen, doch iſt Ref. zu 2 da in 
der Abſchrift des Taufzeugniſſes, das ihm ber wittenberger Po⸗ 

or Daneel zugeſchickt, beide Johann genannt werden, und 
2) daß Liscow’s Bruder, der durch feinen Verkehr mit Hage⸗ 





deen einiges Intereffe in Anſpruch nimmt, Theologie Audirt 
- Kat (if ©. 18). Rißcow's Geburtotag (26. Upril) ift von 
wir ſchon in der „Neuen Jengiſchen Allgemeinen Literatursgei- 
tung” auß einer authentifhen Duelle berichtigt worden, die Liſch 
&. 22 anführt, aber nicht felbft Hat benugen können. ®) 

Aus den weitern ſehr forgfältigen Unterfuchungen über 
igcow's Jugendbildung hebt Ref. als ihm zeither unbefannt 
ine Immatricwlation in Roſtock 1718 hervor. In Jena ift 

ex (noch Hand) 1721 aufgenommen worden. Zür Die Zeit van 
1734 geben die von Liſch zuerft benugten Papiere des ſchweri⸗ 
ner Archivs intereſſante Aufihlüffe. In dem erwähnten und 
folgenden Jahre war nämlich Liscow ald Wrivatfecretair in 
Dienften des ehemals holfein-gottorpiichen Geheimen Mathe von 
Clauſenheim bald in Hamburg, bald auf deſſen Bute Koͤrchow 
in Medienburg und trat darauf, was zeither gang unbekannt 
'gewefen, in die Dienfte des durch feinen Streit mit den Stan: 
den und durch feine Bertreibung durch kaiſerliche Erecutiond: 
tenppen bekannten Herzogs Karl-Leopold von Schwerin, von 
bem er als außerordentiicher Sefandter von Wismar aus nad 
Paris gefendet wurde, um die Vermittelung Frankreichs für 
des Derzogs Wiederherftellung zu bewirken. Hier hatte der 
Berf. eine fchöne Gelegenheit, durch ein lebendiges Beitbild mes 
‚nigftens dieſem Theile feiner Biographie ein höheres Interefle 
‚zu geben. Bir erhalten aber faft nur Das, was unmittelbar 
Kiscom’s diplomatiihe Sendung betrifft, nebſt 23 größtentheils 
intereffanten Actenftüden. Allerdings vertrat bier Liscow Das 
Interefie eined Fuͤrſten, der eines ebrlichen Mannes Anhäng- 
Eichkeit nicht verdiente. Auch mußte er es ſchwer büßen, denn 
eben weil er ihm treu diente und nicht zu heucheln verftand, 
fiel er in Ungnade und fonnte von feinem Herrn verlafien nur 
durch VBorfchüffe einiger Bekannten tie Ruͤckkehr ins Baterland 
ermöglichen. Alle fpatern Rerlamationen um Wiebererftattung 
des im Dienfte bes Herzogs verausgabten Geldes waren ver: 
geblich. Darauf verabfipiedete fi Lißcom im Aprit 1737_von 
Hamburg aus durch eine für ihn höchſt ehrenvolle briefliche 
Erklärung vom Herzog und wurde bald darauf, wie befannt, 
Privatſecretair des Geheimen Raths von Blome in Preg. Dies 
And die bedeutendften Ergänzungen zur Biographie Liscow's, 
welche wie Lifch's Mittheilungen verdankren. 

In der weitern Darſtellung der Rebensverhältnifle Liscom's 
in preußiſchen und fächfifchen Dienften bat der Verf. vorzugs⸗ 
weite die vom Ref. aus dem dresdener Archive gegebenen Auf 
Märungen benugt und nur zur Erläuterung feiner Wirkſamkeit 
als preußifcher Zeyationsfecretaie no einige Brieffragmente 
aus holſteiner Blättern mitgetheilt, welche dem Ref. unzugäng- 
lich geblieben waren. Bu 
Mit Recht bemerkt Herr Liſch S. 2, daß auch Liscow's 

Briefe ganz abgefehen von dem Beitrag, den fie zu feiner Cha: 
rakteriftif liefern, an und für fich ſehr beachtenswerth find und 
zu feinen Werken gezählt werden müflen. Kurz nad dem 
vollendeten Drud feiner Biographie Liscow's erhielt Ref. durch 
die Gefälligkeit eines Freundes fehr intereffante Mittheilungen 
über Liscom vom Kanzleirath Gramberg in der von G. U. 
von Halem in Oldenburg beraudgegebenen Monatſchrift „Reue 
Irene”, April» und Sunibeft 1806. Diefe Zeitſchrift muß ganz 
verfchollen fein, da diefe Mittheilungen von Riemandem be: 

t worden find, der über Liscow geſchrieben hat. Auch Lifch 
citirt fie blos bei Angabe des Geburtstags unſers Schriftſtel⸗ 
lers, bat aber weiter eine Athen davon genommen. Zwar 
enthalten auch Gramberg's Mittheilungen viele Unrichtigkei⸗ 
ten, aber fie geben intereffante Auszüge aus 15 franzoͤſiſchen 
Briefen Liscow's an Dagedorn, die fih durch Entfchiedenheit 
der Sefinnung wie durch Wis und Gewandtheit des Stils 


*) Liscow felbf hat einen für den Didier Hagedorn beflimms 
ten ben Briefen be6 jungen Hagedorn brigelegten Auffag mit ben 
Worten untergeißnet: Moguntiae, ipso natali meo, VI Kal. Maj, 
A, 0. R. 174. 





auszeichnen und manche Auffchluͤſſe über Liöcow's Leben und 
Treiben in Dresden aus Briefen bes Dresdener edorn am 
feinen Bruder in Hamburg. Gramberg bat diefe Briefe aus 


Hagedorn's Rachlaß erhalten, welcher bamals im Beſit des 
Heraußgebens feiner Schriften; Eſchenburg's, war. Der Schn 
defielben, Herr Paſtor Eſchenburg zu Lehndorf und Kreuzkloſter 
vor Braunfihrveig, der feines Waters Papiere aufbewahrt, bat 
teog der forgfältigfien Rachforſchungen biefe Briefe nicht mehr 
auffinden können. Sie find alfo wahrfcheinlich nicht zuruͤckge⸗ 
fendet worden und vielleicht wie alle fpätern Schriften Liscow's 
verloren gegangen. Demnach muß man fi mit jenen Auszü⸗ 
gen begnügen, die ich bei einer etwanigen zweiten Auflage mei⸗ 
ner Biographie Liscow's nebſt den andern mir währenddeß 
elommenen oder noch zufommenden Er angungen gewiſſen⸗ 
Bat benugen werde. 8 . Selbig. 








giterarifche Notizen aus Frankreich. 


Branzöfifches Leſebuch für Franzofen. 

Dei der Beurtbeilung einer Blumenleſe Lliterarifcher &r- 
zeugnifle wird man bie Brage, ob eine ſolche Ehreftomathie für 
Ausländer, welche in das Studium einer fremden Literatur ein- 
geführt werden follen, oder für Eingeborene beftimmt ift, fügs 
ih nicht unberückfichtigt laſſen dürfen. Der Standpunkt bei 
der Beurtheilung muß durch diefe Rückſicht ein weſentlich ver: 
biedener werden. &o kann alſo eine ſolche Mufterfammiung 
ir den Ausländer von bedeutendem Sntereffe fein, während 
fie für die Glieder der Nation, unter deren geiftiger Produc⸗ 
tion fie eine Auswahl treffen will, ungenügend genannt wer: 
den muß. Frankreich hat feine Sammlung diefer Art, welche 
auch nur im entfernteften mit Wackernagel's Leſebuche zu ver: 
gleichen wäre. Es haftet faft allen di Chreftomathien ein 
allzu zaͤhes Feſthalten an Dem an, was einmal als claſñſch eine 
gewiffe Sanction erhalten hat. Derfelbe Vorwurf trifft aud 
die „Chefs d’oeuvre classiques de la litterature francaise “, 
vom Abbe Marcel. Und doch ift diefe Sammlung immer noch 
eine der vorzüglichften von denen, weldhe von Franzoſen be: 
nugt werder. Der neuefte Band berfelben, welder vor kur⸗ 
zem erichienen ift, befchäftigt fi mit dem epiſchen und dra⸗ 
matifhen Genre. Der Berf. bietet nicht immer ganze Stüdke, 
und wenn dies einerfeits ein Nachtheil genannt werden muß, 
fo verfteht er e6 do, die fehlenden Partien durch ein kurzes 
Reſumé und durch einige Andeutungen zufannnenzufaffen. Der 
äſthetiſche Standpunkt des Verf. iſt nicht ganz frei von vor: 
gefaßten Meinungen und befonders Eleben ibm mande Bor: 
urtheile der claffiien Schule an. 


Handbuch der Chronologie. 

Es fehle der feanzöfifchen Literatur nicht an ſehr umfaf- 
fenden Darftellungen über das Gebiet ber Chronologie. Richts⸗ 
deftoweniger ift das vor kurzem erfchienene „Manuel de chro- 
nologie universelle‘ von Sedillot für Freunde hiftorifcher Stu⸗ 
dien eine ganz beachtenswerthe Babe, indem feit den „Ele- 
ments de chronologie” von $. Schoͤll zwar viele umfaflende 
Werke, aber doch Tein recht braudbares Handbuch hetausge⸗ 
Eommen ift. Die vorliegende Schrift nun, obgleich fie die Her 
fultate der neuern Forſchungen nicht unberuͤckſichtigt läßt, macht 
body Feine Anſprüche auf eine eigentlich gelehrte Geltung, in- 
dem fie mehr auf einen weitern Kreis berechnet il. Aus die: 
fer Rüdfiht bat fi der Verf. dem man für feine fleißige Zu⸗ 
fammentragung Dank wiflen muß, der ältern Drtbographie be: 
dient, welche nun einmal der Teampöffepen Sprache eingewach⸗ 
ſen iſt. Er mag nicht ohne einigen Grund gefuͤrchtet haben, 
daß er ſeinen Leſern einen ſchlechten Dienſt leiſten wuͤrde, wenn 
er Chlodowig ſtatt Clovis u. f. w. ſchreiben wollte, obgleich 
diefe Bezeichnungen in fireng wiſſenſchaftlichen Werfen fi 
allmälig Geltung verfchaffen. 17. 


Berantwortlicher Heraußgeber: Heinvich Beodpant. — Drud und Verlag von J. X. Wrodhans in Leipzig. 


Blätter - . 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Montag, | 


18. Mai 1846. 





Englifhe Zuftände. 
Erſter Artikel. 
(Jortſeung aus Nr. 187.) 


Der nachfte Abſchnitt führt zur Entwidelung des 
Parlaments, der Kampf der Föniglichen Allmachtsidee 
gegen bie von den Baronen in der Magna charta er- 
worbenen Rechte. In einem „Sarlamente”, gehalten zu 
London 1258, fuchten die Barone die Macht des Kö- 
nigs (Heinrich IH.) für immer zu vernichten. Der Kö- 
nig mußte genehmigen, zwölf Barone aus feinem Rathe 
und zwölf andere, von den Baronen bes Parlaments 
gewählt, zu beflätigen, die in einer Art Parlaments⸗ 
commiffion die Klagen des Landes vorlegen und ihre 
Abhülfe betreiben follten. Das „Mad parlement’ ver- 
nichtete die königliche Macht und fepte eine rein ariflo- 
tratifhe Dligarchie an ihre Stelle. Die Berfammlung 
der Barone felbft wurde zu einer Art Form, zu einer 
. Wahlverfammlung, mährend die ganze Macht des ftell- 
vertretenden Regierungselements in die Hände von zwölf 
hohen Baronen überging. Die Barone fuchten fich 
zwar auf das Bolt zu flügen, aber fie vergaßen für 
das Volk zu forgen. Hierin lag die Urfache des Stur- 
zes der neuen oligarchifchen Herrſchaft. Was die innere 
und dufere Weiterentwidelung bed Parlaments betrifft, 
fo können wir nur auf Venedey verweifen. Hier das 
Refultat feiner Darftellung : 

Mit dem Eintritte des dritten Standes in das Parlament 
Englands beginnt eine neue fächfifhe Epoche, wenn auch 
die normanniſche nod lange nicht abgeichloflen war. Das 
ſaͤchfiſche Element war wie eine unterirdifhe Strömung unter 
der Oberfläche des bewegten Meeres der Herrfchaft der Kor: 
mannen in England durchgezogen; dann und wann konnte man 
das Wortbeftehen des ruhigen Flußes beobachten, bis er zulegt 
wieder an die Dberfläche trat und bie Bewegung und Rich 
tung des ganzen Volkslebens wieder beberrfchte. 

Unter Edward I. löften fi die alten Zuftände Eng⸗ 
lands und das Bedürfniß trieb zu neuen. Venedey ifl 
in dem Rechte des unparteiifchen Geſchichtſchreibers, 
wenn er diefen König, den man fo oft als den engli» 
fhen Suftinian preifen hört, nicht ald Das anerken- 
nen will, wozu er gemacht if. Die Gelege, die Ed⸗ 
ward erließ, waren bie Folge eines durch die vorherr- 
ſchenden Verhältniffe, durch hervortretende Nothwendig- 
keit unerlaflichh gewordenen Bedürfniſſes und wurden 


ſicher meift erlaſſen, ohne daß bie Gefepgeber ahnten, 
welche Folgen fie haben würden. Vortrefflich beurtheilt 
Venedey das Verhalten Edward's gegen Schottland und 
ebenfo richtig ift Die Charakteriſirung der ganzen äußern 
Politik diefes Fürſten: j 

Edward war der Erſte auf der Bahn der feinen, liftigen 
Politik, die nachher nd ra fo oft anzuwenden wußte und 


aus der ed fo manchen fiheinbaren Rugen zog, bis zulegt auch 
bier die Vergeltung nicht ausblieb. 


Der nächſte Abfchnitt ift dem Unterhaufe gewidmet. . 


Auch Hier entwidelt Venedey als Demokrat. Die Ver⸗ 
berbtheit der Ariftofratie begründet bei ihm ben Sieg 
bes Dolls, aus dem Zerfall des Normannenthums geht 
der Sieg des Sachſenthums hervor. Wenn ber Eine 
die Urfache der englifchen Freiheit und der felbftändigen 
Nechtsbegründung des Unterhauſes in den Schwächen 
einzelner Könige, der Andere in der Macht ftarker Herr- 
fer, der Dritte in äußern Kriegen, der. Vierte in an⸗ 
dern Berhältniffen und Zuftänden fucht, fo fucht Vene⸗ 
dey diefelbe in dem Weſen des „Volks“. Scharf fon- 
dert er Nörmannenthbum und fächfifhes Element. In 
fhärfern Strihen ftellt er den Zufall des Adels und 
der Geiftlichkeit dar, um fo heller malt er die Beftte- 
bungen des Volle. Cr rühmt an ihm den „Geift der 
Einfalt” und das „becheidene, unerfchütterliche Wollen”. 
Eine Hauptrolle fpielten die Londoner. 

Edward IH. ftügte fih in Allem was er that auf 
das Parlament. Nah und nach tritt eine gefonderte 


"Thätigkeit der Barone und der Gemeinen hervor. Die 


Barone beriethen faft ausfchließlich die äußern, die Ge- 
meinen dagegen vporherrfchend die innern Angelegenhei- 
ten des Staats. Bis unter Edwarb III. waren die Ge 
meinen in gewiffer Beziehung vom Oberhaufe abhängig 
geweſen. Beide Häufer flimmten wenigftens zufammen 
über die Abgaben. Bon dem achtzehnten Sabre ber 
Regierung Edward's an flimmen aber beide Häufer, je 
des gefondert, über die dem Könige zu genehmigenden 
Beifteuern. Und erft von da ab erlangen bie Gemei⸗ 
nen eine eigene fefle Stellung, bilden fie ſich zu einem 
aefchloffenen Unterhaufe heran. Das Petitionsreht war 
der Boden, in dem alle audern wuchfen, die fie nad 
und nach errangen. Die Gelbbeifteuern wurden die Ge⸗ 
legenheit, dieſe Rechte zu fobern, den Samen in jenen 


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Boden zu legen. Nie gaben fie ihr Gelb ber, ohne 
nicht neue Borftellungen für Verbefferungen, neue Bit 
ten gegen Misbräuche einzubringen und nad) und nad 
diefe felbft als eine Art Bedingung ihrer Beldzugeftänd- 
niſſe voramzuftelen. Bas wurde dann die Quelle aller 
- Neformen, bie unter Edward ftattfanden. 

Hatten unter Edward III. die Gemeinen den Grund- 
ftsin zu ihrer Macht gelegt, fo bildeten fie fih nun un- 
. ter Richard II. zu einem abgefchloffenen, abgeſonderten 
Staatskörper aus. Schon im erſten Jahre feiner Re: 
gierung wählten fie zum erften Male einen Sprecher, 
um in ihm ein Organ, dem Könige wie dem Oberhaufe 
gegenüber, zu erlangen, wodurch bann, wie Venedey 
fagt, das Unterhaus als ſolches hergeftellt wurde und 
von nun an als felbfländiger Theil des Parlaments er- 
fheint. Die Gemeinen erlangten das Bewußtſein ihrer 
eigenen Bedeutung, ed kommt fogar vor, daß fid ein 
Streben nach ausschließlicher Berchtigung in ihnen gel« 


tend macht und daf fie den Lords den Rang ablaufen. 


Sie tragen auf eine jährliche MWerfammlung an und ber 
ſchwache König ficht ſich gezwungen, ihre Bitten zu ge- 
nehmigen; ebenfo fodern fie Rechenſchaft über Die zum 
Kriege berilligten Gelder. Nach oben demokratiſch, er- 
fiheinen fie nun nad) unten ariftofratifh. Sie vernid)- 
ten die vom Könige den an die Scholle gefeffelten Knech- 
ten (bond tenants) ausgeftellte Eharte, welche biefelben 
zu freien Yürgern machen follte, und bie bond tenants 
blieben Knete wie fie es vorher gewefen waren. 

Venedey nennt died Creigniß einen „blutigen Mark— 
ſtein“ in der Geſchichte Englands, Aber es bat fid 
fortgefegt bis in die Gegenwart, es iſt von einer größern 
focialen Bedeutung ald Venedey es darftellt. Zwar galt 
ed nur noch einen Kampf um politifche Freiheiten, aber 
es deutet fih darin fihon jene Abfchliefung der politi- 
fchen Inftitutionen des Landes an, welche fich gegenwär- 
tig in England den focialen Bebürfniffen gegenüber fo 
{hroff geltend macht. Venedey faßt died Ereignif nur 
demofratifch, indem er fagt: 

Das Geſchick des Standes, der bis jegt Mitrelftand war, 
entfchied fi in dem Augenblicke, wo er dad Volk in Maffe 
von fi abwies. Diefes Volk flieg trop der Feſſeln nach und 
nach m einer höhern Stufe hinauf (gegmwärtig: Chartiäms, 
Breletariat)., aber es wurde nicht zur Grundlage der Staats⸗ 
verhältniffe und hierin — in Verbindung mit dem Eigenthums- 
gelege Edward's 1. — liegt die Urfache, daß die Sefaltun en, 
die bis jegt auf die naturgemäße Entwidelung einer demokra⸗ 
tiſchen Organsfation binbeuteten, von mm an wieder eine lange 
Beit hindurch Die —— Richtung aunchmen und ſo 
der Ariſtokratie erlauben, in ihrem Weſen fortguleben und un: 

geſtört ihrem Ziele — ihrem Untergange — guängeben, während 
' Die eiten gezwungen waren, die herbe Schale des Bürger: 
kriegs bis auf die Neige zu leeren. 

BEER inkerefſant ift das allmälige Aufleimen des 
emliſchen Handele, Die Entwickelung ber Urmenverhüft 
niſſſe, der Gigenthumszuſtaͤnde, bed Heerwefens, der Jagd⸗ 
gefetzgebang, ndemertlich aber ber Geſetzgebung und ber 
Nechtspflege. Wir muͤſſen jedoch auf Venedey verwei⸗ 
fen. Die politiſchen Zuſtaͤnde Englands ſchienen einer 
feſtern Geftaltung entgegenzugehen. Der Staat hatte 






oder beſſer feine alte wiedergefunden. 


endlich in dem Doppelparlamente eine neue Grundlage 
&o wurben die 
Fundamente der Grundgefege Englands gelegt, aber che 
der Bau aufgeführt und vollendet werben konnte, mußte 
erft der Schutt der frübern Werke fertgeräumt werden. 

Dies geſchah in dem berühnsten Kampfe ber rothen 
und der weißen Rofe. Die alten Familien gingen in 
biefem heißen Kampfe zu Grunde. Cs ftanden fi 
Parteien ohne Brundfag und Ziel gegenüber. Die 
Ariftokratie felbft als Inftitution, fagt Venedey, würde 
die Zeit dieſer geiftigen Sündflut nicht überlebt haben, 
wenn an die Stelle der alten Familien normannifcher 
Art und normannffhen Bluts nicht neue ſaͤchſiſche ge- 
treten wären, die mit dem neuen Blute auch eine neue 


-Auffaffung und noch mehr ein neues Wefen, Ruhe und 


Ernft in die neuen Verhältniſſe binübergetragen hätten. 
Sollen wir aber den leitenden Grundgedanken diefet 
Epoche ausfprechen, fo zeigt fi in ihr überall der Un- 
tergang ber alten Ariftofratie und die Begründung ei⸗ 
nur ausfchließlichen Bürgerberechtigung des höhern Mit- 
telftandes- dem gemeinen Volke gegenüber. 

Mir treten jegt in jene Epoche, welche Venedey ale 
die Zeit der Mittelftandsherrfhaft und Kirchenreform 
bezeichnet, von 1485 — 1547. Allerdings laffen fih die 
Zuftände Englands unter den Tudors duch ben Sieg 
der Mittelftandsclaffe erklären. Von diefer Königsfami« 


lie ringe fi) das englifche Volk zur Selbftändigkeit em⸗ 
I por, nad ihr zerbricht es die Gewalt feiner Könige, 


weil diefe feine Freiheit nicht anerkennen wollen. Hö⸗ 
ren wir wie Venedey den berifchenden Mittelfiaud cha⸗ 
rakterifirt : 

Er war ernft, ausdauernd, willenöfräftig; der Macht ge: 
genüber war er meift nichts weniger als ängftlih, aber be: 
fheiden, ja oft denrüthig. Er ging langfam vorwärts wie zu: 
ru, wo er auf ſtarken Widerftand ſtieß ftand er ftille, war» 
tete befjere Zeiten und Verhaͤltniſſe ab und arbeitete dann, fo: 
bald diele eintraten, wieder rüftig vorwärts; «8 fehlte ihm ber 
fhöne Enthufiasmud, der die Menſchen zu Halbgoͤttern — aber 
auch oft zu Rarren macht; er gab für eine begeifternde Idee 
wenig, gar nichts und hielt um fo fefter an jedem thatſaͤchli⸗ 
den Bortheile.. So bildete ſich nah und nad der englifche 
Mittelftand, das ſachſiſche Volkselement, sum Sohn Bull ber 
neuern Beit heran. 

Der englifhe Mittelfiand berechnete feine Bebüsfuiffe 
und forgte ruhig für die Befriedigung derſelben. Gr 
gab nichts fin den Schein ber Macht, fondern überließ 
diefen gern feinen Stönigen; er hatte nichts gegen den 
Glanz des Königthums, nur zu theuer durfte er nicht 
erkauft fein. (Eine wohlfeile Regierung war feine erſte 
Bedingung, eine geordnete Verwaltung, firenge unb Te- 
gelmäffige Rechtöpflege, Schug für Handel und Wan- 
dei, das waren die erften Bedingnifle, um feiner Zu⸗ 
ſtimmung ficher zu fen. So trat der (Charakter des 
Mittelftandes in biefer engliſchen Periode hervor. Hein- 
rich VH. war ein Mittelſtandskönig und ale folcher weiß 
Venedey ihn in feinen Gefegen und Einrichtungen vor- 
trefflich zu charakteriſiren. Den Charakter ber Willlür- 
berrfchaft dagegen tragen das von ihm eingerichtete Stern⸗ 
kammergericht Für politifhe Vergehen und bie von ihm 


1} 


derſuchte Entwähnung des Voiks am.daı 
gericht und Geröhnung an eine Ing 
pflege. Das Sternkammergericht bed 
Adel, der Mittelftand hatte wenig dagegı 
der Unterfuhungsproceh berührte ihn wei 
benupte die erſte Gelegenheit, um Alles 
mung zu bringen, während er für das ı 
aushalt” gewähren Tief, der die bist 
lepolitit aufgab und ein ben eng 

ten und Wünſchen des Mittelfiandes ı 
chendes Handels» und Induftrie- @ 


te. 

Einem Wachen des Mittelfiandes be 
in dem geringern Antheile an den Arn 

* Die Armengefege wurden ſtrenger als 
bunden wurden bei Waffer und Brot 
und Nächte eingefperrt und Bagabund ır 
ex, ob fähig oder unfähig zur Ärbeit, m 
zu Haufe blieb. Dennoch nannte ma 
den „König. der armen Leute”. Diefell 
politit ift auch der Charakter des erften 
gierung Heinrich's VII. Hören wir Be 
teriftit diefer Periode: 

Der kieinliche Eigennug des Mittelftand 
fonders in dem Gefichtöpunßte klar, aus ber 
das Parlament felbft au betrachten beginnt. 
faft nur als ein Mittel, durch das der Kön: 
ihm fein Geld abzuprefien. Ic fänger Eein | 
wird, defto beffer für den Bürger, und dẽ 
lange, fo Hagt das Unterhaus fehr, daß die | 
und Auslagen Bofte, während zu Haufe de 
Gefhäft ſtocke. Nur die Könige und ihre 
nicht einen Augenblick vergeffen zu haben, di 
in ihm ruhte, nur ſchlummere. 

Sämmtlihe Maßregeln biefer Zeit 
ober minder dem Geifte, welchen Benet 
Die ganze Gefegfprahe Englands, die 
Zeit eine Form fand, ift baflr Beweis, 
gefeg wird billiger und bfutig ftrenge. | 
telbziefe für gewiffe Städte erlaubt, Ar 
Sammlung von Almofen ernannt, dann 
herumſtreifende Bettler mit Geißelhieben 
und beim dritten Rückfalle mit dem Tod 
verſuchte neue Geſehe gegen ben Luxus u 
welche ‚man ben Wrbeitsiohn und endli 
Zeit lang bie Zleifchpreife firiren weilte. 
Velögefege tragen den Charakter mittelbi 
lichkeit. Zum erften Male wurde ein Zr 
erlaubt, bisher war das Zinfennehmen 
Sache der Juden und Fremden. 

In ben zweiten Abſchnitt der 9 
rich's VII. fällt die Kirchenreform. Bi 

Ber hier nur die äußern Greigniffe fieh 
dom Schluſſe kommen, daß eine afatifhe Fa 
englands Ghikfole ii. Der Ginnetligel 
feine ältere Gattin nicht wahr zufagt, gib 
Reformation. Die Keuſchheit oder Unkeufg 
macht die Zunge der Wage, bie über Gr 
foü, fteigen oder finken, und fit Minifter 
oder ruft zum Mode Berurtheilee in Den Be 


- 
[4 588 


nien verlangten Freiheit der Gewerke von allen Staaté⸗ 
faften, Freiheit des Handels nah allen Weltgegenden, 
aber fie fuchten und mußten bann biefe Freiheit felbft 
im Intereffe von Bevorzugten auszubenten. Die alten 
Nefte, die feften Wurzeln der Ariftofratie in ben Le⸗ 
bensanfichten des englifchen Volle, in ben Eigenthums⸗ 
gefegen trieben die Verhältniffe der Ariſtokratie zu; bie 
neuen Lehren religiöfer Gleichheit, die neuen Zuftände 
bürgerlichen. Wohlftandes fürberten die Demokratie. Der 
demofratifche Charakter, ſowol in geiftlichen als weltli⸗ 
hen Anfichten, faßte bei den Puritanern immer mehr 
Wurel. " 
(Die Sortfegung folgt.) 





Literarifhe Notizen aus Frankreich. 


Die Quarantalneanſtalten. 
Eine Angelegenheit von tiefer, weitausgreifender Wichtig: 
keit ift die ob die Öuarantaimeanftalten in ihrer gegen» 


Re Die Brage n iboer gegen» 
wöärtigen Geſtalt fortbeftehen follen oder ob fie einer gaͤnzlichen 


Modification unterworfen werden müflen. Gntgegengefegte An⸗ 
fihten ftehen ſich hier mit größter Schroffheit gegenüber, fo: 
daß von @eiten der Regierung eine vermittelnde Yusgleichung 
wol jchwerlich ergriffen werden kann. Wenn man im Allge⸗ 
meinen die Meinung aller Derer einholen will, welche dem lä⸗ 
ftigen Zweige diefer Sicherungsmaßregeln unterworfen find, fo 
berrfcht darüber nur Eine Stimme. Bon allen Seiten werden 
dieſe Anftalten ald ungenügend und brüdend zugleich gefchildert. 
Die Wilfenfchaft, von welcher früherhin die Rothivendigfeit des 
Duarantainezwanges aufrecht gehalten zu werben pflegte, bat 
neuerdings im Ganzen mehr ihre confervative Stellung auf 
gegeben. Die Zahl derjenigen Korfcher, welche Die gegenwär: 


- tigen Maßregeln in ihrem ganzen Umfange beibehalten wiſſen 


wollen, wird immer geringer und die Sefammtanficht geftaltet 
fi) immer mehr zu Gunften durchgreifender Reformen. Es 
fehlt fogar nit an Stimmen von wirklichem Gewicht, welde 
eine unbedingte Aufhebung des Iäftigen Zwanges, unter deffen 
Drud die aus dem Drient kommenden Reifenden zu leiden ha» 
ben, immer lauter und nachdruckſsvoller fodern. Es muß der 
franzöfifhen Regierung nachgerühmt werden, daß fie fchon feit 
‚mehren Jahren diefer wichtigen Frage die gebührende Aufmerk⸗ 
famfeit gewidmet bat, und daß von ihrer Seite Alles gefche: 
ben ift, was eine endlihe Enticheidung herbeizuführen im 
Stände fein dürfte. Es fehlt Hier freilich nicht an Wider: 
ſpruch und Hindernifien mandherlei Art. Belondere Berück⸗ 
fihtigung und felbft eine gewifle Schonung verdient bie Stel⸗ 
lung von Marfeille, von wo aus bekanntlich fehr lebhafte Pro- 
teflationen gegen jede Anderung im gegenwärtigen Syſtem er: 
boben worden find. Die gemeinfame Gntlaffung, welche das 
efammte Perſonal der‘ Quarantaine in Marfeille eingereicht 
at, ift ein Gegenftand der öffentlihen Befprehung geworben. 
Offenbar follte dieſer Schritt eine Manifeftation gegen bie zu 
mildern Maßregeln neigende Regierung fein. Dabei flügten 
fi aber diefe Sanitätsbehörden, wie durchaus nicht verfannt 
werden darf, auf den beiweitem größten Theil der Bevöfkerung 
von Marſeille. Die fuͤrchterlichen Ereignifle des Jahres 1720, 
wo mit der Peſt das namenlofefte Elend über diefe Stadt her: 
einbrach, ftehen noch im graufigen Andenken, fodaß man nicht 
gern irgend eine Maßregel fallen laſſen möchte, welche wenn 
auch nicht Sicherheit, Doch wenigftend eine theilweife Beruhi⸗ 
gung zu gewähren vermag. Dazu mifchen ſich Rüdjichten des 
materiellen Interefies. Der Quarantainezwang nötbigt eine 
Menge von Schiffen, welche fonft in andern Geeplägen bed 
füdlihen Frankreichs anlanden würden, im Hafen von Mar: 


erfolgreichen 


ſeille einzulaufen. Es ift alſo nicht gu verkennen, daß die 
Stadt aut ber Aufhebung der beftehenden Beflimmungen einen 
bedeutenden Gewinn fahren laffen müßte. Die Regierung. hat 
nun, um die ganze Ungelegenheit mit möglichfter Unparteilich» 
keit zu erörtern, und um jeder Stimme Gehör zu gewähren, 
den ae] des marfeiller Sanitätscollegiums veranlaßt, einen 
umfafenden Bericht über den Gtand der Frage zu erftatten. 
Zu biefem Zweck bat derſelbe — fein Rame ıfl Segur- Dus 
peyron — fih nad dem Drient begeben, um an Drt und 
Sielle die nöthigen @rfunbigungen einzuziehen. Obgleich Se⸗ 
gur ſchon um feiner frühern Verhältniſſe willen keineswegt 
den Gegnern der Quarantaine offen beitreten will, ſo hat doch, 
wie man ſich überzeugen kann, in Bohr feiner forgfältigen Bes 
obachlunger die Anfıht mehr und r Raum gewonnen, daß 
Die Sache fo nicht mehr bleiben Bann mie fie jegt ſteht. Der 
gZgwang tft zu groß, als daß er auf bie Länge dauern Pönnte. 
Wenn der Berichterflatter nun aud nit eine gänzliche Ab⸗ 
ſchaffung aller Sicherheitsanſtalten in Vorſchlag bringen kann, 
fo meint er doch, man Bönne den Zwang, in Marfeille fih 
firmlih zu desinficiren, nur auf ſolche Schiffe ausdehnen, 
welche aus den Häfen des Orients kommen, wo bie befteben: 
den Unftalten Seine genügende Garantie gewähren. 
Anfiht nad) kann man den Reiſenden aus Griechenland und 
der europaͤiſchen Türkei ohne Gefahr, Anſteckungsſtoff zu vere 
breiten, den Zugang im füdlichen Frankreich geitatten. Die 
nachhaltigften Maßregeln müflen in Bezug auf Agppten er 
riffen werden, weil von dort aus die Gefahr am drohendften 
ft. In Bezug auf Kleinafien und namentlich Smyrna müffen 
den Reifenden fo lange noch Beſchränkungen auferlegt werden, 
bis die Maßregeln, welche man dort zur Eeftitung der Krank» 
heit ergriffen bat, ein einigermaßen befricdigendes Nefultat er⸗ 
geben haben. . 


Harifer-Bibliotheken. 

Schon zu wiederholten Malen ift der Plan, der großen 
Föniglichen Bibliothek einen andern geeignetern Plag anzuwei⸗ 
fen, in Anregung gebracht. Aber bei einer fo wichtigen, fo 
aßregel gibt es fo viel zu erwägen, daß es in 
Bezug auf diefe Veränderung imfner noch nicht zu einer ger 
wißen Entfcheldung gekommen if. Die verfhiedenen Pläne, 
weiche in diefer Beziehung vorgelegt find, weichen zum Theil 
fehr voneinander ab; indeilen fiheint ed als würde die Ans 
fihg, daß die gegenwärtige Localität beibehalten, aber durch 
Dinzuziehung und Ausbau der benadhbarten Gebäude erweir 
tert werden müffe, den Sieg davontragen. Diefer Vorſchlag, 
welcher von gewichtigen Autoritäten unterſtützt wird, bat in 
der That viel für ſich. Ein bedeutender Entſcheidungſsgrund 
ift unter ondern auch der, daß die Translocation einer fo um 
fangreihen und weitſchichtigen Büchermaſſe, wie in den Räus- 
men der Eöniglihen Bibliothek aufgefpeichert Liegt, nicht ohne 
anfehnlihe Koften und felbft nur mit Gefahr empfindlidger 
Verlufte bewerkftelligt werden kann. Unter den verfchiebenen 


- Blugfcheiften, welche bei Erdrterung diefer Angelegenheit her⸗ 


vorgerufen find, zeichnet ſich vorzüglich folgende Schrift durch 
Mannichfaltigkeit des Inhalts fowie durch geiftreiche Zaflung 
vortheilhaft auß: „De l’organisation des bibliotheques dans 
Paris”, von Leon de Laborde. Der Verf. Hält ſich bier nicht 
ftreng an die Frage, welche wir foeben berührt haben, fondern 
fpricht, wie ſchon ber Zitel andeutet, von der Einrichtung der 
parifer Bibliothefen überhaupt, indem er nur bier und da 
und mehr gelegentlich auf die ſchwebende Angelegenheit Bezug 
nimmt. Gr theilt dabei ein reiches Material intereffanter Ein- 
elheiten über das Bibliothekenweſen im Aügemeinen forvie 
über die Gefchichte der einzelnen wiſſenſchaftlichen Inſtitute die⸗ 
fer Art mit, welche Paris aufzuweifen bat. Es ift dies ein 
Thema, welches in Fliterarhiftorifdger fowie in culturgeſchicht · 
licher Beziehung ein vielſeitiges Intereſſe bietet. 1. 





Verantwortlicher Herausgeber: Heiuridh VBrockdans. — Druck und Berlag von F. E. Brockdaus in Leipzig. 








Blätter 


für 


fiterarifde Unterhalt 





Dienflag, 





(Bortfegung aub Rr. 18.) 

Wir nahen den Gtürmen deu erften englifgen Re- 
volntion. Jabob's VI. von Schotcland Gtellung wird 
von Venedey folgendermaßen vortrefflich charabteriſtrt: 

Auf: feiner Meife: von Schottland na Lendon, um bort 
die Krone —ã—t!t ieh der König einen auf: der That. ex« 
griffenen Tafchendieb hängen. So etwas war in Grhottland, 
Banz einfach und verftand fi von felbft, in England war e& 
en Umfturz aller befichenden Rechtsanfihten. Die vage und 
undefthrändte Macht in Schottland, die demüthige Form und 
Gpradx des mädhtigen Yarlaments den Königen in Gngland 

jegenüber wurden noch darch bie. Auftände Europas itigt. 
Frankreich, in Spanien herrſchte die Konigsmacht faſt ohne 
anten. Die Anfiht der unbefdränkten Gewalt wurde 
eine Modefade. in Guropa und befkätigte ſomit Jakob noch in 
feinem. Wahne, daS die Könige auf Erden wie, Bott im Him⸗ 
mel herrſchen und die Völker fh in Demurh und ſtummem 
Sehorfam vor den Ausiprücgen der Könige wie vor denen des 
Richters im Himmel beugen müffen- 

Wie ſtark das fittliche Gefühl bei Venedey vor- 
herrſcht und wie maßgebend es bei feinen Schilderungen 
und Eharakteriſtiken tft, zeigt uns namentlich bie fol- 
gende Auffaffung Bacon's 

Es ift eine der widerlicften Erſcheinungen ber Geſchichte. 
Wie viele geofe Männer find nit gefallen, weil fie Meinere 

fehen waren? Aber es gibs vielleicht Keinen, der im An ⸗ 
geßcht feines Sturzes den gemeinen Wuth gehaht hätte, um 
die jaltung des Lohne feine Betrugs wie um eine Gnade 
zu betteln und dieſe Gnade dadurch zu rechtfertigen, daß er 
von-nun an in alle Zukunft als ein fchredendes Beifpiel für 


je Zwiſtigkeiten zmifchen Jakob und dem Parla 
mente wachſen. Der König löft das Parlament auf 


und behilft ſich zwei Jahre ohne ein. ſolches. Die An- " 


fiihten des Königs, waren im Wiherfpruch mit denen: 
des. mächtigen Mittelftanbes. Das Unserkaus neigte ſich 
zu ben Yuritanern und- fo. theilte es den Haß, den ber- 
König, diefen. gewibmer hatte, wodurch denn der König 
auf die Ariſtekratie und das Oberhaus hingemiefen wurde 
Stat der Buͤrgerwilij ſchuf er Soͤldnerheere. Gr. ſtörte 
duich feine Verbate den Handel, ohne den Bakrilarion 
zu mugen. Den Saßı Jalabe, Rush, ſehta den Kampf. 
gm das Parlament font. Gin war der Schüler Buding- 
- baw’s; von feinem Bater erhie en hie Laſorüche auf 
wabsfsnränkte. Gewalt, vom feine. Lehrer ritterliche Kech⸗ 





einberufungen deſſelben, duch den Di 


veranlaßt. Es entſtehe ein. neues & 
dep ensliſchen Grunbgefege, bie Letitj 
dieſer „Bietfeift” gehen bie Gemei 
der engliſchen Verfaffung ausführlich 
nig ſah ſich nach. vergehlihem Straͤu 
Petition zu. betätigen, aber mit Hi 
deu entdedt wurde 

Die Macht des Parlaments. wärhl 
der ſchottiſchen Niederlage. des Känig 
Anklageaet gegen den König felbft i 
gebracht, Grommel betritt die Buͤhn 
Königs ftand dem Heere des Parlame 
tiger Kampf. Das demokratiihe G 
trat fo- dem ariſtokratiſchen unmittelba 
Vertheidiger des. Könige nannten ſich 
wachsen fi über die Rundköpfe bed 
Jene fangen Trinklieder, diefe hetete 
Tag bei. Nafeby zerſtörte die legte: 
nigẽ. Mit der Gefangennehmung. 
die gemäßigten Presbyterianer am gi 
der Geift des Independentismus brich 
Haufe buch und fo fehen wir bie ! 
Hinrisptung des Königs befchloffen. 

Die Republik und Cromwell. Zw 
über diefe Periode ‘der engliſchen Gef 
Studien veröffentlicht, wir müffen a 
Venedey's Umterfuchungen nichtödeftor 
tommen find. Dahlmann unterfucht 
Venedey ale Demokrat, Dahlmann 
ftaltung der Formen, bei Venedey iſt 
halt, der Strom ber neuen Bewegu 
feiner Unterfuhungen geweſen. Wir 
nen Entwidelungen biefer Periode, de 
der zweiten Revolution übergehen und 
Geſammtbild über die. bisher geſchild 
gewinnen fuchen. 

Es fließt die Geſchichte — 
ſchichte Englands weiſt von. der ro 
ften Revolution einen rein organiſch 
Die Auſtolratie fügte. zum. MWitkelffani 


ftand bereitet die Herrſchaft der Demokratie vor. Die 
Geſchichte Englands ift ein ewiges Ringen, das in ber 
zweiten Revolution zu einem feften Schluffe gelangt. 
In ber zweiten Revolution erklärte fi die englifche 
Nation felb für großjährig, für vollmündig und mann- 


bar. Sie überhob den unberufenen Vormund feines. 


Amtes und fegte an feine Stelle freiwillig einen Ver⸗ 
walter, einen durch Gefeg und Inftitutionen feſt begrenz- 
ten König. Mit der Flucht Jakob's II. war die Verfaffung 
Englands entſchieden. Wilhelm von Dranien berief ei- 
nen NRationolconvent. Der Sieg der Whigs wurde 
vollftändig durch die Erklärung der Rechte, die das Par- 
lament beſchloß und bie der neue König, Wilhelm III, 
in dem Gefeg der Rechte — Bill of rights — beftätigte. 
Dieſes Gefeg bob das beanfpruchte Mecht des Könige, 
die Gefege und deren Vollziehung zu fuspendiren, auf, 
es erklärte das ‘commiffarifche Gericht in geifllihen An- 
gelegenheiten und alle ähnlichen Commiſſionen und Ge⸗ 
richte — die Erhebung von Geldern zum Gebrauche 
ber Krone ohne parlamentarifche Genehmigung, jede Ver⸗ 
folgung für die Ausübung des Petitionsrechts und bie 
Aushebung und das Halten eines flehenden Heeres im 
Frieben — für ungefeglih. Sodann fiherte es ben Bür- 
gern (den Proteftanten) das Recht der Waffen, das 
Recht der freien Wahl zum Parlamente, das Recht der 
Medefreiheit im Parlamente, und beſchloß endlich, daß 
feine außerordentlich großen Geldftrafen und überhaupt 
keine graufamen und ungebräuchliden Strafen flattfin- 
den, daß Geſchworene gehörig eingefchrieben und daß 


für Hochverrath nur Freeholder Geſchworene fein. follten. 


Bald wurden auch Gefege erlaffen, welche die Richter 
für unabfegbar erklärten und dem Könige das Begna- 
digungsrecht, wenn dieſe als Staatsverbrecher verurtheilt 
waren, nahmen, wodurd die Verantwortlichkeit derfelben 
erft durchgreifend hergeftellt wurde. Dies war das Ergeb- 
niß der zweiten Revolution. Hören wir nun noch Be 
nebdey's Charakteriſtik: 


Die Gewalt unterbricht in der Revolution die naturge⸗ 
maͤße Entwickelung, die or En Beiterbildung, und von da 
an ſtockt dann in gewifler Bezi ung bes Wachsthum der Ra- 
tion. Das Volt an und für ih, England fchreitet in feinem 
innern Leben nach wie vor auf der Bahn fort die es einge: 
fhlagen. Der Handel wird immer ausgedehnter, die Induſtrie 
immer gewaltiger, aber die Ration bleibt ſtehen, fchreitet zu⸗ 
rüd, ſchrumpft aus dem Mittelftande, zu dem fie unter ben 
Tudors gelangt war, wieder in .eine Ariftefratie zuſammen. 
Und Handel und Gewerbe nehmen dann in gewifler Beziehung 
u. an dieſer rüdgangigen Bewegung Theil, werden ebenfalls 
ariftofrattifh. Die Schiffahrtsacte ift ein erſter Verſuch der 
Handelseroberung, dem Yuslande gegenüber. Richt mehr die 
natürlihen Bedürfniffe der Handelnden, fondern die Bevorzu: 
gung ded Einen wird zum, Princip. &o werben denn aud 
Die Eompagnien wieder unter den Stuarts der Reftauration 
hergeftellt und vor allen die oftindifche, die von nun an ben 
ganzen Handel Indiens in die Hand von ein paar Tugend Be⸗ 


günftigten, mit Ausſchluß und Übervortheilung aller Nichtbe: 


günftigten, liefert. Auch die Induftrie betritt die Bahn ber 
ausschließlichen Berechtigung der Protection, doch vorerft nur 
verfuchsweife und mit jo fchlechtem Erfolge, daB fie diefelbe 
bald wieder verläßt. Am ftrengften aber tritt der Charakter 


len Flecken, die Wahl In Gorperationen, die Hochkirche vor 
A ſicherten der Wriftoßratie und ihren Unfichten bit 

ſchaft über England und gaben der ganzen englifchen Auffaſ⸗ 
fung eine neue, fefte, aristofratifche Richtung, wodurd die noch 
im Boden liegenden Reſte der altnormannifchen, ariftofratifihen 
Zuftände, Verhaͤltniſſe und GBefepe wieder neues Leben erhiel⸗ 
ten und fi durchgreifend geltend madten. So entfkand der 
Widerſpruch: Eine freie Sonftitution — in der Hand 
einer bevorzugten Claſſe, ein ſelbſtherrſchendes 
Staatögrundgefeg und eine durch daſſelbe getra-» 
ene Ariſtokratie; — Freiheit und Selbftindig- 
eit in den Infitutionen und Abhängigkeit und 
Unfreiheit in den Verbältniffen. 

Die Macht der englifhen Ariftotratie fcheiterte aber 
zum Theil an dem feften Willen Wilhelm's IL, befen- 
ders aber an bem Berufe, ber In der Ariftokratie felbft 
fhon früher eingetreten war und der durch die Ereig⸗ 
niffe der zweiten Revolution nur noch mehr vergrößert 
wurde. Die Arifloßratie Englands war in zwei Par- 
teien gefpalten; Die allgemeing Herrſchſucht trieb fie beibe, 
ſich wechfelfeitig all und überall entgegeusuarbeiten, wm 
eine der andern die Gewalt zu entwinden. Und biefe 
Eiferfucht, dieſes Streben nach Alleinherrfchaft und Al⸗ 
leinausbeutung war die Urfache, daß die engliſche Staats⸗ 


verfaſſung felbft den Zuftand der Ariſtokratie überlebte 


und zugleich, daß trog des eifernen Willens englifcher 
Art diefe Ariftofratie nicht im Stande war, im Innern 
das englifche Volt ſelbſt und nad außen bin ganz Eur 
ropa mit ihrem Joche zu erdrüden. 

Diefer Kampf der Parteien ift es, der nun in ber 
Geſchichte Englands überall eine Hauptbebeutung ge 
winnt und dem Venedey folgerecht das erfle Drittel des 
zweiten Theils zu feiner Darftelung widmet. Die Dar- 
ftelung felbft ift ebenfo ausführlich als klar und fo vor- 
trefflich gehalten, wie wir in unferer deutſchen Literatur 
noch nichts Ahnliches über dieſes wunberbare politifche 
Schaufpiel befigen. Tory, Whig, das die Schlagwör⸗ 
ter, denen wir feit der Revolution in der Geſchichte Eug⸗ 
lands auf jeder Seite begegnen. Wenn wir auch, was 
die Bewegungen und Einzelbegebniffe des großen Par- 
teikampfs betrifft, auf das mit ebenfo polttifcher Schärfe 
als Fünftlerifcher Darftelungstraft entworfene Gemälde 
Venedey's verweifen müffen,. fo halten wir es doch für 
allgemein wichtig, gerade jegt, da diefe Parteien zu zer⸗ 
fallen feinen, das Weſen derfelben nach Venedey zu. 
charakteriſiren. Venedey charakterifirt als deutfcher De⸗ 
mokrat. 

Der gemeinſame Boden, in dem beide Parteien wur⸗ 
zelten, war die Ariſtokratie. Die alten Familien des 
Landes bildeten den Kern beider Parteien und keine 
ſtand der andern an ariſtokratiſchem Stolze und ariſto⸗ 
kratiſcher Herrſchſucht nach. Unter dieſer alten Ariſto⸗ 
kratie aber lag die Schichte des frühern Mittelſtandes, 
ber während der Herrſchaft der Tudors die Verbältniffe 
Englands lenkte und der jegt, von den beiden Ariſto— 
ratenparteien volltommen Ind Gchlepptau genommen, 
moralifh in der Anſchauungsweiſe ihrer Führer und 
Herrfcher aufgelöft, immer mehr zu einem Elemente der 


der Ariſtokratie in den politiſchen Buftänden hervor. Die fau⸗ Ariftofratie wurde. Dieſe -Elaffe des englifchen Volls 





a 


beſtand Aus ben Landeigenthümern, wehlhabenben Paͤch⸗ keit beider zum Bewußtſein gebracht hätten. Zur Cha⸗ 


tern und dem reichen Bewohnern der Gtäbte. In fr | raßteriftit Pitt's heißt es: 


nen lag im MWefentlichen die nähsende Kraft, der ſchaf _ 
ı über den engen Begriffen, den einfeitigen Interefien der Par⸗ 


fende Boden beider Parteien und fomit waren beibe auf 
fie angewieſen. Dieſer Boden uber, biefe nährende Kraft 
verlangte eine andere Behandlung, je nad) den Lagen. 
Die Bebürfniffe der Landbefiger und Pächter waren an- 
dere als die der Stadtbewohner; was den Einen zufagte, 
wor: ben Anbern oft entgegen. Hieran lag die Urfache, 
daß eine Partei es kaum beiden recht machen konnte, 
und dies zmang fie bann, fich der einen ober der andern 
Adtheilung bes Volks anzufchließen. Die Stuarts hat⸗ 
ten in den Städten den ernſteſten Widerſtand gefunden. 
Deswegen hatten’ fie bie Wreibriefe der Gemeinden zer- 
flört; die Tories hatten fheilweife an diefem Werke mit 
geholfen, die Whigs ihnen entgegengefirebt. Unter Wil⸗ 
heim III, betrieben die Whigs Die Wiederherſtellung der Ge⸗ 
meinderechte. Sie mußten es burdzufegen, daß Ale, 
die an der Unterdrüdung der Zreibriefe Theil genom- 
men hatten, auf fieben Jahre vom Wahlrechte ausge⸗ 
fchloffen wurden und ficherten fo auf ebenfo lange ihre 
unbefchräntte übermacht in den Städten durch bie Aus- 
ſchließung aller Tories. &o wurde das Band zwifchen 
den Städten und den Whigs immer fefter geknüpft und 
zufegt unauflöslih. Die Whigs murden bie Füh— 
zer der Stadtbernohmer, bie Toried die der Landeigen- 
thümer. In diefem Verhältniß liegt bie Urbedingung 
aller nachfolgenden. Parteien, in die ſich die englifche 
Ariſtokratie fpaltete, >. 

Der Landbefig iſt in England ariſtokratiſch gefchlof- 
fen, daher der confervative Charakter der Toried. In 
den. Städten herrſchte der freie Umſchwung ber Han- 
deisverhältniffe, der immer neue Kräfte uf Daher 
die reformatorifche Nichtung dee Whigs. Der Landadel 
hielt ſtreng an ſeiner Religion, hatte nicht Zeit zum 
- Grübeln, nicht Gelegenheit zum Philoſophiren und fo 
- waren die Tories die feften Stügen der Hochkirche. Die 
Städte nährten den freien Geift der Kritik, Die nahe 
Berührung rief den Widerfpruch hervor und fo murden 
die Whigs zu den gezwungenen Vertheibigern der Dif- 
fenters und ‘der Duldung im Allgemeinen. Der fefte, 
fitenge, unbewegliche Charakter des Landeigenthums gab 
den Zories oft eine Feftigkeit der Grundfäge, die bie 


höchfte Achtung verdiente, wenn biefelbe nicht eine nothe 


gedrungene Zolge ihrer Stellung wäre. Das unbe- 
flimmte, ſchwankende, fich leicht beimegende Weſen ber 
Städter erlaubt den Whigs oft eine Grundfaglofigkeit, 
die der Verachtung mwerth,. wenn fie. nicht in der Luft 
in der fie leben bedingt wäre. Gelb und Land find 
in Iegter Entſcheidung die Wrelemente, in denen ſich beide 
Parteien bewegen und burch bie fie getrieben werden. 
Mit der Geldherrſchaft wuchs die Macht der Whigs. 
Aber auch die allgemeine Corruption nahm überhand: 
Walpole fagte von Freund und Feind: „Alle biefe Leute 
haben ihren Preis.” Bon Walpole und Bolingbrofe 
fagt Benedey, daß fie die Macht der politifcgen Parteien 


in England vernichtes unb das Geheimniß der Nichtig⸗ 


Im Volke regte fi nachgerade wieder ein Geiſt, der 


tel lag. Diefer Geift erhob William Pitt zum erften Minifter 
Englands, gab das Gefchi feines Vaterlandes in feine Hand 
und die Rachwelt hat ein Net zu fragen, was er mit der 
ihm vexlichenen Macht geichaffen, wie er das ihm anvertraute 
Zalent benugt habe. 


Kurz und vortrefflich iſt die Darftellung, weiche. | 


Benedey von der auswärtigen Politit Englands. ent 
wirft, um William Pitt's Stellung darauf begründen 
zu koͤnnen. Pitt ift einer der talentvollften und willen- 
fräftigften Staatemänner, die England aufzumeifen hat, 
Der belebende Athem feines Talents war feine Selbftän- 
digkeit gegenüber den Parteien. Er gehörte weder ber 


einen noch der andern an unb hierin allein lag bie Ur» 


fache feiner Popularität und feiner Macht in England. 
Als er erſter Minifter wurde, fagt Venedey, wählte er 
feine Gehülfen in beiden Parteien zu gleichen Zheilen. 
Es war keine Coalition mit den Parteigrundfägen im 


Hintergrunde, fondern eine Auflöfung aller Parteianſich⸗ 


ten. Zum Beften des Gemeinwohle, vertreten durch 


den Dann, ber ſich über die Parteien erhoben hatte. . 


Die Gefchichte des Pitt'ſchen Minifteriums und der 


Pirt’fchen Oppofition wird von Venedey fehr ausführ- . 


lich behandelt, und mit Recht; fie umfaßt eine der ge 
haltreichften Perioden der englifchen Geſchichte, es ent- 
fcheiden fi in ihr die wichtigften Fragen. Wenn die 


englifchen Gefchichtfehreiber die Periode Pitt's häufig 


als diefenige betrachten, in ber England feine Handels. 
größe begründete, fo fagte dagegen Venedey: 

Als 0b diefe noch zu begründen gewefen! Der Friede un⸗ 
tee Georg J. und IT. hatte den Handel in alle Kanäle des 
Volkslebens hHineingeleitet. Der Krieg trieb Ddiefelben wieder 
nach Kopf und Herz zurüd und gab dieſen freilich eine ver 
doppelte Thaͤtigkeit. Die Staatsſchuld flieg von 54 Mil. auf 
146 Mid. Pf. &t., die reichen Eapitaliften wurden unendlid. 
Der Krieg beförderte große Handelöfpeculationen, ja erlaubte 


nur große, fpeicherte fomit das Geld in den Händen der gro⸗ 


Ben Kaufleute auf. Die Siege in Oftindien waren mit Be: 
raubung der größten Schäge, Ausfaugung der reichten Länder 
der Welt verbunden. Und das wurde abermals eine Quelle 
des Reichthums für Die, die ald Reiche, als Mitglieder der 
Ariftokratie der Bank und der Börfe, zum Raube zugelafien 
wurden. Die Seit Pitt’s begründete keineswegs die Handels⸗ 


größe Englands, die längft begründet war, wol aber bie Rei: . 


thumdgröße, bie Geldmacht der bevorzugten Klaffen in Eng⸗ 
fand, die ohne dies fihon viel zu groß war für bie Freiheit 
Englands. j 


4 


‚(Die Fortſetzung folgt.) 





Über Friedrich's des Großen claflifche Studien. Akade⸗ 
mifche Ginleitungseede von Auguſt Böckh. Vor 
getragen in der öffentlichen Sigung ben koͤnigl. prenf. 
Akademie der Wiffenfhaften zur Feier des Jahres: 
tages Friedrich's des Großen am 29. Januar 1846. 
Berlin, Veit und Comp. 1846. Kl. 4. Tr Nor. 

&o wie der verftorbene Wilken ſich vor elf Jahren die 
ſchoͤne Aufgabe geftellt hatte, Friedrich den Großen in einer 
afabemifchen Rede als Geſchichtſchreiber zu betrachten, fo ver» 


.. 





nahmen. wir jegt- einen anerkanntan Mans: vom Fach, einen: | w 


—æ ltertpumstenner, der felbfk das Schaͤrbarſte ge: 
feife hat, und lefen, wie er mit freiem unbefangenen Urtheil 
bie innige Liebe. hervorhebt, von welcher Friedrich für die dafı 
fiſchen dien erfünt gewefen iſt. Es find namentlich in un⸗ 
er Zeit, wo fo Diele den Werth der alterthümlichen Stu: 

en verkennen, die Worte des Hrn. Böoͤckh befondereg Beach: 


ea werth, und fie werden hoffentlich um ſo weniger nutzlos 


verflingen, da man ja jegt Yon mehren @eiten bemüht ift, Da& 
Andenken Friedrichs ded Großen mit erneutem Aufſchwunge 


‚und im GHanze feiner wahrhaften Geſtalt vor unfere Augen 


—— — Nachdem nun ber Redner zuodrberfs an Die 
Ude eigung 
De Romantifäe und Und Altertpümlihe hegkeı ſteiſt ex dia drei Ge⸗ 
fihtäpunkte quf, unter welchen ber 
Benugte: den rhetoriſch⸗ aͤſthetiſchen, den ueepbi fittlichen, 
den Zeſchichtlich-politiſchen mit Einſchluß des militairiſchen. 
Bu allen werben. Belege angeführt, wie der König echt alter⸗ 
thumlich ein. fo großes Gewicht auf die Rhetorik: legte, wie er 
in der praktiſchen Philoſophie der Alten gut beiwanbert war, 
fi im Siebenjährigen Kriege an den Spruͤchen des Epictetup 


und Marcus Aurelius erquidte und das dritte Buch des Lu⸗ 


cretius fo gern lad. Cicero war: fein großer Zreund, die Bü- 


‚ Gar von den Pflichten und von der Ratur beißen m unfterb> 


[1 


liche Bere; ebenfo hielt er auch vie) von Lucijanus unb Julia⸗ 
—* von Plato und Ariſtoteles hatte er offenbar nur eine 
oberflaͤchliche Kenntniß. Bon den Geſchichtſchreibern des Alter: 

ums hat der König fefend und fehreibend den ausgedehnteften 
branch gemacht; — half ihm bekanntlich eine Haupt⸗ 
— gewinnen. Wanz beſonders — und bier im merkwuͤr⸗ 
digen Gegenſatz zu Napoleon — war er in Sinn unb Darftel: 
des Tacitus eingedrungen, weit weniger vermochte er aus 
w ranzoͤſiſchen Überfegung den Werth des Thucydides zu er: 
Eennen; aber Ifoßrates, Aſchines, Demofthenes waren ihm mohl« 
beßannt und aus. ben Neben’ de& 
Kernftellen feinen Schriften eingeflochten, deren eine vortreff: 
lihe auf S. Il ausfuͤhrlich angegeben iſt. „So ziehen fi”, 
fagt ber Redner, „Durch Kriedrich 8 Schriften Anfpielungen und 
Beziehungen aus der Mythologie, Geſchichte und Literatur des 
—— ſchmückende Leſefrüchte, die heutzutage ſelten in 
aͤhnlichen Werken zu finden find, weil ſelten ſolche Studien 
gemacht werden.“ 

Hierauf wird eine kurze Betrachtung dem Studium der 
Aten als Mittel des Schulunterrichts gewidmet und über 
Friedrich's Eifer in dieſer Beziehung und die bekannte Gabi: 
netsorbre von 1779 geiprochen. „Bon diefem Mittel”, urlpeilt 

r. — „koͤnnte man ſagen, was Plato von der Mufik und 

wmnaſtik geſagt hat, es Br ſchwer eine beffere Erziehung zu 
finden ald die von der langen Vorzeit gefundene; aber Manche 
von Denen, welche dad Beftehende blos deshalb wollen erhal: 
ten wiflen, weil es eben befteht, Fallen gleich zu den Gegnern 
des Beftehenden ab, wenn dieſes ihnen nicht zu ihren übrigen 
Anfichten und Abſichten zu paſſen ſcheint, oder wenn fie nicht 
glauben, ihm eine ihren Planen angemeflene Vichtung geben 
zu koͤnnen.“ 

„Die letzte Deu tung gilt der gefeeliäen Freiheit, die der 
König im claſſiſchen Alterthume fand und ehrte, fo in einem 
Cato, Brutus, Eremutius Cordus, und der geifligen Freiheit, 
als deren eigentliches Feld er das claffifche dltertbum erkannt 
hatte. In diefem Sinne Heißt er der eigentliche Begründer 
der willenfsofttichen Freiheit: nicht bios weil er der Stifter 
oder Wiederherſteller unferer Gefellſchaft if, fondern weil er 
diefen Urgrund bes wiflenfchaftlichen Lebens, alfo unfers Lebens, 
zum Fr $ und Gefeg des Staats erhob, muß und fein 
Gedächtniß Heilig fein. Ich meine nicht, in ihm oder in feiner 
Beit ſei diefe Rihtung zuerft entſprungen; er hat. fie nur maͤch⸗ 
tiger. ergriffen und lebendiger angesegt; übrigens iſt fie fo alt 
ak die Wiſſenſchaft ſelbſt, und trat fogar in ben Zeiten, in 


exinwert bat, welche Friedrich gegen. al. 
önig die ten las und. 


tern bat er verſchiedene 


—*7 — deuck hatte, nur um. 
der 5— ervor.“ Daher hat ed au = 
(di arlihe ergleidungen mit dem Könige * und rn 
verfaßt t mit Gluͤck eine neue, nämlich die mit Karfer 
ir H., dem Hohenſtaufen, der in feiner geiſtigen Bil⸗ 
dung unb — den: Bong feiner. Gpißbes: u ER 


‚ande Kenatnige, in ber. Sor 
is und Ge mer durch Gründung. und Ohr von 
een, im Kampfe gegen Barbarei und harinaͤcki⸗ 

eiftergeiß, endlich in "feinem zu Luſt und Scherz aller 
du en, raus. geiſtreichen Gemüfke: *— 
ſten Ahnlichkeiten mit Fri U, darbietet. Diefe weni 


Seiten über den großen Kaiſer erſcheinen um. fo eitgemä 
da neuerdings ein —** der Akademiker — in —8* 
chen, das Riefenbifd Friedrich's IL mit feinem Meifel zu zer: 
ſchlagen gedroht und ihn ats einen von maßlofer Herrfchſücht 
getxiebenen Tyrannen und als gewalthaͤtigen, uglifigen Ser: 
folger der Kirche darzuſtellen gefucht 
Pallense Bemerkungen über das Bechältnig eines bervar- 
ragenden Geiftes zu feiner Zeit machen den Schluß der leſens⸗ 
wertben Rede, die auch in den untergefegten Radweifungen 
wichtiger Stellen aub den Werken des Königs eine reiche Aus⸗ 
ftastung empfangen hat. W. 





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gem ed 5 tas e— 5* von 
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20 Nur. — XXX]. Rx ges Iprüfthe Beni A bericht —— 
Zweite Zufloge. 1 Khır. ” * 


Müller. WRaut. — — Kr Sn n deut 
Bilbungen ron Hoefer. 2 abe. — ana — — 
XL 


5* gte 3 ie at: —3* ee nuoya. 


“ei I-L Fa em. Br nie Zum. 3. able. Io Rer, 


Zeipgig, im Mai 1846. 
F. A. Brockhaus. 


derfent nom 
20 Ser. 


Berantwortliger Herausgeber: Heinrich Bro@hans; — Druck und Verlag von F. 5. Weodihans in Beipsig. 





Blätter 
| für | 


literarifche Unterhaltung. 





Engliſche Zuſtande. 


Erfter 
(Kortfegung aus Nr. 130.) 


Artikel. 


Weder auf den Volksgeiſt noch auf bie Inftitutie- 


nen, weifi Venedey nach, hatte das Pirt’fche Minifte- 
zium den geringften bleibenden Einfluß zum Beflen des 
Landes ausgeübt. Nah außen hin hat Pitt die Er- 
oberung von neuem belebt, nach innen die Eigenfucht 
geſtaͤhlt. Seine Kriegsanleihen vermehrten bie Macht 
bed Geldes und diefe die allgemeine Verderbtheit. Wäh- 
xend des Kriegs verhinderte England allen auswärtigen 
Handel Frankreichs, Spaniens und Hollands und ri 
denfelben an fih. Das gab aller Induſtrie und allen 
Bewerben eine, größere Thätigkeit. Dieſe ſelbſt führte 
zu groͤßern Induſtrie- und Gewerbeeintichtungen ale 
England In feinem Normalsuftande gebrauchen konnte. 
As diefer Normalzuftand mit dem Frieden wieber ein- 
trat, wurde ein Theil diefer Einrichtungen überflüffig, 
eine Menge Fabriten und Gewerbe mußten ihre Arbeit 
einftellen, was dann alle andern drüdte und viele er- 
brüdte. Noth und Elend wurden groß in bem ganen 
Gewerbe und Induftrie treibenden Theile des Volkes. 

Die Induftrie und Handelsfähigkeit Englands nahm 
immer mehr den Charakter der Groberung an. Wir 
fchieben die Schuld aber nicht wie Venedey auf das 
Pitt'ſche Minifterium, fondern auf den Umſchwung, ber 
fi in der Fabrikthätigkeit durch die Einführung der 
- Mafchinen geltend machte. Während bes Kriegs hatte 
die englifhe Induſtrie faft die ganze Welt mit ihren 
Fabrikaten verforgt, faſt den Handel für alle Voͤlker 
betrieben. Handel und Induftrie richteten fich halbwegs 
nach diefem Maßftabe ein und konnten fich fpäter nicht 
mehr in die Grenze des Binnenhandels, mit einem aus- 
wärtigen Handel ald untergeorbneter Thaͤtigkeit, hinein⸗ 
gewöhnen. Der auswärtige Handel wurde, wenn auch 
nicht in Maffe, doch als Maßſtab für das Streben und 
die Speculation des englifchen Handels bie Hauptfade. 
Bortrefflich fagt Venedey: 

Das Geld war aus allen Scheilen der Welt in England 
aufammengefloffen, aber das verhinderte nicht, daß bie ‚größte 
Roth über Gngland kam; im Gegentheil wurden die Urſache 
all dieſer Roth, dieſes Elends die übermäßigen Schäge, weil diefe 
. felbft in der Urt wie fie: gewonnen wurben den Geift bes 


Schwindels über ganı England brachten und überdies das 
Gleichgewicht, das bis iegt nur theilweife zwifchen den Ele⸗ 
menten des englifchen Volkes beftand, volllommen zerftörten, 
die Bande, die die einzelnen Iheile des Volkes miteinander ver⸗ 
einigten, immer mehr auflöften. 

Wir übergehen die amerikanifchen Berwidelungen und 
bie endliche Loslöfung Amerikas. Pitt wurde in biefer 
Epoche, bie in’ einer allgemeinen Unbehaglichkeit, im ei- 
ner durchgreifenden Entartung, in dem ameritanifchen 
Kampfe und endlich in ber Bewegung einer neuen volks⸗ 
tbümlichen Partei ihre Grundtöne findet, wieder erſter 
Minifter; alle Augen faben auf ihn, er war fo ohn⸗ 
mächtig wie feine Vorgänger. Ohne einen Gontinental- 
?rieg, der erlaubte den Handel der Welt auszubeuten, 
der ber Manufactur Englands eine überfhwingende Be⸗ 
wegung, der Börfe Millionen zu vertheilen gab, war 
Pitt bald ohne Macht und Anfehen und England mußte 
feine Schwäche in dem Frieden mit Amerika bekennen. 

. Die Geldintereffen waren immer mächtiger gewor⸗ 
ben, fie gingen ihren legten Siegen entgegen, als %or 
fie angriff und Pitt (dev Sohn) fie zu feinen Bundes 
genoffen machte. In diefem Verhältniffe liegt ihre ge- 
genfeitige Schwäche und Kraft. Es ift darüber die Ge⸗ 
fhichte der India bill bei Venedey zu lefen. or, eine 
edle Natur, die in andern Zeiten, unter andern Der- 
bältniffen, feinem Volke nur Ehre und Ruhm gebracht 
haben würde, war ?ein Geldmenſch, kein Rechner, fon- 
der ein Spieler, ein Verſchwender. Das ganze arifto- 
kratiſche England lebte und dachte ungefähr wie er, aber 
in dem Geldengland war Adam Smith erftanden und 
hatte feinen Genoſſen den Staar geflohen. Pitt han-- 
delte in feinem Geifte und deswegen fonnte ihn, ber 
überdies feine Kunſtſtückchen mit allem Pathos und ' 
Knallpulver der Zafchenkünftler natürlicher Magie vor- 
brachte, das ariftofratifche England nicht begreifen. 

Die franzöfifche Revolution unterbrach den natur- 
gemäßen Entwidelungsgang ber englifchen Zuftände, wie 
fie ſich feit der legten englifchen Revolution ausgebildet 
hatten. Der Sieg ber demokratiſchen Grundfäge in 


Frankreich erfchütterte in England die Land- und Geld⸗ 


ariftofratie zugleich. Das demokratiſche Element in Eng- 
land, wie wenig es auch feſte Wurzeln in dem Moden 
der englifhen Zuflände zu fchlagen Im Stande war, 
erhielt durch den Sieg ber Grundſäte won 1789 einen 





s J 
460 
. 
1 


neuen Aufſchwung. Der rein ariſtokratiſche Theil der 
Whigs dagegen ſah ein ober fühlte heraus, daß mit 
dem Siege der Revolution die Ariſtokratie in England 
die hoͤchſte Gefahr laufen müſſe und befämpfte fie des⸗ 
halb von vorgherein als eine Erbfeindin. Burke wurde 
der geiftweiche Bertreter dieſer Anſicht. Die Tories wa- 
ren weniger laut und raſch in ihren Kntfchliefungen 
und Entfcheidbungen. Sie waren bie Gegner des demo- 
Eratifchen Grundſatzes, ber fih in Frankreich durchzu⸗ 
tämpfen fuchte, aber fie waren faft zwei Sahrhunderte 
lang bie Freunde Frankreichs geweſen und konnten fich 
nicht gleich in den Gedanken finden, als beffen Feinde 
aufzutreten. So ſahen denn Pitt und die Tories und 
die Geldintereffen ruhig zu, mährend Burke und bie 
Ariftokraten der Whigs fich offenbar gegen For, die de- 
mofratifchen Whigs und die englifchen Volksfreunde fich 
für die franzöfifche Revolution erklärten. 

Die Ariſtokratie Englands — bie fich felbft in eine 
Geldherrſchaft aufzulöfen drohte —, die Macht Englands, 
die mit dem Berlufte Amerikas den empfindlichften Stoß 
erlitten hatte, die fo wenig auf eigenen Füßen fland, 
dag Pitt fie durch bie Befeftigung der englifchen See- 
bäfen gegen unmittelbaren Angriff fihern zu müffen 
glaubte, gingen, wie Venedey fchildert, neugeftärkt aus 
dem Kampfe hervor, den Europa gegen bie franzöfifche 
Revolution beginnen und bie zur Beflegung Frankreichs 
fortfegen konnte. 

England gerierh, faft ohne fein Zuthun, jegt in die⸗ 
felbe Stellung, in die ber ältere Pitt es zu Frankreich 
and: zu dem Continente gebracht hatte. Die Continen- 
talmächte befämpften Frankreich. Unterdeſſen vernichtete 
England den Handel und’ die Seemacht Frankreichs und 
beutete die Handelszweige, bie dadurch frei wurden, auß. 
‚Ber fi) an Frankreich anſchloß, wurde ein Feind und 
„ gab fo England Gelegenheit, nach) und nach auch bie 
Schiffahrt, bie Flotten und den Handel aller Seemächte 
zmeiten Ranges zu vernichten. | Ä 
- Die Eontinentaljperre war eine Reaction, aber 
die Sperre war nur theilweife gegen England möglich und, 
foweit fie unmöglid war, nur ein Mittel die englifchen 
Waaren zu vertheuern, während fie im Gegentheile England 
erlaubte, Europa, ja faft die ganze Welt von dem Meere und 
feinem ‚Handel fern zu halten. 

Venedey charakteriſirt nun die englifche Politik nicht 
als eine Politit des; Rechts, fondern als eine Politik des 
Nutzens: | 

Es fei fern von mir, den Ruhm, den England in diefem 
Kampfe erlangte, zu fchmälern. Aber das darf und nicht ver: 


hindern, auf den Boden der Berbältniffe zu fehen. Es han⸗ 


delte jih in England unter Pitt dem Zweiten um biefelben 
Interefien wie unter Pitt dem Erſten. Während Europa 
fämpfte, vernichtete England vorerft die Flotten und den Han⸗ 
del Frankreichs, dann den aller See- und Handelsſtaaten zwei⸗ 
ter Claſſe und fpeicherte fo den Reichthum der ganzen —* 
durch feinen ungeftörten Welthandel auf. Das Blut, das auf 
dem Eontinente floß, wurde zu Gelbfirömen für England. 

Durch den Frieden ficherte ſich England alle Erobe- 
rungen bed Kriege, England war die tonangebende 
Macht auf dem Wiener Eongrefie. 


% 1 


Die innern Zuftände ſchildert Venedbey folgender⸗ 


maßen: 


Schon bevor der Koͤnig in Frankreich hingerichtet wurde, 
regte ſich die Landariſtokratie Englands und trieb unter dem 
Mufe „Kirche und König!” die Demokraten zu paaren. Aber 
erft bie Schreckensherrſchaft brach die Kraft der Demokraten 
vollkommen. Der ganze Mittelland z0g fi von ihnen zurüd, 
nur der Mob blieb übrig; und fobald Pitt es für nothwendig 
hielt, konnte er die Refte deſſelben ohne, Gefahr durch feine 
Provorationsagenten zum Mittel machen, die legten Vertheidi⸗ 
ger felbft der gefeglichen Dppofition zum Schweigen zu brin⸗ 
gen. Bald wurde die Habeas⸗-Corpusacte fuspendirt, es 
wurde das Briefgeheimniß vernichtet und bie Volksverſamm⸗ 
ungen unterfagt. y 

So England. in feinem Berhältuiffe zur Revolution. 
Die demokratifche Partei hatte in England fein eigenes 
Lebenselement in ben Verhältniffen Englands, das Volks⸗ 
element folite fih) auf anderm Wege als durch eine po= 
Iitifche Revolution und Parteiung, mit dem Wachsthume 
der Induftrie, des Maſchinenweſens und zugleich bes 
Proletariats entmideln. Das politifhe England war 
nach dem großen Gontinentalkriege' immer ausfchliepli- 
cher, Immer ariftefratifcher geworden. Das Recht ber 
Afforiation, das Recht der öffentlichen Verfammiungen 
wurde durch Gefege befchränkt , die Überlegenheit der 
minifteriellen Partei, die Abwefenheit jeglicher Dppoſi⸗ 
tion erlaubten der Regierung noch viel weniger zu ge- 
hen, als fie für ug fand oͤffentlich in Gefegen zu er- 
klären, und mit Recht fchließt Venedey: 

Der Sieg Englands auf dem Continente über die fran- 
aöfifhe Revolution war ein nod viel offenbarerer &ieg des 
Eontinentalabfolutismus über dis englifche Eonftitution. 


(Die Sortfegung folgt.) - 





Vorleſungen über akademiſches Leben und Studium. Bon 
Emil Auguſt von Schaden Warburg, Elwert. 
1845. Gr. 8. 1 Thlr. 15 Rear. 


Docenten deutſcher Univerfitäten iſt Neuheit zu empfehlen, 
um zu gelten — da der Ruf bed Alten ſchon von felbft die 
Jugend abfchredt und Jugend nur Junge will —: fie brau- 
hen dabei nicht zu ſcheuen ein Unverſtaͤndliches, denn Diefes 
erweckt Ringen nach Werftändnißs nicht ein Seltſames, denn 
dieſes bewirdt Staunen; ja fogae nicht. Undenfbares, denn es 
wird durch Dialektik denkbar, und enthüllt vermöge guter For⸗ 
meln tiefen Sinn. Befonders in der Philofopbie gilt das 
Neueſte ftetd für das Befte, und mit einer Weisheit der Vaͤ⸗ 
ter Fönnen die Söhne unmöglich ausfommen, wegen ber Zeit- 
fortfchritte, Die jegt auf ein Jahrzehnd mitleidig zurückblicken, 
wie fonft Jahrhunderte auf Jahrhunderte, nämlich auf die frü- 
here Beichränktgeit im Vergleich mit der Gegenwart. Bleiben 
nur politifhe Verhältniffe und herkommliche Kirchenlehren un: 
angefochten, fo erbauen fi an dem philofophlih Neuen felbft 
greife Staatsmänner und Theologen, begünftigen den @ifer, 
womit man fpeculative ben außbeutet und verbreitet, bis 
etwa diefe durch Bielgebrauch alt und matt werben, oder gar 
in ihrer Fortbildung fi anders darftellen als anfangs, was 
befanntli dem Syftem Hegel’8 begegnete und ihm viele Bön- 
ner entzog. Zwar gibt ed bei dem erften Auftreten neuer Phi⸗ 
loſophie ftet6 eine Anzahl älterer fchienengefefteter Denker, die 
ihr Geleiſe nicht. verlaffen wollen, und feindlih verfahren — 
wie denn 3. B. im „Staatslexikon“ von Motte! und Welder 
Hegel’fche Philofophie „der fcharffinnigfte Widerfinn, die kunſt 
reichſte Abfurdität, welche je die Philofophie ausgeboren”, ges 





- 


⸗ 539 


nennt wind —, allein dies ſchadet Des Merbyritung: d 
nicht, «8 werden vielmehr folche Einzelftimmen von dem Tutti 
des Freundesorcheſters bald übertönt, und was ben Feinden 
unvernünftig daͤuchte, behauptet fi in der Wirklichkeit und 
wird dadurch vernünftig. Nur die Beit baut und untergräbt 
Bernunft und Unvernunft, bie deswegen angenehm miteinan- 
der abwechſeln und in diefem Wechſel entfchiedene Dbjectivität 
bewähren. 
Nichts iſt ewig auf Erden, und ewig bleibt dieſer Sprud wahr. 
Zaͤhrlich wandert bie Jugend zu Niederlagen ded MWiflens, 
Döret Philofapdie, das heißt, die Liebe zur Weiſheit. — 
Wie, kann Liebe gehört Tin? Ja wohl der gelchrigs Hörer 
Duͤnket in Worten fi Hug, und ſchwoͤrt auf die Worte des Meiſters. 
Keider verhallt und verfhallt dad Wort. Kant ik ſchon ver 
ſchollen, 
Sichte und Hegel, und ſelbſt ein doppelſchallender Schelling 


» Binden ihr Schallloos. — Alle verkuͤndeten ‚Weisheit, und haben 


Glauben verlaugt und gefunden an ewig dauernde Lehren, 


- Bu folgen Betrachtungen und Verserinnerungen Bann die 
vorliegende Schrift veranlaffen, welche in. geſchicktem Vortrage 
des Neuen genug enthält, und gerade „das Bewußtfein eines 
folchen Reuen ift es, was der Verf. in der fludirenden Jugend 
erzeugen möchte, und bie iſt die Abficht, mit der er dieſe Bor 
leſungen ausarbeitete” (Borrede, &. ıv). Sein Syſtem hat er 
„zu großem Theile ſchon in feinen frühern Werken entwidelt, 
niemals indeß noch, wie er glaubt; fo einfach und zufammen: 
faffend wie in der vorliegenden Arbeit. Das Centrum aller 
Eriftenz ift ihm der Menſch, der innere ſowol wie der äußere. 
Denn beide find im Grunde nur einer. Ihn, den Menfchen, 
glaubte und glaubt er noch überall zu finden, wohin er nur 
ein Auge wenden mag. Denn felbft Bett ift nur der ewige 

ypus (naendsıyua), nach welchem fein Ebenbild (exuv) 
Eriftenz gewonnen hat. .. Dies (Princip) ift dur fo viele 
Thatſachen und darunter durch fo gewaltige und großartige 
eftügt, daß eine einzelne Ausſtellung oder felbft einzelne Aus⸗ 
Bellungen fo viel wie nichts befagen würden” (Borr.,&. v, vn). 


" Ref. verbannt daher alle ſubjectiven Ausftellungen, und will 


blos von dem Neuen des Inhalts "in reiner Objectivität Eini⸗ 
ges mittheilen. 

„Es muß die Theologie ebenfo als die Kunft ber Yhile: 
fophie bezeichnet werden wie die Medien die Kunft der Ra: 
af und die Zurisprudenz die Kunft der Geſchichte 
vorſtellt.“ 

„Es gibt nichts, deſſen Configuration nicht in irgend ei⸗ 
nem Verhaͤltniß beſchloſſen laͤge, welches an der menſchlichen 
Geſtalt ſich vorfindet. Himmel und Erde führen das Gepräge 
diefed Siegels, und tragen daher, wenn aud in noch fo rohen 
und Eoloffalen Umriflen, an ihrem mächtigen Leib bie Phyfio- 

nomie der menſchlichen Geftalt. ... . in (des Menfchen) 
Baupt ift ein concentrirter Rumpf, fein Rumpf dagegen ein 
ertendirtes verzerrtes Haupt zu nennen.” 

„Die Länder um das Mittelländifde Meer ftellen eine 
merfwürbige Goncentration bed ganzen Erbbaus, unb umge 
kehrt der ganze Erdbau ftellt eine Erpunfion der Gegenden 
um dad Mittellandifhe Meer vor.’ 

„Dem Eoloffalen Bau der Erbe ift daß allgemeine Geſtal⸗ 
tungsprineip des Menfchen in großen Grundzügen aufgeprägt.” 
(Diefe Anfiht wurde ſchon 1328 von ben Herren Keiper und 
Klug durchgeführt. und fie unterfchieben dabei auch männliche 
und weiblihe Erdgeſtalt; Kleinaſien 3. B. war bie Klitori, 
Kaukafien der Mons Veneris u. f. w.) 

„Wie deu große Firfternhimmel, fo auch das ganze Pla: 
netenfoftem tragen eine tiefe Menfchenähntichkeit an fih, und 
diefe Aehnlichkeit druͤckt fih bier, weil unter der Herrſchaft 
ser Rotpwendigkeit ſtehend, durch Bahlenverhältnifie der Maſ⸗ 
en aus. 

„Mathematiſche Verhaͤltniſſe ſind nicht abſolute Nothwen⸗ 
digkeit, fie find keine ewigen Wahrheiten an ſich, bie durchaus 
nicht anders gedacht werden dürfen aoch koͤnnen, und daher 
der Satz z. B., daß die drei Winkel eines Dreiecks immer 


t - 


gleich zwei rechten ſind, nur unter ber —— unſerer fo 
modificirten Materie eine zwingende Rothwendigkeit.“ 

„Man Bann unſern Rumpf als den niedrigen Indifferenz⸗ 
punkt für bie polarifchen Hauptentwidelungen bezeichnen, wel 
— oben und unten in die Peripherie unſers Leibes ge⸗ 

ellt find.’ 

„Zwiſchen Erdrumpf und Erdhaupt ward jener große ver⸗ 
innerlichende Heros geboren, dem alle Gewalt im Himmel und 
auf Erden gegeben wurde, und beflen Reich nichts weniger 
als von diefer Welt iſt. . . Eine Weltgefchichte, welche auf 
folchen natürlichen Bafen aufgeführt worden if, und mit fol 
ben Hinausbliden und Ahnungen endet, kann eine Weltge⸗ 
fchichte genannt werden.” 

‚Das Germaniſche und infonderheit das Deutſche ift der 
Sipfel aller freien Sprachen, welche im Gegenfag zu den an⸗ 
tikaukaſiſchen Berhältniffen fih mit Indien aus dem Suͤdoſt 
nah dem Rordweſt erhoben haben.” 

„Der Deutfche Bund ift vielleicht der noch ſchwache Keim, 
aus welchem ji der ſtarke Baum eined europäifchen Staaten 
kosmopolitismus entwickeln und feinen Schatten uber die ganze 
Welt hin verbreiten wird.’ 

„Die Definition der Philoſophie als einer unmöglichen 
Wiſſenſchaft entbehrt alles tiefern Haltes. ... Bezieht ſich 
aber die Frage nad) dem Moͤglichen oder Unmoͤglichen auf die 
Kategorie des Erkennens, fo wird damit alfobald das Schwer: 
mögliche zu einem Shwerbegreiftihen und fomit zu ei» 
nem faft Unbegreiflihen. Es wird alfo hierdurch bie 
Philofopbie zur Wiflenfchaft des Schwerbegreiflicgen ge 
macht, und.ziehen wir hiervon nun ab, was fi an der Rea⸗ 
litat als das leicht oder leichter Begreifliche ausweiſt, fo kann 
und jegt nichts mehr unerklärt und unwahrfcheinlich bleiben, 
wenn wir die Philofophie ald die Wiſſenſchaft Deffen de 
finiven, was eben an den Dingen das Unbegreif> 
lie iſt.“ 

„Wenn wir die Potofopdie mit vollfommenem Recht als 
die Wiffenfchaft der Subftanz befiniren, fo vermögen wir bier 
in nichts Anderes als die höchfte Erweiterung und Steige⸗ 
rung unfers erſten von Philofophie aufgeworfenen Begriffs zu 
erkennen. . . . Drei zu bebandelnde Punkte werben fi jo zu⸗ 
einander verhalten, baß in Dem erften die Frage nach dem Ab» 
grunde der Epiftenz, in dem zweiten die Culmunation derfelben 
zur Höhe Gottes, und im dritten ihre Entfaltung zur Sonde⸗ 
rung des vielfältigen Einzelnen, alfo bis zu einem gewiffen Grabe 
die Geneſis der Welt Gegenftand der Unterfuchung fein muß.” 

„Allmoͤglichkeit ift als eine Eriftenz zu erfaifen, welche in 
jedem Angenblid jur Geburt eined unendlihen Etwas hin⸗ 
deängt, in demfelben Augenblick aber, in welchem fie foldye 
Geburt and Tageslicht fördern will, von ihrer Production und 
Evolution abſteht — aus der eigenthümlichen Furcht, daß bier» 
unter ihr Charakter als Allmöglichkeit leiden möchte . . . 
Da die Hemmung, wenn’ fie zur Vollendung kaͤme, das vollen» 


dete Princip der Form wäre, die Form aber aus dem Schat⸗ 


ten der Allmoͤglichkeit Realitäten zu machen hälfe, fo muß 
die von Ewigkeit ber fih immer wiederholende 
Hemmung endlih zum Formprincip werden.” 

„Gott ifb der Raum, denn in ihm leben, weben und find 
wir. Gott ift die Zeit, denn er löft an feinem einen Punkte 
bie Ewigkeit in eine unendlide Succeffion von Thaten auf. 
Bott ift Alles; denn er ift die fich felbft befigende Unendlich» 
keit des Allmöglichen. Gott ift Nichts; denn feine — 
Scheidung hat ven Ewigkeit her alle Möglichkeiten des All: 
möglichen in den koͤniglichen Befig feiner Herrſcherkraft hin⸗ 
übergeführt.”’ 

„Zede Production Gottes beginnt mit der Herabfegun 
der Allmöglichfeit zu einer Einmöglichkeit und ift deshalb au 
fogleih von einer Production ded Oben und Unten begleitet. 
Denn da tie Gntftehung des Naumes überhaupt auf princi» 
pieller Grundlage erwaͤchſt, fo wird dies bei der Gliederung 
des Raumes in noch weit höherm Grade der Fall fein müffen. 
Wenn nun aber Gott producirt, fo ift von fol unendlich rei⸗ 


rn wu 


chem Weſen nicht zu erwarten, daß es ein Schlechteres zu zeu⸗ 
en beabſichtige als es ſelbſt iſt. Ein Beſſeres aber iſt offen. 
ar unmöglid. Will es daher überhaupt ein Etwas produci⸗ 
zen, jo fann feine Abſicht nur in feinem @benbüde ruhen. . . . 
ft dem num aber fo, tft das hoͤchſte Wefen Gottes und der 
Ebenbildlichkeit in ihrem genetifhen innerlihen erhalten fo 
geordnet, daß in beiden ein Unten und Dben ift, die fich beide 
voneinander angezogen fühlen, und daher umgekehrt fo inein- 
ander ftehen, wie wenn man zwei Becher verkehrt ineinander: 
ftürzte, fo hätten wir an keinem aluͤcklichern Orte auf dieſe in» 
—3 — Conſtellation geführt werden koͤnnen als bier, wo 
wir am Ende des objectiven Inhalts der Philoſophie angekom⸗ 
men find... . Hierin liegt jenes merkwürdige Urpbänomen 
begründet, daß uns in der Wirklichkeit in allen Einheiten 
Rumpf und Kopf entgegentritt, daß Diefe beiden ferner umge: 
kehrt ineinander hineinragen, und diefe Umkehr an Erde und 
Menſch dur eine Kreuzung erkennen laffen, welche fi an 
den einzelnen Knotenpunkten als zwei aufeinander flehende 
Scheitelwinkel harakterifirt.” “ 

„Das vorläufige Aufgebot des in ſich felbft wuͤhlenden 
Geiſtes: durch den Kampf-der in ihm denkbaren Möglichkeiten 
mit ihren gleichfalls vorhandenen innerlihen Widerfprüden zu 
irgend einem Refultat über die Begriffe des Seins, des Nichts 
und ihrer Bewegungen zu gelangen, das ift der eigentliche In: 
halt der analytiſchen Metaphufil. . .. Wenn wir den erften 
und geringeren Theil der Metaphyſik als einen Weg vom 
Richts zum Sein charakterifiren, fo hindert uns Nichts, als 
ihren zweiten Theil nun den Weg vom Sein zu Gott zu be: 
zeichnen. Mit ihrer Ankunft bei diefem Ziele endet aber auch 
ihre Aufgabe.‘ ‘ 

„Das Sein ift von Ewigkeit ber vorhandene @riften;, 
und feine legte Wurzel allein als ein ewiges Auffteigen eines 
im Nichts verborgenen Willens zu bezeichnen, deflen Kraft 
aber fi von Ewigkeit her ſchon erfüllt bat... . Ie mehr 
das Sein Sein wird, um fo mebr muß es auch die Kraft des 
Leeren, vote des Nichts, als ihm völlig unterthänigen Selbſt⸗ 
befig in fih hinein befommen.” 

„Sehen wir uns danach um, was den Einen oder ben 
Undern beftimmen mag, fo oder fo von Gott zu denken, fo te: 
ducirt ſich die Möglichkeit der veranlaffenden Gründe zufegt 
allein auf jenen einzigen: Daß Jeder in dem Maße ſich diefes 
höchfte Problem zurecht legt, als er ſich die Intenfität des 
Seins zu denken vermag.” 

„Ich kann mir Bein Herz zu einem Gotte faffen, dem ge- 

enüber ich nicht triumphirend ausrufen Bann: das ift doch 
leiſch von meinem Fleiſch, und Bein von meinem Bein.” 


„Es erfcheint uns das Wefen der Religion wie eine Luft 
der Seele auszumandern, um fih aus der Ziefe eines uner⸗ 
ſchoͤpflichen Weſens höchfte Sättigung und Erfüllung hernieder 
u bolen: ein Hunger, der von der unerfhütterlichen Hoffnung 
Begleitet ift, daß die begehrte Speifung nicht verfagt bleibe, 
fondern der Gott fi) vielmehr herablaflen werde, wie Die Seele 
ausgegangen fei, ihn zu fuchen, fo fih finden zu laſſen, und 
mit der rückkehrenden in ihre Wohnung einzumandern und 
Dort die Wonne eined Abendmahl zu feiern, das den Buftand 
volllommener Befriedigung herbeizuführen geeignet if. Dies 
Alles nicht blos figurlich und windig fpirituel gedacht, ſondern 
fogar mit örtliher Wahrheit behauptet und angenommen: 
das ift der einzige Standpunkt, von welchem aus eine Theo⸗ 
logie gefhaffen werden ann, die ihren Schüler nicht unbe: 
friedigt läßt.’ 


„Eine von Bott gefchaffene Welt liegt in der Unendlich» 
Feit Gottes als in ihrem Ort. Aus der unendlichen Steige 
rungsfähigkeit Gottes geht die Ergänzung für den Gedanken 
hervor, hufotge beiten die Welt wie in Gott ſchwimmt. Denn 
To groß die Eriftenz des Gefchaffenen auch fein mag, für die 
Übergipfetung des Gottes in fich ift fie Daffelbe mas für uns 
ein Sandkorn. Wollen wir uns daher die Sache finnlich vor: 
ftellen, fo Pönnen wir fagen, daß Gott die Welt nach Gut: 





ja, daß er dies mit mehr Welten thun könne, wenn e 
anders ſolche geſchaffen habe.‘ 

„Es ift wie eine phyfikaliſche Attractionsluſt höherer Urt 
u betrachten, daß die menſchliche Seele aus ſich auszugehen 
—* um den hoͤhern Inhalt des Gottheit oder ergänzende 
Sottesfubftang in ſich Hereinzubelommen. .. . Daß eine gam 
ähnliche Attractionsluſt, welche den Menſchen anftachelt, aus 
fi felbft auszugehen und Bott zuzuwandeln, ſich, fobalb der 
Menſch geworden if, aud Gottes bemächtigt und dieſen be: | 
flimmt, dem Menfchen einwohnen zu wollen und ihn mit der 
Subſtanz feines Inhalts zu fpeifen.” | 

„Die Bereinigung, welche die Religion zwiſchen Gott und 
Menſch bewirkt, ift nicht ein bloß rationel fpiritualiftifcher Ge⸗ 
danfe, welder einem Richtfein folder Vereinigung faft glei: 
kommt, fondern fie ift in Der Weife eine folge, wie fie ein: 
tritt, wenn wir Wein dem Waſſer miſchen, oder wie in der 
zuft Stickſtoff dem Sauerſtoff verbunden if.” 

„Der ewige Gott muß nothwendig das abfolute Dben fein, 
oder: Wo Bein höheres Dben zu finden ift, da tft Gott. - - - 
Alle religioͤſe Senden; geht von unten nach oben, und es ıft 
daher nichts natürlicher als daß die betende Ebenbildlichkeit 
auf die Knie fallt, ihre Arme nach oben breitet.“ 

„Wie fi die AUlmöglichkeit zu der über ihr thronenden 
Kraft der Scheidung verhält, ebenfo verhält fih der Menſch 
oder das Ebenbild zu Bott... . . Das tiefe innerlicde Wechſel 
verhältniß, weiches zwiſchen Gott und der Effentification feiner 
Welt, dem Ebenbilde, befteht, liegt fehon vorgebildet in dem 
andern von Ewigkeit her beftebenden Wechlelverhältniß zwifchen 
der fondernden Kraft und der Allmöglichkeit.’ 

Diefe Art von Theoſophie wird fchließlih in Berbindung 
gefegt mit den Lehren vom Sündenfall, der Incarnation, Er 
Iöfung, der Dreieinigkeit, und erinnert an die Theoſophen des 
15. und 16. Zahrhunderts,. an Jakob Böhme, der auch neben 
Plato „der erwünfchtefte Vorkaͤmpfer auf dem Eroberungszuge 
der Bubftanz’’ genannt wird. Leſſing feiner Zeit nannte dieſen 
görliger Philofophen einen Schwärmer, der „ohne Wiflenfchaft 
und Selehrfamkeit, Durch feinen bloßen Unfinn, Das Haupt ei: 
ner Sekte und der Xheofoph Deurfchlands zu werden das 
Gluͤck hatte”, und noch Schletermacher meint, „die Überſchä⸗ 
gun des Unmifiendften unter den Theoſophen des 15. und 16. 

abrhunderts, des Jakob Böhme, fei etwas höchſt Unwiſſen⸗ 
ſchaftliches“ (Nachlaß, Bd. 2, S. 343); aber unfere willen: 
Schaftlihen Zeiten — sic transit et redit gloria mundi — 
erfennen befice feinen Werth; woraus gu lernen: Pein Phüc: 
foph oder Theoſoph folle über Gunſt zu ſehr jich freuen, und 
über Ungunft zu fehr fi betrüben. 24. 


duͤnken in feiner = Tiefe verfchieben Tinne wie er wolle, 


Literarifhe Notiz. 


Graf Adam von Gurowski. 

Die Identität ded Verfaflerd der „Europaͤiſchen Pentarchie“ 
mit dem politifchen PYarteigänger Gurowski fcheint gegenmärtig 
fo ziemlich feflzuftehen. Das Aufſehen, welches jene vielbefpre: 
chene Schrift erregt hat, fteht mit ihrem eigentlichen Werthe 
durchaus in Feinem Verbältnig. Sie würde ſchweriich Gegen: 
fland fo vieler Erörterungen geworben fein, wenn ihr Erſchei⸗ 
nen nicht in eine Zeit gefallen wäre, welche für derartige Ma— 
nifeftationen eine befondere Empfänglichkeit befaß. Die fpätern 
Erzeugnifie des nämlichen Verfaſſers haben fich keines fo glän: 
senden Erfolgs zu erfreuen gehabt, ja fie find, fogar zum Theil 
ganz ſpurlos vorübergegangen. Am werthlofeften und unbe 
deutendften find die Verſuche Gurowski's, fih auf Dem Gebiete 
der Zouriften » Literatur einen Namen zu machen. Namentlich 
gewährt fein Reiſewerk über Belgien nach feiner Richtung bin 
Befriedigung. Ebenſo wenig Gute Fönnen wir von einer 
Schrift über die Schweiz fagen, welche vor Burzem bie Preſſe 
yerlafien hat. Sie führt den Zitel: ‚Impressions et souve- 
nirs. Promenade en Suisse en 1845. . 1. 


Berantwortlier Herausgeber: HSeinrich Brokhano. — Drud und Verlag von F. X. Drockhaus in Leipzig. 


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BESTER 
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Blatter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





21. Mai 1846. 





Engliſche Zuftände. 


Erfter Artikel. 
(Bortiegung aus Nr. 14.) 

Einer ber intereffanteften und lehrreichſten Theile bes 
Venedey'ſchen Werks ift der jegt folgende Abfchnitt, über⸗ 
ſchrieben „Commonmwealth”. Venedey behandelt darin bie 
innere Entwidelung Englands, diefe Entwidelung ift aber 
Saum etwas Anderes als die Entwidelung der Geldintereffen. 
So ftellt er mit Recht die Gefchichte und die Operationen 
der englifchen Bank voran, in denen ſich nach und nad 
alle Lebensnerve Englands concentriren. Wenn bie 
Landariſtokratie früher ausfchließlich ein unangreifbares Ei- 


genthum gehabt hatte, fo erlangte die Geldariſtokratie 


jegt ein folches in der Staatsſchuld. Das Grundeigen- 
thum war gefeglich gefchügt gegen Verkauf und Be- 
flag; die Fonds find es nicht nur geſetzlich, fondern 
meiſt auch thatfächlich, wo der Schug bed Geſetzes nicht 
ausreichen follte. Die Gelbariftofratie erlangte in ber 
Schuld eine Art gefchloffenes, unangreifbares Geld⸗ 
grundeigenthbum, wie Venedey es nennt umb wie 
die Landariſtokratie bisher ein ſolches allein in Grund 
und Boden befeffen hatte. Hören wir: 

Das Geld wurde der einzige Maßſtab des Glücks. Die 
Waare, die Arbeit blieben feine Diener. So oft diefe fliegen, 

laubte ſtets ganz England im Berlufte zu fein, weil das Geld 
He. Nur dieſes hatte ein Vorrecht tbeuer zu werden. Die 
Waare, die Arbeit konnte betteln gehen, das Geld aber mußte 
auf Yurpur ruben. So flürzten die Nerhältniffe, die der Krieg 
ſchuf, England unabwendbar vorwärts in den Abgrund: des 
Gemeinreichthums, der reinen Geldherrſchaft. 

Benebey entwidelt nun ausführlich, wie fi Die 
Grund» und WBodenverhältniffe gänzlich umgeftalteten. 
Dos Land verlor feinen urfprünglichen Begriff von 
feſtem Grund und Boden, es wurde beweglicher Natur 
duch die Unnatur der eingetretenen Verhältniffe Das 
Geld aber wurde zu berfelben Zeit funbist, flocfeft. 
Das Grundeigenthum ſchwankte überall, das Geldeigen- 
thum nahm eine beftändige Natur an. Der Mittelftand 
verſchwand aus dem Aderbau und wer fih nicht in bie 
Claſſe der hohen und reichen Pächter großer Güter hin⸗ 
aufzuſchwingen vermochte, der ſank in bie der Tagelöh- 
ner herab. Alle Claſſen in England vermehren ſich 
verhaͤltnißmaͤßig, nur der Ackerbauſtand vermindert ſich. 
Das Berhältnif der -Aderbauer zu ben übrigen Gtän- 


den fant in 20 Jahren (von 1811 —31) von 35,2 auf 
28,2 herab. Der Zuwachs aller Familien in berfelben 
Zeit war 34 Procent, ber der Handels⸗ und Manufac- 
turftände war 27 Procent, der der Aderer nur 7 Pro» 
cent. An bie Stelle des Landbauerſtandes trat ein 
Stand, ber ein anderes Gewerbe trieb als fein Gelb 
wuchern zu laffen. 

Am tiefften ſanken die Arbeiter. Sie wurden Bett- 
ler, in Maſſe nahmen fie ben Charakter Derjenigen an, 
die auf Koften Anderer leben. Sie wurden geiflig ent⸗ 
artet, moralifch verwildert. Die Armenfteuer hatte frü- 
ber nur den Wrbeitsunfähigen geholfen, fie wurde von 
neuem bie faft unerlaßliche Unterlage des Lebens unb 
ber Derhältniffe jedes Aderbauers. 

Das find die Folgen, fagt Venedey, der durch den 
Krieg eingetretenen Zuftände. Die Kraft ber Landariſto⸗ 
kratie wurde in ihren Grundlagen angegriffen und zerflörf, 
während die &eldariftokratie neue legte und einen Rie⸗ 
fenbau auf ihnen aufführte. 

Als die Tories and Ruder famen, Eonnten fie nicht 
ruhig zufehen, daß ihre Freunde, die Randbauer, den leg- 
ten Stoß erhielten. Die Regierung kam zu dem Be⸗ 
fchluffe, die Einfuhr des Getreides, fo lange das des In- 
landes nicht die Summe von 85 Schilling per Quarter: 
erſtiegen, vollkommen zu unterfagen. Der Krieg hatte 
England von Europa ausgefchloffen. Es kaͤmpfte auf 
Leben und Tod, um den Mann zu ftürzen, bex dieſe 
harte Vergeltung über England zu verhängen fuchte. 
Es kämpfte und fiegte, und am Tage nad feinem Siege 
muß es Europa von England ausfchließen, um ben Brot- 
preis hoch genug zu halten, auf daß die Landlords im 
Stande, die Laften ihrer Güter zu tragen, die Pächter 
fie zu zahlen. So bildete fi die neue Richtung ber 
Korngefege — Verhinderung der Einfuhr fremden Getrei- 
bes —, die legte Stüge der Ranbariftofratie Englands. Die 
Geldariſtokratie zog aber dennoch ben beften Theil. Das 
Bolt dagegen fchildert Venedey wie folgt: . 

Die Aderbauer waren zu Knechten und Bettleen herabge⸗ 
funten. Die Kabrikarbeiter fahen ihren Arbeitslohn abnehmen 
und ihre Arbeit felbft duch Waſchinen und, gerade in eg 
deffen,, wohlfeiler und zugleich abflumpfender werben. e 

ttelftände, an Bahl ſtets abnehmend, lagen zwifchen Roth 
und Elend auf der einen, übergroßem Reichthum und Luxus 
auf der andern Seite. Der Schwindel hatte auch fie ergriffen 


2 


t 
und die alten Nube, der einfältige Ernſt, das ftille Stre⸗ 
ben und an an — Fred X —58* an 
dem Elende oder an der Überfülle. 

Wie das Elend des Volkes trat auch die abfolutifti- 
ſche Richtung der Regierung zunaͤchſt an die Oberfläche 
dee Stelmungen bes engliſchen Stactslebens. Hören 
ae Venchey: 

Der Abfolutitmus, das Regieren von oben herab, anftatt 
des Drbnens von unten herauf, der gefeffelte Policeiftaat, an» 
ftatt des felbfländigen Bürgerftaats, hörte mit dem Gturze des 
Minifteriums, das den Sieg über die franzöfifche Revolution 
gefeiert hatte, nicht auf. Die Auffaflung der englifchen EiagtE 
männer war in dies Regieren bineingerathen und dies Regie 
ren [son war nothiwendig geworben. Ein Bürgerftaat ift nur 
mit Bürgern möglich, wo biefe verſchwinden, tritt Die Policei 
nothwendig an ihre Stelle. Der Geift der Selbftändigkeit war 
aber von den Engländern gewichen. Schon die Revolution 
hatte ihn im Mitielſtande erſtickt, die Herrfchaft des Geldes 
vernichtete ihn auch in der Ariſtokratie. 

it und unter Canning entfland das erfte Frei⸗ 
handelsminifterium unter ber Leitung Husliffon’d. Das 
Geld verlangte den freien Handel und fand, wie Vene⸗ 
dey treffend nachweift, noch einen Bundeögenofien am 
Belle. Die englifhen Staatsmänner, bie nad und 
nach das englifhe Schutzzollſyſtem [Hafen halfen, dach⸗ 
ten von ihrer Höhe herab an das Volk nur ald an den 
Mob. Sie fchügten ben Handel, bie Inbuftrie, die Co⸗ 
Ionien, den Aderbau, aber fie vergaßen die Arbeit. Die 
Arbeit, das Volt konnten ungeflört und unbeachtet aus⸗ 
gefauigt, abgenugt werben und wurden es auf eine grau- 
fenhafte Weife. Die nächte Folge mußte nothmendig 
fein, ‚daß die ungefhügte Arbeit den Schug der In⸗ 
duftrie und des Aderbaus, der fih in erhöhten Preifen 
fund gab, als eine Verlegung ihrer heiligſten Intereffen 
fühlte. Die Arbeit wurde ſchlecht bezahlt und zahlte 
boppelt dan jeden Biffen Brot, jeden Schnitt Holz, 
jedes Stuck Tuch. Der Ruf nach Hanbelsfreiheit hieß 
für fie: Wohlfeiles Brot! und fie flimmte von Herzen 


aͤtigkeit gelangen. 
—2— ſtießen 


ſchen Volksgeiſtes neuerer Zeit upt faſt umwillkürlich 
hingewieſen, erhob ſich von Beit zu Beit, wenn 
ihm neue ifle ö und fan daun meiſt wieder 
ebenfo in ben alten : d zuruͤck. Neue n in 
Indien, bie ung der emansipirten Colenien Spaniens 


und Portugals gaben einen uorübergehenden Aufſchwung. Die 
peaulation, die Di Aus oßt 
I ——— 


des Landes verantwortl 


wieder verftopften. Im I. 1820 war wieder allgemeine @bbe 
eingetreten und die Roth im ga Lande war fehr groß, um 
fo größer als diesmal Fein Men wußte, welchen Verhältnif- 
fen die Schuld zuzuſchieben. Früher wurben ber Krieg, bie 
Schwankungen der Geldgeſchaͤfte u. f. w. für den Roihſtand 

ich gemacht. nn Derastiges ba 
ftattgefunden und fo mußten nothwendig die denkenden Poli 
ker in fich gehen und nach den allgemeinen Urſachen ragen. 
Die Armenfteuer, die Staatsfchuld, das Wetter und der Win 
wurden angelagt, aber Niemand wagte an Abbülfe zu denken, 
auf bleibende Befferung zu rechnen. . 

Der Sieg ber demokatiſchen Brunbfäge in Frank: 
reich, die Julirevolution, mußte benfelben auch in Eng⸗ 
land einen neuen Auffhwung geben. Was bie engli« 
ſche te vor alten Bingen derlangte, das war 
eine Reform des Parlaments und des Wahlſyſtems. Dies 
war zu allen Zeiten die Grundlage ihrer Beftrebungen gewe⸗ 
fen. Der Sieg der Reform war nichts Anderes als ein Sieg 
des Geldes über bie Landbefiger. Bicher hatte jeder Free⸗ 
man, arm ober reich, das Wahlrecht, wer aber jegt keine 
10 Pf. freier Einnahme hatte, mochte er ein Freeman 
im Geiſte Altenglands fein, er war ein Rechtlofer im 
Geiſte der Reform. Das Geld firgte auf dem Laube 
unb wurde trog des Schleier bed größern demokratiſchen 
Einfluſſes auch in ben Städten der legte Grunb bes 
Wahlrechts. 36 Boroughs verloren durch die Reform 
ihr Stimmrecht, 30 verloren ein Mitglied von zmeim, 
232 Städte fendeten in Zukunft zwei, 20 ein neues Mit 
glied. Das Ergebnig der Neform war: 86 Stimmen 
Berluft für die Landbefiger und 64 Stimmen Gewinn 
für die Städte So mar die Reform ber größte Schlag, 
ben bie Lanbdariſtokratie bis jegt erlitten hatte. Als 
deutfcher Demokrat fagt nun aber Venedey von ber 
Reform: 

Die Ugitatoren en das Volk glauben m wollen, 
daß wit der Bier cin neueß Beitallde der — des 
Gluͤcks für England erfiehen werde. Und Alles blieb beim 
Alten. Das untere Volk fühlte je länger deſto offenbarer, daß 
bie Reform ihm nichts genugt, weder feine Rechte, noch feine 
Freiheit, noch fein Wohl gefördert hatte. Und hierin lag ber 
Grund, daß nad und nad die untern Volksclaſſen ihr Ohr 
den Whigs ſchloſſen, daB an die Stelle der frühern Einver⸗ 
ſtaͤndniß offener Haß trat, der dann entweder von den Dema⸗ 
gogen der Demokratie oder denen ber alten Landariftokratie, 
oft von beiden im Bündniffe ausgebeutet werden Eonnte. 


Als das Neformminifkerium Grey, unter dem bie 
Kufpebung der Sklaverei und Schut ber Fabriklinder 
gegen ben Eigennug ihrer Ausbeuter erwirkt wurde, an 
ber irlaͤndiſchen Frage flürgte, Samen bie liberalen Thies, 
im Gegenfag zu dem ariftefratifchen Whige, unter Lord 
Melbourne zur Regierung. Untes fie fällt eine der 
durchgreifendſten Reformen ber neuem Zeit, das wewe 
Urmuengefeg. Wir werben fpäter Gelegenheit haben, auf 
bie Geſchichte und das Weſen deſſelben einzugehen, büzfen 
baffelde Hier alfo füglich übergehen. 

Wir treten jept am das Minifterium Peel. Der 
dertſche Demekrat bat ein firengeö Urtheil ber biefen 
englifchen Staatsmann. Ob Lerb John oder Sir Re 
—* ob Mhig ob 


flaat. Peel Habe vor der Julirevolutidn ſeinen Mamen 
an zwei große bezeijnende Maßregeln gebunden, an die 
Peeisacto und an die Peeler Policei. Durch bie erſtere 
erhob er die Staateſchuld zu ihrem Nennwerthe, durch 
die zweite begründete er für alle Zukunft dad Syſtemn 
des Regierungsfhuges an ber Stelle der Gemeindethä- 
tigkeit, ber Policeiaufficht anftatt der @elbftegierung. 
Sir Robert Peek war einer ber Erſten der einfah, daß 
mit der Reform and der alte Toryismus vollkommen 
zu Grabe getragen worden; am Tage nachher erklärte 
er einfach und unummwunden, es gebe von nun an Beine 
Tories mehr, an ihre Stelle feien die Gonfervativen ge: 
treten. Peel hatte erleben müffen, fagt Denedey, daß 
die Macht der torgiftiihen Conſervativen an ber Gunft 
eines Bettfammerfräuleins fcheiterte, und deswegen ſuchte 
Sir Robert eine mächtigere Befchügerin als felbft die 
Königin, ben ade der öffentlichen Meinung, bes 
Geiſtes und ber Intereffen der Zeit. Nach und nad 
rang er den Whigs ein Stüd ihrer Waffen nad bem 
ambern aus ben Händen, zuiegt gar ihre Hauptflüge, 
die einflureichfte Zeitung Englands, die „Times“. End ⸗ 
ti) fielen die Whigs umd die Conſervativen mit Peel 
testen an ihre Stelle. Hören wir Venedey: 

Die Lande, die Eolonial», ale durch Abgaben gefhügten 
Interefien Tonnten glauben, daß der Sieg der Gonfervatioen 
ihrer Sache von neuem eine feite Zukunft Bscm würde. Die 
Führer der Eonfervativen fhaten das Ihrige, um in halb und 
ganz Maren Phraſen diefe Anficht zu unterhalten, während fie 
andere ebenfo vage und ebenfo are Redensarten für alle am 
dern mit ben Whlgs unzufriedenen Parteien und Coterien zu 
Markte bradhten. Die Pächter, die Landbauer, die Eolonial- 
befiger ftimmten wie ein Mann für die Eonfervativen; die 
Demokraten, die Rabicalen, die Ehartiften ſchloſſen fih ihnen 
faft ebenfo einftimmig an. Der Ruf: „Nieder mit dem neuen | 
Armengefeg!"” Mang im Herzen jedes Armen unb jedes Eng: 
BE EEE 
nidöt6 mehr von ihnen, glaubte nicht mehr von den se 
vativen fürden le haben und hörte diefe im 33 
ihre heiligften [pe oft genug ausſprechen. Das 
Fannte Sir Mobert und wußte, was von ihm zu erwarten. 
&o bibete ſich „feine Majorktät, „fein Unterhaus. 

Die beiden erften durchgreifenden Maßregeln des neuen 
Minifterums waren ein neues Getreibegefeg und eine Ab- 

abe auf das Einkommen. Venedey charakteriſirt nun 
jobert Peel als den Manu ber Geldintereffen durch die 
eingeinen Mafregeln feines Minifteriums. Als Venedey 
fein Wert fchrieb, hatte Peel fi noch nicht über bie 
Getzreidegefege erklärt, dennoch aber treffen vollfommen 
folgen: Worte: vr 
ehemalige r Gonjeroater wurde Bid 
tex, zum Hohe E zen Zempel der Bögen ber — Zeit. 
Die ınft nur kann lehren, ob es ihm gelumgen ift, die 
Sn hen: 
er fi 
‚ber, dab Cr Del mie wahr She und mer Be 
wußtfein als feit lange feine Borgänger ein berufener Führer 
8 eins iß, auf deffen Be zwei Gehehunderien Find 
inende ımengeichen men fr 
ſteht: —Ex ‚u 

So Haben wir Menden durch bie englifche Seſchichte 

bis auf den Punkt ber Gegemwart begleitet. hat 





punkte aller ihrer Kräfte fand, wird fo batb nicht vergeffen 
werden und lebt im Andenken Derer fort, die fih An den 
trefflichen Dichterwerken berfelben, Die unter den Buchftaben 
L. B. L. herauslamen, erfreuten. In dem „Tagebuche eines 
afrikaniſchen Kreuzers“, das vor kurzem in England erfchienen 
it, finden wir folgende Befchreibung eines Beſuchs an ihrem 
Grabe: „Ich ergriff die erfte Gelegenheit, um mich for era 
au einem he der Begräbnißftele von L. E. L., die bier 
nach einem Aufenthalte von nur zwei Monaten und nachdem 
fie erfi ein Jahr die Gattin des Gouverneurs von Gap Coaſt 
Taſtie M’Lean gewefen war, flarb. ine Beine weiße Mar: 
mortafel, unter bie mafliven grauen Steine der Yaflungsmauer, 
nad dem Hofe zu, eingemauert, zeigt folgende Infdrift: 
Hic jaset sepultum 
Omme quod mortale fait 
Laetitiae Elisabethae MoLean, 
Qusm, egregie ornatam indele, 
Muvis unice amalam, 
Omniumque amores secum trakentem, 
In ipsa actatio fiore, 
Moers immatura rapait, 
Die Ootebris XV. A. D. MDOCCXXXVIU. 
Ad... nen 





Quod epoctas viater marmor, 
Vanum heu dolorie monumentum, 
Conjax mörsns erezit. 


Mein erfter Gedanke war der, wie ungereimt diefe Stelle für 
en Grab fei, und befonders für das Grab einer Frau und 
noch dazu einer Dichterin. Im offenen Hofe der Feſtung, un» 
weit der Umfaflungsmauer, ift die fteinerne Zäfelung an ver 
fhiedenen Stellen weggenommen und durch Biegeljteine erfegt 
worden, Hier liegen mehre britifche Offiziere begraben, die 
ale Opfer der tödtlichen Atmofphäre diefer Gegend fielen, und 
unter diefen fhläft L. E. L. Ihr Grab zeichnet ſich durch 
gehn vothe Biegelfleine aus bie es bedecken. Tag vor Tqg 
rennt bie tropiſche Sonne darauf. Tag vor Tag ertönt zur 
Stunde der Parade das Getöfe der Militairmufit über ihrem 
upte; die Sarnifon marſchirt rechts und links durch den 
aum, fchreitet ebenfo gefühllos über die gehn rothen 
Biegelfteine als über das andere Getaͤfel. Einem gefallenen 
Gouverneur der Feſtung mag ed mwohlanftändig fein, hierher 
begraben zu werden und den Schlaf des Zodes zu fchlummern, 
wo man die Reveille und den Zapfenftreich hört, und die Tritte 
feiner Mitftreiter über ihm widerhallen. Dies ift mit feinem 
Berufe im Einklang, Zrompete und Trommel find fein ftetes 
Requiem, des Kriegers taplerer Tritt hinterläßt Beine Schmach 
für des todten Kämpferd Staub. Uber wer hat ein Recht, auf 
die Bruft eines Weibes zu treten? Und was hat L. E. L. mit 
Priegerifcher Parade zu —** Und warum ward ſie unter 
dieſes ſengende —5 — begraben und nicht in die abgelegene 
ttenkuͤhle eines Gartens, wo ſich ſelten nur ein Fußtritt 
über das Gras hinwegſtiehlt und vor ihrer Denktafel ſtehen 
bleibt? Da würde ihr Herz, während es in Einem Sinne zer: 
fiel, aus dem Boden neu belebt in einer Fülle friſcher Blumen 
bervorbrechen, wie ihre lebenvolle Phantafie ſie über die Welt 
verſtreute. Doch jetzt, jegt wird kein Grün, Fein Raſen je über 
ihrem Grabe wachſen. Wenn fi ein Mann je zarterm Ge— 
fühle bingeben darf, fo wird es über der Afche einer Frau ges 
ſchehen, deren Dichtungen ihn in feiner Jugend ergriffen und 
rührten. Was Hrn. M’Lean betrifft, fo wurden über die Ur: 
ſache des plöglichen Todes feiner Gattin verfchiedene Gerüchte 
verbreitet, von denen einige ihrem eigenen Andenken, andere 
bem Beizagen ihres Gatten nachtheilig lauteten. Es fcheint 


aber, als ob alle dieſe gleich und durchaus unbegründet gewefen 
feien. ‚gier iſt man vollkommen überzeugt, daß ihr Tod nur 
ein zufälliger war.” 


® es gi gilt d i⸗ 
egenüberſte te. N und franzäöfi 
rankreich. 


eudwig Ef 
Unpopularitaͤt der Königin. 
Die Rationalverfammlung. 
Flucht nah Barennes. 
Proceß und Hinrichtung. 
Regierung des Eonvents. 
Rapoleon. 

Bertreibung bes Senats. 
Militatrifper Despotismuß. 


Englant. 
Karl 1. 
Unpopularität der Königin. 
Das lange Parlament. 
Flucht auf die Infel Wight. 
Proceß und Hinrichtung. 
Regierung des Parlaments. 
Sromwell. 
Vertreibung bed Parlaments. 
Militairiſcher Despotismus. 


—— Eroewel bei Geite ge⸗ Napoleon bei Seite gebracht. 
r 

Wicdereinf Karls II. Biedereinfegung Ludwig’ KVIN. 
Allgemeine Amneſtie mit Aus⸗ Allgemeine Amneſtie mit Aus: 


nahme der Königsmörber. nahme der Königemörder. 
Papiftifche Berſchwoͤrungen. Berfhwörungen. 
Unpopularität Des Herzogs von Unpopulaeität des Strafen von 
o is 


Furcht vor den Jeſuiten. Furcht vor den Iefuiten. 
Jakob II., des legten Königs | Karl X., des legten Könige 


Bruder. Bruber. 
Berdait wegen Geburt deB| Berdacht wegen Beburt des Her- 
Prätendenten. 98 von Borbdeaur. 


0 
Einfluß der Sefuiten. 
Königliche Drdonnanzen. 
Sufamnfentreten der aufgelöften 
Kammer. 
Blunt und Abdankung des Kö: 
n 


68. 

Bertreibung für ihn und Fa⸗ 
milie. 

Zuflucht nah England. 

Des Königs Vetter als naͤchſtet 
Berwandter auf den Ihren 
gerufen. 

78. 


Einfluß der Iefuiten. 
Königliche Indulgenzen. 
Sonvents » Parlament. 


Blut und Abdankung des Kö- 


nigs. | 

Vertreibung für ihn und Fa—⸗ 
milie. 

Zuflucht nah Frankreich. 

Des Königs Better als nächfter 
Berwandter auf den Thron 
gerufen. 


Thomas a Bedett. 
Ein wichtiger Beitrag zur Gefchichte des großen Kampfes 
zwifchen der Kirche und der weltlichen Gewalt im Mittelalter — 


‚ein Kampf, der unter veränderten Verhaͤltniſſen heutigen Tags 


nad fortdauern wird bis Die letztere felbft fi mehr dem Be 
wußtfein der Gegenwart angepaßt. hat — ift vor Furzem in dem 
„J.ife and letters of Thomas a Beckett, now first 

red from tbe contemporary historians”, von I. U. Giles 
(2 Bde.) erfhienen. Der Verf. diefes Werks fucht, geftügt 
auf ein wenn auch nicht gerade dem Umfang nach reichhaltiges, 
doch rüdfichtlih des Inhalts wichtiged und mannichfaltiges 
Material, feinen Helden, gewiß eine der merkfwürbigften Er⸗ 
feheinungen der Geſchichte, von den Flecken zu reinigen, welche 
ber größte Iheil der englifchen Schriftfteller auf fein Leben ge: 
worfen. Die Quellen, die benugt worden find, beftehen theils 
in bereits gedruckten Urkunden, theild in Handſchriften ſowol 
biographifchen als gefchichtlichen Inhalts, Quellen, die der Berf. 
freilich mit einer nur aͤſthetiſch und chronologifh ordnenden 
und fichtenden Gewandheit benugt, während der innere foge 
nannte Caufalnerus, die in den Beweggründen der Dinge und 
Menfchen ruhende nothwendige Entwidelung der Begebenheiten 
und Charaktere ihm entgangen zu fein fiheint. So ift es ge- 
fhehen, daß trog feines Bemühens, den Gegenſtand feiner Dar- 
ftelung auf das ihm nad feiner Anficht gebührende Fußgeſtel 
in bem Heldenfaal der Borzeit zu ftellen, er in dem zuſammen⸗ 
getragenen Stoff nur Steine geliefert, mit denen ein GSe—⸗ 
ſchichtſchreiber mit durchdringenderm und ‚überlegenderm Geift bie 
erhöhte Blende für feinen en aufridten Tann. - 12. 


' BWesantworkliger Herausgeber: Hoinrich Merddant. — Druck und Berlag von F. X. Mesdhans: in Beipzig. 


Blätter. .. 


für 


literarifhe Unterhaltung. 


1 











Erſter Artike'l. 
 (Börtfegung aus Me. 11.) 
Nachdem WMenedey die Geſchichte durchforſcht bat, 


wirft er: ſich, beſſer ausgerüſtet als mancher Andere, in 
bie unmittelbaren Strömungen bes Tages, in bie Be⸗ 


wegungen der Begenuwart. Davon ‚handelt bie zweite 


Sanptobtheilumg feines Werl. Es iſt ihm vergönnt, 
auch in dem Scheinbar-Unbedeutenbften feine Beziehung 
zum Größten nachzuweiſen: das iſt der werthvolle Er⸗ 
folg feiner Studien und dadurch erhalten feine englifchen 
Skizzen einen ganz andern Werth als andere Touriften⸗ 
Beobachtungen in ähnlicher Form. Es mag fein, baf 
dadurch zumeilen die Unbefangenheit verloren ‚geht, na- 
mentlih wo die Borausfegungen in Betracht kommen, 


auf denen Venedey's ganze Weltanfchauung baſirt; im. 
Ganzen aber find Venebey's Skizzen unendlich treffend, 


unendlich lehr⸗ und genußreich. Es beobachtet Fein ober« 
flaͤchlicher, launiger Zourift, es beobarhtet ein ernfier 
Mann, ein wiffenfehaftlich fireng durchgebildeter, ſittlich 
geftählter Demokrat, es fühlt ein treues beutfches Herz. 
Benedey’s unmittelbare Anfchauungen fliehen in einer 
ganz birecten Beziehung zu feinen hiſtoriſchen Stubien 
und Entwidehungen, fie find zwar auch ohne dieſelben 
zu genießen und zu verſtehen, allein fie haben erſt da⸗ 
Such, wie das Gekräufel einer einzelnen Welle durch 
den großen Dcean dem fie angehört, ihre wahrhafte Be 
deutung. Wir können. des Raumes wegen .aus biefer 
zeichen Büdergalerie, welche frhlagend und ſcharf das 
englifche Wefen zu charakteriſiren fucht, Peine einzelnen 
Gruppen und Gemälde mittheilen, fondern müffen den 
Leſer auf das Buch -felbft verweilen. Nicht das „All 
tagsleben”‘, aus dem Venedey fo überrafchend wie vor- 
tzefflich bie ganze englifhe Natur zu entwideln weiß, 
pH uns befdyäftigen, fondern nur da wollen wir an⸗ 
Inupfen, wo Venedey ein ſchweres Material in die Mage 
wirft und wo gefhloffene Bewegungen auf dem. Strome 
der englifchen Begenmart erſcheinen. Wir fihließen aber 
auch davon neh aus, was in ben Kreis der focialen 


Bewegung oder Kritik gehört, um die betreffenden Zu⸗ 


fände im zweiten Artikel, wo don Faucher Gelegenheit 
bietet, auf Venedey zurückzukommen, ausführlicher zu 





behandeln, und beſchraͤnlen uns bier auf politiſche, vecht⸗ 
liche und .ondere:Zuftänbe Englands. 
In einem Artikel über Recht und Gericht weiſft 


| Benebey darauf Hin, daß fih im Common law, im 


Gebrauchſs⸗ und Gewohnheiterechte die Grundlage alles 
gefeglihen Rechtes in England befindet. Die Gerichte 
fetbft, durch Ihre Urtheile, die als Beifpiele, als präce- 
bent für die Zukunft maßgebend werben, ſind bie eriten 
und durchgreifendſten Gefeggeber Englands. In zweiter 
Linie folgt das gefgrichene Recht, Die Statuten ber Kö- 
nige, ‚die bald nur in Folge von Parlamentsaeten Ge⸗ 
fegeötraft erlangten. Das Statutarrecht iſt unge begrenzt 
auf ‚die Ausnahmenerhältniffe, über die es beſtimmt; das 
Gemeinrecht "überall thätig, wo keine Starten eine Aus⸗ 
uahme geihaffen. Das Parlament und der König ha- 
ben die Macs, bie gemeinsechtlähen Beſtimmungen zu 
ändern, aber biefe Dlacht ſelbſt erkennt die Megel ber 
naturwüchfigen altherfämmlichen Rechtsgebräuche als al 
ler Gefeggchung vorbergehend an. Es iſt oft ſchwer, 
das Gemeinrecht herauszufinden, oft ſind bie Praͤcedents 
verwickelt, oft die Maſſe des Materxials faſt unbeſiegbar. 
Aber dennoch liegt in dieſem Zuſtande eigentlich der fel⸗ 
fenfefte Boden ber engliſchen Rechtsverhaͤltniſſe. Der 
Gedanke der Nothwendigkeit einer neuen Codification fir 
England iſt zwar allgemein anerkannt, Venedey meint 
aber, daß fie nur dann wortheilhaft fein werde, meet 
bie neusn Gefegbiuher ſich volltommen auf das alte Ge⸗ 
meintecht gründen. Die Reformen der neuern Zeit aber 
laſſen nach ihm faſt das Gegentheil mit Gewißheit vor⸗ 
ausſagen. Die Gerichtsorganiſation iſt obenſo watur- 
wüchſig wie das Gericht ſelbſt. Das Parlament iſt das 
hoͤchſte Gericht, es ſteht über dem Könige. Beide Haben 
das Begnadigungorecht; Aber der Gnadenatt des König 
muß vor Gericht unterſucht umb vertheibägt werben, waͤh⸗ 
rend der Act der Gnade des Parlaments ohne alle Un⸗ 
terſuchung der Gerichte rechtekraͤftig uad umaufhaltbar 
iſt. Die Richter Englands ſelbſt ſtehen urben dem Kö⸗ 
nige, Hochverrath ‚begeht wer den einen oder die andern 
verlegt. Die KVichter find durch finenge Formen an ein 
gerechtes Gericht gebunden, durch weiſe Geſttze fo Frei 
in ihrem Urtheile als das Heil des Landes und das 


Wohl des Einzelnen es erlauben. Mer Charakter bes 


englifchen Strafverfahrens beruht nor’ Allem in dem 





Anklageproceffe und in bem Geſchworenengerichte. Der 
Bürger richtet den Bürger, der Menfd den Menfchen, 
und nicht das Geſetz, die Gelehrſamkeit, foftematifche 
Schülerweisheit den Verbrecher gegen die Geſellſchaft. 
Die offene Aunklage und nicht die geheime Unterſuchung 
tritt ohne Schen dem Verbrecher gegenüber, zwingt ihn 
zur Vertheidigung und läßt ihm alle Mittel derfelben. 
Das "find die feſten Säulen des englifchen Rechts und 
Berichts, und Venedey fegt hinzu: 

Der Himmel gebe, daß die Reformen der Leute, die dem, 
Goͤtzen des Geldes zuniam, nicht tief genug eingreifen, ihren 

en 


Boden zu untergra 

.. Allerdings tragen die Reformen ben Charakter ber 
engliſchen Geldherrſchaft. In früherer Zeit war jeder 
freie Bürger Geſchworener, allmaͤlig iſt das Recht und 
Pflicht Geſchworener zu fein an einen Geldcenfus ge⸗ 
bunden worden. Nur mer 18 Bf. St. reines Einkom⸗ 
men von feinem Lande. oder 20 Pf. St. Pacht hat, end» 
Eich mer .ein. Haus bewohnt, das in Middleſſer 30, an- 
derswo 230 Bf. St. Abgaben zahlt oder 15. Fenſter hat, 
kann Geſchworener werden. Noch bezeichnender ifi die 
Hergeftellte Iuftitution einer Specialjurg. Daffelbe Ge⸗ 
feg Georg's IV. beftinmnte, daß, wer es bezahlen, b. 5. 
fire jeben Befchworenen. 1 Pf. St. geben will, das Recht 


haben fol, eine Specialfurg zu verlangen, die bannı nur | 


ans den höhern Ständen gewählt wird. In der Regel 
müſſen fich die armen Lente mit den armen Jurybefugten 
begnügen, während die Reichen fich reiche Leute: ausbit- 
ten können. Das Auffallendfte aber tft, daß Die veichen 
Leute bezahlt werben, für jeden Proceß einen Souverain 
bekommen, während die Armen leer ausgehen. Das ift 
eine Reform ber allerneueften Zeit. 


An einem andern Artikel befpricht Venedey bas 
Srundgefeg und bie Verwaltung. Gr weiſt nad, wie 
‚in England bie richterliche Gewalt bie erfte, der Stamm 
aller andern ift, und die in Folge des Umftandes, daß 
das Gemeinrecht als Urquell aller Gefeggebung vorher- 
gehend unterftellt wird, daß es der Baum iſt, auf ber 
jedes neue Geſet eingepflanzt wird. Die richterliche 
Gewalt, im Gemeinrecht und in ben gewöhnlichen Ge⸗ 
richten für alle bürgerlichen Zuftände, im Parlamente 
für die Höhern Staatsfragen, ift die erfte, die durchgrei⸗ 
fendfte, bie unbefchränttefte, Alles beherrſchende Staats⸗ 
thätigleit: Englands. Unter: ihr ſteht dann Die gefepge- 
bende Macht. Und biefe hat wieder das Recht, in allen 
befondern Fällen das Gemeinrecht zu ändern und bie 
gerichtliche Gewalt zu bedingen. Ihre Thätigkeit den 
Gerichten gegenüber ift nur eine vorübergehende, -nur 
"eine engbegrenzte,. ausnahmsweiſe. Mit dem neuen Ge⸗ 
fege felbft gebt Die neugefchaffene Gewalt wieder in bie 
Hände der Gerichte über. Der vollziehenden Gewalt 
gegenüber aber ift die gefeggebende ungefähr in der glei⸗ 
chen Stellung wie bie gerichtliche ihr felbft gegenüber. 
Sie ift die Urquelle der gefeggebenden. Die gefeggebende 
“ Gewalt, das Parlament, bedingt die Grenzen der Thaͤ⸗ 
tigkeit der vollziehenden Gewalt, gibt die Grundfäge an, 
nad denen fie handeln muß und wird in legter Inſtanz 


"begründet, bie 


die Stelle der Volksthaͤtigkeit. 


einem flehenden Gerichte, das ſtets wacht, ob feine 
eſchlüſſe und Befehle fo vollzogen wie es fie erlaffen. 
Gemeinrecht und Gerichte find alfo die Wurzeln, Grund⸗ 
gefeg und Parlament ber Stamm des englifchen Volks⸗ 
lebens, und die vollziehende Gewalt, in ihres tauſend 
Yusflüffen wieder in ber felbfländigen Volksthatigkeit 
fie des gewaltigen Baumes. Die Ge 
genwart befchränft auch bier, wie Venedey nachweiſt. 
Die Einzelveformen deuten alle auf eine größere Madıt, 
auf einen überherrfhenden Einfluß der ausübenden Ge- 
walt hin. Eine Regierungscommiffion tritt überall an 
Die alte Gemeindever- 
faffung dat im Gelbe eine neue Grundlage erhalten; 
die Meformen im Armenwefen, im Gefängnifwefen und 
insbefondere in der Policei überhoben die verfchiebenen 
Zweige der Berwaltung nach und nad ihrer Haupt- 
thätigkeit und übergaben diefelbe königlihen Commiffte- 
nen. Die Mehrzahl der frühern Zweige ber volksthüm⸗ 
lichen Verwaltung find durch die Reformen ber neuern 
Zeit ihred inneren Berufs, ihrer eigenthümlichen Thaͤtig⸗ 
feit großentheils beraubt worben unb beftehen fomit nur 
noch als eine Art Form. Mit ben Reformen im in- 
nigften Zufammenhange flieht bie Vermehrung des Hee- 
zes in England. 
(Der Beſchiuß folgt.) 


Die Kaltwaffercuren. 
Die Anwendung des Falten Waffers gegen Krankheiten ift 
vieleicht fo alt als die Welt. Ein fo allgemein verbreitetes 
Element wie das Waſſer, das fi fo unentbehri für den 


anzuwenden, lag den Menſchen fehr n 
der Medicin Lebt, daß man fidh deſſelben nit allein ſchon 


bie Waſſerheilkunde erworben, zum 
Theil auf bie Liebe zum Neuen und auf Rahahmungsfucht 


Menſchen würden den hoͤchſten und edelſten Befig, Leben und 
Gefundheit, nicht opfern für ein leeres Phantom, die Ent: 











täufepten würden die Seimme des Tcdes umd dos fall 
thufiasmus nieberdrüden, wenn nicht an dee Bade 
Bahres wäre. Co viel hat ſich denn auch bereits | 
Erfahrung, berausgeftelt, daß Kranke in Kaltwaſſerh 
ten wirklich geheilt werden und zwar nicht nur ſoiche 
ieichten vorübergehenden Übeln fitten, fondern auch fd 
krankte, die durch andere Mittel Beine Heilung erlang 
ten, ja es darf uns nit Wunder nehmen, wenn g 
unpeilbarften Kranken, an denen die Kunft der Ärzte g 
ift, ihre Zuflucht gu der WBafferheilanftalten nehmen, 
noch die gerünfchte Hütfe zu finden: ein Umftand, bi 
ticherweife Die Aufgabe der lehtern nur noch zu fleige 
met ift und uns zu billigen Anfprüdjen an fie verania 
Dazu tommt, daß unfere wiſſenſchaftlich · Medicin n 
vom Siele der Vollkommenheit entfernt ift, daß fich 
fteme und Theorien meift ſchnurſtraks entgenenftehen 
Die Meinungen und Ünfichten der Yrzte mannichfalti: 
ſprechen. Schon der alte Bippofrates Magt, bie gan 
ftehe bei den Laien in einem fehr übeln Rufe und ma 
gar nicht, daß es eine Mebicin gebe, indem bie 
den Srzte auch in den Fürzeften Krankheiten voneinande 
ſchieden denfen, daß Das, was der Eine für das | 
halte und gebe, der Undere ſchon für fehr ſchadlich 
Und. fo fieht die Sache noch bis auf den heutigen Ta 
Vertrauen der Kranken zu den Arzten iſt in der 9 
fehr befchränktes und erhalt fich gewöhnlich nur ſo la 
die Befferung oder Linderung dauert, die diefe zu € 
vermögen; fäumt die gewuͤnſchte Hüffe zu fange, fo | 
allmälig das Vertrauen, und wie der ——— e fid 
ſchwimmendes Bret anklammert, fo ſehen wir oft die 
Digften und gebifbetften Menfchen: ji ben erbärmlichfte 
falbern in die Arme werfen, ja felbft dem Aberglaul 
nen, um nur womöglich ihrer Qualen auf dem fl 
- 108 gu werden. Und wer Tann leugnen, baß zurseiler 
bei dem Gebrauche der widerfinnigften Mittel dennoch 
Ber kann Icugnen, daß nicht Einer oder der Andere 
Bolke, fei es duch Bufall oder Erfahrung, auf Mitt 
Diefe oder jene Krankpeitäform gefommen ift, bie felbft 
vom wiffenfhaftfihen Standpunkte aus für heilſam 
muß? Danke doch die Wiflenfchaft felbft einen groß 
ihres Arzneifchaged dem, Voike, und felbft einer unfere 
zeidhnetften praftifhen rate, der alte Heim, främte 
Geftändniffes nicht, Manches von Schäfern und alten 
‚eleent zu haben. Es ziemt fi) baher nicht, vornehm 
jeilmethode wie die Wafferheittunde herabzufehen, wei 
dem Kopfe eines Bauern entfprungen it. Iſt nur d 
gut, fo wird die Sache wol auch gut fein. 
Wenn wir nun aber auch die Wirkſamkeit des kal 
ſers gegen Krankheiten im Allgemeinen zugeben mi 
enteßt doch nothwendig die Frage: In welchen Krank 
diefes Mittel anwendbar, unter welchen Umftänden, bei 
Gonftitutionen u. f. w.9 Und hier find wir an einem 
angelommen, wo wir und unmittelbar an das Borum 
fenfchaft wenden müffen, denn hat auch der Einzeln⸗ 
Priehnig, dutch lang ahrige Beobachtung ſich cine ger 
tigkeit in der Anwendung dieſes Mitteld gegen befonder 
heitsformen erworben, fo läßt fich doch uͤnmoglich vor 
daß er ohne wifienfhaftlihe Bildung alle mög!ichen Kr 
formen und ihre verfdiedenartigen Complicationen | 
befondern Individualitäten der ſich ihm barbietenden 
und die Beziehungen ber mannichfaltigen äußern Eir 
ihnen u. f. w. zu Pennen und richtig zu wuͤrdigen t 
Ale Das, was der wiſſenſchaftliche Arzt durch Benu 
Grfahrungen aller Seiten, Durch Autopfie und Erperimen! 
in ungleich kürzerer Zeit fi erwirbt und in foftematifd 
als ein Ganzes überkommt, mußte er ſich erſi durch je 
Beobachtung erwerben, wenn ja ein ſoiches Erwerbe 
Eur Zeit eines Menfchenlebens möglich wäre. 2 
— der innern und aͤußern Sinne muß er dabei 


Ge doch auch uf niedern Shufen der Gekenntnid und s 
gang der Franken Ratur auf mannichfache Weiſe zu Huͤlfe zu 
kommen, und es Ban wol nicht begweifelt werden, daß Der⸗ 
jenige, der die Gefege der gefunden und kranken Ratur wiſſen⸗ 
x —* ſtudirt und der Erforſchung derſelben fein ganzes Le 
ben gewidmet bat, noch himmelweit über dem Afterarzte febt, 
dem: die ganze mebicinifche ifienfiheft böhmifche Dörfer find. 
Es rc daher von wenig Überlegung, fein Leben und feine 
Gefundbeit anfatt dem Arzte dem Quachſalber in, bie Hände 
zu geben, während man ſich im Gegentheil wohl hüten würde, 
7 in einer Streitſache an einem : n oder Schäfer anfatt 
‚an einen Juriſten gu menden, denn. auch angenemmen, Daß ber 
Arzt in dem gegebenen Falle die’ Einſicht nicht 
„hätte, fo würbe fie Doch wol eher ‚bei ihm ooxauägefegt wer⸗ 
‚Yen können ald bei dem Quackſalber. 

Man glaube ja nicht, daß ſich die Sache mit dem Waſſer⸗ 
arzte anderẽ verhalte, daß das Waffer eine fo unſchuldige Sache 
fei, mit der man feinen Schaden ftiften Fönne, oder daß mon 
bei der. Anwendung beffelben alle und jede mediciniſche Kennt» 
niffe eutbehren koͤnne. liberhaupt ift noch gar nicht ermittelt, 

‚ welchen Antheil bei den Kaltwaſſercuren das Wafler ‚hat und 
ob dabei nicht andere Rebeneinflüffe mit in Unfchlag gebtacht 
werden mällen. h 

"Schon bei den gewöhnlichen Baberuven bat nran Die Reife 
nach dem Badeorte, die Entfernung von den häusliden Ge⸗ 
ſchaͤften, die ruhige Gemütheftimmung, die Bekanntſchaft mit 
‚befreundeten Renſchen, die müßige Lebensweife u. f w. mit in 
Nechnung gebracht, wie viel mehr muß Died bei der Kaltwaf: 
ſercur geſchehen, bei welcher Die Lebensweife manches Menſchen, 

.namentliih aus den böhern Ständen, fo ganz verändert und 
‚zum. Iheil in ihr Gegentheil verfchrt wird. Man denke fid 
3. B. den verwoͤhnten, ‚täglich an einer reichen Tafel ſchwel⸗ 
genden vornehmen Mann an Prießnig's Tiſche, auf alle rei» 


de Genüffe, auf Wein und Bier u. f. w. verzichtend, auf 


hwarzes Brot, Milh, Wafler und gefunde Hausmanus koſt 


ei 1U Man fehe, wie die vornehme Dame, welche taͤg⸗ 


bis 10 Uhr im Bette zu liegen gewohnt war, jegt bei Za⸗ 
gesanbruch ſich erheben und ihre Eur beginnen, wie fie, bie 
18* kaum das weiche Sopha verließ, jetzt Anhoͤhen beſteigen 
muß und während des ganzen Tages mit ihrer Eur beſchäf⸗ 
‚tigt iſt. Man rechne dazu den fleten Genuß der freien, fri⸗ 
dem Bergluft und man wird fich nicht verheblen koͤnnen, daß 
ſchon diefe ganz veränderte Lebensweife geeignet fein muß, man: 
chem verweichlichten - und durch Genuß und Wohlleben verfüm: 
‚merten Kranken wieder zu feiner Gefundheit zu verhelfen. 

Aber aud bei der Anwendung des Waflers kommen mehre 
Momente in Betracht. Zuerſt feine Wirkung ald Getränk, in 
welcher Gigenichaft es Magen und Gebärme ausdehnt, aus⸗ 
wäſcht, den Inhalt derfelben verflüffigt, den Stoffwechjel be: 
ſchleunigt, die Ausfcheidung durch Haut und Nieren vermehrt, 
die Blutgefaͤße mit wäflerigen Theilen überfüllt, die Mifchung 
des ·Bluts veraͤndert und dadurch wohl Dyscrafien zu befeiti- 
‚gen vermag. Als Äußeres Mittel wirkt es zuſammenziehend 
‚auf die organifche Faſer und zugleich erregend auf die Haut-, 
‚Muskel: und Gefäßnerven. 

Es iſt aber nicht einerlei, ob die Einwirkung bes kalten 
Waſſers allmälig oder ploͤtzlich geſchieht. In dem legtern Falle 
erfolgt die Reaction fchnel und kann in manchen Faͤllen ſowol 
auf daß fenfible als auf das irritable Leben von heilfamen Fol: 
‚gen fein. Die plögliche Einwirtung des Falten Waſſers kann 
-aber au bei mangelnder oder zu mache Reactionskraft zu 
heftig fein und durch zu plögliche Herabfiimmung der Nerven» 
:Braft, durch gewaltfames Zurückwerfen der Blutmafle von den 
:äußern zu den innern Organen und durch ſchnelle Unterdruͤckung 
der Abfonderungen leicht nachtheilige Folgen erzeugen, ja bei 
geben Sraden dieſer plöglihen Wirkung der Kälte Bann der 
: Eingriff in bie verfchiedenen Sphären und die Erſchütterung 
des organifdhen Lebens fo heftig werden, daß die jchwerften 


ferner zwiſchen der primaizen und Der Nachwirkung bes Ballen 
Waſſers unserfcheiden. Auf die letztere bat befonders die in: 
tenfive Größe umd Dauer der primaicen Wir fowie bie 
Schnelligkeit des Übergangs von der Kälte zur BZaͤrme und 
der Unterſchied der beiden aufeinanderfolgenden Temperatur⸗ 
grade großen Ginfluß. Je fchueller und greller der Wechſel 
deu verichiedenen Terperaturgrade, je weiter der Abftand ber: 
felben voneinander, defto flärder it die Nachwirkung und um« 
gekehrt. So bemerkte Larrey nach der Schlacht hei Eylau, wo 
die Iruppen einige Wochen lang -bei flarfer Kälte im Freien 
campirten, feine Sronfhäden, ale aber in einer Nacht .das 
Zhermometer von — 45° auf + 10° ſtieg, erfroren mehre 
Hunderte die Glieder. Endlich kommt bei den Kaltwaffercuren 
nach Prießnig's Methode auch noch bie Ersegung einer exceffi⸗ 
ven Hautausduͤn durch Einhuͤllung der Kranken in wol: 
lene Dedien mit darauf folgender Falter Begießung in Betracht, 
eine Methode, deren eigentbümlidge Wirkung auf die organi⸗ 
ſchen Verrichtungen eine- zuſammengeſetzte, theild bie organiſche 
Faſer exſchlaffende, theils zufammengiehende, theils bie Haut: 
ausdünftung beförkernde, theil& hemmende ift und deren Gin- 
fluß auf die Befeitigung verfdhiedener Krankheitsformen bis jegt 
wol noch gar nicht hinreichend gewürdigt. werden kann. 
(‚Der Beſchluß folgt.) 





Literarifge Notiz aus England. 


Hobbes ein gläubiger Ehrift. 

&o weit die Briten im exfaprungemäßigen ſtaatlichen Le⸗ 
ben, der ſogenannten praktiſchen Politik, den andern curopätichen 
Völkern, namentlih und Deutſchen voraus fein mögen, fo 
fteden fie in vielen andern Dingen, die bei dem weiten Spiel: 
raum, welchen ihre politifchen Minrichtungen gewähren, nicht 
geradezu von dem Fortſchritt auf diefem Gebiet berührt werden, 
tief in dem Wulſt der Vorurtheile und äbgetragenen Unfhauun 
gen. Dieb macht es auch erflärlich, daß manchmal Dinge dert 
zum Vorſchein kommen, worüber felbft wir gutmütbhigen, wohl: 
geſchulten und policeilich abgerichteten Deutſchen uns Des Bu- 
chens nicht enthalten Bönnen. So ift e& allbefannt, wie bem 
philoſophiſchen Rabicalen Sir William Molesworth bei feiner 
legten Wahl in einem, der Kirchfpiele Londons, von feinem 
gleichfalls Liberalen Mitbewerber auf den Huftings ein ſchwe⸗ 
ver Vorwurf gemacht wurde, daß er eine Sammlung und fri: 
tifche Ausgabe der Werke des Hobbes veranftaltet habe, und 
zwar deshalb, weil diefar Philofoph ein Freidenker hinſichtlich 
der chriftlicden Meligion geweſen iſt. Uber das tft nicht Alles. 
Der arme Hobbes, der fiherlih nicht davon geträumt, hat es 
ſich auch gefallen laſſen müffen, daß die Recenfenten jener un- 
ter dem Zitel „The english works of Thomas Hobbes of 
Malmesbury ” (Il Bde.) und „Thomae Hobbes Malmesbu- 
riensis opera philosophica quae latine scripsit omnia” (3 Bde.) 
erfchienenen Sammlung, fd Mühe geben, feine chriſtliche Ge: 
finnung und Bibelgläubigkeit Daraus zu erweifen. Ein Kriti- 
ter des „Athenaeum‘ Läßt ſich dies befonders eifrig angelegen 
fein und weiß eine ganze Menge Stellen aus Hobbes —* 
ten dergeſtalt zuſammenzuſtellen, daß der bigoteſte Hochkirchen⸗ 
mann nichts an deſſen Rechtglaͤubigkeit ausfegen koͤnnte. Die 
theoſophiſchen Traumereien, denen fi der im Übrigen fo ſcharf⸗ 
bentende Hobbes wie die meiften ältern Philoſophen, die ihre 
Spfteme nicht auf ein inniges Durchdringen der Natur und ib 
ver Gefege gründen konnten, bingab und zu derer Begründung 
er nach der Sitte und Rothwendigkeit feiner Zeit die Ausſprüche 
der Bibel nach feinem Sinne deutete, bat wie es fiheint ihm 
u der Ehre verholfen, auf diefe Weife als Bibel» und Ehri 

8jläubiger in integrum reftituict d werden. Sogeftalten 
Dingen nad) läßt fih wol kaum mit Gewißheit behaupten, daß 
die nachweltliche Kritif nicht auch unfern Strauß, Feuerbach 
und Bauer von der Anrüchigkeit des Atheismus reinigen fönnte. 


Nervenzufälle und felbft der Tod darauf eintreten. Man muß | Der Menſch ift groß! 
VBerantwortliher Derausgeber : Geiurich Brockdaus. — Drud und Verlag von F. . Brockhans in Reipzig. 





Blätter 


für - 


kiterarifhe Unterhaltung. 





Sonnabend, 


23. Mai 1846, 


Ä | BEE 


Englifhe Zuftände. 
Erfter Artikel. 
i (Befchluß aus Nr. 142.) 

Intereſſe verdient namentlich auch, mas: Venedey über 
die kirchlichen Verhaͤltniſſe Englands mittheilt. Vor al 
len Dingen tritt ums die engliſche Staatskirche entgegen. 
Die Stellung der englifchen Kirche zur deutfchen Refor- 
mation ift oben angebeutet worden; von der Reform an 
finft die Staatöliche immer mehr als Kirche und. ver- 
liert- zulegt allen höhern firchlichen Einfluß: Die Kirche 


hörte: zwar nicht auf, fagt Venedey, eine bedeutende Rolle 


im Staate zu fpielen, aber diefe war im Wefentlichen 
Feine kirchliche mehr, fondern eine flaatliche, eine politi« 
ſche, eine policeilihe. Die Kirche wurde vorherrſchend 


ein Mittel in der Hand der Ariftofratie, ihre Stellung: 


zum Volke zu fihern. Die kirchliche Seite des Stre⸗ 
dens der anglikaniſchen Geiftlichkeit, die Lehre wurde 
die bes demüthigiten Chriftenthums, des Aufgebens ber 
Gelbftändigkeit, des Anerkennens des unbedingten Ge 
horfams gegen ben Staat und feine Lenker. Es 
ift befannt, wie fehr man jegt in Preußen die Blicke 
auf die englifhe Staatskirche gerichtet, hat, um fo 
wichtiger ift bie Kenntniß derfelben. Außerſt bedeu⸗ 


tend wurde der Einfluß der Kirche auf die Verhältniffe 


Englands durch ihren Reichthum. Sie zog die Zehnten 
vom ganzen Rande, die höhern Stellen waren reich be» 
foldet, die Capitel noch reicher dotirt. Nach einer Be⸗ 
rechnung der Madicalen beläuft ſich die SKirchenausgabe 
nody jegt auf 9,459,565 Pf, St. jährlich. Diefer Heich- 
thum wurbe zu einem Bande, das die Ariftofratie und 
die Kirche aufs innigfte umſchlang. Die hohe Ariſto⸗ 
tratie hatte das Recht des Vorfchlags zu faft allen grö- 
Bern und kleinern Pründen: Sie benugte dies Recht, 
um ibre jüngern Söhne: zu verforgen, und fo wurden 
alle reiche Pfründen an dieſe vergeben. Die Ariflofratie 
und die Kirche gingen fo Hand in Hand und fo wurde 
eime bie feftefte Stüge der andern. Aber in dieſem 


Neichthume der Kirche lag aud der Stein bes Anſtoßes 


für fie Diefer Reichthum wurde die Hauptfache. Die 
nachgeborenen Söhne der hohen Familien wurden zu 
Biſchoͤfen gemacht, oft ohne je vorber irgend ein Prie- 
fleramt verwaltet, ja einem Gottesdienſte vorgeftanden 
zu haben. Während des Kriegs gegen Frankreich fan- 


den eine Menge ber jüngern Söhne im Heere eine An⸗ 
ſtellung, nad, dem Kriege wurben die Majore, Oberften, 
Generale — Biſchoͤfe und Decame, wodurch fie dann fo: 
wol vom Kriegsminifter für ihre Offiztersftellen als vom: 
Volke für ihr Biſchofsamt bezahle wurden. Zuletzt legte 
fih das Parlament ins Mittel und verbot diefe fcanda- 
löfe Doppelthätigfeit, von wo an denn bis auf ben heu- 
tigen Tag jeber halbföldige Offizier, bevor er feinen 
Sold einziehen kann, auf Ehrenwort erffären muß, daß 
er nicht Prieſter ſei. 

Das Einfommen wurde die Hauptſache, die Geift- 
lichkeit vernachläffigte ihre Pflichten, fie dachte nicht an: 
die Erziehung bes Volkes, welches entweder ganz vermil- 
berte oder fich den Diffenters zuwandte. Die reiche 
Kirche wurde die Kirche der Heiden, die Armen muf- 
ten fich anderswo hinwenden. Diefe Zuflände nagen 
am Marke der englifchen Kirche, feit lange fühlen Re⸗ 
gierung und Ariſtokratie, daß dieſer fefte Yelsboden un⸗ 
ter ihren Füßen ſchwindet. Sie fühlten, daß fie ihm 
nene Kraft geben müßten, aber fie fuchten diefe Kraft 
nit im innern Weſen ber Kirche, ſondern in ihren di 
Gern Verhaͤltniſſen. Anftatt die Kirche zu reförmiren, 
glaubten fie, daß es genüge neue Kirchen zu bauen: 
Bon 1817 — 41 find nicht weniger ald 251 Kirchen 
gebaut worden, die 2,001,289: Pf. St. gekoſtet haben. 
In der neueften Zeit wurde eine neue große Summe 
von 1,500,000 Pf: St. in Epchequerbills als Anleihe 
zu demfelben Zwecke vorgefchoffen! Venedey fegt Hinzu: 

Seit es den Anhängern der englifchen Kirche endlich Mar 
gersorden tft, wie der Unterricht der Diſſenters bie Zahl derfel⸗ 
ben von Jahr zu Jahr vermiehrte, feit fie die Augen ob der 
fie bedroßenden Gefahr geöffnet Haben, wurden dann neben den 
Kirhen auch Schulen angelegt und fo eine Bahn betreten, 
die vieleicht den vollkommenen Untergang der englifchen Siege 
verhindern Fann, doch ift dieß eine Frage der Zukunft. Die 
Gegenwart zeigt nur Nüdichritte deu Kirche. 

Alsdann charakteriſirt Ventdey den immer mädtiger 
um ſich greifenden Pufeygismus: Der Anſtoß dazu ging 
von Ieland aut. Man fah dort, weiche Gewalt bie 
Geifſtlichkeit über das Volk ausübte und hoffte Ahnliches 


"mit ähnlichen Mitteln in England zu erreichen. Man 


kam auf den Gedanken, der Kirche durch größtre Feler⸗ 
lichkeit, groͤßern und eingrelfendern Ernſt und endlich 
durch größere Gleichheit in der Kirche wieder bebeuten- 
bern Einfluß auf: das Volk zu: verfchaffen. Aber in 








x 


530 


Irland befam dann auch dieſe Bewegung von Anfang 
an einen roͤmiſch⸗katholiſchen Beigeſchmack. Man fühlte, 
welche Bedeutung den katholiſchen Prieftern ihre apoflo- 
liſche Nachfolge gebe und fo hoben denn bie Neuerer 
ganz befonders hervor, daß auch bie englifchen Biſchoͤfe 
unmittelbar und in untmterbrochener Reihenfolge von 
den Apoſteln herſtammen. Es trat eine Verwandtſchaft 
zwiſchen den Puſeyiſten und Katholiken ein. In einer 
Menge Tractaten entwickelten die Vorkaͤmpfer des Pu- 
fegismus, Puſey, Hugh Mac Neil u. U., ihre Anfichten, 
bis fie endlich, durch den Wiberfprud gezwungen, in 
ihrem neungigften Tractate faft volllommen in das Ge- 
biet der römifchen Kirche hineingerathen. In diefem 
Tractate erkannten fie halbwegs die Verehrung der Hei⸗ 
ligen, die Reliquien, das Fegefeuer, die fieben Sacra⸗ 
mente an und proteſtirten dagegen, daß der Biſchof von 
Rom der Antichriſt ſein ſolle. Sie ſtützen ſich nament⸗ 
lich auf das Tridentiner Concilium. Mit dem neunzig- 
ſten Tractate mußte nothwendig ein Bruch zwiſchen den 
Puſeyiſten und der Staatskirche eintreten und die An⸗ 
haͤnger der alten engliſchen Denkart fanden bald Gele— 
genheit, Hrn. Puſey um ſeiner Lehren willen ſeines Am⸗ 
tes als Profeſſor in Oxford zu entfegen. Der Pufeyis- 
- muß bildet Feine Sekte, die fih von der Kirche getrennt 
hat, fondern eine befondere Lehre in der Kirche felbfl. 
Venedey fchließt über denfelben: 

Gelingt es den Pufeyiften, am Ende die Oberherrſchaft 
zu erringen, fo tritt die englifche Staatskirche unmittelbar ne 
ben die römifche, wenn fie fich nicht mit diefer wieder ausföhnt 
und in jie übergeht. Iſt der Yufeyismus nicht im Stande, 
die Mehrzahl der Borfteher der Kirche auf feine Seite zu 
bringen, fo wird er noch lange ein Element der Aufregung, 
der Berfplitterung und der Auflöfung bleiben. 

Auch in der fchottifchen Kirche findet ein Bruch ftatt. 

Das Nähere darüber ift bei Venedey nachzulefen. Wenn 
die englifche Kirche die Hochkirche heißt, fo koͤnnte man 
im Gegenfage die fchottifche Kirche die niedere heißen; 
jene ift eine hoch-ariftoßratifche, dieſe eine rein⸗demokra⸗ 
tifhe Inſtitution. In der englifhen Episcopalficche iſt 
dee Bischof Alles, in der ſchottiſchen Presbyterialkirche 
fennt man feine Bifchöfe, während die Gemeinde felbfl 
die Seele ded Ganzen wird. Es gibt Keute, die be- 
haupten, bie englifche Kirche fehe die kirchlichen Spal- 
tungen gern. Die englifche Kirche durch den Pufeyis- 
mus, die fchottifche durch die Seceders find gegenwärtig 
ohnmächtiger als je, die Regierung ihnen gegenüber um 
fo ftärfer. Der Baum fault von innen heraus und bie 
Hirten find damit einverftanden; denn ber hohle Baum 
erlaubt ihnen, wie Venedey fi ausdrüdt, fich in ihm 
gegen Wind und Wetter zu fchügen. 

Wir vermiffen in Venedey einen Artikel über bie 
Preßzuftände Englands, durch den er doch, wie es die 
ausgeiprochene Abficht feines ganzen Werks ift, bie Ge⸗ 
legenheit erhalten hätte, eine große, wichtige Lehre 
vor der deutſchen Nation auszufprechen. Nur folgende 
Bemerkung finden wir, die ebenfo gut auf die beutichen 
wie auf die englifchen Zuftände paßt: 

In dem Lande, wo die Prefle fo bedeutend ift, haben die 


Preßſchriftſteller ſehr, ſehr wenig Unfehen. Die Hauptführer 
der Preffe find unbelannt und ungenannt; was man kennt und 
nennt, wad man an Öffentlichen Orten fieht, find meift die un 
term — der Preſſe und dieſe ſind oft nicht mehr werth 
als ſie gelten. 

dritten Theile feines Werkes beſchaͤftigt Benedey 
ſich hauptſaͤchlich mit ſocialen Studien und Anſchauun⸗ 
gen. Wir werden darüber, in Verbindung mit Lion 
Faucher, in einem zweiten Artikel berichten und dadurch 
unfere Rundſchau über England und feine Zuftände zu 
vervollftändigen fuchen. *) 28. 


Die Kaltwaffercuren. 
(Beſchluß aus Nr. 142.) 


So fehen wir denn, daß diefe von Prießnitz zuerft ange: 
wendete Eurmethode fehr werjchiedene Seiten des Organismus 
in Anſpruch nimmt und daher unmöglich bei allen Krankheits⸗ 
formen und bei allen Kranken ohne Unterfchied angewendet 
werden Bann und je nach der Verfchiedenheit des Krankheits- 
uftande8 und der Individualität dem Einen Leben und Ge 
unbheit, dem Undern Xerfchlimmerung und Tod bringen muß. 
Alles hängt hier von ftrenger Prüfung und Erwägung aller 
Umftände ab, und obſchon auch dem Arzte nicht für alle diefe 
Umflände ein untrüglicher Maßftab in die Hände gegeben ift, 
fo befähigen ihn doch feine wiſſenſchaftlichen Kenntniffe über 
den Drganidmus überhaupt fowie über die verfchiedenen Sy— 
ſteme und Organe deſſelben bei verfdhiedenen Individuen mehr 
als jeden Andern, in jedem einzelnen Kalle das Rechte zu wäh: 
In. Er wird nit ohne hinreichende Prüfung jeden Kranken 
ohne Unterſchied die ganze Schule durchmachen Laffen, fondern 
er wird ſich in jedem einzelnen Falle fragen: If hier der Ger 
nuß des alten Waſſers nöthig und rathfam und in welcher 
Auantität? muß diefer Kranke ſchwitzen nnd darauf falt über: 
goſſen werden, oder ift Feine Übergießung nothwendig, oder 
zwar die Übergießung, aber ohne vorhergehende Schwigen ? 
ıft bei jedem Kranken eine und diefelbe Temperatur des Waſ⸗ 
fer6 gleich nothiwendig® paßt jede Diät für alle Kranke ohne 
Unterſchied? ift e8 rathfam, bei allen Kranken das kalte Waf: 
fer ohne Unterbrehung fortwirken zu laſſen oder nit? und 
hundert andere Fragen mehr. 

So fehen wir uns denn in diefer Angelegenheit immer 
auf die Wiffenfchaft hingewiefen, und wenn auch der Laie fi 
aus der Menge der Fälle, die feiner Beobachtung unterlagen, 
gewifle Regeln abftrahirt hat, fo ift damit immer noch nichts 
ewonnen für die Behandlung ähnlicher Kalle, fo lange fie die 

iſſenſchaft noch nicht zu Geſetzen erhoben hat. Es verhält 
fih damit ganz gleih wie mit taufend andern Heilmethoden 
und Mitteln, wie fie uns die Gefchichte der Medicin aufbewahrt 
hat. Die rohe Anwendung berfelben allein würde uns nit 
ihre Wirkſamkeit verbürgen, wenn ihnen nicht die wiſſenſchaft⸗ 
lihe Kritik die geeignete Stelle im Krankheitsfpfteme angewie⸗ 
fen hätte. Wie fhwierig aber die Beftimmung des Werthes 
einzelner Mittel fei, lehren uns die Hunderte von Mitteln, die 
Sadrbunderte lang in der Mebdicin in hohem Werthe fkanden, 
jegt aber bei beſſerer Einficht faum mehr dem Namen nach be⸗ 
Fannt find. Bevor demnach irgend eine Methode oder irgend 
ein Mittel nicht durch wiflenfchaftliche Kritit und Erfahrung 
aufgenommen und ihm feine wahre Stelle unter den übrigen 

eilmitteln angewiefen worden ift, fo lange bleibt es noch zwei⸗ 
elhaft, ob ihm auch wirklich der Name eines Heilmitteld ge⸗ 
bübhre oder nicht. Die Beit, wo Einer ein Heilmittel gefun⸗ 
den zu haben glaubte, wenn er auf die Anwendung eines Mit- 
teld bei einem oder dem andern Kranken Linderung oder Hei⸗ 


3 


*) Den zweiten und legten Artikel laffen wir im Julli folgen. 
. D. Ned, 


511 


fung erfolgen ſah, iſt vorbei und ed eurſiren noch eine Menge 
a ee Mittel unter dem Belke, die ihren Ruf bem ver 
meintlihen Erfolg in einzelnen Fällen verdanken, die indeflen 


bei näherer Prüfung als ganz unwirkfam erfcheinen. Die Beob: 


achtung eines Einzelnen iſt noch feine Erfahrung, und nur Die: 
jenige Erfahrung, die auf wiſſenſchaftlichem Wege gewonnen wird, 
ift gu nügen und hat Anfprüche, auf die Nachwelt zu fommen. 
Es ift eine ausgemachte Sache, daß ein und derfelbe aͤu⸗ 
Sere Einfluß nicht gleihe Wirkung auf alle Menſchen äußere 
und es bedarf Feiner medicinifchen Kenntniffe, um dazu in ber 
Ratur die Belege zu finden. Während‘ der Waſſerarbeiter 
Zage lang bis an den Leib im Waſſer fteht, ohne zu erkran⸗ 
fen, wird ein Anderer ſchon durch eine bloße Ernäffung der 
Fuͤße von rheumatifchen Schmerzen befallen; während der Eine 
anze Maffen fpirituöfen Getränke binabflürzt, ohne davon af 
—* zu werden, wird der Andere ſchon durch den Genuß eines 
oder einiger Glaͤſer berauſcht u. f. w- Die Einwirtung des 
kalten Waſſers macht von biefem Gefege Feine Ausnahme und 
es ift unmöglich, daß der Magen Desjenigen, ber im gewoͤhn⸗ 
lichen Leben nur wenig Fluͤffigkeit zu ſich zu nehmen gewöhnt 
war, diefelben Waſſermaſſen, mit denen man eime Heine Mühle 
fpeifen könnte, zu ertragen Bi fein follte als Derienige, dem 
vieles Trinken von jeher Bedürfniß war, abgefehen davon, daß 
die Aufnahme einer folhen Mafle von Zlüffigkeit nicht u 
das ganze Xeben fortgefeht werben und in ber. Bolge dur 
plögliches Aufhören wieder nachtheilig werben fann. Ebenſo 
ift nicht jede Haut gleich empfänglid gegen die Einwirkung 
der Kälte nach vorhergebender Exrhigung. Man wird Dagegen 
einwenden, daß der Organismus fi) allmälig an einen ſolchen 
plöglichen Temperaturwechſel gewöhnen und daß er dadurch in 
der Folge gegen alle äußern Einflüffe von Kälte und Wärme 
geftählt werde. Allein läßt ſich eine ſolche Abhärtung für das 
ganze Leben fefthalten? Verwiſcht ſich ihr Einfluß nicht wie 
der, wenn der Menſch in feine gewohnten Zebensverhältnifie 
zuruͤcktritt und allen mit ber Eur in Widerſpruch ftehenden 
Einflüffen preisgegeben ift, felbft dann, wenn er jenem Kran 
den nadahmen wollte, der, wie man erzählt, um fih der Kälte 
nicht zu entwöhnen, bei der Ruͤckkehr von Sräfenberg fih_auf 
jeder Poftftation ein Glas kaltes Waſſer oben zwiſchen Kinn 
und Cravatte eingoß, ſodaß es in den Stiefeln ſtehen blieb? 
Es kann zugegeben werden, daß durch eine fo mächtige 
Anregung aller Abjonderungsorgane des Körpers, verbunden 
mit einer einfachen naturgemäßen Lebensweiſe, wie fie uns in 
den Kaltwaffercuren geboten ift, verjährte KrankHeitsftoffe in 
dem Körper beweglich gemacht und Neactionen dagegen in Be 
wegung gefegt umd auf Diefe Weiſe Krankheiten befeitigt wer: 
den Fönnen, die biß jegt jeber andern ärztlichen Behandlung 
widerftanden; allein wer fagt dem ungebilbeten Waſſerarzte, 
daß ſolche Krankheitsſtoffe vorhanden find, daß das kalte Waſ⸗ 
fer das geeignete Mittel ift, fie zu entfernen, daß der Franke 
Körper Kraft genug babe gegen ein fo mächfiges Mittel, wie 
das kalte Waffer und die mit ihm verbundene Schwigcur ift, 
zu reagiren® Man fieht, Hier ift Alles dem Zufall preisgegeben. 


Bis jest haben einzelne auffallende Eusen der HPriepnig': 


en Methode Farbe und Glanz verliehen, allein ed ift noch 
— —— wie ſich die Sahl ber Geheilten zu der der 
Ungeheilten und Todten überhaupt verhält. Um fi davon zu 
vergewiffern, müßte man feine Beobachtungen auf alle die 
Kranken ausdehnen, die bereits die Kaltwafieranftalten verlaf- 
fen haben. Rur auf Grund folcher numerifchen Unterſuchun⸗ 
gen würde ſich ein ficheres Nefultat erheben laffen und erft 
daraus würbe ſich ergeben, inwieweit bie Kaltwaſſercuren chro⸗ 
niſche Übel gruͤndlich und dauernd gu heilen vermögen. Man 
müßte ferner die verfchiedenen Kranken nad) ihren Krankheiten 
claffificiren, um fo endlich auf fichere Refultate zu fommen, in 
welchen Krankheiten ſich diefe Methode vorzüglich als heilfam 
bewähre und in welchen nicht. Alles Dies kann aber nur vom 
wiſſenſchaftlichen Standpunkte aus gefchehen und es ift deshalb 
durchaus erfoderlich, daB die Arzte fich der Sache bemächtigen. 


Was fol man aber dazu fagen, wenn Laien ohne alle 
wiſſenſchaftliche Bildung Durch einen kurzen oder längern Aufent⸗ 
halt in Grafenberg und durch bloße Beobachtung der Prieß⸗ 
nitz ſchen Eurmethode fich befähigt glauben, felbft einer Kalt: 
waflerheilanftatt vorftehen und Kranke aller Art behandeln zu 
können, und wenn felbft Regierungen ihnen die Direction einer 


folden Anftalt geftatten® Einem folchen Laien aber begennen 


wir in dem Verfaſſer des folgenden Buches: 
Memoiren eines Waflerarzted. Bon Karl Munde. Zwei 
Tune. Dresden, Arnold. 1844. Gr. 12. 2 Thlr. 

B gr. ' 

Er, der ſchon mehre Bücher über die Waflerheilfunde ge» 
fyrieben und ſich felbft wohlgefällig als eine Celebrität in die⸗ 
fer Angelegenheit zu betrachten ſcheint, fpricht mit einer ſchein⸗ 
baren Gelehrfamkeit und einer Salbung von den Wirkungen 
des Falten Waſſers und den damit erzielten glüdlichen Euren, 
daß man meinen follte, er babe das gefammte Studium der 
Medicin ſchon längft hinter fih. So z. B. iſt ihm die Wire 
kung der Arzneien faft immer eine kuͤnſtliche Krankheit, fie lö- 
fen auf, reizen, ja fie „jertören diejenigen Theile, auf welde 
fie vorzugsweife einwirken, und bleiben, namentlich die Me: 
tolle, Sabre lang im Körper derborgen fiten, um darin eine 
neue küͤnſtliche, ſchmerzhafte und vernichtende Krankheit zu un» 
terhalten. Bei den meiften acuten Krankheiten reicht es bin, 
fih ins Bett zu legen und von Zeit zu Zeit einen Schluck 
Waſſer zu trinken und eine ftrenge Diät zu beobachten, um 
fie ohne Gefahr vorübergehen zu laffen. Sind einzelne Theile 
befonders afficirt, fo erfegen Umfchläge die bei der Medicin 
gewöhnlichen Blutegel und Veflcatorien u.f.w. In der. Ihat, 
man flaunt, wie der Verf. zu al dieſer Weisheit fo leichten 
Kaufs, theils buch feine Beobachtungen in Gräfenberg, theils 
duch feine eigene Waflerpraris gekommen ift, denn daß er ſich, 
wie er &. 269 fagt, verfchiedene phuftologifche und pathologir 
ſche Werke mit erläuternden Kupfern angefchafft, Monogra⸗ 
phien über die von ihm zu behandelnden Krankheiten gelefen, 
den Umgang mit mehren Ürzten benugt, und fleißig das Mi» 
Iitairhospital feines Wohnort befucht habe, ift wol mehr als 
ein Meiner Spaziergang in daB Gebiet der Medicin anzufehen, 
als daß ed von einem wirklichen Gindringen in fie Zeugniß ab« 
legte. Wäre dies nicht fo, fo würden wir ihn nicht durch das 

anze Werk immer nur auf der Oberfläche diefer Wiffenfchaft 

Endın. Der Standpunkt, den der Verf. als Waflerarzt ein» 
nimmt, gebt nicht über den des bloßen Laien hinaus und eben 
deshalb Tann und wenig daran liegen, zu vernehmen, wie er 
auf diefen Standpunkt gelangt fer, was eigentlich den Stoff 
diefer Memoiren bildet. Mit großer Redfeligkeit fchildert er 
und feinen Krankheitszuſtand, feine Lebensſchickſale und feine 
Neifen nach Gräfenberg, feine Pleinen Neifeabenteuer mit geir 
zigen Gräfinnen, unhöflishen Poftillonen u. f. w., Erzählungen, 
wie man ſich ſolche wol zur Verſcheuchung der Langweile im 
Hoftwagen erzählen läßt, aber nicht einem gebildeten literari⸗ 
fen Publicum aufzutifhen fi erlauben ſollte. Obſchon ein 
enthufiaftifcher Verehrer der Waſſerheilkunde, weiß er doch ar 
Priefnig und feiner Methode Manches audzufegen und führt 
Facta an, die den Eharafter deſſelben eben nicht in das gün- 
ftigfte Licht zu ftellen geeignet find. Es fteht aber noch fehr 
in Frage, wer Müger ift: der fchlichte Bauer, ber feine Krane 
Ben mit lafonifchen Antworten abfpeift, weil er auf ihre Fra⸗ 
gen nicht zu antworten weiß, oder der Dr. phil., ber es beffer 
zu wiffen meint, obwol er von der Sache ebenfo wenig ver. 
ſteht. K. Hohnbaum. 





Bibliographie. 

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ausgegeben von 8. Erufius. Magdeburg, Kaldenberg und 
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burg, Falckenberg und Gomp. 8. 2%, Near. 

Die Maler- Technik der Meifter des 15.—18. Jahrhunderts, 
vieberentdedt von Prof. W. Kraufe in Berlin. Nach deſſen 
Mittheilungen zum erftien Male bargeftellt von 2. B. Nebft 
einem Anhange: Ein Gang durch das Berliner Königliche Mus 
feum, zur befondern Beachtung für Befiger alter Gemälde. 
Berlin, Vereinsbuchhandlung. 8. 5 Rur.- 

Moore, J., Altere Gefchichte Irlands von den früheften 
Seiten bis zur britifchen Invafion. Aus dem Gnglifchen frei 
übertragen von ©. Ackens. Zwei Bände. Baden : Baden, 
Mar. Gr. 8. 2 Ihr. 24 Nor. 

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gion, in ihrem Wesen, ihrer geschichtlichen Kntwickelung 
und ihrer absoluten Vollendung. ?2ter Theil: Die ab- 
solute Religion oder die vollendete Offenbarusg Gottes in 
der Religion der Menschheit. Darmstadt, Leske. Gr. 8. 
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Miffionar in Südindien. Rah dem Englifhen von €. G. 
Blumbardt. Bolendet und berausgege en von W. Hoff: 
mann. Bafel, Schneider. Gr. 8. 1 Ihr. 21 Nor. 

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Eichler. Zwei Theile. Berlin, Betbge. 8. 2 Zhlr. Y, Ror. 

Nietter, A., Das Leben, das Werk und die Würde Jeſu 
Chriſti, dargeftellt aus ben Schriften der apoftolifchen Vater. 
Regensburg, Man, Gr. 8. 15 Ror. 

Satori, 3., Die Iwillingsfchweftern in der Straße Rue 
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Kreifen von Paris. Drei heile. Danzig, Gerhard. 8. 
3 Zhlr. 15 Rar. 

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Memoiren. Aus dem Stalienifhen von 3. W. Ehriftern. 
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nen, 


1838-1842, Bier Band. St.⸗Gallen, Scheitlin und Zolli⸗ 
Lofer. &r. 8 1 Zpir. 15 Nor. 


Zagesliteratur. 


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gegenwärbigen fen bangen und ihre Berbefierung erläu: 
tert. Leipzig, Bambarg: .8. 10 Ror. 
derie artein, 1 —* Sein Fri feine —— eine Bi- 

egung ber ) . Dr. Reinerding. DI 
Stalling &. 8. 3 Rgr. ” “Br 

John, G. A., Getreue und ausführlige Nachricht von 
D. MR. Luther'6 ſeligem Abſcheiden und chriſilichem Leichenbe⸗ 
gaͤngniß, nebſt einem Anhange, enthaltend einige feiner legten 
Predigten. Magdeburg, Falckenberg und Eomp. &r. 8, 15 . 

‚„.— — Deb D. Juftus Jonas und M. Mi. Coelius Be⸗ 
richt von Lutheri Abfterben, zum erftenmal erſchienen im I. 
1546 und jegt aufs Reue herausgegeben. Magdeburg, Falcken⸗ 
berg und Comp. Er. 8. 21, Kar. 

‚.Sungnidel, &., Siehe dein König kommt zu dir! Pre⸗ 
an aber Matth. 21, L—9. Schmweibnig, Weigmann. 8. 

« MOL. 

Müller, 3. R., La carte blanohe oder das aufgellärte 
Glaubensbekenntniß der Hallefchen drei und dreißiger. Nebft 
fehuldiger Begrüßung des Uhlich ſchen Sendſchreibens und der 
Wislicenus’fchen Monatsſchrift. Magdeburg, Falckenberg und 
Comp. Gr. 8. 5 Rar. 

— — Luther, ein Glaubenshelb, der Eprifti großes Ber: 
heißungswort erfuͤllte: Joh. 14, 12. „wer an mich glaubt, der 
wird die Werke auch thun, die Ich thue, und wird größere, 
aan Diele, Shun.“ Predigt. Magdeburg, Falckenberg u. Comp. 

8 gr. 

Die Ortbodorie in ihrer Auflehnung wider die Freiheit 
bes Beiftes überhaupt und den religiöfen Fortſchritt insbefon- 
dere. Randgloſſen eines proteftantifhen Laien zu Romberg's 
Schriftchen: 1. die neueften Bewegungen, 2. die Spaltung des 
chriſtkatholiſchen Vereins zu Bromberg. Danzig, Gerhard, 
Gr. 6. 5 Rer. 

34 S A aber 5 * EN meiht und wankt nicht. 

n igten a em 9. . agbeburg, Falcken 
und Gomp. Gr. 8. 10 Rgr. Bheburg, Butiienberg 

Schmid, U.M., Ein Wort für Ronge gegen die Angriffe 
ded Herrn von Florencourt. Leipzig, D. Klemm. Kl. 8. 6Ngr. . 

Sreufich, C., Die badifchen Lichtfreunde in ihrer Feind⸗ 
an Bea offer un Kirche. auzuf an den „Morgenboten" 
und feine Genofien, fo wie an alle evanaelifhe Kirchenalieder. 
Karlsruhe, Macklot. Gr. 8. 3 Kar. ſche Kirchengü 

Uhlich, Über den Amtseid der Geiſtlichen. Zte Auflage. 
Leipzig, D. — 8* 3 Nor. 

— — Bericht über die Pfingſtverſammlung der proteftan- 
tifhen Freunde in Köthen am ii Mai 134% — 
Klemm. 8. 3 RNgr. 

Unger, €. S., Der Mißbrauch ber Bahlen, erläutert 
burdy die neuerdings gemachten Verſuche, dad bei der Feuer: 
Berficherungsbant für Deutichland eingeführte R sweien 
r verbächtigen. Mit einem Anhange, enthaltend ein Send: 
reiben an Hrn. A. W. Wüftenfeldt in Buͤckeburg. Grfurt, 
N ie preufikhe Derfalungsfsage. itt 

ie preußif erfaſſungsfrage. Hiftorifch entwidelt und 
durch MRüdblide auf den beutfhen Bund beleuchtet. Rebſt 
Beurtheilung der neueften über diefen Öegenftan erfchienenen 
Schriften. Leipzig, D. Wigand. Gr. 8. 15 Kor. 

Wort eined Freundes der Wahrheit über den um „Kir: 
chenverbeſſerung“, eigentlich aber um Befreiung vom Glauben 
an die lien Heilöwahrheiten duch Geiftliche und Laien 
petitionivenden Rationaliömus. Rebſt einem Anhange über 
Sinn, Weſen und Wirken bes heiligen Geiſtes. Magdeburg, 
Baldenberg und Gomp. Gr. 8. TY, Nor. 


Berantwortliher Herausgeber: Heinrid Brockdans. — Druck und Verlag von F. SE. Wrodhans in Leipzig. 





u — 


Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 


EEE nn TE - 


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Sonntag, 





: Die bramatifhe- Kunſt in Stalien. 
Die Schaufpieltunft hat in Deutfchland Tine folche 
Höhe der Vervollkommnung in Vergleich mit den übri- 
gen Nationen Europas erreicht, daß wir, in biefer Schule 
erzogen, mit Recht ale urtheilendes Publicum auf bie 
Ergebniffe der anbern Länder herabbliden, und reifer an 
Erfahrung, geübter im kritiſchen Blicke, und dem erha- 
benen Ziele näher, uns erlauben dürfen an den Anbern 
das Mangelhafte zu bemerken und zu rügen, das wir 
größtentheild wenigſtens überwunden und verbefjert ha- 
ben und hoffentlich auch für die Zufunft fern zu ‚halten 
wiſſen werden. Wir waren die fpätern Lehrlinge in 
einer Kunſt, bie, als erotiiche Pflanze aus ben Regionen 
des Eübend zu uns gebracht, durch unfern Fleiß Wur- 
zei faßte und ſich allmälig dermaßen akklimatiſirte, daß 
‚ wir berechtigt finb eine Zeit zu erwarten, in der fie ale 
“einheimifh und unferm Boden angehörig vielleicht in 
jene Länder Propfreifer und Ableger liefern könnte, aus 
deren Mutterlande fie fiammte und aus bem fie zu und 
herüberfam. Noch ift Deutfchland, was feine Cultur 
betrifft, im Fortſchreiten begriffen, noch ‚verfpricht bie 
Kunft, die fo gaftfreundlih bei uns aufgenommen, fo 
tüchtige Mäcenaten fand und in Turzer Zeit in ihrer 
vollen entzücdenden Blüte prangte, noch verfpricht fie 
länger unter und zu weilen, fich inniger mit und zu ver- 
binden und zu verbrüdern und uns fo immer mehr jener 
Stufe ber Vollendung zu nähern, auf die wir zu ge- 
. Jangen durch unfere beharrlihe Pflege auch vollen An- 
fpruch haben. oo. 
Wer Deutfchlands Bühnenfoftem und feine dramati- 
ſche Wirkſamkeit allein geſehen bat, wer bie verfchieben- 
axtigen . Runftleiftungen unfers Theaterweſens beobachtet, 
aber immer nur deutſches Theater mit deutſchem Thea⸗ 
ter verglichen bat, dem fehlt am Ende der rishtige Maß⸗ 
ſtab und fein an Gebdiegenheit und Kunft gewöhntes 
Urtheil wird endlid) despatifch firenge und fodert, blos 
um dem menfchlichen Drange eines Stufenganges Gr- 
nuge zu leiften, den Superlativ da, wo es, an mehr als 
Poſitiv gewöhnt, fhon den Gomparativ fand und ſich 
ergögen möchte an der unmittelbar folgenden Stufe ber 
Vollendung. Daher bie wiederholten Klagen über ben 
Mangel. an FSortſchritten in der, dramatiſchen Kuuft 





24. Mat 1846. ° 


Deutſchlands, die wieherholten Elegien an den Gräbern 
der bingegangenen unerfehlichen Matadore ber Schau⸗ 
fpieltunft, denen dann unmittelbar die Schilderung einer 
daflifhen Darftellung lebender Kuͤnſtler, die Befchrei- 
bung des mit Recht verdienten ftürmifchen Beifalls, den 
ein Schaufpieler oder eine Schaufpielerin geerntet haben, 


vorangeht oder folge. Wir verlangen mit vollem Rechte 
nach vorwärts zu dringen, wir fühlen die Kraft dazu 
in uns, wir ehren das Andenken Jener, die in der Kunſt 
Großes - geleiftet und die Dorbilder eines kommenden 
Geſchlechts waren, wir brauchen aber darum nicht am 
unferer Zußunft zu verzweifeln und dürfen ohne eitel zu 
werden uns dennoch geftehen, baf wir viel geleiftet ha⸗ 
ben und weit vorgedrungen find, und: werben uns biefen 
Troſt, der uns ftählen und aneifern fol, dadurch am 
klarſten verfchaffen, dag mir auf Andere bliden und be- 
merken, wie viel Senen noch zu tun. überbleibt, um un⸗ 
fern gegenwärtigen Standpunkt zu erreichen. Man muß 
außer Deutſchland gewefen fein, und nachdem man eine 
Fortfegung ‚bes angenehmen Gefühls, das bie vortreff- 
liche Darftellung eines deutſchen Schaufpiel® auf une 
bervorbrachte, in ber Altern frangöfifchen Schule empfun- 
deu hat, ſich allmaͤlig in das Innere Jtaliens verlieren, 
und wenn man ben erſten wiberlichen Einbrud berühm⸗ 
ter italifher Helden und Heldinnen glüdlich überflan- 
ben hat, nad und nach hinabfleigen in bie Ziefen ber 
italifchen Komödie, eindringen in bie lichtloſen Ur⸗ 
pflanzungen ber wilden Dramas, wo das Unkraut in 
hoben, mächtigen Halmen über die kaum erfpähbaren 
eblern Pflanzen ungehindert wuchert, wo ber fruchtbare 
Boden, bedeckt von ben mannichfaltigen Erzeugniffen 
einer ergiebigen, fhöpferifchen Kraft, ohne Pflege fich 
felbft überlaffen Samen treibt und Wurzel in Wurzel 
verfehlungen früppelhaften Miswachs zu Tage fürbert: 
bort muß man geweſen fein und beobachtet haben, um 
freudig wieder zurückzukehren auf bie heimatlichen Flu⸗ 
ren Deutſchlands, mo bie regelnde Kraft der Kunſt ihre 
Hand freundlich dem ſchoöpferiſchen Geiſte der natürlichen 
Gabe bietet, wo beide in voller Harmonie einherfchreiten, 
Segen [penden und eine fehöne Zukunft prophezeien. - 
Italien ift in den legten Zeiten unferm Baterlande 
um Vieles näher gelommen, und da wir nie gefiheut 
haben offen und frei zu geflchen,, wie. viel wir jener 


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Quelle der Künfte und Wiſſenſchaften verdanken, fo dür- 
fen wir mit voller Zuverfiht erwarten, daß man unſer 
Urtheil in einem Zweige, dem wir mehr Pflege und 
Cultur geſchenkt, gern vernehmen und die Gerechtigkeit 
bed Au 6 zu würbigen voiffen werde: Unter allen 


Zernpeln, die Stalfen den. Muſen erbaute, waren bie. 


Hallen Thalia's doch die am mwenigft befuchten und das 
Hrieſterthum diefer Stätte wurde gleich bei feiner Er- 
richtung unmwürbigen Händen anvertraut. In Feiner 
Zeit gelang e8 ber dramatiſchen Kunſt in Italien dem 


Volke jene Liebe abzugewinnen, mit ber ihr bie andern 


Kationen und befonders die Deutfchen gleich bei ihrem 
hen huldigten unb fe nicht nur ihre Gedeihen er- 
wedten und ficherten, ſondern ihr als anerfanntem Lieb⸗ 
—* den Weg zur Vervollkommnung eröffneten. Es 
wäre keine leichte Aufgabe den Grund diefes räthfelhaf- 
ten Ereigniſſes zu eroͤrtern. Die mannichfaltigen Pro- 
den eines ergiebigen, vielfeitigen nafürlidhen Talents der 
Bewohner’ jener Regionen, die ausgezeichneten Leiſtun⸗ 
gen in jedem Zweige der Künfle und Biffenfchaften, 
die allbekannt umd allgemein gefchägt fi) vom Italien 
aus in bie übrigen YWänder verbreiteten, erlauben durch⸗ 
aus nicht die Urſäche dieſes einen vernachläffigten Theils 
der Ateratur duch Mangel an Fähigkeit zu erklären, 
und die von Unfterblichkeit umſtrahlten Namen eines 
Alfieri, Metaftafio, Monti, Silvio Pellico w. X. wären 
die treffendften Beweiſe gegen eine ähnliche ungegründete 
Beſchuldigung. Aber jene Höhe, welche die dramatiſche 
Literatur Italiens durch die Producte jener Großen 
erreicht hat, an deren Spige immer der Torberumfrönte 
Mfieri prangt, war benmoch einfeitig und manierirt, und 
jene Matadore der Wiffenfchaft ftellten ohne es zu 
wollen ihren Profelyten das hohe Biel mit allen feinen 
ebrechen als unveränderlich feft und wurden eben ba- 
durch die Urheber eines ganz auf ihre Art der bildlichen 
Darſtellung beſchraͤnkten Urtheils, das, nachdem es Tange 
Arre geführte hatte, endlich doch untergehen mußte. Der 
Cnthufiodmus, den Alfieri durch feine ſcharf ſchattirten 
Eharakterbilder erregt hatte, wurde das Ziel des Stre- 
bens —* Nachfolger und Jünger in der Kunſt, und 
biefe folgten blind dem Gleiſe feines Triumphwagens, 
whne daß ihrem Eifer die Weränderung der Zeiten und 
"init Ihnen das Bebürfniß einer Veränderung des Künft- 
"Terziels Bar geworden wäre. Die Epoche war bereits 
‚eingetreten, in der man, obgleich noch von Begeiſterung 
für Alfieri's Werke Hingeriffen, fich dennoch nach mehr 
Natürlichkeit fehnte, im Theater durch eine einfach wahre 
Darſtellung vergeffen wollte im Theater zu fein, und fich 
bie Bemerkung erlaubte, daß jene Geſtalten, die Alfieri's 
poetiſches Talent auf die Bühne zattberte, mie in ber 
Wirklichkeit beftanden, nie fo gefprochen, ſo gehandelt 
Haben können, daß fein Meifterpinfel eine Belt bizarrer 
Ideale und nicht 
dürfniß der Menge, das ſich inimer deutlicher ausſprach, 
‘zu befriedigen, fehritten Golboni's Eharakterbilder und 
Scenen’ aus dem Volksleben über die Breter, und wa⸗ 
"sen, obwol man die alten’ Hefden nicht‘ vergeffen' hatte, 


ortraite gemalt habe. Dieſes Be⸗ 


moi, 


body gern gefehen unb mit latıten Zeichen bes Vorzugs 
und Beifall anerfannt. Mit Goldeni hatte die drama- 
tifche Kunſt in Italien ihren entfcheidenden Wendepunkt 
erreicht, und wenn es jenem einflußreichen Geifte ge- 
fungen wäre, bas Bolt, dag er au In wußte, vhm 
weitere Anfechtung feiner neddiſchen Nebenbuhler in ſei⸗ 
ner gediegenen Schule zu erziehen, fo hätte Italien ger 
wig in kurzer Zeit das Derlorene nachgeholt, das 
Mangelhafte zum Claſſiſchen emporgefchwungen und wäre 
ohne Zweifel allen Jenen Meifter geworden und voran- 
geeilt, in deren Schule es jegt Noch Lehrling ifl. 
Venedig, die alte felbftändige Dogenftadt, wo unter 
bem Schutze des Flügeitäwen fo manche Agide 
Venedig war auch in biefer Epoche der Sammelplag ber 
entfeheidenden neugeborenen Kräfte, bie, obwol fie leider 
erft in der Abendröthe des ruhmvollen Seins ber Re- 
publik aufloderten, dennoch ein bleibendes Licht verbrei- 
teten, beffen Glanz, wenngleich getrübt, fortſchimmerte 
duch die fomimenden Zeiten und die Morgendaͤmmerung 
eines jungen Tages wurde, beffen Strahlen ſich mild 
und freundlich über jenes Land ergoffen, deffen Hori⸗ 
zonte er glorteich entfliegen war. Venedig fah gleich 
zeitig Goldoni, Chiari und Gozzi, die theil® durch ihre 
gegenfeitige Polemik die Aufmerkfamteit bes’ Publicums 
auf fh zogen, deren manntihfaltigem Einwirken auf 
ben Gefchmad bes Volks die bramatifhe Mufe ihre 
Einfegung und feierliche Weihe verdankte. In Turin 
wurde um dieſe Zeit die erfte ftchende Schauſpieler⸗ 
truppe errichtet und befolbet, ‘in Parma fchrich man 
Prämien für gelungene dramatiſche Arbeiten aus, und 
die Albergati in Bologna riefen fo manches Wuͤrdige 
Ins Leben, das ſich noch lange nad) jener anrea aetas 
bes Dramas erhalten hat. Aber eben dieſes pläglicdye 
Steigen, diefer unerwartete Enthufiasmus, ber, durch 
Goldoni vorzüglich angeregt, ſich fo fehnell entwickelte, 
könnte von keiner Dauer fein. Die in Fülle abwech⸗ 
felnden Leiftungen wirkten durch ben Heiz ber Neuheit 
auf das Publicum und die Luft an ſteter Überrafhung 
hatte bald bie Oberhand gewonnen über die WWBerth- 
ſchäzung des Gediegenen. Die Autoren, Gozzi um 
Chiari, verführt von biefer Quelle des Beifalls ver- 
ſchwendeten ihre productive Kraft auf Bühnenerfindıim- 
gen und abmechfelnde UÜberrafchungen (sorprese teatrali, 
wie fie paffend die Kritiker jener Zeit nennen), fadhten 
ihre gegenfeitigen Triumphe in der mehr oder weniger 
zuſtroͤmenden Menge, und die Theaterelenche jener Tpoche 
zeigen nicht ſelten drei nene Stücke an bemſelben Abende 
m den verſchiedenen Theatern der Dogenſtadt. Dieſe 
Kunft, das Publicum duch Abwechfekung zu feifeln, 
verſtand Golboni allein, ohne fich je wie Gozzi und 
Chiari, die es aus Nebenbuhlerſchaft thaten, zum ſinn⸗ 
en —— zu laſſen. Aber lange konnte 
e productive Kraft mit ihren Ergebniſſen - wit 
in den aͤſthetiſchen Grenzen der vein —— 
behaupten. Schon ſing man an bie Muſik und den 
Tanz in die dramatiſchen Borflellungen zu mengen, er⸗ 
:fepte den Manselian Intereffanter Hatibfang durch glan 





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575 


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ya Diecasagionen, verſchrieb Tänzerinnen und Baufler 
aus Frankreich, um jo den Händen und Füßen Das zu 
überloffen, was die Köpfe dem Publicum zu bieten 
wicht nchr im Stande. waren. Da kamen endlich bie 
Barobien und Satiren an die Tagetordnung, bie, durch 
Die allexrdings geiſtreiche Akademie der Graneleschi ange- 
regt, anfangs durch ihren beißenden Wig bei dem Volke 
viel Anklang fanden; Gozzi verwendete feinen natürli- 
hen Sarcasmus auf Zauberpoffen und Feenmaͤrchen, in 
henen er mit Beifall gegen Goidoni auftrat und die in 
Vesfoll gerathene Commedia del’ arte zu verfechten fuchte. 
Seine „Tartana”, eine Zeitfhrift, welde im I. 1757 
ssichien , ſchoß giftige Pfeile auf Goldoni, den Stamm⸗ 
halter eines neuen dramatifchen Geſchlechts, und machte 
ſich nicht Telten auf beleidigende Art über bie nen 
Kompofittonen kuftig. So Heift es am einer Stelle z. B. 
Acht alte Komödien holt er herbei, 
Die flidt er zufammen und nennt fie dann neu, 


während Chiari’s Menelaus in „Trojas Ende” ausruft: 


D unvergleichlich Weib, du edle Heldenſeele, 

Die ich die meine nenn’ und mir zur Braut erwähle, 

Did fol wenn Zroja flürzt ermordet ich erſchau'n? 

Dann taff’ ih dir zur Ehr' ein neues Troja bau'n. 

Und alles Dies fand Beifall und füllte die Kaffen der 
Theaterdirectoren, benen am Ende trog der traurigen 
Folgen, die Golboni vorherfah, damals fo wenig daran 
lag das Volk zu erziehen und zu bilden als ihnen nod) 
beutzutage dieſer Gedanke ſchlafloſe Nächte verurfacht. 
Merkwürdig und wahrhaft groß bleibe in jener Cpoche 
Goldoni, der (1761) dem Rufe nach Parts gefolgt und 
‘dort mit ungetheiltem Beifalle aufgenemmen worden 
war. Er fchrieb dort unangefochten und ruhiger als in 
feinem Baterlande einige Luftipiele in franzöfifcher Sprache, 
die, wie er felbft äußerte, fich einer unverdienten Auf- 
nahme zu erfreuen hatten, während er und feine Werke 
auch in feiner Abmwefenheit bie Zieljiheibe des Witzes 
feiner Gegner waren. Über: 

Es ift nun das Geſchick der Großen hier auf Erden, . 

Erft wenn fie nicht mehr find von und erkannt zu werben. 
und fo pflanzte er unverdroſſen das Samenkorn in die 
Muttererde, die es aufnahm und früh oder fpät doch 
bie Frucht zu Tage fördern mußte, mit deren er- 
ſtem Keime zugleich das Korberreis ihres unfterblichen 
Pflanzers emposfproßte. Auch jene Melle bewegter Zeit 


ſchwaud endlich „ beinahe gleichzeitig mit der Kraft des 


alten Dogenföwen, der diefem unnatürlichen Zxeiben kurz 
vor feinem Entfehlummern zngefehen hatte; Gbiari und 
Gozzi traten ab von der Bühne des Lebens (1785) und 


auch Boldini ſchied (1793), nachdem er als ſechsund⸗ 


adhtzigiähriger Greis wieder in fein Vaterland zurückge⸗ 
Behyet umd bei feinem Abſchiede aus dem Leben mit fei- 
nen Zeitgenoffen gänzlich verföhnt war. Bald unb 


ſpurlos verſchwand im Molke das Andenken Jener, die 


einft mit fo vielem Beifolle gegen ihn aufgetreten wa⸗ 
zen, und er ber Rieſe unter den Pygmaͤen fland einzig 
und allein da wie ein Regenbogen über dem Wolken⸗ 
himmel ftreitender Kräfte, in dem ſich die Strahlen fei- 


nes ‚leuchtenden ‚Genius in taufendfarbigen Perlen ſpie 
gelten. Während feine Nebenbuhler und Neider in die 
Nacht ber Vergeſſenheit gefunten waren, ſtrahlte fein 
Nimbus ald Leuchtturm für bie Tühnen Schiffer, die 
nad ihm es wagen würden, jenes Meer zu durchfegeln, 
deffen Stürme er fiegreich bekämpft und beflen fernes 
Geſtade er glüdlich erreicht hatte. Und wirklich, zählte 
er nicht wenig Proselyten; aber, den Mücken ähnlich, die 
fi im Lichtfirahle baden, ſchwaͤrmten feine Nahahmer 
und fonnten fi an den Strahlen des erhabenen Zieles, das 
fie vor. Augen haften, das fie aber trog ihrer ſummen⸗ 
ben Slügelichläge zu erreichen nicht im Stande waren. 
Da gelang e6 endlich nad) zahlreichen misglücten Ver— 
ſuchen Einem unter den Vielen aus den labyrinthifchen 
Bängen, in denen man herumgeirrt war, den Ariadne—⸗ 
Faden ber richtigen Tendenz zu erhafchen und von ihm 
geleitet dem bisher noch fernen Ausgange nahe zu 
fommen. J 

Camillo Federici, zu Gareſſio im Piemonteſiſchen ge- 
boren, verließ in feiner Jugend das väterliche Haus und 
ging auf dad Theater, zu dem er fi von einem unmi« 
derfichlihem Drange gezogen fühlte. Schon feine erften 
Jugendarbeiten, die er ald Schaufpieler für die Truppe 
ſchrieb, in der er fpielte, beurfunden den Maren drama- 
tiſchen Blick, den fharfen Obfervationsgeift, die es ihm 
allein möglich machen konnten, fein hohes Vorbild Gol⸗ 
boni zu erreichen. Sein Familienname Viaſſolo wurde 
won ihm felbft in Camillo Federici verändert und zwar 


auf Veranlaffung feines mit vielem Beifalle aufgenom- . 


menen Dramas „Camillo e Federico ”, welches das 
Yublicum bemog, den bamald noch unbefannten Autor 
nah feinem Stufe zu nennen. In der Schuje des be 
rühmten Triveri zu Turin bildete er feine nafürlichen 
Anlagen vollends aus und ftelte das Ziel feines Lebens 
unabänderlih auf die Bühne, die feinem Fleiße und 


feinem Talente fo viel des Tüchtigen zu verdanken hat. 
Ohne feine glühende Phantafie je an politifche Unter 


nehmungen zu verfchmwenden, blieb er auch in den flür- 
miſchen Zeiten ber franzöfifhen Revolution feiner Kunft 
eu, und mit ihr allein befchäftige Tebte er nach Um⸗ 
fländen bald in ber einen bald in ber andern Schau- 
fpielergefellfchaft und ſchenkte feine Geifteskräfte der ihm 


‚fo werth gewordenen dramatifhen Mufe, ohne dem 


Schwindel fanatifcher Freibeitsillufion zu unterliegen, 
der fo manchen feiner würdigen Zeitgenoffen in den un- 
widerftehlichen Wirbel forteif und dem Untergange ent⸗ 
gegenkreifelte. In kurzer Zeit wurde er durch feine Lei- 
ftungen der Liebling des Publicums. Schon hatte das 
mals in Italien der Schwarm franzöftfcher LÜberfegungen 
fi allmälig eingefchtichen, und geſchwürartig griff biefe 
Seuche immer mehr um fi, wenn Federiti duch feine 
Lebensbilder nicht wieder ben Geſchmack für Original« 
luſtſpiele hervorzurufen im Stande geweien wäre. Die 
noch lebenden Freunde des großen Goldoni erfannten in 
ihm den edeln Sproͤßling jenes Geſchlechts und unter 
ftugten ihn in feinem ehrenvollen Unternehmen: den let⸗ 


ten Funken aͤſthetiſchen Urtheils aus der Aſche des ver⸗ 


Ka —_ — — A... [u — 


376 


dorbenen Geſchmacks zu retten und anzufachen zu neuer 
Lebensflamme. Wie Daſen in der Wuͤſte glänzten bie 
Erzeugniffe Federici's auf den italienifchen Bühnen und 
das in der Epoche der Unfruchtbarkeit und Dürre 
ſchmachtende Publicum labte ſich wieder in Tangen er- 
uidenden Zügen an dem reichen, Maren, natürlichen 
Bom feiner Kunfl. Seine „Falsi galantuomini”, „1 
capello parlante”, „L’avviso ai mariti”, „Ujusione e ve- 
rita”, „La bugia”, „La sposa di provincia”, „Il ınedico”, 
„1 collo torto” wedten durch ihren ftärmifchen Beifall das 
fhlummernde Talent fo mandjer andern begabten Büh- 
nenkünſtler, feinem Beifpiele, das zur faßlihen Schule 
herangediehen war, zu folgen. Greppi, Billi Avelloni, 
Albergati und fpater de Roſſi, Giraud und Sograffi 
bildeten fih alle in feiner Schule und laffen in ihren 
fämmtlichen Leiftungen das Vorbild nicht verfennen, das 
ihnen vor der Seele ſchwebte und das fie zu erreichen 
firebten. Federici fehrieb in Allem über 70 Probuctio- 
nen, von denen nur wenige dem tragifchen Fache ange- 
hören, und fein ergiebiges Talent würde ficher noch 
mehr geliefert Haben, wenn er nicht bereits 1802 einem 
Bruftübel unterlegen wäre, das ſich feit mehren Jahren 
fhon auf bindernde Weife fühlbar gemacht hatte. Er 
ftarb in Padua, wo er die legte Zeit feines thatenrei- 
hen Lebens zugebracht hatte, beweint von feinen Ange- 
‚börigen, bie in ihm einen gemüthlichen liebevollen Der: 
wandten verloren, betrauert von der Goldoni’fhen Mufe, 
die ihm ihre Wiedergeburt verdankt. Seine fterbliche 
‚Hülle wurde in ber Kathedrale von Padua eingefegnet 
und bafelbft am Friedhofe zur Erbe beflattet. Kein 
Monument, Peine Infchrift bezeichnet den Ort, wo ber 
Körper jenes Mannes ruht, dem Italiens dramatifche 
Kunſt die neue dauernde Wendung verbankte, der fei- 
nem Baterlande fo manche angenehme, lehrreiche Stunde 
verfchafft hatte, der die geiftige Brücke war, beren küh—⸗ 
ner Bogen ſich von Goldoni über den Abgrund verdor- 
benen Geſchmacks bis auf die neue Schule wölbt. Den 
einzigen Beweis von Anerkennung in bleibenden Zeichen 
" erlebte er wenige Jahre vor feinem Enbe dur Über: 
fendung einer Dentmünze, die, ihm zu Ehren in Pie— 
mont geprägt, auf einer Seite das Bruftbild Alfieri's, 
“auf der andern fein eigenes trug, und bie den befcheibe- 
"nen Mann auch herzlich freute, fo fonderbar und un» 
paſſend er auch bie Zufamntenftellung ber beiden Bild⸗ 
niffe finden mochte, 

Durch Xeberici, als Nachfolger Goldoni's, war ber 
Weg gebahnt, und die edlere bramatifche Kunft, die nun 
fräftigern Fuß gefaßt hatte, fchritt bedaͤchtig vorwärts, 
ohne übrigens wieder das hohe Ziel gänzlih aus dem 
Auge zu verlieren. Zuweilen noch tauchte aus ber 
Menge ein Proſelyt Alfieri's auf und Monti's „Aristo- 
demo” und „Caja Gracco‘ *) fammelten noch einmal die 
alten Yarteigänger um fi, aber ihr Applaus verhalfte 


) In neterer Bett „Medea”, vom Duca di Bentignano, „La 
Pie de’ Tolomet’‘, vom Duca di Warenco, u. f. w., die noch heute 
‚Ve Slanzrollen ber Schauſpieler aus der alten Schule find. 


— — — — — — — nennen 


wie das Echo laͤngſtverklungener Töne. Die naticclche 

Darſtellung behielt durch ihten gemüthlichen Reiz die 

Oberhand, und ber lange, ſegensr Friede, der nach 

der blutigen Schlachtepoche feinen Olzweig über Surs- 

pas Huren fhwang, begünftigte and in Italien die 

Fortfchritte in einer bisher mur eimfeitig gepflegten Kun. 
(Der Wefctuß folgt.) 


Einige Blätter der Erinnerung. Gefammelt und her⸗ 
ausgegeben aus dem Nachlaß des Major Friedrich 
von Luck. Berlin, 8. Dunder. 1845. 8. 15 Ngr. 


Die in diefem kleinen Buche enthaltenen Gedichte find ei: 
ner umfangreichen Sammlung entnommen, die der Verf. feinen 
Erben zur Verfügung binterlaffen dat. Die Herausgeber fa- 
gen, daB fie, in Rückſicht auf die Eigenthuͤmlichkeit diefer 
Verſe, weiche in Form und Gtoff großentheild vergangenen Zu⸗ 
ftänden angehören, nur eine Bleine Anzahl berausgeboben ba: 
ben. Aus der Biographie lernen wir $. v. Luck als eine durch⸗ 
aus achtungswerthe und Liebenswürdige Perfönlichkeit kennen. 
Sein Leben war nit bios von großer Dauer, fondern auch 
duch Verbindung mit edein Geiftern inhaltsvoll; F. v. Lud 
war befreundet mit Adam Müller, A. W. Schlegel, Fouqué, 
Chamiſſo und oft in Goethe's Geſellſchaft. In den unglüd: 


‚lichften Jahren Preußens ſprach fi feine Baterlandsliebe umd 


Unterthbanentreue — fo nennt e8 fein Biograph — am lebbafteften 
in Gedichten an die Königin Luife, an die Yrinzfin Wil⸗ 
beim und an die Fürftin Glife v. Radziwill aus. Die Her⸗ 
audgeber wollen, und das ift fehr recht, Kir ihren Freund nicht 
den Lorber des Dichterd erftreiten s fondern fie beabfidhtigen 
nur den Freunden, In deren Beſitz Luc fein beftes Stück fand, 
ein willtommenes Andenken zu geben. Diefe Abficht ift zu 
ehren und gewiß erreicht; auch die Hoffnung und der 

wird fich erfüllen, wel die Vorrede ausfpricht, nämlich Def 
durch die Lefung diefer Blätter dem Verf. bier und dort auf 
eines fremden Leſerb Wohlwollen gefihert wirb. 25. 





Literariſche Anzeige. 


In meinem Berlage erfſchien ſoeben und iſt in allen Buchhand⸗ 
lungen zu erhalten: 


Jeſebuch für Volkoſchulen 
und die untern Claſſen der Gymnaſien und Real- 


ſchulen. 


guſammengeſtellt von 


U. Wilde. 
.8 Geh. 


Eine reiche Auswahl des Vortrefflichſten aus den Werken der 
beliebteſten Jugendſchriftſteller, bibliſche Gefchichten, Fabein, 
Maͤrchen, Erzaͤhlungen, Beſchreibungen aus der Länder» und 
Voͤlkerkunde, Parabeln, Idyllen, poetiſche Erzählungen, Legen⸗ 
den, Lehrauffüge, Briefe und Eipricgwörter, bilden den Inhalt 
dieſes Leſebuchs. Scherz und Ernft find bier nebeneinander ge 
ſtellt, und wie dafjelbe durch feinen lehrreichen und unterhal⸗ 
tenden Inhalt den Kindern für ihre ganze ſpätere Lebenszeit 
Gold darbietet, fo ift e8 auch von Lehren zu orthographiſchen, 
grammatifalifchen und declamatoriſchen Übungen fowie zum %b- 
fihreiben und Macherzählen anzuwenden. . 


ben aufßerorbentli Drei 
be en Sensmitden Deut) wi een [de 
n 


ulen bedeutend erleichtert werden. 
Eeivpzis, im Mai 1846. 


PA. Brockhaus. 





Berantwortlicher Herandgeber: GBeinrich Wrodtans. — Drud und Berlag von F. ME. Brockbaus In Leipzig. 


x 


et © — 


Blätter 
für 





Montag, 











(Beſchluß aus Nr. 144.) 


Betrachten wir alfo nach diefem flüchtigen Blicke, ben 
wir der Vergangenheit gefchenkt haben, Italiens gegen- 
wärtigen Zufland was Die Dramatifche Kunſt betrifft, uud 
wir werben deutlich ertennen, daß in Bezug auf thea- 
sealifche Darftellung täglich langſame aber unverfennbare 
Hortfchritte gethan werden, und daß befonders was Schau⸗ 
fpieftunft betrifft Italien in der Iegten Zeit Individuen 
aufzuweifen hat, wie es fie früher nie befaß. Noch gibt 
es bin und wieber Unkraut auszurotten, das neben den 
edeln Pflanzungen gleichſam unzerſtörbar fortgedeiht und 
als ein Andenken an die erſte Kindheit der Kunſt ſich 
erhalten zu wollen ſcheint; aber der Segen der neuen 
Frucht, die ihre Wurzeln immer tiefer ſchlägt und ihre 
Halme immer mächtiger emporhebt und verbreitet, fol 
- Hoffentlich immer fiegreicher über den Miswachs werden 
and, bethaut von der ſtets zunehmenden Liebe des Volks 
an ihrem Gedeihen, bie legte Lebenskraft des fchädlichen 
Einfluffes zerftören. 

Als Buͤhnendichter der Gegenwart, deren Probucti- 
vieät und Bühnenkenntniß das Publicum anziehen und 
den guten Geſchmack an ber Komödie immer mehr aus- 
bilden, find Nota und Bon die Beiden, denen in der 
Zahl fo mancher Anderer die erſten Pläge eingeräumt 
merden müffen. Nota's Productivität ift — groß⸗ 
artig, und obwol ſchon vorgerückt in Jahren, erhält ſich 
fein Talent noch kraftvoll und ergiebig. Bon, ber in 
frühern Zeiten als Schaufpieler und Bühnendichter zu- 
gleich wirkte, hat fi feit einigen Jahren zurückgezogen 
und die Leitung einer Schaufpielerfhule in Mailand 
übernommen, welches Amt er aber aus Mangel an Un- 
terflügung wieder niederlegt, um fein leichteres Fort⸗ 
Zommen durch fein eigenes Spiel zu füuchen, welchem 
Biederauftreten ganz Stalien mit Freuden entgegenfieht. 
Unter feinen 52 beliebten und gelungenen Luftfpielen 
und Charaktergemälden, bie alle ausgefprochen den Ty— 
‚pus Goldoni'ſcher Schule an ſich Haben, find fein „Cosi 
faceva mio padre”’ und „Ludro e Ludretto ” .bie 
vorzüglichſten Erzeugniffe, bie.allein hinreichen würden, 
am ihm einen bleibenden Namen bei ber Nachwelt zu 

Aber eben durch ben Umstand, daß er Bin. 


Die bramatifche Kunft in Italien. | 


25. Mai 1846; 


zugsweiſe vor den Anbern das Bedürfniß einer brama- 
ti 


ſchen Schule, und wenn die Ausführung dieſes edeln 
Planes ihm als Erſtem auch nicht gelang, fo haben bie 
Jahre feines Verfuches doch ſchon viele taugliche Indi- 
viduen für das italienifche Theater geliefert und fomit 
den Nugen dieſes Unternehmens bewiefen. Minder 
gunftig ſtellt fich feit dem Berfchallen der bonnernden 
Mufe Alfieri's bie Cultur der Tragödie. Jene unna- 
türlihen Ausgeburten einer glühenden Phantaſie abge 
rechnet, hat Italien keine Tragödie. Manzoni’s „Adelchi‘ 
und „Carmagnola‘, die durdy Goethe's Beurtheilung fo 
allbefannt in Deutfchland find und bie Tprechende Be⸗ 
mweife von der Selbfländigfeit des großen Hymnendichters 
liefern, fanden aus Mangel an Schaufpielern, die fi 


der Aufgabe gewachſen gefühlt hätten, nie eine würbdige 


Dorftellung und blieben dem Lefepublicum und feinem 
reifern Urtheile überlaffen. 0 

Maffei's Überfegungen der Schiller'ſchen Stüde hin⸗ 
gegen, obwol auch zuweilen auf die Bühne gezerrt, reiz⸗ 
ten durch die blühende Sprache und kühnen Bilder, bie 
ber. vortreffliche Lüberfeger in ihrer ganzen Größe mei- 
fterhaft glänzen zu laffen wußte, wurden aber immer zu 
lang gefunden und blieben trog ber claflifchen Meta- 
morphofe Maffei's zu fehr original und deutſch, um jetzt 
fhon ihren verdienten Beifall zu ernten; für fie wird 
aber auch in Stalien gewiß die Epoche der Anerkennung 
und Würdigung fommen, wie es ſchon die ‚gegenwärtige 
Aufnahme unbezmeifelt hoffen läßt. 

Was nun endlih die Darftellung und Die eigent- 
liche Schaufpieltunft betrifft, fo wird Italiens Fortſchritt 
in derſelben immer gefeffelt fein, fo lange es nicht fie- 
hende Theater mit befoldeten Schanfpielern bat, die ohne 
von'einer Stadt zur andern zu reifen unveränderlich in 
einem und deinfelben Orte bleiben. Auf biefe Art allein - 
tonnen fih wahre Künftler bilden und das Publicum 
wird eben dadurch, daß es bes einfeitigen Spieles ber 
Individuen allmälig müde wird, der flrengese Richter 
und die Schule des Schaufpielers. Wenn, mie es bis⸗ 
her noch in ganz Stalien der Gebrauch iſt, eine Schau- 
fpielertruppe fich nur durch einige Wochen in einer Stadt 
aufhält, dort eine gewiſſe Anzahl Städe gibt. und wie 
der weiter zieht, jo iſt es eine leichte Aufgabe, das 
Publicum zu befriedigen und Applaus zu ernten, da 


verſch Durg 9” | Publicu J 
nendichter und Schauſpieler zugleich war, fühlte er vor⸗ die wenige Abwechſelung in den Rollen durxchaus nicht 





578 


geflattet, die vorzüglichfle Eigenfchaft des Schaufpielers, 
feine DVielfeitigkeit zu beurtheilen, während der Mangel 
dieſer Eigenfhaft bei einer flehenden Truppe bald an 
das Licht tritt und den Flitterglanz des eitlen Künftler- 
rubmes gaͤnzlich zerflört. Andererfeits iſt durch dieſes 
Nomadenſyſtem den Schauſpielern die Gelegenheit ge- 
nommen, andere größere Männer ihres Faches fchen 
und von ihnen lernen zu koͤnnen, da fich nie zwei gute 
Geſellſchaften gleichzeitig in bderfelben Stadt bliden laf- 
fen. @egenmwärtig befleht in gan; Stalien nur die Dra- 
matica Compagnia Alberti in Neapel, die feine ſolchen 
Wanderungen unternimmt und baher vielleicht auch zu 
den beften gehört. Karl Albert von Sarbinien befoldet 
die Compagnia Righetti jährlih mit 30,000 France, 
die übrigens die Erlaubniß hat ſechs Monate des Fahre 
zu reifen. Sie gehört ebenfalls zu den beften und zählt 
unter ihren Gliedern die berühmte Robotti, Primadonna, 
und den braven Gattinelli jan. Die übrigen Schau: 
fpielertruppen ändern mit ihren Inbivibuen auch ihre 
Namen, woburd auch noch der Nachtheil entfteht, 
dag man nie weiß, was man von ihr zu erwarten habe, 
da fie von einem Erfcheinen zum andern oft alle ihre 
brauchbaren Sndividuen verloren und, da der Director 
ſich erhalten, doch ihren Namen nicht verändert hat. 
Die beffern unter ihnen forgen mit Eifer ihre‘ Schau- 
fpieler in der neuen vom Publicum fo beifällig aufge⸗ 
nommenen dramatifchen Schule. zu bilden und mo mög» 
ih ganz die veraltete, höchſt drollige Declamation und 
Schreierei zu vertilgen, die eben in biefen neugefchulten 
Truppen oft höchft fonderbar zugleich mit der neuen auf 
bie Breter kommt und fo als Zufammenftellung ber Ge- 

enwart und Vergangenheit häufig nicht ohne Intereffe für 
&enen ift, der fih zurüdzaubern will in die Zeit der 
milden Jugend der Kunft, um ihre Hortfchritte in der 
Gegenwart deutlicher zu bemeffen. Gin UÜberbleibfel aus 
jener (der Mufe fei es gedankt) allmälig untergehenden 
Epoche ift noch die Art, mit ber die untergeorbneten 
Geſellſchaften moderne Stüde in Scene fegen und 
wie denn eine Kleinigkeit oft charakteriftifch werden kann, 
ihre Schwäche zum Beifpiel in den Anfchlagzetteln blof- 
geben. So murden im Herbfte des vergangenen Jahre, 
fage 1845, im Venedig, der von Goldoni und Federici 
geſchulten Stadt, von einer gewiffen Gefellfhaft Gandini 
und Prosperi die „Burggrafen” von Victor Hugo, in 
das Stalienifche überfegt, als Sonntagsftüd benugt und 
ihre Darftellung mit folgenden Worten, bie ich treu 
überfege, angelündigt: 

Sonntag wird die Compagnie ein 
Bühne bearbeitetes Drama von dem berühmten Bictor Hugo 
vorzuftellen bie Ehre haben, welches Alles darbietet, was nur 
intereffant, myſtiſch und phantaſtiſch genannt werden kann. 
Es ruft uns bie längft vergangenen Seiten und bie alten it: 
‚ten Germaniens wieder ins Gedächtnis und fpielt in der Epoche 
Friedrich's I., genannt Barbaroffa. Auch Die Perfonen, die darin 
vorkommen, ſprechen von vergangenen Beiten, benn wie der 
Zettel weiter unten zeigt find fie alle Greife. Diefes Drama 
in drei Abtheilungen führt den Titel: 

. .. Die Qurggeafen. Erſter Theil: Der Ahn von hundert 
Jahren. Bweiter Theil: Der Bettler. Dritter Sheil: Die 


anz neues für dieſe 


unbefannte Höhle und bas verfäleierte Weib oder: Hiob ber 
alte Zitane vom Rhein, oder: Wriedri der Große aus dem 
Grabe erflanden, oder: Die corficanifhe Sklavin, duͤrſtend 
nach Rache in der ſchreckenvolle Höhle des Brudermordes. 

Ex ungue leonem! Kann ſolch ein Theaterzettel 
nicht als Barometer betrachtet werden, um bie Tiefe zu 
meffen, in die man binabfleigt, wenn man einer fo an« 
gefündigten Aufführung beimohnt? Arme Kunft, bie 
noch mit ähnlichen UÜberbleibjeln zu fämpfen hat und fene 
Nuinen erft dem Boden gleich machen muß, bevor fie 
an tüchtige neue Bauten denken darf; und armer Victor 
Hugo, über den es im „Charivari” hieß: 

ugo lorgnant les voutes bleues 
Au Seigneur demande tout bas: 
Pourquoi les astres ont des quexes 

Quand les Burgraves n’en ont pas? 

Er hat es ſich wol nie träumen laffen, daß ihnen eine 
folche queue zu Theil voerden follte. 

Um fo mehr find aber unter folchen Umfländen jeme 
beharrlihen Männer zu bewundern, die Kraft ge 
nug befigen, frei von den Überreften alter Vorurtheile 
ihren Weg zu verfolgen, denen es gelang, in einem und 
demfelben wahren Geiſte dee Kunft zu wirken und als 
Lehrer in bderfelben Schulen zu errichten, aus denen 
täglich neue, hoffnungsvolle Schaufpieler hervorgehen. 

So fchled Beftri vor wenigen Jahren, nachdem er 
fih nicht nur felbft ganz der neuen Schule zugewendet 
und bei feinem großen, vielfeitigen Talente zugleich im 
ihr geglänzt, fondern auch viele wadere Männer in 
feiner . Schule gebildet hatte; fo erfreuen gegenwärtig 
noch durch ihre ausgezeichneten Leiftungen Zenoni und 
Taddei in Charafterrollen, die noch junge aber in der 
Kunft ſchon vorgerüdte Niftori für das Hochtragiſche 
und‘ ihr würdig zur Seite Signora Robotti; aber an 
der Spige bes italifhen Dramas, durch feine eigenen 
Leiftungen ſowol als durch den erfolgreichen Einfluß auf 
die bildende Schule, fteht ohme Zweifel Guſtav Modena, 
der einzige eigentlich dramatifch gebildete Bühnenkünſtlet 
Italiens, der durch die trefflichen Individuen, die er 
herangebildet hat, für die darftellende Kunft Das zu wer 
den verfpricht, was Goldoni für die fchriftftellerifche war, 
der Wendepunkt, von: bem das Licht auf die nachkom⸗ 
mende Generation ftrahlen fol. Sein langer Aufent- 
halt in Frankreich, England und ber Schweiz haben 
ihm, feine natürlichen Gaben abgerechnet, einen freieen 
und ſchärfern Blick zu verfhaffen gewußt, um bie Feb- 
ler und Mängel feiner vaterlänbifchen dramatifhen Li⸗ 
teratur und Darftelung auf eine Art zu beurtheilen 
und zu verbeffern, wie es vor ihm noch feinem feiner 
Kunftgenoffen geftattet war. Er führte, der Erſte, 
Shakſpeare's und Schiller’! Werke in gelungenen Pro⸗ 
ductionen dem Publicum feines Waterlandes vor, und 
machte es empfänglich für jene ihnen frembdartigen und 
bisher unbefannten Schönheiten der Dramaturgie. Tüch⸗ 
tig in Anſtandsrollen, ausgezeichnet unb tief in Dar- 
ftellung von Charakteren ift er endlich einer ber Weni- 
gen, dem es durch fein natürliches Spiel gelingt, dem 
Schauſpieler vergeffen zu machen. Sein Ziel ift nice 








: war, weiß Meidete und foldhergeftalt die Beſatzun 


5 


die augenblidtihe Wirkung, fondern eine Darfiellung 
mit kritiſchem und Afthetifchem Sinn und feine für Ita- 
lien ungewöhnliche Genauigkeit im Goftume ift ebenfalls 


ein Beweis von. der fo klar ausgefprochenen Tendenz, 
ein einförmiges, claffifches Ganze zu bilden, dort, wo 


man bisher nur einzelne Bruchflüde zu fehen gemohnt 
war. Mit ihm ſchließen die Kortfchritte in der drama- 
tifchen Kunft Staliens in unferer Zeit, er muß als Grenz- 


flein zwifchen der Vergangenheit und Zukunft betrachtet 


werben, und wenn fein edles, lobenswerthes Streben 
nicht wieder aus Mangel an Unterfikgung unterliegen 
und die Fackel feines Genius aus Mangel an Nahrung 
erlöfchen follte, fo bat Italien volles Recht, von ihm ben 
entfcheibenden Impuls zu erwarten, der es in biefem 
vernachläffigten Zmeige ber Kunft heben und den übri- 
gen Nationen gleichftellen kann. ' 
Beinrich von Eittrow. 





Die Familie Clifford in England. 


Die „feſten“ Lords Clifford, deren bunte Erlebniſſe eine 
hervorragende Stelle in der engliſchen Geſchichte einnehmen, 
ſtammten von den Herzogen der Normandie und nannken ſich 
nach ihrer Burg in der Grafſchaft Hereford. Ihre fruͤheſte 
romantiſche Beruͤhmtheit ruht auf der Sage von der ſchoͤnen 
Roſamunde, ältefter Tochter Roger's von Clifford, des Erften 
dieſer Familie, der durch Ererbung der Ländereien und des 
Schloſſes Brougham unweit Penrith in Cumberland auch im 
Norden maͤchtig wurde. Er vergrößerte das Schloß und ließ 


‚über den innern Thorweg die noch heute lesbare doppelfinnige 


Inſchrift fegen: „Dies machte Roger.’ Gr fiel in den Krie 
gen mit Wales. Sein Sohn und Nachfolger, Robert, heißt 
wegen feines hohen Wuchſes und Priegerifchen Deldengeiftes 
der größte Mann der Familie Cr war einer der Vormuͤn⸗ 
der Eduard’ Ill., der ihn zum Großadmiral ernannte. Auch 
foht er in Eduard's Kämpfen gegen Schottland und wurde 
dafür mit eingezogenen Gütern der Marwell und Douglas be: 
lohnt. Doc trug ihm das Seinen Segen. Er wurde ben 24. 
Zuni 1314 in der Schlacht von Bannodburn erfchlagen. Man 
erzählt, daß Eduard Baliol nad, feiner Entthronung in Schott: 
land von Robert ehrenvoll aufgenommen und auf deffen Schläf: 
fern Brougham, Appleby und Pendagron ſtattlich bewirthet 
worden, fomwie daß der von der Sage und in Jagdgeſchichten 
efeierte Hirfchgeweih:Baum im Parke zu Whinfelt jenem Be: 
uche feinen Namen verdanke. Die Geweihe des Thiers, wel: 
ches der PFönigliche Saft unter dieſem Baume erlegt, waren an 
benfelben feftgenagelt worden, erhielten fi) drei Jahrhunderte 
lang und fdhienen aus dem Baume hervorgewachfen, bis 1648 
das eine und zehn Jahre fpäter das andere muthwillig abge: 
brochen und entwendet wurde. Roger, der fünfte Lord, „der 
weifefte und tapferfte Clifford”, focht ebenfalls in Eduard’s 
Kriegen gegen Frankreich und Schottland und mar der Erfte 
feines Stammes, der einen Enkel erlebte. Sein Sohn Thomas 
gehörte zu Richard's II. lockern Gefellen, wurde durch Parla- 
mentsbeihluß vom Hofe verwiefen, zog mit den Kreuzfahrern 
und fiel in der Schlacht mit Hinterlaffung eined Sohnes, wel: 
chen ganrid V. verdientermaßen zu feinem Sünftlinge wählte und 
der fih mit der einzigen Tochter des berühmten Hotſpur ver» 
mählte. In der Blüte feines Alters flarb er in der Belange: 
rung von Meur in Frankreich und ruht in der Abtei: Bolton. 
Sein Sohn und Erbe, ebenfalls Thomas, that fich in der Schlacht 
dei Poitterd hervor und erobertt die fefte Stadt Yonthoife, in: 
dem er fi) und die Seinigen, weil Alles’ mit ee bedeckt 
überrum- 
pelte. Er war ein treuer Anhänger der-Lancafter’jchen Partei 


und fiel im Kunpfe der Brofen dei &t.-Albans am 3% Mat 
1455, fechtend für den Fuͤrſten, in deffen Dienit feine Familie 
Großes geleiftet und ſchmerzlich gelitten. Es ift derfelbe Lord 
Clifford, von welchem Shakſpeare im zweiten Theile von 
„König Heinrich VI.” den Sohn ausrufen läßt: 

— — Wast thou ordained, dear father, 

To lose thy youth in pence, and to achieve 

The silver livery of advised age; 

And in thy revereuce and thy chair days thus 

To die in raffian battle 3 ‘ 


Rur irrte Shakfpeare, dag Clifford „in Frieden feine Zugend 
verloren‘. Auch der gräßlihe dem Sohne in den Rund ge 
legte Racheentfhluß: . 

Henceforth I will not have te do with pity! 
bezüchtigt diefen einer Blutgier, von welcher die Geſchichte 
nichts weiß und womit Shakſpeare ihn auf Autorität des Chro⸗ 
nitenfchreibers Leland gebrandmarkt hat, der von ihm fagt, er 
babe bei Wakefield fo Bicle erfchlagen, daß er deshalb der Flei⸗ 
ſcher genannt worden. Wahr if, daß er auf der Verfolgung 
en jener Schlacht den jungen Grafen von Ruthland tödtete, 
Sohn. des gleichzeitig gefallenen Herzogs von York. Doch recht⸗ 
fertigt Das Shakſpeare nicht. Ruthland war Fein Kind mehr, 
fondern 19 Jahre alt, und als Clifford Tags vor der Schlacht 
bei Towton im Ddittingdaler Thale erſchlagen wurde, zählte er 
26 Jahre. Weine eingezogenen Güter erhielt der budelige Her: 
1 von Glouceſter, fpäter Richard TII, und von feinen zwei 
Söhnen fuchte und fand Heinrich, der ältefle, ein fiebenjdhrl: 


‚ger Knabe, bei den Thalbewohnern von Eumberland nicht blos 


eine Zuflucht, fondern lebte auch 24 Jahre unter ihnen als 
Schafhirt und fol 2 den alten Ehalddern durch das Beob- 
achten der Sterne ſich aftronomifche Kenntniffe erworben haben. 
Wenigſtens find in den Clifford'ſchen Archiven Handſchriften 
aus jener Zeit entdet worden, die vom ‚Schäfer -Lord’’ Her» 
rühren follen und, wenn das gegründet, Seinen Zweifel_laffen, 
baß er neben der Sternkunde auch Aftrologie und Alchymie 
getrieben. Nach der pronbefteigung Heinrich's VII. gelangte 
er zum Beſit feiner Würden und Güter und beißt in der &e- 
fhihte „ein einfacher Mann, der meift auf dem Lande lebte 
und nur an den ‚Hof oder nach London Fam, wenn das Parla⸗ 
ment feine Anweſenheit foderte, dann aber wie ein Huger und 
wackerer englifcher Edelmann ſprach und handelte”. Sein Lich: 
fingsaufenthalt war Barden Tower, fein Lieblingsumgang mit 
ben gelehrten Stiftöherren zu Bolton. In feinem fechzigften 
Jahre z0g er an ber Spitze feiner Mannen zur Schlacht bei 
Flodden „und bewies bort, daß weder das Alter den kriegeri⸗ 
ſchen Geift feines Haufes in ihm erkältet noch frietliche Be⸗ 
fhäftigungen denfelben erftitt hatten”. Beine vier nächflen 
Porfahren hatte der Schlachtentod ereilt; von ihm fingt Words: 
worth in einem ber ſchoͤnſten lyriſchen Gedichte der englifchen 
Sprache: „Bong at the feast of Brougham Castle upon the 
restoration of Lord Clifford the Shepherd to the estates 
and honours of his ancestors”: 


In him the savage virtue of the race, 

Revenge and all ferocious thoughts were dead; 
Nor did he change, but kept in lofty place 
The wisdem which adversity had bred. 


Glad were the voles and every eottage hearth, 
The Shepherd Lord wes konsured more and more; 
And ages after he was laid in earth, 

„The good Lord Clifford” was ike name he bore. 


Zehn Jahre nach der Schlacht bei Flodden flarb er am 
23. April 1523. Seine legten Jahre wurden durch die Laſter 
und Thorheiten eines ungehorfamen Sohnes getrübt, der fi 
jedoch nachher befierte und als Günftling Heinrich's VIII den 
Zitel eined Grafen von Eumberland und von den geplünderten 
Kirhengütern unter Anderm die Priorei Bolton erhielt. Sein 
Sohn und Erde fol viel Gelehrfamkeit und viel Wiſſen in ber 














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—— nach Deſiadien —— ————— augier 
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ei i x nıdt chen jeher fenberfich ge⸗ 
(ol Reis auf eigene Roßen. Im Dam merkwürdigen Jahre ber | Euungen m Minen berunmciuh ri * 
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vor Eslels ans umd auf feiner Dritten Untsruchmung, 1568, | nien den imgerfertizen Zagesicriitfärllern, meide mie 
(dheifte er Jayal in den Azoren nd eroberte 23 Sie im Lei hgrrien Der — 
Gdammtwerige von mehr als Diinn Yf. Et. Dog mußte ſch ⏑⏑ Derkelungen de Sr ermerken 
es bafüz ſchwer leiten — EBunden, Dunger und Dur De re ie Beœken, weige — bar 
er zageich cin Licbling der Römigin Glifaberh wer, die ige 5 ne — — in Bedürfuiß genũg ern 
—— * —— Darf 26 nick —* ur perkient eine ilufricte Ken Gheikian, der mad afım 
der Meighe feiner Berfahren anzefanzen und nah 2 Jahren | Rihtungen bin Ah als geſchickten Faiſent beihatigt bat, vor 
066 der Arme aufhörte. Er ſtarb in London und ruht in ber theichaft herdergeheben gu werden. führt ten Kite: 
Gruft de anche Blipton. Mit feiner Zone, Der 7* r— ie ee et les desertes 
Br ucn Ongienbs,erieibas große und edle Gefhleit. Das | und behantelt außer der eigentlidy pittoreslen Partie natũrtiqh 
# an ihr merfwürtig, daß fie eine Beireibung ihres Lebens | vorzug&weife Lie Ercberungen und die Greßthaten ver Tram) 
hinterlaffen bat, vell intereflanter Details in Bezichung „a pißen —— en iR au ia Berarbeitung ber : 
" i 
32 en —— fe für Fe hir] *7— Di: | man hier und ba durch ein gewiſſes Prunkea mit nationalen 
— 
i ⸗ i rii ert ne iv, N) 
* lieh. Roh * ——— * fd) mi Richard, drit- welchen der Berf. bei feiner Arbeit im Auge hatte, wit in 
sem Grafen von Borfet, einem wigigen und geiſtreichen Blanne, Anſchlag bringen. _ 
aber einem liederlihen Berſchwender. ie gab ihm zwei Zoöch⸗ Die Kath Bralı en ii 
ac verben — —— Gegenwärtig im Behg ber Bitet yat fih dur, feine (ehr —— — igen literaris 
egemaligen ülifferd (hen @üter in Weſtmereland und Eraven. ſchen Keiflungen ald Kenner des Mittelaltere, beſonders infe- 
1624, und mie ſchmerzlich aud Lady Auna von feinen | weit daflelbe betrifft, vortheilhaft befannt gemadt 


Bopf, einen frechen Schwoͤrer und eine Memme — „ein ſchla⸗ Rachricht und eine tiefer gehende archäͤologiſche Ausein 
ender Beweis’, fagt ihr neuefter und vorzüglichfter Biograph, derfegung voran. Diefe Partien haben aber ſelbſt ein allge: 
Bari Golerldge, „daß oft die werthlofeften Männer über die | meines Interefle, indem in denfelben Andeutungen gegeben wer 
eften und Mügften Frauen, namentlich über ſolche von gewifs | den zu einer ſtreng wiſſenſchaftlichen Glaffification der Buuüber: 
en Jahren, eine unerklaͤrilche Gewalt Haben”. Die Verbin: | refte des Mittelalterd. Das ganze Werk büdet einen wichti⸗ 
ung wurde für die Gräfin eine Quelle des bitterfien Kum⸗ 
mers, bis am 83. Ianuar 1650 ber Tod Ihres Gemahls fie | tet’s zufolge, die Kirche zu Royon angehört. Der aus 23 Tas 
erloͤſte. Dennoch fpricht fie von ihm, wie eine gute Prau von | fein befichende Atlas, welcher der beutlichern Anſchauung wer 
— eſtorbenen Manne ſprechen ſollte, wäre es auch blos zu gen dem Werke beigefügt iſt, bat den Architekten Daniel Ro: 
ihrer eigenen Ehre — fie deutet feine Fehler an und verweilt | me zum Verfaſſer. Wir wiſſen nicht, ob dies der nämliche 
bei feinen MWorzügen. Bereits durch den frühern Hintritt ib» | Kunfttenner if, welcher ein recht brauchbares Handbuch ber 
zes Oheims und deſſen Sohnes waren die Befigungen des Hau: | Archaͤologie geſchrieben hat. 17. 
na — 


VBerantwortiicher Deraudgeber; Heiurich Mrodband. — Drud und Berlag van J. X. Mrodpans in Reipgig 


\ 


u. __ ‚eine 





Bl atter = 


für 


literari ſche Unterhaltun g. 








Levin Schücking. 
1. Gedichte von Levin Schücking. Stuttgart, Cette. 
1800 3. 1 Spt. ie — aut 


3. Die Ritterbürtigen. Roman ven Levin Shüding. 
De Theile. Leipzig, Brockhaus. 1846. Gr. 13. 4 Zhir. 
gr. 


Wir halten die beiden vorliegenden Werke Schücking's 
für maßgebend, um aus denfelben nicht allein feine Stel 
lung zur Literatur der Gegenwart nachzuweiſen, fondern 
auch die Muſe des Dichters in ihrem eigentlichen Weſen 
zu erfaffen und würdigen zu lernen. Schücking iſt zwar 
en Mann von ganz moderner Bildung, aber bie Fra⸗ 
gen ber Gegenwart, ber Kampf und das Ringen ber 
neuern Ideen ſcheinen erſt dann an ihn Kerangetreten 
zu fein, in feine Entwidelung eingefhlagen zu haben, 
als er bereits ſchon für fich auf dem Wege ber: eigenen 
Ausbildung einen begrenzten Standpunkt, eine abge: 
fchloffene Welt errungen zu haben meinte. Sein Weſen 
bat den Kampf von unten heraus nicht mitfchlagen bel» 
- fen und ſich daher zum Theil auch ganz fpröde der neuen 
Entwickelung gegenübergeftellt, da es eine beftimmte Rich- 


tung, eine charakteriſtiſche Individualität fchon geworben‘ 


war; was auf bem Wege einer von Jugend auf dur 
moberne Ideen geleiteten Ausbildung leichter erzielt wird, 
lebendiger in das Weſen felbft übergeht, hat Schücking 
erft auf dem fauern Wege des Gedankens in fich aufgenom- 
men, zuu Theil auch mit den Formen, bie von: früher 
her bei ihm feſtgeworden waren, zu verſchmelzen gefucht. 
Es ift Har, daß auf diefem Wege ein gewiffer Zwie⸗ 
fpalt mitten in bie früher harmonifche Welt des Poe⸗ 
ten gefommen ift: die Anſchauungen und Bilber aus 


dee erſten Periode kommen mit ihren, jüngern Genofien | 


oftmals in Streit und Hader; bald ſtecken biefe fiegreich 


ihre Banner auf ben Trümmern von jenen auf, bald auch 


und öfters noch ziehen jene mit klingendem Spiele und 
Fliegender Fahne an ihren jüngern Brüdern triumphirend 
porüber. Es ift mol überflüffig zu bemerken, daß wir 
den Poeten perfönlich gar nicht kennen und daß wir un- 
fer Urtheil blos aus und nach ben Erzeugniffen feines 
Geiſtes gebildet haben, was um fo ungetrübter deshalb 
daftehen wird, als es nicht den Schein haben kann, daß 
wir über der äußern Grfcheinung der Perſon bas inne 


26. Mai 1846. 


Weſen in Schatten geftellt und aus fener und zu Rüd« 
ſchluͤſſen auf diefes hätten verleiten Laffen. u 

Schüding’s überwiegende, ſtark hervorſpringende Rich- 
fung neigt ſich ber romantifegen Poeſie zu; in biefer Ci⸗ 
genfhaft könnte man ihn den Namen Tieck, Uhland, 


‚Amim, Brentano, Freiligrath u. A. zugefellen; in man 


hen Punkten geht fie fogar über diefe noch hinaus und 
fhlägt ihre Wurzeln in einem Boden, der unferm gan⸗ 
zen Ideenkreiſe, unferer ganzen modernen Bildung fern 
und abgelegen ober von derfelben bereits Tängft über⸗ 
wunden iſt. Mit diefer angeborenen Hauptrichtung wett⸗ 
eifert und liegt zum Theil im Kampfe die Weltanſchau- 
ung ber Gegenwart; aber lebendig ift fie bei ihm noch 
nicht geworden, er fteht noch in dem erſten Entwicke⸗ 
Iungemomente, die Geftalten haben noch Fein Fleiſch, «6 
find Teichte flüchtige Schemen, die Einem durch die Hände 
ſchlüpfen, Abftsactionen ohne beftimmten Inhalt, Bilder 
ohne Farbe. Schüding flieht noch auf der Brüde, bie 
aus der Romantik in die freie lebendige Gegenwart 
führt, er macht Anfäge, thut Anläufe, die Geftalten am 
jenfeitigen Ufer zu erreichen; aber fie huſchen noch luftig 
an ihm vorüber, und er wendet ben Bli wieder rück⸗ 
wärts nach dem Strande, von bem er auß gegangen; Da 
ragen die Zinnen einer alten Burg fo fharf unb Ted 
in die Wolken hinauf, ba gieft der Abend ein mildes 
rofenfarbiges Licht über die Gipfel und Spigbogen Der 
Dome, bie Glocke ſchickt fo weich und wehmüthig ihre 
Ave Mariatöne zu dem Wanderer hin, der am Ge⸗ 
ſtade eined Sees wandelt umb bie Riren tief unten im 
kryſtallenen Hanfe ihre goldenen Haare ftrählen ſieht; 
da fehaut von dem Balcone ein Ritterfräutein in bem 
Durghof hinunter, in welchem die Knappen in blanter 
Rüftung bie von der Jagd ermübeten Roſſe führen, 
und nebenbei lauſcht fie ſchalkhaft den Tönen einee 
Minneliedes, das unten aus ber Laube ihr Ritter fingt. 
Welche Macht, weiche Pracht! wie Das anzieht und 
lodt! Der Poet lebt fo fortwährend in ber Schmwebe; 
will er dieſen Traͤumereien drüben laufchen, all die Töne 
und Bilder mit ‚ihren verführifchen Lauten, ihren glei» 
Senden Farben in feine Seele ungeflört und ungetrübt 
aufnehmen, fo mahnen fenfeit wieber‘ bie ernften, ſchwe⸗ 
ren Klänge, die Glocke der Zeit ſchlaͤgt mit ihrem Rie⸗ 
fenhammer die Stunbe des Morgens, und ein ganzes 





d 


Volk ſtimmt freie, muthige, nie gehoͤrte, nie geahnte 
Hymnen an. Erſt wenn der Zwieſpalt, der bis jegt 
noch das Weſen Schüding’s fheilt, innerlih überwun- 
den, wenn bie Einheit eine wirkliche wahrhaftige ge- 
worben ift, dann erſt werden auch die Erzeugnäffe feiner 
Mufe wahrhaft, fünftlerifchen Werth erhalten, und zwar 
Am: fo größern als er ben Begenfag zwifchen alten und 
neuen Beten felbft durchgemacht und beide fein Weſen 
mit ihren Formen und ihrem Inhalte befruchtet haben, 
während den vorzugsweiſe fogenannten modernen 

diefe Doppelfeitigkeit zu eigenem Nachtheile abgeht und 
auch Diefe wieder zur Einfeitigkeit hindrängt. Wo bie 
Urfachen Diefes angegebenen Bildungsganges von Schüding 
liegen, das wollen wir nicht enticheiden, da wir hierzu 
mit den Ereigniffen feines äußern Lebens vertrauter fein 
müßten ald wir es in ber That find; aber jedenfalls 
koͤnnen wir mit Gewißheit annehmen, daß bie Exziehung 
und der Aufenthalt in einem, katholiſchen Lande viel zur 
Grklaͤrung und Rechtfertigung des poetifchen Standpunkte 


beitragen wird, Wenn wir einmal eine Hypothefe wagen. 


bürften, fo würben wir annehmen, daß Schuͤcking eine 
kloͤſterliche Erziehung ober doch wenigſtens eine Bildung 
genoffen hat, die von geiftlichen Elementen beherrſcht 
wurde; denn nur daraus laͤßt ſich eigentlich feine Ver⸗ 
fpottung, fein Abfcheu gegen bie Philoſophie erklären, 
bie er in dem Gedichte „Die Philoſophen“ betitelt zu 
erkennen gibt: denn dies iſt nicht ber Ausdruck, wie ein 
portifche® , geftaltungsreiches Gemüth etwa gegen die 
NMPhiloſophie als eine reine, abſtracte Wiſſenſchaft an⸗ 
kampft, ſondern es find die trivialen, abgenutzten Phra⸗ 
fen, mit denen Finſterlinge dieſe Blüte des menſchlichen 
Geiſtes zu verbächtigen fuchen. 
Sagt mir nur Eins und ich will glaͤubig ſein: 

Wohin des Hundes Seele einſt wird fahren? 

Beigt mir nur Eins: ein krankes Käferlein 

Seat von eurer hoben Kunft Sch | 

Shut mie nur Eins: ein gluckſend Küchlein brütet 

Uns al den tauben Eiern, die ihr huͤtet! 

Wir glauben im Intereffe der Menfchheit nicht an 
bie Unfterblichkeit von Hundefeelen, find auch nit fo 
fentimental, am Krankenbette eines Käfer zu weinen, 
und möchten gern für ben Poeten der Betrachtung bie- 
fe6 Gedichts, das meniger noch als ein taubes Gi ifl, 
ums überhoken haben, wenn es nicht mitten im ber 
Sammlung guter Gedichte flände und wenn wir es 
sicht vorher erſt beifeite haben wollten, ehe wir auf bie 
"Gedichte felbft eingingen, damit es nicht als ſtoͤrender 
Geiſt fortwährend auftauchte und uns den Eindrud ver- 
Runımerte, den Genuß vergälte. 

Die Gedichte zerfallen in vier Hauptabtheilungen, 
Liebesgedichte, erzählende, vermifchte und Sibylliniſche 
Blätter, welche legtere aber blos der Form nad, bem 
Poeten angerechnet werben können, ba fie nah ©. T. 
Coleridge bearbeitet find. Liebesgedichte und verntifchte 
bilden ben verzüglichſten Inhalt des Buchs, ba fie bie 
beutlichften Spuren einer eigenthumlichen, charakteriſti⸗ 
ſchen Individualität tragen, während bie erzäblenben ber 


Form nad in dem. Uhland’fchen Balladenflile ſich fort- 


. 
= L 
% 
. “ 


bewegen, und oft weit hinter dem treubersigen, kernhaf⸗ 
ten, volksthümlichen Ausbrude jenes Sängers zurück⸗ 
bleiben. So fehr wir auch die erzählenden Gedichte 
ben Balladen Uhland's, Schwab's und andern neuern 
unterordnen, ebenſo fhellen wir auch die Biebesgebichte und 
diele davon, "welche unter den vermifchten ſtehen, nid 
allein den erotifchen Riebern ber vorhergehenden Dichter 
gleich, fondern manche noch über biefelben. Jene Ge⸗ 
dichte haben außer ihrer ungemein reinen unb faubern 
Form, ihren fchönen Bildern und Gleichniſſen eine große 
Ziefe. und Fülle der poetifhen Anſchauung vor jenen 
voraus, fie halten die fhöne Mitte zwiſchen den üppig- 
küfternen, oft lasciven Liedern Heine's und ben im trodien 
nen Reflerionsftile gehaltenen Gebichten fo mancher neuern 
Poeten wie eines Diefenbash, Hartmann, Haltaus u. X, 
ebenfo wie zwifchen den aus tiefer zerriffener Bruſt her⸗ 
sorgedrungenen Kiagelauten Lenau's und den heitern, 
leichten, durchſichtigen Rhythmen von Uhland. Wenn 
man gerade einen Vergleich mit. einem Altern Poeten 
zulaffen wollte, fo würde man hier wol .ohne viel fehl 
zu gehen in bie mittelalterliche Poeſie zu greifen haben, 
etwa nach Walter von der Vogelweide, zugleich Tiefe fich 
aus einer folchen Parallele auch nachweifen, wie die mo» 
bernen Dichtungen, fo fehr auch die alten wie mittelafter- 
lichen Philologen vornehm fie über die Schultern m 
fehen, die älteern Poefien an Breite und Ziefe der Em- 
pfindung, an Schönheit und Mannichfaltigkeit ber Form, 
an Befchmeidigkeit und Eleganz ber Verſe und Rhyth⸗ 
men übertreffen, wenn fie ihnen zum Theil auch an nai⸗ 
ver Wahrheit nachſtehen ſollten. Die Poeſie Schüding’s 
iſt ein Brunnen in einem grünen Parke: der Strahl 
führt melodifh aus ber Quelle in vie heitere, reine 


-Quft, Die Sonnenftrahlen gligern in feinen WBaffern, die 


flufternd und fehäumend in ein Beden von glatten Mar⸗ 
mor wieber zurüdfallen, frei und ungehalten, indeß ſchoͤne 
Frauen an das Waſſerbecken berantreten und ihre Au⸗ 
gen meiden an bem Funkeln bes Strahles und ige Ohr 
ergögen an dem melobifchen Geplaͤtſcher. Schüding’s 
Dichtung trägt faft gar feine oder nur fehr geringe 
Spuren von der modernen Gentimentalität ober Zerrif- 
fendeit, feine Gefühle und Empfindungen gleiten ruhig 
und heiter über bie Wellen des Lebens, und nur hier 
und da klagt eine Welle von „trüben Tagen und blei- 
hen Wangen”. Es ift ein flilles, feliges Befangenfein, 
ein Träumen in Liebe und Ratur, bas Über der Dich⸗ 
tung Schücking's waltet; die Wellen unb Strudel, wel⸗ 
che das Leben aufwirft, löfen fih auf und an ben Klip⸗ 
pen der Zeit fteuert feine Mufe ruhig und fern vorüber. 
Als charakteriſtiſch für Schücking heben mir noch her⸗ 
vor, was zugleich auch den Vergleich mit Walter von 
der Vogelweide weiter rechtfertigen mag, daß eine ge⸗ 
wiſſe Frommigkeit, eine rellgiöfe Stimmung als rotcher 
Baden durch die Gedichte fi hinzieht, eine Gotteserge⸗ 
benheit, die aus dem. abendlich frommen Giödeniäuten 
Gegen ruft auf Thaͤler und auf Höhen unb wie Ge⸗ 
bete die Schlafen feiner Geliebten umſchwebt. Die 
Freude an der Geliebten klingt bei Schücking aus im 


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m, 
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ten nad Groberungen ringt, bie innerhalb feiner ſelbſt auf 
den friedlichen Pfaden der ung und Menſchlichkeit gu voll« 
bringen find” — gefeflelt hätte, wenn man nur — das Bas 
terland an den Schubfohlen mitnehmen Fonnte! Ob unter diefen 
Umftänden der Verf. der gegenwärtigen Betrachtungen für 
ganz unbefangen und unparteiiſch in feinen Anſichten und Ur⸗ 
ilen über Rußland und das ruffifhe Bolk gelten koͤnne, 
möchte Ref. bezweifeln. Letzterer verkennt übrigens das In» 
tereffe durchaus nicht, welches das Streben Rußlands dem Be: 
obachter gewährt, und ift auch der Meinung, daß bie Aus: 
laͤnder nicht immer mit der erfoterlihen Unbefangenheit die 
Buftände Rußlands betrachten, wenngleich es nicht als ein Bor: 
wurf gelten Tann, biefe Buftände fowie das ganze politifche 
GSyſtem Rußlands, namentlich im Berhältniffe zum Auslande, 
richt blos zum flawifchen Polen, mit mistrauiſchen Blicken zu 
betrachten, als Patriot und als Kosmopelit. endarum vers 
kennt Ref. auch nicht, daß die vorliegende Schrift, intereffante 
und lehrreiche Auffchlüfle über Rußland fowie überhaupt 
über die flawifihen Bolköftämme enthält, die manche Irrthümer 
über diefelben zu berichtigen wol geeignet find. 
Die in der neuern Seit ſtaͤrker erwachten nationalen An⸗ 
tipathien der deutfchen Volkseſtaͤmme gegen die flawifchen, die 
u fehr in den Berhaͤltniſſen der ergangendeit und in der 
erfchiedenheit der innern Kigenthümlichkeiten beider ihren 
Grund haben, werden freilih alle diefe Betrachtungen und 
Mittheilungen des Berf. nicht zu befeitigen vermögen, eben 
weit fie auber uns, weil fie in der Sache felbft liegen. Bor: 
nehmlich macht übrigens Ref. auf alles Das aufmerkfam, was 
in der vorliegenden Schrift über die Bitten und Gebräuche 
der Slawen, ihren Charakter, ihr gerät liches unb geiftiges 
Leben, dabei über ihre Volkslieder bemerkt wird, fowie was 
der Verf. weiterhin über die Stellung Rußlands, feine poli- 
tifch nationale Entwidelung, feine ſocialen Zuftände, das Sy: 
flem feiner Regierung und das Streben der flawiichen Voͤlker 
nach Eonfolidirung und Erlangung einer gewiſſen Einheit aus- 
fprigt. Dabei verhehlt er die Mängel der ruffiihen Civili⸗ 
fation (Leibeigenfhaft, Mangel eines lebenskraͤftigen dritten 
Standes) durchaus nit, beklagt in Betreff der ruffifchen 
Mechtöpflege die große Beftechlichkeit vieler ruffifchen Beamten 
fowie den großen Mangel an Landſchulen. Doch rühmt er 
den Drang nah Einfiht und Bildung im ruſſiſchen Bolke, 
und fucht den Vorwurf, den man ihm in geiftiger Hinſicht zu 
3343 gewohnt ſei, daß es mehr das Talent der glücklichen 
Rachahmung als eigene, originelle Erfindungsgabe und geniale 
Geiſteskraft befige, durch eine nähere Betradytung der ruſſiſchen 
Dichter und Profaiften zu befeitigen. Was die politifchen Be⸗ 
bungen Rußlands nah außen, namentlich nach Süboften 
owie zur Bildung eined auch geiftig in ſich zufammenge: 
ſchloſſenen, ſlawiſchen Univerfalftaats anlangt, fo vertheidigt 
ber Berf. nicht nur dieſe Idee an fi, fondern er hält au 
ihre Verwirklichung nicht für unmöglid, und meint fogar, daß 
„der Gang ber neuern Geſchichte ihrer einftmaligen Erſchei⸗ 
nung gleichſam vorgearbeitet” habe, und namentlih Rußland 
„duch feine fortdauernden, conjequenten Beftrebungen, feine 
außere Staatseinheit auf eine innere, geiftige Verſchmelzung 
der durch jene zufammengehaltenen Völferfchaften zu gründen, 
ihrer concreten Geftaltung um ein gut Theil näher geruͤckt zu 
fein ſcheine. Intereffant ift in dieſer Hinficht die fernerweite 
Mittheilung, daß die Hoffnungen, mehr wol noch die Befürd- 
tungen, die fih an diefe Idee knuͤpfen, ſchon früher umfichtigen 
deutfchen Staatsmännern nicht fremd geweſen feien. Der Verf. 
nimmt hierbei auf die Außerungen des öſtreichiſchen Internm- 
tiuß bei der Pforte an den Fürften Kaunig nad) dem Ab⸗ 
ſchluſſe des Friedens von Kainardſche 1774, durch welchen ber 
koloſſale Leib des ruſſiſchen Reichs abermald an Umfang ge 
wann, Bezug, Außerungen, von denen ſich in unfern Jagen 
fo Manches verwirklicht hat, was damals nur Befürchtung, 
nur Traum zu fein ſchien, während es auf ber andern Weite 
cheint, als ſaͤhen unfere deutſchen Staatsmaͤnner der Begen- 


wart mit anbern Nugen — wenn fie nur feben! — und in wm: 
befangener Ruhe dem Ullen zu. Daß aud fenft bie fremden 
Regierungen - fowie die Voͤlker in engern und in weitern 
Kreifen aus der vorliegenden Schrift viel lernen Fünnen, da: 
für wollen wir bier nur die wahrhaft geiftvollen Worte des 
Kaifers Nikolaus, die er nach feiner Xhronbefleigung an fein 
Bolt richtete, bie aber auch an bie erichtet 

koͤnnten, berfegen: „Möchten doch bie Familienvaͤter ihre ganze 
Aufmerkſamkeit auf die fittliche Bildung ihrer Kinder richten. 
Denn eb if wahrhaftig nicht den Zorffchritten der Bildung, 


' fondern der Eitelkeit, Die eine Leere des Geiſtes hervorbringt, 


und dem Mangel an gründlicher Unterweifung und zu⸗ 
uſchreiben, daß ſich der jugendlichen Gemuͤther eine. ſolche 
echheit des Denkens, eine ſolche naung der Leiden⸗ 
fhaften und fo verworrene und verderbliche HalbEenntnifle be 
mädtigt Haben, die nebft dem Hange gu ertremen Theorien 
mit, der Entfittlihung beginnen und mit dem Verderben enbi- 
gen.” Goldene, leider nur gar zu. wahre orte! Oder meint 
man etwa in Deutſchland, weil der Katfer Nikolaus dieſe 
Worte an halbwilde Ruſſen gerichtet Bat, dieſer Lehren da; 
heim nicht zu bedürfen? 1. 





Literarifihe Notiz aus Frankreich. 

Die NReligionspbilofophie Kante. 
Die religiöfen Bewegungen in Deutſchland haben aud im 
Auslande eine gebührende Berüdfihtigung gefunden. NRatür: 
lih Bann es dabei an Miögriffen aller Art nicht feplen. In⸗ 
deflen wird fi) die Sache ſchon beffer gefalten, wenn diejeni⸗ 
gen Männer, welche fih für berufen halten, bei der Befpre- 
hung diefer Angelegenheiten ein Wort mitzureden, exrft bie 
Berpflichtung anerkannt haben, fih mit der wiſſenſchaftlichen 
Entwickelung der deutſchen Theologie näher bekannt zu machen. 
Es iſt nicht zu verkennen, daß in dieſer Beziehung von Seiten 
franzöfifcher Seiehrter ein bedeutender Fortſchritt gemacht if 
Die Zahl Derjenigen, welche, wenn auch nicht zu einem tiefen 
Erfafien, doch wenigſtens zu einem annaͤhernden Berftänt 
niß ber beutfchen Wiſſenſchaft gelangen, wird offenbar immer 
größer, und ſchon tauchen hier und da Darftelungen auf, 
welche einzelne Momente aus dem Entwickelungsgange derfel: 
ben auf eine ziemlich befriedigende Weife behambeln. Eins 
diefer Werke, welche als die erſten bedeutenden Berſuche einer 
geiftigen Annäherung zwifchen Deutfhland und Frankreich auf 
dem Gebiete der philoſophiſchen Theologie bezeichnet erden 
Fönnen, ift folgendes: „Expose critique de la philosophie de 
la religion de Kant”, von Zimothee Colang. Der Berf. hat 
fih bei feiner Darftelung der Kant ſchen Religionsphilofophie 
nicht darauf beſchraͤnkt, Diefes Syftem aus feinem Jufammen: 
— mit der ganzen Entwickelung der deutſchen ehr 
eraußzurefßen. Er gibt vielmehr in einer eigenen philoſophi⸗ 
ſchen Einleitung die Unfnüpfungspunfte und die Beziehungen 
auf das Allgemeine. Im Ganzen iſt die Darftellung ar und 
auf die Sache gerichtet. Dies tritt beſonders in der Ausein: 
anderfegung des Syſtems felbft hervor. Dieſelbe zerfaͤllt in 
drei Abtheilungen: 1) „Les idees religieuses de,la raisen 
theorique’'; „Les postulats religieux de la raison prac- 
tique’’3 3) „Accommodation au christianisme‘. Diefe Unotd- 
nung ift im Ganzen befriedigend, fowie auch bie Entwidelung 
felbft im Allgemeinen das Richtige trifft,. obgleich freilich hier 
und da über manden einzelnen Punkt eine Discuffion erhoben 
werden koͤnnte. Was die philofophlfche Bildung des Werk. 
ſelbſt betrifft, fo erfcheint fie im Allgemeinen zwar genügend, 
aber doch v man bier und da eine recht geiftige Durch⸗ 
deingung und eine vertrautere Bekanntſchaft mit den wichtigen 
Erfheinungen der neuern beutfhen Wiſſenſchaft. Doch haben 
wir, wenn der Berf., Ph Erftlingsarbeit biefe Schrift zu 
fein ſcheint, bei einem eifrigen Studium mit Ernſt ausharrt, 
von ihm gewiß noch recht viel Gediegened auf dem Felde ber 

philofopbifchen Literatur zu ermarten. 17. 


Verantwortlider Herausgeber: Heinrich Wrodpans. — Druk und Verlag von F. ME. Drockhaus in Leipzig. 





„u vr. ws m ou ⸗ 
— 


Blaͤtter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Mittwod, 





(Yertfegung end Nr. 146.) 


Wir wenden uns nun zu dem Romane „Die Ritter 
birtign”. Ob es wol Zufall war, daß uns bei ber 
Lecture des vorliegenden Romans fortwährend die fehrift- 
flellerifche Ihätigkeit der Frau v. Paalzow ins Gedaͤcht⸗ 


niß kam und uns bei jedem Schritte, den wir der Ent- 


widelung entgegengingen, begleitete, ober ob ein gehei- 
mer unbemwußter innerer Zufammenhang zwiſchen ben 
Werken der Paalzow und den „Ritterbürtigen” Schüding’s 
fi ‚norfindet, der uns nothwendig auf diefelbe hinleiten 
mußte? Wir behaupten das Letztere. Frau v. Paalzow 
hat in ihrem „Wobwie Caſtle“, „St.Noche“ und zum 
Theil au in „Xhomas Thyrnau“ die adelige Familie 


. zu ihrem Gegenftande gewählt; fie fehildert diefe Fami⸗ 


fie nicht allein nach dem Außern ihres Erſcheinens und 
Lebens, fondern auch nach ihren inneren Beziehungen, ih⸗ 
ren Verwidelungen ımd Schidfalen, die abelige Familie 
ift der Brennpunkt, in bem fich alle Strahlen vereinen 
und von dem aus das Licht auf die andern Glaffen ber 
menſchlichen Geſellſchaft ſtroͤmt; jedoch hat fie nicht Die Fa⸗ 
milie in ihrem Gegenfage ober richtiger gefagt in ihrer Unter- 
ordnung unter ein allgemeineres Ganze, unter den Coef⸗ 
ficienten bes Staatslebens gebracht, fie ftellt bie adelige Fa⸗ 
milie für fih und durch fih hin, etwa wie Lafontaine und 
Henriette Danke die bürgerliche Familie zu ihrem Vorwurfe 
gewählt haben; bei Schücking dagegen ift das Streben bie- 
fer abeligen Familien dem Staate gegenüber und auf dem 
Boden des Staats felbft dargeftellt; daher alfo jener Zu- 


fammenhang, jene Bergleihungspunkte; Beide, Schücking 


unb Frau v. Paalzow, verhalten fich wie zwei Geiten 
eines und beffelben Winkels, jedoch mit bem Unterſchiede 
der verſchiedenen Auffaffung, die durch bie verfchiedene 
Stellung der Schriftfteller in der bürgerlichen Geſellſchaft 
und durch die Sympathien und Antipathien derfelben 
herbeigeführt worden. Die Familie als folche fleht bei 

Kling im Hintergrunde, fie kommt nur infoweit in 
Betracht, als fie dem Staatsleben gegenüber ſich geltend 
macht, und dann hinwiederum ift es nicht bie Familie, 
fenbern eine Bereinigung ber abeligen Familie, der Adels⸗ 
fand felbft, der mit feinen Anſprüchen und Tendenzen 
in das Gtaatsleben eingreift. Wir werden daher nicht 


27. Mai 1846. 





fehl gehen, wenn wir „Die Ritterbürtigen‘ einen Roman 
nennen, obgleich ihn ber Verf. als erſtes Glied einer 
mweitern Reihenfolge hinſtellt und fie dem allgemeinen 
Titel „Zeiten und Sitten’ unterorbnet. Denn um das 
Streben und bie Sitten einer Zeitentwidelung darzu⸗ 
ftellen, bazu fehlt dem ganzen Romane bie Allgemein- 
beit, indem er nur ganz einfeitig bie Tendenzen bes 
Adele im modernen Staatsleben binftellt, und auch dies 
wiederum nur lüdenhaft; das Streben eines Standes 
erhält nur dadurch erft wahre Bebeutung und wahres 
Leben, wenn er ben andesn Ständen gegenüberfritt; um 
fünftlerifh nun diefen Gegenfag zu behandeln, muß er 
nothwendig, wenn er lebendig heraustreten fol, feinen 
Gegenfag mit fih führen. Der Gegenfag in beflimm- 
ten Formen und Maren Umriffen hebt und begrenzt feine. 
andere Seite; die Witterbürtigen durften daher nicht 
ohne ihren Begenfag des freien Bürgerthums, ber Be⸗ 
firebungen der Induftrie und der Preſſe gefchildert wer⸗ 
den, nur dadurch war es möglich den Roman zu einem 
Kunftwerke zu machen, bie Idee wirklich zu ihrem Siege 
oder, wenn fie ihrem Gegenfage gegenüber ohnmächtig, 
war, zu ihrer Wernichtung zu führen; Cinfeitigfeit in 
focialen Theorien, die fi in bie Literatur wirft, Tann 
zwar ein gutes Tendenzwerk zum Vorſcheine bringen, aber 
nun und nimmermehr einen Roman, der Anſpruch ma- 
chen koͤnnte auf den Namen eines Muſterwerks. Das 
Beftreben unferer Ritterbürtigen, wie Schüding es felbft 
ausdrückt, ginge darauf hinaus, das demokratiſche Ele⸗ 
ment ber Neuheit nieberzudrüden und ber Volksentwicke⸗ 
lung Feine Selbftänbigkeit zu laſſen. Dies alfo wäre 
zu gleicher Zeit auch die Idee des Romans, die durch 
denfelben fi hin entwideln, zum Siege oder zur Ver⸗ 
nihtung fommen muß; wenn Eins von beiden eintreten 
fol, fo muß nothwendig noch eine andere Jdee mit auf 
den Kampfplag treten, weil eine für fich feine Entſchei⸗ 
dung herbeiführen fann. Gehen wir aber ben ganzen 
Roman duch, fo tritt uns nirgend ein Träger des be: 
mofratifhen Elements ber Neuheit ober ein Repräfen- 
tant ber Volksentwidelung entgegen, denn von bem Ge⸗ 
richtdarzte Pauli, der Bauernfamilie und dem Juden 
Koppel kann in biefer Beziehung keine Nebe fein, ba 
fie in die eigentliche Entwidelung der Handlung nur 
zufällig, nur als beliebige Perfonen eingreifen und über- 





® ® 


feheinen. Dadurch kommt es nun auf), daß die Ent- 
widelung des Romans, die Entfaltung der dee, zu 
einem Ende, einem Refultate gelangt. Iſt etwa am 


Ende des legten Theilt diefe Idee ber —— 
Sud | 


das demokratiſche Element ber Keuheit nieberzub 

wirkijch geworden ober gefcheitertt Keins Yon Beidem; 
die Intriguen ſind blos geſcheitert, die angelegten Fäden 
haben ſich verwirrt und find zum Theil abgeriffen, aber 
- eine eigentlich künſtleriſche Löfung iſt damit nicht herbei. 
geführt, ba die Löfung flatt einer innern nothiwendig 
bebingten eine bloße äußere, mechanifche, zufällige if. 
Iſt etwa die Grundidee in feiner Hauptverfreterin ber 
Sräfın von Auracheim zum Falle gefommen oder fleht 
fie als ſolche berechtigt da? Nichts von Dem; fie muf 
momentan den äußern Berhältniffen weichen und räumt 
das Feld ihren perfönlichen, nicht principiellen Feinden, 
deren Beſtrebungen, wie die des Grafen von Schletten- 
dorf, zum Theil ganz mit den ihrigen übereinflimmen. 
Politiſch betrachtet mag das Streben und die Gefinnung 
diefes Grafen wol geiftreich, das vernünftigfte unter den 


ganzen Ritterbürtigen fein, aber berechtigt und begrün-. 


det in der Entwidelung des modernen Staatslebend und 
fire daffelbe ift es nicht, denn es fucht feine Grundlage 
in dem Vorrechte eines Standes, im Adel immer bin 
noch, und für einen folhen Stand har die heutige phi- 
Infophifche Staatstheorie Feine Stelle mehr. Die Anfid- 
ten, wie fie Schüding feinem Haupthelden dem Grafen 
von Schlettendorf unterbreitet, flehen mit ſich felbft im 
Widerſpruche. Er’ fpricht den Gedanken aus, daß die Bil- 
dung ber Gegenwart freieftes, conflitutionnelles Staats⸗ 
bürgerleben verlange, welches die Bureaufratie verfnö- 
chert in ihren. Traditionen von Souverainetät und All- 
macht zu gewähren vermeigere, daß fie freie Preffe, Aſ⸗ 
fociationen, Achtung der perfönlichen Sicherheit, vollfte 
Slaubensfreiheit verlange, was ebenfalls die nach Will⸗ 
kuͤr firebende Regierung und Bureaufratie verweigere. 
Der Adel fol fih nun dieſer Foderungen bemädhtigen 
und fih an bie Spige diefer Bildung fielen. Damit 
hänge freilich zufammen, daß ber Adel die Idee aufge- 
ben muß, als fei er durch die Geburt beffer ald andere 
Leute, und damit ift ex aufgelöft und fällt den drei an⸗ 
dern Ständen, entweber ber intelligenten ober bürgerlichen 
ober bänerifhen Claſſe zu. Nun ift es aber ein Wider⸗ 
ſyruch, wenn er von ihm verlangt, daß er fid „zu einer 
foͤrmlichen Staatögewalt, ber neutralifivenden , jegt 
alleinherrfchenden gegenüber, zu einer compacten, gewäl- 
tigen Maffe berufen anfehe, die neben und mit der Regie⸗ 


rung Stügfäule des Staatslebens fei”, Der Gebtrtgabel | 


mürbe fo zum Intelligenzadel werben, aber immer Abel 
fein und bleiben , ein Stand, der da glaubt Vorrechte 
por andern zu haben. 

(Der Beſchluß folgt.) 





Vielfhreiberei. 


Bald werben wir in Verlegenheit gerathen, welches Epi⸗ 
theton denn eigentlich unferm vielgeftaltigen und proteuserti- 


* 58 : 


haupt mehr ale Staffage denn als mitwirkende Perfonen er⸗ 


| eine andere Ableitung, daͤmp 


t 


. #» \ r 
gen Beitalter beizulegen? Rad der Meinung der Einen follte 
ed von Rechtswegen das eiferne heißen, obgleich dieſes Cha⸗ 
rakteriſtikon bereits für einen gefchichtlich abfolvirten Vorlaͤu⸗ 
fer in Anfpruch genommen, denn. auch Zeiten koͤnnen fih wie 
derholen und das irrevocabile tempus ift nicht fo ganz aus⸗ 
— als man meinen möchte. Allein holt man das pbige 

itheton Bon ber materiellen Yußen« und geradezu vom 3 
Monfumtiondfeite her, dann könnte man ja unſer Jahrhund 
mit ebenſo viel Fug und Recht das baum: ober ſchafwol⸗ 
lene oder das tabackene, wol aber auch das Thee⸗ und 
Kaffee⸗, wo nicht gar das zucker ſüße Jahrhundert nennen. 
Gegen letztere Annahme proteſtiren aber wieder die vielen Saͤu⸗ 
ren, ‘die von Chemiewegen eine fo große Rolle heutzutage in 
der Welt fpielen, und in der That fcheint der Chemidmuß bes 
Lebens und der Wiffenfchaft fo gewaltig gefäuert, daß ihn alle 
Plantagen ber Zuckercolanien nicht zu verfüßen vermögen. Eine 
nicht geringe Menge von Stimmfähigen votirt hingegen wieder 
für dus Charafteriftilon dampfend, bei welcher Gelegenheit 

? ig, freilich nicht —F fernliegt. 
Faſt entſchieden ſcheint ſich aber der Sieg auf die Seite jener 
Majorität zu neigen’, die ſich für die Bezeichnung papiere⸗ 
nes Jahrhundert entfchicden, eine Benennung, bie, per idea- 
rum 3ssociationem, und zumal auf: „a priori fit denominatio”, 
als Regel gilt, einen etwas zweideutigen Rebenbegriff, nämlich 
den des Lumpigen, in ſich fehließt. Allerdings ſchwindelt Gi- 
nem der Kopf, wenn man an die ungeheuern Maffen von Pa» 
pier denkt, die jährlich in die Welt gefchleudert werden und 
womit fieh vielleicht fchon die Abgründe und Ziefen des Oceans 
ausfuͤllen ließen; allein diefes „Iumpengeborene Weltfüllſel“ 
fteht doch nicht allein da; es ift noch ein Accefforium zu ber 
rüdfichtigen: die Tinte. Wir haben erft neulich Die treffende 
Bemerkung gelefen: daß in allen Kriegen der alten barbariſchen 
Zeit nicht fo viel Blut vergoffen worden als in unfern Sagen 
Zinte. In der That, diefe Worte find weniger. Hyperbel als 
ed ſcheint. Allein gegen biefe Auszeichnung hören wir bie 
Druderfhwärze proteſtiren, die ſich fchwerlich ihre Gleichberech⸗ 
tigung wird ftreitig machen laffen wollen. So bliebe uns denn 
alfo die Wahl nur zwiſchen zwei Schwärzen übrig; um einer. 
von beiden Unzecht zu thun, fcheint es am gerathenflen, unfer 
Jahrhundert geradezu das ſchwarze zu nennen. 

Indeffen Scherz oder vielmehr Humor bei Seite und mit trocke⸗ 
nem Ernfte geſprochen: wir leben in einer vielſchreibenden Zeit, je⸗ 
des federfaͤhige und geübte Individuum ſcheint ein Hundertarm und 
Zaufendfinger geworden zu fein. Sollte es noch eine Weile fo 


fortgehen, fo wird es bald ebenfo viele Schreibende als Leer 


geben und Soft weiß, wie weit es noch kommen wird und zu 
welchem Facit es kommen kann, wenn unferer Graphomanie 
nitht ein arcanes Untidot, etwa bie berühmte Nieſewurz, zu 
ftatten kommt. &o übel es indeflen damit beftellt fein mag 
und fo arg es im Laufe ber Beit noch werden dürfte, an der 
Natura sanans, die das Heilmittel im eigenen Schooſe trägt 
und im rechten Augenblicke zu reagirender Selbſthuͤlfe ei, 
dürfen wir denn doch nit verzweifeln. Übrigens gibt fid. au 

dem Gebiete deß Schreibens und Schriftitelerns gerade diefelbe 
Goneurrenz, diefelbe überhäufte und jich ins Unendliche hinein⸗ 
potenzirende Production kund, bie auf ben meiften übrigen Fel⸗ 
dern menfchli Zhätigkeiten vorwaltet und bie, das eigent⸗ 


liche Bebürfniß beimeitem überragend und fich zu einer kuͤnſt⸗« 


lichen Höhe hinaufſchraubend, um ihrer felbfimillen bazufein 
und einer gewiſſen treibenden innern Rothwendigfeit zu folgen 
fheint. Bon biefem Gefichtspunkte aus angefehen het 

der Induſtrialismus unferer Tage, dem wir aud das Schre 


ben in feiner profeſſionnellen Erſcheinung fubfuniren, aller 


| dings in einem eigenthümlichen Lichte dar und gewinnt gewiße 
ſermaßen ein inftinctived Anfehen. Waffen wir die immer mä 


tiger und rapider hervorftrömende Schreibfeligfeit unferer Zei 
in ihrer genetifhen Entwickelung von einer andern Geite auf, 
fo gibt fie ſich als der lange zurüdigebäurnmte, baber enorm an» 
geftaute und nun ungeftüm hervorbrechende und Alles über» 


mn wm — — P 7 — —— — —*— 


— 


Autemde Arom Eund, der aber feiner Zeit ſich in ein bafkimm- 
te6 Rivean fegen und fefte Ufer juchen wirt. Maplofigkeit in 
Allem ift der Charakter unſers Jahrhunderts und war es am 
Ende eines jeden andern au, denn ed gibt ja auch eine Maß: 
Jofigkeit. ber Indoleng s biefer haben fih aber jene Zeiten Jul: 
big emacht, die im Gegenfage zu den unfern ſich der Geiſtes⸗ 
—*— gefangen gaben. Das aus opiatiſchem Schlummer er: 
wachte und Licht um Licht aufſteckende Bewußtfein verlangt nad 
innerer hellerer Klarheit, nach immer deutliherm Schauen, je: 
den, fliegenden Schatten; jeden noch fo dünnen Rebel möchte 
es verfiheuchen, in alle .nor fo perſteckten Winkel Leughtet es 
mit feiner Yadel hinein, damit ja das Dunkel nirgend mehr 
einen Berftedd oder Halt finde Da gibt es freilich Arbeit 
vollauf, und nicht umfonft bat der unfterbliche beutfche Buten- 
berg den wunderbaren geifigen Zelegrapben, dieſen blitzſchnel⸗ 
len Lichtträger erfunden. Mit andern Worten: weldper gebil 
dete und nad) innerer reinerer Humaniſirung ringende Menſch 
möchte nicht gern fih und der Welt Par, ber letztern und ſei⸗ 


ner ſelbſt immer bewußter werden wollen? und Tann ex Died | 


anders werben als durch ſchrankenloſe Mitthrilung unb bie be: 
ſcheidene Erwiderung aller Mitlebenden, die antwortende Welt⸗ 
fimmet Was dabei vom eiteln Dilettantismus, barer Spe⸗ 


dietion und induſtrieller Zuchmawerei mit unterläuft, ſcheint 
e 


zu fein, ift aber immerhin 


freilich vom Überfluffe und 


beſſer als träges Sichgehenlaflen und dumpfe @elbflverleugs 


nung. übrigens ſcheinen wol aud nur und, ald mitten im 
chgeſchwollenen und wogenden Strome Schwimmenben, un 


ſere Beiten als beifpiellos exceffiv ſchreibſelig — dem Umfange 


nach dürften fie allerdings von feiner andern übertroffen wars 
den fein —, allein der That nach haben e8 andere Zeitperioden 
auch nicht an Schreibeeifer mangeln laſſen. Die auf und über- 
gekommenen Rubera und Fragmente berechtigen zu einem Schluffe 
auf Das Dagewefene. &o viel wir wiſſen haben bie Griechen, 
unfere Lehrer und Meifter, im Schreiben nicht gefeiert, auch 
die Römer hatten es nicht gefpart, befonder& in ihren legten 
Zeiten. Wieviel mag die Furie ded Kriegs und die Barbarel 
der Eroberer nicht vernichtet haben, was byzantinifcher Beift 
in Schrift und Wort gefaßt! Wie wenig hat fi von arabı- 
ſcher Poeſie und Wiſſenſchaft, einf fo bluhend, zu und geret⸗ 
tet! If e6 uns endlich unbefannt, wie fruchtbar die Schola- 
ſtiker geweſen, dieſe Matadore der Vieljgreiberei® 
Laſſen wir nun zum Schluſſe unſerer Betrachtung auch eine 
fegriftfteßerifche Autorität über das Schreiben ſprechen. Mon: 
taigne in feinem befländig Homogenes combinixenden, ſich haufig 
aber ſeltſam durchkreuzenden Gebankengange berührt in dem Capi⸗ 
tel über „Gitelleit” auch dieſes Thema und fpricht zunaͤchſt 
von feiner eigenen PVielfchreiberei. Gr verweift es fich als bie 
größte Eitelkeit, fo eitel über die Eitelkeit zu. ſchreiben, und 
meint überhaupt einen Weg eingefchlagen E haben, auf dem 
er fo lange fortwandeln werbe, als noch Zinte und federn in 
der Welt zu haben feien. Da er Eein Begiiter über fein Leben 
durch feine Handlungen führen Fönne, jo führe er es durch 
feine Grillen. Es feien die Excremente eines alternden Gei⸗ 
fted, und wann werde ex damit zu Ende fein, eine unaufhoͤr⸗ 
liche Unruhe und- Abwerhfelung, feiner Gedanken, auf welche 
Materie diefe ji auch immer richten mögen, barzuftellen, Da 
Diomebes mit dem einzigen Inhalte feiner Grammatik 6000 
Bücher anfüllte Y —* koloſſale Vielſchreiberei, die trotz un⸗ 
ſerer enormen Firfingerigkeit noch nicht ihres Gleichen gefun⸗ 
1) „Was muß nicht erſt die Geſchwaͤtzigkeit thun“, ſagt 
igne weiter, „wenn ſchon das Lallen und das Löſen ber 
Bunge bie Welt mit einer fo RR Laft von Büchern er 
ſtickte! So viel Worte über blode Worte! O Pythagoras, 
warum beſchworſt du nicht diefen Sturm? Man warf in früs 
bern Reiten dem Galba vor, daß er fo ganz im Müfliggange 
iebe. Er antwortete: «Ein Jeder nö: Rechenſchaft geben 
von feinem Handeln, nicht von [einer Muße.» Er irrte fish; 
die Obrigkeit beobachtet und beitaft auch den Müßiggänger. 
Über es folte den Geſetzen eine gewiffe Zwangskraft gegeben 


werben gegen ſchale und unnüge Scheiftiteler ſowol alt genen 
Landfabrer und Yaullenger” (Da bütlen die Regierungen 
wahrlich viel 34 thun und waͤre died Verfahren die offenbarfte 
Vielregiererei. rigens dürften Die Regierungen gut thun, mit 
einer heilfamen Beſchraͤnkung des Schreibeüberflüſſes bei fi 
felbft anzufangen. Wahrhaftig! wenn der Productivität der 
Kanzleien nicht bald Grenzen gelent werden, fo wird man deu 
Regiftratusen und er Gebaͤude in Form äguptifcher Ne⸗ 
fropolen errichten müllen.) „Dadurch würde man mich 
ndert Andere aus ben Händen des Volks reißen. er} 
cherze wirklich nicht. Das Krigeln und Schmieren kommt mir 
ale ein Zeichen eines verberbten Jahrhunderts” vor. Wann 
haben wir wol mehr geichrieben als feit e8 bei und fo unruhig 
bergeht? Und wann die Römer mehr als da fie am Rande 
des Untergangs flanden? Überdies, da Geiftescultur in einem 
Staate nicht gerade Cultur der Lebensweisheit ift, fo entſteht 
biefer gehgäfine Müßiggang daher, weil fich Zeber mit den 
Pflichten feines Berufs nur nebenher abgibt und ſolche lieder⸗ 
lich treibt. Zur Berderbniß unferer Zeiten trägt ein Jeder non 
und das einige bei. Cinige dur Verrath, Anbere durch 
Ungerechtigkeit, Religionsveradptung,. Zyrannei, Geiz, Graue 
ſamkeit, je nachdem fie mehr oder minder maͤchtig ſind; die 
Schwaͤchſten duch Narrendeutungen, Gitelfeit und Müßiggang, 
zu benen zu gehören ich die Ehre habe” u. ſ. w. Faſt ſcheint 
ed, ald habe Montaigne in diefen Worten die Charakteriſtik 
unferer Zeit entworfen, fowie denn überhaupt alle Beiten etwas 
Gemeinſames, einen gewiſſen faulen Fleck Yaben, der eine ge= 
waltfame Operation nothivendig macht. Um wieder auf Biel 
fchreiberei zurüdzufommen, führen wir noch eine andere Stelle 
an, wo Montaigne fagt: „Ich wollte, ein Jeder ſchriebe was 
er wüßte, und zwar nur fo viel als er davon wüßte; nicht 
nur allein in, Bezug auf Laͤnderkunde, fondern in Bezug auf 
Alles überhaupt, dean Diefer oder Iener kann eine befondere 
Kenntniß oder Erfahrung haben von einem Fluffe, oder von 
einem Brunnen, der übrigens nichts mehr weiß al was Je⸗ 


dermann weiß. Gleichwol wird ex, um feinen Broden an den 


Mann zu bringen, über die ganze Naturlehre fchreiben. Aus 
diefem Unmefen. entipringen manche und große Unbequemlich⸗ 
keiten.’ Überdics äußert Montaigne über geiftige Production 
no Folgendes: „Da nun aber die Gefchichte voller Beifpiele 
von diefer allgemeinen Liche ber Bäter zu ihren Lieblingdfin- 
dern ift, fo hat mir gedaͤucht, es fei hier Bein unfchidlicher 
Dit, auch einige Züge von ber väterlichen Bärtlichleit gegen 
Geiſteſskinder anzubringen. Heliodorus, biefer wadere Biſchof 
pe Tricca, wollte lieber feine Würde, feine Ginkünfte, die Er⸗ 
auung einer, fo ehrwürbigen Prälatur aufgeben, als feine 
Tochter („‚Athiopia”, ein Roman) verlieren; eine Tochter, welche 
bie zu diefem Tage ſehr artig iſt, dabei aber vielleicht cin we⸗ 
nig zu ſehr gefhmüdt, ‚gepust und geziert, auch wol von zu 
verkiebter Natur für die Tochter eined hoben Geiftlichen und 
Prieſters.“ Montaigne führt nun noch das BVeifpiel des Roͤ⸗ 
mer6 ‚Rabienus an, ber ein Mann von großem Anfehen und 
dabei ein vortrefflicher Literator war. Die Widerfacher feiner 
freimüthigen, gegen Iyrannei und Gewaltthat eifernden Büs 
der wußten es hei der roͤmiſchen Magiſtratur dahin au brine 
gen, daß feine Werke zum Feuer verdammt wurden. Das erſte 
Deifpiel diefer Art von Strafe, die fpäter in Rom fo gäng 
und gäbe wurde. Labienus konnte bdiefen Verluſt nicht extra 
gen, ließ ſich nad ber Gruft feiner Ahnen bringen und dort: 
Vebendig begraben. „Man würde Mühe haben”, ruft Man⸗ 
taigne aus, „eine andere beftigere väterliche Neigung als Diefe 
aufzuweiſen!“ Gelegentlich dieſes Bücher » Autobafe bem 
Caſſius Severus, ein Mann von großer Beredtfamleit und 
vertrauter Freund bed Kabienus, man bätte zugleich auch ihn 
zum Feuertode verurtheilen follen, denn ex bewahre ben: Inhalt 
jener verbrannten Werke in feinem Gedachtniffe. Montaigne 
erwähnt nun noch der Verdammung der Seiten bed Are 
mutius Gorbus zum Feuertode, weil er darin 

Caſſius gelobt, und fuhrt dann no als Beifpiele zärtlicher 


en Brutus und ° 





0 


ale hebt haben und vermnäblte ſich mit Leby Eilimer 
Brandon, Fit Deinrih’6 VIIL und Tochter Mariens, Witwe 
Zudrwig’s XI, von Frankreich, „eine Dame”, wie Hartiey 60 
feridge fast, „deren Bebächtaiß hoch verehrt werben muß, da 
fie im 16. Jahrhundert es. wagte, ſich mit hem MRanne ihrer 
Wahl zu verbinden”. Die Auszeichnung, koͤniglichem Blute 
verwandt zu fein, Poftete dem Gemahl einen großen Theil fei- 
nes Vermögens. Er erfehte das nach Ellinor's Tode durch 
Beſchraͤnkung feiner Ausgaben und durch die Wirthlichkeit ſei⸗ 
ner zweiten Gemahlin, Tochter des Lords Dacre, die „nie nad 
oder in die Nähe von London kam’. Als Leiche aufgebahrt 
laubte einer feiner Diener eine Bewegung feines Mundes zu 
Demerken. Er wurde ind Bett gebradt, genas zu Präftiger 
GSefundheit und farb fünf Tage nach der Verlobung feines eff: 
jährigen Sohnes & mit der noch jüngeren Tochter des zwei⸗ 
ten n von Bedford, Francis Ruffell. Daraus entftand 
eine unglückliche Ehe. in darakteriftiicher Jug Georg 6 war 
feine Leidenſchaft für Unternehmungen zur Ger. Er machte 
beren elf, nach Weftindien, dem fpanifhen Amerika und 
Sierra Leone, meift gegen die Spanier und Holländer und 
faft ſtets auf eigene Koften. In dem merkwürdigen Jahre ber 
Armada zeichnete er ſich wit feinem Schiffe bei dem Gefechte 
vor Galaid aus und auf feiner dritten Unternehmung, 198%, 
fehleifte er Fayal in den Azoren und eroberte 23 Schiffe im 
Gefammtwerthe von mehr als 20,000 Pf. St. Doc mußte 
er dafür ſchwer leiden — Wunden, Hunger und Durft. Da 
er zugleich ein Liebling der Königin Eliſabeth war, bie ihn 
gum Witter des Hofenbandordend und bei allen Turnieren gu 
ihrem Kämpen ernannte, darf e6 nicht befremden, daB er als 
der Meichfte feiner Vorfahren angefangen und nad 20 Jahren 
als der Armfte aufpörte.- Er ftarb in London und ruht in der 
Gruft des Schioſſes Skipton. Mit feiner Tochter, der berühm- 
ten Lady Anna Glifford, vielleicht eine der außerordentlichften 
rauen Englands, erlofch daß große und edle Geſchlecht. Schen Das 
ift an ihr merkwuͤrdig, Daß fie eine Beſchreibung ihres Lebens 
hinterlaſſen hat,» vol intereffanter Details in Beziehung auf 
fie und ihre Familie. Ihr Lehrer war der fprachbewanderte 
Dichter Daniel, beffen Streben, ' fie für Dichtkunſt und Did: 
ter zu gewinnen, nicht vergebens gewefen fein kann, Da fie ın 
Weitminfter : Ubtei Spenfer ein herrliches Denkmal errich⸗ 

ten ließ. Noch ſehr jung vermählte fie fih mit Richard, drit⸗ 
gem Grafen von Dorfet, einem wigigen und geiftreichen Manne, 
aber einem liederlichen Verſchwender. &ie gab ibm zwei Toͤch⸗ 
ter, von weichen die Erfigeborene fi dem Grafen von Tha⸗ 
set verband, deſſen Familie noch gegenwärtig im Beflg der 
ehemaligen Clifford'ſchen Güter in Weſtmoreland und Eraven. 
Er ftarb 1624, und wie ſchmerzlich auch Lady Anna von feinen 
Yusfchweifungen berührt morden fein mag, mit leichter Feder 
ſtreift fie darüber hin. Sechs Jahre fpäter, ihn ihrem einund⸗ 
vierzigften, vermählte fie fih ein zweites Mal mit Philip Her: 
‚bert, Grafen von Pembroke und Montgomery. As Witwe 
hatte fie den Entſchluß gefaßt, dafern Gott ihr einen zweiten 
Gemahl befchieden, Peinen zu nehmen, der Kinder babe, ein 
Höfling fer und fluche und ſchwoͤre. Indeß bezeichnet die Ge: 
ſchichte den Gewaͤhlten als einen Undankbaren, einen Dumm: 
Bopf, einen Frechen Schwörer und eine Memme — „ein ſchla⸗ 
ender Beweis’, fagt ihr neuefter und vorzüglichfter Biograph, 
artley Eoleridge, „Daß oft die werthlofeften Männer über die 
beften und kluͤgſten Frauen, namentlich über jolhe von gewiſ⸗ 
fen Jahren, eine unerklaͤrliche Gewalt haben”. Die Berbin: 
dung wurde für die Gräfin eine Quelle des bitterftien Kum⸗ 
mers, bis am 23. Sanuar 1650 ber Tod ihres Gemahls fie 
erlöfte. Dennoch fit fie von ihm, wie eine gute rau von 
ihrem geftorbenen Manne ſprechen follte, wäre es auch bloß au 
ihrer eigenen Ehre — fie deutet feine Zehler an und vermeilt 
bei feinen Borzügen. Bereits durch den frühern Hintritt ih» 
ves Oheims und Defien Sohnes waren die Befigungen bed Hau: 


es Glifferd in ihrer Hand zufammengefomumem wab der 

res Gemahls machte fie zur unbeichränkten Herrin. Sie lebte 
von nun an meift auf ihren Schlöffern, that Gutes und forgte 
dafür, daß Mit: und Rachwelt es erfuhren. Sie war e 


Frau von hohem Geil und ſtarkem Willen und — wußte . 


As Sir Joſeph WBillinmfon, Secretair König Karl's U., ihr 
das Recht beſtritt, ein Parlamentsmitglied für den Flecken 
Appleby zu ernennen, ſchrieb fie zuruuüòkte. 
„Ein Uſurpator hat mir getrogt, ein Hof bat mich ver: 
nachlaͤfigt, ein Unterthan ſoll mir nicht en 

Anna Dorfet Pembroke und Montgomery.” 

ie flarb den 22. März 1675 auf dem Schloſſe Broug⸗ 
ham in dem feltenen Alter von 37 Jahren. u. 





Literariſche Notizen aus Frankreich. 


Ulgter. 


Der franzöfifche Rationalwohlſtand wird durch Die Be: 
figungen in Algerien bekanntlich nicht eben fehr fonderlich ge: 
fördert. ine defto ergiebigere Quelle aber bieten biefe Eole- 
nien den fingerfertigen Zagesfchriftftellern, welche wit dem 
Umfidgreifen der franzöfifhen Eroberungen einen immer mehr 
fi ausbreitenden Stoff zu Darftelungen aller Art erworben 
baben. Unter den populairen Werken, weldge mehr darauf be 
rechnet find, eine dem allgemeinen Bedürfniß genügende Kennt: 
niß der von den Franzoſen beſetzten Gegenden zu verbreiten, 
verdient eine illuftrirte Schrift von Chriſtian, Der nad allen 
Richtungen hin fih als geſchickten Faiſeur betbätigt hat, vor: 
theilhaft hervorgehoben zu werden. Wie führt den Xitel: 
„L’Afrique frangaise, l’empire de Maroc et les desertes 
de Sahara.” Das Ganze tft auf 50 Kieferungen berechnet 
und behandelt außer der eigentlich pittoresken Partie natürlich 
vorzugsweife die Eroberungen und die Großthaten der franz 
ſiſchen Zruppen. Die Darftelung und Verarbeitung der 
kannten Thatſachen ift im Allgemeinen genügend, und wenn 
man bier und da durch ein gewiſſes Prunken mit nationalen 
Erinnerungen oder dur einen etwas hohlen Pathos unange- 
nehm berührt wird, fo muß man die Abficht und den Zweck, 
welchen der Verf. bei feiner Arbeit im Auge hatte, wit in 
Anfchlag bringen. . 





Die Kathedrale von Royon. 
Nitet hat fih durch feine fehr verfchiedenartigen literari- 
fchen Leiftungen al& Kenner des Mittelalter, befonders infe- 


weit daſſelbe Frankreich betrifft, vortheilhaft befannt gemadt. 


Befonders bemerkenswerth find feine Arbeiten, welche der Be: 
trachtung mittelalterlicher Dentmale, vorzüglid derer, welche 
der Baufunft angehören, gewidmet find. Seine neuefte Schrift 
bezicht fich auf das naͤmliche Bebict, weiches es ſchon mehr: 
fach angebaut hat. Diefelbe bietet eine fehr forgfaltige Be⸗ 
fhreibung der Kathedrae von Noyon. Sie führt den 
Zitel: „Monographie de l’eglise Notre - dame de Noyon.“ 
Dem eigentlih beſchreibenden heile gebt eine hiſtoriſche 
Rachricht und eine tiefer gehende arcäologifche Außeinan- 
deriegung voran. Diele Partien haben aber felbft ein allge 
meines Intereile, indem in denfelben Andeutungen gegeben wer: 
den zu einer ſtreng wiſſenſchaftlichen Glaffification des Buuüber: 
tefte des Mittelalters. Das ganze Werk bildet einen wichti⸗ 
tigen Beitrag der Übergangdperiode, welcher, der Anficht Bi 
tet's zufolge, die Kirche zu Noyon angehört. Der aus 23 Ia 
feln beftehende Atlas, welcher der deutlichern Anſchauung we 
ven bem Werbe beigefügt ift, bat den Architekten Daniel Xa- 


meée zum Verfaſſer. Wir wiſſen nicht, ob dies der nämliche 


Kunſtkenner ift, welcher ein recht brauchbare Handbuch ber 
Archäologie geſchrieben bat. 17. 





Berantwortiicher Heraudgeser: Seiurich Weodhand. — 





Drud unb Verlag van F. X. Wrodpans in Leipzig. _ 








81 


literariſche 





sevin Schücking. 
1 Gißte,om Zetdin Ohäking. Enger, « 


2. Die Ritterbürtigen. Koman von Levin Shüd 
Drei Zpeile. Leipzig, Brodpaus. 1846. Gr.12. 4 
15 Rer. 
Bir halten die beiden vorliegenden Werke Schüd 
für maßgebend, um aus denfelben nicht allein feine ( 
lung zue Litesatur der Gegenwart nachzuweiſen, for 
auch bie Mufe des Dichters in ihrem eigentlichen V 
zu erfaffen und würdigen zu lernen. Schücking tft 
ein Mann von gan; moderner Bildung, aber die 
gen ber Gegenwart, ber Kampf und das Ringen der 
neuern Ideen ſcheinen exft dann am ihn herangetreten 
zu fein, in feine Entwidelung eingeſchiagen zu haben, 
als er bereitö ſchon für fih auf dem Wege ber: eigenen 
Ausbildung einen begrenzten Standpunkt, eine abge 
ſchloſſene Welt errungen zu haben meinte. Sein Weſen 
bat den Kampf von unten heraus: nicht mitfchlagen hel · 
- fen und fi daher zum Theil auch ganz fpröde der neuen 
Eutroitelung gegenübergefiellt, da es eine beftimmte Kich · 


tung, sine. charakteriftifhe Individualität fhon geworden“ 


war; was auf bem Wege einer von Jugend auf buch 
moderne Jdeen geleiteten. Ausbildung leichter erzielt wird, 
lebendiger in das Weſen felbft übergeht, hat Schüding 
erſt auf dem fauern Wege bes Gedankens in ſich aufgenom · 
men, zum Theil auch mit den Formen, die von früher 
% bei ihm fefigeworben waren, zu verſchmelzen gefucht. 

ift Mar, dag auf dieſem Wege ein gewiſſer Zwie · 
ſpalt mitten in bie früher harmoniſche Welt des Poe ⸗ 
ten gefommen ift: die Anſchauungen und Bilder aus 
der erfien Periode fommen mit ihren, jüngern Genoſſen 
oftmals in Streit und Hader; bald ſtecken dieſe fiegreich 
ihr Banner.auf ben Trümmern von jenen auf, bald auch 
und öfters noch ziehen jene mit klingendem Spiele und 
fliegenber Sahne an ihren jüngern Brüdern triumphirend 
vorüber. Es iſt wol überflüffig zu bemerken, daß wir 
den Poeten perfönlich gar nicht kennen und daß wir un 
fer Ursheil bloß aus und nad; ben Erzeugniffen feines 
Geiſtes gebildet ‚haben, was um fo ungetrübter deshalb 
daſtehen wird, als es micht ben Sqhein haben Tann, daß 
wir über der äußern Erſcheinung der Perfon das innere 





nicht geworden, er fteht noch in dem erſten Entwice ⸗ 
Iungsmomente, die Geftalten haben noch Fein Fleiſch, es 
find Teichte flüchtige Schemen, die Einem durch die Hände 
ſchlüpfen, Abftsactionen ohne beftimmten Inhalt, Bilder 
ohne Farbe. Schücking ſieht noch auf der Brücke, bie 
aus der Romantit in bie freie Iebenbige Gegenwart 
führt, er macht Anfäge, thut Anläufe, bie Geftalten am 
jenfeitigen Ufer zu erreichen; aber fie huſchen noch luftig 
an ihm vorüber, und er wendet den Blick wieder rüd- 
wärts nach dem Strande, von dem er aus gegangen; ba 
ragen bie Sinnen einer alten Burg fo ſcharf und keck 
in die Wolken hinauf, da gteßt der Abend ein mildes 
roſenfarbiges Licht über die Gipfel und Spigbogen ber 
Dome, die Glocke ſchickt fo weich und wehmüthig ihre 
Ave Mariatöne zu dem Wanderer hin, ber am Ger, 
ſtade eines Sees wandelt und bie Nipen tief unten im 
kryſtallenen Haufe ihre goldenen Haare ftrählen ſieht; 
da ſchaut von dem Balcone ein Nitterfräufein in den 
Burghof hinunter, in welchem die Knappen in blanter 

üftung bie von ber Jagd ermübdeten Moſſe führen, 
und nebenbei lauſcht fie ſchalkhaft den Tönen eine 
Minneliedes, das unten aus ber Laube ihr Ritter fingt. 
Welche Macht, welche Pracht! wie Das anzieht und 
lot! Der Poet Iebt fo fortwährend in der Schwebe; 
will er dieſen Traͤumereien drüben laufchen, all die Töne 
und Bilder mit ihren verführifchen Lauten, ihren glein 
ßenden Farben in feine Seele ungeflört und .ungetrübt 
aufnehmen, fo mahnen jenfeit wieber bie ernften, ſchwe · 
ren, Klänge, die Glocke ber Zeit ſchlägt mit ihrem Bier 
fenhammer die Stunde des Morgens, und ein ganzes 





d 


Volk ſtimmt freie, muthige, nie gehoͤrte, nie geahnte 
Hymnen an. Erſt wenn der Zwieſpalt, ber bis jept 
noch das Weſen Schüding’s fheilt, innerlich überwun⸗ 
den, wenn bie Einheit eine wirkliche wahrhaftige ge- 


worden ift, dann erſt werben auch ‚die Erzeugnäffe feiner 


Mufe wahrhaft künftlerifchen Werth erhalten, und zwar 
Am fo größern als er den Begenfag zwifchen alten und 
neuen Poeten felbft durchgemacht und beide fein Weſen 
mit ihren Formen und ihrem Inhalte befruchtet haben, 
mährend ben vorzugsweife fogenannten mebernen Poeten 
biefe Doppelfeitigkeit zu eigenem Nachtheile abgeht und 
auch dieſe wieder zur Einfeitigkeit hindrängt. Wo bie 
Urfüchen diefes angegebenen Bilbungsganges von Schüding 
liegen, bas wollen wir nicht entfcheiden, ba wir hierzu 
mit den Ereigniffen feine aufern Lebens vertrauter fein 
müßten als wir es in ber That find; aber jedenfalle 
Tonnen wir mit: Gewißheit annehmen, daf die Erziehung 
und der Aufenthalt in einem, fatholifchen Rande viel zur 
Grllärung und Rechtfertigung des poetifchen Standpunkte 
beitragen wird, Wenn wir einmal eine Hypotheſe wagen 


bürften, fo würden wir annehmen, daß Schücking eine 


kloͤſterliche Erziehung ober doch wenigſtens eine Bildung 
genoffen hat, die von geiftlichen Elementen beherrfcht 
wurde; benn nur baraus laͤßt fich eigentlich feine Ver⸗ 
fpottung, fein Abfcheu gegen bie Philoſophie erklären, 
bie er in dem Bebichte „Die Philoſophen“ betitelt zu 
erkennen gibt: denn dies iſt nicht ber ‚wie ein 
- portifches , geſtaltungsreiches Gemüth etma gegen bie 
NPhiloſophie als eine reine, abſtracte Wilfenfchaft an⸗ 
kaͤmpft, ſondern es find bie trivialen, abgenugten Phra⸗ 
fen, mit denen Finſterlinge dieſe Blüte des menſchlichen 
Geiſtes zus verdaͤchtigen fuchen. V 
Sagt mir nur Eins und ich will glaͤubig ſein: 

Wohin des Hundes Seele einſt wird fahren? 

Beigt mir nur Eins: ein krankes Käferlein 

Seit von eurer hohen Kunft Scholaren; 

Shut mie nur Eins: ein gludiend Kuͤchlein brütet 

Aus al den tauben Eiern, bie ihr huͤtet! 

Wir glauben im Intereffe ber Menfchheit nicht an 
die Unfterblichfeit von Hundeferlen, find auch nicht fo 
fentimental, am Krankenbette eines vo zu weinen, 
und möchten gern für ben Poeten der Betrachtung bie- 
ſes Gedichts, das weniger noch als ein taubes Ei ifl, 
ms überhoben haben, wenn es nicht mitten in ber 
Sammlung guter Gedichte fände und wenn wir es 
nicht vorher erſt beifeite haben wollten, che wir auf bie 
"Gedichte ſelbſt eingingen, bamit es nicht als flörenber 
Geift fortwährend auftauchte und une den Eindrud ver- 
Bunsmerte, den Genuß vergälite. 

Die Gedichte zerfallen in: vier Hauptabtheilungen, 
Liebesgedichte, erzählende, vermifchte und Sibylliniſche 
Blätter, welche Ieptere aber blos der Form nad, bem 
Poeten angerechnet werben können, ba fie nah S. T. 
Coleridge bearbeitet find. Liebesgebichte und vermilfchte 
bilden den verzäglichften Inhalt des Buchs, ba fie bie 
beutlichfien Spuren einer eigenthümlichen, charakteriſti⸗ 
ſchen Individualität tragen, während bie erzählenben ber 
Sorm nach in dem. Uhlanb’schen Ballabenflile ſich fort: 


bewegen, und oft weit binter dem treuhersigen, kernhaf⸗ 
ten, volksthümlichen Ausdrucke jenes Sängers zurück⸗ 
bleiben. So fehr wir aud bie erzäblenden Gedichte 
ben Balladen Uhland's, Schwab's und andern neuern 
unterordnen, ebenſo fiellen wir auch bie Biebesgebichte und 
Hiele davon, welche unter ben vermifchten ſtehen, nicht 
allein ben erotifchen Liedern ber vorhergehenden Dichter 
gleich, fondeen manche noch über biefelben. Jene Ge⸗ 
dichte haben außer ihrer ungemein reinen und faubern 
Form, ihren fhönen Bildern und Gleichniffen eine große 
Tiefe -und Fülle der poetiihen Anfhauung vor jenen 
voraus, fie halten die ſchoͤne Mitte zwiſchen den üppig- 


lüfternen, oft laſsciven Liebern Heine's und ben im trade 


nen Reflerionsftile gehaltenen Gedichten fo mancher neuern 
Poeten wie eines Diefenbash, Hartmann, Haltaus u. U, 
ebenfo wie zwifchen den aus tiefer zerriffener Bruft. her⸗ 
sorgedrungenen Klagelauten Lenau's und ben heitern, 
leichten, durchſichtigen Rhythmen von Uhland. Wenn 
man gerade einen Vergleich mit. einem Altern Sorten 
zulaffen wollte, fo würde man hier wol ‚ohne viel fehl 
zu geben in bie mittelalterlihe Poeſie zu greifen haben, 
etwa nach Walter von der Vogelweide, zugleich ließe ſich 
aus einer ſolchen Parallele auch nachweifen, wie bie mo» 
bernen Dichtungen, fo fehr auch die alten wie mittedalter- 
lichen Philologen vornehm fie über die Schultern ca 
fehen, bie Altern Poeſien an Breite und Ziefe der Em⸗ 
pfindbung, an Schönheit und Mannichfaltigkeit ber Form, 
an Gefchmeidigfeit und Eleganz der Verfe und Rhyth⸗ 
men übertreffen, wenn fie ihnen zum Theil auch an nai⸗ 
ver Wahrheit nachſtehen ſollten. Die Poefie Schäding’s 
ft ein Brunnen in einem grünen Parke: der Strahl 
fährt melodifh ans ber Quelle in die heitere, reine 


-Quft, die Sonnenftrahlen gligern in feinen Waſſern, bie 


flüfternd und fhäumend in ein Beden von glatten Mar⸗ 
mor wieder zurüdfallen, frei und ungehalten, indeß ſchoͤne 


- Frauen an bad Waſſerbecken herantreten und ihre Au⸗ 


gen meiden an dem Funkeln des Strahles und ihr Die 
ergögen an dem melodifchen Geplaͤtſcher. Schuding’s 
Dichtung trägt faft gar feine oder nur fehr geringe 
Spuren von ber modernen Gentimentalität oder Zerriſ⸗ 
fenbeit, feine Gefühle und Empfindungen gleiten 
und heiter über bie Wellen des Lebens, und nur hiet 
und da Hagt eine Welle von „trüben Tagen und blei⸗ 
hen Wangen”. Es ift ein flilles, feliges Befangenfein, 
ein Traͤumen in Liebe und Ratur, das über der Dich⸗ 
tung Schüding’s waltet; die Wellen und Strudel, wel⸗ 
he das Leben aufmwirft, loͤſen fih auf und an ben Klip- 
pen ber Zeit fleuert feine Muſe ruhig und fern vorüber. 
Ws charakteriftifch für Schüding heben wir noch her- 
vor, was zugleich auch den Bergleih mit Walter von 
der Vogelweide meiter rechtfertigen mag, daß eine ge- 
sother 


‚wiffe Froͤmmigkeit, eine religiöfe Stimmung als 


Baden durch die Gedichte fich hinzieht, eine Gotteserge⸗ 
benheit, die aus dem abendlih frommen Glockenläͤuten 
Segen ruft auf Thaͤler und auf Höhen unb wie. Ber 
bete bie Schläfen feiner Geliebten umſchwebt. Die 
Freude an der Gelichten Elingt bei Schucking aus im 


‘ 


ciwene Bicbe, das den Schöpfer aller dirſer Schönheiten 
verherrlich€: „‚Befegnet fei, der dich Ins Leben fanbte, ber 
dir der Anmuth Schleier und der Hoheit Mantel um 
die Schultern flug! Die Geliebte iſt der Engel, ber 
dem Poeten die Botſchaft vom Himmel bringt, ein ewig 
seiner, ewig ferfcher Quell, wie «6 in dem fehr gelunger 
nen ypoetifchen Gedichte „Radte im Park” ausgebrüdt 
ft, dem fich das Lieb „Zum 19. September” durch ben 
Iuftigen Gang feiner Rhythmen, bie Schönheit feiner 
Gedanken würdig anſchließt. Es hebt fo an: 
Bir ſehles an frifchem Laube 

Bum Kranze für dein Haar, 

Womit ich, meine Taube, 

Dir feane dieſes Jahr; 

Epheu und Blütendolde, 

Darauf den duft'gen Thau — 

Den wuͤnſch' ich mir, du beide, 

Du wunbderfüße Frau! 

Bor den Bliden der Geliebten zerftäuben die So 

gen‘der Dichterbruft und des Jahrhunderts, die Mär- 
chen aus alten Zeiten Mingen iiber in feiner Bruſt, 
geſchichtenreich ſteht er als ein vergeſſener Träumer in 


der Einſamkeit und bei feiner Liebe für alle die ver- | 


gangenen Herrlichteiten kann ee nicht. fo recht eigentlich 
auf den Boden bes modernen Lebens gerathen: bie Wap- 
penfcheiben feines Burgen laſſen den hellen Strahl ber 
Gegenwart nicht ohne Brechung hindurch, und auf glat- 
tem Parquet hört er nicht den ſchweren Eifentritt der 
Zeit; nur aus der Ferne brauft es zu ihm heran, und 
fein Geift ahnet, mas das Geräufch bedeutet, er xafft 
fih auf, aber nur auf halbem Wege bleibt ex ficheny 
die Zweiheit feiner Natur, diefes Getheiltſein mag zu⸗ 
weiten felbft bei ihm zum Bewußtſein fommen, und in 
einem Liebe „An meinen Lothar” glauben wir die Be⸗ 
lege dafür zu finden: 
Gebroch'ne Pläne wirft du von mir erben, 

Berwehte Klänge, halbe Melodien ; 

Erfolge, die fhon im Erblühen fterben, 

Und, wenn ich fie erfaflen will, entfliehen; 

Dir fei ein glüdlichered 2008 befchieben: 

Den lud der Halbheit, o den kenne nie! 

Dein Leben fei ein ganzer Klang voll Frieden, 

Ein voller Zon ber tiefften Harmonie. 

Zu ben gelungenften Gedichten der Sanımlung ge-. 
hören: „Weftfalen”, „In ber Schweiz“, „Der Rhein‘; 
fie fiehen in der Sammlung fafl an bemfelben Punkte, 
den wir ihnen in ber Entwidelung des Dichters anmeifen 
möchten, an der Grenze von fenem Träumerleben zum 
Erwachen, an ber Grenze von ber Remantif zur mo- 
dernen Poeſie. In dem Gedichte „Beim Hochamte“ 
tritt uns diefer Ubergang zum erften Male geftaltenreich 
entgegen. Die Trompeten ſchmettern jubelnd und fin- 
gend durch den Ehor wie Zonblige aus den Weihraud;- 
lüften, des alten Glaubens Majeftät rebet in Hymnen 
und Donnerworten die Sprache ber Jahrhunderte, aber 
ans feinem Bau fällt Stein auf Stein und die Töne 
wecken in der Bruft bes Dichters ein unendliches Wehe, 
das fi in den Worten endlich ermutbigend ausſtroͤmt: 

Ber hemmt den Geiſt, daß er allmächtig wehe, 
Sein Strömen wer, daB es das Starre züchtigte! 


Die Gedanken [hart er num als ſchlachtenmuthige Trup⸗ 


yen um ſich ber, aber es find oftmals bloße Abſtraetio⸗ 
nen, und der Allem nur im Gegenfage mit dem Glau⸗ 
ben, den er c(hiſtoriſch unmahr) der Menfchheit Zügel und 
ihren Fluch nennt. Im Gedichte „Fahnenwahl” reift 
er ſich nun wirklich von feinen vomantifchen Stoffen 
los, er fährt aus feinen Träumereien hervor, das Reben, 
das in frifhen Klängen an die enge Klauſe klopft, 
ei, wie das bröhnt und wettert, 
ei, wie's zerflingt am ten! 
hat ihn aufgeweckt, er fagt der Klaufe, dem Thurme, 
der Waldkapelle Lebewohl, fammt den Wundern und 
den alten Melodien; das Rolanbehern des Geiſtes Hingt 
lauter als alle die alten Kicchenlieder und Märchen- 
Mänge, ber Schild der Freiheit ſchwebt höher, tönt hel⸗ 
ler als alle die verrofteten Wappenſchilder, und das 
Bild bes beutfhen Volks in feinem Streben zur Frei⸗ 
heit glänzt ſtaͤrker als alle Pracht des alten heiligen roͤ⸗ 
mifhen Reiche deutſcher Nation. 
Run fort mit dieſen Traͤumen, 

Ih fühle des Morgens Weh'n, 

Der Strom wird flürmen und ſchaͤumen 

Und fiegend niedergeh'n. 

SH fürz' in fein Wogen und Wallen — 

Ein neu belebend Bad! 

Aus feiner Flut Rryftallen 
Einen Trunk dann auf den Pfad! 
Und biermit wollen wir von den Gedichten Abfchied 
nehmen, mit dem Wunſche, daß ber Poet „den Kritiker 
nicht als Hochverräther feines Reiches anſehe und ihm 
nicht ein trockenes Plägchen wie die andern Landesvaͤter 
anmeife”, es müßte denn eine fchöne Billa in Weſtfa⸗ 
ien fein! 

(Die Fortfegung folgt.) 





Antipathien zwifchen beutfchen und flawifchen Volks⸗ 
ſtäͤmmen, mit befonderer Beziehung auf Rußland. 
Bon Fr. Leizmann. Lemgo, Meyer. 1845. 
Gr. 8. "pa Nor. 

Daß Antipathien zwifchen deutfchen und ſlawiſchen Volks⸗ 
ſtaͤmmen vorhanden ſeien, und ein Gegenſatz zwiſchen beiden 
ſtattſinde, lehrt nicht nur die Gegenwart, ſondern auch die 

Geſchichte und eine nähere Rüdficht auf die Eigenthuͤmlichkei⸗ 

ten beider nach Abſtammung, Sprache, Sitte und Religion fo 

wie bie Beachtung der durch ihre geographiſche Stellung 

einander bedingten Urt ihrer fortdauernden, gegenfeitigen « 
rungen, und des Teembor eigen, faft außereurspäifcden Cha⸗ 

rakters der Verfaſſung felbftändiger flawifcher Staaten und 

Reiche. Der Berf. der vorliegenden Schrift fucht diefe Anti⸗ 

en, diefe Gegenſäͤtze nach inneren Gründen und nad aͤu⸗ 
Thatſachen weiter nachzuweiſen und darzulegen; allein er 
offenbar eine zu guoße und zu lebhafte Eympathie für 

Mußland, indem er den Bwed Bat, ein reinered, unbefangenes 

Urtheil über ruffifche Staats » und Bilbungsguftänbe und über 

den Charakter des Slawenthums zu vermitteln, eine Sympa⸗ 

thie, Die nad) Demjenigen, was er felbft in bem Borworte über 
ben mit feinem Aufenthalte in Rußland für ihn verbunden ges 
wefenen Reiz bei Betrachtung eines in kraͤftiger Entwickelung 
iſſenen Volks ſagt, erklaͤrlich genug iſt. Dabei iſt er 
mehre Jahre ruffiſcher Beamter geweſen, und erklaͤrt gerabegu, 
ihn jener Reiz vieleicht für immer an Rußland und an 
dad ruffifihe Bolt — „das wenigftens in feinem Kerne 
in unverborbener Jugend ſteht, das aber ſchon mit allen Kraͤf⸗ 


2 


. 
_—-_. — —_ — — 


ten nach Eroberungen ringt, bie innerhalb feiner ſelbſt auf 
den friedliden Pfaden der Bildung und Menſchlichkeit gu voll» 
bringen find — gefeflelt hätte, wenn man nur — das Bas 
terland an den Schubfohlen mitnehmen Fönnte! Ob unter diefen 
Umftänden der Verf. der gegenwärtigen Betrachtungen für 


Eh unbefangen und ıwmparteiifch in feinen Anſichten und Ur 


n über Rußland unb das ruffifche Boll gelten Tonne, 
möchte Ref. bezweifeln. Legterer verfennt übrigens das In» 
tereffe durchaus nicht, welches das Streben Rußlands dem Be: 
obachter gewährt, und ift auch ber Meinung, da die Aus: 
länder nicht immer mit der erfoderlichen Undefangenpeit die 
Buftände Rußlands betrachten, wenngleich ed nicht als ein Vor⸗ 
wurf gelten kann, diefe Buftände ſowie das ganze politiſche 
often Rußlands, namentlich im Verhaͤltniſſe zum Auslande, 
nicht blos zum flawifchen Polen, mit mittrautfhen Blicken zu 
betrachten, als Patriot und als Kosmopolit. endarum vet» 
kennt Ref. auch nicht, daß die vorliegende Schrift intereffante 
und lehrreiche Aufſchlüſſe über Rußland fomwie überhaupt 
über die flawifihen Volksſtaͤmme enthält, die manche Irrthümer 
über diefelben zu berichtigen wol geeignet find. 

Die in der neuern Seit ſtärker erwachten nationalen An⸗ 
tipathien der bdeutfchen Volksftämme gegen die flawifihen, Die 

u fehr in den Berhaͤltniſſen der nergangenpeit und in der 

erichiedenheit der innern Cigenthümlichkeiten beider ihren 
Grund haben, werden freilidh alle dieſe Betrachtungen und 
Mittheilungen des Berf. nicht zu befeitigen vermögen, eben 
weil fie außer uns, weil fie in der Sache felbft liegen. Bor« 
nehmlich macht übrigens Nef. auf alles Das aufmerffam, was 
in der vorliegenden Schrift über die Bitten und Gebräuche 
der Slawen, ihren Eharakter, ihr gemüt liches und geiftiges 
Leben, dabei über ihre Volkslieder bemerkt wird, fowie was 
ber Verf. weiterhin über die Stellung Rußlands, feine poli: 
tifch : nationale Entwidelung, feine foctalen Zuftände, das Sy: 
ſtem feiner Regierung und das Streben der ſlawiſchen Voͤlker 
nah Eonfolidirung und @rlangung einer gewiffen Einheit aus- 
ſpricht. Dabei verhehlt er die Mängel der ruffiichen Eivili» 
fation (Leibeigenfhaft, Mangel eines 'lebenslräftigen dritten 
Standes) durchaus nit, beklagt in Betreff der ruffifchen 
Rechtspflege Die große Beftechlichkeit vieler ruſſiſchen Beamten 
fowie den großen Mangel an Landſchulen. Doch rühmt er 
den Drang nad Einſicht und Bildung im ruffifchen Bolke, 
und fucht den Bormwurf, den man ihm in geiftiger Hinſicht zu 
Fee gewohnt fei, Daß es mehr das Talent der alüdlichen 
Rachahmung als eigene, originelle Erfindungsgabe und geniale 
Geiſteskraft befige, durch eine nähere Betrachtung der ruffifchen 
Dichter und Profalften zu befeitigen. Was die politifchen Be- 

ebungen Rußlands nah außen, namentlih nad Süboften 
owie zur Bildung eined auch geiftig in fidh zufammenge: 
ſchloſſenen, ſlawiſchen Univerfalftaats anlangt, fo vertheidigt 
der Berf. nicht nur dieſe Idee an fi, fondern er hält auch 
ihre Verwirklichung nicht für unmöglich, und meint fogar, daß 
„der Gang der neuern Geſchichte ihrer einftmaligen Erſchei⸗ 
nung gleichſam vorgearbeitet‘ habe, und namentlid Rußland 
„duch feine fortdauernden, conjequenten Beftrebungen, feine 
äußere Staatseinheit auf eine innere, geiftige Berfchmelzung 
der durch jene zufammengehaltenen Bölkerfchaften zu gründen, 
ihrer concreten Geftaltung um ein gut Theil näher gerüdkt zu 
fein ſcheine. Intereflant ift in dieſer Hinficht die fernerweite 
Mittheilung, daß die Hoffnungen, mehr wol noch die Befürch⸗ 
tungen, bie fih an dieſe Idee Faüpfen, ſchon früher umfichtigen 
deutfchen Staatemännern nicht fremd gewefen feien. Der Verf. 
nimmt hierbei auf Die Außerungen des -öftreichifchen Internm- 
tiuß bei der Pforte am den Fürften Kaunig nad) dem Ab⸗ 
fchlufle des Friedens von Kainarbfche 1774, durch welchen der 
koloſſale Leib des ruſſiſchen Reichs abermals an Umfang ger 
wann, Bezug, Außerungen, - von denen ſich in unfern Sagen 
fo Manches verwirklicht hat, was damals nur Befürchtung, 
nur Sraum zu fein ſchien, während ed auf der andern @eite 
cheint, als fähen unfere deutſchen Staatsmaͤnner der Gegen 


wart mit andern Augen — wenn fie nur feben! — und in wm 
befangener Ruhe dem Allen zu. Daß auch fonft bie Fremden 
Regierungen jowie bie Völker in engern und in weitern 
Kreifen aus der vorliegenden Schrift viel lernen Fünnen, Be: 
für wollen wir bier nur die wahrhaft geiſtvollen Worte des 
Kaiſers Nikolaus, die er nach feiner Thronbeſteigung an E 
Bolk richtete, die aber auch an die Deutfchen gerichtet fein 
Bönnten, berfegen: ‚Möchten do bie Familienvater ihre ganze 
Aufmerfamleit auf die fittliche Bildung ihrer Kinder richten. 
Denn es ift wahrhaftig nicht den Fortſchritten der Bildung, 
fondern ber Eitelkeit, die eine Leere des Geiſtes bervorbringt, 
und dem Mangel an gründlicher Unterweifung und Bucht zu- 
ufchreiben, daß ſich der jugendlichen Gemüther eine foldye 
echheit des Denkens, eine ſolche naung Der Leiben: 
fhaften und fo verworrene und verderbliche Halbkenntnifſe be 
mädtigt haben, die nebft dem Hange gu ertremen Theorien 
mit der Entfittlihung beginnen und mit dem Berberben enbi: 
gen.” Goldene, beider nur gar zu wahre Borte! Dber meint 
man etwa in Deutfchland, weil der Kalfer Nikolaus Diele 
Worte an halbwilde Ruſſen gerichtet Bat, biefer Lehren da; 
beim nicht zu bedürfen? 1. 


— 


Literarifhe Notiz aus Frankreich. 
Die Religionsphiloſophie Kant's. 

Die religiöfen Bewegungen in Deutſchland haben auch im 
Auslande eine gebührende Berüdfihtigung gefunden. Ratür- 
ih kann es dabei an Miögriffen aller Art nicht fehlen. In⸗ 
deſſen wird ſich die Sache Schon beffer gefkalten, wenn diejeni⸗ 
gen Männer, welche fih für berufen Palten, bei der Beſpre⸗ 
hung diefer Ungelegenheiten ein Wort mitzureben, exrft die 
Verpflichtung anerfannt haben, ſich mit Der wiſſenſchaftlichen 
Entwickelung der deutſchen Theologie näher bekannt zu machen 
Es iſt nicht zu verkennen, daß in dieſer Beziehung von Geiter 
franzöfifcher Gelehrter ein bedeutender Fortſchritt gemacht if 
Die Zahl Derjenigen, welche, wenn auch nicht zu einem tichre 
Erfafien, doc wenigftend u einem annähernden Berftin- 
niß der deutſchen —A gelangen, wird offenbar immer 
größer, und jchon tauchen hier und da Derftclungen auf, 
welche einzelne Momente aus dem Entwidelungsgange derfel: 
ben auf eine ziemlich befriedigende Weife behandeln. Eins 
diefer Werke, welche als Die erffen bedeutenden Berſuche einer 
geiftigen Annäherung zwiſchen Deutfchland und Frankreich auf 
dem Gebiete der philofophifhen Theologie bezeichnet werden 
Fönnen, ift folgendes: „Expose critique de la phtlosophie de 
la religion de Kant”, von: Zimothee Colang. Der Berf. hat 
fi bei feiner Darftellung der Kantihen Religionsphiloſophie 
nicht darauf beſchraͤnkt, dieſes Syſtem aus feinem Zuſammen 
Aa mit der ganzen Entwidelung der deutſchen Philofophie 
erauszureißen. Er gibt vielmehr in einer eigenen philoſophi 
ſchen Einleitung die Anknüpfungspunkte und bie Beziehungen 
auf das Allgemeine. Im Ganzen ift die Darftellung Far und 
auf die Sache gerichtet. Dies tritt befonderd in der Ausein: 
anderfegung bed Syſtems felbft hervor. Dieſelbe zerfaͤllt in 
drei Abtheilungen: 1) „Les idées religieuses de, la ralsen 
theorique”’; „Les postulats religieux de la raison prac- 
tique‘’3 3) „Accommodation au christianisme”‘. Diefe Unort- 
nung ift im Ganzen befriedigend, fowie au die Entwickelung 
felbft im Allgemeinen das Richtige trifft,. obgleich freilich Hier 
und da über manchen einzelnen Punkt eine Discuffion erhoben 
werden Fönnte. Was die philofophifche Bildung des Verf. 
jelbft betrifft, fo erfcheint fie im Allgemeinen zwar genügend, 
aber doch vermißt man hier und da eine recht geiflige Durch 
deingung und eine vertrautere Bekanntſchaft mit den wichtigen 
Grfdeinungen der neuern beutfchen Wiſſenſchaft. Doc haben 
wir, wenn der Berf., deffen Erftlingsarbeit biefe Schrift zu 
fein ſcheint, bei einem eifrigen Studium mit Ernſt ausharrt, 
von ihm gewiß noch recht viel Gediegenes auf dem Welbe der 
hilsfephifhen Literatur zu erwarten. 17. 





Verantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brockkans. — Druck und Verlag von FJ. X. Srockhaus in Leipzig. 





er 


Blätter 


für 


literarifche Unterhaltung. 





27. Mai 1846. 





„Sevin Shüding. 
(Yortfegung aus Nr. 146.) 


Wir wenden une nun zu dem Romane „Die Nitter- 
bürtign”. Ob es wol Zufall war, daß uns bei der 
Lecture des vorliegenden Romans fortwährend bie fchrift- 
flellerifche Thätigkeit der Frau v. Paalzow ins Gedaͤcht⸗ 
niß kam und uns bei jedem Schritte, den wir der Ent- 


widelung entgegengingen, begleitete, ober ob ein gehei⸗ 


mer unbemußter innerer Zufammenhang zivifchen den 
Werken der Paalzow und ben „Ritterbürtigen” Schücking's 
fi) vorfindet, der uns nothwendig auf biefelbe hinleiten 
mußte? Wir behaupten das Legtere. Frau v. Paalzow 
hat in ihrem „Godwie Caſtle“, „St.Noche“ und zum 
Theil auch in „Thomas Thyrnau“ die adelige Familie 


. zu ihrem Gegenſtande gewählt; fie fchildert diefe Fami⸗ 


fie nicht allein nach dem Außern ihres Erfcheinens und 
Lebens, fondern auch nach ihren innern Beziehungen, ih⸗ 
ren Verwickelungen und Schidfalen, die abelige Familie 
ift der Brennpunkt, in dem fich alle Strahlen vereinen 
unb von dem aus bad Licht auf die andern Glaffen ber 
menſchlichen Geſellſchaft ſtroͤmt; jedoch bat fie nicht die Fa⸗ 
milie in ihrem Gegenfage ober richtiger gefagt in ihrer Unter- 
ordnung unter ein allgemeineres Ganze, unter den Eoef- 
fictenten des Staatslebens gebracht, fie ftellt die adelige Fa⸗ 
nıilie für fid und. durch fih hin, etwa wie Lafontaine und 
Henriette Hanke die bürgerliche Familie zu ihrem Vorwurfe 
gewählt haben; bei Schücking dagegen ift das Streben bie- 
fer adeligen Familien dem Staate gegenüber und auf dem 
Boben des Staats felbft dargeftellt; daher alfo jener Zu- 
fommenbang, jene Vergleichungspunkte; Beide, Schüding 
und Frau v. Paalgow, verhalten ſich ‘wie zwei Seiten 
eines und deffelben Winkels, jedoch mit dem Unterfchiebe 
der verfchtedenen Auffaffung, bie durch bie verfchiedene 
Stellung der Schriftfieller in der bürgerlichen Gefellfchaft 
und durch die Sympathien und Antipathien derfelben 
herbeigeführt worden. Die Familie ale folche ficht bei 


Schucking im Hintergrunde, fie kommt nur infoweit in 


Betracht, als fie dem Staatsleben gegenüber ſich geltend 
macht, und dann hinwieberum iſt es nicht bie Familie, 
feudern eine Vereinigung ber adeligen Familie, ber Adels⸗ 
ſtand feibft, der mit feinen Unfprüden und Tendenzen 


in das Staatsleben eingreift. Wir werden daher nicht 


fehl geben, wenn wir „Die Ritterbürtigen” einen Roman 
nennen, obgleich ihn der Verf. als erſtes Glied einer 


weitern Reihenfolge Hinftellt und fie dem allgemeinen 
Titel „Zeiten und Sitten” unterorbnet. Denn um das 
| Streben und die Bitten einer Zeitentwidelung barzu- 


ftelen, dazu fehlt dem ganzen Romane bie Allgemein- 
beit, indem er nur ganz einfeitig die Tendenzen bes 
Adels im modernen Staatsleben hinftellt, und auch dies 
wiederum nur lüdenhaft; das Streben eines Standes 
erhält nur dadurch erft wahre Bedeutung und wahres 
Leben, wenn er ben andesn Ständen gegenübertrift; um 
ünftlerifh nun diefen Gegenfag zu behandeln, muß er 
nothwenbig, wenn er lebendig heraustreten foll, feinen 
Gegenfag mit fih führen. Der Gegenfag in beflimm- 
ten Formen und Maren Umriffen hebt und begrenzt feine. 
andere Seite; bie Nitterbürtigen burften daber nicht 
ohne ihren Gegenfag des freien Bürgerthums, ber Be- 
firebungen der Indufteie und der Preffe gefchildert wer- 
den, nur dadurch war es möglich den Roman zu einem 
Kunftwerke zu machen, die Idee wirklich zu. ihrem Siege 
ober, wenn fie ihrem Gegenfage gegenüber ohnmächtig 
war, zu Ihrer Vernichtung zu führen; Cinfeitigkeit in 
focialen Theorien, bie ſich in bie Literatur wirft, kann 
zwar ein gutes Tendenzwerk zum Vorſcheine bringen, aber 
nun und nimmermehr einen Roman, ber Anſpruch ma- 
hen könnte auf den Namen eines Muſterwerks. Das 
Beftreben unferer Ritterbürtigen, wie Schüding es ſelbſt 
ausdrüdt, ginge darauf hinaus, das demokratiſche Ele⸗ 
ment der Neuheit nieberzudrüden und ber Volksentwicke⸗ 


‚lung keine Selbftändigkeit zu laſſen. Dies alfo wäre 


zu gleicher Zeit auch die Idee des Romans, die durch 
denfelben fih hin entwideln, zum Siege oder zur Ver⸗ 
nichtung fommen muß; wenn Eins von beiden einfreten 
fol, fo muß nothwendig noch eine andere Idee mit auf 
den Rampfplag treten, weil eine für fi) feine Entſchei⸗ 
dung herbeiführen kann. Sehen wir aber den ganzen 
Roman buch, fo tritt uns nirgend ein Träger des de- 
mofratifchen Elements ber Neuheit oder ein Repräfen- 
tant der Volfsentwidelung entgegen, benn von bem Ge⸗ 
richtsarzte Pauli, der Bauernfamilie und dem Juden 
Koppel kann in biefer Beziehung Feine Rede fein, da 
fie in die eigentlihe Entwidelung der Handlung nur 
zufällig, nur als beliebige Perfonen eingreifen und über- 





2 * 


ſcheinen. Dadurch kommt es nun auch, daß die Ent⸗ 
wickelung des Romans, die Entfaltung der Idee, zu 
keinem Ende, keinem Reſultate gelangt. Iſt etwa am 


Ende des letzten Gm dDiefe Idee der Ritterbürtigen,. 


bas denokratiſche Element der Reuheit nieberzubrüdien, 
wirtiſch geworden ober gefcheitertt Keins Yon Beiden; 
die Intriguen find blos gefcheitert, die angelegten Käben 
haben fi verwirrt und find zum Theil abgeriffen, aber 
eine eigentlich fünftlerifche Löfung iſt damit nicht herbei- 
geführt, da bie Löfung ſtatt einer innern nothwendig 
bedingten eine bloße äußere, mechanifche, zufällige it. 
Iſt etwa bie Grundidee in feiner Hauptvertreterin ber 
Gräfin von Auracheim zum Falle gefommen oder fleht 
fie als ſolche berechtigt da? Nichts von Dem; fie muf 
momentan den äußern Verhältniffen weichen und räumt 
das Feld ihren perfönlichen, nicht principiellen Feinden, 
deren Beftrebungen, wie die des Grafen von Schletten- 
dorf, zum Theil ganz mit ben ihrigen übereinflimmen. 
Politiſch betrachtet mag das Streben und die Gefinnung 
diefes Grafen wol geiftreich, das vernünftigfle unter den 
ganzen Ritterbürtigen fein, aber berechtigt und begrün« 
det in der Entwidelung des modernen Staatslebens und 
für daffelbe ift es nicht, denn es fucht feine Grundlage 
in dem Vorrechte eines Standes, im Abel immer hin 


oder bänerifhen Claſſe zu. Nun ift es aber ein Wider- 
fpruch, wenn er von Ihm verlangt, daß er ſich „zu elner 
förmlihen Staatögewalt, der neutraliſirenden, jept 
alleinherrfchenden gegenüber, zu einer compacten, gewal⸗ 
tigen Maffe berufen anfehe, die neben und mit der Regie- 
rung Stügfäufe des Staatslebens fei”. Der Gebtirtgadel 
würde fo zum Intelligenzadel werden, aber immer Abel 
fein und bfeiben, ein Stand, der da glaubt Vorrechte 
nor andern zu haben. 
(Der Beſchluß folgt.) 





Vielfhreiberei. 
‚Bald werben wir in Verlegenheit gerathen, welches Epi⸗ 
theton denn eigentlich unferm vielgeftaltigen und proteusarti- 


. 98 


haupt mehr ald Staffage denn als mitwirkenbe Werfonen er · 


|} - 
gen Beitalter beizulegen® Rad .der Meinung der Einen follte 
ed von Rechtöwegen das eiferne heißen, obgleich diefes Eho- 
roßteriftifon bereits für einen geſchichtlich abſolvirten Borläu- 
fee in Unfpruch genommen, denn auch Seiten koͤnnen ſich wie- 
berholen und das irrevocabile tempus ift nicht fo ganz auß- 
hmlos als man mehren var Wlein holt man Das pbige 

pitheton won der materiellen Yußen« und geradezu von 


4 Bonfumtiondfeite der, dann Fönnte han ja unfee Zahrhund 


mit ebenfo viel Fug und Recht das baum: oder ſchafwol⸗ 
lene oder das tabadene, wol aber auh das Thee⸗ und 
Kaffees⸗, wo nicht gar Bas zuderfüße Jahrhundert nennen. 
legtere Annahme proteflicen aber wieder die vielen Säu⸗ 
ren, ‘die von Ehemiewegen eine fo große Rolle heutzutage in 
der Welt fpielen, und in der That fcheint der Chenüſsmus des 
Lebens und der Wiſſenſchaft fo gewaltig gefäuert, daß ihn alle 
gen ber Audtercolonien nicht zu vermögen. ine 
nicht geringe Menge von Stimmfähigen votirt hingegen wieder 
für dus Charakteriſtikon dampfend, bei welcher Gelegenheit 
eine andere Ableitung, bämpf ig, freilich nicht fehr fernliegt. 
Faſt entichieden fcheint fi aber der Sieg auf die Seite jener 
Majorität zu neigen‘, bie fi für die Bezeichnung papiere» 
nes Sahrhundert entfchleden, eine Benennung, bie, per iden- 
rum associationem, und zumal auch: „a prieri fit denominatio””, 
als Regel gilt, einen etwas zweideutigen Mebenbegriff, nämlich 
den des lumpigen, in fi) fließt. Allerdings ſchwindelt Ei⸗ 
nem der Kopf, wenn man an die ungeheuern Maflen von Pa: 
pier denkt, die jährlich in die Welt gefchleudert werden und 
womit ſich vielleicht fchon die Abgründe und. Ziefen des Dreans 
ausfüllen ließen; allein biefes ‚lumpengeborene ullfes 
fteht doch nicht allein das es ift noch ein Accefforium zu bee 
rüdfihtigen: Die Tinte. Wir haben erft neulich Die treffende 
Bemerkung gelefen: daß in allen Kriegen der alten barbarifchen 
Zeit nicht fo viel Blut vergoflen worden als im unfern Tagen 
Zinte. In der That, diefe Worte find weniger Hyperbel «is 
ed ſcheint. Allein gegen dieſe Auszeichnung hören wir bie 
Druderfhwärze protefliren, die ſich ſchwerlich ihre Gleichberech⸗ 
tigung wird ftreitig machen laffen wollen. &o bliebe uns denn 
alfo die Wahl nur gwifchen zwei Schwärgen übrig; um keiner 
von beiden Unrecht zu thun, ſcheint es am gerathenften, unfer 
Jahrhundert gerabeau das ſchwarze gu nenne. . 
Indeffen Scherz oder vielmehr Humar bei Seite und mit trocke⸗ 
nem Ernfte gefprochen: wir leben in einer vieljchreibenden Zeit, je: 
des feberfähige und gelibte Individuum ſcheint ein Hundertarm und 
Zaufendfinger geworden zu fein. &ollte es noch eine Weile fo 
fortgeben, fo wird es bald ebenfo viele Schreibenbe als Pefer 
geben.und Gott weiß, wie weit es noch kommen wird und zu 
welchem Facit es kommen Pann, wenn unferer Grapbomanie 
nicht ein arcaned Antidot, etwa bie berühmte Nieſewurz, zu 
ftatten kommt. &o übel es indeffen damit beftellt fein mag 
und fo arg es im Laufe der Beit noch werben dürfte, an der 
Natura sanans, bie das Heilmittel im eigenen Schooſe tri 
und im rechten Augenblide zu reagirender Selbſthülfe gre 
dürfen wir denn doch nit verzweifeln. Übrigens gibt 
dem Gebiete des Schreibens und Schriftitellerns gerade biefelbe 
Goncurrenz, diefelbe überhäufte und jich ins Unendfide hinein⸗ 
potenzirende Production kund, die auf den meiſten übrigen Fel⸗ 
dern men er - Ihätigkeiten vorwaltet und die, das eigen 
liche Bebürniß beimeitem überragend und fidh zu einer —* 


und einer gewiſſen treibenden innern Nothwendigkeit en 
ſcheint. Ron diefem Geſichtspunkte aus angefehen —* 

der Induſtriali Tage, dem wir auch das Schrei⸗ 
ben in feiner profeſſionnellen Erſcheinung ſubfumiren, aller 


lichen Höhe Hinauffhraubend, um ihrer felbfiwillen 3. 


lismus unferer 


dings in einem eigenthümlichen Lichte bar und gewinnt gewi 


fermaßen ein inftinctives Anfehen. Waffen wir die immer mädh- 
tiger und rapider hervorſtroͤmende GSchreibfeligkeit unferer Zeit 
in ihrer genetiſchen Entwidkelung von einer andern Geite auf, 
fo gibt fie fich als der lange zurüdgebämmte, Daher enorm aus 
geftaute und nun ungeflüm erde zechende und Alles über: 


MIWYUSAHRESTEIHATAE REMIS EAST HE TRma mu EASA Ems ZuUSUWWZAUNERAJSAR 


588 


Biebe zu ihren geiffigen Kindern den ſterbend Merfe citicenden 
Butanos, den in feinen legten Augenblicken Troſt in feiner Lehre 


findenden Epikur an, macht bierauf einige Bemerkungen über 


felbft ud citirt dann Wriftoteles, der da fagt: gerade der 
ter fei der Künftler, der am allerverlichteften in fein eige 
ned Werk verliebt ſei. Montaigne fpricht fi an einem an⸗ 
dern Drte auch noch über Eommentatoren und Gefegausleger 
aus, indeflen fparen wir uns diefe originelle und wirklich Du: 
moriftifge Stelle für eine andere Gelegenheit auf, um fie bann 
in ihrer ganzen Gigenthümlidgkeit wiederzugeben. Zum Gchluffe 
möge bier nur noch eine Mußerung Pr. v. Sengs Kaum fin 
ben, die der politiſchen und publiciftifhen Bielfchreiberei gilt. 
Er bemerkt nämlich in der Einleitung zu feinen „Betrachtun⸗ 
gen über die franzöfifche Revolution”: „Es war eine Beit, 
"wo es für einen denkenden Mann kaum einen edieen und fü: 
Bern Beruf gab als politiſcher Schriftfteller zu fein. Die 
Großen wurden durch den Zuwachs an Erkenntniß fanfter und 
milder, die Geringern felbfländiger und lenkſamer. Wer die 
Tyrannen angrifl, war ein Wohlthäter der Fürften. Jetzt hat 
fi das Berhaͤltniß fonderbar geändert. Unfer mit Kenntniflen 
aller Art gefättigte® Jahrhundert will über das Hiel —* 
fliegen und fängt an des Zügels zu bedürfen. Wir ſchwim⸗ 
men in einem Ocean von Schriften, defien Grenzen bie Ein: 
bildungskraft kaum erreiht. Wäre die Br efeligkeit unfers 
Geſchlechts auf dem Wege des Lefend und Schreibens zu fin: 
ben, fo müßte fie durchaus nicht mehr zu fuchen fein. Jegt ift 
ed offenbar fo weit gekommen, daß es für einen Mann, ber 
fih mit allen Fähigkeiten zu einem öffentlichen Wirken audge: 
rüftet fühlt, ein ernfthaftes Problem wird, ob er feinen Seit: 
genoffen reblicher dient, wenn er fpricht oder wenn er ſchweigt. 
Riemand findet fih in diefe Skrupel fo tief verwidelt als Der, 
welcher in unfern Tagen über politifche Gegenftände fprechen 
wild. Auf keiner Seite — darf ich hinzufegen: etwa die 
tbeologifhe ausgenommen? — ift der Geift der Men: 
fhen fo übergebtldet und verbildet wie auf biefer. 
Denn Frankreich das Beifpiel gibt, wie Fönnte Europa zuruͤck⸗ 
bleiben! "Wer fi mit einer —8* von Kunſtwoͤrtern ver: 
traut gemacht hat, fchreitet mutbhig und unverzagt zu Entwür⸗ 
fen neuer Regierungsformen. Ratürli Tann es zu einer Seit, 
‚wo faft Jedermann Lehrer fein will, nur gar wenig Lernende 
geben. Genfur ift der Zweck alles Lefens und ein flüchtiges 
Lob der hoͤchſte Lohn, den fih das reichhaltigfte Werk zu ver⸗ 
fpredhen bat. Wenn Bergänglichkeit das Par Lofungswort 
ft, wenn Völker ihre Staatöverfaflungen einführen und ab: 
fhaffen wie man ein Gewand anzieht und ablegt, wenn ein 
erviger Kampf zwiſchen Werden und Vergehen der allgemeine 
Charakter der gefellfchaftlichen Werhältniffe werden foll, wie 
Tann Das, was ein Individuum bervorbringt, auf Dauer Rech: 
nung machen? Wie ließe es fich begreifen, daB felbft mit dem 
Bewußtſein ausgezeichneter Talente einem Sterblichen nod Muth 
genug bliebe, um durch Gedanken und Worte den Beifall ei» 
ner Ration zu fuchen, bei der feldft Thaten Feine dauernden 
Monumente find! einer Ration, die nichts mehr rührt als 
was im gegenwärtigen Momente die Sinne ergreift oder den 
ermüdeten Geiſt aus dem Schlummer rüttelt? die ihre Lehrer 
wie ihre Wohlthaͤter vergißt, die ihre eigenen Gögenbilder nicht 
achtet und ihre Lieblinge mit Füßen tritt? Die, welche die 
Augen auf daB große Drama richten, nehmen nad und nad 


nur Gefühle und Manieren der Helden an. In dem unermeß- - 


lichen Schwall fruchtlos verſchriebener Papiere verlieren ſich die 
weiſeſten Plane und die genievollſten Ideen wie die Mordan⸗ 
ſchlaͤge wuͤthender Demagogen und die Fieberraſereien des Ja⸗ 
kobinerelubs. Dies iſt das gemeinſchaftliche Schickſal der Schrift⸗ 
ſteller aller Parteien. Der, welcher den Lieblingsweg mitwan- 
deit, dem Lieblingstraume fchmeichelt und den Rauſch des Au⸗ 
genblicks theilt, wird beklaiſcht. Der, welcher die Räder des 
geflügelten Wagens hemmen will, wird verhöhnt und beibe 
werden vergeſſen“ u. f. w. Hr. dv. Gens wirft fodann einen 
befondern Blick auf Frankreich und die Revolution und wenbet 


feiner erwirthfchafteten Habe beraubt. 


das Obengefagte auf beide ans allein welche gewichtigen 5 
beiten en nicht jene Worte, Wahrheiten, die es im AI: 
gemeinen find und daher heute noch ebenfo gut als 179 
eiten, als fie der Weder des berühmten Yublict 

Indeffen ift auch nicht zu leugnen, daß fih fo Nanches wieder 
in einem andern auch den Hintergrund der Dinge zeigenben 
a te darftellt, wenn man ed mit philoſophiſchem Auge, an: 

edt. \ . 





Literarifhe Rotizen aus England. 


Der fromme Aftrönom. 

Die Religion dat bekanntlich fehr oft in die Raturwifien- 
ſchaften gepfuſcht. Was fie darin geleiftet ik männiglich be 
kannt. Wo nur der forfchende Blick, das mit aller Errungen⸗ 
ſchaft des Menſchengeiſtes bewaffnete Auge und ber auf das 
Einmaleins bafirte Salcul ermitteln und entfcheiden Tann, hat 
fie den Glauben, die Einbildung, das Wunder j wollen. 
Sie hat Galilei in den Kerker geworfen und dur bare zum 
Heuchlerifchen Widerruf gezwungen, weil er feiner Siffenſchaft 
und ihren untrüglichen Gefegen mehr Glauben fchenkte als 
einem jübifhen Märchen. Und doch ift Heute, nach ſchier 
300 Jahren, nachdem Saplace, diefer Ungläubige aller Ungläw 
bigen, den alten Märchenhimmel in Gtüde zerſchlagen und bie 
Mechanik des Himmels aufgeftellt, nachdem die neuefte Zeit 
die dynamiſchen Geſetze diefed Mechanismus zu erforfihen und 
zu ergründen begonnen — und doch ift heute das Geſchlecht 
jener frommen &terntundigen nicht ausgeftorben , die wie ber 
Vater des gr „das Widrige zufammengießen”. Gin Bei 
fpiel von diefen Pfeudoriffenfchaftern, von den beuffchen Lande: 
leuten zu geſchweigen, bietet der Engländer Thomas Did bar, 
der in feinem jüngit erſchienen „Practical astronomer‘ bei: 
nahe mehr von Borfehung, Religion und Kirche doeirt als von 
Sonne, ide und Sternen. Die Frömmigkeit fpielt darin eiwe 
ebenfo maͤchtige Rolle als bie achromatiſchen Wernröhre um 
das Roß'ſche Telefkop, unt er weiß feinem aftronomifehen Preunb, 
der ein ſolches Fernrohr mit einem fehr ſtarken Objectivglas 
für 450 Guineen hergeftellt, nichts Rühmlicheres nachzuſagen ats 
daß er auch ein fehr guter Ehrift if. Nun Diejenigen, welche 
den Salilei in den Kerker ftedten, thaten fih auch auf ihr 
Chriſtenthum viel zu Gute! R 





Die Heimat der Robinfone. 

Der Wundarzt eines englifchen Walfifchfängers, John 
Eoulter, welcher in den Jahren von 19832 — 36 in diefem Be 
ruf die füblichen Meere befahren, hat jegt bie Erfahrungen, 
welche er auf diefen Fahrten gefammelt, ın einem Werke un: 
ter dem Zitel „Adventures in the Pacific” veröffentlicht. Er 
bemerft darin, daß in den Annalen des Stillen Deeans das 
Schickſal des unter dem Namen Robinfon Erufoe berühmt ge: 
wordenen Alerander Selkirk keineswegs ohne Gleichen daftehe; 
vielmehr gebe es wol Feind der unzähligen kleinern Eilande, 
von denen die Südfee wimmelt, das nicht feinen Robinfon zähle. 
Diefe unbewohnten, mit frifhem Wafter und fruchtbarem Bo- 
ben verſehenen Infeln befigen zu viel Anziehungstraft für wag⸗ 
nißkuͤhne Gemüther, als daß von folden, wenn Schiffe dort 
anlegen, die Gelegenheit nicht benugt werben follte, um fi 
barauf eine einfame Herrfchaft zu den. &o erzählt Coul⸗ 
ter von einem Irländer, der auf ber Karlsinfel, auf die er we: 
gen fchlechter Aufführung ausgefegt wurde, ein unabhängiges 
Leben führte und Raubztige nach den benachbarten Eilanden 
unternahm, auf deren einem er bei bem Berfuch, fi eine Kb 
nigin für fein Königreich zu erbeuten, erfehlagen wurde. @in 
anderer Abenteurer diefer Art, Johann Johannſon, ein Schwede, 
wor friedficherer Natur, machte fein Befigthum urbar, indem er 
Ackerbau und Biehzucht trieb, warb aber zulegt von einer 
Bande Seeräuber, die er gaſtlich bei ih aufgenommen, au 

12. 


Berantwortlier Herausgeber: Heinrich Wroddans. — Drud und Verlag von F. WC. Brockhans in Retpzig. 


Blätter 


für: 


literariſche Unterhaltung. 





Donnerstag, 





(Beſchluß aus Nr. 147.) 


Da wir uns nun zu andern Betrachtungen wen⸗ 
den, fo wollen wir gleich von vornherein bemerken, def 
mit diefem Romane die Entmidelung Schüding’s felbft 
weiter gefchritten iſt. Vergleichen wir die „Ritterbürti⸗ 
gen’ mit feinem „Schloß am Meere”, fo finden wir hier 
in der Anlage einen beflimmten Mittelpuntt, um den 
fi Alles dreht, nach dem bin fi) Alles bemegt; bie 
„Ritterbürtigen‘ haben künſtleriſche Einheit, die Theile 
fiehen im wefentlihen Zufammenhange mit dem Gan- 
zen, fügen ſich demfelben al& untergeordnete Glieder ein, 
während gerade dieſe Einheit am „Schloß am Meere” 
vermißt if. Es find dies mehr vereinzelte, zum Theil 
fehr gelungene Skizzen, rhapſodiſche Ausführungen, die 
äußerlich in Beziehung zueinander gebracht, aber keines⸗ 
wegs innerlich, organifch verbunden find; bei den „Rit- 
terbürtigen‘ dagegen entfaltet ſich die Handlung ruhig 
und gemeffen, fchreitet nach dem einen Ziele unabläffig 
bin und umfchlieft und fchließt die einzelnen Theile zu 
einem wahrhaften Ganzen ohne Rüden, ohne Borans- 
fegungen, ohne Sprünge. Daher kommt es auch), daß der 
Eindrud, den das Ganze macht, ein größerer ift ale 
dort, und daß ber Leſer in fieter Spannung, ohne Er⸗ 
müdung, bis zu dem Ende hinfchreitet. Wir wollen 
hier, um dieſe unfere Behauptungen zu begründen, den 
Juhalt feibft reden Taffen. 

Die Gräfin Milgunde von Quernheim, eine ftolze, 
leidenfchaftlihe Frau, voll von Unabhängigkeitsbeftrebun- 
gen, bat in ihrem Kopfe, der ein wahres Brutneft von 
Intriguen ift, die Idee lebendig erfaßt und zu ihrer Le⸗ 
bensaufgabe gemacht, den Adel in bie erften Reihen des 
Staatslebens wieder einzufchieben, feinen Einfluß herzu⸗ 
fiellen und eine gefchloffene ſtarke Macht in ihm ſowol 
der Regierung ale dem Volke gegenüber zu fchaffen. 
Diefe Gräfin hatte fi mit einem Manne, dem Sobne 
eines geadelten Beamten, von Finkenberg, vermählt, weil 
fie an ihm einen Gatten gefunden zu haben „glaubte, 
dee „muthig in der Gefahr, mit großartigem Überblide 
die Berhältniffe der Welt überfhauend, mit al den 
Kenntniffen und ber Bildung, welche nur der Geiſt des 
Mannes umfaffen kann, ausgerüſtet, einer glühenden 
Leidenfchaft fähig, und für fie unter ben Füßen, ein ge- 


brochener Sklave, ein Nichts!“ Die Vermählung follte 
heimlich gehalten werden, felbft ihr Water erfuhr davon 
nichts, weil fie ald Stiftödame ihre Praͤbende nicht ein- 
büßen, nicht öffentlich an einen Mann verheivathet fein 
wollte, der keine Ahnen und Seinen fliftsfähigen Namen 
babe. Die Trauung mwurbe deshalb in einer Dorflicche 
von einem jungen Geiftlihen, dem Allgunde die Pfarr- 
fiele durch ihren Vater als Patronatsheren hatte über⸗ 
tragen Iaffen, in Gegenwart des Barond Tonbern und 
feine® Jägers, der bald nachher ſtarb, vollzogen. Rach 
zwei Jahren erfuhr bie Graͤfin, daß ihr Gemahl früher 
Staatsfpion geiwefen war und verfließ ihn. Dieſe Hei⸗ 
rath war von nun an ber wunde Fleck ber fie ſchmerzte 
und den fie um Alles in der Welt der Bergefienheit 
anheim zu geben ſuchte. Dem Baron Tondern ver. 
ſprach fie als Lohn feiner Verſchwiegenheit die Hab 
und Güter ihrer Nichte Theophanie von Blankenaar. 
Intriguen und Gemwaltftreiche wurden verfucht, um bie 
ſes Berfprechen zu halten, allein vergebens. Theophanie er- 
fuhr durch einen Zufall den Plan, flüchtete fich zu einer 
entfernten Bauernfamilie; allein aud bier warb ihr 
Aufenthalt entdeckt und fie gerietb aufs neue in die 
Hände ihrer Berfolgerin, die fie endlih zwang, tregbem 
daß fie bereits einem andern Manne, Valerian von 
Schlettendorf, ihre Leben und ihre Liche geweiht hatte, 
bem Baron Zondern zum Altare zu folgen; allein bost 
zerfihnitt ein kräftig ausgefprochenes Rein! Theophaniens 
plöglich alle Hoffnungen, Allgundens Heirath mit Finken⸗ 
berg wurbe bekannt, Valerian erhielt feine Theophanie und 
Zondern und die Brafin veiften nad) Italien. Reben dieſem 
Hauptfaden unferer Geſchichte laufen unzählige Intri⸗ 
guen unb feltfame Abenteuer Hin und ber und umfchlin- 
gen das Ganze fo innig wie grüner Epheu den ein- 
fahen Stamm einer Eiche, beleben und fpannen bie 
Entwidelung aufs mannichfachfle, und über dem Gan- 
zen ſchwebt der Geiſt Allgundens und ihrer Partei, ber 
Ritterbürtigen. 

Wir wollen hier uns jeboch nicht verhehlen, daß dem 
Roman, fo fehr er auch intereffant, wie man bad ge- 
wöhnlich zu nennen pflegt, durch die vielen Intriguen 
geworben iſt, doch auch ebenfo fehr von einem hoͤhern 
Standpunkte .aus als von dem SBebürfniffe eines ge- 
wöhnlichen Leferkreifes betrachtet, diefelben zum Vor⸗ 
wurfe gemacht werden konnen, und namentlich biejeni- 


3 a 


gen, welche nicht aus dem Charakter der handelnden 
Perſonen, ſondern durch einen unvorhergefehenen Zufall, 
durch die fpielende willfürliche Phantafie bes Dichters 
hervorgegangen find: denn im freien Gebiete der Kunſt 
Y u’Hin Recht, ebenſo weing is im Meike 
der Nötun und bes menſchlichen Seiſtes. Nehmen wir 


hat Da 
zur Probe ben Anfang des Romans. 


Ein alter Jude fit am Wege und flößt mit feinem 
Stocke die herbftlihen Blätter an, während oben am 
Saume des Waldes eine Dame auf ſtolzem Pferde ba- 
binreitet. Diefe gewahrt, daß aus dem Dorfe im’ Thal 
cin Reiter forengt, verfolgt — foweit iſt Alles noch 
ganz romantifch, nun kommt aber ein anderes Element — 
von Gersdarmen; fie bietet dem verfolgten Manne, den 
fie nicht kennt, für den fich aber ihr Mitleid regt, ihr 
Pferd au, ba das fernige ermübet ift, der Fremde be» 
ſtegt baffelde und kommt auf bas Schloß Blankenaar, 
bes ihn die Dame als ihren Wohmfit bezeichnet hat. 
Der Fremde geht; ba es bereite Abend ift, in das 


Schloft, kommt auf einen. Balcon, dort reicht ihm eine 


Zofe einen Brief, ber aber nicht für ihn iſt wie er 


glaubt. Um denfelben lefen zu können, begibt er fich 
in den Hof, ein Diener hat eine Doppelleiter auf ben 


Boden geftellt, um die Laterne an ber Eingangsthüre 


anguzüunben, ber Fremde befteigt bie andere Seite und 
lieſt den Brief, der die Intriguen ber Gräfin von 
Quernheim mit Theophanie enthält; unterbeffen kommt 
ein: Diener, biefer glaubt, der Fremde habe das Pferd 


ſeiner Herrin geranbt, fiößt wider die Leiter, fie faͤllt 


und der Fremde fehlägt mit bem Kopfe auf die Stufen, 
verwundet ſich und wird ohnmädhtig ins Schloß ge- 
bracht. Dee Fremde ift Valerian von Gchlettenborf, 
bas Schloß gehört Theophanien von Blankenaar. 

Die Charakterzeihnung der handelnden Perfonen ift 
gelungen und gleichzeitig durchgeführt. Der Eindrud 
wird noch -bebeutender werden, wenn Schüding für bie 
Folge einiges Augenmert auf bie Einzelheiten richtet, 
wodurch die Geftalten in um fo größerer Wahrheit her» 
austreten werben. Sehr bezeichnend und charakteriftifch 
erſcheint die Stufenleiter, in denen Schuding feine Rit- 
terbürtigen darſtellt, von dem geadelten Beamtenfohne 
Finkenberg übek den verwöhnten, hochmüthigen Biſcho⸗ 
ving, den rohen: abenteuerlichen Saſſeneck, den glatten 
egoiſtiſchen Tonbern, den eingerofteten Leibenfchaftlichen 
Mainhösel bis hinauf zu dem gebildeten, aufgellärten 
Schiettndorf. Eins fiel und aber bei der Charakter 
zeichnumg Theophaniens auf, dem ebeln, flogen Maͤd⸗ 
hen, das in dem Geliebten nicht ben Menſchen ſuchte, 
wie er ſeinen Verhaͤltniſſen angehörte und wie die Ge⸗ 
fellfhaft ihn geformt hatte, fondern nur die Seele mit 
allem tiefen Gluͤhen einer leidenfchaftlihen Innerlid- 
feit, die Seele, wonach bie vereinfamte, unter ewig 
frembbleibenden Menſchen erwachſene Theophanie unabläffig 
ftrebte, daß diefe Theophanie erft dann ebenfo freundlich und 
liebenswuͤrdig lebhaft wird als fie früher falt und abgemef- 
- fen gewefen war, „nachdem bee Fremde (Valerian von 
Schkeitendorf) durch Nennung feines Namens eine Art 


| der katholiſchen Kirche gleichgültig ich erwies 





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Sewahrſchaft für fih Hatte aufführen Man 


dieſe Theophante auf einmal foceremoniel game 


ldg es in ihrem Welen, warum bat dem | 
bie Kataſtrophe ihrer. Liebesentwickelung hinter 
derfept, da fichertih aeft Yodı frage Aytiie 
sehen mußte, ' ums dep Lfer auf den Punk | 
wo er dieſe Entwidelung für poetiſch wahr hate 
Das Stillieben, die Tänblichen einfachen Serha 
bem weftfälifhen Bauernhofe bieten ſehr gelume 
derungen bar. Es ift ein klarer und hae 
bes beginnenden Herbſtes, die Erdgtillen meh 
ihren Löchern, bie Hühner fragen füh de & 
Babe und einer in der Sonne fich Togernden fi 
bie Augen, das Fenſter des Bauernhauſes fi 
die Uhr fchläge zehn, ber Kuhhirt holt fein Ha 
Gaͤnſe fchnattern, die Schafe blöden und tie 
wüde Troß von plebejifhem Vieh hält be ai 
gen des vornehmen Heren von Bifchening mi | 
gepuberten Peräde und feinen magern Gäu d 
göpliche Bilder! Gern geben wir für meh 
abenteuerliche Belagerung der alten Bay mi 
ganzen Unmwahrfcheinlichkeit und feltfamen I 
fügung bin. Die Sprache und ber Stil de 
find edel, rund und glatt, nur fielen und nel 
wörter, wie agaciren, peroriren, compi 

ron als flörend auf, die wir dem MPoeten ka 
zu ſchenken gefonnen find. J. Gegce 








i 


Reformationsgeſchichte von MM 


Dzieje Kosciolow wyznania helweckiego w Lite 
ber helvetiſchen Eonfeffion in Lithauen.) Bon 
Fafzewicz. Zwei Zheile. ofen. Gr. 8. 
‚Bei dem allgemeinen Intereffe, das die Fa) 

hältniffe in dem rufſiſchen und preußifchen Pol 

erregen, werden es ſich wie Ref. hofft, nicht wenig" 

fer Blätter gern gefallen laffen, wenn ihr Bid iM 

den Auszug aus einem gewiß den allerwenigie * 

gängligen neuen polnifchen Werke auf die Boyzwh 

hen Kirche geleitet wird. Ref. theilt den Aulıym) 
ber mit als das Werk, aus bem er entnommen id, #! 
tei dient, fondern mit dem offenbaren Verlangen, ME 

Wahrheit fo nahe als möglich zu kommen, abgeaR 4 

als von dem mit fehr gründlichen Kenntniffen u 

Geſchichte ausgerüfteten Verf. bier viele Date zu je 

tiondgefehichte Polens nach handfſchriftlichen Qua P 

Male veröffentlicht worben find. . 

.Wiele Umftände cerleichterten der Reformation et 

in das Herzogthum Lithauen. Der Huffitismus — 

den Zeiten Jagiello's heimlich hier erhalten, die © pi 
der roͤmiſchen und morgenländifthen Kirche hatten MUT 
aufgeregt, die bebeutendern Städte waren von 4J 
ſchen Kaufleuten und Handwerkern bewohnt. deha 
daß, als daB benachbarte Preußen mit dem Her 
und darauf: Liefland fich öffentlich zur Reformalitn 

diefelbe auch in Lithauen raſche Fortſchrikte ml Ä 

dadurch begünfigt wurden, daß 1544 der polmikir ir 

Sigismund Auguſt ald Großherzog von nit Tu | 

fam. Wie biefer einerfeitö gegen bie Lehren e pe 

andererfeit8 ben Neuerungen in der Religion Mes 
und in feinem Gefolge waren nicht wenige ofer 


° 
. 
* 
.. 


RO) hattz up, 
einmal Heubeieten Kirchenglaubensſs, wos in Lichaurn Bielen wie 
ei Ana bishes geheimgehaltenen Bekenatniſſe gleichtalls hervor 
Beſe 
ver Bir DATE kai Tun gub 
’ in. Zwar erlangte der Biſchof von Bing von neuem 
A ai Könige iſsmund T. das Sieht, die Ketzer zu firafen, 
elung Ryirhte ein Fönigliches Ediet aus, das unter Auderm einen 
. für pair „der von dem Katholiismus abjallen würde, mit dem 
j ländlichen tahahfte. des Adels bedrohte. Die Berbote hatten aber um fo ges 
auernhefe hin FR Exrfolg, old die Hofprediger bes Ahronerben, Jan Kos: 
iſt ein An En und Wawrzyniec Dyslordya, felbft die enangelifche 
erb  -K dem Bolke öffentlich predigten. Ihnen war bereits als 
bſtes, die (ie Wpoftel des Lutherthums der Doctor der Theologie Abra: 
Hübner frag i Sulvenfid vorangegangen, rin Lithauer von Geburt, wel 
der one In Deuiſchland fludirt hatte und um 1539 in Wilna eine 
fer des ur gründete, doc fpäter nad Preußen flüchten mußte. 
der Rubkin wer der —— ae or ne a 
| " ranken, die biß dahin die Reformation wie in 
e Schafe bike tchauen aufgehalten hatten. . Bwar trat berfelbe auch als 
jifchem Vich ig mit feinen religiöfen Gefinnungen nicht beftimmter her: 
Ham m 5 weil religidfe Beftimmtheit ihm, in früheren Jahren wer 
. ne überhaupt fehltez Sigismund Auguſt gewährte ber 
ıd ‚ ‚überhaup 
fine MP cmation dennoch einen mächtigen Unhalt dur Die eng 
m geben mt: ihm verfchwägerte Radziwill'ſche Familie. u 
der al: Nikolaus Rabziwill, der Schwarze benannt, von Sigis⸗ 
heit un Ad Auguſt zum Wojewoden von Wilna und zum Kanzler von 
en erhoben, Better der Gemahlin Sigidmund Auguſt's, 
rache um ke bara Nadziwill, war damald das Haupt ber gangen Ra: 
aft, nur fia will ſchen Familie. Fruͤher ein Bekenner der griechiſchen 
„peroriteu⸗ 
die wir bau 
W. 


en und bemühte fich nach feiner Ruͤckkehr ins Baterland, 
‚beivetifche Bekenntniß, das er 1553 öffentlih annahm, 
alle Weiſe zu verbreiten. Seine Würden, feine Reich 
mer, feine auögezeichneten Geiftesgaben erhoben ihn alsbald 
a Mittelpunkte dex Reformation in Lithauen. An ihn ſchloſ⸗ 
eu 5 alle evangelifchen Slaubendlehrer an, bei ihm fanden 
zefgiät Hug und Dbdady, viele Reformatoren zog er aus Polen 
ı heiwediegrD andern Ländern nad Lithauen, andere fandte er in Die 
1 in Sihan' Hweiz, um fie, nachdem fie dort ihre theologifche Ausbildung 
ie F gatten, in Lithauen als Prediger anzuſtellen. Im 2. 
j 3 lie 


Iuterrfe, W}, Simon Sacius, Peter Statorius und andern gelchrten Theo⸗ 
und p F‚gen unternommene Bibelüberfegung abdruden und fchenkte, 
Ref. be ichdem ſchon eine Zeit lang auf feinem Schloſſe zu Wilna re 
fen, mn & mnirter Gottesbienft flattgefunden hatte, eine ebendafelbft 
vi den AM erbaute Kirche der reformirsen Gemeinde. 

Batı uf x Durch perfönliche Anhaͤnglichkeit an Radziwill und durch 
Ref. thei alamilienbande wurden viele Adelige zur helvetiſchen Gonfeffion 
em er carũbergezogen, bie angefehenften Yamilien, die Chodkiewicz, 
baren Da apiche, Bamifze, Sisniowjecki, Par gehörten ihr an. Au 
5 zu fast riechiſche und katholiſche Geiftliche- fielen in nicht geringer An⸗ 
laden AEahl von ihrem Glauben ab, und eine Beit lang waren kaum 
‚bin me Bes bis ficben katholiſche Geiſtliche in ganz Litauen übrig: 
Biere Rur das Landvolk blieb feinem alten Glauben getreu, beſon⸗ 
d. ers dasjenige, welches dem griechiſchen Bekenntniſſe angehörte, 
ner wurde aber häufig von den Herren zur Annahme eines 
Dr (eWneuen Bekenntniſſes gezwungen. Die_erflen belvetifhen Ge⸗ 
er ae meinden entftanden in Btzesc, Wilna, Kled, Riefwierz; in bie 
ha Sk Pfen Orten wurden aud die erften calviniſchen Kirchen erbaut. 
u a Das Lutherthum fand in Kithauen nur in den Städten 
ra bene ; unter den Deutfcyen Eingang. Der Adel verrieth wenig Gym: 
le I patbhien für daflelbe, weil es ihm noch zu viel von dem Ka: 
in ge p | | 

6 u 3° tholitiämus an fich zu haben ſchien, und deshalb hielt er fi 
! ige? Veber an ben Caloinismus und Gorinianismus. 

£ w# Die katholiſche Geiftlichkeit ließ nicht nad), gegen den neuen 
—— geiſtigen Umſchwung zu eifern; doch derſelbe zog immer weitere 





Eyprian zu Wilna wagte es ſogar, als einſt der König Bigis: 
mund Auguft- vom Fuͤrſten Radziwill beredet worden war, dem 


bemühte fi die Seiſtlichkeit den Waffchroung 


e, war er auf feinen Reifen für Calvin's Lehre gewonnen | 


er in Brzesc die berühmte, auf feine Veranlaſſung 


Kreife, fo laut und räftig jene auch auftrat. Der Biſchef 


eckviuſchen Gotteddienſt in Milka beizuwehnen unb fühon anf 


dem Wege nad) der calvinifchen Kirche fich befand, dem Könige 


auf der Straße eritgegenzutreten und dem Pferde deffeiben mit 


den Worten in die Zügel zu fallen: „Richt auf diefem Wege. 


wanbdelten die Botfahren Ev. Majeſtät zur Kirche, fondern 


auf jenem!” Gredentete dabei auf eine nahe Patholifche Kirche 


bin, und Der 


intritt in 
die katholiſche | 


ende Monarch ließ ſich zum 
r 


e bewegen. 


Da erlitt der Calvinismus in Lithauen ſchon 1565 den 
erften großen Verluſt, Fürft Nikolaus Radziwill ftarb, nachdem 


er noch auf dem Gterbebette feinen älteften Sohn dem geläu- 
terten Glauben treu zu bleiben ermahnt hatte. Nach ihm 
wurde Nikolaus: Radziwil, mit dem Beinamen Rufus, der 
Bruder der Königin Barbara und Großhetman von Lithauen, 
das Haupt der Bekenner des Calvinismus. Diefer Fürft war 
durch einen Betrug, den die Mönche in Czenſtochau vor ſei⸗ 
nem Augen an einem für befeflen ausgegebenen Landmanne 
verübt hatten, zum Abfall vom Katholicismus beivogen worden. 
Auch er nahm fi feiner Blaubensgenofien mit Rath und 
hat an, und trug nicht wenig zur Ausbreitung ded Calvini- 
[hen Belenntniffes bei, was ihm als Wojewoden von Wilna 
leicht‘ ausführbar war. 
ihm ihre Entflehung. 


Biele calvinifche Kirchen verdankten 


Einen großen Nachtheil brachten wie der Reformation in 
Polen überhaupt jo insbefondere dem Ealvinismus in Lithauen ' 


die rafche Ausbreitung des Socinianismus und bie dadurch 


herbeigeführten Streitigkeiten unter den Alchtkatholiken ſelbfi. 


Peter von Goniondz, Blandrat, Lizmanin waren es vornehm⸗ 
lid, die in Lithauen Sorinus’ Lehre predigten, fie fanden auch 
unter den Galviniften viele Anhänger, welche 1564 in Brzezin 
und 1565 in Wengrow befondere Synoden hielten. 

Die ünter den Evangeliſchen Lithauens damals ausgebro- 
henen Parteiungen waren von um fo traurigern Folgen, als 
die heftigften Feinde des evangelifchen Bekenntniſſes, die Jeſui⸗ 
ten, der Reformation in Lithauen faft auf dem Fuße folgten 
und damals gerade Eingang im Lande fanden. Auf den Rath 


bes Biſchofs von Ermeland und Cardinals Hoſius, der in jes 


ner Seit in ganz Europa für eine ber Hauptflügen des Ka⸗ 
tholicismus angejeden wurde, zog der Bifchof von Wilna, Bas 
lerian Protaſzewicz, 1569 die erften Väter der Geſellſchafi Zefu 
aus Dlmüg nah Wilna herüber. Diefe gründeten, doch nicht 
ohne viele Schwierigkeiten, bie ihnen ſelbſt von Seiten der ka⸗ 
tholifchen Geifttichleit gemadht wurden, überwinden zu müffen, 


.. 


alsbald ein Eollegium in Wilna, an welchem der berühmte , 


Staniflam Warſzewicki der erfte Rector war, der durch feine 
Gelehrſamkeit, Beredtſamkeit und fein einſchmeichelndes Weſen 
bald allgemeine Zuneigung gewann und die Schwächen der 
Menge klug zu —X Dertand. Durch öffentliche Disputa- 
tionen über Glaubensjachen, bei welchen Sefuiten ftatt der vor: 
geblih zum Disputiren aufgefoderten evangelifhen Gelehrten 


opponirten, bemühten fie ſich zunörderft, bei der Menge eine ' 


günftige Meinung für fih zu erweden, dann fuchten fie Ein⸗ 


gang in Die abeligen Familien zu erlangen, bonnerten auf den 
Kanzeln gegen die Reformatoren, redeten auf den Märkten, 
und an andern öffentlichen Orten zu dem Volke, ftellten alle . 


recht in die Augen fallende und auf die Sinne wirkende Ge⸗ 


4 


bräuche beim Gottesdienfte und den Öffentlicden Yufzügen wie 


ber ber, und traten überall unverhohlen als Bekehrer zum Ka⸗ 
tholicismus auf. , 
Einem fo rüftigen, fchlauen, Bein Mittel ſcheuenden Feinde 


vermochte die Sandomirer Vereinigung ber polnifchen Lutheraner 
und Calviniften, an welcher jedoch die Lithauer nur geringen, 


Antheil nahmen, nicht die Wage zu halten, ach wahrte gegen 
ihn der in der Warſchauer Conföberation yon 15 


12 enthaltene 


und zuerft vom Könige Heinrich von Balois beſchworene Pas 


ragraph über den Frieden der in Ruͤckſicht auf Religion diffen- 


tirenden Parteien. Nicht nur häufige Abfälle von der evan⸗ 


gelifchen Lehre bewirkt, fondern auch allgemeinen Widerwillen, 
ja Haß gegen diefelbe befonders unter dem niedern Volke er» 








& 3 A. 
weiche nicht aus dem Charakter der handelnden 
De — buch einen unvorhergeſehenen Zufall, 
durch die fpielende willkürliche Phantafie des Dichters 
hervorgegangen find; den im freien Gebiete der Kunfl 
hat der Arfall Hin Breit, ebenfe wenid as ine Mehhe 
der Natur und bes menſchlichen Seiſtes. Nehmen wir 
zur Probe den Anfang des Roman. ——— 
Ein alter Jude fit am Wege und flößt mit feinem 
Stode die herbſtlichen Blätter an, während oben am 
Saume des Waldes eine Dame auf flolgem Pferde da- 
hinreitet. Diefe gewahrt, dag aus bem Dorfe im’ Thal 
ein Meiter ſprengt, verfolgt — fomeit iſt Alles noch 
ganz romantifch, num kommt aber ein anderes Element — 
von Gensdarmen; fie bietet dem verfolgten Manne, ben 


fie nicht kennt, für den fich aber ihr Mitleid regt, ihr 


Pferd an, ba das feinige ermübet ift, der Fremde be 
fleigt daſſelbe und kommt auf das Schloß Blankenaar, 
das ihm die Dame als ihren Wohmſit bezeichnet hat. 
Der Fremde geht; ba es bereite Abend iſt, in das 
Schloß, kommt auf einen Balcon, dort reicht ihm eine 
Zofe einen Brief, der aber nicht für ihn iſt wie er 
glaubt. Um denſelben lefen zu Sonnen, begibt er ſich 
in: den Hof, ein Diener hat eine Doppelleiter auf den 
Boben geftellt, um bie Laterne an ber Eingangsthüre 
anguzünben, ber Fremde beſteigt die andere Seite und 
lief den Brief, der die Intriguen der Gräfin von 
Quernheim mit Theophanie enthält; unterbefien kommt 
ein: Diener, biefer glaubt, ber Fremde babe das Pferd 
- felner Herrin geranbt, ftößt wider bie Leiter, fie faͤllt 
und der Fremde fihläge mit dem Kopfe auf die Stufen, 
verwundet fi) und wird ohnmäctig ind Schloß ge⸗ 
bracht. Der Fremde ift Valerian von Gchlettenborf, 
das Schloß gehört Theophanien von Blankenaar. 
Die Charakterzeichnung ber handelnden Perfonen ift 
gelungen und gleichzeitig durchgeführt. Der Eindrud 
wird noch bedeutender werden, . wenn Schüding für bie 
Folge einiges: Augenmerf auf die Einzelheiten richtet, 
wodurch die Geſtalten in um fo größerer Wahrheit her⸗ 
austreten werden. Sehr bezeichnend und charakteriſtiſch 
erfcheint die Stufenleiter, in denen Schücking feine Rit⸗ 
terbürtigen davſtelt, von dem geadelten Beamtenſohne 
Finkenberg uͤber den verwöhnten, hochmüthigen Biſcho⸗ 
ving, den rohen abenteuerlichen Saſſeneck den glatten 
egoiſtiſchen Tondern, ben eingeroſteten leidenſchaftlichen 
Mainhoͤvel bis hinauf zu dem gebildeten, aufgeblärten 
Schlettendorf. Eins fiel und aber bei der Charakter. 
zeichnung Theophaniens auf, dem edeln, ſtolzen Maͤd⸗ 
chen, das in dem Geliebten nicht den Menſchen ſuchte, 
wie er ſeinen Verhaͤltniſſen angehörte und wie die Ge⸗ 
ſellſchaft ihn geformt hatte, fondern nur die Seele mit 
allem tiefen Beühen einer leibenfhaftligen Innerlic- 
feit, Die Seele, wonach bie vereinfamte, unter ewig 
frembbleibenden Menfchen erwachfene Theophanie unabläffig 
ftrebte, Daß diefe Theophanie erſt Dann ebenſo freundlich und 
liebensmürbig lebhaft wird als fie früher kalt und abgemef- 
- fen gewefen war, „nachdem bee Fremde (Balerian von 
Schheitendorf) durch Nennung feines Namens eine Art 


a 

* 
7 « 
* 


Gerahrſchaft für ſich hatte aufführen können”. Sollte 
fe Theophanie auf einmal foceremontelgeworben fein ober 





lag es in ihrem Weſen, warum hat benn ber Dichter 


bie Kataftrophe ihrer Richesentwidelung hinter die Scene 
Derfegt, da fichertiih @efk Koch manche Nefkidgunig vorper- 
schen mußte, und den Lfer auf ben Punkt zu fidien; 
wo er dieſe Entwidelung für poetifh wahr halten mußte? 
Das Stillleben, die Ländlichen einfachen Verhaͤltniſſe auf 
dem weftfälifchen Bauernhofe bieten ſehr gelungene Schil- 
deru bar. Es ift ein klarer und heifer Morgen 
bes: beginnenden Herbftes, die Erdgtillen muficiren in 
ihren Löchern, bie Hühner tragen fih den Sand zum 
Bade und einer in ber Sonne ſich logernden Dogge in 
die Augen, das Fenſter des Bauernhauſes ficht offen, 
die Uhr ſchlägt zehn, der Kuhhirt holt fein Horn, bie 
Gaͤnſe fhnattern, Die Schafe blöden und dieſer ganze 
wilde Troß von plebejifchem Vieh halt den alten Wa- 
gen des vornehmen Herrn von Biſchoping mit feiner 
gepuberten Peräde und feinen magern Gäulen auf, Er⸗ 
göglihe Bilder! Gern geben wir für mehre ſolche die 
abenteuerlide Belagerung der alten Burg mit ihrer 
ganzen Unwahrfheinlichleit und feltfamen Zufemmen- 
fügung bin. Die Sprache und ber Stil des Romans 
find edel, rund und glatt, nur fielen uns mehre Fremd⸗ 
wörter, wie agaciren, peroriren, compact, Per» 
ron als flörend auf, die wir dem Poeten keineswegs 
zu ſchenken geſonnen ſind. 3. Gegenbaur. 








Reformationsgeſchichte von Polen. 


Dæieje Kosciotow wyznania helweckiego w Litwie. (Geſchichte 
der helvetiſchen Eonfeflion in Lithauen.) Won Joſeph En- 
Fafzewicz. Zwei Zheile. Poſen. Gr. 8. 4 hir. 

Bei dem allgemeinen Interefle, das die kirchlichen Wer 
hältnifle in dem ruffiſchen und preußischen Polen gegenwärtig 
erregen, werben es fi, wie Ref. hofft, nicht wenige Leſer bier 
fer Blätter gern gefallen laffen, wenn ihr Blick durch folgen» 
ben Auszug aus einem gewiß den allerwenigften Leſern zu⸗ 

aͤnglichen neuen polniſchen Werke auf die Vorzeit der poll: 
fen Kirche geleitet wird. Mef. theilt ben Auszug um fo fie 
ber mit ald das Werk, aus dem er entnommen ift, feiner Par 
tei dient, fondern mit dem offenbaren Berlangen, der biftorifchen 

Wahrheit fo nahe als möglich zu kommen, abgefaßt iſt, und 

al von dem mit ſehr gründlichen Kenntniffen der polnifchen 

Geſchichte ausgerüfteten Verf. hier viele Data zur Weforma- 

tionsgeſchichte Polens nach handſchriftlichen Quellen zum erften 

Male veröffentlicht worden find. u 

Viele Umftände erleichterten der Reformation den Eingang 
in das Herzogthum Lithauen. Der Huſſttismus hatte fi auß 
den Zeiten Jagiello's heimlich hier erhalten, die Streitigkeiten 
ber roͤmiſchen und morgenländifthen Kirche hatten die Gemüther 
aufgeregt, die bebeutendern Städte waren von zahlreichen deut» 
fden Kaufleuten und Handwerkern bewohnt. Daher Sam es, 
vap, als daB benachbarte Preußen mit dem Herzoge Albrecht, 
und darauf Liefland fich öffentlich zur Meformation bekannte, 
diefelbe auch in Lithauen raſche Fortſchritte machte, die noch 
baburch begünftigt wurden, baß 1544 der polnifche Rronpring 
Sigismund Auguft als Großherzog von Lithauen nach Wilne 
kam. Wie biefer einerſeits gegen die Lehren und Gebraͤuche 
der katholiſchen Kirche gleichgültig fich “erwies, fo fchien ex 
andererfeitß den Reuerungen in der Religion fich zuzumenden, 
und in feinem Gefolge waren nicht "wenige offene r 


—.—w— — — — — — — — 


he} 
.. 


des refenbeieten Kirthenglaubeens, uud in Lihaurn Bielen mE 
ihrem bieher geheim gehalteuen Bekenntniſſe gleichfalls hervor 
zutreten Den. Muth gab. an 
Vergeblich bemühte jich die Geiſtlichkeit den Auffchwung 
zu hemmen. Zwat erlangte der Biſchof von Silna von neuem 
vom Könige —— 1. das Recht, die Ketzer zu ſtrafen, 
und wirkte ein koͤnigliches Ediet aus, bad unter Unberm einen 
Jeden, des von dem Katholitismus abfallen würde, mit dem 
B 3 u Adels en Die Serbott * aber Fi in ar 
ringern Erfolg, ald die vediger bed Ahronerben, Jan Kos: 
minczyk und Wawrzyniec Dyskordya, ſelbſt die evangelijche 
Lehre dem Volke öffentlich predigten. Ihnen war bereits als 
Mpoftel des Luthertbums der Dostor der Theologie Abra> 
ham Gulvenfiß vorangegangem, ‚sin Lithauer von Geburt, wel: 
er in Deutfchland ftudirt hatte und um 1530 in Wilna eine 
Schule gründete, doch fpäter nad Preußen flüchten mußte. 
Mit der Thronbeſteigung Sigismund Auguſt's 1548 fielen 
die Schranken, die bis dahin die Reformation wie in Polen fo 
in Zithauen aufgehalten hatten. Zwar trat berfelbe auch als 
König mit ‚feinen religiöfen Geſimungen nicht beftimmter ber 
vor, weil religidfe Beftimmtheit ihm, in frühern Jahren we» 
nigftens, überhaupt fehltes Sigismund Auguſt gewährte der 
Reformation dermoc einen mächtigen Unhalt durch bie eng 
mit ihm verfchwägerte Radziwill'ſche Familie. u 
KRikoland Radziwill, der Schwarze benannt, von Bigis- 
mund Auguft zum Wojewoden von Wilna und zum Kanzler von 
Lithauen erhoben, Better der Gemahlin Sigismund Auguſt's, 
Barbara Radziwil, war damals dad Haupt ber ganzen Ra⸗ 
dzivoill’fchen Familie. Fruͤher ein Bekenner der griedifchen 


Kirche, war er auf feinen Reifen für Calvin's Lehre gewonnen . 


worden und bemühte ſich nach feiner Rückkehr ins Waterland, 
das ‚heivetifche Bekenntniß, das er 1553 öffentlih, annahm, 
auf alle Weife zu verbreiten. Seine Würden, feine Reich 
thümer, feine ausgezeichneten Geiftesgaben erhoben ihn alsbald 
zum Mittelpunkte der Reformation in Lithauen. An ihn ſchloſ⸗ 
fen alle evangelifchen Glaubenslehrer an, bei ihm fanden 
fie Schup und Obdach, viele Reformatoren zog er aus Polen 
und andern Ländern nad Lithauen, andere fandte er in Die 
Schweiz, um fie, nachdem fie dort ihre theologifhe Ausbildung 
erhehten hatten, in Lithauen als Prediger anzuſtellen. Im 23. 
1 


3 ließ er in Brzesc die berühmte, auf feine Veranlaſſung 


von Simon Sacius, Peter Statorius und andern gelehrten Theo: 


flogen unternommene Bibelüberfegung abdruden und ſchenkte, 


nachdem ſchon eine Zeit lang auf feinem Schloſſe zu Wilna re⸗ 
formirter Gottesdienſt ftattgefunden hatte, eine ebendafelbft 
neuerbaute Kirche der reformirten Gemeinde. 

Durch perfönlihe Anhänglichkeit an Radziwill und durch 
Zamilienbande wurden viele Adelige zur belvetifchen Gonfefiton 
herübergegogen, die angefebenften Familien, die Chobkjewicz, 
Sapieha, Bewihe, Wisniowiecki, Pac gehörten ihr an. Auch 
griechiſche und katholiſche Geiftliche- fielen in nicht geringer An⸗ 

I von ihrem Glauben ab, und eine Zeit lang waren faum 
jehB bis fieben katholiſche Beiftlihe in ganz Lithauen ubrig- 
Kur das Landvolk blieb feinem alten Glauben getreu, befon» 
ders dasjenige, welches dem een Bekenntniſſe angehörte, 
es wurde aber häufig von den Herren zur Annahme eines 
neuen Belenntniffes geziwungen. Die erfien helvetiſchen Ge⸗ 
meinden entftanden in Brzesc, Wilna, Kled, Rieſwierz; in Die: 
fen Drten wurden auch die erften calviniſchen Kirchen erbaut. 

Das Lutherthum fand in Lithauen nur in den Städten 
unter den Deutfchen Eingang. Der Adel verrieth wenig Sym⸗ 
pathien für dafielbe, weil es ihm noch zu viel von dem Ka: 
tholicismus an fich zu haben ſchien, und deshalb hielt er ſich 
lieber an den Eolvinismus und Socinianismus. 

Die Pathofifche Geiftlichkeit ließ nicht nach, gegen den neuen 
geiftigen Umſchwung zu eiferns Doch derfelbe zog immer weitere 
Kreife, fo laut und Fräftig jene aud auftrat. Der Biſchef 
Eyprian zu Wilna wagte ed fogar, als einft der König Sigis: 
mund Auguft vom Fürften Radziwill beredet worden wat, dem 


citvintfchen Gotteddienſt in Wind beiguwehnen und fon auf 


t 


dem Wege nad) der calvinifchen Kirche fich befand, dem Könige ' 


auf der Straße eritgegenzutreten und dem Pferde deffeiben mit 


den Worten in die Zügel zu fallen: „Richt auf diefem Wege 
wandelten die Botfahren Ev. Majeftät zur Kirche, fondern 


auf jenem!‘ Grrdentete dabei auf eine nahe kathoiiſche Kirche ' 


hin, und bes ſchwankende Monarch lie fich zum 


intritt in 
die Fatholifche Kirche bewegen. 


— 


Da erlitt der Calvinismus in Lithauen ſchon 1565 den 
erſten großen Verluſt, Fuͤrſt Nikolaus Radziwill ſtarb, nachdem 


er noch auf dem Sterbebette feinen aͤlteſten Sohn dem gelaͤu⸗ 
terten Glauben treu zu bleiben ermahnt hatte. Nach ihm 
wurde Rikolaus Radziwill, mit dem Beinamen Rufus, der 
Bruder der Königin Barbara und Großhetman von Kithauen, 
das Haupt der Bekenner ded Calvinismus. Diefer Fürft war 
durch einen Betrug, den die Mönche in Czenſtochau vor ſei⸗ 
nem Augen an einem für befeffen audgegebenen Landmanne 
verübt hatten, zum Abfall vom Katholiciömus beivogen worden. 
Auch er nahm fi feiner Blaubensgenofien mit Rath und 
That an, und trug nicht wenig zur Ausbreitung bed Calvini⸗ 
[den Bekenntniffes bei, was ihm als Wojewoden von Wilna 
leicht ausführbar war. Viele calvinifhe Kirchen verdankten 
ihm ihre Entftehung. 


8 
Einen großen Nachtheil brachten wie der Reformation in 
Polen überhaupt fo insbefondere dem Calvinismus in Lithauen ' 


die rafıhe Ausbreitung des Socinianismus und Die dadurch 
herbeigeführten Streitigkeiten unter den Richtkatholiken felbft. 
Peter von Goniondz, Blandrat, Lizmanin waren es vornehm- 


lich, die in Lithauen Sorinus’ Kehre predigten, fie fanden au 


unter den Ealviniften viele Anhänger, welche 1564 in Brzezin 


ı und 1565 in Wengrow befondere Synoden hielten. 


Die ünter den Evangelifhen Lithauens damals ausgebro- 


henen Parteiungen waren von um fo traurigen Kolgen, ald 


die heftigften Feinde des evangelifhen Bekenntniſſes, die Jeſui⸗ 
ten, der Reformation in Lithauen faft auf dem Fuße folgten 
und damals gerade Eingang im. Lande fanden. Auf den Rath 
des Bifchofs von Ermeland und Cardinals Hoſius, der in jes 
ner Zeit in ganz Europa für eine der Hauptflügen des Ka⸗ 
tholicismus angejeben wurde, 309 der Bifchof von Wilna, Bas 
lerian Protaſzewitz, 1569 die Ih 


ohne viele Schwierigkeiten, die ihnen ſelbſt von Seiten der ka⸗ 
tholifchen GeifttichPeit gemacht wurden, überwinden zu müffen, 


e n Väter ber Geſellſchaft Iefu 
aus Dlmüg nah Wilna herüber. Diefe gründeten, doch nicht 


alsbald ein Eolleglum in Wilna, an welchem der berühmte . 


Staniflam Warſzewicki der erfte Rector war, der durch feine 
Gelehrſamkeit, Beredtfamkeit und fein einfchmeichelndes Weſen 
bald allgemeine Zuneigung gewann und die Schwächen der 
Menge Flug zu Buben Berkand. Durch öffentlihe Disputa- 
tionen über Glaubensjachen, bei welchen Sefuiten ftatt der vor» 


geblich zum Disputiren aufgefoderten evangeliſchen Gelehrten 


opponirten, bemühten fie fi) zunörberft, bei der Menge eine 


günftige Meinung für fich zu erweden, dann fuchten fie Ein» , 
gang in Die adeligen Familien zu erlangen, donnerten auf den 
Kanzeln gegen die Reformatoren, redeten auf den Märkten. 
und an 'andern öffentlichen Orten zu dem Volke, ſtellten alle 


recht in die Augen fallende und auf die Sinne wirkende Ge⸗ 
bräuche beim Gottesdienfte und den Öffentlichen Hufzügen wie 
ber ber, und traten überall unverhohlen als Bekehrer zum Ka⸗ 
tholicismus auf. 

Einem fo rüftigen, fchlauen, Fein Mittel ſcheuenden Feinde 
vermochte die Sandomirer Vereinigung ber polnifchen Lutheraner 


und Calviniften, an welcher jedoch die Lithauer nur geringen 


Antheil nahmen, nicht die Wage zu halten, noch wahrte gegen 


ihn der in der Warſchauer Eonföderation yon 1572 enthaltene 


und zuerft vom Könige Heinrich von Valois befchworene Pas 
ragraph über den Zrieden der in Ruͤckſicht auf Religion Siffens 
tirenden Parteien. Richt nur häufige Abfälle von der evan⸗ 
gelifhen Lehre bewirkt, fondern auch allgemeinen Widerwillen, 
ja Haß gegen diefelbe befonder8 unter dem niedern Volke er⸗ 


zu haben, konnten die Iefuiten mit Mat ats ihr Werl 


men. 

Die Folgen des jefuitifhen Einfluffes zeigten ſich ſchon 
unter der Regierung bed sin Stephan Bathori. Obgleich 
derfelbe allen Unordnungen Eräftig zu feuern fuchte, fo über 
fielen doch in dem bis dahin fo toleranten Polen die durch Li⸗ 
thauen gegen Moskau ind Feld ziehenden polnifchen Heerhau⸗ 
fen die Kirchen der alsbald ausſchließlich „„Diffidenten” genann- 
ten Evangeliſchen, ftediten fie in Brand und verübten viele 
andere Unbill. 

Die folgereichften Siege ber Iefuiten waren, daß Stephan 
Bathori die wilnaer Sefuttenfhule zu einer Akademie erhob, 
und die Iefuitencollegien zu Polock, Riga, Dorpat, Grobno 
gründete, welchem Beiſpiele viele Magnaten folgten; ferner, 
daß ed den Sefuiten gelang, bie Söhne des Fuͤrſten Nikolaus 
Radziwill des Schwarzen, die Fürften Ehriftoph, Jerzy (Georg), 
Albert und Staniflaw Radziwill zum Katholicibmus zu befch- 
ren. Sofort vertrieben nun diefelben auß ihren großen Be 
figungen Niefwierz, Olyka, Kleck die calviniſchen Geiſtlichen 
und führten an allen dieſen Orten katholiſchen Gottesdienſt ein. 
Zürft Jerzy Radziwill trat in den geiflichen Stand und warf 
fih, zum Cardinal und Bifhof von Wilna erhoben, zum 
Haupte der Berfolger der Diffidenten auf. Gleich nad) feiner 
gtuͤckkehr aus Rom, wo er die erfte Mefle gelefen hatte, lieh 
er mit Gewalt alle als häretifch bezeichneten Bücher aus den 
wilnaer Buchhandlungen wegnehmen und vor ber Johannis: 
Bicche verbrennen. Yurft Chriſtoph Radziwill, der eine Wall⸗ 
fahrt nach Serufalem unternahm, fegte, um bie von feinem 
Bater veranftaltete Bibelüberfegung auflaufen und dann ver- 
brennen zu laflen, die Summe von 5000 Dukaten aus, ebenfo 
viel, als fein Vater auf die Herausgabe verwendet hatte. Rur 
hin und wieder gelang es dem erwähnten, dem reformirten 
Slauben treu ergebenen Fürften Nikolaus Radziwil, Rufus, 
feinen den Sefuiten ganz und gar ergebenen Neffen entgegen: 


zutreten, ihre Abfichten zu durchkreuzen und feinen Glaubens: 


genoflen Su zu gewähren. 

Nicht bios aber durch das von da an häufige Verbrennen 
bäretifcher Bücher übten die Iefuiten die Genfur aus. Ob⸗ 
gleich aus ihren Drudereien täglid die unwürdigften und Iü: 
genhafteften Schmähfchriften gegen die diſſidentiſchen Gemein⸗ 
den und deren Prediger erfchienen, jo wollten fie Doch den 
Gegnern Vertheidigung nicht geftatten, und al& der Bud: 


- drucker Lencicius in Wilna trog des Verbots Ted Biſchofs 


akatholifche Bücher zu drucken fortfuhr, ließen ihm die Jeſui⸗ 
ten durch feinen Diener die Lettern ftehlen, und beſchützten den 
Dieb in ihrem Collegium. 

As nun Sigismund III. aus tem Haufe Wafa, ein Zög- 
ling der Sefuiten, auf den polnifhen Thron fam, da durd: 
drang diefe das Gefühl, daß die Zeit des vollfommenen Sieges 
für fie gefommen wäre, und es täufchte fie nicht; denn das 
einzige Biel ber vierzigjährigen Regierung Sigismund's mar, 
die Reformation zu unterdrüden, der, enat, ja dab ganze 


Land von den Diffidenten zu reinigen, und nicht an dem Koͤ⸗ 


nige und feinen Rathgebern lag es, daB Polen Fein Spanien 
wurde. Dem Scheine nach brachte Sigismund durch die Yus- 
breitung des Katholicismus eine größere Einheit in den polni⸗ 
jöen Staatsförper, in der That aber ſchwaͤchte er denfelben, 
ndem er den Samen des Haffes in die Gemüther warf, noch 
mebr, intem er alle moralifhen und materiellen Kräfte der 
Kation auf die Einrichtung einer Hierarchie mit Xaufenden 
von Köftern unb Laufenden der fchlechteften Schulen hinwandte, 
indem er die Frechheit, den Muthwillen, wenn er nur unter 
dem Scheine des Eifer um die katholifche Religion auftrat, 
frei walten ließ, und fo die unterdrüdten Diffidenten zwang, 
fich nach fremder Hüffe umzufehen. 

Tuͤchtige, dem Vaterlande nügliche, kenntnißreiche Bürger 
zu erziehen, hatten die Jeſuiten ganz und gar nicht die Mb: 


fit, ihre ganze Erziehungsweife war nur bafin gerichtet, im 
ihren ein frenum hacreticerum zu erlangen. Im 
weichem Grade die Jefuitenzöglinge ein ſolches wurden, zeigen 
die vielen keiten und Frevel, welche jene bas ganıe 
17. Jahrhundert hindurch bis in die Mitte des 18. Jahrham- 
derts hinein an den bdiffidentifihen Geiſtlichen, Gemeinden und 
deren Gottethaͤuſern verübten. 

In einen langwierigen wurde die helvekiſche Ge⸗ 
meinde in Wilna 1639 verwidelt, als einige OBfieber t 
wurden, nach dem Bilde des Erzengels Michael auf der Fram⸗ 
ziskanerkirche zu Wilma mit Pfellen gefchoffen zu haben. Miele 
gang unbegründete Beſchuldigungen kamen hinzu, und der Pre 
ceß hatte einen fo übeln Ausgang, daß die Gemeinde durch ein 
nah den nod vorhandenen Acten offenbar ungerechtes kö⸗ 
nigliches Decret das Recht verlor, ihren Gottesdienſt innerhalb 
der Mauern von Wilna abzuhalten, daß fie flatt des Gottes 
baufes in ber Stadt ſich ein Gebäude außerhalb ber Stadt 
auf dem Kirchhofe erbauen mußte, daß alle helvetifchen Schu⸗ 
len und Hospitäler in Wilna aufgehoben wurden und Die Pre⸗ 
diger der Gemeinde, Labecki, Zurfli und Hartlieb der über fie 
verhängten Todesſtrafe nur durch ihre fchleunige Flucht zum Kur: 
fürjten Georg Wilhelm von Brandenburg entgehen fonnten. 

Wenn man aus der Folgezeit die genaue Schilderung der 
immer ficd wieder erneuernden und immer beftiger werdenden 
Berfolgungen der Difftventen lief, vie diefe unter Auguſt IL 
das allertraurigfte 2006 zu ertragen haben, wie ihre Kirchen 
wrfört, ihre Geiftlichen Häufig Auf das graufamfte ſeibſt zum 

de gemartert werben, wie den Diffidenten am Ende alle 
Rechte genommen, und fie aus allen Öffentlihen Amtern ent» 
fernt werden, wie alle ihre Klagen fowol vor den Königen 
wie vor ben Landtagen und den Gerichten Beinen Erfolg dar 
ben, wie fie nirgend Gerechtigkeit, ja nicht einmal Erbarmen 
finden, fo bewundert man auf ber einen Seite ihren Glau⸗ 
bensmuth, wie man fie auf der andern Seite entfchuldigt, daß 
fie uneingeden? Deſſen daß fie Polen feien fi den eindringen: 
den Feinden, wie den Schweden, in die Arme werfen und end- 
ih fremde Hülfe zue Wahrung ihrer Gerechtfame aufrufen. 
Die Anzahl der Gotteshäufer der Ealviniften, deren es waͤh⸗ 
vend der Blütezeit der polnifhen Reformation 163 gab, ver: 
minderte fih dermaßen, daß ſich unter Auguft IH. nur no 
23 calviniſche Gemeinden in Lithauen vorfanden. 

Mit dem traurigen Suftande, in dem fich die lithauiſchen 
Eaiviniften bei der Ihronbefteigung des letzten polnifchen Kö« 
nigs befanden, bricht da& Wert ab. Im zweiten Theile def: 
felden findet man die Specialgefhichte der Gemeinden und 
dankenswerthe Mittheilungen jur polnifhen Literaturgefchichte 
über die Drudereien der Calviniſten in Lithauen, ihre liturgi⸗ 
[hen Bücher, Bibelüberfegungen u. f. w. au ausführlide 
Biographien ihrer Gelehrten, unter Denen Undreas Wolan, der 
1610 als Prediger zu Wilna ftarb, und Johann Laficius die 
berübmteften waren. 2. 





Literarifhe Notiz aus Frankreich. 


Boͤlkerrecht. 


Einen wichtigen Beitrag zur Literatur der Diplomatie er: 
halten wir in einer vor kurzem erſchienenen Schrift, welche 
bem Voͤlkerrechte, infoweit ai daſſelbe auf die internationalen 
Beziehungen zur Ger bezieht, gemwibmet ifl. Sie führt den 
Zitel: „Regles internationales et diplomatic de la mer’, von 
Ortolan (2 Bde.). Der Verf. bat fi der juriftifhen Welt 
befonder& durch feine gebiegenen Arbeiten über die Befchichte 
bed franzoͤſiſchen Rechts auf das vortheilbaftefte befannt ge: 
macht, und aud fein neuefles Werk wird feinem geichrten 
Rufe keinen Abbruch thun. 7. 


Berantwortliger Heraudgeber: Seiurich Brodjans. — Druk und Verlag von F. SE. Mrodpans in Leipzig. 





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— — — — —— — — ——— vi. w”_wr Ur 


— Aen Di Tr Te m WU 3 Gr u — 


Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Freitag, 





Haͤnschen von Saintre (Le petit Jehan de 
Baintre). Ein Roman aus dem 15. Jahrhundert 
von Antoine de la Sale. *) 


Der Berfaffer des „Le petit Jean de Saintré verband 
die Eigenfchaften eines Pädagogen mit denen eines No- 
velliften. Er mar zugleich eins der fonangebenden Mit- 
glieder jener Beinen Akademie von luftigen Erzählen, die 
auf dem &chloffe von Genappe unter BVorfig Ludwig's XI. 
damals noch Dauphin, die bekannten „Cent nouvelles 
mouvelles‘ herausgab, und nacheinander Erzieher Jo- 
Hannes v. Anjou, Herzog von Kalabrien und Lothringen, 
und ber drei Söhne des unglüdtichen Grafen von St.- 
Pol, der auf Befehl Ludwig's XI. hingerichtet wurde. 
„Le petit Jean“ bifdet gemwiffermaßen den Schlußſtein 
feiner literariſchen Thaͤtigkeit. Nachdem er nämlid auf 
ber einen Seite Novellen und auf der andern für feine 
Schüler belehrende Bücher gefhrieben, morunter das⸗ 
fenige, welches er „La salade” betitelt (aus dem Grunde, 
fügt er, weil in den Salat viele nügliche und angenehme 
Kräuter gethan werben) das bemerkensmerthefte ift, ſchrieb 
er gegen das Ende feined Lebende um #459 den „Petit 
Jean“, melden man als den „Telemagqae” des 15. Jahr⸗ 
hunderts anſehen kann, indem Geſchichte und Dichtung 


faſt gleichen Theil an demfelben haben. Wie Fendton’s 


Hab iſt Saintre ein Mufter von Tugend und Berflän- 
digkeit, aber fein Mentor ift feine Minerva, noch über- 
haupt eine Göttin oder Fee, es ift ganz einfach eine 
fhöne Dame bes Hofs, die der Dichter ia dame des 
beiles cousines nennt. ber den wahren Namen diefer 
Dame bat man feit Brantome viele Bermuthungen auf- 
geftelt, ohne zu einem genügenden Reſultate zu kommen. 
Wahrfcheinlich if, daß es eine junge Witwe von Stande, 
aus Löniglichem Geblüte war. Saintre ſelbſt iſt eine 
Hiftorifche Perſon; Froifſart erwähnt feiner als des beſten 
und tapferften Ritters von Frankreich. Er mar Sene⸗ 
hal von Anjou und Maine und kaͤmpfte mit Auszeich⸗ 


*) Die folgende gebrängte Darfielung ber Geſchichte Saintre's 
iR aus ber’ neuen, fehr forgfältigen, von Marie Guichard beforgten 
Ausgabe diefed Romans entnommen. Der Roman bilbet eine Cpo⸗ 
the in der franzöfifhen Literatur und iſt eins vom den wenigen Gr: 
zeugniſſen jener Zeit, bie noch heute in größern Zeferkreifen in Frank⸗ 
reich gelaunt find. 


149, — 


— N. 


29. Mai 1846. 





nung in den Kriegen in der Saintonge, ebenfo bei Poi- 
tier6, wo er von den Engländern gefangen wurde. Nach 
Frankreich zurückgekehrt, bekam er von dem NRegenten 
des Königreichs, dem Herzoge von ber Rormandie, ben 
Auftrag, die Sefandten Eduard's IM. zu begleiten, unb 
fpäter war er einer ber vier Kommiffarien, welche bie 
Provinzen Poitou, Saintonge und Angoumois den Eng- ' 
ländern übergaben. 

Obgleich nun Saintri keineswegs ein erbachter No⸗ 
manheld ift, fo ift doch Sale's Roman weit entfernt 
davon eine Biographie oder eine Chronik zu fein. Der 


' Verf. verläßt in fehr wefentlihen Punkten ganz und 


gar den gefhichtlihen Boden, indem er feinen Helden 
Abenteuer beftehen läßt, von benen die &efchichte nicht 
nur nichts erwähnt, fondern die auch ber Zeit und dem 
Orte nach als erwieſen fingirt erfcheinen, ober aber ihm 
Thaten beilegt, die Andern zukommen, wie z. B. Saintre's 
Kampf mit den englifhen Rittern bei Boulogne, was 
lebhaft an die Memoiren des Marfchalle Boncicant er- 
innert. Nirgend aber verläßt der Verf. das Gebiet der 
Wahrfcheinlichkeit, und darin unterfcheidet er ſich weſent⸗ 
lich von allen gleichzeitigen Romanciers. Die Thaten 
feines Helden, fo außerordentlich fie find, bleiben immer 
ftreng in den Grenzen der Möglichkeit und überall blickt 
die unterrichtende Tendenz des Buchs deutlich hindurch, 
die nämlich, das Bild eines volllommenen Ritters und 
Edelmanns zur Nachahmung aufzuftelen. Man kann 
nicht beffer und eindringlicher allen ritterlichen Tugenden 
und allen edein Gefühlen überhaupt das Wort reden 
ale Saintre’d Dame ed thut. Sie citirt die Bibel und 
die Kirchenväter, felbft die Philofophen in ihren einfa- 
men Unterhaltungen mit dem fechszehnjährigen Saintre, 
ber ihr mit der fehüchternen, mädchenhaften Befcheidenheit 
eines ergebenen Schülers zuhört. Um fo überrafchender 
ift e8 dann, wenn diefe nämlihe Dame, nachdem alle 
ihre Lehren bei Saintrd die befriedigendften Früchte ge- 
tragen haben und dieſer als ein Mufter der Ritterlich- 
feit mit Ruhm und Ehre bedeckt, zu ihr eilt, um den 
Lohn aller feiner Kämpfe und Gefahren aus ihren Hän- 
ben zu empfangen, plöglih in eine ganz gemeine weib- 
ide Schwachheit verfällt und der Gefchichte ein mehr 
als unerwartetes Ende gibt. Man bleibt bei diefer un- 
geahnten Entwidelung des Romans ungewiß, ob der 





7 e 

Berl. den jungen Leuten feiner Zeit daburh wirklich 
habe die Lehre geben wollen, ben Weibern gar nicht zu 
trauen, oder ob unwillkuͤrlich der kauſtiſche Erzähler der 
„Cent nouvelles nouvelles” über den Moraliften den 
Sieg davongetragen babe. Jedenfalls iſt es kunſtreich 
und geſchikt, daß der Autor die Jugend feines Helden 
in dem Traume einer reinen, ibenlen Liebe‘ vorübergehen 
und bie Enttäufchung erft dann eintreten läßt, als Saintre 
durch mancherlei Erfahrungen bes Lebens geftählt und 
geiftig und körperlich im Stande iſt fie mit männlicher 
Entfehloffenheit zu ertragen. Außer feinem poetifchen 
Werd als anmuthige Erzählung ift das Buch übrigens 
eine wahre Fundgrube für den Zorfcher mittelalterlicher 
Zuftände. Die Gebräuche des Ritterthums und das 
Hofleben find vielleicht, nizgend wit foldher Klarheit, 
Einfachheit unb Liefer Überzeugung bie in das gering» 
fügigfte Detail dargeſtellt als in biefem Buche; und da⸗ 
bei in jener anmuthigen, naiven Sprache, wie fie Des⸗ 
ierd und Montaigne vorfanden, naturkräftig und 
aberfträmend, ungeziert und frei von akademiſchem Kapp- 
zaun und fchwülftiger Überladenheit. Diefe mannichfalti- 
gen Vorzüge machen es erflärlih, wie biefer Roman, 
in ber legten Hälfte bes vorigen Jahrhunderts, von 
Treſſan in mobernes Franzoͤſiſch überfegt, freilich un- 


barmherzig abgekürzt und zugefchnitten, mit großem ' 


Beifalle aufgenommen wurde. Bor 20 Jahren etwa 
wurde „Saintre” auf zwei parifer Theatern als Vau⸗ 
deville gegeben, nachdem Menard be Et.» Juft das 
Sujet durch eine Parodie ins Volk gebracht hatte. 
Sonach fehlt unferm Roman nichts, was gewöhnlich 
ben Meiſterwerken des Geiſtes begegnete, er erfuhr eine 
Falte Nachahmung und eine burledfe Parodie. 
Der Roman beginnt damit, und an den Hof Jo—⸗ 
ann's II. (1350—64) zu führen, wo wir Saintre als 
VPagen im Dienfte des Hrn. v. Ponilly finden. Le pe⸗ 
tit Sean be Saintre ift der gewandtefte und fchönfte 
Page, behend im Dienfte, gefällig gegen Damen, zier- 
licher und kühner Reiter, fertiger Sänger, in allen rit- 
terlihen und gefelligen Spielen geübt, aber unbegreif- 
licherweife, bei allen diefen fchönen Cigenfchaften, un- 
empfindlich gegen die Reize bes fchönen Geſchlechts. 
Unter den vielen fchonen Damen des Hofes, deren 
Blicke ber junge Saintre auf fih gezogen, war befon- 
ders eine junge Witwe, reich und angefehen, die, obgleich 
von zahlreichen Freiern umſchwaͤrmt und felbft von ih- 
sen Verwandten ermahnt, beharrlich verweigerte ein neues 
Ehebündnig zu knüpfen. Diefe befchlog nun ſich bes 
jungen Saintrd anzunehmen. Nachdem fie mehrfad; 
vergeblich durch freundliche Anrede feine Schüchternheit 
zu befiegen gefucht hatte, fah fie ein, daß fie directer zu 
Werke gehen müffe. Die Gelegenheit fand ſich bald. 
AS fie eines Tages die Königin zu ihrem Mittagsfchlaf 
gebettet hatte und in Begleitung ihrer Damen, Knap⸗ 
pen und Pagen eine Galerie ducchfchritt, um fi nad 
ihren Zimmern zu verfügen, bemerkte fie Saintre, ber 
über das Geländer gelehnt dem Ballfpiele im Hofe zu- 
fah. Diefer, als er die hohe Frau daher kommen fah, 


‚mir voran. Saintre gehorcht, bis an bie 


-Dame ihre männlichen Begleiter. : Saintre w 
‚auch entfernen, wird aber von ber Dame zurüdgehalten 


p94 


warf fi) auf die Knie, um ihr Die gebräuchliche Ehren- 
bezeigung in firengfler Form zu bezeigen. Sie aber 
ſprach: Saintre, Ihe folltet Cuern Dienft beffer verfichen 
und einer Dame das fehuldige Beleit geben. Gchreiter 
Oprläppden 
erröthend, In ihrem Gemache angelangt, eutläßt die 
ſich 


mit der Bemerkung, daß er nicht zu den Männern ge⸗ 
böre und fie mit ihm fprecden wolle. Nachdem fie ſich 
anf das Fußende ihres Bettes gefept und ihre Damen 
auf Truhen Plag genommen, verlangt fie von Saintre 
das Ehrenwort, daß er auf ihre Fragen mit Aufrichtig- 
feit antworten wolle. Hoͤchlich erfchredit über diefe Ein- 
leitung verfpricht er Ales. Darauf hebt fie an: Wie 
lange ift es ber, Saintre, daß Ihr die Dame Eures Her⸗ 
zens nicht ſahet? Als Saintre von einer Dame feines 
Herzens reden hörte, erblaßte er, fing an zu zittern, 
feine Augen füllten fi mit Thränen und er war un- 
fähig ein Wort hervorzubringen. Als ihn nun die am- 
been Damen mit freundlichen Worten ermunterten, ſpeach 
er enblih: Ich habe keins. Daß Ihr fie nach nit Habs, 
glaube ich wohl, erwiberte bie Dame, mer würde ſich 
denn auch ſolchem fihüchternen Anaben gleich ergeben; 
ich meine diejenige, die Ihr wünfchtet daß fie die Eurige 
würde. Baintre widelte trampfhaft die Schnüre feines 
Gürtels um feine Zinger, wie ein Maͤdchen das Schin⸗ 
zenband wenn fie einen. Verweis befommt, und ſchwi 

Ihr kommt nicht aus biefem Zimmer heraus, Gain 

ſprach die Dame, bevor Ihr mir nicht genügende nt 
wort gegeben auf meine Frage. Sprecht, welche Dame 
liebt Ihr am meiften? Da antwortete Saintee: Die Dam, 
weiche ich am meiften liebe, ift meine Mutter und nad 
biefer meine Schwefter Jacqueline. Außer biefen beiden 
liebe ich Feine Frau auf ber Welt. D du chryergeffener 
Edelmann, fprach die Dame mit fiheinbarem Zorne, be 
dis gegen alle Regel der Ritterlichkeit Leine Dame bei- 
nes Herzens haft, fo gehe mir aus den Augen. Die 


‚Gefellfchafterinnen, weldge wohl merkten, dag es ihrer 


Gebieterin mit diefem Befehle nicht Ernſt war, erbaten 
für Saintre eine Friſt von zwei Tagen, binnen melder 
biefer in ber Angft feines Herzens auch verfprach eime 
Wahl zu treffen und biefe feiner Gebieterin mitzutheilen 
Nach Ablauf biefer Zeit wußte ex ſich aber ben Augen 
der Dame zu eutziehen und erft am vierten Tage kennte 
fie feiner wieder habhaft werben. Hier nun, von menu 
ins Berhör genommen, fpriht er endlich den Ram 
ber Mabeline de Courſy aus, die aber erſt ein zehnläh- 
riges Maͤdchen war. Saintré wird ausgelacdht, und bie 
Dame muß fi) endlich entfchließen, ibm mit aller mög- 
lichen Deutlichleit zu fagen, welche Urt von Dame ex 
zu wählen habe: Eine Frau von hoher Geburt und 
Anfehen, reich und im Stande ihm auch in ber Welt 
von Nugen zu fein. Sie beſcheidet ihn nun öfter zu 
fih und beginnt ihr Erziehungswerk mit einer Anlei⸗ 
tung, wie man bie fieben Todſünden zu fliehen habe, 
eine Ermahnung, die bei einem fo fehuldiofen Gemüthe 


— — — — — — 


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wie dem · Saintroᷣ o faſt überflüffeg und mehr geeignet ſcheint 
ihn mit dieſen Sünden dekannt zu machen als ihn da⸗ 
von fern zu halten. Darauf geht fie mit ihm die Pflich⸗ 
ten bes Ritters und Edelmanns duch umd kommt fo 
gar, unmerklich wieder auf das :Gapitel der Liebe. 
Saintré will aber feine ihrer Anſpielungen verftchen, 
und fd ficht fie ſich deun genoͤthigt, aus ihrer Lehrerrolle 
Herauszutreten und ihm ihr Herz zu eröffnen. Saintre 
weiß ihr nichts zu erwidern als daß er ſchwoͤrt ihr tum 
zu dienen und ihr in Allem gehorſam zu fein. Die 
Ertkenntlichkeit der Dame war nicht geringer als ihre 
Liebe. Sie verficht nun den eben nicht reichen Saintre 
mit Gelb, um fich neu zu Heiden, und fhreibt ihm zu⸗ 
gleich fein Eoflume vor. Ein Wams von carmeifinw- 
them Damaft, ein paar Scharlachbeinkleider und ein 
paar braune mit einer darauf geflidten Devife u. f. w. 
War Saintre bisher der anmuthigfte. Page gewefen, 
wegen feiner körperlichen Borzüge, fo wurde er nun 
and der -elegantefle in feinem Anzuge. Aud) Amter 
und Ehren blieben nicht aus. Durch Vermittelung fei- 
ner Dame wurde er zum ecuyer tranchant bes Koͤnigs 
exnannt und erhielt durch ihre Freigebigkeit die Mittel 
zum Ankauf von Pferden und Waffen, da er nunmehr 


genöfhige ift, feinerfeite Diener und einen Hausſtand zu 


alten. 

Charakteriſtiſch ift bier die Unterredung, bie er be- 
hufs feiner Ankaͤufe und Gmrichtungen mit einer alten 
Schneiderin pflegt, bie wie eine Mutter zu ihm fpricht 
umd deren wohlgemeinten, verfländigen Rath, er auch be- 
folgt. Einmal auf der erfien Stufe ber Gunſt ange 
langt, wird nun Saintréè von feiner Dame inftruirt, 
wie ex .fich in berfelben zu befefligen habe, was, meint 


fie, bei Hofe feine eigenen Schwierigkeiten habe. As |. 


vornehmftes Mittel dazu empfiehlt fie ihm Jedermann 
Geſchenke zu machen; felbft der Königin möge er hin 
und wieder einen Zelter oder ein Pferd für bie Sänfte 
ſchenken, weil bies das befte Mittel gegen den Einfluß 
neidifcher Zungen ſei. Es wird unferm Gaintre nicht 
ſchwer diefen koſtbaren Rath zu befolgen, da er von 
ber wohlwollenden Bebieterin feines Herzens immer zu- 
gleich mit bem Rathe auc die Mittel zur Ausführung 
befjelben bekommt. Jedoch warnt fie ihn zugleich fehr 
verfiändig vor übermäßiger und unbedachter, zweckloſer 
Berſchwendung. Diefe, fagt fie, bringt uns Schaden und 
Unehre, eine weiſe Freigebigkeit aber gewinnt die Her⸗ 
zen; fie erhält Die alten Freunde und erwirbt nee, be- 
wahrt ben guten Ruf und wendet den Haß in ben 
Herzen zur Liebe. Saintre fol aber auch feinen Geift 
bilden, feine Dame empfiehlt ihm bie geeignete Lecture. 
Reben verſchiedenen römifchen Hiſtorikern wird bier auch 
Dares Phrygius genannt, was beweift, daß man im 
15. Jahrhundert die im barbariſchen Latein verfaßte an 
gebliche Überfegung ber verlorenen „Ilias phrygia” für echt 
hielt. Die Nüglichkeit des Studiums iegt der weibliche 
Mentor feinem Schüler folgendermaßen an Harz: Wie 
her Frühling die Blüte hervortreibt, die Blüte aber bie 
Frucht erzeugt und die Frucht den Nugen, fo gibt bad 


% 


Stadium die Gitten, die Sitten den Ber and, | 
Berſtand bringt zu Ehren. n ‚md der 
(Die Zortfegung. folgt.) 
Das Klofter, weltlich und geiftlih. Meiſt aus ber dl- 
tern beutfchen Volks, Wunder s, en , und 
Vrzugsweiſe komiſchen Literatur. Zur Guftur- und 
Sitten geſchichte in Wort und Bild; Mon 3. Scheible. 
Erfter Band: Erfte bis vierte Zelle. — Auch u. d. T.: 
Volfsprebiger, Moraliſten und frommer Unfian. Se⸗ 
baſtian Brandt's Rarrenſchiff mit Geiler's von Kai⸗ 
ſersberg Predigten darüber und Thomas Murner’ 
Schelmenzunft , vollftändig nach ben alten Druden 
und ihren bildlichen Darfiellungen. Mit vielen Ab 
bildungen auf 72 Tafein. Stuttgart, Scheible. 
1845. 8. 3 Thir. 15 Ner. 
Während die ältere deutſche Fiteratur ich ſeit ni 
ven einer. befondern Pflege een deren ie ge 
nicht genug gepriefen und bewundert werden Tünnen, war bie 
Het von dem Abfterben bes Minnegeſangs bis auf das neue 
Wiederaufbluͤhen der Literatur im Ganzen nur wenig beachtet 
und wenn man einige wenige Namen abrechnet, die freitih 


Lehrbücher fi bald mehr bald weniger — daruͤber 
8 


inderniflen zu tämpfen hatten; benn wenn au die mei 

chriften der Glaffifer der genannten Epoche gedruckt —8 
waren fie zum groͤßten Theil doch nur in wenigen Eremplaren 
vorhanden und fo fehr über daS ganze deutfche Sand verftreut, 
daß gewiß nicht eine einige, felbft wicht die veichfte Biblioth 
eine vollfiändige Sammlung diefer Echeiften befi 


Wert allerdings Unerkennung. Aber 
nt nur von dieſem Geſichtspunkte, und zwar noch dazu nur 

in eine leichte Sache 
diefen oder jenen Schriftfteller wörtlich abdrucken ” —* 
Es iſt nicht 
n a gerade Die guten vielfäls 
tig nachgedruckt, verändert, ja ganz umgeftaltet wurden. * 


r 





386 


ihm zunädft liegenden Publicum verfländfier wurde, d. h. 
das Bu wurde aus einem Dialekte in den andern überfegt. 
Öfters begnügte man fi mit Diefer Veränderung nicht; der 
Herausgeber erlaubte ſich auch Bufäge, Auslaffungen, überhaupt 
Beränderungen jeder Urt, ſodaß die Schrift eine ganz andere 
wurde. &o wurde 3. B. „Das Rarrenfhiff” non Gebaftian 
Brant noch in demfelben Jahre, da es in Bafel erſchienen war 
(1494), in Strasburg nachgedruckt; es ift diefer Drud aber 
von der Driginalauegabe fo fehr verfchieben, „daß man es bei: 
nahe eine Überarbeitung derfelben heißen koͤnnte; fo groß ift 
die Anzahl der Bufäge, fo mannichfaltig find die Weränderungen 
ſowol in einzelnen Worten als in Sägen” (Strobel, Ausgabe 
des, Rarrenſchiff“, &. 39, wo man uber diefe Abweichungen 
das Nähere Iefen ann). Mir würden es Faum für nöthig 
galten Auch zu erwähnen, daß es nicht einmal hinlänglich fei, 
ei einer neuen Ausgabe den beften Zert zu Grunde zu legen, 
fondern daß eine ſolche unbedingt nothwendig auf der Berglei- 
&ung aller guten echten Ausgaben beruhen müffe, wenn nicht 
felbft namhafte Editoren diefe unerlaßliche Grundlage überfehen 
hätten. &o hat 3. B. Strobel's Uusgabe des „Narrenſchiff“ 
nicht geringe Fehler, die allein daraus zu erklären find, daß er 
den erften Wert nicht mit den fpätern Editionen verglichen hat. 
Dhne folhe Vergleichung kann ber Herausgeber fchon duch 
Drudfehler irre geführt werben; es ift aber ſelbſt bei dem 
größten Scharfblide und dem fiherften kritiſchen Takt nicht 
möglich, ohne Bergleihung zur Sicherheit zu gelangen, wenn 
ganze Wörter oder gar ganze Säge ausgelaffen oder verfegt 
find, was fi in Büchern jener Beit fehr Häufig findet. Wir 
voollen nur Ein Beifpiel anführen. In Sebaſtian Brant’s 
„Narrenſchiff“ heißt e8 am Anfange des Gapiteld „Berad 
tung der gfhrifft” (Strobel &. 105) alfo: 
Der ift ain narz, ber nit ber gſchrifft 

Will glouben, die das Heil antrifft, 

Vnd meynet, dad er leben fÖlL, 

Als ob ein gott wer noch kein hell, 

Verachtend alle predig vnd Ier, 

AB ob er nit füh noch hör. 

Kem einer von den botten har, 

So lieff man hundert mylen bar, 

Vnd ob viel Iut fuorend bar ın, 

Ob man ouch fhandt bo numen win, 

Vnd des glich ander affen fpil. 


” Die drei letzten Beilen ftehen offenbar in Beinem Zufam- 
menhang mit dem vorhergehenden, es fmd diefelben vollkommen 
unverftändli, und man muß ſich billig wundern, daB Strobel 
nicht felbft in den Anmerkungen darauf aufmerffam gemacht 

at. Wir haben zwar leider die basler Driginalausgabe von 
41494 nicht felbft in Landen, wir vermuthen aber, weil Stro⸗ 
bel's Abdruck fonft richtig und genau ift, daß er auch in diefer 
Stelle fein Driginal volllommen genau wiedergegeben hat, und 
Daß die Verderbniß des Zertes nicht ihm vorgumerfen iſt. 
Hätte er jede andere Ausgabe verglichen, fo hätte er fogleich 
feben müflen, woran der Fehler liege, daB nämlich in der bas⸗ 
ler Edition, die er mit Recht zu Grund gelegt bat, zwei Set: 
len ausgelaſſen find. Die basler Ausgabe von 1485 (und mit 
ihr die Ausgabe von 1553) hat nämlich alfo: 
Kem einer von den botten bar, 
So Heff man hundert mylen bar, 
Das man von jm hört nume mer, 
Was wefenb in ber hellen wer, 
nd ob vil Iut fuorend bar in. 


Jetzt hat die Stelle Sinn und Bedeutung, und es bleibt Bein 
Zweifel übrig, daß diefe zwei Zeilen duch ein Verſehen des 
Druders außgelaflen find. 

Der Herausgeber des vorliegenden Buchs hat aber nicht 
nur die Bergleiung der verfchiedenen Ausgaben unterlaffen, 
und bat auch fogar eine unechte Edition abdruden laſſen, fo 
daß feine Arbeit in Feiner Weiſe auf wiffenfchaftliche Anerken⸗ 


I Einzelnen body man 


nung machen kann. Gr hat nämii die Ausgabe 
von Bafel 1574 bei Sebaſtian iepetri wiedergegeben, De: 
ven Sert zwar der der echten und beſſern Ausgaben, aber me- 
bermißit 7 na felten auch verborben ift (vergl. Strobel 
a. a. O. &. 44). 

Auch die „Schelmenzunfft” von Thomas Murner iſt nach 
einer ſpaͤtern, wmobernifisten Ausgabe (Frauffurt 1567) 
druckt, der ſelbſt nicht die urſpruͤngliche Edition, ſondern die 
augsburger von 1513 zu Grunde lag, dieſelbe e Baldau 
(Halle 1788) herausgegeben bat. Es ift diefelbe aber unedht, 
da in ihr die elfäfifhe Mundart Murner's in die breite augs⸗ 
burger umgewandelt ift, fobaß fie wol als ein ohne Theilnahme 
de Berfafere veranftalteter Nachdruck angefeben werben auf. 
Zwar weicht dieſer augsburger Ubdrud nicht weientlich von 
dem Driginalterte ab, allein «8 bat ſich ber Deraußgeber im 

de Abweichungen erlaubt, die keineswegs 
als Berbefferungen erfcheinen. 


(Der Veſchlusß folgt.) 





Bibliographie. 
gr omm, K., Gedichte. Frankfurt a. M., Keßler. Gr. 12. 
Brud lieder eines rheini ten. 
erste rub re ie et Ma rheiniſchen Poeten. Darmftadt, 
Conſcience, H., Graf Hugo von Eraenbove und fein 


Freund Abulfaragus. Graäblung. Nach dem Flaͤmiſchen von 


®. Wagner. Augsburg, v. Senifh und Stage. 8 18 Rer. 

Creuzer’s, F., Deutsche Schriften, neue und ver- 
besserte. Zweite Abtheilung. Zur Archäologie oder zur 
Geschichte und Erklärung der alten Kunst. Besorgt von 
J. Kayser. Darmatadt, Leske. Gr. 8. 2 Thlr. 10 Ngr. 

Ellendorf, J. Der Primat der römischen Yapfle. Yu 
den Quellen bargeftelt. 2ter Band: Fünftes. Jahrhundert. 
Darmfladt, Lebe. Gr. 8. 25 Nor. 

Beige der Stadt Wimpfen. Heilbronn, Landhert. 

x 


gr. 

Aus Goethes Anabenzeit 1757—1750, Mittheilungen aus 
einem Driginal: Manufeript der Frankfurter Stadtbibliothek. 
Erläutert und herausgegeben von H. Weitmann. ran: 
furt a. M., Sauerländer. Gr. 16. 16 Nor. 

Reden, Freih. F. W. v., Vergleichende Kultur - Sta- 
tistik der Grossmächte Europas. Iisten Bandes Iste Liefe- 
rung. Berlin, Duncker. Gr. 8. 22%, Ngr. 


Zagesliteratur. 
Aktenſtuͤcke, betreffend den Dienft- Austritt des Prof. R. 
v. Mohl in Tübingen. Zreiburg, Herder... Gr. 8: 121, Xgr. 
Bachmann, 3.%., Sebächtnißfeier des Tedes Dr. Mart. 
Luther’s. Liturgie und Predigt. Berlin, Moeſer und Kühn. 
&.8. 21, Rar. 


6Ng j 
Maurette, 3. J., Der Papſt und das Evangelium, 
oder noch ein Lebewohl an Rom. AIte wohlfeile Auflage. Heil⸗ 
bronn. Dredsler. 8. 6 Nor. 

Die Refultate der Berliner Eonferenz. Leipzig, Maver. 
&. 8. 5 Nor. | 

&tmon, H., Mein Austritt aus dem preußifchen Staat: _ 
bienfte. Leipzig, Mittler. Gr. 8. 7Y, Rar. 


Verantwortlicher Heraudgeber : Heinrich Wrodjant. — Drud und Verlag von F. M. Drockhaus in Leipzig. 





Blatter 


für 


fiterarifhe Unterhaltung. 





Hänschen von Saintre. Bin Roman aus dem 
15. Sahrhundert von Antoine de la Sale. 
(Bertfegung aus Nr. MB.) 


Sieben Zahre hatte Saintrd nunmehr feiner Dame 
in Zucht und Ehrbarkeit gedient und diefe ihn mit Be- 
yoeifen ihrer Huld. überhäuft. Jetzt fehlen es ihr an der 
Zeit, daß Saintre, der ſtark und Eräftig geworden war, 
fi durd eine Waffenthat auszeichne Sie ließ ihn 
daher eines Abends zu ſich fommen und ſprach zu ihm, 
indem fie ihm ein koſtbares Armband übergab, an wel- 
-hem ſechs Diamanten, fehs Rubinen und ſechs Perlen 
waren: Mein Freund, ich ftede diefes Armband auf 
Euern Arm und befehle Euch es von morgen ab ein 
ganzes Jahr zu tragen, wenn ſich in biefer Zeit nicht 
ein unbefcholtener Ritter findet, der ed Euch zu Roß 
oder zu Zuß abnehme. Und ich will, daß ber Kampf 
beftehe, erftens aus einem Nennen zu Roß gegeneinan- 
der im Harniſch und Kriegsfattel, bis der Eine gehöri- 
germaßen feine Lanze gebrochen, d. h. einen Fuß vor 
dem Stichblatt der Lanze. Und dem, ber zuerft feine 
Lanze gebrochen, foll fein Gegner in Gegenwart ber 
Richter einen Diamant geben, zum Werthe von 300 
Thalern und darüber, um ihn feiner Dame zu vereh— 
ren. Und am folgenden Tage, oder fo es nicht anders 
geht am achten Tage, werdet Ihr zu Fuß kämpfen mit 
zwei Streitärten, bis einer von euch niedergeworfen wor- 
den oder er feine Streitart bat fallen laffen. Und fo 
Euer Gegner Euch befiegt, follt Ihr ihm das Armband 
geben, befiegt Ihr ihn aber, fo foll er Euch feine Streit- 
art überlaffen und Euch feinen Harnifch zu tragen ge- 
ben für den ganzen Tag. Bevor Ihr aber von bannen 
ziehet, fendet einen Waffenheroid an den Hof des Koͤ— 
nigs von Aragonien, dann einen an ben des Könige 
von Navarra und ebenfo an die von Kaftilien und Por⸗ 
tugal, wenn fih an ben erften Höfen Niemand findet, 
der Euch zur Löfung Eures Gelübdes helfen möge. Und 
nun feld getroft und muthig, ich hoffe, daß die Ehre 
Euer fein wirb. 
nicht ohne viele Thränen und zaͤrtliche Küffe. 

Saintre ſucht nun beim Könige die Erlaubniß nad 
auf risterliche Thaten ausziehen zu dürfen. Er erhäft 
ſie nice ohne Mühe. Die Damen find troſtlos über 


J 


Nach dieſen Worten trennten fie ſich 


—rte — — — — — — — — — — —— —— — — — —— — — ——— — — ————— —— — —— 


feine Abreiſe. Er macht allen noch Geſchenke, wobei 
auch künſtliche Blumen vorkommen, welche ‚souriegne 
vons de moi genannt werben, alſo ganz; unſer Wergiß⸗ 
meinnicht, nur daß der deutfche Name noch um einen 
Grad befcheidener klingt als der feanzöfifhe, bewirchet 
bie ſaͤmmtlichen Ritter des Hofe, nimmt zärtlichen Ab⸗ 
ſchied von feiner Dame und yieht von bannen. Der 
Auszug aus der Stadt ift mit Lebendigkeit geſchildert. 
Na dem Mittagsmahl flieg man zu Pferd. Vorauf 
ſchickkte Saintrd zwei Fouriere, feine Köche und feinen 
Kaplan, vier Trompeter mit den Bannern, dann drei 
Herolde; drei Ritter, die ihm als Begleiter folgten wit 
neun Edelknappen und ihren Leuten in Saintres Runde 
gekleidet; dann kamen feine fünf Padreffe, behangen 
mit Teppichen, auf welchen man fen Wappen erbiidte, 
und von zwei Fußknechten geführt; dann feine Pauken⸗ 
ſchläger, auf welche feine vier Streitroffe folgten, wit 
Deden von feinem florentinifchen Taffet, gran, grün und 
violet, mit großen ſilbernen Buchſtaben umb auf den 
Köpfen ſtählerne Auffäge mit ſchoͤnen Straußfebern u. ſ. w. 
Auf’ diefen Roſſen ſaßen vier zierliche Pagen mit Feber⸗ 
baretts. Dann kamen zwei Stallbediente und der Mar- 
ſchall. Auf dieſe folgten wiederum Paukenſchlaͤger, be⸗ 
gleitet von ſaͤmmtlichen ihm das Geleit gebenden Spiel⸗ 
leuten (menestriers). Hinter dieſen kamen bie poursai- 
vants und nach ihnen zunäcdft Die Herelde ber beglei⸗ 
tenden Ritter, dann die des Königs mit deſſen Wap⸗ 
penkönigen. Abhängig von den Herolden und ihrem 
Capitel afliftivnd. Gin Bannerherr konnte dergleichen 
nur mit Genehmigung eines Herolds in feinem Dienſte 
haben. Ste trugen Stäbe ohne Schul. Dann kam 
ein Trompeterchor gebiidet aus ſaͤmmklichen Trompeten 
des Königs und ber Ritter des Hofs, worauf Salntre 
felöft erfhien in der Mitte von vier Rittern, von denen 
zwei vor und zwei hinter ihm ritten,. und ſchließlich alle 
begleitenden Herren, Ritter unb Knappen wie fie Tomn- 
ten. Nachdem bies Gefolge ihn wol eine Meile: weit 
begleitet hatte, kehrte es um; Balntrd aber bewirchete noch 
die ſaͤmmtlichen Spiellente und geb ihnm SO Thaler. 
In Avignon angelangt empfängt er von feinem He⸗ 
rolde Lefignen die Nachricht, daß feine Herausfoderung 
an bem Hofe von Barcelona von einem ſtattlichen Nit- 
ter Namens Inguerrant de Servillon angenommen wor- 





den und die Benchmigung bes Könige erhalten habe. 
Saintre Hält nun feinen @inzug in Barcelona in der- 
felben Weife wie bei feinem Auszuge aus Parts, nach⸗ 
bem er von Enguerrant mit anfehnlichenr Gefolge eine 
Meile vor der Stadt empfangen worden if. Diefer 
wie er Saintrd’s außerordentliche Sugend ſieht, ſchaͤmt 
fich faft gegen ihn zu kaͤmpfen; er nimmt ihn in feiner 
Wohnung angelommen beifeite und ſpricht: Gaintr:, 
mein lieber Waffenbruder, ihr feid ein gar junger Mann 
und ih ein alter Ritter, wollt ihr mid meines Ver⸗ 
ſprechens entbinden, fo will ich Euch meinen Neffen, der 
Euers Alters ift, fiellen, um mit ihm, Euerm Gelübde 
gemäß, eine Lanze zu brechen. Saintre lehnt befcheiden 
das Anerbieten ab, fagend, daß, da es Gott gefallen 
habe ihm einen folchen Gegner zu geben, er auch den 
Kampf mit bemfelben zu beftehen gebente, fo. ſchwer er 
fei und wie er auch für ibn ausfallen möge. Am fol- 
genden Tage übergab Baintrd in Gegenwart des Kö⸗ 
nige und der Königin dem Herrn Enguerrant das Arm- 
band, welches dieſer zum Zeichen, daß er den Kampf 
angenommen, einen ganzen Tag an einem feibenen und 
goldenen Bande am Halfe trug. Zwei volle Wochen 
wurden nun den Vergnügungen gewidmet, nach welchen 
das Turnier flattfand. 
Der Raum geftattet nicht, bier in bie fehr interef- 
fanten Ginzelheiten der Vorbereitung und Abhaltung 
deffelben einzugehen, obgleich biefe Einzelheiten bas In⸗ 
‚texeffe oft lebhafter in Anſpruch nehmen als die Haupt⸗ 
handlung. Nur fo viel darüber: Die Lanzen mußten 
13 Fuß lang fein und beim Rennen einen Fuß etwa 
über der Unfhäftung gebrochen werben. Es war eine 
gewiffe Anzahl Langen, bie gebrochen werden mußten, 
vorgefchrieben, bier fünf, welche in elf Rennen von 
Saintre gebrochen wurden, während (Enguerrant nur 
wier zählte. Diefer verlangte nun, nad, ber dem Befieg- 
ten zuftchenden Freiheit, noch eine fogenannte Damen- 
Lanze, ber König verbot aber bie Fortfegung des Tur⸗ 
niers und Saintre wurde zum Sieger ausgerufen. Ebenfo 
fiegte er in dem Fußkampfe mit der Streitart. Gein 
Gelübde war .gelöft und er konnte, nachdem er von al- 
len Herren des Hofe reiche Geſchenke befommen und 
diefe erwidert haste, nad Frankreich zurückkehren. Wir 
müflen nun ‚mit raſchen Schritten über einen gro- 
fen Theil der Geſchichte unfers Helden binweggeben, 
um zu dem fehr eigenthüämlichen Schluß des Romans 
zu kommen. Obgleich von feiner Dame mit offenen 
Armen empfangen und mit Bunftbezeigungen überhäuft, 
läßt fie ihm doch nicht fonderlich viel Ruhe, fonbern 
veranlaft ihn zu einer Menge von Kämpfen mit frem- 
ben Rittern, bie ben Hof des Königs befuchen. Endlich 
fodert fie ihn auf, nach Preußen zu ziehen und gegen 
die Ungläubigen (der Roman nennt fie Saracenen) zu 
kãmpfen. Saintre folgt auch diefem Befehl und kommt 
nah mehren Jahren fiegreih und mit Ruhm bebedt 
urück und findet feine Dame in unveränderter Liebe 
—* ihn glühen. Da fällt es ihm ein, daß er eigentlich 
bis jept noch durchaus nicht aus fich felbft gehandelt 


bat, fondern nur den Eingebungen jener Frau gefolgt 
ſei. Er kommt auf den abenteuerlichen Gebdanken, brei 
Sabre lang ein leichtes Goldviſir mit einem Edelſtein 
in einem der Augenloͤcher zu tragen und bamit an den 
Hof bes Kaifers ziehen. Nur zögernd erhält er bie Ey 
laubniß dazu von feine Dame und vom Könige unb 


‚sieht von dannen. Beine Dame, die ihn bisher mit fo 


vieler Sorgfalt zu volllommener Ritterlichleit erzogen 
hatte, mußte durch diefen Act des eigenen Willens wol 
zu der Überzeugung gelommen fein, daß feine Erziehung 
vollendet fei. Sie erkrankt fcheinbar gleich nach feiner 
Abreife und erhält von ber Königin die Erlaubniß, ſich 
auf ihre Güter zu begeben. Dort angekommen, fühlt 


fie ſich durch den feftlihen Empfang, den ihre Wafallen | 


ihr bereiten, fehr bald genefen und getröftet. 

ie werden nun von dem Roman in das geiftliche 
Leben ber damaligen Zeit eingeführt, freilich nicht zu 
befonderer Erbauung. U. de la Sale erzählt hier mit 
der größten Naivetät und ohne alle fatirifche Prätenfion 
Dinge, bie nahe an die itonifchen Hyperbein Rabelais’ 
flreifen, wenn er die von Gargantua gegründete Abtei 
Thileme befchreibt. Nicht weit von dem Gchloffe be- 
fand ſich eine Abtei, die von den Vorfahren der Dame 
gegründet worden mar. Der bdermalige Abt war ein 
junger Mann von 25 Jahren, Sohn eines reichen Bür- 
ger6 und durch beträchtliche Geſchenke feines Waters an 
einflußreiche Perfonen des römifchen Hofe zu diefer Würde 
ernannt. Er war fchön, groß und von athletifchem Kör- 
per, gewandt im Ringen, Springen, Werfen und Ball 
ſpiel, ſodaß Niemand, weder Ritter noch Bürger, ihn 
in diefen Künften übertroffen hätte; dabei freigebig und 
fröhlihen Gemüths, ſodaß er aller Welt Freund war. 
Der Verf. bemerkt dabei, daß diefe Fertigkeiten die ge- 
wöhnlichen Ubungen der geiftlichen Herren geweſen wä⸗ 
ven, um ihren Körper in Gefundheit zu erhalten. Wie 
der die Nachricht von der Ankunft ber Dame erhält, 
läßt er fogleih einen Wagen mit Hirfchziemern, Wild» 
fhweinstöpfen, Rippefpeer von Frifhlingen, Hafen, Ka- 
ninden, Safanen, Rephühnern, Hühnern, Tauben und ei⸗ 
nem Faß braunen Wein beladen und alles Das der Dame 
als Gefchent anbieten. Diefe Aufmerkfamteit verbunden 
mit dem Umftande, daß es gerade Kaftenzeit war und 
ber Abt auf Montag, Mittwoch und Freitag eine große 
Sündenvergebung ausgefchrieben hatte, veranlaßten bie 


Dame dem Abte melden zu laffen, daß fie am andern ' 


Tage die Meffe in der Abtei hören werde. Diefer traf 
fogleih ausgedehnte Vorkehrungen, um feine Rehnsherrin 
würdig zu empfangen. Auf der einen Seite holte er 
alle Reliquien hervor, die das Klofter in großer Anzahl 
befaß und fchmüdte ben Altar mit den fehönften Deden 
und Gefäßen; auf ber andern befahl er aus der nahen 
Stadt Lachfe, Forellen, Lampreten und andere der vor- 
trefflichften Fiſche herbeizufchaffen, die Löftlichften Speifen 
zu bereiten und in allen Zimmern bebagliche Feuer an- 
zuzünden. Und ale die Dame kam, empfing er fie mit 
feiner ganzen untergebenen, Geiftlichkeit an der Thür der 
Kirche, mit ritterlicher Galanterie ein Knie vor ihr beu- 


IND 


‚gend. Nachdem fie die Meffe gehoͤrt und den Altar mit 


einer reihen Dede von carmoifinrothem Summer geſchmückt 
hatte, wollte fie ſich entfernen; ber Abt aber bat fie, 
fi) einen Augenblick zu erholen und in den Saal ein- 
zuteten. Hier waren bie Tiſche fehon gededt und da 
der Abt die Vorſicht gebraucht hatte, die Thurmuhr um 
amderthalb Stunden vorzuftellen, fobaß fie gerade 12 
ſchlug, fo fand feine mit der größten Devotion der Ge⸗ 
bieterin vorgetragene Bitte, ein befcheibenes Faftenmit- 
tagsmahl bei ihm anzunehmen, um fo eher Gehör, als 
die Die Herrin begleitenden Damen, vermuthlih nicht 
unbekannt mit der Art, wie man in der Abtei zu faften 
pflegte, die eine durch Winten mit den Augen, bie an- 
dere durch einige leichte Stöße mit dem Ellenbogen, die 
ſes Gefuh nad, Kräften unterflügten. Nun wurde zu⸗ 
erſt lauwarmes Roſenwaſſer zum Waſchen ber Hände 
herumgereicht, dann ſetzte man ſich zu Tiſch, ſodaß der 
Abt der Dame gegenüber ſaß. Es wurden zuerſt ge⸗ 
roͤſtete in Wein getauchte Brotſchnitte mit weißem Hy⸗ 
pocras (Waffer und Honig) ſervirt, dann in Zucker ge⸗ 
badene Zaftenfeigen, worauf die verfchiedenen Gänge 
von Gebadtenem und Fifchen u. f. w. mit verfchiedenen 


Weinforten folgten. Die lebhafte Unterhaltung des Ab⸗ 


tes und der Genuß des vortrefflichen Weines begannen 
auf die Dame einen flarten Eindrud zu machen, ſodaß, 
während der Abe ihr fleißig zutrant und fie ihm Be⸗ 
fheid that, die Augen (melche die Bogenfhügen bes 
Herzens find, ſagt der Verf.) ein fehr bedeutungsvolles 
Spiel trieben. Als die Tafel aufgehoben war, zog ſich die 
Dame mit ihren Begleiterinnen in andere Föftlic) ger 
fhmüdte Gemächer zurüd, um die Mittagsruhe zu bal- 
ten. Mit dem Schlage der Besperglode erfchien ber 
Abt wieder, um fie zum Imbiß zu führen. Hier zeigt 
fi) eine neue Profufien von Speifen und Getränten: 
Salate oben an, Schüffen mit Kreffe, Gefäße mit 
Weineffig, gebratene und in Zeig gefchlagene Lampreten, 
große Solen oder Seezungen mit Traubeneffig und ro- 
then Orangen gekocht, Karpfen, Schüffeln mit Krebfen, 
Yale in Gallerte, Schüffeln mit allerlei efbaren Körnern 
mit weißem, rothem und goldfarbigem Gelee bedeckt, 
orten, Talmoufen (aus Käfe, Eier und Butter geba- 
den, dreiedig), Mandelcreme reichlich mit Zuder beftreut, 
gefochte und rohe Apfel und Birnen, gefchälte und mit 
Buder überzogene Mandeln, abgezogene Nußkerne in 
Hofenwaffer, Zeigen aus Algarvien und Marfeille, Ro- 
finen aus Korinth und viele andere Dinge. Nach die 
fem reihlihen Male mußte nun doc, endlich Abfchied 
genommen werben, was nicht ohne das Verſprechen der 
Dame geſchah, bald und oft wieberzufehren, ba fie der 
angefündigten Sündenvergebung im vollften Maße theil- 
haftig zu werden gedente, nur möge der Abt die Tafel: 
freuden mäßigen, da fie ernftlich zu faſten gedenke. Dar: 
über könne fie unbeforgt fein, erwiderte jener, er werde 
für jede Schüffel, die fie bei ihm zu berühren geruhen 
möchte, eine Abfolution bereit halten. 
(Der Beſchluß folgt.) 





Das Kiofter, weltlich amd. geiſtlich x. Von J. Scheible, 
Erfier Ban. 


(Beſchluß aus Nr. 199.) 


&o hat denn das Buch ded Hrn. Scheible durchaus kei⸗ 
nen twifienfchaftlihen Werth. Er bat zwar daſſelbe für das 
größere Yublicum beftimnat, dem es am Ende nicht darauf an» 
fommt, ob die ihm vorgelegte Ausgabe nach Eritifchen Grund» 
fügen bearbeitet ift oder nicht; allein wir halten dafür, daß der 
Derausgeber dadurch Feinedwegs ein Recht erhalten bat, bie 
wiffenfchaftlichen Unfoderungen gänzlich bei Seite zu fegen, und 
daß es Pflicht der Kritik ift, ihm deshalb die wohlverdienten 
Borwürfe zu machen, denn es ift fein Zweifel, daB durch dus 
Buch des Hrn. Scheible eine beffere, kritiſch behandelte Aus: 
gabe ber beiden von ihm mitgetheilten Schriften beinahe zur 
Unmöglichkeit geworden ift, das Publicum für ſolche Sachen ift 
zu befchränkt, als daß ein Verleger es wagen Könnte, fo bald 
eine neue Ausgabe and Licht treten zu Laffen. 

Auch hat der Herausgeber nicht das Mindefte zur Exrflä 
rung der zwei Dichter beigetragen, fowie die von ihm gege⸗ 
benen Lebensnachrichten Außerft mager und dürftig ausgefallen 
find. In eigene Urtheile laßt er ſich gar nicht ein, fondern be 
gnügt ſich damit, Die betreffenden Stellen aus Gervinus ab: 
druden zu laflen. So große Hochachtung wir auch vor Ger- 
vinus haben, da ihm Das große Berdienft gebührt, die Ge» 
fchichte ber deutfchen Literatur zuerft auf eine lebensuolle Weife 
und vom Hiftorifchen Standpunkte dargeftellt zu haben; fo iſt 
ed und doch unmöglich, ihm in allen Einzelheiten beizupflichten. 
Am allerwenigften aber kann uns fein Urtheil über Thomas 
Murner ald gerechtfertigt erfcheinen. Schon Bilmar bat in 
feinen „Borlefungen über die Befchichte der deutſchen Nationl⸗ 
literatur” (Marburg 1845) Gervinus’ Ausſpruch beftritten, und 
nanz insbefondere darauf aufmerffam gemacht, daB diefer das 
Sediht „Bon dem großen Iutherifchen Narren, wie ihn Dr. 
Murner befhworen hat’ ganz falfch beurtheilt und den Werth 
deſſelben durchaus verbannt habe. ber felbft wenn man nur 
feine befanntefien Gedichte mit Aufmerkſamkeit und ohne vor» 
gefaßte Meinung lieft, muß man die abfprechenden Urtheile 
beinahe aller Literatoren für unbegründet halten. Diefe Sau. 
fen ziemlich übereinftimmend dahinaus, daB Murner ein cha- 
rakterloſer Menſch newefen, weil er Luther fpäter mit blin⸗ 
ber Wuth befämpft Habe, was van ihm felbft in frühern Bei- 
ten noch härter ausgefprochen worden fei, und zweitens, daß 
er in feinen Werten unflätbig, ja unzuͤchtig fei und ihm über 
haupt alles edlere Gefühl abgehe. Der erfte von: diefen Bor: 
würfen bat fich feit den Tagen Murner's bis auf unfere Beit 
fortgeerbt, ohne deshalb begründet zu fein. Daß ihm berfelbe 
von den Reformatoren und ihren Freunden gemacht wurde, ift 
leicht begreifli, denn Murner war jedenfalls ein gefährlicher 
Beind, der die Gegner mit ihren eigenen Waffen belämpfte. 
Auch kann von ihrem Standpunkte aus diefer Vorwurf wohl 
begründet gewefen fein, ohne daß er auch für uns in feiner 
Sefammtheit auf unbedingte Geltung Anſpruch machen koͤnne. 
Murner hatte nämlich in feinen frühern Werken die Lafter der 
Geifllihen, der hoben wie der niedern, der öffentlichen Verach⸗ 
tung preißgegeben und wiederholt darauf gedrungen, daß Dies 
fem verderblihen Zuftande ein Ende gemacht würbe; er hatte 
dabei den Papft und die höchften Würdenträger ebenfo wenig 
gefhont als die Mönche und den untergeordneten Klerus. 
Allein die Kirche als folhe war von ihm niemals angegriffen 
worden, niemals hatte er ihre Lehren auch nur in —* ge⸗ 
zogen, noch viel weniger ſie bekämpft; er hatte daher durch 
ſeine Vorgänge keineswegs dad Recht verloren, dieſe in Schup 
zu nehmen, ald man fie von Seiten der Reformatoren befkritt, 
ja fie zum Sheil ganz umflürzen wollte. Es war ganz natürs 
li, daß die Neformatoren den Grund der Berborbenbeit der 
Geiſtlichen in der Kirche und ihren Dogmen felbft fuchten und 
fanden, und daß fie daher alle Diejenigen, welche den einen 
Punkt zugaben, für verpflichtet hielten, auch in den übrigen 


wit ihnen Übereinzuftinmen, daß fie Daher auch Solche, die da⸗ 
rin von ihnen abwichen, 
ſchen hielten, ja halten mußten. Uber wenn ihnen ein ſolches 
Urtheil durch Die Seit und ihre Beſtrebungen auch aufgedrun: 
‚gen war, fo Eönnen und müflen wir dagegen einen andern, 
Feiern Standpunkt einnehmen und uns dahin dußfpr 

fi& Murner Peinesiwegs als von feinen frühern Beinungen 
abtrünnig gezeigt bat. 

Was den zweiten Borwurf betrifft, daß Murner in feinen 
GSchriften unfläthig fei, ja daß er fogar in den greulichften Un⸗ 
yaetigkeiten fi) gefalle, fo ift diefer ebenfalls fehr zu beſchraͤn⸗ 
Ben. Luvoͤrderft dürfen wir nicht vergeſſen, in welcher Beit 
Murner gelebt bat, nicht vergeffen, daß uns Das ſchon als un: 
fathig und roh erfcheint, was Damals hoͤchſtens derb und kern⸗ 

ft war. In allen Werken der damaligen Beit, fowol der 
Meformatoren ald ihrer Gegner begegnen wir häufig ‚genug 
Yusdrüden, die fich jegt Baum der Ungebildetfte erlauben würde, 
ohne daß es uns im mindeften einfällt, hierin innere Hoheit 
zu erbiiden. Und warum follte Murner allein biefer Tadel 
treffen, der feine Seitgenofien darin keineswegs überbietet ? 
So müflen wir auch die Boten beurtheilen, bie in Murner's 
Gedichten angetroffen werben; fagte ja felbft Luther, daß er 
zu Zeiten gern ein Zötchen reiße. Uber zum großen Theil find 
es nicht einmal Boten die Murner fagt. Er bekämpft die 
Ausfchweifungen aller Urt, die Damals leider in ben meiften 
&tänden gefunden wurden; wollte er fie aber befämpfen, fo 
mußte er fie natürlich nennen, und Died thut er denn, zwar 
in den derbften und ?räftigften Ausdrüden, aber im Ganzen 
genommen doch nicht mit jenem behaglichen Wohlgefallen, das 
allein die Boten dharakterifiet. 

Man bat ferner dem Thomas Murner alles Talent ab: 
fprechen wollen, und ihn höchftens als einen bloßen Nachahmer 
von Bebaftian Brant wollen gelten laflen, den er jedoch im 
keiner Bezichung erreiche. Wir theilen zwar nicht ganz bie 
Anfiht Vilmar's, der da behauptet, Murner fei feinem Bor: 
gänger an poetiſcher Lebendigkeit, und zum Theil fogar an 
Umfang des Geſichtskreiſes überlegen; aber noch. viel weniger 
ſtimmen wir mit Denen überein,‘ welche in ihm nur eineh ges 
wöhnlichen Reimer erbliden. Man kann ihm vonverfen, daf 
er in feinen Dichtungen oft über alles Maß weitfchweifig fet, 
daß er ſich nicht felten wiederhole und es eben dadurch oft den 
Anfchein babe, als fei er arm an Gedanken und Erfindungen. 
Man kann ihn tadeln (wir fprechen hier aur mit Rüdfiht auf 
die „Schelmenzunfft”‘, die „Narrenbeſchwerung“ und die „euch: 
mat”, denn die „Badefahrt” und das Gedicht gegen Luther 
haben wir uns trog aller Bemühungen bis jegt nicht verfchaf: 
fen tönnen), daß die einzelnen Xheile feiner Dichtungen ohne 
feften Yan durcheinander geworfen feien und miteinander in 
keinem Bufammenhange ftänten, endlich fogar, daß er felbft in 
den einzelnen Wbfchnitten willfürlih von einem Gedanken auf 
ben andern überfpringe und oft gerade Das ausführe, was 
man am wenigften erwarte. Ganz befonders treffen diefe Bor: 
würfe fein Gedicht die „&euchmat”, das ohne Zweifel das 
ſchwaͤchſte von allen feinen Productionen ift, obgleich es viel- 
leicht anfangs am meiften verfpricht. &o wahr und begründet 
aber biefe Musfegungen auch find, fo bietet Burner hingegen 
roch auch manche Seite, die uns Anerkennuns, ja Achtung 
abzwingt. 

Er befigt eine feltene Beobachtungsgabe, er kennt bie 
Menſchen und die verfchiedenen Stände der Menihen ohne 
Biweifel befler als Brant, daher feine Darftellungen auch ein⸗ 
dringlicher und lebendiger find. Freilich mag fein unftetes Ler 
Ben fowie fein Beruf als Franziskanermönch zur Erwerbung 
feiner Menſchenkenntniß viel beigetragen haben, allein dad Ta: 
ent, feine Beobachtungen wigig und lebendig zu fihildern, hat 
ee fi) nicht auch Dadurch erwerben können, es ift ein angebo⸗ 
renes und feltenes. Seine Schilderungen find befonders dann 
vortrefflih, wenn er und die gewöhnlichen Lebensverhältnifle vor 








charakterloſe, abtrünnige Men- ' 


echen, daß 


Die Uugen füßet, oder deſſen Fehler, Gebrechen und Laſter ie 

beit. Freilich ſtellt er ſich dabei nit auf einen haͤhern Stand 

De au Tnüpft er feine Bemerkungen nicht oder nur bö 
ten an allgemeine, großartige Ideen, und ebenfo weni 

er feinen Gedanken einen erhabenen Ausdruck zu —* en; 


aber nichtodeſteweniger find Sedanken und Yusbrud ri 


wahr, intereffent, oft kernhaft und tuͤchtig, und ex kann 
ebenfo viel Recht auf ben NRamen eines Dichters Unfprucd me 
Hm als die nieberländifhen Künfller auf den von Malern. 
Auch if die Vorftelung oft von großer dramatiſcher Lebendig⸗ 
keit, zu der fi Sebafflan Brant nicht erhebt, wie man denn 
{m ganzen „Rerrenfchif Feinen einzigen Abſchnitt finden wird, 
der 3. B. dem 93. oder B4. der „Mareenbefchwerung”‘ (der ner 
ven harn befehen; der narcen bycht) an die Beite gefegt wer- 
den könnte. Roc eine Seite, die immer überfehen wurde, if 
von Murner zu rühmen. Er ift nicht bios wi, er ift aud 
Humorift, nit zwar nach dem Schnitte der Engländer ober 
Sean Paul's, aber doch in dem Sinne umd Gelfte des Abra⸗ 
ham a Santa Klara. Geinen Humor entwickelt er vorzugt⸗ 
weife an den Stellen, in denen er von ſich ſelbſt fpricht, doch 
auch mandye andere zeugt von humoriftiicher Auffaſſung- 

Endlich müffen wir, um die Charakteriftit Murner’s zu 
vollenden, noch an ihm lobend hervorheben, daß fein Zabel 
nicht blos allgemeine Fehler trifft, oder nur die untergeorbue 
ten Stände der Geſellſchaft berührt, er hat auch ben damals 
gewiß nicht unbebeutenden Muth, felbit die gewaltigften Per: 
fönlichfeiten anzugreifen, die hoͤchſten Stände hart zu tabeln. 
Papſt und Kaifer, Bifhöf und Fürften werden von ihm nidt 
felten derb zurechtgewieſen; er bat die Kühnbeit, in ihrer 
Selbſtſucht und ausgeloffenbeit den Urarund alles Berderbeus 
zu finden, und fie den beißendften Ausdrücken zu beſſerm 
Leben zu ermabhnen. So viel hat fi) Brant nie erlaubt; wenn 
er aus auf diefe höhern Stände zu fprechen kommt, mas nit 
oft der Fall ift, fo läßt er es doch nur bei leichten Anfpichm- 
gen bewenben. 

Uber die weitern von Ken. Gcheible gegebenen Stuͤrke 
wollen wir uns ganz kurz fallen. Sie beftehen in zwei. Ab: 
fchnitten aus Abraham a Santa Clara, denen ein Stuück aus 
defien Rachahmers Conlin's „Chriſtlichem Weltweifen” folgt, 
hierauf kommt ein Stüc aus Andreas Muscutus' „‚Spielteufet”, 
ſodann Auszüge aus Gebaftian Frand’s Schrift „Bon dem La 
ſter der Trunkenheit“, die ſich gewiß der feltfamen Gelelſchaſt 
fhämen, ein Abſchnitt aus Matthäus Friederichs Buch „Bir 
der den Saufteuffel”, zwei (elelhafte) Predigten von Spörer, 
eine Faſtnachtspredigt des (pſeudonymen) Doctor Schwarm, 
Mittheilungen aus der Predigt eines bamberger Weihbiſchoft, 
denen fih Guriefitäten aus Predigten anfchließen, ſodann eine 
gereimte Faſtnachtspredigt aus dem 15. Jahrhundert, das Pa 
ternofter de6 WBucherers aus Robert von Sorfon'® Kreuzzug⸗ 
predigt u. ſ. w. Es iſt gewiß dem Herausgeber zu glauben. 
wenn er fagt, daß alle diefe Dinge fehr felten feien, allein fie 

ätten zum allergrößten Zheil auch ganz unbefannt bleiben 
önnen, ohne daß man viel dabei verloren hätte, und dadurch, 
daß fie Hr. Scheible bekannt gemacht hat, haben fie ihren ein 
zigen Werth, den ber Seltenheit, verloren. 65. 





Literarifhe Anzeige. 


Bon Y WE. Vrockhaus in Leipzig ift durch alle Buchhand⸗ 
lungen zu erhalten: j 


Gr. 12. Geh. 34 Nor. 


Berantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brockzans. — Druck und Berlag von F. WE. Brockhaus in Beipzig. 


Blatter 


für 


literariſche Unterhaltung. 


Sonntag, 


— Kr. 151, ö 


31. Mai 1846. 





Händchen von Saintre. Ein Roman aus dem 
15. Sahrhundert von Antoine de la Sale. 
(Beſchluß aus Nr. 158.) 


Des Abts gaftfreie Bewirthung und Liebenswürdig- 
keit hatte auf alle Damen ben vortheilhafteften Eindrud 
gemacht und man wußte feines Lobes keine Ende. Bei 
einem Beſuche des Abts auf dem Gchloffe wurde das 
angenüpfte Verhaͤltniß zwifhen ihm unb der Dame 
dadurch befiegelt, daß fie ihm einen koſtbaren Ring auf 
den Finger ſteckte und ihn zu dem Auserwählten ihres 
Herzens ernannte. Bon nun an fahen fi Beide alle 
Tage, es wurden SJagbpartien und eftlichkeiten aller 
Art angeftellt, die vortreffliche Küche des Abts nicht 
wenig in Bewegung gefegt und dabei der Liebe nicht 
vergefin. So poetiſch und unfchuldig das Verhaͤltniß 
der Dame zu Saintre gewefen war, fo materiel war 
ihre Beziehung zu dem Abt. Es dürfte wol: nur der 
reizend naiven Sprache jener Zeit vorbehalten fein, die 
Details Ihrer derartigen Bergnügungen mit Unbefangen- 
heit zu erzählen. Wir befchränfen uns alfo darauf nur 
anzudeuten, daß jedes Mal nach dem Mittagseffen ber 
Abt die Dame in den weiten Räunen der Abtei ber- 
umführte, während einige andere Mönche bie Begleite⸗ 
rinnen unterhielten, wobei es fi dann wol traf, daß 
Die Geſellſchaft auf einige Zeit getrennt wurde und ſich 
erft fpäter wieder zufammenfand. Da bringt ein Bote 
einen Brief der Königin, welche die Dame an ben Hof 
zurückruft. Diefe antwortet ausweichend und fchidt den 
Boten fogleich zurüd. Jedoch hat biefer an dem einen 
Tage genug gefehen, um Berbacht zu fchöpfen, worin 
ihn befonders ber Ring am Finger bes Abts beftätigt. 


Er verhehlt bei feiner Rüdkehr der Königin feine Ver- 


meuthungen nicht, Doc dieſe gebletet ihm darüber zu 
ſchweigen. Gin zweiter Bote bringt biefelbe Nachricht 
und nun ſcheint der Königin die Sache außer Zweifel. 
Unterdeß kommt Saintee von feinen Zügen fiegreich zu- 
räd, wird mit großen Ehren empfangen, erfährt aber 
zu feinem Schmerze, daß die Dame feines Herzens ben 
Hof verlaffen babe. Er bittet fogleichh um Urlaub, an- 
geblih, um feine Mutter zu befuchen, rüftet fein Gefolge 
auf das elegantefle aus und macht ſich auf den Weg. 
In der Nähe des Schloſſes angekommen, bemerkt er in 


der Ferne mehre Damen zu Pferd mit ber Falkenjagd 
beihäftigt. Er fprengt dorthin, erkennt feine Geliebte, 
foringt vom Pferde und will fie eben begrüßen, als fie 
ihn mit harten Worten: fortweift und fich entfernt. 
Saintre ift wie verfteinert. Der Abt, welcher ihn mit 
feinen Begleitern hatte Tommen fehen und befürchtete, . 
ed möchten Verwandte der Dame fein, die wegen bei 
Sandals Rache an ihm nehmen wollten, hatte ſich mit 
feinen Moͤnchen eiligft entfernt. Wie er aber bemerkt, 
daß die Dame dem Ritter den Rüden ehrt, nähert er 
fi wieder, begrüßt Saintre und läßt die Dame leiſe 
fragen, ob fie Saintrée zu Tiſch zu laden gedenfe; wor⸗ 
auf diefe fo laut antwortet, daß Saintre es hören ann: 
Laßt ihn bleiben, wenn er will, doch zerreißt ihm nicht 
bas Kleid, um ihn feflzuhalten, fo e8 ibm beliebt fort⸗ 
zugehen. GBaintre hält dies Alles für einen böfen Traum. 
Er folge fihmeigend der Dame in das Schloß. Bei 
Tiſche läßt der Abt feiner fröhlichen Laune auf Koften 
bes unglücklichen Nebenbuhlers die Zügel ſchießen. Cr 
fpottet der Ritter und ihrer angeblichen Siege in frem- 
den Ländern zu Ehren ihrer daheim gebliebenen Damen 
und erklärt Alles für Auffchneiderei, mit deutlicher An- 
fpielung auf Saintee. Die Dame flimmt ihm in Allem 
bei und muntert ihn durch die freundlichften Blicke 
und Worte, ja felbft durch deutliche Zeichen auf fortzu- 
fahren. Gaintre erkennt nun wol fein Unglüd, antwor⸗ 
tet aber nur dem Abte auf feine Beleidigung der gan⸗ 
zen Ritterfchaft: Mein Herr Abt, auf die Worte unfe- 
rer gnädigen Herrin habe ich nichts zu erwidern, fie 
fann fagen was ihr befiebt; was euch aber betrifft, fo 
würde ich euch, wenn ihr ein Mann wäret, den ich zur 
Rechenfchaft ziehen könnte, den Beweis geben, daß man 
einen Ritter nicht ungeftraft beleidigt wie ihr es gethan. 
Der Abt, von Wein und Liebe erhigt und feiner Kör- 
perkraft gewiß, erwidert: Wol bin ich kein Kriegsmann, 
fondern ein armer Moͤnch, der von Dem lebt, was er 
durch Gottes Gnade befigt, allein fo Jemand mir in 
Dem, was ich eben gefagt, widerfprechen follte, fo bin 
ich bereit, ihm im Ringkampfe Rebe zu ſtehen und hoffe, 
obgleidy ich ſchwach bin, im Vertrauen auf meine gute 
Sache obzufiegen. Ihr Hört es, Saintre, ſprach nun 
bie Dame, und ich erfläre euch für den feigften aller 
Nitter, wenn ihr die Herausfoberung nicht annehmet. 


Meine Gebieterin, erwiderte Sainted, ihr wißt wol, daß 
ich mich nie im Ringen gebt und, daß die Herren Geifl- 
lichen Meifter darin find; allein euch zu Liebe will ich 
auf den Kampf annehmen, wie ich fo viele um euett- 


willen beflanden. Man A ih nun auf einen Wie⸗ 


enplan, und bier, fagt die Deſchichte, that ber Abt, was 
I hm —& St.-Benedict, noch St.⸗Robert, noch 
St.Auguſtin oder St.Bernhard gethan hatten, obgleich 
es große Prälaten der Kirche geweſen, nämlich er ent⸗ 
kleidete fich fo weit, daß er nur eine Jade ohne. Armel 
und en kurzes Beirkleid, das nur einen Theil feiner 
Schenkel bedeckte, anbehielt. Dann äffte er ſpottweiſe 
bie bei Ritteripielen gewahnten und Reden 
hach, indem er unter Anderm vor der Dame nieder: 
iniste und fie bat, ihn dee Gnade feines Geguers zu 
empfehlen, worauf er diefem mohlgefällig, durch, einige 
gewandte athletifhe Bewegungen, feinen riefigen Körper 
zeigte. Der Kampf blieb nicht einen Augenblid zweifel- 
haft: der Abt warf den Mitter wiederholt zu Boden 
un zwar fo voßfländig, def bie Beine jebesmal vor 
ben Kalle höher als fein Kopf waren, und dies Al⸗ 
les zum großen Gelächter ber Dame unb ihrer Beglei⸗ 
terin. Saintré's Begleiter fhäumten vor Wuth, ihren 
Genoſſen fo verhoͤhnt zu fehen und foberten ihu auf, ſich 
auf der Stelle zu värhen; biefer aber werbarg feinen 
Schmerz, machte dem Abte ein Kompliment über feine 
anferorbentlihe Stärke und nahm Erfriſchungen an alt 
ob nichts geſchehen wäre. Unterdeß aber nahmen ber 
Prior und einige andere ältere Geiftliche den Abt bei« 
feate und machten ihm Berfiellungen über fein unziem- 
liches Benehmen gegen einen Mitter, ber fo gut bei 
Safe angefchrieben wäre. Der Abt beruhigt fie, indem 
er fagt, er werde Alles wieder ins Geleiſe bringen. Er 
nähert fi darauf Saintre mit freundlichen Worten, 
bittet ihn um Berzeibung und erfucht ihn ein Gefchent 
von 3000 Thalern, einen trefflich geſchmückten Maul⸗ 
eſel und einen Falken anzunehmen. Gaintre lehnt dieſe 
Geſchenke mit Freundlichkeit ab, bittet ihn aber, um ihn 
zu überzeugen, daß er keinen Groll gegen ihn habe, mit 
der Dame am folgenden Tage ein Mittagsmahl in der 
benachbarten Stabt, wo Satntre's Begleiter feine Woh⸗ 
nung heforgt hatten, anzunehmen. Der Abt verſpricht 
0 feierlichſt für ſich und die Dame, bie fich zwar erſt 
weigezt, endlich aber ben Bitten des Wbtes nachgibt. 
Darauf batte Saintre feinen Racheplan gebaut. Er 
begibt ſich nun eiligft nach dee Stade, befiehft feinem 
Saushofmeifter ein glaͤnzendes Mahl für den folgenden 
Zag einzurichten, und erkundigt fich bei dem Wirthe, ob 
es wol in der Stadt einen Bürger oder in der Nähe 
einen Edelmann gäbe, der von der Größe und Stärke 
eines gewiſſen Knappen wäre, ben er ihm bezeichnet, 
und dabei eine volllommen gute Wüftung befäße, die er 
wel verkaufen wollte. Der Wirth belt einen Bürger 
der Stadt, der fünf vollſtaͤndige Ruͤſtungen befigt, und 
zwar fo fehöne wie fie isgend ein Edelmann bed Landes 
wur aufweiſen kann. Saintreé erficht eine derfefben mit 
zwei gan gleichen Gtseitäzten. Alles Died wird in ber 


® [3 
* ⸗ 


Io. 

Stile in Saintel’s Wohnung gebracht. Um andern 
Tage reitet er zur beflimmten Stunde feinen Gäften ent- 
gegen, die ein Frühſtück in ber Abtei wieder etwas zum 
Spotte geſtimmt hatte. Da die Dame auf feine An- 
rede gar nichts erwihert, will. ex fi zu ihren Weggeite 
rinnen wegben, aber auch dieſe fagen, wit —** 

öge 


aller Höffichkeit auf Befehl ihrer Gebieterin, er 


nur hinter ihnen herreiten. So kam man in ber Stadt 
an. Das Mittagemahl wurde eingenommen und ber 
Wein nicht gefhent. Saintre half felbft bei der Be- 
diemwug, die Serviette auf der Schulter. Und als nun 
die Froͤhlichkeit vollends allen Argwohn verſcheucht hatte, 

intre, alt wicher bie Rede auf ben Ringkampf 


ſorach 
kam: Herr Abt, habt ihr jemals eine Nuͤſtung getragen? 
Und auf die Verneinung deffelben fuhr er fort: Es 
müßte füch herrlich ausnehmen, einen fo ſtattlichen Mann 
gewappnet zu fehen. Wahrlich, fpra die Dame, ic 
glaube, daß mancher Ritter fi dann vor ihm verfieden 
müßte. Gewiß, ſprach Salneod, Iönnte man nicht leicht 
etwas Schäneres fehen. Und auf ein Zeichen nem ihm 
bringen Diener einen Tiſch Herein auf welchem bie be 
wußte Rüftung in aller Pracht aufgeſtellt ift, aber ohne 
Schwert no Streitaxt. Saintré bittet den Abt fie 
zum Andenken als ein Geſchenk von ihm anzunehmen, 
und diefer, vom Wein und den eumunternden Worten 
der Dame in feine Priegerifche Laune verfept, läßt ſich 
leicht bewegen biefelbe anzulegen. Saintré läßt die Tb 
ſche wegräumen und ſchnallt ihm felbft Ales auf das 
feftefte an. Der Abt wird in dem Maße übermüthiger 
als er feine ſchon hervorragende Geſtalt moch durch bie 
ſtattliche Nuͤſtung erhöht ſieht, und ergießt ſich in ge 
vingfchägenden Reben gegen die Ritter, welche bie Dame 
fleifig unterflügt. Ihr feht winzig Dagegen aus, Saintet, 
ſprach die Dame, fo ein tapferer Ritter ihr aud zu fein 
vermeint. Das macht wol au, erwidert diefer, weil 
ich nicht bewaffnet bin. Und fogleich befichkt ex, daß 
mon feine Rüftung bringe, welche ihm Die Diener in 
einem Ru anlegen. Wie die Dame dieſe Eile fieht und 
bemerkt, daß fih draußen ber Flur mit Bewaffneten 
füllt, welche die Thur befegen, merkt fie, was gefchehen 
foH und fagt: Saintre, ich Hoffe ihr werdet nicht fo feig 
fein und euch mit einem Abte fchlagen wollen. Gaintre 
aber ſprach mit donnernder Stimme: Ich befehle, baf 
Rh Niemand von feinem Platze rühre, und wer es thut, 
Mann oder Frau, dem fpaite id den Kopf bis an bie 
Zähne, fo wahr ich ein Ritter bin. Da fingen bie 
Frauen und Mönche an zu meinen und zu heulen und 
vermwünfdten die Stunde wo fie dahin gekommen. 
Baintrd aber fprach zu der Dame: Möge es euch de 
lieben, nun auch Zeuge diefed Kampfes zu fein, ben ic 
verſtehe, wie ihr es geflern waret bei dem Rin 
Ungeachtet aller Bitten und felbft Drohungen ber Dame 
und bes Abts beginnt der Kampf, der nun, da Saintré 
in demſelben wohl erfahren ift, mit ber Niederlage bes 
Abts endigt, der über eine Bank neben des Dame hin- 
flürzt und um Gnade ſchreit. Saintre ift auf dem 
Punkt ihm den Todesſtoß zu geben, er befiegt fich aber 


ua dat ur % 
zieht und jenem. dad Biflt ‚affnes 
daß: Gott ber wahre Bichter in wien DB iſt und 
daß deine Kraft allen nicht im Stande tft, bich vor 
erafe zu ſchuzen. Gedanke ber beleidigeaben und lü⸗ 
genhaften Reden, die du gegen bie Ritter geführt unk 
empfange deine Züchtigung bafür in Gegenwart Derje- 
nigen, um deren Schamilafer Liebe willen du die göft- 
chen und menſchlichen Gefege verletz haft. Und wie 
er dies gefagt, durchſtach er ihm mit feinem Dolche bie 
Zunge und beide Baden. Daun wandte ex ſich zu ber 
Dame und fagte: Ihr habt um eines fittenlofen Moͤnchs 
willen einen Ritter, der euch in Treue und Ergebenheit 
gedient, verlaffen und verhöhns; wol hättes ihr eine, ja 
die ärgfie Strafe verdient, aber ich gedenke eurer fruhern 
Wohlthaten und überlaffe euch eurer eigenen Neue. Diefe 
blaue Schaͤrpe aber verdient ihr nicht länger zu tragen, 
da blau das Zeichen der Treue iſt, und indem er dies 
fagte, riß er ihr die Schärpe ab und ftedte fie au fi. 
Dann verlief er das Haus und bie Stabt. Unterdef 
war aber auch dem Könige bie lange Abweſenheit der 
Dante von feinem Hofe aufgefallen, und als die Köni- 
gem ihm geftand, daß fie mehre vergebene Verfuche ge: 
macht fie aurüdgurufen, fchidte er ihr einen gemeffenen 
Befehl, fogkeich wieder ihre Pflichten bei der Känigin au 
übernehmen. Sie mußte nun gehorchen und ihren Abt 
der Pflege der Arzte überlaffen. So traf es fich denn, 
bag eines Tages die Königin, wie fie im Kreiſe ihrer 
Damen, unser welchen auch die Treuloſe auf einer Wieſe 
ſaß, Saintre auffodert, von feinen Abenteuern in Deutſch⸗ 
fand zu erzählen. Diefer ergreift die Gelegenheit, um 
feine eigene Gefchichte mit der Dame und dem Abt zu 
erzählen, ohne die Namen zu nennen, uud fragt ob die 
Dome recht gehandelt. Alles iſt empört über das Be⸗ 
tragen dee treulofen Frau umd bes pflichtvergeffenen 
Abts. Frau von Vendöme meint, man müffe fie auf 
einen Efel gebunden mit dem Gelichte nach hinten ge» 
kehrt durch die Stadt führen. Eine anbere Dame meint 
ſogar, man müffe ihr da® Haupthaar fiheren, fie vom 
Gürtel aufwärts entlleidet und mit Honig befchmiert 
ber öffentlichen Beſchimpfung und dem Stiche der In⸗ 
fetten preisgeben u. |. w. Als aber die Königin bie 
Dome felbft fragt, mas fie dazu meine, antwortet fie 
trocken, es fei fehr unritterlih, einer Dame auf brutale 
Weiſe eine Schärpe abzureifen. Da näherte fi) Saintre 
und fprach mit lauter Stimme: Gewiß, meine hohe Frau, 
und ber Nitter iſt bereit dieſes Unrecht wieder gut zu 
machen, indem er ber Dame biefe Schärpe wieder zu⸗ 
ſtellt. Dies fagend beugte er ein Knie vor ihr und 
legte ihr die Schärpe in den Schoos. Die Uberrafchung 
aller Anmefenden mar natürlich groß und die Beſchaͤ⸗ 
mung der Dame, melche fehen mußte, wie ihr Alle ben 
Rüden kehrten und ſich von ihre entfernten, nicht zu be⸗ 
fhreiben. Hier fliegt ber Roman, und der Autor fügt 
nur noch hinzu, daß Saintre fih noch in nüglichen und 
ehrenvollen Kämpfen für fein Land und den Glauben 
vielfach ausgezeichnet und endlich im I. 1368 in der 


üfe iphemn cr feine Ya weowinft. Im Doide | tabs Sgen Goprit am. Üpenshuk: Bark: und in: bar. 
: Ertenne ‚num Abt, Kirche dafeibft feierlichſt Beigefept. wurde! u) Pe 








— — 





Die frommen Sklayenhalter in den Ver⸗ 
einigten Staaten. 

Ein ver Iurzem unter dem Xitel „Naxralive of the life 
of Frederick Douglas, an American slave, writien hy hier 
self” exſchienenes, für die. Kunde Des —S in den 
amerikaniſchen Staaten wichtiges Werk, macht mit echt h 
England großes Aufſeben. Der Berf., der Sohn einer Neger 
fflavin von einem weißen Water im Staate Maryland, wuchs⸗ 
als Sklave auf, wußte ſich aber, von unwiderſtehlichem Drange 
nad Wiſſen getrieben, größtenteils im Geheimen Kenntnif 
des Lefens und Schreibens zu verſchaffen, lernte unter verſchiebe 
nen Herren an fich ſelbſt alle die furchtbaren Bebrüdungen 
und Mishandlungen Eennen, weldhe die Sklavenzüchter des Sü- 
dene an ihren unglücklichen farbigen Brüdern ausüben, und - 
entfloh, nachbem früher eine misglüdte Flucht ihm die grau⸗ 
ſamſte Ahndung zugezogen, endlich in die nördlichen Staaten, 
wo er bald burch Eräftige Vertheidigung ber Sache feiner ger 
Inechteten Brüder als öffentlicher Redner in den Verſamm⸗ 
lungen ber Abolitioniſten fich auszeishnete. In biefem Yugen- 
blick befindet er ſich in Sroßbritannien, wo er Borlefungen 
über diefelbe Angelegenheit hält. Seine Erzählung entwirft 
ein abſchreckendes Bild der Peſtbeule des Südens ber Bereinig- 
ten Staaten und- liefert ziemlich ſchlagende Wiberlegungen ber 

hauptungen dv. Raumer't in feinem bekannten Buche über 

meriba. In mehr als einer Hinſicht aber bezeichnend und 
als warnender Fingerzeig lehrreich if, was Douglas über die⸗ 
jenigen Sklavenzuͤchter fagt, die ſich durch zeligläfe Froͤmmig⸗ 
keit außzeihnen. Go warb er im 3. 1832 Eigenthum eines 
gewiſſen Thomas Auld, ber den Frommen fpielt und für feine 
Graufamkeit gegen feine Sklaven Merhtfertigung und Unter: 
Rügungegriinde in der Religion fand. 

„Er machte‘, erzählt. Douglas, „die größten Anſprüche 
auf Srömmigkeit; fein Haus war ein wahre Bethaus; er bes 
tete des Morgens, des Mittags, ded Nachts; er zeichnete ſich 
darin bald unter feinen Glaubenegenoffen aus und wurde zu 
ihrem Kirchenvorſteher und Prediger. ernannt. Beine Thaͤtig⸗ 
keit bei religiöfen Wiedergeburten war groß, umd er erprohte 
fih als Werkzeug in ber Hand der Kirche durch die Bekeh⸗ 
rung einer Menge Seelen. Sein Haus war die Herberge al 
ler Gerumpiehenden Prediger. Sie fanden viel Bergnügen dar» 
an, dort einzußehren, denn waͤhrend der Herr die Sklaven ver 
hungern lieh, mäftete er die geiftlichen „ 

Weder zeligiöfe noch Berfkandesbildung der Ollaven jener 
Befigung kam diefer frommen Sippfchaft in den Sinn; nielmehr 
widerjegten fie fih aus allen Kräften jeder Berbefferung bes 


Zuſtandes der unglüdlihen Weſen. Ws ein innger Mann bie 


Reger Sonntag Abends verſammelte, um ihnen aus dem Neuen 


| Zeftamente vorzulefen, flürmten bie gotteöfürdgtigen weißen 


persen mit Knitteln und andern Waffen dazwifchen und trie⸗ 
en die Verfammlung auseinander. . 

„IH babe gefagt”, fährt Douglas in diefer Beziehung 
fort, „daß mein Herr für feine Grauſamkeit in der Religion 
Rechtfertigung fand. Als Beifpiel will ich einen von den vie 
len Fällen, die dies zu erweiſen dienen, anführen. Ich babe 
geſehen, wie er ein junges lahmes Weib binden hieß ımd fie 
mit einem ſchweren Ochſenziemer über den nadten Rüden 
peitfehte, bid das Blut herunterfloß. Und um dieſe blutige 
Handlung zu rechtfertigen, führte er die Schriftftelle an: «Wer 
feines Herren Willen weiß und thut ihn nicht, fol doppelte 
Streiche leiden!» Nach diefer blutigen Züchtigung ließ ber Un» 
menfh das arme Weib in ſolchen ſchrecklichen Buftande vier 
bis fünf Stunden gebunden liegen.” 

Koch viel fcheußlichere Dinge werden in dem Buche von 


| diefem bibelfeften Ziger erzählt. Erſt als Douglas in den 


604 


Dienft eines eeland dam, der auf Seligioität Beinen 
Anſpruch — Kae er menſchlichere Behandlung, 
„Ohne anzuftehen”, bemerkt Douglas, „wage ich zu be 
upten, daß die Meligiofität im Süden nur den Dedimantel 
x die fgeußtichften Verbrechen, eine Rechtfertigung für bie 
entfeglichften Barbareien, eine Weihe für den verhaßteften 
Trug und einen bunten Schirm, worunter die finfterften 
zeulichfien,, abfeheulichften und teuflichften Miſſethaten ber 
Setavenbalter den flärffien Schut genießen, abgeben muß. 
Sollte ich jemals wieder den Ketten der Sklaverei verfallen, 
fo würde ich es für das größte Berderben halten, wenn ich 
als Eigentum einem «frommen Heren» anbeinfick. Denn 
von allen den vielen Sklavenzüchtern, mit denen ich in Beruͤh⸗ 
rung gekommen, waren die frommen ſtets die ſchlimmſten; in 
ihnen habe ich ſtets die niedrigſten und nichtswuͤrdigſten, die 
grauſamſten und ſchurkiſchſten Aller gefunden.” 36. 





Bibliographie. 

Arndt, 8, Die Gleichniß⸗Reden Iefu Ehrifti. Ifter Theil: 
Sechszehn Betrachtungen in der Zrinitatiszeit 1845. Ite Auf: 
lage. Magdeburg, Heinrichöhofen. &r. 8. I Thlr. 

Bauer, F. A., Der Patriotidmus der Stadt Kronach im 
Wiährigen Kriege, dargeftellt in Drud: und Ehrenreden, nebft 
der Driginal Chronik, einigen Gedichten und 4 Stahlſtichen. 
Bamberg, Büberlein. Ler.-8. l Ihr. 15 Nor. 

Buſche, H. v., Die freie religiöfe Aufklärung, ihre Ger 
ſchichte und ihre Häupter. Für denkende Gebildete aller Stände. 
Gingeführt durch eine irenifche Abhandlung über die nur durch 
hiftorifch und philoſophiſch gründliche Aufklärung mögliche Ver: 
einigung zwifchen Wiffen und Slauben, von H.&.&. Paulus. 
In zwei Abtheilungen. Darmftadt, Leske. 8, 2 hir. - 


ECredner, © F. H., Über den Bau der Erde. Eine 
Vorleſung. Gotha, Müller. 8. Ti Nor. 
Elvert, ©. d', Die Schweden vor Brünn. in Abfchnitt 


des Miährigen Krieges. Brünn. 1845. Ge. 8. 21 Rgr. 

Gefchichtlidhe Fragmente und das ungarifche Staatsleben 
aeuner Seit. Zwei Theile. Leipzig, Köhler. Gr.8. 2Thlr. 

gr. 

Der wahre Begenftand der cheiftlihen Gottesverehrung 
und die Dreieinigkeitslehre, befreit von den Schwierigkeiten, 
von welchen fie bisher umgeben war. Aus dem Gnglifchen. 

rapegegeben von T. Müllenfiefen. Elberfeld, Baͤdeker. 
. r. 

Gruͤn, K., Über Goethe vom menſchlichen Standpunkte. 
Darmſtadt, Leske. 8. 1 Ahlr. 10 Nor. 

Hauff's, W., Saͤmmtliche Werke. Mit des Dichters 
Leben von G. Schwab. Neu durchgefehen und ergänzt. Ate 
Gefammtausgabe. Iftes — Ates Bändchen. Stuttgart, Scheible, 
Rieger und Sattler. 16. & 4 Nor. 

Irving, W., Gottfried Crayon's Skizzenbuch. 2te forg- 
ris —82 Auflage. Frankfurt a. M., Sauerlaͤnder. 

r. r. 


8 
Kahlert, A., Spfem der Hfthetil. Leipzig, Breitkopf 
und Härtel. Gr. 8. 2 Ahle. . 

Käpplinger, ©, Beſchreibungen über das Weſen der 
Gottheit, der menfchlichen Ratur und der chriftlichen Religion. 
anei Theile. 2te Auflage. Heilbronn, Landherr. 8. 1 hir. 

Kor. \ 

* irſten, A., Abhandlungen aus dem Gebiete des Straf⸗ 
rechts. Leipzig, O. Wigand. Gr. 8. 1 CAhlr. 

Koller 2 Die Belagerung von Brünn durch die Schwe⸗ 
ben {m 3. 1645." Ein Hiftorifcher Verfuh. Brünn. 1845. 8. 

gr. 

eisco, FJ. G., Das wohlthaͤtige Berlin. Geſchichtlich⸗ 
ſtatiſtiſche Radrichten über bie ohttpätigkeitsübung Berlins. 
Berlin, Müller. Gr. 8. 2 Thlr. 20 Nor. 

Reinwald v. B., 3. G., Über populäre Gefegkunde. 


WBerige Memorabifien für beutfäge Staattleute und Zaseiflen. 
Frankfurt a. M., Barrentvapp. 8. 12%, War. 

Die Ruͤckkehr. Bam Berfeffer der Brick: eines Berfter- 
benen. Ifter Theil: Agspten. Berlin, U. Dunder. 8. 2 Zhlr. 


7 Ror. 
Stade, &., Predigt zur Bebächtnißfeter des en 
Todestages Dr. —* Ha — Köhne. 8. ge. 


Zagesliteratur. 


Ammann, W., Die Kriminal» Prozedur gegen Jakeb 
Müller von Gtechenrain, im Kanton Luzern, Mörder bed Groß 
rathes Leu von Eberfol, in populärer Darfiellung bearbeitet. 
Bürih, Schultheß. 8. 14 Mor, 

Briefwechfel zwifchen‘ zwei Proteftanten verfchiedener Re 
ligions-Anfichten nebit einigen Beitgemäßen Bemerkungen dazu, 
Frankfurt a. M., Keßler. Br. 8. 71, Rear. 

Actenmäßige Darftelung und Ausgang des auf Anklage 
des Probfted zu &t. Hedwig in Berlin, Herrn Brin 
wegen demfelben öffentlich zur Laft gelegten Intoleranzfaͤlle 
wider den Geh. Kriegsrath a. D. Heinr. Wild. Loeſt, vor dem 
Königl. Kammergericht verhängt geweſenen fißcalifhen Prozeſ⸗ 
ſes. Rebſt einer durch Yublicität beglaubigten Mittheilung 
des Weſentlichſten, was dem gerichtlichen Verfahren vorange 
gangen iſt. Darmftabt, Leske. Gr. 8. 15 Rgr. 

. $lorencourt, F. d., liegende Blätter über Fragen 
der Gegenwart. Rr. 4. Über Bürgerverfammlungen. Leipzig, 
D. Wigand. Gr. 8. 3 Nor. 

Kämmel, 9. J., Die Unbuldfamkeit und das Ehriften: 
tum. Eine Mahnung zum Frieden. Baupen, Schtüffel. Gr. 8. 


gr. 

Keßler, 3. ©. F., Zum driftlihen Ehrengedaͤchtniſſe 
Dr. Mart. Lutber’s, des peutfigen Evangeliften. Predigt. 
Frankfurt a. M., Keßler. Gr. 8. 3%, Nor. 

Kracht, W., Gedenket an eure Lehrer, die euch dab 
Wort Gottes gefagt haben, welcher Ende fchauet an und fol 
get ihrem Glauben nah. (Hebr. 13, 7.) Mredigt zum Ge 
bächtniß Luthers. Neubrandenburg, Brünslom. 8. 4 — 

Melchert, J., Die Reife in Baiern im Jahre 185. 
Ein Tagebuch von ſecht Wochen. Altona. Gr. 8. 1 Kyle. 

Müller, C. O., Über die Verbrechen gegen die materielle 
aid ber Eifenbahnen. Leipzig, B. Tauchnig. Gr. 8. 

r. 
Nauwerck, K., Der Hausfreund am Feierabend. Ifte Lie 
ferung: Nathufius. 3te Auflage. Leipzig, Vereins Berlagk 
buchhandlung. Gr. 8. 2%, Nor. 

Delders, T., Populäre Gefchichte' der chriftlichen Re 
ligiond» Kriege. Leipzig, Hinrichs. Gr. 8. 27 Rer. 

Piſchon, F. A., Leitfaden zur Gefchichte der deutfchen 
Literatur. Ste vermehrte Auflage. Berlin, Dunder und Hum 
blot. ®r. 8. 15 Ror. 

Stahl, 9%. 3., Rechtsgutachten über die Beſchwerden 
wegen Verlegung verfaflungsmäßiger Rechte der Proteftanten 
im Königreiche Bayern, inöbefondere Beleuchtung des Berhält- 
niſſes zwifhen dem Staatögrundgefeg und dem Konkordat. 
Berlin, Schroeder. Gr. 8. 15 Ror. 

Thudichum, ©., Über die Firdhficgen Bewegungen unfe 
rer Zeit. Eine Rede. Büdingen. 1845. 8, 5 Nor. 

Zrefurt, C., Gedanken über den Reu » Katholiziemms, 
peifen Werth und deifen Berechtigung. Karlörube, Braun. 8. 


gr. 
_ Über bie eidliche Verpflichtung der proteftantifchen GSeiſt 
lihen in Sachfen auf die Firchlichen Symbole. Replik auf das 
Botum des Hrn. Prof. Dr. Harlef. Leipzig, D. Wigend. 
&r. 38. 4 Rer. 
Bimmermeonn, R., Barum halten wir feſt an unferer 
evangelifchen Kirche? und Was ift die Bibel! Drei preigten 
am Reformationdfefte 1845. Darmſtadt, Lesfe. Gr. 8. 5Rer. 


Berantwortlicher Herausgeber; Heinrich Weodfans. — Druck unb Verlag von FJ. X. Wrodpans in Leipzig. 








Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





3ur Radridi. | 
Bon dieſer Beitfhrift erſcheint taͤglich eine Nummer und der Preid beträgt für den Jahrgang 12 Thlr. Alle 
Buchhandlungen in und außer Deutſchland nehmen Beſtellungen barauf an; ebenfo alle Poſtaͤmter, die ſich an bie 
Königi. fächſiſche Zeitungsezpedition in Eeipzig wenden. Die Berfendung findet in Wocenlieferungen unb 
in Monatsheften ftatt. 


. * 





Die Kraufefche Philoſophie. 


Kssai théorique et historique sur la generation des con- 


naissances humaines dans ses rapports avec la morale,. 


la politique et la religion; developpement du mémoire 
couronne par le jury universitaire insitu6 par le gou- 
vernement; par Guillaume Täiberghien. Bwei Bände. 
Brüffel 1844. 

Die vorliegende Schrift ift die weitere Ausführung 
einer Preisſchrift. Die zu löfende Aufgabe beftand in 
einer Darftellung der vorzüglichften philofophifhen Sy⸗ 
fieme über den Urſprung der Ideen und Erkenntniſſe 
und in ber Nacmeifung, mie fi an jebes diefer Sy⸗ 

fieme ein vollfländiges Ganzes moralifcher, politifher und 
zeligiöfer Lehren anknüpft. Da fi hierbei zunaͤchſt die 
Frage von dem Einfluffe der Philofophie auf Moral, 
Religion und Politik überhaupt aufwirft, da ferner die 
Beurtheilung der Syſteme doch wieder nur vom Stand⸗ 
punkte eines Syſtems aus gefhehen kann, fo bat der 
Verf. in einer Einleitung jenen praktiſchen Ginfluß der 
Philoſophie bewiefen, und dann das Werk felbft in einen 
theoretifchen und einen hiftorifchen Abfchnitt getheilt, von 
weichen der erftere die von dem Verf. ald ausgemacht 
angenommenen Wahrheiten über den Urfprung unferer 
Extenntniffe, und der zweite eine Darftelung ber wichti⸗ 
gem Syſteme, von ber orientalifhen Philofophie bis auf 
Krauſe, mit der Nachweifung ihres Einfluffes auf Mo⸗ 
ral, Politik und Religion enthält. Der Verf. gibt fi 
dabei als ein Anhänger der von Ahrens in Brüffel go 
gründeten Kraufe'fhen Schule fund, und fo. geroährt und 
fein Buch eine vecht erwünfchte Gelegenheit, die lange 
noch nicht genug anerfannte Bedeutſamkeit ber Krauſe'⸗ 
ſchen Phitofophie hier zur Sprache zu bringen. 

Das die Kraufefche Lehre nie zu einem fo entſchei⸗ 
denden Einfluffe und zu fo allgemeiner Unerfennung ge 
langen wird als die Kant'ſche oder Hegel'fche Philophie, 
ſcheint freilich außer Zweifel zu fein. Die beutfchen 


i Philofophen haben Krauſe viel zu lange überfehen und 


feiner Lehre durch eine Nichtbeachtung — über welche 
es ber Mühe werth if Leonhardi's Vorrede zur Kraufe'- 
fhen „Philoſophie der Geſchichte“ zu vergleihen — wie 
fie gerade in Deutfchland kaum erflärlih ift, ein Un- 


recht gethan, das fie Kraufe nicht leicht verzeihen, fon- 


dein zunächft damit zu rechtfertigen geneigt fein’ werden, 
daß fie etwas Unbedeutendes überfehen hätten. Und 
wenn nun auch in den feltenen Fällen, wo von Kraufe 
die Rede geweſen ift, feine Philofophie uns überaus 
reich und fruchtbar bezeichnet werden mußte, fo ift doch 


gerade jept bie Zeit der Derrfchaft der Sufteme vorbei, ' 


als herrfchende geiſtige Mächte und Leitflerne treten jegt 
in Kunft und Wiffenfchaft feine Individuen mehr auf 
und das Treiben in diefen Sphären iſt republikaniſch 
geworden. Wir find in der That‘ zu einem Abfchnitte 
gelangt, mo wir weniger uns einem Syſteme der Ge⸗ 
genwart anfchließen ale vielmehr die ganze Errungen- 
haft der Vergangenheit zu überfchauen und aus biefem 
Ganzen Reſultate zu ziehen geneigt find. In Wiſſen⸗ 
[haft und Leben find fi) Syſteme und Inſtitutionen, 
von welchen ein einzelne® der Vorwelt auf ein Jahr 
hundert ausgereiche hätte, im Laufe von Jahrzehnden 
fo vafıh gefolgt, daß uns für alles Diefes die Zeit zu 
fehlen anfängt. Ein neues Syftem, eine neue Inftitu- 
tion würbe nur den Stoff vermehren und nicht ale Ab» 


ſchluß, als Anknüpfungspunkt für die Entwidelung der 


Zukunft, ſondern nur als eine Zuthat zu dem Mate⸗ 
rial betrachtet werden, aus welchem das Reſultat erſt 
zu ziehen iſt. 

Aus dieſem Zuſtande erklaͤrt ſich zunaͤchſt der Eklek⸗ 
tirismus und feine praktiſche Seite, das systeme con- 
servatenr. Couſin fah in der Geſchichte der Wiſſen⸗ 
fehaft verfchtedene Grundrichtungen, Spiritualismus, Ma⸗ 
terialismus, Steptiismus und Myſticismus, und kam fo 


zu einer combinatorifchen Philoſophie. Diefe bringt es 


indeß nur zu aͤußerlichen Zufammenftellungen: jene vier ı 


Grundrichtungen find nicht ſcharf und erfchöpfend be» 
zeichnet, und der Schluß, fie müßten wol mehr und in 
der Natur des Geiſtes begründet fein, mweil fie wären, 
aber jede von ihnen einzeln müffe falſch fein, weil ihrer 
vier feien, ift fein an biefem Orte gültiger, ſondern nur 
ein Wahrſcheinlichkeitsſchluß aus dem gemeinen Leben. 
So ift der Eklekticismus fteril geblieben und entbehrt 
des Abfchluffee, Die Hiftorifhen Studien liefern nur 
Material, alfo nur einen hier als empirifche Unterlage 
zu betrachtenden Stoff, und an die Stelle der Philofo⸗ 
-phie, des in die Überzeugung eindringenden Syſtems, 
isitt bie Kenntniß ber Syſteme, die Gelchrſamkeit. 
Diefe befchäftige nur den Verſtand und ergreift nicht 
zugleich, wie jebe zeit“ und zußunftbildende Lehre muß, 
die Empfindung; fie bleibt tobt und klanglos und hat 
feine proftifhe Konfequenz. Das fih an ben Eklekti⸗ 
cismus fchliegende systeme conservateur, in welchen ſich 
feine praftifche Seite offenbart, wirb nur abufiv ein 
Syſtem genannt, ba ihm Fein Princip, fondern Neigung 
und Intereſſe zum Grunde Tiegt und es jede ſich nicht 
von felbft machende Entwidelung in dem bloßen Gon- 
fersiren bes Gegebenen ausſchließt. In Deutſchland hat 
man allerdings die Nothwendigkeit einer Univerfalität 
der Wiffenfchaft in einem höhern Sinne aufgefaßt: Her 
gel atlärt alle Syſteme für relativ wahr und nur dad 
Begel’fche ſoll das abfolut wahre fein. 


" Uhiverfalität erreicht fei, können wir nicht näher prüfen; 
gewiß iſt aber, daß in feinen praftifhen Couſequenzen 
für Geſchichte, Recht und Staat das Hegel’fche Syſtem 
eben mit der Gegenwart absricht und über die fernere 
Entwidelung, über die Refultate aus der Vergangenheit 

Sir die Zufunft ſchweigt. Meichere und inhaltvollere 
Behren liegen bier in der Krauſe'ſchen Philoſophie, und 
wenngleich wir nicht behaupten mögen, daß diefelbe als 
einzelnes Suflem zur Herrfchaft gelangen werde, fo ift 
es doch unverkennbar, daß fie fir die Löfung ber jegt 
vorliegenden Aufgaben einer Organiſation der zerfirenten 
Einzelheiten bie wichtigſten und von Niemanben, ber 
ſich mit biefer Aufgabe beichäftigt, ungeſtraſt zu über- 

_ Borarbeiten enthält. 

Krauſe's Philoſophie zerfällt in einen anatgeifchen 
nnd einen fonthetifchen Theil. Der erſte geht von Dem 
aus, was einem Sehen unmittelbar gewiß ift, von der 
Idee des eigenen Ih. Mer einzelne endliche Geiſt hat 
zunaͤchſt ſich ſelbſt zu erkennen, alſsdaun zu erfaſſen, wie 
er von den Dingen außer ihm Erbenntniß empfängt, unb 
ſich endlich bis zu der Idee der Natur, bes Geiſtes und 
Bettes als Rrweſens zu erheben. SE fo endlich Gott als 
Urweſen, als Princip alles Seins erkannt, fo erſcheint 
mun bas WU als ein großer gottbelebter Orgauikmus 
und alle Wiffenfchaften fügen ſich in Die Getteserkennt- 
mis als Theil ein. Diefes bildet ben ſynchetiſchen Theil. 
Dabei muͤfſan wir gleich von vornherein barasıf 
merkſam machen, daß Krauſe, gleich Hegel und Schei⸗ 
ling, über die Kant'ſche Lehre hinaus zur Erkenntniß 


3 


Wie weit dieſe 
Aufgabe der Abſolutheit und Alles in ſich ſchließenden 


des Abſoluten, ber Einheit des Denkens und Seins 
fortgefchritten ift, daß fein Syftem an Tiefe und Erha⸗ 
benheit der Refultate dem Hegel’fchen völlig gleich ſteht, 
dabei aber hinſichtlich derjenigen Fragen, welche bei He- 
gel dunkel bleiben und Hegel's Syſtem ben Vorwürfen 
des Pantheismus und bes Leugnens ber Unſterblichkeit 
ausgefept haben, ganz entfchiedene, mit der Lehre des 
Chriſtenthums in Einklang ſtehende Refultate gibt. Was 
man babei von den Wunderlichkeiten der Kraufe'fchen 
Terminologie gefagt hat, widerlegt fih am einfacften 
duch das Studium der Schriften Krauſe's. Jede Wif- 
ſenſchaft bedarf einer befondern Terminologie und bie 
von Kraufe neu gebildeten Ausbrüde find meißtencheils, 
wie es nach den Berdienften Krauſe's um die Sprad- 
wiffenfhaft zu erwarten ift, fehr glüdlich gebildet. Von 
dem gefammten Inhalte feines Syflems aber ift es nick 
möglich, in der Kürze eine Überſicht zu geben; es win 
daher nur umfere Aufgabe fein können, befonders aus 
dem Sogenannten praftifchen XThelle bdeffelben - einzelne 
Andeutungen zu liefern. _ 
In dem analgtifchen Theile finden wir die tiefften 
und fharffinnigften Unterſuchungen über das Weſen des 
Ih. Won der Idee des Ich gelangen wir durch bie 
Idee des Grundes zu ber Erkenntniß Gottes. Die Idee 
des Grundes fegt voraus, daß Dasijenige, bei welchem 
wir nad einem Grunde fragen, fi) als untergeordneten 
Theil zu einem böhern Ganzen verhalte, und menn wir 
fo bei allen Eriftenzen nad, einem Grunde fragen, fo 
gelangen wir zulegt zu der Idee Gottes. Dieſes Ver⸗ 
fahren liefert aber noch nicht den Beweis des Dafeins 
Gottes, es ift blos ein Anlaß, der uns auf ben Gedan⸗ 
fen an Bett führt. Wol aber fegt die Idee des Grun⸗ 
des feibft einen Grund voraus, und dieſer legte Grund 
kann nur in einem unendliden und abfoluten Weſen, 
in Gott liegen. So ift denn Gott als Grund alles 
Defien was tft au ber Grund ber Kenntnif, die wir 
von ihm haben, wir kommen Durch Bett ſelbſt zu Bott 
und erfaflen ihn, wenn wie uns dieſes Verhälni Mar 
machen, durch eine unmittelbare Anſchauung, waͤhrend 
Gottes Eriftenz durch Gründe allerdings inſofern unbe 
weisbar iſt, ale es über Bert nicht noch ein Hoͤheret 
was ald Grund feiner Exiſtenz angefihrt werden Fonnte, 
gibt. Fragen wir daher nad) Gründen für das Dafen 
Gottes, fo geſchieht dieſes nur, fofeen wir Gott ald ım- 
endliches und als abſolutes Befen noch nicht erfamt 


und felbft auch bie Idee bes rundes noch nicht erfaßt 
haben. Bott ſteht fo als Urweſen über Natur und 
Vernunft und dem Vereinweſen beider, der Menſchheit, 
und in dieſer Auffaffung bleliben pantbeiffifdde ober dus- 
liſtiſche Auſchauungsweiſen ausgeſchloſſen. Namentlich 
iſt der Borwurf des Panthekomus nit gegrundet, ben 





Kraufe nicht außer Gott gedacht werben, weil nichts als 
außer Bott gebacht werben kana. Die Welt iſt m Gott, . 
nicht bem Raume nach, fondern wenn Wort die Welt 
m Ah enthält, fo wird die Weſenheit der Welt, als 


007 


nicht die ganze Weſenheit, von der Wefenheit Gottes als 
ber ganzen Wefenheit unterſchieden. 

er fonthetifche Theil des Krauſe'ſchen Syſtems zer- 
fällt in vier Untertheile. Der erſte erörtert, was Gott 
an ſich ift, was feine Natur iſt, was feine Attribute 
find. Der zweite zeigt, was Bott in fi if; er ent- 
Hält die Lehre von ber Welt, bie aus Geift und Natur 
beficht, als deren Verein die Dienfchheit erfcheint. Der 
dritte Theil erörtert die Verbindung der beiden exften 
und zeigt alfo die Beziehungen, die zwiſchen Gott und 
Welt flattfinden. Der vierte zeigt endlich dem göttlichen 
Organismus in allen menfchlihen Wiffenfchaften und 
liefert zu diefen die eigentlichen Grundlagen. Ein Theil 
ergängt und erläutert hier den andern, indem das Ganze 
ein großer Organismus ift, in welchem fich jeder Theil 
auf alle übrigen Theile ſowie auf das Ganze bezieht. 
Sn diefem Reichthume beruht cben die Ubfolutheit der 
Krauſe'ſchen Philofophie, die der geifligen Thaͤtigkeit noch 
immer ein unendlich weites Feld laßt und bie eine und 
abfotute Wahrheit als einen unendlihen Organismus 
von Wahrheiten auffaßt, deffen Reichthum Feine menfch- 
liche Einſicht erfihöpfen kann. In bem vierten Unter- 
theile finden fih dann die Confequenzen für Religion, Mo- 
zal und Recht. Die Religion gewinnt hier die wahr⸗ 
Haft univerfele Bedeutung, die ihr zukommt, ohne daß 
e6 je zu Pierifterei ober ben Wunderlichkeiten eines fo- 
genannten hriftlihen Staatöprincips kͤme. Ihr Wer 
fen liegt in ber perfönlichen Einigung ber Menfchen 
mit Gott, welche nach dem Verhaͤltniſſe Gottes als Ur- 


wefens zur Menfchheit ein leeres Wort, keine Eindil- 
dung, heilbebürftiger Seelen, fondern eine einfache Wahr- 
heit if. Diefe Gottinnigfeit umfaßt benn die drei Grund» 


fähigkeiten des Menfchen, Schauen ober Erkennen, Em- 
pfinden und Wollen, welche ohne dieſe Beziehung auf 
Gott in allen ihren übrigen Richtungen unvollftändig 
und verwahrloft bleiben. Außer dem einzelnen Men- 
[chen Hat aber auch jeder Verein in der Menſchheit, der 
Ehebund, die Familie, die Gemeinde, das Volk und 
enbiie die ganze Mienfchheit den Beruf, biefe Ginheit 
mit Sort wirffam zu machen. Die religiöfe Pfitcht bes 
Menfchen wird fo zu einer focialen Pflicht für alle Ver⸗ 
eine, welche Wiffenfchaft, Kunft, Recht und überhaupt 
die Theile der Beſtimmung des Menfchen zu pflegen 
und zu fördern haben. Die Sittenlehre fügt ſich hier- 
nach auf ein abfolutes Princip. Das 
jenige, was ein Wefen nach feiner Eigenweſenheit dar⸗ 


Stellen fell Da Wott das Höchfte, Alles ufoffende We⸗ 
fen ift, fo if die Weſenheit Gottes das höchſte, eine 


Gute. Da das menfhliche Leben nur ein Theil des ei- 


nen göttlichen Lebens if, fo hat der Menſch auf end- 


liche Weife darzuftellen, was In Gott unendlich ift, und 


es entfteht die Anfoderung: Thue dad Gute fchlechthin 
als: bes Sure u: & ſol hheh 


Beſonders bemerkenswerth if aber bie Krauſe'ſche 
Rechtslehre. Das Recht iſt — wie Krauſe conſequent 


aus dem bezeichneten Vechaͤltniſſe Gottes zur Welt fol⸗ 


get — das Banze der Innern und äußern von ber 


Freiheit abhängigen WBebingungen, weiche zur Erveichung 


ute ift Das: | 





ber Vernunftbeftinmung des Menſchen nothwendizg find. 
Da ‚jedes lebende Weſen, folgert Kraufe, ein eigenwe⸗ 
fentliher Organismus ift, fo ift jedes Wefen in feinem 
Innern nah ber Grundidee bes RMechts fo beſtimmt, 
daß feine Theile ſich wechfelfeitig alle Bedingniffe erfül- 
ten, welche zur Erreichung ſeiner Beftimmung nöthig 
find. Das Ganze biefer Bedingniffe macht das innere ' 
Recht aus. So hat der Einzelmenſch, jebe höhere Befell- 
fhaft und endlich bie Menſchheit ein inneres und ein . 
äuferes Recht: Das innere Recht ber Menfchheit 3. B. 
fobert, daß alle Geſellſchaften und alle Einzelmenſchen 
in ber Menfchheit alfo fuͤreinander ſelbſtbeſtimmt feien, 
daß jedes Glied der Menfchheit feine Beftimmung er- 
reihe. Das Äußere Recht ber Menfchheit aber ift das 
Ganze der zeitlihen von ber Freiheit abhängigen Be⸗ 
dingungen, welche Natur, Vernunft und zuhöchft Gott 
in ſich wirklich machen, damit die Menfchheit im Wedh- 
felleben mit ihnen ihre Beſtimwmung erreihe. Das 
Recht ift fo auch die Pflihe des Menfchen und der 
Menfchheit, denn das Sittengefep fodert, alles für das 
Leben Wefentliche, das Gute, zu thun, und ein folches 
Wefentliches, ein folches Gut ift das Recht. So beruht 
auch die Beftrebung, das Recht als bleibenden Zuſtand, 
als Staat, hinzuftellen, auf der Wefenheit dee Menſch⸗ 
heit und nicht auf Zweckmaäßigkeitsgründen. Der Staat 
iſt nicht die Anſtalt, um das Unrecht zu verhüten, fon- 
bern um das Recht berzuftellen. Die Idee des Rechts 
ift eine durchaus pofitive. Hieran ſchließt fi die tiefe 
Wahrheit, dag mit dem bloßen Gebenlaffen und Verhuͤ⸗ 
ten nichts geholfen fei, daß vielmehr ein poftiives Thun 
für die Leitung im Staat erfobert werde. Der Staat 
iſt alſo bleibend, er beruht nicht auf zufälligem Vertrag 
und ebenfo wenig beruht das Recht auf MWechfelfeitig- 
feit,. denn der Rechtsgrund beſteht an fi) und ewig 
und hängt nicht davon ab, ob Ihn Andere anerkennen. 
Zugleich iſt das Recht allgemein: es bezieht fich auf 
alle phyſiſchen und geiftigen Büter, welche dem Men- 
ſchen zur Erreihung feiner Beſtimmung nöthig find. Es 
bezieht fih alfo auf Religion, Miffenfchaft, Kunft, Sitt⸗ 
lichkeit, Induſtrie, Dandel und Production, berührt aber- 
alle diefe Sphären nur von einer Geite, fofern es auf 
Herftellung der für Ihr Gedeihen nöthigen Bedingungen 
ankommt. Diefer Say beftimmt dann das Verhaͤltniß 
des Staats als ber für das Recht vorhandenen Sphäre 
zu den übrigen für die Erreichung der übrigen Theile der 
Vernunftbeſtimmung des Menfchen gebildeten Vereinen. 
(Der Beſchluß folgt.) 





Das Laternenmännden. Aphorismen über Leben, Kunft 
und Natur, von Georg Beckmann. Berlin, Deh⸗ 
migke. 1845. 8. 174 Nor. 

Bücher die Aphorisſsmen enthalten entflehen auf ſehr ver⸗ 
ſchiedene Art. Hintereinander aufgeſchrieben werden die kuͤrzern 
oder laͤngern Säge gewiß nichts dieſes Spruͤngemachen wuͤrde 
den Geiſt bald den und ſchnell zerſtoͤren. Oftmals find 
ſolche Aphorismen Ertracte auß nicht zu Stande gekommenen 
Büchern; oft find fie mit Splittern zu vergleihen, Die heim 
überarbeiten eines großen Werkes fich ablbſen; manchmal find 


N 


olche dicta wahre Kometenkerne: fie bilden ein ſolides Element, 
*2* vieles Homogene ſich leicht ſchließt; manchmal freilich 
ndet der reflectirende Leſer ſtatt eines Kometenkerns eine taube 
z. Es gibt manche Autoren, deren Werke fich vorzugsweiſe 
dazu eignen, daß män Aphorismen aus ihnen ſammelt; zum 
Erempei die Schriften Hamann's, Hippels und Jean Pauls. 
In jener Periode, wo es in Deutihland Mode war, geiſtreich 
zu fein, verlangte alle Welt nach ſolchen abgeriflenen Sägen; 
man konnte nur fo leicht durch eine Medensart, bie man fallen 
ließ, ahnen laflen, was für ein @eift man fei. Wie häufig 
haben wir Deutfche, die wir doch von ber Ratur für einen ge 
unden Realismus beftimmt find, und durch den ein irre 
ühren laffen, und alle Tage gefchieht das no. Auch Goethe 
huldigte dem Gefchmad jener Lage durch Mittheilung von 
Zagebuchblättchen in feinen Romanen. Jean Paul, wahr: 
ſcheinlich weil er fühlte, daß feine Werke zu merkbar aus ein 
zelnen Stüden zufammengefept feien, wurde fehr heftig. als er 
‘erfuhr, daß Jemand aus feinen Schriften eine Sammlung von 
Aphorismen gezogen habe; ber RMenſch, ber das gethan habe, 
fagte er, verfahre wie ein Schaf auf der Wieſe, welches alle 
Blumenköpfe abfrißt und das Gras ftehen läßt. Die Lecture 
von Aphorismen kann eine fehr anregende und den @eift für: 
dernde fein; für einen noch zu wedenden Geift find fie gewiß 
oftmals ein gutes Bildungsmittel; felbft der gebildete Geiſt, 
wenn ihm Gelegenheit zu perſoͤnlicher Mittheilung mangelt, 
findet darin einigen Erfag für Anregung durch Geſpraͤch. 

Nef. Hat die Bemerkung gemacht, daß feit einiger Zeit 
wieder häufiger folche Werkchen wie das vorliegende erfcheinen., 
Das dürfte vieleicht als ein heilfames Gegengewicht gegen bie 
gräßlich graffirende oberflädliche Unterhaltungsichriftftellerei und 
Unterhaltungslecture angefehen werden. Es ift gar nicht‘ zu 
berechnen, welch eine ungeheure Zahl von Menſchen in den 
ordinairften Kreis der Lebensanfhauung gebannt bleibt durch 
die miferable Lecture, woraus fie täglid Geift und Herz — 
fo viel fie davon haben — ernährt, gar nicht zu erwähnen, 
daß durch die franzöfifhen Schauer» und Schauderromane der 
Blick mancher Menfhen auf Partien des Lebens gelenkt wird, 
auf die er felbft wol nie gefallen wäre; ja, daß felbft durch 
‚die Lecture diefer modernen feangöfifchen Romane der Wahr: 
heitsfinn ſehr oft in Eonflicte geführt wird, aus denen berfelbe 
gewöhntich fehr wanfend und ſchwankend hervorgeht. In einer 
vergangenen Epoche fahndete man überall auf Werke, die Atheis 
muß lehrten; gegen den religiöfen Atheismus kaͤmpft jegt 
Niemand mehr, aber man folte dem Atheismus in der Moral, 


in der Politik, im bürgerlichen Leben nicht Thor und Thuͤr 


öffnen. Jedoch biefer Gegenftand würde uns an diefer Stelle 
-zu weit von unferm Hauptzweck abführen. 

Der Verf. des vorbenannten kleinen Buches gibt auf der 
erftien Seite das hübſche Bild eines Mannes, der eine Laterne 
trägt, und darunter fteht folgender Verb, der über die Ten⸗ 
benz des Büchelhens Aufklärung gibt: 

Sch bin zwar nur ein Meiner Geiſt, 
Doch trag’ ih mein Laternchen dreift 
Und lauf’ in mandes Eckchen bin 

Und fage was ih fand darin. 

Wie wunderlich die Menſchen find, 

Wie wirr fie tappen, dumm und blind! 
ie fpielen all' mis bunten Seinen, 
Es zum Lachen und zum Weinen. 

Das Büchlein bringt euch gute Lehr’, 
Doch allzu lang’ behagt nidht mehr; . 
D’rum wird fie bier mit Vorbedacht 
Nur tropfenweife beigebradt. 

Schlag auf dad Buch und lied in Ruh’, 
Haſt du genug, mach's wieber zu! 

Das Ganze zerfällt in folgende Partien: 1) Die Innen: 
welt; 2) Die Geſellſchaft; 3) Liebe und Che; 4) Kunſt; 9) Na» 
tur; 6) Scherze und Schwänte. 


[2 


Wenn nun die Eigenthümlichkeit dieſer Aphorismen ge 
nauer charakterifirt werden fol, fo hun wir es in Folgendem. 
Die Audfprüce des Verf. haben ihren Urfprung in einem ge 
funden Geiſte; was er denkt, ſpricht er mit Entfdyiebenheit aus; 
er peut nichts in das Flimmerlicht der Unentfchiedenheits er 

ehört nicht zu den im unferer Zagesliteratur fo häufigen Phra⸗ 
enmachern, denen eine gedrechfelte Nedensart mehr gilt als 
ein gefunder Gedanke. Die Borm, in welcher die Gedanken 
ausgeſprochen find, iſt regelrecht; fie geftaltet fidh bisweilen zu 
einer vollen Symmetrie, doch ohne fteif zu werden. Hin und 
wieder wird man einmal durch die Ausdrudsweife an Sean 
Paul erinnert; daB feheint aber dem Berf. felbft ganı unbe 
wußt zu fein, ein mer Jean Paul'ſcher Manier ift er 
nit. Kur felten faßt Hr. Beckmann feine Aphorismen jin 
fententiöfe Form, meiftens werden fie als Neflerionen mitge 
theilt. Auch bat das Heine Buch den Borzug, daß der Berf. 
nicht von einem Schulſyſtem ber Moral, der Politik und der 
Religion ausgeht und aus diefem heraus — mas häufig ge 
ſchieht — Orakelweisheit fpricht; weil in diefem Buche nur 
die Philofophie des gefunden Menfchenverftandes herrſcht, fo 
ift daffelbe auch für einen größern Kreis brauchbar. Dazu 
kommt nod etwas hoͤchſt Lobenswerthed; nämlidy Der Berf. 
geht durchaus nicht darauf aus, weder durch Einmiſchen einer 
wohlfeilen und beliebten Sorte Politif noch durch Bufeken von 
pfeffeender Frivolität ich Yublicum zu gewinnen. Er ift durch⸗ 
weg BVertheidiger einer höhern Lebensanficht gegen die niedere 
und philifterhaftes niemald macht er einer ordinairen Gefin: 

nung oder der Gefinnungslofigkeit Zugeftändniffe; fein Urtheil 

ift ſtets gerecht: und fireng gerecht; manchmal, wenn ihm das 

Abweichen des Menfchen vom Ideal befonders frappant erfiheint, 

fhreibt er fatirifch, und das fteht ihm gut an. 

Übrigens find nicht alle Partien des Büchelchens von ylei: 
chem Werth; 3. B. der Abfchnitt, welcher „Natur“ uͤberſchrie· 
ben ift, fcheint uns an Kuͤnſtlichkeit zu leiden; nichtsdeſtoweni⸗ 
der findet man auch in diefem wie in allen übrigen Abther 
lungen ſcharf treffende Ausſpruche, ih paflender Form voran 
tragen. . 





Literarifche Anzeige. 
Hene Unterhaltungsliteratur. 


In meinem Zerlage ift erfchienen und in allen Buchhandlungen 


zu erhalten: 
Die Schwärmerin. 
Brain Zruflürden- Ruglburg. 


Erzählung 
Gr. 12. Sch. 1 Thlir. 12 Nor. 


Wilder aus Schlefien. 


In Novellen ‚gefaßt 
von 
- Walter Leſche. 
I. Die Nofe von ber Pzerwa. 


Gr. 12. Se. 1 The. 12 Nor. 


Eeipzig, im Iuni 1846, 
SF. A. Brockhaus. 











Wesantwortliher Hernuſsgebder: Heinrich Brockdans. — Druck und Verlag non F. M. Drockhaus in Leipzig. 








Blätter 


für 


Titerarifhe Unterhaltung. 





Dienftag, 





— Kr, 153, — 2. Juni 1846, 





(Beſchluß aus Nr. 152.) 


Das Recht ift feinem Begriffe nach für Alle gleich, 
dieſe Gleichheit befteht aber doch nur darin, das Ungleiche 
ungleich zu behandeln. - Die Individualität hat alfo auch 
ihre Recht, und es befteht die Rechtöfoderung, dag inner- 
balb der Gleichheit der allgemeinen Menfchenrechte auch 
einem Jeden die befondern und eigenthümlichen Beding- 
niffe geleiftet werden, nach den grumdwefentlihen Ver⸗ 
fchiebenheiten in Eigenthümlichkeit zu vollenden. Es ift 
daher falfch, daß alle Menfchen fchlechthin identifche Rechte 
haben, aber ebenfo falſch ift die Behauptung, daß jeder 
Menfh nur fein eigenthümliches Recht habe und ein 
allgemein menfchliches Recht nicht zu denken fe. Ebenſo 
ift die Freiheit eine Folgerung aus dem Rechte; fie ift 
aber nicht Grundlage und Zweck des Rechts, fondern 
nur ein Mittel zu feiner Verwirklichung, indem jebem 


Einzelnen eine Sphäre offen fein muß, in welcher er feine 


Kräfte gebraudt. Auf diefe Weife find Freiheit und 
Gleichheit zwei unveräußerlihe Urrechte, jene entfpricht 
ber Spontaneität der Bereinzelung, dieſe ber Ganzheit, 
Afjimilation und Concentration. Beide einigen fich in 
der Affociation zu einem böhern Ganzen. Es gibt 
zwei Reihen von Affociationen. Die eine umfaßt das 
ganze Leben und bie ganze Perfönlichkeit, Ehe, Familie, 
Gemeinde, Volt, Menfhheil. Die andere bezieht fih 
auf beflimmte Zwecke, der Neligionsverein, Kunftverein, 
die Sphäre für materielle Production, Handel und In⸗ 
duſtrie, der Verein für Wiffenfchaft und ber Verein für 
Recht oder der Staat. Alsdann beftimmt fih im Ein- 
zelnen, inwieweit die nach bem Bilde bes Gemeinweſens 
«inzurichtende Drganifation dieſer einzelnen Vereine und 
Kreife noch unvolllommen ift und auf welche Weiſe der 
Staat oder Rechtöverein darauf einzuwirken bat. Die 
Spbären ber zweiten Reihe find diejenigen, in welchen 
der Menſch hier auf der Erde feine Fähigkeiten zu ent- 
wideln bat. Sie find der eigentliche Gegenſtand des 


“ganzen forialen Organismus und in ihnen muß nad) 


Na 


dem Obigen gerade dur Affociation als das Hö- 
here von Freiheit und Gleichheit — welchen man bis 
jegt auf einfeitige Weife nachgerungen oder fie auf ebenfo 
einfeitige Weife befämpft hat — eine Organifation er- 


® 


reiht werden. So werden bie einzelnen Vereine Dr- 
gane bes ganzen focialen Körpers werden und die Ge- 
felfchaft wird, wie Plato es foberte, das Urbild bes 
ganzen und vollflommenen Menfchen darftellen. In Die 
fem Organismus ift der Staat oder bie Rechtsſphaͤre 
den übrigen Sphären coordinirt, und da jede Sphäre 
wol auf die andere einwirkt, fie aber nicht abfolut be- 
berrfcht, fo ift der Staat auch nicht mit der Geſellſchaft 
identifch, und feine Tendenz, die übrigen Sphären zu Mit- 
teln für feine erclufiven Zwecke zu machen — die alsdann 
im Grunde doch nur particulaire Intereffen betreffen wür⸗ 
ben — ift ebenjo falfh als eine gleiche Tendenz der 
Kirche oder der Induftrie fein würde. Es leuchtet alfo 
ein, daß der Staat feine exclufiv ».veligiöfe oder wiſſen⸗ 
ſchaftliche Richtung haben, fondern allen Richtungen die⸗ 
fer Art den Rechtöfhug gewähren muß; ein Gingreifen 
in ihre innere und eigene Entwidelung führt immer zu 
Rückſchritten und Verkümmerungen. Yür die VBerfaffung 
des Staats gibt Kraufe fehr beachtenswerthe Andeutun- 
gen. Wir müffen uns bier auf die Bemerkung befchrän- 
fen, daß er weit entfernt ift, wie unfere meiften Politi- 
fer und Rechtsphiloſophen, eine einzelte Form als die 


‚ abfolut richtige und alle übrigen ale Misbildungen an» 


zuſehen. Die Frage von politifhen Formen ift bei 
Kraufe überhaupt untergeorbnet, die Hauptſache ift die 
Drganifation der Gefellfchaft, in welcher die flaatliche 
oder politifche Sphäre nur ein — bis jegt noch fehwer- 
lich auf fein richtiges Verhältnig gebrachter — Theil ift. 

Bei Kraufe finden wir in der That die Anfoberung 
Segel. daß die Kategorien des Denkens auch Die bee 

eins fein müßten, und daß die Logik im Grunde mit 
der Metaphyſik zufammenftimmen fole, erfüllt. Das 
Studium der Krauſe'ſchen Philoſophie zeigt, daß gerabe 
die Begründung ber Kategorien eins ihser Hauptver⸗ 
bienfte ift, ein Verdienſt, aus welchem fich ganz einfach 
erklärt, vie die Krauſe'ſche Philofophie in ben einzelnen . 
Theilwiffenfchaften, Sprachwiffenfchoft, Sittenlehre u. f.m., 
auf jeden Unbefangenen einen fo unmiderfichlihen Ein» 
drud von fchlagender Wahrheit macht. Man wunder 
fi bei Hegel, der mit fo ftrenger logiſcher Conſequenz 


“verfährt, daß in der Rechtslehre durch den Mechanis- 


mus feiner Dialektik Majorate und conftitutionnelle Mon- 
archie als abſolut wahre Refultate berausfommen, wäh: . 


610 


- end ber gefunde Sinn dergleichen Dinge für nichts ab- 
folut im Weſen der Gefellfchaft Begründetes, fondern 


für Zufällige, eben Iwedmäßiges und Anderliches Hal- 


ten muß. Bei Kraufe findet fich eine foldhe Anwendung 
der Logit, welche am Ende alles nur Mögliche heraus- 
braͤchte, nicht; wielniehr erſcheint das Urbild bez Menſch⸗ 
beit, das Ziel der Geſchichte, von allen Zufälligkeiten 
und nur eben jetzt beſtehenden Eigenthümlichkeiten rein. 
Damit tritt dann gegen die jetzt vorhandene Wirklichkeit 
auch das Poſtulat des Sollens, welches bei Hegel oͤft 
fo bitter verfpottet wird, hervor, und die Kraufe’fche 
Rechtslehre iſt nichts weniger ald apologetifh. In bie- 
ſem VBerhältniffe Deffen was ift zu Dem was werden 

fih aber eben ihr vorzüglichfier Werth. 
Sie hält der jegigen Geſellſchaft gleihfam einen Spiegel 
vor, um ihre zu zeigen wie fie tft und wie fie fein fol; 
fie wird alfo Jedem wilſtommen fein, der nicht abficht- 
lich fish täufchen will und Herz genug beftgt, eine blos 
apologetifche, nach Wünſchen und Intereſſen eingerichtete 
Staatslehre zu verſchmaͤhen. 

Ein unbefangener Blick auf die modernen Staaten 
zeigt uns als ihren unterſcheidenden Charakter eine un⸗ 
endliche Zerriſſenheit und Zerfahrenheit als Folge des 
herrſchenden Individualismus. Man hat nur Rechte 
der Einzelnen die von der Geſammtheit anerkannt wer⸗ 
den, allein für die Geſammtheit fehlen Rechte und or⸗ 
ganiſche Anordnungen, ſodaß Niemand zum poſitiven 
Handeln für Gemeinzwecke verbunden iſt, und der äu⸗ 
ßerlich Begünſtigte mit dem Nichtsthun, dem einfachen 
Zurüdziehen in die Iſolirung am bequemften ausfommt. 
Die Leitung der Gefellfhaft Hat einen dauernden Cha- 
ratter der Angfitichkeit und ber Abwehr von Serrüttun- 
gen angenommen, ben fie in einem normalen Zuflande, 
bem folche Zerrüttungen nicht wirklich drohen, gar nicht 
haben könnte. An der Stelle gemeinfamer in fich be- 
rechtigter Zwecke herrfchen partitulaire Zwede, und fo 
wie in dem modernen Voͤlkerverkehre bie Diplomatie nad) 
folhen particulairen Zwecken und Intereffen bie Ränder 
zertheilt und ohne Rückſicht auf Nationalität und Volks⸗ 
intereffen Staatsverbände ohne Halt und voll von Quel⸗ 
ien bauernder Zerrüttungen gefchaffen hat, fo herrſchen 
auch im inneren Leben der Staaten doch nur parficulaire 
Intereffen flatt der allgemeinen und finden ihren Schutz 
theil im Bünbdniffe mit andern ebenfo particulairen In- 
tereffen, theild in dem Zuftande von Verdunkelung, in 
den bie modernen Staatslehren durch Vermengung von 
Principien und SIntereffen gerathen find. 

Man Tehnt fi in dieſem Zuſtande der Jerſplitte⸗ 
zung nad einem wahrhaft organtfirenden Principe, nach 
einem Haltpunkte für den Blick in die Zukunft. Zu 
- einem folchen Haltpunkte konnten bie bisherigen Staats- 
lehren nicht führen. Die reactionnaiten, blos hiftorifchen 
Doctrinen, welche fih in Hrn. v. Haller reſumiren, find 
alles vernünftigen Moments zu ledig, um Andern als deren 
Intereffen fie ſchmeicheln zuzuſagen. Die rationalifti- 
[hen Staatslehren bauen aber bios Mechanismen auf, 
die alles Lebens, aller Zukunft entbehren. So iſt auch 


die Hegel’fche Staatslehre nur eine neue Zuſammenſtel⸗ 
lung des alten Stoffe nach neuem Iogifchen Fachwerke, 
aber nichts wahrhaft und der Sache nad Neues. Wan 
fhreitet daher wie von einem dunkeln Gefühl geleitet 
aus diefer Beengung ber Anficht heraus; man fieht, 

e6 einescheils nicht ſomol auf den Staat, ber d 
nur eine einzelne Sphäwe ber Gefellfchaft ift, als 
die Gefellfhaft und deren Organifation ankommt, 
anderntheil6 aber, daß der Staat nichts Erfundenes, 
nichts durch menfchliche Vernunft Eingerichtetes, fondern 
ein lebendiger Organismus ift, deffen Weſen nur aus 
der Perfönlichkeit Gottes zu erklären ſteht, fobaf alles 
Staatsrecht zufegt in Bott feine Baſis hat. In beiden - 
Bichtungen liegen bereits Fortſchritte vor. Der Socia⸗ 
lismus macht gegen das blos Politiſche, gegen den 
Staat, die Geſellſchaft geltend, bleibt aber mit derſelben 
Einſeitigkeit, die er vermeiden will, an einer andern 
einzelnen Sphäre hängen und meint, daß mit der Dr⸗ 
ganifatten der Arbeit und ber Induftrie das Ziel er 
reicht fei. In der zweiten Richtung, wie fie Stahl und 
2eo verfolgen, liegt eine tiefe Wahrheit, aber fie iſt eben 
nur angedeutet und ungeachtet der Wahrheit bes Prin⸗ 
cips werden die Folgerungen einfeitig und falfch. IM 
Gottes Wille und Weſen Baſis alles Staatd- oder 
vielmehr. Geſellſchaftorechts, fo bleibt bie bisherige An- 
fiht, als greife bier menfchlihe Einfiht und Willkin 
Pag, freilich ausgefchloffen, und deshalb fteht von bie 
fem Standpunkte aus bie rationaliftifche Staatélchte, 
die liberale Theorie, die nach menſchlichem Beſſerwiſſen 
ändern und ſchaffen will, mit Erfolg zu bekimpfe. 
Zunähft bat man indeß dabei ben Standpunkt bes 
Glaubens und Empfindens gegen den bed Dentens ein: 
genommen und geht nun dazu fort, biefem leytern alles 
Recht abzuftreiten. Die negative und kritiſche Seite, die 
Bekämpfung der rationaliftifhen Doctrinen ließ fi) da- 
mit auch durchführen, nicht aber bie pofitive Seite, we 
nun die wahre und dem Wefen Gottes gemäße Organi⸗ 
fation der Geſellſchaft angegeben werben follte. Deshalb 
geräth man bier auf Abwege, man mifcht das Denken 
doch wieder ein, aber auf fo verfiedte Weiſe und nur 
in folden Nebenpuntten, daß der Vorwurf der Incom 
fequenz befeitigt wird, oder findet vom Standpunkte bei 
Giaubens aus nun ben Sag, dag der Staat ſelbſt in 
feiner fehlechteften empirifhen Form göttlihe Organife- 
tion fei und Alles als Frevel angefehen werben mälle, 
was die organifche Eontinuität in dem Nebeneinander 
und Nacheinander feines Lebens flört. Hierbei fehlt 
denn das vernünftige Moment, wodurch erft ausgemacht 
werben müßte, was in dem empirisch vorhandenen Staate 
wirflih ein Theil dieſes göttlichen Organismus, bdiefer 
organifchen Eontinwität, und was Erzeugnig menſchlicher 
Willkür, Misbrauch und Böfes fei, indem fich unmög- 
lich leugnen laͤßt, dag nach der Endlichkeit und Welt. 
beichränftheit der. Dinge auch das Wefenwidrige und 
Böfe Hienieden feinen Pag finde Es ift daher ein 
leuchtend, daß dieſe Staatstheorien ald Organiſation für 
die Zukunft eben niht# angeben, und daß fie fogar fir 





611 


reactionnaie gelten, weil ſcheinbar bie Organiſation für 
die Zukunft nach ihnen darin beſteht, daß Alles beim 
Alten bleibt und fogar die alten Misbräuche mit großer 
—* aufrecht erhalten werden. Wirklich reaetionnair 
ind ſie indeß nach unſerer Anſicht nicht, indem ſie die 
menſchliche Willkür und die Einſicht der Einzelnen den 
Geſetzen bes goͤttlichen Organismus unterordnen, und 
dieſes nicht blos alsdann, wenn ſich ſolche Willkür und 
Einſicht bei Unterthanen, ſondern auch wenn ſie ſich bei 
den Regierenden über jene Geſetze erheben wollen. Es 
iſt nicht undenkbar, daß Der, welcher als Bekaͤmpfer 
des rationaliſtiſchen Liberalismus auf der Rechten ſtand, 
am Ende wenigſtens in das linke Centrum gerathen 
koͤnne. . 

Bei diefem Stande ber Krifis in den Anfichten über 
Staat und Gefellfchaft wäre ed einer der ſchwerſten Ver⸗ 
Iufte für die deutſche Wiffenfhaft und folgeweife auch 
für" die Entwidelung der Zukunft, wenn die Krauſe'ſchen 
Lehren unbeachtet blieben. Die Aufgaben, an denen 
man jegt arbeitet, die Erringung einer wirklich organi- 
fchen Lehre von der Gefellihaft, die Beſeitigung ber 
einfeitigen Vorherrſchaft des potitifhen Elements und 
infonderheit die Begründung des Staats als eines göft- 
lichen Organismus, des Menfchheitslebens als Theil des 
göttlichen Lebens, find in der Kraufe’fchen Philoſophie gelöft. 
Streitet man in ber Gegenwart in durchaus zerfplitter- 
ter Weife bald für Confervatidn alles Hiftorifchen, er- 
wartet man bald alles Heil von politifchen Reformen, 
liberalen Inftitutionen, von Modificirung des Eigenthums 
und Erbrechts, von Drganifation der Arbeit, von ber 
Drdnung bes Verhältniffes zwifchen Kirche und Staat 
und Belebung der religiöfen Intereffen oder von Steige⸗ 
zung ber Blüte der Induftrie und materiellen Intereffen, 
fo fieht man von Krauſe's Standpunkte dagegen mit 
völliger Klarheit, wie alle dieſe Richtungen in ihrer 
Ausſchließlichkeit falſch, übertrieben und zum Theil ver- 
dexblic, find. Nur durch das Erfaſſen des Organismus 
des gefammten Menfchheltslebens, nur durch bie fte- 
tig feftgehaltene Verbindung diefes Organismus mit Gott, 
wonach das Ginzelne fein Maß und beftimmtes Geſet 
erlangt ift, ift hier Klarheit zu fehaffen. Diefe Klarheit 
findet fih in der Krauſe'ſchen Lehre, weiche auf einer 
Höhe flieht, wo die völlige —* zwiſchen Glau⸗ 
ben und Empfindung und Denken und Wiſſen kein lee⸗ 
res Vorgeben mehr iſt, ſondern die Vernunft wirklich 
vom tiefiten Gottesgefühl durchdrungen und der Glaube 
wahrhaft vernünftig ifl. 

“Uber das Werk Tiberghien's find uns nur noch we⸗ 
nige Worte vergonnt. Die Auszeichnung, daß es auf 
Regierungetoften gebrudt ift, Hat es verdient, und wir 
Bönnen ed Jedem, dem es um bie Wiffenfchaft zu thun 
ift, fomol in Anfehung des forgfältig gearbeiteten hiſto⸗ 
rifchen Theils als beſonders hinfichtlich der einfachen und 
Haren Darſtellung der Krauſe'ſchen Lehren empfehlen. 
Daß man e6 in Rom auf ben Index gefegt hat, iſt ein 
Zeichen, wie man fi in Rom zu ben wiffenfchaftlichen 
Bortfehritten, welche von Tatholifchen Regierungen befoͤr⸗ 


dert werden, zu flellen gemeint iſt. Uns bleibt nur noch 
zu wünfchen übrig, daß es ein Anlaß werde, in Deutfche. 
land der Kraufefhen Philofopie eine Theilnahme zuzu⸗ 
wenben, wie fie durch bie der höchften Anerfennung wer⸗ 
then Beftrebungen von Ahrens in Brüffel derfelben im 
Auslanbe geworben ift, und in Deutfchland, wo man 
etwas wirklich Bedeutungsvolles am wenigften zu über 
fehen pflegt, längft hätte werden follen. 35. 





Die deutſchen Alpen. Ein Handbuch für Reifende durch 
Tirol, Oftreich, Steiermark, Illyrien, Oberbaiern und 
den anflogenden Gebiete. Bon Adolf Schaubad, 
rei Jena, Frommann. 1845—46. Gr. 8, 
4 Thlr. | 


Nord» und Gübddeutfchland find wahrlich weit weniger 
durch die Ratur als durch das Vorurtheil voneinander gefchier 
den. Die Literatur aber hatte bis in bie neuefle Beit dieles 
Borurtheil genährt und zu. misgünftigen Zwecken ausgebeutet. 
Man bob immer nur Das hervor, worin fi Rord: und Suͤd⸗ 
beutfche auffallend und ſonderlich voneinander trennen, und 
ignorirte abficätlich Alles, worin fie deutſch⸗ wefentlich überein» 
im men. Die beiberfeitigen Eigenthümlichkeiten übertricb man 
bis ind fchroffite Ertrem und gefiel fih dann in der Mäglichen 
Einbildung, Rorb: und Süddeutſchland feien unvereinbare Ge: 
Ber So war ed zulegt dahin gefommen, daB man gegen: 
eitig nur fpöttif$ oder gar furchtſam nach Süden und Nor⸗ 
den blickte. Wie nachtheilig Died au in politifcher Hinficht 
wirkte, iſt bekannt. Schon wollte der Wahn ſich geltend mar 
hen, Nord» und Süddeutſchland müßten ſich felbflandig abger 
fondert entwideln. 

Diefer verderblihe Wahn ift, Gott fei Dank, in Dampf 
aufgegangen, Nord» und Suͤddeutſchland eilen fi mit fürmie 
ſcher Sehnſucht in die Arme und halten ſich, wie mit eifernen 
Banden, feit umfcplungen. In diefer Umarmung lernen fie im⸗ 
mer mehr einfehen, daß fie eigentlih gar nicht getrennt wa⸗ 
ren, und wenden frommz=gläubig auf fih den Spruch an: 
„Was Bott vereinigt bat, fol der Menſch nicht trennen.” 
Den Rordländer zieht mehr und mehr die uralte Voͤlkerſehn⸗ 
fucht nad) Süden, und er erkennt freudig, daB ihm dieſer deut⸗ 
ſche Süden nicht fremd ift, daß es heimatliche Berge find, die 
ihn in ihren Wunderkreis ziehen. In der poetifhen Welt Dies 
feö Alpenparadieſes wird er ſich erft vollig feines deutſchen Ges 
müth5 bewußt und lernt neeibei auch anerdennen, daß im Suͤ⸗ 
den doch auch noch andere üffe find als Bier, und daß dis 
Sonne da nit völlig durch Jefuitenhüte verfinftert iſt. Der 
Sübländer empfindet immer mehr Luft, aus feinem Naturtem⸗ 
pel heraus in Gegenden zu wandern, wo bie Menfchenfraft 
um fo reicher erfheinen muß, je ärmer die Ratur if. Er 
lernt den Werth Deffen anerdennen, was fich die deutfchen Brü: 
der ber Ebene Feſtes und Hohes in ihren Sand gebaut. Er 
bemerkt mit Freuden, daß der fübbeutfhe Mutterwig neben. 
dem norbdeutfchen Sarkasmus doch Stand zu halten vermag, 
dag in diefem Sarkasmus keineswegs dab beutfhe Herz zer⸗ 
fegt worden ift, und daß die norbdeutfche Grübelei au Man⸗ 
ches audgegrübelt hat, was das Leben gar jehr zu verfüßen 
im Stand if. Kurz wer deutfchen Sinnes und Derzens if, 
lernt einfehen, daß er „foweit die deutfche Bunge Flingt” über 
au zu Haus umb bei den Seinen ifl, und je weiter er in dem 
großen Deutſchland herumkommt, defto freubiger und ftolger 
erhebt v 24 Bewußtfein, ein fo großes und reiches Vaͤter⸗ 

nd au haben. 

In biefem Gefühle begrüßen wir daß. vorliegende Bert 
als ein in wiflenfchaftlicher und politifcher Hinficht bed meh 
Erzeugniß deutſcher Baterlandsliebe. in Sohn des fchönen 
Thüringens, wo fi ſuͤd⸗ und nordheutfches Weſen fo wohl: 





612 


d berühren und einigen, tft in, den deutſchen Apen fo 


— wie in der engern Heimat und ſchildert das herrliche 


Hochland mit deutſcher Sinnigkeit und Liebe als den wunder 
vollen Bottegarten der großen beutichen Heimat. Gewiß iſt 
in diefem Wache in neuer Beit Fein Werk erfchienen, welches 
in fo hohem Grade und im fehönften Sinne des Worts ein 
deutfche® Nationalwerk ift und durch allgemeine Verbreitung 
zu werden verdient. Der Luftreifende, der Geognoſt, ber Bo: 
taniker, der Archaͤolog, der Hiftoriker, der Etnograph, der Ma⸗ 
ler, der Dichter, jeder wird in bdiefem Werke reihen Genuß 
und reiche Belehrung, alle werden Begeifterung ber deutſchen 
Baterlandsliebe finden. , 

Der ler wie der Marſchländer müflen dem wadern 
Thüringer für diefes Gefchen? dankbar die Hand drüden. Ein 
@übdeutfcher, aus ber geliebten Ulpenbeimat verbannt, bat eb 
im hoben deutfchen. Rorden gelefen, und dabei in füßen Heim: 
weh gefchwelgt. Sranı Schuſelka. 





Notizen. 
Englifhe Zuftände im 18. Jahrhundert. 
Als Beitrag zur Kenntniß englifcher Zuftände und Sitten 
im 18. Jahrhundert, befonder& in der vornehmen Welt, kann 
folgendes Bud: „George Selwyn and his contemporaries; 


‘ with memoirs and notes’, von John Deneage Jeſſe (4 Bde., 


London 1843 — 44) , betracgtet werden. Man lernt die Geiſt⸗ 
reihen und Witzigen, die Schönen -und die Staatsmaͤnner je: 
ner Zeit und fo manches Andere darin Eennen. Wahrhaft Fo: 


miſche Gemälde werden uns bier in Menge ausgeftellt. „Eine 


von Selwyn's Eigenheiten”, fagt Iefle, „war die, nicht al- 
lein jeden an ihn während feines langen Lebens gerichteten 
Brief, fondern auch die unbedeutendften Bettelchen und unwich⸗ 
tigſten Memoranda aufzubewahren.” Diefer Eigenheit hat der 
Lefer das Vergnügen zu verdanken, welches er aus der Lecture 
diefer Bände fhöpft. Der größte Theil ihres Inhalts befteht 
aus Briefen, welche von Perſonen, die zu jener Zeit, durch 
Rang, Wis, Genie und feine Lebensart fi) außzeichneten, an 
Selwyn gerichtet wurden. Unabhängig von ihrem allgemeinen 
Berbienft als briefliche Eompofitionen glaubt der Herausgeber, 
diefelben werden im boden Grade fehagbar und unterhaltend 
befunden werden wegen bes Lichte, welches fie auf die Sitten 
und Gebräuche der ſchoͤnen Gefellfchaft im legtvergangenen Jahr⸗ 
undert werfen und weil fie fowol eine trete Chronik der vor- 

bergehenden Begebenheiten des Zags darbieten als eine Menge 
amufanten Gefchwäges und munterer Anekdoten enthalten. Es 
tft ein Buch für die elegante Welt, für die Salons gefchrieben, 
wie die „Briefe eines Verſtorbenen“, die zu unferer Seit bei 
einer gewiffen Elaffe von Lefern in Deutfchland fo vielen Bei⸗ 
fall gefunden haben. George Auguftus Selwyn trat in die 
Welt mit jedem Bortheil der Geburt und vortbeilhafter Co⸗ 
nerionen; dazu Fam zu rechter Zeit ein gehörige Bermoͤgen. 
Sein Bater, Oberft John Selwyn, von Magon in Glouceſter⸗ 
fire, wo die Familie zu den angefehenften in der Gegend ge: 


hörte, war Adjutant des Herzogs. von Marlborough gewefen, 


commanbdirte ein Regiment, faß viele Jahre im Parlament 
und befleibete mehre Hofchargen. Gene Mutter, Tochter des 
Generale Favrington, war Kammerfrau bei der Königin Ka: 
roline, umd genoß viele Anfehen wegen ihrer wigigen und hu⸗ 
moriftifchen Laune. Da fein Bater ein fchlichter gewöhnlicher 
Mann war, fo muß man annehmen, der Sohn habe feinen 
witzigen Seift von feiner Mutter geerbt. Selwyn wurde am 
Il. Auguft 1719 geboren und erhielt feine erfte gelehrte Bil: 
dung zu Eton und ftudirte nachher zu Orford. Nachdem er 
kurze Zeit auf der legtgenannten Univerfität zugebracht, ging 


. er auf Reifen und machte nach feiner Ruüͤckkehr London. und 


Paris zu feinem Lieblingsaufenthalt, wurde Mitglied des Clubs. 


und Fam in Verbindung mit Männern von Geift, Witz und 
feiner Welt. Bald bekam er auch eine Sinecure, wobei er 
nichts weiter zu thun hatte als großen Diners beizuwohnen, 


wobei er Gele enheit fand, mit feinem Witz zu glänzen. In 
feinem 25. Jahre und nachdem er fidh fchon zu einem vollen» 
deten Weltmann gebildet, fiel e8 ihm wieder ein, noch einmal 


nach Drforb zu gehen, angebli um feine Studien fortzufegen, 


woraus jedoch nichts geworben zu fein ſcheint. Der Vater von 
George Selwyn ftarb 1751 und fo Fam Letzterer in feinem 32. 
Jahre zur Erbfchaft und konnte dadurch von der Seit an noch 
comfortabler und comme il faut leben. Beinen Umgang wählte 
er in der feinften und vornehmften Geſellſchaft, in dee er we⸗ 
gen feines Wiged und feines Humors ſehr willlommen war. 
Er war überhaupt weder um mäßig noch ausfchweifend, aber 
genoß das Leben als ein Alles Hug berechnender Epikuraer. 
it den geiftreichften, angefehenften und bochftehendften Per⸗ 
fonen feiner Beit ftand er in fleter Berührung. Was dem hier 
erwähnten etwas zu corpulenten Buch das meifte Intereffe gibt, 
ift daß wir aus demfelben auch feine bedeutendften Beitgenoffen 
und ihr Leben und Zreiben kennen lernen. 31. 


Ein Brief Luthers. 

Dos Weihnachtsprogramm der Albertusslintverfität zu Königs- 
berg theilt unter andern auf Luther's Tod bezüglichen Actenſtucken 
das Facſimile eines Briefd mit, welchen derfelbe wenige Lage vor 
feinem Berfcheiden an feine Gattin fihrieb. Das Driginal befindet 
fi in der Wallenrodt’fchen Bibliothef und der Brief lautet: 
„Der Ziefgelereten Brawen Katherin utperin meiner gnedigen 

Hausfrawen zu Wi erg 

Gnad und fried, Liebe Kethe. Wir figen bier und laſſen 
ons martern. Und weren wol gern bauon. Uber e8 San noch 
nicht fein (als mid duͤnkt) ynn adht tagen. SM. philippo magſtu 
fagen, das er feine poſtill corrigire, denn er hat nicht verftan- 
den warumb der Herr ym Euangelio, den reihthumb Dornen“ 
nennet.. Hie ift die fchule da man ſolchs verftehen lernt.” 
(Luther war belanntlih nach Eisleben berufen, um die zwi: 
fchen den Grafen von Mansfeld entftandenen Handel zu ſchlichten.) 
„Aber mir gramwet das allewege, ynn der fihrift, den Dornen 
das feuer gedrawet wird, darumb ich befto großer geduld habe, 
ob ich mit Gottes hulffe mochte etwas guts ausrichten. Deine 
Söhnchen find noch zu Mansfelt. Sonſt haben zu freffen und 
fauffen gnug, vnd hätten gute tage, wenn ber verbrießlide 
handel thet. Mich dunkt der Teuffel fpotte vunfer, Bott wolt 
yhn wider fpotten. Bitte fur ons. Der Bote eilete feer. 
Am &. Dorothen tag (6. Febr.) 1546. 

" Martinus Luther, D.“ 

Die beiden andern, in derfelben Univerfitätöfchrift enthal- 
tenen Actenftüde find „D. Iuftus Ionas Schreiben an Churf. 
Johann Friedrichen, dat. zu Eisleben, Donnerftage nad Ba: 
Ientini den 18. Februari 1546” und „Vom Chriſtlichen abſchied 
aus dieſem tödtlichen Leben des Ehrwirdigen Herrn D. Mar: 
ini Qutheri, bericht dur) D. Zuftum Jonam, M. Michaelem 
Gelium, und ander die babei gewefen, kurz zufammen gezogen”. 


Genügfamteit. 
Friedrich II. Fam als Kronprinz im 3. 1735 nad) Könige: 
berg, „da denn bie Zünfte derer Kaufleute fchlüffig wurden, 
an Ihro Hoheit ein Memorial zu übergeben, darin felbige ihre 
Befchwerden vorftelleten”. Unter den Yamilienpapieren des 
Kauf: und Handeldmannes und Wettaffeffors Polikein, welcher 
das Memorial verfaßte, hat fi auch die von Dem Kronprinzen 
ertheilte Antwort vorgefunden. Sie lautet: „Ich banke —* 
die mtr abgeftattete Gratulation, was aber Euer den Handel 
betreffendes Suchen anlanget, fo ſehe . vor der Hand fein 
Mittel, Euch zu helfen. Ich bin Euer affectionirter Friedrich.” 
Man ſollte glauben, eine folde Antwort müßte Peine große 
Freude bei den Bittftellern erregt haben; daß aber loyale Ge⸗ 
nügfamleit damals noch eine Tugend der Aönigkberger gewe- 
fen, erfehen wir aus folgender handfchriftlicden Bemerkung des 
Polikein: „Mit diefer erhaltenen Antwort waren die Zünfte 
höchſt vergnügt, mir aber vor die Verfertigung und Über: 
gabe dieſes Memorials fehr obligirt.” 13. 


Berantwortlicher Herausgeber Heinrich Brodhans. — Drud und Verlag von F. M. Drockhaus in Leipzig. 


Blatt er 


« 


. für 


literariſche Unterhaltung. 





3. Juni 1846. 





Englifhes Schriftenthum. 

I. -Skeiches of the histery of literature and learning in 

land from the Norman eonquest to the accession of 
Elisabeth, with specimens of the prineipel writers. By 
Geo. C. Craik. Bwei Bände. London 1844. 

9. Cyclopaedia of English literature, a history, critieal and 
biographical of British authors from the earliest to the 
present times.. Edited by Rob. Chambers. Zei Bände. 
Edinburg 1844. Ä 
Es find jegt 70 Jahre verfioffen, feit Warton mit 

feiner „Gefchichte der englifhen Dichtung“ hervortrat, 

und noch immer iſt biefelbe das einzige umfaffende und 
größere Werk, in weichem man fich über das altenglifche 

Schriftenthum Raths erholen Tann. - Nicht als wäre 

Barton’ Wert von fo hoher Vortrefflichkeit, daß es 

eine fo gar ſchwere Aufgabe fein würde, ed zu übertref⸗ 

fen; Warton fehlte ed weder an Gelehrſamkeit noch an 

Geſchmack, aber befio mehr an Gruͤndlichkeit, obwol er 

in allen feinen Unterſuchungen ſtets den Schein der- 

felden anzunehmen trachtete. Sein Urtheil ift oft Nach 
und unbegründet, feine Sprachkenntniß zu gering. Nicht 
als wenn feit Warton nicht neue Entbedungen gemacht 
worden wären; da ift faft kein noch fo bebeutenber Theil 
des altenglifchen Schriftenthums, der feitdem nicht bear: 

Beitet und über den dadurch nicht ein neues Licht ver- 

breitet worden wäre; viele zu Warton's Zeit noch un- 

bekannte, in Bücherfammlungen vergrabene Werke find 
feitbem erſt befannt und alles früher Bekannte ifl einer 
fhärfern Kritid unterworfen mworben. So ifl denn jegt 

Warton's „Geſchichte der englifchen Dichtung” ein Werk, 

das man nur mit der äufßerften Vorficht gebrauchen darf; 


am nüglichften ift gegenwärtig noch die neue Auflage | 


von Dr. Price (1824), in der mwenigftens ein Theil der 
neuern Forfhungen nachgetragen if. Die. Zahl derjeni- 
gen Werke aber, in denen ſich einzelne Kragen aus der 
Gefchichte der englifchen Dichtung behandelt finden, 
iſt fo überaus groß geworben, daß ſchon ein bloßer Leit- 
faden durch diefelben eine bantenswerthe Arbeit zu nen- 
nen wäre. 

- In dem zuerfi genannten Buche wird und etwas 
Derartiges geboten; es will eine kurze Anſicht alles Deffen 
liefern, was die neuern Forſchungen in Bezug auf das 
altenglifche Schriftenthum Neues und Wichtiges zu Tage 


' erlangen wünfct. 





lehrten dienen, indem es Erſterm bie wichtigften Ergeb⸗ 
niffe der Forſchungen in kurzem Abriſſe bietet und Leg- 
term bie Quellen nachweift, aus denen weitere Belch- 
rung zu fehöpfen ift; kurz, es will den Engländern ein 
Koberftein werden. Bon diefem Gefihtspunfte aus an- 
gefehen ift das Buch vortrefflih und ein ebenfo unent- 
behrlicher als wohlfeiler Keitfaden für eben, der eine 
genauere Kenntnif des alten Englands rückſichtlich fei- 
ner vwiffenfchaftlichen und bichterifchen Beftrebungen zu 


Schen wir uns etwas näher nad) dem Inhalte de 


vorliegenden Buchs um. In ber Einleitung (S. 9—41) 


behandelt der Verf. die Zeit vor der Eroberung durch 
Normannen. Die angelfähfifhen Schriftwerke werben 
bier ebenfo kurz ‚abgethan als bie gleichzeitigen ältern 
Werke in itifcher, welfcher und Iateinifcher Sprache; 
und dies mit vollem Rechte, denn das angelfächfifche 
Schriftenthum ift, wie der Berf. fagt, nur eine unter 
der Erde verborgene Wurzel, die mit dem Englifhen in 
feiner fichtbaren Verbindung fteht. Gin fühlbarer Zu⸗ 
fammenhang findet flatt zwifchen der franzöfifchen und 
der altenglifhen Dichtung; denn die aͤlteſte Dichtung 


- ber Engländer nad) der Eroberung ift mehre Jahrhun- 


berte hindurch nur Franzöſiſch, und die neuern Unter: 
fuhungen namentlich. der Franzofen haben bewiefen, 


daß ein großer Theil der nordfranzöfifchen Dichter bes 


12. und 13. Jahrhunderts wirklich Engländer waren 
und für englifche Lefer fehrieben. Nicht ganz beiflim- 
men können wir dem Verf. in Dem, was er (©. 32) 
über die angelfächfifhe Sprache fagt: | | 
Was wir das AUngelfächfifche nennen, ſcheint gewähnlich von 
dem Wolke, das es ſprach, die englifche Sprache (lingua Anglica) 
genannt worden zu fein, ſchon von Beda an, vor deffen Beit 
ereits die verfchiedenen Mundarten, welche die Angeln, Sad: 
fen und Züten fprachen, als fie zuerſt heruͤberkamen, vollftändig 
in wefentlich eine Sprache zufammengefcfmolgen waren, obwol 
fie fiher in den verfchiebenen Iheilen bed Landes mit mund: 
artlicher Verſchiedenheit nicht nur geſprochen, fondern auch ge: 
fchrieben wurde. 

Der Derf. hätte beffer jagen follen, Daß die verſchie⸗ 
denen Mundarten der Angeln, Sachen und Jüten ſchon 
wefentlih eine Sprache waren als diefe Stämme her- 
überfamen; wären fie dies nicht geweſen, fo würden wir 


° gefördert haben; es will dem Gebildeten wie dem Ge | wol noch jegt in den englifhen Munbarten Beweiſe da- 


3. B. zwiſchen dem Oberbeutfhen und dem Riederdeut⸗ 
fchen ſtattfindet, gibt es nirgend eine ſichere Spur. Der 
Berf. foheint ferner fagen zu wollen, daß biefe Stämme 
ſchon in fo früher Zeit eine Geſammtſprache angenom- 
men und die Mundart ber Angehn dazu auserfehen Yät- 
ten. Schwerlich dachten die einzelnen Stängme, fo lange 
fie fih noch als befondere Stämme fühlten und nicht 
zu einem Reiche vereinigt waren, daran, eine Gefammt- 
fprache anzunehmen; wenn zu Beda's Zeit von der lin- 
gua Anglica die Rebe ift, fo bedeutet dies ſicher nur 
die Mundart der Angeln; Beda felbfi war ein NMorth- 
umbrier und die Northumbrier find nach der „Sächſi⸗ 
hen Chronik“ ein Theil der Angeln. Durd das Über- 
gewicht, was die Angeln in flaatlicher Berichung erlang- 
ten, vermochten fie endlich auch, dem Lande und der 
Zandeefprache ihren Namen zu geben, den aher die 
Hohländer in Schottland und die Bewohner von Wa⸗ 
led bis auf den heutigen Zag noch nit durchgängig 
anerfannt haben, die immer noch den Namen Sachſen 
für die Engländer gebrauchen. 

Das Wert felbft theilt der Verf. in vier Bücher, 
‚Das erfte umfaßt die Zeit von der Eroberung bie zu 
Anfang des 13. Jahrhunderts, dem Zeitpunfte, wo das 
Engliſche zu entftehen anfing; das zweite führt ung bie 
zu Chaucer; das dritte behambelt die großen Dichter des 
14. Jahrhunderts und die erften Anfänge der Profa, und 
das vierte ſchließt mit der Mitte des 16. Jahrhunderts ab. 

Das erfte Buch hat es ausfchlieglid mit lateinifchen 
und franzöfifchen Schriftwerken und mit dem Bildungs- 
ftande der Normannen und der Angelfachfen im I1. und 
12. Jahrhundert zu thun. Namentlich in legterer Hin- 
ſicht ift viel Wichtiges mitgetheilt über den Einfluß ber 
arabiſchen Gelchrfamkeit, über ſcholaſtiſche Philoſophie, 
über Schulen und Univerfitäten, ben Stand der Wiffen⸗ 
ſchaften und über das Verhäaͤltniß der lateiniſchen, fran⸗ 
zöfifchen und angelfähfifchen Sprachen zueinander. Das 
Lateinifche ift während bes größern Theile dieſes Zeit- 
raums die Schriftſprache, das Franzöfifche die Sprache 
des Hofes und ber Vornehmen, das Angelfächfifche be- 
ſchraͤnkt ſich allmälig auf die niebern Stände bes ſächfi⸗ 
fen Volks: es hörte auf Schriftſprache zu fein und 
lebte nur in den Volksmundarten fort. Das Wltengli- 
ſche ſteht daher zur angelfächfiichen Schriftſprache kaum 
in einem nähern Verhältniſſe als die romaniſchen Spra⸗ 
hen zum kateiniſchen; das Mittelglied bildet hier wie 
dort die Volksſprache, bie lingua rustica. 

Die ſchriftſtellexiſche Thätigkeit in England während 
bes 11, und 12. Jahrhunderté war durchaus nicht un⸗ 
bedeutend. Es fallen in diefe Zeit die Philofophen John 
of Salisbury und Peter von Blois (Petrne Blessencis), 
die Berichts, Fa See reihe William pf an 
mesbury und Geo of Monmonth, die franzoͤſiſchen 
Zeitbũcher von Sr Fr und Benoit unb viele 
andere Werke Ahnliher Art. Auch die erften Anfänge 
franzöfifcher Romane finden ſich bersit# vor. Die Er⸗ 
»  zeugniffe diefer Zeit, die lateiniſchen wie bie franzöftfchen, 


| 014 . 
von haben; aber von einer Lautverſchiebung wie fie | 


haben auf die fpätere altenglifche Dichtung bedeutend 
eingewirft und verdienen daher eine forgfältige Beach⸗ 
tung von Jedem, ber tiefer in die altenglifche Dichtung 
einzudringen wünfcht. 

(Die Fortſetzung folgt.) 


. 


Darftellung des Erzichungswefens im Zuſammenhange 
mit der allgemeinen Gulturgefhichte. Von Emil An- 
halt. Iena, Mauke. 1845. Gr. 8. 17’ Nor. 
Daß die allgemeine Aufmerkſamkeit gegenwärtig in hohem 
Grade auf das Erziehungsweſen gerichtet ift, —— on 
auf einer befondern Vorllebe der Feitgenoffen für die paͤdage⸗ 
ifche Wiſſenſchaft ald aus andern Urfachen zu erklären fein. 
jenn man einfimald von Rouſſeau begeiftert war, eine Meile 
mit Baſedow fhwärmte, ſich weiterhin einer innigen Bemun- 
derung Peſtalozzi's hingab und noch vor gehn Jahren pro und 
contra Lorinfer papierene Schlachten lieferte, fo war es ein 
unmitselbaues padagogifches Intereffe, weiches fih Für dieſe 
Erſcheinungen Zund gab und fie in allen : Einzelheiten 
ergriffs jegt aber hat das größere Publicum keinen Sinn mehr 
für ſolche ſpecielle Dinge, und felbft wenn irgend ein fpeculati- 
ver Kopf die abfonderlichfien paͤdagogiſchen Erfindungen machte, 
etwa einen mechanifchen Apparat zur Verbreitung moralifher 
und religiofer Empfindungen ankündigte oder ein Patent bar 
auf naͤhme, Scheling's Dffenbarungsphilofophie Dem gefunden 
Berftande zugänglich) zu machen, fo würbe ſich DaB Tagesge⸗ 
ſpräch doch nur vorubergebend damit befchäftigen; dergleichen 
Sachen haben ihre Anziehungskraft verloren, denn es handelt 
fi) jezt weit weniger um diefe oder jene technifche Bervol⸗ 
fommnung der Bildungsmittel als um die Gefinnung, weide 
man der heranwachſenden Generation einpflanzen möchte; nit 
mehr um die Urt, wie die jugendlichen Köpfe mit allerlä 
Kenntniffen zu füllen find, fondern um die Ei begung oe 
— des Geiſtes, um die Concentration und Richtung 
des Gefühle auf Das, was den Erziehern, freilich in fehr ver» 
fyiebenem Sinne, al& be Aufgabe Der Zeit vorſchwebt. Eo 
jenen wir die entgegengefegten Parteien, Eiberale und Eervile, 
eifrig um Dielen Gegenfland kaͤmpfen; ftatt fh jedoch über 
Humanismus, Realismus u. |. w. herumzuzanken, find fie viels 
mehr beftrebt, fich der ganzen Sugendbildung zu bemädtigen, 
diefelbe ihren Zwecken dienſtbar gu machen, d. b. aus den 
nahen folche Mönner zu erziehen, die deseinft für die Freb⸗ 
beit wirken oder fich Der Knechtſchaft willig fügen werben. 
Nur wegen des genauen Zuſammenhangs, in welden die 
vorherrſchenden politiiden Intereffen mit dem Erziehungsweſen 
etreten find, werden die neuen Einrichtungen in fegterm mit 
0 großer Theilnahme beachtet; kaum ergeht baber eine neue 
Veroxdnung über Bepranfialten, fo wird fie. im FR ne eiaer 
lebhaften Discuffien unterworfen, auf das ſchä zergliebert, 
vornehmlich aber ihre politifche Tendenz bloßgelegt. ifpiefe 
hierfür in Menge darbieten; wir erinnern nur an 
iniſter Salvandy (als Zugeſtändniß an den roͤm⸗ 
fihen Stuhl) betriebene Ungeſtaltung ded Univerfitätsregges, die 
in Dftveich gefchehene Übertragung des Unterrichts an die Je⸗ 
fuiten, die in Preußen verorbnete (nur wenig ge Ausführung 
gelommene) Einführung der converfatorifhen Methode auf den 
niverfitäten, die ebendafelbit 





tigkeit 


65 


nahme der weitern Kreiſe findet, ſondern nur infofern als die 
uf baffelbe unternommenen Einwirkungen eine politiihe Wich⸗ 

aben. Wenn fih nun dad öffentliche Urtheil über alle 
felche Reuerungen an die Frage hält, ob diefelben dem Port- 


ſchritte günftig find oder als Mittel für die Zwecke der Reac⸗ 
% darf man dem gefunden Sinne ded Volks vers 


tion dienen, I 
trauen, daß diefe Frage größtentheild richtig von ihm beant: 
wortet wird. Will man aber den ſchlichten Menfchenverftand 
allein nicht für befähigt crachten, Bier zu richten, verlangt 
man wiffenfihaftliche Degründungen, fo Bann die Kritik des 
Beftehenden und Werdenden entweder mit dem fogenannten 
modernen unmittelbaren Bewußtfein vollbracht werden ober, 


Id auf aefchichtliche Forfhung flügend, Dahin traten, die 


ergangenheit Mar anzufhauen, ihre Entwickelung zur Gegen 
wart zu verfolgen und hieraus das Weſen und die Foderungen 
des letztern zu erfaflen. Diefe biftecife Behandlung hat frei: 
lih mehr Unbequemlichkeit ald die Dperation des unmittel: 
baren Bewußtſeins; dafür hat fie aber auch einen feftern Bo⸗ 
ten ımd es läßt fi ſchon cher ein brauchbares Gebäude dar: 
auf errichten. ' 
Bon diefer Anficht ausgehend, erfcheint uns bie vorliegende, 
mit gediegener Geſchichtskenntniß und pbitofophilisen eifte 
serfüßte „„Darftellung des Erziehungswefens im Zuſammenhange 
mit der allgemeinen Eulturgefhichte” eirier vorzuͤglichen Beach⸗ 


tung werth. Klare und ruhige Anſchauung der Berhältniffe 
führt bier zu einem fidhern ee über die. Hiftorifchen Ge . 


ſtaltungen, und indem der Derf. den pädagogiichen Geift der 
verfchiedenen Voͤlker und Zeitalter vorführt, maht er es der 
Gegenwart leicht, zu ermitteln, inwieweit ihre Erziehungsten⸗ 
denzen mit dem orientalifchen, griechiſchen, römijchen oder mit: 
telalterlihen Wefen verwandt find. Der Nutzen joldher Er 
Eenntniß liegt zu fehr auf der Hand, als daß wir erft noͤthig 
hätten, ihn nachzuweifen, und fchon um Diefes Nutzens willen 
verdient die Schrift des Hrn. Dr. Anhalt von recht Vielen 
gelefen zu werben. | 

Der Berf. beginnt mit der Wiege der. Menfchheit, dem 
Drient. Hier ift die menſchliche Entwidelung über - eine 
wiffe, ſchon vor vielen Jahrhunderten erreichte Stufe nieht Gin 
auögefommen ; bie orientaliſche Cultur if trog ihrer Pracht 
und ihres Reichthums eine wenn. nicht geifllofe, doch geiftig 
unfreie, und ihr Charakter beſteht mehr oder minder darin, 
daß das Individuum als ſolches nicht berechtigt iſt, Sich nicht 
felbft beftimmen, nicht frei handeln kann. Am ftörffien tritt 


dieſer Charakter in Brahmaismus bervor, unter welchem das 


Individuum feinm Stand und feine Beſchäftigung nicht fſelbſt 
wählt, fondern zu Diefem oder Ienem naturbeftimmt ift und 


durch feine Geburt einer Kae angehöst.. Wenden wis ins 


von ba zu den Ehinefen, fo finden wir als Gegenſtand ihrer 
Verehrung die Zweckmaͤßigkeit und Regelmaͤßigktit in des Ra⸗ 
tureinrichtung, den Berfland der Natur. Ale der Himmei 
if pi bie Geſetzmaͤßigkeit der Natur im Allgemeinen; biefe 
muß au 
ins Kleinfte beſtinunt und nichts dem Zufalle über 
den; bdeöhalb hat der Himmel einen irdiſchen Statthalter und 


Berwalter, den Sohn des Himmels, den Kaifer. Der Kater 


ift der eigentliche Gott auf Erden, er ordnet die menſchlichen 
Einrichtungen und gibt vortreffliche, Alles berüciichtigende Ge 
fege, die durch eine GStufenfolge von unzähligen Beamten ge 
bandhabt werden, ſodaß nichts geſchehen kann, was nicht vor: 
hergeſehen und beftigums waͤre. Dex Kaiſer if bie Vorſehung 
jelbft und deshalb ift auch das Vertrauen auf ihn grenzenias. 
In der That kann. 48 nizgend eine georbnetsze Bermältung, 
eine beſſere Policei geben alß in China. Das Migenthe 

des chinefifchen Bewußtſeins iſt, daß es fig nur frei füͤhlt, wo 
eB ih innerhalb genau beſti B ifien und 
bewegt. Die Individuen ſind nicht beſinnnt in ſich, fie laſſen 
ſich Daher zu un beſtimmen. Der 
ften in einer Beichäftigung, weiche die genaueſte, Bleinfichfk 
Aufmerkſamkeit verlangt, worin er Sch felbft am meiſten äufen 


| bed Volle ericheint als Wille und Leit 
| ſehr das jüdifche Votk fein Lieblingsvolk iſt, jo ftcht es doch 


4 im Einzelnen gehandhabt werden, ed muß les kb 
faflen wer | 


ineje ift am glüdliche . 





lich und in feiner Thaͤtigkeit am puͤnktlichflen De 
Darym iind Die Chinefen fo groß im ‚Kleinen und überkse en 
die Burepäer in mechanischer Gaſchicklichkeit und feiner Arbeit. 

Während die indiſche Anſchauung im Buddhaismus und 
im Ghinefenthume zu größerer Abſtraction fortgeführt iſt, ſo 
erſcheint in der Zoroaſter'ſchen Lehre bie Einheit und Unenb⸗ 
lichkeit. der Katurſubſtanz aufgehoben und ihre Macht über das 
Individuum in etwas gebrochen. Bier fichen Ach das gute 
und dad böfe Yrincip gegenüber; ihr Kampf bewegt die Weit, 
aber Drmuzd wird zuleht firgen. Der Menſch iſt in Diefen 


Kampf hineingeſtellt, um das Princip Des Lichte, Des Meinen " . 


und Guten zu fördern, bem Böfen und Schäblihen Abbruch 
u thun. Dad Inbisibuum gewinnt alfo Hier einen objectiven 
Zweck und einen formel freien Willen: es fol ſich felbft zum 
Buten befiimmen. Agypten ift durch feine natürliche Beſchaf— 
fenbeit, als ein enges, ſchlammiges, regelmäßigen Überfihwen- 
mungen audgefehtes, von öden Gebirgen und brennenden Wü⸗ 
ſten begrenztes Flußthal, geeignet, die Raturagfhaumg zu 
contentriren. Die Goͤtter werden menſchlicher und perſoͤnlicher 
gefaßtz der Menſch weiß ſich in und über ber NRatur, aber 


j wicht ihe gegenüber. Der Geift bat noch nicht die Macht fh 


durch ſich ſelbſt darzuſtellen, weil er zwar aus der Natur ent 
wickelt, aber nicht von ihr erloͤſt if. Im Judenthum erfcheint 
bie Gottheit ala das Zenfeit der Natur. Die Ratur ift für 
Zehovah nur Schmud, der Himmel fein Ihren, die Erde fer 
ner Fuͤße Schemel, oder fie ıft Mittel für feine Bwede. Der 
Zweck Jehovah's aber ift das jüdifche Volk; er iſt der Gott 
Iſraels und leitet und regiert fein Volk, um 28 einft zu großer 
Herrlichkeit und zur Herrſchaft über "die Völker der Erde zu 
führen. Das bite Bolt ift demnach das Volk der Hoffnung. 
Es iſt an ſich das Volt, das einzige Boll, weil es allen fein 
Volksthum als das Abfolute fait, es hat folglich die Wendenz, - 
ale andern Volksthümlichkeiten zu negiren. Die Entwidelung 
Jehovah's; aber fo 


su ihm in Beinem freien Berhältniffe, fondern: im firengm - 
Knechtsdienſt. 

—Alles Dies zuſammengefaßt liegt es im Charakter der 
orientaliſchen Erziehung, daß von einer Ausbildung der Indi⸗ 
viduen als ſolcher zu geiſtigen Beſtimmtheiten wenig oder gar 
nicht die Mebe fein kann. Die Individualität iſt überhaupt no 
nicht zur Berechtigung und Unerfennung gefommen. Die Be 
fiimmung des Individuums ift eine äußerliche, die ihm eines⸗ 
theils durch ben Zufall der Bebunt, anderntheils durch Abridge 
tung gegeben wird. Die Stabilität der orientaliſchen Cultur 
bat darin ifeen Grund, daß das orientaliſche Bewußtſein ſich 
ſelbſt an die Matur veräußert hat; und aus ſich ſelbſt if 
— freien: Entwirkelung fähig, fo lange diefe Beräußerung 

er ‘ 
Während im Driemt der Geiſt in die RNaturſubſtanz ver» 
fenft bleibt, oder ſich hoͤchſtens als das abfiracte Jenſeit ber 
Roter erfaßt, erſcheint er im Griechenthum von der Ratur 
estöft und fuel, Aber.fo, daB er die lebendige Beziehung auf 
* Natur Me 35 nn nd jede he BE 
immtheit, j o eit in der eit der anz Um 
ter; der Grieche dagegen erfaßt ſchatf und feinſinnig die Ras 
turunterfihiede, und erſt bie Beftimmtheit, die abgeſchloſſene 
und ausgeprägte Griftenz iſt ihm die Sirklichkeit des Geiſtes 
Dei dem Griechen, der ſich Dem macht was er ifl, war 
die Erziehung ein wichtiger Seit des öffentlichen Lebens, und 
wol ift fie bei feinem andern Voike in gleider Weiſe Gegen⸗ 
fand ded allgemeinen Intereffe, fo wahrhefte Volksſache ge- 
wem. In dem Staate, der die eine Seite des eigen 
Lebens, die fireng » fittliche Seſchloſſenheit und das’. Aufzg 
der Einzelnen im Staatezwecke vorzüglich vertritt, in Sparta, 
war die Erziehung range und allen Sache des Etacts. 
Die griechiſche Erziebung, infofern fie bie Herandifdung ber 
Individualität zum Zwecke hat, zerfällt bekanntlich in Die mig 
fiiche und gymmaſtiſche. Die. Beſtimmung und Bebdeutung des 


ſtaltung, feine 


616 


riechiſchen Bolksgeiſtes beftend darin, die Natürlichkeit zu 
Setalten und ya Dergeifigen 3 aber diefe Pre des 
Ratürlichen ift Feine abftrarte Regatien, keine Berniptung 
deffelben, fie ift vielmehr zunaͤchſt ein liebendes und finniges 
‚Eingehen auf daffelbe, die — an der Natur. Die natur⸗ 
freudige, lebendige Sinnlichkeit iſt es, welche die Anfaͤnge des 
griechifchen Lebens wie ein erfriſchender Haud bed anbtedpeft: 
den Morgens umweht. Auf Ausbildung eines Bräftig- ſchoͤnen 
Körpers dur die Gymnafit wurde ein abfoluter Werth ge- 


Segt. Die Kräftigung, die der Körper dur Arbeit und 
r“ f erhält, ift Fine zufällige und, weil nicht bevechnete und 


beabfichtigte, auch meiflens eine einfeitige. Diefe Einſeitigkeit 
* auch — ben, dof die arbeitende Thaͤtigkeit auf einen 
Seftimmten äußerlihen Zweck gerichtet if. Indem hingegen 
die Gymnaftil die Kräftigung des Leides als eines Ganzen 
anfirebt, wird zugleich die Form beifelben alfeitig herausge⸗ 
Bidet. Hierin liegt zugleich der Übergang zu dem zweiten 
Momente ded gynmaſtiſchen Unterrichts. Der Körper foll, fe 
wie feine und Formen entfaltet werden, in biefer Ent: 
faltung doch als ein Ganges und in barmonifcher Einheit er- 
ſcheinen, die entwickelte Fülle der Natürlichkeit foll durch an⸗ 
mutbige Haltung gemäßigt und beherriht werden. Sing nun 
aber die Gymnaſtik kavon aus, im @egenfage zur Arbeit, die 
Bewegung um ihrer felbft willen zu üden, Gpiel zu fein, fo 
liegt darin, daß fie zur Selbſtbeherrſchung ober bapin führt, 
daß man den Körper in feiner Gewalt bat, bie Hindeutung 
auf die Zwecke, die außerhalb der Gphäre des Unterrichts lie: 
gen. Denn ferner war bie Gymnaſtik vorbereitend fir das 
Sehen. Der Körper fol nicht nur deshalb gekraͤftigt und zur 
Anmuth und Würde der Haltung gebildet werden, um eine 
fchöne und befriedigende Erfheinung dargubieten, er fol auch 


. dadurch für die Foderungen des Lebens, d. h. hier der öffent: 


lichen Thaͤtigkeit, tüchtig gemacht werden. Den mufifchen Un⸗ 


terricht kann man zwar im Allgemeinen als den bezeichnen, 


welcher fih auf die Seele bezieht, während fich die Gymnaſtik 
ben Körper beſchaͤftigt Daß aber der Segenſatz zwiſchen 
Leib und Seele ein abftracter und flarrer ift, liegt durchaus 
im Wefen bes griechiſchen Beiftes, und fo wird man aud in 
Bezug auf die Erziehung an keine gleichgültig nebeneinander 
laufende abgefonderte Wusbildung der Seele einer: und des 
Leibes andererfeits zu denken haben. Nach Plato foü die Gym⸗ 
maftit die Seele ermuthigen und fräftigen, ber muflfche Unter: 
richt fle Dagegen mildern und fänftigen. Ohne die Gymnaſtik, 
meint er, würde die Seele in Weichlichkeit verſinken, ohne den 
muſiſchen Unterricht verrohen. Dex erfte Zweck der griechifchen 
Erzichung ift, daß der Menſch, dem gemeinen Beburfniß, der 
gemeinen Luft enthoben, zu einem edeln &elbftbewußtfein, ei⸗ 
nem fchönen Stolze gelangt; der zweite, daß er, der vollendete 
Menſch, feine —** Aufgabe darin ſieht, Buͤrger zu ſein, daß 
er an der Verwirklichung und Geſtaltung ber Idee feines Staats 
felbſtthaͤtig und aufopfernd Theil nimmt. u Bu 
Im Begenfag des Sriechiſchen ift ber roͤmiſche Geift Fi 
naͤchſt praftii, d. h. nicht auf feine eigene Anfhauung in Ge: 
ideede Erfaſſung und Darftellung, fondern auf 
feine kräftige und wirffame Bethätigung nad außen gerichtet. 
Während den Griechen die Schönheit dad Höchſte und nicht 
nur die Wufgabe ihrer Kunft, fondern auch ihrer Erziehung 
und ihres Staatslebens ift, infofeen das legtere die fyöne Ge⸗ 
ftaltung der Volksthümlichkeiten bezweckt, ift das roͤmiſche Prin- 
ip der Rugen. Dem griechiſchen Weſen iſt bei aller Lebendig⸗ 
keit eine ruhige Klarheit, dem roͤmiſchen ein raſtloſes unermuͤd⸗ 
lies Streben eigen. Charakteriſtiſch für Rom ift fein Erobe⸗ 
rungägeift, fein ſcharfer praktiſcher Verſtand und feine uner⸗ 
mübdliche Billensenergie. Gegenſtand der hoͤhern Erziehung iſt 
die vebnerifche und kriegeriſche Ausbildung; dabei bemaͤchti 
fich der Römer der griechifchen Bildung dadurch, daß er ihr 
die ihm allgemein veritändliche und verfländige Form gibt; ein 
Product hiervon iſt die eigenthuͤmliche roͤmiſche Eleganz und 


thums gerichteten roͤmiſchen Geiftes erfcheint Cicero. Spaͤter⸗ 
bin tritt der gelehrte Charakter der römifchen Bildung immer 
mehr hervor und je weiter Die Auflöfung der römiſchen Bil⸗ 
dung als volksthuͤmlich beftimmter vorfchreitet, um fo mehr 
entwickelt ſich ihr innerſtes Weſen: Humanität, die nach Seite 
des Wiſſens Bielſeitigkeit, nach Seite der Form Eleganz und nach 
Seite der Geſinnung Anerkennung des Menſchlichen als ſolchen iſt 

An die Stelle des fich aufloͤſenden und in ſich zerfallenden 


Römerthums treten das Chriſtenthum und das Germanenthum 


als die beiden Hauptfactoren des Mittelaltere. Das germani- 
fhe Beben beginnt Damit, womit das römifche aufhört, mit der 
abfoluten Berechtigung der Perfönlichkeit. 

In Peiner Zeit hat man fo viel vom chriſtlich⸗ germani- 
ſchen Staate geſprochen und doch dürfte eine klare Vorſtellung 
von demfelben nicht hinreihend verbreitet fein. Die beiden 
Seiten des germanifchen Lebens find da8 Gemeinde» und Be: 
leitewefen. Db das Gemeindeweien in feiner Selbftäntigkeit 
und mit feinen Garantien für bie Unabhängigkeit der Einzel 
nen das Ideal ift, welches die heutigen Lobredner des chriſtlich 
germanifhen Staats im Auge haben, laffen wir unerörtert; 
fiherlih hat für Viele derfelben Das Geleiteweſen einen höhern 
Werth; in ihm iſt eine ausgezeichnete Perfönlicgkeit der Mittel: 
punft des „Geſindes“, und die Dienftmannen haben ihre Frei: 
heit und ihre Ehre in der freien Hingabe an ihren Führer zu 
fuhen. Während ſich alfo im Gemeindewefen der Zrog und 
die Unabhängigkeit, fpricht fi im. Geleitethum die Treue und 
Innigkeit des beutfhen Gemuͤths aus. Dort macht fich die 
Perfonlichkeit in dem Stolze der Selbfländigkeit geltend, bier 
ift Die unbedingte Unerfennung des Andern Die eigene 1 
digung. Wenn fonach die Hauptelemente des germaniichen Le⸗ 
bend miteinander in Widerſpruch fteben, fo kommt noch ein 
Drittes hinzu, das diefen Widerfpruch je nach den Umflänten 
bald hebt, bald verfchärft: die Kirche, deren Haupt und Diener 
die wichtigften Traͤger der mittelalterlihen Bildung find. Die 
Macht der Kirche im weltlichen oder vielmehr über dem welt: 
ligen Staate, ein Minimum von Gemeindewefen, ein Mari: 
mum von Geleitetbum, das tft eine Art von chriftlich » germa- 
nifhem Staat, wie er in neuefter Zeit von Manchem wieder 
erneuert und, mit einer ausreichenden Dofis Chineſenthum ver: 
fegt, der Welt zum Gefchen? gegeben werden möchte. Ber 
aber den Zweck will, muß auch die Mittel wollen; daher fieht 
man auch bin und wieder im Ersiehungswefen die entiprechen: 
den Mufter aus dem Mittelalter für die Jetztzeit hervorſuchen, 
aͤußerlich zwar etwas modernijirt, innerlich aber für die Zu: 
rüdführung des Geleiteweiens und der Kirchenherrfchaft vol 
tommen geeignet. 

Wir bedauern bei der zweiten Hälfte ded Buchs, die 
neuere Belt betreffend, abbrechen zu müflen; namentlich hätten 
wir gern noch bed Verf. treffende Bemerkungen über die phi⸗ 
Lofophifchen und paͤdagogiſchen Hauptperfonen des 18. Jahr⸗ 
hunderts beſprochen. Doch glauben wir in dem Vorſtehenden 
genügend angedeutet zu haben, wie fehr diefe an Belehrung 
und Anregung reihe Schrift die Aufmerkfamkeit aller Derer 
verdient, welche fich für Gufturgefchichte und Erziehungsweſen 
intereffiren. 13. 





Literarifche Rotiz aus Franfreid. 
Reifewerte. 

Die auf das ylänzendfte ausgeftattete —— — von 
Boiſſier („Voyagse botanique dans le midi de ’Kspagne”) iſt 
vor kurzem mit der 22. RKieferung zum Wbfi gediehen. 
Wenngleich bie rein wiffenfchaftliche Salt eine eigentfiche 
Beſprechung diefer Exrfheinung in d. BL. unftatthaft macht, fo 
wollen wir doch dieſes ebenfo umfaflende als werthvolle Wert 
wenigftens im Borübergehen erwähnen. Ben allgemeinem In⸗ 
tereffe ift Die „Voyage dans l’inde et dans le golfe persigque par 
l’Egypte et la mer Rouge’, von Fontanier. Vom erfien Bande 


» ab wichtigfter Vertreter des auf Werarbeitung des Kelenen- | haben deutſche Blätter bereits Auszuͤge gegeben. 1. 
Werantroortliher Herausgeber: Heinrich Brockdans. — Drud und Verlag von J. . Brockhans in Leipzig. 
\ 
L [| 








Blatter 


fur 


literarifde Un ter haltung. 





Donnerdtag, 


— Nr. 199. —— 


4. Juni 1846. 








Engliſches Schriftenthum. 
(BSortſegung aus Ne. 154.) 


Das zweite Buch bringt die franzöfifche oder viel- 
mehr englifch - franzöfifche (anglo -norman) Dichtung ded 
13. und 14. Jahrhunderts und die Anfänge englifcher 
Dichtung. Der Verf. zeigt fehr richtig das große Uber⸗ 
gewicht, das das Franzöfıfhe in England gewonnen 
hatte, und wie ed namentlicd, ſtaatliche Verhältniffe wa⸗ 
ren, die die Abfchaffung des Franzöfifchen und die Ein- 
führung des Englifchen in Parlament und Gericht, in 
Schule und Kirche zu Folge hatten. Doch geht er je- 
denfall® zu weit, wenn er (S. 184) fagt: 


Das Franzöjifhe war in Higden’s Zeit noch die Sprache, 


welche Die Kinder der Vornehmen von der Wiege an lernten, 


und die einzige, welche Knaben in der Schule fprechen durf: 
ten; die Folge daven war, daß fogar das Landvolk fie allge: 
mein verfland und zu gebrauchen ftrebte. 


Das Landvolk hat ficher nie mehr als einzelne fran- 
zöftfche Wörter .veritanden, wie der Verf. jchon aus dem 
Geſetze über die Einführung der englifchen Sprache, das 
er (5. 185) mitteilt, hätte erjehen können. In diefem 
ift deutlich gefagt, daß dies Gefeg gegeben wurde, 
weil ed dem Könige oft von den Geiftlihen, Derzögen, Gras 
fen, Baronen und von den Gemeinen gezeigt wird, was für 
großes Unglück Manchem in Ddiefem Neiche zuftößt, weil Die 
Geſetze, Gewohnheiten nnd Befehle diefes Reichs nicht allge⸗ 
mein gehalten werden, darum daß fie in der franzoͤſſchen Sprache 
geführt, gezeigt und gerichtet werden, welche im genannten 
Meiche fehr unbekannt ift, ſodaß das Wolf, das Klage führt 
oder beklagt wird, in des Königs Gerichtshof Beine Kenntniß 
oder Verftändniß von Dem hat, was ihre Advocaten für oder 
gegen fie fprechen. 

Wird fo auf einer Seite der Einfluß des Franzöfı- 
fchen übertrieben, fo leugnet der Verf. dagegen auf ©. 200 
die Einwirkung des Franzöftfchen auf die Geftaltung der 
englifhen Sprade in Rüdficht auf Form und Verbin: 
dung. Daß diefe Einwirkung nicht eben bedeutend war, 
ift wol entfchieden; aber abgefehen von ber Einwirkung 
des Franzöfifhen auf die Ausfprache (namentlich hin» 
fihtli der Verwandlung der Kehllaute in Zifchlaute), 
die gar nicht wegzuleugnen tft, braucht man nur auf 
die Stellung des englifchen Zeitworts in Vergleich mit 
der Stellung der angelſächſiſchen und deutſchen Zeitwör- 


ter binzudeuten, um zu beweifen, daß das Franzoͤſiſche 


allerdings ſowol auf die Form der einzelnen Wörter als 
auf die Sagverbindung einwirkte. 

Bon der Mitte des 13. Zahrhunderts an erhalten 
wir bereits einige ziemlich bedeutende Werke in englifcher 
Sprache, namentlich Romane, fämmtlich nach dem Fran- 
zöftfchen bearbeitet, und Zeitbücher. Won da an mehrt 


fih die Zahl der englifchen Schriftfieller wie die ber. 


franzöfifehen fi verminderte. Dichterifhen Werth darf 
man in den Erftlingserzeugniffen des englifhen Schrif- 
tenthums nicht fuchen, felbft ihr Stil ift fehr roh und 


fid) in allen diefen Romanen fo ähnlich, dag man, wenn , 


die Sprahformen nicht verfchieden wären, man fie alle 
für das Werk eines Verfaſſers halten könnte. Das 
erfie bedeutendere Werk ift die fogenannte „Vision of 
Pierce Ploughman‘‘ oder wie e8 wol heißen follte, „The 
vision‘ of William‘, deſſen Werfaffer wahrfcheinlih ein 
Minh William Langland um 1370 war; alfo etwa in 
berfelben Zeit, in der Chaucer und Gower zu dichten 
begannen. Es befteht aus. 14,696 Halbverfen ohne Reim, 
aber mit Anklängen, deren auf eine Rangzeile von 3—6 
kommen, alfo ohne Befolgung des alten Geſetzes rück⸗ 
ſichtlich des Anklangs. Das Versmaß kennt gleich dem 
ältern deutſchen nur Hebungen und Senkungen, ohne 
die Sylben zu zaͤhlen. Indeſſen findet hinſichtlich der 
Zahl der Senkungen und des Vorſchlages kein beſtimm⸗ 
tes Geſetz ſtatt; der Dichter nimmt ſich beiweitem größere 
Freiheiten als in unſerer mittelhochdeutſchen Dichtung 
geſtattet ſind. 

Langland's Gedicht iſt von hohem Werthe nach In- 
halt und Sprache; doch kann es als Dichtwerk in kei⸗ 
ner Hinſicht einen Vergleich mit Chaucer aushalten, deſ⸗ 
ſen Anſpruch, der erſte große engliſche Dichter und der 
Vater der engliſchen Dichtung zu ſein, ſo ziemlich un⸗ 
beſtritten iſt. Ihm iſt ein ziemlich langer Abſchnitt des 
dritten Buchs (II, O—90) gewidmet, den wir hier etwas 
ausführlicher befprechen wollen. . 

Herr Craik ift ein eifeender Verehrer Chaucer’3 und 
ſpricht fih über feine Dichtergröße in fo bewundernder 
und entfchiedener Weiſe aus, dag wol felbft Diejenigen, 
welche fehr günflige Meinung von diefem Dichter ha⸗ 
ben — und zu dieſen wünfcht der Beurtheiler gerechnet 
zu werden —, ihm nicht ganz beiftimmen werden. 


- 


618 


Die Dichtung Chaucer's ift in allen weſentlichſten Be: 
ziehungen fo grün und friſch al& irgend eine andere in unſe⸗ 
ter Sprache. Wir haben einige erhabenere Dichtungen, die 
mehr das Wefen einer Offenbarung oder einer Stimme aus 
einer andern Welt haben: wir haben Beine, in welcher ein uͤp⸗ 
pigerer und Träftigerer Lebensgeift, ein wahrerer und vollerer 
Dichterſinn — *— Er may, in anderm Sinne, Bacen's 
Bemerkung beftäligen, daß, was wir gewöhnlich Alterthum 

n der That die Jugend der Welt war: feine Dich: 
tung foheint einer Zeit anzugehören, wo das Menfchengefhlecht 
jünger und freudiger war als jegt. Ohne Zweifel hatte er 
darin Vortheil, daB er der erfte große Dichter feines Landes 
war. In diefer Stellung fteht cr gewiffermaßen zwifchen je: 
dem feiner Nachfolger und der Ratur. Der Vater des Saͤn⸗ 
gerthums eines Vocks wird nothwendiger:, wenn aud unbe: 
wußterweife von Allen, die nah ihm fommen, gleihfam als 
ein Theil der Ratur betrachtet, als Einer, deffen Dichtungen 
nicht fowol der Widerhall der Natur als ihre eigene lebendige 
Stimme ſind und einen ebenfo urfprünglichen und göttlichen 
Geiſt als Die Muſik ihrer flieienden Bäche und der in Blät: 
tern raufhenden Winde in ſich tragen. Wu fehlt es nicht 
an Grünner für folde Abgötterei. Gr allein hat frifchweg 
mit der Natur verkehrt und ohne Dolmetfcher, er allein bat 
den Glanz ibred Antlige® unverfchleiert gefehen und ihr voll: 
kommenes Bild in feinem Herzen aufgefangen, — Chaucer if 
der Homer dieſes Landes, nicht nur, weil er ber frübefte feiner 
Dieter war, jondern auch, weil er noch einer feiner größten 
iR. Die Kamen Gpencer, Shalfpeare und Milton find Die 
eingigen in der engliſchen Dichtung, die auf diefelbe Stufe mit 
ihm geftellt werben fünmen. 

Uber Chauter's Leben find nur wenige Worte ge- 
fagt; deſto ausführlicher behandelt ber Verf. den Bers- 
bau bei Chaucer, der Beranlaffung zu langem, leider 
unnügem Streite gegeben hat; denn die jhärffte Unter- 
fuhung, wenn fie fonft unbefangen ift, fann hier nichts 
Neues entdecken, und die Meinung, weiche Tyrrwhitt vor 
10 Jahren darüber aufftellte, muß alles Wiberſpruchs 
ungeachtet noch immer gelten. 

Der Unterzeichnete muß geftehen, baß er von einem fo 
entſchiedenen Bereunderer Chaucer's die Behauptung nicht 
erwartet hätte, die Herr Erait (5.47 fg.) aufftelit, daß 
Chaucer nicht nad ber —— Annahme unmit⸗ 
telbar aus italieniſchen ellen ſchöpfte, fondern nicht 
einmal Italieniſch verſtand. Hören wir zuerſt, ans wel⸗ 
chen Gruͤnden Chaucer's Kenntniß des Italieniſchen ge⸗ 
leugnet wird. Chaucer ſpreche in ber Erzählung des 
Riiters und im „Troius. and Cressida”, die ſich am 
nächſten an Boneariio’8 „Teseide” unb „Filostrato 
anfchlöffen, nie von Boccaccio (beiläufig gefagt, bat 
er Boceaccie’® Ramen nie in feinen iften genannt), 
fondern bekenne, die erftere Erzaͤhlung nach „alten Buͤ⸗ 
chern“, die zweite nad einem lateinifchen Schriftfteller, 
den er Lollius nennt, gearbeitet zu haben. Wir wiffen 
nicht, wer dieſer Lollius mar und was er fehrieb; aber 
darum bürften wir nit annehmen, daß unter Lollins 
Boetaecio und unter Lateiniſch Italieniſch zu verftehen fei. 
Tyrrwhitt behaupte, daß eine Anzahl Stellen in Ehaucer’s 
„Troilus and Cresside’ faft wörtlich übertragen feien, aber 
ee müffe zugefichen, daß barin and; &tellen find, weiche 
fih in Boecattions „Filostrate“ nicht finden. (BYolglich, 
meint wol ber Verfaſſer, hebt fich das) Die bekannte 
Stelle in der Ginteltung zu bes Gelehrten Erzählung, 


nennen, 


wo Chaucer angibt, daß er die Erzaͤhlung von Griſelda 
von Petrarca zu Padua gelernt habe, wird fo erläu- 
tert, daB ihm Petrarca biefelbe mündlich in lateinifcher 
Sprache mitgetheilt habe. Den vierten Grund nimmt 
er von Bir Harris Nicolas, dem neueften Lebensbe- 
fchreiber 
e und franzäfifche Wörter, aber nie itafteni- 
fhe. Dies find die Gründe für Chaucer's Nichtkennt⸗ 
niß des Jtalienifhen. Der Lefer wird mir hoffentlich 
die Widerlegung diefer ſchwachen Gründe erlaffen, wenn 
ih ihm Beweife für Chaucer's Kenntnif des Ztalieni- 
fhen vorbringe. Sir Harris Nicofag und Herr Craik 
haben eine gute Anzahl Stellen gar nicht gefannt, wel- 


he theils ſchon von Tyrrwhitt, theild von Hippislay u. A. 


als dem Italieniſchen entlehnt angeſehen wurden. Da 
durch dieſe dem Streit für inimer ein Ende gemacht 
werden kann, fo wird man hier wol eine größere Aus- 
führlichkeit entſchuldigen. 

(Der Beſchlus folgt.) 





Preußen in den Jahren 1806 und 1807. Ein Zagebud. 
Nebſt einem Anhange verfchiedener, in ben Jahren 
1807 — 9 verfaßter politifher Denkfchriften Mainz, 
v. Zabern. 1845. Gr.8. 2 Xhlr. 


Gin neued Bud, über preußiſche Zuftände während de 
Jahre 1806 und 1807 erfcheint leicht als eine Parteiſchrift im 
Geiſte der weiland berüchtigten „Feuerbrände‘ und „Löfcheimer” 
und wirb befonderd berjenigen Claſſe von Literaten willlen 
men fein, die gern auf Preußen Schimpf⸗ und Schmähren 
häufen, ohne jich weiter um den eigentlichen Zuſammenhang 
der Greigniffe zu kümmern. Wir wollen durchaus nicht das 
politifhe Verfahren in jener Unglückszeit entſchuldigen, noch 
da den Lobredner machen, wo Die Thatſachen fo laut ſprechen, 
aber Unparteilichfeit ift gerade dann nothmendig, wenn die Ber: 
klagten ihre Sache nicht mehr felbft führen fönnen. Ein ſolches 
Beiſpiel zum Bortheil der fo hart getadelten Preußen find die 
neuern Befchreibungen der Schlacht bei Iena in ber zu Ber 
lin 1835 getrudten Geſchichte der Kriege zwifchen Frankreich 
und Preußen und — wenn man dem preußifchen Offizier vie: 
leicht weniger trauen folte — die Schilderung in des wir 
tembergifchen Hauptmanns v. Math „Beigichte Rapoleon’s" (1, 
247— 352), oder in des braunſchweigiſchen Generals v. Bach⸗ 
bolg Zagebuche (S. 142), des als theilnehmender Augengeuge 
befondere Beachtung verdient. Die vorliegende Schrift nun, die 
überdies anonym erfchienen tft, konnten wir aus ben obigen 
Gründen nicht ohne eine ſolche Befürchtung zur Hand neh⸗ 
men, fanden uns aber bald zu unferer Freude eines Bellen 


dem verräthe: 
fein Tagebuch 


— her: Chaucer habe in ſeinen Werken 
oft lateini 


| 








619 


Bis und (wie er fagt) ohne Haß und Leidenfchaft bezichtet 
bat was er ſah und hörte. Übrigens gehörte Graf Schla⸗ 
den gu jenem ausgebreiteten Mittelſchlage deutfcher Diploma: 
ten, von denen Barnhagen von Enſe einmal gejagt hat, daß 

mehr dem Fache untergessonet wären als bad Fach ihnen 
und daß fie die audzeichnenden Eigenfchaften ihres Standes et: 
was pedantiſch ausubten und beißen. So werden ſelbſt auf 
der Fluchtreife in Preußen die Mahlzeiten und andere leibliche 
Bedürfniffe nicht vergefien, veichliche Mahlzeiten werden aus 
den graͤflich Haugwit ſchen Küchenwagen eingenommen, ein gu: 
tes Quartier nach der im bequemen Wagen gemachten Reife 
erſcheint als höchk nöthig, fi in einem von Tabacksrauch er: 
füllten Zimmer zu befinden oder in Ofterode auf einer Streu 
die Nacht zubringen und ſich nur mit einigen Federbetten be» 
beifen zu müffen, fiel dem diplomatiſchen Herrn befonders 


fchwer, wie fi denn unfer Berf., als er mit der Königin 


Luife von Preußen noch Zilfit geben fol, mit ben Man: 
gel eines anftändigen Hofcoftume zu entſchuldigen nit An: 
and nimmt. Sonſt aber lernen wir den Dipfcmaten als 
einen rechtlichen, ehrenwertben Mann von Klugheit und 
Bildung Pennen, als einen Mann. von echter Baterlandeliebe 
und treuer Ergebenheit gegen den König und dad koͤnig⸗ 
liche Haus: aber die Kraft und den ernſten Willen, die von 
ihm vortrefflih erkannten Kebhler in der Verwaltung und Po: 
litik abzuftellen, befigt er nicht und ift auch befcheiden genug, 
nicht in der erften Stelle des damaligen preußiſchen Cabinets 
glänzen zu wollen. 

Schen wir uuf den Inhalt des Zagebuches, fo finden wir 

in demfelben vorzugsweile folgende Zuftände berückſichtigt: die 
Tage vor und nach der Schlacht bei Jena, Die Reife des Ho: 
fes nad) Preußen und bie Flucht bis nach Königsberg und 
Memel, die Unterhandlungen mit Rapoleon über den Waffen: 
ſtilſtand und die Streitigkeiten im preußiſchen Gabinet zwi: 
{chen der Kriegs: und Priedenspartei bis zum Abfchluffe des 
Friedens von Zilfit. Die legtern Stüde find die wichtiaſten; 
fie enthalten Nachrichten und Aufichlüffe, die man in andern 
preußifchen Geſchichtsbuͤchern vergeblich ſucht und find durch 
«bie Verfönlichkeit des Grafen Schladen hinlaͤnglich beglaubigt. 
Diefer innere Werth halt und denn auch für die mitunter 
langweilige Darfellungsart [hadlos, denn tie Gabe, das Er: 
won frifh und kraͤftig mitzutheilen, hat der Verf. gerade nicht 
bejeflen. 

Die Nachrichten über die Schlaht bei Iena, in deren 
Nähe ih der am 8. Det. im Hauptquartier eingetreffene 
Straf Schladen befand, find zwar nur abgerifien, auch wol 
nicht überall gan ‚gerau, aber fie geben doch ein trauriges 
Bild Der Ungehsi lichkeit und Pianlofigfeit der Anführer, 
welche nah des Verfaſſers Urtheile den Staat an den Rand 
des Verderbens gebracht hatten. eine Pluchtreife ging von 
Weimar über Eisleben, Halle, Halberſtadt, Zangermünde nad) 
Küftrin. „Mit den Gefühlen des höchſten Erſtaunens“, Schreibt 
er om 21. Det. in fein Tagebuch, „erfuhr ich die feltfame 
KRachricht, daB unfer Staatsminifter und Generallieutenant v. 
d. Schuienburg, von Sr. Maj. dem Könige zum Gouverneur 
von Berlin ernannt, biefen Poſten ohne Befehl verlaſſen und 
feinen Schwiegerfohn, den Fuͤrſten Hapfeltt, als Stellvertre⸗ 
ter eingefegt habe, daß er Folglich anflatt felbft Ordnung bis 
zum legten Augenblicke durch feine Gegenwart zu erhalten, es 
vorgezogen habe, die Stadt gerade dann zu verlaflen, wo er 
dort ‚am meiſten nügen Eonnte, ja was noch mehr iR und dies 
fer Handlung die Krone auffegt, daß er in ber eilung, 
nur mit dem Gedanken, die Truppen zu retten, befchäftigt, 
vergeflen habe, das Zeughaus auszuleeren, welches vollfländig 
in Berlin zurüdgeblieben fein fol. Allmäͤchtiger Gott! was 

kann man von ſolchen Menſchen bei den gegenwärtigen hoͤchſt 
kritiſchen Umfländen erwarten!” Auf ber weitern Reife ev. 
fährt der Berf. die von dem Minifter Haugwitg und Dem Ge⸗ 
neral Zaſtrow eingeleiteten Unterhandlungen wegen eines Waf⸗ 
fenſtillſtandes. Er ift empoͤrt über den hochftehenden Ginn 


‘ 


Rapoleon’s, aber ebenfo fehr beklagt er die Feigheit der preu⸗ 
ßiſchen Unterhändler,, infonderhbeit des Generals Zaſtrow, 
und die Verzweiflung Alles aufgeben zu wellen, da doch big 
ruſſiſchen Huülfstruppen heranziehen. „Es iſt wahr”, fchreibt 
er am 21. Rov. in fein Tagebuch, „Preußens gegenwaͤr⸗ 
tige Stellung ift hoͤchſt unglüdlih, aber wenn das ickſal 
unſern Fall beſchloſſen hat, ſo meine ich, ſollten wir wenig⸗ 
ſtens mit Würbe fallen, und uns nicht noch mit des Schmach 
einer freiwilligen Inechtifhen Unterwürfigkeit bedecken, die doch 
unfern Sturz ‚nur verzögern, niemals aber verhindern kann. 
Was haben wir übrigend noch zu verlieren? Dagegen bleir 
ben uns noch viele Hülfgmittel, wenn wir es nur verftchen, 
fie mit Ernſt und Ausdauer zu benugen. Jetzt fehlt uns lei— 
der nur ein Eräftiger, mit großen Anfichten begabter Mann, 
der im Drange der Umftände fi des Staatsruders bemächti» 
* und die Kleinmüthigen zwinge wieder Muth zu faſſen. 

er wo ſollen wir dieſen Retter finden?“ Haugwiß konnte, 
wie man aus allen Urtheilen bed Verf. ſattfam erficht, 
died nicht fein, ebenjo wenig der alte, „ſehr redliche,. aber 
nicht ſehr ſcharffinnige“ General Köderig, der bis dahin 
des Königs befonderes Vertrauen bejeflen hatte. General 
Zaſtrow fei für eine ſolche Stelle durchaus nicht geeignet, er 
würde in allen Stüden ter Rachbeter Luccheſini's fein, der 
Eabinetsrath Beyme würde nad des Verf. Uußerungen ſehr 
gern der einzige von Niemand controlirte Minifter fein. Aber 
diefem Stastömanne will er Durchaus nicht wohl und frage 
mit wahrer Beftürgung, mit wem denn die fremden Minifter 
am pzeußifchen Hofe unterhandeln follten und was überhaupt 
die fremden Mächte zu diefer Einrichtung fagen würden (29. 
Nov. 1806). Von Rüchel's „Kraft und Geelenftärke” ex: 
wartet der Verf. gute Einwirkung auf den König und beklagt 
nur, daß er in dienſtlichen Verhältniffen zu heftig ſei. Blu- 
cher Dagegen erhält überall Lob und Anerkennung. 

Unter folchen Umftünden ift der Freiherr von Gchladen 
hoch erfreut, daB Hardenberg's Hinzuziehung zu den miniſte⸗ 
tiellen Berathungen ben Entſchluß bed Königs beftärkt has, 
Beinen Separatfrieden mit Frankreich zu fchließen, daß ber 
Einfluß des Generald Baftrow bedeutend ſinkt (U. Febr. und 
6. März) und daß felbft der Eabinetsrath Beyme den Mini⸗ 
fter Hardenberg erfucht babe, die Leitung der auswärtigen 
Angelegenheiten zu übernehmen. Er felbft, unfer Verf., ger 
noß das befondere Vertrauen des Minifterd und hatte in einer 
politiichen Abhandlung dem Könige die Nachtheile eines Fries 
dend mit Frankreich auseinandergefegt und dringend gera- 
then, der Verbindung mit Rußland treu zu bleiben. Mit 
Recht tadelt er daher die unwürdige Erklaͤrung des Miniftera 


von Schrötter, daß alle Kornvorräthe Preußens erſchoͤpft waͤ⸗ 


ren und daß es nicht möglich fei, die ruſſiſchen Truppen im 
Rande zu ernähren — ein Benehmen, das zu Schrötter'E Nach⸗ 
theil an die hochherzige Sprache des Oberpraͤſidenten v. Merckel 
erinnert, ber im. Brühjahre 1813 hinlängliche Vorraͤthe ir 
Schlefien zu haben verficherte, um die ruſſiſchen Heere zu un» 
terhalten, und dadurch einen fo bedeutenden Einfluß auf bie 
Fortführung des Krieges übte, wie wir aus Steffens’ Denk⸗ 
würdigfeiten” (VII, fg-) erfahren haben, 

Bis in den April bes Jahres 1307 Hin dauesten Diefe 
Cabinetöftreitigkeiten, bie felbft die Ankunft des Kaiſert 
Alerander und die von ihm bem Freiherrn von u De 
wieſene Auszeichmung nicht zu befeitigen vermochte; es iſt faſt 
ekelhaft zu leſen, wie ſich Zaſtrow, Schroͤtter und Voß in Mei- 
nen Jatriguen und Hemmniflen abmuͤhen. Endlich meldet das 
Tagebuch unter dem 2. Mai 1807, daß die freue Ausdauer 
den. Sieg erkaͤmpft habe, daß der Freiherr v. Hardenberg als 
Cabinetöminifter die Führung des auswärtigen Departements 
übernommen und alles Deflen, was fi) auf die Oberleitung 
der Kriegsführung bezieht. Beyme habe fi über diefe Er⸗ 
nennung mit großer Mäßigung geäußert, aber Zaſtrow, oͤt⸗ 
ter, Voß und der alte Köderig ſeien ſehr ungehalten. 
denberg umgab ſich Hierauf mit Altenfiein, Riebuhr, Schön, 


Menfner und Rour, die Geſchaͤfte begannen mit Ginheit und 
Kraft behandelt zu werben, die Yatrioten hegten beflere Hoff 
nungen auf engliſche Hülfe und oͤſtreichiſche Biverfionen, bis 
der Sieg Napoleon’8 bei Friedland am 14. Jun. 1807 die 
@inftelung der Weindfeligkeiten durch einen Waffenſtillſtand 
berbeiführte, dem in noch nicht vier Wochen der ungludlie 
Geiste zu Tilfit folgte. Wir erfahren nun auch bier (25. Juni 
807), daB Napoleon ſich weigerte, Harbenbery als bevoll- 
maͤchtigten Minifter bei den Priedensunterhandlungen neben 
dem General Kaldreuth, der fi gegen Frankreich ſehr ge⸗ 
fdmeidig zeigte, zuzulaffen, baß der Zreiberr von Schladen 
ein tönigliches Schreiben habe an Napoleon bringen follen, um 
feine Gefinnung zu ändern, daß aber Kaifer Alerander diefen 
Schritt misbilligte. Es fei jegt Die Hauptſache, wichtigere Ge: 
währungen zu erhalten, er wolle Alles aufbieten, um den Kö: 
nig wieder in den Befig feiner Staaten zu fegen und ihn wie: 
der ſtark zu maden, man dürfe daher Rapoleon nicht erbit 
ter. Über ſolche ähnliche Außerungen und über des Kaifers 
Benehmen während der tiljiter Verhandlungen vertraut der 
wadere Patriot feinen edeln Schmerz dem Tagebuche unter 
andern in folgenden Worten an: „Der mächtige Autofrat Ruß: 
lands fpielt jegt Napoleon gegenüber eine Rolle, Die feiner 
Bürde wenig entfpricht: er ſcheint nur mit dem einzigen Ge⸗ 
banken befchäftigt , ihn Durch &Schmeicheleien zu gewinnen, 
nimmt feine Saftmahle an, ohne ſolche wieder zurückzugeben, 
und dur die hinterliftigen Täuſchungen diefes außerordentli- 
chen Mannes gefeffelt, wird er ein ftummes Werkzeug feiner 
Niefenplane und Preußens König ein Opfer diefer Stellung 
und feiner eigenen Treue“ (0. Juni IN0.). Die Unterhand: 
lungen führte Kaldreuth, diefer „alte Schwätzer“, deſſen Be 
tragen ebenfo zweibeutig als albern und abgeſchmackt ift, der 
feinen Inſtruetionen und ausdrüdlichen Befehlen des Königs 
zuwider handelte und ſtatt fi) mit den wichtigen, ihm anver- 
trauten Angelegenheiten zu befchäftigen, ſich mit Berichterftat: 
tungen über Lächerlichkeiten beluftigt (25.—28. Juni). Seiner 
Abneigung gegen Hardenberg, deſſen Stelle er zu erhalten ge: 
dachte, fehretbt der Verf. auch Len endlichen Sturz diefed vors 
trefflihenr Mannes zu (4. Juli), den er aber mit bewunde: 
zungswürbiger Heiterkeit und Ruhe ertrug. „Was fol man 
aber von der Charakterſchwaͤche des Kaijerd Alerander fügen.” 
- Der AUbfchluß des Friedens zu Zilfit, dieſes Werkes 
der Übermadt und Willfür, den der König Friedrich Wil: 
beim IIT., „von Jedermann verlaflen‘‘ unterzeichnen mußte, 
macht den Schluß des Tagebuches, deflen Bert, am Ende des 
Juli zu einer andern Beitimmung (als Gefandter am ruffi« 
fhen Hofe) abgerufen worden war. Die Demüthigungen, 
welche die ſchoͤne und tugendhafte Königin Luiſe während der 
tilfiter Unterhandlungen zu ertragen batte, regen das fittliche 
Gefühl in demfelben Brade auf, wie er ſchon früber Der 
ſchmaͤhlichen Verleumdungen gedacht hatte, mit welchen die 
Königin in den Napoleon'ſchen Bulletins überhäuft worden 
war. Mit firömenden Augen, fchreibt er am 15. Nov. 1816, 
wiederholte die erhabene —* jene Ausdrücke der auf Napo⸗ 
leon's Befehl in Berlin gedruckten Schmäbhfchriften, welche fie 
einer Leidenfchaft für den Kaifer Alerander befchuldigten. 
Ren’, ruft fie häufig aus, „ift es dieſem boshaften Men: 
ſchen nicht genug, dem Könige feine Staaten zu rauben, foll 
auch noch die Ehre feiner Gemahlin geopfert werden, indem 
er niedrig genug denft, über mich die ſchändlichſten kügen zu 
verbreiten!” 
Bon den militairifhen Ereigniffen des Feldzugs in Preu: 


Ben tit zwar öfters die Rede, aber ohne befondere Anſchaulich⸗ 


Peit, da der Verf. im Kriegswefen Beine Erfahrung hatte. So 
find auch die Nachrichten über die Schlacht bei Eylau und über 
die. Belagerung von Danzig nur unvollkommen. Hofgefchichten 
ober was etwa Berltgung und Argerniß durch breifte Urtheile 
und unbeftimmte Gerüchte verurſachen koͤnnte wird ber Lefer 


bier vergeblich fuchen: dazu wär allerdings die Beit zu ernft 
und der Berf. ein zu gefegter Mann. 

Die im Anhange befindlichen Denkſchriften find mit Aus⸗ 
nahme der unter Rr. IV von Hr. von Schladen in Peters: 
burg im 3. 1809 verfaßt und zeigen die dringende Rothwen: 
digkeit einer engen Berbindung zwifchen Rußland, Oftreich und 
Preußen, um die Unabhängigkeit Europas gegen Rapoleon zu 
berechnen. Man findet in ihnen zivar nicht die feurige Leben: 
digkeit eines Stein oder die glänzende Beredtfamkeit eines Gentz, 
aber man wird dem Verf. das Zeugniß nicht vorenthalten Fön: 
nen, daß er mit unermüdetem Eifer der guten Sache Europas 
und ber Ehre feines preußifhen Waterlandes gedient babe. 





Literarifbe Notiz aus Frankreich. 


Emancipation der Regerfllaven. 

Obgleich fon durch einen Beſchluß vom 16. Pluvioſe des 
Sahres II der Sklavenftand in allen franzöfifchen Eolonien für 
aufgehoben erklärt wurde, fo führten doch nationalölonomifde 
und politifhe Rüdfihten, welche die Stimme des rein menfd: 
lihen Gefühls erftidten, bald die frühern Berhältniffe wieder 
zurüd. Schon am 20. Mai 1302 erklärte der erfte Conful, 
daß der’ frühere Zuſtand der Sklaverei wiederhergeſtellt fein 
fole. Man kennt die Beichlußnahmen des Wiener Kongreſſes 
in Betreff des Negerhandels. Durch ein Geſetz vom 29. Mär; 
1315 wurde audy, von Napoleon die Abfchaffung des für bie 
Menſchheit jo fhmählichen Handels decretirt. Die Neftauration 
beftätigte diefe Beitimmung durch eine Drdonnanz vom 8. Jar. 
1817 und durch ein formliches Geſetz vom 15. April 1313. 
Ungeachtet diefer Maßregeln wurde doch die Sklaverei immer 
— nicht aufgehoben. Man duldete ſie, weil man durch eine 
ploͤtzliche Unterdrückung und Abſchaffung den Untergang und 
den Verfall der Eolonien berbeisuführen glaubte. Aues mas 
nach Der Zulirevolufion in diefer Beziehung geſchah, hatte böd: 
jtens die Bedeutung, daß man dadurch die allmälige Aufhebung 
anbahnen wollte. Ein einflußreiher Moment in diefer wicht: 
gen Frage war die Einſetzung einer Specialcommiſſton, welde 
von Seiten der franzöfijgen Negierung den Auftrag erhielt, 
die bei Emancipation der Sklaven obmaltenden Rückfichten et 
ner forgfältigen Prüfung zu unterwerfen. Der Herzcg von 
Broglie, welcher zum Prälidenten diefer Commiſſion ernannt 
wurde, bat fi bei ihren Arbeiten Durch feine raftlofe, umſich⸗ 
tige Thaͤtigkeit bejonders audgezeichnet. Der Bericht, welden 
er im Namen der Commiſſion über den Stand der Frage ab: 
gefaßt bat, kann eine durchaus mufterhafte und erichöpfende 
Arbeit genannt werden. Das Gefeg vom 18. Zuti 1345, durch 
welche eine allmälige Emancipation beftimmt und feftgejegt 
wird, beruht größtentheils auf den Vorfchlägen und Refultaten 
diefe® Berichts. Denjenigen, welche dieſe wichtige Angelegen: 
heit genauer kennen zu lernen wünjchen, ift außer dem er: 
wähnten Berichte vorzuglich die Lecture folgender beiden Schrif: 
ten zu empfehlen: „Esclavage et traite”, von dem vielfab 
tbätigen Staatsmanne Agenor de Gasparin, und Die „Consi- 
derations sur le systeme colonial“, von Sully: Brunet. An 
diefe Werke, welche fich beide für bie Aufhebung der Sklaverei 
entfcheiden, reiht fih eine vor kurzem erfhienene Flugſchrift 
an, welche den Titel führt: „De lesclavage en general et 
de l’emancipation des noirs.” Diefelbe bat einen- verdienten 
Priefter, Namens Eaftelli zum Verfaſſer, weldyer in feinen 
früheren Berbältniffen an Eifer für die leibliche und geiftige 
Rettung der unglüdlichen Sklaven fi einen Lad Caſas zum 
Vorbilde genommen zu haben fcheint. Da er durch feine amt: 
lihe Stellung zu einen langjährigen Aufenthalte auf den Co 
Ionien veranlaßt wurde, fo Bat er Gelegenheit gehabt, an Dt 
und Stelle fi von der Dringlichkeit einer durchgreifenden 
Reform zu überzeugen. 17. 


Berantwortliker Herausgeber: HSeiurich Wrodbans. — Drud und Werlag von F. X. Wrodpans in Leipzig. 





. 


Blätter 
für 


literarifde Unterhaltung. 





ine , 


Englifhes Schriftenthum. 
(Beſchluß aus Nr. 156.) 


Über das Verhältniß Chaucer's zu Boccaccio habe 
ich auch theilweife ſchon in der Einleitung und den Bor- 
berichten zu verſchiedenen Erzählungen in dem erſten 
Bande meiner Überfegung von Ehaucer's „Canter- 
bury - tales“ ausgeſprochen. Wer Boccaccio's und 
Chaucer's Werke etwas genauer vergleicht, wird nicht 
leugnen können, daß Chaucer aus Boecaccio ſchoͤpfte; 
dennoch will ich hier noch eine Stelle aus Chaucer's 
„Verſammlung der Vögel” mittheilen, zugleich mit einer 
Stelle aus dem fiebenten Buche von Boccaccio’8 „Teseide‘ 
umd zwar beide in deutfcher Überfegung, damit auch Der, 
welcher entweder das Italieniſche oder das Altenglifche 
nicht verftehen follte, eine Vergleichung anſtellen fonne. 
Bei Boccaccio heißt die Stelle fo: 


- Die Schönheit ſah er dann vorübergehen. 
Ganz dicht bei ſich, die frei von Schmud fih wies; 
Die Freundlichkeit war neben ihr zu fehen 
Und Jede ſich und auch Die andere pried. 

Auch fah die Tugend er dicht bei ihr fteben, 
Die munter ſich der Freude überließ; 

Und auf der andern Seite tolle Flammen 

Und Schmeichelei und Hinterlift beifammen. 


Und in der Mitt" auf hohen Säulen ftand 
Ein Zempel, ganz von Kupfer, und darin 
Er jugendliche Mädchen tanzend fand; 
CTheils ſchoͤn an ich, theils auch gekleidet in 
Ein leichtes gürtellofes Nachtgewand. 
Damit allein den Tag fie bringen hin, 
“ Und um des Iempeld Sinnen fah er ſchwirren 
Sperlinge viel und Tauben hört’ er girren. 


Und nahe bei des Tempels Eingang fieht 
Mit ſanftem ruh gen Sinn die Einigkeit 
Er. ſitzen dort und einen Vorhang zieht 
ie vor des Tempels Thür mit Leichtigkeit. 
Bei ihr faß die Geduld, ihr Blick verrieth 
Demuth; befcheiden war ſi e jederzeit 
Und blaß von Angeſicht; und ringsum da 
Verſprechen man und Liebeskünſte ſah. 

Und in dem Tempel ſtets die Luft durchdrangen 
Mit ſtarkem Toſen Seufzer, ganz entflammt. 
Bon heißem und fehnfüchtigem Verlangen. 

Und died Getöf' entzündet alleſammt 

Mit neuen Flammen, die aus Qual entiprangen- 
Und jeglicher zu Ihränen war verdammt, 

Die eine raube, harte Dam’ erregt; 

Die Eiferfuht der Ram’ ift, den fie trägt. 


5. Zuni 1846. 


Chaucer hat diefe ET har Met Befbuibum in den vr lm in den vier folgen- 
ben Stangen nachgeahmt: 


Dann fah die Schönheit wohlgeſchmückt ich prangen 
Und Jugend voller Scherz und Rederei; 
Dummbdreiftigkeit und S meichelei, Berlangen 
Und Liebesbotihaft, Lohn und and're drei: 

Ihr Name nit von mir genennet fei. 
Auf mächtig großen ten ruht 
Ein Tempel ganz aus Kupfer, feft und gut- 

Und um den Zempel ſah man dann beftandig 
Im Zanz begriffen eine Weiberfchar: 

Die fhön an fi, die glühend umd Iebendig 
Und all im Unterrod! mit lofem Haar 

Das war ihr Dienft dafelbft von Jahr zu Jahr. 
Und auf dem Tempel ſaßen weiß und zart 

Die Tauben, wol zehntauſendfach gepaart. 

Und vor dem Tempel ſaß gar ehrbarlich 
Der Frieden, einen Vorhang in der Hand. 
Daneben wunderbar beſcheidentlich 
Ich die Geduld auch daſelbſt ſitzen fand, 

Mit blaſſem Antlig auf nem Berg von Sand. 
Und neben ihre, aus: und inwendig, waren 
Kunft und Verſprechen da mit ihren Scharen. 

Und Seufzer heiß wie Feuer dort erflangen, 
Daß vom Getöf der Zempel widerhallt. 
Geſchwaͤngert waren. fie durch das Verlangen, 
Das neue Flamm' erwecket mit Gewalt | 
In jedem Herzen; da erfannt’ ich bald: 

Der Kunmer, der fie drüdet allefammt, 
Der Eiferfucht, der Göttin, war entitammt. 


Iſt dies ſchon deutlich genug, ſo haben wir doch 
noch andere Stellen, aus denen Chaucer's Bekannt⸗ 
ſchaft mit den italieniſchen Dichtern noch viel unver⸗ 
kennbarer hervorgeht. Chaucer erwaͤhnt Dante und 
Petrarca mehre Male, und nennt. den Erſten ſtets 
„den großen Dichter Italiens”, während‘ er den Letztern 
"als „den Lorberdichter, deffen füße Redekunſt ganz Ita⸗ 
lien mit Poefie verfhönte” bezeichnet, welche Bezeichnun⸗ 
gen für Beide ganz richtig find. Chaucer hat mehre Stel- 
Ien aus Dante's Werken nacgeahmt; die bebeutendfie 
ift die „Geſchichte Ugolino's“, nach Dante's Pure: “u 
33, ®.13— 75, in des Mönche Erzählung, B. 147 17 
1. Ih theile ‚hier wieder beide Stellen mit, die 
erfte in Streckfuß' Überfegung. 

13. Du * J— ich war Graf Ugolin, 
Erzbiſchof Roger er, den ich zerbiſſen. 
Run horch, warum ich ſolch ein Nachbar bin. 








70. 


73. 


Ich weinte nit, fo ftarst’ ich pe 


Daß er die Freiheit tückiſch mir entriffen 
Als er durch Argliſt mein Vertrau'n bethört 
Und mich getödtet bat, das wirft du willen. 
Bernimm darum, was du noch nicht gehört, 
Noch haben kannſt, den Tod voll Graus und Schauer, 
Und faß’ es, wie fi noch mein Herz empört. 


. Gin engeb Loch in des Verliehes Mauer, 


Durch mi benannt vom Hunger, wo gewiß 
Man Manchen noch verichließt zu bitt'rer Zrauer — 


. Schon wachten wir, die Stunde naht heran, _ 


Bo man und Speife bracht” und Jeden 
Weht ob des Traumes Unglüdsahnung an. 


. Berriegeln hört’ ich unter mir den öben 


Graunvollen Thurm — und ins Geficht ſah ich 
Den Kindern allen, ohn' ein Wort zu reden. 


&ie weinten und mein Anfelmuccio agfe: 
Du biidft fo, Vater! ach, was haft du? fpridh! 


. Doc weint‘ ich nicht und diefen Tag lang fagte 


Ich nichts und nichts die Nacht, bis abermal 
Des Morgens Licht der Welt im Dften tagte. 


. Als in mein jammervoll Verließ fein Strahl 


Ein wenig fiel, da fchien ed mir, ich fände 
Auf vier Gefichtern mein’s und meine Qual. 
Ich biß vor Iammer mich in beide Hände 
Und Jene, wähnend, daß ih es aus Gier 
Kah Speife thät, erhuben ſich bebende, 


. Und ſchrien: Iß uns und minder leiden wir! 


Wie wir von dir die arme Hüll’ erhalten, 
O fo entlleid’ und Vater au von ihr. 

Da ſucht' ich ihrethab mich fill zu Halten. 
Stumm blieben wir den Tag, den andern noch, 
Und du, o Erde, Eonnteft dich nicht fpalten? 


; Ws wir den vierten 2 erreicht, da kroch 


Mein Gaddo zu mir hin mit leifem Flehen: 
Was bilfft du nicht? mein Vater hilf mir doch! 
Dort ftarb er und fo hab’ ich fie gefeh'n ‘ 
Die du mich fiehft, am fünften, fechöten Zag, 
Zegt den, jegt den hinfinken und vergeh'n. 
Schon blind tappt’ ich dahin, wo jedes lag, 
Rief fie drei Lage feit ihr Bli gebrochen, 
Bis Hunger that, was Kummer nicht vermag. 


Hören wir nun biefelbe Geſchichte von Ghaucer 


erzählen: 


Die Schmerzen, die Graf Ugolin empfand, 
Die mag vor Jammer keine Bunge fagen. 
Ein Thurm ganz in der Raͤh' bei Piſa fand, 
Dort war im Shurm in Feſſeln er geichlagen, 
Und feine Kinder mit im Ihurme lagen, 
Das aͤlteſte war koum fünf Jahre alt. 
D Schickſal! graufam traun find beine Plagen! 
Solch Käfig ſolcher Bögel Aufenthalt. 
Berdammt war im Gefaͤngniß er zu flerben, 
Denn Roger, Piſas Bifchof, fich verſchwoͤrt, 
Um durch Berleumdung Ienen zu verderben, 
Wodurch das Volk ſich gegen ihn empört, 
Und in dem Thurm, von welchem ihr gehört 
Ihn warf; und Speiſ' und Trank ward ihm gegeben 
So wenig, als am Leben nur gehört, 
Und auch dies ige war ſchlecht noch eben. 
Und eines 8 bat er, als ſchon gekommen 
Die Zeit, — das Mahl zu bringen pflegt, 
Daß man des Thurmes Thüren fchließt, vernommen. 
Doc ob er's hört, Fein Wort darob er fpradh, 
Doch fehwer im Herzen der Gedank' ihm lag 
Daß ihn der Hunger follte bier verzehren. 
D weh! ſprach er, warum fah ich den Zagt 
Und Zhränen feine Augen nun befchweren. 


Sein jüngfler Cohn, der Baum drei Jahre alt, 
Der ſprach zu ibm: Was weint du, Vater? fprich! 
Bringt nicht der WBärter uns das Effen bald? 
Und Haft Fein Stückchen Brot Bu mehr für mit 
Ih kann nicht ſchlafen, weil ich hungerig. 

Ah wollte Gott nur, daß ich wäre todt, 
Daß Yunger nicht mehr meinen Leib beſchlich! 
Mir wäre bein Ding Meber jegt als Brot. 

So fchreit das Kind aufb neue jeden Tag 
Bis kraftlos in des Vaters Schoos es Liegt, 

Sch fterbe, Bater, lebewohl! es ſprach, 

Und kuͤſſet ihn, und feine Seel’ entfliegt. 

Der Bater fieht es und vom Same befiegt 
Beißt er die Zähn’ ein in die Arme beide. 

O traurig Güde! weh, ad weh! er fpricht, 
Dein falſches Rad ift Schulb an meinem Leibe. 


Die Kinder wähnten, daß aus Hunger er 
An feinen Armen nagt’ und nicht aus Leiden, 
Und fprachen: Vater, thue dies nicht mehr! 
O iß das Fleiſch doch lieber von uns Beiden! 
Du gabft ed uns, wol’ und davon entkleiden. 
D i8 dich fatt; alfo fie zu ihm fagen: . 
D’rauf einen Tag und zweie noch fie leiden, 
Und dann fie todt in feinem Schoofe lagen. 


Zulegt auch ihn daß Leben nech verließ. . 
&o kam der mächt'ge Graf von Piſ' ums Leben 
Bon großer Höh’ das Slück ihn niederftieß. 

Mich däucht genug, was ich davon gegeben. 
Sollt' Jemand näher es zu wiſſen fireben, 
Der mag Italiens großen Dichter Iefen, 
Der Dante hieß: er Tann es wiedergeben 
Bon Wort zu Wort fo wie es ift gewefen. 


Eine andere aus dem 33. Geſange des ,Paradio” 
faft wörtlih überfegte Stelle findet fi) in der zweiten 
Erzählung der Nonne, V. 15,504 fg. ber „Canter- 
bury-tales”. Daß aber Ehaucer auch Petrarca ge 
kannt hat, erhellt hinlaͤnglich aus der Bergleihung dee 
102. Sonetts mit „Troilus and Cressida" ®, 400 fe. 
Um dem Streit für immer ein Ende zu machen, wollen 
wir auch diefe Stellen vollftändig mittheilen. Das &o- 
nett Petrarca’s heißt nach meiner eigenen Überfegung : 


Iſt Amor nicht, was iſt's, Daß ich ertrage?t 
Do ift Amor, wie wird er dann erfunden? 

IM gut er? Woher dann die Todeswunden? 

Und böjer Wie fo ſuͤß ift jede Plage? 

Brenn’ ih freiwillig? Woher Thraͤn' und Klage? 
Gezwungen? Kann dur Klag’ ich dann gefunden? 
Lebend’'ger Zod, o Zod mit Luft verbunden, 

Wie fiegft Du über mid, wenn ich's verſage? 

Berſag' ich's nicht, Hab’ ich zur Trau't kein Recht. 
Bei ungeflümen Wind auf offnem Meer 
ind’ ich im ſchwachen Kahn mich ohne Steuer; 

o leicht zu wiſſen, doch fo irrthumsſchwer. 
Das was ich will, weiß felber ich nicht reiht, 
Im Sommer kalt, im Winter heiß wie Feuer. 


Chaucer hat drei fiebenzeilige Stanzen daraus ge 
macht: 
Iſt Amor nicht, was fühl' ich ſolchen Drang? 
Und iſt Amor, was iſt er dann und wer! 
IR gut er, woher bin ich dann fo krank? 
Und iſt er böfe? Wunderbar ed wär‘, 
ram tig 
e von mir denno | 
Daß größer wird der Durft, je mehr man ne 


‘ 


Und wenn ich brenn’ aus eig'ner Luft und Macht, 
Woher entfpringt mein Iammern und mein Klagen? 
Was klag' ich, wern das Leid mir Freude macht? 

Was geb’ ich vor denn ohne Noth Die Plagen? 

Lebend’ger Tod, o Harm fo füß zu tragen, 

Wie läßt in mir fo große Kraft ſich ſehen, 

Iſt es mit meinem Willen nicht gefchehen ? 

Und geb’ ich's zu, fo Mag’ ich ficherlich 
Mit Unrecht, fo gefchleubert hin und ber, 

Wie ein Kahn ohne Steuer find’ ich mich 

Inmitten zweier Wind’ auf off'nem Meer, 

Die fich verein’gen wollen nimmermehr. 

- Was hat die Wunderkrankheit für Gewalt? 

If's heiß, flerb’ ich vor Kalt’, vor Hig’ iſt's kalt. 

Die gegebenen Stellen werben wol hinlänglih be: 
weiſen, daß Chaucer nicht blos Stalienifch verfiand, ſon⸗ 
dern daß er auch die Werke von Boccaccio, Dante und 
Petrarca kannte und benugte. Auch gibt ed noch eine 
gute Anzahl anderer Stellen, aus denen Daffelbe bemie- 
fen werden kann. 

Wir haben uns bier etwas zu lange yerweilt, um 
auch andere Punkte in Craik's Buche befprechen zu koͤn⸗ 
nm. Wir erhalten im vierten Buch fehr reichhaltige 
Angaben über die Gründung und Vergrößerung von 
Univerfitäten und Schulen, über die Einführung der 
Buchdruderfunft und über den Stand der Wiffenfchaf- 
ten im 15. Jahrhundert. Es fehlt nicht an einzelnen 
unrihtigen Angaben, nit an Nachläſſigkeitsfehlern (fo 
leſen wir II, 191, daß James V., der 1513 bei Flobben 
fiel, der Verf. von „Peebles to the Play” und „Christs 
Kick on the Green” fei; James V. ift allerdings ber 
wahrfcheinliche Verf., aber es war fein Vater James IV., 
der bei Klodden fiel; James V. ward 1512 geboren 
und farb 1542); aber im Ganzen genommen wird es 
immer ein gutes Bud zu nennen fein und allen Freun⸗ 
den des altenglifchen Schriftenthums aufs befte empfoh- 
Ien werden fünnen. | 

Die unter 2 aufgeführte „Cyclopaedia of English 
literature von Robert Chambers bat einen andern 
Zweck; fie foll ein Buch fein für Jedermann und ift 
daher nicht nur in einem anfprechenden und allgemein 
verftändlichen Stile gefchrieben, fondern empfiehlt ſich 
auch durch hoͤchſt anftändige Ausflattung und fehr mohl- 
feilen Preis. Diefes Wert iſt am meiften noch ber 
„Encyklopaädie ber deutfchen Nationalliteratur” von D. 2. 
B. Wolff ähnlich, nur dag die Schriftfteller nad) der 
Zeit und nicht nach ber Buchflabenfolge geordnet find 
und daß das englifhe Werk nur felten Spuren fo gro- 
ser Nachläffigkeit trägt als man fie bei Wolff faft auf 
jeder Seite findet. Chamber’ Buch ift mit Holzfchnit- 
ten (Bildniffe der Dichter und andere auf diefelben be- 
zügliche ‚Gegenftände darftellend) recht huͤbſch verziert, 
ohne übermäßig damit angefüllt zu fein. Wiſſenſchaft⸗ 
liche Anfprüche darf man an das Werk nicht machen; 
in allen übrigen Erwartungen, bie man von bemfelben 
hegen kann, wird man ſich nicht getäufcht finden. 


Ehuarb Fiebler. 


| 


Zur polniſchen Literatur. 


I. O Magistratach miast polskich. (Über die. Magiftcate in 
den polnifchen Städten, insbefondere in der Stadt Krakau.) 
Von Karl Mecherzynski. Krakau 1845. 


Es iſt dies die erſte Polnisch gefchriebene Gefchichte des 
magdeburgifchen Rechts in Polen, treu nad anderen en 
Quellen bearbeitet, die dem Verf. in reichlihem Maße 'öffen 
ftanden. Da das Werd felbft wenigen Lefern dieſer Blätter 
zugänglich fein dürfte, fo wollen wir das allgemein Intereffi- 
rende daraus hier zufammenftellen. Schon im 12. Jahrhundert 
begannen, wie der Verf. nachweift, die Einwanderungen der 
Fremden in Polen. Die Kriege in Deutfchland, die Streitig⸗ 
beiten zwifchen den deutfchen Fürften, dann die überſchwem⸗ 
mungen in Flandern zwiſchen 1129 und 1135 führten Deutfche 
und Holländer nad) Polen. Daher in Polen von alter&her die 
gellänbereien (agri hollandenses). AQuerft werden 1178 in 
Schlefien theutonici et gallici homines erwähnt, es waren Ein⸗ 
geiwanderte aus Franken und Flandern. Bom 13. Jahrhun⸗ 
dert an begannen darauf häufigere Einwanderungen in die von 
den Mongolen verwüfteten Ländereien Polens und Schlefiens, 
wo die Eingewanderten nicht nur ein weites Eigenthum, fon- 
dern auch zugleich Befreiung von den in Polen gewöhnlichen 
Abgaben und Laften gewannen. Diefe Vorrechte und Ausnabe 
men von der Jurisdickion der Wojewoden und Eaftellane faßte 
man unter dem Namen bes teutonifchen Recht zuſammen. 
Einen reellen Unterfchieb zwifchen den deutfchen und den Lan» 
deögefegen kannte man damals nicht, im Allgemeinen ftand un- 
ter dem jus polonicum wer den Landesobrigkeiten und Ge⸗ 
richten unterworfen war und an den allgemeinen Laften und 
Abgaben theilnehmen mußte. Wer gänzlich oder theilweife von 
demfelben befreit war und unter der eigenen ftädtifhen Juris⸗ 
diction fland, ward nad dem jus teutonicum gerichtet. Daß 
polnische Recht felbft war ebenfo wenig gefchrieben wie daß 
beutfhe, es waren die consuetudines, die mores majorum, 
nach denen Recht gefprodhen wurde, in zweifelhaften Fällen 
nahm man zu den Gotteurtheilen feine Zuflucht. Nachdem 
fih in Deutſchland das magdeburger, hallefche und Lübeder 
Recht herausgebildet hatte, erlangte das deutjche Recht in Folge 
der beftändigen Verbindungen der nach Polen eingewanderten 
Deutſchen mit ihrem Baterlande und des gänzlichen Mangels 
an polnifhen Gefegen und feften ftädtifchen Drönungen Bür- 
gerrecht in Polen. Es hieß anfangs jus novi fori, fpäter das 
Recht von Schroda, dann magdeburgifches und endlich als jus 
terrestre — zum Unterſchiede von dem bloß in den Städten 

eitenden magdeburgifchen — kulmiſches Recht. Vom 13. Jahr» 
Bundert an kommen Ertheilungen des magdeburgifchen Rechts, 
durch welche die Anſiedler von der Landesjurißdiction ausges 
nommen wurden und das Recht, ein befonderes Gericht aus 
ſich ſelbſt zu bilden, erhielten » häufig vor. Bon dieſem Ge 
richte ging die Appellation an die Herren ber Anſiedelungen 
und bei fchwierigen und zweifelhaften Fällen nach Halle und 
Magdeburg. Man findet nicht, daß polnifche Kürften, Diefe Be: 
rufung ausdruͤcklich in den Privilegien verboten hätten. Die 
Anfiedler fuchten nachher mehr aus Gewohnheit als aus Roth 
die Urtheile der ausländifchen Gerichte na, was fogar Dann 
ftattfand, als im Lande ein deutſches Dbergericht eingefept und 
die Appellation nah Halle und Magdeburg verboten war. 
Rad dem Mufter des magbeburger Gerichts bildeten alfo die 
Städte, denen das magdeburgifche Recht ertheilt war, unter 
fi ein judicium bannitum, das ebenfalls aus dem Vogte (im 
Holnifhen woyt) und den Schöppen befland, oder fie hatten 
eigene Magiſtrate. Ausdrücklich wird ihnen dieſes Recht in’ 
den Locationsprivilegien ertheilt. So heißt es in dem 1257 vom 
Könige Boleslaw der Stadt Krakau ertheilten Locationsprivile⸗ 
gium: „ut quod ad magdeburgensis civitatis jus et formam 
fieri solet, advertatur.’” Es bildeten ſonach bie polnifchen 
Städte, denen das magdeburgifche Hecht zuertheilt war, Feine 
mitten in Polen befindliche Republiten, in welchen unter der 


« 








Mt. aber das Mut und bie Ihrinen bei Maleriaubes mb 
es die mi rühren.” 9 
Biblisgraephie. 


j Andreas, 3.8., Die sample tes b Hrißtihen —— 


furt a. M., * 1845. 12. 573 
— 4 E. 3, —— biſtoriſch ſtatiſtiſch⸗ 
Beſchreibung d eßherze ſdenburg, Burfentpuus 
Hr —* —— — und Karte. Birkenfeld. 
&. 8. 1 Zhie. 15 Kor. 
——— — — ve Bart 3. €. 3. 2., Die Pflanzenwelt ein 
hs 2. Serben pe» gegen. Poetiſche Berſuche. 
eidel. 15 
—2 der deutſchen Aufflären E 18. Zahrhunderts. 
% eben von M.v. Geismar. I. Earl Zriedr. Bahrdt. 
Ich. Be Eberhard's neue Apelogie des Sokrates. Leip⸗ 
zig, Bereinsverlagsbuchhandlung. Br. 8. 25 Rar. 
Deutſchland und die Deutſchen. Von einem Srargofen. 
Deutfh von R. Binder. Leipzig, Themas. 9. 1 Ihr. 
Dickens, E., Das Heimden auf dem Heerde. Zeenmär: 
en. Stuttgart, Halberger. 8. N. 12 Rgr. 
Ende, 4. &, Gaben der Eindlicgen Liebe. Eine Gamm⸗ 
Ing von Predigten und Reden. Sondershaufen, Eupcl. Gr. 8. 
R 


Feuerbad‘ 6, 8%, Sammtlihe Werke. Ifter Band: Gr: 
Läuterungen und Graängungen un vum Bing des Ebriſtenthums. 
geipaig, © . Bigand 

ebichte aus dem Berliner Seriwerer: eBerein. Berlin, 
Kraufe. 32. 3 Nor. 

Geheimniffe von Rom im 19. Jahrhundert. Schattenſei⸗ 
ten aus dem Volks», Hof» und Kirchenleben, nah Briffäult 
bearbeitet vom Verfaſſer der Schrift: „Das Innere der Geſell⸗ 
a Jelu. fies bis Ites Heft. Leipzig, D. Klemm. Gr. 16. 


a ‚E.v., Briefe aus und über Tirol, geschrie- 
ben in den Jahren 1843 bis 1845. Kin Beitrag zur nähern 
Charakteristik dieses Alpenlandes im Allgemeinen und der 
Meeraner Gegend insbesondere. Berlin, Duncker und Hum 
blot. Gr. 8. 3 Thir. 15 Ngr. 

Deutſches Hausbuch, herausgegeben von 6. Börre 
Hi Heft. Münden, Literarifch » artiftifche Anftalt. Gr. r 


Becker, J. F. C., Über Sympathie. Kine Vorlesung, 
ehalten im wissenschaftlichen Verein zu Berlin am 21. März 
fs36. Berlin, Enslin. Gr. 8. 

Semier, 3.6, %., Die Tafel. Ehe im Oderwalde und 
de Dragonabden in Schlefien. ine Erzählung aus den Zeiten 


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hi 
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4 


Riberle, 3 6, Rem mu den keiten rei 

— Die yaaitı Befermstıze in Deutkälent. Mir Deut: Ece J 

1 I DR * 
Eettinzer, EM, Berezmihhe Khdhtr. Zei Bande 

S. — 


Sqhabert, ©. ‚Du Cme 
uber $- 2. Imäny. — 


Be 
3, Ne. 
Zrendeleuburg, U, Ricbe 


Zagesliteretur. 
Aus dem Jahre 15°. Zu Luther's und feiner Feit Ge 
dachniß. Leiprig, Ahemas Ge. 8. 5 Mar. 

Bendiren, Bede au Mart. Luther’ Gedadhtnißfeier, gr- 
halten am 3 Febr. 1346 im Altonaex Bürgerverein —8* 

gr. 

Die Einweihung des neuen Seminargebäudes in Older 
burg am 20. Febr. IS46. Mit einigen hiſteriſchen Rotiza 
und einer li birten Unfit des Gebaͤudes. Didenburg, 
nel, .8. 5 Rar. 


liche in der göttliden Offenbarung. Predigt über 3. Boi. 

11—14. Berlin, Vereinsbuchhandlung 8 2, Rar. 
Zabrcsfeier der Wiedſchen Bibel⸗Geſellſchaft nebft Sänular: 

— des Todestkages Luther's. Reuwied, Lichtfers. Gr. V. 


Ror 

Liebe, F., Blätter ber Erinnerung an die Hauptconvente 
der Geiſtlichen der Ephorie Dfiyag in den 3. 1844 und 13%. 
Djasg, Dldecop’3 Erben. 1845. Br. 8. 8 Xgr. 

as — und die Darüber verbreiteten Bor: 

urtheile. ecipiig, D . Bigand. Fr. 8. 5 Nor. 

er (8.). Vorträge und Reden, zur Braun: 

rigen Geburtstages am 25. Ian. 1846 

Berlin, von Joſephine Stablin in Zürich, Rofette 
Niederer in Genf, Zinette Homburg in (Emmerich, 
Gertrud Flender, Ida Klug, Augufte Schmidt und 
A. Diefterweg in Berlin. Berlin, Enslin. Gr. 8. 12 Rar. 

Stählin, H. U., Abſchiedspredigt, gehalten am 25. Ion. 
1846 im Brünner evangelifchen Beigbaufe A.C. Wien, Bin 
mer, Schmidt und Leo. Gr. 8. 8 Rur. 

Zreiße, 8.28. E., —S des erſchlagenen Mahl⸗ 
— Sorg Sbriftion Kreugburg zu Schwarzhaufen. Gotha, 

üller 

Die Verpflichtung der Lippefchen Prediger is Die im He: 
beiberger Katechismus enthaltene Lehre der nad Gottes Bor 
teformirten Kirche bei ihrer Aufnahme unter die Landescordi⸗ 
daten. Behauptet und beueuge von fünf Predigern. Bielefeld, 
Velhagen und Klafſing. Gr. 8. 7Y, Nor. 





Werantiwortliher Herausgeber: Seiurich Werdhand — Drud und Verlag von V. M. —— — in Leiprig. 


Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 


Sonnabenh, 


6. Juni 1848, 





Das europälfhe Rußland. 


Reiſe im europäifchen Rußland in den Jahren 1840 und 1841 


von 3. 9. Blafins. Zwei Bände. Braunfchweig, Weiter: 
. &.8 5 Ahlr. 


mann. 1844 


Neifeberichte über das europälfche Rußland find keines⸗ 
wegs zahlreich vorhanden, denn weber Land noch Men- 
fen find von der Art, um wefteuropäifche Wander- 
Iuflige anziehen zu Tonnen. Sind diefe, weil e8 eben fo 
Mode ift, abgeneigt nach Art unferer Väter nach dem 
vieldurchforfchten Süden und Welten unſers Welttheils 
fih zu wenden und eilen fie nach bem Norden, um für 
italienifche Preife und zum Lohne ungemähnlicher Be⸗ 
ſchwerden ziemlich zweifelhafte Genüffe einzutaufchen, fo 
bleibt Sfandinavien ihr Ziel. Don Rußland wendet 
die Glaffe gewöhnlicher Touriften mit Scheu fih ab, 
und faft ſcheint es, als hätten fie aus der ominöfen 
Dhyfiognomie ded grenzbemachenden Doppeladlers abge 
nommen, daß man jenfeits über ihre Beſuche nicht ber 
ſonders erfreut fein werde. Sie begnügen ſich daher in 
der Regel mit Petersburg, fehen höchſtens noch Mos- 
kau, ohne jedoch von der geraden Straße abzumeichen, 
und meinen dann über das ganze Reich ihr Urtkeil ab- 
geben zu können. In das Innere von Rußland kann 
den freien. Sremben nur vwiffenfchaftliher Beruf ober 
Gefchäftszwed führen. Wer eigentliches Reifevergnügen 
ſucht, muß nicht nach Gegenden ſich begeben, die ohne 
Reize der Landſchaft und des Klimas in Entfernung 
von mandem Hundert von Meilen keinen Wechfel dar⸗ 
bieten, mo man, ben Fremden nicht gern ficht, biefer 
aber auf freie Übung feines Willens verzichten und au 
eine Ertragung fi gewöhnen muß, bie mit ben Ge- 


nüffen, den Koften und ben Refultaten ber langen Reife 


in feinem irgend erträglichen DVerhältniffe ſteht. Kauf 
leute und Geihäftsmänner fchreiben keine Reifen. Ge 
wöhnliche Touriſten aber, zu welchen man ohne Un- 
gerechtigleit zu begeben den Marquis Guftine ganz 
ruhig zählen darf, handeln meift ſehr Bekanntes ab, 
verfuchen über die zwei Hauptſtaͤdte etwas Piquantes zu 
fagen und verbreiten fih dann über die äußerlich wahr- 
nehmbare Thätigfeit der heimlichften und verfchwiegen- 
ften aller Regierungen, über oberflächlihe Erſcheinun⸗ 





gen des bürgerlihen Lebens, über bie Art bes Meiſen⸗ 
und ſein Ungemach und die Leiden des Fremden unter 


einer ſchmuzigen Bevoͤlkerung ober gegenüber ber Will⸗ 
für zahlloſer und ſehr demoralifirter Beamten. Lob 
redner über Rußland und feine Bewohner gibt es um 
ter diefen Schriftſtellern nur fehr wenige, und fie ge 
nießen, wie die Suchen nun einmal fliehen, fehr geringes 
Bertrauen. Um fo unverfennbarer fpricht aus ber Mehr. 
zahl eine fehr große, theilweiſe fehr erflärliche Bitterkeit, 
die den befounenen Leſer endlich auch mistrauifch macht, 
wol gar anzuwidern beginnt, ba es auf bie Ränge einem 
folchen nicht zufagen Tann, ſich Geſchichten vortragen zu 
laffen, durch welche das dunkle oft graufenhafte Bild 
gemiffer Zuftände, an deffen allgemeiner Wahrheit Rie- 
mand zweifelt, einige Züge mehr empfängt. Wan muf 
unter folchen Umftänden es für einen wirklichen Gewinn 
achten, daß endlich einmal ein Deutfcher und zwar ein 
Naturforfiher — und diefer war der fonft fehr gründliche, 
gemäfigte und weitgereifte Kohl nicht. — in bie Provin⸗ 
zen Rußlands eingedrungen ift, und ba feine Korfchuns 
gen angeftellt, wo gewöhnlich Meifende nicht hinkommen 
ober eigentlich auch nichts zu ſuchen hahen. Wir mol 
len nicht erörtern, inwieweit bie alse Überlieferung im 
t Wahrheit begründet fei, welche den Kranzofen bie 
Faͤhigkeit zufchreibt, die Erfcheinungen bes gefelligen Le⸗ 
bene und ber äußern Givilifation befonbers gut aufzu- 
faffen, unb von den Englaͤndern behauptet, daß fie be 
fonders geeignet find, über politiſche Entwickelung und 
Staatseinrichtung anderer Völker ein Urtheil abzugeben 

find aber der Meinung, daß beide hinter dem Deutſchen 
zurückbleiben, wo «6 darauf ankommt eine Menge ger 
wiffenhafter Beobachtungen zu einem geordneten Bam 
zen zu verarbeiten und im logiſchen Fortſchreiten den 
Zuſammenhang zwiſchen der Natur und den Men 
ſchen eines Landes nachzuweiſen. Die auf philoſophi⸗ 
ſcher Naturforſchung begründete Länder⸗ und Völker⸗ 
kunde iſt eine auf deutſchem Boden entſtandene Wiſ⸗ 

ſenſchaft und wird mol noch lange unfer ausſchließliches 
Eigenthum bleiben, eben weil fie der Ausdruck unſerer 
ganz eigenthümlichen Geiſtesrichtung iſt. Wer ſich ver⸗ 

ſucht fühlt, in dieſem Ausſpruche ein Zeichen einſeitiger 
Selbſtüberſchaͤzung zu erkennen, mag die für ausgezeich⸗ 


© . 





‘ 


net erflärten Reifebefchreibungen ber Franzoſen und’ Eng⸗ 
länder durchlaufen und zufehen, wie wenige berfelben 
wiffenfhaftlihen Werth, gründliche Verarbeitung und 
Schöne der Form miteinander verbinden. Die über- 
wiegende Mehrzahl gehört in diejenige Claſſe, für melde 
wenn wir nicht ganz irren bie Englaͤnder felbft den 


Namen erfunden, in bie Claſſe der ZTouriften » Literatur. 


Die gebiegenern find meift mit fo viel vornehmer Be⸗ 
quemlichleit abgefaßt, daß es dem an Beſſeres ge- 
wöhnten deutfchen Leſer ſchwer genug wird, bie ver- 
fireuten Beobachtungen auszuziehen und zufammenzu- 
ftellen. Zumal bei englifhen Reiſewerken weiß man 
oft nicht, ob man verbrießlicher gemacht wird durch bie 
liederliche, die Verarbeitung aufhebende Tagebuchform, 
durch bie breiten Wiederholungen ober bie fubjertive Urt 
der Betrachtung, welche es geftattet fremde Leiflungen 
mit Geringfhägung zu ignoriren Wir freuen uns, 
Blaſius' Wert über das europäifche Rußland den Le- 
fren d. BI. als den geradeften Beweis von der Tüchtig⸗ 
keit der deutfchen wiffenfchaftlichen Reifebefchreibung em- 
pfehlen zu koͤnnen. 

Der Finanzminifter Cancrin hielt es für angemeffen, 
eine wiſſenſchaftliche Unterfuhung des nördlichen und 
mittlern Theiles des europäifchen Rußlands zu veran- 
daffen, um Einfiht in die Hälfsmittel zu gewinnen, 
welche die Natur dem Gewerbfleiße dauernd darbieten 
möchte. Baron U. v. Meyendorff, ein paar wenig ge 
kannte Ruffen, Blafius und Graf Keyferling, welcher 
den Zoologen durd frühere mit Blaſius gemeinfam aufs 
geführte Arbeiten wohl bekannt ift, bildeten die Reife- 
gefellfihaft, der eine Zeit lang ber englifhe Geognoſt 
Murchiſon ſich anſchloß. Uber Lübel gelangte Blaſius 
im Juni 1840 nach Petersburg, eilte aber nach weni⸗ 
gen Tagen dem Innern zu, um ber unheimlichen Ein- 
drücke ledig zu werden, melde die auf Sümpfen er- 
bauete Granit » und Marmorfladt mit ihren Wibder- 
ſpruͤchen und ihrer Beamtenwelt auf ihn hervorgebracht 
hatte. Das Ziel des erften Theils der Reife war Mos⸗ 
Tau, welches jedoch nicht auf der bekannten geraden 
Straße, fondern auf weiten Ummegen erreicht wurde. 
So groß nun auch die durchmeſſene Entfernung war, 
fo bot fie im Verhältniffe doch nur geringe Wechſel, und 
felbft diefe waren von ber Art, dag nur das geübte 
Auge des Naturforfchers fie erfaſſen konnte. Der Laie 
reift aus der Mark bis an die fiberifche Grenze, ohne 
irgend, eine erhebliche Weränderung zu gewahren und 
findet daher das innere Rußland unendlich langweilig. 
Selbſt der Naturforfcher mag ftellenweife 100 — 200 
Meilen in gerader Richtung zurüdlegen, ohne eine Ver: 
fhiedenheit in der Bodenbildung, ber Pflanzen- und 
Thiermelt zu entbeden. Am Nordrande des Harzge⸗ 
birgs finden fi auf einer Meile Entfernung mehr geo« 
graphifche Wechfel zufammengedrängt als auf dem lan⸗ 
gen Wege von Odeſſa bis Archangel, und vom Fuße 
des Harzes bis auf die Spige des Brodens zeigt bie 
Begetation größere Begenfäge als zwiſchen der Grenze 
‚ber Steppen und ber Eismeerküſte. Nirgend in Europa 


bietet bie Natı eine Bleichförmigkeit und Übereinftim- 
mung in ihren Geflalten in fo riefenhaftem Maßftabe 
bar als in Rußland. Es ift nämlich für den Norben 
charakteriſtiſch, daß Alles, was die Natur barbietet,. in 
unüberfehbarer Ausdehnung auftritt, während der Sü- 
den reicher an Formen und. ungleich) ärmer an Indivi⸗ 
duen, dafür aber um fo mannichfaltiger eiſcheint. - Ein 
einzelnes Factum mag als Beweis dienen. Das Gou⸗ 
vernement Wologda von 8160 Duadratmeilen enthält 
gegen 30 Millionen Hektaren an Kronwaldungen, alſo 
an funfsigmal mehr Waldung als das ganze Königreich 
Frankreich, dennoch beftchen biefe Forfte in ber Haupt- 
fache nur aus zwei Bäumen, der Zanne und ber Kiefer. 
Gleich arm an Arten ift das übrige Pflanzen- und 
Thierreich, wenn auch erdrückend durch feine Maffen. 
Den kurzen Sommer um den Ladogafee beleben wenige 
Arten von Inſekten, aber die wirklich einheimiſchen er⸗ 
ſcheinen dafür in ſolchen Scharen, daß fie im eigentli⸗ 
chen Sinne die Luft verfinſtern und dem Reiſenden zur 
aäußerſten Plage gereichen. Es iſt als ob die Natur im 


‚ Norden duch Armuth an Ideen zu ewigen Wiederho⸗ 


lungen gezwungen werde. Der Naturforfcher findet fich 
durch diefen Mangel an Formen unbefriebigt, während 
ihre maffenhaften Wiederholungen auf jeden andern Be- 
obachter einen tiefen jedoch nichts weniger als erheitern- 
ben Eindrud machen. Uberhaupt gebricht e8 dem euro⸗ 
päifchen Rußland an landfchaftlichen Reizen. Zwar be 
fieht das Land aus verfchiedenen ftufengleichen Erhebun⸗ 
gen und aus Hochebenen, bie bis 800 Fuß anfkeinm, 
allein die Anfleigung gefchieht Tangfam, und Die ges: 
gnoſtiſche Bodenbildung läßt tief eingefchnittene, durch 
ſchroffe Wände gefchloffene Thäler ebenfo wenig vorfom- 
men als fühn hervorragende Felfen; natürlich erfcheint 
baher das Land entweder ald endlofe Ebene oder mit 
wellenförmiger Oberfläche, immer aber ohne malerifchen 
Charakter. Die Wafferfpiegel der großen Seen, des 
Ladoga und Onega, und bie breiten Zlüffe bringen al- 
fein einigen Wechſel in das einförmige Bild, boch find 
fie felbft nicht fon, da ihre Ufer entweder ganz fiach 
fihh ausbreiten. und als Sumpfftreifen in das ähnlich 
gebildete von Urmäldern bedeckte Feſtland verlaufen oder 
wie Sandwälle emporragen. Sind die Geftade hin und 
wieder höher und fchroffer, fo beftchen fie dafür aus 
Schichten des alten rothen Sandfteins, ber unter allen 
Gebirgsarten da mo er vorherrfcht dic wenigſten male- 
rifhen Umriffe darbietet. Die Steintohlenformation, die 
meiter nach Süden den Sandftein ablöft, ift für die 


‚allgemeine Anſicht des Landes von feiner Wirkfamkeit, 


indeffen ftcht fie mindeftens in Verbindung mit einem 
fruchtbarern Boden und einer gefunden und mehr frif- 
tigen Vegetation. Von einem ber höhern Hügel ge 
fehen erfcheinen die großen nach ‚Norden abhängigen 
Flächen der nördlichen Provinzen in abftoßender Geftalt. 
Ein unabfehbarer Wald von düſtern Nadelbäumen be 
deckt fie und ſchneidet endlih am Horizont ab, nur da 
unterbrochen, wo Seen heil hervortreten oder die Sum— 
pfe fi) ausbreiten, die zwar auch in hochflämmigen 


Waldungen ben größten Theil des Bodens ausmachen, 
jedoch ſtellenweiſe fo ſehr ‚zu eigentlihen Mooren wer- 
den, Daß nur niederes Geſtraͤuch auf ihnen fid, erhalten 
Tann. Von Menfhen und ihrer Thätigkeit find von 
oben her felten die Spuren zu entdeden, denn ihre Nie- 
berlaffungen befchränkt die Armuth des Bodens; fie find 
zu gering und zu weit verficent und au veränderlich, 
um in diefem unfreundlichen Tannenwald fehon aus ber 
Ferne bemerfbare Unterbrechungen hervorbringen zu koͤn⸗ 
nen. Nur die wenigen Städte und diejenigen Dörfer ſtehen 
feft, welche entlang ber Landſtraßen auf Befehl begrün- 
det worden find. Die feitwärts abliegenden Niederlaf- 
fungen werden nicht felten nad) andern Orten verlegt. 
Im Norden des europäifchen Rußlands hat fih der 
Menſch mit der Natur keineswegs auf völlig feiten Fuß 
gefegt, vielmehr ericheint er häufig als ein halber No⸗ 
mabe, der mit ihr einen ungleihen Kampf und meift 
mit geringem Erfolge führt. Sieht man, wie Armuth 
des Bodens und Härte des Klimas fi, vereinigen, um 
diefe weiten Flächen unbewohnbar zu machen, und wie 
die gefammte Thierwelt hier vom periodifhen Wander- 
triebe ergriffen nach Ablauf des kurzen Sommers ent- 
flieht und im Süden Schug fuhrt, fo mag man wol 
den Menfchen bedauern, der den Ziehenden nicht folgen 
darf und da aushalten muß, wo wenigftens feine nafür- 
liche Stätte nicht iſt. 
(Die Kortfegung folgt.) 


⸗ 


ö— — — — — — — — —— 





Schopenhauer in ſeiner Wahrheit. Mit einem Anhange 
über das abſtracte Recht und die Dialektik des ethi⸗ 
ſchen und des Rechtsbegriffs von F. Dorguth. 
Magdeburg, Heinrichshofen. 1845. Gr. 8. 7N4 Nogr. 


Zu den erfreulichen Erſcheinungen der Zeit muß die ge⸗ 
rechnet werden, daB mehr als ein praktiſcher Geſchaͤftmann 
und zum Zheil hochgeftellter Staatsbeamter neben feinen Amts⸗ 
geſchaͤften ein ernftliches Studium anderer Wiffenfchaften, zu: 
mal der Philofophie und der Theologie, betreibt und darin et 
was leiftet. Auch von Hrn. Dorguth gilt dies und er freut 
fi) ungemein darüber, auf dem von ihm eingefchlagenen Wege 
von einem andern Denker eingeholt zu werden, welcher feine 
ganze Zeit und Kraft auf den Gegenftand verwendend noch 
mehr Betrachtungen anftellen und darauf noch tiefer eingehen 
kann als der Dilettant. Hr. Dorguth ift entzüdt über den 
Inhalt der Schopenhauer’fchen Schriften; er meint, daß burch 
fie endlich das Licht der reinen Wahrheit aufgegangen fei bis 
auf einige Beinere Sonnenfleden, die er gewahr worden ift 
und die er auch noch auszutilgen ſich berufen findet, weil fie 
nicht im Sonnentörper, fondern nur in deſſen Atmofphäre ih: 
rn Sig haben. 

Da es hier nicht um die Schopenhauer'ſche Philofophie zu 
thun iſt 9), fondern nur um die Bemerkungen, Erläuterungen 
und Berichtigungen in dem vorliegenden Schriftchen, und diefe 
aus dem ganzen zujammenhängenden Syſteme hervorgetrieben 
find und darin wurzeln, Bann hier nicht auf eine alljeitige Er⸗ 
mägumg derfelben eingegangen werden, ohne eine tiefjinnige 
philofophiſche Abhandlung zu liefern, die für eine literarifcye 
“ Unterhaltung zu fchwerfällig werden würde. Allein einige Be: 
trachtungen, zu denen die Beranlaffung dargeboten wird, wer: 





*) Vergl. hierüber einen ausführlihen Auffas in Nr. 278— 381 
dB. Bl. f. 1886. D. Red. 


den ſchon hinreichen, die Lefer mit dem Büchlein bekannt gu 
machen, was ja der Zweck unferer Unterbaltungen ift. 

„Dem abſolut freien Willen fol ſich nicht gebieten laſſen, 
zu wollen, mithin auch nicht dem menfchlihen Willen, ſondern 
nur thun oder unterlajfen zu follen. Da ed nun aber abftract 
au Fein Sollen, am ' wenigften ein Wollenfollen gebe, fo 
dürfe ſich die Philofophie mit der Religion gar nicht kritiſch 
befaſſen. Daher ſei der religioͤſe Glaube abſolut.“ Wenn wir 
aber nur Begriffe haben koͤnnen nach des Verf. Anſicht von 
Dem, was wir durch die Erfahrung haben kennen lernen, ſo 
iſt ein abſolut freier Wille, überhaupt alles Abſolute, für uns 
ein Ding, wovon wir gar feine Borftellung haben und wovon 
wir nur ſchwatzen wie der Blindgeborene von der Farbe Wir 
kennen allein den Willen im Menſchen als einen dajeienden, 
und wenn wir andern Dingen, 3. B. Gott, der Natur, den 
Weſen, einen Willen zuſchreiben, fo übertragen wir nur bie 
an uns abgenommene Erkenntniß von diefem auf jene und ver: 
menſchlichen fie eben dadurch. Ferner ift eine Freiheit ohne 
Geſetz ein Unding, vielmehr befteht alle Freiheit in dem Zus 
ftande Des Kraftbefiges, dem eigenen Gejege gemäß thätig gu 
fein, darin nicht behindert werden zu Eönnen. Selbftbeftim- 
mung des MWillend nad) dem in dem eigenen Weſen Iiegenden 
Geſetze ift der Freiheit Natur und eben dieſe Nothwendigkeit 
beißt Sollen. Das Wollenfolen genau zu erkennen ift ſonach 
die Aufgabe der Ethik wie der Religion, nur aus verfchiede: 
nen Beitimmungsgründen, dort als das Gefeg des menfchlichen 
Dentvermögens, hier als das Geſetz Gottes. Das Gefe Got⸗ 
tes aber würde unfere Freiheit aufgeben, wenn 28 mit dem 
ethifchen Geſetze in Widerſpruch träte. Überdies Bann Das Ge⸗ 
jeb Gottes uns nur verbinden, wie jedes äußere Geſetz, durch 
jeine Bekanntmachung, und von diefer legtern können wir wie 
der nur Kunde haben entweder dadurch, daß wir es in uns 
finden, als unferer Denkkraft einwohnend, ihr von Gott aner: 
fhaffen ausfindig machen, oder daß es und offenbart, durch 
eine Handlung außer uns und offengelegt wird. Ob nun in 
dem erflern Falle unfere Erforfhung richtig und ob im leg 
tern Falle die Handlung der Offenbarung an ſich wahr, ob 
der Bwed einer Offenbarung unzweifelhaft, und ob der Inhalt 
getreu, vollſtändig und beftimmt zu unferer Wiffenfchaft durch 
die äußere Mittheilung gebracht worden fei, die Alles bedarf. 
ber forgfältigften Unterfuhung, Forſchung und Prüfung, da- 
mit nicht Aber» und Afterglaube an die Stelle des Glaubens 
trete und das Rarbenfpiel des Irrtfums und Wahns für das 
reine Xicht der Meligion angenommen werde. Jede pofitive 
Religion bedarf deshalb der bifloriihen, grammatifchen und 
philofophifchen Kritik, ber legtern darum, weil jede Religion, 
welche irgend etwas Unmoralifches vorfchreibt, ſchon darum 
wenigftend eine unlautere und unwahre fein muß und wir 
Menſchen ihre innere Wahrheit nur an ihrer übereinſtim⸗ 
mung mit dem Pflichtgebote in uns abnehmen Eönnen. Kein 
Staube kann und darf für denkende Wefen ein abfoluter fein; 
nur ber gedankenlofe ober einfältige Menſch vermag zu glau⸗ 
ben ohne zu denken; für denfunfähige oder des —RX 
beraubte Weſen exiſtirt keine Religion, weder fuͤr die Thiere 
noch für Wahnſinnige. Was wäre denn das: ungedachte reli⸗ 
Vorfielungen? Alles Religiöfe muß wefentlih ein Ges . 
dachtes und al& ein ſolches dem Gefühle Überwieſenes fein; der 
umgekehrte Weg verträgt fih nicht mit der Vernunft im Men- 
ihen; es heißt gerabezu den Menfchen ihre Vernunft, ihre 
ganze Würde abipreden, wenn ihnen auf irgend eine Weife 
die Kritik ihrer Religion verfümmert wird. - 

„Der Zwedbegriff ift ein rein menfchlicher” fol doch nicht 
beißen: er ift eine Erfindung des menfchlichen Denkens und 
bat deshalb nur Gültigkeit in diefem und-für diefes? Damit 
würde der Verf. ein garftige® Loch in feine Kategorientafel 
machen, da der Begriff bes Zwecks einer der unentbehrlichften 
in derfelben ift. Eben das iſt das Unterſcheidungsmerkmal des 
richtigen und unrichtigen Denkens, daß jenes ausfindet, dieſes 
erfindet, indem jenes nur die Vorftelungen ausfindig macht, 








= 

Wie fu der Denkkraft ſchon legen und ihr von Katur einwol- macht umd nicht Issforummen Tann von Dem, was daS 
oder welche aus biefen durch weitere Folgerungen zu er- Bererfuiß Viefer Deganifatten mit 6} bringt, mälhin KR 
find, während biefeb auf Borſtelungen gebracht wird, ungetpeiltes und untheibares Ganıe, bes ſich immur (chf 

Wozu Die Denftveft den Winiaß auper fh findet uud Fe fibR vb un) weienttih unveränbertig if. Einen (ei 
über dieſen Bund Peine ihr genügende Mechenfchaft. geben Inftindt haben bie als Zhiere ebenfalls, aber er 
So wahr iR das aus or Hugo gewählte Wert: Rörer, bei ihnen nur ſcht ſch und untergeorinet, weil fie aw 
set le beubeur — 22* And ia vie. —— — er Leibe au —— Gerle ce was 
die von der a Geelenſpi ehalten inne werben wüffen, die eigentliche iß, der Leil 
———22— —— dos — cher m far Gecie nun wohat ———— 

‚ver ‚ca Traum; e 
De Denken, meshaib au Epinsgo mit vollem * Ein Bermögen, 
m , a a mit vo e ein en, von dem e v 

fogte: Cogitare est summa virtus, was aber fehr ſchlecht über: | und in jeder einzelnen MWiliensihätigfeit —— 
fegt fein würde mit: Das Denken iſt der Zugenden größte, Kraft auf verflgisdene Weile beurfuntet, Menſch ie 
fondern: Das Denken iſt die hoͤchſte Faͤhigkeit oder bie größte gar die Zertigfeit gewinnen kann, das il von Dem 
Kraftentwidtelung der Seele ober des Menfhen. Wir willen wollen, was er thun würde und was er font 
aber auch nur von einem Denken, wie es die menfcpliche Seele | wol gewollt hat. Im weitern Sinne verfiehen wir unter dem 
treibt, und haben gar Feine Hung von einer andern Urt | Willen alfo das Bermögen der Selbſtbeſtinmmung aus und bei 
zu denken, noch weniger von einem abfoluten Denken, das wir | Untrieben. nun koͤnnen entweder die On 
nur ahnen können. D en verfidhert uns unfere Bernunft, lichkeit oder durch bie Vernunft der Seele dargeboten werben; 
daß Alles, was fie mit i im Falle heißen fie Begierden, und die Fähigkeit de 


nicht ſelbſt im Abrede ſtellen Bann. 

” Die —*— warnt nirgend vor der Philoſophie, noch ver⸗ 
Bietet fie deren Beleuchtung der Religiondlehren, oder gibt eine 
Scheu oder Furcht davor zu erkennen, fondern fie unterfa 
nur Die Einmifhung der Philofopben und ihrer GBrübeleien ın 
Die einfach erhabene Echre Jefu. Da Riemand von etwas 
fer fann was er nicht Eennt, fo verſteht ſich ganz von 
felbft, daß hier nicht von allen Philofophen die Rede fein kann, 
ndern nur von denen wie fie Damals und befonders in Ju⸗ 

a bekannt waren. Wahrlich, wenn diefe das Reich Gottes 
auf Die Erde hätten bringen Fönnen, hätte es der dung 
des Heilandes nicht bedurft! So weit defien Lehre von ihrer 
Schulweisheit abftand, fo wenig waren fie geeignet, jene zu 
predigen und innerlid oder äußerlich auszubreiten.. Im &e: 
gentheil war es fehr einleuchtend, welche Wirren in die Re: 
ligion Jeſu gebracht werden müßten, wenn fie von den Philo: 
open jener Zeit nad ihrer üblichen Weiſe behandelt würde. 

er find es nit die Spitzfindigkeiten geweſen, womit die 
Kirenväter und die Reger unfruchtbare Kämpfe unternommen 
Haben, wodurd der Hauptgrund ihres Berderbens gelegt, wo⸗ 
dur fle dem kindlich kötiehten Menfchenverflande entrüdt und 
u einem Zankapfel disputirfüchtigen Aberwitzes gemacht roor- 
en iftt Nachdem aber dieſes Gift fo hineingebrungen ift, 
“daß eb die ganze Subſtanz durdhdrungen und zu einem bedeu- 


tenden heile verändert bat, wie ift ihm jegt anders abzuhel⸗ 


fen als entweder durch ein ſtaͤrkeres Gegengift oder dur An⸗ 
regung der eigenen organiſchen atigten bis zu dem Grade, 
da ſelbſt alles ihr Fremde oder Entfremdete abſtoͤßt und 
ausſcheidet? Darum find die Philoſophen in ihrem Rechte, 
wenn fie die eingefchwärzten falfhen Philofopheme zu überwin- 
den unternehmen. Mit mehr Ig unb gerader zum Biele aber 
eben die Theologen, welche mit Beifeltefegung aller Wenfchen⸗ 
Fasungen und formulirten ®laubensartifel unter gründlicher 
Kritik auszumitteln trachten, was die echte Lehre Jeſu und wie 
fle in ihrer ganzen Verbindung folgerecht zu verftehen iſt. 
Dies ift der Beruf und die Obliegenheit der echten Theologen ; 
do haben fie Fein Privifegium darauf, bürfen alfo auch Nie⸗ 
mandem wehren, ber felbft Die Bibel lefen und verftehen und 
Das beurtheilen kann, was fie als darin enthalten predigen. 
Der Bitte ift der menſchliche Inftinet? Mit nichten! Der 
Snftinet, wie ſchon das Wort bezeugt, ift der Antrieb der Thaͤ⸗ 
tigbeit eines Tebenden Weſens, weicher aus feiner 
Drganifation hervorgeht, fich deshalb ohne alles Bewußtfein 


ammten 





erſtern 
Willens, ſich dadurch beſti zu laſſen, das Beg 
vermögen, wogegen der Wille im letztern Falle feinen Rome 
behält, nur in einer engern Bedentumg, zu deren Bezeichnung 
er auch der freie Mille genannt wird. Denn frei i 


lensbeſtimmung ohne ein Beſtimmendes, ohne Bewegungegrund 

vor ſich gehen. Keine Wirkung ohne ae Feine Geiſtes⸗ 

thätigkeit ohne Überwindung der Herrſchaft der Xrägkeit! Des: 

bald ift es wol wahr, daß nichts ſchwerer ift als die Renſchen 

nur erſt zum Denken zu bringen. . 
(Der Beſchluß folgt.) 











— — — — — — 


Literariſche Anzeige. 


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der Münz-, Maass- und Gewichtsverhältsisse, der Staats- 

papiere, des Wechsel- und Bankwesens und der Usanzen 

aller Länder und Handelsplätze. Nach den Bedürfnissen 
der Gegenwart bearbeitet von 


Christian und Friedrich Noback. 


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(feiersburg — Rio Janeiro.) 


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Das erste bis siebente Heft sind ebenfalls fortwährend zu 
erhalten; der Schluss des Werks ist nach den Versicherungen 
der Verfasser bald zu erwarten. 

Leipzig, im Juni 1846. 





Verantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brockzans. — Drud und Werlag von F. . Wro@deans in Leipzig. 


— 


Blätter 


für 


literarifche Unterhaltung. 





Sonntag, 





Das europäifhe Rußland. 


(Zortfegung aus Nr. 157.) 


Weiter nah Süden gewinnt das Land an Wohn⸗ 
Tichteit, denn obgleich noch Ubelfiände genug vorhanden 
find, bie eben nur der Rufje erträglich findet, fo ift doch 
Ackerbau mit Ausfiht auf Erfolg möglih. Die been- 


genden Tannenwälder verfchwinden, welde bis an den 


Finnifchen Meerbufen reihend viele Tagereifen hindurch 
die einzige Umgebung des Reifenden find und in ihm 
faft das Gefühl einer Einferkerung hervorbringen, der zu 
entrinnen nicht möglich iſt. Die freundliche und beitere 
Kiefer tritt an die Stelle ber finftern Tanne und durch 
Beimengung von einzelnen LZaubholzbäumen gewinnen 
die MWaldungen entlang ber Zlüffe ein parfähnliches 
Anfehen. Zumal tritt aber nun der gefchloffene Bir- 
kenurwald auf als eine der eigenthümlichften Erſchei⸗ 
mungen bes Nordens. Die ſchlanken, blendend weißen 
Stämme ftehen fo dicht gedrängt, daß fie in Entfer- 
nung von 50 Schritten den Gefichtöfreis abſchließen. 
Der 60 Fuß hohe und aftlafe Stamm trägt ganz oben 
die luftige, aus lang herabhängenden Aſten gebildete 
Krone. Die ununterbrochen raufchenden Efpen geben 
dem Birkenwalde, dem fie an vielen Drten beigemengt 
find, Beweglichkeit und Leben, und man begreift wol 
die Vorliebe des Ruffen für die Birke, bie er um fo 
mehr als einen nationalen Baum betrachten barf, ba 


. fie einen wahrhaft ungeheuern DBerbreitungsbezirt hat 


und im mittlen Rußland bis hinaus in das öftliche 
Sibirien unüberfehlihe Waldungen bildet. Ungeachtet 
Diefes Reichthums an Walbbäumen fängt man dennoch 
an in der Nähe größerer Städte Holzmangel zu fühlen. 
Nirgend im Norden wird bie Zerftörung der Forfte fo 
rückſichtslos getrieben ale in Rußland, wo der Aderbau 
auf bdiefelbe begründet if. Man macht fih die Sache 
leicht, zündet eine beliebige Waldſtrecke an, befäet fie im 
nädhften Jahre mit Roggen, fährt in der Benutzung 
drei Jahre fort und verläßt dann das aus Mangel an 


Düngung ganz erfchöpfte Land, ohne für neue Baum⸗ 


pflanzungen zu forgen. Diefer mwandernde und ver- 
wüftende Aderbau ift zwar feit einigen Jahren unter 
fagt und durch einen Feberzug ein 25,000 Köpfe flar- 
tes Forftdepartement in der Staatsverwaltung erfchaffen 
worben, allein beibe Maßregeln können nicht von großer 


7. Zuni 1846. 





Wirkſamkeit fein. Hoͤchſtens wird durch fie fo viel er⸗ 


langt werden, baß bie Bewohner ber nördlichen Pro⸗ 


vinzen dauernde Wohnfige einnehmen und „mehr Ord⸗ 
nung in ihre Landwirthſchaft bringen. Der Aderbau 
fheint nur in ber Nähe der ältern Städte beträchtlichere 
Ausdehnung erlangen zu Eönnen. In größern Fernen 
nimmt er in bemfelben Verhältniffe ab als die Moͤg⸗ 
lichkeit der Verwerthung der Bodenerzeugniffe buch Man- 
gel an Conſumenten und Berbindungsftraßen beſchränkt 
wird. Die Aderfelder find überall mit Zäunen aus 
friſch gefällten Baumftämmen umgeben, um bas Vieh 
abzuhalten, welches im Walde fich feine Rahrung zu 
fuhen gezwungen iſt. In geringer Entfernung von 
diefen Niederlaffungen ift Alles wüft und wild, meiftens 
fogar mit Wald bedeckt, der theild uralt und hochſtaͤm⸗ 
mig iſt, theils als nachgewachſener oder auf moorigem 
Boden ſtehender ein kruͤppelhaftes Anſehen hat und as: 
ein vorzeitig eingetretenes Greiſenthum mahnt. Offene 
bewohnte Stellen kommen gewöhnlich nur in ber Nähe: 
ber Flüſſe und entlang der auf Befehl angelegten Land⸗ 
firaßen vor, die zu beiden Seiten mit einem breiten 
gelichteten Streifen eingefaßt fein müifen. Was biefer 
Theil Rußlands an flaubenartigen Pflanzen und an. 
wilden Blumen befigt, kommt allein an ſolchen Orten 
vor und auf den Wiefen, welche die Nähe des Men- 
[hen bezeichnen. Die Blumen find Kinder der freien 
Natur und vertragen auch in Rußland die feuchte Ker⸗ 
ferluft ber dunkeln Urmälder nicht; fie fehlen wo fie ihr 
Recht an Luft, Licht und klaren Himmel nicht geltend 
machen fönnen. Ebenſo bejchräntt als der Raum ebenfe 
kurz ift auch die Zeit, in welcher ein fröhliches Pflan⸗ 
zenleben fic, dort zeigen kann. Jedermann kennt bie 
Dauer des zuffifhen Winters. Gr liegt fo lange und 
fo ſchwer auf der geduldigen Erde, bag im Sommer bie 
Natur und der Menſch eilen müffen, ihr vorgeftechtes 
Ziel zu erreihen. Daher die ungemein fchnelle Ent- 
widelung im fpät eintretenden Frühjahre, daher aber 
auch das raſche Durchlaufen der verfchiedenen Perioden, 
die erſt bei Reife ber Frucht abfchließend, ſchon unter. 
dem beutichen Himmel fünf bis ſechs Monate, in Ruß⸗ 
land aber oft kaum ebenfo viele Wochen erfodern. Die 
verfchiedenen Generationen folgen fi. auf Wirfen und 
offenen Drten mit folder. Schnelle, daß zmifgen ben 
aufbrechenden Sommerbiumen fi ſchon die Herbfiblu- - 


63 - 
® 


ängen. Die abgemeffene Summe ber Le⸗ 


men eniporbr 
bensträfte ift in wenigen Zagen erichöpft und bie Kräfte 
vereinigen fih zur Fruchtbildung, che ber kurze und 
froflige Herbft bie friſche Thätigfeit erflidt. Schon um 
bie Mitte des Anguft ifk dag einzige Obſt reif, bie Trau⸗ 
Benkisihe und Wie Vogabeere und gleichzeitig verliert bie 
Birke theiftwelfe ihre Blätter, denn fhre Krone erhält 
fi) länger grün als ihre untern Aſte. Höchftens drei 
Monate tragen die Laubholzwälder ihr freundliches Som- 
merkleid. 6 ſcheint als ob die Natur beabfichtigt: Habe 
durch ihre immergrünen Nabelhölger dem Bewohner je⸗ 
ner Gegenden einen Erſatz für die Vergaͤnglichkeit der 
gan Begetation zu geben, bie minbeflend auf Den- 
jenigen verflimmend einwirkt, der unter milberm Dim- 
mel geboren ift. Ungern ſcheibet die Pflanzen» und 
Sthierweit won bem kurz zugemeſſenen Leben. Dr Na⸗ 
turforfiher vermag dert nicht ohne Wehmuch zu beobad)- 
sen, wie Die Thiere, ſobald nur ein fonniger Morgen 
geoifchen bie grauen das Ende verfündenden Tage des 
Anguft faͤllt, Ihre Vorbereitungen auf den langen Win⸗ 
vefhlaf oder zur Flucht unterbrechen und wie bie milde 
Mofe, bie ſchon wit geröthetem Laube und reifen Yrüd)- 
ten bafteht, eilig ihre verfpäteten Anospen öffnet und 
zum zweiten Male mit zahlreichen Blüten fi bedeckt 
aus wolle fie ihre Bebenstraft bis anf den Reft aus- 
migen. Allein ale Anftvengungen zur Friſtung bes Le— 
dens find vergeblich, denn mit raſchem aber flätem Schritte 
naht der Winter und ſchlaͤgt das weite Land im unger 
reihliche Feffeln zu einer Zeit, die man in Rorddeutſch⸗ 
fand als bie freundlichſte und mitbefte des ganzen Jahres 





dennt und genießt. 
"Der Sommer folcher Länder hat für den Fremden 


wenige Neize, obgleich er allein vergelten und erfegen 
fol, was ber an den Umgang mit ber Ratur Gewöhnte 
elnes achtmonatlichen Winters litt und verlor. 

Die Einfamkeit und Gleichfoͤrmigkelt des Landes iſt zu 
groß ums befriedigend und erheiternd wirken zu koͤnnen, 
vdelmehr entſteht leicht das Gefühl der Berlaffendeit 
mb der Bedeutungẽloſigkeit in der Mitte einer Natur, 
Die fi vom Menfchen nicht beherrſchen Läßt und ihm 
sirgend freundlich und helfend entgegentritt. Ganz be⸗ 
onders abfpannend wirkt aber die faſt ununterbrochene 
geshelllgkeit des hochnordiſchen Sommers. Auf ben 
langen meift druͤckend warmen Sag folgt eine ſchwüle 
Racıt, aber ein eigentliches Dunkel tritt nicht ein, fon- 
dern nme eine Aurzbauernde Dämmerung. Nahe und 
ferne Gegenftände find gleich deutlich ſichtbar, nur er⸗ 
feinen fie wie durch einen leichten Flor. Der Himmel 
ſteht im Nordweſten und Norden in ber blendenden 


Blut der untergehenden Sonne, bis diefe im Often von 


neuem herauffleig._ Einen eigenthümlichen Ginbrud 
bringt die Schattenlofigkeit aller Gegenftände unter bie- 
fer Beleuchtung hervor. Der ungemohnte Fremde wird 
von einer quälenden Unruhe ergriffen, vermag trog gro⸗ 
fer Ermüdung wicht zum Schlafen zu gelangen‘ umb 
gerät aus ber UÜberreizung endlich in eine Apathie, 
in weldger er nur zuweilen durch eine unbeftinnmte Gchn- 


gorie meined Denkens ift, 


ſucht nach Dunkelheit geflört wird. Die erſten norbi- 
fen &Sonmernädhte ziehen an durch bie Neuheit bet 
großartigen Eindruds, allein fie ermüben, während bas 
Uebermaß bes Lichts und der Mangel jener Periobic 
welche mit der Steigerhng. unb- Bemsinderung onganil 
ſcher Thätigfeiten eng zaſammenhangt, flogen. un deh 
Körper wirkt. ” 






(De Beſchluß folgt. ) 





Schepenhauer in feiner Wahrheit ıc. Bon F. Dorguth 
+ (Belhluß aus Nr. 157.) 
Weil denn die Selbſtbeſtimmung ein Geiſte ü 

foweit es fi zu bethätigen aus fh vermag, eine Fer, 
jedes Vermögen und jede Kraft aber durch den Gebrauch geübt, 
geftärkt oder geſchwaͤcht und vermindert werden kann, und weil 
der Menſch mehre Vermögen und Kräfte befikt, aus deren ver 
ſchiedenem Berbältniffe ein fehr veränderter Zuftand feiner Seele 
und Beihafkengeit ſeines Gemüthe hervorgeheh muß, vament 
lih aus dem Berhältniffe der Vernunft und des Willens zur 
Einbildungskraft, Sinnlichkeit und Begehrungsvermögen, fe 
ift es auch durchaus falſch, zu behaupten, „daß der Menſch, 
wie einmal geboren, nicht umgefchaffen werden Forne”. Se: 
ner phyfifcden Natur nach allein würde er es nicht Fünnen, 
aber fein geiftiges Weſen verſchafft ihm auch dieſe Freiheit. 
Dies ja iſt dad unerfchöpflicge Ihema des Zurufes Jeſu: Be 
kehret euch oder Pehret um, was Kutbher wnrichtig überfegt bat: 
Thut Buße! Biehet den neuen Menſchen an! Werdet wieder zu 
frommen Kindern des himmliſchen Baters! Wahrti, fo ihr nidt 
wiedergeboren werdet, Eönnt ihr nicht ins Reich Gottes Eommen! 
„sh weiß daß ich weiß’ ift ein gang richtiger Sag, mer 

her ausjagt: ich wiffe, daß ich des Gegenflundes meind Bi 
fen gewiß bin, daß ich Den zureichenden Grund wiffe, weruh 
diefe Gewißheit berußt, entweder weil diefer felbſt eine Kate: 
ober weil ich Die Folgerichtigkeit des 

baranl 8 eten Beweiſes überfehbe. ben bewegen Arum 
der Menſch au nur folder Dinge gewiß werben oder gewor- 
den fein, welche von ber Be (Sofenpi find, daB er ihren zu⸗ 
reichenben Grund in ihnen oder In ſich ſelbſt außfinbig maden 
kann. Denn im gewöhnlichen Leben auch von Eriahtunge- 
gegenftänden behauptet wind, daß darüber Gewißheit befiche, 
ift dies nur ein uneigentlicher Yubdrud, indem feine Sinmet- 
wahrnebmung und Feine Mittbeilung vollftändige Gewißheit 
eben Tann, fondern immer nur einen fo hoben Grab von 

hrſcheinlichkeit, daB im praktiſchen Werfehre fie für 

heit eiten Tann. Es verhält fi hiermit wie mit dem Ge 
auche- der Logarithmen in allen Teilen der mathematifchen 
Mengen ‚ wobei das Dafein einer i von der 


® Abweichung 
Wahrheit gewiß, aber dabei fo unbedeutend iſt, Baf 


bletben 

nern Seelenſpiegel treten. Denn fo verhält ſich das Bewußt 
fein der Seele zu ihrer Thaͤtigkeit wie ein Spiegel, vor wei: 
hem Alles vorgeht, was in der Seele vor fich geht um & 
aber im Spiegel zu erkennen, dazu ift außer A: nem Zuruͤck 
werfungsvermögen noch der Einfall des Lichts erfodertich, wel⸗ 

bie Seele durch ihre fi Aufficmg und Grfaffung 
Deften, was fie befchäftigt, gleichſam wie Durch Reibung, er» 
zeugt und jich felbit dadurch erleuchtet und ihren inneren Spie⸗ 
gel damit beleuchtet. So verhält es fih nun mit dem Selbſt 


. 


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681 


bewußsfein, mit dem Bewußtfeht zu fein, ober eigentlicher nudh | Davon zu einer neum Borftellung für bie Denkkraft geſchaffea 


mit dem Urtheile, daß das Ich rin feiendrd if. Darm ger 
rade, meil ſolches ein Urtheil ift, iſt es ein Sehanke und keine 
Erfehrung. Das Bewußtfein fliet unmittelbar aus der Vor⸗ 
fielung Dee Seele von ſich ſeibſt; es wird zwar entwidelt 
durch Die Beobachtung des identiſchen Ich in allen mit und, in 
demfelben vorgebenden Veränderungen, aber es wird dadurch 
nicht erzeugt. Beides darf nicht verwechſelt werben. Denn 
der Entſtehung geht nichts vorher, das ut dem Entſtandenen 


. durch das Merkmal det Ipentität verbunden wäre: umgekehrt 


ſetzt jede Entwickeluug fchon ein Borhandened voraus, das ſich 
nach einem in ibm felbft liegenden Schema ausdehnt. Kein 
Stein und kein Erdball kann fih bilden ohne einen Kern ober 
ohne Anziehungskraft feiner Atome, kein Grazhaim und Fein 
Thier kann des Keims ermangeln, aus dem es fi nad dem 
in ihm felbft ſchon enthalsenen Typus herausbildet. Auch das 
Bewußtfein ift nur der Inbegriff bes Stätigen in dem fort: 
währenden Bewußtwerden; ware aber Died Seiende in jenem 
nicht wirklich, koͤnnte es fi ja gar nicht bewußt werden, ſich 
wicht entwideln. Sich bewußt fein Heißt alſo: die Seele hat 
durch ihre eigene Thaͤtigkeit und Die auf biefelbe gewendete 


Aufmerkſamkeit fo viel Licht in fich erweckt, daB fie in ihrem 


Spiegel fi ſelbſt zunaͤchſt in ihrem unveränderlichen Sein, 
wad hiernaͤchſt in ihren Berrichtungen und aufgenommenen Ein: 
drücken bat en fönnen. Die Wahrnehmung unter- 
ſtellt ſchon das Wahrzunehmende oder Wahrgenommene. Die 
Thaͤtigkeit der Gehirnmaſſe (denn fie ift im denkenden Men⸗ 
ſchen mitnichten ein Brei, ſondern ein organifches Gebilde) 
if nicht die das Bewußtſein beroorbringende Urfache oder Kraft, 


“fondern ſelbſt ein Erzeugniß der Seeienthätigkeit bei dem Her- 
vorbringen der Bewußtwsrdung, wie faft alle Geiftesihätigkeir | 


ven auf den Körper einwirden und in ihm gewiſſe Erſcheinun⸗ 
en bervorbringen. Inwieweit die letztern zugleich jenen als 
—R dienen, wiſſen wir noch nicht. | 
Eine ebenfo große Berfihiedenheit, die zu oft ganz über« 
{eben wird, waltet zwifchen einen abftracten und einem abfira- 
birten Begriffe. Sener ift ein folcher, der ame nicht durch bie 
Abftrastion der gleichen Merkmale in dem Concereten gebildet 
werden Bann, fonbeen den die Seele nur ſchaffen kann aus fich 
felbft, indem fie von allem Andern außer ihr abftrahirt und 
nur auf ihre eigenen Ürbegriffe (Kategorien) zurüͤckgeht; dieſer 
hingegen entfteht aus der Wusfonderung der gleihen Merkmale 
in den Vorftelungen des Beſendern. Ohne Abftraction und 
ohne Berbindung des Mannichfaltigen zu einer Gefammtheit 
läßt fih überal Fein neuer Begriff bildens aber im erſtern 
Falle ift die Eigenfchaft der Abftraction bei ber Begrifföbildung 
eine materielle Eigenſchaft ber Geiftesthätigkeit dabei, im leg: 
teen Falle bios eine formelle. Die abftracten Begriffe finden 
iesnach blos im Gebiete des überfinnlichen ſtatt, wogegen ab 
rabirte Begriffe ſowol finnliche als überfinnlihde Gegenftände 
in fich begreifen, aus der Erfahrung oder Speculation abge» 
zogen werden Fünnen: Je nachdem nun der Rechtsbegriff auf 
diefem oder jenem. Wege gefunden wird, Bann er ein abftracter 
oder abftrahirter fein. In beiden Fällen enthält er in feiner 
Natur durchaus nichts, was im Wege ſtehen Fönnte, abgeſe⸗ 
ben von allen pofitiven Beftimmungen, lediglich durch Ent- 
wickelung Spaltung oder Anwendung ihn auf alle denkbaren 
Berhältnie und Einrichtungen unter Menſchen zu beziehen 
und ihm folhe unterzuorbnen, felbit fogar die rechtswidrigen 
zu dem Zwecke, um bas natürliche Unze 
Weil das Vorgeftelite immer den Inhalt der Vorftellung 
Pa muß, in diefer nur wie eine Abbildung davon abge: 
faßt werben Tann (alſo prius), Fönnen hiervon auch alle Bor: 
feellungen vom Überfinnlihen nicht ausgenommen fein und bie 
Benennung und Gintheilung der Begrife a prieri und a po- 
steriori nicht darin ihren Gntfiehungsgrund haben, fenbern 
gerade barin, daß bei den exitern die Objecte, die fie in ſich 
ifen, bereits vor ihrer Buflandebringung in den Erkennt⸗ 
ni der Seele vorhanden fein müflen, wogegen daB Object 
ber @rfahrungsbegriffe nur erſt vermittels der Begrifsdilsung 


t darin bioßzulegen. 





wird. Denn ba bie Erfahrung zu jenen Peine Gegen 

berbietet, würde ber Verſtand gar keinen Begriff zu Stande 
bringen koͤnnen, wenn er nicht fchon in fi Vorſtellungen hätte, 
von denen er vermöge Abſtraction ben neuen Begriff erlangte 
Dos nun eben ift der Grundfehler des unfterblichen Kant und 
die Haupturſache gemwefen, warum feine Yhilofophie nie bat 
ſeſten Boben gewinnen Fönnen und baß alle feine Nachfolger 


im Gefühle ihres Grundmangels fi gedrungen gefunden has 


ben, nad andern Grundprincipien fi umzufehen, daß er bie 


Buverläffigkeit der Erkenntniffe durch reine Geifteßthätigkeit in 


Abrede ſtellte und biefelbe der finnlichen Erkenntniß zuſchrich, 
da es ſich doch gerade umgekehrt a ag Daß kein zuſammen⸗ 


ſetzendes Urtheil über jene möglich fei, tft ebenfo unerfindlich 


und fon deshalb nicht andem, weil jebes anflöfende Urtheil 
nur umgekehrt und zunaͤchſt disjunctiv gefaßt werben darf, um 
es in ein zufammenfegendes Pategorifche® umzubilden. Ber 
Saupfgrund des. ganzen großen Jrrthums aber Liegt in ber 
falfchen Borftelung von der Anſchauung beim Denken, welche 
weder im Weſen deſſelben einbegriffen noch ihm unentbehrlich 
ft, noch ihm Zuverläffigkeit verſchafft. Dennoch ift, weil es 


ein großer Mann behauptet bat, diefe Lehre fo vielfach nad 


geſprochen worden, daß es keine Meine Aufgabe ift, fih bavon 
nicht hinveißen zu laffen, fondern ihr alles ſtes entgegenzu« 
teten. Die Anſchauung Pann ſchon darum für Die Wahrheit 
der Erfahrungskenntniſſe Peinen Halt geben, weil in Allem, 
was die Erfahrung vorführt, nicht das Seiende umd Wirkende 
felöft in feiner wejentlihen Beichaffenheit wahrgenommen toird, 
fondern alle Vorftelungen davon nur aus den Eindrüden zu⸗ 


‚ fammengefaßt werden, die fie auf uns gemacht haben, alfo aus 


einem ganz individuellen Verhättniffe Hervorgehen, neben wel⸗ 
chem gar Feine Nothwendigkeit vorhanden if, daB biefelben 


Wahrnehmungen unter andern Umftänten und nit andern Sin⸗ 


nesorganen ſich unabänderlich wiederholen müflen, fodann aber 


auch und hauptfächlich darum, weil in allen Erfcheinungen ber 
Denn in. 


Srfahrungsmweit überhaupt gar Bein Sein beftebt. 
der Wirklichkeit waltet nicht bie allergeringfte Dauer irgend 
eines Zuftandes, des Beftandes irgend einer Beichaffenbeit, 
fondern ein unabläffiges Werden, ein unaufhörlicher Wechſel 
von Entſtehen und Vergeben, eine unendliche Mauferung, bie 
jedoch für unfere Sinmeswerkzeuge fo unmerklich von ftatten 
geht, Daß wir dadurd verleitet werden, dieſes ſtets bewegte 
Werden für ein bebarrliches Sein zu nehmen und ben beobadh« 
teten Dingen die Beſchaffenheit beizumefien, bie wir an ihnen 
wahrgenommen haben und die fihon nicht mehr diefelbe iſt, 
wenn aus der Wahrnehmung eine Vorſtellung geworben ift. 
Für die Praktik des Lebens verfchlägt auch Died nichts, weil 
umwahrnebmbare Zuftände in ihr nicht beachtet gu werben brau⸗ 
hen. Für die Erkenntniß ber wahren Ratır der Dinge aber 
it es von entfcheidender Wichtigkeit. 
Menſch aus der Welt mit Gewißheit weiß, tt, daß in ihm 
inmitten aller wechfelnden Weränderungen in feinen geiſtigen 
und leiblichen Sufländen und aller Dinge um ihn herum sin 
Weſen lebe, welches fih immer als ein unb daſſelbe Ich ber 
grüßt, ſodaß fügar jede Vorftelung einer Veränderung biefer 
Derfönlichfeit ihn anekelt. ' 

Was die Römer das Recht der Natur nannten, naͤmlich 
das jedem lebenden Wefen um feines inbivibuellen Lebens wil⸗ 
Ien nicht zu verfagende Recht, ift ein ganz anderes Ding als 
das Natur» ober Bernunftrecht, von welchem als einer für fich 
beftehenden Wiffenfihaft jene flolgen Republifaner und knechti⸗ 
Gen Unterthanen ihr 

ge des reinen natürlichen Rechts unmittelbar unter gleichbe⸗ 
rechtigeen Bernunfhvefen nur negative Mechte beftehen koͤnnen, 
ift eine befannte Sache; aber es folgt daraus nicht, daß nicht 
die weitere Verfolgung ber natürlichen Rechtönorfchriften mit- 
telbar auch auf pofitive Rechte zukommen koͤnne. Denn wie 
bie Moral und das Mecht aus einer Wurzel hervorgehen und 
fih nur ennen, daß gewiffe Pflichten ald allgemein 
verbindlich, andere nur ats bebingungsweife verbindlich aner⸗ 


& 


In 1 


Das Einzige, was ber' 


er Kaifer noch wenig wußten. Daß zw. 


[4 


Sonnt werden, fo fann ua das Nechtöfubjert activ und pafio 
niemals aus feiner moraliſchen Natur ausſcheiden und biefelbe 
verleugnen. Sobald alfo erkennbar ift, daß der Menſch ver- 
möge feiner Ratur nothwendig in Berhältniffen leben muß ober 
Doch follte, ohne welche er feinen Beruf als Glied der Wenſch⸗ 
eit nicht erfüllen würde, fo find eben diefe Berhältniffe und 
die daraus für alle Glieder erwachfenden O:bliegenheiten und 
Gerechtfame allgemein erfennbar und treten der Sphäre ber 
Mechtöwiflenfchaft hinzu. Dahin gehören nun I) diejenigen Zu⸗ 
fände, wo durch eigenes Verſchulden oder durch verbindliches 
Berſprechen der Zuſtand der natürlichen Sleichheit aufgehoben 
ift, alfo die ganze Lehre vom Schadenerſatze und ven Vertraͤ⸗ 
gen; fobann aber 2) das Familien⸗ und das ganze Staatsrecht, 
indem die Menfchheit ohne Familie und Staat nicht befichen 
Bönnte. Mon gelangt eben dahin noch auf einem andern W 
Wie es nicht bich Pategorifche, fondern auch hypothetiſche und 
bisjunctive Schlüffe gibt, fo darf auch eine aus der Wernunft 
abgeleitete Wiſſenſchaft nicht bloß kategoriſche Säge aufſtellen, 
fondern es gehört zu ihrer Vollſtaͤndigkeit, daß fie auch Ichre, 
was bedingungsweile oder alsdann zu behaupten ift, wenn von 
mehren zuläffigen Bällen nur einer eintritt. Belehrt fie bier- 
* über nicht, läßt jie den lernbegierigen Schüler unbefriebigt. 
Das lateinifche velle non discitur, das Wollen kann nit 
gelernt werben, ift eine - ausgemadhte Sache, weil eben der 
Wille in der Kähigfeit der Denkkraft zur Selbſtbeſtimmung 
beruht, welche ihr nicht angelernt werden kann, ſondern weſent⸗ 
lich zu ihrem Selbft gehört, eine Eigenfhaft ihrer Natur aus⸗ 


macht. “Uber unrichtig überfegt würde es fein, wenn wan da⸗ 


mit behaupten wollte, au das Was und Wie des Wollens 
fei gar Bein Gegenfland der Unterweifung und Gelehrigkeit. 
fondern koͤnne ebenfalls nur angeboren fein. Denn zuvörderft 
ift Beine Kraft ihrem Maße nach eine in fi beflimmte und be 
ändige, fondern jede kann dur) Übung oder Ridptübung und 
durch die Urt ihre Gebrauchs oder Misbrauchs erhöht ober 
vermindert, zur Geſchicklichkeit und Fertigkeit gebracht oder 
zum Ungefchide und. zur Untauglichleit herabgebracht werden. 
Es gibt fonach auch für den Willen eine Schule, ein Gymna- 
fiun zu feiner Auöbildung. 
Weſen nach nichts Anderes als eine Anwendung der Vernunft 
ſelbſt. Alles was die Vollkommenheit diefer im Erkennen mehrt, 
ſowol in Betreff der Richtigkeit und. Menge des Durchdachten 
als der Geläufigkeit und Deutlichkeit des Denkens felbit, das 
fteigert auch die VBorzüglichkeit des Willens. Du ed nun eben die 
Aufgabe der Wiſſenſchaft ift, durch Die foftematifche Ordnung 
des zu Erkennenden fein Erkennen zu regeln und zu erleichtern, 
fo kann man aud nicht ableugnen, daß die wiſſenſchaftliche 
Bildung, die Aufflärung und Bereicherung der GErfenntniß 
eine Borfchule des Willens und deſſen Bervolllommnung von 
deren Benugung abhängig iſt. Es kann und fol deshalb ge 
lernt werden, wie der Wille ſich erweiſen und worauf er ge 
richtet werben muß, um ein menfchenwürdiger, freier, vol: 
fommener Wille zu fein oder viehmehr immer mehr zu werden. 
Für die Sphäre des Rechts Hat ſolches allerdings nur den ne 
. gativen Rugen, baß der freie Menſch dadurch fich dem Zwange 
weniger ausfegt, daß er durch Die moralifche Nothwendigkeit 
des Sollens nicht fich in die phyſiſche Rothwendigkeit des Müf 
fens ſelbſt verfegt. Denn das Recht fragt eben darum, weil 
es auf feine äußerlihe Gewährung ausgeht, nicht nach dem 
guten Willen dazu, fondern erzwingt diefelbe aud wider Wil⸗ 
ten. Für die Sphäre ber Moral oder Xugendubung aber, wo 
e6 Fein Müffen gibt, iſt die Erkenntniß und Zreubaltung bes 
Sollens ald Desjenigen, was eben den Willen aus innerer 
Rothwendigkeit der Einſicht alfo beftimmt, Daß er nicht umhin 
Tann ed zu wollen, um.nicht bie Wernunft, das beißt fich 
felbft zu verleugnen, das Beftimmende und das Leben Regie 
rende. Und weil die Moralität des Menfchen nur dadurch uns 
ea erhalten wird, daß er überall will was er fol, fo ift 
ed für fie, zugleich aber auch für die Unverleglichkeit bed Rechts, 
von der hoͤchſten Wichtigkeit, daß die Menſchen einſehen lernen 


Verantwortlicher Herausgeber: Heiurich Brodhans. 


Hiernaͤchſt iſt der Wille feinem . 


und deutlich und vollſtaͤndig wiſſen, was in den Vorkommen⸗ 

en des Lebens Rechtens iſt, damit fir als Freie ſolches We⸗ 
en erfüllen, nicht als gezwungene Sklaven. Wehe alfo der 
Diſſenſchaft, welche uns das Sollen und das Kennenlernen 
deffelben ala ein Hirngefpinnft, als etwas Sinnlofes darzuſtel⸗ 
len fi abquälen möchte! Denn gelingen fann es ihr nimmer: 
mehr, mit welcher dialektiſchen Kunft fie es auch anftellen 
möchte, weil diefe Gewebe immer wieder von dem gefunden 
Menfihenverftande zerriffen werben. 

Es verhält fi) mit ‘der Wiſſenſchaft und infonderheit mit 
ber Philoſophie wie mit allen Dingen in der Welt; ihr richti⸗ 
ger Gebraud fördert, ihr Misbrauch ſchadet, und je ſegens⸗ 
reicher jener ift, defto verberblicher diefer. Richts bat der Phi⸗ 
lofopbie, dem Streben nah Wahrheit und Weisheit, fo vid 
Eintrag getan als eben die Philoſophen mit ihren kunſtvollen 
Syſtemen und bekebig angenommenen Grunbfägen. Denm ans 
flatt den regierenden und beberrichenden Grundſatz alles Wil 
fens in diefem felbft aufzufuchen und fich deffeiben alſo analy 
tifch zu verfichern, iſt irgend ein ‚ der eben dem S 
eines neuen Syſtems dazu tauglich erfchien, zum Principe def- 
felben aufgeftelit worden, wozu er jedod nicht faugte, weil er 
felbft noch auf Feiner feften Unterlage lag und welcher beshalb 
bald wieder verworfen worden ift, fobald dies entdeckt wurde. 
Um nun diefen Untergang der neuen Schöpfungen moͤglichſt u 
hindern, ift mit großer Emfigkeit Danach geftrebt worden, bas 
Berftehen und fomit das Beurtheilen und Durchſchauen durch 
eine Lünftlihe Sprache und ſchwerfällige Zuſammenſtellungen 
in der Ausführung, durch kecke Behauptungen und ſtolze Ab⸗ 
fertigung der ſich ayfbrängenden Einreden zu erfcgweren und 
fi dadurch ein Anfchen zu verfchaffen, das die Blindgläubigen 
mit Ehrfurcht und Enthufiasmus erfüllt, wie ſolches ber Blind: 
gläubigkeit eigenthuͤmlich iſt. Wenn diefe Art, die Wiſſenſchaft 
zu betreiben, ein Verdienſt erwirbt, fo muß eingeftanden wer: 
den, daß die beiden jüngften Philofophenfchulen überaus darin 
vorgefchritten find, wenn man auch füglich Den Streit über den 
Vorrang, wie er geführt wird, ihnen lediglich überlaffen kann. 
Niemand kann infenderheit die Genialitaͤt Hegel's verfennen. 
Sein größtes Verdienſt iſt, daß er die Ehre der Logif zu ret⸗ 
ten die Rothivendigkeit eingefeben hat. Aber leider bat er 
felbft aus der Logik eine ganz andere Wiffenfgaft gemacht als 
die, deren Kenntniß fo 9* noththut, die reine Kenntniß der 
Formen des richtigen Denkens. Iſt die Dialektik wieder nicht 
die Anleitung zum GSebrauche eben dieſer Kenntniß, fo muß fie 
fih zum geſchickteſten Werkzeuge der hiſtik herabwür⸗ 
digen und iſt dazu um fo geſchickter, je unfaßlicher und will⸗ 
Fürlicher ihre Formeln find. So ift e8 von jeher gemefen und 
fhon Sokrates wußte died. Je freier fih ein Denker von Dem 
erhält, was dermalen für Dialektik gilt, defto leichter wird c# 
ihm fein, logiſch richtig zu denken und dadurd die Wahrheit 
zu finden. 43. 





Miscellen. 


Sebaſtian Wirdig, Doctor und Profeſſor der Median 
zu Roſtock (geft. 1587), hatte ganz beſondere Meinungen; bean 
außerdem, Daß er überall Geifter in der Natur anzutreffen 
wähnte, glaubte er: daß die Luft im Winter an ciner febre 
algida, im Frühling an einer febre intermittente und im 
Sommer an einer febre calida continua laborire, wobei ihm 
nicht8 feltfamer vorfam al& daß der Patient nach einer fo vie: 
fältigen und langwierigen Krankheit Dennoch nicht ftürbe. 


Franz Sylvius, Kehrer der Berebtfamleit im Gollege de 
Zournay zu Paris in der erften Hälfte des 15. Jahrhunderts, 
lt für den Erfinder des Eaftrirens der alten obfcönen Schrift: 
eler. Gr gab zuerſt den Martial „erpurgirt” heraus, wel: 
hem Beifpiele hernach die Jeſuiten bei ihren Ausgaben von 
Slaffitern folgten. 2. 


— Driud und Berlag von F. X. Broddans in Reipzig. 


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Blätter 
für | 


Kiterarifhe Unterhaltung. 





Montag, 





(Beſchlus aus Nr. 158.). 


‚Auf der Breite von Moskau ändert fi der Raturcha- 
rafter des Landes,  mindeftens treten die -Zeichen des 


- Übergangs deutlich hervor. Die Tannenwälder verſchwin⸗ 


den und Laubbaume werben immer häufiger; fie bilden 
eine natürliche Region, die aber auch als -Region ber 
Waldvernichtung gelten kann, indem gerade hier mit den 
Korften von jeher fo fehonungslos umgegangen worden 
ift, daß von Moskau nach Süden hin gefchlojfene- Wäl- 
der: immer feltener vorkommen, aber an ihrer Stelle 


- offene baumlofe Flächen fehon lange vor Erreichung des 


eigentlichen Steppenlandes un fo häufiger find. Die 
Eiche und mander in Deutfchland gewöhnliche Strauch 
deutet auf milderes Klima, und mit dieſer Naturgrenze 
ift auch die Völkergrenze gegeben und deutlich wird die 
verfchiedene Urt des Aderbaus und die forgfältigere 
Benugung des Bodens. In den nörblichern-Gowmerne- 
ments wohnen die "Finnen oder mindeftens beſteht ein 
anfehnlicher Theil der Benölferung aus Menfchen,- die, 
ſichtbar vom finnifchen- Stamme entfprungen, ruffifche 
Sprache und Sitten angenommen haben. Die Groß—⸗ 
rufſen oder: Moskowiter find -in jenen ‘Gegenden nur 
Coloniften, die fich- freilich nach und nach der: Herrſchaft 
bemädhtigt haben. Jagd und Fiſchfang find die Haupt- 
befchäftigungen: der Bewohner jener an Flüffen, Seen 
und::Mäldern- reichen Gegenden, wo Dbftbäume nicht 
gedeihen, der wenig einträgkiche Aderbau fih auf bie 
gelichteten Etreden in der Naͤhe ber Flußthaͤler be» 
ſchraͤnkt, der größte Theil des Landes aber unbemohnt 
if. Im mittlern Rußland oder von Moskau an iſt 
webares Land mit Wald gemiſcht, Hpfel und Birnbäume 
kommen da nur eultivirt fort, liefern aber fehr umvoll⸗ 
fommene Früchte. Der Aderbau iſt bier die Haupt: 
befhäftigung der: Bewohner des flachen: Landes und in 


. den größern Städten hat fi mannichfaltiger Gewerb⸗ 


Fleiß entwickelt. Die bichtere Bevölkerung und die offe- 
nere Beichaffenheit des Bandes haben hier auf das 
Thierreich, welchem weiter nörbfidy die Erde überlaffen 
ift, fo eingewirkt, daß die Jagd ale Erwerb fjede-Be- 


- deutung verloren hat; nur die großen Flüſſe find fiſch⸗ 
- reich und ben Anwohnern nützlich. Die dritte und ſüd⸗ 


— Nr. 159, —— 





"Das europäifihe Rußland. u 


8. Zyni,1846. 


lichſte Region grenzt unmittelbar an das Steppenland. 
Sie wird bezeichnet durch wilde Birn- und ⸗Upfelbaͤume, 


iſt ohne eigentliche Waldungen, denn Baumvegetation 
gedeiht da nur noch in den Sumpfniederungen und in 


den: Tiefen dert Flußthaͤler; ihr Klima iſt ſo mild, daß 
Melonen und Waſſermelonen im Freien gedeihen md 
der Weinfted--angepflanzt werden kann. 


Die -Zruht- 
barkeit des Bodens ift theilmeife fehr groß, aber ganz 
abhängig von der Humusdede,. die bald in ſchmalen 
Streifen verläuft, bald weite Flaͤchen bedeckt, und unter 
dem Ramen der „fhwarzen Erde” nicht. allein in: Ruf: 
land berühmt ift, fondern auch wiffenfchaftliches Inter⸗ 
eife erregt, indem ihre-Erfcheinung manches: Näthfelhafte - 
bat und die Aufmerkſamkeit der Geognoſten verbieht. 
Wo fie fehlt - tritt der weiße und im’ Winde fich fort- 
bewegende: Flugfand hervor, wo fie aber die. Fahle Ebene 
gleichmäßig bededt, da bildet fie den äußerſten Gürtel 
ber Steppen und hierdurch das fruchtbarfte: Ackerland 


Europas. Ackerbau und Viehzucht find die weſentlichen 
Beſchaͤftigungen der Einwohner, die meift dem Stamme 


der Kleinruſſen entfproffen find, denn alle andern:Gr- 
werbögquellen fallen weg als unbedeutend im Verhaͤltniſſe 
zu den erfigenannten. rüber allein von Nomaden durch⸗ 


-flreift, hat dieſer Theil des europätichen: Rußlands nur 


durch die Strenge der Regierung eine feſt angefiedelte ” 


"Bevölferung erlangt, die ungern und nach langem Wi⸗ 


derfireben ihre unftäten Gewohnheiten aufgab. "Am 


-außerften &übende dehnt fi das -Steppenland aus, 


welches unter und weit beffer gekannt: ift als das duͤſtere 


Waldland im Norden von- Moskau und von unferm 


Reifenden nur an feiner Grenze berührt wurde. Wirk⸗ 
fih mag auch ‚nur der Nomade oder der Naturferfher 
ſich auf diefen kahlen Ebenen wohlfühlen, die jedoch für 
den Letztern wegen ber unglaublichen Gleichfoͤrmigkeit der 


Bodenbildung und ber "Thier- und Pflanzenwelt: bald 


alles Intereſſe verlieren müffen. Das Innere: des 


-Steppengebiets iſt ſtellenweiſe fehr unfruchtbar und -fo 


waſſerlos, dag nur ſolche Gewaͤchſe auf ihm gedeihen 


können, welche ihre Wurzeln tiefer in den MDoden ein⸗ 


ſenken.⸗ Auf der ‚weiten, einförmigen und kahlen Flaͤche 
liegt die Einſamkeit der Wüſte, die auf den Ungewohn⸗ 


ten anfangs erhebend einwirkt, bald aber beaͤngſtigt. 
Man legt manche Meile zuruck ohne irgend etwas zu 


634 


Abgeſchiedenheit bieten die verloren daſtehenden und 
flundenweit erfennbaren Heerden bie einzige Abwechſe⸗ 
lung Sie besten aber nicht auf die erfehnte Nähe des 
Menſchen, denn allen Unbilden des Wetters ausgefegt 
irren fie unter der Obhut einiger Hirten herum und 
nähern fi erfi im Winter ben weit verfireuten Dör- 
fen. Der Beifende fliegt von rafchen und faft uner- 
müdlichen Pferden gezogen viele Meilen fort, ohne am 
gerablinigen Horizonte einen Wechſel zu gewahren, und 
gewöhnt fi) mit Freuden jebe armfelige Hütte und je: 
des mit Kreuzen bepflanzte Hünengrab zu begrüßen, an 
welchen die Steppenbemohner Gräber auf uralten Grab- 
flätten errichtet haben, denn fie verrathen die Nähe der 
* Dörfer, die, unreinlic und unwohnlich genug, unter fol- 
chen Umftänden willlommene Raftpläge find. Das Loos 
der Steppenbewohner ift nicht beneidenswerth, es wäre 
wol fogar wenig beffer als bdasjenige der Bevölke— 
rung der mittlern und nörblichen Provinzen, laftete nicht 
auf diefen der harte Drud ber Regierung und der 
Grundberren, von welchen die kofadifchen Stämme des 
Südens wenig empfinden. Das Klima des Landes ift 
nicht fhon. Im Surzbauernden Frühling bekleidet ſich 
zwar die Steppe mit lebhaften Grün, allein bald ver- 
dorrt dieſes unter dem brennenden Sonnenftrahle bes 
wolken⸗ und regenlofen Sommers. Der Herbfi bringt 
——— Nebel, der Winter aber große Kälte 

Schneeſtürme und die Öde nimmt zu, wenn bie 
—S ſich feſtgelagert hat. Die Natur und die 
Beſchaͤftigungsweiſe der Bewohner find hier fo einfach, 
daß aufer der phufifchen jede menfchliche Entwidelung 
gehindert fein muß und der gebildete Fremde ſich unter 
folden Umgebungen in furzer Zeit nur unglücklich -füh- 
Ien kann. Der Eingeborene freilich ift zufrieden, denn 
er trägt berwußtios die Feſſeln? welche die Natur bier 
für ihn bereitet hat. Gr liebt das Land, obmol es ihm 
wenig bietet und in ihm das Leben farblos verftteicht, 
ohne Wechfel von Hoffnung und Furt, von Freude 
und Leid und ohne Verſchiedenheit zwifchen Vergange⸗ 
nem und Zukünftigem. 

Über Rußland unter andern Gefi chttpunkten als dem 
naturhiſtoriſchen zu berichten iſt heutzutage ein Wagniß, 
dem ſich der Friedliche nicht gern ausſetzen wird. Wie 
vorfichtig der DBerichterftatter auch zu Werke gehe, fo 
wird er doch kaum vermeiden können, mit einer oder der 
andern Partei in Mishelligkeiten zu gerathen, befonders 
in Deutfhland, wo eine new entftandene, umfaͤngliche 
und begierig aufgefuchte Literatur dafür forgt, ben aller- 
dings erflärlichen voltsthümlichen Widerwillen gegen die 
Rufen und ihre Regierung bis zu dem Grabe der Lei⸗ 
denſchaftlichkeit zu fteigern, unter welchem jedes ruhige 
Urtheil aufhört. Auf der andern Seite ftehen bie Ruf- 
fen felbft, Die keineswegs jene @leichgültigkeit gegen 
fremdes Urtheil befigen, welche, als Folge eines wohlbe- 
gründeten Selbſtgefühls, in Europa nur dem fchroffen 

riten wirklich beiwohnt. Vielmehr Laffen die Ruffen 


fh gern rühmen; ihre Regierung forgt dafür, daß bie- 


ſes im Auslande gefchehe, fie bemüht ſich fegar, fo weit 
als möglid, ben Tadel zu hindern. Zu — — Felgen 
dieſe gamy entgegengeſeyten Beſtrebungen geführt Haben 


und wie von beiden Seiten die Wahrheit auf das 
fihtölofefte verlegt worden, wie man in Na ra 
ten Schriften fogar bie Urtheilskraft der ri eweit, Die 
man zu bearbeiten gedachte, verhöhnt hat, iſt 


grüßt man mit —* Freude ein Buch, — die 
großen Ftagen nah Charakter und Zuſtand des Belki 
unter einem andern Geſichtspunkte und zwar dem na- 
turhiftorifchen auffaft. Zur richtigen Beurteilung halb⸗ 
roher Völker ift Kenntniß der natürlichen Beſchaffenheit 
ihrer Länder unentbehrlich, denn jene fiehen mit der Ra- 
tur nod in geraden Berlehre, find von ihr abhängig und 
enthalten daher durch fie ihre Richtung. Zu foldyen An⸗ 
ſchauungen, bie einſt Herodot leiteten, bie freilich aber 
einem Guftine fremd find, muß fi Kenntniß der Hifie- 
rifhen Entwidelung und ihrer Störungen gefellen. Im 
Staatö» und Volksleben Rußlands fichen widerftreitende 
Elemente miteinander im Kampfe, die nur Dem ver: 
fländlih und in ihrer ganzen Wichtigkeit abſchätbar 
find, der den urfprünglichen in Raturverhältnifien be 
gründeten Boltscharakter und feine Umgeftaltungen duch 
fremdarsige Einwirkungen der legten zwei Sahrhuskat 
getrennt zu betrachten weiß. Der deutfche Reifende hu 
fih auf diefen hohen Standpunft geftellt und, mo cd 
die Umflände erheifhten, mit ruhigem Ernf und ſicht⸗ 
barer Billigkeit fein Urtheil über das zuffiiche Bolt ge- 
fält. Wir vermögen bier nicht feine Anfihten mitzu- 
theilen, indem fie durch auszugsweiſe Behandlung ver- 
lieren müßten, konnen aber als allgemeines Refultat an- 
führen, daß die Mafle des Volks ihm keineswegs fo 
poſitiv demoralifirt erfchienen ift wie fie von Andern oft 
genug befchrieben wurde. Nur wo ber breihumbertjährige 
Drud befonders ſtark gelaftet hat wie im mittiern Ru 
land, ba wird auch ein moralifch verwerfliher Zuſtand 
des Volks bemerkliher. Ungeachtet der langen Knecht . 
ſchaft bat die Bevölkerung ſich gewiſſe Eigenfchaften er- 
halten, die man vielleigt mandem ber wefleuropäifden 
Völker wünſchen möchte Es liegt eine Biegſamkeit 
im ruffifchen Charakter, die als Urfache mancher Zugen- 
genden aber auch mancher Fehler angefehen werden muß, 
bier es möglich macht heitern Sinnes die Unbilden eines 
überaus rauhen Klimas zu ertragen und mit unerfchöpf- 
ter Geduld gegen die feindliche Natur anzukämpfen, bort 
aber auch Mangel an freiem Selbftgefühl hervorbringt. 
Wenige Nationen Europas würden feit 300 Jahren 
das Joch der Leibeigenfchaft fo ohne Charafteränderung 
getragen haben wie die ruffifhe. Nachahmungstalent 
iſt eine gefährliche Seite ihrer Natur und bringt fie am 
erften noch in Gefahr ſchnell vorfchreitender . Verſchlechte⸗ 
rung. Zür bie große Zahl der laͤndlichen Bevölkerung 


Rußlands gibt e6 eine Klippe, welche ihr Gelangen zum 


635 


GSelbfigefühl und fomit zur Erhebung auf den Stand- 
punkt der geachtetften Nationen Europas bedroht. Es 
ift die Hierarchie der niedern Beamten, welde fett Pe- 
ter fih über das Land ergoffen hat, immer mehr an 
Zahl, Einfluß und Verborbenheit zuninmt, ſchwerer als 
die Leibeigenfchaft feibft auf Rußland laftet und bie Aus⸗ 
fiht in die Zukunft verdüſtert. Sie ift fo verwachfen 
mit der Staatdeinrihtung, daß ihre Befeitigung an 
Unmöglichkeit zu grenzen fcheint und nur in Zolge der 
durchgreifendften Umgeftaltung des Ganzen eintreten 
fönnte. Gehaßt vom Volke, veradhtet und vermieden 
von ben Unabhängigen unter den höhern Claſſen, gilt 


fie dennoch der oberftien Gewalt für eine zwar unbe: . 


queme aber doc unentbehrlihe Stüge. Ihr ift — und 
nicht zu Ehre der oberften Leiter — die Überwachung, 
die Beherrfhung und die Erziehung des Volks überwie⸗ 
fen, und fie verhindert die Ausbildung eines Verhält- 
niffes von gegenfeitigem Zutrauen zwifchen dem ruffi- 
fhen Volke und dem übrigen Europa. Der bittere 
Hab und Ingrimm, bie aus einem großen Theile der 
neueren Schriften über Rußland hervorleuchten, find 
meiitens nur Folgen der Berührungen mit ben herrfchenden 
Gewalten, nicht aber herleitbar aus dem Umgange mit 
den gehorchenden Claſſen. Auch über diefe Erfcheinun- 
gen, die fi freilich nicht allein von der naturhiftort- 
fchen Seite auffaffen laffen, hat fi Blaſius verbreitet 
mit ruhiger Mäßigung zwar, aber auch mit ber Dffen- 
heit eines Mannes, der fi) durd) einen vorübergehen- 
‚den Auftrag nicht gebunden halten konnte, bie eigene 
Geſinnung zu verleugnen und. beisutragen zur Verhül- 
lung der Wahrheit. 95. 


Aus dem Nachlaſſe von Georg Heinrich von Beren- 





horft, Berfaffer der „Betrachtungen über die Kriege- - 


tunft”. Herausgegeben von E.von Bülow. Erfte Ab- 
theilung. Deffau, Aue. 1845. Gr. 8. 1 Thlr. 6 Nar. 


Da eigentlich nur drei Aufſaͤtze ) in borliegendem Werkchen 
als wirkliche Nachlaßedition erſcheinen, alle übrigen aber ſchon 
bei Lebzeiten ihres geiftreichen Verf. in verſchiedenen Zeitfchrif: 
ten (namentlih in v. Archenholz' „Minerva“) zur Veröffent: 
lihung gekommen find, fo würde auch der Titel einer Samm⸗ 
lung zerftreuter und nachgelaffener Schriften des Verf. der 
„Betrachtungen über die Kriegskunſt“ fi für den Inhalt be: 
zeichnender erwiefen haben. Eine folche Austellung ift jedoch 
allzu fplitterrichtend als daß fie das Verdienſt des Herausgebers 
zu fhmälern vermoͤchte. Ungleich erheblicher erfcheint dagegen 
die Frage, ob nicht eine kritiſche und gloffarifhe Wiederaus- 
gabe der gefammelten vorzüglichften Berenhorſt'ſchen Schriften 
ne blos fupplementarifgen Nachlaßedition vorzuziehen gewe⸗ 
en wäre. " 

Es hat der Herausgeber (8. vı) feines fehr gut gefchrie 
benen Vorworts fagar felbft hierauf hingewiefen, indem er uns 
folgenden Ausfprud einer militairifchen Rotabilität der Gegen: 
wart mittheilt: „Berenhorft ift der claffifchfte Schriftfteller uber 
ven Krieg, den wir Deutfchen haben. Ich nenne ihn fo, weil 
er nie veralten Tann, wie es allen Übrigen nicht allein ergeben 
kann, jondern auch ergehen muß, die ein Syſtem, weiches mehr 


*, 1. „Sur Geſchichte der Wetrachtungen über die Kriegbtunft”; 
3. „Relation de la bataille de Torgau” und 3. „Militairiſch-poll⸗ 
tiſche Fragmente.” 


in die Einzelheiten eingeht, aufftellen. Berenhorft dagegen 
zeigt in Allem, was er über den Krieg und das Soldatenwe⸗ 
fen im Frieden in Bezug auf den Krieg fagt, immer nur auf 
den wahren, ewigen, unwandelbaren Mittelpunkt hin, den Geiſt, 
die geiflige Kraft und Regſamkeit, welche die Krieger beleben . 
muß, wenn Erfolg ihre Anftrengungen Prönen toll, und 
warnt immer vor den Abmdgen, welche zu allen Zeiten die 
wahre Kraft eines Kriegsheeres gebrochen haben. Es gibt 
daher fein Buch, welches für den jungen Offizier belehrender, 
ftärtender, geiſtig fo aufrichtend wäre als Berenhorfi. Ich 
würde es für einen wahren Gewinn achten, wenn zu Dem, waß 
bis jegt: bekannt ift, noch Das hinzugefügt würde, was Ihnen 
aufzufinden gelungen ift; ja vorzugsäweife dann, wenn es bei 
diefer Gelegenheit möglid wäre, eine Gefammtausgabe zu ver: 
anftalten, welde, ohne im Außern vernachläffigt zu fein, fehr 
wohlfeil zu ftehen Täme, damit diefe Schäge möglichft weite 
Berbreitung faͤnden.“ 

Wie wahr und treffend diefes Urtheil ift, Davon kann man 
fid am’ beften überzeugen, wenn man z. B. Berenhorſt's „Bes 
tradhtungen über die Kriegskunſt“ zur Hand nimmt und es 
verfucht, felbft einige auf die militairifchen Zuftände der Gegen⸗ 
wart Bezug nehmende Marginalien hinzuzufügen. Freilich 
noch ungleich erſprießlicher wuͤrden die hieraus abzuleitenden 
Lehren und Warnungen ſich erweitern, wenn Berenhorſt jene 
1796 angeſtellten Betrachtungen 1846 ſelbſt zur erneuten Aufe 
lage zu bringen im Stande fein würde. Aber wenn er noch 
unter ben Lebenden weilte, in der ganzen Friſche feines ftarfen 
Geiftes, würde er wol wieder folhe Betrachtungen oder nicht 
vielmehr bloße Verwünderungen über die Ausartung der Krie: 
gerbildung und des kriegeriſchen Geiſtes in der Mitte des 19. 
Sahrhunderts veröffentlichen ? 

Wenn ed nämlich einen Kenner menfchlicher Vorurtheile 
nicht befremden mag, Daß Vorfälle wie z. B. bei Mollwig we⸗ 
fentlih dazu beigetragen haben, zu einer irrigen Auffaffung 
der Feuertaktik zu verleiten und ed veranlaften, im Minutis. 
mus d. h. in der Fähigkeit 5 — 62 mal in der Minute zu 
feuern und zu laden, den Gipfel der Vollkommenheit zu erbli- 
den, fo. wird ed ihm aud bald Mar werben, daß eine ſolche 
Zertigkeit nur bei automatenhafter Dreffur des einzelnen Man⸗ 
ned zu erzielen fland, und dieſe wieder nur bei äußerfler Härte 
und Dienftfflaverei herbeizuführen war, und er wird daher 
auch allmälig ein richtiges Verftändniß gewinnen, wie ein an 
fich keineswegs unvernüunftiges Princip dur eine Kettenreibe 
einzelner Übertreibungen auf eine völlig finnlofe Weife auszu⸗ 
arten vermochte. Dagegen verfuche man aber einmal über den 
heutzutage als Sradmeifer aller militairifhen Ausbildung gel: 
tenden, zu jener Zeit aber völlig ungeübten und unbekann⸗ 
ten Parademarſch ähnliche Unterjuchungen anzuftellen. Wel⸗ 
ches Princip liegt diefem zu Grunde? Doch wol Fein anderes 
als daß eine vollendet und von innen heraus ausgebildete 
Iruppe in allen ihren Handlungen, alfo auch im Vorbeimarſch 
in größeren oder Fleinern Abtheilungen, die ihr inne wohnende 
kriegeriſche Haltung zeigen werde. Zieht man aber in Ber 
trat, wie ein folcher fchnurgleicher Vorbeimarſch fehr leicht, 
ja ungleich ficherer durch eine Abrichtung herbeizuführen ift, 
die jede Ausbi dung von innen beraus, ja jede fonftige Ma- 
noeuvrirfähigkeit ganzlich bei Seite ftellt, und es mithin geftat- 
tet, dieſe Probe der Priegeriichen Tüchtigkeit, auch bei gänzlicher 
Untenntniß jeder andern Evolution, mit zugelötheten Zünd- 
löchern und feftgenieteten Ladeſtöcken abzuleiften, fo hört jede 
weitere Betrachtung um jo mehr auf, weil man fi) vergebens 
abmüht zu erforfchen, wo dieſes Gebahren auch nur die Pleinfte 
Wurzelfaſer haben möchte, die ed als Ausartung irgend eines 
verbiendenden Vorkommniſſes auf irgend einem Kriegsſchau⸗ 
plage darſtellen Fönnte. 

Freilich, hätte Bonaparte flatt mit feinen Grenadieren 
auf die Brüde von Lodi loszuflürmen, foldhe vor Debottendorf 
im Yarademarfch in Regimentecolonnen vorbeigeführt und dies 
fer in der Überzeugung, Truppen von folcher Haltung unmög: . 


Wh widerftehen zu Fönnen, Hals über. Kopf den Ruͤckzug an: 
‚getreten, hätte Diezzar⸗ Paſcha in St.⸗Jean d’Acre vol ‘Hoc: 
vmuth behauptet, daB feine Urnauten, wenn fie nur wollten, ei: 
‚mer ebenio guten. Parademarſch alt die Franzofen machen Eönn» 
ten, und in der Begeiſterung diefes Glaubens fo hartnäckig 
. swwiderflanden, wären vor Allem die Zahnen Friedrich's in ei⸗ 
.nem: olompiſchen Preidringen um den beften: Parademarſch auf 
i:den Yeldern von Jena und Auerſtädt in den Staub gefunden, 
‚auf jenen von; Dahiſtatt, Leipzig, Ligny und Bellealliance aber 
„wieder erhoben worden, dann, .ja dann allerdings wäre bie 
Wache eine ganz andere und dann ganz begreiflid, warum. auch 
‚ folche Regiments » und Bataillonsoommandeure, weiche wur das 
Wort Yraris im Munde führen, doch nichts Anderes treiben 
:al8% Iheorie und??? — Parademarſch! 
Denn. fein Ausrücken ohne ihn. Die zu Felddienſtübungen 
‚.entfenbeten Dauptleute, was treiben fie? ın irgend einer Ter⸗ 
rainFalte — Parademarfch, Die Unteroffiziere in allen Gängen 
und Winkeln der Cafernenhöfe — Parademarſch. Und all 
-Diefest weil teog allen Geſchreis Dagegen faft fümmtlicdhe Bor: 
ı gefegte von General bis zum Corporal die Reiftungen : ihrer 
Untergebenen nur nach dem Parademarfch zu beurtheilen ge- 
. Jeent haben und. nur nad diefen Maßſtabe felbft beurtheilt 
„werden. Doch ift nicht unfer Zeitalter ein foldhes der Lüge 
. und. Zäufchung: par excellence ? und muß daher nicht eben 
deshalb auch der Parademarſch — weil er äußerlich eine Hal» 
tung vorfpiegelt die innerlich fehlt — ganz nothwendig eine 
. große Geltung finden? Doch genng für Diesmal über die 
: Ausartung unferer heutigen Kriegerbildung. 
Die Hoffentlich bald erfcheinende zweite Wbtheilung des 
. vorliegenden Werkchens und die darin verheißenen Selbſtbe⸗ 
Benntniffe Berenhorſt's werden Ref. vielleicht Gelegenheit geben, 
‚einige ähnliche Betrachtungen: über den kriegeriſchen Geiſt und 
über das Kriegerleben in. unjern Zagen zu äußern, und bie 
"(Yin und wieder durch policeiliche Obhut gegen Ausartung und 
- Behltritte gefchiemte) edelkühne Mittertichkeit des legten mit der 
von Berenhorſt fo fehr beflagten vor hundert Jahren vor: 
herrſchenden heilloſen Roheit deffelben in Parallele zu ftellen. 
Freilich iſt Berenhorft, um Berlinifch zu fprecdhen, vorzugsweife 
‚eine negirende Bubjectivität, und ed wird daher das Anpreifen 
» feiner Betrachtungsweife nicht allenthalben wohlaefällig ins 
Ohr fallen. . Aber Berenhorſt's Regiren erheifcht bei Xichte be: 
„fehen doc eigentlich nachts Underes als den kranken Unfinn 
ı todtzufchlagen, damit er den gefunden Sinn nicht auffrefle, und 
daB ſolite wol am Ende in einem Zeitalter nicht gar zu 
ufchwierig fallen, wo felbft der Nitterhelm und des Schnappfad 
‚zur: Berftändigung über ihre, Vorzüge zu gelangen vermochten, 
und im trauteften Bruderbunde, vereint, Den fteilen Pfad der 
Ehre und Tugend wandeln. 10. 





BSibliographie. 


Birch, C., Ludwig Philipp der Erſte, König Der Fran⸗ 
zoſen. Darſtellung ſeines Lebens und Wirkens. 2te vermehrte 
imd bis auf die neueſte Zeit fortgeführte Auflage. ifte und 2te 
Lieferung. Stuttgart, Hallberger. Gr. 8. 12 Rgr. 
Denkwürdigkeiten der Lady Efther Stanhope. Erzählt von 
ihr felbft in Unterrebungen mit ihrem Arzte; Anecdoten und 
Meinungen über die bemerkenswertheften Perfonen ihrer Zeit. 
Rad) der 2ten Ausgabe für deutfche Lefer bearbeitet und über: 
fegt von Birch. Stuttgart, Halberger. Ki. 8. 1 str. 
Serftäder, F., Die Negulatoren in Arkanſas. Aus 
dem WBaldieben Amerikas. Drei Bande. Leipzig, Vereinsver⸗ 
‚sagsbuhhandtung. 8. 5 Thlr. 
Hadländer, F. W., Reife in den Drient. 2te verbef: 
forte Auflage der Dayuerrotypen. Zwei Bände. . Stuttgart, 
ı Krabbe. 8. 27 War. 
Pinner, Prospectus der, der Odessaer Gesellschaft 
für. Geschichte und Alterthümer gehörenden ältesten hebräi- 


gleich ald Stes 


schen und rabbinischen Manuscripte. Ein: Beitsag . zur. bi- 
blischen Exegese. ' Odessa. 1845. 4. 1 Thir, 15 Ngr. 

Pohlmann, U. W., Hiftorifhe Wanderungen duch 
Zangermünde. @in Beitrag zur Runde der altmaͤrkiſchen Bor: 
eit. Aus archivaliſchen NRächrichten und Urkunden bearbeite. 

angermimde,: . 8 1.&tlr. 

Prechtler, D.,. König Heinrich von Deutſchland. Hi⸗ 
ſtoriſches Drama in fünf Acten. Wien, Klang. 8. 20-Rer. 

Preusker, K., Über Racherziehung und Rachfchulen, in 
Bezug auf die bereitö aus der Schule entlaffene gereiftere Ju: 
gend. Wie Ausgabe. (Mit einem Radhtrage verfeben und gu: 
Ste ft der Schrift: „Über Iugendbildung gel 
tend.) -Reipzig, Hinrichs. Gr. 8. 12%, War. 

Reifen-in den Mond, in mehrere Sterne und in bie Gome. 


Geſchichte einer Somnambüle in Weilheim an det Teck imfi 


nigreiche WBürtemberg. "Ein Buch, in welchem Ulle über das 
Jenſeits wichtige Auffchlüfle finden. werden. Gte Auflage. Hei: 
beonn, Landherr. 8. 1 hir. 7Y, Roer. ' 

Silfwerskjöld, T. v., Krönung und Huldiguag Os 
car I., Königs von Schweden und Norwegen, und der Kö 
nigin Josephine M. M. in Stockholm am 28. Sept. 1341. 
Nach amtlichen Nachrichten und eigener Anschauung. Nebst 
einem Anhange: Ursprung, Geschichte und Beschreibung 
der- schwediseben Ritte n. Mit 15. colerirten Abbildes- 
gen. Berlin, Morin. 1845. Gr. 8. 7 Thir. 15 Ngr. 
Simon, ©., Allgemeine Aeſthetik. Ein wiſſenſchafthiche 
Ueberblick des Schönen überhaupt, und aller bauenden Kumfı 
insbefondere , worin zugleich der ſchoͤne Seraͤthſchaftebau za 
die Ausſchmückungskunſt zum äfthetifchen Aufſchwunge der Ju: 
—5 — * eher ar der Weftbetif einge: 
ührt, und in theoretiſch⸗praktiſche Unterfuchungen gehoben wer: 
den. Wien. Gr. 8. I Thlr. 6 Rear. un. 
Simrock, K., Doctor Johannes Fauft. Yuppenfpielis x 
Ss ufgügen: Dergeftelt von 1. Frankfurt a. M., Mei 

3 Nur. 


8, 

Der alte Soldat. Lieder und Gedichte für die Laudach 
und Einien: Gruppen zu Krieges: und Friedenszeit. Neuwich, 
Lichtfere. 16. 2 Nor. 
Tegner, ©, rel. Romanze. Rad dem fſchwediſchen 
Driginal und in deffen Versmaaße überfegt von G. Schilling. 
Stuttgart, Hallberger. RI. 3. 21 Nor. 

Das Urevangelium oder da8 Leben Zefu Ehrifti nach der 
gebereinftimmung der vier Evangelien. Barmen, Falkenbetg. 
5 gr. 


Zagesliteratur. 
Bödel, E. G. U, Predigt zur dritten Säcularfeier ds 


Jodes Luther's. Dibenburg, Sonnenberg. Gr. 8. 3%, Re. 
Brennglas, A., 1845 im Berliner Guckkaſten. Ss: 
burg. 8. TI, Nor. 


Burger, Abſchiedspredigt. te Auflage. Fürth, Symit. 
&r. 8. 2 Nor. 
Die Jeſuiten und der Ultramontanismus in der Schweu 
von 1798 bis 1345. Aus der „Allgemeinen Gallifchen Riters: 
turzeitung’’ befonders abgedrudt und herausgegeben mit einem 
Borworte von 3. Gihr. Liekal, Honegger. Gr. 8. 54, Ry- 
Kraußold, Gedächtnißpredigt zur MöOjährigen Feier Dt 
Todes Dr. M. Luther's. Furth, Schmid. 12. 2 Rgr. 
Magerftedt, U., Die zween Jünger Jeſu auf ihres 
Wege am Auferfiehungstage. Predigt. Sondershaufen, & 
&r. 8. 2 Rgr. 
Morning, R., Die pantheiftifche Tendenz des Ghrike 
thums. Ein Beitrag zur wiſſenſchaftlichen Beurtheilung dr 
neueften kirchlichen Bewegungen. Leipzig, Gebauer. &k- 3. 


gr- 
Thilo, W., Reden und Gefänge bei Peſtalozzi's Salat: 
Berlin, Ext: 


pel. 


Seburtöfeier im Königliden Seminar zu Erfurt. 
lin. Gr. 8. 8 Rgr. 





Berantwortliber Herausgeber: Seinurich Wrodhans, — Drud und Verlag von F. X. Drockhaus in Leipzig. 








men — — 


Dienſtag, 


Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





9. Juni 1846. 





Die preußiſche Verfaſſungsfrage und das nordiſche 
| ’ Deindp. Von einem Oſtreicher. 


Dritter Artikel.9 


Unfer Verf. ftelle fih nun bie Aufgabe, zu bemeifen, 
dag für Preußen eine Eonftitution nicht nur unſchaͤdlich, 
fondern daß baffelbe ohne Konftitution eben all ben 
Übeln und Gefahren ausgefegt fei, die man von einer 
Gonftitution befürchten zu müffen glaube. Gehen wir 
etwas näher auf fein Raifonnement ein. 

Zueft mag bier eine allgemeine Bemerkung über 
bie Art und Weife am Plage fein, wie der Verf. ope- 


. zirt. Die Gründe, welche der Ertheilung einer Conſti⸗ 


tution entgegen ftehen, find nämlich doppelter Art. Sie 
zerfallen in folche, zu denen man fih offen befennt, mit 
benen man öffentlich flreitet, und auf der andern Seite 
in ſolche, die man fih laut auszufprechen fcheut. Auf 
diefe Tegtern nun nimmt ber Verf. gar keine Rückſicht. 
Er berührt fie nicht einmal, geſchweige daß er den Ver⸗ 
fuch machte fie zu widerlegen. Und doc, find es eben 
diefe geheimen, im innerfien Herzen gehegten Motive, 
welche ein mweit größeres Gegengewicht in die Wagfchale 


legen als alle jene oftenfibeln Gründe, die man wiffent- 


fchaftlich aufpugt und meift nur zum Scheine ins Feld 
führt, während man im Grunde des Herzens felbft 
herzlich wenig an fie glaubt. Mag es fein, daß ber 
Verf. zu gutmüthig arglos ift, um diefe Scheingefechte 
für Das zu erkennen was fie wirklich find, oder mag 
er aus guter Abfiht die geheimen Triebfedern ignoriren, 
welche ber Einführung einer Verfaffung in Preußen mit 


conſequenter Starrheit entgegenarbeiten, fo tft doch fo 


viel gewiß, daß feine gründlichen und beredten Debuctio- 
nen durch diefes Sachverhältnig häufig etwas von der 
Natur eines Kampfes mit Windmühlen annehmen. Er 
ſucht den Feind nicht da auf, wo er mit feiner eigent- 
lichen Heeresmacht wirkfich fleht, fondern in einzelnen 
vorgefchobenen Stellungen, auf beren Behauptung es 
jenem zuletzt felbft wenig ankommt. Es ift fhade um 


"den Aufwand fo vieler fchönen Mittel, wodurch felbft 


im Kalle des Gelingens doc nur herzlich wenig erreicht 
wird. Der Streit verliert offenbar an Intereffe und an 


*) Vergl. den erſten und zweiten Artikel in Nr. 80 — 108 und 
Kr. 185 —188 bD. BI. D. Red. 


dem rechten Ernſte; es ift Fein Kampf auf Leben und 
Zob, wie er es doch eigentlich fein follte. Der Verf. 
zielt nicht nach der Ferſe des Achilles; er weiß den Geg⸗ 
nern keine töbtliche, nie verharfchenbe Wunde im inner« 
ften Sige des Lebens beizubringen. In den Augen bes 
großen Publicums, welches bergleichen gutmüthige Schein- 
gefechte liebt, welches aber in feiner feigen Unwahrheit 
jedes Dial zufammenfchaudert, fobald man mit harter, rück⸗ 
ſichtsloſer Hand bie volle Blöße aufdeckt, mag das zu 
feinen Gunften fprechen. Uns wäre es lieber gewefen 
und wir halten e6 auch für fürberliher, wenn er dem 
Feinde ohne weiteres das Meffer- an die Kehle gefegt 
bätte, unbefümmert um das böfe Blut was dadurch 
aufgeregt wäre. 

Nach diefer allgemeinen charakterificenden Bemerkung 
wollen wir die Streitfragen, die der Verf. aufmwirft, et- 
was näher ins Auge faffen. 

Die Feinde des Volksrechts behaupten bekanntlich 
immer mit Geng: | 


Repräfentative Berfaflungen haben bie -beftändige * | 


das Phantom der fogenannten Bolbsfouverainetät, d. h. der all» 
gemeinen Willkür an die Stelle der bürgerlichen Ordnung un 
Subordination und den Wahn allgemeiner Gleichheit der Rechte, 
oder — was um nichts befier iſt — allgemeiner Gleichheit vor 
dem Rechte an die Stelle der unvertilgbaren, von Gott felbft 
geftifteten Standes: und Rechtsunterſchiede zu fegen- 

Gegen biefe Behauptung wendet der Verf. bie 
ganze Kraft feiner Dialektik. Er ſucht nachzumeifen, 
wie die Würde und bas Unfehen bed monardifchen 
Principe, wie Ordnung und Suborbination unter das 
Befeg, wie verſchiedene Bliederung der Stände gar wohl 
mit einer Verfaſſung vereinbar feien. Als ſchlagendes 
Beifpiel für diefe Behauptung führt er England an; 
wo neben oder eigentlich über ber lebendigften Berech⸗ 
tigung des demokratiſchen Elements die Monarchie in 
einer Feſtigkeit, Würde und Erhabenheit ſtehe wie in 
feinem einzigen der abfoluten Staaten. Und diefe herr- 
liche Stellung der britifchen Monarchie flüge fih nicht 
auf geheime Policei und geheime Zufliz, nicht auf ſte⸗ 
hende Heere und auf Senfur, ſondern auf die freimillige 
Ergebenheit und Ehrfurcht des Volkes. An dem Bei- 
fpiele Englands, meint er, koͤnnten fi unfere Regierun⸗ 
gen eine fchöne und heilfame Xehre nehmen. Das ift 
nun Alles recht fchön und wahr, aber im Grunde ficht 


m _ 0. — — m __. 







, 








Be 
. igkeit zu garantirem, der gun⸗ 
md Beamtenwelt ſich i wir cz 
benisuigen Beſchtaͤnkungen untermürfen, wie fie im Eng- : englifhe Berfafiung belimen? Wie wellten Die Beim 
land befichen, glaubt er, daß dieſe dadurch auch nur im ; tem ihre Echne neh mit Sicherheit verforgen, mem 
minbefien für die Ertheilung einer Berfaffung geneigter | rielleicht die Hälfte ber Stellen einginge? wenn ba} be 
geſtinunt werben würden? Wir mwenigfiens find vom queme Undennetättrrincip aufbörte ? Die bed 
Etchung der jegigen Königin von England in umfern | lichkeiten hätte der Berf. aus dem Wege räumen fin, 
Auge⸗ ift, fo find wir doch verfichert, daß ber | wenn er ben mmüberwintlihen Witenwillen ber Guam 
pꝓreufiſche Ronarch fie nicht mit feiner eigenen vertau⸗ einer Repräicentarivverfsffung hätte befigen well. 
fihen mödjte, daß ex einen ſolchen Antrag vielmehr mit Der Berf. beklagt fi darüber, daß man Ka me 
mitleidigem Lächeln zurüdweifen würde. Der Berf. | gewöhnlich das Beifpiel Britanniens überginge um air 
fgeint ſich in die Gefühleweife abfoluter Fürſten nicht | dings auf bie mi 
verfegen zu Tönuen. Ihm erfheint die Stelung des | wiche i 
. Königs von England fdyön und erhaben; es gibt andere | Wertreib i 
Leute, denen dagegen miebrig und veraͤchtlich vor- | ſqhildere, als ch gar Riemanb mehr mir Sicherbeit 
tommt. Auch Kari I. von England hielt es bekanntlich | fhlafen legen Tounte, fo müffe man bie im Zrunfreich 
mit feiner Ehre nicht verträglich, ein bloßer „Schatten: | vorhandene Gaͤhrung als Das betrachten, was fie fei, 
Zönig” zu fein. Und was anders als ein Schattenkönig traurige aber 


verfaffung nit im mindeften laidirt werde, wenn er 
Die tte befchren wollen. So lange ihm die⸗ 
fer Beweis nicht gelingt, wirb ihm alles Andere wenig 
el 


en. 
nt was bie preußiſche Beamtenhierarchie betrifft, 
vom Minifter His zum Gendarm, glaubt er dieſe Her- 
zen dadurch für eine Repräfentativverfaffung zu gewin- 
nen, wenn er ihnen nachweift, wie in England die Ebr- 
furcht vor dem Geſete zum allerwenigften ebenfo groß fei 
wie in Preußen? Auf bie Ehrfurcht vor dem Geſetze kommt 
es biefen Herren zum großen Theil wol weniger an als au 
die Devotion vor der Perſon. Ein preußifcher Minifter 
wird mit Robert Peel ebenfo wenig zu taufchen Luft 
haben wie ein preußiſcher Gendarm mit einem engli- 
fen Eonflable. Wenn Robert Perl eines ſchönen Mor⸗ 


zu thun ald dem bemofratifchen Elemente 
bie freie, nasurgemäße Ichätigleit zu geftatten. Fe 
wenn dieſes nicht gefchehe, fei Gefahr vorhanden, ki 
auch in Deutfhland die Volkskraft krankhaft ausam, 
und dieſe Krankheit könne allerdings fo ſchlimm werden, 
daß die Zerflörung des ganzen Organismus erfolg. | 
Aber dem Ausbruche der Krankheit vorbeugen, fach 
in politiſcher Hinficht die beſte Heilart. | 

(Die Bortfegung folgt.) 


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— — — — — 


— — — — — — 


Literarhiſtoriſches Taſchenbuch. Herausgegeben von R. E. 
Prutz. Dritter und vierter Jahrgang. Hanover, 
Kius. 1845. Gr. 8. 2 Thlr. 10 Ngr. 


Was man ſchon öfter über die poetiſchen Erzeugniffe von 
Prut ausgeſprochen bat, daß fie nämlich ſaͤmmtlich, welchen 
mehr oder weniger der Vergangenheit angehörigen Stoff fie 
auch ergriffen haben mögen, von den Tendenzen und dem Geifte 
der Gegenwart befeelt werden, das läßt fi mit demfelben 
Rechte auch über feine literarhifterifche Shätigkeit fagen, und 
war leidet es bei ihr nicht allein da feine Anwendung, wo fie 
Fb ſchafft und eigene Producte liefert, fondern auch we 
fie nur — und zuſammenſtellt. Wie ſchon die beiden er⸗ 
ſten Jahrgaͤnge ſeines „Literarhiſtoriſchen Taſchenbuch“ diefe 
unmittelbare Beziehung zu den Beſtrebungen und Bewegungen 
der Zeit auf das entſchiedenſte ausdruͤcken und faſt keinen Auf: 
ſatz bieten, der nicht wenigſtens mit mannichfachen Hinblicken 
auf gegenwärtige Zuſtaͤnde abgefaßt wäre, fo huldigen auch bie 
un bier vorliegenden beiden Jahrgänge durchaus derfelben Rich: 
tung, und obwol die in denfelben behandelten Themata faft 
fämmtlih der Bergangenheit entlehnt find, To ftehen fie doch 
u den berrfchenden Zagesfragen in der innigften und nädhften 
Beriehung und legen unverkennbar an den Zag, daß ed den 
Verfaſſern bei Wahl und Ausführung derfelben Feineswegs 
blos darauf ankam, über irgend eine Perfänlichkeit oder Epoche 
der Literaturgefchüchte als folche nähern Auffchluß zu geben, 
fondern daß es ihm vielmehr darum zu thun war, gewiffe ver: 
daͤchtige Beitideen mit dem Paffe und Legitimationsjchein einer 
underdädhtigen Vergangenheit in die Welt zu ſchicken. Sogleich 
der erfte Auffag des dritten Jahrgangs: „Theodor von Hippel und 
feine Lehre vom chriftlihen Staat”, von I. Rupp, urfprünglich 
eine in der Deutfchen Gefeltfchaft zu Königsberg gehaltene Nede, 
rechtfertigt diefe unfere Behauptung ſchon in feinem Zitel; denn 
unmilltürlih werden wir durch denfelben an den von oben 
herab beliebten und geltend gemachten „chri en 
Staat erinnert, und wenn wir um deswillen von vornherein 
die Vermuthung hegen, daß der Auffag nicht ohne Seitenblid 
auf diefe neueite Selbfttaufe gefchrieben fei, werden wir uns 
bei näherer Kenntnißnahme deſſelben durchaus nicht getäufcht 
finden. Bwar drüdt der Verf. deffelben dies nirgend mit 
Worten aus, vielmehr hält er fih in feiner ganzen Darfelung 
fireng an das Object und weiß jede parabafenartige Rutan- 
wendung zu vermeiden; aber trogdem drängt fich uns, indem 
wir die Entwidelung der Hippel'ſchen Anſicht Iefen, unabweis⸗ 
bar eine Reihe von unausgelprochenen, nur zwifchen ben Bei: 
fen zu lefenden Gedanken auf, deren fummarifcher Inhalt etwa 
fo lautet: „Seht, das ift ein chriftlicher Staat, und wenn 
ihre einmal auf diefen Ramen für euern Staat Anſpruch ma⸗ 


en wollt, fo habt ihr auch diefe von einem an Geift und Er⸗ 


fahrung reihen Manne vorgezeichneten Bedingungen zu er: 
füllen” Die Aufzählung dieſer Yedingangen bildet den ei: 
gentlihen Kern der Rede und find ihnen nur eine kurze Bio- 
graphie und Charakteriftif Hippel's voraus», fowie Andeutun- 


‚gen über die focialen Principien defielben nachgeſchickt. Die 


rundlinien der Hippel’fhen Anſicht find nach Rupp's geiſt⸗ 
und lichtvoller Mitteilung im Auszuge folgende: 
Das Chriſtenthum ift über die Erkenntniß der alten Wei⸗ 


‚ fen Hinausgegangen, indem ed Gott ald Vater darftellt, der 


alle Geſchoͤpfe und Menfchen liebt, und indem es eine allge: 
meine Bruderliebe unter den Menfchen zu bewirken fucht. Die 
beiden Haupt⸗ und Grundbedingungen des chriftlichen Staats 
find alfo die: I) Seine Gefehgebung muß wie die görtüge 
eine väterliche fein, und 2) ed muß ihr eine weltbürger- 
liche Abficht um Grunde liegen. Die erfte diefer Bedingun: 
gen zerfälft wiederum in fünf Säge, von denen jeder weiter er: 
—* Bird. au — ar lautet: —* er dem 

e Pfti er Erziehung ein Recht gibt, die freien Handlungen 
der A Ar beftimmen, befiehlt nit, damit gehorcht werde, 
fondern weil ed das Befte feiner Familie fo fodert.“ Hierzu 


| wird unter Anderm angeführ 


üßer: „Die Ülteen geben wahren⸗ 
ber erften Jahre den Kindern VBorfchriften, obne den Grund 
berfelben unzuführens aber fie wenden Alles an, diefe Beit 
viel als moͤglich abzufürzen, weil fie wiflen, daß ihre Mühe - 
erſt dann von dem rechten Erfolg gekrönt fein wird, wenn bie 
Kinder Grand und Zuſammenhang der Borfchriften erkennen. 
Dorum darf in einer väterlihen Regierung bei den Gefegen 
nie der eigentlihe Grund derfelben weggelaflen, am menigiten 
aber durch Hohe Zitel und Gemwaltsandeutung erſezt werden.‘ 
Der zweite Sag verlangt: „Die Gtrafe des Waters darf 
nichts Anderes als die Befferung der Kinder bezwecken; und 
eb wird unter Anderm daraus gefolgert, daß alle Diejenigen 
Strafen auszufchließen feien, welche beweifen, daß der ‚Staat 
die Erziehung der Bürger aufgebe, 3. B. die Landesverweifun 
und die Todesſtrafe. Auch das Abkaufen der Strafen — 
Geld, koͤrperliche Zuͤchtigung und die Begnadigung werden 
demgemaͤß verworfen. Der dritte Sag: „Altern füchen ihre 
Kinder mehr durch Vorbild und Beifpiel als durch Anorbnun« 
gen zur Erfüllung bes Selrges zu leiten, und darum gründet 
ſich die Beobachtung des Gefeges bei den Kindern nicht auf 
Furcht cder Gewalt, fondern auf Liebe und Achtung”, wird 
unter Anderm durch folgende Stelle erläutert: „Friedrich's 
des Großen Muth und Selbſtbeherrſchung, Waͤßigkeit und 
Pflichttreue haben mehr gewirkt als feine Geſetzbuͤcher. Fleiß 
und Mäßigkeit, fagt er, dies Paar Staatscardinaltugenden, kön⸗ 
nen durchaus nicht Dur Sefege; fondern müffen durch Bei 
ſpiel des Regenten in Umlauf gebracht werben. Denn etwas 
dem gemeinen Rann verbieten, wodurch ſich der Megent und 
feine Geſellſchaft, es fei nun in Purpur und koͤſtlicher Reins 
wand oder im alltäglichen Herrlich und in Freuden Leben, aus» 
zeichnet, heiße gefliffentlich die Begierden reizen.” Sum vier» 
ten Sage, der ſich über den Zon der Gefege ausipricht, wird 
hinzugefügt: „Nach der Lehre des Stifters der chriftlichen Re⸗ 
ligion waren bie Gebote Gottes Rathfchläge, feine Verbote 
vaterliche Warnungen und die Pflichten Eindliche Liebe. So 
barf der Ton ber Geſetze in den väterlihen Regierungsformen 
nit einen bloßen Gebieter verrathen. Wenn Gefehe unter 
Donnern und Bligen, wenn fie im Imperativ gegeben werben, 
fo müßten fie, auch wenn fie von den Weifeften käͤmen und 
von den Gerechteften im Volke audgeübt würden, ſchon wegen 
dieſes Tons anftößig werden. Gin Rath mit Hinwellung_ auf 
eine in der Natur der Sache liegende Strafe für den Über 
tretungsfall iſt die ſchicklichſte Urt, Menfchen, die frei geboren 
find, Gefepe zu geben. Es liegt in der Ratur des Menfchen, 
daß er nicht befehlen, fondern nur rathen laſſen will, und 
die vätesliche Regierung fpricht ” biefen bel, zu dem ihn 
Gott erhob, nicht ab.” Der fünfte Say endli lautet: 
„Der Bater überträgt feinen ältern, erfahtenern Kindern das 
Amt, auf feine Anordnungen zu Halten, die Übertretung zu oje 
den, Streitigkeiten beizulegen. Dies Gejchäft wird aber nicht 
ihm zu Gefallen, noch weniger wegen Ehre und Gewinn, fow 
dern aus Achtung vor dem Gefeg übernommen”; und wird 
von folgenden Erläuterungsfägen begleitet: „Bon den Beam 
ten würbe eine väterliche Megierungsform verlangen, daß fie 
aufhören, Mafhinen und Lohndiener zu fein. Wenn der Ba 
ter den ältern und erfahrenern Mitgliedern feiner Familie ben 
Auftrag gibt, ihn in der Regierung bes Hauſes zu unterflügen, 
fo thut er ed, weil er weiß, daß fie den Zweck der Megierung 
kennen und in ihrem Kreife ber Abficht des Ganzen oft baffer 
entfprechen werden als er felbft es Rönnte. Wenn dem Beam- 
ten ſelbſt jeder Schritt, den er thun fol, vorgezeichnet werden 
muß, ſo erſchwert er Dem, der das Ganze leitet, die Arbeit, 
ftatt fie ihm zu erleichtern; und doc, fucht der Vater Erleich⸗ 
terung, weil er auch den Rindern gegenüber nie vergißt, wie 
beſchraͤnkt feine eigene Kraft ifl.” „Endlich ahmt die väter 
liche Regierung au darin dem Verfahren des Waters nad, 
daß fie es wie dieſer gern flieht, ıwenn das jüngere Kind fi) 
nach eigener Wahl zu dem unter den älteren Befchwiftern haͤlt, 
zu welchem es das meifte Butrauen bat, mit andern Werten: 





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Bürfiengewalt aufzeftelte volitiſche Zheorie fpäterhin bereut 
und im Unwilien über bie Anmaßungen und unlaxtern 
ten gen 


Mehr 

tene über Die Fürſten und über die Art und Beife, 
wie fie ihre Stellung verfennen und misbrauden, finden fi 
nicht leicht irgendwo beifammen. Bon ben verfchiedenften Bei: 
ten ber werden fie angegriffen, einmal von Briten ihres Ber: 
Hältniffe6 gegen ben Kaifer und das gemeinfame deutſche Ba 
terland, ein anbermal von Geiten ihres rend in religio⸗ 
fen und kirchlihen Dingen; hier von Seiten ihrer Robeit, dort 
von Geiten ibrer moralifden Verderbtheit; jegt als Zyrannen 
und Despoten gegen das Bolf und dann wieder als zänkiſch, 
mistrauifh und unreblig unter fi ſelbſt. Ginige der kürzern 
Stellen find &. 170: „Wie viel Aufrihtigkeit, Wahr⸗ 

, eig eit in folhen Geſchaͤften herrſcht, weiche nad 
utachten der Kürften geleitet werden, babe id nur zu 

oft erfahren. Scham und Gerechtigkeit find weit weg von den 
Bufammenfünften der Zprannen, dafür bringen fie Plconerie, 
Schamlofigkeit und Sophiſtik mit.” &. Bis: „Jetzt wächſt bie 
—— an den Höfen und dieſe iſt, wie Ariſtoteles ſagt, am 
feindfeligften der Wahrheit. Du weißt, wie Pindar geftraft 
wurde, weil er Athen mehr gelobt als fein Baterland; wie 
werden we die Ayrannen den Zabel des Staats aufnehmen, 
wo du wohnſt?“ &. 175: „Die Feigheit, 8wietracht, Treu⸗ 
Kofigkeit, Pleonerle unferer Zürften ift fo arg, daß man an eine 
gemeinfame Wertheidigung des Waterlandes (gegen die Zürken) 
gar nit denken kann. Wie Thyeſtes in der Tragoͤdie feinen 


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Beufe ich, Beh Bett iee Kirchen iz den destichen täten 
Gabe: hier iser te Bee ter Ziigraicheit za ie 


- Biblisgrephie. 
Yiire, u., Tas Ehrifieuthum die Wißenib der 
psuckpöshe Exale: iz das Stute te Ghriärtew. 


Exzle’um 
Dem. Latit &. 12 15 Rı. 


Gaillart, ©, Ecla Rirazi Irızatie a fünf I 
kepjig, rk 8 2, Bar ’ 

Akdeuische Gedichte. ven A Ädr 
Tübengen, Fues. Gr. 3. 1 Thir. 2 Nger. 

Liack, J. F. M der von dem vermas ki 
nigl. und churfursil. sächs Hefmaler und Profeser 
C. W. E Dietrich radirten, g und im Hoiz ge- 

i V Nebst Ab- 
risse ichte des Künstlers. Berka. S. 2 Thir. 


der 
Rüglih, K. S., Bid asf die Heiligen unferer lathoü⸗ 
(den Kirche. In acht Fretigten. Augedurg, Kellmonn 3 


12', Xgr. 
castellano, 6 colleccion de antiguss romas- 
ces de lo⸗ soles, publicada csa uma istre 
duccion y notas por 6. B. Depping. Nueva edicien, cos 
las notas de Dom Anfonio Alcald Galiane. 'Teme Il: Ron 
de romances, ö romances sacados de las „Rosas“ de Jam 
Tiımoneda Escogidos, ordenados, y anoiades por De 
Fernando Jose Wolf. Leipsique, Brockhaus. Gr. 12. DNg. 
ghmidt, Bühelmine, Gerichte. Düſſeldorf, Budorai. 
gr. 
IR ——— — aus en Fi Ronellen yeah 
er : Die Rofe von der Pzerwa. ipzig, Brochaus. 
r. 12. 1 Zple. 12 Ror. ' ne⸗ 
Uhlich's Predigten, gehalten in der St. Catharinen 
Kirche zu Magdeburg im 3. 1846. Iftes Heft, vom I. ® 
ventfonntage bis Eſtomihi. Magdeburg, Ereug.- &r.9. De 
vollfländige Jahrgang 2 Thlr. 
Bogel, E., Raturbilder. Ein Handbuch zur Bela 
bes geographiſchen Unterrichts und für Gebildete überhark: 
zunächſt als Erklärung zum Schulatlas der neuern 
Zte verbefierte und vermehrte Auflage. Leipzig, Hinrich. &.$. 
I Ihle. 15 Rar. " 
Birth't, I. ©. U, Deutſche Geſchichte. Pte durchaus 
verbefierte Auflage in vier Bänden. Iſte und 2fe Licketung 
ee Loßgeng Fa Fi Jede Lieferung 6 Rgr. 
ig, Kathinka, Herbſtroſen ın Pocfie und Proſa. Main, 
Faber. "ar. 8. 1 hir. 10 Fl Poen Proß 


Berantwortiiger Herausgeber: Heinrich Brodpans., — Druk und Werlag von F. X. Wrodpeans in Leipzig. 


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Blätter — 


für 


literariſche Unterhaltung. 





ungsfrage und 
Öftrei 


as nordifche 
on einem eicher. 
Dritter Artikel. 
(Kortfegung aus Nr. 60.) 

Wenn nun dies Alles, wie unmiderlegbar geſchicht⸗ 
“Tiche Thatſachen bewiefen, im Allgemeinen für alle Welt 
gelte, warum folle es blos auf Preußen, auf Deutſch⸗ 
land überhaupt feine Anwendung finden dürfen? Warum 
folle gerade in Preußen die Verbindung bes monarchi⸗ 
ſchen und demokratiſchen Princips zur freithätigen Wed) 
felwirtung ftaatsgefährlich und unmöglich fein? 

Eine taufenbiährige Gefchichte vielmehr bewieſe, daß 
die deutſchen Boͤlker mit Herz und Berfiand dem mon- 
archifchen ‚Principe ergeben freien. Diefes wurzle fo feſt 
in der Überzeugung und im Gemüthe bes beutfchen 
Volks, dag felbfi durch arge despotiſche Ausartungen 
feine dauernde und folgenreiche Auflchnung des demo- 
kratiſchen Elements hätte beimirft werben fünnen. Dier- 
durch fei klar bemwiefen, daß von dem Augenblide an, 
wo in ganz Deutfchland die Monarchie durch volkthüm⸗ 
liche Berfaffung vor despotifcher Ausartung gefichert 
werde, auch in ganz Deutfchland jede Spur von dema- 
gogifchen Umtrieben verfhwinden würbe; nur durch 
bartnädige Misachtung und fortdauernde Knechtung könne 
das demokratifhe Element in Deutfchland überhaupt 
gegen die Monarchie gefährlich erbittert werben, gegen 
wärtig aber, wo boc das Volfselement mehr oder we 
niger überall in Deutichland noch Feſſeln trüge, ftehe 
dennoch das monarchiſche Princip in feinem Wefen 
feft und unangefochten ba; aber es fei gegenwärtig nun 
die dringende Aufgabe, diefe fefte Stellung für alle Zu⸗ 
kunft zu fichern. Dies Tonne man aber durch Entfeffe- 
fung des demokratifchen Elements, denn freigegeben werde 
es ſich freiwillig der nothwenbigen und gefeglichen Be⸗ 
fehränkung unterwerfen. Und wenn felbft in Preußen 
namentlich in der That eine fo gefährliche Aufregung 
des demokratiſchen Elements vorhanden fei, wie bie 
Feinde des Volksrechts behaupten, fo läge eben das ein« 
zige unfehlbare Mittel, diefe Gefahr zu beſchwoͤren, in 
der unverzüglichen Verleihung einer Gonftitution. Denn 
mist die conftttutionnelle, fondern bie abfolute Monarchie 
habe vor feindfeliger Auflehnung des demokratiſchen Ele- 
‚ments zu zittern. 


Dies ift ungefähr das Raifonnement des Verf. Wir 
müffen geftehen, daß wir boch nur ſehr bedingungsweife mit 
bemfelben übereinflimmen koͤnnen. Die Verleihung ei⸗ 
ner volksrechtlichen Berfaffung für Preußen halten wir 
freilich auch für dringendes, unabweisliches Bebürfnif, 
aber fo weit geht denn doch unfere Borliebe für Repraͤ⸗ 
ſenativverfaſſung nicht, daß wir, biefelbe für ein Uni» 
verfalmittel gegen jede bürgetliche Unerdnung und Auf⸗ 
lehnung unter allen Bebingungen hielten. &o mie man 
in der Medicin über foldhe Univerfakmittel, durch welche 
jeder Krankheitszuſtand ohne alle Inbivibualifirung ges 
beilt werden fol, allmälig weg ift, fo follte auch in ber 
Politik nicht mehr bie Rede davon fein. KBefondere 
follte man nicht vergefien, baf ein Mittel, zur rechten 
Zeit angewendet, recht gut den Ausbruch einer Krank⸗ 
heit hindern kann, während ein werfpäteter Gebrauch 
deffelben, nachdem die Krankheit bereits in ein vorge- 
ſchrittenes Stadium getreten ift, völlig nuglos fein und 
fogar ſchaͤdlich wirken könne. Sind vollends bie Lebens⸗ 
kraͤfte erſt einmal aufgesehrt, fo hilfe überhaupt Feine 
Medicin mehr. Es iſt ein großer Irrthum unſerer 
meiſten Liberalen, den auch unſer Verf. zu theilen 
ſcheint, wenn ſie alles Ernſtes meinen, daß die Erthei⸗ 
lung einer Verfaſſung in Preußen hinreiche, um den 
äußerft precairen Zuſtand daſelbſt wit einem Male auf 
das vortrefflichfte zu ordnen und alle DBeforgniffe zw 
eben. In diefer Beziehung paßt das Beifpiel von 

noland nicht. Das Bolt hat dort ausgebehnte echte, 
aber es hat auch Jahrhunderte hindurch gelernt bie 
Pflihten, welche diefe echte vorauöfegen, auszuüben 
und zu betbätigen. Es genügt nicht, einem Volle Rechte 
verleihen, fondern das Volt muß auch bie moralifche 
Befähigung haben, diefe Nechte vernünftig ausüben zu 
Tonnen. Iſt Legteres nicht ber Kal, fo artet au 
jede Berechtigung auf ber Stelle aus und zwar in um 
fo größerem Maße als fie ausgebehnter if. Der Eng⸗ 
länder befigt hiſtoriſch angeerbte Eharaktereigenfchaften, 
die dem Deutfchen überhaupt und dem Preußen insbe⸗ 
ſondere größtentheil mangeln, ohne welche aber ein ed⸗ 
les, geregeltes Verfaſſungsleben kaum denkbar iſt. Me- 
ben einem ſehr entſchiedenen Egoismus hat ſich im eng⸗ 
lifchen Charakter zu gleicher Zeit der Gegenpol kraͤftig 
ausgebildet, nämlich ein beſonderer, aufrichtiger Gemein⸗ 






i unb 
zu ug fein 
befonderes . 
De eımer 
entihiedenen, recllen Wahrheitslibe umb Offerherzigkeit 
Er haft jede umwahre Declamation, jede lügnerifche 
Pücafe, fie eruhe num auf abfidnlicher Ummahrheit oder 
auf unbewußter Gebfitaufgung Dadurch fommt eime 
Alarheit, cine moraliſche Sicherheit, ein Streben nad 
feſten Zielen in das Verfaffungsichen, was ohue biefe 
erfte aller haften vollig unmöglich if. Gelb 
Der Eigenuug tritt dert unverfiedt und ohne Maske 
hervor; ſeibſt er iſt „zu ſtolz zur Lüge”. Man weiß 
Daher, wie man mit ihm baran ifl, man kann ihm emt- 
—— un 1 at mE verfländigen. Ein 
aber, was mehr oder weniger aus lauter Phraſen⸗ 
menfchen beficht, bie ihre eig Zendenyen fi 


angemeffenen öffentlichen 
zeifer, aus der Lage der Dinge mit Nothwendigkeit her— 
Befhlüffe. Das ganze elende, auf phantafti- 
fer Eitelkeit und Selbſtſucht beruhende Intriguenfpiel 
fowol von Geiten ber Regierungspartei als der Volks⸗ 
yartei, das Beſtechungẽſyſtem, die Ausbeutung der öf- 
fentlihen Mittel fir Privatzwecke, die Gtellenjägerei 
u. f. w., wie wir das Alles zu unferm Ekel in Frank⸗ 
zeich erblicken, es koͤnnte fi) gar leicht aud in Preußen 
wiederholen. Es fehlt uns an öffentlicher Moral, und 
wo biefe fehlt, da kann Niemand vorherfehen, zu wel⸗ 
hen ſchlimmen Dingen ein Bolt allmälig verleitet wird, 
was mitteld einer freien Verfaſſung die Befugniß hat, 
jede mögliche Thorheit und Sünde zu begeben. 

Der Engländer befigt ferner Much, Charakter und 
bie Fähigkeit, für feine Überzeugung bie nöthigen Opfer 
zu bringen. Auch Das ift eine moralifhe Bafıs, ohne 
bie fein wahrhaftes Verfaſſungsleben gedacht werden 
Tann. Wo wie bei uns politifche Zeigbeit und Cha⸗ 
rakterloſigkeit bis zum aͤußerſten Grade der Veraͤchtlich⸗ 
keit eingeriſſen iſt, wo man einen wirklichen politifchen 
Charakter bei Tage mit der Laterne ſuchen Tann, ba 
laffen ſich die traurigften moralifhen Verwirrungen mit 
ziemlicher Gewißheit vorherſehen. Es laͤßt fich gar nicht 
berechnen, bis zu welchen Eptravaganzen ein überzeu- 
gungsiofes Bolt, mit welchem jeder redegewandte De⸗ 


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iferifged Taſchenbach Derazigegeben von R. € 
Drug Dritter sub vierter Jahrgeng 


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rabe ber lyriſche Dichter vom epiſchen, daß er nicht ein : 
Hr fondern fein eigenes Innere zur Unfgauung bringe, fr 


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müfle fe fE mod Sperre zu werfen und Oilimerter zu fülde 


accompli, im Gegenteil trete gerade die hoͤchſte Energie 


nere Abſchluß fehlen, der möge bedenken, daß ja aud dee Epr 
ker und Dramatiter immer nur einen Meinen Ausſchnitt ai | 
dem Glen Sanzen der auch noch unvollendeten Weltgeſchicr 
barzuftellen, aber dennoch ihm den Stempel der AUbgeihiche 


® 


heit aufzudrũcken vermöge. So fei aud der Lyriker im Stande, 
jede Welle feines flutenden Lebens im Gedichte als eine Welt 
für fih aufzufaflen, in welcher fi) das Ufer mit feinen wech⸗ 
feinden Seflalten, der Bimmel mit feinem Gewoͤlk und feinen 
Sternen als fauberer Mikrokoomus .abfpiegle. 

Dies etwa iſt der erfte Theil der Einwürfe, welche der 
Berf. gegen Bifcher geltend mat. Wir können der Entwide: 
tung als folcher fowol von Seiten ihrer Form als von Seiten 
ihres Inhalts unfere Anerkennung nicht verſagen; aber ‚das 
Hefultat derfelben, fpricht es denn wirklich gegen die Biſcher⸗ 
ſche — Verlangt denn etwa Viſcher eine totale 
Abloͤſung des Objects vom Subjeet? Er bedient ſich ausdruͤck⸗ 
lich der Limitation „zum größern Theil“, und eine Abloͤſung 
zum größern Theil muß doch ohne Frage flattfinden, fofern 
überhaupt ein Lebensmoment des dichtenden Subjects ihm zum 
Dbjert werden und die wenn auch nur illujorifche Abrundung 
und Abgefchloffenheit eined Mikrokosmus erhalten fol. Cine 
rein ſubjective Erpectoration, wenn aud noch fo viel poetifche 
Elemente enthaltend, iſt noch Fein Gedicht, fondern eine bloße 
Lebensäußerung, Fein Kunftwerk, fondern ein Raturproduc, und 
Bifcher bat alfo ganz recht, wenn er desgleichen verfificirte 
Herzendergießungen zwar als ſolche um ber darin ausgedrüd. 
ten Gefinnung und Begeifterung willen hochſchätzt, aber ben: 
noch nicht als wirkliche Gedichte anerkennen will. Eine an: 
dere Frage ift freilich die, ob denn ein politifches Gedicht, wel- 
ches feinen Stoff aus der Gegenwart entlehnt, nothwendig eine 
blos fubjective Erpectoration fein muͤſſe. In der Beantwortun 
diefer Frage müſſen wir uns durchaus auf die Seite des Berf. 
ftellen, denn wir fehen nicht ein, warum nicht ein Moment 
unferer dem Staate und dem Baterlande gewidmeten Empfin- 
dungen ebenfo gut folle objectivirt und ber fubjectiven Unruhe 
entriffen werden koͤnnen als ein Act unferer anderweitigen Ge: 
fühle. Zum Abſchluß eines Gefühls ift ja nicht nöthig, daß 
auch das Object des Gefühle in fich zum Abſchluß gelangt fet. 
Auch wenn die Freiheit außer uns und um uns noch nicht er⸗ 
zungen ift, kann doch das Freiheitsgefühl, zwar nicht in feiner 
Algemeinheit — aber als ſolches ift es überhaupt noch nicht 
poetiſch —, aben doch in einer ganz befondern fpecififchen Ge: 
ftaltung zum Abfchluß gelangen und alddann auch Object eines 
iyriſchen Gedichts werden. Bon diefer Seite alfo ſteht dem 
politifhen Dichter gar nichts entgegen, nur bat er leider mit 
einer andern Schwierigkeit zu Fämpfen, mit dem peefaithen 
Charakter des Stoffe. Zwar ift Bein Stoff der Poefſie ganz 
unzugänglich, aber der eine Liegt ihr näher, der andere ferner, 
und der politifche Stoff, den der Lyriker aus der Gegenwart 
ſchoͤpfen Tann, hat nun einmal die bofe Eigenfchaft, daß er in 
feiner Allgemeinheit zu abftract, in feiner Befonderheit aber 
zu reatiftiih if. Es gehört daher auch ein hoͤchſt glücklicher 
Genius dazu, zwifcgen diefer Scylla und. Eharybdis glücklich 
Hindurchzufegeln, was denn auch unfer Verf. felbft zugbt, ins 
dem er fagt, es fei augenfcheinlich, daß diejenige Lyrik, welche 
die Poftulate in der Zukunft eines Volks in ihren Inhalt auf 
nehme, einer Standrede äußerlich ähnlicher werbe als die, welche 
es nur mit dem Berbhältniß zu inzelnen zu thun habe, z. B. 
die Serenade eines verfchmähten, aber noch hoffenden Liebha- 
bers. Um dieſes Zugeftändnifies willen läßt er jedoch feine 
Polemik gegen Bifcher noch nicht fallen, fondern fährt fort 
die einzelnen Argumente beffelben zu widerlegen ober zu ent» 
Tröften. Iſt er auch hierbei nicht immer gleich glücklich und 
thut namentlich feinem Gegner infofern einiges Unrecht, als er 
die ihm anftößig erfcheinenden Ausſprüche deſſelben zu iſolirt 
betrachtet und andern Yußerungen beffelben, welche ſelbſt auf 
die zwifchen der fubjectiven Begeifterung und objertiven Beſon⸗ 
nenheit ded Dichters nothwendig herrfchenbe, aber ebenjo noth: 
wendig zu überwindende Untinomie hindeuten, gänzlid unbe: 
rückfichtigt laßt, fo dürfte doc diefer ganze polemifche, zur 

Einleitung dienende Theil der Abhandlung, befonders infofern 
darin eine ebenfo Mar als anziehend gefchriebene Charakteriſtik 
der gefammten Lyrif und der ihr zu Gebote flehenden Mittel 


enthalten ift, für den größern Theil bes Publicums Teiche von 
geherm Interefle fein als die nachfolgende, ine A 
etait eingehende Unterfudhung. Zwar ift auch diefe im Gan⸗ 
en nicht nur mit gründlicher Sachkenntniß und vollkommener 
herrſchung des Materials, ſondern auch in gewandter, feiner 
und an paſſenden Stellen ſelbſt eine vhetorifch-poetifche Diction 
nicht verſchmaͤhender Form — und gewaͤhrt ſowol uͤber 
den Begriff ber griechiſchen Tlegie als auch über bie hiſtoriſche 
Entwickelung derſelben durch Kallinos, Archilochos, Tyrtaͤos, 
Mimnermos, Solon, Xenophanes, Theognis, Phokylides, Eue⸗ 
nos, Simonides, Ion, Dionyſius, Philiskus, Ariſtoteles und 
Krates bis zu ihrer en im alerandrinifchen Beitalter . 
eine hoͤchſt dankenswerthe Überficht, welche namentlich an der 
Einlage der werthvollſten und berühmteften Elegien oder elegi- 
ſchen Fragmente in wohlgelungener Überfegung eine für jeben 
Gebildeten intereflante Bugabe erhalten hat; indeß finden fid 
doch auch einzelne ziemlich lange Partien in ihr, 3. B. die 
hiſtoriſch⸗kritiſche Unterfuhung über die Chronologie des Kali: 
nos, welche wenigftens in foldher Ausdehnung und mit Anzie⸗ 
bung und Berarbeitung an fi) jo minutiöfer und dem allge: 
meinen Bewußtfein durchaus fernliegender Notizen und hat 
fachen nur dem Ypiiologen von SInterefie fein können und 
welche daher im vorliegenden Taſchenbuche, das in feiner gan« 
zen biöherigen Ausftattung ſtets nur das allgemein »gebildete 
Yublicum vor Augen gehabt hat, beffer unterdrückt worden 
wären. Im Übrigen gibt uns der Verf. wie in der Einleitung 
fo auch in der eigentlichen Abhandlung mehrmals Beranlaffung, 
unfern Blick von dem alten Hellas weg auf unfer neueftes 
Deutſchland zu wenden und felbft durchaus objectiv gehaltene 
Schilderungen antiker Staatöverhältniffe oder einzelne Stellen 
aus ben mitgetheilten Gedichten verfegen uns plöglich wie mit 
einem Zauberfchlage, ohne daß es der Berf. gewollt haben mag, 
aus dem Gebiete der Vergangenheit in das ber Gegenwart. 
Am freiften von derartigen Rebeneffecten, obwol auch nicht 
gang fee, halten fi) jedenfalls die beiden Mittheilungen von 
A. Wellmann und, was den Leſer befonders wundern wird, 
von Hoffmann von Pallersieben. Der Erftere bietet uns einen 
Aufjag „Über einige englifche Zrauerfpielditer nach Shak⸗ 
fpeare”‘, Der ganz in ähnlicher Weile abgefaßt ift wig der im 
erften Jahrgange dieſes Taſchenbuchs enthaltene „Über bie 
vier älteften ‚fpanifchen Dramatiker”. Wir erhalten darin ei» 
nen zwar nicht fehr ausführlichen, aber für das Intereffe des 
Stoffs volllommen ausreichenden Bericht über den Gang der 
tragifch:dramatifchen Literatur in Gngland von Shakſpeare 
biß in die neuere Zeit und eine Burze Charakteriſtik der nen» 
nenswertheften Dichter, ja felbft eine Inhaltserzählung mehrer 
der berühmteften Stüde. Die Wanderung, die wir mit bem 
Berf. machen müflen, hat gerade nichts Zröftliches.. Denn wir 
elangen mit jedem Schritte von den romantiſchen Gebirgs- 
—* der Poeſie immer tiefer und tiefer hinab in das tiefſte 
proſaiſche Flachland. Während Dichter wie Philipp Maffin- 
ger, Thomas Otway, Rathanael Lee und Sohn Banks, ja auch 
noch Thomas Southern, Nicholas Rowe und William Con» 
greve, wenn auch fämmtlich manierirt und nach der einen oder 
andern Seite hin ins Ercentriſche ausartend, body immer noch 
mehr oder wenige Rachklaͤnge der Shakfpeare fhen Tragik 
enthalten, fo verfinten dagegen zufolge der durch Die Locke ſche 
Phüofophie und einen abftracten Deismus herbeigeführten Ver⸗ 
ftändigfeit, zufolge ber uͤberhand nehmenden, den Kunftfinn 
verdraͤngenden praftifhen Richtung, —5 des durch Steele, 
Shaftet ury, Sohnfon, Addifon verbreiteten Modalismus und 
zufolge des Ginflufles der. feanzöfifchen Hofpoefie die folgenden ' 
Dichter: Ambroſe Philipps, Aaron HIN, Hughes, Abdifon, George 
Lillo und Edward Moore immer mehr in die niedere und Klein: 
liche Sphäre der Zamiliendramen und Rübrftüde, oder fpreizen 
fih auf den flachen Parquets fleifleinener Elafficität oder wald: 
federner Tugendhaftigkeit. Nur ein Schotte, Sohn Home, wagte 
daneben wieder einen Sprung in die Romantit und machte 
damit einen ſolchen Effect, daB während der Aufführung feines 







babe bequemen 
Bwele bei allen Höfen, damals wie jegt, bebürfe; er habe um 
Bein Amt gebettelt, denn: 
Des tbut Bein ebles Derye, 
Gondern veracht foldy Scherze. 
i M auch nit ganz ohne Rebenabfidt gerabe das 
Lied „Bom Herrn Vettern“ mitgetheilt, in weichem es unter 
Anderm Heißt: 
BM du zu Sof befärbert wern, 
Schau, daß ya ein Herrn Better! 
Du wirft gelehrt, «bl, voller Ehrn, 
Ein Krlegemann frei, noch mehr darbei — 
Doch kehrn Rod nah dem Wetter! 

Bugeftänbdlicher brüdkt feinen Standpunkt innerhalb der Ge⸗ 
genwart Adolf Bod aus, der uns in einem Brief an den Her: 
ausgeber fein Urtheil über Knigge liefert. Der Schriftfkeller”, 
ve er unter Anderm im ——— ve Briefes, „bewährt 
fich noch als fehr unnüg für Die e des Volks, ber. weiter 
nichts vermag als die fittlihen Gebrechen der höhern Stände 
mit gelinden Mitteln anzugreifen. Nchtswuͤrdigkeit ber 
Menſchen ift überall, wo fie fich findet, mit 3 Zorn zu 


? 


vernichten. Die hoͤhern Staͤnde wuͤrden aber nicht ſchlecht ſein 
koͤnnen, wenn es die untergeordneten nicht auch waͤren, um 
jene zu unterflügen. Und der wirkliche Volksfreund hat des- 
halb gerade das Volk auf die eigenen Schwächen aufmerkfam 
zu maden, hat ihm zu zeigen, wie es annäherungsweife und 
allmälig wenigftens je geifkiger, jittlicher und fomit auch äu- 
ßerlicher Selbſtaͤndigkeit gelangt. Unzufriedenheit, ein ſehr ver⸗ 
rufenes Wort! Und dennoch verdanken wir ihr — verſteht 
fich, nähft, dem Hunger und ber Liebe — alles Große und 
Menſchenwuͤrdige. Geht fie freilich über das Maß der Kräfte, 
fo wird fie eine Ihorheit; wet fie dagegen dad Bewußtfein 
der Kraft, fo führt die Unzufriedenheit mit dem Alten zur Ent: 


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Preisertbeilu zur Belohnung für feine älten Chries 
und Paradedichtungen mehr als ein Wal der a iſche Kranz 
auf das Haupt gebrüdt: Was uns ben Romum dicſes ehrle 


e. Der erfie Band hat bereits die Prefle ver 
wahrſcheinlich werben die einmal geöffneten Schlew 
fen fi) ſobald nicht fliegen. Wahrlih, wenn jegt noch ein 
Boileau zu Gericht fäße, fo würde er fücher das Lob des beim 
berten Dichters mit vollem Munde pofaunen. Alles ifk fo ce 
rett und fo fauber, nirgend wuchern die Gedanken allzu üppig! 

aber Bignan mit feinen „Oeuvres postiques” den Rum 
des Tags einernten ober fi eine dauernde Stelle im Ianpd 
wahrer Dichtergröße erwerben wird, ift eine Trage, deren Be 
jahung etwas gewagt fein dürfte. 


Katbolifhe Iournaliftik. 
Der Katholicismus iſt in der franzöfiihen Sournalil . 
nad allen Richtungen bin vertreten. Defienunge rt 
bad neuerwachte religiöfe Bewußtfein immer neue Zeitfchrifter 
ind Leben, die bald mit aufflanımendem zelotifhen Eifer, bald 
im ruhigen boctrinaiven Zone die katholiſche Lehre Prediger. 
Unter den neuen Erſcheinungen diefer Art, weiche in der ef 
ten Zeit aufgetaucht find, bemerken wir endes Blatt: 
„Journal des &crivains catholiques, Echo politique, philose- 
— artistique et Httéraire du monde religieux.” U 
erguögeber nennt fi Boifte de Richemont. Diefes neue Dr 
gan des Katholicismus fkellt fich die Aufgabe, die hervorragen 
ben Schriften auf dem Gebiete der Afcetit in weitern Kreien 
au verbreiten und einem größern Publicum zugänglich zu mr 
hen. In dem Plan und ber Anlage erinnert ed an beb 
„Journal des predicateurs”, welches von derfelben Verlagt 
Handlung berauögegeben wird. 1. 


Berantwortlier Herausgeber: Heinzi Wrodhans. — Drud und Verlag von F. . Brodhans in Leipzig. 


Blätter 


fir 


literarifhe Unterhaltung. 





Donnerstag, 
Die preußiſche Verfaſſungsfrage ‚und das worbifche 
Princip. Von einem Öftreicher. 

" Dritter Artikel.— 
(Eottfekung aus Mr. 101.) 

Ich weiß fehr wohl, was man gegen dieſe trübe An⸗ 
ficht einwenden wird. - Man wieb ben geſunkenen politi⸗ 
fihen Charakter der Preußen nicht ableugnen, aber man 
wird einwenden, daß die Schuld bavon eben in bem 
Mangel an politifcher Freiheit Tiege, an ber politifchen 
Sklaverei, die Jahrhunderte lang auf und gelaftet und 
auf das Verderbniß unſerer öffentlichen Moralitaͤt hin⸗ 
gewirkt habe. Man wird ferner gleich unſerm Verf. 
behaupten, daß mit ber Urfache auch die Wirkungen 
aufhören würben unb daß die edeln Gigenfchaften eines 
freien: Volks fich von felbft einftelen würden, fobald 
nur erft bie freie. Verfaſſung da ſei. Was ba: Erftere 
betrifft, fo bin ich bamit einverſtanden, der Grund un« 
ferer politifchen Verderbniß liegt in unferer Geſchichte. 
Wir leiden an den Sünden unferer Vorfahren. Alles 
in der Welt har feinen natürlichen Grund, Alles iſt 
Folge jenes ewigen Proceffes von Urfache und Wirkung, 
So auch unfer jegiger Vollscharakter, und fo gering ich 
ign in mander Beziehung anfchlage, fo tief ich ihn 
‚auch ftelle, fo fällt e6 mir wahrlich nicht ein, alle Schulb 
ben Mitlebenden und bee Gegemvart aufzubürben. Aber 
was den zweiten Sag betrifft, daß die moralifche Frei⸗ 
heit ſich von felbft einftellen werde, fobald nur erſt bie 
gefegliche vorhanden fei, fo kann ich ihn Koch mir mit 
fehr großen Beſchränkungen zugeben. Moraliſche Ge- 
brechen, bie chroniſch geworben find, hören’ nicht ploͤtzlich 
auf. Sie en Jahrhunderte zu ihrer allmäligen 
Entftehung und Entwickelung, fie find‘ organifch, confti- 
tutionnel gewarden und fie koͤnnen alſo auch nicht mit 
einem Zauberſchlage plöglih aufhören. Es wäre eine 
leichte Sathe am die Erziehung bes Menfchengefchlechts, 
wenn fi durch ein paar papterene Gefege die moralifche 
Geſundheit auf der Stelle wieberherftelite, wenn e# 
nur eines Momente bebürfte zur völligen Wiedergeburt 
eines Volkes. Ich will zugeben, baß wir Deutfchen noch 
nicht mozalifch verloren find, dag die Urkeime eines groß⸗ 
artigen Charakters nody nicht gänzlich abgeröbtet, daß fie 
nech Herr werben Tönnen über das wuchernde Unkraut, 
das vorläufig fie verbummpft hat. Aber Das kann ih 








11. Süni 1846, 






= — —— -- 


mir nicht verhehlen, daß lange Kaͤnpfe, eine lange 
ſchwere Leidensſchule, daß zahlloſe Abirrungen und ver⸗ 
gebliche Verſuche dazu gehoͤren werden, um die germa⸗ 
niſche Freihrit endlich wiederherzuſtellen. In dieſer 
Beziehung theile ich ganz die Bedenken ber Abfolatiften. 
Einen verftändigen Gebrauch ber politiſchen Freiheit kann 
Niemand garantiren. Es iſt leicht möglich, daB wir 
Exrperimente burchmachen werben aͤhnlich den franjöfl 
Then am Enbe bes‘ vorigen Jahrhunderts, leicht mög« 
lich, daß eine noch größere chaotifche Auflöfung auf Jahre 
und Jahrzehnde bei uns eintritt als bei deni Nachbar: 
volfe. Der Berf: felbft gibt zu, daß ein folcher Um 
flurz aller bürgerlichen Ordnung alsbann möglich fei, 
wenn bie Gonceffionen zu fpät eingeräumt würden. Rum 
denn, wer bürgt ihm dafir, daß es nicht ſchon zu fodt 
bei uns iftt Was mich betrifft, fo fürchte ich es nicht 
nur, fondern ich bin feft bavon überzeugt. Es gab eine 
Zeit, wo eine frieblichere Wirbergeburt zur politifchen 
Freiheit des deutſchen Volkes und namentlich Preußens 
vielleicht moͤglich geweſen. Es war biefes die Zeit, wo 

das Volt durch Unglück geldutert zu einem’ hohen mo» 
ralifchen Aufſchwunge angeregt worden war, wo wahr⸗ 
haft große Charaktere an der Spige ftanden, denen es 
vielleicht gelungen wäre, ben Stempel ihrer eigenen hohen 
fittlichen Reinheit der ganım politiſchen Umgeſtaltung 
aufzubrüden; die alle im Aufkeimen begriffenen beffern 
moralifchen Elemente mit den Sonnenftraßlen ihres Ge» 
nius zum Aufblühen gebracht und um fich verfammelt -. 
haben, die alles Unwahre, Verworrene und Selbſtiſche 
durch ihr moralifches Anfehen in gehörigen Schranben 
gehalten haben würden. Bas war bie Zeit während 
der Freiheitsfriege und unmittelbar nach denfelben; da⸗ 
mals war eine gute Stimmung für gewiffenhafte Staats⸗ 
arbeit, und damals lebte einer von jenen feltenen Men⸗ 
hen, den bie Vorſehung in ſchwierigen Zeiten mit jene! 
moraliſchen Sicherheit und Klarheit ausrüftet, um feinen 
Mitbrübern ale Führer und Leiter zu dienen, das war 
der Freiherr von Stein. Aber diefer Augenblick iſt vor» 
bei. Seit jenen dreißig Jahren ift unglaublich viel am 
moralffch-politifchem Gehalte verloren gegängen und ver⸗ 
borben worden. Ein Geſchlecht iſt erporgewachſen, weis 
ches mit materieller Selbſtſucht, mit cynifher Genau 
ſucht, mit doctrinairer Phinſenmacherei und ſittlicher Uns 





Harheit recht eigentlich vollgeſtopft und überfättige iſt. 
Jede eigene moralifche Überzeugung, jedes Streben nad) 
hoͤhern fittlichen Lebensaufgaben, ja jede aufrichtige Selbft- 
achtung ift Im Verlaufe diefer unglücfeligen Zeit gebro- 
chen und zerflört worden. „Du haſt's erreicht, Dctavio!“ 
ann man.der Reaction mit Wahrheit zurufen Man 
wollte. die felbftändigen Charaktere und Überzeugungen 
brechen, um Ruhe vor ihnen zu haben, und es ift in 
vollem, vollem Maße gelungen. Aber Vortheil hat man 
nicht davon gehabt: Trotz aller dieſer gelungenen Be⸗ 
firebungen fteht man jegt wieber auf dem Punkte, wo 
man fi) genöthigt fieht, die Anker zu kappen und das 
Schiff den Stürmen preiszugeben, nur mit dem Unter⸗ 
fchiede, daß es jept älter und leder geworben ift, daß 
die erfahrenen Steuerleute geftorben find und daß eine 
Ihwächliche, ungeübte Bemannung an die Stelle ber 
rüftigen Matrofen getreten iſt. Die Aufgabe tft ſchwe⸗ 
rer geworden, denn fie hat ſich aufgefummt an unbe. 
wältigtem Stoffe von Jahr zu Jahr und die Mittel 
find unzureichender. 

Man verftehe mich recht. Ich weiß fehr wohl, da6 
es fo wie jet nicht bleiben kann. Ein wirklicher Staat, 
der auf gemeinfamer Gefinnung und auf organifcher 
Durchwachſung der einzelnen Glieder beruht, exiſtirt in 
Preußen eigentlich gar nicht mehr. Es ift nur noch ein 
Haufe von Individuen vorhanden, wo Jeder für fi) 
fühlt, denkt und handelt. Diefe anorganifche Anhaͤufung 
wird blos noch äußerlich zufammengehalten und rein 
mechanifch regiert. Ein Jeder ſucht fi) den allgemei- 
nen Leiftungen zu entziehen und fieht in den Behörden 
nur einen Feind, gegen ben er die Fauſt in der Taſche 
macht und über deren fteigende Verlegenheit er ſich freut. 
Aller Rechts- und Bemeinfinn, alles ſtaatliche Bewußt⸗ 
fein hat aufgehört. Diefes unglüdfelige Verhaͤltniß, 
welches mit reißender Progreſſion ſich ausgebildet hat, 
kann nicht lange mehr beſtehen. Ban muß daran den⸗ 
ken, wieder wirkliche Staatsbürger zu bilden und zu er⸗ 
werben, wenn nicht eine totale Auflöſung erfolgen ſoll. 
Daß jenes Syſtem ber abfoluten Fürftengewalt und ber 
zwangsweifen Bevormundung bed Volkes durch eine bu- 
reaukratiſche Beamtenhierarchte zur Wiedererzeugung ei» 
nes lebendigen Staatsorganismus abfolut unfähig iſt — 
diefe Überzeugung wirb man mir wol zutrauen. Es 
gibt gewiß keinen entfchiedenerm Gegner ber gegenmärti« 
gen Regierungdzuflände als mih, ih wäre mwahn- 
finnig, wenn id das mindefte Heil von einem Syſteme 
erwarten follte, welche meiner Anſicht nach den Staat 
moralifch aufgelöft hat. Jede Minute, die man länger 
darin beharrt, vergrößert bie Gefahr und das Verberben. 
Auch ich Fenne nur ein Mittel, um aus Preußen wie- 
der einen wirklichen organifchen Staat zu machen: bie 
freie Verfaffung und die Mündigfprehung 
des Volkes. Es bleibt in diefe Beziehung gar Feine 
Wahl übrig. Wo nur ein einziges, leztes Rettungs- 
mittel nod) gegeben ift, da muß man dazu greifen, es 
entfiche daraus was wolle. Beim Beharten auf dem 
jefigen Syſteme iſt ficherer Untergang; bei Ergreifung 


einer volksrechtlichen Verfaffun , in⸗ 
liche es, Aber —8 —*— len ee 


liberalen Schriftfteller nicht beiftimmen, wenn fie biefes 


einzige Rettungsmittel als ein bequemes und ſchmerzlo⸗ 
es darfiellen, welches ohne alle fchweren. Krifen die volle 
defundheit fogleich wiederherſtellen werde. Nein, wir 
koͤnnen uns auf ernfle, fchwere Kämpfe und auf Die 
beftigften Erfchütterungen gefaßt machen, wenn wir eine 
freie Verfaſſung erhalten. Der Mangel an Gemeinfinn 
und an organifchem Staatébewußtſein wirb öffentlich 
bervertreten, fobald ihm bie Kreiheit dazu gegeben if. 
Das iſt eine Naturnothwendigkeit. Ich fehe nicht ein, 
warum man ben Stand ber Dinge, wie er wirklich ift, 
nicht offen ausfprechen fol. Ich Liebe diefe Täftigen 
Verſchweigungen nicht, Durch bie man ohnehin bie Geg⸗ 
ner nicht täuſcht. Ihre Befürchtungen werben badurd 
night beſchwichtigt, denn ihre innerftes Gewiffen fagt ih⸗ 
nen, daß fte wur zu begründet find. Nein, man gebe 
ihnen Alles zu, was fie von einer freien Verfaffung 
fürchten; man gebe ihnen zu, daß das Volk fich zu ben 
außerften Ertremen bei dem ungewohnten Gebrauche der 
Freiheit verirren könne; man gebe ihnen zu, baf 
fo viel aufgehäufter Stoff von Bebürfniffen, die unter 
der jepigen Regierung nicht . erledigt und befriedigt find, 
gar leicht eine Erplofion erzeugen Zönne, ſobald die 
frifhe Luft der Freipeit mit ihm in Berührung tritt 
Das fchadet Alles nicht zur Erreichung unfers Zwede; 
denn es bleibt ihnen einmal keine audere 
Wahl. Wo auf der einen Seite ſicherer Untergang if, 
da muß man fi ſchon zu dem legten Rettungswege 
entfchließen und wenn noch fo viel Schmerzen und Opfer 
fi) dabei vorherfehen liefen, Im Begentheil, es macht 
mir Vergnügen, alle dieſe Angfte zu befldtigen. Es iſt 
mir eine kleine Genugthuung, die Nemeis jekt auf vie⸗ 
len Gefichtern zu leſen. Ich weiß, daß fie müffen. 
Warum haben fie nicht früher eingelenkt als es ned 
Zeit war. Ich bin auf Alles gefaßt und fche mit 
Ruhe ben Stürmen entgegen, die da fommen werden;. 
mögen fie fi eine gleiche Faſſung zu erwerben fuchen. 
Das ift ihre Sache. 

Wenn ich übrigens von Verfaffung fpreche als von 
dem einzigen Rettungsmittel Preußens, fo meine ich da- 
mit eine ‚wirkliche Verfaſſung, die ben Anſprũchen der 
neuern Zeit völlig genügt, eine Mare unver 


Verfafſung mit unbebingtem Gteuerbewilligungs- uab 


Steuerverweigerungsrehte, mit einem freifiuni- 
gen Wahlfgfteme, mit vollftändiger Offentlichkeie in al 
Ien Zweigen des Staatslebens, mit entfchiebener Preß 
freiheit. Nichts Verderblicheres koͤnnte uns bie nädhfk 
Zukunft bringen als halbe Zugeftändniffe, durch melde 
die Volksmacht einerfeit® angeregt und halb umb hal 
Derechtigt wurde m doch auf ber andern Seite wieder 
eine genügende Befriedigung ihrer politifchen Wünſche 
fände. Das hieße die Leidenfchaften aber erregen 
und den Kampf mutbwillig proboriren, ben men zu 
vermeiben ſucht; das hieße die Revolution mit Nothwen⸗ 
digkeit hervorrufen. Man gewänne nit einen einzig 





043. 


Freund und verftärkte doch die Feinde. Wenn heute 
eine folche halbe Berfaffung gegeben mürde, fo wäre 
such morgen ber Kampf gegen die Staatögewalt ſchon 
im vollen Gange. Diefe halben Zugeftändniffe die man 
macht, ohne Vertrauen, umgeben von einer Menge hin⸗ 


terhältiger Gedanken und Verclaufulirungen, fie find das 


Product der Schwäche und werden als folche vom Volke 
aufgefaßt. Sie gießen nur Ol ins Feuer; denn mit dem klei⸗ 
nen Finger begnügt fi das Volk nie, es verlangt ftets 
die ganze Hand. Man betrachte alle Revolutionen, bie 
zu leidenfchaftlichen Ertremen geführt haben, immer wird 


man finden, daß biefe halben Mafregeln und Zugeftänd- 


niffe das fchlimmfte Incitament dabei gewefen find. 
Die Quadratur des Cirkels ift noch nicht erfunden 
und wirb auch nicht erfunden werden. Ebenfo wenig 
wird man eine Derfaffung erfinden fönnen, welche die 
abfolute Fürftenmacht einerfeite vollftändig confervirt 
und anbdererfeits dem Volke auch freie Seibftbeftimmung 
zugeſteht. Daß ein folder unvereinbarer Widerfpruc) 
unlösbar ift, das Ichrt die einfache Logik. Man zer- 
breche fi daher auch nicht den Kopf daran. Mas von 
vornherein unmöglich ift, das wird durch alle Berathun- 
gen nicht möglich, felbft wenn bie fieben Weifen Grie⸗ 
chenlande daran Antheil nahmen. Entweder — Ober. 
Entweder dem gebildeten Theile des Volkes ſich auf 
Discretion in bie Arme geworfen, oder ruhig in dem 
alten Syſteme beharrt und abgemartet, bis die Wogen 
der Zeit die legten Stügen des morfchen Bebäubes zer- 
trummern. Entweder eine richtige Thaͤtigkeit oder gar 
Peine. Cine falfche Thaͤtigkeit ift unter allen Umftänden 
das Schlimmſte. j 
(Der Beſchluß folgt.) 


Literachiftorifches Taſchenbuch. Herausgegeben von R. E. 
Prutz. Dritter und vierter Jahrgang. 
(Bortfegung aus Nr. 161.) 


Wenn die bisher befprochenen Auffäge des dritten Jahrgangs 
zwar alle in näherer ober entfernterer Beziehung zu Fragen 
Der Zeit ftehen, aber doch ihr Thema eigentlich der Bergangen» 
beit entnommen haben, fo wurzeln jedoch die beiden Gaben 
von 3.9. Jordan und dem Herausgeber durchaus in ber Ge: 
genmart ſelbſt. Der Erfte gibt eine hoͤchſt Mare und überficht 
iche Darftellung von „Ungarns Literarifhen und nationalen 
Beftrebungen”, welche wir Jedem, der etwa über die hiftorifche 
Entwidelung, und den neueften Standpunkt der nationalen 
Kämpfe, namentlih des Spracdenftreitd in Ungarn noch im 
Dunkeln fein folte, a zur Lecture empfehlen. 
Welche politifhe Stelung der Verf. darin einnimmt, erhellt 
fogleih aus dem Anfange welcher lautet: „Zwei Hauptbeftre: 
bungen find es, welche gegenwärtig Europa von einem Ende 
u andern bewegen und deren Erreihung der Geiſt unferer 

eit als das einzige unumgänglid) nothwendige Mittel zur 
Realifirung der großen Swede ber Gefelfhaft, des Staats, 
der Menſchheit ü erhaupt anfieht: das Streben nach nationa: 
Ier Entwidelung und nach ftaatsbürgerlicher, conftitutionneler 
Freiheit. Nicht die franzöfifhe Revolution und deren Reſul⸗ 
state, nicht die revolutionnairen Propaganden und ihre angeb⸗ 
Küche Wirkſamkeit haben dieſe Bedürmifje wach gerufen, nein, 
Die Stufe der geifligen Eultur, zu der wir uns erhoben, die 
Höhe der praktiſchen Kraftentfaltung, die wir erftiegen, haben 


. 


jene Beflrebungen geweckt, fie haben die begreifliche Wahrheit, 
die Dingliche KRothwendigkeit derfelben zur. unmittelbarften Kennt» 
niß unters Geifted, zur innerften Anſchauung unferer Seele er» 
hoben und dadurch über unfern gefammten Erdtheil einen war: 
men, einen befruchtenden Ather ausgegoffen, den wir in vollen 
Zügen einfaugen: Die conftitutionnellen und nationalen Beſtre⸗ 
bungen find ein Gemeingut der europäifchen Welt geworden.” 

Im Übrigen glauben wir nichts weiter über diefen Auf: 
fag Binzufügen zu dürfen, denn der Verf. hat fich bereits in 
Nr. 253— 297 und Nr. 344— 348 d. Bl. f. 1844, fowie in Nr. 146 


"und 147 f. 1845 über die ungarifchen Zuftände und die Darüber. ers 


ſchienene Literatur felbft fo gründfich und umfaſſend ausgefprochen, 
daß Alles, was wir hier mittheilen koͤnnten, doch nur dürftig 
dagegen ausfallen würde. Wir gehen daher unmittelbar zur legs 


ten Gabe des dritten Jahrgangs zum Beitrage des Herausgebers . 


fetbft über, welcher fi „Über bie Unterhaltungsliteratur, ind» 
befondere der Deutfhhen” ausfpriht. Wie wir es von ben 
Arbeiten des Berf. nicht ander& gewohnt find, fo ift auch dies 
fer Auffag in einem fo a eleganten und fchöngegliederten 
Stile gefchrieben, DaB es für das Organ eine ordentliche Wohl: 
that ik, wenn ihm die Gelegenheit gegeben wird, ihn vorzu⸗ 
lefen. Auch der Kortjchritt der Gedanken, die Anordnung und 
Gruppirung des Inhalts macht ji darin fo leicht und natürs 
lich, daß das Ganze einen faft Fünftlerifchen Eindruck macht. 
Nicht fo hoch Fönnen wir den Werth des Inhalts anfchlagen. 
Bwar theilen wir im Allgemeinen des Verf. Anſicht über die 
Unterhaltungsliteratur, aud wir halten fie für einen böchft 
wichtigen, der forgfältigften Beachtung werthen Gegenftand, 
und beflagen e8 mit ihm, daß die deutfchen Dichter ihren An» 
bau bisher allzu fehr vernadhläffigt haben; abet darum fühlen 
wir uns doch nicht geneigt, mit ihm diejenigen ihrer Leiftun- 
gen, bie für den eigentlichen Kunſtgeſchmack berechnet find, ge: 
ringzufchägen, ja ber Unterhaltungsliteratur der Engländer und 
Franzoſen gegenüber faft für nichts anzufehlagen. Denn es 
wäre doch wahrhaftig traurig um unfere kiteratur beftellt, 
wenn der Verf. wirklich recht hätte zu fagen, was gut fei in 
der beutfchen Kiteratur, daß, fei langweilig, und dad Kurzweis 
tige fei ſchlecht; mas die Äſthetik billige, das degoutire das 
Yublicum, und umgekehrt, was dem Yublicum behage, davor 
bekreuze ſich die Afthetil. Angenommen, e8 wäre fo und uns 
fere „‚guten” Bücher wären wirklich langweilig, bätten wir 
dann noch ein Recht, fie „gut“ zu nennen? Die poetifchen 
geoonetionen haben ja gar keinen andern Swed als uns den 

enuß des Schönen zu bereiten und der Genuß des Schönen 
verträgt fih nie und nirgend mit ber Langweiligkeit. ine 
Dichtung die und langweilt hat daher ihren Zweck verfehlt, 
und was feinen Zweck verfehlt Hat, kann unter Peiner Bedin⸗ 
gung „gut“ genannt werben. Eins muß der Verf. daher noth⸗ 
wendig fallen laffen, entweder, daß die Bücher, welche er uns 
ter den guten verftanden wiſſen will, gut, oder daß fie 
longweilig find. Wir unfererfeits müflen ihre Langweiligkeit 
in Abrede fielen. Denn wie in allee Welt hätten die Werke 
unferer Dichter, wenn ſie ſchlechthin langweilig wären, nicht 
blos in Deutfchland, fondern auch bei fremden Rationen fol» 
en Effect machen Bönnen, wie fie denn doch unleugbar ge 
macht haben? Iſt cd nur denkbar, daß fi die abfolute Lang: 
weiligkeit folchen &ieg erringen Tann? Der Berf. wird alfo 
feinen &a& wenigſtens infomweit abändern müffen, daß er nur 
fagt, was gut fei in der deutichen Literatur, das fei langwei⸗ 
lig für das Wolf; und wahrſcheinlich bat er diefes auch nur 
fagen wollen, da fein folgender Sag etwa Daſſelbe ausfpricht. 
Do koͤnnen wir feiner Behauptung auch in diefer Beſchraͤn⸗ 
fung noch nicht abfolut Recht geben, und zwar aus verfchies 
denen Gründen nit. Allerdings ift es wahr, daß die Werfe 
unferer Dichter noch nicht das ganze deutfche Volk durchdrun⸗ 
gen haben und daß fie vorzugsweife nur der Maſſe der Ger 

itdeten bekannt find; aber diefe Maffe iſt in Deutſchland eben 


nit ganz fo gering ald der Verf. es darftellt, und am wer. 


nigften ift es richtig, daB fie eben nur aus den Literaten be= 


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ang er Berf. beruft ih 
eo Aber haben denn nicht gerade beflen „ 


man überhaupt noch mit Leſen beichä — ge⸗ 
funden, daß ſie eben eine Flut von Rachah 
ſich gezogen haben, welche ganz ausdrücklich für das große 


licum berechnet waren? Beine ſpaͤtern Werke freilich ha⸗ 

mehr oder weniger nur in den eſoteriſchen Kreiſen effectirt, 
aber doch find auch in ihnen fo viel volksthümliche, Jedermann 
ee Elemente, daß fi mit Leichtigkeit gerade aus Goe⸗ 
the’$ iften ein claffilhes Volksbuch zufammenftellen ließe. 
Würde nicht 3. DB. der ganze Theil des „Fauſt“, welcher das 
Berhältniß Fauſt's zu Gretchen behandelt, ahgetöß don den ſchwe⸗ 
rer zu faflenden Partien, eine dem Volke ebenfo fehr durch 
Einfachheit und Faßlichkeit als durch Innigkeit, Wärme und 
Wirffamkeit zufagende Lecture abgebent Wie viel wäre aus 
„Egmont” wegzufchneiden, um dm dem Bolke mundgerecht zu 
machen? Und was ift an „Dermann und Dorothea” Unpopu⸗ 
laires als der Herameter, defien Verftändniß aber dem Volke 
am Ende gar nicht ſchwer beizubringen wäret Umgekehrt beu- 
tet der Berf. auf Schiller hin alß auf denjenigen deutſchen 
Dichter, der noch am meiften das Volk im Auge gehabt und 
daher auch die größe Verbreitung unter demfelben gefunden 
babe. Aber wo ift er denn verbreitet? Eben auch nur in 
denjenigen @laffen, die fi zu den gebildeten rechnen. Nur 
feine „Räuber und „Gabale und Liebe” find in Die tiefern 
Regionen gedrungen, dergeftalt, daß fie dort wirklich zu Lectur⸗ 
* geworden find. Seine übrigen Werke hat man wol 
auf den Repofitorien, aber man lieft fje nicht. Selbſt „Zell 
ift dem Volke nur von der Bühne aus genießbar. Daß fi 
aber Schiller innerhalb der bezeichneten Syſteme ein fo großes 


Yublicum gewonnen hat, das für ihn ſchwaͤrmt, das verdankt | 


er ganz gewiß nicht denjenigen Eigenfchaften, welche der Verf. 
felbft als die wefentlihen des Volksſchriftſtellers bezeichnet hat, 
fondern vorzugsweife dem Umftarde, daß er ber ibealiftifchen 
Richtung Derer, welche ſich über die große Maſſe zum Stand» 
punkt der Erdufivgebilbeten zu erheben wuͤnſchen, am meiften 

orſchub leiſtet. Der ſchwaͤrmt man vielleiht für Schiller 
aus demfelben Grunde, aus dem man die Romane von Cooper, 
Marryat, Boz, Sue u. |. mw. eifriger lieſt als die der deut: 
(hen Schriftflelert Etwa, weil er voller ind Leben greift? 
Weil er mehr Unterbaltungsftoff liefert? Weil er beffer fpannt 
und weniger reflectirtt Gewiß nicht, und es fteht baher wol 
feft, daß Schiller von einem Volksſchriftſteller eben nicht mehr 
und nicht weniger befigt als die andern deutſchen Schriftfteller 
auch. Manche, z. B. Leffing, find ihm darin offenbar überle⸗ 
gen, und felbft Tieck entfaltet in „Daͤumchen“, „Kortunat” 
und vielen feiner Novellen ein Talent dafür, wie ed bei Schil⸗ 
ler nicht im entfernteften zu entbeden iſt. Auch fonft find 
wir nit ganz fo verwaift an Unterhaltungsfhriften von nam⸗ 
haften Dichtern, wie es der Verf. darftellt. „Peter Schle⸗ 
mihl“ von Ehamiffo, „Aus dem Leben eines Taugenichts“ von 
Eichendorff, mehre Romane und Novellen von W. Aleris, Koe⸗ 
nig, Mügge, Spindler und Andern Tonnen mit ben englifchen 
und franzöfifden Romanen, fowol was ihre Qualificatton zur 





bis auf die blutigen Religionskaͤmpfe, in die fi 


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und der Unterhaltungsliteratur iſt alſo thatfäclich I 


alfo wol zum Theil, wie es in unfern Tagen häufig gefickt, 
gegen einen imaginairen Feind mandendrirt. Trotzden haben 
wir feinen Auffag mit Bergnügen gelefen, Den er gut geſchrie⸗ 


fehr viel wahre und treffende Bemerkungen enthält Am 
berzigungswertheften ift wol Dus, was er über unfern De 
gel an einem Öffentlichen, großartigen Leben fagt, in weiden 
fih SchriftReller und Voll begegnen und fih für ein gemen 
fames Interefie erwärmen könnten. Das iſt der faule Flech 
an dem Alles bei und krankt und fo auch die Piteratur. Wann 
wird ed anders werden? Es fcheint, ald würden jegt die Ar 
fänge dazu gemacht. Gebe Gott, daß wir mit ewig Anfän- 
ger darin bleiben! 
(Die Kortfegung folgt.) 


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Literarifhe Notiz aus Frankreich. 


Geſchichte der Provinz Languedoc. 

Die umfangdreiche, maffenhafte Gefchichte von Languede, 
welche von den Benedictinern Dom Claude de Bic und Dom 
Baifjette angefangen ift, und deren Vollendung unb Überarbei⸗ 
tung der verdiente A. du Mige übernommen bat, ift von ms 
in d. Bl. bereits verfhiedene Male erwähnt. Die vor kurzem 
erfchienene 36. Xieferung hat den Schluß des neunten Bande 
gebracht. Wie enthält ded Neuen und Brauchbaren vid, wie 
auch die vorhergehenden Zheile ein reiches Material intereffan- 
ter Einzelheiten bieten. Wir erhalten jegt eine neue Behand» 
lung der intereffanten Gefchichte jener Provinz, welche von ir 
Anfiedelung griehifher Eoloniften im fübliheg Frankreich a 
ein trend, 
ergebenes Volk verwidelt fah, ſtets der Schauplap wichtige 
Greigniffe gemwefen ift. Diefes neue Werk führt den Zitd: 
„Histoire du Languedoc depuis les temps les plus recul# 
jus u'à nos jours“, und hat Dominique Magalon zum Bel 

äbrend jene größere Geſchichte nur für den gelehrten Fer 
fher Werth und Intereffe hat, ift die gegenwärtige Scelt 
auf einen weitern Kreis berechnet, dem ed weniger auf der 
Neihthum hiſtoriſcher Documente oder die Auffpeicherung ti 
einer Rotizen als auf eine gefällige Verarbeitung de ge 
mmten Materiald ankommt. 17. 


Verantwortlicher Herausgeber: Heinrih Wrodjand. — Drud und Verlag von F. . Drockhans in Leipzig. 





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Blätter 


für 





literariſche Unterhaltung. 


12. uni 1846. 





rincip. Bon einem Oftreicher. 
Dritter Artikel. 


(Beſchluß aus Nr. 188.) 
Wir kommen nun auf einen andern Einwand, wel⸗ 


Die preußiſhe Verfaſſungsfrage und das nordiſche 


| hen bie Gegner einer preußifchen Berfaffung ſehr haufig 


machen. Es iſt die Beforgnif für die Staatsein- 
heit; und zwar nicht die Gegner bed Volksrechts, fon- 
dern felbft ehrenhafte freifinnige Männer behaupten, 
Dreußen koͤnne feiner eigenthümlichen Zufammenfegung 
und Entftiehungsgefchichte wegen entweder ‚überhaupt nie 
oder doch jetzt noch nicht conflitutionnel werden. Noch 
find in Preußen, fagt man, zu viele Sonberintereffen 
lebendig und vielfach im Wiberfireit. Die politifche 
Freiheit würde alfo nur dem propinziellen Eigenfinn 
und Eigennug dienen, um fich recht fchroff geltend zu 
machen. Staft bes fo dringend nothwendigen allgemein 
preufifhen Staatsbewußtſeins würden alte feindfelige 
Erinnerungen . erwet unb genäbrt werden. End⸗ 
Iofe Verwirrung aller WVerhältniffe, Zerfplitterung der 
Staatsträfte, Lähmung der oberften Gewalt würde bie 
nothivendige Folge fein. In einem ſolchen unfichern 
Zuftande aber wäre Preußen nicht im Stande, feine 
fchwierige politiſche Stellung zu behaupten und im 
Kamen Deutſchlands feine europäifhe Aufgabe zu er- 
füllen. Es fei daher unerlaglih nothwendig, daß 
fh, bevor an eine preußiſche Eonftitution gedacht 
werden koͤnnte, erft bie einzelnen Theile ber Monar- 
hie allmaͤlig und fo viel als möglich unvermerkt zufam- 
menleben. Die feinbfeligen Erinnerungen der Der- 
gangenheit müßten nad) und nach verlöfchen und ver- 
löfcht werben, bie noch immer auf ihre Selbftänbigkeit 
und feparirte Nationalität pochenden Provinzen müßten 
allmälig daran gewöhnt werben, eben nichts als Glieder 
eines großen Reichsorganismus zu fein, jede Generation 
müßte mehr und mehr dahin gebracht werben, fich durch» 
aus nur preufifch zu denken und zu empfinden. Dies 
Alles aber, behauptet man, Sonne durchaus nur 
durch die abfolute Monarchie bewirkt werden; mer alfo 
vor dem Eintritt diefer nothwendigen Lebensbedingungen 


eine preufifche Eonftitution verlange, der verlange etwas 


Verderbliches, Unmoͤgliches. 


Dieſe Einwuͤrfe, die von der Staatseinheit Preu⸗ 
ßens entnommen find, widerlegt der Verf. auf eine 
wahrhaft glänzende und evibente Weile. Wir halten 
diefen Abfchnitt feines Werks für den gelungenften von 
allen, und doch fragt es fih, ob er die eigentlichen, 
ſtarren Bureaufraten überzeugen wird. Es kommt näm- 
ih darauf an, was man unter Einheit verfleht, ob eine 
mechanifche oder organifche. Die Einheit, welche 
unfere Bureaufraten erzielen wollen, fegt eine vollftän- 
dige Charakterlofigkeit nicht nur ber einzelnen Provin⸗ 
zen, fondern auch jeder einzelnen Gemeinde: und jedes 
Individuums voraus. Drganifche Einheit des Staats- 
lebens ift ihnen etwas völlig Unbegreiflihee. Wenn 
fie von Einheit fprechen, fo denken fie nur immer an 
den Mechanismus her Verwaltungsmafchin. Gleich⸗ 
mäßige Beſtimmungen für die hierarchiſch⸗ gegliederten 
Behörden, ſodaß Alles genau ausgeführt und controlixt 
wird, mad man in dem Centralpuntte Berlin beliebt 
und anorbnet, das tft ihre Staatseinheit, eine andere 
koönnen fie fich nicht denken. Jedes felbfländige eigen- 
thümliche Leben der Gemeinden und Provinzen muß 


„vernichtet, jebe Verſchiedenheit nivellirt, jeder innere und 


äußere Charakterunterſchied abgetödtet werben, wenn bie 
Einheit der Mafchinerie, welche fie Staatseinheit nen- 
‚nen, vollftändig durchgeführt werden ſoll. Mir fällt da- 
bei immer ein Meines mechanifches Bergwerk ein, wo» 
mit ein alter Bergmann auf den Meffen und Märkten 
berumzog und welches er uns Kindern zeigte. Sobald 
er anfıng zu drehen, ging Alles wie am Schnürden. 
Einige Bergleute fingen an zu klopfen, andere fuhren 
mit Karren bin und ber, der Hunb flieg auf und ab, 
Alles ging nach dem Takte Nur fihade, daß es ein 
tobter Mechanismus war und daß das Ganze in, einem 
Kaften herumgetragen wurde. Wirkliches Er; murbe 
dadurch nicht hervorgebracht. So viel ift aber gewiß, 


daß biefe mechanifche Einheit nimmermehr bei einer wirk⸗ 


lichen Berfaffung beſtehen kann. Darin haben unfere 
Bureaufraten völlig vet. Daß aber bei folcher mecha- 
niſchen Einheit jede wirkliche lebendige Staatseinheit zu- 
legt völlig abftirbt, wie fie denn auch ſchon faft völlig 
abgeftorben ift, das bebarf weiter keines Bemeifes. Men- 
fen find einmal Feine Mafchinen. Auch ihr Zufam- 
menleben laͤßt fi nicht mechanifiren. Es muß auf die 


verfgichene Bebürfniffe und verfchichene 


einen einigen 


bdie einzelnen Provinzen Preußens mit Raturgewalt 
einer erganifchen Einheit hinſtreben, daß eine freie * ge⸗ 


künſtlich und gewaltſam auseinander gehalten wird. 
Es iſt nicht zu leugnen, daß in frühen Seiten, wo 


gung und Intelligenz gegründete Bereinigung verfchiebe- 
ner Stämme eines Volles unter einem Gtaatögefege wit 
großen Schwierigkeiten verbunden war, fobaß in ber Re⸗ 
gel nur eine Äußere mechanifche Gewalt fie zuſammen⸗ 
wingen tonnte. Diefes Verhaͤltniß hat fih aber jegt völ- 
g umgewandelt. Die unbewußte, naturwüchfige Sitten- 
und Gefühlsverfähtedenheit Hat in bemfelben Grabe ihre 
Madıt verloren als die allgemeine ÜUbereinflimmung der 
Ideen, der Bebürfniffe und der Sehnſucht nach Gliede⸗ 
rung zu einem einigen großen Staatsorganidmus ge- 
wachſen fl. Das ürfniß ber Einheit mit einem 
roßen Gtaatsorganiemus, der unter einem freien Ge⸗ 
ege fteht, iſt vielmehr fo groß und unabweislich gewor- 
den, daß felbft eine voͤllig verfchiebene Nationalität mit 
allen ˖ ihren Antipathien baburdy überwunden wird in 
der Einheit, daß jeder tobte Mechanismus entweder im 
Lebendigen feheitern oder feinerfeit® den lebendigen Dr- 
ganismus zerflören muß; nach welchem Refultat er frei- 
li) dann auch felbft zu Grunde geht. 

Schen wir aber von biefer mechaniſchen Einheit, 
wie fie die Bureaukraten inflinctmäfig zu erreihen fu- 
Ken, abs von einer geiftfofen Widerfinnigkeit völlig ab, 
und betrachten wir die Frage, ob der preufifche Staat 
in feiner jegigen Iufammenfegung aus fo homogenen 
Gliedern beſtehe, daß eine volfsrechtliche Verfaſſung 


Beiſpiei 
‚| mit echt auf das Eiſaß Hin, das feine 


conftitutionnellen Berfaffungen 
n Frankreich, von Belgien u. f. w. 


glcuch übermunben. Def ein gewiffer Charslir 
unter[hieb zwifchen Rheinländern, Sachfen und Dim 
Ion beſteht, das foll nicht geleugnet werden; aber ‚dick 

erfchied ift fo unbedeutend, daß er in Beziehung uf 
die ‚Berfaffungsfeage gar nicht der Mebe weh : 
Bon einem entgegengefegten Bolksdıred 


ee. 
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De | 


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Far 


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nalleie mit Freuden aufopfert, um uur Theil 
an einem einigen, großen freien Nechteſtaate 


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5 


wird, nur im minbeften bezweifeln kann. Ja, wir 
gen es dreift Heraus, die bloße Hoffnung auf di 
feffung iſt das einzige Band, was Preußen noch gell 
sufammenhält, was die Bewohner der einzelnen Pre 
vinzen noch an ben Begriff „Preupn“ feſſelt. Ru 
nehme uns biefe Hoffnung entfchieben und befnitn — 
wie man Das glüudlicherweife auch beim beſten Bike 
nicht Tann — und wir hören auf im Herzen Pape 
zu fein. Das Bebürfnif nad einem großen, anigeu 
Staate, einig in einer freien Berfoffung, iſt fe grej 
daß wir den Namen Preußen, fo thenex er mi and | 
mit allen ſeinen hiſtoriſchen Einnerungen ift, ver De 
friebigung deffelben unbedingt zum Opfer bri in 
den. Ich glaube, daß dieſes die Herzensmeinung is 
großen Mehrzahl meiner preufifihen Mitbürger ifi. Ba 
uns vor Allem zu Preußen binzicht, die neuen Pen 
zen ſowol wie bie alten, das ift fein dunkles Geil 
für den Ramen Preußen, es if chen Die Ilberzugmm | 
daß wir burch Preußen noch am erſten Die Sitgiebe 
eines großen unabhängigen Staats mit freier Berfaf 
fung werden können. Man hat fih freilich viel Nik 
gegeben, uns diefe Hoffnung, biefe Überzeugung, zu ut 





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651 


men, und bei Vielen iſt es auch gelingen. Biele find 
in politiſche Berbitterung, —— und Ver⸗ 
zweiflung in Beziehung auf Preußen geſtürzt. Aber 
der Einſichtigere Hält noch an Preußen feſt, denn er 
weiß, daß die Gewalt ber Umflände, daß die geſchicht⸗ 
fihe Nothmenbigkeit flärker iſt und allmähtiger als ber 
ſchwache Wille einzelner Menfhen. Die Hoffnung auf 
ein dereinſtiges conflitutionnelles, einiges und ſtarkes 


Preußen laͤßt uns das gegenwärtige bureaukratiſch⸗abſo⸗ 
lwtiſtiſche, zerriſſene, ohnmaͤchtige Preußen überſehen. 


Nur ungern enthalten wir uns, des Verf. eigene 
Worte den Leſern hier mitzutheilen, womit er auf die 
überzeugendfte Weiſe nachweiſt, wie eben ein feindſeliger 
Provinzialismus durch das jegige abfolutiftifch -bureau- 
kratiſche Regterungsfuften auf alle mögliche Weiſe ger 
nährt und gefördert, wie ed diefem nie gelingen werde, 
eigennügige, feparatiftifhe Tendenzen zum Schweigen zu 
bringen, fondern wie es diefe, die gar nicht in ben Be⸗ 
dürfniffen und Neigungen begründet find, erſt recht ei⸗ 
gentlich erzeuge. Leider muß man babei an das Divide 
et impera denten. ‚Leider muß man annehmen, wie man in 
Berlin keineswegs die getheilten, nach verfchiedenen Sei. 
ten bin zerrenden Wünfche, fondern vielmehr die ſich ge- 
einigten und mit Macht ausiprechenden Verlangen ber 
durch eine conftitutionnelle Verfaffung zur Einheit ver- 
ſchmolzenen preußifchen Provinzen fürchtet. Zulegt han⸗ 
delt es ſich bei allen verfchiebenen Gcheinvormänden 
doch nur immer um den einzigen wahren Herzensgrund: 
die Aufrechthaltung der abfoluten Fürſtenmacht und ber 
bureaufratifchen Beamtenhierardhie. 

Wenn ich jedoch von ber bereits vorhandenen Ein- 
heit der preußifchen Provinzen in Eultur und Rechts⸗ 
bebürfniffen, in Sprache und Sitten, in Natienalität 
und Patriotismus gefprochen Habe, fo verſteht es ſich 
wol von felbft, daß ich eine Provinz ſtillſchweigend als 
Ausnahme dabei voraudfege. Diefe Provinz heift — 
Polen. Rur mit gepreßtem Herzen fihreibe ich biefes 
bedeutungsfchwere Wort nieder. Es ift bedenklich ſich 
darüber zu äußern und dennoch muß es gefchehen, wenn 
unfere Befprechung nicht an einer wefentlihen Xüde lei» 
den ſoll. Aber es läßt fih nicht mit wenigen Worten 
abmachen unb wir müflen biefen unglüdfeligen Ver⸗ 


 hältniffen daher einen befondern Artikel widmen. *) 


8. von Florenevurt. 





Riterochiforifches Zafhenbuch. Herausgegeben von R. 


€. Prug. Dritter und vierter Jahrgang. 
(Keorffegung aus Nr. 102.) 

Im vierten Jahrgange, der den dritten an Mannichfaltig⸗ 
beit ded Inhalts noc übertrifft, feinem allgemeinen Charakter 
nad aber ihm gleich ift, werden uns folgende Auffäge geboten: 

I) Beaumarchais“, von 8. U. Mayer. Diefer Auf 
fag bildet infofeen ein willkommenes Gegenſtück zu der im 
zweiten Jahr ange befindlichen Abhandlung beffelben Verf. über 
das franzöflii ebengeftin, ald darin ebenfo auf einen der 


*) Der vierte und iette Artikel folgt im Juli. 





D. Red. 


Anfänge bes Romanticismus hingewieſen wird wie in jener 


bie Entftebung des Claſſicismus entwidelt wurde. Der Berf. 
deutet diefen Gegenſatz zwifchen feinen beiden Urbeiten f 
an und gibt dadurch von vorn herein zu verftehen, von welcher 
ite er Beaumarchais vorzugsiweile betrachtet wiflen wid. 
Rachdem er im Claffieismus felbft drei Perioden unterfchieden, 
die der Bräfomanie, von Ronfard bis Malherbe, die böfifch- 
atademifche Periode unter Ludwig XIV., und endlich die philo⸗ 
fophifche, vorzugsweile duch Voltaire vertreten, bezeichnet er 
den Romanticismus als die Emancipation der Poeſie, als die 
literarifche Revolution; zu Anftiftern und Borkämpfern derfel- 
ben erhebt er Rouffeau, Diderot und Beaumardais. „Wie in 
jenen Zeiten feines Beginnens im Keben Alles nach Befreiung 
von den Feſſeln des religiöfen und politifhen Dogmas ftrebte, 
jo begann auch die Poefie an ihren wunderlichen Schranken zu 
rütteln und fchrie nach Luft und Zreiheit. Da kam der Bür- 
er von Genf und rief die Menfchen aus der Unnatur in die 
atur zurüd mit allem Zauber der Sprache, wie fie nur ein 
Mensch befigt, der felbjt an den Brüften der alma mater ge» 


legen. Da Sam Diderot, der Sohn der Champagne, heiß 


und fprudelnd wie der Wein feiner Heimat, und warf die 
Fade in die erftarrte Wiflenfhaft und Lieb Rouffeau’s Ruf 
nach der Ratur laut über die Bühne fchallen, ſodaß die gold» 
papierenen Kronen der claffiichen Könige zu fallen drohten. Da 
kam Beaumarchais, der kluge, raftlofe, tapfer ausbauernde, lu⸗ 
ftige, wigiprübende Beaumarchais, der Mann des dritten Stan⸗ 
bed, der im Leben und auf der Bühne (und Beides war für 
ihn nur @ins) den Bevorrechteten die Stirn bot; der Figaro, 
ber den Almavivas die Braut entreißt; der ‚Held, der, * 
niedergeworfen, morgen wieder in Waffen ſteht und auf ſei⸗ 
nem Schild den Voltaire ſchen Spruch trägt: „Ma vie est un 
oombat!“ Nach biefer allgemeinen Charakteriftit gcht der 
Verf. zu Mittheilung feiner Lebensverhältniffe über. Hierbei 
halt er fich faſt jr lange bei jenem Abenteuer in Madrid auf, 
welches den Stoff au Goethe's „Clavigo“ hergegeben hat und 
als ſolches ſchon Öfter Gegenſtand der Befprechung geworden 
it. Dankbaver find mir Fir die fpecielle Erzählung des be» 
rühmten und intereffanten Procefied gegen de la Blache und 
Goezmann, der nicht minder wie fein Verfahren gegen den 
Beleidiger feiner Schwefter die bürgerliche Energie und Con⸗ 
fequenz feines Willens an den Tag legt. Diefelbe Geiinnung 
wird alsdann auch ald der wefentlihe Inhalt feiner Dichtun⸗ 
gen nachgewiefen, verwäflert und abgebleiht in feinen Ruͤhr⸗ 
und Familiendramen, deſto Eörniger und friſcher dagegen in 
einen Figaroftüden. Aus diefen gibt der Verf. mehre aud 
ur die Gegenwart vecht interefiante Proben, 3. B. folgende 
Satire auf die Senfur: „Il s’est &tabli dans Madrid un sys- 
teme de libert6 sur la vente des productions, qui s’etend 
ıneme & celle de la presse; et, pourvu que je ne parle en 
mes 6crits ni de l’autorite, ni du culte, ni de la politique, 
ni de la morale, ni des gens en place, ni des corps en cre- 
dit, ni de l’opera, ni des autres spectadles, ni de personne, 
qui tienne à quelque chose, je puis tant imprimer libre- 
ment, sans l’inspection de deux ou trois censeurs‘’, unb Die 
prächtige Definition, die er von einem Adeligen gibt, wenn er 
fagt, es fei ein Menſch, qui s’est donne la peine de naltre. 
Der Berf. 

ihre Wirkung gehabt: wann und woher wird diefelbe Wirkung 
in Deutihland kommen?“ 


2) „Die legte" Revolution Polens und die ihr voran 
gehende politifchzliterarifche Bewegung”, von Eybulsti. Der 
Titel diefer Schrift ift nur richtig, wenn er als Hendiabyrie 
gefaßt wird. Bon der Revolution iſt wenigftens nur infofeen 
darin die Rede, al& die Schilderung irgend einer literarifchen 
Entwidelung ftet8 auch eine Grörterung der politifchen und 
focialen Auftände vorausfept. Der Aufſatz entipricht daher 
durchaus der Zendenz des Taſchenbuchs und gewährt uns dar⸗ 
um neben dem literarhiftorifchen ein nicht minder ſtarkes polt- 
tiſches Intereffe, weil in der neuen Geſchichte Polens mehr als 


fügt hinzu: „Solche Stellen haben in Frankreich 


irgendwo jedes Moment des Lebens auf das innigfte mil dem 
politifden Regungen verwacdfen, ia man Tann fagen völi 
mit ihnen Eins geworden if. Der Bang, den der . 
nimmt, ift kurz folgender. Rah einem kurzen Nüdblid auf 
frühere Buftände fehildert er zunächft den Einfluß Adam Czar⸗ 
toryiski’s, fein freundfchaftliches Verhaͤltniß zu Alexander, fein 
Berhalten in der Rapoleonifchen Beit, feine Wirkſamkeit auf 
dem Wiener Congreſſe und die Bereitelung feiner patristifchen 
Plane durch Konftantin. Hierauf Harakterifirt er kurz deſſen 
BRegierung, erwähnt mehre dagegen fich bildende politiſche und 
fiterarifhe Vereine und Bewegungen, und bleibt fpeciel bei 
den legtern ftchen. Ehe er diefe jedoch näher erörtert, wirft 
er wieder einen Rückblick auf die literariſchen Zuftände Polens 
überhaupt, beſonders feit der erſten Theilung, und deutet bier: 
‚ bei namentlih auf die Bortheile Hin, welche die preußifchen 
und ruffifhen Provinzen gegenüber dem felbftändig gebliebe⸗ 
nen Polen und dem öftreichifchen Theile zu genießen hatten. 
Am ausführlichften verbreitet er ſich Hierbei über das Schick⸗ 
fal der Univerfität Wilna, über die Erhebung derfelben zur 
oberften Auflfärungsbehörde unter dem @influß von Czarto⸗ 
ryiski, Kollontay und Czacki, über die realiftifch »praßtifche 
Richtung, welche diefelben unter dem Rectorat Bujadecki's nah⸗ 
men, und endlich über den Umfchwung, der in diefer Hinficht 
zu Gunften der moralifchen und fpeculativen Wiſſenſchaften be: 
fonderd durch Lelewel herbeigeführt wurde. Hierauf geht er 
zur Betrachtung der Poefte über, zeigt, wie Die fogenannten 
elaffifhen Dichter aus dem Stanislaus ſchen Zeitalter durchaus 
des nationalen Elements entbehren, wie darauf Riemcewicz, 
Woronicz und Brodzinffi eine Umgeftaltung vorbereiten und 
wie endlich Midiewicz dieſelbe vollendet und an die Gtelle 
des todten, fremden Clafficismus die lebendige und volkethuͤm⸗ 
fie Romantik einführte. Bon Wilna wendet fi) der Berf. 
nah Warſchau, weift hier Den hemmenden und despotiſch nie 
derdrüdenden Einfluß Schomjawski's, Grabowski's und Ro- 
woſilzow's nach und fchließt endlich mit der Mittheilung der: 
jentgen gegen Die freie und nationale Geiftesbewegumg gerich- 
teten Maßregeln, welche zulegt die Revolution vom 29. Kor. 
1830 zur Folge hatten. Ä 

3) „Der Begriff der antiken Efegie in freier Hiftorifcher 
Entwidelung. Bon W. Hersberg. Bweiter Auffag: Die 
Elegie der Wlerandriner.” Diefer zweite Theil ift bedeutend 
kuͤrzer gefaßt als der erfte im dritten Jahrgang enthaltene, und 
zwar einerfeitö durch Auslaffung der Probeftellen, andererfeits 
Durch Unterdrüdung des rein bBifologifihen Details, oder wie 
der Verf. fich felbft ausdrüdt, der „philologiſchen Nechenfchafts: 
legung“. Die Anwendung bdiefes legten Kürzungsmittels ent 
fpricht jedenfalls dem Zwed des „Riterarhiftorifhen Taſchen⸗ 
buch“ und ift bei Beſprechung Des erften Aufſatzes von uns 
feibft gewünfcht worden, dagegen dürfte die Entfernung der 
Probeftellen minder gern gefehen werden, beſonders von der 
großen Zahl derjenigen Leſer, welchen der befprocdhene Stoff 
nicht auf der Stelle gegenwärtig ift und vielleicht Zeit, Fa: 
bigkeit oder Gelegenheit mangelt, fih auf eigene Hand mit 
demſelben befannt zu maden. Dem Gelchrten ift leicht predi⸗ 
en, ‚mit dem Blinden aber ſchwer über Karben zu fprechen. 
m Übrigen zeugt die Werarbeitung des Stoffs wieder von 
gründlihen Studien, richtigem und felbftändigem Urtheil und 
geſchmackvoller Darſtellung. Nur die Hiftoriiche Einleitung 
ſchmeckt ein wenig nad) dem Schwulft ugd der Gefchraubtheit 
Bernhardy’fcher Diction und erwedt fomit in und den Ber: 
dacht, daß fih der Verf. von dem in diefem Betracht wenig: 
ſtens nit gerade vortheilhaften Einfluß feines Lehrers noch 
richt ganz frei gemacht habe. In der Folge kehrt er jedoch 
au feiner ihm eigenen, weit einfachern und natürlichern Aus: 
drucksweiſe zurüd und zeigt dadurch, daß gerade er eines fol« 
chen wiſſenſchaftlich fein folenden Bettlermanteld gar nicht be: 
darf. Die Elegiker, welche der Reihe nach befprochen werben, 


amoklet, Koll 04, Geatofpenes wnb einige minder wi 
” ‚ welche den as zus römifchen Ag bilden. ex 
Anſichten weichen nicht elten von den an ab. Daher 


muck ausgefkattete Di 
tungen bdiefer Art vor Augen haben. Die ebrentlidhen ab 
urfprünglihen Balladen und Romanzen dagegen ala unmittd: 
bare Ausflüffe der Ur» und Volkspoeſie haben mit der gewaqh 
ten Sentimentalität der alerandrinifchen Sagenpoefie gar nichü 
gemein, vielmehr tragen fie einen durchaus naiven 

und laſſen fih in jeder Beziehung weit treffenber mit den ein: 
zelnen, noch nit von Fünftterifiber Hand zuſammengeſchweiß⸗ 
ten Partien der Homerifchen Gefänge vergleichen. 

4) „Johannes von Soeft, der Bängermeifter”, son Hoff: 
mann von Fallersleben. Cine fehr kurze und nur für die 
Literarhiftorifer interefiante Mittheilung. 

(Die Fortſetzung folgt.) 





Literarifche Notizen aus Frankreich. 


Bur Kunſtgeſchichte. 

Unter den verfchiedenen geiftreihen Skizzen und Gheral 
terzeihnungen, welche Urfene Houffaye in der „Bevue de Pa- 
ris“ gegeben bat, haben wir die biographifchen Portraits der 
Maler wie Watteau, Wanloo u. U. immer iſe am⸗ 
ſprechend gefunden. Es zeigte ſich Hier außer der Fülle kunß⸗ 
geſchichtlicher Rotizen, welche dem Verf. offendat wuzängliä 
find, eine beſondere Geſchicklichkeit in der Charaktexiſtik der 
kuͤnſtleriſchen Individualität und Manier jedes einzelnen Ma 
lers. Diefe Bleinen, anmuthig gefchriebenen Auffäge verriethen, 
daß ihr Verf. einen ganz hervorſtechenden B zur Ye 
ber Kunftgefchichte habe. In ber That hat Houffaye jeht ein 
Arbeit begonnen, welche ſich auf ein Gebiet diefer Wiſſenſchat 
bezieht, auf das ihn fein. Zalent fowie fein Studium verugs 
weife angewiefen bat. Wir meinen die Geſchichte der flumlie 
diſchen und bolländifchen Malerei. Der erfte Theil der „Bir 
toire de la peinture flamande et hollandaise 7, welchet tet 
Eurzem von Houſſaye dem Yublicum übergeben ift, kam a 
Bürgfehaft dafür dienen, daß der Verf. nicht hinter feine Ic 
gabe zurüdbleiben wird. 





Das franzöfifhe Staatöwefen. 
Ungeachtet der Gentralifation aller Adminiftrationm u 
Frankreich oder vielleicht gerade wegen der in derfelben be 
gründeten vielfachen Verzweigung ift es fehr ſchwer, ſich m 
lares Bild von der Zufammenfegung und dem Sneinande: 


T greifen der ganzen frangöfifhen Staatsmaſchine zu made 


Ein vor Eurzem erfchienenes Werk bietet für Jeden, der di 
Drganifation der verfchiedenen Adminiftrationszweige Fame 
lernen will, ein reiches, überfichtlich zufammengefteltes Re 
terial. Der Zitel diefer empfehlenswertben Schrift last: 
„Traite de la hierarchie administrative ou de Porganisis 
et de la comp6tance des diverses autorit6s administratire”, 


find Antimahus, Pbitetas, Hermefianar, Hedyle, Wer. Atolus, | von M. A. Trolley. 1. 
Berantwortliger Herausgeber: Heinrich Brodhans. — Druck und Verlag von F. SE. Wrodhans in Leipzig. 


mn | 0 rn 
» 


— — — — — — — — - 


Blaͤtter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Sonnabend, . 


13. Quni 1846, 





Dichterſtimmen. 


Ein Dichterparlament von zehn Votirenden hat ſich 
wieder auf meinem Tiſche geſammelt. Sie ſtimmen alle 
dahin, daß ſie unzufrieden ſind; aber eine Stimmenein⸗ 
heit iſt darum doch nicht zu erreichen, kaum eine Ma⸗ 
jorität; denn wenn zwei den britten abvotiren, der etwa 
für bairifch Bier flimmt, mo von den beiden andern ber 
eine für Champagner, der andere für Ungarmein ſtimmt, 
fo ift das eine Majorität ohne Refultat. Unzufrieden 
find Alle mit Dem was fie finden‘, die Einen aber mit 
Dem wos da geweien ift, die Andern mit Dem was 
wird. Sie unter einen, auch nur äfthetifchen, Hut zu 
bringen ift ſchwer, ich muß fie daher in Parteien forti« 
ren, und finde auf den erften Griff heraus 1) nationale 
Unzufriedene, 2) Tocale und liberale Unzufriedene, 3) ſo⸗ 


ciale Unzufriedene, 4) confeffionnelle uud endlich 5) hof⸗ 


fende Unzufriedene. Wenn die Eintheilung nicht Stich 
hält, fo bedenke man, daß es nur eine allgemeine, vor- 
läufige ift. Bei eigener Betrachtung der einzelnen Stim⸗ 
men mag fi immerhin Manches ändern und mande 
Nuance hervortreten. 

Zuerft alfo dienationalen Unzufriedenen, d. b. folche, 
bie über eine. ſchwere Kranfung ihres Volksgefühls und 
Volksrechts zu Plagen haben, Darunter würden fich, 
wenn man es fireng nähme, auch die Dichter dee zwei⸗ 
ten und dritten Partei claffificiren laffen, denn ihr all- 
gemeiner Unmuth hat zugleic, einen volfsthiimlichen Grund 


und Boben, wie ſich das bei einem Deutſchen von ſelbſt 


verfieht. Die beiden Sänger, die und zuerſt begegnen, 
find aber fpeciel von dem Unrecht ergriffen, was ihrem 


Volk begegnet ift, und im Unmuth darüber haben fie 


noch keinen Athen gewonnen, ihre Unzufriebenheit zu 

verallgemeinern; es ift nämlich &eibel, der um Lübeck, 

und ein ungenannter Dichter, der um Irland Plagt. 

1. Ein Ruf von der Zrave. Gebiht von Emanuel Gei⸗ 
bel. Bmeite Auftage. Lübeck, Usfchenfeldt. 1845. Gr. 8. 
* Nr. : 

Die Sache iſt nur zu befannt, die Klage klingt noch 
heute wider und dürfte noch eine ganze Zeit nachtönen. 
Daß die Eifenbahnen in der Welt einen Umſchwung 
bervorbringen würden, bat Niemand bezweifelt, einen 
Umfchwung,. der allen Verhältniffen und Kreifen bis in 


bie entfernteflen Winkel fih mittheilen werde. Alſo 


auch auf bie Poeſie mußten fie einwirfen. Karl Bel 
bat in feinem erſten Sturm⸗ und Drangfieber ihnen, 
einige Rhapfodien entgegengefungen. Daß auf ben an- 
dern Seiten auch Elegien fommen würden, ließ fi er- 
warten; von ben Freunden des guten Alten, mas durch 
den Sturm und Drang nothwendigerweiſe erfchüttert 
werben mußte. Das hat merfmürdigerweife fi) aber bald 
anders‘ gemacht; die Bewegung ward fo mächtig, daß 
fie ihre entfchiedenften Gegner mit ſich fortrig und Die, 
welche anfangs Alles gethan fie zu hemmen, feltdem ihre 
ganze Kraft anwenden fie noch weiter zu fördern. Wir 
fönnten nur Elegien von den Wirthen hören, beren 
Safthöfe. nun leer fliehen; aber bie find keine Dichter. 
Do die Meinen Städte, an denen der Berkehr nun 
vorüberraufcht? Auch daher Feine Dichterfliimmen; ſelbſt 
duch Schriftflellerflimmen find fie. felten oder gar nicht 
in dem großen Parlamente der öffentlihen Meinung 
vertreten. Stumm gehen fie ihrem Scidfal, zu ver- 
kümmern, entgegen! Es iſt ein hartes Roos, das fol 
man fich nicht ableugnen. Es gibt da viele wenn nicht 
gebrochene Herzen, doch gebrochene Glüdsumftände, und 
folge Erinnerungen werben untergehen, nicht einmal durch 
das Lied befungen. Aber es ift ber Fluch ber Nothwenbig- 
keit. Diefes Berdammungsurtheil ift einmal in der Welt⸗ 
gefchichte gefrhrieben, e8 Eonnte nur verzögert werben, ber 
Tod konnte langfamer herankommen, die Eifenbahnen 
verſchulden ihn nicht, fie befchleunigen nur Die Krifie, 
bie unabwendbar ift. 


Die alte Stade Lübeck, welche die Meere beberrichte 
und Könige einfepte und abfegte, daß auch diefe jenem 
Schickſal erliegen ſolle, ift allerdings ſchmerzlich, ein 
Schmerz, der Dichterlaute hervorrufen durfte. 


Du zahlſt es ſpaͤt und heim fuͤrwahr, 

D Dänemark, mit bitterm Leibe, 

Daß einft vor und dein Waldemar . 
Erzittert auf Bornhöveds Haide; 

Daß er, der kaum noch trunf'nen Muths 
Geprunft im Schwarn der Bogenfpanner, 
Auf flüht'gem Renner, wund, voll Bluts 
Beimfprengte mit verlornem Banner! 


klagt Lübels Sohn, ber Dichter Beibel, und wirft bem 


Dänen vor, baß er es mit dem Deutſchen nie gut ges 
meint: , “ 


4 
BE feb’n unS hei der Dixfer Brand Kianl ich as Fleas eypenihlin 
Bu oft ind Uug’ auf biut'gem Yfabe, Die alte Harfe teen 
Da wnfrer Bürger Scher ned ſtand, Und auf ihr fpiden, zornigmißb, 
Des Reiches Well, am Rordgefkade; Biel wunderfeme EBeiken — 
Daß er mit bem Franken ſich ſpaͤter verbünbet, woderch Seiſen, wie jie ber Ströme Benz, 
BG am Ham Gi ne umdahe men, mi | Bau 
die Lübeder —3 beim Drohnen ber Trommel Kein Zuß mehr ruht. M 
zur beutichen Fahne geſtürzt fein. Um biefer dent | Dam wide ber Dichter einen Klaggeſang fingen, bei, 
Hanfeftedt noch wie im ber Bäter Zagen burhgläße, Dann folte Nirmand ruhen mehr 
ruft ex das deutſche Reich an, dem Zrugen des Feindes Kein Maßen fennt mein Beigen, ’ 
daͤmmen: t 11 it Shi Speer, 
” D wär’ ein Hau Bertrend’s de Born, Und a ee u | 
Des Zroubadeurs, in meinen Zeilen, Ich ſpiel die lobie 
Daß grellend eines igs Zorn Die ruhet nicht und raſtet nie, 
&ie waffneten mit Donnerkeilen! ber 


Aber wo ift das beutfhe Reich? Wo find feine Ohren, 
feine Augen, feine Naſe? Diefe drei Sinne find freilich 
in Srankfurt; aber fie hören, fie fehen, fie riechen nad 
andern Dingen als die der wadere Zronbabeur heranf- 
beſchwoͤrt. Underwärts haben bie Klagen, denen er den 
Hauch feiner Stimme leiht, wibergeflungen — wir 
wollen hoffen nicht umfonft. Er ruft: 
Doch iſt's umfonft, verweht ein Blatt 
Im Wind den Ruf, den wir entfenden: 


groß ; 

, d wie der Cid, 

gu en brich mit deinem Kuhme, 

Und deines legten Dichters Lied 

Rimm mit hinab als lehte Blume. 
Wie verlautet,, hat aber gerade biefe poetiſche Zumm⸗ 
thung in Lübel felbft den wenigften Anklang gefun- 
den. Die gegenwärtigen Lübeder wollen nicht enden, 
fie wollen nicht wie der Gib mit ihrem Ruhme zufam- 
menbrechen, fie wollen durchaus nicht die legten Lübeder, 
und demnach foll auch Geibel nicht ihr letter Dichter 
fein. Sie wollen weiter Ichen, fie wollen mit oder ohne 
Ruhm aufrechrftehen, kurz fie wollen Handel treiben fo 
gut es geht und — auf alle Fälle doch eine Eiſenbahn. 
Ste wird ihnen werden, beffen find wir gewiß, auch 
ohne dag man in Frankfurt auf ihre Nöte achtete. 

tönnte man ihnen dort geben als ein Privilegium 
wie Goethe auf feine Werke! Der Geiſt der Gerechtig⸗ 
Seit wird ſtark in Deutfhland auch ohne Frankfurt und 
trop Frankfurt, und er wird der ifolirten durch gewalt⸗ 
fame Gombination vom Geſammtvaterlande abgeriffenen 
Stadt zu vechter Zeit beifpringen, und hoffentlich auch 
in einer Zeit, wo es keines Dichters einer nächften Ge⸗ 
neration bedarf, fondern Geibel felbft wirb noch bem 
Freudenruf nach dem Weheruf anflimmen können. 
Aber anders fieht es aus, wenn wir: 
3. Jriſche Melodien der Gegenwart. Karlörube, und 
ng 1865, 8. 10 Ser. de, u 


von einem ungenannten Dichter: durchleſen. Iſt's ein 
Ire, iſt's ein Deutfcher? Natürlich iſt's ein Deutfcher, 
nur ein Deuter kann fi fo für ein fremdes Natio- 
nalleiden begeiftern, aber es möchten doch Grundtöne 
aus ber grünen Infel den Anklang gegeben haben: 


Das grüne Erin, welches die Hanb des Ewigen in bei 
Meer gelegt ale das Bild der ewigen Hoffnung, hat di 
Shmah, daf der Zraum feiner Hoffnung in ein 
Kerker glüht; Dan fipt gefangen. Aber wo an kam 
Zage Meeting war, tritt Nachts die Schar der Rdım 
Geiſter zufammen, welche die Knechtung ihres af 
Stammes befrauern, und? — D’Eonnell fprang af. 
Doch die Frage bleibt: 
Banı fallt die Kette von dem Laub? 
und der Dichter fagt uns, daf nur das eine, mw 
Hecht in dem Ginzelnen gefiegt babe. Ein Ham 
O' Connell's für die Repeal, ein füßer GSeufzer, m | 
fhöuen Irin in der Fremde bdargebradt, ein Eee 
bem Native land, das der Dichter vor 20 Jahren ww 
laften haben will, und dem er ein Empor, empor! ont 
der Ferne zuruft, und eine poctifche Schiderung An- 
islande, wo: 
Roc raufıhen auf einfamer Hoͤh' ve Erden 
2206 tangen hier ie Sifen Iren Baigen 
ier die Elfen ihren — 

So —** hier gibt's keinen Rondes ſtrehl 

Der Strommann ſpielet feine Zauberweiſe, 

Der Gluhwurm zündet feine Fackel am; 

Und Morgens reden dann die falben Kreiſe 

Bom Zanz der Elfen auf dem Plan, 
find poetifche Perlen aus dem Deere gefifcht, bie ale 
den verfuntenen Schag nicht heben. Wo aber ein Bei 
feinen Ruhm, feine Eigenthümlichkeit noch fingen fan, | 
wo feine Beifter noch von ber Erinnerung der Bereit 
erweckt werben, ift feine Nationalität noch nicht unter 
gegangen. Die Irländer fingen noch Lieber (glidwel | 
ob diefe Melodien von einem Iren oder Deutſchen it 
Sepräge erhielten), die Polen auch, fie Haben eigentih 
erſt nach ihrem politifchen Untergange angefangen & 
Vaterland durch die Poeſie zu verewigen. tefer ke 
fen Aber, auch wo fie Flammen des Zornes ſchach, 
kann man nicht den Vorwurf machen, Daß fie befirie 
fe. Sie ſchafft Leben. 

Bann fällt die Kette von dem Land? Dieſe Fragt, 
der Refrain eines der Lieber, wird freilich kein Sail 
beantworten. Kein Dichter, wenn auch feine Bien u 
nen Schaf hätten wie die Trompeten von SJeriche, ki 


ze u m 


a. uw 
s 


wu mn a 


vu. 


Ma u ae 


x”. 


| nichts umfonft in ber Welt. 


655 


Alexander⸗Schwert, das den gorbifchen Knoten löfte, wird 
fie zerreißen. Auch das Recht, das Alle anrufen, kann 
bier nicht Löfen und heilen. Uns kommt in den Sinn, 
was Friedrich v. Raumer einft in feinem Werke über 
Engiend von den irkändifchen Verhältniffen fagte. Ale 
Engländer, auch die ihm ſonſt befobten und feinen An⸗ 
fihten im Übrigen beiftimmten, blidten ihn mit Ent- 
fegen wie einen Serfinnigen an, ald er für Stlanb eine 
preußifche Agrargefeggebung, bäuerliche Eigenthümer flatt 
der Vertreibung ausgejegter Pächter als das einzige Lö⸗ 
fingsmittel der Wirren, als die einzige Heilung fo tie» 


fer Wunden foderte. Die Liberaliten fagten: das geht, 


niemals, es greift das Cigenthumsreht an. Nur we: 
nige Jahre find ſeitdem vergangen, und heute zuft bie 
„Times die Vertreterin der Dermögenspartei in Eng- 
fand: Nur ein neuer Crommell kann Irland helfen! 
Bis zu Cromwell gingen Raumer's Gedanken nicht hin 
aus. Was König Dan nit vollbracht, vieleicht fegen 
es die galizifhen Schreden ins Werk. Es gefchieht 


(Die Fortſedung folgt.) 


Literarhiftorifches Taſchenbuch. Herausgegeben von R. 
E. Prus. Dritter und vierter Jahrgang. 
(Bortfegung aus Nr. 163.) 


5) „Die fpanifhen Romanzen”,; von Karl Stahr. 
Der erſte Theil des Aufſatzes verbreitet ſich vorzugsweiſe über 
das hiſtoriſche Berhältniß der Romanzen zu den zuſammenhaͤn⸗ 

enden Epen. Dieſe fcheinen der ſprachlichen Form, jene bem 
nnern Gehalt und der poetifchen Faſſung nad). älter zu fein. 
Der Berf. erklärt ſich entfchieden für das höhere Alter der 
Romanzen. „Die Romanzen”, fagt er und beftätigt Damit 
Dos, was wir foeben.gegen Hergberg erinnert haben, „find 
die älteften Geſchichten und Zuftände des Volkes in ber älteiten 
Liederform. Kein poetifches Erzeugniß ſchlechthin kann fi 
Dem entziehen, fie zu feinen Vorgaͤngern zu haben. Und wenn 
fie nicht die Mg waren, welches dichterifche Product follte 
dann wol darauf Anfpruch machen? Ermwägt man ihren epi⸗ 
{hen Inhalt und den aus der eigenthümlihen Geſchichte ber» 
vorgegangenen AJuftand des Volkes, fo muß der Volksgeſang 
der erften volksthümlichen Bewegungen und Gntwidelungen 
ohne Frage das Erfte fein und alle einzelnen Beweiſe für ihr 
Alter wären eigentlich unnüg.” Dennoch unterwirft er wegen 
des oben angebeuteten fcheinbaren Widerfpruchs die Sache noch» 
mals einer Unterfuhhung und faßt deren Refultat in folgende 
Saͤtze zufammen: „ Romanzen ald der ältefte Geſang 
wurden, da fie Volksgeſang waren, von der jedesmaligen Sprach⸗ 
entwidelung berührt. Diefe wirkte umbildend und umformend 
auf fie ein, weil die fpäter Lebenden ebenfo wenig die alten 
Weifen verlaffen Fonnten als fie natürlich von der andern 
Seite auch wieder verfuchten, fie fich gemäß zu machen. So 
haben, um einen chemifchen Ausbrud zu gebrauchen, die Ro⸗ 
manzen alle Sprachniederſchlaͤge mit durchgemacht, bis fie in 
der Form,.in der fie aufgegeicänet und femtt der rhapfodifchen 
Überlieferung von Mund zu Mund entzogen wurden, ftillftan- 
den. Diefe Aufzeithnung fand ftatt in dem «Romancero can- 
cionero ge v.“ Demgemäß betrachtet er die Romanzen als 
die Grundlage aller fpaniichen Poefie, unterfcheidet aber in ih» 
rer Entwickelung drei Stufen: 1) die Ummandfung der Ro⸗ 
manzen zum Epos (Poema del Cid); 2) die Verarbeitung der 
Somanzen zum Nitterromen (Amadis de Gaula); und endlich 
3) die naturgemäße Sufammenfaflung zufammengehöriger Ro⸗ 
manzen zum Romanzencyklus. Unter den Cyklen wird natür- 





ih der des Sid am ahöführliäßten befprachen und namentlich 
auf eine volftändige Mittbeilung aller Romanzen beffelben, 
auch der analogen, gedrungen, da diefe als intereffunte Varia⸗ 
tionen eines und deflelben Themas zu betrachten feicn. Im 
zweiten Theile behandelt der Berf. die Form und den Inhalt 
der Romanzen. Die rhythmiſche Form derfelben leitet er über: 
zeugend von der Korm römifcher Soldatenlieder ab, die har⸗ 
monifche Zorm (die Reime und Aſſonanzen) zum Theil eben» 
daher, zum Theil von den Mauren. Nudfichtlich des Inhalts 
theilt er fie, wie die fpanifchen Literatoren felbft, in vier Elaf: 
fen: Ritterromanzen (romances caballerescos), hiſtoriſche Ro⸗ 
manzen (romances historicos), maurifche Romanzen (romances 
morescos), und Romanzen verfchiedenen Inhalts (romances de 
varios asuntos). Ausführlidyer erörtert er die Form des In» 
halts, die eigentliche innere Structur der Romanzen. Sede 
Dichtung zerfällt demnach in zwei Theile, einen ergählenden und 
einen bialogifirenden, zuweilen wird nor ein dritter hinzuge⸗ 
fügt, der wieder erzäblend ifl. Der erite Theil enthält ſtets 
irgend eine interefjante, feffelnde Situation, auf derer Ausma⸗ 
lung große Sorglialt verwendet wird. Der zweite erfcheint 
dagegen oft flach und leer, nicht felten aber auch von großer 
dramatijcher Lebendigkeit. Der Verf. verfehlt nicht, diefen all⸗ 
gemeinen Inhalt an vielen Beijpielen nachzumeifen und legt 
dabei cinen großen Reichtum des Romanzenftoffs' zur Schau. 
Jedoch nur in erzählender Form, wirkliher Proben gibt er 
aur eine. 

6) „Friedrich Karl von Mofer, der Herr und Diener. 
1759, ven Adolf Bock. Diefer Aufſatz ift für den Ge: 
ſchmack unferer Zeit unftreitig der ergöglichfte des ganıen Jahr⸗ 
gangs. Denn bei dem jetzt erwachenden Selbftbewußtfein des 
Volles und bei dem in Folge deffelben immer mehr um fich 
greifenden Bedürfniß, die Maßregeln der -Kürften und Regie 
rungen einer öffentlihden Befprechung und Kritik zu unterwer⸗ 
fen, muß es nothwendig das größte Interefie gewähren, auch 
einmal einen urtheilsfähtgen Mann ded vorigen Jahrhunderts 
über die Fürften und Regierungen feiner Beit ſich ausſprechen 
zu hören, zumal wenn dieſes zwar nidht vom Standpunfte eis 
nes freien gereiften Staatsbewußtieind aus, aber doch mit fo 
penetrantem Scharfbli für die Mifere im Einzelnen und in fo 


‚derber, ungeſchminkter Meife wie von Mofer in feinem „Herr 


und Diener’ geſchieht. Der Verf. des vorliegenden Auffages 
wird jich daher jedenfalld bei Vielen großen Dank erwerben, 
daß er jene Schrift Moſer's wieder ans Licht gezogen, die we⸗ 
fentlichften und interefianteften Ideen daraus mitgetheilt und 
eine kurze Chazakteriftit des Autors hinzugefügt hat. Zum. 
Beleg einige Stellen, z. B. die Mittbeilung von Mofer's 
Urtheil über das Soldatenfpiel einiger deutfchen Staaten, das 
ſich auf fie von Preußen, auf Preußen von Branfrei vererbt 
haben fol. „Bei diefem Soldatenfpiel”, meint Mofer, „wird 
die Erlernung aller andern Regentenobliegenheiten außer Acht 
gelaſſen und die Urt des militairifhen Befehls geht in das 
civile Zeben über, die nur beim Soldaten am rechten Plage 
if. Jetzt follen auch Minifter, NRäthe und Unterthanen den 
blinden, unbedingten Gehorſam beweifen, der allen vernuͤnfti⸗ 
gen Widerfpruh ausfchlicht, wie er aber dem Dffizier und 

oldaten zugemuthet werden darf, wenn Sturm zu laufen ilt. 
Alles fol jegt gefhwind abgemacht werden. Die Arbeit mit 
dem Geifte im Minifterium wird nicht unterfchieden von den 
eingeübten Bewegungen auf der Parade. Alle, mit denen. der 
Megent zu thun bat, betradtet er gewiffermaßen wie Peinde, 
denen gegenüber er in feinem Punkte nachgibt, gegen die er 
Beinen Befehl zurücdnimmt. Dad Schlimmfte ift aber, fährt 
Mofer fort, daß der Militairetat übertrieben wird: die kleinen 
Fürften haben für den Schimpf zu viel und für ben Ernft zu 
wenig Soldaten. Das Raifonnement der Herren lautet: ohne 
Truppen fpielt man Peine große Rolle in der Welt; man kann 
an feine Verbindung mit auswärtigen Mächten, an Beine Ber 
arößerung denken; ein deutſcher Fürft bat ſich bei Subfidien- 
trastaten noch allemal gutgeſtonden, und mande Ränder, ſetzt 
Moſer hinzu, Fönnten gar an Seinen Handel denken, wenn fie 


nicht die Menſchenaus fuhr Hätten.” Roch piquanter iſt 
folgende Stelle: „Ber Hergang auf den Landtagen, diefen bio» 
Ben Erebitinftituten der Landesfürften, wie fie ber Ritter Bang 
bezeichnet, wird gefdildert ohne Ahnung, daß bie Verfaſſung 
diefer Landtage eine andere werben müßte. Die Darftelung 
ift aber del genug. Das landesväterliche Herz, beißt es, wird 
hier förmlich herumgefchleppt. Rad der Propofition der lan» 
desherrlichen Tommiſſarien brach dem theuern Randesvater das 
Herz, daß er mit neuen Anfoberungen beſchwerlich fallen möfle, 
er, der dann erſt froh fein würde, wenn er alle feine Unter: 
thanen reich und glücklich machen könnte. Das Eine tröftet 
ihn, daß es ganz unvermeidlide und unter der Leitung ber 
Borfehung ftehende Lebensbebürfniffe find, welche ‚ihn nöthigen, 
dem‘ Sande mit neuen Anfoderungen befchwerlih zu fallen. 
Rach dirfer Eharlatanspredigt, fagt Mofer, geht dann das 
Unterhandeln an. Die Landhauptleute, der Erbmarſchall, die 
Ausfchüffe von Prälaten, Nitterfchaft und Städten werden Ei⸗ 
ner nach dem Antern beſprechen, gaſtirt, angefeuert, bedroht, 
gewonnen, die Majorität macht endlich ben Schluß und ed wird 
abermals ein Wderlaß dur Das ganze Land vorgenommen. 
Der Landtagsabfepied ift fo gelehrt wie eine Leichenpredigt; 
der Minifter mit feinen Mäktern, Küc: und Kellerbedienten 
Tommt im Triumph nach Hefe zurüd; Leben und Wonne brei⸗ 
tet ſich wieder über Favoritinnen und Favotiten aus; Der Ja: 
ger bläft auf die freudige Nachricht von den ncuen Landtags: 
geldern noch einmal fo wmuthig ins Horn; die Sängerin, Die 
feit dreizehn Monaten nicht bezahlte Sängerin, fteigt fo hoch 
wie eine Lerches ber Parforcehundeftal, dem Rentkammern und 
Ereditoren fehon den Untergang decretirt hatten, ertönt vom 
frohen Geheui, und alle adelige und nichtadelige Müßiggänger 
rechnen auf die neu eröffnete Goldgrube. Bon den gethanen 
Bewilligungen follte den Zruppen der rüdjtändige Gold ent« 
richtet, gewiſſe auf der Erzcution fiehende Landesſchulden foll- 
ten davon abgetragen und einige mit großem Vorteil feilge⸗ 
machte, dem Lande incorporirte Mittergüter bezahlt werben. 
Alles Dies ift im Angefichte des Landes mit Hand und Giegel, 
auf Wort und Zreue rollgogen worden. Allein daß Gott er: 
barm! wie wird der theuerften Zufage geipottet! Die widti- 
gen Männer, die fi zu Werkzeugen einer heillofen Beredt⸗ 
famleit von beiden Seiten gebrauchen laffen, heiſchen und er: 
halten querft den Kohn der Ungerechtigkeit. Die Lermine kann 
man nicht‘ erwarten; alfo werden die Gelder auf den Eredit 
des Randes im voraus anderswo gefucht und erhoben. An⸗ 
ſtatt die Miliz zu zahlen und den Zruppenetat zu erhalten, 
wird dieſer reducirt. Die Greditoren werden, treuberzig ge 
macht, ihre vom Lande nun anerkannten Capitale zu yerlän: 
gern, und den Junkern, denen die Güter feilgemacht worden, 
gibt man etwas auf Abſchlag, einen Dienſt bei Hofe, ihren 
Kindern eine Fahne; jie mögen fehen, wenn fie einft Das Übrige 
befommen. Das aus dem Leben des Staats abgezogene Geld 
erhebt der Landesherr aber durch feine Leute felbft, ihm das 
zu verfagen, hieße ihm nicht trauen, fid dem Herrn als Bor» 
münder aufwerfen, und daß wäre ein crimen laesao majesta- 
tie. Wo wäre der ehrliche Minifter, dem Herrn dad vorzu⸗ 
ſtellen? Sa, diefe find oftmals die Erften, weldhe den Gewinn 
der Ungerechtigkeit dem Herrn zuſchanzen und wo nicht mit 
ihm theilen, doch den ftummen Mann vorftellen und als ein⸗ 
fältige Schlafmügen ein Elend zu Haus befeufzen, welchem zu 
- Steuern fie nad Pflicht und Gewiſſen vor Herrn und Land 
verbunden waren.” Und folgende: „Klein anfangen und groß 
aufhören, wäre auch Fürften nicht ſchimpflich. Allein ein jun: 
ger, eitler, unverfländiger Regent will Alles koſtbarer, praͤch⸗ 
tiger, glänzender haben als feine Vorfahren; die alten Tape: 
ten, Spiegel, Silbergeräthe, Kutfchen, ja Häufer und Gärten 
find nicht mehr gut genug. Der neue Regent bringt zu den 
alten Schulden einen neuen Geſchmack. Anfangs lauter gol: 
dene Beiten, Niemand denkt der alten Noth; Alles ift voll 
guter Hoffnung: man hält die erften Spieltage zu Gute und 
“ tröftet fi mit der Bußunft: allein der ‚Herr gewöhnt fi an 


die erbergfe Procht und es fo fo fontgchen, es mag Zommen 
wie es wolle. Dder der Regent gelangt erſt in teilern 
ven zur Regierung; er den 





Zah: 
aber wie cin gemeiner Mann. 
Die Kammern Magen immer, e8 möchte wol Bieles anters und 
beffer fein können; allein die Antwort ift: Es bat ſchon bri 
meinem Großvater, Onkel und Water fo geheißen und Hat dad 
gutgethan, ich werde es auch noch aushalten. Ich Habe die 
alten Shulden nit gemacht, genug daß ich Feine neuen him: 
füge, den alten Wuſt habe ich aber nit Luft aufzufchren 
So bemohnt der Herr das alte Schloß, er lebt nach feinen 
alten Reigungen, es bleiben die alten MRarimen, die alten Be 
trüger und die alten Schulden. Ober der Herr. tritt feine Re 
gierung an, ohne daß man fagen fönnte, Daß er übel hauſe; 
gut iſt es aber auch nicht zu nennen. Er will yanı gewif 
eine neue Epoche beginnen, ivenn er mit einem maͤnnlichen &: 
ben erfreut wird. Diefer bleibt aus. Gin Zeufel von ir: 
ling biäft deshalb ein: Für wen fparen Ew. Durdlaugti 
Ew. Durdlaudt fönnten viel befler Ichen. Das Wort zünde 
in einem Gemüthe, das noch unklar darüber if, ob es vedt 
gut oder recht ſchlimm geben fol. Jetzt aber ift die Bad 
entfchieden. Die heimlichen Maitrefien treten nun offen af. 


Die Pracht wäcdhft, die Sunfer, die Diener werden verdoppelt. 


Die Tafel wird leckerhafter, die Livréen reicher, die Kafkı 
lecrer, dad Land ärmer, die Schulden größer.” 

Loyale Lefer, weiche den Herrn von Mofer nicht näher kenten 
werden geneigt fein, ihn nach ſolchen Proben für einen recht gett 
loſen Menfchen zu halten. ber er ift gerade höchſt fronm, Iı 
fromm, daß er fogur die Frömmigkeit und Chriſtlichkeit zu 
erften Bebingung eines Minifterd macht, wodurch er fi, wie 
wir bei einem fpätern Auflage fehen werden, Die yrößm Ber: 
würfe von Zeiten eines nach unfern Begriffen auch nod ie 
moterirten Zeitgenoſſen zugezegen hat. Am Schluffe des Ark 
faged meint der Berf., wir müßten bein Xefen folder Sae 
derungen doch im Ganzen froh fein, Vieles, was zu j.nır it 
ganz natürlich gefunden wurde, doch ſchon als Mikbraud & 


erfannt zu jeben, und wo die Zuftände ähnlich geblichen fem, 


diefelben mit ganz andern Waffen befänpfen zu können. ‚In 
der That müflen wir anerkennen, daß Vieles feitdem anders 
und beffer geworden iſt. Traurig ift es jede, Daß überhaupt 
ähnliche Zuftände noch vorkommen Fönnen, und nech frauriger, 
daß fie wirfich noch vorkommen. Denn wer, wenn er obige 
Schüderung gelefen, muß nicht an einen Meinem, aber ſouve⸗ 
rainen deutſchen Staat denken, der einem Mofer des 19. Jahr: 
hunderts zu einem neuen „Herr und Diener” von allen Baı 
ten das reichhaltigfte Material liefern würde? Und wehh 
Mittel hat unfer Jahrhundert bis jept dargeboten, jene zerrüt 
teten Zuftände nur mit einigem Erfelg zu befampfen? 
(Der Delhlup folyt.) 





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7 


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Sonntag, 





Dihterfiimmen. 
(Kortfetung aus Nr. 184.) 
Wir gehen zu den deutſchen Dialcontenten über. 
3. Guerrilaskrieg. Verſprengte Sieber. Belle - Bu, Berlagt- 


und Sortimentsbudhandlung. 1845, 16. Nor. 


Die Frühlingelüfte, welche in den erſten Liedern ber 


wenen Periode haudten, find verweht. Das Blei ber 
Zeit hat feinen Druck geübt, nicht auf ben Muth, aber 
auf die Phantafie, der Muth ift nur noch Feder, trotzi⸗ 
ger geworden. Wir finden in dieſen verfprengten Lie- 
desn, gemidmet Anaftafins Grün, Georg Herwegh und 
Robert Prug, Feine Töne und Gedanken, die. und nicht 
ſchon in andern Dichtern begegnet wären ; aber der Dich⸗ 
ter gibt und’ auf die Frage Rechenſchaft, was noch Immer 
Ä Worte follen . 
0 man nur Thaten braucht? 
. Wozu die taufend Hände 
Mit Stift und Federkiel, 
Ihr fragt, was. daun dad Ende 
Von unferm Singeſpiel? 
Ban habe gewarnt: - | Ä 
| Der Hirt mit feinem Stabe 
Klopft die Lawine wach, 
Sie ftürzt, mit ihr der Knabe 
. Zum Abgrund mit Gekrach. 
Eher als die Gewalthaber feien Steine im Meer zu 
rühren; fie: erweiche kein Sang Mit nadtem: Wort 
zerfplittere mam nicht, was Gold und Er, erbaut und 
mit Berfen und Beredinung nicht das Wert vor taufenb 
Fahren. Die Antwort des Dichters Tantet darauf! 


Es wird mit einem Schlage 
. Die Eiche nicht gefällt, 
Man kauft in einem Sage 
Die Freiheit nicht der Welt, 
Es trifft meiſt dad Verkehrte 
Auch ohne und der Aod, 
D’rum mögen wir gum Schwerte 

Nicht greifen ohne Roth. 

Do daß die träge Ruhe 
Uns nit in Schlummer lullt, 
Daß nicht zur Todtenruhe 
Die Wiege der Seduld, 

- Daß nicht den’ Geift uns toͤdtet 
Der ſchlaffe Grabesduft, 
D’rum rufen: Wacht und betet! 

Me Tat in alle Buft: 


] ganzes Volk zu. verlegen 
| Obzihanb behält. Wenn bie politiſche Poeſie gu eine 





Behandlung im 
foeuen bet. Eins ber beften und Harflen Lieder if das 


' vom freien Geift: 


Was, helfen bunte Schranken, 
Zu trennen Land von Land, , 
r Eönnt doch die Gedanken 
icht fangen mit der Hand; 
Sie fpringen ohne Gaͤumen 
Bon Volk zu Volle Dreil, -— \ 
Und wecken aus den Traͤumen 
Den alten, freien Sch. 
Mas helfen euch Gendarmen, 
Bas Sperre und Eenfur, 
3" greift mit langen Armen 
och ſtets ins Blaue nut, 
Ihr greift mit groben Sinnen, 
Was rauſcht und glänzt und gleißt, 
Das Rechte ſteckt tief innen, 
"DaB ift der freie Geiſt | on 
Es iſt ein bedeutender Schritt weiter von dieſen 
Guerrillasliedern zu dem: | J 
4. Kom graufen Burgermwißer. Eine Volksprebigt. In Rei 
men gehalten von Fuͤrchtegott Leberecht Zugend: 
eich, verordnetem Grbauungsftundenhalter. Bern, Jenni 
&chn. 1846. 8. 3%, Mir. | 
Eine bitterböfe gallichte Ballade mit epigrammati- 
ſchen Nadeln, die überall bin flechen, auf ein bekanntes, 
trauriges Greigniß der jüngften Geſchichte. Eine Apr 
pofition, weiche den ideellen Boden, bie allgemeinere 
Tendenz verlaffenb, fi mit Ingeimm auf bie Perfön- 


. 4 Uüchkeit wirft. Gie verfehle ihr Ziel möcht, aber aus di 
Tees mit bee Poeſſe und. aus mit dem Humor, wo Die 


Abſicht, ein befliummtes Individuum und ‚mit ihm ein 
über. alle andern Gefühle bie - 


Berechtigung in fich bat, über den Dingen, bie. da find 
wie ber Raubvogel über ſeiner Beute, ‚unabläffig zu 


“| fepweben, fo muß fie doch auch ihre Befähigung zeigen, 
| wie bie Lerche auf Mugenbiide wenigf Lüfte 
| zu fleigen und wieder zu fpielen mit 


ne in Die 
ther und Som 








nenſchein; fenft HR fie nicht mehe Peeſte. Diefer Dit- 


ter ift ein Geier, ber feinen Hirſch fich ausgefucht hat, |’ 
auf ihn niedergeſtürzt ift und fi fo in ibn verbiffen 


den bag er nicht mehr von ihm los, nicht mehr die 
üfte gewinnen Tann. Mit Krallen und Schnabel in 
feiner Beute wühlend treibt: er mit ige fort ohne Raſt 
und Zeit. - ' 

Das Gedicht ift in der Schweiz gedrudt und hof- 
fentlih auch gefchrieben; von Deutfhem iſt wenigftens 
nichts mohr darin als die Sprache, 
fere Haupteigenfhaft, die man überall in der modernen 
Uberalen Boche: vermiffen will, verbirgt ſich bei ‚ben 
meiften Dichtern doc oft nur in anderer Geftalt, gleich“ 


wie der echte Humor die Thränen verbirgt; in biefem | 
Gedichte iſt es aber dem nadten Hohn und Ingrimm 


völlig gewichen. Sole Ausgeburten bes deſtructiven 
Haffes, des zerfegenden Spottes und Hohnes ahne einen 
Anſpruch von Pietät, Liebe, Achtung, Ahnung davon, 
daß in dem Verworfenſten doch noch ein Funke bes 
Goͤttlichen Itegen, find nicht die Producte des beutfchen 
Geiſtes, fondern die mit Gewalt hervorgerufenen Gegen- 
pole feines innerfien Weſens. Nur wo das Mistrauen 
fo regiert, fo gewaltet und gewüthet hat gegen alle freien 
Regungen wie es in Deutfchland ber Fall ift, können 
fo dur und durch vergiftete Pfeile gefchleubdert werden. 
Wir wagen zu behaupten, daß, wenn Deutfchland eine 
freie Dreffe je gehabt Hätte, Dichter mie diefer niemals 
hätten auftreten können. 

Übrigens fei damit nicht gefagt, daß der beftructive 
Spott nicht faft übergll wunde Stellen treffe; aber das 
Ganze bleibt Caricatur, weil dem Bilde alle Lichtfeiten 
fehlen. Seinen Gegenftand hat der Bänkelfänger beffer 
flubirt und weiß tiefer die Schäden und Maale im 
Fleifche aufzumwühlen als andere Dichter, welche darüber 
wegfliegend noch ſchwaͤrzere Schatten auf das Gemälde 
ihres Zorns werfen. Auch fehlt es nicht an fehlagenden 
und beißenden Epigrammen, weldye eine große Vertraut- 
beit mit foldyen Goteriewigen verrathen, bie an Ort und 
Stelle fehr befannt, doch felten bis zum Drud ſich ver- 
irrten. &o lief man: 

Allein bed Königs Mojeftät 
Begibt fofort ſich ins Gebet, 
Der Allerhoͤchſte in Yerfon 
Berfuͤgt fih vor des Höchften Thron. 


Dep Furcht des Herren jegt von, der Epree 
Wie einft von Rom aus neu erſteh'. 
Der Anhalt ift übrigens fo angethan, daß er auch nur 
Auszüge zu geben verbietet. Man findet in den Ver⸗ 
fen auch Reminiscenzen aus einem bekannten burlesken 
Btede, welches feiner Zeit in Berlins Straßen von dem 
Leierfaftenmännern gefungen warb. Eine Bariation bar- 
auf find die beiden Zeilen: 
Roc nimmer war ein Preuße frech, 

Der Erſte iſt erft diefer Tſchech. 
Ein einziges Mal erhebt ſich das Gedicht zu einer wei⸗ 
teen Unfhauung: - 


oder: 


Das Gemüth, un⸗ 


Hält’ Einen wirklich Gott befkeht, 
Daß er ein Volk, wei gar die Welt 
Bon aller Denfchenfchinderel 
Bererbter Zwingherrſchaft befrei', 

So bräd’ er nicht mit Ja 

er tölpelhaßt durch einen: @to 
Das zur Balance: nötg'ge Haupt 
Dem plumpen Knechtskoloſſe raubt. 

Er fchaffte erſt den Knechtsſinn weg 
Aus Herz und Bliedern, der für Dred 
Mecht, hr und Freiheit fahren läßt, 

Der's werth ift, wie das Joch ihn preßk. 
Die Anmweifung zum Schluffe diefer Moral Iautet: 
Ein Jeder fei zum: Knecht: zu gut, 

Ein Jeder zeige Kraft und Muth, 

Sich ſelber zu, beherrſchen: fo 

Iſt's gleich vorbei mit Pharao. 
Nur ſchade, daß die Geſchichte Dem widerſpricht. Sie 
war uͤberall nicht ſehr waͤhlig in ihren Werkzeu gen, wo 
ed die Freimachung einer Nation galt. Es waren ſel⸗ 
ten ober nie die meifen Charaktere, welche vora ufgingen. 
Erſt wenn es gefchehen Ft, ruft man fie, um dem Werk 
das Siegel aufzubrüden; gemöhniih dann, wenn man 
die fchmuzigen Werkzeuge’ beifeite wirft. 

(Die Zortfegung folgt.) 





eich „108, 





Literarhiftorifches Taſchenbuch. Herausgegeben von R. 
E. Drug. Dritter und vierter Jahrgang. 
ECGGBeſqluß aus Nr. 164.) . 

N „Über Goldoni“, von E. Ruth. Längere Befhih 
tigung mit einem Gegenflande erwedt leicht eine Vorliche fr 
benfelben. Bei dem Verf. Diefes Wuffages feheint Dies nick 
der Wall zu fein. So lange er nun auch fchon ber italieni⸗ 
fen Poche feine Zeit gewidmet bat, man merkt nit, daß er 
zu einem minder unbefängenen, von einer rucſichtioſen Aritit 
abgebenden Urtheil beſtochen oder überhaupt zu einer günflis 
ern Beurtbeilung der italieniſchen Buftände verführt wäre. 
ies bewährt fih auch am vorliegenden Gnltemi 
wird darin der firengften Kritif unterworfen und das Refultat 
derfelben ift für ihn fehr ungünftig. Der Verf. gibt zwar zw, 
daß er fh im aͤltniß zu dem traurigen Zuſtande, in 
weichem das italienifche Luftfpiel fi befand, und namentlich 
im Gegenfag zu feinem erbarmliden Borgänger Chiari, allen 
dings um Die Hebung und Belebung “deffelben verbient ge 
m babe und manche anerfennungswerthe @igenfhaft: ge 
naue und vielfeitige Kenntniß Ber italienifchen Le i 
niſſe, raſche Production, gewandte Bur g des Gtof, 
gluͤckliche Auffindung und Anwendung einzelner komiſchen Züge 
und laͤcherlichen Situationen, und eine leichte Handhabung des 
Dialogs befiges eine abfolute und allfeitige Befähigung für bes 
Luftfpiel vermag er ihm jedoch wicht einzuräumen, zumal da 
fih neben jenen Tugenden auch eine Reihe ganz unleidlicher 
Fehler und Auswücfe finde, namentlich eine hoͤchſt nüchtern 
und profaifche Anfıhauung des Lebens, die fi) nirgend über 
das ganz Gemeine erhebe, nirgend die Spur von einer ho⸗ 
bern Auffaſſung, von einer Wertiefung in das Ideale bir 
laſſe, ferner eine höchft feichte, in ſich felbft jerfallenbe pr 


mache, und endlich eine hoͤchſt willkuͤ 

ber Charaktere und Situationen und des Hansen von Da md 
dort herbeigezogenen Stoffe, durch welche jede Möglichkeit einer 
wirklich kuͤnſtleriſchen Wirkung aufgehoben werde. Daher weik 
er die Bufammenflelung Goldonis mit Molitre auf das mb 


ſchiedenſte zurück, obſchon er auch über biefen nicht eben miß 





wiheilt: „Man Bann”, ſo lauten feige eigenen Worte, „nicht 


ärger fehlen’. als es die Stalienes gethan haben, indem fie ihr. 


ten —— Goldeni einen italieniſchen Moliere nannten. 
Beide kammen allerdings barim überein, daß fie nicht die hoͤ⸗ 
here Dichterweihe De ſich an dem. Ideal über bie 


X 
ne Wirklichkeit erhebt und niedere Stoffe adelt. Sie fie 
en Beide in das alltägliche Leben, das erbaͤrmliche Zreiben ber 
Convenienz herab und ließen die Stoffe, die ſie ba. fanden, in 
ihrer empirifchen leeren DOberflächlichkeit, ohne ihnen einen bö- 
een Bezug zu Der idealen unendlichen Menſchennatur im Gro⸗ 
—* und "Ganzen zu geben, zu ber fie den Ganon eben nicht 
- in fi trugen. Aber dennoch wel ungeheurer Abſtand zwi⸗ 
fhen Beiden!!! Wie er diefen Abſtand im Einzelnen nachweiſt 
und vorzugämeife aus dem örtlichen und zeitlichen Verhaͤltniß 
beider Dichten erklärt, iß ſchlagend und überzeugend, doch müf- 
fen wir es unſern Leſern zu eigener Lecture uͤberlaſſen. j 
8) „Die Fatças des Gil Vicente. Zur Geſchichte der aͤl⸗ 
teen Ppanifchen Bühne.” Bon M. Rapp. Dieler Auflag bil: 
det eine Art von Ergänzung zu dem von U. Wellmann über 
die vier älteiten fpanifchen Dramatiker, welchen der dritte 
Jahrgang diefes Tafchenbuchs Liefert. Was dort über Gil Bir 
cente. im Allgemeinen gefagt ift, wird hier fpeeieller ausgen 
führt und namentlidy der Inhalt der verfchiedenen Farças im 


Auszuge mitgetheilt. Diefe Auszüge find friſch und lebendig, 


laſſen jedoch die Eompofitionen des Dichter noch ziemlich roh 
und täppifch erfbeinen, weil natürlich dabei, wie der Berf. 
ſelbſt einräumt, von dem eigenthuͤmlichſten Reize der Stüde, 
der Kraft der . Situationen, ber Schärfe der Charakteriſtik, 
der Energie der Handlung, dem Witz der Rede, dem fluͤchtigen 
Salz der Späße und namentlich der Grazie der Verſification 
außerordentlich viel verloren gehen niußte. Der Berf. dürfte 
daher nicht übelgetban haben, wenn er wenigſtens eine Scene 
den Leſern vollftandig mitgetheilt hätte. Wahrfcheinlich hat er 
ſich jedoch dies für ein ausführlicheres Werk, dad er über Gil 
Bicente zu liefern verfpricht, vorbehalten und wir müffen uns 
bis dahin gedulden. 

9) „Thomas Abbt“, vom Herausgeber. Wenn der 
Verf. dieſes Auffages nıit der Bemerkung anhebt, die Gefchichte 
deutfcher Literatur fei reich an Beiſpielen ſolcher Kalente, 
welche nad) einem vafchen und glücklichen Anfang durch einen 
allzu frühen Zod an ihrer völligen Entwidelung gehindert wor» 
ben feien, befonder& zeige ſich died überall da, wo ein neued 
geiftiges Princip, eine neue Phaſe der Entwidelung ſich zu 
verwirklichen beginne, und wenn er: darauf, nachdem er bei« 
fpieföweife auf Flemming, Günther, Lenz, Bürger, Hölto, Ro: 
valis und Schiller hingebeutet hat, auch Thomas Abbt als ei⸗ 
nen jener „früh Berftorbenen‘‘ und „Borläufer einer neuen 
und wichtigen: Epoche“ bezeichnet, fo hat cr damit fogleich fein 
Sefammturtheil über ihn ausgeſprochen, nämlich, daß er ihn 


nicht [ost feiner wirflichen Leiftungen halber, als vielmehr 


um feiner dem Wortichritt und der Weiterentwidelung zuge: 
thanen Beſtrebungen und Anläufe willen einer Wiedererweckung 
für die Gegenwart und befondern Monographie für würdig ges 
halten bat. Er fehreibt daher auch keineswegs dem Haupt⸗ 
werke Abbt's, ſeiner befannten Schrift „Bom Verdienſt“, 
das größte Berbienft zu, fondern vielmehr feinen Pleinern Ar: 
beiten, und zwar .zunächft feinem Werfen „Vom Tode fürs 
Boterland”, infofern er hamit „einen tapfern Schritt aus ber 
dumpfen Ubgefchloffenheit der Gelehrtenſtube in die freie, friſche 
Luft Der unmiitelbaren Gegenwart‘ Yan fobann. aber ganz 
befonders feinen Abhandlungen, die er für bie „Riteraturbriefe” 
und für bie „Allgemeine deutſche Bibliothek’’ geliefert, inſofern 
es fich durch dieſelben nächſt keſſing als einen der ruͤſtigſten 
Kaͤmpfer innerhalb der von Berlin ausgehenden großen Bewe⸗ 
gung zu Gunſten des geſunden Menſchenverſtandes gegen die 
wmnerfſprießlichen Schulſtreitigkeiten Gottſched's und Bodmer's 

bethaͤtigt habe. Der Berf. gibt über dieſe Abhaudlungen eine 
vollftändige Überficht, fondert Diefelben in hiſtoriſch⸗politiſche, 
äfthetifche und eigentlich philofophifcye, und gibt aus den wich⸗ 


tigern derfelben intereffante Unäzige. Bo: z.B. theilt er aus, 


‚einem Briefe an Nicolai folgende Stelle mit: „Sie Fönnen. 


niet glauben, wie mig der Herr non Mofer verächtlih vor⸗ 
kommt, feitdem ich feinen zweiten Theil vermifchter Schriften 


geleſen. Willen Sie wol, daß er behauptet, man dürfe nur 


recht fromm jein, fo bekomme man auch zu weltlichen Geſchaͤf⸗ 
ten Berfiand, wenn man ſchen vorher dumm gemwefen... Und 
am (Ende meint er, fei es beffer, daß ein ‚Land mit einem 
frommen Minifter zu Grunde gebe, ald wenn ed mit einem 
irreligiöfen blühbend wäre. Wo will dies Dub Wiſſen Sie,, 
warum der Mann fo gegen feine geſunde Vernunft füns 
digt? Es fcheint, feine Meitbrüder und Mitichweftern ba. 
ben ihm vorgeworfen, daß er ſich mit weltlichen Suchen zer 
freue. Run will er es wieder duf Koften des Menſchenver⸗ 
flanded gutmaden. Und aus einer Kritik der Mofer’fchen 
Schrift „Über die Religiofität der. Fürften und was von einer 
ſpecifiſchen Chriſtlichkeit derfelben zu halten fei”: „Sch wünfchte 
wol, daß fi) diefe Herren, die immer Religion und Zugenb: 
unter fih und Jrreligion gegen ihre Zadler im Munde füh- 
ren, erflärten, ob die Antonine und Zrajane ihre Völker glüd> 
lich oder unglüdlic gemacht haben? Oder fol der Sag, der 
fo fruchtbar an Verfolgungen unter einem ſchwachen Prinzen 
werden fönnte, «bag ohne chriſtliche Religion und, fobald es 
die Gelegenheit erlauben wird, ohne die Drthodorie in dieſer 
oder jener Kirche, Niemand‘ ein ehrlicher Mann fein fönnen, 
auch dahin gelten, daß ohne chriſtliche Religion Bein guter Res 
gent fein köͤnne? Schate, daß die Gefchichte das Gegentheil 
bemweift! Noch mehr, diefe Herren werden bald daraus folgern, 
daß, wer Tugend und Religion immer im Munde führt, ein 
ehrlicher Mann fein müfle- Man wird dem Verf. niemals 
leugnen, daß ein Prinz, der nad) dem Geifte des Chriften- 
thums denkt und handelt, eine Wohlthat für feine Unterthanen 
feis daß geriffe Grundfäge des Heren fehr leicht und auch fehr 
ſtark ihren Einfluß auf die Diener äußern; aber es ift faiſch, 
daß ein Prinz, der 3. B. auf ein anderes Leben ſich eine Hoffe 
nung macht, dagegen alle Lafterthaten für erlaubt halte; kurz, 
es iſt falſch, Daß Der, deſſen Herz durch eine göttliche Gnade 
in der Zugend nicht geſtärkt ijt, Deswegen feinen Racften, fo 
oft er nur kann, übervortheilen werde. Es ann gefchehen, 
und ed kann leicht gefchehen, daß er von einer Reidenfchaft zu 
einem Unrecht Bingerifien oder durch die Unwiſſenheit zu ciner 
Beleidigung feines Nebenmenfhen verführt wird, Wber ift 
denn vom Ehriften alle Unwiffenheit entfernt und alle Schwach⸗ 
heit verbannt? Wenn aber der Staaldmann. zwifchen zweien 
Prinzen wählen folte, unter benen der eine andaͤchtig und 
ſchwach, der Geiſtlichkeit feines Landes einen großen Theil an 
ber Regierung vergönnte;s ber andere ein. Zeind aller geoffen⸗ 
barten Religion, mit Enthaltfamkeit, Einfiht und Eifer für 
das gemeine Beſte felbft regierte, ift es wel ſchwer zu rathen, 
welchen er wählen würde; ich fage der Staatsmann, weicher 
blos auf das gegenwärtige Wohl ber Geſellſchaft ſieht?“ Und 
an einem andern Drte über die Frommen: „Der anmaßliche 
Fromme bat noch weniger Anſpruch auf Berftand blos jeiner 
Frömmigkeit wegen. Gr befchäftigt fi, wie er fügt, einzig 
und allein mit dem Gedanken an feinen Heiland, ihm betet, 
ibm fingt er, von ihm fpricht er mit andern auserwählten 
Seelen, feine Liebe für diefen Heiland prüft er an fich und An⸗ 
dern, und jede Kenntniß, jede 'Unterredung, die nicht unmittel» 
bar auf diefen Heiland führt, hält er für fündlich ober doch 
für höchſt unnüg. Ich fage nichts vom Handeln, weil dies 
fehr oft bei Singen, Beten, Seufzen und Reden wegaufallen 
pflegt, und hoͤchſtens in Enthaltungen, felten in wahren Aus⸗ 
übungen zum Beften des Rächften beſteht. Dies ift eine wahre 
Beichreibung von Leuten, die boshaft genug find, um gefunde 
Bernunft für eine Keindfchaft gegen das Chriſtenthum auszus 
geben und einfältig genug, um fich nicht anders beichren au 
affen. Es mag einem veralteten gnädigen Fräulein leicht fal⸗ 
len, ihren Müßiggang auf eine Felde Ark zu verandachteln, 
aber wer in den verfchiedenen Ständen des. Lebens der goͤttli⸗ 


s 


” [2 
, 68 
⸗ 


chen Beſtimmung noch dienen muß, kann unmdgtich m zu⸗ 
Re ohne ufkören t im Gedanken haben. Armen ungen 
durchfehen und fie beſchleuni beſſer als auf die Blaͤhun⸗ 
en des Magens und Veraͤnderlichkeit der Laune At zu ge: 

„ und eime Anſtalt für Nothleidende treffen ift Gott ange: 
nehmer als einem Freunde ober einer Freundin die nod 
- zuweilen wiederkommenden Verfuchungen des Jleiſches mit 
kommer Bellemmung offenbaren.’ Die Witfberlung gerade 
folder Stellen bewährt, was wir oben über Prutz und den 
Charakter feines Zafchenduns: im Allgemeinen gefagt haben. 
Was in eigener Perſon nicht mehr gt efagt werben darf, laͤßt 
man Undere fagen. Uber wie niederfchiagend, daß vor 
einem erg undert mehr gefagt werden —* als jegk! 

Prut läßt fich, indem "er von einem bald wieber zurück⸗ 

enommenen Verbot der „Literaturbriefe“ redet, über diefen 
Krebsfäritt der Freiheit ſelbſt alfo aus: Dergleichen würde 
nun heutzutage vollfommen in ber Demand fein; damals aber 
und wierdol die Maßregel bereits nach. fünf Zagen vom Staats» 
rath felbft wieder gucke enommen ward, machte fie Das unge: 
heuerfte Aufſehen.“ Selbſt Sulzer, deſſen ſchweizeriſche Frei⸗ 
mũthigkeit in Berlin end zahm geivorden war, rare an 
Gleim ganz entfegt („Briefe aus Gleim’6 Nachlaß‘, &. 354): 
„aber wo find wir, wenn ein folder Menſch die Kritik hem⸗ 
men kann?!” Ja wol’ guter Sulzer, wo find wirt! Und 
doch muß jener Krebsfihritt als ein Kortfihritt betrachtet wer⸗ 
den. So lange man die Kette am ſchwachen Arm ſtark wußte, 
ließ man fie lang und fehlaff fein, jetzt wo man fie am ſtarken 
Arm ſchwach weiß, bäft man fie kurz und ſtraff. Ob das por 
litiſchr Das muß die Zeit lehren! 

10) Miscellen und Notizen. 1) „Zur Kritik ber Goethes 
Schiller ſchen Epigramme von 1796", von 3. Shi: 
fer; 2) „Über einige hochdeutſche Überfegungen u Beardei⸗ 
tungen des Reineke de Vos“, von Julius Jittmann. 
Im erſten Aufſatz wird der Verfuch gemacht, jene von Goethe 


und Schiller gemeinſchaftlich publicirten Gpigramme beſtimmt 


Dem Einen 'oder dem Undern zuzuweifen; im zweiten die Un: 
ffht aufgeftellt, daß eine hochdeutſche Bearbeitung des Pa 
Fucht nothwendig verungläden müffe und dem entgegen auf 
bie un vemäßigkeit einer im nieberdeutfchen Dialekt hinger 





Bibliographie. 


Allen, ©. ®., Gefhichte des Königreiged Dänemark. 
Mit fteter Ruͤcfich auf die innere Entwickelung in Staat und 
Bol. Aus dem Dänifchen uͤberſezt. Mit genealogiſchen Ta⸗ 
bellen und einem Sach: und: Ramenr vegiter vermehrt und mit 
einem Vorwort begleitet von R. Bald. 2te, nach der Iten 
Yusgabe des Driginals durchgängig verbefferte und vermehrte 
Auflage. Kiel, Univerfitäts:Buchhandlung. Gr. 8. 2 Thir. 
Gencalogifh »biftorifch-ftatiftifcher Almanach für das Jahr 
, 3846. 2öfter oder der neuen a fer Jahrgang. Weimar, 
Landes: Induftrie-&omptoir. 

Binder, Württembergifche in, "une Medaillen: Kunde. 
Ergänzt und herausgegeben von dem Fönigl. Ratilih-topogro, 
phifhen Bureau. Stuttgart, Köhler.: Gr. 8. 8 Ihtr. 15 Rear. 

Danz, 3. T. 2., Gefchichte des Tridentiniſchen Concils. 
Rab der Darftedung eines katholiſchen Gchriftjtellers. Sena, 
Maufe. Gr. 8. 1 Thlr. 9 ar 

Geſchichte der Kriege in Europa feit dem Sabre 1792, als 
Folgen der Staatsveränderung in Frankreich umter Köni ‚zudı 
m di is 12ten Theils Ifter Band. Berlin, Mittler. &r.6. 

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Gladisch, A., Das jalle, Lipr der aegyptischen Py- 
raniden und Obelisken, Halle Lippert u. Schmidt. Gr. 8. 
Birk, D » Gedichte. 2te vermebrse Auflage. Straßbu 
Sreuttel und Bürg. A Ngr. * fg u 


i 





Lüdemann, G., Uber das Weſen ded yriichtautiidee 
Euitus. Eine theel Spelsgige Uneiudung, Sit 418 Ba 
‚-  Merlecker, Historisch 
Dürstelung der allgemeinen Verhältuisse des | 


chen. Didenburg GStallin 


| Reue verbeſſerte und vermehrte Ausgabe. 


und der: hichte des Menscitengeschlechts von deti älte- 
sten Zeiten bis auf die Gegenwart in tabeilerischer Ueber 
sicht. Darmstadt, Leske, Gr. 4. 2 Thir. 


an etelercam „we * Biederfwenisen, Braunſchweig, Wr 


* J., Das Bolt. De S 
tr. 
hauſen, Kies &r. 8 25 utſch von p. ug 


—8 
nern —88 —** eines fremben vom — 
rechtlichen, hiſtoriſchen und pouriſhen Seandpunkte erörtert 
Freibueg im Sr. Emmerling. Gr. 8. 15 Rer. 

Bogen und Novellen aus —S Seteit Hites Ban 

2, 
Straube's, E., 

blaͤtter. Rovellen und Erzah fir u 

Wien, Stoͤckholzer v. Hirfchfeld. 1345, #6. 8. as. ser 
Zafenbuh für Gefchichte und Alterthum in Süddeutkb 
land. Herausgegeben von 9. Bdhreiber. ter Jahrgeng 

Breiburg, ne a. ht — 
auffkirchen⸗Engl ur "& fin, Die Schwaͤrnmerin 
Eräptung Leipzig, Brodhaus. Gr. 12. I hir. 12 Rgr. 

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Ungarifehe Belfstieder.. Überfegt unb eingeleitet von M. 
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TZagedliteratur. 
Arenz, 8, g Roden ins Erwachen. Zeitgedicht. Dem, 
Wittmann. &r. 8 m Be 
Beleuchtung der Bien Pfipen Motion über Beligiondfreibeit. 
wi Donn, Bitimann. 
gr. 


Dulon, Herr Prediger Palmie, die reformirte Kirche bat 
keine Symbole! Ein Wort der ‚Burechtiweiiung. Königäberg, 
Bois. Gr. 8. 2 8 

Hopf, U, Die deutfchen Auswanderer en der Mobauitn 
Küfte. Gharlottenburg, Bauer. 12. 2%, 9 

Januarius, Heuer! euer! Bau an Hypotheh 
Stänbiger, fowie an alle bei Privat: Fener » Berficherungs : In 
ftatten Seſiherten. Potsdam, Horvath. 8. 71% Nat. 

Kirchner, K. M., Das Walten Gottes auch in dieſer 
ge „Sahresf@inßbetraditung. Frankfurt a. M., Kebler. Gr. 3. 


r. 
ige der Gegenwart. Biographien ber im Jahre 188 
regierenden Souveraine. Bon ben vorzüglichiten 
Frankreichs und Deigiend. „Überfegt von 9. Str. RNordhau⸗ 
fen, en 83 1 
er tprofeflantisunge in feiner Parallele mit ber 
ardie. Rachtrag u drei Reden über —* der 7 
ritter in ſeiner geligidfen und bifteeifchen Bedeutung. Berka, 
Wohlgemuth. 3 Ser. 
—æ— J. A. K., Kritik zur on a 
ber newproteftantifchen und nen⸗katholiſchen Re 
eine Kritik der Schrift: „Uhlich und ‚Ronge. Dder die — 
proteftantifhen Lichtfreunde.” * ig, Beyer. Er. 8. NE 
Die jüdifche Reform. — Allen freiem 
gen peut deutſchen Beitungen —* Berlin, Reichardt u. Comp 


Ner. 
Schrader, G. ı Ber freie Proteſtantismus unb di ⸗ 
gelifcrprotsftantiflie Mirde. - Aug ei * 


tr —* Freunden Ghrifti ans a Apenrade. 
r. 





Berantwortlicher Herausgeber: Heinrich Srockzdans. — Drud und Verlag von F. ee. Srockhans in Leipzig. 


| 
| 





Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Montag, 


—— Nr. 166, — 


15. Juni 1846, 





Dihterfiimmen. 
(Bortfegung aus Nr. 166.) 

Von ben Malcontenten und Rabicalen gehen wir 
zu ben Sommuniften über. Schon der Guerrillakrieger 
fpielt in Dies Gebiet auf einem ÖStreifzuge über. Im 
Gedicht an Weitling verfichert er und, daß ber rohe 
Schleedornknittel das Rappier zertrümmern werbe: 

Wir find’s, wir Eommuniften, 
VBerbündet und vereint, 
Bon Hohen und von Riedern 
Ein einig Voll von Brüdern, 
Und euch, ihr Heidendpriften, 
Der neue, böje Yeind! 
Ws Hauptfänger (einige Gedichte von Weitling felbft 
find charakteriftifh genug) erfeheint bier H. Püttmann: 
9. Sociale Gedichte von H. Püttmann. Belle: Be, Ber: 
lags⸗ und Sortimentsbuchhandiung. 1845. 16. 15 Kor. 

Trog ber Verfemung baben ſich diefe Gedichte fchon 
weit verbreitet, und die Kritik, die fie empfehlen oder 
verdammen wollte, kommt au fpät. Wir haben es hier 
nicht mit der politifhen Seite de8 Kommunismus zu 
thun, nur mit der äfthetifchen, und man muß ihm zu- 
geftehen, daß er fih vor der Gefellfchaft zu präfentiren 
weiß, in weit anftändigerm Heide als die Geſellſchaft 
ihm entgegentritt: 

Kicht mehr von Rofendüften laßt uns fingen, 
Roch wie die Voͤglein auf den Zweigen fpringen — 
Das Menſchenherz allein fei unf’re Liebe, 
Der Anfang und dad Ende aller Triebe. 


Was Rofenduft! Saht ihr im Blütengarten 
Den bleihen Bettler auf Erlöfung warten? 
Wie mag euch denn die Rofenglut entzüden, 
Must ihre den’ Menſchen alfo welk erblicdken ? 

Man kann Püttmann's Poefie auch nicht den Vor⸗ 
wurf machen, daß fie mit Phrafen und Tiraden ins 
Blaue ftreife; er nimmt die Dinge aufs Korn und 
teifft, wo er den Pfeil abfehießt, ind Herz hinein. So 
der Anruf an bie Soldaten, fo die fchauerlihe Ballade 
„ictoriaf | 8 N j ’ \ 

under, wie fe i 
Unter den Araber * m oetheit 
Wenn der Eine fich blutig an Dornen reißt, 
Dem Undern duftet Die Bofe. 


„Das Weberlied, „Die Zabritfinder”. Gin unsrfhäpfli- 


ches Thema bietet leider den Communiftendichtern Schlefien 
und feine Weber. Es ift eine graummvolle Wahrheit in 
diefen Balladen: 
Im Zuchthaus lebt fih’s beffer 
Als im Gebirge dort, . 
Die hung'rigen Sefellen 
Schnen fi nimmer fort. 
Biel milder find die Buͤttel 
As ihre frübern bier. 
Und da ſie's Salz verdienen, 
Arbeiten fie auch gern. 
D'rum fingen fie im Chorus: 
it unferm König Heil! 
läßt uns hier nicht darben, 
Gibt Jeglichem fein Theil — 
Wir wollen ihn beloben 
Und fleben i ort: 
Daß alle urif're Brüber 
Einzieh'n an diefen Drt. 

Es ift eine reiche Auswahl reicher Lieder, aber ihr In⸗ 
halt von der Art, daß wir Peine Auszüge geben können. 
Wenn ein mit Vernunft begabtes Wefen überhaupt Ber- 
bote vertheidigen Tönnte, als ihrem Zweck entiprechend, 
fo dürften gerade diefe Gedichte als gefährlich bezeichnet 
werden. Aber ihr Sinn, auch ihre Töne dringen doch 
hindurch, und ift feine andere pofitive, vom Geiſt gefragene 
Kraft da, fie zu bekämpfen, dann braͤchten fie erſt recht 
Gefahr. Doc meinen wir, das fei nicht eben zu fürd- 
ten. In dem fchönen Gedichte „Rübezahl“ hat ber Berg- 
geift einem reichen Fabritanten, der beim Champagner- 
glafe eingefchlafen ift, im Traume den Aufftand ber 
verhungernden Weber gezeigt, eine Scene voll draſti⸗ 
fer Kraft. Aber es gefällt feiner Laune, auch das 
Gegenſtück zu zeigen. Einer armen Weberfrau, deren 
Gatten der Tob von allem Übel erlöft, zeigt er bie Zu- 
Funft: ihr Knabe iſt Mann geworden, nicht verhungert 
und verfümmert, fonder in flolger Kraft, die Zeiten 
find beffer geworden, die Menfchen auch, die Liebe hat 
Alle verbunden, Alle find reich, denn Alle find gleich, 
der Sohn „des reichen Schinders”, ber ihren nn 
verfhmachten Tief, geht Hand in Hand mit ihrem eige- 
nen Sohne und bas Kleid des Einen ft nicht fchlechter 
ale das des Anbern: | 

Verſchwunden war bie Sorge, 


° Des ck Qual. 
Zugegeben dies 33 Fa Menſchen gleich find, 


daß ſie Alle Röde vom felben Tuche tragen, ja fogar, 
daß fie Ale‘ beffer geworben: aber wie auch das mög- 
lich geworben ifl: 
In allen Scheunen glänzte 
es Sommers reiche Zrucht, 
di bogen fich bie änme 
Unter Des. Obßeß t;. 
Frohlocken und Entzuͤcken 
U Die ganze Welt umſchloß, 
| Aus Leinem Menfchenauge 
Des Schmerzes Bähre floß — 
darüber möchten mir von einem Communiften, der nicht 
Dichter if, Rede und Antwort hören. 

Sa fei auch Das zugegeben, daß es der kommenden, 
vervolllommneten Zeit, die nicht mehr Soldaten zu bezah- 
len, Beine Zollarenzen zu bewachen, teine Throne, keine 
Dome, keine Kerber mehr zu bauen und zu erhalten 
hätte, auch möglich werde, die Schredien der Natur durch 
Menfchenlift und Kraft: zu bewältigen, daß fie durch na⸗ 
türliche Magie das Wetter reguliren unb den Sand⸗ 
boden im magdeburger Land umfchaffen können, melde 
Heilkraft, welchen Troft hat denn das Utopien des Com: 
munismus für die andern Leiden der Seele und des 
Körpers, die im denkbar glüdfeligften Zuftande des Er- 
denlebens immer wieder auftauden! Bas klingt mun- 
derfchön: 

Die Erde iſt der Himmel, 
Wenn Gott auf Erden meilt. 
. Und Gott ift nur bie Liebe 
Die alles Gluͤck ertheilt; 
aber diefe Liebe tröfter nicht einmal fir die Schmer⸗ 
zen, welche die Liebe im fpeciellen Sinne in alter und 
neuer Zeit heroorgebracht hat und hervorbringen wird, was 
mon. auch mit aller Vernunft gegen die Werther⸗Thor⸗ 
heit, geltend mache. So viel Illuſionen wir zerflörem, 
fo wachſen dach immer neue Auf, fo lange Gemüth, fo 
lange Phantaſie, fo lange Poeſie in den Menschen ift. 
Und dag die Poeſie eine Macht ift, die man gelten lafr 
fen. und ehren müffe, erkennen die Communiften felbft 
an, indem fie. Lieder fingen um zu fingen. Wie tröftet 
aber. diefe Liebe, die alles Glück ertheilt, Die, welche an 
unbeilbazen, furchtbaren Leiden langfam dem Grabe cut: 
gegenficchen? Alle Poeſie der Welt hat noch. kein fo 
troſtreiches Wort zu ihnen gefprochen als das: „Kommt 
ber zu mir, die ihr trübfelig feid und beladen.” Und 
märe auch dad nur eine Sllufion, warum mit Gewalt 
fie zerflören, ausrotten wollen, wo man feine neue Il⸗ 
Infion diefen Leidenden bieten kann! Wenn die Prieſter des 


Glaubens fi. vergingen, wenn fie den Gott der Liebe 
zu einem, Gott. des Zoxnes im ihrem Egoismus und Fa: |- 


natismus umwandelten, wenn fie bie ewigen Dogmen 
bes Chriſtenthums vergafen,. die da gebieten: Richtet 
nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werbet! und: Laß dich 
nicht das. Boſſe überwinden, ſondern überwinde das Böſe 


mit Gutem! mern fie vergaßen über andere, Menfchen- 
um Himmelreich 


fagung das Wort: daß der Wege 
viele find —, warum ihre Sünde denn Die entgelten laf- 
fen, welche in ber. alten Illufion nach). Troſt fuchen und 
ihn. ſiaden? Iſt «8 nicht: fchon em: Zeichen bes Mis- 


- 2 t N 2. Y 
J .. ’ . 


trauens in die eigene Kraft, daß ex zerflören muß um 
qu bauen: 
Nicht mehr von Gottes Zorne laßt und fingen, 

Bon unf'rer Demuth nicht, noch andern Dingen! 

Den Menſchen nus laßt heilig uns erheben, - 
Rig außer ihm — Fehn and'res Tags Leben. 
Welche Armuth bei ſolchem Reichchum vor Vorſtellung 
daß die Idee keinen Platz auf Erden findet, wenn fte 
nicht andere Ideen borher vernichtet! 

eugt eure Knie nicht länger vor 

Shteidt ferner nicht —* I —S 

Mit euern hellen Stirnen, zarten Seelen! 

Wozu. ji) felber nur fo graufam quälen? 

Ja es ift Qual, Dies Zittern und dies Beben 

Bor a , their y * eben. 

a es 1 „ ME oje Ke 

Nach) einem Wuͤſtenbild, nicht zu erreichen. 

Wer nun aber die finftern Dome liebt, mer die Dual 
will, wer eine Wolluft empfindet in dieſem Ziteern, hat 
der feinen Plag in euerm neuen Reichert Ihr kaämpft 
gegen bie Intoleranten mit Intoleranz! Ihr kämpft ge» 
gen Gefpenfter, indem ihr, ein neues Gefpenft aufrflant. 
Dog in dem Gommunismus ein, Keim der Zufunf 
liegt, der Wurzeln fchlagen und Afte und Zwäige trei⸗ 
ben wird, wer möchte das beftreiten; nur anders wid 
Wuchs, Geſtalt, Farbe, Blüte, Frucht fein als feine 
Anhänger wähnen. Es iſt ein mächtiger Seufzet der 
Natur, die ſich mit chriſtlichem Aimofenfpenden und frabii- 
fen und ftaatlihen Armenſteuern nicht mehr befrich 
gen läßt, es ift ein Ringen nach Erlöfung, die erfolg 
wird, aber anders als wir ahnen und glauben, eine Er» 
löfung, die darin allen andern Erlöfungen gleichen wird, 
dag fie in ihrer Erfüllung die Hoffnung ihrer Jünget 
täuſcht, die eine Vollendung, ein das AA umfaſſendes 
Werk erwarten, und fie wird wieder nat ein größeres 
Stückwerk werden‘ gleichmwie alle Religionen, die in der 
alten Erde aufwuchfen, oder zu ihr vom Simmel her 
niederfliegen, ein fchöner Teppich, groß und reich ‚genug, 
fo fiheint es, für das ganze Weltall, mit feinen Sou— 
nen, Sternen und feiner Ewigkeit, aber wenn die taufend 
Arme daran zerren und ziehen, reicht er nicht einmal aus, 
um Die Meine Erde damit zu bededen. 

6. Armenfünder » Stimmen. Bwölf Lieber von E. Dronke. 

Altenburg, Helbig. 1845. 8. 12 Rgr. 

Schon die Zitel diefer zwälf Lieber geben ihren In⸗ 
halt an: „Das Glück der armen Leute”, „Die neum 
Verdammten“, „Das Weib des Webers‘, „Die junge 
Mutter”, „Fabrikantentraum⸗, „Die Gefangenen“, Ma⸗ 
dia alene”: 

Sie geben und des. Himmels Toſt, 

Sie fpeifen uns mit Gettesbroden, 

Derweil wir hungernd ohne Koft, 

Derweil wir nackt bei Sturm und Froſt 

Im Koth des Erdenelends boden: 

Sie figen warm, fie figen weid 

In ihres Gluckes Himmelteich, - 

Und pred'gen fie die Armuth gleich, 

Sie wird Das. Jenſeits niemals: locken. 
Alfo ein Nachfolger des Vorigen. Ncht jo keck, nain, 
herauofedernd, nicht‘ fo ſpielend, epigrammatiſch; aber, 


e- ifi-ein jüngsrer Dishter, aus wahrer. Empfindung ge⸗ 
boren, elegiſch, beinahe ins Tragiſche übergehend feine 
“ Sage, und in ber Ausführung zur höchſten Anſchau⸗ 
lichkeit geſteigert. Was Alles in die Poeſie muß, und 
es finder Bilder, Worte: 
Horch, wie fchwer im Takt die Räder ſtampfen, 

Wie es raſſelt, praffelt, brandend brauſt, 

Lohe die Feuer und bie Eſſen dampfen, 

D’rin verflucht der Beiten Damen bau 

Und ein Kind ſteht in des Grauſens tte 

Roh unſchuldig, in der Jugend Straht, 

Bon der Armuth und des Elends Kette 

Feftgefchmiebet an des Iammers Qual. 

Hingewelkt ift feiner Wangen Nöthe 

Und es fiecht der ſchlanke Leib gebüdt, 

Seine Augen ſtumm und kalt und biäde, 

Seines Herzens junge Luft erftidt. 

Einſam ficht es in dem Graus und ſchweigend, 

Nur die todte Kindesfeele fchreit, 

Eine graͤßlich ſtumme Klage, zeugend 

Wider der Geſellſchaft Herrlichkeit! 

Da haben wir eine neue Ariftokratie, gegen welche der 
“ egmmuniftifhe Dichter mit tiefer Wehmuth zu Kelde 
zieht, flatt gegen die Sunfer von Zaubenheim gegen die 
Fabrikjunkherren, welche die armen Fabrikarbeiterinnen 
verführen. Es ift eine ganz bewußte Dppofttion, eine 
bemußte Umkehr ber Angriffewaffen; die gefchlagenen, 
alter Feudalſeigneurs gehen ihn nichts mehr an, er läßt 
fie ruhen, er wendet fich gegen Die, welche ſich Kiberale 

nennen, gegen die in Reihthum prunfende Bourgeoifie: 
Sie wollen mit der Freiheit Licht 
Die öden Herzen uns entzüden, 
Ste mahnen gar der Naht Gezücht N 
Und wider ihrer Zwingherr'n Pflicht 
Für ihre Freiheit auszurüden. 
Doch was uns drüdt und an und nagt, 
Und was uns bannt in Sündennadht, 
Die Tyrannei der Geldesmacht, 
Die will die Freiheit nicht erdrüden. 

Welche ägyptifche Finſterniß muß doch um die Throne 
der Bewaltigen lagern, daß fie fo wenig ihre Freunde 
von ihren Feinden zu unterfcheiden wiffen! Was nicht 
in ihren Sram, in dad enge Gewebe ihrer altersmer- 
joen Ideen taugt, werfen fie zufammen, und ſchleudern 
hre Bannftrahlen gegen Die, von denen fie vor den nächften 
Feinden Schutz erwarten dürften, wenn fie es verftän- 
den, durch etwas Gelenkſamkeit fie für ſich zu gewinnen. 
Quos deus perdere vult —! 

Der noch fehr junge Verfaffer diefer communiflifchen 
Lieder ift felbft ſchon eine hiſioriſche Perfon geworden. 
‚Man weiß eigentlich kaum, um was bie Blitze der 
Macht ihn getroffen haben, die ihn von einem Ort zum 
andern fehleudertn. Was man angab war fo unbeden- 
tend, dag man wirflih nur glauben kann, daß irgend 
ein Misverftändnif, ein Misgriff die Sache veranlafte, 
und man nachher, um fich nicht bloßzuftellen, nach dem 
erſten beften Gegenſtande ‚griff, ber einen ſcheinbaren 
Anlaß bot. Auch hat die Vermuthung viel für ſich, 


daß er nur der Sündenbock war, den eine Eruption in’ 


die Luft fchnellte, um doch etwas zu bewegen, nachdem 


fie fo große Anſtrengungen gemacht, die aber an einem. 
noch größern Widerfiande fcheiterten. Wer diefe Ge⸗ 
dichte lieſt, die freilih Dielen nicht gefallen werben, be 
greift nicht, mas gerade diefen jungen Dichter mit einem 
fo tiefen elegiſchen Ernſt, den man fonft doch achtet, fo 
befondere fürchten und haſſen lief. Wir wollen ihm 
wünſchen, daß er Troſt für ein Misgeſchick, welches er 
nicht herausgefodert bat, in fich ſelbſt finde und eine 
befriedigende Antwort auf die Stimme der Wüfte, die 
im zuruft: 
Beltgeiſt, Geift der Natur, 

Geiſt des Lebens! 

Mein Herz will ſpringen 

Und”meine Seele verblutet 

Ob dem Grauen und dem Fluch der Erde. 

Rede du, ſprich 

Daß du nicht verurtheilt haſt 

Die wimmelnden Millionen zu Roth und Knechtſchaft, 

Daß du nicht geſchaffen haft 

Das Leben für den Tod, 

Roc die Schönheit zum Elend, 

Noch die Unſchuld zur Verderbniß; 

Daß Erloͤſung kommen kann, 

Kommen wird 

Für die wimmelnden Millionen, 

Die von Menfchenbrübern Gemordeten, 

Schuldlos Verdammten! 

Rede du, ſprich 


Gib Zroft, 
Wider das gellende Hohnlachen des Zweifels 
Gib mir Troſt, gib mir Troſt, 
Daß mein zitterndes Gerz nicht ende 
uchend 
In Wahnſinn und Berzweiflung! 
Und daß es nicht fei wie es zum Schluß heißt: 


Still war der Abend, 
Die Stimme des Jünglings verklang 


In allen dieſen Gedichten keine Viſion von dem Reiche 
der Armen, das da kommen wird, wie es der Vorgaͤn⸗ 
ger ſchaute; dieſer Dichter ſieht nur das Elend wie es 
iſt, hier und da moͤglicherweiſe größer, greller, jchärfer, da 
und dort im poetifchen Schleier der Wehmuth gebämpft. 
Ein wirklicher Troft leuchtet nirgend hinein. 

(Der Befihluß folgt.) 





Englifcher focialer Tendenzroman. 


Wenn der Verf. des Aufſatzes „Religiöfe Zendenzromane” in 
Rr. 105— 109 die Bemerdung macht: „Die praktiſche Natur der 
Engländer, hält diefe Ration größtentheild von der Entwides 
lung der forialen Intereffen in der Korn des Romans ab“, fo 
widerfpriht Dem einigermaßen die Shatfache, daß in der juͤng⸗ 
ften Zeit auch in England der Gefhmad des Romuanpublicums 
fih der * und ganz beſonders den ſocialen In⸗ 
terefien zugewendet bat. Seine beliebteſten Rovelliften folgen 
diefer Richtung — die Bleſſington, die Strickland, die Gore, 
die Ihomfon, die Martineau, Lie Zrollope, Horace Smith und 








ru 


Charles Dickens nicht zu vergeffen. Einen weiten Beweis 

dafür gibt die vierte Auflage von 

Sir Cosmo Digby; a tale of the Monmouthshire riots. By 
James Augustus St.- John. Drei Bände. London 1846. 


St.⸗John iſt ein geachteter Rame und feine frühere „‚Gefchichte 
der Sitten und Gebraͤuche des alten Griechenland“ diefleit des 
Kanals nit ungelannt geblieben. In „Sir Cosmo Digby 
behandelt er bie Zufammenrottungen in Monmouthſhire, den 
Aufftand in Wales unter Froſt, Williams und Jones, und 
Seitungslefer wiſſen, daß für diefe zum ode verurtbeilten, 
dann unter koͤniglichem Gnadenſpruch auf Lebenszeit deportir: 
ten drei Männer vor Furzem von Tauſenden unterzeichnete Pe: 
titionen um gänzlide Freilafiung gebeten haben: ein Beleg, 
wie lebhaft die Theilnahme für fie und die Geſchichte jener Er- 
eigniffe fich erhalten hat. Dabei gebührt dem Berf. die Aner⸗ 
Tennung, daß er nicht wie 5. B. die Trollope in ihrem ver: 
wandten „Jessie Phillips, a tale of the present day” (3 Bbe., 
London 1843) die neue Romantheorie auf die Spitze geftellt, 
fondern die Hauptincidenzpunkte des walifer Pronunciamiento 
gegen Schlagbäume und andere Läftigkeiten zu Zrägern einer 
Familiengeſchichte gemacht hat. Zu zeigen, wie geſchickt, dus 
Auge feſt auf die beabfichtigte Entwickelung der focialen In: 
terefien gerichtet, er Beides miteinander verknüpft, würde 
eine zu lange Erzählung fodern. Eine Undeutung muß und 
kann genügen. Aus jener Reihe von Begebenheiten, welde 
unter den Ramen Chartitmus und Nebeklaismus mit dem 
Sturme auf Newport ihre Höhe und ihr Ende erreichten, bat 
der Berf. die bedeutfamften und feinem Zwecke angemeheniten 
ausgehoben, führt in die Berfammlung der Ehartiften bei de: 
ren Verbrüderung in Bolton-Court, zu ihrer Zwangswerbung, 
in ihr verfchangtes Lager inmitten der Ruinen einer Kirche auf 
dem Gipfel des ſchwarzen Berges, in ihre Feldwacht auf der 
Heide, in ihre Zufammenfünfte bei Fackelſchein, zu dem Spa» 
ber, der fie belaufcht, zu ihren Berathungen, zu ihren Kreuz: 
und Quermärfchen, in ihre Kämpfe, zu ihrer Nieberlage, weift 
genau nah) — auf Grund der gerichtlichen Verhoͤre — aus 
welchen Motiven die Beſchlüſſe gefaßt und wie fie ausgeführt, 
von wem und durch welde Mittel die Bewegungen geleitet 
und ermöglicht worden find, und hat zu der Rolle des Haupt: 
rebellen Ap Hoel actenkundige Lebensmomente benugt. Eine 
kurze Scene mag zugleich als Probe dienen. 

Der Schauplag ift Pencarn⸗Abbey, ein Schloß in der Nähe 
von Newport. Eine Geſellſchaft Damen und Herren ift ver: 
fammelt, al8 unter Lärm und Geſchrei ein Haufe beranzieht. 
Lord Garteon, der Schloßherr, und feine männlichen Gäfte 
eilen in den Hof den Andrängenden entgegen, und @riterer 
fragt nach ihrem Begehren. Ein Mann von riefigem Bau 
und in einen Mantel gewidelt trat nahe an das Gifengitter 
und fagte: „Mein Lord, wir bedürfen Gaftfreundichaft, und 
weil der Ruf Sie einen freigebigen und großmüthigen Wirth 
nennt, haben wir vor allen Herren der Umgegend Ihnen den 
Vorzug gegeben. Wir begehren indeflen nur kurze Raft und 
wenige Erfrifhungen, und Männern in unferer Lage werben 
Sie Beides ſchwerlich verweigern.” Während cr Das fprad, 
drängte eine Zahl wilder, ſchwarzbrauner Geſichter gegen die 
Eifenftäbe des Thors, und die leuchtenden Augen, die gefletfch- 
ten Zähne und das grimme Lachen zeigten ebenſo viele Kanni⸗ 
balen. Der große Haufe rudte nad, preffend und floßend. 
Jeder wollte Die Herren im Hofe fehen. Alle fluchten, wetter: 
ten und fchwentten bie Waffen, muthmaßlich um den Lord zu 
ſchneller Einwilligung zu bringen. Das gelang ihnen jedoch 
weniger als fie erwarten mochten. Bertrauend auf feine Ber: 
theidigungsmittel wie aus perfönlicdem Muthe erwiderte Lord 
Carteon: „Wenn Ihe Speife bebürft, fo bleibt wo Ihr feib 


und Ihr ſollt zur Genüge erhalten, obſchon ich eined Mangels | 





an GBaftfreundfchaft nicht beihulbigt werben Einnte, gäbe ich 
foldpergeftalt ausgebrücdten WBünfdgen kein Gehör.” — „Uber, 
mein ", entgegnete der Mann im Mantel, „ih habe Ih⸗ 
nen gefagt, daß wir nicht bios hungerig, fondern auch mübe 
find und Ihr Haus hat Raum für uns Alle. Lafien Sie uns 
alfo ein. Roch erbitten wir von Ihrer Güte, was wir im 
Stande find zu nehmen.” — „Mein guter Freund“, bemerkte 
der Lord, „ed wäre möglich, Ihr verrechnetet Eu. Wir find 
bewafinet und haben uns vorgefehen. Ich mag aber mit 

nit um bie Wette drohen. Was ich wiederhole iſt: Erfri⸗ 
fhungen follt Ihr haben. Was Euern Einlaß betrifft, fo würbe 
ih den, von anderm Grunde abaefehen, ſchon deshalb nicht 
erlauben, weil Damen im Haufe find.’ — „Damen®” xief der 
Mann. „Run, was find die, daß die Rähe ihrer Mitmenſchen 
fie erſchrecken Eönnter Ich bezweifle Ihre Logik niht, mem 
Lord. Betrachten Sie diefe Männer. Sind fie nicht genau 
von demfelben Thon wie jene Damen? Und fobalb die Maſchine 
ftidftebt, werden fie Gtaub wie jene. Ich kann zwiſchen diefen 
verfhhiedenen Theilen des Menfchengefchlechts Beinen Unterſchied 
erfennen. Bei eB aber, wie Eure Gnaden fagen. Ich fage 
blos, wir kommen binein, mit Ihrer Genehmigung, wenn Sie 
ſolche ertheilen; wenn nicht, ohne folche.” 

Unter den auftretenden Perfonen nimmt Sir Cosmo die 
oberfte Stelle ein. Er ift ein Mann, bei welchem „das Geld 
der Tugend durch ben dicken Roft weltlicher Geſinnung ſchim⸗ 
mert”, und der mittel® feines Verftandes feine Umgebung be: 
berriht. Vom erften Augenblide feines Erſcheinens an feffelt 
er das Intereffe und feffelt e8 bis zum Schluſſe, wo der Befer 
freilich ungewiß wird, ob er ihn mehr bewundern oder mehr 
verabfcheuen fol. Er verdient Beides. Ihm zunächft fteht ferne 
Tochter Ifabella, die Heldin des Romans, erft eine ſchwache 
Kante, die den ſtarken Geift bed Waters zur Stüge brauft. 
dann in felbfländiger Kraft fein Schirm und Schutz. Ah 
alle übrigen Perfonen find im Allgemeinen gut gezeichnt 
Die englifche Kritik Hat wiederholt duch ihre glaubwürbigften 
Organe das Urtheil abgegeben, daß der Roman einer der ori: 
ginelften und anziehendften Zendenzromane ift. 33. 


— — — — — — — un — —— — — — — 


Literariſche Notiz aus Frankreich. 


Ulgerien. 

Unter den verfchiedenen, zahlloſen Worfchlägen, welche in 
Bezug auf die Eolonijirung der afrikaniſchen Befigungen von 
hüben und drüben gemacht find, iſt viel hohles, N Bantaftifiie 
Beug. Es ift dies um fo erklärlicher, als von Seiten der Re 
gierung felbft in den Maßregeln, welche feit einigen Jahren 
ergriffen find, ein fortwährendes Schwanten und der fühlbare 
Mangel eines leitenden Grundgebanlens an den Tag gelegt 
if. Zu den wenigen Schriften dieſer Art, denen eine wahte 
Bedeutung nicht abzufprechen ift, gehört das vor kurzen er: 
fhienene „Me&moire au roi sur la colonisation de I’Algerie« 
von Abbe Landmann. Wir koͤnnen bier auf die eigentfihen 
Entwürfe, welde dem Könige darin vorgelegt werden, nit 
näher eingehen und begnügen uns deshark zu bemerken, daß 
der Berf., der ſich durch einen fangen Aufenthalt mit der Dre: 
tigkeit fehr bekannt gemacht hat, von dem Grundfage ausgeht, 
bie Eolonien müßten möglicherweife ſich durchaus aus eigenen 
Hülfsquellen erhalten. Ob nun aber feine Borfäläge den Zeit- 
punkt, wo Died wirflich gefchehen Tann, herbeisuführen is 
Stande find, wagen wir nicht zu entſcheiden. Nur fo viel 
fteht feft, daß, wie die Dinge fi biß jegt anlaflen, Algerien 
für fange Zeit noch nicht blos ungeheure Summen, fondern 
au maßlofe Dpfer an Menfchenieben Eoften werde. m 
I. 


Berantwortlicher Heraußgeber : Heinrih Brockzaud. — Drud und Verlag von J. X. Brockhans in Leipzig. 


Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Dienſtag, 





—— 


Dichterſtimmen. 
(Beſchluß aus Nr. 166.) 


Bir gehen zu den confeffionnellen Zeitfiimmen über. 
Da begegnet uns zuerft: 

7. Reujahr. Ein Drama oder cin Gedicht, wie.man es will, 

von Kart Schäffer. Darmftadt, Dttweiler. 1846. 8. 

8. Rgr. 

Wenn man zuerft, bei der objectiv gehaltenen Dar» 
flelung dieſes Zaftnachtsfpiele, nicht weiß, wo es hinaus 
will, fo findet fih das doch bald. Ein reflectirender 
Dichter ohne Parteifanatismus, aber feine Reflection 
bat ein angenehmes, dichterifche® Gewand gefunden. 
Man Tieft das Scherzfpiel mit Vergnügen fort, bie 
man auf den Ernſt flößt, ber dem Dichter fehr ernſt iſt. 
Es ift der alte Fauſt, den der alte Mephiftophelee im 
Puppenſpiel der Zeit auf die Marktſchau umber führt. 
Am anmuthig gemüthlichen Versbau hat der Verf. fich 
fo in den Goethe bineinftudirt, dag wir auf Augenbfide 
uns in ihm wieder zu finden glauben. Zu Anfang 
eine vecht Iuftige Schauftellung von Verkäufern: 


Der Hegelianer. 
Ich bin doch ih. In meiner Majeftät, 
Bin ich derfelbe noch ganz offenbar! 
Doch ſcheint's, als ob Die arme Welt 
Get wieder älter um ein Zahr. 
Rationalift. 
Welch eine große Menge Licht 
Hat wieder fih in diefem Jahr verbreitet! 
Man fiebt ed doch ganz offenbar, 
Wie viel die Welt ſtets vormwärtsfchreitet. 
Dr. Strauß. 
Fürwahr! Die Schrift hat noch ein Sahr gehalten! 
Ich muß es mit Berwund’rung feh'n! 
Doch mehr noch als ein Neues zu dem Alten 
Kann ih unmöglich zugefteh’n. 
| Drtbhodor. 
D frag nur Herr! mit Langmuth und Geduld, 
Die unf're Schwachheit nicht zerftöret. 
Wie Hat die Suͤndenſchuld der Melt 
Sich wieder um ein Jahr vermehret! 


"Im Traume der Sylveſternacht erfcheinen aber dann 


die bedeutenden Geſtalten: ber heilige Rod, die zwanzig 
heiligen Roͤcke. Der Chor ruft: 
O heil ger Rod, bitt' du für uns! 





16. Juni 1846. 


Der heilige Rod ruft: 
Und plagen euch Qualen 
Der Worheit und Sünde, 
&o dürft ihr nur zahlen, 
Sch heil’ Re geſchwinde. 
Bildemeifter und v. Sybel aber rufen zum heiligen Rod: 


Als du lebteſt, da waren wir tobt! Run wollen wir leben; 
Und fo ſchneid' ich darum ruhig die Kehle dir ab. 


Worauf der heilige Rod: 


Es find die Gedanken! 
Es iſt nicht geglüdt! 
Die Welt ift verdorben! 
Run bin ich geftorben! 
Einer kommt mit Sxchellenllang: 
Was geftern ift gewejen wahr, 
Heut’ ins auf 84 anders klar. 
Die Sonne ſteht, der Wind der weht. 
Die Anſicht über Nacht ſich dreht. 
Die Wetterfahn' girrt auf dem Dach, 
hin der Wind fährt, fährt fie nach. 
Ein Alter und fein Junger möhten auch zum Mod, 
aber fingen: | | 
Holde Zjar, deine Wellen 
Rauſchen durch ein ſchoͤnes Land, 
"Und das Land, durch das fie rauſchen, 
Ift das Schöne Baierland, 


und Mephiftopheles verfihert, e6 wären ihm 


zwei gar liebe Jungen 
(Es ift ein Vater und ein Sohn). 
Ich habe manche Lection 
Bol mit dem Alten Ducchgefungen, 
Der Junge lernt es nun vom Alten, 
&o wird die fhöne Kunft ſtets neu erhalten. 


Aber Fauft Hört auf andere Töne. Ihm iſt's als hörte 


er einen Klang aus ſchoͤnen Kindertagen, einen Donner- 
ton, ber fein Herz im Innerften erzittern made, ein 
Geräufeh in den tiefen Bergesklüften: 
Wohin niemals der Strahl der Sonne dringt, 

(Und wo) geheimnißvoll der Geift des Lebens 

Mit jenen finftern Höllenmächten 

In angftvoll angefteengtem Kampfe ringt. 
Die Schilderung, die er. von ben auffhlagenden Flam⸗ 
men, den erbebenden Bergen, den zitternden Eichen, den 
zerfplitternden Zelfen und dem Eingelögefang dazwiſchen 
entwirft, iſt fo poetiſch, daß Mephiſtopheles ihn daran 


hubeleien gehalten. Der Beatf. ein aufeiitiget Cꝛreben, | 


die Erſcheinung Gregor's zu verſtehen und zu begreifen; aber 

i ichn teftantifhen Eifer in Bekanpfu 
5,0 au euhahham, rent ei 1 Beamte 
lich unproteſtantiſch ıft. 


Der Verf. ſtellt bar, wie der erſte öffentliche Schritt des 
Moͤnchs Hildebrand — daß er naͤmlich den vom Kaiſer Heinrich |. 


ten Leo bewog, ſich nicht eher als Papſt zu 
en is er "u Rom oh nah den Fee an — 


Zormen in geifilicher MWeife erwählt worden fei — fdon das 


Streben nad) Lodtrennung der Hierarchie vom Gtaate, nad 
Unabhängigkeit vom Staate beweife: „Das ganze fpäter 
mit folcher Gonfequenz entwickelte Syſtem der Hildebrand ſchen 
Theokratie ift hier ſchon im Keime enthalten“ (©. 182). Spaͤ⸗ 
ter kommt des Verf. darauf zurüd und ſucht in pfychologiſcher 
Weile darzuthun, daß wie im Mönd Yuguftinus der Refor⸗ 
motor Luther, wie im General Bonaparte ber KRaifer Napo⸗ 
leon, fo auch im Mönd) Hüdebrand der Papſt Gregor alarm 
mert. Gregor'd Plan in feiner MWollendung wird ( ». 191) 
angegeben in folgender Beiſe: „Unbebingtefte und vollftändigfte 
Seibſtaͤndigkeit der Kirche, d. h. gaͤnzliche Unabhängigkeit von 
jeder weltlichen Macht, volftändigfte Herrfchaft der Kirche 
uber den Staat, abfolute Monarchie innerhalb der ganzen 
über die Erde ausgebreiteten Kirche, d. h. mit andern Wor⸗ 
ten abierarchiſche Univerfalmonardien". Um biefen Plan durch: 
zuführen, habe Gregor nad drei Beiten hin operiren müffen. 
ꝓ„Zuerſt galt ed, innerhalb der Kirche die gefammte Pricefter- 
haft zu einer in ſich gefehloffenen, ſich als Eine Körperfhaft 
enden Mafie umzugeflalten, in ihr alle weltlichen Intereffen 
u ertöbten und nur das Intereſſe der gegliederten Hierarchie j 
Delaffen und zu fleigern, zugleich das Bewußtfein der Roth: 
wendigfeit einer monarhifhen Form diefer Hier: 
archie zu erzeugen. Als zweite Hufgabe wird aufgeftellt, die 
Hierarchie politifch frei zu machen. Diefe beiden Aufgaben feien 
aber nur die Vorftufen zur dritten: „das frühere Abhängigkeits- 
verhältniß, in welchem die Kirche zum Staat ftand, in das 
entgegengefegte umzuwandeln, ten Staat nur als Ausfluß der 
Kirche hinzuſtellen, die weltlichen Herrſcher als nur vom Bapfte 
wit ihrer Macht begnadigt, fo jedoch, daß biefer Papft über 
g. von Kaifern und Königen gerade fo verfügen Fünne 
wie über Abfegung von Bilhöfen oder ganz untergeordneten 
Geiftlihen. „Die Beitrebungen zur Erreichung der erften 
Aufgabe concentriren fih in dem Kampfe um das Eölibat; 
die der zweiten in dem Kampfe um die Inveftitur; bie ber 
beiten in dem Rampfe mit Heinrich IV.“ Mit befonderm 
Interefie beſpricht der Berf. die einzelnen Schritte, die Gregor 
that zur Demütbigung aller weltlihen Macht, wie Gregor z. 2. 
dem Könige Philipp I. von Frankreich erklärte, er werde ihm 
auf jede Weife das franzöfifche Reich entreißen, wenn er ihm 
Beine Reue zeige. Gregor's eigene Worte lauten (&. 203): 
„Die von Bottlofen erfundene geiftlihe Würde müffe 
der geiftlihen untergeordnet fein, welche Gottes Allmacht und 
Vorſehung zu feinem eigenen Ruhme negründet. Wer follte 
nicht wiffen, Daß die Könige und Fürften von ſolchen 
ihren Urfprung haben, welde in ihrer Gottlofig- 
" Beit duch Anmaßung, Raub, Treuloſigkeit, Mord, 
enug durch alle mögliden Verbrechen, während 
der Zeufel die Welt regiert, über ihres Gleichen 
Die Herrfhaft errungen?” &o fpricht der heilige Water 
. gu Rom. Es if ſer zu bezweifeln, ob die wuͤthendſten Jako⸗ 
biner während der franzoͤſiſchen Revolution ſich ftärker geäußert. 
Das Mefultat.dev Erfcheinung Gregor's gibt Ber Verf. in 
folgenden Worten an: . 
„Hüdebrand Gregor hatte das Papfſtthum de feiner Höhe 
erhoben. Er Hatte Könige und Kaifer in den Staub getreten, 
Fürften und Boͤlker der Kirche unterthan gemacht, bie Kirche 
ſelbſt aber, fie, die ihrer Idee nah die abfolutehe 
Republik iſt, zur abfolutefen Monardie umge. 
wandelt!” = 


Bibliagraphie. 


Dronke, E. Aus dem Voll. Frankfurt a. M., kitera 
rifche Anſtalt. 8. 1 hir. 10 Rgr. 

Droyfen, 3. G., Borlefungen über die Breipeitehriug. 
Ifter Theil. Kiel, Univerfitäts-Buchbanblung. Gr.8. 2 Zhk. 

Ehrenfreug, B. v., Handbud für Auswanderer nad 
Texas. Deraufgegeben nad Privatmittheilungen der Hrn. 8. 
SHmiß und G. Adward. Coblenz, Reif. 16. Rır. 

Hoertel, H., Thomas von Aquino und feine Beit, nah 
Kouron, Delecluze und den Quellen. Augsburg, Riga. 
&r. 8. 8 Nor. 

Linde, J. J. B. v., Berichtigung confeffioneller Mi: 
verftändniffe. Iſtes Heft: Auffaſſung des chriſtlichen Seligkeits: 
dogma's nad Fatholifchem und proteftantiichem Bekenntniſſe 
Ein Beitrag zur Betrachtung ber neueften kirchlichen Greig: 
niffe aus dem Standpunkte bes Rechts und ber Politik. Main, 
Kupferberg. Gr. 8. 17 Ror. 

— — berfelben. 2te8 Heft: Die Berechtigung ber qhtift 
lichen Kirche zum Korsichritte. Betrachtung der Cchrift des 
Hrn. Dr. 8. 4. Gredner „Die Berechtigung der proteftanti: 
fen Kirche Deutſchlands zum Zortihritt auf dem (Grunde da 


heiligen Schrift”. Mainz, Kupferberg. Gr. 8. 


15 Ror. 
Rorden, M., Ilmborft. Eine Skizze aus der —*— 
Hamburgs. Drei Theile. Leipzig, Wienbrack. 8. 3 The. 
Dettinger, E.M., Buch der Liebe. Ite ſtark vermehtr 
Auflage. Leipzig, Thomas. 16. I TIhlr. 10 Nr. 
Posern-Klett, C. F. v., Sachsens Münzen im Nit- 
telalter. Ister Theil: Münzstätten und Münzen der Stide 
und geistlichen Sifter.. Leipzig, Vogel, 4. 10 Thlr. DNgr. 
Smelzkop, E., Immen. (Plattdeutſche Gedichte.) Bram: 
ſchweig, Weſtermann. &r.S. 1Thlr. 
cheppenſtiddeſche ſtreiche in C-dur mit Fis-= 
for hoch⸗ und deipnaͤſige lüe. Braunſchweig, Weſtermen 
Gr. 8. 10 Rar. 
Shurnberg, Marie v., Die graue Schweſter. Zei 
Bände. Wien, Stoͤckholzer v. Hirfchfeld. 8. 2 Tpkr. 
Deutihe Bolksbücher, nach den älteften Wusgaben Berge: 
flelt von 8. Simrock. Mit Hol en Ko. 14: Fortu⸗ 
natus wit feinem Seckel une Binth ütfein. Frankfurt a. R., 
Brönner. 8. 59% Rer. 
— — derfelben Ro. 15: Eine fhöne Hifterie von König 
Apollonius. Frankfurt a. M., Brönner. 8. 21, Nor. 
— — derſelben Ro. 16: Eine leſenswürdige Hifkorie von 
Herzog Ernſt in Baiern und Defterreih. Frankfurt a. R., 
Brönner. 8. 3%, Nor. 


TZagesliteratur. 


Die wichtigſten Uctenftüde zur Geſchichte Der proteflonti: 
ſchen Bewegung unferer Tage. Berausgegeben und mit ern 
teenden Unmerkungen begteitet von Bruno Theobald, ker: 
sig, Mayer. Gr. 8. TY, Nor. 

Der Aufenthalt in Lithauen im Jahre 1836 und Ne I: 
ten Zage des Szymon Konarsfi. Cine hiſtoriſch begründete 
geräblumg. au, Verlags⸗ u. Sortimentäbruchhandiung- 

r. 8. r. 


- Harms, Vom Glauben an Jeſum Chriſtum, ben Sohn 
Gottes, na Joh. 9, 24—38. ine polemifche Predigt. Kid, 
Univerſitaͤts⸗Buchhandlung. 1845. 8. 3%, Nor. 

Dfter, P. 3., Deutfchlands Zion und die Halb «Luthers: 
ner. Oder: die gute Sache der evangelifh -Tufherifchen Kinke 
in Preußen, vertheidigt gegen ihre allerneueiten Siderſachet, 
die Bertreter des fogenannten „Luthertbums” innerhalb de 
Union. Berlin, Wohlgemuth. Er. 8. 22%, . 

Schnee zu Ofen! (im Jahre 1845). Cine Stimme Ge: 
te8 an unfere Zeit. Won einem Mitgliede Des Ichendigen Br 
— ber ganzen Chriſtenheit. Münden, Fran. 12. 

> gt. | 


Berantwortliger Herausgeber: Seinrich Dro&tans. — Dind und Berlag von GE. X. Brockhans in Reipzig. 


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Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





17. Zuni 1846. 





W. Prescott's Geichichte der Eroberung von 
Merico. 

History of the conquest of Mexico, with a preliminary view 

of the ancient Mexican civilisation, and the life of the 

eonquestor Hernando Cort&s. By Wüliam Prescott. Drei 


Bände. London 1843. 

Geſchichte der Eroberung von Merico, mit ciner einleitenden 
Beberficht des fruͤhern mericanifhen Bildungszuftandes und 
bem Keben des Eroberers Hernando Sorte. Bon William 
Drescott. Aus dem Englifchen überfegt. Zwei Bände. 
keipgig, Brodhaus. 1845. Er. 8. 6 Thlr. 

Es ift dieſes Werk die zweite Frucht ber während 
eines Iangjährigen Aufenthalts in Spanien begonnenen 
Studien Prescott's in dortigen Archiven und Bibliothe- 
ten. Bekennen wir immerhin, daß ber Gegenftand die- 
fee Werks wol nicht in dem Grade wie die „History 
of Ferdinand and Isabella“ der Individualität bes Verf. 
entfprechend gewählt iſt. Ihm ſtehen mehr glückliche An- 
fhauungen der Beftaltungen der Politik, Auffaffung der 
Poeſie des Lebens, Charakteriftit von eigenthümlichen 
Perſoͤnlichkeiten als firenge, fehrittweife fi) bemegenbe 
Borichungen zu Gebote, wie fie den Anfang dieſer Er- 
zäblungen eröffnen. Wir begegnen in legtern allerdings 
derfelben Eleganz wie in den Schilderungen des oben- 
genannten Werts, aber nicht derfelben allen Gegenftän- 
den fi anbequemenden Gewandtheit ber Darftellung, 
nicht ber Fülle von Lebensbildern, die dort den Leſer un⸗ 
willkuͤrlich umſtrickt. Mit dem hiſtoriſchen Hintergrunde 
fehlen der Foloffalen Scenerie der neuen Welt Erinne- 
rungen und verwandte Eindrüde, an welde ber Zu⸗ 
ſchauer die ihm vorübergeführten Bilder anreihen könnte. 
Der Mangel eines harmoniſch durchgebildeten Volks⸗ und 
Staatslebens in dem transatlantifchen Reiche kann nicht 
durch bie Anden und den Zauber der Tropenwelt erfegt 
werden. Dort eine bleibende Gonformität, nicht diefer 
Wechſel, die fharf ausgeprägte Individualität, der aus 
dem Verkehre mit gleichgebifdeten und im gleichen Rin- 
gen begriffenen Völkern erwachfende Schwung. Jene 


" Erfcheinungen liegen unferer Anfchauung ferner, und ob 


fie uns aud ein ebenfo lehrreiches als unterhaltendes 
Intereſſe entloden, heimiſch können wir uns nie unter 
ihnen fühlen. Andererfeits bricht auch hier die reiche 
Romantik, der jugendliche Ungeflum, die Fatholifch » vater 
Iändifche Begeifterung des Spaniers burch, ber, während 


in der Heimat bie Hand eines firengen Bern Gefege 
niederfchrieb, die Übertreter derfelben unerbittlich züchtigte 
und die nah allen Richtungen fi tundgebende Frei» 
heitsliebe des Volks zähmte und befchnitt, im Lande 
jenfeit de Oceans ein freies Felb für überfprubelnden 
Thatendrang fuchte und fand. 

In diefen Elementen bewegt fi ber Berf. mit un- 
nachahmlicher Leichtigkeit und die eben gemachten Bemer- 
tungen fonnten nur burch ben Vergleih mit einer Arbeit 


. hervorgerufen werben, die von derfelben Hand ausging. 


Daß beide Werke fo raſch nach ihrem Grfcheinen im 
Deutfhland eingebürgert find, bemeift von neuem, daß 
man fein Recht bat, von ber lÜberfegung unzäbliger 
feichter Eintagsfchriften Frankreichs auf den Geſchmack 
und bad Bedürfniß Deutfchlands zu fehließen. - Was 
aber die obengenannte Übertragung ind Deutihe an- 
langt, fo genüge die Bemerkung, daß der liberfeger, der⸗ 
felbe, welchem wir die Verbeutfchung ber „History of Fer- 
dinand and Isabella” verdanken, auf befondern Wunſch 
bes Verf. feine Arbeit anfertigte. 

Welcher unferer Lefer. bat nicht als Knabe beim Le- 
fen dee Campe'ſchen „Entdedung von Amerika” die volle, 
gefteigerte Spannung im Hoffen oder Beſorgen kennen 
gelernt? Mas ihn als Kinb in räume wiegte, was 
dann bei dem Eintritt größerer Lebensreife als Spiel 
ber Phantafie in den Hintergrund gefchoben wurbe, es 
tritt uns bier als Ergebniß ernfter Forſchung und mit 
dem Schmelz ber Poeſie, die das Gefchehene nicht um-. 
Fleidet, fondern aus ihm ausflrömt, abermals entgegen. 

Die von Solis ausgearbeitete „Historia de la con- 
quista de Mejico” hat fich allerdings auch weit außerhalb 
Spaniens eines großen Kreifes von Lefern zu erfreuen 
gehabt. Aber es ift nicht zu verkennen, daß fie an Kri⸗ 
tif ebenfo arm tft wie an felbfländigen Unterfuchungen,- 
und daß die Verbreitung derfelben zum großen Theile 
jenem glattpolirten Vortrage des Verf. zugufchreiben, 
ben man vielfach als Muſter fpanifcher Profa hingeſtellt 
hat. Steht aber Solis in diefer Hinfiht dem mit Gra⸗ 
zie und in jener Poeſie die bes künſtlichen Schmucks 
nicht bedarf fich bewegenden Stile Prescott's nach, fo 
hat Legterer überdies feinem Borgänger gegenüber ben 
gelehrten Apparat, die Benugung kritiſcher Specialunter- 
ſuchungen fpanifcher Forſcher, den großartige überblick, 


⸗ 


6“ 


die echt Lünftlerifche Vertheilung und Gruppirung des 


Stoffes voraus. Ihm war es vorbehalten, fi auf den 
reichen handfchriftlihen Nachlaß zu flügen, den Juan 
Mufoz und Vargas Ponce aus Urkunden und Quellen 
fchriften jeder Ast zufammengetragen und bei ber Real 
academia de la historia in Madrid niedergelegt hatten; 
er erfreute ſich bei feiner Arbeit der Mittheilungen bes 
um die biftorifche Kiteratur feines Vaterlandes fo hoch 
verdienten Navarrete; in der neuen unb alten Welt wur⸗ 
den ihm die Archive erfchloffen. 

Der Lefer wird den Worten des Verf. unbedingten 
Glauben ſchenken, daß bie einen großen Theil des erften 
Bandes ei ende Einleitung, welche fich über ältere 
Geſchichte der Mericaner und bie fittliche Bildung, wel⸗ 
che fie zur Zeit des Zufammentreffens mit Triegsluftigen 
&paniern einnahmen, verbreitet, ihm kaum ein geringeres 
Studium gefsftet habe als die nachfolgende größere Er⸗ 
zählung. Er ergeht fich bier auf einem, beſonders feit 
der Beröffntlihung ber Forſchungen Humboldt's reich 
bebauten, aber wenig ergiebigen Gebiete, das nicht ſowol 
ſichere Nefultate ale Stoff zu feharffinnigen Combina- 
tionen verheißt. Die meilten und wichtigften jener Mo- 
numente, welche bie Mittel zus Einficht in die ältere 
mericanifche Gedichte gewährten, wurden während ober 
kurz nach der Eroberung vernichtet, und wenn es bet 
neueſten Zeit vorbehalten iſt, Tempel und Palaͤſte, Städte 
und Grabſtatten, deren Conſtruction von einem durchge⸗ 
bildeten Sinne für Kunſt und Wiffenfchaft zur Zeit des 
Kaiſerthums Zeugniß ablegt, im Dickicht mächtiger Wal⸗ 
dungen zu entdecken, oder aus dem Schutt der Jahrhun⸗ 
derte hervorzugraben, ſo gewinnen wir in ihnen doch im⸗ 
mer nur einzelne Stationen für die Forſchung, ohne daß 
der ihnen vorangeguangene Zeitraum dadurch geſchichtlich 
erleuchtet würde. Aber übergehen durfte der Verf. dieſe 
Erörterungen nicht; zum richtigen Verſtaͤndniſſe der nach⸗ 
folgenden Erzählungen waren fie unumgänglich exfoderlich. 

Prescott beginnt das erſte Buch mit einer Schilde 
rung ber geographiſchen Berhältniffe bes mittlern Ame⸗ 
rida, die in ihrer Gedraͤngtheit und malerifhen Skizzi⸗ 


zung unwillfürlih au Malte⸗Brun erinnert umd, wie «6 


nicht anders fein konnte, zum größern heile auf dem 
unvergänglichen Werke Humboldt's beruht. Bann wen» 
bet er fi zu der Bevölkerung, ſchildert das aztekiſche 
Meich nach feinen Ständen, Gefegen und Finanzen, be- 
fpricht ben dortigen Cultus unb die Tempel, ben Stand- 
punkt der Wiffenfchaften und Künfte, Landbau, Handel 
und häusliche Gebräuche, und fchließt mit einer Überficht 
des Wlütelebens umb des allmäligen Sinkens bes Staats. 
Abgeſehen von ben zahlreichen dem Zerte beigegebenen 
Roten iſt jedem ber Abfchnitte eine Digreffion binzuge- 
fügt, in welcher die Quellen erläutert, verglichen, nad 
"ihrem Werthe gegeneinander abgewogen werden. Das 
zweite Buch umfaßt die Entdedung von Mexico und 
führt im Unfange ben Lefer auf ben Beben Spaniens 
zur Zeit des Megierungsantritts von Karl I. zuräd, als 
ba6 Bolt, im Bollgefühl feiner Jugend unb vom ritter⸗ 
Uchen Unternehmungsgeifte getrieben, nach Staͤtten au⸗ 


Eroberun 


ßerhalb des DBaterlandes fpähte, um die überfließenbe 
Kraft austoben zu laffen. Diefe verhieß die neuentdeckte 
Welt. Dahin trieb wen Drang nad Thaten oder Hab- 
fucht die Heimat zu eng finden lief. So erfolgte bie 
von Cuba, von wo aus hintereinander bie 
Züge nad) Yucatan fich erftredten. 

Hiermit treten wir in den Bereich der eigentlichen 
Aufgabe diefes Werks. Uber die Jugendzeit von Her⸗ 
nando Cortez, feine Fahrt nach Hispafola unb Cube, 
fein ſchwankendes Verhältniß zu Velasquez und feine 
erfte felbftändige Unternehmung zur See theilt Der Berf., 
welcher bei dieſem Gegenftande nicht ohne Vorliebe ver- 
weilt, manche bisher nicht bekannte Züge mit. Daß bie 
intereffanten Dentwürdigkeiten bes Bernal Diaz be Ca- 
ſtillo, deren Uberfegung ins Deutfche wir Rehfues ver 
danken (2 Bbe., Bonn 1838), hier wie bei den fpätern 
Mittheilungen bauptfählih zum Grunde gelegt find, 
wird der befondbern Bemerkung kaum bedürfen. Solche 
Berichte von Augenzeugen, welche jeden Eindrud friſch 
und ungetrübt wiedergeben und jede frembartige Erſchei⸗ 
nung mericanifchen Lebens im Spiegel europäifcher Be 
fittigung abftrahlen laffen, haben einen nie hoch genug 
zu veranfchlagenden Werth. Nur durch fie ift die Zu 
fammenfegung jener Moſaikbilder möglich, Die der Berf. 
fo finnig feinen Leſern entgegenhält. 

Bei Gelegenheit der am 19. April 1519 bei Ba 
cruz erfolgten Landung von Corte; gibt der Verf. md 
ein Mat eine Überficht des damaligen Zuftandes bes ar 
fifhen Reihe. Kein Band der Liebe knüpfte bas Bol 
an bie Regierung; Willtür, die immer dem nahen Ber 
derben als Bote voranfchreitet, vertrat das Recht; Mon⸗ 
tezuma fühlte fih größer und flärker ald Prieſter denn 
als Feldherr und Richter; die Natur ſprach in Wundern 
und ber Menfch deutete Diefe auf den bevorſtehenden Un- 
tergang bed Reichs. Bei biefer Gelegenheit Heft «6 
ebenfo wahr als jhon: 

Thus it heppens in those great political cenvalsions 
which shake the foundations of society, the mighty evenis 
that cast their shadows before them in their coming. Then 
it is that the atmosphere is agitated with the low, prophe- 
tic murmurs, with which nature, in the mozal as in täe 
physical world, announces the march of the hurricane? 

When from the shores 
And forest-rustling mountains cames a voice, 
That, solemn sounding, bids the world prepare! 

Und eben jegt erfolgte bie Landung ber unheimlichen 
Abenteurer aus bem unbelannten Weſten, bie Grund 
legung für die erfte chriftliche Stadt, ber Abſchluß eine 
Bündniffes zwifchen ben Fremden und mächtigen, dem 
mericanifchen Reiche feindfeligen Stämmen , dann de 
Marſch ber Erftern gerade auf die Refidenz Montezumai. 

(Der Beſchluß folgt. ) 





Goethe's Werke. Exrflärungen von Konrad Schwend 
Frankfurt a. M., Sauerländer. 1845. B. 224 By. 
Es thut wohl, inmitten bes wüflen Partei vis, dei 
fi je ana ie ehr um Soethe's Sn —— * uf 
eine Wußerung unbefangener und unverkuͤnſtriter Pietät a 


- nt. 


Er EEE EHRE nu — 


er 


n. Der Berf. des vorlisguaden Bude: erklärt Sache nicht 


ur für den beiweitem größten Dichter der legtern Zeit und. 


überhaupt der Deutfchen, fondern auch für den Deutfcheften der 
deutſchen Dichter. „Als diefes deutſche Weſen“, fährt er fort 
(&. Vi), „erſcheint bei Goethe die Einfachheit und Der _fchlichte 
Yusdeud, der prunlenden Phraſen fern bleibt, das Gemüth, 
weiches immer marm, felbft fentimental, Do nie der weiner⸗ 
lichen Schwäche verfaͤllt, fondeen Heiterkeit liebt, ein gewifier 
Grad von Derbheit ohne alle Bosheit und allen Reid, ein tref- 
fender, behaglücher Witz, ber nicht eitel fpielt und nad Flit⸗ 
tern haſcht, ein Harer gefunder Verſtand, der fi) durch nichts 
beireen läßt, und eme Phantafie, welche kraftvoll und ficher 
wirft und nie in das Maßloſe, Nebelige, Berflofiene hinaus⸗ 
ſehweift in kranker Ausartung.” Und weiterhin heißt es: „Die 
Srwedung alles Bollsthümlichen in Poeſie und Kun ver- 
dankt Deutfchland Keinem in gleichem Grabe wie Goethe, 
der ſtets der Natur getreu in das deutſche Lied bie einfache 
Sprache des Gefühls ftatt der breiten Rhetorit ded Gedankens 
einführte, ber zuerft wieder Freude an gothiſcher Baukunſt 
hervorrief und baburch, daB er wirkliches deutſches Weſen dar: 
ſtellte, es wieder zu beſſerm Berwußtfein brachte.“ Um nun 
die Hinderniſſe, welche der allgemeinen Ausbreitung dieſer Wir⸗ 
kungen zum Theil noch immer im Wege ſtehen, auch ſeinerſeits 


wegräumen zu belfen, veröffentlicht der Berf. dieſe „Erklä⸗ 


zungen”. Denn freilih will es "einem großen Theile des Pu⸗ 
blicums noch immer nicht gelingen, in, Goethe auf: Diefelbe 
Weiſe Heimifch zu werden wie man es feit langer Zeit in Schil⸗ 
ler ift. Und zwar entfpringt dies nicht daraus, daß fein In» 
halt uns zu fern ftände, fondern es bat feinen Grund im Ge» 
gentheil darin, daß er uns zu nahe liegt. Goethe führt uns 
faſt nur innere Schickſale vor, dergleichen in ſich felbft zu er: 
fahren die Wenigften Zeit haben ober auf die fie wenigſtens 
oom braufenden Strome des Lebens betäubt nicht hinhorchen 


“ Binnen. Hieraus ergibt fi fogleich die Aufgabe Deflen, ber 


ihn und näher zu rüden wünfht. Er muß ihm dadurd, daß 
er und zu einer gewiſſen flilen Einkehr in und felbft veran⸗ 
Laßt, überhaupt erft eine Stätte zu bereiten und alddann das 
Einzelne in ihm, was wir und nicht fogleich aneignen. koͤnnen, 
auf geſchickte Weiſe an bie allgemeinften Menſchenſchickſale an⸗ 
zuknuͤpfen und als ihre wahrfte und tiefſte Darſtellung zu ent⸗ 
wideln viffen. Hierin aber verſehen es Die meiften Erklaͤrer 
Soethe'5 gar fehr. Es ift Mode geworden, bei der Beſpre⸗ 
Kung Goethe’ immer gleich daB Weſcn des dichterifchen Ge: 
nius überhaupt zu erörtern und folhergeftalt Alles in ihm auf 
die letzten Principien der Runftphilofophie oder mas man dafür 
hält zurüdzuführen. Freilich ift dies Derfaheen bur ihn 
felbſt veranlaßt; er laͤßt uns einen Blick in die Okonomie ſei⸗ 
ned Geiſtes thun, wie er und bei keinem andern Dichter mög: 
lich iſt; auch find feine Gedichte Momente feines innern Lebens 
in einem Sinne, der ſonſt nicht leicht vorkommt. . Aber mit 
folgen Betrachtungen ift Dem, welcher nur vorerft in Goethe's 
Werke eingeführt werben fol, nicht gebolfens fie wollen ihn, 
um einen oft gebrauchten Gegenfag zu wiederholen, in die tie 
fere Erkenntniß einer Sache einführen, die ihm noch nicht ein» 


- mal im wahren Sinne bekannt ifl. Statt ihn dazu anzuleiten, 


die einfache Unmittelbarkeit der Werke als folder in fich zu 
realifiren, wird ihm eine Doctrin über die angeblichen Grund» 
elemente derfelben aufgebrungen, weiche ihm die Werke felbft 
um fo mehr zuwider maden muß, je mehr er mit gefundem und 


frifhem Sinne für Poeſie begabt iſt. Wir find auf dem beften. 


Wege, aus der redlichften Abficht von der Welt Goethes Werke 
auf eine ganz ähnliche Weiſe zu mishandeln, wie von einer 
gelten pbilofopbifchen Schule, Die aber nur zum beflimmten 

usdrude gebracht hat, was bereits in vielen Köpfen fpußte, 
die antike Tragödie mishandelt worden if. Man denke an. die 
„Antigone“, die wenigftend für Mef. durch endloſe Eroͤrterun⸗ 
gen über ben Gegenfah von Staat und Bamilie, ber in ihr 
behandelt fein follte, auf längere Zeit zu einer geſpenſtigen Ab⸗ 
ftraction abgetödtet war umb erſt durch die ſceniſche Darftellung, 
mit der big übertriebene Wichtigthuerei mit dem Stücke ihre 






5 aus ſich Telkft arzeugt hatte, zu vallem Beben wie⸗ 

dererwedt iſt. | 
Die Betrachtungsweiſe, welcher Hr. Schwenck Goethe's 
Werke unterwirft, iſt eine unbefangene. Micht als ob er 
fih nicht am jenen Berfuchen einer ticfern Auffaſſung ges 
ſchult und was fie Brauchbares enthalten fich angeeignet hätte. 
Die Ummittelbarkeit feines Standpunftes beruht nicht auf ei» 
nem Mangel an Sinn für die monnichfaltigen Bermittelungen, 
die hier verfucht worden find, fondern fie hat diefe dDurchger 
macht und ſich aus ihnen wieberhergeftelt. Aber er begnügs 
fih damit, den einfachen Inhalt, den er in den einzelnen Wer⸗ 
Ten erblidt, ohne polemifche Seitenblicke oder philofophifche Con⸗ 
ftruction irgend einer Art in finniger Reproduction darzuſtel⸗ 
len. So beißt es z. B. über „Werther”, &. 20: „«Werther's 
Leiden» find als der Vorläufer zu « Bauft» zu betrachten, denn 
fie fchildern den Auftand ber Seele, wann fie ohne einen genk- 
genden Zweck ihrer Thätigkeit zu finden in fich erkrankt und 
dadurch in träumerifche Grübeleien über fi und das Leben 
verfällt, von Durſt erfüllt nach einem Etwas, welches ihr 
fhmerzlihes Heimweh ftile und mit beflimmter Geftalt und 
friihem Odem die ncbeihaft verfchwimmenden und immer wie⸗ 
derfehrenden Schemen der Träume verfcheuche. Zeiten, mo 
das Eirchliche Leben nebſt dem pelitiihen und Bürgerlichen un- 
genügend geworden ift, fodaß die Seele vereinfamt, ohne ſich 
in genügender und erfreulicher Ihätigkeit nach außen wenden 
zu koͤnnen, find, wenn nicht die Geftaltung eines neuen Lebens 
die Geifter mächtig aufrüttelt, folder trüben fentimentafen 
Stimmung günftig. Gerade ein folder Zuſtand gibt ber Lei⸗ 
denfchaft der Kiebe, als dem Ginzigen, was unmittelbar mit 
gewaltiger Kraft das Herz ergreift, ohne irgendwie von Ver⸗ 
bältniffen abzubängen, einen um fo bedeutendern Spielraum, _ 
als dieſe Leidenfchaft voll Begeifterung ift oder vielmehr diefer 
angehört und einen idealen Inhalt darbieter, welcher. fonft 
überall mangelt.” Freilich koͤnnen wir dem Verf. nicht in al 
len Punkten Recht geben. - Vom „Egmont“ behauptet er, die 
Idee und der innerſte Gehalt diefes Trauerſpiels fei das Mär: 
tyrerthum für die Freiheit. Damit möchte es aber doch eine 
ar zweideutige Bewandtniß haben. Wir dürfen hier wenig⸗ 
ns nicht ohne weitere an die politifihe (republifanifche ) 
Breibeit denken, zu deren Erkimpfung die Riederlande aller 
dings zum Theil durch Egmont's Hinrichtung veranlaßt wor⸗ 
den find. Die Verfechter einer folchen haben ſich wegen dieſes 
Stüdes bei Goethe ganz und gar nicht zu bedanken; er macht 
in demfelben fo wenig eine Ausnahme von dem Verhalten, daB 
ee gegen das Streben nach berfelben au beobachten pflegt, daß 
man ed vielmehr ald das allerdeutlichfte Document deſſelben 
betrachten kann. Das politifche Freiheitöftreben der Nieberlän« . 
der und feine Außerungen find bei Goethe einerfeits nur die 
Veranlafiung zu dem Schickſale Egmont's, andererfeits eine 
los zufällige Folge deſſelben; Egmont's eigenes Jntereſſe ober 


die leitende Idee feines Handelns ift ed auf Feine Weife. Des 


Inhalt des Stud ift nichts Anderes ald ber Zuſammenſtoß 
einer böchfk glücklichen Perſoͤnlichkeit, die gewohnt ift, daß ſich 
überall Götter und Menfchen vereinigen, um ihren Lebenspfad 
mit Blumen zu beftreuen, mit einer Falten unb ihrem magi⸗ 
ſcher Einfluffe unzugänglichen Realität. Es iſt unrichtig, ben 
Herzog Alba, wie der Verf. thut, als einen boshaften Schev⸗ 
gen der Tyrannei zu betrachten; er ift nichts als einer jener 
unerbittlich durchgreifenden Männer der Praxis, bergleichen 
Goethe in faft allen feinen Werfen ben idealer geſtimmten &e- 
mäthern zur Seite geftellt bat. Die Breiheit, bie Egmont 
ſelbſt hochhaͤlt, ift Beine andere, als daß es ihm als geiſtreichem, 
hochgeſtelltem, begütertem Manne vergönnt fein möge, fi 
ungehindert auszuleben — bie Freiheit der fhönen Individua⸗ 
lität, die man haufig als Goethe's Pathos bezeichnet und als 
Uußerung eine feinen Ariſtokratismus hart getabelt hat. Dee 
Traum Egmont's und die Worte, mit welchen er dem Tode 
entgegengebt, find Feine Widerlegung biefer Uuffaffung bes 
Stud. Es gehbrt eben nur zu Egmont's g hem Zem⸗ 
perament, daß ihn nicht der Gedanke, durch behagliche Sorg⸗ 


loſigkeit ſelbſt ine Rep gegangen zu fein, iſch niederſchlaͤgt, 
ſondern daß ihm 34 die guten Folgen einfallen, die ſein 
Untergang haben kann, daß nämli das Volk dadurch aus 
feiner Bird gilkigfeit und Unentfchloffenheit aufgerüttelt wer- 
den wird. Und daS er dem Gange des Stückt nach Urfadhe 
bat, fo zu denken, damit ift doch auch dem Molke gang und 
gar Bein Sompliment gemacht. Wie Tann man heutigen Tages 
mit einer Bevdlkerung fompatbifiren, die fi von den Be- 
deüdern aus „Haus und Bett" vertreiben läßt und nur erſt 
zu ben Waffen greift, da ber Angeiff „einen folgen Bann‘, 
einen hoben Adelige, einen Ritter bed goldenen Bließes trifft 3 
Die Beit, in welcher bad Stück entftanden ift, verbietet uns, 
eine eigentlich politifche Tendenz in demfelben zu ſuchen, aber 
weiche paflenbere Wendung hätte Goethe wählen können, wenn 
es ibm darauf angefommen wäre, uns das fabula docet auf: 
zudraͤngen, daß binter dem Wreiheitsftreben des Wolke im 
runde wenig feit Können wir alfo der Anfiht des Berf. 
über „Egmont“ nicht beiftimmen, fo find und dagegen die Be⸗ 
teachtumgen, welche er an die „Sphigenia” knuͤpft, defto will» 
fommener gervefen. Sie zeichnen ſich befonderß durch die Um- 
ſtaͤndlichkeit aus, mit der fie auf das zarte Verhältniß einge 
. ben, in welchem ber König zu der Yriefterin fteht. „Es liegt”, 
fagt der Berf. S. 75, „etwas wahrhaft Nührendes darin, eis 
nen fo vorzüglihen Mann, dem als Barbaren im Barbaren- 
ande, nad unferm eigenen Gefühle, Iphigenia nicht angehören 
Bann, weil fie der edlern Menſchheit angehört, eine fo edle 
Leidenfchaft vergeblich nähren zu fehen, zu fehen, wie er, ba 
feine Söhne erſter Ehe im Kampfe gefallen waren, dem Alter 
verlaffen und einfam entgenengeht und feinen Thron verwaifen 
fieht. So wie die Herrlichkeit Iphigenia’8 durch ihre Wirkung 
auf einen folden Mann arößer erfcheint, als würde ein Süng: 
ling davon ergriffen, fo ift auch das Loos des Thoas rühren: 
der als e6 das eines Jünglings fein würde, da die Leiden der 
Iugend durch bie Zeit und Fülle des Lebend vernarben.” Auch 
die moraliſche und äfthetifche Nechtfertigung der Lüge des Py⸗ 
lades (&. 73) iſt fehr glücdlich zu nennen. Um wenigften ift 
ber Berf. mit ber „natürlichen Tochter‘ zufrieden. Wir rathen 
Jedem, der ein ernſtes Intereffe an Goethe nimmt, den Tadel, 


ben Hr. Schwenck gegen diefes Stüd ausfpricht, im Einzelnen, 


zu verfolgen: folte derſelbe auch nicht überall unwiderieglich 
fein, ja vielleicht felbft an den allgemeinften Gefichtöpuntt, von 
welchem aus der fremdartige Charakter des Stuͤcks erklärt wer: 
den muß, vorbeigehen, fo firirt er doch die Frage nach dem 
Werthe deffelben auf viel beftimmtere Weiſe ald andere Be: 
fpreungen deflelben. 42, 





Die Klugheit Der Obrigkeit in Anordnung 
des Dierbrauens 


it der Name einer Operette, welche im Mai 1705 von den 
Schülern der Landesfcyule zu Arnftadt- aufgeführt und in bem 
diesjährigen Dfterprogramm des Dortigen Gymnafiums von bem 
Director Pabſt theild im Auszuge, theils wörtlich abgedruckt 
und mit einigen Erläuterungen verſehen worden iſt. Verfaſſer 
des feltfamen Werkleins ift wahrfcheinlich der damalige Rector 
Johann Friedrich Treiber; die dazu gehörige Muſik ift nicht 
mit- erhalten, was als ein wirklicher Verluſt zu betrachten ift, 
- da fie hoͤchſt wahrfcheinlih von dem großen Sobann Sebaftian 
Bach herrührte, welcher von 1704— 7 Organiſt in Arnſtadt 
war. Es verdient aber die Veröffentlihung diefer auch von 
Hoffmann von Fallersleben fchon gelegentlich erwähnten Ope⸗ 
rette um fo mehr Dank, als fie in mehr als einer Beziehung 
von nicht unerheblihem Interefie ift. Zuerſt in fprachlicher Be: 
ziehung: es bedienen fi nämlich alle Perfonen niedern Stan: 
bes der provinziellen Mundart, und fo haben wir hier eins 
der wenigen Beifpiele, wo uns bie Literatur jener Beit mit 
ber lebendigen Voiksmundart bekannt macht; der Herausgeber 
bat deshalb fehr wohl daran gethan, gerade diefe Auftritte 
vollftändig abdruden zu laſſen, welche eine fehr fcharf ausge» 


Berantwortlicher Beraudgeber : 


prägte Probe ber Mundart niet ohne einige kat. 
liege Befonderheiten geben. j 

Ein anderes Intereffe iſt das dramatiſch⸗ äfthekifdye, und 
bier macht es einen eigenthämlih komiſchen Eindruck, den faR 
niedrigen Gegenftand ganz und gar in der fleifen Form ber 
italientfchen Bier, wie fie damals an den deutfchen Höfen 
berrfchte, behandelt zu jeben) ugleich zeigt ſich Die gelchri-pe 
dantifche Manier des alten Gäulcerters in den Eun la: 
teinifchen Namen, die er für feine verfchiedenen Perfonen ge 
fhöpft Hat, als: Saporius ein —A Hauſticanus ein 
Bierſchroͤter, Mendaculus ein Bierrüfer, Bibifempria eine Bier⸗ 
zaͤpffrin, Mirtonius ein Braumeiſter. Bon einer eigentli 
geſchloſſenen Handlung bes Stücks ift nicht die Rede, fondern 
ed befteht nur aus a — en Bwiegefpräden berjenigen 
Perfonen, welche bei dem ftädtifchen Brauweſen irgendwie be 
theiligt find, deſſen Trefflichkeit durch daB ſchließliche Auftreten 
eines betrunfenen Bauern praktiſch erläutert wird; das Ganze 
endigt mit einer Arie zu Arnſtadts und feines Bieres Lobe 
Endtin ift an dieſer Bierpoefie die fittengefchichtliche Geite 
nicht zu überfeben: ſchon die Wahl des Stoff, wenn auf 
bieeict eine keife Ironie bei derfelben obgewaltet Haben dürfte, 
legt demfelben eine Wichtigkeit bei, welche der bairifchen Haupt: 
ftabt nicht unwuͤrdig wäre; wer in die Einzelheiten bes Gtoft 
eindringen wollte, würbe demfelben noch manche genaue Rad: 
richt über die damalige Einrichtung der Brauereien und übe 
die befondern Verhältniffe Arnjtadts entnehmen Tonnen. Hier 
endlich noch einige Proben. Der Stadtvogt fingt folgendes Re: 
citativ : 

Geſetzt, wir liefen Hier gany leichte Biere brauen, 

So wärde mann jebody viel volle Zapfen ſchauen. 

Drämb, wenn durch Voͤllerei ein böfer Fall geſchicht, 

So iſt ed gar nicht ftarden Bieren, 

Noch au ber Obrigkeit, zu imputiren, 

Denn dieſe billigt ja Erin trunden trinden nidt. 

BSielmehr beftraffet fie den Mißbrauch Harder Traͤnke, 

Und das daher entſtand'ne Wordgezänte. 

Ich ſage gar, daß mann in einer Stadt 

Das ſtarcke Bier ſehr hoch vounoͤthen hat. 


Arie der Bierſchroͤter: 

Mi fin zway Schröter ohne Haͤrner. 
Dn fin of & genannte Selb 

Zum Saffte der gebrouten Kärmer 
Bon huher Obrigkeit beſtellt. 

Mi moßen droyerlay verroͤchte: 
Mi ſchaͤpfen Bier, mi ſchrutens fort; 
Bum Ohmen loͤßt me ons verpfloͤchte. 
Me dienen troilich da on dort. 

Domaͤts noch fall an Boiten faͤhle, 
Wenn faͤßig Bier zu ſchaͤpfen oͤs, 

Su moßen mi ons fertig haͤhle, 
Su ſin die Schaͤpfer ſtaͤts gewoͤß. 
Aus der Schlußarie: 

Werthes Arnſtadt! deine Belder 
Krönet Sott mit Fruchtbarkeit, 
Welche bir viel But und Selder - 
Bel der ſchoͤnſten Nahrung beut. 
Deine fetten Biere prangen, 

&o, daß fie in weiter Welt 
Den verdienten Ruhm erlangen, 
Der zugleih auf big mit faͤllt. 

Drümb laß viele Lobgefänge 

Deined Dandied Zeugen fein. 

Denn Barmhertzigkeit die Mänge 

Schencket bir ber Hoͤchſte ein. 

‚Der vermehre deinen Segen, 

So Eannft du in fliler Ruh 

DIE mit fetten Traͤncken pflegen, 

Und Iobfingeft Gott bazu. 4. 


Heiurih Bro@pand, — Druk und Verlag von F. ME. Brockhaus in Reipzig. 





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. 


Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Donnerstag, 


r. 169, —— 


18. Suni 1846. 


I ⸗ ⸗ 


W. Prescott's Geſchichte der Eroberung von 
Mexico. 
(Beſchluß aus Nr. 68.) 


Auch wer den Erzählungen eined Humboldt gefolgt 
ift, fühle ih durch die malerifhen Schilderungen hinge⸗ 
siffen, welche ber Verf. von ber tierra caliente und ber 
tierra templada entwirft, wenn er die Spanier, welche 
auf Höhen und in Tiefthälern, die fie durchwanderten, 
das Zeichen des Kreuzes zurückließen, bas Tafelland hin- 
aufgeleitet. Geſtaͤrkt durch bie Einigung mit der Re— 
yublit Tiascala, deren politifches Leben und frühere Ger 
ſchichte hier einer befondern Erörterung unterzogen wird, 
ſcheute Eorteg den Kampf mit der Rieſenmacht der 
Gegner nicht und erftritt den Sieg. Da öffnete fi 
ihm das Thal von Tenochtitlan, die Blide ruhten auf 
Waldungen, Saatfeldern und Blumengärten, und aus 
der Mitte des mwogenben Sees erhob fi, von Dunkeln 
Porphyrgürteln des Gebirge überragt, "die funkelnde 
Kaiferftadt. 

In the centre of the great basin were beheld the la- 
kes, occupying then a much larger pertion of its surface 
than at present; their borders thickly studded with towns 
and bamlets, and, in the midst-like some Indian empress 
with her coronal of pearls, the fair city of Mexico, with 
her white towers and pyramidal temples, reposing, as it 
were, on the bosom of the waters; the far-famed „Venice 
of the Aztecs“. 

Es bedurfte der ganzen Perfönlichkeit des kuͤhnen 
Führers, feiner Bitten und Drohungen, um den Muth 
der Heinen Schar für das bevorftehende Wagen aufrecht 
zu erhalten. In des Kaifers Burgpalaft aber walteten 
Zwietracht und vage Unfchlüfligkeit, die Drakel verſtumm⸗ 
ten, und an ber Hülfe von Menfchen und Göttern ver- 
zweifelnd erniedrigte fi der Stolze, die Eindringlinge 
perfönlih in feine Reſidenz einzuladen. 

Wenn die Spanier jener Zeit ſchon Tlascala mit 
bem prächtigen Granada vergleichen, fo hält es ihnen 
ſchwer, einen Mafftab für die Schilderung Mericod zu 
gewinnen. Breite, gepflafterte Straßen in endlofer Länge 
mit feſtgemauerten, zum Theil mit Marmor befleibeten 
Häufern, deren flache Dächer den Anblick von faubet 
gezierten Blumenbeeten boten; Marktpläge,- dreifach fo 


groß wie der zu Salamanca, mit Säutenhallen umgeben, 
maͤchtige Tempel, auf deren Kuppe das Heilige euer lo⸗ 
derte; Bazare, in denen, wie in ber Levante, Waaren 
jeder Art, jedoch nie in bunter Miſchung, aufgefihtchtet 
lagen ; zahlreiche, bie Straßen durchſchneidende Kanäle, 
welche mit Barken bebeckt waren; uͤberall in biefem Ve⸗ 
nedig der neuen Welt Wohlftand, Reinlichkeit und eine 
Dichtgedrängte Bevölkerung. 

Und in diefer Fülle feiner Macht, in einer Stabt, bie 
über 60,000 Wohnungen zählte, fah fih Montezuma 
von bem verwegenen Fremden ergriffen, feiner Freunde 
und Schaͤtze beraubt, einem ſchweren Gefangenen gleich 
behandelt, endlich gezwungen, ber Krone Spanien ben 
Lehnseid zu leiften und die Abhaltung des hriftlichen 
Gottesdienftes in den Trocallis zuzugeben. 

Unter diefen. Umftänden Eonnte eine allgemeine Sthilb- 
erhebung ber aztekifchen Bevölkerung, in Zolge welcher 


die Hauptftabt von den Spaniern geräumt werben mußte, 


nicht unerwartet fommen. Die Erzählung von den Bier: 
aus fich ergebenden Kämpfen bes Meinen chriftlichen Hee⸗ 
res mit den Städtern und ummeohnenden Stämmen, bet 
dreimonatlihen Belagerung und endlichen Unterwerfung 
Mericos nimmt das ſechste Buch ausſchließlich ein. Der 
Berf. beklagt den Sturz eines Reichs nicht, das fo wer 
nig für das Glück feiner Unterthanen gethan hatte; er 
iſt der Anſicht, daß die bei den Azteken vorgefundene . 
Bildung nicht in ihnen felbft ſich entwidelt habe, ſon⸗ 
dern ber kümmerliche Abglanz eines untergegangenen 
Stammes ſei, über welchen fich die Azteken ausbreiteten; 
aber er iſt weit davon entfernt, bie Kampfführung ber 
Spanier und die Mittel, deren fie fih zur Erlangung 
bes Siegs bebienten, —A zu wollen. Ein gro⸗ 
Ger Theil ber prächtigen Hauptſtadt war während ber 
Belagerung in Trümmer gelegt; jest fah ntan Indianer 
mit dem Wiederaufbau von Gaffen und Märkten befchäf- 
tigt. Es war das Machtgebot bes, trog ber Initriguen 
feiner Widerfacher, von König Karl I. zum Statthalter 
über Neufpanien ernannten Cortez, welches fie dazu trieb. 
An die Stelle des Haupttempels des aztekiſchen Kriegs⸗ 
gottes trat die dem heiligen Franciscus geweihte Kathe⸗ 
drale, der bie zertrümmerten Gögenbilber als Grunblage 
dienen mußten; auf dem Hauptmarkte ließ Cortez feinen 
Palaſt, das nachmalige Schloß der Vicelönige, auffüh- 


loſigk angen zu frin, moraliſch niederſchlaͤgt, 
ſondern daß ihm ſogleich die guten Folgen einfallen, die ſein 
Untergang haben kann, daß nämlig das Volk dadurch aus 
ſeiner ——6 und Unentſchloſſenheit aufgeruͤttelt wer⸗ 
den wird. daß er dem Gange des Stücks nad Urſache 
bat, fo zu denken, damit iſt doch auch dem Wolfe ganz und 
gar Bein Sompliment gemacht. Wie kann man heutigen Tages 
mit einer Bevölkerung ſympathiſiren, die fih von den Be 
drüdern aus „Baus und Bett‘ vertreiben läßt und nur erft 
zu ben Waffen greift, da der Ungeiff „einen ſolchen Mann”, 
einen hoben Adeligen, einen Ritter des goldenen Bließes trifft? 
Die Zeit, in welcher das Stück entflanden ift, verbietet ung, 
eine eigentlich politifcye Tendenz in demfelben zu fuchen, aber 
welche paflendere Wendung hätte Goethe wählen Eönnen, wenn 
ed ibm darauf angefommen wäre, uns das fabula docet auf: 
zudrängen, Daß Binter dem Pfreiheitöftreben des Volkes im 
Srunde wenig feit Können wir alfo der Unficht des Verf. 
über „Egmont‘ nicht beiftimmen, fo find und dagegen die Ber 
trachtungen, welche er an die „Iphigenia“ Enüpft, deſto will: 
kommener gewefen. Sie zeichnen ſich befonders durch die Um⸗ 
ſtaͤndlichkeit aus, mit der fie auf das zarte Verhaͤltniß einge: 
. ben, in welchem der König zu der Priefterin fieht. „Es liegt”, 
fagt der Berf. S. 75, „etwas wahrhaft Nührendes darin, eis 
nen fo vorzüglichen Mann, dem als Barbaren im Barbaren- 
lande, nach unferm eigenen Gefühle, Iphigenia nicht angehören 
Tann, weil fie der edlern Menfchheit angehört, eine fo edle 
Leidenfchaft vergeblich nähren zu ſehen, zu ſehen, wie er, ba 
feine Söhne erfter Ehe im Rampfe gefallen waren, dem Alter 
verlaffen und einfam entgegengebt und feinen Thron vermaifen 
fieht. &o wie bie Herrlichkeit Iphigenia’d durch ihre Wirkung 
auf einen folhen Mann arößer erfcheint, als würde ein Juͤng⸗ 
ling davon ergriffen, fo iſt auch das Loos bed Thoas rühren- 
der als e6 das eines Juͤnglings fein würde, ba die Leiben der 
Jugend durch die Beit und Fülle des Lebens vernarben.” Auch 
die moralifhe und äfthetifche Rechtfertigung der Lüge des Py⸗ 
lades (&. 719) ijt ſehr glüdlih zu nennen. Am wenigften ift 
der Verf. mit der „natürlichen Zochter” zufrieden. Wir rathen 
Zedem, der ein ernftes Intereffe an Goethe nimmt, den Kabel, 


eit (HR. 06 Net 


ben Hr. Schwend gegen diefes Stück ausfpricht, im Einzelnen 


zu verfolgen; follte derſelbe auch nicht überall unmiderleglich 
fein, ja vielleicht Fand an den allgemeinften Gefichtspuntt, von 
welchem aus der fremdartige Charakter des Stüds erklärt wer⸗ 
ben muß, vorbeigehen, fo firirt er doch die Frage nach dem 
Werthe deffelben auf viel beftimmtere Weife als andere Be: 
fpredungen deffelben. 42, 





Die Klugheit der Obrigkeit in Anordnung 
des Bierbrauens 


ift der Name einer Operette, welche im Mai 1705 von den 
Schülern der Landesfchule zu Arnſtadt aufgeführt und in dem 
diesjährigen Dfterprogramm des dortigen Gpmnafiums von dem 
Director Pabſt theils im Auszuge, theild wörtlich abgedrudt 
und mit einigen Erläuterungen verfehen worden ift. Verfaſſer 
bed feltfamen Werkleins ift wahrfcheinlich der damalige Nertor 
Johann Friedrich Treiber; die dazu gehörige Muſik ift nicht 
mit- erhalten, was als ein wirklicher Verluft zu betrachten ift, 
- dba fie hoͤchſt wahrfcheinlich von dem großen Johann Sebaftian 
Bach herruͤhrte, welcher von 1704— 7 Drganift in Arnſtadt 
war. Es verbient aber die Veröffentlichung dieſer auch von 
Hoffmann von Fallersleben fchon gelegentlich erwähnten Ope⸗ 
vette um fo mehr Dank, als fie in mehr als einer Beziehung 
von nicht unerheblichen Interefie iſt. Zuerſt in fprachlicher Be: 
ziehung: es bebienen fid) nämlich alle Perfonen niedern Stan: 
bes der provinziellen Mundart, und fo haben mir hier eins 
der wenigen Beifpiele, wo uns die Literatur jener Beit mit 
ber lebendigen Voiksmundart befannt macht; der Herauögeber 
hat deshalb ſehr wohl daran gethan, gerade Diele Auftritte 
volftändig abdruden zu Laffen, welche eine fehr fcharf ausge: 


Berantwortlicher Herausgeber: 


prägte Probe der thuͤringiſchen Nundart nicht ohne einige Iet- 
le Befonderbeiten geben. " 

Ein anderes Interefie if das dramatifch » äfthetifche, und 
bier macht es einen eigenthuͤmlich komiſchen Eindruck, den fo 
niedrigen Gegenftand ganz und gar in ber fteifen Form ber 
italtenifchen Dort ‚ wie fie damals an ben beutfchen Höfen 
berrfchte, behandelt zu ſehen; zugleich zeigt fich die ne Zu 
Dantifche Manier des alten Chulrertors in den kun la⸗ 
teiniſchen Namen, die er fuͤr ſeine verſchiedenen Perſonen ge⸗ 
ſchoͤpfti hat, als: Saporius ein Beide, Hauflicanus ein 
Bierfhröter, Mendaculus ein Bierrüfer, Bibifempria eine Bier: 
zäpffein, Mirtonius ein Braumeifter. Bon einer eigentliden 
geſchloſſenen Handlung des Stücks ift nicht die Rede, fondern 
es befteht nus aus mannidfaltigen Swiegefpräden Derienigen 
Perfonen, welche bei dem ftädtifhen Braumelen irgendwie be- 

iligt find, deffen Trefflichkeit Durch daß ſchließli 
eines betrunfenen Bauern praktif erläutert wird; Das Ganze 
endigt mit einer Arie zu Arnſtadts und feines Biere Lobe. 

Endlih ift an diefer Bierpoeſie die fittengefchichtliche Seite 
nicht gu überfeben: ſchon die Wahl des Stoffs, wenn aud 
vielleicht eine leiſe Ironie bei derfelben obgewaltet haben dürfte, 
legt demfelben eine Wichtigkeit bei, welche der bairifhen 
ftadt nicht unmürdig wäre; wer in bie Ginzelheiten bes Stoſt 
eindringen wollte, würbe demfelben noch manche genaue Rade 
richt über die damalige Einrichtung der Brauereien und über 
die befondern Berhältniffe Arnftadts entnehmen Fönnen. Hier 


endlich noch einige Proben. Der Stadtvogt fingt folgendes Re 


citativ : 

Geſetzt, wir lieflen Hier gang leichte Biere brauen, 
&o würbe mann jebody viel volle Zapfen ſchauen. 
Dramb, wenn durch Wöllerei ein böfer Fall gefchieht, 
So tft ed gar nit flarden Bieren, 

Noch au ber Obrigkeit, zu imputiren, 

Denn biefe billigt ja kein trunden trinden nicht. 
Dielmehr beftraffet fie den Mißbrauch ſtarcker Tränte, 
Unb das daher entfland’ne Mordgezaͤnke. 

Ich ſage gar, daß mann in einer Stadt 

Das ſtarcke Bier ſehr Hoch vonnoͤthen bat. 


Arie ber Bierfchröter: 

Mi fin zway Schröter ohne ‚Bärner. 
Dn fin of & genanntes Selb 
Zum Gaffte der gebronten Kärner 
Bon huher Obrigkeit beſtellt. 

Mi moßen droyerlay verroͤchte: 
Mi ſchaͤpfen Bier, mi ſchrutens fort; 
Zum Ohmen loͤßt me ons verpfloͤchte. 
Me dienen troilich da on dort. 

Domaͤts noch fall an Solten faͤhle, 
Wenn faͤßig Bier zu ſchaͤpfen oͤs, 

Su moßen mi ons fertig haͤhle, 
Su fin die Schöpfer ſtaͤts gewoͤß. 
Aus ber Schlußarie: 

MWertbed Arnſtadt! deine Zelber 
Krönet Gott mit Fruchtbarkeit, 
Welche dir viel Qut und Gelder— 
Bel der ſchoͤnſten Nahrung beut. 
Deine fetten Biere prangen, 

So, daß fie in mweiler Welt 
Den verdienten Ruhm erlangen, 
Der zugleih auf dih mit fält.. 

Drümb laß viele Lobgefänge 

Deines Danded Zeugen fein. 

Denn Barmhersigteit bie Mänge 

Schencket dir der Hoͤchſte ein. 

‚Der vermehre deinen Segen, 

So kannſt du in ſtiller Rup 

Dich mit fetten Traͤncken pflegen, 

Und Iobfingeft Gott dazu. 4. 


Beinrich Brokhans. — Drud und Werlas von F. WM. Brockhaus in Leipzig. 


81 ätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Donnerdtag, 


—_—_ Re, 169, — 


18. Juni 1846. 


en I ú 


Geſchichte der Eroberung von 
Mexico. 


(Seſchluß and Ar. 1.) 


Auch wer den Erzählungen eined Humboldt gefolgt 
ift, fühle ih durch die malerifchen Schilderungen binge- 
siffen, welche ber Verf. von ber tierra caliente und ber 
tierra templada entwirft, wenn er die Spanier, welche 
auf Höhen und in Xiefthälern, die fie durchwanderten, 
Dad Zeichen des Kreuzes zurüdließen, das Tafelland hin⸗ 
aufgeleitet. Geſtaͤrkt durch die Einigung mit der Re⸗ 
pubiit᷑ Tiascala, deren politifches Leben und frühere Ge⸗ 
Shichte Hier einer befondern Erörterung unterzogen wird, 
Siheute Eortez den Kampf mit der Rieſenmacht ber 
Begner nicht und erftritt den Sieg. Da öffnete ſich 
ahm das Thal von Tenochtitlan, die Blicke ruhten auf 
Waldungen, Gaatfeldern und Blumengärten, und aus 
Ber Mitte des wogenden Sees erhob ſich, von dunkeln 
Porphyrgürteln des Gebirge überragt, "die funkelnde 
Kaiferftadt. 

In the centre of the great basin were beheld the la- 
kes, occupying then a much larger pertion of its surface 
than at present; their borders thickly studded with towns 
and hamlets, and, in the midst-like some Indian empress 
with her coronal of pearls, the fair city of Mexico, with 
her white towers and pyramidal temples, reposing, as it 
were, on the bosom of the waters; the far-famed „Venice 
of the Aztecs“, 

Es bedurfte der ganzen Perfönlichkeit des Tühnen 
Führers, feiner Bitten und Drohungen, um den Muth 
der Beinen Schar für bas bevorftehende Wagen aufrecht 
zu erhalten. In des Kaifers Burgpalaft aber walteten 
Zwietracht und vage Unfchlüffigkeit, die Orakel verſtumm⸗ 
ten, und an ber .Hülfe von Menſchen und Göttern ver- 
zmweifelnd erniedrigte fi der Stolze, die Eindringlinge 
perfönlich in feine Reſidenz einzuladen. 

Wenn bie Spanier jener Zeit ſchon Tlascala mit 
bem prächtigen Granada vergleichen, fo hält es ihnen 
ſchwer, einen Maßſtab für die Schilderung Mexicos zu 
gewinnen. Breite, gepflafterte Straßen in endloſer Länge 
mit feflgemanerten, zum Theil mit Marmor befleibeten. 
Haͤuſern, deren flache Dächer den Anblick von ſauber 
gezierten Blumenbeeten boten; Marktplaͤte, breifach fo 


W. Prescott's 


groß wie der zu Salamanca, mit Saͤulenhallen umgeben, 
mädhtige Tempel, auf deren Kuppe das Heilige Fener lo⸗ 
derte; Bazare, in denen, wie in ber Levante, Waaren 
jeder Art, jedoch nie in bunter Miſchung, aufgeſchichtet 
lagen ; zahlreiche, bie Straßen durchfchneidende Handle, 
weiche mit Barken bedeckt waren; überall in biefem Ve⸗ 
nedig der neuen Welt Wohiſtand, Reinlichkeit und eine 
dichtgedrängte Bevölkerung. 

Und in diefer Fülle feiner Macht, in einer Stadt, bie 
über 60,000 Wohnungen zählte, ſah ſich Montezuma 
von bem verwegenen Fremden ergriffen, feiner Freunde 
und Schäge beraubt, einem fchmeren Gefangenen gleich 
behandelt, endlich gezwungen, der Krone Spanien ben 
Lehnseid zu leiſten und die Abhaltung des chriftlichen 
Gottesdienſtes in den Trocallis zuzugeben. 

Unter dieſen Umſtaͤnden konnte eine allgemeine Stchilb⸗ 
erhebung der aztekiſchen Bevölkerung, in Folge welcher 
die Hauptſtadt von den Spaniern geräumt werben mußte, ' 
nicht unerwartet fommen. Die Erzählung von den hler⸗ 
aus fich ergebenden Kämpfen des Heinen cheiftlichen Her» 
res mit den Stäbtern und ummehnenden Stämmen, ber 
breimonatlichen Belagerung und endlichen Unterwerfung 
Mericos nimmt das fechste Buch ausſchließlich ein. Der 
Berf. beklagt den Sturz eines Reichs micht, das fo we⸗ 
nig für das Glück feiner Unterthanen gethan hatte; «er 
ift der Anficht, baß die bei den Azteken vorgefundene . 
Bildung nicht in ihnen felbft fich entwidelt habe, fon» 
dern ber kuͤmmerliche Abglanz eines untergegangenen 
Stammes fei, über welchen fich bie Azteken ausbreiteteny 
aber er ift weit davon entfernt, bie amp grung ber 
Spanier und die Mittel, deren fie fi zur Erlangung 
des Siegs bebienten, rechtfertigen zu wollen. Ein gro- 
fer Theil der prächtigen Hauptflabt war während ber 
Belagerung in Trümmer gelegt; jest fah man Indianer 
mit dem Wiederaufbau von Gaffen und Märkten befchäfr 
tigt. Es war das Machtgebot bes, trog ber Intriguen 
feiner Widerſacher, von König Karl I. zum Statthalter 
über Neufpanien ernannten Cortez, welches fie bazu trieb. 
An die Stelle des Haupttempels des aztekifchen Kriegs⸗ 
gottes trat die dem heiligen Franciscus geweihte Kathe⸗ 
drale, der bie zertrummerten Gögenbilder als Grunblage 
bienen mußten; auf dem Hauptmarkte ließ Corte, feinen 
Palaſt, das nachmalige Schloß ber Vicekoͤnige, auffüh- 


674 


ren; eine Gitadelle verlieh ber chriſtlichen Stadt ben er- 
foberlihen Schug. Aber bieibender als durch dieſe Schö- 
pfungen follte das Andenken von Cortez durch Die Sorg⸗ 
falt erhalten werden, die er auf Unfiedelung des Landes 
verwandt, durch bie Unwerdroffenheit, mit welcher er fich 
für die Belehrung der Indianer durch wahrhaft Fromme 
Mriefter bemühte. Ex verftand nicht blos zu ſchlagen, er 
war der größern Kunft mächtig, die Wunden des Kriegs 
zu heilen und bie bis dahin einander feindlichen Stämme 
unter Einer Regierung zu einen. Dennoch entging er 
dem Mistrauen des fpanifchen Hofs nicht, ber einen 
Juez de residencia mit unbedingter Vollmacht zur Un- 
terſuchung aller gegen den Sieger vorgebradhten Anfchul- 
bigungen abfandte. 

Bei diefer Lage der Dinge beſchloß Cortez, ſich felbft 
vor feinem Könige zu rechtfertigen. Knieend legte er 
(1529) zu Toledo vor Karl I, von feinem Verfahren 


Rechenſchaft ab und murde von biefem zum Marques- 


del valle de Oaxaca erhoben. Aber die Wiedereinfegung 
in die Regierung von Mexico konnte er nicht erlangen. 
Weil er als Lehnsträger von Neufpanien dem Hofe all- 
zu mächtig fchien, mußte er fich mit der Ernennung zum 
Oberbefehlshaber an der Küfte ber Südfee begnügen. 
Im folgenden Jahre erfolgte feine. Rückkehr nah Me- 
gico, das er 1540 abermals und für immer mit dem 
Mutterlande vertaufhtee Man weiß, baf er im Jahre 
darauf dem unfeligen Felbzuge feines Herrn gegen Al⸗ 
gier beimohnte. Dreiundfechzig Jahre alt, endete er am 
3. Dec. 1547 zu Sevilla, mit Dinterlaffung dreier Töch⸗ 
ter und Eines Sohnes, beffen männliche Linie in ber 
dritten Geſchlechtsreihe erlofh. Durch die weibliche Li⸗ 
nie abet gelangten die Güter bed Congquistador in den 
Befig ber Familie des Herzogs von Monteleone, die fich 
derfelben noch jegt erfreut. Die Grundzüge der geifti- 
gen Richtung von Cortez faßt Prescott (Bd. 3, S. 312) 
alfo zufammen: 

He was a knight-errant in the literal sense of the 
‘ word. Of all the band of adventurous cavalierss, whom 
Spain, in the sixteenth century, sent forth on the career 
of discovery and conquest, there was none more deeply 
filled with the spirit of romantic enterprise than Hernando 
Cort&s. Dangers and difficulties, instead of deterring, seo- 
med to have a charm in his eyes. They were necessary 
to rouse him to a full consciousness of his powers. He 
grappled with them at the outset, and, if I may so express 
myself, seemed to prefer to take his enterprises by the 
most difficult side. He conceived, of the first moment of 
his landing in Mexico, the design of its conquest. 


Dhne auf den Anhang über den Urfprung ber me- 
xicaniſchen Sittigung und beren Ahnlichkeit mit ber ber 
alten Welt weiter einzugehen, fchließen wir hiermit ben 
Bericht über ein Werk, welches bei dem Reichthume fei- 
ned Begenftandes, ber anmuthigen Darftellung und ber 
Sründlichkeit mancher einzelnen Forſchung ſchwerlich ei« 
ner feiner Leſer unbefriedigt aus der Hand legen wird. 

14. 


Die beutfche Nationalliteratur feit dem Anfange des 18. 
Jahrhunderts, befonders feit Leſſing bis auf die Ge⸗ 
genwart, hiſtoriſch und aͤſthetiſch⸗kritiſch dargeſtellt von 
Joſeph Hillebrand. Erſter und zweiter Ban. 


Gotha, 3. und U. Perthes. 1845. Gr. 8. 3 Th. 
22 Nür. Ä 


Je lebendiger gegenwärtig das Intereffe ift, das ſich in 
einem immer größern Kreife der Gebildeten für die Gefchicte 
unferer Rationalliteratur Pundgibt, defto erfreulicher muß jeder 
Verſuch erfcheinen, dieſes Intereffe durch eine gehaltvolle und 
anſprechende Darftellung der wichtigften Erfcheinungen diefer 
Entwidelung de befriedigen. Daher erflärt fi der Beifall, 
mit welchem Bilmar’s ,Borlefüngen über die Gefchichte unfe 
rer Literatur” aufgenommen worden find, die trog des einſeiti⸗ 

en &Stantpunftes ihres Berfaffers in Sründti keit der Er: 
enntniß des Stoffes und in lebenspoller Prägnanz der Dar: 
ftelung ſchwerlich übertroffen werden Tünnn. Da aber die 
neuere Riteraturgefchichte in dieſem treffliden Buche verhältnif: 
mäßig Pürzer behandelt worden ift, fo nahm Ref. das obener: 
wähnte Buch freudig und in der Hoffnung zur Hand, daß es 
ihn in der fpeciellen Darftelung des interefianteften Theils ber 
Deutichen Eiteraturgelhichte ebenfo befriedigen werde wie ihn 
die erwähnten Vorlefungen in der allgemeiner gehaltenen Dar 
ftelung der gefamınten Literatur befriedigt hatten. Doch le 
der ift diefe Hoffnung nicht erfüllt worden. Wir haben es hir 
natürlich nicht mit einem unmwiflenden und anmaßenden Dile: 
tanten zu thun, wie ſich dergleichen neuerdings mebre, und la 
der nicht ohne einigen vorübergehenden Erfolg, an dieſes Ge 
biet gewagt haben. Nein dafür bürgt ſchon der Name des ın 

der Literatur nicht unbefannten Verf. und das Buch felbft gibt 

überall Beugniß davon, daß er fih auf diefem Gebiete über 
aufmerffam umgefehen hat. Uber er hat bes auf diefe Wer 
mit Fleiß gefammelten Stoffs nicht mächtig werden Fon, 

er bat ihn nicht gehörig zu durchdringen, nicht zur entſprechen 
den Darftellung zu veproburiren vermocht und ſich demnach, 
wahrſcheinlich Durch Worträge verwöhnt, ſehr haͤufig zu einer 

breiten Schönrednerei, zu einer verkehrten Bilderjagd und WBort: 
bildungsgiererei verleiten Taffen, bie dem Lefer von gefundem 

Sinne im günftigften Falle langweilig, oft aber auch wider⸗ 

wärtig erfcheinen muß. Bei ſolchen Mängeln konnen ih na: 

türlih viele gute und treffende Bemerkungen nicht gehörig gel 
tend machen und der eigentliche Zweck des Berf., das größere 
Yublicum über die wichtigſten Erfcheinungen unferer Literatur 
aufzuklären , ift verfehlt worden, was der unterzeichnete Ref. 
im Sntereffe der Wahrheit um fo entfchiedener auszufprechen 
fi gedrungen fühlt, je mehr dieſes Buch von einigen Referem 
ten, die wahrſcheinlich nur darin geblättert haben, hier und da 
gepriefen worden ift. 

Suchen wir nun biefed Ustheil zunächft an dem erien 
Bande bes Buche au begründen, fo finden wir ſchon in dt 
Anordnung des Stoffs den gerügten Mangel der —* — 
Beherrſchung und lichtvollen Gruppirung des geſammelten Da 
terials. Denn während man zeither die Beſtrebungen rined 
Wernife, Günther, Brockes als Übergänge aus der convention⸗ 
nellen Poefie der Schlefier in eine neue Epoche betrachtete, 
welche nach der Kritik der Schweizer gegen Gottſched und in 
ner Schule in den Productionen der Teipziger und balif 
Dichter die erften frifchen Keime entwidelte und zwerft in Klo: 
ſtock zu einer eigenthümlichen Geftaltung reifte, wird von um 
ferm Berf. zunächft in zwei Büchern gwifchen einer ( vorberr 
tenden) zegenerativen Periode von Wernike bis Klopſtoe 
und Wieland und einer eigentlih reformatorifchen Epodt 
von Leffing bis zur Zeit vor dem Auftreten Goethe's geſchieden, 
mit welchem fobann das dritte und legte Bud) des erften Dan 
des beginnt, das mit dem Namen „der nationalliterariſchen 
Kroftthätigkeit‘ bezeichnet wird. Jedoch gang abgeſehen von 
der Willtür, mit welcher der Verf. die obenerwähnten Beiwoͤt⸗ 


zn. ve u vun — — — eo 


675 .\ 


ter braucht, da das Work „regenerativ‘, wenn ed gegen den 
Cprachgebrau von „reformatoriſch? gefchieden werben fol, 
iedenfols eine wefentlichere Veränderung bezeichnen muß, 
fo fieht man nicht ein, wie Klopftod mit feinem vieljeitigen 
und großartigen Wirken gewiſſermaßen in Die Vorhallen des 
Tempels unferer neuen Porfie bat verwieſen werden können. 
Denn ift auch Klopftod der Gegenwart ziemlich fremd gewor- 
den, während Leffing’8 Genius noch vielfach auf uns wirkt, fo 
bat doch Kiopftod auf einige Jahrzehnde lang fo umgeftaltend 
und neubefruchtend gewirkt, daß wir ihn fo gut mie Leifing in 
die Reformationsepoche unferer Literatur ftelen und bie nach⸗ 
haltigere Wirkfamkeit Leſſing's feinen kritiſchen Beitrebungen 
und feiner fpätern daburch gereiften Production zuſchreiben 
müffen. Man lefe nur was der Verf. &.209 von Leffing fagt, 
um die ihm angewiefene Stellung im Vergleich zu Klopftod zu 
rechtfertigen. „Ex fol die Zeit verflanden und ihr genügt, er 
fol die nationale Subftanz unfers Volks für die Literatur ero: 
bert haben.” Dies gibt Ref. gern zu, aber wer wollte leug⸗ 
nen, daß auch Klopſtock feiner Zeit genügt und mit feine 
chriſtlichen Epos und feinen vaterlänbifhen Dden eigenthümliche 
Elemente der Entwidelung unfers Rationalgeiftes zur Geftal- 
tung gebracht habe? Ja der Verf. widerfpricht ſich felbft, in: 
dem er S. 106 Klopftod's ‚‚Widerfprud gegen die Herrichaft 
der franzöfifchen Literaturorthodorie und ihren hohlen conven⸗ 
tionnellen Formalismus‘ herausbebt und ihn dennoch den eigent« 
lichen Neformatoren der deutſchen Poeſie beizuzählen Anftand 
nimmt. Wie treffend urtheilt hierüber Gervinus, wenn er in 
der „Neuern Literaturgefhichte”, Bd. I, ©. 115 u, 116 fagt: 
„Klopſtock faßte alle Richtungen und Beitrebungen ber Zeit 
in fi zufammen, er vereinte in jih die Strahlen der damali⸗ 
en Bildung wie in einem Brennpunkte, fchloß die vergangene 
Reit völlig ab und warf ebenfo viele Strahlen nach neuen Rich⸗ 
tungen für die Folgezeit wieder aus, die bie allerverfhiedenften 
Früchte reiften. Mit ihm beginnt daher erft die neue Zeit und 
die Wiedergeburt unferer Literatur, und nur ein fo energifcher 
und fo beglüdter Seit Eonnte dieſen Wendepunkt herbeiführen.‘ 

Wie nun in der Eintheilung des Ganzen die Feſtſtellung 
willfürlicher Kategorien zu Unficherheit und Unklarheit ber Dar: 
ftellung führt, fo Bann dies auch im Ginzelnen vielfach nach— 

ewwiefen werden. So follen 3. B. die Dhter der von ihm 
ogenannten regenerativen Periode nah zwei Richtungen, einer 
tmelsconventionnellen und malerifch » didaktiſchen, charakterifirt 
werden, wobei der Schlefier Günther, deſſen entfchieden her⸗ 
vortretende, freilich nicht immer liebenswürbige Subjectivität 
die Schranken ber damaligen Conventionspoefie völlig durch: 
brochen hatte, fi auch den „conventionnellen Formaliften”, wie 
er fie nennt, zugefellen laſſen muß. 

Gehen wir nun auf die Charakteriftil des einzelnen Dich» 
ter und ihrer Werbe über, fo vermiffen wir trog vieler guten 
Bemerkungen faft überall eine folche Reproduction bes geſamm⸗ 
ten Materials, welche allein ein ſcharf gezeichnetes und wohl 
getroffene® Bild des Dichters möglich macht. Da wird erft in 
den einfeitenden Abſchnitten in bebaglicher Breite über die Ei⸗ 

nthümlidgkeit und Beftrebungen eines Dichters gefprochen, 
dar wiederholt ſich Daffelbe in noch breiterer Entwickelung 
bei der fpeciellen Charakteriftit des Dichters und wird wiebet 
wit vielen Wiederholungen an den einzelnen Werken deflelben 
nachgeriefen unb zum Schluß endlich im Weſentlichen noch ein⸗ 
mal recapitulirt. Daß man daher überall auf Phrafen wie: 
„Es ift ſchon oben bemerkt worden” und „mebrerwähnt”' und 
„mebrberührt‘‘ ftößt, daB der Verf. etwas nicht berühren will 
und doch fehr ausführlich auseinanderfegt (vergl. &.279, 283), 
daß er über etwas ſchweigen zu wollen vorgibt was er dennoch 
erwähnt (&. 375), ift bei einem ſolchen Verfahren wohl be: 
greiflich. | 
Ein anderer Übelftand, der in dem ſchon gerügten Man⸗ 
el an Durchdringung bes Stoffs feinen Srund hat, ift, daß 
nfichten und Urtheile berühmter und unberühmter Kunftrichter 
überall mit ihren Worten in die Darftellung eingefchoben wer: 


: den, woraus oft eine mofalfartige Sqhilderung entſteht, die 


wenigſtens dem Ref. nicht behagen kann. 


‚.. Berner finden ſich nicht ſelten und zwar manchmat auf 
dicht hintereinander folgenden Seiten breit entwickelte Anfichten 
und Urtheile, die einander geradezu widerſprechen. Man leſe 
nur 3. B. was S. 169 fo. über Geßner geſagt ifl. Statt ei- 
ner Öarfen Analyfe feiner Eigenthümlichkeit lefen wir Vieles, 
was fait wie Lob klingt und bald darauf den entfchiebenften 
Zabel, der alles jene Lob vernichtet, und dann noch einmal, jes 
body wieder gehörig befchranktes Lob, ſodaß man nicht recht 
weiß wie man baran ift. Ja noch auffälliger tritt das eigen» 
thumliche Zalent des Berf., in feinen Charakteriſtiken Lob zu 
geben und zu nehmen, fodaß jeder Unentſchiedene etwas für fich 
darin finden kann, ©. 388 fa. in der Darftellung der Beſtre⸗ 
bungen Voß füs deutſche Sprache und Ro mit bervor. 
Ein ganzer Sag und zwar der, welcher &. 333 zum Schluſſe 
ber fünf Seiten lang ausgebehnten Charakteriftit des Dichters 
Claudius zu leſen ift, wird diefe eigenthümliche Manier am 
beften anfhaulih machen. „Wenn wir nun”, beißt es da, 
„aunferm Wandsbecker Boten die Hand reichen für die vielen 
freundlihen Worte, mit denen er und erquidit und womit er, 
wie Herder von ihm fagt, die Silberfaiten des Herzens rührt, 
wenn wir ihm troß mancher Mängel den Apollinifchen Lorber 
nicht abflreiten Dürfen, fo koͤnnen wir Boch ebenfo wenig bie 
Meinung Derer theilen, die ihn aus einfeitiger Wahl des Stand» 
punfts den Grften unferer Literatur beizugefellen Luft haben, 
obmwol wir nichts einzuwenden finden, wenn man ihn wie 
Gelzer jüngft mit einem Chriſtbaume vergleichen will, deſſen 
taufend Lichter überall Binfheinen, wo für Bindfiche Freude und 
berzliche Erinnerung noch eine Stätte iſt.“s) Iſt in folchen 
Stellen der Widerfprucd vielleicht nur ſcheinbar, nur eine Folge 
der mangelnden Bäbigteit, die einzelnen Merkmale der Eigen» 
thümlichkeit eined Dichter in der Darfielung zu einem beuf- 
ih ertennbaren Gefammtbilde zu vereinigen, fo tritt doch die⸗ 
fer Widerſpruch an andern Stellen viel fehroffer hervor, ſodaß 
der Berf. geradezu vergefien haben muß, was er kurz vorher 
geſagt hat. So läßt er &. 286 Note nad) Goethe’ Wort die 
aufftrebende Zugend von Hamann angezogen werden und 
ſchreibt ihm &. 237 einen Ton zu, ber „Keinem recht vernehm⸗ 
lich entgegenktlang und weder die Einen zu beruhigen noch die 
Undern anzuziehen vermochte”. Wenn er ©. 201 Herder 
mit feinen tbeoto ifchen Beftrebungen ald Gegner der berliner 
Philoſophie ebenſo wie der fehuldogmatifchen Orthodoxie hin⸗ 
ſtellt, ſo weiß man was er will. Was ſoll man aber dazu ſa⸗ 

en, wenn er auf derſelben Seite in breiter Entwickelung die⸗ 
—* Satzes Herder den erſten Verkündiger des literariſchen Ge⸗ 
nialitaͤtsevangeliums wie der bibliſch-prophetiſchen Orthodoxie 
der kirchlichen Schuldogmatik gegenuͤber nennt und gleich dar⸗ 
auf, ohne etwa von einer Umgeſtaltung ſeiner Anfichten in 
der Seit zu, reden, erwähnt, daß er in altlutheriſcher 
Ereiferung von Bernunft und freiem Denken 
nichts habe hören wollen?! Dder wie reimt es ſich, wenn 
&. 352 gefagt wird: „Daß die enthufiaftifche BVerftiegenheit des 
Göttinger Bundes fi bei Voß in fuperlativer Steigerung ge: 
äußert babe, daß fein Enthufiasmus felbfttäufchende Affection 
und Zelotismus gewefen fei”, und einige Beilen weiter: „daß 
er wie Lefiing flet& gewußt was er that und dem Berftande 
den Borfig in feinen Werken und Wirken gegeben babe.’ Do 
Ref. bricht hier ab, um endlich noch zu erwähnen, wie troß 
der ausgedehnten Breite der Darftellung ober vielleicht gerade 
wegen berfelben häufig das MWefentlichfte in der Charakteriſtik 
der befprochenen Dichter vermißt wird. So viel z. DB. über 
Leſfing's Stellung zur Theologie gefprochen wird, fo bekommt 
man doch von Dem was Leffing eigentlih wollte Beinen deut⸗ 
lichen Begriff. Es mußte herausgehoben werden, baß Leifing 
felbft für feine Perſon Fein Bedürfniß einer pofitiven Religion 


*) Vergl. ähnliche unbeflimmte Urtheile mit doch und obwol 
©. 95 über den Maler Müller und ©. 422 über Heinfe. 





676 


fühlte, wie ex in WBegug auf „Rathan‘ ausgeſprochen hat, der 
ein @taubensbekenntn enthält, wie es immer geweſen if. 
n er fih nun gegen die mit ihrer Freifinnigkeit prahlende 
Modetheologie feiner Beit zuweilen gewifiermaßen für bie alte 
Ortheborte erklärte, fo achab dies theild mit demfelben Ger 
Jäfte feiner Britifchen Ratur, mit welchem er fich zu einer an- 
dern Beit gegen die Drthodorie wendete, da fein Mahrheits- 
ixeben ihm jede mit ber Prätenfion ber Ausſchließtichkeit her⸗ 
vortretende Richtung bedenklich erfcheinen ließ, theils exrfi 
ihm die Bermiihung von Zheolögie und Philofopbie in ber 
neuen Dogmatik velatio viel pepige Br * —ES 
ologiſche Dogmatik. Sagt er doch ſelbſt in dieſer Beziehu 
* Ai : „Richt das unreine Waſſer, was längfi nit 
mehr zu brauchen, will ich beibehalten wifien. Ich wii es 
aber nicht eher weggegoffen wiffen als bi man weiß, woher 
- reines zu nehmen; ih will nur nit, « daß man es ohne Ber 
denken weggieße und follte man auch das Kind in Miftjaudge 
baden. Und was ift fie anders, unfere neumodifche Theologie 


gagen die DOrthoborie, als Mifttauche gegen unzeines Waſſer? 
Mit d 


er Drtbodorie war man Gott fei Dank ziemlich zu Stande, 
man hatte zwifchen ihr und ber Philofophie eine Scheidewand 
gezogen, hinter welcher eine jede ihren Weg fortgehen Eonnte, 
ohne die andere zu hindern. Aber was thut man nun? Man 
reißt diefe Scheidewand nieder und macht uns unter dem Bor« 
wande, uns zu vernünftigen Chriſten machen, zu böchft 
unvernünftigen Philoſophen.“ Berg. Leffing’s Biographie von 
8. ©. Leffing, Bd. I, ©. 350 fg., 302. Intereffant ift es, 
hierbei zu bemerken, daß Liscom ſchon im 3. 1739 auf einem 
ähnlichen Standpunkte fi bewegte. Vergl. Liscom’s Vorrede 
ur Gtreitfchrift gegen Mangel gegen den berliner Propft Rein- 
bee in der „Sammlung fatirifcher Schriften”, 1730. 

Und ſolchen Mangel fehr mefentlicher Eroͤrterungen findet 
der kundige Leſer überall. Cronegk und Brawe, von denen 
Legterer 1755 20 Jahre alt den ‚„Brutus”, ein beachtenswer⸗ 
thes Irauerfpiel in fünffüßigen Jamben fchrieb — das erfte 
vollendete Driginafftüd in diefer Form, denn von Elias Schle- 
gel befigen wir bloß ein Fragment in diefem Metrum — fehlen 
ganz; das größte Berdienft Bürgers, die dem Volksbewußt⸗ 
fein abhanden gekommene Ballade wieder eingeführt zu haben, 
wird nicht gehörig herausgeboben; im Maler Müller, der mit 
feinem „Fauſt“ allerdings der Sturm: und Drangperiode an⸗ 

ehört, durften die Vorklaͤnge der fpätern Romantik („Geno⸗ 
veva’’) nicht verfannt werben. 

Was Ref. bis hierher angeführt bat, bezog fih auf den 
Stoff und die Unordnung deffelben und ließ erkennen, daß eine 
genügende Einſicht in den Entwidelungsgang unferer Literatur 
auß dieſem Buche nicht gewonnen werden kann. Aber auch 
in der Darftelung muß neben der ſchon gerügten hoͤchſt ımer- 
quicklichen Breite die Metaphernjagd und die Wortdildungs: 
ziererei durch Beiſpiele belegt werden. Dies darf durchaus 
nicht als etwas Unwefentlihes betrachtet werden, denn ein der: 
kehrtes Bild, eine gezierte nichtöfagende Phraſe in ber he 
rakteriſtik macht den noch unkundigen Lefer oft ganz confuß 
und die Erfenntniß der Eigenthümlichteit des beſprochenen 
Dichters oder feines Werks unmöglih. Ref. erwähnt Einiges, 
wie es ihm ohne langes Suchen in die Feder kommt. 8. 21: 
„die vegeneratorifchen Urftvebungen des 18. Zahrhunderts“; 

.178: „Friedrich I. brachte den Urriß in ben @abinetsabfo- 
futiemus”; S. 271: „Sofeph ſtellte fih mit feiner reformi: 
senden Kraftgenialität ald ein ermunterndes Beiſpiel bed fub- 
jectiv-individuellen Zitanismus hin’ (diefer Paſſus erfcheint um 
fo verkehrter, da &. 178 Joſeph mit Klopftod parallelifirt und 
im Gegenfog zu dem wirklich reformatorifhen Friedrich nur 
regenerirend genannt wird); &. 282: „der finnlich:ideale 
Ditäyrambenüberflurz der Fruͤhlyrik Schiller 8” und Schubart 
„eine der auffallendſten Figuren in der Gattung der abfonder: 
lichen Individualitätsoriginalitäten”. (man denkt unwillkuͤrlich 
an Ariftophanes' ayeayıdovuyupyoxomätn) S. 325 wird 


—* in einer nichtsſagenden Phraſe mit dem von ihm ge⸗ 
5 ramme fiter 


4: „Bürger, 
merfeite” der 


thode feiner Geburt unfdhuldig war‘ [NB, es gibt Ent 
ng . 387 heißt Stel 
berg's Geſchichte der seitlichen Religion’ „ein dem enthum 


. 401: „Klinger 
406: „das Fauſtiſche Loͤwen⸗ 


Doch genug ber Beiſpiele. Solche geiſtreich fcheinende 
Kae mögen fich mol unreife Jünger der Philofophie auf 
der Hochſchule gefallen laſſen; aber dem gebildeten Publicm 
hätte Herr Hillebrand dergleichen nicht zumuthen ſollen. Das 
ift der „geſchmackloſen metaphoriſchen Prunkhaftigkeit“ aͤhnlich 
die er im Eingange des Werkes &. 20 in unſerer damaligen 
Eprahbildung rügt, und vor einem Nüdfalle in diefelbe möge 
ein gefunder Gefhmad unfere Sprache bewahren. 

Ref. glaubt die Charakteriſtik des vorliegenden Buchs mit 
der gegebenen Analyfe des erftlen Bandes abichließen und der 
Lefern ein näheres Singehen auf den zweiten Band erſparre 
zu Pönnen, worin ber Verf. Goethe und Schiller beiproder 
und &, 278 in der Analyfe des zweiten ee ded „Kart“ 
einmal fogar eine „alberne“ Weife des Goethe’tchen Ausdrudt 
gerügt bat. In feiner endlofen Gefchwäsigfeit hat er feine 
Aufgabe nicht, wie er früber gewollt, in zwei Bänden vollen 
den Fönnen und ſtellt noch einen dritten Band in Ausfidt, m 
bem die Gefhichte„unferer Literatur bis auf die neuefte Jeit 
verfolgt werden fol. 8. G. Gelbig. 





Literarifhe Anzeige. 
Spaniſche Literatur. 

Rosa de Romances, 
6 Romances sacados de las „Rosas“ de Juan Ti- 
moneda, que pueden servir de suplemenw & 
todos los Romanceros, asi antiguos como ne 
dernos y especialmente al publicado por el seiior 
Don @. B. Depping, escogidos, ordenados, 
anotados por Don Fernando Jose Wolf. Gr. 2 

Geh. 20 Ngr. 

Diefes Werk bildet zugleich den britten Zheil bes i 

mie eefhienenen” im Sal 
Momancero castellano, 6 colleccion de antiguos ro- 
mances populares de los Kspaiüoles, publicada con una is 
troduecion y notas por &. B. Depping. Nueva edicion, coa 


las notas de Don Antonio Alcald- Galiano. 
Gr. 12. 4 Tulr. 


Eeißnzig, im Juni 1846. 
2 8. A. Bırocdhems. 


Zwei 


Berantwortlicher Heraudgeber: Heinrich Wrodhans. — Drud und Verlag von F. U. Brodhans in Leipzig. 
—————— — ——————— a Te 


= 





m mug. m Sk m ⏑ ⏑⏑ — 
⁊ 


u. u 0... 7 


-—,—— gm 3 vm 


Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Greitag, 





Berlin, 16. Sept. 1008. 
Hochverehrter Freund! 


Schon laͤngſt hätte ich gern von Ihrer freundfchaftlichen 
Grlaubniß, Ihnen dann und wann fihreiben zu dürfen und eine 
wohlwollende Erinnerung meiner in Ihnen zurüdzurufen, Ge 
brauch gemacht, wenn ich nicht gewünfdt hätte, Shnen gleich 
Reſultate meiner veränderten Exiſtenz mitzutheilen. Die Bes 

ebenheiten der Zeit fiheinen mich jedod eher davon zu ent 
ernen als näher je führen, und ih will ſchon lieber ins 
Blaue hinein fehreiben. ‘ 

Mit meiner Dienftlage hoffe ich mehr und mehr zufrieden 
zu werden; für den Anfang beſchaͤftigt fie mich natürlich über 
und über, da ich Alles von Grund: aud Kennen lernen muß, 
um Remedur, die fo nöthig ift, angeben zu fünnen. Die Re: 
vifion vieler verworrener Geſchaͤfte hat mich indeg mehr als 
ich beforgte und länger von der Hauptſache abgezogen. In 
wenigen Wochen bin ich durch, und denfe Dunn die geſammel⸗ 
ten Materialien zu einem Ganzen zu ordnen. Es iſt aber nd» 
tbig, das Dberfte zu unterft zu nebmen und dabei wird es 
dann wol heißen muͤſſen: Nachbar, mit Rath. 

Meinen Heren Departementschef habe ich erft feit feiner 
Zurückkunft von einer Reife nach Schlefien, alfo feit etwa 14 
Zagen, näher kennen gelernt, zu meiner völligen Genugthuung. 
Er hat gewiß einen hellen Blick, ein gerades Urtheil, viel 
Fleiß; vielleicht ift er zu lebhaft auf Koften der praßtifchen 
Befonnenheit. Bon feinen Umgebungen muß ich vorzüglid den 
Geheimen Finanzrath Bad, einen meiner akademiſchen Freunde, 
fhägen. An meinem Freund Uhden tft fehr viel verloren ger 
gangen. Es war foeben ini Werk, daß er als Juftitiarius im 
Seneraldirectorio angeftellt werben follte. Hr. v. &tein ſchaͤtzte 
ihn mit Recht, und da er Hrn. dv. Beyme's unbedingtes Ver⸗ 
trauen befaß, fo würde er in diefer Zeit Der Gefahr fo Man: 
ches ausgeglichen haben. ' 

Wir gehen wahrfcheinlich vielen Zrübfalen entgegen. Der 
Krieg ift unvermeidlich; führen wir ihn jegt nicht, fo haben 
wir ihn, unter viel teoftlofern Ausfichten, in Jahr und Ta 
vieleicht früher zu beforgen. Zögern wir jetzt nicht, fo a 
fih ein eheenbol te Ausgang erwarten; fpäterhin wird der 
Staat auf die Degenfpi e gefent. Es laßt ſich vielleicht bes 
rechnen, daß der ccif von unferer Seite dem Kaifer von 
Frankreich in diefem Augenblic® nicht gelegen kommt. Er muß 
bedeutende Armeen in Italien, Holland und Dalmatien unter 
halten; auf Sübdeutfhland Tann er fich nicht verlaflen. Den 
Zruppen, die er in Deutfchland noch zahlreich genug (doch viel» 
leicht weniger als wir glauben) haben mag, fehlt es an Am⸗ 
munition. &ngland fchließt, wenn es bes Angriffs von Preu- 
Sen verfichert ift, ſchwerlich einen Frieden ab, und ber Kaifer 
von Rußland läßt feine Truppen, nach aller Bermuthung, mit 


19. Suni 1846. | 





ben unferigen agiren. Üftxeich, dem die MR t des Kaifers 
*4 Die Be wegen" 3 ——— — Nur 


von Fran 
Spanien, wodurch die Abtretung ber fpanifshen Provinzen bis 
an den Ebro an Frankreich oder an den Priedensfürften — ei» 
nerlei — verhindert worben) wol zunächſt den Garaus machen 
wollte, wie der berüchtigte Artikel im „Yublicift‘ und die Ber 
fegung des Friauls ſchließen Iäßt, iſt unter ſolchen Umfländen 
ſchwerlich zur Reutralität zu vermögen, obwol Die jetzt uner⸗ 
wartete Zurüdgabe der Gefangenen, bie Erklärung wegen des 
Friauls und andere Dinge darauf berechnet find. f 

Bis auf diefen Augenblick iſt unfer Gabinet noch ment 
ſchloſſen. Hoͤchſt verberblich ift die itio in partes von Geiten 
der Umgebungen des Königs. Die Partel, die den Krieg ums 
ter allen Umftänden und von Unterhandlungen mit Bonaparte 
nichts wiffen will, geht davon aus, den Gegnern (Haugwitz, 
Beyme und Bcmbart) alles Schlimme anzudichten. einey 
Bittfchrift, die von den Prinzen des Haufes, einigen Genera⸗ 
(en und Miniftern unterfchrieben war, hatten fie auf die Ent⸗ 
fernung diefee Gegner von der Perfon des Königs angetragen. 


. Der König ſprach von Meuterei und jagte feine Brüder forort 


zur Armee. Was Bann daraus Gutes entftehen? Ich bin völs 
lig überzeugt, daß die frieblicher geffigumte Partei a der ich 
gar nicht gehöre, da ich den Krieg cher in dieſem Augenblick 
al& morgen wünfde) jun Theil aus einer Anwandlung von 
Furcht, zum Theil weil fie dem Kaifer von Frankreich bie (frei⸗ 
lich klar daliegende) Beftialität nicht zutraut, den Weg ber Un« 
terhandlungen vorziehen wid. Cine Frage ift 26 aber, ob file 
nicht ver —* waͤre, unter den vorliegenden Umſtaͤnden dem 
laut erklaͤrten Willen der Nation und der Armee —— 
auch wenn ſie fich von der Nothwendigkeit des A nich 
überzeugen koͤnnte. Ich follte meinen, es wäre die Antwort 
darauf fehr leicht. Man folte überdies das Gemüth bed Kai- 
ſers von Frankreich doch wol einmal begriffen haben. Wer 
gar ihn zu bannibalifiren gewagt hat (mie wir im vorigen 
abre), Fan nur zu feinem Untergange Eallifthenifiren. 

Die Königin ift zwar eine erklärte Freundin ber kriegeri⸗ 
ſchen Partei, gibt aber doch den von Hrn. Grafen Haugwit 
ihr vorgetsagenen Gründen Gehör. Der Krieg ift j wahr⸗ 
ſcheinlich. Bon Knobelsdorf's Sendung iſt noch nichts | 
ba. er noch Feinen Kurier gefchicdt hat. Auf dem orbinairen 


I Poftwagen foll geſtern eine KRachricht von ihm eingetroffen 


fein, die eine Conferenz in Ehartottenburg veranlaßt hat. Bor 
naparte bat ihm noch ‚keine Audienz verftattet. 

Bon den hiefigen Gelehrten Habe ich, da ich fehr einfaw 
lebe, bis jegt wenige geſehen. n. v. Humboldt's Bekannt⸗ 
ſchaft werde ich morgen bei der Frau v. Berg machen. Einer 
Sitzung der Philomathiſchen Geſelſchaft habe ich ohne die min⸗ 
deſte Ergoͤtzlichkeit oder Erbauung beigewohnt und werde mich 
künftig davor fo ſehr Häten wir vor dem „Doctor Luther” im 
Schauſpielhauſe. Unfer Werner hat ein trauriges Product 7 
Tage gefördert; ich habe nie fo viele Bangweile im Schaufpiel 


[4 
⁊ 


gehabt und Doctor Luther als Iffland iſt hoͤchſt abgeſchmackt. 


R_____-_ 


freuen Sie bald ein freundſchaftliches Schreiben Ihren ganz 
Diener und Breund Btigemenn 


®. 
Berlin, 2. Sc. 28. 
— Bir warten jene mit Sehnſucht der Dinge, die da 
ommen follen. Krieg wird «6, wie 
—* ein ſauerer Krieg, ſauer von allen 
er :Bäter haben in Glürmen des 


a 
Bi! 
{He 
2 


if: 
u 
— 
—J 
AtH 
Zu‘ 


Stmen da6 Berka 
gabe die Baiern, — Dberherr der Maier 
eich als Protector der Mheinconföberation dermalen 
fi die Yerm_allenfols Earl Tuftig it die Sache 
dem Hösfttr ee faubern 
* die beiden oͤſtreichi⸗ 
BBenn ich jett der Koffer Franz wäre, fo 
ich den Berfaffer und leger des, Publiciſt“ vor 
— — Kriegsgericht ſtellen und ihn in oontamaciamı 
zum Jede Berdammen 


De > 
4: 
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Indeh det er feinen, Iive® erreiht, die Buchhändler 
furdtfam zu maden. Wit Mäühe nur babe ich eins der wer 
von „Deutſchland in fei- 

ner Geniebrigung”' Kapsieon, der weit 


von Schuß if, wird ed wel haben und ohne Furcht vor den 
Ordalien debiticen. 
36 Gabe See mie Om. Bier Stein über eine ein: 


———— Bermögensfteuer delderirt· Ihr trengehorfamufter 
Stägemenn. 
8. 
Memel, 38. Dec. 10. 
dochverehrter Freundt 


* nicht. Bei G eit Ihrer iftet an €.9.R 

dritten Heft der „Br a’ et ih ich für eine Dde, 7 

wor fertig, aber nicht vollendet i Br mir zu fehr die 
fe und Freiheit des Grmrüthe —53 hoffe ih fie Ih⸗ 

nen (freili mit Vorbehalt der F in kurzem zu ae 

ſchiken. Fur die wit theitung N. Serigen empfangen © 


men —S Ah derfihe Din erbt. @s —* iel 
van e e v 
Ehre ver, ; Bde eicht auch Troft. 323 fon et⸗ 
was danach en. Berzagen muß man nicht. 
Das —* — die Seite zu Grunde; an den Regierun- 


un dem Grm 
on dem Einwirken des rn. a dv. Stein in un⸗ 
feree Otaats no nit viel zu er: 


Gr ſelbſt hat neh min —— —2 
Inn mu ai Ein care. ah Sala 


a Hans 28 ion die Mebe daten, fihon on hier einen Plan 
—— su Bei z indeß duͤnkt wid, daß unfer Yie- |. 


e Me 
keber- 


Bon — Be —X iR bein RAin 
28 ** wel bei der Bösigin, die für ihre 
6 Local bier zu Haben meint, 

wid, Mi dr er v. ——A—— verfichert, das Krüger'- 

LH 5 4 ein, —— Kepdems 

Eee it entgehen), fordern fe be Iren 

Mm N we ’ 
** —ãe ,ù́Ÿ æ f viel Unangenepares dort set empf 





tigt bin. Er erflärt ehrlih, wenn man *5 75— —* 
calculi und uch und tripli Sad ed darauf nit 
; e Kechnung wäre nicht eine Affaire Des Calls, 


Ionbern er gen ifgen Umgen 

IIEB- der ſchwediſch⸗ Re ein — guter 256 ie 
ner Kopf. Mit Riebuhr it wegen feiner üftern 

und da ihn das Schickſal Dänemarks gan; verfiunmt hat, me 
nig anzufangen. Der Minifter will ihn, wegen hr —* 


it teiben, nach Berlin zunäßft und dann nad) Hollan 


Bewahren Die ein wohlwollendes Undenfen Ihrem tim: 
geborfamften Freund und Diener Stägemana. 


4. 
Memel, M. Dre. 18. 
Hocdverehrter Freund! 
Bir vegeticen bier no fort. Die en md 


dem Hrn Daru in in ſtocken bis zur Zurüdkkanft des Koi 

F ei oleon in Paris, die vielleicht fo bald nicht —— 
—— Far der a a u 

kei —— glaube, er iſt deshalb gr Sur 

lien gegangen, um * em ſeines (der time 

Bollsbewegung gegen ſich felbft, wahrfäeintih mit der hf 

gen Bergitterung feiner werthen Perſon, in Konftantinopel ver: 

anlaßt hat) defto ſchneller zu erhalten. 

dansten 9 Hm. v. Printmunn, ba 


dt den "Brieg, den © hen über die bie : 


Pond ſ. w. iſt unter alle 
lecht, fo weit es 3 
Unfern neuen Dr anffationsplan , wie ‚Sr. Miniſer . 
Stein entworfen, babe ich zwar no nicht gelsfen, 
Manches mit ihm darüber geſprochen. richte, a werke 
wos in Memel, aber fpwerer in Königsberg, gar nicht in Bet: 


fin dur ufüpren fein. 
den —— —— ich nicht vid. © 
müßte kein Stein auf dem andern btaben; aber j 
die Menfchen vor we u. wie die Pappe ein vornehm und w: 
nüg daher ziehen, fo Bott will IR Ad ift eB — a. 
a un ‚außlofer. Hein, 
bärmlicher Geiſt, fein status in atatu, ſein —— 
den — der Givilverwaltung, felbk in die Politif, bad 
allein den Staat Bine Un der Eivileinri g, To Re: 
ches daran febterbn war, Ks e6 doch n t gelegen. 3% 
hoffe Shnen bald die miünbli Berfiperung meiner Dos: 
tung und Grgebenheit fagen zu können BStägeman. 


(Die Berifegung felgt.) 


174 


1 





"WRonunlittreter. 


I. Lebensbilber qus unferer Zeit ven H Blaha. Augsburg, 
' mid, 2855. 8. 22%, Rot. » u 

Odlen zartfü en Damen find diefe Blätter gewidmet, 
weil jeder böbere edanke, fei ed ber Dez Religion, ber Ay: 
gend, ber Liebe oder ber wahrhaften Größe, nur in ihren Der: 
yon Unregung und Widerhall findet.” Co de die Vorrede. 
„Rur großartige Leidenſchaften, außerordentlihe Charaktere hat 
der Verf. aneinguberreihen wollen, nur merkwürdige Begeben- 
heiten, nicht gewohnliche Ihaten, wollte er miteinander verbin- 
den, um das gewöhnliche Thun der. Alltagswelt in den Hinter⸗ 


d gu fielen: 

. Das vorliegende Bändchen enthält eine Novelle in ver: 
ſchiedenen Abtheilungen. Skizzenartig find Ereigniſſe und Cha⸗ 
saltere entwickelt, nur einzelne Beſchreibungen find mit Sorg⸗ 
folt und Kunft auägefährt. Unter andern bie von Pre La- 
chaiſe, Crockford⸗ Club in London, Florenz u. ſ. w. 

. 3. Mein Gedankenbuch von Franz Stelzhammer. Regens— 
burg, Manz. 1885. 8. 27%, Rgr. 

Reber firebt in feiner Weife nach bemfelben allbegehrten 
hybchſten Gute, nach Ruhe des Herzens, bie uns mit Dem Pa⸗ 
radieſe zuglei verloren gegangen; Jeden befält ed ein ul, 
wo er wie im Wahnfinn darüber an ben enfigen Beſten des 
Himmels rütteln muß — die Veften rüttelt er wol immer, aber 
fein eines morſchas Ahnenhäuschen fällt leicht dabei in Schutt 
und Trümmer; da fleht er dann im Gräuel der VBerwüftung, 
ein großunglüdficher Held des Jammers! Nicht FE gelingt 
es und nicht Seder bat den Muth, die Beharrlichkeit und daS 
Geſchick, fpäter Die Friedenshütte zu erbauen, unb muß irren 


arm und heimatios fein Lebelang.” Im Ringen nad dieſer 
bier gebotenen Gedanten ent: : 
Kran und aufgehä zu fein und der Verf. legt fie feinen - 


innern Zufriedenheit ſcheinen die 
teunden vor m 


konne ?”" Gin Haud ber Genialitaͤt durchweht dieſes Fin 
wenngleich das Genie ſich geoaten etwas barock nach Drigi⸗ 
walität haſchend äußert. Wir koͤnnen nicht umhin, einige der 
erfireuten Gedanken für fi) ſelbſt fprechen zu laſſen, da nur 
der Lefer einen Begriff vom Ganzen erhalten Fann. 
„Bir guten frommen Menſchen machen Alles unſern Sei 
Kesantipoden, den Ihieren, wenn auth nicht gerade nach, doch 
voͤllig gleich, und ih muß mid oft recht wundeen, wie wir 


durch das Bischen Vernunft und Klümpchen Herz fo viel Er» | 


habenes zu ſchaffen, fo viel Ruͤhrendes beruorzubringen im 
Stande find. Uber wären nur Die Thiere auch fo eitel wie 
wir, und frieben einmal die Heuſchrecken, Ierfiten, Raben 
und Gompagnie, Dering und Compagnie, Baͤren und Eom- 
pagnie u. f. w. ihte Luft, Land» und Seereiſen auf; 
Die Ameiſen, Bienen, Maulwürfe und Biber ihre Bauwifſen⸗ 
aft in Drud; fammelten die Elefanten ihren Wis; arran- 
girten die Affen ein Werk zum Todtlachen (einen wiener Erf: 
wacher, berliner Vademecuni), verfaßten eine Mimik für dra⸗ 
matiſche Dilettanten; gäbe Meifter Pez eine neue Tanzſchule 
heraus, componirten bie Froͤſche eine Oper für und bie 
Gaͤnſe; ließe der Spatz ferne ings·Geſchichten, der Zauber 
und Kater ihre Elegien, der Beiflg ſeine Burſchenlieder, bie 
Rachtigall ihre Dithyramben, der Gimpel feine Lehrgebichte, 
der Kukuk feine Igrifchen, die Grille ihre Dden erfheinen; 
maͤckerte der Bock feine Brkcourt: Lieder; Frähte der Hahn feine 
Politica; masdten Droffet und Staarmat eine gedrudte Gol- 
lecte ihrer Rhapfodien und Aphorismen; und erfreute und das 
eeögeltden mit feinen BRecenfionen, der wachhabende Storch 
mit feinen Kachtgedanken; mit feinen Einfamfeiten der Stein⸗ 
rothel; träten Buchs, Eifter, Meife und Maus freundſchaftlich 
pufamımen zur Abfaſſung von Mäybergefchichten und Schm 
anekdoten; erzählte der Eſel humoriſtiſch feine Tuͤken u 
Bosheiten; verfaßte ein rother Hund den Roman, wie er, der 
verkappte 


Heb ber Geſchichte, nor Liebe — Dienſt, Schlaf, ja | 


t der Frage: „Db einer dem unausbleiblichen 
pinefterabend der Lebensjahre ohne große Furcht ae an 
Büchlein, | 


ı Mfien und Arinben vergeſſen, und endiiih- nach woche 


Hiuſchmachten, Sellen und ‚Heulen an das Huldin Himet⸗ 
yforktein, doch ewbört, nd — zwar am ganzen Leibe hohl umd 
—— dam gluͤckfelig in fer Hundeloch zurü 3 ober 

aſchte aus der Scockſiſch — bei ich muß oͤren, meine 
fromen guten Menſchenbrü 

8 ereich iſt die romiſche Kreu X, wenn 
man damit bie Alterfiufen Des Menſchen 5 net. Bis ins 
fünfte Jahr ift von Kreuz und Leid Prine . Raum aber 
{ft dieſes erreicht, und wird bean Rinde dus UMS. Zikekdhen 
in die Sand gefpieit, geigen fi auch ſchon Me Oberkkhenkel 
bes Kreuzes in dem Zahlbuchſtaben V. Im neunten Jahre, 
:wo über des Knaben Bubunft Die erften Debatten verfallen, 
tritt es ſchon unabweisbar auf, Doc, ſteht noch das Mitderungt 
und Schupzeichen I (IX) Davor, was vielleicht die zaͤrtlich be: 
forgte Mutter bedeutet! Allein das Alles if ſpurlos verſchwun⸗ 
den, wenn ber Knabe im zehnten Jahre ins Gymnafium ab» 
reiſt — das Kreuz X ift fertig! Im zwanzigſten Jahre gefellt 
fich ausgebildet das zweite Kreuz (XX) dazu — die Liebe; im 


dreißigſten das dritte KXX) — daß liebe Hauskreuz! im vier 


u n das vierte (XXXX) — das Kinder» und Amtskreuz. 
nhigften Jahre endlich if alle Spur davon verſchwum 
den — die Leidenfchaften ſchweigen — ber Mann refignirt und 
meint, wie er im Zahlbuchſtaben L fo dafteht, kraͤftig und auf: 
rot auf breiter Baſis, nun fei’d gewonnen; aber ſieh da! im 
ſechrigſten it wieder Tas Kreuz erſchienen (LX), etwa eines 
eliebren Angehörigen Unfall oder Zod — Beginn eigener Hin- 
igkeit — Amtsundank u. dgl.; und ſo geht es Fi) mehrend 
und fleigernd fort Durch das fiebzigfte, achtzigfte (LAX, LXXX), 
bis im neungigften dem gebeugten Greiſe plöglich wie durch ein 
Wunder die wahre Bedeutung des Kreuzes Mar wird und er 
fi glaͤubig und hoffend an daſſelbe anlehnt (KC) und zule 
tm bundertfien gänzlich vereinfamt (O) in ſich sufanmmenboidt 
und einfinkt.” 

„Beinere Ahiere, zartere Pflanzen und empfindfame Men⸗ 
hen gedeihen nur im Geburtslande, andereowo veibt fie das 
Klime und Ba und ee aber 
und unumg nochwendige eu iere, fo 
Schufte und große Menſchen fommen Werall fort.‘ ) 

‚Bas doc; die Gewohnheit thut! Einige Bögel, fonft die 
a nkanten ber ‚Freiheit, tommen 'jegt nur mehr im Kaͤfi⸗ 
gen fort.’ 

„Ber einen fosmben Himmel zerflört, baut fich ſelbſt eine 
Sie. Das tft die u ve Gerechtigkeit auf Erden.“ 

„Hypotheſen find Abenteurer, die ohne Paß anf gut ud 
in die Welt auslaufen.” 

„Eord Byron hinkte und Napoleon war von Pleiner Dta⸗ 
tur; was ſich darauf manch hinkender Reimfchmich und kleinets 
Junkerchen zu gute thut.“ 

„Wenn dem Kinde die Düte genommen wird, ſteckt es 
gern den ‚eigenen Finger ins . Bir lächeln Über das 
einfältige Kınd und vergefien, DaB wir Großen es häufig nicht 
Müger machen.” 


„u Leben iſt ein Lindiſches Klettern und " 
Bein auf —— — und — iſt wol —* 


rum gar fo außerordentlich hoch und bünm, damit wir Hänger - 


Plettern und uns wonniger ſchaukeln Fönnen.” 
Biel Goldkoͤrner enthalten die vorliegenden Blaͤtter; ori: 


Teen, befonders wenn er e6 nicht din — 8 —* 
euen wenn er es n tereinander li ern 
nur von Belt zu Beit einige Seiten, indem er ben Inhalt prüft 
und durchdenkt. 
3 Sthaftian der Spagiergänger. Rovellen⸗Tyklus von ran 
en er Ehe Shell. Regensburg, Manz. 165 
. r. Rar. 
Weniger Befriedigung fand Ref. bei Lefung diefes zweiten 
Werks des Verf. Der Son des : Erzaͤhlers iſt geſchranbt, Die 
Erzaͤhlung uͤberladen. Es wird darin nach Wig gehafcht, die 


inelle Beleuchtun iſſe, * 
here 





288 | \ 


Genialität mit Abſicht geübt. Daß der Uutor Genie und Za⸗ 
Ient hat, geht auch aus diefem Werke hervor, doch duͤnkt es 
km als * fr die Form nicht gefunden, um folddes dem Le: 
fer —*5* u machen. Schon bie Widmung bed Buchs 
deutet auf den Sf ins Barocke audartenden Inhalt. „Dieſes 
Buch widme ich meinem älteflen und treueften Freunde Rie⸗ 
mand, Nitter keines Drbens, Mitglied Feiner geleheten noch 
fonfligen Geſellſchaft u. f. w.“ Der tolle Duſt in ber biogra⸗ 
—— Skizze zu —— iſt J— Fe Dedi- 
cation würdig. Humor und Genialität begegnen ſich oft mit 
Unfinn. Bu rühmen fhien uns bie kurze en 5 et wun⸗ 
derbaren Blick“; fie iſt zwar auch grotesk —— doch 
— im Höchften Grabe. —2 „Der Mechaniker“ hat 
etifchen Werth, obgleich ebenfalls bei diefer Novelle die Ge⸗ 
Baftians- Abfhroeifungen oft äußerft Läftig werben. 46. 


Bibliographie. 


L’ami du peuple. Skizzen aus Marat 8 jsurnatififcgem 
Leben. Hamburg, Hoffmann und Campe. 8. 10 Rear. 
Bauer, B., Kritik der ev 8* Sefäichte der ey 
optifer. 2te Suflage Ifter Fr ter Band. Leipzig, O 


gand. 

Böttiger, A., üser Kenmergüter und Domainen in 
den fächfifchen Landen mit befonderer Beziehung auf das her⸗ 
rn Haus Sachen: Meiningen. Leipzig, O. Wigand. Br. B. 





De tribus impostoribus. Anno MDIIC. Mit einem bi- 
bliographisohen Vorwort von E. Weller. Rebft überfegung: 
Die drei Betrüger. Bon 9. MR. After. Leipzig, Iurany. 
&.8. 15 Ror 

Desamy, x, Der Sieg des Sozialismus über den Je⸗ 
fuitismus, oder die Conflitutionen der Iefuiten und ihre ge⸗ 
beimen Berhaltungsbefehle verglichen mit einem Entwurf über 
die Drganifation der Arbeit. Aus dem Franzöfifchen mit einem 
Kahwort von E. Weller. Leipzig, Jurany. 8. 1 Zhlr. 

Emiliane, ©. d', Lift und Trug der Priefter und Moͤnche. 
Nach der 3, Driginalausgabe von Reuem herausgegeben, ver 
beffert und mit einer biftorifchen Einleitung und Anmerkungen 
verfehen pon einem Katholiken des 19. Jahrhunderts. Aus dem 
1 zeonlhen von 2. Hain. Leipzig, Zurany. 8. A Zplr. 


Der Gefaͤngnißprediger. Ein fchwarzes Blatt aus dem 
Buche de& Lebens. Aus dem Englifchen von A. un Hmar. 
Drei Theile. Leipzig, Kollmann. 3. 3 Ihlr. 24 R 

George, L., Die fünf Sinne. Nach den —ã* 
——— der Ph ysik und der Physiologie dargestellt 
als en lage der Paychelagie. Berlin, Reimer. Gr. 8. 


22", Ngr. 


Holman’s, James, des Blinden, Reife um die Welt. | 1 


Im Uubzuge aus dem Engliſchen von G. R. Bärmann. 
Kiel, niverhtäte-Bughantlung 8. 20 Ror.. 

Kefe ; ſt N 8., yhio 8 an on den götticen it: 
telwefen. Zugleich eine Burze Darftellung der Grundzüge des 
philonifchen Syſtems. Leipzig, Jurany. Gr. 8. Lzpe. 1 —*— 

Klenert, Gedichte. Karlſsruhe, Groos. 8. 


Frunmnmacher, F A., Das Chriſtfeſt. Eine Schrift 
für das Volk. Ate — Eifen; Baͤdeker. Sr. 12. 22"), Rgr. 
Litiz, F., Blicke in die Vergangenheit und Gegenwart 
der evangelifchen BreüdersKicche, ihre Verfaſſung und Sefchichte, 
a einigen biographifchen Notizen. Leipgig, Kummer. 8. 


15 
Sier, K,, Die Bildung und Bedeu des Plural in 
den semitischen und indogermanischen Sprachen, nebst ei- 
ner Einleitung über den Bau der semitischen Verbalstämme. 
Mannheim, Bassermann. Gr. 8. 24 Ngr. 
Der Nibelunge Not. Das Nibelungen: Lied. Urtert mit 
gegenüber ſtehender Überfegung, nebft Ginleitung und Wörter: 


buy, herausgegeben von Dr. a Braunfels. Sraxt: 
B. Uhl: 


Ion N fein Uns 
ur aa 


furt r Rio —* e Anßalt. 


te. Aus dem vn 
Leipz Fee en. 16. 2 Ahlr. 1 
Veud in dem euengelifgen Eprifentfum. Ci 
m evangelifchen Ehriften 
ſophiſche Te Sena, Maufe.. &. 8. 
Schuſelk Glezd, Polen und Rußland. Ham 
burg, Soffmann a Eampe I Shlr. 15 Roar. 
— Are F 
nden über Ulrich Zwingli's ö ed und 
Leben. Schwaz. 1845. 8, gr. 
Bolkhardt, C. H., Scherz und 
in Zenien, Epigrammen und d en Pleinen a 7 
Baͤndchen. Bamberg, Schmidt. r 45. Br. 18. 
Volksbuch für das Jahr 1846, mit beſonderer lee 
auf die Herzogthuͤmer Schleswig , voiſtein und Lauenburg. 
Mit Beiträgen von ıc. ‚Derausgegeben von K.2.Biernapfi 
Iter Jahrgang. Altona. 8. Nor. 
Willkomm, E., Blige. Rovelen , Sch ngu und 
Skizzen. Zwei Bände. Leipzig, Kollmann. 2 Ihle. 2: Re. 
Beugniffe aus dem verborgenen Leben; —* Lebens: mb 
Glaubenserfahrungen eines Ungenannten, in. Befängen. 2 
verb. und verm. Auflage Eſſen, Bäbeler. Sr. 12. BR 


ffian ’s 


e ve 


ei ormiß. 


TZagesliteratur. 


Bellermann, 8, Schlichte Betrachtungen über dad 
a peiftentpum und bie jegigen Slaubensftreitigkeiten. Bern, 
Börfiner. Gr. 8. 3 Nor. 

Gersdorff, €. v., Über den Begriff und das Bela 
der öffentlichen Meinung. Ein Berſuch. Iena. Gr.8. 108% 

Harleß, G. C. A., Die Liebe, dad Kennzeichen des 
zen ke Lehrers. "predigt. 2te Auflage. Leipzig, Zeubner. & 

Br. 


Krummader, 5. W., Beit-Predigten. IV. Wir liegen 
darnieder. Elberfeld, Haflel. 1845. Gr. 9, 2% Kur. 

— — def. V. Wir Fommen wieder auf. Elberfeld, Def: 
fl. 18495. Gr. 8 2%, Nur. 

Lübecks Eiſenbahnen. Luͤbeck, v. Rohden. 8. 3%, Rgr. 

Reineck, K. E., Das athanaſiſche —E 
der Paſtor Rupp und das Confiftorium zu Königsberg. x 
Sanme. -auß,der evangelifhen Kirche. Berlin, Bethge. Sr 

= 

Schell, RK, 3., Mein Austritt aus der alten Kine 

Frankfurt a. ,‚ Riterarifche Anftalt. Gr. 8. TUR 

—— A., Die evangeliſche — * bie 
beutfch-Fatholifche Reform. Eine — 53*8 — ⸗theologiſche Parallde 
aus ‚Rationalem Sefihtepunfte. Potsdam, Stuhr. Er. 8 


Sendfchreiben an Herrn de Gaftellane, Mitglied ver fr 

zoͤſiſchen Deputirtenfammer, im Betreff der galtztfehen 323* 

tion. Franzoͤſiſch und deutſch. Jena, Luden. Gr. 8. 2 Xgr. 

Stügle, I.R., Geiſtlicher Feldzug gegen das Laſter der 

en ar in neun Betrachtungen. Augsburg, Kollmann. 
gt. 


Sudomw, D. E., Dffenes Sendfreiben an Hrn. &® 
A. Kraufe auf Beranlaffung feiner Predigt: „Der Meinungs 
ftreit über die Perfon Jeſu.“ Magdeburg, Falckenberg u 
Comp. Gr. 8. 3 Rgr. 

Szeliga, Die Drganifation der Arbeit der Menfchet 
und die Kunft der Geſchichtſchreibung Schloſſer's, Gervinen, 
Dahlmann's. Charlottenburg, Bauer. Gr. 8. 10 Rgr. 

Thieß, ®., Dr. Mart. Luther's Xodtenfeier. Predigt 
über Sehr. 13, 7und8. Schleswig, Bruhn. Gr. S. 3%, Kar. 

Bon evangelifher Heiligung und evangeliſcher giche Eine 
Stimme aus der Gemeine. Dfldenburg, Schulze. 8. LO RK. 

Der deutfche Zollverein während der Zube 1834 — 13%. 
Berlin. Gr. 8. 10 Rar. 


Berantwortlicher Herausgeber: Heineid WBrodjans. — Druck und Verlag von F. X. Brockhaus in Leipzig. 


Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Sonnabend, 


20. Zuni 1846 








Briefe des geheimen Staatsraths von Staͤge⸗ 
mann an ben Kriegsrath Scheffner. 
(Hortfehung aus Nr. 1m.) 
5. 


aha 


Berlin, ©. Det. 1880. 


&o viele Borwürfe, verehrungswürdigfter Freund, ich mir 
auch ſchon gemacht habe, daß ih Ihnen feit meiner Abreife 
von Königsberg gar nicht gefchrieben, fo wenig babe ich doch 
bei dem vollftändigften Bankrott mit der Zeit es über fie ge 
winnen koͤnnen. Tor freundfchaftlider Brief vom 1. d. M. 
laͤßt mich indeß einen herzbaften Entſchluß fallen, über alle 
citissime auf meinem Xıfch hinweggufehen. 

Ale Welt erwartet zunächit die Bekanntmachung eines 
———— Es iſt leicht, rg daran zu verfuchen; aber et» 
was Gelcheited zu Stande zu bringen, wird man billig von 
Niemand erwartm. So lange wir die Kriegscontribution, die 
noch 18 Millionen Thaler beträgt, nicht bezahlt haben, iſt an 
ein vernünftiges Finanzſyſtem gar nicht zu denken, es fei denn, 
daß Napoleon und angemefiene Friſten bewilligt, und nicht mo⸗ 
natlich eine Million Thaler verlangt. 

Hr. v. Schön ift, wider mein Erwarten, von bier wieder 
weggegangen. Ich hatte geglaubt, ee würde fih dem Hrn. 
Staatskanzler mehr nähern als wol der Fall geweſen fein 
muß. Bon dem Detail diefer Sache bin ich gänzfich ununter: 
zichtet, wie ich denn, vielleicht weil ich in den currenten Ta⸗ 
gesgeſchaͤften unterliege, an dem Treiben und Toben des Par: 
teien, die und zerreißen und vernichten, nicht den entfernteften 
Antheil nehme; daher fand ich bei der Verabſchiedung des 
Hrn. v. Altenſtein ganz verwundert, ar meine Freunde mir 
verficherten, fie hätten befürchtet, daß ich in der Profeription 

fein werde, werw ich freilich gar keinen Brumd ſah. 
fere Univerfität fängt ja an zu blühen. te fcheinen 
ir Beine Früchte zugutrauen. Es wird Alles von dem politi⸗ 
ſchen Gang der —— abhängen. Bielleicht kann fie 
viel Fir Deutiäland werben, obfdyon meine Hoffnungen 
wicht groß find. Kleinliche, ängfkfiche Unfichten u. ſ. w. wer» 
den mehr wirken als Rapoleon. Daß Adam Müller nicht an» 
ftellt worden iſt, mag, Aum Theil an ihm felbft liegen. Er 
t vor der Hand ein Schaft von 1200 Zhalern beim Finanz- 
mintfterio, wofür er nech zur Zeit nichts thuts aber es häft 
ihn doch bei uns zurüd. Er ift ein „ges vorzügkidher Kopf, 
aber er muß noch lernen und geünblicher werben. Sch ſehe 
ihn ſehr oft. Sein Freund Heinrich v. Kleiſt redigirt jeht ein 
Rbendblaͤttchen, welches fo geleſen wird, Daß vor einigen Ta⸗ 
Wache noͤthig war, um das andringende Publicum vom 
en des Haufe des Werlegers abzuhalten. Diefen Beiz 
gibt ihm die Uufnahme der Policeinachrichten, die der Policei⸗ 

pᷣraͤſident aus Freundfchaft fuppedikirt. 

Unter den hierher gerufenen Gelehrten gefaͤllt mir Hr. v. 
Goeigny am beftn. Gr iſt ein Schivager Brentano's, des 


? 


begri 


" vergögert wird und 


Freundes von Arnim, des ſich mit feinem Freunde bie Wun⸗ 
derhoͤrner noch nicht abgeftoßen hat, fonft brave Kerle. 
— Dana din 


en. Geine &t5 


en au werden ver⸗ 
Hrn. Bel: 


| fpielen. 

fe mi 8 nd | wohlwol⸗ 
* ae ea Hier Anan u. m und 
freuefte Ergebenheit. Stägemann. 


6. 
Berlin, 18. Mär, aM, 


Schon Längft, Horhverehrtefter Fremd und Gönner, Hätte 
ich Ihren mir richtig zugeftellten Brief beantwortet, wenn id 
nicht gerade jept in einem Meere von Acten begraben wäre, 
aus dem ich mich kaum mehr herauszuwinden weiß. Es geht 
mir alfo, obwol ich leidlich —— bin, ſchlecht genug. Indeß 
will ich Ihnen doch gern erzählen, wa weiß. \ 
Die Kaffenfachen find mir verhaßt und ich befümmere ; 


darum fo wenig als möglih, ba ich kaum erleben werde, 


man bie fo fimple Klarheit dasin erlangen wird. Es fcheint, 
als wenn Jeder feine Freude daran hat, fie fo viel als nur 
möglich zu obfewiren. Seht bietet mir das Eompenfationd- 
wefen wieder ein geräumige Feld dar. Die Bergütigung ber 
ruffifhen Foderungen babe ich nicht anders einleiten koͤnnen 
als geſchehen ift und Gott gedankt, ih nur fo weit ges 
fommen bin. Das —— —2ͤ abe aug durchge⸗ 
kampft, obgleich die Einmiſchung ber ſtaͤndiſchen Geſchichten 
nicht nad meinem GSeſchmack iſt und uns Bier einen gewalti⸗ 
en Verdruß mit den Ständen (fogenannten) macht, die doch 
—2* nicht fchlechter fein koͤnnen als hier. 


Was ſehr zu bedauern und ganz vom vorigen Riniſterio 
bed Innern — 2* — iſt, iſt, daß die Reform des Repraͤſen⸗ 
tationsweſens nicht früher geſchehen. Ber alte Sauerteig 


er gute Wille des Hrn. Staatskanz⸗ 
Vers nicht überall hinreicht. 


Überall Anſtoß m ang allein Schuld, daß & Manches 
a 
Sie fragen nad am Müler. Ich bin nicht beſonders 


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namentli eine Brentano's über die Philiſter. Hochverehrter Herr und Freund! 
a a a en 3 Daß Sie nad dem ſch i Berluſt, 
alle Juden —5 —* und Philiſter meiner großen und aufrichtigen 


—* 
babe ih aus Ihren Autheil 
hen. Jet 


nicht entjagt, on ber 
hat fi mit Brentano’s Schweſter Bettina (einer Enfelin von Sefeufehafer mit vieler Freude gefe t, da für die 
Sephie a Aoche) kürzlich verheirathet. Sie iſt ein verkändiges | ein neues Leben beginnt, ift ch auch in Ihrem Ulter reiht, u 
Veſen, ein wenig ſeltſam. vau inen Krieg weiſce⸗ einem neuen Leben zu erwachen; der Geiſt wird ja nicht alt. 
eve politifche e durch einen Krieg Bon der neuen altung der Dinge überwältigtem 
Rußland und Frankreich ſehr ungänftig verändert werden fon- | Napoleon (wie Hr. —— es gibt) rg freilich für jcht 
nen. ber hat wirkli einmal einen herzhaften ) nad) milpt viel gu erwarten, vöwel i 
gefaßt; es ift bei ihm aber nur ein Rauſch der bald verfliegt | reau's und Bernadotte's ber Krieg 
und feit der vorgeflern Abend erfolgten Rücktunft eines ruffi- | genommen bat, fo auch ünfti 
fen Kurier aus Paris re u für befeitigt angenon⸗ vi figen 
men werden zu Fönnen. für meine 259 babe in diefem | Subſtituten haben auch 
— — —— 
ander wei zu einen ein» | leben können · Indeß wird bes der Bölker mi 
geiage. Es hilft aber doch nichts. Schweden wird in drei bis | ohne Erfolg bleiben, und bas muß um über Age 
vier Jahren Finnland, Livland, Eſthland, Ingermanniond | unnüg vergoflenes Blut. Man erzählt hier, in Yarib fei ei 
a m wol a Bein en und das Haus Holſtein ſchwer⸗ Goricatur eribienen, unfere Nrme vorftellend; bie Golbaten 
: öw , Gener feropfen 
5% wünfde hei, daß eb Shnen maß lange wohl ge | opne Aaeseplen, Die Generale mis Ga und Andere 


* 


A TIcH | 
de a erlag iu | Di Se mn Birken u Base habe 14 Le 
7 Schritte und die —— des Kaiſers Alexander waren 


Berlin, 16. Mai 1812, 


Das emach, das mi 

mit Actenſtoͤßen und andern een verfolgt hat, if in diefen | halben Schritte Vork's waren wir abgefallen. Bir wellten 
Zogen allgemeiner Trübfal auch wider mich ganz befonders | nur pacikcisen, und ſahen nicht, dab nur Ein Paciscent 
losgelafien. Davon zu ſchreiben iſt nicht viel, denn es läßt | war, nämlich wir felbfl. Jett wird die Sache freüid antır 
fich nit beſchreiben. Ku ed if gang toll, Geld zu ganzen gem; Dank fei ed vor der Hand Wellington und 
wen ausflreuen zu gi und nit eines Pfennigs Herr oreau und Bernadotte. 

zu chuldigen daher, mein hochverehrteſter Rapoleon hat unſtreitig feinem Schwiegervater die Gab 
und unvergeliher Freund, daß ich mich ſchriftlich erſt jegt | ſchloſſenheit nicht gugetrant, ihm fo raſch den Krieg zu me 
Ihrer erinnere hen den Ei & der combinirten 


ihm . 
befige, mit ber Leier zu fpielen, die feit geraumer Beis ein | feine halbe Macht auf Berlin und bie andere Hälfte a er 
Bahın iel für mich geworben if, und Feine Neigung aus | fien wandte. —* eher auf uns if} ganz a a 
dem kaftaliſchen Quell zu ſchoͤpfen, Eönnen &ie wol glaubens | aus den Beitungen fehen. Daß ber General Sirard, ber wit 
Indeß flvebt der Beift Immer der frühern fdhönen Gewohnheit | der magdeburger Garnifen den Angriff auf Berlin unterfiüger 
entgegen, und bie Doffnung, mich vieleicht bald einer Höchft | follte, nicht ganz abgeſchnitten worden ift, hat er nur jenen 


| 
| 
| 








Wind zu danken; doch hat er ein Drittel feines Corps ver- 
Ioven. Wir Hoffen, daB Davouſt, der im. Mecklenburgiſchen 
vorgeruͤckt ift, den Unfern in die Hände fallen werde. - 

Der fchlefifhe Angriff ift dem Kaifer zwar ge luͤckt, aber 

“ohne weitern Rutzen; er bat nad) Dresden umkehren wmüflen 
und wird jept vieleicht in der Gegend von. Freiberg eine Rie⸗ 
ſenſchlacht wenigftens über den Kriegsſchauplatz des Fünftigen 
Ronais entfeheiden. Sehr wichtig find die Unterhandlungen 
mit Baiern. 

. Die fehwebifche Armee ift fee ſchoͤn; fie begeht aber mis 
den Muffen gemeinfchaftlich viel Erceſſe, woran die unendlich 
ſchlechte Vorſorge für die Verpflegung Schuld ifl. Die Sehn⸗ 
fuht,,. die man hier nad den Ruſſen hatte, gleicht nur ber 
Sehnſucht fie wieber loszuwerden. Einige Wochen nach ihrer 
Ankunft nannte man fie ſchon Trade eſter; jegt heißen fie 
Biefter ſchlechtweg. Roc wird der unjelige Benningfen, wahr. 
ſcheinlich von feinem Meierowiz begleitet, erwartet. ' 

Die ofipreußifchen Offiziere haben hier, da fie noch ganz 
Bonapastetrunfen find, fein günftige® Borurtheil für Oſtpreu⸗ 
fen erweckt. Namentlich hat ein ... erfiärt, er würde fi 
erft dann gluͤcklich fchägen, wenn er unter Napoleon's Befehlen 
kampfen koͤnnte; alle unfere Anfirengungen gegen ihn wären 
eine vergebliche Thorheit. Man follte doch meinen, daß Spa⸗ 
nien viele Meinung fihon gewürdigt habe. Daß es brave Ge 
nerale unter uns gibt, denen nur die nöthige @inficht Fehlt, 
bat das Pr Hg Dragonerregiment am 22. diefes Mo: 
nats mit großem Verluſt erfahren. 

Ivernois, deffen perfönliche Bekanntichaft ich in Dresden 
gemacht babe, fehreibt fich den Athem aus, um zu beweiſen, 
daß Rapoleon an feinen Finanzen zu Grunde gebe. Daran 
ift ſchwer zu glauben, fo lange er Herr von Deutkhland bleibt. 

Ehen geht der junge Scharnherft als Kurier aus Schle⸗ 
fin zum Kronprinzen von Schweden mit der Nachricht bier 
durch, daß Blücher am 26. d. M. die unter Macdonald, Rey 
und Laurifton vereinigte franzöfifche Armee bei Goldberg ge 
[lagen babe. Yunfzig Kanonen waren fihon erobert, als 

.v. Scharnhorft dad Schlachtfeld verlieh. Der vortrefflichen 

ispofitton Gueiſenau's fol diefee Sieg zu danken fein; und 
bald werten wir noch mehr erleben. Ich habe noch nie an 
Napoleon's Bertilgung gezweifelt, fowie die Rothwendigkeit, 
daß er zum Heil der Welt vertilgt werben muß, nicht erſt zu 
discutiren ift. " 

Den Hrn. v. Stein habe ich nicht, wie man ihn mir 
fhliderte, enragirt und eraltirt, vielmehr fehr ruhig und be 
fonnen gefunden. - Wollte Gott, daß andere Leute fi) auf den 
poetifchen Standpunkt flellen koͤnnten und früher geftellt haͤt⸗ 
ten, ohne den jet nichts gelingen Bann. Durch feinen Wan» 

L an Menſchenkenntniß ward Hr. v. Stein zu oft getaͤuſcht. 

n Schön habe ich lange Feinen Brisf. Man fagt, er wolle 
nad Gumbinnen zuruͤck, doch halte ich dies unter den jegigen 
Umſtaͤnden abgeändert. Schediger hat den Fuß gebrochen und 
ift in irgend einem Badeort. 

Niebuhr hält ſich in Schlefien, jegt wahrſcheinlich in Prag 
auf. Wie hat feine „Römifche Geſchichte“ Sie erbaut? Sie hiefe 
wol beffer: Kritifche Unterfuchungen über die roͤmiſche Geſchichte. 

Sch muß heute enden und dann nur hinzufügen, daß ich 
&ie unter VBerfiherung der treueften Ergebenheit und der al 
ten’ Hochachtung um Ihr freundſchaftliches Wohlwollen bitte. 
Stägemann. 9 


Berlin, 13. Dct. 1818. 


fi 
& erichtet, .wofelbft, wie wie hoffen, i igen Tagen 
—— — a einige . Beh entfleden werden. ſou. 


Seltfom genug, iſt es, daß wir hier nicht mit Zuverlaͤſſighen 
willen, wo ſich der Kaiſer Rapoleon und die Staͤrke ſeines 
Heeres in biefem Uugenbli befindet. Iſt er wirklich, wie es 
heißt, in Belgern (auf dem linfen Eibufer, eine Meile ſdlich 
von Torgau), fo. möchte ich beinahe vermuthen, daß er fich, 
während man ihn von allen ®eiten auf dem linken Elbufer 
umſtellt, auf das rechte Elbufer werfen und, indem er zuglei 
Berlin bedroht, über Magdeburg ſich einen ſichern Weg na 
Weſel bahnen werde. Allerdings ift ev fchlecht zu Pferde, aber 
ex ift immer ein großer Feldherr, ber auch zu Fuß fechten kann, 
Die Außerung des jungen Hen. v. ... habe ic aus dem 
Munde eined ſehr ernſt⸗ und wahrbaften Mannes. Sie ift 
auch in dem Geift, der nach der unglüdlihen Schlucht bei Bär: 
ſchen und Bautzen unter unfern Dffigieren als Regel herrſchte. 
Daß übrigens Hr. v.... ſich ben Kaiſer Napoleon lieber zum 
Feldherrn wuͤnſcht als den General vn. B..., ift ihm nicht zu 
verübeln. - Das Sprüchwort übrigens: Miele Hunde find bed 
Haſen Tod, wird doch wol bei dem Welteroberer Beine Aus⸗ 
nahme machen. Man ſpricht überall nur mit Bewunderung 
don unfern Truppen. Die Tapferkeit wirb fortan in der Ge⸗ 
fhichte des Epitheton preußifch mit fteigenden Lettern erhalten. 


Berlin, 26. Oct. 1818. 


‚ Indem ich bad vorige Blatt beichrieben hatte, wurden wir 
hier unerwartet olarmirt. Unſer Gouvernement erhielt Nach⸗ 
richten, daB der Kaifer Rapoleon mit feiner Hauptmacht, 
17,000 Mann ftark, den ruffifhen General Gacken, ber bei 
Düben ftand, verdrängt habe und bei Wittenberg und Torgau 
über bie Eibe gehe. Gewiß war ed, daß ber vor Wittenberg 
commandirende General Thümen auf Koswig geworfen und 
Zauenzien mit feinen und dem Thümen'ſchen Corps in Eil 
märfchen auf Berlin gehe. Wiewol ich felbft die Meinung 

atte, daß Rapoleon wol auf Magdeburg zu geben verfuchen 
önne, waren mir doch die angegebenen Umftände fehr verdaͤch⸗ 
tig, und es zeigte fich bafd, daß Zauenzien, verleitet durch eil⸗ 
fertige und irrige Berichte. Thuͤmen's, jich fehr übereilt habe. 
Man Eonnte Peinen Augenblid zweifeln, daß der Angriff auf 
Gaden und Tauenzien und der Übergang eines Meinen Corps 
über die Elbe nur eine Demonftration fet, die einen Plan auf 
dem linken Elbufer verdecken ſolle. Der Kronprinz von Schwer 
den und Blücher ließen fih au nicht irre machen, ihren 
Marſch auf Leipzig Tortgufeden, und der Schlag ift, wie Sie 
jegt wiflen, zum Verderben Rapoleon's gefchehen. 

Die große böhmifche Armee fcheint wiederum mehr im Ber» 
Luft gewefen zu fein. Unbegreiflich ift es, daß fie die Bereini⸗ 
gung Augerau's mit dem Kaijer nicht verhindert und daß fie 
am 18., wo der Kaifer Rapoleon ſchon Vormittags die Reti⸗ 
rabe auf Raumburg anfing, diefe Straße fo ſchwach befept hielt. 

Wahrfcheinlih ward Rapoleon am 17. ſchon bie dringende Ges 
fahr inne und fuchte ihr durch dieſen Rarſch zuvorzukommen. 

Jetzt fragt ih: was er nah Frtankreich zurüdbringen 
werde? Ich Hoffe, unfere Zruppen werben auf dem Müdzuge 
ihn ganz aufreiben. Um 23. fand Blücher in Soͤmerda, 

Schwarzenberg in Jena. Die Equipage des Könige von Rea- 
gel war erbeutet und ein Theil des kaiſerlichen Areſors. Wenn 
doch mit ihm mein Freund der Graf Daru! S00 Kanonen wa» 
ren in unfere Gewalt gelommen und über 30,000 Gefangene. 

Der König iſt, wie Sie denken können, im höchften Jubel 
empfangen worden, obwol fi Einige fragten: was er Hi 

_wolle. Beute Morgen traf der gefangene König von 
mit feiner Familie hier ein. webt ift ihm gem Aufenthalt 
angewieſen. Der König von Wuͤrtemberg hing bis zur Schlacht 

von Reipzig noch an Napoleon. Dagegen ift der Bicekö 
von Stalien in dem Abfall Baiernd begriffen. Dan fagt, er 

erhalte bie Souverainetät Parmak. 
Sie fehen, die Politik befihäftigt Hier faſt ausſchließlich. 

Es Hat au lange genug auf die Mägel gebrannt. Bum Lefen 
Tomme ich faſt gar nicht. Daß meine Gedichte Ihnen einiger 
Bergnügen gemacht Haben, geseicht mir zu großem Troft. ch 
würde dielleicht, einen groͤßern Werth darauf legen dürfen, 









habe ich in Dreiden vor einigen 
' ob ſcht⸗ 


nicht anders flimme, 
druckten Schaufpiele lefen. 
fonft —— Menſch 


(Die Fortſetzung folgt.) 


Aus der Provence, Reiſebriefe von Friedrich Lud⸗ 
wig. Frankfurt a. M., Brönner. 1845. 12, 1 Xhlr. 


feine Hoffnung auf den Guſtav⸗Adolf⸗-Verein läßt einem jun: 
gen Theologen ganz gut; es iſt angenehm, daß ber Verf. Durch 
Aufdrängen dieſer Anſichten niemals läftig fä In diefen 


„Keifebriefen” wird manches Wiffenswürkige aus ber Gefdhichte 


gubwig, d icht ins uͤb 
—— Hide: nur ee 3 die Rich» 
es Au 


tigkeit drucks iſt das Grunderfoderniß zum guten Stil. 
Der Berf. hat gewiß Selbſtkenntniß genug, daß ex fich, 
nach Herausgabe dieſer Briefe, nach nicht einen großen 


"unmittelbar na 











eußgefpradgen wird, näni 
ae dem ſuͤdlichen Bi weien 
manchem Eefer ſich B. 
Litersrifhe Rotizen aus Frankreiqh. 
& im. 
WBenn- Goufin auch auf Yen Kamen eines wahrhaft fen: 
Pr tsreriääen Eeikungen beh khon —2 —* 
e N 
in Sranfrei zuerſt die Anregung t i Etudien 
angen iſt, alle Beachtung. onders san 
feine Mentlichen Borträge, bei denen bie Macht feines Wer 
und feine ganze gediegene, kernhafte it mitwirkte 
Die Räume reichten nit aus, um iejeni aufnch 
men, welche ſich — 5 zu den lebhaften, einſchneides 
—— Wegier ng mer anflößiger wusbe. * 
er u & 
druckt noch machten fein Ausein en einen in 
Eindruck. Sie erſchienen erft in ei ‚die ma — 


ls Riegemde Bi 
en fie gefammeit und übe: 


(gen zu laſſen. Wenn er num endüh wi 
dem Reſte feines Cours and Licht tritt, fo dürfen. wu we 
zwar einerfeitö dazu Glücd wünfchen, andererfeits aber if uk 
zu verkennen, daß bie Erfcpeinung Diefes „Cours de pkie- 
phie moderne‘ — fo lautet der Titel dieſer neuen Publ 
tion, weile auf fünf Bände berechnet ift — einen viel gie 
Bern Eindruck gemacht haben würde, wenn fie um einige 
Zahrzehnde früher gefallen wäre. Wir wollen nit behau⸗ 
als enthielte dieſe meus Gomaung nigt mandes Geatlorn, 
dem auch jetzt noch eine fröhliche Entfaltung vorbehalten iſt, 
und als Fönnten burftige Sünger nicht aus diefem Quell, der 
ihnen erft fpät eröffnet wird, noch jegt Labıng und Yaregung 
fhöpfen; aber fo viel dürfte denn doch wol feſtſtehen, daß 
Allgemeinen die jüngere pbllofophifche Schule ſich mehr und 
mehr an eine firengere Methodik und an ein wiſfenſchaftſicht 
red Erfaſſen der Philofopheme gewöhnt hat als eb von Gone 
beobachtet wird. Während man ſich früherhin wit einem ex: 
nähernden Berſtaͤndniß der philoſophiſchen e re 
will man fie jet in ihrer ungetrübten t ww 
frembe Beifäge, fobaß man ohne Goufin zu nahe zu tee 
wol behaupten darf, fein Eklekticismus — wie er fh af 
in dem vorliegenden Werke abfpiegelt — fei nicht gang mehr 
auf der Höhe der Zeit. Damit wollen wir Beineswegs u U 
rede ftellen, daß biefer ‚Cours de la philosopkie mederae” 
oßne Zweifel mit Beifall und Anerkennung entgegenzemummen 
werden wird; nur dürfen wir wol dieſen Erfolg mehr alt ti 
nen succes d’estime bezeichnen. - 


3 


Die Reifen des Herzogs von Vor beaur. 

Wir haben neulich in_d. Bl. bereits auf einige Er; 
niffe der legitimiſtiſchen Hofpiftoriographie aufmerkſam gemalt, 
die in ihrer hohlen Breite an den Stil der ungenie 
baren Panegyriker erinnert. Wir. können. zu jemen Angabe 
nod ein Werk narhtragen, welches fich diefer Weihrauthelur 
ratur anſchließt. Es find dies bie „Bouvenirs des voyagn 
de . le duc de Bordeaux ea Italie, en Allemagn « 
des dtats de l’Autrighe”, welche vor. kurzen vom Grafen fr 
maria in zwei Bänden herausgegeben find. In Demfetben wuh 
und nichts Reues, wenig GBenichbares, aber befto nahe leere 
kobhudelei in bebaglicher Breite aufgetiſcht. N. 


VDerantwortlicher derausgeder Geinzich Brochans. —  Drus und Berlag von P. W, Meodfand in Peiyzig. 





Blätter 
für 


literariſche Unterhaltung. 





Sonntag, 


— Rr. 142, — 


21. Zuni 1846. 


nn 


Briefe des geheimen Staatsraths von Stäge- 
mann an den Kriegsrath Scheffner. 
(Bortfegung aus Nr. 171.) 


10. 
Berlin, 4. April 188. 


Die Unruhe, in ber ich mich biöher befunden babe, um 
mich in der möglich Pürgeften Zeit von meinen bisherigen Ar 
beiten zu befreien, hochzuverehrender Freund, bat mich bisher 
mir felbft e en, und ih bin mit großer Anſtrengung nur 
jegt erft —8 geworden, um in den naͤchſten Tagen meine 
Keife nach Paris antreten zu koͤnnen, wohin ich nun post fe- 
stum komme. Indeß muß ich befennen, daB ih es nit ge 
hofft habe, dem Einzuge unferer Armee in Paris beiguwohnen, 
weil ich, flatt Andere von dieſem Greigniß überrafcht worden 
find, fon im Monat März, alfo Ginen Monat früher, Das: 
jenige erwartet habe, was erft im April eingetreten iſt Rur 
das Ende der Repoleon’fchen Weltherrichaft hat mich betrogen; 
ich dachte doch den legten Met eines Shakſpeare ſchen Trauer⸗ 
ſpiels zu hen, und es wird der Schluß eines Iffland’fchen 


itienftüdis. 

Die Hauptfache jedoch ift gefhehen. Die Zerrüttungen 
der Welt haben auf kange Zeit ihr Ende erreicht, und die 
Segnungen des Friedens werden das taufendfache Elend ver: 
güten, das unter und verbreitet worden iſt. Rur einen Frie⸗ 
den mit Rapoleon habe ich gefürchtet, und man war nahe dar» 
an, ihn abzufchließen, wenn nicht die Wolkenhand, die dieſe 
Angelegenheit fihtbar geleitet hat, fi) darein gemiſcht hätte. 
Wie überzeugt die Berbündeten waren, daß Napoleon von ih> 
nen nicht überwältigt, und daß man mit ihm einen Frieden zu 


ſchließen gezwungen fein würde, beweifen die auf 20 Iahre ge 


ſchloſſenen Allianztractate. 
Was weiter aus uns und insbeſondere aus Deutſchland 

werden wird, werden wir nun bald erfahren. Bielleiht nehme 

ich noch, wenn ich zum Hrn. Staatskanzler komme, einigen 


- heil daran. Roc weiß ich nichts; man ift auch, trunken von 


dem felbft nicht erwarteten Gluͤck, ſchwerlich ſchon weit darin 
etommen. Ich fürchte Manches von der ruſſiſchen Unmaßung. 
ben wir doch nicht einmal es dahin bringen koͤnnen, d 

wir in den Befig unferd ehemaligen Weftpreußens gefegt wor: 
den find, ja nicht einmal dahin, daß man uns bie im ‚Herzog: 
thum Warſchau confitcirten Capitalien zur Dispofition freige⸗ 
eben bat, und.während unfere Soldaten doch bauptjädhlich mit 
bas Interefie des ruſſiſchen Reichs ſich die Hälfe brechen, 
ieht bie ruffiſche Adminiſtratur im Hexzogthum Warfchau Die 
infen von den Gapitalien unferer Offizierwitwenkaſſe ein und 
die Witwen unferer Helden müflen darben. Hr. v. Kotzebue 
wird ſchwerlich Luft haben, diefe Freundfchaft des Kaiferb 
Alexander zur öffentliden Kenntniß zu bringen, fo ſehr ihm 
der alte König Zaber gefallen hat. Berabe den Act der hoͤch⸗ 
ken Ungerechtigkeit des Napoleon alias Rikolaus, diefer. Dieb- 
ſtahl unfers Privateigentpums, fegt der gepsiefene Alexander 


fort. Ich babe alle Urfache ie fürdten, daß er große Luft 
babe, das ganze Herzogthum Warſchau zu ſchmauſen, wiewol 
er es fchwerlich verbauen wird. &ollten wir nicht Herren der 
Miüttelweichfel werden, die Ruſſen fich vielmehr daran feftfegen, 
fo müflen Preußen und Ruſſen, trotz bed zwanziglaͤhrigen 
Buͤndniſſes, zuerft und je früher je befier das Schwert gegenein- 
ander ziehen. Ban fcheint es nicht glauben zu wellen, aber 
ed wird fich zeigen. 

Für uns ift jegt das Intereffantere die innere Adminiftre- 
tion. Es laßt fidh aber leider ſchwerlich viel Davon erwarten. 
Un organifche Geſetze, an .eine Eonftitution Dürfen wir nicht 
denken. Der König ift gewiß ganz dagegen. Ebenſo wird er 
einer wohlthaͤtigen Finanzadminiſtration durch die Foftbarften 
Militaireinriätungen entgegentreten, und body würbe es, ohne 
dDiefe, Beine großen Schwierigkeiten finden, das Staatsſchulden⸗ 
weien zu ordnen. Kann für dieſes nicht angemeflen gewirkt 
werden, fo läßt fi gar nicht einfehen, wie dem fo ſehr zer⸗ 
rütteten Zuftande der Provinzen und Communen in Anfeh 
ihres Schuldenwefens und der ungeheuern Verwirrung des 

enthums abgeholfen werben fol. Dan .wird durch Iortgehenbe 

inquarfierungen und Lieferungen, durch Acte der Wilkür in 
der Adminiftration, durch Unregelmäßigkeit in der Geſetzgebung 
und durch die andern Übel einer ſchwachen Regierung den Geiſi 
der Untertbanen verderben und unfern Nachkommen eine blu: 
tigere Zukunft bereiten. Der neue Binangminifter bat gewiß 
fehr guten Willen, der aber befchränft wird durch feine per⸗ 
fönlige Eitelfeit, die ihm feine Inbivitualität an bie Stelle 
des Hffentlichen unterfiebt. Ich babe Grund zu glauben, baf 
er die Ernennung eines Minifters des Innern bios deshalb 
verhindert, um allein zu fleben und von dieſem Minifterium 
Manches an fich zu reißen. . 

Fur Die Literatur bin ich jegt fo gut als todt; doch ar⸗ 
beite ich daran, dieſes für mein Gelbft ganz verberbliche Ber: 
baltniß aufzulöfen, und ich hoffe, daß es mir gelingen werde. 
Von der biemaligen leipziger Büchermeffe ift wol noch nicht 
viel zu erwarten. Die Lobrebner Rapoleon’s werden ſich bes 
eifern, durch Napoleonicken die Scharte auszuwehen, wie 3 B. 
der Schmierer Benturini. Goethe wird ſich über den Fall jei- 
nes Helden, der ganz wie ein Kohebue'fcher endet, gewiß ſchwer 
ärgern, und feine Verſe Hoffentlid) den Flammen übergeben. 

Fichte's früher Tod hat mich fehr erſchreckt. Er bat feine, 
Familie in einer hoͤchſt bebrängsen Lage hinterlaſſen. An Neu 
bat die Welt noch mehr verloren. Den Einen hat der Gifer 
feiner Frau, den Undern zugleich mit feiner Frau (die wenige 
age nach ihm ftarb) fein eigener getöbtet. Unfer Sad hat nich 
bei feinem Abſchied von bier der Gelehrten treu angenommen. 
Dem traurigen Muͤhler hat er den Poften eines Directors ber 
bobern Policei in Dresden verfchafft, und den noch traurigern 
Scribenten Karl Stein Hat er mit ſich na Aachen genommen, 
wo er ihm fchlechte Proclamationen macht 
FZougque iſt jetzt in. Berlin. Ich habe auch feiner interef- 
fanten Frau Bekanntſchaft gemacht. Sie hat Manches geſchrie⸗ 
ben. Er felbft fcheint von den Strapatzen bed Feldzugs ‚ganz 


. I - 
} 

. 209 
ergeftellt zu fein, hatte aber fehr gelitten unb fi fon nad 
er Schlacht von Leipzig zurückgezogen. Der Mann feiner 

Freundin, der geborenen v. Imhoff, ber ſchwediſche Feldzeug⸗ 
meifter v. Helvig, Hält ſich ſchon feit dem vorigen Sommer 
hier auf. _ if weil er fih gegen die Wahl des Kronprin- 
zen erklaͤrt hat, Außer Acivität, welches die ſchwediſchen Dffi⸗ 
iere ſehr bedauern, indem fie verſichern, DaB er die ſchwediſche 
rtillerie neu geſchaffen habe. Er iſt ein Stralſunder, Der ger 
en drei. Thaler Handgeld, als Bimmergefel, in ſchwediſche 
Dienfte als Wrtillerift trat und war ſchon in feinem 43. Jahre 
Feldzeugmeiſter. 

Unſer Schenkendorf hat waͤhrend des Kriegs Einiges fehr 
vortrefflich gedichtet, namentlich hat mir fein Lied von dem drei 
Grafen gefallen, wiewol es hier für —ãS— Geiſter ein 
großes Geandal gegeben hat. Ich habe auch einige „rege 

efönge, drucken Saffen, die Sie nächftene erhalten werden. Ste 

In größtentheild auf meinen Reifen gemacht, die mir noch 
Muße für die Mufen laſſen. Jett habe ich nun die Kriegs⸗ 
teompete an den Nagel gehangen und werde mir für die Zu⸗ 
kunft wieder die Ylöte wählen. Uber und gegen Napoleon 
werde ich ſchwerlich mehr ein Wort vertieren. 

Meine erfte Arbeit bei dem Hrn. Staatskanzler fol fein, 
den nichtärwürdigen Kotzebue aus re Fortzufchaffen, 
falls es bis zu meiner Ankunft no nicht geſchehen fein follte. 
Wenn er fort ik, muß man auch dafür forgen, daß er aus 
der Akademie der Wiffenfchaften vertilgt wird, der es Doch die 
Höchfte Schande macht, daß der Verf. des „Hahnenkamm“ und 
des Rehbock“ zu ihren Mitgliedern gehört. Ich hoffe, Arndt 
wird nicht unterlaflen, ihm gehörig zu dienen. 

Nachdem ich Ihr letztes freundfchaftliches Schreiben vor 
dem Schluß dieſes Brieft noch durdhlefe, freue ich mich unferer 

einfimmung wegen ber drei Grafen. Ihr Urtheil war 
mir dor einigen Tagen nicht gegenwärtig, als ich diefes und 

um erften Mat in unferm „Correſpondenten“ las, den Profeflor 
Kühe jegt ſchreibt. —— iſt, wie Fouqué mir fagt, 
in Karlsrube. Er hat nit als Soldat angeftellt werden koͤn⸗ 
nen, wie er gewänfcht. Der Geheimrath Deibrück predigt öf 
ter, ob mit Beifall wage ich nicht An urtheilm. Es fcheint 
faſt nicht. Ich hoͤre ihn nur zuweilen bei Frau v. Knobloch 
vorleſen, und das iſt nicht beſonders zu ruͤhmen. Riebuhr ſtitzt 
in Amſterdam wegen unſerer engliſchen @ubfidien. Die Re 
eenfion der Heeren ſchen Schrift ift gewiß fehr gründlich; mir 
ker find viele Luͤcken in der Schrift aufgeftoßen; aber ich 

de fie doch etwas ſehr animos. Wie hat Niebuhr viele 
Freunde entzogen, da Heeren, den ich übrigens gar nicht Eenne, 
von feinen Freunden fehr geliebt wird. 

Werner babe ich viel in Frankfurt gefehen, mit geflickten 
guten. Sch Habe vielleicht etwas beigetragen, ihm feine Pen- 

n von 1000 Gulden zu fihern. Bufällig wohnte ich mit 
dem Fürften Metterni in Einem Haufe und fab ihn daher 
dfter. Er hatte Werner mündlich die Fortdauer feiner Penſion 
ugefagt und äußerte gegen mich, daß ich bed Hrn. Staats: 
Fanalers Conſens auswirken moͤchte. Ich übernahm ed auf 
Bte Bebingung, daß der Fürft dagegen au Sean Paul’s Pen» 
fion von Bulden genehmige. Er verfprach es und ich 
ftimmte den Hrn. Staatskanzler für Beide. Als ich aber bem 
Hrn. v. Stein, der dad Großherzogthum Frankfurt abminiftrirt, 
wegen ter Ausführung des geraten Beichluffes anging, WW 
ec mich mit den Worten an: Was intereffiren Sie ſich do 
für ein paar Narren? Unfere Discuffion endigte mit einer 
Bertagung der Sache, und ich reifte darüber fort, höre aber 
bier, daß Jean Paul feine Penfion fortbezieht, ohne ſich ſelbſt 
weiter an Jemand gewendet zu haben. Werner wollte fih 
zum Prieſter weihen laffens dazu wirb er wol ben Zauffchein 
gebraucht haben. Beine „Weihe der Unkraft“ ift tolles Beug, 
und in kleinern Gedichten, die ich ven ihm gelefen, ſcheint al- 
ker Geift von ihm gewichen. Dagegen foll er ein Traiterſpiel: 
„Die heilige Kunigunde”, gefchrieben haben, das einige Kenner 
vühmten. Ich habe nichts davon gelefen. 


öfteeichifcen Sau, Ba man 


we ; 


jr. % 


Die ruſfiſche Koiferin hat hier auch fehr gefallen und hir 
viele Geſchenke ausgetpeilt. Sie mag wol geiftreicher fein as 
unſere Königin, veizender ift fie gewiß nit. Der König ik 
feft entfchloflen, nicht wieder zu heirathen. Man forad aber 


von einer ——— — Kronprinzen mit der 


ſtin Anna. Hier wuͤnſcht mar Ri eine Berbigdung nt 

Miſſen wenig’ liebt und 
Anmaßungen gern züchtigen möchte. Man ift offenbar unge 
gerecht, denn obſchon das Meifte ohne ihr Buthun geſchehen 
iſt, fo haben fie doch überall wader gefchlagen. 

Daß Napoleon Rikolaus heiße, ft wahrfcheinlich ein Im 
thum. Die franzöfifhen Beitungen nehmen ihm auch feinm 
Geburtstag, verwechieln ihn aber mit feinem Bruder Sole, 
der am 9. Zebr. 1768 geboren ift und vielleicht Joſeph Ki 


kolaus heißt. 


Ich empiehte mich herzlichſt Ihrem fortdauernden freund: 
ſchaftlichen Wohlwollen und wünfde Ihnen mit inniger Se 
ebrung noch ein langed und 


gelundes Üter, wenn Sie gieh 
nicht, wie der Feldmarſchall Möllentorf, den Landflurm em 
ciren werden. 1 


Stägemanı. 

Berlin, 18. April DM 

Rad langer Schuld, die ich Ihnen abzutragen habe, w 
ehrungswürdiger Freund, mahnt mid endlich Ihr gütixi 
Schreiben mit der Einlage an den König, die ich fofort bie 
bern werde. Ich Hoffe, der König wird Ihren Wünſchen zit 
entgegen fein. Aber er hat für bie Poefie überhaupt kiem 
Sinn und hält die Poeten für Phantaften; Die deutfke wo 
wechfelt er auch wol mit der beutfchen Tracht, die a sift 
leiden mag. Jean Paul bat die Fürften zum Anerkennen us 
gen wollen, daß ihr Heil aus Willen und Dichten herrax 
gangen fei. Ad, bu grundgütiger Gott! Der König her 
in den Jahren 1804 ober 1805 bemfelben Jean Paul me 
Präbende zus Beyme hat mir mehrmals ‚ daß w 
uber gar Fein Bedenken fei, und jegt ſucht Jean Paul bie Er 
füllung diefes koͤniglichen Worte nad), wird aber ofme wer 
teres abgewiefen, und bat mit Schiller's Erben und Jaderies 
Werner noch Gott danken müflen, daß man ihm bie Penſion 
von 1000 Gulden Rheinifch wiederhergeſtelt, die er und dieſe 
a a maligen Großherzog von Frankfurt ugefihert erhal 
en en. 

‚ Man muß aber den Muth nicht ſinken laſſen und wie der 
felige Scharnhorft auf fein Shema zurüdfommen: Gotta = 
vat lapidem. 

An der Biuftiniani’fhen Sammlung haben wir immer & 
was gewonnen. Die Sammlung der Gemälde aus der all 
deutſchen Schule, die ſich im Beflg der Gebrüber VBoiſerie & 
Heidelberg befindet, werden wir nicht erhalten. Die Beifieck 
wollen nicht nad Berlin, fondern in Köln fein. Ran ihr 
treibt jegt die Sehnſucht nad Köln. Es iſt ein Dbfarmis 
neft und id bin ganz und gar bagegen, Die Lininermät deb 
Großherzogthums Niederrhein in Köln zu gründen, fett in 
dem weil, gwedmäßigern Bonn. Das Misverfkehen der Kualt 
und die Meinung, daß Köln diefe Amme der Runf fi, wer 
den wir tbeuer bezahlen müflen. Gchentendorf bat in cam 
diesjährigen Almanach, deſſen Rame mir entfallen, ein peX 
ſehr fchöne Gedichte, auch in Bezug auf Köln und ber I 
bau des Doms (da der König bei feiner Durchreiſe ˖durch Kin 
fih ſehr dagegen ausgeſprochen) geliefert. Dafür hat de 
auch das Minifterium des Innern ihm Beine Ynflum # 
Köln, fondern in Magdeburg gegeben, es beißt, weil er a iR 
zum Katholiſchen neige, und ein Dom ift in debutg } 
er F noch dazu ein proteſtantiſcher. Neben 
zeichnen 
(dev Berf. der „Seharniſchten Sonette”) aus. Fonque ſqerht 
zu viel und fein Freund Franz Horn verdirbt ihn volle. 

Ich habe mid fehr überwinden müffen, die letzte Pirfrum 
meiner „Kriegögefänge” drucken zu laffen. hat es v 
ganz an Zeit und Luft gefehlt, die Weile, beſonders in Rd 


unter unfern jungen Dichtern Ubland und Ruf | 


m —— — — — 


-. m mm - 07. —⏑ 


— — — — — mn Gun a. 
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chen, von 
baldigſt Nachricht zu geben. 


— — BR OD u GE ET — — — — — — — — — — 
® 


ij) 
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auf die Metrik, daran zu legen. Line gie Anzahl, die Eon 
geeß-Rrieglicder, habe ich auch unterdrüden müffen, da fie hors 
e saison find. Daß ih, wie Sie finden werben, zumeilen 
das 8 des Genitivs weggemworfen, ift Beine Nachahmung Ican 
Paul's in feinem fonft fo aa te „Muſeum“, das fi aber 
wegen diefer ‚harten Neuerung ſchlecht leſen läßt. Ich habe 
eglaubt, man müffe den Genitiv von Friede, Glaube, Name, 
edanfe u. f. w. des Brieden, Glauben u. f. w. decliniren, 
koͤnne aber auch des Zrietens, Glaubens u. ſ. w. fügen, wenn 
man den Rominativ Zrieden, Glauben u. f. w. gebraugt. Der 
Wohlklang muß hier leiten. Mit der hieſigen ſprachforſchenden 
Geſellſchaft werde ich in Händel gerathen. oo 
In Wien während der neunmonatlien Schwangerſchaft 
der Diplomatif habe ich ziemlich viel gedichtet, mehrentheils 
erotifche Sachen. Wenn Sie das „Morgenblatt” Icfen, werden 
Sie ein Heines Gedicht: „Das Lied von den blauen Augen’ 
(ich glaube in diefem Jahrgang), vielleicht gefunden haben. 
Daß mir Wien vorzüglich gefallen hat, Tann ich nicht 
leugnen. Man gemöhnte ſich indeß nur nach und nach an un, 
da man fich vor ten preußifchen Pfiffen fürdtete. Die Eon: 
greßacte hat aber doch wol gewiefen, daß wir nichts weniger 
als pfiffig geweſen find. London hat mid) am meiften über: 


raſcht und einen tiefen Eindruck zurüdigelaffen, obwol ich die 


Engländer auch in London nicht lieben gelernt habe. Die 
Kürze ber Zeit mag ed wol entfdhuldigen. In Paris waren 
fie nicht verhaßt, aber verachtet wegen ihres wirklich unan- 
fländigen, fordiden Geizes und wegen der unmenföhlichen Prü- 
gel in der Armee, wozu auch unfere Landwehrmaͤnner die Kö: 
pfe gewaltig fhüttelten. Mit den Franzoſen föhnt man fi 
bei ihnen zu Haufe bald aus, aber doch lernt man an ihnen, 
was ein Volk nicht fein fol. Es ift kaum zu zweifeln, daß 
der Stillſtand, den die Sprache gemacht hat, Die ohne eine 
Spur von Poefie fih nur in der Rhetorik bewegt, die Ras 
tion auögebörrt hat, foraß fie als Nation nur ein caput 
mortuum iſt. 

Wir wollen uns aber vor allen Dingen nur um uns felbfl 
befümmern, damit es und nicht auch fo gehe. Es fichen und 
nod große Stürme bevor. Zunächft kann uns Preußen ein 
weifer Staatsrath und eine verftändige Conſtitution retten. 
Ich weiß nicht, ob wir nicht noch entfernt find von beiden. 
Der Großherzog von Weimar geht mit der Eonftitution voran. 
Es werden Repräfentanten: aus freier Wahl des Volks in Eine 
Kammer zufammentreten; ein Drittel der Ritterfchaft, zei 
Drittel vom Lande und den Städten. Die Rechte der Stande 
als eined corpus follen fein: a) Freie Prüfung der Staatsbe⸗ 
bürfniffe und der Etatsbewilligung der Steuern und aller Fi⸗ 
nanzmaßregeln in Bezug auf das Bermögen der Staatsbürger 
oder bed Landes. b) Mitwirkung bei der Geſetzgebung. Ohne 
der Stände Einwilligung kann Fein allgemeines Landesgeſet 
erlaffen werden, welches die Kreiheit und das Eigenthum der 
Staatsbürger oder die Landesverfaſſung betrifft. c) Berantworb 
lichfeit der Staatödiener vor dem Fürften und den Ständen. 

Adam Müller der Erfte (denn jett gibt ed noch einen) iſt 
jegt. öftweichifcher Generalconſul in Leipziz. Gr wird eine his 
ftorifch »politifche Zeitfchrift vedigiren, im deren Vorwort er 
Riebuhr, Ancillon und Goͤrres fehr lobt. Er arbeitet auch an 
einer Biographie unferd Staatskanzlers. Gentz habe ich zwar 
in Paris und Wien gefehen, aber ſelten. Er if cin in jeder 
Hinſicht verderbter Menſch. Friedrich Schlegel iſt vermöndht, 
Auguſt Wilhelm vereitelt. 

Indeß habe ich ſchon zu lange Ihre Geduld ermübdet und 
will mich daher nur noch Ihrem wohlwollenden Andenken und 
ghrer Freundſchaft angelegentlich empfehlen, mit dem Berfpre 

Grfolg des Schreibens an den König Ihnen 
Stägemann. 
12. 
, Berlin, H. Dec. 1816, 

Mit ungemeiner Freude babe ich zwar Ihr Freundfchaft- 

liches Schreiben erhalten und mit dringender Ansherzlegung 


Ihren Bzief an den Zuwften abgegeben, aber ich habe wes 
aig Hoffnung eines Eis. a Fürſt felbft wird gern bie 

Bade beim Könige vertreten, aber ſchwerlich mit durchgreifen⸗ 
bem Ernſt, und ber König hat dafür durchaus keinen Sinn. 
Die deutſche Sprache und Dichtkunſt find ihm fremde Götter, 
wie die katholiſchen Heiligen. Bas Nichtverdennen ift an fi 
ſchon verfänglid. Indeß wird es der Sprache nie fehlen, wenn 
noch Herzen wie bad Ihre dafür fchlagen und das, hoffe ih 
boch wol, wird nicht untergehen. Yreußens Ehre kommt übri 
gend nicht in Anſchlag. Wien, Paris, Warſchau, Frankfurt 
mögen einmal zeugen !! 

‚. ®ilken wird. in einigen Monaten wieder hier fein und mit 
biefem werde ich über die Bearbeitung der Handfhriften ſpre⸗ 
hen. Görres hat fich, heißt ed in den Zeitungen, in Heidel- 
berg niedergelaffen. Man par ihm nicht blos feinen Gewinn 
vom „Rheiniſchen Mercur”, jondern auch S000 Franken entzogen, 
die er ald Studiendircctor in Koblenz hatte. Der Surift Eich 
porn hat, nachdem er fi) im Kriege das eiferne Kreuz erwor⸗ 

n, wegen ſchlechter Bezahlung einen Ruf nach Göttingen an 
genommen und verläßt bie —* e Univerfität. 

‚ Meine Mufe, nad der Sie freundfhaftlih fragen, ift 
Heimgegangen. Ic werde von Arbeiten erdrüdt, die man 
Strohdrefchen nennt. Daß Bouque fo viel ſchreibt, iſt zum 
Theil nicht gegründet, denn Vieles, fo jetzt erfcheint, iſt alt 
und hat früherhin, ehe er einen Ruf hatte, Beinen Verleger ge: 
funden. Mir fchreibt er aber bei alledem zu viel. Die „Saͤn⸗ 
Fe finde ich Höchft langweilig. Hedwig Hat ihr Saiten⸗ 
piel fchlummern gelegt, feitdem fle zu den Ballprinzeffinnen 
gehört, was man doch nicht ändern Fann. 

Meine Frau empfiehlt fi mit mir in Ihr fortdauerndes 
wohlwollended und freundfchaftlihes Andenken und ich bitte Sie 
angelegentlichft, die Verſicherung meiner alten freuen Verehrung 
und Anhaͤnglichkeit gütig anzunehmen. Gtägemann. 


13. 
Berlin, 14, April 1818. 

Da ich mir fehmeichle, nicht ganz von Ihnen vergeffen zu 
fein, hochverehrteſter Freund, fo erlauben Sie ed mir, daß ich 
einmal wieder einige Seilen an Sie richte. Daß Sie no 
Theil nehmen an der Welt und Dem, was darin vorgeht, han 
ih, da ich weiß, daB Sie noch leben. Mir wird diefe Theil— 
nahme fchwerer als Ihnen, obwol, wie ich geftehen muß, aus 
eigener Schuld. Indeß ift es freilich auch eine bedenkliche Auf⸗ 
gabe, die ich mitunter zu löfen habe. Der Verf. des beruͤch⸗ 
tigten Buchs „Welt und Zeit“ (meit weniger fragmentarifc, 
als fein Buch) ſchrieb mir unlängft: er fei auf Alles gefaßt, 
nur nicht auf eine vernünftige Behandlung der Sachen. Und 
fo fcheint es wirklich. Die großen Begebenheiten unferer Tage 
find da am fpurlofeften vorübergegangen, wo fie unvergaͤnglich 
hätten einfchneiden follen. Uber ten erbärmlichen Hader der 
Schriftgenoffen kann man ſich leicht zufrieden geben; die Kory- 
phaͤen der einen Partei find nicht viel beſſer als die der an- 
dern. Aber daß da, wo die Befinnungen fein fellten, Eeine 
find, erfüllt mit ſchlimmen Ahnungen für die Zukunft. Es 
fieht und Manches bevor, was wir noch in Zeiten klug abe 
wenden Pönnten, aber die dunkeln Mächte laſſen fih ihre Herr 
ſchaft uber die Welt nicht nehmen. 

&ie werden diefen Sommer noch den König und ben 
Kronprinzen fehen. Der Legte geht zwar ſehr gern auch nad 
Rußland mit, zumal um die geliebte Schwefter zu ſehen, doch 


ſcheint feine ganze Seele von Italien erfüllt, wo er den Him⸗ 


mel der Kunit offen glaubt. Bon manchen Patrioten wird 
beforgt, daß ihm der Umgang Ancillon's nicht wohlthätig ger 
wefen fei. Ich ftehe zu entfernt, um darüber ein Urtheil zu 
haben, obwol es nicht zu leugnen, daß Ancillon bei vielen gu 
ten Eigenfchaften doch ein franzöflfches Bemüth Hat. Man 
erzählt, er habe dem Prinzen eine Berehrung für —& XIV. 
beigebracht, fei auch ſchuld, daß er die Werde Friedrich's des 
Großen nicht leſe. Doch will ich Dergleichen nicht glauben. 


x 


Unfere jungen Männer fahren fort für vie Opera: 
en zu wirden. Der alte ſelbſt iſt no 
raſtiges Mitglied der hieſigen dentſchen Eprachgeſellſchaft, 
in der Jahn beſonders thaͤtig if. hat mir einen gan⸗ 
gen Bogen geſchrieben, was ich in meinen Gedichten nach fel- 
nem „‚Unleit” ändern möge. Ich werde es freilich bleiben lafſen, 

U da ich andere Sachen Daran zu ändern hätte, wozu mir 
nur Ulles, nämlich Luft und Beit fehlt. Im den nächften drei 
Wochen will ich noch den Schluß meiner „„Rriegögefänge” druden 
laſſen und dann aufhören. 

Frau dv. Krübener hat ja aus Königäberg wenig von fich 
bören laffen. Hätte fie dort gar feinen Sto „gefunden Die 
eitle Frau hat ihrer mittelmäßigen Geiſtesgaben nicht Herr 
werden koͤnnen und erliegt nun, wie fonft den leiblichen Aus: 
fhweifungen, den Serrüttungen ihrer Phantajie. Da fie mit 
aller Gewalt na Berlin bat kommen wollen, dem frühern 
Schauplag ihrer Liederlichkeiten, wo doch manche Zeugen, be: 
fonder8 Ürzte, ihr entgegengetreten fein würden, fo fcheint es 
mit ihrer Belehrung doch wol Ernſt zu fein, woran man al» 
lenfalis zweifeln möchte. In Rußland wird fie noch mandes 
tolle Zeug beginnen, da der Kaifer fie fehr begünftigt, der, 
aus Furcht vor feinen Untertbanen und befonders vor ben 
beutfchen Jakobinern, ein Beſchuͤger des Glaubens und ein 
Froͤmmling iſt. 

Unfern aͤſthetiſchen Katholiken wird bei dem allgemeinen 

rohlocken am 31. Dct. v. 3. wol aller Muth vergangen fein, 
das proteftuntifhe Volk zur Fahne des Vaticans zurudzufüp: 
ren. Ein paar gelchrte magere Krammetövögel, wie Adam 
Müller, Schlegel, Schloffer, Werner, find Beine befondern Bif- 
fen. Unfere deutſchen Epißfopaliften würden uns vielleicht ganz 
von dem Papſt befreien, wenn nur in Branffurt recht tü fige 
Männer wären, woran ich jedoch zweifle. Weſſenberg allein 
if zu ſchwach, und wir Preußen lieben den Papft noch, ob: 
ſchon ich hoffe, daß ein Eoncordat nit zu Stande kom: 
men werde. 

Was haben Sie denn zu Haller’s „Reftauration” gefagt ? 
Er bat im zweiten Theil fein verrüchtes Syſtem confequent ge: 
nug durchgeführt und findet hier vornehmen Anhang, befonders 
unter den jungen myſtiſchen Ariftofraten. Er weiß Bielerlei, 
fol auch an ſich nicht böfe fein, aber in allen feinen Hand: 
lungen verkehrt. eine Profeflur bat er niedergelegt, und fo 
wie er fonft als Profeſſor es nicht über fünf Auditoren brachte, 
fo will auch Niemand von dem Mitgliede des Geheimraths ei⸗ 
nen Rath hören. 

Schenkendorf's Tod bat mi ganz befonders betrübt. 
Jouqué ift auch fehr hinfaͤllig. Seine legten Probucte find 
nur matt, und vielleicht das nicht einmal. Man gibt ihm 
Schuld, daß er fich zu tief mit einer Familie Geift, genannt 
Schnapps, einlaffe. Tieck ift dagegen wieder rüftig und will 
uns mit feinem Werk über Shakfpeare erfreuen, nachdem er 


im Herbft auß London zurüdgelommen. Niebuhr gefällt ſich 
in Som gar nicht und Fränkelt immer. Es ift nicht zu boffen, 


daß fein Aufenthalt die „Römifche Geſchichte“ fördern werde. 
Raumer und 
fterer um Baterialien für die „Geſchichte der Hohenſtaufen“, 
der andere um altdeutſche Gedichte zu ſammeln, ‚haben durch 
iyn den Gebrauch der vaticanifchen Bibliothek nicht erlangen 
Tonnen, wol aber durch unfern Conful Bartholdy, ‚ei-devant 
Sfraelite, der ihnen durch ben Cardinal Gonſalvi die Erlaub: 
niß ſogleich verfchafft hat. 

Empfangen Sie mein herzlichſtes Lebewohl und bie Ber- 
fiherung der treueften Verehrung, mit der ih mich Ihrem 
wohlwollenden und freundfchaftligen Andenken angelegentlihft 
empfehle. Stägemann. 

(Die Kortfegung folgt.) 


Hagen, bie im vorigen Jahr in Rom waren, Gr: 


Zur polnifhen Literatur. 


1. Kraysacy 1. Polska. Peſen 1845. 


Eine hiſtoriſche Skizze, welche die Verbältniffe der preu: 
giſchen Kreuzritter zu Polen darftellt und als ein Tommentar 
zu ber Foderung des legten pofener Landtags, daß bie Polen 
don Preußen gegenwärtig fo möchten behandelt werden wi 
einft die —* von den Polen behandelt worden find, am 

efehen werden Tann. Der Verf. fagt: „Es war ein politiſchet 
Fehler Kaſimir's, daB er im Worner Frieden nicht auf gam 
jun beftand und ſich mit dem nachherigen polniſchen Pre 

abfinden ließ, es wäre ihm bei dem damaligen Zuſtande 

von Deutſchland ein Leichtes gewefen, mit diefer Foderung br: 
zudringen, aber fein unfeliger Hang nad) abfoluter Segierung 
in Lithauen machte ihn gesen das allgemeine Wohl gleichgültig.” 
Darauf heißt es &. 76.: „Die Preußen haben ſich bis pu 
Theilung Polens nie über ihr politifches Loos bePlagt (auf 
nach den thorner Gräuelfcenen nicht? ), noch Hat Die Rep 
Polen in Betreff ihrer fi etwas vorzuwerfen. Die Sektirerei 
wurbe zwar Veranlaffung zu einer gewiflen Strenge (!), deq 
gab es in Polen Beinen Bauernkrieg, Feinen Bireißigjähriges 
Krieg, Peine Bartholomäusnacht, die polnifhen Diflideate 
wanderten aus Polen nicht aus, bevölßerten Beine fremden kia 
ber, vielmehr wurden die Privilegien und Rechte, bie bei de 
Einverleibung von Preußen von Selten Polens garantirt me 
ren, in ihrer Zotalität aufrecht erhalten, das Land mit nam 
Auflagen nicht gedrüdt, die deutſche Sprache, wo fie 55— 
verbreitet war, nicht verboten, ſondern Jedem der freie 
derſelben geſtattet.“ Die Schrift ſchließt mit den Beate: 
„Der Orden betrog Rom, denn Katholiken bat er in Luke 
ner umgewandelt, er betrog den Kaifer, denn er’ hat duis 
nit Erweiterung, fondern Beſchraͤnkung feiner Herfhal z 
bradt, er betrog den König Sigismund, denn er hat Ya 
in ein trauriges Lehnsverhaͤltniß gebracht, er betrog fid; jchk, 
denn er hat die Zrucht feiner Arbeiten in die Hand gelegt, die 
ihn unterjochte.“ 


2. Do uprzedzonych wzgiedem konstytucyi daia 3. Maja 
1791. Vom GSaftellan Cajetan Sierakowski. Strot⸗ 
burg in Weſtpteußen 1845. 


Eine Bertheidigung der polnifhen Eonfitution vom 3. 
Mai 1701, die befonders fcharf gegen das Liberum vete ber 
polniſchen Landboten polemifirt: Die Regierung des oft ger 
ſchmaͤhten legten polnifchen Königs Stanislaw Auguſt unter 
beüdte die eingemurzelte Anarchie, welche den Polen den alten 
Ruhm geraubt und fie in den Augen von Eurepa und in ihten 
eigenen verächtlich gemacht hatte. Iene Macht inter majestztem 
et libertatem , die den Königen ſchrecklich, den Bürgern die 
bend, den Städten und Dörfern befhwerlih war und Riemen 
dem einen Vortheil brachte, ‚befchränkte er, dann hob er fir 

ang auf. Er fammelte einen Staatsfchag und überlieferte ihn 
n die Hände der Ration. Das Liberum veto, den Irbegriff 
des Unverftandes, hob er auf und heilte das Geſchwür, des den 
ganzen Körper lähmte. Gr ordnete eine öffentliche Em 
an und ftellte fie unter eine befondere Auffihtsbehärke. 
Anregung, durch Beförderung der Kuͤnſte und Wiſſenſchafta 
vertrieb er aus Polen die Finfterniß der Vorurtheile unb bei 
Aberglaubens und führte ebenfo wie einft ein Auguſtat ki 
den Römern ein Augufteifches Zeitalter herbei. Inmitten da 
Bien Schwierigkeiten, inmitten des äußern unb innem Be 

Us, führte er mit Klugheit, Befonnenheit und Geduld en 
3. Mai 17191 eine Staatsverfaflung ein, durch Die, zu feinen 
und der Ration Ruhme und zur Bewunderung von ganz 
ropa — wenn nur bie Polen felbft gewollt Hätten! — but 
Unglüd Polens ein Ende nahm. 9 


VBerantwortlicher Herausgeber: Beinrich Brockpans. — Druck und Berlag von F. WE. Brockhaus in Leipzig. 





Blatt er 


| für 


literariſche Unterhaltung. 





Montag, 


[2 


22. Juni 1846. 





Briefe ded geheimen Staatsraths von Staͤge⸗ 
mann an den Kriegsrath Scheffner. 
(Bortfegung aus Nr. 172.) 

14. 


Beriin, 8. Mei 1919. 


Schon geraume Zeit, verehrungswürbiger Herr und Freund, 
mache ich mir felbft heftige Vorwürfe, daB ich mein Andenken 
bet Ihnen nicht längft wieder erneuert Habe. Ihr freundſchaft⸗ 
liches Schreiben vom 29. v. M. legt mir die Pflicht auf, Ih⸗ 
nem ohne Auffhub zu antworten. | 

So ein geſchworener Widerſacher auch ich diefem verderb⸗ 
Uchen froͤmmelnden hypokritiſchen Weſen bin und fo fehr ich 
wich bereit erfläre, Ihren Plan zu en fo halte ih doch 
nicht dafür, daß wir den Zwed erreichen, nicht wegen ber 40 
Aetionaire, biefe finden ſich wol, aber wegen ber Kefer. Die 
Leute leſen den Montaigne fo wenig als die Bibel. Hier hat 

ſchon feit einigen Zahren, ad instar der londonſchen, eine 
Zractatengefellfchaft gebildet, die ſich damit abgibt, Beine got: 
tesfürkhtige, pietiftifhe, erbärmliche Zractätchen druden zu igß 

und uͤberall, wo ſie nur kann, zu vertheilen, z. B. an die 
daten, denen fie heimlich in die Patrontaſche geſteckt wer: 
den. Nun bilden fi die Thoren ein, daß die Soldaten den 
Quark auf der Hauptwache lefm werben! Man glaubt ben 
Unfinn nit. Mitglieder fmd unfere Pröpfte und andere gute 
Leute, größtentheild redlich, aber ſchwach. Dieſe Partei, bie 
nicht ohne Einfluß ift umd felbft beim Könige angefchrieden 
ſteht, wird fi) mit dem Montaigne nicht befreunden. Cine 
“andere viel zahlreichere befteht auch aus Hypokriten, nur von 
feinerer Battung. Das find die Politifch-Religiöfen, die unfere 
ganze Jugend um fi verfammeln, Schleiermacher, Arndt, der 
größte Theil ber Tnue, Auch fie werden hochmüthig auf den 
armen Montaigne hinabiehen. Bann kommen die Myſtiker, die 
Raturphilofophen, die Magnetiftrer, die ſchlechten Poeten u. f. w. 
die fi in verfchiedene Secten theiken, größtentheils verbrannte 
oder ſchwache Köpfe, vielleicht die wenigften KHeuchler (Adam 
SHäller ausgenommen), wie werden und diefe Kerle mit dem 
Montaigne fegen! Außer diefen Hauptparteien gibt es verſchie⸗ 
dene andere, Die ebenfo wenig zu gewinnen find. Die Beſſern, 
Die unfichtbare Kirche, mie wenig find deren! Ich werbe den 
fan mit einigen andern Freunden noch in Überlegung ziehen. 
odann ſchreibe ih IHnen weiter; wenn ich nicht wieder drei 
Zage dab Bette hätte hüten müflen, was mir alle Frühjahr 
begegnet, fo würde ich einige ſchon aufgefucht haben. 


Aufrihtig gefagt fühle ich mich zu foichem Unternehmen 


in unferer Beit ganz beengt. Es ergibt fi) mehr und mehr, 
Daß unfere Regierung mit dem Seitalter in Wiberfprisch geräth. 
iedrich der Größe war ein König, jeder Bol ein König (fagt 
hakſpeare), weil er einen Kopf größer war als feine Beit, 
einen Schritt voraus hatte. Das iſt die rechte WBeifes zu viel 


voraus kommt eine Regierung nicht leicht; das Beitalter holt 


fie bald ein. Uber ift die Regierung nur Einen Bol hinter 
dem Beitalter zurück, fo holt fie es nicht wieder ein und kommt 
von wegen bet vis inertiae alle Tage mehr zurüd. Das kann 
keine guten Früchte bringen. Und das ift unfere Lage. Das 

ofweien (mobei man fich gar feinen Prunk denken darf), bie 

plomaten und Deren Angehörige koͤnnen ſich in bie Zeit nicht 
finden und Diefe nicht in fie. Sie influiren aber en ihrer 
täglichen Rähe die Regierung am meiften. Das ift unſere Lage 
im Innern. Die äußere ift ebenfo ungünftig. Überall entwe⸗ 
der angefeindet oder hintergangen, uns ſchwaͤchend, weil wir 
uns im Innern nicht ſtaͤrken, während unfere Hauptgegner — 
ſich ſtaͤrken, will ih nicht fagen (denn in Rußland fit es au 
nur Schaum und Zünde), aber doch manchen Borfprung ge 
winnen. Frankreich färkt jich zufehende und wird, wenn der 
König dem een Syften treu bleibt, in eimigen SIahren 
furdtbarer dafteben als unter Rapoleon. 

Ich muß aber abbrechen, um Ihre Geduld nicht gu ermuͤ⸗ 
den und werde naͤchſtens in der Hauptfache weiter fchreiben, 
bis wohin ich mich Ihrem wohlwollenden Andenken aufs an 
gelegentlichſte empfehle. &tägemann. 


Schreiben des Kriegsraths Scheffner an den 
Großkanzler Beyme .— 

So ſehr man fi im 73. Jahre freuen kann, fo ſehr habe 
ich mich darüber gefreut, daß Ew. Excellenz Großkanzler ge⸗ 
worden find, und da ein Beugniß in eigener Sache nicht juri⸗ 
ftifch gültig zu fein pflegt, fo berufe ich mich deshalb auf den 
Kanzler von &.; der nicht ungern auf feine alte Stelle zurüͤck⸗ 
tritt. Das Bedürfniß eines ſtarken Wannes bei unferm Hofe 
ſchuf diefer Ernennung den Beifall aller Unbefangenen, die Ihe 
nen eine ununterbrochene Dauer Ihrer Leibe: und Geiſtes⸗ 
kraͤfte wünfden. — Erlauben &ie aber wohl meiner Offenheit 
noch einen Wunſch beizufügen, auf den mich die Misbilligun 
bringt, mit der man die Robilitirung des ©. Pr. Brosconiu 
gufgenommen und die ich einen Schneller gegen das Edict vom 
9. Detober nennen gehört habe. Kaffen Em. Excellenz daher 
auch nicht Ihrem Ramen ein „von“ vorfegen. Ich gehöre 
wahrhaftig nicht zu den Adelsſtürmern; da aber das suum 
cuigue zu den preußifchen Symbolis gehört, fo wäre es doch 
teefftih, wenn man dem Bürgerflande Pein Mitglied entzöge, 
das ber unparteiiſchen Hochachtung fo würdig geworden, mit 
der auch ich bin Em. Ercellenz gehorfamfter Diener Scheffner. 


Untwort des Großkanzlers Beyme an den Kriegs: 
rath Scheffner. 
Berlin, 2 Dec. 1868. 

Die Herzliche Theilnahme eines Mannes von Ew. Wohl: 
eboren Charakter an meiner Berufung in das Minifterium 
ann mir nicht anders als fehr erfreulich fein. Dagegen thut 
es mir wehe, daß ſelbſt der Mann, der über den Dienſt ſo 
kraftvoll geſchrieben, von mir mehr zu erwarten ſcheint, als, 


pn e, 


wenn der Dienft des Königs und Baterlande gut * ſein 
U, von mir erwartet werden fann und J Jeder bleibe 
er Schranken, dieſe aber ſuche er an; auszufüle 

len; das ift die Marime, Mi ich befolgen werde. In biefer 
8058 wurde ich am meiſten verkannt, weil mein fruͤherer 


= Biene Eh ee 5 3. au den gllgemeinen- 


u, DB mar Mir Anrchht man Beiſpiet such 

dere wirken, dann würden —* a das Bertrauen allein 

auf den König —— ſehen, ohne welches für uns 
keine Rettun brigene 1 ebene > Moplgeboren unbeforgt, 
daß ich ben hr worin ich würde. Ih 


liebe diefen Stand ebenfo ſehr ri 7? "meinen Geburtzadel, 


wenn ih ven Familie wäre, ſchaͤzen würde. Eben darum aber 
beobante 3 dad suum cuigue gegen den Geſchlechtsadel firen- 


Ken, die die Ye Be daß lat | © 


nardie geben, ohne angemeffens 
Peinsoeki der Adel nicht. ehe Pönne. In wir * 
enn 


bienen, — Sie ſo, 


Driefe von Graf F. 8. von Stolberg an Scheffner. 
n ee 34 es —— — 
Keane Baum und Sporen zu reiten pflegte, in feinen legten 


a 


lien u. nd geigen.” 


e intereffante Briefe Gtolberg's geben Beweis, 
wie —— und liebevoll dieſer Scheffner zugefdan war. 


Berlin, B. und 8. Der. 1708. 
eh ver 
kön en Bei | 


ie aus Se. 


* — —* frech 

lieh und * Konnte i — Ian unbeantwortet liegen laß 
fen! Lieber efien Erſcheiaung bie mie ie 
erquidite und’ —* deffen —2* mie fo 
teuer if, verzeihen &ie mir, daß ich ber —— mid 
lich mit 5* au unterhalten, fo lange en — Dos den 
i 55 und Bao nun mit Der eder den Daum band 


um eigen m Genie. 3 % ame ac, daß ich Su 


diefe Art für mein en **83 büßen 

—— — fer, —5 —— 

en, bürgt mir , ie auch einen 
net , Bin mi ern leſen 

ußeklicder Mann, der in e It wohnt! Did 

egre, und ſchleudert der tourbillon einer Sphäre, welche nicht 


—2— e 
— dem . Pen neh einen Sa Ich —* in⸗ 


enden 
io geheöte Sämeher ‚„ meine vier Kinder, welche 
ten Mutter wegen noch lieber find als durch 


ar werde ih ber. 


m. 


den Geranken, daß ich ihr Water bin, und ein zwangigjäßrige 
Schweſterſohn, den ich von Kinspeit an wie einen Sohn lichte, 


verfüßen mir mein veroͤdetes Leben. 
Lieber Freund, welch ein fonderbared Weſen ift ber = Bil! 


* ich in Kraul des beften und. chin habe, zBeibes 
war a 
mir, va * De hen de anteie Dee: 


ealifcher Slückſeitgkeit ar fand im wein 

ſchen Kalmeuferei mein Inſelchen, auf welchem mir fo wohl 

ward. Sept würden Sie, lieber Dptimift, wenigftend in mer 

ner Geele an abren Syſten einige Augenblicke irre werben, 
wenn Sie wie Ihr armer im Wirbel einer 

* Eriftenz "umbergefrubeit wird! &ie würden, wo ** 

feine chemali ge Gchnfuct nach träumerifchen Infehfreuden, 

od feine 2* nach genoſſener großer Gluͤckſeligkeit * 


Und * mitten in dieſem ſeelenzerrüttenden Taumel habe 
ich Muth gefaßt, wie ein Schiffer de, bes, nachdem cr au 
Befinnung kommt, waghalfig genug tft, aus den Zrummm 
feines Schiffs, weldhes weit von er Kü e beruimgetrieben wirt, 
Das was nod nicht verſank herbeizubolen. Und bamit nicht 
zufrieden baut er aus den Planken Er ein neues Floß, war 
eine neue Bahrt. Ja, liebſter Scheffuer, theurer 
Mann, dem ich in der großen, —— Stadt zu 
und faſt allein meinen Jammer re — Ihr armer Eike: 
berg heirathet wieder. für mich auf Gm 
nicht mehr; Die, welche ea berlat, art mein in den ham 
liſchen Hüttens aber bier, fielen GSie fih vor, Hier! ft ich 
ein geift: und herzvolles Mädchen, welches im vollen Bercaun 
er mid gie hd —5 des Lebens mit mir Pier 
ater von vier Kindern, anzutreten € 
A ©: w wer vorigen Herb im Beset, wie — 


— 


meine Hand und 
kaun⸗ anbot. 
Dhne ſich irgend Jemand als mir zu entdecken, 
mit — — zitternd, erröthend und erblaſend⸗ 
nen Antr ie har ihre Sameier u und 
. ln er 
im —X a * die —8 Gophie N 
bört, Fri x" ae 4 
de Tage vor ihrer Abreife ging ich in eine 
jelfchaft, wo aud fie war. vis ohne Mair h 
getrieben von einer höheren Ma vielmehr 
einer, — acht ging ich talos auf ſe u, 
—5* — meine Hand an und nun if fie Braut. 
— von feltenem Henn und uen bielem Zerflande, 
anfter Weiblichkeit Ihre Briefe haben 
8 ennen —* —* im Angange im 
pt, \ vielleicht nie vet hätte. Ich keunte mi 
Ih grfiche "Shen, liebfter Freund i 
Ser einer \obendwi ‚, meine ewig über Alles 
ned ehrenden Witw ft meinen arößten \ 
Ehe aber Ihr Freund i 
qmbkeit He nicht . 
hnen doch etwas von meiner Gophie erzählen 


je 
Er 


ji 
ee 


* 
ẽ 
SE: 


” 


17. 


Sie —x least fie rt in —* 2* bu ig 
— war, leben mußte, e, 8 
gehe Mathematiker, dem ai 58* 

iſſenſchaft auf koͤrperliche Gegenſtaͤnde, 
pueril ſcheint, Lagrange, welcher — * bat, nd | 
“ex einem meiner Freunde, den auch eh iebt * 


n’si jamais connu d’autres —— 
dieſer gewann das unbemerkte Madchen * —e *2 
er ihrer Ausbildung ſeine erg und ihrem Andenken 
ganze en RA F der ale 

eue m e weine 
erinnert. Die halbe ande, welche ke id ee Dh ij 





"mir unvergeßlich Grafen Wie ihn ‚yon: wir, halten Sie’ mir 


Undenfen - | 
en er en, Bann nichts Cie beivegen, Ihren Wald: | 
winkel einmal wieber, zu verlaflent Ich weiß nicht, welde : 


Si jehen feſchalten ko aber das 
e 
an mein Herz dxücken würbel 


Ich bitte Wie, fchreiben Sie mir bald wieder. Sie thä⸗ 


- ten ed gewiß, wenn Sie es ganz wüßten, welchen Werth Ihre 
Briefe —* mich haben J. 2. &telberg. 
(Des Pajluſ ſolat.) 





Die heilige Eliſabeth von Ungarn, Landgraͤfin von Thü⸗ 
ringen. Bon Katharina Diez. Eſſen, Baͤdeker. 
1845. 16. 1 Thlr. 5 Ngr.) 


Nicht nur ſtolze Eichen, Palmen und Eedern trägt ber 
Varten deutſcher Dichtung. Wie vieled Geftrüpp umwuchert 
jene edeln Gewaͤchſe, wie verſchlingen Diſteln und Dornen ſich 
oft auf deinem Pfade, daß du unwillig dich abwendeſt oder 
doch blutig geritzt weiter ziehſt! Klagen wir Deshalb die Beit, 
die uns trägt, ben Mind, ber da weht, bie Wolke, welche vor 
Dee Sonne ſteht, die und fonft erwärmte, an, aber zwei⸗ 
feln wir nicht, das Gute, das Schöne, ber reine Klang bes 
beutichen Semüths, fie find noch vorhanden, und wer weiß, ob 
nit der Baum hereits geünt, aus bem die Wiege des neuen 
Diebterlönigs (feit ber Kltmeifter zu Grabe gegangen, ift das 
Bund ohne Heren!) einft erbaut wird. Kommt er aber, 
dann finde er fein Volk wach und bereit, ihn nach Gebühr zu 
empfangen. Richt überall jollen die Thuͤ ſich verſchlie⸗ 
Sen, wenn es auch nicht au hoffen ſteht, Daß ſogleich alle Her: 
gen ihm den Bol der Verehrung bringen. 

Darum Ehre den reinen Semüthern, die dem Beſſern ſchon 

fh zuwenden! Sie find wie die Rofe, Die dem be 

i 


über die heilige Eliſabeth, deſſen wir gedenken een. An 
erfofferin in 


not 
Frauen. und Witwen: 


Jufti 
haben die Geſch 
der Heiligen He Dexan konnte + wollte bie *5* 
Beiten und Charaktere und beſonders ber ve 
Rn, in welchem fie Das eble Bild und vor Augen 
fieät, — inte, Empfindung, Bert. Mit Vorliebe fehifbert 
Bräulein Dies das Dichterleben am thüringifchen Hofe. Se ich 
von Dfterdingen und Wolfram von Eſchenba 
grunde, der alte Klingor weiflagt aus den Sternen don dem 
Dereinfligen Ruhm der jungen Eliſabeth, Die noch im fernen 
Ungayıı weilt. 

Der Melſter ſchwieg. — Im Kreile 

Saufht Jeder, ſuͤß beflemmen ; 

Dog Hiller Srieden Ieife 

War Über alle Herzen halb gelommen; 

Des Lebend Eizeit, der Erde Roth und Wehe 

Schien fanft hinveg genemmen 

8 wie von eines Engels fel’ger Mäpe. 

Es ſchlumerten die Bäume 

In wunberbesem Lichte, 

Es fäufelt duch bie Näume, 


— Bergl. eine kurze Mitthellung dieruͤber in Mr. 


fteben im Bor: 


288 d. Bi. 
D. Red. 


AS Hängen, fughdhen. baklign. Mntiihte , 
Oerab aus siyem beſſenn, Höhen Ceben, 
Und Yaumifche Gefichte » 

Sah man im Mondenglanz voruͤberſchwab en⸗ 


Die feine anmuthige Hand ber Seekenmaletin 


biefen Berfen zu erkennen. Im Berlaufe ver Thon aut 


lung wech⸗ 


| fein Ion und Vers, fo oft ein neuer Segenſtand und beionders 


‚ı in dem Ausdrud ein 
| 2yrifhen, am 


fo oft eine neue Empfindung eintritt. 


Richt unglüdli 
Schilderungen ber & ei in 


en Ratur ift Fraͤulein Diez doch offenbar 
yer, tiefer Empfindung, alfo dem echt 
ichſten. Es wurde nöthig fein, einen 
großen Theil des Sedichts hier abzuſchreiben, wenn wir alle 
ẽten, innigen, vein empfundenen Gemälde befonders weibli 
wände mittheilen wollten, die es enthält. Auf den Namen 
eines Epos macht es Beinen Unfpruh. Gern überheben wr 
und ber Mühe, an Beifpielen datzutfun, daß es wirklich, a f 
ben Ruhm guter Erzählung Beinen Anſpruch machen om. 
Wie viel mehr wird man und Dank wifien, wenn wir auf ben 
Wohlklang diefer Berfe, den leichtgefundenen Reim, ber hi 
nie als eine Feſſel drückt, die ſchwungvolle Abrundung des dich⸗ 
teriſchen Ausdrucks noch durch einige Beiſpiele hindeüten. S 
beginnt ber fiebente Seſang: „Eliſabeth's Hochzeittag”" (S. 39) 
Wie moͤcht' ich, daß mein ſchwaches Lied 
Sept Heil erklaͤng' wie Lerchenweiſen, 
Die durch bie blauen Küfte reifen, 
Ein Klang, der dur die Seele zieht; 
So warm und innfg, glei dem Strahle 
Der Morgenfonne durch die Thale; — 
Des ganzen Frühlings Zauberlicht 
Moͤcht' Arbmen ih in mein Gedicht, 
So himmliſch, wie's mein fhmerzlih Sehnen 
Heut Löfet auf in füße Ihränen, 
Und mir dad Bild vergang’ner Zeit 
Hinmalt in ſtiller Herrlichkeit. 
Beim Hochzeitmahle ſingen die erſten Minneſaͤnger (S. 50): 
Sie pochen laut en jedes Gerz. 
Sie loden fanft der Freude Ihränen, 
Sie wecken leid der Liebe Sehnen, 
Sie ruͤhren ſtil en jeden Samen. 
Wolfram von Eſfchenbach, der Weiter, 
Der von dem Heiden Parcival 
Das Lied uns fang, deß Benrrigall 
Noch jegt erhebet alle Geiſter; 
Er fingt ber boden Liebe Preis; 
Der Maͤdchen zarte augen blühen, 
Der Ritter Heſdenherzen glähen, 
Beruhrt vom mähl'gen Klange, heiß. 
Und d’rauf der ſtelze Sfterbingen 
Beginnt fein Lieb, fo wild, fo mil, 
Vom ſtarken Siegfried, von Gbriemblib; 
Ein Sturm, dia GSäufdn hoͤrt mans Eingen, 
Das Lied vom Rikelungensbert; 
Das wie des Rheines friſche Wegen 
Durchs ſchoͤne dentſche Land gezogen, 
Durch alle Beiten tönet fort. j 


Gern unterdrücte nie die Kritik ihre meifen Bweifer, daß 
ja anerfanntermaßen Ofterdingen nicht die Ribelungen gefun- 
gen und lauſcht dem fchönen Fluß der Werfe. Denn die 
ferin glüht vor Bewunderung für bie Blüte des beutichen Boldt: 
fanges, die Helden und Minnelieber, wie fir es (&. 59) 

(Ab ausfpricht, und fagt dann weiter: 

Die Ihran' fühl ich dem Aug’ entgleiten. 

Da ih in jene alten Beiten 

Mit ſtillom Blick zurüde ſah. 

Sn ihre ſinnig⸗ ernſten Spiele, 

In ihre Herzen, fromm und geoß, 
Die ſtark und rein und feſſellos 
Hinſtrebten nach dem einen Biele, 


x 





Die für des Slaubrat Gimeiögut 
In delien linken Flanmen Randen, 
Sir Shöndeit und für Liebe brannten, 
Und ſtedenten hie das warme Wirt. 
Birk dem voriar'nen Paradieſo 
legt hinter mie die alle Beit 
Su blauer Berne, weit, ad weit! 
Blei jener heitern Srühlingöwiefe, 
Wo ih ald Kind gefpleit, geträumt, 
Das fi die Engel niederneigten, 
Die bunte Wunberhlumen reichten, 
Bon liäten Htmmelötyau umfäunmt. 
Wahrlich, wenn man den falfchen Reim in Randen und 
brannten (dergleichen begegnet der Berf. nur felten) aus: 
nimmt, eine nad Inhalt und Form vortreffliche —— 
Und daß es eben die deutſche Sage iſt, deren volliges Ab⸗ 
fterben von fo manchem Unberufenen jept in die Welt hinaus⸗ 
pofaunf wird, für weiche unfere Sängerin glüht, ift der befke 
‚Beweis für die Echtheit, das Naturwuͤchſige ihrer Empfindung. 
Denn ftelle man fir) wie man wolle, dem Deutfchen lag und 
liegt von alter Beit daß Deutfche am nächften. Boll es einft 
u der Weltliteratur kommen, die Goethe vorbergefagt, fo 
ann ed nur fo gefchehen wie bei einer großen mufifalifchen 
Aufführung jedes Inftrument feinen Zon und Charakter bar: 
ftelit, wenn jedes Volk fein wahres Eigenthum aufs höchfte 
ausbildet und zu dem echt Menfchlichen und Künftlerifchen er: 
hebt, nicht aber dur flache Gleichmacherei. So ift Homer 
a orale und zugleih der allgemein = menfchlichfte der 
ichter. 
Der achte Gefang: „Eliſabeth ale Weib‘, beginnt mit 
einem vorteefflihen Bilde: 
Sahſt du der Roſenknospe Pracht 
Erſchlüeßen ſich nad) ſtiller Nacht? 
Sie lag ſo lieblich eingehuͤllet, 
Mit deichem Duft den Kelch gefuͤllet, 
Und jedes Auge, das fie fab, 
Wuͤnſcht' leiſe: wär’ die Blume da! 
Da koͤmmt der helle Somrenſchein, 
Und ſchaut Ihe tief ind Herz hinein, 
Unb beut ihr liebend Gruß und Kuß, 
Das fie die Blaͤtter Öffnen muß; 
Nun flieht fie da in Herrlichkeit, 
Und leuchtet, duftet noh’ und weit; 
Nun ficht man fie die Krone heben, 
Erſchloſſen IR ihr veihes Leben: 
So hat der Liebe fromme Luft 
Erſchloſſen auch ber Fuͤrſtin Bruſt. 
Landgraf Ludwig, Eliſabeth's Gemahl, giebt mit Kaiſer 
Friedrich IE. zum heiligen Lande. Da kommt der „Abfchied”: 
O dunkle Blum’ im Lebenskranz. 
Nur ſchimmernb in der Thraͤne Glanz“ 
D langes, banges Klagelieb, 
Das ewig durch die Herzen zieht: 
D Scheiden, Scheiden, bitt’red Scheiben! 
Wer hat es doc erdacht, dad Beiden? 
Getruͤbet it ver belle Tag, 
Der noch fo freundlich vor mir Tag. 
.. Mit dieſen Zagen beginnt das Leiden, die Geduld, Ent: 
fagung Glifabeth's. Ludwig flirbt in Apulien, Eliſabeth wird 
von dem felbftfüchtigen Heinrich Raspe mit den Kindern ver- 
floßen. Rudolf Bargula, des Kandgrafen Freund, ein edler 
Süngling, Behrt mit der Leiche nach Thuͤringen heim und Hilft 
der Landgräfin zu ihrem Rechte. Sie Fehrt zurüc zur Wari⸗ 
burg, aber gleich darauf entfagt fie der Welt, zieht in eine 
Meine Hütte und febt in Armuth und Gehorfam wie eine Bü- 
Berin, dem Gebot des rauhen Konrab von Marburg folgend. 
Hier tritt und ein Element entgegen, das freilich unferer Beit 
aft unbegreiflich ſcheint. Die Verf. hat dieß empfunden und 
agt es uns ſchuͤchtern: 


Um Grab der Mutter möcht’ ich nur Ihn fingen, 
Und meinen Schmerz durch diefed Eich verſohnen. 


Und nur dur Demuth wird fie neu verklaͤret; 
D betet ai’, ide Ständigen und Frommen, 
Ste möge wieder gu der Erbe kommen! 

Damit ie zugleih der geiftige Kern diefer ſchönen ke 
gende angegeben, dem jedes beflere Gefühl, deſſen Diefe große, 
laute Welt doch no mehr im ftillen Bufen trägt, als eb de 
draußen oft fcheinen will, mit Freuden entgegentritt. Es if 
die Berklaͤrung der reinften Liebe und Gebuld oder Durd Ge 
duld, der herrlichfte Beleg zu jenem erhabenen Wort des Chr 
ftentygums: „Wer ausbarrt bis ans Ende wird felig werden“ 
Damit hat die Verf. einen Ion angefthlagen, der — zur Ef: 
unferer Bett — nit ungehoͤrt verflingen darf. Wir 
den Weltſchmerz, die füßfaure Politik, den Proletarianikums 
in der Poefie fih nacheinander verdrängen ſehen: biefer cbenfe 
menſchliche als „pöeti e Schmerz, der von Dante bis auf Gere 
und Rovalis die edeiften Dichterfeelen durchbebt, wird nit 
verklingen, fo lange die Menfchheit im Liefften ihrer Wirk 
und zeitlihen Erniedrigung, des Widerftreites im eigenen Be 
fen, ſich bewußt bfeibt, für den ed nur eine Loͤſung gibt, du 
Wort des EHriftenthums: ‚Freiheit in der Wahrheit und Liebe 

Das Gedicht iſt mit einigen fihönen Strophen der Köni: 
gin Eliſabeth von Preußen gewidmet. 

Die weih’ ich dankend mein Bediät; 
Es iſt das Liebſte was ih habe! 


Ich ſchrieb's mit meines Derzend Blut, 
Ich haucht' hinein mein tiefſtes Sehnen, 
Ich taucht' es in des Glaubens Glut, 
Und metzt' ed mit der Liebe Thraͤnen. 

Diefe VBerfiherung beftätigt daB Ganze. Bedarf «6 neh 
weiterer Empfehlung? Doch dürfen win nicht verfchweigen, 
daß auch der Verleger durch gutes Papier und durch fdponen, 
ſcharfen, geſchmackvollen Drud und Einband diefes Meine Bud 
fo recht au Babe und Geſchenk an fromme, zarte Genwüther. 
bei paflender Geleg eingerichtet hat, und biefeß wolle 
wir demfelben, obgleich es für ihn eigentlich blos Pflicht wer, 
weil es leider fo oft in Deutſchland nicht geſchieht, Hiermit 
beftens nachgerühmt haben. Ä . Dep. 


Literariſche Notiz aus Franfreid. 
Beendigung von Bignon’s Kaifergefchidte. 
Ein wichtiger Beitrag zur Gefchichte der an einem bu 
ten Wechfel der Ereigniſſe fo reihen Kaiferzeit ſteht in ta 
peröffentligung des Schluffes von Bignon’s ‚Histoire de 
France sous Napolson”, deſſen Erfcheinen als bevorſtehend 
ongefündigt wird, zu erwarten. Wie es beißt wurden be 
elfte und zwälfte Band, weiche nd über die Beit vom rufe 
ſchen Feldzuge bis zum November 1813 erſtrecken, Binnen ku 
* die Preſſe verlaſſen. Die Herausgabe der im literariſchen 
achlaſſe Bignon's befindlichen Papiere hat Ernouf, de 
Schwiegerfohn des Verftorbenen, übernommen. Icbenfalls wirt 
fi) aus den Mittheilungen, welche uns geboten werden, wen» 
ſchon Feine neue allgemeine Auffaffung, doch eine Berichtigung 
und Beleuchtung vieler Einzelheiten ergeben. 11. 





Berantwortliher Deraußgeber : Heinrich Wrodidans. — Druck und Verlag von F. U. Brockhaus in Leipig. 








— — — — — 


Blätter 


für 


literarifde Unterhaltung. 





Dienftag, 





Briefe des geheimen Staatsraths von Stäge- 
mann an den Kriegsrath Scheffner. 
(Beſchlus aus Nr. 178.) 


Berlin, 27. Frhr. 17, 


— — Ih habe meine Meife nah Sachſen beſchleunigt 
und bin feit fünf Zagen mit meiner heimgebolten Sophie wie: 
der hier. Jeder Tag, jede Stunde fegne ich diejenige, in wel- 
cher mir Gott ind Der; gab, um das ihre zu werben. Sagen 
Sie nicht, liebfter Scheffner: sua cuique Deus sit diva cupido. 
Dieſes liebe Weib ward mir an fichtbarer Gotteshand zuge 
führt, als ich ohne fie auf meinem verödeten Pfade hätte ver⸗ 
fhmachten müffen. Ich lebe wieder auf, wiewol ich den Rad: 


fommer vom Lenz zu unterfcheiden weiß. Die Kinder meiner 


Boldfeligen Agnes gedeihen daß es eine Freude ift und meine 


Sophie liebt fie berzlih und wird von ihnen geliebt. Meine: 


geliebte Schwefter und mein Neffe, ein geliebter, feuriger und 
auter Süngling von 2) Jahren, winden auh Blumen um 
meine Exiſtenz und machen mir den Übergang zum Nachſom⸗ 
mer fo angenehm als er für einen Dann fein dann, welcher 
fein befieres Selbit, die Wonne feines Lebens, das Leben fei- 
ner Wonne begrub. Sanfte Ruhe umfchattet mich wieder und 
macht mid) ftillempfänglich für ununterbrochene, zuverfichtliche 
Hoffnung des Wiederſehens meiner Cwiggeliebteften. Diefe 
Ruhe flimmt mich zum Liederton des Lebens. Yür diefen hatte 
mich der hinfchmetternde Gram verftimmt, wiewol ich in Eur« 
en Momenten der Flut nach langen Ebben dithyrambifcher 
Fonne fähig war. | 
Ich wilt lieber diefen balbvollendeten Brief auf die Poſt 
fenden als liegen laſſen. Schreiben Sie mir, Herzensfreund! 
Sch umarme Sie mit treuer Kiebe. 5 8. Stolberg. 


Berlin, 27. April 17%. 


— — Iſt denn gar Feine Hoffnung, daß Sie diefen Som: 
mer nad Berlin kommen werden? Dder Bünftigen Winter? 
Spüter würden Sie mich ſchwerlich bier finden. Daß ich vo: 


zigen Sommer nicht verborrte, iſt vieleicht Ihr Werl, Man. 


fieht gern den Baum an, welden man, nachdem der dörrende 
Dftwind ihn geftürzt hatte, noch zu rechter Zeit wieder auf: 
richtete und anband. Einem folchen gleiche ich nun, angebun- 
Den, nicht mehr mit flarker Wurzelkraft freudig aufftrebend. 

In acht Tagen werde ich mit den Meinigen ein Landhäus⸗ 
chen an der Spree, dem Thiergarten gegenuber, hinter dem 
Moabiterlande, beziehen. Da würde fih am fchönen Strom 
und im Schatten gut ſchwatzen lafien, nicht vom Kriege, wel- 
her gewiß Sie wie mich betrübt (wiewol meine Friedenshoff- 
nungen noch nicht ganz ben Blügel fenken), fondern von fo manchem 

quod magis ad nos 
Attinet, et nescire malum est, 

Meine Sophia, meine Schweſter und mein Reffe würden 

oft lebendigen Antheil an unfern Gefprächen nehmen, - oft und 


„ır 


wandern laſſen hinein in die Tiefe des Geſprächs. In ber 
fihnellgeflügelten Wechfelrede würden wir uns vielleicht. man» 
chen ernſten Gegenftand leicht wie Federbaͤlle auwerfen, manch⸗ 
mal daB Webſchiffchen der Ideen und zufchleudern und lächelnd 
ernfte Gewebe weben. In der Welt um uns ber fehen wir fo 
oft das Gegentheil, jehen wir fo oft den ernſten Wechſelhandel 
alltägliher Gedanken und gepriefener Weltweifen Rechenpfen- 
nige mit hoöchſteigenem Bild und Überſchrift, doch verborgenen 
Midasohr von gefpaltener Klaue in gefpaltene Klaue gereicht, 
vom Wiederkäuer dem Afterwiederkäuer vorgekaut werben. 
Haben Sie Wizeman’s „Matthäus gelefen? Ich bitte Sie, 
leſen Sie es! Mir zu Liebe! Und mir zu Liebe laſſen Sie fich 
einige mir ſchwach fcheinende Argumente nicht abfhredien. Ein 
ſchwaches Argument it, deucht mich, gar Feind und muß wer 
der ind credit no ins debet eingerechnet werden; aber ftarke, _ 
mir unumftößliche Argumente werden Sie finden. Mir hat das 
Büchlein große Freude gemacht. In Lavater's Monatsfchrift 
werden Ste auch einige trefflihe Sachen finden. Gehaben Sie 
fi wohl und o! fihreiben Sie mir! Ich umarme Sie von 
Herzen. F. 2. Stolberg. 


Emtendorf m Holftein, 6, April 1788. 

Rah langem Stillſchweigen greife ich wieder, zur Feder, 
theuerfter Freund, und beſuche Sie im Geifte. Das Herz fagt 
mir, daß Ihnen mein Befuch angenehm fein werde und mir t 
ee fehr angenehm, nur nicht. fo als Ihre wirklichen Beſuche m 
waren, wenn Sie bem in der großen Stadt Verödeten eine 
Stunde Ihres Umgangs fchenkten, ihn aufheiterten, flärkten. 
Outer Scheffner! 

Vorigen Sommer reifte ih auf Urlaub aus Berlin mit 
Weib und Kind und fo mit Sad und Pad, wie Einer ber 
nicht Luft zur Rückkehr hat. Ich hoffte den Geſandtſchafts⸗ 
poften an der Spree gegen den am Mittelländifchen Meere zu 
vertaufchen und nun ift meine Hoffnung fo eingetroffen, daß 
ich fon an den Veſuv und an den Atna unter der myſtiſchen 
Formel eines Geſandten an den König beider Bicilien beglaw- 
bigt bin. Anfang Auguſts denke ih mit meiner Frau, meinen 
fünf Kindern und meiner Schwefter diefe Reife anzutreten. 
In der Schweiz und in Italien werde ich, wie Sie denken 
Fönnen, mit Weile eilen und wol beinahe 40 — Wochen auf 
diefer Reife ins gelobte Land, aber nicht durch Wüften ziehend, 
zubringen. Ic babe mich von meiner Jugend an in Eräumen 
einer ſolthen Reife gewiegt. Ein Aufenfhalt von einigen Jah⸗ 
ven in biefen Yaradiefen wird mir noch viel mehr gewähren 
als eine flüchtige Reife thun Pönnte, nur wünfchte ich unmittel« 
bar an die vultanifchen Majeftäten, nicht durch das flitternde 
Medium eines Eöniglichen Hofes acereditirt zu fein. Vielleicht 
gelingt e6 mir an den WVaflerfällen von Tivoli oder am Wo⸗ 
gengeraͤuſch des Joniſchen Meeres, von griechifchen Lüften ange: 
weht oder in ad otia nata Parthenope meine Harfe wieder zu 
ſtimmen und an Flammen des na den glimmenden Docht 
meiner Fackel wieder anzuzünden! 

Diefen Winter babe ich mit den Meinigen bier bei Her» 


- 


Meeunden zugebracht und weine Sephia hat bie Heine %g- 
—2* mie —e Mräbgen —— Für meine —* 
—— um um 
* —* hie bekommen. Er heißt Ricolovius. 


pe 
und @ie mid) shom tg the quick. Und darum 
ee wich ee iebikche Aue. Er Feitert ben twäb 
meineß Lebens, damit ich mit fanfterer Sehnſucht den großen 
allwieberbringenden Morgen erwarten koͤnne! 
Schreiben Sie mir bald wieder, lieber Scheffner. Ich 
J. 2. Stolberg. 





umarme Sie von ganzem Herzen. 


Treusbüttel, V. Yunt Bl. 
(In Holſtein, dem Wohnſitz meines Bruders). 
Bon Woche zu Werde Habe I die Beantwortung Ihres 
Heben Briefes vom 29. April aufgefchoben, aber nicht aus Traͤg⸗ 
beit, no weniger aus Vergeſſenheit (deren dod Cie nik 
nen, wähnend daB Nicolouius mid an Sie erinnert babe), 
fondern blos um befto mehr con amore in einer recht guten 
Stunde an Sie zu fihreiben. Nun iſt's mir ergangen wie De 
nen, welche durch die Todeskrankheit an die verzögerte Buße 


erinnert werden. Der letzte Poſttag vor meiner Abreife a | 


und ängftet mih. So mancher nothivendige Brief, den 
durchaus ſchreiben muß, macht ed mir unmöglich, mit Ihnen 
fo zu fchwagen wie ih wollte. Ach ich wollte fo gerne! 
Wenn der leichtfinnige —— mit dem Herzen auf⸗ 
ſchoͤbe, mit welchem ich dieſen Brief verzögert habe, mit dem 
Herzen ſpaͤte Buße thaͤte, mit welchem ich heute an Sie ſchreibe, 
9 liebſter Scheffner, fo bedürfte er der Buße kaum. 
ermorgen gebe ich von hier. In Hamburg werde ih 
Bis zum 3. Juli bleiben und won dort mit meiner —* mei⸗ 
nem aͤlteſten GSohne und Ricoloviuß die Reiſe antreten. Mei 
Jacobi in Yenwelfort (nahe bei Duͤſſeldorf) werden wir etwas 
verweilen, dann längs der Rheinufer prnauf nach der Schwe 
zeifen, wo Ih noch die Traubencur brauchen werde, ehe is 
Hannibal's Yußtapfen betreten werbe. 
Richt als daͤniſcher Geſandter, fondern als freier Reifen 
der werbe ih die Schweiz, Italien, Sicilien befuchen. In an- 
derthalb Ichren komme ich wieder und trete die Praͤſidenten⸗ 
beit in Eutin an, welche ich eben erhalten babe. Insanientis 
um sapientiae coasultas errat ift Ihr Breund beſtuumt Yrd- 
ſident und Domherr zu fein! werbe in Eutin, einem pe 
fihen Drte, leben. Vorlaͤuſig aber, da ich zwar vom Rb- 
. nige von Daͤnemark meinen Abſchied erbeten Habe, aber nicht 
ven Muttr Ratur, ih willens, ihr Creditiv den Alpen, 
dem Behr und bem a zu übesreidhen. Sun cuique Deus 
dt diva oupido, Fünnten @ir laͤchelnd fagen und mich für ei- 
nen enroy6 extraordinaire der eitlen Neugierde halten, aber 
ſtrenge heurtheilen Sie Ihren Freund gewiß ni 
Sie ‚ daß ih eine Meifebeichreibung machen fell. 
Die Borſtellung der fchönen und großen Gegenſtaͤnde, welche 
ib aufmerkſamer vielleicht, 4 mit mehr Intevreſſe als 


Geraͤth, welches in deſto nöthiger wird, da bie Karben auf 
keiner Palette einzutrodinen und feine Pinfel hart zu werben 
en 


Bertper als mancher ſchoͤne Pinfel in Meifters Hand if 
mis der Bleiftift, mit welchem ein edler Ungenannter die „Hand 
zeichnungen nad ber Natur” fluͤchtig, aber werth der Unfterb- 


lichkeit, binge . 
ec Ib he fr * 


ans daͤniſche Poſtamt in Hamburg adreſſute Wei 

feeumdlide Erfheinung Fin! 
n 

: Hfern des —— 

von Zirol erſcheinen 


Vofern Sie kennen, To -fagen 

z ee mein Herz erfreut *8 gerührt dar 

Schreiben Sie mir dann und warn, lichfter *7 
wir 


Jeder von Ihnen wird mir eine 
D wenn ih Sie fell a 

en Meeres dar 

- Wie würde 


finden 


flürgen Ihr 8. 8. Stolberg. 


Aus einem Ahal bei Sorento, 21. Sept. IT. 


Im alten Tarent erhielt ich Ihren lieben Brief aus Ebert 

al vom 3. Märı. Ich follte mi zwar billig vom Detum 

ws a mine en —— cheffner, 
man findet ja im Bekenntniß des rd Beruhigung und 
win ir denn auch dieſe nicht durch Befhönigung. verderben, 
fondern Alles von Ihrer Berzeihung erwarten unb von ber 
Sewißheit, daß Sie meinem Bergen dieſes Stillſchweigen nicht 
anrechnen werben. Ic Habe manchen meiner Freunde darum 
nicht oder fpät gefchrieben, weil ih nicht wußte wie ich's a 
fangen ſollte, um ber Fülle des Inhalts etwas abzufchöpfen. 
Wenn man eine volle Flaſche vor fih bat, fo freut man fie, 
fie mit einem Freunde leeren zu können, und mit einem Faſſe 
gewöhnlicher Größe nimmt ein chrlcher Deutfcher, mit Weile 
eilend und mit Freunden theilend, e8 auch wol aufs; aber dad 
beidelberger Faß gafft man an und wagt ſich nicht an fei 
altvaͤteriſche Majeftät und Fülle. Darum wird es aud 
ver, in einem Briefe von Stallen und Gicilien zu 
Beide Länder, von denen ich fehr viel erwartete, Haben me 
Erwartung no fehr übertroffen. Ehe ich Italien ganz mr 
er werde ich ein rundes Jahr darin zugebracht baden. % 

e alfo alle Jahreszeiten in dieſem Lande des ewigen Yrib 
lings und der fehönften Rakur zugebradit. Alle Provinzen ii 
ſuͤdlichen Italiens habe ich befucht und bin zu Pferde um gem 
Sicillen gereift. Ich war auf dem Veſuv im Yugenblid eine 
Erguſſes. Ich vergaß feinen Feuerbach, als ich in der Radt 
Beim Feuerſtrom ded Ana fand, weicher fich aus einem feiner 
Bulkane wie ein Waſſerfall ergießt, dann fi in Arme Lheiit, 
Snfeln bildet und dritthalb —X Meilen weit fortftrömte. 

Bon Dtrantos Küfte ſah ich Griechenlands 

Gebirge. Die griehifhen Alterthümer in beiben Könige 
machten mid th Balt für das alte Neft der WMlın, und um 
fangen von den ewigiungen Reizen der tarentinifchen, der At 


naiſchen (denn neben feiner Hölle oder vielmehr unter thr Diät 


mehr ats cin Eipfium), den Steigen des nördlichen 

von Sicilien, bee forentinifchen und iſchiaſiſchen Paradieſe ver 
gaß ich gern jede Erinnerung des Alterthums, wiewol ich auh 
diefen minder heilige Stunden widmete. 

Über don Charakter der Italiener und Sicilier Hört mm 
bei und in Deutfchland manches Wahre, welches dur Ber 
ſchweigung manches Undern, das au gefagt werden felte, 
verleumdenbe Unmwahrheit wird. Ic, habe in allen Gtänden 
einige edle und liebenswürbige Männer kennen gelernt, und 
mehr als einige ſolche wirb ſchwerlich in irgend einem Bande 
ein wildfremder Neifender antreffen. In Puglien, Calabrien 
urd Sicilien wird jene herzliche ffeeundfhoft geübt, vwelde 
nit allein der hergebrachten @&itte, fondern den Empfindu 
gen der Bewohner diefer Länder Ehre macht. Auch die met# 
liſche Natur diefer Länder bringt neben den üppigwachfenden 
Diften edle hte jeder Art, und wer nur die Beſhwerde 
des heißen GSonnenſtrahls, fih nicht verjüngt fühlt unter ihre 
lebenerzeugenden Kraft, wer nur Aufmwallungen zum Prexd, 
nit auch hohen Geiftesfhwung und Hiebenewürbige Freuden 
füde in Stalien inne wird, der ent wahrhaftig nur den Shah 
8 ae den Leib, gefchweige dag ihm vom Seiſte etwa 
ahnen bürfte. 

Seit act Wochen haben wir theils in diefem elfenkilk 
am Meexe, theild in der Inſel Iſchia zugebracht. Im Jſcha 
lebten wir mit Familien froher, freundlicher Winger. ic wir 





feine Laterne können, wenn er nicht in den Gaffen Athens 
damit hineingetapſet wire. - 
An Lindern, wo der Menſch wicht in ungleichem Kriege 


mehr Vertrauen und th :& 
räctertes Bauernfind in andern Ländern Fremdlingen gegen 
wird. 

Daß bie vornehmen Stände (wiewol nicht ohne Ausnahme) 
bier weniger taugen mögen als. bei uns, Das glaube ich gern. 
Die Entfernung von einer ſolchen Ratur mußte fich ſelbſt deſto 
härter ftrafen, je mehr fie muthwillig dem Modeton opferte. 

In Iſchia hatten wir den Schmerz, ein Mädchen von fünf 
Monaten, welches meine Sophia in Heapel geboren hatte und 
ſelbſt fäugte, zu verlieren. . | 

Dem Manne, weldyer mit ber Lebendigften Darſtellungs⸗ 
Braft und der tiefiten Stelenkunde jenen Grafen fchilderte, der 
Sterbende und Zodte beobachtete und malen ließ, entging, 
wofern mein Gedaͤchtniß mich nicht trügt, ‚eine B ung. 
SBahen Sie nie tobte Kinder? Woher, wenn auch Leiben und 
Sudungen die liebe Heine Hhyfioguomie während der Krank 
heit zerrütteten, woher in der Zodesmine dieſes holdfelige Laͤ⸗ 
— u mit dem Lächeln verbundene, überkindliche, feier⸗ 

€ 

Es erſchallt dem Ohre bes Unmündigen, es erfcheint dem 
Blicke des Säuglings eine Kraft jener Welt, che Ohr und 
Auge ſich ſchließen. Es hoͤrt oder ſieht einen Boten Desjeni⸗ 
gen, der die Kinder herzte und ſegnete. O Lieber Scheffner, 
unſere Weltweiſen werden das Raͤthſel nicht löfen, das ihnen 
ein Säugling und mit todten Lippen vorlegt! 

Jetzt verreiſen wir von bier, dann uͤber Rom, Aucona, 
Benedig, Wien, Dresden. Schreiben Sie mir bald, adreffiren 
"Cie den Brief an das däniſche Poftamt in Hamburg. Ich 
umarme Sie von ganzem Herzen. 8 2. Stolberg. 


Bneifenau an Scheffner. 


Sehr dankbar bin. id Ihmen, mein verehrter Freund, für 

die freundlichen Worte, die Sie mir unterm 19. September 
efchrieben haben. Die Unſtetigkeit meines zeitherigen Aufent⸗ 
t6 bat meinen Privatbriefwechſel etwas in Unordnung ge: 
acht; daher tollen Sie dieje verfpätete Antwort entſchuldigen. 
Söhnen, mein verehrter Freund, der Sie Neftor’s Erfah: 
sungen und Weisheit vereinigen, wird e8 nicht, auffallen, da 
Die Urbeiten des Wiener Eongrefied fo fehr in die Länge fit 
ziehen. Sowie man nicht den guten. Willen hatte, in Paris 
ſogleich die wechfelfeitigen Anfprühe auszugleichen, fo mußte 
man erwarten, DAB die Raͤnkeſucht Zeit und Gelegenheit finden 
würde, fich zu entwickeln. &o aber eilte nur Jeder, feine Trup⸗ 
pen aus Brankreich zu ziehen, um in Befig Deſſen fich I 
feßen, was er ald feine Beute anſah, die Muffen, pol, e 
eicher Italien, Die Engländer Belgien. Alles Übrige über 
ließ man der Bufunft und Jeder nahm ſich vor, bem Andern 
fo viel abzuhandeln als angehen möchte Uns am gehaͤſſig⸗ 
en zeigt ſich M. und von ihm geht der böfe Geift aus, der 
ter und da gegen uns ſpukt. Gin Sauptfehler den man 


beging war, daß man zufieß, Daß Frankreich in die deutſchen 


Angelegenheiten ſich miſche. Unfer Staatskanzler wiberfpra 
Diefem bereitö in Paris als Talleyrand äußerte: Frankreich 
würde einen Gefandten zu diefem Ende ſchicken, und fagte ihm, 
daß die verbündeten Mächte nicht in die inneren Angelegenhei⸗ 


tan Frankreichs ſich gewiſcht hätten, folglich dieſes kein Mecht 
‚in den deu Ange! i ofen. 
—— —** en abe —— — en 


I Aändigen Hardenberg ſchen Meinung beis feitbem if man 


wieber, vermuthlih duch M. (Talleyrand's Geiftesuerwand- 
den) Ranke bavon abgewichen und möge man es nur wid 
bereinft bereuen. Die neue franzöfifche Regierung hat nun eb 
wos ihren Haushalt kennen gelernt und gefunden, dafi Krieg 
off die Füße vorhanden ift, ausgenommen Geſchütz für einen 


langen Krieg, während welches indeilen man aus dım Be 


ftungsgefhüg Feldgefhüg gießen kann. Ihre Armee mögen fie 
leicht auf 8 T0V,UOV alte Soldaten bringen koͤnnen. — 
man hinzu die beleidigte Eitelkeit ber eitelſten Ration der Vieit, 
die verlorenen Beſitzthuͤmer oder Ausſfichten ihrer Generale, bie 
Dunkelheit und Beſchraͤnkung, worin ihre Offiziere leben müf: 
fen, die Entwöhnung von Arbeit bei den alten Soldaten, die 
Anhaͤnglichkeit eines großen überwiegenden les der Nation 
an Rapoleon, fo wird man «8 begreiflid finden, wenn ein 
neuer Krieg fehr im Sinne der Mehrheit bes franzöfifchen Volks 
ik. Zu einer folden neuen Krife mag leicht unfere übers 
ſchwaͤngliche unpolitifhe Sroßmuth uns führen, wenn nit der 
Dimmel dem Eongreß ebenfo viel Weisheit. ald den Armeen im 
legten Kriege Süd ſchenkt. 

Ich höre über den Zuſtand Ihrer Provinz fehr viel Beun- 
ruhigendes. Der Wohlſtand des güterbefigenden Adels fei ge 
laäͤhmt und fchwer ihm aufzuhelfen. Dies follte mir fehr leid 
tpun. Die Provinz bat fh fo patriotiſch und Präftig genom⸗ 
men, Daß man wunfchen muß, daB der entfeflelte Handel den 
ehemaligen Wohlſtand der Provinz wieder aufblühen mache, um 
fie für fo große Anſtrengungen zu belohnen. Die preußifchen 
Regimenter, Die mit und waren, haben vortrefflich gefochten. 

Run, mein verehbrungswürdiger Freund, leben Sie wohl 
und möge ed Ihnen gefallen, mir manchmal ein Zeichen dei 
Lebens von fi zu geben. Unſern Freund Madeweis und deſ⸗ 
fen Haus wollen Sie herzlich von mir grüßen, Sie aber mei⸗ 
ner mit Wohlwollen gebeufen als Ihres Breundes, ber 
mit wohl und tief gesendeten Hochachtung ergeben ift. 
füge und erhalte Sie und. gebe Ihnen Bufriedenheit und Glück 
zum neuen Sabre. 

Berlin, 30. Dec 1814, 

Der Generallieutenant Gr. v. Gneiſenau. 





Neugriechiſche Literatur. 


Zum Beften der Univerfitätsbibliothet in Athen if im 3. 
1845 der erfte Band eines intereffanten, auf mebre Bände be- 
rechneten literarifipen Unternehmens erfchienen. hatte naͤm⸗ 
lc ein im 3. 1833 in Indien verfkocbener Grieche aus then, 
Dimitrios Galanos, ber ih eine lange Reihe von Tahren mit 
der Sprache des Sanskrit und mit der mdifchen Philologie be⸗ 
ſchaͤftigt hatte, in feinem Zeftamente die von ihm handfchrift⸗ 
li binterlaffenen griechifchen Überfegungen aus dem Sangkrit 
der Akademie in Athen vermacht; uub von diefen Überfegungen 
ift nun der erfte Band, der fünf einzelne Schriften indiſcher 
Weisheit enthält, als Vorläufer unter dem Zitel: „Anuniplou 
Talavoo, 'Adnralov, Erdixv usrnugansur Hoddn se, 
veröffentlicht worden. Es ift Dies auf Koften des parlufifchen 
Griechen in Odeſſa, Joannis Dumas aus Epirus, ber auch bie 
von dem gelehsten Griechen Bardalachos hinterlaffene Überfegung 
der „Anabafis” und „„KRyropädie” von Xenophon hesausgibt, von 
dem Vorſteher der Univerfitätsbiblioihel in Athen, Georg Ty⸗ 
chaldos, geichehen, der fih in einem Vorworte namentlich auch 
über Nüglicgkeit der ſanskritiſchen Studien für Die Griechen aus⸗ 
foricht. Wenn der Verkauf diejes erften Bandes die erfoderlichen 
Mittel an die Hand gibt, follen auch die übrigen, ziemlich 
zahleeihen Handſchriften jener indifchen Überfegungen nah und 
nach veröffentlicht werben. Des bereits früher kurz erwähn- 
ten arhäologifhen Werks: „Antiquitss heilduiques eu reper- 


toire d’inseriptions et d’autres antiquites decouvertes depals 
Peffranchisseiment de la Gräce”, von U. R. Rangabe (erfter 
Band, Athen 3842), gedenken wir bier nachträglich nochmals, 
weil nunmehr der erfte Band vollftändig vorliegt. Das ganze 
Berk fol eine Überficht ber feit der Befreiung GBeicchentands 
entdeckten Alterthümer in 

mer im weitern Sinne des Worts — enthalten, zugleich mit 
tifchen Anmerkungen des Herausgebers, der feit vielen Jahren 
Secretair der archaͤologiſchen Geſellſchaft in Athen, auch feit 
einiger Zeit Profeſſor der Archäologie an der Univerfität in 
Athen ift und durch feine Stellung dem Werke eine Art von 
offieiellem Charakter gibt. Jedenfalls gewährt daſſelbe einen 
genügenden Maßftab zur Beurtheilung der antiquarifchen Schaͤte, 
die bereitö auß Griechenlands befreitem Boden zu Tage gefoͤr⸗ 
dert worden find und die no darin verborgen liegen mögen. 





Bibliographie. 


Bornbaufer, J., Ida von Tockenburg, oder die ſchreck⸗ 
len Folgen der Eiferfuht. Hiſtoriſch⸗romantiſche Erzählung 
aus der legten alte des 12. Jahrhunderts. Schwäb. Hall, 

Ir. 


Hafpel. 8. 1 
Briefe eines Affen an feine en Zum Drud befördert 
r. 


von **** Hanau, Edler. 8. 
Chrzanowski, Uber den Barteigänger  rieg, Eine 
Skizze. Aus dem Polnifhen. Berlin, Stuhr. 12. 7%, Rgr. 


Die Baumwolle und deren Verarbeitung in na- 
turhiſtoriſcher, geſchichtlicher, techniſcher und ſtaatswiſſenſchaft⸗ 
licher Beziehung. Mainz, Evler. 8. 15 Nor. ° 

Enncmofer, F. 3., Die glüdliche Gemeinde zu Frie 
densthal, oder Andeutungen, Durch welche Mittel Friedensthal 
es dahin brachte, daß daſelbſt Wohlftand und Zufriedenheit 
berrfchte. Mannheim. 1845. Gr. 8. 12 Nor. 

'Zur Literatur Johann Fischarts. Reveille matin oder 
Wachtfrüauf. Anmanung zu christlicher Kinderzucht. Er- 
manung an die Bundbaepstler. Zuerst wieder veröffentlicht 
durch A. F. €. Vilmar. Marburg, Elwert. 4. 10 Neger. 

Siovanna Maria dalla Eroce und ihre Zeit. Ein Lebens: 
gemäne aus dem 17. Jahrhundert. Regensburg, Manz. Gr. 8. 

Thlr. 3°%/, Nor. 

Höfling, J. W. F., Das Sakrament ver Zaufe nebft 
ben andern damit zufammenhängenden Alten der SInitiation. 
Dogmatilh, hiſtoriſch, liturgiſch dargeſtellt. Erlangen, Palm. 
Gr. 8. 1 Ihe. 5 Nor. 

Kung, ©., Die Bergwunder, Neife-Erinnerungen zur Un⸗ 
| Fer für Jung und Alt. Straßburg, Witwe Revrault. 

12. + Nor. 

Lebensbeichreibungen und Kriminalprogefle berüchtigter Raͤu⸗ 
ber und großer Verbrecher ‘älterer Zeit. Rad) Acten und Ar⸗ 
chiven. Rebft Bemerkungen über das Diebögefindel im Mittel- 
alter. Aus dem Franzöflihen von 8. Hain. Iſtes Bändchen. 
Leipzig, Kollmann. 8. 15 Nor. 

Lorenz, Wilhelmine, Friedrich's II. einzige Liebe. Mor 
man. Leipzig, Wienbrad. 8. I hir. 

Murr, 3., Caspar Dievian oder der Calvinismus in 
Trier im 3. 1550. Ein Beitrag zur Gefchichte der Reforma⸗ 
tion in Deutfhland. Mainz, Kirchheim, Schott u. Shielmann. 
&r. 8. 26 Nur. 

Nicolovius, A., Friedrich Leopold Graf zu Stolberg. 
Main, Kirchheim, Schott und Thielmann. Gr. 8. 22%, Rgt. 

Riegler, G., Chriſtkatholiſche Dogmatif, hiſtoriſch, bi: 
bliſch, patriſtiſch, ſymboliſch, polemifch » apologetifch, praktifch 
atgefelit: Ifter Sheil. Bamberg, Schmidt. Gr.S. 1Thlr. 
gr. 

Schwab, G., Gedichte. Ite Auflage. Stuttgart, Cotta. 
16. 2 Thlr. U Nor. , 

Jhierſch, F. Allgemeine Äſthetik in akademiſchen Lehr⸗ 

vortraͤgen. Berlin, Reimer. Gr. 8. 2 Thlr. 73, Rgr. 


—— — 


echenland — das Wort Atterne | 


: SfGabufänigg, A. v., Der moderne 
Roman. Zwei Bände. „Heckenaſt. 8 3 Ihe. 
Borſchule zur fpeculativen Theologie des poſitiven Ghri- 
ſtenthums. In Briefen. Ifte Abtheilung: Die i 
rie. Re dermehrte Auflage. Wien, Dallithaufſfer. Or 8. 
2 Thir. 13 Nor. 

Weber, ®., Spartakus. Tragoͤdie. Wien, Mörike 
ner's Witwe und Biandi. Gr. 8. 232%, Rgr. 

Wislicenus, E., -Darftellungen. aus der beutfdgen Ge 
ſchichte zur Belehrung über deutſche Wollssuflände, wie fie ge 
wefen und wie fie geworben. Iſtes Baͤndchen: Der Deutſthen 
1ER Geſchichte und Bolkszuftände. Leipzig, D. Wigand. 8 

Bfhotke, H., Geſammelte Belksichriften. WMarau, Gau 
ander. Gr. 8. 54 Ror. 





Tagesliteratur. 


Binder, © P., Bwei Reden, gehalten in der Kron⸗ 
ſtaͤdter evangelifhen Cathedralkirche im Jahre 2845. Kron- 
ftabt. 1845. 8. 5 Rar. 

Gouard, C. L. Sie fahen Ricmand, denn Sefum allein. 
Predigt über Matth. 17, 8. Berlin, Enslin. 8, 2% Br. 

8 preußifche Gifenbahnneg mit befonderer Beziehung 
auf die öfllichen Provinzen. Vom Amtsrath Livonius m 
1 momiscommiflartus Mertens. Berlin, Behr. Gr 

gr. 

Den, A., Sendireiben an den Hochwürdigſten Herm 
Biſchof zu Fulda, bezüglich defien zur Zaftenzeit 1346 alaffe 
nen Hirtenbriefs gegen die Kirche der Deutſch⸗Katholiken. Bei 
mar, Landes-Induftri»Gomptoir. 12. 5 Nor. 

Holdheim, ©, Predigt bei der am 2. April —2 
denen Einweihung bes Gotteshauſes der Genoſſenſchaft fir Ke— 
form im Iudenthum. Berlin, Behr. Er. 8. 5 Nor. 

Lucius, Bortrag über "öffentliches und mündliches Be: 
fahren in Criminalſachen, gehalten im Bürgerverein. Braur 
ſchweig, Rademadher. Gr. 8. 3%, Rgr. 

Müller, M., Chriftliche Gebete und Betrachtungen zu 
naͤchſt für bie Deutſch⸗Katholiken. Berlin, Hold. 8. 14 Nor. 

Reander, A., Rede bei der akademiſchen Feier des 
MWyjaͤhrigen Lodetages Luther's am 18. Febr. 1846. Berün, 
Wohlgemuth. Gr. 8. 3 Nor. 

‚„ Riegler, &., Iefus der Mefias und der Iudaitmus. Eine 
biftorifch » eregetifch = Dogmatifche Abhandlung. Hervorge 
duch ein Befchwerde = Schriftlein des Rabbiners Rofenfeld zu 
Bamberg an die Ständeverfammbıng in Münden. Bamberz, 
Schmidt. Gr. 8. 12Y, Nor. 

Schrader, K., Der Üntipietift, oder Bertheidigung bei 
vernunftgemäßen Chriſtenthums wider bie pietiftiihen Angrift. 
2te verbefferte Auflage. Leipzig, Kollmann. 8. 15 Nor. 

Stoſch, 3. 8. W., Rebensbilder, oder: Wohin führt bie 
Anwendung der religiöfen Grundſaͤtze der fogenznnten protes 
Bantiioen Freunde? Königsberg i. d. N., Windolff u Stieſe 
. 42 Apr. n 

Strauß, B., Über die Gefangbuchsfache in preufifche 
Comben. ae Denfihrift. Bielefeld, Velhagen und Klafzz- 

. 8. gr. 

Urtheil des kurfürſtlichen Obergerichts zu Marburg in de 
Unterſuchungsſache gegen den Prof. Dr. Sylv. Jordan wega 
verſuchten Hochverraths. Nebft den Entſcheidungsgründes 
Reueſte Auflage. Marburg, Elwert. Gr. $. 15 or. 

Bilmar, U. F. ©, Schulreden über Die Fragen de 
Beit. Marburg, Eiwert. Gr. 8. 20 Rgr. 

Weiß, E., Betrachtungen über Rationalismus und Di: 
Tenbarung, Ein Verſuch zur Verſtaͤndigung. Eisleben, Re: 
chardt. 8. 15 Nor. 

Zittel, Begründung der Motion auf Religiongfreikeit is 
der badifhen I. Kammer am 9. Dez. 1845. Darmftabdt, Pabk 
Sr. 8. 21, Ror. 


Verantwortlicher HRerausgeber: Heinrich Brockkans. — Drud und Verlag Bon F. E. Broddans in Leipgig, 
- EEE — — — — 


⸗ 





Blätter 


für 


literarifche Unterhaltung. 





24 Juni 1846. 





Es begreift ſich leicht, daß bei der Anzeige und Be⸗ 
urtheilung dieſes Werkes nicht ſowol der eigentliche In⸗ 
halt, das heißt die darin mitgetheilten 111 Reden, als 
vielmehr nur der Plan deſſelben und die Art der Aus- 
führung von Seiten der Redaction geprüft werden kann. 
Um bie hier vorgeführten Redner alle zu befprechen, um 
die Eigenthümlichkeit ihres Talents zu würbigen, fie un- 
tereinander zu vergleichen und gar um quf die von ih- 
nen erörterten Gegenftände einzugehen, bazu wäre ein 
ganzes Buch zu fchreiben nöthig oder auch wieder eine 
ganze Bibliothek. Daher fol hier nur von dem Plane 
der Redaction vorzugsweife die Rede fein. 

Die politifche Beredtfamfeit oder wenn man lieber 
will Sprechfertigkeit hat in Deutfchland feit den legten 
15 Jahren unverkennbar einen bebeutenden Aufſchwung 
genommen, und es ift mit Grund zu erwarten, daß fie 
fih, bei vervielfältigter Gelegenheit, noch höher und rei- 
fer entwideln werde. Theils find neue Berfaffungen 
eingeführt worden, theils ift in den Ländern, welche 
fhon Berfaffungen befaßen, ein Iebendigerer politifcher 
Geiſt erwacht; die Provinziallandtage Preußens haben 
fi) zu größerer Bedeutung erhoben, und auch außerhalb 
der Sphäre der politifchen Anftitutionen, fo eng gezogen 
in Deutfchland der Kreis für die freie politifche Bewe⸗ 
gung des Volkes, fo aͤngſtlich überwacht das Wort if, 
bei Seften, Verſammlungen, Efjen, bat fi) das Rebner- 
talent geübt und ausgebildet. Auch für die mit der 
politifhen nahe verwandte gerichtliche Beredtſamkeit hat 
ſich da und dort ein etwas erweitertes Feld aufgethan, 
und gar manche nicht politifche. Vereine fowie die Ver⸗ 
handlungen von Municipalitäten bürfen als Vorſchulen 
für die politifche Beredtſamkeit betrachtet werden. Wenn 
fomit das Leben felbft die politifche Beredtſamkeit be- 
günftigt, übt und fobert, fo fcheint es zeitgemäß, daß 
auch die Mittel zur Bildung der Beredtfamkeit verviel« 
fältigt werden, daß die Schule fich deren Pflege ange- 
legen fein laffe und die Kiteratur ihr Nahrung zuführe. 
In diefem Sinne ift nun wol auch theilmeife der Plan 
zu dem vorliegenden Werke gefaßt worben, obwol in dem 


Profpectus weniger biefer praftifche Zweck! als vielmehr. 


der ber Detehzung hervorgehoben ift, wenn gefagt 
wird: „Die « Bibliotheko dient zur Belehrung über bie 
Tagesintereſſen, indem fie uns zu den Quellen prattifch 
politifher Weisheit hinführt; fie gewährt würbige und 
ernfle Unterhaltung, indem fie uns bie vollenbetften 
Geifteöproducte der für Vaterland und Freiheit, für 
Recht und Volksglück glühenden Männer zur Anfchau« 
ung bringt; fie bildet endlich auch einen unentbehrlichen 
Commentar zu jeder Darftellung ber Zeitgefchichte”; ba- 
gegen ift im Vorwort zum erſten Bande auch der ge- 
nannte praßtifche Zweck angedeutet, welcher ſich ohnehin 
von dem didaktiſchen nicht leicht trennen läßt. 

Die nicht genannte Rebaction zählt die vorliegende 
„Bibliothek“ zu den hiftorifchen Werfen und bat die Aus⸗ 
wahl der mitgetheilten Reben „nach ihrem innern Werth 
und ihrer Bedeutung für die Intereffen unferer Gegen⸗ 
wart getroffen, hat jedoch „die Folge der Neben weder 
von der Zeit, in welder fie gehalten wurben, noch von 
dem Stoffe, den fie behandelten, fireng abhängig ge- 
macht”. Bei dem unermeflichen zur Benugung und 
Auswahl vorliegenden Material hatte bie Redaction eine 
große, aber auch die Wahl und Anordnung erſchwerende 
Breiheit; ‚fie mußte ihre Grundſaͤtze mit einer gemiffen, 
wenn auch keineswegs unmotivirten Willkür feftftellen; 
und fo leicht es auch fein mag, den von ihr befolgten 
Srundfägen andere entgegenzufegen, fo erfcheint doch 
eine folde Kritik leicht als muͤßig und unfruchtbar, 
wenn fie nicht durch eine pofitive Leiftung, durch bie 
Durchführung eines andern Plans in einem felbfländi- 
gen Werke unterftügt wird. Die Rebaction kann mit 
Recht verlangen, zunaͤchſt nach dem von ihr felbft 
aufgeftellten Ranon der Auswahl der Reden „nah 
ihrem Innern Werth und ihrer Bedeutung für die In- 
tereffen unferer Gegenwart” die „Bibliothek“ beurtheilt 
zu fehen. 

Demnach ift bie Aufgabe der „Bibliothek“, durch die 
bier zufammengeftellten Reden gefhichtlih und po- 
litiſch zu beichren und aufzuklären. Diefe beiden 
Zwecke widerfprechen ſich zwar keineswegs, aber fie gr 
len auch nicht zufammen. Ein Hauptmoment ber Ge⸗ 
fehichte bleibt immer das politifche Leben und Intereffe 
und die politifhe Wahrheit kann nie von bem Boden 
der gefhichtlihen Wirklichkeit ganz abgelöft werben. 





888 


Nur die. aligemeinften Säge des Rechts und ber Politik 
laffen fih außerhalb des gefhichtlihen Zuſammenhangs 
erörtern; alles Goncretere gewinnt nur auf hiſtoriſchem 
Boden feine wahre Bedeutung, fein rechtes Licht. Gründ⸗ 
liche politifche Einſicht und Belehrung wird daher gewiß 
nieht durch bloße philefophikhe Dedustion und Demon⸗ 


ftration erzeugt und mitgetheilt, fondern fie muß durch 


lebendige Anſchauung ber Gefchichte vermittelt und be 
währt werden; und Mancher, ber eine Abhandlung über 
eine politifhe Frage gar nicht oder ohne Nugen und 
echtes Verſtaͤndniß läfe, hört oder lieſt mit Begierde 
und SIntereffe eine Mede darüber, die durch einen con⸗ 
exeten Fall, durch einen in das Leben eines Volkes, in 
die Zeitgefchichte eingreifenden Streit hervorgerufen, mit 
ber Wärme bes Lebens, mit ber gefleigerten Energie bes 
Kampfes, vielleicht mit tief erregtem Gefühl ober mit 
feuriger Leidenſchaft das Problem behandelt. Juſofern 
iſt es ein glücklicher Gedanke, die politiſche Theorie. durch 
den geſchichtlichen, praktiſchen Commentar wirklich gehal⸗ 
tener Reden, bie großentheils eine Wirkung hervorge⸗ 
bracht, mehr ober minder bedeutende Folgen gehabt ha⸗ 
ben, zu veranſchaulichen und zu belieben. Diele der 
wichtigften Probleme der Politit im meiteflen Sinne 
find durch die Heben ber „Bibliothek“ beleuchtet; wir 
führen beifpielsweife folgende an: ber VPreßfreiheis 
(mehre, von Liebenflein, Sander, Royer-Gollarb u. W.), 
über die Grundſaͤtze des conflitutiounellen Staattprin- 
cipe, Berantwortlichkeit ber Minifter, den Adel, über 
Wahlfreiheit und Wahlgeſetze, Dffentlichleit und Münbd- 
licheit des Gerichtsverfahrens, GSriminaljuflig, Religions- 
freiheit, Berfaffung und Verwaltung ber Bemeinben, 
über Bollserzichung, Volksſchulweſen, Univerfitäten, Bolks⸗ 
bewa Handelsfreiheit, Zollgefeggebung. Neben bie 
fen Gegenſtaͤnden von allgemeinam Intereſſe, Die jedoch 
"alle unter beſtimmten gegebenen Verhaͤltniſſen an ver⸗ 
ſchiedenen Orten zur Sprache Samen, behandeln viele 
Reden beſondere Anliegen, Wünfche, Beichwerden, Gin- 
zihtungen einzelner beutfcher Bänder, teils fprechen ſich 
franzoͤſiſche und englifche und andere Redner und Staat«⸗ 
männer über politifche Ange iten ihrer Länder aus; 
auch find einige Auklage⸗ und Wertheibigungsreben wit 
getheilt, Die Sammlung if, wie man aus biefer lücken⸗ 
haften Inhaltsangabe ſchon ſicht, reichhaltig genugs je⸗ 
doch vermißt man barin Neben über manche der wich⸗ 
beutichen Spterefien, namentlih über bas Ver⸗ 
tniß bes Deusichen Bundes zu ben deutſchen MWerfaf- 
fungen. Die Redactien deutet an, bag fie auf man 
Hinderniſſe geſtoßen fei, welche zu überwinden 

nicht in ihrer Macht geftanden; wir glauben das gern, 
aber dann ift fehr zu beklagen, daß nicht ein für Die 
unverfümmerte Durchführung des Planes günfliger Ort 
oder eine größere Freiheit gewährende Form ber Heraus⸗ 
abe gemäßlt wurde. Sogar in den mitgetheilten Mer 
den felbft mußte, mie es feheint, hin und wieder etwas 
ausgelaſſen werben, eine Verſtümmelung, welche ben 
fatalfien Eindrud macht, indem fie das —8* bes ſto⸗ 
rendſten Mietrauens erzeugt. Gin ſolches Unternehmen 


hätte vor Allem ſich von der Bevormundung der Genfur 
zu befreien ſuchen ſollen. 

Bermißt man in dieſer „Bibliothek Reben über manche 
wichtige Punkte der deutſchen Politik, ſo wird dieſe Lücke 
micht erfegt durch die Reben fremder Redner und Staat 
männer. - Einige zwar Yon dieſen behandels oder Gerüf- 


‚ren allgemeine politiſche Grumdfäge, 3. B. die von Rd- 


bespierre über die Abmeffung bürgerlicher Rechte nad 
einem Cenſus, von Barnave über das Recht des Kriegs 
und Friedens; aber fehr viele beziehen fi) auf ganz 
individuelle biftorifche Werhältniffe, wie 3. B. auf das 
Berhaͤltniß Irlands zu England oder auf den Durd- 
ſuchungsvertrag: Gegenflände, die allerbings ein großes 
Intereffe für die Gegenwart haben, aber weniger fofern 
es fih um beflimmte Grundſaͤze als um ben Kampf 
von Parteien und um bie Mivalität ber Nationen ban- 
dei. Ganz am Plage dagegen ift eine Rede des dltern 
Pitt über die Angelegenheiten der amerifanifchen Colo⸗ 
nien, fofern darin das allgemeine Thema des Mechts 
ber Befteuerung erörtert wird, worüber fich Beine deut 
fche Rede in der Sammlung finde. Die „Bibliorhel“ 
befommt duch bie Aufnahme fo verfchiebenartiger Ro 
ben zwar ein weniger ausfchlieglich politifches, ein meh 
hiſtoriſches Gepräge; aber es will uns bebuͤnken, daß fte 
dadurch den Charakter der innern Einheit verliere. Die 
dankenswerthen biographiſchen Notizen orientiren zwar 
einigermaßen den Leſer, aber doch nicht hinreichend 
wenn er nicht zuvor fon mit den gefchichtlichen Ber 
hältniffen, unter welchen bie Reden entitanden find, ge 
nouer bekannt ift, und Walpole's Rebe zur Bertheidigung 
feiner minifteriellen Wirkſamkeit wird heutzutage Wenige 
intereflicen. Don For würde fich gewiß eine bedeuten- 
bere Rede als die über Verſchwendung in ber Staats- 
verwaltung leicht haben finden laſſen; som Grafen Grey 
oder Korb John Ruffel, den Borkämpfern der Reform, 
wäre wol aud eine Rebe zu erwarten geweſen; und ber 
Proceß ber franzöfifhen Minifter ober die Berathung 
be6 Geſetzes über bie Pairie hätte unfers (Grachtews 
nicht ganz follen übergangen werben, hauptfählich darum 
nicht, weil dabei allgemeine politifhe Grundfäge zux 
Srörterung kamen. Auch die Mittheilung von Reden 
über die Zehr- und Unterrichtsfreiheit, etwa einer von 
dem geiftvollen und higigen Brafen Montaiensbert und 
einer Ermiberung Guizot's, wäre gewiß paffenb geweſen. 
(Die Bortfegung folgt.) 





Taſchenbuͤcherſchau für das Jahr 1846. 
Dritter und legter Artikel.) 

IL hriſtoterpe. 

Ref. hat AG tm vorigen Jahre die Mühe gegeben, die 
pietiftifche, Bermmft und Wifſſenſchaft ve Ä 
dieſes Ylmanachs zu bekaͤmpfen. Dieſes Jahr wisb er dead 
bleiben laſſen, einmal weil man fi mit Verächtern des Ber: 
ftandes doch niemals verfländigen Tann, noch mehr aber, weil 


*) Wergl. den exflen und gweiten Artibel in NRe. 312 25 nad 
Re. HI MM b. M. f. 8. 2». Me. 


Bu 





er zu Der Ginficht gelangt if, daß ſoiche Schriften der Sothe 
der Vernunft nicht etwe ſchaden, jonbern im Gegentheil mehr 
als alle Demonſtrationen Dageyen ihr nüpen, inſofern naͤmlich 
‚alle Diejenigen, welche zwifchen Piettömus und Nationalismus 
in der Mitte Stehen, dergleichen Berhöhnungen bed denkenden 
Geiftes nicht leſen können, ohne ſich immer teiter von ber 
erelufiven Froͤmmigkeit weg und der unkefangenen Bernünftig- 
Seit zuzuwenden. ebenfalls wird daher der Sache ber freien 
Geifteßentwickelung am beiten gedient fein, warn wir Ri 
Ratt aller Feitifchen und polsmifchen Bemerkungen einige Stel» 
len charakteriſiren oder wörtlich mittheilen, in welchen der Pie⸗ 
tismus am kraͤftigſten und wirkjamften pro ara et foco zu 
tümpfen meint. Zu diefen gehört vor allen die durch und dur) 
geharnifchte Vorrede des Herausgebers A. Knapp. In einem mit 
den gewöhnlichen Medendarten verbramten ubensbekenntniß 
heißt es unter Anderm: „Wir glauben, daß Diejenigen, welche 
den Glauben an Jefum, den Sohn des lebendigen Gottes, 
im Sinne der Schrift verachten oder gar befehden, nicht mit 
Recht noch mit gutem Gewiſſen em Lehr: oder unmittelbares 
Bermaltungsamt in der evangelifchen Kirche befleiden Fönnen, 
fonbern, fo lange fie jenen Sinn behalten, theils durch Unter: 
laffungs = theils durch Begehungsfünden zu Denjenigen gehö- 
- zen, welche die Schrift Erdenverderber nennt und welche von 
Gott gerichtet werden. (!) Wir glauben, daB der Sinn und 
Wille Chriſti fehr gut aus dem gefchriebenen Worte des Neuen 
Teftament zu erkennen jei und daß die Mitglieder der evan- 
gelifchen wie der Patholifchen Kirche Fein elenderes Mittel zur 
Kicchenverbefierung ermwählen können, ald wem fie ben berma- 
gen Beitgeift der Politik und Wechſelphiloſophie, worin auf 
der einen Seite der Demofratentrog (Recht fo! wenn fonft nicht, 
fhlägt doch wol die Verdächtigung und Denuncirung bei den 

achthabern an!), auf der andern der Panatheismus (Auf 
wen paßt diefer Name beffer ald auf alle Die, welche den Pan» 
Eeismus verwerfen?) fein Haupt erhebt, mit dem Worte 

ottes wie Stroh mit Gold vermengen und durch folcherlei 
tödtende Bufäge dem Leben unferd ebenfo hochmüthigen als 
entneruten (?) Geſchlechts aufzuhelfen fuchen. Wir glauben, 
dag es der Kirche wie dem Staat allein wohlgehen koͤnne, wenn 
fie fi, wie gleich der erfte Paragraph in ber Urkunde des 
aheifigen Bundes» felbft, gewiß aus namhaften und triftigen 
Gründen, bekennt, dem koͤniglichen Lebenswort Jeſu Ehrifli 
Tindlich und unbedingt unterwerfen und als chriſtliche Inftitute 
fh an das Wort Desjenigen balten, der bezeugt hat: Ohne 
mich koͤnnt ihr nichts thuns an das Wort Deilen, der. uns von 
Gott zur Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligung und Erlöfung ger 
macht if. Wir glauben im Hinblick auf das manmichfaltige 
Elend der Völker an den bewährten Spruch: «Hier Hilft wer 


der Kraut noch Pflafter, fondern dein Wort, Herr, das Alles 
— tt.» Wir huldigen ihm, der geſagt hat: «WBahrlih, wahr: 
ich, wer Sünde thut, der if der Sünde Knecht. So euch nun 


der Sohn frei machet, fo feid ihr recht frei. So ihr an mei: 
ner Rede bleibet, fo werdet ihr meine zechten Sünger fein und 
die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei ma- 
Gen. Denn ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und in 
Die Welt gelommen, daß ich die Wahrheit beseugen fol. Wer 
aus der Wahrheit ift, der bövet meine Stimme» (Ganz recht, 
auch Ballet in feinem „Laienevangelium“ bat tiefe Stimme 
gehört!). Wir leben jedoch in einer Seit, worin man nachge⸗ 
rade Religionen und Kirchen wie Gafinos oder deß etwas zu 
arrangiren beginnt und wo das Konigswort Jeſu Chrifti von 
Blinben in Abſtreich gegeben wird, fodaß diejenige Partei, die 
am wenigften bavon behält und es am wohlfeilten nimmnt, fich 
As bie jeweilige Awin des Taget So kann's am 
Ende in Religionsfachen noch eine Urt von haitiſcher er⸗ 
republite geben, wiewol mit dem Unterſchied, daB uns das 

liche Wort nie zur Sklaverei des Geiſtes b ‚ fordern blos 
von geſedloſen Geiſtern als eine 
biefem Betracht auch Die evangeliſche Kirche eine Syrannin ge 
nannt wird, was fie ihrem innerſten Princip nach gewiß nice 


fell betrachtet, und bad in 


ift noch fein kann, fo viel andy im Sinzelnen fon don Men: 
fihen dagegen verſtoßm wurde (Bon den Berächtern und Eri- 
minelrichtern der Bermmft naht auhR). Da gilt es nach 
beſſern, heifen, auf das Princip zurückgehen; em anderer 
Grund kann jedoch niamermehr gelegt werden als der ſchon 
gelegt iſt, welcher x EHriftus umd fein unvergängliches Wort. 
Es ift aber weit Heruntergefommen mit einem fatten, bla 
firten Geſchlecht, bei welchem baßjenige Clement, welches Apo⸗ 
ſtel und Propheten, Heilige und Märtyrer, Kirchenväter und 
Reformatoren gezeugt bat, von allerlei modiſch aufgepupten 
Renegaten als mythifher Wahn verläftert werden darf, —* 
daß die übrige. Chriſtenheit ein freies, ritterliches Gefammt⸗ 
zeugniß dagegen zu erheben wagte, ein gerechtes, dem Herrn 
Er Ehre dienendes Beoanid egen freihe Atheiſten, welche den 

iſten ihren Beiligen lau als Koth an den Kopf wer: 
fen und fich dadurch mit den edelſten Geiſtern wie mit den . 
heiligſten Früchten und Bermaͤchtniſſen aller Jahrtauſende in 
ben gemeinften, fihnödeften Widerfpruch fegen, den perfoͤnlichen 
Scandal als Hauptwaffe gegen die Anhaͤnger des Evangeliums 
gebrauchen, und, während fie für die von ihnen geſchmaͤhten 
Kleinodien ber Schrift und die Reugnung eines perfönt 
Gottes ($) und Wernichtung des menfchlihen Ich nad dem 
Sode (f) zu bieten wiflen, ihren nihiliftifchen Wuft überall alb 
unabweislichen Bortfchritt auspofaunen.” 

SFriedſamer ift die Biographie Benjamin Gottlieb Kohl: 
meifter'6 (eines Miffionard), von &. 9. v. Schubert, und 
dabei fd weiſe und gottvertraut, daB barin dem lieben Bott 
die Plane feiner Borfehung bis ins Beinfte Detail nachgerech⸗ 
net werden. Wenn ber kleine Kohlmeiſter ins Waſſer fällt 
und doch nicht ertrinkt, fo weiß der Verf. aufs Haar, daß die 
Sache blos darum fo gut abgelaufen ift, damit fo und fo viel 
Eskimss von- ihm bekehrt werden felten. Warum er aber 
bazu überhaupt ind Waffer fallen mußte, barüber erhalten wir 
keine Aufklärung. Zum Dank will ich dem Berf. mittheilen, 
wie fich eine alte Judenfrau dergleichen Fälle gu erflären pflegte. 
Wenn ber liebe Gott, fagte fic, einem armen Schlucker eine 
Freude machen will, ohne daß es ihm was Eoftet, dann Täßt 
er ihn was verlieren und na einigem vergeblihen Suchen 
wider Erwarten wiederfinden. 

In der Lebensbefgreibung des feligen Ludwig Hofacker 
von U. Knapp wird amter Unberm folgende Steile aus eis . 
ner Predigt des Berewigten mitgetbeilt: „Bon Natur find wie ' 
wicht mehr Kinder Gottes, fondern Kinder des Zorns, "von der 
Bünde, vom fatanifhen Element durchzogen. Wenn ein Menf 
bleibt wie er ift, wenn in ihm sicht asjenige vorgeht, was 
mon Wiedergeburt ‚heißt, fo ift und bleibt er ein Kind des 
Borns und —* keinen Antheil an der Seligkeit noch am 
Reiche Vottes, ſondern ex iſt ein finfterer Geiſt und muß einſt 
dahinfahren mit ber Finfterniß ſeines Herzents in die wig 
undurchdringliche Finſterniß, wo Heulen und Bäßneknirfchen iſt. 
Ichh weiß wohl, daß dieſes nicht Die Lehre der Neuerer und fal⸗ 
fen Propheten iſt, denn diefe ſucht die hohmüthigen, leicht: 
finnigen Menſchen nur einzuzwaͤngen in falfdye Sicherheit und 
fleiſchliche Ruhe, damit fie doch ja nicht zu fich ſelbſt kommen, 
no bedenken, was zu ihrem Frieden dient. Man bat deswe⸗ 
gen in newerer Beit die unerhörte Lehre nufgebradgt, daß alle 
Menſchen von ſelbſt Kinder Gottes feien und von Ratur An⸗ 

e haben an das Deich Gottes, ja fogar, daß gerade die 
fe der Hauptvorzug der Lehre Ehrifti fei, daß er alle ken 
fügen ohne Unterſchied Ichre, Gott fei ihr Bater und Ar fammt 
und fonders feine Kinder. Wein, nein! fo wirb vom Brilende 
das Reich tes und das Reich des Teufels nicht miteinan⸗ 
det vermengt! Ich fühle mich zu der Erklaͤrung gedrungen, 
daß dieſes lauter antichriſtliche, verfluchte Lügen find und bes 
zeuge viedmehr vor dem Herrn Tofu das gerade eg "“ 

Aus Den Briefen Hofacker's erfahren wir unter Underm 
feine Unfichten über das Boſe in der Welt: „Weib ich nit, 
was für eine neue Theologie in **) auffomm. Da —* 
tet man 4. B. in allem r bee Herr Yabe ben Napoleon 


dies als abgeleitete Folge⸗ 
ne den heili⸗ 
Geſchichte 


erklaäͤrt und bekannt haben: fo ſollen wir nicht fo plump mit 
unferer Bernunft bareinfahren, fondern uns beugen und be 


‚ müthigen, und erkennen, daß wir es nicht wiflen. Denn Das 


müffet ihr doch zugeben, es ift ein großer Unterſchied zwifchen 
den Dingen, die unterm Monde gefcheben. Es gibt Dinge, 
die gefchehen fo, daB man gewiß weiß, Bott will fie haben. 

gibt aber au inge, die geſchehen fo, daß man gewiß 
weiß, der Zeufel will fi. Gtellet einmal bie Berufung des 
Kpofteld Paulus mit der Berufung. Napoleon's zufammen, oder 
das Mifftonswerd mit einem Eroberungskrieg. Es waltet 
darin doch ein himmelweiter Unterfchied und es Tann ficherlich 
nicht wohlgethan fein, Alles fofort nad einem philofophifchen 
Princip in Einen Keffel zu werfen, und wenn man die Men⸗ 

erei mit noch fo ſchoͤnen Raifonnements ausſchmuͤckte. Sch 

Balte das für einen groben Irrthum.“ 

Über die Rechtfertigungsichre fpricht ſich Hofacker derge⸗ 
ſtalt aus: „Seitdem die npabeit eine Sünderin, d. 5. ein 
dem Fluche verfollenes Geſchoͤpf in den Augen Gotted gewor⸗ 
den ift, hat fie nach dem Rathſchluſſe Gottes einen ganz an⸗ 
dern Weg zur Herrlichkeit al8 die ungefallenen @eifter. Durch 
die Geiſter letzter Claſſe fol Gott verherrlidt werden. Sie 
find in einem beftändigen Wachsthum ihrer heiligen Ratur 
und haben Eeinen Yal zu beweinen. Die gefallene Menfchheit 
aber muß, feitdem fie mit dem Opfer des Sohnes Gottes er 
kauft ift, gleihfam unter fih wachen, wenn fie wieder etwas 
werden ſoll zum Lobe der göttlichen Herrlichkeit; ihre Ubung 
befteht vornehmlich in fortwährender Erkenntniß ihres Kalle, 
und dieſes dient zur Verherrlichung Chriſti. Wir können jept 
nicht mehr in anerfchaffener NRaturkraft von einer Stufe zur 


andern fleigen wie die Ungefallenen, diefes tft uns nit un⸗ 


mittelbar mehr möglich, fondern wir müffen durch das Armen⸗ 


Er und darin Chriſtum finden, und aus diefem Ge⸗ 


hl darf die erlöfte Seele nicht mehr heraus, weder in Zeit 
noch in Ewigkeit.” Diefer Anſicht gemäß erklärt er weiterhin 
diejenige Auffaſſung der Rechtfertigungsichre, welche meint, 
daß der Tod Chriſti uns nur infofern redhtfertige, als wir 
ſelbſt dadurch in Sinn und Wandel gebeiligt werden, für eine 
einfeitige und niedrige, und fdhreibt unter Anderm einem 
Freunde, der diefe Anficht theilt: „Es Bann dir nicht geholfen 
werden, außer wenn bu deinen dicken, flörrigen Bernunftskopf 
etwas beugft und ben Sefus annimmft, der die Gottlofen ge: 
recht macht. Und wahrlid, fo mußt du lieber Gottlofer auch 
gerecht werben, deine größte Gottlofigkeit aber ift dein Stolz, 
daß du eigentlich von Gott Mecht verlangft und Feine völlige 
Gnade in Ehrifto Jeſu.“ Doch genug! 

Geniegbarer find folgende Gaben: „Das Ende einiger 
evangeliſchen Märtyrer unter Maria ber Katholifchen‘, von 
Karl Beer, und: „Rettung aus Peſt und Brand. Zwei 
Epiſoden aus der Selbftbiograpbie bed Karl Dominik v. Gaſ⸗ 
fer, Barons von Thurn. Mitgetheilt von Chr. ©. Barth.” 


Cie haben eine polemiſche Richtung gegen das 
unb Buldigen infofern wenigftend der Freiheit. 
der —— ee dazu gehört | —* fe m 
wen en € , em mitzutheilen, 
unwillkuͤrlich drängt ſich bie Idee auf, daß doch Die hier ge 
brandmarkten roͤmiſch⸗katholiſchen Kegergerichte 
dammungsurtheile, welche die Frommen über 
laͤubigen ausſprechen, wenn nicht in der Wirkung, ſo 
7 en Grunde ziemlich Ein und Da elbe find, infofern 
ur der anmaßlichen Borausfegung beruhen, im Befige 
leinfellgmachenden Glaubens zu fein. 

(Die Bortfetung folgt.) 


Literarifhe Notizen aus Frankreich. 


Kranzöfifhde Miffionnaire. 

Die Gefchichte der geiftlichen Miffionen, welge von Frank 
reich aus nach den uncivilifirten Gegenden Afiens, Afrikas und 
Amerifas unternommen find, bietet einige herrliche WBlätter, 
auf denen Thaten der Begeifterung umd Aufopferung verzeide 
net find. Auch die Wilenfhaft verdankt jenen muthrola 
Männern viel, welde in- ſiegesfroher Zuverfiht Die Unnu 
des europäifchen Lebens mit den Leiben, Dühfeligkeiten mb 
Fahrniſſen des Wanderlebens vertaufhten. Wir erinnern in 
diefer Beziehung nur an Das, was von Geiten Der frank 
ſchen SIefuiten zur @rweiterung unferer Kenntniß Chinas ge 
ſchehen if. Eine Bufammenftellung aller einzelnen bierauf be 
züglichen Notizen, aus der fidh eine einigermaßen volftändig 
Geſchichte des Miffionswefend ergeben würde, müßte eine ver 
dienftvolle Arbeit genannt werden. Henrion's Werk, weihes 
ſich bereits einer deutfchen Übertragung zu erfreuen 
bat, genügt ftrengern Anfoderungen durchaus nicht. R 
weniger aus wiffenfchaftlichem Intereffe als aus einer per 
lotion auf die Moderichtung, welche fich jegt etwas mar dB 
früher auf religiöfe Dinge geworfen hat, hervorgegangen. & 

mmt und gegenwärtig die Ankündigung ton einer nass 
Yublication diefer Urt zu, welche auf einer breitern Grund 
lage angelegt if. Der Zitel diefer neuen Erfcheinung lautet: 
„Histoire de l’apostolat. Voyages des missionnaires catho- 
liques dane toutes les contrees de monde”, von Dally. Die 
fe8 Werk ift auf zwölf Bände berechnet, von. denen der erfte 
binnen Eurzem die Preffe verlaffen wird. Der ziemlich bebeue 
tende Umfang bes ganzen Unternehmens läßt {hen eine gre- 
Bere Bollftändigkeit zu als jene obenermähnte Schrift von 
Henrion erzielen Eonnte. Es fleht nun nur zu hoffen, Daß der 
Berf., ftatt fih in dem breiten, weichlichen Zone zu ergehen, 
in dem ſolche Darftelungen abgefaßt zu werden pflegen, mehr 
auf eine gebrängte, inhalt Zuſammenfaſſung wirflide 
Refultate fehen möge. Nur in dieſem Kalle Eann fein Werl 
wahrhaft wiffenfafttigen Werth in Anſpruch nehmen. 


Geſchichte eines politifhden Spions. 

Die fchöne Literatur verirrt fih immer mehr und mehr 
in das Gebiet der Eriminaljuftiz und "der gebeimnißvolen Um: 
triebe. Das einzige Gute was dabei zulegt herausſpringen 
wird ft, daß die Schriftfteller, weiche diefer Tendenz hulbigen, 
ih in Folge ihres gründliden Studiums des WBerbredeni 
fünftig gang trefflich zu Policeifpionen qualificigen werden 
Diefe für literarifche Intereflen nicht fehr erbauliche Betraf 
tung drängt ſich uns bei Gelegenheit eines vor kurzem erfhie 
nenen Werts auf, welches — wie ſchon der Zitel verheißt — 
die Gefchichte eines politifchen Spions bietet (‚Histoire du 
espion politique sous la restaurstion, le consulat et len 
pire”). Es ift unbegreiflih, wie ein fo befähigter Schriſ 
fteler wie R. Kournier, defien Namen wir in verfchiebenen 
Feuilletons mit Vergnügen begegnet find, fi zu foldher Bub 
madherei, die offenbar nur aus einer Geldipeculation herser 
gegangen ift, hergeben ann. 1. 


Berantwortliger Herausgeber: Heinrich Srockpanus. — Drud und Verlag von F. BE. Brockhans in Leipzig. 





. — — — — — — 


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I 
i 
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Blätter 


für 


literarifde Unterhaltung. 





Donnerstag, — —_ Rr, 176, — 176, — 20. Suni 1846. 





daran mit Entrüftung zurüdgemwiefen wird. Se weniger 
vom Redner, vom politifchen Medner, welcher nothwen⸗ 

(Bostfegung aus Ar. 175.) big Partei nehmen muß, verlangt werden ann, baf er 
Man kann in diefer „Bibliothek politifcher Reden” eine | mit derfelben Umficht und Unparteitichkeit wie etwa ber 


Bbbliother ES Ira Reden aus dem 18. und 19. | 
| 
Art von zmanglofem Curſus über Politik erbliden, und | philofophifche Gchriftfteller einen Gegenſtand behanble, 


Jahrhundert. Sechs Bände. 


werm man nad) einer gewiſſen Einheit und Vollſtaͤndig- welcher fein tiefſtes Intereſſe in Anfprudh nimmt, daß 
keit ſucht, fo findet man darin noch eher die Hauptfäge | er alle gegen feine Anficht aufzufindenden Gründe felbft 
einer politifchen Theorie ausgeführt ale daß die ge- | auffuche, da er weiß, daß kampfluflige Gegner genug 
ſchichtlichen Kreigniffe und Entwidelungen fih mit | da find, um fie geltend zu machen, um fo mehr iſt es 
einer auch nur annähernden Vollftändigkeit darin ſpie⸗ 
gelten. Fragt man nach ber politifhen Farbe ber 
„Bibliothek“, fo darf man ohne Bebenken antworten, daf 
die Auswahl ber Reben im Ganzen im Sinne des ent- 
fhiedenen Liberalismus getroffen fei, und man kann 
binzufegen, im Sinne von Rotteck und Welder, auf 
deren Außerung‘, daß eine foldhe Sammlung von Re- 
den ein Bedürfniß der Zeit fei, die Rebaction ſich aus⸗ 
druͤcklich beruft. Wol ein Viertheil der gefammten Neben 
gehört deutfchen Liberalen an; die franzöfifchen find 
meift ebenfalls als liberal zu bezeichnen — mehre rüh- 
ten aus den Periodeneder erften Revolution her —; ge⸗ 
gen das liberale Princip tft eigentlih nur die einzige 
Rede Pitt's gerichtet, welche auf Fortfegung des Kriegs 
gegen das vepublitanifche Frankreich dringt. Schwerlich 
wird geleugnet werden können, daß das liberale Princip 
in Deutſchland, zumal im conflitutionnellen Deutfchland, 
die Mehrzahl der Zalente, der Redner in den Staͤnde⸗ 
verſammlungen, für ſich habe, und ‚daß diefe ihre Sache 
mit weit mehr Zuverfiht und Wärme vertheibdigen als 
die Anhänger des entgegengefegten Syſtems; aber es 
wäre doch vielleicht angemeffen gewefen, wenn die Re⸗ 
daction, um allen Schein zu vermeiden, als wolle fie 
durch die „Bibliothek nur überreden, die Gegenpartei, 
welcher es boch nicht an talentvollen Rednern fehlt, auch 
hätte zum Wort fommen laſſen. Statt der drei oder 
vier Reben für die Preßfreiheit hätte wol auch eine da- 
gegen gegeben werben können, um Gelegenheit zu bieten, 
das Gewicht der Gründe für und wider gegeneinander 
abzumägen. Bon der das Tiberale Princip befämpfen- 
den Partei in Deutſchland iſt nur eine Rede in bie 
Sammlung aufgenommen, die bes Fürſten von ‚Öttingen- 
Wallerftein über geheime Policei in Baiern, worin .je 
doch nicht etwa dies Inſtitut vertheidigt, fondern beffen 
Befichen aufs entſchiedenſte wiberfprochen, jeder Gedanke 


nothwendig, zum Behuf der politiſchen Belehrung beide 
Parteien gegeneinander ſich ausſprechen zu laſſen; bei 
den Einſichtsvollen und Urtheilsfähigen wird dann doch 
die Wahrheit den Sieg behaupten, einen rühmlichern 
Sieg, weil er die Frucht der Prüfung und nicht die 
Folge der überredung und Überraſchung iſt. Der Pro⸗ 
ſpeet ſelbſt ſagt: „In den politiſchen Reden entwickeln fich 
die hiſtoriſchen Gegenſätze in dramatiſcher Haltung‘; 
aber wo bleibt das Dramatiſche, wenn nicht die Gegen. 
fäge aufeinander treffen? Es tft wahr, das antiliberale 
Princip hat über manche Punkte der Discuffion entfagt 
und flüge fih, flatt auf Gründe, Beredtſamkeit und 
Recht, auf die Macht, auf bie angebliche Nothwendig- 
keit, auf den factifchen Beſtand; aber es gibt auch Po- 
fitionen, welche zwar häufig im Namen bed LKiberalis- 
mus in Anfpruch genommen und angegriffen werden, 
die jedoch ein im guten Sinne confervativer Staats⸗ 
mann behaupten bürfte, ‘ohne deshalb illiberal zu fein. 
Das Princip bes Liberalismus, welches möglichfte Frei. 
beit für das Individuum fobert, begünftige bie bürger- 
liche Niederlaffung, die Heirathen, die Gewerbefreiheit, 
die Güterzerſtückelung dur Erbtheilung und Freiheit 
der Neräußerung; aber Bein Denkender verbirgt fich bie 
Misftände, zu welchen biefe Freiheit führt, und man 
wird fich befinnen, Denjenigen illiberal zu nennen, ber 
Iteber etwas von biefer an, fih fo mwünfchenswerthen 
Freiheit aufopfern als jene Übelftände und Gefahren zu 
einer drohenden Höhe anwachſen laffen will. Übrigens 
vermiffen wir in der „Bihliothel” Neben über bie meiften 
der eben genannten wichtigen @egenflände in ber einen 
oder andern Richtung, mit Ausnahme von Winter’s 
Nede über die Gewerbeordnung und Bemeindebürgerrechte. 

Im Ganzen muß lobend anerkannt werden, daß bie 
„Bibliothel” eine große Mannichfaltigkeit von Rednern 
und von Gegenftänden bringt, und daß fie einen reichen 


2 


Schatz von Kenntaiffen, Anfichten und Wahrheiten ent- 
‚Hält; daß namentlich bie meiften politifchen Ideen, wel⸗ 
che die Neuzeit bewegen, welche ben politifchen Fortfchritt 
bedingen, darin ausbrüdlich oder gelegentlich erörtert 
und beleuchtet werben. Wir glauben gen, daß das 
Wert ein Bedürfniß befriedigt, wenngleich es ale ein 
erſter Verfuch, nah dem eigenen Geftändnif der Re⸗ 
daction, noch ber nachfichtigen Beurtheilung bebürfen 
mag. Wenn fpätere-Unternehmungen — und an fol 
chen wird es gewiß nicht fehlen, falls die „Bibliochef” 
- fi einen ausgebreiteten. Beifall erringt — fie an Reid- 
baltigkeit und vieleicht auch in firengerer Feſthaltung 
eines beſtimmten Geſichtspunkts übertreffen, fo gebührt 
ihr doch das Lob, Bahn gebrochen zu haben. 

Es fei uns geflattet im Intereſſe der Sache noch 
einige Bemerkungen hinzuzufügen, welche nicht als Za- 
bei gemeint find, fondern nur von Denjenigen erwogen 
werden möchten, welche fpäter ein ähnlihes Werk un- 
ternehmen. Die Idee, die vortrefflichiten politiſchen, 
insbefonbere die parlamentarifhen Redner der Neuzeit 
in einem Sprechfaal, in einem Werke zu verfammeln, 
und fo gleichfam nicht nur Individuen mit Individuen, 
fondern Nation mit Nation mit ben Waffen des Gei- 
fies und Wortes kämpfen und weiteifern zu fehen — 
ein Kampf, aus welchem am Ende nothwendig bie 
Wahrheit und daB Recht als Sieger hervorgehen 
‚ werben — , biefe Idee hat gewiß etwas fehr Großarti⸗ 
ges. Das Mens agitat molem! könnte vielleicht auf feine 
fehlagendere Weife veranfchaulicht werden als durch die 
Aneinanderreihung von Staaten und Volker beftimmen- 
den Reden, welde, aus dem Geifle geboren und feiner 
ewigen "Natur theilhaft, noch leben, wenn von ben 
Schlachten ber Eroberer jebe Spur verſchwunden iſt. 
Aber bald zeigt fich, daß die Ausführung weit, unendlich 
weit hinter ber Idee zurücbleiben muß. Iſt auch die Zahl 
der in jeder Beziehung großen, ber vollendeten Redner 
der Neuzeit nicht groß, fo dürften in einem foldyen red» 
. nerifhen Pantheon doch auch diejenigen Redner unb 
Staatsmänner nicht fehlen, welche durch ihre Stellung, 
ihren Geiſt und Charakter überhaupt wichtig und be 
deutend gemorben find, unb fo würde fchon bie erfte 
franzöfifche Revolution allein eine nicht zu bemältigende 
Menge von Rebnern und Reben liefern. Jedenfalls 
_ müßte man fi baber zu eines Auswahl entjchließen. 
Aber wie ſchwierig if dieſel Eine einzelne Probe, aus 
den Werken eines Schriftftellers oder Redners heraus- 
gegriffen, erinnert manchmal beinahe an jenen Mann, 
ber einen Stein als Mufler Kinee Hauſes, das er ver- 
taufen wollte, vorzeigte. Den wie verfchieden iſt ber 
Geſchmack und das Urtheill und wählt man aud eine 
befonher6 berühmt gewordene Rede, fo iſt noch ſehr bie 
Frage, ob diefe gerade ben Redner am richtigſten charak⸗ 
teifirt, ob fie, aus dem hiſtoriſchen Zuſammenhang her⸗ 
ansgeriffen, auf den Lefer einen fo gewaltigen Eindruck 
zu maden geeignet ift wie auf bie Girer, ob niche die 
augenbiiskliche durch die Verhaͤltniſſe bedingte Stimmung 
bed Nedners, fein im Ton unb in Geberden ſich ver- 


rathendes Gefühl das Meifte that? Jeder Redner, von 
dem ſich eine richtige Anſchauung bilden foH, muß durch 
eine größere Anzahl von Reden charakterifirt fein; dam 
erſt iſt ein Urtheil möglich über das Wein, den Stil 
feiner Besedtfamkeit, über die Conſequenz feiner Aufid- 
ten, über den Charakter feine Argumentation, über die 
Einfeitigkeit oder Vielfettigteit feines Geiſtes, über bas 
Maf feines Ideenreichthums und feine größere ober ge- 
ringere Meifterfchaft in der Korm. Wir verlangen, ci 
nen bedeutenden politifchen Rebner in mehr als eine 
Are der Mede uns. vorgeführt zu fehen, wie er mit 
ftaatsmännifhem, philoſophiſchem Geiſte wichtige polis 
ſche Maßregeln beantragt und begründet, wie er bat 


Syſtem, die Anfichten der Gegner befämpft und wider | 


legt, wie er die gegen ihn gerichteten Angriffe zuräd: 
weift. Diefer Anfoderung wird nur durch mehre Re 
den genügt; und dazu kommt noch, dag die Trefflichkeit 
der Form und die Gebiegenheit des Inhalts einer Rek 
nicht immer zufammentreffen. Welche Ausdehnung dem 
nach eine folhe Sammlung bekommen würbe, ftebt 
aus neuern franzöfifgen Geſchichtswerken, Die wiele Rede 
aufnehmen, ohne doc, entfernt auf Vollſtändigkeit A⸗⸗ 
fprud) zu maden; denn dann müßten fie Die zahlreichen 
gewaltigen Bände des „Moniteur” großentheils abdraden. 
Ungefähr ebenfo verhält es ſich mit dem englifchen Re 
nern; und müßten in eine Sammlung der bezeidnter 
Art nicht auch manche berebte Spanier, wie ber „gie 
liche“ Arguelles, aufgenommen werben? Wbgefchen jr 
doch von der Unmöglichkeit wegen ber zu großen Pk 
erhebt fich gegen jene Idee noch ein amberes michtigei 
Hebenten. Beim Reduer iſt die Sprache, in weider 
er fih ausſpricht, etwas ſehr Weſentliches; der ganıe 
Charakter ber Beredtſamkeit, wie aud der Peche und 
felbft der Philofophie eines Volkes wird dis auf einen 
gewiffen Grad von dem Genius feiner Syrache influirt, 
und daher tritt uns der Redner nur in feiner Ratie 
nalſprache in feiner ganzen Cigemthümlickeit entgegen. 
Für die fremder Sprachen Unkundigen find Überfegu- 
gen immerhin ein bantenswerther Erſatz; aber in de 
erebtfamfeit fo wenig als in der Poefie giht die Übe- 
tragung ganz, in allen feiner, aber oft fo bebentfame 
und wirtungsuollen Zügen unb aan in allen de 
vakteriflifhen Wendungen bes Stils, das Driginel mie. 
der. Natürlich kann dies kein Ab rund fein, 
bie Reben von Gnglänbern und Franzoſen ins Deutſche 
zu überfegen, benn vom weſentlichen Sinne geht bei ei 
ner forgfältigen Ubertragung nichts verloren; aber be 
denklich fcheint es, folhe überfegte Neben wit vw 
[hen Originalreden in einer Sammlung zufammene 
ftellen; denn während bie Iagtern in der ganzen Schich 
ihres urfprünglichen Gepraͤges gegeben werben taz, 
ift bei jenen mindeſtens ber Duft der Sprache ua) W 
Ausdruds weggewiſcht, und dadurch kemman fie bei je 


— — — — 


- 


aber würbe freilich wenig Guuſt finden. - Auf dies num 
grüunden wir unſere Anficht, daß es gerathener wäre, ſich 
bei einer Sammlung von Reden auf die Redner eines 
einzigen, des eigenen Volkes, zu beſchränken; und es 
ſpricht dafür noch ein weiterer, gewichtigerer Grund. 
Während die fremden Redner dadurch gegen bie deut⸗ 
ſchen in Nachtheil kommen, baf fie in einer, andern als 
ihrer eigenen Sprache neben jenen auftreten, ift in an- 
berer Beziehung bdiefe Zufammenftellung für die deut⸗ 
fhen Redner ungünftig, fofern fie Vergleihumgen her⸗ 
vorruft, welche der Natur der Sache nad) nicht zum 
Vortheil ber Legtern ausfallen koͤnnen. Handelte es fich 
nur um bie Vorzüge der Form, die von der forgfälti- 
gern Übung des Talents abhängen, fo konnte man ſa⸗ 
gen, die englifhen und franzöfifhen Mufter mögen den 
Deutfchen als zur Nacheiferung fpornende Vorbilder die- 
nen; aber nicht hierin beſteht der wichtigfte Unterfchied, 
Die englifchen und fransöfifchen Redner erfüllt und hebt 
das Bewußtfein, im Intereſſe und ald Vertreter großer 
Nationen oder doch großer, einflußreicher Parteien diefer 
Nationen zu fpreden; fie wiffen oder fie hoffen, daß 
ihre Reden bedeutende Folgen haben werden, daß widh- 
‚tige Veränderungen im Syſtem oder im Perfonal bet 
- Verwaltung, große Mafregein der Gefepgebung, Ent⸗ 
ſcheidungen über Krieg umd Frieden fi daran Tnüpfen, 
oder wenn auch nicht gerade die Beredtſamkeit ſolche 
Wirkungen hervorbringt, wenn auch ber Wille und die 
Stimmen der Parteien fid) von den glänzendften Ful⸗ 
gurationen des rhetorifchen Genies und Talents felten 
beftimmen laffen, fo wirft doch immer der Redner auf 
die öffentliche Meinung, er verherrfiht den Sieg ober 
verbreitet felbft auf die Niederlage einen tröftenden Glanz ; 
bei jenen Völkern find die ausgezeichnetfien Redner meiſt 
auch praktiſche Staatemänner, Miniften oder Candida⸗ 
ten für Minifterien. In Deutfchland ift Died ganz an⸗ 
ders. In den Heinen conflitutionnellen Staaten fieht 
hinter ben politifchen Rednern ber Gtändenerfammlun- 
gen nicht eine Nation, fondern nur das Volt des eins 
einen Landes, und nur ein verhältnigmäßig kleiner 
il der gefammten deutfchen Nation begleitet in ein- 
zelnen Fällen die Verhandlungen der Gtändeverfamm- 
lungen mit regerm Intereffie. Wol kommen in biefen 
hochwichtige, die ganze Nation betreffende Angelegenhei- 
ten bin und wieder zur Sprache, aber ohne alle Aus⸗ 
fit auf einen wirklichen Erfolg; einzeine Männer, um 
ihrem politifhen Gewiſſen, ihrer nationalen Pflicht Ge⸗ 
nüge zu thun, wagen es, die Sache der beutfchen Na⸗ 
tion zu führen; aber wie groß auch ihr Zalent, mie 
tief ihr Gefühl und ihre Vaterlandsliebe, wie unwider⸗ 
ſprechlich ihre Argumentationen feien: — es fehlt der 
Glaube an die Dlöglichkeit eines Sieges, welcher im 
England und Frankreich eine an Zahl noch fo ſchwache 
Dppofition nie ganz werläft. Gine Sprache, wie fie ſich 
im englifchen oder franzöftfegen Parlament wel darf bö- 
ren laffen, würde ſich in einer Beinen deutfchen Stände. 
verfammlung, im Munde eines Minifterd wie eines 
Oppoſitionsmannes, oft wahrhaft lächerlich ausmehmen. 


. 
* 
8 708 


Ernſt, Gründlichkeit, tiefes Intereffe an ber Sache, 
Nachdruck und Gediegenheit der Sprache find natürlich 
immer und überall am Platz, mag ed ſich um die An- 
gelegenheiten einer mächtigen Nation oder eines Heinen 
Laͤndchens handeln, die Grundfäge des Rechts und ber 
politifhen Wahrheit find diefelben für die leinften wie 
für die größten Staaten, und ihre Verlegung mag in 
jenen benfelben Eifer des Widerflandes hervorrufen wie 
in diefen; aber es gibt einen gewiffen Stil und Formen 
der großen, ber prächtigen Beredtfamkeit, wenn wir 
fo fagen dürfen, welche in ber Regel nur ben Verhand⸗ 
lungen der wichtigften, umfaffendften Fragen vorbehal⸗ 
ten bleiben follte, wie fie der Natur der Sache nach bei 
kleinen Staaten feltener vorkommen, während in den 
Parlamenten großer Völker auch den an ſich gering- 
fügigern Gegenftänden leicht eine Beziehung zu den 
böchften Fragen und Intereſſen gegeben werden ann. 
Das Syſtem ber Zölle oder der Handelsfreiheit iſt aller- 
dings auch für Deutfihland, nicht blos für England von 
vitaler Wichtigkeit; aber natürlich wird der Nebner über 
biefe Themata im englifhen Parlament ganz anders 
von der Bedeutung feiner Aufgabe durchdrungen, wenn 
von einer Abflimmung Wohl ober Wehe, Größe ober 
Sinken feiner Ration, nady feiner Überzeugung, abhängt, 


als in einer deutfchen Kammer, deren Beſchluß oft gar 


feine, oft nur die Bedeutung eines Rathes hat und in 
welcher die Nation, deren Geſammtintereſſe allerbings 
die Verhandlung betreffen mag, nur zum zwanzigſten 
oder dreißigſten Theile vertreten if. Ä 

(Der Beſchluß folgt.) 





Rn d ⸗ 


Taſchenbuͤcherſchau für das Jahr 1846. 
Dritter und legter Artikel. 
( Bortfegung aus Nr. 175.) 

Unter den Gedichten iſt mandes gute, das vernünftigfte 
von allen ift jedenfald „Ber Kampf der Gegenwart“, von 
Ullmann. Darin heißt es unter Anderm: 

Ber Iöf ben Kampf? Sins wir nit Alle Streiter 

Und Keiner Nichter in dem harten Strauß; 

Der Weltgang nur lenkt die Entwick lung weiter 

Und führt fie endlich gur Entſcheidung aus. 

Doch lapt mich jent ſchon mein prophetiſch Schauen 

Seneigtem Sinn in ſchlictem Wort vertrauen! 

Sie merden nicht, ob fie auch raſend toben, 

Den ew'gen Geiſt entfegen feined Khromd;- 

Er fhaut, ein Herrſcher, ruhig groß, von oben, 

Und lächelt ihres Wohnfiund, ihres Hahns; 

Und wie ex hereſcht, fo werben ſich erhalten 

Des Glaubens und der Drbnung Hochgewalten. 

Doch auch nad Frecheit iſt nit audzurotten 

Der tiefe Trieb in reiner Menſchenbruſt; 

Zur mögt fie ſchmaͤhen, mögt der Armen ſpotten; 

Sie bleibt ein ut, fie bleibt der Edlen Luft; 

Es kann nit fehlen, fie durchbricht die Vanden, 

Die dunkle Mächte um die Erde wanden. 

Ein freier Blaube und ein glaͤubig Streben 

Nah Freiheit, die, von hoͤh'rem Geiſt entfedht, 

Zuerſt im Innerſten befseit bad Leben, 

Und dans auch frei von Außern Feſſeln macht: 

Das wollte Luther feinen Deutichen bringen, 

Dan wird der deutfihe Geiſt entgegenringen. 


⁊ 


— — W 


— -— 


ei 


Und zum Schluß: 
Ya, Glaube, Breidell werben ein ſich finden, 
Sind fie im Weſen rinig doc von jel 
Und wenn fie fi durchdringen und verbinden, 
Dann weicht der Menſchheit leztes tieffied Weh; 
Nicht frei von Bett kann fie dad Heil erwerben, 
Mur frei in Bott kann leben fie und ſterben. 


Wie aber hat ſich der Herausgeber entfliehen können, biefer 
vermittelnden Unficht fein Taſchenbuch zu dffnen, da er doch in 
der Vorrede fagt, er glaube daß jedes aukelſyſtem in dies 
fer Beziehung ein laodlcaͤiſches, rhachitiſches Übel fei, und da 
befonders Diejenigen, die alle Partien fo fänftiglich zu nivel- 
liren fuchten, zu den flachften Schlimmbeſſerern ber Kirche 
gehörten ? 
Defto entſchiedener bat fich der Philofophen- und Juden 

vertilger Wolfgang Menzel ausgebrüdt in einer Epiftel, 
worin die Kinder der Zeit um Bein Haarbreit beffer wegkom⸗ 
men als die Korinther in den Epifteln Pauli. Als Probe nur 
einige Berfe: 

...Schlaue Sperulanten ſetzen wieder ber 

Discreditirten Firma Gottes «eine andere 

Entgegen, eine neue Goncursenz eröffnend mit 

Jgabritaten der Hölle. Gine unermuͤdliche 

Und reiche Induftrie der Unterwelt vermißt fi ſchon 

Den Himmel zu verdrängen von dem tunten Markt der Welt. 

Dort predigt man den Heiden noch dab Evangelium, 

Doch nur, um Dpium abzufegen unb für ſchweres Geld 

Die Leiber zu vergiften, deren Seelen man erlöfl. 

Dier in dem alten Land der Ghriften wird im Gegentheil 

Des Svangeliumd Verhoͤhnung Belriebbcapital, 

Das reihe Zinſen dem beſchnitt'nen und unbeſchnitt nen 
Judenthum einträgt. Iebe rechte Neigung wird erſpaͤht u. ſ. w. 
Durch dieſe Epiſtel hat ſich, wie der Leſer bemerkt haben wird, 
Hr. Menzel noch von einer andern Seite verewigt, nämlich al8 
Erfinder eines neuen Versmaßes. Da ihm daffelbe fo leicht 
Keiner nachmachen möchte, weil das rhythmiſche und harmoni⸗ 
ſche Sefen, das ihm zum Grunde liegt, fürs erfle noch ein 
ehem ift, fo ſchlagen wir vor, es in ber Metrik ausdrüd« 

lich als „Menzelsfteophe” aufzuführen. 


12. Chriſtbaum. 


Durchaus auf frommem Grund und Boden fteht auch der 
„Shriftbaum‘‘, doch trägt er einen minder fanatifchen und bier- 
archifchen Charakter und erweckt daher auch bei den Weltkin⸗ 
dern eher eine freundliche Stimmung für fih. Nur bie erfte 
Erzählung: „Wilhelm Kind’, von Wildenhahn, dürfte in ih⸗ 
nen große Beforgniffe rege machen. Wenn naͤmlich diefe Ge⸗ 


fchichte den’ Barbieren in die Hände fallen folte und es iſt 


denfelben nur einigermaßen daran gelegen felig zu werden, ober, 
was noch mehr fagen will, einen reihen Better aus Indien 
zu beerben, fo laufen Alle, die bisher am GSonntag Morgen 
von diefen Sabbathsentheiligern bedient find, Gefahr, künftig- 
hin am Zage des Herin ungeſchorenen Angeſichts zu bleiben 


“und fo felbft zu Sabbathöentheiligern zu werden. Bon äfthe: 


tifcher Seite betrachtet verdient nur eine Gabe genannt zu 
werden „Das hölzerne Haus in Genua”, von 8. Stöber. 


(Die Bortfegung folgt.) 





Bibliographie. 


Alberts, Deutfche Bolksfagen und Märchen der Vorzeit. 
Aus alten Urkunden. Ifter Band. 23ſte Auflage. Berlin, 


Bir Pfeiffer, Eherlatte, uirich Bwingll's Tod. Hr 
boritgee Sraueripiet in 9 Aufzuͤgen. Schwaͤb. Hall, Hafpd, 


Bleffington, Graͤfin, Die Freunde. Moman. Uns 
dem Englilhen von * Franz. 8wei Bände. Leipzig, Ber: 


ger- r 
Shalybäus, M., Entwurf eines Softems der Wii 
fenfchaftslehre. Kl Odwent &.8. 2 She. 10 ut 
Düd, J. Geſchichte des Kronfkädter Symnaftums. Rebß 
bem SHonterusfchen Reformationsbüchlein und einigen Briefen 
aus der Reformations Zeit, als Bugabe. Kronftadt, Remeth 


1845. &r.8. 28 Rer. 
Ernſt, ©, Der Yatriot. Cine ſchweizeriſche Erzählung 
i . Frankfurt a. M., Baur 


aus dem Jahre 1830. Zwei Theile 
—FR idihi Des deutſchen Volkes S 

elsſthal, ©., 
Hat, Hafpel. 8. 1Ihbir. 2 r. agenfhag. Bam. 


® 
5 ine Iſtes und 2tes Bändchen. Baden, Zehnder. Br. IE 
a gr. 

Griepenkerl, W. R., Der Kunftgenius Der beutihen 
— bed, Ieten Sarnen: in Kr geſchichtlich orga 
niſchen ung. Vorleſungen. er Theil. Leipzig, Hin 
riche 8. 1 Ahlr. Fi Sur. am = einzig, 9 

eeringen, G. Des Amtmanns Pfegling- Hifkorikke 
Rovelle aus den Beiten des echten —*—* Krieges, Ins 
Dante seipaig, die Kl. 8. I Ihle. 15 Rear. 

eller, ©. 3., Dichtungen. Ifter u. 2ter Band. Bi 
burg. 1845. 8. A 24 ig r we 
‚ Koefter, 9., Ulrich von Hutten. Ein. hiſtoriſches Ira 
fpiel. Breslau, Graf, Barth u. Comp. 12.: 22%, Rar. 

Rotteck's, K.v., Allgemeine Geſchichte, im Auszuge fir 
das deutſche Volk, mit befonderer Berüdfichtigung Der deutfäe 
und der Kulturgefchichte. Rach der Originalausgabe in 9 Be 
den herausgegeben. Ifte—Gte Lieferung. Braunſchweig, Br 
ftermann. Gr. 8. a 3 Nor. 

Schmidt, 8. €. G., Kursgefaßte Lebensbefchreibunges 
merkmrbiger evangelifcher Miffionare. Rebſt riner tabellari⸗ 
[hen Überfiht bed gegenwärtigen Beſtandes der edangeliſchen 
Miffiondgelellfehaften und des gefammten evangeliſchen Mifftens: 
ehe. Neue Folge. Iſtes Bändchen. Leipg, Dinticht. 8. 

er. — — 





Tagesliteratur. 

Bericht über den zu Oldenburg errichteten Berein zur Be 

—A der Volksbildung. Oldenburg, Schulze. Gr. 3. 
ı Rer. 

Choke, 3., Liebet euch! Laienepiftel an die confefkonek 
len Parteien und derm Führer in Deutfchland. Aftes Heft. 
Sudenburg- Magdeburg, Paetz und Comp. Br. 3. 10 Rır. 

Hagen, A. H.v., Die Reform der Advokatur in Deutid- 
land und insbefondere im den altpreußifchen Provinzen. Leip⸗ 
zig, Mayer. Gr. 8. 1 Ahlr. 

Chriſtian Holgwart der Mörder feiner Gattin und ſei⸗ 
ner fünf Kinder, ald Menfch, Denker und Dichter. Bruhtüde 
aus feinem Tagebuche und vollftändiger Bericht der zu Suten- 
burg: Magdeburg in der Nacht vom 28-29. Dechr. 1345 ven 
übten ſechsfachen Mordthat und Morbbrennerei. Braunſchweiz 
Rademacher. 8. 711, Ror. 

‚_.Yübner, 8. D., ie Banken. Rah den neueſten Re 
tiftifchen Notizen und Berichten bearbeitet. Leipzig, Schaͤfer. 
Ler.:8. 232%, Nor. 

Bell, F. €. WB. K., Bwei Feſtreden, mit Müdfict af 
beingende Beitforderungen an bie Diener der Kirche über Sp 
* 1—7 und Marc. 2, 22. Friedberg, Bindernagel. Gr. 


&acco 1845. ee 1 Thlr 19 r. 
— — derſ. 2ter Band e Auflage. Berlin, Sacco. orträge, gehalten bei ber Peſtalozzi⸗Feier am 12. Jcazar 
1845. 8, 1Ihlr. 1846 in Bafel. Bafel, Schweighaufer. * 8 11 Rgr. 
Verantwortliger Seraudgebes: Heinrich Wrodjans. — Drud und Verlag von F. X. Brockhaus in Leipzig. 





Blätter 


für | 


literariſche Unterhaltung. 








ahrhundert. Sechs Bände. 
VDeſchlu aus Ne. 178.) 


Diefe Verfchiedenheif ber politifchen Berhältniffe fcheint 
und, unter den jegigen Verhaͤltniſſen wenigfiens, noth⸗ 
wendig einen großen Unterfihieb im Charakter der peli- 
tifchen Beredtſamkeit der Deutfchen und ber Franzofen 
und Engländer zu bedingen, und während wir wol zu⸗ 
geben mögen, daß dieſe beiden Nationen es darin um 
ein Bebeutenbes weiter gebracht haben al wir, Hlauben 
wir dwch behanpten zu dürfen, daß ein noch fo glüdit« 
ches Betteifern deutfcher Redner mit denen des Aus 
lands im hohen, großen, pompöfen Stil der Beredtſam⸗ 
keit unter den jepigen Verhaͤltnifſen kaum als wuͤnſchens⸗ 
werth, vielmehr als ein Abweg zu betrachten wäre. Die 
Beredtfamkeit, deren Früchte theterifche Kunftwerke ober 
Kunſtſtücke find, gehört, möchten wir fagen, zum Lupus 
ber politifhen Bildung. Wie jeder andere fo hat auch 
diefer Lupus, der unter gewiffen Umfländen mit Noth- 
wendigkeit eintritt, feine Berechtigung, feinen Nutzen, 
fein Schönes und Edles, fofern er der reinen ‚ erheben- 
ben, berebeinden, idealen Kunſt mehr oder weniger fich 
nähert; er hat aber auch fein Schaͤdliches und Werberbs 
les, ſofern er vom Nothwendigen, Nüglichen und Wohl- 
thäfigen leicht den Blick ablenft und an die Gtelle der 
Sediegenheit und Wahrheit den reizenden und blenden— 
ben Schein fe. Wo bie Entwidelung der politifchen 
Bildung diefen Luxus Herbeigeführt und zu eines gewiß 
fen Rothwendigkeit gemacht bat, mag man fig ber red⸗ 
merifhen Talente und Genies freuen und ihnen bie ver- 
diente Bewunderung zollen; man mag bie Schoͤnhelt 
und Kraft ber Form ehren, auch wo man vom Inhalt 
nicht überzeugt wird; aber man follte fich hüten, Ber 
redneriſchen Form und Schoͤnheit einen zu hohen 
beizulegen, und noch mehr, den Luxus ber polltiſchen 
Bildung da einzuführen und mit ihm anzufangen, wo 
er noch nicht durch den natürlichen Gang ber Dinge 
zur Nothwendigkeit geworben if. Kant fagg n der 
„Kritik der Ürtheilskrafe" cin beherzigenswerthes Bart! 

Wer bei Marer Cinficht in die Sachen die Sprache nad) 
ihrem Reichthum und Reinigkeit in feiner Gewalt bat, ünd 
bei einer fruchfbaren, zur Darftellung feiner Ideen tüchtigen 
Einbildungsfraft tcbhaften DHerzensantheil am währen Guten 


BSBibliothek pofitifier Reben aus dem 18. und 19, 





26. Zuni 1846. 











nimmt, ift der vir bonus dieendi peritus, ber Brebnet ohne 
w 


Kunſt aber voll Rachdruck wie ihn Ticero haben 


Derſelbe unterſcheidet die Beredtheit oder Wohlreden⸗ 
beit als die Fähigkeit, ſich richtig geordnet und gut aus- 
udrüden, von ber Rednerkunft, die er als „eine Kunfl, 
ha der Schwächen ber Menfchen zu feinen Abfichten zu 
edienen, gar keiner Achtung würdig” erklärt und von 
ihr ſagt: „fie erhob fih sur, ſowol in Athen als in 
Rom, zur höhften Stufe zu einer Zeit, da det Staat 
feinem Verderben zueilte und wahte patriotifhe Den: 
fungsatt etlofhen war.” Die Grenze zwiſchen beiden 
iſt freilich ſchwer zu ziehen, aber baf ein Unterfchied bes 
fieht, erkennt oder fühlt Jeder. Zür uns Deutfde nun 
ift es gewiß bie nächte und wichtigfte Aufgabe, nicht 
fowol uns zu politifchen Rebnern im Sinne von gewal- 
tigen Rebelünftiern zu fleigern, welche den Binfel der 
politifhen Entwickelung eines Volkes bilden, als vielmehr 
um bie Gtundlagen bes politifchen Willens und Cha- 
tafter8 uns zu bemühen, und in der Beredtfamkeit nur 
nad) ber Fertigkeit des fliegenden, fachgemäßen, bündigen 
Ausdruds unferer Gedanken und Anfichten zu ſtreben. 
„Es trägt Verftand und rechter Sinn mit wenig Kunft 
ſich felbft vor”, fagt Goethe, und gewiß mit Hecht; nut 
muß man anerkennen, daß der einfache, tichtige, Mare 
und bündige Vortrag unferer Gedanken, ber und Deut: 
[hen oft ſchwer wird, nicht auch fhon zum Luxus und 
Überfluß gehört, fondern eine unerlagliche Pflicht und 
Nothwendigkeit if. Gute Sprecher thun Deutfchland 
mehr noch als glänzende Redner; und wenn wir nicht 
irren, fängt man aud) in England an, ben Glanz und 
die Kunft ber Nebner geringer zu fchägen als früher. 
England hat nach ziemlich allgemeiner Anficht zu Ende 
bes vorigen und zu Anfange diefes Zahrhunderts feine 
größten politifchen Redner gehabt, und zur Zeit ber 
Kämpfe zwifchen einem Pitt und For und Burke Brängte 
men ſich ind Parlament wie ins Theater mit ebenfo 
viel äfthetifchem als politifchem Intereffe; in neuern Zei- 
ten haben Minifterien ohne Redner erften Ranges, aber 
aus einfihtsvollen, wohlmeinenden Männern und guten 
Sprechern beſtehend, fi gu behanpten vermocht und bie 
Ratten hat fig wohl dabei befunden. Abgeſehen da- 
von, daß die großen Reden doch in den feitenfien Fal⸗ 
fen auf die Entſcheibung efner Berfanemfung Einflaf 


in welcher Beziehung ihnen oft eine bebeutende und heil⸗ 
fame Wirkſamkeit zukommen mag, haben fie auch den 
Nachtheil, daß verhältnigmäßig nur Wenige zum Worte 
fommen, während bei: der, in kurzen Vorträgen und 
Außerungen geführten Debatte Mancher fäne Meinung 
ausfprechen kann, der zu einer Rede nicht bad Salent 
und den Muth hätte. 

Wer dies zugibt, wird ſich darüber nicht grämen, 
daß die deutfchen politiſchen Redner, welche in der vor- 
liegenden „Bibliothek“ auftreten, hinter den englifhen und 
franzöfifhen im Ganzen wol zurüdftchen, mährend fie 
doch theilmeife in den wefentlichften en mit ihnen die 
Vergleichung aushalten koͤnnen. Die „Bibliothek bringt 
zwei Reden aus Würtemberg, vor ber Zeit der Verfaſ⸗ 
fung vom Grafen von Walde und vom Freiherrn von 
Cotta gehalten, und feine aus den legten 30 Jahren. 
Dies hat ohne Zweifel feinen Grund darin, daß in ber 
Stänbeverfammlung dieſes Landes weniger fürmliche Re⸗ 
den gehalten werden als anderdwo, und die eigentliche 
Debatte überwiegt, wobei die politifche Intelligenz und 
Energie der von andern mol gleich fteht, und ebenfo das 
Refultat — oder die Erfolglofigkeit, wie man will. In 
der badifhen Ständeverfanimlung herrſcht die Gewohn⸗ 
beit der größern Reden, was zum Theil erklärt, daß ih⸗ 
zen Mitgliedern beinahe der vierte Theil der bier ge- 
fammelten Reden angehört. Es ift jedoch zu bemerken, 
dag mehre der bedeutendften und umfangreichften dieſer 
Reden den Charakter von Commiſſionsberichten tragen, 
wie 3. B. Mittermaier’s Vortrag über Verfaffung und 
Derwaltung ber Gemeinden, Rotted’s über Dandelsfrei- 
heit, Winter’ über das babifche Adelsedict, mithin 
fireng genommen mehr unter die Claſſe der politifchen 
Abhandlung als der eigentlihen Nebe fallen. Dem 
Zwecke der politifchen Belehrung und Aufklärung ent 
fpreden dieſe gehaltvollen Vorträge vortrefflih, mäh- 
vend fie nicht ebenfo geeignet find, eine genaue Vorſtel⸗ 
lung von dem Stande der politifchen Beredtſamkeit in 
Deutfchland zu geben. Indeffen, wie ſchon gefagt, bie 
Förderung einer gründlichen politifchen Bildung und 
Einfiht ift für uns Deutfche ein weſentlicheres Bebürf- 
niß als die Steigerung der Beredtſamkeit — dieſe er- 
wächſt, fo weit es nöthig iſt, aus jener von felbft — 
und in dieſem Sinne hauptfächlic wünfchen wir, daß 
die „Bibliothek“ recht gute Früchte trage, daß fie den 
Sinn für gediegene, ſachgemäße Beredtfamkeit im 
Begenfag zur politifhen Declamation Täutere und Träf- 
fige. 33. 





Taſchenbuͤcherſchau fuͤr das Jahr 1846. 
Dritter und legter Artikel. 
(Bertfegung aus Rx. 316.) 
13. Iris. 
ne BE Eee Name Zee 
te . „Die —2* Bon einentlicher Geſchichte iſt wieder 


» 306: 


üben und mebr für bas große Publicum berechnet find, lehr wenig darin zu finden. 


darin. Faſt Alles Schilderung, le 
Detailmalerei, wiewol mehr als ſonſt in erzählender Form 
Aber auch hier wieder derſelbe eigenthuͤmliche Keiz, der uns 
wie mit einer Zauberformel ſo lange in des Fe magige 
Kreife bannt, bis er uns felbft mit dem legten Punktum wieder 


freigibt. Was ums eigentlich dabei feſſelt, iſt ſchwer zu fagen. 
Nur fo Hl —— daß jene n Ki Zuſtande dA 
Raivetät befindliche Kuͤnſtlesironie welche ifre Schöpfang 


KR 
obwol ganz in ihr aufgebend, für nichts achtet, welde die 
feinften Bemerkungen und tieffien Beobachtungen nur fo ge 
legentlih aus dem Urmel fehüttelt, welche ſich auch um den Be 
fer nicht fonderlih Fümmert, fondern nach eigener Laune und 
egeneo Belieben ihren Weg weitergeht, ein 
| 


age 
oft gebacht, aber da in meine Ab; efchtedenheit" Feine andern 
ci Blätter, die ih mi 


Zriumphe fie inzwiſchen eingeesntet haben konnten. So kan 
ed au, daß ihr Bild nach und nach immer mehr bei mir em 
bleichte und ich oft wochenlang an die zwei Madden nidt 
dachte, mit denen id einmal gereik bin und die mir mit # 
rem Spiele fo viel Freude gemacht haben, außer wenn ich feibk 
etwa meine Geige zur Hand nahm und in meiner grüne 
Stube, wo ich allein war und nur die Kupferfliche die ich ge— 
erbt Hatte um mid) herumbingen, an einfamen Abenden und 
bis tief in Die Nacht Hinein, wenn alle meine Knechte ib 
Maͤgde fchon fchliefen, mir etwas vorgeigte, ba dachte id a 
fie und dachte mit Schmerzen an fie, wo fie denn bie use 
greifliden Zöne hernehmen, die unbefchreiblichen, die fle da 
Menfhen vorfpielen und die in meinen Saiten gar nit xt 
handen find, ich mochte mit ihnen thun was ich wollte, w 
ich ließ mir Doch die aerbeften kommen welde in Europa x 
baben find, und meine Beige gehörte unter die melde weni 
haben die ihre leihen find. Wenn dann bat monatli 
Quartett zu Stande Fam, zu welchem wir vier Beitungshalter 
ufammenreiften, der Herr Dedant zu Blmenau, der Hert 
—*2 zu Alshag, der Schulmeiſter in weinen Dorfe und 
ich, und wenn wir zuerſt eins von Haydn autführten, Tanz 
auf Mozart übergingen und mit Beethoven den Schu med- 
ten, den wir uns mandmal aud wiederholen mußten, und 
wenn fie dann zufrieden waren und fagten, daß bie Kirchen 
mufif in Blumenau und in Stromberg lange nicht fo präns 
fei und daß es überhaupt nicht gar viele Quartette im Launde 
eben dürfte, die fi mit und meſſen Fünnten, wo mon nämli 
gewiſſenhaft umginge, fo viele Proben machte, ſich Beise 
Bebhntelnote fchenkte, jede Kleinigkeit rügte, immer wieder vom 
Anfang anfinge und nicht raftete, bis man Alles ohne Fehler 
berfpielen koͤnnte, darum es aber dann auch eine Preute fi, 
fo etwas zu hören und bie Meiſter im Grabe zufrieden ſein 
Tönnten, daß ihre Sachen nicht gefegändet würben; wenn ft 
bied fagten, dann dachte ich exft recht an die Milanelis, 
war ob daß fie bei unferer Muſik nit zugegen waren und 
lieg meine KRunftfeeunde fagen was fie wollten. Rad folden 
Abenden brachte ich fie dann eine ganze Woche nicht aus dem 
Sinne und ed war ein Süd, da} unfere monatlichen Dun 
tette endlich zu bafbjährigen zufammenfhrumpften und auf 
ba nicht immer abgepalten wurden, außer wir fchrieben un 
Ginladungsbriefe und beflimmten uns ausdrücklich endlich doqh 


-| wieder einen Zag, an dem wir wieder einmal muficiren wol: 


ten. &o war ed mit mir und fo lebte ich die Zeit dakim.” 
mit melder 8 figkeit, mit welchen behaͤbigen Vhlegms 
mit welcher ſcheinbaren Nichtachtung des Objects unb Werzift 
leiftung auf Effect ift dies Alles mitgetheilt; und dennoch am 
um wie viel tiefen und Iebendigern Eindruck macht es als ale 
kühendften Enthuflesmus abgefaßten Pfalmodien, die we 


im 
ollwöchentlich über biefen und jenen Birtuoſen in ben Beitm 


un 0 Mm 7 G He — —— — — TE me — — Gm — 


— —, 


— 


707 


n Iefen? Und wie jene Bhilderung iſt eigentlich Alles bei 

tifter, wenigſtens alles Das, was I eigenthümliches, ihm 
befonderd an gehoͤriges Sepraͤge trägt. Hinter dem Scheine 

ringer Mittel bedeutende Wirkungen, in einigen wie beiläufig 
Bingeoorfenen Bügen ein reicher und tiefer Sinn und im fehein- 
ar breiten, minutiöfen Beſchreibungen ein reges Leben und 
großartige Eharaktere. Uber fo fehr wir geneigt find, Dieß 
anzuerfennen und fo oft wir ung ſchon über Pi Zalent lo: 
bend ausgefprochen haben, Fönnen wir uns, dod nicht verheh⸗ 
len, daß die Art und Weiſe feiner Production auch ihre bes 
denklichen Seiten bat, beſonders wenn der Beifall, den ee ſchon 
im reihen Maße zu ernten beginnt, minder Befähigte zur 
Nachahmung reizen follte. Faſt alle feine Probucte find nam: 
lich, wie er fie richtig felbft bezeichnet bat, noch Peine eigent⸗ 
lichen Kunftwerke, fondern nur Übungen und Studien dazu. 
Aber Stubien, die mit fo feiner Beobachtungsgabe der Natur 
abgelaufcht, mit fo viel Genialität im Geifte umgebildet und 
mit fo viel Geſchick und Zalent ausgeführt find, daß fie in ein⸗ 
einen Partien bedeutendere Kunſtwerke übertreffen. Darin 
iegt etwas fehr Verführiſches. Es kann leicht den Sinn 
anz und gar vom Ganzen ablenken und den alfo ſchaffenden 

eih leicht in die ierthümliche Meinung bineinreden, als babe 
er eben mit dem Ginzelnen ſchon genug gethan, als bedürfe 
es hoͤchſtens einiger fühnen Züge und einer genialen Schluß. 
wendung, um dem Einzelnen wenigftend einen Schein von To⸗ 
talität aufzubrüden. In der Mufit haben wir bereits etwas 
Ähnliches erlebt. Indem die jungen Eomponiften vorzugsweife 
darauf ausgingen, ihre Wirtuofität im Einzelnen zu zeigen, 
erfplitterten fie ihre Kräfte an glänzenden Ererciceg und bril⸗ 
anten Etuden, verfäumten daruber, größere Werde und pro: 
portional gegliederte Zondichtungen ſchaffen zu lernen, und bie 
Kunft ging mittlerweile ziemlid leer aus. Wie leicht kann 
fh nun in der Boefie Daffelbe ereignen, zumal ba bereits Die 
Stifterfchen Arbeiten mit jenen Etuden und Exereices nicht 
blos den Ramen, fondern auch ben leichten, nadjläjfigen Wurf 
im Ganzen, die Virtubfität in ber Ausführung des Einzelnen 
und noch manche Andere gemein haben. Daher Fönnen wir 
dem talentvollen Dichter nur rathen, fo bald als möglich zur 
eigentlichen KRunftihöpfung überzulenten, zu welder er, wie 
fi) aus einzelnen Dichtungen, 3. B. aus „Brigitta, fchließen 
läßt, unverkennbar berufen ift. 

Unter den übrigen Erzählungen der „Iris ift die bedeu⸗ 
tendfte und unterhaltendfte „Prinz Gonti”’ von Walter 
Zefche, eine hiftorifche Rovelle, die zwar wie Alles, was wir 
no von Teſche gelefen haben, ein wenig langfam fortfchreitet, 
Dafür aber durch lebendige Schilderungen intereffanter Perfön- 

ichkeiten vom Hofe Ludwig's XIV. und ihre durchaus noble 
Haltung entihädigt. Dagegen ift „Die Coquette ober das 
fürftlide Zodtengewölbe zu W— ſt“, von Wilh. Meinhold, 
eine ziemlich gewöhnliche Schaudergeſchichte, in des dic Berau⸗ 
bung einer Zodtengruft und die Beitrafung bafür durch eine 
gemeine Coquette den Hauptinhalt bildet. Ludwig Nein hat 
Denfelben Stoff, fo viel ich mich erinnere, viel glüdlicher bes 
anbelt. Auch eine Rovelle von Theodor Stamm und ein 
ärchen vom Herausgeber Johann Grafen Mailaͤth find 
von untergeordnetem Werthe; empfehlenswerther die „Wahre 
nach Edinburg” aus den Papieren eines verabfchiedeten Lan- 
zenknechts und „Das Mädchen von Sanct⸗Giorgio“, von 
Betty Paoly, worin erzählt -wird, wie die Dogensvon Be: 
nedig zu der Sitte gelangt find, ih mit dem Meere zu ver: 
mäbhlen. Unter den Gedichten verdient „Die Haremsroſe“, von 
J. &. Seidl, hervorgehoben zu werben. Es bat wenigftens 
den Borzug, daß ed nicht nach dem gewöhnlichen Balladen 
fehmitt zugefänitten iR. Ä 
14. Rarrenalmanach. 

Kein Schriftfteller tritt vielleicht in feinen Productionen 
die Gefege der Kunft fo frivol mit Füßen und fchlägt den 
äfthpetifchen Regeln fo höhnif ein Schnippchen als Ottinger, 


man bei jedem Andern bie 
| fhlagen würde; aber bei ihm achtet man es nicht, weil er doch 





und dennoch iſt fein Wimanad immer als. eine ergüpliche 
und willkommene Lecture Begrüßt und felbft von Denen 9 ri 
aufgenommen, welche fonft die Verachtung der Kunftgefege nicht 
fo gutwillig hinzunehmen pflegen. Der Grund hiervon tft 
leicht zu ermeſſen. Ottinger nimmt im Bereiche der Kunft 
etwa diefelbe Stellung ein wie ein Aventurier in der Befehl 
haft. Auch dieſer erlaubt fi alles Mögliche, was gegen 
Sitte, Anitand und hergebrachte Drbnung ift und worüber. 
Hände über dem Kopfe zufammen> 


bei allebem eine intereffante Erſcheinung ift und Vieles zu er» 
zählen weiß was man fonft nicht alle Tage zu hören bekommt, 
ja man findet feine Berftöße fogar genial und liebenswürdig, 


weil fie mit folder Kedheit und &icherheit gemacht werden, 


baß Jeder meint, er verlaffe den gewohnten Weg nicht aus 
Unkenntniß und Unvermögen, fondern vielmehr aus höherer 


Einſicht und im Befig einer mächtiger wirkenden Kraft. Auch 


in den beiden Erzählungen des vorliegenden Jahrganges des 
„Rarrenalmanach“ entfaltet der Verf. wieder fo viel Reich⸗ 
thum interefjanten Stoff und beftechende Nonchalance in Hand» 
abung ber Borm, daß man ihm von Seite zu Seite willig 
Igt und ohne Scrupel ein buntgewürfeltes Amufement als 
Surrogat für einen wirklichen Kunftgenuß binnimmt. Die 
erfte der beiden Erzählungen portraitirt und diesmal einen 
Rarren von Profeffion, nämlich den Hofnarren Sr. Majeftät 
des Königs Friedrich Wilhelm I. ven Preußen, Jakob Paul 
von Grundling, das Stichblatt des Witges und den Spielball 
der roheſten Späße und empörendfien Mishandlungen nicht 
nur für_den König, fondern für ale intriganten ihm feind» 
feligen Hofſchranzen. So fehen wir unter Anderm dieſen ar: 
men Grundling, der trog jeiner Gelehrſamkeit freilich ein höchſt 
ungebildeter, feiger, dem Trunk ergebener und ſich felbit weg⸗ 
werfender Narr, aber doch von Herzen nicht boͤsartig und in 
manchem Betracht ehrenwerther als ſeine Peiniger war, wie 
man ihn im Tabackscollegium ei betrunten macht, wie 
man ihn in diefem Zuftande verführt, in ein mit Kienruß ge» 
fültes Horn zu blafen und ſich dadurch zum leibhaftigen Mob- . 
ven zu machen, ihn dann zur Zhür bHinauswirft-unb der Ges 
fahr der Goſſen und dem Spott ber Rachtwäcter preisgibt; 
ferner wie man ihn, der gar nicht tanzen konnte, zwingt, vor 
siner großen Geſellſchaft ein Menuet mit einem Bären zu 
tanzen; ferner wie man ihn, ebenfalls im trunkenen Zuftande, 
in eine Sänfte padt, in welcher ihm mitten auf dem Wege 


der Boden unter den Füßen zuſammenbricht, fodaß er. da die 


Zröger auf fein Rufen nicht hören "dürfen, im raſcheſten Zrabe 
durch Dünn und Did mitlaufen muß, bis man endlich die 
Sänfte in einer Pfüge ſtehen und ihn fo lange in berfelben 
campiren läßt, bis er von der Patrouille ald ein Betrunkener 
in die Wade traneportirt wird; ferner wie man ihn, ald er 
in Folge hiervon in Schweiß und fchwerem Fieber liegt, durch 
einen vermeintlichen Badelgug aus dem Bette auf die Straße 
lot, blos um ihm in einem geheimnißvollen Briefe eine auf 
ihn gemachte GSrabfchrift zufommen zu laſſen, des Inhalte: 


Bewund’re Lefer nicht, was und Me Yabel fagt, 
Dat dort bein Lucian ein Menſch zum Gfel worden, 
Daß fih ein Jupiter zum Stier und Ochſen madt, 
Und daß Ulyſſes Koch tritt in der Schweine Orden: 
Dier muß ein großer Dann in biefer Gruft verweſen, 
Der Efel, Ochs und Schwein zu gleiher Zeit gewefen. 


ner, wie mam ihn kurz nad feiner Genefung zwingt, wie 
st V. bei Lebgeiten fi in einen Sarg zu legen und dadurch 
Gelegenheit zu einem mit allerhand rohen Späßen ausgeftat- 
teten Reichenbegängniß feiner eigenen Perfon zu geben; Ferner 
wie man ihn in ein Zimmer fperrt und duch zwei Löcher 
Schwärmer und Froͤſche auf ihm abſchleßt, dadurch feine Pe⸗ 
rüde in Brand ſett umb hierauf ihn wieder durch dicke W 
—— aus einer Fenerſprige bis aufs Hemde durchnaͤßt; 
ex wie man ihn durch falfehe Briefe einrebet, daß die Koͤ⸗ 


708 


nigin Sophia Dorothea in ihn vetllebt 
wur ung folgenden Gebichts begeift 
D Sophia Dorotdea, 
Meines Herzens Panacea, 
End’ und Anfang aller Wonne, 
Keuſcher Mond und bolde Sonne, 
D Sophia Dorothea 
Meine Rahel, meine Lea, 
Sieben volle Jahr' ſchon werde, 
Sieben volle Jaht' ſchon ſterbe 
Seh für dich, o Königin! 
D Sophia Dorothea, 
Meines Herzens Cpopda. 
Traute Wurzel meiner Freuden, 
Sundamentum meiner Leiden, 
D Sophia Dorothea 
Deiner Schmerzen Panacea, 
Tod und Leben will ich wagen, 
Um, o Kön’gin, die zu fegen, 
D Sophia Dorsten, 
Juno, Bernd und Aſtraͤa, 
Döre meiner Liebe Ficken, 
Laß mi fo nicht von bir gehen, 
D Sophia Dorothea, 
Holde Rymphe Amalthea 
Stille meiner Blech’ Geluͤſte, 
Reich’ den Nektar deiner Brüfte 
Deinen Säugling Jupiter! 
Berner wie man ihn veranlaßt, diefed Gedicht einer in die Kö- 
aigin verffeideten Dame zu überreichen und darauf baffelde 
tem König hinterbringt, der demzufolge Grundling drei Bor 
dien auf der Hausvogtei ſitzen läßt, ihn hierauf zum Tode ver 
artheilt, mit verbundenen Augen vermeintlich nah Spandau 
zus Hinrichtung transporticen und fo lange vie ganze Aodes⸗ 
angft ausſtehen läßt, bis ihm endlich im Tabackscollegium die 
Binde von den Augen genommen und ihm das Ganze als ein 
bloßer Scherz erflärt wird; und endlich wie man ihn von ſechs 
Grenadieren an Stricken befefligen, von ber Brüde in den 
Schloßgraben werfen und ihn mit halbem Leibe eine lange 
Weite unter dem Life im Waſſer zappeln läßt. Wenn wir 
dies Ulles lefen ynd nehmen ed als bloße Dichtung Hin, fo 
verfehlt zwar die Ergötzlichkeit und Komik, die einmal in der 
Erſcheinung des Unfinns und des Widerfinns liegt, auch bier 
ihre Wirkung nicht und wir müſſen über die eine oder die 
andere Situation herzlich lachen; denken wir aber daran, daß 
Diefer Dichtung eine Wahrheit zum Grunde liegt, daß ed wir 
je end in den höchften Sphären der Geſellſchaft fo bat Kir 
sehen Tonnen, dann fchlägt unfere komiſche Luſt in ein fehr 
ernſtes Gefühl um und wie müffen es der Eintwidelung bes 
Volksbewußtſeins Dank willen, daß wenigftens fo etwas in un: 
ſerer Beit nicht mehr möglich ? 

Die zweite Babe: „Sophie Arnould“, dab Gittengemälde 
einer parifer Sängerin und ihrer fieben Liebhaber, kann fid 
mit vorftehendem weder an ftofflidem noch an formellen Ins 
tereffe meſſen. Dennoch bietet auch fie der piquanten Stenen 
und Gharakterzüge genug umb ift namentlid wieder reich an 
folden Stellen, worin der Berf. das Guriohitätencabinet feines 
Gedaͤchtniſſes auskramt. 

Bu dieſen beiden Hauptgaben der Berf. noch eine 
Pereze dritte: „Pa — tſchou — ly“, eine handgreifliche Satire auf 
den Heine ſchen „Kaiſer von China“ Hinzu, die wir als ein 
ziemlich wohlfeiles und im Ganzen verunglüdtes Product ber 
zeichnen muͤſſen. 


15. Taſchenbuch für JIager und Naturfreunde. 


Da fich der vorliegende diefes weiland „por 
—— ff ner —— ——— — — Yagd ber 


und sum Theil auf Grfahrung gearündete Berichte 
dürfte er leicht au in andern Krei Y 


der Zpat 

ih feinen cyniſchen er wit 
verleugnen kann, geſchrieben if. Borzugsweife verbreitet ſich 
darin Reftor Esq. uber Degrüßungkreremonic und andere hun® 
liche Gebräuche, und gibt namentlig über die Bitte Der Hunde, 
Mauern, Pfähle und vorzüglih Edfteine mit Der hoͤchſte 
Zugen E berieden und anzufeuchten, fehr überrafchenbe Uıf 

lüfſe. Da naͤmlich das Laut: und Gehörorgan bei den 
en nur mangelhaft ausgebildet fei, fo habe die Ratur auf ar 
dere WBeife * geſorgt, daß ſie —* Gedanken und Gefühl 
einander mittbeilen Bännten. Jeder Gedanke unb Gemüt 
—5 naͤmlich, den fie hätten, veraͤndere augenblicklich die 

fchaffenheit der in der Blafe befindlichen Fluͤſſigkeit und cheil⸗e 
ihr einen fpecifiichen Geruch mit, welder den Gedanken fh 
eine Hundenafe vollftändig verftändlih austrüde. Run fen 
ale Hunde große Freunde der Öffentlichkeit, und wie die Re 
Sr buch Affihen und Placate, fo fuchten auch fie dus 

riftliche Darftelung ihre Anfichten ins Yublicum zu bre 
gen, indem Jeder, der feinen Mitbürgern etwas zu fagen habe, 
Diefed gegen eine Mauer oder einen Eckſtein forige us de 
durch die andern Hunde veranlaffe, es & tefen und feine Ru: 
nung Dazuzufegen. So verträten Die Eckſteine, indem fe Ge 
legenheit zu einem öffentlihen Austaufhe der Ideen gäbe 
unter den Hunden ganz die Stelle der Sournale und fr hi 
ten infofern vor diefen fogar den Borzug, daß fie als eig 
Genfor nur den Regen zu fürchten hätten, weshalb denn u 
biefeer auf die Hunde einen fo höchſt deprimirenden Einderd 
mühe. Auch über die unmittelbare oder mündlide Unterhal⸗ 
tung macht Reftor Mittheilungen. So fchildert er z. S. fen 
Benehmen bei der Begegnung eined fremden Hundes ebenſo 
originel als naturgetreu. Doc Eönnen wir hier der cyniſchen 
Literatur unmöglich einen noch weitern Raum gönnen. 


(Die Fortſetzung folgt.) 


und Sofrath”‘, muß no geant werden, da fie 
e 





Literarifhe Anzeige. 


Im Berlage von SB. WE. Wrodbaus in Leipzig ift erſchie 
nen und in alen Buchhandlungen zu : 


Bolks-Biblisthek. 


Eirster und zweiter Band. 
Gr. 8 Geh. 


ST. Joachim Nette lBeck, Bürger zu Kolberg. Eine 
Lebensbeſchreibung von ihm ſelbſt aufgezeichnet, und ker 
ausgegehen von 4 Ch, C. Haken. Mit Rettelbesd⸗ 
Bildniß und einem Plane der Gegend um Kolbe. 
Zweite Auflage 1845. 1 Thlr. 
II. Der alte Beim, Leben und Wirken Graf 
Ludwig Heim's, koͤnigl. preußifchen Geheimen - Racks 
und Doctors der Arzneiwiſſenſchaft. Aus Ginterlaffenen 
Briefen und Tagebuͤchern herausgegeben von G. M. 
Kessler. Zweite, mit Zufägen vermehrte Auflage 
Mit Heim’s Bildniß. 1846. 1 Tihkr. 


Berantwortlicher Herausgeber: Heiurich Wroddans. — Drud und Verlag von F. X. Drockhans ia Reipsig. 


Blätter 


für 


literarifde Unterhaltung. 











affe 


Unfelm von Ganterbury. Dargeftelit von F. A. 
gel⸗ 


Erſter Theil: Das Leben Anſelm's. Leipzig, 
mann. 1843. Gr. 8. 2 Thlr. 7 Rgr. 
Das Leben ausgezeichneter Maͤnner gibt ſtets ein Bild 
ihrer Zeit, in welcher ſie geglaͤnzt oder gelitten, beliebt 
oder verhaßt geweſen, und indem man von ihnen erfährt, 
erfährt man. zugleich von Ihren Umgebungen, auf welche 
fie bedeutfam einwirften. Rur ein zurüdgezogenes Da⸗ 
fein menfchlicher Gewoͤhnlichkeit, vielleicht das glücklichſte 
für fie felbft, entzieht fi den Berührungen Öffentlicher 
Verhältniffe im Kreife der Familie, einer ruhmlofen Be⸗ 
fchäffigung, und iſt in feiner durch geringen Wechfel un- 
terbrochenen Stille ungefähr zu allen Zeiten ähnlich. 
Anfelm nun ift feiner der Geringften in feinem Jahr⸗ 
hundert für Kirchenhiftorie, er ift in Beziehung auf 
Frömmigkeit ein Helliger, in Beziehung auf die Kirche 
ein tapferer Vertheibiger ihrer Anfprüche, und für bie 
dpgmatifche Theologie ein zweiter Auguflinus, wie man 
ihn genannt; ja fein ontologifher Beweis für das Da- 
fein Gottes fteht noch fegt feit Carteſius mit der neue 
ſten Philofophie in Verbindung. Nach diefen drei Sei- 
ten, der religiöfen, tirchlich -politifchen und ber wiffen- 
ſchaftlichen, fehildert ihn der Verf., und vorliegender Theil 
enthalt die beiden erften, mit größerer Vollftändigkeit ale 
einige Vorgänger (Brand und Möhler) den Begenftand 
behandelt, und zugleich nicht Eritifch ratfonnirend, fondern 
objectiv, wie man ſich auszndrüden pflegt, d. h. ſelbſt⸗ 
genüugfam nach eigenthümlicher Erfcheinung, durch welche 
gewiß zu fobende Weife das Mittelalter neuerdings in 
einem günftigeen Lichte ſich darflellt als früher, und 
warme Freunde unter ben Hiſtorikern gefunden hat. 
Kein geringes unter den Jahrhunderten ift dasjenige 
Anſelm's (geb. 1033, geft. 1109). Es fah den normän- 
nifhen Eroberer Wilhelm, Papft Gregor VIE. und an 
feinem Rande den erflen Kreuzzug. Weltliche Gewalt 
und geiftlihe Macht zeigen the angeborenes Weſen, und 
beide flürzen auf den ungläubigen Orient für abenblän- 
diſche Herrſchaft und abendländifche Gottesverehrung. An- 
felm war Mond, war Erzbiſchof, in beiderlei Charakter 
mit dem Geifte des Jahrhunderts einftimmig, und nad, 
diefem Doppelbilbe entfaltet ſich feine Lebensgeſchichte. 
Das Moͤnchthum ift allerdinge aus dem Beſtreben 
zur Darftellung einer Gemeinſchaft der Heiligen hervor⸗ 


Sonnabend, _— Mr. 178, 


Kloſterleben entfchieben. 








gegangen, mas bie Kirche fein ſollte, aber durch Verfall 
ber Kicchenzucht nicht blieb; der Verf. nennt baher bie 
Klöfter die „wahren Gemeinen, bie Kirche in bee Kirche“, 
wir möchten fie kieber nennen: „Seminarien der Hellig⸗ 
feit.” Denn mit der gewöhnlichen chriftlichen Geſinnung 
war ein lebhafter Eifer nicht mehr befriebige, ber reine 
Himmel des Krommen fonnte nur gewonnen werben 
bucch Entfagung ber Welt, und was Einzelne ale Ein- 
fiedler durch Fluche aus der menfchlihen Geſellſchaft er- 
reichten, konnte auch in gemeinfamer Abgeſchiedenheit 
Mebren zu Theil werden, wofür eine Orbensregel und 
ſtrenger Gehorſam fi eigneten. Irdiſchem Genuß und 
ben Freuden des Lebens zu entfagen ift nicht leicht, ſich 
in biefer Geſinnung zu erhalten ebenfalls ſchwer, eine 
fortwährende Mortification des weltlihen Hanges daher 
empfehlungswerth, und wie weit es barin mit’ gefleiger- 
ter Gelbftpeinigung Ranche braten, ift aus Kloſter⸗ 
geſchichten befannt; auf jeden Fall wird Jemand, der 
fh dazu entſchließt, andern Menſchen überlegen, unb 
wenn biefe ein Berdienſt in folcher Stärke erblidien, ver⸗ 
ehren fie den Starken, über das Irdiſche Siegenden. IR 
diefe Staͤrke begleitet von irgend einer geifligen Bildung, 
von Meditation und theologifcher Speculation, äußert fie 
ſich in kräftiger Ermahnung zu gottgefälligen Leben, im 
©trafprebigten gegen welttiche Sünden, in Verheißungen 
der göttlichen Gnade durch Fürbitten und kirchliche Ge⸗ 
bräude, fo wird das große Gewicht des Kloſterlebens 
auf ein demfelben zugemandtes chriftfiches Zeitalter ſehr 
erklärbar. Nichts wirkt gewaltiger auf den Menſchen 
als ein Nichtmenfehliches; als fremd, als außerordentlich, 
liegt es entfernt vom menfchlichen Gefichtskreiſe, tft wun⸗ 
berbar, übermenſchlich, heilig. 

Nur ftrenge Kloͤſter, wie das zu Clugny, konnten 
fih entfchiedenen Einſtuſſes erfreuen, Bifchöfe, Kalfer 
und Könige, felbft Paͤpſte bebienten fich bes Rathes ber 
Abte. Ein ſolches war Bec in der Normandie; fein 
Stifter Herluin entfagte bem Ritterthum und Blanze bes 
Hofes, ‘verwandte feine Güter auf den Ban beffelben. 
Lanfranc lehrte dort unter Zulauf von Schülern unb 
Anfelm ward fen Nachfolger. Diefen hatte eigene ſchon 
früh gefühlte und fpäter wiedererwedte Neigung fammt 
einem Ausſpruche des Erzbiſchofs von Rouen für das 
&r übte batd als Prior bie 


| 1 0. 
J 


: t 
Aufficht, Leitung der Studien, bisciplinifche Infpection 
und eigentliche Seelforge, mit befonderer Aufmerkfamteit 
auf die jüngern bildfamen Bewohner bes Kloſters. We⸗ 
niger firafend, als liebevoll ermahnend, gewann er fi 
bie Gemüther. Die Heilige Schrift und die Kirchenvaͤter 


wurden gelefen, Anfelm erklärte umb vertiefte fich zugleich’ 


in Speculationen. Zum Abte emporgeftiegen erhielt: er 
die äußere Verwaltung bes Kloſters, mußte oft nach 
England, wo Befigungen lagen, hinüberfchiffen, wo felbft 
der König Wilhelm, „fonft ein furchtbarer Herr’, leut⸗ 
felig gegen ihn war, und Verbindung mit den höchſten 
kirchlichen Bewalten ſich anknüpfte. Es wird von ihm 
gerübme, er fei „reich au gutem Math” gewefen, daher 
er dann eine Menge von Briefen zu fchreiben hatte. 
Am bäufigften wird geifllicher Math, begehrt. Eine vor- 
nehme Dame wollte ihrem Manne nicht geftatten, fich 
wegen eines Gelubdes ins Kloſter zu begeben. Anfelm 
führt ihr zu Gemüthe, daß fie feine Seele lieben müffe, 
und nur dann ihn in Wahrheit liebe, daß keine zeitlichen 
Bortheile dabei in Betracht kämen u.f. w. Er ſtellt bei 
jeber Gelegenheit das Moͤnchthum hoch; „ſei Eins mit 
Gott und den Menfchen, fofern fie von Gott nicht ab- 
weichen, und du fängft ſchon an, mit Bott und all- 
heilig zu regieren”, ruft er einem Klausner zu, der ihn 
um Belehrung gebeten. Die Sammlung ber Briefe iſt 
groß, und begreiflich kommen darin die mannichfachften 
Gegenftände zur Sprache. 

In feiner Paftoralthätigkeit liebte Anfelm Gleichniß⸗ 
reden; bie meiften find ethifchen Inhalts im Zufammen- 
bange mit dem religiöfen. Das menfchliche Herz 3. 3. 
wird mit einer Mühle verglichen, die immerfort umläuft, 


und weiche ihr Herr einem Knechte übergab, darauf fein: 


Getreide zu mahlen, der Knecht felbft aber foll feinen 
- Unterhalt davon gewinnen. Diefem Kuechte nun ftellt 

ein Zeind nach, der, fo oft er den Mühlftein leer findet, 
Sand darauf freut oder ihn mit Pech befudelt. Wacht 
alfo der Knecht nicht, fo läuft er Gefahr au verhungern 
und von dem Herrn der Mühle beftraft zu werden. 
Diefer Mühle gleicht das menfchliche Herz, denn auch 
biefes läuft befländig um, weil es immerfort denkt. 
Gottes Wille ift, daß es ſolche Gedanken nur denkt, die 
er felbft ihm eingibt. Der Weizen find bie tiefen und 
reinen Gedanken, in denen es ſich mit Bott felbft be- 
ſchaͤftigt; die Gerſte die Eräftigen Gntfchlüffe, wodurch 
ed fi) Tugend aneignet; der Hafer die Kämpfe, wo⸗ 
durch es Fehler auf Fehler ablegt. Solches Alles foll 
der Menſch denken, um Speife für das ewige Leben zu 
erwerben. Der Teufel aber ftellt ihm immerdar nach, 
und findet er das Herz leer von guten Gedanken, fo er- 
füllt ex «8 fogleich mit böfen. In einem andern Gleich⸗ 
niß wird das Meich Gottes mit einer Burg verglichen, 
bie mitten in einer weiten Ebene von einem Dorfe um- 
geben wird, deffen Bewohner fih im Nothfall in bie 
Burg flüchten können; die Burg felbft hat in fich einen 
uneinnehmbaren Thurm. Diefer Thurm ift das Himmel- 
weich felbft, die Ebene die Welt, die Burg das Moͤnch⸗ 
thum, das fie umgebende Dorf die gemeine Chriftenheit. 


Durchs Kiofter alfo zum Himmel, lautet ber Sinn bes 
Gleichniſſes. In feinen Meditationen (Andachten) ober 
Betrachtungen finden bie verfchiedenften religiöfen Zuftände 
ihren Ausdrud und fie find nicht blos in der katholiſchen 
Kirche erbauli gebraucht worden, fondern haben auch 
ber proteantifchen Froͤmmigkeit Nahrungsfoff gelisferk. 
Die Meditationen Johann Gerhard's (geſt. 1837): find 
oft aus den Anfelmifchen gefchöpft, und neuerdings bar 
Galle fie (in feinen „Beiftlihen Stimmen aus dem Mit- 
telalter⸗) für aſcetiſche Zwecke benupt. Chriſtliche Erbau- 
ung, wenn ſie keine Polemik einmiſcht, bleibt ſich wol 
in den Jahrhunderten gleich. 

Seit Anſelm zum, Erzhiſchof von Canterbury ernannt 
wurde (1093), geräth er in die politifchen Verhältniſſe 
zwifhen Kirche und Staat, welche einen Hauptinhalt 
der Befchichte des Mittelalters bilden, und von ihm aus 
in unfere Zeiten hineinreichen. Je nachdem man Par⸗ 
tei nimmt, pflegt über Recht und Unrecht in dem Streite 
beider Gewalten entſchieden zu werben. Im vorigen Jahr⸗ 
hundert fielen. Die meiften Stimmen zu Gunften bes 
Staats, befonders nach proteftantifcher Anficht; in un- 
ferm gegenwärtigen findet die Kirche mehr Kiebe, ſelbſt 
bei Denen, welche den Papft nicht anerfennen, weil ein 
gewiffes Kirchengefühl — wie bei dem Verf. der Bio 
graphie Anſelm's — die Abneigung gegen römifche Dier- 
archie mäßige. Was die Menfchen drückt, fuchen fie 
durch deffen Gegentheil zu entfernen, Froſt duch Hige, 
Dürre duch Plagregen, und Napoleon hat in Deutfch- 
land dem Papft mehr Freunde gewonnen ale fich felbfl. 
Die hriftliche Kirche ift ihrem Urfprunge nah nicht — 
wie in Judäa und Arabien — mit dem Staate ver- 
wachſen, fondern bildete fih im Nömerreih aus einzel» 
nen Gemeinden und deren Slaubenszufammenhange — ei 
nem geiftigen, unſinnlichen; Chrifti Reich war nit von 
biefer Welt, e8 war ein ewiges, fein zeitliche. Der 
Staat, welcher Sinnlihes und Sichtbares ordnet, brauchte 
deshalb vom Chriſtenthum keine Beeinträchtigung zu 
fürdten — es gab bem Kaifer was des Kaifers iſt —, 
allein das mit dem Staate verwachfene Deidenthum litt 
Gefahr, Zempel und Opferaltäre wurden vernachläffigt, 
daher DVerfolgungen, und unter dem nicht graufamen 
Trajan zwang Plinius. die Chriften, bem Bildniß bes 
Kaifers mit Weihrauch und Wein göttliche Ehre zu er- 
weifen. Außerdem hatte die Gemeinſchaft ber Chriften 
fih „ihre eigene Verfaffung gegeben, und verbreitete ſich 
als ein wohlgegliedertes Gemeindefoftem durch den gan« 
zen römifchen Staat”, fodaß diefer, der anfangs die jü- 
difche Sekte verachtete, auf die neue „Hetärie” aufmert- 
fam werben mußte. Zu SKonftantin’s Zeiten war bas 
Heidenthum nicht mehr zu retten, und es war vielleicht 
ebenfo viel Politit als Frömmigkeit bes Kaifers, wenn 
er bie chriftlihe Kirche aus einer gebrüdten zur berr- 
fihenden erhob. j 

Nicht undenkbar wäre bei diefer Veränderung, daf 
fortan jebe der .beiden Gemeinfchaften das Ihrige beforgte, 
der Staat das zeitlihe und irbifche Wohl, die Kirche 
das ewige himmlifche; allein Konflantin felbft ward durch 


|_ 


a1 


die Taufe Chrift, ſonach der Kirche angehörig, wie diefe 


feiner Regierung, und ſowol den chriſtlichen Kaifern als 
allen Beamten und Verwaltungszweigen des Reiche galt 
als Gewiſſensſache, die Einrichtung der Kirche nit zu 
flören und ihre Maßregeln für gute Sitte und Zucht zu 
unterflügen. Das führte zu ber vom Verf. angedeuteten 
Einheit von Kirche und Staat im Orient, in welcher 
„die Kirchze fih an den Staat verlor und ber Staat 
an die Kirche“. Im Abendlande bildeten. fi mit der 
Voͤlkerwanderung und den einzelnen Reichen zunächft 
Landeskirchen, bie in dem Bifhof von Rom gemeinſchaft⸗ 
lichen Mittelpunkt ber Verwaltung fanden. Durch den 
Neichthum des Grundbeſitzes, welchen die Kirche haupt⸗ 
ſaͤchlich den Königen verdankte, trat fie in ein ähnliches 
Berhältnig wie Bafallen und Minifterialen; bie Geift- 
fichen erlangten mit ber Zeit Reihöftandfchaft, erwarben 
fogar Landeshoheit. Da die Ernennung der Biſchöfe 
zugleich Einfegung in die Güter und Rechte des biſchöf⸗ 
lichen Amtes war, fo erhielt fie den Charakter einer Be⸗ 
fehnung (Inveftitur),. und man unterfchied wenig zwi⸗ 
Shen den Gütern und dem Amte, der Biſchof mußte 
den Lehnseid fehwören und den König ausdrücklich als 
feinen Seren anerfennen. Solche Abhängigkeit im Welt. 
lichen konnte ſich aber nicht auf das Geiſtliche ber Kirche 
erſtrecken, vielmehr blieb diefe in Abficht des ewigen 
Heile der Gläubigen für Könige wie für Knechte die 
entfcheidende Autorität, und das chriſtliche Sewiffen 
durfte ſich von derfelben nicht losfagen. Geiftliches Be⸗ 
wußtfein diefes Nechtes fuchte daffelbe auch in weltliche 
Nerhältniffe zu übertragen ; meltlihe Begehrniß wollte 
mit Unabhängigkeit fehalten und walten, ohne von geift- 
licher Einmifchung gehindert zu fein. Daher die fort 
Dauernden Kämpfe bes Geiftlihen und Weltlichen, ber 
Streit über Inveftitur, das Trachten nach Freiheit ber 
Kicche als eines Staats im Staate, das Behaupten der 
Unabhängigkeit des Regenten als Selbſtherrſcher über alle 
Stände des Reichs ohne Ausnahme. 
(Der Beſchluß folgt.) 


Taſchenbuͤcherſchau für dad Jahr 1846. 
Dritter und letzter Artikel. 
(Zortfegung aus Nr. 171.) 


16. Biellieb hen. 
17. Des Bettlers Babe. 
18. Sonnenblumen. 


Diefe drei Taſchenbuͤcher haben Das miteinander gemein, 
Daß fie nur Producte von ihren Herausgebern enthalten, daß 
fie ſich durdaus auf Novellen und biungen befchränten 
und daB fie daher ſich ſchon eine Reihe von Jahren hindurch 
in ihrem Werth und Charakter ziemlich alehogeblichen find. 
Die Novellen Bernd von Guſeck's im „Vielliebchen“ find 
immer wieder die leicht entworfenen, gewandt gefchriebenen 
und vorzugsweife für die Unterhaltung nobler Damen berech⸗ 
neten Bearbeitungen irgend einer intereffanten, mehr oder min⸗ 
der mit Romantik verfegten geſchichtlichen Epifodes die Srzaͤh⸗ 
Bungen Wilhelm Müller 6 in „Ded Bettlers Gabe” im 
meer wieder die düftern, fataliftifchen, felbft im Humor mehr 
web: als wohlthuenden Rachtftüde, hervorgeholt aus irgend ei⸗ 
wem dunfeln, vergeflenen oder entlegenen Winkel ber gen 


on 2 





weit oder des Gemuͤthlebens; und endlich die Geſchichten Ada⸗ 
mi's in den „Sonnenblumen“ ſtets wieder die auf Effeet aus: 
ehenden, mit geſchaͤftlicher Routine raſch hingeurbeiteten Nach⸗ 
iſdungen franzoͤſiſcher Erzählungen, in der Regel dem fotia« 
len Xeben ber Gegenwart entlehnt oder hervorgeſucht aus ben: 
Arhiven der Criminaljuſtiz. So haben wir auch über die 
Jahrgänge von 1846 nichts Neues zu fagen. Wer an ihren‘ 
Borgängern Geſchmack gefunden, wird auch biefe nicht unbe 
feiedigt aus der Hand legen. Hoͤhern Anfoderungen freilich 
als denen, wie man fie an die Unterhaltuimgsliterastur zu mas 
hen pflegt, genügen fle alle drei nicht, doch haben die Verf. 
der beiden erſten unverkennbar daB Beſtreben, ſich zu einer: 
Fünftlerifchen Auffaffung und Darftelung der Objecte zu heben, 
und erweden ſchon dadurch Achtung und Anerkennung für fich. 
. 19. Thalia. 
WW. Das Meilden. 
21. Der Freund des fhönen Gefhlehts: 

Wenn ein Almanach ein Bud ift, deſſen Keiftungen fo bes 
ſchaffen find, daß überall man Ach! zu fehreien hat, dann dürfte 
nicht leicht Jemand den obengenannten Brei wiener Taſchen⸗ 
büdern das Recht auf biefen Namen ftreitig machen. Denn 
unter den mindeſtens ſechs bis fieben Dugend Novellen, Er: 
zählungen, Märchen, Sagen, Kegenden, Gedichten u. f. w. ha⸗ 
ben wir auch nicht eine Piece gefunden, deren man ſich wirk: 
lich erfreuen koͤnnte, vielmehr haben uns die meiften fogleich 
von vornherein fo angelangweilt und angeekelt, daß wir nicht 
im Stande gewefen find, mehr als einige Beite davon zu genie- 
fen und uns ſchon mit Diefer den Appetit für ähnliche Koſt 
auf lange Zeit verdorben haben. Möglich ift, daß fih unter 
den Schüffeln, die wir im legten Stadium gekoftet haben, eine 
ober die andere befindet, die ein bungeriger Magen beffer ge: 
würbigt haben würde als ein überfülters an einem Märchen 
von Karl Spindler „Der Rir in der Fremde“ in ber 
„Thalia“ haben wir fogar felbft die beſſere Kochkunſt heraus: 
geſchmeckt, unfere Schuld ift es aber nicht, wenn wir fein Dr: 
gan mehr dafür gehabt haben, fondern einzig die des redigi: 
venden Haushofmeifterd, dem jeder Koch und Keller gut genug 


geduͤnkt bat. Nun mögen jich die beſſern unter den fchlechtern 


mit dem Sprüdhwort tröften: Witgegangen, mitgehangen! 


Rachdem wir diefen Urtikel der diesjährigen Taſchenbuͤcher⸗ 
ſchau bereits befchloffen, find uns noch drei &pätlinge zuge- 
fommen, nämlich: 

73. Taſchenbuch zur Verbreitung geographiſcher 
Kenntniffe. 


3. Charitas. 


24. Berliner Taſchenbuch. 
benen wir bier noch einige Beilen fchenfen müffen. 

Das erfte derfelben, von Johann Gottfried Gom- 
mer herausgegeben, von bem uns bereitd der 24. Jahrgang 
vorliegt, ift den Freunden ber Länder: und Voͤlkerkunde Kon 
feit lange eine willfommene Gabe, indem es ihnen alljäpriid 
eine gebrängte Überficht der neueften Reifen und Entdeckungen 
und außerdem ſtets noch einige — Auszuͤge aus inter⸗ 
eſſanten Reiſebeſchreibungen und ſonſtigen geographiſchen Wer: 
ken bietet. Die allgemeine Überficht erſtreckt ſich Di 
Betreff Afrikas zunaͤchſt über die beiden durch Mehemed Ali 
veranlaßten Nilerpeditionen in den Jahren 1840 und 1841, 
an denen fih unter Andern namentlich der preußiſche Reiſende 
Dr. Berne betbeiligte, und über die Reifen Arcangelo 8, Krapf's, 
Jehenne's, Arnaud Abbadie's, Sallinier's, Lepfius’ und Am- 
pere's, fämmtlih im öftlichen Afrika, namentlich in Ägypten, 
Nubien, Abyffinien, im Lande der Gallas und Karen; ferner 
über die dur Eroberung Wlgeriens berbeigeführten Entdeckun⸗ 
gen in den Gaharagegenden durch Marey, Coretta und Re 
nou, Fournel und &ubtils über die englifchen Rigererpeditionen 
unter Berroft, über Duncan’s Verſuch, die Konggebirge zu 


ch diesmal in 


I 


bereiten und endlich üben deu Mefuc Des großen Ges Marewi 

— Tat a Tr BEE 0 
en wir e 

—* Malcolmſon 9 er Wen an der Sühlüfte Urabienss 

ans den Mittheilungen Gamıpbei's über Medina, aus verſchie⸗ 

in der Abegaud deß 


bie Dundgferigungen perfl 
ferner üben die 
Hufe Karun au ) 
flänseme Zohmer und Seflen von Dr. Bode; über die Meifen 
deb Ruſſen Mhanitew nach Bokhare, der lingam Iermep und 
Beanig nah dem eurehäiſchen und afiotiihen Mußland, von 
indendorfs nach Sibirien und ber Englaͤnder Youngs und 
Ehriftopher nach den Malediveninfeln. Riht minder —— 
find die Ercerpte über Amerika und Auſtralien und beziehen 
fich vorzugsweiſe auf die neueften englifchen Rordpolerpebitio- 
nen, auf den intellectuellen Charakter des Eskimos, auf bie 
Gegenden des Miffffippi und das Dregongebiet, auf die Be⸗ 
fahrung des fübamerikanifchen Fluſſes Araguay dur Eaftel- 
nau und auf die Reife Schomburgk's nah dem briktiſchen 
Guyana. Gperielle Mittheilungen find im vorliegenden Jahr: 
gange fünf enthalten: 1) Grinnerungen an Rußland, nad 
Slafius; MFeatherſtonhaugh's Reife durch die Sklavenſtaa⸗ 
ten der angloamerikaniſchen Union; Die Miſſionen in Ober⸗ 
californien, nach Duflot de Mofras; 4) Das Gebiet Dre 
. gen, nach Demfelbens 9) Der Taditi⸗Archipel, nach Bin⸗ 
cendon⸗Dumoulin und Deögraz, von welchem die erfie beiweitem 
die umfengreichfte und unterhaltendfte ift. 

Das zweite der obengenannten Zafchenbücher ift auch die: 
ſes Zahr feinem bairifhen Charakter treu geblieben. Unter 
den vaterländifhen Gaben deſſelben find vor allen brei Ge⸗ 
dichte des Könige Ludwig zu nennen, 3. B. „Meer und 


Simmel”: 
Ewig groß, 


Endelos 
Iſt das Meer, 
Nahen ſeine Wellen, 
Sinken hin und ſchwellen; 
Es tft leer. 

GSehnend ſchweift, 
Forſchend greift 
Unſer Blick 
In die Himmelsgründen, 
Wird darin nichtd finden, 


Sinkt zuräd. 
Es iſt leer, 
Wie umber , 
Mögen fpäh'n . 
In die Wogen tauden 
Strahlen unfrer Augen, 
Doch nichts ſeh'n. 
Kehrt zuruͤck. 
Himmel, Meer, 
Beide leer; 
Doch des Lebens Fülle 
Birgt, bie ode Hülle, 
Seelengluͤck. | 
Außerdem liefert es noch Berichte von Seuffert, Kranz 
von Kobell, Badhauſer, Kernau und Goßmann, um 
tee denen bed von Yranz von Kobell Fegeriih gen if, 
nach der Schilderung einer Andacht in Band: Peter im 
Haufe zu doretto folgendermaßen zu ſchließen: 
An fand bei bämmernder Nacht im Mald, 
Dein bat Heine Slocke, kein Chor gehallt, 
Bin Wogel nur fang fein einfach Lieb, 
WS 606 Abendroth vom Himmel filed. 


Es war eins flile, warme Rat, 

De kam ber Mond, fieh'! weilte Pracht! 

Und wie das zitternde Silberlicht 

Durch dab dunkle Laub der Bäume bricht, 

Und gleich, als Hätte ed Mh bewegt, 

Ss fih'4 In den leichten Blaͤttern geregt, 

Usb manches, gewendet vom leifen Woh’n, 

Ließ fern bie fhimmernben Sterne ſeh'n, 

Die freunden Sterne! o weite Welt, 

Wie weit von Ihrem Slanz erhellt, 

Bir weit um die Meinen Menſchen gebaut, 

Mie wenig in ihrer Größe geſcheut! 

Wol bad’ ich des Doms in Rom gebacht, 

Doch feſtlicher war die nächtliche Pracht, 

Und ihre Wunder zum Herzen mein 

Wie Heilige Lieber zogen fie ein, 

Und tiefer bewegt war mein GermAth, 

Als Ya ich im Daus von Lerettc Eniet. 
Yan Erzählungen erhalten wir drei: „Der Praͤſident von Por» 
tugal” (1840), von Karl Weihfelbaumer; „Der Scharf: 
richter und fen Sohn oder Tilly in Rothenburg”, von Georg 
Scheurlin, ımd „Veilchen“, von Amalie Krafft. Die exfle 
derfeiben ift jedenfalls die bedeutendfte und zeichnet ſich aamentii 
durch einen geiftreichen, piquanten,, hier und ba jedoch faft allzu 
fein zugefpigten und auf Schrauben gefteliten Dialog aus. 

(Der Beſchluß folgt.) 





Literarifhe Rotizen aus Frankreich. 
Hiftorifher Atlas von Frankreich. 

Die allmälige Geftaltung der Territorialverhältnifſe Frank 
reichs tritt gemöhntih in den allgemeinen Gefchichtsbarſtellun⸗ 
gen bei dee Maſſe des Materials in dem Maße zurüd, daf es 
ſchwer fällt, eine klare Anfhauung, ein beutlihes Bild ven der 
Urt und Weife, wie das gegenwärtige Frankreich fh geftalict 
hat, zu gewinnen. Rur dann wird man erft im Stande fein, 
fi) eine genügende Vorftellung von diefen Berbaltniflen zu mas 
hen, wenn man erft im Beſit befriedigender hiſtoriſch geogta⸗ 
phiſcher Karten ift, welche denfelben eine feeciele Berükkki- 
Yeuy widmen. Die bisherigen Arbeiten dieſer Art entiprechen 
frengern kritiſchen Anfoderungen im Allgemeinen nur weni 
Gegenwärtig erhalten wir einen Atlas, in weldem die 
angedeuteten Werhäftniffe auf eine Mare, anſchauliche Weife 
dargelegt werden. Der Zitel deffelben lautet: ‚Atlas histo- 
rique et geographique de la France, pr&sentant dass une 
s6rie de quatorze cartes les changements successifs de la 
monarchie aux principales &poques. Grave sur acier sous 
la direetion de um. Cleusolles et Abadie.’ 


Geſchichte der provencalifhen Literatur. 

Als der gelehrte Fauriel vor mehren Jahren durd feine 
Kränklichkeit genöthigt wurde, feine geiſtreichen Borlefungen zu 
unterbrechen und endlich ganz aufhören zu laflen, erwarteten 
feine zahlreichen Berehrer, er werde nun wenigſtens einen Shell 
beufelben im Druck erſcheinen Laflen. Diele Borausiehung fchien 
um fo gegründeter als feüberhin bereits einige Bruchſtück⸗ 
daraus you der „Bevun de Paris“ mitgetheilt waren und som 
daher nermutben Fonnte, daß wol das Ganze in ziemlidg abge 
rumdeter Ausführung bereits vorläge. Erſt kuͤrzlich ſind wır, 
nachdem der tüchtige Forſcher ſelbſt bereits feit einiger Beit ber 
gelehrten Welt durch dem od entzogen tft, mit Demjeniges 
heile dieſer Vorleſungen beſchenkt, welcher ſich auf die Ge 
ſchichte der —— Literatur bezieht („Histoire de ia 

&sie provengale‘). Diefed Wert umfaßt drei Bände und 

n des Beachtung aller Derer, welche fih mit ben Gtubiumm 
dee zomantiden Literaturen hefafien, nidpf dringend g Car 
pfohlen werben. ri 


BDerantwortlicher Herausgeber: Deinrich Brockzaus. — Diuk und Werlag von F. ex. Brockhans in Beipzig. 





Blatter 


für 


literarifche Unterhaltung. 








(Befhluß aus Nr. 176.) 


Die Waffen in diefem Kampfe find ungleih. Der 


Kirche fehle weltliche Gewalt, und ſobald das Schwert 
gezogen wird, muß fie unterliegen. Allein ihr Daſein 
und Regiment ift eine göttliche Einfegung, jede Belei⸗ 
digung ihres Anfehens eine Beleidigung Gottes. Was 
Gott beleidige, muß fie am beften wiſſen, fie ift daher 
ihr eigener Richter. Iſt fie auch abhängig von dem 
Staat durch weltliche Befigungen, fo ift doch ihr Beſitz 
gefeglich wie jeber andere, und ungerechter Raub deſſel⸗ 
ben muß der ewigen Seligfeit verluftig machen, was fie 
estlären und ben Thäter von ihrer Gemeinfchaft aus⸗ 
ſchließen darf. Gleichwie das geiftige ewige Reich höher 
ift als das leibliche zeitliche, fo überragt auch, die Ho⸗ 
heit der Kirche diejenige des Staats, und eine Beein- 
trächtigung berfelben ift Auflehnung gegen die hödite 
Majeftät der Erbe. Obgleich fie die Wahrheit ihrer 
Glaubensſätze nicht dem Gewiſſen ber Einzelnen über: 
Iäßt, fondern dieſelben mit Anfprud auf Ergebung feft- 
ſtellt, fo fodert fie doch gegen Einwirkung einer fremden 
nicht aus ihr felbft hervorgegangen Überzeugung Gewiſ⸗ 
fensfreiheit‘, und laͤßt fich nichts Unangemeffenes auf- 
drängen. Gegen diefe eroberte Herrfchaft des geiftigen 
Gebiets der Menfchheit ift eine Staatögewalt bei ent- 
fiehendem Streite ſtets im Nachtheil, zumal wenn das 
Haupt der Kirche wie der Papft außer Landes, und 
ein Sieg läßt fich nur gewinnen durch offenbare Gewalt⸗ 
thätigfeit, duch gänzliche Losfagung von ber Kirchen- 
gemeinfchaft, nicht nach dem Hecht innerhalb berfelben. 
Nuchloſigkeit alfo der weltlichen Macht feiert Siege über 
die geiftlihe, denn eine Zosfagung von ber leptern iſt 
entfehiedenfte Ruchlofigkeit, und nur aus Furcht vor: groͤ⸗ 
Serm Schaden ift manchmal den Ruchloſen Nachgiebig- 
Zeit und fcheinbarer Vortheil vom Kirchenregiment zu 
Theil werden, gemäß dem heidnifchen Spruch: „Dat ve- 
nam corvis, vexat censura columbas’; der in angewen⸗ 
deter Überfegung lautet: | 
Die Raben läßt man frei, die Täubchen fängt man ein; 
Dann hat das Kirchenreich ein weltliches Gedeih'n. 
Geſchichtlicher Verlauf if. nun folgenber. Selten. eut- 
ſchließen fich die Parteien zum ſchaͤrfften Gegenfag und 


— — — — — — — 
— — — — — — — — — —— — — 


28. Juni 1846. 











zum haͤrteſten Gebrauch ihrer Waffen, außer wenn die 
Umftände es ausmehmend begünftigen oder ein ftolzer 
Muth wie Gregor’s VII. alle Folgen gering achtet; vor 
dem 36. Jahrhundert wagt Feine weltliche Macht ernfl- 
liche Losſagung von der Kirchengemeinfchaft; gewöhnlich 
fuchen beide Zheile ſich Vortheil abzugewinnen, was 
manchmal gelingt und zu neuen Beftrebungen auffobert. 
Beldbebürfniffe find meiftens Urfache von Nachgiebigkeit 
wie von Härte der Regenten, jener um Beiſteuern zu 
erhalten, biefer wenn freundlihe Anſuchen abgelehnt 
werben. Materielle Intereffen find Urfache der Wider- 
feglichkeie und des Gehorſams der Geiſtlichkeit, jener 
wenn Güter gefodert, biefer wenn Vermehrung derfelben 
in Ausſicht geftellt wird. Erkrankten bie Könige, fo 
flieg das Anfehen ber Kirche, wurden fie gefund, fo fan 
es in fein früheres Map. König Wilhelm IL. wollte 
ungern das erledigte Erzbiächum Canterbury fehnell wie⸗ 
der befegen, fondern lieber felbft vor der Hand Erzbifchof 
fein, am wenigſten aber Anfelm wählen. Er wird krank, 
beichtet dieſem in der Nähe fi, befindenden Dann, und 
ernennt ihn zum Erzbifchof. Sobald der König gerefen, 
kehrt feine frühere Sinnesart zurüd, und es folgen arge 
Händel. Der Biograph erzählt diefelben nah einem 
kirchlichen Bewußtſein — es gibt bekanntlich der Be⸗ 
wußtfein viele — etwas firchenfeltig, indem der Erz⸗ 
bifhof als Kämpfer für die gerechte Sache der Kirchen- 
freiheit bargefiellt wird, ohne die Anfprüche des Welt- 
lichen auf Weitliches ganz zu würdigen, wiewol &imo- 
nie und anderweitige Willkür nicht in Schug genommen 
werben koͤnnen. 

Der König nämlich widerrief ein in der Krankheit 
erlaffenes Gnabenedict, Tief erlaffene Schulden mit Grau⸗ 
ſamkeit eintreiben, und niebergefchlagene Proceſſe wieder: 
aufnehmen. Unter feinem Vorfahren, dem Eroberer, 
ftanden die Bifchöfe, als geifttiche Lehnstraͤger, unter der 
weltlichen Macht, eine Verbindung mit Rom warb nur 
mit Bewilligung des Königs geflattet, was um fo leich- 
ter gelang, da Papft und Gegenpapft miteinander ſtrit⸗ 
ten, ja Wilhelm IH. erklärte es für ein Vorrecht ber Kö- 
mige von England, einen Papſt anzuerkennen oder nicht. 
Unfelm wollte nur unter drei Bedingungen das Erzbis- 
thum übernehmen, daß ber Kirche von Canterbury alle 
Länbereten wiedergegeben würben, welche fie früher be⸗ 


214 


feffen, daß der König in Allem, was Religion betrifft, 
feinem Rath, als Seelforger vertraue, und daß. Anfelm 
dem Bapfte Urban II. Gehorſam leiften dürfe. Wilhelm 
gab gute DVerfprehungen und Anfelm übernahm das 
Amt. Bald entſtand Zerwürfniß über ein bei neuer Be⸗ 
lehnung gebräuchliches Geſchenk. Anſelm verſtand ſich 
zu 500 Pf. St., dem geldverlegenen Könige ſchien dies 
zu wenig, er wies die Summe zurück und Anſelm ſchenkte 
ſie den Armen, ohne auf Andringen eine größere Gabe 
zu gewähren. Wilhelm unternahm nun einen Kriegs⸗ 
zug ohne den Segen des Erzbifchofs und hatte Unglüd. 
Anfelm fuchte Anhalt in Rom, wollte dahin reifen, um 
die Beftätigung feiner Würde, das Yallium, zu empfan- 
gen. Der König unterfagt es ihm und erflärt es für 
Bruch der Lehnstreue. 
Reichstag. Diefer wird verfansmelt, Die Bifchöfe wollen 
nicht entfcheiden, rathen zur Unterwürfigfeit. Anſelm 
beruft fich auf den Apoſtel Petrus und die Würde ſei⸗ 
nes Nachfolgers, die Bifchöfe verlaffen ihn, "er bleibt al- 
lein in der Kirche. Der König läßt ihm erklären, er 
werde ihm als Hochverräther den Proceß machen, wenn 
er nicht dem Papft entfage. Anſelm beharrt und bie 
Biichöfe wiffen fi) nicht zu rathen. Der König will 
ihm Ring und Stab nehmen, und ihn aus dem Lande 
jagen. Damit waren die weltlihen Großen unzufrieden. 
Sie. wollen nit ihrem Primas die Kirchengemeinfchaft 
auflagen, wozu die Bifchöfe fi) verflanden. Anſelm 
erfucht um einen Geleitsbrief nad dem nächften Hafen, 
um das Reich zu verlaffen. Dies will wieder ber Kö- 
nig nicht, aus Scheu vor dem Argerniß. Alſo wird ein 
Waffenſtillſtand gefchloffen und ferner unterhanbdelt. Bor 
Ablauf deffelden anerkennt der König Papft Urban 11. 
Anfelm will dennoch den Papſt perfönlich. fprechen, und 
ertrogt die Reife, fein Erzbistum wird mit Beſchlag 
belegt. 

Auf der Reife findet er Freunde, in Rom empfängt 
ihn der Papft mit großer Gunft und halt ein Goncil 
wider den König, befiehlt diefem in einem Schreiben, den 
Erzbiſchof binnen eines Termine wieder einzufegen, das 
Concil verbietet überhaupt, daß Geiſtliche Lehnsleute von 
Laien werden. Bor Ablauf des Termins ftarben Papft 
und König. Heinrich I., des Legtern Nachfolger, läßt ſich 
ſchnell vom Bifchofe Morig frönen, und gelobt Abſtel⸗ 
lung der Misbräuche, Anfelm kommt auf feine Ginla- 
dung nad England zurück, vermähle ihn und tritt im 
Streit mit weltlichen Großen auf feine Seite. In Ber- 
handlung über die Inveftitur ift er für ben Papſt. Da⸗ 
‚durch wird ein zweites Epil herbeigeführt, und die fromme 
Königin, welche Anſelm liebte, und mit ihm Briefe 
wechfelte, fucht ihn zur Nachgiebigkeit zu bewegen. Ver⸗ 
gebens, der Papft ercommumnicirt bie Rathgeber des Kö⸗ 
nige. Dies war Unfelm zu wenig, und er beichließt 
den König felbft zu ercommuniciren, dieſer erfährt es, 
fürdtet für feine Herrfchaft, und bat mit Anfelm in der 
Normandie eine Zuſammenkunft. Sie werben nicht ei⸗ 
nig und wollen den Papſt entſcheiden laſſen. Diefer be» 
willigt dem Könige nicht Die Inveftitur, aber doch einen 


Hierüber fobert Jener einen. 


Lehnseid, und Anſelm gehorfamt, kommt unter großem 
Jubel wieder nad England, bie Königin bereitet ihm 
allenthalben Quartier, und begrüßt Ihn aller Orten zu⸗ 

. So kann man fagen, fchreibt der Biograph, An- 
felm babe die Freiheit der Kirche erſtritten. Inzmwifchen 
wird auch bemerkt, er babe. gegen ben Papft die Selb⸗ 
ftändigkeit der Landeskirche und feine Primatialgewalt 
aufrecht erhalten. 

Ref. fuchte feinen Leſern in gebrängter Überficht die 
Bedeutung des Moͤnchthums und der Berhältniffe von 
geiftficher und weltliher Macht im Jahrhundert Un- 
ſelm's nebft deſſen eigenem Charakter vorzuführen, zumal 
in unfern Zeiten Ahnlichkeiten fih finden. Wach ber 
Ruchloſigkeit franzöfifcher Revolution gewährt fromme 
Gefinnung den Klöftern einigen Beifall; das alte Schwe⸗ 
ben und Schwanten zwifchen Kirche und Staat komme 
wieder, und bie zu Boden gebrüdte unterworfene erfiht 
Siege. Unfer Biograpb, ber zu Bonn lebt, hat unfkrei- 
tig Gelegenheit, die Beichaffenheit und Wirkungen einer 
Anfelmifhen Freiheit der Kirche ganz in der N 
wahrzunehmen. 24. 





Taſchenbuͤcherſchau für das Jahr 1846 
Dritter und legter Artikel. 
GBeſchlußs aus Nr. 178.) 

Weit bedeutender und überhaupt zu ten werthoolliten Ga⸗ 
ben der Almanadliteratur gehörig ift der Inhalt des „Ber⸗ 
liner Taſchenbuch“. Wir begegnen bier zuerft einem Bei- 
trage von Barnhagen von Enfe: „Boltaire in Frankfurt 
am Main 1753”, worin die Verhaftung des genannten Did: 
tere in der befagten Neicheftadt durch den preußiſchen Reitben- 
ten von Rreitag auf Befehl Friedrich's des Großen gemäß den 
im Pönigliden Geheimen Archiv über jenen Borgang aufbe: 
wahrten Acten ihrem ganzen Verlaufe nad ausführlich erzählt 
und mit ben theild von Voltaire felbft theils von feinem Se 
cretair hierüber veröffentlichten Mittheilungen zu unbefangener 
Bergleihung zufammengeftelt wird. Diet Zufammenftelüung 
ift um fo dankenswerther, als biefes zu feiner Zeit fo viel 
Eclat machende und noch jest intereflante Ereigniß dem Yu- 
biicum bisher nur von einer Seite befannt geworden ift, in- 
dem Friedrich dev Große es verichmäht bat, den entftellenden 
und übertreibenden Berichten von Seiten Boltaire'6 durch ir 
gend eine öffentlihe Erklärung zu begegnen. Wenn daher 
alles bis jegt darüber Veröffentligte nur zu Gunſten Boltaire's 
ſprach und des Königs Verfahren als hart und willfürlich, das 
feiner, Bevollmächtigten aber als niedrig und lächerlich erfchei⸗ 
nen ließ, fo empfangen wir hier zum erſten Mal eine artenmd- 
Bige Dorftellung im umgekehrten Sinne und gewinnen daraus 
die Überzeugung, daß dad gegen Voltaire beobachtete Berfah- 
ren zwar nicht ohne arten e geblieben, aber keineswegs zu 
jener Ungerechtigkeit und Grauſamkeit ausgeartet iR, „weiche 
Boltaire und feine Freunde darin haben finden wollen, ja daß 
der Dichter das Meifte von Dem, was wirklich geſchehen, durch 
fein undankbares und rüdfichtslofes Betragen gegen feinen eif: 
rigften Freund und Gönner, fowie durd fein arglifliges und 
ſchalkiſches Benehmen gegen die Erecutoren des koͤniglichen 
Billens felbft verfchuldet und faft gefliffentlich herbeigeführt 
bat. Bon allen den Intriguen und lofen Gtreichen, die 
er ben Mefidenten Freitag und beflen Beiftand, den Ho 
Schmid, in Werlegenheit zu fegen und zu härtern Maßregeln 


‚zu reizen ſuche, wollen wir bier nur des einen gebenfen, ben 


er in Some —— wohn man A ae 
nogenen zurüdgeführt ‚ gut führung 
bringt und den fein —2 llini ſelbſt folgendermaßen er⸗ 





Ikır 


zählt: „Ses yeux s#tinselaient de fureur et se levaient de 
temps en temps vers les miens, comme pour les interroger. 
Tout à coup, appercevant une porte entriouverte, il 8’y 
röcipite et sort. Miadame Schmid compose une escouads 
e courtaude de boutique et de trois servantes, se met & 
leur t#te et coust apres le fugiüf «Ne puis-je donc, 
»’scria-t-il, pourvoir aux besoins de la nature?» On le 
lui permet; on se range en cercle autour de lui, on le ra- 
mene apres cette operation.” Weiterhin bringt Eollini noch 
folgenden Umftand nach: „Tandis qu'il 6tait dans la cour de 
Schmid, occupe à satisfaire aux besoins de la nature, on 
vint m’appeller et me dire d’aller le secourir. Je sors, je 
le trouve dans un ooin de la eour, entours de personnes 
qui l’observaient de crainte qu’il ne prit la fuite, et je le 
vois courbe, se mettant les doigts dans la bouche et fai-' 
sant des eflorts pour vomir. Je m’6crie, eflrayd: Vous 
trouvexr-vous donc mal? il me regarde, des larmies sor- 
taient de ses yeux; il me dit a voix basse: fingo.. Ängo.. 
(je fais semblant). Ces mots me rassurerent; je fis sem- 
biant de croire qu’il n’etait pas bien, et je lui donnai le 
bras pour rentrer dans le comptain’” Dann heißt es wei- 
ter: „En rentrant dans le comptoir, Schmid, qui se croit 
offense personnellement, lui crie: «Malheureux! vous serez 
traite sans pitie et sans menagement,» et la valetaille re- 
commence ses criailleries. Voltaire, hors de -lui, s’dlance 
une seconde fois dans la cour; on le ramäne une seconde 
fois.“ Da fi) nun zu derartigen Redereien aud) wirklich bös⸗ 
willige Anfeindungen und Verdächtigung gefellten, jo war es 
natürlich, daß feine Gegner auch ihrerfeits alle ihnen zu Ge 
bote ftehenden Mittel zu ihrer Sicherftelung aufbieten muß 
ten und fich genöthigt fahen, Wege einzufchlagen, an die fie 
fonft nicht gedacht haben würden. Freilich trägt auch bern 
erfönlichkeit wieder einen großen Theil der Schuld: denn of» 
enbar dürfte es einem Beifte von der Boltaire'fchen Beweg⸗ 
lichkeit ganz unmöglich geweſen fein, den fteifen preußiichen 
Zöpfen gegenüber den franzöfifhen Schalt gänzlich zu verleug- 
nen. Diefer Gontraft ftellt fi) während des ganzen Conflicts 
ſehr ergöglich heraus und gibt der actenmäßigen Darjtellung 
diefer Angelegenheit ein faft dramatiſches Gepräge, fodaß wir 
den Auffag auch ald Unterhaltungsmittel empfehlen fönnen. 
Der zweite Auffag: „Die Zukunft der deutfhen Bühne”, 
von Melhior Meyr, greift die vor einiger Zeit fehr leb⸗ 
haft erörterte Streitfrage wieder auf, ob von der Wiederbele: 
bung und Aufführung daffiiher Stüde bed Alterthums und 
fremder Nationen für die deutfche Bühne Heil und Segen zu 
erwarten fei oder nicht, und fchließt fich entfchieden derjenigen 
Fraction an, welche bdiefe Brage bejaht hat. Die Gründe, 
welche er für dieſe Unficht beibringt, find wenn nit neu 
doch wohl entwidelt und laufen im Allgemeinen auf den zuerft 
von Goethe ausgeſprochenen Gedanken hinaus, daß Deutfch 
Iand berufen zu Fin heine, eine Weltliteratur zu begründen. 
Au wir find im Ganzen nicht gegen bie Darftellung, antiker 
und fremder Meifterwerke und hegen überhaupt die Überzeu⸗ 
gung, daß jede Beit erft dadurch zum Zortfchritte reif wird, 
wenn fie die Errungenfchaft früherer Zeiten in ſich zum leben» 
digen Bewußtfein und zur ungefchmälerten Anerkennung bringt. 
Nur darf, was die Vergangenheit probucirt Dir nicht als ein 
ewig unantaftbares und normgebendes Ideal fir alle Bommende 
Beiten gelten follen; vielmehr muß der Gegenwart dad Recht 
eingeräumt werden, über bie Reiftungen ber Vorzeit hinaußzu: 
eben und ſich frei ihrem eigenen Zriebe gemäß zu entwideln, 
elbft wenn die anfängliden Refultate diefer Entwidelung noch 
nicht den Stempel einer gleihen Nollendung an fich tragen 
follten. In diefer Dinficht ift von Jenen, welche die altclafft- 
fhen Dramen zur Aufführung gebracht haben, mehrfach ge 
fehlt worden. Sie drüdten mit der Hervorziehung ded Alten 
zugleid eine Geringfchägung des Neuen aus, die Kräfte, welche 
den Zobten gewidmet wurden, wurben den Lebendigen entzos 
gen, und fo Tonnte es nicht fehlen, daß ſich Die jungen, fire 


benden Talente dadurch verfüngt fühlten. mb gereizt wurden, 


mit gleicher Einfeitigfeit Dppefition dagegen zu maden. Rad 
unferer Anficht muͤſſen aber gerade die Productionen der Ges 
genwart ben eigentlichen Kern und Hauptbeſtandtheil Der Mer 
pertoires bilden und die Darfiellung antiker und fremder Stuͤcke 
muß nur auf Koften derjenigen Stüde gefcheben, welche, wie 
ber Verf. dieſes Auffages felbft zugeſteht, der zweideutigen Nei⸗ 
gung und dem ungebülbeten Geſchmack des gewöhnlichen Thea⸗ 
terpublicums zu Liebe immer wieder und wieder gegeben wer: 
den, troßdem daß fie ſich weder vor dem Forum der Kunſt 
noch der Sittlichkeit wechtfertigen laffen. Auch die Einrichtung 
von Theaterſchulen, weiche der Berf. weiterhin empfiehlt, dürfte 
nicht fo ſicher als er glaubt zum erwünfcten Ziele führen, 
fo lange man nicht die bramatifche Poeſie der lebenden Dich» 
ter felbjt, welche doch jedenfalls als die eigentliche Seele des 
Theaterweiens betrachtet werden muß, in ein günftigeres Der: 
bältnig zum Theater ſtellt. Denn mit welchen in den meiften 
Ballen unüberwindlichen Schwierigkeiten hat bis jegt noch im⸗ 


mer der dramatifche Dichter zu fämpfen, wenn er ein Wert 


von fih auf die Bühne zu bringen wuͤnſcht, wobei es nament: 
lich völlig gleichgültig ift, eb das Stüc poetiichen Werth hat 
oder nicht. Zwar pflegt man einzuwenden, die meiften Stüde 
der jungen Dichter feien nicht bühnengerecht, fie effectuirten 
nicht, ihre Berfafler müßten erſt die theatraliihen Verhältniffe 
näher fludiren. Das iſt zum großen Theil wahr; aber ift 
denn der Bühneneffect das Einzige, was zu berüdfichtigen ift? 
Sind nicht zunächft die reinpoetiſchen Elemente darin in Bes 
tracht zu ziehen? Und wenn diefe Hoffnungen erwecken oder 
gar ſchon etwas Anerkennungswerthes leiften, ift es dann bil 
(ig, den jungen Dichter ohne weiteres zurucdzumweifen? Wo 
und wie ſoll derfelbe überhaupt die theatralifchen Verhältnifie 
Bennen gelernt haben? Und wo und wie fol er Gelegenheit 
finden, die Lücken, um berenwillen man ihn zurüdweift, aus 
zufüllen, wenn ihm gerade von den Bühnendirectionen jede 
Gelegenheit abgejchnitten wird? Kann man auf dem Trocknen 
fchwimmen lernen? Wielleicht aber meint man, ed genüge für 
diefen Zweck, das Theater fleißig zu befudhen und diejenigen 
Stüde zu fludiren, die fih von dieſer Seite befonderd aus⸗ 
zeichnen. Aber da ift man in großem Irrtum. Der Dichter 
muß die Erfahrung an ſich felbft, an feinem eigenen Stüde 
machen. Man weile daher feine erſte Arbeit, felbft wenn fie 
in theatralifcher Beziehung Manches zu wünfden übrig läßt, 
nicht von vornherein fo fihnöde zurüd; man bringe fie viel- 
mehr, vorausgejept daß fie nur Enft defien würdig ift, viel 
leicht mit Zilgung der offenften Berftöße auf die Bühne, 
man laſſe ihn felbit einftudiren und ftehe ihm dabei nur lei» 
tend zur Seite: da wird er lernen, da wird er einfehben wo 
es fehlt, wo es zu viel ift, was wirkt, was ergreift, was be: 
Iuftigt, was darſtellbar, was echt dramatiih iſt. Und was 
noch mehr ift: er wird dadurch in feinem Innerften gehoben 
werden, ed wird Glaflicität und draftifches Leben in ihn kom⸗ 
men, die Welt und die Weltgefchichte wirb ihm in anderm 
Lichte erfcheinen, fie wird zur großen Bühne für ihn werden, 
voll von Charakteren, Porblungen und Scenen für die Heine 
Bühne, die jegt feine Melt geworden if. Ganz von felbft, 
ohne Bares Bewußtfein, ohne beftimmten Willen wird er ſchon 
bei feiner zweiten Schöpfung eine Maſſe von Fehlern vermeis 
den, die nur die nothwendigen Folgen feiner ungünitigen Stel⸗ 
lung zum Xheater waren, die er aber nicht ablegen kann, fo 
lange die Verhältniffe diefelben bleiben. Wielleicht wirft man 
bier die Frage ein: was denn zu derartigen Stuͤcken das Pu⸗ 
blicum fagen werde und wie bie Theaterkaſſe dabei zurechtkom⸗ 
men Fönne? Dagegen erheben wir die andere Frage, ob man 
benn dieſe Rüdficht bei der Fofkfpieligen und dem großen Pu⸗ 
blicum ziemlich gleichgültigen . Infcenefegung der „claffifchen” 
Stüde genommen habe und ob man nicht der Förderung ber 
lebenden unb flerbenden Poefie mindeftens diefelben Qpfer sul 
dig fei, die. man jich nicht fcheue für die Wiederbelebung der 
todten und begrabenen zu bringen, zumal da die Dpfer, welche 


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equemligkeit immer wieder und wieder aufgetiſcht 
Und fo viel iſt ſchon jegt nicht in Ubrede zu fielen, 
fih unter den im Druck erſchienenen Dramen nicht 
ige finden, welche auch von der Bühne herab ihre Wir- 
haben würden und welche trogdem von ben Thea⸗ 
terdirectionen zsurädigewiefen oder mindeſtens unberüdiichtigt 

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einzuhauchen. 

Die dritte Babe des Taſchenbucht iſt eine Rovelle von 
Ay. Mügge „Zwei Ehen”. Cie bewegt ſich auf dem focia- 
len Gebiete und behandelt die Gonflicte des Herzens mit den 
Intereffen der Welt und ift infofern ein paffendes Seitenſtück 
u einer ältern Rovelle Mügge's, die er geradezu „Herz und 

elt“ betitelt hat. Die vorliegende Arbeit ift nicht ohne Län⸗ 
gen und verliert fih bier und da in Partien und Scenerien, 
wie fie ſchon oft gefchildert fmd; auch die Charaktere find nicht 
erade neu und entfalten fich nicht reich und lebendig genug. 
ennoch macht fie wie alle Mügge ſchen Probuctionen, die wir 
noch gelefen haben, im Ganzen einen mwohlthuenden, in einzel: 
nen Stellen felbft tiefen und ergreifenden Eindruck, befonders 
ba, wo ed der Berf. mit Darftellung der innern Kämpfe und 
pſychiſchen Segenfäge zu thun hat. Unter den Perfonlichkeiten 
ıft jedenfalld die des Prof. Sydow die originelfte, befonder® 
in der Scene, in welcher er dem Freiherrn von Polenz auf bie 
trodenfte Weiſe von der Welt zu verftchen gibt, daß er ein 
Schwachkopf fei und daß er ſich den Appetit nad der reichen 
Aurelie müfle vergeben laffen. „Es ift ein Gericht”, fagt er 
ihm, „das Kömig Midas nicht vertragen Fonnte; ein Schau: 
gericht, Bold, deoch ein gemwöhnliher Magen geht daran zu 
Grunde. Überhaupt aber, fuhr er Lächelnd fort, laſſen Sie es 
fi geſagt fein, König Midas’ Gefchichte hat viel Warnendes 
für Ste. Rehen Sie zum Bacchus, daß er Sie vom ungenießba- 
ven Golde rette und nehmen Sie lieber an, was er Ihnen jonft 
bieten mag. „Herr Profeffor, fügte Polenz mit hoͤflichem Spott, 
nehmen Sie meine ewige Dankbarkeit für Ihren guten Rath; 
ih bedaure nur, daß meine Seit mir nicht erlaubt, mehr davon 
hören zu koͤnnen. Das paßt fich vortrefflich, erwiederte der 
alte Herr mit der größten @leichgültigkeit, ich wüßte auch 
nicht, was ih Ihnen fonft noch rathen ſollte. Er nahm Hut 
-und Stock ımd hielt dem Freiherrn feine Dofe hin. Nehmen 
Sie eine Briefe, fagte er, das kühlt das Blut und ſchaͤrft das 
Rachdenken. Run weiß ich Loch, «erwiederte diefer das Zu: 
mutben ablehnend und rachſüchtig geftimmt, woher alle Ihre 
tiefen Sedanken ftammen. Der alte Herr grinzte ihn an. 
Und Sie, fagte er, Sie fchnupfen nie, das flieht man; es 
ft Jammer und Schade.” 48, 





Siblisgrephie. 
Bolzano, B., Dr. Vinc. Jullus Edier v. Krombhols 
nach seinem Leben und Wirken. Prag, Haase Söhne, 
Gr. 4. 18 Neger. 


Hanke, Henriette, Gifeiebe. Noman. Zwei Bänke, 
Hannover, Hahn. Br. 12. 3 Zhir. 3 Rar. 

tien chriſtlicher Weisheit. Aus Bendion’s religiäfen 

em, gefammeit von U. Gebauer. Stuttgart, GR. 
&r. 16. 13 Rgr. 

Phillips, G., Ueber das Studium der Geschichte, 
insbesondere in ihrem Verhältnisse zu der Rechtswissenschaft. 
Mänchen. 4. 7 Ner. 

Realis, Mänke und Gchwänke der heimatlihen Borzeit, 
Hiſtoriſche Rovelien, GEhronifblätter, Dris« und Wamilienfogen, 
ee Graf und Scherz. Wien, Pfautſch und Gem. 
Sqhlegel's, U. W. v., ſaͤmmtliche Berke, beranige 
oe von €. Böding. Iter Band. — U u. d. Z.: Poetiſqe 

berfegungen und Regbildungen nebſt Erläuterungen und üb 
bandiungen. Äfter Theil. Leipzig, Weidmann. 8. I Wir 

_— ter Band. — U. u.d.%.: Borlefungen übe 
deamatifche Kunft und Literatur. Ste Ausgabe. After Veil 
eeipnig, Weidmann. 8 I Thir. 

Hödler, F., Die Chemie als geiftig bildende: Moment 
für den Unterricht in Gpmnafien. Eine Rede. Braumſchweig, 
Bieweg und Sohn. Gr. 8. 5 Kor. 

Siedenburg, ©. D., Dr. Martin Luthers Lehen ww 
Birken. Ubendunterhaltungen einer Familie. Ein Bud fir 
bie Jugend und das Boll. Didenburg, Schulze. 12. WR 

Stimmen evangelifcher Wahrheit aus der Brüdergemeinde, 
Auswahl aus Binzendorf'8 und Albertini's Schriften von 1. 
Gebauer. Stuttgart, Caſt. Br. 16. 14 War. 

Wolff, O. L. B., Hausschatz englischer Possie. Aus 
wahl aus den Werken der bedeutendsten englischen Dich 
ter seit Chaucer bis zur Gegenwart, in chronelogischer Ort- 
nung, begleitet von biographischen und literarischen Eis- 
leitungen. Zugleich Handbuch der englischen Poesie und 
ihrer Geschichte. Leipzig, Vereinsverlagsbuchbandlung. 
Lex.-8. 1 Thlr. 


Zagedliteratur. 

Bretſchneider, K. G., Über die jegigen Seweg 
in der evangeliſchen Kirche Deutſchlands. —** Pin 
derung des Friedens. Leipzig, Ph. Reclam Gr. 8. 10 Rar. 

Eichler, 3. &., Die Pflichten gegen König und Bater- 
land, die Unterfcheidungsiehren ber evangelikgen Kirche usb 
eine kurze Überſicht der chriſtlichen Kirchengefchichte, für den 
Schul: und Eonfirmationsunterricht zufammengeftellt. te Auf 
lage. Glogau, Sünther. 1815. 8. 2%, Kar. 

Harleß, ©. ©. A., Die wahre Freiheit. Predigt am 
Sonntage Subilate den 3. Mai 1546 in der Univerfitätsfi 
Bu gapis über 1. Petri 2, II-17. Leipzig, Hinrichs. Gr. 
| r 


gr. 

Das 1100jährige Iubilum der Begründung des Bisthumd 
Eichſtaͤdt, gefeiert im September 1845, nebſt den während if 
felben in der Kathebrale gehaltenen Predigten. Reuburga 2, 
Breiter. Sr. 3. 20 Nor. 

Nitſchke, A. E., Was ift von den Beftrebumgar der (e 
genannten Lichtfreunde zu halten? Ein Wort an das yratt- 
ftantifhe Voll. Bunzlau, an. 8 3 Kar. 

Die DOffentlichkeit der Stadtverordneten = Berfammlunger 
vor dem V. Provinzial-£andtage der Mark Brandenburg. Ber 
lin, Kraufe 8. 5 Rur. 

Dettingen» Wallerftein, Fürftt. v., Rede gelegen: 
lid) der Beratungen über die Anträge des Herrn Fürften voe 
Srede Betreff der Quarten und Ktöfter. Muͤnchen, Fran 

.2 r. 

Poland, F., Die Hinderniſſe einer wirkſamen Etref 
vechtöpflege, beſenders im Königreihe Sachſen. Gin mifer 
ſchaftlicher Verſuch. Leipzig, Hinrichs. Gr. 8. A Nor. 


Berantwortlicher Herausgeber: Beinrich Brockdaus. — Drud und Verlag von F. €. Brockhans in Leipzig. 








Blätter 


- für 





literarifhe Unterhaltung. 


29. uni 1846. 





Braunfchweigs fchöne Literatur in den Jahren 1745 
— 18500, die Epoche ded Morgenroths ber deut: 
ſchen fhönen Literatur. Zum bundertjährigen Stif⸗ 
tumgöfefte des Collegii Carolini, von Karl ©. 
WB. Shiller.. Wolfenbüttel, Holle. 1845 
&r. 8. 1 Thlr. 

Die Gefchichte bes 18. Jahrhunderts in Deutſchland 
ft von vorzüglicher Wichtigkeit, um die des 19. zu ver- 
fiehen. So groß die Zahl der Werke ift, welche die 
Darftellung des 18. Jahrhunderts zum Gegenflande ha⸗ 
ben, fo fehlt doch noch immer vielen und großen Par» 
tien das rechte Licht. Nehmen wir nur bie „weite 
Dälfte bes vergangenen Jahrhunderts: welch wichtige 
Fragen wurden damals nidyt blos in Schriften und Ger 
genfchriften, fondern gleich im Leben felbft, in ber Pra⸗ 


gie, durchgefochten. Auf dem Webiete der Religion, ber | 


Kirche, der Philgfophie, der Politik, der Pädagogik, ber 
fchönen Literatur, überall erſchienen die kraͤftigſten Ge⸗ 
senfäge, überall Anfänge zu neuen Mefultaten und neuen 
Zuftänden. Diefe neuen Zuftände begannen fich zu ge- 
ſtalten nicht blos in dem Bürgerſtande, fondern auch im 


ber Republik der Gelehrten, nicht blos im Volk, ſondern 


anıh auf Thronen — man denke nur an Friedrich dem 
Großen und an Joſeph II, die Beide ein großes Heer 
von Nachtretern umter den Heinen Fürſten hatten —, 
nicht blos in öffentlihem Kampf, fondern auch. m heim⸗ 
licher Rüſtung, namentlith der Jefuiten, der Ilumina⸗ 
ten und felbft dee Freimauver. Ein organifcher Zuſam⸗ 
menbang aller diefer einzeinen Momente ober Partien 
-ift nod in feinem biftorifchen Werke pragmatiſch darge- 
flelle; man findet Hier und dort höchftens Rinenmente da⸗ 
von ober Vorarbeiten dazu. Sofern folhe Morarbeiten 
eine notbwendige Grundlegung find, nerdienen diefelben, 
fobald fie ſorgfältig und mit Einſicht ansgeführt find, 
Anmerkenung. Das. vorliegende Buch ift mehr als 
bloße Vorarbeit. Der Def. führt ‚einer heil ber 
Geſchichte des vergangenen Jahrhunderts mit Ge- 
wauigkeit und Geſchick aus. Er bet sin tüchtiget 
Zalent für fie Darſtellung im feinem Bude mani« 
feſtirt. Es iſt ihm Ernſt mit feinen Begenflande; er 
hat Studten gemacht; feine Angaben find durchweg 
wohl begrundet; Der Gegenſtand gilt ihm mehr als eine 


abexäiche Boum, weile von vielen derzeitigen Schriftſtel 


lem für Weſen ausgegeben wird. Unſer Verf. ver⸗ 


ſchmaͤht es, durch einen ſogenannten intereſſanten Vortrag 
Unkundige oder Zerſtreuungsbedürftige zu unterhalten; 
unterhalten will er überall gar nicht; aber von gelehr⸗ 
tem Wuſt iſt in feinem Werk ebenſo wenig zu finden 
wie von biendendem Raifonnement und Hypotheſen⸗ 
macherei — ein Befchäft, wodurch in. den legten Jahren 
nicht Wenige fich einen Namen zu machen verſucht ha⸗ 
ben. Wie gefagt, unfer Verf. wollte nicht zur Unter - 
haltung und zum Zeitvertreib fchreiben; fein Gegenſtand 
ift dazu viel zu wichtig; aber er fihrieb fo, daß nicht 
blos bie Literatur und Gefchichtsfumdigen, fondern daß 
jeder gebildete Deutſche es wagen darf, Dies Buch im 
die Hand zu nehmen, und es wird ihm einen Zuwachs 
an Bildung gewähren. 

Der Berf. hat nun fein Werk in folgender Welfe 
angelegt. Der erfte Abfchnitt führt in einer Einleitung, 
beren Material ganz gefchickt zufammengebrängt ift, den 
Lefer durch bie deutſche Literatur von Luthers Zeit bis 
auf die Gründung der fogenannsen „Bremer Beiträge”, 
atſo bis auf den Zeitpunkt, wo bie in Braunſchweig 
lebenden Literaten theils kritiſirend, theils producirend, 
theils anregend, theils verbreitend, cheils erſindend, theil® 
reproducirend und überfegend auftreten. Im zweiten 
Abſchnitt werden dann Braunfchmeige literariſche Rota⸗ 
bilitäten aus dem Zeitraum von 1745 — 1000 vorge⸗ 
führt. Diefer Theil iſt der umfangreichfle des ganzen 
Buche, er beginnt Seite 25 umd endet Seite 195. Bier 
führt der Berf. alle die deutſchen Autoren, Dichter, Puͤ⸗ 
bagogen, Philoſophen, Zhenlogen vor, die von Braun⸗ 
fhweig aus ſich ein Berbienft um beutfcye Literatur er- - 
werben haben; nämlich Jerufalem, Gärtner, Zachariä, 
Ebert, Konrad Arnold Schmid, Eſchenburg, Leſſing, 
Leifewing, Mauvillon, Stüve, Campe. Von jedem ber 
Genannten gibt der Verf. nicht etwa gufällige, fondern 
allemal charakteriſtiſche ‚Bebensnachrichten .uub welſt ei⸗ 
nem Jeden feine Stellung zur Literatur, Wiſſenſchaft, 
Kun und Leben nah. In diefen Nusführungen ler⸗ 
wen wir ben Desf. überall als einen Mann kennen, ber 
nicht in einem Philoſophiſchen Syſtem gefangen fügt, ſon⸗ 
dern ber ſelbſt ficht und ſelbſtändig urtheilt; er hat einen 
gefunden Takt für das Richtige; das Abſprechen, das 
Hin» und Her⸗ und Her⸗ und Hinraiſonniren mancher 





18 


Literaten, dieſes jämmerliche Drefchen leeren Strohs, 
ſcheint dem Verf. verabfhenungsmürdig zu fein. Selbſt 
wer mit der Literaturgefchichte näher vertraut ift, wird 
ohne Zweifel mit diefem Abſchnitt manche Lüde feiner 
Kenntniffe ausfüllen können; Manches, mas als Notiz 
aus einem Handbuche ſich Ins andere hinüberſchlich, er- 
fheint hier in feinem reellen Zufammenhange. Selbft 
Bouterwet und Gervinus haben in ihren umfang- 
reihen Werfen den Theil der deutfchen Kiteraturge- 
fhichte, den ber Verf. bearbeitet bat, kaum ange- 
deutet, gefchrweige benn die Lineamente zu ber von 
ihm gegebenen Ausführung mitgetheilt. In Diefer 
Ruͤckſicht ſchon fteht fein Buch weit über dem Prug'- 
(hen vom Hainbunde, weil dies Iegtere nichts ale 
eine Ausführung zu Gervinus' Andeutungen ift; unfer 
Verf. har alfo auch noch den Vorzug, daß er etwas 
Neues thut und gibt. 

Mit Recht eröffnet der Verf. die Reihefolge braun- 
ſchweigiſcher Notabilitäten mit Jerufalem, dem Va⸗ 
ter des jungen Serufalem, ber fi in Weslar erſchoß, 
ein Greigniß, von welchem Goethe den Stoff zu „Wer—⸗ 
ther's Leiden” nahm. In Deutfchland wird Jerufalem’s 
Verdienft gewöhnlich nur auf das eines guten Kanzel: 
rebners befchräntt; feine befanntefte Schrift heißt: „Be 
trachtungen über die vornehmften Wahrheiten der chrift- 
lihen Religion.” Allein Serufalem war nicht nur ein 
guter, er war ein großer Kanzelredner, und wenn auch 
Mosheim mehr Schwung hatte, fo übertrifft ihn Jeru- 
falem durch Reichthum der Gedanken und Ziefe ber 
Philoſophie. Jerufalem war für bie Literatur Deutſch⸗ 
lands von wefentlicher Bedeutung; obwol nicht ohne 
Sympatbien für hollänbifche und englifche Gelchrfam- 
keit, war er doch durch ımb durch deutſch. In einer 
Schrift „Über deutfche Sprache und Riteratur” (Berlin 
1781) verfuchte er es, das Buch Friedrich's des Großen 
„Sur la Hitterature allemande 1780” zu widerlegen; 
Gervinus hat den Werth dieſer Defenfion viel zu ge- 
ring angefchlagen. Noch mehr, Ierufalem drang überall 
darauf, daß die Mutterfprache ber wichtigfte Gegenfland 
bes Unterrichts werde; er behauptete, nicht das mate⸗ 
rielle Wiffen, fondern der Geiſt fei es ber lebendig 
made, und daß, weil die Schönheit die Krone‘ der 
ganzen materiehen Welt und das Endziel der Wahrheit 
und Sittlichkeit fei, vorzugsweife durch Belebung des 
Schönheitsfinnes auf die wahrhaft harmoniſche Ausbil⸗ 
dung zu wirken fe. Hier beginnt der Zuſammenhang 
Jerufalem’s mit ber von Gottſched's Schule ſich abfon- 
dernden und freier werdenden bdeutfchen Literatur ober 
vielmehr mit dem Geiſte derfelben, ben Gärtner unb 
bie Mitarbeiter an den „Bremer Beiträgen” zu weden 
und zu verbreiten fuchten. SJerufalem bat einen ganz 
unglaublichen Einfluß auf Deutſchlands Bildung dadurch 
ausgeubt, daß er den Herzog Karl von Braunfchweig 
bewog, das Collegium Carolinum zu fliften, eine Schule, 
worin die Grundſitze der neuen Bildung unter die Glaffe 
ber @efellfchaft verbreitet wurden, welchen Intelligenz 
zu aller Zeit ein Bebürfnif war. 


Zu den duch Jerufalem nad Braunfchmweig berufe- 
nen und um bie Literatur verbienten Diännern gehört 
sunähft Gärtner, der Freund von Bellert, Rabener und 
I. U. Cramer. Diefe Alle riffen ſich von Gottfcheb les 
und bildeten in Leipzig einen Verein, duxch den ein 
beffere Schule in der Literatur begründet wurde. Die 
fee Verein vegte zu Productionen an; fogar Klopftod 
publicirte Die erften Theile bes „Meſſias“ in den von 
ihnen herausgegebenen „Bremer Beiträgen”. Gärtner 
machte fich in feinen Poeften ſchon frei vor der alter: 
thamlich fleifen Manier feiner Vorgänger (namentlich 
feine dramatifhen Verſuche verdienen dies Lob); aber er 
hatte doch nicht geiftige Energie genug, um ſich fo_frei 
zu bewegen wie bald nah ihm Leffing wagte Ubri- 
gend wurbe Gärtner, wie auch der Verf. anmerkt, darch 
feine geiftreiche Kritik für die ſich entwidelnde Seriode 
ein kräftiger Hebel. 

Auch Zachari ä, der bekannte Verf. des, Remommiſten“ 
bes „Schnupftuch“ und aͤhnlicher Sachen, war Lehrer 
am Earolinum. Als Poet kam er nicht weit über Boi- 
leau und Pope, feine Vorbilder, hinaus; aber feine 
Schilderungen haben doch den Vorzug großer Natur 
treue. Kleine dramatifhe Sachen Zachariä's wurden 
von ber Ackermann'ſchen Geſellſchaft dargeſtellt; wichti⸗ 
ger war es, daß Zachariä Linguet's, Spaniſches Thea⸗ 
ter” und Milton's„Verlorenes Paradies” überfepte. 

Ein noch größere® Verdienſt erwarb fi um bie 
Verbreitung englifcher Poefit in Deutfchland Ebert, 
gleichfalls Profeffor am Garolinum; er überfegte ben 
Young, und welchen Einfluß diefer Dichter nament⸗ 
lich auf Klopftod ausübte ift bekannt. In ähnlicher 
Weiſe wie Ebert, aber in größerer Ausdehnung wirkte 
Efhenburg. Bor diefer Zeit war Shaffpeare nur höchſt 
unvolllommen ins Deutfche überfegt; Eidyenburg lieferte 
die erfte beffere Überfegung, ein Verdienſt, was Ghie 
gel, der doc, auf feinen Schultern fteßt, durchaus nicht 
binlänglich anerkannt Hat. Auch für das Studium ber 
alten Poeſie war Eſchenburg thätig; feine Lehrbücher 
der alten Literatur find felbft jegt noch Hier und ber 
in Gebrauch. 

Auch Leffing widmet unfer Verf. einen Abſchnitt, 
eine höchſt geiftreiche Partie des Buchs, worin na 
gewiefen wird, bag ber Gulminationspuntt von Ef 
ſing's Thaͤtigkeit in die Zeit des braunſchweiger Wafent- 
halte fallt; in hoͤchſt intereffanten Ausführungen wirb 
mitgetheilt, in welcher Weiſe Leſſing's dasmaliges Ber: 
hältniß, feine Freunde, bie Bibliothek, die Einſamkeit, 
Einfluß auf feine Werke gewann. Übrigens ift der Bar. 
Weltbürger genug, um 2efling ganz in feiner welthiſte 
riſchen Bebentung zu faffen. 

Nicht am Collegium Carolinam angeftellt war ber m 
Braunfchweig lebende Johann Anton Lkeifewig, übe 
deſſen Perfönlichkeit und Wirkſamkeit Manches milge 
theilt wird, mas bisher wicht allgemein bekannt war 
Leifewig war perfönlich befreundet mit Wieland, Geethe, 
Herder, Getter, Leſſing und Lichtenberg; Leffing ſcheich 
die Autorſchaft des „Julius von Tarent“ anfangs Ge 


719 


the zu und freute fich nach entdecktem Irrthume, daß 

in Deutſchland nur zwei ganz ausgezeichnete Köpfe waͤ⸗ 

ren, nämlich Goethe und Leifemig. Schiller mußte in 

feiner Jugend den „Zulius von Tarent“ auswendig. 
(Der Beſchluß folgt.) 





Die Berfaffung der Kirche der Zukunft. Praktiſche Er» 
läuterungen zu dem Briefmechfel über die beutfche 
Kiche, das Episfopat und Zerufalem. Mit Vorwort 
und vollftändigem Briefwechfel herausgegeben von 
Chriffian Karl Joſias Bunfen. Hamburg, 
Agentur bes Rauhen Haufes. 1845. 8. 2 Thlr. 


In Berantaffung ber von Abeken herausgegebenen Schrift: 
„Das evangelifhe Bisſsthum in Jeruſalem“, hatte der Verf. im 
3. 1843 einen Briefwechſel ‚mit dem britifhen Minifter Glad⸗ 
flone geführt, in welchem er feine Anfichten über das Epiöco» 
pat ſtizzirte. Diefen Briefwechſel hatte der Verf. bei feiner 
Amweſenheit in Deutfchland im vorigen Jahre Freunden mit- 
getheilt und auf deren Auffodern fodann als Handſchrift für 
—— drucken laſſen. Dadurch wurden einzelne Sätze in 

eitſchriften verbreitet, aber nach des Verf. Meinung in un: 
richtigem Verſtändniſſe. So ſah er fi veranlaßt, feine Ge: 
danfen in dem vorliegenden Buche audzubauen. Daffelbe fol 
die „praßtifche Kirchenverbefferung” umfaffen und „alle Gelehr⸗ 
famPeit bei Seite gelegt, einfah, aus wefentlich zugeftandenen 
Srundfägen und aus den Bebürfniffen der Gegenwart heraus 
die verftandige und praftifche Grundlage darlegen, die der Verf. 
für fein Bekenntniß in ſich vorgefunden”. | 

Das Wert beginnt mit einer Einleitung: „Das chriftliche 
Prieſterthum, der Staat und ber Pirdhliche Beruf der Gegen: 
wart.’ 

„Ale vorchriſtlichen Religionen hatten ein Priefterthum, 
weil Priefter und priefterliche Opfer. Diefe waren entweder 
Sinnbilder der felig gefühlten Verbindung mit dem Göttlichen 
( Dankopfer) oder Anerbietungen für die wegen der Sünden 
erzürnte Gottheit (Sühnopfer). Das wahre Opfer wurde aber 
nie vollbracht; die Lücke zwifchen der Gottheit und tem Men: 
fhen nie gefüllt. Der Streit zwifchen dem unbeugfamen Sit⸗ 
tengefetge, welches vollkommene Heiligkeit fodert, und dem wirk⸗ 
lichen Thun und Leben, welches dem Gewiſſen Unvolllommen: 
heit und Abfall zeigt, blieb ungefchlichtet, underfühnt. Chri⸗ 
ftus loͤſte dieſen unfeligen Streit. Gr vollbradhte das große 
Berföhnopfer der Menſchheit vermitteld feiner perfönlichen 
Hingabe. Diefe ift das wahre Opfer und wird als von der 
Bernunft gefoderte ewige That und Selbftentäußerung Gottes 
Durch das Gefühl der perfönlich-fittlichen Werantwortlichfeit im 
Glauben ununterbrodhen zum Reiche Gottes hin fortgefegt. 
Daraus entipringt dad allgemeine Prieſterthum, weil ein Jeder 
fih felbft feine Perſon, fein Inneres oder fein ganzes Leben, 
wie Chriftus felbft, zum Dpfer bringt, bingibt. Das wahre 
Dankopfer wurde der durch GBottesdienft und Leben, im Geifte 
und in der Wahrheit dargeftellte unmittelbare Verkehr des 
Menfchen mit Gott, die Bethätigung des allgemeinen Prieſter⸗ 
thums. Es ift Par, daß jene große fittlihe Idee 
zu ihrer vollen, naturgemäßen und gefunden Ent: 
wicdelung ein hriftiihes Volk und einen Kriftlis» 
hen Staat fodert, obwol fie in ihrem Keime nur 
Der hriftlihen Kamilie bedarf und unter Reronen 
erftarten kann. Die Reformation machte folche Heraus» 
ftellung des allgemeinen Prieſterthums in einem weltgeſchichtlich 
gebildeten Bolfe und Staate möglich, aber damit nicht wirk⸗ 
Lil. Die folgenten Jahrhunderte erzeugten bie bürgerliche 
Freihcit; dieſe iſt aber nicht geſichert und kann nicht wohlthaä⸗ 
tig wirken ohne daB das freie Volk ein lebendig chriſtliches iſt. 
Daher iſt eine freie Kirchenverfaſſung ein kritiſches Moment 
der Gegenwart. Jegtt oder nie ift die Beit, daß die Biegiezun: 


gen und Volker ſich aufflären über das Chriſtenthum, fiber bie 
Bedeutung der Kirche und ihrer Verfaffung. Namentlich iſt 
für die evangelifche Landeskirche Preußens der weltgeſchichtliche 
Beitpunft gelommen, welchen das Chriſtenthum im Allgemei— 
nen, die Reformation insbefondere mögli macht: die Daritel« 
lung einer freien, nationalen, durch und durch volksthuͤmlichen 
Gemeinde, welche fi als Theil der allgemeinen Kirche Chriſti 
erkennt, darſtellt, fortpflanzt, erhält und regiert.“ 

‚ Diefes find bie Ideen bes Berf. Zu der criftlichen haben 
wir nichts hinzuzuſetzen. Nur die Vorſtellungen von Menfch» 
beit, Bamilie, Bolt und Staat und bürgerlicher Freiheit, deren 
Inhalt überall das Chriſtenthum fein fol, werben, wie fie der 
Berf. gegeben, einer nähern Beleuchtung bedürfen. Wenn der 
Berf. fagt, dur das Chriftenthum fei die Herſtellung der 
Menſchheit möglich gemacht, und zwar einer ſoichen; die über 
dem Rationalen ftänte, fo wollen wir diefen Ausſpruch vor: 
läufig nur wegen feines Zufammenhangs mit den übrigen Be: 
hauptungen des Verf. prüfen. Er hängt aber mit der ganzen 
Bolge nicht zufammen, denn derſelbe fagt weiter: es fer Mar, 
daß die chriftliche Idee eines Volkes zu ihrer Entwickelung be 
dürfe, wenn fie glei in ihrem Keime nur der Familie 
bedürfe. Run aber ift eben die Familie das Einfache der Bors 
ftellung einer allgemeinen Menfchheit; beide Begriffe find ab- 
ſtracte, während Volk und Staat das Befondere, Concrete find. 
Wenn alfo der Keim der chriſtlichen Idee in der Familie wur: 
zeln und in die Menfchheit hineinwachfen fol, fo ift damit zu: 
gleich die Aufhebung des tiefer liegenden Begriffs des Volkes 
und Staats gegeben und der Ber) kann fo nicht fagen: es 
fei Elar, daß ein Volk nöthig fei. Diefe Klarheit ergibt fi 
aber, wenn man die Menfchheit richtig als ein gegenmwärtiges 
Bolt anfhaut. Die Welt ift die Anhaufung des Dielen, des 
Raums; Lie Menfchheit Die Potenzirung ded Ginen, der Zeit, 
und dieſes Eine ift das Volk, d. 5. aber das gegenwärtige 
Volk ber Geſchichte. Das war einft zu einer gewiſſſen Zeit das 
griechifche, welches Daher ein Recht hatte, Alles außer fih für 
Barbaren anzufeben, das ift jetzt das germanifche; jenes daB 
heidniſche, dieſes das chriſtliche; daher ift die gegenwärtige Fa⸗ 
milie die Hriftlihe und infofern Bann auch der chriſtliche Keim 
in der Familie wurzeln, aber eben nur in der germanifchen. 
Alles außerhalb des Germaniſchen wird nun und nimmermehr 
zum Chriftlihen werden, und wenn Miffionen und Bisthümer 
an allen Enden der Erde errichtet werden; denn germanifch 
und KHriftlih find Eins. Von diefer Einheit hätte der Verf. 
ein Recht, zu Deutfchland und zu Preußen zu kommen als Un» 
terabtheilungen des Einen; fonft begreift man in der That 
nicht, wie der Ausbau der evangelifchen Landeskirche den Chis 
nefen oder Tuͤrken zugute kommen fol, bie von folder be: 
fondern Wirklichkeit nicht einmal den Ramen kennen. Wenn 
nun aber endlich der Verf. fagt: die bürgerliche Freiheit fei 
das Außere der kirchlichen, und diefe bürgerliche Freiheit fei 
überhaupt vorhanden, alfo aud in Preußen vorhanden, deffen 
Volk ja eben auch innerlich frei, lebendig chriftlich verfaßt wer⸗ 
den fol, fo erregt das fofort ſchon den Verdacht, daß die 
vorliegende Kirchenverfaffung die Ergänzung der ariftofra- 
tiſchen Staatsverfaflung ded Hrn. von Bülow-Eummerom ift. 
Beide Schriftfteller übrigens fallen fchon, was gelegentlidh be» 
merkt werden mag, in der Schluß: Pointe zufammen, alles 
Heil in Staat und Kirche vom gegenwärtigen Könige von 
Preußen zu erwarten. | 

Wir wollen feben, ob der Verlauf des Werkes diefen Ber 
dacht benehmen oder feinen Sinn als Inhalt des Buchs bethä- 
tigen wird. 

Übergehen wir im Folgenden alle die Ausführungen des 
Berf., daß Bein Volk die Menfchheit fei, indem wir eben der 
Meinung find, daß gerade Ein Bolt die Menfchheit ift; man 
Fann wol fagen: Fein Sinnenſyſtem ift die Welt; aber dad ge⸗ 
hört Alles nicht wefentlich zum Buches Laflen wir uns vielmehr 
durch folche Fernfichten von dem befondern Wege zur Berfaf« 
fung nicht ablenken, fo finden wir alsbald folgenden Sag, ber 


uns den Sinn d n wie mit einem ſtreifenden Blige ber 
vorangebeuteten Ahnung zu erhellen ſcheint. &s heißt: „Es 
ip hiernach auch Mar, daß uns die bürgerliche und kirchliche 

erfaffung des te, alfo Stände und Synoden, zwei 
verfchiedene Ströme des Einen nationalen Lebens fein müflen, de 
zen Einigkeit am beiten gefihert wird durch ihre volltändige 
Betrenntheit. Eine evangelifche Kirchenverfafſung ift und hier 
nad nichts als die andere Seite der Berfaifung für bie 
evangelifchen Chriſten. Kein Volk iſt politifch frei ohne eine 
nationale Kirchenverfaffung für die Befennec des Evangeliums.” 
Es Fünnte den Anſchein haben, als wenn der Berf. unter den⸗ 
enigen Ständen, welche er den Gpnoden parallelifirt, repraͤ⸗ 
ntative oder conftitutive verftanden hatte, wie fie das germa- 
nifhe Bolt anfeeeht Indeſſen an andern Gtellen wird bie 
Korm der Berfaffung bes Staats der Kirche gegenüber auss 
druͤcklich für gleichgültig erflärt, und ber Berf. ſchreibt vor» 
ugsweife für Preußen und gebraucht bei dem Capitel bed Ber 
ältniffes der von ihm conftituirten preußiſchen Nationalkicche 
gegen den Staat ebenfalls die Ausdrude: Stände und Syno⸗ 
den. Es wird alfo nicht weit von der Wahrheit fein, zu ver 
mutbhen , bei diefem allgemeinen Ausdrucke „Stände“ habe der 
Verf. die von Hrn. don Buͤlow⸗Cummerow richtig interpretirte 
Nepräfentation der ariftofratifhen &lemente bed Staat ver: 
. fanden. Diefe Vermuthung wird faft zur Evidenz erhoben, 
wenn wir fehen, wie der Verf. die Ehe das Vorbild des Staats 
nennt und in dieſem theils die Darftellung des fittlichen Leben? 
ber Drenfchheit verwirklicht werden, theild derfelbe im Berein 
mit der Kirche ein Keimblatt des wahren chriftlichen Staats 
oder des Reiches Gottes fein fol; ñttliches aber und ariftoßra- 
tiſches Princip find Eins. Wir übergeben bier wiederum den 
Streit über bie policeilihe Anmaßung der deutfchen Staaten, 
über die Sittlichkeit des Volkes zu wagen, und über die Zwecke 
Des Staats überhaupt; der Verf. felbft fagt: er wolle in Feine 
literarifche Klopffechterei verwickelt werden; wir gehen lediglich 
ben Weg zur Verfaffung der Kirche geradeaus fort, vergeflen 
aber das Refultat diefer Station nicht: die Synoden der Kirche 
werden ariftofratiihen Ständen eines die Sittlichfeit produci⸗ 
renden Staats parallelifirt. 

Nachdem der Verf. in Zügen, die tiefſtes Eindringen in 
das Wefen der Formen zeigen, die beftehenden der Kirche, bie 
Eonfiftorialverfaflung, den anglicanifhen Episfopalismus, ben 
genfer, holländifchsfchottifchen Preöbyterianismus, den Indepen: 
dentismus, die, amerikaniſche Verfaſſung beurtpeilt und deren 
Schiefheiten, Überfülle oder Trodenheiten nachgewieſen hat, 
kommt er zu den „Grundſatzen der Herſtellung einer vollſtän⸗ 
bigen evangelifhen Kirchenverfaffung”. Hier ift nun zuvor 
folgender Gedanke hervorzuheben, der fo zu fagen die Seele 
des ganzen Buchs if: „Die Gemeinde entftehbt durch 
das Amt des Worts; das Amt bedingt daß Dafein der Ge⸗ 
meinde und dieſes Dafein bedingt die Entwicklung ded Reiches 
Gottes.“ Wo der Verf. dieſes hinftellt, fagt er unmittelbar 
Daneben: „Ahnlich verhält ed fi im Gebiete des Staats hin⸗ 
fichtlih Des Gegenfageß von Volt und Regierung.” Das heißt 
alfo die Negierung ift die Seele des Volkes, und wenn aud 
firdhliches und weltliche Amt an und in dem Volke fein fol: 
Im, wie der Berf. fagt, fo kann doch diefes nichtd Anderes 
beißen nach dem ausgelagten Berhältnifie, als wenn der Künft: 
ler an und in feinem Werke If, er bedingt da& Dafein deſſel⸗ 
ben und diefes Dafein wieder die Grfcheinung des Reiches der 
Schönheit. Das Reich Gottes ift dad dritte und zwar daß 
fütliche Reich, und wenn der Staat diefed auch fein foll, wos 
rin unterfcheidet ſich Bürgerliches und kirchliches Volk? Iſt bie 
bürgerliche Freiheit, die man die politiſche nennt, nicht bloß 
ein Schein? Der Verf. fagt ed ſelbſt bl, und wenn dann 
bie Regierung dad Volk zu demfelben Ende zu leiten bat wie 
dad kirchliche Amt, wenn durch die Regierung daB Volk ent 
fteht, wo bleibt dann bie gange Vergangenheit, wo bleiben die 
Begenwärtigen Nefultate der Befchichtet Alles verfchwindet 


‚rung anbahnen wird. Das ift die unvermeidliche 


vor der Bußunft, die die befte Leitung der preußi 42* 
equen, 
Man laſſe fi durch den Pomp ber Worte nicht blenden. Dat 
allgemeine Prieſterthum tft das goldene aubilb und bie 
Zehnsinfignie, welche das Amt der Gemeinde für fefkliche Zage 
umbängt; für den Werktag if fein Schmetterlingsglanz zu 
zart; will die Gemeinde davon Gebrauch machen und feibk 
gehen, fo zerbricht e8 unter folden rauhen Plebejerhänden, 
as ariftofratifche Element der Gemeinde ift e8, der Fir. 
lie Adel, Veie: dem gläubigen Bolke das Hetl verkündet, 
e6 regiert und hilft; auch der weltliche Adel ift an und in dem 
Volke; mit foldem „Un’ und „Im“ ift nicht gefagt. So wie 
Im Staate dem regierten Volke das Bewußtfein feiner leeren 
perſonlichen Eriften; übrig bleibt, das, fo lange Jemand eben 
lebt, demfelben wol nicht wirb genommen werben Eönnen, fo 
in ber Kirche das der perfönlicden Nerantwortlichleit, der leeren 
fhematifhen Gewiflensfreiheit, welche umter folgen Umftänden 
eher eine ſchreckliche Laſt als eine Ehre iſt. In fehr idealen, 
fehr zarten und ſehr erclufiven Zuftänden find ſolche zen 
gen und Poraudfegungen eine Wahrheit: die gemeine Wirklich⸗ 
it aber verlangt Genügung ihres derben, na iheit und 
Selbftändigkeit ftrebenden Willens. Das Volk fagt: Ich bin 
da, und weil ich bin, fo will ih auch Das was ich fein wil. 
Das Volk ift die Zeit und das Amt iſt ein Individuum; me 
ift nun der Erzeuger? oder wer fol nun regieren? Bir fir 
nen babei nicht unerwähnt laffen, daß der abgegangen Mini 
fter von Arnim bekanntlich anftatt das Volk und deſſen Dryane 
zu bören, von feinen Präfidenten den Volksgeiſt wie einen 
Schaum von ber Dberfläche wollte abfihöpfen und fi überre 
hen laſſen; daß ift eine Weife, wie das Wolf durch Die Regierung 
entitehen kann; das Alles find Zeichen eines gewiffen Syftemd. 
Aber die von dem Verf. aufgeftelten Amter in der Ge: 
meinde find dreifah: das Dirtenamt ober das Amt der Seel⸗ 
forger, das Amt der Regierer -und das beiden zur Seite ſte⸗ 
bende Amt der Helfer. Der Berf. kommt noch einmal jurad 
auf die geiſtliche Oberherrlichkeit der Gemeinde. Wir wollen 
nur kurz an bie Oberherrlichkeit des franzöfifchen Bolkes zu ge 
wiflen Seiten erinnern; dem Namen nach ift Alles möglid und 
klingt Alles auch fehr fchön. Es ift auch ein bloßer Rame; 
denn der Verf. vertheidigt fi) vor dem Vorwurfe des Predi⸗ 
gens der Bolköfouverainetät und reducirt endlich Die Dberhert- 
lichkeit auf die ausftromende Gewiffensfreiheit der Einzelnen, 
d. 5. auf das logiſche Schema A ift gleich A oder wie die Arith⸗ 
metifer fih ausdruden: O==(), womit man eben Richts be 
zeichnet. 
(Der Beſchluß folgt.) 





Literarifbe Notiz. 
Revolutionsgeſchichte. 

So groß auch die Zahl der auf die franzoͤſiſche Revelutien 
bezüglichen Geſchichtswerke ſcheint, fo iſt doch an folden Dar 
ftelungen, weldye die vorhandene Kiteratur mit einiger Boll 
fländigfeit und mit kritifher Sichtung verarbeiten, in Krank: 
reih durchaus noch Fein Überfluß. Was man aber hier vor 
Allem vermißt, ift Mäßigung und Porteilofigkeit, Eigenſchaſ 
ten, welche den franzöflichen Hiſtorikern nur Selten beigelegt 
werden Fönnen. Ginigermaßen hervorgehoben zu werden ver 
dient die Nevolutionsgefchichte, welche von IH. Burette un 
Ulyſſe Ladet gemeinfchaftlich herausgegeben wird. Zreilich ſehl 
diefem Werke, das auf acht Bände berechnet iſt, die Karhır 
pracht und der einfchmeichelnde Stil der Thiers'ſchen Dark 
lung oder die pointenreiche, ſchlagende Fellung Mignet't, abe 
dafür beweift e8 auf jebem Blatte, daß eb aus einem forgi 
tigen und umfaffenden Quellenftudium Bervorgegangen if, ab 
die Verarbeitung der gefammelten Materialien ift anflanliz 
und gemeflen. fi 


Brerantwortiliger Yeraubgeber : Heiurich Boo Epans. — Deut unb Berlag von F. SE, Wrockhausg in Leipzig. 


* 


> 


Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Dienftag, 


— Nr. 181. — N 


30. Juni 1846. 





Braunſchweigs ſchoͤne Literatur in den Jahren 1745 
a — 18500. Bon Karl G. W. Schiller. 
(Beſchluß aus Nr. 188.) 

Hoͤchſt intereffant iſt die Partie bes Buche, in wel⸗ 
cher unfer Verf. über Mauvillon ſpricht, diefen Freund 
bes freigeiftigen Unzer und bes gewaltigen Mirabeau. 
Der Lefer findet in dieſem Abſchnitt eine gründliche 
Beurtheilung Mauvillon's, feiner philofophifchen, religid- 
fen und Hiftorifchen Schriften. Auf bie fehöne Literatur 
Deutfchlands wirkte Mauvillon dadurch, daß er die erfte 
Überfegung des „Rafenden Roland” von Ariofto (Lemgo 
1777 — 78) lieferte. Die Mufit der Sprache, die 
Stätte des Versbaus wirkte auf die poetifchen Probuctio> 
nen ber damaligen Dichter; durch Mauvillon murbe 
Heinfe zur Überfegung ded Taſſo und des Arioſto 
angeregt, Arbeiten, die auf bie eigenen Dichtungen 
Heinſe's von großem Einfluß maren. 
Reef. fügt hier noch die Bemerkung an, baß bie 
Nachrichten über Mauvillon's Xeben und Wirkſamkeit 
fi) noch bedeutend vervolftändigen ließen, wenn beffen 
freimaurerifche Thaͤtigkeit näher erörtert würde; nament- 
lich in fein Verhältnig zu Mirabeau und zum Herzog 
Karl Wilhelm Ferdinand von Braunſchweig müßte da- 
durch. mehr Licht zu bringen fein. Referent ift überall 
ber Anfiht, daß eine Gefchichte der Freimaurerei über 
die Zuflände und das Leben bes 18. Jahrhunderts Vie⸗ 
les aufbellen würde; felbft wenn Semand den Beweis 
führte, daß bie Freimaurerei ber Gegenwart mancher 
Drten in Deutfchland jest ganz inhaltlos ift, fo wäre 
Damit keineswegs bie Behauptung gerechtfertigt, daß fie 
es auch damals geweſen fei. 

über Joachim Heinrih Campe urtheilt der Verf. 
- mit Umficht und ohne Parteilichkeitz er lobt das Gute, 
aber verſchweigt auch die zweideutigen Xhatfachen aus 
Campe's Keben nicht. Kin politifcher Charakter war 
Campe durchaus nicht; er pries die Freiheitstendenzen 
von 1789 und doch fland er mit bem Herzoge von 
Braunfhmweig auf dem freundfchaftlichften Fuße; ja, 
als Jeroͤme König von Weftfalen und alfo auch Fürft 
von Braunfchweig wurde, begrüßte er auch ben mit 
Begeifterung in einem Gedichte. in Dichter war 
Campe übrigens durchaus nicht; feine ganze vealiftifche 
Richtung widerſtrebte ber Poefie. 


Auch in Religions. 


angelegenheiten kam er über das Begriffämäßige nicht 
hinaus; wie er in allen Gebieten des Lebens das phi- 
lifterhafte Nüglichkeitsprincip vorwalten ließ, fo verlangte 
er auch von den Predigern vor Allem, baf fie halb Land- 
wirtbe und halb Arzte fein follten. Was feine Pada⸗ 
gogik betrifft, fo war er darin keineswegs originel; er 
folgte immer nur Vorgängern. Selbft in feiner Jugend⸗ 
fhriftftellerei ift er häufig matt; Peſtalozzi hatte weit 
mehr Talent dazu; Campe wird gar zu leicht kindiſch, 
wenn er einfach, natürlich und Tindlih fein will, und 
ed war ein Grundirrthum, daß er fo Vieles für Kinder 
zurichten wollfe, was entweber gar nicht für Kinder ge- 
hört oder doch nicht in dem Umfange wie er es nahm; 
ſchrieb er doch fogar eine „Moral für Kinder”, aber auch 
wieder nach einem fremden und zwar franzöfifhen Mu- 
fier. Lichtenberg hatte ganz recht, wenn er bamals 
auffoderte, man folle doch nun auch endlich einmal eine 
Hebammenkunft fir Kinder fchreiben. Allein ungeachtet 
aller diefer Vorwürfe, die wir Campe mit Recht ge 
macht haben, ja noch mehr, ungeachtet aus feiner 
Schule alle jene Leute, bie nur nah Nutzen und 
Nugbarkeit fragen, hervorgegangen find, fo bat er boch 
auh im Einzelnen mandes Gute gewirkt; er hatte 
recht, wenn er behauptete, daß ein Quentchen gefunden 
Menfchenverftandes mehr werth fei als ein Pfund Ge- 
Ichrfamfeit; er hatte recht, wenn er verlangte, daß bie” - 
deutſche Sprache fo viel wie möglich zu ihrer urfprüng- 
lichen Reinheit zurückgeführt werde, eine Anſicht, deren 
forcirte Confequenzen ihn freilich oftmals laͤcherlich wer⸗ 
ben ließen; übrigens haben feine perfünlichen Bemühungen 
und feine vielen päbdagogifchen Schriften für bie Her» 
ausbildung bes eigentlich beutfehen Elements in Deutfch- 
land viel gewirkt, und damit möchte die Verbindungs⸗ 
linie angedeutet fein, bie von Campe auf die fhöne Li- 
teratur in Deutfchland hinleitet. Wenn Ref. im Obi⸗ 
gen auch etmas fehärfer über Campe geurtheilt bat ale 
der Verf., fo flimmt er dennoch im Weſentlichen mit 
ihm überein. Ä Ä 

Nun folgt der dritte Abfchnitt, worin bewieſen wirb, 
daß die Literaturepoche Braunſchweigs von 1745 an bie 
Morgenröthe ber ſchoͤnen Literatur in Deutſchland ſei. 
Natürlih kann bie nur behauptet werben von ben 
nächften 30 Jahren nah 1745, alſo von 1745 — 755 


722 | 


denn von dem leptgenannten Zeitpuntte an ſchließen fich 
alle Iiterarifchen Bewegungen Deutfchlands, der Schweiz 
und Dänemarks aufs engfte an den weimarifchen Kreis. 
Unfer Verf. hat in biefem Abſchnitt eine ſchwere Auf⸗ 
gabe zu loͤſen; gar viele Städte zeichneten ſich damals 
durch Theilnahme an ber Literatur aus: Hamburg mit 
feinem Brodes, Hagedorn, Liscow, Leipzig mit feiner 
Gottſched'ſchen Schule, Halberftadt mit Gleim und def- 
fen Kreife, Münfter mit ber Fürftin Galligin, Darm- 
fladt, wo die Landgräfin Karoline für deutſche Literatur 
fo Vieles that — alle diefe Namen find doc von Be- 
deutung und nehmen Theil an dem Ruhme, den aud 
Braunſchweig beanfprudt; ja, noch mehr, wer könnte 
vergeffen haben, was im legten Theil jener bezeichneten 
Epoche von Berlin und Königsberg aus duch Nicolai, 
Mendelsfohn, Lefiing, Hamann gefchehen ift? Unfer Verf. 
entledigt ſich feiner Aufgabe mit Umficht und Geſchick; 
er will den Einfluß der Braunfchweiger nicht über- 
fhägen; aber fo viel ift gewiß, die in Braunfchweig 
Iebenden Literaten waren Vorgänger der großen Deut» 
chen Genies, die nach ihnen fich voller entfalten; es ift 
ein bedeutendes Verdienſt, daß Gärtner, Zachariä, Ebert, 
Mauvillon, Efchendburg u. U. auf die ſpaniſche, italieni- 
fche, vorzüglich aber, daß fie auf die englifhe Literatur 
hingewiefen haben. Bit der Einführung bes Shakſpeare 
wurde die ganze Despotie bes franzöfifchen Ungeſchmacks 
vernichtet; auch ber Kormalismus Gottſched's wurde ba- 
durch zerftört. Endlich ift noch in Obacht zu nehmen, 
daß die weimarifche Literaturepoche ganz nahe mit ber 
. braunfchweigifchen zufammenhängt. Nämlich die Her 
zogin Amalie von Weimar, die Freundin Wieland's, bie 
Schügerin Goethe's, war bie Tochter des braunfchmweiger 
Herzogs Karl und die Schülerin Jerufalem’s; fie nahm 
von Braunfchmweig die Liebe zur Literatur mit nad, Wei 
mar und errichtete dafelbft einen Mufentempel in höherm 
Stil als der in ihrer Vaterfiadt war. 

Hierauf gibt der Verf. in einem Anhange noch 
eine Überfiht des Regentenhauſes Braunfchweig - Wol⸗ 
fenbüttel in Beziehung feiner Verdienfte um Kunſt und 


Wiſſenſchaft. Diefer Abſchnitt ift eine hoͤchſt werth⸗ 


volle Zugabe. Schon vor Heinrich's bes Löwen Zeit 
begimmt der Verf.; er erzählt bie Werdienfte biefes Für⸗ 
ften um Baukunſt, Srescomalerei, Slasmalerei, Holzſchnitz⸗ 
kunſt und Metallarbeiten auf. Der Herzog Julius von 
Braunfchweig, welcher 1528 geboren und 1589 geftor- 
ben ift, errichtete die Univerfität Helmftäbt und begün» 
fligte die in der Geſchichte der proteflantifchen Dogma- 
tie vorkommenden Profeſſoren Heßhuß, Jakob Andres, 
Ehyträns und Martin Chemnig; er fliftete und erwei⸗ 
terte auch die wolfenbüttier Bibliothek und kaufte eine 
große Zahl werthvoller Manufcripte. Der Sohn dieſes 
Herzogs ift der in der allgemeinen Literaturgeſchichte 
vorfommende Heinrich Julius, Mehre feiner Schriften 
find auf der wolfenbüttler Bibliothek zu finden; nicht 
ohne Werth find feine Reden. Im I. 1605 gründete 
er in Braunfchweig ein Hoftheater, das erfte in Deutfch- 
land, und dichtete zwei Dramen; das erſte ift eine „Co- 


moedia” von Glementio Kabislan, Satrapen von Wan- . 


tus; das andere ift eine „ Tragica comoedia ”, welcher 
die Gefchichte von der Sufanna zu Grunde liegt; beibe 
Werke publicirte er unter bem Namen Hilbaldeha, das 
fol bedeuten Henricus Julius Brunsvigae ac Lunebargae 
dux edidit hunc actum (1593 — 94), Ebenſo bekannt 
aus der allgemeinen Kiteraturgefhichte ift Herzog Anton 
Ulrich, geboren 1633, geftorben 1714. Gr war al 
Kirchenliederdichter und Romanfchriftfteller fruchtbar. Gr 
ift Verfaffer der römifchen „Octavia, jenes weitläufigen 
Romans, worin er Die ganze römifche Gefchichte vom 
Kaifer Claudius bis zum Kaifer Vespafianus, alfo vom 
3. 41 biß zum 9. 79 nah Chr. Geb., erzählt; aufer 
dem kommt in dem Buche mancherlei Modernes ver, 
3. B. die Gefchichte der Prinzeffin von Ahlden, der Ge⸗ 
mahlin Georg’s J., Königs von England. Herzog An- 
ton Ulrich richtete in Braunfchweig auch eine italieniſche 
Oper ein und erweiterte die Kunftfammlungen in Salz⸗ 
dahlum. Vom Herzoge Karl, dem Etifter bes Karl 
nums, dem Befchüger von Serufalem, iſt fchon obs 
gefprohen. Sein Sohn, ber Herzog Karl Wilhelm 
Gerdinand, war nicht nur mit den braunfchiweiger Lite 
raten befreundet, fondern er ftand auch theils in perfün- 
licher, theils in brieflicher Verbindung mit Windelmam, 
Hamilton, Lefling, mit Mirabeau, Helvetius, d’Alcmbert 
und Voltaire, mit Menbdelsfohn, Garve und Pütter. 
Weiter als bis auf den legtgenannten Herzog führt um 
fer Derf. diefe Darftellung nicht herunter; auch Bona⸗ 
parte empfahl dem Hiſtoriker d’eviter la proximite du 
temps. 

Nah Allem, mas Ref. über dies Buch mitgetheilt 
bat, ift er überzeugt, daß bie Leſer diefer Relation 
angereist fein werden, das Werk felbft zur Hand zu 
nehmen. Jedem gebildeten Deutfchen, dem Literatur 
fundigen fogar, wirb die Lecture dieſes Bus eripuirf- 
lich fein. 25. 





Die Verfaſſung ber Kirche der Zukunft ꝛc. Bon Chri- 
" ftian Karl Iofias Bunfen. 
(Belhiub aus Nr. 180.) 


Der Verf. beginnt nun fpeciel preußüle Buftande zu be 
ſchreiben. Imfofern das germanifhe Volk das chriftliche if, 
wird die Volksſchule eine Stüge der Kirche fein. Aber Sir 
zeigt ſich gerade die Falſchheit des Satzes: bie Gemeinde ent- 
jteht durch das Wort des Amts. Das Ehriftentgum if cin 
Leben, fagt der Werf. mehrfach ſelbſt, und ift bad ein Ari 
liches Leben der Schule, wenn die Jugend biblüde Hiſterie 
und biblifhe Sprüche auswendig lernt? Der WWerf. muß dir 
ſes für richtig halten, denn fo wird thatſächlich in der preis 
{chen Bolksfeuke im Chriſtenthume unterrichtet und ber Bef. 
erwähnt nicht mit einem Worte ber Untauglichkeit folder Re 
thode. Dieſes Lernen und Wiſſen iſt aber das Refultat de 
Amtes des Schulworts; und mas iſt das Refultat des Kanze 
worts? Das Gefühl des Empfänglichen, weiches son dem 
Sturme der gemeinen Wirklichkeit verweht wird und nur Des 
ein perfönliches Gut bleibt, der äußerlich glndlich genug in 
das Gluͤck feiner Gefühle fi innerlich bewahren zu kaum. 
Der Wille, der das gemeine Bolf nach vorwärts treibt, eb 
fteht nur aus ber Gewohnheit an Thaten. Alſo im chriflühen 














— —— — — — — u — — 


| 123 


Thun ift ſchon die Jugend des chriftlichen Volkes gu unterrich⸗ 


ten; dieſes Thun ift aber für die Jugend die Arbeit, diefe Be⸗ 
dingung des chriftlichen Lebens, welche von dem Borialismus 
in betannter Weiſe verzerrt wird; darauf folgt, bie Übung in 
Werken der riftlihen Liebe für das Weib, in Werfen ber 
chriſtlichen Freiheit für den Mann, welche Übung die Grund« 
lage der Confirmation für das Ehriftenthum iſt. Wir haben 
hier Diefes nicht weiter auszuführen, glauben aber darauf hin» 


gewiefen zu haben, wie das eigene äußerliche Ihun das Volk 


zum innern Willen führen werde und daß das Amt des Wor⸗ 
te8 nur das fei, in ber äußerlihen Ihatübung die Jugend zu 
unterrichten, in der Predigt den ſelbſtgebildeten Willen 
in der Schwebe des göttlihen Bemwußtfeind zu erhalten, db. h. 
daß der Einzelne wife, er wirke felbftäandig mit an dem beili» 
gen, unzertrennlichen, irdiſchen Gewande unfers Herten und 
Heilandes, an ber Kirche Ehrifti, die vom lauten Klange des 
Willens erfüllt wird. Das kirchliche Amt ift ebenfo gut der 
Diener des Volles und nicht der Regent, wie allbefannt Frie⸗ 
deich der Große die Fürften die erften Diener des Volkes ge» 
nannt hat. Der göttlihe Wille des Volkes, der eigene, frei 
angebildete ift das gefchichtlich Legitimirte Souveraine. 

Der Bifchof aber und der Episkopalismus des Verf., wie 
er ſelbſt näher auseinanderfegt, ift folgender. „Der Bifchof 


ſoll veht aus dem Ddergen der Gemeinde hervorgehen. Yürft 


und Gemeinde müffen aber naturgemäß zur Wahl und Ernen> 
nung des Bifchofs mitwirken, fodaß der Fürft entweder die 
firchlie Ernennung aus vorgefchlagenen Candidaten oder die 
unbedingte Betätigung und Verwerfung babe.’ Sollen wir 
hier nochmals an die Oberherrlichkeit der Gemeinde erinnern, 
jene glänzend ausgefhmüdte Wand, vor welder bie han: 
beinden Perfonen ihre Rollen ſpielen? Die Verfaſſung der 
„felbftändigen, fich felbft verwaltenden (db. h. getrennt von ber 
unmittelbaren Einmiſchung des weltlichen Regiments) Kirche 
der Zukunft“ beruht aber wefentlich auf dem bifchöflihen Spren⸗ 
el, der „Mittelfphäre‘, alfo dem ftrablenden Centrum der 
rts⸗ und Landgemeinde. Die Hauptpunkte der Verfaſſung 
find vom Verf. felbft in Folgendem zufammengeftellt: 

I) Die kirchliche Oberherrlichkeit ift bei der vollen Kirchen» 
gemeinde in Gefeßgebung und Regierung. 2) Die volle Kir: 
hengemeinde ftellt fih nad unten als Drtögemeinde dar, nad 
oben als Randesgemeinde. Zwiſchen beiden Sphären liegt die 
der unabhängigen Kirche des Firchlichen Kreifed oder Spren⸗ 
geld, mit dem Bifchofe und Kirchenrathe in der Mitte. 3) Die 
Berwaltung ift allenthalben in den Händen von Vorſtaͤnden, 


an deren pipe immer ein Geiftticher ſteht. &o hat der Ge— 


ir a den Pfarrer, der Kirchenrath den Biſchof, der 
Landeskirchenrath den Metropolitan⸗Biſchof an der Spitze. Go⸗ 
wol das Amt des Wortes als das Amt der Verwaltung hat 
neben fi das Amt der Helfet oder Diafonen, nie ale Xitel, 
immer für eine organifche Thaͤtigkeit un und in ber Gemeinde. 
4) Jeder Borftand hat einen Kreis von perfönlicden und koͤr⸗ 
perfchaftlihen Pflichten, für welche er allein verantwortlich tft. 
&o die Drtsgemeinden für die Wahl der Geiftlichen oder ber 
Ortspfarrer ‚für die Einjegnung fo der Bifchof für die Ein» 
fegung eines Predigers in das Amt; fo die Landedgemeinde für 
ihre Beſchluͤſſe. Diefen Gewiſſenspflichten entfprechen Gewiſ⸗ 
ſensrechte; Alles nach dem oberften Grundfage aller evangeli- 
Then Berfaffung, dem allgemeinen Prieſterthum, d. h. der per» 
ſoͤnlichen fittliden Verantwortlichkeit des Ginzelnen. 5) Das 
perfönliche Sewiffensrecht darf ebenfo wenig unterdrüdt werden 
als das koͤrperſchaftliche. 6) Die Firchliche Bermaltung ift "ganz 
in kirchlichen Händen. 7) Die Patronatörechte des Staats 
find gleich den Patronatsrechten der Privatperfonen zu betrach⸗ 
ten. Gie dürfen nie das Berufungsrecht der Gemeinde ganz 
vernichten. 8) Bei den Schullehrern wirken Staat und Kirche 
zufammen. 9 Die Regierung hat als ſolche das Recht der all- 

emeinen policeilihen Beauffihfigung und die Ernennung der 

bern Werwaltungsbeamten, d. h. des Bifchof und feiner 
weltlichen Raͤthe; jedoch muß fie dieſelben aus Männern der 


Gemeinden nehmen, Ülteften und Abgeordneten. Den Metro 
politanBifchof wählt der König aus den Biſchöfen des Meichs, 
den Landeskirchenrath aus den Kirchenräthen. 10) Weber die 
Regierung kann der Kirche noch eine geiſtliche Kirchenverſamim⸗ 
lung dem Volke und dem Zürften kirchliche Sagungen auflegen 
oder das Beftehende jenfeit ber Befugniſſe der Landeögemeinde 
ändern. Wie alle Befchlüffe der Landesgemeinde, fo bedürfen 
auch bie ber Reichögemeinde ber Föniglichen Beftätigung: aus 
ßerdem aber kann eine Reichsgemeinde ſich nicht ohne koͤnig⸗ 
liche Berufung verſammeln und die Laien haben in ihr ein une 
bedingtes Veto. 

Wo bleibt nun die Repräfentation, die Mitregierung der 
Oberherrlichkeit? Eichhorn fagt in den „Grundfägen des Kir 
enrehts‘’, Bd.2, &. 61 
nad welchem die höhern gen Amter zur Mitwirkung 
berufen, hat einen hierarchiſchen Charakter, welcher dem 
Weſen der evangelifchen Kirche entgegen ift, und macht übers 
dies eine ſolche Verſammlung zahlreicher als für ihre Gefchäfte 
nuglih fein kann, ohne daß dies Durch die Grundlage eines 
Repraͤſentativſyſtems geboten wäre.” Des Verf. Kirche beruht 


"aber nicht blos auf der Mitwirkung, fondern auf der Allein- 


wirdung der höhern geiftlihen Amter; wir wollen ja nicht ver⸗ 
geflen: Die Gemeinde entfteht erſt durch dad Amt; und was 
ift hierarchiſch in der Kirche? gewiß doch ariftofratifch im Staate. 
Das Ariftofratifche aber widerſpricht der Zeit, ja fagen wir 


geradezu dem Ghriftlihen. Es wird alfo die Verfaſſung ber - 


Kiche des Verf. nie das Leben haben. Einzelnes ift höchft trefs 
fend und ſehr ſchoͤn gefagt; das Ganze ſchwebt aber erhaben 
über dem Volke, in einer &phäre, wohin dieſes nicht will. 
Die GSelbftihätigkeit und Selbſtregierung des Volkes tritt 
nach dem Berf. in den Faͤllen ein, die das gemeine Recht 
erlaubte Selbfthülfe nennt, wenn die Geiſtlichkeit abfällt, wie 
der Berf. fagt. Die Freiheit der Kirche der Zukunft iſt dem⸗ 
nad nicht die des Inhalts, fondern der Form, von zufälligen, 
todten und äußern Banden, nicht von der innern Regierung. 
Die Gemeinde ift frei nicht in fich, nicht in ihrem Willen, fon» 
bern als eine Außerli frei regierende, nach Eirchlichen, 
nicht nach weltlichen Formen. 

Sehr ſchön ift, was der Verf. von dem Amte der Diako⸗ 
nie, von „dem Amte der Kiebe, vorzugömeife dem Amte der 
Kirche der Zukunft” fagt, und hat diefes vorzüglich vieles Lob 
erfahren. ber, erlaube man uns zu fagen, die dhriftliche Kirche, 
d. h. eben das chriſtliche Leben, iſt nicht blos das der weib- 
lichen Liebe, ſondern auch der maͤnnlichen Freiheit. Es wird 
alſo auch eine Diakonie dieſer geben müflen, wenn überhaupt. 
Wir tragen ein anderes Bild eines Fräftig baherfchreitenden 
chriſtlichen Lebens, welches die chriſtliche Kirche ift, im Herzen, 
ein Bild, defien freies Wehen und defien Geburtswehen wir 
Alle ebenfo empfinden als dad „Seufzen der Creatur und den 
immer entfegliher ſich enthüllenden Sammer der Menfchheit‘. 
Es ift nicht allein der Gott ber Liebe, den das nad Freiheit 
firebende Volt im Staate anbeten wills die Wahrheit für das 
Volk, d. h. eben die Fülle der Zeit ift die Freiheit. Den Wor⸗ 
ten nad) fagt e8 der Verf. au: „Das Höchfte aber ift der 
Geiſt, der in Liebe und Freiheit handelt.” Uber leider es ift 
die Preiheit des regierenden Amts, die der Berf. will; wir 
wollen die Freiheit ded regierenden Volkes auch in der Kirche. 
Auch wir verkennen nicht die große geſchichtliche Bedeutung ei» 
ned gemeindlichen Epißfopats, aber nur eben ald Diener 
des Inhalts der Kirche, und dieſer Iuhalt ift das Volk, die 
beftimmte Yülle einer beftimmten Seit, das Herz, in welchem 
Chriſtus der bewegende Schlag ift, mag auch der oder jener 
einzelne Tropfen krank fein. 

Bon dem @inzelnen heben wir befonders hervor die An» 
ficht von der Ehe und der Sonfirmation. Daß ein Zwang zu 
Beidem nicht ftattfinden müßte, bat der Verf. richti bemerkt. 
Bon ber Ehe ift dies ein Längftzefühltes Beduͤrfniß gewefen. 
Gewiſſe neuere Vorfaͤlle haben ed nur um fo dringender ge» 
macht. Inwiefern aber auch die Eonfirmation in der Wat 


: „Ein Syften der Bufammenfegung, . 


% 





724 " . 


nur zu ſehr bereits eine bürgerliche Form geworden iſt, if bier 
nicht der Drt weitläufiger auszuführen 

Sum Schluffe macht der Verf. auf bie Zeichen des neuen 
Lebens in der Kirche aufmerffam, die Bereine ber Liebe ber» 
vorhebend. Run aber die Vereine der Freiheit? In dem Er- 
gebniffe dee unterſuchung fagt der Verf: Es ift damit auch 
ewiefen, daß die von einem jeden vereinten Volke anzuftrebende 
Kirchengemeinfhaft alle in der politifchen Natur des Men⸗ 
fhen und in der Idee der Kirche begründeten Elemente bes 
kirchlichen Lebend in fi zu vereinigen fuchen follte, damit fie 
ein moͤglichſt wenig unvollfommenes Bild der göttlich befreiten 
Menſchheit darſtelle und ein lebendiges fidhtbares Glied am 
unflhtbaren Leibe ihres Herrn werde.” Ja, in ber That, bie 
riftliche Kiche ift eine politifhes die conftitutionnelle Thaͤtig⸗ 
keit ift eine kirchliche. Die germanifche Zeit iſt die Sriftie- 
eönftitutionnelles; und das ift die fichtbare, beſchraͤnkt freie Form 
des unficgtbaren unendlich freien Gottes. 

Dem Werbe angehängt find: das Original bed Briefwech⸗ 
felß; Auszüge aus den Verhandlungen der rheinifhen Provin- 
zialfynode von 1844, und Notizen über die in Deutfchland 
— 28 Anſtalten der eiebesdiakonie. 

J. Marquuarb. 





Bibliographie. 

Altaroche, M., Reformation und Revolution. Eine hi⸗ 
ftorifche Parabel. Aus dem grangöfifgen von E. Weller. 
Bredlau, Schulz. Ki. 8. 10 Ror. 

Bajazzo und feine Juxe. Anekdoten zum Laden. 2te 
Auflage. Bien, Sammer. 16. 9 Rgr 


ftihen. Ifte Rieferung. Leipzig, &. Wigand. Ler.:3. 5 Rgr. 
Bründer, 4, „geist "Köln, Renard. 12. 15 Rear. 


Conſcience, 9, Das Wunberjahe (1566). Hiftorifches 
Semäte zus h dem 16. FJahrhundert. Stuttgart, Hallberger. 
Kl. B. 


gr. 
Diderot, Grundgefeg der Nakür. Brebft einer Bugabe 
von E. M. Arndt. Leipzig, Weidmanıt. 2 Ihe. 
Feuchtersleben, E—. Freih. v., Zur Diökerie der Seele. 
Ate vermehrte Auflage. Wien, Gero. 12. 20 Rar. 
Féval, P., Die Liebe in Paris. . Nach Tem Tranzöfihen 


. Driginal. Drei Bändihen. Stuttgart, Hallberger. KI.8. 3 Th 


Goldſchmidt, Über das Platideutſche, —F ein rohen 
Hemmniß jeder Bildung. Oldenburg, Schule. Er. 3. 3%, Nr. 

Hoffmeifter, K. Schillers Xeben für den eier Kreis 
einer Lefer. Ergänzt und berau usgegehen vo von er Bieboff. 
fter Theil. Stuttgart, Becher. 6. 

Sanßen, 9, Subenlieber. Dldenburg, —* . 20Rgr. 

Kaftner, A ‚ Einiges über Sagen, namentlich Schle⸗ 
ſiens, und mebeſonder⸗ de ungerchum Neiſſe und des Ge 
ſenkes. Reiſſe. 1845. 4. 

Kehrein, Scenen aus HN Nibelungenlied zum ge- 
brauch bei dem unterricht in der mittelbochdeutschen sprache 
mit anmerkungen und wörterbuch versehen. Wiesbaden, 


- Ritter. Gr. 8. 20 Ngr. 


Lasaulx, E. v., Ueber das Studium der griechischen 

und römischen Alterthümer. München. 4. 5 Ngr. 
Rebensfchicfale bes ehemaligen Hannoverſchen Hufaren ©. 
2... Von ihm felbft in der Strafanftalt zu Vechta nie 


dergefchrieben. Ein Buch. für das Boll. ausgegeben von 


R. Hoyer. Didendburg, Schule. 12. 71, Nor 
* Linderer, R., Humoresken. Berlin, Sittenfeld. A. 8. 
r 


Minutoli, C. v., Notiz über einige in dem Reseneg 
gerschen. Garten zu Birgelstein, in der Vorstadt Stein von 
Salzburg, ausgegrabene römische Alterthämer. Berlin, Asher 
und Comp. * 4. 1 Thir. 10 Neger. 

Porhat, 3. J., Winkelried, Drama in 5 Alten, me: 
triſch ins Deutfche übertragen don 8. Neßler, nebft Halb: 


Br. 
Bechſtein, 2., Deutiches Märchenbud). Mit 10 Stahl: 


[uter ters en von dem Streit zu Sempach. Genf, Keßmam. 


———— ri 8* 2% ‚ Ktebfe und berartigeh Un: 
eziefer adenipie Deaburg » Magdebur 
u —* a ae * m * ei — 
ras, der nat. raphi ti nat ei 
und mit MRüdficht auf Auswanderer beſchrieben von in 
transatlantifchen Neifenden. Mit einer Karte von Vexas. Ifte 
Lieferun . Klaustgal, Schweiger. 12. I1Y, Rear. 
Bilder, %. T. Uefthetil oder Wiſſenſchaft des Schönen. 
Sum Gebraude für Borlefungen. Ifter Theil: Die Metaphyſik 
bei ehönm. Reutlingen, Maͤckens. Gr. Ler.:8. 2 Wir. 
gr 


Zagesliteratur. 


Aufgaben der Seit, befprochen von F. Y. tes Heft 
Bredlau, Schulz. KL. 8. 6 Nur. 

Bangold, I.R. v., Die evident und nothwendig wahre 
Religion, närmtich die Religion der Gofteinigkeit Des Wkenfihen, 
oder die Übereinftimmung bes menfchliden Willens mit dem 
göttlichen. Ein freifinniges offenes Glaubensbekenntniß, pu⸗ 
gleih ein Verſuch, den verfchiedenen religiöfen Reformbehre 
bungen der Gegenwart eine gemeinfame Rihtung anzubahnen. 
Winterthur, Literarifches Gomptoir. 8. 12 Rgr. 

Greith, ©., Der heilige Gallus, der Apoſtel Wleman- 
niens und feine Blaubensichre gegenüber den Deutfchlirdlern 
und ihren Irrthümern. Predigt. St.» Gallen, Scheitlin um 
Bollikofer. u Gr. 8. 2 Nor. 

Kirft, I. E. B., Worte der Erinnerung zur 300jäkri- 
gen — des Tobestages Dr. M. Luther's. Eiſenberg, Schoͤnt 


en, J. G., Das Verfahren der Stadtverordneten 
zu Halle. Leipzig, Zriefe. &r. 8. 4 Rgr. 

Maßl, &., Die Aufgabe des Pfarrers in unferen Tagen. 
Antrittöpredigt. gu aflau, Ambrofi. 8. 2 Nor. 

Sc 8 ft, J. y Bande, Theiner, Czerski in Rawicz. Poſen, 
er 
—* Fk dem Stunde der Schriftftellen Ev. 3oß. 4, 14. 
gebalten, im im Babeort Saison am 27. Zuli 186. Kronftoit, 
8. 4 Nor. 
rückt auf die religiöfen und Birchlichen — det 
Jahres 1845. Grimma, Verlagscomptoir. 8. 

Ruperti, Die religiöfen Bewegungen der — * 
Charlottenburg, Bauer. Gr. 8. 10 Rgr. 

Schreiber, H., Deutfch:Katholifches. Die Dr. Hirſcher ſche 
Beleuchtung der Motion des Abgeorbneten Zittel in der 2. Kam 
mer ber badifchen Kandftände, bürgerliche Gleichftellung ber 
Deutih:Katholiten betreffend, negenfeitig beleuchtet. Preiburg 
im Br., Emmerling. 12. 1 Ror. 

Schroeter, E., Drei Vorträge, gehalten vor ber Ber- 
fammlung der Deutfh- Katholiken in Worms. Worms, Rahke. 
Sr. 8. 3%, Rgr. 

Schüler, €. F., Das Bild des en Sheiften in reli⸗ 
giöfen Streitigkeiten. gen uber Joh. 8, 46— 59, Stol⸗ 
berg a. H., Schlegel. 

Zhiel, H., Der Inhalt —* —— Den 
hentenden —* :Katholiten gewidmet. Deffau, Neubürger. 

r. 8. 

Berpandlungen ber franzoͤſiſchen Deputirtenkammer am 2 
und 3. Mai 1845, die Sefuiten betreffend. Rede von Thiert. 
Fech en Frangöfifchen. St.⸗Gallen, Huber und Comp. 13. 


Bo farth, 3 8. J., Die Reformation der evanzeie 
ſchen de des 19. — 25 vom Standpunkte des Chr: 
ſtenthums, der Geſchichte, des Rechts, der Moral und Pol 
tik etc. nebſt Vorfhlägen zu einer auf der Baſis der Maprket 
und des Nechts p erzielenden Vermittelung deſſen, was dab 
Heil der Kirche fordert. Rudolſtadt, Renovanz. 12, 8 Kr. 


Berantwortlicher Heraudgeber: Heinrich Mrodpans. — Drud und Verlag von F. U, MWrodpans. in Seipzig. 


* 


⁊* 
‘ 


| 1846. 


Literarifher Anzeiger. 


” 


A 1. 


—— — — — — — — — 6— — — —— — — — ——— 

i iterarifche Anzeiger wird den bei F. €. Brockhaus in Seiptis erſcheinenden Zeitſchriften „Miätter für literariſche 
——— a ne beigelegt oder beigeheftet, und betragen die Infertionsgebühren für die Beile oder deren Raum 2%, Nor. 
nm nm — — 


Neuigkeiten und Fortsetzungen, 


verſendet von 


J. NX. Vrockhaus in Eeipzig 
im Jahre 1845. 
MR IV. October, Novpember, December. 


(Mr. 1, die Berſendungen von Sanuar, Bebruar und März 

enthaltend, befindet fih in Nr. XIV des Eiterarifhen Anzeigerd vom 

J. 198; Nr. II, die Verfendungen von April, Mat und Juni, 

m Nr. XVI; Ne. I, die Verfendungen von Juli, Auguft und 
September, in Ne. XXIL) 


79. Werist vom Sabre 1845 an die Mitglieder 
ber Deutſchen Geſenſchaft A, Erforſchung va⸗ 
terlaͤndiſcher Sprache und Alterthümer. Heraus⸗ 


egeben von K. .E Gr. 8. 12 Rgr. 
u Berichte für die Zahre Ah; — 44 haben denfelben Serie, 


76. Eonverfations-Leriton. — Augemeine beutiche 
Real⸗Eneyklopaͤdie für bie gebildeten Stände, — 
Neunte, verbefierte und fehr vermehrte Driginalauflage. 
BVolftändig in 15 Bänden oder 120 Heften." Fuͤnfundſech⸗ 
zigſtes bis fiebzigftes Heft. Gr. 8. Jedes Heft 5 Nor. 

Diefe neunte Zuflgee — in 15 Bänden oder 120 Deften zu dem 


Dreife von 5 Ror. € in ber Ausgabe auf Mafhinen: 
2 ter; der N toftet Ei. W Ngr., auf Schreibpapier 
r. 


. auf Belinpapier 3x 
— — — — Reue Ausgabe In 240 fie 
E ferungen. Erſte bis zehnte Lieferung. Gr. 8. Jede Liefe⸗ 


rung 2%, Nor. 

. — —— Ey ematiſcher Bilder⸗ 
Etlas zum TonverfationsEexikon. — Non: 
geansiise Encytiopäbie ber Wiſſenſchaften und 

unfte., — 500 in Stahl geftochene Blätter in Quart 
mit Darftellungen aus fämmtlichen Raturmwifienfchaften, aus 
der Geographie, der Völkerkunde des Alterthums, bes Mittel- 
alters und der Gegenwart, dem Kriegs» und Seewefen, der 
Denkmale der Baukunſt aller Seiten und Voͤlker, der Reli 
gion und Mythologie des claſſiſchen und nichtelaffifhen Al⸗ 
terthums, der zeichnenden und bildenden Künfte, der all⸗ 
emeinen Zechnologie ıc. Rebſt einem erläuternden Text. 
tworfen und herausgegeben von J. G. He. Bol: 
ftandig in 120 Lieferungen. Dreiunddreißigſte bis vier- 
zigfte Lieferung. Jede Lieferung 6 Rear. 

79. Augemeine Encykispäbie ber Wiſſenfſchaften 
und Künfke, in alphabetifher Folge von genannten Schrift: 
ftelleen bearbeitet und herausgegeben von I. &. Erf 
und Z. © Gruber Mit Kupfern und Karten. 
&r. 4. Cart. Pränumerationspreis für den Theil 
auf Drudpap. 3 Thlr. 25 Ngr., auf Belinpap. 5 Ihlr., auf 
ertrafeinem Belinpap. im größten Quartformat mit breiten 
Stegen (Prachteremplare) 15 Thlr. 


Srhe Gection_ (A—G), . 
aOfRer Ahell. (Fas--Ferchard., Virausgegeben von I. , Gruber 


Für 
sen: I Iner Theil a ⸗ 
» . gewähre ii die in eeusen . Esem: 





24 Nor. 
84. Ben 


80. görs (3: 6. &.), Welche Reform ber Me⸗ 
bieinalverfaffung Sachfens fordern bie Guma⸗ 
nität und der jeßige Stanbpunft ber Arzuei⸗ 
wiltentnefe? Gr. 8. Geh. A Nor. _ 

81. Die katholiſch⸗ theotonife Serutcät an ber 
Uninerfität Breslau, eh. 6 Nor. 

82. Koethe (FB. X.), Die in Kirchen⸗ 
melodien Hbergetragen. Gr. 12. Geh. 24 Rgr. 
83. —— —, Zur Tobtenfeler Dr. M. 
Kutber’s am 18. Februar 1846, Gr. 12. Geh. 


(©. ©. H.),_ Seſchichte der. evangeli- 
fden rche feit ber Reformation. Ein Familien⸗ 
uch zur Belebung bed evangelifchen Geiſtes. Zwei Baͤnde 
in Tepe Heften. Drittes Heft (Schluß des erften Bandes). 
Sr. 8. Jedes Heft 9 Nor. 
Der zweite Band, ebenfalls aus drei Heften befichend, ift unter der Preſſe. 
85. Der neue Pitaval. Eine Sammlung der intereffan- 
teften Eriminalgefchichten aller Länder aus älterer und neues 
rer Beit. —— von 3 E. Higig und W. 
ring (RB. Miezis). Achter Xheil. Gr. 12. Geh. 


Ir. 
Der erfte Theil keſtet 1 Thlr. 24 Rgr., der zweite bis fledente Theil 
jeder 2 Thlr. 

86. Stickel (J. @), Handbuch zur morgen- 
ländischen Münzkunde., Erstes Heft. — A. u. 
d. T.: Das Grossherzoglich Orientalische Münzcabinet zu 
Jena, beschrieben und erläutert. Erstes Heft: Omajjaden- 
und Abbasiden-Münzen, Mit einer lithographirten Tafel. 
Gr. 4 2 Thlr, 


Berzeihniffe 
im Preiſe bedeutend berabgefegten Merken 


aus dem Berlage von 


F. A. Brockhaus in feipjig, 
wovon bad eine die ſchonwiſſenſchaftlichen und hiſto⸗ 
riſchen, das andere die wiſſenſchaftlichen Werke enthält, 
werden duch alle Buchhandlungen gratis ausgegeben. 


77 Diefe Berzeichniffe enthalten faft alle Werke von allgemei- 
nerm Interefie, die bis zum Jahre 1342 in obigem Berlage 
erfchienen find. Die Preisherabfegungen gelten nur für ein 
Jahr, vom 1. Ian. bis 31. Dec. 1846. Bei einer Auswahl 
von 10 Thlr. wird noch ein Rabatt von 10%, bewilligt. E> 


almen 








Für Leseeirkel und Privatgesellschaften, 
Auch im Sabre 1846 erfcheinen in unſerm Verlage: 
1) Minerva. in Journal biftorifchen und 
‚politifchen Inhaltd. Bon Dr. Fr. Bran. 
2) Miscellen aus der neueften ausländifchen 
Literatur. Bon Demfelben. 


Jeng, im December 1845. 
. Bran’ihe Buchhandlung. 


Meneſte Werke der Verfasserin von „Schloss Gern“ (Tre von Büringsfel). 
Im Berlage von J. Heben Kern in Wredlan find ſoeben erihienen: 
Ya von Würingsfeld's (Berfafferin von „Schloß Boczyn“) 
Byrouꝰs Frauen. Hedwig. 
Ein Band in 8. Belinpapier. Geh. 1 Thlr. 7, Ser. Novelle. 8. Welinpapier. Geh. 15 Ger. 
Ein elegantes Feſtgeſchenk. Eine der lieblichften ihrer Novellen. 
Kerner: Ida von Müringsteld’s Schriften, In 7 Bänden. 
(Enthaltend: Schloß Goczyn — Marie — Haraldsburg — Hugo in 2 Theilen — Magdalene iz 
2 heilen.) Alle 7 Bände zum billigen Preis von 5 Thlr. 


Sn diefer eleganten Ausgabe der Schriften werben dem gebildeten Yublicum Vie beften frühern Werke der talentuollen Scrift 
ftelerin gegeben. . 


Schloß Bacıyn. Eieder meiner R 


8. Beli i 1845 91 
Aus den Papieren einer Dame von Stande. , . npapier. . Seh. 23%, Sur. 











% — 
2te Auflage. Briefe eines Halbjahrs vom Blaͤtterknospen bis zum Blälter 
1865. 8. Geh. 1 Ahlr. 10 Ser. follen. 1843, &r. 8. Eart. 23 Zhlr. 


Eine Runftreife und ihre Folgen. 


Lebensbild aus einer Kleinen Stadt. 8. Geh. I Thlr. 





An der Elwert'ſchen Univerfitätebuchhandlung zu , Schaden, Dr. E. %&. v., Borlefungen über akademiſche 
Marburg ift erfihienen und in allen Buchhandlungen Ban —— 291 Bogen. Gr. 8. Broſch. 1 Sk 
zu haben: ‚ | Hüter, Dr. C. C. (erd. Professor der Geburtskälfe zu Marbap), 
Bangerow, Dr. A. X. 9. (Hofrath zu Heidelberg), Leit: Der einfache Mutterkuchen der Zwillinge. Mit 3 Ethe- 

faden für Pandekten⸗Vorleſungen. Erfter Band: AN: graphirten Abbildungen. 7 Bogen. Gr.4. Brosch. WSer., 
gemeine Lehren. S. g. Familienrecht. Dingliche Rechte. oder I Fl. I2 Kr. 
Dritte Auflage. Gr. 8. 53% Bogen. 3 Thlr. 15 Spgr., | Erklärendes Frembwörterbuch, ober Handbuch der in 
oder 6 $L. 18 Ar. . der beutfchen Schrift» und Umgangsſprache oder weni: 
— £eitfaden für Pandeiten - Bor: gr gebräuchlichen, aus andern Sprachen entiehnten Wörter, 
lefungen. Smweiter Band: Das Erbrecht. Dritte Auf: usdrüde und Redensarten, nebft ihrer Betonung und Aut⸗ 
lage. Gr. 8. 39 Bogen. 2 Zhlr. 227, Sgr., oder 4 Fl. 57 Kr. fpradhe von Dr. 3. Hoffa. 27%, Bogen. Gr. 8. Bro 
— £eätfeden für Panbelten - Bor: I Ihle., oder I FL 45 Kr. 
. Dritter Band: Die Obligationen. Erfte und 
zweite Lieferung. Sr. 8. Broſch. 1 Ihr. 15 Sgr., 


“ie Kun t ve Lieferung wird demnaͤchſt erſcheinen.) ii andwirthschaftliche Worheitung. 


Wäßel, Dr. I. (ob. Yerieoe dab ci. Rehtk zu Durban, | Derausgegeben von MBilliem Esbe Dit in 
vilxechtliche Erörterungen: . > Lege 
1 Über die Ratur des Pandrechts. 10 Bogen. Gr. 8, Beiblatt: Gemeinnütziges Mnterhaltungsblatt für 
Brof. 15 &or., ober 54 Kr. IHRERFERREN Stadt und Land. 
IL über die Berpfändung für nicht vollgüultige Obligatio⸗ —. 
am 12 Bogen. r. 8. Broſch. 20 Sgr., oder Sechster Jahrgang 1845. 4 3 Rear. 
Id. Über jara in re und beren Berpfändung. 9 Bogen. 


Gr. 8. Brofg. 15 &ar., oder Leipzig, bei F. A Brockhaus. 
IV. Streitfragen aus Novelle 118. 18% Bogen. Gr. 8. — 


Thir., oder 1 . 48 Wöchentlich erſcheint 1 Bogen. Infertionsgebühren hi 


Br ® @ . . 

gm: : die gefpaltene Zeile 2 Nor. Beilagen werben für 

V. Über die Wirkung der Klagenverjährung. 5" Bogen. h 
Gr. 8. Broſch. 15 Syr., oder 54 fr. ’ Zaufend mit . hir. berechnet. 





Bilmar, Dr. WE. F. ©. (Bpmnaflalbirecter zu Marburg) 
Borlefungen über die Gefchichte der beutfihen Rationallitera, December. Rr. 49 — 52. 
"3 Ihlr. 15 Sgr., Anhalt: Verſuche mit der Suanobüngung. — Beantwer: 


tur. 42%, Bogen. Gr. 8. Broſch. 

oder 4 —* Ic ſo tung der Anfrage in Nr. 43 d. BL — Die Befchaffung nrur 
— — — - Deutsche Alterthümer in He- | Getreivearten. — Barum fol in einigen Gegenden Ahüringend 

Hand als einkleidung der evangelischen Geschichte. Bei- | die Fruchtwechſelwirthſchaft nicht betrieben werden koͤnnen — 

träge zur erklärung des altsächsischen Heliand und zur | Über einige mineralifhe Düngemittel. — Beantwortung der 

innern Geschichte des christentums in Deutschland, 9%, Bo- | Anfrage in Rr. 37 d. Bl. — Die Gerfte ohne Hülfen. — Eu 

gen. 4. Brosch. 15 Sgr., oder 54 Kr. Feldzug gegen den Kalt als Düngemittel. — Weder Ader 
DMebm, Dr. FJ. (Profeſſor zu Marburg), Handbuch der Ge= | pflug if für eine gegebene Hrtlichkeit und Bodenbefiheffeuhet 

1aidte Deinen, Def, Bmier e) Be N De | Yardın an den Pnummmblumen.  Berfudhe wit der Gas 

en un tammtafeln. Gr. 8. Broſch. r., oder en an den umenbä .—_ 

g F W Kr. ſch 9 düngung. — Eanbwirthſchaftliche — 
Beſſiſches Hiftorienbüchlein. Bweite vermehrte Hierzu Gemeinnutziges Unterpaltuungsb 

Bu Slage. e Bogen. Gr. 12. Brofh. 5 Sgr., ober | Stadt und Eand, e B_3 


— — — — 


Schöntwitienfchaftlihe Werke. 
Billigfte Auoguben. 


@. &. Bultwer’s fünmtlihe Romane, überfegt von 
Fr. Notter und ©, Pfizer, Neue Gabinetsausgabe 
mit 15 vorzüglichen Titelbilbern in Stahlftih. 1.—69. 
Bändchen. 16. Geh. 2 Sgr., oder 6 Kr. das Bändchen. 

Alle 23 Wochen folgen 3—4 Bändchen, fobaß im 
Sanuar 1846 diefe Ausgabe voltftändig geliefert fein wird. 
5.9. R. Roames’ Romane, in deutſchen Über- 

—8 — Je— von Fr. Notter und 
©, Pfizer. 1. -142. Bandchen. 16. Sch. 3% Sgr., 
oder 12 Kr. das Bändchen. 

Monatlich erfcheinen etwa 3 Baͤndchen. . Bis Tünftigen 
Sommer werden bie noch übrigen vorhandenen Romane aus: 
gegeben fein, fodaß dann dieſe Ausgabe Die einzige vollftän> 
dige und die billigfte Sammlung ber Sames’fchen Romane 
bilden wird. ' 
Shaffpeare’8 Schaufpiele Neu überfegt, mit 

Einleitungen und Erläuterungen von Adelb. Keller 
und Mor, Rapp: 1.—30. Bändchen. 16. Geh. 
3% Sgr., oder 12, Kr. das Bändchen. . 

In diefer newen Übertragung, über welche bie geachtet⸗ 
ſten Zeitſchriften übereinftimmend hoͤchſt günſtig fich ausgeſpro⸗ 
hhen, werden die 37 anerkannten Schauſpiele in 37 Bändchen 
in Schillertafchenformat gegeben. Bis Fünftige Dftern wird 
Diefelbe vollftändig vorliegen. 
alter Scott?’s fünmtlihe Romane Aus dem 

Englifchen. Neue Cabinetsausgabe. 1.—59. Bänd- 
chen. 16. Geh. 2 Sgr., oder 6 Kr. das Bändihen. 
. Monatlich folgen 4—6 Bändchen, ſodaß im Jahre 1846 
die Scott'ſchen Romane vollftändbig ausgegeben fein werben. 

Jeder Roman und jebes Scaufpiel aus vorftehen- 

den Sammlungen wirb zum g 
einzeln abgegeben: 

Bu erhalten in allen Buchhandlungen Deutichlands, der 
öftreihifhen Monarchie und bes Auslands. 





In allen guten Buchhandlungen tft zu erhalten: 
Die vollftaͤndigſte Raturgeſchichte von Hofr. 
2—— en des u Naturaliencabinets 
in Dresden, jept 1105 Abbildungen auf 150 Kupfer⸗ 
tafeln und 62 Bogen Tert in 15 Monatölieferungen 
a 25 Ngr., iluminirte Schulausgabe 1 Thlr. 10 Ngr., 
Velin-Groß⸗Quart 1 Thlr. 20 Ngr. Ladenpreis. 
fort Wird wie bisher im neuen Jahre punktlich monatli 
v 










gt t und in raſcher Folge vollendet. Als das einzige 
Kaͤndige Werk der Art hat es ſich Kennern durd ſich 
felbft empfohlen. Anatomie und Tert au apart. 





In meinem Verlage ist soeben erschienen: 

Eden, A. O., Neues englisches Lesebuch, wel- 
chem die Grundsätze der Aussprache nach Smart's 
Walker Remodelled u.s. w. vorangehen. Mit durch- 
gehender Bezeichnung der Aussprache und einem 
vollständigen Wörterbuche. Für Schulen und zum 
Privatgebrauche, Bevorwortet von Dr. J. G. Flügel, 
Consul der Vereinigten Staaten von Nordamerika 
zu Leipzig. 8. 1 Thlr. 





Schon aus diesem ist zu ersehen, dass der Verfasser 


seinen eigenen Weg verfolgt und ausser dem Walker’schen 
‚System auch die feinere Smart'sche Ausbildung der Walker’ 


den Preiſe au | 


schen Aussprache angewendet hat. Dass dies nicht ohne 
Erfolg geschehen sein muss, ergibt sich wol am besten da- 
durch, dass Herr Consul Dr. Flügel in Leipzig sich bewogen 
gefunden hat, es einzuführen. 

Im Übrigen verweise ich auf das Buch selbst und auf 
des Verfassers Vorrede, da dasselbe in allen Buchband- 
lungen zur Einsicht vorliegt, und erlaube mir nur noch die 
Bemerkung, wie alle Buchhandlungen im Stande sind, an 
Schulanstalten bei Abnahme von Partien er- 
höhten Rabatt zu gewähren. 

Hamburg, im December 1845. 


Johann August Meissner. 





Meufler, Ludwig Ritier von, Die Go- 
lazberge in der Tschitscherei. 
Ein Beitrag zur botanischen Erdkunde. Mit einer 

“ Karte. 4. Geh. 20 Ngr. 


Die gemüthliche Art der Abfaffung in dem befchreibenden 
Theil und das originelle Syſtem, welches ber Herr Berfafler 
in der Pflanzenterminologie durchzuführen gefucht, geben diefer 
Heinen Schrift ein eigentbümliches Interefie und bürfte fie 
einem jeden Freunde ber Botanik, inöbefondere aber ben ges 
Iehrten Korfchern willkommen fein, zumal das öftreichifch - illy⸗ 
rifche Küftenland bei der fo fehr erleichterten Communication 
mehr und mehr in den Bereich der botanifchen Ercurfionen bin» 
eingezogen wird. 

Trieft, im December 1845. - 
9. F. Favarger. 





In der Weidmann'ſchen Buchhandlung in Leipzig ift focben 


erfchienen und durch alle Buchhandlungen zu beziehen: 


| A. W. von Schlegel’s 
fämmtlihe Werke. 


Herausgegeben 


von 
Eduard BSöding 
Erfter Band, enthaltend 
den erften Theil der Poetifchen Werke, 


Das Ganze wird in I1—12 Bänden erfcheinen, von 
denen jeder geheftet 1 Thlr. koſtet. 





Durch alle Buch» und Kunſthandlungen ift von mir zu beziehen 
das Bilbniß von 


JAROB GRIMM. 
Geftochen von M. Voigt, 
Gr. 4. 10 Nor. 


In meinem Verlage erfhienen ferner nachſtehende Bildniffe 
und es find davon fortwährend gute Abbrüde für 10 Mer. 
verhalten: uber. Baggefen. Böttiger. Calderon. 

anova. GSornelius. Danneder. Karl Förfter. 





Jakob Bla. Goethe. Hamann. Victor Hugo. 
Aerander v. Humboldt. umermann. Kesciusg > 
Gerhard v. Kügelgen. amartine- Karl Friedrich 


Eeffing. Felix Menbeilsfohn- Bartholdy. Weyer: 
Beer. Wilhelm Müller. Deplenfpläger. Sean Paul 
Beichric Richter. Schil. Johanna Schopenhauer. 

Gchulze. RB. Shwanthaler. Scott. Tegnoͤr. 
Boten. ‚Ludwig Zieh, Uhland. Jedlitz. 
elter. 


Eeipzig, im Januar 1846. 


4 A. Drochhaus. 









— — nn 


Für Sefecichel und Freunde der franzöfifchen 


Siteratur. 


Bei dem jetzigen Jahreswechsel nehmen wir Veran- 


lassung auf die in unserm Verlage unter dem Titel: 


LECHO. 


Journal des gen» da Monde. 


Jährlich 104 Nummern in Mleinfolio und gespaltenen 


Columnen. 
Preis 5 Thlr. 10 Ngr. 
erscheinende framzösische Zeitschrift aufmerksam zu 
machen, welche den Lesecirkela, wie allen Freunden 
der französischen Literatur gewiss willkommen sein wird. 


Während die ausgezeichneisten Novellen der 
Feuilletens der französischen Journalliteratur wieder- | 


gegeben werden; Alles Erwähnung findet, was im 
Gebiete des Theaters und der Kunst ın der französi- 


schen Haupt®tadt Aufsehen erregt; die Tagesereignisse 


in pikenter Darstellung nicht übergangen werden; 
mancherlei Bilder aus dem französischen Volksleben 
sowol durch die Eigenthümlichkeit desselben ale den 
Reiz der Darstellung fesseln; die kleinen satirischen 
Journale Vieles beisteuern, was die Freunde einer 
komischen Auffassung auch ernsterer Dinge ergötzt; 
die französischen Tribunale der Schauplatz der Ver- 
handlungen tragischer Fälle voll dramatischen Interesses, 
ebenso wie komischer Verwickelungen mit ernsterer 
Lösung sind: — werden die Freunde einer ernstern 
Lecture gern bei Dem verweilen, was das Echo als 
ein Journal des gens du monde auf dem Gebiete 
der Politik, der neuern Gesohichte etc. in an- 
sprechender Form seinen Lesern bringt. 

Probeblätter sind auf Verlangen durch jede 
Buchhandlung zu beziehen. 


Leipzig, im Januar 1846. 
Brockhaus d Avenarius. 





Für Braumüller & @eidel, Buchhändler in Wien, 
wird in allen Buchhandlungen bes In: und Auslandes_ Prä⸗ 
numeration auf ben Zahraang 1926 ber Oſter⸗ 
reichiſchen militairiſchen Zeitfärift mit 13 Ft. 
C.⸗Me. angenommen. Um bie nämlichen Preife find 
die Sahryänge 1843, 1844 und 1845, dagegen die frühern 
Zahrgange 1811 — 13, neue Auflage, zufammen in vier Banden 
im berabgefenten Preife von > Pl. G.-M. und ebenfo je: 
der der ältern Jahrgänge von 1818 bis einfchlichtih 1842, in 
fo weit diefelben noch vorhanden find, um 5 31. C.⸗M. zu 
erhalten. 

Soeben ift erſchienen: 

j Das Dre Heft der 


“ Desterreichischen militatrischen Zeitschrift 1845. | 


Inhalt biefes Heftes: 
I. Journal des Bombardements der Stadt Lille im Jahre 1702. 
Mit einem Plane. — II. Biographifche Skizze des E. k. Feid⸗ 


marjchall-gieutenants Emmerich Freih. von Batonyi. — III. Die. 


Gefechte um Zroyes vom 19.— 25. Februar 1814. — IV. Sce⸗ 
nen aus ‘der Geſchichte des k. k. Hufarenregiments Szekler 


Sr. 1 in den Feldzuͤgen 1703-08, Giro bffeilun . 1) kin 
übergang bei Selz am 13. October 1793. 2 Befcht de Rap⸗ 
penau om 16. Dctober 1793. 3) Treffen bei Drufenheim und 
Hagenau am 18. October 1793. — V. Literatur. — VL Reue 
Militnicveränderungen. — VII. Der Feldzug des Königs Fer: 
binand MIT. von Ungarn und Böhmen 1634 in Deutichiend, 
In einer Reihe gJeicpeitiger Schreiben. Nr. 22 — 24, 
Bei Moyer & Zeier in Züri i ienen und 

allen Buchhandlungen zu. haben: rein a 


Handbuch 


J der proſaifchen 
Aationalliteratur der Bentfchen 


von Gottſched bis auf die neuefte Zeit. 


Mit Commentar. 


Bon 
Dr. Heinrich Kurz. 
In drei Bänden. 

Erſter Band. 
Subfetiptienspreis für den Band 1 Thlr. 17Y, Nor, 
oder 2 Fl. 45 Kr. 

Das poetiſche Handbuch deffelben Herrn Herausgebers 
ift mit fo großem Beifall aufgenommen worden, daß auch bife 
gang gleihmäßig eingerichtete und mit dem nämlicdhen Fleije 
ausgearbeitet: Fortfegung des Werks fih manche Freunde as 














Bei Hinrichs in Leipzig wurde eben verfandt: 
Reue Jahrbücher der Gefchichte und Politik, 
Begründet von. K. H. 2. Polis, in Verbi⸗ 
dung mit 66 Gelehrten ꝛc. herausgegeben vom Prof. 
Friedrich Bülau. 1846. Januar. (12 Mo 
natöhefte 6 Thlr.) 2 .. 
7” Weber reacttonnairen, noch deftruckiven Tendenzen 
huldigend, druͤckt dieſes feit 1823 erfcheinende Sournal die 
Meinung Derer aus, welche eine redliche Gintwidelung immer: _ 
balb der beſtehenden Drdnungen fuchen, und dabei die Wirk 
lichkeit zur Grundlage und die Wiffenfchaft zur Fuͤhrerin neh 
men. Sein Inhalt ift von dauerndem Werthe. 


VRBABLR, 
Taschenbuch auf das Jahr 1846. 
Reue Folge. Achter Rabrgang. 
Mit dem Bildniffe Fakob Grimm's. 

8. Auf feinem Belinpapier. leg. cart. 23 Ihr. 


Aubalt: I. Uranie. Novelle von BE. von Stembers. — 
U. Der Schein trügt. Erzählung von F. Dingelfſtedt. — UL Sie 
arned Mäyhen. Erzählung von der Berfafferin von Ieang um 
Clementine. — IV. Die Sängerin. Novelle von IE, Martel. — 
V. Streäftinge. Dorfnovelle von Serthold Muerchad. 





Von frühern Jahrgängen der Urania find nur ned 
einzelne Eremplare von 1851, 1834— 33 vorräthig, die im 
berangefegten Preiſe zu 15 Ngr. der Jahrgang abgelafien 
werben. Die Jahrgänge der Neuen Folge often I hir. 19 Nor. 


bis 2 Thlr. 
F. A. Brockhaus. 


Eeipzig, im Januar 1846. 


Druck und Verlag von F. X. DNrockhaus in Leipzig. 





- giterariider Anzeiger 


| 1846. 


Dieſer Literari ec wird den bei 9. WE. Bestens in Seipzig erfcheinenden Beitihriften „‚MWiätter 
fer arijde Une «. Heigelegt ober beigeheftet, und befragen bie —ãe für di Beile ober deren Raum 2% Nor. 


Auterhaltuug“ 






Ertlärung. 


Erſt kuͤrzlich bin id aufmerkſam gemacht worden auf den 
Bericht über die von wir eraußgegrbene „gebensbefchreibung 
Auguſt Matthiä’s”, der a n Rr. 323 der Blätter für literarifi 
Unt ng für 1845 befindet. Derfelbe ift im Allgemeinen jehr 
wohlmeinenD und anertennend, enthält aber gegen das Ende ein 
paar Bemerkungen, bie eine Erläuterung fchon deshalb nöthig ma⸗ 
hen, weil e8 nicht anders fommen Tann, als daß fie in dem Leſer 
eine unrichtige Anficht über das genannte Buch erzeugen. Der 
Berf. bebauert die polemiſche Faͤrbung, die den Leer in meh» 
ren Theilen ber ft nicht an m berüßre, und führt 
als Beifpiel diefer Faͤrbung bie Rügen an, die dem Berf. 
einer früher, erfchienenen biographifhen Skizze wegen einiger 
unwahren erungen über meinen verftorbenen Bater zu 

if geworden finds; auch fei von mir die Unmwahrheit jener 

ungen nicht bewiefen, fern nur eine gegentheilige An: 
bt aufgeftellt. Ich muß hierzu bemerken, daß jene Brügen 
1a auf drei Eurge Anmerkungen (©. 170, 172, I 8) 
efchränfen, die Darftelung felbft aber nichtd von Dem, was 
man unter Polemik verfteht, enthält — höchftend habe ich in 
dem Abſchnitt über Ratthiaͤrs Gelchrtenthätigkeit hier und da 
einen übermürhigen Kritiker bekämpft — daß ich ferner dem 
fonftigen Werth der befagten Skizze vollfommen anerkannt und 
dieß theild durch vielfahe Benuhung berfelben, theils felbft 
durch wörtlihe, Wiederholung ganzer Stellen beiviefen babe; 
daß aber jene Hußerungen — es find eben brei — nit nur 
in MWiderforuch ftehen mit der Erfahrung, d. h. mit Matthiä's 
amtlicher und pädagogiicher Thätigkeit, ſondern auch theils 
aus deflen eigenen Morten, theild aus feinem in der Bio» 
grapbie gefchilderten Grundcharakter ald unwahr fih ergeben; 
denn 


„hat man bed Menſchen Kern erſt unterfucht, R 
fo weiß man au fein Wollen und fein Danbeln.” 


JE IL Ä | 


für Litenarifihe - 


Ferner läßt es ber Berf. dahin geftellt fein, ob ich in ben 
Mittheilungen über Matthiaͤ's legte Lebensjahre das Richtige 
getroffen, und ob die Urt, wie Matthiä ſelbſt jene keebens⸗ 
periode aufgefaßt, der Wahrheit durchaus entſpreche. Es 
war aber in jenen Mittheilungen ein Verfehlen des Biipligen 
und eine falfcge, überhaupt verfciebene Auffaflung der dama- 
ligen Berhältniffe geradezu unmöglid; denn in dem ganzen 
ſchnitt, der Matthiaͤ's legte Jahre fchildert, habe id) nur 
unwiderlegliche und großentheild fogar offentundige That⸗ 
ſach en angeführt, aud meinen Bater faſt nur Thatſaͤchli⸗ 
ch es berichten, nur hier und da feine gemütlichen Zuſtaͤnde 
beſchreiben laſſen; bie —e— tft rein objectiv; ein 
fub ectives Urtheil ift gar nicht abgegeben; höchftens Fann man - 
als Beifpiele der Tegtern Art die Stellen betrachten, wo bie 
auch in der Vorrede gegebene Andeutung wiederholt ift, daß 
es bei manchem, was meinen Vater damals ſchmerzlich berührte, 
auf Kränkung gewiß nicht abgefehen gewefen fei. Wegen der 
Kürze, die m jenem Abfchnitte herrſcht, verweiſe ich auf die 
Borrede, ©. VI. 
Schr wünfchte ih, der Verf. des hier beſprochenen Auf: 
fages hätte fid) genannt. Dann wäre man auch nicht im er» 
ften Augenblide auf bie gewiß ungegsündete Bermuthung 


kommen, daß derfelbe identiſch fei mit dem Verf. der erwähn: 


ten biographiſchen Skizze. Richts führt mehr zu WBeilläufig- 
keiten, Berwidelungen und Misverflänbnifien als biefe leidige 
Heimlichkeit. Inzwiſchen foll und bie Anonymität bes Berf. 
nicht hindern, bemfelben hiermit zu danken, daß er unſer Bud 
durch feinen im Ganzen fo günftigen Bericht emp und 
dadurch mittelbar den Bwed defielben, die Gründung einer für das 
altenburger Gymnafium beftimmten Matthiä’fchen Stiftung, bes 


fördert hat, 
Bueblinburg. 


[3 


Konstantin Matthiä. 


Im Verlage von Y. WE. Vrockhaus in Leipzig erſcheinen für 1846 nachſtehende 
Beitungen um Ionrnale 


und werben Beftellungen barauf bei allen Buchhandlungen, Poftämtern und Zeitungserpebitionen angenommen. 


2) 


Deutſche Allgemeine Zeitung. 
Verantwortliche Redactlon: Profeſſor F. 
Täglich eine Nummer. Hoch 4. Praͤnumerationspreis viert 


Bälen. 
eljährlih 2 Thlr. 


Wird Abends für den folgenden Tag ausgegeben und liefert in ben Beilagen ausführlich Die wichtigften Berhanblungen bed 
gegenwärtigen Rand 


Anzeigen aller Art finden in der Deutfchen emeinen 
aum einer 


betragen für den 


Gen tags. 
eitung eine weite Verbreitung. Die Infertionsgebühren 
reifpaltigen Beile 2 Nor. 


2) Neue Jenaische Allgemeine Literaturzeitung. 





Im. Anftrage der Universität zu Jena redigirt vom Geh. Hofrath Prof. Dr. F, Mand, als Geschäftsführer; 
Kirchenrath Prof. Dr. #. Mi. E. Schwirz, Hof- und Justizrath Prof. Dr. A. L. V. Miichelsen, 
Geh. Hofrath Prof. Dr. ID. &. Kieser, Prof. Dr. I. Sell, als Specialredactoren. 
| | Fünfter Jahrgang. 312 Nummern. Gr. 4. 12 Thlr. . 
Diefe Beitung erfcheint wöchentlich in ſechs Blättern, fie kann aber auch in Monatsheften bezogen werben. Anzeigen wetden 
mit 1%, Nor. für den Raum einer gefpaftenen Beile, befondere Beilagen mit 1 Thir. 15 Rgr. berechnet. 





3) Leipziger Repertorium der deutschen uhd ausländischep Lieratar; 


Unter MitWirking der Unitersiiät Leipzig herausgegeßen vol Oberbibllothäkar Dr. E. ©. Gefsdorf. 
52 Nummer. 67. 8. 12 Tilr. 
Es erſcheint wöchentlich eine Kammer von 2.3 Bogm. Dem Bepertorium if ein 
eye Anzeiger NEE 
Wen ne werenZ in dat 2 Nav far Wir Brise Met deren Mn Berklpitt, . 
deigegeben Medi —* N Pin me on sep e Vazcigen u. Bergl 


A) Blätter für literarische Wnterhaltung. 


Herausgeber: Yeintich ——— 
Taͤglich eine Nummer. Gr. 4. 12 Thir. 


Die Zeitſchrift wird woͤchentlich ausgegeben, kann aber au in Wonatöbeften dezogen werben. 


5) ESI®. 
Encyklopaͤdiſche Zeitſchrift, vorzůglich für Naturgeſchichte, vergleichende Anatomie und Phyfiologie von om | 
12 Hefte. ME Kupfern. Gr. 4. 8 Thir. 
Bu den Ieptgenamnten beiden Beitfchriften erſcheint ein 
Literariſcher Anzeiger, 


fd* literariſche Ankuͤndi n aller Urt en Kar die geſpaltene Beile oder deren Raum werden 9, t. beein, 
Gegen Bern tung von —2 werden dergl. din Slättern Für liter e —ã—mù — und gege⸗ 
Berguͤtung von Fe le. 15 Ror der ns beigelegt oder beigeheftet. 


6) Kandwirthschaftliche Wort —— 
Mntei Mitwirkung einet Geſelkſchaft iſcher Rand», Haus⸗ und ang — en von on Dilliem ihr. 
Mit einem Beiblatt: emeiknägiges Unterpaltungsblatt 
„Biebente Jahrgang. 62 Nummern. 4. > —* 


en ä νν ν 


N Deutſches Volksblatt. 
Eine Monatſchrift für das Volk und feine Freunde. 
Herausgegeben vom Pfarrer Dr. Mob, Be. 
Gr. 8. Preid des fe 1. 3 Bam 24 


Das Deutie BWollshiatt ent inonatlich, in H Bremse den Raum einer Beik 
2°, Nor; Sonde Belage Beben dee en gegen Bergätung vor e Bergäting vom ny das en beigelegt. 


1 Zu Pas Yennig- Magain 


Belchrang und Hinterhaltung. 
Neue Folge. Vierter Jahrgang. 52 Nummern. Dit vielm Abbildungen. Schmal gr. 4. 93 Site. 


In das tennis ia is werden Unzeigen aller Art aufgenommen und Bir Maum ei alte eile wird mit 4 
* —— Belagen werben gegen — ** vom 9% Eh. "eat Ins —E * u 























Im BVerlage von Arockhaus & Kpenneins in Leipzig erſcheint: | 
LiEcho. Jourmal des gens du monde. | 


Nouvelle Serie. Deuxitme Année. Hoch-4. 104 Nummern, Preis des Jahrgangs 5 Thir. Ngr. 
06 Boho ericheint vom Jahre 1845 an an in erwpeitertem Umfarige wo zwei Nummern und bietet eine kt 
Ben und Inteveflanteften * der ——ù — de Km ai ate werden mit 1 Nor. für AT 


net und elondere Anzeigen gegen Bergütung von I Zhle. beigelegt. 


Auuſtririe eitung für dit Tugend: 


mrfer Bitwirkung der beiikbteften Sez eudſchriſtfleller 


Robert 


n 


Heller. 


Erster Ahrgang. 52 Nummern. Mit vielen Abbildungen. Sehmal ge. 4. 
Hreis des Jahrgangs 2 Thlr., ein Quartal 15 New, 


eu int eine Nummer von 1 Bogen. Inſertions 
ige ie Bellagen erden F das 





Von 
Oullkabaud's, Fules, Benkumälerder 
Bankunst aller Zeiten und Län- 


der. Nach Zeichnungen der vorzüglichsten Künst- | 


ler gestochen von Lemaitre, Bury, Olivier und 
Andtra, mit erkiuterndem Text von de Cuumont, 


Kugler, Langloi Liner, L, Lokder Gi. 
. er 3 09; Be r) ⸗ 
—* de Prangey; Raoul-Rochette, L. Vau- 
doyer ete. Für Deutschland herausgegeben unter 
Mitwirkung von Dr. Franz Kugler (Prof. der 
könig). Akademie der Künste in Berlin), herausgegeben 
von Ludwig Lohde (Architekt end Lehrer am 
königl, Gewerbeinstitut in Berlin). 900 Lieferungeti 
in Grossgsart. 400 Stahlstiche und mindestens 
100 Bogen Text. Preis eiser Lieferung, deren 
monatlich zwei erscheinen, bei un 
des ganzen Werks, 15 Ngr. (12 gGr.) 
find jept 74 Eieferungen in den Händen ber verehrlichen 
Subferibenten, und fehreitet diefes umfafjende, für bie Cultur⸗ 
gefehichte der Bolker wie für bie Geſchichte der Kunſt gleich 
wichtige Werk in regelmäßiger Folge feiner Vollendung ent 
en. 
us Probelieferungen find in allen Bud. und Kunfkhandlungen 
einzuſehen | 
Geamburg, im December 1845. 


Zeh. Hug. Meißner. 





Soeben ist bei den Unterseichtieien erichienen und in allen 
Buchlandiutikeu zu haben: 


Zeichnungen 
on 
ausgeführten iw Verschledeien welpen der Industrie 


angewandien 
Maschinen, Werkzeugen und Apparate 


neuerer Gonstractien. Ä 
Gesammelt und mit erklärendem Texte bearbeitet 


von 
3 HM. Kronauer, 
Lehrer am der Gewerbschule in . 
Fünfte bis zehnte Lieferung: 

Obiges in einer der besten lithograpkäschen Anstalten 
ausgeführte Work eins mit ‚eiclinetan.. technischen 
Kenntnissen, mit mehren mechanis Werkstätten in Ver- 
bindung stehenden Manges unterscheidet sich von der fran- 
sösischeh und deuteschen Ausgäbe von Armengauds in- 


en»ter Abnahme 


Sorben it Wenfänbig 


voliſtaͤndig um 





ebüßiwen für den Raum einer gefpaltenen Belle 9 Kgr.; befondere 
dufshd mit 1 Abe: —* 0 


Suobeunmmern find durch ale Buchhandlungen und Pofämter zu erhalten. 





dustrisiler Zuitschrift in folgenden Punkten: 1) Es ent. 
hält nur die besten und neuesten Maschinen and Werk- 
zeuge, lässt dass Mittelmässige weg und verbessert die in 
Atmengaud'’s Werk vorkommenden F ; 2) die entiehnten 
‘Zeichnungen sind durchaus umgearbeitet, und — was 
von weseatlichem Vortheil ist — in grösserm Masstabe 
ausgeführt; 3) ea enthält eine Menge in dem ändern Werke 


nicht mitgetheilter. neuer Maschinen; 4) der erste Band 
' enthält 50 Tafeln, jenes nur 40; 5) 


noch ist der Preis 
um 4 Thir. büliger, es kostet nämlich bloss 8 Thlr. 8 Ngr., 


Meyer & Zeller in Zürich. 
KH” Zum Beten 
ex 
Peftaleszi- Stiftung! 


Peſtalozzis Portrait, 


oder 15 FL 











gemalt von Schöner, lithographirt von G. Moch. 


Ladenpreis 1 Thlr. 
(Heffel, bei Theodor Fiſcher.) 
iſt durch alle Buchhandlungen des In» mb Auslaubeß zu be 


ziehen. | 
| Das Bild ift nach dem beften Original mit einem Facfi⸗ 


mile verfehen und vortrefli in Beihnung und Ausſtattung 
ausgeführt. | 





erfchienen und durch alle Wu 
Ad chhand· 


lungen von uns zu b 


Vorleſnugen 
ſlawiſche Kteratur und Buftände, 


Wehalten im College de France in Den Jahren 184044 


Gchem Mickieieien. 


Deutſche, mit einer Vorrede bes Berfaſſers verfchene 
oe 


8 
Bierter Sieh. alc) 
&. 12. Sch. 1 Thlr. 5 Ngr. 


geihloffen; fie werden Wen von 
De bie Der in neucher heit verffgten Migtung de 
Diepters einge Zheilnahme fihenken. 


mit diefem Bande ift die deutſche Ausgabe ber Vorleſun 
x * 


Reipzig, im Januar 1846 
Zu Prochhaus & Avenarlus. 





\ 


Ausgewählte Bibliothek 


der 
GStaffifer des Auslaudes. 
Mit biographifch · literariſchen Einleitungen. 
Gr. 12. Geh. 
Siervon fin im Jahre 1845 neu erſchienen: 
EB EI Dengng 
Kaunegiefer. 


XLIL XLI. 8.2 zederite), Au Dalekar ⸗ 
lien. us dem Schwediſchen. Bwei Theiie. 0 u 
XLIN—LIIL Sue ( Su en ee u 
dem Branzöfifgen. Eif 


Die feüher erſchienenen Bände find unter befondern Titeln einzeln 
. zu erhalten: 





Weipsig, im Januar 1848, 


EN. Brockhaus. 


Gür Benumüller & Geibel, Buchhändler in ie, 
wirb in allen de6 Sn» und Wuslandes 
numeration auf ben Yabrgan, * — % 
zeißifgen wilita iriſchen — 

angensmmen. 

Soeben ift erfhienen: 

Das aore Heft der , 
©esterreichischen militairischen Zeitschrift 1845 
Inhalt diefes Heftes: 

I. Die Gefechte um Zroyes vom 19.25. Februar 1814, 
(Schluß.) — U. Über Zruppenübungen im Frieden zur einfti- 
en Kriegführung. — III. Über Schonung der. Streitkraft. — 

Der Bug ins Küftenlend und nad Yftrien im Sommer 
18ig‘ (Schuß) — V. Verſuch über die Ausdauer der E. k 
— hfen. — VI Friegeſtenen. I) Gefecht bei Limoneſt 

m 20. März 1814. 2) Einfihliefung von Strasburg am 
ER Zuti 1815. 3) Sefecht mit der ausgefal faenen Befagung 
Srrasburgs am 9. Zufi 1815. 4) Berluf — ‚Be iiments 

era Huſaren in ben Weld; —— j ) Ge: 
Den SIE SEE 

a am juni fl 
ippenweyer und Menden am 4. Zuli 1780. 8) 
yuen im am 2. Rovember 1788. — VH. Riteratur. — uk 
te Bilitairveränderungen. — IX. Der Ay des Kir 
Pr Betdinand IIT. ven Ungasn und Böhmen in Deutfie 
land, in einer Reihe gleichzeitiger Schreiben; Ar. 25— 27. 











‚Preisherabsetzung. 


SER, Dr. Miſſ., Über bedingte Zrabi- 
tionen. Zugleich ald Revifion der Lehre von 
den Wirkungen der Bedingungen im 
meinen. Cine tiviliftifche Erörterung. 8. . 
1 Thlr. 15 Ngr., ober 2 Il. 42 Kr. Herab⸗ 
gefegter Preis a ‚oder 1 Fl. 27 &. 

ch-rechtliche 

Auf he et der —— durch 

Concursus duarum causaruın Iucrativum. Eine 

clviliſtiſche Erörterung. Nach den Quellen ber 

arbeitet. 8. 26 Ngr., oder 1 FL. 30 Kr. 

‚Herabgefegter Preis 12'/, Ngr., oder 45 Kr. 

Meyer & Zeller in Züri, 





BeiWandenhockt & Mupreiht in {ri erſchienen 
und durch alle Bu fungen zu 
Bettberg, F. W., Kirchengeſchichte —2 — 


Srten 3 andes britte Sieferung. ©. 8. 
zweite a aa ak ee Band Bee 
Gtephen, S., Über das Verhältnis bes Hatur- 
rechts zur Ethik und zum pofitiven Recht. Gr. 8. 
175 Nur. (14 gr.) 
Wolff, ©. W., Reätsfälle zum Gebraug bei 
en Borlefungen und zum Privarftubium. Gr. 8. 
t. 





Allgemeines 


Wücher-Texikon a. 


Bon 
Wilhelm Heinfins. 


Neunter Band, welcher die von 1835 bis Cude 1841 
erſchienenen Bücher und die Berichtigungen früherer Et ⸗ 
ſcheinungen enthält. 

Herausgegeben von 
Otto August Schul. 

&rfte bis fiebente Lieferung, Bogen 1-10. 

(A—Leuchs.) 

Geh. Jede Lieferung auf Druckpap. 25 Rer, 
auf Schreibpap. I Thlr. 6 Ngr. 
Di Bände bes „, Bücher · Lerikon 
von FR ie —— — 

—————— 
Ian. DE od F te Band, melde — van Tas Eat 
Fi ea Freie br. iz xx. 


Keiprig, im Januar 1846. 
$. A. Brockhaus. 


Gr. 4. 


Deut und Werlag von F. W. Brodpans in Leipzig. 


Literarifbher Anzeiger. 





1846. 


Diefer Siterarifge vengeiger wirb ben bei $. 
Unterhaltung‘ 


3%. II. 


ſch Blätter tür literariſche 


®. Brodjans in Meipgig 
d 6° beigelegt ober Geigcheften, und betragen —ã——— ——— oder deren Raum 2 Ror. 


Bericht 


über die im Saufe ded Jahres 1845 


Fa Brockhaus in Leipzig 


erſchienenen neuen Werke und — 





1. „Annlekten für Frauenkrankheiten, oder 
der vorzüglichsten Abhandlungen, Monogra- 
Fr 'reisschriften, Dissertationen und Notizen des 
h- und Auslandes über die Krankheiten des Weibes und 
über die Zustände der Schwangerschaft und des Wochen- 
bettes. Hera ben von einem Verein praktischer 
Ärzte, Erster bis fünfter Band und sechsten Bandes er- 
stes Heft. Gr.8. 1837—45. Jedes Heft 20 Ngr. 


PR a dis fünfte Band, jeder in ‚4 Heften 11897— 45), foften 
in 
2. KT ee), Saint: des Urfprungs und 


elung bes franzöfifchen Wolfes, ober 
Bi tellung in vornehmften Ideen und Fakten, von denen 
die franzöfifhe Ratiorfalität vorbereitet worden und unter 
deren Einfluffe fie fig ausgebitbet hat. Grfter und zweiter 
Band. St. Seber Band 3 Thlr. 15 Nor. 
Der dritte und re Band 5 tee Preffe. 
3. Beibtel (8: . Bunaben, 8. Geh. 1 Kir. 
—, Der Kauf der ee. Dramas 
* ae Gedicht in fünf Aten. 8. Geh. 16 Ror. 








5. Bericht vom hre 1845 an die 'slieber 
Serlanbifger @prade und Mitertähmer, Sean | | 
. ut 
gegeben von m. eier . 8. Zðeb. 12 Ror. 
Die Berichie von 1835 ⸗4 haben — 


6. a ER ver. —— des 
. jraphil literariſchen Mm. 
&ifter bis —— — &. 12. 184 FT 
Seh. 33 Zpir. 1 _ .. IL 








ne er, — * Akt 

De — 5*8 
eber: B. ET Saprgang 3845. Tagůch eine 
——— Hann aber aud in Donatsheten beyogen 


Por 1 allen für Literarifäe Unterbeitung und der 


lit⸗ % nr di ute 
9 Mat 


rechnet 
tung nu 
den Blättern far, ——— — Auge — 
ad von 1 Ahr. der IfIE beigelegt oder beigehette 
. Brandt (“ ®. . von), Die —— 
Hannis des Gehers. Gr. 8. Geh. fr. 10 Rgr. 
9. Bremer ($reberite), Stre Siebe. 
Aus dem agwebifggen. Dritte verbeflerte —X Gr. 12. 


0er 10 Ror. 
———— Die Töchter des 
ib Erzählung einer Gouvernante. Aus dem 
ten, Vierte verbefferte Auflage. Gr. 12, 2, Si 
—————— {u Baletarli en. us 
"rem Schwediſchen. Bmei Shell ©. 12. Geh. 20 Rot. 
ie well jabe iften von reberite 
befteht auß 13 —X und loſiet 4 ae Nor., je geil 10 Hu 
Linzeln find zu erhalten: 
1, 1. Die Eachvaru. IN. Die Töchter des Präfdenten. 
m V. Kine. Vi.VI Das Hans. VIH. Die Familie $. IX. Rlei 
iere Ergäpluugen. Ex Bereit —* driede XI. XI. @in Tages 
Da. Ki. XIV u © 





13. —— Ein Organ ſaͤmmtlicher deutſcher Vereine 
für Volkzbildung und ihre Freunde. ‚Herausgegeben von 
Pfarrer Dr. R. was Erfter Jahrgang. Gr. 8. Zaͤhrlich 





vier Hefte. gr. 
ft 
Fon; Hs —3 — Shaun — 


14. Gonverfatinns:Bezifon. — Augemeine deutſche 
Beal:Ene: äbie für die gebildeten Stände. — 
Neunte, verbeflerte und fehr vermehrte Beiginala 

Pre Bänden oder 120 Saft Fa 

Se A FR (4 — Milchzucker.) 
edes 

‚Diefe neunte — *5 in 15 &änden oder 120 au dem 

Vreife von 5 Nr. für.das Heft in der Kutgabe auf Marc Krater 








ver ir. 1 1 ir., 
En Te pt 10 Man, af Sare tbpäää ⁊ Ahir., af 


Ylle® b 11 bad Wer bi N 
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HShe * AA num —— 
— —— — abe in AMd eie⸗ 
—— ne bis sehnte —— — — . Jede Liefe⸗ 


Syſtematiſcher Bit⸗ 
* Atlas 43 — — * Kenia 7 
99 e aDie Der enſchaf⸗ 
ten ae kann fie. — in Stahl geftochene Blätter 
in Quart mit Darhel „500 aus ſaͤmmtlichen Raturwiffen- 
fchaften, aus der Geographie, der Völkerkunde des Alter 
thums, bes Mittelalters und ber Gegenwart, dem Kriegs: 
und Geewefen, der Denkmale der Baukunft aller Beiten und 
Boͤlker, der Religion und Mythologie des daffihen unb 
nichtelaffiſchen Altertbums, der zeichnenden bildenden 
Künfte, der allgemeinen Zechnologie c. Nebft einem erläu: 
ternden Zert. Gntworfen und beraußgegeben von 9. ©. 
ed. Bollftändig in 120 Llefetungen. Grfte bis vierzigfte 
ieferung. Gr. 4. 1844 — 45. Jede Lieferung 6 Nor. 
17. Dante Klighieri’s profaifge Schriften 
mit Husnahme ber Vita nuova, Üherfegt con 8 ® Kanne: 
sieher. Bwei Theile. Gr. 12. Seh. 


t Defen zwei Xhellen find Dantc’s Schriften . wur 
Zusgeh in bem enfebın © Berlage erſdienen und die — Theile ein ein 
unter folgenden teln zu beilähen 
e ‚Sems berfept und erfläz£ von 
gie $ ur ii Zufia & Xx Seitee ni 
ente’s Binit, den Planen der Hölte egefeuerd und erabie 
2% eine & Karte von Ober: u BRittete Srälken. ®r. 
Bir 
Die zu ef em Werke gehörigen Kupferbeilagen werben befonders en 


16 Rer. exlaffen. 
€ te. Überfept und erflärt von K. 2. Kannegieber 
d.K. Witte. Zweite, vermehrte und verbefferte Xuflage. Zwei 


wene ‚Be eden. beten unb —* tert von K. Förſter. Gr. 12. 
gt. 












18. Deinhardfiein A 2), Künftler - Dramen. 
&r. Sch. 23 Ihr. 
m — ten nit Rebrun. 
Lußfpiel in fünf Acten. @r. 12. Ge le Ror. 
%. Dieffenbach (I. F. operative 


2⸗ 
Freter Band (6 —8 Gr. 8 184. 
a m nalr. d d wird in kei Yale den Preis 
an unter der Preffe und wir! nem e den 


3. Ranbwirtäfgaftlihe Dorfzeitung, Herausgegeben 
uner Mitwirkung einer — va Land, Haus: 
d Korfiwirthe von William Möbe. it einem 
Beiblatte: Bemeinnägt es Unten, le für 
Gtebt u Sr 


eng Rummern. 

4. —* 3 ** 
ei m —— eſp alten *3 55*5* 
. u. dal. werden gegen eine Vergütung von %, ehir. r das Zaufend 


Bergemeine GncyPispädie der Wiſſenſchaften 

ünfte, in alphabetifher Folge von genannten Pr 

Peüen bearbeitet und Herausgegeben von 8: © 19 

nd 9. ©. Bruder. SRH. und Karten. Gr 

Eat eänumerationd reis den gel auf Druck⸗ 
yapier 3 Ihlr. 35 Rer., —— Ihlr. 

und a RE ——* von J. G. Gruber. alſter 

rail Act —— Herausgegeben von X. 6 Hoffmann. 

—5 Gurken (0 EZ,  Prraubssgeben von M. H. E. Meher. 








den Seren, ienBed , auch einer .. 
23. Eneyklopädie der medieinischen Wissen- 


„ methodisch bearbeitet ven einem Verein 


Ärsten, redigirt von Dr. Misser: E 
*2** un 478 T The 


l. ——— — anni mit beses- 
—3* * 
dere; Bordch rü tigu si hen Anatomie Ra 


Von 


u Exikeiegle uf Tun 
m. ie melineineng Dingnauin sat Bemiegn op 


Feel errungen 
ae von A. Meser. Ber 2 This. don —* 
erl na aus fat enden Zbtheilun en beſte deren 
—— a ’ - Anatom Phys beruhen, Deven je da Iche da 
Chemie und —— ; Geschichte der Medich; Päthologl e na sche 
Semiotik und Diagnos ostik; Pathologische Anatomie; —— weil; 
—ã — Chirurgie; Aklurgie; Gynäkologie; Kinderkrankheites 


2. Ikonegraphische Encyklopädie, oder bik 
liche Darstellung aller tände der Medici, Chirurgie 
und Geburtshülfe. Unter Mitwirkung der Herren: Hefratı 
und Leibarzt Prof. Dr. u. Amsmsom in Dresden; Prof. 
Dr. B in Berlin; Leibarzt Dr. Gros 
heiten in Berlin; Geh. -Rath Prof. Dr. 
in Berlin; Geh.-Rath Prof. Dr. i 
Geh.-Rath Prof. Dr. Frästedi in Berlin, —2* 
berausgegeben von Dr. F. Jak. Behrend. Indie 
Abtheilung. — A. u. d. T Ikonsgraph. phische Bar- 
stellung derBeinbrüche 
Unter Mitwirkung des Hra, Geh- Medicinalratie 
Dr. Kluge besorgt und herausgegeben von Dr. F. Ja. 
Behreud. Enthaltend 40 Tafeln ausser dem Texte. 
Grossfolioc. 1845. In Carton. 8 Thlr. 

Die erfie Abtheilung, die 1839 erfhien, fühet dea Kitel: 


"schof’Wautkrankheiten. "If daran — 






tischem Texte. Unter Mitwirkung des mal Geh. - Rath Pret Dr. 
Beast beso and I Berausgegehen vo von 25 M. Jah 
28 Bogen Test. ech 


Ka 
"2 td —— fen den fü 
eide eilungen ammengenommen werben TEL 

I Ahiz. erlaſſen s 


%. Sedichte eine Sfterveichers. We. 1% 64 
2 Ryr. " 


W. Geneal Tafeln sur Maatenge 
schichte der germanischen und alawk 
nn ae. statistischen Eialeitung, \ "r 
einer 298 N 0) 
Mr. Bertei. Quer 8. Geh. I Thir. 10 Ner. 


1. Beäte (9), Kügemeine Pitagegit, S vi 


25, Günchury ‚ Studien umzr speociellee 
Pathologie. ee Band. _. u. d. T.: Die m 
thologische Gewebelehre. Huster Band: Die — 

— 


agerung in den Geweben des mnneniklichen Kia 
Ne lithographirten —* Gr. 8. Ge& IL 


2. Gabun: Hahn — Bein), en 
Berge. Zweite vermehrte Auflage. Biwvei “NR 
a 3 Thir. 15 Nor. 

Bon ber —— iR in demſelben Verlage erſchlenen: 
Ken Sa *8 1 hie. ER, 
es I Pr 8 IS —1 — 


”. Riblie hisches Handbuch der * 


PER, ähnlicher wie die Literatur der piolo *5 
m Zweige der Meretur 8 Plane nen bearheitgt und Wan 
LE 5* AR ner 
(4 — in 9 Xbtheilsmpen, 


’9 Qunbbuh 
4 KR. 
am —— herebarlept AR AU a 


Fu er and. gefßricbene Aber 


j —— Zeitſchri bergefteiten idealifieten 


— werden. ” —— Panne ecmäßisten 7 


eh. 
16 Ner Medicin, rg 16 1 Nor. — *8 Natız - „und 
Gumerbeimäe. 1928. } Thir. 10 N 
wissenschaften. 1827. 1 Thix. — ermischte, Schrißen. — 8 Ner. 
— Schöne Künste. (28 Thlr. eines ‚R 
6 ), Hligem Bäder: Re 
ER ( abetifihes —ãA— —F von 1700 & 


Und * durch ne und Literatur Damit verwandten 
2inbern gebrutt ıvorden find. Meunter Band, 10 
die von 1835 gr ‚Ende 1841 erfhienenen Bücher und 
—— nen DER erer —— en. enthält. — 3 — 

von c. Ad: wi. bid fiebent a 
— Gr. 4. 18436. eh Efrumg a am 
papier * Roc, ‚auf —— 1 1 mn. 6 


B 
—— rt e N 3 Fr 


Bis 
- Hnpeine ——* zu ale ji sn Bat gu be haben. Der ade 


eramdge n Ri Her 198 bis Gnde 
* 75 Bißer ent Kit,” Boftet Auf Drug Drudpapter 10 Fhlr. 15 rer. “ auf 
—— Dh en e), MWelche Meform Der Me: 


nd 6 
BES 





Bi Weyer 4 eier in Bihrich ift focben erfüienen und 
allen Buchhandlengen zu haben 


Gefginte 
* d 
kt > haufen“ n er; Schuch, 
8. 33 32 5. 16.SchiE. 


lauben dieſes echt hi * — — 





Sei Braumüller & Geibel, Buchhändler in Wien, 
und in allen Buchhanbfungen des In⸗ und Auslandes wird 
Yränumerstion auf den Yahrgung 1846 der 
©rsterreichischen militairischen Britschrift 
mit 12 PL. 6.+M. angensmmen. e 

Bon dem Jah 184% ifk das elfte Heft c⸗ 

t 
ſch turn. Dure 2 —— ne Se Bher bie ng 


Der Paß von R 






—* A —* Dr Feldzug 1104 in Ioolim. . Bioei- 


—— Din ein ana Sup. 
er eu a gegen Trup⸗ 
Be &.9uf einer gms 3. En — ber — 
ufarenregimen erzog Ferdinan 
VB. Bereinfachung ber im v ten Seo e Öftrzeichifgen 
Padung 8 Infanteriften im All Fon 5 B pe 
A eined Infanteri im emeinen, obne ug au 
irgend eine Armee. (Mit einer Abbildung.) —- YIT. Reuefte 
Militairveränderungen. 


In der eiade ichen Buchhandlung in Merſeburg ift fo: 


Shafipeares Macheth - 


erläutert und gewürdigt von 
Kobert Seinrich Hiscke, 
GConrector und Profeflör am on zu Merſeburg. 
Der Berfafler hat ent ac 
er er verfucht, Freunde ber Porſte, weichen 
in vnſaſſendenn Runffiublen bie Muße gebricht, dom Stand. 


ens fordern bie 
sand der — | 
gr 





33. epößi : ‚geil ah (ir Rue 
(dichte, * Sean je Er ogie. 
gegeben von Diem u 


ar ie (Bürid.) or. * 
⸗ eultat 
re 


35. Kerſten (6. MW.), Der Kreuz: und ds 
nandsbrunnen in Marienbad. Bon neuem chemiſch 
unterfuht. Sr. 12. Sch. 15 Rer. 
Ba Ran), Cola jr Rbenzi. Zrauerfpiel. 
& 
37. —— * Die en in Kirchen⸗ 
melobi S fernen. Seh. 3: 


— re —* 
ae am 18, Februar 1846, Gr. 12. Geh. 
39. ‚Renı (8.), Sorrefpondens des Ralfers Karl V. 
em koͤnigl ehe und ber Bibliothäque de Bourgo 
* —ã herausge Gele: und ameiter Band. Mit 
uthographirten — &r.8. 1844 — 45. Jeder Band 


und Ipte ma IR unter der Prefft. 





(Der Beſqlus folgt.) 
er der ne etik aus in das Verſtaͤndniß einer der 
ßten —x choͤpfungen baten Dabei Mi per 


ergliedernde Betrachtun t die kriti 
ix a unse Bergung e’fchen iz 
des zu er * Machuip- Sage und zu ber ider am Be Be 





7 alle Buchhandlungen iſt zu beziehen: 
Geſchichle der Geſangenſchaft 
Napoleon's auf St.Helena. 


General Mlonthaion, 
dem Gefährten des Kailers in ber Verbannung und deſſen Teſta⸗ 
ments vollſtrecker. 
Aut dem Franzoͤſiſchen. Bier Baͤnde. 8, Geh. 
Bon dieſem Berke, welches die intereffante ek 
* Geſchichte der neuern Zeit verſpricht, i —* Si er 
erſchienen; bie Korkfegung wird 


| re ung Boftet el Ru. mb das ganze u in 
vier Bänden wird nur auf etwa 3 Apr. zu ftchen fommen. 


Bor dem frauzoͤſiſchen Original unter dem Titel: 


Histeire de la Captivite de Ste- 


Helene 
par ie General Montholon 


6 die gi eis 3% Mor.) ausgege⸗ 
je pe Sg Runge win an —* B —X und 
etwa & hir. koſten. 


Reipaie, | 5, Buhwuor 18486. 
Bronhans & Avcnarm⸗ 








Im Berlage der unterzeichneten Buchhandlung erſcheint für 1846: 


Illuſtrirte 
Zeitung für die AZugend. 


. Herausgegeben 


unter Mitwirtung der belichteften Zugenafdriftftelldr 
von . 
Bobert Geller. 
Wöchentlich eine Nummer von einem. Bogen in ſchmal 


1 gr. 4 
Mit vielen Abbildungen. 

Preis des Jahrgangs Ahle.; ein Quartal 15 Agr.; 
ein einzelnes Heft 6 Ngr. 


d durch alle B d⸗ 
mier zu ealten. 


Benige Worte genügen, ben Plan der „Iüufteirten Bei, 
tung für die Jugend” bei ihrem erſten Auftreten vollftändig 
u bezeichnen. Auf das geiflige Bebürfniß und die Auffaffungs- 
äbigkeit der reifern Jugend fei fie berechnet; gleichmäßig be» 
rühfihtige ihr Text⸗ und Bilderinhalt Belchrung wie Unterhal- 
tung. Unfere naͤchſte Aufgabe ift, damit eine site Zeitung 
zu geben, alfo unfern Lefern alle wichtigern Intereffen der Ta— 
gesgelhiäte raſch und fortlaufend vorüberzuführen. Jewoͤchent⸗ 
iche Auffäpe follen darum aus den Ereignifien und Perſon⸗ 
unferer Gegenwart auswählen und in geeigneter 
Form zur Anfchauung bringen, was davon dem jugendlichen 
Willen nothiwendig und erſprießlich erfheint. Vorzüglich aber 
werden unfere Darftellungen Deutfchlands öffentlichem Leben 
gelten; denn mit der Kenntniß des Waterlandes wird bie 
Liebe zu ihm gefördert. Allein nicht einzig die Schilderung 
folgenreiher Thatſachen, beachtenswerther Einrichtungen und 
hervorragender Anftalten wird uns befchäftigen, auch kurze Nach: 
sichten aus den Kreifen des Kunftlebens und ber Geſellſchaft 
follen fuchen das Bild der Gegenwart zu vervollfländigen. So⸗ 
mit werden alfo jene Reuigkeiten ebenfalls berührt werben, 
welche den reichſten Stoff der Unterhaltung und Befpredung 
im Zamiliencirkel ergeben. 


Doch der Zweck unfers Blattes ift mit den genannten 
Mittheilungen. noch keineswegs eerpönft. Auch ausführlichere 
oder andeutende Auffäge über Charaktere und Epochen ber 
Seſchichte, beſonders des Baterlandes, abwechfelnd mit Ratur- 
 Bölfer: und Känderfhilderungen, in einzelne Abſchnitte ver 

theilt oder zu Weifebefchreibungen vereint, werben die Kennt- 

nißfreife une jugendlichen Leſer zu erweitern ſuchen. Klei⸗ 

nere Erzählungen moralifchen Anhalt, zu lebendiger An⸗ 
ſchauung an bie Beifpiele und Vorgänge unferer Gegenwart 
berfnüpkt, fireben außerdem dem Ziele der Charakterentwicke⸗ 
—3 und Veredelung des jugendlichen Gemuͤthes entgegen; 
Gedichte, Märchen und Sagen werben daneben poetifih an: 
regend einwirken, Aufgaben im leichten Schach⸗ und Bretfpiel, 
das NRäthfel und die Eharabe, mit ihrem modifhen Bruder, dem 
Rebus, Borfchläge zu neuen Sugendfpielen u. f. w., follen der 
fröhlichen Unterhaltung des erblühenden Geiftes dienen. Gnpdlid 
werden noch von Zeit zu Zeit Auszüge und Mittheilungen von 
empfehlungswerthen Jugendfchriften unfere Lefer auf das Neue 
und Befte in dieſem Literaturfache binweifen. 

Für Verfolgung diefer mannichfadhen Ziele haben uns die 
beliebteften Jugendſchriftſteller ihre unterflügende Mitwirkung 
augefagt.. &o Dürfen wir denn bei der großen Sorgfalt, mit 
welcher die Redaction des Blatted nach dem angedeuteten Plane 
verfahren, bei den reichen Mitteln und der vollen Aufmerkſam⸗ 


SE Probenummern 
ungen und Bo 


Druck und Verlag von F. E. Brockhanus if Leipzig. 
— — 


- 


Bett, N biſdli Ausſtattun 
a u — 
mie er 

lid) empfohlen glauben. va 
Reiygig, im Februar 1846. 


Broähaus & Avenatiu 





Soeben ift bei den Unterzeichnet i i 
iſt en von —ã und in allen Bug 


Die Lehre vom Menfchen 
die Anthropologie. 
Handbuch für Gebildete aller Stände 


von 
Dr . ® ®&. Rindemenn, 
Profeſſor ber —8 und Gulturgeſchichte an der hähern Sc. 
anſtalt in Solothurn. 


8. 34 Bogen. Broſch. Preis 2 Thlr. -20 Nor. 
(2 Ahlr. 16 g@r.), oder 4 Fl. 48 Ar. 

Wir glauben dieſes Werk nicht beffer empfehlen zu Komme 
als mit den Worten Dien’s (in Ya De vn. * 39): 
„Der Berfafler greift die Sache offenbar von einer»neuen Geite 
en, und ift auögerüftet mit einer großen Mannichfaltigfeit ven 
Kenntniflen, welche zu einer fo umfaffenden und wichtigen Bif 
ſenſchaft nöthig find. Überdies hat der Werfaffer diefe Bchren 
fo gewandt und fdarffinnig zufammengeftellt, daß fie wel isı 
Stande find, die von ihm aufgeftellte Wiflenfchaft zu begründen” 
Rod Anführung des wichtigen Inhalts fagt endlich Die: 
‚Man fieht hieraus, wie ungemein vollftändig dieſes Werk md 
wie wohl es geordnet ift. Sicherlich wird e& bie 
keit eines jeden denkenden Menfchen auf fich ziehen, befonderd 
der Philoſophen und Pädagogen. 
ftände, welche Die Pfychologie betreffen, gibt neue Ynfichten 
und neue Verfahrungsarten bei der Behandlung der geifligen 
Anlagen und Gemuͤthszuſtaͤnde. 


Meyer $ Zeller un Jurih. 


Soeben ift erſchienen und in allen Buchhandlungen vorräthig: : 


Nreanus, oder tägliche, für ebermen 
faßliche Uberficht Ale Himm elserſchei⸗ 

. nungen im Rahre 1846, für die Iwede da 
beobachtenden Aftronomen, befonders aber auch für 
die Bebürfniffe aller Freunde des geflirnten Himmel, 
— von Ge. Schubert und 8 v. Rothkith 
und herausgegeben von Dr. P. . E. », 80 
Jawski. Gr. 8. Geh. 28 Thlr. - 





In meinem Verlage ift ſoeben erfhienen und durch alle Bude 
handlungen zu beziehen: 


Genevion von Conlouse. 
Hiſtoriſche Novelle . 


von 
Reopold Gecchefer. 
Gr. 19. Geh. 1 Thir. 15 Near. 


Eeipzig, im Februar 1846. 
F. A. Brockhaus. 


. # 


Es berührt alle@egen | 


| 


Profpectus. 


In unterzeichnetem Verlag erfcheint für 1846 


Pädagogiſche Henne. 
Gentralorgan 


für philoſophiſche, hiftorifche und praktifche Hans-, Schul- und 
Sorialpädagsgik überhaupt und für das Sffentliche Unterrichts- 
wefen in Deutſchland (gelehrte und Bürger Symuafien, 
Elementar- und Volksſchulen, Hoch · und 
Fachſchulen) insbefondere. 


Herausgegeben 


von 


Educationsrath Dr. Mager. 
Siebenter Jahrgang. Baud XI, XIII, XIV. 


Der Jahrgang von 80 Bogen gr. 8. erfcheint in 10 Heften, wovon 
Doppelhefte. Preis 7 Thlr. oder 12 fl. 

Das Sanuarheft wird am 27. December verfandt. 

Inferate für das jedem Hefte beigegebene Iutelligenzblatt berechnen 
ir pr. Zeile mit 1 gGr. oder 4 fr. Beilagen mit Thlr. 1. 15 Ngr. 
der fl. 2. 24 fr. 

Wir fügen diefem Proſpectus Zweierlei hinzu: 1) einen Auszug aus 
em zwifchen dem Herrn Heraudgeber und dem Berleger abgefchloffenen 
Bertrage; 2) das Borwort zum neuen Jahrgange. 


Zürich, im Desember 1845. 
Fr. Schultheß. 


„Blätter für litera riſche 
te oder deren Raum 2 Rgr. 





[845 


eipzig 


gen. 


km Gebiete der Meil- 
mehren praktischen 
MH. Blumenthal, I. 
ir Gr.8. Geh. 1 Tulr. 
für Belchen und Unter: 
ı Jahrga ng: 92 Rum: 
vielen Ab ilbungen. Schmat 





Sig * ind toften Jufammens 
Dreifs am 
hi Se de Su ehnte abe 
Der Neuen 


fe gt find folgende Schriften mit 


der. Bünf Bände. Früher 
f. Einzelne Jahrgänge 


N Bände. Fruͤher 6 Thlr. 
Band. Früher 2 Thlr. Jetgt 


in une 2 Tolr. 
wden & neünbigung Art 
"oder deren gum —* 
gegen Verg dinß von Y Thlr 


ander aus älterer und neue 


Sammlung der intereflan> 
= ®b. 8 ig unb 


Thlr. 
ber zweite bis achte jeder 2 Allr. 
ys Hrishna Misrk 
ke instruxit Mae. Brook- 


Kirk enthaltend, erfhlen 1895 
ält die Saolim und wird zu dem 


außgege 
5 —*8 Berlage: 

utrs und 

Ber K an.tha Ss — des 
yeh. 1835, 


—— den „Soma- 
Di fun B 


auch ch. Sans- 
her Werke mie lateini- 
schl 841. 20 — 


Son Kader = Bhatta 
Yersetst, Zwei Theile. re 1% 


x 


— 


> 


Im Berlage der unterzeichneten | 


SIruf 


Beitung für 


. Herauß] 


— — 


Wöchentlich eine Nummere 
3* gr. 

Mit vielen 72 

Preis des Jahrgangs 2 Th 
ein einzelnes 


b | 
ER Pangen und Yopkn 





Wenige Worte genügen, t 
tung für die Jugend” bei ihre 
u bezeichnen. Auf das geiftige 
* eit der reifern Jugend ſe 
rüdfihtige ihr Text⸗ und Bilde 
tung. Unfere naͤchſte Aufgabe ift 
zu geben, alfo unfern Xefern al 
gesgelhicte raſch und forklaufen 
iche Auffäge follen darum aus 
u unferer Gegenwart 
Form zur Anſchauung bringen 
Wiffen nothwendig und eripriel 
werden unfere Darftellungen 1 
gelten; denn mit der Kenntı 


Liebe zu ihm gefördert. Allei 


folgenreiher Thatſachen, beach 
hervorragender Anſtalten wird uı 
rihten aus den Kreifen des K 
follen fuchen das Bild der Gege 
mit werden alfo jene Reuigkei 
welche den reichſten Stoff der 
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. Doch der 8weck unfers $ 
‚Mittheilungen noch keineswegs 
oder andeutende Auffäge über | 
Geſchichte, befonders des Vater 


 Bölfer- und Känderfilderun 


theilt oder zu Reifebefchreibung 
nißkreife unſerer jugendlichen 2ı 
nere Erzählungen moralifche 
fhauung an die Beifpiele und 
perknüpft, fireben außerdem d 
lung und Veredelung des jug 
Gedichte, Märchen und Sag 
regend einwirken, Aufgaben im 
das Räthfel und die Charade, mi 
Mebus, Borfchläge zu neuen Sr 
fröhlichen Unterhaltung des erbl 
werden noch von Zeit zu Zeit 2 
empfehlungswerthen Zugendfchri 
und Befte in diefem Literaturfa 
Für Verfolgung diefer mar 
beliebteften Jugendſchriftſteller 
— So dürfen wir dem 
welcher die Redaction des Bl 
verfahren, bei den reichen F 


A. | | 
Auszug ans dem Berlagscontract. 


$. 2. Herr Schultheß verſendet die Revue nicht in alte, foren 
in neue Rechnung. | 

$. 3. Herr Schultheß verfendet gratis an die Meitarbeiter can 
Abdrud ihrer Artikel, an die Verleger angereigter Schriften einen Mind 
der Recenfion. 

$.4, c. Nach dem Drud des Decemberhefts, nachdem Herr Mayr 
bie Honorarberechnung für die Herren Mitarbeiter gemacht hat, felı 
Herr Schultheß über ven Beirag der jedem Mitarbeiter des Jahres 
fommenden Summe Promeffen oder Anweifungen auf feine Commijir 
zu Leipzig, Frankfurt am Main und Stuttgart aus, die zur Oftermek 
des naͤchſten Jahres zahlbar find. * 


empfangen wänfchen, wirb es ber Herr Herausgeber zumitieln uud ih ben Beirag vom 


” Mitarbeitern, bie im Laufe des Jahres das Honorar für ihre Beiträge m 
Verleger erſtatten laſſen. 


B. 
Vorwort zum Ianuarbefte 1846. 


Die Päpagogifche Revue, die mit diefem Heft ihren fiebenten Jahr⸗ 
zang eröffnet, iſt in den Stand gefekt, flatt der bisherigen 72— 75 
Bogen nunmehr 80 Bogen zu liefern, was dem Herausgeber geftattet, 
ben urfprünglichen Plan etwas weniger Tüdenhaft auszuführen, als es 
bisher, weil der gegebene Raum nie ausreichen weilte, hat gefchehen 
müffen. Der Herausgeber glaubte im Interefie der Zeitfchrift und im 
Sinne ver Leer zu handeln, wenn er, bei der gegebenen Möglichkeit, 
entweder die Bogenzahl zu vermehren und den bisherigen Preis beftehen 
zu laſſen, oder den Preis des neuen Jahrgangs um etwa 1 fl. zu ver 
mindern und die bisherige Bogenzahl beizubehalten, fich für das Erfte 
entfchied. Es wird von der Theilnahme des Publicums abhangen, ob 
nach einem Jahre oder zweien Die Bogenzahl weiter vermehrt werben 
kann; vorläufig Bat ber Herausgeber nicht weiter gehen zu dürfen ges 
glaubt, da er die Marime hat, feinen Verlegern auch nicht einmal das 
Riſico eines Dpfers zugumuthen. 

Wie den bisherigen Lefern befannt, haben wir mit dem vorigen 
Sahrgang angefangen, anftatt wie in den frühern Jahren Abhandlungen 
und Kritifen über Gegenftände des hoͤhern und des niedern Unterrichtes 
pele -mele zu bringen, für das, was über das Elementar- und Volks⸗ 
fchulmwefen und was daran hängt, zu fagen war, eine eigene Abtheilung 
— die zweite — zu machen und für diefe 12 Bogen zu verwenden. 
Die Bermehrung der Bogenzahl des neuen Jahrganges geftattet und, 
für die paͤdagogiſchen Mittheilungen über die Hochs und Bachfchufen 
jetzt das Gleiche zu thun und diefer — dritten — Abtheilung jährlich 
8 — 10 Bogen zu referviren. Man darf nur den dem erften Bande (1840) 
als Vorrede dienenden Profpertus und den Inhalt ver früheren Bände 

anfehen, um fich zu überzeugen, daß diefe äußere Veränderung feine ins 
nere ift. In jedem der bisherigen Bände ift neben dem Oymnaflal- und 
Realfchulweien auch das Elementar- und Bolfafchulwelen, fo wie das 
Univerfitäts- und Fachſchulweſen berüdfichtigt worden; indem von nun 


——— _ 







„Blätter für Literarifihe 





845 


Ingen. 


m Gebiete der Heil- 
ehren praktischen Ärzten 


IH. Blumenthal, #, 


 Gr.8. Geh. l Thlr. 
für Belehrun und Unter: 
Sabrgang. 1845. 52 Run 
bieten * Ab idungen. cc 


rabgeſe 
im lr., bir — bis I 


Deiner — toten — 
ie 10 


gr. Der Reuen 
} 
N find folgende Schriften mit 


ber. Fünf Bände. Früher 
. Einzelne Jahrgänge 


| Bände. Weüher 6 Lhlr. 


Band. Früher 2 Thlr. Jetzt 


unr 2 Zple. 


wben intündiguugen alles Art 
oder deren Raum werben E- 
r gegen Verguͤtung von . 


Sammlung ber intereffan- 
änder aus älterer und neue 
u lI. @b. i ig und 


rd. 
ber zweite bis achte feder 2 Adlr. 
ya Krishna 
se instruxit Mil. Brook- 
be. 125 Ngr. ° 
greittert enthaltend, eerſchien 1895 
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„der K afatha Sarit * hie 
8. 1835, 8 Neger 


Firchensammlang des Boma- 
‚rates bis fünfte Buch. Sans- 


8 Thlr 
her Werke mit lateini- 
(chlag. 184. % Er 


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Zwei Thelle. Cr 1%. 12, 


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an brei Abtheilungen befichen (beren erſte, weil fie nicht nur das Gm 
naſial⸗ und Realſchulweſen, fondern zugleich die Paͤdagogik als Wie 
ſchaft und Kunft überhaupt behandelt, den größten Umfang, nänff: 
58— 60 Bogen hat), wird für den Lefer die Ueberficht erleichten 
während freilich der Herausgeber fich fein Redactionsgeſchäft erfhwet 
hat. Denn es iſt natürlich leichter, eine gewiffe Bogenzahl mit cine 
Iefenswerthen paͤdagogiſchen Inhalte zu füllen, wenn es genügt, dej 
diefer Inhalt überhaupt paͤdagogiſcher Ratur fei, als wenn zugleich ie 
flimmt if, wie viele Bogen biefem, wie viele einem zweiten, wie sik 
einem dritten Gegenftande gewidmet fein follen. Daß für bie Giäk 
der drei Abiheilungen das angenommene Berhältnig im Allgemeinen da 
richtige fein wird, hoffen wir. ° 

Hier hätte nun ein in dem Profpectus der Reutlinger „Mitteichuk‘ 
über die Pädagogifche Revue geaͤußertes Bedenlen ben KHerausghe 
vieleicht bevenflich machen follen. „Wir brauchen nicht erft darauf af 
merkſam zu machen” — hieß es in jenem Profpertus —, „daß bie ik 
dehnung einer Schußgeltung über das ganze Unterrichtögebiet von de | 
Vollsſchule bis zur Hochſchule ihr Beſtehen von vornherein unficher made 
muß, weil fie einestheils auf ein zu ungleichartiges Publicum berrfed 
iſt, anderntheils von ber Rebaction eine Umſicht fordert, die bei da 
wenigften zu finden fein möchte.“ 

Auf das Bedenken in Betreff des Befichens und ber i 
ſchon GBd. X, ©. 336) ein Wörtchen erwiebert, fehen —e— 
dem Bedenlen in Betreff des zu „ungleichartigen Publicums“ vethaͤlt 

Welchen Publicum nun die Pädagogifche Revue zu dienen befkmmt 
AR, wurde im Profpectus ©. III — V gefagt. Es hieß dort: 

„Im Allgemeinen wird fie ihre Lefer unter den Lehrern und Dis 
toren der Gymnaſien, höhern Bürger (Real) ſchulen und Seminare, 
Schulräthen, folhen Theologen, die Schulen inſpiciten müſſen, endid 
unter Hiftorifern, Pbilofophen und Staatsmännern zu fuchen haka, 
—* Wan Be ſelbſt verſteht, daß fie vor Allem das Bebürfalf be 

igen ihrer Leſer, welche praftifche Schulmänner berüdicheigen 
und zu befriebigen hat. 2 ms au bt 

„Run laſſen ſich aber unter den Lehrern und Dixectorm der Ge 
Per und Realfcjulen fo wie der Seminare deutlich drei Speed unkr 

n 


v 


„Einige wenige find Pädagogen im großen Styl, Männer, die das 
gefammte Erziehungs- und Unterrichtöwefen aller Zeiten und aller Länder 
in moͤglichſter Ausdehnung und Volftändigfeit Tennen zu Iernen trachten. 

„Andere find entweber nicht fähig oder doch nicht geneigt, über den 
Kreis ihrer perfönlichen Thätigfeit Hinauszubliden: ver fogenannte Hu- 
manift Fümmert ſich nicht um den fogenannten Realiften und vice versa; 
was ber Elementarpäbagog treibt, begehren beide nicht zu erfahren. Die 
Ultras diefer Species bemühen ſich nicht einmal, bie Schule, der fie an 
gehören ( Gelehrten⸗ oder Realfchule oder Seminar), als ein Ganzes von 
Bildungsanftalt aufzufaffen, fie haben nur ihr Lehrfach im Auge: was 
geht den Lehrer des Griechiſchen auch der mathematifche Unterricht feiner 
Schüler an? 

„Es liegt in der Natur der Sache, dag es unmöglich if, für bie 
padagogiſchen Univerfaliften ein Journal zu gründen. Die Bäda- 
gogifhe Revue wünſcht fi die Männer dieſer wenig zahlreichen 
Kategorie zwar zu Lefern, Fann aber ihre Bebürfniffe nur unvolllommen 
befriedigen.” 

nWollen es die päpagogifchen Barticulariften einmal mit uns 
verfuchen, fo wird es und eine Ehre fein. 

„Gewidmet iſt näher die Padagogifche Revue einer dritten Spe⸗ 
cies von Pädagogen, ſolchen Gymnaflals, Realſchul- und Seminaw 
Ichrern und Dirertoren (daneben Schulräthen, Infpectoren u. f. w.), 
welche zwar, wie billig, zuvorderſt ihre eigene Lection zu bebenfen bes 
müht find, damit es wohl in ihrer Schule oder Elafle ftehe, die aber 
zugleich inſoweit hiſtoriſch, philofophifch und pädagogiſch gebildet find, 
um ihr befonderes Thun ald Moment im großen Ganzen des Unterrichte« 
weſens zu willen, und fomit wünfchen, ſowohl über diefes Ganze ſelbſt, 
als über ihr eigenes Wirken als Theil des Ganzen ſtets unterrichtet zu 


* Gin wirtlich aniverſales Journal der Pädagogik müßte jährlich 800 — 350 Bogen 
Ueſern können, und dann wäre es mod; immer bie päbagogiichen Gperials Journale und 
die Provinzials und Localblätter nicht überfläffg machen. Daß eine ſolche Zeltſchriſt in 
Dentfcland unmöglich if, beruht auf einem der vielen witiöfen Girfel, im denen wir 
uns drehen. Weil nämlich die meißen Lehrer zu arm find, können fie fein Journal halten, 
wozu kommt, daß das Bebärfuiß eines allgemeinen Journals vorläufig fein allgemeines 
iſt. Und weil Journale, um wohlfeil fein zw können, mehrere tanfend Mbonnenten haben 
müfen, fo find padagogiſche Ionrnale in Deutfcgland gezwungen, thener zu fein. 





in für Belehrung und Unter« 
Zaprgang. 1845. 52 Rum 
ı vielem Er ildungen. Schmal 


N eaInd ton, aufenmens 
erabgefepten Preifs nur 
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Erent find folgende Schriften mit 


Under. Fünf Bände. Früher 
br. Gute Sahtehnse 


hei Bände. eher 6 Thlr. 
and. Früher 2:Xpfe. Jett 


Ben nuc 2 un. 
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I. gegen Bergütung don Y, 


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Maya Krishna Mieri 


Be Instruxit Hm. Brock- 





Im Werlage der untergelänetenn: 


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zegend einwirken, Aufgaben 
dag Räthfel und die Charade 
Rebus, 
öhlicher 








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fein. Dieſe Männer find zwar Philologen, Hiſtoriler, Mathematik, 
Naturforfcher u. f. w. und Lehrer einer diefer Wiflenfchaften; Inden | 
aber an Schulen, nicht auf Aademien, Ichren, find fie vor Un) 
Schulmänner und haben als ſolche paͤdagogiſche Bebürfniffe 
Diefe paͤdagogiſchen Bedürfniſſe dieſer Männer fammtlih mia 
einer geeigneteren Weiſe zu befriedigen, als es bisher gefchehen, diej ĩ 
die Beftimmung der Paͤdago giſchen Revue. Zugleich ſtellt fie fh 
Aufgabe, die zu Mler Schaden feit Jahren unterbrochene Verbin 
zwifchen Norddeutſchland, Süpbeutfchland und der Schweiz wiceder ke 
fielen zu helfen, wie fie denn aud) den Beftrebungen, Arbeiten wo 
Mittheilungen der verſchiedenen Vereine von Schulmännern ein bei 
williges Organ fein will.“ 

Man flieht, die Lefer, auf welche die Revue von Anfang an gerefn 
bat, find in fo weit gleichartig, daß fie (mit wenigen YAusnahen) 
Pädagogen von Beruf find. Die Gleihartigfeit geht aber noch nee, 
denn die Majoritit diefer Lefer übt ihren Beruf an gefehrten und Bine 
Gymnaſien und an Schullehrerfeminaren, und wenn es ber Am 
gelungen ift, auch bei einer Elite von Glementar- und Volloſchullehren 
und einer Anzahl von afademifchen Lehrern Eingang zw finden, fo je 
das die urfprünglichen Rebactionsmarimen im Wefentlichen fo wan 
verändern loͤnnen als der Umftand, daß fie in mehreren nichteutieen 
Ländern ebenfalls eine Anzahl von Lefern gefunden Bat: wenn aud) Ida 
einziger Elementar / ober Bolköfchullehrer, Fein einziger Univerfitätsprofefe 
unfre Zeitfehrift Täfe, fo würden wir dennoch fowohl das Volls, ald 
das Hochſchulweſen in den Kreis unfrer Befpredjung zu vchen und fir 
verpflichtet Halten, 

Wir muthen natürlich nicht jedem Lehrer an. höhern Lchranfii ı 
au, daß er die Paͤdagogik (über beren Inhalt und Umfang ber ak 
Artifel dieſes Heftes ein Wort fagt) zu feiner Wiſſenſchaft make; 
wenn er fie fo weit fennt, als es fein Beruf fordert, fo thut mW 
Seine und fein Billiger wird ihn tadeln, falls er feine freie Zeit Ice f 
der Wiſſenſchaft widmet, bie er zu lehren hat, als der Wiſcichaſt 
welche unter Anderem auch das Lehren lehrt. Es iſt gar nick nothig 
daß jeber Paͤdagog zugleich Pädagogifer fei. Run gibt es beanntid 
Journale für Philologie und Pädagogif, andre für Mathemaiit w 
Paͤdagogik, andre für Theologie und Paͤdagogik, und welcher Lehm a 





VIE 


Wefen findet, was er als Schulmann braucht, für den wäre es offen- 
barer Lurus, noch ein Journal zu leſen, das ausſchließlich der Paͤdagogik 
gewidmet iſt. Eben fo würbe berjenige Gymnaſial⸗, Real: oder Volker 
ſchullehrer, der zwar ein lediglich pädagogifches Journal, aber ein ſolches 
leſen wollte, das nur Eine Gattung von Schulen im Auge hat, bei 
ber Revue nicht feine Rechnung finden. Es denfen aber befannilich 
nicht Alle gleid, und die Pädagogifche Revue fegt bei ihren an gelehrten 
ind Bürger » Oymnafien wirkenden Lefern voraus, daß fie nicht nur 
äber den Drt, woher ihnen ihre Schüler fommen, fondern 
auch über den Ort, wohin diefelben gehen, fortwährend in 
Kenntniß bleiben wollen. 

Es dauert vieleicht noch eine Weile, bis die Maffe der an ges 
lehtten und Bürger-Gymnafien wirkenden Lehrer einfehen wird, daß es 
nicht nur von ihrer Pflicht, fondern von ber allerordinärften Klugheit 
geboten if, fih um die Elementarſchulen und die Technik der beffern 
Elementarlehrer ein wenig zu befümmern. Daß die Lehrer folcher Gym 
naſien und Realſchulen, deren untere Elaflen viele Schüler haben, die 
eigentlich in die Volksfchule gehören, nicht weniger die Lehrer folcher 
Gymnaſien und Realfchulen, die ihre Schüler ſchon mit acht Jahren 
aufnehmen, dazu eine directe Aufforderung haben, liegt auf offener Hand; 
aber auch die Lehrer unterer und mittlerer Claſſen berjenigen gelehrten 
und Bürger⸗Gymnaſien, welche ihre Schüler erft mit zehn Jahren, nach 
abfolvirter Elementarſchule, aufnehmen, müflen die zwei erflen Jahre hin— 
durch ganz elementarifch unterrichten und in ben nächften zwei Jahren 
die Künfte der Elementarbivaftif noch oft zu Hülfe nehmen, wenn fie 
ſich, ihre Schüler und das Publicum befriedigen wollen. * Ein feche« 


* Im $. 8 des Grlaffes des k. pr. Unterrichtsminiſteriums vom 24. Oxtober 1837 
hleß es alfo: 

Mehrere ſachverſtaͤndige Stimmen änßern, daß bie verlehrte Methode, im welcher 
die Lehrgegenſtaͤnde nicht felten noch behandelt werben, die wunde Stelle der Gymmaſien 
ſel ..... Aber zugleich erhebt ſich gegen einen Theil dieſer Männer die Anklage, daß, 
während das Clementarſchulweſen im den legten Jahrzehuden im Hinficht anf Didaktik 
und Methodik ungemein verbefiert und ein Staub von Lehrern gebildet worden, bie 
wegen ihrer paͤdagogiſchen Gewandtheit und wegen Ihres Geſchickse, große Mafien zw 
befeben , in ihrem Kreiſe ſich als Meier zeigen, fehr viele und beſonders die jüngeren 
Gymunaflalichrer das Studium der Päbagogik wicht gehörig beachten, die ſchwere Kuuſi 
des Untertichtens vermachläffigen, die erfreulichen Fortſchritte, welche bie Elementarſchule 
in biefer Beziehung gemacht Hat, entweder gar nicht Fennen ober doch micht beuußen, 







„Blätter für Literarifife 
ile ober deren Raum 2%, Ror. 





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Leipzig 


husen. 


lem Gebiete der Heil- 
nlmeniset, — 
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Er.z. Geh. 1 Thir. 

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Sahrgang. 52 Rum: 

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ine Sammlung der intereſſan · 
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1, ber zweite DI6 alte jeber 2 Aue. 
idaya Krishna Misrk 
Be. Brook- 


kmstettet, enthalte, 1885 
Kate Se Sollen uns en 
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unter Mitwirkung der ba 


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Wochentlich eine Rummen 


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iche Auffäge follen darum @ 
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welche den seiften Stoff 
im Zamiliencirkel ergeben. 
Dod der 8weck unfen 
Mitteilungen noch Feineim 


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jahriger Erfolg hat gezeigt, daß der Herausgeber mit biefer Anſicht nick 
allein fteht, und darum wollen wir, und wäre es nur der Opmmafinlichem 
wegen, bie Abtheilung für das Elementar» und Volksſchulweſen beibe 
halten. Für die Lefer, welche, fei es als Lehrer oder Aufſeher, mit bien 
Schulen direct zu ihun haben, folte fie freilich größer fein. 

Wenn fich manche Lehrer der gelehrten und Bürger-Oymnafien mm 


und ſich gerade den wichtigen Thell ihres Berufs... nicht gebührend amgelegen fir 
laſſen. Ehen diefen Lehrern wird zum Borwurfe gemacht, baf fie im werlchrie 
Methode ans falſcher Grändlictelt ihre Echäler mit einer erbrücenden Maße matrriche 
Wifene überhäufen , daß Re Im Urbrrfdägung des ihnen angemiefenen Lehrfaden fi | 
Berfältniß zu dem Gefammtziweite, dem es al anergeorduetes Mittel dienen foh, cu 
den Augen fepen; daß ihnen endlich, iudem fie die Lehrweife der Umiverfltätsprofefon 
nachahmen, im ihrem Bortrage die belebende Friſche aud Begfamfeit, fo wie das Seſcu 
abgehe, ſich dem jugendlichen Gelſte anzufchließen. .. . Nicht weniger wird befazpe, 
daß der Crfolg ihres Unterrichts, wie es bei einer fo verkehrten Methode mid ade 
fein könne, wenig befriedigend ſei, und befonders in bem alten Sprachen, im ber dratider 
Sprache und in ber Geſchichte zu dem großen Anſtreugungen, welche fie feibR main ı 
und and) ihren Schülern zumntgen, in Seinem Verhältnifie ſtehe; daß fie aber in grie 
Gelbfverblendung den Grund hiervom ganz und gar micht in fi felb..., fern 
Tebiglich im der geiftigen Gtumpfgeit, Gleichgältigfeit und Gtarrheit ihrer Sqhüier faden, 
mub beßfalb auch nicht mide werben, über bie Gehlaffheit, den Mufleif mb bie Repunge 
lofigkeit derſelben Beſchwerde zw führen“ m. ſ. w. 

Dieß gefiel mir 1837 wohl und als ich Ende 1836 mit dem fel. Spillele, Dir 
Diefterweg und (wenn ich nicht Irre) auch dem Concipienten diefes Miniferial: Grip 
den damals entworfenen Plan zur Paͤdagogiſchen Revne (die 1837 beginmen follte, das 
branbenburgifche Ober »Präflblum verfagte aber in Folge der damaligen Mominifrationde 
morimen bie Conceſſion) befprach, ba emihtelt dieſer Plam einige zidt weniger arte 
Stellen. Jetzt gefällt mir ver Grlag viel weniger: 

Fürs Erfe nämlich trifft er aur die premßifchen Gymmafallehrer, vie, weiß 
mich die lebten find. Das Hebel IR fein preufifches, fondern ein beutiäen mad 44 
es außer Preußen vielfach ärger gefunden. | 








z2 


Fürs Zweite mar es ungerecht, befomders bie jüngeren Gymuai 
Aufpruch zu uchmen. Wenn man erſt zwanzig Jahre Schule gehalten Hat, fo 
man natutlich eime Rontlae, bie vom den gröbfen Behlern, bie mam im ben erſen 
begieng, frei iR, 

Vürs Dritte war es ungerecht, ernten zw wollen, wo man wicht gefiel 
Bär die Elementarlehter Hat man Geminare gegründet und einige biefer Geminsre 
Birtwofen in ber Unterrichtöfunf zu Directoren mnb Lehrern gehabt; was aber bat 
die preußiſche Gtantsfhulverwaltung für die päbagogifche Bildmmg ber Eferr 
gelehrten und Bürger: Oymnaflen getfan? Bar Nichts ober doch faR gar Rihts, tem 
die phllologifchen Seminare und das naturhiſtoriſche Seminar in Bomm fünnen era 
wenig allein Schulmäuner bilden, als naturwiſſenſchaſtliche Studien, wenn nichts Ander⸗ 
dazu onımt, Merzte bilden loͤnuen. 


Hi 


44; 


ıx 


angern davon überzeugen laflen, daß eine genauere Kenntniß bes Elemen- 
tarfehulwefens für fie fehr münfchenswerth und für Diejenigen unter ihnen, 
velche in unteren und mittleren Claſſen Ichren, unerläßlich if, fo koſtet 
s weniger Mühe, die Herren davon zu überzeugen, baß fie, befonders 
venn fie in oberen Claffen unterrichten, mit den Hoch⸗ und Bachichulen 
n Rapport fein und bleiben müflen. Die Facultäten und Fachſchulen 
sieten der Betrachtung nun fo viele Seiten dar, daß es Fein Wunder 
väre, wenn mancher Schulmann an benfelben gerade diejenige Seite nicht 
ände, von welcher her die Paͤdagogik die Hoch⸗ und Fachſchulen 
jetrachtet, und ber Herausgeber gefteht gern, baf er für feine Perfon 
erſt feit ein paar Jahren den Gefichtspunft für bie pädagogifche Betrach⸗ 
hing der Hoch⸗ und Fachſchulen aufgefunden hat. 

Der Lehrer (um nur von dieſem zu reden) inteteffirt fich, infofern 


er als Gelehrter ſich an den Sortfchritten irgend einer Wiflenfchaft . 


betheiligt, für das, was von den Profefforen der Hoch- und Fachſchulen 
litterarifch und in ihren Vorträgen für diefe Wiffenfchaften geſchieht, fo 
wie für bie. perfönlichen Verhaͤltniſſe der hervorragenden unter biefen 
Männern. Obgleich wir es nun den philologifchen, hiſtoriſchen, philoſo⸗ 
phifchen, mathematifchen, naturwifienfchaftlichen und andern Zeitfchriften, 
d wie ben allgemeinen Literatur» und ben politifjen Zeitungen über» 
laffen müffen, diefes Intereffe zu befrievigen, fo werden wir doch wie 
disher fo fortan. eine Auswahl folder Univerfisätänachrichten bringen, 
von denen anzunehmen. ift, daß fie vielen unfrer Lefer willfommen find. 
Ein nicht ganz geringer Theil viefer Lefer befteht aber aus Franzoſen, 
Engländern, Schweden, Ruffen, Ungarn, Stalienern, Spaniern und 
Rordamerifanern, die auf Mittheilung gerade dieſer Nachrichten einen 
Werth fegen. 

Diefes Intereffe iſt jedoch nicht das paͤdagogiſche; der Schulmann 
als Paͤdagog ift bei den Hoch“ und Fachſchulen noch in einer ganz 
andern MWeife intereffirt. 

Zuerft fragen wir, was die Hochfchulen für die Bildung der 
Lehrer tun. 

Natüurlich muß für dieſelbe Zweierlei gefchehen: einerfeits müflen 
viefelben in philologifchen, Hiftorifchen, philoſophiſchen, mathematifchen, 
phyſilaliſchen, naturhiftorifchen u. f. w. Vorträgen und Seminaren Ge 
legenheit haben, ſich für irgend ein Lehrfach auszubilden, andrerſeits 





"lem Gebiete der Heil- 


Ex praktischen Ärzten 


hmm. Gr.8. Geh. — 
pi für Belehrung und Unter 
& Jahrgang. . 52 Rum: 
+ vielen Abbülbungen. Sömat 


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ee e find folgende Schriften mit 


Under, Fünf Bände. 
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Band. Fruͤher 2Thir. Jegt 
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(eräen EEntägbigungen ang Krt 
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Bl. gegen ergütung don Y 


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ine Sammlung der intereſſan · 
Länder aus Älterer und neues 


‚Sep. 15 Zpir. 24 Mar. 

Yu, ber zweite bI6 aıte jeder 2 &plr. 

iaya Krishna Mierk 

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. 15 Nor. ' J 


Im Berlage der unterzeichneten] | 


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unter Mitwirkung der bi , 
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Wöchentlich eine Nummer 
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Mit vielen 

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Er ungen und Pofb 


Berige Worte genügen, 
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u einen. Auf das geifti 
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Geſchichte, befonderd des _ 
 Bölfer- und Kanderfi ilde 
theilt oder zu Reiſebeſchreil 
nißkreiſe allın jugendliche: 
nere Erzählungen morali 
fhauung an die Beifpiele 
verknüpft, ſtreben außerden 
lung und Veredelung des 
Gebichte, Märchen und € 
regend einwirken, Aufgaben 
das Rätbfel und Die Eharade 
Rebus, Borfchläge zu neuer 
fröhlichen Unterhaltung des 
werden noch von Zeit zu 3 
empfehlungswerthen Jugend 
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müfien ſie fich in padagogiſchen Vorträgen und Seminaren zu Sehrem 
und Erziehern überhaupt ausbilden können. 

Die Univerfitäten werben fomit erlauben, daß wir ihnen in Zufunft 
noch etwas häufiger als bisher durch die Benfter fhauen und namentlich 
auch und nach der Unterrichtöpraris in den philologiihen und andern 
Seminaren umfehen. * 

Um zur zweiten Frage zu kommen, fo wiffen wir zwar recht gut, 
daß die Pädagogik mit der Politif unter andern Aehnlichkeiten auch 
die bat, daß bei herannahenver Mündigkeit der Völker und der Indivi⸗ 
duen dort des Regierens, hier bes Erziehend weniger werden und dad 
Sprichwort che governa meglio, chi men governa zur Anwenbung 
fommen muß. Hoch» und Fachſchulen, vorausgefept daß dieſe letzters 
aufhören, halbe Kinder aufzunehmen, find viel mehr Unterrichts⸗ als 
Erziehungsanftalten und ihr Unterricht ift größtentheild Fein paͤdagogiſcher 
(ſchulmaͤßiger, erziehender) mehr. Nichts deſto weniger koöͤnnen wir und 
nicht entfchließen , bisheriger päbagogifcher Obfervanz gemäß, unſte 
Zöglinge nur bis zur Schwelle der Hochs oder Fachſchule zu begleiten 
und dort umzukehren; wir müffen vielmehr eine zweite Stage an bie 
Hoch⸗ und Fachſchulen richten, und zwar eine Doppelftage. inerfeits 
fragen wir: was thut Ihr, damit, die Euch anvertrauten jungen Leute 
auch Etwas lernen fonnen, was thut Ihr namentlich für Diejenigen 
Gegenfände, welche von vielen ber jungen Leute, die nicht ihr Fach 
aus ihnen machen, zu ihrer allgemeinen Bilvung (wie man es nennt) 
pflegen flubirt zu werben, wie tragt Ihr 3. 3. für Studirende verſchie⸗ 
dener Facultaͤten Gefchichte und Philoſophie vor? Andrerfeits fragen wor: 


- was thut Ihr, damit der Charakter der Euch anvertrauten Sünglinge 


fich in gebührenver Freiheit und zugleich in Zucht und Ehren entwideln 
faun? wie fteht e8 um das Leben auf Hoch- und Fachſchulen? 

Jede dieſer zwei (oder drei Bragen) löst fich in drei fpeciellere 
ragen auf: 1) Was gefchieht? 2) Ift das, was geſchieht, auch dad 
Rechte und Heilfame? 3) Könnte nicht Beſſeres gefchehen? 

Wir haben fomit fortan drei Abtheilungen, die erfte von 58 —60, 
bie zweite von 42, die britte von 8 — 10 Bogen. Die erfle Abtheilung 


* Bon den Schullehrerfeminaren haudeln wir in der zweiten Abteilung ber Revme, 
wenn auch der Begriff der Sache fle in die britte verweist. 





- x 


bildet ven erften und zweiten, die zweite und dritte den dritten Band des 
‚Sahrganges. Die innere DOrganifation (1. Abhandlungen, II. Beurthei⸗ 
lungen und Anzeigen, IH. Zeitung) bleibt biefefbe. 
Die bisher befolgten Revactionsmarimen irgendivie zu ändern, hat 
fich Feine Beranlaffung ergeben. Der Herausgeber wird nach wie vor, 
am nur Diefes Eine zu erwähnen, feine Stellung als Redactor und Mit- 
arbeiter der Revue forgfältig aus einander halten, und feinem 1840 ge 
gebenen Werjprechen, al8 Herausgeber nie die Anfichten geltend zu 
machen, die er ald Autor und Mitarbeiter vertritt, die Debatten vielmehr 
burchaus unpartelifch zu leiten, fchon darum treu bieiben, weil Dig 
Revue es wohl zum Theil dieſem freien Sinne des Herausgebers ver- 
danft, daß vorzügliche Männer, vie in vielen und weientlichen Stüden 
des Herausgebers Anfichten nicht heilen, fie mit ihren Beiträgen be- 
ehrt haben und damit fortfahren. Auf. dieſe Weile kann man allerbinge 
unſerer Zeitfchrift „Die Richtung” abfprechen, weil verjchienene Richtungen, 
in welchen bie gegenwärtige Paͤdagogik ſich bewegt, in ihr vertreten find. 
Die Revue follte aber nun einmal eine Zeitfchrift fein, von dem Zuftande 
der Pädagogik in unferer Zeit Zeugniß ablegen, und durfte fi) darum 
feiner Anſicht, die in unferer Zeit wahrhaft wirft, verfchließen; fie bat 
ein Gentralorgan werden wollen, nicht dad Organ einer Schule, Partei, 
Clique, auch nicht derjenigen des Herausgebers, wenn biefer das Talent oder 
die Neigung hätte, eine folche zufammen zu bringen; ald Centralorgan aber 
bat fie nur das Ereentrifche von fich abzuhalten, z. B. die neueften Anläufe 
zu einer arheiftifchen Pädagogik, und als Zettfchrift dasjenige, was ent 
fehieden nicht mehr an ber Zeit ift und noch weniger eine Zukunft hat, 
3. B. Humanismus und Realismus in ihrer nunmehr veralteten Gefalt. 
Was Dagegen, alt oder neu, Fräftig genug ift, einen beveutenden Theil 
der heutigen Schulmärnner auf feine Seite zu bringen, 3. B. das abfos 
Iutiftifcheradicale pädagogifche Territorialfyftem, nach welchem der Staat 
der allgemeine Schulherr it, oder die fpecififch- „chriftliche" Paͤdagogik 
— Fatholifch- „iefwitifche" oder: proteftantifch- „pietiftifche” —, dem räumt 
der Herausgeber gern einen Theil feines Blattes ein und erbittet ſich 
von den Anhängern diefer Richtungen nur die Erlaubniß, in feinen 
eigenen Auffägen eine entgegengefegte Richtung einzufchlagen und ihnen 
nach Kräften mit allen Mitteln, bie Philofophie, Gefchichte und Erfah 
rung an die Hand geben, entgegen zu treten. 





ten „Blätter für Uterarifäge | 
eile oder deren Raum 2%, Rgr. - 





7 
t 
« 


1845 


Leipzig 
ungen. u 
kom Gebiete der Heil- 


| mehren praktischen Ärzten 
M. Blumenthal, F. 
Gr.8. Geh. 1 Thlr. 


in für Belehrung und Unter: 
Zahrgang. 1845. 52 Num- 
vielen Ab ifdungen. Schmal 


ußgegebe 
Mean koften aufommens 


hir. der Te@bte Bie ackntı Sch 
e nte Jahr⸗ 
x wer 10 Rgr. Der Reuen gie 


fe gt find folgende Schriften mir 


inder. Fünf Bände. er 
hr Einzelne Sahne 


tei Bände. Yeüher 6 Ilr. 


‚Band. Früher 2 Xhlr. Jetzt 


ben ane 2 hir. 


—* Aukndigungen aller Art 
e oder dergn Raum werten PR x 
hal. gegen Vergütung von „X 

4 


ine Sammlung der intereffan- 
Sur Fr wi und neue 
ae ) Er ißee der 
. er 8 achter 
4 15 Thlr. 24 Ror., 

» ber zweite bis alte jeder 2 Thlr. 
*— Krishna Mierk 
fie ıinstruxit Hm. Brook- 
hir. 15 Ngr. 

Zefeiturt enthaltend, erſchien 1835 


die Schollen und w 
n ausgegeben. itd zu Dem 


* In demſelben Verlage: 
kiiputra und 

ıs der Katha 8 ntgenle hie 
sch. Gr. 8. 1835. 8'Ngr. 


Kurchenrammlung des Joma- 


Erstes bin fünfte Bach, Sans- 
8 Tal 


8 Werke mit Inteini- 
Dr. & 1841. 20 Ngr 


leva RBäkatta 
Ahr! Thelle. — hr 


„1 
\ Sm Berloge der untergelänefem R 
Str 


Beitungfür. 
erand 
unter amtirtung der a 


Rober: 
Woͤchentlich eine Runner . 
mit vieler, 


2 
reis bet Sn 


‚benummern_* 
== ungen und Porb 


ienige Worte genügere 
wu u“ de Qugend“ bei fi 
u begeidnen. Auf das geiftd 
Ya it der reifern Su 
—— ihr Tert · und Bi 
tung. Unfere naͤchſte Aufgabe 
zu geben, alfo unfern Leſern 
er 
Aufläge follen 
—* Sun Seat 
jorm zur Anſchauung bri 
Een’ mothmwenbig und erff 
werden unfere Darftellungeı 
elten; denn mit ber Kei 
Sehe zu ihm en E 3 
folgenreiher 


jatfachen, bi ' 
hervorragender Anfalten WIR . 


'xu | 

Da der Herausgeber eben fo wenig Veranlaffung hat, feine ME | 
tung als Mitarbeiter ber Revue, als feine Rebactiongmarimen zu in | 
dern, fo genügt es, in Betreff dieſer Richtung auf die bisherigen Bänke, 
oder aud) nur auf die Generalbeichte, welche ven Jahrgang 1843 a 
öffnete, zu verweilen. Er weiß, daß er fich mit feinen Anſichten der 
malen nod) in ber Minorität befindet, weiß aber auch, daß dieſe Wi 
norität von Jahr zu Jahr gewachſen if, und hegt die Hoffnung, fe 
werde noch mehr wachen, wenn Argumenten nur Argumente entgegen 
gefegt werben. Die Richtung des Herausgebers hier in ber Kürze bav 
zulegen, iſt nicht wohl möglich, fie zu vertheidigen, darum unndthig. Kur 
über Zweierlei ſcheint eine Erläuterung angemeffen. 

Die Einen begreifen wohl, daß man in fogenannten theoretifchen 
Fragen — etwa in ber Frage, ob man das Griechiſche mit der home | 
riſchen oder mit der attifchen Sprache beginnen folle — unparteiiſch fein | 
önne, fie begreifen aber des Herausgebers Unpartellicjfeit in fogenams 
ten praftifchen Fragen, wie deren oben zwei erwähnt find, nicht, m | 
fo weniger, als fie wiffen, daß berfelbe für feine Perfon auf mande 
dieſer Fragen eine fehr entfhievene Antwort in Bereitfchaft hat. Dieſen 
Leuten weiß id) nichts zu erwiedern, da man wohl eine Anficht, nick 
aber eine Gefinnung begreiflich machen Fann. Ich bin eben in andern 
Weife liberal als die guten Leute, die ſich in Deutfchland und Franke 
reich fo nennen. Tolerant gegen diejenigen zu fein, die felber tolerant 
find, das iſt Feine Kunft, aber auch die Intoleranten zu toleriren, fo 
lange man durch fie in feinem — nicht eingebilveten, fondern twirflichen 
— Rechte gefränft wird, das iſt der echte Liberalismus, von dem unfere 
„Liberalen“ bis dato wenig zu wiflen fcheinen, Die politiichen wie bie 
religiöfen, die fogenannten Lichtfeeunde. Der jefuitenfreundliche Exie 
hungstath des Cantons Luyern hat vor ein paar Jahren feinen Unko 
gebenen das Halten der Pädagogifchen Revue verboten und in Hr 
Hengftenberg’8 Evangelifcher Kicchenzeitung habe id) einmal zufällig Etwes 
über den „berüchtigten Dr. Mager” gelefen*; wie genau id) aber ah 
das Fatholifche wie das proteftantifche Pfaffenthum kenne, und wie at 


= 1839, wenn ich mit irre. Sch hatte mir das Mipfellen der Kirdpengeitung da 
durch zugezogen, daß Ich zu dem Befchluffe des wanbtländifgen Greßen Mashes, wererä 
ber confession de fol helvätiquo ihre @efegesfraft gencmmen wurde, derh einige 
Urtikel im Nouvelliste Vaudois follte beigetragen haben. 


xıu 


Sieben ber im Catechismus romanus ober in ben lutheriſchen und ver 
'ormirten Befenntnißfchriften nievergelegte Glaube nicht mein Glaube if: 
o hindert mich das nicht, gegen bie Sefuiten der Eultur und bie Aufs 
laͤrungsmaͤnner für die römifchen Jeſuiten und die fogenannien Finſter⸗ 
inge Partei zu nehmen, fo oft und fo lange diefen dasjenige ftreitig ge⸗ 
macht wird, worauf ich felber für mich Anfprud) mahe: das ge- 
meine Recht. Das aber wird ihnen heutzutage verweigert, und hätten 
anfre „Liberalen* und „Lichtfreunde” die Macht, fo würden fle biefelbe 
ganz auf die nämliche ſündhafte Weile mißbrauchen, mit welcher ihre 
Begner fie in früheren Zeiten mißbraucht haben, und vielleicht würbe 
ber Fanatismus der Regation noch fürchterlicher fein, ald der Fanaties 
mus bes Pofitiven je geweſen if. Der Herausgeber der Revue Hält 
bie Schulen der geiftlichen Orden, mo fle beftchen, für eine Calamität 
Cobgleich er mehrere ſehr würbige Lehrer unter den DOrbensgeiftlichen 
feunt; man benfe nur an ben hochverbienten Franciscaner P. Girard in 
Breiburg); er wird, fo lange er lebt, die fpecififch „chriftliche" Pädagogik 
befämpfen, - welche lutherifche, reformirte, überhaupt Eonfefllonsfchulen 
verlangt und die Geſehe der Paͤdagogik aus irgend einer Dogmatik 
ſchöpft; er wird aber mit noch viel größerem Eifer diejenigen — Regie 
rungen, Parteien und Individuen — befämpfen, welche eine Anzahl 
von Menſchen, die für ihre Kinder eine folche geiftliche oder confeffionelle 
Ertziehung organifiren wollen, hindern, ihres Glaubens zu Ieben. Der Rhei⸗ 
niſche Beobachter hat vor Kurzem berichtet, daß ber ald eins der Häupter 
der Aufflärungspartei befannte Breslauer Profeflor David Schul, 
der zugleich lange Jahre Mitglied des Confiftoriums war, aus dem er 
jept entLaffen if, als Conſiſtorialrath zu den Maßregeln eifrig mitgewirkt 
habe, durch welche ven am Lutherthum fefthaftenden Schlefiern, die man 
durch einquartierte Soldaten zur Union zu befehren fuchte, fo großes 
Leid zugefügt worben if. (Befanntlicd find viele von ihnen theils nach 
Amerika, theils nach Aufralien ausgewandert.) Ich geftche es ehrlich, 
meinem Gefühle ift der erſte befte ſpaniſche Inquifitor, und Hätte er hun⸗ 
dert verbrannte Ketzer und Juden auf feinem Gewiffen, nicht fo wider 
wärtig als diefer rationaliftifche Profeffor ver Theologie. Der fpanifche 
Inquiſitor hat wenigfens feinen Glauben zur Entſchuldigung, der pros 
teftantifch-rationaliftifche Theolog aber, der gegen arme Bauern und Leine 
weber, die nun elhimal von ber neuen Mode in der Religion nichts 





m „Blätter für literarifipe 
jeile oder deren Raum 2%, Rgr. 


1845 


Leipzig 


h . 
Hem Gebiete der weil: 
mehren chen Ärsten 

=. Blumenthal, I. 
Gr.8. Geh. 1 Thlr. 

in für Belehrung unb Unter 
— 1845. 52 Rum- 

+ vielen bl ildungen. Schmal 


fi 
br I ER a jabrs 
Mean 


jerene find folgende Schriften mit 


kinder. inf Bände. jet 
vor. Hr aeinee 


kei Bände. "Beüher 6 fr. 
"Band. Brüher 2 Thir. Jetzt 


4 75 —— 
er Deren Kay arten, Water, 
Sal. gegen He Don a 


Eine Sammlung der intereſſan · 

€ Länder aus älterer und neue · 

ı ul @b. Sigig und 

legis). ter bi achter 
je. 15 Zhle. 24 Rar., 

ar. der zweite bI6 alte jeder 2 Air. 

sdaya Krishna Misrk 
ie instruxit Han. Broock- 

1 15 Ner. 


enthaltend, erfälen 1885 
Baba be @eifm amt ieh du dm 
An ausgegeben.“ 


er in bemfelben Mexlage: 


\ In Verla⸗ der unterzeichnete v 


It 


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Beitungfin. 


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unter Mitwirkung der &4 | 


Beben 


Woͤchentlich eine Rummncn . 


Kait vieler, 
Er | 
—— 


xEProbenummeru 4° 


ungen nud Vvoſ 
Wenige Borte genügern 
— 
tung für die Jugen! ei 
in tige 
tung. Unfere näcjfte Aufgabe 


ebt fo unfern Leſern 
pasta Yard un fortieu 
u 


e Auffäge follen darum @ . 


— Segenw⸗ 
gm zur Anſchauung bring 
iffen notwendig und erif 
werden unfere Darftellungei 
gelten; denn mit der Ket 
Liebe zu ihm gefördert. A 
folgenreichet 


atſachen, be 


hervorragender Anftalten wir 


richten aus den Kreifen dei 
follen fuchen das Bild der € 
mit werben alfo jene_Reui 


weiche den reichften Stoff ! - 


im amiliencirkel ergeben. 


Dod der 8weck unfen 


Mittheilungen noch Beinedw 
— 
te, befonber di 
Bi —* und —— ei 
teilt oder zu Reifebefcpreik 
nißfreife unfecer jugendliche: 
nere Crzählungen morali 
fhauung an bie Beifpiele 
verfnüpft, ſtreben außerde 
lung und Veredelung des 
Gedichte, Märchen und 6 
gegend, einwiren ‚Aufgaben 


——— 


xıv 


wiffen, fordern bei ber alten lutheriſchen Lehre bleiben wollen, Si— 
benszwang übt, der hat gar Feine Entfchulbigung und verbient bie Bu 
achtung jever freien Seele. Und das that der aufgeflärte Mann für 
jährlich 200 Thaler, denn fo viel fol ihm feine Eonfikorialrathefdke 
eingebracht haben. — O homines, ad servitutem paratos! 

Ich habe Hrn. Profeſſor Schul genannt, weil ich eim Beifpid 
brauchte — eine befondere Malice gegen biefen Mann, von dem ich mie 
eine Zeile gelefen, ven ich nie gefehen, wird Niemand bei mir fuchen. 34 
füge Hinzu, daß Hr. Schulz feiner Partei beffer gefällt als mir, we 
denn bie Breslauer Stadtverordneten ihm haben ihr Ehrenbürgereht 
ſchenlen wollen und die Studenten ihm jährlich einen Fackelzug bringen, 
wozu in neuefer "Zeit noch Adreſſen, Deputationen und Chrenpofak 
Tommen. Man flieht, daß es wicht unfere Abficht if, den Ruhe des 
Genannten zu verffeinern. Hr. Schulz hat fo viele Leute für fich, daj 
ex ſich leicht darüber tröften kann, den Schreiber biefer Zeilen nicht une 
diefen Bielen zu wien. 

Die Andern halten dafür, daß die Pädagogifche Revue mit Manchen 
was fie zur Berbefferung des Unterrichtsweſens vorgefchlagen hat, leichten 
durchdringen würde, wenn ber Herausgeber in feinen eigenen Arie 
fi) mehr Auf die unverfänglihen fcholaftifchen Interna befchränfen uw, 
wle die Verfammlung in Meißen, Politif und Religion unberührt laffen 
wollte. Wie richtig nun biefe Männer auch fehen, von denen mehren 
nicht eigentlich des Herausgeberd Anfichten, fondern nur die Aeußerung 
derſelben mißbilligen, und wie Mar ber Herausgeber der Revue auch eins 
fieht, daß feine Art, die Pädagogik zu behandeln, bei ven benticyen 
BPreßverhältniffen viel Mißliches hat: fo kann er ſich doch wacht ent: 
fließen, von der mit gutem Bebacht eingefchlagenen Richtung auch mr 
einen Finger breit abzuweichen. Wenn ich auch der Religion und Periti 
aus dem Wege gehen wollte, ich Fönnte es nicht, und daran ift thals 
die Natur der Sache, theils die Unnatur unferer fholaflifchen Zufäzk 
ſchuld. Ich nehme das Lepte zuerft vor. Man öffne Prof. v. Mehls 
„Polizeiwiſſenſchaft nach den Grundfägen des Rechtsſtaats“; das pmite 
Bud) diefer Schrift, die eine Theorie enthält, der die Praxis feR aller 
heutigen Staaten zu Grunde liegt, handelt „von der Sorge bes Staates 
für die geiftige Perfönlichkeit der Staatsbürger" (Bd. 1. S. 401 — 619 | 
und lehrt im zweiten Capitel, wie bie „Verftandesbildung“ Durch Untr 





xzV 


richtsanftalten von Polizei wegen „geförbert” werden fol.* Folglich Bin 
ich, ſobald ich die Einrichtung der Schulen und das Schulregiment be- 
rühre, im Gebiete der Politift — was Niemand mehr beflagt und ver- 
wünfcht als ich felber, da ih für meine Berfon, fo wie ich.nie den 
Buß in eine Kirche feße, deren Diener Staatsdiener find (es fei denn 
in Angelegenheiten des etat civil), auch nicht geiwilligt bin, mich 
oder meine Angehörigen von der PBollzei „bilden“ zu laſſen. Sepen 
wir aber, unfere beutfchen Staaten emancipirten bie Schule, wie 
fie früher oder fpäter vie bisherigen Staatsfirchen. werben frei laffen 
müffen, würde der Paͤdagogiker alsdann ſich von der Politik fern halten 
fönnen? Eben fo wenig, als er die Religion je unberührt laflen kann, 
wenn er nicht etwa zu ben großen Männern der „neueften Richtung” 
gehört, welche decretirt haben, daß es feinen Gott mehr geben fol. Die 
Grenze zwifchen Paͤdagogik und Politif wäre verlegt, Das wäre Alles; 
die beiden Gebiete berührten fich aber nach wie vor und müßten auf 
einander Rüdficht nehmen und Verbindungen unterhalten. Der Staat 
als Inhaber ver forialen Macht hat wie Pflichten fo auch Rechte gegen 
Kirche und Schule, und eben fo hat die Schule Rechte und Pflichten 
gegen Kirche und Staat, und es tft Sache ver Pädagogik, au fagen, 
worin diefe Rechte und Pflichten beftehen. Staat und Kirche find zwei 
fittliche Mächte, mit denen man ſich nicht dadurch aus einander feßt, daß 
man ſie ignorirt und Nichts mit ihnen zu fchaffen haben zu wollen .er- 
Härt — der Menfch Fönnte eben fo gut mit Luft und Waffer Nichts 
mehr zu fchaffen haben wollen. Subalterne paͤdagogiſche Zeitfchriften 





* Während biefer Bogen gefebt wurde, Haben bie Beitungen bie überrafchende 
Nachricht gebracht, daß Hr. von Mohl von feiner Profeſſur abberufen und von 
feiner Regierung angewiefen worben if, als Regierungsraih nach Ulm zu geben, fo wie 
daß ber fo wider feinen Willen Berfegte es vorgezogen hat, feine Entlaſſung ans dem 
wöürtembergifchen Staatsdienſte zu nehmen. 

SH hatte im Oktober: und Novemberhefte (Bd. XI, S. 408) für eines ber nachſteü 
Hefte eine Kritit auch der Mohl'ſchen Anficht verſprochen, konnte aber damals noch nicht 
ahnen, daß die Greigniſſe mir mein Gefchäft fo erleichtern würden. 

Es ſcheint, die deutfchen Regierungen wollen nieiner Theorie vom Schulregiment 
zu Hülfe kommen. So gab ich mir im Aprilhefte 1843 (Bo. VI, ©. 321 — 336) die 
Mühe, Hrn. Wander's Schrift „bie Volkoſchule als Staatsauſtalt“ zu widerlegen. Wie 
gut unn meine Argumente auch geweſen fein mögen, bie feltherigen Ereignifie waren 
noch) beſſere, und ich Hätte wenigftens fo viel gewonnen, daß man mich meiner Auficht 
wegen nicht mehr für einen Dummkopf halten darf. 

® 


N „Blätter für litera riſche⸗ 


eile oder deren Raum 2%, Ngr. 





1845 


ungen. 


| 


t —. 
lem Gebiete der Heil- 


mehren praktischen Ärzten 


MH. Blumenthal, I. 


Gr.8. Geh. 1 Thir. 
Jin für Belehrung unb Unter» 
er Jahrgang. 1845. 52 Num⸗ 
& vielen Abbildungen. Schmal 


ausgegeben 
8 — koſten —V 


x l Bis ehnte Jahr⸗ 
: 1 Ai 0% gr. Der — 
Ir e gt find folgende Schriften mit 


Tinder. Fünf Bände. Früher 
far. Einzelne Jahrgänge 


wei Bände. Beüber 6 Ilr. 
Band. Fruͤher 2 Thlr. Jetzt 


men une 2 pie. 

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le ober beren Raum iverben 

dgl. gegen Berg tung von % 


Kine Sammlung der Interefan 

E Sure aus Pe; und neue 

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eh. 15 Thlr. 24 Ror., 

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sdaya HMrishna Misrä 

‚Tue instruxit Han. Brook- 

r 15 Ngr. 

Bangreittert enthaltend, erſchien 1895 
nthält die Schollen und wird zu dem 

An ausgegeben 

Mer in demfelben Verlage: 

taliputra und. ı Geschichte 


sus der Katha rit Be des 
utsch. Gr. 8. 1835. 
Märchensammlung —8 Boma- 
‚ Erstes 3 fünfze Buch. Sans- 
28. 8 Thlr. 
r Werke mit 1 
Gr. 8 1831. 2% Ner. 


eva Bhatta aus 
st. Zwei Thelle. Gr. 1%, 





Leipzig 


Im Werlage der unterzeichnete ⸗ 


Sl; 


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Beitung für. 


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unter Mitwirtung der 4 


Reben: 


Wögentlih eine Nummer 
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mit vielen. 


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SE Probenummern 1 


fangen und vor 


Beige Worte genügen, t 

tung für die Jugend“ bei 
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im Familieneiekel ergeben. 
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Mei oder zu —E 
nikreiſe unſerer jugendliche 
wre da en morali 


tfadgen, be - 





xvi 


mögen bie Paͤdagogik als eine aparte Technil behandeln, bie in einigen 
Handgriffen der Schufmeifterei aufgeht: bie Paͤdagogiſche Revue Hat biefen 
Heinen Dienſt nie für unwichtig gehalten und wird ihn nie aus dem 
Auge verlieren, aber fie mag fich nicht auf denfelben beſchraͤnken. Lehre, 
denen ber Sinn oder das Verſtaͤndniß für bie Paͤdagogik, wie fie hier 
gefaßt ift, abgeht, müflen eben Zeitfchriften Iefen, die ihnen mehr zu 
fagen. Eines ſchidt fich nicht für Ale. 

Schließlich bleibt ein Wort, das in der Vorrede des X. Bandes 
(S. VI) gefagt wurde, zu berichtigen. Der Herausgeber hatte, als er 
den Berlag der Revue ver Caf’fchen Buchhandlung in Stuttgart entzog 
für den Vorzug, den er der Verlagshandlung zu Belle-Bue bei Gen 
Ranz gab, keinen andern Grund als die Rüdficht, daß auf diefe Weik 
feine Zeitfchrift fortfahren werbe, unter der Eenfur eines beutfchen Bundes 
foates zu erfcheinen. Run Tiegt aber Belle-Vue, wenn auch der Befter 
in Conſtanz wohnt, vor dem Thore der Stadt auf thurgauifchem Ge 
biete, und ber babifche Eenfor in Conftanz hat, als das erfte Heft ihn 
zur Eenfur vorgelegt wurde, fidy nicht veranlaßt gefehen, ben Wunſch 
des Berlegers zu erfüllen. Der Herausgeber hatte ald Angehöriger eines 
deutfchen Staates das Seinige gethan, um den in Deutjchland geltenden 
Gefegen gehorfam zu fein; weiter zu gehen und fich etwa in Karlsruhe 
zu beſchweren, hielt er nicht für ſchicklich und fo ift der Jahrgang 1845 
eenfurfrei erſchienen. Begreiflicherweife iſt es fr den Herausgeber be 
quemer, das Journal an feinem Wohnorte brusen zu laffen und fo er 
Elärt es fih, daß es für 1846 in den Verlag der Schultheß ſchen Buch⸗ 
handlung in Zürich übergegangen iſt, durch bie Cober durch Meyer und 
Zeller) ich mir Hinfort Zufendungen für die Revue erbitte. 

Die HH. Mitarbeiter wollen verzeihen, daß ihre Beiträge manch⸗ 
mal erft nach Monaten zum Drude kommen Können; das Publicum aber 
mag dieſem Umſtande entuehmen, daß auch diefem fiebenten Jahrgange 
ber Pädagogifchen Revue die Mittel gefichert find, billigen Anſprüchen 
zu genügen. 

‚Züri, ven 5. December 1845. 





Dr. MAGER. | 


Reformation Gerste 
Geſſchichte 


bes 
Evangelifchen Proteftantismus 
Deutſchland 
für 


denkende und pruͤfende Chriſten 


Dr. Ehr. Gotthold Nendecker. 


unſer Glaube ſei rein wie Gold 
und ſtark wie der Tod. 
Ammon. 
2 Theile in gr. 8. 94 Bogen. — Preis 3 Thlr. 


Leipzig 
Verlag von 8 3. Köhler 





Jan denkende und pruͤfende Chriſt, jeder gebildete Deutſche, dem 
er rellgloͤſe Glaube und das Birchliche Leben eine Sache von hoͤchſter 
Bedeutung, — eine Lebensfrage Ift, richtet mit dem febendigften Ins 
ereffe feinen Blick auf die veligiös-kicchlichen Bewegungen, welche ſich 
egt in der evangelifchsproteftantifchen und hierarchiſch⸗roͤmiſchen Kirche 
lleich ſtark erhoben haben, Nur die Kenntnig des Geiſtes und bes 
Befens des evangelifchen Proteftantismus, fo wie deſſen ganze von 
eher bis auf den heutigen Tag erfolgte Hiftorifche Entwidelung 
!ann ein feſtes Urtheit, die Beruhigung und Zuverfiht gewähren, bie 
eder Gebildete und Werftändige bei den veligiöfen Wirren ber Zeit 


{in 8 Abtpeilungen). Gr. 12. 1885—45. 6 Thlr. 1 
. oo. % 





jeile ober deren Raum 2%, Rgr. 


ki ten „Blätter für Literarifihe 
e 





s dem Gebiete der Heil- 
nit mehren praktischen Ärzten 
'vo A. Bi hal, I. 
rtamım. Gr.B. Geh. 1 Thir. 
pazin für Belehrung und Unter 
Mitter Sahrgang. 1845. 52 Rum ⸗ 
Mit vielen Abbildungen. Schmal 


= aus der Katha_ Sarlt "Sägara des 
ĩ deutsch. Gr. 6. 185. B'Ngr. 
Die Mürchensammlung des Bema- 


ſucht. Ein Lehrbuch, welches die Geſchichte des evangeliſchen Pro 
flantiemuß gerade in Deutfchland, im gtmeffenes und treueſter Dar: 
flellung gibt, ift darum gewiß für jeden gebildeten Deutfcen, 
für jeden denkenden und prüfenden Chriften ber evangelifch-proteften: 
ilſchen, wie der roͤmiſchen und der chrift:catholifhen Gonfeffion, der dr 
Bewegungen der Zeit recht verfiehen und einen feflen Standpme 
ewinnen will, ein deingeudes Behögfnig. Mac gab. e6 bisher kin 
Srfatare des evangelifchen Proteſtantismus von und für Deurfd- 
land. Der Verfaffer des oben bezeichneten Werkes, ſchon laͤngſt be 
kannt durch tiefe hiſtoriſche Studien, ja felbft durd die Befanntms 
hung neuer hierher gehöriger Gefchichtsquellen, konnte ein Werk lin 
fern, da6 Niefes Vebhrfniß beftlediget. Ueber hey Plan bes Weun 
he « & * Warcedg daß eg jehen geblpeten, henkeuten und mh 
en Chriften 
„in verftändlicher Darftellung uͤber Entftehung, Entwidelung, Aut 
breitung und wefentlichen Gehalt der evangeliſch⸗proteſtantiſcha 
Kirche, mit Beziehung auf den roͤmiſch⸗kirchlichen Lehrbegriff unser 
richten, daß es zeigen fol, wie und mit welchem Erfolge bie + 
mifch:hierarhifäye Reochen ihn ſtats enggegentnat, mit welden Mi: 
teln die evangelifcy-proteftantifche Kirche fie befämpfte; weiche Ex 
ſchiedenheit, Feftigkeit und Treye unfere Väter in dem m 
tungenen Glauben bewährt, mit welcher evangelifhen Btandif: 
tigkeit fie, des Glaubens wegen, Bedrückungen, Verfolgungen, ſcui 
den Tod erdulber, mis welcher Befonnenheit und chriſilichen Des: 
weife fie anderwärts die priefterlihen Verſuche abgemwiefen haba, | 
die fie in den Schoos des Romanismus zurüdführen wollten; we | 
der Geift der göttlichen Wahrheit, der in ber ev.=proteft. Kirk | 
hertſcht, auch jene Gefpeinungen, die in ihm ſelbſt aus einfeitigen | 
theologifhen und philofophifhen Richtungen, aus Schwärmerei ode | 
Seeigeiteet hervorgingen, mit Nachdruck als Auswücfe und wilde 
Schoͤßlinge bekämpfte und uͤberwand z melden Standpunkt ir 
evangelifhe Proteſtantismus als Denkart und Kirche unter dem 
Einduffe der fortgefchrittenen Wiffenfhaft und Philofophie nah 
und nad eingenommen hat; weichen fegensreihen Einflug der 
evangel. Droteltantiemus aber auch auf das fuatliche, geifkiae und 
fociale Leben übte, der fo tief in alle Werhältniffe eingrift, dag 
er felbft auf die deutſcheroͤmiſche Kirche, — foviel die auch bie | 
ultramontane Reaction unferer Zeit, den hiſtoriſchen Xharfachen 
zum Trotze, abläugnet, — zum Velten. einmirtte. Aus dem Gi 
fteebrud, den Roms. Prisfleskindhe mit. Haͤrte ausübte, ging in m 
ferer Zeit die große Erfheinur- — —n " 
Jahrhundert poiltiſch gehindert noch 
der That nur das Reſultat der 
evangel, Proteftantismus if, — bie 
in Deutfhland. Denfelben Geiftest 
im evangel, Proteftantismus; jener 
wichtigen Erfheinung in ber 
Rantifhen Sreunden, das T 
Erfheinungen finden im 2. Theile ei 
gewiß wärdige Darftellung, 


In welcher erfreulichen Weife der Verf. feine Aufgabe gelöft hat, 
arhber ſprechen die hödft günftigen Beurcheilumgen in fehr geachte⸗ 
n literarifchen Beitfhriften, wie: Berliner Literar. Ztg. 1845, 
to... 395 Leipzig. Repertor. 1845. Heft 26. ©. 515 ff; 
:heolog. Riteraturbi. zur Rfehehjtg. 1845. Mo. 22 u, 235 
jiedermann’s Monatsfhrift ©. 451 f.z MRubelbarh umb 
zuerike's Beitfchrift f. d. gefammete Lucher. Theologie. 1844. Heft ö 
‚viele A. Die Berliner Lit. Bty. fagt a. a. D.: „Vorlie⸗ 
endes Werk if die Frucht langjähriger, anhaltender Unterfuchungen 
nd gruͤndlicher Quellenftudten. Die politifhen und die kirchlichen 
femehte erfreuen filh, wie nicht weniger bie wiſſenſchaftlichen gleicher 
herudfihtigung.” Ueber bie außete Entwickelung des evängel. 
‚roteftantiömus heißt 86: „Hier iſt dem Verf. vornehmlich wegen 
ir Sorgfalt zu danken, mit der bie Verbreitung des Protes 
antismus in ben einzelen beutfhen Staaten nahges 
leſen wird; bisher war das in feinem Werke det Art fo ausführ- 
ch zuſammengeſiellt. Manches Tteffliche und Beherzigenswerihe 
ndet ſich auch in dem „Bildung bes evangel. Proteftantismus zur 
Nice” Üiberfchriebenen Capitel: beſonders was über die Bedeutung 
nd die Hiftorifche Wichtigkeit der Predigt allem liturgifhen Fors 
ven und Formelwerk gegenüber gefagt wird.” Ueber die innere 
Intwidelung heißt es: „Hiet laͤßt ftch der Verf. auf eine Polemik 
sgen die unterfheidenden Doamen der catholifhen 
kirche ein, und hier wicd der Nicht: Cheologe befonders Fehr viel 
3eleheung finden. — Die Darftellung ift durchgehende ein 
ach, der Stoff uͤberſichtlich geordnet, der Gang Mar und beftimmt.” 
In Biedermann’s Monatsfhrift heißt es: „Der duch 
ndere hiſtoriſche Arbeiten ſchon rähmlichft bekannte Verf. wird feir 
en Zweck nicht verfehlen; fein theologifcher Standpunct ift der allein 
echte, baſitt auf dem echt evangelifhen Princip der freieften For- 
Hung und auf dem $undament der Schnft, feine Darſtellung iſt 
usgezeichnet durch hiſiorifche Treue nicht minder, al buch Iebend» 
ollen Pragmatismus und flete Berhdfihtigung der kirchlichen Gegen⸗ 
dartz fein Urtheil iſt unparteiifch, auf Thatfahen fußend, vom chrifts 
hen Sinne zeugend, feine Sprache endiich Mar und wuͤrdevoll.“ 

In gleicher Weife ſprechen fi die anderen angeführten kritiſchen 
Zlätter aus. Selbft polirifhe Blätter haben auf die trefflihe Ars 
eit des Verfaſſers aufmerkſam gemacht, wie 3. B. die Weferzeis 
ung im Sonntagsdlatt vom 19. Jan. 1845, die Boffifhe Zei— 
ung in Berlin v. 13. Debr. 1BuL, bie das Wert „als ein ern— 
tes, wuͤrdiges, durch den edelften Geift der Auffaffung und Darſtel⸗ 
ung getragenes” bezeichnet, und ſich ausdruͤcklich vorbehalten hat, 
aflelbe noch ausführlicher zu befprechen. 

Solche Urtheile fachverftändiger Männer weiſen auf bie Wichs 
igkeit und treffliche Wearbeitung des oben, bezeichneten Werkes hin 
ind nehmen für daffelbe die Aufmerkfamkeit' des Publitums bei den 
jegenwaͤrtigen ichlichen Bewegungen gewiß in Anſpruch. Uebrigens 
mpfiehlt e6 ſich noch durch einen hoͤchſt billigen Preis (der Bogen 
I Sr.) und eine fehr fplendide Ausftattung. Seine Reichhattigkeit 
thelt aus folgender Inhaltsangabe: . 


” —— 
(in 8 btheilungen). Sr. 1% 184. 6 Thir "be | 
. 2 


iger. 


— — — 
riſten „Siãtter für Iiterariffe 


1845 


nungen. 





b dem Geblete der Heil- 
hit mehren praktischen Ärsten 
von A. Blumenthal, I. 
Hamm. Gr.B. Geh. 1 Thlr. 
hast für Belehrung unb Unter- 

ter Sahrgang. 1845. 52 Rum- 
Rit vielen Abbildungen. Schmaf 


außgegeben. 
u de6 PenmigsBagapind toten yufammens 
‚ im Berabgefepten Preifs nur 
hans 5 Ahle, der Jette Bi yrhnte 
«aber 1 Mir, 10 pr, Der Run 
übgefegt find folgende Schriften mit 


e Kinder. Fünf Bände. er 
5Rgr. Einzelne Sabine 


: Drei Bände. eüher 6 Ahir. 
Ein Band. Rrüher 2Xhfr. Xent 


je Beile oder deren Raum 2%, Kor.“ 
Mn 


Leipzig 





¶ Im Berlage der unterzeichneten Buc 


StHuftr 
‚Beitungfürt 


* Herausgee 


Woͤchentlich eine Rummer we 
— a. - 

Mit vielen A 

reis des Jahrgangs © U] 
ein einzelnes J 


SE Probenummern fin 
ungen und Poftam 


Wenige Borte genügen, d 
für die Jugend“ ° 
u eichnen. Auf da 
fähigkeit der veifern © 
rüdficptige ihe Lert- ı 
tung. Unfere nächfte 4 
zu geben, alfo unfern 
esgefchichte rafch und 
e Auffäge follen de 
unferer © 
Form zur Anſchauun⸗ 
Wiffen nothwendig ur 
werden unjere Darſt 
elten; denn mit d 
iebe zu ihm_geförbe 
folgenreicher fach 
hervorragender Anftalı 
richten auß den Krei 
follen ſuchen das Bild 
mit werden alfo jene 
welche den reichften 
im Familieneirkel erge 
— 3 
ittheilungen. not 
\ Fr ae et Surf 
eſonders 
Bil und Känber 
theilt oder zu Reifeb 
nißkreife unferer juge 
nee ungen ı 
fhauung an bie Bei 
verknüpft, en a 
lung und Berebelun, 
Seiäte, Märden 
tegend einwirken, Au 
das Räthfel und die € 
Mebus, Vorfchläge zu 
Fröglicgen Unterhaltur 
werben noch von Zeil 
empfehlungswerthen ; 
und Befte in diefem 
Für Verfolgung 
beliebteften Zugendfd 
fagt.. &o dürfen 
welcher bie Rebaction 
verfahren, bei den fr 











rarchiſche Reaction gegen die Entwidelung eig er. | u 


«proteflantifden Kirche in Deutfcland. 
nenn Kine —5 — 


d. — Teſuiten; ihre Privilegien, Vers 








Abſchnitt. leitfäpriften „Stätte für literarigo ⸗ 
nm land in feiner für die Zeile oder deren Raum 2, Kor. - 
miſch⸗kirchliche 
ven Ried in _ R 
Da es 1845 
ın; ’e und 
—e— 
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milden irche. 
Juneren des l £ t pzi 
dertaͤufer, Hof⸗ 
er HMegaungen, . 
Bal, Andrei. 
Pu di Anti \ 
e u . b 
m tejorids aus dem Gebiete der Heil- 
Blocianismus. in mit mehren praktischen Ärzten 
ber überhaupt ; ben von A. Blumenthal, I. 
- * **5 * St 5 Geh. 1 Tarr. 
d evangeliſch⸗ agazin für Belehrung uı Inter» 
‘ Dekter Saprgang. 18 18.5, 52 Rum- 
gmatifcher Bes . Mit vielen Abbildungen. Sömat 
bes Baronius; Mi 
Sen. Gmcie, FE EEE ni anne 
— Das Iris Ton 2 —8 Ela te Bis rhnte Sad 
ten an bemfels I: 3 ı hi 1 Der Reuen 
——WE Berangefent Fab folgende 
m ber eben, „für Rinder. Bünf Bände. Zeiger 
ee 15Rgr. Einzelne Jahrgänge 
— u. Drei Bände. "Feüher 6 Ahlt. 
Dar . Ein Band. Brüper 2:Xpfe. Jeht 
je 
mus auf bas —— aaa: —— 


— Be ‚oder — — ine it. 
Eder gegen Kergktung vor fa Bi: 


an Eine Sarmtung der intereffan» 
en aller Länder aus älterer unb neues 
ien von Jul. EB. Sigig und 





f ie le —RT Erſter bis achter 
iſch- kirchlicher is ‘ 
ges bis auf — Dr pe air. 
in Gtaai 

ſem Zeitr 

me |" 





Im Berlage der untergelägnetexe 


Sm; 


Beitungfün. 


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uner Mitwirkung der Du, 


Reber: 


Woͤchentlich eine Runner . 


mit vielenn 


ahrgangs 2 
Brei der ver einzelne 


SE Probenummern_ 1° 


ungen und Porb 
Wenige Worte genügen 
kung fie Sie Sugend“ bi_f 
— — Auf daß geil 
Yapia beit der reifern Jugend 
vüdficptige ihr Nert: und Bil 
tung. Unfere nädfte Aufgabe 
zu geben, alfo unfern Leſern 
eögeichichte raſch und fortlay 
fiche Auflage folen darum & 
unferer Gegenw⸗ 
Zorm zur Anfhauung bring 
Siffen nothwendig und erin 
werben unfere Darftellungeı 
gelten; benn mit der Kat 
Liebe zu ihm gefördert. A 
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richten aus den Kreifen dei 
follen fügen das Bild der € 
mit werden alfo jene _Reui 


jatfagen, be 
hervorragender Unftalten wir. _ 


Erſter Theil 


Erſter Abſchnitt. 
Ueber den evangeliſchen Proteſtantilomus uͤberhaupt und bie Sedia 
gungen zu feiner Entwidelung und Fortbildung, bis zum Eintriv 
bei formation, 
Erſtes Capitel; MWefen und Bebeutung bed evangelifgen Proteflantis 
"mus; hohe Wichtigkeit der Gelcichte deffelben. 
Zweites Gapitel: Glemente jur Gntwidelung bes evangelifden Pru 
teftantismus in Deutfchlands firdlid:politifhen Verhättniffen. 
Drittes Gapitel: lemente zur Entwidelung bes evangelifcdhen Prote 
ftantismus in den religids-Eirhlidyen Verhättniffen Deuiſchiands. 
a) Römildskichhliche Auftände, J 
b) en I der römischen Kirche nad) evangelifcj-proteftanti | 
en Ineipien. u 
Biertes Gapitel: Giemente zur Gntwidelung bes evangelifhen Pre ' 
teffantismus in ben wiflenfchaftlidhen Zuftänden Deutichlande, 
a) Durch Scholaftit und Myſtik. 
b) Durqh bie claffifche Eiteratur. - h 
©) Durch voltsthümliche Schriften. ' 


Zweiter Abſchnitt. 


Geſchichte des enangelifchen Proteftantismus in Deutfdyland im fein ' 
äußeren Entwidelung und Verbreitung, wie in feiner Anfeimdum 
und Bekaͤmpfung durch die römifche Kirche; 1517—1618, 
Erftes Gapitel: Gang ber Reformation in Deutfchland bis zum Im 
brudye des bteiigjährigen Krieges; 1517—1618. 
Bw is Sapı H si: Bildung des evangelijchen Proteftantismus in Dentfä 
nd zur Kirche, 
Drittes Gapitel: Verbreitung der evangeliſch⸗proteſtantiſchen Kicche 
in Deutfhland. 
Ehur⸗ und Herzogthum Sachſen. Hennebergiſche, Reufifche, Schwarz: 
burgifche, Anhaltiſche Herrſchafien. — Erzſift Magdeburg; kai: 
ferlihes Stift Queblinburg. , 
Sölefien ; Chur» und Neumark Brandenburg; Pommern, n 
Medienburg; Holftein ; die Hanfeftäbte, | 
‚Hannover mit Braunfchweig Wolfenbüttel. 
Fürftentpümer Lüneburg, Galenberg, Göttingen, Braunſoͤrweia 
Wolfenbüttel und bie dazu gehörigen Diftricte von Hildesheim, Statt 
und Stift Hildesheim; — Goslar; Fürftentyum Grubenhagen un 
ber Harz; Stadt und Bisthum Osnabräd; Werden; Fü 
Send; Grafſchaften Hoya, Bentheim und Diepholz; Du 
erftadt, 
Weftphalen, Lippe und Rheinpreußen (— Mark, Ravensberg, Ei 
a Egnpreuſen — But— w Em 
Walde, Landgrafenthum Heſſen (Churheſſen und Sroßherzegthen 
Heſſen; Raflau), Frankfurt. 
Die Pfalz — Baden; Straßburg. 
Schweiz. “ 
Würtemberg. . 
Batreutp und Anſpach; Bamberg; Würzburg; Kuͤrnberg. 
Deſterreich. 


Ungarn. 
Boͤhmen und Maͤhren. 


Biertes Gapitel: Jeußere hierarchiſche Reaction gegen bie Entwidelung 
und Verbreitung ber ebangeliſch⸗proteſtantiſchen Kirche in Deutſchland. 
Buͤrgerliche Bebrüdung; Unterrebung und Beft ; Inquiſition; 
Hinrichtungen; Mencheimord. — Jeſuiten; ihre Privilegien, Ver⸗ 
faffung und Moral, B 


‚ Dritter Abſchnitt. 

Geſchichte des evangelifhen Proteftantismus in Deutfchland in feiner 
inneren Entwidelung und Vertheidigung gegen bie roͤmiſch⸗kirchliche 
Reaction; 1517—1618, 

Erftes Gapitel: Ausbrud der evangelifch-proteftantifhen Kirche im 

hre und Glauben, Gultus und Berfaffung, — gegenüber ben Beftim» 
mungen bes Tridentiniſchen Goncils. 
Lehre und Slaube, Gultus und Berfaffung im Algemeinen; Lehre und 
Glaube insbefondere, mit den Mißhelligkeiten und Gtreitigkeiten im 
Iuneren bes roͤmiſchen Kirchenglaubens. — Gultus. — Berfafs 
fung. — Aberglaube in ber evangel,sproteft. und römifchen Kirche, 
Zweites Sapitel: Kämpfe unb Hauptſtreitigkelten im Inneren bes 
evangelifchen Proteftantisemus ; — fpmbolifche Bücher. 
Moftifch-theofophifche Richtung und Scmwärmerei; Micbertäufer, Hof- 
manniften, Davibiften, Familiften, Schwenkfeld, Paracelfus, Weigel, 
Böhm. — Beligiösspraktifdye Richtung; Arnd, Joh. Val, Andrei. — 
Breigeifterei; Naturalismus; Theob. er, Geibel u. A.; Antis 
triniterismus. Socinianer. — KBucfaben-Orthoborie. Luther und 
Erasmus; Garlftadt, Krypto-Galvinismus, Antinomismus, Dejoris- 
mus, Dfiendrismus, Siancarismus, Gynergismus, Flacianismus. 
Befultate, Goncorbienformel und bie ſymdoliſchen Bäder überhaupt ; 
Miderſpruch gegen fie; Ofiander. “ 
Drittes Gapitel: Mömidspriefterliche eactionen und evangeliſch⸗ 
B proteftantifche Gegenfäge im Inneren der Kirche. 
Im Algemeinen. — Im hiftorifcer und hifterifdebogmatifdher Bes 
siehung: Die Magbeburgifchen Genturien; Annalen des Baronius; 
Sleidan und deffen Gegner. Ghemnig’s6 Sramen des Trid. Eoncils. 
— In juridifher Beziehung: Aeußerungen auf Reihstagen. — Die 
Schrift: „Von Freiftellung mancheriei Religion 20.” — Das Tri⸗ 
dentinifhe Goncil. und bie Zheilnahme der Proteftanten an demfels 
ben; Schluß des Concils: Verzeichniß der verbotenen Schriften: zds 
miſcher Catechismus; Breviarium; Beftätigungsbulle ; Profes 
— Unionsverfude: Erasmus und beffen Schrift: „Bon der 
wür! Eintracht der Kirche”; Religiondgefpräche zu2 
(1580), Hagenau und Worms (1540; 1541), zw Kegens 
3. 15%1 und 1546, zu Worms im I. 1557. fuch zu ein 
awifchen der griechiſch⸗ catholifchen und evangelifchproteftani 
Deutfchlands. Neue Unionsvorfhläge nad dem Gcdhluffe | 
dentiniſchen Goncils durch Georg Gaflander und Geor 
(1565 u. 1566). Spaͤtere erfolglofe Religionsgefpräche. 
Biertes Sapitel: Ginfluß des evangeliſchen Proteftantiemus 
faatliche, geiftige und fociale Leben. 


Sweiter Theil 


Erfter Abſchnitt. 
Seſchlchte des evangelifchen Proteftantismus in politifchsti 
Entwidelung vom Ausbrudhe dee, Deifigiährigen Krieges | 
Erftes Gapitel: Geißt Be ange en Proteftantiomus In S 


Kirche, Gegenfag der roͤmiſch- hierarchiſchen Kirche in dieſem 3ı 
überhaupt, 





" ausgegeben ve REEL. "EIEEn 
ine Wbtheilungen). &r. 12. 1843—45. 6 hir. se] 





jeiger. 


m — — 
eitſchriften „Btätter für literariſch⸗ 
iv bie Zeile oder deren Raum 2%, Nor.“ 





es 1845 


; Leipzig 
Hegungen. 


aus dem Gebiete der Heil- 
ten 
den von I. Blsmenti , Mr 
stamm. Gr.B. Geh. 1 Thlr. 
again für Belehrung und Unter 
Dritter Sebrasng: 1845. 52 Rum: 
. Mit vielen Abbildungen. Schmal 





—* im herabge ie Preifs nur 
Pehrsung 52h, der Jecete Bis a 
[7 aber 1 Ahle. 10 Wer, Der Reuen 


Dnattidh außgegeben. 
Itgang des a tains Boften yufammens 
er 1 — 
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Sun erlag der untegeläneter, i 

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Beitungfür.. 

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unter Mitwirkung der & ı 
Robes: 

Wöchentlich eine BE . 
mit vielen 


ie des ange © U 
Bl einzelne 





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vüc ige ihr Kert- und Ey} 
Bahasa naͤchſte Aufgabe 
zu geben, alfo unfern Kefern 
esgeſchichte rafch und forflay 
& je Aufläge folen darum a _ 
‚Betten unferer Gegenw⸗ 
Zorm zur Anſchauung bring 
Biflen nothwendig und erik 
werden unfere Darftelungel 
elten; benn mit der Keil 
Siebe au ihm gefördert. A 
folgenreiher Ahatfachen, be 
hervorragender Anftalten wir _ 
richten aus den Kreifen det 
folen ſuchen das Bild der © 
mit werden alfo jene Reui 
welde den zeiten Stoff i - 
im amiliencirkel ergeben. 
Doch der Hg ‚unfen J 
Mittheilungen no Feines 
—— Auffäge üb 


saihte befonder6 DeEB . 
Völker: und Känberfäilder 
theilt Eu Reiſebeſchreil 


nißkreife unſerer jugendüchen 
nere Erzã⸗ jen morali 
ſchauung an die Beiſpiele 
verfnüpft, ſtreben außerden 
lung und Beredelung des 
© Märden und 6 


mirhen Mufrahen 





Bweites Gapitel: Mer dreitigſ Krteg und bie Kaatsrechtfiäie Im 
aakanang ver sfammten evangeliih-proteftantiichen Kirche durch den 
ep en, 
Der Kalfer und das eich; Friedrich V.; Die Eige und bie Sefuiten; 
der Runtius Garaffa. Böhmen, Deutihland, Pfalz. Tiuy u. Ba 
ienſtein. Bicelien. Friede 1629 und das Beftitutionsevict. De 
Kaifer und der Papft; influß Frankreichs und der jefuitiichen Kräfte, 
Suflav Abolpp in Deutidland: ‚ager Friede. erdinand in 
@eltere Briedensverfuche und der päpfti. Legat Fabio Ghigi. Te 
phälticher Friede päpflt. Didet ſpruch. ZBuftände und Folgen, 
Drittes Gapitel: Yolitiih-kirhlige Zuſtaͤnde Deutfilands von ber 
Zeit des Seſtphaͤliſchen Friedens bis zum allgemeineren Eintritte da 
Auftiärungsperiode (Mitte des 18. Jahrhunderts). 
Allgemeine Bemerkungen, Alerander VII. Leopoid I.; Eheiniſche 
Bund. Srangöfiiher Krieg in Deutichland; bie Jeſuiten. Die neunt 
Spur. Rysmwicer Staufel. Ghurfurſt Auguſt Uebermacht bes weis 
ii i 






gel. 
8 XI. und Zofepd 1. . 
eſchwerden ber CToangeliſchen, Rey 
falten. Rom und bie beutfcen fürften. Seuedict KiV. Das 
Khereſia und ber Erbfolgekrieg. Friebrich der &ropt; Noͤhriger Krız. 
Biertes Gapitet: Politiſch- kirchtiche Zuſtaͤnde Dertſchlands wäh 
der Auf igeperlode bis auf unfere Tage. 
rich I. und Ik Friedrichs iI. oder des Großen ftaatsphilof. Is 
ten. Adleranz. Die rom. Hierarchie. MWenebict MIV. und ie 
deutfchen Reichöftände. Giemens XIlI.; Garbinat Gorregiani. Fr 
brenius. Gtemens XIV. Pieracchifde Angriffe; bie Zefuiten, ihr 
Aufgebung und deren Folgen. Pius VI. Kaifer Zofeph II. und das 
Vrieſterthuta; die deutſchen Ganoniften. Emfer Punctation. Kaifer 
Franz. Die franzdf. Kriege durch die Mewolution. Rapoleon und 
das Goncorbat sit Pius Vil. Rheinbund. Aufldſung des deutſchen 
Reiches. Yarifer Friedeng deutſcher Bund. Wiener Gongrefäck, 
ber Bundestag und die deutſch⸗catholiſche Kirche. Die Reaction uzt 
die newere Oppeſition bes Hierarchenthums. 


Zweiter Abſchnitt. 


Det äußere Kampf zroifhen dem römifchen Hierarchenthum und dem 
evangeilſchen Proteftantismus, in ber Mitte jenes und dieſes felbft. 


Erſtes Gapitel: Character bes äußeren Kampfes zwiſchen dern römis 
pen Prieſterthum und dem evangelifchen Proteftaatiemus. Profely 
tenmadgerei unb Apoflafie. 

Der evangel. Protefantismus gegenüber der roͤmiſchen Hierarchie 
Profetgtenmadperei und Apoftafle unter edangel.:proteftantifdien Far 
fen und anderen Ständen durch Heberrebung und Beftehung. Grüne 
der Apoftafie. Roͤmiſche Apoſtaten. Erklarungen von protekant- 
ſchen und römifhen Apeftaten, 

Bweites Gapitel! Anwendung ber Sewatt gegen bie evangelifc-prete: 
ſtantiſche Kirche von Seiten ber römifchen Hierarchie in beutfchen Eänderz. 

Gelinde und firenge Mittei, Hinridytungen, Meuchelmord. (Gange 
fchsproteftantifcher Gegenjag; das Gimuitaneum; Beldwrrken. 
Yäpfliihe Fiuchbulle. KWertreibung der Salzburger. Auswanderung 
der Zillerfhater. WBebrüdungen in Ungarn. Bluttage in Thorn. 
Bebrädungen in Schleſien. Die Hierarchie in Preußen und Ead 
fen, am ine, in der Pfalz und in Baiern. 

Drittes Bapitei: Die Iefuiten, jefuitifhen Berefne und Sontordate, 
— gegenüber die Guſtav⸗Adolph⸗Stiftung. 








Wiederherkellung der Iafaiten; jefuitifige Barsine. ftlihe Gon- 
—E Baiern und Preußen. Grhebung des Bri töums ges 
gen Preußen. Oberrheinifche Kirdenproying; andere Goncorbate, 
8ehren für den &taot. - Die Gußan-AbolphBtiftung und ihre 
or in. 
Sieriẽi hi et: Aeußerer Kampf des beutfchrömifcen Hierarchen ⸗ 
thumß gegen freiere Regungen in ber eigenen Bitte; — zwiſchen ben 
Lutheranern und —e W und der freieren geiſti· 
m Richtung im evangelii 0 mu 

—e— —8 des Prieſterthums gegen freiers gRegungen in 
Baiern und oaderwärts. Pebronius; Iſenbiedl, Michrk, Sailer, 
Weflenberg, Hermes und befien Anhänger; Monge, — Aeuferer 
Kampf zwikhen Reformirten und Qutherannen, Orthaboren und Pies 
tiften, Die Drtpoborie, Philoſophie und furiere Micktung. 


Dritter Abfhnitt. 


Die innere Entwidelung des evangelifchen Proteftantismus durch die 
Philoſophle und MWiffenfhaft in Deutſchlond. 

Grfes Gapitel: Der evangeliſche Proteantismus im Munde mit ber 
Philoſophie und Wiflenfhaft bis in bie Mitte des 18. Jahrhanderts, 
nad bem Ginfluffe auf den Glauben und bas Schen ber und 
des Staates. 


Kheologie. Pfaff. Dogma und Bibeluͤberſetung. Moral und Gas 
fuißit. Profan« und Kischengefehichte, Annold, Wodhelm. 

wiffenfcaften; Bekter. — Univerfitäten; Gpradgefeilfaft: 
en. Kirchlicher Gottesbienft, Predigt und Kirchentied; Gerhard; 
Gellert. Grbauungsfgriften. 
Kirchenbaße. Fefb und Feiertage. Das Lirchenrecht. Spiscopal⸗, 





Zerzitorial» und Gollegialfgftem. — Das Gtaatsieben, Leibnig. Zur “ 


Rizpflege, Spee u. A. Gociales Leben. 

weites Gapitel: Die Philofopgien und Wiſſenſchaften im ewangelis 

ſchen Protefantismus Deutſchlauda feit der Mitte des 18. Jahrhunderts 
. HN 24 anfee Bin. — Die phitofophifcen Bewegungen in der deutfch · 

zömifcen Kirche, 
Zreibenderei und Ratureliemus; Suntfen, Fragmentiſten, Wuͤnſch, 
Bahrdt. Meaction, Kant und deſſen Schule; ice. Jacobi, 
Ochieiesmacer. Gcheling. Hegel, Strauß, Yrerbadı, Baum. — 
eis Aue deutſch roͤmiſche Kirche; Sailer, Weflenberg. @ärres, 

er. ed. 

Drittes Gapitel: Cntwidelung des Dogmas, ber Kirche, ber Schule 
und des gaiftigen Sebens im Siaate überhaupt durch den Einfluß der 
Philoſophien und Wiffenihaften im evangelildien Proteftantisinus. 

‚Dogmatifdre Entwidelung, Ginisitungswiflenidaft. Semier; Bas 
tionaliamus gegenüber der Kircheniehre; Griesbady ; Gupernaturaliss 
mus, biblifher Nationalismus, Moval; Kirchengeſchichte und ans 
dere Wißſenſchaften. Univerfitäten; gelehrte Gefelfhaften. Schui⸗ 
weſen; &oufleau; Philanthropiften; Rochow; Peftalogzi. — Gultus; 
Predigt; Kircenliebz Firchlide Mufit und Kunft. Kircengebräude ; 
erminderung und Weriegung ber deſttage. Merfuch zur Umgeftals 
tung der Kirchenverfaffung nach ber englifhen Episcopalficde. Kits 
Sentecht; Presbyterials und Gpnobalverfaffung, Ginfing auf das 
taatöleben. 

Biertes Gapitel: Einfluß der durch dem evangelifchen Proteftantismus 
bewirften geifligen Gntwidelung auf die beuticerömifcke Kische (Pror 

. tehentiaundd {m Romantemus), Aitciäteeftung Deranktläe Ge 
yandiung des eltertes; e 
gaenwirtung. Dogmatiemus. Vereine zur X Richtung. (res 





augen ei 
«in 8 Abteilungen). Gr. 5. 6 Khir 


jeiger. 


J itſchriften „Wlätter für ilterariſche 
ir bie Beile ober deren Raum 2%, Rar. 





ed 1845 


ı Leipzig 
Hegungen. 


aus dem Gebiete der Heil- 
In mit mehren praktischen Ärzten 
ben von II. Blumenthal, a 
mwestammm. Gr.B. Geh. 1 Thir. 
Magazin für Belehrung und Unter» 
Deiter Saprgang. 1885. 52 Rum: 
3 Mit vielen Abbildungen. Schmal 


— EL; 5 ind koſten Jufammens 
n 
— ae X 


bang 5 Ahle dee daher Die ehnte Saber 
— ni 
Thor rner 1 Auie- 10 Kpe. Dir Meten Dolee 
Net 2 Thit. 


bie’ 10 
Derabgefegt find folgende Schriften mit 


für Kinder. Bünf Bände. Früher 
r. 15Rgr. Einzelne Jahrgänge 


. Drei Bände. Beüher 6 Wir. 
». Ein Band. Früher 2 Thlr. Jegt 


Wengenonmen un 2 Xhir. 


' den BEnPündigungen algs Xrt 
erben big —— 


en ü. dgl. gegen Wergütung von Y, Shir- 


al. ine Sammlung der intereffan- 
ten aller Ränder aus älterer und neues 
ben von Zul. EB. Higig und 
B Hlezis). er bis achter 
2-85. Sep. 15 Ihe. 24 Nor. 

‚Te. 2ANgr., ber zweite Did adıte jeder 2 Mr. 








anı aya Krishna Misrä 
‚schollisque instruxit Hm. Brook- 





Im Berlage der untergeichnetemg 


Sum ’ 
Beitung fün 


gerad, 


unter Mitwirkung der iu 
ober 


Woͤchentlich eine ur . 


mit vielen 
nis des Jahrgangs 2 24 


— 
Er Pedaen und Fopb 


Benige Worte genügen, 
ir die Jugend‘ bei 
—D eichnen. a by geit 
fähigkeit der veifern Su 
ru ihe Lest: und Bil 
Fr A naͤchſte Aufgabe 
au geben, alfo unfern Leſern 
Geegefiicte raſch und forflay 
if ‚e Auffäge folen darum a _ 
unferer Gegenw⸗ 
Form zur Anfhauung bring 
Willen notwendig und erſt 
werden unfere Darfellungei 
gelten; denn mit ber Ke 
Liebe zu ihm gefördert. A 
folgenreier hatfaen, bi ° 
hervorragender Anftalten wir 
richten aus den Kreifen dei 
folen fugen das Bild der € 
mit werden alfo jene Reui 
melde den reichſten Stoff 
im amilienciefel ergeben. 
Doch der a Mi umfen 
Mittheilungen not inedw 
—— — Auffäge üb 


— Bänberiihe 
N theilt her zu Reiſebeſchreil 
nißkreife unfecer jugendligen 
nere Erzählungen morali 
ſchauun⸗ 8 die Beiſpiele 

verknüpft, ftreben außerder 
kung und Deredelung De6 
GSediäte, Märchen und 6 
zegend einwirken, Aufgaben 
das Räthfel und die Eharabe 


Mebus, Vorfgläge zu neuer 
Feänfichen Interhaltuna bed 





BE KT. Yarkı Die Kill 5 te, Die deu 
—E8 —— 8 —8 Soncit. tier 
Vierter Abſchnitt. 


Die Kämpfe und Bewegungen im Innern bes evangeliſchen Prete 
ſtantismus Deutſchlande mit dm De Verſuchen zur Ausgleichung oder 


Erſtet Sa a: Die Bewegungen im ‚gamgelifcen —— — 
Deutſchlande durch den Begenfag der Myſtik und Schwaͤrmerei, des Pie 
tismus ( Oerruhuterthum) und ber flarsen Orthodoxie zur freieren Rid- 
tung bis in bie Mitte des 18. Jahrhunderts. 

iyftit, Scnwärmerei und Drthoborie. Myſtiſche Schwärmer, Dre 
big, Kuhlmann, Sichtel, Peterfen. ReusInfpirirte ıc. 2c. Pietik- 
mus; ner, Geparanii fe Richtung bes Pietismus, Dppoftior 
und Berföhnung ber Drthodorie mit bem Pietismus, 
tum; Gegenfag und Werföhnung mit ber Orthoborie. un 
Gemeinde » Berfaffung des Derrnhuterthums. Webentung für be 
evangel. Proteftantismus; — Gegenfag der freieren Richtung. . 

Zweites Sapiteli Die Bewegungen im evangelifhen Proteftantisum 
Deutſchlandas durch ben Gegenſat ber firengen Drthodorie und des m 
Pr Pietismus zur freieren Richtung von ber Mitte des 18. Jap 

hunderte bis auf unfere Tage, — Apologetit; Miffions- und Bibelgo 


[&paften. 
Drthoborie —* myft. Pietis mus im Bee jag jus Isle Riten 
überhaupt. Aufklärungsfuht und frei Eiteratur iz 
Deutfhland. Mouffeau. Nicolai und — — Rothanter”, 
bie Eiteraturbriefe, die Allgem, deutſche Bibliothet. — Die — 
- Eiteratur; Lehrgedihht und Satpre. — Kiopkods Meffiade. 
fing, Wieland, Böthe, Schiller. — Die neuefle Freigeifterei A 
p {atethen-Werein, das junge Beutfchland und das Salenevangelium, 
. Gegenfag zur Freigeiſterei Dura die fymbotifche gircenlebee und mp 
ſtiſche — Die neue Orthoborxie und ber bibl. Bationalie 
mus. ‚Drtgodorie und myſtiſcher Pietismus ıc. Hamann, Lavater, 
ng-Stilling, Staudius. Bomanificende Richtung. WBulgärer mb 
bislifcher BRationalismus. Reue Erhebung und Ausartung der Or⸗ 
thoborie und des es myniiden P en — — die protekerti⸗ 
fen Brei ‚pologetit. Wtfionsfade temismus und 
im ee Proteftantismus; ie ifnchen 
Dessen Gapie: Di Die Unioneverfuche in dem evangellſchen Yrotekas- 
us 
Ueber die Un: X zwiſchen —S— und mb evangeliihen 
Yrotehantismus überhaupt. Union 
—* awiſe ber —— — und ecaieten im —X Jahrhun · 








sen und eigen Kirye in Xp Folgen der Unterhanblungen. 
Reue Berſuche von —e— Gele ;-Gefpräh gu Gaffel. Berfude 
Fr Berlin. Gpinola, Leibmig, Deolanus, —X — König Frick 
B von Preußen. Unionsverfude im 18. Jahrfundert mit der 
— Spiscopalkicde. Neue Verſuche zwiſchen Lutheranern u 
Reformicten; bie — Kirche. (along Union zwi: 
fihen ber zeformirten und lutheriſchen Kirche im 9. Zabrpundet, 
Gegenfag der Drthoborie, Agenbenftreit und Gectivere, De 
deutſch⸗catholiſche und ev,»proteftantifche Kirche, 


Obiges Werk ift in allen Buchhandlungen zu haben, 
Keiprig, 15, Novbr, 1845, 
8. 3. Köhler 





x 


Eiterariſcher Anzei 





ger. 


18346. M IV. | 


- gi . . ” . 
iefer Literarifche Anzeiger wird ben bei FJ. ®E. Brockhaus in Eeiptig ericheinenden Beitfchriften „Blätter für Iiterarifide 
——— ed an beigelegt oder beigeheftet, und betragen die Infertionsgebühren für bie Beile oder deren Raum 2, Rer. 

mamma ———— 


Bericht 
über die im Laufe des Jahres 1845 


bei 


SER. Brockhaus in Leipzig 


erfchienenen neuen Werte und Fortſetzungen. 





(Beſchluß aus Re. II.) | Du 
40. Eine Kebensfrage. Roman von der Berfaflerin der | 48. Mittheillungen aus dem Gebiete der Meil- 


„&lementine” und „Senuy”. gwei Theile. Gr. 12. Geh. 
3 Thlr. 15 Nor. 
Ben der Berfafferin erſchien in demfelben Verlage: 
emeutine, Sr. 12. 1842. Sch. 1 Zhlr. - 
Ser. Zwei Theile. Gr. 12. 1833. Geh. 3 hl, 15 Nor. 

4. Reng (€. ©. 6.), Geſchichte ber evange: 
liſchen Kirche feit Der Meformation. Gin Fami⸗ 
lienbuch zur Belebung des evangelifchen Geiftes. Zwei Bände 
in ſechs Heften. Erſter Band. Gr. 8.. 2 —8 

42. Ee walb's (.) geſammelte Schriften. In 
einer Auswahl. Zwölf Bande. Erſte bis dritte Lieferung, 


oder erfter bis neunfer Band. Gr. 12. 1844—45. Geh. 
Sede Lieferung 3 Thlr. 
Die legte Lieferung (Band 10— 12) ift unter der Preſſe. 

43. Neue Jenaische Allgemeine Literatur- 


Teeitung. Im Auftrage der Universität zu Jena redi- 
girt von Geh. Hofrath Prof. Dr. F. Hand, und Geh. 
irchenrath Prof. Dr. M. A. Mase, Hof- und Justiz- 
rath Prof. Dr. 4, L. I. Michelsen, Geh. Hof- 
rath Prof. Dr. D. &. Mieser, Prof. Dr. HM. Bnell, 

. als Specialredactoren. Jahrgang 1845. 312 Nummern. 
Gr. 4. 12 Thlr.: 


Zird Freitags ausgegeben, kann aber auch in Monatsheften bezogen 
werben. > 

Anzeigen merden mit 1Y, Met. für den Raum einer gefpaltenen Zeile 
und befondere Beilagen u. dal. mit 1 Thlr. 15 Nur. berechnet. 


44. Röbe (William), Sefhichte der Eanbwirth⸗ 
{Haft im altenburgifhen Ofierlande. Nach den 
beften Quellen bearbeitet. Gr. 8. Geh. 1 Zfir. ‘ 


Dieſer Schrift wurde bei Gelegenheit ber Berfammlung deutfcher Land: 
und Yorftreicthe zu Altenburg von dem Preidrihter Collegium ein Preid von 
50 Bulaten zugeiproden. 


Bon bem Berfaffer erſchien bereits in demfelben Verlage: 
Die altenuburgiſche dwirthſchaft in ihrem gegenwärtigen 
nf rer tere tigung ihrer Nebenzwei nd ber 
ai re Srfeparhung bargefteit. tan 8 1833. 1 She. 15 Rar. j 


Ratnrgen ichte für Raudwirthe, Gärtner uud Techniker. 
Mit DW lithographirten und iHumintrten Tafeln. @r. 8. 1842. 2 Thlr. 


45. Löße (J.), Lateinisches Elementarbuch. 
Gr. 8. Geh. 12 Ngr. 

46. Malfatti von Monteregio (Johann), 

Studien über Anarchie und Hierarchie des 
Wissens. Mit besonderer Rücksicht auf die Medicin. 
Mit zwei lithographirten Tafeln. Gr. 8. Geh. 1 Tblr. 

41. Mendels ſohn's (Mofes) gefammelte Schrif⸗ 

. ten. Nach ben Driginaldruden und aus Handfihriften her: 
ausgegeben von &. B. Mendels ſohn. Sieben Bände 
(in 8 Abtheilungen). Gr. 12. 1843 —45. 6 Thir. 


+ 


kunde. Im Verein mit mehren praktischen Ärzten 
Moskaus herausgegeben von E Blumenthal, I. 
Anke und &. Levestamm. Gr.8. Geh. I Thir. 
49. Das Pennig : Magazin für Belehrung und Unter: 
haltung. Neue Folge. Dritter Sabrgang. 1845. 52 Num- 
mern. Ks 56. Mit vielen Abbildungen. Schmal 

r. 4. r. 

ee AA und monatlidy außgegeben. 

Der erfte bis zehnte Jahrgang des Se enigeBRa ayind often zufammens 
senommen ftatt 19 Shlr. 15 or. im derabgelepten reifs mu 
10 Xhle.g der erfte bis fünfte Jahrgang 5 Thlr., der k te Bis zehnte Am 
gang 5 hir. ; ein eine gehrsänge ober 1 Abir! 10 Rer. Der Neuen e 
erfier Jahrgang ( 1843 ) koftet 2 Thlr. ‚ 

Ebenfalls im Preife herabgeſetzt find folgende Schriften mit 
vielen Abbildungen: . 

Drennig: Magazin für Kinder. Fünf Bände. Früher 

—8— Jetzt 2 Ihr. 15 Ngr. Einzelne Jahrgänge 


12 . 
Sonntags Magazin. Drei Bände. Fruͤher 6 Mlr. 
e r. 
———— Ein Band. Früher 2 Ihlr. Jetzt 
r 


— *8— Bände zuſammengenommen une 2 Tholr. 
In daß Drennin: Dagasin werden Cutändigungen aller Art 
enbere elle 2 dat argen Beratung vor a Ra 
für das Zaufend beigelegt,> is . 
50. Der neue Pitaval. Eine Sammlung der intereffan- 
teſten Criminalgeſchichten aller Laͤnder aus aͤlterer und neue⸗ 
rer Seit. Herausgegeben von Zul. @b. Hitzig und 
B. Haring — EAlexis). Erſter bis achter 
Theil. Gr. 12. 1842 — 45. Geh. 15 Thlr. 24 Nor. 
Der erfte Theil koſtet 1 Xhlr. 24 Rgr., ber zweite bis achte jeder 2 Ar. 
51. Prabodha Chandrodaya Krishna Misrk 
haus. Gr. 8. Geh. 2 Thir. 15 Ngr. 
Das erfte Heft diefes Wertö, den Sanskrittext enthaltend, erſchlen 1885 
und koftet 1 Thlx.z das ameite Heft enthält die Gcholien und wird zu dem 
Dreife von 1 hir. 15 Ngr. aud einzeln audgegeben.‘ 
Ben dem Herausgeber erfhienen früher in demfelben Verlage: 
Gründung der Stadt Pataliputra und Geschlohte 


der Upakosa. Fragmente aus der Kathä Sarit Sägara des 
Soma a. Sanskrit und deutsch. Gr. 8. 1835. 8 NEr. 


Hathä Sarit Sagara. Die Märchensaimmlung des Mome- 
deva Bhatte aus Kaschmir. Erstes bis fünftes Buch. Sans- 
krit und deutsch herausgegeben. Gr. 8. 

er den Druck sansk 


Die Märchensammlung des Somadeva Bhatta aus 
Kaschmir. Aus dem Sanskrit übersetzt, Zwei Theile. Gr. 12. 
184. 1 Tblr. 18 Ngr. 


! 


jeder untegeänetem ; —* 
a r — 
28 a ö Vierter Abſchnitt. 
Die Kaͤm d Bewe tm Innern des evangeliſchen Prete 
‚Beitung für " Rantismus nen, ben Derfuchen zur ung oder 


“Hera, Union. 
" « 6 Sapitel: Die Bewegu Ä eliſe teftantismn 
unter Mitwirkung der bu, eu lande Dura) ven Denenlanher Myfif und Ghmirnereh bei Pr 
. tismus ( Oerrahuterthum) und ber ſtarren Orthodoxie zur freieren Rid- 
ober: tung bis in die Mitte des 18. Iahrhnnderts. 
* 
nm, fen. —8— . 26. 
Woͤchentlich eine B ER Gpener. ’ Seporatiftiſche Richtung des Pietismus, Oppoftica 


und Ver ſohnung ber Dethoborie mit, dem Pietismus. real 
Mit vielen thum; — und Werföhnung mit der Aare. en 
F Gemeinde » Verfaſſung des Herrnhuterthume. Bedeutung für ber 
reis des Jahrgangs 2 evangel, Proteftantismus; — Gegenfag der freieren Richtung. . 
° ein eirgelm: Zweites Gapitels Die Bewegungen im evangelifden Proteftantismm 
_— rd ben Begenfan, hr firengen Detgonorie and bee me | 
fifhen us zur frsieren Richtung von ber Mitte ET 
Er Probenummern 3 hunderte bis auf unfere Zage. — Xpologetit; Miffions» umd Mibege | 
jungen und Pofb feifgeft e 


Wenige Worte F 


Fe ers näcjfte Aufgabe 
zu geben, alfo unfern Leſern 
esgeſchigte vo un Teen 
—** — Gegenw⸗ 


Doch der a ‚unfen . 
Mittheilungen noch keinesw 
—— 

efonderd de B , 
Bilkee aid Yanserräilde 
N theilt oder zu Weifebefcpreit 
nißfreife unferer jugendlicher 
nere Crzählungen morali _ 
ſchauung an die Beifpiele 
verknüpft, fteeben außerbe 
lung und Berebelung des 


en. 
Drthoborie u. myſt. Pietismus im Gegenfag zur freieren Rictum 
überhaupt. Märungsfuht und Beelbentere. Die Literatur ia 
Deutſchiand. ouffeau. Nicolai und fein „Gebalbus Rothanter”, 
bie Eiteraturbriefe, die Allgem. deutſche Bibliorhel. — Die poetilde 
+ Literatur; Tehrgebiht und Gatyre, — Kiopfods Meifiade. ri; 
, Wieland, Böthe, Schiller. — Wie neuefte Kreigeifterei ; der 
Ppilalethen-Berein, das junge Beutfchland und das Laienevangelium. 
. fag zur Breigeifterei buch die ſymboliſche Kircheniehre unb my⸗ 
ſtiſche Philofophie. Die neue —E und ber bibl. Bationalik 
mus. Drthi je und myſtiſcher Pietismus 2c. Hamann, Lavater, 
Jung-Gtüling, Glaubius. Bomanificende Bichtung. Wulgärer und 
biblifger Rationalismus. Neue Erhebung und Ansartırhg der Dr 
joborie und des myſtiſchen Pietismus. enſad die protekantis 
Breunde, — Apologetit, Mifionsfade im Remenismue an 

is mus; Bibelgefellfdaften, 


im evangel. Proteftanti 
Drittes Sapitel: Die Unionsverfuche in dem evangelifdien Yroteflan- 


tiemus Deutfclande. 
Ueber die Unionsverfudhe zwifchen dem Romanismas und evangelifäen 
Yrotekantismus überhaupt. Unionsverfu wit der 
Kirche, zwiſchen den Eutheranern und Beformicrten im 17. Zabrhun 
dert. Seſproͤch zu Leipzig. „Duräus. Galist und bie fpmcretäfiicden 
3: unb römliden Rise In Eher. Aolgen de Latezhanstungn 
sen und röm! in R 'n ber Unter! 
Neue Berfuce von roͤmiſcher Geite; te su Gaflel. Berk 
in Berlin. Gpinola, Leibnis, Weolanus, Bofluet. — König Frirk 
rich von Preußen. Unionsverfude im 18. Jahrhundert mit de 
engliſchen Tpiscopalkirche. Reue Verſuche zwiſchen Eutheranern zu 
Reformicten ; bie roͤmiſche Kirche. Unionsgefellfchaften. sion gei: 
ſchen der zeformirten und lutheriſchen Kirche im 19. Jahrhundert. 
Gegenfag der Drthoborie, Agendenftreit und Sectirerei. — Die 
deutſchecatholiſche und ev.»proteflantifche Kirche, 


Dbiged Werk ift in allen Buchhandlungen zu haben. 
Keiprig, 15, Novbr. 1845, 


te, Märden und € 
gegend kr fanden 8. 3, Köhler 
das Räthfel und die Eharade 


Mebus, Vorfchläge zu neuer 
Feähfihen Interhaltuna he& 


x 


Eiterariſcher Anze 





138346. M IV. 


—Ort, ——— — — — 
Dieſer Literarifche Anzeiger wird den bei @. €. Brockhaus in Eeiptig erfcheinenden Beitfchriften „Blätter für literariſche 


Auterhaltung‘ und „is beigelegt ober beigeheftet, und betragen bie Infertionsgebühren für die Beile ober deren Raum 2, Rgr. 
mm — TC 


Bericht 
über die im Laufe des Jahres 1845 


bei 


FR Brockhaus in Leipzig 


erſchienenen neuen Werke und Fortſetzungen. 





(Beſchluß. aus Kr. IM.) 


40. Eine Rebensfrage. Roman von der Berfaflerin der 
„Slementine” und „Senay”. wei Theile. Gr. 12. Geh. 
3 Thlr. 15 Nor. 

Ben ber Derfaffsrin erſchien in bemfelben Verlage: 
r. 12. 184%. Sch. 1% 


Elementine. Ir ” 
Senup. 3wei Theile. Gr. 12. 1843. Geh, 3 Ihlg, 15 Nor. 

4. Reng (€. ©. H.),_ Geſchichte der evange: 
Kfchen Kirche feit Der Reformation. Gin, Fami⸗ 
lienbuch zur Belebung des evangelifchen Geiftes. Zwei Bände 
in fech8 Heften. Erfter Band. Gr. 8.. 2 Dig 

42. Kewalb’s (%.) gefammelte Schriften. In 
einer Auswahl. Zwölf Bande. Erfte bis dritte Lieferung, 
oder erfter bis neunter Band. Gr. 12. 1844— 45. Geh. 
Sede Lieferung 3 Thlr. 

Die lepte Lieferung (Band 10— 12) iſt unter der Prefie. 

43. Weue Jenaische Allgemeine Literatur- 
Deitung. Im Auftrage der Universität zu Jena redi- 
girt von Geh. Hofrath Prof. Dr. F. Mand, und Geh. 
Kirchenrath Prof. Dr. M. A. Mase, Hof- und Justiz- 
rath Prof. Dr. 4. L. JS. Michelsen, Geh. Hof- 
rath Prof. Dr. D. &. Hiieser, Prof. Dr. H. Buell, 

. als Specialredactoren. Jahrgang 1845. 312 Nummern, 
Gr. 4. Thlr. - 

Zird Freitags ausgegeben, kann aber cuch in Monatsheften beigaen 


werben. 
An eigen merden mit 1', Rot. für den Raum einer gefpaltenen Zeile 
und befondere Beilagen u. dgl. mit 1 Thlr. 15 Nor. berechnet. 


44. Köbe (Billiam), Seſchichte ber Eandwirth⸗ 
{Haft im altenburgifhen Ofterlande. Nach den 
beften Quellen bearbeitet. Gr. 8. Geh. 1 Zhir. ' 
Diefee Schrift wurde bei Selegenheit ber Verſammlung deutſcher Lande 


und Forftmicthe zu Altenburg von dem Preisrihter : Goleglum ein Preis von 
5 Bukaten zugeſprochen. 


* dem Verſaſſer erſchien bereits in demſelben Verlage: 

e [3 
Be A mh henmärrhegn 
agrarifgen Sefepgedung dargefteüt. Gr. 8. 1843. 1 hir. 15 Nar. 
Ma ef&iäte für Raudwirtbe, Gärtner und Techniker. 

Dit DM litbographirten und tluminirten Xafeln. Gr. 8. 1842. 2 Xhlr. 
45. Lößbe (J.), Lateinisches Elementarbuch. 
Gr. 8. Geh. 12 Ngr. 
46. Malfatii von Monteregio (Johann), 
Studien über Anarchie und Hierarchie des 
Wissens. Mit besonderer Rücksicht auf die Medicin. 
Mit zwei lithographirten Tafeln. Gr. 8. Geh. 1 Thlr. 
47. Mendels ſohn's (Mofes) gefammelte Schrif: 
ten. Rad ben Driginaldruden und aus Handſchriften her: 
außgegeben von &. B. Mendels ſohn. Sieben Bände 
(in 8 Abtheilungen). Gr. 12. 1843—45. 6 Thlr. 


4 


48. Mittheilungen aus dem Gebiete der Heil- 


kunde. Im Verein mit mehren praktischen 


Moskaus herausgegeben von E Blumenthal, I. 


Anke und &. stamm. Gr. Geh. 1 Thlr. 
49. Das Pfennig : Magazin für Belehrung unb Unter: 
Haltung. Reue Bote. Dritter Sebrgang. 815. 52 Num⸗ 
mern. De 96. Mit vielen Abbildungen. Schmal 
r. 4. r. 
—8 Aa und monatlich außgegeben. 
Der erſte bi6 zehnte Jahrgang des — koſten zufammens 
Thlr. 15 r. esten Preiſe nur 
hir., der ſechtte Bid a Iie 


„„Ebenfals im Preife herabgeſetzt find folgende Schriften mit 
vielen Abbildungen: 


Drennig: Magazin für Kinder. Fünf Bände. Früher 


auge Jetzt 2 Thlr. IH Rgr. Einzelne Jahrgänge 


gr. 
Sonntage Magazin. Drei Bände. Früͤher 6 Wlr. 
r 


Se st . 
Mational Magazin. Ein Band: Früher 2 Thlr. Jetzt 
r. 
—E Bände aufamnengenonmnen nur 2 — x 
⸗ dv Ur Art 
aufgenommen ale bi ee Belle ober ar Ren nern en r. 
berẽchnet, beſondere zeigen u. dal. gegen Vergütung von . Thlr. 
fur das Aaufend beigelegt. , . ' 
50. Der neue Pitaval. Eine Sammlung der intereffan- 
teſten Eriminalgefchichten aller Länder aus Alterer und neue 
rer Seit. Heraudgegeben von Zul. &b. Sipis und 
BB. Häring (WB. Miezis). Erſter bis achter 
Theil. Gr. 12. 1842 — 45. Geh. 15 Thlr. 24 Rgr. 
Der erfte Iheil koſtet 1 Xhlr. 24 Rgr., der zmeite bis achte jeder 2 Ahlr. 


51. Prabodha Chandrodaya Hrishna Misrk 


Comoedia. Edidit scholiisque instruxit Min. Brock- 
haus. Gr.8. Geh. 2 Thir. 15 Ngr. ' 


Das erfte Heft dieſes Werkö, den Sanskeittert enthaltend, erſchien 1835 
und foftet 1 Thlr.5 das wweite Heft enthält die Schollen und wird zu dem 
Preiſe ven 1 hir. 15 Ngr. aud einzeln ausgegeben.‘ 

Bon dem Herausgeber erſchienen früßer in demfelben Verlage: 

Gründung der Stadt Pataliputra und G6teschlohte 
der Upakosa. Fragmente aus der Kathä Sarit Sägara des 

So eva. Sanskrit und deutsch. Gr. 8. 1835. 8 Ngr. 


Hathä Sarit Sagara. Die Märchensammlung des Bowe- 
devas Bhatte aus Kaschmir. Erstes bis fünftes Buch. Sans- 
krit und deutsch herausgegeben. Gr. 8. 1839. 8 Thlr. 

Über den Druck sanskritischer Werke mit lateini- 
schen Buchstaben. Ein Vorschlag. Gr. 8. 1841. 20 Ngr. 

Die Märchensammlung des Somadeva Bhatta aus 
Kaschmir. Aus dem Sanskrit übersetzt, Zwei Theile. Gr. 12. 
184, 1 Tüblr. 18 Ngr. 


iger. 


52. Wresentt (Milliem Henry), Geſchichte 
er ... eo A ——— 
t übern me iſchen n ndes ım 
dem Leben des Eroberers Dernando Corte. Aus dem 
Englifchen überfept. Zwei Bände. Mit zwei lithographirten 
Tafeln. Er. 8 Sch. 6 per. . 
Gbendafeidft erſchlen dereits durch denſelben Überfeper : 
Me v 
ae rn Tee Ra ° den. 
33. Augemeine Preßzeitung. Herausgegeben von Dr. 
SEID. Berger. Jahrgang 1845. Januar bis Juni. 
&r. 4. 2 Zhlr. 20 Ror. 
54. Rau (Heribert), Kaifer und Mare. Hifto 
riler Roman. Drei Theile. Br. 12. Geh. 5 Thlr. 
>. Raumer (B. von), Die Bereinigten Staaten 
son Morbamerifa. Bei Theile. Dit einer Karte 
der Vereinigten Staaten. Gr. 12. Geh. 5 The. 


X Jahre 189 len ebendafel N; . Rad che Yuft 
srdameridas . eigenen Anſchauungen in 
den Sabren —X 1835 — 1836 bargeftcht von Sulin 8. 


wei Bände. Mit 1 Karte und. 13 lithograp teten. afeln. Sr. 8, 
De 6 Ahle. b 


56. Leipziger Repertorlum der deutschen 
und ausländischen Literatur. Unter Mitwir- 
kung der Universität Leipzig herausgegeben von Hofrath 
und Oberbibliothekar Dr. E. dhf. Gersdorf. Jahr- 

1845. 52 Hefte. Gr. 8. 12 Thlr. 
Int in möchentliden ‚Heften von 2, —3 Bogen und wird Arektags 
ausgegeben. 

Mei St M rin 

Dieſer Zenſchrift 


engeiger, 
Hterarifde Anzel u art befimmt, Deigegeben d Xntindig 
—— ‘werden für die Zelte oder deren Kaum mit? Nor. berechnen, 
befondere Anzeigen u. dgl. gegen Vergütung von 1 Thlr. 15 Nor. beigelegt. 
57. Röfing (Sohannee), Pas Eriminaige- 
sicht zu Bremen vor den Richterfluhl der öffentlichen 
Meinung gegogen. &r. 8. Geh. gr. 
Zum Beten der Bamilie des Profeffors Zordan. 
Bon dem Verfafler —55 — 1983 dafeldft : 
u WBremens gemeinen Mann. &r. 8. Beh. 3 ar. 
58. Ross (L.), Inscriptiones graecae inedi- 
tae. Fasc. 1-1. Gr. 4. 1834—45. Geb. 5 Thlr. 10 Ner. 
I. Igsceriptiones Arcadicae, Laconicae, Argivae, Coriatbiae, Me- 
icae, Phocicae. 1831. 1 Thir. 10 Ner. 
apides insularam Andri, Ji, Teni, Syri, Amorgi, Myconi, 
Pari, natgpaiscae , Nysyrli, Teli, Coi, Calymnae, Luri, Patmi, 
Sami, Lesbi, Thesae, A et Peparethi. 1842. 2 Thir. 
III. Lapides Insularum Meli, Therae, Cast, Carpathi, Rhodi, Sy- 
73 ‚Chalces, Calymnae, Col, Astypalaeae, Amorgi, Ji. j 
99 Schopen hauer (Hbele), Anna. Ein Roman 
aus der naͤchſten Bergangenheit.- Zwei Theile. Cr. 12. 
Gch. 3 Zhir. 
Bon der ® ri ien im 1844 dafeldfi. : 
—* N) ae — "eh. 23 Ber. 


©. si MW. G.), Dre des * 
—— Gehen a Ed ‚Yan 


einer @infeitung. Gr. 8. Geh. 1 hir. id Nor. 
61. Stamm (z588.), Be. &. 12. Geh. 
1 Ahlr. 10 Nor. 


62. Bitohel (I. &.), Handbuch zur morgen- 
Mändischen Münskunde. Erstes Heft. — A. u. 
d. T.: Das Grossherzoglich Orientalische Münszoabinet zu 

- Jena, beschrieben und erläutert, Erstes Heft: Omajjaden- 
und Abbasiden- Münzen. Mit einer lithographirten Ta- 
fell. Gr. 4. 2 Thir. 0, 

63. Struve (A. von), Handbuch der Pbreno: 
Logie. Mit ſechs ithopreg irten Tafeln und Textabbil⸗ 
ungen &. 8. Beh. 2 Zhle. 8 Nor. 

64. e (Eugen), er ewige Ab . Aus a 
Km. Eif Theile. 8. 1844— 45. Beh. 3 Ahlr. T0Mgr. 


5 * zart & FR —* dae änge (1890-39 
‚sehn. P 
toftet * an 8 en * m mi n ix; ve € 1 Nr fe Er Sn 3 


der eeſte bis fünfte ang 5 Thlr., der fi bis gzehnte Jahrgang 
BT EL a 
66. Vollständiges Taschenbuch der Münz«, 
Maass- und Gewichts- Verhältnisse, der 
Staatspapiere, des Wechsel- und Bank- 
wesens und der Usanzen aller Länder und 
Handelsplätze. Nach den Bedürfnissen der Gega- 
wart bearbeitet von Ob. Nobesek und P. Wobach, 
Erstes bis siebentes Heft, ( Aachen— Petersburg.) ‚Breit9, 


1841 —45, Jedes Heft 15 Ner. 
Die Fortpfian- 


67. Thienemann (F. A. L.), 
zungsgeschichte der gesammten Vögel 
nach dem gegenwärtigen Standpunkte der 

s mit Abbildung der bekannten Rier, 





Wissenseha 

Mit 100 colorirten Tafeln. "In zehn Heften. Erstes 

Kein (Strausse und Hiühnerarten.) Gr. 4. In Carton. 
r. 

68. Das Land Aſrol umb Der Syrolerkrieg yon 
2809. — A.u. d. T.: Geſchichte NRubreas Sofer’s, 
Sandwirtbs aus Pafſeyr, Mberanführers der 
Tyroler im Kriege von 1809, Durchgehends aus 
Driginalyapieren, auß den militairifchen DOperationsplanen 
fowie aus den Papieren des Freiherrn von Hormayr, Hofer's, 
Spekbader'ssc.ıc. Zweite, durchaus umgearbeitete und ſehr 
en 2 magr. Erfter und zweiter Theil. Gr. 8. Ge 

r. r. 
60. Urania. ſchenbuch auf das Jahr 1846. Reue Folge. 
aanter —— dem Bildniſſe Jakob Srinm’s. 8 
eg. cart. % - 
Sm feübern Jahrg —8 der Urania find nur noch einzeine @yempler 
h 


von 1831, 1834—Ihevorräthig, die im beradgefegten Preife zu 15er. 
der. rga Egeloffen werden. Di ä d 
u ee en Die Sabtgänge der Seuen Orig: Den 


Die in » | Iteuen Wi 73 
NR. * u . Hran abet un löniffe werden in beſon⸗ 


70. Benedey( ak.), England. Drei Theile. &r.13. 
Geh. 5 Thlr. IU Nor. 
Im Jahre 1844 erfchlen von dem Verſaffer ebendafcibk: 
Frlaud. Zmei Theile. Sch, 4 Mir. 
71. Wolks - Bibliothek. Erſter Band: Joachiu 
Mettelbe, Bürger zu Kolberg. Eine -Lebensbe 


ſchreibung von ihm ſelbſt aufgezeichnet, und herausgegeben 

von S. B. aten. hit Nettelbeks Bin und 

einem Plane ber yegend von Kolderg. Zweite Auflage. 
r. 8. Ir 


Ruttetbed?s Ledensbeihreltung, die in erfter Nuflage 3 Thir. Iufete, 
wird hier bei befſerer Auöftattung dem Publicam für 1 Xhlr. gebeten, um 


biefed anerfannt gute Buch auch ben meniger Bemitteiten zugänsiiib za 


machen. 
72. Deutſches Bolksablatt. Eine Monatfchrift für dei 
Herausgegeben von Pfarrer Dr. 


Volk und ſeine Freunde. 
Erſter Jahrgang. 1845. 12 Hefte 


RB. Paas. 
eig X ein Heft von I Bogen. Die Lat le 
x d N. i ä 

tragen ie vn dum einer Zeile 3%, Nor, Mn fonbere Cıllazın warn ix 

jedes Tauſend mit %, Thlr. dereinet. 

73. Wangen (SR. B.), Aunfiwerke und An 
Ier in Deutfdlant. er und zweiter heil. K.12. 
1843 — 45. 3 Thlr. 

Der erfte Theil führt den befondern Zitel: 


Auuftwerte und Käüuftler im Gragpbirge nud iu Zeauden-. 
1 hie. 15 Bor. 


4 Dee zweite Thell fuͤhrt den —*33— Titel 
nu Pe und Aüufiler in Baleru, Schwaben, Safel. 
— ber Mpeiupfalg. | Abi. 15 Kar. A 


Si 3 Kupfern. &r. 8. Geh. . 
Diefe „Deutſche Marchen nu Wagen lien als Yortfepung wa 
des Herausgebers 
Dricderläudffihe Gagen. Mit einem Kupfer. Or. 8. Beh. 3 Ti. 
betrarhtet werden, die 1843 In demfelben Verlage erfihlenen find. 


- 79. Deutſche AUgemeine Zeitung. 


. | Serantwertliche 
Redaction: Profeſſor F. Bilam. Sahrgang 1845. Rüg: 


lich mit Einſchuuß der Sonn⸗ und. Feſttage eine Nummer 
j Aa l ee 4. Yränumeratiönspreis vierteljährlich 
2 


Verzeichnisse 


von 


hir. . Ä anren j2 . Ä 
ae en en Merenkere Inseln warten, | im Preiſe bedeutend herabgefehten Werben 


Mer beigelegt. 
dem Verlage von Franz Mölbete in Karlsruhe 
ift it Berlagsreit An 2 & Biodhaus in Leipzig —* 
gegangen: j 
Le Sage’s historisch-genealogisch- 
geographischer Atlas, Aus dem Fran- 
zösischen ins Deutsche übertragen und vermehrt von 
Alx. von Dusch -und J. E selein. Gr. Royalfolio. 
Herahgesetzter r 





Cart. 
(Kann auch in 8 Lieferungen a 1 hir. bezogen werben.) 


aus dem Verlage von 


$. A. Brockhaus in Ceipzig, 
wovon das eine die ſchönwiſſenſchaftlichen und hiſto— 
riſchen, das andere die wiffenfhaftlihen Werke enthäft, 
werben durch alle Buchhandlungen gratis auögegeben. 


3° Diefe Verzeichniffe enthalten faft alle Werke von allgemei- 
nerm SIntereffe, die bis zum Jahre 1842 in obigem Verlage 
erichienen find. Die Preisberabfegungen gelten nur ein Sabr, 
vom 1. Zanuar bis SI. December 1346. Bei einer Auswahl 
von 10 Thlr. wird noch ein Rabatt von 10%, bewilligt. “Es 








Zutber- 





Eine | | 
Stif 
durch die 


uther-Wibel, 


tung 





” 


Was wir wollen, 


"Stauben und Dümmfein, Dulden und Schweigen war in 
der langen Nacht der Mittelzeit das Loos der Bölter. Died 
2008 zu verewigen war das gemeinfame Streben von Königen 
und Pfaffen, von HAHN und Religion. So btieb ed, bis 

wu kam, und nad) ihm Luther und Calvin. Gin leuch⸗ 
tended Dreigeftien fliegen jie herauf in die Finfterniß, und. die 
Kirhenzefoemation warb das Morgenrotb der beſſern 


Menzeit. - . . 
uther that das Meifte. Er riß die verfchloflene Bi⸗ 
Bel von ihrer Kette, und aufgefchlagen reichte er fie feinem 
Bolke. „Mehmt Hin‘ — das find feine eigenen Worte —, 
„nehmt Hin bie Bibel, das Such ber Wahrheit, 
Das Mrot bes Mebens!” Cr hätte hinzufügen können: 
„und das Brot der Freiheit!” Wahrheit und Freiheit Enüpft 
eis Band zufammen; ein Band eifern, unzerbrechlich, ewig. 

Es gibt Wahrheiten, welche, wenn fie des Menfchen Geift 
einmal aufgefaßt bat, Leine Macht der Welt ihn wieder ent: 
reißen ann. Die Wahrheiten des Ehrienthums find 
ſoliche. Sie machen die Rundreife um die Welt und wurzeln 
in jeder Bone, unter allem Volke. Sie leuchten wie eine Kerze, 
die angezündet ift an Beiden Enden; denn fie lehren nicht 
Kat Menfchen feine Pllichten, fie lehren ihm auch feine 

echte. 

Dieſer Dualismus in der Lehre des Evangeliums war von 
jeher Denen ein Anſtoß, welche vermeinten, den Völkern ſei 
die Erkenntniß ihrer Pflichten genug. Achtzehn Jahrhunderte 
eugen von dem Bemühen, das eine Ende des evangeliſchen 

oppellihts auszuloͤſchen ober unter den Scheffel zu ftellen. 
Wa hat es geholfen? Die Freiheit im Evangelium ift zu 
allen Zeiten von begabten Menfchen verftanden worden; fie 
hatte allezeit eine unfichtbare Kirche. Diele ke bat feine 
Zempel, Feine Soden, Leine Thuͤrme; ihre Apoftel, Jünger 
und. Lehrer predigen indeß überall, und ihre Belenner und 
Anhänger zählen jeht nad) Millionen. Wer will in unferer 
Zeit für die Freiheit im Evangelium Feſſeln ſchmieden? Wer 
in Banden fehlagen die Freiheit der Gewiflen?! Nur Die 
foerden ed wagen, welchen der Herr in feinem Zorne die Sinne 
verhüllt hat; fie, die nicht fehen das Strömen der Seit; die 


nit fühlen das Woher und Wohin des Windes; die fein Brau: . 


fen nicht hören und den Brand nicht riechen, welcher die Bal⸗ 
fen und Stügen eined morfchen Baues verzehrt. Die Stummen 
werden es wagen, welche Feinen Laut haben im Chore, mit 
welhem die Gegenwart die Zukunft begrüßt. Und audy fie, 
mit den umnachteten ®innen, wagten es nicht, wären nicht 
fie, die fo lange getäufcht haben, felbft in ärgfter Taͤuſchung 
befangen, wären fie nicht verſtrickt in ihrem eigenen Zauber, 
mit dem fie fo lange die Geifter zu bannen tradhteten. 

Heute feiert die Gewifſensfreiheit ein ſeltenes Subelfeft. 
Es ift Buther’s 300jähriger Sterbetag, der Zag feines 
Heimgangs zu Dem, welcher in jedem wahrhaft groß und 
ut wirkenden Menfchen feinen Apoftel auf Erden anerfennt. 
Behntaufend Thuͤrme preifen heute ven Mann Gottes mit ihren 
Glockenzungen, ımd am Gewölbe des Himmels hallt wiber das 
bunderttaufendftimmige „ine Tele Burg it unfer 
Spott!" Auf taufend und aber taufend Kanzeln werden 
heute Euthers Wollen und Wirken Ehrenfäulen des 
Worts errichtet und gedacht aller Dinge, in denen er groß ge: 
wefen und herrlich! Meflen wir aber der Thaten Große nad 
bem Segen, den fie verbreiten, dann bleibt die eine doch die 


allergrößte: , . 
| Seine Bibelübersetzung. 


Man hat berechnet, daß Luther's Bibel gedeudt worden 
ift in mehr als 240 Millionen Eremplaren. er aber berech⸗ 
net die Summe von Dem, was durch Fe die Menfchen an Tu⸗ 

end, Beruhigung, Zroft und Gtüdjeligkeit gewonnen haben? 
Cr a iner das Weltmeer in Tropfen aus oder wägte 
die Geſtirne. . 

Durch feine beutfche Bibel feiert Luthers Wirken 
alle Tage bei Millionen ein Auferfichungsfeft, und in Diefems 
Sinne find wir felbft feit 15 Jahren bemüht gewefen, etwas 
beizutragen zu Luther's Verherrlichung. Ka ſorgfaͤltiger 
Wiederherſtellung des Lutherifchen Bibeltertes, der im Laufe 
von drei Iahrhunderten durch unberufene Verbeſſerungsſucht 
fo vielfache Berunftaltungen erlitten Hatte, und durch eine 
zuweilen prachtvolle, immer aber ſchoͤne Gewandung haben 
wir nicht nur Luthers Bibel in die Familienkreiſe der Shen 
und Bornehmen zurückgeführt, fondern auch den ärmern Claſſen 





durch wohlfeile Ausgaben mit paffenden Aliberſchmuck das 
Buch werther gemacht, in welchem ber Eprift die Quelle des 
Lichts und des Troſtes, die Erkenntniß von Pflichten und Rech⸗ 
ten nie vergebens ſucht. Wir haben in den 45 Jahren über 
300,000 Lutherbibeln in alle Länder diesfeit und fenfeit bes 
Meered verbreitet, wo deutfdhe Zungen reden und das Segens⸗ 
wert der Reformation Wurzel ſchlug. Mit einiger Genugthuung 
blickt auch der Handlanger auf den flolgen Bau hin, zu dem 
er Steine getragen; aber mit Ehrfurcht und Demuth betrach⸗ 
tet er den Meifter, ohne welchen der Bau gar nicht da märe. 
So bliden auch) wir zu dem Gerechten empor, an deflen Sterbe: 
bett heute Millionen Chriften im Geifte wallen, im Geifte ſei⸗ 
nen Segen empfangen. 

Indem wir gerabe Beste‘ den Borfas veröffentlichen die 
Euther⸗Bibel in ciner Reihe von würdig, zweckmaͤßig und 
den verfchiedenen Arten des Gebrauchs angemeffenen Ausgaben 
von neuem in Einmalhunberttaufend Exemplaren 
u druden und überall bin zu verbreiten, wo das Licht der 
keformation in beutfhe Herzen hineinleudhtet, beabfichtigen 
wir eine finnige Mitfeier von Luther's Zodestag, und indem 
wir einem Jeden, der fich bei unferm Unternehmen betbeiligt, 
das nach dem beften Gemälde Cranach's vortrefflich geftochene 
Bilbniß Ruther’s — das treuefte und zugleich geiſtvollſte 
aller vorhandenen — mit der Unterfchrift: 


„ine fefte Burg ift unfer Gott!“ 
(3um 48. Februar 4846.) 


als Erinnerungszeichen des heutigen Jubelfeftes fpenden, 
glauben wir jedem Freunde und Anhänger des Gottesmannes 
und feiner Lehre eine Freude zu bereiten. 

SCußerbem erhält Ieder, der durch feine Theilnahme 
unfer Unternehmen und feinen Zweck fördert, unfere bekannte, 
fhöne Darftelung vom „SCbenbmant bes Herrn“, nad 
der großartigen Eompofition des Leonardo da Vinci’ von 
Meifterhand auf Stahl ausgeführt, zu einem Wandſchmuck, an dem 
fi das Auge des Ehriften ergögen und feine Seele erheben mag. 

Eine dritte Erinnerungsgabe ift für Die größte und pracht⸗ 
vollſte unferer Luther: Bibeln, welde im eigentlihen Sinn 
eine Ehren: Ausgabe genannt werden darf, beftimmt — Au: 
tber in feiner Zelle auf ber Wartburg bei ber 
Bibelüberſetzung befchäftigt. — Seder Bibelfreumd wird 
gewiß mit dem höchften Interefje den Ort betrachten (es iſt ein gang 
getreues Bild Der Lutherzelle, wie fie noch jeßt zu ſehen iſt), 
von dem fo Großes ausging und fi) Segen ohne Maß verbreitete. 

Aber auch ein Denkmal Höberer Art, ein Denk⸗ 
mal ganz im Euthergeiſfte fol Der bauen helfen, der ſich 
unjerm Beginnen anſchließt. 

Bon je zehntauſend Bibeln nämlich, welche wir 
von den heute angezeigten Ausgaben abfegen werden, beſtimmen 
wir die Summe von 


Eintausend Thalern 


zu einer: Ehrenfliftung des großen Bibelüberfegers, welche 
wir in feinem Heimatland, in unferm Thuͤringen, in feinem 
Stammorte MÖHBA,- als 


Luthers Nettungshaus 
für verwahrlofte Kinder 


errichten wollen. — Dort, wo wohlerhalten das Häuschen noch 
fteht, das Luther’s Altern bewohnten; dort, wo buch einen 
Berein wackerer Männer, der eben’ zufammengetreten ift, dem 
Meformator ein ehernes Standbild errichtet werden foll; dort, 
wo die nächften Angehörigen Luther's noch in vielen Zweigen 
blühen und Luther's Name und Züge noch zur Stunde in 
mehren Bamilien zu finden find, dort fol ein würbiges 


Denkmal nach Luthers Sinn nicht mehr vergebens gefucht | 


werden. Wir fprechen die aus mit der Zuverſicht, melche 
jedem rechten Borfage zu einen menfchenfreundlichen Zweck 
innewohnt, und in dem feften Glauben, das proteftantifche 
Deutfchland werde nicht fäumen, beizutragen, dieſen Willen 
zur großartigen That zu geftalten. 


Subsoriptionsbedingungen. 
Unjere Prachtausgaben 


echten Xuther - Bibel 


erſcheinen vom 31. März diefed Jahres an in Fünf Editioner 
unter folgenden Ziteln: 


1. Die Perlbibel, 


' bie Fleinfte Ausgabe in Schillerformat, 
geſchmuͤckt mit 2% der ſchoͤnſten Stahlſtiche, in 46 woͤchentliche 
Lieferungen jede Lieferung zu 4 Nor. oder 4& Kr. Rhein. 


2. Elegante Schulbibel, 


als die wohlfeilſte Ausgabe, 

in Octav, mit 3% guten Stahlftihen und einer Karte von Ye: 

Laftına, in 32 woͤchentlich n Tefenungen, jede zu 2 Rgr., ode 
7 Kr. Rhein. 


3 Die Katbenbibel. 


(Das paflendfte Confirmationsgefchent.) 
Ihr Format ift Royalsetas. Schöner, fcharfer, deutliche 
Drud auf das befte Velinpapier. Wir machen zwei Ausgaben. 
Mr. 1 mit 16 Stahlftihen in 46 Kieferungen, jede zu 5 Kor, 
ober 48 Kr. Rhein. Mr. ® mit 36 Stahlflihen und eimm 
Karte von Paläftina, in 46 Lieferungen, jede zu 8 Ngr., ober 
Kr. Rhein. 


28 Kr 
4. Deutſche Haus - und Samilienbibel, 
mit größerer Schrift, in zwei Ausgaben auf Schweizerpapier 
und engl. Belin, Bormat Colombieroctav. Die Ausgabe Mr. 1 
mit 2%, die Mr. ® mit 60 Stahlſtichen und mit Karten von 
Palaftina, über die Reifen Iefu ıc. Beide in -48 Lieferungen; 
jede Lieferung Mr. 1 zu 6 Ngr., oder 24 Kr. Rhein.; Ste, 9 
zu 42 Rgr., oder 42 Kr. Rhein. 


9. Luther's Subiläumbibel, 


Prachtdruck mit großer Schrift auf Patentvelin in Folio und 
illuſtrirt mit 40 vortrefflichen Folio-Stahlſtichen von den be: 
rühmteften Meiftern. In 40 Lieferungen, jede zu 42 Nor, 
oder 42 Kr. Rhein. 
Unterzeichner und Subferibentenfammier erhalten 
bei Berlellungen von mindeftens gehn Eremplaren ein elftes 
gratis. Borausbezahlung wird nicht verlangt. 


Als PRÄMIEN 


fol überdies jeder Subferibent einer der obigen Bibelautgaben 
folgende Eoftbare Kunftblätter in Stahhlſtich erhalten: 


I. 
Das wahre Rildniß Dr. Martin Suthers, 


nah Lucas Cranach, in Folio; 


II. 
Das Abendmahl des Seren, 
nah Leonardo da Vinci, in Großfolio; 
und für die Ausgabe Nr.5 (die Iubilaumbibel) Haben wir das 
Prachttableau 


Luther auf der Wartburgzelle, 


als er die Bibelübersetzung schrieb, 
als Dritte Erinnerungs: Prömie beftimmt. 
Dan Tann bei jeder Buchhandlung in Deutfchland und m 
Auslande beftellen. u 
Hilbburghauſen, am 48. Februar 4846. 


Das Bibliographifche Inftitut. 


Drud und Verlag von F. FE. Brockhaus in Reipzig. 


— -- . ww. —.— ww 


Vor 


Literariſcher Anzeiger. 


1846. 


Diefer ——— 


MV. 





sodthans in Meingig erſcheinenden Zeitſcheiſten „Mitätten Ofen 75. 
re Signege ode begaheih, wab betragen bie —— —— für Dia Beiße ober deren on Fi Rer. 


Gaweherifge Blätter 


Im Berlage von — — ca if erſchunen Erziehung und Unterricht. 


Die Ritterbürtigen. 


Gr. 12. Geh. 4 Khle. 15 Nor. 
Dieſer Moman bildet den erſten bis dritten Band einer Samm⸗ 
lung unter dem Site „Zeit und Gittem“, deren vierter 
Band „Bine bundie * 6 unter dee Preffe befindet. 
Bon dem Werfafler erſchien bereits in bemfelben Merlage: 
Meer. Roman. Zwei Theile. 














em 
Gr. 12. 1843. Geh, 3 Thlr. 
Bei Meyer & —33 — für das Zahr 
Zukunft der Kirche 


rebigirt von 
Profeffor Dr. A. Ebrad _ 
unter Mitwirfung von andern weizeriſchen und aus⸗ 
waͤrtigen Theologen. 
Zweiter Jahrgang. 
Sährlih 26 33 Se Quartbogen ober Nummern. 
Ahlr oder ⸗ ., ober 3 1. 36 Kr. 


irdenbintt 
e bie 


reformirte Schweiz. 
derau igeben 


Profeffor Dr. FY R. Pagenbach 
unter Mitwirkung mehrer anderer ſchweizeriſchen Theo⸗ 
logen und Geiſtlichen. 


Imtiter Jahrgang. 
Jaͤhrlich 26 ganze Quartbogen oder Nummern. 
Preis 1 Thir. 20 Ngr., oder 3 Fl. 
Er Die yortrefflihe Hal ber beiden #6 ⸗ 
en und dafuͤr, rn nicht bloß in vo for 
. bern vorzüglich, was bie erftere allgemeine Beitfehrit 


betrifft, auch im Yuslande verbientermaßen einen immer 
größern 2ejerkreis finde? werben. ven 


4 







Jahrlich W ganze Quartbogen ober Rummern. 
Preia 1 Ze. 20 Nar., ober 3 Fl. 
neue, einzig⸗ pltgumsine @ihuibia dena 

I: 5 Dee — LH al um fo der a auch Aus: 
*33 Rn als es Ach allen polltiſchen 
un eg und A bios der haus» 
lien b — eis ung wivwet. Das in ben 
ber an den — e, —ææãS 
een &e ber gsi, zeigt ſich vorzüglich 
en Ge 








Soeben tft in unferm Verlage erfchtenen: 


Kirehengefehichte Deutichlands 


von 
Dr. Sr. W. Reitberg. 
1. Band: die Mömerzeit und bie Geſchichte ber auſtraſſſch⸗ 


fraͤnkiſchen Kirche bie zum Tode Karl's des Großen ent- 
din 3 Thlr. 


Bor We, a 

erfolgen wird, füllt eine pe —A ünſerer up Bei 
value aus. Bährend die. Geſchichte fo vieler anderer Zweige 
des deutſchen Volk Uebens, bes Rechts, der Verfaſſung, der Por» 
Ber bes germanif: — Goͤtterglaubens ſchon ihre Dar⸗ 
war das kirchliche Leben ober das Ber⸗ 
des deutſchen "Boltes sum EChriſtenthum bisher noch nie 
einer —— Bei under en. Bei dem lebhaften Intereſſe ber 
Gegenwart für fi agen Be * renee durchaus 
ben letten —— —— chte der Kirche —— 

lands aus Nehmen Gelehrten keinor 


weiten —ã— Gent bebärfen. 
 Bandenhoel 8: Ruprecht. 


Dusch alle Muchhanblungen ift von mie zu beziehen: 


Die Pſalmen 


in Kirchenmelodien übergeträgen 


P. A. x oethe. 
Br. 13. Sch. 24 Nr. 
Der Inhalt ſowol als bi Au 
ee 


@eipgig, im März 1846. 
F. A. Brockhaus. 














auch im paͤdagogi⸗ 


. dorkiegende, das 


‘ 


des 'Thrombus, mikroskopisch untersucht. — 
und Physiologie. N 


Wochen if bei den Unterzeichneten erfchienen und in allen 2 
a v 


| Peſtalozzi⸗ 
Eeben und nfidten 
einem worigeirenen Ausmge 
Tümmtitchen von Vellalopi berrübrenden Schriften 


zur Feier von beffen 
Bundertfiem Geburtstage. 
von 


siftoffel 


Rector am ex Wesieköfiäule in Cchöftienb. 





— Naturwissssschsfien. Kur, Bei 
Flora der Juraformation WA: Br 


Al 

Cicero, De ia; ed. Seyfert. — 

Ciceronis orationes; ed. Halm, Vel. IL. Pars I et mM 
— Demosthenis opera; ed. Voemel.: Pars IL — The cas 
sical Museum. Vol. IL — Orstores Attici; rece, Beiter « 


Smith, 
ography and Myihology. Vol.I. — 
ten 2, Bd. — des Mlittelalters. Jak. Grimm, 
Gedichte des "Mittelalters auf König Friedrich L — Du 
alte Passional; herausg. von Hahn. — Geschichte, de 
Ciroourt, Histoire des Mores Mudejares et dee Krieges 


‚ Cheix de plus da 
—— de la —— frangaise. Vol. L Partie LC 
arnkönig, Französische Staats- und Rechtsgeschichte. 
l. rn ee und Völkerkunde. v. Arnim, Reise 
nach Neapel, Sicilien, Malta und Sardinien im Jahre 1844 
— v. Baer und v. Helmersen, Beiträge zur Kenntnis des 
russischen Reichs. 7. und 8. Bdchn. — Carus, England 
und Schottland im Jahre 1844. — de Lockmaria, Bouvesnirı 
des voyages de Msgr. lo duc de Bourdeaux,. Tom. Is 
— Schaubach, Die deutschen Alpen. 2. Th, 
ZLeipeig, im März 1846. 


halten, 

wegen allzu großer MWeitiäufi n 

oft wirktid faft umgeniehbar nd, fo dürfte ein Merk wie bas 
au 


FE. 4. Brockhaus. 


Bei BSaudenhoeck & Rubrecht in Göttingen ift erſchienen 
Eolumba, Eh, Seid ftark in bem Herrn und in 
ber Macht feiner Staͤrke! Gin Wort an das beutfce 
Volk und an die deutfchen Fürften. Er. 8. TARgr. 


Quart wird keinen Autzug von letztgenanntem Buche 

** u bis hoͤchſtens 

90 Bogen bere net. Jede Lieferung von 8 Bogen Foftet bloß 
Ror., oder . 

Ehe der naͤchſten Lieferungen werben 2 Abbildungen bei» 

egeben: 1) von dem neu zu errichtenden Monumente auf bem 

abe Peſtalozzi's, mit Anficht der Umgegend; 2) von der 





Peftalozziftiftung, genannt „Reuhof". > (6 gr.) 
Meyer & Zellen Regel Dr. &, &,, Engliſche € 
ss in Zürig mnaften und Realfihulen. ———— 


—— — ®r. 8. 19% Nor. (10 x) 

* fi e 

—— fehe: Abt var und "Deof Bie 
feler. 2. Jahrgang. 1. Heft. 1.4. Heft. 2 Zhle. 


Im Berlage von F. ER. Brockhaus in t ie⸗ 
nen und ® allen Buchhandlungen —— erh 


Bolks-Biblisthek. 


Erster und zweiter Band. 
Gr. 8. Geh. 


I. Joachim Nettel beck, Bürger zu Kolberg. Eine 
Lebensbeſchreibung von ihm feibft aufgezeichnet, und ber 
ausgegeben von — Ch. €. Haken. Mit vᷣtettelbee 
Bildniß und einem Plane der Gegend um Kolberg. 
Sweite Wuflage. 1846. 1 

IE. Der alte Geim, Leben und Wirken Ernſt Bub: 
wig Heim's, koͤnigl. prehfifchen Geheimen ⸗ Nachs und 
Doctors der Arzneiwiffenfchaft. Aus hinte affenen Brie 
fen und Tagebüchern herausgegeben. von &. W. Kessler. 

weite, mit Zufägen vermehrte Auflage. Mit Dein’ 
Mertens, Zur Physiologie der Anatomie. Bildnif. 1846. 1 The. 

Drud und Verlag von F. SE. Wroddans in Beipyig. 
TE nn 





Leipziger Repertorkum 
der deutschen und ausländischen Literatur. 
Herausgegeben von E, 6, Gersdorf. 


1845. Gr. 8. 12 Thlr. ) 


ne” 





Wöchentlich erscheint eine Nummer von 2—3 Bogen. In- 
sertionsgebühren in dem dieser Zeitschrift beige ebe- 
nen „Bibliegraphischen Anzeiger“ für den Raum einer Zeile 
2 Nan; Beilagen werden mit I Thir. 15 Ner. bereshnet. 


Inhalt: Theiogae. Christliche Glaubenstöne. -— He- 
un: — —— * kermenentica. 7 Vinet * 
lie Darle igiöser Überzeugungen. — 

Hu ohke, Über das Recht des Nexum und das alte rämische 
Schuldrecht. — a Vangerow, De furto concepto ex lege XH 
Kabularum. — und Chirurgie, d’Alnoncourt, 
Die Gebirnefieotionen der Kinder in der Destitiouisperiode, 
— 9. Autenrieth, Gerichtlich-medicinische Aufsätze md 
Gutachten. — Friedberg, Diagnostik der Kindnrkraikheitem, 
— Lietseu, Lehrbuch der apenichlen Therapie. — Sitnogo- 
witz, Das Kindbettfieber. — Zunicky, Die Metamerphose 

Anatomie 








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oe — m  — |. m Crow 10 — BU 7 Br Sr 





NEUIGREITEN DES JAHRES 1845 


aus dem Verlage von 


ALEXAN DER DUN CKER, 


KÖNIGL. HOFBUCHHÄNDLER, 


18 BARLIM 





Bartbold, F. W., Die geſchichtlichen Perfünlichkeiten in Jacob Ceſanovas Memoiren. Beiträge zur 

Geſchichte des 18ten Jahrhunderts. 2 Bände. 8. geh. . . . ... 3 Thlr. 
Baueher, F., Methode ver Reitkunſt nach neuen Grundfägen. Dit 12 Abbib. BteAufl. 97.8. geh. 1Thlr.n. 
Blätter, einige, der Erinnerung. Gefammelt und heraugegeben aus dem Neqhlaß des Majors Frie⸗ 

















derich von Luck. 8. geh. . x... 202.4 Thle.n. 
Bericht über die im höchsten Auftrage bewirkte Untersuchung e einiger Theile des Mesqui- 
tolandes. Mit 2 Karten und 3 Abbildungen. gr.8. geh. . . . . ..... 3 Thir.n. 
Garus, Dr. C. G., England und Schottland im Jahre 1844. 2 Theile. 8. geh. . . 33 Thlr. 
Dielig, Th., Geographifch = fonchroniftifche Ueberſicht der Weltgefchichte. Die Aufl. mund sch. Thlr. n. 
Düriugsfeld, Ida von, Graf Chala. 8. Sehr eleg. ad. . ... .... 1 Thlr. 
Geibel, E., Gedichte. Mte Auflage. 8. Sehr leg. ab. » > 2 2 2 27hlr. 
, eleg. geb. mit Goldſchnitt:. 23 Ahle. 

— ‚ Sie Auflage. 8. Sehr eleg. eh. > > 2 2 rennen 2 Thlr. 
‚ eleg. geb. mit Goldſchnittt. 21 Thlr. 

Sahn⸗GHahn, Ida Gräfin, Sigismund Forfter. Die Auflage. 8 eh. ».... 2 Thlr. 








‚ Zwei Grauen. 2 Theile 8 Sehr eg. oh. > 2 2 3 3 Th. 
Sartuann von ber Aue, Iwein mit dem Löwen. Ueberſehi und erläutert von Wolff Grafen von 


Baudiſſin. 8 eleg. geh. . . 2.0. 14 Thlr. 
Summen für Kinder. "an dem ailihn von Zhenia von Gumpert Illuſtrirt von L. Rich⸗ 
ter. 8. geh.. ... Thlr.m. 


Eoen, Dr. Albert o., Die Riesenthiere der Urwelt Mir 8 Tafeln Abbildungen. gr.8. geh. 1 Thlr. 
Mendelsfohn, Joseph, Ueber Zettelbanken, mit besondrer Hinsicht auf eine preulsische 
Landesbank. Nebst Auszügen aus den Statuten und Reglements der österreichischen, 
bayerischen, französischen und englischen Bank. gr.8. geh. . . 2.4 Thlr. 
Menzel, E. O., Die Remontirung der preußifchen Armee in ihrer hiftorifchen Entwicelung und iebigen 
Geftaltung 20. Mit höherer Genehmigung und Benutzung amtlicher Quellen. gr.8. geb. 2 Thlr. 
Narhel, Catherine, exercices de me&moire. Seconde Partie, destinee particulierement à la 














jeunesse 12. seh. . . . 2 2 oo rn... 0. 4 Thlrn. 

‚ feine Ausgabe. carton. . » . 2 2 22 en... $ Thlrn. 

‚ compl. carton. . . . ... .. . 1 Thlr.n. 

Bemberg, M. M., de paralysi respiratoria. gr. A. geh, en 0 i Tblr. 


Sermens eheisis de l’Eglise frangaise refugiee de Berlin. Premiere Partie, gr.8. geh. 1 Thir. 
Seydelmann's Leben und Wirken. Mit Benugung und Beröffentlihung des handſchriftlichen Nachlaſ⸗, 
ſes und der Briefe deſſelben, vargeftellt von H. Ih. Rötfcher. gr.8. eleg. geb. . Thlr. 
Stephen, George, Zufälle beim Pferdekauf, nach ver Sten Auflage des Engliſchen Originals bearbeitet 
von F. v. R., Preußiſchem Cavallerie⸗Offizier. 12. geh.... . Thlr. m. 
Wedell, B. ven, Historisch-geographischer Hand-Atlas in 36 Karten nebst erläuterndem Text, 
mit einem Vorwort von F. A. Pischon. In 6 Lieferungen. Top. quer Folio. In Umschlag 
geheftet. 4te Lieferung. . . . 0. 23 Tar.n. 
Rimmermann. M.. Geſchichte nea hrannenh -nreuh &s-nted Bo mahlfeile Ausaabe ar.R.aeh. 1! Fhlr.n. 





IM JARIRE 1844 SIND NEU EIRSCHILENEN: 


Charisi, des, Erste Makamen aus dem Tachkemoni oder Divan. Nach einem authentischen ' 
Manuscript aus dem Jahr 1281 herausgegeben, vocalisirt, interpungirt wand ins Deutsche 
übertragen, wie auch sprachlich und sachlich erläutert und mit einer umfassenden Einlei- 














tung versehen von Dr. S. J. Kaempf. Text und Uebertragung. Lex.8. geh. . 15 Thlr. 
Eichendorff, 3. Freiherr von, Die Wiederherftellung des Schloffes der deutſchen Ordensritter zu 
Marienburg. Mit einem Grundriß ter alten Marienburg. gr.8. geh. . . 1 Thlr. m. 
Geibel, Emannel, Gerichte. Bte ſtark vermehrte Auflage. 8. edles. oh. -». » .» . . 18 Thlr. 
, leg. geb. mit Golofhnit. . . . . en 3 Thlr. 
Das Portrait des Dichters. Nach der Natur gemalt von eouif e eigier auf Stein gezeichnt 
von B. Schertle. oliv... . . . .... toren 
Germanie, Gräfin, Der Heine Don Duirote Eryähfung Für bie Saga nad dem Sranzöft ifchen. | 
Mit A Bildern von Th. Hofemann. 8. geb... . . . 8: Then 
Germanie, Gräfin, Robinfons Enkelin. Nach dem Franzöſi 2 von helia— von Gumpert Mit 
. 6 Bildern. gr.8. In verziertem Umfchlage arh. . . . . .. 1 Thlen. 
, ſehr gefehmadvoll gebunden. . . . . 4 Th n. 


Sumpert, Thekla v., Die Babereife der Tante. Ein Bud) für Finder. 8, In color Umſchl. geb. 3 Thlr. 
Gumpert, Thekla v., Mein erſtes weißes Haar. Mit einem colorirten Titelkupfer. 8. geh. & Thlr. 
Sahn:Sabn, Ida Gräfin, Aus der Grfellfchaft. Geſammi— Ausgabe der Romane. 8 Bde. Schiller. 

format. geb. Pränumerationd-Preis . . . . 8 Thle.n. 


Ilda Schönholm, 14 Thlr. — Der Rechte. 2 Sfr, — Grafin Jauſtine. 2 Thie — uiriꝶ. 2 Be. | 
34 Thlr. — Sigismund Forſter. 14 The. — Cecil, 2 Bve. 4 The. ! 


Sabn:Hahn, Ida Gräfin, Orientalifche Briefe. 3 Bände. 8. Elsa. ae.» -» . . 64 Ahle. 

Kinderfreund, der neue, Herausgegeben von H. Kletke. Zweiter Band. Mit 10 Zeichnungen von 
2. Richter und vielen Vignetten. Ler.8. In 5 Lieferungen . . . .. da I Trn | 

‚ compl. fauber cart. 23 Thlr.n. — Daffelbe eleg. geb. und mit colorirten Kupfern m Tyx. n. 





Auch unter dem Titel: | 
Kinderſchatz, deutſcher, compl. geb. 23 Thlr.n. — Daffelbe compl. in engl. Einband. 2% Thlr.n. | 


Köhnhorn, K., Geographie Alt-Griechenlands, zum Gebrauche auf Gymmaſien. gr.8. geh. 4 Thlr.n. 
Mülimen, der Grafen, Familien-Geschichte und Genealogie. Lex.8. eleg. geh. 1 Thr. 


Neumont, Alfred, Die poetiſche Literatur der Jtaliener im 19ten Sahrhundert. gr.8. geh. U | 
Beumeont, Alfred, Thorwaldsen. Eine Gedächtnifsrede. gr.8. geh. . a Th. 5 
Skepsgardh, Otto von, Drei Borreden, Rofen und Golem⸗Tieck. Eine tragi- -tomifche Geſchichte mit \ 

einer Kritit von Friedrich Rüdert 2 Theile in 3 Abtbeilungen. 8 geb. . . . 23 TM. i 


Theorie, die, des Dr. Lift, vom Sabrifftaate und ihre gefchichtl. u. flatiftifchen Stüpen. 8. geh. File 1 

| Warburg, &. von, Tas Waldhorn. Eine Sammlung von Dagdlirdern und Gedichten. 8. In > ⸗ 

| ziertem Umſchlag geb. . . . 0. 18 Ahle. | 

Wedell, BR. vom, Historisch - _goographischer Hand- Adas in 36 Karten nebst erläuterndem Text, 
mit einem Vorwort von F. A. Pischon. In 6 ieferungen. ep quer Folio. In Umschlag 


geheftet. 3te Lieferung. . . . . . . 35 Thlr.n. | 
Werner, Ferdinand, Die Galvanoplastik i in ihrer technischen. Anwendung. Mit 12 Kupfer- | 

tafeln. (St. Petersburg.) Lex.8. geh. . . . . . . . .2Thl.n.n. | 
White, Charles, Häusliches Leben und Sitten ber Titrten. Nach dem Engiiſchen bearbeitet Heraus- 


gegeben von Alfred Reumont. 2 Bände mit 1'Plan und 1 Karte. 8. geh. . Ad Thle. 





ANZEIGE. 


In der Buchhandlung von Emil Baensch in Magdeburg ist so eben erschienen, sowie ia allen 
soliden Buchhandlungen Deutschlands und des Auslandes vorräthig und zu haben: 


Des 5%" und 6% Bandes oder III. Jahrgangs #Y“* Heft der 


ZEFISCHRIFT FÜR ERDKUNDE, 


als vergleichende Wissenschaft, mit Aufnahme ihrer Elemente aus der 
Naturwissenschaft, Geschichte, Statistik u. 8. W. 
für Gelehrte und Gebildete, insbesondere für Lehrer. 


In Verbindung 
mit den Herren I. &. Kohl und Th. Freiherrn von Liechtenstern u. m. a. Gelehrten 


herausgegeben von 


JOHANN GOTTFRIED LÜDDE, 


Doctor der Philosophie, ord. Mitglied der Kaiserl. Leopoldiniseh-Carolinischen Akademie der Naturforscher zu Breslau, 
aussw. Mitgl. der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, corresp, Mitgl. der geograph, Gesellschaft zu Frankfurt a, M. etc. 


Ueber diese »Zeitschrift für Erdkunde« haben sich die „Heidelberger Jahrbücher,« die »Literarische 
Zeitung ‚« die » Allgemeine Schul- Zeitung ,« das »Bulletin de la Societ€ de Geographie à Paris« und ähn- 
liche kritische Blätter, sowie in Privatschreiben der wirkl. Geh. Rath Herr Alex. von Humboldt, der 
Herr Prof. Dr. Nees von Esenbeck, Vicomte de Santarem, Geh. Reg. Rath Prof, Dr. Schubert, 
Direct. Dr. Vogel u, a. m. mit ungetheiltem Lobe wad mit Beifall ausgesprochen. 

Ich mache daher auf diese, auch der Unterstützung eines Königl. Preuss. Hohen Ministeriums 
sich erfreuende, Zeitschrift das gebildete und gelehrte Publicum, insbesondere die Herren Lehrer, aus 
mehreren Rücksichten aufmerksam: sie ist nämlich in Eigenschaft einer Zeitschrift dieser Gattung die ein- 
zige Vertreterin der jetzt immer mehr, an Interesse gewinnenden Wissenschaft der Erdkunde im ganzen 
Deutschland ; nur ausgezeichnete Gelehrte und Männer des Faches zählt sie zu Mitarbeitern, und in unserem 
Lande wird sie gewiss mit desto grösserer Theilnahme gelesen werden, als sie consequent der neuen Schule, 
welche, namentlich durch C. Ritter, in Deutschland wurzelt, huldigt und mit einem durchdringenden Geiste 
und einer eigenthümlichen Würze die Gegenstände der Erdkunde zu behandeln weiss, 


Inhalt des ersten Heftes: 
(Abhandlungen) A. de Balbi, des Kaiserthum Oesterreich in seinen Finanzen und Forischritten, — P. Ley- 


sert de vera Geogr. methodo. Diss. — (Bücherschau,) Kiülb’'s Länder- und Völkerkunde, von Dr. J. G@. Lüdde. — 
Vivien de Saint-Martin’s Hist, des decouvertes etc. von Dr. J. @. Lüdde. — (Chronik.) Gelehrte Gesellschafen. — 
Zeitschriften. — Nekrolog. 


Inhalt des zweiten Heftes: 

(Abhaudlungen.) A. de Balbi, das Kaiserthum Oesterreich in seinen Finanzen und Fortschritten (Schluss.) — Prof. 
Dr. Reuter. Je weniger oder mehr die Hoch- und Tiefländer, Hoch- und Tiefebenen mittelst Gebirgs- und Stufenländer 
abwechseln, desto mehr oder weniger sind alle geograph. Elemente (Culturarten) entwickelt. — (Bücherschau.) F. H. von 
Kittlitz, 34 Vegetationsansichten von Küstenländern und Inseln des stillen Oceans, aufgenommen etc. auf der Entdeckungs- 
reise etc. von Dr. J. @. Lüdde. (Nebst 1 lithogr. Abbildung.) — Dr. F. Kruse's Necrolivonica oder Alterthümer Liv-, 
Esth- und Curlands etc, etc. von Dr. Prof. Fedor Possart. — Die diesjährige deutsche Literatur geographischer Compen- 
dien, von Dr. J. @. Lüdde und Th. Freiherr von Liechtenstern. — 1. Atlanten und Landkarten. von T%. Freiherr 
von Liechtenstern. — (Chronik.) Gelehrte Gesellschaften. ‚Zeitschriften. 


Inhalt des dritten Heftes: 
(Abhandlungen.) Prof. Dr. Reuter: Je weniger oder mehr die Hoch- und Tiefländer etc. (Fortsetzung.) — 


Serres, Bemerkungen über die Anwendung der Photographie auf das Studium der Menschen-Ragen. — W. L. de 
Sturler: Bemerkungen, betreffend die verschiedenen asiatischen Völkerschaften, welche in dem indischen Archipel ete. 
Handel treiben etc. — Statistische Notizen über die Bevölkerung der Städte etc. im Königreich der Niederlande. (Mit- 
getheilt vom Prof, Dr. Fedor Possart.) — (Bücherschau.) Die diesjährige deutsche Literatur gegographischer Com- 
pendien. von Dr. J. G. Lüdde und Th. Fretherr- von Liechtenstern. (Fortsetzung.) — II. Bücher. von Dr. J. G. 
Lüdde. — Dr. E. Kapp’s philosophische oder vergleichende allgemeine Erdkunde von Dr. J. @. Lüdde. — (Chronik.) 
Gelehrte Gesellschaften. — Zeitschriften. 


Ausserdem kommen nächstens zur Beurtheilung und Anzeige unter Andern: 
von Humboldt’s Kosmos. — von Liechtenstern: die neuesten Ansichten von der Erdkunde, in ihrer Anwendung 
auf den Schulunterricht etc. — Dr. Possart: die russischen Ostseeprovinzen. — Dr. Possart: Wegweiser in Peters- 
burg. — Blom’s Norwegen. — v. Orlich’s Reise in Ostindien. — Tischendorf’s Reise in den Orient. — Tschudt’s Peru etc. 


Um die Zugänglichkeit recht allgemein zu machen, hat sich die Verlagshandlung entschlossen, diesen 
und die folgenden Jahrgänge (jeder Jahrgang 2 Bände in 12 Heften) auf den sehr geringen Subscriptionspreis 
von 5 Thlr. 10 Sgr. zu beschränken. 

Die Bände 1— 4 sind in nur wenigen Exemplaren noch vorhanden. 

Subscriptionen werden zu einer raschen Beförderung von allen Buchhandlungen entgegengenommen. 





Kiterarifger Anzeiger. 


. “1846. MV. 
Ba SEAT IR EEE FE 






Enserttonen 


allen Yxt werben in uahlichenke im Verlage vo %. Brodbautin Leipzig für 1846 erſcheinende Zeit- 
ſchriften und nzeigeblätter aufgenommen: 
» 


Deutſche Allgemeine Zeitung, 
Bon derfekben 
betragen für eine ——— 


erfcheknt täglich, mir Einfcheaß deu Sonn⸗ und — — eine Auuucer. Die Ieycwvere ren 
—* oder * Raum 3 Ner. Befondere Beilagen, Anzeigen m. dg —8* der 
en TC lignmeinen beigelegk 


Zeitung nicht 


> — — Anzeiger. 
Derſelbe erſcheint in ber Regel woͤchentlich einmal und wird mit den Lieferungen ber Blätter für Fiter 


ariſche 
Uuterbaltung ſowie ud mit den Monotöheften der BES von Däge ausgaggben. Fäar bie gefpaltene 
Zeile ehe deren m werden am Snfertiousgebühren 2’. Nor. berechnet, und befonbene Anzeigen gegen eine 














d ei altung, d 6 ab ei 
nm * 8 15 Rgr. —— = DURR ober gegen ein 
3) Bibfiographlscher Anzeiger, 
Wird mit dem Eeipziger Wepertorium für beutfihe und anslänhtf tteratue von Beub- 
dorf en Serterote in Demfelben werben in Zeile ober deren —8* ec 2 Nor, rede "An 
zeigen w. dol. mit & Zhle. 65 Te. berechnet, 





4) Neue Jenalsche Allgemeine Literatur» Zeitung. 


Die Zeitung erfcheint wöchentlich und werben Auzeigen ur die gefpaftene Zekfe oder deren Raum mir 1" Wer, 
befonbere Beilagen, Antifritifen u. u. dgl. mit | mit I Thple. 15 Nor. berechnet. 


3) Diennig · Magazin. 

Dası Pfennig: erscheint machantl e N 18 

Seedengiigen be DE bald oe br Ryan in I oa an Ele ee Vode 
Anzeigen gegen eine Vergütung von Yı Thlr. für das Tauſend — 


6) Sandwirthschaftliche Dorhjertung 


Diefelbe erfcheint wöchentlich einmal nebft einem damit verbunbenen NuterBaf shYatt Gtebt 
und Send, Ankundigungen werden Nie gefgaltene Zeile oder deren Raum mit 2. Dr. bern befondere 
Beilagen derſelben gegen eine Gebühr vom u Zip. für dot Taufend Beigelgga x 


n Dentſches Voltsblatt. 












Don demſelben erſcheint monatkich eine Rummer vow 3 Bogen, 
Be Si Nor, Befonbere Belag werden mit werden mt Yale len fün, * a * u. Ku 
> Conversations-Lexikon. Ne Nounte Auflage, : - 


Auf den Umfihlägen 2 — hefte mertes: Anzeigen u, b uickt, und 
‚000 Gremplaren für ben Ko Dh ac —— = a aun 








— — — — — —— — — — — — — 


Im Werlage yon Brochhaus⸗ S Vvegsariuo in Leipzig erfheinen: «u 
9)  - WBeho, . 


Wöchentlich werden zwei Rummern ausgegeben. Anfündigungen in demſelben werden für bie Zeile oder berm 


Raum mit 1 Rgr. berechnet, Befondere Anzeigen u. 


gl. gegen eine Vergütung von 1 Thlr. beigelegt. 


10) Alluſtrirte Zeitung für die Jugend. | 

Diefelbe erfcheint feit dem 1. Januar 1846 und wird in wöchentlichen Rummern ausgegeben. Ankündi gen 

werden für ben Raum einer gefpaltenen Zeile mit en befondere Bellagen u. dgl. mit Yı Thlr. für das Taufend 
x erechnet. 





In meinem Verlage ift erfchienen und durd alle Buchhandlungen 
zu begieben: 


Luther's Leben. 
Erfte Abtbeilung: 


Suther von feiner Geburt bis zum Ablafftreite. 
| (1483— 1517.) 
nn Bon 
Karl Bürgens, 
\ Erster Band. 
Sr. 8 Geh. 2 Thlr. 15 Ngr. 


Der Wunſch des Verfaſſers dieſes Werkes geht dahin, mög- 
lichſt vielen Dentenden ein deutliches und wahres, den-Bedürf- 
niffen und Roderungen der Gegenwart genügendes Bild von 
Luther zu geben. Die zu’ löfende Aufgabe befteht vornämli 
in der Nachweiſung, wie Luther ganz mit feiner Zeit fi bil: 
dete, mit ihr Tdurde was er geworden ift, mit ihr that was 
er gethan, feft in ihr ftehen bleibend fie weiter führte, ihre 
Richtungen in fi aufnahm, durchbildete, zur Neife brachte und 





. eben dadurch neue Wege bahnte, fodaß er hafteht als Vertreter 


und Werkzeug des Gebots der Verbältniffe, des Wollens der 


Bernunft feines Beitalters, fofern es auf ihn und er auf die 


Beitgenoffen eingewirft hat. 
Eeipzig, im Aprü 1846. = j 
3 A. Brockhaus. 


oͤſterreichiſche militairiſche Zeitfchrift, 


Für Braumüller & Seidel, Buchhändler in Wien, wird in 
allen ——— des In: und Auslands mit 12 %1. C.M. 
Praͤnumeration auf ben Zahrgang 1826 der 


Oesterreichiſchen militairifchen Beitfhrift 


Angenommen. 
Bon diefem Jahrgang 1828 if} focben das erfie Keft 
Fr enthält folgende Auffäge: 

1. Die italienifhen Alpen. — II. Gedanken über die jetzi⸗ 
gen Leiftungen ber Eavalerie, fowol in Bezug auf die einzel- 
nen Reiter ale auch in Beftimmung .der Reiterei überhaupt 
mit ihrem Gefchüg. Mit einem Plane — II. Die Belage- 
rung don Hüningen 1813 und 1844. Mit einem Plane. — 
IV. Kriegöfcenen. Das Wirken des k. k. zweiten Armeecorps 
in den Gefechten bei Rninig und Arbefau am 17. und 18. 
September 1813. — V. NReyefte Militaisveranderungen. 





Ebenſo Bann man durch alle — — und Buch⸗ 1 


Bandiungen bed In: und Auslands Die’ 
Pa) BEE A 


bern. Jahrgaͤnge 
von 1811 — 45 erbalten. j . da 


| Leipziger Büäoher- Auction. 


Soeben ift erfihienen und dur alle Bud und Tentiquarii 
bantlungen zu beziehen: 


Berzeichniß der von Herrn Dr. A. &, Ar 

delbach in Deutſchland zurücgelaffenen un 

von Herten Paftor 9. Birzel in Leipzig hinke: 
fienen 


. Bibliotheken, 





| namentlich ausgezeichnet in den Fächern der Patrifik, 


Dogmatik, Eregefe, Aſthetik, Liturgit, Kirchen: um 
Profangefhichte, Philologie zc. ıc., welche nebſt mehren 
andern Sammlungen werthvoller 
Bücher aus allen Wiſſenſchaften 

am 3N. April 1846 
gegen baare Zahlung gu era Öffentlich verfleigert werden 
8 duen, 


Ich erlaube mir alle Gelehrte und Literaturfreunde auf.diefen 
reichhaltigen beinahe 25,000 Bände umfaſſenden Kataldg auf: 
merkſam zu machen und empfehle mich zu geneigten Aufträgen, 
die id prompt und — beſorgen werde. 

Eeipzig, am 20. Maͤrz 1846. 


ET. ©. Weigel, Buchhändler. 





In meinem Verlage ift focben erſchienen und durch alle Buch 
banblungen gu erhalten: 


Geſammelte Schriften 
Cudwig Kellfiab. 
Dreizehnter und vierzehnter, ober 
Reue Folge erfier und zweiter Munk. 
Gr. 12. Geh. 2 Thlr. 


Dieſe zwei Bände enthalten in einer neuen A e des Ber 


faffers Roman „Algier und Paris im Jahre 1880“. Die 
-Bolge, Band I—12 der Geſammtausgabe, 
1843—44 in vier Lieferungen zu 3 Ahlr. und enthält: 1 
Dritte Auflage. — Sagen und romantifche Erzählungen. — 
Kunftnovellen. — Novellen. — Auswahl aus der Reiſebllder 


- | galerie. — Bermifcktes. — VBermifchte Schriften. — Drame 
galerie Bermif Bunt \ 


e. — Gedichte. 
eipuis, im April 1846. 
nz * — $. A. Brodhans. 


[| 270 SEE o 2, nm Erg 





ion F. E. Brodhans in iſt durch alle Bud: 
von 8. x —— vu Selen 


Heinrich Peſtalozzi. 


e aus dem Bilde ſeines Lebens und Wirkens nad) 
elbſtzeugniſſen, Anſchauungen und Mittheilungen 


von 
R. JZuſtus Blochmaun. 
mit Peftalozzi's Biſouiß und vier lithographirten- Quſein. 
Sr. 8. Geh. 16 Ner. 


des Ertrag diefer Schrift it für das 
lon.@tift —ã—— b di ie 


Zu 





er Ein 





Soeben ift erfihienen und in allen Buchhandlungen vorräthig: 
Der Antipierift 


oder 
Vertheidigung des vernunftgemäßen Chri⸗ 


ſtenthums wider die pietiſtiſchen Angriffe. 
Dem deutfchen Volke gewidmet 


Dr. Karl Schrader. 
Leipzig, Chr. €. Kollmann. Geh. Thlr. 





Heue medicinifche Beitfchrift. 


"In meinem Verlage erscheint soeben und iet in allen Buch- 
handlungen zu haben: 





in Verbindung mit A. Andreä, J: Bussemaker, 
D’Aremberg, L. Choulant, I. Damerow, F. 
Z. Ermerins. L. H. Friedländer, C. H. Fuchs, 
H. Hüser, J. ©. F. Hurless, J. F. C. Hecker, 
C. F. Heusinger, F. Jalm, J. M. Leupold, D. 
Mansfeld. K. J. H. Marx, Meyer- Ahrens, H. 
E. Quitzmann, J. Rosenbaum, K. E. C. Schnei- 
der, ®. Seidenschnur, E. C. J. v. Siebold, J. r. 
Soniheimer, L. Spengler, J. H. Vullers, F. W. 

Wüstenfeld u. A. 

berausgegeben von. 


Dr. A. W. E. Th. Henschel. 
Ersten Bandes erstes Heft. 

Inhalt: |) Janus, mythologisch sich selbst bevorwor- 
tend. Vom Herausgeber. 2) Hrabanus Magnentius Maurus. 
Von Dr. L. Spengler in Eltville. 3) Macrizi’s Beschreibung 
der Hospitäler in el-Cahira. Aus den arabischen Handschrif- 
ten zu Gotha und Wien, übersetzt vom Prof. Dr. Wüsten- 
feld in Göttingen. 4) Die Salernitanische Handschrift, cha- 
__ xakterisirt vom Herausgeber. 5) Hippokrates und Artaxerxes. 


Ein kritischer Versuch vom Prof. Dr. B. E. :Chr.: Schnei- 
der in Breslau. 6) Über die Spuren einer Kenntniss des 
Scharlachs bei den Ärzten des 10. — 15. Jahrhunderts. Vem 
Prof. Dr. H. Hüser in Jena. 7) Albertus Magnus in seiner 
Bedeutung für die Naturwissenschaften historisch und biblio- 
raphisch dargestellt vom Hofrath und Prof. Dr. Choulant. 
5) Ein Beitrag zur Geschichte des englischen Schweisses 
von Dr. Otto Seidenschnur in Dresden. 9) Petrarca’s Ur- 
{heil über die Medicin und die Ärzte seiner Zeit. Vom 
Herausgeber. 


Gr.8. 14’) Bogen. Eleg. brosch. Preis I Thlr. 7)4 Sgr. 


Der „Janus“, dessen Plan und Zweck in dem durch 
jede Buchbandlung zu erhaltenden Prospectus näher bezeich- 
net ist, soll jährlich in 3—4 Heften zu je 10— 14 Bo- 
gen erscheinen in Preise von 2'/, Sgr. pro Druckbogen. 

Für den gediegenen wissenschaftlichen Inhalt sprechen 
die klangvollen Namen des Herrn Herausgebers und der 
Herren Mitarbeiter, und so möge dies neue Unternehmen 
dem grossen ärztlichen Publicum, den öffentlichen Bibliothe- 
ken, den auf Bestrebungen der Zeit ein Auge habenden 
medicinischen Zeitschriften und Journalen zur freundlichen 
Theilnahme und gütigen Beachtung bestens empfohlen sein. 

Manuscripte und zur Recension gewünschte medicinisch- 
historische Werke oder Abhandlungen werden unter der 
Adresse: 

„Für die Bedactien des Ja w 
an die Buchhandlung des Unterzeichneten franco oder durch 
Buchhändler - Einschluss erbeten. - 


Breslau, im März 1846. 
Eduard Trewendt. 





Soeben ift bei den Unterzeichneten erfchienen und in allen Buch» 

bandlungen zu haben: 

Escher, Gottfried von, Eufgaben- Sammlung 
über die gewöhnlichen Brüche, zum Ge 
brauch für Real: und Secundarfchulen. 8. 5 Ner., 
oder 16 fir... _ 

— — Befnltate ber Zutgeben Somminng 
über die gewöhnlichen Brüche, 8. 6 Ngr., 
oder 20 Kr. 

— — Hufgaben: Sammlung über Die De 
eitmalbruche, zum Gebrauch für Real: und Se- 
cundarfehulen. 67% Nar., oder 24 Fr 

efultate ber Hufgaben- Sammlung 

über die Deeimalbrüche. 6Ngr., oder 20. Kr. . 


Meyer & Zeiler in Zurich. 





In meinem Berlage ift erfchienen und durch alle Buchhand⸗ 
lungen zu beziehen: 


Zweite Anfprade 
an die deulſche Nation 


über die kirchlichen Wirren, ihre Ermäßigung und 
möglichen Ausgang 
vo 


n . 
H. €. Freiherr von Gagern. 
8. Geh. 15 Nor. 


Reipgig, im April 1816. 
*80 J. A. BSrockhaus. 


an . 8. mans in Beine ie Dundh aife und 
Wladyslaw und Diffepli. 
Eine ticherteffifche Grzählung 


3. 9. Sievers. 
Gr. 12. Geh. 20 Nor. 





@oeben ift bei den Unterzeichusten erfihienen und in allen 
Buchhandlungen zu haben: 


Dietpebifher Leitfaden 
m gründlichen 


Unterricht in der Raturgeichichte 


R 4. Eichelberg. 
Dritter Theil: „Dinerelogie 
weite umgeszbeitete uub vermehrte Tuflage 
8. 10 Ngr., oder 40. Kr. 

As haͤchſt icheh und wohlfeiles Supplement zu biafem 
ausgezeichne überall mit Beifall aufgenommenen natur⸗ 
geſchichtlichen Wehugistel glauben wir auch den non 
irkslehrer Menzel in Berbindung mit Herrn Eichelberg 











efhihteallen Herren Lehrern ſehr empfehlen zu follen. Der: 
fie erftheint in Lieferungen von 12 Zofeln mit Zert zu dem 
eifpieiok billigen Preiſe von Mod 3 Nor., oder 18 Kr. Ber 
reits iſt die Lieferung, welche die Mineralogie enthält, und 
zwel Lieferungen Thierkunde erſchienen. 


Meyer & Zeller in Zürich 


. 
In rn mn —* —— in Bent vB ie um er⸗ 


Schulz (Pr. Heinrich Wilhelm), 
Über die Nathwenbigfeit. eines 


neuen Sateriegebäudes 


königliche Crmäldefammdung 
zu Dreöben. 
a 5. Geh. 4 Ren 








Yı Mari Govait’s Betlag in Wien ift erſchlenen: 


Sahrbüder 
Der Kiteratur, 


Hunberizmätfier Band 
1849. 


October. November. December. 


Juhalt bes bundertswölften Bandes. 

Art. J. Eine Reife nad) Rome, von Dr. Ignaz Ieitteles. 
Nebſt einer biograp n Skizze deſſelben von Auguſt Le⸗ 
wald. Siegen und — 1 u. Act. IT. Correspondenz 
des Kaisers Karl V. Aus dem königlichen Archiv und der 
Bibliotheque de Bourgogne zu Brüssel mätgetheilt von Dr. 
Karl Lans, Erster und zweiter Band. rn 1814—45. 
(Schluß.) — Art. II. Gechszehn Dftindien — ** Geſchichts⸗ 


| Alien * von 1840 -44. 


errn Be⸗ 
e Methodiſchen Handatlas zur Ratur— 








Bet 


Neißwecke. — ich WW won Rai Egon@be 
ländige Husgahe in —*5 — ——— Aut — 
mehrter Auflage. Stuttgart und Zübingen 1845. — Urt. V. Der 
ichten von der V 


beligen —* Reichs erſtes und: 258 Bu Ele —* 
und ſeine Seit. Bon Kopp. R 4 1845. rt VL Me 


in ben Drisnt. Mon Son —ã f. ie 
— 1846. — Art. VI. an Butler's Hubibrat. 


aftek Heldevgedicht. Zum vol 
im ee ne frei —X un ‚neu Berg 
mentar ausgeftattet von Joſua — 
Urt. VII Warfeiuten, ein en in 


urg 145. — 
‚Breaite * e. Stuttgart und Tü⸗ 
chen Adels, ur⸗ 


— deutſ 
lich —8 von ——* bis auf die * 
Dr. & Du Keil 


} 









von Benti 


ton &tıe 
au I 8, ” 


Anbelt des Arzeige⸗ Slattes Re. CXI. 


Über den ausgezeichneten Wedailleur AN: AB, d. i Yr- 

tenio Abondie, des auf AMreich iſchen vom % 
1 d Bee Dlungen. Ein Mitrag zu 

om Joſ. Vargnann. Ik 

—— Studien auf meiner wiſ⸗ 

ofeſſor Dr. Bin *8 



















—Aã m ae 9. ———— 





Eeſeeirkel, Eeihbibliotheken, 
und alle Freunde au &gegeidnetes Osten artligger ki⸗ 
teratur machen wir auf di N 
Neue billige Tafbenausgabe 
der treffliden S Ele des „großen Unbekannten“, bie 
De zum erſten ammelt und mit dem Roman des Bm 
aflers, in großem r# format und (pöner Wusftattung, er 
feinen unter dem 
Charles —— — 


Berfaſſers des kegifimen, des Virey, der Lebensbilder aus ber 


weftlichen Hemifphäre ꝛc. 
gefammelte weh 
In 13 Bänden oder 38 wid bi Sammlung te 
enbe eiften des berühmten A— Britter F 
age m : Der Begitimme und bie R 
Der ee Bine) und bie cifefraten, 3 Bde. Morton —* rn 
, 2 Bde., und Lebensbilder aus der wehtigen de 
8 de — Während in ber Iften und 2ten 
13 Bände Fi» Zpir. oder 32 Ft. 12 Mr. qetofnt ar in * 
neuen Ausgabe der Subferofionsprsis r Biefer erung uur 
5 Sgr., oder 15 Str, 
duch welchen höchſt billigen Yreis nun ermöglicht — 
dieſe noch viel zu wenig bekannten, lebenefriſchen, echt weite 
nalen Schriften erſt vet einbringen in den Kern ber ta 
und die verdiente antgebehntefte ie ha finden in allen 
Ländern deutſcher Zunge. — Die dſte Bitexung iR 
ausgegeben , vorräthig, und — eröffnet in allen 
Buchhandlungen Deutichlands und des Auslands. 





Bei %, Brodbaus in Leipzig erſchien foeben und if 
® buch alle Buchhandlungen zu alten: 


Alberti (3. G.), Der Stand der Arzte 
in Preußen. Ein hiſtoriſch-kritiſchet — 
mit Beziehung auf die bevorſtehende Reform dd 

preußifchen Redicinalweſens &. 12. Sch. 28 Res. 


Drud uub Verlag von F. X. Brockhaus in Leipzig. 








4. 


Literarifher Anzeiger. 
1846. X VH. 5 


Diefer Literariſche Ungeiger wirb ben bei 9. XR. Weadiyans in Beipgig erfcheinenden ZSeitſchriften 


„Miättes Min Ltenauifige 
Suterpaltung” und „RE beigelegt ober beigebeftet, und betragen die Infertionsgebühren für die Beile oder deren Raum 2% Ror 








Berlagdunternebmungen für 1846 
F. A. Brockhaus in Leipiig, Ä 


Die mit ® bezeichneten Artikel werben beflimmt im Laufe des Jahres fertig; von ben uͤbrigen IR die Erſcheinung ungewifier. 


I. An Zeitfchriften erfcheint für 1846: 
eji. Deutſche allgemeine Zeitung. Verantwortliche Rebartion: 
Profeſſor F. Bülau. Jahrgang 1846: Zäglih mit Ein- 
ſchluß der Sonn und Feſttage eine Nummer von 1 Bogen. 
Hoch 4. Pränumerationspreis vierteljährlih 2 Thlr. 

Bird Abends für ben folgenden Tag ausgegeben. —— — 
ren für den Raum einer dreiſpaltigen Zeile 2 Nor. Beſondere Anzeigen 
En den Mellagen I et bie Deutfhe Allgemeine Zeitung 
riet die Werhand ungen des gegenwärtigen Kanten —XR 


2. Blätter für liter e Unterhaltung. Herausgeber: 
. Bro : nt en Erg Täglich eine Nummer. 
r. 4. Tr. 


. Wird Yrıitags auögegeben, kann aber au In Monatsheften bezogen 
werden. 


*3. Iſis. Encyklopaͤdiſche Beitfchrift, ei für Ratur⸗ 
geichichte, vergleichende Anatomie und Phyſiologie. Heraus: 
egeben von Den. Jahrgang 1846. 12 Hefte. 
(Birie.) &r. 4. 8 Ihlr. 
Zu ben unter Rr. 2 und 3 genannten Zeitſchtiften erſchelnt ein 
giterarifher Anzeiger, 
er Uterariſche Antindigungen aller Axt Beftimmt. Fur bie gefpaltene 
eile oder deren Raum werden 24 Rer. bereibnet. 
Gegen Vergütung von 3 Thlru. werben befendere Anzeigen u, dal. ten 
Blättern für Tirerarifde Unterhaltung, ED gesen ergüs 
tung von I NXhle. 15 Rer. der Zfis deigelegt ober beigcheftet. 


e4. Landwirthſchaftliche Dorfzeitung. Herausgegeben unter 
Mitwirkung einer —S Land», Haus= und 
orfhoirthe von William Löbe. Mit einem Beiblatte: 
nnügiges Unterbaltungsblattfür Stadtund Land. 
aubrgang 1346. 52 Nummern. 4. Preis des Jahrgangs 

r. 


Wird wöcentild Freitags In 1 Bogen ausgegeben. 
Infertionegebuͤdren für den Raum einer —XS Zelle? rar Be: 
fondere tgen u. dgl, werden gegen eine Bergütung von %, Xhle. für 


das —X beigelegt. 

Senaſache Allgemeine Literatur- Zeitung. 
Im Auftrage der Universität zu Jena redigirt von Geh, 
Hofrath Prof. Dr. F. Hand, als Geschäftsführer; Kir- 
chenratb Prof. Dr. J. XE. Behwarz, Geh. Justizrath 
Prof. Dr. A. L. L Mücheisen, Geh. Hofrath Prof. Dr. 
Di. G. Kieser, Prof. Dr. X „ als Specialredacto- 
ren. Jahrgang 1846. 312 Nummern, Gr. 4. 12 Thir. 
n Aatıb Freitags ausgegeben, Bann aber au in Wonatsheften bezogen 


r 
Anzeigen werben mit 15 Rgr. für ben 
und beſondere Beilagen u dgl. mi 1 rer Mi en Belle 


°. Das Pfennig Magazin —e—— Unterpaltung. 


it Aupfern. 


Neue Folge. Bierter Rummern. 


- Monatlid erfcheint ein Heft vo 


Re. 157-208, Mit vielen Abbildungen. Schmal gr. 4. 
r. 


B 
natsheften zu 5 Nor. bezegen 
Der erſte Bis zehnte Sahreeng Des Pfennilg⸗Magaztn open 
jufammengenommen flatt 19 Xbir. 15 Nr. im Herabgefepten Preife 
nur 10 Ahir.; der erfte bis fünfte Jahrgang 5 Xble., der te bi 
ehnt: —— 5. Ahlr., einzelne Jahrgange 1 hir. 10 Rot, Der 
er bis dritter — of 

e 


ade 
nnig: Magazin für Kinder. 
u; Eh. Fa) age, 15 Nor. 





gr. 
- Leßiere vier Bände zufammengmonmen nur DB EU _ 
—F et ennig⸗ Ar in werden &nfünbigungen aller Art aufs 
aum werben 4 Nor. 


Angeigen u. dgl. gegen Vergütung von %, ne. 


e7. 

ländiscohen Literatur; Unter Mitwirkung der Uni- 
versität Leipzig herausgegeben von Hofratli und Ober- 
bibHiothekar Dr. E. Ghf. Gersdorf. Jahrgang 1846, 
52 Hefte. Gr. 8. 12 Tblr. 

Grfegeint in wörhentlihen Heften von 2% —3 Bogen und wirb Sreis 
tags ausgegeben. - ‚ 

loſer Zeitfaprift iſt ein , 

' Bibliographifher Anzeiger, 
für litereriſche Anzeigen aller Art beftimmt, beigegeden und Autänbigens 
gen in demtelben werben für bie Zeile oder deren Raum mit 2 Mar. bes 
zehhnet, befondere Anzeigen u. del. gegen Wergätung von 1 Ahle. IHR 


beigelent. 

“3. Deutfches Volksblatt. Cine Monatſchrift für das Wolf 
und feine Freunde. Herausgegeben von Pfarrer Dr. Mb, 
Haas. Zweiter Jahrgang. 1840. 12 Gefte. Gr. 8. ZU Rgr. 

n [4 nöge een 
IL) den Raum einer Zeile 2'/, 5 ‚b 
fd Air u Aanfend mit % ER —* vr mare * 
HB. An Fortfchungen erfcheint: 

*9, Analekten für Frauenkrankheiten, oder Samm- 
lung der vorzüglichsten Abhandlungen, Monographien, 
Preisschriften, Dissertationen und Notizen des In- und 
Auslandes über die Krankheiten des Weibes und über 
die Zustände der Schwangerschaft und des Wochenbeites, 
Herausgegeben von einem Vereine praktischer Ärzte. 
Sechsten Bandes zweites Heft und Kolgende. Gr. 8. 
Jedes Heft 20 Ngar. ' 
ok eifte bis fünfte Can, jeder in & Heften 0837 — 85), Soken 13 Thlr. 


(li und monatf eben, Baum aber an in Mes - 
wöcentlih und monstlld ausgeg 3 ud in 


der deutschen und aus- “ 


2 
me 0 a. Me WERT” Tann nat 


0. Die Lastspiele 
erläutert von — 
Band. ‚Er 2 eh. 


enthält außer einer ai 
de, —— — 


— 


meinen Einleitung über. 

Bund, und — lt des — Dis 
, 0. Wolken * Imeiie 

ir Brehene, "na bye, „Oyhrkaren 





Sehen Ban ++ 1 

11. Arnd @) —E und her @nt- 
widelung franzi Bolkes, ober Darfteli 
wichtig! rn EA und Fakten, von benen bie fran; hf de 


— vorbereitet worden und, unter deren Einfluffe 
fie A ausgebiibet hat. In drei Bänden. Dritter Band. 


Gene —* — Men (1844_45) Boften jeder Alt. 15 Mer. 

*13. a vom Jahre 1846 an bie Mitglieder ber Deuts 
Kirn gu Grforf jung Daterländifier © en und 

mer in Bohr jerausgegeben yon KR. 
©, Gr e dem 1835—45 haben glelden Preis, 

“13. Eu ee ber Grafiter bed Mublanbes. 
Mit Bengraphifige literariſchen Ginteitungen, Bierundfunf · 
zigſter nd und folgende. Gr. 12. 

Ne fälenenen Mände Nefer Gammiung And unter er Alteln 
inyeln su erhalten: 


ni Seh, Sana Be anfien 
ante, 


ni. Gem en übemat A sit 
— en 







Dub, Bisrte Zuftge. 9 
Kunz Freite Kufage. I — 
anon Sekcaut, * — 

N. Dante, Boriioe Geriate, üben und — Kann! x 


— — as 9 Nar. 
ungen. lOßgr. — KV, Gremen, 
—* g 

xvı 
—S 
Sonnesiehtn 
im, 





— 


—— 

ante Die she En 
er erte Auflage. 
1e Arametifäe Roven 

1 %lr. 6 
ammians, 


— un Bunde 


* Fre * 
—*— 


IV. 
e ke. 
„ überf H: itz wa 


von Rn An 
DR — XL 





vum, 


—* Laemeine beui 
en en Reue 
derbefferte und ſehr vermepe © Driginal · Auflage. 
ſtaͤndig in_15 Bänden enge Sage — 
Ze 


we 
— — Ei allen 
2. 1 Rt, auf Sdrel hepiee 


abet werte werden Sn Ban; 
mie. Reunte Auflage. Reue Aus: 
an 2 a Lieferung und folgende. 


"Sb 
—F — has —— — 


tahl —E Blätter in 
Quart mit Darftellungen aus fämmttigen —— 
aus der Geographie, ber Voͤlkerkunde des Alterthums, dei 
Mittelalters und ber Gegenwart, bem Kriegs» unb See⸗ 
wefen, der Denkmale der Baukunſt aller Zeiten und Wölker, 
der Religion und Mythologie des clafftichen und nichtelaffifchen 


* 








lterthuins der zeichnenden und bildenden Künfte, der allge: 
meinen Zedpnologie sc. -Rebft einem erläuternden Zert. Ent ⸗ 
worfen “un! von I. ©. Het. Bollftändig | 
in 120 Bieferungen. ierzigfte Sieferung und folgende. 


*17. Dielikabach (3.7. ‚ne Operative Ohirargia, 
In zwei Tan re siebentes Heft und 
Er 8. Geh, . Jedes Heft I Thlr. 
nd, 


ft 16 (1843), Boftet 6 
8, En t 6 Ahle, 





Therapie; 'd Semlotik; 

iafsche Chemie dnd'ehn F en 

Pathologische Anatomie; Materianneätcae I hen der Be 

ie: Aklereie;, Gyakkologle; Kinderkrankhchen; 
1 Handbuch der 

Kr: Handbuch der en Per ghlschen Anatomie, mit 

und Stadien a Von 














® THE: Die meäicinlsche — 
— Erforschui 
Innern Kr 


— Lehre 
und der Bedeutung —— * 
beiten desMenschen, Bearbeitet von A. Moser. 


eio meine Eneyflopädte der Wiffenfi 3 
Kuͤnſte in aiphabetiſcher Folge von mann 
Bearbeitet und herausgegeben von J. Erſch Fr ©. 

Mit Kupfern und Karten. "Sr. 4. Cart. 
en 
im 1 ah 


6, 
anne e Zac ud —— er von 8 Bruder 











Bmeite Gecti 0 Ei A 
wann. Sarenmanigte, 2 eure ne, on And. OL Heft 
Dritte@ect u6gegeben von IR t. Nele Meier 


Ginundapernigier Xbeil und —5* 


ten, Deuen eine Seihe von 
55 uud — S M ——— 


——— 
20. — Goſ.), 


® te des thieı 
tismus. Bweite, Sefaihte best aulden Dre Tue 


el ne — ter dem Aliel: „el 
und te Amt Ren „eldiht de Basler, efhien ID 
Gänsburg 


F. Studien zur speciellen P: thologie. 

Zweiter Ei PR, Fr “ 

jet den Kite: 

— Erster Band: Die * 
3* 


— 


ne 
es ed Bür ober alı 
erzeichniß * von 1700 bis zu &nde 184 
', welche in Deutſchland und in den 
Pr und Siteratur damit verwandten Rändern 


21. 





worden find. Reunter Band, weicher bie „von 1 bi 
ren Fr und Di an 
ver Erfcheinungen en! von. $ 1 
Im Lieferungen zu 10 Bogen. ae —5 — und Felgen 
he Jede aitferung auf Drudy. BRgr., auf Säreie 
PR a vu mel Drudpenir 52. 
Hr = VüßersBesiter bien 
uulenmensene eife 20 Xbir; cu Tab 
einzelne Bänı | Preike ie ee E33 
Hane — Varzehe\e Da 
=. San; Karl V., and dem 
koni⸗ lichen ae de Bo: ® 
Buihı — weite Band (184445) füften Ber an * 
an! 
"24. Zeug di €. ©.9.), © te Der Fon ei elften Nice 
ſeit di x ARE, zur — 


ie eangeifoen Geiſtes. In a Bänden. Bweiter Band, 
ober. — eft und folgende. 8. 
Wand (Heft 1-8) erfäten 1845 und fofzt 27 Btgr. 


(Die Bortfegung folgt.) 


. 4 


| evangelifden Kirche 


uam EBTNEmTEOCHERS NERSD 


gierungsrath, und A. 


Gaben. hod Sei Meher & Zeuer in und 
| len flhen Budbanblungen zu haben: 





Deutfh- Katholiken. 
Eine Erwieberung anf die neuefle Schrift des Herrn 
| . ©. Gervinus. 


Von 
Dr. D. Scheukel, 


Stadtpfarrer in Schaffhauſen. 
8. Broſch. 15 Ngr., oder 51 Kr. 


Die Knechtsgeſtalt 
d 


Roth und Hülfe, 
Heinrich Xhiele, V. D. M. 


edangel. Prediger bei der Fönigl. preuß. Gefandtfchaft in Rom. 
8. Brofh. 27 Ngr., oder 1 Fl. 30 Kr. 


7 Bir erlauben uns, Geiſtliche und Laien ber ka⸗ 
tholiſchen wie der proteftantifhen Kirche auf obige, beis 
den fehr intereffanten Schriften der dem?chriſtlichen Publicum 
wohlbefannten Verfaffer angelegentlich aufmerkfam zu machen. 


Bei Gebr. Reichenbach in Leipzig erfhien: 


Deutfches Anwaltbud). 


Ein Handbuch zur auswärtigen Procefführung in allen 


% @, .Buddens, Re⸗ 
nbdens, Gerichtsdirector. 


32 Bogen. Lex. 8. 2 Thlr. 


walter in Deutſchland von 


deutſchen Landen nebſt de fämmtlicher Sad | 


1845, 


Medieinische Phaenomenologie- 


Ein Handbuch für die ärztliche Praxis von Dr. R. 
Eättner. Zweite vermehrte Auflage. 3%, Thlr. 





Soeben erſchien in meinem Verlage und ift durch alle Buch⸗ 
handfungen zu beziehen: 


Die natürliche Theologie 
- des 
Raymundus von Sabunde. 


Ein Beitrag zur Dogmengefchichte des 15. Jahrhunderts 
i von 


David Matzke. | 
7 Bogen. Gr. 8. Brofchirt. Preis 15 Sgr. 

Eine der intereffanteften Erfcheinungen bed lebens⸗ und 
bevegungsvollen Jahrhunderts vor der Reformation bringt biefe 
Schrift zum erfen Male zur Unfhauung; dem Katholiken 
bietet fie eine Darftelung ber Dogmen feiner Kirche und einen 
überragenden Berfuh, fie naturgemäß zu begründen; der 
stefkamt findet in dieſem Verſuch das Bingen des menfch- 

gen Geiſtes die Gegenftände des Kriftlihen Glaubens in 


proteftantirche Geiftlichkeit, | 


rem Bexhältwiß zu den einigen Ohefegen-und Mebärfaiffen feines 
| Wefens zu erkennen. ı 


So ift's als hätte Raymunbus im 15. Sahrhundert, 
wenn auch in feiner Weife und für das Bebürfniß feinerdeit, 
fi) die Aufgabe unferer Tage geftellt. 


Breslau, im April 1846, 
“ Eduard Trewendt. 





Bibliotheca Koppiana. 


Bir bitten die Herren Intereffenten ihre DBeftel- 


lungen aus unferm allgemein verfandten Katalog 
der von Wr. Sr. Kopp, dem Paläographen, 
hinterlaffenen höchft bedeutenden Bibliothek uns 
gefälligft bald, wenn thunlic zur directen Poft, 
franco einfenden zu:wollen. Diein unferm da⸗ 
mit gleichzeitig emittirten antiquarifchen Kataloge, 
Nr. 1, verzeichneten werthvollen Bücher aus allen 
Fächern, befonders auch aus der Naturwiſſen⸗ 
fchaft, wurden fogleich abgegeben. 
. Mannheim, im April 1846. 


Schwan Goetz'ſche Hofbuchhandlung. . 





Bi 6. Meftler & Melle in Hamburg ift erfchienen 


und in allen Buchhandlungen zu haben:. 
Berfuh einer Beantwortung der Frage: Wie 
ſoll die Strauß'ſche Anfiht vom Chriftenthum 
aufgefaßt und widerlegt werden? Von Dr. &, 
C. Th. Frauncke. Geh. Preis ’, Zhle. 


Soeben ift erfchienen und aan alle Buchhandlungen zu bes 
ziehen: 
Geſchichte der Auflöſung 
er 


Jefniten⸗Tongregationen 
in Sranfreid) J 
im Jahre 1845. 
Nach den beſten Materialien und unter Benugung hand⸗ 
fhriftlicher Quellen 
bearbeitet von 
Ludwig Hahn. 
Gr. 8.. Geh. 1 Thlr. 10 Nor. 


Die ausführliche Darftellung eines Streites, in weldhem einer» 
feits die Politif einer Partei, deren Wuͤnſche und Unterneh» 
mungen im Grunde überall, in Deutfchland wie in Frankreich 
diefelben find, andererfeits die religiöfe Gefeggebung und Pos 
litik eines der widhtigften Länder zu beleuchten ift, Tann nicht 





: verfehlen, die Aufmerkſamkeit Aller in Anſpruch zu nehmen, 


welche den großen ragen der Gegenwart eine ernfte Aufmerk⸗ 
famkeit fehenten. | 
Reipgig, im April 1846. ’ 
Irochhaus & Avenarius. 





Mel ben Unterzeichneden erſcheinen Für das Safe: 1048: 


Schweizeriſch⸗ Seiiſchriſt 
Gartenban. 


erausgegeben von Dr. & 
re und ee des ‚ulanifgen 2. Bess, Zuͤrich, 


Eduard Segel ‚ Obergärtner. 
RBierter Yahrgang. 
Swälf Nummern. Mit — 1 $1. 45 Kr., oder 


Fonrserifde serifche Peitfgprift 
Randwirthiheft. 


Drgan bed Vereines 
Landwirthſchaft und Bartenban — Zürich. 
Herausgegeben von Gbnard NRegel. 
Zwoͤlf Rummern. 1 Fl., ober 18 Nor. 
Beide obigen Blätter jufammengenommen £often 
Bios 2 Fl., ober 1 Ahlx. 6 Nor. 


Meyer & Zeller in Zurich. 


An meinem Berlage ift erſchienen: 


Die Epochen 
der Geſchichte der Menfchheit. 
Eine hiſtoriſch⸗ phitoſophiſche Stizze 

Dr. C. 8. Apelt, 


außerorbontlicher Profeſſor zu Jeno. 
Smeiter Band. 29 Bogen. Gr. 8. Preis 2 Thlr. 


(Eine ſehr günftige Beurtheilung diefes Werks erſchien bereits 
In Wigand'ẽ Vierteljahrſchrift „Die Epigonen‘, 1846, Bd. 1. 


SOffentliche Reden 


von 
Wilhetm Ernst Weber, 
Vorſteher der Selchrtenfehule zu Bremen. 
Zweites Bändchen. 296 Seiten. 8. Preis 227, Ser. 


Senna, im März 1846. €. Gochhaufen. 


In allen Buchhandlungen fft zu haben: 


Hapoleon 


dargeftellt 
nad) den beſten Audim 
von *e, 1ife Lieferung. 
Dritte Auflage mit 24 neuen Stahlſtichen. 
BVelftändig in 23 Lieferungen a /s Thlt. 


Leipzig, Chr. E. Kollmann. 





ex 
* 





re und tree riesen 
| ie 
Burisdictionsnormen. 


dentſchen und —* chen Provinzen 
mit Ein Wo - 


k. k. Militeirgrenge 
tbeoretifh und beateifg bearbeitet 
Set5 Sofeph Rowotny, 


Doctor uud Ditglieb ber prager Jariſten⸗F 
Swei Bände 





Surtftensaruität. 


Gr. 8. Wien "re. — 4 Thlr. 30 Nr 
Dar re ſteiſa ellung 
der allgemeinen 
Berzebenngöftener 


t. k. öftreiäifien Erbiänbern. 
Jos. I. Tryeschtik, 


Rehnungbs:Dfficialen der T. E. Kameralbezirke⸗ 
Gr. 8. Win 1846. Geh. 2 
(2 Thlr. 8 gGr.) 





James Romane 


in deuffchen Überfragungen herausg. von Fr. Nett 
und Gustar Bir. 16. Stuttgart Bert 
Sch. à 37% Sgr., ober 12 Sr. d 
Bon diefer Ausgabe, ber einzigen, in —* — 
liche, von James vorhandene Romane aufgenommen werden, 
bie ſaͤmmtlich noch im Laufe dieſes Jahrs vollfländig erſcheinen, 
und bie zugleich die bil ligſte von allen deutſchen Uusz 
ift, Mind feit Anfang voriger Jahrs die Bändehen 117 — 153 
erfihienen, folgende Romane enthaltend: 

De: Räuber, Branflin Pi 6 Bdchn. 2% Ger. 


Agincourt. — 
tion —* oder die > enhrüher. 5 Bode 


eine aite Tanfenden oder Die Tage Beinris IT. 


De * —— ur Boän. 22), &or. 
Stiefmutter. 1.— 4. Bodn. 15 Sgr. 
—* een wird au einzeln abgegeben 


. Br Be ya in 
allen Buchhandlungen Deutfchlande und bed Kasianbl. 





Im Verlage von F. R. Brockhaus in Leip 
erſchienen und durch alle Buchhandlungen zu 


MRöben (8. G.), 
Der ſouveraine chriſtliche Staat, das Ende 
unſerer Zeitwirren. 
Gr. 8. Geh. 1 Thlr. 15 Ngr. 


iß jeder 
—* 


Druck und Verlag von F. X. Wrodpaus in Leipzig. 





[4 


i iterariſcher Anzeiger, 


1846. 


3 VII. 


ö— — — — — —— ——— —— — —— — 77I;I;IIäIä;X 
Dieſer Biterartihe Anzeiger wird den bei WE. Arockbaus in Meipzis erfjenenben Beitfchriften „Wtätter für literaviſch⸗ 


unterhaltung” unb ne beigelegt £ ober beigepeftet, u und betragen bie : Jofertionsgeh ühren für bie Beile ober beren Raum 2% Rat. 





über bie 


Berlagsunternebmungen für 1846 


SAN. Brockhaus in Leipig, 


Die mit * Begelläneten Artikel erden befilmumt im Saufe des Jahres fertig; von den übrigen If bie Erſcheinung ungewiffer. 


(Hortfegung aus Kr. 


L. An Fortſetzungen erſcheint ferner: 
225. Lewalb's ( A.) gefammelfe aritten. Im einer Aus 
. Frag — ee: oder zehnter 


[and 
8 zwoͤlfter Ban 
* —5* — —* nn 7 I den zin 
e 


pie —* 184445) Poftet en FE 


2, Mo Eu 
Bänden, a a ap Met Bhaareitunde. Da wer! 


Des exfte und zweite Heft (1862) koſten 1 Ahle, 
“TI. Der neue Pitabal. Cine Sammlung der intereffante- 
Ben Ariminzalgeſchichten aller Ränder 34 erer und neuerer 
CB. eräuße sachen von —E Eb. ig und BB. Press 
gr ee Thell a 1 * 24 * der —— ah Aheil * 


“= re Ian Sue —R Bis anf Pu ed vanpe 8. Bi 


pen En en und Eri 

an Wider. 

Der ii Bike ide Sans Rt often 9 Ahr. Kr 
2. Pomer (L.), Handkuch der ntholonie ad 
In zwel Bänden, Zweiter Band, Gr, 19. Geh. 
Bar Dand: „Arte Rrantheiten“ (1085), — 


—2** ——— Bi), Das V 


erhältnigsen. Zweite, z 

— mgsarbeiae Auflage in drei Theilen, Dritter weite, gu 

* — am 
de —8 


GE Eee 
* CH dib x und — 8 Wir. 


m 
cn Zu WIR a — —— gehtercsann 
mp ne te des 16. und 1. 
Ru Iithogrep rim Kafeln. Sr. 


ang e Auflage. Gr. 12%. 1892. a 




















weite, werbefferte 
„Seid: u Hohantaufen und, ge Bet. 98 Qweite, ver me * 
a Bet er — Die Kot und orten der 


erhen 
Kereinigte ;Oitog Biel Bänhe. m ei 
ao Berlaiaen Oielirnen Armin Bnagiade wi ca 


ue N der ——e— A an 9 — 238 
age. 





VII. 
32 —F sE, Betäiäte der itafiesifgen Poeſte. Bimei- 
32 Rn — boſtet 2 = ar 


oft und folgende. Gr. 4. 


BE 
— inet, zu za Jens gr I; Da und —e—— 


ates Heft jaden- bbasiden- Münzen. Mit 1 Hihographir- 






Raumer. Reue Fo er Saprgang. Gr. 1 


dhrsingen (IEAp--30) um —* —8 bren Pure gie 
re 10 denen a — Di Kae sang 
et i6 ante & Rebrash A ein 18 un 
to de it: 2 EHE, Her 7 —— (ae Io a 
a der Mi 
der Stagtspapi 
Wechsel- und Bankwesens und ’der Usanzen aller Länder 
und Mandeleplätss. 
wart bearbe von * Naback u 


Achtea,He Gr. 12. —— Hofes 15 Ner. 
Daß erſte his ſiebente Heft (184145) Boffen 3 Ahle, 16 





‚ Veteria et Novi —— * ipae 

fongmenke qup zupersun 17 ana go 

nitate * * F — Iatrucz cum lossario 

nA ernmuphtioa Iingnae gafhicas conjun une runt 
dnhelentz et J. 


u, 0, de —8 Bapdes 
zweite Abtheilung, eine Grammatik der gothischen Sprache 
enthaltend. * j * Su 55* —53 pa fer 
an gr ee 
Kr np — 35 —X n 
Ha le. * Ft ee 5 WXAir. ala ‚uf 
37.4 & auf das Jahr 1007. Reue Felge. 


* —— an ———— Bübniffe- 8. 
vie, von sl, Seller ne Hrani die im And nur ned ei —* 357 


) Poften jeder 1 Ahle. 15 Rar. 


ars e 
fichente Ind a  Rsds und 1846) jeder ? Ahle. “ 
Thoileonemann 


(F. A. L.), Die Fortpflanzung 
geschichte nach dem gegen- 
wärtigen Standpunkte der Wi mit Abbildusg 
der bekannten Mit 100 enlorirten > Tafeln. In gehn 


Heften. Zweiles en Kt m und folgende 
j Dee und Höhnererten) Gr 1845 und kofter 


- 


Gerauargeben u * Ger. | 


— 


don Bedürfnissen der Gegen- 


ti 








*%. Das Band UL und 
— A.u. d. J.: 
aus Paſſeyr, Oberanfuͤhrers der Tyroler im Kriege von 
1809. Durchgehends aus Driginalpapieren, aus den militai⸗ 
riſchen Dperationsplanen, ſowie aus den Papieren bes Frei⸗ 
beren von Hormayr, Hofer’s, Speckbacher's, ıc. ıc. Zw eite, 


und ber Tyrolerkrieg won 





durchaus umigearbeitete und fehr vermehrte Auflage. Drit- 


‚tes Seil d — koſten 4 Thlr. 12m 
er erſte und zweite Theil ( ) ko Thlre. 12 Rer. 
°40. Wangen (GE. %.), Kunſtwerke u 
Deutſchland. Dritter Theil und folgende. @r. 12. A 
auß i e ZTheil, auch unter dem beſondern Titel: „Kun at und 
m Gragedirge und in Pe am, oft ale rn 
re nit hell, unter dem Xitel: „„Runftwerte 
aanet *. * dem Elſeß und“ er —ãE a * N 


felden 
Bo m Berfaffer erfhien auc bafeld 
Aber vie —* ng, weine der Beitunp, ber © Binkeuere 7 Molerei 









16, Wi — 1 im —A——— — Ben zu a 12. wre 
II Un neuen Yuflagen und Neuigkeiten erfcheint: 
+41. Abberti Jul. &f.), Der Stand ber Aerzte in 
Preußen. Ein Hiftowmich »Pritifcher Berfuch, mit Be iehung 
auf die bevorfichende Refom D Dis preußifchen Mebi 
—8 Sr. 8 32 3 25 eir 
Reue und Erza ungen 
jugendliche Beferinnen. Gr. 16. Och. 2IR 4 
len Beraten Berfafferin erfbienen Ei aber 1964 
Bärgen „und Grzähtungen für jugendlige Seferinien. Gr. 16. Geh. 
43. Blsämene (8. Juſtus), Henri P i. eü e 
aus dem Milde feines Lebens und PA and. 
zeugniffen, — en und Rittheilungen. Mit Sehr 
Te Bildniß und 4 Tithographirten Tafeln. &r. 8. Geh. 
44, Bremer ( Frederike), Die Familie 9. Aus dem 
einmevifihen. Bmweite verbefferte Auflage. Gr. 12. Geh. 
gr 
a a een une Ted DA BR aber el 
VE. find zu erhalten: 
Die Ra ben. — „al Die Töchter des Präſidenten. — 


—8 — —. Xi. us. — VII. Die Yamilte —5 — 
IX. Kieinere mist. — 8*⸗ treit und Iriede. — Ein 
Aagebudy. In Dalekarlien. 

su. WBriete Joſeph's II. Dritte verm age: Seit‘ 


emäß eingeleitet und erklärt von —* uf &r. 12. 


46. Denkınkler der Kunst des Mlittelalters in süd. 
Uchen Italien. Gezeichnet von Anton Hellmann, Sa- 
verio Cavallari u. A. Herausgegeben und erklärt von 
HM W. Schulz. 150—1% Tafeln in Folio, mit dem 
erläuternden Text in Quart. 

ou Manuel ‚Texigue au Diplomate et du 
Ge 


Consul. Par F. 8 7 
48, hi ern ın (DR. CH herr von), Sweite An- 
deutfche ie —* die Eirdißen esirven, 
mäßigung und — * Ausgang. Gr. 12. Geh. 


— an w Deut e Fa — an melde ſich 






DIE en demfelben PR A) len beit eher ba⸗ 


fe 
BE zes 100, Gel, 1 2 Mit 4 veaktither Anwendung auf unfere Zeit. 


Gr. 
wei ite er Yrieden. —* t .— Xu b. %.: Mein gneheil 
a e "pol Bein, "ne hd Gr. 8. —8 Geh. Thlr. 


49. Grässe & @. mad.) Wörterbuch der ge- 
sammten My logio aller bekannten Völker 
der. Erde, nach den —— — uellen bearbéitet, mit 
den wichtigsten Beweisstellen und mit Uebersichten der 
wichtigsten Religionssysteme versehen. In Heften. Gr.8. 

*50. Bihliographisches Handbuch der philosophi- 
schen Liter@tur der Deutschen seit der Mitte des 
18. Jahrhunderts bis auf die neueste Zeit. Nach J. 8. 
Ersch in systematischer Ordnung bearbeitet und mit 


Andteas Hofer's, —ã 


205 


den nöthigen Registern versehen von Dr. .Ch. Ant. 
Geissier. Dri Zar age. Gr. 8. “ 


— elben Beriage ee er hen Literater der 

— Dest- 
lt Ser Mitte den 18, ———A — Nach 3, 8. Ersch 

bearbeitet von Ch. Ant. Gelssier. Dritte Aufiage. 1885. 


Beife werben auch bie andern Zeige ber Literatu 
Erſchis Inte bearbeitet und bis 
Fl a ut di Gange mich Ka be neuen al De neuste de je — 


wait di a F en de ti gute} —* ale, 
won — mit Sina er HP ge — 


i —— — 
ne nu Ei — —— Kinfe in. en: Fate 


8 
— 5* 


er * — zu —E— — Bei en Prei⸗ 

n erla 

— er Philosop hie und : und Bei 1922. 16 Ner ne 
erspradens, a* —— — 


18%, 1 Thulr. 10 Nr — ã— und deren Hülfewinsenschehn 
1877. ud Zar. m _ ıy ermischte Schriften. 1837. 8 Ngr. — Schöa: Kin 


51. Selbauen. (8. 8. , Der Protefautimud in feiner 

ichtlichen en , Begründung, um d Fortbildung. 

1 Fi Bänden. Sehe Ban 8. — 2 Zhlr. 
*52. Jäger Gef. N.), Gerlenpeiltunbe, q eräge auf pie 

chologiſche Grundſaͤtze. Ein Hanbbud für Sfohologen, te, 

 Serilager u und Richter. Smweite verbefferte Auflage. Gr.8. 


Zhlr. 
53, Weber die klein 
Zeher (8. €), er ——— 


an ejenber Sagdliebhaber. Brick, ver 
—— 35 —* Gr. 8. 
"ans 


Mit Kupfern. 
t der das Kö 
achſen 4 —I for cr fir bes Bine 


Faffıng. Borausgeſtellt ift eine Te der Wrofegüre bes 

Bataillonsarztes Dr. Reubert in Dresben: „Darftellung ber 

aͤrztlichen Bildung ber Far ai der koͤnigl. fühfihen 

Armee * betitelt. Gr. 8 Kor. 

abre 1845 erfäten —X von be Berfaffer 

—8 N TR der Mebleinalverfa ung Sachſens fordern bir enität 
“55, r- ürgens (ey 2 —*— De, Beben, Gehe Both & Kar 

er's 

Luther von feiner Geburt bis zum Ablaßſtreite as oh. 

drei Bänden. Erſter Band. Gr.8. Geh. 2 * 15 Ror. 

56. Kratzuann Leistungen der neuors 


(E.), Die 
-F rankreich nach Theorie und Praxis 
dargestellt. F —* Gr. 8. Geh. un 

.. 


*57. Roebel —— — in Umeifi 
Sr rer Sand —— &. 3. 


Ausführungen. 
58. var avelli (Miceolo bi Bernarhe bei), Florentini 
chichten. Aus dem Italieni ienifiben. ee dor 
4 Neumont. Bwei Theile. Gr. 1 
9. Mandl (L.), Handhuch der 
tomio, angewendet nuf die Physiologie und Pathelsgie- 
Nebst einer Einleitung über den Gebrauch des Mikro pe. 
Deutsche, nach dem französischen Original vom Fr 
besorgte, mit vielen Zusätzen versehene Ausgbe. Zwä 
Bände. Mit 10 Kupfertafeln. Gr. 8. 


*60. Massalo J. V. Logerithmisch-trigpuone- 
trische —— — Ein sur Horizontal- rojection 


gemessener Längen auf schiefen Ebenen, sowie vorzugs- 
° weise zum Gebrauch bei nivellistischen Arbeiten und beim 
Markscheiden unentbehrliches Handbuch für Greometer, 
Ingenieure, Markacheider, Wasserbau- und Chaussee» 
beamte. Gr. 
*61, —— ($ a 8 Die Fabrikgerichte tn Br- 


“02. Mohr (®. €. €), Vaiate 

















Neueſte und nenere nn u 


Aiterarifche Erfcheinungen 
. . durch 
C. A. Schweischke und Sohn in Halle, 


fowie durch alle übrigen Buchhaudlungen Deutfehlauds, 
zu beziehen. ” 





| Theologie, befonders3 Mroteftantifche Freunde und Wislicenus 
u betreffend. | 


- Bwei Bffentliche Zeugniſſe aus Halle für ein ver: | Die Neligion Yen Ehriſti und das Ehri 


i ſteutbum. 
nunftglaͤubiges Chriſtenthum und den Paſtor Wislicenus. Don Grävell, Verf. der Schrift: „Proteſtantismus 








Altenburg, Helbig. 3 Sur. ° und Kicchenglaube von einem Laien.” Halle, Schwetſchke 
Enthält die Werwenduugdfchriften - Reumärktifcher und Sohn. 2% Thlr. 15 Ser. , 
Kirchenmitglieder und ber Stadtverorbneten» Ber- Der Berfaffer ift der Geheime Juſtiz⸗Rath Grävell in 
fammlung zu Halle an das Ober - Prafidium ber Pro» Lübben, welcher ſchon früher, namentlich durch feine 
ving Sachen für Wislicenus. — Schrift: De: Menſch, „einen literari Gen A rün⸗ 

— erde y e —2 
Die evangelifche Kirchenzeitung und ihr Treiben, DE ee hen fe a Mir 

Bon Dr. C. äfhie (he, ev. Pred. zu Döffel bei Wet: cher Rede fprechen oder fhreiben,, welche verfbasnden wird: 

tin. Leipzig, Kirchner. 5-Sgr. | und wer Jemanden verftehen wi, muß bie Begriffe von 

den Morten kennen in denen AR ihm geredet wird. Died 
Die peoteftantifchen Freunde. Eine Selbftfritit.| fee hen u —— — Gitee 

Sendfohreiben an Uhlih, von Dr. C. Zſchieſche, ev. “ noffen feine Lehre nur in volköthümlicher Sprachweife kund⸗ 

Pred. zu Döffel beiWettin. Altenburg, Delbig. 16 Sur. —2 um ik far richtigen a dr m, mas und Denon ' 
Der Berfaffer gehört dem Hallifchen Kreife der pros Ir der Zeit un n dem Aiome ermitte eutung DET Borte 

: re In, worin fie ges 
seftantifchen Sreunde an und hat na namentlich aud - raucht wurden. Wer mit vorgefaßten 5 * en oc (er 


bei den wiffenfchaftlichen Berfammlungen diefed Krei- 


fes befonder& betheilige. —A VBorſtellungen dem unterlegt, was er dar⸗ 








aus Ph bringen fol, muß notpwenbigerweife 
— - em Selefenen falfcye ung geben. Um e,v 
Ghriftus in der Kirche: tobt, erfichend und eritan: allen menfehlichen Zufägen un ntftellungen bare, Fehre 
ben. Drei Predigten aus der Gegenwart. Bon X. vet nefentlice m ber tg esrift rg Wippe 
T. Wislicenus; Pred. zu Bedra bei Merfeburg. a0 een it A A Be An A ARE II 
Eeipie, Rich. 10 Chr. ae ee San — en 
‚Der Berfafler if ein leiblicyer und geiftiger Bruder welches der volksthümliche Sinn der ſprachgebräuchlichen 
des Pfarrers Wislicenus na. geifiger . Worte und Redensarten zur en et nung eu 
- nn grmit baſchatti Ns Ma Keee Bil, en * 
Bekeuntnifſſe eines Freigewordenen, mit beſonderer ee ee ee GE Bude ae 
Beyiehung auf Kampfe's Beantwortung der. Uplich’Tchen —* no on Cände, Cünbeneriab, Busse, Gtauß, 
Belenneniffe. Won B. M. Gieſe, Prediger in Atens- zu verſtehen iſt nach der Adbruchöweife ber Zeit: umd 
nefta bet Herzberg. Altenburg, Helbig. 16 Ser. yes — — end R denn 9903 von ſelbſt 
Bon ars | Leimü— ie eberzeugung, daß die Tautere und unver» 
tige Bekennfnig eines mod vor Kurzem oiibensen |“. fügt, Ccbre Sefu sim nbegei Det erhadenfen um 
—* wo jest vernunftglaäubigen Predigers in der Leudjtenden nd * * göttli —— 
ruhigen dðxorina Saclſa. 3 en u un entfernt * en * Unver⸗ 
Was beißt deun das eigentlich: Zefus Chriftus ift DR Che IR Vie Mrliglon Des Sidts, ver Bieke end 
—— a in einer Landgemeinde gehalten *8 5 Daran Pr mau, eefennen, „wer die 
einer Baterſtadt Wittenberg als freied Bekenntniß EBEN „Unger D° andes find, DAP, Te Tieve MULEL 
vorgelegt von B. M. Giefe, Paſtor I Atensneſta x 3 Eben mp Ts Dr "nit und a hehe 
Herzberg. Halle Schwerfhke und Sohn. 21, Ser. Dies die Ausführung diefea Werkes.” ' . 





% 


Schuttſchrift für Guftav Abelab Fiisiteenes, 
Pfarrer an ber Reumarkisliche zu Halle, gegen bie 
Anfdjuldigung ber Abweihung vor der Lehrbafis ber 
evgngslifchen Kirche und von ber, kirchlichen Ordnung, 
durch feinen ermählten, Wertheidiger, den Kammer: Ge: 
eichte:Affeffor G. Eberty. Altenburg, Helbig. 1% Sur. 

Bon Ken Wichtigkeit als die officielle Vertheidi⸗ 
gungsicheift für Wislicenuns. 


Ss 





Chriftliched Andachtsbuch für denkende Verehrer 
Jeſu. Bon Dr. 8. ©. Bretſchneider. In drei 
Theilen. Mit dem Bilde und Zacfimile des Verfaſſers 
in Stahlflih. Halle, Schwetſchke und Sohn. ' 
auf Maſch.⸗Velinp. 3 Thlr. S2I/, Ser. 

auf Löwen: Velinp. 4 Thlr. 15 Ser. 
# nicht bloß. zu häuslicher Erbauung beftimmt. 
e darin enthaltenen Abhandlungen eignen ſich 
ebenfo gu kirchlichen Vorträgen, wie fie auch 
einer deutſch⸗katholiſchen Gemeinde bereits 


.B.-i 
* dieſer 
Weiſe benutzt werden. 








Portrait von Dr. Karl Gottlieb Bretſchneider, 
Dberconfiftorialdirector, Generalfuperintendent u. Ober: 
pfarrer zu Gotha, Comthur des Herzogl. Sächſ. Erne: 
flin. Hausordens. Mit Facſimile. In Stahlſtich. Auf 
hinef. Papier. Halle, Schwetſchke u. Sohn. 12'/, Ser. 








Au ihren Früchten follt ihe fie erfennen! — An⸗ 


mertungen zu einer Erklärung bes Hrn. Prof. Dr. 
Hengftenberg in Berlin gegen die proteftantifchen Freunde 
in dem Vorwort zu feiner evangel. Kirchenzeitung 1845 


Mr. 50.6. Von Uhlich. Leipzig, Kirchner. 2/, Ser. 


m 


— 


Der Pfarrer Baſtav Adolpyh Wislicenus. und Die 
Bedeutung feiner Belenntniffe und rlebniffe für die 
Sefanimtheit. Eine Zufhrift an bie Preteftanten von 
Dr. & ©. Piper. 48* Schwetſchke und Sohn. 

gr. 


Diefe Schrift I i | ichtigkei 
ale dab Obers@enfur@erigtie Bee Diele 
bedeutungsvolle Stellen volländig zum Drude ver 
ftattet bat. 





Encyclopädie der theologischen Wis- 
seuschaften. Von K. Rosenkranz,-ord. Prof. der 
Philos. an der Univ. zu Königsberg. 2e gänzl. 
umgearb, Auflage. . Halle, Schwetschke u. Sohn. 

4 Tulr. 25 Sgr. . 





2 | Die religidfe Glaubenslehre nach der Beraunft un 


Offenbarung für denkende Lefer dargeftelt von Dr. 
8. ©. Bretſchneider. Je verb. u. verm. Auflage. 
Halle, Schwetſchke und Sohn. 1 Thlir. 26'/, Ser. 





Nationales Jeugniſe von Ehrifte und für Chriftum. 
Eine Predigt Über die Frage: Wie dünkt Euch um 
Chriſto? Weß Sohn iſt er? Bon Lauter, Prediger 
in Wanbersieben bei Erfurt. Dale, Schwetſchke und 

Sohn. Sgr. 





Die fumbolifchen Schriften der Tutherifchen Kirche; 
die hauptſächlichſten volfländig, bie übrigen in Eurzer 
| Darſtellung. Halle, Schwerfhle u. Sohn. E Sar. 


Dentfch : Katboliten betreffend. 


Für bie Deutſch⸗Katholiken. Ein Botum vou| Trug: Mom⸗ und » Zefniten. Ein Gedenkblatt für 


r.8. ©. Bretſchneider, Oberconfiftorialdirector und 
Generalfuperintendent; Comthur erſter Klaſſe des Der: 
zogl. Sächf. Dausordene. Jena, Frommann. 5 Sgr. 





- Scmeidemüller: Lied. Mit ſechs Begleitſtücken. 


Bon Dr. G. Schwetſchke. Dritter, mit einer Com: 

pofition des Schneidemüller: Liedes für vier Männeye 

flimmen vermehrter Abdrud. Halle, Schwetſchke und 
Sohn. Bil, Sur. 





römifch= und deutſch⸗-katholiſche Chriften. 


Hinrichs. — 


Halle, Schwetſchke u. Sohn. 15 Se. 





Die deutich: Fathulifchen Deputirten in Sole. Ein 
.Gedenkblatt an die Feler vom 27. Mär; 1845, den 
zum Leipziger Concil entfandten deutſch-katholiſchen 
Deputirten zu Ehren in Halle veranfkaltet. Nebſt der 
Halliſchen Adreffe an ſämmtliche freie katholiſche Ger 
meinden und Katholiten Deutſchlands. Dale, Schwetſchke 

und Sohn. #/, Ser. 


— — — — — —— — ——— ——————— 


Trier: Nouge: Schneibemühl. Ein fliegendes Blatt vom Profeſſor Hinrich 8. de Aufl. 
g Halle, Schwerfchle und Sohn. RL, Sur. .. 


„ee 


politik. Staatswirthſchaft. Inripeudenz. 


Sinrichs Politiſche Vorleſungen. — Unſer Zeit: | Lehrbuch des gemeinen deutſchen Eriminalrechts 


alter und wie es geworden, nach ſeinen polit., kirchl. 

u. wiſſenſchaftl. Zuſtänden, mit beſond. Bezuge auf 

Deutſchland und namentlich Preußen. In öffentl. Vor⸗ 

trägen an d. Univerfität zu Halle dargeſtellt von H. F. 

W. Hinrichs. 8% Bände. Halle, Schwetſchke und 
Sohn. 3 Thlr. WO Ser. | 








Die Lehre von der Volkswirthſchaft in ihren all- 
gemeinen Bedingungen u. in ihrer befonderen Entwidelung, 


* oder wiffenfchaftl. Darftelung der bürger!. Gefellfchaft als 


Wirehfhaftsfpftem. Ein Haͤndbuch für die Freunde biefer 

Wiſſenſchaft u. für Staatsmänner. Von Dr. 3. F. ©. 

Eifelen, Profeffor der Staatswiſſenſchaften. Halle, 
Schwetfhke und Sohn. 2 Thlr. 15 Ser. 





BSiurichs Ferienfchriften. Pfingſten 1844. Die 
Preußiſche Petitionsfrage nad provinzialftändifhem und 
conftitutionelem Gefihtepunfte. Bon Dr. H. F. W. 
Hinrichs. Halle, Schwetſchke und Sohn. 15 Sgr. 


SHSinrichs' Ferienſchriften. Oſtern 1845. Die 
deutſche Verfaſſungsfrage. Darſtellung und Kritik der 
Carlsbader Verhandlungen über die Interpretation bes 


Artikel 13 der Bundesacte. Vom Profeſſor Hinrichs./ 


Ebendaſ. 15 Sgr. 





mit Rückficht auf ältere und neuere Landesrechte. Von 
Dr. A. W. Heffter. Ze forgfält. revid. und verb. 
Aufl. Halle, Schwetſchke u. Sohn. 2 Thlr. 10 Sur. 





Dr. €. $. Wüuhlenbruch's (weiland. Geh. Juſtizrathes, Rit- 
ters-2c. u. ordentlichen Profeſſors der Rechte zu Göttingen) 
Lehrbuch des. Pandecten:Rehts, nah ber Do- 
ctrina Pandectarum deutſch bearbeitet. Ae verb. Aufl. 
von Dr. O. C. v. Madat (iett Profeffor der Rechte an _ 
der Univerf. Kiel. 3 Theile. Halle, Schwetfchle und . 

Sohn. 4 Thlir. 


Geschichte des deutschen Strafrechts. . 


Von Dr. W. E. Wilda, Professor in Breslau. 1rBand 





A. u. d. T.: Das Strafrecht der Germanen. Halle,’ 
Schwetschke uud Sohn. 4 Thlr. 15 Sgr. 
Archiv des Criminalrehts. Nene Folge Bier 


ausgegeben von den Profefioren Abegg, Birnbaum, 
Heffter, Depp, Mittermaier, v. Wächter, 
Zachariä. Jahrgang 1845. 4 Hefte Halle, 
Schwetſchke und Sohn. & Heft 15 Sgr. 
Wird fortgeieht.) 

(Das Archiv des Gcim. R. erſcheint feit d. J. 1798. Der 
Ankauf volftänd. Eremplare wird durch möglichft billige Be⸗ 
dingungen erleichtert.) u 


Philologie, Literar⸗Hiſtorie, Waftoral:Literatur uud Pädagogik. 


Allgemeine Literatur- Zeitung. Herausgegeben von 
denProfessoreuBurmeister, Duncker, Friediänder, 
Grubor, Meier, Niemeyer, Pott, Rödiger, Weg- 
scheider. Jahrgang 1846. Halle, Schwetschke u. Sohn. 

12 Thir, 


Lehrbuch der NReligionsgeſchichte und Mythologie 
der vorzüglichſten Völker des Alterthums. Nach der Anordn. 
K. Otfr. Müller's. Für Lehrer, Studirende u. die oberſten 
Klaſſen der Gymnaſien. Bon Dr. K. Eckermann, A eo: 
d. philoſ. Fakultät d. Univerf. Göttingen. 2 Bände. Halle, 

Schwetichte und Sohn. 1 Thlr. 25 Spar. 

‚Deffelben Werkes Ir Bd. Le Abtheil. Ebendaf. 1% Sgr. 








Hiellenische. Alterthumskunde aus dem Gesichts- 
punkte des Staats. Von W. Wachsmuth, Dr., Professor 
Rüter u. s. w. 2e umgearb. u. verm. Ausg. 2 Bünde, 

Halle, Schwetschke und Sohn, 8 Thir, 


Grundriß der Geſchichte des Schriftentbums der. 
Griechen und Römer und der Romaniſchen und Germanifchen 
Bölker von 3. Fuchs. Halle, Schwetſchke und Cohn. 

1 Thir. 15 Sgr. 





\ 





der Griechen und Römer und der Romanifchen ımd Germani⸗ 


Kurzer Abriß der Gefchichte des Schriftenthums 
. [hen Bölter von X. Fuchs. Chenduf. 5 Sgr. 


Bie Demen von Attika und ihre Vertheillung un- 
ter*die Phylen. Nach Inschriften von L. Ross. Herausg. 
und mit Aumerk. begleitet von M. H. E. Meier. Halle, 

Schwetschke und Sohn. 2 Thir, Ä 





Griechiſche Grammatik für Schulen u. Studirende, 
Bon Dr. Mehlhorn, Prorect. am Sumnaf. zu Natibor. 
16 Lieferung. M. 2 un, & Halle, Schwetfchte u. Sohn. 
gr. 





Suidae Lexicon, gracece et latine, ad fdem op 
timorum librorum exsctum port Th, Gaisfordum,. receu- 
suit et Annotätione critica instruxit 6. Bernhardy. Tomi I. 
fasc. 1— 7. Tomi Il. farc. 1 — 7. Halae, Bchwetschke 

et fill. 27 Thir. 25 Sgr. 





Grammatit der Italtenifchen Sprache von Dr. 
2. 8. Blanc, Dompred. u. Prof. Halle, Schwetſchke und 
Sohn. 3 Ahle. 10 Bor. 


Der Preupifche legale evangelifche Pfarrer. Eine 
ſachlich⸗ geordn. , auszugsmäfl. Darſtell. u. Radweil gültiger 
Seſetze, Berordn. u. Borfchriften üb. d. paftorellen Amtspflich⸗ 
ten und Verbindlichk. B und Gerechtfame und anders 
weit. amtl. Berhältn. der Preuß. evangel. Civil» u. Militair 
Pfärrgeiftlihen. Zum zweiten Male ergänzt u. berichtigt her⸗ 
ausg. von 8. G. Woche, evangelifhem Paftor zu Steinkirch. 

Jule, Schwetichte mu Sohn, 36/, Sgr. 





gniſſe 









toff zu ſtyli en Bchnngen in be .E and dem Reben eines 
< = A —5 — JIa * ichen gene S ur - eiß, al vet Geh. Reaier. 
ndeutungen von D. G. Herzog. Se verb. Und Karl verm- Hath. 1r Band. 2e verm.u. verb. e, Chwetihls 


Auflage. Galle, RAN und Sohn. 1 Ahlr. und Sohn. 10 Sg 


, a ehrt —8 fie ein k — —— 
ethoden-Lehse für ein ein o 

Der Breußifche tenafe evaugelifche Volksſchullehrer, ſchulen unf. Beit. &bendaf. 26'/, 

if. De NE Radgmef: bieher erfipumenee anncch pulsiger | Deffelben Merkeb Ic Band. X. u. D. Z.: Dat veitten fünfte 
Gelege, Beroran. und: Borfchriften über die Schul - Amtöver- ‚peuptpid bes kleinen, Katı ismus von Dr. M. 

ättu., Amtspflichten u. Berbindlihk., Befignife u. Gerecht⸗ uther praktiſch beark, Tor für Volkeſchullehrer. GEbend. 

ame u. anderweit. Angelegenh. der Bolls- Schu ehrer u. Kirs 

Gpenbebienten. (Givil u. kkär.) Zum dee Male berich» Deifelben Werkes 4 Ban A. u. d. J. Saeber die Beſchrän⸗ 


tigt m. ‚eepänst derantg. von K. G. Bode, evangel. Paſtor tung des Unterricgts in den Boltöfähulen ü 
zu GSteinkirch. Halle, Schweiihte und ohn. 15 Gar. u. den deutfchen Sprachunterricht insbefond.: Eben). 1 Zyle. 





Naturwiſſenſchaften, Technik und Lanbwirtbfchaft. 


Techniſches Sülfs: uud Bandbuc für Gewwerbtrei: | Die Versteinerungen des Steinkohlengebirgs 
88 28 Dr. Schadeber Mit in d. Text gedruckten von Wettin u. Löbejün im Saalkreise, bildlich ren | 


nitten. ale, Schwetfihte u. Sohn. 1 Thlr. 15 & . bearbeitet von Dr. E. F. Germar, ÖOberhergrath, 
Solfe hi So u # fessor in Halle. (Mit deutschem und lateinischem dem, 


1s bis ds Heft Mit 1% Taf. Abbild. Halle, Schvreischke 
ESuyſtemati de Euchflopädie und —— der und Sohn. à Heft 2 Thir. 
tu t D 
a  oeefhle u Gohn, 1 Khlr 19 Gar 7 








Versuch zur Darlegung des gegenwärtigen Stan- 
des der Winseuschaft in Bezug auf die Lehre von der 
Hodegetiſche Auleitung zum naturwiffenfchaftlichen Urzeugung. Von J. A. Hein. Halle, Schwetschke und 
Studium auf Univerfitäten. Bon Dr. G. Suckow, Profeffor Sohn. 26'/, Ser. 

u. f. w. Halle, Schwetichle und Sohn. 7% Sar. / 





= 








Der abrene Eaubwirt , weicher Tbesrie mit 
Der a angebende Pachter. Ein Sandbuch für Ras gras ar verbindet —A— meiner — — 
a A unge | Siemehna. BebR Defeibe m übe Wrace on en en | 
mi e n eſe 
—X "md Sonn. ne I Ser. j —* . ommiffer. Halle, Schwetfchten. Cohn. 15 Gyr | 


Geographie, Geſchichte, Philoſophie und Vermiſchte Schriften. 


Dr. E. G. Blancꝰs Sandbuch bed Wiſſenswürdigſten Die allgemeine Htätetit für Gebitdete. Wien | 
—X nen. von Dr, 15 en ah ıman Bewohner. (ga tlich bearbeitet von Dr. 6. 8. Ideler, roter der 
e Auflage er r W. mann 
Tafela erläuternder — Ausgabe in — Seften. Sale, itin u. ſ. w. Pole, Schwetſchke 3 Sohn. 2 Afle, 


Schwetfchte und Sohn. & Heft 7 
Erinnerungsblätter an bie Sgiagt bei Lei 
Atias zu Biane's Handbuch des Wissenswäürdig- 2 Vorträge, gehalten von Br. 8. 6. Iacob, Prof. a 














sten u. 5, w.. Bearbeitet von W. Walter (25 sauber eolor. | - Landesfchule Pforte. Halle, Schwetfchle and Soy. 5 —* 
Karten). Neuer Abdruck, 4 Lieferungen. Halle, Schwetschke 
und Sohn. à Lief. 15 Ser. Ideen zu einer Neform ber chriftlichen Kir ; 
mit befonderer Beziehung auf die neueften —— Bet 


Dodegetifches Sandbucd der Geographie zum Schufs | ' nie Gin Wort zur Beher ersigung an alle Verehrer 
gebraud bearb. von 5. ©. Selten. 18 Bdhn. Für Schü- lichen Gottesdienftes von ©. auenburg. Halle, 
u. d. T undlage beim Unterr. FA d. —* und Sohn. 3°/, Sgr. 
17. verb. u. verm. Aufl., in Verbind. mit d. neuen Walter; 
[hen Schulatlas zu ei Bo, Halle, Schwetfchke u. Sohn. Sefhichte der Maturpbtiofogbie yon 55* von 
Werkes 23 VBdchen Lebrer. A. u. d. J.: neber erulam bis auf unfere Zeit, von Dr. a 5 
n Gebrauch der kehrhülfsmittel ehrer. Unterer. in d. Sri feffor der P — e2r Theil. a eher. 
34 de vesm.,größtentheilö umgeazb, Kufl. Kantifchen AR ee Schwerſchte 


Beffelben Wertes 36 Bochn. fi, Gehser and Schüler. X.u. 


ab d 
Paumfennimig HH: on & —— ae A Byzantiuiſche Blatt von . Sgwetibie. Halle, 
verb. u. verm. bend. 15 gr. wetfi | 


—Xã 


Nügelieder der Zronbadvnns n Bein Nom und die —— Original und beutfche 
Meberfegung won. Dr. Eduard inckmeier. Halle; Schwetſchke u. Sohn. 10 Gyr. 


TEE ante Bu Budyrudexei, - 














En 








® Liter 


1846. MIX. - 


ariſcher Anze 





iger. 





Verzeichniss der Borlesungen, 
an der Töniglich bairiſchen Frie drich Alexanders⸗ 
Uninerfität zu Erlangen 


im Sommer - Semefter 1846 gehalten werben follen. 


Theologiſche Faeultãt. 

Dr. Kaiſer: Übungen des exegetiſchen Seminariums der 
alt» und neuteſtamentlichen Abtheilung, bibliſche Archäologie, 
die Salomoniſchen Spruchgorten Apologetik des Chriſtenthums. 
— Dr. Engelhardt: Übungen des kirchenhiſtoriſchen Semi⸗ 
nars, Kirchengeſchichte — Dr. Höfling: Übungen des ho⸗ 
miletifchen Patechetifchen Seminariums, Liturgid oder Theorie 
des chriſtlichen Cultus. — Dr. Ihomafius: Dogmatik, die 
Dicta probantia, Gefchichte des Birchlichen Lehrbegriffs, Collo- 
quium über Symbolit. — Dr, Hofmann: biblifch-theologifche 
Uebungen, neuefte Erfcheinungen auf theologifchem Gebiete, theo- 
logifhe Ethik, Brief Pauli an die Römer. — Dr. von Am: 
mon: Symbolit und Polemik, Übungen im Paftoralinftitute. 

Unter der Auffiht und Reitung des koͤniglichen Ephorus 
werden die angeftellten vier Nepetenten wiflenichaftliche Repe⸗ 
titerien und Converfatorien in Tateinifher Sprache für die 
Theologie Studirenden in vier Jahrescurſen halten. 


Zuriſtiſche Facultůt. 

Dr. Bucher: Pandektenrecht, Converſatorium. — Dr. 
Schmidtlein: Differenzen des gemeinen und bairiſchen Eri- 
minalrechts, Theorie des Eriminalprocefles. — Dr. Schelling: 
Philoſophie des Rechts, europäiſches Völkerrecht, Theorie ber 
ſummariſchen Proceſſe mit Einſchluß des Concursproceſſes, Con⸗ 
verſatorium über ordentlichen Civilproceß. — Dr. von Scheurl: 
Inſtitutionen des roͤmiſchen Rechts, gemeines Kirchenrecht, Be: 
ſonderheiten des bairiſchen Kirchenrechts. — Dr, Gengler: 
deutſche Staats- und Rechtsgeſchichte mit beſonderer Ruͤckſicht 
auf Baiern, Vertheidigungskunſt im Strafproceſſe, ausgewählte 
Lehren des im Königreih Baicen ausſchließlich der Pfalz gel: 

tenden Privatrechts. — Dr. Drbolff: Encyklopädie und Me⸗ 
thodologie der Rechtswiſſenſchaft, römifches Erbrecht, das vierte 
Bud von Gajus’ Inftitutionen. 

Medieiniſche Sacultät, 

Dr. Fleiſchmann: allgemeine menſchliche Anatomie, allge: 
meine und befondere Phyfiologie des Menfchen, Eraminatorium 
&ber anatomische und phyfiologriche Gegenftände. — Dr. Koch: all» 
Be me ee er Dulkur ber ame. —Dr. 

eu : Anthropologie, Pfychologie und Hygieine, Pſychia⸗ 
trie. — Dr, Rofhirt: geburtshulfliche Klinit, Geburtskunde. — 
Dr. Heyfelder: Akiurgie, Augendeillunde, chirurgiſche Kli⸗ 
nit᷑, cursus operationum chir. — Dr. Canſſtatt: gerichtliche 
Medicin, ſpecielle Pathologie und Therapie, mediciniſche Klinik 
und Poliklinik. — Dr. Trott: Torikologie, Receptirkunft. — 
Dr. Bill: vergleichende Anatomie, Veterinar:Medicin, zoolo⸗ 
gifche Demonftrationen, aligemeine und fpecielle Myſioiogie in 
Berbindung mit zootomifchen und mikroffopifchen Übungen. — 
Dr. Fleiſchmann: Angiologie und Neurologie, Phyſiologie 
der Sinnedorgane. — Dr. Ried: Knochenkrankheiten, Cur: 
fuß der Augenoperationen an Thieraugen, Anleitung zum Ge 
brauch bed Oſteotoms, gerichtlich» medicinifche® Prakticum. — 
Dr. Bintrich: allgemeine pathologifche Anatomie in Berbin: 


dung mit mikroſkopiſchen Unterfuchungen und Demonftrationen 
an Präparaten und Leihen, Semiotik am Krantenbette, Ca- 
suisticum medicum als NRepetitorium über fperielle Pathologie 
und Therapie. ⸗ 


Philoſophiſche Faeultat. 

Dr. Kaftner: Encyklopadiſche Überfiht der gefammten 
Raturwiſſenſchaft und Meteorologie, Erperimentalphyfiß, analy⸗ 
tifche Chemie mit befonderer Rüdfiht auf phyſiologiſche Che, 
mie, Verein für Phyſik und Chemie. — Dr. Böttiger: Ge 
fhichte der franzoͤfiſchen Revolution, allgemeine Gefchichte, Ge: 
ſchichte und Statiftif des Königreiche Baiern.— Pr. Döderlein: 
Gymnafialpäbagogif, Sympofium des Plato, vergleichende Syn- 
tar der griechiſchen und Lateinifchen Sprache. — Dr. von Rau» 
mer: Mineralogie, Pädagogik. — Dr. von Staudt: Ele 
mentarmathematif, Aftronomie. — Dr. Fiſcher: allgemeine 
Geſchichte der Philofophie, philofophifche Entwickelung der Bil- 
dungsgeſchichte des deutſchen Geiftes von der Reformation bis 
auf die neuefte Seit. — Dr. Dredsler: das Buch Hiob, 
Sanskrit, arabifhe oder ſyriſche Sprache. — Dr. Naͤgels⸗ 
bad+ Eicero’8 Somnium Scipionis, Demofthened’ pro corona, 
höhere Kritik der Horazifchen DOden. — Dr. Weinlig: Ra 
tionaföfonomie, Policei, Organifation ber Policei- und Ber: 
waltungsbehörden. — Dr. Fabri: über Dampfmafdinen und 
ihre Anwendung, Encyklopaͤdie der Kameralwifienfchaften, Tech⸗ 
nologie verbunden mit Ereurfionen, Rationalölonomie. — Dr. 
Winterling: Afthetit, Lafontaine's Fabeln, englifche und 
italienifhe Sprache. — Dr. Martius: Experimental Yhar- 
macie, Anweiſung die metallifchen Gifte in gerichtlich medici⸗ 
nifchen Fällen nachzuweifen, Eraminatorium. — Dr.von Scha⸗ 
den: Raturphilofophie, Religionsphilofophie, Theorie und Ge: 
fhichte der bildenden Künfte. — Dr. Heyder: Ethik, Ge: 
Ihichte der neueften Philofophie feit Kant mit befonderer Be: 
rudfihtigung ber Schelling’jchen und Hegel’fchen Lehre, Grund: 
probleme des philofophifhen Wiſſens uyd ihre Löfung. — Dr. 
von Raumer: Gefchichte des deutfchen Volks von den Alte» 
ften Zeiten bis auf dad Jahr 1830, Altnordifd.— Dr. Schnik: 
lein: Charakteriſtik der natürlichen Pflanzenfamilien und ihrer 
in der Medicin, Zechnologie und Lantwirtbfchaft angewendeten 
Arten, praktiſche Anleitung zur Unterfuhung und, Beflimmung 
der Pflanzen mit Ereurfionen- 

Die Tanzkunſt lehrt Hübſch, die Fechtlunft und Schwimm⸗ 
kunſt Quehl. 

Die Univerſitaͤtsbibliothek iſt jeden Tag (mit Ausnahme 
des Sonnabends) von 1—2 Uhr, das Leſezimmer in denſel⸗ 
ben Stunden und Montags und. Mittwochs von I— 3 Uhr, 
das Naturalien⸗ und Kunfteabinet Mittwochs und Sonnabends 
oon 1—2 Uhr geöffnet. » 





Soeben erfhien in der Muslandt’fhen Buchhandlung (Sonis 
Garde) in Merfeburg und ift in allen Buchhandlungen vor⸗ 


» rätbig: \ 
Vorſchlag zu einem Deukmale Beltalozzi’s mit 
Rückſicht auf deffen GSrundfäge Ko Eriehung und 
des Unterricht von Dr. Christoph Weiss, königl. 

preuß. Geh. Regierungsrath a. D. 


Gr. 8. Geh. Ys Thlr. 


Beriht 


über Die 


Verlagdunternebmungen für 1846 
F. A. Brockhaus in Leipjig, 


Die wit * bezeichneten Artikel werben befimmt im Laufe bed Mares fertig; won den äbrigen iſt die Erſcheinung ungewifler. 


(Beſchluß 


TI. An neuen Auflagen und Neuigkeiten erſcheint ferner: 


%03. Naumann (K. F:), Bandbuch der Goognosie. 
Zwei Bände, it a Tafeln und mehren in den Text 
eingedruckten Holzschnitten. Gr. 8, Geh. 

Bon bemfelben Verfafſer — — bereits dafelhf: 
Leisr&uch der reine 


m und angovrendton r retail o hie. ZweiBände, 
Mit 9 — Gr. B. er 


*64, Riane (8. S). — N Hriftlichen Kirchen⸗ 
Kuh ei Eine — 8wei Theile. Gr. 12. Geh. 

3 tr 10 Nor. 
+66. Move Sn einer Auswahl über: 


fa der Italiener. 
fent von U. Keller, Drei Theile Gr. 12. Geh. 
+07. Rormaun’3 (B.) gefommelte Schriften. Derausge: 
geben von Alf. Reumont. Bwei Bänve. Gr. 12. u 
8. &. von), Borlefungen über bie alte 


+68. Raumer 
Serathte. Bweite verbefferte Auflage. Zwei Theile. 
r. 12. 
+59. Boouell manuel et de tralt&s, conven- 


dons et autres actes —— sur lesquela sont 
&tablis les relations et les rapports existant aujourd’hui 
entre les divers Etats souverains du globe, depuis — 
1760 jusqu’a 16 oque getuelie Par le Baron Ch. de 

Martons et le do Onsay. Cinque volumes. 


.Gr. 8 Geh, 
— 5 — erſte und zweite Theil find im Drud vollendet und koſten 4 Xbir. 
rn sh. de Martens erfhien ferner in bemfelben 


Berla 
Geiie Apiomstigue. 2 vols. Gr.8. 1852 4 Thir. 1 
Cause —* du droit des gene. ? vola. Gr. 8. 2% 4 Thir. 


Nouvelle s cases cdlöbrea du droit des gens. 2 vols. 1843. 5 Thir. 
m Ba. (2), Befemmeite Cäeiften. Reu 8 


Dr na en und to et Hr 

Balge Peer —4 und 

See entdält: 1812. Ar tte Auflage. — Gage u und Lin e 
ungen. — 


F %. — Bemmifätet. — Bermifäte a emeatifär Verke. — 
°71. Möben.(Y. 9.), Der fonverine „site Dtaat, Diem, 
15 Rear. 


"das Erde unferer Beitwirren. 

‚N. Hosa ‚de Bomamoes, 6 Bomancen sacados de Ins 
„Beaas“ de Juan Timoneda, que pneden servir de suple- 
menta, 4 todos los Romanceros, asi antiguos como mo- 
dernos y espesialmente al ublicado por el seüor Don 
@. B. Depping, encogidon, ord or enados, y anotadce or Don 
r Jones Geh. gr. 

Dieſes Bet | dilbet zugleich den Net et des im am 1844 bei 
nk erſchienen 


Bomancero Castellano , 6 colleceion de antiguos romances spalares 
or 


de oe In publicada con una introduccion y Dotia 
20; Nasa edicion, con las notas de Don Antomio 
aliano. Zwei Tbeile. Gr. 12. 4 Thir. 15 Ner. 
„73. Boss ds, che 
tomie. Geh. 


71. Säma-Veda. Die Hymnen des Säma-Veda, im Ori- 
ginal, mit der Aocentuation der Handschriften, heraus- 
gegeben, ins Deutsche übersetzt, mit kritischen und 


aus Re 


VIII.) 


exegetischen Anmerkungen, die Varianten des Rig-Veda 
ynd Mittheilungen aus den Commentaren des Bäjankt- 

‘ schärja zum Rig-Veda und des Mehtdhara zum Jadschur- 
Veda enthaltend, begleitet und mit einem Glossar ver- 
sehen von Phar. . Gr.8B. Geh, 


b 
uber Der eyylaehen Borken uam eenlin 
prachstemm, Gr. 8. 


275. Schefer %.): —*X m Zonlsufe, Hiſtoriſche 
Rovelle 
76. 8636 RD) e e der adhfen. Ia 
der Urfprache mit a eh er Sage und einem 
anfiquarifhen Gloſſar. Zzweit⸗ verbefferte .uflage: Gr 8. 
Von der erſten Auftoge dieſes Werkes, 
ten. (1832), And noch Grempları zu dem 2 prefe von 2 Ahı 


.*77, Schnitzer (A.), Pa 


und 
der Geisteskrankbelten. Zwei Bände. Gr. 8. 
NE SIE Pe a 
Bande. Gr- 8 6Thr. A Schniser wi 3. Weil Ton 
+8. Schucking Esoin) Seiten und Sitten. Erſter bis 
vierter Theil. 13, Seh. 

9. Auch un unter Belendern FR Dei 

& Theile, 4 4 Thlr. 15 Rar. . 
r en el BEE ——— 

B8Il. es 9. W., Neber die Motäwenbigkeit eines 
senen Galeiegebäibes für bie koni liche Gemaͤldeſamm⸗ 
lung in Dresden. Gr. 8. Geh. gr. 

82. Soriptores rei hörbariae omnintı gentiam inde a 
rerum Doll arm Initiie ad nostra neque tempora. Ca- 

*öa. Sievers (3. * ag law umb Diffepli. Ein 

ereffifche —— Gr. velai Sch. WM Ror. 
(8), nn in Die Düferential- und 3 
Bi DR —— erſ In frü er PR 

*85. Opedier Briefe eines beutichen Stünfllerd a Ie- 
x Aus 8 nachgeiaſſenen Papieren von Erwin &prdirr. 
wei Theile. Gr. 12. Seh. 3 Ahr. 15 Re. 

86. Die ſymboliſchen Bücher der reformirten Kirche über: 
fest hi den —** * Anmerkungen —* 

oa von E. &f. 

iefe Gemmlung wich im Acubern any —2* de, in 


fe Ki EB, lnltungen —— en von * 5. 
287. an auftirgen —2* (Gräfin), Die Schwärmeru. 
Roman. | Ihr. 2 Ror. 
*38.. Teſche (Halte), ilder aus Sl 
gefaßt. Erſtes Bändchen unb folgende.  @ r. 82. SH. . 
Bereit a ee Ze. von Der Prem“ 


eintionoo Osmodins de kopo | Falx de Vor 
# ‚ con su vida y notas cri escogidas y 0r- 
Münch-Bellinghausen 


denadas D. Eligo Biron de 
yD. —— osb Wolf. Gr. 12. Geh 
90. Wolle: Mibli — Bweiter Band: Der alte Heim. 
Leben und Birken —E Ludwig Heim's, koͤnigl. preußiſchen 
Seheimen⸗ Raths und Doctors der Arzneiwiſſenſchaft. Aus 
terlaffenen Briefen und Tagebüchern he egeben von 
Fu aweitt, mie Bufigen vermehrte Auflage. 

Mit ’s Bien 8. 1% 


325 I Band —* Wolfs- Dido et (1845) enthält: 
t et reibung von 
ettelbed, anct, im —— i son ar 8,2 ven 


— ——— 


ir ® 


en. ebech Boltoſchulen und bie 
—*8 —— der * fr Realfhulen Gr. 8. 
| 








een ( 


At Hr re ——— 


vn F. A. 


——ã— erſcheinen aud die Ginfüprnng in Saulen 


— — —ü ⏑— 
„ Ts 


er —* alle Buchhandlungen iſt der Verlags: Katalog. 


Drochaus in Leipzig, durch einen dritten Nachtrag 


bis um Schlufle bes abet em * fortgefuͤhrt, gratis zu gi 


Buchs wird Dei dem Umfange | für 
Segen ehe nsiiiien Druds) als ante | 


Verzeichnisse 


im Preife bedeutend” berabgefepten Werfen 


aus dem Verl age don 
Ja en in a 


iemen . Is 


wabl vor it: iytr. de uch ein Rabatt bon 10% RE 





Im Verlage von Brockhaus & Avenarius in Leipzig werden im Laufe des Jahres 1846 
folgende Werke erscheinen: 


*ı. Anna dell’ Instituto di corrispondenza archeologica. 
Vol. XVL 1844.) In-8. — Bulletino dell’ Instituto di 
eorrispondenza archeologica pel' anno 1844. In-8. — 
Monumenti inediti dell" Instituto di corrispondenza 

“ archeologica pel’ anno 1844. Folio. ‚Koma. Pränumera- 
‚tions Frein ieses Jahrgangs 14 Thl 

s artiſtiſch und —— et volen ESqriften des Inftituts 

ws Hr Wen a et 18 € m an < ellelert werben. —— Jahr hr 
und tunen Komplet — g RT 


gang 1843 wird .nod von 14 hir. gegeben. 
*2. K’Echo. Joursal d Au monde. Nouvelle serie. 
Deuxlöue : annde. 1846 4 Nr. ‚Klein-Fol. Preis des ' 


Do 5 ah ke Keen 
—48 — ber AH 


— von 6 ee 
en 


een ern bed „Sehrsungs 1846 ftehen auf 8 als 
Tobe hätter } u Dienfe 
—— werden mit N t. Hr! We ai berechnet, und befondere Anzeigen 


8 g von 
23. vidteee Zeitung für hie Ju gend. Herausgegeben 
unter Mitwirkung ber beliebteften Jugendſchriftſteller von 
Mobert Heller. Woͤchentlich eine Rummer von einem Bo⸗ 
ga in ſchmal gr gr .4. Mit vielen Abbildungen. Preis des 
Zahrgange 2 2 u .; ein Quartal 15 Nor.; ein einzelnes 
onatshe 
innen m durch alle Buchhandlungen und Poftämter zu 
nferate werben mit 2 Rgr. bie Zelle. berechnet und befonbere Anzeigen 
gegen Vergütung von 1 *8* rt. far bas Tauſend beigelegt. 


*4. Beaumont (Madame Leprince de), Le 
des enfants, revu et augment6 de nouveaux contes 
var Madame - Foa. 8. Geh. 25 Ngr. 


e neue forgfältig ausgeftaitete Ausgabe piefer —— ds 
he "und unfern gegemmärtig ten 
ende aan if, darf 





a N aus rl ce Ex 


„se Hr e —* HR ag von Eitem bes Yublicums reänen. 
Bien p -germanica, oder Verzeich⸗ 
er der fowot in älterer ald in neuerer Beit, insbefondere 
aber vom Zahre AB) an, in Deutſchland erſchienenen dem 
Geſammtgebiete der deutſchen Sprachwiſſenſchaft angehören: 
ben a: Mit einem volftändigen Materienregifter. 
*6. Bibliothek ber meneken auslaudiſchen Literatur in 
Uederfegungen. Sefichte Boiitit „und Infereffen der 

Begenwart, Reifen, Romane’) Gr. 12. 

an 

Rapoleon’s auf &t * en on et — 
Gugen bad Windeltind, 


Sues mi art 
es —* ein Pie — en" 


°7. 


1. 


Bibliothöque choisie de la Httörature francaisze. 
8. nie glinpap- Geh, Yuömahl ’ 

I b - 
(im in en Üiteratur älterer, neuerer ———— 


Sn, Indiana. Edition autorisde par Lauteur. 1 vol. 20 Ner. — 

Moliere, Oeuvres choisies. 2 vols. 1 Thir. 15 Nger. 

PH der Prefie befinden fi die Werke von an, Mentbolon und 
„Durg N gleichmäßige Ausftattung fliehen ſich an die Bibliothtque chol- 


ans, La Dame de Monsorsau , und Leprince de Beaumont, 
sin des enfants. Gorreetheit, elegante Xusftattung und —X Dis 
maden | diefe Ausgaben allen Sreunden der franzöftfegen Literatur empfeßs 
lensw 


. Le Canclonero de Juan Alfonso de Baena. Collec- 


don d’anciens troubadours espagnols inedits, publide par 
‚ professeur de litterature €tras- 





Francisque 
F re & la facults des lettres a Bordeaux. Avec un glessaire. - 


aeux vo) vols. Gr. 12. Geh. 
Dumas (Alezandre), La Dame de Monsoroau, 
— VeVI B. Geh. 1 Thir. 
Mit die en Bänden " ale intereffente Roman geſchloſſen. Die erften 


4 Bände (1849) foften 2 ‘5 äi er Muth der 
ie kn He 


Dabn ( (Budwig), , 
Ken onen 

Materialien und * —5 one» 
I hie. 10 


Bad in 8. Geh. 





*1]. Aanbt Er Sealieiie Sprachlehre nad Berganis 


”12.. 


13, 


Syſtem. 
(B. rote de *88 allemande à roccl⸗ 
sup6rieure des Freres a Prassy), und fran«- 
zösische Gespräche, mit französischer und deutscher 
Interlinear-Uebersetzung, zum Gebrauche beider Natis- 
nen. 8. Geh. 12 Ner 

ta, in kritischer ‚ vollständiger Ueber- 
setzung von Theodor Goldstäcker. Vier Theile, jeder 
aus vier Bänden bestehend. Gr. 4. Velinpapier. Geh, 
Tue seiptionepreis einer Lieferung von W — 2 The. 


mit Drudpzob 


"am este, 
53 5— X —————— 


ne Bier rer er e. er: Geh. 15 N 
an Kuh Bet eHung diefe6 berühmten Gebichts erſchien 6 3X . 


Pac Baelenio, „ Berpiattige 72 1 aus ud Bitehaueng und Preußens 


RE, iebenfo 3* en als 
onmen. 
d Wallenrod. 


A * * RT a über wie Ale tu ratur und Auffänt 
dam), ungen über flaw eratur und Zuffünde. 

& ie ft Con 
rd ne = as —*— —S —ãæe—, — ‚Bier Pd 


Der exfte Theit in zw 


Fi eafai In gel Aothellungen dei) 2 ai 0. et I 


. W Air, der —8 — x )1Xhlr.5Rer. 


> 


. 215, Mirza U 


Mohammed Ihrahim. Grammatik der le- 
benden persischen Sprache. Aus dem Englischen übersetzt 
und mit und mit Anmerkungen | begleitet von Prof. Dr. H. L Pilei- 


*16, Montholen General), Histobre de la chptiwith 
de Ste. — Voll. In-8. Geh. 1 Tilr. Ser. 

17 —, GSeöldte der Gefangenfi 
Napoleon's auf Gt. ee "Aus dem rennt nf 
J —E — Bänden. — —— ge ar. —** * 
Lexikon ——— — fden & Kaiſerſtaates. (In einer al 
gen Reihenfolge.) — amtlichen Quellen und den 
beſten vaterlaͤndiſchen Hilfswerken, von einer Geſellſchaft 
er? en — EM hi De uns fol» 

n r e 

10 Sue (Bi { — 


ou 
Memoires d’un on de dam chambre. 8. Geh. ’ 

+ ‚ Martin das Findelkind, oder Me 

moiren eines Kammerbienerk, Aus dem Franzoͤſiſchen. 


8. Geh. 
“91. Bvensk Bokshandels-Katalog utgiven är 1845. 
1. Abthelung. A—L. (Stocktoim) Gr. 8. Geh 


Thir. 
*22. Thiers (A.), Histoire de la r&övolution fran- 
galse. — édition en six vos. Tome I. 8. 
Geh. I Thir. - 


Zu gefälliger Beachtung! 

Ein bedeutendes Lager von Werken der ausländischen 
Literatur, namentlich der französischen, englischen und ita- 
Ulenischen, sowie die vielseitigsten Verbindungen mit dem 
Auslande setzen uns in den Stand, alle uns ertheilten Auf- 
träge zu den billigsten Preisen mit "möglichster Schnelligkeit 
auszuführen; wir empfehlen uns daher Allen, die Bedarf 
davon haben, und sind stets bereit, nähere Auskunft über 
unsere Bedingungen u. 8. w. zu ertheilen. 












Eine regelmässige Übersicht der wichtigsten Erschei- 
nungen der französischen Literatur gewährt unser 
Bulletin biblio: yraphique de la libralrie frangalse, 
welches mit 1846 seinen neunten Jahrgang beginnt; alle 
zwei Monat erscheint eine Nummer, und ist dasselbe durch 
jede gute Buchhandlung gratis von uns zu erhalten. 


Berner machen wir auf folgende Kataloge aufmerffam, welche 


wir im vorigen Zabre ausgaben, und die durch alle Buchhand⸗ 


lungen gratis zu erhalten find: 
—5— einer Sammlung älterer und neuerer Werke in 
Bere ſiſcher, en ala ec. Sprache, welche zu bebeutend ber: 
89 yten Greifen von und zu beziehen find. (Nr. 3, Zuli 


Fa d’ourrages de littörature, beaux-arte, grande 
ourragen & figures etc. & un rabais considerabie. (Juin 
184 


Ballcıln de la librairie frangaine. Année 1846. 
u Freunden anslandifner KRiteratur können diefe Wer: 
geihnifte, als au ‚guten Werken fehr reichhaltig. mit Bedht 


j I foblen werden 





Soeben erſchien und iſt von Wilhelmn Schrei in Leipzig 
durch alle Buchhandlungen zu beziehen: 


Allgemeine historische Taschenbibliothek 
für Jedermann. 
(146ftes Heft.) Sechsundzwanzigſter Theil: 


Geſchichte Irlands, 


Bon W. A. Lindau. 
Fortgefept von . B. C. Braudes. 


Zweites Bändchen. 8. Preis 16 Ngr. 


& b d bei & Zeller 
eben fin — ‚Se mi nen | und durch alle 


Naturgeſchichte 


Bögel 
bearbeitet von 
Vrofeſſor Dr. 9. 8. Gchinuz. 
Mit Abbidungen 


6 ber Natur und den vorzü en naturwifienfchaftlidgen 
Werken garage don " 


I. Aull, Lithograph. 
Neueſte vermehrte und ganz amgeardeitete Auflage. 
K. Folio. Die Lieferung mit 6 pragend eolorirten 
Tafeln nebſt Tept à 2 2 Sle., ‚ oder 3 Fl. 36 Kr. 


Monographien 


säu eihiere 
bearbeitet x . 
Drofeffor Dr. 9. R *dm,. 
Bit Abbildungen 
na der Natur und den borzüglichften naturgefeichtlichen Werkes 
gezeichnet von 
J. Kull, Lithograph. 
Neunte und —* ſieferung. 
Kl. Folio. Die Lieferung a2 Fl. 18 Kr, ode 
1 Ahlr. 75 Nor. 
EI” Wir dürfen obige beiden Werke, von denen ben 
ders das erfiere, die Matwrgefchichte Der Mögel, m 


“| des popufairen und unterhaltenden Zertes willen nicht ob Gr 


Iehrten, fondern allen Freunden der Raturgefchichte als ein 
wirkliches Prachtwerk empfohlen werben ann, wel ogne U 
beicheidenheit an die fhönften und gründlichften uaturwifen- 
ſchaftlichen Werke des Auslandes anreiben. 





Soeben erhien im Berlage von Ebuarb Trewendt in 
Breslau und ift in allen Buchhandlungen zu haben: 


Dr. Johann Hess 
der ſchlefiſche Reformator, 


dargeſtellt von 


Karl Adolf Julius Kolde, 


evangeliſcher Pfarrer zu Friedland ia Oberſchlefie 

mit dem Bildniß dee Dr. Johann Fef 
Gr. 8. 8% Bogen. leg. broſch. Preis 3 Sur. 

Das Intereffe für die Reformations » Gefgeäyte des 16. 
Jahrhunderts ift durch die Firhlichen Bewegungen der Gegen 
wart von neuem fehr angeregt worden. Der Gegenftand des 
vorftehenden Buches nimmt darum nicht bloß bie Theilnahme 
der Proteftanten aller Orten, fonbern auch der Ehriften 
andern Bekenntniſſes vielleicht jetzt mehr als feit langer 
Beit in Anfprud. 

Bur dritten Säcularfeier bes Todestages ku: 
ther’s wirb inebefonbere ben Schlefiern eine Erinnerung a 
den Reformator im Baterlande, den treuen Schüler und * 
liebten Freund von jenem Haupte der Reformation fehr em 
regend fein. 


. Druck und Verlag von F. X. Brockhans in Leipzig. 


N 





1 


— 


I 


EEE ER —— 








Ziterariſcher Anzeiger. 


1846. EX. 





Verlags- und Eommipfionsartikel 
von 


Brockhaus & Avenarius, 
1846. M 2. Januar bis März. 








Elche. Jourmel des gens du monde. Nouvelle serie. 
Deuxigme annde. 1846. Nr. 1—75. Klein-Folio. Preis 
des Jahrgangs 5 Thir. I0 Ner. 

.: Eine erweiterte Fortsetzung des Eche de la litterature fran- 
gelse, von dem vier Jahrgänge in gr. 8. erschien n sind, weiche ein 
oswahl des Besten aus der gesaunnien französischen Journalistik der 
letzten Jalıre bilden. Um den Äbennenten aufdas Kiohe in seiner neuen 
Gestait auch die Anschaffung der ersten Serie zu erleichtern, werden 


e vier Jahrgänge fürden sohr ermässigten Preis von6Thlr. 
Fertatt 21 Thir. 10 Ngr.) erlassen. 


Die ersten Nummern des Jahrgangs 1846 stehen auf Verlangen als 
‚Probeblätter su Diensten. , 

Inserate werden mit 1 Ngr. für die Zeile berechnet, besondere An- 
zeigen gegen Vergütung von 1 Thir, beigelegt. 


 Hlustrirte Zeitung für die Jugend. Heraus- 


gegeben unter Mitwirkung der beliebtesten Jugendschrift- 
—8 von Bebert Heller. Nr. 1—13 Wöchent- 
lich eine Nummer von’ einem Bogen in schmal gr. 4. Mit 
‚vielen Abbildungen. Preis des Jahrgangs 2 Phlr.; ein 
Quartal 15 Ngr.; ein einzelnes Monatsheft 6 Ngr. 

„„Tobenummern sind durch alle Buchhandlungen und Postämter su 
crfRa 


Insersta werden mit ? Nar. die Zeile berechnet, besondere An- 
zeigen gegen Vergütung von 1 Thir. tür das Tausend heigelegt. 


Beaumont (Madame Leprince' de), Le Magasin des 
enfants, revu et augment& de nouveaux contes par Ma- 
dame Eugenie Fon. 8. Geh. 25 Ngr. 

Eine neue sorgfältig ausgestattete Ausgabe dieser bekannten Jagend- 
ft, ) 
Soırie unserer Ausdrucksweise nicht Ansichten 


darf gewiss auf eine günstige Aufsahme von Seiten des Publicums 
rechnen, . 


Bisliothäque choisie de ia litterature frangaise: 
Moll&re, Oeuvres choisies. T. I. In-8. Velinpapier. 
Geh. 25 Ngr. (Preis beider Bände I Thlr. 15 Ngr.) 


Diese Sammlung wird eine Auswahl der vorzöglichern Werke d 
französischen Literatur &lterer, neuerer und —— Zeit enthalten. 
Cortectheit, elegante Aussta und billiger Preis machen diese Aus- 

allen Freunden der französischen Literatur empfehlenswerth. 


Dumas (Alexandre), La Dame de Monsoreau. To- 
mes Vet VJ. 8. Geh. 1 Thlr. 
Mit diesen Bänden ist. dieser Interessante Roman geschiossen. Die 


ersten 4 Bände (1845) kosten 2 Thir. 


, Hahn (Ludwig) Geschichte der Auflösung der Jesuiten- 
Congr v 5 1385. | 


en Eollonen in — im Jahre Mach den 
| rien and unter Benutzung handschriftlicher 
Quellen. Gr. 8. Geh, 1 Thlr. 10. Nar. “ 
Montholon (Gengral), Histoire de la oaptivits de Ste.- 
Helöne. T. I Livra. 1—9, Avec le masuue de P’Empe- 
reur d’apres Antomarchi. In-8. Geh. 
Preis der Lieferung 3%, Ner, . 


Mit dieser neunten iafezang Ist der erste Band der französischen Aus- 
* lies 


ms, weich 
= F ao verößentli eht is enihält, was von diesem Werke 


Ed 


Montholen (General), Geschichte der Gefangenschaft 
Napoleon’s auf Bt.-Helena. Bd.1. Lief.1— 10. (Schluss.) 
Mit er Todtenmaske des Kaisers nach Antomarchi. 

eh. 
Preis der Lieferung 3°/, Ner. 


Der erste Band unserer deutschen Ausgabe enthält ausser der voll- 
tändigen Geschichtserzählung Alles, was die französische Ausgabe 


| 
ıbis jetzt veröffentlichte, mit einigen der englischen A 
ten . Erweite o 
umfassen, welche sich 


usgabe entiehn- 


Ein zweiter Band wird jene Mittheil 
in der englischen Au 
Da nun die französische Ausgabe manche wichtige Documente ent- 
hält, weiche in der englischen fehlen, so wird unsere Ausgabe Alles 
vereinen und dad reichhaltiger werden als es die französische 
oder englische Ist. 


Das ganze Werk wird in unserer Ausgabe in zwei Bänden gegeben. 


Baffelsperger (Franz) , Allgemeines geographisches 
lexikon des Ööstreichischen Kaiserstaates. (In. einer al- 
phabetischen Reihenfolge.) Nach amtlichen Quellen und 

den besten vaterländischen Hilfswerken, von einer Ge- 
sellschaft Geographen und Postmänner, 16. und 17. Heft. 
(Wien.) Gr. 8. Geh. Preis des Heftes ® Negr. 


Cracovie et ses environs. Description historique, géogra- 
phigue et pittoresque de cette ville et de ses contrees. 
Uustree de plusieurs plans et lithographies. In-16, Cra- 
covie. 3 Pilr. 


Des Aflemands. Par un Frangais. In-8. Paris, 1 Thir. 
10 Ner 


Histoire parlementaire de la revolution frangaise. — Histoi 
de l’assembl&e constituante, préXedée d’une histoire in | 
ges des Frangais depuis l’etablissement de la nationalite 

saise jusqu’en 1799; par Buches. ?2me ddit., re- 
vue et entierement remanide par l’auteur en collaboration 
avecMM. J. Bastide, Bois-le-Comte et A. Ott. T.I-—UI. 
In-12. Paris. Preis des Bandes 1 Thlr. 5 Ngr. 


Mohammed Ebn-Omar Ei-Tounsy. Voyage au 
Darfour. Traduit de Parabe par le Dr. Perren; publie 
par. lea soins de M. Jomard, Avec carte et planches, 

, Paris. 4 Thlr. 


Czacki, Dziela zebrane i wydane prsez Hr. Edäwarda 
Baczynskiego T. III. 4. Pozaas. 


Preis des ganzen Werks in drei Bänden 12 Thir. 


Powstanie T. Kosciuszki 2 pism autentycznych sekretnych 
dotad drukiem nieog:oszonych wydaue. +16, Poznas. 
15 Ngr. 

Stowe x podwizceniu. Przez Seweryna &. 16. Pomak 

gr. 


go opowia- 


Wieczory pad lipa czyli historya narodu polskie 
Orzegorza z pod Baclawie, 8. Poz- 


dana przez 
nah, 25 Ngr. 





Svensk Bokhandels-Katalog uigiven är 1845. 
I. Abtheilung. A—L. Gr. 8. (Stockholm.) Geh. I Thlr. 





‘ 


be, aber nicht in ‚der französischen finden. : 





Allgemeine Euchklopaͤdie 
der Wiſſenſchaften und Kuͤnſte 


bearbeitet und herausgegeben von 


RS: S. Erſch und J. G. Gruber. 
Mit Aupfern und Garten. 
Dee Pränumerationspreis beträgt für jeden Theil 


im der Wusgabe auf Drudpapier 3 Thlr. 23 Ner., auf 


Velinpapier 5 Thlr. 


KR, Beüßern Gubferisenten auf die Pffgemeine En- 
er * die, welchen eine Aeiße von Theilen fehlt, ſo⸗ 

*F ‚ bie als Abonneuten neu eintreten wollen, 
werben bie den Ankauf ee nbften Bedingungen zu- 
geſichert. 


Im Jahre 1845 find neu erſchienen: 
Geſte Section (A—G). Herausgegeben von J. G. Gru: 
ber. Alfter und 42fter Theil. 

Zweite Section (H—.N). Serausgegeben von X. 8. Hoff: 
Beitte Section 38 —— — von M. H.E 
TOT Meier. Wfler Theil. nn 


G—m GWWG — 

Dieſe Theile enthalten u. A. folgende wichtige Artikel: 

Erſte Section: Fabrik von Eiselen; Faoultät (numeri» 
fhe) von Sohncke; Färderne von Schubert; Falco und Felis 
von Burmeister; Walk (Johannes) von Döring; Walknerei von 
Pfeil; Falklandainseln von Pöppig; Fall von Hankel ; Fallsucht 
von Rosendbaum; Familiengüter und Familienrecht von Dieck; 
Familienwesen von Bosse; Fanatismus und Fechtkunst von 


Scheidier; Fatum, Faustrecht und Frehmgericht von Waähterz . 


Farbe (mathematifh, phyſikaliſch und aͤſthetiſch) von Hankel 
und v. Quandt; Farbestoff von Steinberg; Farnese von Gruber F 
Fasten und Feiertage von Fink; Fascia von Thelle; Faust 
(Sage von) von Sommer; La Fayette von Stramberg; Feen 
‚ von Riekter; Fehrbellin (Schlacht bei) von Heymann; Feld 

(miltairif$) von Niemann; Feldmessen (mit einer Xafel) 
von Hoyer. | 

Zweite Section: Irland von Lappenberg; Irre und 
Irrenanstalten von Zeiler; Irritation von Österlen ; Isaak (bibli» 
ſche und — Verſonen) von Hofinann, Röee und Kalb; 
Isabella (Königinnen) von Röse, Wachter und Genersich; 
Isatis Tinctoria von Kurrer; Isäus von Weissenborn; Isenburg 
von Landau; Isere von Klähn; Isis von Matthiae, Sckirlits, 
Meyer und Pöppig; Ismail (Regenten und Gelehrte) von Flügel 
und Benicken. 

Dritte Section: Peutinger von Eckermann; La Peyrouse 
von Fischer; Pfändung und Pfandrecht von Pfotenhauer; 
Pfänner und Pfännerschaft von Martins; Pfaffenrecht von 


» Wislicenus; Pfahlbürger von Löher; Pfalz (Beograpbie und. 


Geſchichte) und Pfalzgraf von Fischer und Wachter; fanne 
(mit gwei Zafeln) von Baeks; Pfeffel von Döring; Pferde- 
sucht von Löde; Pfingsten von Dietrich. 


Beipgig, im Bei Lö4G. F. U: Brockhaus. 


Bei F. Ei, Nestier & Melle in Hamburg ist erschienen und 
in allen Buchhandlungen zu haben: 


‘Über die Bectification der Peripherie des 


Kreises. Von Dr: N. Nawrotz 1. Gr. 8. | 


Geh. Preis !® Thir. 





| Seetenheilkunde 


in alphabetifcher Folge von genannten Schriftftellern. 


In meinem Verlage iſt neu rſchienen: 


geſtützt auf pfychologiihe Srundſatze 


Soeben find bei den Unterzeichneten erſchienen und durch ale 


foliden Buchhandiungen zır beziehen: 


— Bei, Kirhengefhichte in Blogro 





» 

phien. . Bandes 4. Abth.: Chryſoſtomus, Oihn 
pas, Leo, Gregor der Große. 8. Beofch. 2 Tolr. 
> Ngr., oder 3 Fl. 54 Kr. 


Feshlich, A. @,, Über den Kirchengefang der 
Proteftanten im Allgemeinen und im Befonten 
über die Sangchöre, die Sefangaufführungen und 
den Gefangunferricht in der Volksſchule. Broſqh 
624 Ngr., oder 24 Kr. 

Range, 3.%., Worte der Abkehr gegen Dr. fr. 

a en Ein trag zu ben 3er 

andlungen über. Die theologi agen ber Zeit. 

8 Broſch. 21 Nor: 08 






eier, Smman., Wann und auf weiche 
Veranlaſſungen ift das apoflolifhe Symholsm 
entſtanden und welche Bedeutung bat daffelbe für 
die Kirche überhaupt und insbefondere auch für 
unfere Zeit? 9 Noar., oder 30 Kr. 
enber, Dr. W. D., Der Sonnta das Zhea⸗ 
ter und das Sonntagstheater. Eine hifloriſche Dar⸗ 
ſtellung. 12 Ngr., oder 42. Kr. 


überfegt von I. Schmid. 9 Ngr., oder 30 Kı. 
wingli, Gulbzeich, Wer ürſache gebe zum 
Se wer bie wahren Aufrührer fee, und wie 
man zu chrifllicher Einigkeit und Frieden gelangen 
möge. Dber: Zeitgemäße Auswahl aus de 
formafors praktifchen Schriften. 10. Boch. 12 Fr. 


VBandlin, J. B., Fabeln und Lirder. ME IM 
Portrait des Dichters. 8. Broſch. 21 Star. 
Eunel, Chr. RI., Gedichte. 8. Broſch. 21 Re. 
Sihärer, Dr. Em., Beiträge. zus Erkenntniß des 
eſens der. Philsfophie. : 12 Rgr., oder 42 Ar. 
Wolf, Mud., Johannes Geßner, ber Freund 
und Zeitgenoffe von Haller und Linnf. . Nach) fi 
nem Leben und Wirken bargeftelt. Seßur's 

Portrait. 9 Ngr., ober 36 Kr. 


Meyer & Zeller in Züri. 


fl . 


Ein 
Vantönd für vſochologen, Hrzte, Seelſorger und Ridter 


‚Ba. vente. ches F, A: uraaliknme & Leipaige. 
Recueil manuel ot pratiäue de traitös, oonven- 
tions et autres actes diplomatiques sur lesquels 
sont ötahlis. Ies relations: et les-rapports gxigfant 
aujourd’hui entre les divers états souverains du 
globe, depuis T’annde 1760 jusqu'à Pépoque 
actuelle. Par le Baron Ch. de Martens 

et le Baron Fierd. de Cussy. 
Tome premier et second. 
"Gr. Iı-8. Broch. 4 Thlr. 16 Ngr. 


Ourreges- j Mr. de Martens ai, se trouvent; che 
de A. Breckhaus u Leipig 
Güde - 9% vols, u in-8, 1835: 
4 Thir. 15 Ngr. \L 
Güuses oöl&bres du droit des 2 vols. 
Gr. in-8. 1827. 4 Thlr. 15 Ngr. 
VAUSES - edläbres du droit des gens. 
2 vols. Gr. in-8 1843. 5 Thlr. 10 Ngr. 





Reueſter Roman 


Gräfin Ida Sahn-Sabn 
Clelia Conti. | 
8. Eleg. geh. 3 The. 
| Alfred Reument, 
Dichtergräber. 
Ravenna, Aryun, Eeriuioo. 
8. Eleg. geh. Thlr. 


Ernite Stunden. 
Andachtsbuch für Frauen 


von 
einer Frau. 
8. Geh. fh Thlr. 
Sum Beten bes Clifabeth- Kinder - Hofpitals, 


Alexauber Ouuder, 
koͤnigl. Hofbuchbandler in Berlin. 





Durch alle-Buchhandiungen iſt zu besiehen: 
Adocbhine, Reue Märden und Erzaͤh⸗ 
Inngen für jagendliche Zeferianen, ©t.16. 

Geh. 24 Ngr. 
Bon ber Verfaſſerin exſchienen im Jahre 1844 ebendafelbft: 





Maͤrchen und —— für jugendliche 


en. 
Gr. 16. Geh. 24 Nee, 
Beinais, im Mai 1846. 
— —28 A. Broahaus. 


1 &ochen erſchien · in elaem B 


layage 
—— 





Redaction der Landwirthſ 
—— — 





uns iſt durch alle Buch⸗ 
bandlungen zu. beziehen: . 
Beſchreibung - und Abbildungen zweier in den 
Gypsbruͤchen des Seveckenberges bei Quedlinburg 
ausgegrabenen coloffaten Rhinocerosfchäbel 


Dr. Eh. &. Sichel. . 
Mit 1 Tafel Abbildungen, Ä 
Me: 4. Geh. 12. Ser: 


Werfesurg, im Mai 1886. 
Rouis Barde. 
Eulandt ſche —E — | 





Soeben iſt bei den Unterzeichneten erſchienen und durch alle 
bouden Buchhandlungen gu. beziehen: 


Vroun Heichen Sünen. 


dus der ‚Favennenschlacht ausgehoben 


Aadwig Eitmäller. 
8.': Brosch, - Preis 23 Ngr. 


Meyer & Zeller in Zürich. | 


Tandwirthschaftliche Dorfjeitung. 


Herausgegeben von William· Dobe. Diit einem: 
Beiblast: Gemeinnütziges Ainterhaltungsblatt für 
R Stadt und fand. . 


Siebenter Jahrgang 1846. 4. 20 Nor. 
Leipzig,.bei F. A. Brockhaus. 


We entlich er | * ertionsſgebuͤhren 
die ee 9 Fe —— been ae I‘ 
end m {7 Thlr. net, 


- peil, Nr. 14— 17. 

nbalt: Über die nothwendige R thahme auf Friction bei 
2 ven ung ‚bee Ackergeraͤthe — Über — mit Rück 
ſicht au "die Forſtwiſſenſchaft. Erſter Artikel. — Die Hima⸗ 
Rachtrag zur Beantwortung ber Anfrage in 
„Wie iſt eine bäuerliche Befigung, die bei 
einer Specialfeparation vieles eles Dpteake Aderland erbeten ba. 
ſchnell emporzubringen.? es Tein ficheres Dit 
a ure u vertreiben? — Shut der —— gegen fen 


wefelfäure ° Fit a ech Futterd — Er⸗ 
dar zu 837 in ——. BL: 








Pr ag aus 
einer — — — * Demi on Me u dem Auflage 
| in St ‚Über bbſt des Futters. G 


er — der Herbftgeitofe ae autumnale), 
— Die Selbfterht bes Futters. — Bitte in Betreff der 
ihen Dorfzeitung. — Eaub⸗ 
MReuig en u. f. w. 
Hierzu Gemenmüg —* ———— für 





De — — — — Tg — 


In allen Buchhandlungen iſt zu haben: j In Berioge von Gonaed Veemende ii Werden IR erffienen 





Was haben wir Proteftanten zu thun, um und in allen Budpanblungen zu haben: 
Ber broteftantifhen Kir, Kir de, nad dem N Frans Pauer 
organge ihrer er, @i un eine egner. 
nd endlichen Si * affen? — 
Dauer u Ph — * Bier kritifch⸗ rtitel. 
e90 ange . ven 
b. deu. ou. 1 u. Weof. a — ya Jena. Theodor 
Jena, Schreiber. eis, Kollmann in Comm.) | . AR bin n Cu fämmtliäen u jur Leh, 
Geh. 12 Ger. Dh —— gar nichts zu fagen. 
S EEE | cn Dönm 06 Dune 
Erhebung waAETOE | She 1,06 Ben May m Sup. 2) On me 


im ar Girner verräth 
.2 fünftigen —— n A von vorkä 6 —8 on eheimften Geda nz Ba . 
aufe 8 cr (in Bonathch ufig geheimft an Beine Baum 4) Die Ohnmnaq 


Conversations-Xexikon. 
Neunte, verbeflerte und ſehr vermehrte Originalauflage. 
vollſtündig in 15 Vünden. 


Diefe neue Auflage, welche den Inhalt aller fruͤhern Auflagen und Supplemente des 
Eonverfations- Lexikon in fih aufgenommen hat, wird auögegeben : 
1) in 180 Beften, bon denen monatlich 2 erfcheinen, zu dem reife von 
5 Nor. Erſtchienen: 76 Hefte J me 
2) bandweiſe ber Band auf Druckpap. 1 Thlr. 10 Rgr. reibpap. 2% 
Velinpap. 3 Thlr. — we van. 2Thit. 
In einer neuen Ausgabe 


3) in 240 Wodenlieferungen, zu dem Preife von 27, Ngr. Erſchienen: 
27 Lieferungen. 





war Subferibentenfannnler erhalten in jeder Ausgabe auf 
12 Exemplare 1 Breieremplar. 


| An: alle Auflagen und Nachbildungen des Converſations⸗Lexikon ſchließt fid an: 


Systemalischer Bilder - Allas. 


- Yollftänsig 500. Blatt in QGuart, in. 120 Kieferungeh, 
| zu dem Preiſe von 6 Nar,. - 
| Erfchtenen: 48 Lieferungen. Blatt 1— 200. 
Eeipzig, im Mai 1846. . 4. A. Srockhaus. 


Druck und Berlag von F. X. Brockhaus in Leipzig. 





— 575 —5— —— 757 
⏑ )V ⏑ 





Siterariſcher Anzeiger. 


1846. XI. 


-n EPrEr um Ze ul" GE ze 
J 








F. A. 


Brockhaus in Zeipzig 


im Jahre 1846. 
MM 1 Jannar, Febrnar und? Män. 





1. Deutſche SCiigemeine Zeitung. Berantwortlide Me: 
daction ar 2 en u. — 1845. Tag⸗ 
ih mit Einſchluß der Sonn⸗ und Feſttage eine Rummer- 

- son 1 Bogen. Hoch 4. Pränumerationspreiß viertejährlich 
Ihlr. 


Wird Abends für ben folgenden 
für den Raum AA veeifpatrisen Er Rt, 
nicht beigelegt. 


A en 


3. Blätter für literarifige Unterhaltung. (Heraus⸗ 
geber: SH. Brockhaus.) Jahrgang 1846. Bäglich 
_ eine Kummer. Gr. 4. 32 Thlr. 
. . no Freitags ausgegeben, tann aber auch in Monatsheften bezogen 
erden. 

3. Ss. Encyklopaͤdiſche Beitfchrift, vorzüglih für Natur⸗ 
te , —— Anatomie und Phyſiologie. Her⸗ 
ausgegeben von Sken. Jahrgang 1846. 12 Hefte. 
Mit Kupfern. (Bürih.) Gr. 4. 8 hir. 

Zu den unter Rr. 2 und 3 genannten Zeitfhriften erſcheint ein 
Eiterariſcher WEngeiger, 
Heite oder deren Kaum merken Zi Bigr, Derrmer. 007 die Gefealtene 
Genen, Vergütung von 3 Thlın. werden befondere amnbelgen u, bel. 


' de lattern Itter Un al und n u 
von Nie Sr enter oder Bigchiiet, ng 


4, Mandwirtäfegattiidge Dor fzeitung. Gerausgegeben 
unter Mitwirkung einer Geſellſchaft praktiſcher Land», Haus⸗ 
und Borftwirthe von Silliam L:öbe. Mit einem Bei: 
blatte: Gemeinnügiges Unterhaltungeblatt für 
Stadt und « Sahrgang 1846. 52 Nummern. 
4. Preis des Jahrgangs ZU Nor. 

Ser tirtn Bet. .Etem, Sieg, Sorten 
En en u. dgl. werden gegen eine Bergüurung von %, Thir. für dad 
end beigelegt, . 

5. Neue Jenalsche Allgemeine Literatur 
Zeitung. Im Auftrage der Universität zu Jena redigirt 
von Geh. Hofrath Prof. Dr. F. Mand, als Geschäfts- 
führer ; Kirchenrath Prof. Dr. I. . E. Schwurs,. 
Bof- und Justizrath Pr of. Dr. A. L. I Miche sen, 
Geh. Hofrath Prof. Dr. DE. &@. Kieser, Prof. Dr. 
I. » als Specialredacteren. Juhrgmmg 1846. 

332 Nusimern. Gr. 4, 12 Thlr 


. ed Brritagd ausgegeben, Tann aber auch in Monatöheften bezogen 


Anzeigen werben mit 1'/, Rar. ! 
und Befdnde 4 at. für den Raum einer afpaltenen Belle 


ve Beilogen u. dgl. mit 1 Thir. 15 gr. berecnet. 


- 
. [4 


10. SChailppine, Rene Maͤrchen und 


6. Das nnig- Magazin für Belehrung und 
ut eltung. Neue Folge. Bierter Jahr ang. 1846, 
52 Rummern. . 157— 208. Mit vielen Abbilbungen. 
Schmal gr. 4. 2 Thlr. 

Deren er Sabean 21 fm 3 Boften zufammens 
genoammen fe 19 Nr. 1 Mer. im exadgefenten fe mu 10XHdr 5 
erfte bis Fünfte Jahrgang 5 Xhlr., der fedhöte bis zgeante Sahrgang 

5 Ahle. ; einzelne Sabrgänge aber 1 hir. 10 Kor. Der Neun Fig 

* in dritter Yahraang —— — 

enfalls im Preife herabgefetzt ind folgende Schriften mit vielen 

Dfeunig 


Abbildungen: 
B ⸗ Braun für Kinder. Fuͤnf Bände. 
Brüher 5 Thlr. Jetzt 2 Ahle. 35 Nor. Einzelne 
PETE a Drei Bände. Früher 6 Lplr. 
YnnTags - Magazin, Drei Bünde. Früher 
Jetzt —2 * | 


Notionn!: Magazin. Ein Band. Früher 7 Thir. 
Jetzt W Nor. 
EI” Eeptere vier Bände zufammengenommen une 2 Xchie. x 
das nkũn t 
Bonner. Ke achtene Belt ober be Nm werten Her. 
ngeigen u. bgl. gegen Berguͤtung von 4, Thir. 


echnet, 5 enbere 
für das eigelegt. 
7. Lefpzige riım der deutschen und 


rBe 
ausländischen Literatur. Unter ——— 
der Universität Leipzig herausgegeben von Hofrath un 
Oberbibliothekar Dr. =. @hf. Gdersdorf. Jabr- 
gang 1846. 52 Hefte. Gr. 8. 13 Thlr. " 
Grfdetntin wöchentlichen Heften von 2, —3 Bogen und mich Jreltegs 
— Zeitſert tft ein 
Ku Ginlisgrapsifser Eugeiger. 
ter: in der Krt er , \ 
ee 
beſondere Anzeigen u. dgl. gegen Vergütung von 1%hlr. 15 Kr. biigelegt. 
8, Deutfhes MWollsblatt. Kine Monatichrift für das 
Volk und feine Freunde. Herausgegeben von Pfarrer Dr. 


Mb. Gans. Bweiter Sahrgang. 1846. 12 Hefte. 
* ne En & 2 Bi büßeen 
onatli⸗ t ein Heft um 5 Segen. Sdaitipnigh 

b A Ä 
— — 


9. Hiberti (Jul. BR), Det Staud ber Sr 
in Preu Ein biftorifch-Eritifcher Berfuch, mit De 
iehung auf die bevorftehende Reform des preußifchen Dies 
ieinalweiens. Gr. 8. Geh. 24 Rear. j 





Besäblungen 
für jugendliche Leferinnen. ®r. 6, Geh: 24 Rar. 
EB 
Sr. 16. Geh 2 Ror. an | ' 





⸗ 


b.), ß bh 
J — 


Baͤnden. Dritter Band. Gr. 
- . Der erſte und weite Bad (184 — * koſten * 3 Thlt. 15 Nor. 
das ganze Wert ſomit 11 Ahle. 


12. Ausgewahlte Bibliothek ber Glaffiter bes ine: 


Iaubes. Mit Rh :literarifhen Einleitungen. Bier: 
sa fsigfer und fünfundfunfzigfter Band. Gr. 12. Geh. 


Die erſchienenen Bände diefee Sammlung find unter befondern Xiteln 
einzeln zu erhalten: 
LH. VBremer, Die Nachdarn. Bilerte Zuflage. DO Ror.— MU. e. 
mis. Ignez de Gafzo, überfept von Wittid. 20 Nr. IV. Daut 
Das neue Leben, überfept von Börfter. 20 Rgr. — V. 8 
Teehter des Präidenten. Vierte. Le Xufloge, 1 10 iur: — X vu. een. 
a. Zmeite u emer, Dad Haus. 
Bierte zur e. 20 . Brom mer. ur Samtıe H. 10 Nur. 
— XI. he, br@giten, 0 St Hichte der Manon 8escaut, überfept von 
Bülon. 8 Mer. ante, Lyriſche Gedichte, lberfept und 
ertiäxt von Kannegieper und Witte. 


Zweite Auflage. 2 Ahlr. 
12 Regr. — XIV. Jäaſſoni, Der geraubte Eimer, überfept von Krip. 


1 Ihlr. 9 Ngr. — AV. Dremer, Kleinere Erzählungen. 10 Rear. 
— XVI Bremer, Street und Friede. Dritte Auflage. IN Rgr. 
— XVii. Belte m Di: entiabe, überfept von Schröder. 1 bir. 
— Avul. "ER. @ eufpiele, & überfegt von Gidel. 1 Adlr. 

"6 Nor. — X ae), Gedichte, Überfept von Kanne: 
gieher. 20 serie, Das Drelameron, SKY. 
von Witte äweite Auflage. 2 Bi 5 Ngr. — 


Yus dem —X überfept son H lom. x, — — XXVIL 
XXVIII. —— —* —83— von Brod⸗ 
haus. 1Xhlr. 18 War. ir Ein Tagebuch. 2UNgr. 
— AKEL XXX. Kae, Ennide Seridte,  Üdcriept von Hörfter. 
Zweite Auflage. 1 Zhlr. 1 — XXXIII. Ditopadefa. Aus dem 
Sanskrit überfept, von M len —* — . XXXV. ndife 


Sedi —J— n deutſchen Ra pilbunyen von Hoefer. 2 Xhle. — 
er Deren, chaufpiele, überfegt von Martin. sr. 
— 8 Dante, Prolai he Schriften, „uberjept von Kanne⸗ 
Inießer. 2 E72 — XLI. XL. Dreme arlien. 20 Ri % 
— XLIH—LIH. Gue, Der Fer Jude. 3 Ihlr. 10 Nor. —LIV. 


Basic, , Blorentinifhe Geſchichten, uberfegt von Reumo r t. 


13. Bioämann (8. Julius), Heinri ger“ 
33. Züge aus dem Bilde feines. Leben und nd 
a Seiofzeugniffen ‚ anfhauungen und Mittheilungen. 


mi u 6 Bon und 4 lithographirten Zafeln. 
Ge Ror. 
Et Baker Fan 1 ven wen vn vi 


14, Bremer (Breberite), Die Yamilie G. Aus 
‚ Ibem en: wilden. Bweite verbeflerte Auflage. Gr. 8. 
gr 


ebolikäudine fünnige Xusgabe ber 
Recht ans 14 heilen und koſtet 
Na find zu erhalten: 


er Schriften von Breberite Bremer bes 


4 Ahle. 20 Ngr. jeder Iheil 10 Nr. 
—* "ie Ye RT ENTE, zu 


15. Meiste eines Deutfchen ——⸗ ans *5* 
Aus den nacgelafenen | Papieren von Erwin Spedter aus 
:Somburg. Zwei heile. Gr. 12, Geh. 3Thlr. 15 Nor. 

Von dem Bruder Erwin Gpedter’s, Otto Speckter, erſchien in dem⸗ 
fetben Verlage: 
—5 Medienugen zum geftisfelten Kater, 4. 1844. In 

16. Gouberfations -Regiton — emeine deutſche 
Steal-Encykiopäbie für bie g eten Stänbe. 
— Reunte, verbefierte und (che vermehrte Driginalaufe 
- Tage. Vollſtaͤndig in 15 Bänden ober 120 n. @inund» 
Degiaße bis fün undñebzigſtes Heft. Gr. Jedes Heft 


vn neunte Xuflage — in 15 Bänden ober 120 Heften zu dem 

Preife von 5 Nur. „fie ba Heft in der — auf Maſchinenpa⸗ 

plet; der kofſtet ae. 10 Rer.. auf Schreibpapier 2Xhlr., 
; af Belinsenie 3 Thlr. 

lägen der einzelnen Hefte werden Ent 

NEER —A usb ber Dem ein: Benin mie 


2 





11. Teen Neunteipflage. Meue 


pa 


19. 


Ex, 


21. 


24. 


—* 





Gr. 8. Jede —“ 23 * ia dyranzige 


er 

deratlas sum Converfſ —— * 
uf". al de —— per Merigahen 

une. — 500 in I geftochene Blaͤtter in 

Quest mit Darftellungen * ae Roturwifien- 
haften, aus der Geographie, ber Völkerkunde des Aiter⸗ 
tbums, des Mittelalters und ber Gegenwart, dem m Kriege: 
und Seeweſen, ber Dentmale der Baukunft aller Zeiten 
und Boͤlker, der Religion und Mythologie bes —— 
und nichtelaſſiſchen Alterthums, der zeihnenden und bilden⸗ 
den Künſte, ber allgemeinen Technelogie ıc. Rebſt einem 
erläuternden Text. Entworfen und herausgegeben von 
@®. Hed. Vollftändig in 120 Lieferungen. Fa 
vierzigfie bis fechöundvierzigfte Lieferung. Gr. 4. Jede Lie⸗ 
ferung 6 Ror. 


Se 68. €. E., Sreiberr non), 
zweit lin ade au bie dentſche Ration über 


Wirren, ihre Ermätigu 
möglichen Wusgang. &. 8 8. Ge. ur Ras. * 


Des Verfa 
—————— — — rt —ãS— * 


an EN „dife 
Btanffurt a. „weite 
Bon enfeiben ——— erſchien bertits früher daſelbſt: 
itie des 8 rergeatt· grit it prakeifäer Anwendung auf unfer 


Kr 
3. &r. 8. 1880. Sch. 1% 
gpete te pari er Bein. 5 weiähelle.— X. u. d. T.: Mein 
ed X y 
Sch. ’ Es 18 1 peikie Sn theilungen. Gr. & 154 


haufen (8. X.), O 


er Yrsteflantismuns 
ti 
dans (einer sefaie war ** Eutfiehung, Begrũu⸗ 


bilde In.drei Banden. Erſter 
Be a 2a. ae 


Jager (Jof. =). gesendeiftunde, g 
Den ke © 7 —— Mister. —** 

, e, Seelforger un 
befierte Muflage, &r. 8 Ger. 2 El. Bweite un 


Bons 8 (3. Ep. o.), Beleuchtung ber Für das 

























eich Sachſen beantragten. Reform Ber 

alverfaffung. Vorausgeſtellt if eine Kritik 

* —E des atailombarztee Dr. Reubert in Dre» 

ben: „Darftellung ber ärztlichen Bing der Militairärzte 

ber koniglich ſächfiſchen Armee” bett ®r. 8, 6%. 
gr. 


Am Jahre 1046 bereits von den Berfeffer —— 


—— 8* —— der bee Bereichen 
Jürgens 4*. Erſte Wthei⸗ 


Euthers Reben. 
lung: Luther von feiner Geburt bis zum AUblaßfiveite. 1483 
17. In drei Bänden. Erſter Band. Er. 8. Ge. 
2 Thlr. 15 Ror: 
Rewald’s (X.) gefammelte Gipriften. I 
einer Auswahl. In zwölf Bänden. Vierte Lieferung, ode 
zehnter bis zwälfter Band. Er. 12. Geh. 3 Zplr. 


Die erfie bis dritte —— 1-9) unter dm Titel:An 
Leben. nenuter Tdeil (EHEN: deſten 
9 Thlr., jede Lieferung 5 Ahle 


3. Machtavelli (Micsate bi Nermarbe 
Dei), —— e Seſchichten. Aus dem Ita: 
le See von Alf. Neumont. Bei Theile. Gr. 12. 

26. Me “er EA.), ODie erichte in 

24— $: 8. Geh. 20 Nor. . 

. 27. My hr 8 E.), Gebichte. Gr. 12. Geh. 24 Ror. 

28. Ninfa. Eine Novelle. Bwei Theile. Gr. 12. Geh 


3 he. 10 Nor. 


iſt. Behu 


29. Hosuell mammel ot pratigghe 
tiehs et autres actes diplomatiques sur lesquels sont 
&tablis les relations et les rapports existant aujourd’huj 
entre les divers Etats souverains du giobe, depuis l’an- 
nee 1760 jusqu’& P’öpoque actuelle. Par je Baron Oh. 


de Martens et le Baron F, de Cussy. En 
dinque volumes. Tomes premier et second. Gr. 8 


Geh. 4 Thir. 16 Ner. In denſelben Merle 
Von Eh. de Martens erſchlen ferner in demſelben : 
Guide diplomatique. ?vols Gr. 8. 1882. 4 Thir. 15 Ngr. 
Causes oeltbres du Arelt des goms. ? vols. Gr. 8. 
1827. 4 Thir. 15 Ner. 
Neurvelles anuses odlöhres du droit des gems. ?vols. 
» 183. 5 Titr. 10 Ner. 
2 Meliſtab (Rı)r Gefammelte Schriften. Drei: 
zehnter und vierzehnter oder Reue Folge erſter und weiter 
Band. Gr. 18. Geh. 2 Abe. — 
nde enthalten in einer neuen Aufloge des Werſaſſers 
ee ee au Haris im Jabre 1830.° 
Die ef dub erfhten in zwölf Bänden 1819-44 und foflet 12 Ihr. ; 
di en : 


1612. Dritte Auflage. — Gegen und romautifhhe Erzãhiuu⸗ 
en. — Kuuftne elen. — eiten, Auswab der 

— .— ns i te + 
Se —— * 
31. Möben (VR. H.), Der ſonseraine chriftliche 
Staat, das e untferer Zeitwirren. Gr. 8. 


Seh. 1 hir. 15 Rar. 

2. Shefer (Rp.), Bendrisn von Qoulouſe. 
Hifkorifche Novelle. Gr. 12. Geh. 1 * 15 Nor. 
3. ũ ck i Ee vin Die Nitterbürtigen. 

a abe. 312. Sch. A Zhle. 15 Kar. 


. bildet zugleidy den erſten bis dritten Band einer Saum⸗ 
ee en Xitel —7 — — lesen: "deren vierter Band 
Eine bnmfle Mpat-; Nid unter dee Prefie befindet. 

Bon dem Verfaſſer erſchien bereits ebendaſelbſt: 

* oB am Meer. Roman. Zwei Theile. Gr. 12. 1843. Geh. 
3 Ir. . 


4. Gchulz (6 W.), Über bie Nothwendigkeit 
eines neuen SBaleriegebäubes Tür bie 7 nig- 
83 DBemälbefammiung au Dresden. Br. B. 
Geh. gr. 





” 


de traitös, omren- ı 3. Siosors A 


— — 
⸗⸗ 


), Wladgstauu uub Diffepli, 
Eine tfcherf blung. Gr. 12. Geh. gr.” 
36. Roſts⸗Dibliothek. — Zweiter Band: Ber alte 
eim. Leben und Wirken Ernft Ludwig Heim's, koͤnig⸗ 
ch preußifhen Geheimen: Raths und Doctors der en 
mit 









wiſſenſchaft. Aus Hinterlafienen Briefen und Xagebü 
herausgegeben von &. RS. Keller. Zweite, mi 
Bufägen vermebrte Auflage Mit Heim’s Bildniß. Gr. 8. 


. Der erfie Wand dieſer Voles⸗ Bidliothek (1845) enthält: 
Mettelde, Bürger m Ketderg. Eine Lebensbeſchrei⸗ 
hm ſelbſt zpanet und herausgegeben von B. Eb. 
aPen. Mit Netteldbed’s Bildniß und einem Plane der limgegenb 
von Kolberg. Zweite Auflage. Gr. 8 Geh. 1 Ahle. 


en 
37. Wiln de ( F. XIB.), Æeſebuch für Wolksichulen 
und bie untern Claſſen ber Symngaſien und 
Nealſchulen. Gr. 3. Geh. 16 Nor. 
ee Breit diefes Befehuche wird_bei Dem mfauge 


8 kottomif De als 
tin Hu ae X ara) 
erleichter 


Joachim 
bung von i 
Pe 


iger erſcheinen uud Die Einführung in —2 





Werzeihniffe 
im reife bedeutend herabgeſetzten Werken 


aus dem Berlage von 
F. A. Brockhaus in Leipjig, 


wovon das eine die IR LIE und hiſto⸗ 
rifchen, das andere die wiſſenſchaftlichen Werke enthält, 


werben dur alle Buchhandlungen gratis ausgegeben. 


I Diefe Berzeihniffe enthalten. faft alle Werke von all» 
gemeinerm Intereſſe, die bi8 zum Jahre 1842 in obigem Ber: 
lage erfchienen find. Die Preisherabfegungen gelten nur für 
ein Jahr, vom’ 1. San. bis 31. Dec. 1346. Bei einer Aus⸗ 
wahl von 10 Zhlr. wird noch ein Rabatt von IU%Y, bersilligt. “De 





Biblifche 
Bilder und Gedichte 
Schule und Haus. 
eransgegeben von 
@, r. Meyer, 


Erſte Lieferung. Großfolio. In Thondrud, Jede Lieferung 
zu 6 Bildern und 6 Textblaͤttern. Preis 2 Thlr. 


ober 3 Fl. 36 Kr. 

’ jefed auch mit Hinficht auf den für Batball 
wie — — amilien und len he 
r andern ähnlichen Sammlungen die befondere Ei⸗ 
ent dei, daß, um eine möglihft wahre Vorftellung des 
ibliſchen Lebens zu geben, das geichichtliche Element fo viel 
imme ER auch mit dem Iagbfchaftlichen verbunden 
des biölihen enfchauungsuntersichts in 
Scqhulen laſſen ſich die 33* leicht und wohlfeil auf Carton 
aufziehen und durch Firnih vor Schaden bewahren. Billige 
Beurtheiler, welche wiflen, we hoch fonft ſchon einzelne 
Blätter von gleiher Größe im Kunftgandel tarirt werden, wer: 
den den Preis nie finden. Der Xert wird nach vielfeitig 
geäußertem Wunſche ei den fünftigen Zieferungen auf kleinerm 
vum Handgebrauch bequemerm. Formate gedruckt, in welchem 


geliefert wird. Fuͤr den angerechneten Mehrwerth des urſpruͤng⸗ 
i 





Wir glaub daſſelb ol zur Bergisrung von 
ee ein @duiacbr ich beftens empfehlen zu Re 


Sad M erſchi 
Die Rückkehr, 
| des Verfaſſers 
& der Briefe eines Berftorbenen 


1 Karte. 
5 8. Eleg. geh. 2% Thlr. " 
Verlag von Sflegander Bunder, k. Hofbuhhändler E 
’ in Berlig. u 


J Grfter Theil: Aghpten. Mit Abbildungen und f 





‘ 


Sn unterzeichneten Berlage iſt ſoeben vefgienen 1) vurcqh alle 
Buchhandlungen gu bezichen 


Briefe aus und über Tirol. 


Ein Beitrag zur nähern Charakteristik dieses Alpen- 
Nudes im Allgemeinen und des Meraner Gegend 
insbesondere 
voB I. von von Hartwig. 

Mit Ansichten von Schloss Tirol und vom Schlerngebirge, 

4 meteorolegischen Tabellen. 
Gr. 8 8. 43 Bogen. Geh. 3% Tblr. - 
Dies Wert, während eined dreijährigen Aufenthalts in Tirol 
entftanden, wird jedem Freunde der Wiſſenſchaft und des Baters 
Iandes, fowie allen Beilenden, namentlich ſolchen, die, wie ber 
Berfaffer, der Gefundheit und Geholung wegen das ſchoͤne 
Klima Guͤdtirols auffechen, ein willkommenes fein. 
Duncker & Humblot in Berlin. 


U} 
12 b & Zeller ien 
en iſt bei —— dee A her — en und 


Seinrih veaioni. 
es 
Sehen und Wirken 
einfach und ka erzählt für das Bolk, 
ran h gehen 
Sir een dem ra Geste de. 
Zweite * 
(Erste Auflage 20,000 Eremyları.) 
Broſch. 5 Mer, oder 18 Ar. 
Soeben ift erfchienen und I yaten guten Buchhandlungen zu 


Die Somöopathie. 


Dorftellung ihres wahren Befens und Widerlegung 
‚ der gewoͤhnlid gegen erhobenen Einmwärfe. 










— — 
Na} dem Englifchen Beanbeitet von Dr. verm. Sram. | 


Mebdft eitter Burrete und Anmerkungen 


Medicinalrath Dr. € Biapf. 
Leipzig, Kollmann. Geh. 15 Nee. ( Sgr.) 


Seihbiblistheken und SLeferirkeln 
empfehlen wie bie in unferm Berlage erſcheinende Zeitſchrift· 


Nene —— —88 
cactent Dr. 
J „gaiefes niabegeindee Sournal, das in jeder Hinſicht ent: 
fSicden dem Portichritt buldiat, ſucht ein trrues Abbild Wer 
neusften deutichen und ausländifchen Biteratur dar ubieken 
und hat bereits in vielen Kreifen freundliche Anerkennung 
funden. Mehre ber vorzüglicften Schriftſteller find als “ 


arbeiter gewonnen. 

enthaͤlt an mannichfoltiger zus 
wohl: Novellen und Erza tungen, Reiſeſkizzen; — 
Ben beruͤhmter Beitgeno en; wichtige Entdeckungen und. 


—* und ein ſehr r ereon, viq | 
*—— c. mittheilt. Durch | 
werben —* Leſer von dem neueſten 

—* en unkyufänten und Borkommmiſſen fortmäpren i 
Kernen ce York Der jaͤhrliche Wbonnementäpreis beträgt “ 


—— ‚im Gin Mei 1946, 
RB. Beruharde’ihe Buchhandlung. | 


un 
Bei @. Rummen in Bebynig, erfäeint fit Anfang Die 


Botanifches Ceutralblatt für Deutſchland, 
ausgegeben von Dr. £. Rabenhorst. Dec A 
Jahrgangs 2 Thir. 20 M | 
Sa 14 Tage e —eæ eine Runms. tut Yen ausfül | 
tofpec ee dur e Bu | 
u 

v 8 

on dem Ba & ehe * eragehamanq X 





hlaubs en⸗Flore m 
and: er 1844. 3 Zhlr. 10 Rgr. 
Derfelben ten Bandes Ifte Wbtheilung: Lienen. 1 
„ D Nor: (ten Bandes 2te Abteilung iſt im Deut) 
Flora Lustatien, oder Verzeichniß und Befreiung u 
in der Ober- und Nieberlaufig wild wachfenden und bie 
fig cultivirten Pflangen. . ſter vand, Phanerogamemn 
Derſelben 2ter Ban: —* —8 Able. 22%, Rz. 
Dopulaize praktiſche Botanik, ober Anieitay, 
die in Deutfchland wild mwachfenden und gezogenen Ge | 
wächfe kennen zu lernen, nebft Überfiht bes Gewaͤtcht. 
reihe nach feiner organogenetifihen Entwidelung. 1843, 
Ahle. 27 Nor. 





In meinem Verlage erschien soeben und ist dureh alle Buch. 
handlungen zu beifietken: 


Lindemann, E., Laieiisches Lesevad 


für die beiden untern Classen der Gymnasios. 
8 6 Ner. | 


Min, im Apr 1816. 
nr G A. Bogker. 


Die Unterneh haben ſich zur ghrnaaebe folgender 
Schrift veranlaſt g 
Über die Verhaͤltniſſe der Buchhandlung F. 2. 
Drodhans in Leipzig zu Herin Hofsaty Dr. 
P. Eckermann in Weimar in Beziehung auf 
Bert „Geſpraͤche mit Goethe in den Adten 
Jahren feines Lebens". (Aus der Keten * 
ſammengeſtellt und als Manuſcript dedruckt.) 
Sollte es für Jemand von beſonderm Aetereſſe feim, biefe| 
Schrift zu befigen, fo wird ihm biefefbe, fo weit der Vor 
zath an Eremplaren reicht, gern aberlaffen werben, wenn 


er ſich im Wege * Bud i6 an bie Buchhaudinug 
A. Brockhaus wendet. | 


Reipsig, im Mai "186. | 
Friedrich Brockhaus. | 





Deud uud SBerlag von — er. Se⸗erer⸗ ta Leipzig. 





BEI HS == 


ER ei MR MR A